J. R. Siewert M. Rothmund V. Schumpelick (Herausgeber) Praxis der Viszeralchirurgie Gastroenterologische Chirurgie
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J. R. Siewert M. Rothmund V. Schumpelick (Herausgeber) Praxis der Viszeralchirurgie Gastroenterologische Chirurgie
J. R. Siewert M. Rothmund V. Schumpelick (Herausgeber)
Praxis der Viszeralchirurgie
Gastroenterologische Chirurgie V. Schumpelick (Bandherausgeber) 3. Auflage F. Harder (Editor emeritus) Mit 796 zum Teil farbigen Abbildungen und 162 Tabellen
123
Prof. Dr. med. Dr. h.c. Volker Schumpelick em. Direktor der Chirurgischen Universitätsklinik Aachen Pauwelsstraße 30 52074 Aachen Priv.: Falkensteiner Ufer 34 22587 Hamburg Prof. Dr. med. Dr. h.c. Jörg Rüdiger Siewert Leitender Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 672 69120 Heidelberg Prof. Dr. med. Matthias Rothmund Dekan Universitätsklinikum Marburg Baldingerstraße 35043 Marburg
ISBN 978-3-642-14222-2 Springer Medizin Verlag Heidelberg Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Ve rvielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer Medizin Springer-Verlag GmbH Ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Planung: Dr. Fritz Kraemer, Heidelberg Projektmanagement: Willi Bischoff, Heidelberg Copy-Editing: Ursula Illig, Gauting Cover-Design: deblik, Berlin Satz und Digitalisierung der Abbildungen: Fotosatz-Service Köhler GmbH – Reinhold Schöberl, Würzburg SPIN 12805792 Gedruckt auf säurefreiem Papier
2111/WB – 5 4 3 2 1 0
V
Vorwort zur 3. Auflage Vorworte sind willkommene Zäsuren im Kontinuum unserer an Ideen und Arbeit reichen Zeit. Bieten sie doch die Chance zur aktuellen Orientierung und Neujustierung auf die gesteckten Ziele. Damit sind sie zugleich Instrumente des Rückblicks wie auch der zukünftigen Projektion. 30 Jahre »Viszeralchirurgie ›haben vier Generationen von Chirurgen geprägt, wenn man die Halbwertszeit des medizinischen Wissens mit sieben Jahren ansetzt. 5 Auflagen tragen dieser permanent notwendigen Innovation Rechnung. Nichts ist heute noch so wie bei der ersten Auflage aus dem Jahre 1981 unter der Autorenschaft von M. Allgöwer, L. Hollender und H.J. Peiper mit dem Titel‹ Chirurgische Gastroenterologie«. Aber auch nach dem Neubeginn des Werkes als »Praxis der Viszeralchirurgie« im Jahre 2002 blieb die Pflicht zur ständigen Revision dieses Standardwerks. So ist dies bereits die dritte Auflage der Neufassung innerhalb von zehn Jahren und es deutet sich an, dass auch zukünftig Neuauflagen in mindestens fünfjährigen Abständen notwendig sein werden. Zu schnell ist der Lauf der Entwicklungen in der gastroenterologischen Chirurgie. Im Zeitalter der evidenzbasierten Medizin sind absolute Gültigkeiten nicht mehr gegeben, Axiome gibt es kaum noch oder werden zumindest ständig falsifiziert. Die Wissenschaft bleibt im ständigen Fluss, Heraklit lässt grüßen. Was früher gesicherte Gewissheit war, ist jetzt ein permanent offener Prozess. Und dennoch brauchen wir in diesem Fließgleichgewicht des Fortschritts in der täglichen Routine eine verlässliche Orientierung für die Praxis in Form eines verbindlichen Standardwerks in Buchform für Lehrende und Lernende. Unter den drei Säulen der Praxis der Viszeralchirurgie so der Onkologischen Chirurgie, der Endokrinen Chirurgie und der Gastroenterologischen Chirurgie hat zugegebenermaßen die Gastroenterologische Chirurgie der benignen Erkrankungen erst spät einen fulminanten Innovationsschub durch die biologicals und neue endoskopisch instrumentelle Techniken erfahren. Aber auch die Fortschritte der metabolischen Chirurgie entwickelten ein gänzlich neues Aufgabengebiet. Selbst fast schon steinzeitlich anmutende Bereiche wie die der HernienChirurgie konnten mit neuen Materialien, minimal invasiven Methoden und erweiterten Indikationen überraschend an Aktualität gewinnen und zuverlässig viele Kongresssäle füllen. Wo geht die Reise hin in der Viszeralchirurgie? Was sich jetzt schon abzeichnet ist der engere Zusammenschluss von Viszeral Chirurgie und Gastroenterologie zu einer Viszeralmedizin mit gemeinsamen Tätigkeitsfeldern, Kongressen, Stationen und überlappender Ausbildung. Diese zwangsläufige und wünschenswerte Entwicklung wird auch vor den Neuauflagen dieses Standardwerks zukünftig nicht Halt machen können. Mein besonderer Dank gilt Herrn OA PD Dr. K. Junge für die mühevolle Arbeit des Zusammentragens aller Manuskripte und ihrer redaktionellen Überarbeitung. Danken möchte ich aber auch dem Springer-Verlag für die Geduld und Ausdauer und hier vor allem Dr. Fritz Kraemer und Willi Bischoff. Prof. Dr. Dr. h.c. Volker Schumpelick
VII
Inhaltsverzeichnis Spezielle diagnostische Techniken 1
Diagnostische Sonographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Zielke
1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6
Technische Neuerungen in der Sonographie . . . . . . . . . Sonographie in chirurgischen Notfallsituationen . . . . . . Perkutane Sonographie in der präoperativen Diagnostik . Endosonographie/endoskopischer Ultraschall . . . . . . . . Intraoperative Sonographie/laparoskopischer Ultraschall Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4 5 8 11 12 14
2
Interventionelle Sonographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. Truong, M. Binnebösel, V. Schumpelick
17
2.1 2.2 2.3 2.4
Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sonographisch gesteuerte interventionelle Diagnostik . Sonographisch gesteuerte interventionelle Therapie . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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18 21 22 32
3
Allgemeine radiologische Diagnostik des Magen-Darm-Traktes und der Gallenwege einschließlich Computertomographie und Magnetresonanztomographie . . . . . . . . . W. Steinbrich, W. Wiesner
35
3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7
Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abdomenübersichtsaufnahmen . . . . . . . . . . . . . . . Ösophagogastrointestinale Kontrastmitteldiagnostik . Computertomographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Magnetresonanztomographie . . . . . . . . . . . . . . . . Angiographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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36 36 38 41 49 49 50
4
Radiologische Interventionen im Gastrointestinaltrakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A.H. Mahnken, K. Schnabel
51
4.1 4.2 4.3 4.4 4.5
Interventionelle Therapie gastrointestinaler Blutungen . . . . . . Interventionelle Therapie der gastrointestinalen Ischämie . . . . . Interventionelle Therapie der Pfortaderthrombose und -stenose Interventionelle Therapie gastrointestinaler Passagestörungen . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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53 54 56 57 61
5
Nuklearmedizinische Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . L. Degen, C. Beglinger
63
5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6 5.7 5.8
Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klinische Indikationen . . . . . . . . . . . . Gastrointestinale Motilität . . . . . . . . . . Entzündliche und infektiöse Krankheiten Szintigraphie der Leber . . . . . . . . . . . . Onkologische Applikation . . . . . . . . . . Positronenemissionstomographie (PET) . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64 65 66 68 69 69 70 71
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3
VIII
Inhaltsverzeichnis
6
Motilitätstests des Gastrointestinaltraktes (inkl. Langzeit-pH-Metrie) . . . . . . . . . . . . G. Böhm, B. Dreuw, M. Jansen, K. von Trotha, V. Schumpelick
73
6.1 6.2 6.3 6.4
Ösophagusmanometrie und 24-Stunden-pH-Metrie Gastrointestinale Manometrie . . . . . . . . . . . . . . Anorektale Manometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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74 83 84 88
7
Resorptionstests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . J. Stein, W.F. Caspary
89
7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6 7.7
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Resorptionstests für den oberen Dünndarm . Resorptionstests für den unteren Dünndarm . Globale Testverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . Bestimmung der orozökalen Transitzeit . . . . Synopsis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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90 91 94 96 98 99 101
8
Spezielle Labordiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Beglinger, R. Driesch
103
8.1 8.2
Gastrointestinale Hormone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Serumenzymdiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
104 108
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Allgemeine Viszeralchirurgie 9
Therapeutische Endoskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. Truong, M. Binnebösel, N. Butz
115
9.1 9.2 9.3 9.4 9.5 9.6 9.7 9.8 9.9 9.10 9.11 9.12
Übersicht über die therapeutischen Möglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . Polypektomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Endoskopische Mukosaresektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Endoskopische Papillotomie und Steinextraktion aus den Gallenwegen . Endoskopische transpapilläre Gallengangsdrainage . . . . . . . . . . . . . . Endoskopische Therapie der chronischen Pankreatitis . . . . . . . . . . . . Endoskopische Therapie gutartiger Stenosen im Gastrointestinaltrakt . Endoskopische palliative Tumortherapie im gastrointestinalen Trakt . . . Perkutane endoskopische Gastrostomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Blutstillung bei oberer gastroduodenaler Blutung . . . . . . . . . . . . . . . Fremdkörperextraktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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117 117 119 122 124 127 128 130 132 134 138 139
10
Prinzipien der Laparoskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Tittel, V. Schumpelick
143
10.1 10.2 10.3 10.4 10.5 10.6 10.7 10.8
Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . Funktionsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage des Pneumoperitoneums . . . . . . . Indikationen und Kontraindikationen . . . . Apparative Ausstattung . . . . . . . . . . . . . Pathophysiologie des Pneumoperitoneums Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
144 144 145 146 146 146 148 149
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IX Inhaltsverzeichnis
11
Präoperative Risikoabschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Reber, D. Scheidegger, R. Babst
151
11.1 11.2 11.3 11.4
Präoperative Evaluation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Postoperative Risikoabschätzung: Verbesserung des Outcomes und der Langzeitverläufe . Stationäre versus ambulante Anästhesie/Chirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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152 155 155 156
12
Prinzipien der Laparotomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . J. Conze, K. Junge
157
12.1 12.2 12.3
Anatomie der Bauchwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Chirurgische Zugangswege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
158 159 161
13
Die chirurgische Naht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . K. Böttcher, W.R. Marti
163
13.1 13.2
Nahtmaterial und Nahttechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klammerinstrumente in der gastrointestinalen Chirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
164 177
14
Drainage der Bauchhöhle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Binnebösel, K. Junge
183
14.1 14.2 14.3 14.4 14.5 14.6 14.7
Allgemeine Prinzipien der intraabdominellen Drainage Drainagesysteme und physikalische Prinzipien . . . . . . Material und Struktur von Drainagen . . . . . . . . . . . . . Drainagetypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prophylaktische Drainage: Indikationen . . . . . . . . . . . Therapeutische Drainage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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184 185 185 186 186 190 190
15
Allgemeine Transplantationsmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . U.P. Neumann, M. Schmeding, R. Pfitzmann, P. Neuhaus
193
15.1 15.2 15.3 15.4 15.5 15.6 15.7 15.8
Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Indikationen und Kontraindikationen zur Transplantation . Organspende, -konservierung und Spenderoperation . . . Immunologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spender-Empfänger-Matching . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Immunsuppressive Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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194 194 195 195 197 198 198 200
16
Postoperativer Verlauf und seine Störungen – Chirurgische Intensivmedizin in der Viszeralchirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Bartels
201
Überwachung der Vitalfunktionen Überwachung des Operationssitus Postoperative Komplikationen . . . Therapie der Komplikationen . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . .
202 204 205 206 208
16.1 16.2 16.3 16.4 16.5
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X
Inhaltsverzeichnis
17
Ambulante Chirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . R. Lorenz
209
17.1 17.2 17.3 17.4 17.5 17.6
Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesetzliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Operationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Derzeitiger Stand und Zukunft des ambulanten Operierens . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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210 210 210 210 211 213
18
Blutung, Blutersatz, Blutgerinnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . L. Lehr
215
18.1 18.2 18.3 18.4 18.5
Blutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Blutersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . Blutgerinnungsstörungen . . . . . . . Routinethromboembolieprophylaxe Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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216 217 220 222 222
19
Prävention und Antibiotikatherapie postoperativer Komplikationen . . . . . . . . . . . . . S. Lemmen, C. Eckmann
223
19.1 19.2 19.3 19.4 19.5 19.6 19.7 19.8
Prävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mikrobiologische Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Indikationen der Antibiotikatherapie . . . . . . . . . . . . . . . . Wahl des Antibiotikums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Versagen der initialen Antibiotikatherapie . . . . . . . . . . . . Antimikrobielle Therapie bei intraabdominellen Infektionen Empfehlungen für die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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224 225 225 225 226 226 229 232
20
Allgemeine chirurgische Prinzipien beim akuten Abdomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Stumpf, R. Rosch
233
20.1 20.2 20.3 20.4 20.5 20.6
Leitsymptome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erstmaßnahmen und erweiterte Diagnostik Apparative Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . Zugangsweg und intraoperative Strategie . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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234 234 235 236 237 237
21
Abdominelle Sepsis und Peritonitisbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Bartels, J. Höer, A. Schachtrupp, C. Töns†
239
21.1 21.2
Abdominelle Sepsis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peritonitis und abdominelles Kompartmentsyndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
240 243
22
Spezielle chirurgische Prinzipien in der Behandlung des traumatischen Abdomens . . J. Rosenkranz, R. Babst
255
22.1 22.2 22.3 22.4 22.5 22.6 22.7 22.8 22.9
Verletzungsmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patientenbeurteilung nach »Advanced-Trauma-Life-Support«-Kriterien Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antibiotikaprophylaxe und -therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Operative Therapieprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Behandlungsprinzipien der Einzelorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frühpostoperative Ernährung nach Abdominaltrauma . . . . . . . . . . Abdominelles Kompartmentsyndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
256 256 257 261 261 263 271 272 273
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XI Inhaltsverzeichnis
23
Allgemeine chirurgische Prinzipien in der Behandlung des Ileus . . . . . . . . . . . . . . . . S.A. Müller
275
23.1 23.2 23.3 23.5 23.6 23.7 23.8 23.9
Grundlagen . . . . . . . . Klinische Symptomatik Diagnostik . . . . . . . . Konservative Strategie Operationstechnik . . . Ergebnisse . . . . . . . . Ileusprophylaxe . . . . . Literatur . . . . . . . . . .
. . . . . . . .
276 277 278 280 281 281 282 282
24
Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H.J. Stein, H. Feussner, B.H.A. von Rahden, M. Feith, D. Liebermann-Meffert, J.R. Siewert
287
24.1 24.2 24.3 24.4 24.5 24.6 24.7
Funktionelle Anatomie, Physiologie und Pathophysiologie des Ösophagus Divertikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Submuköse Tumoren des Ösophagus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heterotope Magenmukosa im Ösophagus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ringe, Webs, Infektionen, Ulzera . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Refluxkrankheit und Barrett-Ösophagus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktionsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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289 301 309 310 311 313 335
25
Hiatushernien und andere Erkrankungen des Zwerchfells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H.J. Stein, B.H.A. von Rahden, H. Feussner
349
25.1 25.2 25.3
Hiatushernien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andere Erkrankungen des Zwerchfells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
350 356 361
26
Verletzungen von Ösophagus und Magen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H.J. Stein, B.H.A. von Rahden, H. Bartels, J.R. Siewert
363
26.1 26.2 26.3
Ösophagus- und Magenverätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fremdkörper in Ösophagus und Magen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Traumatische Läsionen von Ösophagus und Magen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
364 369 372
27
Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Bollschweiler, J. Faß, A.H. Hölscher, K. Homayounfar, D. Oertli, C. Prinz
381
27.1 27.2 27.3 27.4 27.5 27.6 27.7 27.8 27.9 27.10 27.11 27.12
Pathophysiologie der Magenmotilität und der Magensekretion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Chronische Entzündungen im Magen – Disposition zur Karzinomentstehung . . . . . . . . . . . . . . Unkompliziertes Ulcus ventriculi: Pathogenese und konservative Therapie . . . . . . . . . . . . . . Stressulkus und Stressulkusprohylaxe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unkompliziertes Ulcus ventriculi: Operationsindikation und operative Therapie . . . . . . . . . . . Unkompliziertes Ulcus duodeni: Pathogenese und konservative Therapie . . . . . . . . . . . . . . . Unkompliziertes Ulcus duodeni: Operationsindikation und operative Therapie . . . . . . . . . . . . Chirurgische Therapie der gastroduodenalen Blutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peptische Ulkusperforation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Magenausgangsstenose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Postoperative Folgezustände nach Magenresektion und Vagotomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anomalien, Divertikel, Volvulus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
384 391 395 400 402 410 417 423 434 440 443 447
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Therapieindikationen und Durchführung der Therapie
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XII
Inhaltsverzeichnis
28
Chirurgische Behandlung der morbiden Adipositas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . R.A. Weiner
451
28.1 28.2 28.3 28.4 28.5 28.6 28.7 28.8 28.9 28.10
Klassifikation und Komorbidität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Epidemiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedeutung der Adipositaschirurgie und metabolischen Chirurgie . Chirurgische Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Indikationsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse der Adipositaschirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfahrenswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Folgeoperationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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452 452 452 453 456 457 458 464 466 466
29
Erkrankungen des Dünndarms (außer Morbus Crohn) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Erckmann, F. Erckmann, M. Jansen, E. Schippers, V. Schumpelick
469
29.1 29.2 29.3 29.4 29.5
Pathophysiologie . . . . . . . . . Kurzdarmsyndrom . . . . . . . . Blindsacksyndrom . . . . . . . . Divertikulose des Dünndarms Meckel-Divertikel . . . . . . . . .
. . . . .
470 472 474 475 476
30
Gefäßerkrankungen des Dünndarms und des Kolons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . J. Schölmerich, C. Herfarth
479
30.1 30.2 30.3 30.4 30.5 30.6
Anatomische Grundlagen Klinische Symptomatik . . Prognose . . . . . . . . . . . Diagnostik . . . . . . . . . . Therapie . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . .
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480 480 484 485 488 492
31
Dünndarmtransplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Braun, F. Fändrich, A.R. Müller, K. Platz, D.C. Broering, T. Becker
493
31.1 31.2 31.3 31.4 31.5 31.6 31.7
Indikationsstellung . . . . . . Evaluation des Empfängers . Transplantationstechnik . . . Perioperatives Management Postoperatives Management Überleben und Ausblick . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . .
494 495 498 500 501 505 505
32
Morbus Crohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Tjaden, T. Hackert, J. Schmidt
509
32.1 32.2 32.3 32.4 32.5 32.6 32.7 32.8 32.9
Epidemiologie . . . . . . . . . Ätiologie . . . . . . . . . . . . Pathologie . . . . . . . . . . . Klinische Symptomatologie Diagnostik . . . . . . . . . . . Komplikationen . . . . . . . . Konservative Therapie . . . Chirurgische Therapie . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . .
510 511 512 512 514 516 516 518 525
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XIII Inhaltsverzeichnis
33
Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . J. Braun, R. Kasperk, M. Saklak, F. Ulmer, S. Willis
527
33.1 33.2 33.3 33.4 33.5
Kolitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Divertikulose und Divertikulitis . . . . . . . . . Gutartige Neubildungen und Fehlbildungen . Funktionelle Erkrankungen . . . . . . . . . . . . Kolonvolvulus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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529 546 557 560 566
34
Appendizitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ch. Peiper, M. Binnebösel
573
34.1 34.2 34.3 34.4 34.5 34.6 34.7 34.8 34.9 34.10 34.11
Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klinische Symptomatologie . . . . . . . . . . . Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Indikationsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl Operationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . Postoperative Behandlung . . . . . . . . . . . . Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Internetadressen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . .
574 575 576 578 578 580 582 582 583 583 584
35
Proktologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C.G.M.I. Baeten, C. Beglinger, L. Degen, M. von Flüe, M.O. Guenin, W.R. Marti
585
35.1 35.2 35.3
Funktionelle Anatomie, Pathophysiologie und Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Therapie proktologischer Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Therapie der Analinkontinenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
586 594 635
36
Erkrankungen der Gallenwege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Ackermann, P. Born, M. Classen, H. Feußner, F. Harder, B. Kern, S. Krähenbühl, F. Lammert, C. Looser, D. Oertli, R. Peterli, R. Schlumpf, G.A. Stalder, J. Wydler
645
36.1 36.2 36.3 36.4 36.5 36.6 36.7 36.8 36.9 36.10
Anatomie der Gallenwege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pathophysiologie der Gallensekretion und Motilität der Gallenwege . Konservative Therapie der Cholezystolithiasis . . . . . . . . . . . . . . . . Endoskopische Therapie der Choledocholithiasis . . . . . . . . . . . . . . Cholelithiasis aus chirurgischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Komplikationen der Cholezystolithiasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cholangitis und intrahepatische Cholelithiasis . . . . . . . . . . . . . . . Gallengangszysten und Caroli-Krankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Endoskopische Therapie der benignen Gallenwegsstrikturen . . . . . . Reinterventionen an den Gallenwegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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647 650 655 658 678 689 694 698 702 714
37
Erkrankungen der Leber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . R. Margreiter, R. Schlumpf, M. Schmeding, J. Wydler
729
37.1 37.2 37.3
Pathophysiologie und Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Echinokokkose der Leber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lebertrauma inklusive Bilhämie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
730 736 742
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XIV
Inhaltsverzeichnis
38
Portale Hypertension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . J. Bauer, P.-A. Clavien, Ph. Dutkowski, W.A. Gantert, G. Lurje, B. Müllhaupt, E.L. Renner, M. Schmeding, M. Selzner, C. Sieber, M. von Flüe
749
38.1 38.2 38.3 38.4
Pathophysiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Notfalltherapie der Blutung bei portaler Hypertension Elektive Therapie der portalen Hypertension . . . . . . Therapie des Aszites bei Leberzirrhose . . . . . . . . . . .
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750 754 764 776
39
Lebertransplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Braun, D.C. Broering, T. Becker
783
39.1 39.2 39.3 39.4 39.5 39.6 39.7 39.8 39.9
Indikationen und Kontraindikationen Allokation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Evaluation des Empfängers . . . . . . . Evaluation des Lebendspenders . . . . Transplantationstechnik . . . . . . . . . Perioperatives Management . . . . . . Postoperative Komplikationen . . . . . Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . .
784 786 789 789 791 793 794 799 800
40
Pankreas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Beglinger, P.-A. Clavien, L. Degen, O. Drognitz, R. Fried, U.T. Hopt, R. Kasperk, C. Krones, F. Lammert, D. Oertli, M. Schäfer
803
40.1 40.2 40.3 40.4 40.5 40.6 40.7 40.8
Anatomie und Physiologie des Pankreas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konservative Therapie der akuten Pankreatitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Chirurgische Therapie der akuten Pankreatitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pseudozysten des Pankreas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pathogenese und konservative Therapie der chronischen Pankreatitis . . . . . . . . . . . . Chirurgische Therapie der chronischen Pankreatitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pankreastrauma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Postoperative Syndrome nach Eingriffen am Pankreas inkl. Substitution der exokrinen Pankreasfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pankreastransplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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805 813 818 822 827 837 843
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850 852
41
Milz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Oertli
863
41.1 41.2 41.3 41.4 41.5 41.6 41.7 41.8 41.9 41.10
Anatomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . Physiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . Pathophysiologie . . . . . . . . . . . . . Milzloser Zustand . . . . . . . . . . . . . Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . Chirurgische Erkrankungen der Milz Milzverletzungen . . . . . . . . . . . . . Milzchirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . Komplikationen der Milzchirurgie . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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864 866 867 868 868 870 873 874 877 879
42
Chirurgie des großen Netzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Liebermann-Meffert
883
42.1 42.2 42.3 42.4 42.5
Chirurgische Anatomie und Physiologie . . . . . . . . Erkrankungen des Omentum . . . . . . . . . . . . . . . Chirurgische Anwendung des gesunden Omentum Prognose und Empfehlungen: rasche Wundheilung Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
884 885 886 888 889
40.9
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XV Inhaltsverzeichnis
43
Hernien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . J. Conze, K. Junge, U. Klinge, C.R. Krones, R. Rosch, V. Schumpelick
891
43.1 43.2 43.3 43.4 43.5 43.6 43.7 43.8 43.9
Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klinische Symptomatologie und Diagnostik Therapieziele und Verfahrenswahl . . . . . . Biomaterialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anästhesie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Operationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . Intra-/postoperative Komplikationen . . . . . Ergebnisse und Prognose . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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892 897 898 900 905 905 914 916 918
44
Kindliche Hernien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Steinau, K. Junge
921
44.1 44.2 44.3 44.4
Leistenhernien . . . . Nabelhernien . . . . . Epigastrische Hernien Literatur . . . . . . . . .
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922 924 926 926
45
Spezielle gastroenterologische Probleme in der Kinderchirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . D. von Schweinitz
927
45.1 45.2 45.3 45.4 45.5 45.6 45.7 45.8 45.9 45.10 45.11 45.12 45.13 45.14 45.15 45.16
Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ösophagusatresie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gastroösophagelaer Reflux . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hypertrophe Pylorusstenose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Duodenalatresie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dünndarmatresien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Malrotationsanomalien des Darms . . . . . . . . . . . . . . . . Mekoniumileus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Invagination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Appendizitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Meckel-Divertikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nekrotisierende Enterokolitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Morbus Hirschsprung und intestinale neuronale Dysplasie Anorektale Malformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gallengangsatresie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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930 933 936 937 939 940 942 944 944 945 946 947 949 952 955 956
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
958
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XVI
Autorenverzeichnis
Autorenverzeichnis Ackermann, Ch., PD Dr. med.
Bollschweiler, E., Prof. Dr. med.
Classen, M., Prof. Dr. med. Drs. h.c.
St. Claraspital Allgemeinchirurgische Abteilung Kleinriehenstraße 30 4016 Basel, Schweiz
Klinik und Poliklinik für Allgemein-, Viszeral- und Tumorchirurgie der Universität zu Köln Kerpener Straße 62 50937 Köln (Lindenthal)
Klinikum rechts der Isar Chirurgische Klinik und Poliklinik Ismaninger Straße 22 81675 München
Babst, R., Prof. Dr. med.
Kantonsspital Luzern Chefarzt Chirurgie A und Leiter Unfallchirurgie Spitalstrasse 6000 Luzern 16, Schweiz
Clavien, P.-A., Prof. Dr. med. Böttcher, K. A. , Prof. Dr. med.
Diakoniekrankenhaus Mannheim GmbH Chirurgische Klinik Speyerer Straße 91–93 68163 Mannheim
Baeten, C.G.M.I., Prof. Dr. med.
Academisch Ziekenhuis Maastricht Dept Chirurgie Post Box 5800 6202AZ Maastricht, Niederlande
Born, P., PD Dr. med.
Sonnenstraße 55a 83043 Bad Aibling Braun, F., Dr. med.
Bartels, H., Prof. Dr. med.
Klinikum rechts der Isar Chirurgische Klinik und Poliklinik Ismaninger Straße 22 81675 München
Klinik für Viszeralund Transplantationschirurgie Schweizer. Zentrum für hepatobiliäre und Pankreaserkrankungen (HPB), Universitätsspital Zürich Rämistrasse 100 8091 Zürich, Schweiz
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Kiel, Klinik für Allgemeinund Thoraxchirurgie Arnold-Heller-Straße 7 24105 Kiel
Conze, J., PD Dr. med.
Universitätsklinikum Aachen Chirurgische Klinik Pauwelsstraße 30 52074 Aachen Curti, G., Dr. med.
Kantonsspital Luzern Chirurgische Klinik A 6000 Luzern 16, Schweiz
Bauer, J., Dr. med.
Klinikum Nürnberg-Nord Medizinische Klinik 2 Prof.-Ernst-Nathan-Straße 1 90419 Nürnberg
Braun, J., Prof. Dr. med.
Degen, L., Prof. Dr. med.
Klinik für Allgemeinund Unfallchirurgie Rotes Kreuz Krankenhaus St. Pauli-Deich 24 28199 Bremen
Universitätsspital Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz
Butz, N., Dr. med.
Dreuw, B., PD Dr. med.
Universitätsklinikum Aachen Chirurgische Klinik Pauwelsstraße 30 52074 Aachen
St.-Antonius-Hospital, Akad. Lehrkrankenhaus der RWTH Aachen Allgemein-, Viszeral-, und Thoraxchirurgie Dechant-Deckers-Straße 8 52249 Eschweiler
St. Johannes Hospital Chirurgische Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie An der Abtei 7–11 47166 Duisburg/Alt-Hamborn
Böhm, G., Dr. med.
Caspary, W., Prof. Dr. med.
Universitätsklinikum Aachen Chirurgische Klinik Pauwelsstraße 30 52074 Aachen
Bleichstraße 28 61137 Schöneck
Beglinger, Ch., Prof. Dr. med.
Kantonsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz Binnebösel, M., Dr. med.
Driesch, R., Dr. med.
Universitätsklinikum Aachen Institut für Klinische Chemie und Pathobiochemie Pauwelsstraße 30 52074 Aachen
XVII Autorenverzeichnis
Drognitz, O., Prof. Dr. med.
Feith, M., Dr. med.
Hölscher, A.H., Prof. Dr. med.
Universitätsklinikum Freiburg, Klinik und Poliklinik für Chirurgie Abteilung für Allgemeinund Viszeralchirurgie Hugstetter Straße 55 79106 Freiburg i. Brsg.
Klinikum rechts der Isar Chirurgische Klinik und Poliklinik Ismaninger Straße 22 81675 München
Klinikum der Universität zu Köln Klinik und Poliklinik für Viszeral- und Gefäßchirurgie Kerpener Straße 62 50937 Köln (Lindenthal)
Dutkowski, P., Dr. med.
Klinik für Viszeralund Transplantationschirurgie Schweizer. Zentrum für hepatobiliäre und Pankreaserkrankungen (HPB), Universitätsspital Zürich Rämistrasse 100 8091 Zürich, Schweiz
Feussner, H., Prof. Dr. med.
Klinikum rechts der Isar Chirurgische Klinik und Poliklinik Ismaninger Straße 22 81675 München Fried, R., Dr. med.
Facharzt FMH für Innere Medizin spez. Magen- Darmkrankheiten Burgunderstrasse 42 4051 Basel, Schweiz
Eckmann, C., PD Dr. med.
Klinikum Peine Klinik für Allgemein-, Viszeralund Thoraxchirurgie Virchowstraße 8h 31221 Peine
Gantert, W.A., Prof. Dr. med.
St. Anna-Hospital St. Anna-Straße 32 6006 Luzern, Schweiz
Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität Klinik für Allgemeinund Viszeralchirurgie Robert-Koch-Straße 40 37075 Göttingen Hopt, U.T., Prof. Dr. med. Dr.
Universitätsklinikum Freiburg Abteilung Allgemeinund Viszeralchirurgie Hugstetter Straße 55 79095 Freiburg Jansen, M.H., Prof. Dr. med.
Guenin, O., Dr. med.
Donau-Ries Klinik Donauwörth Abteilung Chirurgie Neudegger Allee 6 86609 Donauwörth
St. Clara Spital Chirurgie FMH, Allgemeinchirurgische Abteilung Kleinriehenstrasse 30 4016 Basel, Schweiz
Erckmann, F., Dr. med.
Hackert, T., Dr. med.
Donau-Ries Klinik Donauwörth Abteilung Chirurgie Neudegger Allee 6 86609 Donauwörth
Universitätsklinikum Heidelberg Chirurgische Klinik Im Neuenheimer Feld 110 69120 Heidelberg
Fändrich, F., Prof. Dr. med.
Harder, F., Prof. Dr. med. (em.)
Universitätsklinikum SchleswigHolstein, Campus Kiel Klinik für Angewandte Zelltherapie Arnold-Heller-Straße 7 24105 Kiel
Rittergasse 27 4051 Basel, Schweiz
Erckmann, A., Dr. med.
Homayounfar, K., Dr. med.
Helios Klinikum Emil van Behring Klinik für Allgemein-, Viszeralund Minimalinvasive Chirurgie Walterhöferstraße 11 14165 Berlin Junge, K., PD Dr. med.
Universitätsklinikum Aachen Chirurgische Klinik Pauwelsstraße 30 52074 Aachen Kasperk, R., Prof. Dr. med.
Faß, J., Prof. Dr. med.
Klinikum Kassel Klinik für Allgemein- Viszeralund Thoraxchirurgie Mönchebergstraße 41–43 34125 Kassel
Luisenhospital Aachen Chirurgische Klinik Boxgraben 99 52064 Aachen
Herfarth, C., Prof. Dr. med. Dr. h.c.
Universitätsklinikum Heidelberg Chirurgische Klinik Im Neuenheimer Feld 110 69120 Heidelberg
Kern, Beatrice E., Dr. med.
St. Claraspital Allgemeinchirurgische Abteilung Kleinriehenstrasse 30 4016 Basel, Schweiz
Höer, J.J., PD Dr. med.
Klinik für Allgemeinchirurgie Hochtaunus-Kliniken gGmbH, Krankenhaus Bad Homburg Urseler Straße 33 61348 Bad Homburg v.d.H.
Klinge, U., Prof. Dr. med.
Universitätsklinikum Aachen Chirurgische Klinik Pauwelsstraße 30 52074 Aachen
XVIII
Autorenverzeichnis
Krähenbühl, S., PD Dr. med.
Lurje, G., Dr. med.
Neuhaus, P., Prof. Dr. med.
Universitätsspital Basel Pharmakologie und Toxikologie Hebelstrasse 32 4031 Basel, Schweiz
Klinik für Viszeralund Transplantationschirurgie Schweizer. Zentrum für hepatobiliäre und Pankreaserkrankungen (HPB), Universitätsspital Zürich Rämistrasse 100 8091 Zürich, Schweiz
Charité - Universitätsmedizin, Campus Virchow-Klinikum Klinik für Allgemein-, Viszeralund Transplantationschirurgie Augustenburger Platz 1 13353 Berlin
Krones, C.J., PD Dr. med.
Marienhospital Aachen Klinik für Allgemeinund Viszeralchirurgie Zeise 4 52066 Aachen Lammert, F., Prof. Dr. med.
Universitätsklinikum Bonn Medizinische Klinik I Sigmund-Freud-Straße 25 53105 Bonn Lehr, L., Prof. Dr. med. Dr.
Kirchenstraße 79 81675 München
Neumann, U., Prof. Dr. med. Mahnken, A.H., Prof. Dr. med.
Universitätsklinikum Aachen Klinik für Radiologische Diagnostik Pauwelsstraße 30 52074 Aachen
Oertli, D., Prof. Dr. med. Margreiter, R., Prof. Dr. med.
Universitätsklinik Innsbruck Klin. Abt. für Allgemeinund Transplantationschirurgie Anichstraße 35 6020 Innsbruck Österreich Marti, MBA, W.R., Prof. Dr. med.
Lemmen, S.W., Prof. Dr. med.
Universitätsklinikum Aachen Zentralbereich für Krankenhaushygiene und Infektiologie Pauwelsstraße 30 52057 Aachen
Leiter Bereich Chirurgie, Chefarzt Klinik für Chirurgie Kantonsspital Aarau AG Tellstrasse 5000 Aarau, Schweiz Müller, A.R., Prof. Dr. med.
Liebermann-Meffert, D., Prof. Dr. med.
Neuseeland
Klinikum rechts der Isar Chirurgische Klinik und Poliklinik Ismaninger Straße 22 81675 München
Müller, S.A., PD Dr. med.
Looser, C., Dr. med.
St. Claraspital Radiologische Abteilung Kleinriehenstrasse 30 4016 Basel, Schweiz Lorenz, R., Dr. med.
Klosterstraße 34/35 13581 Berlin-Spandau
Universitätsklinikum Aachen Chirurgische Klinik Pauwelsstraße 30 52074 Aachen
St.-Antonius-Hospital, Akad. Lehrkrankenhaus der RWTH Aachen Allgemein-, Viszeral-, und Thoraxchirurgie Dechant-Deckers-Straße 8 52249 Eschweiler
Universitätsspital Basel Allgemeinchirurgie Spitalstrasse 21 4031 Basel, Schweiz Peiper, Ch., Prof. Dr. med.
Allgemeine Chirurgische Klinik Evangelisches Krankenhaus Hamm gGmbH Werler Straße 110 59063 Hamm Peterli, R., PD Dr. med.
St. Claraspital Allgemeinchirurgische Abteilung Kleinriehenstrasse 30 4016 Basel , Schweiz Pfitzmann, R., PD Dr. med.
DRK Kliniken Berlin I Mitte Klinik für Allgemeinund Viszeralchirurgie Drontheimer Straße 39–40 13359 Berlin Platz, K.-P., Dr. med.
Müllhaupt, B., PD Dr. med.
Universitätsspital Zürich Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie Rämistrasse 100 8091 Zürich, Schweiz
Neuseeland Prinz, C., Prof. Dr. med.
Helios Kliniken Wuppertal Medizinische Klinik II Heußnerstraße 40 42283 Wuppertal
XIX Autorenverzeichnis
Reber, A., Prof. Dr. med. Dr. phil.
Scheidegger, D., Prof. Dr. med.
Siewert, J.R., Prof. Dr. med. Dr. h.c.
Spital Zollikerberg Chefarzt Anästhesiologie und Intensivmedizin Trichtenhauserstrasse 20 8125 Zollikerberg, Schweiz
Kantonsspital Basel Medizinische Querschnittsfunktionen, Anästhesie Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz
Leitender Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 672 69120 Heidelberg
Renner, M.D., FRCP(C), E.L., Prof. Dr.
Schippers, E., Prof. Dr. med.
Stalder, G. A., Prof. Dr. med.
Professor of Medicine, Director GI Transplantation University Health Network/ University of Toronto 585 University Ave. NCSB 11C-1238 Toronto, ON M5G 2N2 Kanada
Juliuspital Würzburg Chirurgische Klinik Juliuspromenade 19 97070 Würzburg
Rebgasse 6 4142 Münchenstein, Schweiz
Rosch, R., PD Dr. med.
Universitätsklinikum Aachen Chirurgische Klinik Pauwelsstraße 30 52074 Aachen Rosenkranz, J., Dr. med.
Kantonsspital Luzern Chirurgie, Unfallchirurgie Spitalstrasse 6000 Luzern 16, Schweiz Schachtrupp, A., PD Dr. med.
Leiter Vorstandsabteilung Medizinische Wissenschaft B. Braun Melsungen AG Carl-Braun-Str. 1 34212 Melsungen Saklak, M., Dr. med.
Helios Klinikum Emil van Behring Klinik für Allgemein-, Viszeralund Minimalinvasive Chirurgie Walterhöferstraße 11 14165 Berlin Schäfer, M., PD Dr. med.
CHUV Bâtiment hospitalier Rue du Bugnon 46 1011 Lausanne, Schweiz
Schlumpf, R., Prof. Dr. med.
Kantonsspital Aarau Klinik für Chirurgie Tellstrasse 5001 Aarau, Schweiz
Stein, H.J., Prof. Dr. med.
Klinikum Nürnberg-Nord Klinik für Allgemein-, Viszeralund Thoraxchirurgie Prof.-Ernst-Nathan-Str. 1 90419 Nürnberg Stein, J., Prof. Dr. med. Dr.
Schmeding, M., OA Dr. med.
Universitätsklinikum Aachen Chirurgische Klinik Pauwelsstraße 30 52074 Aachen Schmidt, J., Prof. Dr. med.
Universitätsklinikum Heidelberg Chirurgische Klinik Im Neuenheimer Feld 110 69120 Heidelberg Schölmerich, J., Prof. Dr. med.
Universitätsklinikum Frankfurt Klinikum und Fachbereich Medizin der J.W. Goethe-Universität Theodor-Stern-Kai 7 60590 Frankfurt Schumpelick, V., Prof. Dr. med. Dr. h.c.
em. Direktor der Chirurgischen Universitätsklinik Aachen Pauwelsstraße 30 52074 Aachen Priv.: Falkensteiner Ufer 34 22587 Hamburg Selzner, M., Dr. med.
Toronto General Hospital NCSB 111244 200 Elisabeth St. M5G 2C4 Toronto, ON Kanada
CED-Studien UG Nordendstraße 50 60318 Frankfurt a.M. Steinau, G., PD Dr. med.
Universitätsklinikum Aachen Chirurgische Klinik Pauwelsstraße 30 52074 Aachen Steinbrich, W., Prof. Dr. med.
Kantonsspital Basel Departement Medizinische Radiologie Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz Stumpf, M., Prof. Dr. med.
Klinikum Pforzheim Klinik für Allgemeinund Viszeralchirurgie Kanzlerstraße 2–6 75175 Pforzheim Tittel, A., PD Dr. med.
Evangelisches Krankenhaus Bethesda Abt. für Allgemein-, Viszeralund Thoraxchirurgie Ludwig-Weber-Straße 15 41061 Mönchengladbach
XX
Autorenverzeichnis
Tjaden, C., Dr. med.
Weiner, R.A., Prof. Dr. med.
Universitätsklinikum Heidelberg Chirurgische Klinik Im Neuenheimer Feld 110 69120 Heidelberg
Krankenhaus Sachsenhausen Chirurgische Klinik Schulstraße 31 60594 Frankfurt/Main
Truong, S., Prof. Dr. med.
Wiesner, W., PD Dr. med.
Universitätsklinikum Aachen Chirurgische Klinik Pauwelsstraße 30 52074 Aachen
Klinik Stephanhorn Brauerstrasse 95 9016 St. Gallen, Schweiz Willis, S., Prof. Dr. med.
Duke University Medical Center Department of Surgery POB 3247 Hanes House, 3000 Erwin Road N.C. 7710 Durham, USA
Klinikum der Stadt Ludwigshafen/ Rh. gGmbH Klinik für Allgemein-, Viszeral-, Thorax und Unfallchirurgie Bremserstraße 79 67063 Ludwigshafen
Ulmer, F., Dr. med.
Wydler, J., Dr. med.
Chirurgische Universitätsklinik der RWTH Aachen Pauwelsstraße 30 52057 Aachen
Spital Männedorf Chirurgische Klinik Asylstraße 10 8708 Männedorf, Schweiz
von Flüe, M., Prof. Dr. med.
Zielke, A., PD Dr. med.
St. Claraspital Allgemeinchirurgische Abteilung Kleinriehenstrasse 30 4016 Basel, Schweiz
Klinikum Offenbach GmbH Klinik für Allgemein-, Viszeralund Thoraxchirurgie Starkenburgring 66 63099 Offenbach
Tuttle-Newhall, J.E., Dr. med.
von Rahden, B.H.A., PD Dr. med.
Universitätsklinik Würzburg Klinik und Poliklinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, Gefäß- und Kinderchirurgie Oberdürrbacher Straße 6 97080 Würzburg von Schweinitz, D., Prof. Dr. med.
Kinderspital Innenstadt Klinikum der Universität München Lindwurmstraße 4 80337 München von Trotha, K.-T., Dr. med.
Universitätsklinikum Aachen Klinik und Poliklinik für Chirurgie Pauwelsstraße 30 52074 Aachen
Zuber, M., PD Dr. med.
Kantonsspital Chirurgische Klinik 4600 Olten, Schweiz
I
Spezielle diagnostische Techniken Kapitel 1
Diagnostische Sonographie A. Zielke
–3
Kapitel 2
Interventionelle Sonographie – 17 S. Truong, M. Binnebösel, V. Schumpelick
Kapitel 3
Allgemeine radiologische Diagnostik des Magen-Darm-Traktes und der Gallenwege einschließlich Computertomographie und Magnetresonanztomographie – 35 W. Steinbrich, W. Wiesner
Kapitel 4
Radiologische Interventionen im Gastrointestinaltrakt – 51 A.H. Mahnken, K. Schnabel
Kapitel 5
Nuklearmedizinische Verfahren L. Degen, C. Beglinger
Kapitel 6
Motilitätstests des Gastrointestinaltraktes (inkl. Langzeit-pH-Metrie) – 73 G. Böhm, B. Dreuw, M. Jansen, V. Schumpelick, K. von Trotha
Kapitel 7
Resorptionstests – 89 J. Stein, W.F. Caspary
Kapitel 8
Spezielle Labordiagnostik C. Beglinger, R. Driesch
– 103
– 63
1
Diagnostische Sonographie A. Zielke
1.1
Technische Neuerungen in der Sonographie
1.1.1 Kontrastverstärkter Ultraschall
1.2
–4
–4
Sonographie in chirurgischen Notfallsituationen
1.2.1 Stumpfes Bauchtrauma 1.2.2 Akutes Abdomen – 6
–5
–5
1.3
Perkutane Sonographie in der präoperativen Diagnostik
1.4
Endosonographie/endoskopischer Ultraschall
1.5
Intraoperative Sonographie/laparoskopischer Ultraschall
1.6
Literatur
–8
– 11
– 14
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
– 12
4
1
Kapitel 1 · Diagnostische Sonographie
Analog den technischen Weiterentwicklungen weitet sich das Indikationsspektrum des Ultraschalls in der Viszeralchirurgie kontinuierlich aus. Dies gilt vor allem für die Endosonographie des Gastrointestinaltraktes und den durch Kontrastmittel verstärkten Ultraschall. Die Endosonographie hat bei der Festlegung der stadiengerechten Behandlung viszeraler Tumoren eine herausragende Bedeutung. Beim Ösophagus- und Rektumkarzinom ist sie obligater Teil der Behandlungsplanung. In diesem Zusammenhang ist deutlich geworden, dass die individuelle methodische Qualifikation beim Einsatz des Ultraschalls das entscheidende Qualitätsmerkmal in der »klinischen Routine« ist. Nach wie vor bleibt deshalb die anhaltende Beschäftigung mit dem Ultraschall für den Viszeralchirurgen unerlässlich. Im folgenden Kapitel werden die Grundzüge der Ultraschalldiagnostik mit den Schwerpunkten »stumpfes Bauchtrauma«, »akutes Abdomen« und »perioperatives Staging« vorgestellt und der Stellenwert des Ultraschalls in diesen Indikationsgebieten angerissen. Die allgemeine Sonomorphologie der jeweiligen Erkrankungen kann hier nicht detailliert wiedergegeben werden, dazu muss auf einschlägige Lehrbücher verwiesen werden.
1.1
Technische Neuerungen in der Sonographie
1.1.1
Kontrastverstärkter Ultraschall
Der Ultraschall mit Kontrastmitteln (»contrast enhanced ultrasound«, CEUS) ist eine sich rasch entwickelnde Anwendung, von der erwartet werden muss, dass sie maßgeblich die prä- und intraoperative Diagnostik verändern wird. Ultraschallkontrastmittel (UCA) agieren als Kontrastverstärker des intravaskulären Raums. Sie erlauben es aber auch, neben der Darstellung von Gefäßen die parenchymatöse Mikrovaskulatur darzustellen. Abhängig vom UCA können z. B. in Angleichung an das triphasische Leber-CT eine arterielle, portal-venöse, spät-venöse und parenchymatöse Phase differenziert und zur Charakterisierung von fokalen Läsionen genutzt werden. Offensichtliche Vorteile gegenüber CT und MRT sind u. a. die strahlungsfreie, Real-time-Darstellung ohne Bolus-tracking, einschließlich ihrer nahezu beliebigen Wiederholbarkeit. Ein wesentlicher Unterschied zum CT und MRT besteht darin, dass UCA im intravaskulären Raum verbleiben und erst mit einiger Zeitverzögerung durch das RES geklärt werden. Diese Information kann diagnostisch genutzt werden. Die derzeitigen UCA entsprechen in ihrem Aufbau Mikrogasblasen, die von einer Hülle umgeben sind. Diese Mikrosphären werden intravaskulär transportiert, verursachen starke Reflexe und stellen so Blutfluss und paren-
chymatöse Mikrovaskulatur dar. Spezielle technische Gerätemodifikationen sind unerlässlich, wobei 2 unterschiedliche nichtlineare Antworten der Mikrosphären erhalten werden. Mit Luft gefüllte Mikrosphären wie z. B. Levovist, haben eine niedrige Resistenz gegenüber dem Schalldruck. Sie rupturieren leicht und setzten das Gas frei, wobei die Reflexinformationen nach Ruptur und Freisetzung diagnostisch verwertbar sind. Bei der Anwendung dieser UCA ist ein intermittierendes Schallmuster mit erniedrigter Bildrate erforderlich, um eine Wiederauffüllung des UCA in das Gewebe zu ermöglichen. Stabilere Mikrosphären (z. B. SonoVue, Optinson) erlauben eine kontinuierliche Beschallung ohne Ruptur. Damit werden Untersuchungen mit Beurteilung des An- und Abflutverhaltens differenter Gewebe möglich. Spezielle Geräte erlauben beide Effekte, d. h. eine kontinuierliche Bilddarstellung mit der gezielten Induktion von Rupturen durch eingestreute Pulse mit hohem mechanischem Index zu kombinieren. Die folgenden UCA sind derzeit (6/2005) in Europa zugelassen: 4 Levovist (Galaktose/Palmitinsäure; 1996 Schering; Zulassung für Herz, Abdomen, Neurokranium), 4 Optison (Octafluropropan mit Albuminhülle; 1998, Amersham; Zulassung für Herz) und 4 SonoVue (Schwefelhexaflourid mit Phospholipidhülle; Bracco 2001; Zulassung für Herz, Leber und Brust). Vor ihrer Anwendung sind zwar keine speziellen Untersuchungen erforderlich. Die Anwendung sollte aber an Experten in der Sonographie gebunden sein. Unerwünschte Reaktionen auf UCA ergaben sich nur in Einzelfällen (Histaminliberation, 1/10.000, UAW Datenbank 1/2004). Die einzige Kontraindikation besteht aktuell in einer Schwangerschaft. Der zunehmende klinische Einsatz der UCA hat jüngst zu einer Leitlinie für ihre Anwendung geführt (EFUSMB Study Group 2004). > In der Viszeralchirurgie finden UCA vor allen Dingen in der Diagnostik fokaler Läsionen der Leber Anwendung.
Aufgrund charakteristischen Kontrastverhaltens in den verschiedenen Phasen der Perfusion können die Läsionen in aller Regel sicher zugeordnet werden. In Expertenhand stehen die Leistungsdaten des CEUS denjenigen der CT oder der MRT nicht nach. Indikationen an der Leber sind derzeit Metastasen, Abszesse, Hämangiome, FNH und ggf. HCC, sofern nicht bereits ein konventioneller Ultraschall eindeutige Befunde liefert (Übersicht bei Nicolau et al. 2005). Zunehmend wird CEUS in der Therapiekontrolle der Radiofrequenzablation angewendet (Übersicht bei Lemke et al. 2005). Eine weitere Indikation werden die entzündlichen Darmerkrankungen (Übersicht bei Schlottmann et al. 2005).
5 1.2 · Sonographie in chirurgischen Notfallsituationen
1.2
1.2.1
Sonographie in chirurgischen Notfallsituationen Stumpfes Bauchtrauma
Indikation Jeder Patient mit einem stumpfen Bauch- oder Thoraxtrauma, bei dem aufgrund des Unfallmechanismus ein Akzelerations-/Dezelerationstrauma angenommen werden muss, sofern ein Spiral-CT nicht verfügbar ist oder nicht durchgeführt werden kann, wie z. B. beim hämodynamisch instabilen Patienten. Spezielle Untersuchungstechnik Ein systematischer, stan-
dardisierter, den gesamten Abdominalraum und das Retroperitoneum erfassender Untersuchungsablauf ist erforderlich. Dieser kann von einem erfahrenen Untersucher in wenigen Minuten geleistet werden. Sofern im Schockraum in der Initialphase der Versorgung eines Polytrauma eine orientierende Sonographie durchgeführt wird, kann die Beschränkung auf einen abgekürzten Untersuchungsgang sinnvoll sein (»focussed assessment with sonography for trauma«, FAST (. Abb. 1.1). > Beim hämodynamisch instabilen Patienten ist für die Festlegung der weiteren Behandlung der Nachweis bzw. der Ausschluss größerer Mengen freier Flüssigkeit oftmals wichtiger als der subtile Nachweis einer Organverletzung.
Dies gelingt auch weniger erfahrenen Untersuchern mit hoher Spezifität (Fröster et al. 1993). Es ist obligat die Untersuchung innerhalb der ersten Stunden zeitlich gestaffelt zu wiederholen. Dies erhöht die diagnostische Ausbeute und die Validität (Blackbourne et al. 2004). Bei Patienten mit forcierter Volumentherapie können in bis zu 25% der Fälle zunehmende Mengen freier Flüssigkeit erst im weiteren Verlauf dargestellt werden.
. Abb. 1.1 Schematische Darstellung der Schnittebenen des perkutanen Ultraschalls in der Notfalldiagnostik beim stumpfen Bauchtrauma (FAST)
Spezielle Sonomorphologie Prinzipiell können bereits ge-
ringe Mengen freier Flüssigkeit (ab 20 ml) dargestellt werden, wobei dies u. U. spezielle Lagerungen verlangt. Ort und Menge der Flüssigkeit sind abhängig von der Blutungsquelle. Befindet sich diese im Oberbauch, so sind nach 150–250 ml Flüssigkeiten im Morrison- oder KollerPouch darstellbar. Befindet sie sich dagegen im Unterbauch, so füllt sich der Morrison-Pouch bei einem Erwachsenen erst nach etwa 600 ml. Näherungsweise kann unterstellt werden, dass bei einem Erwachsenen ein 5 mm breiter Saum im Morrison- und Koller-Pouch eine freie Menge von 500–750 ml bedeutet, ein 5 mm breiter Saum auf der Leberkonvexität etwa 1000 ml freier Flüssigkeit entspricht und dass bei nennenswerten Mengen Flüssigkeit in allen Abdominalregionen, einschließlich der parakolischen Rinnen, stets die Litergrenze überschritten ist. In der Regel bedeutet der Ausschluss freier Flüssigkeit beim hämodynamisch stabilen Patienten, dass mit einer notfallmäßigen Laparotomie nicht gerechnet werden muss (Farahmand et al. 2005; Rose et al. 2005). Umgekehrt trägt der sofortige Nachweis von freier Flüssigkeit im rechten oberen Quadranten die größte Wahrscheinlichkeit für die Notwendigkeit einer Laparotomie. Die über den Nachweis freier Flüssigkeit zu stellende Indikation zur Laparotomie ist beim hämodynamisch stabilen Patienten ist jedoch fehlerbehaftet. Sie kann möglicherweise durch die Anwendung von Scores verbessert werden. Kontrollierte Untersuchungen hierzu stehen noch aus. Stellenwert Die Sonographie im Schockraum stellt eine
Standardprozedur im diagnostischen Algorithmus schwerstverletzter Patienten dar und ist Bestandteil nationaler und internationaler Leitlinien. Mehrere große Übersichtarbeiten und Metaanalysen der letzten Jahre haben aufgezeigt, dass Sensitivität und Spezifität der Sonographie stets im Bereich der diagnostischen Peritoneallavage liegen. Hier definiert die Sonographie die »neue« Routine. Allerdings muss sie als Diagnostikum im Schockraum heute differenzierter bewertet werden. Bei ausschließlich ultraschallbasierter Diagnostik ist in 10–20% mit einer verzögerten Feststellung versorgungsbedürftiger Läsionen und einer Quote unnötiger Laparotomien um 10–15% zu rechnen (Stengel et al. 2003; Bakker et al. 2005). Umgekehrt schließt ein negativer sonographischer Befund beim hämodynamisch instabilen Patienten eine versorgungsbedürftige innere Verletzung keinesfalls aus, sodass im Zweifelsfall die Laparotomie erwogen werden muss. Derzeit ist unklar, ob durch Wiederholung der Sonographie oder durch andere Verfahren die Ergebnisse verbessert werden können. Eine jüngere Cochrane-Analyse zeigte bei ultraschallbasierten Trauma-Algorithmen zwar einen Trend zu weniger CT-Untersuchungen auf. Die derzeitige Datenlage erlaubte aber die abschließende Bewertung der Nützlichkeit US-basierter
1
6
1
Kapitel 1 · Diagnostische Sonographie
Algorithmen nicht (Stengel et al. 2005). Stets wurden mehr intraabdominelle Verletzungen sicherer mit CT detektiert als mit der Sonographie. > Zusammenfassend kann derzeit formuliert werden, dass die Sonographie als Screeningmethode am Anfang eines Trauma-Algorithmus sehr gut eingesetzt werden kann. Die Sonographie ist sicher indiziert beim kreislaufinstabilen Patienten mit einem stumpfen Bauchtrauma, bei dem eine CT nicht möglich ist und bei dem die Entscheidung zur Laparotomie durch den Nachweis freier Flüssigkeit rational unterstützt wird. Beim hämodynamisch stabilen Patienten sollte die Sonographie nicht die letzte oder ausschließliche Methode der Abdominaldiagnostik in einem Traumazentrum sein. Die Nützlichkeit der Ultraschalldiagnostik bezüglich der Indikationsstellung zur Laparotomie beim hämodynamisch stabilen Patienten ist derzeit am schlechtesten einzuschätzen.
1.2.2
Akutes Abdomen
Indikation Der Nutzen einer routinemäßigen Ultraschall-
diagnostik von Patienten mit akut aufgetretenen Abdominalbeschwerden ist umstritten. Zwar ist anerkannt, dass die Genauigkeit der Diagnosen beim akuten Abdomen durch US gesteigert werden kann, jedoch ist nicht belegt, dass auch das Endergebnis chirurgischer Behandlung oder Kosten positiv beeinflusst wird. Methodisch anspruchsvolle Untersuchungen, die eine Bewertung der Nützlichkeit der Sonographie erlaubten, gibt es derzeit nicht. Da die Ultraschalldiagnostik wenig Zeit beansprucht und keine Risiken bietet, ist ein großzügiger Einsatz beim akuten Abdomen zu befürworten. Es ist wichtig das Spektrum der Erkrankungen mit dringendem chirurgischem Behandlungsbedarf zu kennen. In einer multizentrischen Datenbasis von mehr als 15.000 Patienten in Westeuropa waren nur 5 Entitäten für mehr als 90% der notfallmäßigen Operationen verantwortlich (de Dombal 1992): 4 Akute Appendizitis (40–50%) 4 Akute Cholezystitis (15–20%) 4 Ileus (10–20%) 4 Ulkusperforation (2–5%) 4 Akute Divertikulitis (2–5%) Der Nutzen der Sonographie bei diesen ausgewählten Diagnosen wird im Folgenden näher erläutert. Spezielle Untersuchungstechnik Grundsätzlich gilt, dass
nicht nur die Region größten Interesses untersucht werden
soll, sondern stets ein vollständiger und standardisierter Untersuchungsablauf durchgeführt wird. Da häufig Luft oder Ingesta die Darstellung beeinträchtigen, ist die Technik der dosierten Kompression hilfreich. Dabei wird mit der Sonde eine am Schmerzempfinden der Patienten dosierte, kontinuierliche Kompression auf die Bauchdecke ausgeübt. Die Sonde wird dabei in einer der palpierenden Hand ähnlichen Art und Weise langsam bewegt. Durch die Kompression werden die durch Luft und Ingesta hervorgerufenen Sichtbehinderungen reduziert.
Akute Appendizitis Spezielle Sonomorphologie Das spezifische Kriterium der
akuten Appendizitis ist die pathologische Kokarde, d. h. eine Zielscheibenstruktur mit einem Durchmesser von >6 mm, im Mittel um 12 mm. Mit modernen Geräten gelingt die Darstellung einer »normalen Appendix« sehr häufig (. Abb. 1.2). Stellenwert Eine Zusammenfassung prospektiver Untersuchungen bis 1998 ergab eine mediane Sensitivität der Sonographie von 0,86, eine Spezifität von 0,96, und eine Gesamtgenauigkeit von 0,93. In deutschen chirurgischen Kliniken variierte die Sensitivität sehr stark (0,13–0,9), die Spezifität aber weitaus weniger (Mittelwert 0,95, Bereich 0,82–1,0; Franke et al. 1999).
> Ein eindeutiger sonographischer Befund sollte einer Operation zugeführt werden.
Die Nützlichkeit der Sonographie wird deshalb vor allem durch die Sensitivität bestimmt, die eindeutig von der Erfahrung abhängig ist (Chan et al. 2005). Dies betrifft auch den Ausschluss einer Appendizitis mit der Sonographie, der mit großer Zurückhaltung interpretiert werden sollte. Selbst in den Händen anerkannter Experten sind bis 15% der im Sonogramm negativ oder als nicht diagnostisch befundeten Patienten an einer Appendizitis erkrankt (Schuler et al. 1998). Nur im Kontext mit klinischen Algorithmen sind negative Laparotomieraten <10% ohne vermehrte Fehldiagnosen berichtet worden (Zielke et al. 1998). Bislang existiert jedoch keine methodisch befriedigende randomisierte Untersuchung hinsichtlich des chirurgischen Outcome. Strittig ist deshalb, welche Patienten untersucht werden sollen. Nach einer Metaanalyse der englischsprachigen Literatur von 1986 – 1994 ist die Sonographie dann am effektivsten, wenn es sich um klinisch nicht eindeutige Fälle handelt, d. h. in der große Gruppe der zur Verlaufskontrolle hospitalisierten – nicht aber die nach klinischen Kriterien eindeutig zu operierenden oder ambulant zu kontrollierte Fälle (Orr et al. 1995). Vergleiche zwischen Sonographie und CT liegen vor, wobei in aller Regel die CT seitens der diagnostischen Leistung besser abschnitt (Kaiser et al. 2004).
7 1.2 · Sonographie in chirurgischen Notfallsituationen
. Abb. 1.2 Sonographisches Bild der akuten, ulzerophlegmonösen Appendizitis. Im Längsschnitt (linker Bildausschnitt) Darstellung der tubulären, blind endenden Struktur mit zentralen hyperreflektiven
Echos und Unterbrechungen der mittleren echoreichen Schicht. Im Querschnitt (rechter Bildausschnitt) Darstellung der nicht kompressiblen Kokarde. Toshiba SSH140, 5 MHz
Akute Cholezystitis, Choledocholithiasis
hypoechogene Wandverdickung zeigen. Ein Nebeneinander dilatierter und kollabierter Schlingen charakterisiert den mechanischen Ileus. Wandverdickung auf >6 mm muss an eine Ischämie als Ileusursache, respektive -folge denken lassen. Die Invagination ist durch ein aus mehreren konzentrischen Ringen aufgebautes Zielscheibenphänomen (doppeltes, konzentrisches Ringzeichen) und die Zeichen des mechanischen Ileus gekennzeichnet.
Spezielle Sonomorphologie Bei der akuten Cholezystitis
finden sich Wandverdickung auf mehr als 4 mm, Schichtungsphänomen der Wand, Flüssigkeitssäume und echoreiche perizystische Strukturvermehrung. Die komplizierten Formen, d. h. Abszedierung, Perforation oder Gangrän der Gallenblase, wie auch der Gallensteinileus, können von Experten sicher zugeordnet werden (Ripolles et al. 2001). Die Darstellung eines auf 10 mm und mehr dilatierten Ductus choledochus ist verdächtig auf das Vorliegen einer biliären Obstruktion. Stellenwert In einer kürzlich vorgestellten Metaanalyse betrug die adjustierte Sensitivität und Spezifität der Sonographie für die Erkennung einer akuten Cholezystitis 88% (95% KI: 74–100%) und 80% (95% KI: 62–98%). Bei einer vergleichbaren Sensitivität für die Detektion von Konkrementen in den Gallenwegen, war die Spezifität in dieser Fragestellung mit 99% deutlich höher und besser als die CT (Trowbridge et al. 2003).Von Experten werden mehr als 90% der Konkremente >10 mm und immerhin noch 70% der kleineren Konkremente erfasst. Der Stellenwert des Sonographie bei der akuten Cholezystitis und dem Ikterus ist damit unbestritten.
Ileus Spezielle Sonomorphologie Diagnostische Kriterien des Ileus sind distendierte, mit hypoechogener Flüssigkeit, oder hyperechogenem Ingesta gefüllte Darmschlingen, die
Stellenwert Der besondere Wert der Sonographie liegt in der Darstellung des frühen Ileus und der schnellen Unterscheidung zwischen adynamischem und mechanischem Ileus. Die Sensitivität der Sonographie im Nachweis wird mit 94–98% bei einer Spezifität von 80–82 angegeben (Grunshaw et al. 2000). Die Ultraschalldiagnostik ist damit empfindlicher als die Abdomenserie, deren Quote falschnegativer Ergebnisse mit bis zu 15% größer als diejenige der Sonographie ist, die 2–7% beträgt. Die Bestimmung der Ileushöhe gelingt sonographisch in etwa 75% (mechanischer Ileus 72–80%, paralytischer Ileus 55%) und ist damit geringer als die nahezu 100% der Abdomenserie (Schmuth et al. 1997). Die Ileusursache kann in etwa 50% dargestellt werden. Bei der Invagination ist die Sonographie aber aufgrund ihrer unverwechselbaren Sonomorphologie diagnostisch. Bei Kindern ist die Sonographie der Goldstandard der »Bildgebung« (Vsavada 2004), und es kann die hydrostatische Reduktion einer Invagination unter Ultraschallkontrolle durchgeführt werden.
1
8
Kapitel 1 · Diagnostische Sonographie
1
. Abb. 1.3 Sonographisches Bild größerer Mengen freier Luft in Rückenlage bei Perforation eines Ulcus ventriculi: komplette Schallreflektion auf der Ebene des Peritoneums mit Reverberationsartefakt
(rechter Bildausschnitt). Nach dosierter Kompression Verdrängung der Luft zu beiden Seiten mit freier Einsicht auf das Lappenübergangsgebiet der Leber (linker Bildausschnitt). Siemens Sonoline, 3.5 MHz
Ulkusperforation
grenzung neoplastischer Wandverdickungen können nicht angegeben werden.
Spezielle Sonomorphologie Die Zeichen der intestinalen
Perforation sind allesamt indirekte: freie Luft, freie Flüssigkeit und Darmparalyse. Sie sind durch die Sonographie prinzipiell einfach festzustellen. Unmittelbar auf der Höhe des Peritoneums gelegene komplette Schallreflexion oder Reverberationsartefakte als Ausdruck größerer Luftmengen (. Abb. 1.3) oder kleine extraanatomische Luftreflexe auf der Konvexität der Leber haben eine hohe diagnostische Sicherheit (Wallstabe et al. 2002). Stellenwert Im chirurgischen Schrifttum ist die Sonogra-
phie zum Nachweis freier Luft nicht verbreitet, obgleich die Sonographie das sensitivste Verfahren ist. Bei einer intestinalen Perforation ist der Nachweis von extraintestinaler Luft in der Abdomenserie in bis zu 30% falsch-negativ. Hier ist nur die CT der Sonographie ebenbürtig; allerdings ist die CT zum Nachweis einer retroperitonealen Luftansammlung der Sonographie überlegen.
Stellenwert Die Sonographie hat bei der Sigmadivertikulitis eine wichtige Rolle im diagnostischen Algorithmus eingenommen. Die Sensitivität wird mit 76–92% angegeben, die Spezifität liegt zwischen 97–99% und damit nahe an derjenigen der CT (Zielke et al. 1997). Die Sonographie erlaubt eine Schwergradabschätzung und kann die weitere Diagnostik leiten (Mizuki et al. 2005). Bei einer unkomplizierten und sonographisch gut definierbaren Divertikulitis ist die Sonographie als alleinige Methode ausreichend für Diagnose und Verlaufskontrolle. Bei komplexen Befunden besteht die Indikation zum 3-Kontrast-CT – nach wie vor der Goldstandard. Probleme bereitet die Abgrenzung der perforierten Sigmadivertikulitis vom perforierten malignen Tumor des Kolons oder die Abszessdiagnostik und -therapie. Hier ist die CT der Sonographie überlegen (Farag-Soliman et al. 2004).
Akute Divertikulitis
Perkutane Sonographie in der präoperativen Diagnostik
Spezielle Sonomorphologie Die Sigmadivertikulitis hat
1.3
keine spezifische Sonomorphologie. Die Diagnose einer unkomplizierten Divertikulitis ist ein Summenbefund aus den folgenden Merkmalen: segmentale hypoechogene Kokarde mit schmalem Lumen und Hypoperistaltik. Die Kokarde ist häufig umgeben von einem hyperechogenen Halo sowie einzelnen Divertikeln. Das Bild der komplizierten Divertikulitis ist unschärfer mit u. U. sehr diffusen, schwer abgrenzbaren Pseudotumoren. Spezifika zur Ab-
Hauptanwendungen der perkutanen präoperativen Sonographie in der Chirurgie sind vor allem die Erfassung pathologischer Befunde zur Bestätigung einer Operationsindikation bzw. die Beschreibung des Ausmaßes und der Folgen eines Krankheitsprozesses für differenzialtherapeutische Überlegungen oder die Operationsplanung.
9 1.3 · Perkutane Sonographie in der präoperativen Diagnostik
Während der präoperativen Diagnostik maligner Erkrankungen muss besonders nach Hinweisen für onkologische oder technische Inoperabilität gefahndet werden. Dies findet bislang nur wenig Niederschlag in der chirurgischen Literatur und wird deshalb für die häufigeren Tumoren in Grundzügen besprochen. Schilddrüsenkarzinom Die präoperative Sonographie der Schilddrüse ist unverzichtbar. Sie erlaubt die differenzierte Beschreibung von Morphologie und Volumen der Drüse sowie der Beziehung zu den Leitstrukturen des Halses und die Mitbeurteilung der zervikalen Lymphknoten (regionale Sonographie der Halsweichteile). Die Sonographie ist unverzichtbar bei der Feinnadelaspirationszytologie (FNA). Der Nutzen der ultraschallgesteuerten FNA wird dadurch unterstrichen, dass nach der Einführung dieser Technik die Operationsfrequenz kalter Knoten auf unter 10% gesenkt werden konnte. Die Kriterien echoarm, solitär und solide haben für das Schilddrüsenkarzinom eine Sensitivität von 95% und eine Spezifität von 50%. Sind diese Knoten szintigraphisch kalt, kann sich die Spezifität auf 85% erhöhen und somit eine zielgerichtete FNAC ermöglichen (Spiegel et al. 1986). Magenkarzinom Die perkutane Sonographie beim Magen-
karzinom ist komplementär zur Endosonographie, z. B. wenn diese ein T4-Stadium vermutet. Zwar wird für die perkutane Sonographie des Magens mit oder ohne Wasserfüllung eine Sensitivität für die Tumorerkennung bis 85% berichtet, die Sensitivität für das T- und N-Stadium beträgt jedoch nur 40–50%. Bei etwa 10% der Patienten wird ein nicht resektabler Befund unterschätzt (Düx et al. 1997). Während mit der Ultraschalldiagnostik zwischen 50%–80% der Fälle mit Lebermetastasen erkannt werden, wird eine Peritonealkarzinose regelhaft übersehen. Die Beurteilung der Resektabilität ist in der Hand von Experten mit 62–85% der CT (42–74%) ebenbürtig (Kuntz u. Herfarth 1999). Primären oder sekundäre Lebertumoren Die häufigste fo-
kale Läsion der Leber ist die Leberzyste, gefolgt vom Hämangiom, den benignen Lebertumoren sowie den entzündlichen und malignen Raumforderungen. Als ScreeningInstrument ist die Sonographie bei all diesen Entitäten der ungerichteten CT überlegen. Erst durch spezielle CT-Techniken (Angio-CT [CTAP], Lipidol-CT) bzw. durch das MRT wird eine höhere Leistungsfähigkeit erreicht. Es wird erwartet, dass durch kontrastverstärkten Ultraschall (CEUS) diese Anwendungen wieder unter Druck kommen werden, vor allem bei der Diagnostik bei Metastasen und beim HCC. Metastasen Eine Zuordnung der Dignität fokaler Leber-
läsionen aufgrund ihrer Sonomorphologie ist nicht mit
Sicherheit möglich. Natürlich sprechen multiple Läsionen bei bekanntem Tumorleiden für eine Metastasierung. Aber die Abgrenzung z. B. von der fokal-nodulären Hyperplasie (FNH) und dem Leberadenom, die keine einheitliche Sonomorphologie aufweisen, ist problematisch. Der Stellenwert der perkutanen Sonographie wird weiter dadurch eingeschränkt, dass nur 2/3 der Patienten suffizient im Gesamtquerschnitt der Leber untersuchbar sind. Bei der Erkennung von Metastasen ist deshalb die Sonographie der CT-Arterioportographie (CTAP) unterlegen. Die akkurateste Methode zur Detektion und Charakterisierung fokaler Leberläsionen ist derzeit die MRT, sofern auf neuesten Geräten und mit leberspezifischen KM durchgeführt (Vogel et al. 2003). Mit dem CEUS wurde jüngst die Detektionsrate für Metastasen auch in schwierigen Lokalisationen (z. B. zwerchfellnahe) um 40% gesteigert und in den ersten vergleichenden Studien z. T. über das Niveau leberspezifischer Spiral-CT angehoben (Konopke et al. 2005). CEUS erlaubt m. E. auch Rückschlüsse auf den Primärtumor aufgrund des unterschiedlichen Perfusionsverhaltens der Metastasen (Rückes et al. 2004). Hepatozelluläres Karzinom Das zumeist auf dem Boden
einer Leberzirrhose entstehende HCC hat eine variable, nicht spezifische Sonomorphologie. Auch wenn z. T. hervorragende Leistungsdaten für die Sonographie berichtet wurden, findet sich in den wenigen Studien in denen die Ergebnisse mit Operationspräparaten korreliert wurden, für die konventionelle Sonographie eine Sensitivität von nur 43–67%. Neue Hoffnung ergibt sich mit dem CEUS, dessen Potenzial, obgleich noch in der Charakterisierungsphase sich bereits andeutet. Die Kontrastmerkmale des HCC im CEUS sind bereits gut definiert und insbesondere die Darstellung der Tumorgefäße in der arteriellen Phase scheint eine recht zuverlässige Unterscheidung der HCC von den Regeneratknoten zu erlauben (. Tab. 1.1; Seitz 2005). Gallenwegstumoren Im Ultraschallbild sind nur die nahe dem Hilus gelegenen cholangiozellulären Karzinome leicht erkennbar. Global beträgt die Detektionsrate etwa 70% (Sensitivität 73%, Spezifität 65%), wobei hilusnahe 85%, im mittleren Anteil des Choledochus 57% und am distalen Choledochus nur 35% erreicht werden (Albu et al. 2005). Sehr erfahrene Untersucher konnten mit der farbkodierten Dopplersonographie (FKDS) bezüglich der Resektabilitätskriterien Verschlusshöhe, Parenchyminvasion und Infiltration der Portalvene eine Genauigkeit erreichen, die der Angio-CT nicht nachstand. Extrahepatische Metastasen werden allerdings kaum erkannt, sodass in 10–25% ein Unter-Staging resultiert. Allerdings liegt die Quote der Über- und Unterschätzung auch mit ERC, MRCP und PTCD bei 35–40% und um 10% (Romaneehsen et al. 2004).
1
10 Kapitel 1 · Diagnostische Sonographie
1
. Tab. 1.1 Vereinfachte Darstellung der wichtigsten Ultraschallkontrastphänomene beim mit Kontrastmittel verstärkten Ultraschall (CEUS) fokaler Leberläsionen Entität
Perfusionsmaximum
Mikrovaskulatur
Metastasen (GI)
Arteriell, kapillär
Tumorperipherie, radiär zentripetal
Metastasen (NET)
Früharteriell, arteriell, kapillär
Keine sicher erkennbare Vaskulatur
HCC
Früharteriell
Peritumorales Enhancement früharteriell, chaotische Vaskulatur mit zentripetaler Ausbreitung in der arteriellen Phase und Hypervaskularisation in der kapillären Phase, portalvenöse Kontrastaussparung
Regeneratknoten
Alle Phasen
Idem zum umgebenden Gewebe
FNH
Früharteriell
Radiäre Vaskulatur, zentral Arterie
Adenom
?a
Hämangiom
Arteriell, kapillär beginnend
Zentripetale Kontrastierung über lange Zeiträume, fleckig multilokulär in der Peripherie beginnend
Fokale Steatose
Alle Phasen
Idem zum umgebenden Gewebe
a
derzeitige Datenlage noch unsicher
Möglicherweise kann mit dem intraduktalen Ultraschall (IDUS) die Sicherheit, vor allem bei den distalen Tumoren gesteigert werden (Domagk et al. 2004). Gallenblasenkarzinom Bei polypösen Befunden in der
Gallenblase ist die Sonographie ist das dominierende Diagnostikum. Die Mehrzahl der »Polypen« sind Steine oder Cholesteroldepots. Ab einer Größe von >10 mm sollte ein Karzinom unterstellt werden, insbesondere dann, wenn in der Wand oder dem Polyp Unregelmäßigkeiten vorliegen. Die Karzinomrate liegt dann bei 35–65% (Sun et al. 2004; Chattopadhyay et al. 2005). Frühe Stadien werden regelmäßig übersehen. Die Resektabilität wird wegen häufig inkorrekter Einschätzung der Infiltrationstiefe in die Leber sowie der Beteiligung von Lymphknoten und Peritoneum, in der Regel überschätzt. Bis zu 60% der sonographisch als kurabel gewertete Fälle sind nicht R0-resektabel. Hier bietet die CT die besseren Daten zur präoperativen Planung (Donohue 2001). Pankreaskarzinom Die perkutane Sonographie ist als Screening fest etabliert, jedoch selbst in der Hand von Experten in 10–25% technisch unzureichend. Bei jedem dritten Patienten ist der Pankreasschwanz nicht vollständig beurteilbar. Wegen der technisch schwierigen Beurteilung des Gesamtorgans ist der prädiktive Wert eines negativen sonographischen Befundes bereits demjenigen der ungerichteten CT deutlich unterlegen (Hopt u. Heydasch 1997). Speziell bei der Vorhersage der portalvenösen Infiltration erreichten Experten der perkutanen FKDS eine Sensitivität von 75–82% mit einer Spezifität von 92–95%
(Gesamtgenauigkeit 85–87%). Sie war damit nahezu identisch zu CT und Angiographie (Bunk et al. 2001). Differenzierte, Morphologie-orientierte Scoresysteme zur Beurteilung der Resektabilität sind zwar publiziert, aber derzeit noch nicht überprüft worden. Goldstandard zur präoperativen Abklärung ist der EUS (s. unten). Mit der CEUS kann die Aussagekraft der Sonographie wahrscheinlich verbessert werden. Sehr erfahrene Anwender haben mit einer Spezifität von oberhalb 90% Karzinome von Pankreatitis trennen und die Resektabilität mit sehr hoher Sicherheit vorhersagen können (Rickes et al. 2002). Kolonkarzinom Die Kokarde ist die Leitstruktur des Kolonkarzinoms, jedoch ist eine Unterscheidung zwischen Karzinom, Divertikulitis und Lymphom nicht sicher möglich. Auch ist das Karzinom in bis zu 25% der Patienten nicht auffindbar. Dennoch wird, offenbar mit zunehmender Erfahrung, eine Sensitivität und Spezifität von 80–90% berichtet. Die perkutane Sonographie erlaubt keine Aussage über das Lymphknotenstadium, die Sensitivität beträgt hier nur 40%. Das TNM-Stadium wird von einigen Untersuchern mit besserer Genauigkeit durch perkutane Sonographie nach Füllung des Kolons mit Wasser beschrieben (»Hydrosonographie«). Sofern die Tumoren dargestellt werden konnten, wurde eine Spezifität von 70– 90% für das uT-Stadium und 46–71% für das uN-Stadium erreicht (Düx et al. 1997; Chung et al. 2004). Die derzeit einzige gesicherte Indikation beim Kolonkarzinom ist deshalb die Sonographie der Leber zum Screening auf hepatische Filialisierung.
11 1.4 · Endosonographie/endoskopischer Ultraschall
Endosonographie/endoskopischer Ultraschall
1.4
Indikation Der Vorteil des endoluminalen Ultraschalls
(EUS) des Gastrointestinaltraktes, der Gallenwege und des Pankreas besteht in der Umgehung von Artefakte verursachenden Strukturen (z. B. beim Pankreas) und in der Tatsache, dass Regionen, die bei der perkutanen Sonographie kaum beurteilt werden können, in dieser Technik hochauflösend untersucht werden können (z. B. beim Ösophagus und Rektum). Indikationen für den EUS sind deshalb die Malignome des Ösophagus und ösophagokardialen Überganges, des Rektums und des Pankreas. Gesichert ist in diesen Indikationen auch, dass es kosteneffektive Strategien zum lokalen Staging sind. Zunehmend werden auch Tumoren des Magen zur stadiengerechten Behandlungsplanung mit EUS untersucht. Sie werden deshalb im Folgenden näher erläutert. Besonders wertvoll ist die EUS bei submukösen Tumoren, bei denen der intramurale Sitz nahezu immer belegt werden kann. Weitere Indikationen sind die EUS des Analkanals, beim Fistelleiden und bei Funktionsstörungen des Beckenbodens einschl. der Inkontinenz (Übersichten bei Hinninghofer u. Enck 2003; Rieger et al. 2004; Fusaroli u. Caletti 2005). Ösophaguskarzinom Multimodale Therapiekonzepte für das Ösophaguskarzinom erfordern ein differenziertes prätherapeutisches Staging. Hier hat die EUS einen festen Platz, weil sie bezüglich der Genauigkeit mit der Ausdehnung und Infiltrationstiefe bestimmt werden können, allen anderen bildgebenden Verfahren überlegen ist. Es besteht eine enge Korrelation zwischen der EUS Ausdehnung des Tumors durch die Wandschichten und dem pT-Stadium (. Tab. 1.2). Durch die Beurteilung der Aufhebung der Wandschichten kann mit der Ausnahme des pTis-Carcinoma die Infiltrationstiefe präzise festgelegt werden. In ca. 25% können die Tumoren nicht mehr passiert werden und in der Mehrzahl dieser Fälle liegt ein T3- oder T4-Stadium
. Tab. 1.2 Sonographische Ausdehnung eines Tumors entsprechend der TNM-Klassifikation beim Ösophaguskarzinom uT1
Tumor reicht bis in die mittlere echoreiche Schicht, die jedoch nicht durchbrochen ist
uT2
Tumor reicht bis in die äußere echoreiche Schicht, die jedoch nicht durchbrochen ist
uT3
Tumor durchbricht alle Wandschichten mit Unterbrechung auch der äußersten echoreichen Schicht
uT4
Tumor ist von paraösophagealen Strukturen nicht abgrenzbar oder Nachweis einer Infiltration
uN+
Verdacht auf Lymphknotenbeiteiligung
vor. Neue Möglichkeiten ergeben sich durch Minisonden, die über die Biopsiekanäle gängiger Endoskope platziert werden können. Diese Schallsonden arbeiten mit Frequenzen zwischen 7,5 MHz und 30 Mhz. Sie können die Rate des Überstaging von T1-Karzinomen des Ösophagus reduzieren. Die Treffsicherheit der EUS erreicht beim T-Stadium im Mittel 85% (82–95%) und beim N-Stadium eine Spezifität zwischen 70 und 80% (Catalano et al. 1999). Die EUS-gesteuerte FNA suspekter Lymphknoten erhöht die Spezifität der Festlegung des N-Stadiums erheblich (Eloubeidi et al. 2001). Die Einschätzung der Resektabilität ohne FNA ist immerhin noch in etwa 75% zutreffend. > Durch die Festlegung des T und N-Stadiums und die Beurteilung der Resektabilität hat die EUS einen unmittelbaren Einfluss auf die Verfahrenswahl (neoadjuvante, primär chirurgische, primär palliative Strategien). Sie kann nach neoadjuvanter Therapie mit Erfolg zum Re-Staging genutzt werden (Chak et al. 2003). Magenkarzinom Die EUS stellt einen unverzichtbaren Be-
standteil in der Umsetzung stadienabhängiger Therapiekonzepte dar. In Analogie zum o. g. wird das T-Stadium durch Beurteilung der Wandschichten festgelegt. Da Serosa und Subserosa mit der EUS nicht differenziert werden können, ist beim Magenkarzinom die Unterscheidung der T2- und T3-Tumoren problematisch. Das T-Stadium wird in 69–92% korrekt, das N-Stadium in 50–88% richtig beurteilt. Die Gesamtgenauigkeit liegt bei 75–80%. Der prädiktive Wert einer EUS ohne suspekte Lymphknoten beträgt bei den früheren Tumorstadien über 90% (Xi et al. 2003). Die EUS neigt aufgrund der entzündlichen Umgebungsreaktionen zum Überstaging von Frühkarzinomen und T1-Tumoren. Ist ihr Anteil hoch, kann die Genauigkeit der EUS auf unter 50% sinken. Im Hinblick auf technische Operabilität ist das Staging in 80–97% korrekt; die Voraussage der R0-Resektabilität in 80%. Aufgrund der spezifischen Sonomorphologie des Magenlymphoms und der MALT-Lymphome kann mit EUS nahezu immer die Diagnose gestellt werden. Auch hier ist die EUS das Referenzverfahren um Therapieeffekte nachzuweisen (Levy et al. 1997). Hinsichtlich der häufig submukös gelegenen GIST des Magens, kann eine EUS-gesteuerte endoskopische FNA die Diagnose präoperativ mit höchster Sicherheit erarbeiten (Ando et al. 2002). Pankreaskarzinom Die EUS ist derzeit der Goldstandard
in der Detektion exokriner wie neuroendokriner Pankreastumore. Die Sensitivität der Detektion eines Pankreaskarzinoms liegt global bei 85% und kann bis 97% betragen. Selbst bei Tumoren unter 2 cm beträgt sie mindestens 75% und maximal 90%. Die Detektionsrate für Tumoren klei-
1
12 Kapitel 1 · Diagnostische Sonographie
1
ner 2 cm ist damit dem CT und der perkutanen Sonographie weit überlegen (Maguchi 2004). Mit der EUS-FNA suspekter Areale kann eine Sensitivität von 94% mit einer Spezifität bis 100% für duktale Karzinome erreichten werden (Harewood u. Wiersema 2002). Bezüglich des T- und N-Staging ist die EUS mit mehr als 90% Sensitivität und nahezu 80% Genauigkeit allen anderen Verfahren überlegen – in jeweils weniger als 10% wird ein Über- oder Unterstaging registriert. Die EUS ist auch hilfreich in der Differenzialdiagnostik von Pankreaszysten und zystischen Pankreaskarzinomen. Nur die einfachen Zysten mit dünnwandigen Septen dürfen als unverdächtig angesprochen werden. Die besten Ergebnisse werden derzeit mit EUS-FNA und Analyse der Zystenflüssigkeit auf CEA, Ca19–9, Ca125 u. a. Tumormarker erreicht (Brugge et al. 2004). Bezüglich der Infiltration der Pfortader ist die EUS der Angiographie ebenbürtig und erreichte in Studien in denen die Gefäßinfiltration auch histologisch verifiziert wurde, eine Gesamtgenauigkeit von 70% (Yusoff et al. 2003). Durch entsprechende Selektion konnte die Rate der R0-Resektionen durch EUS von 60 auf 80% angehoben werden und sogar auf 86%, wenn Angiographie und EUS zusammen zur Beurteilung der Gefäßinvasion herangezogen wurden (Brugge et al. 1996). > Der prädiktive Wert einer EUS ohne Tumorbefund liegt bei nahezu 100% und ersetzt somit jedes andere bildgebende Verfahren zum Ausschluss einer fokalen Läsion. Rektumkarzinom Auch beim Rektum werden in der Regel
5 Wandschichten mit unterschiedlichem Reflexverhalten erkannt (59). Die Infiltrationstiefe wird entsprechend der TNM-Klassifikation anhand der Infiltration der Wandschichten unterteilt (. Tab. 1.3). Wegen der vom T- und vom N-Stadium geleiteten, differenten Behandlungsstrategien ist die EUS beim Rektumkarzinom heute unverzichtbar. Die Stärken der Methode liegen in der Differenzierung der T2- und T3-Tumoren sowie dem Nachweis des T4-Stadiums. Die Gesamtgenauigkeit in der Vorhersage des T-Stadiums kann mit 85% (64–91%), die des N-Stadiums mit 78% (64–87%) angegeben werden. Auch beim Rektumkarzinom kann durch EUS-gesteuerte FNA die Spezifität des N-Stagings und damit die Präzision der Zuweisung der Patienten zu neoadjuvanter Therapie erhöht werden. Die Patientenselektion durch EUS-FNA kann zu einer Reduktion lokaler Rezidivraten führen (Harewood 2004). Stellenwert Die Nützlichkeit des EUS in der »klinischen
Routine« ist in den vergangenen Jahren mehrfach kritisch diskutiert worden. Die Diskussion wird angeregt von Mitteilungen, die beispielsweise für den routinemäßigen Ein-
. Tab. 1.3 Sonographische Ausdehnung eines Tumors entsprechend der TNM-Klassifikation beim Rektumkarzinom uT1
Tumor reicht bis in die innere echoarme Schicht, mittlere echoreiche Schicht intakt
uT2
Tumor reicht bis in die innere echoarme Schicht, mittlere echoreiche Schicht durchbrochen, intakte äußere echoreiche Schicht
uT3
Tumor durchbricht alle Wandschichten mit Unterbrechung auch der äußersten echoreichen Schicht
uT4
Tumor infiltriert in pararektale Strukturen
uN+
Verdacht auf Lymphknotenbeiteiligung
satz des EUS beim Magen- und Ösophaguskarzinom eine kombinierte Genauigkeit für das T- und N-Staging von nur 35% ergaben (Bosing et al. 2003). Ebenso wurde gezeigt, dass die Sensitivität des T-Staging bei Ösophagus und Magentumoren im EUS von 73% auf 53% sank, wenn die Untersucher für klinische Informationen verblindet waren (Meining et al. 2002). Auch für die EUS des Rektums wurden kürzlich außerhalb von Studien sehr viel schlechtere Leistungsdaten mitgeteilt, als sie aus den kontrollierten Studien erwartet worden waren (z. B. nur 63% Gesamtgenauigkeit nach [Marusch et al. 2002]). Eine systematische Übersichtsarbeit über die zum EUS beim Rektumkarzinom zwischen 1985 und 2003 publizierten Studien konnte zudem einen Trend zu zunehmend schlechteren Ergebnissen aufzeigen, je mehr Patienten in der jeweiligen Studie untersucht und je aktueller die Studien publiziert worden waren (Harewood 2005). Diese und andere kritische Mitteilungen verdeutlichen, dass die persönliche methodische Qualifikation das entscheidende Qualitätsmerkmal in der »klinischen Routine« ist.
1.5
Intraoperative Sonographie/ laparoskopischer Ultraschall
Indikation Aufgrund der rasanten Entwicklung der CTund MRT-Diagnostik kommt der intraoperativen Sonographie (IOUS) zunehmend die Aufgabe eines ergänzenden intraoperativen Diagnostikums zu. Die Anwendungen sind vielfältig (Übersichten bei Kane 2005; Machi et al. 2004; Rau u. Hünerbein 2005). Haupteinsatzgebiete der IOUS sind die Komplettierung des Tumorstagings und die optimierte Führung von Resektionsbehandlungen an Leber und Pankreas. Bei der Staging-Laparoskopie ist die laparoskopisch durchgeführte Ultraschalluntersuchung (LUS) unverzichtbar. Eine weitere Indikation betrifft die intraoperative Diagnostik der Gallenwege – auch zur intraoperativen Qualitätskontrolle. Seltener, aber von heraus-
13 1.5 · Intraoperative Sonographie/laparoskopischer Ultraschall
ragendem Stellenwert, ist die IOUS/LUS beim endokrinen Pankreastumor. Eine neue Indikation betrifft die Radiofrequenzablation hepatischer Läsionen. Staging-Laparoskopie Obgleich ausschließlich prospektive Beobachtungsstudien und Fallsammlungen publiziert sind, kann der Stellenwert der LUS im Rahmen einer Staging-Laparoskopie nicht mehr in Zweifel gestellt werden. 4 Beim Ösophaguskarzinom ist die LUS das sensitivste Verfahren zur Detektion intraabdomineller Lymphknotenmetastasen (Sensitivität bis 80%) und der selteneren Lebermetastasierung (Sensitivität bis 75%). Zusätzliche, die Therapie beeinflussende Befunde können in 10–20% erwartet werden, wobei therapieentscheidende Befunde vor allem bei höheren Tumorstadien und distaler Lokalisation des Karzinoms angetroffen werden (Krasna et al. 2001). 4 Beim Magenkarzinom ist die Verbesserung der Staging -Laparoskopie durch die LUS weniger eindrucksvoll. Zwar kann auch hier in den höheren Tumorstadien (T3 und T4) mit dem LUS die diagnostische Genauigkeit des Stagings erhöht werden, aber in der Mehrzahl der Fälle können bereits mit der Laparoskopie die relevanten Befunde alleine erhoben werden (Yusoff et al. 2003). 4 Beim Pankreaskarzinom kann die LUS die diagnostische Genauigkeit erheblich steigern. Entscheidend ist der Nachweis bzw. der Ausschluss der Gefäßinfiltration und der peritonealen oder hepatischen Metastasierung. Die Metastasierung klärt im Allgemeinen die Laparoskopie. Hinsichtlich der Beurteilung der Gefäßinfiltration konnte mit Hilfe des LUS bei präoperativ als resektabel gewerteten Patienten in 14 und 59% eine Infiltration der Portalvene bzw. der AMS nachgewiesen werden. Die LUS ist somit hilfreich die Kriterien der onkologischen Irresektabilität zu überprüfen (Minnard et al. 1998; Zhao et al. 2003). 4 Bei primären und sekundären Lebertumoren konnten durch die Kombination von Laparoskopie und LUS in zusätzlichen 15–30% Patienten identifiziert werden, welche entgegen der präoperativen Wertung nicht kurativ resezierbar waren (DeCastro et al. 2004). Die per LUS gesteuerte intraoperative Biopsie ist eine gesicherte Anwendung (Berger et al. 2004). 4 Beim kolorektalen Karzinom kann insbesondere bei laparoskopischen Resektionen zusätzliche Information durch die LUS erwartet werden. Wenn die LUS bei der Laparoskopie eingesetzt wurde, konnte in bis zu einem Drittel der Fälle eine Änderung präoperativer Wertungen oder per alleiniger Laparoskopie erhobener Befunde registriert werden. Selbst wenn die präoperative Diagnostik und die Blickdiagnostik per Laparoskopie negativ waren, werden hinsichtlich des Staging
der Leber in bis zu 10% »okkulte« Metastasen aufgedeckt. Bei dieser Indikation hat der Einsatz des LUS das größte Potenzial zusätzliche therapierelevante Befunde aufzudecken. Lebermetastasen Die IOUS/LUS ist nach wie vor das sensitivste Verfahren um Lebermetastasen von Kolon-, Magen- und Pankreastumoren aufzudecken. Der Zugewinn an diagnostischer Information beträgt zwischen 3 und 26%. In der Kombination von Laparoskopie und LUS kann damit die onkologische Inoperabilität in 80–100% korrekt vorausgesagt werden (Mortensen et al. 1996). Erste Untersuchungen zeigen auch, dass die Detektionsrate mit Hilfe der US-Kontrastmittel (CE-IOUS) noch verbessert werden kann (Torzilli 2004). Überwiegend wird die IUOS der Leber zum Ausschluss weiterer fokaler Läsionen der Leber im Rahmen von Standardresektionen eingesetzt (s. oben). Im Vergleich zu allen anderen bildgebenden Verfahren ist sie bei dieser Fragestellung führend mit einer Sensitivität und Spezifität von 96% und 98%. Je nach Umfang der präoperativen Diagnostik und Gewichtung der IOUS, werden in bis zu 40% zusätzliche Raumforderungen erfasst. Gleichwohl wird nur selten, im Mittel um 10%, eine relevante Änderung der operativen Strategie erforderlich (Paul et al. 1996). Gallenwegschirurgie Wenngleich versierte Untersucher
beim Nachweis von Gallenwegskonkrementen Daten mitgeteilt haben, die der intraoperativen Cholangiographie nicht nachstehen, hat sich ein genereller Einsatz bislang nicht durchgesetzt (Nies et al. 1996). Pankreaschirurgie Der Einsatz der IOUS bei Operationen
zur internen Drainage bei der chronischen, kalkulösen Pankreatitis wird klar befürwortet (Prinz et al. 1992). Per IOUS gelingt das Auffinden des Pankreasganges in Sekunden und ergibt sich die Möglichkeit einer nicht invasiven Qualitätskontrolle der vollständigen Entfernung aller Pankreatiokolithen. Im Bezug auf die Differenzialdiagnostik Pankreatitis vs. malignem Pankreastumor hat die IOUS/LUS bislang nicht überzeugt. Möglicherweise ergeben sich neue Optionen mit Ultraschallkontrastmitteln (s. oben). Die portalvenöse Infiltration kann zwar mit hoher Spezifität (bis 97%) aber nur niedriger Sensitivität (58%) erfasst werden (van Delden et al. 1996). Aus diesen Gründen ist ein routinemäßiger Einsatz der IOUS beim exokrinen Pankreaskarzinom derzeit nicht sinnvoll. Im Gegensatz hierzu ist bei den endokrinen Pankreastumoren eine zeitgemäße chirurgische Therapie ohne IOUS nicht denkbar. IOUS stellt beim Insulinom, dem häufigsten dieser sehr seltenen Tumore, nach dem Ausschluss der heptischen Filialisierung durch einen perkutanen US, die einzige sinnvolle Lokalisationsdiagnostik dar und ist hier,
1
14 Kapitel 1 · Diagnostische Sonographie
1
wie bei allen anderen endokrinen Pankreastumoren, das einzige sinnvolle Lokalisationsverfahren (Fendrich et al. 2004).
1.6
Literatur
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16 Kapitel 1 · Diagnostische Sonographie
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2
Interventionelle Sonographie S. Truong, M. Binnebösel, V. Schumpelick
2.1
Allgemeines
– 18
2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4
Vorteile – 18 Material für die Punktion Punktionstechnik – 19 Komplikationen – 20
2.2
Sonographisch gesteuerte interventionelle Diagnostik
2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4
Schilddrüse – 21 Leber – 21 Pankreas – 21 Flüssigkeiten in Körperhöhlen
2.3
Sonographisch gesteuerte interventionelle Therapie
2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.3.5
Schilddrüse – 22 Nebenschilddrüsen – 23 Leber – 23 Aszites, Pleuraergüsse, postoperative und parenchymatöse Verhalte Abszesse und Empyeme – 27
2.4
Literatur
– 18
– 21
– 22
– 22
– 32
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
– 27
18 Kapitel 2 · Interventionelle Sonographie
2
Die Sonographie hat in der Viszeralchirurgie eine weite Verbreitung gefunden und besitzt nicht nur einen hohen Stellenwert in der apparativen Diagnostik, sondern auch in der interventionellen Anwendung. Hierbei wird zwischen diagnostischen und therapeutischen Interventionen unterschieden. Die diagnostischen Interventionen umfassen die gezielte Entnahme von Gewebeproben sowie die Punktion von Flüssigkeitsansammlungen zur mikrobiologischen, zytologischen oder histologischen Untersuchung. Die therapeutischen Maßnahmen umfassen dauerhafte Drainagen von Abszessen, Empyemen und Ergüssen mit Hilfe von Kathetersystemen sowie unterschiedliche Techniken zur Ablation von Tumoren und Zysten.
2.1
Allgemeines
2.1.1
Vorteile
Die Sonographie ist als bildgebendes Verfahren schnell verfügbar und kann jederzeit ortsungebunden, d. h. am Krankenbett, eingesetzt werden. Ihre Anwendung ist kostengünstig und führt zu keiner Strahlenbelastung. Entsprechende Analysen zeigen auf, dass CT-gesteuerte Interventionen um den Faktor 1,89 kostspieliger sind als ultraschallgesteuerte Maßnahmen (Douglas et al. 2001). Das dabei benötigte Material bei CT-gestützten Interventionen ist 4-fach teurer. Ein weiterer Vorteil ist die Möglichkeit der Echtzeitvisualisierung des betreffenden Befundes sowie die unmittelbare dynamische Darstellung des Erfolges der Maßnahme. Hieraus resultiert z. B. für die Entnahme von Gewebeproben eine höhere Genauigkeit gegenüber der CT-Bildgebung. Dies äußert sich in einer statistisch niedrigeren Rate falsch-negativer Ergebnisse gegenüber der CT-gesteuerten Biopsie (Douglas et al. 2001). Die genannten Fakten spiegeln sich in einer stark steigenden Fallzahl ultraschallgesteuerter Interventionen wider (. Abb. 2.1). Sonographisch schlecht darstellbare Prozesse, z. B. im Becken, intrathorakal oder interenterisch gelegen, sind für
. Abb. 2.1 Fallzahlen US- und CT-gesteuerter Interventionen (Douglas et al. 2001)
eine ultraschallgesteuerte Intervention weniger gut geeignet. In diesen Fällen ist die Computertomographie überlegen. Auch sehr adipöse Patienten profitieren bei entsprechender Befundlokalisation von einer CT-gesteuerten Technik.
2.1.2
Material für die Punktion
Für die Interventionen steht eine große Auswahl an Punktionsnadeln sowie Katheterbestecken zur Verfügung. Nadeln mit einem Außendurchmesser über 1 mm werden als Grobnadeln bezeichnet, bei Nadelweiten unter 1 mm spricht man von Feinnadeln. Häufig werden Nadeldurchmesser auch in French (1 Fr = 0,33 mm bzw. 1 mm = 3 Fr) und Gauge (G) angegeben. Die Bezeichnung der Nadeln ist nicht einheitlich und meistens von der Herstellfirma abhängig. Je nach Einsatzzweck werden Injektions-Aspirationsnadeln und Schneid-Stanz-Biopsienadeln unterschieden. Zur Punktion von liquiden Prozessen eignen sich Nadeln mit einer einfachen angeschliffenen Hülse. Wird mit solchen Nadeln ein solider Gewebeverband fächerförmig unter permanentem Sog punktiert, lassen sich einzelne Zellen oder Zellverbände für eine zytologische Auswertung gewinnen. Abhängig von der Fragestellung an den Pathologen wird das gewonnene Material nativ, in Alkohol- oder in Formaldehyd fixiert. Die anschließende Aufarbeitung und Interpretation erfolgt durch den Pathologen. Die Entnahme eines soliden Gewebezylinders, die sog. Biopsie, erfordert die Verwendung eines speziellen Hohlnadelsystems. Hierzu stehen Nadelsysteme mit verschiedenen Schneide- oder Stanzmechanismen zur Verfügung. Die gewonnene Probe wird ebenfalls abhängig von der Fragestellung an den Pathologen asserviert und an diesen weitergeleitet. 4 Chiba-Nadel: Durchmesser 0,6–0,95 mm mit schrägem Schliff und Mandrin zur Aspiration von Flüssigkeiten und zur Gewinnung einer Aspirationszytologie (. Abb. 2.2a). 4 Menghini-Set: Durchmesser 0,5–1,8 mm. Spezielles Nadel-Spritzen-Set zur Leberbiopsie. Ähnlich wie bei der Vacucut-Nadel wird durch Aspiration und Vorschieben ein Gewebezylinder von 2–3 cm Länge gewonnen (. Abb. 2.2b). 4 Otto-Kanüle: Durchmesser 0,8–1,2 mm. Diese Schneidbiopsiekanüle ist weniger traumatisch. Die Spitze der Hülse ist mit zwei feinen Schneiden versehen, so dass durch Drehung der Nadel beim Vorschieben ein Gewebezylinder herausgetrennt werden kann. Dabei ist die Anlage eines Vakuums über eine Spritze erforderlich (. Abb. 2.2c). 4 Vacucut-Nadel: Durchmesser 0,7–1,2 mm. Durch Einsatz eines dicht schließenden O-Ringes im Konus der
2
19 2.1 · Allgemeines
a
b
. Tab. 2.1 Erfolgsquote von Feinnadelpunktionen (Otto 2002) Organ
(n)
(%)
Erfolgsquote (%)
Leber
561
34,2
89,3
Pankreas
232
14,2
94,0
Retroperitoneum
166
10,1
91,0
Niere
87
5,3
94,3
Milz
5
0,3
100
Intestinaltrakt
16
1,0
93,8
Aszites
117
7,1
100
Pleura
116
7,1
86,2
Weitere (Schilddrüse, Brust etc.)
339
20,7
89,7
Gesamt
639
100
91,2
c d e
f . Abb. 2.2a–f Punktionsnadeln für Zytologie bzw. Biopsie. a ChibaNadel, b Menghini-Set, c Otto-Kanüle, d, e Vacucut-Nadel mit verschiedenen Schliffen, f Trucut-Nadel
Kanüle wird beim Zurückziehen des Mandrins in der Hülse ein Vakuum erzeugt. Beim Vorschieben der Nadel wird ein Gewebszylinder gewonnen (. Abb. 2.2d, e). 4 Trucut-Nadel: Durchmesser 0,9–2,0 mm zur Entnahme von Stanzbiopsien. Es lassen sich definierte Gewebezylinder herausschneiden. Die Nadel wird mit manueller und automatischer Abschussvorrichtung angeboten. Gelegentlich kommt es dabei zum Herausreißen von Gewebepartikeln, was die Blutungsgefahr erhöht (. Abb. 2.2f). Zur Entnahme von Gewebezytologien ist eine 22-G-Nadel ausreichend. Größere Nadeln bedingen eine höhere Komplikationsrate ohne Informationsgewinn. > Die Entscheidung, ob eine Zytologie oder Biopsie entnommen und wie die erforderliche Asservierung bzw. Fixierung durchgeführt wird sollte zusammen mit dem Pathologen, der die Proben untersucht, getroffen werden.
Zur Frage der diagnostischen Wertigkeit beider Methoden existieren mehrere Untersuchungen, welche die Aspirationszytologie als gleichwertig gegenüber der Stanzbiopsie ausweisen. Die Ursachen falsch-negativer Punktionsergebnisse liegen nicht selten in der zu geringen Menge an gewonnenem Material, der Punktion von nekrotischem Gewebe oder aber in einem Verfehlen des Herdes. Größere Tumoren sollten möglichst im Randbereich punktiert werden. Für Zusatzuntersuchungen wie Spezialfärbungen, Rezeptorbestimmungen oder die Subtypisierung von Lymphomen muss eine Stanzbiopsie erfolgen; eine alleinige Aspirationszytologie ist nicht ausreichend (Douglas et al. 2001). Eine Auswertung von 1685 Feinnadelpunktionen unterschiedlicher Organe ergab eine Erfolgsquote von 86–100% (Otto 2002) für die einzelnen Gewebe (. Tab. 2.1).
2.1.3
Punktionstechnik
Jede Intervention ist zunächst mit einer Punktion verbunden. Ist der zu punktierende Prozess über eine kurze Distanz erreichbar, lässt sich die sog. Freihandtechnik anwenden. Hierzu führt eine Hand den Schallkopf und die andere Hand die Punktionsnadel (. Abb. 2.3a, b). Eine Korrektur der Nadelspitze ist an Hand des Ultraschallbildes möglich und der Erfolg der Intervention kann direkt beobachtet und dokumentiert werden (Real-time-Visualisierung). Bei großen Befunden können Punktionsrichtung und Ziel am Patienten markiert und die Nadel zunächst ohne Schallkontrolle eingebracht werden. Mit Hilfe dieser Technik können z. B. Pleuraergüsse und subkutane Verhalte sicher punktiert werden. Zielgenauere Punktionen werden durch eine fixe Verbindung von Schallkopf und Punktionskanüle möglich. Die Nadel wird mit Hilfe einer an den Schallkopf adaptierten Führungsschiene schräg in das Schallfeld vorgeschoben, wobei die Nadelspitze in der Regel gut darstellbar ist (. Abb. 2.3c). Der Verlauf des Stichkanals kann in das Gerät einprogrammiert werden. Ein Nachteil der Methode ist die häufige Abweichung der Nadel von der vorgesehenen Punktionsrichtung durch die Kompression des Gewebes mit dem Schallkopf. Die besten Resultate werden bei der Verwendung von speziellen Punktionsschallköpfen erreicht. Es handelt es sich in der Regel um Linearscanner mit einer zentralen Aussparung, in die spezielle Einsätze mit Stichkanälen unterschiedlichen Durchmessers eingesetzt werden können (. Abb. 2.4). Über diese Stichkanäle werden dann die Na-
20 Kapitel 2 · Interventionelle Sonographie
2
a
b
c
d
. Abb. 2.3a–d Techniken der sonographisch gesteuerten Punktion. a, b Punktion in Freihandtechnik, c Punktion mit Führungsschiene, d Punktion mit Punktionsschallkopf
. Abb. 2.4 Punktionsschallkopf mit Biopsienadel
deln in das Gewebe vorgeschoben, während das Gerät den exakten Verlauf des gewählten Punktionskanals in das Sonobild einblendet (. Abb. 2.3d). Hierbei kann durch Kompression von außen der Weg zum Punktionsziel verkürzt werden. Abweichungen der Nadel vom vorgesehenen Punktionsweg sind mit dieser Technik auf ein Minimum reduziert und in erster Linie von anatomisch-topographischen Gegebenheiten abhängig (Otto 2002). > Die höchste Treffsicherheit bei der sonographisch gesteuerten Punktion wird bei der Verwendung von speziellen Punktionsschallköpfen erreicht.
2.1.4
Komplikationen
Die Komplikationsrate nach Feinnadelpunktion liegt insgesamt deutlich unter 1% (. Tab. 2.2). Die häufigsten Komplikationen sind allgemeiner Art und betreffen Schmerzen, Blutungen und Infektionen. Seltener sind organspezifische Komplikationen wie z. B. Pneumothoraces, Pankreatitiden oder Stichkanalmetastasierungen nach der Punktion von malignen Tumoren.
21 2.2 · Sonographisch gesteuerte interventionelle Diagnostik
. Tab. 2.2 Komplikations- und Letalitätsrate nach Feinnadelpunktion Autor
Patienten (n)
Komplikationsrate (%)
Letalitätsrate (%)
Weiss (1988)
60.949
0,55
0,0075
Fornari (1989)
10.766
0,18
0,018
Nolsoe (1990)
3500
0,20
0,028
Weiss (1996)
95.070
0,81
0,0011
2.2
Sonographisch gesteuerte interventionelle Diagnostik
Die stetige Verbesserung der Bildgebung mittels Ultraschall erweitert gleichzeitig das Spektrum der interventionellen sonographischen Diagnostik. Die häufigste Indikation für die interventionelle Diagnostik besteht in der Gewinnung von Gewebeproben unterschiedlicher Organe. Weitere Indikationen für diagnostische Interventionen betreffen Probengewinnung und Untersuchung von Aszites und Pleuraergüssen sowie liquiden Verhalten. Erfolgt hierbei gleichzeitig eine Entlastung der betreffenden Flüssigkeitsansammlung, erweitert sich die Punktion zur therapeutischen Intervention.
Bei negativem Ergebnis sollte die Punktion wiederholt werden. In der Tumornachsorge bei Schilddrüsenkarzinomen nach totaler Thyreoidektomie wird für die Biopsie von Rezidivtumoren eine Sensitivität von 94–100% angegeben (Krishnamurthy et al. 2001).
2.2.2
Eine Indikation zur perkutanen Leberbiopsie besteht unter bestimmten Vorraussetzungen sowohl bei diffusen Lebererkrankungen als auch bei fokalen Gewebeveränderungen bzw. Tumoren. Bei diffusen Gewebeveränderungen, z. B. einer Hepatitis oder Zirrhose, kann eine Leberblindpunktion nach sonographischer Voruntersuchung erfolgen. Solitäre bzw. fokale Gewebeveränderungen müssen sonographisch gesteuert punktiert werden. Der Stichkanal sollte dabei immer durch einen mindestens 1 cm breiten Mantel gesunden Gewebes verlaufen. Die Erfolgsquote wird mit 93–95% angegeben. Hierbei wird eine Blutung als häufigste Komplikation in 0,5% der Fälle beobachtet. Die Probengewinnung kann mittels Feinnadelaspiration oder Stanz- bzw. Schneidbiopsie erfolgen, wobei das Blutungsrisiko für die Biopsietechniken höher liegt (. Abb. 2.5 und . Abb. 2.6).
2.2.3 2.2.1
Schilddrüse
Aufgrund ihrer oberflächlichen Lage ist die Schilddrüse für diagnostische Punktionen sehr gut zugänglich. Zur Feinnadelbiopsie eignen sich Chiba-Nadeln von 20 G. Die Punktion kann hierzu freihändig nach Palpation oder sonographisch gesteuert erfolgen. Bei der freihändigen Punktion ist immer gleichzeitig die A. carotis zu palpieren, um eine akzidentelle Verletzung des Gefäßes zu vermeiden. Der anvisierte Knoten wird dann mittels mehrerer leicht gestreuter Stichbewegungen biopsiert. Nicht palpable Knoten und Läsionen, die mit freihändiger Technik erfolglos punktiert wurden, sollten ultraschallgesteuert biopsiert werden (Mittendorf et al. 2002). Die Empfehlungen bezüglich der Indikation zur Biopsie hängen stark von den regionalen Gegebenheiten bezüglich der Inzidenz von Schilddrüsenerkrankungen ab (Deandrea et al. 2002). > Die bioptische Abklärung von solitären Knoten sowie zystischen Strukturen ist in 70–100 % der Fälle erfolgreich, wobei die Erfolgsquote von der Größe, der Dignität sowie vom histologischen Typ der Befunde abhängt (Ogawa et al. 2001).
Leber
Pankreas
Die sonographisch gesteuerte Punktion des Pankreas ist aufgrund der Lage des Organs und Darmgasüberlagerung erschwert. Der Stichkanal muss häufig transgastral oder transhepatisch gewählt werden, sodass nur feine ChibaNadeln von 20–22 G verwendet werden sollten. Die Angaben zur Erfolgsquote reichen von 60–100%, wobei die meisten Studien bei etwa 80% liegen. Bei der Punktion von Pankreaskarzinomen wird oft die Möglichkeit einer Tumorzellverschleppung erwähnt, die zur Ausbildung von Impfmetastasen im Stichkanal führen kann. Das Risiko scheint aber eher gering zu sein, da in der Literatur bisher nur 10 Fälle beschrieben sind. Die Rate schwerer Komplikationen wie Pankreatitiden, Pankreasgang-Leckagen und relevanten Blutungen wird mit 0,4% angegeben (Sparchez 2002). ! Cave Bei der Punktion des Pankreas dürfen nur Feinnadeln verwendet werden. Größere Nadelsysteme, z. B. Trucut-Nadeln, können eine Pankreatitis auslösen.
2
22 Kapitel 2 · Interventionelle Sonographie
2
. Abb. 2.5 Stanzbiopsie mit Trucut-Nadel: Punktionszylinder einer Metastase eines Kolonkarzinoms
. Abb. 2.6 Aspirationszytologie mittels Feinnadelpunktion: Ausstrichpräparat eines hepatozellulären Karzinoms
2.2.4
Flüssigkeiten in Körperhöhlen
Flüssigkeitsansammlungen im Pleuraspalt und in der Abdominalhöhle sind einer Punktion in der Regel gut zugänglich. Eine diagnostische Punktion kann mit 20-G-Kanülen in Freihandtechnik oder, bei kleinen Flüssigkeitsmengen, mit Hilfe eines Punktionsschallkopfes vorgenommen werden. Insbesondere bei Anlage einer therapeutischen Drainage empfiehlt sich die Punktion mit einem speziellen Punktionsschallkopf zur Real-time-Visualisierung. Die Diagnostik umfasst makroskopische Beurteilung sowie laborchemische, mikrobiologische und zytologische Untersuchungen.
2.3
Sonographisch gesteuerte interventionelle Therapie
2.3.1
Schilddrüse
Ablationstechniken zur Behandlung von Schilddrüsenknoten sind sowohl für autonome Adenome als auch für zystische Knoten beschrieben. Für beide Entitäten existieren Erfahrungen mit einer sonographisch gesteuerten perkutanen Ethanolinjektion (PEI). Die Ablation von autonomen Adenomen erfolgt durch 1–3 Injektionen von 95%-igem Ethanol unter sonographischer Kontrolle. Das Volumen wird so gewählt, dass die durch die Injektion der Flüssigkeit entstehenden Schallreflexe den betreffenden Befund komplett einnehmen. Bei Schmerzäußerung des Patienten wird
23 2.3 · Sonographisch gesteuerte interventionelle Therapie
die Injektion vorher unterbrochen (Guglielmi et al. 2004). Die benötigten Ethanolvolumina bewegen sich hierbei zwischen 1 und 5 ml. Der Behandlungserfolg und die Notwendigkeit weiterer Injektionen wird an Hand der Volumenabnahme des Knotens im Rahmen von Kontrolluntersuchungen bewertet. Zur Sklerosierung von zystischen Knoten wird der Befund zunächst ultraschallgesteuert punktiert und dann der flüssige Inhalt aspiriert. Anschließend werden 25% des aspirierten Volumens in Form von 95%-igem Ethanol in der Zystenhöhle installiert (Guglielmi et al. 2004). Auch hier ist die Volumenabnahme der Läsion der Bewertungsmaßstab für den Behandlungserfolg. Parameter zur Bewertung des Langzeiterfolges waren bei Zysten die Volumenabnahme auf weniger als 25% des Ausgangswertes und bei autonomen Adenomen die Volumenabnahme auf unter 50%, ein normales Serum-TSH sowie die szintigraphisch normale Hormonaktivität des initial supprimierten Schilddrüsenparenchyms (. Tab. 2.3). Die durchschnittliche Volumenabnahme der mit PEI behandelten autonomen Adenome beträgt nach 5 Jahren nur 64%, und lediglich 60% der behandelten Patienten weisen normale TSH-Werte auf (Guglielmi et al. 2004). Aufgrund dieses mäßigen Erfolges hat sich die PEI bei der Behandlung autonomer Adenome nicht durchgesetzt. Die Injektion von Salzsäure (PHI) in Zysten hat schlechtere Ergebnisse als die reine Aspiration und wird daher nicht empfohlen (Chu et al. 2003).
2.3.2
Nebenschilddrüsen
Bei sekundärem Hyperparathyreoidmus (HPT) sind die
delten Patienten (Kitaoka et al. 1994). Rodriguez et al. (2002) berichten im Rahmen einer Auswertung verschiedener Studien über eine erfolgreiche PEIT in 80% der Fälle bei einem Parathormon <400 pg/ml, während bei Ausgangswerten von 1200 pg/ml die Erfolgsrate auf unter 20% sinkt. > Das PEIT sollte Patienten mit hohem Operationsrisiko oder Patienten, die eine Operation ablehnen, vorbehalten bleiben.
2.3.3
Leber
Bei nichtresektablen primären und sekundären Lebertumoren sowie für inoperable Patienten steht eine Reihe von Ablationsverfahren als Therapiealternative zur Verfügung. Die meisten Erfahrungen liegen für die Radiofrequenzablation, Laserablation, Kryoablation und Ethanolinstillation vor. Die Verfahren können perkutan, laparoskopisch oder intraoperativ durchgeführt werden, wobei der Ethanolinstallation die perkutane Technik vorbehalten bleibt. Für die perkutane Anwendung aller Verfahren stehen zur Steuerung die Sonographie, CT und MRT zur Verfügung. Die schon genannten Vorteile der Sonographie als bildgebendes Medium (7 Kap. 2.1.1) lassen erwarten, dass die Ultraschallsteuerung bei allen Ablationsverfahren an Bedeutung gewinnen wird. > Alle Ablationsverfahren, die an der Leber zum Einsatz kommen, sind primär als Palliativverfahren anzusehen.
ultraschallgesteuerte perkutane Ethanolinjektion (PEIT)
sowie Calcitriolinjektion (PCIT) als ablative Verfahren beschrieben. Der Erfolg dieser Behandlungsmethoden wird in der Literatur unterschiedlich bewertet, wobei das Ausmaß der Hormonstörung und das Volumen der vergrößerten Nebenschilddrüsen einen großen Einfluss auf das Langzeitergebnis haben (deBarros et al. 2004). Bei durchschnittlichen Parathormon-Serumspiegeln von 633 pg/ml bzw. 727 pg/ml betrugen die Erfolgsraten der PEIT 80% bei 46 Patienten (Kakuta et al. 1999) resp. 77% bei 9 behan-
Radiofrequenzablation Indikation Mit der Radiofrequenzablation (RFA) können
hepatozelluläre Karzinome und Lebermetastasen verschiedener Primärtumoren behandelt werden. Bei einer erreichbaren Nekrose von 7 cm können, bei einem Sicherheitssaum von 1 cm, Tumorherde bis 5 cm Größe abladiert werden. Pro Behandlung sollen maximal 3–4 Herde angegangen werden (Kettenbach et al. 2004). Als Kontraindikationen gelten eine ausgedehnte Aszitesbildung, unkorri-
. Tab. 2.3 Ergebnisse der PEI bei zystischen Knoten und autonomen Adenomen (Guglielmi et al. 2004) Anzahl
Anzahl PEI-Patienten (n)
Anzahl PEI-Behandlungen (n)
Volumenreduktion auf 25%a/50%b nach 5 Jahren (%)
Normales TSH nach 5 Jahren (%)
Zystischer Knoten
58
2
86,2
–
Autonomes Adenom
112
4
81,0
60,0
a
für zystische Knoten; b für autonome Adenome
2
24 Kapitel 2 · Interventionelle Sonographie
2 . Abb. 2.7 Sonde zur Radiofrequenzablation
gierbare Koagulopathien sowie ein obstruktiver Ikterus mit einem Serumbilirubin von >3 mg/dl. Technik Unter bildgebender Kontrolle werden elektrisch isolierte Sonden mit leitfähiger Spitze in die Leber eingebracht und ein Wechselstrom mit 375–500 kHz appliziert, der über eine an der Haut angebrachte Flächenelektrode abfließt. Der Stromfluss induziert eine hochfrequente Oszillation von Ionen an der Sondenspitze und führt zu einer Erhitzung des umliegenden Gewebes. Ab einer Temperatur von 60°C entsteht die gewünschte Koagulationsnekrose, die das Tumorgewebe zerstört. Die abgegebene Energie beträgt je nach Tumor 60–250 Watt. Entsprechend der Tumorausdehnung können Einzelelektroden (. Abb. 2.7) oder selbst-
expandierende Schirmelektroden eingesetzt werden. Die Applikationsdauer des Stromes je Herd beträgt 10–30 min, wobei der Destruktionsgrad des Gewebes an Hand einer Impedanzmessung oder Temperaturkontrolle abgeschätzt werden kann. Zur Vermeidung von Nachblutungen und Tumorzellverschleppung muss der Stichkanal nach Abschluss der Behandlung koaguliert werden. Dies geschieht durch langsamen Rückzug der Elektroden bei reduzierter Generatorleistung (Kettenbach et al. 2004). Ergebnisse Der Langzeiterfolg bei der Behandlung des hepatozellulären Karzinoms sowie von Metastasen kolorektaler Metastasen ist jeweils in mehreren Studien dokumentiert (. Tab. 2.4 und . Tab. 2.5). Eine neuerliche Studie
. Tab. 2.4 Ergebnisse der perkutanen RFA bei hepatozellulären Karzinomen Autor
Patienten (n)
Tumorgröße (cm)
Art der Elektrode
Nekrosegrad (%)
Rezidivrate (%)
Beobachtungsintervall (Monate)
Überlebensrate (ÜLR)
Rossi (1996)
39
3,0
Einzelnadel
95
41
23
1-/3-/5-JahresÜLR: 94/68/40% 44 Monatea
Curley (2000)
110
3,4
Schirmelektrode
95
49
19
–
Hansler (2003)
20
3,1
Einzelnadel
85
30
15
15 Monate: 60%
a
mittlere Überlebenszeit
. Tab. 2.5 Ergebnisse der perkutane RFA bei kolorektalen Lebermetastasen Autor
Patienten (n)
Tumorzahl (n)
Tumorgröße (cm)
Überlebensrate (ÜLR)
Gillams (2000)
69
2,9
3,9
1-/2-/3-/4-Jahres-ÜLR: 90/69/34/22% 33 Monatea
Solbiati (2001)
117
2,0
2,8
1-/2-/3-Jahres-ÜLR: 93/69/46% 36 Monatea
Oshowo (2003)
25
–
3,0
3-Jahres-ÜLR: 53% 37 Monatea
a
mittlere Überlebenszeit
25 2.3 · Sonographisch gesteuerte interventionelle Therapie
zum Langzeit-Outcome nach RFA hepatozellulärer Karzinome an 266 Patienten zeigte, dass das 1-, 3- bzw. 5-Jahres-Überleben bei 82,9%, 57,9% bzw. 42,9% lag. Die Studie zeigte weiterhin, dass nicht nur Patienten im Stadium I, sondern ebenso Patienten im Stadium II–IV oder Patienten mit einem Rezidiv-HCC effektiv therapiert werden können (Yan et al. 2008). Komplikationen Bei allen interventionell-ablativen Therapieverfahren an der Leber sind als Hauptkomplikationen die Blutung, Leberabszesse sowie die Verschleppung von Tumorzellen zu nennen. Die Rate an behandlungspflichtigen Komplikationen nach RFA wird durchschnittlich mit unter 2% angegeben (Ahmed et al 2002).
Interstitielle Laserablation Indikation Die Laserablation eignet sich zur Behandlung von Lebermetastasen kolorektaler Karzinome und Mammakarzinome sowie multifokalen Erstmanifestationen oder Rezidiven von hepatozellulären Karzinomen (HCC). Der erzielbare Durchmesser der Gewebedestruktion beträgt bis zu 4 cm. Bei der Verwendung eines Applikators können, entsprechend eines Sicherheitsabstandes von 1 cm, Tumoren bis 2 cm behandelt werden. Mit Hilfe mehrerer Applikatoren können Herde bis 5 cm Größe abladiert werden. Technik Bei der Laserablation handelt es sich um ein thermoablatives Verfahren durch Erhitzung des Gewebes mit Hilfe eines speziellen Laserlichtes. Ein Neodym-YAG-Laser generiert ein Laserlicht mit einer Wellenlänge von 1064 nm, das über feine Lichtleiter, die in einer speziellen Sonde gebündelt sind, in das Gewebe geleitet wird. Die Laserenergie führt zu einer Erhitzung des Gewebes bis auf eine Zieltemperatur von 60°C. Für den synchronen Betrieb mehrerer Applikatoren stehen spezielle Lichtweichen zur Verfügung. Der Vorteil liegt in einer Zeitersparnis gegen-
über der sequenziellen Nutzung eines einzigen Applikators (Stroszczynski et al. 2004). Ergebnisse Die Laserablation ist eine relativ junge Metho-
de, sodass bisher lediglich wenige Einzelcenterstudien vorliegen (Auswahl . Tab. 2.6). Die Rate an klinisch relevanten Komplikationen (Abszesse, Galleleckagen, Nachblutungen) wird mit 1,3% angegeben (Mack et al. 2001).
Kryotherapie Indikation Die Indikation umfasst hepatozelluläre Kar-
zinome und Metastasen verschiedener Primärtumoren. Die Herde sollen gut abgrenzbar sein und eine Größe von 5 cm nicht überschreiten. Pro Behandlung können maximal 3–4 Herde angegangen werden. Ein Vorteil der Kryodestruktion liegt darin, dass auch Tumorherde in Nachbarschaft zu großen Blutgefäßen mit nur geringem Risiko einer Thrombose therapiert werden können. Die Kryotherapie wird am häufigsten mittels Laparotomie durchgeführt, kann aber auch laparoskopisch und perkutan zur Anwendung kommen (Garcea et al. 2003). Technik Bei der Kryotherapie führt die kontrollierte Ab-
kühlung der zu behandelnden Tumorherde auf unter −20°C zu einer Kältenekrose und Destruktion. Dabei kommen spezielle Kryosonden zum Einsatz, die mittels flüssigem Stickstoff eine Temperatur von bis zu −100°C erreichen und diese an das umliegende Gewebe abgeben. Mit einer einzelnen Kryosonde können Kältenekrosen bis zu 4,9×2,2×2,2 cm, mit mehreren Sonden Nekrosen bis zu 6,0×4,9×5,6 cm erzeugt werden (Silverman et al. 2000). Für jeden zu abladierenden Herd sind 2 Zyklen von 6–15 min Dauer erforderlich (Feifel et al. 1999). Ergebnisse Bei der Behandlung von kolorektalen Leber-
metastasen und hepatozellulären Karzinomen beträgt die
. Tab. 2.6 Ergebnisse der perkutane Laserablation bei kolorektalen Lebermetastasen (MET) und hepatozellulären Karzinomen (HCC) Autor
Giorgio (2000)
Patienten (n)
Tumor
Komplette Tumornekrose (%)
Überlebensrate (ÜLR)
77
HCC
82
–
25
MET
77
–
Mack (2001)
705
MET
–
1-/3-/5-Jahres-ÜLR: 93/50/30% 41,8 Monatea
Pacella (2001)
74
HCC
97
1-/3-/5-Jahres-ÜLR: 99/68/15%
Vogl (2004)
603
MET
-
1-/3-/5-Jahres-ÜLR: 94/56/37% 42 Monatea
a
mittlere Überlebenszeit
2
26 Kapitel 2 · Interventionelle Sonographie
. Tab. 2.7 Ergebnisse der Kryotherapie bei kolorektalen Lebermetastasen (MET) und hepatozellulären Karzinomen (HCC)
2
Autor
Patienten (n)
Tumor
Mittlere Überlebenszeit (Monate)
Überlebensrate (ÜLR)
Zhou (1998)
235
HCC
–
1-/3-/5-Jahres-ÜLR: 78/54/27%
Weaver (1998)
136
MET
30
–
Weaver (1995)
47
MET
–
2-Jahres-ÜLR: 62%
Hewitt (1998)
20
MET
32
1-/2-Jahres-ÜLR: 88/60%
. Tab. 2.8 Ergebnisse der PEI bei hepatozellulären Karzinomen Autor
Patienten (n)
Tumorgröße (cm)
Überlebensrate (ÜLR)
Ebara (1993)
133
≤3,0
1-/3-/5-Jahres-ÜLR: 96/61/37%
Shiina (1993)
146
–
1-/2-/3-/4-/5-Jahres-ÜLR: 79/64/46/38/38%
Livraghi (1995)
293 (Child A) 149 (Child B) 20 (Child C) 121 (Child A) 28 (Child A) 16 (Child A)
Single ≤5 Single ≤5 Single ≤5 Multipel Single ≤5 Fortgeschritten
3-/5-Jahres-ÜLR: 79/47% 3-/5-Jahres-ÜLR: 63/29% 3-/5-Jahres-ÜLR: 12/0% 3-/5-Jahres-ÜLR: 68/36% 3-/5-Jahres-ÜLR: 53/30 3-/5-Jahres-ÜLR: 16/0%
Giorgio (2000)
268
0,6–14
1-/2-/3-/4-/5-Jahres-ÜLR: 93/83/74/65/59%
mittlere Überlebenszeit nach Kryotherapie zusammengenommen 30,7 Monate (Garcea et al. 2003). . Tab. 2.7 listet die Ergebnisse verschiedener Studien zum Langzeitverlauf der behandelten Patienten auf. Alle Behandlungen erfolgten im Rahmen einer Laparotomie durch intraoperativ-sonographisch gesteuerte Punktion. Die Komplikationsrate wird allgemein als vergleichbar zur Metastasenresektion angegeben.
Perkutane Ethanolinstillation
Technik Die erste Beschreibung dieser Technik stammt aus dem Jahre 1983. Der eingespritzte Alkohol diffundiert hierbei in das umliegende Gewebe und verursacht eine Tumornekrose durch Proteindenaturierung, Zelldehydratation und Okklusion kleiner Gefäße. Injiziert wird 96%iges Ethanol über 20–22-G-Chiba-Nadeln oder spezielle Nadeln mit seitlichen Öffnungen. Das erforderliche Alkoholvolumen berechnet sich aus der Formel V=4/3 π (r+0,5)3. Die Rate kompletter Tumornekrosen beim HCC ist abhängig von der Herdgröße (Sparchez et al. 2003).
Indikation Bei der perkutanen Ethanolinstillation (PEI)
handelt es sich um die älteste minimalinvasive Ablationstechnik zur Behandlung von Lebertumoren. Allgemein empfohlen wird die PEI für die Behandlung kleiner Lebertumoren bis 3–5 cm und bis zu 3 Herden. Die Therapie größerer Herde >5 cm ist im Rahmen einer One-shot-PEI unter Narkose möglich, wobei hier Ethanolvolumina von 50–100 ml mit mehreren Injektionen in einer Sitzung installiert werden (Sparchez et al. 2003). Hauptindikation für die PEI ist das nicht resektable hepatozelluläre Karzinom auf dem Boden einer Leberzirrhose. Auch bei kleinen Metastasen kolorektaler Karzinome sowie von Mammakarzinomen bei Inoperabilität des Patienten ist eine PEI möglich, jedoch wird sie hierfür als deutlich ineffektiver gegenüber den anderen Ablationsverfahren bewertet.
Ergebnisse Bei Tumoren <3 cm beträgt die Rate kompletter
Nekrosen 80%, bei 3–5 cm 70–75% und bei Tumoren >5 cm 60% (Sparchez et al. 2003). Bei solitären HCC-Herden bis 5 cm ist sie fast ebenbürtig zur Resektion (3-Jahres-Überlebensrate bei Resektion 79% und nach PEI 71%). . Tab. 2.8 fasst die Ergebnisse bisheriger Studien zusammen. Aufgrund der Weiterentwicklung neuerer Techniken, insbesondere der Laserablation, Kryoablation und Radiofrequenzablation, wird sich die Indikation für eine PEI in der Zukunft auf ein selektiertes Patientengut mit kleinen Lebertumoren beschränken (Giovannini 2002). Die Komplikationsrate wird mit 3,2% angegeben (Di Stasi et al. 1997).
27 2.3 · Sonographisch gesteuerte interventionelle Therapie
2.3.4
Aszites, Pleuraergüsse, postoperative und parenchymatöse Verhalte
Die Hauptindikation zur therapeutischen Punktion von Aszites, Pleuraergüssen, postoperativen und parenchymatösen Verhalten besteht in der Entlastung größerer Flüssigkeitsmengen. Prinzipiell können sowohl die einmalige komplette Punktion sowie die Einlage einer Drainage erfolgen. Die Intervention kann bei der Punktion von Aszites und Pleuraergüssen in der Regel in Freihandtechnik nach sonographischer Markierung der Punktionsstelle durchgeführt werden. Indikationen zur sonographisch gesteuerten perkutanen Punktion bzw. Drainage sind: 4 Aszites 4 Pleuraergüsse 4 Hämatome 4 Wundserome 4 Biliome und Leberzysten 4 Pankreaspseudozysten > Bei der Punktion von Pleuraergüssen lässt sich die Komplikationsrate durch den Einsatz der Sonographie zur Punktionssteuerung senken.
. Tab. 2.9 Lokalisation intraabdomineller Abszesse (n=62; Jansen et al. 1999) Abszesslokalisation
Häufigkeit
Subhepatisch
29%
Subphrenisch links
29%
Intrahepatisch
18%
Parakolisch
10%
Douglas/kleines Becken
6%
Subphrenisch rechts
5%
Retroperitoneal
3%
gene Absiedlungen in parenchymatöse Organe und nicht zuletzt postoperative Infekte aufgrund von Keimverschleppungen oder Nahtinsuffizienzen. Abszessformationen in Weichteilen treten nach Verletzungen oder Injektionen von Medikamenten auf. . Tab. 2.9 zeigt die typischen Abszesslokalisationen nach Häufigkeit. Indikation Vor der Entscheidung zum interventionellen
2.3.5
Abszesse und Empyeme
Zur Therapie intraabdomineller Abszesse hat sich die interventionelle perkutane Abszessdrainage (PAD) als alternative Behandlungsmöglichkeit zur operativen Therapie etabliert. Die Punktion und Drainage kann sowohl CT- als auch Ultraschall-gesteuert erfolgen. Vorteile für die Bildgebung mittels Ultraschall ergeben sich aus der Schnelligkeit, der Mobilität, der fehlenden Strahlenbelastung und nicht zuletzt wegen der geringen Kosten der Methode (Men et al. 2002). Zudem gestattet der Ultraschall eine Real-time-Darstellung der anzugehenden Befunde. Im Allgemeinen wird die sonographisch gestützte Intervention bei gut zugänglichen sowie solitären Abszessen empfohlen, deren Punktion mit einem geringen Verletzungsrisiko für benachbarte Strukturen wie Blutgefäße, Hohlorgane oder Pleurahöhle verbunden ist. > Abszesse mit Verbindung zu Hohlorganen können mittels PAD nur passager entlastet werden. Zur definitiven Sanierung ist eine zweizeitige operative Therapie erforderlich. Ätiologie Intraabdominelle Abszesse können als Folge
verschiedenster Erkrankungen sowie als postoperative Komplikation auftreten. Daher ist das Patientengut sehr heterogen. Ursächlich sind entzündliche Erkrankungen intraabdomineller Organe, Hohlorganperforationen, pyo-
Vorgehen müssen Lokalisation, Ätiologie und Ausdehnung des Befundes sonographisch oder computertomographisch erfasst sein. Prinzipiell ist zunächst bei allen sonographisch darstellbaren und perkutan erreichbaren putriden Verhalten die Indikation für eine Drainage zu prüfen. Indikationen zur US-gesteuerten perkutenen therapeutischen Abszessdrainage sind: 4 Leberabszesse 4 Milzabszesse bzw. subphrenische Abszesse 4 Intrahepatische Abszesse 4 Abszesse im Becken 4 Enterische Abszesse 4 Retroperitoneale Abszesse 4 Perityphlitische Abszesse 4 Lungenabszesse 4 Pleuraempyeme Kontraindikationen zur interventionellen Therapie beste-
hen bei nicht geeignetem perkutanem Zugangweg sowie bei Krankheitsursachen, die primär eine chirurgische Behandlung erfordern. Hierzu zählen u. a. Darmnekrosen, infizierte nekrotisierte Tumoren, infizierte Pankreasnekrosen und sequestierte, gekammerte sowie organisierte entzündliche Verhalte, bei denen eine suffiziente Entlastung nicht zu erwarten ist. Zur Differenzierung von infizierten und nicht infizierten liquiden Verhalten kann eine diagnostische Nadelaspiration durchgeführt werden. Hierbei muss eine Stichführung durch den Darm vermieden werden, da sonst ein
2
28 Kapitel 2 · Interventionelle Sonographie
2
falsch-positives mikrobiologisches Ergebnis sowie eine Keimverschleppung und Infektion bei der Punktion steriler Flüssigkeiten resultieren kann. Die mikrobiologische Untersuchung kann wichtige Hinweise zur Ätiologie von Abszessen liefern und hilft, eine ggf. begleitende antibiotische Behandlung zu optimieren. Bei Patienten, die bereits eine antimikrobielle Therapie erhalten, fällt der Bakteriennachweis in putriden Sekreten nicht selten negativ aus. Das Fehlen von Leukozyten bei nachgewiesener bakterieller Kontamination wird im Rahmen von Immunsuppressionen oder bei Patienten mit Immundefekten beobachtet. Wird bei der diagnostischen Punktion klares Sekret gewonnen, kann auf die Einlage einer Drainage verzichtet werden. ! Cave ! Vor der Einlage einer perkutanen Abszessdrainage (PAD) darf die Abszesshöhle nicht komplett abpunktiert werden, da sonst eine sichere Platzierung der Drainage nicht möglich ist.
a
b
Material und Technik Die Platzierung der Drainage er-
folgt nach lokaler Betäubung der Haut und unter sterilen Kautelen mittels Seldinger-Technik oder Trokartechnik (. Abb. 2.8 und . Abb. 2.9). Bei der Seldingertechnik wird der Abszess mit einer Chiba-Nadel unter sonographischer Kontrolle punktiert und die korrekte Lage durch Aspiration von trübem oder putridem Sekret bestätigt (. Abb. 2.8a). Gleichzeitig kann eine Probe zur mikrobiologischen Diagnostik asserviert werden. Nun wird über die Nadel ein Führungsdraht mit J-Spitze eingebracht und die ChibaNadel entfernt (. Abb. 2.8b). Nach Inzision der Haut im Bereich der Eintrittsstelle des Drahtes und Dilatation des Stichkanals wird die Drainage über den Draht in der Abszesshöhle platziert (. Abb. 2.8c). Der Draht wird entfernt und die Drainage mittels Annaht gesichert (. Abb. 2.8d). Bei der Trokartechnik ist die Drainage mittels einer Nadel und eines Mandrins von innen geschient und kann unter sonographischer Kontrolle nach Hautinzision bis in den Abszess vorgeschoben werden. Hierbei muss über die innere Trokarnadel stetig aspiriert werden, um das Erreichen der Abszesshöhle erkennen zu können. Dann wird die Drainage bei fixierter Nadel noch wenige Zentimeter vorgeschoben und nach Zurückziehen von Nadel und Mandrin mittels Annaht gesichert (. Abb. 2.9). Der Vorteil der Trokarsysteme liegt im besseren Penetrationsvermögen bei sehr festen Abszessmembranen, jedoch ist diese Technik mit einer leicht höheren Komplikationsrate im Vergleich zur Seldinger-Technik behaftet. Bei der Auswahl der Drainage kann auf ein weites Spektrum an Kathetersystemen mit Kalibern von 6–12 French für einlumige Otto-Systeme und 12–24 French für
c
d . Abb. 2.8a–d Punktion mittels Seldinger-Draht. a Punktion und Aspiration (optische Beurteilung, Mikrobiologie), b Einbringen Seldinger-Draht, Entfernung Punktionskanüle, c Platzierung der Drainage über den Seldinger-Draht, d Drainage nach Entfernen des Seldinger-Drahtes
doppellumige Spülkatheter (Van-Sonnenberg-Systeme) zurückgegriffen werden (. Abb. 2.10). Eine klinische Studie konnte zeigen, dass bei der Behandlung von 64 Patienten mit intraabdominellen Abszessen die Verwendung von 7-French-Pigtailkathetern sowie 14-French-Spülkat
29 2.3 · Sonographisch gesteuerte interventionelle Therapie
a
a
b
c b . Abb. 2.10a,b Systeme zur perkuntanen Abszessdrainage (PAD). a Einlumiger Otto-Katheter, b doppellumiger Van-Sonnenberg-Spülkatheter
d . Abb. 2.9a–d Punktion mittels Trokar. a Punktion und Aspiration (optische Beurteilung, Mikrobiologie), b Entfernung der Punktionskanüle, Hautinzision, Punktion mit kombiniertem Trokar-Drainagesystem, c Entfernung des Trokars und Platzierung der Drainage, d Drainage nach Entfernung des Trokars
hetern keine signifikanten Unterschiede bezüglich Erfolgsrate, Rezidivrate, Komplikationshäufigkeit, Drainagedauer und Rate an offen-chirurgischen Revisionen offenbarte (Rothlin et al. 1998). Bei zähem Sekret und relevanten Anteilen von Zelldetritus und Gewebenekrosen sind dünne
einlumige Katheter aber oft nicht ausreichend, weswegen viele Autoren empfehlen, den größtlumigen Katheter zu verwenden, der unter den gegebenen Umständen sicher und komplikationsarm eingebracht werden kann (Truong et al. 2007). Entscheidend für den Behandlungserfolg ist neben der suffizienten Platzierung der Drainage das intermittierende Anspülen und Offenhalten des Systems. Dabei müssen Sekretmengen und Sekretqualität täglich dokumentiert und beurteilt werden (Göhl et al. 1999). Der Rückgang von Fieber und Leukozytose in den ersten 2–3 Tagen nach der Intervention ist als klinischer Parameter des Therapieerfolges zu beobachten und zu dokumentieren. Direkt nach Einlage der Drainage sollte die Abszesshöhle mehrere Male mit physiologischer Kochsalzlösung gespült werden, bis das Aspirat klar wird. Ein mehrmaliges Anspülen in den
2
30 Kapitel 2 · Interventionelle Sonographie
2
folgenden Tagen ist erforderlich, um den Katheter offen zu halten. Ein plötzliches Sistieren des ablaufenden Sekretes sollte an eine Verlegung oder Dislokation des Katheters denken lassen. > Entscheidend für den Erfolg einer PAD ist die regelmäßige Spülung der Abszesshöhle über die einliegende Drainage. Leberabszesse Bakterielle Abszesse der Leber stellen eine der häufigsten Indikationen für die Einlage einer PAD dar. Leberabszesse entstehen in der Folge von Entzündungen der Gallenwege, nach Traumata oder abdominellen Operationen sowie mittels hämatogener Aussaat bei abszedierenden Infekten des Darmes. Solitäre Abszesse können mit sehr gutem Erfolg sonographisch gesteuert punktiert und drainiert werden, während bei multilokularen und konfluierenden Abszessformationen die CT-gesteuerte Drainage empfohlen wird. Im Allgemeinen ist eine Drainagedauer von 3–5 Tagen bei begleitender antimikrobieller Behandlung ausreichend (van Sonnenberg et al. 2001). Auch die einmalige Punktion und Aspiration von Leberabszessen als therapeutische Option ist beschrieben. Die in der Literatur beschriebene Erfolgsrate der PAD liegt bei 70–93% (. Abb. 2.11), die der offen-chirurgischen Drainage bei 51–70% (Vogl u. Estifan 2001). Als negativer Prädiktor für ein Versagen der perkutanen Drainage von Leberabszessen ist der Nachweis von Pilzen im Punktat sowie der Anschluss des Abszesses an das biliäre System zu sehen (Mezhir et al. 2010).
a
Pankreasabszesse Abszedierungen des Pankreas treten nach Operationen sowie als Folge von Pankreatitiden auf. Die interventionelle Entlastung wird wegen der Nachbarschaft zu Blutgefäßen und Hohlorganen im Allgemeinen CT-gesteuert empfohlen. Einmalige Punktionen sind mit einer hohen Rezidivrate bis 70% behaftet, weswegen stets die Einlage eines Drainagesystems erfolgen sollte (Men et al 2002). Milzabszesse Abszedierungen der Milz sind selten und
treten gehäuft bei immungeschwächten Patienten auf. Es handelt sich dann meist um hämatogene Absiedlungen als Folge einer Endokarditis oder posttraumatische Superinfektionen von Hämatomen (Green 2001). Milzabszesse sind gut einer interventionellen Therapie zugänglich, es gelten hierbei die gleichen Empfehlungen wie bei der Behandlung von Leberabszessen. Ebenfalls sehr gut sonographisch interventionell zu therapieren sind links-subphrenische Retentionen nach Splenektomie. Abszesse im Becken Intraabdominelle Abszesse treten ge-
häuft im Becken auf, da dieses den tiefsten Raum der Ab-
b . Abb. 2.11a,b Perkutane Drainage eines Leberabszesses. a Abszess im Sonogramm, b Abszess nach Platzierung der PAD und Darstellung der Abszesshöhle mit Kontrastmittel
dominalhöhle bildet und sich entzündliche Sekrete aufgrund der Schwerkraft ansammeln können. Weiterhin beherbergt das Becken Strukturen, die häufig selbst Ausgangspunkt einer Entzündung sind. So finden sich putride Verhalte als Folge von Appendizitiden, Sigmadivertiku-
31 2.3 · Sonographisch gesteuerte interventionelle Therapie
. Abb. 2.12 Perityphlitischer Abszess im Sonogramm
litiden und als Tuboovarialabszesse. Bei der Therapie der durch einen Abszess komplizierten Sigmadivertikulitis in den Stadien I und II nach Hinchey kann z. B. durch eine interventionelle Abszessdrainage der notfallmäßige operative Eingriff umgangen und, nach einer Drainagedauer von bis zu 12 Tagen, die elektive einzeitige Resektionstherapie erfolgen (Bertram et al. 2002). Beckenabszesse könne auf verschiedenen Routen interventionell angegangen werden. Sonographisch gesteuert stehen transrektale und transvaginale Punktionstechniken zur Verfügung (Ryan et al. 2003), während mittels CT-gesteuerter Technik transgluteale und parakokkygeal-infragluteale Punktionswege gewählt werden können (Men et al. 2002). Enterische Abszesse Enterische Abszesse können als Folge von Appendizitiden (. Abb. 2.12), Sigmadivertikulitiden, Anastomoseninsuffizienzen, perforierten Tumoren oder eines M. Crohn auftreten. Die interventionelle Punktion ist sowohl sonographisch gesteuert als auch CT-gesteuert möglich. In den meisten Fällen stellt die enterische Abszessdrainage eine temporäre bzw. adjuvante Maßnahme im Rahmen der notwendigen chirurgischen Therapie dar (Men et al. 2002). Hier muss an Hand des klinischen Verlaufes und der Befundkonstellation im Einzelfall abgewogen werden, ob die alleinige Drainage ausreichend ist oder ob eine definitive operative Behandlung im Intervall erfolgen soll (. Abb. 2.13). Ergebnisse Je nach Lage und Ätiologie der Befunde wird in der Literatur eine Heilungsrate von 33–100% angegeben. . Tab. 2.10 fasst die Ergebnisse mehrerer klinischer
Studien zur Erfolgsrate der interventionellen Abszessdrainage zusammen. Mehrere Studien an vergleichbaren Patientenkollektiven konnten zeigen, dass die interventionellen Techniken im Vergleich zur operativen Therapie annähernd gleiche Erfolgsraten aufwiesen. Komplikationen Als schwerwiegende Komplikationen im
Rahmen der interventionellen Drainage sind Hohlorganperforationen und Blutungen aus parenchymatösen Organen und Gefäßen zu nennen. Eine Keimverschleppung in benachbarte Kompartimente kann zu Septikämien führen. Die Rate schwerer Komplikationen, die eine chirurgische Therapie nach sich ziehen, ist von der Lokalisation der drainierten Abszesse abhängig und wird mit 1–5% beziffert (Göhl et al. 1999).
. Tab. 2.10 Heilungsraten bei interventioneller Abszessdrainage (Göhl et al. 1999) Abszesslokalisation
Heilungsrate
Postoperative intraperitoneale Abszesse
33–78%
Pyogene Leberabszesse
69–92%
Milzabszesse
50–100%
Abszesse kleines Becken
52–100%
Abszesse mit Verbindung zum Darm
51–84%
Infizierte Pankreaspseudozysten
67–94%
Pankreasabszesse
14–79%
2
32 Kapitel 2 · Interventionelle Sonographie
2
. Abb. 2.13 Drainage eines Abszesses mittels PAD. Darstellung einer Fistel von der Abszesshöhle zum Kolon durch die Gabe von wasserlöslichem Kontrastmittel über den einliegenden Otto-Katheter
2.4
Literatur
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33 2.4 · Literatur
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2
3
Allgemeine radiologische Diagnostik des Magen-DarmTraktes und der Gallenwege einschließlich Computertomographie und Magnetresonanztomographie W. Steinbrich, W. Wiesner
3.1
Allgemeines
– 36
3.2
Abdomenübersichtsaufnahmen
3.3
Ösophagogastrointestinale Kontrastmitteldiagnostik
– 36 – 38
3.3.1 Wahl des Kontrastmittels – 38 3.3.2 Kontrastmittelapplikation – 40 3.3.3 Bilddokumentation – 41
3.4
Computertomographie
– 41
3.4.1 Indikationsstellung – 41 3.4.2 Untersuchungstechnik – 45
3.5
Magnetresonanztomographie
– 49
3.5.1 Indikationsstellung – 49 3.5.2 Magnetresonanzcholangiographie und Magnetresonanzcholangiopankreatikographie – 49
3.6
Angiographie
– 49
3.6.1 Indikationsstellung
3.7
Literatur
– 49
– 50
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_3, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
36
3
Kapitel 3 · Allgemeine radiologische Diagnostik des Magen-Darm-Traktes und der Gallenwege
Die Auswahl geeigneter diagnostischer Verfahren in der präoder postoperativen Abklärung des Gastrointestinaltraktes wird durch die Vielzahl verfügbarer Methoden bereichert, aber auch erschwert. Neben dem diagnostischen Ziel und dem Patientenkomfort spielen heute zunehmend auch ökonomische und im Hinblick auf kurze Liegezeiten auch ablauftechnische Aspekte eine Rolle. Hilfreich erscheint deswegen eine systematische Analyse des Kompetenzspektrums der jeweiligen Methoden im Gesamtzusammenhang der Patientenversorgung. Hinsichtlich der Bewertung der Methoden kann dabei grundsätzlich zwischen Erkenntnissen über funktionelle, oberflächenmorphologische, tiefenmorphologische und Umgebungsveränderungen unterschieden werden.
3.1
Allgemeines
Konventionell radiologische Kontrastmittelverfahren
(Ösophagogramm, Magen-Darm-Passage, Magen-Doppelkontrastdarstellung, Dünndarmdarstellung nach Sellink, Kolon-Mono- oder -Doppelkontrastuntersuchung) sind als oberflächenmorphologische Verfahren mit einigen funktionellen Aspekten, insbesondere der Motilitätsbeurteilung, anzusehen. Auch der Endoskopie bleibt – abgesehen von möglichen Tiefenbiopsien – die Beurteilung tieferer Wandschichten des Gastrointestinaltraktes grundsätzlich verborgen. Gerade die Frage der transmuralen Ausbreitung spielt aber – nicht nur in der Beurteilung von tumorösen Prozessen, sondern auch bei entzündlichen Veränderungen – eine erhebliche Rolle. Entsprechend haben inzwischen Schichtbildtechniken (Sonographie, Computertomographie und Magnetresonanztomographie) einen breiten Eingang in die gastrointestinale Diagnostik gefunden. Die Endosonographie überzeugt dabei mit der besten räumlichen Auflösung. Diese erlaubt als einziges bildgebendes Verfahren die Analyse der Integrität oder Desintegrität einzelner Wandschichten. Allerdings ist ihr eine begrenzte Umgebungssicht durch eine limitierte Eindringtiefe zu eigen. Demgegenüber ist die räumliche Auflösung von Computertomographie (CT) und Magnetresonanztomographie (MRT) begrenzt; diese Verfahren bieten aber eindeutig die beste Gesamtübersicht über das Untersuchungsfeld. Insgesamt gewinnt gerade in chirurgischen Zusammenhängen die Schichtbilddiagnostik sowohl präoperativ als auch hinsichtlich der Beurteilung postoperativer Komplikationen zunehmend an Bedeutung. Entsprechend wird immer häufiger ein oberflächenkompetentes Verfahren (endoskopischer oder radiologischer Natur) in Kombination mit einem Schichtbildverfahren eingesetzt.
3.2
Abdomenübersichtsaufnahmen
Abdomenübersichtsaufnahmen gehören unbestritten ins Routinerepertoire bei der Abklärung des akuten Abdomens und zwar unmittelbar im Anschluss an die klinische Untersuchung (7 Kap. 20). Auch bei unklaren abdominellen Beschwerden können Abdomenübersichtsaufnahmen bereits richtungsweisende Befunde ergeben wenn nach der Regel »stone – bone – gas – mass« systematisch nach pathologischen Verkalkungen, Skelettpathologien, pathologischen Darmgasverteilungen inkl. freier Luft oder etwaigen Raumforderungen oder Fremdkörpern gesucht wird (. Abb. 3.1; Field 1994). Bezüglich Raumforderungen ist als Primäruntersuchung allerdings meist die abdominelle Sonographie vorzuziehen. Es werden in der Regel 2 a.p.-Aufnahmen angefertigt, eine davon stets im horizontalen Strahlengang, sei es im Stehen oder in Linksseitenlage (LSL). Auf der Aufnahme im horizontalen Strahlengang muss unabhängig von der Körperposition immer das Zwerchfell mit abgebildet sein, um hier freie Luft nachweisen zu können (. Abb. 3.1). Der Aufnahme in Linksseitenlage wird nachgesagt, dass sie noch kleinere Luftansammlungen sicher nachweist als die Stehendaufnahme. Allerdings kann die stehende Abdomenübersichtsaufnahme auch von einer stehenden Thoraxaufnahme ergänzt werden, der ebenfalls eine sehr hohe Sensitivität für den Nachweis von freier intraperitonealer Luft bescheinigt wird (Miller et al. 1980). Bei kleinen Mengen freier intraperitonealer Luft grenzt sich hierbei die Luftsichel durch einen schmalen, weichteildichten und vom Zwerchfell gebildeten Streifen von der basalen Lunge ab. Die Aufnahme in LSL wird immer erforderlich bei nicht stehfähigen Patienten. Ergänzend wird stets auch eine a.p. Aufnahme in Rückenlage angefertigt – dies wegen der in Rückenlage etwas anderen Positionierung der Abdominalorgane. Hierdurch können Fehlzuordnungen überblähter Schlingen im Rahmen der Obstruktionsdiagnostik verhindert und Volvulusund Invaginationszustände besser erkannt werden. Bei klinisch eindeutigem akutem Abdomen und initial negativem Röntgenbild hinsichtlich Spiegelbildungen und freier Luft sollte nicht gezögert werden, die Abdomenübersichtsaufnahme im horizontalen Strahlengang kurz bis mittelfristig zu wiederholen, da zum Teil rasche Befundänderungen zu beobachten sind. Besteht allerdings der Verdacht auf eine mesenteriale Ischämie, erscheint heute eher die unmittelbare Durchführung eines Spiral-CT mit zeitgerechter intravenöser KM-Applikation angeraten (. Abb. 3.2).
37 3.2 · Abdomenübersichtsaufnahmen
. Abb. 3.1a–c a Abdomenübersicht sitzend a.p.: Freie subdiaphragmale Luft rechts (Pfeil) nach intestinaler Perforation. b Abdomenübersicht stehend a.p.: Sigmavolvulus mit mechanischem Kolonileus.
c Abdomenübersicht stehend a.p.: »body packer« mit multiplen Kokain-gefüllten Plastikpäckchen im Kolon (Pfeilspitzen)
3
38
Kapitel 3 · Allgemeine radiologische Diagnostik des Magen-Darm-Traktes und der Gallenwege
3
. Abb. 3.2 Computertomographie des Abdomens. Volvulus mit strangulierter Dünndarmschlinge. Beachte die verdickte, venös gestaute und bereits ischämisch geschädigte Darmwand (Pfeile)
3.3
Ösophagogastrointestinale Kontrastmitteldiagnostik
Um bei konventionellen Kontrastmitteluntersuchungen hinsichtlich der Art der Kontrastmittelapplikation, der Wahl des Kontrastmittels (KM) und der Art der Dokumentation der Untersuchungsergebnisse das richtige Vorgehen zu wählen, ist sowohl im präoperativen als auch im postoperativen Management unbedingt eine exakte Definition des Untersuchungsziels erforderlich. Hierzu ist mit der Anmeldung der Untersuchung eine detaillierte Information, bei komplexeren Zustandsbildern auch ein direktes Gespräch zwischen Zuweiser und Untersucher erforderlich. Bei postoperativen Zuständen mit komplexen Anastomosenverhältnissen empfiehlt sich chirurgischerseits zudem die Anfertigung einer Operationsskizze, da diese nicht nur für die Interpretation der radiologischen Befunde, sondern auch für die Vorgehensweise entscheidend sein kann.
3.3.1
Wahl des Kontrastmittels
Bariumsulfat Wegen seiner großen Kontrastdichte und seiner hohen Oberflächenaffinität stellt unverändert Bariumsulfat das KM der Wahl zur differenzierten Beurteilung von Oberflächenprozessen dar (. Abb. 3.3). Es wird dennoch im Umfeld von chirurgischen Eingriffen am Gastrointestinaltrakt immer weniger eingesetzt. Neben den bekannten Kontraindikationen gegen Bariumsulfat bei akuten Zuständen wie Ileus oder Perforation mit der Gefahr des Aus-
tritts von KM in die freie Bauchhöhle und der Entstehung einer Bariumperitonitis spielt dabei auch das Zeitmanagement eine zunehmende Rolle. Der Einsatz von Bariumsulfat erfordert nämlich sowohl hinsichtlich der weiteren Diagnostik (CT) als auch hinsichtlich allfälliger Eingriffe zunächst eine aufwändige Darmreinigung (Henrich 1986). Hierdurch kann das weitere Prozedere um 1–2 Tage verzögert werden. Häufig ist zudem die lokale Situation bereits durch die Endoskopie abgeklärt, sodass KM-Untersuchungen der Hohlorgane präoperativ eher zur Abklärung der Grobanatomie (Länge einer endoskopisch nicht überwindbaren Stenose, Zweittumor etc.) eingesetzt werden als zur Feindiagnostik und deshalb mit wasserlöslichem Kontrastmittel durchgeführt werden können. Weitgehend unbestritten ist der Einsatz von Bariumsulfat in der präoperativen Ösophagusdiagnostik wegen der rascheren Selbstreinigung des Ösophagus und in der Dünndarmdiagnostik (selektive Dünndarmpassage, Enteroklysma nach Sellink), sofern diese Untersuchungen nicht unmittelbar postoperativ erfolgen (Herlinger 1978; Miller et al. 1979). Direkt postoperativ wird Bariumsulfat besonders in Verbindung mit Enteroanastomosen tunlichst vermieden, und sollte – wenn notwendig – erst eingesetzt werden, wenn zuvor mittels wasserlöslichen Kontrastmittel die Dichtigkeit der Anastomose bestätigt werden konnte. Hinsichtlich des Nachweises feinerer Fisteln, ausgehend von Nahtinsuffizienzen nach Ösophagusersatzoperationen gibt es allerdings Hinweise, dass diese mit Bariumsulfat besser erfasst werden. Das Auftreten einer bariuminduzierten Fremdkörpermediastinitis ist nicht zu befürchten, wenn vorgängig ein
39 3.3 · Ösophagogastrointestinale Kontrastmitteldiagnostik
. Abb. 3.3a,b Ösophagographie. a Monokontrastdarstellung eines stenosierenden Ösophaguskarzinoms. b Doppelkontrastdarstellung desselben Befundes mit Bariumsulfat. Beachten Sie die im Doppel-
kontrast deutlich bessere Beurteilbarkeit des Befundes anhand des für Barium typischen Wandbeschlags
breiterer KM-Austritt mit Höhlenbildung durch Applikation eines wasserlöslichen KM ausgeschlossen worden ist. Auch zum Nachweis feinerer Fisteln am Dünn- und Dickdarm im Rahmen von chronisch entzündlichen Erkrankungen (M. Crohn) wird mit Vorteil Bariumsulfat eingesetzt. Bei bekannter oder dringend vermuteter Aspiration sollte auf die Schluckprüfung mittels großer Mengen Bariumsulfat verzichtet werden. Die Untersuchung kann jedoch mit kleinen Mengen Bariumsulfat durchgeführt werden, da dieses bei nur geringer Aspiration mukoziliär wieder aus den oberen Atemwegen entfernt werden kann. Hinsichtlich der differenzierten Analyse des Schluckaktes (sog. differenzierte Schluckpassage), die immer auch mittels Video dokumentiert werden sollte, wird Bariumsulfat in unterschiedlichen Viskositätsstufen, zum Teil untermengt mit Keks oder Brot, appliziert. Auf die Doppelkontrasttechnik des Ösophagus, Magens, und Dickdarms wird hier nicht weiter eingegangen. Sie ist in der radiologischen Literatur ausführlich beschrieben.
Hyperosmolare, wasserlösliche, nichtsterile Kontrastmittel
> Bariumsulfat ist den wasserlöslichen Kontrastmitteln in der Diagnostik des Gastrointestinaltraktes deutlich überlegen, darf aber vor allem frühpostoperativ und vor geplanten Operationen nicht eingesetzt werden (Bariumperitonitis).
Diese werden heute bei der Mehrzahl der prä- und postoperativen KM-Untersuchungen des Gastrointestinaltraktes eingesetzt. Auch sie sollten allerdings bei Aspirationsverdacht vermieden werden, da die Hyperosmolarität dieser Kontrastmittel bei Aspiration zum Lungenödem führen kann. Ebenfalls Folge der Hyperosmolarität ist eine Verdünnung im Dünndarm durch Wasserausscheidung, die insbesondere bei Passagebehinderungen zur Einschränkung des Kontrastes führt (fraktionierte Dünndarmpassage). Dieser wasseranziehenden volumenvermehrenden Wirkung ist die Stimulation der Darmperistaltik zuzuschreiben, die zum Teil auch therapeutisch eingesetzt wird (paralytische Subileuszustände). Vorsicht ist wegen des dabei entstehenden Wasserverlustes allerdings bei dehydrierten Patienten und bei Kindern geboten (Cohen 1987; Laubenberger et al. 1994). Umgekehrt erfolgt bei Passagebehinderungen eine Eindickung im Kolon, was zu erheblichen störenden Artefaktbildungen bei einer nachfolgenden CT führen kann. Insgesamt ist der Oberflächenbeschlag der Schleimhaut des Darmes bei allen wasserlöslichen Kontrastmitteln deutlich schlechter als bei Bariumsulfat, sodass die Feinbeurteilung von Schleimhautulzerationen und Polypenbildungen erheblich eingeschränkt ist. Die Darstellung
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40
Kapitel 3 · Allgemeine radiologische Diagnostik des Magen-Darm-Traktes und der Gallenwege
3
. Abb. 3.4 Monokontrastuntersuchung des Kolons mit wasserlöslichem Kontrastmittel. Großes, der lateralen Wand des Colon descendens breitbasig aufsitzendes villöses Adenokarzinom (Pfeilspitzen). Nebenbefundlich einzelne Kolondivertikel (kleine Pfeile)
. Abb. 3.5 Versuchte Doppelkontrastuntersuchung des Kolons mit wasserlöslichem Kontrastmittel und anschließender Luftinsufflation. Mäßiger Wandbeschlag mit jedoch genügender Darstellung eines ausgeprägten Pflastersteinreliefs (großer Pfeil) bei M.-Crohn-Rezidiv vor einer ileosigmoidalen Anastomose (kleine Pfeile)
erfolgt in Einfachkontrasttechnik (. Abb. 3.4). Am Dickdarm kann durch rektale Gabe von Luft und am Magen durch orale Applikation von CO2-Pulver eine Doppelkontrastdarstellung versucht werden (. Abb. 3.5).
Substanzen und sollten deshalb zurückhaltend eingesetzt werden. Als Indikationen gelten Untersuchungen des Schluckaktes und des Ösophagus bei Patienten mit Verdacht auf Perforation resp. postoperative Anastomoseninsuffizienz und zusätzlichem Verdacht auf ausgeprägte Aspiration. Weiter werden sie mit Vorteil bei der unmittelbar postoperativen Kontrolle von oberen gastrointestinalen Anastomosen z. B. im Rahmen von Ösophagusersatzoperationen eingesetzt, bei denen die peristaltikanregende Wirkung der hochosmolaren Kontrastmittel nicht erwünscht ist (Rubin et al. 1981).
Hyperosmolare wasserlösliche sterile Kontrastmittel Diese werden bevorzugt zur Darstellung natürlicher Gänge, aber auch pathologischer Fisteln und Höhlen mit externem oder endoskopischem Zugang verwendet (ERCP, PTC, T-Drain-Darstellungen, Fistelfüllungen etc.) Wegen ihrer Wasserlöslichkeit werden sie auch bei gegebener Perforation oder Nahtinsuffizienz leicht aus der freien Bauchhöhle oder dem interstitiellen Gewebe resorbiert (Laubenberger et al. 1994).
Isoosmolare wasserlösliche Kontrastmittel Die isoosmolaren wasserlöslichen Kontrastmittel sind deutlich teurer als alle zuvor genannten kontrastgebenden
3.3.2
Kontrastmittelapplikation
Diese ist meist durch das Zielorgan vorgegeben (oral bis Bauhin-Klappe, rektal über Darmrohr ab Bauhin-Klappe). Für die selektive Dünndarmpassage ist die Applikation von verdünntem Bariumsulfat und Methylzellulose zur
41 3.4 · Computertomographie
(Speicherung des jeweils letzten Bildes eines Durchleuchtungsganges) auch strahlendosisreduzierend eingesetzt. Die Dokumentation differenzierterer Befunde setzt allerdings auch heute noch die Anfertigung von optimal eingestellten Einzelaufnahmen voraus. Bei Darstellung im Monokontrast ist dabei generell die Dokumentation in unterschiedlichen Projektionen erforderlich, um die gesamte Zirkumferenz eines Darmabschnittes randständig zu erfassen. Die Mehrebenendarstellung empfiehlt sich insbesondere auch bei komplexen Anastomosenverhältnissen oder Fistelgangsystemen zum besseren Verständnis der Anatomie. Die detaillierte Analyse des Schluckaktes einschließlich der hypopharyngealen KM-Passage setzt eine Videoaufzeichnung mit anschließender Bild-zu-Bild-Analyse voraus, um die sehr raschen Bewegungsabläufe detailliert studieren zu können (Dodds et al. 1989). Auch bei unklaren Passagebehinderungen nach gastrointestinalen Eingriffen (Anastomosenstenosen, Schlingenabknickungen etc.) erfolgt sinnvollerweise eine Videodokumentation, damit diese gemeinsam von Radiologen und Chirurgen ausgewertet werden kann.
. Abb. 3.6 Selektive Dünndarmpassage (Füllung des Dünndarmes mit Bariumsulfat und anschließende Auswaschung mit Methylzellulose). Glatt berandeter, mäßig stenosierender Tumor im Ileum (Pfeile). Die Operation ergab ein Leiomyom
Doppelkontrasttechnik über eine im duodenojejunalen Übergangsbereich platzierte Sonde unbestritten, da die schrittweise Füllung des Dünndarms so wesentlich besser steuerbar ist als bei oraler Applikation (. Abb. 3.6; Maglinte 1994). Fistelfüllungen erfolgen – wenn immer möglich – durch äußere Fistelöffnungen über Knopfsonden, kleine Ballonkatheter oder Mikrokatheter. Eine ausreichende Kontrastierung setzt meist die Blockierung des Rückflusses voraus, was am besten mit feinen Ballonkathetern gelingt. T-Drain-Darstellungen der Gallenwege können mit der Funktionsprüfung des choledochoduodenalen Abflusses kombiniert werden (s. Spezialliteratur).
3.3.3
Bilddokumentation
Digitale Bilddarstellungen haben sich bei allen konven-
tionellen KM-Untersuchungen hinsichtlich der räumlichen Auflösung als ausreichend erwiesen und werden in Zusammenhang mit der »Last-image-hold«-Technik
3.4
Computertomographie
3.4.1
Indikationsstellung
Die Computertomographie stellt unbestrittenermaßen die beste Zusammenhangsuntersuchung des Abdomens dar, und zwar insofern, als hier sowohl Hohlorgane als auch parenchymatöse Organe einschließlich der peritonealen und retroperitonealen Umgebungsstrukturen zuverlässig abgebildet werden. Sie wird – nach einer initialen Sonographie – entsprechend bevorzugt bei allen unklaren abdominellen Zustandsbildern eingesetzt, seien sie akut, subakut oder chronisch. Die gute Zusammenhangsdarstellung wird, sofern es der Allgemeinzustand des Patienten erlaubt mit Vorteil auch beim stumpfen Abdominaltrauma angewendet, weil hier Verletzungen der parenchymatösen Abdominalorgane, Einblutungen in die freie Bauchhöhle oder den Retroperitonealraum und Luftaustritte aus Hohlorganen gleichermaßen gut erfasst werden (. Abb. 3.7; Novelline et al. 1999). Auch bei suggestiver klinischer Symptomatik und entsprechend gezielteren klinischen Fragestellungen kann der Einsatz der Computertomographie sinnvoll sein. Wie die Literatur zeigt, werden auch bei klinisch »klaren« Fällen mit einer akuten abdominellen Symptomatik häufig therapierelevante andere Diagnosen oder Nebenbefunde erhoben. Bei definitiv diagnostizierter Erkrankung liegt der Wert der Computertomographie eher in Zusatzinforma-
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42
Kapitel 3 · Allgemeine radiologische Diagnostik des Magen-Darm-Traktes und der Gallenwege
3
. Abb. 3.7 Computertomographie des Oberbauches. Innerhalb der kontrastierten Leber hypodens zur Darstellung kommende Einblu-
tungen nach posttraumatischer Leberruptur (Pfeile). Intraperitoneale Einblutung mit freier Flüssigkeit um die Milz und Leber (Pfeilspitzen)
. Abb. 3.8 Computertomographie des Oberbauches. Schwere exsudative Pankreatitis mit ausgeprägten peripankreatischen Flüssigkeitskollektionen (Pfeile)
tionen, die meist den Schweregrad, die Ausbreitung und/ oder allfällige Komplikationen betreffen, z. B. akute Pankreatitis (. Abb. 3.8; Freeny 1994). Die Kompetenz des Verfahrens hinsichtlich des Nachweises fokaler Leber- oder Milzläsionen ist hinlänglich bekannt und auch das Pankreas wird einschließlich Umgebungsstrukturen zuverlässig abgebildet (. Abb. 3.9). Der Nachweis und die Beurteilungen von Pathologien an den Hohlorganen ist demgegenüber weit schwieriger und setzt
zum Teil eine differenzierte Untersuchungstechnik voraus (z. B. Kontrastmittelfüllung). Dennoch wird das Verfahren zunehmend auch bei akut und chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (Appendizitis, Divertikulitis, M. Crohn) zur Ausdehnungsbestimmung und zum Komplikationennachweis (Abszesse, Blutungen, Ileus etc.) eingesetzt (. Abb. 3.10 bis . Abb. 3.12; Novelline et al. 1999; Rao 1999). Auch die peritoneale Ausbreitung von entzündlichen oder neoplastischen Prozessen einschließlich des Nach-
43 3.4 · Computertomographie
. Abb. 3.9 Computertomographie des Unterbauches. Perityphilitischer Abszess nach perforierter Appendizitis (Pfeilspitzen)
. Abb. 3.10 Computertomographie des Unterbauches. Akute perforierte Sigmadivertikulitis mit verdickter und stark KM anrei-
chernder Wand (Pfeile) und riesigem intraperitonealen Abszess mit Luft-Flüssigkeitsspiegel (Pfeilspitzen)
weises von Abszessen gelingt bei ausreichender Darmkontrastierung übersichtlich. In vielen Fällen bietet sich gerade bei großen perityphilitischen oder peridivertikulitischen Abszessen die präoperative CT-gesteuerte Punktion und Abszessdrainage an (. Abb. 3.11 und . Abb. 3.12; Forstner et al. 1995). Bei Einsatz der Spiraltechnik und gutem Timing des KM-Bolus können embolische Verschlüsse an den zentralen Abschnitten der Intestinal- und Nierenarterien aber auch thrombotische Läsionen im venösen System mit
hoher Zuverlässigkeit nachgewiesen werden. Die Beurteilung von Gallenblasenerkrankungen erfolgt mit der Sonographie und auch bei Gallenwegserkrankungen ist die CT nicht als Verfahren der Wahl zu betrachten. > Der Indikationsbereich der Computertomographie hat sich in den letzten Jahren durch die Einführung der Mehrzeilenspiraltechnik nochmals erweitert (3D-Rekonstruktion, Gefäße, Darm).
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44
Kapitel 3 · Allgemeine radiologische Diagnostik des Magen-Darm-Traktes und der Gallenwege
3
a
b . Abb. 3.11a,b Computertomographie des Unterbauches. a Großer intraperitonealer Abszess (Pfeilspitzen) mit kleinem Lufteinschluss (Pfeil) bei Status nach Appendicitis perforata. b Vollständige Regredi-
enz des Abszesses nach CT-gesteuerter Punktion und Einlage eines Pigtail-Katheters innerhalb von 7 Tagen
Die Möglichkeit, in einem Durchgang gleich mehrere Schichten aufzunehmen, hat nicht nur zu einer weiteren wesentlichen Beschleunigung der Messungen geführt, sondern ermöglicht gleichzeitig die Rekonstuktion sehr dünner Schichten. Hierdurch werden heute bei der Mehrzahl der Untersuchungen isotrope 3D-Datensätze erstellt, die in allen 3 Raumrichtungen eine ausgezeichnete räumliche Auflösung bieten. Hiervon profitiert vor allem die Diagnostik tubulärer Strukturen wie Gefäße und Darm die einerseits in Schnittbildern in beliebiger Richtung rekonstruiert als auch als 3D-Ansicht betrachtet werden können (Vogl et al. 2002). Letzteres Verfahren hat sich in Form der CT-Angiographie auch für die abdominelle Aorta und die Viszeralarterien bewährt (. Abb. 3.13; Wintersperger et al. 2004).
Neuerdings ist zudem die Erstellung von 3D-Datensätzen des Kolons nach negativer Kontrastierung mit endoluminaler Rekonstruktion als CT-Kolonographie (. Abb. 3.14a) zum Nachweis endoluminaler Pathologien beschrieben worden (Gluecker u. Fletcher 2002). Bereits weitgehend durchgesetzt hat sich das CT-Enteroklysma zur Dünndarmdiagnostik (. Abb. 3.14b), das damit das konventionelle Enteroklysma unter Durchleuchtung verdrängt. Auf die Fähigkeit der Computertomographie über Dichtewertmessungen und über die räumliche und zeitliche Analyse von Kontrastmittelanreicherungen eine spezifische Diagnose zu stellen sei hier nur am Rande hingewiesen. Hierauf wird in den organbezogenen Kapiteln noch eingegangen.
45 3.4 · Computertomographie
a
b . Abb. 3.12a,b Computertomographie des Oberbauches. a Knotige Durchsetzung des Omentum majus im Sinne eines »omental cake« (Pfeile) sowie reichlich maligner Aszites (Pfeilspitzen). b Diffuse und
3.4.2
Untersuchungstechnik
Die heute üblichen schnellen Spiral-CT-Scanner ermöglichen optimale Untersuchungsergebnisse auch bei stärker kompromittierten Patienten besonders auch bei respiratorischer Insuffizienz. Das Untersuchungsergebnis wird deshalb heute mehr von der Untersuchungsstrategie beeinflusst, als durch Artefakte eingeschränkt. Wichtig ist dabei vor allem die Abstimmung der Kontrastmittelapplikation auf den Zeitablauf und die speziell interessierende Region. Die orale Applikation einer größeren Menge stark verdünnten wasserlöslichen Kontrastmittels gehört bis auf ausgeprägte Ileuszustände zur allgemeinen Routine der CT. Das KM soll dabei gleichmäßig fraktioniert über
homogene karzinomatöse Verdickung des gesamten Peritoneums (Pfeilspitzen)
60 min verabreicht werden, um eine kontinuierliche Kontrastierung aller Darmabschnitte zu gewährleisten. Bei bekannten subtotalen Obstruktionen oder paralytischem Subileus ist eine entsprechend verlängerte Transitzeit zu berücksichtigen. Da bei stationären Patienten die orale KM-Applikation in der Regel auf den Stationen vorgenommen wird, kommt hier dem Pflegepersonal eine erhebliche Mitverantwortung für das Untersuchungsergebnis zu. Bei ausgeprägten Ileusbildern ist der Darm meist erheblich mit Flüssigkeit gefüllt. Da in diesen Situationen ohnehin keine ausreichende KM-Verteilung zu erwarten ist, empfiehlt sich der Verzicht auf die orale Kontrastmittelgabe. Dies hat außerdem noch den positiven Effekt, dass KM-Anreicherungen eines i.v. applizierten Kontrastmittels im Bereich
3
46
Kapitel 3 · Allgemeine radiologische Diagnostik des Magen-Darm-Traktes und der Gallenwege
3
a
b . Abb. 3.13a,b Multidetektor-Computertomographie: 3D-CTAngiographie. a Koronare Übersicht: A. mesenterica superior mit ihren Seitenästen. b Kräftige Riolan-Arkade bei Abgangsverschluss
der A. mesenterica superior und Kollateralversorgung aus der A. mesenterica inferior
verdickter Darmwände so besser nachgewiesen werden können (. Abb. 3.15). Bei gezielten Ösophagusuntersuchungen empfiehlt sich die Markierung der Ösophagusinnenwand mit einem hochviskösen, besser haftenden Kontrastmittel. Bei Kombination mit einer Oberbauch- oder gesamten Abdominaluntersuchung muss zusätzlich der Darm wie oben beschrieben markiert werden. Bei bekannten oder vermuteten Beckenprozessen wird zudem das Rektum, Colon sigmoideum und Colon des-
cendens mit verdünntem wasserlöslichen Kontrastmittel von rektal her gefüllt. Die KM-Menge sollte dabei so bemessen sein, dass der Anschluss an die Oralpassage etwa im Bereich der linken Kolonflexur erreicht wird (ca. 200 ml). Die forcierte intravenöse Kontrastmittelapplikation gehört ebenfalls zum Standard abdomineller CT-Untersuchungen. Wegen der Schnelligkeit moderner CT-Anlagen können unterschiedliche Phasen der KM-Zirkulation analysiert werden, wobei der gezielte Einsatz eine präzise Fragestellung voraussetzt. Nativstudien werden für den
47 3.4 · Computertomographie
a . Abb. 3.14a,b Multidetektor-Computertomographie: a CT-Kolonographie mit dreidimensionaler Rekonstruktion und »endoskopischer Ansicht« eines Kolonpolypen. b CT-Enteroklysma in koronarer Rekonstruktion mit Darstellung einer Wandverdickung des terminalen Ileums bei M. Crohn
b
. Abb. 3.15 Computertomographie des Unterbauches. Stenosierendes Sigmakarzinom. Kurzstreckige hochgradig stenosierende, zir-
kumferenzielle und lobulierte Wandverdickung des mittleren Sigmas mit starker KM-Anreicherung und prästenotischer Dilatation (Pfeil)
Nachweis von Verkalkungen und Konkrementen (Pankreas, Niere) sowie für den Nachweis von Frischblut resp. frischen Hämorrhagien benötigt. Auch Fremdkörper können dabei unter Umständen am besten identifiziert werden (Kalovidouris et al. 1999). Die sog. arterielle Phase wird mit Vorteil zur Untersuchung der Leber, des Pankreas, der Nieren, aber auch
entzündlicher Konglomerate, eingesetzt (Tabuchi et al. 1999). Sie erlaubt bei sorgfältiger Bildanalyse auch den Nachweis embolischer Verschlüsse der zentralen Abschnitte der intestinalen Arterien. In der portalen Phase (KM-Rückstrom aus der Vena lienalis und Vena mesenterica superior in die Pfortader) werden hingegen fokale Leberläsionen bevorzugt erfasst und gewisse Pathologien,
3
48
Kapitel 3 · Allgemeine radiologische Diagnostik des Magen-Darm-Traktes und der Gallenwege
3
. Abb. 3.16a,b Magnetresonanztomographie der Nieren. 2 Angiomyolipome (Pfeile) mit fettäquivalentem Signal auf den T1-gewichteten, nicht fettgesättigten Spinechosequenzen (a) und eindeutiger
Unterdrückung des Signals nach Fettsättigung auf den T2-gewichteten schnellen Spinechosequenzen (b)
wie z. B. Verschlüsse der mesenterialen Venen nachgewiesen (Yun et al. 1999). Spätaufnahmen (Steady State der KM-Verteilung zwischen intravasalem und interstitiellem Raum) sind zur Beurteilung von Hämangiomen der Leber hilfreich (Freeny et al. 1986). Die bei normaler Nierenfunktion in dieser Phase bereits kräftige KM-Anreicherung im Nierenbecken, den Ureteren und der Harnblase ermöglicht die begleitende Beurteilung der ableitenden Harnwege. Der Einsatz der Mehrzeilenspiralcomputertomographie (Multidetektor-Computertomographie) ermöglicht
die kontrastdynamische Untersuchung ganzer Körperabschnitte. Zudem ist die interaktive dreidimensionale Analyse der generierten isotropen 3D-Datensätze auf modernen Workstations bereits zum Standard geworden. Dies hat vor allem die Analyse von Gefäßen und Darmstrukturen erheblich verbessert. Eine differenziert Darmdiagnostik setzt aber auch hier eine Aufweitung des Darmlumens und eine Kontrastierung voraus. Am Dickdarm erfolgt diese überwiegend durch rektale Luftinsufflation z. B. in Form der CT-Kolonographie (. Abb. 3.14), am Dünndarm durch Applikation eines Gemisches aus was-
49 3.6 · Angiographie
serlöslichem Kontrastmittel und Methylzellulose über eine Dünndarmsonde in Form des »CT-Entroklysmas«.
3.5
Magnetresonanztomographie
3.5.1
Indikationsstellung
Die Magnetresonanztomographie (MRT) beschränkt sich in der abdominellen Diagnostik auf einige Spezialindikationen. Der hohe Weichteilkontrast des Verfahrens an den parenchymatösen Oberbauchorganen (Leber, Nieren und Milz) und die Möglichkeit der MRT mittels verschiedener Sequenzen gewisse Substanzen wie Blut, Wasser, Fett (. Abb. 3.16) und Eisen (Hämosiderin) eindeutig zu identifizieren verleihen dieser Methode vor allem in der Beurteilung von fokalen Leber-, Nieren- und Nebennierenläsionen aber auch in der Verlaufsbeurteilung der Eisenüberladung von Leber, Milz und Pankreas bei Patienten mit Hämochromatose eine hohe Aussagekraft (Stark 1988). Der bisherige gegenüber der Computertomographie immer wieder angeführte Vorteil der Magnetresonanztomographie zur multiplanaren Bildgebung ist mit den Möglichkeiten der Multidetektor-CT, standardmäßig isotrope 3D-Datensätze zu erstellen, hinfällig geworden. Zur Gefäßdiagnostik hat sich im Abdomen – im Gegensatz zum Gehirn – die Magnetresonanzangiographie nicht durchgesetzt. Die sehr schnellen Mehrzeilen-CT erlauben meist artefaktfreiere Bilder mit einer zudem besseren räumlichen Auflösung (. Abb. 3.13). Weiterhin gelingt die in chirurgischen Zusammenhängen so wichtige Darstellung pathologischer Blutansammlungen, Abszessformationen und extraintestinaler Gasausbreitungen deutlich besser mit der Computertomographie.
3.5.2
Magnetresonanzcholangiographie und Magnetresonanzcholangiopankreatikographie
Als Spezialindikation im Rahmen des hier zu behandelnden Themenkreises ist die magnetresonanztomographische Darstellung der Gallenwege und des Pankreasganges – die sog. Magnetresonanzcholangiographie (MRC) oder auch Magnetresonanzcholangiopankreatikographie (MRCP) zu erwähnen (. Abb. 3.17). Mittels Spezialsequenzen gelingt dabei die signalreiche Darstellung von Flüssigkeit (in den Gängen) bei gleichzeitiger Signalunterdrückung im umgebenden Gewebe (Coakley u. Schwartz 1999). Die so ausschließlich flüssigkeitshaltige Hohlräume darstellenden Schichtbilder werden sekundär zu einem Summationsbild der Oberbauchregion verarbeitet, das aus unterschiedlichen Richtungen angesehen werden kann, da
. Abb. 3.17 MRCP. Normale intrahepatische Gallenwege (kleine Pfeile) und nicht dilatierter Ductus choledochus (große Pfeile). Schlanker Ductus pancreaticus (Pfeilspitzen)
es sich um einen echten 3D-Datensatz handelt (MIP-Rekonstruktion). > Die MRCP vermag inzwischen die rein diagnostische ERCP sowohl beim Nachweis von Gangstenosen als auch Gallengangkonkrementen im Bereich der zentralen Gänge abzulösen. Allerdings bietet es bisher keine Möglichkeiten, interaktiv eine Intervention (z. B. eine Steinextraktion oder eine Gallenwegsdrainage) durchzuführen, sodass in diesen Fällen die ERCP ihre Bedeutung behalten wird.
3.6
Angiographie
3.6.1
Indikationsstellung
Der Einsatz der arteriellen Katheterangiographie beschränkt sich im hier darzustellenden Themenkreis inzwischen weitgehend auf den Nachweis endoskopisch unklarer intestinaler oder posttraumatischer Blutungen. Mit immer feineren Kathetersystemen ist es bei den intestinalen Blutungen Standard geworden, die einzelnen Darmabschnitte selektiv und superselektiv darzustellen und damit auch kleine blutende Angiome oder Angiodysplasien nachzuweisen (. Abb. 3.18; Wetzel et al. 1986).
3
50
Kapitel 3 · Allgemeine radiologische Diagnostik des Magen-Darm-Traktes und der Gallenwege
3
. Abb. 3.18 Digitale Subtraktionsangiographie nach selektiver Sondierung der Arteria mesenterica superior. Nachweis einer intestinalen Blutung aus einem kleinen Angiom/Angiodysplasie im Bereich der rechten Kolonflexur (Pfeil)
Sistierte Blutungen aus nichtangiomatösen Läsionen wie Ulzerationen oder Divertikeln lassen sich allerdings auch bei diesem differenzierten Vorgehen nicht fassen. Eine weitere Indikation ist der Nachweis peripherer embolischer Gefäßverschlüsse an den Intestinalarterien, soweit diese nicht mit der Spiral-CT identifiziert wer-
den können. Die präoperative Diagnostik der Gefäßanatomie besonders vor Leberteilresektionen kann ebenso wie der Nachweis von Stenosen an den Intestinalarterien im Rahmen einer Angina abdominalis bei geeigneter technischer Ausstattung inzwischen zuverlässig mit der CT-Angiographie durchgeführt werden (. Abb. 3.13). Auf die im Rahmen der Katheterangiographie möglichen Interventionen wird 7 Kap. 4 noch ausführlich eingegangen. 3.7
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4
Radiologische Interventionen im Gastrointestinaltrakt A.H. Mahnken, K. Schnabel
4.1
Interventionelle Therapie gastrointestinaler Blutungen
4.2
Interventionelle Therapie der gastrointestinalen Ischämie
4.2.1 Akute mesenteriale Ischämie – 54 4.2.2 Chronische mesenteriale Ischämie – 56
4.3
Interventionelle Therapie der Pfortaderthrombose und -stenose – 56
4.4
Interventionelle Therapie gastrointestinaler Passagestörungen – 57
4.4.1 4.4.2 4.4.3 4.4.4
Perkutane Gastrostomie und Gastrojejunostomie Perkutane Jejunostomie – 59 Perkutane Zäkostomie – 59 Stenteinlage – 60
4.5
Literatur
– 57
– 61
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
– 53 – 54
52
4
Kapitel 4 · Radiologische Interventionen im Gastrointestinaltrakt
Mittels CT, MRT und Fluoroskopie gesteuerte Interventionen ermöglichen es alle Regionen des Gastrointestinaltraktes (GIT) zu erreichen. Damit steht eine große Bandbreite diagnostischer und therapeutischer Interventionen zur Verfügung. Neben Biopsie und Drainage von mittels Ultraschall nicht erreichbarer Regionen (7 Kap. 2) ist die Therapie der portal-venösen Hypertension und ihrer Komplikationen mittels transjugulärem portosystemischem Stent-Shunt (TIPSS) und ballonokkludierter retrograder transvenöser Obliteration (BRTO) eine Domäne der interventionellen Radiologie (7 Kap. 38.2). Ebenso ermöglicht die interventionelle Radiologie mit bildgesteuerten Techniken in Ergänzung zur endoskopischen Therapie den sicheren perkutanen Zugang zu den Gallenwegen mit den Optionen der Steintherapie, Rekanalisierung und der temporären und dauerhaften Ableitung nach intern als auch nach extern (7 Kap. 36.4). Eine zentrale Rolle nimmt die interventionelle Radiologie in der Diagnostik und Behandlung gastrointestinaler Blutungen und bei der gastrointestinalen Ischämie ein. Interventioneller Gefäßverschluss als auch die gezielte Rekanalisation des arteriellen sowie des portal-venösen Systems er-
Vaskuläre Interventionen im Gastrointestinaltrakt 4 GIT-Blutung – Intestinale und viszerale Embolisation – Implantation von Stent-Grafts 4 Mesenteriale Ischämie – Arteriell – Ballon- und Stentangioplastie der Viszeralgefäße – Thrombolyse der Viszeralgefäße – Viszerale Aspirationsthrombektomie – Venös – Transarterielle und transhepatische Thrombolyse – Transhepatische Thrombusfragmentation und Thrombektomie 4 Portale Hypertension – Ballonokkludierte retrograde transvenöse Obliteration (BRTO) – Transjugulärer portosystemischer Stent-Shunt (TIPSS) – Transhepatische Embolisation (z. B.Ösophagusoder Fundusvarizen) – Pfortaderthrombolyse und -thrombektomie – Ballon- und Stentangioplastie der Pfortader – Milzarterien(teil)embolisation – Transjuguläre portale Wedgedruckmessung – Pfortaderembolisation 4 Transjuguläre Leberbiopsie
weitern in Ergänzung zu chirurgischen und endoskopischen Maßnahmen den therapeutischen Handlungsspielraum. Erhaltung bzw. Wiederherstellung der enteralen Ernährung sind Schlüsselaufgaben in der Therapie des GIT. Die bildgesteuerte perkutane Gastro- bzw. Enterostomie stellt neben dem endoskopischen und dem chirurgischen Zugang eine einfache und zuverlässige Methode zur künstlichen Ernährung dar. Rasche Entlastung des Kolons bei drohender Perforation bietet die perkutane Zäkostomie als Reservemaßnahme nach dem erfolglosen Versuch einer endoskopischen Entlastung und bei Vorliegen einer absoluten Kontraindikation für eine chirurgische Maßnahme. Die gastrointestinale Stent-Therapie ist geeignet die Passage im oberen (7 Kap. 9.8) und unteren Gastrointestinaltrakt rasch wiederherzustellen und kann damit sowohl den Weg für eine einzeitige chirurgische Resektion ohne vorherige Stomaanlage ebnen, als auch als dauerhafte palliative Behandlungsoption eingesetzt werden. Im folgenden Kapitel werden ausgewählte radiologische Interventionen im GIT dargestellt. Die folgende Aufstellung gibt einen umfassenden Überblick über die Möglichkeiten der interventionellen Radiologie im GIT.
Nicht-vaskuläre Interventionen im Gastrointestinaltrakt: 4 Gallenwegsobstruktion – Perkutane transhepatische Cholangiodrainage (PTCD) – Perkutane Cholezystostomie – Perkutane Stenteinlage in die Gallenwege – Perkutane Gallensteinentfernung 4 Passagestörungen des Gastrointestinaltraktes – Ösophageale Stenteinlage – Gastroduodenale Stenteinlage – Kolonische Stenteinlage – Ballondilatation des oberen/unteren Gastrointestinaltraktes – Perkutane Zäkostomie 4 Ernährung – Perkutan radiologische Gastrostomie (PRG) – Perkutane Gastrojejunostomie – Perkutane Jejunostomie 4 Therapie von intestinalen und viszeralen Flüssigkeitsverhalten – CT-/(MR)-gesteuerte perkutane Drainageanlage – CT-gesteuerte perkutan-transgastrische Drainageanlage 4 Perkutane CT-/MR-gesteuerte Biopsie
53 4.1 · Interventionelle Therapie gastrointestinaler Blutungen
4.1
Interventionelle Therapie gastrointestinaler Blutungen
Die Frequenz der akuten oberen gastrointestinalen Blutung liegt zwischen 40–170/100.000 (van Leerdam 2008). Die häufigsten Ursachen sind peptische Ulzera (40–60%), Ösophagusvarizen (5–15%), Mukosaerosionen, MalloryWeiss-Syndrom und Malignome des oberen GIT (Vreeburg et al. 1997; Longstreth 1995). Andere Entitäten wie z. B. Pseudoaneurysmen unterschiedlicher Ätiologie oder Arrosionsblutungen nach gastrointestinaler Stenteinlage sind selten. Die häufigsten Ursachen der unteren gastrointestinalen Blutung sind Divertikelblutung (20–40%), Angiodysplasien, Kolitis und Tumoren (Zuccaro 1998). Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass auch Erkrankungen des oberen GIT die Hämatochezie als Leitsymptom der unteren gastrointestinalen Blutung hervorrufen können und der peranale Blutabgang sich u. a. aufgrund des Volumens des Kolons noch lange nach Sistieren der Blutung fortsetzen kann. Sowohl im oberen als auch im unteren GIT stehen endoskopische Maßnahmen im Vordergrund der Blutstillung. Die angiographische Intervention ist dieser nachgeschaltet. Besonderer Vorteil der Angiographie ist die Tatsache, dass keine Vorbereitung des Darms erforderlich ist. Die chirurgische Therapie bleibt Einzelfällen nach Versagen endoskopischer und interventioneller Maßnahmen vorbehalten. Voraussetzung für eine erfolgreiche Embolisationstherapie ist der Nachweis der Blutungsquelle. Für den direkten angiographischen Nachweis einer Blutung ist ein Blutverlust von etwa 0,5 ml/min notwendig. Die Verwendung von CO2 als Kontrastmittel erhöht die Sensitivität der angiographischen Blutungssuche. Daneben existieren eine Reihe indirekter Zeichen für die Identifikation einer Blutungsquelle, die jedoch weniger spezifisch sind. Sowohl im oberen als auch im unteren GIT sind ein Blutdruck <100 mmHg und eine Pulsfrequenz >100 bpm mit dem erfolgreichen direkten Nachweis einer Blutungsquelle assoziiert, so dass die angiographische Blutungssuche und Intervention auch bei hämodynamisch instabilen Patienten begonnen werden sollte (Nicholson et al. 1998). Notwendige Reanimationsmaßnahmen können parallel zur Intervention weiterlaufen. Die üblichen Interventionsrisiken wie Nachblutung an der Punktionsstelle, Kontrastmittelallergie und Niereninsuffizienz müssen gegen die akute klinische Bedrohung des Patienten abgewogen werden. Absolute Kontraindikationen für die angiographische Blutungssuche und interventionelle Therapie existieren nicht.
! Cave ! Die angiographische Blutungssuche und Intervention sollte auch bei hämodynamisch instabilen Patienten begonnen, da ein Blutdruck <100 mmHg und eine Pulsfrequenz >100 bpm sowie der Verbrauch von Erythrozytenkonzentraten mit dem direkten Nachweis einer Blutungsquelle assoziiert ist.
Der Eingriff erfolgt in Lokalanästhesie typischerweise über einen femoralen Zugang, jedoch ist auch der transbrachiale Zugang möglich. In Abhängigkeit von der vermuteten Blutungslokalisation werden Truncus coeliacus sowie Aa. mesentericae superior et inferior sequenziell katheterisiert. Die Darstellung der Gefäße sollte mittels maschineller Kontrastmittelinjektion erfolgen, um eine möglichst optimale Kontrastierung der Gefäße zu erreichen. Bei fehlendem Blutungsnachweis wird die superselektive Angiographie der einzelnen Darmabschnitte bzw. der einzelnen Äste des Truncus coeliacus mittels Mikrokatheters empfohlen. Insbesondere mesenterial kann eine CT mit Kontrastmittelgabe über den arteriellen Katheter die Sensitivität der Blutungsdetektion verbessern (Schürmann et al. 2002). Nach Identifikation der Blutungsquelle wird diese embolisiert. Hierzu stehen verschiedene Metallspiralen, Partikel oder Flüssigembolisate zur Verfügung. Für den klinischen Erfolg ist es notwendig mit dem Katheter so nah wie möglich an die Blutungsquelle heranzugehen. Bei Partikeln und Flüssigembolisaten kann es in durchschnittlich 21% (5–70%) zur lokalen Darmischämie kommen. Während sich die lokale Ischämie nach einer Embolisation zumeist in Form nicht therapiepflichtiger Flecken ischämischer Mukosa äußert, erfordert diese Therapie in 6% eine ergänzende chirurgische Therapie. Die Identifikation einer Blutungsquelle hängt von der Stärke der Blutung ab. Zumeist werden Sensitivitäten um 60% berichtet (Hastings 2000), es gelingt jedoch in bis 84% der Fälle die Blutungsquelle zu erkennen sofern mehr als 5 Erythrozytenkonzentrate verbraucht wurden (Abbas et al. 2005). Die klinische Erfolgsrate der Embolisationstherapie beträgt 71–100% für den unteren (Peck et al. 1998; Guy et al. 1992; Kuo et al. 2003) und 62–100% für den oberen GIT (Drooz et al. 1907) sofern eine Blutungsquelle identifiziert wurde (. Abb. 4.1). Bei Therapieversagen oder fehlendem Nachweis einer Blutungsquelle kann die intraarterielle Gabe von Vasopressin (0,2–0,4 iE/min) über 12–48 h als Reservemaßnahme erwogen werden. Hier werden Erfolgsraten von bis zu 100% berichtet, jedoch sind hier, im Gegensatz zur Embolisationstherapie, Rezidivblutungen in bis zu 27% der Fälle beschrieben (Hastings 2000). Die Embolisationstherapie ist darüber hinaus auch bei Blutungen der soliden Organe wie Leber oder Milz effektiv und sollte hier frühzeitig in die therapeutischen Entscheidungen einbezogen werden.
4
54
Kapitel 4 · Radiologische Interventionen im Gastrointestinaltrakt
4
a
b
. Abb. 4.1a–c Der 63-jährige Patient litt unter rezidivierenden, transfusionspflichtigen Blutungen aus dem oberen GIT. Die selektive Angiographie (a) eines Seitenastes der A. colica sinistra zeigt eine Angiodysplasie (offener Pfeil) sowie einen endoskopischen Clip im Kolon (kleiner Pfeil) nach frustranem endoskopischen Therapieversuch. Die Angiodysplasie konnte superselektiv mit einem Mikrokatheter aufgesucht (b) und embolisiert werden. Das Ergebnis zeigt das pathologische Gefäß vollständig ausgeschaltet (c). Die Embolisationsspiralen sind ebenfalls sichtbar
c
4.2
Interventionelle Therapie der gastrointestinalen Ischämie
4.2.1
Akute mesenteriale Ischämie
Die akute mesenteriale Ischämie ist ein vital bedrohlicher Notfall, der über eine plötzliche Reduktion des intestinalen Blutflusses zu einer akuten Darmischämie mit entsprechender Darmnekrose führt. Anders als bei der chronischen mesenterialen Ischämie besteht hier keine Zeit für die Ausbildung geeigneter Kollateralkreisläufe. In der Regel ist die A. mesenterica superior das betroffene Gefäß. Erheblich seltener ist die A. mesenterica inferior betroffen.
Die häufigsten Ursachen sind arterielle Embolien (40– 50%), arterielle Thrombosen (20–30%), venöse Thrombosen (5–18%) und als die nicht-okklusive mesenteriale Ischämie (20–30%). Insgesamt ist das Krankheitsbild der akuten mesenterialen Ischämie selten. Es macht etwa 1% der abdominellen Notfälle aus und wurde in 0,38% aller Laparatomien bei akutem Abdomen als Krankheitsursache gefunden (Oldenburg et al. 2004). Als relevante Sonderform ist die nicht-okklusive mesenteriale Ischämie (NOMI) zu nennen, die aufgrund ihrer abweichenden Ätiologie ein anderes therapeutisches Vorgehen erfordert. Sie beruht auf einer schweren, prolongierten viszeralen Vasokonstriktion wie sie typischerweise bei
55 4.2 · Interventionelle Therapie der gastrointestinalen Ischämie
schweren Systemerkrankungen mit Kreislaufinsuffizienz und Schock zu finden ist. Ursächlich ist also nicht eine Gefäßokklusion, sondern ein prolongiert reduzierter Perfusionsdruck. Diese Form der mesenterialen Ischämie kommt außerdem nach Medikamenten- und Drogenintoxikation mit Kokain, Digitalis, Dopamin oder Ergotaminpräparaten vor. Die Diagnostik beruht neben dem klinischen Erscheinungsbild und den typischen Laborunterveränderungen mit Lakatazidose und erhöhtem Serum Laktat v. a. auf der Bildgebung mittels kontrastangehobener CT und seltener MRT. Die Katheterangiographie ist nach wie vor als diagnostischer Goldstandard anzusehen und die einzige Methode die NOMI zuverlässig zu diagnostizieren. > Die invasive Katheterangiographie ist die einzige Methode, die nicht-okklusive mesenteriale Ischämie zuverlässig zu diagnostizieren. a
Bei der akuten mesenterialen Ischämie sind aufgrund des erhöhten Risikos, eine Peritonitis zu entwickeln, frühzeitig Antibiotika einzusetzen. Bei Zeichen der Peritonitis ist die Laparatomie indiziert. Die interventionelle Therapie ist bei allen Patienten ohne Peritonismus indiziert. Besonders in der Frühphase der Erkrankung ist die interventionelle Therapie effektiv. Hierbei ist zu beachten, dass auch vor einer potenziellen Resektion ischämisch geschädigter Darmabschnitte die Perfusion wiederherzustellen ist, da nur so eine zuverlässige Abgrenzung der wirklich irreversibel geschädigten Darmabschnitte möglich ist. Die interventionellen Therapieoptionen umfassen Aspirationsthrombektomie, intraarterielle Katheterlyse und die intraarterielle Gabe von Vasodilatatoren. Letztere sollte auch als Erstlinientherapie bei NOMI erwogen werden. In Einzelfällen kann die Stentangioplastie zum Einsatz kommen. Zur intraarteriellen Lysetherapie wird bevorzugt »recombinant tisse plasminogen activator« (rtPA) eingesetzt. Ein mögliches Regime ist die intraarterielle Gabe von 5–20 mg rtPA in direktem Kontakt zum Thrombus gefolgt von einer intraarteriellen Dauerinfusion von 1 mg rtPA/h mit regelmäßigen angiographischen Kontrollen. Hierbei kommen spezielle Lysekatheter mit Seitlöchern zum Einsatz, die direkt im Thrombus platziert werden. Zur Vasodilatation wird ein Katheter in der proximalen A. mesenterica superior platziert und typischerweise ein Bolus von 20 μg Alprostadil gefolgt 60 μg/Tag Alprostadil für bis zu drei Tagen infundiert. Alternativ können auch Papaverin oder Tolazolin zur Vasodilatation eingesetzt werden. Die Ergebnisse der Lysetherapie sind günstig, wobei thrombotische Verschlüsse schlechter als embolische Verschlüsse auf eine Lysetherapie ansprechen (Boyer et al. 1994). Die Erfolgsraten der Lysetherapie liegen zwischen
b . Abb. 4.2a,b Die 43-jährige Patientin wurde mit der Symptomatik eines akuten Abdomens ohne Zeichen des Peritonismus aufgenommen. Bei laborchemischer Laktatazidose wurde sonographisch ein proximaler Verschluss der A. mesenterica superior diagnostiziert. Die selektive Angiographie zeigt die A. mesenterica superior proximal durch einen Thrombus (Pfeile) verschlossen (a). Das Kontrastmittel fließt retrograd über die anteriore und posteriore pankreatikoduodenale Arkade in das Stromgebiet des Truncus coeliacus ab. 48 h nach Einleitung einer lokalen Lysetherapie mittels rtPA ist die A. mesenterica superior wieder vollständig rekanalisiert mit regelrechter Kontrastierung der den Darm versorgenden Gefäße (b)
70–90% (Simó et al. 1997), wobei diese Angaben jedoch auf kleinen Fallserien von bis zu 10 Patienten beruhen (. Abb. 4.2). Die Ergebnisse der interventionellen Therapie der NOMI sind ungünstiger mit einer Mortalität von bis zu 30% (Ernst et al. 2003; Chang et al. 2006).
4
56
4
Kapitel 4 · Radiologische Interventionen im Gastrointestinaltrakt
Für die mesenterial-venöse Rekanalisation stehen verschiedenste Techniken inklusive mechanischer Thrombusfragmentation, transhepatischer oder transarterieller Lyse zur Verfügung (7 Abschn. 4.3). Allerdings wurden alle diese Techniken jeweils nur kasuistisch oder in kleinen Patientenserien berichtet, so dass hier Antikoagulation und Resektion der ischämischen Darmabschnitte weiterhin als Methode der Wahl betrachtet werden.
4.2.2
Chronische mesenteriale Ischämie
Die Ätiologie der chronischen mesenterialen Ischämie ist vielgestaltig. Typischerweise handelt es sich um arteriosklerotische Läsionen die entweder den Truncus coeliacus oder die Aa. mesentericae superior et inferior betreffen. Weniger häufig sind Dissektionen, Vaskulitiden, fibromuskuläre Dysplasie oder Strahlenschäden. Bei Beginn der Symptomatik sind ist typischerweise mehr als ein Viszeralgefäß betroffen, so dass keine ausreichende Kollateralisierung mehr besteht. Während der intestinale Blutfluss nüchtern etwa 25% beträgt, steigt er nach Nahrungsaufnahme auf etwa 35% (Chang et al. 2006). Die Symptomatik der abdominellen Angina ist daher besonders postprandial betont. Die Diagnose wird typischerweise mit bildgebenden Verfahren gesichert. MR- oder CT-Angiographie sind geeignete nichtinvasive Techniken die Diagnose zu sichern. Während die operative Therapie mit transaortaler Endarterektomie oder Bypass über lange Zeit die Standardtherapie war, hat sich in den letzten Jahren die interventionell endovaskuläre Therapie als Methode der ersten Wahl durchgesetzt. Nach angiographischer Sicherung der Diagnose werden Gefäßverschlüsse entweder mittels Ballonangioplastie oder Stentimplantation therapiert. Zur Wahl der zu präferierenden Technik existieren bisher keine vergleichenden Daten, jedoch scheint die primäre Stentangioplastie der Ballonangioplastie überlegen zu sein (Landis et al. 2005). In einer aktuellen Metaanalyse wird die technische Erfolgsrate mit 90–100% angegeben mit einer etwas niedrigeren klinischen Erfolgsrate von 80–100%. Die Komplikationsrate lag bei 9% mit einer 30-Tages-Mortalität von 3% (Kougias et al. 2007). Trotz einer hohen Rate von Wiederholungseingriffen, sind diese Ergebnisse im Vergleich zur Chirurgie als vorteilhaft anzusehen. Hier wird bei unwesentlich höherer klinischer Erfolgsrate über eine Morbidität von 5–30% und eine Mortalität von bis zu 12% berichtet (Atkins et al. 2007). Gleichzeitig werden auch nach chirurgischer Therapie in 9–35% Wiederholungseingriffe notwendig, so dass die interventionelle Therapie heute als Methode der ersten Wahl zur Therapie der chronischen mesenterialen Ischämie anzusehen ist.
> Die interventionelle Therapie mittels Stentangioplastie ist die Methode der ersten Wahl zur Behandlung der chronischen mesenterialen Ischämie.
4.3
Interventionelle Therapie der Pfortaderthrombose und -stenose
Das Lebenszeitrisiko eine Pfortaderthrombose zu entwickeln liegt bei 0,25–1% (Ogren et al. 2006). Bei etwa 80% der Patienten mit Pfortaderthrombose findet sich eine kausale Ursache, während bis zu 20% der Pfortaderthrombosen als idiopathisch angenommen werden müssen. Typische Risikofaktoren für die Ausbildung einer Pfortaderthrombose sind kongenitale Anomalien (z. B. Pfortaderhypoplasie), abdominelle Entzündungen, Pfortaderstenosen (z. B. Anastomosenstenose nach Lebertransplantation), hepatische Malignome und Gerinnungsstörungen. Die häufigste Ursache im Erwachsenenalter ist jedoch die Leberzirrhose mit begleitender portaler Hypertension. Die Diagnose der Pfortaderthrombose beruht auf der nicht-invasiven Schnittbildgebung mittels farbcodiertem Duplexultraschall, kontrastangehobener CT oder MRT. Die invasive Diagnostik ist heutzutage lediglich zur Vorbereitung einer interventionellen Therapie notwendig. Hier stehen die direkte und indirekte Portographie sowie die transvenöse CO2-Verschlussportographie zur Verfügung. Therapeutisch bedeutsam sind die Differenzierung der akuten von der chronischen Pfortaderthrombose sowie die Diagnose einer möglichen Grunderkrankung, insbesondere einer Leberzirrhose. Die Entscheidung zur Therapie hängt von der Ausdehnung des Befundes und der Symptomatik ab. Die Therapie der Pfortaderthrombose wird bei asymptomatischen Patienten nicht generell empfohlen. Die Therapie der chronischen Pfortaderthrombose (kavernöse Pfortadertransformation) ist zumeist medikamentös mit einer Kombination aus Antikoagulation und endoskopischen Maßnahmen oder der systemischen Gabe von β-Blockern, mit dem Ziel Rezidivblutungen zu verhindern und eine weitere Thrombosierung des Gefäßes zu verhindern. In ausgewählten Einzelfällen ohne kavernöse Transformation der Pfortader kann die Anlage eines TIPSS, gegebenenfalls nach vorheriger perkutan transhepatischer Rekanalisation der Pfortader, erwogen werden. Die Therapie der akuten Pfortaderthrombose ist primär medikamentös. Durch eine systemische Antikoagulation kann bei etwa 80% der Patienten eine partielle oder komplette Rekanalisation des Gefäßes erreicht werden (Condat et al. 2000). Die interventionelle Therapie der Pfortaderthrombose kommt bei symptomatischen Patienten mit Progression der Thrombose unter Antikoagulation
57 4.4 · Interventionelle Therapie gastrointestinaler Passagestörungen
zum Einsatz. Sie ist der chirurgischen Therapie regelhaft vorzuziehen. > Bei symptomatischen Patienten mit progredienter Pfortaderthrombose unter systemischer Antikoagulation sollte die interventionelle Rekanalisation der Pfortader erfolgen.
Bei Vorliegen einer akuten Pfortaderthrombose mit Leberzirrhose und entsprechend reduzierter Toleranz der Leberfunktion gegenüber der Pfortaderthrombose, ist eine frühzeitige TIPSS-Anlage zu erwägen (7 Kap. 38.4). Damit wird der Fluss der Pfortader verbessert und die portale Hypertension als zugrundliegende Thromboseursache beseitigt. Grundsätzlich ist die zusätzliche Embolisation von Kollateralvenen dringend anzuraten, um den Fluss in der Pfortader zu verbessern und so das Risiko einer Rethrombose zu reduzieren (Durham et al 1994). Neben der TIPSS-Anlage stehen verschiedene Maßnahmen zur pharmakomechanischen Rekanalisation der Pfortader (und Mesenterialvenen) zur Verfügung. Die einfachste und am wenigsten invasive Technik ist die lokale Lysetherapie über die A. mesenterica superior, die insbesondere bei Beteiligung der Mesenterialvenen effektiv ist (Antoch et al. 2001). Alternativ kann direkt über die Pfortader lysiert werden, wobei der transjuguläre Zugang aufgrund der geringeren Wahrscheinlichkeit für lokale Blutungskomplikationen dem direkten transhepatischen Zugang vorzuziehen ist. Die Lysetherapie ist v. a. bei einem Thrombusalter von weniger als 14 Tagen erfolgreich (Malkowski et al. 2003), während ältere Thromben ein deutlich geringeres Ansprechen zeigen. Bei einem Thrombusalter von mehr als 30 Tagen ist diese Therapie nicht mehr zu empfehlen. Zur mechanischen Thrombektomie wird zumeist die Ballonangioplastie zur Thrombusfragmentation eingesetzt. Oftmals wird dies um eine ergänzende Stentung der Pfortader ergänzt, um entweder den Thrombus an der Gefäßwand zu fixieren oder eine zugrundeliegende Pfortaderstenose, wie sie beispielsweise nach Transplantation an der Anastomose auftreten kann, zu therapieren. Letzteres gelingt mit gutem Langzeitergebnis bei 76% der Patienten (Funaki et al. 2000). Insbesondere bei organisierten Thromben ist die Kombination aus Ballonangioplastie und Stenteinlage als Therapie der Wahl zu betrachten. Der Einsatz von speziellen Fragmentationskathetern ist lediglich anekdotisch mit gutem Erfolg berichtet worden. Komplikationen betreffen v. a. Blutungen im Bereich des Zugangsweges. Daher wird der transjuguläre Zugang bevorzugt, da hier von einem geringeren Risiko für Blutungskomplikationen ausgegangen wird (Aytekin et al. 2001). Wird ein direkter perkutan transhepatischer Zugang gewählt, so sollte im Falle einer thrombolytischen
Therapie der Punktionstrakt embolisiert werden, um Blutungskomplikationen zu vermeiden. Grundsätzlich besteht mit der interventionellen Therapie der akuten Pfortaderthrombose in den Händen erfahrener interventioneller Radiologen eine sichere und bisher zu wenig genutzte Behandlungsoption für symptomatische Patienten.
4.4
Interventionelle Therapie gastrointestinaler Passagestörungen
4.4.1
Perkutane Gastrostomie und Gastrojejunostomie
Seit der Erstbeschreibung im Jahr 1981 (Preshaw 1981) hat sich die durchleuchtungsgesteuerte perkutane radiologische Gastrostomie (PRG) als Alternative zur perkutanen endoskopischen Gastrostomie (PEG) bewährt. In zahlreichen Studien konnte seither die erfolgreiche Anwendung der PRG gezeigt werden (Hicks et al. 1990; Bell et al. 1995; Ryan et al. 1997; Cozzi et al. 2000). Unlängst wurde diese Intervention auch unter CT-Steuerung etabliert, mit dem Ziel die Sicherheit des Eingriffs weiter zu verbessern (Gottschalk et al. 2007). Die häufigsten Indikationen zur Anlage einer PRG sind ausgeprägte zentralnervös verursachte Schluckstörungen sowie Malignome im Bereich von Oro- und Hypopharynx sowie des Ösophagus. Die bildgesteuerte PRGAnlage erfolgt derzeit entweder bei Patienten, bei denen endoskopisch keine Diaphanoskopie hergestellt werden kann, oder eine endoskopische Passage in den Magen nicht möglich ist. Eine Auflistung der typischen Indikationen zur PRG findet sich in folgender Übersicht (modifiziert nach Simons et al. 1996).
Häufige Indikationen für die Gastrostomie/ transgastrische Jejunostomie 4 Dysphagie – Zerebrovaskulärer Insult – Neurologische Schluckstörungen – Maligne Tumore im HNO-Bereich und Ösophagus – Demenz – Unfallopfer – Komatöse Patienten – Massive Aspirationen 4 Dünndarmerkrankungen – M. Crohn – Kurzdarmsyndrom (Darmischämie) – Strahlenenteritis 6
4
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4
Kapitel 4 · Radiologische Interventionen im Gastrointestinaltrakt
4 Anorexie – Anorexia nervosa – Schwere psychische Depression – Fortgeschrittenes Tumorleiden – Präoperative Ernährung bei Kachexie 4 Motilitätsstörungen – Gastroparese nach Roux-Y-Anastomose 4 Gastointestinale Dekompression – Gastroparese (z. B. bei Diabetes) – Paralytischer Ileus – Mechanischer Ileus im präfinalen Tumorstadium
. Abb. 4.3 Perkutane Gastrostomie (Schema). Schematische Darstellung des Punktionsortes der perkutanen Gastrostomie. Die Lagebeziehungen von Magen, Leber und Xyphoid werden gezeigt
Als absolute Kontraindikationen zur PRG galten noch unlängst die Interposition von Leber oder Darmschlingen zwischen Magenvorderwand und vorderer Bauchwand sowie eine zu hohe Lage des Magens hinter dem Rippenbogen. Durch den Einsatz der CT können diese Probleme umgangen werden. Relative Kontraindikationen sind Aszites, partielle Gastrektomie, Tumorbefall des Magens und nicht zu korrigierende Gerinnungsstörungen. Bei Patienten mit langjähriger Steroidtherapie können Komplikationen durch Heilungsstörungen an der Punktionsstelle und eine muskuläre Atrophie der Magenwand auftreten. Durchführung Zunächst erfolgt die Einlage einer nasogas-
tralen Sonde. Im Gegensatz zur endoskopischen Methode können auch hochgradige Ösophagusstenosen unter Durchleuchtungskontrolle noch mit dünnen Kathetern passiert werden, um Luft in den Magen zu insufflieren. Mit sonographischer Hilfe wird der kaudale Rand des linken Leberlappens auf der Haut markiert. Anschließend wird der Magen mittels eingelegter nasogastraler Sonde mit Luft insuffliert. Im seitlichen Strahlengang wird die Magenvorderwand lokalisiert. Die Punktionsstelle befindet sich in einem Winkel zwischen linkem Leberlappen und dem linken Rippenbogen, lateral des Musculus rectus abdominis (. Abb. 4.3). In Lokalanästhesie wird der Magen nach Insufflation von Luft mit einer 18-G-Trokarnadel punktiert. Nach der Punktion wird die Nadellage durch Aspiration von Magengas oder durch Injektion wasserlöslichen Kontrastmittels kontrolliert. Die Magenwand sollte dann mit Sicherungsankern an der Bauchdecke fixiert werden (Brown et al. 1986; Dewald et al. 1999). Dadurch wird das Risiko einer späteren intraperitonealen Leckage mit nachfolgender Peritonitis reduziert. Über einen steifen Draht wird der Punktionskanal in Seldinger-Technik aufdilatiert. Danach kann ein selbstretinierender Katheter im Magen platziert werden. Bei komplikationslosem Verlauf kann mit der Ernährung nach etwa 24 h begonnen werden.
. Abb. 4.4 Lagekontrolle des Gastrojejunostomiekatheters durch Injektion von wasserlöslichem Kontrastmittel. Katheterspitze im gastrojejunalen Übergangsbereich
Soll ein gastrojejunaler Katheter eingelegt werden, muss ein Führungsdraht über die Gastrostomie durch den Pyloruskanal und das Duodenum manipuliert werden. Die Spitze des Führungsdrahtes sollte im Bereich des duodenojejunalen Überganges platziert werden. Danach erfolgt entweder die Einlage des 50–60 cm langen Jejunostomiekatheters oder eines dezidierten Gastrojenunostomiekatheters. Die korrekte Katheterlage wird mittels Injektion von Kontrastmittel dokumentiert (. Abb. 4.4). Wichtig ist eine ausreichende Katheterfixierung. Bei komplikationslosem Verlauf kann 8–12 h nach Kathetereinlage mit der Ernährung begonnen werden.
59 4.4 · Interventionelle Therapie gastrointestinaler Passagestörungen
Ergebnisse Die technische Erfolgsquote der PRG liegt, wie bei der PEG, zwischen 95 und 100%. Ein unsicherer Zugangsweg, v. a. bedingt durch eine hohe Lage des Magens oder Überlagerung durch andere Organe, ist der Hauptgrund für das Scheitern einer PRG-Anlage. Hier bietet mittlerweile die CT-Steuerung einen sicheren Ausweg. Minor-Komplikationen werden bei der PRG in 1,3–22% der Fälle beobachtet. Dazu zählen u. a. die vasovagale Reaktion, Hypotension, Dyspnoe, Arrhythmie und Hautinfektionen. Major-Komplikationen wie Blutung, Fehlpunktion einer interponierten Darmschlinge, Peritonitis, Abszessbildung, Pankreatitis und tracheobronchiale Aspiration werden bei der PRG in 0–3,3% der Fälle beschrieben. Bei endoskopischen oder chirurgischen Verfahren sind die Komplikationen mit bis zu 19% deutlich häufiger (Darcy 1996). Die Mortalität der PRG ist mit 0,8% im Vergleich zu PEG (1%) und chirurgischer Gastrostomie (1,8%) am besten (Darcy 1996; Ozmen u. Akhan 2002). Hierzu trägt die Vermeidung der durch Laparotomie oder obere Endoskopie bedingten Mortalität bei.
> Die PRG ist von allen Methoden zur Anlage einer Gastrostomie die sicherste Technik mit der geringsten Mortalität.
Nach erfolgreicher Platzierung eines Katheters spielt seine Handhabung eine wesentliche Rolle. Die regelrechte Zerkleinerung von Nahrung und Medikamenten sowie eine gründliche Spülung des Katheters nach Gebrauch sind entscheidend für die Langzeitfunktion. Die Verwendung eines gastrojejunalen Katheters mit einer Länge von 50–60 cm reduziert das Risiko einer Katheterdislokation und einer peritonealen Leckage. Nach 3–4 Wochen hat sich ein stabiler fibröser Trakt zwischen Magen und Hautoberfläche gebildet, so dass peritoneale Verunreinigungen durch einen Übertritt von Mageninhalt in den Peritonealraum kein Problem mehr darstellt. Bei Patienten mit schwerem gastroösophagealem Reflux sollten längere Gastrojejunostomiekatheter eingesetzt werden, da die Nahrungsapplikation in den Magen ansonsten häufiger Aspirationen zur Folge hat.
4.4.2
Perkutane Jejunostomie
Die direkte perkutane Jejunostomie findet nur selten Anwendung. Sie kommt als Ersatz zur Gastrojejunostomie bei ungünstiger anatomischer Position des Magens oder nach totaler Gastrektomie zum Einsatz. Die interventionelle Technik ist ähnlich der PRG (Overhagen u. Schipper 2004). Potenziell problematisch ist die exakte Lokalisation der zu punktierenden Darmschlinge, deren Fixation und die sichere intraluminale Platzierung des Katheters im Darmlumen, da die Dünndarmschlingen stark gegeneinander
verschieblich sind und nur ein geringes Kaliber aufweisen. Trotz allem wird von mit dieser Methode erfahrenen interventionellen Radiologen der technische Erfolg auf 85–95% beziffert. Die prozedurbedingte Mortalität wird mit 2,4% angegeben (Gray et al 1987; Cope et al. 1998). Eine Darmpunktion unter CT-Durchleuchtung soll die Risiken minimieren (Davies et al. 2001). Die verwendeten Katheter weisen mit 8–10 F im Vergleich zur PRG ein geringeres Kaliber auf. Die Ernährung erfolgt, wie bei der chirurgisch angelegten Fistel, mittels flüssiger Dünndarmnahrung, die mit einer Pumpe infundiert wird. Ist der Fistelgang nach 3–4 Wochen etabliert, kann der Katheter problemlos über einen Führungsdraht ausgewechselt werden.
4.4.3
Perkutane Zäkostomie
Eine Distension des Zäkums kann aus einer mechanischen Obstruktion oder einer Pseudoobstruktion des Kolons resultieren. Mit zunehmender Dauer der Dilatation und einer Distension über 10–12 cm besteht ein erhöhtes Risiko für eine Darmperforation und es ist eine rasche Entlastung notwendig. Auch bei der kolischen Pseudoobstruktion (Ogilvie-Syndrom), die sich unter konservativer/endoskopischer Therapie nicht innerhalb von 48–72 h bessert, ist eine Dekompression des Kolons angezeigt. Bedeutsam ist dieser Eingriff auch für die pädiatrische Population mit Spina bifida, fehlendem Anus oder neuromuskulären Erkrankungen. Als Alternative zur endoskopischen Therapie wurde 1986 erstmals die perkutane Entlastung zur Behandlung der Pseudoobstruktion berichtet (Casola et al. 1986). Durchführung Die Punktion des ballonierten Darms ist
technisch einfach und kann mit Hilfe der Durchleuchtung oder der CT durchgeführt werden. Da das Zäkum zu mindestens 270° seiner Zirkumferenz von Peritoneum umgeben ist, ist ein extraperitonealer Zugang praktisch nicht möglich. Die Peritonitis stellt dennoch kein Problem dar. Die Verwendung von Sicherungsankern zur Fixation der Darmwand an der vorderen Abdominalwand wird empfohlen. Der eingeführte Katheter muss einen Retentionsmechanismus besitzen (z. B. Chait-Trapdoor-Katheter). Durch kontinuierlichen Sog kann der Darm ausreichend entlastet werden. Der Katheter darf für etwa 3–4 Wochen nicht entfernt werden, bis sich eine fibröse Verbindung zwischen Darmlumen und Hautoberfläche gebildet hat, um peritoneale Verunreinigungen zu vermeiden. Ergebnisse Die technische Erfolgsrate liegt bei nahezu
100%. Komplikationen betreffen v.a. lokale Entzündungen (6%) und mechanische Probleme mit dem Katheter (10%) (Chait et al. 2003).
4
4
60
Kapitel 4 · Radiologische Interventionen im Gastrointestinaltrakt
4.4.4
Stenteinlage
Neben der Stenttherapie des oberen Gastrointestinaltraktes (7 Kap. 9.8) hat sich die Stenteinlage insbesondere zur Therapie relevanter Obstruktionen des Kolons etabliert. Die häufigste Ursache für hochgradige Stenosen des Kolons sind entweder Malignome oder entzündliche Engen im Rahmen einer chronischen Divertikulitis. Dabei werden etwa 30% aller an einem Kolonkarzinom leidenden Patienten durch eine akute Obstruktion symptomatisch. Diese Patienten sind jedoch bei einer 10- bis 20%-igen operativen Mortalität und 40–50% Morbidität für eine chirurgische Therapie schlecht geeignet (Dionigi et al. 2007). Als Alternative zur Anlage eines Stomas oder einer Zäkostomie kann die Darmpassage in palliativer Intention als auch zur Vorbereitung einer einzeitigen operativen Therapie durch die Einlage einer Metallgitterprothese (Stent) wiederhergestellt werden. Absolute Kontraindikationen zur Stenttherapie sind die nachgewiesene vorbestehende Darmperforation, eine fehlende Landungszone von wenigstens 2 cm proximal des Analsphinkters sowie Mehretagenkonstruktionen. Die Intervention kann endoskopisch mit zusätzlicher Durchleuchtung oder komplett interventionell unter Durchleuchtung durchgeführt werden und ist für den Patienten wenig belastend.
. Abb. 4.5a,b Stent im Colon sigmoideum. a Langstreckige Stenose im Sigma. b Zustand nach endoskopisch eingelegtem Stent
Zur Diagnostik erfolgt heutzutage insbesondere in der Notfallsituation eine CT, seltener ein Kontrasteinlauf mit wasserlöslichem Kontrastmittel. Da etwa 75% der obstruktiv wirkenden Stenosen distal der linken Flexur auftreten, kann eine ausschließlich interventionelle Therapie erfolgen (Deans et al. 1994), die keine weiteren vorbereitenden Maßnahmen erfordert. Tatsächlich erfolgen 90% der Prozeduren im linken Hemikolon. Durchführung Ist eine endoskopieunterstützte Stentplatzierung geplant, sollte der Darm mit wiederholten Einläufen entsprechend vorbereitet werden. Nachdem ein steifer Führungsdraht über die Stenose manipuliert wurde, kann hierüber der Stent platziert werden. Bei höchstgradigen Stenosen kann ein sehr vorsichtiges Dilatieren der Stenose mit 6- oder 8-mm-Ballons erforderlich sein um einen Kanal für den Stent zu schaffen. Dies wird jedoch möglichst vermieden, da dies mit einer höheren Rate an Darmperforationen einhergeht. Es kommen ausschließlich selbstexpandierende Stents mit Durchmessern von 20– 30 mm zum Einsatz. Es sind sowohl gecoverte als auch ungecoverte Stents verfügbar. Erstere sind dazu geeignet das Einwachsen eines Tumors durch die Drahtstreben mit nachfolgender Restenose zu verhindern. Sie neigen jedoch leichter dazu zu dislozieren.
61 4.5 · Literatur
Die Lage des Stents wird unmittelbar nach der Platzierung mittels Kontrastmittelgabe über den noch einliegenden Katheter kontrolliert. Nach vierundzwanzig Stunden erfolgt eine Kontrolle mittels Abdomenleeraufnahme. Die erfolgreiche Intervention zeigt sich unmittelbar in Form der schnell wieder einsetzenden Darmtätigkeit. Die klinischen Zeichen der Darmobstruktion bessern sich in der Regel rasch, doch zeigt das radiologische Bild der Obstruktion erst verzögert eine Normalisierung (. Abb. 4.5). Ergebnisse In einem aktuellen systematischen Review von 88 Studien lag die mediane technische Erfolgsrate bei 96,2% (Watt et al. 2007). Der klinische Erfolg trat im Median bei 92% der Patienten ein. In 11% der Fälle kam es zur Migration des Stents und bei 4,5% wurde über eine stentbedingte Darmperforation berichtet. Letztere kann bis zu 72 h nach der Implantation erfolgen (Aitken u. Horgan 2007) und wird auch als Spätkomplikation berichtet (Sebastian 2004). Sofern keine chirurgische Therapie nach der Stentdekompression erfolgte und der Stent als definitive Maßnahme verblieb, kam es im Median in 12% der Fälle zu einer Restenose des Stents durch Einwachsen von Tumor, was u. a. mittels Laserablation oder Re-Stenting erfolgreich behandelt werden konnte. In 5% der Patienten kann es nach der Stentimplantation zu einer selbstlimitierenden Blutung aus dem Tumor kommen (Aitken u. Horgan 2007). In einem Vergleich der Studien mit gecoverten und ungecoverten Stents konnten keine relevanten Unterschiede bezüglich technischer oder klinischer Erfolgsraten gefunden werden. Im Vergleich von interventioneller und endoskopischer Stentimplantation findet sich in der vorhandenen Literatur kein Unterschied in der technischen Erfolgsrate (Baron et al. 1998; Zollikofer et al. 2000, Baron u. Harewood 2003; Fan et al. 2006). Darüber hinaus ist die Prozedur im Vergleich zur Stomaanlage kosteneffektiv (Xinopoulos et al. 2004).
> Die Einlage eines intestinalen Stents ist bei maligner Kolonobstruktion im Vergleich zur Stomaanlage eine effektive und minimal-invasive Therapie, die im linken Hemikolon auch ohne Darmvorbereitung interventionell radiologisch ausschließlich unter Durchleuchtung durchgeführt werden kann.
4.5
Literatur
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62
4
Kapitel 4 · Radiologische Interventionen im Gastrointestinaltrakt
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5
Nuklearmedizinische Verfahren L. Degen, C. Beglinger
5.1
Grundlagen
5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.1.5
Radionuklide – 64 Radiopharmazeutika Maßeinheiten – 64 Apparaturen – 65 Bildanalyse – 65
5.2
Klinische Indikationen
– 65
5.2.1 Gastrointestinale Blutung 5.2.2 Meckel-Divertikel – 66
– 65
5.3
– 64 – 64
Gastrointestinale Motilität
5.3.1 Magenentleerung – 66 5.3.2 Dünndarm- und Kolontransit 5.3.3 Ösophagus – 68
5.4
– 66 – 68
Entzündliche und infektiöse Krankheiten
5.4.1 Leukozytenszintigraphie 5.4.2 67Ga-Zitrat-Szintigraphie
– 68
– 68 – 69
5.5
Szintigraphie der Leber
– 69
5.6
Onkologische Applikation
5.7
Positronenemissionstomographie (PET)
5.8
Literatur
– 69 – 70
– 71
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_5, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
64
Kapitel 5 · Nuklearmedizinische Verfahren
Obwohl nuklearmedizinische Verfahren vielfach anderen radiologischen Techniken in der anatomischen Bildauflösung unterlegen sind, bieten sie im klinischen Alltag in spezifischen Situationen wichtige Vorteile. Ihren Stellenwert finden sie vor allem in der Analyse von Funktionsabläufen, aber auch in der Diagnostik von Tumoren. Neben Grundprinzipien werden im nachfolgenden Kapitel neuere nuklearmedizinische Methoden dargestellt, deren technische Besonderheiten hervorgehoben und vor allem die klinischen Indikationen kritisch beleuchtet.
5
direkt aufgrund ihrer natürlichen Verteilung im menschlichen Körper, wie z. B. bei 123I oder 131I für die Schilddrüsenfunktion, verwendet werden. Von den Radionukliden hat sich Technetium besonders günstig zur Inkorporation in stabile Komplexe oder Chelate erwiesen. Heutzutage werden kommerziell Sets angeboten, die in einfachen Schritten die Synthese stabiler Bindungen erlauben.
5.1.3 5.1
Grundlagen
5.1.1
Radionuklide
> Als Radionuklid wird ein instabiles Nuklid, also eine instabile Kernkonfiguration, mit einer spezifischen Zahl von Neutronen und Protonen verstanden (z. B. Technetium-99m, Indium-111). Ein Isotop zeichnet sich im Gegensatz dazu durch die gleiche Atomzahl, aber durch eine unterschiedliche Masse, bedingt durch die unterschiedliche Zahl von Neutronen, aus (z. B. Iod-123; Iod-125 oder Iod-131).
Zur diagnostischen Bildgebung beim Menschen eignen sich Radionuklide, die entweder Gammaphotonen oder charakteristische Röntgenstrahlen von genügender Energie ausstrahlen, die den Körper durchwandern und wieder verlassen können. Isotope mit primär niedriger Photonenenergie (<60 keV) oder mit korpuskulärer Strahlung wie z. B. Betapartikel werden in diagnostischen Verfahren vermieden. Die geringe Penetrationstiefe umliegender Strukturen zusammen mit der erhöhten Strahlenbelastung für den Patienten bietet keinen diagnostischen Nutzen. Für konventionelle Untersuchungen werden Photonen mit Energien zwischen 60–400 keV verwendet. Über 200 keV verschlechtert sich jedoch die Bildqualität bereits deutlich, da Photonen höherer Energie weit tiefer eindringen, bevor sie mit dem Gewebe interagieren.
5.1.2
Radiopharmazeutika
Das Produkt aus einem Radionuklid und einer nichtradioaktiven Substanz oder einem Pharmazeutikum wird als Radiopharmazeutikum bezeichnet. Für die adäquate Verbindung des Radionuklids an den nichtradioaktiven Teil, auch Ligand genannt, sind hauptsächlich dessen physikalische und chemische Charakteristika maßgebend. Der Ligand hingegen definiert durch seine Eigenschaften die Biodistribution im Körper. Nur wenige Radionuklide können
Maßeinheiten
Die Radioaktivität einer Probe ist durch den Zerfall pro Zeiteinheit charakterisiert. Im Système International (SI) wird Becquerel (Bq) als Einheit verwendet, die einem nuklearen Zerfall pro Sekunde entspricht. Üblicherweise werden in diagnostischen Verfahren einige Millionen nuklearer Zerfälle pro Sekunden verwendet (Megabecquerel; MBq). Weit verbreitet findet sich auch noch die alte Einheit der Radioaktivität Curie (Ci), das ursprünglich als radioaktive Summe eines Gramms Radium definiert wurde. Ein Curie enthält 3,7×1010 Zerfälle pro Sekunde und 1 Millicurie (mCi) entspricht 37 MBq. In der Nuklearmedizin wurden die Dosierungen gewöhnlich in Milli- oder Mikrocurie (μCi) angegeben (. Tab. 5.1). Zur Beschreibung des potenziellen biologischen Schadens einer bestimmten Strahlung am umliegenden Gewebe dient das Strahlen-Dosis-Äquivalent, das im SI-System mit Sievert (Sv) angeben wird. Dabei richtet sich die Strahlenbelastung eines Patienten nicht nur nach den physikalischen Eigenschaften und den Strahlenemissionen des Radionuklids, sondern auch nach dessen biologischen Interaktionen und Verhalten (Distribution, Elimination).
. Tab. 5.1 Maßeinheiten Einheit
Definition
SI-Einheiten der Radioaktivität 1 Becquerel (Bq)
= 1 Zerfall pro Sekunde
1 Megabecquerel (MBq)
= 106 Zerfälle pro Sekunde
Traditionelle Einheiten der Radioaktivität 1 Curie (Ci)
= 3,7×1010 Zerfälle pro Sekunde
1 Millicurie (mCi)
= 37 MBq
SI-Einheiten der absorbierten radioaktiven Dosis 1 Gray (Gy)
= 1 Joule pro kg
Sievert (Sv)
= Gray (Gy) × Qualitätsfaktora
a
Qualitätsfaktor 1 = Röntgenstrahlen, Gammastrahlen, Betapartikel; Qualitätsfaktor 20 = Alphapartikel
65 5.2 · Klinische Indikationen
Ein Sievert entspricht der absorbierten Strahlung einer Substanz (Gray, Gy) multipliziert mit einem Qualitätsfaktor, der sich aus dem Typ der Strahlung definiert und den relativen biologischen Schaden repräsentieren soll (. Tab. 5.1). Röntgenstrahlen, Gammastrahlen und Betapartikeln wird ein Qualitätsfaktor von 1, Alphapartikeln ein Faktor von 20 zugeordnet. Das im klinischen Alltag weitaus bedeutendste Radionuklid 99mTc zeichnet sich in diesem Zusammenhang durch die Emission eines einzelnen Gammaphotons mit idealer Energie zur Bildgebung sowie durch eine kurze Halbwertszeit aus (6 h; Palmer et al. 1992). > Im klinischen Alltag liegen die verwendeten Radioaktivitäten in der Größenordnung radiologischer Verfahren, die z. B. bei Röntgenuntersuchungen oder bei Computertomographie mit Kontrastmitteln erreicht werden.
5.1.4
Apparaturen
Zur Bildgebung werden Gammakameras verwendet, deren Hauptkomponenten große, flache Natriumiodidkristalle sind, die Gamma- und Röntgenstrahlen absorbieren und in Lichtblitze konvertieren können. Eine Matrix von Photoverstärkern mit elektronischen Stromkreisen erlaubt die Lokalisation und Quantifizierung der einfallenden Energie an exakt definierter Stelle. Typische Kameras bieten heute ein Messfeld mit einem Durchmesser zwischen 30 und 64 cm an. Zur Verbesserung der Bildqualität werden den Kameras Kollimatoren aufgesetzt. Diese zumeist aus Blei und einer Vielzahl von Löchern bestehenden Schilder erlauben lediglich eine unbehinderte Passage von senkrecht auffallenden Strahlen, die eine scharfe Bildgebung ermöglichen. Schräg einfallende Strahlen werden jedoch abhängig von der Dicke des Bleischildes und der Lochgröße absorbiert. Neben planaren Bildern, wie bei einer konventionellen Röntgenaufnahme, können Querschnittsbilder, analog einer CT- oder MRT-Aufnahme, rekonstruiert werden. Diese Methode wird üblicherweise als Single-PhotonEmissionscomputertomographie (SPECT) bezeichnet und mit rotierenden Gammakameras erzeugt. Die heutigen SPECT-Systeme verwenden meist 2–3 Gammakameras, die in bestimmten Winkeln zueinander versetzt sind und schnellere Aufnahmen mit besserer Bildqualität erlauben.
5.1.5
Bildanalyse
Bei der Bildanalyse ist der Computer von integraler Bedeutung, da jedes auftreffende Photon als Ereignis digitalisiert
verarbeitet und als Bildpunkt (sog. Pixel) in einem Raster dargestellt wird. Alle Pixel zusammen lassen ein Bild entstehen, dessen Schärfe von der Anzahl Bildpunkte in einem definierten Raster abhängen. Zur quantitativen Analyse der Bilder muss eine Region, die sog. »region of interest« (ROI), definiert werden, in deren Bezirk die Anzahl radioaktiver Ereignisse gemessen werden kann. Daraus lassen sich Rückschlüsse auf die Biodistribution des verabreichten Markers ziehen und durch definierte Aufnahmesequenzen dynamische Abläufe anhand einer Zeit-Aktivitäts-Kurve analysieren.
5.2
Klinische Indikationen
5.2.1
Gastrointestinale Blutung
Das szintigraphische Prinzip basiert auf der lokalen Akkumulation intravasal injizierter und radioaktiv markierter Erythrozyten am Ort der aktiven Blutung. In der Diagnostik haben sich hier 99mTc-markiertes Schwefelkolloid oder 99mTc-markierte Erythrozyten bewährt (. Abb. 5.1). Nach i.v. Injektion wird 99mTc-Schwefelkolloid schneller durch das retikuloendotheliale System der Leber, der Milz und des Knochenmarkes aus der Zirkulation eliminiert als 99mTc-Erythrozyten, sodass die geringere Hintergrundsaktivität die Sensitivität zur Blutungslokalisation verbessert. Die Blutung muss jedoch nach Injektion von 99mTc-Schwefelkolloid wegen dessen kurzen intravaskulären Verweildauer in den ersten 10–12 min aktiv sein, um eine adäquate Diagnose zu ermöglichen. 99mTc-markierte Erythrozyten verbleiben demgegenüber wesentlich länger intravaskulär und erlauben eine über Stunden dauernde Diagnostik. Dadurch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, eine intermittierende Blutung zu lokalisieren. Im direkten Vergleich sind die auf 99mTc-Erythrozyten basierenden Verfahren dem Schwefelkolloid überlegen und werden deshalb meist als szintigraphische Methode der Wahl eingesetzt. > Um eine Blutungsquelle mit 99mTc-markierten Erythrozyten eindeutig nachweisen zu können, ist in erfahrenen Zentren ein Blutverlust von 0,2 ml/min notwendig, verglichen mit einer minimalen Blutung von 0,5 ml/min bei der Angiographie.
In der Diagnostik spielt jedoch nicht nur das Radiopharmazeutikum eine wesentliche Rolle, sondern auch das gewählte Aufnahmeverfahren. Häufigere statische Bilder aber auch dynamische Sequenzen mit länger dauernden Bildaufnahmen können die diagnostische Ausbeute verbessern (O’Neill et al. 2000). Die kritische Analyse der Aufnahmen ist essenziell, um potenzielle Fehlinterpretationen
5
66
Kapitel 5 · Nuklearmedizinische Verfahren
5
a
b
. Abb. 5.1a,b Blutungsquellenszintigraphie mit 99mTc-markierten autologen Erythrozyten. Aufnahmen nach 15 min (a) und nach 24 h (b). Nach zunächst physiologischer Verteilung zeigt sich im weiteren Verlauf der Messung (b) eine vom Zäkalpol ausgehende flächige An-
reicherung, die sich im Bereich der rechten Flexur intensiviert. Klinische Diagnose: blutendes Divertikel im Zäkalpol bei Kolondivertikulose. (Mit freundlicher Genehmigung von Prof. J. Müller, Institut für Nuklearmedizin, Universitätsspital Basel)
zu vermeiden. Die Blutungsquelle kann durch die Peristaltik zu weit distal, bei retrograder Bewegung aber auch zu weit proximal lokalisiert werden. Zur Vermeidung einer falsch positiven Aussage, soll eine Blutungsquelle erst bei einer frischen Ansammlung von Radioaktivität außerhalb des Gefäßpools mit anschließend charakteristischem Transport spezifisch dem Dünndarm oder Kolon zugeordnet werden. Bei der Lokalisation einer geringen gastrointestinalen Blutung ist eine Genauigkeit von bis zu 90% möglich. Die Diagnostik einer Blutung ist häufig durch ihren intermittierenden Charakter erschwert, sodass bei einem Drittel der Patienten erst bei den Spätaufnahmen die Blutung nachgewiesen wird (. Abb. 5.1; Howarth 2006) Bei diesen Spätbildern wird die exakte Lokalisation der Blutungsquelle durch den bereits erfolgten Transport der markierten Erythrozyten erschwert. Häufig lässt sich nach 18–24 h lediglich eine diffuse Aktivität im gesamten Kolonrahmen zeigen, obwohl die Quelle bei gut der Hälfte dieser Patienten im oberen Gastrointestinaltrakt liegt. Die späten Aufnahmen sind mehr von prognostischer als von diagnostischer Bedeutung. Patienten mit diagnostischen Spätaufnahmen tendieren zu komplizierteren Verläufen (Jacobson u. Cerqueira 1992).
tikel klagen über Beschwerden und bei über der Hälfte findet sich im Divertikel ektope Magenmukosa. Gewöhnlich treten Komplikationen wie Blutungen in den ersten Lebensjahren auf, können aber in jedem Alter gefunden werden. Ektopische Magenmukosa lässt sich durch eine aktive Sekretion von 99mTc-Pertechnetat aus den Schleimzellen nachweisen. Zur nuklearmedizinischen Diagnostik werden 30–100 μCi/kg von 99mTc-Pertechnetat gespritzt und danach seriell Bilder von anterior über einen Zeitraum von 30–60 min aufgenommen. Typischerweise findet sich bei ektoper Magenmukosa mit Schleimzellen nach 10–20 min eine Anreicherung der Aktivität außerhalb des Magens im rechten unteren Quadranten. Spezialisierte Zentren erreichen mit diesem Verfahren eine Spezifität und Sensitivität zwischen 85–95% (Emamian et al. 2001).
5.2.2
Meckel-Divertikel
Das Meckel-Divertikel als kongenitaler Rest des Ductus omphaloentericus kann bei ca. 1–3% der Bevölkerung meist in den letzten 100 cm des terminalen Ileums gefunden werden. Nur 25–40% der Patienten mit Meckel-Diver-
5.3
Gastrointestinale Motilität
5.3.1
Magenentleerung
Die szintigraphische Untersuchung der Magenentleerung wird mit unterschiedlichen Testmahlzeiten und geringen Mengen radioaktiven Markers durchgeführt, wobei sowohl die Entleerung von flüssiger als auch solider Nahrung gemessen werden kann (Maurer u. Parkman 2006). Flüssigkeitsentleerungen aus dem Magen werden mit 100–300 μCi 99mTc-markiertem Kolloid oder 111In-Diäthylentriaminpentaazetat (DTPA) zusammen mit 150–300 ml Wasser oder Fruchtsäften untersucht. Die Flüssigkeit entleert sich exponentiell und nach 15–45 min, gelegentlich
67 5.3 · Gastrointestinale Motilität
. Abb. 5.2 Magenentleerung von Flüssigkeit und solider Nahrung. Flüssigkeit entleert sich exponentiell aus dem Magen, wogegen die
a
Entleerung von solider Nahrung einen biphasischen Verlauf mit Lagund Postlag-Phase zeigt
b
99mTc-markierter
. Abb. 5.3a,b Szintigraphische Messung der Magenentleerung von solider Nahrung. a Kontur des gefüllten Magens unmittelbar nach Konsum der Mahlzeit vor jeglicher Entleerung. b 2 h
später ist bereits eine deutliche Abnahme der Radioaktivität im Magen als Ausdruck der Magenentleerung festzustellen. Entsprechend lässt sich jetzt markierte Nahrung in der Dünndarmregion erkennen
aber auch schon nach 5–10 min ist nur die Hälfte der Aktivität im Magen zu messen (. Abb. 5.2). Zur Messung der Entleerung einer soliden Kost werden verschiedene Testmahlzeiten eingesetzt, die üblicherweise mit 300–1000 μCi 99mTc markiert sind. Entscheidend bei diesen Verfahren ist die Stabilität der Verbindung zwischen Nahrung und radioaktivem Marker. Die Markierung der soliden Phase erfolgt heute mit Harzkügelchen. Diese repräsentieren die soliden Nahrungsbestandteile und werden nach technisch einfacher Markierung mit 99mTc meist einem Rührei beigemischt (Camilleri et al. 1989). Nach Einnahme der Testmahlzeit werden Bilder entweder als dynamische oder statische Sequenz mit unterschiedlichen Zeitintervallen aufgenommen (. Abb. 5.3). Manuell wird die spezifische Region wie z. B. die Magenkontur umfahren und die Aktivität in diesem Bereich quantifiziert. Aus dem daraus resultierenden Aktivitäts-
verlauf über die Zeit können neben dem Entleerungsmuster verschiedenste Parameter bestimmt werden. Bei der Magenentleerung wird eine biphasische Dynamik mit einer initialen sog. Lag- und einer darauf folgenden Postlag-Phase gefunden (. Abb. 5.2). Die Lag-Phase als initiale Verzögerung der Entleerung wird als diejenige Zeit definiert, die verstreicht, bis 10% der eingenommenen Nahrung den Magen verlassen haben. Die nachfolgende Postlag-Phase beschreibt die anschließende Geschwindigkeit der Entleerung, bis nur noch 10% der Nahrung im Magen sind. Sie wird durch die Steigung der linearen Entleerungsdynamik in Prozent pro Minuten (%/min) beschrieben. Als Ausdruck der integralen Entleerungsdynamik wird häufig die Halbwertszeit in Minuten angegeben, d. h. die verstrichene Zeit, bis sich 50% der Testmahlzeit aus dem Magen entleert haben. Die Normwerte werden durch verschiedenste Eigenschaften der Testmahlzeit, wie z. B. Men-
5
68
Kapitel 5 · Nuklearmedizinische Verfahren
5 a
b
. Abb. 5.4a,b Szintigraphische Messung des Kolontransits mit 111In. Nach initialer Verteilung des 111In-Marker im Colon ascendens 6 h nach Beginn der Untersuchung (a) kann 24 h später entsprechend
des antegraden Transports neben dem Colon ascendens auch das Colon transversum abgegrenzt werden (b)
ge, Komponenten (Fett, Eiweiß etc.) und Energiedichte, beeinflusst.
stipation im klinischen Alltag etabliert (. Abb. 5.4). Die Differenzierung eines normalen Transits von einem verlangsamten Transit ist für die Wahl des Weiteren therapeutischen Vorgehens entscheidend. Aber auch bei der chronischen Diarrhö können in speziellen Situationen wichtige Informationen gewonnen werden. Einzig das szintigraphische Verfahren ermöglicht es, einen beschleunigten Transit zu bestätigen (Odunsi u. Camilleri 2009).
> Die mittlere Halbwertszeit der Magenentleerung einer soliden Nahrung variiert zwischen 70–300 min, wobei kleinere Mahlzeiten gewöhnlich weniger als 120 min benötigen (Degen u. Phillips 1996).
Im klinischen Alltag hat sich dieses Verfahren zur Messung veränderter Magenentleerungen etabliert. Dabei lassen sich nicht nur Verzögerungen als Folge einer Gastroparese, sondern auch beschleunigte Entleerungen als Konsequenz eines operativen Eingriffes mit Dumpingsyndrom aufzeigen. Durch wiederholte Messungen können zudem Effekte therapeutischer Bemühungen objektiviert werden.
5.3.2
Dünndarm- und Kolontransit
Bei der Messung des Dünndarm- wie auch des Kolontransits stellen sich verschiedene Probleme. Anatomische Strukturen überlagern sich hier und unterschiedliche Abschnitte lassen sich nur erschwert abgrenzen. Um Überlagerungen der unterschiedlichen Anatomien zu vermeiden, muss eines der Isotope direkt dem terminalen Ileum zugeführt werden. Dazu muss das Isotop entweder via Sonde direkt perfundiert oder aber in eine Kapsel verpackt werden, die sich nach Einnahme erst im distalen Dünndarm auflöst. Damit sind auch kombinierte Bestimmungen der Magenentleerung sowie des Dünndarmund Kolontransits möglich. Die Messung des Kolontransits erstreckt sich üblicherweise über mehrere Tage und erfordert entsprechend ein Isotop mit einer langen Halbwertszeit (111In, 67 h). Trotz des vermehrten Zeitaufwandes hat sich diese Messung zur Evaluation einer schweren chronischen Ob-
5.3.3
Ösophagus
Zur Diagnose gastroösophagealer Refluxepisoden wird beim Erwachsenen in erster Linie die 24-Stunden-pH-Metrie eingesetzt. In speziellen Situationen, wie z. B. einer nicht möglichen Sondeneinlage, aber vor allem auch in der Pädiatrie, bietet sich die szintigraphische Untersuchung als diagnostische Alternative an (Fisher et al. 1976).
5.4
Entzündliche und infektiöse Krankheiten
5.4.1
Leukozytenszintigraphie
Die radioaktive Markierung von Leukozyten ermöglicht, entzündliche Prozesse des Gastrointestinaltraktes szintigraphisch zu erfassen. Meist werden Populationen von Leukozyten, gelegentlich isolierte Granulozyten, aus 30– 60 ml Vollblut gewonnen und in vitro entweder mit 111In oder 99mTc markiert. Dabei ist der Einsatz von 99mTc technisch einfacher, sensitiver und mit einer geringeren Strahlenbelastung als 111In verbunden (Datz 1996). Entzündliche Prozesse manifestieren sich in den Bildern als Akkumulation von Aktivität, deren Intensität sich
69 5.6 · Onkologische Applikation
im Vergleich zu Organen mit physiologischer Absorption wie der Leber oder dem Knochenmark abschätzen lässt. Aktivitäten können einerseits der Darmwand (z. B. kleine intramurale Abszesse) oder aber einer chronisch entzündlichen Darmkrankheit zugeordnet werden. Blut unterschiedlicher Herkunft führt im Gastrointestinaltrakt ebenso zu einer Anreicherung von markierten Leukozyten. Mit Spätbildern lässt sich dann aber der Weitertransport dieser intraluminalen Anreicherung im Gegensatz zu Darmwandprozessen erfassen. In den letzten Jahren wurde eine Anzahl verschiedener monoklonaler Antikörper gegen menschliche Leukozytenoberflächenproteine entwickelt und zur In-vivoMarkierung eingesetzt. Diese Verfahren bieten den Vorteil einer kurzen Vorbereitungszeit und einer fehlenden Manipulation mit Blut. Als radioaktiver Marker werden hier 123I, 111In und 99mTc verwendet. In der Diagnostik muskuloskelettaler Entzündungen scheint dieses Verfahren Erfolg versprechend zu sein. Im Vergleich zu den szintigraphischen Verfahren gewann in den vergangenen Jahren bei der schnellen Diagnostik und Lokalisierung okkulter Infekte zunehmend die Positronenemissionstomographie (PET)-Technik in Kombination mit einer CT-Bildgebung an Stellenwert (Basu et al. 2009).
5.4.2 67Ga-Zitrat-Szintigraphie
Bevor Leukozyten markiert werden konnten, wurde hauptsächlich Gallium-67 (67Ga-)Zitrat zur Infektlokalisation verwendet. Obwohl die Bildqualität schlechter und die Strahlenbelastung höher ist als bei alternativen Verfahren, wird 67Ga weiterhin eine gewisse Bedeutung bei speziellen Fragestellungen der Infektdiagnostik zugemessen. 67Ga-Zitrat ist immer noch das geeignetste Radiopharmazeutikum in der Diagnostik eines Fiebers unklaren Ursprungs. Es reichert sich nicht nur in sterilen oder infektiösen Entzündungsherden an, sondern auch in einer Vielzahl von Weichteil- und Knochentumoren. Bei chronischen Weichteilentzündungen und Osteomyelitis ist 67Ga-Zitrat sensitiver, aber unspezifischer als markierte Leukozyten. Üblicherweise werden 24 und 48 h nach i.v. Injektion von 5–10 mCi 67Ga-Zitrat die ersten Bilder aufgenommen. Der zu Akkumulation führende Mechanismus wird nicht vollständig verstanden. Einerseits bindet sich 67Ga-Zitrat in entzündlich verändertem Gewebe mit großer Affinität an Laktoferrin, das von degranulierenden Neutrophilen freigesetzt wird. Andererseits bindet sich 67Ga-Zitrat nach Injektion an eisenbindende Proteine, wie z. B. Transferrin, die sich im Bereich der Entzündung als Folge der vermehrten Kapillarpermeabilität anreichern (Love u. Palestro 2004).
5.5
Szintigraphie der Leber
Verschiedenste szintigraphische Verfahren wurden in den zurückliegenden Jahrzehnten zur Diagnostik struktureller Veränderungen der Leber oder hepatobiliärer Funktionen entwickelt. Die parallele Entwicklung und Verbesserung der Bildqualität komplementärer Verfahren wie Sonographie, CT und MRT hat jedoch den Stellenwert der nuklearmedizinischen Verfahren im klinischen Alltag erheblich eingeschränkt. Sie spielt nur noch eine untergeordnete Rolle. Zur Funktionsanalyse der Hepatozyten, aber auch des hepatobiliären Systems werden meist 99mTc-markierte »Imino-diacetic-acid« (IDA)-Derivate verwendet. Eine der ersten verwendeten Substanzen war das Dimethylsubstituierte IDA, das als HIDA (H: »hepatic«) bekannt wurde und den Namen HIDA-Szintigraphie prägte. Obwohl sich dieser Name im klinischen Alltag weiterhin behauptet, werden jetzt IDA-Produkte mit verbesserten Eigenschaften und nicht mehr HIDA eingesetzt. Die korrekte Bezeichnung der Untersuchung ist heutzutage hepatobiliäre Szintigraphie oder Choleszintigraphie. Ähnlich dem Bilirubin wird das IDA-Derivat in die Hepatozyten aktiv aufgenommen. Dieser Prozess wird bei den heutzutage verwendeten Substanzen (Disofenin, Mebrofenin) deutlich weniger kompetitiv durch eine Hyperbilirubinämie gehemmt als bei früheren IDA-Derivaten (z. B. HIDA, PIPIDA). Typischerweise werden 3–5 mCi 99mTc-markierte IDA-Produkte intravenös verabreicht. Während einer normalen Untersuchung wird das Radiopharmazeutikum innerhalb von 5 min in der Leber angereichert. Die Sekretion lässt sich innerhalb der nächsten 60 min sequenziell über die intra- und dann extrahepatischen Gallenwege in den Dünndarm hinein verfolgen. Dadurch können Informationen über die Parenchymfunktion, aber auch über die strukturelle Integrität der einzelnen Teile des hepatobiliären Systems gewonnen werden (Ziessman 2010).
5.6
Onkologische Applikation
Große Erwartungen zur onkologischen Applikation wurden in die Entwicklung monoklonaler Antikörper zur Diagnose und zur Therapie maligner Prozesse gesetzt. Diese Erwartungen ließen sich leider bis heute nicht erfüllen. Die Schwierigkeiten bestehen darin, hochspezifische Antikörper zu synthetisieren. Zudem behindern heterogene antigene Charakteristika des Tumorgewebes und die häufig ungenügende Penetration der Substanz in das vitale Tumorgewebe die Resultate. Dennoch wurden in den letzten Jahren mehrere radiomarkierte Antikörper entwickelt und für den klinischen Gebrauch zugelassen. Dabei fallen
5
70
Kapitel 5 · Nuklearmedizinische Verfahren
nehmend an Bedeutung gewinnen dürfte, sind radioaktiv markierte Peptide. Im Gegensatz zu den monoklonalen Antikörpern sind diese synthetischer Natur und lösen keine Immunreaktionen aus. Sie können spezifisch für Oberflächenrezeptoren einer Tumorzelle entwickelt werden und lassen sich dementsprechend für die Diagnose als auch für die Therapie verwenden. Zur Tumordiagnostik wurde als erstes Peptid 111In-Pentreotid zugelassen, eine dem Octreotid verwandte Substanz. Dieses Somatostatinanalogon bindet sich an Somatostatinrezeptoren und erlaubt die Darstellung Somatostatinrezeptor-positiver, neuroendokriner Tumoren (. Abb. 5.5). Pentreotid bewährt sich dabei vor allem zur Suche okkulter, mit den üblichen bildgebenden Verfahren nicht zu erkennender Metastasen (Biersack u. Grunwald 1995; Eary 1999). Das Konzept einer Tumorantikörper-vermittelten lokalen Radiotherapie mit einem Beta-Emissionsisotop wie 131I und 186Re wird an verschiedenen Zentren verfolgt. Die Datenlage lässt momentan noch keine sicheren Rückschlüsse für den klinischen Alltag zu.
5
. Abb. 5.5 111In-Pentreotid-Szintigraphie bei metastasierendem neuroendokrinem Tumor. 24 h nach i.v. Injektion von 111In-Pentreotid zeigen sich intensive Anreicherungen in multiplen Lebermetastasen. (Mit freundlicher Genehmigung von Prof. J. Müller, Institut für Nuklearmedizin, Universitätsspital Basel)
die Antikörper in zwei große Kategorien: komplette Antikörper und Antikörperfragmente. Komplette Antikörper verweilen länger im Blut und werden primär durch die Leber via hepatobiliärem System ausgeschieden. Antikörperfragmente (»fragment antibody« – Fab) sind kleine Proteinstrukturen, die kürzer im Blut verweilen und primär über die Nieren ausgeschieden werden. Einer der ersten zur klinischen Anwendung freigegebener kompletter Antikörper ist Abciximab. Dieser mit 111In markierte anti-TAG- (»tumor-associated glycoprotein«)-72-Antikörper wird zur Diagnose des kolorektalen Karzinoms eingesetzt. Mit einer Sensitivität von 69% und einer Spezifität von 77% ist jedoch die diagnostische Ausbeute relativ niedrig. Mit einer optimalen Aufnahmetechnik lassen sich aber peritoneale Metastasen feststellen, die weder mit der CT noch mit der MRT nachweisbar waren. Bei den Antikörperfragmenten interessieren vor allem jene, die gegen das karzinoembryonale Antigen (CEA) gerichtet sind. Verschiedenste Tumoren, inkl. Kolonkarzinom, können CEA exprimieren und ermöglichen die szintigraphische Erfassung. Bei extrahepatischen abdominellen Manifestationen des kolorektalen Karzinoms wird mit einem kommerziell erhältlichen 99mTc-markierten Anti-CEA-Antikörper (Arcitumomab) eine Sensitivität von 78% und für Beckenläsionen von 73% erreicht. Eine Kategorie von Radiopharmazeutika, die in den kommenden Jahren in der onkologischen Bildgebung zu-
5.7
Positronenemissionstomographie (PET)
Vor allem bei der Untersuchung gastrointestinaler Malignome hat sich in den letzten Jahren die Positronenemissionstomographie (PET) verbreitet. Im Unterschied zu den konventionellen nuklearmedizinischen Methoden misst PET die Freisetzung von Positronen und nicht von Gamma- oder Betastrahlen. Positronen sind positiv geladene Partikel, die beim Zerfall von Protonen zu Neutronen freigesetzt werden und die gleiche Masse wie Elektronen besitzen. Kollidiert ein Positron mit einem Elektron, werden beide Partikel vernichtet und zwei hochenergetische Gamma- Photonen werden in entgegengesetzter Richtung ausgesandt (Annihilation). Mit Szintillationskristallen als Detektoren können diese Gamma-Photonen registriert werden. Moderne PET-Scanners bestehen aus einem kreisförmigen Ring von mehreren Hundert dieser Detektoren, die jeweils paarweise einander gegenüberliegend angeordnet sind. Liegt der Partikelzerfall näher zum einen Detektor, wird das Gamma-Photon mit etwas Zeitunterschied von den jeweiligen Sensoren gemessen. Dies erlaubt den Ort des Partikelzerfalls dreidimensional zu rekonstruieren. Obwohl die modernen PET-Scanner Bilder mit einer Auflösung zwischen 2–8 mm ermöglichen und allen anderen nuklearmedizinischen Verfahren überlegen sind, erreichen sie nie die Bildqualität einer CT oder eines MRT. Positronen aussendende Elemente wie Sauerstoff-15 (15O), Stickstoff-13 (13N), Kohlenstoff-11 (11C) und Fluor18 (18F) werden von Zyklotronen generiert. Diese Nuklide
71 5.8 · Literatur
besitzen eine kurze Halbwertszeit (2–100 min) und müssen deshalb unmittelbar nach ihrer Synthese in ein Trägermolekül integriert werden, damit sie dann zur Messung i.v. injiziert werden können. 15O, 13N,11C und 18F können relativ einfach in organische Moleküle integriert werden, sodass im Gegensatz zu den anderen nuklearmedizinischen Verfahren eine größere Anzahl von Radiopharmazeutika zur Verfügung stehen. Als Marker wird am häufigsten 2-[F-18] Fluoro-2-Deoxy-D-Glukose (FDG), ein radiomarkiertes Glukose-Analogon verwendet. FDG wird wie Glukose durch metabolisch aktive Zellen aufgenommen, durch deren Hexokinase in FDG-6-Phosphat phosphoryliert, dann aber nicht weiter metabolisiert, sondern als Ausdruck der aktiven Glykolyse intrazellulär akkumuliert. > Im Unterschied zu den radiologischen Bildern reflektieren die PET-Bilder physiologische oder pathophysiologische Funktionsabläufe. Je nach markiertem Substrat können Enzymsysteme oder metabolische Prozesse untersucht werden.
Unter physiologischen Bedingungen nehmen nur das Gehirn und das Herz in größerem Umfang FDG auf. Weitaus am häufigsten wird die PET in der Gastroenterologie bei der Diagnostik gastrointestinaler Tumor eingesetzt. Viele der primären gastrointestinalen Tumoren, aber auch Metastasen zeigen eine hohe metabolische Aktivität und reichern FDG an, das im PET nachgewiesen werden kann. Daneben wird die PET aber auch zur Untersuchung zentralnervöser Funktionen wie z. B. der viszeralen Schmerzperzeption und deren zentralnervösen Verarbeitung vor allem in der Forschung eingesetzt. Bei der primären Tumordiagnostik stehen weiterhin die etablierten endoskopischen und radiologischen Verfahren im Vordergrund. Die PET erreicht zwar eine sehr gute Genauigkeit, konnte sich aber hier bis jetzt nicht durchsetzen. Die Spezifität wird durch die Anreicherung von FDG auch bei entzündlichen Prozessen (z. B. akuter Pankreatitis, akuter Divertikulitis und Abszesse) eingeschränkt. > Ein größeres klinisches Potenzial liegt in der Diagnostik von loko-regionären Rezidiven, Lymphknoten und Fernmetastasen.
Vor einer Größenzunahme ist bei lokoregionären Rezidiven eine Zunahme der metabolischen Aktivität festzustellen. Diese gesteigerte FDG-Anreicherung erlaubt die Rezidive früher als mit den konventionellen radiologischen Verfahren festzustellen. Auch Therapie-assoziierte strukturelle Veränderungen können durch die unterschiedliche FDGAnreicherung besser von fraglichen Tumorrezidiven abgegrenzt werden. Die PET ist zudem sonographischen und radiologischen Verfahren im Nachweis von Lymphknoten-
und Fernmetastasen sowohl beim Ösophaguskarzinom, beim Pankreaskarzinom als auch beim kolorektalen Karzinom überlegen. Die diagnostische Genauigkeit der PET wird dabei wie bei der CT auch durch die Größe des Befundes beeinflusst. Lymphknoten kleiner als 1 cm werden wegen der geringeren metabolischen Aktivität nur ungenügend erfasst. Aus dem gleichen Grund ist die Qualität der PET zum Nachweis muzinöser Karzinome und neuroendokriner Tumoren des Gastrointestinaltraktes unbefriedigend und spielt hier nur eine untergeordnete Rolle. In den letzten Jahren wurde die isolierte PET-Untersuchung praktisch überall durch die kombinierte Anwendung mit einem CT ersetzt (PET/CT). Durch diese Verknüpfung von metabolischer mit morphologischer Bildgebung ließ sich die Sensitivität und Spezifität des Verfahrens noch weiter verbessern (Chin u. Chang 2006).
5.8
Literatur
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5
72
Kapitel 5 · Nuklearmedizinische Verfahren
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5
6
Motilitätstests des Gastrointestinaltraktes (inkl. Langzeit-pH-Metrie) G. Böhm, B. Dreuw, M. Jansen, K. von Trotha, V. Schumpelick
6.1
Ösophagusmanometrie und 24-Stunden-pH-Metrie
6.1.1 6.1.2 6.1.3 6.1.4
Technische Aspekte der Ösophagusmanometrie – 74 Technische Aspekte der 24-Stunden-pH-Metrie – 80 Bilitec-Messung – 82 Klinische Indikationen – 82
6.2
Gastrointestinale Manometrie
6.2.1 Grundlagen – 83 6.2.2 Antroduodenale Manometrie 6.2.3 Elektrogastrographie – 84
6.3
Anorektale Manometrie
– 74
– 83
– 83
– 84
6.3.1 Technische Aspekte – 85 6.3.2 Durchführung – 85 6.3.3 Klinische Indikationen – 86
6.4
Literatur
– 88
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_6, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
74
6
Kapitel 6 · Motilitätstests des Gastrointestinaltraktes (inkl. Langzeit-pH-Metrie)
Eine gerichtete Peristaltik, der koordinierte Ablauf verschiedener Kontraktionszustände, in Verbindung mit dem Auftreten dynamischer Hochdruckzonen führt im Gastrointestinaltrakt zur Möglichkeit der Bevorratung, der kontrollierten Entleerung und der Vermeidung von unerwünschtem Reflex. Daher ist das Verständnis für physiologische und pathologische Motilitätsveränderungen sowohl im oberen als auch im unteren Gastrointestinaltrakt von besonderer Bedeutung für die Indikation und Kontrolle jeder Therapie. Vor allem in der Therapie der gastroösophagealen Refluxkrankheit (GERD) sowie der analen Inkontinenz sind pH-Metrie und Manometrie unverzichtbare Bestandteile einer differenzierten Diagnostik. Nachfolgend werden die diagnostischen Möglichkeiten sowie deren kritische Beurteilung vorgestellt.
4 Chronische idiopathische intestinale Pseudoobstruktion 4 Neuromuskuläre Erkrankungen 4 Endokrine und metastatische Erkrankungen – Diabetes mellitus – Schilddrüsenerkrankungen – Paraneoplastische Syndrome 4 Alkoholismus 4 Infektionen 4 Bestrahlungsschäden 4 Medikamenteninduktion
Indikationen für eine 24-Stunden-pH-Metrie
Ösophagusmanometrie und 24-Stunden-pH-Metrie
6.1
B. Dreuw, M. Jansen, V. Schumpelick Die Ösophagusmanometrie und die 24-Stunden-pH-Metrie sind Untersuchungen zur Erkennung und Differenzierung primärer und sekundärer Erkrankungen der Speiseröhre und des Magens, einschließlich der gastroösophagealen Refluxkrankheit (7 Übersichten). Darüber hinaus sind sie zur Abklärung eines unklaren Thoraxschmerzes sowie zur Objektivierung postoperativer Funktionsstörungen nach Eingriffen am Ösophagus und Magen von Bedeutung. Vor Anwendung dieser Untersuchungen muss eine mechanische Läsion der Speiseröhre durch Ösophagusbreischluck oder Endoskopie ausgeschlossen bzw. erkannt sein, um Fehlinterpretationen der Ergebnisse zu vermeiden.
4 Gastroösophageale Refluxkrankheit 4 Typische Refluxsymptome bei normalem Endoskopiebefund 4 Atypische Refluxsymptome 4 Extrakardialer Thoraxschmerz 4 Unklare pneumologische oder otorhinolaryngologische Symptome 4 Nichtallergisches Asthma bronchiale 4 Chronischer Husten 4 Persistierende Symptome unter Protonenpumpenblockertherapie 4 Dosisfindung säuresuppressiver Therapie 4 Unklare Symptome nach Antirefluxchirurgie 4 Unklare Symptome nach Magenresektion
6.1.1
Technische Aspekte der Ösophagusmanometrie
Indikationen für eine Ösophagusmanometrie 4 4 4 4
Gastroösophageale Refluxkrankheit Dysphagie Extrakardialer Thoraxschmerz Primäre Ösophagusmotilitätsstörungen – Achalasie – Nussknackerösophagus – Diffuser Ösophagusspasmus – Hypertensiver unterer Ösophagussphinkter – Unspezifische Ösophagusmotilitätsstörungen 4 Sekundäre Ösophagusmotilitätsstörungen – Kollagenosen – Progressive systemische Sklerose – Polymyositis und Dermatomyositis – Gemischte Bindegewebserkrankung 4 Systemischer Lupus erythematosus 6
Unter funktionell-manometrischen Gesichtspunkten werden an der Speiseröhre der obere Ösophagussphinkter, der tubuläre Ösophagus und der untere Ösophagussphinkter unterschieden. Der obere Ösophagussphinkter (OÖS) ist ein anatomisch definierter Schließmuskel. Manometrisch ist er 3– 5 cm lang. Der Ruhedruck liegt zwischen 30 und 140 mmHg mit einer ausgeprägten Asymmetrie und Altersabhängigkeit. Beim Schlucken baut sich im Schlund ein Druck bis zu 300 mmHg auf, der OÖS erschlafft reflektorisch und es erfolgt ein Druckausgleich mit dem Ösophagus (Druck −2 bis –8 mmHg). Durch die hohe Druckdifferenz wird der Speisebolus in den Ösophagus geschleudert (Fisher et al. 1978). Funktionsstörungen dieses komplexen Systems führen zu oropharyngealer Dysphagie. Die schlauchförmige Speiseröhre ist 22–26 cm lang und transportiert den Speisebolus mit aktiven peristal-
6
75 6.1 · Ösophagusmanometrie und 24-Stunden-pH-Metrie
tischen Bewegungen entgegen einem Druckgradienten von 10–15 mmHg in den Magen. Die Peristaltik des tubulären Ösophagus wird folgendermaßen unterteilt (nach Weihrauch 1981): 4 Primäre Peristaltik: durch Schlucken hervorgerufene propulsive, absteigende Wellen. 4 Sekundäre Peristaltik: durch Dehnung des Ösophagus oder gastroduodenalen Reflux hervorgerufene propulsive Wellen. 4 Tertiäre Kontraktionen: unkoordinierte, nicht propulsive Kontraktionen, die gleichzeitig an verschiedenen Stellen auftreten. Sie sind Hinweise auf eine gestörte Innervation oder neuromuskuläre Koppelung ohne sicheren Krankheitswert. 4 Wiederholte repetitive Kontraktionen: nach einer peristaltischen Welle ein oder mehrfach am gleichen Ort wieder auftretende Kontraktionen.
druck, Symmetrie und Relaxation des UÖS können mit der Ösophagusmanometrie bestimmt werden (. Tab. 6.1). Die Kompetenz des unteren Ösophagussphinkters ist eine Funktion der abdominellen Länge und des Druckes. Je kürzer der intraabdominelle Teil des Ösophagus ist, ein desto höherer Druck ist für seine Kompetenz erforderlich (Bonavina et al. 1987; DeMeester et al. 1979a; O’Sullivan et al. 1982).
Diese peristaltischen Wellen erreichen Amplituden über 100 mmHg mit einer Dauer von 0,9 s im proximalen und bis zu 7 s im distalen Drittel der Speiseröhre (Dodds et al. 1973). Kriterien für pathologische Ösophagusmotilität sind in der Übersicht zusammengefasst. Im proximalen Ösophagus ist eine Kontraktionsamplitude von 25 mmHg, im mittleren Drittel von 30 mmHg und im distalen Ösophagus von 35 mmHg erforderlich, um einen Speisebolus ungehindert in den Magen zu befördern (Kharilas 1989).
Instrumente zur Ösophagusmanometrie
Manometrische Kriterien für pathologische Ösophagusmotilität 4 Abnorme Kontraktionsmorphologie – Kontraktionsamplitude >180 mmHg – Kontraktionsamplitude <20 mmHg – Kontraktionsdauer >7 s – Mehrgipflige Kontraktionswellen – Repetitive Kontraktionswellen 4 Abnorme Kontraktionssequenz – Simultane Kontraktionen (Progression >20 cm/s) > 10% der Schluckakte – »Dropped waves« (Amplitude <10 mmHg) >10% der Schluckakte – Repetitive Kontraktionswellen >30% der Schluckakte
Der untere Ösophagussphinkter (UÖS) ist ein komplexes Gebilde aus angiomuskulärem Dehnverschluss, Hiss’schem Winkel, der Muskelschlinge von Willis (Fibrae obliquae) und der Schleimhautrossette von Magendi. Makroskopisch ist kein echter Sphinktermuskelwulst erkennbar, aber in der Manometrie zeigen sich typische Charakteristika. Lokalisation, abdominelle Länge, Gesamtlänge, Ruhe-
> Bei einer Hiatushernie mit komplett intrathorakaler Lage des UÖS und damit abdomineller Länge von 0 cm ist häufig auch ein normaler Ruhedruck nicht in der Lage, die mechanische Kompetenz des UÖS aufrechtzuerhalten.
Die detaillierte Messung beider Parameter ist demnach für die Beurteilung eines insuffizienten Sphinkters entscheidend (Zaninotto et al. 1988).
Die Untersuchung der Ösophagusmotilität mit manometrischen Methoden erfordert die endoluminale Platzierung eines geeigneten mehrkanaligen Messkatheters in den Ösophagus und Anschluss an eine Messkette, bestehend aus Druckaufnehmer, Verstärker und Aufzeichnungseinheit. Technisch stehen zur Druckmessung im Wesentlichen 2 Systeme zur Verfügung: wasserperfundierte Druckaufnehmer, die derzeit den Standard darstellen, und Halbleiter-Druckaufnehmer. Ein Messkatheter für die Perfusionsmanometrie ist aus einzelnen dünnen Polyethylen- oder Polyvinylschläuchen von 0,8 mm Innendurchmesser zusammengeklebt, die die Messkanäle darstellen. Jeder Kanal wird mit Flüssigkeit perfundiert, die am vorgesehenen Messpunkt durch eine kleine Seitöffnung austritt. Druckschwankungen in der Flüssigkeitssäule, die durch Behinderung des Flüssigkeitsaustritts, z. B. durch motilitätsbedingte Druckerhö-
. Tab. 6.1 Manometrische Normalwerte für den unteren Ösophagussphinkter (nach Zaninotto et al. 1988 SD
Median
2,5%
5%
Perzentile
Ruhedruck (mmHg)
14,9
5,1
13,8
6,1
8,0
Abdominelle Länge (cm)
2,2
0,7
2,2
0,9
1,1
Gesamtlänge (cm)
3,7
0,7
3,6
2,4
2,6
Ruhedruck (mmHg)
14,9
5,1
13,8
6,1
8,0
76
Kapitel 6 · Motilitätstests des Gastrointestinaltraktes (inkl. Langzeit-pH-Metrie)
6
. Abb. 6.1 8-Kanal-Perfusionsmanometrie und Katheterdesign. Ein modernes Manometriesystem besteht aus einem mindestens 10-Kanal-Niedrig-Compliance-Kapillarperfusionssystem mit Hochdruckpumpe (C). Es wird ein 8-Kanal-Polyvinylkatheter (A) mit 5 sequenziellen und 4 radiären Perfusionsöffnungen verwendet, wobei ein Lumen sowohl sequenziell als auch radiär genutzt wird (links oben). Dieses Katheterdesign erlaubt eine 5-Kanal-Manometrie des Ösophagus sowie eine radiäre 4-Kanal-Manometrie des UÖS ohne Wechsel des Katheters. Die Atmung wird mit einem Responce Transducer (R, Kanal 10) und die Willkürschluckaktivität z. B. über ein
zervikales Mikrofon registriert (M, Kanal 9). Die Kanäle 1–8 sind Druckkanäle und werden mit den 8 Kanälen des Messkatheters verbunden. Die Hochdruckpumpe liefert einen konstanten Druck von 1000 mmHg und perfundiert die einzelnen Messlumina des Katheters. Zwischengeschaltet sind Druckaufnehmer (B, 1–8), in denen der Druck in elektrische Signale umgewandelt wird. Diese elektrischen Signale werden über einen Verstärker (D) aufgenommen, verstärkt und in einen PC (F) zur graphischen Aufarbeitung, Speicherung und Ausgabe auf einem Printer übernommen
hung, entstehen, werden über die Wassersäule zu einem extrakorporalen Druckaufnehmer geleitet, dort in elektrische Signale umgewandelt, zu einem Verstärker weitergeleitet und auf einem PC gespeichert oder ausgedruckt (. Abb. 6.1). Für Messungen der Ösophagusmotilität werden die Messöffnungen so konfiguriert, dass sie über eine Strecke von 20 cm in festen Abständen von 3–5 cm longitudinal angeordnet sind. Für die Untersuchung der Sphinkteren hat sich eine Anordnung 45° (8 Kanäle) oder 90° (4 Kanäle) versetzt in einer Ebene (radiär) bewährt. Einen idealen Kompromiss stellt eine 8-Kanal-Sonde dar mit 5 longitudinalen und 4 radiären Messöffnungen, von denen der vorletzte longitudinale Messpunkt einen der 4 radiären Messpunkte darstellt (. Abb. 6.1). Damit ist eine Motilitätsmessung über die gesamte Länge des Ösophagus und eine dreidimensionale Messung des UÖS ohne Wechsel des Katheters möglich. Moderne wasserperfundierte hydraulische Kapillarperfusionssysteme mit Hochdruckpumpen (Arndorfer Pumpen), elektronischen Verstärkern und Anschluss an einen PC halten einen konstanten Arbeitsdruck von 1000 mmHg bei einer Flussrate von 0,5 ml/min pro Kapillare aufrecht. Damit können Druckschwankungen bis 200 mmHg exakt registriert werden, was zur Beurteilung
der Ösophagusperistaltik und des UÖS erforderlich ist (Weihrauch 1981). Der Aufwand für Eichung und Entlüftung ist bei regelmäßigem Gebrauch nur gering. Intrakorporale elektronische Halbleiter-Druckaufnehmer, »solid-state transducer«, setzen Druckereignisse direkt in elektrische Signale um und ermöglichen damit neben stationären Messungen auch ambulante 24-Stunden-Messungen, da sie keine Flüssigkeitsperfusion benötigen. Nachteile sind eine höhere mechanische Störanfälligkeit, Temperaturabhängigkeit, hohe Anschaffungsund Reparaturkosten und die konstruktionsbedingte Unmöglichkeit, 4 Messpunkte radiär in einer Ebene auf einem Katheter anzuordnen. Vorteile sind ein nur minimaler Kalibrierungsaufwand und die Unabhängigkeit der Messwerte von der Körperhaltung.
Techniken der stationären Ösophagusmanometrie Stationäre Rückzugsmanometrie (»station pull-through technique«) Ein Messkatheter wird nach Vorschieben
der Messpunkte bis in den Magen in Schritten von 0,5 oder 1 cm durch den UÖS bzw. OÖS zurückgezogen. Aus der erhaltenen Druckkurve können Länge, abdomineller Länge und der Druck des UÖS oder OÖS bestimmt werden.
77 6.1 · Ösophagusmanometrie und 24-Stunden-pH-Metrie
. Abb. 6.2 Normaler UÖS in der langsamen Rückzugsmanometrie. Normaler UÖS mit 4 radiären Messkanälen und langsamer motori-
sierter Rückzugstechnik gemessen. Länge 5 cm, abdominelle Länge 4 cm und Ruhedruck von 18 mmHg
. Abb. 6.3 Pathologischer UÖS in der langsamen Rückzugsmanometrie. Pathologischer UÖS mit 4 radiären Messkanälen und lang-
samer motorisierter Rückzugstechnik gemessen. Länge 3 cm, abdominelle Länge 2 cm und Ruhedruck von 0 mmHg
Durchzugsmanometrie Ein Messkatheter wird nach Vor-
Rückzugsgeschwindigkeit von 0,1 cm/s spricht man von einer langsamen Durchzugsmanometrie (»slow-motorized-pull-through technique«). Hierbei darf der Proband normal atmen, aber nicht schlucken. Diese Technik erlaubt eine Differenzierung in abdominellen und thorakalen Anteil des UÖS und lässt sich besonders einfach auswerten (. Abb. 6.2 und . Abb. 6.3).
schieben bis in den Magen mit konstanter Geschwindigkeit durch den UÖS zurückgezogen. Bei einer Rückzugsgeschwindigkeit von 1 cm/s spricht man von einer schnellen Durchzugsmanometrie (»rapid-pull-through technique«). Sie muss in Atemstillstand des Patienten ohne Schlucken durchgeführt werden. Es ist somit möglich, aus der erhaltenen Druckkurve die Länge und den Druck des UÖS oder OÖS zu bestimmen, eine Differenzierung in abdominellen und thorakalen Anteil des UÖS ist nicht möglich. Bei einer
Mehrpunktmanometrie Ein Katheter mit z. B. 5 in festem
Abstand von 5 cm angeordneten Druckmesspunkten wird
6
78
Kapitel 6 · Motilitätstests des Gastrointestinaltraktes (inkl. Langzeit-pH-Metrie)
6
. Abb. 6.4 Normale Ösophagusperistaltik. Normale Ösophagusperistaltik und computerunterstützte Auswertung der Amplitude mit graphischer Darstellung im 2,5-, 5-, 95- und 97,5-Perzentile des Normalwertbereiches
. Abb. 6.5 Pathologische Ösophagusperistaltik. Pathologische Ösophagusperistaltik und computerunterstützte Auswertung der Ampli-
tude mit graphischer Darstellung im 2,5-, 5-, 95- und 97,5-Perzentile des Normalwertbereiches
stationär im Ösophagus platziert. Dabei sollte zur Vergleichbarkeit der Messungen der oberste Messpunkt 1 cm unterhalb des OÖS zu liegen kommen. Die zeitgleiche Aufzeichnung der Drucke an den Messpunkten erlaubt es, peristaltische Kontraktionen des Ösophagus zu registrieren und neben Dauer und Amplitude der Druckereignisse am jeweiligen Messpunkt auch die Geschwindigkeit und Fortleitung der Peristaltikwelle zu berechnen (. Abb. 6.4 und . Abb. 6.5).
Standardisierter Untersuchungsgang der stationären Manometrie Zunächst wird der Manometriekatheter über die Nase soweit vorgeschoben, bis alle Messpunkte im Magen liegen (ca. 75-cm-Marke) und 5 min abgewartet, bis die schluckbedingten Artefakte abgeklunge n sind. Eine komplette Ösophagusmanometrie besteht aus verschiedenen Tests, um die mechanischen Charakteristika der Sphinkteren und die Motilität des Ösophagus vollständig beurteilen zu können.
79 6.1 · Ösophagusmanometrie und 24-Stunden-pH-Metrie
Stationäre Rückzugsmanometrie Dazu wird die Manome-
triesonde von 75 cm bis 39 cm ab Naseneingang zurückgezogen und nach jedem cm Rückzug solange abgewartet, bis eine artefaktfreie Messung über mindestens 5 Atemzüge aufgezeichnet ist. Für jeden einzelnen Messpunkt werden Untergrenze, Obergrenze, Atemumkehrpunkt und Druck am Atemumkehrpunkt des UÖS ausgewertet und die Ergebnisse gemittelt. Aus der Differenz von Obergrenze und Untergrenze ergibt sich die Länge, aus der Differenz von Atemumkehrpunkt und Untergrenze die abdominelle Länge des UÖS. Langsame motorisierte Durchzugsmanometrie Alternativ kann bei Vorhandensein eines Rückzugsmotors eine langsame motorisierte Durchzugsmanometrie durchgeführt werden. Dazu wird die Manometriesonde soweit vorgeschoben, bis die 4 radiären Messpunkte im Magen liegen (ca. 65-cm-Marke). Die Sonde wird an einen Rückzugsmotor fixiert und der Patient aufgefordert, während der Messung nicht zu schlucken. Dann wird die Sonde mit konstanter Geschwindigkeit von 0,1 cm/s durch den UÖS zurückgezogen, bis die Messpunkte sicher im Ösophagus liegen. Zur Berechnung von Mittelwerten und um zu vermeiden, dass bei ungewolltem Schlucken des Patienten eine Auswertung unmöglich ist, wird diese Messung dreimal wiederholt. Für jeden einzelnen Messpunkt werden Untergrenze, Obergrenze, Atemumkehrpunkt und Druck am Atemumkehrpunkt des UÖS ausgewertet und die Ergebnisse gemittelt. Aus der Differenz von Obergrenze und Untergrenze ergibt sich die Länge, aus der Differenz von Atemumkehrpunkt und Untergrenze die abdominelle Länge des UÖS. Die langsame Durchzugsmanometrie ist die Grundlage für eine automatisierte Auswertung und eine Darstellung als Vektorbild (. Abb. 6.6 und . Abb. 6.7).
. Abb. 6.6 Vektorvolumen eines normalen UÖS. Der dargestellte Blickwinkel zeigt vom Magen in den Ösophagus unter einem Winkel von 35° (totales SVV: 14.388 mmHg2×mm, abdominelles SVV: 9823 mmHg2×mm)
Relaxationsmessung des UÖS Dazu werden die 4 radiären Messpunkte aus dem Magen, in dem die Atemruhelage registriert wurde, an den zuvor ermittelten Atemumkehrpunkt platziert und hier fixiert. Dann erhält der Proband 5 Schlucke von 5 ml raumtemperierten Wassers zu trinken, um den zeitlichen Verlauf des Druckabfalls beim Schlucken relativ zum Magenruhedruck zu ermitteln.
4 radiären Messpunkte im OÖS platziert sind. Dann erhält der Proband 5 Schlucke von 5 ml raumtemperierten Wassers zu trinken, um die Relaxation des OÖS zu messen und der Katheter wird in 1 –cm-Schritten komplett aus der Speiseröhre zurückgezogen und entfernt. Aus der Messkurve kann der Ruhedruck, die Untergrenze, die Obergrenze, die Länge, die Symmetrie, und die Relaxation des OÖS bestimmt werden.
Mehrpunktmanometrie zur Motilitätsmessung des tubulären Ösophagus Hierzu wird der Katheter so platziert, dass der
> Aus dem Messwert der Obergrenze des UÖS und der Untergrenze des OÖS ergibt sich die Länge des tubulären Ösophagus.
kranialste Messpunkt 1 cm unterhalb der Untergrenze des OÖS liegt. Dann erhält der Proband 10 Schlucke von 5 ml raumtemperierten Wassers zu trinken, mit ausreichenden Pausen von mindestens 30 s dazwischen, um die postdeglutorische Refraktärzeit der Speiseröhre abzuwarten. Manometrie des OÖS Hierzu wird der Katheter in Rück-
zugstechnik mit 1-cm-Schritten zurückgezogen, bis die
. Abb. 6.7 Vektorvolumen eines defekten UÖS. Der dargestellte Blickwinkel zeigt vom Magen in den Ösophagus unter einem Winkel von 35°. Auffällig ist die vor dem Sphinkter (S) gelegene Hiatushernie (H) und das geringe Volumen im Vergleich zum normalen UÖS. (Totales SVV: 1010 mmHg2×mm, abdominelles SVV: 0 mmHg2×mm)
Interpretation und Auswertung der Ösophagusmanometrie Bei der Rückzugsmanometrie und der Durchzugsmanometrie registrieren die Messöffnungen im Magen zunächst dessen Ruhedruck. Bedingt durch die atemabhängigen
6
80
6
Kapitel 6 · Motilitätstests des Gastrointestinaltraktes (inkl. Langzeit-pH-Metrie)
Druckschwankungen erhält man eine sinusartige Druckkurve, die bei Einatmung zu einem Peak von wenigen mmHg und bei Ausatmung zu einem Tal führt. Beim Rückzug des Katheters kommt es bei der Passage einer Messöffnung durch den UÖS zu einem Anstieg der Druckkurve, die nach Passage des oberen Endes des UÖS auf Werte unterhalb der Magenruhedruckkurve abfällt. Bedingt durch die Zwerchfellschenkel verstärkt sich die atemabhängige Amplitude der Sinusschwingung zu Beginn des Sphinkters bzw. beim Durchtritt des Katheters durch das Zwerchfell. Der Beginn des Sphinkterkomplexes kann so auch dann erkannt werden, wenn kein Druck mehr messbar ist. Im Verlauf der Passage des Katheters durch den UÖS wird der Einfluss der Atmung auf die Druckkurve negativ. Das heißt, die Einatmung führt zu einem Tal und die Ausatmung zu einem Peak. Dies ist bedingt durch den negativen Druck im Thorax. Der Punkt, an dem der Atemeinfluss von positiv auf negativ umschlägt, heißt Atemumkehrpunkt. Er markiert die Grenze, ab der der UÖS dem negativen intrathorakalen Druckniveau ausgesetzt ist. Per Definition wird an dieser Stelle der Druck gemessen als Mittelwert der atembedingten Sinusschwingung, da so der Einfluss der Atmung eliminiert wird. Auf diese Weise lassen sich die Gesamtlänge, die abdominelle Länge und der Ruhedruck am Atemumkehrpunkt berechnen. Sie stellen die Eckdaten für die mechanische Kompetenz des UÖS dar (. Tab. 6.1).
Ambulante Langzeitmanometrie 24-Stunden-Messungen der Ösophagusmotilität, evtl. kombiniert mit gleichzeitiger 24-Stunden-pH-Metrie erlauben eine exaktere Beurteilung der Ösophagusmotilität und eine genauere Differenzierung primärer Ösophagusmotilitätsstörungen (Stein 1993; Stein u. DeMeester 1993). Durch spezialisierte Software ist eine weitgehend automatische Auswertung möglich (Bremner et al. 1993), wobei die Erkennung und Ausschließung von Artefakten einen erheblichen Aufwand für den Untersucher darstellt (Eypasch et al. 1990). Eine Beurteilung der Relaxation des UÖS ist mit speziellen Dent-Sleeve-Kathetern möglich, was die Erkennung transienter Relaxationen des UÖS als Ursache für eine Refluxkrankheit ermöglicht. Eine Beurteilung der mechanischen Charakteristika des UÖS, nämlich Länge, abdominelle Länge und Ruhedruck ist allerdings nur mit zusätzlicher stationärer Manometrie möglich.
6.1.2
Technische Aspekte der 24-Stunden-pH-Metrie
Die pH-Metrie nutzt die Säurekonzentrationsmessung mit endoluminal platzierten pH-sensitiven Sonden zur Beurteilung eines Refluxes in die Speiseröhre oder der Säure-
kapazität des Magens und benötigt eine Messkette bestehend aus pH-Elektrode mit Referenzelektrode, ein tragbares Datenspeichergerät sowie einen Personalcomputer mit entsprechender Auswertesoftware. > Die 24-Stunden-pH-Metrie stellt derzeit den Goldstandard in der Diagnostik der gastroösophagealen Refluxkrankheit dar.
Die notwendigen Geräte sind unkompliziert in der Handhabung und Auswertung. Stationäre pH-Metrieverfahren sowie Säure-Clearence-Messungen, der standardisierte Säurerefluxtest, der Bernstein-Test, Magensäureanalysen oder andere historische Verfahren wurden durch die Langzeit-pH-Metrie, evtl. ergänzt durch die Bilitec-Messung ersetzt und werden derzeit nur noch in Ausnahmesituationen angewendet.
pH-Elektroden Als pH-Messsonden stehen 2 verschiedene Elektrodentypen zur Verfügung, die Glaselektrode und die Antimonelektrode. Die Glaselektrode ist eine Membranelektrode, bei der in Abhängigkeit vom H+-Konzentrationsgradienten elektrische Potenziale entstehen, die sich proportional zum pH-Wert verhalten. Die notwendige Referenzelektrode kann in die Glaselektrode integriert sein oder auch als externe Elektrode ausgeführt werden, wenn die Messelektrode möglichst dünn sein soll. Die Glaselektroden besitzen eine großen Referenzbereich von 0–12 pH-Einheiten, eine maximale Abweichung von 0,1 pH-Einheiten und eine lange Lebensdauer. Die monokristaline Antimonelektrode ist eine Metalloxidelektrode, bei der Redoxpotenziale in Abhängigkeit vom H+-Konzentrationsgradienten entstehen, die sich proportional zum pH-Wert verhalten. Die notwendige Referenzelektrode muss als externe Elektrode ausgeführt werden. Ihr Potenzial ist zwischen pH 1 und 8 linear und ihre maximale Abweichung liegt bei der Benutzung einer Haut-Referenzelektrode bei 0,1–0,5 pH-Einheiten. Die Antimon-Sonden sind kostengünstig, lassen sich leicht platzieren und belästigen die Patienten aufgrund eines Durchmessers von 1,5–2,1 mm nur wenig.
Datenspeicher Verschiedene batteriebetriebene handliche Festspeichergeräte zur Langzeit-pH-Metrie sind derzeit im Handel. Gemeinsam ist allen Geräten eine Umwandlung der gemessenen analogen Potenzialdifferenzen in digitale Signale und Speicherung der Daten in Festspeichermedien. Messungen mit 1–4 Sonden über 24–96 h sind derzeit je nach Fragestellung und Preis möglich. Alle erfüllen mindestens die Mindestanforderungen einer Abtastrate von lo/min und eine Genauigkeit von 1%.
6
81 6.1 · Ösophagusmanometrie und 24-Stunden-pH-Metrie
Einige Geräte ermöglichen es, Symptome oder Ereignisse per Knopfdruck im Speicher zu markieren. Dies erlaubt eine genauere Korrelation von Beschwerden und pH-Wert, wenn die Compliance des Patienten ausreichend ist.
und dadurch veränderter Zusammensetzung des Mageninhaltes. Um in Zweifelsfällen die Qualität einer ösophagealen pH-Messung beurteilen zu können, ist eine gleichzeitige Messung der gastralen Säurekonzentration notwendig (Bechi et al. 1985).
Durchführung der 24-Stunden-pH-Metrie Es ist erforderlich, vor einer 24-Stunden-pH-Metrie Medikamente mit einer Wirkung auf die Magensäure mindestens 48 h, Protonenpumpenblocker wegen der irreversiblen Blockung der gastralen Protonensekretion 3 Wochen vorher abzusetzen. Während er Messung sollten saure oder säureneutralisierende Speisen und Getränke gemieden werden, um die Messergebnisse nicht zu verfälschen. Vor (und nach) jeder Messung werden die Elektroden auf Schäden kontrolliert und in Pufferlösung pH 7 und 1 bei Raumtemperatur kalibriert. Die Sonden werden nach Oberflächenanästhesie durch die Nase eingeführt und 5 cm distal der Untergrenze und 5 cm proximal der Obergrenze des UÖS platziert. Die korrekte Lage der Sonden kann auf verschiedene Weise kontrolliert werden. Die enaueste Methode ist die manometrische Messung der Lokalisation des UÖS. Wesentlich ungenauer ist die Beobachtung des Säuresprunges bei Vorschieben der pH-Sonde in den Magen und anschließendem langsamen Rückzug, bis der pH-Wert plötzlich von sauren Werten zwischen 1 und 2 auf Werte über 4 springt. Eine dritte, insbesondere bei Vorliegen einer Hiatushernie ungenaue Methode ist die Sondenplatzierung unter Durchleuchtung. Nach korrekter Platzierung der Sonden und Einschaltung des Datenspeichers werden die Patienten instruiert, einen Protokollbogen zu führen, in dem die Mahlzeiten und Liegendperioden sowie evtl. auftretende Symptome dokumentiert werden. Wichtig ist auf eine zusammenhängende Liegendperiode von mindestens 6 h hinzuweisen. Anschließend gehen die Patienten im Idealfall ihrer gewohnten Tätigkeit nach und kommen nach 24 h zur Entnahme der Sonden und Auswertung der Untersuchung zurück.
Ösophagogastrale 2-Kanal-pH-Metrie Bei der ösophagogastralen pH-Metrie wird neben der Säuremessung im Ösophagus eine zweite parallel laufende Messung im Magen durchgeführt. Die pH-Sonden werden 5 cm oberhalb und 5 cm unterhalb des UÖS platziert (Little et al. 1979). Ein Grund für diese 2-Kanal-Messung ist die Problematik des duodenogastralen Refluxes (DGR), der bei einer 1-Kanal-Langzeit-pH-Metrie in bis zu 10% der Fälle zu falschen Ergebnissen führt (DeMeester et al. 1979b). Ein anderer Grund ist die Schwierigkeit der Interpretation des pH-Metrie-Befundes bei Patienten mit Voroperationen am Ösophagus, Magen oder Duodenum oder unter Einnahme mit säuresupprimierender Medikation
Auswertung der pH-Metrie Allgemein anerkannt sind die Auswertekriterien der pHMetrie, die für die Beurteilung der Refluxkrankheit entscheidend sind: 4 pH 4 ist die Grenze zwischen normal und pathologisch. 4 Der Beginn eines Refluxes wird definiert als pH-Abfall um eine Einheit unter pH 4 und das Ende eines Refluxes als das Wiedererreichen von pH 4. 4 Ein neuer Reflux wird gezählt, wenn er mindestens 30 s nach dem letzten beginnt. 4 Die Analysekriterien sind die Anzahl der Refluxe, die Anzahl der Refluxe mit einer Dauer von mehr als 5 min, die Länge der längsten Refluxepisode, die Prozentwerte des pH <4 für die Gesamtmessperiode, die Tagperiode (aufrechte Körperposition) und die Nachtphase (liegende Körperposition) sowie die Zusammenfassung dieser Einzelkriterien in einen Refluxscore (. Tab. 6.2, . Abb. 6.8). 4 Die Normwerte der 24-Stunden-pH-Metrie sind von Ort und Nationalität unabhängig (Fuchs et al. 1987). Die Normwerte und Analysekriterien sind in fast alle handelsüblichen Auswertesysteme integriert und ermöglichen so eine weitgehend standardisierte und automatisierte
. Tab. 6.2 Normalwerte der 24-Stunden-Ösophagus-pHMetrie (DeMester Score ≤14,71) Weiser München n=31
Fuchs Kiel n=10
Cheadle Dundee n=50
DeMeester Omaha n=50
% pH<4 Gesamt
2,0
2,0
2,1
1,5
% pH<4 Aufrecht
2,8
3,0
3,0
2,3
% pH<4 Liegend
0,7
0,5
1,0
0,6
Anzahl Refluxepisoden
23
52
11
19
Längste Episode (min)
–
4,7
6,4
6,7
Anzahl Refluxe >5 min
1,0
0,4
0,7
0,8
82
6
Kapitel 6 · Motilitätstests des Gastrointestinaltraktes (inkl. Langzeit-pH-Metrie)
. Abb. 6.8 Ösophagogastrale 2-Kanal-pH-Metrie. Die Abbildung zeigt eine ösophagogastrale 2-Kanal-pH-Metrie mit pathologischen
Tag- und Nachtreflux und Verdacht nächtlichen duodenogastralen alkalischen Reflux
Auswertung und Beurteilung der Ösophagus- und MagenpH-Metrie.
Mit Hilfe einer subtilen Ösophagusfunktionsdiagnostik ist es möglich, Patienten mit Refluxbeschwerden in therapeutisch relevante Gruppen einzuteilen. Dabei hat die pH-Metrie in Kombination mit der Manometrie eine Sensitivität bis zu 98% und ist anderen diagnostischen Verfahren überlegen (Bollschweiler 1991).
6.1.3
Bilitec-Messung
Die Diagnose eines alkalischen Refluxes mit Hilfe der 24-Stunden-pH-Metrie wird nicht allgemein akzeptiert (et al. Singh 1993). Seit einigen Jahren steht ein tragbares, mikrophotometrisches Untersuchungsgerätes zum endoluminalen Nachweis von Bilirubin zur Verfügung (Bilitec2000; Bechi et al. 1993; Caldwell et al. 1994). Das Prinzip besteht in der intraluminalen fiberoptischen Messung des Absorptionsspektrums von Bilirubin (450 nm), das als Marker für einen duodenogastroösophagealen Reflux verwendet werden kann. Ausgewertet wird der prozentuale Zeitanteil der Absorption oberhalb des Grenzwertes von 0,2, der gesamt nicht über 2,9%, aufrecht nicht über 4% und liegend nicht über 0,4% betragen darf. Mit diesem Verfahren konnte an Patienten mit GERD (Stein et al. 1994) und Barrett-Ösophagus (Champion et al. 1994) ein vermehrter duodenogastroösophagealer Reflux bestätigt werden. Die prinzipielle Durchführung und Auswertung einer Bilitec-Messung erfolgt weitgehend analog einer 24-Stunden-pH-Metrie.
6.1.4
Klinische Indikationen
> Nach Ausschluss organischer Stenosen besteht die Indikation zur Ösophagusmanometrie bei unklaren Schmerzsymptomen, Dysphagie und vor einer Antirefluxoperation. Die Indikation zur pH-Metrie besteht bei unklaren gastroösophagealen Refluxsymptomen und zur Klärung der Säurebildung im Magen.
Patienten mit normaler pH-Metrie, Manometrie und Endoskopie Diese Patienten bedürfen einer weiterführenden
Diagnostik und haben wahrscheinlich eine kardiale, pulmonale oder andere gastrointestinale Ursache ihrer Beschwerden Patienten mit pathologischer pH-Metrie und normaler Manometrie Diese machen etwa 40% aller symptomatischen
Patienten aus und bedürfen einer gastralen Ursachenabklärung sowie der medikamentösen Therapie in Abhängigkeit vom endoskopischen Befund und den subjektiven Beschwerden. Patienten mit pathologischer pH-Metrie und pathologischem unteren Ösophagusshinkter in der Manometrie, aber normaler Ösophagusmotilität Diesen Patienten sollte nach einem
erfolglosen konservativen Therapieversuch eine Antirefluxoperation als Alternative zur Langzeitmedikation angeboten werden. Die Operationsindikation sollte vor Eintreten einer sekundären Motilitätsstörung erfolgen. Bei dieser Patientengruppe ist mit einem guten chirurgischen Langzeitergebnis zu rechnen. Patienten mit pathologischer pH-Metrie, pathologischem Ösophagussphinkter und hypo- oder amotilem Ösophagus
Hier ist die chirurgische Therapieempfehlung kontrovers, da möglicherweise mit einer erhöhten Rate an postoperativer Dysphagie bei einer kompletten Fundoplikatio und einer erhöhten Rate an Refluxrezidiven bei partiel-
83 6.2 · Gastrointestinale Manometrie
len Fundoplikationen oder Alternativverfahren zu rechnen ist.
M. Jansen, B. Dreuw, V. Schumpelick
genentleerung (Dumping-Syndrom) und anderen motorischen Dysfunktionen. Die Gastroparese ist charakterisiert durch eine verzögerte Magenentleerung verbunden mit Übelkeit, Erbrechen und Oberbauchbeschwerden. Die häufigsten Ursachen sind Diabetes mellitus Typ 1, operative Eingriffe im Oberbauch, Nebenwirkungen von Medikamenten und selten Infektionen. Als Mechanismen der Gastroparese werden eine Beeinträchtigung der Fundusrelaxation, der antralen Kontraktilität, des migrierenden Motorkomplexes, ein Pylorospasmus, eine abnormale elektrische Magenaktivität oder antroduodenale Fehlkoordination diskutiert (Allescher). Zur Diagnostik dieser Erkrankungen stehen verschiedene funktionelle und bildgebende Untersuchungstechniken zur Verfügung. Neben der Magen-Darm-Passage mit Röntgenkontrastmitteln und der Szintigraphie kommen in ausgewählten Fällen die gastrointestinale Manometrie, die Elektrogastrographie und der Barostat zum Einsatz. Aktuell werden außerdem erste Ergebnisse zur Beurteilung der gastrointestinalen Motilität mittels MRT vorgestellt.
Grundlagen
6.2.2
> In Zukunft kann evtl. die alkalische Refluxmessung Bedeutung gewinnen vor dem Hintergrund der Zunahme der Karzinome des gastroösophagealen Übergangs und der anhaltenden Diskussion um die pathogenetische Bedeutung des alkalischen Refluxes für deren Entstehung. Bei nachweisbarem alkalischem Reflux unter maximaler konservativer Therapie sollte die Indikation zur Fundoplikatio gestellt werden, da nur die mechanische Wiederherstellung eines suffizienten Kardiaschlusses Reflux jedweder Qualität wirkungsvoll unterbinden kann.
6.2
6.2.1
Gastrointestinale Manometrie
Die Bewegungsabläufe im Gastrointestinaltrakt sind komplex. Sie bewirken einen gerichteten Transport, eine Bevorratung und kontrollierte Entleerung von Nahrungsbestandteilen, unter Vermeidung von unerwünschtem Reflux. Dies wird erreicht durch dynamische Hochdruckzonen und dem koordinierten Ablauf verschiedener Kontraktionszustände. Die Magenentleerung folgt einem charakteristischen zeitlichen Muster. Flüssigkeiten werden annähernd exponentiell und solide Nahrungsbestandteile mit einer zeitlichen Verzögerung entleert. Die physiologische, gastrointestinale Motilität gilt als einer der wichtigsten Faktoren in der Vermeidung einer bakteriellen Fehlbesiedelung des Darms und der damit verbundenen Komplikationen. Dies unterstreicht die besondere Bedeutung gastrointestinaler Motilität für die Sekretion und Resorption, aber auch für die Immunabwehr. Es stehen grundsätzlich 2 Kontraktionsformen zur Verfügung. 4 Phasische Kontraktionen können propulsiv, retropulsiv oder segmentierend ablaufen. Währen pro- und retropulsive Kontraktionen nach aboral oder oral befördern, führen segmentale Kontraktionen zur Zerkleinerung und Durchmischung des Chymus. 4 Tonische Kontraktionen finden sich vorwiegend in Hochdruckzonen, die die verschiedenen intestinalen Kompartimente unterteilen. Motilitätsstörungen des Magens äußern sich in verzögerter Magenentleerung (Gastroparese), schneller Ma-
Antroduodenale Manometrie
Mit Hilfe der antroduodenalen Manometrie lassen sich spezifische Störungen der Motilität nachweisen. Zur Messung der phasischen Motilität werden, ähnlich wie bei der Ösphagusmanometrie, eine Drucksonde in den Magen, das Duodenum und das proximale Jejunum eingebracht. Der Messkatheter verfügt über mehrere Messpunkte. Dies sind kleine Öffnungen, aus denen kontinuierlich Flüssigkeit austritt. Der in den jeweiligen Darmabschnitten herrschende Druck wird durch den Austrittswiderstand der Flüssigkeit dargestellt. Über externe Drucksensoren wird der Druck innerhalb der Wassersäule in ein elektrisches Signal transformiert. Alternativ kann ein »solid state transducer« eingesetzt werden. Vorteil dieser Technik ist die direkte Druckmessung, z. B. durch Veränderung der piezoelektrischen Eigenschaft eines halbleitenden Kristalls. Schließlich existiert eine weitere elektronische Messmethode (Barostat), die nicht nur Kontraktionen, sondern auch Relaxationen, insbesondere in größeren gastrointestinalen Hohlorganen erfassen kann. Die Untersuchung kann sowohl ambulant als auch stationär durchgeführt werden. Der Vorteil der ambulanten 24-Stunden-Manometrie liegt in der Möglichkeit, die geklagten Symptome mit entsprechenden pathologischen Motorkomplexen zu korrelieren. Allerdings kommt es nicht selten zu einer Katheterdislokation, was die Interpretationsmöglichkeit einschränkt. Die gastrointestinale Manometrie wird eingesetzt zur Charakterisierung der motorischen Aktivität bei unklarem
6
84
Kapitel 6 · Motilitätstests des Gastrointestinaltraktes (inkl. Langzeit-pH-Metrie)
Erbrechen, Abgrenzung der Ursache einer Magenentleerungsstörung (Neuro- oder Myopathie, postoperativ), und Nachweis bzw. Ausschluss einer chronisch intestinalen Pseudoobstruktion (7 Übersicht). Indikationen für gastrointestinale Manometrie
6
4 4 4 4 4 4
Übelkeit und Erbrechen unklarer Ursache Gastroparese, Magenentleerungsstörung Differenzierung Neuro-, Myopathie Postoperative Magenentleerungsstörung Chronisch intestinale Pseudoobstruktion Therapieeffekt
Eindeutige gastrointestinale Motorkomplexe charakterisieren sowohl die interdigestive Phase (Nüchternheit) als auch die digestive Phase (Nahrungsaufnahme). Im oberen Gastrointestinaltrakt lassen sich im nüchternen Zustand regelmäßige, zweistündige Peristaltikmuster nachweisen. Der »migrating motor complex« (MMC) lässt sich in Phasen unterteilen. 4 In der Phase 1 (Ruhephase) zeigt sich keinerlei motorische Aktivität. 4 In der Phase 2 beginnen die Kontraktionen zunächst unregelmäßig, die dann in Phase 3 (Aktivitätsfront) zunehmend regelmäßig auftreten. 4 Die Phase-3-Aktivität stellt eine propulsive peristaltische Welle dar, die vom Duodenum bis ins Ileum nachweisbar ist. Diese intensiven Kontraktionen werden als physiologischer intestinaler »housekeeper« angesehen, der den oberen Gastrointestinaltrakt von verbliebenen Speiseresten reinigt. Die Nahrungsaufnahme unterbricht den MMC und es entstehen mehr geordnete intestinale Kontraktionen variabler Amplitude, die entweder segmental oder propulsiv auftreten.
Schrittmacherpotenziale finden sich im gesamten distalen Magen und treten in regelmäßigen Abständen mit einer Frequenz von 3/min auf. Als Ursprungsort wird die Tunica muscularis entlang der großen Kurvatur des Magens am Übergang vom oralen zum distalen Drittel des Magenkorpus angenommen. Sie breiten sich vom Ursprungsort zirkulär und nach distal aus. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit variiert in den verschiedenen Regionen der Magenwand, sodass ein zeitgleiches Eintreffen des BER am Pylorus gewährleistet ist. Neuronale Transmittersubstanzen und Hormone greifen zwar modifizierend ein, sind aber für die Generation und Ausbreitung des BER nicht notwendig. Grundsätzlich besitzt jede Muskelzelle die Möglichkeit, einen BER unterschiedlicher Frequenz zu erzeugen. Die Eigenfrequenz nimmt jedoch von oral nach aboral ab, sodass die proximalen Areale als Pacemaker fungieren und die distal gelegenen Zellen diese Frequenz übernehmen. Die EGG quantifiziert die dominante Frequenz und Regelmäßigkeit der gastralen, myoelektrischen Aktivität, den relativen Anteil abnormaler »slow waves« im Nüchternzustand sowie den Anstieg der Amplitude nach einer Mahlzeit. > Generell wird eine EGG als pathologisch gewertet, wenn der relative Anteil von Arrhythmien 30% überschreitet und wenn die Nahrungsaufnahme nicht zu einem Anstieg der Signalamplitude führt.
Gastrale Arrhythmien (Tachyarrhythmie, Bradyarrhythmie) und eine verminderte Amplitude nach Nahrungsaufnahme finden sich bei Patienten mit diabetischer oder idiopathischer Gastroparese, rezidivierendem unklaren Erbrechen, Erbrechen in der Schwangerschaft. Allerdings steht die Validierung dieser Untersuchungstechnik bei der Behandlung von Patienten mit vermuteter gastraler Dysmotilität noch aus (AGA Gastronenterology).
6.3 6.2.3
Anorektale Manometrie
Elektrogastrographie G. Böhm, K. von Trotha, V. Schumpelick
Die Elektrogastrographie (EGG) zeichnet die myoelektrische Aktivität des Magens mittels auf die Haut des Oberbauchs aufgebrachten Elektroden auf. Im distalen Magen lassen sich langsame, zyklisch auftretende Potenzialschwankungen, »slow waves« (SW) oder »basic electrical rhythm« (BER), nachweisen. Sie bestehen aus einem schnell ansteigenden Abschnitt und einer Plateauphase. Darüber hinaus kommt es, aufgelagert auf die Plateauphase des BER, zu schnellen Potenzialschwankungen (»action potentials«, AP, bzw. »spikes«, »burst potentials« oder »electrical response activity«).
Die anorektale Manometrie ist das wichtigste diagnostische Mittel zur funktionellen Beurteilung des distalen anorektalen Sphinkterapparates bei Patienten mit Stuhlinkontinenz oder chronischer Obstipation bei Auslassobstruktion. Sie ermöglicht nicht nur eine Bewertung des Sphinkterdruckes in Ruhe und beim Pressen, sondern lässt den Untersucher darüber hinaus auch Asymmetrien erkennen und lokalisieren. Zusätzlich eignet sie sich zur Verlaufs- und Therapiekontrolle. Ergänzende Untersuchungen sind die Endosonographie, die Muskeldefekte, entzünd-
85 6.3 · Anorektale Manometrie
liche oder tumoröse Veränderungen aufdeckt, sowie selten die Elektromyographie. Darüber hinaus bedarf es häufig auch der Messung der Compliance und Wahrnehmungsschwellen zur Beurteilung der Stuhlinkontinenz. Die Defäkographie dient eher zur differenzierten Diagnostik der Stuhlentleerungstörung (Feyen et al. 2007).
6.3.1
Technische Aspekte
Die am weitesten verbreitete Messmethode, für die auch die meisten Referenzwerte vorliegen, ist die Perfusionsmanometrie, die daher auch weiterhin als die Standardmethode anzusehen ist. Das Messprinzip gleicht dem der Ösophagusmanometrie. Es kommen Messsonden mit einem Durchmesser von 4–10 mm zum Einsatz. Der Durchmesser wird so gewählt, dass ein zirkulärer Kontakt gewährleistet ist, Dehnungsartefakte jedoch verhindert werden. Es sollten mindestens 4 Messkanäle vorhanden sein, optimal sind 8. Diese sind je nach Messverfahren radiär auf gleicher Höhe oder spiralförmig in Längsrichtung mit einem Abstand von 0,5–1 cm angeordnet. So können Asymmetrien ebenfalls erfasst werden. Die Sonde darf keinesfalls zu rigide sein. In derartigen Fällen kommt es zu Messartefakten. In der Regel kommen Perfusionsmanometriesonden zum Einsatz, die über einen Ballon, bevorzugt mit Druckaufnehmer, an der Spitze verfügen. Damit kann zusätzlich die Rektumcompliance bewertet werden, ein Stuhldrangempfinden ausgelöst und die sensorische Schwelle ermittelt werden. Zunehmend werden auch nicht-perfusionsgebundene, elektromechanische Drucksensoren verwendet. Die Messergebnisse beider Verfahren sind jedoch nur bedingt vergleichbar.
6.3.2
Durchführung
Die völlig schmerzlose Untersuchung bedarf keiner speziellen Vorbereitung des Patienten. Erforderlich ist lediglich eine Darmentleerung möglichst auf natürlichem Wege. Abführmaßnahmen sollten vermieden werden, da sie zu Irritationen des Analkanals und somit zu veränderten Messergebnissen führen können. Auf keinen Fall darf unmittelbar vor der Messung eine Prokto- oder Rektoskopie durchgeführt werden. Eine Sedierung ist nicht erforderlich und sollte vermieden werden. In Seitenlage des Patienten wird die mit Gleitmittel versehene Messsonde in den Analkanal eingeführt. Die Verwendung von LokalanästhetikaGel verbietet sich. Nach dem Einführen der Sonde sollte über wenige Minuten eine Adaptation abgewartet werden, bis mit der Messung begonnen wird. Zunächst erfolgt die Bestim-
mung des Sphinkterruhedrucks. Wünschenswert ist ein stufenweiser Durchzug. Dazu wird der Katheter wiederholt in Schritten von 0,5 oder 1 cm langsam aus dem Analkanal herausgezogen. Durch das Herausziehen kann es zu Sphinkterkontraktionen kommen, sodass nach jeder Manipulation etwa 30 s abgewartet werden sollte, bis sich ein stabiles Druckniveau ausgebildet hat. Diese stationäre Durchzugsmethode sollte daher dem kontinuierlichen Durchzug vorgezogen werden, wie er beispielsweise mit einer Zugmaschine (Puller) durchgeführt werden kann. Der kontinuierliche Zug stellt zwar das Sphinkterprofil präziser dar, nicht aber die Druckwerte. Die Messung des maximalen Kneifdrucks erfolgt gleichermaßen, jedoch unter maximaler willkürlicher Sphinkterkontraktion. Bei gleichzeitiger intrarektaler Druckkontrolle über einen luft- oder wassergefüllten Ballon an der Sondenspitze können Messfehler durch eine mögliche gleichzeitige Bauchpresse erkannt und ausgeschaltet werden. Die Auswertung erfolgt durch in der Regel softwaregestützte Ermittlung des Medians des maximalen Druckplateaus pro Durchzug. Durch eine zweidimensionale Darstellung im XY-Diagramm, bei der die X-Achse der Zugstrecke und die Y-Achse dem Sphinkterdruck entsprechen, kann auch die Länge der Druckzone bestimmt werden. In der Literatur angegebene Normwerte sind lediglich als Anhaltszahlen zu werten. Entscheidend ist die Erfahrung des Manometrielabors durch die Ermittlung labor-, verfahrens- und ausrüstungsspezifischer Normwerte, sowie der intraindividuelle Vergleich im Verlauf bzw. vor und nach einer Therapie. Die Vektormanometrie erfordert auf einer Höhe radiär angeordnete Messpunkte auf der Sonde. Bei diesem Verfahren sollte ein Puller zum Einsatz kommen. Es entsteht eine anschauliche, dreidimensionale Darstellung des Sphinkterdruckprofils, mit der Asymmetrien erkannt werden können. Zusätzlich lässt sich die Länge und Konfiguration der Hochdruckzone präzise darstellen. Die Vektormanometrie ersetzt nicht die stationäre Durchzugsmanometrie. Ihr Stellenwert in der Diagnostik ist als Ergänzung anzusehen. Zur Beurteilung der Auslösbarkeit des anorektalen Inhibitionsreflexes wird der Sphinkterdruck bei zügiger Füllung des Rektumballons ermittelt. Es erfolgt hierbei eine stationäre Druckmessung, bei der möglichst viele Messpunkte in der Hochdruckzone liegen sollten. Überprüft wird hierbei lediglich, ob der Reflex reproduzierbar ist. Die absoluten Druckwerte sollten nicht streng bewertet werden. Beim Defäkationstest presst der Patient wie beim Stuhlgang. Die gleichzeitig durchgeführte Sphinkterdruckmessung erfolgt unter manueller Stabilisierung der Messsonde. Beim Vorliegen einer paradoxen Sphinkterkontrak-
6
86
6
Kapitel 6 · Motilitätstests des Gastrointestinaltraktes (inkl. Langzeit-pH-Metrie)
tion wird der Test unter Füllung des Rektumballons bis zum Stuhldranggefühl wiederholt. Der intakte Inhibitionsmechanismus schließt einen Anismus (paradoxe Sphinkterkontraktion beim Pressakt) aus. Bei paradoxer Reaktion sollte die Diagnostik ausgeweitet werden. Auch dieses Testverfahren erlaubt lediglich eine qualitative Bewertung der Messergebnisse. Die Bestimmung der sensorischen Schwellen kann ebenfalls im Rahmen der Analmanometrie erfolgen, indem eine schrittweise manuelle Füllung des Rektumballons mit je 10–20 ml Volumen vollzogen wird, bis der Patient Stuhldrang verspürt. Eine standardisierte Ballonfüllungszeit muss gefordert werden, da die Patientenwahrnehmung abhängig ist von der Füllungsgeschwindigkeit. So kann neben der Evaluation der subjektiven Empfindung des Patienten auch eine Messung der Rektumwandcompliance durchgeführt werden. Dazu wird der Druck-Volumen-Quotient an der Schmerzschwelle als statische Compliance als Näherungswert für die Rektumwandspannung bestimmt. Dieses Vorgehen kann das üblicherweise eingesetzte Barostat-Verfahren in der Praxis teilweise ersetzen. Für eine exakte Messung der Compliance sollte die Wandspannung des Rektums jedoch als dynamische Funktion mit der Barostat-Sonde ermittelt werden.
6.3.3
Klinische Indikationen
> Die wichtigste Indikation zur anorektalen Manometrie ist die Stuhlinkontinenz, von der mehr als 2% der Bevölkerung betroffen sind.
Die palpatorische Untersuchung des Sphinkterapparates durch einen erfahrenen Untersucher lässt einen guten Rückschluss auf die Sphinkterfunktion zu (Hill et al. 1994). Die Manometrie kann den Befund objektivieren und bei Verwendung desselben Systems als Basiswert für zeitliche Verläufe dienen (Pehl et al. 2007). Im Vergleich zur Endosonographie erscheint die Manometrie als funktionelles Messverfahren zuverlässiger zur Untersuchung der Inkontinenz, die Längenabbildung des Sphinkters ist jedoch sonographisch präziser (Fawler et al. 2003). Der Analmanometrie und Endosonographie sollte stets eine klinische Untersuchung mit Prokto- und Rektoskopie vorausgehen, um auch andere Differenzialdiagnosen wie Tumoren oder Entzündungen darzustellen. Erst in der Zusammenschau der Befunde kann zwischen diffusen und fokalen, lokalen und überregionalen Ursachen der Inkontinenz unterschieden werden. Eine weitere Indikation zur anorektalen Manometrie besteht bei chronischen therapierefraktären Obstruktionsbeschwerden. Hier kann die Bestimmung der Auslösbarkeit des anorektalen Inhibitionsreflexes eine wich-
tige diagnostische Hilfe sein. Beim M. Hirschsprung findet sich typischerweise ein gestörter anorektaler Inhibitionsreflex trotz guter Rektumfüllung. In solchen Fällen ist eine weitergehende Diagnostik erforderlich. So kann der M. Hirschsprung mittels alleiniger Manometrie nicht gesichert werden, er kann jedoch ausgeschlossen werden bei intaktem Reflex, sodass hiermit eine geeignete Screeningmethode zur Verfügung steht (Emir et al 1999). Ein Normalbefund bei Rektumbiopsie kann einen M. Hirschsprung oder andere Dysganglionosen ausschließen (Meier-Ruge et al. 2004; Knowles et al. 2009). Der Anismus kann mittels Defäkationstest bei reproduzierbarem Abfall des Sphinkterdrucks unter Pressen ausgeschlossen werden. Ein Ausbleiben der Inhibition beweist einen Anismus jedoch nicht. Auch hier sollten weitere Untersuchungen wie die Elektromyographie oder die Defäkographie durchgeführt werden. Findet eine Sphinkterrelaxation erst bei hohen Füllungsvolumina im Rektum statt, sollte ein Megarektum, Störungen der Rektumwandcompliance oder eine sensorische Neuropathie in Betracht gezogen werden. Vor elektiven, operativen Kontinuitätswiederherstellungen des Darmes oder der Auflösung protektiver Stomata gibt die Analmanometrie wertvolle Hinweise auf die erwartete postoperative Kontinenz, insbesondere, wenn präoperative Messergebnisse zum Vergleich vorliegen. Ebenso sinnvoll kann die präoperative Manometrie bei der Operationsplanung sein, wenn sich vor Rektumeingriffen die Frage der Rekonstruktion stellt (Franco et al. 2004). > Neben der Diagnostik und Therapieplanung eignet sich die Manometrie hervorragend zur Verlaufskontrolle, so dass auch konservative Therapiemaßnahmen wie eine Biofeedback-Behandlung hinsichtlich ihres Erfolges quantifiziert und dokumentiert werden können. Das gleiche gilt für operative Interventionen jeder Art. Die Ergebnisse der Manometrie sind im Gegensatz zu sensorischen Untersuchungen intraindividuell reproduzierbar (Bharucha et al. 2004) und bieten damit eine zuverlässige Interpretation hinsichtlich einer postinterventionellen Veränderung (. Abb. 6.9 und . Abb. 6.10).
87 6.3 · Anorektale Manometrie
. Abb. 6.9 Analmanometrie mit dreidimensionaler Darstellung des Sphinkters bei intaktem Sphinkter
. Abb. 6.10 Analmanometrie mit dreidimensionaler Darstellung eines insuffizienten Sphinkters bei Inkontinenz
6
6
88
Kapitel 6 · Motilitätstests des Gastrointestinaltraktes (inkl. Langzeit-pH-Metrie)
6.4
Literatur
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7
Resorptionstests J. Stein, W.F. Caspary
7.1
Einführung
– 90
7.2
Resorptionstests für den oberen Dünndarm
– 91
7.2.1 Disaccharid-(Laktose-)Toleranztests – 91 7.2.2 Erfassung der funktionellen Integrität des Dünndarms – 92 7.2.3 Diagnostik bei Verdacht auf bakterielle Fehl-/Überbesiedlung des Dünndarms – 93
7.3
Resorptionstests für den unteren Dünndarm
7.3.1 Vitamin-B12-Resorptionstest (Schillingtest) 7.3.2 75SeHCAT-Test – 95
– 94
– 94
7.4
Globale Testverfahren
– 96
7.4.1 7.4.2 7.4.3 7.4.4
Fettmalassimilation – quantitative Stuhlfettanalyse – 96 β-Carotinoide im Serum – 96 Proteinmalassimilation – Nachweis intestinalen Proteinverlusts Hyperoxalurie – 98
7.5
Bestimmung der orozökalen Transitzeit
– 97
– 98
7.5.1 Laktulose-H2-Atemtest zur Messung der orozäkalen Transitzeit – 98 7.5.2 13C-Lactoseureid-Atemtest zur Messung der orozäkalen Transitzeit – 98 7.5.3 Inulin-H2-Atemtest zur Messung der orozäkalen Transitzeit – 99
7.6
Synopsis
– 99
7.7
Literatur
– 101
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_7, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
90
7
Kapitel 7 · Resorptionstests
Operative Eingriffe am oberen Gastrointestinaltrakt wie auch am Dünndarm können vielfältige Auswirkungen auf digestive und resorptive Funktionen haben und in einer Malassimilation münden. Da die klinische Symptomatik vorwiegend aus Störungen dieser Partialfunktionen resultiert, prüfen Dünndarmfunktionstests Partialfunktionen des Darms und leisten einen diagnostischen und differenzialdiagnostischen Beitrag über Vorliegen, Lokalisation und Schweregrad dieser Störungen. Hierzu bieten sich die nachfolgenden Untersuchungsverfahren an, die teils entscheidend an die Mitarbeit des Patienten gebunden sind: 4 Einfache Stuhluntersuchungen, mit geringem Aufwand durchführbar: makroskopische Beurteilung von Form, Farbe, Konsistenz, Volumen, Oberflächenbeschaffenheit und Gewicht des Stuhls 4 Metaboliten- und Enzymbestimmungen im Stuhl 4 Bilanzuntersuchungen (z. B. Fettbilanz) 4 Resorptions-(Toleranz-)Tests 4 Atemtests
Einführung
7.1
Eine normale Funktion des Verdauungstraktes ist an die Integrität der Dünndarmmukosa und an den koordinierten Ablauf einer Vielzahl digestiv-resorptiver und sekretorischer Partialfunktionen gebunden. Partialfunktionen des Intestinaltraktes 4 4 4 4 4 4 4
Terminale Digestion Resorption Sekretion Motilität Endokrine/parakrine Sekretion Immunabwehr Barrierefunktion
Operative Eingriffe am oberen Gastrointestinaltrakt wie auch am Dünndarm können vielfältige Auswirkungen auf
. Tab. 7.1 Malabsorption – Hinweise aus der Routinediagnostik (↓ erniedrigt; ↑ erhöht) Hämoglobin
↓
Erythrozyten
↓
HBE
↑ oder ↓
Serumeisen
↓
Serumferritin
↓
Serumfolat
↓
Serum-Vitamin B12
↓
Serumkalzium
↓
Serumphosphat
↓
Serummagnesium
↓
Alkalische Phosphatase
↑
Serum-Vitamin A
↓
Serum-β-Carotin
↓
Serumeiweiß
↓
Serumalbumin
↓
Prothrombin
↓
Oxalsäure im Urin
↑
Serumzink
↓
digestive und resorptive Funktionen haben und in eine Malassimilation münden. > Im Wesentlichen werden Resorptionstests dann zum Einsatz kommen, wenn beim Patienten die Leitsymptome einer Malabsorption, Gewichtsverlust und Diarrhö, bestehen.
Hinweise für ein Malabsorptionssyndrom (Caspary 1999b), das schon länger besteht, sind aus zahlreichen Parametern des klinischen Routinelabors zu erhalten (. Tab. 7.1). Besteht der Verdacht auf ein Malabsorptionssyndrom, bedingt durch eine Dünndarmkrankheit, werden sich Resorptionstests des oberen oder unteren Dünndarms anschließen (. Tab. 7.2). Der wichtigste globale Funktions-
. Tab. 7.2 Malabsorption – Topographische Diagnostik bei Verdacht auf Dünndarmkrankheiten Oberer Dünndarm
Unterer Dünndarm
Spezialfragen
Globaltest
D-Xylosetest (Serum und Urin)
Schillingtest (Vitamin-B12Resorptionstest)
α1-Antitrypsinclearance
Quantitative Stuhlfettbestimmung
Laktosetoleranztest
SeHCAT-Test (Messung des Gallensäurenverlustes)
51Chromalbumintest
Permeabilitätstests
H2-Atemtest nach Laktosegabe
Gammakamerauntersuchung nach Gabe 99mTc-markierten Albumins
91 7.2 · Resorptionstests für den oberen Dünndarm
test für den Dünndarm ist die quantitative Stuhlfettbestimmung (Riley et al. 1998; Stein et al. 1999). Weitere
globale Funktionstests sind diagnostische Verfahren zur Erfassung eines enteralen Proteinverlusts sowie einer Permeabilitätssteigerung des Dünn- und Dickdarms.
7.2
Resorptionstests für den oberen Dünndarm
Fast alle Nährstoffe (Ausnahme: Vitamin B12 und Gallensäuren) werden im oberen Dünndarm resorbiert. Störungen der Kohlenhydratassimilation betreffen überwiegend den oberen Dünndarm. Die wichtigsten Resorptionstests des oberen Dünndarms sind der Laktosetoleranztest und der D-Xylosetest. Besteht eine Steatorrhö, sind Laktosetoleranztest und/ oder D-Xylosetest pathologisch, muss eine Dünndarmkrankheit angenommen werden (Stein et al. 1999).
7.2.1
Disaccharid-(Laktose-)Toleranztests
Störungen der Digestion und Resorption des Disaccharids Laktose können als isolierte kongenitale Enzymdefekte (primärer Laktasemangel ohne jede morphologische Veränderung der Mukosarchitektur des Dünndarms) auftreten oder sekundär als unselektiver (meist Laktasebetonter) Disaccharidasenmangel bei Schädigungen der Dünndarmmukosa (z. B. Sprue, unter Therapie mit Neomycin, Colchicin oder Zytostatika). Laktase ist die anfälligste Disaccharidase der Dünndarmmukosa und ist bei morphologischen Veränderungen der Dünndarmmukosa meist vermindert, während die Aktivitäten der Disaccharidasen Saccharase, Maltase, γ-Amylase und Trehalase meist nicht kritisch reduziert sind (Caspary 1999a). Die klinische Symptomatik bei der Laktoseintoleranz ist von folgenden Faktoren abhängig: 4 Menge der aufgenommenen Laktose 4 Magenentleerungsgeschwindigkeit 4 Laktaseaktivität der Dünndarmmukosa 4 Dünndarmpassagegeschwindigkeit 4 Fermentationskapazität des Dickdarms für Laktose 4 Rückresorptionskapazität für Fermentationsprodukte (kurzkettige Fettsäuren) Testprinzip Mit dem Laktosetoleranztest (LTT; Messung des Glukoseanstiegs nach oraler Gabe von Laktose) wird die Resorptionskapazität für Laktose bestimmt. Wichtiger ist jedoch die Erfassung der klinischen Folgesymptomatik einer Laktoseintoleranz: Meteorismus, Flatulenz und Durchfälle. Hierzu eignet sich die simultane Bestimmung von Wasserstoff (H2) in der Atemluft (Laktose-H2-Atem-
test). Der Test beruht auf der Erfassung der bakteriellen Fermentation von Laktose im Dickdarm, bei der aus dem Disaccharid kurzkettige Fettsäuren, H2, CO2 und CH4 entstehen (Levitt et al. 1970; Strocchi et al. 1993). Durchführung und Interpretation Konventionelle Methode des Laktosetoleranztests ist die Bestimmung des Blutglukoseanstiegs nach 30, 60, 90 und 120 min gegenüber dem Ausgangswert zum Zeitpunkt 0 nach oraler Verabreichung von 50 g Laktose in 400 ml Wasser. Atemproben für die H2Analyse werden zu den gleichen Zeitpunkten entnommen. Die Bestimmung der H2-Konzentration (»parts per million«, ppm) in der Atemluft ist in Klinik und Praxis mit einfachen Geräten möglich: elektrochemische Messzelle (GMI-Exhaled Monitor, Fa. Stimotron, Wendelstein) oder nach dem Prinzip eines Gaschromatographen (QuintronMicrolyzer) sowie durchaus akzeptable preiswerte Messgeräte mit polarographischer Messzelle (Fa. Medicheck, Essen; Duan et al. 1994).
> Ein Blutglukoseanstieg nach oraler Gabe von 50 g Laktose von>20 mg/dl schließt in der Regel eine Laktoseintoleranz aus.
Der H2-Atemtest erfasst mit einem H2-Anstieg von>20 ppm die Folgesymptomatik einer Laktosemalabsorption mit Gasentwicklung (H2, CO2, CH4) aus nichtresorbierter Laktose im Dickdarm (Newcomer et al. 1975). Weniger als 5% der Menschen produzieren im Kolon keinen Wasserstoff (sog. »non-hydrogen producer«; Stein et al. 1999).
Interpretation der Ergebnisse des Laktosetoleranztests und H2-Atemtests 4 Plasmaglukoseanstieg >20 mg/dl, H2-Anstieg <20 ppm, keine Symptome: – Laktasemangel und Laktoseintoleranz ausgeschlossen 4 Plasmaglukoseanstieg <20 mg/dl, H2-Anstieg >20 ppm, Symptome: – Laktasemangel und Laktoseintoleranz 4 Plasmaglukoseanstieg <20 mg/dl, kein H2-Anstieg, Symptome: – »Non-hydrogen-producer« (Sicherung durch Laktulose-H2-Atemtest) – Antibiotikatherapie, vorherige Abführmaßnahmen 4 Plasmaglukoseanstieg >20 mg/dl, H2-Anstieg >20 ppm, Symptome: – Laktasemangel bei Diabetes mellitus möglich – Schneller intestinaler Transit mit Laktosemalabsorption trotz normaler Laktaseaktivität (z. B. Postgastrektomie-Syndrom) 6
7
92
Kapitel 7 · Resorptionstests
4 Plasmaglukoseanstieg <20 mg/dl, H2-Anstieg < oder >20 ppm, keine Symptome: – Magenentleerungsstörung – Laktasemangel ohne Laktoseintoleranz (Kompensation durch Rückresorption von kurzkettigen Fettsäuren im Kolon)
7
Fehlerquellen In etwa 25% kommt es nach oraler Laktosebelastung trotz normaler Laktaseaktivität zu einem abgeflachten Blutglukoseverlauf. Ursächlich kommen dafür in Betracht: 4 Motilitätseinflüsse wie verzögerte Magenentleerung, aber auch sehr rasche Intestinalpassage mit einem Blutglukosemaximum schon nach 15 min (z. B. nach Magenresektion). Unter letzterer Situation wird der H2-Atemtest aber eindeutig pathologisch sein (s. Übersicht oben; Caspary 1999a). 4 Störungen der Resorptionsfunktion: Wiederholung des Testablaufs mit 25 g Glukose und 25 g Galaktose. 4 Bei Patienten mit pathologischer Glukosetoleranz oder manifestem Diabetes mellitus sind falsch-negative Ergebnisse des LTT zu erwarten. 4 Unter Antibiotikatherapie oder nach Abführmaßnahmen ist der H2-Atemtest nicht verwertbar (falschnegativ). 4 Der H2-Atemtest kann jedoch bei jeglicher Art von Kohlenhydratmalabsorption eingesetzt werden. Bei Verwendung von Saccharose dient er als diagnostischer Test für eine Saccharoseintoleranz. Bei Verwendung von Fruktose dient der H2-Atemtest zur Erfassung der individuellen Unverträglichkeit von Fruktose, schließlich kann bei Verwendung von Glukose und Galaktose als Substrate die seltene angeborene Glukose-Galaktose-Intoleranz diagnostisch erfasst werden (Caspary 1999a, Stein et al. 2006).
7.2.2
Erfassung der funktionellen Integrität des Dünndarms
D-Xylosetest Der D-Xylosetest prüft die funktionelle Integrität Dünndarms und erlaubt so eine (semi)quantitative Aussage zur resorptiven Oberfläche. Oral verabreichte D-Xylose (Pentose) wird aktiv, aber sehr träge im oberen Dünndarm resorbiert. Etwa 50% der D-Xylose werden vom Dünndarm resorbiert, wovon die Hälfte metabolisiert und die andere Hälfte im Urin ausgeschieden wird. Krankheiten mit einer Einschränkung der resorptiven Oberfläche des Dünndarms weisen eine erniedrigte D-Xyloseausscheidung im Urin sowie niedrige postabsorptive
Serum-D-Xylosekonzentrationen auf. Die klassische Indikation für den D-Xylosetest ist die einheimische Sprue. Die diagnostische Bedeutung des D-Xylosetests ist jedoch größer, da auch andere Störungen des Dünndarms (z. B. partielle Dünndarmresektion, Medikamentenschädigung, bakterielle Überbesiedlung des Dünndarms durch Blindsack-Syndrom, Dünndarmdivertikel oder Motilitätsstörungen) eine Reduktion der D-Xyloseresorption bewirken (Lembcke 1998; Peled et al. 1991; Stein et al. 1999). Durchführung Nach Blasenentleerung trinkt der nüchterne Patient 25 g D-Xylose in 600 ml Wasser bzw. schwachem Tee. Der 5-h-Sammelharn nach Testbeginn ist vollständig zu asservieren. Venöse Blutentnahmen erfolgen zu den Zeitpunkten 0, 15, 30, 60, 90 und 120 min. Die Bestimmung der D-Xylose im Serum und Urin erfolgt photometrisch (546 nm) nach Bildung eines Chromogens mittels p-Brom-Anilin oder durch eine spezifische enzymatische Methode (Lembcke 1998; Stein et al. 1999). Normalwerte Die Ausscheidung von D-Xylose im Urin
unterliegt nicht nur möglichen Sammelfehlern, sondern wird auch durch das Alter des Patienten (Abnahme der Nierenfunktion) sowie ungenügende Hydratation, Azetylsalizylsäure und bei Hypothyreose beeinflusst. Als normal gilt eine D-Xyloseausscheidung von >4 g/5 h (26,6 mmol/ 5 h), d. h. 16% der verabreichten Dosis (25 g). Als normaler Anstieg der Serumkonzentration von D-Xylose gelten Werte von >10 mg/dl (nach 15 min) oder >20 mg/dl (30 min) bzw. >30 mg/dl (nach 60 min). Wertigkeit und Interpretation Ein pathologischer D-Xy-
losetest deutet auf Reduktion der Resorptionsfläche des Dünndarms (Sprue, Darmresektion, Kurzdarm) hin. Ein falsch-negativer Test kann durch Malabsorption bei Krankheiten des distalen Dünndarms (z. B. M. Crohn des Ileums) oder bei Maldigestion durch exokrine Pankreasinsuffizienz, Cholestase und Gallensäurenmangel bedingt sein. Leberkrankheiten mit Aszites, Niereninsuffizienz und bakterielle Überbesiedlung des Dünndarms können zu einem falsch-positivem Test führen. > Ein pathologischer D-Xylosetest weist in erster Linie auf eine Resorptionsstörung im Dünndarm hin, kann aber auch bei der bakteriellen Überbesiedlung des Dünndarms pathologisch sein. Unter letzterer Bedingung normalisiert sich der Test nach einer Antibiotikatherapie (z. B. Doxycyclin). Fehlerquellen Fehlerhafte Urinsammlung, Harnwegsinfekte, Resorptionsstörungen durch Medikamente (Indometacin, Neomycin, Metformin), Aszites, starke Veränderungen der Magenentleerung.
93 7.2 · Resorptionstests für den oberen Dünndarm
. Abb. 7.1 Stoffwechsel des Citrullin (aus Stein et al. 2006)
Citrullin-Test Citrullin ist eine Aminosäure, die aussclhießlich im Enterozyten aus Glutamin gebildet und nicht einer hepatischen Clearance unterliegt (. Abb. 7.1). Die Konzentration von Citrullin im Serum korreliert somit mit aktiven Enterozytenmasse des Dünndarms, korreliert nicht mit dem Ausmaß einer intestinalen Entzündung und ist unabhängig von der zugrundeliegenden Erkrankung (Crenn et al. 2008; Jianfeng et al. 2005; Papadia et al. 2010). Die Bestimmung erfolgt mittels HPLC-UV (Cut-off-Wert: 23 μmol/l), ist vergleichsweise weniger zeitaufwändig und kostengünstiger als der klassische Xylosetest.
7.2.3
Diagnostik bei Verdacht auf bakterielle Fehl-/Überbesiedlung des Dünndarms
Die bakterielle Überbesiedlung des Dünndarms (Synonym: Blindsacksyndrom) stellt eine Ursache des Malassimilationssyndroms dar, die klinisch nur schwer diagnostisch zu sichern und in ihrer individuellen Bedeutung zu objektivieren ist. Voraussetzung für das Entstehen einer bakteriellen Überwucherung des Dünndarms, d. h. der Besiedlung des Jejunums mit >105 Keimen einer zumeist Anaerobier enthaltenden Mischflora/ml Aspirat, ist eine Störung der Anatomie (Blindsackbildung, Divertikel) oder des migrierenden myoelektrischen Motorkomplexes (MMC), z. B. bei der Sklerodermie, chronischer intestinaler Pseudoobstruktion oder der diabetischen Enteropathie. Darüber hinaus muss eine Bedeutung sekretorischer und zellulärer
immunologischer Funktionen des Dünndarms an der Verhinderung einer bakteriellen Überbesiedlung angenommen werden (Übersicht bei Stein u. Schneider 2007). Die Diagnostik bei Verdacht auf bakterielle Überbesiedlung kann sich einerseits auf den Nachweis anatomischer bzw. funktioneller Stasebezirke und manometrische Befunde stützen, andererseits funktionsdiagnostische Aspekte einbeziehen, z. B. die Bestimmung der Stuhlfettausscheidung, den D-Xylosetest und den Schilling-Test vor bzw. nach Antibiotikatherapie. Der direkte quantitative Nachweis einer bakteriellen Überbesiedlung des Dünndarms durch etagenweise oder gezielte Gewinnung von Jejunalsaft und adäquate bakteriologische Diagnostik erfordert einen erheblichen methodischen und zeitlichen Aufwand, so dass die Methode nur auf wenige Forschungszentren begrenzt und routinemäßig nicht durchführbar ist. Vor diesem Hintergrund sind eine Reihe von Atemtests zur klinischen Erfassung einer bakteriellen Überbesiedlung entstanden, die ihrer zugedachten Rolle als konfirmative Nachweismethoden oder als Screeningtests jedoch nicht uneingeschränkt gerecht werden und nur einen Parameter im diagnostischen Mosaik darstellen können. Sie basieren auf der Detektion von bakteriellen Metabolisationsprodukten (H2 oder markiertes 13CO2 oder 14CO2) in der Atemluft oder im Urin. Die diagnostische Wertigkeit ist variabel. 4 H2-Atemtest nach Glukose 4 H2-Atemtest nach Laktulose 4 13CO2-D-Xylose-Atemtest
Glukose-H2-Atemtest Aufgrund der akzeptablen Genauigkeit, der einfachen Testdurchführung und der geringen Substratkosten wird in der klinischen Routine dem Glukose-H2-Atemtest der Vorzug gegeben. Glukose wird normalerweise im Dünndarm vollständig resorbiert und führt nicht zu einer H2-Produktion. Liegt jedoch eine bakterielle Fehlbesiedlung des oberen Dünndarms vor, so erfolgt eine vorzeitige bakterielle Fermentation zu Wasserstoff. Durchführung Endexpiratorische H2-Konzentrationen
werden vor Testbeginn sowie 30, 60, 90 und 120 min nach oraler Gabe von 75 g Glukose, gelöst in 250 ml Wasser, bestimmt. Wertigkeit und Interpretation Der Glukose-H2-Atemtest
wird als der praktikabelste Test zur Erfassung einer bakteriellen Überbesiedlung des Dünndarms angesehen. Ein Anstieg der endexspiratorischen H2-Konzentration nach oraler Glukosegabe (75 g) um >20 ppm zeigt an, dass eine bakterielle Metabolisierung des Zuckers stattgefunden hat. Da eine Malabsorption von Glukose ohne Magenresektion
7
94
Kapitel 7 · Resorptionstests
(Billroth II) oder Dünndarmresektion nicht vorkommt, zeigt ein frühzeitiger Anstieg der H2-Konzentration in der Atemluft eine bakterielle Überbesiedlung des oberen Dünndarms an. Sensitivität (65–93%) und Spezifität (ca. 90%) des Tests für eine Erfassung einer bakteriellen Überbesiedlung sind zufriedenstellend (Stein u. Schneider 2007).
4 Pankreasinsuffizienz (fehlerhafter Transfer von Vitamin B12 vom R-Protein zum Intrinsic Factor), 4 Bindung/Metabolisierung (zu Cobamiden) durch Bakterien bei bakterieller Überbesiedlung des Dünndarms, 4 Funktionseinschränkung (z. B. M. Crohn) oder Fehlen des terminalen Ileums (Resektion; Behrend et al. 1995; Caspary 1999b; Filipsson et al. 1978).
Laktulose-H2-Atemtest Die rasche Bildung, Resorption und Exhalation von H2 aus Laktulose kann auch für die Ermittlung einer bakteriellen Fehlbesiedlung im proximalen Dünndarm sowie zur Bestimmung der orozäkalen Transitzeit benutzt werden (s. unten).
7
Durchführung Ein nicht-resorbierbarer Zucker (z. B. Di-
saccharid-Laktulose) wird oral verabreicht und die H2Konzentration in der Atemluft sequenziell in kurzen Abständen (5 min) bestimmt. Ein Anstieg der H2-Konzentration nach 150–180 min korreliert dabei mit der Ankunft der Testlösungsfront im Zäkum (validiert für 10 g Laktulose in 150 ml Wasser), ein Anstieg nach 60–90 min weist auf eine bakterielle Überwucherung des proximalen Dünndarms hin (Stein u. Schneider 2007).
14C-D-Xyloseatemtest
Testprinzip und Durchführung Der basiert auf der Fähigkeit gramnegativer Bakterien, D-Xylose zu 14CO2 zu metabolisieren. 14CO2 wird in der Atemluft nach Gabe von 1 g D-Xylose mit einem Tracer von 14C D-Xylose gemessen.
Wertigkeit und Interpretation Die Sensitivität des Tests liegt zwischen 65–95%. Die Limitation liegt ebenfalls in der Strahlenbelastung durch das langlebige 14C (Stein u. Schneider 2007).
Resorptionstests für den unteren Dünndarm
Resorptionstest zur Erfassung der Funktion des unteren Dünndarms sind der Vitamin-B12-Resorptionstest (Schillingtest) sowie der SeHCAT-Test.
7.3.1
> Der Schillingtest setzt eine normale Nierenfunktion voraus. Mit Intrinsic Factor stellt er die klassische Funktionsprüfung für den unteren Dünndarm dar. Durchführung Dem nüchternen Patienten werden oral
13C-D-Xyloseatemtest
7.3
Vitamin B12 wird nach Kopplung an Intrinsic Factor im unteren Dünndarm resorbiert (Caspary 1999c; Neale 1990). Nach Resektion des unteren Dünndarms vermag der obere Dünndarm die spezifische Vitamin-B12-Resorption nicht adaptativ zu erwerben. Das Ileum besitzt spezifische Rezeptoren für den Vitamin-B12-Intrinsic-FactorKomplex, sodass die Ausdehnung einer Ileumresektion negativ mit der Vitamin-B12-Resorption korreliert (Caspary et al. 1999b; . Tab. 7.3).
Vitamin-B12-Resorptionstest (Schillingtest)
Malabsorption von Vitamin B12 kann auftreten als Ursache von: 4 Intrinsic-Factor-Mangel (bei Perniziosa oder nach Magenresektion),
0,5 μCi 57Co-Vitamin B12 verabreicht (bei Auslegung als Ileumfunktionstest mit Intrinsic Factor). Um die renale Exkretion von resorbiertem markiertem Vitamin B12 zu steigern, werden 1 h nach der Applikation des markierten Vitamins B12 intramuskulär 1000 μg nicht radioaktiv markierten Vitamins B12 verabreicht (»flushig dose«). Dadurch werden die im Serum vorhandenen Vitamin-B12-bindenden Proteine abgesättigt. Über den Mechanismus der kompetitiven Verdrängung wird radioaktives Vitamin B12 aus der Bindung mit seinen Transportproteinen herausgelöst und aus den intrazellulären Speichern entfernt. Nach beiden Applikationen wird der Urin komplett über 24 h gesammelt (Schröder et al. 1999; Stein et al. 1999). Wertigkeit und Interpretation Eine renale Ausscheidung von 10–30% der verabreichten Radioaktivität im 24-h-
. Tab. 7.3 Pathologische Vitamin-B12-Resorption im Schillingtest nach Ileumresektion. (Nach Stein et al. 1999) Ileumresektion (cm)
Pathologischer Schillingtest (%)
<30
4
30–60
45
60–90
71
>90
97
95 7.3 · Resorptionstests für den unteren Dünndarm
. Tab. 7.4 Vitamin-B12-Resorption (Schillingtest) bei verschiedenen Krankheiten Test
Perniziosa/ Gastrektomie
Sprue/Zöliakie
Bakterielle Überbesiedlung
Primäre VitaminB12-Malabsorption oder Ileumresektion
Pankreasinsuffizienz
Vitamin B12
Niedrig
Niedrig/normal
Niedrig
Niedrig
Niedrig
Vitamin B12 + Intrinsic Factor
Normal
Niedrig/normal
Niedrig
Niedrig
Niedrig
Vitamin B12 nach Antibiotikatherapie
Niedrig
Niedrig/normal
Normal
Niedrig
Niedrig
Vitamin B12 nach glutenfreier Diät
Niedrig
Normal
Niedrig
Niedrig
Niedrig
Vitamin B12 nach Pankreasenzymsubstitution
Niedrig
Niedrig/normal
Niedrig
Niedrig
Normal
Urin entspricht der Norm. Über die möglichen Interpretationen der Ergebnisse des Schillingtestes mit und ohne Intrinsic Factor . Tab. 7.4. Der Vitamin-B12-Resorptionstest mit Intrinsic Factor ist nicht spezifisch für eine Ileumfunktionsstörung, da bei bakterieller Überbesiedlung des Dünndarms Vitamin B12 von Bakterien zu unwirksamen Cobamiden metabolisiert wird (Brandt et al. 1977) und somit zu einem pathologischen Testausfall führen kann. Auch bei Pankreasinsuffizienz und Sprue kann der Test pathologisch sein. Fehlerquellen Unvollständige Urinasservation ist die häufigste Fehlerquelle. Eine Nierenfunktionsstörung kann zu falsch-positiven Testresultaten führen.
markierten Gallensäure über einen Zeitraum von 24–48 h. Eine verminderte Retention signalisiert somit einen erhöhten enteralen Verlust (Sciaretta et al. 1986). Durchführung Nach Ermittlung des Nüchternnullwerts und einer Kontrolle 30 min nach Einnahme von 37 kBq (10 μCi) 75SeHCAT wird zunächst (nach 3 h) die Ausgangsaktivität über dem Abdomen mit einer Großfeldgammakamera bestimmt. Weitere Messungen erfolgen an den nachfolgenden Tagen (2., 4., 7. Tag). Normalerweise werden 80% der Gallensäure nach 24 h retiniert, nach 72 h 50% und 19% nach 7 Tagen. Als pathologisch wird eine 75SeHCAT-Retention <25% nach 4 Tagen und <12% nach 7 Tagen gewertet. Bei Patienten mit chronischem Gallensäurenverlust beträgt die SeHCAT-Retention oft <5% (Schröder et al. 1999).
7.3.2 75SeHCAT-Test Wertigkeit und Interpretation Der SeHCAT-Test ist ein
Die klinisch-chemische Diagnostik des enteralen Gallensäurenverlusts durch enzymatische Bestimmung der Gallensäuren im Stuhl mit der 3α-Hydroxysteroid-Dehydrogenase-Methode, die Bestimmung postprandialer Anstiege konjugierter Gallensäuren im Serum mittels RIA sowie der 14C-Glykocholatatemtest (Strahlenbelastung) haben sich klinisch nicht durchgesetzt. Methode der Wahl zur Erfassung eines enteralen Gallensäurenverlusts ist eine nuklearmedizinische Methode, der SeHCAT-Test (Bai 1998; Nylin et al. 1994; Sciaretta et al. 1986; Stein et al. 1999). Testprinzip Verwendet wird eine künstliche Gallensäure, 75Selen-markierte (im Steroidgerüst an Position 23) Homo-
taurocholsäure. Nach aktiver Aufnahme im Ileum durchläuft 75SeHCAT ca. 3- bis 12-mal pro Tag den enterohepatischen Kreislauf. Gemessen wird die Retention der
sehr sensitives Verfahren, mit dem sich bereits eine Gallensäurenmalabsorption bei einer Ileumresektion von 20 cm feststellen lässt. Im Gegensatz zum 14C-Glykocholatatemtest ist er spezifisch für eine Gallensäurenmalabsorption. Der Test ermöglicht zwar die Abschätzung des Schweregrad eines Gallensäurenverlustes, vermag jedoch nicht zwischen kompensiertem und dekompensiertem Gallensäurenverlustsyndrom zu differenzieren. Hierzu dient die quantitative Stuhlfettanalyse. Fehlerquellen Auf die gleichzeitige Durchführung von
Abführmaßnahmen ist zu achten. Ionenaustauscher (Colestyramin, Colestipol) sind 3 Tage vor dem Test abzusetzen. Der SeHCAT-Test überschätzt eher den Gallensäurenverlust, bedingt durch fehlende Rückresorption der synthetischen Gallensäure im Colon ascendens (Stein et al. 1999).
7
96
Kapitel 7 · Resorptionstests
7.4
Globale Testverfahren
7.4.1
Fettmalassimilation – quantitative Stuhlfettanalyse
beiden Methoden zu falsch-normalen bzw. pathologischen Ergebnissen (Stein et al. 2006).
7.4.2 > Die quantitative Stuhlfettanalyse stellt einen wichtigen Suchtest für das Vorliegen eines Malabsorptionssyndroms dar. Sie umfasst neben Störungen der Lipolyse (pankreatische Phase der Fettverdauung) auch Störungen der hepatobiliären Phase (Mizellenbildung), der intestinalen Phase (Resorption, Reveresterung) sowie lymphatische Abflussstörungen (Caspary 1999b).
7
Damit ist die quantitative Stuhlfettbestimmung ein wichtiger diagnostischer Parameter für eine Fettmalabsorption, der jedoch keine Information über die Ursache oder Lokalisation der Störung der Digestion oder Resorption von Neutralfetten gibt. Normalerweise liegt die fäkale Fettausscheidung in 24 h unter 20 mmol Fettsäuren (6 g) und bleibt auch dann konstant, wenn die Fettzufuhr auf 150– 200 g/Tag gesteigert wird (Stein et al. 1999). Durchführung und Bestimmungsmethoden Die Messung der Fettausscheidung im Stuhl stellt eine vereinfachte Bilanzuntersuchung dar, wobei eine konstante orale Aufnahme von 80–100 g Neutralfett vorausgesetzt wird. Eine Fettzufuhr von <70 g/Tag bzw. >150 g/Tag sollte nicht unter- bzw. überschritten werden. Die Bestimmung von Stuhlgewicht und Fettausscheidung über 3 Tage (72-hStuhl) ist dabei wegen der Tag-zu-Tag-Variabilität beider Parameter als zeitliches Minimum zu betrachten. Traditionell erfolgt die Stuhlfettanalyse vielerorts noch nach der aufwendigen Van-de-Kamer-Methode (van de Kamer et al. 1949). Eine mittlere Stuhlfettausscheidung von >7 g/Tag gilt als pathologisch (Steatorrhö). Eine zunehmend eingesetzte methodische alternative Bestimmungsmethode ist die nahe Infrarotabsorptionsspektrometrie (NIRA). Im nahen Infrarotbereich (700– 2500 nm) lässt sich durch das an der Oberfläche des Stuhls reflektierte Licht in seinem Spektrum der Fettgehalt des Stuhls qualitativ und quantitativ sicher erfassen (Caliari et al. 1996; Lembcke et al. 1994; Stein et al. 1995). Fehlerquellen Neben einer unzureichenden oder inkonstanten Fettzufuhr (Beginn 3 Tage vor der Sammelperiode und während der Sammelperiode) besteht die Hauptfehlerquelle in der unvollständigen Stuhlasservation (72 h). Bei der Ernährung mit mittelkettigen Triglyzeriden (MCTKost) entstehen bei der Van-de-Kamer-Methode Fehler durch unvollständige Extraktion und in der Berechnung (geringeres Molekulargewicht). Stark entzündliche Stühle mit Schleim und Blut oder stark wässrige Stühle führen bei
β-Carotinoide im Serum
Die Bestimmung der β-Carotinoidkonzentration im Serum stellt einen indirekten Parameter zur Erfassung einer Steatorrhö dar. Die spektralphotometrische Untersuchungsmethode ist einfach, zuverlässig, preiswert und rasch verfügbar; sie ist zudem nicht mit den praktischen Problemen der Stuhlsammlung und -Bearbeitung verbunden, die Resentiments gegenüber der van-de-KamerMethode begründen. Die Methode kann daher als klinisch praktikable Alternative zur Stuhlfettanalyse eingesetzt werden, wenn eine quantitative Information über das Ausmaß einer Steatorrhö entbehrlich ist. Testprinzip Die diagnostische Anwendung dieser Bestimmungsmethode beruht auf dem Partitions- und Resorptionsverhalten des β-Carotins. Störungen der Fettassimilation führen dabei zu einer Erhöhung des Löslichkeitspotentials für β-Carotin und andere fettlösliche Substanzen (z. B. Vitamine) mit der Folge einer verminderten Aufnahme des β-Carotins aus der Nahrung. Da β-Carotin beim Menschen kaum gespeichert wird, tritt ein Absinken der β-Carotinkonzentration im Serum nach 1- bis 4-wöchiger Malassimilation von Fett (oder Carotinmangelernährung) ein. Durchführung Venöse Blutentnahme (nüchtern) von 5 ml. Nach Zentrifugation werden die β-Carotinoide aus dem Serum (1 ml) mit einem Ethanol-/Petrolethergemisch extrahiert und die Extinktion der Gelbfärbung in der Petroletherphase gemessen, die der β-Carotinkonzentration im Serum proportional ist. Wertigkeit und Interpretation Die Verminderung der β-Carotinkonzentration im Serum erlaubt die rasche Erfassung einer Steatorrhö mit einfachen Mitteln; sie lässt jedoch keine Rückschlüsse auf die Ätiologie der Malassimilation von Fett oder das quantitative Ausmaß der Steatorrhö zu. β-Carotinkonzentrationen >100 μg/100 ml schließen eine Steatorrhö von über 16 g/24 h weitgehend aus; Werte <47 μg/100 ml schließen demgegenüber eine normale Stuhlfettausscheidung praktisch aus und ermöglichen damit den Verzicht auf die quantitative Stuhlfettanalyse (Werte <100 μg/100 ml sollten als verdächtig (diagnostische Sensitivität 88%) auf eine Steatorrhö angesehen werden (Indikation zu Stuhlfettanalyse bzw. Kontrolle).
97 7.4 · Globale Testverfahren
7.4.3
Proteinmalassimilation – Nachweis intestinalen Proteinverlusts
Klinisch brauchbare Methoden zum Nachweis einer Resorptionsstörung für Proteine, Peptide und Aminosäuren existieren nicht. Nur bei seltenen angeborenen Resorptionsstörungen für Aminosäuren (z. B. neutrale Aminosäuren bei der Hartnup-Krankheit) kann die fehlende Resorption isolierter Aminosäuren durch einen oralen Belastungstest und mangelndem Anstieg der Aminosäurenkonzentration im Blut nachgewiesen werden. Klinisch bedeutsamer ist ein gesteigerter enteraler Verlust von Proteinen über Magen, Dünn- oder Dickdarm. Neben den klassischen Krankheitsbildern des M. Ménétrier und der intestinalen Lymphangiektasie kann bei über 40 Krankheitsbildern ein gesteigerter enteraler Proteinverlust auftreten. ! Cave ! An einen enteralen Proteinverlust ist immer dann zu denken, wenn Symptome der Hypoproteinämie (Ödeme, Aszites, Pleura- und Perikardergüsse) bei fehlender Proteinurie und Lebersynthesestörung auftreten. Nur in den seltensten Fällen führt eine Malnutrition zur Hypoproteinämie.
Für eine direkte Diagnostik des enteralen Proteinverlusts ist die Bestimmung der fäkalen Proteinausscheidung grundsätzlich nicht geeignet, da die in das Darmlumen ausgeschiedenen Proteine nach Verdauung als Aminosäuren zum Teil rückresorbiert werden und sich so einer Analytik entziehen. Aus diesem Grunde wurden in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Methoden beschrieben und auch klinisch angewandt, bei denen radioaktiv markierte Makromoleküle wie 131J-markierte Serumproteine, 131J-Polyvinylpyrrolidin (Gordon-Test), 67Cu-Coeruloplasmin und 69Fe-Dextran eingesetzt wurden. Bewährt haben sich klinisch lediglich der 51Cr-Albumintest, die α1-Antitrypsinclearance (Bai 1998; Strygler et al. 1990) sowie die nuklearmedizinische Ortungsdiagnostik mit 99mTc-markiertem Albumin (Schröder et al. 1999). Wegen der fehlenden Strahlenbelastung ist die α1-Antitrypsinclearence-Test der Wahl zur Erfassung eines gesteigerten enteralen Proteinverlustes (Bai 1998; Stein et al. 2006).
α1-Antitrypsinclearance Der Proteinaseinhibitor α1-Antitrypsin eignet sich vorzüglich als endogener Marker zum Nachweis der enteralen Proteinausscheidung zum einen dadurch, dass er ca. 5% des gesamten Serumproteinbestands ausmacht und sein Molekulargewicht mit 50 kDa ähnlich wie das von Albumin (67 kDa) ist, zum anderen unterliegt er nur einer ge-
ringen intestinalen Degradation und wird somit unverändert im Stuhl ausgeschieden. Durchführung Die über 72 h ausgeschiedene Stuhlmenge
wird gewogen, die native Stuhlprobe mit 0,9% NaCl 1:20 verdünnt, zentrifugiert und die α1-Antitrypsinkonzentration im Überstand mittels radialer Immundiffusion oder mittels ELISA bestimmt. Besser als Angabe der alleinigen Konzentration bzw. Menge der Stuhlausscheidung hat sich die Berechnung der Clearance bewährt, wobei zusätzlich α1-Antitrypsin im Serum zu bestimmen ist. α1-ATC [ml/24 h] =
V*F S
α1-ATC α1-Antitrypsinclearance, V mittleres Stuhlvolumen, über 3 Tage (ml/24 h), F mittlere fäkale Konzentration von α1-Antitrypsin (mg/100 ml), S α1-Antitrypsinkonzentration im Serum (mg/100 ml). Normalpersonen weisen eine intestinale α1-Antitrypsinclearance von <35 ml/Tag auf, bei ausgeprägtem Proteinverlustsyndrom werden Werte von >400 ml/Tag gefunden. Wertigkeit und Interpretation Die Methode stellt einen wertvollen Parameter in der gastroenterologischen Dünndarmdiagnostik dar. Der verstärkte Proteinverlust bei gastraler Exsudation (M. Ménétrier) wird durch die Methode jedoch nicht zuverlässig erfasst, da α1-Antitrypsin bei pH-Werten von <3 instabil ist. Krankheiten mit enteralem Proteinverlust auf dem Boden einer Lymphangiektasie führen zu einer Lymphopenie und niedrigen Triglyzeriden im Serum. Der Nachweis eines zur Hypalbuminämie führenden enteralen Proteinverlusts ohne bekannte entzündliche Grunderkrankung stellt eine Indikation zur szintigraphischen Lokalisationsdiagnostik mit 99mTc-Albumin dar (Schröder et al. 1999).
Calprotectin im Stuhl Calprotektin (Calp), ein 24 kDa großer heterodimerer Komplex, der aus einer leichten (MRP 8) und einer schweren (MRP 14) Kette mit einem Molekulargewicht von 8 kDa bzw. 14 kDa besteht, gehört zur Gruppe der S-100-Proteine neutrophiler Granulozyten. Calp ist im Stuhl bei Raumtemperatur bis 7 Tage stabil und wird bei infektiösen wie nicht-infektiösen intestinalen Entzündungen, aber auch neoplastischen Veränderungen vermehrt ausgeschieden. Bei einem Cut-off-Wert von 50 μg/g sind bezüglich dem Vorliegen einer organischen Erkrankung des Dünn- und Dickdarms positiv prädiktive Werte (PPV) von über 85% und negativ prädiktive Werte (NPV) von über 95% beschrieben worden (Schröder et al. 2007; Shastri et al. 2008; van Rheenen et al. 2010).
7
98
Kapitel 7 · Resorptionstests
7.4.4
Hyperoxalurie
Bei zahlreichen Krankheiten mit Durchfällen und Malabsorption wird ein vermehrtes Auftreten von Nierensteinen beobachtet (Caspary 1975). Vor allem bei Patienten mit M. Crohn und Ileumbefall oder -resektion (besonders häufig beim Kurzdarmsyndrom), aber auch bei Malabsorption und Steatorrhö (Sprue, chronische Pankreatitis). Es handelt sich dabei um eine Oxalatsteinnephrolithiasis, die durch eine sekundäre (enterale) Hyperoxalurie bedingt ist (Caspary 1975; Hofmann et al. 1983).
7
! Cave ! Patienten mit M. Crohn und Ileumresektion oder Kurzdarmsyndrom haben häufig eine Hyperoxalurie, die zum rezidivierenden Auftreten von Nierensteinen führt.
Normalerweise werden nur ca. 10% des mit der Nahrung aufgenommenen Oxalats resorbiert, da Oxalat im Darmlumen durch Kalzium zu unlöslichem Kalziumoxalat komplexiert wird. Zum einen bedingt die erniedrigte intraluminale Konzentration von Kalzium bei Steatorrhö (Kalzium + Fettsäuren → Kalkseifen) damit durch Wegfall der »Kalziumbremse« eine erhöhte Resorption von Oxalat, zum anderen führen Gallensäuren im Kolon durch Steigerung der Permeabilität zu einer gesteigerten Resorption von Oxalat und damit zur Hyperoxalurie. Die Bestimmung der Oxalsäure im Urin kann im 24-h-Urin erfolgen oder durch den 14C-Oxalsäureresorptionstest.
Magens (Völlegefühl, vorzeitiges Sättigungsgefühl, Meteorismus). Daher erscheint es ratsam, bei anhaltender Symptomatik und unauffälligen Magenentleerungszeiten eine Untersuchung der Dünndarmmotilität anzuschließen. Allerdings besteht eine hohe inter-, aber auch intraindividuelle Schwankung des Dünndarmtransits, die eine Interpretation der Ergebnisse hinsichtlich der klinischen Relevanz stark erschwert.
7.5.1
Laktulose-H2-Atemtest zur Messung der orozäkalen Transitzeit
Durchführung Die Durchführung des Tests wurde bereits besprochen. Die Zeitdauer bis zum Auftreten des ersten abgrenzbaren H2-Anstiegs in der Atemluft reflektiert die orozäkale Transitzeit. Wertigkeit und Interpretation Aufgrund der erheblichen interindividuellen Variabilität mit Streubreiten von 30– 150 min ist die klinisch-diagnostische Bedeutung der MundZäkum-Transitzeit-Messung (MCTT) eingeschränkt. Als Nachtteil erweist sich auch bei geringer Menge von 10 g Laktulose scheint einen (gering) akzelerierenden Effekt auf den intestinalen Transit zu bewirken, was die im Vergleich zu szintigraphischen Verfahren, die stets kürzere orozäkale Transitzeit erkärt (Stein et al. 2006).
7.5.2 13C-Lactoseureid-Atemtest zur Durchführung Zur Messung der Oxalsäureresorption können analog zum Schillingtest 370 kBq 14C-Oxalsäure oral verabreicht werden und das Erscheinen der Radioaktivität im 24- bis 36-h-Urin gemessen werden. Normal werden 9,3±3,5% der Radioaktivität im Urin ausgeschieden. Werte>15% weisen auf eine gesteigerte intestinale Resorption hin und lassen somit auf eine Hyperoxalurie schließen (Stein et al. 2006). In neuerer Zeit hat sich die direkte Bestimmung der Oxalsäure im 24-h-Urin mittels enzymatischer, kolorimetrischer oder chromatographischer (HPLC, GC) Methoden durchgesetzt. Die Referenzbereiche liegen in Abhängigkeit der Methode bei 71–42 mmol/24 h (kolorimetrisch) bzw. 7–44 mmol/24 h (enzymatisch). Werte >45 mmol/ 24 h weisen auf eine Hyperoxalurie hin.
7.5
Bestimmung der orozökalen Transitzeit
Es gibt keine einheitliche Meinung dazu, wann eine Dünndarmtransituntersuchung indiziert ist. Die Symptome einer Motilitätsstörung des Dünndarms ähneln der des
Messung der orozäkalen Transitzeit Ähnlich dem Laktulose-H2-Atemtest wird bei dem 13C-Laktoseureid-Atemtest ein Substrat verwendet, das erst durch die bakterielle Flora im Kolon hydrolysiert wird. Ein wesentlicher Vorteil des Tests ist, dass die verwendete Substratmenge (250–500 mg) so gut wie keine osmotischen Effekte entfaltet. Hierdurch vermeidet man die im Fall des Laktulose-H2-Atemtest durch eine osmotische Diarrhö bedingte Verfälschung der Ergebnisse. Zudem umgeht der 13C-basierte Test das Problem der H2-Nonproducer. Aufgrund der Substratspezifität ist am Tag vor der Durchführung des 13C-Laktoseureid-Atemtest jedoch eine »Konditionierung« der Kolonflora durch orale Applikation von nicht-markiertem Laktoseureid notwendig. Der 13C-Laktoseureid-Atemtest kann mit der Messung der gastralen Entleerung durch gleichzeitige Applikation von 13C-Azetat kombiniert werden (Wutzke et al. 2004). Durchführung Am Tag vor der Testdurchführung nimmt der Patient insgesamt 500 mg nicht-markiertes Laktoseureid in 3 Portionen zu den Mahlzeiten (je 150 mg mor-
99 7.6 · Synopsis
gens und mittags sowie 200 mg am Abend) zur Stimulation der bakteriellen Kolonflora ein. Am Untersuchungstag erhält der nüchterne Patient 500 mg Laktose-[13C]-Ureid, vermischt in einer Standardmahlzeit. Atemproben werden vor der Testmahlzeit sowie in Abständen von 30 min über insgesamt 6 h gewonnen und bzgl. ihres Gehaltes an 13CO2 analysiert (Braden et al. 2006). Aufgrund der relativ großen intra- und interindividuellen Schwankungsbreite der orozökalen Transitzeit erachten wir ein Intervall von bis zu 360 min (6 h) als normal. Fehlerquellen Aufgrund der langen Testzeit des
13C-Lak-
toseureid-Atemtests können sich insbesondere bei Kindern Probleme mit der Compliance ergeben. Zudem muss der Test – dies gilt für alle 13C-basierten Atemtests – in Ruhe durchgeführt werden, größere körperliche Aktivität ist nicht erlaubt. Untersuchungen an Kindern haben darüber hinaus gezeigt, dass die zur Metabolisierung des Laktoseureids notwendige Kolonflora sich erst mit ca. 6 Monaten entwickelt. Eine Testdurchführung vor diesem Alter ist somit nicht sinnvoll.
7.5.3
Inulin-H2-Atemtest zur Messung der orozäkalen Transitzeit
Ein weiteres Testprinzip auf der Basis kolonischer H2-Produktion verfolgt der Atemtest mit Inulin. Inulin ist ein hochpolymerisiertes Oligosaccharid, das im Gegensatz zu Laktulose deutlich geringere osmotische Effekte ausübt, so dass der Inulin-Atemtest mit dem 13C-basierten Test sehr gut korreliert. Unterschiedlich applizierte Inulin-Mengen (5, 10, 15 g) hatten keinen Einfluss auf die Messergebnisse. Die Testdurchführung erfolgt analog dem LaktuloseH2-Atemtest, wobei die Testdauer analog dem 13C-basierten Test auf bis zu 10 h ausgedehnt werden muss, bis ein Anstieg der H2-Exhalation um über 10 ppm nachweisbar ist (Schneider et al. 2007).
7.6
Synopsis
Die Interpretation pathologischer Laborparameter und Funktionstests in Bezug auf die zu erwartenden Krankheiten wird in . Tab. 7.5 zusammenfassend dargestellt. . Tab. 7.6 differenziert Ursachen der Malabsorption durch Dünndarmkrankheiten von Störungen der luminalen Digestion und Lymphabflussstörungen durch Labor- und Funktionstests.
. Tab. 7.5 Laboruntersuchungen und Funktionstests bei Verdacht auf Malabsorption Test
Normalwerte
Veränderungen bei Malabsorption
14–17 g/dl
↓ Bei Eisenmangel
Blut Hämoglobin Erythrozyten
4,2–5,6 Millionen/pl
↓ Bei Folsäure-/Vitamin-B12-Mangel
HBE
28–32 ng
↓ Bei Eisenmangel ↓ Bei Folsäure-/Vitamin-B12-Mangel
Albumin
4,0–5,0 g/dl
↓ Bei Dünndarmkrankheiten und enteralem Proteinverlust, Malnutrition
β-Carotin
60–400 μg/dl
Serum
↓ Bei Dünndarmkrankheiten ↓ Bei Dünndarmkrankheiten
Kalzium Alkalische Phosphatase
80–170 IE/l
↑ Bei Vitamin-D-Mangel, Osteomalazie
Magnesium
1,8–3,0 mg/dl
↓ Bei Dünndarmkrankheiten
Kalium
3,5–4,7 mÄq/l
↓ Bei Dünndarmkrankheiten, villösen Adenomen
Cholesterin
150–250 mg/dl
↓ Bei Dünndarmkrankheiten mit Fettmalabsorption
Eisen
65–175 μg/dl
↓ Bei Dünndarmkrankheiten, intestinalem Blutverlust
Ferritin
15–300 μg/l
↓ <5 bei Sprue, intestinalem Blutverlust
Zink
75–120 μg/dl
↓ Bei Dünndarmkrankheiten, parenteraler Ernährung
Vitamin B 12 6
150–950 pg/ml
↓ Nach Ileumresektion, Gastrektomie, bei tropischer Sprue, bakterieller Überbesiedlung
7
100
Kapitel 7 · Resorptionstests
. Tab. 7.5 (Fortsetzung) Test
Normalwerte
Veränderungen bei Malabsorption
Folsäure
2–10 ng/ml
↓ Bei Dünndarmkrankheiten: Sprue, tropischer Sprue
IgA-Gliadin-Antikörper
Negativ
Positiv bei Sprue/Zöliakie
IgA-Endomysium-Antikörper
Negativ
Positiv bei Sprue/Zöliakie
70–100%
Verlängert bei Cholestase und Dünndarmkrankheiten
D-Xylosetest (25 g oral)
>20 mg/dl über Nüchternwert (nach 30 min; >4 g/5 h im Urin
Pathologisch bei Dünndarmkrankheiten und bakterieller Überbesiedlung des Dünndarms
Glukose (75 g oral)
>35 mg/dl über Nüchternwert
»Flache Kurve« bei Sprue, Dünndarmkrankheiten
<20 ppm H2-Anstieg über Nüchternwert
↑ Bakterielle Überbesiedlung des Dünndarms, »intestinal hurry« (z. B. nach Billroth-II-Resektion)
Blutglukoseanstieg >20 mg/dl über Nüchternwert
»Flache Kurve« bei Laktoseintoleranz, Sprue, anderen Dünndarmkrankheiten
<20 ppm H2-Anstieg über Nüchternwert
↑ Bei Laktoseintoleranz, Sprue, anderen Dünndarmkrankheiten
>7% Urinausscheidung von 57Co-Vitamin B12
↓ Bei Gastrektomie, Pankreasinsuffizienz, Ileumresektion, bakterieller Überbesiedlung
<6 g/Tag
↑ Bei Pankreasinsuffizienz, Gastrektomie, Dünndarmkrankheiten (Sprue), bakterieller Überbesiedlung, Ileumresektion, Kurzdarm
Plasma Prothrombinzeit Funktionstest
7 Laktosebelastung (50 g oral)
Schillingtest Stuhlfett (Unter 80 g Fettdiät über 3 Tage) Verschiedene
↓ Retention bei erhöhtem Gallensäurenverlust: Ileumresektion, Ileumbefall durch M. Crohn, chologene Diarrhö
75SeHCAT-Test
Oxalsäure Ausscheidung im Urin
↑ Chologene Diarrhö, Kurzdarmsyndrom, Sprue, Pankreasinsuffizienz
7–44 mmol/24 h
. Tab. 7.6 Vergleich von Laborergebnissen bei 3 Typen der Malabsorption: Krankheiten des Dünndarms, gestörte intraluminale Digestion oder Lymphabflussstörungen Test
Mukosakrankheit
Störungen intraluminaler Digestion Pankreaskrankheit
Lymphabflussstörung
Bakterielle Überbesiedlung
Stuhlfett
Erhöht
Stark erhöht
Leicht erhöht
Erhöht
Dünndarmbiopsie
Pathologisch
Normal
Leicht pathologisch
Meist pathologisch
Screeningtests auf Malabsorption Prothrombinzeit
Evtl. verlängert
Evtl. verlängert
Evtl. verlängert
Evtl. verlängert
β-Carotin im Serum
Niedrig
Niedrig
Evtl. erniedrigt
Niedrig
Serumcholesterin
Niedrig
Niedrig
Niedrig
Niedrig
Albumin im Serum
Niedrig
Normal
Evtl. erniedrigt
Niedrig
Serumeisen
Niedrig
Normal
Normal
Normal
Serumfolsäure
Niedrig
Normal
Normal
Normal
Vitamin B12 im Serum 6
Normal
Normal
Evtl. erniedrigt
Normal
101 7.7 · Literatur
. Tab. 7.6 (Fortsetzung) Test
Mukosakrankheit
Störungen intraluminaler Digestion Pankreaskrankheit
Bakterielle Überbesiedlung
Lymphabflussstörung
Spezifische Malabsorptionstests
7.7
D-Xylosetest
Pathologisch
Normal
Evtl. pathologisch
Normal
Schillingtest
Normal
Pathologisch
Pathologisch
Normal
Atemtests (H2)
Normal/pathologisch
Normal
Pathologisch
Normal
Pancreolauryltest
Normal
Pathologisch
Normal
Normal
α1-Antitrypsinclearance
Pathologisch
Normal
Normal
Pathologisch
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7
102
Kapitel 7 · Resorptionstests
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7
8
Spezielle Labordiagnostik C. Beglinger, R. Driesch
8.1
Gastrointestinale Hormone
– 104
8.1.1 8.1.2 8.1.3 8.1.4
Verteilung der GEP-endokrinen Zellen im menschlichen Körper Gastrointestinale Peptide – 105 Klinische Bedeutung von gastrointestinalen Hormonen – 108 Literatur – 108
8.2
Serumenzymdiagnostik
– 108
8.2.1 Leber- und Gallenwegenzyme 8.2.2 Pankreasenzyme – 111 8.2.3 Literatur – 111
– 109
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_8, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
– 104
104
Kapitel 8 · Spezielle Labordiagnostik
8.1
Gastrointestinale Hormone C. Beglinger
8
Der Begriff »Hormon« wurde erstmals durch Bayliss und Starling im Jahre 1902 verwendet, als sie die biologische Wirkung von Sekretin beschrieben. Das Peptid Sekretin hatten sie aus der Dünndarmmukosa extrahiert und nach intravenöser Verabreichung beobachtet, dass der Extrakt einen starken Anstieg der Pankreassekretion verursachte. Das erste Hormon war also ein Botenstoff aus dem MagenDarm-Trakt; der Begriff wurde in der Folge für Substanzen verwendet, die als Botenstoffe von einer Zelle (einem Organ) produziert werden und via Blut ihre Wirkung an einem anderen Organ ausüben. Heute sind über 20 verschiedene endokrine Zelltypen im Magen-Darm-Trakt bekannt. Die meisten davon wurden erst in den letzten zwei Jahrzehnten entdeckt. Gleichzeitig mit der Entdeckung dieser endokrinen Zelltypen wurde man auf eine Gruppe von seltenen Krankheiten aufmerksam, die mit einer hormonellen Dysfunktion dieser Zellen verknüpft ist: die hormonproduzierenden Tumoren des Magen-Darm-Traktes (Falkner et al. 1984). Die endokrinen Zellen gehören zu einem Gewebe, das heute als »gastroenteropankreatisches« System oder als GEP-System bezeichnet wird. Es stellt somit das größte endo6
krine Organ des menschlichen Körpers dar (Dockray 1979; Rawdon u. Andrew 1993; Capella 1995). Hormonproduzierende Tumoren des GEP-Systems, sog. GEP-Tumoren, sind Raritäten. Gemeinsames Merkmal dieser Tumoren ist die Ausstattung mit einem Apparat zur Synthese und Sekretion von gastrointestinalen Hormonen, Neurotransmittern und Neuropeptiden. Wegen ihrer Symptome stellen sie häufig eine »Knacknuss« für den Arzt dar. Im Folgenden werden die wichtigsten gastrointestinalen Hormone vorgestellt.
8.1.1
Verteilung der GEP-endokrinen Zellen im menschlichen Körper
Das GEP-System stellt das größte endokrine Organ des Menschen dar; es ist ein integraler Bestandteil des neuroendokrinen Systems (Oberg 1998; Solcia 2000). Die wichtigsten Zelltypen mit ihren Hauptprodukten sind in . Tab. 8.1 abgebildet. Die Produkte dieser Zellen sind vorwiegend Peptide; sie wirken auf mindestens 4 verschiedene Arten, die als endokrin, neurokrin, parakrin oder autokrin bezeichnet werden (. Abb. 8.1 und Übersicht). Letztlich wirkt jedes dieser Hormone auf einen spezifischen Rezeptor; dessen Aktivierung in der Folge zu einer veränderten Zellaktivität führt. Eine schematische Darstellung dieses Ablaufes ist in . Abb. 8.2 dargestellt.
. Tab. 8.1 Verteilung von GEP-endokrinen Zellen im menschlichen Gastrointestinaltrakt Zelltyp
Hauptprodukt
Pankreas
Magen
Dünndarm Duodenum/Jejunum
Zelltyp
A
Glukagon
+
–
–
–
B
Insulin
+
–
–
–
D
Somatostatin S-14
+
+
+
+
D
Somatostatin S-28
–
–
–
+
PP
Pankreatisches Polypeptid
+
–
–
–
EC
5-Hydroxytryptamin
(+)
+
+
+
G
Gastrin
–
+
+
(+)
J
Cholezystokinin (CCK)
–
–
+
(+)
S
Sekretin
–
–
+
(+)
GIP
GIP
–
–
+
(+)
N
Neurotensin
–
–
+
+
L
GLP-1 und PYY
–
–
(+)
+
VL
Unbekannt
–
–
+
+
105 8.1 · Gastrointestinale Hormone
. Abb. 8.1 Schematische Darstellung der verschiedenen Wirkungsmechanismen von gastrointestinalen Hormonen: endokrin, autokrin, parakrin
. Abb. 8.2 Schematische Darstellung der Agonistenwirkung auf den Rezeptor
Wirkungsmechanismen von gastrointestinalen Peptiden 4 Endokrin: klassisches Hormon 4 Neurokrin: Neurotransmittersubstanz, von Nervenzellen freigesetzt 4 Parakrin: lokaler Effekt von Zelle zu Zelle 4 Autokrin: Selbstregulation
8.1.2
Gastrointestinale Peptide
Verschiedene gastrointestinale Peptide können in strukturell verwandte Gruppen zusammengefasst werden. Diese chemische Gruppierung sagt aber nichts aus über die biologische Wirkung der einzelnen Peptide, bindet doch jedes selektiv an einen spezifischen Rezeptor. Im Folgenden werden die wichtigsten Vertreter der verschiedenen Peptid-
familien vorgestellt, wobei die physiologische Bedeutung und die klinische Relevanz im Vordergrund stehen.
Gastrin-Cholezystokinin-(CCK-)Familie Gastrin Gastrin wird vorwiegend in den G-Zellen des
Magenantrums produziert. Das Gen für Gastrin kodiert für ein Prohormon, das in verschiedenen Schritten zum aktiven Gastrin transformiert wird. Gastrin wird vor allem durch Nahrungssubstrate freigesetzt. Die stärksten Stimuli für eine Gastrinfreisetzung sind kleine Peptide, Aminosäuren und Kalzium. Gewisse Substanzen im Wein, im Bier sowie im koffeinfreien Kaffee sind ebenfalls potente Stimuli für eine Gastrinfreisetzung. Die Gastrinfreisetzung führt zu einer Stimulation der Magensäureproduktion via spezifische Rezeptoren, die an den Parietalzellen, aber auch an den histaminfreisetzenden enterochromaffinen (ECL) Zellen exprimiert werden. Die Gastrinrezeptoren sind mit den CCK2- (früher CCK-B)-Rezeptoren identisch (Rehfeld 1999).
8
106
Kapitel 8 · Spezielle Labordiagnostik
> Erhöhte Gastrinspiegel werden in der Klinik nach medikamentöser Säuresekretionshemmung, nach Achlorhydrie sowie bei Patienten mit Helicobacter-pylori-Infektion gefunden. Die seltenen gastrinproduzierenden Tumoren sind auch als Zollinger-Ellison-Syndrom bekannt. Klinische Zustände mit Hypergastrinämie 4 4 4 4
Chronisch, atrophe Gastritis Helicobacter-pylori-Infektion Zollinger-Ellison-Syndrom (Gastrinom) Einnahme von Säuresekretionshemmern (H2-Rezeptorantagonisten, Protonenpumpenhemmer)
Cholezystokinin (CCK) CCK wird vorwiegend in den I-Zel-
8
len des proximalen Dünndarms produziert, doch wird es auch von Nervenzellen exprimiert und sezerniert (Milenov et al. 1998). Das Produkt der endokrinen Zellen ist ein Peptid von 58 oder 33 Aminosäuren (CCK33), während aus Nervenendigungen ein kürzeres Peptid (CCK8) freigesetzt wird. Fett und, etwas weniger ausgeprägt, Eiweiße sind die stärksten Stimuli für eine CCK-Freisetzung. Vor allem langkettige Fettsäuren, die mehr als 12 Kohlenstoffatome enthalten, sind verantwortlich für die postprandiale CCKFreisetzung. Das dadurch freigesetzte CCK stimuliert die Gallenblasenkontraktion durch Aktivierung von spezifischen Rezeptoren, den CCK1- (früher CCK-A-) Rezeptoren. Diese Rezeptoren sind vor allem an Muskelzellen der Gallenblase, aber auch an Nervenfasern aufzufinden. Zusätzlich zur Gallenblasenkontraktion stimuliert CCK auch die exokrine Pankreasenzymsekretion durch Aktivierung von CCK1-Rezeptoren an Nervenendigungen; CCK hemmt zudem die Magenentleerung sowie die Nahrungsaufnahme. Die Hemmung der Magenentleerung nach fettreicher Mahlzeit führt zu einer langsameren Entleerung der Nahrung in den Dünndarm, wodurch mehr Zeit für die Fettverdauung zur Verfügung steht. CCK ist demzufolge ein zentraler Regulator des Verdauungsprozesses. Es gibt keine bekannte Überproduktion von CCK. Patienten mit aktiver Sprue haben eine verminderte CCKFreisetzung; diese verminderte CCK-Freisetzung wird jedoch durch eine adäquate Therapie (glutenfreie Diät) wieder normalisiert.
Sekretinfamilie Sekretin Sekretin ist ein Peptid aus 27 Aminosäuren, das in den S-Zellen der duodenalen und jejunalen Mukosa produziert wird. Der Hauptstimulus der Sekretinfreisetzung ist die Magensäure, die in das Duodenum gelangt. Die Menge Magensäure, die den Dünndarm erreicht, bestimmt demnach die Sekretinfreisetzung. Sekretin ist der stärkste Reiz
der Pankreasflüssigkeits- und der Pankreasbikarbonatsekretion. Die freigesetzte Bikarbonatmenge neutralisiert in der Folge einen großen Teil der in den Dünndarm gelangten Magensäure (die restliche Neutralisation erfolgt durch Galle und durch Dünndarmsekrete). Damit entsteht ein optimales Milieu für die Pankreasenzyme und den resultierenden Verdauungsprozess (Pankreasenzyme haben ihr Wirkungsoptimum im neutralen Milieu). Glucose-dependent insulinotropic peptide (GIP) GIP ist
strukturell eng mit Sekretin verwandt. Es wird vorwiegend in den Krypten der Duodenal- und Jejunalmukosa produziert. Die Nahrungsaufnahme, vor allem Kohlenhydrate und Fette, stimulieren die GIP-Freisetzung ins Blut. Die Hauptfunktion von GIP ist eine verstärkte Insulinsekretion nach Einnahme von Kohlenhydraten. GIP ist also ein Teil eines Schutzsystems, das den Körper vor einer ungenügenden Insulinsekretion bewahrt. GIP stimuliert demzufolge die Insulinproduktion nur, wenn die zirkulierenden Blutzuckerspiegel erhöht sind. Bisher sind keine Krankheiten bekannt, die auf eine gestörte GIP-Sekretion zurückgeführt werden können. Vasoaktives intestinales Polypeptid (VIP) Die Aufklärung der Genstruktur hat ergeben, dass VIP Teil eines großen Prohormons darstellt, das ein zweites, strukturell verwandtes Peptid enthält. Dieses zweite Peptid wird PeptidHistidin-Methionin oder PHM genannt. PHM und VIP können auf den gleichen Rezeptor einwirken. Beide Peptide sind keine eigentlichen Hormone, sondern wirken als Neurotransmitter. Zirkulierende Blutspiegel sind deshalb sehr gering und bleiben durch Mahlzeiten unverändert. Die biologischen Wirkungen von VIP sind mannigfaltig. Im Vordergrund stehen Steigerung von Blutfluss und intestinalen Sekretionen, Hemmung der enteralen Muskulatur und Stimulation der Pankreasbikarbonatsekretion. Zurzeit ist nicht klar, welche dieser Wirkungen physiologisch sind, da keine geeigneten Antagonisten zur Verfügung stehen, die die Hormonwirkung blockieren könnten.
> Hohe Blutkonzentrationen von VIP führen zu einer ausgeprägten sekretorischen Diarrhö (Stuhlentleerungen von >1 l pro 24 h möglich), die mit schwerer Hypokaliämie sowie einer Achlorhydrie einhergehen kann; das Krankheitsbild wurde deshalb auch als endokrine Cholera bezeichnet. Die Ursache dieses klinischen Bildes ist ein VIP-produzierender Tumor, ein VIPom.
PP-Familie Pankreatisches Polypeptid (PP) PP wird ausschließlich im
Pankreas gefunden, vor allem am Rande der LangerhansInseln und viel weniger ausgeprägt verstreut zwischen den
107 8.1 · Gastrointestinale Hormone
Azini des exokrinen Pankreas. Intravenös verabreichtes PP ist ein potenter Hemmer der exokrinen Pankreassekretion, doch ist unklar, ob dies eine physiologische Wirkung darstellt. Die genaue physiologische Bedeutung von PP ist bisher unbekannt. Die PP-Sekretion ins Blut wird durch Nahrungsaufnahme stimuliert. Bemerkenswert ist die Beobachtung, dass die Blutspiegel von PP mit zunehmendem Alter ansteigen; die Ursache und die Bedeutung diese Phänomens sind jedoch unbekannt. Patienten mit Niereninsuffizienz weisen deutlich erhöhte Blut-PP-Konzentrationen auf, was darauf hinweist, dass die Nieren bei der Metabolisierung von PP eine wichtige Rolle spielen. Schließlich haben Patienten mit chronischer Pankreatitis reduzierte Blut-PPSpiegel, was mit einer zunehmenden Destruktion des Pankreas erklärt wird. Ein klinisches Syndrom, das mit erhöhtem Plasma-PP-Spiegel assoziiert ist, ist bisher jedoch nicht bekannt. Neuropeptid Y (NPY) NPY ist ein Neurotransmitter; das Peptid kommt sowohl im ZNS, aber auch im peripheren Nervensystem vor. Eine intravenöse Infusion von NPY verursacht eine starke Vasokonstriktion, eine Steigerung des peripheren Blutdruckes und eine Hemmung der Kolonmotilität; zusätzlich spielt NPY eine zentrale Rolle in der Appetitregulation. Peptid YY (PYY) PYY ist im Gegensatz zu NPY ein Hormon. Es wird in endokrinen Zellen des distalen Dünndarms (hauptsächlich im Ileum) und des Kolons produziert und freigesetzt. Die Freisetzung von PYY erfolgt vor allem durch Fette. Die biologischen Wirkungen von PYY umfassen die Hemmung der exokrinen Pankreassekretion, die Hemmung der Magensekretion sowie der Magenentleerung. PYY wurde deshalb als Enterogastron bezeichnet. Als Enterogastrone werden Hormone bezeichnet, die durch Fette freigesetzt werden und in der Folge Magensäuresekretion und Magenentleerung hemmen: Damit soll erreicht werden, dass die Entleerung von fetthaltiger Nahrung in den Dünndarm verzögert wird, was schließlich zu einer verbesserten Verdauung von Fetten führen soll. Kürzlich wurde beschrieben, dass PYY an der Regulation von Appetit und Sättigung beteiligt ist: PYY3–36, eine im Blut zirkulierende Form des Peptids, hemmt den Appetit und induziert ein Sättigungsgefühl. PYY erfüllt deshalb primär physiologische Aufgaben; Krankheiten, die auf eine inadäquate PYY-Freisetzung zurückgeführt werden können, sind nicht bekannt.
Somatostatine Das Gen von Somatostatin kodiert für ein aus 116 Aminosäuren bestehendes Prohormon (Gillies 1997). Dieses Pro-
hormon wird sowohl im Gehirn als auch im Magen-DarmTrakt gefunden. Aus diesem Prohormon werden zwei verschiedene, molekulare Hauptformen gebildet, Somatostatin-28 (S-28) und Somatostatin-14 (S-14). Somatostatine werden sowohl in Nervenzellen als auch in endokrinen Zellen exprimiert. Im Magen-Darm-Trakt werden mehr als 90% des Somatostatins in der Mukosa gefunden und weniger als 10% in den Muskelschichten des Darmes (Alumets et al. 1977). In der Mukosa des Darmes, aber auch im exokrinen Pankreas, wird Somatostatin in den D-Zellen nachgewiesen. Sowohl S-14 als auch S-28 werden in der Mukosa des Magen-Darm-Trakts gefunden, S-14 vorwiegend im Magen und im Pankreas, S-28 im Jejunum und im Ileum. Nach Einnahme einer fettreichen Mahlzeit steigen nur die Plasmakonzentrationen von S-28 an, während die S-14-Konzentrationen unverändert bleiben. S-28 gilt deshalb primär als zirkulierendes Hormon. S-14 eine wirkt parakrin oder neurokrin Die biologischen Wirkungen von Somatostatin sind vielfältig; ein Teil davon kann auch therapeutisch ausgenützt werden. Eine Zusammenfassung der biologischen Wirkungen von Somatostatin wird in der folgenden Übersicht gegeben. Praktisch alle biologischen Wirkungen von Somatostatinen sind hemmender Natur. Biologische Wirkungen von Somatostatinen im Magen-Darm-Trakt 4 Hemmung von gastrointestinalen Hormonfreisetzungen – Gastrin – CCK – Sekretin – VIP – Insulin – Glukagon 4 Hemmung von exokrinen Sekretionen – Magensäureproduktion – Exokrine Pankreassekretion 4 Hemmung der Motilität – Magenentleerung – Gallenblasenkontraktion 4 Hemmung der Wasser- und Elektrolytsekretion des Darmes 4 Hemmung der Splanchnikus- und Portalvenendurchblutung
Die pharmakodynamischen Wirkungen von Somatostatinen haben die Grundlage für die Entwicklung von synthetischen Analogen mit verlängerter Wirkungsdauer gebildet. Verschiedene dieser langwirkenden Somatostatinanaloga sind heute therapeutisch verfügbar und werden
8
108
Kapitel 8 · Spezielle Labordiagnostik
zur Behandlung von Krankheiten mit exzessiver Hormonproduktion (GEP-Tumoren), aber auch zur Behandlung von Varizenblutungen (Reduktion der Splanchnikus- und Portaldurchblutung) und von Fisteln verwendet. > Erhöhte Blutspiegel von Somatostatin führen zu Diabetes mellitus (Hemmung der Insulinsekretion) und zu Gallensteinen (Hemmung der Gallenblasenkontraktion). Somatostatinproduzierende Tumoren können dabei die Ursache darstellen, doch sind solche Tumoren extreme Raritäten.
8.1.3
Klinische Bedeutung von gastrointestinalen Hormonen
Milenov K, Kalfin R, Todorov S, Raichev P (1998) Neuropeptides of the cholecystokinin group: effects and mechanisms of action an the gastro–intestinal and galt bladder motility. Acta Physiol Pharmacol Bulg 23:85–91 Oberg K (1998) Gastric neuroendocrine cells and secretory products. Yale J Biol Med 71:149–154 Rawdon BB, Andrew A (1993) Origin and differentiation of gut endocrine cells. Histol Histopathol 8:567–580 Rehfeld JF (1999) The cholecystokinin-gastrin family of peptides and their receptors. Results Probl Cell Differ 26:293–321 Solcia E, Rindi G, Larosa S, Capella C (2000) Morphological, molecular, and prognostic aspects of gastric neuroendocrine tumours. Microsc Res Tech 48:339–348
8.2
Serumenzymdiagnostik R. Driesch
8
Die klinische Bedeutung von gastrointestinalen Hormonen wird primär definiert durch ihre Rolle in hormonproduzierenden Tumoren. Diese endokrinen Tumoren des Gastrointestinaltraktes sind zwar sehr selten, doch verursachen sie in der Regel sehr eindrückliche klinische Symptome (Arnold u. Frank 1996). Die gastrointestinalen Hormone können aber auch an andern Krankheiten beteiligt sein (Beispiele: Gallensteine, Motilitätsstörungen, Pankreatitis, um nur einige wenige zu erwähnen). Interessant ist die Beobachtung, dass fast alle dieser Peptide auch im Gehirn nachgewiesen werden können. Diese Befunde bilden die Grundlage für die »Hirn-Darm-Achse«. Die Bedeutung der gastrointestinalen Hormone im ZNS ist zurzeit noch unklar, doch gibt es indirekte Hinweise für zentrale Integrationsfunktionen von verschiedenen gastrointestinalen Prozessen (Sekretion, Motilität, Perzeption, Blutfluss, Nahrungsaufnahme). Es braucht noch viel Forschungsarbeit, um die Bedeutung der einzelnen Peptide genau zu verstehen. Voraussetzung sind spezifische Rezeptorantagonisten für jedes einzelne Peptid, damit die genaue Funktion definiert werden kann.
8.1.4
Literatur
Alumets J, Sundler F, Hakanson B (1977) Distribution, ontogenicity and ultrastructure of somatostatin immunoreactive cells in the pancreas and gut. Cell Tissue Res 185:465–479 Arnold R, Frank M (1996) Gastrointestinal endocrine tumours: medical management. Baillieres Clin Gastroenterol 10:737–759 Capella C, Heitz PU, Hofler H, Solcia E, Klöppel G (1995) Revised classification of neuroendocrine tumours of the lung, pancreas and gut. Virchows Arch 425:547–560 Dockray GJ (1979) Evolutionary relationships of the gut hormones. Fed Proc 38:2295–2301 Falkmer S, Hakanson R, Sundler F (1984) Evolution and tumour pathology of the neuroendocrine system. Elsevier, Amsterdam Gillies G (1997) Somatostatin: the neuroendocrine story. Trends Pharmacol Sci 18:87
Enzyme sind katalytisch wirksame Proteine, die die Geschwindigkeit von biochemischen Reaktionen beschleunigen und damit den Stoffumsatz erhöhen. Sie enthalten ein oder mehrere aktive Zentren, die für die hohe katalytische Aktivität und Spezifität verantwortlich sind. Eine medizinisch wichtige Unterscheidung ist unter anderem die zytosolische/membranständige/mitochondriale, zelluläre/ extrazelluläre Lokalisation oder die Unterscheidung von hepatischen/nicht hepatischen Enzymen. Enzymaktivitätsmessungen stellen wichtige und häufig durchgeführte Laboranalysen dar, da ihr Erscheinen oder Verschwinden aus Körpermaterial, in dem sie unter physiologischen Bedingungen gar nicht oder nur in geringer bzw. in hoher Konzentration vorkommen, von diagnostischer Bedeutung ist. So führt die Schädigung von Hepatozyten zum Austritt von zellulären Enzymen (z. B. ALT, AST) in den Blutkreislauf und dort in Abhängigkeit vom Ausmaß der Schädigung zu einem messbaren Enzymaktivitätsanstieg. Andererseits führt die chronische Schädigung von Pankreaszellen zum Untergang dieser Zellen und damit zu Abnahme, z. B. der Pankreaselastase-Konzentration im Stuhl. Die diagnostische Aussagekraft kann erhöht werden durch Messung organspezifischer (z. B. Lipase oder Pankreasamylase) oder in bestimmten Organen in besonders hoher Aktivität vorliegender Enzyme (z. B. ALT), durch Quotientenbildung von Enzymaktivitäten, z. B. zytosolischer und mitochondrialer Enzyme zur Abschätzung der Schwere der Einzelzellschädigung, durch gemeinsame Beurteilung der Aktivitäten mehrerer Enzyme oder von Isoenzymen zur Erhöhung der Organspezifität und Beobachtung des Verlaufs der Enzymaktivitäten zur Abschätzung des Ausmaßes der Organschädigung und unter Therapie zur Beurteilung der Normalisierung und damit Ausheilung einer Schädigung.
109 8.2 · Serumenzymdiagnostik
8.2.1
Leber- und Gallenwegenzyme
Alkalische Phosphatase (AP) Die Gesamt-AP ist eine Familie von 4 durch separate Gene kodierten Isoenzymen und weiteren bis zu 16 durch posttranslationale Modifikationen unterscheidbare immunologische distinkte Isoformen und Varianten. Diese immunologisch und durch verschiedene physikochemische Eigenschaften unterscheidbaren, nahezu ubiquitär vorkommenden Isoenzyme und Isoformen können durch überlappende Substratspezifitäten als Gesamt-AP gemessen werden. AP kommt praktisch in allen Geweben und Körperflüssigkeiten (Serum, Urin, Galle, Lymphe) mit jedoch relativ hohen spezifischen Aktivitäten in Leber (Haptozyten und Gallengangsepithelien), Knochen (Osteoblasten), Intestinum (Mikrovilli der intestinalen Mukosa), Plazenta, Niere (proximaler Tubulus) und Leukozyten vor. In der Zirkulation gesunder Probanden ist vorwiegend Leber- und Knochen-AP vorhanden, deren fraktioneller Anteil altersabhängig variiert (Knochen-AP bei Kindern und in der Adoleszenz in Abhängigkeit vom Knochenwachstum erhöht). In der Schwangerschaft ab dem dritten Monat ist die AP-Aktivität auf etwa das 2- bis 3-fache des oberen Normbereiches erhöht. Probanden der Blutgruppen B und 0 haben einen relativ hohen Anteil des intestinalen Isoenzyms in der Zirkulation (besonders nach fettreicher Mahlzeit), weshalb der Patient bei der Blutentnahme 12 h nüchtern sein sollte. Als Untersuchungsmaterial eignet sich Serum und Plasma (nur Heparin-P). > Bei cholestatischen (hepatobiliären) Lebererkrankungen benigner und maligner Ursache kommt es zur Induktion der AP in Hepatozyten und Gallengangsepithelien und verstärkter Abgabe in die Zirkulation. In malignen Geweben kommt es zur Expression weiterer Isoenzyme, sodass die Bestimmung der AP als Zusatzdiagnostik von malignen Tumoren mit Knochen- und/ oder Lebermetastasen dienen kann.
Die Zurückführung der AP-Erhöhung auf das involvierte Organ oder Gewebe ist durch Zusatzbestimmungen weiterer Enzymaktivitäten (z. B. LAP, γ-GT) oder durch Bestimmung von AP-Isoenzymen möglich. Eine Reihe von hepatotoxischen Medikamenten können die Gesamt-AP erhöhen bzw. vermindern.
Alaninaminotransferase (ALT) ALT (früher GPT) kommt mit den höchsten spezifischen Aktivitäten in Leber (85% zytosolisch) und Niere vor, in geringeren Konzentrationen in Herz, Skelettmuskel, Pankreas, Milz, Lunge und Erythrozyten. Die Erythrozytenaktivität der ALT beträgt das 7-fache der Serumaktivität (Hämolyse!).
> Die ALT im Blut ist eine sensitive Kenngröße gestörter Leberzellintegrität (Hepatozytennekrose) im Rahmen primärer (Hepatitis, toxische Leberschäden) und sekundärer (hämodynamisch, ischämisch) Lebererkrankungen.
Die Halbwertszeit des Enzyms beträgt 47±10 h. Bei Zellmembranpermeabilitätserhöhungen kommt es im Rahmen von Nekrosen zu einem vorzeitigen (relativ zur AST) Austritt des Enzyms in die Blutbahn. Da ALT-Aktivitätserhöhungen nur selten und in geringem Ausmaß bei extrahepatischen Erkrankungen gemessen werden, sind ALTErhöhungen weitgehend leberspezifisch. Höchste Aktivitäten finden sich bei akuter fulminanter (toxischer, infektiöser) Leberdystrophie und akuten Hepatitiden. Mäßige Anstiege finden sich bei Leberzirrhose (abhängig vom Aktivitätsgrad), Stauungsleber (Rechtsherzinsuffizienz, schwerem Kreislaufschock, akuter Anoxie), Traumatisierungen und post operationem. Die Bildung des Enzymquotienten AST/ALT dient zur Differenzialdiagnostik akuter und chronischer Lebererkrankungen. Leberschädigungen durch Pharmaka (unter anderem hochdosierte Salicylat- und Heparintherapie) können zur ALT-Erhöhung führen.
Aspartataminotransferase (AST) AST (früher GOT) ist ein nahezu ubiquitär vorkommendes Enzym mit höchsten spezifischen Aktivitäten in Myokard, Leber (Hepatozyten), Skelettmuskel und Niere. Es tritt jedoch auch in Pankreas, Milz, Lunge und Erythrozyten (15-mal höher als im Serum) auf. In den Hepatozyten liegt das Enzym zu etwa 80% mitochondrial vor. Die Halbwertszeit im Blut beträgt 17±5 h. Bei Zellmembranpermeabilitätserhöhungen im Rahmen von Nekrosen kommt es wegen der überwiegend mitochondrialen Bindung zu einem späteren Austritt der AST relativ zur zytosolischen ALT. Da die AST weder ein leber- noch ein (herz)muskelspezifisches Enzym ist, ist die diagnostische Spezifität gering. Starke Erhöhungen treten bei akuter Hepatitis und schweren toxischen Leberschädigung (Leberdystrophie) auf. Mäßige Erhöhungen werden gefunden bei Myokardinfarkt, Muskeldystrophie, Stauungsleber, akuter Pankreatitis, Lungenembolie, Nieren- und Hirninfarkt und geringe Erhöhungen bei Leberzirrhose (abhängig vom Aktivitätsgrad), Myokarditis und iatrogen nach intramuskulären Injektionen, Herzmassage, Defibrillation und postoperativ auf. Auch hochdosierte Salicylat- und Heparintherapie führt zur allerdings geringen AST-Erhöhung. Stärkere Hämolysen in vivo und in vitro führen zu AST-Erhöhungen im Serum. Zur Differenzialdiagnose akuter und chronischer Lebererkrankungen kann der AST/ALT-Quotient eingesetzt
8
110
Kapitel 8 · Spezielle Labordiagnostik
werden. In sehr seltenen Fällen tritt in der Zirkulation eine Makro-AST, bestehend aus einem hochmolekularen Komplex von AST und Immunglobulinen mit verlängerter biologischer Halbwertszeit auf. Dies führt zu unerklärlichen, isolierten und persistierenden AST-Aktivitäten bei fehlenden klinischen und histologischen Zeichen einer Leberoder Muskelschädigung.
Gammaglutamyltransferase (γ-GT)
8
γ-GT ist ein nahezu ubiquitär, mit der größten Menge in der Leber vorliegendes Enzym, das auch in Hirn, Lunge, Dünndarm, Milz, Mamma, Testes und Prostata vorkommt, jedoch nicht in Muskel, Knochen und Erythrozyten. Intrazellulär ist es zum kleineren Anteil im Zytosol lokalisiert mit einer größeren Fraktion in die Zellmembran integriert. Aktivitätserhöhungen im Serum sind vorwiegend durch hepatobiliäre Erkrankungen bedingt, wobei die höchsten Anstiege bei intrahepatischen und posthepatischen Gallengangsobstruktionen auftreten. Hierbei steigen die γ-GTAktivitäten früher an und persistieren länger als die der AP. > Da es bei hepatobiliären Erkrankungen in über 95% der Fälle zu Aktivitätserhöhungen kommt, gilt die γ-GT als die sensitivste Kenngröße dieser Erkrankungen.
Mäßige Anstiege der γ-GT werden bei Fettlebern alkoholischer und nicht alkoholischer Ursache, Medikamentenintoxikationen und Zirrhose, besonders alkoholischer Ätiologie gefunden. Langzeitige Medikation mit Antikonvulsiva und Sedativa (z. B. Phenobarbital, Phenytoin), Cephalosporinen und oralen Kontrazeptiva führt ebenso wie chronischer Alkoholabusus durch Enzyminduktion zu erhöhten Serumaktivitäten. Auch andere Medikamente wie Phenylbutazon, Hydantoine und Rifampicin ebenso wie akute und chronische Pankreatitis führen zu mäßigen γ-GT-Anstiegen. Bei Nierenerkrankungen bleibt die γ-GT im Normbereich, wohingegen Prostatakarzinome ebenso wie die Schwangerschaft zu mäßigen γ-GT-Anstiegen führen. Wie oben angedeutet, eignet sich die Bestimmung der γ-GT-Aktivität in Verbindung mit dem »carbohydrate-deficient transferrin« (CDT) zur Diagnose und Abstinenzkontrolle des chronischen Alkoholabusus.
Glutamatdehydrogenase (GLDH) Es handelt sich um ein mitochondrial in den Hepatozyten der Leber lokalisiertes Enzym, wobei es im Lebergewebe im azinuszentralen Läppchenbereich (Zone 3, in der Umgebung der Zentralvene) angereichert ist. Daneben findet sich das Enzym in geringeren Aktivitäten auch in Myokard, Nieren, Hirn, Skelettmuskel, Erythrozyten und Leukozyten.
> Diagnostisch wird die Messung der GLDH-Aktivität im Serum als Kenngröße der Leberzellnekrose eingesetzt.
Eine Freisetzung der GLDH aus den Hepatozyten zeigt wegen der mitochondrialen Lokalisierung und der hohen Molmasse eine tiefgreifende Einzelzellschädigung an. Da sich alkoholtoxische Leberschädigungen bevorzugt und frühzeitig in den Hepatozyten der Zone 3 manifestieren, sind isolierte GLDH-Erhöhungen im Serum ein Frühsymptom der Alkohohepatitis ebenso wie für eine Stauungsleber bei Rechtsherzinsuffizienz. Die Halbwertszeit in der Zirkulation beträgt 18 h. Starke Erhöhungen des Enzyms treten also bei akuter Hepatitis, akuten toxischen Leberschädigungen (z. B. durch Halothan und Phalloidin), mäßige Erhöhungen bei Leberzirrhosen, Stauungsleber (bei Rechtsherzinsuffizienz) und Mononucleosis infectiosa mit Leberbeteiligung auf. Geringe Erhöhungen werden bei Myokardinfarkt, akuter Pankreatitis und Lebertumoren gefunden. Für die Abschätzung des Schweregrades der Einzelzellschädigung der Hepatozyten kann der GLDHTransaminasenquotient herangezogen werden, wobei der Quotient umso kleiner wird, je tiefgreifender die Zellnekrose ist. ⎛AST + ALT⎞ ⎜ ⎟ ⎝ GLDH ⎠
Pseudocholinesterase (PCHE) Zu den Pseudocholinesterasen gehört eine Gruppe (ca. 29 genetische Varianten) von substratunspezifischen Sekretionsenzymen der Leber, die als Kenngröße der Lebersynthesefunktion diagnostisch Bedeutung haben. Sie kommen auch im Pankreas, Herz, Hirn und Serum vor, die Halbwertszeit in der Zirkulation beträgt ca. 10 Tage. Bei ca. 4% aller Individuen treten klinisch relevante atypische Pseudo-PCHE auf, die teilweise hochgradig verminderte Aktivitäten haben und gegenüber Inhibitoren wie Dibucain und Fluorid in unterschiedlicher Ausprägung resistent sind. > Indikationen zur Bestimmung der PCHE-Aktivität sind der Verdacht auf Vergiftung mit Insektiziden vom Typ organischer Phosphorsäuren, die zu einer kompetitiven Enzyminhibition führen.
In Abwesenheit atypischer PCHE-Varianten oder bekannter Enzyminhibitoren (z. B. Morphin, Phenothiazin) ist die PCHE-Aktivität ein sensitiver Indikator der Synthesekapazität der Leber. Verminderungen um 50% und mehr treten z. B. bei schweren akuten und fortgeschrittenen chronischen Lebererkrankungen (Zirrhose, Tumoren) auf. Erhöhungen der PCHE-Aktivität sind klinisch von untergeordneter Bedeutung.
111 8.2 · Serumenzymdiagnostik
Dibucain-Zahl (DZ) Atypische Formen der PCHE mit deutlich reduzierten Aktivitäten werden durch erhöhte Resistenz gegenüber Inhibitoren wie Dibucain und Fluorid nachgewiesen. Die Erkennung ist präoperativ wichtig, wenn Muskelrelaxanzien vom Typ des Succinylcholins (Succamethonium), welches durch PCHE abgebaut wird, Verwendung finden. Es kommt zu stark verlängerten Apnoephasen, die durch Substitution humaner PCHE therapierbar sind. Das Ausmaß der Hemmung, angegeben durch die Dibucain-Zahl (DZ) wird nach Messung der PCHE-Aktivität im Serum in einem Parallelansatz ohne und mit Dibucain nach der Formel berechnet
Tagen wieder in den Referenzbereich wieder ab. Der Aktivitätsanstieg ist nicht mit dem Schweregrad der Pankreasnekrose korreliert. Die Isoenzymbestimmung der Pankreasamylase gelingt u. a. mit Hilfe inhibitierender monoklonaler Anti-STyp Antikörper durch selektive Hemmung der Speichelamylase.
Dibucain – gehemmte PCHE
Synthese und Sekretion des Enzyms erfolgt durch die Azinuszellen des Pankreas, die geringen Mengen extrapankreatischer Lipase werden aufgrund eines abweichenden pHOptimums bei der Analytik nicht miterfasst. Wegen vollständiger tubulärer Resorption ist Pankreaslipase im Urin normalerweise nicht nachweisbar. Die Halbwertszeit im Blut beträgt 7–14 h. Die Enzymfreisetzung erfolgt bei Pankreasnekrosen im Rahmen akuter und chronisch-rezidivierender Entzündungen oder Traumatisierungen wie auch bei Pankreasgangobstruktion, Tumoren und Gewebeödemen. Bei unkompliziertem Verlauf der akuten Pankreatitis steigt die Lipaseaktivität im Serum innerhalb von 4–8 h an, erreicht den Gipfel (2- bis 50-fache des oberen Referenzbereiches) bei 24 h und fällt innerhalb von 8–14 Tagen zu Referenzwerten ab. Die Erhöhung steht nicht in direkter Proportionalität zur Schwere der akuten Erkrankung. Weiter Ursachen für Erhöhungen der Pankreaslipase können sein: ERCP, Niereninsuffizienz, Virushepatitis, Opiate; Normalaktivitäten treten bei akuter Parotitis auf. An die sehr seltene Makrolipase (Komplex aus Lipase und Immunglobulin G) muss bei moderaten Lipaseerhöhungen ohne klinisches Korrelat und normaler Amylaseaktivität gedacht werden.
DZ = 1 –
ungehemmte PCHE
× 100
Erniedrigung der DZ bei Heterozygoten im Bereich von 36–75 und bei Homozygoten ≤35 deuten auf atypische PCHE-Varianten hin.
8.2.2
Pankreasenzyme
α-Amylase > Die vorwiegend von Pankreas und Speicheldrüsen sezernierte α-Amylase spielt in der Diagnostik der Pankreatitis eine Rolle.
Das mit höchsten Konzentrationen in den Azinuszellen des exokrinen Pankreas und in Speicheldrüsen auftretende Enzym kommt in geringeren Aktivitäten auch in anderen Drüsen, Organen, Geweben, Blutzellen und Tumoren vor. Als einziges Serumenzym tritt es physiologisch auch im Urin auf, da es aufgrund seiner geringen Molekülgröße uneingeschränkt glomerulär filtriert und nur etwa zu 50% tubulär rückresorbiert wird. Die Halbwertszeit im Blut beträgt 9–18 h. Entzündungsbedingte Nekrosen des exokrinen Pankreas und/oder der Speicheldrüse ebenso wie Abflussstörungen des Pankreas oder der Speichedrüsen führen zu einem verstärkten Übertritt des Enzyms in den Blutkreislauf. Auch bei abnehmender renaler Clearance und einigen Tumoren (Lunge, Ovar) treten Erhöhungen der Serumaktivität auf. Als Makroamylasämie bezeichnet man die Bildung von Komplexen der Amylase mit Immunglobulinen, die zu einer maximal 4-fachen persistierenden Erhöhung der Serumaktivität führt. Makroamylasämie kann therapeutisch durch Infusion von Amylase-bindender Hydroxyethylstärke induziert werden. Die Makroamylasämie hat eine Prävalenz von 0,1% und keine Krankheitsrelevanz. Bei akuter Pankreatitis steigt die Serumaktivität innerhalb von 2–12 h an, erreicht mit dem 3- bis 40-fachen der Normalaktivität ihr Maximum nach 12–72 h und fällt innerhalb von 3–5
Lipase > Die Bestimmung der Aktivität der Pankreaslipase im Serum dient als Kenngröße von Pankreasnekrosen, z. B. bei (akuter) Pankreatitis.
8.2.3
Literatur
Gressner A, Arndt T (2011) Lexikon der Medizinischen Laboratoriumsdiagnostik, 2. Aufl. Springer, Heidelberg Burtis CA, Ashwood ER, Bruns DE (2007) Tietz fundamentals of clinical chemistry, 6th ed. Saunders, Philadelphia Thomas L (2007) Labor und Diagnose, 7. Aufl. TH-Books, Frankfurt/ Main
8
II
Allgemeine Viszeralchirurgie Kapitel 9
Therapeutische Endoskopie – 115 S. Truong, M. Binnebösel, N. Butz
Kapitel 10
Prinzipien der Laparoskopie A. Tittel, V. Schumpelick
Kapitel 11
Präoperative Risikoabschätzung A. Reber, D. Scheidegger, R. Babst
Kapitel 12
Prinzipien der Laparotomie J. Conze, K. Junge
Kapitel 13
Die chirurgische Naht K. Böttcher, W.R. Marti
Kapitel 14
Drainage der Bauchhöhle M. Binnebösel, K. Junge
Kapitel 15
Allgemeine Transplantationsmedizin – 193 U.P. Neumann, M. Schmeding, R. Pfitzmann, P. Neuhaus
Kapitel 16
Postoperativer Verlauf und seine Störungen – Chirurgische Intensivmedizin in der Viszeralchirurgie – 201 H. Bartels
Kapitel 17
Ambulante Chirurgie R. Lorenz
Kapitel 18
Blutung, Blutersatz, Blutgerinnung L. Lehr
– 143
– 151
– 157
– 163
– 183
– 209
– 215
Kapitel 19
Prävention und Antibiotikatherapie postoperativer Komplikationen – 223 S. Lemmen, C. Eckmann
Kapitel 20
Allgemeine chirurgische Prinzipien beim akuten Abdomen – 233 M. Stumpf, R. Rosch
Kapitel 21
Abdominelle Sepsis und Peritonitisbehandlung H. Bartels, J. Höer, A. Schachtrupp, C. Töns†
Kapitel 22
Spezielle chirurgische Prinzipien in der Behandlung des traumatischen Abdomens – 255 J. Rosenkranz, R. Babst
Kapitel 23
Allgemeine chirurgische Prinzipien in der Behandlung des Ileus – 275 S. Müller
– 239
9
Therapeutische Endoskopie S. Truong, M. Binnebösel, N. Butz
9.1
Übersicht über die therapeutischen Möglichkeiten
9.2
Polypektomie
– 117
9.2.1 Technik – 117 9.2.2 Komplikationen – 118 9.2.3 Vorgehen nach Polypektomie
9.3
– 117
– 119
Endoskopische Mukosaresektion
– 119
9.3.1 Indikationen – 120 9.3.2 Technik – 120
9.4
Endoskopische Papillotomie und Steinextraktion aus den Gallenwegen – 122
9.4.1 9.4.2 9.4.3 9.4.4
Indikationen – 122 Technik – 122 Endoskopische Therapie von Gallengangskonkrementen Ergebnisse – 124
9.5
Endoskopische transpapilläre Gallengangsdrainage
9.5.1 9.5.2 9.5.3 9.5.4
Indikationen – 124 Technik – 125 Ergebnisse – 126 Komplikationen – 126
9.6
Endoskopische Therapie der chronischen Pankreatitis
– 123
– 124
– 127
9.6.1 Stenosen des Ductus wirsungianus – 127 9.6.2 Steine im Ductus wirsungianus – 127 9.6.3 Pankreaspseudozysten – 127
9.7
Endoskopische Therapie gutartiger Stenosen im Gastrointestinaltrakt – 128
9.7.1 Endoskopische Therapieverfahren – 128 9.7.2 Endoskopische Therapie der Ösophagusachalasie
9.8
– 129
Endoskopische palliative Tumortherapie im gastrointestinalen Trakt – 130
9.8.1 Endoskopische Stentimplantation 9.8.2 Lasertherapie – 131
– 130
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_9, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
9.9
Perkutane endoskopische Gastrostomie
– 132
9.9.1 Indikationen – 132 9.9.2 Technik – 133 9.9.3 Komplikationen – 133
9.10 Blutstillung bei oberer gastroduodenaler Blutung 9.10.1 9.10.2 9.10.3 9.10.4
Differenzialdiagnostik – 134 Ablauf in der Klinik – 135 Endoskopische Therapie – 135 Technik – 136
9.11 Fremdkörperextraktion 9.12 Literatur
– 139
– 138
– 134
117 9.2 · Polypektomie
Die Begriffe »therapeutische« und »operative« oder »chirurgische« Endoskopie werden heute überwiegend synonym für alle Eingriffe verwendet, die unter endoskopischer Kontrolle durchgeführt werden. Zahlreiche chirurgische Eingriffe können heute auf endoskopischem Wege mit dem damit verbundenen geringeren Risiko für den Patienten vorgenommen werden. Die erste therapeutische Maßnahme, die über den Arbeitskanal des flexiblen Endoskops durchgeführt wurde, war die Abtragung von gestielten Polypen mit einer Drahtschlinge unter Verwendung von Hochfrequenzströmen (Deyhle et al. 1974). Das Spektrum der therapeutischen Endoskopie ist seitdem breiter geworden. Die Grundvoraussetzung dafür liefert die Industrie mit stetigen technischen Verbesserungen, z. B. durch die Produktion großlumiger Operationsendoskope oder durch die Weiterentwicklung der entsprechenden Hilfsinstrumente, wie Schlingen, Dormiakörbchen, Papillotomen, Zangen, Scheren, Injektionssonden und Clipapplikatoren. Bei allen im Folgenden dargestellten Behandlungstechniken handelt es sich um klinisch etablierte Verfahren. Die Vorteile der therapeutischen Endoskopie sind: 4 Defensives Eingreifen ohne Eröffnung einer Körperhöhle 4 Minderung der Komplikationsrate 4 Möglichkeit der ambulanten Behandlung bzw. kürzere stationäre Aufenthaltsdauer 4 Niedrige Behandlungskosten
9.1
Übersicht über die therapeutischen Möglichkeiten
Zu den standardisierten therapeutischen Eingriffen gehören heute: 4 Endoskopische Blutstillung 4 Polypektomie 4 Endoskopische Mukosaresektion (EMR) 4 Bougierung und Dilatation von Stenosen 4 Palliative Therapie maligner Stenosen durch 5 Laser 5 Stenteinlage 5 Endokavitäre Strahlentherapie in AfterloadingTechnik 5 Lokale Applikation von Kryo- oder Thermosonden 5 Lokale Alkoholinjektion 5 Schlingenresektion 4 Perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG)
4 Endoskopische Papillotomie (EPT) 5 Gallengangsdrainage 5 Entfernung von Gallengangssteinen 4 Endoskopische Drainage von Pankreaspseudozysten, Therapie von chronischen Pankreatitiden 4 Fremdkörperentfernung 4 Sondeneinführung zur Dekompression bei Ileus 4 Koloskopische Dekompression bei Pseudoobstruktion 4 Blutstillung 4 Septektomie bei Zenker-Divertikel
9.2
Polypektomie
Als Polypen (griech. polypos = Tintenfisch) bezeichnet man erhabene Schleimhautveränderungen oder Vorwölbungen in das Darmlumen, die über das Niveau der Schleimhaut hinausragen. Man unterscheidet »nicht neoplastische« und »neoplastische« Polypen. Bei den neoplastischen Polypen beträgt der Anteil der Adenome ca. 80% (Winawer et al. 1988; Hamilton et al. 2000). Die histologische Differenzierung sowie die Feststellung von Malignitätsgrad, Infiltrationstiefe und Lymphgefäßeinbrüchen ist nur durch die Aufarbeitung des gesamten Gebildes möglich. Die Polypektomie ist daher primär ein diagnostischer Eingriff. Auf der anderen Seite existiert die Hypothese, dass aus benignen Adenomen invasive Karzinome entstehen können (Adenom-Karzinom-Sequenz; Hermanek 1992), sodass die gezielte endoskopische Polypektomie die Inzidenz von kolorektalen Karzinomen um bis zu 90% senken kann (Winawer et al. 1993, Brenner et al. 2001; Citarda et al. 2001; Bujanda et al. 2010). ! Cave ! Kontraindikationen zur endoskopischen Polypektomie sind hämorrhagische Diathesen, Polypen mit einem Basisdurchmesser von mehr als 3 cm, floride entzündliche Darmerkrankungen und dekompensierte kardiopulmonale Insuffizienzen.
Für eine sichere histologische Beurteilung ist die komplette Polypektomie, d. h. die Abtragung sämtlicher Polypenanteile, notwendig.
9.2.1
Technik
Vor der Polypektomie muss eine Darmvorbereitung durch orthograde Spülung oder Gabe von Laxanzien durchgeführt werden. Immunsupprimierte Patienten oder Patienten mit Vitien erhalten kurz vor dem Eingriff eine Antibiotikagabe zur Endokarditisprophylaxe. Vor der Abtragung sind der ganze Polyp sowie seine Basis genau zu inspizieren. Zur besseren Inspektion ist manchmal eine
9
118
Kapitel 9 · Therapeutische Endoskopie
der Basis des Polypen mittels Endoloop oder Haemoclip angebracht werden (. Abb. 9.2). Die Komplikationsrate der Polypektomie kann durch eine submuköse Unterspritzung vor der Abtragung signifikant gesenkt werden.
9.2.2
. Abb. 9.1 Technik der endoskopischen Polypektomie mittels Diathermieschlinge
9
Umlagerung des Patienten oder eine diskrete Manipulation des Polypen mit der geschlossenen Biopsiezange erforderlich. Die Polypektomieschlinge wird in Höhe des Polypen ausgefahren und über den Polypen gelegt. Unter gleichzeitigem Vorschieben der Sonde wird die Schlinge soweit eingezogen, bis sie den Stiel umfasst. Um das Risiko der Perforation bzw. Verletzung der Darmwand durch die Spitze der Schlinge zu minimieren, werden Endoskop und zugezogene Polypektomieschlinge der Art in das Darmlumen angehoben, dass sich der Polyp von der Mukosa abhebt und in das freie Lumen luxiert wird (. Abb. 9.1). Zudem erfolgt die Abtragung mit intermittierenden Stromstößen. Um die Blutungsgefahr zu minimieren, soll ein sog. Koagulationsstrom verwendet werden. Zur Vorbeugung von Komplikationen während der Polypektomie, z. B. Blutungen oder Perforationen, kann vor der Abtragung eine submuköse Unterspritzung an der Basis des Polypen mit verdünnter Adrenalinlösung (1:10.000) durchgeführt werden. Bei großen gestielten Polypen kann auch eine Ligatur an
a
b
. Abb. 9.2a–c Schritte bei der endoskopischen Abtragung eines Kolonadenoms. a Gestieltes Adenom vor der Abtragung, b Anlage eines
Komplikationen
Blutungen und Perforation stellen die häufigsten Komplikationen der Polypektomie dar. Weitere seltene Komplikationen wie Postpolypektomiesyndrom, Pneumoperitoneum und Milzruptur werden in der Literatur beschrieben.
Blutung Die häufigste Komplikation ist die Blutung, die gewöhnlich sofort nach Polypektomie auftritt. Es handelt sich in der Regel um eine leichte Sickerblutung, die spontan sistiert. Gelegentlich kommt es auch zu einer arteriellen Spritzblutung, die eine sofortige endoskopische Therapie erfordert. Ursachen für Blutungskomplikationen 4 Abtragung eines breitbasigen Polypen 4 Unvollständige Gefäßkoagulation 4 Polypektomie bei Patienten mit Gerinnungsstörungen 4 Mangelhafte Technik bei der Abtragung 4 Verwendung von Schneidestrom mit hoher Stromstärke
Eine spätere Sekundärblutung kann zwischen dem 2. und 14. postoperativen Tag auftreten. Als Ursache wird angenommen, dass sich das Blutkoagel, welches sich an der Abtragungsstelle ausbildet, durch eine nachfolgende Entzündungsreaktion im Abtragungsbereich ablöst. Sekundär-
c Endoloop vor der Abtragung, c Bild des komplett abgetragenen gestielten Adenoms
119 9.3 · Endoskopische Mukosaresektion
Die insufflierte Luft entweicht, das Darmlumen kollabiert, und der Patient klagt gleichzeitig über heftige Schmerzen. In manchen Fällen verläuft die Perforation auch schleichend, und die Symptome treten erst nach einem Intervall von einigen Stunden bis zu 36 h auf. Bei einer gedeckten Perforation tritt die Beschwerdesymptomatik häufig verzögert auf (12–24 h nach der Polypektomie). Bei der Röntgenuntersuchung lässt sich keine freie Luft in der Bauchhöhle nachweisen. Die Beschwerden sind wahrscheinlich Folge einer Hitzeschädigung der Darmwand sowie einer entzündlichen Reaktion des Peritoneums. Therapie Bei einer freien Perforation ist die sofortige chi-
. Abb. 9.3 Behandlung einer Nachblutung nach Polypektomie durch nachträgliches Anlegen eines Endoloop an die Basis des Polypen
blutungen werden häufig bei Patienten beobachtet, die Thrombozytenaggregationshemmer oder Antikoagulanzien einnehmen. Die Inzidenz einer Blutung nach Polypektomie wird in der Literatur mit 0,8–1,7% angegeben (Frühmorgen et al. 1990). Therapie Tritt eine Blutung unmittelbar nach der Polypektomie auf, so kann die Blutungsstelle endoskopisch durch folgende Techniken behandelt werden: 4 Endoskopische Ligatur (Endoloop, Clips; . Abb. 9.3) 4 Lokale Unterspritzung durch mit Kochsalz verdünnte Adrenalinlösung (1:10.000) 4 Elektrokoagulation (cave: Perforation bei Koagulation an der Abtragungsstelle)
> Nur bei massiver, endoskopisch nicht beherrschbarer Blutung ist eine operative Therapie indiziert.
Perforation Das Risiko einer Darmperforation nach Polypektomie im Kolon liegt zwischen 0,25% und 0,5% (Frühmorgen et al. 1990). Neben der direkten Perforation ist auch eine »zweizeitige« Perforation, bedingt durch eine Einsetzende Vollwandnekrose in der Folge eines elektrothermalen Schadens zu beachten (Matsukuma et al. 1999).
rurgische Therapie indiziert. Nach Knoch liegt die Letalität einer Kolonperforation unter 20%, wenn innerhalb der ersten 8 h gehandelt wird. Sie steigt auf über 50%, wenn die Perforation erst nach 24 h oder später einer Therapie zugeführt wird. Bei einer gedeckten Perforation wird das Therapieverfahren kontrovers diskutiert. Bei Patienten mit milden klinischen Symptomen kann eine konservative Therapie durch Antibiotikagabe und parenterale Ernährung unter strengen klinischen und laborchemischen Kontrollen versucht werden.
9.2.3
Vorgehen nach Polypektomie
Nicht-neoplastische Polypen wie Hamartome (bei juveni-
len und Peutz-Jeghers Polypen) und hyperplastische Polypen weisen kein malignes Potenzial auf. Eine Nachsorge mit endoskopischer Kontrolle ist nur bei Patienten mit multiplen Polypen oder bei familiären Karzinombelastungen zu empfehlen. Neoplastische Polypen wie Adenome können sich zu invasiven Karzinomen entdifferenzieren. Daher ist nach kompletter Polypektomie eine erste Kontrolle nach 3 Jahren, dann in 5-jährigem Intervall indiziert. Bei inkompletter Polypektomie ist eine endoskopische Kontrolle bereits nach 3 Monaten erforderlich. Invasives Wachstum (pT1): Bei Low-risk-Frühkarzinomen ist eine endoskopische Kontrolle nach 6, 24 und 60 Monaten erforderlich. Bei High-risk-Frühkarzinomen ist eine chirurgisch-onkologische Therapie indiziert (Schmiegel et al. 2000; Hahne et al. 2004).
Klinische Symptomatologie Charakteristisch sind abdomi-
nelle Schmerzen mit zunehmender Intensität, Peritonismus und Fieber. Häufig lässt sich eine subphrenische Luftsichel in der Abdomenleeraufnahme im Stehen nachweisen. Die Diagnose einer Perforation ergibt sich in manchen Fällen bereits während der endoskopischen Untersuchung:
9.3
Endoskopische Mukosaresektion
> Die endoskopische Mukosaresektion (EMR) wird zur Behandlung von Frühkarzinomen des oberen und unteren Gastrointestinaltraktes eingesetzt.
9
120
Kapitel 9 · Therapeutische Endoskopie
. Tab. 9.1 Häufigkeit von Lymphknotenmetastasen Organ
9
Tumorinfiltration Mukosa
Submukosa
Ösophagus
4%
35%
Magen
0–5%
10–20%
Kolon
2–3%
8–12%
Frühkarzinome (Carcinoma in situ, mukosale, intramukosale, intraepitheliale Karzinome) sind histologisch nur auf die Mukosa beschränkt und weisen eine niedrige Rate von Lymphknotenmetastasen auf (0–5%; Kojima et al. 1998). Bei Infiltration der Submukosa erhöht sich die Rate der Lymphknotenmetastasen auf bis zu 35% (Netzer et al. 1998; Frühmorgen et al. 2003; . Tab. 9.1). Durch konsequente Weiterentwicklung und Verbesserung der Endoskopie, z. B. durch Chromoendoskopie und Vergrößerungsendoskopie (High-resulution- und Magnifikationsendoskopie), ist die Früherkennungsrate der Frühkarzinome und adenomatösen Krebsvorstufen im Gastrointestinaltrakt angestiegen. In Japan beträgt der Anteil der Frühkarzinome bei Ösophaguskarzinomen 24% (Yoshinaka et al. 1991), bei Magenkarzinomen 50% (Shimuzu et al. 1995) und bei Kolonkarzinomen 20% (Schida et al. 1996). Zur Behandlung dieser Frühkarzinome stehen verschiedene endoskopische Verfahren wie photodynamische Therapie, Lasertherapie, Argon-Plasma-Koagulation oder endoskopische Mukosaresektion zur Verfügung. Im Vergleich zu den thermischen Destruktionsverfahren ist bei der EMR eine histologische Untersuchung des resezierten Präparates möglich (Rembacken et al. 2001). Aus diesem Grund wird die EMR zunehmend in westlichen Ländern zur Therapie von Frühkarzinomen im Gastrointestinaltrakt eingesetzt.
9.3.1
Indikationen
Im Ösophagus ist die EMR bei Frühkarzinomen der Typen m1 und m2 indiziert, wobei der Tumordurchmesser weniger als 2 cm betragen soll. Bei Magenfrühkarzinomen ist die Indikation zur EMR beim intestinalen Typ, bei Mukosabefall und bei den makroskopischen Typen I, IIa und IIb ohne Ulzeration gegeben (. Abb. 9.4). Außerdem soll der Tumordurchmesser kleiner als 2 cm sein (Tani et al. 2003). Im Allgemeinen soll der Tumor gut differenziert und nicht größer als 2 cm im Durchmesser sein. Bei ulzerierter Form ist aufgrund der Fibrosierung eine Anhebung der
. Abb. 9.4 Makroskopische Einteilung der Frühkarzinome
. Abb. 9.5 Diathermiemesser mit isolierter Spitze
. Tab. 9.2 Einteilung der Karzinominvasion Stadium
Definition
m1
Epithelialkarzinom oder Mukosakarzinom mit Infiltration in die Lamina propria
m2
Befall zwischen m1 und m3
m3
Mukosakarzinom mit Infiltration in die Lamina muscularis mucosae
sm1
Submukosakarzinom mit Befall des ersten Drittels der Submukosaschicht
sm2
Submukosakarzinom mit Invasion des mittleren Drittels der Submukosaschicht
sm3
Massive Invasion der Submukosa
Läsion von der Submukosa durch Unterspritzung nicht möglich. Vor der endoskopischen Mukosaresektion ist ein Ausschluss von Lymphknotenmetastasen durch den Einsatz der Endosonographie möglich. Die Trefferquote zur Differenzialdiagnose zwischen Mukosa- und Submukosabefall liegt bei der Endosonographie mit 20-MHz-Schallkopf bei 71–91%. Dies ist von Bedeutung, da eine endoskopische Mukosaresektion nur bis einschließlich des Stadium m2 eine ausreichende Sicherheit bietet. Tumoren der Stadien m3 + sm1 stellen wegen der relevanten Rate an Lymphknotenmetastasen nur eine relative Indikation zur EMR dar (. Tab. 9.2 und . Abb. 9.5; Shim 2001).
9.3.2
Technik
Prinzipiell können folgende 3 Techniken angewendet werden: 4 Technik mit Injektion und Exzision ohne Aspiration (Strip-Biopsie)
121 9.3 · Endoskopische Mukosaresektion
4 Aspirationsmukosektomie mit Zylindervorsatz (Inohue et al. 1993) 4 Modifizierte Technik, z. B. EMR mittels Diathermiemesser mit isolierter Spitze (Ohkuwa et al. 2001)
Eine Markierung der Läsion vor submuköser Unterspritzung erleichtert die nachfolgende Abtragung. Die Unterspritzung selbst senkt das Perforationsrisiko während der Abtragung.
Injektion und Exzision ohne Aspiration (Strip-Biopsie) Bei der Strip-Biopsie-Technik wird zunächst die Basis der Läsion durch eine submuköse Injektion mit Kochsalzlösung oder mit dickflüssig-viskösen Substanzen mit langanhaltendem Effekt, wie z. B. Glyzerol, Hydroxypropyl, Methylzellulose oder Natriumhyaluronat, unterspritzt (Fujishiro et al. 2004). Zur besseren Erkennung der Läsion kann auch eine Mischung von 0,5 ml Methylenblau und 10 ml NaCl verwendet werden. Die durch die Unterspritzung erhabene Läsion wird dann mittels endoskopischer Schlinge reseziert (. Abb. 9.6). Diese Technik lässt sich einfacher durch den Einsatz von Endoskopen mit 2 Arbeitskanälen durchführen: Über den ersten Arbeitskanal wird die Schlinge um die zu resezierende Läsion gelegt, über den zweiten Arbeitskanal wird die Läsion gleichzeitig mit Hilfe einer Fasszange angehoben. Anschließend kann die Läsion abgetragen werden.
Aspirationsmukosektomie mit Zylindervorsatz Nach Loka-
a
c
lisation der Läsion mittels Chromoendoskopie wird diese durch submuköse Unterspritzung mit Kochsalzlösung oder einer gleichwirksamen Substanz angehoben. Der Zylindervorsatz aus transparentem Plastik wird an der Spitze des Endoskops angebracht. Die eingeführte dünne Schlinge wird nun an der inneren Kante des Zylindervorsatzes ausgefahren. Der Tumor wird in den Zylinder hineingesaugt und die Schlinge kann zugezogen werden; danach erfolgt die Abtragung des Tumors (. Abb. 9.7). EMR mittels Diathermiemesser mit isolierter Spitze Nach
der Unterspritzung wird zunächst eine kleine Inzision mit einem konventionellen Messer durchgeführt. Die weitere Tumorexzision erfolgt dann mit dem Diathermiemesser mit isolierter Spitze. Diese isolierte Spitze verhindert das Tieferschneiden bei der Resektion (. Abb. 9.8).
b
d
. Abb. 9.6a–d Schritte bei der Strip-Biopsie eines breitbasigen Adenoms. a Schematische Darstellung der Technik der Strip-Biopsie, b endoskopisches Bild des Adenoms vor der Biopsie, c gleiches
Adenom nach submuköser Injektion, d Abtragungsstelle nach Strip-Biopsie
9
122
Kapitel 9 · Therapeutische Endoskopie
. Abb. 9.8 Stadien der Karzinominvasion in Mukosa und Submukosa
9 . Abb. 9.7a,b Technik der Aspirationsmukosektomie. a Kopf des Instruments mit ausgefahrener Diathermieschlinge, b einzelne Arbeitsschritte bei der Mukosektomie
Endoskopische Papillotomie und Steinextraktion aus den Gallenwegen
9.4
Die endoskopische Sphinkterotomie wurde im Jahre 1974 in Deutschland durch Classen und Demling sowie in Japan durch Kawai eingeführt. Die Spaltung des Sphinkter Oddi ist die Voraussetzung für viele diagnostische und therapeutische Eingriffe im Gallengang- und Pankreasgangsystem.
9.4.1
Indikationen
Indikationen zur endoskopischen Papillotomie 4 4 4 4 4 4
Gallengangskonkremente Papillenstenose Septische Cholangitis Biliäre Pankreatitis Drainage bei postoperativen Gallengangsläsionen Gallengangsdrainage bei inoperablem Verschlussikterus
> Die Durchführung einer endoskopischen Papillotomie sollte immer mit einer therapeutischen Option begründet sein.
. Abb. 9.9 Technik der EPT
9.4.2
Technik
Zur endoskopischen Papillotomie (EPT) wird ein Duodenoskop mit Seitenoptik verwendet. Nach Darstellung der Papilla vateri und Sondierung des Gallengangs mit dem Papillotom wird der Schneidedraht in 12-Uhr-Position eingestellt (. Abb. 9.9). Dies ist wichtig, um eine Verletzung von Duodenalwand oder Pankreasgang zu vermeiden. Mit kurzen Stromstößen wird eine Kombination von Schneide- und Koagulationsstrom durch einen Hochfrequenzgenerator abgegeben. In der gleichen Zeit wird das Papillotom dosiert zurückgezogen. Zur Vermeidung von Blutungen soll die Schnittführungen nicht über die Querfalten der Papille hinausgehen. Die gesamte Komplikationsrate der EPT liegt unter 6,8% (Blutung 2,6%, Cholangitis 1,8%, akute Pankreatitis 1,3%, Perforation 1,1%; Barthet et al. 2002; Mutignani et al. 2004).
123 9.4 · Endoskopische Papillotomie und Steinextraktion aus den Gallenwegen
a
b
. Abb. 9.10a,b Bergung eines Gallengangkonkrements. a Darstellung des Konkrements im Ductus choledochus, b Extraktion des Konkrements mit Dormiakörbchen
9.4.3
Endoskopische Therapie von Gallengangskonkrementen
Diese Techniken können entweder durch einen endoskopisch retrograden Zugang oder durch einen perkutan transhepatischen Zugang erfolgen.
Steinextraktion Die endoskopische Steinextraktion kann mit Hilfe eines Dormiakörbchens durchgeführt werden. Dazu wird das Dormiakörbchen in geschlossenem Zustand in den Gallengang proximal des Steins vorgeschoben. Nach Öffnen der Fangarme wird dann der Stein unter Vor- und Rückwärtsbewegungen in das Körbchen eingefangen und aus dem Gallengang entfernt (. Abb. 9.10). Die Erfolgsrate der endoskopischen Steinextraktion nach EPT liegt bei ca. 85%. Gallengangsteine sind schwierig oder unmöglich zu entfernen, wenn die Steine sehr groß sind oder wenn ein Missverhältnis zwischen der Größe der Steine und der Lumenweite des Gallengangs besteht (. Abb. 9.11). Schwierigkeiten sind ab einer Steingröße von 15 mm Durchmesser zu erwarten.
Mechanische Lithotripsie Der mechanische Lithotripter funktioniert nach dem gleichen Prinzip wie die Steinextraktion mit Dormiakörbchen. Er besteht aus einem Körbchen in einem längsstabilen und flexiblen Stahlmantel (. Abb. 9.12). Bei der Litho-
Steinfragmentation Es gibt verschiedene Techniken zur Fragmentierung von Gallengangssteinen, wenn eine endoskopische Extraktion bei großen Konkrementen misslingt: 4 Mechanische Lithotripsie 4 Elektrohydraulische Lithotripsie 4 Ultraschalllithotripsie 4 Laserlithotripsie
. Abb. 9.11 Missverhältnis zwischen großem Konkrement und engem Lumen im distalen Ductus choledochus
9
124
Kapitel 9 · Therapeutische Endoskopie
einfachste Technik im Hinblick auf Praktikabilität, Effizienz und Kosten. Die Erfolgsrate der mechanischen Lithotripsie liegt bei 85%. Dies führt zu einer allgemeinen Steigerung der gesamten Erfolgsrate von endoskopischen Methoden bei Gallengangssteinen bis auf 97%. Laser, elektrohydraulische Lithotripsie und Schockwellen sind zusätzliche effektive Methoden. Die endoskopische Platzierung von Gallengangsendoprothesen bleibt älteren Patienten mit hohem chirurgischem Risiko vorbehalten (Costamagna et al. 2001; Shah et al. 2002; Neuhaus 2004). > Mit den aktuell verfügbaren endoskopischen Verfahren ist es möglich, 97% aller Gallenwegskonkremente zu extrahieren.
9
. Abb. 9.12 Abbildung eines mechanischen Lithotripters
9.5
Endoskopische transpapilläre Gallengangsdrainage
tripsie wird über einen Gewindemechanismus Zug auf den Führungsdraht des Dormiakörbchens ausgeübt, sodass die Fangarme des Körbchens das eingefangene Konkrement durchschneiden. Die allgemeine Erfolgsrate der mechanischen Lithotripsie liegt bei 85%.
9.5.1
Indikationen
Lasertherapie Bei dieser Technik kommt ein gepulster Laser zum Einsatz, dessen hohe Energie während der Behandlung in mechanische Energie umgewandelt wird, die den Stein desintegriert. Über einen in den Arbeitskanal des Endoskops eingeführten flexiblen Lichtleiter wird dabei die Laserenergie zum Konkrement transportiert. Der Vorteil des Lasers scheint zu sein, dass die hohe Energie auch große Steine zerstören kann. Der Nachteil dieser Methode besteht darin, dass der Eingriff nur unter endoskopischer Sicht durchgeführt werden kann und mit hohen Kosten verbunden ist. Die Erfolgsrate der Laserlithotripsie wird mit 95% angegeben, Nebenwirkungen wurden bisher im Bereich der Gallengänge nicht beobachtet.
Extrakorporale Schockwellen In einer prospektiven multizentrischen Studie bei 113 Patienten mit Gallengangsteinen konnte Sauerbruch eine Erfolgsrate von 86% berichten (Sauerbruch u. Stern 1989). Die hospitale Mortalität wurde mit 1,8% angegeben, die Nebenwirkungsrate betrug insgesamt 27%.
9.4.4
Ergebnisse
Eine Steinextraktion ist in 85% der Fälle mittels Dormiakörbchen und Ballonkatheter möglich. Von allen Fragmentationstechniken ist die mechanische Lithotripsie die
Die Hauptindikation zur Implantation einer Endoprothese oder eines Stents stellen in etwa 90% der Fälle inoperable maligne Verschlüsse der Gallenwege dar, welche der Häufigkeit nach durch Karzinome des Pankreaskopfes, der Gallenwege und durch Metastasen bedingt sind. Für diese Tumoren findet sich ein Altersgipfel in der 6. bis 7. Lebensdekade. Die Beschwerden der Patienten bei den genannten Krankheitsbildern sind so uncharakteristisch, dass die Diagnosestellung häufig erst beim Auftreten eines Ikterus erfolgt. Zum Zeitpunkt der Diagnosestellung ist bei Gallenwegskarzinomen in bis zu 60% der Fälle mit einer regionären Metastasierung in Lymphknoten oder Leber zu rechnen. In fast 50% der Fälle sind Fernmetastasen nachweisbar. Zu diesem Zeitpunkt sind kurative Maßnahmen nur noch in Ausnahmefällen möglich. Das therapeutische Vorgehen hat dementsprechend einen palliativen Charakter. Im Vordergrund der Maßnahme steht daher die mechanische Entlastung der Gallenwege. Aufgrund der Ergebnisse einer Metaanalyse von 8 veröffentlichten retrospektiven und 2 prospektiven randomisierten Studien konnten Saleh und Mitarbeiter bei malignem Verschlussikterus, bezüglich der postoperativen Morbidität und Mortalität, keinen vorteilhaften Effekt für eine präoperative Gallengangsdrainage mit Stent oder Endoprothese feststellen. Eine Indikation zur präoperativen Gallengangsdrainage ist damit nicht gegeben (Saleh et al. 2002). Zu den gutartigen Erkrankungen, welche die restlichen 10% ausmachen, zählen die distale Choledochusstenose infolge einer chronischen Pankreatitis, die postoperative Striktur, die postoperative Gallenleckage, die sklerosierende Cholangitis u. ä. m. (Bilsel et al. 2003; Stiehl 2004).
125 9.5 · Endoskopische transpapilläre Gallengangsdrainage
katheter, Führungskatheter und Endoprothese. Am häufigsten werden zurzeit folgende 3 Prothesen eingesetzt (. Abb. 9.13): 4 Die Pigtail-Prothese weist an der Spitze eine bogenförmige Krümmung auf, durch die die Prothese nach erfolgter Platzierung im Gallengang gehalten wird. 4 Die doppelte Pigtail-Prothese mit zusätzlicher Biegung am distalen Ende soll die Gefahr einer prothesenbedingten Duodenalläsion vermeiden. 4 Die gerade Prothese nach Huibregste ist mit einem flügelartigen Einschnitt an beiden Enden versehen. Kunststoffprothesen werden im Allgemeinen gegenüber den kostspieligen Metallstents bevorzugt. Letztere haben . bb. 9.13 Verschiedene Endoprothesen zur Gallengangdrainage
9.5.2
Technik
Der Eingriff wird mit einem Fiberglasendoskop mit Seitenoptik durchgeführt. Das Prothesenset nach Soehendra und Reynders-Frederix besteht aus Führungsdraht, Schub-
a
b
c
d
. Abb. 9.14a–e Technik der endoskopischen Platzierung einer Endoprothese bei Stenosierung des Gallengangs. a Darstellung der Stenose, b Vorschieben des Führungsdrahtes über die Stenose,
aufgrund ihrer größeren Lumina (bis etwa 10 mm) einen exzellenten initialen Drainageeffekt. Sie verstopfen jedoch infolge von Tumorein- und -überwuchs und haben den Nachteil, dass sie nicht entfernbar sind. Metallstents sollten daher nicht bei benignen Stenosen verwendet werden. Wiederholte Okklusionen sowie Dislokationen der Kunststoffprothesen und Cholangitiden bei malignen Verschlüssen sind die Hauptindikationen für Metallstents. Meist handelt es sich hierbei um Patienten mit langsam fort-
e c Vorschieben der Endoprothese, d Endoprothese in situ, e schematische Darstellung der exakten Lage der Prothese
9
126
Kapitel 9 · Therapeutische Endoskopie
schreitenden Neoplasmen, wie z. B. Klatskin-Tumoren (Soehendra u. Seitz 2003). Nach der Durchführung einer endoskopischen Papillotomie wird mit Hilfe des Führungskatheters ein Führungsdraht in den Gallengang eingeführt und unter Röntgendurchleuchtung durch die Stenose bis in die intrahepatischen Gallenwege vorgeschoben. Anschließend wird der Führungskatheter entfernt. Die Endoprothese wird auf den Führungsdraht gefädelt und mit dem Schubkatheter durch den Arbeitskanal des Endoskops in den Gallengang eingeführt. Unter radiologischer und endoskopischer Kontrolle wird die Prothese durch die Stenose vorgeschoben. Das distale Ende der Prothese soll bei korrekter Lage ca. 1 cm in das Duodenallumen hineinragen (. Abb. 9.14).
9.5.3
9
Ergebnisse
Die technische Erfolgsrate der endoskopischen Platzierung von Gallengangsendoprothesen liegt in der Literatur bei 84%. Misserfolge sind durch eine duodenale Stenose oder nicht durchführbare endoskopische Papillotomie bei Patienten nach reseziertem Magen, z. B. bei Billroth-IIoder Roux-Y-Anastomosen, bedingt. Hochgradige Stenosen, die ein Vorschieben des Führungsdrahtes verhindern, führen ebenfalls zu Misserfolgen bei der Implantation. Die Erfolgsrate bei Leberhilustumoren liegt mit 58% eindeutig niedriger als bei Tumoren im extrahepatischen Gallengangssystem (97%; Cheng 2002). Effektivität der Drainagen Nach technisch erfolgreicher
Platzierung der Endoprothese ist in ca. 90% der Fälle ein Abfall des Serumbilirubins auf unter 50% des Ausgangswertes zu beobachten. Eine fehlende Effektivität der Drainage kann durch Dislokation oder Verstopfung des Drains bedingt sein. Bei Klatskin-Tumoren gelingt häufig nur ein partieller Drainage-Effekt. Aus diesem Grunde sollte angestrebt werden, die Prothesen einzeln in den linken und rechten D. hepaticus zu platzieren (. Abb. 9.15). Der Abfall des Bilirubinspiegels erfolgt in der Regel innerhalb von 4 Wochen. Überlebenszeiten nach Prothesenimplantation Die mittlere Überlebenszeit nach Prothesenplatzierung liegt bei 4,2 Monaten. Es besteht eine deutliche Abhängigkeit der Überlebenszeit von der Effektivität der Endoprothese. Bei effektiver Drainage beträgt die Überlebenszeit 7,5 Monaten im Gegensatz zu 1,2 Monaten bei nicht effektiv drainierten Patienten (Freeman u. Overby 2003). Eine Normalisierung des Bilirubins nach Prothesenplatzierung ist demnach als günstiger prognostischer Faktor hinsichtlich der Überlebenszeit zu werten. Die Verwendung einer
. Abb. 9.15 Bilaterale Drainage mit 2 Endoprothesen bei KlatskinTumor (getrennte Schienung von rechtem und linkem Ductus hepaticus)
möglichst großlumigen Gallengangsdrainage verlängert das Intervall bis zu deren Okklusion und senkt damit die Cholangitisrate.
9.5.4
Komplikationen
Frühkomplikationen sind entweder durch die Papillotomie selbst oder durch die Endoprothese bedingt. Als Komplikationen der Papillotomie werden in der Literatur Blutungen mit 1%, Pankreatitis mit 1% und Perforationen mit 0,55% angegeben. Endoprothetisch bedingte Komplikationen sind akute Cholezystitis (1%), Okklusion der Endoprothese (2%) und akute Cholangitis (7–18%). Als Spätkomplikationen sind häufig Okklusionen der Drainage mit bis zu 36% zu verzeichnen. In seltenen Fällen treten auch hier noch Dislokationen und Perforation der Drainage auf. Bei 10% aller Patienten entwickeln sich Duodenalstenosen. Mortalität Die gesamte Hospitalletalität bei endoskopi-
schen Eingriffen liegt in der Literatur zwischen 2 und 6%. Unter Verwendung von großkalibrigen Endoprothesen ist eine Senkung der Cholangitisrate und damit auch der Le-
127 9.6 · Endoskopische Therapie der chronischen Pankreatitis
talität auf bis zu 3,5% zu verzeichnen. Bifurkationstumoren weisen aufgrund inkompletter Drainage bei einseitiger Prothesenimplantation eine hohe Letalität bis 25% auf. Papillentumoren haben eine Mortalitätsrate von lediglich 2% (Rey et al. 2002). Prothesenokklusion Die Ursache der Katheterokklusion
liegt in einer Inkrustierung des Katheterlumens durch Ablagerung von Galle und Zelldetritus. Diese Komplikation wird in der Literatur in bis zu 50% der Fälle angegeben. Die durchschnittliche Liegedauer der Prothesen beträgt 3,4 bis 5 Monate. Bei Katheterokklusion ist ein rechtzeitiger Katheterwechsel erforderlich, um einer septischen Cholangitis vorzubeugen (Kaasis et al. 2003).
9.6
Endoskopische Therapie der chronischen Pankreatitis
Obstruktionen des Pankreasganges durch narbige Stenosen oder intraduktale Konkremente sind nicht selten Ursache von Schmerzen bei akut rezidivierender Pankreatitis oder chronischer Pankreatitis. Eine endoskopische Therapie ist im Rahmen der folgenden pathologischen Befunde indiziert:
9.6.1
Stenosen des Ductus wirsungianus
Bei kurzstreckigen Pankreasgangstenosen mit Gangdilatation distal der Stenosen kann die Stenose nach SeldingerTechnik aufbougiert oder mit dem Ballon aufdilatiert und anschließend mit einer 7-French-Endoprothese geschient werden.
9.6.2
zysten. Innerhalb der ersten 6 Wochen bilden sich 40% der Pseudozysten spontan zurück. Nach 12 Wochen ist die Spontanregression von Pseudozysten nur noch sehr gering, und Komplikationen werden in bis zu 2/3 der Fälle beobachtet. Ursächlich für die Entstehung von Komplikationen ist die Größenzunahme der Zysten auf über 5 cm. Treten Beschwerden auf, kann in geeigneten Fällen, bei geringerer Belastung des Patienten, eine endoskopische Pseudozystendrainage durchgeführt werden (Mayerle et al. 2004). Indikationen zur endoskopischen Pseudozystendrainage 4 Symptomatischen Zysten (Schmerzen, Verschlussikterus, Kompression des Duodenums) 4 Infizierten Zysten 4 Zysten >6 cm im Durchmesser
Vorbereitungen und Voraussetzungen für eine endoskopische Zystendrainage Vor der Drainage sollten Untersu-
chungen wie z. B. Computertomographie, Gastroduodenoskopie, Endosonographie und ERCP zur Klärung der folgenden Fragestellungen durchgeführt werden: 4 Kontakt (Abstand) von Zysten zur Magenwand 4 Gefäße an der Zystenwand 4 Zysteninhalt (liquide oder mit festem Detritus), bei festem Zysteninhalt ist die Anlage einer nasozystischen Drainage zur Spülung erforderlich 4 Septierung der Zysten Eine perkutane Punktion der Zysten vor endoskopischer Drainage mit Untersuchung des Zysteninhaltes auf Tumorzellen, Bakterien und Amylase wird allgemein empfohlen (Soehendra u. Seitz 2003).
Steine im Ductus wirsungianus Instrumentarium Als Instrumentarium werden benötigt:
Pankreasgangsteine können nach EPT mit einem Dormiakörbchen oder Ballon aus dem D. wirsungianus entfernt werden. In den meisten Fällen sind die Konkremente im Gang impaktiert und müssen mit der extrakorporalen Stoßwellenlithotripsie (ESWL) zertrümmert werden. Mit der sonographisch gesteuerten ESWL lassen sich solche Steine am Hauptgang erfolgreich desintegrieren, sodass die kleinen Fragmente spontan abgehen können (Soehendra u. Seitz 2003).
9.6.3
Pankreaspseudozysten
Im Verlauf der chronischen Pankreatitis kommt es bei 25% der Patienten zur Entwicklung von Pankreaspseudo-
4 Duodenoskop mit Seitenoptik 4 Diathermienadel mit zentraler Bohrung für den Führungsdraht 4 10-French-Plastikprothese oder eventuell nasozystischer 7-French-Katheter Technik Anhand der computertomographischen und gas-
troskopischen Befunde kann die durch die Zysten verursachte Vorwölbung in der Magenhinterwand lokalisiert werden. Die Punktion erfolgt mit der Diathermienadel, und zwar in senkrechter Richtung zur Magenwand. Die korrekte Lage der Nadel in der Zyste kann durch Gabe von Kontrastmittel oder Aspiration des Zysteninhaltes festgestellt werden. Der Außenkatheter wird zunächst vorgeschoben und der Innenkatheter anschließend entfernt.
9
128
Kapitel 9 · Therapeutische Endoskopie
. Tab. 9.3 Inzidenz von Anastomosenstenosen Anastomose
n
Inzidenz
Kolorektal
1950
9,0%
Ösophagogastrostomie
924
8,7%
Ösophagojejunostomie
474
5,2%
Koloninterponat
381
18,1%
Ursachen gutartiger Stenosen im Gastrointestinaltrakt
. Abb. 9.16 Endoskopische transgastrische Drainage einer Pankreaspseudozyste mittels Kunststoffprothese
9 Zuletzt wird der Führungsdraht eingeführt. Nach Dilatation mit dem Ballon bis 8 oder 10 mm kann die 10-FrenchProthese mit mehreren Seitenlöchern eingelegt werden (. Abb. 9.16). > Die Lokalisation der Punktionsstelle sowie die Gefäßdarstellung mittels Endosonographie erleichtert die Drainage von Pankreaszysten und senkt deren Komplikationsrate. Ergebnisse Die Erfolgsrate der Zystendrainage bei chronischer Pankreatitis liegt bei 92%, die Rezidivrate wird mit 10% angegeben (Baron et al. 2002; Neuhaus 2004). Komplikationen Die Gesamtkomplikationsrate liegt bei
17%. Die Infektion ist dabei die häufigste Komplikation und kann durch Wechsel und Spülung über eine nasozystische Sonde behandelt werden. Das Risiko schwerwiegender Komplikationen wie Perforation und Blutung kann durch eine sorgfältige Untersuchung vor der endoskopischen Zystendrainage vermindert werden (Soehendra u. Seitz 2003).
9.7
Endoskopische Therapie gutartiger Stenosen im Gastrointestinaltrakt
Gutartige Stenosen im Gastrointestinaltrakt sind keineswegs seltene Krankheitsbilder. Die Inzidenz von klinisch relevanten Anastomosenstenosen liegt dabei zwischen 5,2 und 18,1% je nach Anastomosenart (. Tab. 9.3; Truong 1993).
4 4 4 4 4 4 4 4
4 4 4 4
9.7.1
Kongenital Reflux: peptische Stenose Verätzung (Säure, Lauge, KCl-Tabletten) Bestrahlung: aktinische Stenose Nach Verödungstherapie (Ösophagusvarizen) Webs: Plummer-Winson-Syndrom Ring (Schatzki-Ring) Entzündliche Erkrankungen: Viren (Herpes, Zytomegalie), Bakterien (Tbc), Granulomatosen (M. Crohn, Sarkoidose), Ulzera Dermatose: Sklerodermie, Pemphigoid, M. Behçet Durchblutungsstörungen: ischämische Enterokolitis Postoperative Anastomosenstenose Achalasie
Endoskopische Therapieverfahren
Bewährt haben sich die Bougierung mit den flexiblen Silikon-Bougies verschiedener Durchmesser nach SavaryGilliard und die endoskopische Dilatation mit dem Ballon unter Sicht. Bougierung mit Savary-Gilliard-Bougies Zunächst erfolgt eine endoskopische Platzierung des Führungsdrahtes über die Stenose hinaus (evtl. unter radiologischer Kontrolle). Anschließend wird der Bougie mit dem gewünschten Durchmesser über den Führungsdraht vorgeschoben und die Stenose dabei aufgedehnt, dies sollte schrittweise erfolgen. Endoskopische Ballondilatation Unter endoskopischer Sicht wird der Ballon über den Arbeitskanal des Endoskops in die Stenose eingeführt und stufenweise dilatiert (. Abb. 9.17). Bei kurzstreckiger, narbiger Stenose ist evtl. eine Einkerbung des Narbenrings durch Elektroinzision oder Argon-Plasma-Koagulation notwendig (Truong 1993).
129 9.7 · Endoskopische Therapie gutartiger Stenosen im Gastrointestinaltrakt
a
b
c
. Abb. 9.17a–c Technik der Ballondilatation einer Anastomosenstenose. a Anastomosenstenose vor der Dilatation, b Aufdehnen der
Stenose mit dem Ballon, c endoskopischer Befund der Stenose nach Dilatation
Ergebnisse Die initiale Erfolgsrate liegt bei 90%, der Langzeiterfolg bei 68%, die Rezidivrate der Stenose bei 30%. Schwerwiegenden Komplikationen wie Perforation und Blutung kommen insgesamt in weniger als 0,7% der Fälle vor. Die durch das Verfahren bedingte Letalität liegt bei 0,3% (Truong 1993). Mit zunehmender Erfahrung auf dem Gebiet der endoskopischen Therapie von benignen Stenosen im Gastrointestinaltrakt wird in Fallberichten auch von einer Anwendung dieser Therapieoptionen im Kindesund Kleinkindesalter berichtet.
tertiärer Motilität. Die bei der Achalasie zu beobachtende Ösophagusdilatation tritt hier nicht auf.
> Das Perforationsrisiko kann durch die stufenweise Bougierung (oder Dilatation) in kleinen Schritten gesenkt werden.
9.7.2
Endoskopische Therapie der Ösophagusachalasie
Ätiologie und klinische Einteilung Die Achalasie ist eine neuromuskuläre Erkrankung der glatten Ösophagusmuskulatur, gekennzeichnet durch die fehlende schluckreflektorische Relaxation des unteren Ösophagussphinkters (UÖS) sowie das Fehlen der Peristaltik des Ösophagus. Je nach Ausmaß der Ösophagusdilatation wird die Achalasie in 3 Schweregrade unterteilt. 4 Stadium I: keine Dilatation des Ösophagus, nachweisbare tertiäre Peristaltikwellen 4 Stadium II: deutliche Dilatation des Ösophagus, keine nachweisbare Peristaltik 4 Stadium III: extreme Dilatation des Ösophagus, keine nachweisbare Peristaltik Die vigorous achalasia (hypermotile Achalasie) ist eine Übergangsform zwischen Ösophagusspasmus und Achalasie. Sie ist gekennzeichnet durch eine inkomplette schluckreflektorische Relaxation des UÖS bei vorhandener
Diagnostik Die notwendigen Untersuchungen zur Diagnose einer Achalasie umfassen die Röntgendarstellung nach Kontrastmittelschluck, die Manometrie sowie die Endoskopie einschließlich der Entnahme von Gewebeproben. Typische Befunde bei Ösophagusachalasie 4 Röntgenkontrastschluck – Ösophagusdilatation, Flüssigkeitsspiegel – Fehlende Luftblase im Magenfundus – Stenose im ösophagogastralen Übergang (Weinkelch- oder Sanduhrartig) 4 Manometrie des UÖS – Ruhetonus normal bis erhöht – Fehlende schluckreflektorische Erschlaffung 4 Manometrie des Ösophagus – Ruhedruck größer als Magentonus 4 Endoskopie – Megaösophagus – Ösophagitis mit Speiseresten, evtl. Soorbefall – Problemlose Passage mit dem Endoskop
! Cave ! Im Rahmen der Endoskopie ist die Entnahme einer Gewebeprobe zum Ausschluss eines Malignoms unbedingt erforderlich. Vor der Therapie einer Achalasie muss ein Malignom durch Biopsie und bildgebende Verfahren ausgeschlossen werden.
Therapie Patienten mit symptomatischer Achalasie der Stadien I und II sind für eine endoskopische Therapie geeignet. Es
9
130
Kapitel 9 · Therapeutische Endoskopie
existieren 2 Verfahren: die Ballondilatation und die Injektion von Botulinustoxin. Endoskopische Ballondilatation Als Dilatator kann entwe-
der ein hydrostatischer oder pneumatischer Ballon eingesetzt werden. Nach endoskopischer Passage durch die Kardia wird ein Führungsdraht in den Magen vorgeführt. Nach Entfernung des Endoskops kann der Ballondilatator unter radiologischer Kontrolle in der Kardia platziert und aufgedehnt werden. Bei der Verwendung eines pneumatischen Ballons (Microvasive, Boston Scientific) empfiehlt sich eine Dilatation mit 35 mm Durchmesser unter einem Druck von 8–10 psi (55,2–69 kPa) für 1–3 min. In der Regel sind 2 Dilatationsbehandlungen erforderlich. Der Langzeiterfolg beträgt 74–86% nach 5 Jahren und 62% nach 19 Jahren. Die Perforationsrate liegt bei 1–4,5% (AlonsoAguirre et al. 2003).
9
Injektion von Botulinustoxin Die endoskopische Injektion von Botulinustoxin in den UÖS wurde 1994 von Parischa eingeführt und ist vor allem bei alten Patienten indiziert. Der Vorteil liegt hier beim fehlenden Perforationsrisiko. Unter endoskopischer Sicht werden in alle 4 Quadranten des UÖS ca. 25 MU Botulinustoxin intramuskulär injiziert. Der Initialerfolg dieser Methode liegt bei 66%. Bereits nach 12 Monaten sind aber nur noch 32% der behandelten Patienten beschwerdefrei (Vaezi u. Richter 1999, Hoogerwerf u. Pasricha 2002).
> Die Indikation zur operativen Behandlung durch Kardiamyotomie besteht prinzipiell bei jungen Patienten, außerdem nach zweimaliger erfolgloser Ballondilatation oder Botulinustoxininjektion sowie bei Patienten mit einer Achalasie im Stadium III.
9.8
Endoskopische palliative Tumortherapie im gastrointestinalen Trakt
Die Hauptziele der endoskopischen palliativen Tumortherapie im Gastrointestinaltrakt sind die Wiederherstellung der Passage, die Rekanalisierung der tumorbedingten Stenose und dadurch die Beseitigung der Dysphagie oder des Ileus mit der Möglichkeit einer enteralen Ernährung und damit die Verbesserung der Lebensqualität der Patienten. Möglichkeiten der endoskopischen palliativen Therapie von malignen Stenosen im Gastrointestinaltrakt sind: 4 Stentimplantation 4 Laser 4 Perkutane, endoskopische Gastrostomie 4 Endokavitäre Strahlentherpie in Alfter-Loading-Technik
4 4 4 4 4
Lokale Applikation von Kryo- oder Thermosonde Schlingenresektion Photodynamische Therapie Argon-Plasma-Koagulation (APC) Injektionsmethoden (Alkohol, Zytostatika)
Alle endoskopischen Palliativtherapien haben zum Ziel, effektiv und komplikationsarm zu sein und zu keiner Beeinträchtigung bzw. Verschlechterung der Lebensqualität zu führen. Im Folgenden werden die 3 zurzeit am häufigsten angewandten Verfahren behandelt.
9.8.1
Endoskopische Stentimplantation
Indikationen zur Stentimplantation 4 Ösophagotracheale Fisteln (Gelbmann 2004) 4 Langstreckige Tumorstenosen 4 Ösophagusstenosen durch Tumoren anderen Ursprungs 4 Stenosen nach Ausschöpfung anderer Therapieverfahren 4 Rasch wachsende Tumoren
Material Selbstexpandierende Metallstents bestehen prin-
zipiell aus einem schlauchförmigen Drahtgeflecht, das die Tendenz hat, sich nach seiner Freisetzung aktiv auf einen bestimmten Lumendurchmesser auszudehnen. Dieser Metallschlauch ist in komprimiertem Zustand auf einem Katheter befestigt. Durch die Verwendung von Stentsystemen mit Kunststoffhülle kann eine Tumordurchwucherung verhindert werden. Im Handel sind verschiedene Stentsysteme mit unterschiedlichen Eigenschaften erhältlich (. Tab. 9.4) > Die Implantation von selbstexpandierenden Metallstents ist nur bei malignen Stenosen, keinesfalls jedoch bei benignen Stenosen indiziert. Technik Der Eingriff kann unter Sedierung oder in Allgemeinnarkose durchgeführt werden. Bei hochgradiger Tumorstenose ist eine endoskopische Bougierung oder Dilatation bis auf den Lumendurchmesser des nichtexpandierten Stents erforderlich (normalerweise bis 0,8 cm), damit dieser platziert werden kann. Nach endoskopischer Lokalisation und Markierung des proximalen und distalen Endes der Stenose kann die Tumorlänge und damit die entsprechende Stentlänge ermittelt werden. Unter radiologischer Sicht kann dann der Stent über einen Führungsdraht eingeführt und freigesetzt werden (. Abb. 9.18).
131 9.8 · Endoskopische palliative Tumortherapie im gastrointestinalen Trakt
. Tab. 9.4 Strukturen verschiedener selbstexpandierender Metallstents Wall-Stent
Ultraflex-Stent
Gianturco-Stent
Esopha- Coil
Material
Rostfreier Stahl
Nitinol
Rostfreier Stahl
Nitinol
Durchmesser vor Freisetzung
18 Fr
24 Fr
24 Fr
32 Fr
Durchmesser nach Freisetzung
20 mm
18 mm
18 mm
18 mm
Stentretraktion
30%
27–40%
10%
40%
Expansionskraft
+
+
++
+++
Therapie von Fistel
+
+
+
–
Therapie von Kardiatumor
+
+
–
–
Ergebnisse Der technische Erfolg liegt bei 96%, die Rück-
bildungsrate der Dysphagie wird zwischen 71 und 85% angegeben. Die Gesamtkomplikationsrate liegt zwischen 3 und 17% (Stentmigration, Stentobstruktion durch Tumor oder durch Bolus, Arrosionsblutung). Die Reinterventionsrate liegt bis 65% (. Tab. 9.5; Christie et al. 2001, Wang et al. 2001, Bartelmann et al. 2000, Homs et al. 2002).
9.8.2
Lasertherapie
Indikationen der Lasertherapie 4 Kurzstreckiger, exophytischer Tumor 4 Tumor mit hoher Lokalisation im Bereich des oberen Ösophagussphinkters 4 Tumorüberwucherung
Technik Zur Lasertherapie maligner Tumoren im Gastro-
a
b
. Abb. 9.18a,b Platzierung eines Stents bei stenosierendem Ösophaguskarzinom. a radiologischer Befund der langstreckigen Stenose, b radiologischer Befund nach Stentimplantation mit freier Passage des Kontrastmittels
intestinaltrakt wird häufig der Neodym-YAG-Laser verwendet. Die besondere Wirkung des Neodym-YAG-Lasers beruht auf einer hohen Eindringtiefe aufgrund seiner Absorptionseigenschaften in Wasser und Blut. Der Laserstrahl wird über eine flexible Quarzfaser durch den Arbeitskanal des Endoskops an die Tumorstenose herangebracht. Bei einer Ausgangsleistung von 100 Watt, einer Entfernung von 1 cm und einer Impulsdauer von 1–2 s vermag die Laserenergie eine Verdampfung der intrazellulären Flüssigkeit und damit eine schichtweise Tumorablation zur Rekanalisierung der Stenose herbeizuführen. Niedrigere Energien haben lediglich einen Koagulationseffekt, und erst nach Abstoßung der Nekrosen wird die gewünschte Lumenerweiterung erzielt. Es ist empfehlenswert, erst nach vorausgegangener Bougierungstherapie mit der Laser-Anwendung am unteren Tumorende zu beginnen, um die Achsrichtung nicht zu verfehlen. Die Laserbestrahlung dauert 20–30 min pro Sitzung und muss zu-
9
132
Kapitel 9 · Therapeutische Endoskopie
. Tab. 9.5 Ergebnisse der palliativen Therapie inoperabler Ösophagus- und Kardiakarzinome mit selbstexpandierenden Metallstents n
Rückbildung (Dysphagie)
Komplikation
Stentmigration
Tumorobstruktion
Reintervention
Überlebenszeit (Monate)
Christie (2001)
100
85%
3%
9%
37%
78%
4,2
Wang (2001)
82
96%
17%
6%
28%
65%
4,5
Bartelmann (2000)
153
78%
10%
8%
9%
2,6
Homs (2004)
216
71%
17%
12%
14%
11%
4,1
9
a
b
. Abb. 9.19a,b Technik der Laserablation eines Ösophaguskarzinoms. a Bild des Tumors während der Einwirkung des Lasers, b Tumor nach Rekanalisierung durch den Laser
nächst in 2- bis 5-tägigen Abständen durchschnittlich viermal wiederholt werden (. Abb. 9.19). Ergebnisse Die Rekanalisierungsquote liegt bei ca. 90%.
Im Durchschnitt sind 4 Therapiesitzungen notwendig. Die Gesamtkomplikationsrate liegt bei 9–10%. Schwerwiegende Komplikationen wie Perforation treten in 4–5%, Fistelbildung in 1% und Blutungen in 1% der Fälle auf. Die verfahrensbedingte Letalität liegt bei 1%.
9.9
Perkutane endoskopische Gastrostomie
Seit der Einführung im Jahre 1980 durch Gauderer hat sich die perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG) als enterales Langzeiternährungsverfahren bewährt. Auch für ambulante Patienten ist sie sehr geeignet.
9.9.1
Indikationen
Häufigste Indikationen zur enteralen Langzeiternährung mittels PEG 4 Reversible und irreversible Schluckstörungen 4 Schädel-Hirn-Traumen 4 Tumorobstruktionen im oberen Gastrointestinaltrakt oder im HNO-Bereich 4 Tumorkachexie 4 Bewusstseinseintrübung 4 Kurzdarmsyndrom 4 Zystische Fibrose 4 Anorexia nervosa
9
133 9.9 · Perkutane endoskopische Gastrostomie
9.9.2
Technik
Prinzipiell gibt es 2 Techniken zur PEG-Platzierung: die transorale Fadendurchzugsmethode (Gauderer et al. 1980) und die Direktpunktionstechnik (Negri et al. 1984; Vestweber 1984). Transorale Fadendurchzugsmethode Der Eingriff beginnt mit der Einführung des Gastroskops in Rückenlage des Patienten und Luftinsufflation, bis der Magen der Bauchwand anliegt. Die Punktionsstelle liegt in der Regel in der Mitte einer Verbindungslinie zwischen Nabel und unterem linkem Rippenbogen. In einem abgedunkelten Raum kann die optimale Kontaktfläche und damit die Punktionsstelle diaphanoskopisch bestimmt und unter endoskopischer Sicht durch Fingerdruck von außen überprüft werden. Nach Desinfektion des Punktionsbereiches erfolgt eine Lokalanästhesie aller Bauchwandschichten bis zum Magenlumen hin. Nach Anlegen einer 2–3 mm langen Stichinzision wird die Punktionsnadel von außen perkutan mit aufgesteckter Kunststoffkanüle unter endoskopischer Kontrolle in das Magenlumen vorgeschoben. Anschließend wird die Punktionsnadel zurückgezogen. Über die Kunststoffkanüle wird der Führungsfaden in den Magen eingeführt, mit einer Polypektomieschlinge gefasst und dann gemeinsam mit dem Endoskop peroral geborgen. Nunmehr wird der Katheter am Führungsfaden befestigt und unter vorsichtigem Zug an dem aus der Kunststoffkanüle herausragenden Faden in den Magen und dann zusammen mit der Kunststoffkanüle durch die Bauchdecken soweit herausgezogen, bis die Silikonkautschukscheibe an der Mageninnenwand anliegt (. Abb. 9.20). Nach äußerer Fixation des Katheters erfolgt die Befestigung des Luer-LockAnschlusses. Der Andruck der inneren Anpressplatte sollte dosiert erfolgen, ein zu komprimierendes Anpressen kann akut und chronisch zu einer Durchwanderung der Anpressplatte durch die Mukosa oder gar die gesamte Magenwand erfolgen (Burried-bumper-Syndrom). Diese Komplikation ist ebenfalls der endoskopischen Therapie zugänglich (Binnebösel et al. 2010).
. Abb. 9.20 Korrekte Lage der inneren Andruckplatte nach PEGAnlage
9.9.3
Komplikationen
Komplikationen der PEG treten relativ selten auf (. Tab. 9.6). Die verfahrensbedingte Letalität liegt bei 0,3%, die Morbiditätsrate bei 8% (Vestweber 1988). Die Ursachen für Todesfälle waren Sedierungseffekte, Aspirationen sowie nekrotisierende Fasziitiden.
. Tab. 9.6 Komplikationen der PEG bei 1410 Patienten (Vestweber 1988) Komplikationen
n
Letalität
5
0,3
Peritonitis
2
0,1
Revisionsbedingte Blutung
3
0,2
Perforation
4
0,3
Fehlpunktion
–
–
Dislokation
6
0,4
Direktpunktionsverfahren Ein Spezial-Foley-Katheter 12-
Aspiration
12
0,9
French wird in eine Splitkanüle eingelegt in den Magen gelegt und geblockt. Die Nachteile dieses Verfahrens sind häufige Dislokation durch den Defekt des Halteballons sowie das Wegschieben der Magenvorderwand von der Bauchwand während der Insertion mit der möglichen Folge einer Fehlpunktion.
Leck
1
0,8
Persistierende Fistel
3
0,2
Wundinfektion
68
4,8
Gesamt
113
8,0
! Cave ! Bei fehlender Diaphanoskopie bzw. nicht sichtbarer Pellotierung der Magenwand unter Fingerdruck ist die Anlage einer PEG kontraindiziert.
134
Kapitel 9 · Therapeutische Endoskopie
Ursachen der Komplikationen In der Literatur werden folgende Ursachen von Komplikationen genannt: 4 Fehlende Diaphanoskopie bei der Punktion (bei adipösen Patienten oder Patienten mit Aszites) 4 Patienten mit Stenosen im Gastrointestinaltrakt 4 Patienten mit Sepsis 4 Infiltrative Prozesse der Magenwand 4 Die PEG-Sonde wurde zu fest an der Magenwand fixiert (Nekrose der Magenwand mit nekrotisierender Fasziitis)
9.10
9
Blutstillung bei oberer gastroduodenaler Blutung
Blutungen des oberen Gastrointestinaltraktes sind mit einer Prävalenz von 0,1% bei einer durchschnittlichen Letalität von 10% ein ernst zu nehmendes, nicht seltenes Ereignis. Zu den häufigsten Symptomen gehören Hämatemesis und Teerstuhl (Meläna) bzw. bei sehr starken Blutungen des oberen Gastrointestinaltraktes auch Blutstuhl (Hämatochezie). Die Indikation zur endoskopischen Abklärung ist immer gegeben, auch wenn eine Vielzahl der Blutungen von selbst zum Stillstand kommt. Hierbei hat sich gezeigt, dass es notwendig ist, standardisiert vorzugehen. Die initiale Behandlung ist entscheidend für das Outcome des Patienten. Man muss eine zügige hämodynamische Stabilisierung erreichen, d. h. frühzeitig Blutprodukte transfundieren. Ein spezielles Team für die Notfallendoskopie mit schneller Anwesenheit sollte zur Verfügung stehen. Diese initiale zügige Vorgehensweise ist nicht nur für die Morbidität und Mortalität, sondern auch für die Kostenrechnung von positiver Bedeutung (Marek 2003).
9.10.1
Differenzialdiagnostik
In den letzten Jahren zeigt sich eine Abnahme der peptischen Ulzera als Ursache für die obere gastrointestinale Blutung von 59% auf 38% (Marek 2003; Jensen et al. 2003). Als Hauptgrund wird die sich verbreitende Eradikationstherapie bei Helicobacter-pylori-positiver Gastritis gesehen. Außerdem kommt der Entwicklung und dem Einsatz von neuen antisekretorischen Medikamenten und nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) einer neuen Generation eine Rolle zu. Als Risikofaktor spielt die chronische Einnahme von NSAR bei Magenulzera eine größere Rolle (57%) als bei Duodenalulzera (53%). Bei der Helicobacter-Infektion ist es umgekehrt: 45% der Magenulzera und 50% der Duodenalulzera sind Helicobacter-bedingt. Hingegen ist bei einer Helicobacter-Infektion nur in 10–20% ein Ulkus nachzuweisen (Jensen u. Savides 2003). Bei ca. einem Drittel der
Ulzera kommt es zu Blutungen. Viele haben nur sehr geringe (<100 ml) Blutmengen und sind für den Patienten okkult. Weitere Risikofaktoren für ein Ulkus sind Stress, die zusätzliche Einnahme von Marcumar und Kortikoiden sowie ein Duodenalulkus in der Vorgeschichte. Außer dem klassischen Ulkus kommt es durch die Einnahme von NSAR auch zu blutenden Erosionen oder einer hämorrhagischen Gastritis. Einige Autoren empfehlen deshalb bei bestehender Notwendigkeit einer Therapie mit NSAR, die prophylaktische Eradikationstherapie (Udd et al. 2003; El-Khayat u. Mousa 2003; Vilaichone et al. 2003; Chan et al. 2002). Ein Häufigkeitsanstieg zeigte sich unerklärlicherweise bei der erosiven Ösophagitis von 4,3% auf 12,9%. Die dritthäufigste Blutungsursache (ca. 10%) sind maligne Ulzerationen; hierbei ist die Blutung oftmals erstes Symptom in einem meist schon fortgeschrittenen Stadium. Als weitere Blutungsursachen sind arteriovenöse Malformationen wie Angiodysplasien (. Abb. 9.21), das Ulkus Dieulafoy (. Abb. 9.22) und das Mallory-Weiss-Syndrom zu erwähnen. Beim Ulkus Dieulafoy handelt es sich um die Blutung aus einer arrodierten, direkt unterhalb der Muscularis mucosae abnorm gelegenen großkalibrigen Arterie, die durch eine Schleimhauterosion in Kontakt zum Magenlumen gelangt. Es ist ein Häufigkeitsanstieg von 0,6% auf 2,3% zu verzeichnen. Das Mallory-Weiss-Syndrom bezeichnet schmale Schleimhauteinrisse in Längsrichtung im Bereich der Kardia, ausgelöst durch starkes Erbrechen. Von prognostischer Bedeutung ist die Einteilung der Blutungsaktivität nach Forrest (. Tab. 9.7, . Abb. 9.23; Forrest et al. 1974). Das Nachblutungsrisiko ist am höchsten in der Folge einer Forrest-Ia-Blutung und nimmt bis zum Stadium III ab (Laine u. Peterson 1994). Zusätzlich besteht eine direkte Abhängigkeit von der Größe des arrodierten Gefäßes (Chung 2003). Der Schweregrad der Blutung ist bei Duodenalulzera größer und es besteht öfter die Notwendigkeit der endoskopischen Intervention und einer Bluttransfusion. Auch das Nachblutungsrisiko und die Notwendigkeit eines chirurgischen Eingreifens sind erhöht (Jensen et al. 2003; Marek 2003). > Bei Nachweis einer Helicobacter-pylori-Infektion, insbesondere im Rahmen eines Blutungsgeschehens, sollte eine Eradikationstherapie durchgeführt werden (Bardou et al. 2003; Martin et al. 2003).
Zur Eradikationstherapie zählt die Dreierkombination eines Protonenpumpeninhibitors (z. B. Omeprazol/Pantoprazol), der im übrigen auch ohne den Nachweis einer Helicobacter-Infektion zur Reduktion der Rezidivblutungsrate signifikant beiträgt (Bardou et al. 2003; Martin et al. 2003), sowie Clarithromycin und Amoxicillin oder alternativ Metronidazol. Die Reduktion der Nachblutungsrate
135 9.10 · Blutstillung bei oberer gastroduodenaler Blutung
. Abb. 9.21 Angiodysplasie
. Abb. 9.22 Ulkus Dieulafoy
erklärt sich durch die Vorbeugung der Säure und Pepsin Andauung des Blutkoagels durch die Protonenpumpeninhibitoren mit pH-Wert Erhöhung. Die Gabe ist sofort nach der endoskopischen Blutstillung indiziert (Khuroo et al. 1997).
der Aspirationsgefahr in Intubationsnarkose durchgeführt werden. Bei gesunden Patienten kann man alternativ ohne oder mit leichter Sedierung einer möglichen Aspiration vorbeugen. Die Stabilisierung des Kreislaufs und die Transfusion von Blutkonserven müssen vor der endoskopischen Intervention erfolgen.
9.10.2
Ablauf in der Klinik 9.10.3
Je nach Befund, abhängig von der Menge des Blutverlustes und der Kreislaufsituation, muss elektiv oder notfallmäßig vorgegangen werden. Im letzteren Fall sollte das weitere Vorgehen unter intensivmedizinischen Bedingungen durchgeführt werden. Bei massiver Blutung sollte die Spiegelung, zumindest bei multimorbiden Patienten, wegen
. Tab. 9.7 Forrest-Klassifikation der Blutungsaktivität von Magen- und Duodenalulzera Stadium
Definition
Ia
Spritzende arterielle Blutung
Ib
Sickerblutung
IIa
Sichtbarer Gefäßstumpf (»visible vessel«), keine aktive Blutung
IIb
Ulkus mit haftendem Koagel
IIc
Dunkler Ulkusgrund mit Hämatin
III
Ulkus ohne Blutungszeichen (cave: »invisible vessel«)
Endoskopische Therapie
Nach Klärung der notwendigen Vorgehensweise (sofortige Endoskopie, vorherige Kreislaufstabilisierung, Vorbereitung einer geplanten Endoskopie) erfolgt schließlich in jedem Fall die Spiegelung des oberen Gastrointestinaltraktes, einerseits zur Diagnostik der Blutungsursache und Lokalisation und andererseits eventuell zur Therapie. Für die Endoskopie bei Blutungen des oberen Gastrointestinaltraktes sind spezielle Blutungsgastroskope mit großlumigem Saug-Spül-Kanal notwendig. So können vorhandene Koagel abgesaugt werden, um eine bessere Übersicht zu bekommen. Zusätzlich reicht die normal übliche Spülung nicht aus, sodass viele Endoskopiker auf kräftige Spülsysteme zurückgreifen, die zusätzlich an das Endoskop angeschlossen werden können. Grundsätzlich ist das aggressivere Vorgehen mit Abspülen von festsitzenden, adhärenten Koageln zur tatsächlichen Aufdeckung der Blutungsquelle als besser zu werten, als ein eher konservatives Belassen dieser Koagel, wenn keine aktive Blutung zum Zeitpunkt der Endoskopie zu sehen ist. So können unter dem Koagel liegende Stigmata behandelt werden, was zu einer Senkung der Nachblutungsrate führt (Chung 2003; Jensen et al. 1999).
9
136
Kapitel 9 · Therapeutische Endoskopie
. Tab. 9.8 Blutstillungsverfahren, Blutstillungsraten und Nachblutungsraten Verfahren
Blutstillungsrate
Nachblutungsrate
Injektion (Adrenalin oder NaCl)
70–90%
20%
Elektrokoagulation und Adrenalin
80%
6–7%
Clipapplikation
84–100%
1,8–10%
Fibrinunterspritzung
>95%
2–4%
a
9.10.4
Technik
Man kann grundsätzlich zwischen thermischen Verfahren (Laser/Argonbeamer/Koagulation) und nicht-thermischen Verfahren (Injektion/Clipping) unterscheiden.
9
Injektion Sehr standardisiert und kostengünstig ist die
b
c . Abb. 9.23a–c Einteilung der Ulkusblutung nach Forrest. a Spritzende arterielle Blutung Typ Forrest Ia, b sichtbarer Gefäßstumpf Typ Forrest IIa, c Ulkus mit haftendem Koagel Typ IIb
Injektionsmethode mit einer Vielzahl von Kombinationsmöglichkeiten von Agenzien. Die alleinige Injektion von Adrenalin (1:10.000−100.000 verdünnt) wirkt primär über die Kompression des Gefäßes, sekundär über die Vasokonstriktion. Genauso kann man hyperosmolare NaCl-Lösung injizieren. Die Wirkdauer ist wegen der Resorption und Diffusion relativ kurz, entsprechend das Nachblutungsrisiko hoch (20%). Es wird eine Blutstillungsrate von 70–90% erreicht (. Tab. 9.8). Zu den Injektionsmethoden gehört insbesondere heute auch die submuköse Unterspritzung mit einem sog. Fibrinkleber, einem Fibrin-Thrombin-Gemisch, dass zunächst rein mechanisch komprimiert, allerdings wegen der Aushärtung permanent ist, im Gegensatz zu den o. g. Methoden. Außerdem wird die Wundheilung induziert und die Abheilung beschleunigt (. Abb. 9.24). Die primäre Blutstillungsrate beträgt über 95%. Auch die Nachblutungsrate, Rate einer chirurgischen Intervention und die Morbidität und Letalität sind deutlich vermindert (2–4%; Grund 2003; Repici et al. 2003). Eine große Metaanalyse zeigt allerdings die deutliche Senkung der Nachblutungsrate, der Rate der noch notwendigen chirurgischen Interventionen und der Letalität durch eine kombinierte Therapie (Vergara et al. 2003). Hierbei wird nach der primären Adrenalininjektion ein thermisches, mechanisches oder weiteres Injektionsverfahren (Fibrin) angewandt. Diese sind als gleichwertig zu bezeichnen. Das Verfahren sollte individuell ausgewählt werden (Chung 2003). Clipapplikation Als mechanische Methode ist die Clip-
applikation ein effektives Standardverfahren sowohl bei
137 9.10 · Blutstillung bei oberer gastroduodenaler Blutung
. Abb. 9.24 Technik der Injektion zur endoskopischen Blutstillung
der Ulkusblutung als auch bei allen Blutungen, in denen ein sichtbares oder zu erahnendes Gefäß vorhanden ist (. Abb. 9.25). Es werden initiale Hämostaseraten von über 95% erreicht. Das Nachblutungsrisiko liegt bei 2–4% (Fuke et al. 1996; Kim et al. 2003). Vorteile sind die ausbleibenden Nachteile der Injektionsmethode wie Wandnekrose mit Perforationsgefahr. Idealerweise kann man gezielt zweifach die beiden Gefäßenden clippen, bei einem nicht direkt sichtbaren Gefäß fasst man das Gewebe im Bereich der Blutung, um ein verdecktes Gefäß zu komprimieren. Schwierigkeiten ergeben sich lediglich in gewissen schwer zu erreichenden Lokalisationen, wie etwa der Magenhinterwand oder im Bulbus duodeni, wegen der tangentialen Lage zum Gerät, oder auch bei fibrotischem, derbem Untergrund (Fuke et al. 1996). Argon-Plasma-Koagulation Die Blutstillung mittels ArgonPlasma-Koagulation (APC/»Argonbeamer«), die insbe-
sondere auch bei schwierigen Lokalisationen für z. B. eine Clipapplikation zum Erfolg führt, ist mit Blutstillungsraten von 99% sehr effektiv (Bampton et al. 2003; Ianetti et al. 2003; Fujii et al. 2003). Weitere Hauptanwendungsgebiete sind die mehr oder weniger diffuse Tumorblutung und Koagulopathien. Andere thermische Verfahren Gegenüber den vorher ge-
schilderten Verfahren haben weitere thermische Verfahren wegen schlechterer Ergebnisse, höherer Kosten und schlechterer Praktikabilität eher eine untergeordnete Bedeutung. Zu nennen sind der Neodym(YAG)-Laser, die »Heater-Probe«, eine Metallsonde, die durch eine Heizspirale auf eine definierte Temperatur erhitzt werden kann, und die mono- oder multipolare Elektrokoagulation. Hierbei fließt Strom entweder von Sonde zu Sonde oder von Sonde zur Neutralelektrode und damit durch den Patienten. Alle genannten Verfahren beruhen auf der Erhitzung des Gewebes, einer Koagulation des Gefäßes und der Umgebung mit Blutstillungsraten über 80% und entsprechenden Nebenwirkungen im Sinne von thermischen Wandverletzungen mit Perforationsgefahr (Lin et al. 2003) Auch die Nachblutungsraten sind mit z. B. 18% bei der HeaterProbe zu hoch (Soehendra et al. 2001). ! Cave ! Nach endoskopischer Blutstillung beim Typ Forrest Ia ist immer eine endoskopische Verlaufskontrolle erforderlich.
Vergleich der verschiedenen Blutstillungstechniken. In . Tab. 9.9 sind nochmals die wichtigsten Blutstillungsverfahren den wichtigsten Blutungsarten gegenübergestellt. Gewertet ist die Eignung der Verfahren für die unterschiedlichen Blutungsmodalitäten. Letztendlich muss aber im Einzelfall entschieden werden. Wie bereits oben erwähnt muss auch die Lokalisation der Blutung mit in die Verfahrenswahl einbezogen werden (Grund u. Lange 2000). . Abb. 9.25 Endoskopische Blutstillung einer spritzenden Blutung mittels Haemoclip
Protonenpumpeninhibitoren Zeitgleich bzw. unmittelbar
nach der endoskopischen Intervention ist die kontinuier-
9
138
Kapitel 9 · Therapeutische Endoskopie
. Tab. 9.9 Gegenüberstellung der wichtigsten Blutungsarten und Blutstillungsverfahren Clip
Injektion
APC
YAGLaser
HeaterProbe
Forrest Ia, IIa
+
+
–
–
–
Forrest Ib, IIb, IIc
?
+
+
?
(+)
(+)
+
(+)
?
(+)
+
?
?
+
?
Tumor Angiodysplasie Entzündung
9
?
liche Hochdosisgabe eines Protonenpumpeninhibitors (z. B. Omeprazol/Pantoprazol 80–240 mg i.v.) für 3 Tage indiziert, da sie signifikant zur Reduktion der Rezidivblutungsrate beiträgt (Martin et al. 2003; Bardou et al. 2003). Die Reduktion der Nachblutungsrate erklärt sich durch die Vorbeugung der Säure und Pepsin-Andauung des Blutkoagels aufgrund der pH-Wert-Erhöhung auf bis zu über 6 (Khuroo et al. 1997). Danach ist zur Rezidivprophylaxe die orale Therapie mit 20 mg eines Protonenpumpenhemmers indiziert. H2-Rezeptorantagonisten spielen nach neuesten Studien wegen der deutlichen Unterlegenheit gegenüber den Protonenpumpeninhibitoren nur noch eine untergeordnete Rolle. Das Nachblutungsrisiko liegt nach einer kombinierten Therapie bei 2–10%. Manche Zentren führen eine Routinekontrollendoskopie nach 24 h durch. > Die Therapie der oberen Gastrointestinalblutung hat in den letzten 20 Jahren einen erheblichen Wandel erfahren. Heute ist das Behandlungskonzept primär ein rein endoskopisches. Eine Operation ist nur noch bei Massenblutungen und einem endoskopischen Therapieversagen angezeigt (Grund u. Lange 2000).
9.11
. Abb. 9.26 Endoskopische Entfernung einer Rasierklinge mittels »Overtube«
den. Spitze, scharfkantige oder große (>2,5 cm im Durchmesser) Fremdkörper müssen wegen der Gefahr einer Verletzung der Hohlorgane des Gastrointestinaltraktes ebenfalls extrahiert werden. Fremdkörper mit toxischen Substanzen, z. B. Knopfbatterien oder mit Rauschgift gefüllte Beutel bei Body-Packern, sollen wegen der Gefahr einer lokalen Verätzung oder Intoxikation ebenfalls entfernt werden. Nach einer Verweildauer von mehr als 3 Tagen wird ein Spontanabgang des Fremdkörpers unwahrscheinlich, deshalb ist die Indikation zur Extraktion nach dieser Zeit ebenfalls gegeben (Soehendra u. Seitz 2003).
Fremdkörperextraktion Untersuchungen vor der Fremdkörperextraktion Bevor
Fremdkörper im Gastrointestinaltrakt gehen in 85–98% der Fälle per via naturalis spontan ab. Bei einem Missverhältnis zwischen Größe des Fremdkörpers und dem Lumendurchmesser des Verdauungskanals ist ein Spontanabgang nicht möglich. In solchen Fällen ist eine Fremdkörperextraktion durch die Endoskopie indiziert. Indikationen Impaktierte Fremdkörper im Ösophagus
müssen wegen der Gefahr einer Aspiration entfernt wer-
die Indikation zur endoskopischen Fremdkörperextraktion gestellt wird, müssen Art und Lokalisation des Fremdkörpers festgestellt sowie bereits eingetretene Verletzungen der Hohlorgane diagnostiziert werden. Hierzu sind Röntgenübersichtsaufnahmen von Thorax und Abdomen und evtl. Kontrastmittelschluck oder Kolonkontrasteinlauf mit wasserlöslichem Kontrastmittel geeignet. Die Befragung des Patienten oder Begleitpersonen nach der Art und Form des Fremdkörpers können ebenfalls hilfreich sein.
139 9.12 · Literatur
Technik Als Instrumentarium zur Fremdkörperextraktion
kommen zur Anwendung: Fremdkörperschlinge, Fremdkörperzange, Dormiakörbchen, Schere usw. Der Eingriff soll wegen der Aspirationsgefahr in Allgemeinnarkose durchgeführt werden. Scharfe Gegenstände (z. B. Rasierklingen und Messer) sollen über einen Obertube oder eine am distalen Endoskopende montierten flexiblen Schutztrichter entfernt werden (. Abb. 9.26). Das Durchstoßen eines Bolus in den Magen ist wegen der Gefahr einer Perforation bei Verrutschen des Endoskops möglichst zu vermeiden. > Nach dem Eingriff soll ggf. eine Röntgenkontrolle zum Ausschluss einer Perforation durchgeführt werden.
9.12
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140
9
Kapitel 9 · Therapeutische Endoskopie
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9
10
Prinzipien der Laparoskopie A. Tittel, V. Schumpelick
10.1 Historische Entwicklung 10.2 Funktionsprinzip
– 144
– 144
10.3 Anlage des Pneumoperitoneums
– 145
10.3.1 Offene Anlage des Pneumoperitoneums – 145 10.3.2 Geschlossene Anlage des Pneumoperitoneums – 145 10.3.3 Direkte Trokarpunktion – 146
10.4 Indikationen und Kontraindikationen 10.5 Apparative Ausstattung
– 146
– 146
10.6 Pathophysiologie des Pneumoperitoneums 10.6.1 Kardiale und hämodynamische Auswirkungen 10.6.2 Pulmonale Auswirkungen – 147 10.6.3 Immunologische Auswirkungen – 147
10.7 Komplikationen 10.7.1 10.7.2 10.7.3 10.7.4 10.7.5 10.7.6 10.7.7
– 146
– 147
– 148
Gefäßverletzungen – 148 Verletzungen viszeraler Organe – 148 Emphysem – 148 Narbenhernien – 149 Wundinfektionen – 149 Postoperative Adhäsionen – 149 Gasembolie – 149
10.8 Literatur
– 149
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_10, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
144
Kapitel 10 · Prinzipien der Laparoskopie
Die erste laparoskopische Cholezystektomie 1987 bildete den Startpunkt für einen breiten klinischen Einsatz der Laparoskopie in der Chirurgie. Geringere postoperative Schmerzen, eine rasche Rekonvaleszenz und bessere Kosmetik faszinierten gleichermaßen Chirurgen und Patienten und bewirkten eine explosionsartige weltweite Verbreitung laparoskopischer Operationen. Initial engagierten Enthusiasten vorbehalten sind laparoskopische Operationstechniken heutzutage etablierter und unverzichtbarer Bestandteil des viszeralchirurgischen Tätigkeitsspektrums.
10.1
10
Historische Entwicklung
Die Geschichte der Laparoskopie im engeren Sinne begann 1901 zeitgleich mit den Untersuchungen von Ott und Kelling (Kelling 1902; Ott 1901). Ott inspizierte bei seinem Ventroskopie genannten Verfahren die Abdominalhöhle mit Hilfe eines Kopfspiegels und eines durch die Bauchwand eingebrachten Spekulums. Kelling legte bei Hunden erstmalig ein Pneumoperitoneum an, um dann ein Zystoskop durch die Bauchwand in die Abdominalhöhle einzuführen. Er nannte sein Verfahren Kölioskopie und veröffentlichte es 1902. 1910 publizierte der Schwede Hans Christian Jacobaeus seine Erfahrungen mit der Thorakound Laparoskopie beim Menschen (Jacobaeus 1910). Der deutsche Internist Kalk führte 1925 die Laparoskopie in die Innere Medizin ein (Kalk 1929). Er veröffentlichte zwischen 1929 und 1959 mehr als 21 Arbeiten zum Thema Laparoskopie. 1929 entwickelte er eine neue, wegweisende 135°-Optik und standardisierte ein in Lokalanästhesie durchführbares Verfahren mit 2 Trokaren. 1937 berichtete der amerikanische Gastroenterologe John C. Ruddock über seine persönlichen Erfahrungen bei 500 Laparoskopien (Ruddock 1937). Trotz dieser beeindruckenden Serie war die Laparoskopie in den USA im Gegensatz zu Europa nur wenig verbreitet. 1938 entwickelte der Ungar Veress die noch heute gebräuchliche Sicherheitspunktionskanüle zum Aufbau des Pneumoperitoneums, bei der ein stumpfes federgetriebenes Innenteil nach Durchstoßen der Bauchwand schützend vor die scharfe Kanülenspitze springt (Veress 1938). Weitere wegweisende technische Entwicklungen sind mit dem Gynäkologen Semm verbunden, der eine Vielzahl noch heute gebräuchlicher Instrumente, u. a. 1964 den automatisierten, elektronisch gesteuerten Laparoinsufflator, 1972 den Endokoagulator, 1978 die Endoschlinge oder den zu Übungszwecken gebräuchlichen Pelvitrainer entwickelte. Die Entwicklung der Glasfibertechnologie 1958, der Kaltlichtquelle 1962 und der Hochleistungs-Hopkins-Optik 1962 sowie die Einführung der Farbvideographie 1968 und der CCD-Chip-Kamera führten zu der heute gebräuch-
. Tab. 10.1 Erstbeschreibungen laparoskopischer Operationstechniken Jahr
Erstbeschreiber
Eingriff
1980
Semm
Laparoskopische Appendektomie
1987
Mouret
Laparoskopische Cholezystektomie
1982
Ger
Laparoskopische Hernienreparation
1991
Dallemagne
Laparoskopische Fundoplikation
1991
Jacobs
Laparoskopische Kolonresektion
1992
Gagner
Laparoskopische Adrenalektomie
1993
Corbitt Jr.
TAPP-Reparation
1993
McKernan
TEP-Reparation
1993
Belachew
Laparoskopisches »gastric banding«
1994
Weerts
Laparoskopische proximale selektive Vagotomie
1994
Katkhouda
Laparoskopische Leberteilresektion
1996
Cushieri
Laparoskopische Pankreasteilresektion
lichen Videolaparoskopie mit ihrer genauen und für alle am Eingriff Beteiligten sichtbaren Darstellung des Operationssitus. Von Chirurgen erfunden und von Internisten zu diagnostischen Zwecken eingesetzt, nutzten Gynäkologen früh die therapeutischen Möglichkeiten der Laparoskopie. Bereits 1933 berichtete Fervers über die erste laparoskopische Adhäsiolyse (Fervers 1933). In den folgenden Jahrzehnten wurde die Laparoskopie vorwiegend von Gynäkologen weiterentwickelt. So verwundert es nicht, dass die erste laparoskopische Appendektomie 1980 vom Gynäkologen Semm durchgeführt wurde. Die von Philippe Mouret 1987 erstmalig durchgeführte laparoskopische Cholezystektomie erregte dann schlagartig allgemeinchirurgisches Interesse und verdrängte lawinenartig die konventionelle Cholezystektomie im klinischen Alltag (Mouret 1996). Ohne Überprüfung durch prospektiv randomisierte Studien etablierte sie sich als Standardeingriff zur Behandlung der Cholelithiasis. Bis zum heutigen Tage sind laparoskopische Operationstechniken für nahezu alle allgemeinchirurgischen Operationen entwickelt worden (. Tab. 10.1).
10.2
Funktionsprinzip
Funktionsprinzip der Laparoskopie ist die Schaffung eines kuppelförmigen intraabdominellen Arbeitsraums, in dem
145 10.3 · Anlage des Pneumoperitoneums
dann mit durch Trokare eingebrachten Instrumenten unter videoendoskopischer Kontrolle die Operation durchgeführt wird. Routinemäßig wird dieser Kuppelraum durch Gasinsufflation in die Bauchhöhle aufgebaut und als Pneumoperitoneum bezeichnet. Neben Kohlendioxid können auch gereinigte Raumluft, Stickstoff oder die Edelgase Helium und Argon insuffliert werden (Neuhaus et al. 2001). In der Abwägung der Vor- und Nachteile der verschiedenen Gase hat sich Kohlendioxid als Standardinsufflationsgas etabliert. Trotz seiner Beeinflussung des Säure-BasenHaushaltes sprechen vor allem die fehlende Brennbarkeit, geringe Kosten und eine hohe Löslichkeit des Kohlendoxids für seine Anwendung im klinischen Alltag. > Standardinsufflationsgas ist Kohlendioxid, das mit einem Insufflationsdruck von 10–15 mmHg und einer Insufflationsrate von 3–6 l/min insuffliert wird.
10.3
Anlage des Pneumoperitoneums
Unabdingbare Voraussetzung jeder Laparoskopie ist ein etabliertes Pneumoperitoneum, dessen Anlage unter Allgemeinanästhesie in offener und geschlossener Technik oder nach direkter Trokarpunktion erfolgen kann. In der Anfangsphase der Laparoskopie wurde überwiegend die geschlossene Anlage des Pneumoperitoneums durchgeführt. Berichte über Gefäß- und Hohlorganverletzungen führten jedoch zu einer zunehmenden Verbreitung der offenen Technik zur Anlage des Pneumoperitoneums. Eine Metaanalyse prospektiver randomisierter und nichtrandomisierter Studien zum Vergleich der offenen und geschlossenen Technik zur Anlage eines Pneumoperitoneums zeigt ein tendenziell verringertes Risiko schwerwiegender Komplikationen bei Anwendung der offenen Zugangstechnik (Merlin et al. 2003). Die European Association of Endoscopic Surgery (EAES) konstatiert jedoch in ihrer Leitlinie zum Pneumoperitoneum, dass aufgrund der vorliegenden Datenlage eine Überlegenheit der offenen oder geschlossenen Zugangstechnik nicht zu belegen ist (Neudecker et al. 2002).
. Abb. 10.1 Offene Anlage des Pneumoperitoneums
trokar samt Staboptik oder alternativ auch ein an der Spitze konischer Hassontrokar durch die Peritonealinzision in die Bauchhöhle unter Sicht vorgeschoben und mit der CO2-Insufflation begonnen werden (Hasson 1971). Komplikationen Trotz des Vorgehens unter Sicht lassen
sich iatrogene Verletzungen nicht vollständig vermeiden (Bonjer et al. 1993; Schäfer et al. 2001). Etwaige Gasverluste entlang des Trokars aufgrund der im Vergleich zur geschlossenen Technik größeren Trokarinzision lassen sich durch eine Tabaksbeutelnaht auf Faszienniveau minimieren. Lediglich bei ausgeprägter Adipositas stößt die offene Anlage des Pneumoperitoneums an ihre Grenzen. Um eine adäquate Übersicht auf Peritonealniveau zu erhalten, muss dann die Trokarinzision so groß gewählt werden, dass eine gasdichte Abdichtung während der Insufflation nahezu unmöglich wird.
10.3.2 10.3.1
Offene Anlage des Pneumoperitoneums
Technik (. Abb. 10.1) Nach Hautinzision, Durchtrennung
des Subkutangewebes und Spaltung der Muskelfaszien erfolgt die sparsame Inzision des Peritoneums unter Sicht mit einer Präparationsschere. Dabei können etwaige Adhäsionen zur ventralen Bauchwand erkannt und abgelöst werden. Ohne Verletzungsgefahr kann dann der Optik-
Geschlossene Anlage des Pneumoperitoneums
Technik Nach Hautinzision erfolgt bei der geschlossenen
Technik zunächst die Blindpunktion der Bauchhöhle mit der Veress-Kanüle. Nach verschiedenen Sicherheitstests kann dann die Insufflation der Bauchhöhle mit CO2 begonnen werden. Bei etabliertem Pneumoperitoneum wird dann ein Sicherheitstrokar mit einer erneuten Blindpunktion in die Bauchhöhle eingebracht. Nach diesem ersten, sog. »Optiktrokar« können alle weiteren Arbeits-
10
146
Kapitel 10 · Prinzipien der Laparoskopie
trokare dann unter videoendoskopischer Kontrolle platziert werden. Komplikationen Vor allem bei schlanken Patienten oder
10
Patienten mit Adhäsionen zur Bauchdecke nach Voroperationen droht die Verletzung intraabdomineller Gefäße und Hohlorgane durch die zweimalige Blindpunktion der Bauchhöhle. Zur Minimierung dieses Risikos ist die Beachtung der etablierten, nachfolgend aufgeführten Sicherheitstests entscheidend: 4 Abdomenpalpation der relaxierten Bauchdecke zur Lokalisation der Aorta und Aortenbifurkation; 4 Prüfung der Durchgängigkeit der Veress-Sicherheitskanüle; 4 Rotationstest: Die frei in der Bauchhöhle liegende Veress-Nadel muss widerstandfrei bewegbar sein. 4 Injektions-/Aspirationstest: 5–10 ml Kochsalzlösung müssen sich bei korrekter intraabdomineller Lage der Veress-Nadel widerstandsfrei injizieren lassen, ohne sich danach erneut aspirieren zu lassen. 4 »Schlürftest«: Ein auf die Veress-Nadel aufgebrachter Tropfen Kochsalzlösung muss beim Anheben der Bauchdecken durch den entstehenden intraabdominellen Unterdruck in die Bauchhöhle hineinlaufen. 4 Manometertest: Zu Beginn der CO2-Insufflation mit 1 l/min sollte der zeitgleich gemessene Druck unter 8–10 mmHg liegen; Ausnahme: extrem adipöse Bauchdecken.
10.3.3
Direkte Trokarpunktion
Bei diesem selten angewandten Vorgehen wird der erste Trokar blind und ohne vorhergehende Gasinsufflation in die Bauchhöhle eingeführt (Woolcott et al. 1997). Obwohl 2 prospektive randomisierte Studien signifikante Vorteile für die direkte Trokarpunktionstechnik gegenüber der geschlossenen Technik zur Anlage eines Pneumoperitoneums zeigen (Byron et al. 1993; Nezhat et al. 1991), stößt sie bei den meisten Chirurgen auf Ablehnung und ist dementsprechend nur wenig verbreitet (Catarci et al. 2001). Eine Variante des direkten Zugangs ist die Verwendung sog. optischer Trokare mit transparenten Obturatoren (Visi-Port, Optiview), die mit in den Trokar eingeführter Optik das Eingehen in die Bauchhöhle unter Sicht ermöglichen. Die durch das Vorgehen unter Sicht suggerierte Sicherheit des Verfahrens wird jedoch von einem Review der amerikanische Food and Drug Administration (FDA) relativiert, der von 37 Verletzungen großer intraabdomineller Gefäße und 4 Todesfällen bei Anwendung derartiger Systeme berichtet (Sharp et al. 2002).
10.4
Indikationen und Kontraindikationen
Indikationen und Kontraindikationen der laparoskopischen Chirurgie unterliegen, bedingt durch die zunehmende chirurgisch-laparoskopische Erfahrung, einem stetigen Wandel und werden in den entsprechenden organspezifischen Kapiteln dargestellt. Grundsätzlich ist eine Ausweitung der Indikationen und eine Abnahme der Kontraindikationen zu laparoskopischen Eingriffen zu konstatieren. ! Cave ! Als allgemeine absolute Kontraindikationen gelten dekompensierte kardiopulmonale Erkrankungen.
Relative Kontraindikationen sind die fortgeschrittene diffuse Peritonitiden, dekompensierte Ileuszustände, Schwangerschaft im dritten Trimenon und Kopfverletzungen mit erhöhtem Hirndruck.
10.5
Apparative Ausstattung
Die apparative Grundausstattung zur Laparoskopie besteht aus einem CO2-Insufflator mit automatischer Kontrolle des Insufflationsdrucks und -flusses und einer Videokette, bestehend aus Hopkins-Optik, Miniaturvideokamera, Kameraprozessor und Hochleistungskaltlichtquelle. Diese Komponenten werden in der Regel in einem fahrbaren Videoturm integriert, der zudem noch Videorecorder bzw. -printer zu Dokumentationszwecken beinhaltet. Neben der Modifikation klassischer chirurgischer Instrumente wie Scheren, Fasszangen und Klammernahtgeräten für den laparoskopischen Einsatz begünstigte die Laparoskopie auch die Entwicklung völlig neuartiger Instrumente zur Blutstillung und gleichzeitiger bzw. nachfolgender Gewebsdurchtrennung unter Verwendung von Ultraschall oder bipolarem Strom mit niedriger Spannung und hoher Stromstärke (Ultracision, LigaSure).
10.6
Pathophysiologie des Pneumoperitoneums
Die pathophysiologischen Folgen des Pneumoperitoneums sind komplex. Sie sind Untersuchungsgegenstand einer Vielzahl tierexperimenteller und klinischer Studien, deren Ergebnisse aufgrund der komplexen Wechselwirkungen nicht immer widerspruchsfrei sind. Die Hauptschädigungsmechanismen des CO2-Pneumoperitoneums sind die Erhöhung des intraabdominellen Drucks und die durch CO2-Resorption bedingte Hyperkapnie mit nachfolgender Azidose. Zusätzlich begünstigen Gasverluste eine Hypothermie der Patienten.
147 10.6 · Pathophysiologie des Pneumoperitoneums
10.6.1
Kardiale und hämodynamische Auswirkungen
Die kardiovaskulären Veränderungen während laparoskopischer Eingriffe beruhen auf dem Zusammenspiel von Anästhesie, CO2-Pneumoperitoneum und Patientenlagerung, das in einer Vielzahl klinischer und tierexperimenteller Studien untersucht wurde (Zuckerman et al. 2001). Die meisten Studien zeigen übereinstimmend einen Anstieg des zentralen Venendrucks, des mittleren arteriellen Drucks, der Herzfrequenz und des peripheren und pulmonalarteriellen Gefäßwiderstands. Insgesamt resultiert eine Reduktion des Herzzeitvolumens (Henny et al. 2005). Als Erklärung des reduzierten Herzzeitvolumens werden sowohl eine relative Hypovolämie durch den reduzierten venösen Rückstrom zum Herzen bei Erhöhung des intraabdominellen Drucks als auch eine reduzierte kardiale Funktionsreserve diskutiert (Zuckerman et al. 2001). Die durch CO2-Resorption hervorgerufene Hyperkapnie bewirkt am Herzen eine Verschlechterung der Kontaktilität sowie Bradykardien und Arrhythmien. Zudem führt sie zu einer Erhöhung des Sympathikotonus mit erhöhten Serumspiegeln von Adrenalin, Noradrenalin und Angiotensin (Henny et al. 2005). Das reduzierte Herzzeitvolumen hat eine verschlechterte Durchblutung der intraabdominellen Organe zur Folge (Henny et al. 2005). An den Nieren kommt es zu einer Verringerung der glomerulären Filtrationsrate und der Urinproduktion (Junghans et al. 1997). Auch die mesenteriale und portohepatische Durchblutung sind durch die Erhöhung des intraabdominellen Drucks während des Pneumoperitoneums reduziert (Schilling et al. 1997).
10.6.2
Pulmonale Auswirkungen
Die während des Pneumoperitoneums zu beobachtende Hyperkapnie erreicht bei konstanter Ventilation nach 40 min CO2-Insufflation ihr Maximum (Baraka et al. 1994). Danach wird CO2 in den Körperkompartimenten angereichert, wobei bis zu 120 l gespeichert werden können. Da während laparoskopischer Eingriffe CO2 nahezu ausschließlich über die Lungen abgeatmet werden kann, sollte der Hyperkapnie von Beginn der Laparoskopie an durch eine kompensatorische Hyperventilation mit erhöhtem Atemzugvolumen entgegengewirkt werden. Trotz Hyperventilation halten die respiratorische Azidose und erhöhte CO2-Abatmung für mindestens eine Stunde postoperativ an und sind bei eingeschränkter kardiopulmonaler Funktion deutlich verlängert (Hsieh 2003; Kazama et al. 1996). Die Erhöhung des intraabdominellen Drucks während des Pneumoperitoneums führt zu einer Kranialverlagerung des Zwerchfells mit intrathorakaler Druckerhöhung.
Dies bewirkt erhöhte Beatmungssdrücke, basale Dystelektasen, eine Verringerung der funktionellen Residualkapazität und der pulmonalen Compliance um bis zu 50%. Eine Verschlechterung des Ventilations-/Perfusionsquotienten und eine Zunahme intrapulmonaler Shunts sind die Folge. Im Gegensatz zu Lungengesunden erhöht dies bei kardiopulmonal vorgeschädigten Patienten das Risiko einer Hypoxämie (Henny et al. 2005).
10.6.3
Immunologische Auswirkungen
Chirurgische Eingriffe beeinflussen als kontrolliertes Trauma die Immunantwort der Patienten. Das Ausmaß der postoperativen Immunsuppression korreliert dabei mit der Intensität des chirurgischen Traumas. Für laparoskopische Eingriffe wird im Vergleich zu identischen konventionellen Operationen ein geringeres Trauma postuliert, das entsprechend zu einer geringeren Alteration des Immunsystems führen sollte. Bei der Untersuchung der Auswirkungen des Pneumoperitoneums auf das Immunsystem muss zwischen systemischen immunologischen Folgen und der lokalen Beeinflussung der peritonealen Immunität unterschieden werden. Die meisten tierexperimentellen Untersuchungen der peritonealen Immunität zeigen nach laparoskopischen Eingriffen im Vergleich zu offenen Operationen einen besseren Erhalt der Anzahl und Funktion der Makrophagen, eine verringerte Produktion des Tumornekrosefaktors durch peritoneale Makrophagen und eine geringere Rate postoperativer septischer Komplikationen als Ausdruck der besseren peritonealen Immunabwehr (Novitsky et al. 2004). Auch die systemische Immunantwort ist nach laparoskopischen Eingriffen weniger beeinträchtigt als nach identischen konventionellen Operationen. Dies gilt sowohl für die Zytokininausschüttung als auch für die zellvermittelte Immunantwort in tierexperimentellen und klinischen Studien (Sietses et al. 1999). Mehrere, überwiegend jedoch nicht randomisierte Studien zeigten nach laparoskopischer Cholezystektomie signifikant geringere Interleukin-6- und CRP-Spiegel im Vergleich zur konventionellen Cholezystektomie. Dieser Vorteil fand sich auch nach anderen Eingriffen. Untersuchungen zu seltener analysierten Zytokinen (z. B. sTNFR, IL-8) konnten jedoch keine signifikanten Unterschiede zwischen laparoskopischen und konventionellen Eingriffen nachweisen (Buunen et al. 2004).
10
148
Kapitel 10 · Prinzipien der Laparoskopie
10.7
Komplikationen
Nachfolgend dargestellt werden relevante laparoskopiespezifische Komplikationen und laparoskopiespezifische Besonderheiten allgemeiner Operationskomplikationen. Eingriffsspezifische Komplikationen (z. B. Anastomoseninsuffizienzraten oder postoperative funktionelle Störungen) unterscheiden sich in der Regel nicht zwischen laparoskopischen und konventionellen Operationen und werden in den organspezifischen Kapiteln abgehandelt.
10.7.1
10
Gefäßverletzungen
Die häufigsten Gefäßverletzungen während laparoskopischer Eingriffe betreffen die Bauchwandgefäße. Sie werden trotz Diaphanoskopie und einer am anatomischen Verlauf der epigastrischen Gefäße orientierten Trokarplatzierung in bis zu 0,46% der Laparoskopien verletzt. Klinisch imponieren sie in der Regel als Sickerblutung entlang der Trokare, die sich durch Kompression oder Elektrokoagulation stillen lässt und so den weiteren Fortgang der Laparoskopie nicht stört. Nur selten wird eine operative Revision der Trokareinstichstelle mit Schnitterweiterung und gezielter Gefäßumstechung notwendig. Schwerwiegender und bedrohlicher ist die Verletzung der großen intraabdominellen Gefäße im Rahmen laparoskopischer Operationen. Sie treten in der Regel bei der geschlossenen Anlage des Pneumoperitoneums durch die Blindpunktion mit der Veress-Nadel bzw. dem ersten Trokar auf. Die Inzidenz dieser Komplikation wird mit 0,04–0,1% und ihre Mortalität mit 8–13% angegeben (Catarci et al. 2001; Champoult et al. 1996; Deziel et al. 1993; Rovaiaro et al. 2002; Saville et al. 1995). Sowohl Bonjer als auch Sigman konnten eine erhöhte Rate Gefäßverletzungen nach geschlossener Anlage des Pneumoperitoneums im Vergleich zum offenen Vorgehen nachweisen (Bonjer et al. 1997; Sigman et al. 1993). Bei einer Blutung in die freie Bauchhöhle hinein wird die Verletzung rasch bemerkt, blutet die Verletzung jedoch ins Retroperitoneum kann sie dem Operateur initial verborgen bleiben und sogar erst postoperativ klinisch symptomatisch werden. ! Cave ! Jede Verschlechterung der Kreislaufsituation während laparoskopischer Operationen muss daher den Verdacht auf eine Verletzung großer intraabdomineller Gefäße wecken und Anlass zu einer sorgfältigen Exploration der Abdominalhöhle sein. Der Nachweis einer Gefäßverletzung führt dann zur sofortigen Konversion mit Freilegung und Versorgung des verletzten Gefäßes.
10.7.2
Verletzungen viszeraler Organe
Auch die Verletzung von Hohlorganen erfolgt in der Regel beim Einbringen der Veress-Nadel bzw. der Trokare. Sie tritt bei geschlossener Anlage des Pneumoperitoneums mit einer Häufigkeit von 0,06–0,14% auf und ihre Letalität liegt bei bis zu 2,5% (Catarciet al. 2001; Dezielet al. 1993; Schäfer et al. 2001). 80% der Verletzungen betreffen dabei den Magen-Darmtrakt und nur 20% die Harnblase (Catarci 2001). Ausgedehnte Verwachsungen zur ventralen Bauchwand nach Voroperationen erhöhen das Risiko von Hohlorganverletzungen im Rahmen laparoskopischer Operationen. Bei offener Anlage des Pneumoperitoneums ist die Rate der Hohlorganverletzungen reduziert (Bonjer et al. 1997; Sigman et al. 1993). Neben direkten Trokar- oder Veress-Nadelverletzungen kann es beim Einsatz monopolaren Stroms durch unkontrollierten Stromfluss zur Neutralelektrode zu Darmwandschädigungen außerhalb des eigentlichen Operationsgebietes kommen. Diese Darmwandschädigungen können zunächst unbemerkt bleiben und werden dann erst postoperativ durch die sich entwickelnde Peritonitis klinisch symptomatisch. > Hohlorganverletzungen erfordern die sofortige chirurgische Versorgung durch Übernähung oder Resektion, die sich bei entsprechender operativer Erfahrung auch laparoskopisch durchführen lassen, da sich bei therapeutischer Verzögerung ihre Morbidität deutlich erhöht (Reich 1992).
10.7.3
Emphysem
Die Häufigkeit subkutaner Emphyseme wird auf 0,3–3,0% geschätzt (Derouin et al. 1996). Bei präperitonealer Fehllage der Veress-Nadel oder bei Dislokation des Insufflationstrokars während der Laparoskopie kann es zur Insufflation des präperitonealen Raumes und zur nachfolgenden Entwicklung eines CO2-Hautemphysems kommen, das sich jedoch in der Regel nach kurzer Zeit resorbiert. Im Rahmen laparoskopischer Eingriffe kann es durch den intraabdominellen Überdruck über den Hiatus oesophagei zu einer mediastinalen CO2-Verteilung und Entwicklung eines kollaren Hautemphysems, in seltenen Fällen auch zum Pneumoperikard und Pneumothorax, kommen (Kalhan et al. 1990). Auch dieses Emphysem wird zumeist postoperativ rasch resorbiert und erfordert keine weiteren therapeutischen Maßnahmen. Ausgedehnte Emphyseme können jedoch zur Hyperkapnie und kardiovaskulären Dekompensation führen (Munro 2002). Weitere relativ häufige Emphysemprädilektionsstellen sind das Omentum majus und das Mesenterium. An
149 10.8 · Literatur
diesen Lokalisationen entstehen die Emphyseme in der Regel bei der Gasinsufflation über die Veress-Nadel und können so irrtümlich dem Operateur eine präperitoneale Fehllage suggerieren.
10.7.4
Narbenhernien
Narbenhernien werden mit einer Häufigkeit von 0,2–1,8% nach laparoskopischen Operationen beobachtet (Bonjer et al. 1997; Holzinger et al. 2002; Lajer et al. 1997; Mayol et al. 1997). Bedingt durch die Häufigkeit umbilikal plazierter Trokare und durch das fehlende Kulissenphänomen der Bauchwandmuskulatur in der Linea alba treten ca. 25% aller Narbenhernien umbilikal auf. Die Rate der Narbenhernien korreliert mit dem Durchmesser der eingesetzten Trokare (Holzinger et al. 2002). Ein Trokardurchmesser >10 mm begünstigt die Entwicklung einer Narbenhernie (Montz et al. 1994). > Für alle Trokareinstichstellen mit einem Durchmesser >10 mm wird ein konsequenter Faszienverschluss gefordert (Köckerling et al. 1997; Lajer et al. 1997).
10.7.5
Wundinfektionen
Wundinfektionen werden nach laparoskopischen Operationen im Vergleich zu konventionellen Eingriffen seltener beobachtet. Sie treten nach aseptischen laparoskopischen Eingriffen mit einer Häufigkeit von 0,04% auf, bei potenzieller bakterieller Kontamination wird die Rate mit 2,3% in der Literatur angegeben (Bittner et al. 2002; Zitser et al. 1997).
10.7.6
Postoperative Adhäsionen
Tierexperimentelle Untersuchungen konnten eine geringere postoperative Adhäsionsbildung nach laparoskopischen Operationen im Vergleich zu identischen offenen Operationen nachweisen (Krähenbühl et al. 1998; Tittel et al. 1994). Diese experimentellen Ergebnisse decken sich mit klinischen Beobachtungen. Nach konventionellen Eingriffen werden postoperative Adhäsionen zur Laparotomienarbe in bis zu 95% der Fälle beobachtet, wobei das Ausmaß der Adhäsionsbildung von der Inzisionslokalisation und der Art des Eingriffs abhängt (Menzies et al. 1990). Nach laparoskopischen Eingriffen wird dagegen die Häufigkeit postoperativer Adhäsionen mit 0,8–3,5% pro Trokarinzision angegeben (Pattaras et al. 2002).
10.7.7
Gasembolie
Eine sehr seltene, aber gefährliche Komplikation des Pneumoperitoneums ist die CO2-Embolie, deren Letalität mit bis zu 28% angegeben wird (Magrina 2002). Als Hauptursache gilt die Fehlplatzierung der Veress-Kanüle in Gefäße oder parenchymatöse Organe. Aufgrund der guten Wasserlöslichkeit von CO2 werden erst größere intravasale Gasmengen klinisch auffällig und erfordern dann eine sofortige aggressive Therapie durch Ablassen des Pneumoperitoneums, kombinierte Linksseiten- und Kopftieflage, Hyperventilationsbeatmung mit 100% O2, Versuch der intrakardialen Gaselimination durch Aspiration eines zentralvenösen Venenkatheters und kardiopulmonale Reanimation im Falle einer Asystolie (Haroun et al. 2001).
10.8
Literatur
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150
10
Kapitel 10 · Prinzipien der Laparoskopie
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Präoperative Risikoabschätzung A. Reber, D. Scheidegger, R. Babst
11.1 Präoperative Evaluation 11.1.1 11.1.2 11.1.3 11.1.4 11.1.5 11.1.6 11.1.7 11.1.8
– 152
Risikoklassifikationen – 152 Alter – 152 Vorbestehende Erkrankungen – 152 Chronische Medikation – 153 Ernährungszustand – 153 Präoperative Routineuntersuchungen – 153 Präoperatives Patientengespräch – 154 Anästhesietechniken – 154
11.2 Postoperative Risikoabschätzung: Verbesserung des Outcomes und der Langzeitverläufe – 155 11.3 Stationäre versus ambulante Anästhesie/Chirurgie 11.4 Literatur
– 155
– 155
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_11, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
152
Kapitel 11 · Präoperative Risikoabschätzung
Der gesellschaftliche Anspruch auf risikoarme und exakt planbare Abläufe in der täglichen Spitalroutine wächst und verstärkt damit die Gewichtung der präoperativen Risikoabschätzung mit dem Ziel, die für den vorgesehenen Eingriff relevanten Begleiterkrankungen mit vernünftigem Aufwand zu erkennen und, falls möglich, vor dem Krankenhauseintritt zu verbessern. Eine optimale perioperative Betreuung verbessert den Outcome und Langzeitverlauf des Patienten. Durch das ansteigende Patientenalter und der damit verbundenen Zunahme von bedeutenden Begleiterkrankungen können auch einfache viszerale Eingriffe ausgedehnte präoperative Vorbereitungen benötigen. Es muss eine möglichst frühe Besprechung mit allen beteiligten Spezialisten stattfinden (Chirurgen, Anästhesisten, Gastroenterologen und Hausärzte).
11.1
Präoperative Evaluation
11.1.1
Risikoklassifikationen
11.1.2
Auch wenn bei der ASA-Klassifizierung das Alter nicht berücksichtigt wird, ist es wichtig zu wissen, dass beim geriatrischen Patienten ein erhöhtes perioperatives Komplikationsrisiko besteht (Cook u. Rooke 2003). Trotz der Fortschritte in der perioperativen Betreuung wird eine deutliche Reduktion des Risikos bei diesen Patienten nicht mehr möglich sein, da stets noch ältere Patienten sowohl elektiv als auch notfallmäßig operiert werden. Es ist nicht das Alter an sich als vielmehr die Begleiterkrankungen, die bei der Risikoeinstufung eine Rolle spielen (Bulder et al. 1999; Nieran u. Zakrzewski 1999). Allerdings können schon kleinere intraoperative Komplikationen wie z. B. Blutdruckabfall bei einer Blutung beim geriatrischen Patienten zu schwerwiegenden Folgen führen.
11.1.3
11
Das Ziel der präoperativen Evaluation ist die Risikoreduktion hinsichtlich eines geplanten Eingriffs. Auf Grund der klinischen Untersuchung und der laborchemischen Daten wird das perioperative Risiko festgelegt. Dazu stehen verschiedene Klassifizierungssysteme zur Verfügung. Am häufigsten wird das Schema der American Society of Anesthesiologists (ASA) verwendet (. Tab. 11.1). Alle diese Klassifikationen belassen einen großen Ermessensspielraum und berücksichtigen nicht alle für das perioperative Risiko wichtigen Parameter. Nicht berücksichtigt sind z. B. Art und Dauer des operativen Eingriffs, die Erfahrung der beteiligten Ärzte und das Alter des Patienten. Eine solche international anerkannte Klassifizierung wie die ASA ist aber nützlich, wenn man Komplikationen bei der gleichen viszeralen Operation an verschiedenen Zentren vergleichend untersuchen will.
. Tab. 11.1 ASA-Risikogruppen I
Normaler, gesunder Patient
II
Patient mit leichter Allgemeinerkrankunga
III
Patient mit schwerer Allgemeinerkrankunga und Leistungseinschränkung
IV
Patient mit inaktivierender Allgemeinerkrankung, die eine ständige Lebensbedrohung darstellt
V
Moribunder Patient, von dem nicht erwartet wird, dass er die nächsten 24 h überlebt (mit oder ohne Operation)
a
z. B. kardiovaskuläre und respiratorische Erkrankungen, Hypovolämie, Stoffwechselerkrankungen, Anämie, Leberund Nierenerkrankungen
Alter
Vorbestehende Erkrankungen
Bei elektiven chirurgischen Eingriffen stehen kardiovaskuläre Probleme bei Erwachsenen im Vordergrund. Zeichen koronarer Herzkrankheit, Herzinsuffizienz, Herzrhythmusstörungen, Herzklappenerkrankungen oder Hypertonie bedeuten ein erhöhtes perioperatives Risiko (Mangano 1990). Diese Erkrankungen können intraoperativ durch die Auswirkung der Anästhetika auf das HerzKreislauf-System oder durch große Volumenverschiebungen bei Abdominaleingriffen zu Komplikationen führen. Postoperativ sind diese Patienten vor allem durch schmerzbedingte Stressreaktionen oder Infektionen mit Fieber stark gefährdet. Unter den Atemwegserkrankungen mit erhöhtem perioperativen Risiko sind die Infektionen der oberen Atemwege und die obstruktiven Lungenerkrankungen zu nennen. Wir wissen heute, dass die früher häufig angewendeten Lungenfunktionstests wenig über mögliche postoperative pulmonale Komplikationen aussagen (Wong et al. 1995; Zollinger u. Pasch 2002). Verglichen damit ist die ASA-Klassifizierung nicht nur billiger in der Durchführung, sondern auch besser, da sie zusätzlich zu pulmonalen auch nichtpulmonale Faktoren miteinbezieht. Bei Patienten mit vorbestehenden Lungenerkrankungen kann durch spezielle Anästhesieführung (s. unten) und durch eine Verkürzung der Operationszeit das Risiko für eine prolongierte intensivmedizinische Betreuung vermindert werden. Offene wie auch laparoskopische Eingriffe beeinflussen das Zwerchfell und damit die pulmonale Funktion. Anästhesiebedingt verschiebt sich das Zwerchfell nach kranial und kann zur Atelektasenbildung und damit verbundener Gasaustauschstörung führen (Reber et al. 1998). Patienten mit vorbestehender eingeschränkter Lungenfunktion neigen auch nach laparoskopischen Cholezystektomien
153 11.1 · Präoperative Evaluation
zu pulmonalen Komplikationen (Erice et al. 1993). Nach offenen Oberbaucheingriffen bleibt die Vitalkapazität bis zu einer Woche postoperativ reduziert, während nach Unterbaucheingriffen bereits nach 3 Tagen die präoperativen Werte wieder erreicht werden (Dureuil et al. 1987).
11.1.4
Chronische Medikation
Besteht Handlungsbedarf für Anpassungen in der Langzeitmedikation, so sollte dies möglichst frühzeitig geschehen und die Dosisanpassung sorgfältig titriert werden (z. B. β-Rezeptorenblocker, ACE-Hemmer, Antidiabetika, Schilddrüsenmedikamente). Für die perioperative Evaluation und Behandlung vor nicht-herzchirurgischen Operationen stehen aktuelle Richtlinien der American Heart Association und des American College of Cardiology zur Verfügung (Fleisher et al. 2008). ! Cave ! Die Einnahme von plättchenhemmenden Medikamenten wie Acetylsalicylsäure oder Clopidogrel bedarf einer besonders sorgfältigen Risikoabwägung.
Sind plättchenhemmende Medikamente als Primär- oder Sekundärprophylaxe gut indiziert, so sind die Patienten bei einem perioperativen Pausieren der Medikation einem erhöhten Risiko potenziell tödlich verlaufender kardiovaskulärer Ereignisse ausgesetzt. Eine fortgesetzte Einnahme der Medikamente andererseits erhöht das Risiko von chirurgischen und/oder anästhesiologischen Blutungskomplikationen. Zu beachten gilt es ferner, dass (Kombinations-)Präparate mit Acetylsalicylsäure weit verbreitet sind (Schmerzmittel, Grippemittel etc.). In diesen Fällen und bei Einnahme von Plättchenhemmern ohne gesicherte Indikation sollte eine präoperative Medikationspause eingehalten werden.
11.1.5
Ernährungszustand
Viele vor allem ältere hospitalisierte Patienten sind mangelernährt (Cook u. Rooke 2003). Eine klare Definition von Mangelernährung fehlt. Zur Erfassung des Risikofaktors »Mangelernährung« haben sich für die klinische Praxis eine genaue Anamnese betreffend ungewolltem Gewichtsverlust innerhalb der letzten 6 Monate, Nahrungsaufnahme und übliche präoperative Evaluation von Organfunktionen (Lunge, Skelettmuskulatur, Immunsystem), zusammengefasst als das sog. »Subjective Global Assessment« (SGA), als genügend erwiesen (Detsky et al. 1987). Prospektiven Studien zeigen, dass das SGA ein guter Prädiktor ist für postoperative Komplikationen bei allgemeinchirurgischen Patienten und bei Patienten nach Lebertransplantation (Baker et al. 1982; Pikul et al. 1994). Die Beurteilung
der Mangelernährung als Risikofaktor für postoperative Komplikationen darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese auch durch Patientenfaktoren wie Alter, Komorbidität, durch operationstechnische Faktoren wie Operationsdauer, Fähigkeit des Chirurgen und Blutverlust mitbeeinflusst werden. Die klinische Relevanz der Mangelernährung beruht auf der Möglichkeit zur therapeutischen Intervention. So konnte wiederholt bestätigt werden, dass eine Ernährungstherapie bei mangelernährten Patienten sowohl zu einer Verbesserung des Ernährungszustands als auch zu einer Reduktion postoperativer Komplikationen und der Letalität führt. Eine Vielzahl von prospektiven randomisierten Studien bei mangelernährten Patienten mit gastrointestinalen Malignomen zeigen, dass durch eine präoperative parenterale Ernährung während 7–10 Tagen die Rate postoperativer Komplikationen durchschnittlich um 10% (von 40 auf 30%) gegenüber den Kontrollen reduziert werden kann (Klein et al. 1997). Heute wird der weniger komplikationsträchtigen enteralen Ernährung für die prä- und postoperative Ernährungstherapie der Vorzug gegeben. > Relevant mangelernährte Patienten mit malignen gastrointestinalen Tumoren profitieren von einer 5- bis 7-tägigen präoperativen enteralen Zusatzernährung, die mit Omega-3-Fettsäuren, Arginin und Ribonukleinsäuren angereichert ist.
Gegenüber Kontrollgruppen fanden sich bei den Verumpatienten signifikant weniger infektiöse Komplikationen und eine verkürzte Hospitalisationsphase (Braga et al. 2002). Die gleichen klinischen Vorteile scheinen auch normal ernährte Patienten mit gastrointestinalen Tumoren zu haben, die ein angereichertes enterales Substrat 5–7 Tage prä- und 7 Tage postoperativ erhielten (Braga et al. 1999), zu erleben. Die enterale Zufuhr fettarmer Energiedrinks kann zudem noch bis wenige Stunden vor einem chirurgischen Eingriff gegeben werden. Eine enterale Ernährungstherapie kann bei funktionierendem Gastrointestinaltrakt wieder frühzeitig (unter Umständen wenige Stunden postoperativ) begonnen werden. Eine postoperative parenterale Ernährungstherapie findet dagegen meist nur noch bei nicht funktionstüchtigem Gastrointestinaltrakt von stark mangelernährten Patienten und von Patienten bei denen die Nahrungskarenz 10 Tage überschreitet, Anwendung (Souba 1997). Der enteralen Applikationsform ist, wenn immer möglich, der Vorzug zu geben (www.dgem. de; www.ake-nutrition.at).
11.1.6
Präoperative Routineuntersuchungen
Die mit Abklärungen verbundenen Kosten können durch den gezielten Einsatz der präoperativen Untersuchungen
11
154
11
Kapitel 11 · Präoperative Risikoabschätzung
deutlich gesenkt werden. Zwangsläufig nimmt damit die Bedeutung der Anamnese und klinischen Untersuchung bei der Einschätzung des perioperativen Risikos zu. Elektrokardiogramm, Thoraxröntgenbild und Laboruntersuchungen dürfen nicht mehr routinemäßig, sondern nur gezielt bei Risikogruppen bzw. bei begründetem Verdacht verordnet werden (Narr et al. 1996). Das präoperativ routinemäßig durchgeführte Thoraxröntgenbild hat einen schlechten prognostischen Wert. Postoperativ aufgetretene Komplikationen konnten nur bei 50% der Patienten mit präoperativ erhobenen pathologischen Befunden in Zusammenhang gebracht werden (Acapem et al. 1992). Stellt man die Aussagekraft dieser Untersuchung den anfallenden Kosten gegenüber, darf die Röntgenaufnahme nur zur Sicherung einer klinischen Verdachtsdiagnose eingesetzt werden. Eine Metaanalyse hat gezeigt, dass nur 1,3% der Röntgenbefunde unerwartet, d. h. weder durch Patientenbefragung noch durch die klinische Untersuchung diagnostizierbar waren (Archer et al. 1993). Auch die routinemäßige Durchführung eines EKG bei Patienten unter 60 Jahren ohne anamnestische Hinweise auf eine kardiale Erkrankung bringt keinen diagnostischen Beitrag (0,4%; Moorman et al. 1985). Es ist unklar, wie häufig das präoperative Ruhe-EKG der einzige Hinweis auf einen früher stattgefundenen Myokardinfarkt sein kann und welche Bedeutung dieser Befund für das perioperative Risiko hat. Die Inzidenz stummer Myokardinfarkte steigt bei älteren Patienten. Die Framingham-Studie zeigte, dass bei 28% der Infarkte weder der Patient noch der primär betreuende Arzt vor dem Routine-EKG einen Hinweis auf die durchgemachte Erkrankung hatten (Kannel u. Abbott 1984). In den USA werden jährlich 30 Milliarden Dollar für Laboruntersuchungen ausgegeben. 10% dieses Betrags wurde für Routinescreening präoperativ ausgegeben (Pasternak 1996). Wir haben gute Erfahrung mit einem Fragebogen gemacht, den der Patient selbst ausfüllen muss. Die mit »Ja« markierten Antworten weisen auf durchzuführende Untersuchungen hin (nicht publiziert). Damit wird der Patient für seine Angaben mitverantwortlich. Wenn er z. B. angibt, keine blutverdünnenden Medikamente einzunehmen und nie abnormal lange bei Bagatellverletzungen zu bluten, so kann beispielsweise eine rückenmarknahe Regionalanästhesie auch ohne Laboruntersuchungen durchgeführt werden. Will man die Nierenfunktion beurteilen, so ist die häufig angewendete alleinige Bestimmung der Kreatininkonzentration im Serum nicht ausreichend. Ein aussagekräftiger Parameter ist die glomeruläre Filtrationsrate. Stellvertretend lässt sich mit Hilfe einfacher Formeln die Kreatinin-Clearance als Maß für die Nierenfunktion schätzen. Weitere wichtige Parameter zur Einschätzung der Auswirkungen einer Funktionseinschränkung sind die Messung
des Hämoglobinwertes, sowie der Serumkonzentrationen der Elektrolyte Natrium und Kalium. Eine adäquate und ausreichende Behandlung der Begleiterkrankungen (z. B. arterielle Hypertonie) tragen zu einer Verminderung postoperativer Nierenfunktionsstörungen bei.
11.1.7
Präoperatives Patientengespräch
Im präoperativen Gespräch muss das für den Patienten günstigste Anästhesieverfahren ausgesucht werden. Wie Roizen und Fischer (1997) aber gezeigt haben, sind noch andere Faktoren wie z. B. Angstreduktion bei der Anästhesieplanung zu berücksichtigen, die für den Patienten von großer Bedeutung sind, aber mit der gewählten Technik direkt nichts zu tun haben. Adäquate Aufklärung impliziert eine positive Kommunikation mit dem Patienten, die zu weiter gehender Vertrauensbildung beitragen kann (Bock et al. 2004). Untersuchungen zeigen, dass videounterstützte Schulung der Anästhesisten für dieses Patientengespräch die Patientenzufriedenheit stark verbessert (Harms et al. 1997). Die patientengerechte Information und das Besprechen möglicher Komplikationen gehören selbstverständlich dazu. Im DRG-Zeitalter bilden sich für ausgewählte Patientengruppen neue Formen der Anästhesie-Vorbesprechung aus (Ambulatorien, Remote-Vorbesprechungen).
11.1.8
Anästhesietechniken
Trotz der Vielfalt neuer Anästhetika und unterschiedlichster Anästhesieverfahren gibt es keine Untersuchung, die zeigt, dass eines dieser Verfahren einem anderen gegenüber eindeutige Vorteile hat. Jeder Anästhesist hat seine bevorzugten Techniken, die er beherrscht und mit denen er gute Resultate erzielt. Jede Methode hat ihre Vor- und Nachteile. Yeager konnte zeigen, dass Patienten, die für einen großen intraabdominellen bzw. intrathorakalen Eingriff neben der Allgemeinanästhesie zusätzlich eine thorakale Periduralanästhesie erhielten, eine signifikant niedrigere Inzidenz von kardiovaskulären Komplikationen aufwiesen als Patienten mit Allgemeinanästhesie allein (Yeager et al. 1987). Baron et al. (1992) fanden hingegen zwischen diesen 2 Anästhesieverfahren keinen Unterschied in der kardialen und pulmonalen Morbidität bei Patienten mit abdominalen Aortenaneurysmen. Obwohl in der Literatur Kontroversen zu diesem Thema bestehen, sollte bei pulmonalen Risikopatienten für große Abdominaleingriffe ein kombiniertes Verfahren gewählt und die Periduralanästhesie in der postoperativen Phase fortgeführt werden. Da die Periduralanästhesie eine periphere Vasodilatation und Zunahme der regionalen Durchblutung bewirkt,
155 11.4 · Literatur
scheint die Inzidenz thromboembolischer Komplikationen bei dieser Technik, verglichen mit anderen Anästhesieverfahren, geringer zu sein. Auch hier fehlt aber eine große Studie, die statistisch einen Unterschied in der Überlebensrate zeigt. Der paralytische Ileus ist eine häufige postoperative Komplikation nach Abdominaleingriffen. Unter kontinuierlicher rückenmarknaher Leitungsanästhesie setzt die Darmperistaltik früher ein als unter Schmerzbehandlung mit intravenösen Opiaten (Liu et al. 1995). In der Kolonchirurgie konnte mit der Periduralanalgesie die postoperative Erholung der Patienten verkürzt werden (Liu et al. 1995).
11.2
Postoperative Risikoabschätzung: Verbesserung des Outcomes und der Langzeitverläufe
Die intraoperativ eingeleiteten Maßnahmen müssen fließend in die unmittelbare postoperative Betreuung des Patienten im Aufwachraum oder auf der Intensivstation übergehen. Das Zusammenspiel sorgfältig aufeinander abgestimmter Therapieschritte verbessert die Behandlungsergebnisse (Lawrence et al. 1995). Dazu gehören eine effiziente Schmerztherapie in den ersten Tagen nach der Operation, evtl. kombiniert mit einer postoperativ weitergeführten Regionalanästhesie, frühe orale Ernährung (7 Abschn. 11.1.5) und die Frühmobilisation (Mønicke et al. 1995). Eine wirksame, auf den Patienten abgestimmte Schmerztherapie kann die Hospitalisationsdauer verkürzen und erhöht den Aktivitätsgrad des Patienten nach der Entlassung (Gottschalk et al. 1998). Unter Berücksichtigung aller dieser Faktoren konnten gewisse Patienten nach laparoskopischen Kolonresektionen bereits am zweiten postoperativen Tag entlassen werden (Bardram et al. 1995).
11.3
Stationäre versus ambulante Anästhesie/Chirurgie
Der wachsende Kostendruck im Gesundheitswesen führte zu einer Verlagerung von stationären chirurgischen Patienten zu teilstationären und ambulanten Patienten. Dies erfordert eine Neuorientierung des präoperativen Patientenmanagements. Die Patienten können nicht mehr am Tag vor der Operation im Krankenhaus vorbereitet werden, sondern müssen in einer Anästhesiesprechstunde oder -ambulanz gesehen werden. Wichtig ist dabei vor allem, dass in interdisziplinärer Absprache geklärt wird, ob mit einer Vorbehandlung (kardial, respiratorisch, metabolisch) eine perioperative Risikoverminderung erreicht werden kann. Daraus ergeben sich Konsequenzen für die Planung des Eingriffs. Kurzfristige Verschiebungen von ambulan-
ten oder teilstationären Patienten muss unbedingt vermieden werden. Für Patienten der ASA-Klassifizierungen I und II mit kleineren ambulanten Eingriffen werden neben der klassischen Prämedikationsvisite in der Sprechstunde auch Telefoninterviews durch den Anästhesisten durchgeführt. Diese Form von präoperativer Evaluation ist dann sinnvoll, wenn der Algorithmus der präoperativen Abklärungen klar definiert ist. Eine vollständige klinische Untersuchung solcher Patienten bei der Indikationsstellung durch den Chirurgen in dessen Praxis ist sehr wichtig. Telefonvisiten ersparen hingegen dem Patienten mehrere Besuche in verschiedenen Arztpraxen im Krankenhaus. »Postoperative nausea and vomiting« (PONV) gehört zu den signifikanten Komplikationen speziell in der ambulanten Chirurgie, wo die Inzidenz bis zu 30% betragen kann (Green u. Jonsson 1993). Bei ambulanten Patienten beeinflusst PONV die Entlassungszeiten entscheidend. In einer Metaanalyse konnten leider keine Unterschiede zwischen den verschiedenen Anästhetika bezüglich der PONV Häufigkeit festgestellt werden (Tramer et al. 1997). Trotz neuerer, zum Teil sehr teurer Medikamente bleibt PONV bei chirurgischen Patienten ein echtes Problem. Der Zeitpunkt der Entlassung nach ambulanten Operationen ist ein Kompromiss zwischen der größtmöglichen Sicherheit für den Patienten und dem ökonomischen Druck. Es gibt leider weder Scoring-Systeme noch standardisierte zeitliche Grenzen, die eine absolute Sicherheit für die Entlassungsfähigkeit der Patienten geben (Chung 1995). Die Zielsetzung einer Kostenreduktion durch Verlagerung der teuren stationären präoperativen Voruntersuchungen in die preiswertere Ambulanz kann nur dann als erreicht gelten, wenn die folgenden Punkte erfüllt werden: 4 Patienten am Operationstag im bestmöglichen Zustand 4 Reduktion der Angst des Patienten vor Anästhesie und Operation 4 Reduktion der operativen Morbidität 4 Frühe, interdisziplinäre Planung des perioperativen Managements 4 Qualifizierte Betreuung der Patienten in der gesamten perioperativen Phase 4 Keine Terminverschiebungen 11.4
Literatur
Acapem, Bouilleot JL, Paquet JC, Hay JM, Coggia M (1992) La radiographie thoracique preoperatoire systematique en chirurgie generale, est-elle utile? Ann Fr Anesth Reanim 11:88–95 Archer C, Levy AR, McGregor M (1993) Value of routine preoperative chest x-rays: a metaanalysis. Can J Anaesth 40:1022–1027 Baker J, Detsky A, Wesson D (1982) Nutritional assessment: A comparison of clinical judgement and objective measurements. N Engl J Med 306:969–972
11
156
11
Kapitel 11 · Präoperative Risikoabschätzung
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12
Prinzipien der Laparotomie J. Conze, K. Junge
12.1
Anatomie der Bauchwand
– 158
12.2
Chirurgische Zugangswege
12.2.1 12.2.2 12.2.3 12.2.4 12.2.5 12.2.6 12.2.7 12.2.8
Mediane Laparotomie (Dieffenbach 1848) – 159 Paramediane Laparotomie – 159 Laterale pararektale Laparotomie – 160 Subkostale Laparotomie/Rippenbogenrandschnitt (Courvoiser 1890) – 160 Quere Laparotomie – 160 Wechselschnitt (McBurney 1894) – 160 Pfannenstielschnitt – 160 Flankenschnitt/lumbaler Schrägschnitt – 161
12.3
Literatur
– 159
– 161
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_12, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
158
Kapitel 12 · Prinzipien der Laparotomie
In der Viszeralchirurgie ist »primum non nocere« als oberste Maxime ärztlichen Handels kaum zu verwirklichen, vielmehr muss es »primum non nocere quam minimae« (so wenig wie möglich) heißen. Der ideale chirurgische Zugang in die Abdominalhöhle sollte schnell durchführbar, eine gute Übersicht ermöglichen und ggf. erweiterbar sein. Daneben sollte er komplikationsarm sein, d. h. wenig Serome, Hämatome und Infektionen, sowie eine niedrige Inzidenz von Narbenhernien aufweisen. Kein abdomineller Zugangsweg ist frei von Narbenhernien. Sie treten bei allen Laparotomien und Laparoskopien in unterschiedlichen Inzidenzen von bis zu 15% auf (Hoer et al. 2002; Mudge u. Hughes 1985). Da anscheinend zurzeit das Auftreten von Narbenhernien nicht vollständig zu vermeiden ist, sollte dies bei der primären Schnittführung berücksichtigt werden. Wenn möglich sollte deshalb ein Abstand zu knöchernen Strukturen von bis zu 5 cm angestrebt werden, vor allem im Bereich des Beckenknochens und des Rippenbogen.
12.1
12
Anatomie der Bauchwand
Zwischen Thoraxunterrand und Oberrand des knöchernen Beckens besteht eine große Skelettlücke, die durch eine weiche, vielschichtige Bauchdecke verschlossen ist. Sie setzt sich zusammen aus breiten Muskeln, Faszien, Aponeurosen und Peritoneum. Dadurch wird eine Beweglichkeit des Brustkorbs und des gesamten Rumpfes gewährleistet. Die muskuläre Grundlage der Bauchwand wird durch autochthone Muskeln gebildet. Thorax, Becken und Processus costarii der Lendenwirbel stellen den knöchernen Rahmen dar, in dem die einzelnen Muskeln mit ihren Faszien eingespannt werden: Der M. rectus abdominis spannt sich paramedian auf beiden Seiten der Mittellinie aus. Er verläuft vertikal von der unteren Thoraxapertur bis zur Symphyse. Er bildet die gesamte Dicke der Bauchwand, wobei ihm im kaudalen Anteil der unbedeutende M. pyramidalis vorgelagert liegt. Er entspringt an der Außenfläche des 5. bis 7. Rippenknorpels und am Proc. xiphoideus des Brustbeins. Von einem bindegewebigen Führungsschlauch, der Rektusscheide, umgeben zieht der vordere Bauchmuskel nach kaudal, wo er sehnig zwischen Tuberculum pubicum des Schambeins und der Symphyse ansetzt. Die Rektusscheide wird gebildet durch die medialen, sehnigen Ausläufer der lateralen Bauchwandmuskulatur. Man unterteilt eine vordere und hintere Wand die in der Mittellinie, der Linea alba, verbunden sind. Die Hinterwand ist dabei nicht über die gesamte Länge ausgebildet. Wenige Zentimeter unterhalb des Nabels ziehen die Fasern der Hinterwand ebenfalls nach ventral. Diese Übergangslinie wird als Linea arcuata bezeichnet.
Der Muskelbauch des M. rectus abdominis wird durch 3–4 zwischengeschaltete, longitudinale gefaserte Sehnenstreifen unterteilt, den Intersectiones tendineae. Sie sind ausschließlich mit dem vorderen Blatt der Rektusscheide verwachsen. Dies verhindert eine Gesamtverschieblichkeit des Muskels in der Rektusscheide und ermöglicht die isolierte Funktion einzelner Rektusabschnitte. Die neurovaskuläre Versorgung verläuft am lateralen Rand innerhalb der Rektusscheide entlang der Muskelhinterwand. Die seitliche Bauchwand wird durch drei paarig angelegte Muskeln gebildet. Lateral entspringen sie meist muskulär an der knöchernen Umrahmung der Bauchwand und gehen medial in breite Sehnenplatten über. Der M. obliquus externus abdominis ist der äußerste der lateralen Muskelgruppe. Er entspringt meist von der 5. bis 12. Rippe und zieht schräg von laterokranial nach mediokaudal und bildet das vordere Blatt der Rektusscheide. An seinem Unterrand bildet er vermittels einer breiten Aponeurose die Vorderwand des Leistenkanals bevor diese in das Lig. inguinale einstrahlt. Der M. obliquus internus abdominis entspringt fächerartig von der Fascia thoracolumbalis, der Linea intermedia des Darmbeinkamms und der Spina iliaca anterior superior. Er verläuft dem M. obliquus externus entgegengesetzt von laterokaudal nach medio-kranial. Nach medial spaltet sich die Internus-Aponeurose bis herab zur Linea arcuata in 2 Blätter, die das vordere und hintere Blatt der Rektusscheide bilden. Unterhalb der Linea arcuata strahlt auch das hintere Blatt in die vordere Rektusscheide ein. Der M. transversus abdominis entspringt von der Innenfläche der 7. bis 12. Rippe, von der Fascia thoracolumbalis, von der Crista iliaca sowie vom lateralen Anteil des Lig. inguinale. Oberhalb der Linea arcuata strahlt seine Aponeurose in das hintere Blatt, unterhalb davon, ähnlich dem M. obliquus internus, in das vordere Blatt der Rektusscheide ein. Im mittleren anterioren Anteil ist die Aponeurose des M. transversus verbreitert, im kranialen und kaudalen Anteil reicht der muskuläre Anteil bis an die Rektusscheide heran. Diese aponeurotische Struktur verläuft konkav parallel zum latealen Rand der Rektusscheide und wird als Linea semilunaris (Spieghel) bezeichnet. In der Mittellinie verflechten sich die Externusfasern einer Seite mit den Internus- und Transversusfasern der Gegenseite und bilden die Linea alba. Diese kann je nach Position in ihrer Breite variieren, und im supraumbilikalen Anteil als sog. Rektusdiastase ohne Krankheitswert erscheinen (. Abb. 12.1).
159 12.2 · Chirurgische Zugangswege
. Abb. 12.1 Schematische Darstellung der Bauchwand in Abhängigkeit zur Schnitthöhe
12.2
Chirurgische Zugangswege
> Für die Wahl des Zugangsweges und dessen Ausdehnung ist ausschließlich die Überschaubarkeit des Operationsgebiets maßgeblich. Bei zu klein gewähltem Zugangsweg kann vermehrtes Ziehen an der Bauchdecke zu Wundheilungsstörungen führen!
Abhängig von der Indikation des geplanten chirurgischen Eingriffes stehen dem Chirurgen verschiedene typische Zugangswege zur Verfügung (. Abb. 12.2).
. Abb. 12.2a–h Schematische Darstellung der unterschiedlichen abdominellen Zugangswege. a median, b paramedian, c pararektal, d subkostal, e quer, f Wechselschnitt, g Pfannenstiel, h Flankenschnitt
werden, ist dieser Zugangsweg relativ blutungsarm. Auch querverlaufende Erweiterungen mit Kerbung oder Durchtrennung der Rektusmuskulatur sind möglich. Die mediane Längsinzision ist der Universalzugang für Explorationen und Notfallsituationen. Zur Erhaltung des Lig. teres hepatis, der Chorda umbilicalis und Erleichterung des umbilikalen Wundverschlusses erfolgt die Schnittführung typischerweise unter Linksumschneidung des Nabelpfeilers (. Abb. 12.2a).
12.2.2
Paramediane Laparotomie
Mediane pararektale Laparotomie Diese Inzision wird
12.2.1
Mediane Laparotomie (Dieffenbach 1848)
Die Längsinzision der Mittellinie ermöglicht den schnellsten Zugang in die Abdominalhöhle mit der besten Übersicht. Sie ist je nach Bedarf zur Symphyse nach kaudal und nach kranial bis hin zur Sternotomie erweiterbar. Da hierbei vornehmlich bindegewebige Strukturen durchtrennt
einen Querfinger neben der Mittellinie durchgeführt (. Abb. 12.2b). Nach Eröffnung der vorderen Rektusscheide wird der mediale Rand des Rektusmuskels nach lateral mobilisiert. Die hintere Rektusscheide wird in gleichen Abstand zur Mittellinie längs inzidiert (. Abb. 12.3a). Dieser Zugangsweg ist mit einer hohen Rate von Narbenhernien behaftet und zeigt keinen wirklichen Vorteil zur medianen Laparotomie (Guillou et al. 1980).
12
160
Kapitel 12 · Prinzipien der Laparotomie
. Abb. 12.3 Schematische Darstellung des lateralen und medialen pararektalen Zugangsweges
12.2.3
12
Laterale pararektale Laparotomie
Diese Inzision wird einen Querfinger medial des lateralen Rektusrandes längsverlaufend durchgeführt (. Abb. 12.2c). Nach Eröffnung der vorderen Rektusscheide wird der laterale Rand des Rektusmuskels nach medial mobilisiert und dann die hintere Rektusscheide ebenfalls längsverlaufend eröffnet (. Abb. 12.3). Obwohl dieser Zugangsweg mit einer geringeren Narbenhernieninzidenz einhergeht (Burger et al. 2002; Donaldson et al. 1982; Cox et al. 1986), ist er zeitaufwändiger und ist mit einem höheren Blutverlust behaftet. Zusätzlich muss die Gefahr der Verletzung der epigastrischen Gefäße und bei entsprechender Schnittverlängerung die Durchtrennung von ein oder mehreren Interkostalnerven mit sekundärer Bauchwandrelaxation bedacht werden (O’dwyer u. Courtney 2003; Donaldson et al. 1982).
12.2.4
Subkostale Laparotomie/Rippenbogenrandschnitt (Courvoiser 1890)
Der rechtseitige Rippenbogenrandschnitt ist ein typischer Zugangsweg für Eingriffe an den Gallenwegen. Seit Einführung der laparoskopischen Cholezystektomie wird er nur noch selten durchgeführt. Linksseitig kann er als Zugang zur Splenektomie genutzt werden. Wegen der Nähe zum Rippenbogen wird heute vornehmlich die quere Laparotomie genutzt (. Abb. 12.2d).
12.2.5
Quere Laparotomie
Querschnitte kommen vor allem bei diagnostisch klaren Eingriffen außerhalb des kleinen Beckens zum Einsatz. Der quere Zugang kann bogenförmig oder gerade, im Ober-, Mittel- oder Unterbauch erfolgen. Er ist problemlos auf die Gegenseite erweiterbar. Beim Querschnitt wird die Rektusmuskulatur ggf. mit Verlängerung durch die laterale
Bauchwandmuskulatur, durchtrennt (. Abb. 12.2e). Dieser Zugangsweg ist zeitaufwendiger und mit einem höheren Blutverlust verbunden (Greenall et al. 1980). Der Verschluss der Querinzision erfolgt typischerweise in zweischichtiger Technik. Obwohl die Narbenhernieninzidenz im Vergleich zur medianen Laparotomie unterschiedlich diskutiert wird (Burger et al. 2002; Greenall et al. 1980; Regnard et al. 1988), scheint die quere Laparotomie mit weniger Schmerzen und pulmonalen Komplikationen verbunden zu sein (Regnard et al. 1988; Grantcharow u. Rosenberg 2001; Inaba et al. 2004; Proske et al. 2005).
12.2.6
Wechselschnitt (McBurney 1894)
Klassischer Zugangsweg der konventionellen Appendektomie. Die quere Hautinzision von 3–5 cm Länge wird über dem McBurney-Punkt durchgeführt (. Abb. 12.2f). Scharfe Präparation bis auf die Faszie. Inzision der Externusfaszie lateral der Rektusscheide im Faserverlauf. Stumpfes Auseinanderdrängen des M. internus und M. transversus unter sorgfältiger Schonung des N. iliohypogastricus. Bei tiefer querer Hautinzision lässt sich durch Zug der Weichteile noch kranial mit hohem Faszieneinstieg ein gutes kosmetisches Ergebnis erzielen.
12.2.7
Pfannenstielschnitt
Der deutsche Gynäkologe Herman Johannes Pfannenstiel (1862–1909) beschrieb 1900 den nach ihm benannten tiefen Unterbauch-Querschnitt. Dabei erfolgt eine 8–12 cm lange quere Inzision 2–3 cm oberhalb der Symphyse im Bereich des Schamhaaransatzes mit Durchtrennung der Haut, Subkutis und vorderer Rektusscheide sowie der angrenzenden Externusfaszie nach lateral (. Abb. 12.2g). Nach Mobilisation des Rektusmuskel vom vorderen Blatt der Rektusscheide erfolgt die mediane Spaltung der Mus-
161 12.3 · Literatur
kulatur im Bereich der Linea alba und Eröffnung des Peritoneums. Vorteile dieses Zugangs sind neben der besseren Kosmetik vor allem eine niedrige Komplikationsrate und Narbenhernieninzidenz. Nachteilig ist die eingeschränkte Übersicht. Vor allem in der Gynäkologie hat sich dieser Zugangsweg als Standardzugang verschiedener Indikationen durchgesetzt.
12.2.8
Flankenschnitt/lumbaler Schrägschnitt
Es handelt sich um den klassischen Zugangsweg in das Retroperitoneum, erstmalig beschrieben durch Sir Astley Cooper vor 190 Jahren. Die Schnittführung erfolgt von unterhalb des Rippenbogens im Bereich der mittleren Axillarlinie schräg nach mediokaudal und kann bis 2–3 Querfinger parallel zum Leistenband verlängert werden (. Abb. 12.2h). Eine typische Komplikation ist die postoperative Erschlaffung der ipsilateralen abdominellen Bauchwandmuskeln. Diese als »Relaxatio« bezeichnete Vorwölbung der lateralen Bauchwand entsteht durch Verletzung der interkostalen Nerven. Sie tritt in bis zu 12% der Fälle auf (Honig et al. 1992). Durch Vermeidung einer Schnittführung in Höhe des 11. Interkostalraumes kann diese Komplikation weitestgehend vermieden werden (Gardner et al. 1994).
12.3
Literatur
Burger JW, van’t RM, Jeekel J (2002) Abdominal incisions: techniques and postoperative complications. Scand J Surg 91:315–321 Cox PJ, Ausobsky JR, Ellis H, Pollock AV (1986) Towards no incisional hernias: lateral paramedian versus midline incisions. J R Soc Med 79:711–712 Donaldson DR et al (1982) The lateral paramedian incision – experience with 850 cases. Br J Surg 69:630–632 Gardner GP et al. (1994) The retroperitoneal incision. An evaluation of postoperative flank »bulge”. Arch Surg 129:753–756 Grantcharov TP, Rosenberg J (2001) Vertical compared with transverse incisions in abdominal surgery. Eur J Surg 167:260–267 Greenall MJ, Evans M, Pollock AV (1980) Midline or transverse laparotomy? A random controlled clinical trial. Part I: Influence on healing. Br J Surg 67:188–190 Guillou PJ, Hall TJ, Donaldson DR, Broughton AC, Brennan TG (1980) Vertical abdominal incisions – a choice? Br J Surg 67:395–399 Hoer J, Lawong G, Klinge U, Schumpelick V (2002) Factors influencing the development of incisional hernia. A retrospective study of 2,983 laparotomy patients over a period of 10 years. Chirurg 73:474–480 Honig MP, Mason RA, Giron F (1992) Wound complications of the retroperitoneal approach to the aorta and iliac vessels. J Vasc Surg 15:28–33 Inaba T et al (2004) Prospective randomized study of two laparotomy incisions for gastrectomy: midline incision versus transverse incision. Gastric Cancer 7:167–171
Mudge M, Hughes LE (1985) Incisional hernia: a 10 year prospective study of incidence and attitudes. Br J Surg 72:70–71 O’dwyer PJ, Courtney CA (2003) Factors involved in abdominal wall closure and subsequent incisional hernia. Surgeon 1:17–22 Proske JM, Zieren J, Muller JM (2005) Transverse versus midline incision for upper abdominal surgery. Surg Today 35:117–121 Regnard JF et al (1988) Ventral incisional hernias: incidence, date of recurrence, localization and risk factors. Ital J Surg Sci 18:259– 265
12
13
Die chirurgische Naht K. Böttcher, W.R. Marti
13.1
Nahtmaterial und Nahttechnik
– 164
13.1.1 13.1.2 13.1.3 13.1.4 13.1.5 13.1.6 13.1.7 13.1.8 13.1.9 13.1.10
Eigenschaften des Nahtmaterials – 164 Nichtresorbierbares Nahtmaterial – 167 Resorbierbares Nahtmaterial – 168 Alternativen zum Nahtmaterial – 169 Wahl des Nahtmaterials – 169 Nadeln – 169 Hautnähte – 170 Gastrointestinale Nähte – 172 Wahl der Nahttechnik – 175 Literatur – 176
13.2
Klammerinstrumente in der gastrointestinalen Chirurgie
13.2.1 13.2.2 13.2.3 13.2.4 13.2.5 13.2.6
Gerätetypen und Anwendungsprinzipien Indikationen – 180 Anwendungsmöglichkeiten – 181 Probleme und Empfehlungen – 181 Kostenanalyse – 182 Literatur – 182
– 177
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_13, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
– 177
164
Kapitel 13 · Die chirurgische Naht
13.1
Nahtmaterial und Nahttechnik W.R. Marti
Seit Einführung der chirurgischen Naht wurde das Fadenmaterial bis heute stetig weiterentwickelt. Die natürlichen Materialien wurden weitgehend durch die synthetischen Fäden ersetzt, die durchwegs bessere Eigenschaften besitzen. In der gastrointestinalen Chirurgie haben sich resorbierbare Fäden durchgesetzt. Dabei ermöglichen monofile, resorbierbare Fäden, die doppelt armiert sind, die sichere und kostengünstigste Form der fortlaufend genähten, extramukösen Darmanastomose auf Stoß. Nur technisch schwierige Anastomosen am Ösophagus oder transanal am Dickdarm, bei denen die Nähte vorgelegt werden, müssen in Einzelknopfnahttechnik genäht werden.
13.1.1
Eigenschaften des Nahtmaterials
Physikalische Eigenschaften
13
Fadenstärke Die ursprüngliche Bezeichnung der Fadenstärke entspricht der amerikanischen Pharmakopoe (USP). Sie geht von einer Fadenstärke »0« aus, die für nichtresorbierbares und synthetisches, resorbierbares Fadenmaterial einem Durchmesser von 0,300–0,399 mm und für natürliches, resorbierbares Fadenmaterial einem Durchmesser von 0,400–0,499 mm entspricht. Natürliche, resorbierbare Fäden sind also bei gleicher Stärkenbezeichnung dicker als nichtresorbierbare oder synthetische Fäden. Ausgehend von »0« werden dickere Fäden fortlaufend mit 1, 2, 3 usw. und dünnere mit 2/0, 3/0, 4/0 usw. bezeichnet. Letzteres entspricht dem Mehrfachen von Null (2×0, 3×0 usw.). Um diese verwirrende Bezeichnung der Fadenstärke zu ordnen, wurde 1973 in Straßburg in der Europäischen Pharmakopoe (abgekürzt Ph. Eur. I oder EP I) eine neue Bezeichnungsskala festgelegt, die weitgehend mit der USP abgestimmt ist. Die Stärkenbezeichnung in der Ph. Eur. I ist metrisch, sie gibt den Fadendurchmesser in 1/10 mm wieder. Die Nahtmaterialien werden mit der USP- und der Ph.-Eur.-I-Stärkenangabe etikettiert. Zur Vermeidung von Verwechslung hat man sich geeinigt, die Fadenstärke nach der Ph. Eur. I durch den Zusatz »metric« zu kennzeichnen. . Tab. 13.1 stellt den für die viszerale Chirurgie wichtigen Bereich der Fadenstärke gemäß USP und Ph. Eur. I dar. Von einer Stärkebezeichnung zur nächst dünneren nimmt der Fadenquerschnitt jeweils um 25–50% ab. Reißfestigkeit Die Reißfestigkeit eines Fadens entspricht
der notwendigen Kraft, gemessen in Newton (N), die zum Zerreißen des entsprechenden Fadens führt. Sie wird am gestreckten Faden (lineare Reißfestigkeit) oder im Knoten (Knotenbruchfestigkeit) gemessen. Die Knotenbruch-
festigkeit ist immer geringer als die lineare Reißfestigkeit und ist damit der limitierende und klinisch wesentliche Faktor. Die Reißfestigkeit ist einerseits von der Fadenstärke und vom Fadenmaterial abhängig, andererseits wird sie aber auch vom Gewebe, in das der Faden implantiert wird, und durch die Dauer der Implantation beeinflusst. Außer Fäden aus Metall, Polypropylen und Polyester verlieren alle anderen Materialien, wie z. B. auch das nichtresorbierbare Polyamid oder Seide, nach längerer Implantationszeit einen Teil ihrer Reißfestigkeit (Postlethwait 1970). Fadenstruktur Die Eigenschaft eines Fadens wird durch
seine Struktur wesentlich mitbestimmt. Es gibt monofilen und multifilen Strukturaufbau. Die monofilen Fäden sind homogen aus einem Fadenfilament aufgebaut und haben eine völlig glatte Oberfläche (z. B. Metall, Polyamid, Polypropylen, Polybutester, Glycomer 631, Polydioxanon, Polyglyconat oder Poliglecaprone 25). Beim multifilen Fadenaufbau werden die einzelnen Fadenfilamente um ihre Längsachse verdreht, d. h. verzwirnt, oder aber sie werden geflochten (z. B. Metall, Polyamid, Polyester, Seide oder Catgut). Werden multifile Fäden beschichtet oder überzogen, so spricht man von ummantelten Fäden oder pseudomonofilem Fadenaufbau (z. B. Polyglycolsäure, Polyglactin 910 oder Lactomer 9–1). Der pseudomonofile Faden verbindet die Vorzüge des monofilen Fadens (gute Gewebegleitfähigkeit) und des multifilen Fadens (gute Flexibilität und Knüpfeigenschaft). Durch die dünne Beschichtung ist die Oberfläche des Fadens aber verletzlich. Elastizität Die Elastizität des Fadens entspricht der Längenzunahme unter Belastung, die sich nach Aufheben des
. Tab. 13.1 Einteilung der Fadenstärke nach der Pharmakopoe der USA (USP) und nach der europäischen Pharmakopoe (EP I) für nichtresorbierbare und resorbierbare synthetische Fäden Fadenstärke USP
Fadenstärke EP I
Durchmesser (mm)
6/0
0,7
0,070–0,099
5/0
1,0
0,100–0,149
4/0
1,5
0,150–0,199
3/0
2,0
0,200–0,249
2/0
2,5
0,250–0,299
2/0
3,0
0,300–0,349
0
3,5
0,350–0,399
1
4,0
0,400–0,499
2
5,0
0,500–0,599
3
6,0
0,600–0,699
165 13.1 · Nahtmaterial und Nahttechnik
Zuges wieder zurückbildet. Bei zu großer Fadenelastizität geht das Gefühl für einen sicheren Knotensitz verloren und zudem besteht die Gefahr, dass sich die abgeschnittenen Fadenenden in den Knoten zurückziehen. Bei zu geringer Elastizität ist der Faden spröde und kann beim Knüpfen brechen (Catgut, Seide oder Zwirn). Kapillarität Die Kapillarität (Dochtwirkung) bewirkt eine Flüssigkeitsaufnahme des Fadens. Sie ist beim bei geflochtenen Fäden und Catgut besonders ausgeprägt. Im Gegensatz dazu sind Metallfäden und monofiles Nahtmaterial frei von Kapillarität. Durch die Beschichtung kann die Kapillarität von multifilen Fäden vermindert werden. Die Flüssigkeitsaufnahme führt zum Aufquellen des Fadens und vermindert damit die Reißfestigkeit. Zudem wird die Dochtwirkung auch als möglicher begünstigender Faktor für die Keimverschleppung durch die Haut oder Darmwand angesehen.
Gebrauchseigenschaften Die Flexibilität eines Fadens ist eine wichtige Eigenschaft für einfache Handhabung und günstige Knüpfeigenschaft. Die multifilen und pseudomonofilen Fäden (Polyester, Polyamid, Polyglycolsäure, Polyglactin 910 oder Lactomer 9–1), aber auch neuere monofile Fäden aus Glycomer 631 oder Poliglecaprone 25 zeichnen sich durch eine geradezu optimale Flexibilität aus. Ein reibungsloses Gleiten des Fadens durch das Gewebe hängt vor allem von der Oberflächenbeschaffenheit des Fadens ab. Geflochtene Fäden haben eine rauere Oberfläche als monofile Fäden. Durch die Sägewirkung besteht die Gefahr von Durchschneiden des Gewebes. Die Beschichtung verbessert die Gleiteigenschaften multifiler Fäden entscheidend. Insgesamt vereinen die beschichteten, pseudomonofilen Fäden (Polyglycolsäure, Polyglactin 910 oder Lactomer 9–1) die guten Eigenschaften am besten. Die entscheidendsten Gebrauchseigenschaften sind die Knüpfbarkeit und die Knotensicherheit des Fadens. Sie setzten eine hohe Flexibilität, eine optimale Elastizität und eine nicht zu glatte Fadenoberfläche voraus. Glatte Fäden erlauben zwar ein leichtes Gleitenlassen der Schlinge, wegen mangelnden Reibungswiderstands verrutschen diese aber leicht und haben die Tendenz, sich spontan wieder zu öffnen. Raue Fadenoberflächen erschweren das Herabgleiten der Schlinge, sein Knotensitz lässt sich aber präziser bestimmen und der Knoten sitzt zudem auch sicherer. Die Knotensicherheit ist nicht nur vom Fadenmaterial, von der Fadenstruktur und den Gebrauchseigenschaften abhängig, sondern auch von der verwendeten Knotenkombination und bei monofilen Fäden zusätzlich von der Fadenstärke. Je größer der Fadendurchmesser eines monofilen Fadens ist, desto rigider ist er und desto mehr Schlingenkombinationen müssen gelegt werden, um
einen sicheren Knotensitz zu erreichen. Beim monofilen Polypropylenfaden der USP-Stärke 5/0 reichen 3 gegenläufig gelegte Einhandknoten, um eine Knotenbruchfestigkeit von 64% der linearen Reißfestigkeit des Fadens zu erreichen. Bei der USP-Stärke 2 werden schon 6 gegenläufig gelegte Einhandknoten benötigt, um eine Knotenbruchfestigkeit dieser Größenordnung zu erreichen (Semjonow et al. 1993). Bei Fadenstärken von USP 3/0 bis 5/0, in der die monofilen Fäden (Polyglyconat, Polydioxanon, Glycomer 631 und Polyglecaprone 25) in der viszeralen Chirurgie am häufigsten verwendet werden, sollte mindestens ein chirurgischer Knoten, gefolgt von 3 gegenläufigen Einhandknoten angelegt werden, um einen genügend sicher sitzenden Knoten zu erreichen. Der chirurgische Knoten kann dabei auch durch 2 gleichläufige »Rutschknoten« ersetzt werden. Letzteres erlaubt das präzisere Legen des ersten noch rutschfähigen Knotens, der mit dem zweiten gleichläufigen Einhandknoten noch verschoben werden kann. Geflochtene, beschichtete Fäden (Polyglykolsäure, Polyglactin 910 und Lactomer 9–1) sind mit einer Knotenkombination von 2 gleichläufigen, gefolgt von 2 gegenläufigen Einhandknoten alle sicher zu knoten (Debus et al. 1997). ! Cave ! Das unkritische Legen von zu vielen Knoten führt zur Implantation von unnötig viel Fremdmaterial.
Die Verwendung von komplizierten selbstblockierenden Knoten (Israelsson et al. 1994) ist sehr zeitaufwendig. Bei laparoskopischen Operationen erfordert intrakorporelles Knoten sehr viel Geschicklichkeit. Der Einfachheit halber kommen deshalb extrakorporell entweder vorgelegte Rutschknoten nach Tayside, Melzer und Roeder (Shimi et al. 1994) oder bevorzugt extrakorporell gelegte konventionelle Knoten, die mit Knotenschieber platziert und angezogen werden, zur Anwendung.
Biologische Eigenschaften Die Gewebeverträglichkeit eines Nahtmaterials ist umso besser, je geringer die Fremdkörperreaktion ist, die es auslöst. Sie wird am Ödem, dem entzündlichen zellulären Infiltrat und der Ausdehnung der reaktiven Fibrose gemessen. Je inerter sich ein Fadenmaterial verhält (z. B. Metallfäden), desto besser ist seine Gewebeverträglichkeit. Resorbierbares Fadenmaterial und multifile nichtresorbierbare Fäden führen zu einer stärkeren Gewebereaktion als nichtresorbierbare, monofile Fäden (Setzen et al. 1997). Die stärkste Gewebereaktion verursachen die historischen Fadenmaterialien wie Catgut (Fremdeiweiß) und die natürlichen Fasern Zwirn und Seide. Die heute gebräuchlichen resorbierbaren Fäden verursachen im Vergleich zum gleichzeitig gesetzten chirurgischen Gewebetrauma keine relevante Gewebereaktion mehr (Smit et al. 1991).
13
166
Kapitel 13 · Die chirurgische Naht
Als Prophylaxe vor Wundinfektionen gibt es resorbierbare Fadenmaterialien (z. B. Polyglactin 910), die mit dem Biozid Triclosan beschichtet werden. Ticlosan wirkt bakterizid und bakteriostatisch und wird sowohl in Reinigern, Desinfektionsmitteln, Mundspüllösungen, aber auch in kosmetischen Artikeln, Zahnpasten, Kunststoffen und Kleidern verwendet (Bundesinstitut für Risikobewertung 2006). Triclosan ist gegen gram-positive und gram-negative Bakterien, aber auch gegen Viren und Einzeller wirksam (Welsch u. Gillock 2011). Leider gibt es aber jetzt schon Bakterien (Salmonellen, E. coli, Pseudomonas aeruginosa und Staph. aureus), die Resistenzen gegen Triclosan entwickeln können (Welsch u. Gillock 2011). Außerdem scheint Triclosan die Resistenzbildung gegen Antibiotika zu begünstigen (Chuanchuen et al. 2001). Die Beschichtung der Fäden mit Triclosan scheint deren physikalischen und funktionellen Eigenschaften aber nicht zu beeinträchtigen (Storch et al. 2002). Ob diese Beschichtung einen Wundinfektionsrate aber wirklich senken kann, ist derzeit noch nicht bewiesen (Justinger et al. 2010; Mingmalairak et al. 2009). Resultate von prospektiven, multivariat analysierten und genügend groß angelegten Studien stehen noch aus. Unter Berücksichtigung der potenziellen Resistenzbegüns-
tigung ist deshalb derzeit Triclosan-beschichtetes Fadenmaterial noch nicht unkritisch einzusetzen. Die Resorbierbarkeit eines Fadens ist heute die wichtigste biologische Eigenschaft. Resorbierbares Nahtmaterial wird durch biochemische Vorgänge in seine Bestandteile aufgelöst und abtransportiert, sodass nach einer gewissen Zeit kein Nahtmaterial mehr vorhanden ist (Resorptionszeit). Resorbierbar sind die synthetischen Materialien Polyglykonat, Polydioxanon, Glycomer 631, Polyglecarone 25, Polyglykolsäure, Polyglactin 910 und Lactomer 9–1. Sie werden durch Hydrolyse gespalten. Catgut hingegen wird durch proteolytische Enzyme abgebaut. Die Resorption des Fadens verursacht mit der Zeit eine Verminderung der Reißfestigkeit. Klinisch wichtiger als die Resorptionszeit ist demnach die Zeit, nach der ein Faden die für seine Aufgabe kritische Reißfestigkeit unterschreitet. Die durchschnittlichen Resorptionseigenschaften verschiedener resorbierbarer Fäden sind in . Tab. 13.2 dargestellt. Dabei gilt es zu beachten, dass bei gleicher Fadenstärke die initiale Reißfestigkeit der verschiedenen Materialien sehr unterschiedlich ist. Die Resorptionszeiten können jedoch durch körpereigene Flüssigkeiten und bakterielle Infektionen zum Teil erheb-
. Tab. 13.2 Reißfestigkeit und Resorptionseigenschaften resorbierbaren Nahtmaterials. (Zusammenstellung nach Bezwada et al. 1995; Brown 1992; Debus et al. 1997; Israelson et al. 1994; Katz et al. 1970; Rodeheaver et al. 1996) Nahtmateriala
13
Reißfestigkeit linear (N)
Reißfestigkeit im Knoten (N)
Reißkraft der ursprünglichen linearen Reißkraft (%) 7 Tage
14 Tage
28 Tage
Reißkraft der ursprünglichen linearen Resorptionszeit in Tagen
Catgut plain
25
23
30
0
–
40
Chromcatgut
25
23
60
30
0
60
Polyglactin 910 (Vicryl rapid)
40
20
40
0
–
42
Poliglecapron 25 (Monocryl gefärbt)
85
43
65
35
0
120
Polyglactin 910 (Vicryl)
58
33
90
70
0
90
Polyglykolsäure (Safil)
62
39
90
70
0
120
Lactomer 9–1 Polysorb
66
42
73
53
0
70
Glycomer 631 Biosyn
89
40
86
67
16
110
Polyglyconat (Maxon)
67
39
80
70
45
180
Polydioxanon (PDS II)
53
29
90
80
70
180
a
Synthetisches Nahtmaterial USP 2/0, EP I 3; Catgut und Chromcatgut USP 3/0, EP I 3
13
167 13.1 · Nahtmaterial und Nahttechnik
. Tab. 13.3 Eigenschaften verschiedener Nahtmaterialien (– schlecht; + mäßig, ++ gut, +++ sehr gut). (Zusammenstellung nach Bezwada et al. 1995; Brown 1992; Debus et al. 1997; Faulkner et al. 1996; Holmlund 1974; Israelson et al. 1994; Nockemann 1980; Semjonow et al. 1993; Trimbos et al. 1995) Nahtmaterial
Reißkraft im Knoten
Kapillarität
Knüpfeigenschaften
Gleitfähigkeit
Flexibilität
Knotensicherheit
Gewebeverträglichkeit
+
–
+++
++
+++
+++
+
Polyamid (monofil)
++
+++b
+
+++
+
+
++
Polyester (geflochten)
++
–
++
++
+++
++
++
+++
+++b
+
+++
++
–
+++
+++
+++b
++
+++
++
+
+++
Catgut plain
++
–
++
++
+
+
–
Chromcatgut
++
–
++
++
+
+
–
+++
++c
+++
++
+++
++
+++
+++
++c
+++
++
+++
++
+++
+++
++c
+++
++
+++
++
+++
++
+++b
++
+++
+++
+
+++
++
+++b
+++
+++
+++
++
+++
Polyglyconat
++
+++b
++
+++
+++
+
+++
Polydioxanon
++
+++b
++
+++
++
+
+++
Nichtresorbierbar Seide
Polypropylen Polybutester Resorbierbar
Polyglykolsäurea Polyglactin Lactomer
910a
9–1a
Poliglecapron 25 Glycomer 631
a
Mit Beschichtung, b gar keine Kapillarität, c mäßig ausgeprägte Kapillarität
lich verkürzt werden (Greenberg et al. 2004; Muftuoglu et al. 2004). Auch nichtresorbierbare Nahtmaterialien wie Seide, Zwirn und Polyamid verlieren über Monate bis Jahre im Gewebe bis zu 50% ihrer Ausgangsreißfestigkeit (Postlethwait 1970; Greenwald et al. 1994). Dieser Vorgang beruht aber auf einer mechanischen Fragmentierung des Materiales, das im Gewebe liegen bleibt. Die Eigenschaften der verschiedenen Nahtmaterialien sind in . Tab. 13.3 dargestellt.
13.1.2
Nichtresorbierbares Nahtmaterial
Natürliches Nahtmaterial Da die synthetischen Nahtmaterialien durchwegs bessere Eigenschaften aufweisen als die natürlichen Materialien, werden Letztere praktisch nicht mehr verwendet. Sie sind aber hier der Vollständigkeit halber noch aufgeführt. Seide Die heutzutage hergestellten Seidenfäden (z. B. NCSeide, Perma-Hand Seide oder Sofsilk) sind geflochtene
Fäden, die beschichtet oder imprägniert werden und dadurch den Nachteil der starken Dochtwirkung verloren haben. Im Vergleich zu den synthetischen Materialien verursachen sie aber eine ausgeprägte Gewebereaktion. Zwirn Er besteht aus Zellulose (hergestellt aus Flachs oder
Baumwolle). Zwirn hat eine starke Dochtwirkung, löst wie Seide eine starke Gewebereaktion aus und verursacht häufig Fistelbildungen. Metall Meist werden solche Fäden aus korrosionsbeständigem Edelstahl hergestellt (z. B. Suturdraht). Monofil sind sie extrem unflexibel und schwierig zu knüpfen. Bei multifiler Struktur sind diese Nachteile weniger ausgeprägt.
Synthetisches Nahtmaterial Polyamid Die Polyamide unterscheiden sich nach ihrer
Struktur in Nylon 6 (Perlon) und das neuere Nylon 6/6. Polyamid ist das älteste, heute noch gebräuchliche synthetische Fadenmaterial. Polyamidfäden werden als geflochtene, imprägnierte (z. B. Nurolon, Surgilon), pseudomo-
168
Kapitel 13 · Die chirurgische Naht
nofile (z. B. Supramid, Suturamid, Bralon) oder monofile (z. B. Dermalon, Dafilon, Ethilon, Suturamid, Monosof, Seralon) Fäden hergestellt. Sie haben eine hohe Reißfestigkeit und eine bessere Gewebeverträglichkeit als die organischen, natürlichen Fadenmaterialien. Polyamid kommt am meisten bei der Hautnaht, in monofiler Form auch für Hernienplastiken zur Anwendung. Polyester Die Polyesterfäden werden geflochten (z. B. Mersilene, Terylene), beschichtet (z. B. Synthofil, Ethibond, Surgibraid, Ti-Cron) oder monofil (z. B. Mirafil, Miralene) hergestellt. Die Eigenschaften von Polyesterfäden sind denen des Polyamids sehr ähnlich. Die Knotensicherheit ist etwas besser. Sie werden ebenfalls für die Hautnaht, aber auch für Gefäßnähte eingesetzt.
zelfilamenten geflochten wird. Um seine Eigenschaften zu verbessern, wird der Faden mit Polyglyconat beschichtet. Er zählt deshalb zu den pseudomonofilen Fäden. Seine initiale Reißfestigkeit ist hoch. Innerhalb 4 Wochen nach Implantation verliert die Polyglykolsäure jedoch die Reißfestigkeit vollständig. Die Polyglykolsäure eignet sich für gastrointestinale Anastomosen, für seroseröse Nähte, für Ligaturen wie auch für Nähte der Gallenwege. Panacryl ist ein geflochtener Faden, der aus Polyglykolsäure und Polylactid besteht. Er ist mit Polycaprolacton und Polyglykolsäure beschichtet. Dieser neue Faden verliert seine Reißfestigkeit extrem langsam. Sie beträgt nach 3 Monaten noch 80% und nach 6 Monaten immer noch 60% des Ausgangswertes. Dieser Faden eignet sich für Fasziennähte und kann somit auch für den Laparotomieverschluss eingesetzt werden.
Polypropylen Alle Polypropylenfäden werden in monofi-
ler Struktur hergestellt (z. B. Prolene, Surgilene, Surgipro II, Serapren, Premilene). Sie zeichnen sich durch höchste Reißfestigkeit, minimale Gewebereaktion und sehr gute Gleitfähigkeit aus. Hingegen müssen diese Fäden wegen der schlechteren Knüpfeigenschaften und der schlechteren Knotensicherheit mit mindestens einem chirurgischen Knoten gefolgt von 3 gegenläufigen Einhandknoten geknüpft werden. Polypropylen wird vor allem für Gefäßnähte und für den Hautverschluss verwendet. Polybutester Aus Polybutester werden monofile Fäden
13
hergestellt (z. B. Novafil). Sie haben dieselben Vorteile wie das Polypropylen und zeichnen sich außerdem durch bessere Knüpfeigenschaften und bessere Knotensicherheit aus. Der Anwendungsbereich entspricht dem des Polypropylens.
13.1.3
Resorbierbares Nahtmaterial
Polyglactin 910 Es besteht aus einem Kopolymer aus Glycolid und Lactid im Verhältnis von 9 : 1 und ist mit Polyglactin 370 und Kalziumstearat beschichtet (Vircyl). Die Beimischung von 10% Milchsäure verändert die Resorptionseigenschaft und Reißfestigkeit dieses pseudomonofilen Fadens im Vergleich zu Polyglykolsäure nicht wesentlich. Auch sein Einsatzgebiet ist dasselbe. Im Gegensatz dazu wird Vicryl rapid, der zwar aus demselben Kopolymer, mit jedoch einem geringerem Molekulargewicht und mit derselben Beschichtung versehen ist, sehr schnell resorbiert. Er kommt allenfalls für die intrakutane Naht zur Anwendung. Lactomer 9–1 Dieses Fadenmaterial setzt sich aus einem Kopolymer aus Glycolid und Lactid im Verhältnis 1:1 zusammen (Polysorb). Er ist multifil, mit Glycolid und Lactid, Polyethylenoxid, Glyzerin und Kalziumlaktat beschichtet. Er zählt ebenfalls zu den pseudomonofilen Fäden. Seine Reißfestigkeit ist mit der von Polyglykolsäure vergleichbar. Er wird hingegen etwas schneller resorbiert.
Natürliches Nahtmaterial Catgut Wegen einer zumindestens theoretischen Gefahr
Glycomer 631 Es handelt sich um ein synthetisches Poly-
der BSE-Übertragung wurde die Anwendung von Catgut bei Menschen inzwischen in verschiedenen Ländern, wie z. B. auch in Deutschland, untersagt.
esterderivat aus Glycolid, Trimethylenkarbonat und Dioxanon (Biosyn). Dieser neu entwickelte monofile Faden hat sehr gute Gebrauchseigenschaften. Im Vergleich zur Polyglykolsäure hat er bei ähnlichem Resorptionsverhalten eine höhere initiale Reißfestigkeit. Durch die monofile Struktur eignet er sich sehr gut für die einreihige fortlaufende Darmnaht und als Schlaufennaht für den Laparotomieverschluss.
Synthetisches Nahtmaterial Die synthetischen resorbierbaren Fadenmaterialien haben sich wegen ihrer vorteilhaften Eigenschaften in der viszeralen Chirurgie durchgesetzt. In . Tab. 13.2 werden die Reißfestigkeit und das Resorptionsverhalten, in . Tab. 13.3 die Eigenschaften dieser Fäden zusammengefasst. Polyglykolsäure Aus Polyglykolsäure wurden die ersten
synthetischen Fäden produziert. Aus einem Polymer von reiner Polyglykolsäure wird Safil hergestellt, das aus Ein-
Poliglecapron 25 Dieser monofile Faden besteht aus dem
Kopolymer aus Glycolid und E-Caprolacton im Verhältnis 3:1 (Monocryl). Wie Glycomer 631 hat er eine sehr hohe initiale Reißfestigkeit, wird aber deutlich schneller resorbiert.
169 13.1 · Nahtmaterial und Nahttechnik
Polyglyconat Es handelt sich wiederum um einen monofilen Faden aus dem Kopolymer Polyglykolsäure und Trimethylenkarbonat in einem Verhältnis 2:1 (Maxon). Trimethylencarbonat verbessert die Flexibilität des Fadens. Im Vergleich zu Polyglykolsäure wird der Faden deutlich langsamer resorbiert (. Tab. 13.2). Dieser Faden eignet sich für alle gastrointestinalen Anastomosen und wie Glycomer 631 als Schlaufennaht für den Laparotomieverschluss. Polydioxanon Dieser monofile Faden besteht aus dem
Polymer Polydioxanon (PDS II). Er hat eine geringere Ausgangsreißfestigkeit als Polyglyconat. Polydioxanon ist das am langsamsten resorbierbare Fadenmaterial, das heute zur Verfügung steht. Er ist etwas weniger flexibel als Polyglyconat und deshalb auch etwas schwieriger zu knoten. Es zeichnet sich durch eine hohe Pankreassaftresistenz aus (Muftuoglu et al. 2004). Sein Anwendungsbereich deckt sich mit dem von Polyglyconat.
ist oft weniger exakt als mit der Naht und scheint tendenziell mit einer höheren Wundinfektionen assoziiert zu sein (Johnson et al. 2006). Im Abdomen können zur Blutstillung an Stelle von Ligaturen auch Clips oder Klammern aus Titan oder resorbierbaren Materialien gesetzt werden. Sie kommen vor allem in der laparoskopischen Chirurgie und im kleinen Becken zur Anwendung. Zudem gibt es auch Klammerapparate, die in einem Schritt an einer Gewebebrücke beidseits Klammern setzen und das Gewebe in der Mitte durchtrennen. Technisch noch einfacher können mit Ultraschall- oder Diathermiezangen (Ultracision, Ligasure) Gewebebrücken in einem Schritt durchtrennt und dabei die Gefäßenden versiegelt werden. Bei ausgedehnten Skelettierungen kann damit Operationszeit eingespart werden. Auf Klammerinstrumente für gastrointestinale Anastomosen wird in 7 Abschn. 13.2 im Detail eingegangen.
Polyglytone 6211 Dieser monofile Faden besteht aus Gly-
colid, Caprolacton, Trimethylencarbonat und Lactid (Caprosyn). Er ist sehr rasch resorbierbar und ersetzt wie Vicryl rapid die resorbierbaren Fadenmaterialien tierischen Ursprungs (Catgut).
13.1.4
Alternativen zum Nahtmaterial
Fibrinkleber beruhen auf der Polymerisation von humanem Fibrinogen durch Thrombinzusatz. Seine Anwendung beschränkt sich auf besondere Situationen mit schwierig zu erreichender Hämostase in der Milz- und Leberchirurgie. Korrekt durchgeführte Darmanastomosen können damit nicht verbessert, fehlerhafte Nahttechniken nicht korrigiert werden. Als synthetische Klebstoffe kommen Cyanoacrylate (z. B. Indermil, Dermabond) höchstens für den Hautschluss zur Anwendung. Die nahtlose Darmanastomose mittels biofragmentierbarem Anastomosenring (Valtrac) führt im Vergleich zur einreihigen fortlaufenden Darmnaht oder zur Stapleranastomose auch zu guten Resultaten (Thiede et al. 1998). Trotzdem konnte er sich nicht durchsetzten. Im Vergleich zur einfachen und ebenfalls schnell durchzuführenden einreihigen, fortlaufenden Handnaht mit einem doppelt armierten, monofilen Faden ist er durch einen erheblich höheren Preis belastet. Im Bereich des tiefen Rektums, wo heutzutage am ehesten Stapler zur Darmanastomosierung verwendet werden, ist seine Anwendung schwierig. Außerhalb des Rektums sind Vorteile schwer erkennbar. Hautklammern ermöglichen einen raschen Hautverschluss. Die Adaptation der Wundränder mit Klammern
13.1.5
Wahl des Nahtmaterials
Die Wahl des Nahtmaterials ist vielerorts schul- und traditionsgebunden sowie von dem im Hause vorhandenen Fadensortiment abhängig. In der gastrointestinalen Chirurgie wird wo immer möglich resorbierbares Nahtmaterial verwendet. Unsere eigenen, aufgrund der vorangegangenen Ausführungen aufgestellten Empfehlungen sind in . Tab. 13.4 zusammengestellt.
13.1.6
Nadeln
Alle Nadeln sind aus hochwertigem Stahl gefertigt. Sie werden entweder gerade, viel häufiger jedoch gebogen verwendet. Ihre Einteilung erfolgt in chirurgische Nadeln mit Öhr oder atraumatische Nadeln, bei denen der Faden praktisch stufenlos eingegossen wurde.
Chirurgische und atraumatische Nadeln Bei den chirurgischen Nadeln, die entweder mit einem Langlochöhr oder einem Federöhr versehen sind, muss der Faden eingefädelt werden. Am Federöhr kann der Faden fixiert werden, wodurch die Gefahr des verfrühten Ausfädelns beim Nähen vermindert wird. Nahtmaterial, das mit chirurgischen Nadeln versehen ist, ist günstiger als solches mit atraumatischen Nadeln. Der bedeutende Nachteil in chirurgischen Nadeln liegt jedoch darin, dass sie beim Durchziehen ein größeres Loch im Gewebe verursachen als atraumatische Nadeln. In der gastroenterologischen Chirurgie werden vor allem für die Anfertigung von Anastomosen praktisch ausschließlich atraumatische Nadeln verwendet.
13
170
Kapitel 13 · Die chirurgische Naht
. Tab. 13.4 Wahl des Nahtmaterials
13
Ort der Naht
Empfohlenes Nahtmaterial
Alternative
Anastomosen am Ösophagus und Magen
Polyglyconat (3/0) Glycomer 631 (3/0)
Polyglykolsäure (3/0) Polyglactin 910 (3/0) Lactomer 9–1 (3/0)
Anastomosen am Darm
Polyglyconat (4/0) Glycomer 631 (4/0)
Polyglykolsäure (4/0) Polyglactin 910 (4/0) Lactomer 9–1 (4/0)
Choledochotomie und biliodigestive Anastomose
Polyglyconat (5/0) Glycomer 631 (5/0)
Polyglykolsäure (4/0) Polyglactin 910 (4/0) Lactomer 9–1 (5/0)
Anastomose am Pankreas
Polydioxanon (4/0) Polyglyconat (4/0) Glycomer 631 (4/0)
Lactomer 9–1 (4/0)
Ligaturen
Polyglykolsäure (2/0–4/0) Polyglactin 910 (2/0–4/0)
Lactomer 9–1 (2/0–4/0)
Laparotomieverschluss
Polyglykonat (1) Polydioxanon (1) Glycomer 631 (1)
Polyglykolsäure (1–2) Polyglactin (1–2)
Subkutannaht
Keine Naht Redon-Saugdrainage
Polyglykolsäure (3/0) Polyglactin 910 (3/0)
Hautnaht
Polypropylen (3/0–5/0) Polyamid (3/0–5/0)
Hautklammern Polyglactin 910 und Steristrip Polyglytone 6211 und Steristrip
Gefäßnaht
Polypropylen Polybutester
Polyester Polytetrafluoroethylen
Nadelkorpus Angepasst an die Fadenstärke werden verschiedene Nadelgrößen angeboten. Die gebogenen Nadeln werden als 1/4-, 3/8-, 1/2- oder 5/8-Kreis angeboten. Außerdem gibt es auch Sonderformen, wie z. B. J-förmige, d. asymptotisch gebogene Nadeln. Diese werden vor allem in der laparoskopischen Chirurgie verwendet. Der Nadelkorpus entspricht entweder einer nichtschneidenden Rundkörpernadel, oder ist innen oder außen schneidend, meist im Querschnitt dreieckig geformt. Rundkörpernadeln hinterlassen die dünnsten Stichkanäle im Gewebe und werden deshalb am Gastrointestinaltrakt bevorzugt verwendet. Für die Naht von Faszien kommen außen schneidende Nadeln zur Anwendung.
Nadelspitzen Die Nadelspitzen sind entweder relativ stumpf, im Sinne einer Sicherheitsspitze, was die Penetrationsgefahr der Operationshandschuhe vermindert, ganz spitzig, was nur kleinste Stichkanäle verursacht, oder in verschiedenen geometrischen Formen scharf geschliffen. Für von Hand genähte Anastomosen werden spitzige, nicht schneidende Nadeln verwendet. Zur Durchdringung von festem Bindegewebe und Faszien werden scheidende Nadelspitzen verwendet.
13.1.7
Hautnähte
> Die Hautnaht soll nur so weit angezogen werden, bis die beiden Hautränder gerade adaptiert sind. Zusätzlicher Zug verschlechtert die Gewebeperfusion. Auch der Stichabstand hat diesen Aspekt zu berücksichtigen. Das Gewebe darf mit der Pinzette nicht traumatisiert werden.
Das kosmetische Resultat einer Hautnaht ist oft mehr von der atraumatischen Technik des Chirurgen mit exakter Adaptation der Hautränder und vom möglichst raschen Entfernen des Nahtmaterials bei gesicherter Wundheilung abhängig als von der Stichführung oder dem Fadenmaterial (Parell u. Becker 2003). Wir bevorzugen die Einzelknopfnaht für die Hautnaht bei potenziell kontaminierten Eingriffen. Bei septischen Eingriffen wird auf den Hautschluss ganz verzichtet. In der nichtseptischen, nichtkontaminierten Chirurgie ziehen wir fortlaufende Techniken vor, darunter auch die Intrakutannaht. Eine Subkutannaht dient der Blutstillung und der Vermeidung von subkutanen Hohlräumen. Sie führt aber zu zusätzlicher Einlagerung von Fremdmaterial, Immobilisie-
171 13.1 · Nahtmaterial und Nahttechnik
rung der Hautränder und auch zu Fettgewebsnekrose. Gute Blutstillung und in Ausnahmefällen ein subkutanes Redondrain, das höchstens für 1–2 Tage belassen wird, sind vorzuziehen. Die Hautränder bleiben dabei frei verschieblich.
Einzelknopfnähte Die überwendliche Einzelknopfnaht (. Abb. 13.1) stellt die einfachste Stichführung dar. Sie soll alle Hautschichten umfassen und damit knapp bis in die Subkutis reichen. Die exakte Hautadaptation ist wegen Tendenz zu Inversion nicht zuverlässig. Die vertikale Rückstichnaht nach Donati (. Abb. 13.2) fasst zur perfekten Hautadaptation nach dem Ausstich auf der Gegenseite mit einem Rückstich nur noch das Korium. Die vertikale Rückstichnaht nach Allgöwer (. Abb. 13.3) ist eine Variante der Donati-Naht. Sie fasst auf der Gegenseite des Einstiches vor allem das Korium, der Rückstich erfolgt intrakutan. Die Beschränkung des Gegenstiches schont die Gewebsperfusion und ermöglicht gleichzeitig eine gute Adaptation der Hautränder. Geknotet wird auf der besser durchbluteten Seite (zu beachten bei Hautlappen). Bei geraden Inzisionen können die Knöpfe alternierend auf beiden Seiten zu liegen kommen (. Abb. 13.3).
. Abb. 13.1 Überwendliche Einzelknopfnaht
Fortlaufende Nähte Wird die überwendliche Naht fortlaufend angelegt, so wird sie als Kürschnernaht bezeichnet. Diese Stichführung eignet sich für Regionen mit dickem Korium. Andernfalls kann die Adaptation leiden. Bei der fortlaufenden einseitige intrakutanen Rückstichnaht nach Allgöwer ist die Stichführung durch das Gewebe quer zur Wunde angeordnet, die Fadenanteile über der Haut liegen schräg zu den Wundrändern. Die Adaptation der Wundränder ist optimal. Die Intrakutannaht mit invertierten Knöpfen und völlig versenktem Nahtmaterial fasst das Korium. Sie wird mit ungefärbtem monofilem oder pseudomonofilem Nahtmaterial durchgeführt, das resorbierbar ist. Diese Form der Hautnaht sollte mit Steristrips gesichert werden. Auch diese Hautnahttechnik ergibt sehr gute kosmetische Ergebnisse und hat den Vorteil, dass die Fadenentfernung entfällt. Sie soll jedoch nur bei ganz sterilen Eingriffen, bei denen der Hautschluss nicht unter Zug steht, zur Anwendung kommen (z. B. Inguinalhernienoperation). Durch die lange Fadenliegezeit kann es zu Fremdkörperreaktionen der Haut kommen. Für eine Adaptation der Wundränder können auch resorbierbare Fäden mit Widerhaken verwendet werden. Der dazu im Handel erhältliche resorbierbare Faden (z. B. V-Loc 90, in den Fadenstärke USP 2-0 bis 4-0) ist dazu mit einem ebenfalls resorbierbaren Film aus synthetischem Polyester aus Glykolid, Dioxanon und Trimethylenkarbonat überzogen. Er ist am Fadenende mit einer Endschlaufe
. Abb. 13.2 Vertikale Rückstichnaht
. Abb. 13.3 Einseitig intrakutane Rückstichnaht
13
172
Kapitel 13 · Die chirurgische Naht
versehen, mit der der Faden in sich verschlauft im Gewebe verankert werden kann. Da in ganzer Länge viele kleinste Widerhaken angebracht sind, die den Faden im Gewebe gut verankern, kann die fortlaufenden Naht ohne Knoten abgeschlossen werden (Sulamanidze 2007). Der Vorteil liegt in der raschen Anwendbarkeit, der Nachteil in den erhöhten Materialkosten.
Fadenentfernung Die Fäden der Hautnaht werden generell zu spät entfernt. Dies führt zu zusätzlichen punktförmigen Narben an den Einstichstellen. Der optimale Zeitpunkt der Fadenentfernung ist variabel und ist vor allem von der Lokalisation der Naht am Körper und vom Grad der Wundheilung abhängig. Bei ungestörter Wundheilung können nach Platysmaund Hautnaht am Hals sowie nach Tumorektomie an der weiblichen Brust die Fäden schon am 3. postoperativen Tag entfernt werden. Diese Wunden sollen nach der Fadenentfernung jedoch noch mit Steristrip gesichert werden. Am Abdomen können die Fäden nach 10 Tagen, an den Extremitäten nach 14 Tagen entfernt werden. Vorausgesetzt, dass die Wunde mit monofilem Faden genäht wurde, können die Patienten ab dem 2. postoperativen Tag ohne spezielle Wundabdeckung wieder duschen oder in die Sauna gehen (Papp u. Alhava 2003).
13.1.8
13
Gastrointestinale Nähte
Während normalerweise die Verklebung der Serosaflächen einer Darmanastomose in den ersten 4–6 h erfolgt, ist die mechanische Festigkeit in der ersten Phase (ca. 4 Tage) der Anastomosenheilung vor allem durch das Nahtmaterial gegeben (Nockemann 1980). In der zweiten Phase, bis zum 14. Tag, lassen die zunehmende Proliferation von Fibroblasten und Muskelzellen sowie die Kollagenbildung die Eigenfestigkeit der Anastomose so weit ansteigen, dass deren Reißfestigkeit nicht mehr allein von der Anwesenheit des Nahtmaterials abhängt. Etwa nach 10 Tagen erreicht die genähte Anastomose gegen den Berstungsdruck die Resistenz intakten Darmes, seine Reißfestigkeit aber erst nach 4–6 Wochen (Herrmann et al. 1964). In einer dritten Phase, die bis zu mehreren Monaten dauert, erfolgt der endgültige Umbau der Wandschichten über die Anastomose hinweg und erreicht die mechanische Festigkeit von intaktem Darm (Herzog 1974). > Der Begriff Nahtreihe bezeichnet eine zusammengehörige Folge von Nähten, ungeachtet der Anzahl Gewebeschichten, die von einer einzelnen Naht gefasst wird. Dementsprechend beschreibt der Begriff Nahtschicht die Gewebeschichten, die mit einer einzelnen Naht gefasst werden.
Basierend auf der Erkenntnis, dass die Serosaflächen schnell verkleben und dies eine größere Sicherheit vor Insuffizienz bietet, wurden einstülpende Techniken von Jobert (1822) und Lembert (1826) eingeführt. Zahlreiche Abwandlungen in zwei- oder gar dreireihiger Technik erreichten das gleiche Ziel der dichten Darmanastomose. Diese Nahttechniken verursachten aber zum Teil eine erhebliche Stenosierung des Darmlumens. Anfangs der 50er-Jahre wurde die schichtgerechte Adaptation der Darmwand »auf Stoß« untersucht. Gambee beschrieb 1951 eine solche einreihige Nahttechnik. Dieser Gedanke der schichtgerechten, nicht in- oder evertierenden Naht wurde auch von Allgöwer propagiert und durch gute klinische Ergebnisse belegt (Allgöwer et al. 1971; Max et al. 1991). Die Naht auf Stoß führt zudem auch zu einer raschen Wiederherstellung der Gefäßversorgung im Anastomosenbereich (Herzog 1974). Eine zweireihige Technik bietet keine Vorteile, stülpt unnötig ein und beansprucht entbehrliche Handgriffe. Voraussetzung für eine sichere einreihige Naht auf Stoß sind gewebeschonende Operationstechnik, eine Stichführung, die eine gute Adaptation ohne Ischämisierung der Darmränder erzielt und eine sichere Knotentechnik. Die spannungsfreie Annäherung gut durchbluteter Darmenden ist dabei Voraussetzung. Im Zweifelsfall kann die arterielle Durchblutung mit einem Dopplergerät nachgewiesen werden.
Einzelknopfnähte Die einfachste Stichführung ist die allschichtige AlbertNaht, mit der die Adaptation der Schichten auf Stoß aber schwierig ist. Die Stichkanäle führen außerdem bis ins Darmlumen, was Infektionen besonders bei Verwendung von geflochtenem Nahtmaterial begünstigen kann. Die außen geknüpfte extramuköse Naht auf Stoß (. Abb. 13.4) adaptiert bei exakter Durchführung alle Wandschichten, ohne ins Darmlumen zu führen. Dabei muss darauf geachtet werden, dass die Submukosa als bestes Nahtlager mitgefasst wird. Die allschichtige, vom Lumen her gestochene und innen geknüpfte Rückstichnaht durch die Mukosa (. Abb. 13.5) eignet sich zur genauen Adaptation der Schleimhaut bei der Hinterwandnaht von Anastomosen, die von außen her nicht zugänglich sind, z. B. nach tiefer Rektumresektion. Datei: Altauflage, Abb. 13.5
Die vorgelegte Einzelknopfnaht, evtl. für die Hinterwand mit Lift- oder Seilbahntechnik, wird für technisch schwierige Anastomosen eingesetzt. Diese Technik eignet sich für die Anastomose am tiefen Rektum (. Abb. 13.6) oder für die Ösophagojejunostomie. Für aufwendige Einzelknopfanastomosen, bei denen die Fäden vorgelegt werden müssen, verwenden wir flexible Stahlfedern als Fadenhalter (Demartines et al. 1998). Die Fäden sind unter leichtem Zug fixiert, dadurch kann
173 13.1 · Nahtmaterial und Nahttechnik
. Abb. 13.4 Extramuköse Naht auf Stoß (von außen gestochen, Standardnaht)
. Abb. 13.5 Rückstichnaht vom Lumen her gestochen (allschichtig vom Lumen her gestochen, Rückstich durch die Mukosa)
. Abb. 13.6 Lift- oder Seilbahntechnik. Vom Lumen her gestochene, vorgelegte Einzelknopfnaht. Vor dem Knoten werden die beiden Darmenden analog einer Seilbahngondel entlang den ange-
spannten Fäden zusammengeführt. Das gerade Stahlfedermodell aus der Mayo-Klinik (McDonald et al. 1995) verhindert das Verstricken der einzelnen Fäden untereinander
das Verstricken der einzelnen Fäden vermieden werden. . Abb. 13.7 zeigt die flexiblen Stahlfedern, aufgesetzt auf einen selbsthaltenden Gummibandretraktor (»lone star retractor«) für die transanale Naht einer koloanalen Anastomose.
extramuköse Naht für die gastrointestinalen Anastomo-
Fortlaufende Nähte Mit der Verfügbarkeit von monofilen, resorbierbaren Fäden (Polyglyconat, Polydioxanon oder Glycomer 631), die doppelt armiert sind, hat sich die fortlaufende, einreihige,
sen durchgesetzt. Im Vergleich zur einreihigen Einzelknopfnaht mit identischer Stichführung stellt sie eine weitere Vereinfachung dar. Sie erfordert weniger Manipulationen und Kontakte mit bakteriell kontaminiertem Gewebe, ist dicht, gewebeschonend und außerdem zeit- und kostensparend. Die fortlaufende Darmnaht ist überall dort geeignet, wo der Gastrointestinaltrakt frei beweglich, also wendbar ist. So kann die ganze Anastomose fortlaufend in Vorderwandtechnik durchgeführt werden.
13
174
Kapitel 13 · Die chirurgische Naht
13 . Abb. 13.7 Transanale Anastomose (allschichtige Einzelknopfnaht vorgelegt). Der Analkanal wird mit einem selbsthaltenden Gummi-
bandretraktor dargestellt. Die allschichtigen Einzelknopfnähte werden vorgelegt und an der flexiblen Stahlfeder fixiert
Die Nahtreihe wird mit einem doppelt armierten Faden mesenterial begonnen, der nach dem ersten Stich doppelt geknotet wird. Antimesenterial wird ein offener Haltefaden vorgelegt. Besteht eine ausgeprägte Lumendifferenz, so kann diese durch eine antimesenteriale Längsinzision ausgeglichen werden. Mit extramukösen Stichen wird nun die Naht weitergeführt, wobei darauf geachtet werden muss, dass sich die Mukosa nicht zwischen die genähten Darmenden einschlägt (. Abb. 13.8). Solange die fortlaufende Naht zum Operateur hinführt, dirigiert der Assistent mit der Pinzette den Faden nach Durchziehen der Nadel, bis die Schlaufe präzise gelegt ist und wieder von Hand geführt werden kann. Der Operateur sorgt dabei dafür, dass überschüssige Schleimhaut beim Anziehen des Fadens im Lumen verschwindet. Erfolgt die Naht vom Operateur weg, sind diese Rollen vertauscht. Der monofile Faden muss stetig aber nur so weit unter Zug stehen, dass eine lockere Adaptation der Darmränder die Dichtigkeit der Anastomose gewährleistet, ohne eine Ischämie oder
einen Tabaksbeuteleffekt zu erzeugen. Beim Erreichen des antimesenterialen Haltefadens wird dieser entfernt und der Darm gewendet. Mit dem zweiten Fadenende wird die Gegenseite der Anastomose in gleicher Technik genäht und der Faden antimesenterial 6-fach geknotet. Diese Stichführung stellt den Standard für die handgenähten Anastomosen an wendbaren Abschnitten des Gastrointestinaltraktes dar (Harder et al. 1987). An nicht wendbaren, aber dennoch gut zugänglichen Abschnitten des Gastrointestinaltraktes wird die Hinterwand vom Lumen her in einer einreihigen, allschichtigen, fortlaufenden Technik genäht. Wir wenden diese Technik für alle Gastroenterostomien (Demartines et al. 1991), Seit-zu-Seit- oder End-zu-Seit-Enteroenterostomie und am oralen Abschnitt des Rektums an. . Abb. 13.9 zeigt eine Gastroenterostomie. Nach Eröffnung des Darmes quer und des Magens längs wird die Naht mit einem doppelt armierten monofilen Faden an der Ecke begonnen. Der Stich führt allschichtig längs in das Darmlumen und quer
175 13.1 · Nahtmaterial und Nahttechnik
. Abb. 13.9 Fortlaufende, allschichtige, einreihige Hinterwandnaht (Gastroenterostomie)
. Abb. 13.8a–f Einreihige, fortlaufende Naht am Darm in Vorderwandtechnik. a Extramuköse Darmnaht, mesenterial begonnen und nach dem ersten Stich doppelt geknotet. b Die beiden Fadenenden werden quer zur Verlaufsrichtung des Darmes auf das Operationsfeld gelegt, wobei einer der beiden Fäden hinter dem Darm durchgezogen wird. Setzen eines antimesenterialen Haltefadens. Fortlaufende Naht extramukös unter Mitfassen der Submukosa vom Mesenterialansatz weg in Richtung Operateur. c Fadenführung mit nichttraumatisierender Pinzette durch den Assistenten und Einstülpen der überschüssigen Schleimhaut durch den Operateur. d Wenden des Darmes nach Vollenden der ersten Vorderwandnaht und Entfernen des Haltefadens. e Identische fortlaufende Naht der »zweiten Vorderwand« unter Verwendung des zweiten armierten Fadenendes. f Knüpfen der beiden Fadenenden mit einem 6-fachen Knoten
zur Darmschlinge wieder nach außen. Am anliegenden Magen wird ebenfalls allschichtig quer ein- und axial zur Gastrotomie wieder ausgestochen. Nach dem Knüpfen des Fadens wird nun die Hinterwand auf den Operateur zu fortlaufend, allschichtig genäht. Um die Naht der Hinterwand zu erleichtern, wird vorgängig die zweite Ecke mit einem Haltefaden markiert. Die Vorderwand wird, wie an den wendbaren Darmabschnitten, in extramuköser, fortlaufender Technik verschlossen.
13.1.9
Wahl der Nahttechnik
Aufgrund der klinischen Situation und des zur Verfügung stehenden Materials soll für jedes Gewebe die geeignete Nahttechnik gewählt werden. Unsere Empfehlungen, die in . Tab. 13.5 zusammengefasst sind, gründen auf den Ergebnissen klinischer und experimenteller Untersuchungen und auf der klinischen Erfahrung. Sie müssen auch im Zusammenhang mit . Tab. 13.4 betrachtet werden. > Ziel jeder Nahttechnik ist es, einen ungestörten Verlauf der Wundheilung zu ermöglichen und zu sichern sowie ein gutes funktionelles Ergebnis zu erreichen.
13
176
Kapitel 13 · Die chirurgische Naht
. Tab. 13.5 Wahl der Nahttechnik Ort der Naht
Empfohlene Nahttechnik
Alternative
Anastomosen am Ösophagus
Einreihige, extramuköse Einzelknopfnaht Hinterwand mit Rückstichnähten von innen
Stapleranastomose
Anastomosen am Magen
Fortlaufende, einreihige, extramuköse Naht
Stapleranastomose
Anastomosen am beweglichen Darm und proximalen Rektum
Fortlaufende, einreihige, extramuköse Naht
Anastomosen am tiefen Rektum
Stapleranastomose
Extramuköse Einzelknopfnaht distal vorgelegt Hinterwand mit Rückstichnähten in Lifttechnik
Anorektale Anastomosen
Transanale, allschichtige Einzelknopfnaht
Stapleranastomose
Choledochotomieverschluss
Fortlaufende Allschichtnaht
Überwendliche Einzelknopfnaht
Biliodigestive Anastomose
Überwendliche Einzelknopfnaht außen geknotet
Anastomose am Pankreas
Fortlaufende Naht, am Darm extramukös
Zusätzliche fortlaufende Teleskopnaht
Laparotomieverschluss
Fortlaufende Naht mit Schlingenfaden
Bei problematischem Verschluss zusätzlich Entlastungsnähte (Ausziehnaht)
Hautnaht
Einseitig intrakutane Rückstichnaht nach Allgöwer
Vertikale Rückstichnaht nach Donati Klammern oder Intrakutannaht und Steristrip
13.1.10
13
Literatur
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177 13.2 · Klammerinstrumente in der gastrointestinalen Chirurgie
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13.2
Klammerinstrumente in der gastrointestinalen Chirurgie
sinnvoll. Hier bietet sich die Handnaht als kostengünstige Alternative an. Ein breites Verfahrensspektrum und neue Operationsstrategien in der laparoskopischen Chirurgie sind erst durch den Staplereinsatz möglich.
13.2.1
Gerätetypen und Anwendungsprinzipien
Insgesamt stehen 3 verschiedene Typen von Staplern unterschiedlicher Größe zur Verfügung: lineare (TA, PLS) und zirkuläre Stapler (CEEA, CDH) sowie lineare Cutter (GIA, PLC). Daneben sind auch Stapler für Ligaturen und zum Hautverschluss erhältlich. Alle Geräte sind in der überwiegenden Mehrzahl als Einweginstrumente erhältlich. Hauptanbieter der Stapler sind die Firmen Auto-Suture (USSC, Norwalk, USA) und Ethicon (Sommerville, USA).
Lineare Stapler > Lineare Stapler (. Abb. 13.10) lassen sich vor allem für den partiellen oder totalen Verschluss von Hohlorganen verwenden.
Je nach Einsatzzweck sind verschiedene Stapler mit Magazinlängen zwischen 30 und 90 mm auf dem Markt (. Tab. 13.6). Kleinere Größen sind in fast allen Bereichen des Gastrointestinaltraktes einsetzbar, die 90-mm-Geräte eignen
a
b
K. Böttcher Eine moderne Chirurgie am Gastrointestinaltrakt ohne Klammernahtinstrumente ist nicht mehr vorstellbar. Stapleranastomosen ermöglichen in vielen Bereichen im Vergleich zur Handnaht eine Senkung der postoperativen Letalität und Morbidität. Der Einsatz von Klammernahtgeräten ermöglicht bei vielen Patienten eine Verbesserung der Lebensqualität durch die Pouchbildung nach Gastrektomie und kontinenzerhaltender Operation beim tiefsitzenden Rektumkarzinom. Dagegen ist der Einsatz an beweglichen, intraperitonealen Darmabschnitten zum Anlegen einer Anastomose wenig 6
c
. Abb. 13.10a–c Auswahl verfügbarer Klammernahtgeräte für die gastrointestinale Chirurgie. a, b Lineare Stapler: Proximate Linear Stapler 60 und 30 mm; c abwinkelbarer Linearstapler: Proximate Access 55 mm
13
178
Kapitel 13 · Die chirurgische Naht
. Tab. 13.6 Lineare Stapler Auto-Suture
Ethicon
Bezeichnung
TA Premiuma Premium Multifire TAb Roticulatorc
Proximate Linear Stapler TL, TXb Proximate Accessc
Magazingröße (mm)
TA Premium: 30, 55, 90 Premium Multifire TA: 30, 60, 90 Roticulator: 30, 55
TL: 30, 60, 90 TX: 30, 60 Access: 55
Klammergröße (mm)
2,5/3,5/4,8
2,5/3,5/4,8
Klammer
Titan
Titan
Verwendbarkeit
Einweg/Mehrweg
a Stahlinstrument
13
mit Nachladeeinteilung,
b Einweggerät
Einweg/nachladbar mit Nachladeeinheit, c biegsamer Schaft]
sich besonders zum Verschluss des Magenstumpfes oder für die Magenschlauchbildung. Die U-förmigen Metallklammern aus Titan sind in doppelter Reihe angeordnet, geschlossen nehmen sie die Form eines »B« an. Je nach Dicke des zu verschließenden Gewebes sind Geräte mit Klammern der Größen 3,5 und 4,8 mm erhältlich, zum Verschluss von Gefäßen sind auch Magazine mit Klammern von 2,5 mm verfügbar. Seit einigen Jahren sind auch abwinkelbare Geräte mit einem biegsamen Schaft (Roticulator, Proximate Access) verfügbar, die das Einführen auch in enge Bereiche, etwa ins kleine Becken zum Verschluss eines tiefen Rektumstumpfes, erlauben (. Abb. 13.10c). Für den Einsatz in der laparoskopischen Chirurgie sind 30- und 60-mm-Geräte mit 2,5 und 3,5 mm Klammerlänge auf dem Markt (Multifire Endo TA, Fa. Auto Suture; Endopath ELC ohne Messer, Fa. Ethicon).
Lineare Cutter > Lineare Cutter (. Abb. 13.11) dienen vor allem der Anlage von Seit-zu-Seit-Anastomosen sowie der Durchtrennung unter gleichzeitigem beidseitigen Verschluss von Darmschlingen.
Je nach Anwendungsgebiet sind Gerätelängen zwischen 50 und 100 mm erhältlich (. Tab. 13.7). Die 90- und 100-mmGeräte sind am besten für die Anlage intestinaler Pouches beim Magenersatz oder in der kolorektalen Chirurgie geeignet. Je nach Dicke des zu verschließenden und durchtrennenden Gewebes stehen auch hier unterschiedliche Magazine mit Klammerlängen von 2,5–4,8 mm zu Verfügung. Zum Einsatz in der laparoskopischen Chirurgie werden auch endoskopische lineare Cutter (z. B. Endopath ELC, Fa. Ethicon; Multifire Endo GIA, Fa. Auto-Suture) in ver-
a
b
. Abb. 13.11a,b Lineare Cutter: Proximate Linear Cutter 75 mm (a), abwinkelbarer linearer Cutter für den laparoskopischen Einsatz: Endo Gia Universal Roticulator 60 mm (b)
179 13.2 · Klammerinstrumente in der gastrointestinalen Chirurgie
. Tab. 13.7 Lineare Cutter Auto-Suture
Ethicon
Bezeichnung
GIA Premiuma Multifire GIAb
Proximate Linear Cutter (PLC)b
Magazingröße (mm)
GIA Premium: 50, 90 Multifire GIA: 60, 80
55, 75, 100
Klammergröße (mm)
3,8/4,8
2,5/3,5/4,8
Klammer
Titan
Titan
Verwendbarkeit
Einweg/Mehrweg
a
Einweg
b
Stahlinstrument mit Nachladeeinteilung, Einweginstrument mit Nachladeeinheit]
schiedenen Magazinlängen von 30–60 mm und Klammerlängen von 2,5 und 3,5 mm angeboten; zur besseren Handhabung sind diese zum Teil auch abwinkelbar (. Abb. 13.11b).
Zirkuläre Stapler > Zirkuläre Stapler (. Abb. 13.12) dienen zur Anlage von End-zu-End-, End-zu-Seit-, Seit-zu-End- und Seit-zu-Seit-Anastomosen.
Zirkuläre Stapler sind in verschiedenen Ausführungen erhältlich (. Tab. 13.8). Abnehmbare Instrumentenköpfe mit verschiedenen Durchmessern erleichtern die intraoperative Handhabung der Geräte. Der gebogene Premium Plus CEEA (»circular end-toend anastomosis«, Fa. Auto-Suture) ist mit einem Instrumentenkopfdurchmesser von 21, 25, 28, 31 und 34 mm erhältlich, die resultierenden Anastomosenweiten betragen 11,4, 15,0, 18,0, 21,2 und 24,2 mm. Nach Auslösen und Teilöffnung des Staplers kippt die extrem flache Andruck-
platte um fast 90° in Richtung auf den Zentralstab und erleichtert so das Zurückziehen des Gerätes. Der Proximate CDH-Stapler (Intraluminalstapler, Fa. Ethicon) wird mit Kopfgrößen von 21, 25, 29 und 33 mm angeboten, die zu einem Anastomosendurchmesser von 12,2, 16,4, 20,4 und 24,4 mm führen. Damit führt das CDHGerät im Vergleich zum CEEA bei gleichem Außendurchmesser zu einer größeren Anastomosenweite. Die Länge der Titanklammern beträgt in allen Geräten 5,5 mm. Während der Premium Plus CEEA-Stapler zum Auslösen vollständig geschlossen werden muss, ermöglicht das Proximate CDH-Gerät eine individuelle Anpassung der geschlossenen Klammerhöhe zwischen 1,0 und 2,5 mm an das jeweilige Gewebe. Dadurch kann das Gewebstrauma reduziert und einer Anastomoseninsuffizienz durch Drucknekrose entgegengewirkt werden (Chung 1987). CDH-Stapler sind mit geradem und gebogenem Schaft, Premium Plus CEEA-Stapler nur mit gebogenem Schaft erhältlich. Die leichte Biegung der Instrumente erleichtert
a
b
. Abb. 13.12a,b Zirkuläre Stapler: Premium Plus CEEA 34 mm (a), CDH 29 mm (b)
13
180
Kapitel 13 · Die chirurgische Naht
. Tab. 13.8 Zirkuläre Klammernahtgeräte
13
Auto-Suture
Ethicon
Bezeichnung
Premium Plus CEEA
Proximate Circular Stapler (CDH)
Instrumentenkopfdurchmesser (mm)
21, 25, 28, 31, 34
21, 25, 29, 33
Anastomosendurchmesser (mm)
11,4/15,0/18,0/21,2/24,2
12,4/16,4/20,4/24,4
Schaft
Gebogen
Gerade/gebogen
Klammer
Titan
Titan
Verwendbarkeit
Einweg
Einweg
das Einführen z. B. in die Ampulla recti sowie in das Mediastinum bei transhiataler distaler Ösophagektomie mit hoher intramediastinaler Ösophagojejunostomie. Zum Einsatz in der laparoskopischen Chirurgie sind die Geräte auch in gasdichter Ausführung erhältlich. Zirkuläre Anastomosen ermöglicht auch der sog. biofragmentierbare Anastomosenring (BAR, Valtrac, Fa. Braun-Dexon, Spangenberg, 7 Abschn. 13.1.4). Bei allen zirkulären Klammernahtgeräten müssen Tabaksbeutelnähte angelegt werden, um das Darmlumen dicht an den Amboss bzw. das Gerät adaptieren zu können. Diese können per Hand oder auch mit den verfügbaren Tabaksbeutelnahtklemmen manuell angelegt werden, die ebenfalls verfügbare automatische Tabaksbeutelnahtklemme (Pursestring-Klemme, Fa. Auto-Suture), die eine durch kleine Drahtklammern gehaltene Tabaksbeutelnaht automatisch im richtigen Abstand zur Resektionslinie platziert, ist dagegen in Abhängigkeit von der Lokalisation und Gewebebeschaffenheit nicht immer zuverlässig.
13.2.2
mernähte unabhängig von dem Ausbildungsstand und der Tagesform des Chirurgen. Grundsätzlich sind automatische Nähapparate dort besonders sinnvoll einsetzbar, wo sie durch ohnehin im Ablauf der Operation entstandene oder von der Natur vorgegebene Öffnungen eingeführt werden können. Die Deckung der Klammernahtreihen mit seromuskulären Einzelknopfnähten ist nicht notwendig. In der laparoskopischen Chirurgie ermöglichen die hierfür entwickelten Geräte fast alle auch in der offenen Chirurgie möglichen Operationsverfahren. Neben einer zeitsparenden und sicheren Rekonstruktion führt der Staplereinsatz auch zu einer Verbesserung der Lebensqualität, so kann z. B. die Rate kontinenzerhaltender Operationen in der Rektumchirurgie in schwierigen anatomischen Situationen (enges Becken beim Mann) erhöht werden. Durch einen sicheren Verschluss bzw. eine saubere und rasche Durchtrennung keimbesiedelter Hohlorgane wird die Kontamination des Operationsfeldes deutlich vermindert. Weiterhin führt die Klammernahttechnik
Indikationen
Die von der Industrie in großer Zahl hergestellten Klammernahtgeräte werden in nahezu allen Bereichen der gastroenterologischen Chirurgie als Alternative zur Handnaht angewendet (. Tab. 13.9).
. Tab. 13.9 Anerkannte Indikationen zur Anwendung von Klammernahtgeräten in der gastrointestinalen Chirurgie Organgebiet
Anwendung
Ösophagus
> Ein großer Vorteil dieser Nahttechniken ist, dass sie standardisiert sind, eine gute Durchblutung der Randlefzen gewährleisten und immer von gleicher Zuverlässigkeit sind.
Abtragung Zenker-Divertikel Schlauchmagenbildung Intrathorakale Ösophagogastrostomie
Dünndarm
Abtragung Meckel-Divertikel
Magen
In tierexperimentellen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass bei handgenähten Anastomosen passagere fokale Vaskularisationsänderungen auftreten, die wahrscheinlich auf einen unterschiedlich dosierten Knotendruck zurückzuführen sind (Hölscher u. Siewert 1992). Dieses wird jedoch bei Klammernähten durch eine immer gleich dosierte Kompression verhindert. Somit sind Klam-
Verschluss des Magenstumpfes Verschluss des Duodenalstumpfes Ösophagojejunostomie intraabdominal und intramediastinal Bildung eines Jejunumpouches
Kolon/Rektum
Tiefe kolorektale, koloanale und ileoanale Anastomosen zum Teil in »Double-staplingTechnik« Ileum- und ggf. Kolonpouchbildung
181 13.2 · Klammerinstrumente in der gastrointestinalen Chirurgie
zu einer geringeren Traumatisierung der Anastomose, wobei die Metallclips eine maximale Dichtigkeit ohne Gewebsischämie ermöglichen. > Den größten Fortschritt ermöglichen Klammergeräte in der laparoskopischen Chirurgie, die ohne diese Geräte in vielen Bereichen denkbar wäre.
13.2.3
Anwendungsmöglichkeiten
lage einer palliativen Gastroenterostomie bei einer Magenausgangsstenose ist eine gute Indikation.
Dünndarmchirurgie Klare Indikationen zum Einsatz von Klammernahtgeräten in der Dünndarmchirurgie sind selten. Die Abtragung eines Meckel-Divertikels mit einem linearen Klammernahtgerät ist eine häufige Indikation, dagegen sind Seit-zuSeit-Anastomosen zwischen zwei Dünndarmschlingen mit dem linearen Cutter sowie Seit-zu-End-Anastomosen im Sinne einer Roux-Y-Ableitung mit zirkulären Klammernahtgeräten seltene Indikationen.
Ösophaguschirurgie Lineare Klammernahtgeräte sind besonders zum Blindverschluss bei Abtragung von Ösophagusdivertikeln geeignet, alternativ kann auch in geeigneten Fällen eine transorale Schwellenspaltung beim Zenker-Divertikel mit dem linearen Cutter erfolgen (Omote et al. 1999). Bei der transthorakaler Ösophagektomie kann der Ösophagus problemlos in der Pleurakuppel mit einem linearen Klammernahtgerät verschlossen und abgesetzt werden, um einer Keimverschleppung vorzubeugen, die Magenschlauchbildung zur Passagerekonstruktion erfolgt mit linearen Staplern oder Cuttern. Klare Indikationen für zirkuläre Klammernahtgeräte sind die ösophagogastrale Anastomose nach subtotaler Ösophagektomie, wenn sie im Thorax angelegt wird, sowie die hohe intramediastinale Ösophagojejunostomie. Hier kommen überwiegend Gerätekopfgrößen von 25 oder 28 mm zur Anwendung. Der Einsatz der Zirkulärstapler erlaubt eine wesentlich höhere intramediastinale Anlage der Anastomose als bei Handnaht und vermeidet die Thorakotomie. Der blinde Schenkel der Ösophagojejunostomie kann problemlos mit einem linearen Stapler verschlossen werden.
Magenchirurgie Klare Indikationen sind der Verschluss des Duodenalstumpfes sowie die Transsektion und der Verschluss des proximalen Magenstumpfes mit linearen Klammernahtgeräten. Lineare Cutter werden bevorzugt zur Bildung eines Jejunumpouches (Magazingröße 90–100 mm) nach totaler Gastrektomie sowie zur Anlage von Gastroenterostomien verwendet. Auch die Anlage einer Braun-Fußpunktanastomose nach Magenresektion ist hiermit möglich. Zirkuläre Klammernahtgeräte dienen zur Anlage der Ösophagojejunostomie (s. oben), aber auch die Erstellung einer Gastroduodenostomie (Billroth I) ist hiermit möglich. In der laparoskopischen Chirurgie eignen sich lineare Cutter zur Magenwedgeresektion bei Stromatumoren oder beim Magenfrühkarzinom vom Mukosatyp (Böttcher et al. 1998; Katai et al. 1997; Ohgami et al. 1999). Auch die An-
Kolorektale Chirurgie Klare Indikation in der kolorektalen Chirurgie ist die Anlage einer kolorektalen Anastomose bei der anterioren Resektion mit zirkulären Klammernahtgeräten; hier sollten die Geräte mit dem größten Durchmesser (Premium Plus CEEA 34, CDH 33) bevorzugt werden. Je nach Länge des Rektumstumpfes kann dieser dabei mit einem linearen Stapler verschlossen werden und die Anastomosierung transanal mit dem zirkulären Stapler erfolgen (sog. »Double-staplingTechnik«). Manchmal bietet sich auch eine kolorektale Anastomosierung in Seit-zu-End-Technik von abdominal an. Nach Einknoten des Kopfes eines zirkulären Staplers in den mit einer Tabaksbeutelnaht versehenen Rektumstumpf erfolgt die kolorektale Anastomose in Seit-zu-End-Technik von abdominal her. Der resultierende blinde Schenkel wird wiederum mit einem linearen Stapler verschlossen. Weitere Indikationen für zirkuläre Klammernahtgeräte sind die Wiederherstellungsoperationen nach Hartmann-Operation, für lineare Klammernahtgeräte der Verschluss des Rektumstumpfes bei anteriorer Resektion oder Hartmann-Operation. Die intrapelvine Pouchbildung bei ileorektalen oder ileoanalen Anastomosen geschieht am vorteilhaftesten durch 90 oder 100 mm lange lineare Cutter, die hier am besten zweimal zum Einsatz kommen. Auch die Anlage eines Kolonpouches, dessen Länge nicht mehr als 5 cm betragen sollte, ist mit linearen Cuttern leicht möglich. Zur Anlage der pouchrektalen bzw. pouchanalen Anastomosen empfiehlt sich ein zirkuläres Klammernahtgerät. Wahrscheinlich führt nach Pouchbildung eine bessere Mikrozirkulation im Bereich des Pouchapex sowie nach Seit-zu-End-Anastomosen zu einer geringeren Rate an Anastomoseninsuffizienzen (Haalböök et al. 1996).
13.2.4
Probleme und Empfehlungen
Prinzipiell sind bei wiederverwendbaren Geräten Fehler durch eine falsche Montage des Klammernahtgerätes sowie des Magazines möglich. Bei Anwendung des linearen
13
182
Kapitel 13 · Die chirurgische Naht
Cutters ist darauf zu achten, das Skalpell vollständig durchzuziehen, um eine inkomplette Durchtrennung des Gewebes zu vermeiden. Auch empfiehlt es sich hier, die Seitzu-Seit-Anastomose möglichst antimesenterial anzulegen, um Blutungen zu vermeiden. Tritt eine Blutung auf, muss eine Durchstechungsligatur vorgenommen werden; auf eine Kauterisierung ist zu verzichten, um thermische Schäden zu vermeiden. Bei der Anlage einer Ösophagojejunostomie muss darauf geachtet werden, dass der Ösophagus nicht durch zu starke Dilatation einreißt. Bei engen Lumina sollte der Ösophagus nach i.v.-Injektion von Glukagon digital oder mittels einer Kornzange dilatiert werden. > Nach Verwendung eines zirkulären Staplers empfiehlt es sich, die ausgestanzten Ringe auf Vollständigkeit zu überprüfen.
13
Diese schließt jedoch Insuffizienzen nicht vollständig aus. Bei tiefen Rektumanastomosen empfiehlt sich daher die Dichtigkeitsprüfung mit Methylenblaulösung oder Luftinsufflation, bei Flüssigkeits- oder Gasaustritt erfolgt die Übernähung ggf. mit einer Anus-praeter-Anlage, in seltenen Fällen muss die Anastomose auch neu angelegt werden. Als Nachteile der Stapleranwendung besonders am Rektum werden neben den hohen Kosten vor allem der Verbleib der Titanklammern genannt, der zum einen über eine erhöhte Induktion von Kollagenbildung im Nahtbereich Stenosen bedingen, zum anderen zu einer CT-Beeinflussung führen kann (Dziki et al. 1993). Dagegen gibt es keine gesicherten Hinweise aus klinischen Studien, die zeigen, dass Metall als Nahtmaterial eine höhere Kanzerogenität besitzt als Fadenmaterial (Hölscher u. Siewert 1992).
13.2.5
Kostenanalyse
Aufgrund knapper werdender Ressourcen und des zunehmenden ökonomischen Drucks muss der Einsatz von Klammernahtgeräten nicht nur unter dem Gesichtspunkt ihrer Effektivität, sondern auch ihrer Effizienz (KostenNutzen-Analyse) beurteilt werden (Izbicki et al. 1998). Neben operationstechnischen Überlegungen ist die Zeitersparnis ein immer wieder genannter Vorteil von Stapleranastomosen. Habu et al. (1989) konnten an einem großen Patientengut eine statistisch signifikante Zeitersparnis von 18 min bei der Staplerösophagojejunostomie (n=94) gegenüber der Handnaht (n=145) erzielen. Bei kolorektalen Anastomosen betrug der Zeitgewinn beim Staplereinsatz 17 min (Everett et al. 1986). Dieser Zeitgewinn wird jedoch mit hohen Kosten erkauft. So betragen die reinen Materialkosten z. B. für die Rekonstruktion nach Gastrektomie in Staplertechnik 640,– € (Handnaht: 180,– €), nach Rektumresektion 460,– € (Handnaht: 73,– €). Selbst unter zu-
sätzlicher Berücksichtigung von Operationszeiten und Personalkosten ergibt sich bei Klammernahtanastomosen ein finanzieller Mehraufwand von etwa 30% (Izbicki et al. 1998). > Klammernahtgeräte sollten deshalb am Gastrointestinaltrakt nur dort zum Einsatz kommen, wo sie besondere Vorteile bieten (. Tab. 13.9).
Auch erscheint im klinischen Alltag das Argument der Zeitersparnis relevanter als aus den vorliegenden Studien hervorgeht. So wird z. B. nach langen und schwierigen Resektionen in der onkologischen Chirurgie die Belastung des Operateurs durch zeitsparende Rekonstruktionsmöglichkeiten erheblich reduziert.
13.2.6
Literatur
Böttcher K, Feussner H, Dittler HJ, Etter M, Roder JD, Siewert JR (1998) Laparoskopische Resektion von Magenwandtumoren. Langenbecks Arch Chir Suppl II (Kongressband) 1637 Chung RS (1987) Blood flow in colonic anastomoses. Effect of stapling and suturing. Ann Surg 206:335–339 Dziki AJ, Duncan MD, Harmon JW (1991) Advantages of handsewn over stapled bowel anastomosis. Dis Colon Rectum 34:442–448 Everett WG, Friend PJ, Forty J (1986) Comparison of stapling and hand suture for left-sided large bowel anastomosis. Br J Surg 73:345– 348 Haalböök O, Johannson K, Sjodahl R (1996) Laser Doppler blood flow measurement in rectal resection for carcinoma – comparison between the straight and colonic J pouch reconstruction. Br J Surg 83:389–392 Habu H, Kando F, Saito N, Sato Y, Takeshita K, Sunagawa M, Endo M (1989) Experience with the EEA stapler for esophagojejunostomy. Int Surg 74:73–76 Hölscher AH, Siewert JR (1992) Stapler am Gastrointestinaltrakt – pro und contra. Langenbecks Arch Chir 377:56–64 Izbicki JR, Gawad KA, Quirrenbach S, Hosch SB, Breid V, Knoefel WT Küpper HU, Broelsch CE (1998) Ist die Klammernaht in der Visceralchirurgie noch gerechtfertigt? Eine prospektiv kontrollierte, randomisierte Studie zur Kosteneffektivität von Hand- und Klammernaht. Chirurg 69:725–734 Katai H, Sasako M, Sano T, Maruyama K (1997) Wedge resection of the stomach for gastric leiomyosarcoma. Br J Surg 84:560–561 McGuire J, Wright IC, Leverment JN (1997) Surgical staplers: a review. J R Coll Surg 42:1–9 Ohgami M, Otani Y, Kumai K, Kubota T, Kim Y-I, Kitajima M (1999) Curative laparoscopic surgery for early gastric cancer: five years experience. World J Surg 23:187–192 Omote K, Feussner H, Stein HJ, Ungeheuer A, Siewert JR (1999) Endoscopic stapling divertculostomy for Zenker´s diverticulum. Surg Endoscopy 13:535–538
14
Drainage der Bauchhöhle M. Binnebösel, K. Junge
14.1 Allgemeine Prinzipien der intraabdominellen Drainage 14.2 Drainagesysteme und physikalische Prinzipien 14.3 Material und Struktur von Drainagen 14.4 Drainagetypen
– 186
Ösophaguschirurgie – 187 Magen- und Dünndarmchirurgie Kolorektale Chirurgie – 187 Hepatobiliäre Chirurgie – 189 Milzchirurgie – 189 Pankreaschirurgie – 190 Septische Chirurgie – 190
14.6 Therapeutische Drainage 14.7 Literatur
– 185
– 185
14.5 Prophylaktische Drainage: Indikationen 14.5.1 14.5.2 14.5.3 14.5.4 14.5.5 14.5.6 14.5.7
– 184
– 186
– 187
– 190
– 190
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_14, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
184
Kapitel 14 · Drainage der Bauchhöhle
Der Einsatz von abdominellen Drainagen ist wie kaum ein anderes Thema weiterhin durch Subjektivismen gekennzeichnet, da vielfach insbesondere klinische, evidenzbasierte Studien fehlen. Die prophylaktische und routinemäßige Drainage der Bauchhöhle in elektiven Situationen kann nicht mehr generell empfohlen werden. Die therapeutische Drainage ist grundsätzlich zur Entlastung von pathologischen Flüssigkeitsverhalten indiziert. Die synthetischen Kunststoffe Polyurethan und Silikon haben die auf Naturprodukten basierenden Materialien nunmehr vollständig abgelöst. Drainagen werden unter den physikalischen Prinzipien Schwerkraft, Kapillarwirkung und Sog eingesetzt. Unterschieden wird zwischen offenen, halboffenen oder geschlossenen Drainagesystemen.
14.1
14
Allgemeine Prinzipien der intraabdominellen Drainage
Ziel der abdominellen Drainage ist die Ableitung von infektiösen oder potenziell infektiösen Flüssigkeitsansammlungen in der Bauchhöhle. Grundsätzlich werden 2 differente Indikationen zur intraabdominellen Drainage unterschieden: die prophylaktische und die therapeutische Drainage. 4 Die prophylaktische Drainage wird während der Operation oder unmittelbar vor Verschluss der Bauchhöhle vorgenommen, um die im Anschluss an die Operation zu erwartenden Flüssigkeits- oder Sekretansammlungen abzuleiten. 4 Die therapeutische Drainage wird eingesetzt, um entstandene Flüssigkeits- oder Sekretverhalte zu entlasten und unterliegt in vielen Fällen der Notfallindikation. Aufgrund drainagebedingter Komplikationen, wie sie im Tierexperiment und zunehmend in klinischen Studien nachweisbar sind, wird der Sinn der prophylaktischen und routinemäßigen abdominellen Drainage vor allem in Elektivsituationen zunehmend in Frage gestellt. Zu den Komplikationen gehören Drucknekrosen am Darm, Gefäßarrosionen mit Blutungen, aszendierende Infektionen entlang der Drainage, Hernien an den Drainageaustrittsstellen, Schmerzen, Darmstrangulationen, Drainageretraktion oder Verbleiben von Drainageanteilen in situ (Ernst et al. 1993; Raves 1984; Binnebösel et al. 2010). Für viele Chirurgen hat die prophylaktische Drainage eine Indikatorfunktion als »Blutungsdrainage« für 48 h oder »Insuffizienzdrainage« für 7 Tage. Bei Okklusion können sie jedoch falsche Sicherheit vortäuschen. Unter beiden Indikationen kann die Drainage häufig nicht die Relaparotomie umgehen. Sinnvoll kann die Drainage aber durchaus kurz- oder auch mittelfristig zur Ableitung da eingesetzt werden, wo erfahrungsgemäß Flüssig-
keits- oder Sekretverhalte im Verlauf zu erwarten sind. Insbesondere bei Anastomosenlokalisationen mit hohen Leckageraten, bei entzündlichen Prozessen oder größeren Ablöseflächen vermag die prophylaktische Drainage eine nachträgliche und potenziell risikobelastete interventionelle Entlastung zu umgehen. ! Cave ! Weder die prophylaktische noch die therapeutische Drainage sind, auch bei Einlage multipler Drainagen, in der Lage, den gesamten Abdominalraum suffizient zu drainieren.
Die Ursache liegt in der Bildung von Abdominalkompartimenten, die einerseits anatomisch vorgegeben sind und andererseits als postoperativer Zustand durch Veränderung der Anatomie oder Verklebungen zusätzlich auftreten können. Die Einlage der prophylaktischen Drainage erfolgt deswegen in das entsprechende Operationsgebiet oder in die anatomisch vorgegebenen Prädilektionsstellen einer Flüssigkeitsansammlung (. Abb. 14.1). Bei der Zieldrainage einer Anastomose muss ein Kontakt jedoch vermieden werden, um die Wundheilung nicht zu kompromittieren. Eine dauerhafte Sekretableitung mittels Drainagesystemen ist nicht zuverlässig gewährleistet. Durch Koagelbildung oder Fibrinausschwitzungen kann es zu einer Verlegung der Drainage oder dem abhängigen Schlauchsystem kommen. Die Anlage einer abdominellen Drainage erfolgt wenn immer möglich von innen
. Abb. 14.1a–f Prädilektionsstellen der Flüssigkeitsansammlungen in der Peritonealhöhle. a, b rechts und links subphrenisch, c subhepatisch, d, e parakolisch rechts und links, f Douglas-Raum
185 14.3 · Material und Struktur von Drainagen
nach außen durch eine gesonderte Inzision. Zur Vermeidung von Dislokationen oder Retraktionen werden Drainagen immer mittels nichtresorbierbarer Naht an der Haut fixiert.
14.2
Drainagesysteme und physikalische Prinzipien
Grundsätzlich werden 3 verschiedene Drainagesysteme unterschieden (. Tab. 14.1): 4 Die offene Drainage leitet das Sekret direkt in einen Verband. 4 Das halboffene Drainagesystem fördert Flüssigkeiten in Drainagebeutel, die über der Austrittstelle der Drainage direkt auf die Haut geklebt werden. 4 Geschlossene Drainagesysteme leiten das Sekret unmittelbar in eine Flasche oder einen Beutel. Nach dem physikalischen Prinzip der Ableitung unterscheidet man Drainagen, die durch Schwerkraft, Kapillarwirkung oder Sog arbeiten. Flexible Rohrsysteme, die am tiefsten Punkt ausgeleitet werden, fördern das Sekret aufgrund des Schwerkraftprinzips. Unterstützend wirken Bauchpresse oder Lungenexkursionen durch eine zusätzliche Kompression des zu drainierenden Areals. Drainagesysteme mit mehreren kleinen Kanälen mit kleinem Querschnitt oder eingelegtem Gewebe mit Dochtwirkung fördern Sekret nach dem Prinzip der Kapillarwirkung. Auf Dauersog oder Vakuum basierende geschlossene Drainagesysteme evakuieren Sekret unabhängig von ihrer Lage entgegen der Schwerkraft. Bei diesem Drainageprinzip muss das eingesetzte Schlauchsystem eine ausreichende Stabilität aufweisen, um nicht zu kollabieren (. Tab. 14.1; Robinson 1986).
14.3
Material und Struktur von Drainagen
Als Drainagematerial werden heutzutage entweder modifizierte Naturstoffe aus Rohkautschuk oder durch Polymerisation (Polyvinylchlorid), Polyadduktion (Polyurethan) und Polykondensation (Silikon) hergestellte, synthetische Kunststoffe eingesetzt. Rohkautschuk wird nach Vulkanisierung durch Zusatz von Antioxidanzien, Schwefel und Stabilisatoren in Latex- oder Weichgummiprodukte überführt. Bei der Verwendung von Polyvinylchlorid (PVC) wird durch Veränderungen des Polymerisationsverfahrens, Zugabe von Weichmachern und Gleitmitteln die gewünschte flexible und elastische Drainageeigenschaft erreicht. Insbesondere bei längerer Liegedauer können jedoch diese Verbindungen aus den Drainagen herausgelöst werden
. Tab. 14.1 Drainagesysteme und physikalische Prinzipien Drainagesysteme
Physikalisches Prinzip
Offen
Schwerkraft
Halboffen
Kapillarwirkung
Geschlossen
Sog (Vakuum)
. Tab. 14.2 Drainagematerialien Modifizierte Naturprodukte
Synthetische Kunststoffe
Kautschuk
Polyvinylchlorid
Latex
Polyurethan
Weichgummi
Silikon
und in den Körper gelangen. Das eingesetzte Material wird spröde. Wegen unzureichender Biokompatibilität (Feisetzung von Weichmachern) sind diese Materialien nicht mehr einzusetzen. Polyurethane (PUR) entstehen durch Polyaddition niedermolekularer Monomere zu einem makromolekularen Hochpolymer. Chemische Modifikationen ermöglichen die Herstellung verschiedenartiger Materialeigenschaften. Silikone (Organosiloxane) werden durch Polykondensation aus Ketten von Silizium- und Sauerstoffatomen mit Besetzung der freien Valenzen durch Kohlenwasserstoffe gebildet. Durch die Zugabe von Füllstoffen wie Kieselsäure entsteht der weiche Silikonkautschuk (Dimethylpolysiloxan) (. Tab. 14.2; Schumpelick et al. 1993). > Form und materielle Struktur der Drainage sollten idealer Weise dem intraabdominellen Einsatzort sowie der zu erwartenden Liegedauer und der zu erfüllenden Funktion entsprechen.
Drainagen ermöglichen mit einer singulären Öffnung die Evakuation von Sekreten in einer gezielten Lokalisation, während Drainagen mit multiplen Öffnungen prinzipiell über die gesamte Länge ihrer Strecke Flüssigkeiten aufnehmen können. Drainagen mit kleinen Kanälen und mit kleinem Querschnitt unterliegen hingegen der Gefahr der Obstruktion durch Koagel oder nekrotisches Gewebe. Saugdrainagen benötigen eine ausreichende Materialfestigkeit. Bei großlumigen Saugdrainagen mit singulärer Öffnung besteht die Gefahr, dass Gewebe den Kanal verlegt und durch den Sog oder bei Retraktion der Drainage geschädigt wird. Ist eine längere Verweildauer vorgesehen, werden zweckmäßigerweise Drainagetypen aus weichen und flexiblen Materialien gewählt.
14
186
Kapitel 14 · Drainage der Bauchhöhle
Komplikationen Zu berücksichtigen ist, dass jede Drainage
14
als Fremdkörper wirkt, auch wenn die derzeit eingesetzten Materialien über weite Strecken als sehr gut kompatibel gelten müssen. Zumindest Beeinträchtigungen der lokalen körpereigenen Immunabwehr in Form von Bakterientranslokation oder Behinderung der peritonealen Phagozytosefähigkeit gelten als erwiesen. Zudem gibt es starke Indizien für Anastomosenheilungsstörungen durch unmittelbar an der Anastomose platzierte Drainagen. Jederzeit zu berücksichtigen ist das potenzielle Risiko einer aszendierenden Infektion sowie der Gewebearrosion bei längeren Liegezeiten oder der Gewebeschädigung bei Retraktion. Hernierungen im Drainagekanal sind ebenso möglich wie Strangulationen um die Drainage. Außerdem wird die Bildung von Adhäsionen durch Drainagen induziert (Ernst et al. 1997; Guo et al. 1993a, b; Mora et al. 1991). Während der Dauer ihrer Anwendung sind Drainagen der permanenten Wechselwirkung biochemischer Reaktionen ausgesetzt, die sich durch körpereigene enzymatische Reaktionen oder bakterielle Besiedlungen ergeben. Neben den durch Form und Struktur verursachten Problemen, muss deshalb zunehmend auch die lokale und vor allem systemische Schädigung des Organismus durch Freisetzung atomarer und molekularer Bestandteile, von Stabilisatoren und Weichmachern, Berücksichtigung finden. Diesen Umstand gilt es zuallererst bei der Anwendung in der Kinderchirurgie zu bedenken. Die Forderungen an die im Einzelfall zu wählende Drainage richten sich maßgeblich nach Ort, Dauer und Funktion der zu erfüllenden Aufgabe. Grundsätzlich ist jedoch klar, dass es nicht eine Drainage für alle Anwendungen gibt (Treutner et al. 2003).
14.4
Drainagetypen
Der am häufigsten eingesetzte Drainagetyp bei problematischen intestinalen Anastomosen oder nach Hohlorganperforationen mit lokaler Peritonitis ist der Drainagetyp »easy flow« mit kapillärem Förderprinzip. Als Schwerkraftdrainagen werden die Robinson-Drainage oder – insbesondere bei notwendigen Dauerspülbehandlungen wie der infizierten Pankreasnekrose – großlumige Latexrohrdrainagen als Abflusssysteme eingesetzt. Zur Drainage von flächigen Arealen oder bei Verwendung von Sog kommt die »Jackson-Pratt« oder »Aachener-Drainage« zum Einsatz (. Abb. 14.2).
14.5
Prophylaktische Drainage: Indikationen
Drainagen sind seit der Antike fester Bestandteil von Therapiekonzepten in der Chirurgie, bereits Hippokrates und Celsius kannten schon den Wunddrain. Mit Beginn der modernen Chirurgie im 19. Jahrhundert wurde der Einsatz von Drainagen aber auch kontrovers diskutiert. Mikulicz-Radecki (1899) und Halsted (1904) postulierten z. B., dass die Bauchhöhle eigentlich gar nicht zu drainieren sei. 1984 kam Lennox zu dem Schluss, dass prinzipiell auf die routinemäßige prophylaktische Drainage in der Elektivchirurgie verzichtet werden kann, auch wenn sie dem Bedürfnis des Chirurgen nach mehr Sicherheit oft widerspricht (Lennox 1984). Diese elektiven Situationen sollen im Einzelnen besprochen und sofern möglich nach dem Grading-System des Oxford Centre für evidenzbasierte
a
b
c
d
. Abb. 14.2a–d Drainagetypen zur intraabdominellen Drainage. a Easy-flow-Drainage, b Aachener-Drainage, c Robinson-Drainage, d Latexrohrdrainage
187 14.5 · Prophylaktische Drainage: Indikationen
Medizin klassifiziert und den entsprechenden Evidenzniveaus (EN) zugeteilt werden.
14.5.1
Ösophaguschirurgie
Nach Ösophagusresektionen mit intrathorakaler Anastomosierung ist eine Anastomoseninsuffizienz aufgrund der entstehenden Mediastinitis mit fatalen Konsequenzen behaftet. Prospektiv randomisierte Studien liegen jedoch nicht vor, welche den Einsatz von prophylaktischen Drainagen nach Ösophaguschirurgie analysieren. Nach wie vor wird jedoch gefordert, dass intraoperativ Thoraxdrainagen in Anastomosennähe positioniert werden. Bei der kollaren Anastomose nach Magentransposition ist die Anastomoseninsuffizienz durch Ausbildung einer Speichelfistel mit hoher Selbstheilungstendenz gekennzeichnet. Zervikale und abdominelle Drainagen nach Ösophaguschirurgie scheinen verzichtbar (EN 4) (Kuwano et al. 1993).
14.5.2
Magen- und Dünndarmchirurgie
Anastomosen am Magen und Dünndarm sind insbesondere durch ihren Serosaüberzug und die Entwicklung modernen Anastomosentechniken und Klammernahtinstrumente vergleichsweise geringgradig insuffizienzgefährdet. Dies bedingt, dass insbesondere nach unkomplizierten Magen- und Dünndarmresektionen nicht die Notwendigkeit einer routinemäßigen Drainage besteht. Ist nach Dünndarmnaht eine Drainage zu platzieren, so muss in jedem Fall der Douglas-Raum mit erfasst werden, da eine sichere Zuordnung der Drainage zur Nahtstelle nach Einsetzen der Peristaltik nicht gewährleistet ist. Nach Gastrektomie liegt die Insuffizienzrate an der ösophagojejunalen Anastomose zwischen 3% und 58,9% (Ichikawa et al. 2004; Ikeguchi et al. 2001). Insbesondere die Nähe zum Mediastinum rechtfertigt in diesem Fall die Drainage (EN2b-4). Im Gegensatz zu dieser Empfehlung steht jedoch das Ergebnis einer aktuelleren, prospektiv randomisierten Studie mit 170 Patienten zum Einsatz von Drainagen nach subtotaler oder totaler Gastrektomie mit ausgedehnter Lymphadenektomie. Ohne zusätzlichen Benefit für die Patienten empfehlen die Autoren keine prophylaktische Drainage nach Magenchirurgie bei Karzinomen (EN 2b) (Kim et al. 2004). In einer weiteren prospektiv randomisierten Studie an 108 Patienten zeigte sich zudem, dass die Verwendung von prophylaktischen Drainagen nach subtotaler Gastrektomie mit D1- oder D2-Lymphadenektomie bei Magenkarzinom nicht erforderlich ist (EN 2b) (Kumar et al. 2007).
Für die Magen-Bypass-Chirurgie bleibt die Wertigkeit von prophylaktischen Drainagen bei unzureichender Studienlage weitgehend unklar. In einer retrospektiven Studie an 593 Patienten nach laparoskopischem Roux-YMagenbypass fanden sich einen Vorteil für die Patienten mit prophylaktischen Drainagen (EN 3a), der insbesondere darin begründet lag, dass in der überwiegenden Zahl der Fälle Komplikationen frühzeitig erkannt wurden und Insuffizienzen erfolgreich austherapiert werden konnten (Chousleb et al. 2004).
14.5.3
Kolorektale Chirurgie
Insbesondere für die Kolon- und Rektumchirurgie mit einer Insuffizienzrate von bis zu 9,8% besteht eine heftige Kontroverse über den Nutzen der routinemäßigen Drainage. So belegen zahlreiche klinische Studien aus den letzten beiden Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts, dass die negativen Effekte der Drainage die positiven überwiegen. Eine Studie bei 48 Patienten ohne Drainage versus 52 Patienten mit Saugdrainage nach Rektumresektion erbrachte den Nachweis größerer Sekretverhalte bei einliegender Drainage. Das Vorliegen einer Anastomoseninsuffizienz konnte auch bei liegender Drainage nicht diagnostiziert werden (Sagar et al. 1995). Vergleichbare Ergebnisse ergab eine Analyse von 148 Patienten ebenfalls nach Kolonresektionen (Sagar 1993). Eine randomisierte Studie an 156 Patienten mit Drainage und 161 Patienten ohne Drainage nach Kolonanastomosen kranial der Beckeneingangsebene ergab weder eine Senkung der Insuffizienzrate noch der Komplikationen bei Auftreten einer Leckage bei einliegender Drainage (Merad et al. 1998). Die Auswertung einer multizentrischen Studie an 494 Patienten mit analer oder rektaler Anastomose ergab, dass auch durch eine prophylaktische Saugdrainage (n=247) die Rate und Schwere postoperativer Komplikationen gegenüber der Kontrollgruppe ohne Drainage (n=245) nicht gesenkt werden konnte (Merad et al. 1999). Eine Metaanalyse von 4 kontrollierten und randomisierten Studien (n=414) konnte ebenfalls keinen positiven Effekt der Routinedrainage bei kolorektalen Eingriffen erkennen (Urbach et al. 1999). Scott et al. konnten in einer retrospektiven Analyse von 165 Patienten mit Kolonanastomosen im kleinen Becken nach Tumorresektion zwar keine erhöhte Insuffizienzrate mit Jackson-Pratt-Drainagen nachweisen, jedoch war die Drainage auch nicht hilfreich bei der Diagnostik einer Anastomoseninsuffizienz (Scott et al. 1996) (. Tab. 14.3 bis . Tab. 14.5). Andere Untersuchungen kommen jedoch zu dem Ergebnis, dass die prophylaktische Drainage zur Ableitung des sero-sanguilenten Sekretes bei diesen Eingriffen erforderlich, aber nur während der ersten 7 Tage effektiv ist
14
188
Kapitel 14 · Drainage der Bauchhöhle
. Tab. 14.3 Verfügbare Empfehlungen für den Einsatz prophylaktischer Drainagen in der Allgemein- und Viszeralchirurgie mit eindeutiger Empfehlung (Evidenzniveau 1a und 1b, Empfehlungsgrad A) (Binnebösel et al. 2010) Operation
Empfehlung
EN
Chirurgie der Appendix
Appendektomie (jedes Stadium)
Keine Drainage
1a
Kolorektale Chirurgie
Kolonresektion
Keine Drainage
1a
Rektumresektion
Keine Drainage
1b
Konventionelle Cholezystektomie
Keine Drainage
1a
Laparoskopische Cholezystektomie
Keine Drainage
1a
Unkomplizierte Leberresektionen ohne biliodigestive Anastomosen
Keine Drainage
1a
Unkomplizierte Leberresektionen bei chronischen Lebererkrankungen
Keine Drainage
1b
Pankreatikoduodenektomie
Keine intraabdominelle Drainage
1b
Chirurgie der Gallenblase
Leberchirurgie
Pankreaschirurgie
. Tab. 14.4 Ergebnisse randomisierter kontrollierter Studien zum Stellenwert prophylaktischer Drainagen nach kolorektaler Chirurgie und resultierende Empfehlungen (Binnebösel et al. 2010) Autor
Jahr
Studienarm
Anzahl
M
WI
AI
Empfehlung
EN
Hoffmann et al.
1987
Drainage
28
0,0
14,3
7,1
Keine Drainage
2b
Keine Drainage
32
6,7
6,7
10
Drainage
49
4,1
20,4
12,2
Keine Drainage
2b
Keine Drainage
57
1,7
17,5
10
Drainage
60
1,7
3,3
6,7
Keine Drainage
2b
Keine Drainage
53
1,9
1,9
1,9
Drainage
94
9,6
9,6
23,4
Keine Drainage
1b
Keine Drainage
51
1,9
5,9
17,6
Drainage
52
5,8
5,8
13,5
Keine Drainage
2b
Keine Drainage
48
6,3
0,0
10,4
Drainage
156
4,5
3,8
0,6
Keine Drainage
1b
Keine Drainage
161
5,6
4,3
1,9
Drainage
248
3,2
4,0
6,8
Keine Drainage
1b
Keine Drainage
246
4,0
5,7
6,0
Drainage
31
3,2
16,1
9,7
Keine Drainage
2b
Keine Drainage
28
3,6
10,7
17,6
Johnson et al.
Hagmüller et al.
14
Sagar et al.
Sagar et al.
1989
1990
1993
1995
Merad et al.
1998
Merad et al.
1999
Brown et al.
2001
Jahr = Jahr der Publikation, Anzahl = Anzahl der Patienten, M = Mortalität in %, WI = Wundinfektionsrate in %, AI = Rate an Anastomoseninsuffizienzen in %, EN = Evidenzniveau
(Allen-Mersh et al. 1989). Eine andere Studie an 59 Patienten mit infraperitonealer rektaler Anastomose ergab im Hinblick auf die Morbidität keinen signifikanten Unterschied mit oder ohne Drainage (Brown et al. 2001). In einer Studie an 44 Patienten mit Anastomoseninsuffizienz er-
brachte die multivariate Analyse keinen Hinweis auf die Drainage als Risikofaktor (Makela et al. 2003). Insgesamt kann durch den Einsatz von Drainagen weder die Rate an Anastomoseninsuffizienzen noch die Rate an allgemeinen Komplikationen in der kolorektalen Chirurgie reduziert
14
189 14.5 · Prophylaktische Drainage: Indikationen
. Tab. 14.5 Ergebnisse der Metaanalysen zum Stellenwert prophylaktischer Drainagen nach kolorektaler Chirurgie und resultierende Empfehlungen (Binnebösel et al. 2010) Autor
Jahr
Studienarm
Anzahl
M
WI
AI
Empfehlung
EN
Urbach et al.
1999
Drainage
223
6,3
11,7
9
Keine Drainage
1a
Keine Drainage
188
4,3
8
1,1
Drainage
716
k.A.
6,4
4
Keine Drainage
1a
Keine Drainage
673
k.A.
4,5
2,3
Drainage
573
3
5
3
Keine Drainage
1a
Keine Drainage
567
4
5
4
Petrowsky et al.
Karliczek et al.
2004
2006
Jahr = Jahr der Publikation, Anzahl = Anzahl der Patienten, M = Mortalität in %, WI = Wundinfektionsrate in %, AI = Rate an Anastomoseninsuffizienzen in %, EN = Evidenzniveau, k.A. = keine Angaben
werden und damit kann ebenfalls keine Empfehlung zur Drainageneinlage nach elektiver kolorektaler Chirurgie ausgesprochen werden (EN 1a) (Jesus et al. 2004; Karliczek et al. 2006).
14.5.4
Hepatobiliäre Chirurgie
Die kontrovers diskutierte Frage der Drainage nach Cholezystektomie ist durch die Laparoskopie endgültig in Richtung Drainageverzicht entschieden. Unter Verwendung von prophylaktischen Drainagen nach laparoskopischer Cholezystektomie ist die Rate an Wundinfektionen signifikant erhöht und der Krankenhausaufenthalt für diese Patienten signifikant verlängert (Gurusamy et al. 2007). Folglich findet sich nach unkomplizierter laparoskopischer Cholezystektomie keine Evidenz, welche die Einlage einer Drainage rechtfertigt (EN 1a). Lediglich nach Choledochusrevisionen oder nach Einlage einer T-Drainage vermag eine Zieldrainage gelegentliche kleinere Leckagen abzuleiten, prospektiv randomisierte Studien fehlen allerdings, die verifizieren könnten, welchen Benefit Patienten von diesem Vorgehen haben. Auch bei konventioneller Choleystektomie sollten Drainagen vermieden werden, da durch die Verwendung dieser die Nachteile für den Patienten erhöht werden, ohne zusätzliche Vorteile mit sich zu bringen (EN 1a) (Gurusamy et al. 2007). Nach biliodigestiver Anastomose wird eine Drainage für 48 h empfohlen (Ihse et al. 1996). In der Leberchirurgie wird die prophylaktische Drainage ebenfalls kontrovers diskutiert. Zwar liegt eine heterogene Patientenpopulation hinsichtlich der zu Grunde liegenden Erkrankung vor, jedoch zeigt sich in den zur Verfügung stehenden Publikationen, dass in der Gruppe mit Drainagen nach Leberresektion die Rate an Infekten erhöht und die Rate an Biliomen gleich oder erhöht im
Vergleich zur Kontrollgruppe war (EN 2b) (Belghiti et al. 1993; Fong et al. 1996). In einer prospektiven Studie an 104 Patienten mit einer chronischen Lebererkrankung offenbarte die multivariate Analyse, dass die Einlage einer Drainage bei dieser Patientenpopulation ein unabhängiger Risikofaktor für eine erhöhte Rate an postoperativen Komplikationen war (EN 1b) (Liu et al. 2004). Ebenfalls stellte sich auch in dieser Studie die erhoffte Detektion von Biliomen oder Hämatomen durch Drainageeinlage nicht ein. In einer Metaanalyse aus verfügbaren randomisiert-kontrollierten Studien zeigte sich ein leichter Vorteil für Patienten ohne prophylaktische Drainage, jedoch ohne signifikante Unterschiede (EN 1a) (Petrowsky et al. 2004). Letztlich kann aus den Daten der Cochrane-Analyse von Gurusamy et al. gefolgert werden, dass für die Einlage einer Drainage nach unkompliziert verlaufenden Leberresektionen keine Evidenz besteht (EN 1a) (Gurusamy et al. 2007).
14.5.5
Milzchirurgie
Prophylaktische Drainagen nach chirurgischen Eingriffen an der Milz werden als Indikator für Nachblutungen und postoperative Pankreasfisteln eingesetzt. Nach elektiver Splenektomie erübrigt sich eine prophylaktische Drainage, sofern in der postoperativen Routine eine Sonographie des Abdomens durchgeführt wird (EN 4) (Dominguez et al. 2003). Detektierte Flüssigkeitsretentionen in der Milzloge sind der sonographisch gesteuerten Punktion gut zugänglich und somit effektiv therapierbar. Andere Autoren empfehlen jedoch nach laparoskopischem Vorgehen bei Splenomegalie die routinemäßige Drainage (Smith et al. 2004).
14
190
Kapitel 14 · Drainage der Bauchhöhle
14.5.6
Pankreaschirurgie
Prophylaktische, extraluminale Drainagen werden nach resezierenden Eingriffen am Pankreas vielerorts routinemäßig eingesetzt. Diese sollen einerseits sich ansammelnde Sekretionen (Blut, Galle, Pankreassaft) drainieren, andererseits kommt ihnen eine Indikatorfunktion bei Anastomoseninsuffizienzen und Blutungen zu. Heslin et al. zeigten in einer retrospektiven Kohortenstudie an 89 Patienten nach Pankreatikoduodenektomie, dass durch die Verwendung von prophylaktischen Drainagen kein Benefit für die Patienten bestand (EN 4) (Heslin et al. 1998). In einer prospektiv randomisierten Studie, ebenfalls aus dem Memorial Sloan-Kettering Cancer Center (New York, USA) wurden insgesamt 179 Patienten aufgenommen, 88 Patienten wurden in eine Drainagegruppe randomisiert (geschlossene Saugdrainage) und 91 Patienten ohne Drainage gegenübergestellt (Conlon et al. 2001). In der durchgeführten Studie zeigt sich kein Einfluss der Drainage auf die Gesamtkomplikationsrate. Eine Subgruppenanalyse zeigte aber eine signifikant höhere Inzidenz von intraabdominellen Abszessen sowie Pankreasfisteln für die Drainagegruppe. Als Erklärung für die höheren Abszessraten in der Drainagegruppe ist zu vermuten, dass der durch geschlossene Saugdrainagen aufgebaute Unterdruck von bis zu 100 mmHg die Gewebeapposition verhindert und so für die Entstehung von Pankreasfisteln und Abszessen verantwortlich sein kann (EN 1b) (Conlon et al. 2001). Insuffiziente Pankreatikojejunostomien werden zwischen 10 und 25% beobachtet. Durch eine perkutan ausgeleitet Drainage im abführenden Schenkel der Roux-Y-Anastomose konnte die Rate an Insuffizienzen der Pankreatikojejunostomie nach Whipple-Operation auf 3% (2 von 66) reduziert werden (EN 2c) (Keck et al. 1991). In einer weiteren Studie konnten Strasberg et al. demonstrieren, dass die Kombination einer intraluminalen Drainage mit einer Zieldrainage zu einer signifikanten Reduktion an Komplikationen (1,6% Pankreasfisteln) führen kann (EN 2c) (Strasberg et al. 2002).
14.5.7
Septische Chirurgie
Im Falle einer diffusen Peritonitis kommt das Verfahren der programmierten Lavage stadienabhängig zur Anwendung, da bedingt durch Verklebungen und Fibrinausschwitzungen eine suffiziente Ableitung aller Sekrete in der Abdominalhöhle durch eine Drainage alleine nicht erfolgreich ist. Diese muss mit einem Laparostoma als offene Drainage, das temporär mittels eines Polyglactinnetzes verschlossen wird, kombiniert werden.
14.6
Therapeutische Drainage
Die therapeutische Drainage zur Entlastung von Hämatomen, Abszessen, Seromen und Sekretverhalten wird, wenn immer möglich, zunehmend perkutan sonographisch oder aber auch radiologisch interventionell durchgeführt. Diese Vorgehensweise gilt als Verfahren der Wahl bei Patienten mit lokalisierten Abszessen ohne Zeichen der generalisierten Peritonitis, nicht nur nach kolorektalen Eingriffen (Khurrum et al. 2002). Sind Flüssigkeits- oder Sekretverhalte einer perkutanen Drainage nicht zugänglich oder besteht eine diffuse Peritonitis, so ist die offene chirurgische Drainage indiziert.
14.7
Literatur
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191 14.7 · Literatur
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14
15
Allgemeine Transplantationsmedizin U.P. Neumann, M. Schmeding, R. Pfitzmann, P. Neuhaus
15.1 Geschichte
– 194
15.2 Grundbegriffe
– 194
15.3 Indikationen und Kontraindikationen zur Transplantation 15.4 Organspende, -konservierung und Spenderoperation 15.4.1 Organspende – 195 15.4.2 Organspendeoperation, Organkonservierung
15.5 Immunologie
15.7 Immunsuppressive Therapie 15.8 Literatur
– 195
– 196
– 197
15.6 Spender-Empfänger-Matching
– 195
– 198 – 198
– 200
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_15, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
194
Kapitel 15 · Allgemeine Transplantationsmedizin
Bei irreversiblem Funktionsverlust eines Organs, der durch medikamentöse und intensivmedizinische Maßnahmen nicht mehr zu therapieren ist, stellt die Transplantation die effizienteste und damit erfolgreichste Behandlungsmethode dar. Aufgrund der zunehmenden Fortschritte sowie der verbesserten Ergebnisse in den letzten 20 Jahren hat sich die Organtransplantation zu einer etablierten chirurgischen Therapie entwickelt. Da die Organtransplantation heute ein standardisiertes Routineverfahren darstellt, stehen nicht mehr die chirurgischen Techniken, sondern die Weiterentwicklung immunsuppressiver Medikamente und die Organprotektion im Vordergrund. Zentrales Problem ist die limitierte Verfügbarkeit von adäquaten Spenderorganen bei steigenden Patientenzahlen auf der Warteliste, dem nur eingeschränkt durch Lebensspende (Leber, Niere) begegnet werden kann. Hieraus resultiert eine kontinuierliche Herausforderung an die Transplantationsmedizin hinsichtlich der Organverteilungsgerechtigkeit.
. Tab. 15.1 Erste erfolgreiche klinische Organtransplantationen Erste Transplantation
15
Geschichte
Organe oder Organteile von einem Individuum auf ein anderes zu übertragen um damit zu heilen, ist seit jeher die Idee der Menschheit. Erste Aufzeichnungen können bis ca. 500 v. Chr. zurückdatiert werden; wissenschaftlich belegte Organtransplantationen hingegen finden sich erst im 18. und 19. Jahrhundert. Ein entscheidender Schritt bzw. Meilenstein in der Organtransplantation gelang A. Carell im Jahre 1908 mit der Verbesserung der Gefäßnaht. Somit war das Haupthindernis aus chirurgisch-technischer Sicht beseitigt. In den folgenden Jahren konnten dann durch grundlegende tierexperimentelle Ergebnisse über die Organperfusion und -konservierung mittels Hypothermie erste erfolgreiche Organtransplantationen durchgeführt werden. 1936 erfolgte dann durch den ukrainischen Chirurgen Y. Voronoy in Kiew die erste klinische humane Nierentransplantation, diese scheiterte jedoch, da die Niere ihre Funktion nicht aufnahm. Anfang der 1950er-Jahre, als durch weitere tierexperimentelle Untersuchungen die immunologisch bedingte Transplantatabstoßung und weniger die chirurgische Technik als entscheidendes Kriterium für den Erfolg einer Organtransplantation evident wurde, verlagerte sich der Forschungsschwerpunkt auf die immunologische Problematik bzw. die immunologischen Mechanismen. 1954 gelang dann die erste erfolgreiche Nierentransplantation beim Menschen durch J. Murray und J. Merrill bei Zwillingen. In der weiteren Folge entwickelte sich die Transplantationsmedizin rasant (. Tab. 15.1). Seither wurden weltweit über eine 3/4 Million Organtransplantationen durchgeführt, sie gehören heutzutage zur klinischen Routine.
Operateur
1954
Niere
Murray/Merrill
1963
Leber
Starzl
1963
Lunge
Hardy
1967
Herz
Barnard
1967
Pankreas
Kelly
1985
Dünndarm
Deltz
1988
Kombination Leber/ Dünndarm
Grant
15.2 15.1
Organ
Grundbegriffe
Grundsätzlich wird zwischen der Transplantation solider Organe (z. B. Niere, Leber, Herz) und Gewebetransplantationen (z. B. Hornhaut, Knochenmark, Inselzellen) unterschieden. Eine Sonderstellung nimmt die Knochenmarktransplantation (zelluläre Transplantation) ein, bei der nach weitgehender Zerstörung des Immunsystems des Empfängers (Radio-Chemotherapie) Spenderstammzellen übertragen werden und so das Immunsystem des Empfängers neu konstituiert wird. Transplantationen können auch nach genetischen, anatomischen sowie funktionellen Gesichtspunkten unterteilt werden. Immunologische Klassifikation Die Transplantation eines
Gewebes oder eines Organs bei demselben Individuum wird als autologe Transplantation bezeichnet. Sie wird am häufigsten in der plastisch-rekonstruktiven sowie Knochenchirurgie (Knorpel, Sehnen, Beckenkammspan etc.) angewandt. Die Transplantation zwischen genetisch identischen Empfängern (eineiigen Zwillingen) wird als isogen bezeichnet. Sie kommt klinisch nur selten zur Anwendung und spielt in der experimentellen Forschung eine wesentliche Rolle. Die Übertragung von Geweben bzw. Organen zwischen genetisch unterschiedlichen Individuen der gleichen Spezies wird als allogene (homologe) Transplantation bezeichnet und klinisch am häufigsten angewandt. Die Transplantation zwischen verschiedenen Spezies hingegen wird als xenogen (Xenotransplantation) bezeichnet. Anatomische Klassifikation Die Transplantation des Spen-
derorgans an die gleiche Stelle wie das erkrankte Organ wird als orthotop (z. B. Herz, Lunge, Leber) bezeichnet, die
195 15.4 · Organspende, -konservierung und Spenderoperation
Transplantation eines Organs in eine andere Körperregion als heterotop (z. B. Niere, Pankreas). Funktionelle Klassifikation Die orthotope Transplantation stellt eine substitutive Transplantation dar, d. h. das Transplantat muss vollständig die Funktion übernehmen. Die Belassung des erkrankten Organs und die zusätzliche Transplantation eines funktionierenden Organs zur Funktionsunterstützung bezeichnet man als auxiliäre Transplantation (z. B. Herz, Leber).
15.3
Indikationen und Kontraindikationen zur Transplantation
Indikation zur Transplantation ist der vollständige und
irreversible Funktionsverlust eines Organs oder Gewebes. Hierbei werden für die einzelnen Organe bzw. Organsysteme unterschiedliche Kriterien für die Indikationsstellung gewichtet. Eine Sonderstellung nimmt wiederum die Knochenmarktransplantation ein, bei der die Transplantation aufgrund der weitgehenden Zerstörung des Empfängerknochenmarks bei der Behandlung von Leukämien etc. durchgeführt wird. Kontraindikationen zur Transplantation des Empfängers sind grundsätzlich Malignome sowie schwerwiegende aktive Infektionserkrankungen, beim Spender manifeste Infektionen und Malignomerkrankungen mit Ausnahme einiger Hirntumore (Glioblastom) und länger als mindestens 5 Jahre zurückliegende rezidivfreie Tumorerkrankungen unterscheidlicher Organsysteme . Relative Kontraindikationen zur Transplantation sind schwerwiegende Nebenerkrankungen des Empfängers (Diabetes, Arteriosklerose, etc.).
15.4
Organspende, -konservierung und Spenderoperation
Grundlegende Voraussetzung für die Transplantation ist die Organspende und die Organkonservierung. Hierbei sind prinzipiell Patienten von 0–80 Jahren potenzielle Organspender, in Ausnahmefällen auch ältere Patienten (biologisches Alter entscheidend!). Überwiegend werden in Deutschland Empfänger mit einem Alter zwischen 0 und 70 Jahren, je nach Organ, in Ausnahmefällen auch älter, akzeptiert.
15.4.1
Organspende
Bei den Organspendern handelt es sich um zerebral schwerstgeschädigte Patienten (Hirntote), die generell auf
Intensivstationen behandelt werden und bei denen es trotz aller therapeutischen Maßnahmen zu einer progredienten Hirnschädigung mit tödlichem Ausgang gekommen ist. Eine weitere Option, die Lebendorganspende (Niere, Leberlappen) nimmt in Deutschland in den letzten Jahren zu (ca. 10%). Sie erfolgt in der Regel als Organspende durch einen engen Verwandten oder andere Personen, die dem Empfänger in besonderer persönlicher Weise offenkundig nahe stehen. Gerechtfertigt wird die Lebendspende zum einen durch die besseren Langzeitergebnisse nach Organtransplantation (Niere), die schnelle Verfügbarkeit eines Spenderorgans und – in zunehmendem Maße – aufgrund der zu geringen Organspenden durch hirntote Spender. Da durch die Lebendspende potenzielle Risiken für den Spender entstehen, muss er vor der geplanten Spendeoperation sorgfältigst evaluiert werden. Neben der Funktionstüchtigkeit des zu transplantierenden Organs ist auch die Funktionstüchtigkeit des verbleibenden Organs bzw. Organteils abzuklären. Ferner muss der Spender gründlichst über operative Risiken sowie über potenzielle Langzeitfolgen der Organspende aufgeklärt werden.
Organentnahme von Verstorbenen Voraussetzung für die Organentnahme ist die Feststellung und Dokumentation des Hirntodes (7 Übersicht). Der Nachweis erfolgt hierbei gemäß den Richtlinien der Bundesärztekammer durch zwei unabhängige und in dieser Diagnostik erfahrene Ärzte, die beide nicht dem Transplantationsteam angehören dürfen (7 Übersicht). Der Hirntod wird definiert als der völlige Funktionsausfall des gesamten Gehirns einschließlich des Stammhirns. Festgestellt wird der Hirntod durch die zweimalige klinische Untersuchung im Abstand von mindestens 12 h, bei der u. a. der Ausfall der Hirnreflexe sowie ein Apnoetest geprüft werden. Zusätzlich können fakultativ eine zerebrale Doppler-Sonographie, zerebrale Angiographie oder ein EEG durchgeführt werden. Die Organspende bzw. -entnahme in Deutschland ist durch das Transplantationsgesetz vom 01.12.1997 mit der erweiterten Zustimmungslösung reglementiert. Für die Entscheidung zu einer Organspende ist hierbei der Wille des Verstorbenen ausschlaggebend. Angehörige (in der Rangfolge: Ehegatte, volljährige Kinder, Eltern, volljährige Geschwister, Großeltern, nächste Angehörige) sollen in seinem Sinne entscheiden. Die Organentnahme ist nach dem Gesetzestext erst dann zulässig, wenn der Organspender nach den Regeln, die dem neuesten Stand der Kenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, für hirntot erklärt worden ist und der Eingriff durch einen Arzt vorgenommen wird.
15
196
Kapitel 15 · Allgemeine Transplantationsmedizin
Klinische Symptome des Hirntodes 4 Koma 4 Ausfall aller Hirnstammreflexe – Keine Lichtreaktion der Pupillen – Kein Kornealreflex – Keine Trigeminusschmerzreaktion – Kein Würgereflex – Kein okulozephaler Reflex (sog. Puppenkopfphänomen: bei Drehbewegungen des Kopfes bleiben die Augen starr und geradeaus stehen) – Kein vestibulookulärer Reflex (kalorische Prüfung: bei Eiswasserspülung des äußeren Gehörganges kommt es zu keiner Augenbewegung) – Kein Bulbovagalreflex (okulokardialer Reflex; bei festem Druck auf die Bulbi kommt es zu keiner Pulsfrequenzabsenkung) 4 Ausfall der Spontanatmung (spezielle Prüfungsvorschriften)
Ablauf der Hirntoddiagnostik
15
4 Ausschluss von Diagnosehindernissen – Relaxation – Schock – Unterkühlung – Metabolisches oder endokrines Koma – Vergiftung bzw. sedierende Medikamente (toxikologisches Gutachten) 4 Klinische Untersuchung durch zwei Ärzte (beide Ärzte nicht dem Transplantationsteam zugehörig; beide Ärzte müssen in der Hirntoddiagnostik bzw. Intensivmedizin mehrjährige Erfahrung haben) 4 Beobachtungszeit und Wiederholung der klinischen Untersuchung nach wenigstens 12 h in Abhängigkeit vom Alter und der Todesursache des Patienten oder Anwendung technischer Verfahren (Beobachtungszeit entfällt) – EEG – Angiographie – Dopplersonographie – Evozierte elektrische Potenziale – Hirnszintigraphie
Allokation Für die Bundesrepublik Deutschland, Österreich, die Beneluxstaaten und Slowenien wird die Organspende zentral durch Eurotransplant (ET) in Leiden/Niederlande geregelt. Potenzielle Organempfänger und -spender werden hier gemeldet und gemäß den für alle verbindlichen Organverga-
bekriterien nach Blutgruppe, Körpergröße, Körpergewicht, Wartezeit und speziellen Gewebsmerkmalen (z. B. HLATypisierung bei der Niere) ein Spenderorgan zugeteilt.
15.4.2
Organspendeoperation, Organkonservierung
Die Organentnahme erfolgt unter aseptischen Bedingungen, bei den abdominellen Organen durch eine mediane Laparotomie, bei den thorakalen Organen durch eine mediane Sternotomie. Es erfolgt zunächst die makroskopische Beurteilung der Organe (z. B. Herz: Beurteilung der Kontraktilität, Palpation der Koronarien auf eventuelle Verkalkungen; Leber: Farbe, Konsistenz, Grad der Verfettung). Die Organentnahme setzt neben operativen Geschick auch die Erfahrung mit Transplantationen voraus, da die Transplantation eines insuffizient entnommenen Organs durch anatomische Besonderheiten oder eine unzureichende Organkonservierung fatale Folgen für den Empfänger hätte (Transplantatversagen).
Operationstechnik Nach entsprechender Präparation und Vollheparinisierung wird die Durchblutung der abdominellen Organe durch Abklemmen der Aorta in Zwerchfellhöhe unterbrochen. Eine einheitliche Konservierungslösung für alle Organe hat sich bisher noch nicht durchgesetzt, so dass die Perfusion der abdominellen Organe mit kalter Konservierungslösung separat von der Perfusion der thorakalen Organe erfolgt. Leber, Niere und Pankreas werden hierbei durch retrograde Perfusion der Aorta abdominalis konserviert. Nach entsprechender Organkonservierung erfolgt bei der Mehrorganentnahme zunächst die Entnahme der thorakalen Organe und in den weiteren Schritten die Entnahme von Leber, Pankreas und den Nieren.
Organkonservierung Ziel der Organperfusion ist es, das Blut vollständig aus dem Spenderorgan zu entfernen. Die Heparinisierung verhindert Mikrothrombosierungen in der Endstrombahn der Spenderorgane. Gleichzeitig wird das Organ möglichst rasch auf eine Temperatur von 4–8°C heruntergekühlt, um den Energiebedarf und den Sauerstoffverbrauch des Zellstoffwechsels auf ein Minimum zu reduzieren. Neben der zentralen Kühlung durch die Perfusionslösung erfolgt eine zusätzliche Oberflächenkühlung (topisch) mit Eiswasser während der Organperfusion. Die Konservierungslösung ermöglicht hierbei eine längere Lagerung bzw. Transport des Organs bei einer Temperatur von 4–8°C. Die verwendeten Konservierungslösungen enthalten Elektrolyte, Pufferbasen, Aminosäuren etc, die einerseits Ischämieschäden verringern bzw. vermeiden, andererseits eine spätere Schä-
197 15.5 · Immunologie
digung durch die Reperfusion des Spenderorgans vermindern sollen. Die am häufigsten verwendeten Konservierungslösungen sind die University-of-Wisconsin-Lösung und die HTK (Bretschneider)-Lösung. Bei der Herzentnahme ist zusätzlich noch eine kardioplegische Lösung erforderlich. Zur Lagerung wird das steril in mehrere Plastikbeutel verpackte Organ in einer Kühlbox von außen mit Crush-Eis gekühlt, so dass eine Temperatur von ca. 4–8°C während der Lagerungs- bzw. Transportphase aufrechterhalten werden kann
Ischämiezeiten Als kalte Ischämiezeit wird die Phase vom Beginn der Perfusion bis zum Beginn der Implantation eines Spenderorgans bezeichnet, als warme Ischämiephase hingegen die Zeit zwischen der Entnahme des Organs aus der Kühlbox bis zur Freigabe des Empfänger-Blutstromes in das transplantierte Organ. Da die Organe in der Phase der Implantation häufig noch topisch gekühlt werden, wird hier zumeist noch der Begriff der Anastomosenzeit verwendet. > Die Dauer der Ischämietoleranz der einzelnen Organe ist vom Organ selbst und von der verwendeten Konservierungslösung abhängig. Herz und Lunge sollten innerhalb einer Ischämiezeit von 4–6 h, Leber und Pankreas innerhalb von 12–16 h und die Nieren innerhalb von 24 h transplantiert werden.
Da die Organentnahme heutzutage weitestgehend standardisiert ist, werden explantierte Nieren häufig über weite Strecken versandt und von anderen Operateuren transplantiert. Für die Leber- und Pankreastransplantation wird ebenfalls die Organentnahme durch andere Chirurgen akzeptiert, während die Herz- und Lungenentnahme fast ausnahmslos durch das Zentrum erfolgt, welches auch das Organ bzw. die Organe transplantiert.
15.5
Immunologie
Organtransplantationen sind in der Regel allogene Transplantationen, bei denen es ohne entsprechende Behandlung bzw. immunsuppressive Therapie zur Entwicklung von Abstoßungsreaktionen kommt. Sie werden durch sog. Histokompatibilitätsantigene, die auf dem Chromosom 6 als »major histocompatibility complex« (MHC) kodiert sind, hervorgerufen. Die Expression dieser Histokompatibilitätsantigene findet auf nahezu allen Körperzellen, so auch auf den menschlichen Leukozyten (»human leukocyte antigens«, HLA) statt. Aufgrund dieser genetisch determinierten Unterschiede von biochemischen Strukturen auf der Zelloberfläche werden diese vom Immunsystem des Empfängers als fremd
erkannt und führen zu einer Abwehrreaktion (Transplantatabstoßung bzw. Rejektion). Hierbei wird zwischen einer zellvermittelten und einer antikörpervermittelten (humoralen) Immunantwort bzw. Abstoßung unterschieden. Die zellvermittelte Immunantwort wird durch T-Lymphozyten gewährleistet. Nach Fremdantigenerkennung und Präsentation auf der Zelloberfläche sog. dendritischer Zellen (»passenger leukocytes« und Makrophagen) wird eine zellvermittelte bzw. akute Abstoßungsreaktion induziert. Hierbei stimulieren die T-Helferzellen mit Hilfe von Interleukinen die Proliferation von T-Effektorzellen. Diese sind zytotoxisch wirksam (T-Killerzellen) und können auch die immunologische Toleranz für das Antigen fördern (T-Suppressorzellen). Eine wichtige Rolle im Ablauf dieser Immunantwort spielen hierbei das Interleukin-2 und die entsprechenden Rezeptoren auf der Oberfläche der T-Lymphozyten. Die Proliferation dieser immunkompetenten Zellen verursacht im Transplantat eine Entzündungsreaktion durch Infiltration mononukleären Zellen, die zu Zellnekrosen und Fibrosierung des Transplantates führen kann. Die Stimulierung bzw. Proliferation von B-Lymphozyten, die die humorale Immunantwort repräsentieren, führt zur Bildung gegen das Transplantat gerichteter zytotoxischer Antikörper. Sie sind besonders für Schäden an den Transplantatgefäßen verantwortlich, die über Gefäßwandnekrosen, Intimaproliferation oder sklerosierende Veränderungen zu einer obliterativen Vaskulopathie (vaskuläre Rejektion) und damit letztendlich zum Funktionsverlust des Organs führen. > Grundsätzlich werden hyperakute, akute und chronische Abstoßungen unterschieden.
Ursache für die hyperakute Abstoßung sind präformierte Antikörper im Empfänger, die gegen die Antigene des Spenders gerichtet sind. Sie verlaufen innerhalb von Minuten bis Stunden, treten jedoch aufgrund der routinemäßigen »Cross-match«-Untersuchung (Kreuzprobe) sehr selten auf. Die akute bzw. zelluläre Abstoßung verläuft protrahiert über mehrere Tage und stellt den größten Teil der zu diagnostizierenden Rejektionen dar. Sie spricht in der Regel gut auf eine hochdosierte immunsuppressive Medikation bzw. Abstoßungsbehandlung an. Eine chronische Abstoßung tritt Monate bis Jahre nach Transplantation auf, verläuft langsam schleichend und hat sowohl eine zelluläre als auch eine humorale Komponente. Sie ist häufig therapieresistent, führt zum chronischen Transplantatversagen und erfordert die Retransplantation. Um diese für das Transplantat schwerwiegenden Immunantworten zu vermeiden bzw. zu unterdrücken, werden das »cross-match« und vor allem die immunsuppressive Therapie eingesetzt. Einen Sonderfall stellt die Graft-versus-host-Erkrankung (GvHD) dar, die nach Knochenmarktransplantation
15
198
Kapitel 15 · Allgemeine Transplantationsmedizin
eine häufige Komplikation darstellt (bis zu 50%), bei der Transplantation solider Organe jedoch selten auftritt. Sie entsteht bei der Übertragung immunkompetenter Zellen (T-Zellen, NK-Zellen) im Transplantat in einen immungeschwächten bzw. immunsupprimierten Empfänger, d. h. durch die Immunreaktion der übertragenen Zellen gegen die Histokompatibilitätsantigene des Empfängers. Die GvHD lässt sich therapeutisch nur schwer beeinflussen und ist mit einer hohen Letalität verbunden.
15.6
15
Spender-Empfänger-Matching
Bei der Organtransplantation wird grundsätzlich die Kompatibilität des AB0-Blutgruppensystems zwischen Spender und Empfänger eingehalten, die den Regeln der Bluttransfusion folgt. Der Rhesusfaktor und andere Blutgruppenmerkmale sind vernachlässigbar. Besonders wichtig für die Organtransplantation ist dabei das HLA-System, insbesondere die Merkmale HLA-A, -B und -DR. Da zwei A-, Bund DR-Sätze von den Eltern vererbt werden, sind beim Vergleich der HLA-Typen zwischen Spender und Empfänger insgesamt 6 Merkmale zu berücksichtigen. Die HLAMerkmale C, DP und DQ spielen nur eine untergeordnete Rolle und können vernachlässigt werden. Grundsätzlich gilt hierbei die Erfahrung für alle Organtransplantationen, dass eine hohe Übereinstimmung in den HLA-Merkmalen eine geringere Immunantwort zeigt. Infolge logistischer Gründe beschränkt sich die Anwendung der HLA-Typisierung jedoch auf die Nierentransplantation. Hierfür ist ein definitiver Einfluss des HLA-Systems auf den Transplantationserfolg erwiesen. Bei der Herz-, Lungen-, Leber- und Pankreastransplantation scheint der Einfluss von untergeordneter Bedeutung zu sein. Die HLA-Typisierung erfolgt molekulargenetisch mittels PCR (»polymerase chain reaction«). Wegen der möglichen Präexistenz zytotoxischer HLA-Antikörper muss vor jeder Transplantation ein »cross-match« mit Lymphozyten des Spenders und dem Serum des Empfängers durchgeführt werden, da bei einer positiven Reaktion eine hyperakute Rejektion zu befürchten ist.
15.7
Immunsuppressive Therapie
> Ziel der immunsuppressiven Therapie ist die Unterdrückung von Abstoßungsreaktionen und die weitgehende Erhaltung der immunologischen Reaktivität des Empfängerorganismus gegenüber Infektionserregern.
Da eine Rejektion zeitlebens auftreten kann, ist eine lebenslange immunsuppressive Therapie erforderlich. Bei
der immunsuppressiven Therapie werden eine initiale Induktionstherapie, eine Basisimmunsuppressionstherapie (Erhaltungstherapie) und eine Abstoßungstherapie unterschieden. Die immunsuppressive Therapie ist vielschichtig und richtet sich sowohl nach dem jeweiligen transplantierten Organ als auch nach dem Zustand des Organempfängers. Grundsätzlich erfolgt nach Transplantation eine initiale (hochdosierte) Induktionstherapie, die im weiteren Verlauf als Erhaltungstherapie fortgeführt wird. Im Spätverlauf (>1 Jahr) kann die Immunsuppression häufig mit einem Calcineurin-Inhibitor (Ciclosporin/Tacrolimus) allein, ggf. mit einem weiteren Medikament, durchgeführt werden. Das Bestreben ist es hierbei, die immun-suppressive Therapie und deren Nebenwirkungen soweit wie möglich zu reduzieren. Bei zu geringer Immunsuppression besteht das Risiko der Induktion von Abstoßungsreaktionen, bei zu hoch dosierter immunsuppressiver Therapie steigt das Risiko für Infektionen und im Langzeitverlauf insbesondere das Risiko für die Entwicklung von Malignomen (z. B. B-Zell-Lymphome) oder nephro- und neurotoxischen Nebenwirkungen. Zur Immunsuppression stehen Ciclosporin A, Tacrolimus, Prednisolon, Azathioprin, Mycophenolatmofetil, Antilymphozytenglobulin (ALG), Antithymozytenglobulin (ATG), OKT3 (CD3-Antikörper), Sirolimus und Everolimus, zur Induktionstherapie die Interleukin-2-Antikörper Basiliximab und Daclizumab zur Verfügung (. Tab. 15.2). Methotrexat und Cyclophosphamid haben bei der humoralen Immunantwort eine entsprechende Indikationsstellung. Bei überwiegend humoralen Abstoßungsreaktionen können noch die Plasmapherese und/oder Bestrahlungstherapie eingesetzt werden. Bei der Abstoßungstherapie erfolgt zunächst eine Methylprednisolon-Stoßtherapie mit jeweils 0,5–1 g/Tag i.v., in der Regel für 3 Tage, ggf. auch länger. In Einzelfällen genügt es, bei geringgradigen Rejektionen die Erhaltungsimmunsuppression zu erhöhen. Bei steroidresistenten Rejektionen erfolgt die Therapie mit ATG oder monoklonalen Antikörpern (5 mg OKT3) über 3 bis max. 10 Tage. In einigen Fällen hat sich bei häufigen oder steroidresistenten Rejektionen die Umstellung der immunsuppressiven Therapie von Ciclosporin A auf Tacrolimus oder die zusätzliche Gabe von Mycophenolatmofetil als erfolgreich erwiesen. Ciclosporin A Der 1976 entdeckte und seit 1981 im kli-
nischen Einsatz befindliche Calcineurininhibitor hemmt die Bildung von Interleukin-2 und somit die Proliferation von T-Lymphozyten nach Antigenstimulation. Es stellt eins der am häufigsten eingesetzten Immunsuppressiva nach Organtransplantation dar. Aufgrund der individuell unterschiedlichen Absorption und Metabolisierung in der
199 15.7 · Immunsuppressive Therapie
. Tab. 15.2 Immunsuppressiva nach Organtransplantation Substanz
Induktionstherapie
Erhaltungstherapie
Abstoßungstherapie
Ciclosporin A
+
+
–
Tacrolimus (FK506)
+
+
(+)
Azathioprin
+
+
–
Kortikosteroide
+
+
+
Mycophenolatmofetil
+
+
–
Sirolimus/ Everolimus
+
+
–
ALG/ATG
+
–
+
OKT3
–
–
+
Basiliximab, Daclizumab
+
–
–
in der Regel als drittes Medikament neben Ciclosporin und Prednisolon (Dreifachtherapie) zur Induktions- und Erhaltungstherapie eingesetzt. Es findet noch vereinzelt nach Herz- und Lungentransplantation Anwendung. Kortikosteroide Insbesondere Prednisolon und Methyl-
Leber erfolgt die Ciclosporin-A-Dosierung durch Messung des Ciclosporin-Talspiegels. Je nach transplantatiertem Organ werden unterschiedlich hohe poly- bzw. monospezifische Ciclosporin-Spiegel angestrebt (monospezifisch: 100–350 ng/ml). Nebenwirkungen des Ciclosporins sind vor allem Nephro- und Neurotoxizität (Tremor, Kopfschmerzen), arterielle Hypertonie, ein diabetogener Effekt, Hyperlipoproteinämie, Hirsutismus, Gingivahyperplasie und Osteoporose. Tacrolimus (FK506) Der 1984 entdeckte Calcineurininhibitor mit ähnlichem Wirkungsmechanismus wie Ciclosporin A wird neben der Induktions- und Erhaltungstherapie auch erfolgreich zur Abstoßungsbehandlung eingesetzt. Gegenüber Ciclosporin A hat Tacrolimus eine effizientere Wirkung bei der Verhinderung akuter und chronischer Abstoßungen nach Lebertransplantation gezeigt. Die Tacrolimus-Dosierung erfolgt hierbei auch nach Messung eines Blut-Talspiegels und in Abhängigkeit vom jeweils transplantierten Organ (5–20 ng/ml). Nebenwirkungen von Tacrolimus sind zum einen Nephro- und Neurotoxizität, eine stärkere diabetogene Wirkung als Ciclosporin A und gastrointestinale Beschwerden. Azathioprin Das seit 1961 im Einsatz befindliche Immun-
suppressivum verhindert relativ unspezifisch die Zellproliferation durch Alkylierung von DNA-Präkursoren und die Inhibition verschiedener Enzymsysteme. Es weist deshalb bei relativ moderater immunsuppressiver Wirkung eine erhebliche myelotoxische Wirkung auf und wird
prednisolon werden in der Initialtherapie eingesetzt, wegen der dosisabhängigen Nebenwirkungen (Diabetes, Osteoporose, arterielle Hypertonie, Hyperlipidämie, Wundheilungsstörungen, Hautatrophie, avaskuläre Knochennekrosen, Adipositas, Katarakt etc.) jedoch früh reduziert und nach Möglichkeit ausgeschlichen. Bei einer erforderlichen Langzeittherapie (>3–4 Monate) sollte die Dosierung unterhalb der sog. Cushing-Schwelle liegen. Einen besonderen Stellenwert besitzt der Einsatz der Kortikosteroide in der Behandlung von akuten zellulären Abstoßungsreaktionen mit Dosierungen von 0,5–1 g Methylprednisolon i.v./Tag. Mycophenolatmofetil Das Derivat der Mycophenolsäure besitzt eine höhere Selektivität für T- und B-Lymphozyten. Es wird zur Induktion, Erhaltungs- und Abstoßungstherapie zwischen 0,5–3 g/Tag eingesetzt. Wichtigste Nebenwirkungen sind gastrointestinale Beschwerden (Übelkeit, Erbrechen, Völlegefühl, Diarrhö und Knochenmarkdepression, insbesondere Thrombozytopenien). Es wird erfolgreich nach Herz-, Nieren- und Lebertransplantationen eingesetzt. Rapamycin (Sirolimus) Das Makrolid hemmt einerseits die
T-Zell-Proteinsynthese durch Kinaseninhibition (mTORInhibition) und andererseits die intrazelluläre Transduktion des Proliferationssignals, das durch die Bindung von Interleukin-2 an seinen Rezeptor verursacht wird. Da ein Einfluss auf die glatte Gefäßmuskulatur nachgewiesen wurde, könnte Rapamycin möglicherweise durch Hemmung der Intimaproliferation Einfluss auf chronische Abstoßungsreaktionen (Graftsklerose, Vaskulopathie) haben. Wichtige Nebenwirkungen sind die Knochenmarkdepression, ausgeprägte Leuko- und Thrombopenien, gastrointestinale Beschwerden (Übelkeit und Völlegefühl, Kopfschmerzen und, bei vorbelasteten Patienten, Migräneanfälle). Es wird für die Induktions- und Erhaltungstherapie nach Leber- und Nierentransplantation genutzt. Everolimus Ebenfalls als Makrolid konzipiert vermittelt Everolimus seine Wirkung auf ganz ähnliche Art und Weise wie Sirolimus. Antilymphozytenglobuline (ALG) bzw. Antithymozytenglobuline (ATG) Die Antiseren, richten sich gegen Oberflä-
chenmerkmale von Lymphozyten und wirken dadurch lymphozytotoxisch. Sie werden ausschließlich zur Induk-
15
200
Kapitel 15 · Allgemeine Transplantationsmedizin
tions- und Abstoßungstherapie eingesetzt. Durch sie kann kurzfristig eine starke Immunsuppression erreicht werden, die mit einer ausgeprägten Lymphopenie einhergeht. Die Nebenwirkungen bleiben hierbei meist auf Infektionen und allergische Reaktionen beschränkt. In Einzelfällen können anaphylaktoide Reaktionen bis hin zum anaphylaktischen Schock ausgelöst werden, da es sich um Fremdeiweiße handelt. Da sie zur Antikörperbildung führen, ist die Wirkung zeitlich begrenzt. OKT3 Der spezifische monoklonale CD3-Antikörper führt
durch Elimination und Blockade von T-Lymphozyten zu einer ausgeprägten Lymphopenie und daher zu einer sehr potenten, aber nur wenig selektiven Immunsuppression. Es findet nach steroidresistenten Abstoßungen Anwendung und muss unter Intensivüberwachung appliziert werden (anaphylaktoide Reaktionen). Da es sich um einen Mausantikörper handelt, kommt es zur Bildung von neutralisierenden Antikörpern. Interleukin-2-Antikörper (Basiliximab, Daclizumab) Die Antikörper reagieren mit den IL-2 Rezeptoren von aktivierten Lymphozyten. Sie haben eine höhere Selektivität als OKT3, führen jedoch auch zur Bildung von neutralisierenden Antikörpern. Sie werden u. a. für die Induktionstherapie nach Lebertransplantation genutzt.
15.8
15
Literatur
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16
Postoperativer Verlauf und seine Störungen – Chirurgische Intensivmedizin in der Viszeralchirurgie H. Bartels
16.1 Überwachung der Vitalfunktionen
– 202
16.1.1 Pulmonale Funktion – 203 16.1.2 Kardiovaskuläre Funktion – 203 16.1.3 Renale Funktion – 203
16.2 Überwachung des Operationssitus 16.3 Postoperative Komplikationen
– 204
– 205
16.3.1 Inzidenz und Prävalenz – 205 16.3.2 Zielgerichtete Diagnostik – 205
16.4 Therapie der Komplikationen 16.5 Literatur
– 206
– 208
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_16, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
202
16
Kapitel 16 · Postoperativer Verlauf und seine Störungen – Chirurgische Intensivmedizin in der Viszeralchirurgie
Moderne Chirurgie und Intensivmedizin bedingen sich gegenseitig. Große viszeralchirurgische Eingriffe (z. B. Ösophagektomie, Multiviszeralresektion, Lebertransplantation) sind ohne unterstützende intensivmedizinische Maßnahmen nicht denkbar. Zur Absicherung des postoperativen Verlaufs ist die Überwachung vitaler Organfunktionen unverzichtbar, ggf. müssen spezielle Therapieformen (z. B. Beatmung, Kreislauftherapie, extrakorporale Ersatzverfahren) zur Anwendung kommen. Es gilt, die schwere Belastung des Patienten durch Operation und Anästhesie schnellstmöglich zu überwinden und damit die Voraussetzung für ein erfolgreiches Gelingen des Eingriffs zu schaffen. Die eigentliche chirurgische Aufgabe ist die Überwachung des Operationssitus. Nach gastroenterologischen Eingriffen sind postoperative Komplikationen ganz überwiegend auf Störungen im Bereich des Operationssitus und benachbarter Areale (eigentliche chirurgische Komplikation) zurückzuführen. Dabei stellt die septische Komplikation die schwerste Belastung des postoperativen Verlaufs dar und ist heute als Hauptursache für postoperative Morbidität und Mortalität anzusehen. Somit kommt dem Komplikationsmanagement in der Viszeralchirurgie eine ganz besondere Bedeutung zu. Ziel aller Überwachungsmaßnahmen ist es, Störungen im postoperativen Verlauf frühestmöglich zu erfassen und diagnostische und therapeutische Maßnahmen einzuleiten, bevor sekundäre Organversagen auf die bereits eingetretene (septische) Komplikation hinweist. Sepsis, schwere Sepsis und septisches Multiorganversagen (MOV) – heute das eigentliche Problem in der chirurgischen Intensivmedizin – macht wiederum den gemeinsamen Einsatz aller intensivmedizinischen Maßnahmen erforderlich, die sich gegen die jeweils aktuellen Störungen der Vitalfunktionen richten. Die Intensivtherapie ist dabei nicht nur notwendige Unterstützung für aufwendige diagnostische oder operative Verfahren, sondern stellt geradezu die Voraussetzung dafür dar. Sie hat aber rein symptomatischen Charakter. Ihr Einsatz kann nur dann erfolgreich sein, wenn es gelingt, z. B. bei einer Anastomoseninsuffizienz durch aggressives interventionelles Vorgehen die Insuffizienz rasch nach außen zu drainieren und durch Ableitung von Gastrointestinalinhalt aus diesem Bereich die Kontamination begrenzt zu halten oder durch operative Intervention eine chirurgische Herdsanierung herbeizuführen.
16.1
Überwachung der Vitalfunktionen
Nach großen viszeralchirurgischen Eingriffen (z. B. Ösophagektomie, Multiviszeralresektion, Lebertransplantation) sind die vitalen Organfunktionen unmittelbar postoperativ immer gestört. Der chirurgische Patient reagiert auf den operativen Eingriff mit ganz spezifischen endokri-
nen, metabolischen und immunologischen Reaktionsmustern (Stressantwort). Ist das Operationstrauma nur gering, erfolgt in der Regel in kurzer Zeit die Wiederherstellung der metabolischen und immunologischen Homöostase. Ist das Operationstrauma aber massiv und länger anhaltend, kann dies zu ausgeprägten Veränderungen der endogenen Regulationsprozesse führen mit lebensbedrohlicher Rückwirkung auf den Gesamtorganismus (Hartl et al. 2003; Hotchkiss u. Karl 2003). Als auslösende Ursache für diese Homöostasestörungen werden heute die initiale Gewebeschädigung/Verletzung, der Ischämie/Reperfusionsschaden nach Hypoxieund Schockphasen und die intestinale Translokation diskutiert (Alverdy et al. 2003). Immunologisch zeigt sich dann eine systemische Hyperinflammation (SIRS: »systemic inflammatory response syndrom«) und metabolisch typische Veränderungen, die als Postaggressionssyndrom (Postaggressionsstoffwechsel) bezeichnet werden. Beide Phänomene können in einem Netzwerk sich gegenseitig regulierender Feed-back-Mechanismen über die Aktivierung zahlreicher zellulärer Komponenten zu Mikrozirkulationsstörungen auch in initial nicht betroffenen Organsystemen und progredienter Eiweißkatabolie führen und letztendlich in ein Multiorganversagen einmünden. Durch die genannten Mechanismen werden Immunmediatoren (z. B. Zytokine) freigesetzt, neuronale (z. B. Schmerz, Angst) und systemische Reaktionen (z. B. Tachykardie) getriggert und Barorezeptoren z. B. durch intravasale Flüssigkeitsverschiebungen stimuliert (Plank u. Hill 2000). Die Folge ist eine reaktive Ausschüttung von Hormonen, die der sympatho-adrenalen Achse (autonomes Nervensystem, Nebenniere) und Hypothalamus-Hypophysen Achse zuzuordnen sind. Dabei ist die sympathoadrenale Reaktion als zentraler Mechanismus zur schnellen Aktivierung von kardiovaskulären, respiratorischen und metabolischen Reaktionen entscheidend für das Überleben des Organismus (Hartl et al. 2003). Dementsprechend ist die aggressive Behandlung der systemischen Hyperinflammation vorrangig, während der Versuch die Eiweißkatabolie zu beeinflussen, eher von nachgeordneter Bedeutung ist (Bartels et al. 2008). Damit steht am Beginn aller Behandlungsmaßnahmen die effektive Schocktherapie durch Volumensubstitution und ausreichende Oxygenierung. Ziel muss es sein, in kürzester Zeit eine ausreichende nutritive Perfusion aller Organe wiederherzustellen und im weiteren Verlauf auch Hypotonie- und Hypoxiephasen zu vermeiden. Die Wirksamkeit einer effizienten Schocktherapie ist heute gut belegt (Rivers et al. 2001). Wenn irgend möglich sollte dabei auf die zusätzliche Anwendung von Katecholaminen (Vasopressoren) ganz verzichtet werden, wegen der damit verbundenen Gefahr der intestinalen Minderdurchblutung und sekundären Translokation (Meier-Hellmann 2000, Rensing u. Bauer 2001).
203 16.1 · Überwachung der Vitalfunktionen
. Tab. 16.1 Postoperative Überwachung: Vitalfunktionen Pulmonal
BGA, Pulsoxymetrie, Rönten-Thorax, Atemfrequenz, Atemmechanik, Atemgeräusche, (Respiratorüberwachung)
Kardiovaskulär
Puls, Blutdruck, EKG, hämodynamisches Monitoring, (Echokardiographie, Pulmonaliskatheter)
Hepatorenal
Urinausscheidung, Gallesekretion
Metabolisch
Temperatur, Laktat, BE, Bikarbonatverbrauch
Laborchemisch
BB, Gerinnung, Elektrolyte, Kreatinin, CK, GPT, Bilirubin, alkalische Phosphatase, α-Amylase
Die zur eigentlichen Überwachung der Vitalfunktionen erforderlichen Maßnahmen sind in der . Tab. 16.1 zusammengestellt. Werden zur Unterstützung und Aufrechterhaltung gestörter Funktionen invasive Verfahren der modernen Intensivmedizin benötigt (z. B. Beatmung, Kardiaka, Dialyse) beinhaltet das jeweilige Monitoring auch immer die Kontrolle der zur Anwendung kommenden Therapie. Bezüglich Indikation und Durchführung spezieller Therapieverfahren sei auf Lehrbücher der Intensivmedizin verwiesen. An dieser Stelle sollen nur einige grundsätzliche Gesichtspunkte Erwähnung finden.
16.1.1
Pulmonale Funktion
Chirurgischer Eingriff und Anästhesie verändern die Atemmechanik und den Gasaustausch im Sinne einer restriktiven Ventilationsstörung anhaltend bis in die postoperative Phase hinein. Auslösende Ursachen dafür sind Gasaustausch-Störungen, Depression des Atemzentrums und Veränderungen der Atemmechanik (The Akute Respiratory Distress Syndrome Network 2000). Ihre klinische Bedeutung liegt darin, dass nach großen Eingriffen der Patient nur unzureichend in der Lage ist, tief einzuatmen und effektiv abzuhusten. Das bewirkt auf der einen Seite eine verminderte Ventilation noch perfundierter Lungenabschnitte mit Entwicklung eines Rechts-/Links-Shunts und Hypoxämie, auf der anderen Seite Sekretretention, Infektion und Pneumonie. Dementsprechend sind die vorrangigen Behandlungsziele der respiratorischen Therapie die Verbesserung der Ventilation, Erlernen spezieller Hustentechniken und Sekretmobilisation.
Patient schnellstmöglich auf assistierte Beatmungsformen und dann auf Spontanatmung zurückgeführt werden muss (Manthous 2002).
Beim extubierten Patienten ist das gesamte Spektrum der physikalischen Therapie (z. B. Lagerung, Krankengymnastik, Mobilisation, apparative Maßnahmen zur Atemvertiefung) einzusetzen (Esteban et al. 2004). Grundvoraussetzung dafür ist aber ein weitgehend schmerzfreier und kooperativer Patient, der auch in der Lage sein muss, die geforderten Manöver immer wieder selbstständig durchzuführen. Damit ist die Schmerztherapie heute wesentlicher Bestandteil jeder postoperativen Nachbehandlung (Kehlet u. Holte 2001, Simanski u. Neugebauer 2003).
16.1.2
Die häufigsten Ursachen für Herz-Kreislauf-Instabilität im postoperativen Verlauf sind Restwirkung von Anästhetika (negativ-inotrope Wirkung), Tachykardie (Hypovolämie, Rhythmusstörung), Schmerz, Agitation, Kältezittern (erhöhter Sauerstoffverbrauch) und Imbalanzen im SäureBasen-und Wasser-Elektrolyt-Haushalt. Eine kontrollierte Aufwärmphase, ausreichende analgetische Therapie und Vermeidung von Hypoxie- und Hypotoniephasen hilft die Stressantwort zu minimieren (Grass 2005; Leitlinien der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Schmerztherapie 2007). Dies gilt vor allem für Patienten mit kardialer Risikoerhöhung (American Society of Anesthesiology 2002) und nach Operationen, die als »high risk surgery« klassifiziert werden, d. h. Eingriffen mit langen Operationszeiten, großen Flüssigkeitsverschiebungen und hohem Blutverlust (Eagle et al. 2002). Neben den Routine-Überwachungsparametern liefert die Echokardiographie bei speziellen Fragestellungen zusätzliche Informationen über Herzfüllung und Kontraktilitätsmuster. Darüber hinaus können durch ein erweitertes hämodynamisches Monitoring andere Determinanten der Herz-Kreislauffunktion wie Vorlast, Kontraktilität und Nachlast erfasst und auch gezielt therapeutisch beeinflusst werden. Diese Überwachung mit einem Pulmonalis-Katheter (Swan-Ganz-Katheter) oder in PICCO-Technik ermöglicht, dass bei korrekter Messerhebung und Interpretation der Daten wertvolle Hinweise für relevante Therapieentscheidungen zur Verfügung stehen.
16.1.3 > Für eine postoperative Nachbeatmung gilt, dass zur Vermeidung von Spätkomplikationen (z. B. Pneumonie, Thromboembolie, Dekubitus) der 6
Kardiovaskuläre Funktion
Renale Funktion
Die Niere ist postoperativ Zielscheibe einer Reihe von neuroendokrinen Reaktionen mit negativer Rückwirkung auf die glomerulären und tubulären Funktionen. Damit ist
16
204
Kapitel 16 · Postoperativer Verlauf und seine Störungen – Chirurgische Intensivmedizin in der Viszeralchirurgie
das Nierenversagen ein multifaktoriell verursachtes klinisches Syndrom, charakterisiert durch die abrupte jedoch prinzipiell reversible Abnahme der Urinproduktion bei gleichzeitiger Akkumulation von Stoffwechselendprodukten und Störungen im Wasser-Elektrolyt- und Säuren-Basen-Haushalt. > Das prärenale Versagen ist Folge von Hypovolämie, Druckabfall und Hypoxämie, das renale Versagen ist die »Niere als Opfer« bei Sepsis oder in Folge von tubulotoxischen Noxen (z. B. Antibiotika, Röntgenkontrastmittel).
16
Das postrenale Versagen, bedingt durch Obstruktion der ableitenden Harnwege oder Katheterkomplikationen, dürfte heute in der Intensivmedizin diagnostisch und therapeutisch kein eigentliches Problem mehr darstellen. Daraus ergibt sich für das postoperative Management erneut die Forderung nach einer suffizienten Volumentherapie und ausreichenden Oxygenierung. Die Indikation für Vasopressoren ist kritisch zu stellen (Vasokonstriktion!) und der Einsatz nephrotoxischer Substanzen (z. B. Antibiotika) sollte nur unter laufender Serum-Spiegelkontrolle durchgeführt werden. Die Infusionstherapie muss zur Aufrechterhaltung einer ausreichenden Nierenfunktion den Basisbedarf an Wasser und Elektrolyten, den Korrekturbedarf bei eingetretenen Verlusten und darüber hinaus die Bereitstellung notwendiger Bau- und Nährstoffe berücksichtigen, die dem gesteigerten Energiebedarf im Postaggressionsstoffwechsel und dem jeweiligen Ausmaß der Katabolie angepasst sind (Marek u. Zagola 2002; Tüller u. Marsch 2002). Im klinischen Alltag ist die stündliche Urinausscheidung ein sehr genauer Parameter zur globalen Überwachung der Vitalfunktionen im postoperativen Verlauf. Sistiert die Urinausscheidung und sind vordergründig andere Erklärungen dafür (z. B. Hypovolämie, Herzinsuffizienz, respiratorische Acidose) ausgeschlossen, muss immer und zuerst an Störungen im Bereich des Operationssitus gedacht und unverzüglich eine entsprechende Diagnostik eingeleitet werden.
16.2
Überwachung des Operationssitus
Die postoperative Überwachung hat grundsätzlich die Risikosituation des Patienten, Ausmaß und Dauer der Operation und eingriffsspezifische Besonderheiten mit den sich daraus ergebenden möglichen Veränderungen und Komplikationen zu berücksichtigen. Nach viszeralchirurgische Eingriffen gibt der intraoperative Situs die besten Hinweise auf die möglichen postoperativen Komplikationen. Der erfahrene Chirurg weiß das und gibt diese Information auf die Intensivstation weiter (Siewert et al. 2004).
Das bedeutet, dass im postoperativen Management die unten aufgeführten Maßnahmen zur Überwachung des Operationssitus unbedingt mit Berücksichtigung finden müssen. Postoperative Überwachung: Operationssitus 4 Wiederholte klinische Untersuchung (Inspektion, Palpation, Auskultation) 4 Röntgen-Thorax, Sonographie, Endoskopie, (Bronchoskopie, Duplexsonographie) 4 Wundkontrolle, Beurteilung von Sekreten aus Drainagen und Sonden 4 Temperaturverlauf, Laboranalysen 4 Beurteilung von Compliance, Kooperationsfähigkeit und Belastbarkeit z. B. beim Mobilisationsversuch
Dabei kommt der wiederholten physikalischen Untersuchung und Befunderhebung eine zentrale Bedeutung zu. So können durch Inspektion, Palpation und Auskultation u.a. Abwehrspannung, Schmerzlokalisation, Distension des Abdomens, Peristaltik, Darmparalyse, Wundsituation, aber auch Hautemphysem, Hydratationszustand und Venenfüllung erfasst werden. Und es gilt, den Patienten immer wieder hinsichtlich seiner Bewusstseinslage, Kooperationsfähigkeit und Belastbarkeit z. B. bei Mobilisationsversuchen zu beurteilen. Die Menge und Zusammensetzung von Drainagesekreten muss kontrolliert werden (cave: Dislokation der Drainagen, Verstopfung durch Blutkoagel). Laborchemische Analysen geben Hinweise auf pathologische Veränderungen wie Blutung (Hb), intestinale Leckage (α-Amylase), Pankreasfistel (α-Amylase) oder Gallefistel (Bilirubin). Nach hepatobiliären Eingriffen ist ggf. die Gallesekretion nach außen ein mit entscheidender Parameter zur Beurteilung der Leberfunktion. Ein gesteigerter Reflux über die Magensonde lässt intestinale Motilitätsstörungen erfassen und kann in seltenen Fällen bei blutigem Reflux beweisend für eine intraluminale Blutung sein. Die Sonographie steht weiterhin im Mittelpunkt des operierten Abdomens und erlaubt Beurteilung und Verlaufskontrolle von Veränderungen an parenchymatösen Organen (z. B. Hämatom) und macht intraabdominelle und intrathorakale Flüssigkeitsansammlungen sichtbar. Die Asservierung dieser Flüssigkeiten (z. B. Blut, Aszites, Intestinalinhalt) gelingt durch schallgezielte Feinnadelpunktion. Die Röntgen-Thoraxaufnahme kann neben der Beurteilung von Herz und Lunge entscheidende Zusatzinformationen liefern wie Zwerchfellhochstand, Mediastinalemphysem, Erguss, Pneumothorax oder Überblähung des Interpositionsorgans nach Ösophagusersatz. Spezielle
205 16.3 · Postoperative Komplikationen
Fragestellungen lassen sich duplexsonographisch oder angiographisch (z. B. Leberdurchblutung), endoskopisch (z. B. Anastomoseninsuffizienz, Interponatdurchblutung) oder nach trachealwandnahen Resektionen bronchoskopisch (z. B. tracheale Läsion, Bronchusfistel) überprüfen. In klinisch nicht eindeutigen Situationen müssen diese Untersuchungen und Analysen in kurzen Zeitabständen wiederholt werden. Nur so lassen sich Veränderungen rasch erfassen und objektivieren. Häufig liefern Zusatzinformationen wie Temperaturverlauf, metabolische Acidose, veränderte Stoffwechselsituation (z. B. gesteigerter Insulinbedarf, Laktatanstieg), Kreislaufinstabilität oder Oligo-Anurie entscheidende Hinweise. Insofern ist die Überwachung von Vitalfunktionen und die Überwachung des Operationssitus nicht voneinander zu trennen und sollte im Idealfall in der gemeinsamen Verantwortung eines erfahrenen Chirurgen liegen (Bartels 2009).
16.3
Postoperative Komplikationen
> Ziel der postoperativen Überwachung ist es, Komplikationen frühzeitig zu erkennen, bevor sekundäre Organversagen auf die bereits eingetretene Katastrophe hinweisen.
Das bedeutet, dass schon beim ersten Verdacht auf das Vorliegen einer Komplikation eine zielgerichtete Diagnostik eingeleitet werden muss. In der Regel entstehen Probleme nicht aus der Komplikation selbst, sondern aus dem Umgang mit ihr, d. h. aus der zu spät erfolgten Diagnostik und inadäquaten Therapie (Siewert et al. 2004). Bei jedem Ereignis, das vom erwarteten glatten postoperativen Verlauf abweicht, muss der Verdacht auf eine Komplikation geäußert werden. Solche Ereignisse sind u. a.: 4 Laborchemische Veränderungen (z. B. Leukozytose, Leukozytopenie, Thrombozytopenie, Anstieg der Retentionswerte, Hyperbilirubinämie) 4 Störungen der Vitalfunktionen (pulmonal, kardiovaskulär, hepatorenal), für die es vordergründig keine andere Erklärung gibt 4 Pathologische Röntgenbefunde (z. B. Röntgen-Thorax), sonographisch Nachweis von Flüssigkeitsretention 4 Änderung der Bewusstseinslage des Patienten (z. B. Apathie, Unruhe, Verwirrtheit) und seiner Belastbarkeit in Mobilisationsphasen 4 Veränderungen in Drainageflüssigkeiten, pathologisches Wundsekret, Darmparalyse, Erbrechen, Fieber Das Auftreten dieser Symptome – einzeln oder in Kombination – muss bei entsprechender Beurteilung der klinischen Gesamtsituation immer Anlass für eine zielgerichtete Diagnostik sein.
16.3.1
Inzidenz und Prävalenz
Eine prospektive Dokumentation und Analyse der postoperativen Verläufe von über 9000 Patienten mit großen viszeralchirurgischen Eingriffen im eigenen Krankengut zeigt, dass in ca. 10% der Fälle Komplikationen überhaupt auftreten. Dabei finden sich chirurgische (d. h. operationstechnisch-bedingte) Komplikationen fünfmal häufiger als allgemeine (nicht chirurgische) Komplikationen. Bei den chirurgischen Komplikationen stehen die septischen Komplikationen weitaus an erster Stelle, die überwiegend auf eine Anastomoseninsuffizienz zurückzuführen sind und bereits am dritten postoperativen Tag auftreten können (Bartels 2009). Auch bei einem technisch problemlosen Verlauf der Operation muss somit immer an eine Anastomoseninsuffizienz gedacht werden, dies gilt erst recht bei schwierigem oder technisch unbefriedigendem Operationsablauf (Informationspflicht des Operateurs). Damit orientiert sich die Diagnostik bei einem gestörten postoperativen Verlauf an der Art des vorangegangenen Eingriffes, am Zeitpunkt des Auftretens der Komplikation und an der Wahrscheinlichkeit des zugrunde liegenden Problems. Vorrangig muss das Vorliegen einer chirurgischen Komplikation ausgeschlossen werden, bevor seltenere Differenzialdiagnosen erwogen werden.
16.3.2
Zielgerichtete Diagnostik
Grundsätzlich bieten bettseitige Untersuchungsverfahren den Vorteil, dass sie einfach durchführbar sind, beliebig oft wiederholt werden können und eine rasche Information liefern. Damit entfällt der häufig aufwändige und risikoreiche Transport in Diagnoseeinheiten mit der Schwierigkeit, laufende Überwachungs- und Therapiemaßnahmen kontinuierlich weiterzuführen. Die entsprechenden Verfahren einer zielgerichteten Diagnostik bei Verdacht auf Vorliegen von postoperativen Komplikationen sind in der Übersicht zusammengestellt. Zielgerichtete Diagnostik bei postoperativen Komplikationen 4 Bettseitige Diagnostik – Klinische Beurteilung – Sekret aus Drainagen (Intestinalsekret?) – Sonographie (Flüssigkeitsretention?) – Endoskopie (Durchblutung?, Fistel?) – Anastomosenkontrolle mit Gastrografin 6
16
206
Kapitel 16 · Postoperativer Verlauf und seine Störungen – Chirurgische Intensivmedizin in der Viszeralchirurgie
4 Externe Diagnostik – CT (Flüssigkeitsretention?, Fistelstraßen?) – Interventionelle Angiographie 4 Chirurgische Diagnostik – Diagnostische Laparotomie
16
Der einfachste Nachweis einer Anastomoseninsuffizienz gelingt über die Differenzierung von Wundsekreten und Drainageflüssigkeit. Die Diagnose ist gesichert, wenn sich Intestinalinhalt direkt oder als Marker ein Farbstoff über die Zieldrainage entleert. Darüber hinaus kann die laborchemische Analyse mit Bestimmung der a-Amylase Hinweise auf die Höhenlokalisation der Leckage geben. Die Passageprüfung mit Gastrografin als dynamische Untersuchung liefert insofern mehr Informationen, weil eine quantitative Beurteilung der Insuffizienz möglich wird. Gleichzeitig kann dargestellt werden, wohin die Insuffizienz drainiert und ob die Drainageableitung nach außen suffizient ist. Diese Aussage ist von entscheidender Bedeutung für die weitere Therapieplanung. Die Bedeutung der Ultraschallsonographie liegt darin, dass in Kenntnis des Operationssitus gezielt nach freier Flüssigkeit und freier Luft gefahndet werden kann und – bei konservativem Behandlungsversuch – eine Verlaufskontrolle jederzeit möglich wird. Untersuchungstechnisch erschwert ist die Sonographie allerdings bei ausgeprägtem Meteorismus, bei extremer Adipositas des Patienten, bei abdominellen Drainagen und Wund – (Bauchwand-) Defekten. Endoskopisch kann der Vitalitätsnachweis von Anastomosen geführt werden. Es wird z. B. beurteilt, wie die Schleimhautdurchblutung eines Interponats ist, ob eine Insuffizienz vorliegt, wie groß sie ist und welche Heilungstendenz sie im Verlauf zeigt. Für die Computertomographie gilt die gleiche Fragestellung wie bei der Sonographie. Der Vorteil dieses Verfahrens liegt aber in der von der Erfahrung des Untersuchers unabhängigen objektiven Befunddokumentation, semiquantitativen Dichtemessung(z. B. Differenzialdiagnose: Hämatom/Abszess) und darin, dass eine Beurteilung auch dann möglich ist, wenn eine sonographische Befundung nicht gelingt. Die Angiographie ist die Untersuchungsmethode der Wahl bei Blutungskomplikationen. Neben der genauen Blutungslokalisation bietet sie vor allem die Möglichkeit der gleichzeitigen interventionellen Blutstillung durch Embolisation oder Überbrücken der entsprechenden Gefäßabschnitte mit gecoverten Stents. Wenn es aber nicht gelingt, mit den angegebenen Diagnoseverfahren ein morphologisches Korrelat für die klinische Situation des Patienten zu liefern, bleibt als Ultima
Ratio die diagnostische Laparatomie. Sie ist auch heute noch eines der wichtigsten diagnostischen Prinzipien in der Viszeralchirurgie. Im eigenen Krankengut konnte in über 60% der Fälle allein mit bettseitiger Diagnostik die Art der vorliegenden Komplikation gesichert werden (Bartels 2009). Nur ein Drittel der Patienten benötigte dazu stationsexterne Diagnoseeinheiten und knapp 5% mussten ohne vorherige Diagnosesicherung laparotomiert werden. Diese Zahlen unterstreichen, dass das chirurgische »Know-how« für den Patienten in der postoperativen Phase von entscheidender Bedeutung ist (Schumpelik u. Siewert 2006). Der Chirurg weiß, was nach einer Operation passieren kann und wann das Ereignis erfahrungsmäßig auftreten wird, da er die Schwachstellen der jeweiligen Operation am besten kennt. Er beherrscht die adäquaten Diagnoseverfahren (z. B. Endoskopie, Sonographie, Beurteilung von Drainagesekreten) und verfügt in enger Kooperation mit Endoskopikern und interventionellen Radiologen über die geeigneten Therapiemöglichkeiten.
16.4
Therapie der Komplikationen
Die therapeutischen Konsequenzen sind meist »selbstevident«, wenn die Diagnose gestellt ist. Bei der frühen postoperativen Nachblutung muss bei entsprechender Blutungsintensität schnellstmöglich eine operative Blutstillung erfolgen Aufgabe der Intensivmedizin dabei ist, bis zum Operationszeitpunkt eine ausreichende Kreislauffunktion und Oxygenierung aufrecht zu erhalten. Hinsichtlich der postoperativ-septischen Komplikationen hat sich das therapeutische Spektrum heute durch Fortschritte der interventionellen Radiologie grundsätzlich erweitert. Bei intraabdominellen Abszessen ist die CT-gesteuerte perkutane Abszessdrainage (PAD) heute die Therapie der Wahl. Dafür sprechen die hohe Erfolgsrate von über 80% – definiert als suffiziente Abszessdrainage ohne nachfolgende chirurgische Reintervention –, die geringe Komplikationsrate von <5%, vor allem aber die weitaus geringere Invasivität im Vergleich zur Relaparotomie (Theisen et al. 2005). Als ideale Indikationen gelten abgekapselte Retentionen parakolisch, perihepatisch und subphrenisch rechts. Eine operative Therapie ist aber auch weiterhin primär erforderlich bei der generalisierten Peritonitis, bei Abszessen die von einer ausgedehnten Insuffizienz/Fistel unterhalten werden und bei der frühen Anastomoseninsuffizienz. Indikationen für eine sekundäre chirurgische Therapie sind nicht erfolgreiche Abzessdrainagen, d. h. trotz PAD-Kontrolle/Korrektur ausbleibende klinische Besserung und persistierende abdominelle Sepsis über 48 h hinaus (Theisen et al. 2005).
207 16.4 · Therapie der Komplikationen
Ein spezielles Problem stellen Nahtinsuffizienzen im Gastrointestinaltrakt dar, die weitaus häufigste und auch schwerwiegendste Komplikation nach viszeralchirurgischen Eingriffen (Siewert et al. 2004). Die Diagnostik erfolgt bei proximaler oder distaler Lokalisation der Anastomose von intestinal, d. h. mittels Endoskopie. Etwaige Bedenken bezüglich der Zerstörung der Integrität der Anastomose durch die postoperative Endoskopie sind nicht gerechtfertigt. Bei Minimierung der Luftinsufflation während der Endoskopie ist auch die Gefahr der Vergrößerung einer bestehenden Leckage oder die Ausbreitung der Kontamination ins Abdomen, Mediastinum oder die Pleurahöhlen nicht gegeben. Vielmehr kann nur die Endoskopie die wesentlichen Informationen zu den Durchblutungsverhältnissen im Bereich der Anastomose, zum etwaige Vorliegen einer Interponatnekrose oder der Ausdehnung einer Anastomoseninsuffizienz/Dehiszenz liefern. Darüber hinaus ermöglicht sie eine innere Wundtoilette (u. a. durch Abziehen von Nekrosen) und – in gleicher Sitzung – die Einlage einer enteralen Ernährungssonde und ggf. weiterer Sonden zum Absaugen von Intestinalinhalt aus dem Insuffizienzbereich (Siewert et al. 2004). Sekundär erfolgt dann – wie auch bei allen endoskopisch nicht erreichbaren Insuffizienzen – die Umgebungsdiagnostik mittels Röntgenkontrastdarstellung und Computertomographie. Diese dient dem Nachweis von Fistelstraßen, von Flüssigkeitsretentionen und der Beurteilung des Abflusses von ausgetretenem Kontrastmittel und Gastrointestinalinhalt über liegende Drainagen. Ggf. können dabei auch Drainagen gezielt lagekorrigiert oder neue Zieldrainagen platziert werden (Bartels 2009). Bezüglich der speziellen Problematik des Managements von Anastomoseninsuffizienzen im Bereich des oberen Gastrointestinaltraktes (Siewert et al. 2004), des unteren Gastrointestinaltraktes (Willis et al. 2004) und im biliopankreatischen Bereich (Hopt et al. 2004) sei auf die detaillierten Darstellungen der genannten Autoren hingewiesen. Eine allgemein akzeptierte Definition und Klassifikation der Anastomoseninsuffizienz im Gastrointestinaltrakt existiert derzeit nicht (Bruce et al. 2001). Das behindert den Vergleich publizierter Ergebnisse und erklärt auch die oft extremen Unterschiede in der Rate der berichteten Anastomoseninsuffizienzen. Dementsprechend reicht das Spektrum der Therapieoptionen von der alleinigen Drainagebehandlung über endoskopische Intervention mit Fistelklebung, endoskopischen Clipverschluss oder Stentplatzierung bis hin zur Reoperation mit Nachresektion und Neuanlage der Anastomose bis hin zur Diskontinuitätsresektion (Doniec et al. 2003; Schein u. Marshall 2004; Siewert et al. 2004; Bartels 2009). In der eigenen Erfahrung hat sich eine einfache Klassifikation bewährt (Siewert et al. 2004). Sie berücksichtigt
. Tab. 16.2 Klinische Klassifikation der Anastomoseninsuffizienz und deren therapeutische Konsequenz Einteilung
Befund
Konsequenzen
Grad I
Gut drainiert, ohne Sepsis
Konservative Therapie
Grad II
Ausreichend drainiert, aber ohne Sepsis
Ausschaltung aus der Intestinalpassage
Grad III
Unzureichend/nicht drainiert, mit Sepsis
Revision zur Herdsanierung
nur die beiden für das weitere Management wesentlichen Fragen: 4 Ist die Insuffizienz gut drainiert oder drainierbar? 4 Liegen Zeichen einer Sepsis vor? Hieraus ergeben sich dann unmittelbar therapeutische Konsequenzen (. Tab. 16.2). > Primäres Behandlungsziel ist immer die rasche und suffiziente Drainage der Insuffizienz und aller Verhalte nach außen, sowie die Verhinderung einer weiteren Kontamination durch Ableitung von Gastrointestinalinhalt aus dem Bereich der Insuffizienz.
Bei gut drainierter Insuffizienz und Fehlen jeglicher septischer Allgemeinreaktionen (Insuffizienz Grad I) ist der Versuch eines konservativen Vorgehens gerechtfertigt. Ausbleibende Verbesserung oder gar Verschlechterung des klinischen Bildes muss beim konservativen Vorgehen jedoch immer Anlass zur erneuten aggressiven Diagnostik und ggf. zur Intervention sein. Bei Patienten mit zwar gut drainierter Insuffizienz, aber klinischen Zeichen einer Sepsis (Insuffizienz Grad II) muss von einem persistierenden Flüssigkeitsverhalt ausgegangen werden. Hier ist eine Neutralisation der Insuffizienz erforderlich. Diese ist möglich – je nach Lokalisation der Insuffizienz – z. B. durch Anlage eines zervikalen T-Rohrs in den Ösophagus, Anlage einer Speichelfistel, Überbrückung der Insuffizienz durch intestinale Stents, bei Duodenalstumpf-Insuffizienz oder Insuffizienz von biliodigestiven Anastomosen durch perkutane Gallengangsdrainagen oder bei Insuffizienzen im unteren Gastrointestinaltrakt durch Vorschalten von Stomata. Unzureichend drainierte oder drainierbare Insuffizienzen mit Sepsis (Insuffizienz Grad III) bedürfen immer einer operativen Revision mit dem Ziel der chirurgischen Herdsanierung, ggf. auch durch Diskontinuitätsresektion.
16
208
Kapitel 16 · Postoperativer Verlauf und seine Störungen – Chirurgische Intensivmedizin in der Viszeralchirurgie
> Somit ist der Schlüssel zum erfolgreichen Management einer Anastomoseninsuffizienz die rasche und gezielte Diagnostik bei jeder Störung des normalen komplikationslosen postoperativen Verlaufs und die aggressive Intervention bei Nachweis der Insuffizienz. Therapieziel dabei ist, die Kontamination zu begrenzen und den septischen Verlauf günstig zu beeinflussen. Das ist heute aber nur möglich in enger Kooperation zwischen Chirurgen, Intensivmedizinern, Endoskopikern und interventionellen Radiologen.
16.5
16
Literatur
Alverdy JC, Laughlin RS, Wu L et al. (2003) Influence of the critically ill state on host-pathogen interaction within the intestinae: Gut derived sepsis redefined. Crit Care Med 31:598–607 American Society of Anesthesiology (2002) Task force on preanesthesia evaluation. Anesthesiology 96/2:485–496 Bartels H, Lägle F, Kührer J (2008) Perioperative Ernährung. In: Gnant M, Schlag MP (Hrsg.) Chirurgische Onkologie – Strategien und Standards für die Praxis. Springer, Berlin Heidelberg New York, S. 55–66 Bartels H (2009) Spezielle Gesichtspunkte postoperativer Komplikationen in der Viszeralchirurgie. Chirurg 80: 780–789 Bruce J, Krukowski ZH, Al-Kheiry et al. (2001) Systemic review of the definition and measurement of anastomotic leak after gastrointestinal surgery. Br J Surg 88: 1157–1168 Doniec JM, Schriewind B, Kahle V et al. (2003) Therapy of anastomotic leaks by means of covered self-expending metallic stents after esophago-gastrectomy. Endoscopy 35: 652–658 Eagle KA, Berger PB, Calkins HH et al. (2002) American College of Cardiology (ACC)/American Heart Association (AHA) Guideline update for perioperative cardiovascular evaluation for noncardiac surgery – executive summary. Circulation 105/10: 1257–1267 Esteban A, Frutuzs F, Ferguson ND et al. (2004) Noninvasive positivepressure ventilation for respiratory failure after extubation. N Engl J Med 10: 2452–2460 Grass JA (2005) Patient-controlled analgesia. Anaesth Analg 101:44– 61 Hartl WH, Ritter P, Jauch KW (2003) Metabolische und endokrine Besonderheiten beim operativen Intensivpatienten – Konsequenzen für die Therapie. In: Eckart J, Forst H, Buchardi H (Hrsg.) Intensivmedizin VI. Ecomed, LF 6: 1–28 Hopt UT, Makowiec F, Adam U (2004) Nahtinsuffizienz im biliopankreatischen Bereich. Chirurg 75: 1071–1078 Hotchkiss RS, Karl JE (2003) The pathophysiology and treatment of sepsis. N Engl J Med 348: 138–150 Kehlet H, Holte K (2001) Effects of postoperative analgesia on surgical outcome. Br J Anesth 87: 62–72 Leitlinien der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Schmerztherapie (DIVS) (2007) Behandlung akuter perioperativer und posttraumatischer Schmerzen. AWMV – Leitlinien Register Nr. 041/001 Manthous CA (2002) The anarchy of weaning techniques. Chest 121: 1738–1740 Marek PE, Zagola GP (2002) Early enteral nutrition in actually ill patients: a systemic review. Crit Care Med 29: 2264–2270 Meier-Hellmann A (2000) Katecholamintherapie in der Sepsis. Anästhesist 49: 1069–1076
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17
Ambulante Chirurgie R. Lorenz
17.1 Definition
– 210
17.2 Gesetzliche Grundlagen 17.3 Voraussetzungen 17.4 Operationen
– 210
– 210
– 210
17.5 Derzeitiger Stand und Zukunft des ambulanten Operierens – 211 17.6 Literatur
– 213
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_17, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
210
Kapitel 17 · Ambulante Chirurgie
17.1
Definition
»Umhergehen, wandern« ist laut Duden die Übersetzung des Wortes »ambulant« aus dem Lateinischen. Im Zusammenhang mit ambulanten Operationen ist damit gemeint, dass Patienten sowohl die Nacht vor als auch die Nacht nach der Operation zu Hause verbringen können. Das ambulante Operieren ist die 3. Säule im Gesundheitswesen – neben der stationären Versorgung (Krankenhausaufnahme mit mindestens einer Übernachtung) und der ambulanten Versorgung. Diese dritte Säule gewinnt heute zunehmend an Bedeutung, weil alle Beteiligten im Gesundheitswesen aufgefordert sind, die Kosten zu senken.
17.2
Gesetzliche Grundlagen
> Ambulante Operation: Aufnahme + Operation + Entlassung am gleichen Tag
17
Zwischen den Spitzenverbänden der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), der Deutschen Krankenhausgesellschaft e.V. (DKG) und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) wurde erstmals am 15. Juli 2003 ein dreiseitiger Vertrag nach § 115b Abs. 1 SGB V – Ambulantes Operieren und stationsersetzende Eingriffe im Krankenhaus (AOP-Vertrag) – geschlossen. Dieser trat am 01. Januar 2004 in Kraft und löste den seit 1993 bestehenden Vertrag »Ambulantes Operieren im Krankenhaus« ab. Krankenhäuser dürfen nach diesem Vertrag alle im AOPKatalog genannten Operationen und stationsersetzenden Eingriffe nur noch ambulant durchführen. Aufgrund von Änderungen bei der OPS-Kodierung sowie der Kündigung des AOP-Vertrages durch die Spitzenverbände der Krankenkassen zum 31. Dezember 2009 war eine Neuverhandlung dieses Vertrages nötig. Der neue AOP-Vertrag trat am 01. Januar 2010 in Kraft und gilt bis zum 31. Dezember 2010. Die Neufassung des Kataloges umfasst nun auch eine Klarstellung in den Grundsätzen, dass die Erbringung der Leistungen nach § 115b SGB V auch im Rahmen der nach dem Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄG) zulässigen neuen Kooperationsformen möglich ist. Eine weitere inhaltliche Überarbeitung des Leistungskataloges ist zum 01. Januar 2011 vorgesehen (Soleimanian 2010). Der Vertrag zielt darauf ab, auf Basis des § 39 SGB V zur Vermeidung nicht notwendiger vollstationärer Krankenhausbehandlung eine patientengerechte und wirtschaftliche Versorgung zu sichern und die Kooperation zwischen niedergelassenen Bereich und Krankenhausbereich zu verbessern, einschließlich der gemeinsamen Nutzung von Operationskapazitäten im Krankenhaus (§ 115b SGB V).
17.3
Voraussetzungen
In der Vereinbarung von Qualitätssicherungsmaßnahmen bei ambulanten Operationen und stationsersetzenden Eingriffen einschließlich der notwendigen Anästhesien gemäß § 115b Abs. 1, Satz 1 Nr. 3 SGB V (Fassung vom 18. September 2006) sind alle Voraussetzungen für das ambulante Operieren zusammengefasst. Voraussetzungen für das ambulante Operieren 4 Fachliche Befähigung und Assistenz (Eingriffe gemäß § 115b SGB V sind nach dem Facharztstandard zu erbringen) 4 Organisatorische, bauliche, apparativ- technische und hygienische Anforderungen – Ständige Erreichbarkeit der Einrichtung und/ oder des Operateurs bzw. behandelnden Arztes des Patienten – Dokumentation der ausführlichen und umfassenden Information des Patienten – Geregelter Informations- und Dokumentenfluss zwischen den beteiligten Ärzten – Anwendung fachgerechter Reinigungs- Desinfektions- und Sterilisationsverfahren – Sachgerechte Aufbereitung der Medizinprodukte 4 Qualitätssicherung
17.4
Operationen
Der Katalog der ambulant durchzuführenden Eingriffe hat sich seit Einführung des §115 SGB V deutlich vergrößert. Er umfasst sowohl Eingriffe und Operationen in Lokalanästhesie als auch in Narkose. Alle erfassten Leistungen werden in zwei Kategorien unterteilt: 4 Leistungen, die in der Regel ambulant erbracht werden können (mit Ziffer »1« gekennzeichnet) 4 Leistungen, die sowohl ambulant als auch stationär erbracht werden können (mit Ziffer »2« gekennzeichnet) In . Tab. 17.1 sind alle wesentlichen Leistungen aus dem Gebiet der Viszeralchirurgie zusammengefasst. Die Spitzenverbände der Krankenkassen und die DKG haben darüber hinaus einen Katalog von Ausnahmekriterien für die stationäre Behandlung (G-AEP) erstellt. Diese G-AEP-Kriterien sollen Transparenz darüber schaffen, wann eine stationäre Behandlung erforderlich ist (. Tab. 17.2).
211 17.5 · Derzeitiger Stand und Zukunft des ambulanten Operierens
. Tab. 17.1 AOP-Katalog nach § 115 SGB V (Auszug) Leistung
OPS-Kodes
Ziffer
Exzision einzelner Lymphknoten inguinal ohne Markierung
5-401.50
1
Exzision von Lymphknoten inguinal mit Markierung (Sentinel)
5-401.51ff
2
Adhäsiolyse laparoskopisch
5-469.21
2
Analfisteloperation: submukös
5-499.15
1
Analfisteloperation: intersphinktär
5-499.11
2
Hämorrhoidenoperation
5-493.2ff.
2
Leistenhernienoperation (offen mit und ohne Netz)
5-530.1, 5-530.30
1
Leistenhernienoperation (TAPP/TEP)
5-530.31, 5-530.32
2
Rezidiv-Leistenhernienoperation
5-530.50ff.
2
Nabelhernienoperation (ohne Netz)
5-534.1
1
Nabelhernienoperation (mit Netz)
5-534.30ff.
2
Narbenhernienoperation
5-536.0 ff.
2
Lokale Hautlappenplastik Bauchregion, kleinflächig
5-903.1b
1
Lokale Hautlappenplastik Bauchregion, großflächig
5-903.6b
2
Endoskopische Biopsie an oberem Verdauungstrakt, Gallengängen und Pankreas: Gallengänge
1-440.6
2
Endoskopische Biopsie an oberem Verdauungstrakt, Gallengängen und Pankreas: Sphincter Oddi und Papilla duodeni major
1-440.7
1
Endoskopische Biopsie an oberem Verdauungstrakt, Gallengängen und Pankreas: Pankreas
1-440.8
2
Endoskopische Biopsie unterer Verdauungstrakt: Stufenbiopsien
1-444.6
2
Endoskopische Biopsie unterer Verdauungstrakt: 1–5 Biopsien
1-444.7
1 (Erwachsener) 2 (Kind)
Koloskopie
1-650.0ff.
1 (Erwachsener) 2 (Kind)
ERCP
1-640, 1-641, 1-642
1
Lokale Exzision z. B. Polypektomie Dickdarm endoskopisch
1.452.20ff.
2 (Kind stationär)
17.5
Derzeitiger Stand und Zukunft des ambulanten Operierens
Die Weiterentwicklung technischer Möglichkeiten in operativen und anästhesiologischen Verfahren schafft die Grundlage zur Steigerung des Anteils ambulant durchgeführter Operationen (Schulz 2008). In Ländern wie z. B. den USA und England werden heute bereits rund 80% der operativen Eingriffe unter ambulanten Voraussetzungen durchgeführt. Aber auch Deutschland verzeichnet seit den 1990er-Jahren eine deutliche Steigerung bei den ambulanten Operationen (Neumann 2010). Zudem sollen durch die Erhöhung des Anteils ambulanter Operationen enorme Kostenersparnisse möglich
sein: Der Gesundheitsökonom Prof. Dr. Peter Oberender (Universität Bayreuth) geht in Deutschland von einem Einsparpotenzial von bis zu 515 Millionen € jährlich aus. Zu dieser Zahl kam er durch einen Kostenvergleich von 25 Operationen, die oft ambulant durchgeführt werden (Rieser 2010). . Tab. 17.3 zeigt die Entwicklung ambulanter Operationen im Krankenhaussektor bei GKV-Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland zwischen 1996 und 2007: Verwertbare Zahlen zu ambulanten Operationen im niedergelassenen Sektor wurden 2006 veröffentlicht und basieren auf Erhebungen aus dem Jahr 2004. Im Jahre 2004 gab es laut Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versor-
17
212
Kapitel 17 · Ambulante Chirurgie
. Tab. 17.2 G-AEP Kriterien des § 115b SGB V (Auszug)
17
A
Schwere der Erkrankung
A2
Puls <50/min oder >140/min
A3
RRsyst <90 oder >200 mmHg, RRdiast <60 oder >120 mmHg
A8
Akute/subakute Blutung oder Hb-Abfall
A11
Verdacht oder Nachweis einer myokardialen Ischämie
B
Intensität der Behandlung
B1
Kontinuierliche intravenöse Medikation/Infusion
B3
Notwendige Vitalzeichenkontrolle alle 4 h
B5
Intermittierende oder kontinuierliche Beatmung
C
Operation/invasive Maßnahmen
D
Komorbiditäten in Verbindung mit operativen oder krankenhausspezifischen Maßnahmen
D1
Signifikant pathologische Lungenparameter
D2
Schlafapnoe-Syndrom
D3
Blutkrankheiten
D4
Manifeste Herzerkrankung Grad III und IV (NYHA)
D5
Maligne Hyperthermie in der Eigen- oder Familienanamnese
D6
Patienten mit überwachungspflichtiger Behandlung folgender Erkrankungen: Diabetes, obstruktive Lungenerkrankungen, Schlaganfall und Herzerkrankungen, Hypertonie, Nieren- und Leberfunktionsstörungen, schwere Immundefekte
E
Notwendigkeit intensiver Betreuung in Verbindung mit Operationen
E1
Überwachung über 12 h
E2
Amputation und Replantationen
E3
Gefäßchirurgische Operationen
E4
Einsatz und Entfernung von stabilisierenden Implantaten (außer Hand und Fuß)
E5
Drainage mit kontinuierlicher Funktionskontrolle
E6
Kathetergestützte Schmerztherapie
F
Soziale Faktoren
F1
Fehlende Kommunikationsmöglichkeit
F2
Keine Transportmöglichkeit oder schlechte Erreichbarkeit
F3
Mangelnde Einsichtsfähigkeit des Patienten
F4
Fehlende Versorgungsmöglichkeiten
. Tab. 17.3 Entwicklung der Zahl ambulanter Operationen im Krankenhaussektor Jahr
1996
2000
2005
2006
2007
Anzahl ambulanter Operationen im Krankenhaussektor (GKV)
117.776
258.918
1.019.329
1.145.694
1.324.359
Quelle: Gesundheitsberichterstattung Bund, www.gbe-bund.de 2010)
213 17.6 · Literatur
. Abb. 17.1 Anteil ambulanter Operationen bei Leistenhernien in ausgewählten Ländern 2005 (Quelle: International Association for Ambulatory Surgery (IAAS) 2005)
gung 3.810.000 ambulante Operationen im niedergelassenen Bereich (Brökelmann u. Reydelet 2006). Bei einzelnen Eingriffen wie z. B. Leistenbruchoperationen unterscheidet sich der Anteil ambulanter Operationen in Deutschland erheblich von den entsprechenden Zahlen im internationalen Vergleich (. Abb. 17.1). Als mögliche Hemmfaktoren für das Ausweiten ambulanter Operationen in Deutschland werden die unterschiedliche Kosten- und Erlössituation sowie die strikte Trennung des stationären und ambulanten Sektors vermutet. Beide Sektoren werden zudem über Mengenbudgets an der unbegrenzten Ausweitung ihres Leistungsspektrums gehindert (Schulz 2008). Die Patientenzufriedenheit beim ambulanten Operieren wird in mehreren Untersuchungen insgesamt als sehr hoch eingeschätzt. Eine Studie der Ludwig-Maximilians-Universität München in Kooperation mit der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern an 2000 Patienten, die an der Leiste, der Schulter, der Gebärmutter und der Nase operiert wurden, zeigte, dass 97,5% der Patienten den Eingriff als gut oder sehr gut bewerteten. 95,5% der befragten Patienten würden sich wieder ambulant operieren lassen (Rieser 2010; KV Bayern 2010).
17.6
Literatur
Brökelmann J, Reydelet J (2006) Zahl der Operationen in Deutschland – im Krankenhaus und in der Praxis. Ambulant operieren 3/2006: 127–130 Gemeinsame Empfehlungen zum Prüfverfahren nach § 17c KHG der Deutschen Krankenhausgesellschaft (2004) Anl. 2 www.dkgev.de 06.04.2004: 1–8 Gesundheitsberichterstattung Bund. www.gbe-bund.de 01.05.2010 International Association for Ambulatory Surgery (IAAS) (2005): International Survey 2005. In: KV Bayern (Hrsg.) Evaluationsbericht »Qualitätsmaßnahme Ambulante Operationen«. www.kvb.de, 16 Köhler A (2010) KBV: Ambulantes Operieren spart 500 Millionen Euro. Ärztezeitung 20.04.2010 Neumann A (2010) Das ambulante Operieren: Ein besonderes Produkt in unserem Gesundheitssystem. Chirurgenmagazin 43: 8-9 KV Bayern (2010) Evaluationsbericht »Qualitätsmaßnahme Ambulante Operationen – Ergebnisse zur Patientenzufriedenheit und zum postoperativen Patientenverlauf bei ambulanten Operationen«. www.kvb.de, 1–154 Rieser S (2010) Ambulante Operationen: Patienten sind zufrieden – aber es ginge noch mehr. Dtsch Ärzteblatt 107: 16 Schulz G (2008) Kosten und Erlöse des »Ambulanten Operierens« unter den bestehenden sozialrechtlichen Rahmenbedingungen. Ambulant operieren 3/2008: 125–130 Soleimanian A (2010) Neuer Katalog ambulanter und stationsersetzender Leistungen nach § 115b SGB V. Chirurgenmagazin 43: 10–12 Toftgaard C, Parmentier G (2006) International terminology in ambulatory surgery and its worldwide practice. In: Lemos P, Jarett B, Philip B (eds) Day surgery – development & practice. IAAS: 35–39 Vertrag nach § 115 SGB V – Katalog für ambulant durchführbare Operationen und sonstige stationsersetzende Maßnahmen – Fassung vom 22.12.2009
17
18
Blutung, Blutersatz, Blutgerinnung L. Lehr
18.1 Blutung
– 216
18.1.1 Lokalisationsdiagnostik 18.1.2 Rezidivblutung – 216 18.1.3 Nachblutungen – 216
18.2 Blutersatz
– 216
– 217
18.3 Blutgerinnungsstörungen 18.3.1 Hämorrhagische Diathesen 18.3.2 Thrombophilien – 222
– 220 – 220
18.4 Routinethromboembolieprophylaxe 18.5 Literatur
– 222
– 222
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_18, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
216
Kapitel 18 · Blutung, Blutersatz, Blutgerinnung
Diagnostik und primäre Therapie der gastrointestinalen Blutung sind heute meist eine Domäne der Endoskopie. Bei Rezidivblutungen ist die größte Schwierigkeit die rechtzeitige Indikationsstellung zum Verfahrenswechsel, in der Regel die Operation. Auch im Falle der Komplikation einer intraabdominellen postoperativen Blutung/Nachblutung besteht die ärztliche Kunst in der zeitgerechten Entscheidung zwischen Abwarten unter Substitutionstherapie und Relaparotomie. In speziellen Situationen kann allerdings heute die interventionelle Radiologie (Coiling, Stenting) die bessere Option sein. Die Themen Blutersatz inkl. Transfusionsmedizin sowie Blutgerinnung sind so komplex, dass sie eigene Handbücher füllen. Einige Faustregeln und Stichworte können aber helfen, sich bei Bedarf rasch zu orientieren und als Trigger dienen für die frühzeitige konsiliarische Hinzuziehung eines einschlägigen Experten z. B. für die Hämostaseologie.
18.1
Blutung
Diagnostik und Therapie der akuten Blutung richten sich nach deren Ursache, Quelle und vor allem Intensität. Bei postoperativen Blutungen ist auch das Zeitintervall zur vorausgegangenen Operation zu berücksichtigen. Zunächst stehen Einschätzung der Vitalfunktionen, Schockbehandlung bzw. -vermeidung durch Kreislaufüberwachung und Volumensubstitution im Vordergrund. Die diesbezüglichen Kriterien, betreffend Kristalloid-, Kolloid- und Blutkomponentengaben, sind Standard (7 Abschn. 18.2).
18.1.1
18
wandunregelmäßigkeit i. S. einer Arrosion etc.). Das Problem der szintigraphischen Verfahren ist oft die Schwierigkeit einer nur ungefähren topographischen Zuordnungsmöglichkeit der Aktivitätsanreicherung, die für ein gezieltes operatives Vorgehen zu ungenau ist. Die Überlegungen zu den verschiedenen therapeutischen Optionen der Blutstillung, d. h. vor allem endoskopisch/medikamentös versus chirurgisch, sowie zur Behandlung der Grundkrankheit, sind Thema der jeweiligen Organkapitel.
18.1.2
Rezidivblutung
Ein sehr differenziert anzugehendes Problem ist die Rezidivblutung. Vor allem wenn operative Verfahren wegen eines hohen Risikos primär nicht zum Einsatz kommen (z. B. bei Leberzirrhose mit Ösophagusvarizenblutung), wird man zunächst die endoskopische Blutstillung versuchen. Andererseits ist eine lokale Ulkusblutungchirurgie (Ulkusdurchstechung und Ligatur der A. gastroduodenalis), durchgeführt im blutungsfreien Intervall, 12–24 h nach endoskopischer Primärblutstillung und basierend auf endoskopischen Kriterien (Forrest-Klassifikation, 7 Kap. 27.6), gerade beim älteren Patienten weniger gefährlich als wiederholte erfolglose endoskopische Versuche. Auch postoperativ können ein Verfahrenswechsel (Angiographie und ggf. Embolisation bei Rezidivblutung nach Ligatur der A. gastroduodenalis) oder wieder die Laparotomie (Relaparotomie und Anlage von endständigen Enterostomata zur späteren Endoskopie bei anders nicht lokalisierbarer Dünn- oder Dickdarmblutung) sinnvoll sein.
Lokalisationsdiagnostik
Bei Hinweisen auf eine Blutung in den Gastrointestinaltrakt ist die Endoskopie das Verfahren der ersten Wahl. Dabei sollte man immer mit einer Ösophagogastroduodenoskopie beginnen, weil obere gastrointestinale Blutungen häufiger sind als untere. Massenblutungen mit dringender Operationsindikation sind v. a. im oberen Gastrointestinaltrakt zu finden. Die angiographische Darstellbarkeit einer Blutung setzt eine hohe Blutungsintensität (Substitutionsbedarf von mindestens 1–2 Erythrozytenkonserven [EK] pro Stunde) voraus. Eine gute Indikation zur Angiographie ist die endoskopische Beobachtung einer Blutung aus der Duodenalpapille bei Hämobilie oder Haemosuccus pancreaticus wegen der gleichzeitigen therapeutischen Option zur Embolisierung des blutenden Gefäßes, z. B. bei arterieller Arrosionsblutung in eine Pankreaspseudozyste. Manchmal aber ist es nicht nötig, die aktive Blutung selbst als Kontrastmittelaustritt darzustellen, sondern die Diagnose ergibt sich indirekt aus spezifischen angiographischen Merkmalen (Hämangiom, Aneurysma, Spasmus, Gefäß-
18.1.3
Nachblutungen
Von den Rezidivblutungen zu trennen sind die postoperativen Blutungen im engeren Sinn, die Nachblutungen. Dabei ist zwischen Früh- und Spät-, extra- und intraluminaler Manifestation zu unterscheiden. Der frühen Nachblutung liegt meist ein Blutstillungsproblem zugrunde. Damit sind Ausdehnung und Verlauf der Operation und so auch die allerdings bekannt subjektive Einschätzung des Operateurs wichtige Kriterien für die Entscheidung über das weitere Vorgehen. Zur Abschätzung der Blutungsintensität wird versucht, Kreislaufparameter, Transfusionsbedarf, abdomensonographisch nachweisbare Zunahme der freien Flüssigkeitsmenge sowie Blutverluste nach außen z. B. über Drainagen (unsicher!) zueinander in Relation zu setzen. Bei Diskrepanz zwischen der Menge an freier Flüssigkeit und Klinik, woraus sich der Verdacht auf ein Organ-, Retroperitonealoder anderes Weichgewebehämatom ergibt, kann ein CT
217 18.2 · Blutersatz
weiterhelfen. Gibt es Anhaltspunkte für eine diffuse Blutungsneigung (Unterkühlung ausschließen bzw. beseitigen!), kann ein Therapieversuch durch Unterstützung der Gerinnungsfunktion mit Gefrierplasma und Thrombozytenkonzentraten vertretbar sein. Spätestens nach 6–8 h sollte man bei einem substitutionspflichtigen Verlust von 1 EK/h sich diese Strategie jedoch überlegen, besonders wenn sonographisch oder im CT Hinweise für eine Blutansammlung im Abdomen bzw. im Operationsgebiet bestehen. Da es sich im viszeralchirurgischen Bereich meist um sauber-kontaminierte oder kontaminierte Eingriffe handelt, stellt dieses Blut einen Nährboden für Bakterien dar und ist nicht selten der Grundstein für die spätere Komplikation eines Abszesses. Die CT-gesteuerte Punktion eines Hämatoms verspricht meist erst nach der Abtrennung des flüssigen Serumanteils – in der Regel nach 1–2 Wochen – Erfolg. Wir stellen daher die Indikation zur Relaparotomie bei Blutung sehr früh. Intraluminale Blutungen aus Anastomosen rechtfertigen eher ein konservatives Vorgehen mit Gerinnungssubstitution, unterstützt – sofern in Reichweite der Endoskope – durch lokales Unterspritzen, Koagulation etc. Weichgewebe- und Muskelblutungen, z. B. im M. iliopsoas, treten spontan oder bei Gerinnungsstörung, z. B. Marcumartherapie, auf. Erst muss man die Gerinnung normalisieren (Marcumar: Dosisreduktion/Absetzen, Antagonisierung mit Vitamin K, zur Gerinnungssubstitution PPSB), dann ist die Indikation (z. B. Druck auf N. femoralis, Muskelnekrose, Infektion) zu einer operativen Ausräumung zu überlegen, möglichst mit einem Intervall von 2–3 Tagen. Organhämatome, insbesondere der Leber, subkapsulär oder intrahepatisch, werden primär konservativ behandelt. Muss man aktiv werden, ist beim intrahepatischen Hämatom der nächste Schritt die Angiographie ggf. mit Embolisation, beim subkapsulären Leberhämatom die Laparotomie mit Koagulation der dekapsulierten Leberoberfläche und ggf. Tamponade in Form des »packing«. Die Ursache einer Spätnachblutung ist meist eine chemische oder septische Arrosion von oft größeren Arterien. Entsprechend ist sie am häufigsten bei einer Anastomoseninsuffizienz im Leber-, Pankreas- oder kolorektalen Bereich. Ein erkennbar septisches Krankheitsbild muss der Blutung nicht vorausgehen. Nicht selten ist es so, dass die erste septische Fieberzacke und der Leukozytenanstieg mit der Blutung zusammenfallen. Alarmierend muss sein, wenn nach der ersten postoperativen Woche klinische Blutungszeichen auftreten und es zum Blutfluss über eine noch liegende Drainage, eine alte Drainagestelle, zu einer in der Bildgebung nachgewiesenen Hämatombildung im Operationsbereich und gleichzeitig – infolge der Eintrittsmöglichkeit nach intraluminal durch das Anastomosenleck –
zum Absetzen von Blut über den Anus und/oder Bluterbrechen kommt. Wurde die Anastomose allerdings nach Roux Y ausgeschaltet, kann man selten Bluterbrechen, dafür aber, wenn man bis dahin gelangen kann, endoskopisch Blutaustritt an der Fußpunktanastomose beobachten. ! Cave ! Die die erste Blutungsepisode kommt meist spontan zum Stillstand, darf aber keinesfalls bagatellisiert werden. Sie muss vielmehr als Prodrom der mit nahezu absoluter Sicherheit innerhalb der nächsten 24–72 h folgenden lebensbedrohlichen Massenblutung gewertet werden und sofort die Indikation zur Angiographie stellen lassen.
Bei fest verklebtem Operationssitus ist es meist nicht zu vermeiden, dass die Anastomose, die gleichzeitig Ursache und Teil des Problems ist, aufgelöst werden muss. Im Beckenbereich mag durch vorübergehende Schaffung einer Hartmann-Situation die Option einer späteren Rekonstruktion noch erhalten bleiben, am Pankreas, z. B. nach einer Whipple-Operation, ist dies aber praktisch ausgeschlossen und endet meist in der totalen (Rest-)Pankreatektomie. Aus diesen Gründen favorisieren wir im Anschluss an die diagnostische Angiographie bei Blutungen aus der A. lienalis, den Beckenarterien und auch aus der A. hepatica den Versuch einer radiologisch-interventionellen Gefäßokklusion (. Abb. 18.1). Bei seitständiger Arrosion kann interventionell ein Stent eingebracht werden, der einerseits den Defekt schließt und damit die Blutung stillt, gleichzeitig aber den arteriellen Blutzufluss z. B. zur Leber erhält. Ein gefäßchirurgischer Rekonstruktionsversuch, z. B. mit Interponat, in dieser Notfallblutungssituation im septischen Narbengewebe mit aufgehobener Anatomie kann technisch extrem schwierig und komplikationsträchtig sein. Bei einer Blutung aus einem Leberarterienast würden wir ebenfalls die schonendere radiologisch-interventionelle Gefäßokklusion bevorzugen, denn eine chirurgische Intervention kann die Durchblutung meist auch nicht erhalten.
18.2
Blutersatz
Die Transfusion von Vollblut (Warm- und Frischblut) ist obsolet. Nur der jeweils wirklich fehlende Blutbestandteil soll als spezifische Komponente gezielt ersetzt werden (Blutkomponententherapie; Glück u. Kubanek 1989). Der Blutersatz bei akuten Blutungen, etwa in Form des Ulmer Transfusionsplans (. Abb. 18.2), bietet in der Viszeralchirurgie gegenüber der Allgemeinchirurgie (Lehr 2005) keine Besonderheiten. Bei Rezidiv- und frühen Nachblutungen werden gefrorenes Frischplasma (GFP) und Thrombozytenkonzent-
18
218
Kapitel 18 · Blutung, Blutersatz, Blutgerinnung
a
b
18
c . Abb. 18.1a–c Radiologisch-interventionelle (Prof. Dr. H. Berger) Gefäßokklusion zur Stillung einer Arrosionsblutung aus der A. lienalis bei Insuffizienz der Pankreato-Jejunostomie nach Whipple-Operation
219 18.2 · Blutersatz
. Abb. 18.2 Ulmer Transfusionsplan
rate zusätzlich zu einer notwendigen Erythrozytensubstitution verabreicht. In der Akutsituation sollte man einen Hämogloblinwert von 10–11 g/l anstreben, schon um für Diagnostik, Narkoseeinleitung, Operationsbeginn etc. eine ausreichende Kreislaufreserve sicherzustellen. In der Elektivsituation weiß man, dass zumindest bei kreislaufgesunden jüngeren Patienten selbst Werte bis unter 5 g/l toleriert werden. Entscheidende Voraussetzung ist allerdings die Aufrechterhaltung von Normovolämie und Normoxie. Nach transfusionsbedürftigen Operationen ist meist mit einer Heilungsphase von mindestens 2 Wochen zu rechnen. Der Tiefpunkt des Hämoglobinwertes ist häufig aber nicht schon mit Beendigung der Operation erreicht, sondern fällt mit Beginn der Wundheilungsphase erfahrungsgemäß noch um mindestens 1–2 g/l weiter ab. Nicht zuletzt ist die Neubildungsfähigkeit des Knochenmarks für Erythrozyten bei onkologischen Patienten oft durch eine Eisenverfügbar-
keitsstörung eingeschränkt. Es ist deshalb nicht sinnvoll, einen Patienten am Hämoglobinlimit aus der Operation kommen zu lassen, um sich eine Woche später dann doch zur Transfusion entschließen zu müssen, weil der Patient wegen Kollaps, Adynamie etc. nicht zügig mobilisiert werden kann. So halten wir beim Patienten über 60 Jahre ein Hämoglobin von etwa 10 g/l für wünschenswert, akzeptieren aber bei jungen kreislaufgesunden Patienten unter Beobachtung Werte bis 7 g/l. Ähnlich individuell zu interpretieren ist die ausreichende Thrombozytenzahl. Spontanblutungen bei unverletzten Patienten treten selbst bei Werten unter 20.000/mm3 nicht regelmäßig auf. Postoperativ wird man allerdings Werte um 50.000 anstreben, für größere Operationen über 80.000. Der Bedarf für GFP als Blutersatzmittel lässt sich in der Akutsituation laboranalytisch nicht exakt objektivieren, er erfolgt meist nach empirischen Regeln.
18
220
Kapitel 18 · Blutung, Blutersatz, Blutgerinnung
Obwohl Blut und Blutprodukte durch strenge gesetzlichen Auflagen (Transfusionsgesetz 1998) und verbesserte Tests auf Infektiosität heute als sehr sicher anzusehen sind, bedarf jede Transfusion einer strengen Indikationsstellung. > Der Beitrag des Chirurgen zur Lösung von Blutersatzproblemen ist eine blutsparende operative Technik (Lehr et al. 1993).
Abhängig vom Krankengut, so z. B. vom T-Stadium, d. h. dem Anteil an erweiterten Resektionen, schwanken die Empfehlungen, wie viele Blutkonserven für typische Operationen in einem Haus routinemäßig bereitgestellt werden sollen. Darunter ist zu verstehen, dass die Verträglichkeit für den jeweiligen Patienten bereits durch eine negative serologische Verträglichkeitsprobe (Kreuzprobe) sichergestellt ist. Es bedarf also nur noch der AB0-Identitätskontrolle in Form des sog. »Bedside-Test« am Empfängerblut, um ggf. sofort mit der Transfusion beginnen zu können. Die im eigenen Vorgehen für die Stationen festgelegte präoperative Bestellpraxis ist . Tab. 18.1 dargestellt. Es ist kein Zeichen von Missmanagement, wenn mehr Konserven gekreuzt und bereitgestellt als transfundiert werden. Als vernünftige Relation gilt bis 2,5:1. Auch wenn nach obiger Übersicht keine Bereitstellung von Blut vorgesehen ist, sollten jedoch unbedingt rechtzeitig vor der Operation die Blutgruppe bestimmt und der Antikörpersuchtest vorgenommen werden. Andernfalls können bei selteneren Blutgruppen und irregulären Antikörpern Probleme bei der rechtzeitigen Beschaffung kompatiblen Blutes
. Tab. 18.1 Präoperative Bereitstellung (Kreuzen) von Erythrozytenkonzentraten
18
Operationsverfahren
Konservenzahl
Strumaresektion
0
Ösophagektomie + Rekonstruktion
4–6
Totale Gastrektomie
2–4 (T4)
Cholezystektomie
0
Splenektomie (elektiv)
2
Whipple-Operation
4
Hemihepatektomie
4
Hemikolektomie rechts
0
Hemikolektomie links
2
Sigmaresektion
0
Anteriore Rektumresektion
2
Rektumamputation
2–4 (T4)
entstehen, wenn doch unerwartet eine dringende Situation eintritt.
18.3
Blutgerinnungsstörungen
Störungen der Hämostase sind ein komplexes Gebiet mit zum Teil hochspeziellen (labor-)diagnostischen und therapeutischen Anforderungen. Es kann deshalb hier nur ein allgemeiner Überblick gegeben werden. Die Notwendigkeit einer kontinuierlichen begleitenden differenzierten labortechnischen Therapiekontrolle, die Gefahren einer inadäquaten Behandlung und nicht zuletzt auch die erheblichen Kosten einer unnötigen oder überschießenden Substitution (Vorstand und Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer 2003) mit teuren Gerinnungspräparaten lassen in aller Regel die Zuziehung eines Gerinnungsexperten ratsam erscheinen.
18.3.1
Hämorrhagische Diathesen
Je nach dem betroffenen Teil des Hämostasesystems werden plasmatische (Koagulopathien), thrombozytäre und vaskuläre Ursachen unterschieden. Diese können angeboren oder erworben sein.
Koagulopathien Angeborene Mangel- bzw. Defektzustände sind von allen Gerinnungsfaktoren bekannt. Die »klassischen« sind Hämophilie A (Faktor-VIII-Mangel), Hämophilie B (Faktor-IX-Mangel) und Von-Willebrand-Krankheit (plasmatischer Kofaktor der Tc-Aggregation). Selten wird man durch die Blutungskomplikation eines viszeralchirurgischen Eingriffs erstmals auf die Diagnose kommen. Meist geht es um die Planung der perioperativen Substitutionstherapie beim bekannten Bluter. Da es verschiedene Typen und Schweregrade des Bluterleidens gibt und es keineswegs notwendig ist, Normalwerte an den mangelnden Gerinnungsfaktoren zu erreichen, wird man sich am besten vom Hämophiliezentrum, das den Patienten betreut, beraten lassen. Für den Faktor-XIII-Mangel typisch wäre, dass Blutungen erst nach einem zeitlichen Intervall von bis zu 36 h nach der Verletzung/Operation beginnen, weil sich das zunächst gebildete aber instabile Fibrin vorzeitig auflöst. Auch das Verkleben von Wunden, Anastomosen etc. kann deutlich verzögert sein. Damit ist die Abgrenzung zu chirurgischen Komplikationen oft schwierig und strittig. Mittel der ersten Wahl sind heute Faktorenkonzentrate, bei kleineren geplanten Eingriffen und milden Formen von Hämophilie A und insbesondere Von-WillebrandSyndrom zuerst DDAVP (Desmopressin), nicht jedoch
221 18.3 · Blutgerinnungsstörungen
Gefrierplasma. Beim Faktor-XIII-Mangel – auch in den erworbenen Fällen, z. B. bei Sepsis – genügen bereits einige wenige Prozent an Faktor-XIII-Aktivität, um die Blutstillung zu normalisieren, sodass die Indikation generell selten ist; kontrollierte Studien gibt es nicht. Erworbene Koagulopathien können durch Störungen der Synthese (Vitamin-K-Mangel/-Hemmung, Lebererkrankungen), Verbrauch durch Gerinnungsaktivierung im Sinne einer disseminierten intravasalen Koagulation (DIC) oder Hemmung (Immunkoagulopathien) von plasmatischen Gerinnungsfaktoren bedingt sein. Vitamin-K-Mangel kann durch intestinale Resorptionsstörung fettlöslicher Vitamine (z. B. beim Verschlussikterus) verursacht werden, Vitamin-K-Hemmung durch Antagonisten vom Typ der Kumarine (z. B. Marcumar). Die Therapie besteht in der Gabe von bevorzugt Phytomenadion (Vitamin K1), in dringenden Fällen von PPSB, eine Kumarineinnahme wird ausgesetzt bzw. reduziert. Bei Erkrankungen der Leber sind PPSB (cave DIC!) und GFP die besten Substitutionsmittel. Vor einer Elektivoperation sollte ein Quickwert von 60–80 % angestrebt werden. > Bei einer DIC ist die alles entscheidende Maßnahme die Beseitigung der auslösenden Ursache, d. h. vor allem die Eradikation einer Sepsis durch (chirurgische) Fokussanierung.
Zusätzliche medikamentöse Eingriffe ins Gerinnungssystem (GFP, AT III, Heparin, Antifibrinolytika) haben bestenfalls unterstützend-überbrückenden Wert. Prokoagulatorische Faktoren inkl. Thrombozyten sind in der Regel kontraindiziert, ausgenommen GFP, das ja ein Gemisch mit Inhibitoren darstellt.
Thrombozytäre Erkrankungen Die Diagnostik hereditärer Thrombozytopenien und -pathien ist Speziallaboratorien vorbehalten. Therapeutisch steht die Thrombozytensubstitution im Vordergrund. Erworbene Thrombozytopenien sind die häufigste Form der hämorrhagischen Diathesen. Pathogenetisch wird zwischen einer verminderten Bildung (aplastische Thrombozytopenien durch infiltrativ-verdrängende Erkrankungen/toxische Schädigungen des Knochenmarks) und einem vermehrten Abbau (thrombozytoklastische Thrombozytopenien) unterschieden. Kombinationen sind häufig (Hypersplenismus = splenogene Sequestrierung + Markhemmung). Die thrombozytoklastische Thrombozytopenie mit chirurgischer Behandlungsmöglichkeit ist die autoimmunthrombozytopenische Purpura (ATP) des Erwachsenen (früher: idiopathische thrombozytopenische Purpura, ITP, M. Werlhof). Die Diagnose bedarf subtiler hämatologischer Ausschluss- und Differenzialdiagnostik inkl. Laboruntersuchungen (Nachweis von Thrombozytenantikör-
pern). Abgesehen von der Indikation zur Splenektomie wegen gravierender Verdrängungsbeschwerden durch Splenomegalie besteht Therapiebedarf erst bei Thrombozytenzahlen unter etwa 50.000. Meist sind Kortikosteroide primär gut wirksam. Oft kommt es beim Dosisausschleichen aber wieder zum kritischen Thrombozytenabfall. Immunglobuline (IgG) i.v. führen durch Verminderung der Abbaurate immunologisch geschädigter Plättchen im mononukleär-phagozytären System (MPS) zu einem raschen Thrombozytenanstieg und sind deshalb besonders zur akuten Blutstillung und zur Operationsvorbereitung hilfreich. Die Wirkung geht aber innerhalb von Tagen vorbei. Angeblich lässt ein gutes Ansprechen auf Immunglobulin einen therapeutischen Nutzen der Splenektomie vorhersagen, was insofern logisch ist, da die Splenektomie zu einer Reduktion des MPS und damit ebenfalls seiner Eliminationskapazität führt. Jedenfalls sollte die Splenektomie erwogen werden, wenn nach einer ausschleichenden Steroidtherapie sich die Plättchen nicht auf einer für die Hämostase nötigen Höhe halten. Die ständige Impfkommission (STIKO) am RobertKoch-Institut empfiehlt bei Asplenie Impfungen gegen Pneumokokken, Haemophilus influenzae Typ b und Meningokokken (Epidemiologisches Bulletin Juli 2004). Wenn ein Patient auf Kortikosteroide oder IgG reagiert, sollte diese Therapie präoperativ eingesetzt werden, um Plättchenzahlen von etwa 80.000 zu erzielen. Die Steroiddosis sollte nach der Operation langsam reduziert werden; etwa 2/3 der Patienten halten damit nach der Splenektomie die Plättchen in ausreichender Höhe. Wegen der die Krankheit verursachenden Thrombozytenautoantikörper sinkt auch die Halbwertszeit transfundierter Fremdthrombozyten in den Stundenbereich ab. Trotzdem wird man bei bedrohlichen Blutungskomplikationen Plättchen transfundieren, in der Hoffnung, dass trotz der extrem verkürzten Halbwertszeit die Blutung gestillt werden kann. Kurz vor oder mit der Thrombozytentransfusion sollte immer IgG gegeben werden. Medikamentös-allergische Thrombozytopenien können durch zahlreiche Medikamente ausgelöst werden. In der Chirurgie ist die heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT) als Komplikation der Thromboembolieprophylaxe die praktisch wichtigste (7 Abschn. 18.4). Von den erworbenen Thrombozytopathien für den chirurgischen Alltag wichtig ist die Blutungs- und Nachblutungsgefahr unter Einnahme von Azetylsalizylsäure (ASS). Da dabei Selbstmedikation weit verbreitet ist und die Patienten spontan darüber oft nicht berichten, ist eine diesbezüglich gezielte Anamnesefrage nötig. In elektiven Situationen muss die ASS-Einnahme mindestens 3, besser 7–10 Tage vor der Operation eingestellt werden, bei Dringlichkeit ist eine Antagonisierung mit DDAVP (Desmopressin) möglich.
18
222
Kapitel 18 · Blutung, Blutersatz, Blutgerinnung
Vaskuläre hämorrhagische Diathesen Diese treten angeboren am häufigsten als M. Osler-WeberRendu (Teleangiectasia haemorrhagica hereditaria) auf. Die einige Millimeter großen Gefäßerweiterungen entstehen nicht nur an der Haut und sichtbaren Schleimhäuten, sondern auch im Gastrointestinal-, Respirationsund Harntrakt. Bei endoskopisch schwer zugänglichen rezidivierenden oder bedrohlichen Blutungen kann die Resektion z. B. von Dünndarm indiziert sein.
18.3.2
Thrombophilien
In erster Linie zur Thrombose disponiert ist die venöse Strombahn (tiefe Bein-/Beckenvenen, Mesenterialvenen) und der Patient ist durch eine Lungenembolie bzw. Darmnekrose akut gefährdet oder durch Entwicklung eines postthrombotischen Syndroms lebenslang beeinträchtigt. Geläufige Mängel sind z. B. AT-III-, Protein-C- und Protein-S-Mangel oder die sog. APC-Resistenz (Faktor-VMutation). Je nach Schweregrad besteht bereits als Säugling ein erhebliches Thromboembolierisiko oder erst bis zum 50. Lebensjahr hat mehr als die Hälfte der Patienten ein venöses thromboembolisches Ereignis gehabt. Thromboembolien manifestieren sich häufig, wenn zusätzliche Risikofaktoren vorliegen wie Schwangerschaft, Einnahme von oralen Kontrazeptiva, Immobilisation und Operation. Das Routinelabor hilft hier praktisch nie weiter; die einschlägige Anamnese entscheidet, ob eine laboranalytische Abklärung veranlasst und/oder die perioperative Thromboembolieprophylaxe über die Routine hinaus verstärkt oder verlängert werden muss. Bei hohem Risiko und entsprechendem Phlebographiebefund kann sich die Indikation zur Anlage einer Emboliesperre (Cavaschirm) ergeben.
18.4
18
Routinethromboembolieprophylaxe
Größere Eingriffe in der Bauch und Beckenregion besitzen ein mittleres bis hohes (Karzinome!) Thromboembolierisiko. Die Notwendigkeit einer medikamentösen Prophylaxe, neben der Ausschöpfung der physikalischen und frühmobilisierenden Basismaßnahmen, ist deshalb heute unumstritten. Weitgehend durchgesetzt haben sich die niedermolekularen Heparine. Eine Komplikation der Heparinanwendung ist die heparininduzierte Thromozytopenie (HIT Typ I und II). Gefährlich ist besonders die HIT II (venöse und arterielle Thrombosen inkl. zerebral und viszeral). Eine entsprechende Aufklärung des Patienten ist unerlässlich. Um der Wichtigkeit des Themas Rechnung zu tragen, hat die Deutsche Gesellschaft für Chi-
rurgie (2000) einen Expertenkonsens publiziert, der auch Hinweise zur Diagnostik einer HIT (Thrombozytenzahlmonitoring vor und ab dem 5. Tag der Heparingabe mehrmals pro Woche) und Präparatumstellung (Hirudin) der Antikoagulation gibt.
18.5
Literatur
Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (2000) Grundlagen der Chirurgie (G91): Leitlinien zur stationären und ambulanten Thromboembolieprophylaxe in der Chirurgie. Beilage zu den Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 3/2000, Demeter, Balingen Glück D, Kubanek B (1989) Transfusionsmedizin: Blutkomponententherapie. Fischer, Stuttgart New York Lehr L (2005) Bluttransfusion. In: Siewert JR (Hrsg) Chirurgie, 8. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg, im Druck Lehr L, Schuhmacher C, Siewert JR (1993) Blutsparendes Operieren in der Abdominalchirurgie. In: Ahnefeld FW (Hrsg) Fremdblutsparende Methoden, Klinische Anästhesiologie und Intensivtherapie, Bd. 43. Springer, Berlin Heidelberg New York, S 96–113 Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut (2004) Epidemiologisches Bulletin Nr. 30 Vorstand und Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer (2003) Leitlinien zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten, 3. Aufl. Deutscher Ärzte-Verlag, Köln
19
Prävention und Antibiotikatherapie postoperativer Komplikationen S. Lemmen, C. Eckmann
19.1 Prävention
– 224
19.2 Mikrobiologische Diagnostik
– 225
19.3 Indikationen der Antibiotikatherapie 19.4 Wahl des Antibiotikums
– 225
– 225
19.5 Versagen der initialen Antibiotikatherapie
– 226
19.6 Antimikrobielle Therapie bei intraabdominellen Infektionen 19.6.1 19.6.2 19.6.3 19.6.4 19.6.5 19.6.6 19.6.7 19.6.8 19.6.9
Primäre Peritonitis – 227 Sekundäre Peritonitis – 227 Tertiäre Peritonitis – 227 Nekrotisierende Pankreatitis mit infizierten Nekrosen Sekundäre Cholangitis – 228 MRSA – 228 Enterokoken inkl. VRE – 228 ESBL-Bildner – 229 Invasive intraabdominelle Mykosen – 229
19.7 Empfehlungen für die Praxis 19.8 Literatur
– 228
– 229
– 232
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_19, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
– 226
224
Kapitel 19 · Prävention und Antibiotikatherapie postoperativer Komplikationen
Unter den postoperativen Komplikationen sind Wundinfektionen und dadurch verursachte Sepsisfälle neben kardiogenen, pulmonalen und thromboembolischen Ereignissen am häufigsten. Sie sind somit neben Harnwegsinfektionen, Pneumonien und Sepsisfällen die häufigsten nosokomialen Infektionen. Auf der Basis von Daten des KIS-Systems und des statistischen Bundesamtes ist mit 130.000–150.000 postoperativen Wundinfektionen pro Jahr in Deutschland zu rechnen (Gastmeier et al. 2008). Das Infektionsrisiko hängt von mehreren patientenspezifischen Faktoren (z. B. maligne Grunderkrankung, Diabetes mellitus, Adipositas usw.) sowie von der Art und Dauer des Eingriffes (z. B. Implantation von Fremdkörpern, herzchirurgische Eingriffe). Postoperative Wundinfektionen sind assoziiert mit einer erhöhten Letalität, deutlich verlängerten Liegedauer im Krankenhaus und damit verbundenen Kosten (Bratzler u. Hunt 2006). Die meisten postoperativen Wundinfektionen entstehen durch die patienteneigene endogene Bakterienflora während des Eingriffes und diese sind kaum zu verhindern. Die Domäne der Infektionsprävention stellen daher exogen bedingte Infektionen dar; dies sind körperfremde Erreger welche durch Manipulation bzw. Instrumente überwiegend von dem Operationsteam während der Operation in den Operationssitus hineingebracht werden. Es konnte gezeigt werden, dass durch eine Infektionserfassung, nach klar definierten Kriterien – idealerweise in einem Benchmarksystem wie z. B. das Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System (KISS) –, die zeitnahe Präsentation der Ergebnisse und die Implementierung von soweit wie möglich evidenzbasierten Leitlinien eine Reduktion von Wundinfektionen von ca. 25% erreicht werden konnte (Gastmeier et al. 2008).
19.1
Prävention
Die wichtigsten Präventionsmaßnahmen (www.cdc.gov, www.rki.de)
19
4 Präoperativ – Vorbereitung des Patienten – Stationäre Aufnahme kurz vor der Operation – Behandlung/Sanierung von Infektionen außerhalb der Operationsgebietes vor der Operation – Einstellung der Blutzuckerwerte in dem Normbereich – Keine Haarrasur; wenn notwendig, dann kurz vor Operation mit Langhaarschneider – Reinigen/Desinfektion der Inzisionsstelle mit Hautdesinfektionsmittel für 3 min 6
– Legen von Kathetern (z. B. ZVK, Blasenkatheter) unter sterilen Kautelen – Zubereitung von i.v. Medikation unter sterilen Kautelen unmittelbar vor Verwendung – Bei S.-aureus-Trägern: Ganzkörperwaschung (z. B. mit Chlorhexidin oder octenisanhaltigen Lösungen) sowie Applikation von Mupirocin-Nasensalbe – Hand-/Unterarmhygiene – Für alle Mitarbeiter im Operationsbereich bei invasiven Eingriffen: kein Tragen von Ringen, Armbändern oder Uhren – Für operativ Tätige zudem: kurze Fingernägel, keine künstlichen Nägel – Waschen der Hände und Unterarme bis zum Ellenbogen mit Flüssigseife für 1 min – Bürsten der Fingernägel und Nagelfalze für 1 min nur bei Bedarf – Abtrocknen mit einem sauberen Einmal- oder Baumwolltuch – Chirurgische Händedesinfektion für 1,5 min mit einem alkoholischen Händedesinfektionsmittel 4 Perioperativ – Perioperative Antibiotikaprophylaxe – Nur bei Indikation: Antibiotikum in Abhängigkeit vom zu erwartenden Erregerspektrum im Operationsgebiet – Substanzklasse: Basisantibiotika (z. B. Cefuroxim ± Metronidazol) – Zeitpunkt: ca. 30 min vor Schnitt – Applikationsart: intravenös – Dauer der Prophylaxe: Einmalgabe (in therapeutischer Dosierung) – Wenn Operationsdauer >3–4 h oder starke Blutverluste: 2. intraoperative Gabe – Empfehlungen der eigenen Fachgesellschaften beachten – Luft – Einsatz einer 3-stufigen Klimaanlage mit endständigem HEPA-Filter im Operationssaal – Überdruck im Operationssaal im Verhältnis zu den direkt angrenzenden Räumen – Operationstüren geschlossen halten – Anzahl des Personals im Operationssaal begrenzen – wenig und leise sprechen – Auskühlung des Patienten vermeiden, ggf. Wärmedecken 6
225 19.4 · Wahl des Antibiotikums
– Kleidung und Schutzkleidung – Anziehen der Operationsbereichskleidung mit Einschleusung – Ausziehen der Operationsbereichskleidung bei Ausschleusung (inkl. Operationsschuhe) – Kopfbedeckung mit vollständiger Bedeckung der Haare beim Betreten des Operationsbereichs – Mund-Nasenschutz bei Betreten des Operationssaals – Steriler Kittel (flüssigkeitsundurchlässige Kittel wenn Durchnässung zu erwarten) – Sterile Einmalhandschuhe 4 Postoperativ – Flächendesinfektion – Desinfektion aller erreichbaren Flächen, inkl. Fußboden vor der nächsten Operation (nach Abtrocknung kann sofort weiter operiert werden) – Instrumentenaufbereitung – Implementierung eines Qualitätsmanagement mit Dokumentation und Validierung
19.2
Mikrobiologische Diagnostik
Insbesondere in der Viszeralchirurgie besteht häufig die Möglichkeit einer adäquaten mikrobiologischen Diagnostik. Hierfür sollte intraoperativ gewonnenes Material (z. B. Gewebestücke, Biopsie oder Flüssigkeiten) in sterile Behältnisse gegeben und so schnell wie möglich in das mikrobiologische Labor transportiert werden. Die Abnahme von Abstrichen stellt keine adäquate mikrobiologische Diagnostik dar und wird daher als obsolet angesehen. Ergänzend zu einer intraoperativen direkten Asservierung von Material sollten insbesondere bei Patienten mit Zeichen einer systemischen Infektion vor Beginn der Antibiotikatherapie 40 ml Blut von zwei peripheren Venen für eine Blutkulturdiagnostik (4 Blutkulturflaschen) gewonnen werden.
19.3
Indikationen der Antibiotikatherapie
Die schwierigste Aufgabe in der Chirurgie ist es, zum richtigen Zeitpunkt die Indikation für einen operativen Eingriff zu stellen. Hierfür bedarf es langjähriger Erfahrung, denn ein nicht indizierter Eingriff bedeutet für den Patienten eine vermeidbare Verletzung, Schmerzen usw. Nicht ganz so dramatisch ist es in der klinischen Infektiologie, dennoch ist die richtige Indikation zum richtigen Zeit-
punkt für eine Antibiotikatherapie auch hier die größte Herausforderung. Werden Antibiotika ohne Notwendigkeit gegeben, so kommt es zu einer bakteriellen Resistenzentwicklung, es drohen Komplikationen wie die Antibiotika-assoziierte Clostridium-difficile-Kolitis und andere Nebenwirkungen. Allergien können auftreten und Kosten werden auf jeden Fall verursacht. Die zunehmende Gabe von Antiinfektiva hat in den letzten Jahren in Deutschland zu einer signifikanten Steigerung von multiresistenten Erregern geführt; neben Methicillin-resistenten Staphylococcus-aureus-Stämmen (MRSA) nehmen Vancomycin-resistente Enterokokken (VRE), vor allem aber gramnegative Stäbchen z. B. E. coli oder K. pneumoniae mit einer Breitspektrum Betalaktamasebildung (ESBL) zu. Eine Resistenzbildung tritt beim Patienten bereits nach wenigen Tagen nach Antibiotikagabe auf und kann bis zu ca. 1 Jahr nachgewiesen werden (Costelloe et al. 2010). Eine asymptomatische Bakteriurie (auch bei vorliegender Pyurie) ist keine Indikation für eine Antibiotikagabe, es sei denn, es werden urologische Eingriffe vorgenommen. Die typischen Symptome mit Dysurie und Pollakisurie müssen erfüllt sein, damit eine Antibiotikatherapie wegen Harnwegsinfektionen gerechtfertigt ist. Für die Diagnose einer Pneumonie müssen neben der typischen Klinik mit Tachypnoe und Dyspnoe neue oder sich verändernde Infiltrate im Röntgenbild erkennbar sein. Für die Diagnose einer Sepsis muss in Abgrenzung zum SIRS neben der Organdysfunktion ein Infektionsfokus erkennbar sein. Ein Teil der Infektionen im Bereich der Viszeralchirurgie sind eine Sichtdiagnose die intraoperativ gestellt wird, wie z. B. die lokale oder diffuse Peritonitis, eine Cholangitis oder perforierter Appendix; auch eine Anastomoseninsuffizienz mit Begleitperitonitis wird vom Chirurgen intraoperativ diagnostiziert und bedarf neben der chirurgischen Sanierung einer Antibiotikatherapie.
19.4
Wahl des Antibiotikums
Bei der Wahl ist es entscheidend, dass die häufigsten Erreger der zu therapierenden Infektion im antimikrobiellen Spektrum des Antibiotikums enthalten sind. Ergänzend muss hierbei die lokale und aktuelle Resistenzsituation des eigenen Hauses berücksichtigt werden; hier sollte der Mikrobiologe/Infektiologe mindestens jährlich die eigene Resistenzstatistik erstellen und idealerweise interpretieren. Basierend auf dieser Statistik sollten in Anlehnung an die aktuellen und nationalen Empfehlungen (. Tab. 19.2 und 19.3) die empirischen Therapieempfehlungen schriftlich erstellt werden. Weiterhin müssen patientenspezifische Risikofaktoren für multiresistente Erreger (z. B. MRSA, VRE und ESBL-bildende gramnegative Stäbchen Bakterien) bei der Wahl berücksichtigt werden.
19
226
Kapitel 19 · Prävention und Antibiotikatherapie postoperativer Komplikationen
Die initiale empirische Therapie wird entsprechend diesen Kriterien kalkuliert begonnen. Bei mikrobiologischen Erregernachweis aus validem Material (z. B. Blutkultur oder intraoperativ gewonnenem Gewebe) sollte eine erregerspezifische Deeskalation d. h. Wechsel auf ein Antibiotikum mit einem deutlich geringeren Spektrum erfolgen (z. B. von Piperacillin/Tazobactam auf Ampicillin/Sulbactam). Bei initial begonnener Kombinationstherapie bei schwerem septischem Schock mit Multiorganversagen kann bei klinischer Besserung auf eine Monotherapie reduziert werden. Die Optionen zur erregerspezifischen Deeskalation sind in . Tab. 4 dargestellt. Bei entsprechender klinischer Besserung, Rückgang der Entzündungsparameter und Entfieberung seit 2–3 Tagen, kann – wenn überhaupt länger therapiert werden muss – die initial begonnene intravenöse Therapie bedenkenlos oralisiert werden; hierzu eignen sich folgende Medikamente mit hervorragender Bioverfügbarkeit: alle Fluorchinolone (z. B. Moxifloxacin, Ciprofloxacin und Levofloxacin), Cotrimoxazol, Doxycyclin, Metronidazol, Clindamycin, Linezolid, Rifampicin sowie alle Azole (z. B. Fluconazol und Voriconazol).
19.5
19
Versagen der initialen Antibiotikatherapie
Aus chirurgischer Sicht besteht der Hauptgrund für das Versagen der initialen empirischen Antibiotikatherapie darin, dass der Infektionsfokus nicht saniert wurde/werden konnte. Klassische Beispiele hierfür sind Abszesse (Ausnahme pulmonale Abszesse), die Präsenz von Fremdmaterial (z. B. Totalendoprothese, Marknagel, Schrittmacher). In solchen Fällen steht die chirurgische Sanierung in Ergänzung zur Antibiotikatherapie im Vordergrund. Eine Eskalation des antimikrobiellen Spektrums bzw. Erweiterung einer Mono- auf eine Kombinationstherapie alleine ist nicht ausreichend. Alternativ kann es aber auch sein, dass die Infektion entweder bereits initial oder durch einen inzwischen stattgefundenen Erregerwechsel inadäquat behandelt wird, d. h. durch ein Antibiotikum, welches keine Wirksamkeit gegen die infektionsverursachenden Erreger hat (z. B. die Gabe von Cephalosporinen bei einem Enterokokkeninfekt); hier muss eskaliert werden. In seltenen Fällen kann eine Unterdosierung bzw. eine Gefäßsklerosierung zu geringe Wirkspiegel am Ort der Infektion bewirken.
19.6
Antimikrobielle Therapie bei intraabdominellen Infektionen
Bei den chirurgischen Infektionen in der Allgemein- und Viszeralchirurgie dominieren quantitativ intraabdomi-
nelle Infektionen sowie Haut- und Weichgewebsinfektionen. Zusammen stellen sie die Ursache in ca. 35% aller Fälle einer schweren sekundären Sepsis dar (Engel et al. 2007; Kumar et al. 2006). Im Folgenden werden daher Empfehlungen zur Antibiotikatherapie dieser zwei mit Abstand häufigsten Erkrankungsgruppen diskutiert. Generell stehen bei den meisten Infektionen mehrere Präparate mit gleicher oder ähnlicher Wirksamkeit zur Verfügung (Wong et al. 2005). Das Spektrum dieser Substanzen sollte auch deshalb genutzt werden, um eine Selektion resistenter Erreger durch einen monotherapeutischen Gebrauch einer einzigen Substanz zu verhindern (7 Abschn. 19.1). Bei der Auswahl des geeigneten Antibiotikums sollte der individuelle Patient (z. B. Immunsuppression, Vorbehandlung), das zu erwartende Erregerspektrum, die lokale Erregerund Resistenzstatistik, ein einfacher Applikationsmodus, eine geringe Toxizität der Substanzen und die Kosten in die Entscheidung mit einfließen. Allein in Deutschland werden pro Jahr 130.000– 150.000 Patienten wegen einer intraabdominellen Infektion behandelt (Bader et al. 2009). Nationale und internationale Datenbanken zeigen, dass jeder 4. Fall einer schweren Sepsis oder eines septischen Schocks sich auf intraabdominelle Infektionen zurückführen lassen (Engel et al. 2007; Kumar et al. 2006). Fast 90% aller intraabdominellen Infektionen bedürfen primär einer chirurgischen Herdsanierung (z. B. Übernähung einer Magenperforation). Der Wert einer Antibiotikatherapie gegenüber Placebo ist dennoch auch in dieser Krankheitsgruppe gesichert (Wong et al. 2005). Eine initial inadäquate Antibiotikatherapie von intraabdominellen Infektionen verschlechtert die Prognose der betroffenen Patienten substanziell und führt zu einem erheblichen finanziellen Schaden (Barie 2008; Davey et al. 2008; Edelsberg et al. 2008; Nathans et al. 2006). Empfehlungen zur Antibiotikatherapie bei intraabdominellen Infektionen werden von einer Vielzahl von prospektiv randomisierten und kontrollierten Studien abgeleitet. Da das Ziel fast aller Studien der Nachweis einer therapeutischen Äquivalenz ist, reichen die Ergebnisse derzeit nicht aus, um einer Substanz oder einem Substanzregime den Vorzug zu geben (Wong et al. 2005). Für die Behandlungsdauer von intraabdominellen Infektionen existieren keine zuverlässigen Daten (Kujath 2005). Generell sollte bei einer Besserung des Zustands des Patienten und bei einem signifikanten Rückgang der Entzündungsparameter das Absetzen des Antibiotikums erwogen werden. Stellt sich nach 7 Tagen kein Behandlungserfolg ein, ist ein Absetzen der antimikrobiellen Therapie und eine anschließende erneute Probengewinnung einer unklaren, resistente Erreger selektionierenden und möglicherweise toxischen Fortsetzung der Therapie vorzuziehen.
227 19.6 · Antimikrobielle Therapie bei intraabdominellen Infektionen
Von der Systematik her lassen sich drei verschiedene Formen der Peritonitis differenzieren, die sich kausal pathogenetisch, bezüglich des Erregerspektrums und der chirurgischen und antimikrobiellen Therapie substanziell unterscheiden (Kujath 2005):
19.6.1
Primäre Peritonitis
Die primäre (spontan bakterielle) Peritonitis (SBP) betrifft nur ca. 1% aller Peritonitisfälle. Beim Erwachsenen sind vorwiegend Patienten mit Aszites bei Leberzirrhose (ca. 70%) oder einer reduzierten Abwehrlage aus anderer Ursache (ca. 30%) betroffen (Fleig et al. 2004; Malangoni et al. 2006; Sort et al. 1999). Da die Erkrankungsgruppe, zu der auch die CAPD-Peritonitis zählt, nicht operativ behandelt wird, wird hier auf weiterführende Literatur verwiesen (Chavez et al. 2009).
19.6.2
Sekundäre Peritonitis
Die sekundäre Peritonitis, bei der eine Perforation des Gastrointestinaltrakts vorliegt, ist mit etwa 80-90% die mit Abstand häufigste intraabdominelle Infektion. Definitionsgemäß muss eine chirurgische Herdsanierung (z. B. Appendektomie bei perforierter Appendizitis) stattfinden. Die sekundäre Peritonitis kann differenziert werden in eine ambulant erworbene (ca. 70%) und eine postoperative (ca. 30%) Form. Ambulant erworbene sekundäre Peritonitis Bei der ambulant erworbenen sekundären Peritonitis liegt stets eine Mischinfektion vor. Das Erregerspektrum entstammt der Flora des Magen-Darm-Trakts und ist abhängig von der Pathogenese und der Lokalisation der Perforation bzw. Leckage. Leitkeime sind Escherichia coli, Bacteroides fragilis und Enterokokken. Neben chirurgischen Maßnahmen wird eine kalkulierte Initialtherapie eingeleitet, die bereits präoperativ begonnen werden muss. Zur Antibiotikatherapie von lokal begrenzten, akuten Peritonitiden kommt eine Reihe von Substanzen in Frage, deren Wirksamkeit und Sicherheit in kontrollierten Studien belegt werden konnte (. Tab. 19.2). Die Therapiedauer kann ohne Vorliegen von Risikofaktoren auf 1–2 Tage begrenzt werden. Fluorchinolone der Gruppe 2 sowie Aminopenicilline sollten nur Einsatz finden, wenn die lokale Resistenzstatistik gegenüber Leiterregern wie E. coli eine Empfindlichkeit von ≥90% zeigt (Solomkin et al. 2010; Vogel et al. 2004).
Antibiotika mit Aktivität gegen Anaerobier 4 4 4 4 4 4 4 4
Metronidazol Clindamycin Ampicillin/Sulbactam Amoxicillin/Clavulansäure Piperacillin/Tazobactam Carbapeneme Moxifloxacin Tigecyclin
Zur Therapie einer bereits mehr als 2–4 h andauernden, diffusen Peritonitis sollten Substanzen oder Kombinationen mit einem breiten Wirkungsspektrum eingesetzt werden. Die Aminoglykosid-Therapie (auch in Kombination mit Clindamycin oder Metronidazol) hat sich gegenüber neueren Therapieregimen mit Betalaktam-Antibiotika und Chinolonen als unterlegen gezeigt und gilt aus diesem Grunde nicht mehr als Mittel der Wahl (Paul et al. 2004, 2006). Darüber hinaus erfordern variable kinetische Parameter sowie die Oto- und Nephrotoxizität eine regelmäßige Serumspiegelkontrolle. Postoperative Peritonitis Die postoperative Peritonitis ist eine nosokomial erworbene sekundäre Peritonitisform (z. B. Anastomoseninsuffizienz nach anteriorer Rektumresektion). Bei der postoperativen Peritonitis liegt im Gegensatz zur tertiären Peritonitis ein chirurgisch behandlungsbedürftiges Krankheitsbild vor (Wacha et al. 2004). Die meisten Patienten sind zum Zeitpunkt der Erkrankung bereits antibiotisch vorbehandelt. Daher zeichnet sich die postoperative Peritonitis durch ein selektioniertes Erregerspektrum mit Enterokokken (inklusive VRE), gramnegativen Problemerregern (ESBL-Bildner) und Pilzen aus. Es sollten Antibiotika mit einem breiten Wirkungsspektrum wie die Carbapeneme Gruppe 1 und 2, Tigecyclin, Piperacillin/Tazobactam oder Fluorchinolone der Gruppe 4 eingesetzt werden sowie ggf. mykotische Infektionen berücksichtigt werden (Babinckak et al. 2005, Malangoni et al. 2006).
19.6.3
Tertiäre Peritonitis
Bei der tertiären Peritonitis persistiert die Infektion der Abdominalhöhle ohne chirurgisch sanierbaren Fokus, nachdem zuvor die chirurgische Herdsanierung einer sekundären Peritonitis abgeschlossen worden ist (Kujath 2005; Nathans et al. 1998). Meist handelt es sich um gering virulente Erreger, die wegen der anhaltenden Immunsuppression des betroffenen Patienten zu einer anhaltenden Infektion führen. Diese Form der nosokomialen Perito-
19
228
Kapitel 19 · Prävention und Antibiotikatherapie postoperativer Komplikationen
nitis weist ein ähnlich verschobenes Erregerspektrum auf, wie es bei der sekundären postoperativen Peritonitis zu finden ist. Es finden sich häufig Enterokokken inkl. VRE, Staphylokokken inkl. MRSA, Enterobacteriaceae, Anaerobier und Candida spp. Die Antibiotikatherapie kann kalkuliert mit den in der Übersicht genannten Substanzen begonnen werden kann (Solomkin et al. 2010). Antibiotika bei tertiärer Peritonitis (per oral oder intravenös) 4 4 4 4 4 4 4 4
Flurchinolone Cotrimoxazol Doxycyclin Rifampicin Metronidazol Clindamycin Linezolid Fluconazol
19.6.5
Eine Entzündung der hepatischen Gallenwege wird in der Regel durch eine Abflussbehinderung verursacht. Ursachen sind meist Gallengangssteine, benigne Strukturen und Tumorverschlüsse. Das Erregerspektrum umfasst Enterobacteriaceae, Enterokokken und Anaerobier sowie Pseudomonas spp. Die primäre Therapie bei Choledocholithiasis besteht in einer endoskopischen Sanierung der Gallenwege und nachfolgender laparoskopischer Cholezystektomie. Die kalkulierte Antibiotikatherapie kann mit den in der Übersicht genannten Substanzen durchgeführt werden. Die Behandlungsdauer beträgt bei erfolgreicher Sanierung weniger als 3 Tage, bei Abflussstörungen auch länger. Im Weiteren finden sich Anmerkungen zu folgenden speziellen Erregern (. Tab. 19.4):
19.6.6
19.6.4
19
Nekrotisierende Pankreatitis mit infizierten Nekrosen
Etwa 80% aller Todesfälle bei akuter Pankreatitis werden durch septische Komplikationen verursacht. Die interventionelle Behandlung infizierter Pankreasnekrosen umfasst zum einen konservative Maßnahmen (endoskopisch geführte transgastrale Drainage, CT-gesteuerte Ableitung). Gegenwärtig wird davon ausgegangen, dass der optimale Zeitpunkt für eine operative Behandlung (offen oder minimal-invasiv) nach dem Ablauf von mehr als drei Wochen gegeben ist (Besselink et al. 2007). Aktuelle Metaanalysen kommen zu der Erkenntnis, dass eine generelle Gabe von Antibiotika keinen positiven Effekt auf den Verlauf einer nekrotisierenden Pankreatitis hat, sondern eher resistente Erreger und Candida spp. selektioniert (Isenmann et al. 2004; Mazaki et al. 2006; Villatore 2006). Internationale Konsensuskonferenzen empfehlen derzeit, keine prinzipielle Antibiotikatherapie durchzuführen (deWaele et al. 2008; Nathans et al. 2004). Eine sichere Indikation für eine Antibiotikatherapie besteht bei nachgewiesenen infizierten Nekrosen, infizierten Pseudozysten, Abszessbildung, Cholangitis und anderen extrapankreatischen Infektionen. Die wichtigsten Erreger bei infizierten Pankreasnekrosen sind Enterobacteriaceae, Enterokokken, Staphylokokken, Anaerobier und Candida spp. > Bei der Auswahl geeigneter Antibiotika ist auch die Pankreasgängigkeit der Medikamente zu berücksichtigen.
Sekundäre Cholangitis
MRSA
Eine Infektion der Abdominalhöhle mit MRSA ist beim immunkompetenten Patienten selten. Meist handelt es sich um eine MRSA-Kolonisation bei offenem Abdomen z. B. nach abdominellem Kompartmentsyndrom und offener Spülbehandlung. Eine mögliche Indikation zur Antibiotikatherapie ergibt sich bei extrem immunsupprimierten Patienten (z. B. nach Organtransplantation). Tigecyclin besitzt als einziges der neuen MRSA-wirksamen Antibiotika eine Zulassung in der Behandlung intraabdomineller Infektionen (Babincack et al. 2005). Vancomycin ist hierzu eine Alternative, wofür die meisten klinischen Erfahrungen vorliegen. Es liegen klinische Daten über die Behandlung von intraabdominellen Infektionen mit Linezolid vor (Birmingham et al. 2003). Linezolid, Daptomycin und Vancomycin sollten jedoch mit einem Antibiotikum kombiniert werden, das gegen gramnegative Erreger wirksam ist (Arbeit et al. 2004; Weigelt et al. 2005).
19.6.7
Enterokoken inkl. VRE
Die Rolle der Enterokokken als primärer pathogener Erreger in einer polymikrobiellen intraabdominellen Infektion wird kontrovers beurteilt, zumal zahlreiche Evidenz über eine erfolgreiche Behandlung von intraabdominellen Infektionen mittels chirurgischer Herdsanierung und nicht Enterokokken-wirksamen Antibiotika vorliegt (Nickols et al. 1992). Eine gegen Enterokokken gerichtete Therapie wird empfohlen bei Patienten mit postoperativer und tertiärer Peritonitis, Patienten mit schwerer Sepsis abdomineller Genese sowie Endokarditis-gefährdeten Kollektiven (Peritonitis und Herzklappenersatz). Bei den genannten
229 19.7 · Empfehlungen für die Praxis
Indikationen ist insbesondere nach einer antibiotischen Vorbehandlung auch mit einer Selektion von Vancomycinresistenten Enterokokken zu rechnen (. Tab. 3).
19.6.8
ESBL-Bildner
In den letzten Jahren zeigt sich im Bereich der Enterobacteriaceae (vor allem E. coli, K. pneumoniae) eine zunehmende Entwicklung von Resistenzen gegen Betalaktam-Antibiotika unter Einbeziehung der Cephalosporine der 3. und 4. Generation, die durch sog. »extended spectrum beta lactamases« (ESBL) hydrolysiert werden (Lehner et al. 2009; Libermore et al. 1996; Witte et al. 2004). In operativen Bereichen mit abdominellem Schwerpunkt findet sich eine relevante Prävalenz ESBL-produzierender Erreger. Bei einer Infektion mit ESBL-Erregern ist primär der Einsatz von Carbapenemen indiziert. Alternativ können je nach Testergebnis Fluorchinolone, Fosfomycin oder als Kombinationspartner Aminoglykoside eingesetzt werden. Tigecyclin und Colistin sind meist wirksam, müssen aber ebenfalls getestet werden.
19.6.9
ulkus) bedarf beim postoperativ stabilen und immunkompetenten Patienten keiner antifungalen Therapie. Risikokollektive aus chirurgischer Sicht sind Patienten mit einer schweren postoperativen (z. B. Nahtinsuffizienz nach Ösophagojejunostomie) oder tertiären Peritonitis. Bei solchen Risikogruppen wurde durch die präemptive Therapie mit Fluconazol im Vergleich zu Placebo eine signifikante Reduktion invasiver Mykosen ohne jedoch signifikant die Letalität zu reduzieren, erreicht (Eggimann et al. 1999; Pelz et al. 2001). Aktuell wird daher die Notwendigkeit einer präemptiven Therapie eher zurückhaltend diskutiert. In den meisten Fällen ist eine initiale hochdosierte Behandlung mit Fluconazol adäquat. Bei vermuteten oder nachgewiesenen Candida-Stämmen wird vor dem Hintergrund neuerer Multicenterstudien die Anwendung eines Echinocandins (Anidulafungin, Caspofungin) präferiert, wenn der Patient instabil ist oder wenn vor kurzem eine Azoltherapie oder -prophylaxe durchgeführt worden ist. Eine Initialtherapie mit Amphotericin B wird wegen der Toxizität der Substanz nur noch dann befürwortet, wenn eine Unverträglichkeit gegenüber anderen antifungalen Substanzen vorliegt bzw. auftritt (Pappas et al. 2009).
Invasive intraabdominelle Mykosen 19.7
Die meisten intraabdominellen Mykosen werden durch Candida spp. ausgelöst. Der einmalige Nachweis im intraoperativ gewonnenen Material bei einer ambulant erworbenen sekundären Peritonitis (z. B. perforiertes Magen-
Empfehlungen für die Praxis
Die in . Tab. 19.1 aufgeführten Evidenz- und Empfehlungsgrade wurden für die nachfolgenden Empfehlungen (. Tab. 19.2 bis . Tab. 19.4) zugrunde gelegt.
. Tab. 19.1 Evidenz- und Empfehlungsgrade Evidenz Ia
Evidenz aufgrund von Metaanalysen randomisierter, kontrollierter Studien
Ib
Evidenz aufgrund mindestens einer randomisierten, kontrollierten Studie
IIa
Evidenz aufgrund mindestens einer gut angelegten kontrollierten Studie ohne Randomisierung
IIb
Evidenz aufgrund mindestens einer gut angelegten quasi experimentellen Studie
III
Evidenz aufgrund gut angelegter nicht experimenteller deskriptiver Studien (z. B. Vergleichsstudien, Korrelationsstudien, Fall-Kontroll-Studien)
IV
Evidenz aufgrund von Berichten/Meinungen von Expertenkreisen, Konsensus-Konferenzen und/oder klinischer Erfahrungen anerkannter Autoritäten
Empfehlungsgrad A
Hoher Empfehlungsgrad, gilt als allgemein akzeptierte Empfehlung
B
Mittlerer Empfehlungsgrad
C
Niedriger Empfehlungsgrad
19
230
Kapitel 19 · Prävention und Antibiotikatherapie postoperativer Komplikationen
. Tab. 19.2 Empfehlungen zur Initialtherapie der verschiedenen Formen der sekundären Peritonitis Diagnose
Häufigste Erreger
Initialtherapie
Therapiedauer
Empfehlungsgrad
Evidenzgrad
Ambulant erworben lokalisiert (z. B. frisch perforierte Appendizitis)
Enterobacteriaceae Enterokokken Anaerobier (meist Mischinfektion)
Cefuroxim/Ceftriaxon+ Metronidazol
1–2 Tage
A
Ia
Ampicillin/Sulbactam
A
Ia
Piperacillin/Tazobacatam
A
Ia
Ciprofloxacin+ Metronidazol
A
Ia
Imipenem/Meropenem
A
Ia
Ambulant erworben diffus ± Risikofaktoren (z. B. perforierte fäkale Sigmadivertikulitis)
A
Ia
Ceftriaxon+ Metronidazol
Piperacillin/Tazobacatam
A
Ib
Cefepim+ Metronidazol
A/B
Ib/Ib
Ciprofloxacin/Levofloxacin+ Metronidazol
A/B
Ib/Ib
Ertapenem
A
Ib
Imipenem/Meropenem
A
Ib
Tigecyclin
B
Ib
Moxifloxacin
B
Ib
A
Ib
Nosokomial postoperativ bzw. postinterventionell mit Notwendigkeit chirurgischer Herdsanierung (z. B. Anastomoseninsuffizienz nach Rektumresektion)
Enterobacteriaceae Sensitive Enterokokken Anaerobier MSSA MRSA VRE ESBL-Bildner Candida spp. (meist Mischinfektion)
Ertapenem
Nosokomial tertiär (rekurrierende Infektion nach Herdsanierung)
Enterobacteriaceae (inkl. ESBL-Bildner) Enterokokken (inkl. VRE) Staphylokokken (inkl. MRSA) Anaerobier Pseudomonas spp.
Imi-/Meropenem
Fluconazol-sensible Candida spp.
Fluconazol
Fluconazol-resistente Candida spp.
Anidulafungin
Invasive intraabdominelle Mykosen
19
Enterobacteriaceae Enterokokken Anaerobier (meist Mischinfektion)
3–5 Tage
7 Tage
Imipenem/Meropenem
A
Ib
Piperacillin/Tazobacatam
A
Ib
Tigecyclin*
A
IIa
Moxifloxacin
B
Ib
A
Ib
Piperacillin/Tazobacatam
A
Ib
Tigecyclin
A
IIa
Ertapenem
B
IV
Ceftriaxon/Cefepim + Metronidazol
B
IV
Caspofungin Voriconazol Amphotericin B
* ggf. Kombination mit Pseudomonas-wirksamer Substanz erforderlich
7 Tage
14 Tage
19
231 19.7 · Empfehlungen für die Praxis
. Tab. 19.3 Kalkulierte Antibiotikatherapie bei nekrotisierender Pankreatitis und sekundärer Cholangitis Diagnose
Häufigste Erreger
Initialtherapie
Therapiedauer
Empfehlungsgrad
Evidenzgrad
Nekrotisiernde Pankreatitis mit Infektion
Enterobacteriaceae Enterokokken Staphylokokken Anaerobier
Ertapenem Imipenem/Meropenem Ciprofloxacin oder Levofloxacin oder Moxifloxacin oder Cefuroxim jeweils + Metronidazol
7–10 Tage
A A A
Ia Ia Ia
B
Ia
B
Ia
B
Ia
B
III
A A A B
Ib Ib Ib IIb
A
Ib
A
Ib
A
Ib
B
III
Piperacillin/Tazobacatam
Sekundäre Cholangitis
MRSA, VRE; ESBL-Bildner
. Tab. 19.4
Candida spp.
. Tab. 19.2
Enterobacteriaceae Enterokokken Anaerobier Pseudomonas spp.
Ampicillin/Sulbactam Piperacillin/Tazobacatam Ertapenem/Imipenem/Meropenem Moxifloxacin oder Ciprofloxacin oder Levofloxacin oder Rocephin oder Cefepim jeweils + Metronidazol
3–5 Tage
. Tab. 19.4 Kalkulierte Antibiotikatherapie bei vermuteter oder nachgewiesener intraabdomineller Infektion mit resistenten Erregern Erreger
Antibiotikum
Therapiedauer
Empfehlungsgrad
Evidenzgrad
MRSA
Tigecyclin
7 Tage
A
IIa
Linezolid+
A
III
Daptomycin+
B
IV
Vancomycin+
B
IV
A
IIa
A
III
A
III
Imipenem/Meropenem
A
III
Tigecyclin
A
III
Fosfomycin (keine Monotherapie)
B
IV
Colistin
C
IV
VRE
Tigecyclin
7 Tage
Linezolid ESBL-Bildner (E. coli, Klebsiella spp.)
Ertapenem
7 Tage
+ = Kombination mit Antibiotikum zur Erfassung gram-negativer und anaerober Spezies erforderlich
19
232
Kapitel 19 · Prävention und Antibiotikatherapie postoperativer Komplikationen
19.8
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20
Allgemeine chirurgische Prinzipien beim akuten Abdomen M. Stumpf, R. Rosch
20.1 Leitsymptome 20.2 Diagnostik
– 234
– 234
20.3 Erstmaßnahmen und erweiterte Diagnostik 20.4 Apparative Diagnostik
– 236
20.5 Zugangsweg und intraoperative Strategie 20.6 Literatur
– 235
– 237
– 237
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_20, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
234
Kapitel 20 · Allgemeine chirurgische Prinzipien beim akuten Abdomen
Der Begriff des »akuten Abdomens« ist eine Sammelbezeichnung für Erkrankungen, die mit einer akut einsetzenden und rasch progredienten Abdominalsymptomatik einhergehen. Die klassischen Leitsymptome sind heftige Bauchschmerzen, Peritonismus und das Vorliegen einer Kreislaufdysregulation bis hin zum Schock. Ursache der Abdominalsymptomatik ist entweder die Manifestation einer intraabdominellen Erkrankung oder die abdominelle Projektion einer extraabdominellen Ursache. Die Beurteilung eines Patienten mit akuten Abdominalschmerzen gehört zu den interessantesten und herausforderndsten Problemen in der klinischen Medizin. Trotz ständiger Erweiterung der diagnostischen Möglichkeiten in den letzten Jahrzehnten, bleibt die rasche klinische Beurteilung durch einen erfahrenen Untersucher, evtl. ergänzt durch unmittelbar verfügbare, gezielt ausgewählte Diagnostik der entscheidende Schritt im Behandlungsablauf. Entscheidend bei der Indikationsstellung ist, ob ein Patient möglichst ohne Verzögerung einer Notfalloperation zugeführt werden muss oder ob Zeit für erweiterte differenzialdiagnostische Maßnahmen bleibt.
20.1
20
Leitsymptome
Primäres Leitsymptom des akuten Abdomens ist der Schmerz, wobei hier 2 Schmerzafferenzen zu unterscheiden sind. Der viszerale Schmerz entsteht durch Affektion sympathischer Nerven des viszeralen Peritoneums. Als Ursache kommen ödematöse Schwellung und Entzündungsprozesse, überschießende Kontraktionen der glatten Muskulatur, akute Schwellung parenchymatöser Organe (Kapselspannungsschmerz) oder rasch zunehmende Druckerhöhungen in Hohlorganen in Frage. Der viszerale Schmerz wird als dumpf, brennend, bohrend, wellenartig und schlecht lokalisierbar empfunden. Wegen der Konvergenz viszerosensibler und somatosensibler kutaner, afferenter Nervenfasern auf dieselben Hinterhornneurone des Tractus spinothalamicus lateralis werden die Erregungen aus inneren Organen auch auf Hautareale übertragen (»referred pain«). Diese Hautareale (Head-Zonen) entsprechen in ihrer Ausdehnung jeweils dem Dermatom, das aus demselben spinalen Segment innerviert wird wie das erkrankte Organ. Klassische Beispiele sind der rechtsseitige Schulterschmerz bei Erkrankungen der Gallenblase oder der Rückenschmerz bei Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse. > Charakteristisch für den viszeralen Abdominalschmerz ist die vegetative Begleitsymptomatik: Übelkeit, Erbrechen, Angstzustände, Unruhe, Tachykardie, Kaltschweißigkeit und Blässe (»Facies abdominalis«).
Der somatische Schmerz entsteht durch Irritationen des parietalen Peritoneums und des Mesenteriums. Er ist aufgrund der bilateralen Innervation meist gut lokalisierbar und wird durch Bewegung der Bauchdecken verstärkt. Die Patienten liegen daher ruhig im Bett und versuchen, sich so wenig wie möglich zu bewegen. Erschütterungsschmerz, Druckschmerz, Loslassschmerz und kontralateraler Loslassschmerz sind klinische Zeichen. Auch die Abwehrspannung der Bauchdeckenmuskulatur wird durch die Reizung des parietalen Peritoneums hervorgerufen. Der zeitliche Ablauf und die Veränderung des Schmerzcharakters gibt Aufschluss über die mögliche Ursache. Als klassisches Beispiel für die Entwicklung von einem viszeralen Anfangsschmerz zu einem somatischen Schmerz mag die akute Appendizitis dienen. Solange die Entzündung auf die inneren Wandschichten des Organs beschränkt bleibt, bedingt sie viszerale Schmerzen, die auf das Epigastrium projiziert werden. Schreitet die Entzündung auf die Appendixaußenwand fort, »wandert« der Schmerz in den rechten Unterbauch, da auch somatosensible Afferenzen des parietalen Peritoneums irritiert werden. Über viszero-viszerale Reflexe können intraabdominelle Affektionen zu Motilitätsstörungen im Sinne einer Hypoperistaltik führen. Sie ist in der Regel durch reflektorische Steigerung des Sympatikotonus bedingt. Diese kann direkt, durch retroperitoneale Prozesse erfolgen (z. B. Wirbelfrakturen, Hämatome, Pankreatitis) oder durch entzündliche Prozesse und viszerale Schmerzaffektionen verursacht sein. Je nach Schweregrad können alle Spielarten von der reflektorischen Atonie bis hin zum Vollbild des paralytischen Ileus beobachtet werden. Eine Hyperperistaltik ist primär beim Vorliegen eines mechanischen Ileus (Widerstandsperistaltik) zu finden. Durch viszero-viszerale Reflexe kann durch viszerale Schmerzen Erbrechen ausgelöst werden. Dieses reflektorische Erbrechen ist vom Dekompensationserbrechen zu unterscheiden, das durch ein mechanisches Hindernis im Bereich des Gastrointestinaltraktes hervorgerufen wird (z. B. Magenausgangsstenose, dekompensierter Ileus).
20.2
Diagnostik
> Die primäre Diagnostik muss mit möglichst minimalem Aufwand sicher die Frage klären, ob ein Patient einer Notfalloperation unmittelbar zugeführt werden muss, oder ob Zeit für differenzialdiagnostische Maßnahmen bleibt.
Anamnese und körperliche Untersuchung sind das wichtigste Fundament und damit unabdingbarer Bestandteil dieser primären Entscheidungsfindung. Die hierbei gewonnene Diagnose sollte idealerweise durch wenige, ge-
235 20.3 · Erstmaßnahmen und erweiterte Diagnostik
zielt ausgewählte Laboruntersuchungen oder die radiologische Diagnostik bestätigt werden (7 Übersicht). Eine gezielt geführte Anamnese zur Entwicklung der Akutsymptomatik grenzt die möglichen Ursachen deutlich ein. Neben dem exakten, anamnestischen Eruieren der o. g. Leitsymptome sind Fragen nach der Darmtätigkeit, früheren Erkrankungen, vor allem früheren Operationen, Aufenthalte in tropischen Ländern und bei Frauen nach der Menstruation obligat. Auch sollte eine kurze und gezielte Allgemeinanamnese helfen, mögliche extraabdominelle Ursachen der Bauchschmerzen auszuschließen. Die körperliche Untersuchung schließt eine Beurteilung des Gesamtzustandes des Patienten, seiner Haltung, seiner Position auf der Untersuchungsliege sowie dem Ausmaß der Schmerzäußerung mit ein. Schon der »klinische Blick« hilft dem Erfahrenen bei der ersten Einschätzung der Situation. Das Verhalten des Patienten – z. B. Schonhaltung mit angezogenen Beinen und oberflächlicher Atmung bei Peritonitis, der »wandernde Patient« mit Harnleiterkolik –, sein Aussehen (z. B. Facies abdominalis bei Peritonitis, Ikterus bei Cholangitis, Blässe bei Blutung) geben wichtige Hinweise auf die mögliche Ursache der Beschwerden. Eine Tachykardie mit Hypotonie kann beispielsweise Ursache einer durch die Peritonitis ausgelösten Hypovolämie (Volumenshift) sein. Die Untersuchung des Abdomens beginnt immer mit einer Inspektion auf Narben, Hernien, Raumforderungen und dem Beachten von Hautveränderungen. Die Auskultation erfolgt in allen vier Quadranten. Neben der hochgestellten, »klingenden« Peristaltik beim mechanischen Ileus ist auf eine mögliche Hypoperistaltik zu achten, die auf einen entzündlichen Herd im Abdominalbereich hinweisen kann. Die Palpation des Abdomens sollte vorsichtig im Quadranten mit den geringsten Schmerzen beginnen und sich von dort aus zum Krankheitsherd hinbewegen. Dies ist vor allem auch bei Kindern zu beachten, wo eine initial rüde Untersuchungstechnik das Vertrauen des kleinen Patienten nachhaltig beeinträchtigt und einen weiteren adäquaten diagnostischen Ablauf extrem erschwert bis unmöglich macht. Regionen einer nachweisbaren Druckschmerzhaftigkeit sind in Qualität und Ausdehnung sorgfältig zu registrieren. Das »brettharte Abdomen« bei der Peritonitis, der lokale Peritonismus bei fortgeleiteten entzündlichen Prozessen (z. B. Appendizitis) oder der Druckschmerz über nicht fortgeleiteten Prozessen sind gute Kriterien zur Einordnung der Erkrankung. Neben individuellen Unterschieden in der Schmerzbewertung ist zu beachten, dass bei Kindern, alten und sehr adipösen Patienten die Bauchdeckenreaktion u. U. deutlich geringer ausfällt.
! Cave ! Bei alten bzw. adipösen Patienten schließt ein weniger ausgeprägter Druckschmerz eine akute abdominelle Erkrankung nicht aus.
Die rektale Untersuchung ist unabdingbar, um beurteilen zu können, ob ein Douglas-Schmerz, Portioschiebeschmerz, ein Vorwölbung oder ein Tumor vorliegt. Hierbei ist auch der Füllungszustand der Ampulle sowie etwaige Blutbeimengungen zu eruieren.
20.3
Erstmaßnahmen und erweiterte Diagnostik
Obligate und fakultative Erstmaßnahmen beim akuten Abdomen 4 Obligat – Anamnese, Klinische Untersuchung (Auskultation, Palpation, rektal digitale Austastung) – Blutdruck, Puls, Temperatur – Sauerstoffsättigung – Blutgasanalyse (mit Blutzucker) – Venöser Zugang, Infusion – Notfalllabor (kleines Blutbild, Gerinnung, Elektrolyte, Enzyme, Laktat) – Blutgruppenbestimmung mit Kreuzprobe – Magensonde – Abdomensonographie – Röntgen Abdomen (im Stehen oder Linksseiten-Aufnahme) 4 Fakultativ – Urinschnelltest, Urinkatheter, Schwangerschaftstest – Spezielle Laborparameter (großes Labor, Drogenscreening) – Einlauf (Klistier, Hebe-Senk-Einlauf ) – Weiterführende Diagnostik (Gastrografin-Passage, KKE, CT, Endoskopie, Peritoneallavage, Angiographie/Angio-CT) – Konsiliarische interdisziplinäre Vorstellung
An den oben beschriebenen Untersuchungsgang sollten sich unmittelbar und standardisiert erste Behandlungsmaßnahmen anschließen. Ausgeprägte oder stärkste Abdominalschmerzen werden als Leitsymptom des akuten Abdomens initial oft bewusst in Kauf genommen und zunächst, aus Angst hierdurch wichtige klinische Befunde zu maskieren und eine Fehleinschätzung zu provozieren, nicht therapiert. Dies ist
20
236
Kapitel 20 · Allgemeine chirurgische Prinzipien beim akuten Abdomen
insbesondere der Fall, wenn Patienten von weniger erfahrenen Ärzten nachfolgend noch einem chirurgischen Facharzt vorgestellt werden müssen. In mehreren Untersuchungen konnte jedoch gezeigt werden, dass eine frühe Analgesie die korrekte klinische Diagnosestellung nicht beeinträchtigt (Attard et al. 1992; Thomas et al. 2003). > Die adaptierte frühzeitige Schmerzlinderung ist beim akuten Abdomen als ärztliche Pflicht anzusehen.
20
Je nach Schmerzausprägung kommen Novaminsulfon, Pethidin oder Morphinderivate zum Einsatz. Bei Verdacht auf eine Gallenkolik sollten Morphine aufgrund der Druckerhöhung des Sphincter Oddi erst nach Therapie mit Butylscopolamin verabreicht werden. Generell lindert Butylscopolamin Koliken, evtl. ergänzt durch Novaminsulfon. Übelkeit und Erbrechen sollte zusätzlich mittels Triflupromazin oder Metoclopramid behandelt werden. Das Monitoring von Blutdruck, Puls und Sauerstoffsättigung ist essenziell. Das Erfassen der Körpertemperatur sollte ebenfalls bereits in der Aufnahmeroutine durchgeführt werden. Über einen der klinischen Situation entsprechend dimensionierten venösen Zugang erfolgt die Blutentnahme für das Notfalllabor inkl. der Blutgruppenbestimmung. Entsprechend der Klinik (Hydratationszustand des Patienten, Blutdruck, Schockindex) sollten Infusionen von Kristalloiden und ggf. von Kolloiden verabreicht werden. Die einfach durchführbare kapilläre Blutgasanalyse verschafft gerade in kritischen Situationen einen schnellen Überblick zur Oxygenierung, zum Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt, sowie zum Blutzuckerspiegel und kann hierdurch weitere entscheidende nachfolgende Schritte wie beispielsweise Sauerstoffzufuhr oder die intensivmedizinische Überwachung und Stabilisierung einleiten. Eine Magensonde ist grundsätzlich obligat und kann das Risiko der Aspiration reduzieren und die Beschwerden insbesondere bei Passagestörungen lindern. Darüber hinaus liefert die Einschätzung der Qualität des Drainagesekretes (gallig, stuhlig, blutig) bereits entscheidende Hinweise auf das zugrundeliegende Krankheitsbild. Nicht zu empfehlen ist eine Magensonde bei Verdacht auf eine Ösophagusvarizenblutung. Zu den situationsabhängig durchzuführende Erstmaßnahmen zählt die Urinuntersuchung (Leukozyturie, Mikrohämaturie) und der Schwangerschaftstest (β-HCG). Eine transurethrale Urinkatheterisierung sollte bei komatösen Patienten und selbstverständlich bei sonographisch nachgewiesenem Harnverhalt durchgeführt werden. Fakultativ, je nach Klinik, ist zusätzlich zu periphervenösen Zugängen ein zentralvenöser Zugang zur Bestimmung des zentralvenösen Druckes und zum Ausgleich des Säure-Basen-Haushaltes. Bei gastrointestinalen Blutungen
ist in der eigenen Klinik ein großvolumiger Sheldon-Katheter Standard. Spezielle Laborparameter (z. B. großes Labor, Schilddrüsenwerte, Drogenscreening) sollten gezielten Fragestellungen vorenthalten sein.
20.4
Apparative Diagnostik
Die Sonographie des Abdomens und des Retroperitoneums durch den behandelnden Chirurgen hat einen großen Stellenwert und sollte heutzutage als Standard jede klinische Untersuchung ergänzen, diese jedoch niemals ersetzen. In der Mehrzahl der Fälle gelingt es hierdurch die klinische Diagnose zu sichern und ermöglicht zusätzlich die Differenzierung zu Erkrankungen anderer Fachbereichen wie Krankheiten des Urogenitaltraktes (Teichmann et al. 2002). Speziell bei der Divertikulitis, der Cholezystitis und bei Darmobstruktionen hat die initiale Sonographie eine hohe Sensitivität und Spezifität (Riesener et al. 1997). Beim sonographischen Nachweis freier Flüssigkeit bietet die sonographisch gesteuerte Punktion weitere wichtige Informationen zum Krankheitsbild. Die Röntgenaufnahme des Abdomens im Stehen oder in der Linksseitenlage gehört nach wie vor zu den am häufigsten durchgeführten diagnostischen Erstmaßnahmen, da hierdurch relativ kostengünstig in kurzer Zeit freie Luft oder Spiegelbildung erkannt werden können. Bei der Suche nach freier Luft ist zu beachten, dass im Liegen die Abdomeneinstellung in Linksseitenlage, im Stehen jedoch die aufs Zwerchfell zentrierte Thoraxaufnahme die Technik mit der höchsten Sensitivität darstellt. Die gleichzeitige Durchführung des Thoraxröntgenbildes ist auch logistisch sinnvoll, da sie weitere Hinweise auf den Krankheitszustand gibt (ebenfalls freie Luft, Enterothorax, Erguss, Stauung, Pneumonie) und der Abschätzung der allgemeinen Morbidität im Rahmen der Operationsvorbereitung dient. Weitere bildgebende Verfahren folgen je nach Arbeitsdiagnose und Klinik, wobei aufgrund der raschen Verfügbarkeit das Kontrastmittel-CT zunehmend an Bedeutung gewinnt. Vor allem bei unzureichender Aussage der Ultraschalluntersuchung oder einem unklaren klinischen Bild kann die Computertomographie wichtige Zusatzinformationen bieten. Trotzdem sollte der Einsatz des CT speziellen Fragestellungen vorbehalten bleiben. Der Kolonkontrasteinlauf zum Nachweis und der Einschätzung entzündlicher Veränderungen, Stenosen oder gedeckter Perforationen wird je nach Verfügbarkeit aufgrund der rascheren und praktikableren Durchführbarkeit mehr und mehr vom Kontrastmittel-CT abgelöst. Das CT hilft insbesondere bei unklaren Situationen, bietet weitere Informationen wie beispielsweise zu einer möglichen Abszedierung und
237 20.6 · Literatur
eröffnet gleichzeitig die Möglichkeit einer interventionellen Therapie mittels gezielter Drainage. Gerade bei Kindern muss hierbei, um eine Strahlenbelastung möglichst gering zu halten, auch an eine MRT-Untersuchung gedacht werden.
20.5
Zugangsweg und intraoperative Strategie
Generell ist bei präoperativ nicht eindeutig geklärter Krankheitsursache die mediane Laparotomie der Standardzugang. Entsprechend der Anamnese, Klinik und weiterführenden präoperativen Lokalisationsdiagnostik ist zwischen überwiegend supra- oder infraumbilikalem Schnitt zu entscheiden. Steht präoperativ die zugrunde liegende Organpathologie fest, ist selbstverständlich der direkte Zugangsweg mit der besten Übersicht und geringer postoperativer Morbidität vorzuziehen. So bietet beispielsweise die quere Oberauchlaparotomie unter Umständen eine bessere Übersicht im Oberbauch (z. B. Pankreas). Nach erfolgter Eröffnung der Peritonealhöhle erfolgt eine sorgfältige und komplette Inspektion der abdominellen Organe. Grundsätzlich sollte die Exploration – ausgenommen bei aktiven Blutungen- von den wenig veränderten Arealen zum vermuteten Krankheitsherd voranschreiten, um die zusätzliche Verbreitung einer möglichen Infektion zu verhindern. Liegt ein septischer Fokus vor sollte versucht werden eine Kontamination der Bauchdecken sowie des übrigen Abdomens durch entsprechendes Abdecken mit Tüchern zu verhindern. Ist bei Ulkusverdacht auf Anhieb keine Perforationsstelle zu finden, muss die Bursa omentalis eröffnet werden und das Duodenum komplett mobilisiert werden (Kocher-Manöver) um eine retroperitoneale Perforation auszuschließen. Unter Umständen kann eine Instillation von Blaulösung über die liegende Magensonde oder eine intraoperative Endoskopie zum Aufsuchen der Perforation hilfreich sein (zur detaillierten Therapie der Peritonitis 7 Kap. 21). Einen großen und weiter zunehmenden Stellenwert besitzt der Einsatz der Laparoskopie beim akuten Abdomen. Viele akut auftretende und auch akut behandlungsbedürftige abdominelle Erkrankungen können heute in minimal-invasiver Technik behandelt werden. Hierzu zählen die akute Cholezystitis, die akute Appendizitis oder der Bridenileus. Insbesondere bei jungen Frauen mit akuten Unterbauchschmerzen hilft die Laparoskopie in der Differenzialdiagnose zu gynäkologischen Erkrankungen und ermöglicht über den minimal-invasiven Zugang die gleichzeitige Therapie. Beim älteren Patienten mit nicht sicher zu klärendem Fokus ist in den meisten Fällen eine primär laparoskopische Exploration zu empfehlen (Memon et al. 1997). Bei entsprechender Expertise ist auch die primär
laparoskopische Vorgehensweise beim Ileus als Methode der Wahl anzusehen. Ist beim Vorliegen einer einfachen Bride die minimalinvasive Technik fast immer erfolgreich, kann auch bei ausgedehnteren Verwachsungen, z. B. in Kombination mit einer gezielt lokalisierten queren Minilaparotomie sehr häufig eine komplette Laparotomie vermieden werden. Gerade in diesen Fällen profitieren die Patienten durch die meist deutlich raschere Erholung und kürzere Phase der postoperativen Atonie (Szomstein et al. 2006). Kann die manchmal notwendig werdende Beurteilung der Durchblutungssituation des Darms nicht sicher erfolgen, ist auch hier im Zweifel über eine Minilaparotomie der Zustand des Darms in den meisten Fällen hinreichend zu klären. Auch die Versorgung einer frischen Ulkusperforation ist bei entsprechender Erfahrung sicher laparoskopisch möglich. Generell ist die Grundvoraussetzung für ein minimal-invasives Vorgehen im Notfall natürlich ein rund um die Uhr zur Verfügung stehendes erfahrenes Laparoskopie-Team.
20.6
Literatur
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20
21
Abdominelle Sepsis und Peritonitisbehandlung H. Bartels, J. Höer, A. Schachtrupp, C. Töns†
21.1
Abdominelle Sepsis H. Bartels
– 240
21.1.1 21.1.2 21.1.3 21.1.4
Einführung – 240 Kausale Therapie – 240 Supportive Therapie – 240 Literatur – 242
21.2
Peritonitis und abdominelles Kompartmentsyndrom A. Schachtrupp, C. Töns†, J. Höer
21.2.1 21.2.2 21.2.3 21.2.4 21.2.5 21.2.6 21.2.7 21.2.8 21.2.9 21.2.10
Einführung – 243 Studienlage – 243 Allgemeine Einteilung und Erregerspektrum – 243 Klassifikationen – 244 Klinische Symptomatologie und Diagnostik – 244 Therapie – 244 Temporärer Bauchdeckenverschluss – 246 Mortalität und Prognose – 247 Abdominelles Kompartmentsyndrom – 247 Literatur – 250
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_21, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
– 243
240
Kapitel 21 · Abdominelle Sepsis und Peritonitisbehandlung
Die Klinik der abdominellen Sepsis ist durch ein lokales intraabdominelles Geschehen (Peritonitis) und extraperitoneale Allgemeinreaktionen (Sepsis) gekennzeichnet. Damit sind die Therapiekonzepte auch klar definiert. Die Kausaltherapie ist immer die Ausschaltung der eigentlichen (primären) Infektionsquelle durch chirurgische oder interventionelle Herdsanierung in Kombination mit gezielter antibiotischer Therapie. Nur wenn das gelingt und eine permanente Reinfektion des Bauchraumes verhindert wird, können supportive Strategien der modernen Intensivbehandlung und auch adjunktive Konzepte überhaupt zum Tragen kommen.
21.1
Abdominelle Sepsis H. Bartels
21.1.1
der additiven chirurgischen Konzepte zur Prävention persistierender intraabdomineller Infektionen ist heute unter den Rahmenbedingungen einer verbesserten Intensivmedizin, wirksamerer antimikrobieller Regime und Fortschritten in der interventionellen Radiologie eine im Vergleich zu früheren Jahren eher abwartende Haltung gerechtfertigt (Bartels 2009): Die eigentliche Kausaltherapie bei der abdominellen Sepsis ist die schnelle chirurgische Herdsanierung immer in Kombination mit wirksamen antimikrobiellen Regimen, die das Resistenzspektrum der jeweiligen Klinik berücksichtigen, Problemkeime miterfassen (Seguin et al. 2006) und bei immunsupprimierten Patienten auch gegen Enterokokken – und Candida – Infektionen gerichtet sind (Kujath et al. 2008). Sobald mikrobiologische Daten verfügbar sind, sollte die Therapie eingeengt werden und sich dann gezielt gegen das vorliegende Keimspektrum richten (Briegel 2008).
Einführung 21.1.3
Sepsis, schwere Sepsis und septischer Schock stellen heute eine medizinische und auch ökonomische Herausforderung dar. Ihre Inzidenz ist steigend und liegt – geschätzt für die Bundesrepublik Deutschland – bei 150.000 Erkrankungen pro Jahr (Reinhart et al. 2006). Die daraus resultierenden Behandlungskosten von 1,1–2,45 Milliarden € entsprechen 30% des Gesamtbudgets für intensivmedizinische Maßnahmen (Graf u. Janssens 2006). > In der Viszeralchirurgie ist die Peritonitis die weitaus häufigste Sepsismanifestation. Die abdominelle Sepsis stellt nicht nur die schwerste Belastung des postoperativen Verlaufs dar, sie ist auch die Hauptursache für postoperative Morbidität und Mortalität (Bartels 2009).
21.1.2
21
Kausale Therapie
Das therapeutische Vorgehen bei der Peritonitis und abdominellen Sepsis ist heute klar definiert (Teichmann et al, 2008). Nach wie vor ist die chirurgische Herdsanierung mit Ausschaltung der primären Infektionsquelle der entscheidende erste Schritt und für den Patienten prognosebestimmend. Gelingt die Herdsanierung aber nicht, sind permanente Reinfektion des Bauchraumes mit Aktivierung von immunologischen Reaktionsabläufen und als Endstrecke Multiorganversagen und septischer Schock nur schwer oder gar nicht beeinflussbar (Bartels u. Stein 2004). Die operativen Konzepte zur Herdsanierung – jeweils in Abhängigkeit von der Lokalisation der primären Infektionsquelle – sind in 7 Abschn. 21.2 dargestellt. Bezüglich
Supportive Therapie
Im Gegensatz dazu haben intensivmedizinische Therapieverfahren nur supportiven Charakter mit Unterstützung der jeweils vorliegenden Organfunktionsstörungen infolge der septischen Allgemeinreaktion. Jedoch konnten einige dieser Studien die Wirksamkeit dieser Maßnahmen unter Beweis stellen (Reinhart et al. 2006).Dies gilt in gleichem Maße für modifizierte Beatmungsformen mit kleineren Atemzugvolumina und inspiratorischer Druckbegrenzung und für Strategien, die den Pathomechanismen des Multiorganversagens entgegen wirken. Heute werden für die Entstehung des Multiorganversagens (MOV) neben der Dysfunktion des unspezifischen Immunsystems mit pro- und antiinflammatorischen Reaktionsmustern (Faist 2006) vor allem die Kreislaufinsuffizienz mit endothelialer Dysfunktion und die Störung der Mukosabarriere des Darms mit sekundärer Translokation verantwortlich gemacht (Alverdy et al. 2003). Damit kommt einer effektiven initialen Kreislaufstabilisierung entscheidende Bedeutung zu.
Kreislauftherapie > Rivers et al. (2001) konnten zeigen, dass eine frühzeitige und aggressive Optimierung der kardiozirkulatorischen Funktion die Sterblichkeit von Patienten mit schwerer Sepsis und septischem Schock deutlich reduziert.
Die Therapie der Wahl ist dabei der hohe Volumenersatz. Der Einsatz von vasopressorischen Katecholaminen ist nur dann gerechtfertigt, wenn mit der Volumentherapie allein kein ausreichender Perfusionsdruck erzielt werden kann
241 21.1 · Abdominelle Sepsis
organversagen eine Entwicklung in Gang kommen, die die Sepsis perpetuiert und verschlimmert (Kalff et al. 2003). Dabei ist offensichtlich die intestinale Ischämie von zentraler Bedeutung (. Abb. 21.1). Translokation wird zum Problem vor allem bei Kreislaufinstabilität, intestinaler Minderdurchblutung und Mukosaischämie. Diese Zusammenhänge haben zu einer Reihe von Bezeichnungen geführt, wie »gut derived sepsis«, »motor of multiple organ failure« oder »gut inflammatory response«(Alverdy et al. 2003). Die einzigen zurzeit verfügbaren Maßnahmen, eine Translokation mit ihrer schädigenden Rückwirkung auf den Gesamtorganismus zu beeinflussen, sind damit wieder die effektive initiale Kreislaufstabilisierung, wenn möglich unter Verzicht auf Katecholamine, und eine frühzeitige enterale Ernährung, die einer Mukosaatrophie der Darmschleimhaut entgegenwirkt (Marik u. Zagola 2002). . Abb. 21.1 Intestinale Translokation
Adjunktive Therapie (Reinhart et al. 2006). Allen Katecholaminen gemeinsam ist aber eine dosisabhängige intestinale Minderdurchblutung, die wiederum der Translokation Vorschub leisten kann.
Translokation Unter Translokation verstehen wir die Passage von lebenden Mikroorganismen und/oder ihrer Produkte aus dem Darmlumen durch eine makroskopisch intakte Darmwand. Translokation findet statt – in der Regel ist aber die klinische Konsequenz daraus gering. Körpereigene systemische und retikuloendotheliale Abwehrmechanismen werden offensichtlich mit dieser Translokation fertig. Unter gewissen Voraussetzungen kann aber über Aktivierung von Makrophagen systemisch und in der Darmwand sowie über massive Freisetzung von proinflammatorischen Zytokinen und Mediatoren bis hin zur Sepsis und Multi-
. Abb. 21.2 Therapiekonzepte bei der abdominellen Sepsis
Etablierte Therapieprinzipien bei der abdominellen Sepsis sind somit die chirurgische/interventionelle Herdsanierung in Kombination mit Antibiotika (eigentlich Kausaltherapie) und supportive Intensivmedizin zur Unterstützung der jeweils vorliegenden Organfunktionsstörungen (. Abb. 21.2). Darüber hinaus wird heute mit adjunktiven Konzepten versucht, im Sinne einer spezifischen Sepsistherapie die immunologischen Reaktionsabläufe und die Aktivierung des gesamten Gerinnungssystems zu beeinflussen.
Antimediatorstrategien Die kausale Beteiligung proinflammatorischer Faktoren an der Genese eines septischen Multiorganversagens ist unbestritten, sodass die Blockade dieser Mediatoren als ein viel versprechender Therapieansatz erschien. Die tierexperimentellen Grundlagen dafür waren, dass durch Injektion einer definierten Menge von Toxinen oder Zytokinen re-
21
242
Kapitel 21 · Abdominelle Sepsis und Peritonitisbehandlung
produzierbar ein septischer Schock ausgelöst werden kann und auf der anderen Seite in Tiermodellen mit letalem Ausgang durch Inhibition dieser Toxine und Zytokine ein bis zu hundertprozentiges Überleben der Tiere ermöglicht wurde (Emmanuel et al. 2005). Aber die hohen Erwartungen, die u. a. in monoklonale Antikörper gegen Endotoxin, Ibuprofen, Interleukin-1Rezeptorantagonisten, Immunglobuline und hochdosiertes N-Azetylcystein gesetzt wurden haben sich in klinischen Studien bisher nicht bestätigen lassen (Marshall 2002; Reinhart et al. 2006).
Modulation des Gerinnungssystems Die direkte Interaktion des Gerinnungssystems mit der Inflammationskaskade bedingt eine Verschiebung des Gleichgewichtes der Hämostase zur prokoagulatorische Seite. Diese vermehrte Gerinnungsaktivierung und Fibrinolysehemmung sind insofern von klinischer Bedeutung, als sie Störungen der Mikrozirkulation verursachen und damit ein Multiorganversagen auslösen/unterhalten können. Mit der rekombinanten Herstellung der humanen physiologischen Inhibitoren der Gerinnung (Antithrombin, TFPI, aktiviertes Protein C) wurde ein therapeutischer Einsatz dieser Substanzen bei der Sepsis möglich. In Multicenterstudien konnte aber weder für AT III (Abraham et al. 2003) noch für TFPI (»tissue factor pathway inhibitor«: Warren et al. 2001) ein Überlebensvorteil gefunden werden. Lediglich aktiviertes Protein C (Drotrecogin-Alpha) hat bisher die Mortalität der schweren Sepsis wohl auf dem Boden eines kombinierten antithrombotischen, profibrinolytischen und antiinflammatorischen Wirkmechanismus signifikant senken können(Bernard et al. 2001). Bei Patienten mit abdomineller Sepsis und den Rahmenbedingungen möglicher wiederholter operativer Interventionen muss der Einsatz dieser Substanz aber weiterhin kritisch beurteilt werden wegen der nicht unerheblichen Blutungskomplikationen und der Tatsache, dass für invasive Maßnahmen die ausgewiesenen Sperrzeiten einzuhalten sind, da aktiviertes Protein C nicht antagonisierbar ist (Reinhart et al. 2006).
Intensivierte Insulintherapie
21
Die früher publizierten sehr optimistischen Ergebnisse, mit intensivierter Insulintherapie das Mortalitätsrisiko von Intensivpatienten zu senken (van den Berghe et al. 2001), konnten ebenfalls nicht bestätigt werden. In einer großen Folgestudie an über 6000 Sepsispatienten war das Mortalitätsrisiko innerhalb von 90 Tagen unter der stringenten Insulintherapie sogar höher als in der Kontrollgruppe (NICE-SUGAR Study Investigators 2009).
Hydrokortison Vergleichbar enttäuschend ist bisher auch eine adjunktive Sepsistherapie mit Hydrokortison. Weder die Hochdosis-
therapie mit Kortikoiden noch die Gabe von niedrig dosiertem Hydrokortison hat die Sterblichkeit von septischen Patienten reduzieren können (Sprung et al. 2008). > Zum jetzigen Zeitpunkt stehen überzeugende adjunktive Konzepte einer spezifischen Sepsistherapie (noch) nicht zur Verfügung. Etabliert bei der abdominellen Sepsis sind bis auf weiteres – unterstützt von einer Intensivmedizin entsprechend heute gültiger Leitlinien – die frühzeitige chirurgische Herdsanierung und effektive initiale antimikrobielle Regime, die heute auch im Update der Surviving Sepsis Campaign Guidelines Berücksichtigung finden und damit international anerkannten Behandlungsprinzipien entsprechen (Dellinger et al. 2008).
21.1.4
Literatur
Abraham E, Reinhart K, Opal S (2003) Efficacy and safety of tifacogin (recombinant factor pathway inhibitor) in severe sepsis: a randomised controlled trial. JAMA 290:230–242 Alverdy JC, Laughlin RS, Wu L et al. (2003) Influence of the critically ill state on host-pathogen interactions within the intestine: Gut derived sepsis redefined. Crit Care Med 31:260–265 Bartels H, Stein HJ (2004) Aktuelle Therapiekonzepte bei der abdominellen Sepsis. Visceralchirurgie 39:333–338 Bartels H (2009) Spezielle Gesichtspunkte postoperativer Komplikationen in der Viszeralchirurgie. Chirurg 80:780–789 Bernard GR, Vincent JL, Laterne PF et al. (2001) Efficacy and safety of recombinant human activated protein C for severe sepsis. N Engl J Med 344:699–709 Briegel J (2008) Update der Surviving Sepsis Campaign Guidelines 2008. Anästhesist 57:284–286 Dellinger RP, Levy MM, Carlet JM et al. (2008) Surviving Sepsis Campaign: International Guidelines for Management of severe sepsis and septic shock. Intensive Care Med 34:17–60 Emmanuel K, Weikhardt H, Bartels H et al. (2005) Current and future concepts of abdominal sepsis. World J Surg 31:31–35 Faist E (2006) Pathogenese der inflammatorischen Abläufe in der Sepsis: Mechanismen und Monitoring. Viszeralchirurgie 41:6–10 Graf J, Janssens U, Max M (2006) Können wir uns eine evidenzbasierte Sepsistherapie noch leisten? Intensiv-und Notfallbehandlung 31:142–150 Kalff JC, Turler A, Schwarz NT et al. (2003) Intra-abdominal activation of a local inflammatory response within the human muscularis externa during laparotomy. Ann Surg 237:301–315 Kujath P, Hoffmann M, Rodloff A (2008) Antibiotika – und Pilztherapie bei intraabdominellen Infektionen. Chirurg 79:295–303 Marik PE, Zagola GP(2002) Early enteral nutrition in actually ill patients: a systemisc review. Crit Care Med 29:2264–2270 Marshall JC (2001) Inflammation, coagulopathy and the pathogenesis of multiple organ dysfunction syndrome. Crit Care Med 29:99– 106 NICE-SUGAR study investigators (2009) Intensive versus conventional glucose control in critically ill patients. N Engl J Med 360:1283– 1297 Reinhart KB, Brunkhorst FM, Bone HG et al. (2006) Diagnose und Therapie der Sepsis. S2-Leitlinien der Deutschen Sepsis – Gesell-
243 21.2 · Peritonitis und abdominelles Kompartmentsyndrom
schaft e. V. (DSG) und der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv – und Notfallmedizin (DIVI). Intensiv – und Notfallbehandlung 31:3–32 Rivers B, Nguyen B, Harstadt S et al. (2001) Early GOAL directed therapy in the treatment of severe sepsis and septic shock. N Engl J Med 345:1368–1372 Seguin P, Laviolle B, Chanavaz C et al. (2006) Factors associated with multidrugresistant bacteria in secundary peritonitis: impact on antibiotic therapy. Clin Microbiol Infect 12:980–985 Sprung CL, Annane D, Keh D et al. (2008) Hydrocortisone therapy for patients with septic shock. N Engl J Med 358:111–124 Teichmann W, Pohland C, Mansfeld T et al. (2008) Chirurgische Therapieoptionen bei Peritonitis. Chirurg 79:282–289 van den Berghe G, Wouters P, Weekers F et al. (2001) Intensive insulin therapy in critical ill patients. N Engl J Med 345:1359–1364 Warren BL, Eid A, Singer P et al. (2001) Caring for the critically ill patient. High dose antithrombin III in severe sepsis: a randomized controlled trial. JAMA 286:1869–1878
21.2
Peritonitis und abdominelles Kompartmentsyndrom A. Schachtrupp, C. Töns†, J. Höer
21.2.1
Einführung
Die Kontamination der Peritonealhöhle mit infektiösem Material kann zwei mögliche Konsequenzen haben: Beseitigung der Bakterien durch den Organismus oder Etablierung einer intraabdominellen Infektion (IAI). Die Brisanz der intraabdominellen Infektion ergibt sich aus der schnellen systemischen Wirkung. Der lokale und systemische Kontakt mit dem infektiösen Material bzw. mit Endotoxinen bewirkt eine monozytenvermittelte Freisetzung pro- und antiinflammatorischer Mediatoren, was zu einer immunologisch vermittelten Kreislaufbeeinträchtigung mit Hypotension und Organischämie führt (Seiler et al. 2000). Eine weitere Gefahr ergibt sich aus der großen Oberfläche des Peritoneums von 1,5–2 m2, so dass schon eine geringe peritoneale Ödembildung grundsätzlich zu einem systemischen Volumenmangel und zu einem relevanten Anstieg des intraabdominellen Drucks führen kann. Aufgrund dieser und weiterer Mechanismen führt eine lokale Infektion des Bauchfells (Peritonitis) rasch zu einer potentiell lebensbedrohlichen Allgemeinerkrankung (Peritonitiskrankheit). Eine erfolgreiche Behandlung intraabdomineller Infektionen hängt entscheidend von einer frühen Diagnosestellung, der zügigen und angemessenen Einleitung einer chirurgischen Therapie und der Durchführung einer effektiven Antibiotikatherapie ab. So variieren die Mortalitätsraten bei intraabdominellen Infektionen infolge von Hohlorganperforationen zwischen 3,5% im Frühstadium und 60–80% im Vollbild der Peritonitis mit septi-
schem Schock und Multiorganversagen (Knaebel et al. 2007; Riche et al. 2009). > Die Brisanz der Peritonitis ist hoch: Die lokale Infektion (Peritonitis) kann rasch zur lebensbedrohlichen Allgemeinerkrankung (Peritonitiskrankheit) führen.
21.2.2
Studienlage
In einer Übersicht zur chirurgischen Therapie der Peritonitis fassten Holzheimer und Dralle (Holzheimer u. Dralle 2001b) 94 Studien aus den Jahren 1965 bis 2000 zusammen. Von diesen Arbeiten waren 4 Studien randomisiert und 19 prospektiv angelegt. Zur sekundären Peritonitis ist lediglich eine Meta-Analyse verfügbar (Lamme et al. 2002). Auch in Abwesenheit eines hohen Evidenzgrades hat sich jedoch eine Reihe von Maßnahmen etabliert, die als das Resultat von Erfahrung und gesundem Menschenverstand anzusehen sind (Schein 2002). > Zur chirurgischen Therapie der Peritonitis liegen nur wenige randomisierte oder prospektive Studien vor.
21.2.3
Allgemeine Einteilung und Erregerspektrum
Nach Poppert (Poppert 1916) erfolgte eine Einteilung der Peritonitis in die primäre oder sekundäre bzw. in die lokalisierte oder diffuse Form. Eine primäre bakterielle Peritonitis tritt am häufigsten bei Patienten mit Lebererkrankungen und Aszites oder unter Peritonealdialyse auf. Häufig ist eine Infektion mit lediglich singulärem Keimnachweis anzutreffen, die in etwa 70% gram-positiven Ursprungs ist. In den übrigen Fällen finden sich zumeist gram-negative Erreger und nur selten Anaerobier, Pilze oder Mykobakterien. Eine sekundäre Peritonitis – mit einem Anteil von 80% die häufigste Form – entsteht durch Bakterien des Gastrointestinaltraktes als Folge einer traumatischen oder atraumatischen Hohlorganperforation, Nahtinsuffizienz oder im Rahmen einer Superinfektion von Pankreasnekrosen. Diese Infektionen werden zumeist von einer Kombination aus gram-negativen aeroben (z. B. E. coli, Proteus, Klebsiellen) und anaeroben Erregern (z. B. Enterokokken, Bacterioides, Peptokokken, Peptostreptokokken) verursacht. Ein zunehmender Anteil von multiresistenten Erregern wie gram-negative Bildner von »extended-spectrum beta-lactamase« (ESBL), vancomycinresistente Enterokokken (VRE) und MRSA erschweren die antibiotische Thera-
21
244
Kapitel 21 · Abdominelle Sepsis und Peritonitisbehandlung
pie erheblich und stellen unabhängige Risikofaktoren dar. Auslösend für die Beteiligung multiresistenter Erreger kann die um bis zu 3 Monate vorangegangene Verwendung eines Antibiotikums sein. Daher ist dieser Aspekt in die Anamnese mit einzubeziehen (Seguin et al. 2010). Eine tertiäre Peritonitis ist gegeben, wenn nach adäquater Therapie einer primären oder sekundären Peritonitis eine intraabdominelle Infektion bestehen bleibt oder rezidiviert (Nathens et al. 1998). Das Erregerspektrum besteht aus atypischen und nicht selten auch multi-resistenten Enterokokken, Staphylokokken oder Enterobacter; außerdem können Pilzinfektionen auftreten (z. B. Candida). Ausgehend von einer intraabdominellen Abszedierung, die spontan, iatrogen oder postoperativ ausgelöst sein kann entsteht eine quartäre Peritonitis, die als lokale Entzündungsreaktion des Organismus auf eine langsame Bakterienfreisetzung bei erhaltener Abwehrlage anzusehen ist (Bodmann 2010). > Eine sekundäre Peritonitis wird häufig durch eine Kombination aus gram-negativen aeroben und anaeroben Erregern verursacht. Zunehmend treten multi-resistente Erreger auf und erfordern eine spezifische antibiotische Therapie.
21.2.4
21
Klassifikationen
Im Zusammenhang mit der Peritonitis sind mehrere Klassifikationen beschrieben worden. Der Mannheimer Peritonitis-Index (MPI) ermöglicht eine intraoperative Klassifikation von Ursprung bzw. Ausdehnung der Entzündung und berücksichtigt die zirkulatorische, pulmonale, renale und gastrointestinale Organfunktion zum Zeitpunkt der Operation (Linder et al. 1987; Billing et al. 1994). Der MPI gilt daher als spezifisch für die intraabdominelle Infektion und kann zur Festlegung der Therapie nach der Erstoperation und zur Verlaufsbeurteilung bei programmierter Reintervention herangezogen werden. Andere Klassifikationen wie der Acute Physiology and Chronic Health Evaluation Score II (APACHE II) (Knaus et al. 1985; Kulkarni et al. 2007), das Sequential Organ Failure Assessment (SOFA) (Hynninen et al. 2008) bzw. die Klassifikation des Multiorganversagens (MOV) (Goris et al. 1985) oder des Multiorgandysfunktionssyndroms (MODS) (Marshall et al. 1995) werden auch für Patienten mit Peritonitis verwendet, sind jedoch eher geeignet, die Prognose ganzer Kollektive, z. B. im Vergleich unterschiedlicher Therapieregime, abzuschätzen (Ohmann et al. 1997). > Zur Klassifikation der Peritonitis können der Mannheimer Peritonitis-Index (MPI) und APACHE II verwendet werden.
21.2.5
Klinische Symptomatologie und Diagnostik
Die Verdachtsdiagnose einer Peritonitis wird in erster Linie anamnestisch-klinisch gestellt. Kardinalsymptome sind abdomineller Druckschmerz, Peritonismus, Fieber und Leukozytose. Die Diagnose einer intraabdominellen Infektion bei kritisch Kranken oder im postoperativen Verlauf kann schwierig sein (Cheadle u. Spain 2003). Der klinische Befund eines akuten Abdomens mit lokalisierter oder diffuser Abwehrspannung ist zwingender Auftrag, eine diagnostische Klärung der Ursache herbeizuführen und rechtfertigt bei fortbestehender Unklarheit auch die chirurgische Exploration als gleichzeitig diagnostisch-therapeutische Maßnahme (Bader et al. 2009). Ein etabliertes, rasch und wiederholt einsetzbares Untersuchungsverfahren ist die Sonographie, ggf. mit sonographisch gesteuerter Punktion der Bauchhöhle. Nativröntgenaufnahmen des Abdomens und ggf. des Thorax im Stand ergänzen sinnvoll die Notfalldiagnostik. Die flächendeckende Versorgung mit der Computertomographie und die kontinuierliche Verbesserung der Auflösung der Schnittbilddiagnostik in Kombination mit oraler, rektaler und i.v. Gabe von wasserlöslichen Kontrastmitteln (Triple-Technik) sind heute als fester Bestandteil der bildgebenden Maßnahmen anzusehen (Solomkin et al. 2010); die CT als Bestandteil der Basisdiagnostik anzusehen, ist aber nicht unumstritten (Schildberg et al. 2010). Keinesfalls ersetzen die Schnittbildverfahren aber sorgfältige Anamnese und klinische Untersuchung > Die Verdachtsdiagnose der Peritonitis ergibt sich zunächst klinisch. Kardinalssymptome sind abdomineller Druckschmerz, Peritonismus, Fieber und Leukozytose.
21.2.6
Therapie
Einfache intraabdominelle Infektionen Grundprinzipien der Peritonitistherapie wurden von Kirschner bereits 1926 formuliert: 4 Sanierung der Infektionsquelle 4 Beseitigung des Exsudates 4 Behandlung des Bauchfelles mit Desinfektionsmitteln 4 Postoperative Ableitung des Exsudates Damit wurde eine Reduktion der Mortalität von 90% auf 46% erreicht (Kirschner 1926). Die Herdsanierung hat höchste Priorität und sollte bei der ersten Operation erreicht werden, um Mortalität und Morbidität zu begrenzen (Seiler et al. 2000; Holzheimer u. Dralle 2001b). Welche operative Maßnahme im Einzelfall
245 21.2 · Peritonitis und abdominelles Kompartmentsyndrom
durchgeführt wird und ob primär eine Darmanastomose angelegt wird, hängt von der Lokalisation der Infektionsquelle, dem Ausmaß der peritonealen Entzündung und dem Bestehen einer generalisierten Sepsiskrankheit ab (Schein 2002). Die Entfernung des Exsudates bzw. von infektiösem Material und Debris ist schonend durchzuführen. Es sind nur die Fibrinbeläge zu entfernen, die sich leicht und ohne Aufwand abwischen lassen. Die Behandlung mit Desinfektionsmitteln kann lokal und systemisch toxisch wirken. Der positive Effekt einer Verwendung von Spülzusätzen (z. B. Taurolidin) ist umstritten (Teichmann u. Herbig 2000) und nicht mit genügender Evidenz belegt. So konnte der Wert der intraoperativen Spülung in einer randomisierten Untersuchung nicht bestätigt werden (Hunt et al. 1975), dennoch ist es gängige Praxis wie auch die vorsichtige intraoperative Dekompression des Darms (Schein 2002). Eine Spülung sollte mit körperwarmer isotoner Lösung erfolgen bis die Spülflüssigkeit klar erscheint. Der Nutzen oder die Gefahr von Drainagen ist ebenfalls nicht belegt (Dominguez und Post 2003); die Drainage von Prädilektionsstellen ist aber zu empfehlen (Cheadle und Spain 2003), um Ex- oder Transsudate zu entfernen und um der Ausbildung von Abszessen vorzubeugen. Auch können Drainagen zur Ableitung bestehender Verhalte oder zur Etablierung einer Fistel dienen. Fast gleichwertig neben einer zeitgerechten und gründlichen operativen Therapie steht eine intensivmedizinische Behandlung mit entsprechendem Monitoring, eine bilanzierte Flüssigkeitsgabe und eine – nach primärer Entnahme eines Abstrichs zur mikrobiologischen Untersuchung – initial kalkulierte und später resistenzgerechte Antibiotikatherapie (Seiler et al. 2000; Cheadle u. Spain 2003). Mit dieser Standardtherapie können ca. 90% der Patienten adäquat behandelt werden (Teichmann u. Herbig 2000; Seiler et al. 2000). > Die Standardtherapie der Peritonitis besteht in Sanierung der Infektionsquelle, Beseitigung des Exsudates, Spülung der Bauchhöhle, ggf. Darmdekompression, ggf. Drainage, kalkulierte antibiotische Therapie und Intensivtherapie. Bei ca. 90% der Patienten mit Peritonitis ist die Standardtherapie angebracht.
Komplizierte intraabdominelle Infektionen Zu diesen sind Infektionen zu zählen, die sich über alle 4 Quadranten ausdehnen, in deren Verlauf bereits eine Organdysfunktion oder ein Organversagen aufgetreten ist oder die Patienten mit deutlich reduziertem Allgemeinzustand und Abwehrlage betreffen (Seiler et al. 2000). Therapeutisch steht auch hier die Kontrolle der Infektionsquelle im Vordergrund. Therapeutisch ergeben sich für diese Patienten die programmierte Relaparotomie nach 48–72 h zum weiteren Débridement oder die Relaparo-
tomie nach Bedarf. Diese Verfahren betreffen mit ca. 10% eine Minorität der Patienten (Seiler et al. 2000). Ein Sonderfall ist die geschlossene Lavage bei schwerer Pankreatitis (7 Kap. 40.3) > Erweiterte Verfahren zur Behandlung der diffusen Peritonitis sind nur selten notwendig. Programmierte Relaparotomie und Etappenlavage Diese geht zurück auf die Untersuchungen von Penninckx et al. und Teichmann et al. (Penninckx et al. 1983; Teichmann u. Mansfeld 2001) und ist definiert als Entscheidung zur Relaparotomie während der Erstoperation unabhängig vom weiteren klinischen Verlauf (Schein 2002). Das Ziel ist die Erreichung oder Bewahrung der Herdkontrolle bzw. die Verminderung der systemischen Inflammation. Die Indikation zur geplanten Relaparotomie ist unscharf definiert, ein MPI größer als 29 kann als Anhaltspunkt dienen. Ein starker Indikator ist die Unmöglichkeit, die Infektionsursache im Rahmen des Ersteingriffes zu beheben (Seiler et al. 2000; Schein 2002; Lamme et al. 2004). Auch kann die kardiozirkulatorische Instabilität des Patienten während der ersten Operation ein verkürztes Vorgehen – z. B. ein Packen bei diffuser Blutung – im Sinne eines schadenbegrenzenden Eingriffs (»damage control«) (Schein 2002) erfordern und somit eine weitere Intervention bedingen. Bei geplanter Relaparotomie ist die Anlage eines temporären Bauchdeckenverschlusses sinnvoll, um die Reintervention zu vereinfachen und die Faszien zu schonen. Die »Etappenlavage« fördert einerseits die Elimination von infektiösem Material und eine Kontrolle der Infektionsquelle (Teichmann u. Mansfeld 2001), andererseits bedingt sie eine eigene Morbidität durch Verletzung von Gewebe (Fistelbildung) und Freisetzung von Entzündungsmediatoren (Seiler et al. 2000; Lamme et al. 2004). Der Zeitpunkt der Beendigung ist nicht genau definiert. Neben dem makroskopischen Aspekt einer annähernd sauberen Abdominalhöhle ist die Rekompensation der Organfunktion grundlegend.
> Die Indikationen zur programmierten Relaparotomie oder Etappenlavage nach 24–72 h sind vielfältig, z. B. wenn Sanierung der Infektionsquelle fraglich, MPI >29 oder nur »damage control« möglich ist. Das Programm wird beendet, wenn die Bauchhöhle annähernd sauber ist. Relaparotomie nach Bedarf Das Ziel dieser Therapieform ist die Aufgabe starrer Interventionsintervalle, um die therapiebedingte Mortalität und Morbidität zur vermindern. Die Indikation ergibt sich in erster Linie aus dem klinischen Verlauf, d.h. bei persistierender oder rezidivierender Infektion (Hau et al. 1995). In einer retrospektiven Untersuchung von Lamme et al. (2004) wurde eine Reduktion
21
246
Kapitel 21 · Abdominelle Sepsis und Peritonitisbehandlung
der Mortalität (36% auf 22%) und der chirurgisch bedingten Komplikationsrate bei bedarfsadaptierter Revision im Gegensatz zu programmieren Revision festgestellt (Lamme et al. 2004). Diese Ergebnisse wurden durch eine prospektiv-randomisierte Studie von van Ruler et al. (2007) mit einer signifikanten Reduktion der Relaparotomierate, der Behandlungsdauer und der Behandlungskosten in der Gruppe der nach Bedarf relaparotomierten Patienten im Vergleich zu den programmiert relaparotomierten Patienten bestätigt (van Ruler et al. 2007); hier zeigte sich jedoch kein Unterschied in Bezug auf die Mortalität. > Die Relaparotomie nach Bedarf ist ein lohnendes Alternativkonzept bei Persistenz oder Rezidiv der Infektion.
21.2.7
Temporärer Bauchdeckenverschluss
Die Anlage eines temporären Bauchdeckenverschlusses (Laparostoma) zielt darauf ab, die Abdominalhöhle wie eine Abzesshöhle zu behandeln und den Zugang für notwendige Revisionen im Rahmen der Peritonitisbehandlung faszienschonend zu ermöglichen. Ein temporärer Bauchdeckenverschluss ist außer bei der programmierten Relaparotomie auch zur Senkung bzw. der Vermeidung eines erhöhten intraabdominellen Drucks (IAD) indiziert, der womöglich bereits für die Entstehung einer sekundären Peritonitis ursächlich ist (Basu und Pai 2008). Das verwendete Material zur passageren Deckung der Abdominalhöhle ist bei kurzfristiger Verwendung belanglos und kann auch aus Plastikfolien und Bauchtüchern bestehen (Schein 2002). Am geeignetsten sind Materialien, die lagerungsstabil, sekretdurchlässig und individuell anpassbar sind. Resorbierbare Netzmaterialien (z. B. Polyglactin 910 oder Polyglycolsäure) vereinen diese Eigenschaften und können darüber hinaus auch bei infektiösen Komplikationen wie enterokutaner Fistel belassen werden. Die Häufigkeit dieser Komplikation bleibt in den meisten Studien unter 10% (Ghimenton et al. 2000). Die Applikation von Sogverbänden mit Hilfe einer selbstklebenden Folie und einem negativen Druck von 100–150 mmHg (»Vakuumtherapie«) wurde überwiegend bei abdominellem Trauma aber auch bei intraabdomineller Infektion beschrieben. Bei Anwendungszeiten bis zu einem Monat treten enterokutane Fisteln bei 4,5–10% der Patienten auf (Barker et al. 2000; Stone et al. 2004; Amin u. Shaikh 2009; Horwood et al. 2009).
21
> Der temporäre Bauchdeckenverschluss (Laparostoma) dient zur programmierten Relaparotomie und zur Behandlung des abdominellen Kompartmentsyndroms. Vielfältige Materialien können verwendet werden.
Interventionelle Therapie Bei einer umschriebener Ansammlung von infektiösem Material an chirurgisch nicht oder nur risikoreich zugänglichen Stellen der Leibeshöhle kann die sonographisch oder computertomographisch gesteuerte Punktion erfolgreich sein. Diese Situation kann z. B. bei gedeckt perforierter Sigmadivertikulitis ohne systemische Mitbeteiligung bestehen. Eine chirurgische Behandlung kann dann elektiv erfolgen (Cheadle u. Spain 2003). Ein interventionelles Vorgehen kann auch im postoperativen Verlauf indiziert sein, wenn eine Leckage spät, also 7–10 Tage postoperativ erfolgt und aufgrund der intraabdominellen Verklebungen lokalisiert bleibt. > Eine interventionelle Drainagenanlage kann für lokalisierte Infektionen indiziert sein.
Antibiotikatherapie Grundsätzlich sollte bei der Peritonitis eine kalkulierte Antibiotikatherapie eingeleitet werden, die auch das anaerobe Keimspektrum mit einschließt. Ein intraoperativer Abstrich mit anschließender mikrobieller Untersuchung und Resistenztestung ist dringend erforderlich, um die Therapie ggf. resistenzgerecht umstellen zu können. Die Therapiedauer bei etablierter Peritonitis beträgt 5–7 Tage, wenn eine Kontrolle der Infektionsquelle besteht (Cheadle u. Spain 2003). Die Empfehlungen zur antibiotischen Therapie der Peritonitis beruhen auf einer Vielzahl von prospektiven Untersuchungen und haben einen Evidenzgrad von I. Die zugrundegelegten Studien sind hinsichtlich der chirurgischen Therapie jedoch nicht vergleichbar und die erfassten Patienten haben häufig eine gute Prognose, d. h. die Erkrankungen führten nicht zum Organversagen und hatten zumeist eine Appendizitis oder ein perforiertes Ulkus als Grundlage. Trotz dieser Einschränkung der Evidenzlage stehen 8 Antibiotikaklassen bzw. deren Kombinationen im Vordergrund (Holzheimer u. Dralle 2001a), die eine vergleichbare Rate an Nebenwirkungen und Therapieerfolg besitzen: 4 Piperacillin + Tazobactam 4 Ampicillin + Sulbactam 4 Gentamycin + Clindamycin 4 Tobramycin + Clindamycin 4 Meropenem, Imipenem 4 Aztreonam + Clindamycin 4 Cefoxitin, Cefotetan 4 Cefotaxim + Metronidazol Bei multiresistenten Keimen kommen neuere Antibiotika wie Ertapenem, Daptomycin, Linezolid und Tigecyclin zum Einsatz. Die Zunahme multiresistenter Erreger unter-
247 21.2 · Peritonitis und abdominelles Kompartmentsyndrom
streicht jedoch die Wichtigkeit einer Resistenztestung sowie den routinemäßigen Wechsel von Therapieregimen in der Antibiotikaprophylaxe, um klinikinternen Resistenzentwicklungen entgegenzuwirken. Eine Deeskalationsstrategie (»step-down strategy«) in der Therapie ist einer Eskalationsstrategie (Erweiterung des Spektrums nach initial schmaler Abdeckung) gerade bei der diffusen Peritonitis überlegen (Gould 2009). > Die antibiotische Therapiestrategie besteht in einer initial kalkulierten Therapie mit Umstellung je nach Erregerspektrum und Resistenzlage. Eine Deeskalationstherapie ist gerade bei diffuser Peritonitis angebracht.
21.2.8
oder vielmehr von der Schwere der Erkrankung bzw. dem Maß der Immunantwort (Wickel et al. 1997; Holzheimer u. Dralle 2001b; Cheadle u. Spain 2003). Der erhebliche Einfluss der peritonitisunabhängigen Komorbidität auf die Prognose zeigt sich im altersabhängigen Anstieg der Mortalität (Riche et al. 2009; Inui et al. 2009). Auch wenn die chirurgische Therapie die entscheidende Therapiemaßnahme ist – die intensivmedizinische Behandlung der resultierenden Peritonitiskrankheit ist von gleichrangiger Wichtigkeit. > Die Mortalität ist maßgeblich bestimmt durch Schwere der Erkrankung bzw. dem Maß der Immunantwort und kann trotz adäquater Therapie bis zu 80% erreichen.
Mortalität und Prognose 21.2.9
Nach Bohnen et al. (Bohnen et al. 1983) beträgt die Mortalität in der generalisierten Peritonitis 38%. Es bestehen jedoch deutliche Unterschiede in Abhängigkeit von der Ursache der Peritonitis: So liegt die Mortalität bei perforierter Appendizitis und perforiertem Duodenalulkus bei 10% während andere intraabdominelle Ursachen oder das Vorliegen einer postoperativen Peritonitis die Mortalität auf 50–60% erhöhen kann. Ein Organversagen ist in dieser Untersuchung mit einer Mortalität von 76% assoziiert. Wesentlich für die Prognose die Entwicklung eines septischen Schocks, der die Mortalität ebenfalls deutlich ansteigen lässt (Riche et al. 2009). Die Mortalitätsraten der Peritonitis haben sich in der letzten Zeit allenfalls leichtgradig verbessert. In Abhängigkeit von Ursache und Schweregrad kann die Mortalitätsrate aller Patienten zwischen 30 und 50% betragen (Koperna und Schulz 2000; Holzheimer u. Dralle 2001b). Die wichtigsten Determinanten für die Prognose sind Alter und die Schwere der Erkrankung, gemessen anhand des APACHE II oder des MPI-Wertes (Billing et al. 1994; Cheadle u. Spain 2003). Unter den Bedingungen einer prospektiv randomisierten Studie ging ein APACHE-II-Wert ≥11 mit einer Mortalität von 29% (Relaparotomie nach Bedarf) bzw. 36% (programmierte Relaparotomie und Etappenlavage, n.s.) einher (van Ruler et al. 2007). Ein MPI <21 ist mit 3,3% Mortalität assoziiert, während ein MPI zwischen 21 und 29 mit einer Mortalität von 22,5% einhergeht. Bei einem MPI > 29 wurde eine Mortalität von 59% beobachtet (Billing et al. 1994). Wenn die Infektursache kontrolliert werden kann, beträgt die Mortalität zwischen 9 und 14% (Bartels et al. 1992; Billing et al. 1992). Es bleibt zu klären, inwieweit die Prognose der Peritonitis bestimmt wird von der Behandlung (incl. chirurgischer, antibiotischer und intensivmedizinischer Therapie) (Bosscha et al. 1999; Lamme et al. 2004),
Abdominelles Kompartmentsyndrom
Beginnend mit Arbeiten von Kron et al. und Fietsam et al. (Kron et al. 1984; Fietsam et al. 1989) ist anerkannt, dass auch die Bauchhöhle Eigenschaften eines Kompartimentes aufweist. Entsprechend führt eine kurzfristige intraabdominellen Volumenzunahme von ca. 5 l zu einer exponentiellen Zunahme des intraabdominellen Drucks (IAD) (McDougall et al. 1994). > Auch die Bauchhöhle hat Eigenschaften eines Kompartimentes. Daher führt eine Volumenzunahme zu einer Erhöhung des intraabdominellen Drucks (IAD).
Intraabdominelle Hypertension und abdominelles Kompartmentsyndrom Der Normalwert für den IAD wird mit 5–7 mmHg bei kritisch kranken Patienten angegeben. Eine pathologische Steigerung des IAD, auch als intraabdominelle Hypertension (IAH) bezeichnet, ist gegeben, wenn der Druck größer oder gleich 12 mmHg ist (Malbrain et al. 2006). Ein abdominelles Kompartmentsyndrom (AKS) ist definiert durch einen Anstieg des IAD auf einen Wert ≥20 mmHg zusammen mit einem neuaufgetretenen Organversagen (Malbrain et al. 2006). Dabei sind typischerweise die respiratorische, renale und kardiozirkulatorische Funktion betroffen. Eine klassische Symptomtrias sind daher hohe Atemwegsdrücke, Anurie und ein niedriges Herzzeitvolumen (Burch et al. 1996; Meldrum et al. 1997; Moore et al. 1998; Mayberry 1999; Ertel et al. 2000; Schachtrupp et al. 2003). Die Letalität des AKS wird – auch nach dekompressiver Laparotomie – mit 50–80% angegeben (De Waele et al. 2006; Vidal et al. 2008; Reintam et al. 2008; Cheatham u. Safcsak 2010).
21
248
Kapitel 21 · Abdominelle Sepsis und Peritonitisbehandlung
> Der intraabdominelle Druck beträgt normalerweise 5–7 mmHg, eine pathologische Erhöhung (IAH) ist mit ≥12 mmHg gegeben. Abdominelles Kompartmentsyndrom (AKS): IAD ≥20 mmHg und neu aufgetretenes Organversagen wie pulmonale, renale und kardiozirkulatorische Insuffizienz. Die Letalität kann 50–80% betragen.
Primäres und sekundäres AKS Eine Verschiebung von Flüssigkeit in das Abdomen mit Anstieg des IAD kann primär bei abdominellem Trauma, Pankreatitis, Peritonitis oder intraabdomineller Blutung resultieren (Ivatury et al. 1997; Pupelis et al. 2002; Balogh et al. 2003b). Ein Anstieg des IAD kann auch iatrogen bedingt sein, wenn bei entsprechendem Ödem der Bauchdeckenverschluss erzwungen wird (Toens et al. 2000). Daneben kann es auch ohne primäre Beteiligung des Abdomens zu einer Volumenverschiebung in das Abdomen und somit sekundär zu einem Anstieg des IAD kommen z. B. bei schwerer Verbrennung, bei Verletzungen der Extremitäten oder bei Sepsis (Kopelman et al. 2000; Biffl et al. 2001; Latenser et al. 2002). > Eine primäre Erhöhung des IAD besteht, wenn das Abdomen durch Trauma, Blutung oder Entzündung betroffen ist. Ein sekundärer Anstieg des IAD liegt bei Sepsis, Verbrennung und Trauma der Extremitäten vor.
Risikofaktoren für das Auftreten von IAH und AKS
21
Im Rahmen mehrerer prospektiver Beobachtungsuntersuchungen wurde eine Reihe von Faktoren als unabhängige Risikofaktoren identifiziert, die auf eine bevorstehende Erhöhung des IAD hinweisen können; diese sind u. a. ein hoher Bedarf an Flüssigkeit (≥7,5 l in 6 h), eine verminderte Urinausscheidung (≤150 ml in 6 h), ein verringerter Hämoglobinwert (≤8 g.dl-1), ein vermindertes Herzzeitvolumen (≤2,6 l.min–1 m-2) und eine Azidose (Basendefizit ≥12 mEq l-1) (Balogh et al. 2003c). Ferner wurden ein erhöhter Beatmungsdruck, ein ARDS oder eine deutlich positive Flüssigkeitsbilanz als Risikofaktoren beschrieben (McNelis et al. 2002; Daugherty et al. 2007; Vidal et al. 2008). Dabei scheint es unerheblich zu sein, wo bzw. unter welchen Bedingungen die Volumengabe zur Stabilisierung der Kreislaufverhältnisse erfolgt. So wurde die vorstationäre Gabe von 9,9 l kristalloider Lösung im Rahmen des Rettungsdienstes oder in der Notaufnahme als ein unabhängiger Risikofaktor identifiziert (Madigan et al. 2008). Offenbar sind Patienten nach abdominalchirurgischen Eingriffen, mit Ileus und Leberdysfunktion häufiger von einer IAH betroffen (Malbrain et al. 2005).
Die World Society on Abdominal Compartment Syndrome (WSACS) hat eine Reihe von weiteren Konditionen (z. B. Gerinnungsstörungen) veröffentlicht, die ebenfalls ein erhöhtes Risiko für den Patienten bergen, eine IAH oder ein AKS zu entwickeln (Malbrain et al. 2006). > Eine pathologische Erhöhung des IAD kann vorliegen oder bevorstehen bei hohem Volumenbedarf, verminderter Urinausscheidung, Anämie, vermindertem Herzzeitvolumen, persistierender Azidose und schwieriger Beatmungssituation.
Bedeutung der IAH pathophysiologisch und als unabhängiger Risikofaktor für eine erhöhte Morbidität Ein Anstieg des IAD geht mit einer verschlechterten Durchblutung intra- und extraabdomineller Organsysteme (z. B. Leber, Darm, Niere, Thorax, Gehirn) einher und führt zu einer Minderung der Organfunktion und sogar zum Organversagen in experimentellen Untersuchungen (Schachtrupp et al. 2007; Shah et al. 2010). Zunächst besteht einer relevante mechanische Komponente durch Höhertreten der Zwerchfelle und durch Erhöhung des Drucks im venösen Gefäßsystem des Abdomens und des Thorax. Dadurch kommt es zur Minderung von Lungenvolumina und Behinderung des venösen Rückstroms. Letzteres führt zu intravasalem Flüssigkeitsmangel. Zudem ist eine bakterielle Translokation sowie eine Aktivierung von Mediatoren und hormoneller Regelkreise als Pathomechanismus anzunehmen (Rezende-Neto et al. 2002). Im Rahmen prospektiver klinischer Untersuchungen konnte darüber hinaus gezeigt werden, dass ein IAD von 12 mmHg ein unabhängiger Risikofaktor für ein Nierenversagen ist (Dalfino et al. 2007). Andere Untersuchungen haben nachweisen können, dass ein IAD von ≥12 mmHg die Mortalität ganz erheblich steigert, wenn der Anstieg während der Intensivbehandlung auftritt (RR 1,85 bzw. 2,52) (Malbrain et al. 2005; Reintam et al. 2008). Auch andere prospektive Studien haben eine IAH als unabhängigen Risikofaktor für Mortalität identifizieren können (Vidal et al. 2008; Cheatham u. Safcsak 2010). > Vielfältige Organsysteme sind durch Erhöhung des IAD betroffen, u. a. Leber, Darm, Niere, Thorax und Gehirn. Ein IAD ≥12 mmHg während der Intensivbehandlung ist ein unabhängiger Risikofaktor für eine deutlich gesteigerte Mortalität.
Inzidenz IAH von AKS Sowohl IAH und AKS können grundsätzlich bei jedem intensivpflichtigen Patienten auftreten. Die Inzidenz der IAH beträgt 30–33% (Malbrain et al. 2005; Dalfino et al.
249 21.2 · Peritonitis und abdominelles Kompartmentsyndrom
2007; Vidal et al. 2008) auf Intensivstationen mit chirurgisch und internistisch erkrankten Patienten bzw. auf solchen mit einer gemischten Population. Für das AKS wird die Inzidenz in der gleichen Population mit 4–12% (Malbrain et al. 2005; Vidal et al. 2008) beobachtet. Allerdings liegt auch eine prospektive Studie von Hong et al. vor, die die Inzidenz des AKS mit 1% in einer ebenfalls gemischten Population angibt (Hong et al. 2002) > Eine IAH tritt bei 30–33% aller intensivpflichtigen Patienten auf. Mit einem AKS ist bei 4–12% aller intensivpflichtigen Patienten zu rechnen.
Management und Therapie Die 4 Grundprinzipien der Behandlung von IAH und AKS (Cheatham et al. 2007): 4 Routinemäßige Überwachung des IAD 4 Optimierung der Organperfusion 4 Konservative und interventionelle Maßnahmen zur Senkung des erhöhten Drucks 4 Prompte chirurgische Dekompression
In den letzten Jahren hat die nichtoperative Therapie deutlich an Bedeutung gewonnen. Zudem scheint es ratsam bereits frühzeitig zu dekomprimieren bzw. das Abdomen beim Ersteingriff prophylaktisch unverschlossen zu lassen und einen temporären Bauchdeckenverschluss zu wählen (Mentula u. Leppaniemi 2010; Cheatham u. Safcsak 2010).
Messung des IAD Patienten die Risikofaktoren für das Auftreten einer IAH aufweisen, ist eine Messung des IAD durchzuführen, da eine Abschätzung des IAD mittels Palpation eine Sensitivität von nur 50% hat (Malbrain et al. 2006). Bei manifester IAH sollte eine routinemäßige, d. h. regelmäßige intermittierende Überwachung z. B. im Abstand von 4–6 h erfolgen (Cheatham u. Safcsak 2010). Für die intermittierende Überwachung ist die Messung des intravesikalen Drucks (Blasendrucks) mit einem Messvolumen von 25 ml der »Goldstandard« (Cheatham u. Safcsak 2010). Die Methodik ist bettseitig durchführbar, wenig invasiv und birgt keine zusätzlichen Infektionsrisiken; zudem wurde in den meisten Untersuchungen eine gute Korrelation mit dem IAD beobachtet. Kontinuierliche Verfahren für eine permanente Ableitung des Blasendrucks wurden beschrieben z. B. unter Verwendung eines 3-Wege-Urinkatheters, wie er für die Blasenspülung eingesetzt wird (Balogh et al. 2004). Bei der Messung ist wie bei jeder Technik die Lagerung des Patienten zu beachten. So führt eine Oberkörperhochlagerung von 15°
bzw. 30° zu einer Erhöhung des IAD um 1,5 bzw. 3,7 mmHg (Cheatham et al. 2009). Auch eine Bauchlagerung kann den IAD erhöhen. Dies sollte bei einer Verlaufsbeobachtung berücksichtigt werden, indem auch die Überwachung des IAD stets in der entsprechenden Lagerung erfolgt. > Bei Patienten mit Risikofaktoren oder IAH sollte routinemäßig eine Messung und Überwachung des IAD erfolgen. Standardverfahren zur intermittierenden Abschätzung des IAD ist die Messung des Blasendrucks.
Verbesserung der Organperfusion unter den Bedingungen einer IAH Bedingt durch die direkte Kompression aber auch durch eine Behinderung des venösen Rückstroms aus der Peripherie mit Minderung des Herzzeitvolumens (HZV) (Schachtrupp et al. 2003) verursacht die intraabdominelle Hypertension eine Minderperfusion von Organsystemen innerhalb und außerhalb des Abdomens. Entsprechend ist eine Optimierung des intravasalen Volumens und damit des HZV anzustreben. In diesem Zusammenhang ist von der Verwendung der sog. »Füllungsdrücke« (z. B. zentralvenöser Druck oder pulmonalkapillärer Okklusionsdruck) zur Abschätzung des Volumenbedarfs abzuraten, da eine nicht genau nachvollziehbare Beeinflussung dieser Parameter durch den transdiaphragmal weitergeleiteten IAD gegeben ist (Chang et al. 1998). Stattdessen ist eine direkte Erfassung des intravasalen Volumens wie z. B. durch Erfassung des intrathorakalen Blutvolumens zu empfehlen, da dieses nicht vom intrathorakalen Druck beeinflusst wird. Daneben kann der abdominelle Perfusionsdruck (APP), definiert als Differenz aus mittlerem arteriellen Druck und IAD (APP = MAP–IAD) als Zielwert für die Optimierung der Perfusion dienen. So konnte gezeigt werden, dass ein APP-Wert von >60 mmHg mit einem verbesserten Überleben der Patienten korreliert (Cheatham et al. 2000). Klinische und experimentelle Daten weisen daraufhin, dass mit zusätzlichem Volumen eine Stützung des HZV unter den Bedingungen eines erhöhten IAD möglich ist und dieses primär fassbare Parameter der Organfunktion wie z. B. die Urinausscheidung erhalten kann (Tiwari et al. 2002; Friedlander et al. 1998). Es ist jedoch davon auszugehen, dass trotz einer »Normalisierung« der Überwachungsparameter nach spätestens 24 h morphologische Organschäden auftreten (Schachtrupp et al. 2005). > Zentralvenöser Druck oder pulmonalkapillärer Okklusionsdruck sind zur Abschätzung des Volumenbedarfs bei erhöhtem IAD nicht verwendbar. Stattdessen sind intravasales Volumen und abdomineller Perfusionsdruck als Zielgrößen zu bestimmen.
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Kapitel 21 · Abdominelle Sepsis und Peritonitisbehandlung
Konservativ-interventionelle Therapie Konservative bzw. interventionelle Verfahren können effektiv zur Senkung des IAD führen und sind von daher mittlerweile ein fester Bestandteil der Therapie geworden. Für die nachfolgend dargestellten Therapieoptionen liegen allerdings keine Daten prospektiv-randomisierter Studien und zum Teil nur Daten aus retrospektiven Analysen vor. Schmerz und Aufregung können eine erhöhte Spannung der thorakalen und abdominellen Muskulatur bedingen. Entsprechend können eine effektive Analgesie und Sedierung Abhilfe schaffen. In Ergänzung zu diesen und anderen Maßnahmen kann eine komplette neuromuskuläre Blockade (Relaxierung) den IAD senken, wie kasuistisch und im Rahmen einer Studie an 10 Patienten gezeigt werden konnte (Cheatham et al. 2007). Eine Entleerung intraluminaler Flüssigkeits- und Gasbestände durch Drainage, abführende Maßnahmen und z. T. auch via Koloskopie sind beschrieben worden (Cheatham 2009). Sollte freie abdominelle Flüssigkeit vorliegen, so kann eine Punktion und Drainage dieser Flüssigkeit die abdominelle Compliance erhöhten und den IAD effektiv senken (Latenser et al. 2002; Cheatham et al. 2007; Schachtrupp 2009). Bei nachlassender Diurese ist der frühzeitige Einsatz eines Nierenersatzverfahrens unter Umständen geeignet, den IAD zu senken wie in einer Studie gezeigt werden konnte (Bonfim et al. 2007). > Analgesie, Sedierung, Relaxierung, Entleerung intraluminaler Flüssigkeit, Drainage freier Flüssigkeit und Nierenersatzverfahren können einen pathologisch erhöhten IAD effektiv senken.
Operative Therapie
21
Bei Persistenz der Druckerhöhung ≥20 mmHg und des Organversagen ist eine Laparotomie und die Anlage eines temporären Bauchdeckenverschlusses erforderlich, um eine permanente Dekompression zu erreichen (Hobson et al. 2002; Balogh et al. 2003a). Dies scheint auch für Patienten mit schwerer Pankreatitis zu gelten, bei denen IAH und AKS häufig sind und die offenbar von einer Dekompression profitieren (De Waele und Hesse 2005; Al-Bahrani et al. 2008). Grundlage für diese Therapieoption könnte die experimentelle Beobachtung sein, dass ein IAD von 30 mmHg schon nach 6–12 h zu morphologischen Veränderung des Pankreas vergleichbar mit denen bei Pankreatitis führt, so dass bei Patienten mit akuter Pankreatitis und IAH ein Circulus vitiosus vorliegen könnte (Otto et al. 2009). Hinsichtlich der Höhe des IAD, ab der eine Dekompression auch ohne fassbare Organveränderungen erfolgen sollte, liegen keine schlüssigen Untersuchungen vor. Bei einer persistierenden Erhöhung des IAD auf 25 mmHg oder mehr ist jedoch eine Dekompression zu empfehlen.
Neben der Therapie der bereits vorliegenden Druckerhöhung muss es jedoch ein wesentliches Anliegen sein, dem letztendlich durch Volumengabe und Bauchdeckenverschluss iatrogen bedingten Anstieg des IAD präventiv entgegen zu wirken. Hierzu gehört neben dem Verzicht auf einen forcierten Bauchdeckenverschluss die Einführung definierter Abläufe um bei Vorliegen von Risikofaktoren einen Anstieg des IAD frühzeitig zu erfassen und zu behandeln. Zu diesen Abläufen gehören 4 die routinemäßige Erfassung des IAD, wenn eine IAH bzw. Risikofaktoren dafür vorliegen 4 die Verbesserung der Bauchwandcompliance durch Sedation, Analgesie und ggf. Relaxierung 4 die Entfernung intraluminaler Flüssigkeit- und Gasansammlungen 4 die Entfernung freier intraabdomineller Flüssigkeit 4 das Anstreben einer ausgeglichenen Flüssigkeitsbilanz, ggf. durch Verwendung von kolloidalem Volumenersatz oder Nierenersatzverfahren. 4 das Anstreben eines abdominellen Perfusionsdrucks >60 mmHg mittels Einsatz von Vasopressoren und zielgerichtetem Volumenersatz 4 die frühe chirurgische Intervention wenn der IAD 25 mmHg ist oder eine AKS trotz konventioneller Maßnahmen persistiert. So kann, wie kürzlich von Cheatham und Safcsak in einer prospektiven Beobachtungsstudie gezeigt wurde, die Mortalität des AKS gegenüber einem historischen Kollektiv von 72% auf 50% gesenkt werden (Cheatham u. Safcsak 2010). > Die definitive Therapie des AKS besteht in der dekompressiven Laparotomie und dem temporärer Bauchdeckenverschluss. Die Prophylaxe des AKS beinhaltet den Verzicht auf forcierten Bauchdeckenverschluss und die Etablierung definierter Abläufe zur frühzeitigen Erfassung und Behandlung von IAH und AKS.
21.2.10
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Kapitel 21 · Abdominelle Sepsis und Peritonitisbehandlung
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253 21.2 · Peritonitis und abdominelles Kompartmentsyndrom
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21
22
Spezielle chirurgische Prinzipien in der Behandlung des traumatischen Abdomens J. Rosenkranz, R. Babst
22.1 Verletzungsmuster
– 256
22.2 Patientenbeurteilung nach »Advanced-Trauma-Life-Support«Kriterien – 256 22.3 Diagnostik 22.3.1 22.3.2 22.3.3 22.3.4
– 257
Basisdiagnostik – 257 Erweiterte Diagnostik – 257 Abklärungsalgorithmen bei Abdominaltrauma Penetrierendes Abdominaltrauma – 260
22.4 Antibiotikaprophylaxe und -therapie 22.5 Operative Therapieprinzipien
– 259
– 261
– 261
22.5.1 Lagerung und Zugänge – 261 22.5.2 Technik der abdominellen »Damage-control«-Laparotomie 22.5.3 Techniken der Blutstillung – 263
22.6 Behandlungsprinzipien der Einzelorgane 22.6.1 22.6.2 22.6.3 22.6.4 22.6.5 22.6.6
Milz – 263 Leber – 264 Gastrointestinaltrakt – 265 Gefäßverletzungen beim Abdominaltrauma Niere und ableitende Harnwege – 269 Zwerchfell und Bauchdecke – 270
– 261
– 263
– 267
22.7 Frühpostoperative Ernährung nach Abdominaltrauma 22.8 Abdominelles Kompartmentsyndrom 22.9 Literatur
– 271
– 272
– 273
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_22, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
256
Kapitel 22 · Spezielle chirurgische Prinzipien in der Behandlung des traumatischen Abdomens
In Mitteleuropa überwiegt das stumpfe Abdominaltrauma als Folge von Verkehrs- und Arbeitsunfällen gegenüber penetrierenden Abdominalverletzungen. Bei 20–40% der polytraumatisierten Patienten ist die Abdominalregion mitbeteiligt (Bardenheuer et al. 1997; Staib et al. 2004) und ist, obwohl das Schädel-Hirn-Trauma die häufigste Ursache der Frühletalität beim polytraumatisierten Patienten darstellt, mit 19% zu einem beachtlichen Teil an der Gesamtletalität von polytraumatisierten Patienten beteiligt. Im Gegensatz zum Schädel-Hirn-Trauma finden sich die meisten Todesfälle beim Abdominaltrauma in den ersten 6 h nach Klinikeintritt, was die zeitliche Priorität bei Diagnostik und Therapie abdomineller Verletzungen begründet (Demetriades et al. 2004). Während die korrekt diagnostizierte und therapierte Abdominalverletzung eine Mortalitätsrate von 6,3% aufweist, steigt diese bei verpassten Abdominalverletzungen auf 17% rasch an (Sung et al. 1996). Übersehen werden hierbei neben Pankreasverletzungen v. a. Rupturen der Hohlorgane. Um die Morbidität und Letalität nach Abdominaltrauma zu senken, muss das klinische Management standardisierten Abklärungs- und Therapiekonzepten folgen. Damit können unnötige Zeitverluste vermieden und die Zahl verpasster relevanter Abdominalverletzungen gesenkt werden. Diese Konzepte orientieren sich dabei am Gesamtzustand des Patienten und setzen die Prioritäten nach pathophysiologischen Gesichtspunkten (z. B. ATLS 2008).
22.1
Verletzungsmuster
Unterschieden werden stumpfe und penetrierende Abdominalverletzungen. Stumpfe Abdominaltraumen sind Fol-
ge direkter oder indirekter Gewalteinwirkung durch Dezeleration im Rahmen von Verkehrsunfällen oder Stürzen aus großer Höhe. Diese können v. a. bei Überrolltraumen mit erheblichen Weichteilavulsionen einhergehen. Penetrierende Traumen werden in ihren Folgen durch die topographische Lage sowie durch Fläche und involvierte Energie der Penetration bestimmt. So sind Stichverletzungen durch ihren limitierten Stichkanal prognostisch meist günstiger als Schussverletzungen, bei denen die Traumafolgen von Projektilenergie, Projektilart und Schusskanal abhängig sind. Pfählungsverletzungen werden durch Eindringtiefe und Art des Pfählungsgegenstandes in ihrer Schwere bestimmt.
22.2
Patientenbeurteilung nach »AdvancedTrauma-Life-Support«-Kriterien
Die Erstbeurteilung (»primary survey«) des Verletzten zielt auf rasches Erkennen und Behandeln gestörter Vitalfunktionen ab (. Abb. 22.1). Mit der ABCDE-Regel – Überprüfung und Sicherstellen der Atemwege (A), der Atmung (»breathing«, B), des Kreislaufs (C), des neurologischen Status (»disability«, D) und dem Entkleiden des Patienten unter Kontrolle der Hypothermie (»exposure«, E) – wird ein effizientes und strukturiertes Management in der Akutphase gewährleistet. Diese Erstbeurteilung wird unterstützt durch ein kontinuierliches Monitoring von Hämodynamik und Oxygenation, 3-Kanal-Elektrokardiographie und die Einlage eines Blasenkatheters, sofern dies nicht kontraindiziert ist. Zusätzlich erfolgt das Legen einer Magensonde.
22 . Abb. 22.1 Abklärungsalgorithmus beim Abdominaltrauma nach ATLS-Kriterien
257 22.3 · Diagnostik
Kann der Patient kreislaufmäßig stabilisiert oder stabil gehalten werden, erfolgen insbesondere beim polytraumatisierten Patienten konventionelle Röntgenaufnahmen des Thorax und des Beckens. Zu diesen Basisabklärungen gehört auch die Ultraschalluntersuchung des Abdomens. Einige Kliniken ersetzen diese Abklärungen erfolgreich durch eine Computertomographie im Schockraum, mit entsprechendem Zeitgewinn und Zuwachs an diagnostischen Informationen. Können die Störungen der Vitalfunktionen erfolgreich behandelt werden, wird der Patient detailliert von Kopf bis Fuß (»secondary survey«) untersucht. Hierher gehört auch die Anamnese bezüglich Allergien, Medikation, Vorerkrankungen, Zeitpunkt der letzten Mahlzeit und die genaue Unfallanamnese, aus der häufig bereits Hinweise auf das mögliche Verletzungsmuster erarbeitet werden können. Die hämodynamische Stabilität, Unfallmechanismus und -lokalisation bestimmen den Zeitpunkt der fokussierten Untersuchung des Abdomens. Hierbei wird das gesamte Abdomen nach äußeren Verletzungen abgesucht. Dies beinhaltet auch eine Beurteilung der Flanken, des Rückens und des Perineums. Bei thorakalen Verletzungen, insbesondere bei Stichverletzungen und Rippenfrakturen unterhalb der vierten Rippe muss an die Möglichkeit einer abdominellen Mitbeteiligung gedacht werden.
22.3
Diagnostik
22.3.1
Basisdiagnostik
Sonographie Während die diagnostische Peritoneallavage mit bis zu 30% falsch-negativen Ergebnissen (Fabian et al. 1986) an Bedeutung verloren hat, hat sich die Ultraschalluntersuchung als Notfalldiagnostik der ersten Wahl etabliert. Mit einer Spezifität von 95% und einer Sensitivität von 71% ist sie auch in der Hand von Unfallchirurgen mit relativ geringer Ultraschallerfahrung ein zuverlässiges Instrument zum Nachweis freier Flüssigkeit im Abdomen (McCarter et al. 2000). Damit kann sie das weitere therapeutische Vorgehen relevant mitbestimmen. Neben der Nichtinvasivität der Methode liegen die Vorteile auch in einer raschen Verfügbarkeit, der Wiederholbarkeit v. a. bei konservativer Behandlung von Leber- oder Milzrupturen und der Durchführbarkeit während kreislaufstabilisierenden Maßnahmen. Eine sekundäre Kontrollsonographie verdoppelt die Sensitivität der Initialsonographie bezüglich freier Flüssigkeit oder Organverletzung. Eine negative Sonographie 4 h nach der primären Untersuchung kann ein klinisch relevantes Hämoperitoneum praktisch ausschließen (Blackbourne 2004).
Beim kreislaufstabilen Patienten werden jedoch etwa ein Viertel der Organverletzungen verpasst, hier ist die Computertomographie deutlich überlegen (Jansen 2008), insbesondere bei Hohlorganrupturen ist die Sensitivität auch in der Hand des Geübten relativ gering. > Die Ultraschalluntersuchung hat sich zu einem Standard in der Erstdiagnostik von polytraumatisierten Patienten entwickelt.
Konventionelle Röntgendiagnostik Im Gegensatz zu Röntgenaufnahmen des Beckens und des Thorax gehört die konventionelle Röntgenuntersuchung des Abdomens nicht zur Basisdiagnostik des Polytraumapatienten.
Labordiagnostik Die im Schockraum durchgeführte Blutentnahme dient in erster Linie der Blutgruppenbestimmung und Kreuztestung. Während Hämoglobin- und Hämatokritwerte zu Beginn durch noch nicht stattgefundene Flüssigkeitsumverteilung aus dem Extravasalraum kaum Anhaltspunkte für die Blutungsschwere geben, sind diese als Verlaufskontrollen durch repetitive Bestimmung geeignet, die suffiziente Substitution verlorengegangener Blutvolumina zu monitorisieren. Arterielle Blutgasanalysen, Laktatbestimmungen und die Kontrolle der Gerinnungsparameter können jedoch bereits im Schockraum indirekte Hinweise auf den respiratorischen und hämodynamischen Zustand des Patienten geben. Der Urinstatus kann durch Nachweis einer Mikrohämaturie Hinweise auf Verletzungen der Nieren oder der ableitenden Harnwege geben und für ein Drogenscreening oder einen Schwangerschaftsnachweis verwendet werden.
22.3.2
Erweiterte Diagnostik
Voraussetzung für die Durchführung einer erweiterten Diagnostik ist ein bezüglich Vitalparametern stabiler oder stabil zu haltender Patient. Die erweiterte Diagnostik richtet sich dabei nach dem Verletzungsmuster, hat sich aber auch nach dem zeitlichen Aufwand zu richten, der von Infrastruktur und verfügbarem Fachpersonal abhängig ist.
Computertomographie Durch moderne Computertomographen mit simultaner Aufnahme mehrerer Schichten hat sich der zeitliche Aufwand für die Computertomographie erheblich vermindert. So ist mit neuesten Spiralcomputertomographen eine Aufnahme von 120 cm Länge in 1 mm Schichten innerhalb von 30 s möglich. Diese rasche Aufnahmetechnik vermindert störende Bewegungsartefakte. In größeren Trauma-
22
258
Kapitel 22 · Spezielle chirurgische Prinzipien in der Behandlung des traumatischen Abdomens
zentren werden zudem zunehmend CT-Anlagen im oder in der unmittelbaren Umgebung von Schockräumen platziert. Dies hat dort zum Teil zu Änderungen im Schockraumalgorithmus geführt. Sensitivität und Spezifität liegen beim CT bei 97,6% bzw. 98,7% (Hoff et al. 2002), der negative prädiktive Wert einer unauffälligen Computertomographie liegt bei 99,63% (Livingston et al. 1998).
operativen retrograden Urethrozystographie. Bei schockierenden Nierenblutungen und Indikation zur notfallmäßigen Nephrektomie ist eine präoperative Computertomographie, die die Funktionstüchtigkeit der gegenseitigen Niere dokumentiert, von Vorteil.
> Dies führte zum Postulat (Livingston et al 1998), Patienten mit isoliertem stumpfem Bauchtrauma bei einem unauffälligen CT nicht mehr zu hospitalisieren. Auch bei abdominalen Stichverletzungen führte eine unauffällige Computertomographie zu einer Verkürzung der Hospitalisationsdauer (Salim 2006).
Durch Kontrastmittelfüllung des Magens in Kopftieflage über eine Magensonde können distale Ösophagusrupturen oder Zwerchfellrupturen abgeklärt werden, die endoskopisch retrograde Cholangiographie (ERC) mit Darstellung des Pankreasganges ist bei Verdacht auf eine entsprechende Verletzung die spezifischste und sensitivste Methode zu deren Nachweis (Harerell et al. 1998), der Stellenwert der Magnetresonanzpankretikographie (MRP) ist hier noch nicht klar (Lin et al. 2004).
Die Stärke der Computertomographie liegt v. a. in der besseren Beurteilbarkeit des Retroperitoneums und der genaueren Klassifikation von Organläsionen auch in Abwesenheit relevanter Mengen freier Flüssigkeit. Der generelle Einsatz der Computertomographie bei Schockraumpatienten diagnostiziert im Vergleich mit einem lediglich selektiven Einsatz 15% mehr abdominale Verletzungen und führt bei über 6% der Patienten zu Änderungen im Therapieablauf (Deunk 2009). Mit klinischen Parametern, konventionellem Röntgen, der Sonographie und mit Laboruntersuchungen können nur bei 22% kreislaufstabiler Patienten mit stumpfem Bauchtrauma relevante intraabdominale Verletzungen ausgeschlossen werden (Poletti 2004), hier ist der standardmäßige Einsatz der Computertomographie deutlich überlegen. Die Computertomographie mit intravenöser Kontrastgabe kann zusätzlich Informationen bezüglich Perfusion und – bei Nierenverletzungen – Funktion der soliden Bauchorgane liefern. Kontrastmittelextravasate sind ein Hinweis auf aktive arterielle oder venöse Blutungen und können das therapeutische Vorgehen zusammen mit dem hämodynamischen Zustand bestimmen. Dabei sind retroperitoneale oder pelvine Extravasate häufiger ohne Intervention behandelbar als intraperitoneale Kontrastmittelaustritte (Diamond 2009). Wie bei der Ultraschalluntersuchung können Hohlorganrupturen und mesenteriale Verletzung der frühen CT-Diagnostik entgehen. Bei entsprechendem Verdacht werden die Patienten deshalb besser wiederholt klinisch untersucht und sequenzielle CT-Untersuchungen durchgeführt (Ekeh 2008).
Untersuchung der Harnwege
22
Schwere Beckenverletzungen mit Blutaustritt aus dem Meatus urethrae, Pfählungsverletzungen im Dammbereich oder computertomographischen Kontrastmittelextravasaten im Blasenbereich bilden die Indikation zu einer intra-
Kontrastmitteluntersuchung des Gastrointestinaltraktes
Angiographie Beim kreislauflabilen Patienten ist die Diagnostik durch Angiographie zu zeitaufwendig. Die meisten Fragestellungen können üblicherweise durch die Computertomographie geklärt werden. Beim hämodynamisch stabilen Patienten hat sich die interventionelle Angiographie bei der konservativen Therapie von Läsionen parenchymatöser Organe und blutenden Beckentraumen in grösseren Kliniken zum Standard entwickelt. Diese Interventionen setzen jedoch eine jederzeitige Verfügbarkeit und eine interventionelle Kompetenz der radiologischen Fachärzte voraus.
Proktosigmoidoskopie Die Anorektoskopie und evtl. Rektosigmoidoskopie sind bei Verdacht auf Rektumbeteiligung bei Pfählungsverletzungen im Dammbereich indiziert, auch bei Beckenverletzungen mit analem Blutabgang sollten diese Untersuchungen zum Ausschluss einer Rektumbeteiligung durchgeführt werden.
Laparoskopie Die Laparoskopie hat bei der Diagnostik des kreislaufinstabilen, polytraumatisierten Patienten aufgrund des Zeitaufwandes keine Bedeutung. Sie kann aber bei monotraumatisierten, kreislaufstabilen Patienten zur Klärung unklarer Befunde der bildgebenden diagnostischen Verfahren dienen. Sie hat insbesondere bei Stichverletzung eine Bedeutung erlangt, da sich mit ihrer Hilfe die Rate unnötiger Laparotomien und die damit verbundene Zugangsmorbidität senken lässt (Simon et al. 2002). Einschränkungen in der laparoskopischen Diagnostik bestehen jedoch bei retroperitonealen Verletzungen, die mit dieser minimal-invasiven Methode schlecht oder nicht einsehbar sind.
259 22.3 · Diagnostik
Peritoneallavage
Isoliertes stumpfes Bauchtrauma
Mit der guten Verfügbarkeit von Ultraschall, Computertomographie und Laparoskopie hat die Peritoneallavage aufgrund ihrer Invasivität und der damit verbundenen Komplikationsrate an Bedeutung verloren. Mit einer Kombination von diagnostischer Peritoneallavage und Computertomographie kann die Sensitivität und Spezifität der Einzeluntersuchungen erhöht werden. Ihre Kombination ist v. a. in Hinsicht auf Hohlorganverletzungen dem alleinigen CT überlegen (Gonzalez RP et al. 2001).
Beim isolierten stumpfen Bauchtrauma richtet sich der Abklärungsalgorithmus ausschließlich nach der Kreislaufstabilität (. Abb. 22.2). Bei Kreislaufinstabilität beschränkt sich die Diagnostik des Abdomens nach Ausschluss von Begleitverletzungen auf die Ultraschalluntersuchung. Der Nachweis von freier Flüssigkeit stellt hier die Indikation zur unverzüglichen Notfalllaparotomie. Bei stabilem Kreislauf sollte der Sonographie bei freier Flüssigkeit eine Computertomographie folgen, um die Blutungsursache zu lokalisieren und bei Läsionen solider Organe die Möglichkeiten eines konservativen Vorgehens abschätzen zu können. Die Indikationen zur konservativen Therapie von Läsionen parenchymatöser Bauchorgane haben in den vergangenen Jahren stets zugenommen. Eine nicht behebbare hämodynamische Instabilität stellt dabei eine absolute Kontraindikation dar. Voraussetzung für ein konservatives Vorgehen ist eine engmaschige Kreislaufüberwachung auf einer Intensivstation, wiederholte Hämoglobin- und Hämatokritkontrollen sowie repetitive sonographische Verlaufsuntersuchungen. Bei Instabilität dieser genannten Überwachungsparameter muss die konservative Vorgehensweise überdacht werden. Auch Anzeichen einer Peritonitis erfordern eine unverzügliche operative Exploration.
22.3.3
Abklärungsalgorithmen bei Abdominaltrauma
Standardisierte Abklärungsalgorithmen helfen in der Akutphase, eine problemorientierte Therapie ohne Zeitverzug einzuleiten. Die Behandlungsprioritäten richten sich danach, ob das Abdominaltrauma isoliert oder im Verband mit Begleitverletzungen vorliegt. Letztere beeinflussen nicht nur die Therapie, sondern auch die Abklärungsprioritäten. Neben einer raschen Übersicht über vitalitätsgefährdende Verletzungen und relevante Begleitverletzungen müssen im Schockraum folgende Fragen geklärt werden: 4 Ist die Abdominalverletzung stumpf oder penetrierend? 4 Ist der Kreislauf stabil oder instabil? 4 Lässt sich ultrasonographisch freie Flüssigkeit nachweisen? 4 Finden sich peritonitische Zeichen? 4 Wie ist der Volumenbedarf des Patienten und wie verhalten sich Hämoglobin, Hämatokrit und Diurese im Verlauf?
Begleitverletzungen Extraabdominelle Begleitverletzungen bestimmen die abdominellen Abklärungsalgorithmen. Bestimmend in der Abklärungs- und Therapiepriorität ist hier in erster Linie der Schweregrad der Begleitverletzung und ihr Einfluss auf die Kreislauf(in)stabilität.
. Abb. 22.2 Abklärungsalgorithmus beim stumpfen abdominellen Bauchtrauma
22
260
Kapitel 22 · Spezielle chirurgische Prinzipien in der Behandlung des traumatischen Abdomens
Schädel-Hirn-Trauma Das Vorliegen eines mittelschweren Schädel-Hirn-Traumas (GCS<12) erfordert die Durchführung einer Computertomographie des Schädels. Bei simultanem Vorliegen eines Abdominaltraumas sollte die Untersuchung auf das Abdomen erweitert werden. Ist die neurologische Überwachung schwierig oder bei Narkose nur eingeschränkt gewährleistet, muss die Indikation zum Schädel-CT großzügig gestellt werden. Beim nicht stabilisierbaren kreislaufinstabilen Patienten mit Abdominaltrauma und freier Flüssigkeit in abdomine hat die abdominelle Blutstillung Priorität vor der kraniellen Abklärung. Kreislaufinstabilität und Gerinnungsstörungen können andererseits das Outcome eines Schädel-Hirn-Traumas negativ beeinflussen. Die Indikation zu einem konservativen Vorgehen v. a. bei Verletzungen solider Bauchorgane ist beim Schädel-Hirn-Trauma zurückhaltender zu stellen als bei einem isolierten Abdominaltrauma.
Thoraxtrauma und Beckenverletzung Erfolgt keine primäre Abklärung mittels Computertomographie, gehören konventionelle Thorax- und Beckenaufnahmen zur Basisdiagnostik im Schockraum. Das Thoraxröntgenbild diagnostiziert die meisten der kreislaufrelevanten Thoraxverletzungen. Der Pneumound/oder Hämatothorax wird unverzüglich durch eine Thoraxdrainage behandelt. Die Drainagen geben Information über Ausmaß und Dynamik des thorakalen Blutverlustes. Kann der Patient trotz Thoraxverletzung stabilisiert werden, wird die Abdominalverletzung prioritär abgeklärt.
Bei instabilen Beckenringverletzungen erfolgt im Schockraum eine provisorische Stabilisierung des Beckenrings mit einem Beckengurt oder temporär mit einer Beckenzwinge oder einem externen Fixateur entsprechend dem Frakturmuster. Bei gleichzeitig vorliegender abdomineller Blutung wird der Beckenring anlässlich der abdominellen Revision mit Fixateur externe, Beckenzwinge oder durch Plattenosteosynthese temporär und/oder definitiv stabilisiert.
22.3.4
Penetrierendes Abdominaltrauma
Auch in der Abklärung penetrierender Abdominaltraumen (. Abb. 22.3) ist die Kreislaufstabilität entscheidend. Bei nicht stabilisierbarem Kreislauf wird nach Ausschluss eines Hämatothorax eine sofortige Laparotomie durchgeführt. Auch eine klinische Peritonitis sollte selbst bei hämodynamischer Stabilität zu einer sofortigen Laparotomie führen, da signifikante Blutungen in der Frühphase der Sonographie entgehen können (Brown 2005). Ein Hämatothorax wird vor der Laparotomie drainiert. In Abhängigkeit der Fördermenge über den Thoraxdrain wird die Laparotomie mit einer Sternotomie oder anterolateraler Thorakotomie kombiniert, um die Blutstillung in beiden Körperhöhlen zu ermöglichen.
Stichverletzung Der Abklärungsalgorithmus der Stichverletzung richtet sich nach der Kreislaufstabilität und der Eintrittsregion der Stichverletzung. Bei stabilem Kreislauf, Stichverletzung
22 . Abb. 22.3 Algorithmus beim penetrierenden Abdominaltrauma. (Aus Ertl u. Trentz 1996)
261 22.5 · Operative Therapieprinzipien
in der ventralen Bauchwand und fehlender Indikation zur Laparotomie in der Computertomographie kann die Stichwunde in Lokalanästhesie im Sinne einer Traktotomie revidiert werden. Unter engmaschiger klinischer Überwachung kann – falls sich keine Peritonitis oder hämodynamische Instabilität entwickelt – auf eine Laparotomie verzichtet werden (Como 2010). Die diagnostische Laparoskopie ist geeignet, um relevante Zwerchfellverletzungen zu diagnostizieren. Sie ist bezüglich Hohlorganläsionen jedoch mit einer sehr geringen Sensitivität behaftet (Ivatury 1993). Diese kann durch eine systematische Revision aber deutlich gesteigert werden, so dass die Laparoskopie in manchen Kliniken bei Verdacht auf eine peritoneale Perforation der Stichverletzung routinemäßig sowohl diagnostisch wie auch therapeutisch eingesetzt wird (Kawahara 2009). Stichverletzungen in der lateralen Bauchwand oder Flanke mit möglichem retroperitonealem Verlauf können laparoskopisch kaum abgeklärt werden, hier empfiehlt sich eine computertomographische Abklärung zum Ausschluss retroperitonealer Verletzungen. > Hämodynamische Instabilität und Stichkanal im medialen Drittel des Abdomens erfordert aufgrund der potenziellen Verletzungen der zentralen Gefäßachse eine sofortige Laparotomie auch ohne sonographischen Nachweis freier Flüssigkeit.
Schussverletzung Bei abdominellen Schussverletzungen ist aufgrund der Kavitationsschäden entlang des Schusskanals häufig eine Exploration durch Laparotomie indiziert. Ist der Patient kreislaufstabil, kann eine vorgängig durchgeführte Computertomographie Hinweise auf retroperitoneale Verletzungen geben. Bei tangentialen, extraperitonealen Schussverletzungen, fehlender Peritonitis und hämodynamischer Stabilität kann auf eine Routinelaparotomie verzichtet werden (Moore 1980).
Pfählungsverletzung Der Abklärungsalgorithmus bei der Pfählungsverletzung gleicht dem der Schussverletzung, bei Pfählung im Bereich des Dammes wird eine Anorektoskopie durchgeführt, um eine Rektumbeteiligung auszuschließen.
22.4
Antibiotikaprophylaxe und -therapie
Die prophylaktische Antibiotikagabe hat sich sowohl in der Viszeralchirurgie wie auch in der Traumatologie als Standard durchgesetzt. Auch bei perforierenden Abdominalverletzungen konnte der Nutzen der prophylaktischen Gabe von Breitspektrumantibiotika nachgewiesen werden (Thadepalli et al. 1973). Der Nutzen einer Antibiotikagabe
über mehr als 24 h hingegen konnte bei Patienten mit Abdominaltrauma bisher nicht belegt werden. Dies gilt auch bei Patienten mit Hohlorganperforation, bei denen aber nicht nur eine Einmaldosis, sondern eine Gabe über 24 h erfolgen sollte. Aufgrund des Hypermetabolismus und des Flüssigkeitsumsatzes beim Traumapatienten kann eine Dosisanpassung von Vorteil sein (Luchette et al. 2000). Dies gilt insbesondere bei Transfusion größerer Mengen von Blutersatzprodukten, wo ein Zusammenhang des Infektrisikos mit der Transfusionsmenge nachgewiesen werden konnte (Delgado et al. 2002).
22.5
Operative Therapieprinzipien
22.5.1
Lagerung und Zugänge
Die Lagerung und Abdeckung des Patienten sollte die intraoperative Erweiterung des abdominellen Zugangs durch Sternotomie oder anterolaterale Thorakotomie zulassen; auch die Möglichkeit, Thoraxdrainagen zu legen, sollte nicht durch zu begrenzte Abdeckungen verhindert werden. Perineale Verletzungen erfordern eine Steinschnittlagerung, um rektoskopieren, débridieren und drainieren zu können. Die mediane Laparotomie ist der Zugang, der im Bedarfsfalle am einfachsten durch Subkostalschnitte nach links oder rechts erweitert werden kann, um z. B. den Zugang bei Leberverletzungen zu erleichtern (. Abb. 22.4).
22.5.2
Technik der abdominellen »Damage-control«-Laparotomie
Indikation Als Parameter zur Durchführung eines »Dama-
ge-control-surgery«-Protokolls wird die Trias einer Azidose (pH<7,3), eines Transfusionsbedarf über 10 Erythrozytenkonzentraten und einer Hypothermie <35°C genannt (Johnson et al. 2001). Auch bei Blutdruckwerten mit systolischem Blutdruck unter 90 mmHg und einer persistierenden Tachykardie über 130/min. trotz adäquater Volumenreanimation, Verletzung größerer Gefäße und begleitender, lebensbedrohlicher extraabdomineller Verletzungen sollte die Indikation für eine »damage control« gestellt und das operative Vorgehen entsprechend angepasst werden. Prinzip Die »Damage-control«-Laparotomie konzentriert sich primär auf die Blutstillung und die Kontrolle von kontaminierenden Hohlorganverletzungen (Rotondo et al. 1997; Boffard 2007). Auf Darmanastomosen und andere, zeitaufwendige Rekonstruktionsverfahren wird dabei bewusst verzichtet, diese werden im Rahmen von »Second-
22
262
Kapitel 22 · Spezielle chirurgische Prinzipien in der Behandlung des traumatischen Abdomens
. Abb. 22.4 Standardinzisionen und ihre Erweiterungen beim Abdominaltrauma. (Aus Trentz u. Käch 1995)
look«-Laparotomien durchgeführt, nachdem sich der Patient auf der Intensivstation stabilisiert hat. Der Eingriff sollte rasch durchgeführt und beendet werden, um eine relevante Hypothermie und damit eine nicht mehr kontrollierbare Koagulopathie zu verhindern. Durchführung Beim kreislaufinstabilen, blutenden Patien-
22
ten wird eine komplette mediane Laparotomie von Symphyse bis Xiphoid durchgeführt. Der Dünndarm wird nach extraabdominal vorverlagert. Größere, sichtbare Blutungsquellen werden manuell komprimiert. Anschließend erfolgt ein »packing« subdiaphragmal links, sub- und suprahepatisch, der linken und rechten parakolischen Rinne, des Beckens und über jeder offensichtlichen Blutungsquelle. Falls das erste »packing« die Blutung nicht ausreichend stillt, wird ein zweiter Satz Bauchtücher eingebracht. Nun wird durch schrittweises Entfernen der Bauchtücher die Blutungsquelle lokalisiert und angegangen. Bei der Therapie hat die Blutstillung oberste Priorität und wird je nach Blutungsausmaß und Hämodynamik durch Splenektomie, Nephrektomie und bei Gefäßverletzungen durch Ausklemmen der betroffenen Gefäße erreicht. Durch eine Durchtrennung des Omentum minus werden die Portalgefäße zugänglich und können durch ein Pringle-Manöver ausgeklemmt werden. Beim persistierend hypotonen Patienten und nach wie vor unkontrollierter Blutung erfolgt eine primär manuelle Kompression der Aorta gegen die Wirbelsäule und anschließend das Ausklemmen der Aorta. Dies geschieht entweder durch Rotation von linkem Hemikolon, Milz
und Pankreasschwanz nach medial und damit direktem Zugang auf die abdominelle Aorta oder durch einen Zugang auf die thorakale Aorta über eine anterolaterale Thorakotomie. Letzteres bietet zudem die Möglichkeit der offenen Herzmassage und der Entlastung einer Perikardtamponade. Eine weitere Alternative ist die Ballonokklusion über einen inguinal in die A. femoralis eingebrachten Ballonkatheter. Nach dieser temporären Blutungskontrolle werden verletzte Darmabschnitte ausgeklemmt oder mit Staplernaht verschlossen. Unter adäquater Volumensubstitution werden die 4 Quadranten systematisch inspektorisch und palpatorisch nach Organläsionen abgesucht. Anschließend erfolgt die Inspektion von Magenhinterwand, Duodenum und Pankreas über eine Eröffnung der Bursa omentalis. Schließlich werden der gesamte Dünndarm und der Kolonrahmen vom Treitz-Ligament nach distal revidiert und schlussendlich auch das kleine Becken und die Blase inspiziert. Neben der Inspektion der Einzelorgane werden auch Ausmaß und Dynamik retroperitonealer Blutungen bzw. Hämatome beurteilt, v. a. bei pulsierenden retroperitonealen Hämatomen muss nach Läsionen größerer Gefäße gesucht werden. Eine etappenweise oder definitive Versorgung des Intestinums erfolgt erst nach intensivmedizinischer Stabilisierung der pathologischen Kreislauf- und Gerinnungsparamenter. Falls es der Schwellungszustand der Därme nicht zulässt oder ein »second look« oder andere abdominelle Folgeeingriffe geplant sind, erfolgt ein temporärer
263 22.6 · Behandlungsprinzipien der Einzelorgane
Bauchdeckenverschluss mit Kunststoffnetz und/oder einem Vakuumsystem. Letzteres hat den Vorteil, dass eine Retraktion der Bauchdecken reduziert werden kann.
22.5.3
Techniken der Blutstillung
Bei größeren Blutungen mit schlechter Lokalisierbarkeit und Übersicht wird läsionsfern eine temporäre Blutstillung durch Ausklemmen des zuführenden Gefäßes durchgeführt. Beispiele hierfür sind die infra- oder supradiaphragmale Ausklemmung der Aorta, während oder unter drohender Reanimation, oder das Pringle-Manöver am Lig. hepatoduodenale bei der Leberblutung. An den parenchymatösen Organen stehen verschiedene Techniken zur Verfügung: Durch eine Textiltamponade können rupturierte Organflächen gegeneinander komprimiert werden um die Flächen verkleben zu lassen. Das betroffene Organ muss dazu jedoch mobilisiert werden, die komprimierenden Tücher müssen obligat nach spätestens 48 h wieder entfernt werden. Das sog. »meshwrapping« basiert auf demselben Prinzip wie die Textiltamponade, mit dem Unterschied, dass das Organ in ein resorbierbares Netz eingepackt wird, dessen Entfernung entfällt. In Frage kommen hier v. a. Milz und Niere, evtl. auch die Leber, Schwierigkeiten bereitet die Dosierung des durch das Netz auf das Organ ausgeübte Druck, was zu Drucknekrosen am Organ führen kann. Selektive Gefäßligaturen und Umstechungen wirken gezielt, sind aber zeitaufwendig und sind daher bei drohender Exsanguination nicht angebracht. Sie bilden ansonsten aber die Basis jeden Resektionsdébridements an Leber, Niere und Milz. Bei diffusen Oberflächenblutungen ist die Parenchymflächenversiegelung mit Koagulation oder Argonbeamer besonders geeignet, zusätzlich kann der Effekt durch das Auflegen von Kollagenvlies augmentiert werden. Größere Flächen können auch mit Fibrinkleber abgedichtet werden; dies bedingt allerdings eine temporäre Bluttrockenheit durch eine Einstromsperre.
22.6
Behandlungsprinzipien der Einzelorgane
22.6.1
Milz
> Die Milzruptur ist die häufigste intraabdominelle Organverletzung beim stumpfen Abdominaltrauma. Die immunologische Bedeutung des Organs hat in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass organerhaltenden Therapien nach Möglichkeit der Vorzug vor der Splenektomie gegeben wurde.
Voraussetzung für eine organerhaltende Therapie ist die hämodynamische Stabilität des Patienten bei minimalem Flüssigkeitsbedarf, der computertomographische Ausschluss einer hilären Beteiligung, sowie die Möglichkeit einer intensivmedizinischen Überwachung. Allein aus dem bildmorphologischen Schweregrad (. Tab. 22.1) der Milzverletzung lässt sich deshalb keine Therapierichtlinie ableiten. Obschon der Erfolg einer konservativen Therapie mit steigendem Verletzungsgrad exponentiell abnimmt (Peitzman 2000), sind interventionell-radiologisch heute auch bei hochgradigen Rupturen eine Blutstillung und ein Organerhalt möglich. Bei Milzverletzungen ohne Hilusbeteiligung kann mit konservativer Therapie von einer Erfolgsrate von 90% ausgegangen werden. Auch bei höhergradigen Milzverletzungen konnte in den vergangenen Jahren durch aggressive angiographische Abklärung und Intervention die Versagerrate der konservativen Therapie gesenkt werden (Haan et al. 2001). Die Triagierung der Patienten für die Therapie sollte von der Kreislaufstabilität abhängig gemacht werden: eine trotz adäquater Volumengabe persistierende Hypotonie (<90 mmHg) und Tachykardie (>130/min) sollte operativ versorgt werden, bei Patienten, die auf eine initiale Volumengabe von 2 Liter sowohl mit dem Blutdruck als auch mit der Herzfrequenz ansprechen und mit moderater Volumengabe (<250 ml/h) und Erythrozytensubstitution stabil gehalten werden können (Moore 2008), kann ein angiographisches Vorgehen in Erwägung gezogen werden. Voraussetzung hierzu ist allerdings eine rasche Verfügbarkeit und eine entsprechende Routine des interventionell-radiologischen Teams. Auch das operative Vorgehen wird von der Stabilisierbarkeit abhängig gemacht. Bei stabilem Patienten und kontrollierbarer Blutung kann der Milzerhalt operativ durch Polresektion, Verschorfung mit »Argonbeamer«, Infrarotkoagulation, Fibrinklebung oder »mesh-wrapping« versucht werden. Bei ungenügender Blutstillung, Hypothermie, Gerinnungsstörungen oder relevanten Zusatzverletzungen sollte der Splenektomie der Vorzug gegeben werden. Die Dauer und die Modalitäten der Überwachung variieren in der Literatur stark. In größeren Serien konservativ behandelter Milzläsionen finden sich die meisten Therapieversager zwischen dem 2. und 3. Tag, so dass eine intensive Überwachung über mindestens 3 Tage empfehlenswert scheint. 8% der Therapieversager manifestieren sich jedoch erst 9 Tage oder später nach Trauma, die Entlassung von Patienten mit konservativ behandelter Milzläsion sollte also stets mit einer sorgfältigen Aufklärung hinsichtlich Warnzeichen einer Nachblutung erfolgen (Peitzman 2000). Zusätzlich sollte die Therapie durch eine Kontrollcomputertomographie überwacht werden, da, durch Vasospasmen bedingt, vaskuläre Läsionen der Milzgefäße der initialen Abklärung entgehen können.
22
264
Kapitel 22 · Spezielle chirurgische Prinzipien in der Behandlung des traumatischen Abdomens
. Tab. 22.1 Schweregrad der Milzverletzung. (Nach Moore et al. 1994) Grad I
Beschreibung Hämatom
<10% der Milzoberfläche
Lazeration
Kapselriss, nicht blutend, <1 cm Parenchymtiefe
Hämatom
Subkapsulär, nicht expandierend, 10–50% der Milzoberfläche; intraparenchymatös, nicht expandierend, <5 cm im Durchmesser
Lazeration
Kapselriss, aktive Blutung, 1–3 cm Parenchymtiefe, trabekuläre Gefäße nicht mit einbeziehend
Hämatom
Subkapsulär, >50% der Milzoberfläche und/oder expandierend; rupturiertes subkapsuläres Hämatom mit aktiver Blutung; intraparenchymatöses Hämatom >5 cm oder expandierend
Lazeration
Ruptur >3 cm in die Parenchymtiefe unter Einbezug der trabekulären Gefäßen
IV
Lazeration
Ruptur unter Einbezug segmentaler oder hilärer Gefäße oder Devaskularisation >25% der Milz
V
Lazeration
Komplette Organzerstörung
Vaskulär
Hiläres Trauma mit Devaskularisation der Milz
II
III
Eine Frühmobilisation bei fehlender Kontraindikation durch begleitende Verletzungen scheint Nachblutungen bei konservativer Therapie nicht zu begünstigen, dies gilt in gleicher Weise auch für Leber- und Nierenverletzungen (London 2008). > Es wird empfohlen, splenektomierte Patienten 2 Wochen postoperativ gegen Pneumokokken und evtl. auch Meningokokken und Haemophilus influenzae zu impfen. Die Pneumokokkenimpfung sollte nach 5 Jahren einmalig wiederholt werden (Shatz 2002).
22.6.2
22
Leber
Wie bei der Milzverletzung zeigt sich auch bei Verletzungen der Leber ein Trend zur nicht-operativen Therapie. Durch Verbesserung der Technik bei der venösen und arteriellen Blutstillung und durch die Einführung der »damage control surgery« an der Leber hat sich die Letalität der Verletzungen in den letzten 25 Jahren wesentlich senken lassen (Richardson 2000). Nach stumpfem Bauchtrauma können 85% der Leberverletzungen erfolgreich konservativ (Malhotra et al. 2000) behandelt werden. Die Voraussetzungen für die konservative Therapie entsprechen denen bei Milzverletzungen (s. oben). Auch bei Leberverletzungen sollte – sofern die Kreislaufstabilität dies zulässt – eine Computertomographie durchgeführt werden, um den Schweregrad der Leberverletzung zu beurteilen. Kreislaufstabile Patienten mit intrahepatischem Kontrastmittel-»Blush« oder -»Pooling« in der Computertomographie sollten einer angio-
graphischen Embolisation zugeführt werden. So kann der Transfusionsbedarf gesenkt und die laparotomiebedingte Infektrate vermindert werden (Mohr 2003). Laborchemisch scheinen die Transaminasen, insbesondere die SGOT, eine sehr hohe Sensitivität für Lebertraumen aufzuweisen. So kann bei normaler SGOT eine relevante Leberverletzung praktisch ausgeschlossen werden (Tan 2009). Bei kreislaufinstabilen Patienten mit höhergradigen Leberverletzungen empfiehlt sich als primäre Maßnahme das perihepatische »packing« durch Bauchtücher nach Mobilisation der Leber über eine mediane Laparotomie, die bei Bedarf subkostal rechts erweitert werden kann. Genügt das »packing« alleine nicht, wird ein Pringle-Manöver angeschlossen, das Versagen dieser Maßnahmen deutet auf eine Verletzung der retrohepatischen Vena cava oder der Venae hepaticae hin. Bei vornehmlich arteriellen Blutungen kann, falls ein Pringle-Manöver die Blutung kontrolliert, eine selektive Ligatur der zuführenden Leberarterie erfolgversprechend sein (Richardson 2000). Oberflächliche Leberläsionen oder subkapsuläre Hämatome (Grad I und II nach Moore) sind meist einer konservativen Therapie zugänglich (. Tab. 22.2), schwerere Lebertraumen werden in Abhängigkeit der hämodynamischen Stabilität behandelt. Bei stabilen oder stabilisierbaren Patienten (Kriterien 7 Abschn. 22.6.1) kann nach computertomographischer Beurteilung des Schweregrades der Verletzung eine angiographische Intervention zur Blutstillung angeschlossen werden (Hagiwara et al. 2002). Besteht nach Volumentherapie weiterhin eine Instabilität, wird nach chirurgischem »packing« die angiographische Intervention im Sinne einer »damage control« angeschlossen (Johnson 2002). Ein multimodales Vorgehen mit primä-
265 22.6 · Behandlungsprinzipien der Einzelorgane
. Tab. 22.2 Schweregrad der Leberverletzung. (Nach Moore et al. 1994) Grad I
Beschreibung Hämatom
Subkapsulär, nicht expandierend, <10% der Leberoberfläche
Lazeration
Kapselriss, nicht blutend, <1 cm Parenchymtiefe
Hämatom
Subkapsulär, nicht expandierend, 10–50% der Leberoberfläche; intraparenchymatös, nicht expandierend, <2 cm im Durchmesser
Lazeration
Kapselriss, aktive Blutung, 1–3 cm Parenchymtiefe, ≤10 cm lang
Hämatom
Subkapsulär, >50% der Leberoberfläche und/oder expandierend; rupturiertes subkapsuläres Hämatom mit aktiver Blutung; intraparenchymatöses Hämatom >10 cm lang
Lazeration
Ruptur >3 cm in die Parenchymtiefe
IV
Lazeration
Parenchymatöse Zerstörung von 25–75% eines Leberlappens oder 1–3 Couinaud-Segmente
V
Lazeration
Parenchymatöse Zerstörung von >75% eines Leberlappens oder > 3 Couinaud-Segmente
Vaskulär
Juxtahepatische venöse Verletzung, d. h. der extrahepatischen Lebervenen und/oder der V. cava
Vaskulär
Hepatische Avulsionsverletzung
II
III
VI
rem »packing« und anschließender angiographischer Intervention scheint gegenüber einem alleinigen chirurgischen Vorgehen bei schweren Lebertraumen das Überleben besser zu sichern (MacKenzie 2004). Im Gegensatz zu Milzverletzungen sind bei Leberverletzungen Verlaufscomputertomographien nicht angezeigt und sollten Patienten vorbehalten bleiben, die eine Veränderung in der klinischen Untersuchung aufzeigen (Cox 2005). Komplikationen nach Leberverletzungen wie Hämobilie, Gallelecks, perihepatische Abszessen und Lebernekrosen sind häufig und korrelieren mit dem Verletzungsgrad und dem Transfusionsbedarf (Kozar 2006). Sie sind häufig einer CT-gesteuerten Punktion oder einer Therapie mittels ERCP zugänglich (Carrillo 1999). ! Cave ! Von Versuchen, diffuse venöse Blutungen mit Umstechungen oder Ligaturen zu kontrollieren, wird eher abgeraten, da diese Blutungen durch die Manipulationen eher verstärkt werden. Hier hat die Kompression durch »packing« eher Aussicht auf Erfolg. Juxtakavale venöse Blutungen werden entweder durch Freilegung der verletzten Vene durch »finger-fracture« des umliegenden Gewebes und gezielte Ligatur behandelt oder durch Ausklemmen des betroffenen Venenanteils und anschließende Naht der Läsion. Der Nutzen des früher beschriebenen atriokavalen Shunts zur Blutungskontrolle bei diesen Läsionen wird aufgrund der ungenügenden Datenlage in Frage gestellt.
22.6.3
Gastrointestinaltrakt
Perforationen der Hohlorgane stellen diagnostisch beim stumpfen Abdominaltrauma in der Akutsituation eine Herausforderung dar. Klinisch manifestiert sich eine peritoneale Reizung oft erst verzögert und sie fehlt beim intubierten, relaxierten Patienten vollständig. Patienten, bei denen ein dringender Verdacht auf eine Hohlorganruptur besteht und deren Hämodynamik weitere Abklärung zulässt, sollten neben einer sorgfältigen sonographischen Untersuchung computertomographisch abgeklärt werden. Freie Luft in der CT-Untersuchung mit Kontrastmittel ist praktisch beweisend für eine Hohlorganruptur, Darmwandhämatome oder Mesenterialhämatome müssen zumindest einen hochgradigen Verdacht erwecken. Hier kann die diagnostische Peritoneallavage bei Nachweis intraabdomineller Bakterien u. U. diagnostisch richtungsweisend sein. > Keine der aktuell zur Verfügung stehenden Untersuchungen kann jedoch eine Läsion der Hohlorgane sicher ausschließen (Williams et al. 2003), hier sind eine engmaschige klinische Verlaufskontrolle sowie ein sequenzieller Gebrauch der bildgebenden Verfahren zu fordern.
Ösophagus Traumatische Läsionen des Ösophagus sind aufgrund seiner geschützten Lage selten und entgehen leicht der Primärdiagnostik. Extravasate in der Gastrografinpassage können hier den Verdacht erhärten.
22
266
Kapitel 22 · Spezielle chirurgische Prinzipien in der Behandlung des traumatischen Abdomens
Therapeutisch muss die Läsion rasch operativ angegangen werden. Durch Mobilisation des linken Leberlappens wird der distale Ösophagus umfahren und über einem dicken Magenschlauch geschient. Die Läsion wird anschließend mit resorbierbarem Faden (3–0) genäht und durch eine Magenmanschette im Sinne einer Fundoplicatio gesichert. Falls die Läsion auch nach Eröffnung des Hiatus oesophagei nicht vollständig beurteilt und versorgt werden kann, muss die Läsion durch eine Thorakotomie links zwischen 7. und 8. Interkostalraum von thorakal nach direkter Naht mit Fundoplikation oder Pleuraflap abgedeckt werden. Höherliegende Verletzungen werden entsprechend den Standardzugängen zum Ösophagus angegangen und versorgt.
Magen Magenverletzungen treten meist im Rahmen perforierender Abdominaltraumen auf und erfordern dann auch stets eine Inspektion der Magenhinterwand durch Eingehen in die Bursa omentalis. Die gute Durchblutung der Magenwand erlaubt nach sparsamem Débridement der Wunde in den meisten Fällen eine direkte Naht, die anschließend durch eine Magensonde entlastet wird. Bei ausgedehnteren Verletzungen wie beispielsweise Schussverletzungen ist gelegentlich eine Resektion erforderlich, die nach den üblichen Kriterien der Magenchirurgie erfolgt. Auf eine ausreichende Dekontamination des Abdomens durch Spülung ist bei diesen Eingriffen zu achten.
Duodenum
22
Duodenalverletzungen sind, da sie eine erhebliche Traumaenergie erfordern, beim Abdominaltrauma mit einer Inzidenz zwischen 3 und 12% selten (Timaran et al. 2001), stellen aber, da auch biliäre und pankreatische Strukturen involviert sein können, oft eine große therapeutische Herausforderungen dar. Zusätzlich entgehen ca. 15% der pankreatiko-duodenalen Verletzungen der initialen Computertomographie (Velmahos 2009), obwohl gerade bei Duodenalverletzungen nur eine frühe Therapie die Mortalität und Morbidität entscheidend senken kann (Lucas u. Ledgerwood 1975). Häufig wird die Diagnose im Rahmen der Revisionslaparotomie bei periduodenalen Begleitverletzung gestellt. Computertomographisch muss freie, retroperitoneale Luft oder eine periduodenale Flüssigkeitskollektion an die Verletzung denken lassen, auch ein nachgewiesenes Trauma des periduodenalen Pankreas muss an eine duodenale Begleitverletzung denken lassen. Konservativ therapierbare Duodenalwandhämatome sind bei fehlendem Kontrastmittelaustritt schlecht oder nicht von operationsbedürftigen Läsionen der Duodenalwand zu unterscheiden. Weder eine Gastrografinpassage noch die Peritoneallavage weisen eine genügende Sensitivität auf, um in der Diagnostik einen
wesentlichen Beitrag zu leisten (Timaran et al. 2001). Im Zweifelsfall müssen deshalb wiederholt Ultraschall- oder besser CT-Untersuchungen durchgeführt werden. Durch Mobilisation der rechten Kolonflexur und des Duodenums nach Kocher, sowie durch Eröffnung der Bursa omentalis wird das Duodenum inspiziert (. Abb. 22.5), isolierte Läsionen bis 50% der Zirkumferenz können nach sparsamem Débridement durch Allschichtnaht spannungsfrei direkt verschlossen werden. Ausgedehntere, kurzstreckige Läsionen können durch Mobilisation des Duodenums und Segmentresektion meist End-zuEnd anastomosiert werden. Läsionen >75% der Zirkumferenz der Pars II werden unter Berücksichtigung der Papilla vateri am sichersten mit einer Roux-Y-Duodenojejunostomie verschlossen. Bei verzögert diagnostizierten Läsionen mit unsicherer Verschlussmöglichkeit ist in seltenen Fällen eine Diversion des Duodenums zur Vermeidung einer High-output-Fistel nötig. Für die Notfallsituation ist in diesen Situationen eine Pylorusexklusion das technisch einfachste und schnellste Verfahren (. Abb. 22.6). Bei schweren Oberbauchtraumen scheint ein etappenweises Vorgehen im Sinne der »damage control« die sicherere Vorgehensweise als die primäre Rekonstruktion (Carillo et al. 1996). Verletzungen der Gallengänge werden, falls vom Allgemeinzustand möglich, in eine End-zu-Seit-Roux-Y-Choledochojejunostomie abgeleitet. Die Duodenopankreatektomie (Operation nach Whipple) ist selten notwendig und gilt als Rückzugsverfahren, falls oben genannte Verfahren fehlschlagen (Lin 2004).
Dünndarmverletzungen Dünndarmverletzungen können bei Rissen unter 50% der Zirkumferenz durch direkte Naht spannungsfrei wieder verschlossen werden, ausgedehntere Läsionen oder devitalisierte Darmabschnitte werden segmentreseziert und durch End-zu-End Anastomose anastomosiert. Wegen der geringen Morbidität sind Ausleitungsmanöver in der Regel nicht indiziert. Bei erheblicher Kontamination oder Zweifeln bezüglich der Vitalität von Darmabschnitten kann ein »second look« angebracht sein.
Kolon- und Rektumverletzungen Bei kleineren Kolonläsionen kann, wie bei Dünndarmläsionen, eine direkte Naht erfolgen, ausgedehntere Läsionen werden durch Segmentresektion oder – falls nötig – Hemikolektomien versorgt. Eine Ausleitung ist auch hier nur in Ausnahmefällen indiziert, eine Steigerung der Morbiditätsrate durch direkte Anastomosierung gegenüber einer temporären Stomie konnte nicht nachgewiesen werden und sollte deshalb vermieden werden (Demetriades et al. 2001). Die Morbidität bei Kolonverletzungen ist erheblich,
267 22.6 · Behandlungsprinzipien der Einzelorgane
a
b
. Abb. 22.5 Zugang zum 3. und 4. Abschnitt des Duodenums, der A. und V. mesenterica superior und zum Pankreaskopf
so treten bei über einem Drittel der Patienten im Verlauf intra- oder extraabdominelle Komplikationen auf (Williams et al. 2003). Rektumverletzungen durch Pfählungsverletzungen sind häufig einer rektosigmoidoskopischen Diagnostik zugänglich, extraperitoneale Rektumläsionen erfordern nach Möglichkeit eine Direktnaht mit Diversion des Stuhlflusses in Form einer doppelläufigen Sigmoidostomie, die bei einer ausschließlich extraperitonealen Verletzung laparoskopisch durchgeführt werden kann. Bei intraperitonealen Läsionen erfolgt eine endständige Sigmoidostomie mit Rektumstumpfverschluss nach Hartmann (Navsaria et al. 2001). Aufgrund der häufigen Mitbeteiligung des Harnableitungssystems sollte nach Möglichkeit präoperativ eine urographische Abklärung erfolgen.
22.6.4
. Abb. 22.6 Ausschluss des Duodenopankreas bei schwersten Verletzungen im Bereich des Duodenums und Pankreaskopfes: Antrektomie, Gastroenteroanastomose, Vagotomie, T-Drainage des Choledochus, Schlauchduodenostomie. Da diese anisoperistaltische Schlinge nicht die beste Entlastung des stark in Mitleidenschaft gezogenen Duodenalstumpfes bietet, ist als Alternative eine Gastroenterostomie mit Enteroanastomose nach Braun oder Drainage des Magnes mit Roux-Y-Schlinge vorzuziehen
Gefäßverletzungen beim Abdominaltrauma
Intraabdominelle Gefäßverletzungen treten beim Abdominaltrauma in den meisten Fällen in Kombination mit anderen intraabdominellen Läsionen auf. Am häufigsten sind sie mit Leber- oder Dünndarmverletzungen assoziiert (Carillo et al. 1997). Während in den USA Schussverletzungen die häufigste Ursache darstellen, stehen in Europa Stichverletzungen im Vordergrund. Neben diesen direkten Verletzungsmechanismen können Dezelerationstraumen zu Avulsionsverletzungen der A. mesenterica superior führen, während Kompressionstraumen eher Intimaläsio-
22
268
Kapitel 22 · Spezielle chirurgische Prinzipien in der Behandlung des traumatischen Abdomens
a
. Abb. 22.7a,b Zugang zu den inframesokolischen Gefäßen. a Inzision des Peritoneums. b Das rechte Hemikolon wird vollständig nach links herübergeschlagen und das Duodenopankreas ausgiebig nach Kocher mobilisiert
22
b
nen dieses Gefäßes oder der Nierenarterien mit nachfolgenden Thrombosen zur Folge haben. Zur Versorgung der Gefäßverletzungen wird primär wie bei der Revisionslaparotomie vorgegangen und das Abdomen in 4 Quadranten mit Tüchern tamponiert. Begleitende Darmläsionen werden durch eine Staplernaht verschlossen um eine weitere Kontamination zu verhindern und dann sekundär versorgt. Bei großen Hämatomen in der Mesenterialwurzel ist gelegentlich eine proximale Kontrolle von Arteria und Vena mesenterica sup. notwendig. Dies erfolgt entweder durch Mobilisation der rechten Kolonflexur und Verlagerung des gesamten Dünndarmpaketes nach links oder durch direktes Eingehen auf die Gefäße unterhalb des Doudenums, am Treitz-Ligament (. Abb. 22.7). Die Gefäßrekonstruktion erfolgt entweder durch direkte Anastomosierung, durch eine Venenpatchangioplastie oder durch Veneninterponat. Peripherere Gefäßläsionen werden durch Ligatur unter Kontrolle der Darmperfusion versorgt. Unsicher perfundierte Darmabschnitte werden reseziert oder bei Erhalt durch eine »Second-look«-Operation kontrolliert. Retroperitoneale Hämatome bei Beckenfrakturen werden in erster Linie durch Stabilisierung des Beckenrings mit Fixateur externe oder Beckenzwinge und eventuell Tamponade gegen den stabilisierten Ring behandelt
(. Abb. 22.8). Eine Eröffnung der Hämatome empfiehlt sich nur, falls eine Plattenosteosynthese zur transiliosakralen Stabilisierung notwendig ist oder falls Pulsationen des Hämatoms auf eine arterielle Läsion hindeuten. Hämatome im Bereich der Leberpforte bedürfen der Revision, um Verletzungen der Gallenwege, der A. hepatica oder der V. porta auszuschließen. Bei paraduodenalen
. Abb. 22.8 Schematische Darstellung der Beckenkammtamponade gegen den stabilisierten Beckenring
269 22.6 · Behandlungsprinzipien der Einzelorgane
. Abb. 22.9 Zugang zur Aorta: Milz, Pankreasschwanz und -korpus und das linke Hemikolon werden nach rechts herübergeschlagen.
Die Aorta liegt vom Hiatus bis zur Bifurkation frei. Sie wird nur noch von der linken V. renalis überkreuzt
Hämatomen sollten duodenale, biliäre Verletzungen oder Läsionen des Pankreas ausgeschlossen werden. Perirenale Hämatome werden dann revidiert, wenn der Patient kreislaufinstabil ist, in der Computertomographie Kontrastmittelextravasate nachweisbar sind und perforierende Verletzungen vorliegen. Perikolische Hämatome werden, falls sie aufsteigend durch eine Beckenfraktur verursacht werden, belassen, andernfalls muss eine Kolonläsion durch Mobilisation des linken bzw. rechten Hemikolons ausgeschlossen werden. Läsionen der Aorta oder der V. cava (. Abb. 22.9 und 22.10) werden durch direkte Naht versorgt, allenfalls unter Interposition von V.-saphena- oder V.-femoralis-superficialis-Grafts. Insbesondere bei Verletzungen der V. cava können primär unbedeutende retroperitonelae Hämatome durch Eröffnung des Retroperitonealraumes zu heftigen Blutungen führen. Diese werden primär durch Kompression, dann durch Ausklemmen der V. cava proximal und distal der Läsion kontrolliert, die Läsion wird direkt vernäht, bei perforierenden Verletzungen erfolgt primär die Naht der Hinterwand von endoluminal. Geringe Stenosierungen der V. cava können toleriert werden.
22.6.5
Niere und ableitende Harnwege
Nierenläsionen erfordern aufgrund des umgebenden Weichteilmantels eine erhebliche Traumaenergie. Bei höhergradigen Nierenverletzungen sind begleitende abdominelle Verletzungen mit 72–90% daher die Regel (Knudson et al. 2000). Beim kreislaufstabilen Patienten sollte präoperativ eine CT-Kontrastmitteluntersuchung durchgeführt werden. Diese gibt nicht nur Informationen über die Morphologie der Nierenverletzung, sondern auch Auskunft über begleitende Gefäßverletzungen und die Nierenfunktion. Die konservative Therapie ist die Therapie der Wahl. Nur bei kompletten Zerreißungen mit Devaskularisation (Grad V nach Moore) oder bei persistierender Kreislaufinstabilität aufgrund der Nierenläsion ist eine primäre Nephrektomie indiziert. Bei bilateralen Verletzungen oder afunktioneller Niere der Gegenseite sollte jedoch eine Nierenerhaltung versucht werden (Knudson et al. 2000). Wie bei Leber- und Milzläsionen sind auch bei Nierenverletzungen bei stabilen Patienten mit anhaltendem Blutverlust oder Kontrastmittel-«Blush« in der Computertomographie interventionelle Angioembolisationen häufig erfolg-
22
270
Kapitel 22 · Spezielle chirurgische Prinzipien in der Behandlung des traumatischen Abdomens
a
c
22
b
d
. Abb. 22.10a–d Versorgung von Verletzungen der Vena cava. a Exklusionsklemme; b Rotation des Gefäßes zwischen Snares, Ligatur von Lumbalvenen; c Naht einer Hinterwandverletzung vom
Lumen her; d Kompression der zwischen Zügeln mündenden Lumbalvenen bis zum Beenden der Gefäßnaht. (Aus Starzl et al. 1962)
reich, dies gilt auch bei anhaltender, posttraumatischer Hämaturie. Bei pulsierenden perirenalen Hämatomen erfolgt eine Darstellung der beidseitigen Nierengefäßstiele über eine paraaortale Inzision medial der V. mesenterica inferior, hier können beide Nierenarterien und die linke Nierenvene abgeklemmt werden. Die Nierenfreilegung erfolgt anschließend über eine Mobilisation des linken bzw. rechten Hemikolons (. Abb. 22.11 und 22.12) . Die Versorgung der Nierenverletzung erfolgt prinzipiell ähnlich wie bei Milzläsionen: durch Polresektion, Renorrhaphie mit Netz oder oberflächlicher Verschorfung. Rupturen des Nierenbeckens werden durch fortlaufende Naht verschlossen und durch Doppel-J-Katheter drainiert. Einrisse der Nierenarterie werden nach Ausklemmung direkt genäht, post-
operativ muss bei Verdacht angiographisch eine Nierenarterienstenose ausgeschlossen werden, um der Entwicklung einer renal bedingten Hypertonie durch Stenose frühzeitig entgegentreten zu können. Läsionen der Ureteren werden durch direkte Naht nach Einlage eines Doppel-J-Katheters versorgt und das Retroperitoneum nach außen drainiert.
22.6.6
Zwerchfell und Bauchdecke
Zwerchfellrupturen sind schwierig zu diagnostizieren; bei größeren Defekten kann eine kranial liegende Magensonde einen Hinweis geben. Gefährdet für Spätkomplikationen im Sinne von Inkarzerationen von Darm sind jedoch
271 22.7 · Frühpostoperative Ernährung nach Abdominaltrauma
b
a
. Abb. 22.11a–c Zugang zur vaskulären Kontrolle beider Nieren. a Inzision des Peritoneums medial der V. mesenterica inferior; b vaskuläre Kontrolle des Nierenstiels beider Nieren; c Zugang zur Exploration der linken Niere. (Aus McAninch 1986)
v. a. Patienten mit kleineren Läsionen, beispielsweise bei links thorakoabdominellen Stichverletzungen. Bei diesen sollte durch Laparoskopie oder -tomie aktiv nach einer Läsion des Zwerchfells gesucht werden. Kleinere Läsionen können von abdominell, größere Defekte besser über eine posterolaterale Thorakotomie versorgt werden. Sie erlaubt eine sicherere Naht oder Defektüberbrückung mit einem nichtresorbierbaren Netz. Defekte der Bauchwand erfordern aufgrund der Inkarzerationsgefahr eine sofortige Revision. Hier erfolgt entweder eine direkte Naht, oder, bei großen Defekten, die Implantation von resorbierbaren Netzen, die eine spätere Spalthauttransplantation auf das sich bildende Granulationsgewebe erlauben.
c
22.7
Frühpostoperative Ernährung nach Abdominaltrauma
Der Vorteil der frühzeitigen enteralen Ernährung beim polytraumatisierten Patienten hat sich in vielen Studien gezeigt: Sie ist nicht nur mit weniger Komplikationen behaftet als die parenterale Ernährung, sondern hat auch positive Einflüsse auf die Darmmukosa. Gerade bei Polytraumatisierten kann die systemische Immunantwort durch Zusatz von immunmodulierenden Substanzen wie Omega-3Fettsäuren, Arginin, Glutamin, Nukleotiden und Antioxidanzien günstig beeinflusst werden. Durch Verminderung der Atrophie der Enterozyten wird die Immunbarriere des Dünndarms erhalten, was die Entzündungsreaktion nach Trauma und das Multiorganversagen vermindert (Galban et al. 2000).
22
272
Kapitel 22 · Spezielle chirurgische Prinzipien in der Behandlung des traumatischen Abdomens
a
b
. Abb. 22.12a,b Zugang zur rechten Niere. a Mobilisation der rechten Flexur und des Duodenopankreas nach Kocher; b Freilegung der rechten Niere und Setzen von Gefäßklemmen
Die bei Intensivpatienten mit Abdominaltrauma häufig bestehende Gastroparese kann durch die Einlage einer Jejunalsonde umgangen werden, Reflux wird über eine Magensonde kontrolliert. Auch bei Gastroparese und fehlenden Darmgeräuschen bleibt der Dünndarm in der Lage, Nahrung zu resorbieren (Marik et al. 2001). > Die Sondenkost sollte rasch (d. h. vor 24 h) postoperativ begonnen werden. Kontraindikationen gegen einen frühen Ernährungsbeginn können kritische Anastomosen oder Übernähungen darstellen. Neben Senkung der Infektrate und Morbidität hat die frühe enterale Ernährung auch einen positiven Effekt auf die Kosten: Sie ist nicht nur preiswerter als die parenterale Ernährung, sie senkt auch die Hospitalisationsdauer.
22.8
22
Abdominelles Kompartmentsyndrom
Abdominelle Kompartmentsyndrome entstehen durch Volumenzunahme im Abdomen (z. B. Blutungen, Ileus), Volumenabnahme oder Complianceänderung des Kompartments (forcierter Bauchwandverschluss, abdominelle Verbrennungen). Sie äußern sich abdominell in einem gespannten, geblähten Abdomen, vermindertem Urin-Output (<0,5 ml kg-1 h-1), aber auch extraabdominell-systemisch durch einen erhöhten pulmonalarteriellen Druck (PAP>45 cm H2O), einen sinkenden Sauerstoffpartial-
druck bei Anstieg des Kohlendioxidpartialdrucks und Ausbildung einer Azidose. Der zentrale Venendruck steigt und das Schlagvolumen nimmt ab. Mit einer Inzidenz zwischen 3–15% (Morris et al. 1993; Ertel et al. 1998) bei Traumapatienten und einer hohen Mortalität bei verzögerter Therapie hat die Entität des abdominellen Kompartmentsyndrom in den letzten Jahren zunehmendes Interesse erlangt, zudem bestehen Hinweise, dass sich durch aggressive Volumenreanimation Fälle von sekundärem abdominellem Kompartmentsyndrom häufen (Balogh 2003). > Bei klinischem Verdacht sollte der abdominelle Druck (IAP) entweder über den Harnblasendruck oder über die gastrische Mukosatonometrie überwacht werden (Saggi et al. 1998).
Intraabdominelle Druckwerte über 25 mmHg oder ein abdomineller Perfusionsdruck unter 60 mmHg (abdomineller Perfusiondruck = mittlerer arterieller Blutdruck – intraabdominaler Druck) gelten als pathologisch und werden mit einer sofortigen, abdominellen Dekompression, d. h. einem Laparostoma, behandelt. Bei vermindertem Urin-Output und erhöhten Beatmungsspitzendrücken sollte eventuell berits unter einem IAP von 25 mmHg die Dekompression erfolgen. Der temporäre Bauchdeckenverschluss erfolgt dabei spannungsfrei mit einem Kunststoffnetz oder mit einem Vakuumsystem, wobei das Vakuum hier unter Kontrolle des Blasendrucks dosiert werden sollte.
273 22.9 · Literatur
22.9
Literatur
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22
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Kapitel 22 · Spezielle chirurgische Prinzipien in der Behandlung des traumatischen Abdomens
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23
Allgemeine chirurgische Prinzipien in der Behandlung des Ileus S. Müller
23.1 Grundlagen
– 276
23.1.1 Epidemiologie – 276 23.1.2 Klassifikation – 276 23.1.3 Pathophysiologie – 276
23.2 Klinische Symptomatik 23.3 Diagnostik 23.3.1 23.3.2 23.3.3 23.3.4 23.4
– 277
– 278
Anamnese und klinische Untersuchung – 278 Laboruntersuchungen – 278 Sonographie – 278 Radiologische Diagnostik – 278 Therapieziele und Indikationsstellung – 279
23.5 Konservative Strategie
– 280
23.5.1 Allgemeine Maßnahmen – 280 23.5.2 Konservative Therapie – 280 23.5.3 Medikamentöse Therapie – 280
23.6 Operationstechnik 23.6.1 23.6.2 23.6.3 23.6.4
– 281
Allgemeine Maßnahmen Dünndarmileus – 281 Dickdarmileus – 281 Laparoskopie – 281
23.7 Ergebnisse
– 281
23.8 Ileusprophylaxe 23.9 Literatur
– 281
– 282
– 282
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_23, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
276
23
Kapitel 23 · Allgemeine chirurgische Prinzipien in der Behandlung des Ileus
Als Ileus bezeichnet man alle Störungen der intestinalen Passage. Dazu gehört neben den häufigen mechanischen Formen auch die Beeinträchtigung der Peristaltik aufgrund einer Paralyse. Die Passagebehinderung kann total oder inkomplett sein. Klinisch lassen sich akute von subakuten, chronischen und chronisch rezidivierenden Formen unterscheiden. Ein unbehandelter Darmverschluss führt in der fortgeschrittenen Form zu progredientem Organversagen das als »Ileuskrankheit« bezeichnet wird.
23.1
Grundlagen
23.1.1
Epidemiologie
Der Ileus macht ca. 5% aller chirurgischen Laparotomien aus. Davon fallen 70% auf den Dünndarm und 30% auf den Dickdarm (Post u. Schuster 2000). In den Entwicklungsländern stellen inkarzerierte Hernien heute noch den größten Anteil dar. Mit zunehmender Verfügbarkeit von Operationen aus verschiedenen Indikationen sind postoperative Adhäsionen mit bis zu 80% in den Industrienationen die häufigste Ursache (Treutner u. Schumpelick 2000). Zu den häufigsten Voroperationen gehören kolorektale und gynäkologische Eingriffe. Die Appendektomie, als häufig durchgeführter Eingriff, ist in bis zu 40% der Fälle die Ursache für eine Passagestörung. Das Risiko für einen Adhäsionsileus besteht lebenslang. Die Letalität erreicht auch heute noch Werte von 5–15% (Menzies et al. 2001).
23.1.2
Klassifikation
Der mechanische Ileus ist durch eine Behinderung der normalen Darmpassage charakterisiert. Er kann als inkomplette oder komplette Passagestörung vorkommen. Daneben ist eine Differenzierung nach der Lokalisation in einen Dünndarm- bzw. einen Dickdarmileus möglich. Das Vorliegen einer Beeinträchtigung der Darmdurchblutung hat eine entscheidende Bedeutung bei der Therapieplanung. Ätiologisch sind extramurale Ursachen, die eine Kompression des Darms verursachen, von der intramuralen Okklusion durch Veränderungen der Darmwand und von der intraluminären Obturation durch abnormalen Darminhalt zu unterscheiden (. Tab. 23.1). Der paralytische Ileus zeichnet sich durch eine funktionelle Motilitätsstörung aus. Die seltene primäre Form kommt bei Myopathien und Neuropathien vor. Die sekundäre Form hat ein breites Spektrum von möglichen Ursachen. Dazu zählen toxische Einflüsse durch Medikamente (Tranquilizer, Neuroleptika mit anticholinerger Wirkung) aber auch bakterielle Toxine bei Abszessen und Peritonitis. Zu den metabolischen Ursachen gehören Hypo-
kaliämie, Urämie, Porphyrie und Diabetes. Reflektorisch tritt ein Ileus postoperativ durch die Manipulation am Darm und bei retroperitonealen Irritationen wie Hämatomen, Uretersteinen und Wirbelsäulentraumen auf.
23.1.3
Pathophysiologie
Die Obstruktion des Darms führt durch den Aufstau der Darminhalte zu einer Distension des Darms proximal des Passagestopps. Dadurch kommt es reflektorisch zu einer Relaxation der glatten Muskulatur. Durch die Zunahme der Wandspannung, insbesondere beim Kolon, werden Mikrozirkulation und Mukosabarriere gestört. Die Folge ist eine Flüssigkeitssequestration in das Darmlumen, die durch eine vermehrte Sekretion bei verminderter Resorption verstärkt wird. Beim hohen Dünndarmileus steht der Reflux aus dem Jejunum und das Erbrechen im Vordergrund, da es zu keiner wesentlichen Darmdilatation kommt. Neben der intraluminären Druckerhöhung kann es zur Erhöhung des intraabdominellen Druckes und damit zum abdominellen Kompartmentsyndrom kommen. Die Folgen reichen von Organdysfunktionen (Nieren, Leber, Herz, Lungen) bis zum Multiorganversagen (7 Kap. 21.2; Madl u. Druml 2003). Weitere Mechanismen sind die bakterielle Überwucherung mit Darmkeimen, die vornehmlich gram-negativ und anaerob sind. Die bakteriellen Zerfalls- und Stoffwechselprodukte wirken entweder direkt auf die Schleimhaut oder führen zur Mediatorfreisetzung. Durch die geschädigte Darmwand kommt es zum Erliegen der Mukosabarriere und damit gesteigerter Translokation von Bakterien und Toxinen über das Pfortaderblut und Lymphbahnen in den systemischen Kreislauf. Diese Bakteriämie kann zur Sepsis und damit systemischen Ileuskrankheit führen (HenneBruns et al. 1990; Roscher u. Lommel 1998). > Allen Mechanismen gemeinsam sind die systemischen Auswirkungen des intravasales Flüssigkeitsdefizits mit Elektrolytverschiebungen bis hin zum hypovolämischen Schock.
Durch die Obstruktion kommt es zunächst zu einer gesteigerten Peristaltik, um das Hindernis zu überwinden. Klinisch lässt sich eine Stenoseperistaltik oder Pendelperistaltik auskultieren. In der Spätphase geht die vermehrte Peristaltik in eine Paralyse über. Die Strangulation des Darms bedingt primär eine lokale Hypoxie der Darmwand mit Azidose und Entzündungsreaktion mit Mediatorenfreisetzung. Die Mukosa reagiert am sensibelsten auf die Ischämie und stellt die Eintrittspforte für Bakterien mit folgender systemischer Infektion bis zum septischen Schock. Je nach Ausmaß der Durchblu-
277 23.2 · Klinische Symptomatik
. Tab. 23.1 Klassifikation und Ätiologie des Ileus Mechanisch
Ohne Störung der Blutzirkulation
Mit Störung der Blutzirkulation: Strangulation
Kompression
Adhäsionen Briden Tumoren
Torsion Inkarzeration Volvulus Hernien Malrotation
Intraliminale Obturation
Atypischer Darminhalt (Nahrung, Fremdkörper, Gallenstein, Bezoar, Mekonium) Membranen Invagination
Intramurale Ursache (Stenosen) Okklusion
Entzündungen/Stenose (Divertikulitis, M. Crohn, Kolitis) Stenosierende Tumoren Extraluminäre Raumforderungen M. Hirschsprung Atresien
Funktionell
Primär
Sekundär
Myopathien Neuropathien Pseudoobstruktion (Ogilvie-Syndrom) Strukturelle Darmwandveränderungen (Sklerodermie, Amyloidose)
Toxisch/entzündlich
Vergiftungen, Medikamente Abszess Peritonitis
Metabolisch
Elektrolytstörung Eiweißmangel Diabetes Urämie Porphyrie
Reflektorisch
Postoperativ Ureterstein, volle Blase Wirbelkörper-/Beckenfraktur Retroperitoneales Hämatom
Vaskulär
Nichtokklusive mesenteriale Ischämie Vaskulitis
Arterielle Embolie Arterielle Thrombose Venöse Thrombose
tungsstörung kommt es frühzeitig zu einem generalisierten Krankheitsbild.
Postoperativer Ileus Allein durch die Manipulationen bei einer Laparotomie werden die Makrophagen in der Darmwand aktiviert. Das ist der Ausgangspunkt einer Entzündungskaskade mit Ausschüttung von Zytokinen, Chemokinen und Substanzen wie NO und Prostaglandinen. In den Gefäßen der Muskularis kommt es zu einer Extravasation von Leukozyten in die Darmmuskelschicht. Diese leukozytäre Infiltration und die lokale Sekretion von leukozytären Mediatoren (Proteasen, Radikale) bewirken eine Verminderung der muskulären Kontraktilität (Kalff et al. 2003). Daneben gibt es Hinweise auf einen neuronalen Weg, bei dem durch eine zentrale Stimulation des sympathischen Nervensystems die Inhibierung des autonomen Nervensystems in der Darmwand verursacht wird (Behm u. Stollmann 2003).
> Pathophysiologie des Ileus: Passagestopp → Darmdistension → Störung der Mikrozirkulation → bakterielle Überwucherung → Flüssigkeitssequestration → Hypovolämie
23.2
Klinische Symptomatik
Die Symptomatik ist in der Frühphase oft uncharakteristisch. Danach treten Übelkeit, Erbrechen, krampfartige Bauchschmerzen und Stuhlverhalt auf. Je nach Höhe des Verschlusses und der Ileusform variiert die Ausprägung der Hauptsymptome. Der hohe Dünndarmileus ist durch Schmerzen, Übelkeit und Erbrechen großer Mengen charakterisiert. Der übrige Darm entleert sich normal und das Abdomen erscheint leer. Bei einem tiefen Dünndarmileus stehen Übelkeit und Erbrechen sowie krampfartige Schmerzen bei hochgestellter Peristaltik im Vordergrund. Durch den
23
278
23
Kapitel 23 · Allgemeine chirurgische Prinzipien in der Behandlung des Ileus
Meteorismus ist das Abdomen aufgetrieben. Die Symptome des Dickdarmileus beginnen verzögert mit unspezifischen abdominellen Beschwerden mit oder ohne kolikartigen Charakter und Obstipation. Übelkeit und Erbrechen kommen erst sehr spät hinzu. Bei langsam progredienten Prozessen sind Stuhlunregelmäßigkeiten häufig der erste Hinweis. Der paralytische Ileus zeichnet sich durch Singultus, Übelkeit, Erbrechen, Meteorismus und Stuhlverhalt aus. Auskultatorisch fehlt die Peristaltik. Das Abdomen ist meist gespannt. Durch die Hypovolämie kommt es zur Tachykardie und Hypotonie. Oligo-/Anurie und septischer Schock sind in den Spätphasen zu beobachten.
23.3
Diagnostik
23.3.1
Anamnese und klinische Untersuchung
Da bis zu 80% des mechanischen Ileus auf postoperative Adhäsionen zurückgehen, ist die Frage nach bisherigen Operationen von entscheidender Bedeutung. Neben der Appendektomie gehören gynäkologische Eingriffe im kleinen Becken zu den häufigsten Auslösern für einen postoperativen Adhäsionsileus. Dabei handelt es sich um ein lebenslanges Risiko für einen Ileus. Bei der Palpation können Meteorismus, Resistenzen oder Peritonismus gefunden werden. Neben dem Abtasten der Bruchpforten ist die rektale Untersuchung essenziell. Hier können Rektumkarzinome diagnostiziert werden. Blut am tastenden Finger gibt Hinweise auf eine Strangulation, Invagination oder vaskulären Ileus. Auskultatorisch unterscheidet man die pathognomonische Pendelperistaltik mit hochgestellten Darmgeräuschen von der Atonie beim funktionellen Ileus. Erstmaßnahmen beim Ileus 4 4 4 4 4 4
23.3.2
Venöser Zugang Magensonde Rektale Untersuchung Blasenkatheter Hebe-Senk-Einlauf Operationsindikation?
Laboruntersuchungen
Ileusspezifische Laborparameter existieren nicht. Sie können nur Aussagen über den Schweregrad des vorliegenden Darmverschlusses machen und eine gezielte präoperative Infusionstherapie ermöglichen. Zur Diagnostik gehören Blutbild, Elektrolyte, Kreatinin oder Harnstoff, Gerin-
nungsstatus, Blutzucker, Transaminasen, α-Amylase und Gesamteiweiß. Eine Blutgasanalyse ist zum Ausgleich des Säure-Basen-Haushalts hilfreich, die Bestimmung eines erhöhten Laktats oder einer erhöhten LDH können einen Hinweis auf eine Mesenterialischämie liefern.
23.3.3
Sonographie
Die Sonographie ist die wichtigste Untersuchung zur Differenzierung zwischen mechanischem und paralytischem Ileus sowie zur Ursachenabklärung (7 Kap. 2). Durch die bettseitige Verfügbarkeit und beliebige Wiederholbarkeit bei minimaler Belastung des Patienten hat sie auch in der Verlaufsbeobachtung einen hohen Stellenwert. Mit der Sonographie lassen sich sowohl die dilatierten und mit Flüssigkeit gefüllten Darmschlingen als auch die Peristaltik beurteilen. Diese Veränderungen gehen häufig den Spiegelbildungen im Röntgenbild voraus. Darmwandveränderungen wie Hämatome und Invagination lassen sich direkt darstellen. Freie intraabdominelle Flüssigkeit ist ein Hinweis auf ein fortgeschrittenes Krankheitsbild, das rasche Therapie erfordert (Grassi et al. 2004). Daneben lassen sich auch alle anderen intraabdominellen Organe und Strukturen beurteilen und so der Ursache des Darmverschlusses weiter abklären. > Sonographie ist die wichtigste Untersuchung zur Differenzierung zwischen mechanischem und paralytischem Ileus.
23.3.4
Radiologische Diagnostik
Abdomenübersicht im Stand Dies ist die klassische radio-
logische Diagnostik des Ileus mit einer Sensitivität von 98%. Die Abdomenübersicht im Stand oder in Linksseitenlage identifiziert Spiegelbildungen und lässt Rückschlüsse auf die Lokalisation des Passagestops zu. Ein hoher Ileus zeigt meist nur wenig Spiegel, vielleicht nur im linken Oberbauch auf. Beim tiefen Dünndarmileus können multiple Spiegel bis zum rechten Unterbauch auftreten. Die Überblähung des Zökums ist charakteristisch für den Dickdarmileus, wobei je nach Höhe des Verschlusses der gesamte Kolonrahmen durch Spiegel abgebildet ist. Freie intraabdominelle Luft als Zeichen der Perforation wird sicher erkannt. Eine Aerobilie ist ein Hinweis auf einen Gallensteinileus (. Abb. 23.1 und 23.2). Kolonkontrasteinlauf Beim Dickdarmileus kann die rektale Gabe von wasserlöslichem Kontrastmittel Art und Höhe des Stops darstellen. Gleichzeitig hat das Kontrastmittel eine laxierende Wirkung.
279 23.4 · Therapieziele und Indikationsstellung
Operation indiziert. Ebenfalls kann die Magen-Darm-Passage zur Lokalisationsdiagnostik beitragen. Die zusätzliche Flüssigkeitsverschiebung verstärkt allerdings auch die Hypovolämie. Um die Gefahr der Aspiration mit folgender Pneumonie zu verringern, kann das Kontrastmittel über eine duodenal platzierte Sonde appliziert werden. Bei Patienten mit Obstruktion wird für Gastrografin eine therapeutische Erfolgsrate von bis zu 85% beschrieben (Biondo et al. 2003). Computertomographie mit Kontrastmitteleinlauf Das CT
. Abb. 23.1 Dünndarmileus des mittleren Drittel mit multiplen Spiegeln und stehenden Schlingen im Mittelbauch. Das Kolon ist leer
Magen-Darm-Passage Beim Dünndarmadhäsionsileus kann mittels oraler Gabe von wasserlöslichen Kontrastmitteln eine inkomplette Passagestörung von einem kompletten Ileus differenziert werden. Das hochmolare Gastrografin führt zur Verdünnung des Darminhalts und hat eine laxierende Wirkung, die therapeutisch genutzt werden kann. Gelangt das Kontrastmittel in das Kolon kann weiter konservativ therapiert werden, andernfalls ist die
hat eine ähnliche Sensitivität (98%) in der Feststellung einer Obstruktion wie die Abdomenleeraufnahme. Der Vorteil liegt in der Erkennung differenzialdiagnostisch wichtiger Erkrankungen und Begleitbefunden. Daneben lassen sich dilatierte Schlingen vor, kollabierte Darmschlingen hinter dem Stopp und die Ursache des Stops direkt darstellen. Insbesondere Tumoren des Kolons und im kleinen Becken können sicher diagnostiziert werden. Durch eine 3D-Rekonstruktionen lassen sich zusätzliche Hinweise gewinnen. Durch die intravenöse Kontrastmittelgabe lässt sich eine Aussage zur Durchblutungssituation der Darmwand machen (Peck et al. 1999; Scaglione et al. 2004).
23.4
Therapieziele und Indikationsstellung
Ziel der Behandlung des Ileus ist die Wiederherstellung der Passage durch Beseitigung der Ursache der Passagestörung. Eine absolute Operationsindikation besteht bei komplettem Passagestopp und dringendem Verdacht auf Stran-
. Abb. 23.2 Dickdarmileus bei stenosierendem Rektumkarzinom. Aufnahme in Linksseitenlage mit multiplen Dünn- und Dickdarmspiegeln
23
280
23
Kapitel 23 · Allgemeine chirurgische Prinzipien in der Behandlung des Ileus
gulation oder mesenterialer Ischämie sowie bei Peritonitis. In diesen Fällen fehlen objektive bildgebende oder laborchemische Parameter mit prädiktivem Wert. Der klinische Befund eines akuten Abdomens ist hier führend. Ohne Anhalt für Durchblutungsstörung kann ein konservativer Therapieversuch eingeleitet werden. Dies trifft insbesondere für postoperative Adhäsionen bei Zustand nach multiplen Voroperationen, bei partiellen Obstruktionen bei Neoplasien und bei Patienten mit wesentlichen Begleiterkrankungen zu. ! Cave ! Bei mechanischem Ileus besteht die Gefahr der Darmnekrose bei verzögerter Operation!
23.5
Konservative Strategie
23.5.1
Allgemeine Maßnahmen
Jeder Ileuspatient muss supportiv behandelt werden, um eine Verschlechterung des Allgemeinzustands im Sinne der »Ileuskrankheit« zu verhindern. Als Erstmaßnahme erhält der Patient einen großlumigen Zugang, über den eine Flüssigkeitssubstitution mit Elektrolytlösungen (z. B. Ringer-Lösung) erfolgt. Weiterhin wird dem Patienten eine Magensonde gelegt, um den Magen zu entlasten und das Aspirationsrisiko zu verringern. Eine Antibiotikatherapie zur Verringerung der Auswirkungen der Translokation der Darmkeime ist indiziert. Hierzu eignen sich die Kombination von Cephalosporinen der 3. Generation und Metronidazol. Nach Antibiogrammen von Blutkulturen oder intraabdominellen Abstrichen kann die Therapie dann angepasst werden. Das Ableiten der Blase durch einen Dauerkatheter ist sinnvoll, um die Diurese abzuschätzen und einen eventuell vorliegenden Harnverhalt, der eine reflektorische Atonie verursacht, zu beseitigen. Daneben kann die Abschätzung des intraabdominellen Druckes, der zu kardialer, respiratorischer und renaler Insuffizienz, Minderperfusion von Darm und Leber sowie Erhöhung des intrakraniellen Druckes führen kann, zur Festlegung des Operationszeitpunktes beitragen. Ein Hebe-Senk-Einlauf ist sowohl zur Anregung der Peristaltik als auch zur Operationsvorbereitung sinnvoll.
23.5.2
! Cave ! Eine Strangulation mit Darmischämie muss bei konservativen Therapieversuchen sicher ausgeschlossen werden.
Bei tiefem Dünndarmileus kann eine Gastrografin-Passage zur Lösung der Obstruktion führen. Dies gilt insbesondere für den rezidivierenden Adhäsionsileus. Ein konservativer Versuch kann bis zu 48 h durchgeführt werden. Danach ist bei weiterhin bestehendem Reflux über die Magensonde und dilatierten Dünndarmschlingen die operative Therapie angezeigt (Choie et al. 2002). Cox et al. (1993) erzielten bei 88% der Patienten, die auf eine konservative Therapie ansprachen, diesen Erfolg innerhalb der ersten 48 h. Andere Studien haben die konservative Phase bis zu 5 Tagen ausgedehnt (Seror et al. 1993). Eine allgemeingültige Zeitspanne ist nicht anzugeben und eine engmaschige Überwachung des Patienten ist unerlässlich. Eine Cochrane-Metaanalyse (Abbas et al. 2007) konnte zeigen, dass durch Gastrografin-Applikation der stationäre Aufenthalt bei Patienten, die keiner Operation beduften, signifikant verkürzt werden konnte. Die Rate an operationspflichtigen Passagestörungen wurde allerdings nicht gesenkt. Eine Entlastung des Darms kann durch eine lange, transnasal eingeführte Dekompressionssonde (DennisSonde) erfolgen. Diese wird endoskopisch postpylorisch platziert und wandert durch den an der Spitze befindlichen Ballon durch die Peristaltik weiter. Die Füllung des Ballons kann variiert werden. Die 2 weiteren Kanäle der Sonde dienen zum Spülen und zum Auffangen des Darminhalts in einem Drainagebeutel. Bei Tumoren im Ileozökalbereich kann die Sonde den Patienten aus der Akutphase bringen und eine bessere Vorbereitung des Patienten für die definitive Sanierung möglich machen. Weiterhin kann man die lange Intestinalsonde als innere Schienung nach offener Adhäsiolyse bis zum Colon ascendens vorgeschoben und nach 10–14 Tagen entfernt werden (Gowen 2003). Die konservative Behandlung des Ileus bei stabilem Patienten reduziert die stationäre Behandlungsdauer im Vergleich zur operativen Therapie. Die Rezidivraten und Reoperationszahlen unterscheiden sich nicht. Allerdings ist das Zeitintervall bis zu einer erneuten Obstruktion verkürzt im Vergleich zu operierten Patienten (Fevang et al. 2004; Miller et al. 2000).
Konservative Therapie 23.5.3
Ein konservativer Therapieversuch ist bei inkompletten Passagestörungen und beim funktionellen Ileus sinnvoll. Eine kausale Therapie eines mechanischen Hindernisses oder der den Ileus auslösenden Grunderkrankung ist jedoch meist chirurgischer Natur.
Medikamentöse Therapie
Es liegen keine gesicherten Daten zur Peristaltik-anregenden Therapie vor. Neostigmin, ein Acetylcholinesterase-Inhibitor, steigert die Kontraktilität von Dünn- und Dickdarm. Als Dosierung wird 0,4–0,8 mg in 24 h oder 2,5 mg über
281 23.7 · Ergebnisse
3–60 min angegeben (Paran et al. 2000; Trevisani et al. 2000; van der Spoel et al. 2001). Durch die diffuse Stimulation des gesamten Gastrointestinaltraktes ohne gerichtete Propulsion kann es zu Krämpfen kommen. Prokinetische Substanzen wie Metoclopramid haben antiemetische Wirkung, indem sie als Dopaminantagonist und Cholinstimulanz wirken. Trotz guten theoretischen Ansatzes konnte die Wirksamkeit in kontrollierten Studien nicht nachgewiesen werden. Erythromycin, ein Makrolidantibiotikum, steigert als Motilinagonist die Aktivität des Gastrointestinaltraktes. In einer Dosierung von 3–4×200–250 mg i.v., oder 3×0,5 g p.o. (Kreis et al. 2003) zeigte es Wirkung am oberen Gastrointestinaltrakt. Andere Studien konnten keine Wirksamkeit in randomisierten Studien nachweisen (Smith et al. 2000).
23.6.2
Je nach Ursache des Passagestopps reicht eine Durchtrennung von Briden und Adhäsionen, Desinvagination oder Lösung von inkarzerierten Hernien aus. Bei Obstruktionen durch Bezoare oder Gallensteine müssen diese Fremdkörper entfernt werden. Durchblutungsgestörte Darmabschnitte, die sich nach Lösung der Verschlingung nicht erholen, sollten im Zweifel reseziert werden. Bei Verlegung des Darmlumens durch Tumoren oder Peritonealkarzinose ist häufig nur eine Palliation möglich. Dazu sind neben der Entfernung der betroffenen Abschnitte Umgehungsanastomosen oder die Stomaanlage geeignet.
23.6.3 23.6
Operationstechnik
23.6.1
Allgemeine Maßnahmen
Das Ziel einer Operation ist die Beseitigung der Ursache der Passagestörung und die Entlastung des gestauten Darms. Es gibt keine objektiven Kriterien zur Beurteilung der Vitalität des Darms. Farbe, Peristaltik und mesenteriale Durchblutung geben allenfalls Anhaltspunkte. Eine Möglichkeit zur Objektivierung der Durchblutung könnte die Laserfluoreszenzangiographie sein. Im Zweifelsfall muss Dünndarm reseziert werden. Eine Dekompression muss differenziert betrachtet werden. Zum einen verbessert sie durch Verringerung des intraluminalen Druckes die Darmdurchblutung, führt zu einer Drucksenkung im Abdomen und erleichtert so den Laparotomieverschluss. Zum anderen führt sie zu zusätzlicher Schädigung der Darmserosa durch Serosaeinrisse und Einblutungen, die dann Ausgangspunkt für neue Verwachsungen sind und die postoperative Atonie verlängern. Ebenso kommt es zu einer massiven Bakteriämie und Endotoxinämie. Dennoch ist die vorsichtige Dekompression allgemein akzeptiert. Retrograd kann sie über die Magensonde oder eine lange Intestinalsonde erfolgen. Diese wird manuell langsam vorgeschoben und der Darminhalt abgesaugt. Dabei sollte der Darm nicht mit Klemmen abgeklemmt werden sondern digital oder mit feuchten Tupfern ausgestrichen werden. Orthograd kann der Darminhalt über ein Darmrohr abgeleitet werden. Die offene Dekompression sollte nur in Ausnahmefällen und auch dann nur an Stellen erfolgen, die ohnehin reseziert werden müssen oder an denen ein Stoma angelegt werden muss.
Dünndarmileus
Dickdarmileus
Die häufigste Ursache für einen Dickdarmileus ist das Kolonkarzinom. Zur Entlastung des Darms kann je nach Lokalisation des Tumors eine doppelläufige Transversostomie oder eine Zökostomie angelegt werden. Prinzipiell sollte aber eine primäre Resektion mit Sanierung der Ursache einem mehrzeitigen Verfahren vorgezogen werden. Dabei sollte intraoperativ eine Darmspülung erfolgen. Je nach Situation kann die primäre Anastomose mit einer protektiven Ileo- oder Transversostomie geschützt werden. Bei massiver Darmdilatation sollte ein mehrzeitiges Verfahren gewählt werden. Die Diskontinuitätsresektion nach Hartmann hat bei gleichzeitiger Perforation und Peritonitis sowie beim alten Menschen in schlechtem Allgemeinzustand ihren Platz (Maurer et al. 1998).
23.6.4
Laparoskopie
Die Laparoskopie gewinnt als Verfahren in der Chirurgie immer mehr Bedeutung. Theoretisch lassen sich auch für den Ileuspatienten die Vorteile laparoskopischen Operationstechnik postulieren. Allerdings ist sie nur in 50–70% (?) erfolgreich und weist somit die höchsten Konversionsraten auf. Daneben zeichnet sie sich durch eine deutlich verlängerte Operationszeit, ein hohes Risiko iatrogener Darmverletzungen und eine hohe Rate an frühpostoperativer Komplikationen aus. Nutzbringend kann sie bei strenger Indikationsstellung bei Patienten ohne Voroperation, nach laparoskopischen Eingriffen oder nach limitierter Voroperation sein (Nagle et al. 2004; Neufang u. Becker 2000).
23.7
Ergebnisse
Die Letalität ist entscheidend von der Ausprägung der systemischen Folgen der Passagestörung abhängig. Aber auch
23
282
23
Kapitel 23 · Allgemeine chirurgische Prinzipien in der Behandlung des Ileus
die Grunderkrankung hat einen deutlichen Einfluss. Die Gesamtletalität beim operierten Dünndarmileus schwankt zwischen 2 und 21%, die mit dem Ausmaß der Operation und Ursache des Ileus korreliert (Roscher et al. 1991). Auch heute noch liegt die Letalität bei adhäsionsbedingtem Ileus zwischen 1,4% und 9,8% (Kossi et al. 2003; Menzies et al. 2001). Beim malignen Dünndarmileus ist die Mortalität der Operation durch die Verfahrenswahl von 33% bei einer Dünndarmresektion auf 6% bei der Anlage einer Umgehungsanastomose gesenkt werden (Bittner et al. 1985; Walsh u. Schofield 1984).
23.8
Ileusprophylaxe
Sowohl die Dünndarm- (Noble 1937) und Mesenterialplikatur (Childs u. Philipps 1960) als auch die Schienung mittels langer Intestinalsonden (Miller u. Abbot 1934, White 1956, Baker 1959, Dennis 1969) sind keine Methoden zur Prophylaxe peritonealer Adhäsionen. Ziel dieser Massnahmen ist lediglich eine Stabilisation des Dünndarms ohne Abknickung, Torquierung oder Herniation während Heilung und Ausbildung neuer Verwachsungen nach Adhäsiolyse. Die Ileusrezidivquoten dieser Verfahren liegen über einen Zeitraum von etwa 10 Jahren bei Angaben zwischen 0% und 27% (Treutner u. Schumpelick 2000). Außerdem können sowohl bei der Plikatur als auch bei der Sondenschienung Perforationen und Fisteln auftreten, bei Intestinalsonden finden sich ferner Ösophagitis, Blutungen und Invaginationen als weitere Komplikationen (Fass et al. 1997). Die langen Intestinalsonden haben heutzutage ihren Platz in der Entlastung des Darms, sei es endoskopisch platziert oder intraoperativ eingebracht. Entscheidend zur Prophylaxe ist die Vermeidung von peritonealen Läsionen, die die Ausgangspunkte für Adhäsionen darstellen. Neben dem direkten Operationsgebiet können auch Schädigungen des Peritoneums durch Austrocknung und Hakenzug Adhäsionen induzieren. Fremdkörper wie Nähte, Klammern und Netze aus resorbierbaren und nicht-resorbierbaren Materialien haben vergleichbare Effekte. Allgemeine Maßnahmen sind neben der Verwendung von puderfreien Handschuhen die schonende Präparation und sorgfältige Blutstillung. > Eine schonende Präparation ist die beste Ileusprophylaxe.
Als adjuvante Maßnahmen sind experimentell viele Ansätze zur Trennung der peritonealen Flächen versucht worden. Keine hat bisher die breite Anwendung in der Viszeralchirurgie gefunden. In der Gynäkologie haben sich Folien bewährt, die nach Operationen an den Adnexen deren Verklebung verhindern und damit auf das Behand-
lungsziel der Fertilität ausgerichtet sind. Für die Viszeralchirurgie ist eine Prophylaxe erforderlich, die die gesamte Abdominalhöhle abdeckt. Hierbei sind flüssige Barrieren denkbar. Experimentelle und erste klinische Ergebnisse gibt es zu Icodextrin. Icodextrin ist ein Glukosepolymer aus Maisstärke, das seit Jahren als 8%-ige Lösung zur Peritonealdialyse eingesetzt wird. Die Glukose-Einheiten werden bei Dextrin durch α-1,4-Bindungen verbunden. Diese Bindungen sind Substrat für Amylase, die in der menschlichen Peritonealhöhle nicht vorkommt. Dadurch bleibt Icodextrin länger in der Peritonealhöhle, wird im Kreislauf allerdings rasch zu Glukose abgebaut. Die Trennung der Gewebe durch diese flüssige Barriere (»Hydroflotation«) ist mit einer peritonealen Halbwertszeit von 72–96 h gegenüber Elektrolytlösungen deutlich prolongiert (Hosie et al. 2001; Verco et al. 2000). Insgesamt hat aber kein Agens Eingang in die breite klinische Anwendung gefunden. Bei vielen Substanzen steht der Beweis einer Wirksamkeit aus. Auch die möglichen Nebenwirkungen sind zu beachten (Yeo u. Kohane 2008). Zur Prophylaxe von Adhäsionen nach Adhäsiolyse könnte auch die autologe Transplantation von Peritonealzellen eingesetzt werden. Nach Peritonealbiopsie würden die Peritonealzellen in einer Zellkultur vermehrt und dem Patienten dann am Ende des Eingriffs appliziert. Methodik und Wirksamkeit konnten im Tierversuch dargestellt werden (Bertram et al. 1999).
23.9
Literatur
Abbas S, Bissett IP, Parry BR (2007) Oral water soluble contrast for the management of adhesive small bowel obstruction. Cochrane Database of Systematic Reviews 3: CD004651. DOI: 10.1002/ 14651858.CD004651.pub3 Behm B, Stollman N (2003) Postoperative ileus: etiologies and interventions. Clin Gastroenterol Hepatol 1:71–80 Bertram P, Tietze L, Hoopmann M, Treutne, KH, Mittermayer C, Schumpelick V (1999) Intraperitoneal transplantation of isologous mesothelial cells for prevention of adhesions. Eur J Surg 165:705–709 Biond, S, Pares D, Mora L, Mart RJ, Kreisler, E, Jaurrieta E (2003) Randomized clinical study of Gastrografin administration in patients with adhesive small bowel obstruction. Br J Surg 90:542–546 Bittner R, Butter, M, Windmiller W, Rosche, R, Karle, C (1985) Operative Therapie des Dünndarmileus bei besonderer Berücksichtigung der Patienten mit fortgeschrittenem Tumorleiden. Langenbecks. Arch Chir Suppl Kongressbd 368 Choi HK, Chu KW, Law, WL (2002) Therapeutic value of gastrografin in adhesive small bowel obstruction after unsuccessful conservative treatment: a prospective randomized trial. Ann Surg 236:1–6 Cox MR, Gunn, IF, Eastman MC, Hunt RF, Heinz, AW (1993) The safety and duration of non-operative treatment for adhesive small bowel obstruction. Aust N Z J Surg 63:367–371 Fass J, Müller S, Jansen M et al (1997) Benefit and risk of long intestinal tubes in intestinal obstruction. In; Treutner K-H, Schumpelick V (eds) Peritoneal adhesions. Springer, Berlin Heidelberg New York, pp 303–311
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23
III
Therapieindikationen und Durchführung der Therapie Kapitel 24
Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia – 287 H.J. Stein, H. Feussner, B.H.A. von Rahden, M. Feith, D. Liebermann-Meffert
Kapitel 25
Hiatushernien und andere Erkrankungen des Zwerchfells – 349 H.J. Stein, B.H.A. von Rahden, H. Feussner
Kapitel 26
Verletzungen von Ösophagus und Magen H.J. Stein, B.H.A. von Rahden, H. Bartels
Kapitel 27
Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum – 381 E. Bollschweiler, J. Faß, A.H. Hölscher, K. Homayounfar, D. Oertli, C. Prinz
Kapitel 28
Chirurgische Behandlung der morbiden Adipositas R.A. Weiner
Kapitel 29
Erkrankungen des Dünndarms (außer Morbus Crohn) – 469 A. Erckmann, F. Erckmann, M. Jansen, E. Schippers, V. Schumpelick
Kapitel 30
Gefäßerkrankungen des Dünndarms und des Kolons – 479 J. Schölmerich, C. Herfarth
Kapitel 31
Dünndarmtransplantation – 493 F. Braun, F. Fändrich, D.C. Broering
Kapitel 32
Morbus Crohn – 509 C. Tjaden, T. Hackert, J. Schmidt
– 363
– 451
Kapitel 33
Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum – 527 S. Willis, R. Kasperk, M. Saklak, F. Ulmer, J. Braun, V. Schumpelick
Kapitel 34
Appendizitis – 573 Ch. Peiper, M. Binnebösel
Kapitel 35
Proktologie – 585 C.G.M.I. Baeten, C. Beglinger, G. Curti, L. Degen, M. von Flüe, W.R. Marti
Kapitel 36
Erkrankungen der Gallenwege – 645 D. Oertli, S. Krähenbühl, F. Lammert, P. Born, M. Classen, R. Peterli, C. Looser, C. Ackermann, B. Kern, J. Wydler, R. Schlumpf, H. Feussner
Kapitel 37
Erkrankungen der Leber – 729 R. Margreiter, R. Schlumpf, M. Schmeding, J. Wydler
Kapitel 38
Portale Hypertension – 749 P.-A. Clavien, W.A. Gantert, B. Müllhaupt, E.L. Renner, M. Schmeding, M. Selzner, J.E. Tuttle-Newhall, M. von Flüe, G. Lurje, P. Dutkowski
Kapitel 39
Lebertransplantation F. Braun, D.C. Broering
Kapitel 40
Pankreas – 803 C. Beglinger, P.-A. Clavien, L. Degen, O. Drognitz, R. Fried, U.T.Hopt, R. Kasperk, C. Krones, F. Lammert, D. Oertli, M. Schäfer
Kapitel 41
Milz – 863 D. Oertli
Kapitel 42
Chirurgie des großen Netzes D. Liebermann-Meffert
Kapitel 43
Hernien – 891 J. Conze, K. Junge, C. Krones, R. Rosch, V. Schumpelick
Kapitel 44
Kindliche Hernien G. Steinau, K. Junge
Kapitel 45
Spezielle gastroenterologische Probleme in der Kinderchirurgie – 927 D. von Schweinitz
– 783
– 883
– 921
24
Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia H.J. Stein, H. Feussner, B.H.A. von Rahden, M. Feith, D. Liebermann-Meffert, J.R. Siewert
24.1
Funktionelle Anatomie, Physiologie und Pathophysiologie des Ösophagus – 289
24.1.1 24.1.2 24.1.3 24.1.4 24.1.5
Der Schluckakt – 289 Pharyngoösophageales Segment – 289 Tubulärer Ösophagus – 292 Ösophagogastraler Übergang – 297 Literatur – 300
24.2
Divertikel
24.2.1 24.2.2 24.2.3 24.2.4 24.2.5 24.2.6
Pathophysiologie, Klassifikation und Implikationen für die Klinik – 301 Zervikales, Hypopharynx- oder Zenker-Divertikel – 302 Epiphrenisches Divertikel – 305 Parabronchiales Divertikel – 307 Ergebnisse der chirurgischen Therapie der Ösophagusdivertikel – 308 Literatur – 309
24.3
Submuköse Tumoren des Ösophagus
24.3.1 24.3.2 24.3.3
Symptomatik und Diagnostik Operative Therapie – 310 Literatur – 310
24.4
Heterotope Magenmukosa im Ösophagus
24.4.1 24.4.2 24.4.3 24.4.4
Epidemiologie und Diagnostik – 310 Pathophysiologie, Symptomatik und Klassifikation Operative Therapie – 311 Literatur – 311
24.5
Ringe, Webs, Infektionen, Ulzera
24.5.1 24.5.2 24.5.3 24.5.4 24.5.5
Ösophagusringe – 311 Ösophageale Webs – 312 Infektionen der Speiseröhre Arzneimittelulzera – 313 Literatur – 313
– 301
– 309
– 309
– 310 – 310
– 311
– 312
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_24, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
24.6
Refluxkrankheit und Barrett-Ösophagus
24.6.1 24.6.2 24.6.3 24.6.4 24.6.5 24.6.6 24.6.7 24.6.8 24.6.9
Epidemiologie und natürlicher Verlauf – 313 Klassifikation – 315 Pathogenese – 318 Klinisches Bild – 321 Diagnostik – 321 Therapie – 325 Wirkmechanismus und Verfahrenswahl der Antirefluxchirurgie Modifizierte Fundoplikation nach Nissen-Rossetti – 329 Literatur – 334
24.7
Funktionsstörungen
24.7.1 24.7.2 24.7.3 24.7.4 24.7.5
Achalasie – 335 Diffuser Ösophagospasmus – 344 Hypertensive Peristalsis (Nussknacker-Ösophagus) – 346 Hypertensiver unterer Ösophagussphinkter – 346 Unspezifische primäre Motilitätsstörungen des tubulären Ösophagus – 347 Sekundäre Motilitätsstörungen des Ösophagus – 347 Literatur – 347
24.7.6 24.7.7
– 313
– 335
– 327
289 24.1 · Funktionelle Anatomie, Physiologie und Pathophysiologie des Ösophagus
24.1
Funktionelle Anatomie, Physiologie und Pathophysiologie des Ösophagus
Der Ösophagus des erwachsenen Menschen ist ein ca. 24–27 cm langer Muskelschlauch mit phasisch-tonisch kontrahierten Sphinkteren am proximalen und distalen Ende (oberer und unterer Ösophagussphinkter). Die Funktion kann mit einer artesischen Pumpe verglichen werden, die die Nahrung gegen ein Druckgefälle vom intrathorakalen Ösophagus mit seinem negativen Ruhedruck (ca. –6 mmHg) in den Magen mit seinem positiven Ruhedruck (ca. +6 mmHg) transportiert. Oberer und unterer Ösophagussphinkter dienen als Barrieren oder funktionelle Ventile zwischen Hypopharynx und tubulärem Ösophagus bzw. tubulärem Ösophagus und Magen. Durch die phasischtonische Kontraktion der Sphinkteren entsteht im Ruhezustand eine Druckbarriere, die die Kompartimente funktionell voneinander trennt. Bei der Boluspassage erschlaffen die Sphinkteren und geben den Weg für die Speise frei. Der Transport eines Nahrungsbolus vom Hypopharynx in den Magen und die Verhinderung von Reflux aus dem Magen erfordert ein koordiniertes Zusammenspiel zwischen der Pumpe des tubulären Ösophagus und dem proximalen und distalen Ventil. Eine Dysfunktion der tubulären Speiseröhre und eine fehlende oder unkoordinierte Relaxation des oberen oder unteren Ösophagussphinkters behindern den Nahrungstransport. Eine gestörte Barrierefunktion des unteren Ösophagussphinkters führt zum Reflux von Mageninhalt.
24.1.1
Der Schluckakt
Der Schluckakt wird in 3 Phasen eingeteilt: 4 Orale Phase 4 Pharyngeale Phase 4 Ösophageale Phase Die komplexen Bewegungen der Mundhöhlenmuskulatur kontrollieren die orale Phase des Schluckaktes, bei der die Nahrung von der Mundhöhle in den Pharynx transportiert wird. Die Einleitung des Schluckvorgangs während der oralen Phase erfolgt willkürlich. Zur Bolusformation werden Zunge und bukkale Muskulatur benötigt. Der Bissen wird durch Andrücken der Zunge an den harten Gaumen in den Pharynx gepresst (. Abb. 24.1). Wenn der Bissen das Gaumensegel oder die Rachenhinterwand berührt, setzt die rein reflektorisch ablaufende pharyngeale Phase des Schluckvorgangs ein. Die pharyngeale Phase besteht aus 4 rasch aufeinander folgenden und einander zeitlich überlappenden Vorgängen (Dodds et al. 1990; . Abb. 24.1):
4 Der Nasopharynx wird durch den weichen Gaumen und die Pharynxhinterwand abgeschlossen. So wird ein Transport des Bissens in den Nasopharynx verhindert. 4 Die Mundbodenmuskeln ziehen den Larynx zusammen mit dem Zungenbein nach vorne und oben unter den Zungengrund. Dadurch schiebt sich die Epiglottis über den Larynxeingang. Der sagittale Durchmesser des Oropharynx vergrößert sich. 4 Kurz aufeinander folgend kontrahieren sich der obere, der mittlere und der untere Teil des M. constrictor pharyngis. Mit einem Druck von 150–200 mmHg im Oropharynx und 200–250 mmHg im Hypopharynx wird der Bissen gegen den Ösophaguseingang gepresst. 4 Zu Beginn der pharyngealen Phase, d. h. bereits vor der peristaltischen Kontraktion der Pharynxmuskulatur, erschlafft der obere Ösophagussphinkter. Die Erschlaffung dauert ca. 1 s und endet mit einer sich in den tubulären Ösophagus fortsetzenden peristaltischen Welle. Die Steuerung dieses komplexen Transportes erfolgt über Afferenzen und Efferenzen der Hirnnerven V, IX, X und XII und steht unter der Kontrolle des Schluckzentrums in der Medulla oblongata (Weissbrodt 1976). Die ösophageale Phase des Schluckaktes beginnt mit der Relaxation des oberen Ösophagussphinkters und endet mit dem Schluss des unteren Ösophagussphinkters nach Passage des Nahrungsbolus in den Magen. Die ösophageale Phase des Schluckaktes ist komplett reflexkontrolliert. Die efferente Innervation der quergestreiften Muskulatur des oberen Ösophagussphinkters und des oberen Ösophagusdrittels erfolgt über direkte Fasern aus den Nn. vagi und den Nn. recurrentes.
24.1.2
Pharyngoösophageales Segment
Als pharyngoösophageales Segment wird die anatomische und funktionelle Einheit aus Pharynxmuskulatur, oberem Ösophagussphinkter und proximalem tubulärem Ösophagus bezeichnet (Liebermann-Meffert 1997).
Funktionelle Anatomie Der Pharynx bildet den Anfangsteil des Intestinalrohres. Der Nasopharynx ist der Raum kranial des weichen Gaumens, der die Nasenhöhle fortsetzt. Der Oropharynx ist der Raum zwischen weichem Gaumen (Uvula), der Spitze der Epiglottis und der Zunge, der die Mundhöhle fortsetzt. Der 6–7 cm lange Laryngopharynx oder Hypopharynx ist der Raum zwischen der Spitze der Epiglottis und dem unteren Rand des Ringknorpels. Dorsal werden alle 3 Räume durch den Gewebemantel der Constrictor-pharyngisMuskulatur und die Wirbelsäule begrenzt.
24
290
Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
24
. Abb. 24.1 Die orale und pharyngeale Phase des Schluckaktes und ihre Störungen bei neurologischen Erkrankungen. 1 Bolusformation; 2 palatonasaler Abschluss; 3 Larynxverschluss durch Höher-
treten des Larynx und Hyoids; 4 Pharynxkontraktion; 5 Öffnung des oberen Ösophagussphinkters
Der an der Schädelbasis ansetzende Schlauch aus Muskulatur, Submukosa und Schleimhaut des Pharynx bildet den gemeinsamen Abschnitt der Nahrungs- und Luftwege. Am Übergang des Hypopharynx in den Ösophagus und in den Larynx treffen die komplexen Mechanismen des Schluckens, der Atmung und der Phonation aufeinander. Mechanisch beteiligt sind Knorpel- und Knochenstrukturen (Maxilla, Zungenbein, Schildknorpel, Ringknorpel, Epiglottis), dehnbare und mobile Weichteile (Pharynx, Ösophagus) und Verschiebezonen (Faszien, Bindegewebe), in die Pharynx und Ösophagus eingebettet sind. »Sphinkteren« aus Muskulatur und Knorpel verschließen mit reziproker Wirkung den Eingang in den Ösophagus und in die Trachea und vermeiden damit die »Via falsa« für Nahrung und Luft. Der aus Skelettmuskulatur bestehende obere Ösophagussphinkter liegt mit seinem Eingang auf Höhe des 5. bis 6. Halswirbelkörpers. Die anatomisch prominenteste Struktur des Sphinkters ist die Pars fundiformis des M. cricopharyngeus, die am Ringknorpel entspringt und einen horizontalen Gürtel um die Ösophagushinterwand bildet. Der eigentliche tubuläre Ösophagus beginnt am unteren Rand des M. constrictor pharyngis inferior etwa auf Höhe des 6. Halswirbels und betritt nach 3–6 cm den Thorax auf Höhe der Incisura jugularis des Sternums. Vor der Wirbelsäule verläuft er nach kaudal in direkter Nachbarschaft mit der Rückwand der Trachea im hinteren Mediastinum. Schon im Halsbereich ist der Ösophagus ein dünnwandiger, im Ruhezustand kollabierter Muskelschlauch. An seinem Beginn ist die Schlinge der krikopharyngealen Muskulatur als längliche Engstelle endoskopisch zu sehen
bzw. als Hochdruckzone manometrisch zu messen. Sie liegt etwa 15 cm von der Zahnreihe entfernt. Die Wandarchitektur des Pharynx und des proximalen Ösophagus unterscheidet sich grundlegend (. Abb. 24.2). Die Wand des Pharynx besteht aus einer sich nach kaudal fortsetzenden Gruppe von 3 Muskelanteilen, den Mm. constrictores pharyngis superior, medius und inferior. Die Muskelbündel setzen auf der lateralen Seite an der Basis des Os sphenoidale, am Tubenknorpel, am Processus pterygoideus, am Zungenbein sowie am Schild- und Ringknorpel an. In der dorsalen Mittellinie inserieren sie in Kontinuität an der »submukösen Aponeurose«, die über die Fascia pharyngobasilaris fest am Fornix der Schädelbasis haftet. Dabei verlaufen die Muskelbündel in etwa
. Abb. 24.2 Schematische Darstellung der Anordnung der Muskelfasern im Bereich des Hypopharynx, oberen Ösophagussphinkters (M. constrictor inferior) und proximalen Ösophagus
291 24.1 · Funktionelle Anatomie, Physiologie und Pathophysiologie des Ösophagus
gleicher Richtung schräg von lateral kaudal nach medial kranial. In der Mittellinie überkreuzen sich die Fasern geflechtartig. Hierdurch werden Verkürzungen in der Querund Längsachse möglich (Liebermann-Meffert 1997). Der M. constrictor pharyngis inferior teilt sich in eine schräg verlaufende, an der Linea obliqua des Schildknorpels ansetzende Pars thyropharyngea sowie in eine transversale Muskelschlinge, die am Ringknorpel ansetzende Pars cricopharyngea. Durch die Umorientierung der Muskelfasern aus der schrägen in die transversale Richtung entsteht oberhalb des M. cricopharyngeus in der dorsalen Mittellinie ein muskelarmes bzw. muskelfreies, potenziell gewebeschwaches dreieckiges Areal (7 Abschn. 24.2, . Abb. 24.11). Diese nach Gustaf Killian benannte Muskellücke ist die typische Austrittsstelle für das pharyngoösophageale Zenker-Divertikel (Kilian 1908). Die Schlinge des M. cricopharnyngeus ist, gemessen am Autopsiepräparat, zwischen den beiden Ansatzstellen 2,5–3 cm lang. Sie bildet den engsten Teil der Pharynxkonstriktoren. Manometrisch entspricht die hufeisenförmige Schlinge des M. cricopharyngeus mit Widerlager an der unteren Ringknorpelplatte eindeutig der Hochdruckzone des manometrischen oberen Ösophagussphinkters. Diese anatomische Besonderheit erklärt die radiale und axiale Asymmetrie des Sphinkters (Liebermann-Meffert 1997; LiebermannMeffert u. Skandalakis 2004). Die Faseranordnung im M. cricopharyngeus ähnelt mehr der des Ösophagus als der des Pharynx (. Abb. 24.2). Abweichend vom M. cricopharyngeus und der übrigen Pharynxmuskulatur besitzt die Wand des Ösophagus allerdings 2 getrennte Lagen von Muskulatur unterschiedlicher Verlaufsrichtung mit senkrecht aufeinander stehenden Muskelbündeln (. Abb. 24.2). Diese bestehen aus dem Stratum longitudinale und dem Stratum circulare. Die Faserbündel der longitudinalen äußeren Schicht des Ösophagus entspringen am Unterrand der Rückfläche der Ringknorpelplatte und fächern sich zunächst beiderseits nach lateral und dorsal auf, um nach etwa 1 cm eine geschlossene Schicht um den Ösophagus zu bilden. Das hieraus entstehende Dreieck fehlender Längsmuskulatur entspricht der sog. Laimer-Muskellücke (Laimer 1883; 7 Abschn. 24.2, . Abb. 24.11). Die Wand des Pharynx und des oberen Ösophagussphinkters besteht vollständig aus quergestreifter Muskulatur. Im proximalen Ösophagus mischen sich zunehmend glatte Muskelfasern und Faserbündel mit der quergestreiften Muskulatur. Die Innervation des pharnygoösophagealen Segments erfolgt überwiegend aus Ästen des N. recurrens (X. Hirnnerv; Liebermann-Meffert et al. 1999), zu geringeren Teilen auch aus den Hirnnerven IX und XII (Liebermann-Meffert u. Stein 2007; Aharinejad u. Firbus 1989; Weissbrodt 1976). Die willkürliche Innervation des oberen Ösophagussphink-
ters und der anderen quergestreiften, am Schluckvorgang beteiligten Muskeln zeigt sich besonders deutlich unter speziellen Trainingsbedingungen: Eine willkürliche Aktivierung der Pharynxmuskeln gestattet das »Bauchreden« und eine Ösophagussprache nach Laryngektomie. Nach Lähmung der thorakalen Atemmuskulatur kann eine »glossopharyngeale« Atmung erlernt werden, bei der die Luft durch Schluckbewegungen in die Lungen gedrückt wird. Eine willkürliche Hemmung der Sphinktermuskulatur ist die Voraussetzung für das »Schwertschlucken«.
Normale Funktion Während der Atmung und des Sprechens ist der obere Ösophagussphinkter tonisch kontrahiert, wodurch das Schlucken von Luft während der Atmung verhindert und die Luftwege gegen Aspiration geschützt werden. Während des Schluckens relaxiert der obere Ösophagussphinkter (. Abb. 24.1), die Epiglottis schließt und verhindert damit die Aspiration (Dodds et al. 1990). Die manometrisch messbare Hochdruckzone im oberen Ösophagussphinkter ist etwa 3 cm lang. Während des Schluckaktes steigt der Druck im Hypopharynx rapide an. Es entsteht ein deutliches Druckgefälle zwischen dem pharyngealem Druck und dem negativen Ruhedruck des intrathorakalen Ösophagus. Dieser Druckgradient beschleunigt den Transport von Nahrung aus dem Hypopharynx in den Ösophagus, sobald der obere Ösophagussphinkter relaxiert. Der Nahrungsbolus wird damit sowohl durch die peristaltische Welle des Hypopharynx in den Ösophagus geschoben als auch durch das Druckgefälle angesaugt. Die Compliance des oberen Ösophagussphinkters und des zervikalen Ösophagus ist für diese Phase des Schluckaktes von entscheidender Bedeutung. Nach Passage des Bolus schließt sich der obere Sphinkter innerhalb des Bruchteils einer Sekunde. Der unmittelbare Verschlussdruck erreicht zunächst das Doppelte des Ruhedrucks. Diese »Postrelaxationskontraktion« setzt sich auf den proximalen Ösophagus als peristaltische Welle fort. Der hohe Verschlussdruck des oberen Ösophagussphinkters und die Initiierung einer peristaltischen Welle im proximalen Ösophagus verhindern die Regurgitation des Bolus.
Funktionsstörungen Fehlfunktionen der pharyngoösophagealen Phase des Schluckaktes können aus einer Dyskoordination der neuromuskulären Vorgänge während des Kauens, der Initiation des Schluckaktes und der Propulsion des Materials vom Oropharynx in den zervikalen Ösophagus resultieren. Dies äußert sich in Dysphagie, pharyngealer Regurgitation, Aspiration und/oder rezidivierenden Atemwegsinfekten. Die Funktionsstörungen können demzufolge in eine der folgenden Kategorien oder eine Kombination dieser Kategorien klassifiziert werden (Kahrilas 1995):
24
292
24
Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
4 4 4 4
Inadäquater oropharyngealer Bolustransport Parese des Pharynx Elevationsstörung des Pharynx Dyskoordination der krikopharyngealen Relaxation mit der pharyngealen Kontraktion 4 Fehlende oder eingeschränkte Compliance des pharyngoösophagealen Segmentes auf dem Boden einer restriktiven Myopathie Ätiologie Bei den pharyngoösophagealen Funktionsstö-
rungen liegt in der Regel eine kongenitale oder erworbene Veränderung des zentralen oder peripheren Nervensystems vor. Dies beinhaltet Schlaganfälle, Hirnstammtumoren, Poliomyelitis, multiple Sklerose, M. Parkinson, Pseudobulbärparalyse, periphere Neuropathie oder Verletzung der Hirnnerven, die am Schluckakt beteiligt sind. Primär muskuläre Erkrankungen, wie eine bestrahlungsinduzierte Myopathie, Dermatomyositis, myotone Dystrophie oder Myasthenia gravis, sind weniger häufig. Selten kann auch eine extrinsische Kompression durch eine Struma, zervikale Lymphadenopathie oder eine Hyperostose der Halswirbelsäule zu einer zervikalen Dysphagie führen (Kahrilas 1995). Klinik Ein allgemein anerkannter Normalbereich des Ruhedruckes im oberen Ösophagussphinkter existiert nicht.
Dies ist durch technische Schwierigkeiten bei der Druckmessung wie Asymmetrie der Druckmaxima und rasche spontane Druckschwankungen bedingt. Ein gegenüber gesunden Kontrollen erhöhter Druck ist bei Patienten mit Globusgefühl beschrieben worden. Ob das Globusgefühl tatsächlich durch eine Sphinkterhypertonie bedingt ist oder ob diese Patienten nur mit einem unverhältnismäßig hohen Druckanstieg auf die Manometriesonde reagieren, ist ungewiss. Beobachtungen über eine Hypertonie des oberen Ösophagussphinkters bei Patienten mit gastroösophagealem Reflux sind widersprüchlich (Castell u. Dalton 1995). Ein verminderter Ruhedruck ist bei Ausfall der Innervation des Sphinkters zu erwarten. Hinweise für eine Hypotonie sind bei neurologischen Krankheiten, wie multipler Sklerose, beschrieben. Ob diesem Befund eine klinische Relevanz zukommt, ist derzeit unklar. Am häufigsten beginnt und endet die Sphinktererschlaffung vorzeitig. Seltener setzt die Erschlaffung zeitgerecht ein, endet aber zu früh. Bei einer Koordinationsstörung mit verzögerter Relaxation des oberen Ösophagussphinkters wird der Bolus gegen den noch verschlossenen Sphinkter gedrückt. Eine Verzögerung der Relaxation um mehr als 0,3 s kann zur Aspiration führen. Die Störung kommt z. B. bei familiärer Dysautonomie vor. Eine unvollständige oder sogar fehlende Erschlaffung des oberen Sphinkters (die sog. zervikale Achalasie) findet
sich bei verschiedenen neurologischen Krankheiten, beispielsweise der Pseudobulbärparalyse. Sie kann dort zu schwerster Dysphagie führen. Eine zervikale Achalasie ist auch gelegentlich bei Patienten mit Schilddrüsen- oder zervikalem Ösophaguskarzinom, nach Thyreoidektomie, Laryngektomie oder nach Halstrauma beschrieben worden. Klare Beweise für eine zervikale Achalasie gibt es bisher nur bei neurologischen Krankheiten. In radiologischen Studien wird oft eine während des Schluckaktes erkennbare Einkerbung im dorsalen Bereich des M. cricopharyngeus als obere Achalasie gedeutet. Eine solche persistierende Einkerbung findet sich in 5% aller untersuchten Individuen und ist kein Zeichen einer oberen Achalasie. Bei Patienten mit Zenker-Divertikel kann mittels konventioneller Manometrie mit wasserperfundierten Systemen häufig keine Funktionsstörung aufgezeigt werden. Mit speziellen Druckaufnehmern und Untersuchungstechniken lässt sich jedoch in der Regel ein erhöhter »Intrabolusdruck« nachweisen. Muskelbiopsien aus dem krikopharyngealen Sphinkter zeigen bei Patienten mit Zenker-Divertikel eine restriktive Myopathie, die mit einem Verlust der Compliance des pharyngoösophagealen Segments in der Hochfrequenzvideographie korreliert. Demzufolge scheint sich das Divertikel als Folge eines repetitiven Stresses beim Bolustransport durch ein nicht ausreichend aufdehnbares pharyngoösophageales Segment zu entwickeln. Eine Dyskoordination der Sphinkterrelaxation mit der pharyngealen Kontraktion stellt eine weitere mögliche Ursache des Zenker-Divertikels dar. Da eine derartige Dyskoordination nicht über die gesamte Länge des Sphinkters vorliegen muss, kann sie während einer Routinemanometrie leicht übersehen werden (Ekberg 1999). Eine Schwäche der bukkalen Muskeln bewirkt beim Trinken Tröpfeln aus dem Mund, eine Schwäche der Zunge erschwert die Bolusbildung und somit die Einleitung des Schluckaktes. Sie kann gelegentlich zu pharyngooraler Regurgitation führen. Eine Schwäche des weichen Gaumens führt zur Störung des palatonasalen Abschlusses mit nasaler Aspiration und Austritt der Nahrung durch die Nase. Eine laryngeale Aspiration ist möglich bei einer Schwäche der Larynxheber, die normalerweise den Abschluss des Larynx bewirken, bei pharyngealer Stase infolge Schwäche der Pharynxmuskulatur oder Koordinationsstörungen des oberen Ösophagussphinkters. Bei Gesunden kommt es nur zur Aspiration, wenn während des Schluckaktes geatmet wird (Kahrilas 1995).
24.1.3
Tubulärer Ösophagus
Der tubuläre Ösophagus ist ein gestreckter Muskelschlauch zwischen oberem und unterem Ösophagussphinkter. Je-
293 24.1 · Funktionelle Anatomie, Physiologie und Pathophysiologie des Ösophagus
weils etwa 3–6 cm sind zervikal bzw. abdominell lokalisiert. Die Lage des Ösophagus in den 3 Körperräumen Hals, Brust und Bauch führte zur klassischen Unterteilung in einen zervikalen, thorakalen und abdominellen Abschnitt. Die Pars cervicalis des tubulären Ösophagus beginnt am Unterrand des oberen Ösophagussphinkters etwa auf Höhe des 6. Halswirbels, verläuft zwischen Wirbelsäule und Trachea und endet am Oberrand des Sternums etwa auf Höhe des 2. bis 3. Brustwirbelkörpers. Die Pars thoracalis erstreckt sich vom Oberrand des Sternums bis zum Hiatus oesophageus (etwa auf Höhe des 7. bis 9. Brustwirbelkörpers). Auf Höhe des 4. Brustwirbels legt sich der Aortenbogen von links an den Ösophagus an und verursacht eine Impression. Zwischen der Aortenimpression und dem Hiatus oesophageus liegt die Aorta links zwischen Ösophagus und Wirbelsäule. Direkt kaudal und medial der Aortenimpression liegt der Abgang des linken Hauptbronchus aus der Trachea und verursacht von ventral her eine Impression des Ösophagus. Kaudal der Trachealbifurkation verläuft der Ösophagus zwischen Aorta und Perikard. Eine abnorme Kompression der Pars thoracalis kommt zustande, wenn die A. subclavia dextra nicht aus dem Truncus brachiocephalicus, sondern aus der Aorta descendens entspringt und hinter dem Ösophagus hindurch nach rechts zieht (A. lusoria, Dysphagia lusoria). Es handelt sich um eine seltene Anomalie. Bedeutend häufiger sind Impressionen durch einen vergrößerten linken Vorhof. Als Pars abdominalis des Ösophagus wird das 2–5 cm lange intraabdominale Segment des distalen Ösophagus jenseits des Durchtritts durch das Zwerchfell bezeichnet (Liebermann-Meffert u. Stein 2007). Dieser topographisch-anatomischen Einteilung steht eine Einteilung aus chirurgischer Sicht gegenüber, die auch gut der embryonalen Entwicklung und damit der Gefäßversorgung, dem Lymphabfluss und den muskelanatomischen Gegebenheiten Rechnung trägt (LiebermannMeffert u. Skandalakis 2004): Unterschieden werden – orientiert an der chirurgisch bedeutenden Beziehung zum Tracheobronchialsystem bzw. der Karina – zwischen suprabifurkalem (auch: suprakarinalem) und infrabifurkalem (infrakarinalem) Ösophagus.
Funktionelle Anatomie Abweichend vom übrigen Intestinalrohr hat der Ösophagus keine begrenzende Serosa und kein Mesenterium. Anstelle einer Serosa besitzt der Ösophagus zervikal und thorakal einen Überzug aus Bindegewebe (Adventitia), dessen locker angeordnete kollagene und elastische Fasern einerseits zwischen die Bündel der Tunica muscularis einstrahlen, andererseits in das Bindegewebsnetz des Mediastinums übergehen. Dieses periösophageale Gewebe führt die feinen Gefäße und Nervenfasern für die Ösophaguswand.
Träger der Motilität, Elastizität und Plastizität des Ösophagus ist seine Muskulatur. Die vom Kliniker in der Regel inkorrekt als »Muscularis propria« bezeichnete Tunica muscularis umgibt das Lumen in 2 Lagen. Die Muskelzüge der äußeren Lage verlaufen parallel zur Längsachse des Ösophagus, die der inneren Lage liegen hierzu in rechtem Winkel (. Abb. 24.3). Diese Anordnung spiegelt sich in der traditionellen Bezeichnung »Längs-« und »Ringmuskulatur« wider. Die Tunica muscularis besteht im oberen Teil der Speiseröhre nahezu ausschließlich aus quergestreifter Skelettmuskulatur. Im distalen Teil des Ösophagus besteht die gesamte Tunica muscularis aus glatter Muskulatur. Obwohl sich quergestreifte und glatte Muskulatur im anatomischen Bild, in der embryonalen Entwicklung, der Innervation und dem in vitro physiologischen Verhalten deutlich unterscheiden, verläuft die Peristalsis entlang des Ösophagus normalerweise ohne erkennbaren Unterschied ab. Die Interaktionen zwischen den verschiedenen Muskelzelltypen und ihre jeweilige Rolle bei Motilitätsstörungen sind unklar (Liebermann-Meffert u. Stein 2007). Die Längsmuskulatur (Stratum longitudinale) entspringt am Ringknorpel und fächert sich sofort auf, wobei die mehr lateralen Anteile nach dorsal in Richtung zur Wirbelsäule umbiegen und sich mit denen der Gegenseite zur kompletten äußeren Muskelschicht des Ösophagus vereinigen. Die Muskelbündel dieser Außenschicht sind lang und verlaufen gestreckt nach kaudal. Der Zusammenhang ist durch dünne Septen aus lockerem Bindegewebe, die auch in die tiefere zirkuläre Muskelschicht ziehen, gewährleistet. Am Ort dieser Bindegewebesepten treten Gefäße und Nerven in die Submukosa ein. Sie verdrängen dabei die Muskelzüge und verursachen lokal längsgerichtete schmale Spalten, die nur von lockerem Bindegewebe bedeckt sind (Liebermann-Meffert u. Stein 2007). Die Ringmuskulatur (Stratum circulare) entspringt ebenfalls am kaudalen Ende des Ringknorpels und schließt sich ohne erkennbare Begrenzung an die in gleicher Richtung orientierte Pars cricopharyngea des M. constrictor pharyngis inferior an. Die Muskelbündel setzen sich kontinuierlich nach kaudal fort; sie bilden dabei keinesfalls zirkulär an den Faserenden geschlossene Ringe, sondern formen »spangenförmige« Halbkreise um den Ösophagus, deren Enden sich lateral dachziegelartig überlappen. Eine spiralförmige Muskelanordnung, wie man sie bei einigen Tierarten antrifft und gelegentlich auch in einzelnen anatomischen Darstellungen der Ösophagusmuskulatur des Menschen sieht, besitzt der Mensch weder in der Längs- noch in der Ringschicht, weder im tubulären Ösophagus noch im Bereich des ösophagogastralen Übergangs (Liebermann-Meffert u. Stein 2007; Liebermann-Meffert u. Skandalakis 2004). Das Epithel des tubulären Ösophagus ist ein geschichtetes 0,2–0,4 mm dickes nicht verhornendes Plattenepithel,
24
294
Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
24
. Abb. 24.3 Architektur der Muskelwand des tubulären Ösophagus und ösophagogastralen Übergangs. Links: äußere, längsverlaufende Muskellage; rechts: innere, transversal (zirkulär) verlaufende Muskel-
lage mit Umorientierung im Bereich des ösophagogastralen Übergangs in »gastric sling fibers« und »clasps«
das alle Charakteristika einer auf mechanische Belastung ausgerichteten Schutzschicht aufweist. Das Epithel ist durch Bindegewebepapillen mit der Lamina propria verzahnt. Die Länge der Papillen beträgt im Mittel die Hälfte der gesamten Epitheldicke. Bei mechanischer Belastung dient die Submukosa als Verschiebeschicht, auf der das Epithel zusammen mit der Lamina propria und der Muscularis mucosae gleiten kann. Eine Verbesserung der Oberflächengleitfähigkeit wird durch Schleim aus den submukösen Drüsen und den Speicheldrüsen erzielt. Abgeschilferte Plattenepithelzellen werden durch die Basalzellschicht ersetzt. Die Lebensdauer der Epithelzellen beträgt etwa eine Woche. Die Lamina propria enthält auch beim Gesunden reichlich Lymphozyten, Plasmazellen und Mastzellen, jedoch nur sehr spärlich eosinophile und neutrophile Granulozyten.
bolus mit Einsetzen einer peristaltischen Welle. Die propulsive Pumpfunktion der tubulären Speiseröhre wird
Normale Funktion Die dünne Wand des Muskelschlauchs ist im Ruhezustand kollabiert und weitet sich beim Schlucken eines Nahrungs-
durch die Anordnung der Muskulatur ermöglicht. Die Pumpfunktion der tubulären Speiseröhre ist essenziell für den Transport des Speisebolus vom distalen Ösophagus in den Magen. Der Speisebolus muss gegen ein Druckgefälle von etwa 12 mmHg (von –6 mmHg intraösophagealer Ruhedruck auf +6 mmHg intragastraler Ruhedruck) transportiert werden (. Abb. 24.4), was eine effektive, koordinierte Pumpaktion der Speiseröhrenmuskulatur erfordert (Stein et al. 1992). Während der Peristaltik wird der Ösophagus zunächst durch die Kontraktion der proximalen Muskulatur nach oral gezogen. Am distalen Ende des Ösophagus ist die Aufwärtsbewegung stärker ausgeprägt, sodass sich der untere Ösophagussphinkter beim Schlucken um bis zu 3 cm nach oral verlagert. Kurz bevor die peristaltische Welle den unteren Ösophagussphinkter erreicht, beginnt das Zurückgleiten in Ruhelage.
295 24.1 · Funktionelle Anatomie, Physiologie und Pathophysiologie des Ösophagus
. Abb. 24.4 Schematische Darstellung der topographischen Anatomie und des Ruhedruckprofils des oberen Gastrointestinaltrakts beim Erwachsenen
Die peristaltische Welle im tubulären Ösophagus generiert in der Regel einen Spitzendruck zwischen 30 und 150 mmHg. Der Spitzendruck steigt von proximal nach distal an. Eine primäre peristaltische (d. h. eine durch einen bewussten Schluckakt eingeleitete) Kontraktionssequenz läuft nach initialer Inhibition der gesamten Ösophagusmuskulatur mit einer Propagationsgeschwindigkeit von ca. 2–4 cm/s von proximal nach distal und erreicht den unteren Ösophagussphinkter ca. 7–9 s nach Beginn des Schluckens (. Abb. 24.5). Die Propagationsgeschwindigkeit der peristaltischen Welle ist von der Größe, der Viskosität und der Temperatur des geschluckten Bolus abhängig. Wenn genügend lange Pausen (mehr als 20 s) zwischen den einzelnen Schluckakten eingehalten werden, resultiert ein gleicher Bolus in der Regel in einer identischen peristaltischen Kontraktionssequenz. Beim raschen Schlucken nimmt die Kontraktionsamplitude mit jedem konsekutiven Schluck ab. Bei einer Pause von weniger als 10 s zwischen einzelnen Schluckakten bleibt der tubuläre Ösophagus relaxiert, eine peristaltische Welle wird nur für den letzten der konsekutiven Schlucke initiiert. Dieses Phänomen wird als postdeglutitive Inhibition bezeichnet (Castell u. Dalton 1995). Das Fortschreiten der peristaltischen Welle in der tubulären Speiseröhre wird durch eine sequenzielle Aktivierung der Muskulatur aus dem Schluckzentrum über efferente Vagusfasern gesteuert. Eine Kontinuität der Ösophagusmuskulatur ist hierfür nicht erforderlich, solange die vagale Innervation intakt bleibt. Wird die Ösophagusmuskulatur durchtrennt, setzt sich bei intakter Innervation die
peristaltische Welle distal der Durchtrennungsstelle ohne Unterbrechung fort. Afferente Impulse aus Rezeptoren der Ösophaguswand sind für einen geordneten Ablauf der primären peristaltischen Welle nicht notwendig (Diamant 1989; Weissbrodt 1976) Eine Distension des Ösophagus oder Irritation der Schleimhaut durch mechanische, thermische oder chemische Reize kann ebenfalls eine peristaltische Kontraktionssequenz einleiten. Diese sog. sekundäre Peristalsis tritt unabhängig von einer Stimulation des Pharynx auf und wird nicht vom zentralen Nervensystem gesteuert. Die sekundäre Peristalsis stellt somit einen lokalen Reinigungsreflex des tubulären Ösophagus dar. Als tertiäre Peristalsis wird die spontane peristaltische Aktivität des tubulären Ösophagus bezeichnet, die nicht durch einen Schluckakt oder extrinsische Stimulation initiiert wird. Da dies jedoch häufig mit dem Begriff »tertiäre Kontraktionen« verwechselt wird, sollte man hier besser von autonomer Peristalsis sprechen (Kahrilas 1995).
Funktionsstörungen Simultane manometrische und videoradiographische Untersuchungen haben gezeigt, dass der Speisetransport durch den tubulären Ösophagus in den Magen und die Clearance von aus dem Magen regurgitiertem Material vom zeitgerechten Ablauf und der Amplitude der peristaltischen Welle abhängen. Für eine geregelte Boluspropagation ist eine Mindestamplitude von etwa 30 mmHg und eine Propagationsgeschwindigkeit von unter 20 cm/s erforderlich (Kahrilas 1995).
24
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Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
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. Abb. 24.5 Mechanisches Modell und manometrische Funktion der menschlichen Speiseröhre und ihrer Sphinkteren beim Schluck
> Funktionsstörungen des tubulären Ösophagus sind durch ein Fehlen der Peristalsis, abnorme Kontraktionssequenzen oder abnorme Kontraktionsformen gekennzeichnet. Dies kann zu einer Verlängerung der Transitzeit des Bolus vom oberen Ösophagussphinkter in den Magen, mit und ohne klinisch manifeste Dysphagie, Regurgitation und/oder retrosternalen Schmerzen führen.
Funktionsstörungen betreffen entweder primär und ausschließlich den Ösophagus (primäre Motilitätsstörungen) oder können als Folge einer zugrunde liegenden anderen Erkrankung oder einer generalisierten neurologischen, muskulären oder metabolischen Störung auftreten (sekundäre Motilitätsstörungen). Der Ösophagus kann vor allem bei Patienten mit Kollagenerkrankungen und Vaskulitiden mitbetroffen sein.
Primäre und sekundäre Motilitätsstörungen der Speiseröhre 4 Primäre Motilitätsstörungen – Achalasie – Diffuser Ösophagospasmus – »Nussknacker-Ösophagus« – Unspezifische Motilitätsstörungen – (Hypertensiver unterer Ösophagussphinkter) 4 Sekundäre ösophageale Motilitätsstörungen bei – Kollagenerkrankungen und Vaskulitiden (progressive Sklerodermie, Polymyositis und Dermatomyositis, »mixed connective tissue disease«, systemischer Lupus erythematodes u. a.) – Chronisch idiopathische Pseudoobstruktion – Neuromuskuläre Erkrankungen – Diabetes mellitus – Schilddrüsenerkrankungen – Paraneoplastische Syndrome – Gastroösophageale Refluxkrankheit (GERD) – Alkoholismus – Infektionen – Bestrahlungsschäden – Medikamentenwirkungen
297 24.1 · Funktionelle Anatomie, Physiologie und Pathophysiologie des Ösophagus
Die Diagnose und Klassifikation von Funktionsstörungen des tubulären Ösophagus erfolgt in der Regel mittels Ösophagusmanometrie. Ausgeprägte Funktionsstörungen können jedoch auch mittels Transitszintigraphie oder röntgenologischer Kontrastmitteldarstellung und videofluoroskopischer bzw. kinematographischer Aufzeichnung des Schluckaktes erfasst werden. Mit der Einführung der Standardösophagusmanometrie wurde eine Reihe von primären Funktionsstörungen als separate Entitäten definiert. Es handelt sich hierbei um die »Achalasie«, den »diffusen Ösophagospasmus«, den sog. »Nussknacker-Ösophagus« und die große Gruppe der »unspezifischen Motilitätsstörungen« (7 Abschn. 24.7.5 und folgende Übersicht). Klassische manometrische Kriterien zur Diagnose und Klassifikation primärer Motilitätsstörungen des tubulären Ösophagus 4 Achalasie – Inkomplette oder fehlende schluckreflektorische Relaxation des unteren Ösophagussphinkters – Aperistalsis der tubulären Speiseröhre – Erhöhter Ruhedruck des unteren Ösophagussphinkters – Erhöhter intraösophagealer Ruhedruck 4 Diffuser Ösophagospasmus – Häufig simultane Kontraktionssequenzen (>20%) – Repetitive und mehrgipflige Kontraktionen – Intermittierend normale Peristalsis – Kontraktionen können von hoher Amplitude und langer Dauer sein 4 »Nussknacker-Ösophagus« – Erhöhte Kontraktionsamplitude (>180 mmHg) – Verlängerte Kontraktionsdauer – Normale Peristalsis 4 Unspezifische Motilitätsstörung – Erniedrigte oder fehlende Kontraktionsamplitude – Unterbrochene Kontraktionssequenzen – Abnorme Morphologie der Kontraktionen – Normale Funktion des unteren Ösophagussphinkters
Die klassische Einteilung der primären Motilitätsstörungen des tubulären Ösophagus basiert gewöhnlich auf der Analyse von 6–10 Nassschlucken, die im Rahmen einer Standardmanometrie durchgeführt werden. Die Technik der ambulanten 24-Stunden-Manometrie der tubulären Speiseröhre multipliziert die zur Verfügung stehenden
Kontraktionsdaten und erhöht damit die Genauigkeit und Verlässlichkeit der Analyse (Stein, De Meester u. Hinder 1992; Stein et al. 1991). Die breite klinische Anwendung der ambulanten 24-Stunden-Manometrie bei Patienten mit typischen primären Motilitätsstörungen in der Standardmanometrie zeigte jedoch eine überraschend große Diskrepanz zwischen den beiden Untersuchungstechniken. Dies weist darauf hin, dass die derzeitige Klassifikation der Motilitätsstörungen klinisch wenig relevant ist. Dies wird auch durch die Beobachtung unterstützt, dass sich im Verlauf der Erkrankung der Charakter einer Motilitätsstörung grundsätzlich ändern kann. So wurde wiederholt der Übergang eines »Nussknacker-Ösophagus« zum »diffusen Ösophagospasmus« und zur »klassischen Achalasie« berichtet. Die primären Motilitätsstörungen der Speiseröhre wären damit nicht als separate Krankheitsbilder, sondern als Ausdruck einer gemeinsamen zugrunde liegenden Abnormität der Ösophagusfunktion zu betrachten (Stein 2004).
24.1.4
Ösophagogastraler Übergang
Im Bereich des ösophagogastralen Übergangs ändern sich morphologische Strukturen und funktionelles Verhalten der beiden benachbarten Segmente grundlegend. Dennoch liegen über keine andere Region des Gastrointestinaltraktes derartig viele unterschiedliche Definitionen und Terminologien vor wie über den ösophagogastralen Übergang (Friedland 1978). Die Stelle, »wo der Ösophagus zum Magen wird«, wird seit den hippokratischen Schriften als Kardia bezeichnet. Aufgrund variierender Untersuchungsmethoden und Konzepte wird die genaue Lokalisation der Kardia jedoch nach wie vor unterschiedlich angegeben. Nach makroanatomischer Definition wird anhand des sich verändernden Verlaufs der zirkulären Muskelschicht ein 2–3 cm langes Segment zwischen dem distalen tubulären Ösophagus und der sackartigen Ausweitung des Magens als Zone des ösophagogastralen Übergangs bezeichnet und hierfür der Terminus Kardia verwendet. Dieser Abschnitt der Umstrukturierung der Faseranordnung der inneren Muskelschicht verursacht im kontrahierten Ruhezustand eine spaltförmige und schräg gestellte Einengung »zwischen« Ösophagus und Magen, die auch dem Ostium cardiacum ventriculi und damit der chirurgischen Definition des Mageneingangs entspricht (Liebermann-Meffert u. Brauer 1995). Im Bereich des ösophagogastralen Übergangs wechselt auch die Anordnung der Schleimhautfalten aus einer Längsrichtung im tubulären Ösophagus in eine Transversalrichtung im proximalen Magen. Nach radiologischer Definition stellt diese Faltenübergangslinie den Sitz der
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Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
Kardia dar. Alternativ wird radiologisch auch die im Doppelkontrast erkennbare trichterförmige Verengung des Ösophagus oberhalb des Magens als Sitz der Kardia angegeben. Für die radiologisch häufig beschriebene funktionelle sackartige Erweiterung des distalen Ösophagus, als Vestibulum oder synonym Ampulla oesophagea bezeichnet, oder eine oberhalb des Diaphragmas zu sehende Ampulla epiphrenica gibt es in der anatomischen Literatur kein Korrelat. Die entscheidende Funktion dieser Zone besteht in der Aufrechterhaltung einer funktionellen Barriere zwischen dem negativen Ruhedruck des tubulären Ösophagus und dem positiven Ruhedruck des Magens und damit der Verhinderung eines gastroösophagealen Refluxes bei gleichzeitiger Gewährleistung eines ungehinderten ösophagogastralen Speisetransports. Dies wird durch die Architektur der terminalen Ösophagusmuskulatur erbracht. Sie repräsentiert den funktionell definierten unteren Ösophagussphinkter. Für den Endoskopiker liegt der ösophagogastrale Übergang im Bereich gut sichtbarer Grenzen zwischen Plattenepithel des Ösophagus und Zylinderepithel des Magens, der Z-Linie (Savary u. Miller 1978). Diese liegt normalerweise 1–2 cm kranial des Ostium cardiacum und etwa auf Höhe des oberen Drittels der manometrisch messbaren Hochdruckzone im Bereich des ösophagogastralen Übergangs. Im Gegensatz zur manometrischen Hochdruckzone erfährt die Lokalisation der endoskopischen Z-Linie im Lauf des Lebens auch bei Gesunden deutliche Verschiebungen und kann vor allem bei Patienten mit langjähriger Refluxkrankheit über mehrere Zentimeter nach oral in den tubulären Ösophagus wandern. Bei histologischem Nachweis einer intestinalen Metaplasie in diesem Bereich wird dann von einem Endobrachyösophagus oder Barrett-Ösophagus gesprochen. > Deshalb hat sich heute das orale Ende der Magenfalten als endoskopische Landmarke für die Lokalisation der Kardia eingebürgert und in der Praxis bewährt.
Funktionelle Anatomie Bis zu seinem Durchtritt durch den Hiatus oesophageus verläuft der distale Ösophagus im netzartig angeordneten lockeren Bindegewebe des hinteren Mediastinums. Der Hiatus oesophageus wird v. a. durch das Crus mediale dextrum der Pars lumbalis des Zwerchfells gebildet. Im Bereich des Hiatus ist der dorsale Anteil des distalen Ösophagus im retroperitonealen Bindegewebe verankert. Die Vorderwand der Pars abdominalis des distalen Ösophagus und ösophagogastralen Übergangs ist mit Peritoneum überzogen und über die phrenoösophageale Membran mit dem Zwerchfell verbunden. Das Gewebe der phrenoösophagealen Membran ist zart und individuell sehr unter-
. Abb. 24.6 Schematische Darstellung der Strukturen des ösophagogastralen Übergangs
schiedlich ausgeprägt. Sie enthält Kollagen und elastische Fasern und besteht aus Pleura, subpleuraler Faszie, phrenoösophagealer Faszie, Fascia transversalis und Peritoneum (. Abb. 24.6). Diese Strukturen erlauben die für den Schluckakt und Relaxation des unteren Sphinkters erforderliche freie Beweglichkeit des distalen Ösophagus im Hiatus oesophageus und gewährleisten zugleich, gemeinsam mit den Aufhängungsstrukturen des proximalen Magens, die intrabdominelle Verankerung des ösophagogastralen Übergangs. Zunehmendes Alter ändert die Gewebebeschaffenheit der phrenoösophagealen Membran infolge progressiven Ersatzes der elastischen Fasern durch kollagene Fasern. Dadurch wird die Membran unelastisch und schlaff. Fettgewebe tritt vermehrt im Bindegewebespalt auf. In Verbindung mit einem weiten Hiatus und dem vor allem bei Adipositas erhöhten intraabdominellen Druck ist dies die Voraussetzung für eine Hiatushernie (Liebermann-Meffert u. Skandalakis 2004). Die Faserbündel der Längsmuskulatur des distalen tubulären Ösophagus verlaufen über die Kardia hinweg und werden zur Längsmuskulatur des Magens. Dabei ändern sie an der Vorder- und Hinterwand des Magens ihre Richtung und liegen hier rechtwinklig zur Magenachse (. Abb. 24.7). Auch die Architektur der Ringmuskulatur ändert sich am ösophagogastralen Übergang. Während kleinkurvaturseits die Muskelzüge über den terminalen Ösophagus und Mageneingang hinaus ihren horizontalen Verlauf beibehalten und kurze, U-förmige Muskelbündel entlang der Magenstraße bilden (sog. »clasp fibers« oder
299 24.1 · Funktionelle Anatomie, Physiologie und Pathophysiologie des Ösophagus
. Abb. 24.7 Verlauf der äußeren longitudinalen und inneren zirkulären Muskulatur im Bereich des ösophagogastralen Übergangs (»sling« und »clasp fibers«)
Muskelklammern), werden die Muskelbündel großkurvaturseits zu schräg verlaufenden Faserzügen, den Fibrae obliquae oder »gastric sling fibers« (. Abb. 24.7). Die Enden der »Clasp«- und »Sling«-Fasern stehen somit in nahezu rechtem Winkel zueinander (. Abb. 24.8; LiebermannMeffert et al. 1979; Liebermann-Meffert u. Brauer 1995). Die Fibrae obliquae, die den während der Kontraktion mobilen His-Winkel bilden und hier ihre größte Faserkonzentration haben, stellen damit das wesentliche anatomische Korrelat des manometrischen unteren Ösophagussphinkters des Menschen dar (Stein et al. 1995; Liebermann et al. 1979; Winans 1972).
Normale Funktion Der untere Ösophagussphinkter stellt beim Menschen die wesentliche Barriere zwischen dem positiven intraabdominellen Druck im Magen und dem negativen Ruhe-
. Abb. 24.8 Schematische Darstellung der Zugrichtung der »sling« und »clasp fibers«
druck in der intrathorakalen tubulären Speiseröhre dar. Im Ruhezustand ist der Sphinkter tonisch kontrahiert und verhindert damit Reflux von Mageninhalt in den Ösophagus. Beim Schluckakt relaxiert der Sphinkter. Dadurch wird eine Nahrungspassage ermöglicht. Die Relaxation des unteren Ösophagussphinkters beginnt mit der Einleitung des pharyngealen Schluckes und wird erst durch das Eintreffen der peristaltischen Welle am gastroösophagealen Übergang beendet. Mageninhalt, der während der Sphinkterrelaxation in den distalen Ösophagus refluieren kann, wird somit durch die peristaltische Welle gemeinsam mit dem Nahrungsbolus in den Magen befördert. Beim Gesunden liegt der mittlere Ruhedruck des unteren Ösophagussphinkters zwischen 10 und 20 mmHg. Neben dem Ruhedruck tragen auch die intraabdominelle Position des Sphinkters und seine Länge zur Kompetenz der Kardia bei. So kann ein Sphinkter mit ausreichendem Ruhedruck allein aufgrund einer zu kurzen Sphinkterlänge Ursache einer Kardiainkompetenz sein. Das SphinkterVektor-Druck-Volumen integriert alle radialen Druckwerte über die gesamte Länge der Hochdruckzone in einen Messwert und erlaubt damit eine bessere Quantifizierung der Barrierefunktion als die alleinige Messung des Ruhedrucks oder der Sphinkterlänge (Stein et al. 1991). Der Sphinkter ist auch in Ruhe starken Druckschwankungen unterworfen: Phasische Druckschwankungen treten zusammen mit Funduskontraktionen auf, deren Intensität wiederum von den Phasen des intestinalen myoelektrischen Komplexes, d. h. von der Nüchternaktivität des Darms abhängt. In Abständen von 10–30 min kann eine kurz dauernde vollständige Sphinktererschlaffung ohne vorhergehenden Schluckakt beobachtet werden. Proteinhaltige Mahlzeiten führen zu einem Anstieg, fetthaltige
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300
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Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
Mahlzeiten zu einem Abfall des Sphinkterdruckes. Die Rezeptoren für diese Druckänderungen sitzen möglicherweise im Duodenum. Der Übertragungsmechanismus (hormonell, nerval) ist nicht sicher bekannt. Der untere Ösophagussphinkter wird in seiner Funktion als Antirefluxmechanismus durch weitere Strukturen unterstützt. Bei Anstieg des intraabdominalen Druckes superponiert sich der intraabdominale Druck auf den Sphinkterdruck, ein reflektorischer Druckanstieg findet dabei aber offenbar nicht statt. Dieser Mechanismus ist auch bei Patienten mit axialer Hiatushernie nachweisbar. Allerdings liegt bei der Mehrzahl der Patienten mit Refluxkrankheit eine axiale Hiatushernie vor, sodass dieser eine über die Sphinkterinkompetenz hinausgehende Rolle bei der Pathophysiologie der Refluxkrankheit zukommen muss (7 Abschn. 24.6.3). Darüber hinaus scheint auch eine intakte Zwerchfellzwinge einen gewissen protektiven Effekt gegen Reflux aufzuweisen (Stein, Liebermann-Meffert u. DeMeester 1995; Kahrilas 1995).
Funktionsstörungen Eine inadäquate Barrierefunktion des unteren Ösophagussphinkters führt zum gastroösophagealen Reflux. Auch das Ausbleiben einer peristaltischen Welle nach einem pharyngealen Schluckakt führt aufgrund der dadurch induzierten Sphinkterrelaxation und fehlender Schutzwirkung der ösophagealen Peristaltik zu einer Refluxepisode. Gemeinsam mit der postprandialen Dilatation des Magens ist dieses Phänomen für die sog. inadäquaten, transienten oder spontanen Relaxationen des unteren Ösophagussphinkters verantwortlich. > Inadäquate Sphinkterrelaxationen sind die wesentliche Ursache des physiologischen Refluxes beim Gesunden und bei Patienten mit episodisch verlaufender Refluxkrankheit (Kahrilas 1995).
Ein hypertensiver Sphinkter (Ruhedruck >35 mmHg) mit kompletter schluckreflektorischer Relaxation findet sich gelegentlich bei Patienten mit dem sog. NussknackerÖsophagus oder mit diffusem Ösophagospasmus. Ob dem alleinigen Nachweis eines hypertensiven Sphinkters bei kompletter und koordinierter schluckreflektorischer Erschlaffung und regelrechter Peristaltik ein Krankheitswert zukommt, ist umstritten. Eine fehlende, inkomplette oder unkoordinierte schluckreflektorische Relaxation des Sphinkters (Achalasie) behindert die Nahrungspassage und führt zur Dysphagia sowie, vermutlich sekundär, zur Aperistalsis und Dilatation der tubulären Speiseröhre (7 Abschn. 24.4).
24.1.5
Literatur
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301 24.2 · Divertikel
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24.2
Divertikel
In der Speiseröhre gibt es verschiedene Divertikel-Erkrankungen, die sich hinsichtlich Pathophysiologie, Lokalisation, klinischer Bedeutung und Therapie unterscheiden. Unter pathophysiologischen Gesichtspunkten werden Pulsionsdivertikel von Traktionsdivertikeln unterschieden, je nachdem ob sie durch Pulsionskräfte von innen oder durch Traktion von außen entstehen (. Abb. 24.9).
24.2.1
Pathophysiologie, Klassifikation und Implikationen für die Klinik
Bei den zumeist juxtasphinktär gelegenen Pulsionsdivertikeln stülpt sich die Schleimhaut durch eine Muskellücke vor (»Schleimhauthernie«). Ursächlich ist ein aborales funktionelles oder mechanisches Passagehindernis (in der Regel autochthone oder postoperative Sphinkteröffnungsstörung) und den dadurch proximal entstehenden erhöhten intraluminalen Druck. Das am oberen Ösophagussphinkter gelegene zervikale, Hypopharynx- oder auch Zenker-Divertikel ist eine häufige Erkrankung, während das im distalen Ösophagus,
. Abb. 24.9 Schematische Darstellung der Pathogenese der Ösophagusdivertikel
. Abb. 24.10 Typische Lokalisation und Häufigkeitsverteilung der Ösophagusdivertikel
nahe dem unteren Ösophagussphinkter entstehende epiphrenische Divertikel sehr selten ist. Im Gegensatz dazu ist das zumeist parabronchial gelegene Traktionsdivertikel eine Ausstülpung aller Ösophaguswandschichten. Es entsteht durch »Traktion« von entzündlich veränderten Lymphknoten oder in Folge embryonaler Fehlentwicklung (Liebermann-Meffert et al. 2000). Von allen diagnostizierten Ösophagusdivertikeln sind ca. 70% zervikale Divertikel, 21,5% parabronchiale Divertikel und ca. 8,5% epiphrenische Divertikel (. Abb. 24.10). Bei funktionellen Divertikeln handelt es sich um nur passager auftretende Ausbuchtungen der Ösophaguswand, z. B. im Rahmen eines diffusen Ösophagospasmus. Sie sind in der Regel nur röntgenologisch nachweisbar (sog. Pseudodivertikel). Ein eigenes, von den Ösophagusdivertikeln abzugrenzendes Krankheitsbild stellt die sog. intramurale Pseudodivertikulose des Ösophagus dar. Hier handelt es sich um eine seltene gutartige Erkrankung der Ösophaguswand mit Dilation der submukosalen Drüsen. Während die Pulsionsdivertikel (mit der zugrunde liegenden Motilitätsstörung) oft symptomatisch sind (Dysphagie, Regurgitation, Globusgefühl, evtl. Aspiration), sind
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302
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Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
Traktionsdivertikel meistens asymptomatisch. Daher stellen letztere auch selten eine Operationsindikation dar. Großzügig wird die Operationsindikation hingegen beim Zenker-Divertikel gestellt, da die Erkrankung progredient verläuft.
24.2.2
Zervikales, Hypopharynxoder Zenker-Divertikel
Typisches Beispiel eines Pulsionsdivertikels ist das Hypopharynxdivertikel, das sich praktisch immer an der pharyngealen Hinterwand im Bereich der dreieckigen KilianMuskellücke oberhalb des horizontalen Faserbündels des M. cricopharyngeus bildet (. Abb. 24.11; LiebermannMeffert et al. 2000). Diese Divertikel werden auch als Zenker-Divertikel bezeichnet (benannt nach dem deutschen Pathologen Zenker, der gemeinsam mit von Ziemsen 1874 27 Fälle beschrieb). Nur selten kommt es zur Divertikelbildung durch die sog. Laimer-Muskellücke (Jamieson-Divertikel), die aboral der Pars transversa des M. cricopharyngeus lokalisiert ist (Liebermann-Meffert et al. 2000). Verantwortlich für die Ausbildung des hypopharyngealen (zervikalen) oder Zenker-Divertikels ist in der Regel eine Fehlfunktion des oberen Ösophagussphinkters (OÖS; Ekberg 1999; Peters u. Mason 1999). In seltenen Fällen besteht eine unvollständige oder gar gänzlich ausbleibende schluckreflektorische Erschlaffung (krikopharyngeale Achalasie). In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle bestehen Koordinationsstörungen zwischen Sphinkterschluss und Pharynxentleerung. Am häufigsten lässt sich ein vorzeitiger Sphinkterschluss nachweisen. Inwieweit hierfür autochthone Funktionsstörungen des Muskels verantwortlich sind bzw. sekundäre Faktoren wie chronischer gastroösophagealer Reflux eine Rolle spielen ist noch unklar (Peters u. Mason 1999). Durch den entstehenden Überdruck im Hypopharynx kommt es zur Ausbuchtung durch die anatomisch präformierte, muskelschwache Pforte der Hypopharynxwand im Killian-Dreieck oberhalb der Pars horizontalis des M. cricopharyngeus (. Abb. 24.11). Unbehandelt nehmen Zenker-Divertikel im Verlauf von Jahren deutlich an Größe zu. Entsprechend ihrer Größenausdehnung werden sie nach Brombart (1953) in 4 Stadien eingeteilt: 4 Im Stadium I hat das Divertikel im Profil die Form eines etwa 2–3 mm langen Rosendorns. 4 Im Stadium II zeigt das Divertikel die Form einer bis zu 10 mm langen Keule. 4 Das Divertikel des Stadiums III ist bereits länger als 10 mm und nach abwärts gerichtet. Das Divertikel liegt in der krikopharyngealen Impression am pharyngoöso-
a
b
. Abb. 24.11a,b Anatomische Darstellung der Muskellücken am pharyngoösophagealen Übergang (a) und typische Lokalisation des Zenker-Divertikels (b)
phagealem Übergang, komprimiert den Ösophagus aber noch nicht. 4 Im Stadium IV kann das Divertikel beträchtliche Größe erreichen. Es senkt sich zwischen Ösophagus und Wirbelsäule, sodass die Speiseröhre komprimiert und verdrängt wird (. Abb. 24.12).
Symptomatik und Diagnostik > Dysphagie, Regurgitation unverdauter Nahrung, Globusgefühl und rezidivierende Aspiration sind die wesentlichen Symptome und Befunde des zervikalen Ösophagusdivertikels.
Der Nachweis eines Divertikels erfolgt in aller Regel durch eine Röntgenkontrastuntersuchung des Ösophagus (Cook u. Kahrilas 1999). Schon der erste Breischluck führt meist zur Darstellung. Kleinere Divertikel können gelegentlich im a.p.-Strahlengang übersehen werden. Deshalb hat die Röntgenuntersuchung auch in seitlichen und schrägen Ebenen zu erfolgen. Die Endoskopie ist zum Divertikelnachweis weniger geeignet, hat jedoch ihren Platz zum Nachweis/Ausschluss anderer Pathologien wie Tumoren, Ulzerationen oder Blutungen (Cook u. Kahrilas 1999). Vor allem die Darstellung eines zervikalen Divertikels kann mit einem flexiblen Endoskop schwierig sein. Beim zervikalen Divertikel ist der kausale Zusammenhang mit einer Funktionsstörung des oberen Ösophagussphinkters so überzeugend, dass der Nachweis einer zugrunde liegenden Funktionsstörung nicht erzwungen werden muss (Manometrie nicht obligatorisch).
303 24.2 · Divertikel
a
b
. Abb. 24.12a,b Radiographische Darstellung eines Zenker-Divertikels Brombart-Grad IV
Indikationsstellung zur operativen Therapie Der Nachweis eines zervikalen Divertikels stellt – unabhängig vom momentanen Beschwerdebild und BrombartStadium – eine chirurgische Indikation dar, zumal das Operationsrisiko sehr gering ist und es im Verlauf von wenigen Jahren zu einer deutlichen Größenzunahme des Divertikels kommt. Nur in Ausnahmefällen können bei allgemein inoperablen Patienten konservative Maßnahmen erwogen werden, die allerdings meist erfolglos bleiben. Von klinischer Relevanz ist die Frage, ob vor einer geplanten chirurgischen Behandlung eines Zenker-Divertikels eine gastroösophageale Refluxkrankheit ausgeschlossen werden muss. Eine Reihe von Autoren vertritt die Ansicht, dass der obere Ösophagussphinkter einen Schutz vor Aspiration des gas-
troösophagealen Refluats in den Bronchialbaum darstellt (Feussner u. Siewert 1992). Unter dieser Vorstellung wäre bei Patienten mit ausgeprägtem gastroösophagealem Reflux die zervikale Myotomie lebensbedrohlich. Ein streng wissenschaftlicher Beweis für die Richtigkeit dieser Hypothese steht bislang jedoch aus. Wir empfehlen bei anamnestischen oder endoskopischen Hinweisen auf eine schwere Refluxkrankheit die Objektivierung durch eine LangzeitpH-Metrie. Nur bei medikamentös nicht kontrollierbarem Reflux wird die Indikation zur simultanen chirurgischen Behandlung des Zenker-Divertikels und der Refluxkrankheit gestellt (Feussner u. Siewert 1992). In der eigenen Erfahrung ist dies bei weniger als 2% der Patienten mit Zenker-Divertikel erforderlich.
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Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
Operatives Vorgehen
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Über lange Zeit wurde diskutiert, ob die zervikale Myotomie als obligater Bestandteil der chirurgischen Behandlung des Zenker-Divertikels zu betrachten ist. Aus theoretischer Sicht ist das Rezidiv bei Verzicht auf die Myotomie vorprogrammiert. Tatsächlich wird dies auch durch klinische Studien bestätigt, die nach Divertikulektomie ohne Myotomie deutlich höhere Rezidivraten und höhere Raten an frühpostoperativen lokalen Komplikationen (Wundinfekte, Fisteln, Mediastinitis) zeigen als nach Divertikelabtragung mit Myotomie des oberen Ösophagussphinkters (Feussner u. Siewert 1999; Omote et al. 1999). > In der klinischen Praxis hat sich heute die zervikale Myotomie als integraler Bestandteil der chirurgischen Behandlung des Zenker-Divertikels durchgesetzt.
Liegt ein kleines Divertikel vor (Brombart-Grad I–II), kann es belassen werden. Der Eingriff wird nach Therapie der zugrunde liegenden Funktionsstörung des oberen Ösophagussphinkters (zervikale Myotomie) beendet. Liegt ein großes Divertikel vor (Brombart-Grad III–IV), kann es nach oral hin fixiert (Divertikulopexie) oder abgetragen werden (Divertikulektomie) (Gutshow et al. 2002). Technisch erfolgt die Freilegung des pharyngoösophagealen Übergangs am besten durch eine Inzision entlang des Vorderrandes des linken M. sternocleidomastoideus. Der Eingriff erfolgt in Allgemeinnarkose mit dem
a . Abb. 24.13a,b Zervikale Myotomie und Divertikelabtragung. Nach allseitiger Präparation des Divertikelsackes und Divertikelhalses werden die unmittelbar unterhalb liegenden horizontal verlaufenden Fasern des M. cricopharyngeus identifiziert und von kranial her über
Kopf des Patienten in Reklination und Rechtsdrehung (Siewert u. Hölscher 1989). Die Durchführung des Eingriffs in lokaler Betäubung ist bei kooperativen Patienten grundsätzlich möglich. Ein besonderer Vorteil ist dabei, dass der Patient während der Operation aufgefordert werden kann zu schlucken. Hierdurch wird die Identifikation der Pars horizontalis des Musculus cricopharyngeus vor allem bei kleinen Divertikeln erheblich erleichtert. Die Präparation erfolgt vor der Gefäßnervenloge unter Durchtrennung des M. omohyoideus bis zur prävertebralen Faszie, wobei der Ösophagus, sofern er durch eine Magensonde geschient werden konnte, gut tastbar wird. Die Darstellung des Divertikels erfolgt vor der prävertebralen Faszie von lateral her, um die Gefahr einer Rekurrensläsion zu minimieren. Nach allseitiger Präparation des Divertikelsackes können nun die unmittelbar unterhalb des Divertikelhalses liegenden, horizontal verlaufenden Fasern des M. cricopharyngeus identifiziert und von kranial über ca. 2–4 cm nach kaudal gespalten werden. Hierdurch erfolgt die extramuköse Myotomie des funktionsgestörten oberen Ösophagussphinkters (. Abb. 24.13). > Die vollständige Spaltung aller Muskelfasern ist für den weiteren Therapieerfolg entscheidend, da auch bei Belassen von nur kleinsten Muskelsträngen die Obstruktion persistieren kann.
Das Absetzen des Divertikels erfolgt am sichersten durch einen linearen Klammernahtapparat (. Abb. 24.13a). Eine
b eine Länge von ca. 2–4 cm nach kaudal gespalten. Die Abtragung des Divertikels erfolgt am sichersten mit einem Klammernahtgerät (a). Eine Übernähung der Abtragungsstelle ist nicht erforderlich (b). Situs nach zervikaler Myotomie und Divertikelabtragung
305 24.2 · Divertikel
. Abb. 24.14 So genannte Divertikulopexie. Bei kleinen Divertikeln wird der Divertikelsack parallel zum Hypopharynx nach oben an der Fascia praevertebralis fixiert
Übernähung der Klammernahtreihe ist nicht erforderlich (. Abb. 24.13b). Kleine Divertikel werden belassen und nach oben an der prävertebrale Faszie fixiert (. Abb. 24.14). Nach abschließender Wundkontrolle empfiehlt sich die Einlage einer geeigneten, weichen Drainage. Nur das Platysma wird mit resorbierbaren Einzelknopfnähten locker adaptiert. Im postoperativen Verlauf ist die Wunde sorgfältig zu kontrollieren. Lokale oder systemische Entzündungszeichen sollten immer Anlass geben, die Dichtigkeit der Ösophagusschleimhaut durch Röntgenkontrastdarstellung mit wasserlöslichem Kontrastmittel zu überprüfen. Etwaige Insuffizienzen heilen bei großzügiger Wiedereröffnung der Halswunde innerhalb von 2–3 Wochen aus. Voraussetzung dafür ist eine gute Drainage des Sekrets nach außen. Ungenügend drainierte Insuffizienzen führen zur Mediastinitis und stellen eine vitale Bedrohung des Patienten dar. Zur Vermeidung von Nahtinsuffizienzen an der Divertikelabtragunsgstelle empfehlen verschiedene Autoren ein grundsätzliches Belassen und Pexieren des Divertikels parallel zum Hypopharynx an der Fascia praevertebralis (Divertikulopexie). Die funktionellen Ergebnisse sind nach Divertikulopexie, sofern eine zervikale Myotomie durchgeführt wurde, der Divertikelabtragung vergleich-
bar. Als Alternative zum klassischen offenen Vorgehen wird die transorale Spaltung der Schwelle zwischen Divertikelhals und Ösophagusmund mittels Laser oder Diathermie eingesetzt. Mit der Verfügbarkeit von Linearstaplern hat sich die transorale Schwellenspaltung als elegantes und sicheres Verfahren bewährt und wird zunehmend angewendet (Omote et al. 1999). Da eine vollständige Myotomie des oberen Ösophagussphinkters die entscheidende Voraussetzung für eine langfristig erfolgreiche Behandlung des Hypopharynxdivertikels ist, kommen für die Schwellenspaltung allerdings nur Divertikel mit ausreichender Größe (Brombart-Grad III–IV) in Frage. Die Qualität des Staplerverfahrens ist durch Studien belegt: Bei kleinen Divertikeln (<3 cm) war die offene Operation noch überlegen, bei großen Divertikeln (>3 cm) waren aber beide Verfahren gleichwertig (Gutschow et al. 2002). Eine wesentliche Voraussetzung für die transorale Schwellenspaltung ist aufgrund der Rigidität der Linearstapler derzeit auch eine ausreichende Reklinierbarkeit des Kopfes. Mit der Entwicklung flexibler Klammernahtapparate hat sich diese Einschränkung jedoch relativiert. Technisch erfolgt beim transoralen Vorgehen zunächst die Einstellung der Schwelle zwischen Ösophagusmund und Divertikelöffnung mittels modifiziertem Stützlaryngoskop in Intubationsnarkose (. Abb. 24.15a). Bei maximal rekliniertem Kopf wird dann das Klammernahtgerät mit der schmalen Branche (Andruckplatte) in den proximalen Ösophagus, mit der anderen Branche in den Divertikelhals eingeführt (. Abb. 24.15b). Durch das Auslösen des Klammernahtgerätes wird die Schwelle zwischen Ösophagus und Divertikel, und damit der dazwischen verlaufende M. cricopharyngeus, durchtrennt und gleichzeitig die Durchtrennungslinie seitlich verklammert (. Abb. 24.15c). Es handelt sich also de facto um eine Myotomie. Der Divertikelsack verbleibt.
24.2.3
Epiphrenisches Divertikel
Auch die epiphrenischen Divertikel sind klassische Pulsionsdivertikel. Sie entstehen als Folge eines erhöhten intraluminalen Drucks im distalen Ösophagus, auf dem Boden einer Öffnungsstörung des unteren Ösophagussphinkters oder, seltener, einer hypertensiven Funktionsstörung des distalen Ösophagus. Die zugrunde liegende Funktionsstörung ist entweder eine primäre Ösophagusmotilitätsstörung (hypermotile Achalasia, diffuser Ösophagospasmus) oder die Folge eines vorangegangenen chirurgischen Eingriffs im Bereich des ösophagogastralen Übergangs. Eine physiologische Muskellücke besteht im Bereich des distalen Ösophagus zwar nicht, jedoch konnte in anatomischen Untersuchungen eine Verdünnung der Muskulatur im linkslateralen Segment des distalen Ösophagus
24
306
Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
24
a
c
b . Abb. 24.15a–c Transorale Schwellenspaltung. a Einstellung der Schwelle zwischen Ösophagusmund und Divertikelöffnung mittels Stützlaryngoskop; b transorales Einführen des linearen Klammernahtgerätes; c Situs nach Auslösen des Klammernahtgeräts: V-för-
mige Öffnung der Schwelle zwischen Ösophagus und Divertikel; die Ränder sind durch Klammern verschlossen (Pfeile). E Ösophagusmund, C Schwelle zwischen Ösophagusmund und Divertikelöffnung, D Divertikel. (Nach Omote et al. 1999)
aufgezeigt werden (Liebermann-Meffert et al. 2000). Dementsprechend entwickeln sich epiphrenische Divertikel in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle nach links-lateral (. Abb. 24.16).
mit Speiseretention oder Regurgitation, Ulzera und Blutungen stellen eine absolute Indikation zur Divertikelabtragung und Myotomie dar. Kleinere Divertikel können sich nach Ausschaltung der Funktionsstörungen des unteren Ösophagussphinkters (z. B. durch Myotomie oder pneumatische Dilatation) zurückbilden.
Symptomatik und Diagnostik Patienten mit epiphrenischen Divertikeln berichten über Regurgitation, Dysphagie und/oder retrosternale Schmerzen. Diese Symptome sind häufig Ausdruck der zugrunde liegenden Motilitätsstörung und nicht des Divertikels. Epiphrenische Pulsionsdivertikel können alleine aufgrund ihrer Lokalisation gelegentlich nicht von parabronchialen Divertikeln unterschieden werden. Eine Ösophagusmanometrie ist zum Nachweis oder Ausschluss einer zugrunde liegenden Funktionsstörung obligat.
Indikationsstellung zur operativen Therapie Beim epiphrenischen Divertikel wird die Indikation zum chirurgischen Vorgehen in Abhängigkeit von den röntgenologischen, endoskopischen und manometrischen Befunden sowie der Symptomatik gestellt. Große Divertikel
Operatives Vorgehen Das Standardvorgehen beim epiphrenischem Divertikel ist die linkstransthorakale Freilegung und Divertikelabtragung. Der Erfolg der Operation hängt von der gleichzeitigen Mitbehandlung der zugrunde liegenden Funktionsstörung des distalen Ösophagus und unteren Ösophagussphinkters ab. Besteht eine hypertone Funktionsstörung oder Öffnungsstörung des unteren Ösophagussphinkters, ist auch hier die extramuköse Myotomie (wie bei der Achalasie) wesentliche Ergänzung der Divertikelabtragung. Zur Verhinderung eines postoperativen Refluxes, Abdichtung etwaiger Mukosaläsionen und Verhinderung einer Vernarbung wird die Myotomie mit einem Funduszipfel gedeckt (Thal- oder Dor-Fundoplastik; . Abb. 24.17).
307 24.2 · Divertikel
a
b
. Abb. 24.16a,b Radiographische Darstellung eines typischen epiphrenischen Divertikels, das sich nach links lateral entwickelt
Abtragung epiphrenischer Divertikel, distale Myotomie des Ösophagus und Thal-Fundoplastik können in Zentren mit Erfahrung auch minimal-invasiv auf laparoskopischem oder thorakoskopischem Wege erfolgen (Rosati et al. 1998; Saw et al. 1998).
24.2.4
Parabronchiales Divertikel
Parabronchiale Divertikel sind typischerweise Traktionsdivertikel. Die gesamte Ösophaguswand ist ausgebuchtet, hervorgerufen durch Traktion von durch Entzündung adhärenten Lymphknoten. Zumeist sind parabronchiale Traktionsdivertikel im Zusammenhang mit einer spezifischen Lymphadenitis beschrieben worden, weshalb sie mit dem Rückgang der Tuberkulose ebenfalls seltener geworden sind. Der größere Teil der heute beobachteten parabronchialen Divertikel dürfte als Resultat einer unvollkommenen Trennung der Luft- und Speiseröhre zu interpretieren sein, bei der es aufgrund einer persistierenden fibrösen Gewebebrücke zwischen beiden Organen und se-
kundärer Zugwirkung zur Ausbuchtung der Ösophaguswand kommt (Liebermann-Meffert et al. 2000).
Symptomatik, Diagnostik, operativen Therapie Parabronchiale Traktionsdivertikel sind meist asymptomatisch und daher nur in Ausnahmefällen, bei eindeutiger divertikelassoziierter Symptomatik (Odynophagie, Dysphagie, Regurgitation oder chronische Aspiration), eine Operationsindikation. Eine absolute Indikation zur Intervention besteht nur bei Fistelbildung zu den Atemwegen oder zum Mediastinum. Die Freilegung des Traktionsdivertikels erfolgt durch rechtsseitige Thorakotomie. Das Divertikel wird freipräpariert, ligiert und durch eine einstülpende Naht versorgt. Bei Vorliegen einer ösophagobronchialen Fistel muss diese isoliert versorgt werden, z. B. durch Interposition eines Muskellappens.
24
308
Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
24
a
b
. Abb. 24.17a,b Epiphrenische Divertikel. a Präoperative Röntgenkontrastdarstellung, b Röntgenkontrastdarstellung nach laparosko-
24.2.5
Ergebnisse der chirurgischen Therapie der Ösophagusdivertikel
Die langfristigen Ergebnisse der chirurgischen Therapie der Ösophagusdivertikel sind, unabhängig von ihrer Lokalisation und bei adäquater Indikationsstellung und Selektion des Therapieverfahrens, mit einer Erfolgsrate von über 90% überzeugend gut. Die Letalität liegt zwischen 0 und 1,4%. Komplikationen sind selten (Stein et al. 1992). Bei der zervikalen Myotomie und Divertikelabtragung bzw. Divertikulopexie ist in etwa 2% der Fälle mit einer (einseitigen) Rekurrensparese zu rechnen. In etwa der Hälfte der Fälle kommt es zur spontanen Rückbildung. Beim transoralen Vorgehen besteht praktisch kein Risiko einer Rekurrensparese (Omote et al. 1999). Postoperative Fisteln nach Abtragung von Pulsionsdivertikeln und distaler Myotomie werden in der Literatur mit einer Rate zwischen 1,0 und 2,5% angegeben. Unter-
pischer transhiataler Divertikelabtragung, Myotomie sowie ThalFundoplastik
bleibt die Myotomie, kommt es bei bis zu 15% der Patienten zur Fistelbildung. Die Häufigkeit der Entstehung eines Rezidivs steht ebenfalls in unmittelbarem Zusammenhang mit der Art des durchgeführten Eingriffes. Bei alleiniger Divertikelabtragung muss mit einer Rezidivquote von bis zu 16% gerechnet werden. Bei Ergänzung der Divertikelabtragung durch eine Myotomie des oberen Ösophagussphinkters bzw. durch adäquate Therapie der Funktionsstörung des unteren Ösophagussphinkters kann die Rate der postoperativen Rezidive auf unter 5% gesenkt werden.
309 24.3 · Submuköse Tumoren des Ösophagus
24.2.6
Literatur
Barthlen W, Feussner H, Hannig Ch, Hölscher AH, Siewert JR (1990) Surgical therapy of Zenker’s diverticulum: Low risk and high efficiency. Dysphagia 5:13 Bonavina L, Khan NA, DeMeester TR (1985) Pharyngoesophageal dysfunction. The role of cricopharyngeal myotomy. Arch Surg 120:541–549 Bremner CG, DeMeester TR (1999) Endoscopic treatment of Zenker’s diverticulum. Gastrointest Endosc 49:126–128 Brombart M (1953) Le diverticule pharyngo-oesophagien de Zenker. Considerations pathogenetiques. J Belg Radiol 76:128 Cook JI, Kahrilas PJ (1999) AGA technical review on management of oropharyngeal dysphagia. Gastroenterology 116:455 Ekberg O (1999) Neue chirurgisch-pathologische Aspekte des ZenkerDivertikels. Diagnostische Bildgebung und Funktionsanalyse. Chirurg 70:747–752 Feussner H, Siewert JR (1999) Traditionelle extraluminale Operation des Zenker-Divertikels. Chirurg 70:753–756 Gutschow CA, Hamoir M, Rombaux P, Otte JB, Goncette L, Collard JM (2002) Management of pharyngoesophageal (Zenker’s) diverticulum: which technique? Ann Thorac Surg 74(5):1677–1682 Liebermann-Meffert D, Stein HJ, Duranceau A (2000) Anatomy and embryology of the esophagus. In: Orringer MB (ed) Shackelford’s surgery of the alimentary tract, vol I. WB Saunders, Philadelphia Omote K, Feussner H, Stein HJ, Siewert JR (1999) Endoscopic stapling diverticulostomy for Zenker’s diverticulum. Surg Endosc 13:535–538 Peters JH, Mason R (1999) Die pathophysiologische Basis des ZenkerDivertikels. Chirurg 70:741–746 Rosati R, Fumagalli U, Bona S, Bonavina L, Peracchia A (1998) Diverticulectomy, myotomy, and fundoplication through laparoscopy: a new option to treat epiphrenic esophageal diverticula? Ann Surg 227:174–178 Saw EC, McDonald TP, Kam NT (1998) Video-assisted thoracoscopic resection of an epiphrenic diverticulum with esophagomyotomy and partial fundoplication. Surg Laparosc Endosc 8:145–148 Stein HJ, DeMeester, Hinder RA (1992) Outpatient physiologic testing and surgical management of foregut motility disorders. Cur Probl Surg, 29:415–555 Zenker FA, von Ziemsen H (1874) Krankheiten des Oesophagus. In: von Ziemsen H (Hrsg) Handbuch der Speciellen Pathologie und Therapie; vol 7 (suppl), pp 1–87. Vogel, Leipzig
24.3
Submuköse Tumoren des Ösophagus
Unter submuköse Tumoren (»submucosal tumors; SMT) des Ösophagus werden verschiedene histologische Entitäten subsumiert, denen das submuköse, intramurale Wachstumsmuster gemeinsam ist. Am häufigsten sind Leiomyome (ca. 70%), aber auch andere mesenchymale Tumoren kommen vor (z. B. Rhabdomyome, Schwannome etc.). Meistens handelt es sich um benigne Tumoren. Bisweilen kommen aber auch GIST-Tumoren vor, die im Ösophagus jedoch wesentlich seltener sind als z. B. im Magen. Eine Operationsindikation besteht, wenn die Tumoren symptomatisch sind (zumeist Dysphagie) oder die Dignität – z. B. bei beobachteter Größenzunahme – unklar ist. Operatives Prinzip ist die Enukleation des Tumors, die auch in minimal-invasiver Technik durchgeführt werden kann (von Rahden et al. 2004).
. Abb. 24.18 Die Pharyngoösophagographie (Schluckuntersuchung mit Kontrastmittel) zeigt ein glattberandete Kontrastmittelaussparung, verursacht durch ein das Ösophaguslumen obstruhierendes Leiomyom
24.3.1
Symptomatik und Diagnostik
Das führende Symptom bei Patienten mit submukösen Ösophagustumoren ist die Dysphagie, seltener auch Odynophagie oder eine Refluxsymptomatik. Diagnostische Mittel der Wahl sind die Kontrastmittel-Schluckuntersuchung und die Endoskopie. Die Pharyngoösophagographie zeigt meist den sich mit glatter Oberfläche in das ösophageale Lumen vorwölbenden und damit die Obstruktion verursachenden Tumor (. Abb. 24.18). Auch für die Höhenlokalisation ist diese Untersuchungsmethode am besten geeignet. Die Endoskopie zeigt eine Schleimhautvorwölbung und die – je nach Tumorgröße variable – Lumenobstruktion. Die Schleimhaut selbst ist intakt. Verifizieren lässt sich ein submuköser Ösophagustumor durch den endos-
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310
Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
24.3.3
Literatur
Bonavina L, Segalin A, Rosati R, Pavanello M, Peracchia A (1995) Surgical therapy of esophageal leiomyoma. J Am Coll Surg 181:257–262 Pross M, von Rahden BHA, Schubert D, Feussner H (2004) Rendezvousverfahren im Bereich des Ösophagus. Chir Gastroenterol 20:100–104 von Rahden BHA, Stein HJ, Feussner H, Siewert JR (2004) Enucleation of submucosal tumors of the esophagus: minimally invasive versus open approach. Surg Endosc 18:924–930
24
24.4
. Abb. 24.19 Typischer thorakoskopischer Aspekt eines Leiomyoms, das sich, in der Wand der Speiseröhre gelegen, auch in die Pleurahöhle vorwölbt. Zu sehen ist der nach anterior retrahierte Lungenlappen, der Nervus phrenicus und die Vena azygos mit den einmündenden Interkostalvenen
kopischen Ultraschall. Verzichtet werden sollte auf die Entnahme einer Biopsie, da hierdurch die Tumorenukleation erschwert werden kann (Bonavina et al. 1995). Nicht obligat, sondern nur bei Verdacht auf Malignität indiziert, ist eine Computertomographie.
24.3.2
Heterotope Magenmukosa im Ösophagus
Heterotope (oder auch ektope) Magenschleimhaut (»heterotopic gastric mucosa«, HGM) kommt in verschiedensten Lokalisationen des Gastrointestinaltraktes vor: Diese als Relikt der Embyronalentwicklung angesehenen Schleimhautinseln sind u. a. am Zungengrund, im Duodenum, im Jejunum, in der Gallenblase, im Rektum und in MeckelDivertikeln beschrieben. Im Ösophagus findet sich heterotope Magenmukosa bisweilen unmittelbar unterhalb des oberen Ösophagussphinkters. Handelt es sich um eine makroskopisch sichtbare Magenschleimhautinsel, so spricht man auch vom sog. »Inlet-Patch« oder »gastric inlet patch«. Heterotope Magenmukosa kann für Symptome verantwortlich sein und zu Komplikationen führen (von Rahden et al. 2004).
Operative Therapie 24.4.1
Die operative Therapie ist indiziert, wenn der Tumor symptomatisch, oder die Dignität unklar ist. Das chirurgische Prinzip zur Behandlung der SMT ist die Enukleation. Der zumeist von einer bindegewebigen Kapsel umgebene Tumor wird in toto aus seinem Tumorlager »herausgeschält« (enukleiert). Zuvor müssen Serosa und Muskularis längsinzidiert werden, unter sicherer Schonung der Vagusäste. Die Enukleation submuköser Ösophagustumoren lässt sich auch sehr gut in minimal-invasiver Technik durchführen (von Rahden et al. 2004). Verwendet wird sowohl die Thokoskopie (. Abb. 24.19) als auch – bei durch transhiatale Präparation erreichbaren Tumoren – die Laparoskopie. Als hilfreich hat sich die Verwendung einer simultanen Endoskopie erwiesen (sog. »Rendezvous-Verfahren«; Pross et al. 2004; von Rahden et al. 2004): Die simultane Endoskopie ist hilfreich bei der exakten Lokalisation des Tumors, wobei insbesondere der Diaphanoskopieeffekt des im Ösophagus leuchtenden Endoskops eine wertvolle Hilfe bei der Präparation darstellt. Die Überwachung der Präparation von intraluminal aus hilft ferner die Integrität der Mukosa sicherzustellen.
Epidemiologie und Diagnostik
Die Häufigkeit heterotoper Magenmukosa im Ösophagus wird unterschätzt. Dies liegt zumindest zum Teil an der Schwierigkeit, den Prädilektionsort (die Region unmittelbar unterhalb des oberen Ösophagussphinkters) zu untersuchen: Diese Region liegt knapp unterhalb des vom HNO-Arzt mit dem starren Endoskop einsehbaren Bereich und ist auch bei der flexiblen Endoskopie nur beim vorsichtigen, schrittweisen Rückzug inspizierbar. Dennoch sollte jede endoskopische Untersuchung des oberen Gastrointetinaltraktes die Inspektion auf einen makroskopisch sichtbaren Inlet-Patch einschließen (. Abb. 24.20). Die Häufigkeit der ösophagealen heterotopen Magenmukosa wird in historischen Serien auf 0,67% bis zu 70% (wenn mikroskopische Areale einbezogen wurden beziffert. In der größten Autopsieserie betrug die Häufigkeit 4,5%.
24.4.2
Pathophysiologie, Symptomatik und Klassifikation
Die Mehrzahl der Träger heterotoper Magenmukosa ist asymptomatisch. Allerdings kann ein Inlet-Patch auch für
311 24.5 · Ringe, Webs, Infektionen, Ulzera
24.5
Ringe, Webs, Infektionen, Ulzera
Man unterscheidet im distalen Ösophagus muskuläre Ringe und Mukosaringe (sog. Schatzki-Ring). Webs sind irreguläre, asymmetrische, membranartige Einengungen des Hypopharynx oder Ösophagus. Infektionen des Ösophagus kommen überwiegend bei immunsupprimierten Patienten und Patienten mit malignen Tumoren vor. Die häufigsten Erreger sind Kandida, Zytomegalievirus und Herpessimplex-Virus. Arzneimittelulzera in der Speiseröhre entstehen durch Auflösung von Tabletten oder Kapseln im Ösophagus bei zugrunde liegender Motilitätsstörung, Stenose oder falscher Einnahme.
24.5.1 . Abb. 24.20 Endoskopische Darstellung einer großen makroskopisch sichtbaren Insel heterotoper Magenschleimhaut, unmittelbar unter dem oberen Ösophagussphinkter (Inlet-Patch)
Symptome verantwortlich sein. Als ursächlich wird hier eine Säuresekretion durch die heterotope Magenschleimhaut angesehen (Galan et al. 1998). Auch eine maligne Entartung hetertoper Magenmukosa ist beschrieben.
24.4.3
Operative Therapie
Die Mehrzahl der HGM-Träger ist asymptomatisch und bedarf – in Anbetracht des geringen Entartungsrisikos – keiner Therapie. Die Frage, ob und wann eine Biopsie indiziert ist, kann derzeit nicht sicher beantwortet werden. Empfehlenswert ist jedoch die Abklärung makromorphologisch sichtbarer Befunde zur Unterscheidung benigner oder maligner Inlet-Patch-Komplikationen. Ebensowenig wie diagnostische Standards verfügbar sind, gibt es Standards für die Therapie. Im Falle der malignen Progression sollte nach den Prinzipien der Behandlung anderer maligner Läsionen der zervikalen Speiseröhre vorgegangen werden. Für benigne Inlet-Patch-Komplikationen (wie z. B. symptomatische Säuresekretion, Stenosen) kommen medikamentöse und endoskopisch-endoluminale Therapieverfahren in Betracht.
24.4.4
Literatur
Galan AR, Katzka DA, Castell DO (1998) Acid secretion from an esophageal inlet patch demonstrated by ambulatory pH monitoring. Gastroenterology 115:1574–1576 von Rahden BHA, Stein HJ, Becker K, Liebermann-Meffert D, Siewert JR (2004) Heterotopic gastric mucosa of the esophagus. Literaturereview and proposal of a clinicopathologic classification. Am J Gastroenterol 99:543–551
Ösophagusringe
»Muskuläre Ringe« oder »kontraktile Ringe« der Speiseröhre sind durch eine lokale Verdickung der Muscularis propria verursacht. Es handelt sich um in ihrer Weite rasch wechselnde und relativ breitbasige Einengungen des Ösophaguslumens im Bereich des unteren Ösophagussphinkters (Hirano et al. 2000). In der radiologischen Literatur werden sie auch als »A-Ringe« bezeichnet. Die klinische Relevanz dieser Ringe ist fraglich. Entsprechend der Definition des Erstbeschreibers (Schatzki u. Gray 1953, 1956) handelt es sich beim Schatzki-Ring um eine membranartige ringförmige Einengung des Ösophaguslumens am Oberrand einer Hiatushernie. Der Ring trägt Plattenepithel an der Ober- und Zylinderepithel an der Unterseite. In der radiologischen Nomenklatur wird hierfür synonym auch der Begriff »B-Ring« verwendet. Eine ringförmige Einengung des Ösophaguslumens ohne Nachweis einer Hiatushernie sollte gemäß dieser Definition nicht als Schatzki-Ring bezeichnet werden. Abzugrenzen sind die Ösophagusringe von den eigentlichen Ösophagusstenosen oder Strikturen.
Ätiologie und Pathogenese Ätiologie und Pathogenese der muskulären Ringe sind nicht bekannt. Häufig kann bei sorgfältiger manometrischer Untersuchung jedoch eine Motilitätsstörung im Bereich des Ringes aufgezeigt werden (Hirano et al. 2000). Ob diese Ursache oder Folge des Ringes darstellt, ist unklar. SchatzkiRinge werden überwiegend im mittleren und höheren Lebensalter diagnostiziert und stellen deshalb wahrscheinlich keine angeborene Missbildung, sondern eine erworbene Veränderung dar. Ein kausaler Zusammenhang mit der Refluxkrankheit oder medikamenteninduzierten Schleimhautläsionen wurde zwar wiederholt postuliert, ist jedoch nicht bewiesen (DeVault 1996). Pathologisch-anatomisch ist das Epithel intakt und entzündliche Infiltrate fehlen. In der Submukosa findet sich eine Vermehrung von Kollagen,
24
312
Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
das als morphologisches Substrat des Rings angesehen wird.
24
zweite häufige Lokalisation ist der Hypopharynx. Sehr selten werden Webs im mittleren und unteren Ösophagusdrittel beschrieben.
Klinisches Bild und Diagnostik Muskuläre Ringe werden meist als radiologischer Zufallsbefund diagnostiziert und sind nur selten symptomatisch. Ein Schatzki-Ring von weniger als 13 mm Durchmesser kann Dysphagie verursachen. Typisch sind intermittierende Beschwerden mit beschwerdefreien Intervallen. Gelegentlich kommt es zur Bolusimpaktation. Die Röntgenkontrastdarstellung zeigt typischerweise eine membranoder ringartige Einschnürung am Oberrand einer axialen Hiatushernie. Angedeutete ringartige Strukturen lassen sich in der Mehrzahl der Patienten mit axialen Hiatushernien nachweisen. Voraussetzung für die Diagnose ist eine Distension des unteren Ösophagusdrittels bei der Untersuchung und Provokation mit einem soliden Bolus. Endoskopisch findet sich beim Schatzki-Ring eine Membran mit intakter Schleimhaut.
Ätiologie und Pathogenese
Therapie
Klinisches Bild und Diagnostik
Eine spezifische Therapie ist nur bei symptomatischen Patienten erforderlich. Die Dilatation stellt die Therapie der Wahl beim symptomatischen muskulären Ring dar. Dünne Schatzki-Ringe können leicht durch Vorschieben des Endoskops zerrissen werden. Bei festeren Ringen werden bei 0°, 90°, 180° und 270° endoskopisch größere Biopsien entnommen. Alternativ kann auch eine pneumatische Dilatation oder Bougierung erfolgen. In einer randomisierten Studie zeigte sich kein Unterschied zwischen Bougierungsbehandlung und endoskopischer Quadrantenbiopsie (Chotiprasidhi u. Minocha 2000). Unabhängig vom Therapieverfahren sollte bei Patienten mit assoziierter Refluxkrankheit eine Rezidivprophylaxe mit medikamentöser Säuresuppression oder, alternativ, laparoskopischer Fundoplikation erfolgen. Bei Bolusimpaktionen ist die Mobilisation des Bolus mit dem Endoskop, der endoskopischen Biopsie- oder Fremdkörperzange möglich. Auch die Auflösung eines impaktierten Fleischbolus mit Papain-Lösung oder eines anderen Fleischweichmachers kann versucht werden.
Beim postkrikoidalen Web kann es intermittierend zu Dysphagie, v. a. für feste Speisen, kommen. Der Patient beschreibt beim Schlucken eine Regurgitation von Nahrung in den Hypopharynx oder das Steckenbleiben des Speisebolus. Die Diagnose basiert in der Regel auf der Röntgenkontrastdarstellung. Am besten gelingt die Diagnose mittels dynamischer Aufzeichnung des Schluckaktes im seitlichen Strahlengang. In der flexiblen Endoskopie wird das krikopharyngeale Web oft übersehen oder beim blinden Einführen des Endoskops in den proximalen Ösophagus bereits zerstört.
24.5.2
Ätiologie und Pathogenese der Webs sind nicht bekannt. In den Vereinigten Staaten, England und Skandinavien werden Webs v. a. bei Frauen des mittleren Lebensalters mit chronischer Eisenmangelanämie beschrieben. In Zentraleuropa findet sich bei den meisten Patienten mit Web keine Anämie. Zudem hängt die Häufigkeit der Diagnosestellung, wie bei den Ösophagusringen, von der Untersuchungstechnik und der Aufmerksamkeit des Radiologen ab. Bei entsprechender Technik finden sich webartige Strukturen bei mehr als 5% der asymptomatischen Bevölkerung. Pathologisch-anatomisch ist das Web von intaktem Epithel überzogen. Eine maligne Entartung von Webs ist beschrieben, scheint allerdings eine extreme Seltenheit zu sein.
Therapie Eine spezifische Therapie ist nur bei symptomatischen Patienten erforderlich. Die endoskopische Zerreißung des Web ist einfach und gefahrlos möglich und stellt damit die Therapie der Wahl dar. Die Behandlung einer gleichzeitig vorhandenen Anämie hat keinen Einfluss. Umstritten ist, ob nach der Behandlung eine radiologische und/oder endoskopische Kontrolle zur Früherfassung eines Rezidivs oder Karzinoms zu erfolgen hat.
Ösophageale Webs
Die irregulären Einengungen von Hypopharynx oder Ösophagus werden auch als »Spinnengeflecht« bezeichnet. Bei gleichzeitigem Vorliegen einer sideropenischen Anämie werden synonym die Begriffe Plummer-Vinson-Syndrom, Patterson-Kelly-Syndrom oder sideropenische Dysphagie verwendet. Das typische Web sitzt an der Ösophagusvorderwand direkt unterhalb der postkrikoidalen Impression, d. h. am Unterrand des oberen Ösophagussphinkters. Eine
24.5.3
Infektionen der Speiseröhre
Soorösophagitis Eine Schädigung der Speiseröhrenschleimhaut durch Candida albicans wird als Soorösophagitis bezeichnet und wie folgt klassifiziert: 4 Grad I: wenige weiße Plaques bis zu 2 mm Größe mit Hyperämie, aber ohne Ödeme und Ulzerationen
313 24.6 · Refluxkrankheit und Barrett-Ösophagus
4 Grad II: multiple weiße, mehr als 2 mm messende Plaques mit Hyperämie und Ödem, aber ohne Ulzerationen 4 Grad III: konfluierende Plaques mit Hyperämie, Ödem und Ulzerationen Die Soorösophagitis ist eine opportunistische Infektion. Eine gestörte, zellulär vermittelte Immunität scheint zur Kolonisation des Ösophagus mit Kandida zu prädisponieren, während eine Granulozytopenie für eine disseminierte Kandidiasis verantwortlich zu sein scheint. Odynophagie und Dysphagie sind die wesentlichen Symptome der Soorösophagitis. Entscheidend für die Diagnose sind Bürstenabstrich und Kandida-Agglutinationstiter. Biopsien sind häufig falsch-negativ, Kulturen des abgesaugten Speiseröhrensekrets falsch-positiv. Schwierig ist die endoskopische Unterscheidung von mit Soor durchwachsenen Speiseresten bei Patienten mit Motilitätsstörungen (z. B. Achalasie) und den Frühformen der Soorösophagitis, speziell dem Stadium I. Die Therapie der unkomplizierten Soorösophagitis erfolgt durch orale Gabe von Nystatin. In therapieresistenten Fällen und bei Patienten mit hohem Risiko für eine disseminierte Kandidiasis können auch andere Antimykotika (Ketoconazol oder Amphotericin B) indiziert sein (Walsh et al. 1988).
Virale Infektionen der Speiseröhre Virale Infektionen der Speiseröhre werden durch Zytomegalie- und Herpes-simplex-Viren verursacht. Prädisponiert hierfür sind vor allem AIDS-Patienten. Retrosternale Schmerzen und Odynophagie sind die wesentlichen Symptome. Spezifisch für HIV-infizierte Patienten sind idiopathische Ulzera im Ösophagus und Infektionen durch Pilze, Bakterien oder Parasiten. Bei diesen Patienten sind auch Infektion mit mehreren pathogenen Keimen nicht selten (Baer u. McDonald 1994). Endoskopische Biopsie und Bürstenabstrich gelten als Goldstandard für die Diagnosestellung. Nach Sicherung der Diagnose erfolgt die Therapie mit entsprechender antiviraler Medikation.
24.5.4
eine Auflösung von Tabletten oder Kapseln im Ösophagus bei zugrunde liegender Motilitätsstörung, Stenose oder falscher Einnahme (wie z. B. Tabletteneinnahme im Liegen, Tabletteneinnahme ohne reichlich Flüssigkeit). Heftige retrosternale Schmerzen und Dysphagie sind die wesentlichen Symptome. Eine Restitutio ad integrum ist zwar auch bei zirkulären Epitheldefekten möglich, häufig kommt es jedoch zur Ausbildung von Stenosen (Jaspersen 2000).
24.5.5
Literatur
Baehr PH, McDonald GB (1994) Esophageal infections: risk factors, presentation, diagnosis, and treatment. Gastroenterology 106: 509–532 Bonacini M, Laine LA (1998) Esophageal disease in patients with AIDS: diagnosis and treatment. Gastrointest Endosc Clin N Am 8:811– 823 Chotiprasidhi P, Minocha A (2000) Effectiveness of single dilation with Maloney dilator versus endoscopic rupture of Schatzki’s ring using biopsy forceps. Dig Dis Sci 45:281–284 DeVault KR (1996) Lower esophageal (Schatzki’s) ring: pathogenesis, diagnosis and therapy. Dig Dis 14:323–329 Hirano I, Gilliam J, Goyal RK (2000) Clinical and manometric features of the lower esophageal muscular ring. Am J Gastroenterol 95: 43–49 Jaspersen D (2000) Drug-induced esophageal disorders: pathogenesis, incidence, prevention and management. Drug Saf 22:237–249 Schatzki R, Gray JE (1956) The lower esophageal ring. Am J Roentgenol 75:246–250 Walsh TJ, Hamilton SR, Belitsos N (1988) Esophageal candidiasis. Managing an increasingly prevalent infection. Postgrad Med 84:193–196
24.6
Refluxkrankheit und BarrettÖsophagus
Die gastroösophageale Refluxkrankheit ist durch einen vermehrten Reflux von Mageninhalt in die Speiseröhre gekennzeichnet. Die typischen Symptomen sind Sodbrennen, Regurgitation und/oder retrosternale Schmerzen. Abzugrenzen ist die Refluxkrankheit vom sog. physiologischen Reflux, der bei praktisch jedem Menschen als kurzzeitige Refluxepisode vor allem nach voluminösen Mahlzeiten oder bei Alkoholexzessen auftritt. Die Refluxkrankheit ist damit allein durch das Ausmaß und die Dauer der Refluxepisoden, d. h. der ösophagealen Expositionszeit für Mageninhalt, definiert.
Arzneimittelulzera
Arzneimittelinduzierte Ulzera der Speiseröhre wurden für mehr als 100 Substanzklassen beschrieben. Von der Häufigkeit stehen vor allem orale Tetrazyklinpräparate, Clindamycin, Anticholinergika, Kaliumchlorid, Azetylsalizylsäure (Aspirin), Eisenpräparate, Steroide und nichtsteroidale Antiphlogistika im Vordergrund. Ursache für die Entstehung von Arzneimittelulzera in der Speiseröhre ist
24.6.1
Epidemiologie und natürlicher Verlauf
> In der westlichen Welt ist die gastroösophageale Refluxkrankheit die häufigste gutartige Erkrankung des oberen Gastrointestinaltraktes. Die Inzidenz ist steigend.
24
314
Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
24
a
b
c . Abb. 24.21a–c Typischer makroskopischer Aspekt eines Endobrachyösophagus oder »Long-segment«-Barrett-Ösophagus (a) und eines »Short-segment«-Barrett-Ösophagus (mit Gallereflux, b). Histo-
logischer Nachweis von Becherzellen (blau in der Alcain-Blaufärbung) in der Biopsie aus dem distalen Ösophagus als Beweis für das Vorliegen einer spezialisierten intestinalen Metaplasie (c)
In Deutschland leiden etwa 10–15% der Bevölkerung unter Refluxbeschwerden. Bei der überwiegenden Mehrzahl der betroffenen Patienten ist das Ausmaß der Erkrankung jedoch gering und führt nicht zum Arztbesuch. Bis zu 40% der Patienten, bei denen aufgrund von Refluxbeschwerden eine Endoskopie durchgeführt wird, haben jedoch eine erosive Ösophagitis. Langzeitstudien zum Spontanverlauf der Refluxkrankheit zeigen, dass bei etwa der Hälfte der Patienten die Refluxösophagitis ein einmaliges Ereignis im Leben ist. Bei der anderen Hälfte der Patienten verläuft die Refluxkrankheit rezidivierend und führt bei ca. 20% zu progredienten peptischen Schleimhautschäden im tubulären Ösophagus. Der Schweregrad der Ösophagitis zum Zeitpunkt der Erstdiagnose sowie eine eingeschränkte Barrierefunktion des unteren Ösophagussphinkters und eine Beimischung von Duodenalinhalt im gastroösophagealen Regurgitat stellen die wesentlichen Prädiktoren für einen rezidivierenden oder progredienten Verlauf der Refluxkrankheit dar (Stein et al. 1998).
Wenn sich im natürlichen Verlauf der Erkrankung Schleimhauterosionen zu Ulzera vertiefen, erfolgt in der Regel eine narbige Ausheilung. Bindegewebsnarben führen zur Wandstarre und Einengung des Lumens, d. h. zur peptischen Stenose. Seit Einführung der Protonenpumpenhemmer sind peptische Ösophagusstenosen eine Seltenheit geworden. Bei etwa 10% der Patienten mit erosiver Refluxösophagitis kommt es bei der Abheilung der Epitheldefekte zum Ersatz oder Umwandlung des zugrunde gegangenen Plattenepithels zu Zylinderepithel (Zylinderepithelmetaplasie). Die Zylinderepithelmetaplasie im distalen Ösophagus ist damit keine eigentliche Komplikation der Refluxkrankheit, sondern eine typische Form der Ausheilung von Epitheldefekten im Plattenepithel der Speiseröhre. Bedecken die Läsionen die gesamte Zirkumferenz des distalen Ösophagus über eine Länge von mindestens 3 cm, spricht man von einem Endobrachyösophagus (. Abb. 24.21a). Erstbeschreiber ist der französische Chirurg Lortat-Jacob (Lortat-Jacob 1957). Bezeichnet wird diese Veränderung
315 24.6 · Refluxkrankheit und Barrett-Ösophagus
heute jedoch weltweit als Barrett-Ösophagus, nach dem britischen Chirurgen Norman Rupert Barrett (Barrett 1957). Der klassische »Long-segment«-Barrett-Ösophagus (langstreckig, >3 cm) wird unterschieden vom »Short-segment«-Barrett-Ösophagus (kurze Segmente, <3 cm, Zylinderzellmetaplasie im distalen Ösophagus; . Abb. 24.21b). > Nach allgemeiner Übereinkunft gilt heute als wesentliches Kriterium für die Diagnose eines BarrettÖsophagus nur der bioptisch-histologische Nachweis einer Zylinderepithelmetaplasie vom spezialisierten intestinalen Typ mit Vorhandensein von Becherzellen im distalen Ösophagus (. Abb. 24.21c), unabhängig von der Länge des betroffenen Ösophagussegmentes (7 Übersicht; DeMeester 2000; Spechler 2005).
Abzugrenzen sind diese Veränderungen vom histologischen Nachweis einer intestinalen Metaplasie unmittelbar am oder unterhalb des ösophagogastralen Übergangs, die – im Gegensatz zum Barrett-Ösophagus – im Zusammenhang mit einer Helicobacter-pylori-assoziierten Gastritis entstehen können. Die Diagnose eines Barrett-Ösophagus kann damit erst in Zusammenschau des endoskopischen Befundes, der Lokalisation der entnommenen Biopsie und dem histologischen Nachweis einer spezialisierten intestinalen Metaplasie gestellt werden (7 Übersicht; Watson 2000). Definitionen 4 Physiologischer Reflux: kurze Refluxepisoden beim Gesunden, die vor allem postprandial auftreten 4 Refluxkrankheit: erhöhte ösophageale Exposition für Mageninhalt mit typischen (Sodbrennen, Regurgitation) oder atypischen (respiratorischen, pharyngealen) Symptomen 4 Refluxösophagitis: fakultative Folge der Refluxkrankheit mit Schleimhautläsionen im distalen Ösophagus 4 Peptische Stenose: narbige Einengung, in der Regel im Bereich der Schleimhautgrenze als Folge einer chronisch-rezidivierenden Refluxkrankheit 4 Endobrachyösophagus: historischer Begriff für Barrett-Ösophagus 4 Barrett-Ösophagus: Ersatz des Plattenepithels im distalen Ösophagus durch spezialisiertes intestinales Zylinderepithel (intestinale Metaplasie im distalen Ösophagus) 4 »Long-segment«-Barrett-Ösophagus: zirkulärer Ersatz des Plattenepithels im distalen Ösophagus 6
mit spezialisierter intestinaler Metaplasie über eine Länge von >3 cm 4 »Short-segment«-Barrett-Ösophagus: zungenförmige oder zirkuläre, endoskopisch gut sichtbare Ausläufer mit spezialisierter intestinaler Metaplasie im distalen Ösophagus über eine Länge von <3 cm 4 Intestinale Metaplasie der Kardia: histologisch nachweisbare spezialisierte intestinale Metaplasie unmittelbar im Bereich des ösophagogastralen Übergangs ohne makroskopisch-endoskopisches Korrelat 4 Barrett-Karzinom: Adenokarzinom im distalen Ösophagus, das auf dem Boden eines Barrett-Ösophagus, in der Regel als Folge einer langjährigen Refluxkrankheit, entstanden ist
Der Barrett-Ösophagus stellt den wichtigsten Risikofaktor für die Entwicklung eines Adenokarzinoms im distalen Ösophagus und damit eine Präkanzerose dar. Im Vergleich zur Normalbevölkerung ist das Risiko für die Entwicklung eines Adenokarzinoms im distalen Ösophagus bei Patienten mit bekanntem Barrett-Ösophagus, in Abhängigkeit von der Länge des betroffenen Segmentes, ca. 40- bis 200-fach erhöht (Stein et al. 1993; von Rahden et al., 2003). Das Adenokarzinom im distalen Ösophagus wird deshalb auch als BarrettKarzinom bezeichnet. Anhand epidemiologischer Daten kann davon ausgegangen werden, dass ca. 10% der Patienten mit rezidivierender Refluxösophagitis einen Barrett-Ösophagus entwickeln. Bei wiederum etwa 10% der Patienten mit Barrett-Ösophagus kommt es im Verlauf des Lebens, in der Regel über verschiedene Zwischenstufen der Dysplasie, zur Progression zum invasiven Barrett-Karzinoms (. Abb. 24.22). Es besteht damit ein direkter kausaler Zusammenhang zwischen der Refluxkrankheit und dem Adenokarzinom des distalen Ösophagus (Lagergreen et al. 1999).
24.6.2
Klassifikation
Endoskopisch wird die Refluxösophagitis durch das Aus-
maß der Epitheldefekte im tubulären Ösophagus klassifiziert. Am weitesten verbreitet ist die endoskopische Klassifikation nach Savary u. Miller (1977). Ihre klinische Relevanz ist jedoch umstritten, da in vielen Fällen des Stadiums IV dieser Klassifikation (d. h. Endobrachyösophagus) eine Rückbildung nicht möglich ist. Dieses Stadium stellt damit keine eigentliche Komplikation der Refluxkrankheit, sondern eine spezielle Form der Narbenbildung dar. Von Siewert und Ottenjahn wurde die Savary-Miller-Klassifikation dementsprechend modifiziert (. Tab. 24.1).
24
316
Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
24
. Abb. 24.22 Darstellung der Progression von der normalen Plattenepithelauskleidung des distalen Ösophagus zur intestinalen Metaplasie, Dysplasie und invasivem Adenokarzinom bei langjähriger, rezi-
. Tab. 24.1 Klassifikation der Refluxösophagitis in Anlehnung an Savary und Miller. (Mod. nach Siewert u. Ottenjahn) Stadium
Beschreibung
0
Normale Schleimhaut
I
Fleckförmige rote Läsionen
Ia
Ohne weißen Fibrinbelag
Ib
Zentral mit weißem Fibrinbelag
II
Streifenförmig rote Läsionen
IIa
Ohne weißen Fibrinbelag
IIb
Zentral mit weißem Fibrinbelag
III
Größere Läsionen als Stadium I oder II, Ausdehnung über die gesamte Zirkumferenz des Ösophagus (kein Endobrachyösophagus!)a
IV
Komplikationen der Refluxösophagitis, wie Stenose, Barrett-Ulkus etc.
a
Der Endobrachyösophagus wird gesondert registriert, weil er keine eigentliche Komplikation der Refluxösophagitis, sondern einen Folgezustand darstellt.
divierender Refluxkrankheit. Das geschätzte Risiko und mögliche Risikofaktoren sind dargestellt
Als Alternative wurde von Armstrong und Mitarbeitern (1991) ein Klassifikationsschema vorgeschlagen, das eine differenzierte Beurteilung des Schweregrads und Ausmaßes der Metaplasie (M), Ulzera (U), Stenose (S) und Epitheldefekte (E) ermöglicht. Dieses MUSE-Schema zur endoskopischen Klassifikation der Refluxösophagitis eignet sich vor allem zur Verlaufsbeobachtung und Therapiekontrolle und kommt deshalb bei wissenschaftlichen Fragestellungen zur Anwendung. Eine vereinfachte Form der endoskopischen Graduierung der Refluxösophagitis stellt die sog. Los-Angeles-Klassifikation dar (. Tab. 24.2), die zunehmend Eingang in die klinische Routine findet (Lundell et al. 1999). Endoskopisch findet sich jedoch bei mehr als der Hälfte der Patienten mit typischen Refluxsymptomen und positiver pH-Metrie keine Ösophagitis. Bei diesen Patienten spricht man von einer Refluxkrankheit Stadium 0 oder besser von einer Endoskopie-negativen Refluxkrankheit. Aus funktioneller Sicht erfolgt die Beurteilung des Schweregrades der Refluxkrankheit anhand des Ausmaßes der Säureexposition des distalen Ösophagus in der ambulanten 24-Stunden-pH-Metrie (. Abb. 24.23). Die Quantifizierung der Säureexposition erfolgt durch Kalkulation der Expositionszeit für pH<4 in Prozent der Gesamtmesszeit oder als Composite-Score (sog. Johnson-DeMeesterScore), der die in folgender Übersicht gezeigten Messpara-
317 24.6 · Refluxkrankheit und Barrett-Ösophagus
a
b
c . Abb. 24.23a–c Repräsentative 24-Stunden-Ösophagus-pH-Metrie-Kurven. a Normaler, beschwerdefreier Proband. Einzelne Refluxepisoden von kurzer Dauer vor allem postprandial (P). Gesamtzeit mit pH<4: 3,7%; DeMeester-Score: 12,4. b Symptomatischer Patient mit täglichem Sodbrennen. pH-metrisch sog. »Wachrefluxer« mit vermehrt saurem Reflux während der Wachphase, aber nicht während
der Nacht (S). Gesamtzeit mit pH<4: 8,9%; DeMeester-Score: 24,3. c Symptomatischer Patient mit Sodbrennen und Regurgitation. pH-metrisch sog. »kombinierter Refluxer« mit vermehrt saurem Reflux während der Wach- und Schlafphase. Gesamtzeit mit pH<4: 23,0%; DeMeester-Score: 68,2
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318
Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
24.6.3 . Tab. 24.2 Los-Angeles-Klassifikation der Refluxösophagitis. (Nach Lundell et al. 1999)
24
Grad
Beschreibung
A
Eine (oder mehrere) Mukosaläsionen, kürzer als 5 mm, keine Ausdehnung zwischen benachbarten Mukosafalten
B
Eine (oder mehrere) Mukosaläsionen, länger als 5 mm, keine Ausdehnung zwischen benachbarten Mukosafalten
C
Eine (oder mehrere) Mukosaläsionen, die sich zwischen 2 oder mehr benachbarten Mukosafalten erstrecken, aber weniger als 75% der ösophagealen Zirkumferenz involvieren
D
Eine (oder mehrere) Mukosaläsionen, die mindestens 75% der ösophagealen Zirkumferenz involvieren
meter berücksichtigt (Johnson u. DeMeester 1986). Eine Expositionszeit für pH<4 über mehr als 4,5% der Gesamtmesszeit oder ein Johnson-DeMeester-Score von größer als 14,8 gelten als abnormal. Die häufig getroffene Unterscheidung zwischen Tag-, Nacht- und kombinierten Refluxen anhand des 24-Stunden-pH-Profiles im distalen Ösophagus ist klinisch von geringer Relevanz. Trotz einer insgesamt guten Korrelation der 24-Stunden-pH-Metrie mit dem Schweregrad der Symptome oder Ösophagitis besteht gelegentlich eine deutliche Diskrepanz zwischen funktionellen und morphologischen Befunden und den Symptomen des Patienten. Dies wird auf die fehlende Erfassbarkeit des sog. »alkalischen« oder besser »nicht-sauren« oder »biliären« Refluxes in der 24-Stunden-pH-Metrie zurückgeführt. Parameter der 24-Stunden-Ösophagus-pH-Metrie, die in den Composite-Johnson-DeMeester-Score eingehen 4 % Gesamtmesszeit mit pH<4 4 % Messzeit während der Wachphase (»upright«) mit pH<4 4 % Messzeit während der Schlafphase (»supine«) mit pH<4 4 Gesamtzahl der Refluxepisoden während der Messzeit 4 Gesamtzahl der Refluxepisoden mit einer Dauer >5 min 4 Dauer der längsten Refluxepisode
Pathogenese
Refluxkrankheit Die Refluxkrankheit tritt entweder primär als eigenständiges Krankheitsbild oder sekundär als Folge einer organischen Erkrankung oder iatrogenen Schädigung von Speiseröhre und/oder Magen auf. Ursache ist immer eine Störung des Antirefluxmechanismus. Der untere Ösophagussphinkter, die Selbstreinigungsfunktion der tubulären Speiseröhre, die gastroduodenale Funktion und protektive Mechanismen der Ösophagusschleimhaut stellen die wesentlichen Komponenten des Antirefluxmechanismus beim Menschen dar. Die normale Barrierefunktion des unteren Ösophagussphinkters verhindert einen vermehrten Reflux von Mageninhalt, die geregelte Pumpfunktion der tubulären Speiseröhre sorgt für eine Selbstreinigung der Speiseröhre; eine zeitgerechte Entleerung des Magens sowie die regelrechte Funktion des sog. antropyloroduodenalen Komplexes sorgen für einen Transport des Mageninhalts nach aboral und verhindern Reflux von Duodenalinhalt. Die sekretorische Funktion des Magens, die Magenentleerungscharakteristika und die protektive Funktion des antropyloroduodenalen Komplexes gegen Reflux von Duodenalinhalt bestimmen die Zusammensetzung des gastroösophagealen Regurgitates (Stein 1998). Primäre Refluxkrankheit Eine gestörte Barrierefunktion des unteren Ösophagussphinkters spielt in der Pathogenese der primären Refluxkrankheit die zentrale Rolle. Zwei Mechanismen kommen hierbei zum Tragen: 4 Eine unzeitgemäße Erschlaffung des unteren Ösophagussphinkters: Der Sphinkter erschlafft zu einem Zeitpunkt außerhalb eines Schluckaktes und lässt zu diesem Zeitpunkt Reflux von Mageninhalt in die Speiseröhre zu. Diese sog. »transient sphincter relaxations« sind die wesentliche Ursache der physiologischen Refluxepisoden, die bei jedem Menschen vor allem postprandial auftreten. Nach neueren Untersuchungen werden sie über Dehnungsrezeptoren im Magenfundus getriggert. 4 Ein verminderter Ruhedruck oder eine zu kurze Länge des unteren Ösophagussphinkters im Ruhezustand: Bei dieser Situation übersteigt der intragastrale Druck den myogenen Sphinkterdruck und es kommt zum Reflux. Dieser Mechanismus stellt die häufigste Ursache der schweren primären Refluxkrankheit dar. Die Ursache der gestörten Sphinkterfunktion ist unklar. Anhand von Tierexperimenten wurde der in . Abb. 24.24 gezeigte Circulus vitiosus postuliert. Beim Menschen liegen bislang jedoch keine Anhaltspunkte für eine Restitution der Sphinkterfunktion nach Abheilen einer Ösophagitis vor. Ein
319 24.6 · Refluxkrankheit und Barrett-Ösophagus
Durch den intragastralen Überdruck kommt es hier zu einer chronischen Magendilatation mit Verkürzung des unteren Ösophagussphinkters und Aufhebung seiner Barrierefunktion. Andere mögliche Ursachen einer sekundären Refluxkrankheit sind die Zerstörung des unteren Ösophagussphinkters durch operative Eingriffe (Myotomie, Kardiaresektion) oder der bindegewebige Umbau der Muskulatur des tubulären Ösophagus und des unteren Ösophagussphinkters mit konsekutivem Funktionsverlust, wie z. B. bei der Sklerodermie.
Refluxösophagitis
. Abb. 24.24 Circulus vitiosus der Refluxkrankheit
weiterer Mechanismus, die hormonelle Fehlsteuerung des Sphinkters, etwa durch verminderte Ausschüttung von Gastrin aus dem Antrum, ist rein hypothetisch. Eine rezidivierende Überfüllung und Dehnung der proximalen Magenanteile, als Folge der Ernährungsgewohnheiten der Menschen in der westlichen Welt, mit konsekutiver Aufweitung des Durchmessers der Kardia und Verlust der Barrierefunktion wird in den letzten Jahren zunehmend als Mechanismus der gestörten Sphinkterfunktion diskutiert (Kahrilas et al. 2000). Bei einem geringen Prozentsatz der Patienten scheinen genetische Faktoren ebenfalls eine Rolle zu spielen. Ein Fehlen der Verankerung des distalen Ösophagus im Abdomen mit konsekutiver Störung der Selbstreinigungsfunktion der tubulären Speiseröhre und ein Fehlen der sog. »Zwerchfellzwinge« stellen die möglichen Ursachen eines vermehrten gastroösophagealen Refluxes bei Patienten mit axialer Hiatushernie dar. Allerdings bestehen bei der überwiegenden Mehrzahl aller Patienten mit axialer Hiatushernie keine Refluxsymptome und keine Ösophagitis. Reflux und Refluxösophagitis können zudem selten auch ohne axiale Hiatushernie auftreten. Insgesamt kommt der axialen Hiatushernie damit keine direkte kausale Bedeutung bei der Entwicklung der primären Refluxkrankheit zu, bei gleichzeitig vorliegender Insuffizienz des unteren Ösophagussphinkters kann eine axiale Hiatushernie den Verlauf einer Refluxkrankheit jedoch ungünstig beeinflussen. Sekundäre Refluxkrankheit Unter sekundärem Reflux ver-
steht man einen Reflux, der als Folge einer organischen Erkrankung von Kardia, Speiseröhre und/oder Magen bzw. nach Eingriffen an diesen Organen entsteht. Als typisches Beispiel kann die Pylorus- oder Duodenalstenose gelten.
Die Refluxösophagitis ist eine fakultative Folge eines vermehrten Refluxes von Mageninhalt in die Speiseröhre. Ausmaß und Schweregrad der Refluxösophagitis hängen ab von der Kontaktzeit zwischen Regurgitat und Ösophagusschleimhaut (Quantität des Refluxes), von der Zusammensetzung des Regurgitates (Qualität des Refluxes) sowie von defensiven Faktoren der Ösophagusschleimhaut (. Abb. 24.25; Stein u. DeMeester 1992). Die Kontaktzeit zwischen Regurgitat und Ösophagusschleimhaut (Quantität des Refluxes) wird vor allem von der Selbstreinigungsfunktion (Clearance-Funktion) der Speiseröhre bestimmt. Eine gestörte Selbstreinigungsfunktion führt zu einer verlängerten ösophagealen Expositionszeit für regurgitierten Mageninhalt. Folgende 4 Faktoren beeinflussen die Selbstreinigungsfunktion der tubulären Speiseröhre: 4 Propulsive Pumpfunktion der ösophagealen Peristalsis 4 Schwerkraft 4 Speichelsekretion 4 Verankerung des distalen Ösophagus im Abdomen Eine effektive und koordinierte Pumpaktion der Muskulatur des tubulären Speiseröhre spielt die wesentliche Rolle für den Transport eines Speisebolus und die Clearance von Refluxepisoden über das physiologische Druckgefälle von etwa –6 mmHg im distalen Ösophagus auf etwa +6 mmHg im Magen. Eine gestörte Peristalsis findet sich häufig bei Patienten mit Diabetes und anderen Systemerkrankungen. Jedoch kommt es auch bei Patienten mit primärem Defekt des unteren Ösophagussphinkters als Folge eines persistierenden Refluxes mit rezidivierender Ösophagitis sekundär zu einer Dysfunktion der tubulären Speiseröhre. Hierdurch wird ein Circulus vitiosus mit Verlängerung der Kontaktzeit für refluierten Mageninhalt, Fortschreiten der Ösophagitis und weiterem Verlust der Selbstreinigungsfunktion des Ösophagus initiiert (. Abb. 24.24). Die Zusammensetzung des Regurgitats (Qualität des Refluxes) stellt den zweiten wesentlichen Faktor für die Entstehung einer Ösophagitis dar. Magensäure allein ist zwar in der Lage, eine Ösophagitis auszulösen, der Prozess wird aber bei gleichzeitiger Anwesenheit von Pepsin be-
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Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
24
. Abb. 24.25 Schematische Darstellung des Zusammenspiels aggressiver und defensiver Faktoren bei der Pathogenese der Refluxösophagitis
schleunigt. Eine besondere Bedeutung kommt offenbar auch den Gallensäuren zu. Die korrosive Wirkung eines Salzsäure-Pepsin-Gemisches wird durch den Zusatz von Gallensäuren verstärkt. Refluxbeschwerden und Ösophagitis können auch bei Achlorhydrie oder Zustand nach Gastrektomie als reine Folge eines duodenoösophagealen Refluxes auftreten (. Abb. 24.25). Die defensiven Faktoren der Ösophagusschleimhaut sind bislang wenig erforscht. Die häufigen Spontanremissionen einer Refluxösophagitis trotz persistierendem Reflux legen jedoch eine wichtige Rolle defensiver Faktoren nahe. Schleimproduktion sowie Bikarbonatsekretion der Ösophagusmukosa und verschiedene Wachstumsfaktoren werden hierfür verantwortlich gemacht. Neuere Untersuchungen zeigen auch einen protektiven Effekt einer Helicobacterpylori-Besiedlung des Magens. Die genauen Mechanismen dieser Schutzwirkung sind bislang nicht eindeutig geklärt.
Barrett-Ösophagus Zur Pathogenese des Barrett-Ösophagus hat sich heute weitgehend die Theorie einer erworbenen Epithelveränderung durchgesetzt. So kann im Tierexperiment nach Induktion eines gastroösophagealen Refluxes durch Zerstörung des unteren Ösophagussphinkters und kontinuierliche Stimulation der Säuresekretion eine Zylinderepithelmetaplasie im distalen Ösophagus induziert werden. Auch klinisch und funktionsdiagnostisch liegt bei praktisch allen Patienten mit Barrett-Ösophagus eine langjährige Refluxanamnese mit besonders schwerer Störung des Antirefluxmechanismus (fehlende Barrierefunktion des unteren Ösophagussphinkters, unzureichende Selbstreinigungs-
funktion der tubulären Speiseröhre) in Kombination mit einem ausgeprägten duodenogastroösophagealen Reflux vor (Kauer 2005; Stein et al. 1993, 1998). In histologischen Untersuchungen der Barrett-Mukosa findet sich in der Regel spezialisiertes Zylinderepithel vom intestinalen Typ mit villiformer Oberfläche, Schleimdrüsen und Becherzellen. Gelegentlich findet sich jedoch auch atrophisches Magenfundusepithel mit Haupt- und Parietalzellen oder Zylinderepithel vom Kardiatyp mit kardialen Schleimdrüsen. Bei einigen Patienten lassen sich diese 3 Zylinderepitheltypen in der Barrett-Mukosa nebeneinander nachweisen, wobei dann das spezialisierte Epithel in der Regel am weitesten oral, das fundusähnliche Epithel am weitesten aboral, und das Epithel vom Kardiatyp zwischen den beiden anderen Epithelarten angesiedelt ist. Diese heterogene Natur des Zylinderepithels im distalen Ösophagus schließt ein einfaches Hochwachsen von Magenmukosa in den distalen Ösophagus als histogenetischen Ursprung des Zylinderepithels im distalen Ösophagus aus. Eine Entwicklung aus pluripotenten Stammzellen, die in der Basalmembran der ösophagealen Mukosa angesiedelt sind und durch den Reiz einer chronischen Entzündung in Zylinderepithel umgewandelt werden, stellt somit die derzeit plausibelste Erklärung für den histogenetischen Ursprung der Barrett-Mukosa dar. Damit ist der Barrett-Ösophagus als eine spezielle Form der Schleimhautreaktion im Rahmen der Refluxösophagitis und somit als Zylinderzellnarbe anzusehen.
Peptische Stenose Für die Entwicklung einer peptischen Ösophagusstenose im Rahmen einer Refluxösophagitis bedarf es zusätzlicher
321 24.6 · Refluxkrankheit und Barrett-Ösophagus
prädisponierender Faktoren. Hier ist in erster Linie der Barrett-Ösophagus zu nennen. Peptische Stenosen entstehen meistens unmittelbar im und oberhalb des Übergangs vom Plattenepithel zum Zylinderepithel (Z-Linie). Beim Barrett-Ösophagus ist dieser Epithelübergang in den tubulären Ösophagus verschoben. Die Stenose beim Endobrachyösophagus ist deshalb deutlich oberhalb der anatomischen Kardia lokalisiert (hochsitzende Stenose). Relativ häufig entstehen peptische Stenosen bei der sekundären Refluxkrankheit, d. h. bei Magenausgangsstenose, Duodenalstenose, nach ausgedehnter Magenresektion, langfristiger Magensondierung, operativen Eingriffen am gastroösophagealen Verschlussmechanismus, bei Sklerodermie oder auch beim Zollinger-Ellison-Syndrom. Im Zusammenhang mit diesen Grundkrankheiten kann sich eine peptische Stenose auch ohne Barrett-Ösophagus entwickeln. Auch hier entsteht die Stenose unmittelbar im und oberhalb des Überganges von Plattenepithel zum Zylinderepithel. Da der Schleimhautübergang im Bereich der Kardia lokalisiert ist, entwickelt sich die Stenose am unteren Ende der Speiseröhre (terminale Stenose).
24.6.4
Klinisches Bild
> Sodbrennen, Regurgitation und retrosternale Schmerzen gelten als die typischen Symptome der Refluxkrankheit.
Sodbrennen und Regurgitation können durch Bücken, Liegen, Nahrungsaufnahme, Alkoholkonsum und Rauchen, seltener durch physische oder psychische Belastung, aber auch durch Medikamente wie Anticholinergika, Koronardilatanzien und zyklische Antidepressiva ausgelöst und verstärkt werden. Epigastrischer Schmerz und Schluckbeschwerden (Dysphagie oder Odynophagie) sind ebenfalls häufige Symptome einer Refluxkrankheit. Eine Refluxkrankheit kann sich jedoch auch durch atypische Symptome wie chronischer Husten, Räusperzwang, Globusgefühl und Heiserkeit oder rezidivierende Pneumonien manifestieren. Bei einigen Patienten findet sich auch ein quälender Schluckauf als einziges Symptom der Refluxkrankheit. Nach Ausschluss anderer Ursachen sollten diese Symptome ebenfalls an eine zugrunde liegende Refluxkrankheit denken lassen. Die Diagnose einer Refluxkrankheit nur aufgrund typischer Symptome ist nicht zuverlässig möglich. Die typischen Symptome »Sodbrennen« und »Regurgitation« können auch bei einer Vielzahl anderer ösophagealer und extraösophagealer Erkrankungen auftreten. So werden Sodbrennen und Regurgitation auch bei Patienten mit primären Ösophagusmotilitätsstörungen, Ulkuskrankeit oder Cholezystolithiasis angegeben.
Patienten mit Barrett-Ösophagus haben, trotz einer objektiv messbaren deutlich höheren ösophagealen Säureund Galleexposition, häufig weniger Beschwerden als Patienten mit Refluxösophagitis. Dies wird auf die Säureresistenz und geringere Schmerzsensitivität des Zylinderepithels im distalen Ösophagus zurückgeführt. Typischerweise geben Patienten mit Barrett-Karzinom anamnestisch jahrezehntelange Refluxbeschwerden und ein plötzliches Nachlassen oder komplettes Verschwinden dieser Beschwerden einige Jahre vor Diagnose des Karzinoms an. Die Diagnose eines Barrett-Ösophagus erfolgt dementsprechend häufig nur als Zufallsbefund oder wenn aufgrund einer neu aufgetretenen Dysphagie eine Endoskopie durchgeführt wird.
24.6.5
Diagnostik
Die rationelle Therapie der Refluxkrankheit setzt eine objektive Diagnose der Erkrankung und der ihr zugrunde liegenden Ursache voraus. In den letzten Jahren wurde eine Vielzahl diagnostischer Methoden zur Abklärung der Refluxkrankheit evaluiert. Diese Tests können grob in Tests zum Nachweis der Refluxkrankheit und ihrer Komplikationen sowie in Tests zur Abklärung der Ursache des vermehrten Refluxes unterteilt werden (7 Übersicht). Diese diagnostischen Methoden variieren in ihrer Invasivität, Sensitivität und Spezifität (Fuchs et al. 1997). Diagnostische Tests zur Abklärung der gastroösophagealen Refluxkrankheit 4 Klinische Tests zum Nachweis von vermehrtem gastroösophagealem Reflux – Endoskopie und Biopsie – Kontraströntgenographie – 24-Stunden-Ösophagus-pH-Metrie – 24-Stunden-Ösophagus-Bilitec-Messung – Impedanzmesung – Protonenpumpeninhibitorentest (PPI-Test) – Gastroösophageale Szintigraphie 4 Klinische Tests zur Abklärung der Ursache von vermehrtem gastroösophagealem Reflux – Ösophagusmanometrie – Magenentleerungsszintigraphie – Kontraströntgenographie – Magensaftanalyse – 24-Stunden-Magen-pH-Metrie
Endoskopie mit Biopsie Diese Methode erlaubt als einzige den direkten Nachweis von Komplikationen der Refluxkrankheit (d. h. Ösophagitis, Stenose oder Ulkus) oder
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Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
eines Barrett-Ösophagus. Jedoch ist nicht jeder endoskopische Nachweis einer Ösophagitis mit der Diagnose einer Refluxkrankheit gleichzusetzen. Eine Ösophagitis kann auch durch Medikamente, Pilzbefall, eine Virusinfektion oder Stase verursacht werden. Beim Fehlen von Erosionen, Ulzera, Stenosen oder einer Barrett-Metaplasie ist die endoskopische Diagnose einer Refluxkrankheit nicht möglich. Dies ist bei ca. 50% aller Patienten mit pH-metrisch nachgewiesener Refluxkrankheit der Fall. Eine Rötung, ödematöse Verquellung oder Kontaktvulnerabilität der Mukosa kann bei diesen Patienten auf eine zugrunde liegende Refluxkrankheit hinweisen; diese Veränderungen sind jedoch wenig spezifisch. Histologie Bioptisch-histologisch lassen eine Infiltration
polymorphkerniger Leukozyten und der Nachweis von Lymphozyten, Eosinophilen und sog. Ballonzellen auf eine Refluxkrankheit schließen. Eine relative Verbreiterung der Basalzellzone und eine Verlängerung der Stromapapillen auf über 2/3 der Gesamtepitheldicke gelten als weiterer histologischer Hinweis auf eine Ösophagitis. Diese histologischen Veränderungen können jedoch allenfalls den Verdacht auf eine Mukosaschädigung durch gastroösophagealen Reflux bekräftigen, haben für sich betrachtet jedoch eine geringe Sensitivität und Spezifität für die Diagnose der Refluxkrankheit. Kontraströntgenographie Die Wertigkeit der Kontraströnt-
genographie zum Nachweis einer Refluxkrankheit variiert in Abhängigkeit von der Untersuchungsmethode. Ein spontaner gastroösophagealer Reflux kann radiologisch nur bei ca. 40% der Patienten mit pH-metrisch dokumentierter Refluxkrankheit nachgewiesen werden. Im Gegensatz dazu kann bei der überwiegenden Mehrzahl der Patienten mit spontanem Reflux während der Röntgenographie die Diagnose der Refluxkrankheit mittels 24-Stunden-pH-Metrie bestätigt werden. Die radiologische Beobachtung eines Spontanrefluxes besitzt eine hohe Spezifität für die Diagnose der Refluxkrankheit. Das Ausbleiben eines Spontanrefluxes während der radiologischen Untersuchung schließt jedoch eine Refluxkrankheit keineswegs aus. Im Vergleich zur Endoskopie ist die radiologische Kontrastdarstellung der Speiseröhre und des gastroösophagealen Übergangs zur Abklärung der topographischen Verhältnisse überlegen. Die Kontraströntgenographie ist somit die Methode der ersten Wahl zur Untersuchung von Patienten mit persistierenden oder neu aufgetreten Problemen nach einer Antirefluxoperation. Auch lassen sich axiale und paraösophageale Hernien am besten radiologisch darstellen.
fluxes (. Abb. 24.23). Die Untersuchung erfolgt mit einer 5 cm oberhalb des unteren Ösophagussphinkters platzierten pH-Elektrode, die mit einem tragbaren Datenrekorder verbunden ist. Die intraösophageale Langzeit-pH-Messung ermöglicht eine Quantifizierung der ösophagealen Säureexpositionszeit sowie eine Analyse der Selbstreinigungsfähigkeit (»Clearance-Aktivität«) der tubulären Speiseröhre und erlaubt eine direkte Korrelation von spontan auftretenden Symptomen mit Refluxepisoden. Basierend auf ausgedehnten Validierungstudien und breiter klinischer Erfahrung hat sich die 24-Stunden-Ösophagus-pH-Metrie heute als »Goldstandard« für die Diagnose eines vermehrten Säurerefluxes in die Speiseröhre, die Dokumentation des Therapieerfolgs nach einer Antirefluxoperation und Titrierung einer säuresuppressiven Therapie etabliert. Bei Patienten mit chronischem Husten, Heiserkeit oder Aspiration kann die zusätzliche Platzierung einer pH-Elektrode im proximalen Ösophagus oder Pharynx hilfreich sein. Nicht selten kann mit dieser proximal platzierten Elektrode ein Säurereflux bis in den Pharynx als Ursache der Beschwerden des Patienten dokumentiert werden (Jacob et al. 1991). Bilitec-Messung Im Gegensatz zur Messung des sauren Re-
fluxes ist die Erfassung des sog. »alkalischen« oder besser nicht-sauren Refluxes mittels pH-Metrie nicht zuverlässig möglich. Reflux von Galle kann zuverlässig mittels der Bilitec-Messung nachgewiesen werden. Es handelt sich hierbei um die fiberoptische Messung von Bilirubin mittels einer Glasfaserelektrode, die 5 cm oberhalb des unteren Ösophagussphinkters platziert wird und mit einem tragbaren Photospektrometer verbunden ist. Die BilirubinExtinktion wird hierbei als Marker für eine gallige Komponente im Refluat verwendet. Limitationen der Methodik sind falsch-positive Ergebnisse durch Nahrungsmittel oder Getränke mit einem dem Bilirubin ähnlichem Absorptionsverhalten, vor allem bei gestörter Clearance-Funktion des Ösophagus (z. B. bei peptischen Stenosen). Die kombinierte Ösophagus-pH-Metrie- und BilitecMessung stellt heute den Standard für die simultane Evaluation das sauren und biliären Refluxes im Rahmen von Studien dar (. Abb. 24.26). Da ein Reflux von Galle bei intaktem und säuresezernierendem Magen in der Regel nur in Kombination mit Säurereflux auftritt, liegt eine klinische Indikation zur Durchführung einer Bilitec-Messung nur bei Patienten mit Achlorhydrie oder Voroperationen am Magen vor. In den letzten Jahren wird Objektivierung eines nichtsauren Refluxes auch zunehmend die Impedanzmessung eingesetzt. Größere klinische Erfahrungen mit dieser neuen Methode liegen allerdings noch nicht vor.
24-Stunden-pH-Metrie Die 24-Stunden-pH-Metrie der
distalen Speiseröhre ist die direkteste Methode zur objektiven Messung des sauren gastroösophagealen Säurere-
PPI-Test Die Gabe eines Protonenpumpeninhibitors (PPI)
führt bei Patienten mit Refluxkrankheit in der Regel rasch
323 24.6 · Refluxkrankheit und Barrett-Ösophagus
. Abb. 24.26 Kombinierte ambulante 24-Stunden-Ösophagus-pHund Bilitec-Messung mit vermehrtem Säurereflux während der gesamten Messphase (obere Kurve, pH) und Nachweis von vermehrt
galligem Reflux in der simultan durchgeführten Bilitec-Messung (untere Kurve, Bili)
zum Verschwinden der Symptome. Das symptomatische Ansprechen auf einen kurzen Therapieversuch mit hochdosierten Protonenpumpenhemmern gilt als einfacher und kostengünstiger empirischer Test zum Nachweis einer Refluxkrankheit (PPI-Test). Die Sensitivität des PPI-Tests ist hoch, bei allerdings geringer Spezifität, da auch andere Erkrankungen aus dem peptischen Formenkreis auf Protonenpumpenhemmer ansprechen.
metrie der tubulären Speiseröhre evaluiert werden. Die
Manometrie der tubulären Speiseröhre ist insbesondere vor einer geplanten Antirefluxoperation zum Ausschluss einer zugrunde liegenden primären ösophagealen Funktionsstörung, wie Achalasie oder diffuser Ösophagospasmus, wichtig, um schlechte Ergebnisse durch falsche Indikationsstellung zu vermeiden. Magenentleerungsszintigraphie Eine gestörte Magenent-
Manometrie Die Barrierefunktion des unteren Ösophagus-
sphinkters lässt sich durch manometrische Messung des Ruhedrucks und Bestimmung der Gesamtlänge und der intraabdominellen Länge der Hochdruckzone am gastroösophagealen Übergang quantifizieren. Die manometrische Bestimmung des dreidimensionalen Sphinkter-VektorDruck-Volumens erlaubt eine integrierte Erfassung dieser Parameter. Es ist allerdings umstritten, ob durch Druckmessungen im unteren Ösophagussphinkter die Indikationsstellung zur chirurgischen Therapie verbessert werden kann. Die propulsive Kraft der Speiseröhre kann am besten mittels Standard- oder ambulanter 24-Stunden-Mano-
leerung besteht bei bis zu 50% der Patienten mit Refluxkrankheit. Die objektive Messung der Magenentleerung erfolgt am besten mittels Magenentleerungsszintigraphie. Eine generelle Abklärung der Magenentleerung bei Patienten mit primärer Refluxkrankheit ist allerdings nicht erforderlich. Bei Verdacht auf sekundäre Refluxkrankheit sollte nach Ausschluss einer mechanischen Magenausgangs- oder Duodenalstenose aber eine objektive Quantifizierung der Magenentleerungsfunktion erfolgen. Magensaftanalyse Alleinige Hypersekretion von Magen-
säure ist eine seltene, aber gut therapierbare Ursache der
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Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
Refluxkrankheit. Der Sekretionsstatus wird in der Regel mittels Magensaftanalyse bestimmt. Hierzu wird über eine Magensonde die im Verlauf einer Stunde ohne Stimulation produzierte Magensäure kontinuierlich abgesaugt und titriert (basale Magensaftsekretion). Zur Bestimmung der maximalen Säuresekretionskapazität wird Pentagastrin appliziert und die sezernierte Magensäure erneut titriert. Nach Einführung der ambulanten 24-StundenMagen-pH-Metrie hat die Magensaftanalyse zur Bestimmung des Säuresekretionsstatus jedoch an Bedeutung verloren.
Rationelle Diagnostik der Refluxkrankheit Bei Bestehen von typischen Refluxsymptomen ist zunächst ein zeitlich limitierter probatorischer Therapieversuch mit hochdosierten säuresuppressiven Medikamenten ohne weitere diagnostische Maßnahmen gerechtfertigt. Persistieren die Symptome unter Medikation oder treten sie bald nach Absetzen der Medikamente wieder auf, sollte eine objektive Diagnostik angestrebt werden. Bei Patienten mit atypischen Symptomen ist nach Ausschluss extraösophagealer Ursachen der Beschwerden ebenfalls eine objektive Dokumentation oder Ausschluss einer zugrunde liegenden Refluxkrankheit unerlässlich. Das eigene diagnostische Vorgehen ist in . Abb. 24.27 als Flussdiagramm dargestellt (Stein 1997). Am Beginn der Diagnostik steht immer die Endoskopie. Sie dient der Diagnose einer Ösophagitis. Eine Biopsie aller suspekten Schleimhautbezirke ist dabei unerlässlich zum Ausschluss oder Nachweis einer intestinalen Zylinderepithelmetaplasie im Ösophagus (d. h. eines Barrett-Ösophagus). Lässt sich bei dieser Untersuchung eine Ösophagitis oder ein Barrett-Ösophagus nachweisen, kann mit hoher Sicherheit von einer zugrunde liegenden Refluxkrankheit ausgegangen werden. Erscheint die Ösophagusschleimhaut endoskopisch unauffällig, muss zur Diagnose oder zum Ausschluss einer Refluxkrankheit Grad 0 oder »Endoskopie-negativen Refluxkrankheit« eine 24-Stunden-pH-Metrie der Speiseröhre erfolgen. Eine Objektivierung der Refluxkrankheit durch pH-Metrie ist auch dann indiziert, wenn bei einem Patienten mit rezidivierenden oder persistierenden Refluxbeschwerden oder Ösophagitis trotz adäquater medikamentöser Therapie eine Antirefluxoperation erwogen wird. Vor Durchführung einer Antirefluxoperation sollte bei diesen Patienten auch eine Manometrie des Ösophagus zum Ausschluss einer zugrunde liegenden primären Motilitätsstörung des Ösophagus (wie z. B. Achalasie oder diffuser Ösophagospasmus) erfolgen. Zusätzlich lässt sich hierdurch in der Regel auch eine gestörte Barrierefunktion des unteren Ösophagussphinkters nachweisen. Die ambulante 24-Stunden-Bilirubin-Messung der Speiseröhre ermöglicht den Nachweis einer biliären Komponente im gastroösophagealen Regurgitat und
. Abb. 24.27 Algorithmus zum rationellen diagnostischen Vorgehen bei der Refluxkrankheit
kann dadurch die Indikation zum chirurgischen Vorgehen verstärken. Die röntgenologische Diagnostik der Refluxkrankheit ist unzuverlässig.
Diagnostisches Vorgehen beim Barrett-Ösophagus Die Diagnose eines Barrett-Ösophagus ist nur in Zusammenschau des endoskopischen Befundes und der histologischen Aufarbeitung der Biopsien möglich. > Aufgrund des Karzinomrisikos, der Chance für die Entdeckung von Karzinomvorstufen (Dysplasien) und der Konsequenzen im Hinblick auf therapeutische Intervention, Prävention und endoskopische Überwachungsstrategien sollte jede auffällige Läsion ausgiebig biopsiert werden.
Endoskopische Färbemethoden (z. B. mit Methylenblau) können hier hilfreich sein. Die genaue Angabe der Lokalisation der Biopsie ist wichtig zur Beurteilung des Karzinomrisikos. Entsprechend dem derzeitigen Wissenstand besteht ein deutlich erhöhtes Karzinomrisiko nur bei Nachweis einer spezialisierten intestinalen Metaplasie im Ösophagus (Barrett-Ösophagus), nicht jedoch bei Nachweis einer intestinalen Metaplasie unmittelbar im Bereich
325 24.6 · Refluxkrankheit und Barrett-Ösophagus
des ösophagogastralen Übergangs (intestinale Metaplasie der Kardia). Bei Nachweis eines Barrett-Ösophagus ohne Dysplasien in multiplen Biopsien wird derzeit, unabhängig von der Therapie der zugrunde liegenden Refluxkrankheit, eine endoskopisch bioptische Überwachung im Abstand von ein bis 3 Jahren empfohlen (Spechler 2005; Sampliner 2002). Tumoren, die bei Patienten im Rahmen derartiger Überwachungsprogramme entdeckt werden, sind in der Regel noch auf die Mukosa oder Submukosa beschränkt und können kurativ mit einer 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit von über 85% reseziert werden (DeMeester). Beim Nachweis von geringgradigen Dysplasien sollte zunächst eine hochdosierte Therapie mit Protonenpumpenhemmer für 6–8 Wochen erfolgen, um eine potenziell vorliegende Inflammation, die häufig als niedriggradige Dysplasie fehlgedeutet wird, zum Abheilen zu bringen. Im Anschluss daran sollte eine Reendoskopie mit erneuten ausgiebigen Biopsien erfolgen. Bestätigt sich die niedriggradige Dysplasie, muss das Überwachungsintervall auf 6 Monate reduziert werden. Beim Nachweis hochgradiger Dysplasien liegt häufig bereits an anderer Stelle ein invasives Karzinom vor. Empfohlen wird eine sofortige Reendoskopie mit erneuten ausgiebigen Biopsien. Bei Nachweis eines Karzinoms, erfolgt die Therapie entsprechend onkologischen Prinzipien. Bestätigt sich die Diagnose einer hochgradigen Dysplasie, wird von der Mehrzahl der Experten ebenfalls eine (limitierte chirurgische oder endoskopische) Resektion empfohlen (DeMeester 2000). Molekulare Marker zur Identifizierung von Risikogruppen für eine maligne Progression des Barrett-Ösophagus haben sich bislang nicht bewährt. Nach Ausschluss einer Dysplasie oder eines invasiven Karzinoms erfolgt die Diagnostik der zugrunde liegenden gastroösophagealen Refluxkrankheit bei Patienten mit Barrett-Ösophagus wie bei Refluxpatienten ohne BarrettMukosa. In der Regel zeigt sich hier trotz häufig wenig eindrucksvoller klinischer Symptomatik ein deutlich vermehrter saurer und biliärer Reflux bei inkompetentem unteren Ösophagussphinkter und eingeschränkter Clearance-Funktion des tubulären Ösophagus.
24.6.6
Therapie
Therapieziele Die Behandlungsziele bei Patienten mit gastroösophagealer Refluxkrankheit sind klar definiert. In der Akutphase sind die rasche Besserung der Refluxsymptome und, falls vorhanden, die Abheilung der Ösophagitis von entscheidender Bedeutung. Im weiteren Verlauf treten dann die Prävention von Rezidiven und Komplikationen der Refluxkrankheit sowie eine Verhinderung des Auftretens eines
Barrett-Ösophagus und dessen maligne Entartung in den Vordergrund. Diese Therapieziele sollten ohne wesentliche Morbidität und Nebenwirkungen erreicht werden. Für die Langzeittherapie ist es darüber hinaus erforderlich, dass die eingeleiteten Therapiemaßnahmen kosteneffektiv und ohne wesentliche Compliance-Probleme durchführbar sind. Bei Patienten mit bereits etabliertem Barrett-Ösophagus kann mit keiner der derzeit verfügbaren Therapiemodalitäten die maligne Entartung zuverlässig verhindert werden. Eine frühzeitige Erkennung der Progression zum Karzinom steht hier ganz im Vordergrund. Die Therapieziele bei der Behandlung des zugrunde liegenden gastroösophagealen Refluxes entsprechen denen der Refluxkrankheit ohne Barrett-Ösophagus (Stein et al. 2000).
Akuttherapie der gastroösophagealen Refluxkrankheit Die Akuttherapie der gastroösophagealen Refluxkrankheit ist heute eine unumstrittene Domäne medikamentöser Therapiemaßnahmen. In einer Reihe randomisierter Studien konnte gezeigt werden, dass Protonenpumpenhemmer (z. B. Omeprazol, Lansoprazol oder Pantoprazol) den H2-Blockern, Sucralfat oder Prokinetika deutlich überlegen sind. Mit konventionellen Dosen von Protonenpumpenhemmern (z. B. Omeprazol 20–40 mg/Tag) kann bei etwa 85% der Patienten eine erosive Ösophagitis innerhalb von 8–12 Wochen zum Abheilen gebracht werden. Durch höhere Dosen ist bei nahezu allen Patienten eine Abheilung der Refluxösophagitis erreichbar. Die Antirefluxchirurgie hat in der Akuttherapie der gastroösophagealen Refluxkrankheit ihren Stellenwert verloren ( DeVault 2005).
Rezidivprophylaxe der gastroösophagealen Refluxkrankheit Trotz der hohen Erfolgsraten der medikamentösen Therapie in der Akutphase der Refluxkrankheit kommt es nach Absetzen der Medikation bei bis zu 50% der Patienten entsprechend dem zu erwartendem Spontanverlauf innerhalb weniger Tage zu einem Rezidiv der Erkrankung. Auch durch die früher häufig angeratenen allgemeinen Therapiemaßnahmen (wie Veränderungen in der Lebensweise, Gewichtsabnahme, Umstellung der Ernährung, Nikotinund Alkoholkarenz, Hochlagerung des Kopfendes am Bett usw.) kann in der Regel ein Rezidiv nicht verhindert werden. Eine medikamentöse Rezidivprophylaxe ist bei diesen Patienten nur durch eine Dauertherapie mit Protonenpumpenhemmern möglich (Klinkenberg-Knoll et al. 2000; DeVault 2005). Bei diesen Patienten tritt die Antirefluxchirurgie in Konkurrenz zu den konservativen Maßnahmen. Endoskopisch-endoluminale Therapieverfahren stellen derzeit aufgrund fehlender Langzeiteffektivität keine ratio-
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Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
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. Abb. 24.28 Beweggründe zur Antirefluxoperation bei 150 konsekutiven Patienten mit gastroösophagealer Refluxkrankheit (Mehrfachnennungen möglich)
nelle Alternative zur medikamentösen Dauertherapie oder laparoskopischen Antirefluxchirurgie dar (Shapira 2002)
Indikationsstellung zur Antirefluxchirurgie Klassische Refluxkrankheit Mit der Entwicklung laparoskopischer Techniken erlebte die chirurgische Therapie der gastroösophagealen Refluxkrankheit in den letzten Jahren eine Renaissance als minimal-invasive, effektive und kostengünstige Alternative zu einer potenziell lebenslangen medikamentösen Dauertherapie. In einer prospektiv randomisierten Studie zeigte sich bei Patienten mit rezidivierender Refluxösophagitis ein signifikanter Vorteil der Antirefluxchirurgie im Vergleich zur medikamentösen Dauertherapie mit der Standarddosis eines Protonenpumpenhemmers. Bei Anpassung (d. h. Erhöhung) der Medikamentendosis entsprechend der Symptomatik der Patienten war medikamentöse Dauertherapie der Antirefluxchirurgie im Hinblick auf Symptomkontrolle, Rezidiv der Ösophagitis und Lebensqualität ebenbürtig. Allerdings bestand nach Antirefluxchirurgie eine höhere Rate an Nebenwirkungen, wie Unfähigkeit zum Aufstoßen oder Flatulenz (Lundell et al. 2001). Die Indikationsstellung zur Antirefluxchirurgie erfordert damit eine kritische Abwägung ihrer Vor- und Nachteile im Vergleich zu den konservativen, medikamentösen Alternativen. Jeder Patient mit persistierender oder rezidivierender Ösophagitis und/oder Refluxsymptomatik, der auf eine medikamentöse Langzeittherapie angewiesen ist, ist auch ein potenzieller Kandidat für die Antirefluxchirurgie. Die Durchführung einer Antirefluxoperation sollte dann erwogen werden, wenn es sich um einen jungen Patienten ohne wesentliche Risikofaktoren handelt, wenn eine medikamentöse Dauertherapie aufgrund von Nebenwirkungen nicht möglich ist, wenn Bedenken über die Langzeitsicherheit der verfügbaren medikamentösen Alternativen bestehen oder wenn der Patient die Abhängigkeit von einer medikamentösen Dauertherapie ablehnt (Stein et al. 1998).
Bei Vorliegen der 3 Parameter 4 typische Symptome, 4 positive pH-Metrie und 4 gutes symptomatisches Ansprechen auf Protonenpumpeninhibitoren liegt die Erfolgswahrscheinlichkeit einer Antirefluxoperation bei über 95%. Liegen nur 2 oder einer dieser Faktoren vor, sinkt die Erfolgsaussicht auf unter 70% (Campos et al. 1999). Demzufolge ist ein ausführliches Aufklärungsgespräch mit dem Patienten über die potenziellen Vor- und Nachteile, Erfolgsaussichten, Risiken sowie möglichen Nebenwirkungen der Fundoplikation im Vergleich zur medikamentösen Dauertherapie erforderlich. Die freie Entscheidung des Patienten zwischen den therapeutischen Alternativen nach dem Aufklärungsgespräch sollte respektiert werden. Eine Ausweitung der angeführten Indikationen zur Antirefluxchirurgie nur aufgrund der Verfügbarkeit eines minimal-invasiven chirurgischen Vorgehens sollte nicht erfolgen. Die Beweggründe zur Entscheidung für eine Antirefluxoperation bei 150 konsekutiven Patienten an der eigenen Klinik sind in . Abb. 24.28 dargestellt. In unserer Erfahrung stellen Refluxrezidive trotz medikamentöser Säuresuppression, die Vermeidung einer potenziell lebenslangen medikamentösen Therapie und Nebenwirkungen der säuresuppressiven Therapie die wesentlichen Gründe für den Entschluss zur Fundoplikation dar. Eine Besorgnis über die Langzeitsicherheit der verfügbaren Medikamente und die Möglichkeit eines minimal-invasiven Vorgehens spielen dagegen eher eine untergeordnete Rolle (Stein et al. 1998). Patienten mit überwiegend sekundären Refluxsymptomen
Der Stellenwert der Antirefluxchirurgie bei Patienten mit refluxassoziierten respiratorischen oder pharyngealen Symptomen, wie chronischer Husten, Aspiration, Heiser-
327 24.6 · Refluxkrankheit und Barrett-Ösophagus
keit oder Globusgefühl, ist bislang nicht eindeutig gesichert. Die in der Literatur angegebenen Erfolgsraten der Fundoplikation bei diesen Patienten schwanken zwischen 50 und 90% und stehen in engem Zusammenhang mit der aufgebrachten Sorgfalt in der Diagnostik des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Symptom und gastroösophagealem Reflux. Bei objektivem Nachweis einer zeitlichen Korrelation zwischen Symptom und Säurereflux, Dokumentation einer posterioren Laryngitis und gutem Ansprechen auf medikamentöse Säuresuppression kann jedoch als Alternative zur medikamentösen Dauertherapie eine Fundoplikation mit guter Aussicht auf Erfolg erwogen werden (Bowrey et al. 2000). Patienten mit Barrett-Ösophagus Weder medikamentöse
Säuresuppression noch Antirefluxchirurgie führen bei Patienten mit bereits bestehendem Barrett-Ösophagus zu einer vorhersagbaren Regression des Ausmaßes der Zylinderepithelmetaplasie. Auch bieten anhand der derzeit vorliegenden Daten weder die medikamentöse Dauertherapie noch die Antirefluxchirurgie einen sicheren Schutz gegen die maligne Entartung eines Barrett-Ösophagus Stein et al. 2000). Somit sind die Indikationen zur Durchführung einer Antirefluxoperation bei Patienten mit Barrett-Ösophagus die gleichen wie bei Patienten mit Refluxkrankheit ohne Nachweis einer Zylinderepithelmetaplasie, d. h. die Indikation zur Antirefluxchirurgie beruht nicht auf einer möglichen Verhinderung eines Karzinoms, sondern auf der dauerhaften Kontrolle der Refluxsymptome und Verhinderung einer Ösophagitis oder peptischen Stenose. Demzufolge stellt der alleinige Nachweis eines BarrettÖsophagus bei einem asymptomatischen Patienten keine Indikation zur Antirefluxchirurgie dar (Stein et al. 1998). Bei der Indikationsstellung zur Antirefluxoperation bei einem Patienten mit Barrett-Ösophagus sollte auch erwogen werden, dass durch den Eingriff und die damit veränderten anatomischen Verhältnisse die frühzeitige Diagnose und chirurgische Therapie eines möglicherweise später auftretenden Karzinoms im Barrett-Ösophagus deutlich erschwert werden können. > In jedem Fall muss vor Durchführung einer Antirefluxoperation bei Patienten mit Barrett-Ösophagus zum Ausschluss von bereits vorliegenden Dysplasien oder eines Karzinoms im Bereich des Zylinderepithels ausgiebig biopsiert werden.
Auch nach einer erfolgreichen Antirefluxoperation muss der Patient in ein langfristiges endoskopisch/bioptisches Überwachungsprogramm eingebunden werden, wie es auch für Patienten mit Barrett-Ösophagus unter medikamentöser Therapie empfohlen wird. Aufgrund dieser Überlegungen wird die Indikationsstellung zur Antirefluxoperation bei Patienten mit Barrett-Ösophagus in der eige-
nen Abteilung zunehmend kritischer hinterfragt, vor allem wenn bereits niedriggradige Dysplasien vorliegen. Beim Nachweis hochgradiger Dysplasien hat die Antirefluxchirurgie keinen Stellenwert, hier sollten onkologische Therapieprinzipien zum Einsatz kommen. Die Ablation der Barrett-Mukosa (mittels photodynamischer Therapie, endoskopischer Mukosaresektion, Plasma- oder Laserkoagulation) mit oder ohne Antirefluxoperation stellt ein experimentelles Therapieverfahren dar, dessen Nutzen nicht gesichert ist. Abgesehen von den potenziellen Komplikationen dieser invasiven Verfahren (Stenosen, Perforationen, Blutungen) wurden auch nach »erfolgreicher« Ablation die Persistenz genetischer Veränderungen und die Entwicklung von Adenokarzinomen im distalen Ösophagus beschrieben. Da derartige Tumoren sich auch in persistierenden Drüsen unterhalb eines nach Ablation regenerierten Plattenepithels entwickeln können, erschwert dieses Vorgehen unter Umständen sogar die frühzeitige Diagnose eines Karzinoms. Vom breiten Einsatz der Ablationstechniken außerhalb kontrollierter Studien wird deshalb derzeit sowohl beim Barrett-Ösophagus ohne Dysplasie als auch beim Nachweis von Dysplasien abgeraten. Patienten mit peptischen Stenosen Aufgrund der nahezu obligat vorhandenen schweren Motilitätsstörung im Bereich der distalen Speiseröhre sind die Erfolgsraten der Antirefluxchirurgie bei Patienten mit peptischen Stenosen mit ca. 70–80% deutlich schlechter als bei Patienten mit Refluxösophagitis. Die konservative Therapie mit hochdosierten Protonenpumpenhemmern und wiederholter endoskopischer Bougierung bietet hier deutliche Vorteile und stellt damit derzeit die primäre Therapie der Wahl dar (Richter 1999). Nach Abheilen der Stenose und Erholung der propulsiven Pumpfunktion der tubulären Speiseröhre unter den konservativen Therapiemaßnahmen kann jedoch mit guter Erfolgsaussicht sekundär als Alternative zur medikamentösen Dauertherapie eine Fundoplikation durchgeführt werden. Im seltenen Fall des Nichtansprechens der Stenose auf die konservativen Therapiemaßnahmen kann als chirurgische Alternative eine Resektion der Stenose mit Interposition eines Dünndarmsegmentes erwogen werden.
24.6.7
Wirkmechanismus und Verfahrenswahl der Antirefluxchirurgie
Im Gegensatz zu den verfügbaren medikamentösen Maßnahmen liegt das Prinzip der Antirefluxchirurgie in einer kausalen Therapie der zugrunde liegenden Funktionsstörung des Antirefluxmechanismus. So wird durch die Mehrzahl der beschriebenen Antirefluxoperationen die
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Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
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a
b
. Abb. 24.29 Kurze und lockere 360°-Manschette um den distalen Ösophagus, gebildet aus der Fundusvorderwand (Fundoplikation nach Nissen-Rossetti)
defekte Druckbarriere am gastroösophagealen Übergang durch eine mehr oder weniger ausgeprägte Manschettenbildung um den distalen Ösophagus rekonstruiert und damit der auf den unteren Ösophagussphinkter einwirkende Öffnungsdruck (intragastraler Druck) des Magens neutralisiert . Dies verhindert auch die unzeitgerechten Relaxationen des unteren Ösophagussphinkters. Eine intraabdominelle Verankerung des distalen Ösophagus, wie sie ebenfalls bei der Mehrzahl der beschrieben Antirefluxoperationen erfolgt, führt zu einer Verbesserung der gestörten Selbstreinigungsfunktion der tubulären Speiseröhre, vor allem bei Patienten mit axialer Hiatushernie. Nach Ausmaß der Manschettenbildung um den terminalen Ösophagus und Lage der Manschette wird zwischen einer kompletten 360°-Fundoplikation (Nissen-Fundoplikation, . Abb. 24.29) und verschiedenen Formen der Hemiplikation (z. B. Toupet, Lind, Belsey, Dor) unterschieden. Alle klinisch erwiesenermaßen erfolgreichen primären Antirefluxoperationen (360°-Fundoplikation, Hemiplikationen) verwenden einen Anteil der Magenwand des Fundus zur Manschettenbildung. Früher häufig angewandte alleinige Gastropexieverfahren und Verfahren der Rekonstruktion des His-Winkels haben sich in Langzeitverlaufsuntersuchungen nicht bewährt und sind heute weitgehend verlassen. Nach wie vor kontrovers diskutiert wird, ob eine 360°Fundoplikation oder eine Form der Hemiplikation den besten primären Antirefluxeingriff darstellt. Die weltweit größte Erfahrung liegt für die Bildung einer kurzen und weiten 360°-Manschette (modifizierte Fundoplikation nach Nissen-Rossetti) vor. Die Verfechter einer Hemipli-
kation als primären Antirefluxeingriff führen als Argument gegen die 360°-Fundoplikation eine in einigen, aber nicht allen randomisierten Studien gezeigte höhere initiale Nebenwirkungsrate an. Neuere Untersuchungen zeigen jedoch für die Hemiplikation, nicht aber für die 360°Fundoplikation, einen deutlichen Wirkungsverlust im Langzeitverlauf (Ludemann 2005; Watson 2004; Alexiou et al. 1999; Farrell et al. 2000). Eine initial potenziell höhere Nebenwirkungsrate wird durch die Dauerhaftigkeit des Antirefluxeffekts der 360°-Fundoplikation mehr als wettgemacht. Durch adäquate Technik lassen sich darüber hinaus viele der Nebenwirkungen der 360°-Fundoplikation vermeiden (DeMeester u. Stein 1992). Dies gilt auch für Patienten mit eingeschränkter peristaltischer Funktion des tubulären Ösophagus. Im eigenen Vorgehen stellt deshalb die Nissen-Fundoplikation in der Modifikation nach Rossetti mit kurzer (2–3 cm) und lockerer Manschette um den distalen Ösophagus sowohl beim Patienten mit regulärer Peristalsis als auch bei Patienten mit eingeschränkter Clearance-Funktion des tubulären Ösophagus das Verfahren der Wahl dar. Bei Vorliegen eines komplett aperistaltischen tubulären distalen Ösophagus, wie z. B. bei der Sklerodermie, kann weder die Anlage einer 360°-Fundoplikation noch die Verwendung einer Hemiplikation einen Therapieerfolg sicherstellen. Bei diesen Patienten sollte bei medikamentös nicht beherrschbarem Reflux wegen der zugrunde liegenden mehr generalisierten Funktionsstörung auf resektive Verfahren zurückgegriffen werden. Auch auf die Kombination einer Antirefluxmanschette mit Vagotomie sollte verzichtet werden, da dies zur Fehl-
329 24.6 · Refluxkrankheit und Barrett-Ösophagus
platzierung oder einem Auskrempeln der Manschette, dem »Teleskopphänomen«, prädisponiert. Die Kombination aus 2/3-Magensekretion, Vagotomie und Roux-Y-Galleableitung reduziert die aggressiven Faktoren in der Pathophysiologie der Refluxkrankheit (d. h. Reflux von Säure und Duodenalinhalt). Dieses Vorgehen ist aufgrund des Ausmaßes des Eingriffs als primäre chirurgische Therapie der Refluxkrankheit jedoch nicht indiziert, stellt allerdings eine gute Alternative beim Rezidiveingriff nach Antirefluxoperation dar, wenn eine Revision der Anitrefluxplastik nicht möglich ist oder zu riskant erscheint. Sowohl die Fundoplikation als auch die verschiedenen Formen der Hemiplikation werden heute nahezu ausnahmslos minimal-invasiv, laparoskopisch operiert. Nach initialer Euphorie über die reduzierte Invasivität und den besseren Patientenkomfort zeigt sich in den letzten Jahren jedoch zunehmend, dass das laparoskopische Vorgehen unter Umständen mit einer höheren Komplikations- und Nebenwirkungsrate verbunden ist als beim konventionellen Zugang via Laparotomie (Bais et al. 2000). Entschei-
dend zur Vermeidung einer erhöhten Komplikations- und Nebenwirkungsrate beim laparoskopischen Vorgehen ist ganz eindeutig die Erfahrung des Operateurs und des Zentrums, in dem der Eingriff durchgeführt wird. Die »Lernkurve« ist flacher als vielfach angenommen. Erst bei mehr als 50–100 laparoskopischen Antirefluxeingriffen kann von einer ausreichenden Expertise ausgegangen werden kann. Die laparoskopische Antirefluxchirurgie sollte daher nur an erfahrenen Zentren erfolgen (Catarci 2004).
24.6.8
Operationstechnik Die wesentlichen Prinzipien und Operationsschritte der Fundoplikation sind das Ergebnis einer konsequenten Weiterentwicklung der von Rudolf Nissen (1961) initial beschriebenen Operationstechniken, mit dem Ziel der Vermeidung von (früher häufigen) Fehlergebnissen und
a
b
c
d
. Abb. 24.30a–d Operationstechnik der laparoskopischen 360°Fundoplikation nach Nissen-Rossetti. a Nativer Situs mit Hiatushernie;
Modifizierte Fundoplikation nach Nissen-Rossetti
b hintere Hiatoplastik; c Bildung der Manschette mit Fixierung an der Ösophaguswand; d komplettierte Fundoplikation
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Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
Verbesserung der Langzeitergebnisse (DeMeester u. Stein 1992; Siewert et al. 1992; Siewert u. Stein 1996). Die Operationstechnik beim laparoskopischen Vorgehen entspricht exakt der des offenen Eingriffs (. Abb. 24.30). Der Ösophagus wird nach Inzision der peritonealen Umschlagfalte im Bereich des ösophagogastralen Übergangs dargestellt und ausreichend mobilisiert. Eine ausgedehnte Skelettierung an der kleinen Kurvaturseite des ösophagogastralen Übergangs ist nicht notwendig und erhöht das Risiko einer Manschettendislokation. Die ausreichende Beweglichkeit des Fundus ist jedoch eine wesentliche Voraussetzung für die spannungsfreie Anlage der Fundusmanschette. Deshalb erfolgt immer eine partielle Skelettierung im Bereich der großen Kurvatur des Fundus. Auf eine sorgfältige Schonung beider Stämme des N. vagus muss geachtet werden. Der vordere Trunkus, der in der Regel der Ösophaguswand dicht anliegt, kommt innerhalb der Manschette zu liegen, während der hintere Trunkus wegen seiner meist nur lockeren Verbindung zum Ösophagus außerhalb der Manschette verbleiben kann. Die Rami hepatici bleiben unverletzt, da die Manschettenbildung oral davon erfolgt. Nach Reposition der meist vorliegenden axialen Hiatushernie erfolgt zunächst der Verschluss des Hiatus mit kräftigem, nicht-resorbierbarem Nahtmaterial so weit, dass dem mit einem dicken Bougie geschienten Ösophagus (mindestens 40 Fr) im Hiatus noch ausreichend Bewegungsspielraum verbleibt. Die Manschette selbst wird aus der Magenfundusvorderwand so kranial wie möglich gebildet. Die Fundusfalte wird hinter der distalen Speiseröhre durchgeführt. Die Kontur dieser Falte bleibt bei ausreichender Mobilisierung des Fundus spannungsfrei auf der Gegenseite. Es erfolgt die Nahtreihe am besten von kranial nach kaudal, wobei in der Regel 3 Einzelnähte (nichtresorbierbares Nahtmaterial) genügen. Die Manschette sollte nicht länger als 3 cm sein und locker um den geschienten distalen Ösophagus zu liegen kommen. Zur Verhinderung einer Manschettendislokation erfolgt eine Fixation der Fundoplikation mit einer Naht im Bereich des ösophagogastralen Übergangs. Zur Prävention eines Teleskopphänomens legen wir zwischen Unterrand der Manschette und Magenvorderwand noch 2 Einzelknopfnähte an (sog. Pfeilernähte).
Zur Vermeidung einer zu großen Druckbelastung der Manschette während der Aufwachphase wird für die ersten postoperativen Stunden eine Magensonde gelegt. Eine Drainage des Bauchraumes ist nicht notwendig. Eine orale Belastung ist bereits am Abend des Eingriffstages möglich.
Wesentliche Schritte bei der 360°-Fundoplikation nach Nissen-Rossetti zur Vermeidung von Komplikationen, Nebenwirkungen und Rezidiven 4 Großzügige Mobilisierung der großen Kurvatur im Bereich des Fundus 4 Möglichst sparsame Skelettierung der kleinen Kurvatur 4 Ausreichende Mobilisierung des distalen Ösophagus 4 Schonung beider Nn. vagi 4 Verschluss des Hiatus 4 Verwendung der Fundusvorderwand zur Manschettenbildung 4 Bildung einer kurzen (maximal 3 cm) und lockern Manschette um den distalen Ösophagus (dicker intraluminaler Bougie!) 4 Verwendung von nicht-resorbierbarem Nahtmaterial
Komplikationsmöglichkeiten Die intraoperativen Komplikationsmöglichkeiten umfassen Blutung, Ösophagus- bzw. Magenwandläsionen und eine Verletzung von Nachbarorganen. Eine Splenektomie aufgrund einer Milzverletzung stellt bei sorgfältiger Operationstechnik eine extreme Rarität dar. Eine Verletzung der Ösophagus- oder Magenwand scheint beim laparoskopischen Vorgehen häufiger zu sein als beim Zugang über eine Laparotomie. Vor allem Patienten mit florider Ösophagitis oder Vernarbung im Bereich des ösophagogastralen Übergangs sind hier gefährdet. Spezifische Komplikationsmöglichkeiten beim laparoskopischen Vorgehen sind Verletzungen des Kolons, des Duodenums oder großer intrabdomineller Gefäße bei der Trokarplatzierung. Als Folge derartiger Verletzungen wurde bereits über letale Verläufe berichtet. Pneumothorax und Pneumomediastinum sind ebenfalls spezifische Komplikationen des laparoskopischen Vorgehens, gehen jedoch, falls rechtzeitig erkannt und therapiert, mit keiner größeren Gefährdung des Patienten einher (Stein et al. 1998). Im unmittelbar postoperativen Verlauf kann gelegentlich ein drainagebedürftiger Pleuraerguss auftreten. Subphrenische Abszesse und Wundinfektionen werden praktisch nur nach Splenektomie oder Verletzung anderer intraabdomineller Organe beobachtet. Eine initial postoperative temporäre Dysphagie, die in der Regel auf eine Schwellung der Manschette zurückzuführen ist, bedarf nur selten der endoskopischen Bougierung. Relativ häufig wird nach laparoskopischem Vorgehen über eine frühpostoperative Hernierung der Manschette ins untere Mediastinum mit dem Bild einer paraöosphagealen Hernie berichtet.
331 24.6 · Refluxkrankheit und Barrett-Ösophagus
Diese Komplikation ist in der Regel auf einen unzureichenden Verschluss des Hiatus oesophagei zurückzuführen und damit vermeidbar.
Langzeitergebnisse
a
In erfahrenen Zentren führt die Fundoplikation bei adäquat selektierten Patienten (s. Indikationsstellung) bei über 90% der Patienten zu einer effektiven und dauerhaften Verhütung jeglichen Refluxes von Mageninhalt in den Ösophagus. Die Ergebnisse des laparoskopischen Vorgehens sind diesbezüglich dem konventionellen, offenen Vorgehen vergleichbar (Stein et al. 1998; Watson 1998). Die klinischen Symptome der Refluxkrankheit bilden sich, ebenso wie die Ösophagitis, zurück. Manometrische und pH-metrische Nachuntersuchungen nach erfolgreicher Fundoplikation zeigen eine deutliche Verstärkung der Barrierefunktion des unteren Ösophagussphinkters und eine Normalisierung der ösophagealen Säureexposition (. Abb. 24.31 und . Abb. 24.32).
. Abb. 24.31a–c Dreidimensionales manometrisches Druckprofil des unteren Ösophagussphinkters bei einem normalen Probanden (a), einem Patienten mit primärer Refluxkrankheit (b) vor und nach Nissen-Fundoplikation (c)
. Abb. 24.32a,b 24-Stunden-Ösophagus-pH-Metrie eines Patienten mit Refluxkrankheit vor (a, oben) und nach Nissen-Fundoplika-
tion (b, unten). Die Nissen-Fundoplikation führt zur kompletten Refluxsuppression
b
c
a
b
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Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
Bei bis zu 10% aller Kranken erzielt die Fundoplikation nicht den gewünschten Erfolg. In aller Regel beruht dies auf einer falschen Selektion der Patienten (fehlende objektive Dokumentation der Refluxkrankheit!) oder intraoperativen technischen Fehlern, wie einer zu tief angelegten, einer zu engen oder zu langen Manschette oder eine Denervation des Magens durch unbeabsichtigte Verletzung des N. vagus. > Eine sorgfältige Selektion der Patienten, die objektive Dokumentation der primären gastroösophagealen Refluxkrankheit mittels Endoskopie, 24-Stunden-pH-Metrie und Manometrie sowie eine gewissenhafte Beachtung der technischen Details des operativen Eingriffs stellen somit die Schlüssel zum Erfolg der Antirefluxchirurgie dar (Stein u. DeMeester 1992).
Bei Patienten mit bereits existierendem Barrett-Ösophagus sind die Erfolgsraten der Antirefluxchirurgie in der Mehrzahl der publizierten Serien deutlich schlechter als bei Refluxpatienten ohne Barrett-Ösophagus. Die Regression eines bereits präoperativ existierenden Barrett-Ösophagus bleibt auch nach wirksamer Fundoplikation die Ausnahme. In gleicher Weise stellt die Fundoplikation keinen wirksamen Schutz vor der malignen Entartung eines bereits präoperativ existierenden Barrett-Ösophagus dar. Allerdings scheint eine Fundoplikation besser vor der Entwicklung eines Barrett-Ösophagus bei Patienten mit Refluxkrankheit zu schützen als eine medikamentöse Dauertherapie. Bei frühzeitiger Intervention, d. h. vor Auftreten eines Barrett-Ösophagus, kann die Antirefluxchirurgie damit auch als »prophylaktische Chirurgie« zur Karzinomprävention wirken. Neben der Suppression des pathologischen Refluxes unterbindet die Fundoplikation häufig auch den physiologischen Reflux. Bis zu 40% der Patienten berichten nach Fundoplikation über eine Behinderung des Aufstoßens, Unmöglichkeit des Erbrechens und einen vermehrten Flatus (Hogan 2000). Dies wird jedoch nur selten als Einschränkung empfunden. Postprandiales Völlegefühl und epigastrische Beschwerden nach Antirefluxoperation werden gewöhnlich auf eine Magenentleerungsstörung oder intraoperative Schädigung des N. vagus zurückgeführt, treten aber auch bei Patienten unter medikamentöser säuresuppressiver Therapie auf. Ein Großteil dieser Beschwerden ist damit auf eine möglicherweise zugrunde liegende generalisierte gastrointestinale Motilitätsstörung zurückzuführen, deren Symptome bislang von den vorherrschenden Refluxbeschwerden überdeckt worden waren.
Fehlgeschlagene Antirefluxoperation und postoperative Syndrome nach Fundoplikation Zwischen 5 und 20% aller Patienten, bei denen eine Antirefluxoperation durchgeführt worden ist, begeben sich
wegen persistierender oder postoperativ neu aufgetretener Beschwerden im weiteren Verlauf erneut in Behandlung. Rezidivierende Refluxbeschwerden sind der häufigste Grund, gefolgt von einer Kombination aus Dysphagie und Refluxsymptomen und von Dysphagie als alleinigem Symptom. Das sog. Denervations- oder »Gas-bloat-Syndrom« nach Antirefluxeingriffen ist heute selten (Stein et al. 1997). Die anamnestischen Angaben zu Art, Intensität und Zeitpunkt des Auftretens neuer oder des Wiederauftretens alter Symptome nach dem initialen Antirefluxeingriff geben wichtige Hinweise, zeigen jedoch nicht notwendigerweise die Ursache des Fehlschlagens der Antirefluxoperation an. Vielmehr ist ein detailliertes diagnostisches Vorgehen erforderlich. Im Vordergrund steht die Röntgenkontrastdarstellung der anatomischen Situation am ösophagogastralen Übergang sowie die obere gastrointestinale Endoskopie. Ergänzt wird die Diagnostik durch eine Ösophagusmanometrie, eine 24-Stunden-Ösophagus-pH-Metrie und ggf. eine Magenentleerungsszintigraphie. Anhand der Symptomatik und der Ergebnisse der diagnostischen Untersuchungen werden die postoperativen Syndrome nach Antirefluxeingriffen in eine der folgenden Kategorien klassifiziert (Hunter et al. 1999; Stein et al. 1997): 4 Rezidivierender Reflux aufgrund einer partiellen oder kompletten Auflösung einer Antirefluxmanschette 4 Dysphagie mit oder ohne Refluxbeschwerden aufgrund einer inkorrekt platzierten Manschette, eines »Auskrempelns« der Manschette (sog. Teleskopphänomen, . Abb. 24.33), einer peptischen Stenose oder aufgrund einer paraösophagealen Hernierung (. Abb. 24.34) 4 Dysphagie bei einer zu engen oder zu langen Fundoplikation, einem zu engen Verschluss des Hiatus oder einer zugrunde liegenden primären oder sekundären Motilitätsstörung der tubulären Speiseröhre 4 Epigastrische Beschwerden beim sog. »Denervationssyndrom« oder persistierende und präoperativ nicht erkannte andere zugrunde liegende Funktionsstörungen Technische Probleme bei der Erstoperation oder eine inadäquate Patientenselektion sind für die Mehrzahl der postoperativen Probleme nach Antirefluxeingriffen verantwortlich. Diese Probleme können durch eine sorgfältige präoperative Diagnostik, Patientenselektion und Operationstechnik vermieden werden. Die Erfahrung des Chirurgen, der die Erstoperation durchführt, ist deswegen der wesentliche prognostische Faktor für das Gelingen einer Antirefluxoperation. Eine Reoperation nach einem fehlgeschlagenen Antirefluxeingriff ist mit einer nicht zu vernachlässigenden Morbidität (20–40%) und Mortalität (2%) verbunden.
333 24.6 · Refluxkrankheit und Barrett-Ösophagus
. Abb. 24.33 Röntgenkontrastdarstellung eines Teleskopphänomens nach Nissen-Fundoplikation
. Abb. 24.34 Röntgenkontrastdarstellung nach epiphrenisch hernierten Fundoplikation
Trotz einiger enthusiastischer Berichte ist die Erfolgswahrscheinlichkeit beim Reeingriff auch in erfahrenen Zentren deutlich geringer als beim Ersteingriff. Gute oder zufrieden stellende Resultate können mit Reeingriffen nur bei etwa 70–80% der Patienten erwartet werden. Als allgemeine Regel gilt, dass Patienten mit Refluxrezidiv ohne Dysphagie mit konservativen, medikamentösen Maßnahmen, d. h. Protonenpumpenhemmern, gut therapiert werden können. Eine Reoperation sollte bei diesen Patienten nur dann erwogen werden, wenn das Risiko des Eingriffs als gering eingestuft wird, es sich um einen relativ jungen Patienten handelt und ein ausgeprägter Leidensdruck besteht. Im Gegensatz dazu ist bei Patienten mit postoperativ persistierender Dysphagie mit oder ohne gleichzeitig bestehenden Refluxsymptomen in der Regel eine chirurgische Revision erforderlich (Stein et al. 1996).
Das Spektrum der verfügbaren Verfahren beim Reeingriff reicht von einer einfachen Refundoplikation bis hin zur Ösophagektomie. Patienten, bei denen der Ersteingriff auf einer falschen Diagnose basierte, kann in aller Regel durch eine Auflösung der vorangegangenen Antirefluxoperation und Therapie der zugrunde liegenden Erkrankung geholfen werden. In ähnlicher Weise kann eine paraösophageale Hernie nach Antirefluxoperation durch eine einfache chirurgische Hernienreduktion, Pexie und Hiatoplastik therapiert werden. Bei Patienten mit inadäquat durchgeführter initialer Antirefluxoperation, Auflösung der initialen Antirefluxoperation oder bei Patienten mit dem Teleskopphänomen kann der Versuch der Refundoplikation unternommen werden. Die Erfolgswahrscheinlichkeit liegt bei diesen Patienten bei etwa 85%, vorausgesetzt, die Indikationsstellung zur Erstoperation
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Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
war korrekt und die peristaltische Aktivität der tubulären Speiseröhre ist durch die Voroperation nicht wesentlich beeinträchtigt. Bei Patienten mit schwer gestörter Funktion der tubulären Speiseröhre und konservativ nicht kontrollierbaren Refluxsymptomen kann eine subtotale Gastrektomie mit trunkulärer Vagotomie and Roux-Y-Galleableitung erwogen werden, vor allem dann, wenn durch die funktionelle Diagnostik eine biliäre Komponente im Refluat aufgezeigt werden kann. Bei Patienten mit postoperativer Dysphagie und schwer gestörter Clearance-Funktion der tubulären Speiseröhre sollte eine Resektion erwogen werden, vor allem dann, wenn mehrere fehlgeschlagene Antirefluxoperationen vorangegangen sind, wenn eine derbe, nichtdilatierbare Stenose im distalen Ösophagus besteht, ausgedehnte Vernarbungen im Operationsgebiet vorliegen oder der Fundus durch die vorangegangenen Operationen »aufgebraucht« ist. Nach unserer Erfahrung ist in dieser Situation die Resektion des distalen Ösophagus und des ösophagogastralen Übergangs mit Interposition eines kurzen gestielten Jejunumsegments, die sog. Merendino-Operation, eine attraktive Alternative zur Koloninterposition oder zum Magenhochzug. > Das erfolgreiche Management von Patienten mit fehlgeschlagenem Antirefluxeingriff erfordert ein individuelles Vorgehen, basierend auf dem Beschwerdebild des Patienten, den Ergebnissen von Funktionstests und den intraoperativen Befunden. Reeingriffe nach fehlgeschlagener Antirefluxoperation sollten somit nur an Zentren mit Erfahrung im gesamten Spektrum der resektiven und rekonstruktiven Chirurgie des gastroösophagealen Übergangs durchgeführt werden.
24.6.9
Literatur
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335 24.7 · Funktionsstörungen
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24.7
Funktionsstörungen
Ein gestörte propulsive Aktivität der tubulären Speiseröhre und/oder eine gestörte Koordination zwischen Peristaltik der tubulären Speiseröhre und Relaxation des unteren Ösophagussphinkters sind die wesentlichen pathophysiologischen Korrelate der ösophagealen Motilitätsstörungen. Diese Motilitätsstörungen betreffen entweder direkt und 6
ausschließlich den Ösophagus (primäre Motilitätsstörungen) oder resultieren aus einer neurologischen, muskulären, systemischen oder sonstigen Erkrankung (sekundäre Motilitätsstörungen). Mit Einführung der Standardmanometrie des Ösophagus wurde eine Reihe von primären Motilitätsstörungen als separate Erkrankungen definiert und klassifiziert. Es handelt sich hierbei um die »Achalasie«, den »diffusen Ösophagospasmus«, den »Nussknacker-Ösophagus«, den »hypertensiven unteren Ösophagussphinkter« und um die große Gruppe der »unspezifischen Motilitätsstörungen« (. Abb. 24.1).
24.7.1
Achalasie
Die Achalasie ist die wohl am besten charakterisierte primäre Funktionsstörung der Speiseröhre. Sie ist durch eine fehlende oder inkomplette schluckreflektorische Relaxation des in der Regel hypertonen unteren Ösophagussphinkters und eine Aperistalsis des tubulären Ösophagus gekennzeichnet. Dies führt zu einer progressiven Dilatation der Speiseröhre, zur Stase von Speichel und Nahrungsmitteln sowie zur Superinfektion mit Bakterien und Pilzen.
Historisches Bereits im Jahre 1672 berichtete Sir Thomas Willis erstmals über einen Patienten mit Dysphagie und dilatierter Speiseröhre, der durch Dehnung mit einem Walfischknochen erfolgreich behandelt worden waren. Systematische Berichte über dieses Krankheitsbild wurden in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts publiziert. Von Mikulicz berichtete über mehr als 100 Fälle mit »Kardiospasmus« ohne organisches Korrelat. Von Kraus und Heyrovsky wurde erstmals eine Läsion des N. vagus als Ursache des »Kardiospasmus« postuliert. Im weiteren Verlauf identifizierten Sir Arthur Hurst und G.W. Rake eine Verminderung der Ganglienzellen im Auerbach-Plexus (Plexus myentericus) des Ösophagus bei diesem Krankheitsbild. Der »Kardiospasmus« wurde daraufhin als eine neurologische Veränderung, möglicherweise als Folge eines entzündlichen Prozesses definiert. Hurst gebrauchte 1927 als Erster den Begriff »Achalasie« für das beschriebene Krankheitsbild und machte damit auf das »Fehlen der Relaxation« und die Dysfunktion des unteren Ösophagussphinkters als Ursache der Erkrankung aufmerksam (Spiess et al. 1998).
Klassifikation Klassifiziert wird die Achalasie heute nach Ausmaß der Dilatation des tubulären Ösophagus in 3 Stadien (. Abb. 24.35). Im Stadium 1 besteht keine Dilatation, im Stadium 2 ist die Dilatation deutlich und im Stadium 3 ex-
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Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
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. Abb. 24.35 Klassifikation der Achalasie
trem. In Anlehnung an die Nomenklatur der Herzinsuffizienz wird Stadium 1 auch als kompensierte, Stadium 2 bzw. 3 als dekompensierte Achalasie bezeichnet. Als Sonderform gilt die sog. »vigorous achalasia«. Es handelt sich hier um eine Übergangsform zwischen dem sog. »diffusen idiopathischen Ösophagospasmus« und der eigentlichen Achalasie. Gekennzeichnet ist die »vigorous achalasia« durch repetitive Kontraktionen des tubulären Ösophagus mit z. T. hoher Amplitude, intermittierend mit gelegentlich normaler Peristalsis. Diese repetitiven Kontraktionen können sowohl im Anschluss an den Schluckakt als auch spontan auftreten und retrosternale Schmerzen verursachen. Wie bei der typischen Achalasie fehlt eine schluckreflektorische Sphinktererschlaffung. Der Ösophagus ist nicht dilatiert. Im weiteren Verlauf der Erkrankung geht die »vigorous achalasia« häufig in eine klassische Achalasie über, weshalb sie heute als Frühform der eigentlichen Achalasie gilt. Die Begriffe »Kardiospasmus« und »idiopathischer Megaösophagus« sind nicht mehr gebräuchliche Synonyme, da sie den entscheidenden Funktionsausfällen der Achalasie nicht gerecht werden. Abzugrenzen ist die primäre oder idiopathische Achalasie von der Pseudoachalasie oder sekundären Achalasie, die das klinische Bild der Achalasie imitiert und durch eine Vielzahl möglicher zugrunde liegender Erkrankungen hervorgerufen werden kann (7 Übersicht). Besondere Beachtung verdienen hierbei Neoplasien der Kardia und submukös die Kardia infiltrierende proximale Magenkarzinome. Auch bei einer Reihe anderer neoplastischer Prozesse (z. B. kleinzelliges Bronchialkarzinom oder Hypernephrom) kann es zum Auftreten achalasieformer Bilder kommen. Hier werden paraneoplastische Prozesse verantwortlich gemacht. Ein achalasieähnliches Krankheitsbild kommt in Südamerika, v. a. bei der Chagas-Krankheit, vor.
Mögliche Ursachen einer sekundären Achalasie oder Pseudoachalasie 4 Maligne Erkrankungen – Adenokarzinom des ösophagogastralen Übergangs – Lymphom – Bronchialkarzinom (v. a. kleinzelliges) – Pankreaskarzinom – Prostatakarzinom – Hepatozelluläres Karzinom – Kolonkarzinom – Hypernephrom 4 Chagas-Krankheit 4 Amyloidose 4 Sarkoidose 4 Postvagotomie 4 Chronische idiopathische Pseudoobstruktion 4 Morbus Parkinson 4 Neurofibromatose 4 Schwangerschaft 4 Zerebelläre hereditäre Ataxie
Epidemiologie Die Inzidenz der Achalasie wird in der westlichen Welt mit 0,5–1 pro 100.000 Einwohner/Jahr angegeben, die Prävalenz liegt bei 7,9–12,6 pro 100.000 Einwohnern. Die Verteilung auf das männliche und weibliche Geschlecht ist in etwa gleich. Die Achalasie scheint häufiger in ländlichen als in städtischen Gegenden aufzutreten. Die Erkrankung betrifft alle Altersstufen und ist auch bei Neugeborenen und Kleinkindern beschrieben, jedoch ist die Diagnose einer Achalasie während der ersten Lebensdekade eher sel-
337 24.7 · Funktionsstörungen
ten. Das durchschnittliche Alter bei Erstdiagnose liegt zwischen dem 30. und 60. Lebensjahr. Die Lebenserwartung der Patienten wird durch die Erkrankung nicht beeinflusst.
Achalasie und Ösophaguskarzinom Chronische Stase von Nahrungsmitteln und/oder eine Superinfektion führen bei Patienten mit Achalasie häufig zu einer Veränderung der Ösophagusmukosa. So werden eine Hyperplasie der basalen Zellen, Verhornung und Papillomatose der Mukosa, Entzündung der Submukosa, Ausbildung von Zysten sowie Pseudodivertikel in den submukösen Drüsen beobachtet. Diese epithelialen Veränderungen scheinen das Entstehen von Dysplasien und Karzinomen zu begünstigen. Die Inzidenz von Plattenepithelkarzinomen des Ösophagus ist bei Patienten mit Achalasie deutlich erhöht. Die Achalasie gilt deshalb als Präkanzerose. Das Risiko der Karzinomentstehung bei Patienten mit bekannter Achalasie steigt mit der Krankheitsdauer. Anhand der wenigen verfügbaren prospektiven Literaturdaten muss bei 2–10% der Patienten mit einer mehr als 10 Jahre bestehenden Achalasie mit der Entstehung eines Ösophaguskarzinoms gerechnet werden. Ein möglicher Einfluss verschiedener Therapieverfahren der Achalasie auf das Karzinomrisiko wird kontrovers diskutiert. > Eine regelmäßige endoskopische Kontrolluntersuchung bei Patienten mit langjähriger Achalasie wird empfohlen.
Ätiologie, Pathogenese und Pathologie Die Ätiologie der primären oder idiopathischen Achalasie ist bis heute ungeklärt. Diskutiert werden genetische Veranlagung (familiäre, ererbte Form der Achalasie), autoimmunentzündliche Prozesse, degenerativ-neurologische Erkrankungen (peripher und/oder zentral) und Infektionen mit neurotropen Viren oder Parasiten (. Abb. 24.36). Heute wird die idiopathische Achalasie weitgehend als eine primär neurologische Erkrankung betrachtet. Dennoch ist es schwierig, das genaue neuropathologische Korrelat der Erkrankung zu lokalisieren. Historisch wurde zuerst über Veränderungen im Auerbach-Plexus des distalen Ösophagus, des unteren Ösophagussphinkters und des mittleren Magendrittels berichtet. Später wurde auch ein Befall der Nn. vagi und der Kerne des N. vagus im Gehirnstamm postuliert. Von diesen Berichten sind die nachgewiesenen Veränderungen in Höhe des unteren Ösophagussphinkters und des distalen Ösophagus am überzeugendsten. So wurde hier wiederholt eine Degeneration, Verminderung oder gänzliches Fehlen der Ganglienzellen des Plexus myentericus beschrieben. Korrelierend zum Verlust der Ganglienzellen im Auerbach-Plexus wurde auch über eine Verminderung der Ner-
venfasern zwischen den glatten Muskelfasern berichtet. Mit immunhistochemischen Methoden konnte gezeigt werden, dass diese Denervierung vor allem Nervenfasern betrifft, die Neuropeptidinhibitoren (wie z. B. das vasoaktiv-intestinale Polypeptid und das Neuropeptid Y) beinhalten. Diese Befunde unterstützen das Konzept einer Schädigung der inhibitorischen Nervenbahnen, die für die Erschlaffung des Sphinkters und die Regulierung seines Ruhedrucks verantwortlich sind. Der Nachweis von zytoplasmatischen Einschließungen, sog. Lewy-Körper, in den Ganglienzellen des Plexus myentericus und den Zellen der Vaguskerne bei Patienten mit Achalasie legt eine pathogenetische Verbindung zwischen der Achalasie und anderen neurodegenerativen Erkrankungen (z. B. M. Parkinson oder M. Alzheimer) nahe. So wurde bei Patienten mit Achalasie eine Schädigung der Myelinscheide und der Axone des N. vagus, die eine Waller-Degeneration vortäuschen, beschrieben. Weiterhin wurden auch quantitative und qualitative Veränderungen im Bereich der dorsalen Vaguskerne aufgezeigt. Diese Daten weisen auf eine präganglionäre Läsion als Ursache der Achalasie hin. Ebenfalls beschrieben wurden Veränderungen der glatten Ösophagusmuskulatur bei Patienten mit Achalasie. Makroskopisch zeigen die meisten Präparate eine Verdickung der Ösophaguswand. Mikroskopisch beruht dies auf einer Hyperplasie und/oder Hypertrophie der Muscularis propria. In anderen Fällen ist die Muskulatur aber auch normal oder atrophisch und mit fibrotischen Arealen durchsetzt. Alle diese Veränderungen können als Folge einer Denervation betrachtet werden.
Pathophysiologie Die klassischen, bei der unbehandelten Achalasie beobachteten Abnormitäten sind: 4 Erhöhung des basalen Drucks im unteren Ösophagussphinkter 4 Fehlende oder inkomplette schluckreflektorische Erschlaffung des unteren Ösophagussphinkters 4 Aperistalsis des tubulären Ösophagus 4 Erhöhter Ruhedruck im tubulären Ösophagus als Zeichen der Stase und Nahrungsretention Normalerweise befindet sich der untere Ösophagussphinkter in einem Zustand der dauernden Kontraktion. Dies entspricht der myogenen Eigenaktivität der sphinkterischen Muskelfasern und dem Gleichgewicht zwischen der exzitatorisch cholinergen und der postganglionären inhibitorisch nonadrenergen, noncholinergen Aktivität. Durch die Triggerung des Schluckaktes oder eine lokale Dehnung des Ösophagus wird beim Gesunden eine primäre oder sekundäre peristaltische Welle ausgelöst, die in einer koordinierten und kompletten Erschlaffung des un-
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Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
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. Abb. 24.36 Schematische Darstellung der pathophysiologischen Merkmale und mögliche Ursachen der Achalasie
teren Ösophagussphinkters resultiert. Diese reflektorische Erschlaffung des Sphinkters scheint auf einer Aktivierung der postganglionären inhibitorischen Fasern im Plexus myentericus zu beruhen. Als Mediator hiefür wird ein nonadrenerges, noncholinerges Peptid, möglicherweise das VIP, das Neuropeptid Y oder Stickoxid, diskutiert. Diese Zusammenhänge unterstützen die Hypothese eines Ungleichgewichts zwischen stimulierenden und inhibitorischen Nervenbahnen bei Patienten mit Achalasie. Die Ursache der Aperistalsis des tubulären Ösophagus ist bis heute nicht klar. Histologische Untersuchungen der tubulären Speiseröhre bei Patienten in fortgeschrittenen Stadien der Erkrankung zeigen auch hier eine Schädigung des Plexus myentericus. Im Gegensatz zum unteren Ösophagussphinkter scheint die Aperistalsis der tubulären Speiseröhre zumindest im Frühstadium der Erkrankung
jedoch reversibel zu sein. Entsprechend diesem Konzept stellt die »vigorous achalasia« eine Frühform der Erkrankung dar, bei der die tubuläre Speiseröhre durch hypertone Aktivität versucht, die distale Passagebehinderung zu überwinden. In der Folge wird dieser Mechanismus insuffizient und es kommt zu einer Dilatation der Speiseröhre, die Ausdruck der Muskeldekompensation des Ösophaguskörpers ist.
Klinisches Bild Das klinische Bild der Achalasie weist starke individuelle Variationen auf. Dysphagie und Regurgitation gelten jedoch als Leitsymptome (. Tab. 24.3). In der Regel bestehen zum Zeitpunkt der Diagnosestellung die mehr oder weniger stark ausgeprägten Symptome bereits seit mehreren Jahren.
339 24.7 · Funktionsstörungen
. Tab. 24.3 Relative Häufigkeit verschiedener Symptome bei Patienten mit Achalasie (Sammelstatistik, 11 publizierte Serien mit 1332 Patienten). (Mod. nach Stein 1997) Symptom
Prävalenz (%)
Dysphagie
97
Regurgitation
76
Gewichtsabnahme
53
Retrosternaler Schmerz
40
Rezidivierender Husten
28
Eine Dysphagie sowohl für feste als auch für flüssige Nahrung wird von der Mehrzahl der betroffenen Patienten als langsam progredient, gelegentlich aber auch als plötzlich auftretend oder intermittierend beschrieben. Häufig hängt der Schweregrad der Dysphagie von der Art, Konsistenz und Temperatur der Nahrung ab. Viele Patienten entwickeln zum Teil obskure Verhaltensweisen, die der Erleichterung des retrosternalen Völlegefühls dienen und eine ausreichende Nahrungsaufnahme gewährleisten. Eine starke Gewichtsabnahme ist daher bei Patienten mit Achalasie eher selten. Wird dennoch eine Gewichtsabnahme angegeben, so verläuft diese langsam. Ein schneller und signifikanter Gewichtsverlust sollte immer an eine Pseudoachalasie mit einem zugrunde liegenden neoplastischen Prozess denken lassen. Regurgitation tritt bei Patienten mit Achalasie charakteristischerweise erst Stunden nach dem Essen oder während der Nacht auf. Da das regurgitierte Material immer aus der Speiseröhre stammt, ist es in der Regel nicht angedaut und wird vom Patienten als weder sauer noch bitter, manchmal als fäkulent beschrieben. Oft ist dies mit Mundgeruch verbunden. Retrosternaler Schmerz ist kein typisches Symptom der klassischen Achalasie, kann aber in den Frühstadien der Erkrankung oder bei Patienten mit der »vigorous achalasia« vorkommen. Odynophagie, d. h. Schmerz beim Schlucken, ist bei Patienten mit Achalasie in der Regel die Folge einer Staseösophagitis. Pulmonale Symptome werden bei Patienten mit Achalasie in den vorliegenden Studien mit unterschiedlicher Häufigkeit angegeben und beruhen häufig auf Aspiration. Selten kann eine extrem dilatierte Speiseröhre auch einmal das Lungenparenchym so weit komprimieren, dass daraus eine signifikante restriktive Ventilationsstörung resultiert (Stein et al. 1997).
Diagnostik Die diagnostische Abklärung eines Patienten mit Verdacht auf Achalasie beinhaltet eine Röntgenübersichts-
aufnahme des Thorax in 2 Ebenen, eine Röntgenkontrastdarstellung der Speiseröhre, die Endoskopie und die Ösophagusmanometrie. Als weiterführende Untersuchungen stehen die Ösophagustransitszintigraphie, pharmakologische Tests, die Endosonographie und die Computertomographie zur Verfügung. Diese sind aber nicht zwingend erforderlich und werden vor allem bei Therapiestudien, wissenschaftlichen Fragestellungen und zum Ausschluss einer Pseudoachalasie eingesetzt (Stein et al. 1997). Oft kann die Verdachtsdiagnose einer Achalasie bereits aufgrund einer Thoraxübersichtsaufnahme gestellt werden. Folgende Befunde sind typisch für eine Achalasie: Verbreiterung des Mediastinums, Luft-/Flüssigkeitsspiegel im hinteren Mediastinum und eine fehlende Luftblase im Fundus des Magens. Weiterhin kann die Thoraxübersichtsaufnahme die Folgen einer chronischen Aspiration zeigen. Die Röntgenkontrastdarstellung der Speiseröhre zeigt typischerweise eine Dilatation der tubulären Speiseröhre mit Flüssigkeitsspiegel, eine verzögerte Entleerung des Kontrastmittels und eine fehlende propulsive Ösophagusmotilität. Bei Patienten mit »vigorous achalasia« sieht man gelegentlich tertiäre einschnürende Kontraktionen in einem nur wenig dilatierten Ösophagus. Die Kardia ist klassischerweise spindelförmig konzentrisch eingeengt und zeigt keine schluckreflektorische Relaxation (. Abb. 24.37). Spasmolytika haben keinen Effekt. Die Verwendung von solidem oder semisolidem Kontrastmaterial (z. B. »marshmellow«) macht die inkomplette oder fehlende Erschlaffung des unteren Ösophagussphinkters und die Aperistalsis der tubulären Speiseröhre noch deutlicher sichtbar. Im fortgeschrittenen Stadium zeigt sich eine massive Dilatation mit siphonartiger Elongation der mit Succus gefüllten Speiseröhre (. Abb. 24.38). In seltenen Fällen zeigt sich auch einmal ein epiphrenisches Divertikel, das sich aufgrund der Öffnungsstörung des unteren Ösophagussphinkters ausbilden kann. Zum Ausschluss einer Pseudoachalasie muss bei der Röntgenkontrastdarstellung immer auch nach einem malignen Prozess an der Kardia oder am Magenfundus gesucht werden. Die Endoskopie trägt in der Regel nicht zur Diagnose der Achalasie bei. Ihr größter Nutzen findet sich im Ausschluss anderer Erkrankungen und in der Diagnose von Komplikationen, wie z. B. einer Staseösophagitis, einer Soorösophagitis oder eines Karzinoms. Klassischerweise zeigt die Endoskopie bei der Achalasie eine Ösophagusdilatation und Speisereste im Ösophagus. Die Sphinkterpassage ist mit dem Endoskop gegen geringen Widerstand immer möglich. Ein größerer Widerstand deutet auf das Vorliegen einer Pseudoachalasie, verursacht durch ein Karzinom des ösophagogastralen Übergangs, oder eine peptische Stenose hin.
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Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
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. Abb. 24.37 Die Röntgenkontrastdarstellung bei einem Patienten mit Achalasie zeigt eine verbreiterte tubuläre Speiseröhre mit fehlender Peristaltik und eine konzentrisch eingeschnürte Kardia ohne Relaxation
. Abb. 24.38 Massive Dilatation mit siphonartiger Elongation der mit Succus gefüllten Speiseröhre bei Achalasie Grad III
> Aufgrund des erhöhten Risikos der malignen Entartung bei Patienten mit Achalasie sollte bei der Endoskopie immer darauf geachtet werden, dass die gesamte Mukosa der Speiseröhre genau eingesehen wird. Dies ist bei Patienten mit dilatierter und siphonartig verlängerter Speiseröhre aufgrund von Nahrungsmittelretention häufig erst nach mehrtägiger Nahrungskarenz oder Spülung der Speiseröhre möglich. Alle auffälligen Schleimhautbefunde müssen bioptisch abgeklärt werden.
nose erfolgen. Die klassischen manometrischen Zeichen der Achalasie sind (. Abb. 24.39): 4 Fehlen der primären geordneten peristaltischen Aktivität im tubulären Ösophagus 4 Inkomplette oder fehlende Sphinkterrelaxation bzw. verkürzte Relaxation 4 Erhöhter Ruhedruck im unteren Ösophagussphinkter 4 Erhöhter intraluminaler Druck im Ösophagus im Vergleich zum Magen
Die Ösophagusmanometrie gilt als »Goldstandard« für die Abklärung der Achalasie. Sie erlaubt eine eindeutige Diagnosestellung und ermöglicht die Abgrenzung der Achalasie zu anderen primären oder sekundären Motilitätsstörungen. Die Behandlung einer Achalasie sollte nicht ohne eine vorherige manometrische Sicherung der Diag-
In der quergestreiften Muskulatur des proximalen Drittels des Ösophagus findet sich manometrisch gelegentlich eine normale Peristalsis. Der Nachweis von normalen peristaltischen Kontraktionen im distalen Ösophagus schließt dagegen die Diagnose einer klassischen Achalasie praktisch aus. Die Amplitude und Frequenz der motorischen Aktivität der tubulären Speiseröhre erlaubt eine Klassifika-
341 24.7 · Funktionsstörungen
tomographie des Abdomens und des Thorax zum Ausschluss maligner Prozesse bei jedem Patienten über 40 Jahre, bei dem eine Myotomie geplant ist, und bei allen Patienten, die nicht adäquat auf eine pneumatische Dilatation oder Botulinumtoxininjektion ansprechen.
Therapie Therapieziel Das Therapieziel bei der Behandlung der
Achalasie ist die Beseitigung oder Reduktion der meist im Vordergrund stehenden Dysphagie und Regurgitationen. Erreicht wird dies durch eine Reduzierung der Barriere am ösophagogastralen Übergang, die durch das Fehlen der schluckreflektorischen Erschlaffung des unteren Ösophagussphinkters verursacht wird. Eine Heilung der Achalasie ist nicht möglich.
. Abb. 24.39 Typischer manometrischer Befund bei einem Patienten mit Achalasie. Die Druckaufnehmer sind zunächst in der tubulären Speiseröhre (35 und 40 cm ab Zahnreihe) bzw. im Magen (45 cm ab Zahnreihe) platziert und werden dann um 1 cm zurückgezogen. Damit kommt der distale Druckaufnehmer in den unteren Ösophagussphinkter (UOS, 44 cm ab Zahnreihe) zu liegen. Beim Nassschluck (S) zeigt sich in der tubulären Speiseröhre nur eine repetitive simultane Aktivität von niederer Amplitude bei erhöhtem intraösophagealem Ruhedruck. Der UOS relaxiert nicht
tion in hyper-, hypo- und amotile Achalasie. Die hypermotile Achalasie entspricht der »vigorous achalasia« und kann häufig nur schwer vom »diffusen Ösophagospasmus« abgegrenzt werden. Bei Übergangsformen erlaubt die Langzeitmanometrie eine weiterführende Abklärung. Mit dieser Methode lässt sich auch eine teilweise Erholung der Peristaltik nach Behandlung durch Dilatation oder Myotomie eindrucksvoll dokumentieren. Die szintigraphische Messung der Ösophagustransitzeit erlaubt als einzige Methode die Quantifizierung der Passageverzögerung bei Patienten mit Achalasie. Diese aufwendige Untersuchungsmethode trägt zwar nicht zur Primärdiagnostik bei, kann jedoch den Effekt therapeutischer Interventionen (pneumatische Dilatation, Myotomie oder Botulinumtoxininjektion) eindrucksvoll veranschaulichen. Die Indikation zur Endosonographie und Computertomographie bei Patienten mit Achalasie liegt im Ausschluss oder Nachweis von neoplastischen Prozessen, die zu einer Pseudoachalasie führen können. Wir empfehlen die Durchführung einer Endosonographie und Computer-
Therapiealternativen Die Obstruktion des hypertensiven und nichtöffnenden Sphinkters am ösophagogastralen Übergang kann pharmakologisch, durch Ballondilatation, endoskopische Injektion von Botulinumtoxin in den unteren Ösophagussphinkter und chirurgisch beeinflusst werden. Ein konservativer Therapieversuch kann mit Kalziumantagonisten oder Nitraten unternommen werden, die erschlaffend auf die glatte Muskulatur u. a. des Ösophagus wirken. Eine medikamentöse Therapie führt jedoch nur selten zu einer dauerhaften Symptomverbesserung, sodass praktisch früher oder später immer andere Therapiemaßnahmen zum Einsatz kommen müssen (Bassotti et al. 1999). Die Dilatation der Kardia wird heute bei Patienten mit Achalasie fast nur noch pneumatisch durchgeführt. Die risikoreiche Sprengung mit starren Dilatatoren ist heute aufgrund der hohen Rupturraten weitgehend verlassen. Entscheidend für die Wirksamkeit der Ballondilatatoren ist die Begrenzung der Ballondehnbarkeit durch einen eingearbeiteten Stoffbeutel oder durch Verwendung von Plastikmaterialien. Erst dadurch können während der Dehnung in dem engen Segment ausreichende Dehnungsdrücke wirksam werden. Bevorzugt verwendet werden Dilatatoren, die über oder neben einen endoskopisch eingelegten Führungsdraht im Sphinkterbereich platziert werden. Der Führungsdraht erlaubt ein Einführen des Dilatators auch bei erweitertem und geschlängeltem Ösophagus. Mit neueren System ist eine Dilatation auch unter endoskopischer Kontrolle möglich. Voraussetzungen für eine erfolgreiche und risikoarme Sprengung des unteren Ösophagussphinkters mittels Ballondilatation sind die Durchführung der Behandlung unter Durchleuchtungskontrolle und die Vermeidung einer medikamentösen Herabsetzung des Tonus im unteren Ösophagussphinkter, da sonst eine ausreichende Überdehnung der Muskelfasern nicht zustande kommt. Aus
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dem letztgenannten Grund verbietet sich der Eingriff in Narkose oder unter Wirkung von Spasmolytika, Nitrat und Glukagon. Eine Analgesie wird auch deshalb nicht angestrebt, weil die Schmerzreaktion ein wichtiger und frühzeitiger Indikator drohender Komplikationen ist. Wichtig zur Vermeidung einer Aspiration ist ferner die vorherige Entfernung von Speise- und Sekretresten aus der Speiseröhre durch Spülung, am besten nach mehrtägiger Vorbereitung durch flüssige Kost. Die endoskopische Injektion von Botulinumtoxin direkt in den unteren Ösophagussphinkter wurde bei Patienten mit Achalasie in den letzten Jahren ausgiebig evaluiert (Pasricha et al. 1995). Nach den vorliegenden Studien kann hierdurch bei etwa 60–70% der Patienten eine Verbesserung der Symptomatik erzielt werden. Dies wird auf eine Hemmung der cholinergen Erregung des unteren Ösophagussphinkters durch das injizierte Botulinumtoxin zurückgeführt. Bei der Mehrzahl der so behandelten Patienten kommt es jedoch innerhalb weniger Monate zu einem Rezidiv der Beschwerden, das häufig auch durch erneute Injektion nicht therapierbar ist (Annese et al. 1996). Indikationsstellung zur chirurgischen Therapie Prospektive
randomisierte Studien konnten überzeugend zeigen, dass die primäre chirurgische Therapie der Achalasie, vor allem bei jüngeren Patienten, bessere Ergebnisse erzielen kann als die pneumatische Dilatation oder Botulinumtoxininjektion (Zaninotto et al. 2004; Eckhardt et al. 2004). Die Indikation zur primären minimal-invasiven chirurgischen Myotomie sollte daher, vor allem bei jüngeren Patienten und Patienten ohne wesentliches operatives Risiko, großzügig gestellt werden. Bei älteren Patienten ist spätestens nach 2 erfolglosen Dilatationsversuchen oder Rezidiven nach Botulinumtoxininjektion die Indikation zur chirurgischen Therapie gegeben (Eckhardt et al. 2004; Zaninotto et al. 2004; Stein et al. 2001; Urbach et al. 2001). Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl Die lang dis-
kutierte Alternative zwischen transabdominaler und transthorakaler Myotomie des unteren Ösophagussphinkters ist heute weitgehend zugunsten des transabdominalen Zugangs entschieden. Dieses Vorgehen ist nicht nur schonender, es vermittelt auch eine bessere Übersicht über den ösophagogastralen Übergang. An erfahrenen Zentren erfolgt die Myotomie des unteren Ösophagussphinkters heute praktisch ausnahmslos laparoskopisch (Patti et al. 1995). Wichtigster Bestandteil des Eingriffs ist die Spaltung der distalen 4–5 cm der Ösophagusmuskulatur. Die Durchtrennung der proximalen 1–2 cm der Magenwandmuskulatur ist nur insofern wichtig, als sie die vollständige Durchtrennung der terminalen Ösophagusmuskulatur sicherstellt. Die Myotomie sollte keineswegs zu weit auf dem Magen fortgesetzt werden, weil sie dann zu einer
kompletten Durchtrennung der sog. Willis-Schlinge oder »Sling-Fasern« führt und ein freier gastroösophagealer Reflux unvermeidlich ist. Auch bei weitgehender Schonung der »Sling-Fasern« kann postoperativ ein Reflux von Mageninhalt in den Ösophagus auftreten. Daher empfiehlt es sich, die Myotomie mit einer Antirefluxoperation zu verbinden (Andreollo et al. 1987; Abir et al. 2004). Über lange Zeit ist dafür eine komplette 360 -Fundoplikation empfohlen worden. Langzeituntersuchungen zeigen, dass diese Operationsmethode bei bis zu 30% der Patienten zu postoperativen Dysphagien führt. Die motilitätsgestörte Speiseröhre kann in diesen Fällen die relativ starke Antirefluxbarriere der 360°-Fundoplikation nicht adäquat überwinden. Als Alternative wird deshalb zunehmend die sog. Thal- oder Dor-Fundoplastik gewählt (Ackroyd et al. 2001; Patti et al. 2001). Sie bietet neben dem Schutz vor einem eventuell postoperativen Reflux auch eine Protektion der denudierten Schleimhaut im Bereich der Myotomie und verhindert eine »Selbstheilung« der Myotomie und damit Rezidive. Operationstechnik der transabdominellen bzw. laparoskopischen Myotomie und Thal-Fundoplastik Beim offenen
Vorgehen hat sich zur Freilegung der Kardia die mediane Oberbauchlaparotomie bewährt. Beim laparoskopischen Vorgehen erfolgt die Platzierung der Trokare und die Exposition des ösophagogastralen Übergangs wie bei der Fundoplikation. Nach Eröffnen der peritonealen Umschlagfalte am ösophagogastralen Übergang erfolgt die Darstellung der Vorderwand des mit einem dicken Bougie geschienten distalen Ösophagus. Dies ist in der Regel mühelos möglich, da bei Patienten mit Achalasie praktisch nie eine Hiatushernie vorliegt. Eine zirkuläre Freilegung des ösophagogastralen Übergangs ist nicht erforderlich und würde nur zu einer Zerstörung des extrasphinktären Antirefluxmechanismus führen. Die Myotomie erfolgt links vom Truncus, anterior des N. vagus. Auf eine komplette Myotomie aller Fasern beider Muskelschichten ist zu achten. Im Bereich des Ösophagus ist die Ablösung der Muskulatur von der Schleimhaut leichter und gefahrloser als im Magenfundusbereich. Insgesamt hat sich die Myotomie über wenigstens 4 cm im Bereich des terminalen Ösophagus und über nur 1–2 cm im Bereich des Magenfundus zu erstrecken (. Abb. 24.40a). Die Myotomie sollte dabei den in fortgeschrittenen Fällen deutlich dilatierten tubulären Anteil des Ösophagus erreichen. Dies ist in der Regel ohne Probleme von abdominal her möglich. Der gespaltene Muskelmantel wird dann nach rechts und links stumpf von der Schleimhaut abgeschoben, bis die Mukosa in einer Ausdehnung von etwa 1/4 bis 1/3 der Ösophaguszirkumferenz freiliegt und sich bei Luft- oder Wasserinsufflation in den Ösophagus vorwölbt (. Abb. 24.41).
343 24.7 · Funktionsstörungen
a
. Abb. 24.41 Laparoskopische Myotomie. Die Myotomie ist durchgeführt, die Submukosa liegt über 1/4 der Zirkumferenz des Ösophagus frei
b . Abb. 24.40a,b Myotomie. a Myotomie des distalen Ösophagus und unteren Ösophagussphinkters, b Deckung mit Thal-Fundoplastik. Das Ausmaß der Myotomie an Ösophagus und Magen ist dargestellt
Bei der Thal- oder Dor-Fundoplastik wird der proximale Fundus nach Mobilisation dreiecksförmig in den entstandenen Myotomiedefekt eingenäht. Dies geschieht durch Vereinigung des Funduspatches mit der vorderen wie auch der hinteren Muskelkante (. Abb. 24.40b). Auf diese Weise wird einmal eine Antirefluxbarriere geringeren Ausmaßes errichtet, zum anderen kann die denudierte Speiseröhrenschleimhaut gedeckt werden und schließlich wird die Myotomie durch die Fundoplastik offen gehalten (Feussner 1997; Feussner u. Stein 1994). Ergebnisse der Myotomie Für den Leistungsvergleich zwischen Myotomie und pneumatischer Dilatation ist die Kenntnis der Komplikationsraten entscheidend. Bei der Myotomie ist nach Sammelstatistiken in ca. 4% mit einer Mukosaläsion zu rechnen, die bei Deckung mittels Thal-
oder Dor-Fundoplastik jedoch praktisch immer folgenlos abheilt. Die Letalität der Myotomie beträgt deutlich unter 0,5%. Auch mit modernen Ballondilatatoren beträgt das Perforationsrisiko der pneumatischen Dilatation noch etwa 1% pro Dilatationsversuch, die Letalität wird mit unter 0,5% angegeben. Die Langzeitergebnisse nach Myotomie werden bei 85–90% der Patienten als »gut« oder »sehr gut« beschrieben (Ellis1993; Hunter et al. 1997; Luketich et al. 1997; Patti et al. 1999; Radovanovic et al. 2000). Eine einmalige pneumatische Dilatation ist nur bei ca. 50% der Patienten erfolgreich, durch Wiederholung der pneumatischen Dilatation kann die Erfolgsrate auf ca. 75% gesteigert werden (Vaezi et al. 1999). Bei jungen Patienten (<30 Jahre) liegt die Erfolgsrate der Dilatation, auch bei mehrmaligen Versuchen, bei unter 30% (Eckhardt et al. 1992). Ein therapiebedürftiger gastroösophagealer Reflux tritt nach pneumatischer Dilatation oder alleiniger Myotomie bei bis zu 25% der Patienten auf. Wird die Myotomie mit einer Antirefluxplastik kombiniert, liegen diese Zahlen deutlich unter 10%. Vorangegangene pneumatische Dilatationen oder Botulinumtoxininjektionen haben zwar keinen Einfluss auf die Langzeitergebnisse der Myotomie, können jedoch die Schwierigkeit des Eingriffs und damit die Komplikationsrate erhöhen.
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Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
24.7.2
Diffuser Ösophagospasmus
> Beim diffusen Ösophagospasmus handelt es sich um eine primäre Funktionsstörung des tubulären Ösophagus, die durch intermittierende repetitive und simultane Kontraktionen bei partiell erhaltener normaler Peristalsis gekennzeichnet ist. Der untere Ösophagussphinkter ist normoton oder hyperton und erschlafft meist normal. Eine eindeutige Diagnose kann nur manometrisch gestellt werden.
Epidemiologie Der klassische, symptomatische diffuse Ösophagospasmus kommt mit ca. 1 Patienten pro 100.000 Einwohner etwa 10-mal seltener vor als die Achalasie. Gelegentlich geht ein diffuser idiopathischer Ösophagospasmus im späteren Verlauf in eine Achalasie über.
Ätiologie und Pathophysiologie Die Ätiologie und die neuromuskulären Mechanismen, die dem diffusen Ösophagospasmus zugrunde liegen, sind unklar. Eine Hypertrophie der Ösophagusmuskulatur und die Degeneration von Nervenfasern wurden in Einzelfällen beschrieben, treten jedoch nicht konstant auf. Die Ösophagusmuskulatur ist bei elektronenmikroskopischer Untersuchung normal. Psychische Faktoren wirken auslösend, wahrscheinlich aber nicht kausal. Eine Verdickung der Ösophagusmuskulatur, wie sie mittels Endosonographie gelegentlich beschrieben wird, dürfte eine Folge der Funktionsstörung im Sinne einer Bedarfshypertrophie sein. In vielen Fällen finden sich analog zur Achalasie pharmakologische Hinweise auf eine Denervierung der Ösophagusmuskulatur, d. h. es besteht eine Überempfindlichkeit auf Cholinergika. Dabei kommt es zu massiver Spontanaktivität der Speiseröhre mit Anhebung des Ruhedrucks und retrosternalen Schmerzen, die durch Anticholinergika oder Nitroglyzerin beseitigt werden können. Im Gegensatz zur Achalasie ist jedoch die Zahl der intramuralen Ganglienzellen nicht vermindert. Die wesentlichen pathophysiologischen Komponenten des diffusen Ösophagospasmus sind gehäuft auftretende simultane und repetitive Kontraktionen im tubulären Ösophagus. Im Gegensatz zur klassischen Achalasie be-
steht aber bis zu einem gewissen Grad noch peristaltische Aktivität. Die Kontraktionen im tubulären Ösophagus sind häufig von höherer Amplitude und dauern länger als normal. Ein Kontraktionskomplex kann hier vereinzelt bis zu 40 s anhalten. Während dieser Phasen lassen sich radiologisch Pseudodivertikel und eine partielle Bolusretention in der tubulären Speiseröhre darstellen. Mittels ambulanter 24-Stunden-Manometrie kann eine vermehrte Spontanaktivität des tubulären Ösophagus aufgezeigt werden. Der
. Abb. 24.42 Typischer manometrischer Befund bei einem Patienten mit diffusem Ösophagospasmus. Die Druckaufnehmer sind in der tubulären Speiseröhre platziert (23, 28 und 33 cm ab Zahnreihe). Beim ersten Nassschluck (S) zeigt sich in der tubulären Speiseröhre eine regelrechte peristaltische Kontraktionssequenz. Beim zweiten Nassschluck stellt sich eine simultane und repetitive Kontraktionssequenz dar
untere Ösophagussphinkter zeigt bei Patienten mit diffusem Ösophagospasmus in der Regel einen normalen Ruhedruck mit vollständiger und koordinierter schluckreflektorischer Relaxation. Ein hypertensiver Sphinkter mit inkompletter Relaxation kann jedoch ebenfalls vorkommen. Die manometrischen Veränderungen des diffusen Spasmus betreffen entsprechend der Verteilung der glatten Muskulatur in der Regel die distalen 2 Drittel der tubulären Speiseröhre. Die typischen Motilitätsveränderungen können auch auf ein Segment des Ösophagus beschränkt sein (segmentaler Ösophagospasmus). Gelegentlich kann ein segmentaler oder diffuser Ösophagospasmus auch zur Ausbildung eines Pulsionsdivertikels führen (Stein et al. 1997).
Klinisches Bild Leitsymptom des idiopathischen Ösophagospasmus ist die intermittierende, nicht-obstruktive Dysphagie, d. h. Dys-
345 24.7 · Funktionsstörungen
. Abb. 24.43 Typisches radiologisches Bild des diffusen Ösophagospasmus mit helikalem Erscheinungsbild der tubulären Speiseröhre, dem »Korkenzieher-Ösophagus«
phagie ohne Nachweis eines morphologischen Passagehindernisses in der Endoskopie oder Röntgenkontrastdarstellung der Speiseröhre. Die Dysphagie tritt typischerweise in unregelmäßigen Abständen (Stunden bis Jahre) auf und kann durch Stress oder hastiges Essen provoziert und verstärkt werden. Retrosternale Schmerzen können im Anschluss an das Schlucken oder unabhängig davon auftreten. Auch tagelange retrosternale Dauerschmerzen und monate- oder jahrelange symptomfreie Intervalle sind möglich. Eine Bolusimpaktation ist selten.
Diagnostik Die Ösophagusmanometrie ist für die Diagnose des »diffusen Ösophagospasmus« unerlässlich. Die Röntgenkontrastdarstellung gilt als ergänzende Untersuchung. Die Endoskopie mit Biopsie dient zum Ausschluss einer organischen Erkrankung. In der Manometrie erfolgt die Diagnose eines diffusen Ösophagospasmus bei Nachweis einer erhöhten Anzahl simultaner und repetitiver Kontraktionssequenzen (»spastische Kontraktionen«) im tubulären Ösophagus bei inter-
mittierend normaler Peristalsis (. Abb. 24.42). Häufig findet sich auch eine erhöhte Kontraktionsamplitude, die jedoch nicht Voraussetzung für die Diagnosestellung ist. Typisch ist auch eine vermehrte Spontanaktivität der tubulären Speiseröhre. Der Ruhedruck und die Relaxationscharakteristika des unteren Ösophagussphinkters sind in der Regel unauffällig, gelegentlich findet sich allerdings ein erhöhter Ruhedruck. Bei der Röntgenkontrastdarstellung des Ösophagus zeigt sich häufig das typische Bild eines »KorkenzieherÖsophagus« mit Pseudodivertikelbildung, partieller Retention des Kontrastmittels in der Speiseröhre (. Abb. 24.43) und tertiären Kontraktionen. Das Vorliegen bzw. Fehlen einer Hiatushernie trägt zur Diagnose nicht bei. Zum Ausschluss einer refluxinduzierten Motilitätsstörung, die ein dem »diffusen Spasmus« ähnliches manometrisches Bild zeigen kann, ist eine Ösophagus-pH-Metrie erforderlich. Beim typischen diffusen idiopathischen Ösophagospasmus ist die Endoskopie normal. Die endoskopische Beurteilung der Motilität ist nicht zuverlässig möglich.
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Therapie
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Da es sich beim diffusen Ösophagospasmus um eine chronisch-rezidivierende, gutartige Erkrankung handelt, die mit langen symptomfreien Intervallen einhergeht und therapeutisch nur schwer zu beeinflussen ist, hängt die Indikation zur Therapie von der Intensität der Beschwerden und dem Leidensdruck ab. Entscheidend für die Betreuung des Patienten ist die Aufklärung über die harmlose Natur seines Leidens. Die akute Symptomatik kann mit Spasmolytika, Nitraten oder Kalziumantagonisten kupiert werden. Als Langzeitmedikation können Anticholinergika, Benzodiazepine oder Antidepressiva verwendet werden (Pandolfino et al. 2000; Storr et al. 1999). Gelegentlich wird eine Bougierung der Speiseröhre oder eine pneumatische Dilatation des unteren Sphinkters durchgeführt, obwohl die pathophysiologischen Voraussetzungen für eine solche Behandlung nicht erfüllt sind. Die Erfolge dieser Behandlung sind dementsprechend eher ungünstig. Nur in extrem seltenen Fällen kann eine lange extrasphinktere Myotomie des Ösophagus erforderlich werden, die heute auch minimal-invasiv auf thorakoskopischem Wege durchgeführt werden kann. Dieses Vorgehen sollte jedoch als Ultima Ratio betrachtet werden und ist nur bei ca. 70% der Patienten erfolgreich ( Eypasch 1992; Stein 1992).
24.7.3
Hypertensive Peristalsis (Nussknacker-Ösophagus)
Die manometrische Untersuchung von Patienten mit nichtkardialen retrosternalen Schmerzen zeigt häufig peristaltische Kontraktionen von hoher Amplitude oder langer Dauer. In den späten 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts wurde für diesen manometrischen Befund der Begriff des »Nussknacker-Ösophagus« oder »Supersqueezer-Ösophagus« geprägt. Von einigen anderen Gruppen wird diese Entität deskriptiv einfach auch als »hypertensive Peristalsis« beschrieben. Die Motilitätsstörung wird dann diagnostiziert, wenn die mittlere Amplitude oder Dauer der Kontraktionen die 95. Perzentile oder den Mittelwert plus 2 Standardabweichungen der laboreigenen Normwerte übertrifft, d. h. in der Regel mehr als 180 mmHg oder länger als 7 s beträgt. Die Kontraktionsamplituden können bei diesen Patienten leicht jenseits von 400 mmHg liegen und damit die obere Messgrenze gängiger Manometriesysteme übersteigen (. Abb. 24.44). Systematische Untersuchungen zeigten, dass es sich beim Nussknacker-Ösophagus um die wohl häufigste der primären Motilitätsstörungen handelt. Definitionsgemäß ist der Nussknacker-Ösophagus jedoch eine rein manometrische Abnormität, die gehäuft bei Patienten mit nichtkardialem Brustschmerz nachgewiesen werden kann. Ein Kausalzusammenhang zwischen peristaltischen Kontraktionen
. Abb. 24.44 Typischer manometrischer Befund bei einem Patienten mit »Nussknacker-Ösophagus«. Die Druckaufnehmer sind in der tubulären Speiseröhre platziert (25, 30 und 35 cm ab Zahnreihe). Beim Nassschluck (S) zeigt sich in der tubulären Speiseröhre eine regelrechte peristaltische Kontraktionssequenz mit exzessiv hohen Kontraktionsamplituden und Kontraktionsdauern
hoher Amplitude oder langer Dauer und dem Beschwerdebild der Patienten konnte bislang nicht bewiesen werden. Der Nussknacker-Ösophagus wird deswegen häufig nicht als eigenständiges Krankheitsbild betrachtet. Eine spezifische Therapie ist demzufolge praktisch nie erforderlich. Von der Durchführung einer Ösophagusmyotomie bei diesen Patienten, wie vereinzelt berichtet, raten wir ab.
24.7.4
Hypertensiver unterer Ösophagussphinkter
Bereits 1960 wurde von Code und Mitarbeitern der sog. hypertensive untere Ösophagussphinkter als eigenständige
347 24.7 · Funktionsstörungen
Motilitätsstörung bei Patienten mit retrosternalen Schmerzen und Dysphagien beschrieben (Code et al. 1960). Definiert wird der hypertensive untere Ösophagussphinkter durch einen erhöhten Ruhedruck bei normaler schluckreflektorischer Relaxation des unteren Ösophagussphinkters. Neuere Untersuchungen zeigen, dass bei mehr als 50% der betroffenen Patienten zusätzlich eine Motilitätsstörung der distalen Speiseröhre, meist ein Nussknacker-Ösophagus, besteht. Die Ätiologie der Abnormität, der Kausalzusammenhang zwischen den beschriebenen manometrischen Befunden und den Beschwerden des Patienten sowie die klinische Relevanz des Krankheitsbildes sind unklar (Bassotti et al. 1992).
24.7.5
Unspezifische primäre Motilitätsstörungen des tubulären Ösophagus
Eine große Anzahl von Patienten mit Dysphagie oder retrosternalen Schmerzen zeigt in der Standardmanometrie abnorme Motilitätsphänomene, die nicht die Kriterien der oben beschriebenen Motilitätsstörungen erfüllen. Diese Abnormitäten werden im Allgemeinen als unspezifische Motilitätsstörungen klassifiziert und als Gruppe zusammengefasst. Die klinische Bedeutung dieser manometrischen Befunde ist unklar. Nach unserer Erfahrung dürfte es sich bei der Mehrzahl dieser Befunde um sekundäre Motilitätsphänomene bei nicht erkannter zugrunde liegender gastroösophagealer Refluxkrankheit oder um eine Mitbeteiligung der Speiseröhre bei Systemerkrankungen handeln (s. unten).
24.7.6
Sekundäre Motilitätsstörungen des Ösophagus
Motilitätsstörungen der tubulären Speiseröhre können auch Ausdruck einer zugrunde liegenden anderen Erkrankung oder einer generalisierten neurologischen, muskulären oder metabolischen Störung sein. Der Ösophagus kann vor allem bei Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis, Kollagenerkrankungen, Vaskulitiden, paraneoplastischen Syndromen und einer Reihe von Stoffwechselerkrankungen (wie z. B. Diabetes, Schilddrüsenfunktionsstörungen) mitbetroffen sein (7 Abschn. 24.1). Am häufigsten ist dies bei Patienten mit progressiver systemischer Sklerodermie, der sog. »mixed connective tissue disease«, bei Polymyositis und Dermatomyositis der Fall. Eine spezifische Therapie der Ösophagusfunktionsstörung ist hier nur selten erforderlich, vielmehr muss die Grundkrankheit behandelt werden. Eine Ausnahme bildet die Sklerodermie. Eine Motilitätsstörung der Speiseröhre kann bei über 80% der Patien-
ten mit Sklerodermie nachgewiesen werden. In der Regel handelt es sich dabei um einen Krankheitsprozess, der auf die glatte Muskulatur beschränkt ist und damit nur die unteren 2 Drittel der Speiseröhre betrifft. Die typischen manometrischen Befunde sind: 4 eine normale Peristalsis im proximalen Ösophagus (im Bereich der quergestreiften Muskulatur) und 4 Kontraktionen mit sehr niedriger Amplitude oder 4 eine komplett fehlende Peristalsis in der distalen Speiseröhre (im Bereich der glatten Muskulatur). Der untere Ösophagussphinkter ist ebenfalls betroffen und zeigt einen deutlich verminderten oder fehlenden Ruhedruck. Konsequenterweise kommt es bei den betroffenen Patienten zu einem ausgeprägten Reflux von Mageninhalt in die Speiseröhre mit fehlender Clearance und konsekutiver schwerer Ösophagitis. Da eine Antirefluxoperation bei amotiler tubulärer Speisröhre nicht erfolgversprechend ist, sollten hier alle konservativen medikamentösen Therapieverfahren ausgeschöpft werden.
24.7.7
Literatur
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24
348
24
Kapitel 24 · Gutartige Erkrankungen von Ösophagus und Kardia
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25
Hiatushernien und andere Erkrankungen des Zwerchfells H.J. Stein, B.H.A. von Rahden, H. Feussner
25.1
Hiatushernien
– 350
25.1.1 25.1.2 25.1.3 25.1.4
Klassifikation und Pathogenese Symptome – 351 Diagnostik – 353 Operative Therapie – 354
25.2
Andere Erkrankungen des Zwerchfells
25.2.1 25.2.2 25.2.3 25.2.4
Extrahiatale Zwerchfellhernien – 356 Zwerchfellverletzungen – 358 Relaxatio diaphragmatica – 358 Neoplastische und entzündliche Prozesse des Zwerchfells
25.3
Literatur
– 350
– 356
– 360
– 361
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_25, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
350
25
Kapitel 25 · Hiatushernien und andere Erkrankungen des Zwerchfells
Bei der »Hiatushernie«, der häufigsten Form der Zwerchfellhernie, ist der Hiatus oesophageus die Bruchpforte. Durch ihn ist der Magen (und evtl. andere abdominelle Strukturen) teilweise oder ganz (totaler Thoraxmagen, »upside-down stomach«) in den Thorax verlagert. Die Kontinuität des Zwerchfells kann durch angeborene oder erworbene Lücken und Defekte sowie durch traumatische Läsionen beeinträchtigt sein. Durch die Lücken können abdominelle Organe nach thorakal verlagert werden.
25.1
Hiatushernien
25.1.1
Klassifikation und Pathogenese
Aus epidemiologischer, pathogenetischer und therapeutischer Sicht werden die Hiatushernien in axiale (Typ I), paraösophageale (Typ II) und Mischhernien (Typ III) eingeteilt (. Abb. 25.1). Bei großen Zwerchfelldefekten mit Herniation anderer intraabdomineller Organe (z. B. Kolon oder Milz) spricht man von Typ-IV-Hernien. Axiale Hiatushernie (Typ I) Der ösophagogastrale Über-
gang, die anatomische Kardia, ist entlang der Längsachse des Ösophagus (»axial«) durch den Hiatus oesophageus nach oralwärts verlagert und epiphrenisch lokalisiert. Synonym ist auch der Begriff »Hiatusgleithernie« gebräuchlich, da die Herniation zunächst reversibel ist, und durch Horizontal- oder Oberkörpertieflage und durch abdominellen Überdruck (»Pressen«) provoziert werden kann. Die axiale Hiatushernie ist die häufigste Form der Hiatushernie und nimmt mit zunehmendem Alter an Prävalenz zu. Jenseits des 70. Lebensjahres lässt sich bei mehr als 70%
. Abb. 25.1a–c Klassifikation der Hiatushernien. a Axiale Hiatushernie (Typ I), b paraösophageale Hiatushernie (Typ II), c Mischhernie (Typ III). (Nach Siewert et al. 2001)
der Bevölkerung eine axiale Hiatushernie röntgenologisch nachweisen (Rossetti 1990). Durch die partiell extraperitoneale Lage der verlagerten Organe (distaler Ösophagus, Kardia, Magenfundus) gibt es nur einen gering ausgeprägten Bruchsack. Als pathogenetischer Hauptfaktor wird die mit fortschreitendem Alter zunehmende Mesenchymschwäche angesehen, die zu einer Relaxation und Verlängerung des ligamentären Bandapparats am ösophagogastralen Übergang sowie zu einer Lockerung und Ausweitung des Hiatus führt. Veränderungen der viskoelastischen Eigenschaften des distalen Ösophagus sowie der Funktion der longitudinalen Muskelfasern sollen ebenfalls eine Rolle spielen (Christensen u. Miftakhov 2000). Adipositas, Schwangerschaft und Lungenemphysem begünstigen die hiatale Bruchbildung. Durch diese pathoanatomischen Veränderungen ist das physiologische Ventilelement des unteren Ösophagussphinkters gestört, da dieses auf dem koordinierten Zusammenspiel zwischen Zwerchfellschenkeln und Muskelapparat am ösophagogastralen Übergang beruht. Bei der axialen Hiatushernie ist die abdominothorakale Druckregulation am Mageneingang gestört, wodurch es zu gastroösophagealem Reflux kommt. Im Rahmen der konsekutiven Refluxösophagitis kann es zur perifokalen Entzündung und Längsschrumpfung des Ösophagus kommen, wodurch die Kardia weiter ins Mediastinum hinaufgezogen und dort sukzessive verankert werden kann: Aus dem Gleitbruch wird so eine »fixierte axiale Hernie«. Paraösophageale Hiatushernie (Typ II) Bei der Typ-II-Hia-
tushernie tritt ein mehr oder minder großer Anteil des intraperitonealen Magens neben dem Ösophagus in das Mediastinum. Die Maximalform ist der totale Thoraxmagen (»upside-down stomach«). Der entscheidende Unterschied zur Abgrenzung von der axialen Hernie ist die bei der paraösophagelen Hernie subphrenisch lokalisierte Kardia. Es handelt sich also um eine Bruchbildung neben dem Ösophagus bei erhaltener intraabdomineller Fixation des distalen Ösophagus und der Kardia. Bei ca. 80% der Patienten besteht als zugrunde liegende und wohl angeborene Fehlbildung ein Hiatus communis, d. h. ein gemeinsamer Durchtritt von Ösophagus und Aorta durch das Zwerchfell (. Abb. 25.2). Entsprechend der intraperitonealen Lage des Magenkorpus und -antrums bildet das Peritoneum parietale bei der paraösophagelen (im Gegensatz zur axialen) Hernie einen nach allen Seiten geschlossenen Bruchsack. Bruchbildung und Torsion vollziehen sich nach konstanten anatomischen Gesetzen: Die Majorseite dreht sich nach vorne und kranial, mit der Kardia als Fixpunkt. In der Mehrzahl der Fälle bildet sich zuerst ein partieller proximaler Magenvolvulus, seltener ein distaler Magenvolvulus mit Drosselung des Ausflusstrakts und Entleerungsstörung und dem Bild einer Magenausgangs-
351 25.1 · Hiatushernien
bei der sich im weiteren Verlauf zunehmend mehr Magenabschnitte durch einen erweiterten Hiatus oesophageus nach paraösophageal verlagern. Entscheidender Unterschied zur rein paraösophagealen Hernie ist die Intrathorakalverlagerung auch der Kardia. Bei ca. 10–15% aller Hiatushernien handelt es sich um Mischhernien. Gemischte und paraösophageale Hernien bevorzugen im Verhältnis 3:1 Frauen, wobei eine pyknisch-adipöse Konstitution die Progression der Hernienformation begünstigt.
25.1.2
Symptome
Axiale Hiatushernie Die Typ-I-Hiatushernie ist in der Re-
. Abb. 25.2 Typische Bruchpforten und Lücken des Zwerchfells. (Nach Siewert et al. 2001)
stenose (. Abb. 25.3). Die paraösophageale Hiatushernie neigt zur Progression bis zum Vollbild des totalen Thoraxmagens (»upside-down stomach«). Hier befindet sich das ganze Organ in einem großen mediastinalen Bruchsack mit der Majorseite als oberer Kontur (. Abb. 25.4). Die reine Form der paraösophagealen Hiatushernie stellt eine seltene Erkrankung dar. Weniger als 5% aller Zwerchfellhernien gehören diesem Typ an (Rossetti 1990; Oddsdottir 2000). Mischhernie (Typ III) Die Typ-III-Hernie ist eine Kombination der axialen und paraösophagealen Hiatushernie. Sie entsteht meist aus einer zunächst rein axialen Gleithernie,
gel klinisch stumm. Beschwerden wie retrosternale oder epigastrische Schmerzen sind meist auf eine begleitende Refluxkrankheit zurückzuführen. Gelegentlich kann es zur Ausbildung einer ringförmigen Stenose am Oberrand der Hernie (Schatzki-Ring; 7 Kap. 24.5) mit Dysphagie und Bolusimpaktation kommen. Paraösophageale Hiatushernie Typische Symptome einer
paraösophagealen Hernie sind Dysphagie, Regurgitation und auch postprandiale Herz-Kreislauf-Beschwerden oder Herzrhythmusstörungen. Durch die Neigung zur Progression bis hin zum kompletten Thoraxmagen (»upside-down stomach«) besteht auch die Gefahr der Strangulation und (selten) der Einklemmung des Bruchinhaltes. Häufig ist eine Anämie nachweisbar, durch chronischen Blutverlust im torquierten, gestauten und mechanisch geschädigten Magenabschnitt. Gelegentlich entsteht ein Ulkus im Bereich des Schnürringes (sog. »riding ulcer«; . Abb. 25.5).
. Abb. 25.3a–c Paraösophageale Hiatushernie mit typischer Drehung der großen Kurvatur und Bildung eines proximalen (a), distalen (b) oder totalen (c) Magenvolvolus. (Nach Rossetti 1990)
25
352
Kapitel 25 · Hiatushernien und andere Erkrankungen des Zwerchfells
25
a
b . Abb. 25.4a–c Thoraxröntgenübersichtsaufnahmen (a, b) sowie Röntgenkontrastdarstellung (c) eines »totalen Thoraxmagens« oder
»upside-down stomach«. Bereits in der Übersichtsaufnahme ist die typische epiphrenische retrocardiale Luftsichel gut erkennbar
In 1/3 der Fälle wird die paraösophageale Hernie als Zufallsbefund entdeckt, in 1/3 wegen schleichender Anämie bei meist okkulter Blutung und in 1/3 wegen Passagestörungen. Aufstoßen und Erbrechen sind durch die Kompression der Kardia erschwert, sodass eine chronische Stauung und Dilatation des Magenvolvulus bis zum Bild des »Spannungsgastrothorax« entstehen kann.
Mischhernie Das klinische Bild entspricht weitestgehend dem der paraösophagealen Hernie. Seltener kann aber auch eine Refluxsymtomatik führend sein. Bei bis zu 30% der Patienten mit Hiatushernie besteht als Begleiterkrankung eine Cholelithiasis und Divertikulose des Colon sigmoideum (Saint-Trias). Es handelt sich hierbei jedoch um eine »Trias der Häufigkeit und Koinzi-
353 25.1 · Hiatushernien
c . Abb. 25.4a–c (Fortsetzung)
denz« ohne jeglichen pathophysiologischen Zusammenhang.
25.1.3
. Abb. 25.5 Komplikationen der paraösophagealen (Typ II) und Mischhernie (Typ III)
Diagnostik
Hinweisend auf das Vorliegen einer paraösophagealen Hernie oder Mischhernie ist der Nachweis einer epiphrenisch und retrokardial gelegenen Luftblase in der Röntgenübersichtsaufnahme des Thorax (. Abb. 25.4a, b). Eine Kontrastmitteldarstellung (Breischluck) von Ösophagus und Magen stellt die topographische Anatomie des ösophagogastralen Übergangs am besten dar (. Abb. 25.4c und . Abb. 25.6) und ist für die Klassifizierung der Hiatushernien unerlässlich. Endoskopisch kann die Diagnose einer axialen Hiatushernie gestellt werden, wenn unterhalb des unteren Ösophagussphinkters eine durch die Zwerchfellschenkel verursachte zweite Einschnürung im Magenbereich auszumachen ist. Ein indirektes endoskopisches Zeichen für das Vorliegen einer axialen Hiatushernie ist auch der Nachweis eines Schatzki-Ringes. Schwierig ist es jedoch mit der Endoskopie zwischen rein paraösophagealer Hernie (Typ II) und Misch-
25
354
Kapitel 25 · Hiatushernien und andere Erkrankungen des Zwerchfells
25
a
b
. Abb. 25.6 Röntgenkontrastdarstellung einer paraösophagealen Hiatushernie (links) und regelrechter anatomischer Situs nach lapa-
roskopischer Reposition, hinterer Hiatoplastik und hinterer Gastropexie sowie Fundophrenikopexie (rechts)
hernie (Typ III) zu unterscheiden. Wichtig ist der endoskopische Ausschluss bzw. Nachweis einer begleitenden Refluxösophagitis, einer Stauungsgastritis oder eines Ulkus. Ösophagusmanometrie und pH-Metrie sollten bei Refluxsymptomen und endoskopischem Nachweis einer Refluxösophagitis zur Objektivierung der Refluxkrankheit genutzt werden. Manometrisch nachweisbare Funktionsstörungen des tubulären Ösophagus sind bei großen axialen Hernien häufig. Bei paraösophagealen oder Mischhernien kann die Kompression des distalen Ösophagus zu Funktionsstörungen führen. Diese Veränderungen sind in der Regel nach operativer Korrektur der Hernie reversibel (Kahrilas et al. 1999; Stein u. Siewert 2001).
sollte man eine Operationsindikation bei Blutungsneigung durch den gastroösophagealem Schleimhautprolaps oder bei assoziierten Mallory-Weiss-Läsionen. Paraösophageale und Mischhernien stellen – wegen Progressionsneigung und potenziellen Komplikationen – auch im asymptomatischen Stadium eine Operationsindikation dar. Zwingend wird die Indikation bei partiellem oder totalem Magenvolvulus, bei Passagestörungen (intermittierend, selten akuter Magenileus), bei der immer irreversiblen mediastinalen Mageninkarzeration oder bei chronischer Anämie vorliegen. Bei der gemischten Hiatushernie können Indikation und Operationstaktik durch eine begleitende Refluxkrankheit beeinflusst werden, deren Ausmaß, Stadium und mögliche organische Komplikationen präoperativ präzisiert werden müssen.
25.1.4
Operative Therapie
Indikation Eine axiale Hernie wird in der Regel nur bei gleichzeitigem Vorliegen einer rezidivierenden Refluxkrankheit chirurgisch therapiert. Ansonsten (ohne Refluxkrankheit) besteht nur selten eine Operationsindikation. Bei 80–90% der nachgewiesenen Gleithernien handelt es sich um einen harmlosen Zufallsbefund, der keiner Therapie bedarf. Auch der routinemäßige Verschluss einer im Rahmen anderer chirurgischer Eingriffe diagnostizierten Hiatushernie ist nicht gerechtfertigt (Siewert u. Stein 1998). Diskutieren
Verfahrenswahl Die Verfahrenswahl bei Patienten mit axialer Hiatushernie und Refluxkrankheit erfolgt nach den Prinzipien der Antirefluxchirurgie. Neben der Hernienreposition und der Einengung des erweiterten Hiatus (hintere Hiatoplastik) steht hier die Durchführung einer Fundoplikation im Vordergrund (7 Kap. 24.6). Das Ziel der chirurgischen Therapie der paraösophagealen Hernie und Mischhernie ist die bleibende Reposi-
355 25.1 · Hiatushernien
tion durch eine sichere Einengung der Bruchlücke. Der Bruchsack sollte zur Verhinderung von Rezidiven zumindest partiell reseziert werden. Das geeignetste Verfahren ist die transabdominelle Hiatoplastik und Gastropexie. Während die Reposition des intrathorakalen Magenanteils in Narkose in der Regel leicht gelingt, kann eine Einengung der Bruchlücke (Hiatoplastik) bei einem weiten Hiatus communis gelegentlich schwierig sein. Zur Verhinderung von Rezidiven sollten deshalb zusätzlich eine intraabdominelle Fixierung des Magens durch Annaht des Magenfundus an die Unterseite des linken Zwerchfells (Fundophrenikopexie) und eine Fixierung des gastroösophagealen Übergangs und des oralen Anteils der kleinen Kurvatur des Magens an die präaortale Faszie oder, falls vorhanden, an die hintere Kommissur der Zwerchfellschenkel (hintere Gastropexie) erfolgen. Die früher häufig durchgeführte Fixierung der Magenvorderwand an die Bauchdecke (vordere Gastropexie) ist überflüssig (Stein 2001). Die Verwendung von alloplastischem Material (Netze) zum Verschluss großer Bruchlücken ist beschrieben (Frantzides et al. 1999), nach der eigenen Erfahrung jedoch nur extrem selten erforderlich. Unklar ist nach wie vor, ob neben einer Hiatoplastik und Gastropexie auch grundsätzlich eine Fundoplikation als Antirefluxoperation durchgeführt werden sollte (Andujar et al. 2004; Diaz et al. 2003; Geha et al. 2000; Nissen et al. 1981). Durch eine adäquate Hiatoplastik und Gastropexie wird der physiologische Antirefluxmechanismus weitgehend rekonstruiert (Mattioli et al. 1998). Nach Ansicht der Autoren ist die Fundoplikation als zusätzliche Maßnahme zur Hiatoplastik und Gastropexie deshalb bei der Mehrzahl der Patienten überflüssig, verlängert und kompliziert den Eingriff unnötigerweise und ist mit einem nicht unerheblichen Risiko postoperativer Dysphagien und funktioneller Beschwerden behaftet. Eine nach Hiatoplastik und Gastropexie persistierende oder neu aufgetretene Refluxkrankheit kann in der Regel medikamentös therapiert werden (Stein u. Siewert 2001). Die von einigen Autoren empfohlene zusätzliche Durchführung einer »Ösophagusverlängerung« mittels Collis-Gastroplastik (Luketich et al. 2000; Swanstrom et al. 1999; Horvathet al. 2000) ist nach unserer Erfahrung und der Erfahrung anderer Autoren (Andujar et al. 2004) selbst bei großen Mischhernien oder fixierten axialen Hiatushernien nicht erforderlich. Auch das nach wie vor diskutierte Einbringen eines Kunststoffnetzes um den Hiatus zur Verringerung der Rezidivrate ist nach eigener Erfahrung in der Regel nicht erforderlich. Vielmehr können derartige »Netzverstärkungen« des Hiatus zu katastrophalen Komplikationen (Arrosion, Migration, Penetration) im weiteren Verlauf führen (Stadlhuber et al. 2009).
In erfahrenen Zentren kann die operative Versorgung einer paraösophagealen oder Mischhernie heute praktisch immer laparoskopisch durchgeführt werden (Andujar et al. 2004; Diazet al. 2003; . Tab. 25.1). Dieser Eingriff ist auch bei älteren und multimorbiden Patienten in der Regel problemlos durchführbar (Stein 2001).
Operationstechnik Zur Operationstechnik bei axialer Hiatushernie und Refluxkrankheit 7 Kap. 24. Bei der operativen Versorgung einer paraösophagealen oder Mischhernie erleichtert sowohl beim offenen als auch beim laparoskopischen Vorgehen eine exponierende Lagerung den Eingriff wesentlich. Die einzelnen Operationsschritte beim laparoskopischen Vorgehen entsprechen exakt dem der »offenen« Chirurgie. Beim »offenen« Vorgehen ist die mediane Laparotomie für die Bauchraumrevision, die Hiatoplastik und Gastropexie sowie die Durchführung etwaiger Begleitoperationen (z. B. Cholezystektomie) vorteilhafter als der Rippenbogenschnitt. Die Reposition der hernierten Magenanteile ist in der Regel unproblematisch und fast nie durch ausgedehnte Verwachsungen im Bruchsack behindert. Der mediastinale Bruchsack wird evertiert und inzidiert. Eine komplette Bruchsackresektion ist unnötig und nicht ungefährlich. Der in situ belassene Bruchsackrest kollabiert durch die thorakale Raumanpassung und Lungenentfaltung und obliteriert spontan. Das im Bereich des ösophagogastralen Übergangs regelhaft zu findende lipomatöses Fettpolster sollte entfernt werden. Der breite, meist dickrandige Hiatus wird von dorsal mit mehreren kräftigen, nichtresorbierbaren Einzelnähten so weit eingeengt, dass der mit einem Bougie geschiente Ösophagus noch frei durch den Hiatus gleiten kann (hintere Hiatoplastik). Beim kompletten Hiatus communis, mit der Aorta als dorsale Begrenzung, wird die Hiatusraffung von vorne nach hinten vorgenommen (vordere Hiatoplastik). Der ösophagogastrale Übergang und der proximale Magen werden kleinkurvaturseitig ebenfalls mit mehreren kräftigen, nichtresorbierbaren Nähten an die hintere Zwerchfellkommissur bzw. die präaortale Faszie (hintere Gastropexie), der Fundus an das linke Zwerchfell (Fundophrenikopexie) fixiert. Beide Vagusstämme müssen bei der Hiatoplastik und Gastropexie sorgfältig geschont werden. . Abb. 25.6 zeigt eine prä- und postoperative Röntgenkontrastdarstellung des ösophagogastralen Übergangs bei einem Patienten mit paraösophagealer Hiatushernie.
Komplikationen Ösophagus- oder Magenperforationen, Blutungen (Milz, Zwerchfellgefäße vor allem am linken Zwerchfellschenkel) und Läsionen der Vagusstämme sind typische intraoperative Komplikationen der Hiatoplastik und Gastropexie. Im
25
356
Kapitel 25 · Hiatushernien und andere Erkrankungen des Zwerchfells
. Tab. 25.1 Minimal-invasive Chirurgie der paraösophagealen und Mischhernien (Typ II und III)
25
Andujar et al. 2004
Diaz et al. 2003
Fallzahl
166
119
Operationsdauer (min)
160 (50–325)
162 (100–320)
Konversion (%)
2 (1–2)
3 (2–5)
Krankenhausaufenthalt (Tage)
4 (1–74)
2 (1–18)
Morbidität/Komplikationsrate (%)
15 (9)
10 (8,6)
Mortalität (%)
0
2 (1,7)
Aufhebung der Dysphagie (%)
Signifikant reduziert
76
Postoperativer Reflux (%)
13
Rezidive inkl. Gleithernien (%)
21 (22)
10 (6)
Reoperationsrate (%)
10 (6)
3 (3)
losen Befund, wenn die Operation eine weitere Magentorsion verhindert. Echte Rezidive sind selten (Andujar et al. 2004). Nur die Hälfte der Patienten mit radiologischem Rezidiv hat tatsächlich auch Beschwerden (Hashemi et al. 2000). Die meisten Rezidive sind asymptomatisch. Eine Re-Operation ist nur selten erforderlich (Diaz et al. 2003; Adujar et al. 2004). Die laparoskopische Operation ist beim erfahrenen Operateur bei über 90% der Fälle ohne Konversion durchführbar (Oddsdottir 2000). Nach Beobachtungszeiträumen von bis zu 3 Jahren erleben 8–23% der Patienten ein symptomatisches Hernienrezidiv, deutlich weniger als 10% der Patienten müssen wegen eines Hernienrezidivs oder eines postoperativen Refluxes erneut operiert werden. Die sog. radiologische Rezidivrate reicht immerhin bis zu 40% (Hashemi et al. 2000). Bei einem perioperativen Vergleich minimal-invasiver mit konventioneller Chirurgie schneidet die laparoskopische Versorgung von Typ-II- und Typ-IIIHernien in Hinblick auf die Hospitalisationsdauer, Schmerzmittelbedürftigkeit und Komplikationsrate besser ab (Schauer et al. 1998).
25.2
Rahmen der mediastinalen Präparation können beim laparoskopischen Vorgehen ein Emphysem oder auch eine hyperkapnische Azidose resultieren. Bei Eröffnung der Pleura kann es beim laparoskopischen Vorgehen auch zu Beatmungsproblemen kommen, die eine Pleuradrainage notwendig machen oder auch zur Konversion zwingen können. Die Inzidenz chirurgischer Komplikationen beträgt entsprechend einer Literaturübersicht zwischen 10 und 16% (. Tab. 25.1). Patienten mit Typ-II- und Typ-III-Hernien weisen oft ein fortgeschrittenes Alter und beträchtliche Komorbidität auf, die häufig für einen prolongierten postoperativen Verlauf verantwortlich sind (Oddsdottir 2000). Die Letalität nach offener oder laparoskopischer Versorgung einer paraösophagealen oder Mischhernie liegt in der neueren Literatur dennoch nur zwischen 0 und 2,4%.
Langzeitergebnisse der chirurgischen Therapie Die Langzeitergebnisse der »offenen« chirurgischen Therapie sind bei mehr als 90% der Patienten gut, auch wenn es nicht immer gelingt, den gesamten Magen abdominell definitiv zu fixieren. Die berichteten Rezidivraten nach Operationen wegen paraösophagealer Hernien sind – sowohl nach offener als auch laparoskopischer Chirurgie – hoch (. Tab. 25.1). Allerdings handelt es sich oft nur um kleine Gleithernien (Typ I). Ein im Röntgenbild diagnostizierender »Restprolaps« oder eine Typ-I-Hernie werden deshalb oft zu Unrecht als Therapieversagen angesehen (Andujar et al. 2004). Es handelt sich hier um einen harm-
Andere Erkrankungen des Zwerchfells
Die Kontinuität des Zwerchfells kann durch angeborene oder erworbene Lücken/Defekte sowie durch traumatische Läsionen aufgehoben sein. Durch diese können abdominelle Organe – dem physiologischen Druckgefälle folgend – nach thorakal verlagert werden. Erfolgt die Verlagerung mit einem Bruchsack, liegt eine echte Zwerchfellhernie vor; bei traumatischer Ruptur kommt es zum direkten Organprolaps ohne peritonealen Überzug. Im Gegensatz zu den Hiatushernien (7 Abschn. 25.1) sind die extrahiatalen Zwerchfellhernien selten.
25.2.1
Extrahiatale Zwerchfellhernien
Ätiopathogenese Form und Sitz der Lückenbildung hängen mit der embryologischen Entwicklung zusammen (Schumpelick et al. 2000). Das Zwerchfell bildet sich in 2 Phasen zwischen der 4. und der 12. Fetalwoche. Eine primitive Wand aus Septum transversum und Plicae pleuroperitoneales separiert zunächst die Körperhöhlen bis auf eine temporär offene Stelle, die sich rechts schneller als links schließt. Angeborene Defekte ohne Bruchsack beruhen auf unvollständiger Vereinigung in dieser Phase und finden sich im Centrum tendineum, mit Bevorzugung des linken Zwerchfells (. Abb. 25.2). Später kommt es zur Einsprossung von Muskulatur in die bindegewebige Platte. Echte kongenitale Hernien mit Bruchsack beruhen auf mangelhafter Einwanderung der Muskelplatte.
357 25.2 · Andere Erkrankungen des Zwerchfells
. Abb. 25.7 Kernspintomographische Darstellung einer Bochdalek-Hernie mit Prolaps von Magenfundus, Milz und Anteilen des linken Kolons
Lokalisation Bevorzugte Lokalisation für extrahiatale
Therapie Abdominothorakale Organverlagerung bedeutet
Hernien sind kongenital schwache Areale wie das vordere Trigonum sternocostale und das hintere Trigonum costolumbale (Naunheim 1998; . Abb. 25.2). Das vordere Trigonum bildet die Bruchpforte für die von Morgagni 1769 beschriebene parasternale Hernie, durch die Kolon- oder Dünndarmschlingen prolabieren. Durch das hintere Trigonum entwickelt sich die Bochdalek-Hernie, häufiger links und mit der Milz als bevorzugtem Bruchinhalt (. Abb. 25.7).
operative Indikation. Wichtig und schwierig ist das Problem des Zugangswegs. Die Thorakotomie ist v. a. für den betagten und Risikopatienten der größere Eingriff, auch wenn sie allgemein bessere Übersicht und Handlungsfreiheit im Zwerchfellbereich gewährt. In den meisten Fällen bestimmen neben Lokalbefund und Allgemeinzustand die Begleitläsionen die Wahl des Verfahrens (Rossetti 1990). Der Chirurg, der am Zwerchfell operiert, muss deshalb über Erfahrung mit thorakoabdominalen Prozeduren verfügen. Das gesunde Zwerchfell ist exzellent vaskularisiert und heilt gut. Radiäre Schnitte oder Risse heilen besser als Querinzisionen. Die Schnittführung kann später maßgeblich die Zwerchfellfunktion beeinflussen, wenn die Aufteilung der Phrenikusäste unberücksichtigt bleibt (. Abb. 25.8). Das mit der Atmung ständig bewegte, Spannungen ausgesetzte, tendomuskuläre Zwerchfell muss mit widerstandsfähigem, nicht oder nur langsam resorbierbarem Material genäht werden. Eine postoperative Nahtinsuffizienz bedeutet erneuten Organprolaps und risikoreiche Re-Intervention. Der Verschluss ausgedehnter kongenitaler Defekte kann eine Ersatzplastik mit alloplastischem Material (z. B. PTFE- oder Goretex-Netze) erforderlich machen, das relativ schnell einwächst.
Klinik Extrahiatale Hernien werden beim Erwachsenen häufig nur zufällig entdeckt (Naunheim 1998). Selten und nur beim Prolaps durch eine enge Pforte kann eine Strangulation mit Nekrose des Inkarzerats auftreten. Sitz und Breite der Lücke, Inhalt des Prolapses sowie plötzliche oder allmähliche Entstehung bestimmen Klinik und Komplikationen. Beim Erwachsenen werden alle Varianten zwischen Notsituation mit unmittelbarer Lebensbedrohung bis zum asymptomatischen Zufallsbefund beobachtet, beim Neugeborenen dominieren die dramatischen Zustände infolge thorakaler Raumverdrängung. Das Krankheitsbild ist bereits in den ersten Lebenstagen ausgeprägt und allein die Sofortoperation lebensrettend.
25
358
Kapitel 25 · Hiatushernien und andere Erkrankungen des Zwerchfells
Seite, meist in Kombination mit Leberruptur und Hämatothorax, zunehmend häufig diagnostiziert. Eine seltene Variante ist die zentrale Zerreißung mit intraperikardialem Prolaps von Magen-Darm-Teilen (Shah et al. 1995). Therapie Die Diagnose einer Zwerchfellruptur ist gleichzeitig auch Indikation zur chirurgischen Therapie, weil eine teilweise oder komplette Verlagerung intraabdomineller Organe in den Thorax nicht zu vermeiden ist. Operationstaktik und operativer Zugang richten sich nach dem Muster der Begleitverletzungen (im Rahmen eines Polytrauma), dem Vorherrschen abdomineller oder intrathorakaler Symptome, dem Wundkanal bei Schuss- und Stichwunden und dem Allgemeinzustand des Patienten (Ruf et al. 1996; Matz et al. 2000).
25
. Abb. 25.8 Schnittführung am Zwerchfell: Die Inzision medial des N. phrenicus unterbricht nur einige anteromediale Äste (A). Die laterale radiäre Inzision (B) unterbricht sämtliche laterodorsale Nervenäste und führt zu einer weitgehenden Denervation des Hemidiaphragmas. Die semizirkuläre Inzision nahe des Rippenansatzes (C) ist nervenschonend und funktionell am günstigsten. (Nach Rossetti 1990)
25.2.2
Zwerchfellverletzungen
In Friedenszeiten überwiegen indirekte Berstungsrupturen nach stumpfer Gewalteinwirkung (Simpson et al. 2000; Ruf et al. 1996), wohingegen im Krieg direkte, perforierende Zweihöhlenverletzungen von Bedeutung sind. Der Prolaps kann einzeitig, sofort nach dem Trauma, mit dramatischen Symptomen, aber auch über Stunden und Tage schleichend manifest werden. Klinik Das klinische Bild wird primär meist von Schock und übrigen Traumafolgen überlagert (Shah et al. 1995; Ruf et al. 1996). Die Beteiligung des Zwerchfells wird oft am kritischen Zeitpunkt verkannt. Insbesondere bei polytraumatisierten Patienten, die beatmet werden müssen, erfolgt die Diagnose einer Zwerchfellruptur meist verzögert. Nicht selten werden Zwerchfellrupturen auch ganz übersehen und erst Jahre später durch eine Inkarzeration oder andere Komplikationen diagnostiziert (. Abb. 25.9). Durch großzügigen Einsatz der diagnostischen Laparoskopie bei jedem Verdacht auf Zwerchfellverletzung könnte dies vermieden werden (Matz et al. 2000). Lokalisation Die in der Literatur (Simpson et al. 2000; Shah et al. 1995) angegebene Bevorzugung des linken Hemidiaphragmas – statistisch im Verhältnis 4:1 – beruht zumindest zum Teil darauf, dass Rupturen rechts oft nicht diagnostiziert werden. Die Lebermasse verhindert weniger die Zwerchfellruptur als vielmehr Prolaps und Diagnose. In den letzten Jahren werden Verletzungen der rechten
> Als Faustregel gilt: Frische Zwerchfellrupturen werden transabdominell angegangen und durch direkte Naht verschlossen. Ältere Zwerchfellrupturen werden besser transthorakal freigelegt, um auf diese Weise eine übersichtliche Freipräparation der prolabierten Abdominalorgane zu ermöglichen. Ist ein Direktverschluss des Zwerchfells durch adaptierende Naht nicht möglich, kommen alloplastische Materialien zum Einsatz.
25.2.3
Relaxatio diaphragmatica
Definition und Pathophysiologie Als Relaxatio diaphragmatica wird ein »erschlafftes«, teilweise oder gänzlich funktionsuntüchtiges Zwerchfell bezeichnet. Zugrunde liegt entweder ein muskuläres Problem (z. B. mangelhafte Muskeleinsprossung in die pleuroperitoneale Membran) oder eine Phrenikusparese vor. Das atrophische, nicht mehr funktionsfähige Zwerchfell wird mit morphologisch ähnlichen Organverschiebungen (wie bei der extrahiatalen Zwerchfellhernie) bis zum grotesken Hochstand intrapleural angesogen. Im Unterschied zu einer Hernie fehlt jedoch ein Bruchring, sodass keine Einklemmungsgefahr besteht. Klinik Beim Erwachsenen ist die Relaxatio in der Regel ein Zufallsbefund, gelegentlich äußert sie sich als Folge der Raumverdrängung oder Organtorsion mit Atemnot, Herzrhythmusstörungen oder Verdauungsbeschwerden. Therapie Eine Operationsindikation zur operativen Korrektur (Zwerchfellraffung) sollte solchen symptomatischen Fällen vorbehalten bleiben, da durch den Eingriff lediglich die Organverschiebung, nicht jedoch nicht die diaphragmale Atemfunktion beeinflusst werden kann.
359 25.2 · Andere Erkrankungen des Zwerchfells
a
b . Abb. 25.9a–c Initial übersehene Zwerchfellverletzung mit Prolaps von Darmanteilen in den linken Thorax. Beachte die supradiaphragmale Luftsichel im linken Hemithorax in der a.p.- und Seitaufnahme (a, b; Pfeile). Jahre später kommt es im Rahmen einer Koloskopie auf-
grund »unspezifischer Oberbauchbeschwerden« (vermutlich verursacht durch die Inkarzeration in der Zwerchfellhernie) zur intrathorakalen Kolonperforation mit Spannungspneumothorax (c)
25
360
Kapitel 25 · Hiatushernien und andere Erkrankungen des Zwerchfells
25
c . Abb. 25.9a–c (Fortsetzung)
25.2.4
Neoplastische und entzündliche Prozesse des Zwerchfells
Primäre Tumoren Primäre Zwerchfelltumoren sind Raritäten. Es kann die operative Gewinnung eine Biopsie zur histologischen Diagnostik indiziert sein, falls der Befund anders nicht durch Punktion (z. B. CT-gezielt) erreicht werden kann. Tumorinfiltration Weit häufiger ist die Infiltration des
Zwerchfells durch Karzinome aus benachbarten thorakalen oder abdomineller Organen (Bronchialkarzinom, Pleuramesotheliom, Kardia-Fundus-Karzinom, Hypernephrom etc.). Tumorinfiltration des Zwerchfells ist per se kein Inoperabilitätskriterium, da die Mitresektion von Anteilen des Zwerchfells durchaus möglich ist. Der hierdurch hinterlassene Defekt wird durch raffende Primärnaht, Einnähen von Nachbarstrukturen (z. B. Magenfundus, Leberkuppe) oder – bei ausgedehntem Substanzverlust – durch alloplastischen Zwerchfellersatz beseitigt. Entzündliche Prozesse Das Zwerchfell ist auch für entzündliche Prozesse von Thorax und Abdomen die natürliche Grenze. Allerdings können abdominelle oder retroperitoneale Eiteransammlungen des subphrenischen Raums sich auch transdiaphragmal in den Pleuraraum ausbreiten. Auch entzündliche Prozesse des Thorax, wie
Pleuraempyeme und basale Lungenprozesse, können das Zwerchfell betreffen. Die Behandlung besteht in der Beseitigung des Grundleidens mit Drainage und/oder Ausräumung von Abszessen und Empyemen nach den üblichen chirurgischen und interventionellen Prinzipien. Subphrenischer Abszess Dabei handelt es sich um eine wichtige Komplikation primärer oder postoperativer septischer Bauchprozesse. Zwerchfellhochstand, begleitender Pleuraerguss, Gas- und Spiegelbildungen im Oberbauch sind röntgenologische Hinweise, Sonographie und/oder Computertomographie geben über Sitz, Ausdehnung und Beziehungen zu Nachbarstrukturen die wichtigsten Informationen. Eröffnung und Drainage erfolgen am besten subkostal. Die Tendenz zur Kammerbildung erfordert eine genügend breite Freilegung. Echinokokken Echinokokken der Leber, selten der basalen
Lungenanteile, können das Zwerchfell infiltrieren und eine meist umschriebene Resektion erforderlich machen.
361 25.3 · Literatur
25.3
Literatur
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25
26
Verletzungen von Ösophagus und Magen H.J. Stein, B.H.A. von Rahden, H. Bartels, J.R. Siewert
26.1
Ösophagus- und Magenverätzung
– 364
26.1.1 26.1.2 26.1.3 26.1.4 26.1.5 26.1.6 26.1.7
Pathomechanismus – 364 Epidemiologie und schädigende Substanzen Klassifikation – 365 Klinische Symptomatologie – 365 Diagnostik – 366 Therapie – 367 Literatur – 368
26.2
Fremdkörper in Ösophagus und Magen
– 369
26.2.1 26.2.2 26.2.3 26.2.4 26.2.5
Epidemiologie, Lokalisation, Komplikationen Klinische Symptomatologie – 369 Diagnostik – 370 Therapie – 370 Literatur – 371
– 369
26.3
Traumatische Läsionen von Ösophagus und Magen
26.3.1 26.3.2 26.3.3 26.3.4 26.3.5
Einteilung – 372 Ösophagusperforationen und -rupturen – 372 Boerhaave-Syndrom (»emetogene« Ösophagusruptur) Traumatische Magenperforation/-ruptur – 378 Literatur – 379
– 364
– 372
– 374
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_26, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
26
364
Kapitel 26 · Verletzungen von Ösophagus und Magen
26.1
Ösophagus- und Magenverätzung
Das Verschlucken von Säuren oder Laugen kann zu reversibler oder irreversibler »ingestiver Verätzung« des Gastrointestinaltraktes führen. Der Schweregrad der Verätzung hängt ab vom pH-Wert der Substanz (bzw. Konzentration der H+- oder OH–-Ionen) und der Kontaktzeit mit der Organwand. Das Ausmaß der Schädigung reicht vom nur lokalen Ödem, über die Devitalisierung von Organabschnitten bis hin zur kompletten Sequestrierung.
26.1.1
Pathomechanismus
Säure- und Laugenverätzungen unterscheiden sich grundsätzlich hinsichtlich des Schädigungsmechanismus, -musters und der Prognose (Poleyet al. 2004): Säuren verursachen Koagulationsnekrosen, wohingegen Laugen (die prognostisch schlechteren) Kolliquationsnekrosen hervorrufen (. Abb. 26.1; Poely et al. 2004). Bei der Koagulationsnekrose wird das Gewebe durch Proteindenaturierung »verklumpt«, wohingegen es bei der Kolliquationsnekrose »verflüssigt« wird. Die Koagulation wirkt einer weiteren Ausbreitung der chemischen Substanz entgegen, wohingegen die Kolliquation sie begünstigt (Kikendall 1991; Makela et al. 1998; Poleyet al. 2004). Säureverätzungen betreffen bevorzugt den Magen. Abhängig von Füllungszustand, Zeitpunkt der Ingestion und Lagerung des Patienten, finden sich Läsionen kleinkurvaturseitig, entlang der Magenstraße und präpylorisch (Zargar et al. 1989). Durch reflektorischen Pylorospasmus kann die Verweildauer der Substanz zusätzlich verlängert, und die Schädigung im Antrum verstärkt werden. Laugenverätzungen bewirken bevorzugt Schädigungen des Ösophagus, überwiegend im Bereich der physiologischen Engen, d. h. im Bereich des oberen Ösophagussphinkters, der Aortenbogenimpression und am ösophagogastralen Übergang (Zargar et al. 1992), vermutlich durch die in diesen Bereichen verlängerte Kontaktzeit. In hohen Konzentrationen bewirken Säuren und Laugen eine Verätzung sowohl des Ösophagus als auch des Magens (Han et al. 2004).
26.1.2
Epidemiologie und schädigende Substanzen
Die Häufigkeit von gastrointestinalen Verätzungen wird in der westlichen Welt auf ca. 500 Fälle pro 100.000 Einwohner und Jahr geschätzt. Etwa 80% der Patienten sind jünger als 10 Jahre. Im Kindesalter handelt es sich bei der Säureoder Laugeningestion zumeist um unbeabsichtigtes Verschlucken, wohingegen beim Erwachsenen die Ingestion
a
b . Abb. 26.1a,b Komplette ösophagogastrale Verätzung nach Ingestion eines Haushaltsreinigers in suizidaler Absicht. Es handelt sich um eine Kolliquationsnekrose. a Der Ösophagus (hier am kompletten Ösophagogastrektomiepräparat) ist artifiziell geschrumpft. b Die Ausschnittsvergrößerung zeigt Reste des aus Kügelchen bestehenden Haushaltsreinigers (Pfeil)
365 26.1 · Ösophagus- und Magenverätzung
in suizidaler Absicht (mit entsprechend ungünstigerer Prognose) im Vordergrund steht (Bartels 1990; Gumaste et al. 1992; Kikendall 1991; Ertekin et al. 2004). Das Spektrum der Substanzen, die bei Ingestion zur Verätzung führen, ist groß (Zargar et al. 1989, 1992). Die schädigenden Chemikalien kommen in alltäglich im Haushalt verwendeten Flüssigkeiten vor (z. B. Natronlauge in Haushaltsreinigern, Ammoniak und anorganische Säuren – wie Schwefel- oder Salzsäure – in Abflussreinigern). Phenol-, Silbernitrat- oder Arsenlösungen sind Beispiele für schädigende Agenzien bei Laboratoriumszwischenfällen. Starke anorganische Säuren, wie z. B. Schwefel-, Salzund Salpetersäure, sind aggressiver und führen früher zur Organwandperforation als schwache, organische Säuren, wie z. B. Oxal- oder Ameisensäure. Die Laugenverätzung durch Ingestion von Natronlauge führt zu den schwerwiegendsten Schädigungen am oberen Gastrointestinaltrakt. Die Schädigungen durch Ingestion von Arsenlösungen oder Lötwasser sind eher geringer. Diese Gifte haften jedoch in chemisch aktiver Form an der Organwand, wodurch die systemische Intoxikation unterhalten wird. Bei Voroperationen am Magen können aufgrund der schnelleren Passage frühzeitiger tiefere Darmabschnitte geschädigt werden.
26.1.3
Klassifikation
Nach histopathologischen Kriterien lassen sich Ösophagus- und Magenverätzungen wie folgt klassifizieren (Bartels 1990; Kikendall 1991): 4 Die Verätzung I. Grades entspricht einer oberflächlichen Schädigung der Mukosa mit isolierten kleinen Schleimhautdefekten und toxischem bzw. entzündlichem Schleimhautödem. Diese Veränderungen heilen ohne spezifische Therapie folgenlos ab. 4 Bei der Verätzung II. Grades ist die Mukosa zerstört, die Submukosa und die Muskularis sind zumindest partiell geschädigt. Es finden sich in unterschiedlichem Ausmaß Nekroseflächen, Ulzerationen und Blutungen. Ab diesem Schweregrad heilen die Läsionen nicht ohne eine Narbe. 4 Die Verätzung III. Grades entspricht einer vollständigen Nekrose aller Organwandschichten. Diese Verletzungen können nicht mehr ad integrum ausheilen. Die Folge kann eine frühzeitige Wandperforation mit Ausbildung einer Mediastinitis, Peritonitis und möglicher weiterer Arrosionen anderer intrathorakaler und intraabdominaler Organe durch chemisch noch aktive Säure oder Lauge sein. Diese histopathologische Klassifikation kann aufgrund der Beurteilung von Biopsien durch den Pathologen vorgenom-
men werden. Für die klinische Notfallversorgung ist allerdings zunächst die grobe endoskopische Unterscheidung in »schwere« und »schwerste« Verätzung gebräuchlich, wie sie unter »Diagnostik« dargestellt ist (7 Abschn. 26.1.5). Nach ingestiver Verätzung laufen verschiedene regenerative und reparative Vorgänge ab, abhängig vom initialen Verätzungsgrad (Bartels et al. 1990; Kikendall 1991): 4 Akutes Initialstadium (Nekrosephase, bis zum 4. Tag): Die Gewebenekrosen als Folge der Koagulation bzw. Kolliquation werden nach bakterieller und hämorrhagischer Infiltration der darunter liegenden Gewebe durch Leukozyten demarkiert. Dabei geht das anfänglich toxische Gewebeödem in ein – klinisch häufig von Fieber begleitetes – entzündliches über. Plasmazellen und Fibroblasten formieren sich am Grund der sich in Abstoßung befindlichen Nekrosen. 4 Folgestadium (Granulationsphase, bis 4. Woche): Bei weiterer Abstoßung nekrotischen Materials kann es aus arrodierten Gefäßen zu Blutungen kommen. Im Wundgrund findet eine Gefäßeinsprossung, Fibroblastenimigration und Ausbildung eines Granulationsgewebes statt, das in das Lumen vorwuchern kann. Dabei entstehen durch Verklebungen von Granulationen Segel und Taschenbildungen, was zu späterer Stenosenbildung prädisponieren kann. Nach dem 10. bis 12. Tag werden reichlich kollagene Fasern eingebaut (fibröse Umwandlung). In der Granulationsphase hat die Organwand die geringste Festigkeit. 4 Spätstadium (Vernarbungsphase, bis 4. Monat): Nach der 4. Woche beginnt die Neubildung einer dünnen, schuppigen Epithelschicht ohne Drüsen, die bis zum 4. Monat andauern kann. Das neu gebildete kollagene Faser- und Narbengewebe retrahiert und führt, v. a. bei zirkulären Läsionen der Mukosa, zu Lumeneinengungen bis hin zur Obliteration. Bei noch erhaltenen Mukosabrücken ist das Ausmaß der zu erwartenden Stenosierung geringer. 80% aller Strikturen manifestieren sich innerhalb der ersten 8 Wochen, über 90% im 1. Jahr (Bartels 1990). > Das Risiko der Karzinomentstehung auf dem Boden einer verätzungsbedingten narbigen Striktur im Ösophagus ist nach einem Intervall von 10–20 Jahren deutlich erhöht (Stein et al. 1994).
26.1.4
Klinische Symptomatologie
Symptome der ingestiven Verätzung sind zunächst Schmerzen in Mund und Rachenraum sowie Dysphagie und Odynophagie. Eine vagale Stimulation induziert eine Hypersalivation. Die Patienten klagen über intensives Durstgefühl. Ein toxisches Glottisödem kann ursächlich für re-
26
366
26
Kapitel 26 · Verletzungen von Ösophagus und Magen
spiratorische Störungen sein, oder sich in Heiserkeit, Stridor, Aphonie und Dysphonie äußern. Bei zweit- bis drittgradigen Verätzungen kann sich eine Schocksymptomatik als Folge der Allgemeinintoxikation oder eines septischen Krankheitsbildes auf dem Boden einer Perforation entwickeln. Gelangen Keime über eine verätzungsbedingte Perforation in die Bauchhöhle kommt es zum Peritonismus und akutem Abdomen. In 3–5% aller ingestiven Verätzungen findet sich eine Ösophagusperforation, die mit den Zeichen einer akuten Mediastinitis und meist linksseitigem Pleuraerguss einhergeht. Die Letalität der Ösophagusperforation auf dem Boden einer Verätzung beträgt 50–70%. Im zervikalen Ösophagus kann eine Perforation relativ symptomarm verlaufen. Spätsymptome sind Pleuraerguss, Pneumothorax, Mediastinitis, Mediastinalemphysem und Empyem sowie retropharyngeale Abszedierung (Bartels 1990; Kikendall 1991).
26.1.5
Diagnostik
Da die Ingestion toxischer Substanzen wie Säuren und Laugen häufig in suizidaler Absicht geschieht, sind eigenanamnestische Angaben oft unzuverlässig. Daher ist die Fremdanamnese von großer Bedeutung. Im Einzelfall kann die toxikologische Analyse von asserviertem Material aufschlussreich sein. Für das klinische Handeln in der Notfallsituation ist jedoch die prinzipielle Unterscheidung in starke oder schwache Säure oder Lauge am wichtigsten. Auf jeden Fall ist die Zusammenarbeit mit einem Toxikologen erforderlich, da verschiedene Substanzen im Organismus komplexe Wirkungen entfalten. Außerhalb eines
Zentrums mit eigener toxikologischer Abteilung, stehen gut organisierte Giftnotrufzentralen für fachkundige Beratung zur Verfügung. Die wesentliche Frage bei der Initialdiagnostik der Verätzung ist die Beurteilung von Lokalisation, Ausmaß und Tiefe der Organwandschädigung durch unverzügliche endoskopische Untersuchung (. Abb. 26.2; Poleyet al. 2004; Bartels 1990; Zargar et al. 1991). Diese für Diagnosestellung und Therapieplanung entscheidende Fragestellung ist anspruchsvoll und muss von einem erfahrenen Endoskopiker beantwortet werden. Klinisch wird anhand der Endoskopie in leichte, schwere und schwerste Verätzung differenziert, da die histopathologische Differenzierung des Verätzungsgrades (7 Abschn. 26.1.3) in der Notfallsituation nicht unmittelbar zur Verfügung steht. Insbesondere die zweit- und drittgradige Verätzung können klinisch schwer zu unterscheiden sein, weshalb weitere Kriterien einfließen: 4 Eine »leichte Verätzung« ist durch Schleimhautreizung, Ödem und ggf. Erosion gekennzeichnet. 4 Eine »schwere« Verätzung liegt dann vor, wenn neben thrombosierten Venen, Blutungen, Ulzera und Schleimhautnekrosen noch inselförmige Schleimhautareale identifizierbar sind, die nach Abzug mit der Biopsiezange frisch bluten. 4 Um eine »schwerste« Verätzung handelt es sich dann, wenn bei vollständiger Nekrotisierung der Schleimhaut tiefere Organwandschichten nicht mehr beurteilbar sind und es auch bei Stufenbiopsien nicht mehr zu Blutungen kommt. In diesem Fall lässt sich die exakte Tiefe der Verätzung nur durch die direkte intraoperative Inspektion der Organe sicher beurteilen.
. Abb. 26.2 Flussdiagramm zum diagnostischen und therapeutischen Vorgehen bei der ingestiven Verätzung
367 26.1 · Ösophagus- und Magenverätzung
Die radiologische Untersuchung mit wasserlöslichem Kontrastmittel liefert keine zuverlässigen Aussagen hinsichtlich Ausdehnung und Verätzungstiefe und kann lediglich Perforationen aufzeigen.
26.1.6
Therapie
Akuttherapie der ingestiven Verätzung Die Akuttherapie der ingestiven Verätzung umfasst die Stabilisierung des Patienten und das Abwenden der vitalen Gefährdung. Hierzu ist eine aggressive Volumentherapie erforderlich, ggf. die frühzeitige Intubation und maschinelle Beatmung, sowie der Ausgleich von metabolischer Azidose und Gerinnungsstörungen. Der Magen wird über eine belüftete nasogastrale Sonde entlastet. ! Cave ! Kontraindiziert sind Magenspülung, Gabe von Emetika und Neutralisationsversuche mittels chemischer Antagonisierung.
Bei der Magenspülung kann durch die intraluminale Druckerhöhung eine frühzeitige Perforation der Organwände begünstigt werden. Durch Emetika induziertes Erbrechen führt infolge der Zweitpassage zur zusätzlichen Schädigung durch die Substanz. Die chemische Antagonisierung durch Spülungen mit Laugen bei Säureverletzungen bzw. mit Säuren bei Laugenverätzungen verbietet sich wegen einer möglichen Dampfentwicklung und zusätzlich entstehender thermischer Schädigung infolge von Neutralisationswärme (Andreoni et al. 1997; Bartels 1990). Die initiale Diagnostik und Akuttherapie der ingestiven Verätzung ist in . Abb. 26.2 als Flussdiagramm zusammengefasst (Bartels 1990; Sarfati et al. 1987).
Operationsindikation Eine absolute Operationsindikation besteht beim Nachweis einer Perforation oder einer ,,schwersten« Verätzung. »Schwere« Verätzungen, bei denen der weitere Verlauf nicht sicher vorherzusagen, werden grundsätzlich auf der Intensivstation überwacht. Bei diesen Patienten ergibt sich dann eine Operationsindikation, wenn eine Diskrepanz zwischen primär endoskopischem Befund (»schwere« Verätzung) und klinischem Bild auftritt. Dies ist in der Regel dann der Fall, wenn trotz maximaler Intensivtherapie eine Instabilität der Vitalfunktionen fortbesteht oder sich neu einstellt, ein akutes Abdomen oder ein akuter Thorax manifest werden, bei sonographischen Verlaufskontrollen eine extraluminale Flüssigkeitsansammlung nachweisbar wird, oder eine Hämolyse, disseminierte intravasale Koagulopathie (DIC) oder schwerste metabolische Azidosen auftreten (Bartels 1990; Berthet et al. 1996; Estrera et al. 1986; Horvath et al. 1991; Hugh et al. 1999; Wu et al. 1993).
Operationstaktik Zeigt sich bei der Laparotomie eine transmurale Magenverätzung, wird in Abhängigkeit vom Lokalbefund gastrektomiert. Der Duodenal- und distale Ösophagusstumpf werden blind verschlossen und eine zervikale Speichelfistel sowie eine jejunale Ernährungssonde angelegt. Die Rekonstruktion erfolgt im Intervall, in einem Zweiteingriff, nach ausreichender Rekonvaleszenz des Patienten. Schwieriger ist die Beurteilung des verätzten Ösophagus im Rahmen der Laparotomie. Durch Erweiterung des Hiatus kann der Ösophagus von abdominell bis auf Höhe der Trachealbifurkation eingesehen werden. Zeigt das Organ von außen bereits eine transmurale Nekrose, erfolgt die organnahe transmediastinale Dissektion (Gosset et al. 1987; Horvath et al. 1991; Wu et al. 1996). Diese Technik der Ösophagektomie bietet sich aus verschiedensten Gründen an: Zum einen fehlen (anders als z. B. beim Karzinom) Verwachsungen mit anderen mediastinalen Strukturen, weshalb das stumpfe Auslösen (»stripping«) des Ösophagus verhältnismäßig einfach durchzuführen ist. Weiterer bedeutender Vorteil ist die Vermeidung der Thorakotomie mit breiter transpleuraler Exposition: Speziell bei diesen schwerkranken Patienten ist es wichtig, die damit verbundenen postoperativen pulmonalen Störungen zu vermeiden. Die Rekonstruktion der Speisepassage erfolgt wiederum im Intervall, nach dem Überstehen der Akutphase.
Konservative Therapie Die Akutfolgen der leichten Verätzungen und endoskopisch gesicherten »schweren« Verätzungen ohne posttraumatische Komplikationen klingen unter konservativer Therapie innerhalb von 8–14 Tagen ab. Die Therapie umfasst die »Entlastung« des Gastrointestinaltraktes (Magensonde), parenterale Ernährung, Blockade der Säureproduktion des Magens (Protonenpumpeninhibitoren) und die regelmäßige endoskopische Kontrolle (Kikendall 1991). Möglichst frühzeitig sollte bei symptomatischen Stenosen (zumeist nach zweitgradigen, seltener bei erstgradigen Verätzungen) eine Bougierungsbehandlung durchgeführt werden (Kikendall 1991). Umstritten ist die systemische Therapie mit Steroiden zur Prophylaxe von Strikturen: Unter Kortisontherapie soll gemäß Erfahrungsberichten in nur etwa 5–10% aller Verätzungen mit Strikturen zu rechnen sein, während ohne Kortisonbehandlung deren Inzidenz zwischen 25 und 80% liegt. Prospektiv kontrollierte Studien konnten dies bislang nicht bestätigen (Anderson et al. 1990; Howell et al. 1992). Entscheidend scheint eine initial hohe Dosierung und eine ausreichend lange Behandlung (6–12 Wochen) zu sein. Eine Beherrschung des Infekts durch Antibiotika verkürzt die Nekrosephase, schützt und beschleunigt die reparativen Vorgänge und ist in der Prophylaxe und Therapie einer Durchwanderungsmediastinitis von Bedeutung.
26
368
Kapitel 26 · Verletzungen von Ösophagus und Magen
Antibiotika sind zudem bei langfristiger Kortisontherapie angezeigt (Webb 1970).
Bougierungsbehandlung
26
> Die frühzeitige Bougierung ist die effektivste Maßnahme zur Verhinderung narbiger Strikturen und Stenosen des Ösophagus nach höhergradiger Verätzung und sollte zwischen 6. und 12. Tag nach dem Ereignis begonnen werden (Bartels 1990; Kikendall 1991).
Für den Erfolg entscheidend ist die konsequente Anwendung in 2- bis 4-tägigem Abstand für einen ausreichend langen Zeitraum. Am besten hat sich die Bougierung über eine Führungsfaden bewährt, der entweder über eine Magenfistel oder peroral ausgeleitetet wird. Eine Magenfistel bietet den zusätzlichen Vorteil einer enteralen Ernährung und sollte daher nach Sicherung einer höhergradigen Verätzung möglichst frühzeitig angelegt werden. Die Bougierungsbehandlung trägt (insbesondere beim »blinden« Vorgehen) ein beträchtliches Perforationsrisiko. Außerdem kann durch jeweils neuerliche Irritation der geschädigten Ösophaguswand neue Narbenbildung und konsekutive Re-Stenosierung induziert werden. Hochgradige Strikturen machen eine Langzeitbougierung notwendig. Eine solche »Dauerbougierung« kann von den Patienten selbst erlernt werden, ist allerdings ebenfalls risikobehaftet (Ösophagitiden, Narbenbildung und Re-Stenosierung; Kikendall 1991).
Operative Behandlung der Verätzungsstriktur Eine absolute Indikation zur operativen Behandlung besteht bei der »vollständigen« Verätzungsstriktur und der Striktur, die eine Nahrungsaufnahme nur noch in unzureichender Menge gestattet, aber einer Bougierungsbehandlung nicht mehr zugänglich ist. Eine relative Indikation besteht bei Strikturen, die nur durch eine Dauerbougierung offen gehalten werden können. Hier richtet sich die Entscheidung nach dem Grad der Dysphagie und dem individuellen Operationsrisiko des Patienten und dem dringenden Wunsch des Kranken nach endgültiger Sanierung (Bartels 1990; Han et al. 2004). Bei der Indikationsstellung muss weiterhin Berücksichtigung finden, dass eine Verätzungsstriktur als Präkanzerose aufzufassen ist. Patienten mit Ösophagusverätzungen im Kindesalter erkranken etwa 20 Jahre früher und bis zu tausendmal häufiger an einem Ösophaguskarzinom als gesunde Personen. Die Rate der malignen Entartung wird in der Literatur zwischen 0,8 und 7,2% angegeben (Stein et al. 1994). Das Krebsrisiko für Patienten mit einer Verätzungsstriktur liegt damit allerdings in der gleichen Größenordnung wie die Operationsletalität des Speiseröhrenersatzes. Damit kann das Karzinomrisiko allein nicht für die prophylak-
tische Indikationsstellung zur Ösophagusexstirpation ausschlaggebend sein. Eine engmaschige endoskopische Überwachung, beginnend etwa 10 Jahre nach ingestiver Verätzung, erscheint sinnvoll (Stein et al. 1996).
26.1.7
Literatur
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369 26.2 · Fremdkörper in Ösophagus und Magen
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26.2
Fremdkörper in Ösophagus und Magen
Fremdkörper in Ösophagus oder Magen können zur Wandverletzung, Passagebehinderung oder auch zur Verlegung der Atemwege führen. Zu unterscheiden sind das versehentliche und das absichtliche Fremdkörperverschlucken, sowie iatrogene, intraluminal entstandene (Bezoare) und von außen einbrechende Fremdkörper (Manegold 1992).
26.2.1
Epidemiologie, Lokalisation, Komplikationen
Versehentliches Verschlucken von Fremdkörpern ist im Kindesalter häufig (Münzen, Spielzeug, Kleinteile des Haushalts; Haraguchi et al. 2004) und bleibt meist unbemerkt und asymptomatisch (häufig spontane, unbemerkte Passage). Im höheren Lebensalter werden bisweilen hinsichtlich Größe, Form und Oberflächenbeschaffenheit komplikationsträchtigere Fremdkörper verschluckt (wie z. B. Zahnprothesen oder Knochen; von Rahden et al. 2002, 2004a, b; Lai et al. 2004). Absichtliches Verschlucken von Fremdkörpern ist häufig bei psychisch Kranken, geistig Retardierten, Betrunkenen, Gefangenen, Schmugglern und Drogenkurieren (»Bodypacker«). Anamnestische Angaben über Zeitpunkt und Art der verschluckten Gegenstände sind hier in der Regel nicht zu erwarten/verwerten. Iatrogene Fremdkörper im oberen Gastrointestinaltrakt (Sonden, Endoprothesen, Stents) können wie absichtlich oder unabsichtlich verschluckte Fremdkörper ebenfalls zu Komplikationen führen. Ein Spezialfall sind intraluminal entstandene Fremdkörper: Als Bezoare bezeichnet man Konvolute von z. B. unverdaulichen Nahrungsbestandteilen, die sich zu einem Fremdkörper formiert haben. Extraluminale Fremdkörper (wie Granatsplitter, Aortenprothesen, Silikon Antirefluxprothesen) können durch Wandarrosion von außen in den Gastrointestinaltrakt ein-
brechen (Brady 1991; Gerling u. Behrens 1994; Winkler et al. 2000). Ein weiterer Spezialfall ist der Einbruch von Osteosynthesematerial nach ventraler Instrumentation an der Halswirbelsäule. Durch die enge anatomische Nachbarschaft zwischen Hypopharynx, Ösophagus und Halswirbelsäule, kann es zu chronischer Drucknekrose und konsekutiver Penetration und Perforation kommen (von Rahden et al. 2005). Prädilektionstellen für das Steckenbleiben ingestierter Fremdkörper im oberen Gastrointestinaltrakt sind die anatomischen und funktionellen Engstellen im Bereich des oberen Ösophagussphinkters, des proximalen Ösophagus (an der Überkreuzungsstelle des Aortenbogens), des unteren Ösophagussphinkters und am Pylorus. Bei spontaner Passage durch den Ösophagus ist ein Liegenbleiben im weiteren Gastrointestinaltrakt selten (Brady 1991; Stein et al. 1992). Vor allem im Ösophagus, aber auch im Magen, kann es bei Impaktion von Fremdkörpern zur Schleimhautverletzung, Druckulzeration und Perforation kommen. Die Fremdkörperperforation ist auch heute noch eine ernste, potenziell letale Komplikation. Vollständig durch die Ösophagus- oder Magenwand gewanderte Fremdkörper können dort extraluminal narbig »einheilen« oder aber auch weiter im Körper über weite Strecken verschleppt werden (Brady 1991; Yoshida u. Peura 1995). Beim Verschlucken von Batterien besteht neben der Möglichkeit von Niederstromverbrennungen durch Kurzschluss auch Gefahr durch Austritt toxischer Substanzen (wie z. B. Quecksilber), mit potenzieller Gefahr lokaler Verätzung und/oder resorptiver Vergiftung (Frey et al. 1989; Samad et al. 1999)
26.2.2
Klinische Symptomatologie
Unbeabsichtigtes Fremdkörperverschlucken kann sich z. B. durch Symptome wie Dysphagie, Odynophagie oder Asphyxie bemerkbar machen. Hypersalivation und Aphagie sind Ausdruck einer kompletten Obstruktion des Ösophagus und Hautemphysem, Hämoptysen, Hämatemesis und Peritonismus Zeichen einer ausgedehnten Wandschädigung oder Perforation. Gelegentlich wird ein Fremdkörper im Ösophagus oder Magen erst nach einem beschwerdefreien Intervall durch das Auftreten lokaler Komplikationen diagnostiziert (von Rahden et al. 2002, 2004b). Vor allem im Magen können auch größere Fremdkörper über lange Zeit symptomlos bleiben (Manegold 1992; Brady 1991). > Bei jedem Verdacht auf Fremdkörperingestion oder Komplikationen durch Fremdkörper ist eine Klinikeinweisung erforderlich.
26
370
Kapitel 26 · Verletzungen von Ösophagus und Magen
in abgewandelter Form auch für unsere westliche Patientenpopulation anwendbar ist (Lai et al. 2004). Indikationen zur Fremdkörperextraktion Bei Indikations-
stellung zur Fremdkörperextraktion aus Ösophagus oder Magen müssen Risiko und Nutzen abgewogen werden. Material, Größe, Form und Lage des Fremdkörpers sowie das Vorliegen einer Obstruktion und die Dauer seit der Fremdkörperingestion müssen berücksichtigt werden (Winkler et al. 2000; Manegold 1992).
26
! Cave ! Bei Lokalisation im Rachen oder am oberen Ösophagussphinkter besteht eine vitale Indikation zur Extraktion aufgrund der Asphyxiegefahr. Impaktion im Ösophagus führt innerhalb von wenigen Stunden zu Drucknekrosen. Bei Regurgitation besteht Aspirationsgefahr.
. Abb. 26.3 Algorithmus bei Fremdkörperingestion, basierend auf einer großen Fallserie (n=1338 Fremdkörperingestionen aus Hong Kong/China; FK Fremdkörper). (Nach Lai et al. 2004)
26.2.3
Diagnostik
Ziele der diagnostischen Maßnahmen sind die Bestimmung von Art, Größe und Lokalisation des Fremdkörpers sowie Nachweis oder Ausschluss von Komplikationen und zugrunde liegenden Funktionsstörungen oder Stenosen (Yoshida et al. 1995; Winkler et al. 2000). Die erste diagnostische Maßnahme bei Verdacht auf Fremdkörperingestion ist nach Inspektion der Mundhöhle die Durchführung einer Röntgenübersichtsaufnahme des Halses, Thorax und Abdomens, jeweils in 2 Ebenen, zum Nachweis röntgendichter Fremdkörper. Eine Röntgenkontrastdarstellung des Ösophagus und Magens mit wasserlöslichem Kontrastmittel kann bei nicht röntgendichten Fremdkörpern weiterführen. Die flexible obere gastrointestinale Endoskopie ermöglicht neben dem Nachweis eines Fremdkörpers auch den Nachweis oder Ausschluss einer bereits vorliegenden Wandschädigung und häufig in gleicher Sitzung die Fremdkörperentfernung. Laryngoskop und Lupenlaryngoskop kommen bei meso- und hypopharyngealen Fremdkörpern zum Einsatz (Winkler et al. 2000; Manegold 1992; Yoshida et al. 1995). In . Abb. 26.3 ist ein aus einer großen Fallserie in Hong Kong/China abgeleiteter Algorithmus wiedergegeben, der
Beim Nachweis von Fremdkörpern im Magen besteht in der Regel keine Notfallindikation zur Bergung, wenn die Art und Beschaffenheit des Fremdkörpers eine Passage durch den Pylorus möglich erscheinen lässt, kein Anhalt für eine tiefergehende Wandläsion besteht und nicht die Gefahr besteht, dass gefährliche Inhaltsstoffe austreten. Bei mehr als 85% der Fremdkörper, die komplikationslos den Ösophagus passiert haben, ist auch eine spontane Passage aus dem Magen und durch den restlichen Verdauungstrakt möglich. Allerdings sollten diese Patienten bis zum Ausscheiden des Fremdkörpers unter Beobachtung bleiben (Yoshida et al. 1995).
26.2.4
Therapie
Beim Erstickenden ist zuerst die Mundhöhle digital auszuräumen und mit dem Esmarch-Handgriff der Zugang zu den oberen Atemwegen zu eröffnen. Beim Kleinkind lässt sich durch Hochhalten an den Beinen und Klopfen auf den Rücken häufig ein Fremdkörper lösen. Der HeimlichHandgriff gilt als lebensrettende Maßnahme bei aspirierten oder am Hypopharynx retinierten Gegenständen, kann aber zu Rippenfrakturen, Milzruptur oder Ösophagusruptur (7 Abschn. 26.3) führen. Im Notfall kann zur Sicherung der Atemwege bei einem impaktierten supra- oder infraglottischen Fremdkörper die Koniotomie lebensrettend sein. Fremdkörper im Hypopharynx lassen sich in der Regel laryngoskopisch leicht entfernen. Prinzipiell kann auch jeder in den Ösophagus oder Magen gelangte Fremdkörper endoskopisch peroral mittels Zange, Schlinge oder Sog wieder entfernt werden, vorausgesetzt, er hat seine Form nicht verändert und die Wand nicht perforiert. Das Vorschieben eines im Bereich der Kardia eingeklemmten
371 26.2 · Fremdkörper in Ösophagus und Magen
Fremdkörpers in den Magen ist gefährlich und sollte unterlassen werden (Yoshida et al. 1995; Manegold 1992). Durch die Fortentwicklung der flexiblen Endoskopie hat das starre Ösophagoskop heute seine Rolle bei der Fremdkörperbergung aus dem Ösophagus weitgehend verloren. Bei gleicher Erfolgsrate ist die Komplikationsrate der flexiblen Endoskopie deutlich geringer als die der starren Endoskopie (Berggreen et al. 1993; Yoshida et al. 1995). Durch Muskelspasmus eingeklemmte Fremdkörper im Ösophagus lassen sich häufig durch Spasmolytika (Buscopan, Glukagon) und Sedativa aus ihrer Lage lösen und können dann mit dem flexiblen Endoskop geborgen werden. Gelegentlich können Fremdkörper aber aufgrund eines Wandödems mit dem flexiblen Endoskop nicht sicher gefasst werden, sodass das starre Instrumentarium bei jeder Fremdkörperextraktion verfügbar sein sollte, um im Bedarfsfall durch Wechsel der Endoskopiesysteme sofort den Eingriff erfolgreich abzuschließen. Die Schwierigkeit und die Zeitdauer einer endoskopischen Fremdkörperentfernung sollte nicht unterschätzt werden. ! Cave ! Jeder Versuch der Bergung eines Fremdkörpers aus dem oberen Gastrointestinaltraktes muss zum Schutz der Atemwege in Intubationsbereitschaft erfolgen. Bei perforierenden Fremdkörpern ist grundsätzlich die Bergung in Intubationsnarkose erforderlich (Yoshida et al. 1995; Manegold 1992).
Nach jeder Fremdkörperextraktion aus dem oberen Gastrointestinaltrakt ist eine erneute Endoskopie erforderlich, um die Vollständigkeit der Entfernung zu überprüfen, Wandläsionen auszuschließen und eine möglicherweise zugrunde liegende Ursache der Fremdkörperimpaktion (wie Stenosen oder Tumoren) abzuklären. Komplikationen durch endoskopische Fremdkörperextraktion sind selten, aber in allen Schweregraden möglich. Bereits bestehende fremdkörperbedingte Ösophaguswandläsionen können durch Extraktion und Manipulation verschlimmert werden. Mukosadefekte heilen in der Regel folgenlos aus. Ausgedehntere Wandverletzungen und auch Perforationen bei der Fremdkörperextraktion treten überwiegend im Bereich des zervikalen Ösophagus und Hypopharynx auf und können meist konservativ therapiert werden (Yoshida et al. 1995; Manegold 1992; Brady 1991) Die Indikation zur operativen Fremdkörperextraktion ist nur selten gegeben. Nur endoskopisch nicht beherrschbare Fremdkörperkomplikationen oder frustrane endoskopische Bemühungen berechtigen heute noch zum operativen Vorgehen (Manegold 1992; Barros et al. 1991). Eine Extraktion metallischer Fremdkörper mittels Magneten unter Röntgendurchleuchtung ohne Intubation ist aufgrund der Aspirationsgefahr bei Verlust des Fremd-
körpers nur im Ausnahmefall zu rechtfertigen (Manegold 1992). ! Cave ! Der Nutzen von Prokinetika, Laxanzien und Ballaststoffen zur Unterstützung der Spontanpassage eines Fremdkörpers ist fraglich. In keinem Fall sollten Prokinetika bei scharfen oder spitzen Fremdkörpern verabreicht werden!
26.2.5
Literatur
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26
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372
Kapitel 26 · Verletzungen von Ösophagus und Magen
26.3
Traumatische Läsionen von Ösophagus und Magen
Die traumatischen Läsionen von Ösophagus und Magen lassen sich sinnvoll in Perforationen (primäre, meist traumatisch bedingte Durchbohrungen), Rupturen (traumatisch bedingte Wandberstungen) und Fisteln (traumatisch bedingt oder postoperativ) einteilen.
26.3.1
Einteilung
Perforationen Als Perforationen bezeichnet man die durch interne oder externe Gewalteinwirkung entstandene perforierende Verletzung. Am häufigsten sind hierbei iatrogen instrumentelle Verletzungen (z. B. Dilatation, Bougierung, Endoskopie), gefolgt von der Penetration von verschluckten Fremdkörpern (7 Abschn. 26.2). Prädilektionsstellen sind die anatomischen Engstellen des Ösophagus. Weit seltener sind Verletzungen durch externe Gewalteinwirkung (z. B. Stich-, Schussverletzung). Eingeteilt wird nach Höhenlokalisation (zervikal, thorakal, abdominell). Berücksichtigt werden sollte außerdem, ob ein gesunder oder vorgeschädigter Ösophagus perforiert wurde (z. B. peptische Stenose, Achalasie, Karzinom). Eine »echte« oder »komplette« Perforation betrifft alle Wandschichten, und verbindet das Lumen mit der Umgebung (Mediastinum, Pleurahöhle, Peritonealhöhle). Eine »inkomplette« Perforation bezeichnet die isolierte Verletzung einzelner Wandschichten (Schleimhaut, Muskelmantel). Rupturen Die wesentlich selteneren Rupturen entstehen als Folge eines Barotrauma, durch mit Überdruck einströmende Gase (z. B. Pressluft) oder Flüssigkeiten. Bei nicht mehr kompensierbarem Missverhältnis von Organbinnendruck zu kontraktil-elastischem Wandwiderstand resultiert eine Berstung/Zerreißung am Locus minoris resistentiae (zumeist im terminalen Ösophagus). Eine Sonderform ist die (ebenfalls seltene) emetogene Ösophagusruptur (sog. Boerhaave-Syndrom), als Folge einer Episode forcierten Erbrechens (7 Abschn. 26.3.3). Fisteln Fisteln können ebenfalls als Traumafolge entstehen und stellen Verbindungen zu Nachbarorganen (»innere Fistel«) oder zur Körperoberfläche (»äußere Fistel«) her. Unterschieden werden ferner »komplette« und »inkomplette« (blind endende) Fisteln. Abzugrenzen sind posttraumatische von postoperativen Fisteln (im Bereich einer Anastomose).
26.3.2
Ösophagusperforationen und -rupturen
Ätiologie und Epidemiologie Perforationen der Speiseröhre sind mindestens 5-mal häufiger als Rupturen und zeigen aufgrund der Zunahme der invasiven diagnostischen und interventionellen Maßnahmen (wie Endoskopie, Bougierung, Stenteinlage) weiter steigende Tendenz. Nach Literaturangaben entstehen derzeit mehr als 80% der Ösophagusperforationen durch Instrumenteneinwirkung, d. h. iatrogen. Die übrigen 20% sind zu etwa gleichen Teilen Folge von verschluckten Fremdkörpern (7 Abschn. 26.2), Stich- und Schussverletzungen oder schweren Thoraxtraumen. Instrumentelle Perforationen ereignen sich am häufigsten im Rahmen therapeutischer Maßnahmen, wie der Dilatation oder Bougierung von Stenosen. Das Perforationsrisiko derartiger therapeutischer Eingriffe beträgt nach Verbesserung der Bougierungstechniken durch flexible Leitsonden bzw. pneumatische Bougies etwa 1%. Das Risiko der Ösophagusperforation im Rahmen einer diagnostischen Endoskopie mit flexiblem Instrument liegt in großen Serien unter 0,01%, bei Verwendung des starren Endoskops bei etwa 0,2%. Bei Vorliegen einer Stenose oder eines Tumors kann das Perforationsrisiko auch bei Durchführung einer rein diagnostischen Endoskopie allerdings deutlich höher sein (Murphy u. Roufail 1995; Kim-Deobald u. Kozarek 1992). Perforationen durch Endoskopie ereignen sich am häufigsten zervikal (>50%) oder im terminalen Ösophagus (ca. 30%), aber nur selten thorakal. Eine Sonderform stellt die sekundäre Perforation dar, bei der ein durch eine Schleimhautverletzung entstandener intramuraler Abszess sekundär die äußeren Wandschichten durchbricht. Bei den durch externes Trauma hervorgerufenen Läsionen stehen häufig die Begleitverletzungen des Halses bzw. des Thorax oder des Abdomens im Vordergrund des klinischen Bildes (Degianniset al. 2005). Ätiologisch handelt es sich um Stich-, Schnitt- oder Schussverletzungen. Derartige Ösophagusperforationen sind meist groß und hinterlassen einen Defekt oder gar einen vollständige Kontinuitätstrennung des Organs. Bisweilen entstehen durch ein Trauma Fisteln zu Nachbarorganen, z. B. der Trachea. Ösophagusfisteln zeigen den mehr chronischen Verlauf einer Speiseröhrenperforation an und sind als deren Komplikation bzw. Folge anzusehen. Sie entstehen nach Verletzungen, die das Lumen der Speiseröhre direkt eröffnen, oder nach Wandschädigungen, die schließlich zur Nekrose führen. Mögliche Ursachen sind auch stumpfe Unfallmechanismen, bei denen es z. B. zu einer Quetschung der Trachea mit Hinterwandläsion und gleichzeitiger Verletzung der Speiseröhre mit
373 26.3 · Traumatische Läsionen von Ösophagus und Magen
nachfolgender Nekrose und Ausbildung einer ösophagotrachealen Fistel kommt. Weitere typische Fistelformen sind die ösophagobronchiale und die ösophagogastrale Fistel. Sie entstehen fast ausschließlich nach chirurgischen Eingriffen oder bei Malignomerkrankungen.
Pathophysiologie Die Folgen von Ösophagusperforationen sind prinzipiell unabhängig von der Verletzungsart. Infektiöses Material dringt in Mediastinum und Pleurahöhle ein und führt dort zu schweren intrathorakalen Infektionen wie Mediastinitis bzw. Pleuraempyem. Liegt die Perforation im zervikalen Teil der Speiseröhre, kann es ebenfalls durch sekundäre Infektion zur absteigenden Mediastinitis kommen. Diese Sekundärinfektion verläuft bei größeren unbehandelten Läsionen foudroyant, da Speiseröhreninhalt durch den hohen intraösophagealen Druck ins Mediastinum und in die Pleurahöhle gepresst wird. Dagegen entwickeln sich entzündliche Komplikationen nach umschriebener Perforation – zumal wenn sie instrumentell beim nüchternen Patienten gesetzt wurden – meist verzögert und bleiben nicht selten auf die Verletzungsstelle beschränkt (Murphy u. Roufail 1995).
Klinische Symptomatologie Typische Früh- und Spätsymptome hängen neben dem Erkrankungszeitpunkt von der Größe und Morphologie des Defekts (gedeckte oder freie Perforation) und damit von der Menge ausgetretenen Speichels und den Begleitverletzungen ab. Schmerzen werden meist entsprechend der Perforationslokalisation angegeben. Häufig kann ein Hautoder Mediastinalemphysem nachgewiesen werden. Dyspnoe tritt meist nach thorakalen Perforationen mit Pleuraverletzung (Pneumothorax, Serothorax) auf, während das Symptom Dysphagie bei allen Lokalisationen gleich häufig zu finden ist. Systemische Infektionszeichen wie Fieber und Leukozytose im Rahmen einer Mediastinitis nach Verletzung der Pleura mediastinalis sowie beim Pyo- bzw. Serothorax können erst verzögert nachweisbar sein. Thorakale Läsionen verlaufen durch die Mediastinitis bereits initial wesentlich schwerer als zervikale Läsionen. Die abdominale Perforation bedingt ein akutes Abdomen mit Erfordernis zur Laparotomie und Abklärung der Ösophagusverletzung (Murphy u. Roufail 1995).
Die letztere Methode hat häufig die größte diagnostische Aussagekraft, da bereits kleine Verletzungen in dieser Schluckuntersuchung anhand der austretenden Kontrastmittelfahne diagnostiziert und exakte lokalisiert werden können. Durch Endoskopie und Computertomographie können weitere Informationen über das Ausmaß der Verletzung (Größe der Perforationsstelle? Freie/gedeckte Läsion) und Mitbeteiligung von Pleura (Pleuraerguss? Pleuraempyem?) und Mediastinum (Mediastinalemphysem?) gesichert werden. Ein röntgenologisches Frühsymptom der zervikalen Läsion ist das Minnegerode-Zeichen, d. h. die röntgenologisch darstellbare, paraösophageale Luftansammlung im Halsbereich. Bei intrathorakalen Verletzungen fallen in der Thoraxübersichtsaufnahme in 2 Ebenen Veränderungen des Pleuraraums (Sero-, Pneumo-, Pyothorax) und des Mediastinums auf (Mediastinalverbreiterung, Emphysem). Ist der intraabdominelle Ösophagusanteil verletzt, so zeigt die Abdomenleeraufnahme im Stehen fast regelmäßig freie Luft unter dem Zwerchfell. Direkt lässt sich eine Perforation oder eine Fistel mit einem wasserlöslichen Kontrastmittel unter Durchleuchtungskontrolle darstellen. Äußere Fisteln werden über einen eingeführten Katheter dargestellt. Bei inneren Fisteln zur Trachea ist eine Bronchographie hilfreich (Jones u. Ginsberg 1992; Murphy u. Roufail 1995; White u. Morris 1992).
Therapie Während in der Vergangenheit die operative Versorgung von instrumentellen Ösophagusperforationen in der frühen Phase (maximal innerhalb 12–24 h) bevorzugt wurde, tritt in den letzten Jahren zunehmend die konservative Therapie in den Vordergrund (. Abb. 26.4). Vor allem umschriebene instrumentelle Perforationen im Bereich des zervikalen Ösophagus und gedeckte Perforationen des thorakalen Ösophagus können unter antibiotischer Abdeckung, Nulldiät und parenteraler Ernährung häufig erfolgreich primär konservativ behandelt werden. Wesent-
Diagnostik Die bildgebende Diagnostik bei Verdacht auf Ösophagusperforation oder -ruptur stützt sich auf 4 Untersuchungen: 4 Konventionelles Thoraxröntgen 4 Endoskopie 4 Computertomographie 4 Pharyngooösophagographie mit wasserlöslichem Kontrastmittel
. Abb. 26.4 Zunahme des konservativen Vorgehens in der Therapie der Ösophagusperforation (eigene Erfahrung)
26
374
Kapitel 26 · Verletzungen von Ösophagus und Magen
auf ein chirurgisches Vorgehen umgestiegen werden (Fernandez et al. 1999; Trastek 1992; Luostarinen u. Isolauri 1997; White u. Morris 1992). Bei frischen größeren freien Perforationen, bei Verletzung der Pleura mediastinalis sowie bei intraabdomineller Perforation stellt die primäre chirurgische Intervention nach wie vor die Therapie der Wahl dar. Verletzungen der zervikalen Speiseröhre werden durch direkte Naht und Deckung mit gestieltem Muskellappen oder durch Einlage einer großlumigen T-Drainage versorgt. Bei ausgedehnter thorakaler Perforation der Speiseröhre mit breitem Kontrastmittelaustritt in den Pleuraraum oder bei intraabdomineller Perforation reicht das therapeutische Spektrum vom direkten Verschluss mit Deckung (durch Magenfundus, Muskelellappen, Zwerchfelllappen, Pleura oder Omentum), über die Resektion oder Exklusion des betroffenen Segments bis hin zur Ösophagektomie mit zweizeitiger Rekonstruktion der Speisepassage. Die Wahl des Therapieverfahrens hängt ab von der Ursache der Perforation, eventuell zugrunde liegenden Organveränderungen (wie Stenose, Achalasie, Karzinom), Lokalisation und Ausmaß der Perforation, Intervall zwischen Perforation und Diagnosenstellung sowie Alter und Allgemeinzustand des Patienten. Wesentlich für die Prognose ist bei ausgedehnten Verletzungen die Vermeidung der Infektionsausbreitung auf benachbarte Organe und Körperhöhlen durch ausgiebige intraoperative Lavage und frühzeitige hochdosierte Antibiotikatherapie (aerobes und anaerobes Spektrum) (Ferguson 1997; Fernandez et al. 1999; Sakamoto et al. 1997; White u. Morris 1992). In Einzelfällen, vornehmlich bei Ösophagusperforationen nach Bougierung oder Lasertherapie maligner Stenosen bzw. bei spontaner Tumorperforation mit Ausbildung von ösophagotrachealen Fisteln, kann die endoskopische Einlage eines die Perforation überbrückenden und verschließenden Expansionsendotubus oder Stents erfolgreich sein (Davies u. Vaughan 1999).
26
Prognose . Abb. 26.5 Konservatives Vorgehen bei der gedeckten Ösophagusperforation mit transnasaler Sonde oral und aboral der Läsion zur Drainage
lich bei der konservativen Therapie der Ösophagusperforation sind der Ausschluss eines distal der Perforation gelegenen Tumors oder anderer obstruktiver Prozesse sowie die sofortige und kontinuierliche Absaugung von Speichel und Mageninhalt durch oral und aboral der Perforation platzierte Sonden (. Abb. 26.5). Bei Ausbleiben einer Besserung des klinischen Zustandes unter diesen Maßnahmen sollte jedoch großzügig
Durch eine verbesserte chirurgische Intensivmedizin und ein differenzierteres therapeutisches Vorgehen ist die Mortalität der Ösophagusperforation in den letzten Jahren deutlich gesenkt werden. In der eigenen Erfahrung sank die Mortalität der Ösophagusperforation unter Einsatz der oben angegebenen Behandlungsprinzipien von mehr als 15% vor 1985 auf deutlich unter 3% seit 1995.
26.3.3
Boerhaave-Syndrom (»emetogene« Ösophagusruptur)
Als »Boerhaave-Syndrom« wird die Ösophagusruptur als Folge einer Episode forcierten Erbrechens bezeichnet,
375 26.3 · Traumatische Läsionen von Ösophagus und Magen
weshalb auch die Bezeichnung »emetogene« Ösophagusruptur geeignet ist. Benannt ist das Krankheitsbild nach Hermann Boerhaave, Professor an der Universität Leyden zu Beginn des 18. Jahrhunderts, der das Krankheitsbild in einer historischen Schrift von 1724 beschrieben hat (Obduktion des niederländischen Admirals Baron von Wassenauer, der nach einem nach opulentem Dinner selbst herbeigeführten Erbrechen an einer Ösophagusruptur verstorben war; Boerhaave 1724). Der ebenfalls gebräuchliche Begriff »spontane« Ösophagusruptur ist irreführend, und wohl nur Ausdruck des bisweilen nicht mehr anamnestisch zur eruierenden auslösenden Ereignisses.
Epidemiologie, Pathophysiologie, Differenzialdiagnose Die Erkrankung betrifft vorwiegen (80%) das männliche Geschlecht. Über 2/3 der Patienten sind älter als 40 Jahre (Brauer et al. 1997). Pathophysiologisch liegt dem Boerhaave-Syndrom ein intraluminales Barotrauma zugrunde. Im Experiment rupturiert die Ösophaguswand erst unterer extremen Drücken. Entscheidender als der absolute Druck scheint aber die Geschwindigkeit des Druckanstiegs zu sein. Vermutlich ist ein reflektorischer Spasmus des oberen Ösophagussphinkters pathophysiologisch beteiligt (Brauer et al. 1997). Morphologisch findet sich in der Regel supradiaphragmal ein linkslateral dorsalseitiger schlitzförmiger Defekt. Höher lokalisierte Rupturen sind außerordentlich selten. Gelegentlich nachweisbare Nekrosen sind sekundär, Folge einer durch den Intestinalinhalt bedingten Andauung. Nicht immer verlaufen die Rupturen transmural und beschränken sich gelegentlich auf intramurale Einrisse, die sich allerdings sekundär zu einer kompletten Wandläsion ausweiten können (Brauer et al. 1997). Dem Boerhaave-Syndrom und dem subkardial lokalisierten Mallory-Weiss-Syndrom liegen wahrscheinlich gemeinsame pathogenetische Ursachen zugrunde. Beide Erkrankungen werden als verschiedene Ausprägung ein und derselben Erkrankung angesehen (Mallory-WeissSyndrom als inkomplettes Boerhaave-Syndrom; Murphy u. Roufail 1995; Younes u. Johnson 1999). Im Gegensatz dazu wird das »intramurale Hämatom der Ösophaguswand« oder »Ösophagealer Apoplex« in der Literatur als von Boerhaave- und Mallory-Weiss-Syndrom verschiedene Entität angesehen (Jotteet al. 1991). Hierbei soll die spontane Ausbildung eines intramuralen Hämatoms in der Ösophaguswand zu Fistelbildung ins Mediastinum und ins ösophageale Lumen führen, wodurch es zu Bluterbrechen in Folge einer Wanddissektion kommt (Grassiet al. 1995; Jotte et al. 1991). Im Gegensatz zum Boerhaave-Syndrom treten dabei kein Pneumomediastinum oder Medistinalemphysem auf. Auch soll das Krankheitsbild nicht mit ur-
sächlichem Erbrechen, sondern lediglich konsekutiver Hämatemesis, assoziiert sein. Patienten präsentieren sich mit plötzlichen, in Epigastrium, Hals und Rücken ausstrahlenden Schmerzen, gefolgt von Bluterbrechen und geringgradiger Dysphagie (Gutierrez del Olmoet al. 1985).
Klinische Symptomatologie Die klassische Symptomen- und Befundkonstellation des Boerhaave-Syndroms besteht aus der Trias 4 akuter thorakaler oder epigastrischer Schmerz 4 nach einer Episode forcierten Erbrechens und 4 Mediastinal-/Hautemphysem. Die Symptome treten akut und dramatisch mit vernichtendem Schmerz unmittelbar nach heftigem Erbrechen auf. Rasch kommen Allgemeinsymptome mit Dyspnoe, Zyanose und später Zeichen der Sepsis hinzu. In etwa 1/3 aller Fälle entwickelt sich das Bild eines akuten Abdomens, bedingt durch die Reizung der basalen Pleura oder einer freien Perforation in die Bauchhöhle. Geradezu obligat ist die Entwicklung eines Pneumothorax oder einer Ergussbildung bzw. eines Seropneumothorax. Als besonders typisches Zeichen gilt das Mediastinalemphysem, das rasch – als Hautemphysem – auch die Subkutis des Halses und die oberen Thoraxabschnitte ergreift. Der weitere klinische Verlauf ist durch die Entwicklung einer Mediastinitis, Peritonitis und/oder eines Pleuraempyems gekennzeichnet. Leider ist das klinische Bild wegen der variablen Symptome und Befunde nicht immer eindeutig. Dies erklärt die in der Literatur beschriebenen Schwierigkeiten der Diagnosestellung. Wichtig ist es bei der Differenzialdiagnose des thorakalen Schmerzes stets nach einer Episode forcierten Erbrechens zu fragen, und die Differenzialdiagnose Boerhaave-Syndrom im Hinterkopf zu haben und dann eine standardisierte Diagnostik (wie in 7 Abschn. 26.3.2 bei Perforationen aufgeführt) durchzuführen. > Stets bei thorakalem Schmerz nach Erbrechen fragen und auch die Ösophagusruptur (Boerhaave-Syndrom) in Betracht ziehen!
Diagnostik Die Diagnose ist beim Vorliegen der klassischen Trias (explosionsartiges Erbrechen, plötzlicher retrosternaler Vernichtungsschmerz und Mediastinalemphysem) klinisch bereits mit großer Wahrscheinlichkeit zu stellen. Eine röntgenologische Sicherung ist jedoch unerlässlich. Eine Mitbeteiligung der Pleura lässt sich, ebenso wie ein Mediastinalemphysem, in der Regel auf der röntgenologischen Thoraxübersichtsaufnahme erkennen (. Abb. 26.6). Der Beweis einer Ösophagusruptur kann am besten durch eine Röntgenkontrastdarstellung der Speiseröhre erbracht wer-
26
376
Kapitel 26 · Verletzungen von Ösophagus und Magen
26
. Abb. 26.6 Thoraxübersichtsaufnahme mit Mediastinalemphysem (Pfeile) bei Boerhaave-Syndrom
den. Bereits beim geringsten Verdacht sollte die Darstellung der Speiseröhre mit einem wasserlöslichen Kontrastmittel (Gastrografin, Bronchografin) erfolgen. In etwa 70% der Fälle gelingt damit der Nachweis der Ruptur. Eine Durchführung der Untersuchung in Linksseitenlage erhöht die Sensitivität der Untersuchung. Gelegentlich bleiben jedoch kleinere Läsionen in der Kontrastmitteldarstellung unentdeckt. Die Computertomographie kann auch kleinere Mengen freier Luft im Mediastinum oder Oberbauch aufzeigen (. Abb. 26.7), die in der Übersichtsaufnahme leicht übersehen werden. Mittels Computertomographie kann auch die Beteiligung der Pleura besser dargestellt werden als in der konventionellen Übersichtsaufnahme. Durch Endoskopie lässt sich auch die Länge der Ruptur und eine ggf. zugrunde liegende Erkrankung des Ösophagus oder der Kardia ermitteln. Kleinere oder unvollständige Rupturen können in der Endoskopie besser dargestellt werden als in der Röntgenkontrastdarstellung (Murphy u. Roufail 1995).
Therapie Die Therapiestrategie basiert auf der Morphologie des Defektes (große, freie Ruptur oder kleine, gedeckte Ruptur-
stelle) und dem Allgemeinzustand des Patienten (. Abb. 26.8). Die in der Literatur außerdem als Kriterium vorgeschlagene absoluten Länge der Rupturstelle (größer/ kleiner 3 cm) ist endoskopisch nicht exakt genug zu bestimmen und erscheint weniger entscheidend als das Kriterium »gedeckte« versus »freie« Ruptur. Ähnliches gilt für den Zeitpunkt der Perforation (größer/kleiner 24 h). Bei gedeckten Rupturen sollte die primäre Naht des Defektes über einen transabdominellen, transhiatalen Zugang erfolgen. Erforderlich ist weiter die Deckung durch Fundoplastik/Fundoplikation. Eine Drainage des Mediastinums und der Pleurahöhle ist obligat. Postoperativ erfolgt die »Ruhigstellung« des Ösophagus durch Nulldiät und Absaugung des Mageninhalts über eine transnasale Sonde oder Witzelfistel für mindestens 5–7 Tage. Bei größeren Defekten ist die primäre Reparatur – auch unter Verwendung von Deckung mit gestieltem Zwerchfelllappen, Pleura oder Omentum – häufig nicht erfolgreich. Hier sollte großzügig die Indikation zur Resektion gestellt werden: Als Vorgehen bietet sich die transmediastinale Ösophagektomie an, mit Blindverschluss des Magens und Ausleitung des zervikalen Ösophagusstumpfes als zervikale Speichelfistel. Mediastinums und Pleurahöhlen müssen gut drainiert werden. Die Rekonstruktion der Speisepassage
377 26.3 · Traumatische Läsionen von Ösophagus und Magen
. Abb. 26.7 Computertomographie des Thorax mit Mediastinalemphysem (Pfeile) bei Boerhaave-Syndrom
erfolgt zweizeitig nach Erholung des Patienten, d. h. in einem variablen Intervall von Wochen bis Monaten. Ergänzt werden müssen die chirurgischen Maßnahmen durch Antibiotikagabe. Beim postoperativen Auftreten eines mediastinalen Abszesses oder Pleuraempyems müssen diese durch Drainage entlastet werden (Lawrence et al. 1999; Murphy u. Roufail 1995).
Die alleinige konservative Therapie mit Antibiotika, sowie Magen- und Ösophagussonden und perkutaner Drainage von Abszessen/Verhaltformationen ist bei einer inkompletten, intramuralen Ruptur und wenig symptomatischen Patienten möglich (. Abb. 26.8).
26
378
Kapitel 26 · Verletzungen von Ösophagus und Magen
26
. Abb. 26.8 Flussdiagramm zum therapeutischen Vorgehen beim Boerhaave-Syndrom
Prognose Die Prognose des Boerhaave-Syndroms ist von den auch die Therapie determinierenden Kriterien (Morphologie des Defektes und Allgemeinzustand/Sepsis) abhängig. Entscheidend sind die rechtzeitige Diagnose und der sofortige Therapiebeginn mit chirurgischer Intensivmedizin und Festlegung der chirurgischen Strategie. Die Letalität des unbehandelten Boerhaave-Syndroms beträgt nahezu 100%. Bis vor wenigen Jahren lag auch nach chirurgischer Intervention die Überlebenswahrscheinlichkeit in vielen publizierten Serien deutlich über 50%. Mit dem oben angegebenen Algorithmus konnte in der eigenen Erfahrung bei mehr als 30 Patienten mit Boerhaave-Syndrom eine Mortalität von unter 3% erzielt werden. Diese günstigen Ergebnisse unterstützen das dargestellte aggressive, entsprechend Befund individualisierte Vorgehen (Brauer et al. 1997).
26.3.4
Traumatische Magenperforation/ -ruptur
Traumatische Magenperforationen oder -rupturen (durch interne oder externe Gewalteinwirkungen, z. B. beim stumpfen Abdominaltrauma, als Barotrauma bei Fehlintubation oder iatrogen durch ein Endoskop) sind aufgrund der geschützten Lage im Oberbauch und der Dicke der Magenwand extrem selten (Wilkinson 1989). Im Gegensatz zur Ösophagusperforation besteht bei kleineren Magenwandläsionen die Chance einer spontanen Abdeckung durch das Omentum oder durch Nachbarorgane, die vor Keimaustritt und Peritonitis schützen können (gedeckte Perforation/Ruptur). Ausgedehnte Rupturen führen jedoch unweigerlich zum Austritt von kontaminiertem Mageninhalt, sekundärer Peritonitis und dem klinischen
Bild eines akuten Abdomen, das der Operation bedarf (Pikoulis et al. 1999). Ein Barotrauma, durch »Aufblasen des Magens« bei ösophagealer Fehlintubation oder durch übermäßige Luftinsufflation während flexibler Endoskopie, verursacht vorwiegend im proximalen Anteil der kleinen Kurvatur gelegene Läsionen. Ein Sturz aus großer Höhe kann zum Abriss des Magens im Kardiabereich oder am Pylorus führen. Diagnostik Ein klinischer Verdacht auf Magenperforation wird durch Nachweis freier, subdiaphragmaler Luft im konventionellen Röntgen bestätigt. Weitere Informationen lassen sich durch Endoskopie (mit allerdings nur vorsichtiger Luftinsufflation!) gewinnen. Mittels Röntgenuntersuchung mit wasserlöslichem Kontrastmittel sind auch kleinere Läsionen oder Fisteln darstellbar. Therapie Gedeckte Magenperforationen ohne klinische Symptomatik bedürfen keiner operativen Therapie. Sie sollten lediglich mittels einer transnasal eingelegten Magensonde bis zum Abdecken der Perforation entlastet werden. Auch Magenfisteln haben eine gute Prognose. Bei ausreichender Drainage (Magensonde) und medikamentöser Sekretionshemmung heilen sie fast immer spontan ab. Lediglich bei Therapieresistenz müssen Fisteln chirurgisch versorgt werden (Durham 1990). Bei größeren Magenperforationen und Magenrupturen sowie klarerweise bei klinischer Symptomatik im Sinne eines akuten Abdomen ist die Operation indiziert. Nach Exzision der Wundränder wird bei lokalen Verletzungen eine primäre Naht durchgeführt. Zusätzliche Kontusionen mit Wandhämatomen oder ausgedehnte Rupturen können die Magenteilresektion erforderlich werden lassen.
379 26.3 · Traumatische Läsionen von Ösophagus und Magen
26.3.5
Literatur
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26
27
Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum E. Bollschweiler, J. Faß, A.H. Hölscher, K. Homayounfar, D. Oertli, C. Prinz
27.1
Pathophysiologie der Magenmotilität und der Magensekretion – 384
27.1.1 27.1.2 27.1.3
Magenmotilität – 384 Magensekretion – 385 Literatur – 389
27.2
Chronische Entzündungen im Magen – Disposition zur Karzinomentstehung – 391
27.2.1 27.2.2 27.2.3
Klinische Symptomatologie – 391 Formen – 391 Karzinomentstehung durch die chronische Entzündung im Magen – 393 Literatur – 394
27.2.4
27.3
Unkompliziertes Ulcus ventriculi: Pathogenese und konservative Therapie – 395
27.3.1 27.3.2 27.3.3 27.3.4 27.3.5 27.3.6
Klinische Symptomatologie – 396 Differenzialdiagnose – 396 Helicobacter-pylori-assoziiertes Ulcus ventriculi – 397 Ulcera ventriculi durch Reflux von Duodenalsekret (»Gallereflux«) – 397 NSAR-induzierte Magenulzera und Gastropathien – 397 Literatur – 399
27.4
Stressulkus und Stressulkusprohylaxe
27.4.1
Literatur
27.5
Unkompliziertes Ulcus ventriculi: Operationsindikation und operative Therapie – 402
27.5.1 27.5.2 27.5.3 27.5.4 27.5.5 27.5.6 27.5.7
Therapieziele und Indikationsstellung – 402 Chirurgische Strategie – 403 Verfahrenswahl – 403 Operationstechnik – 405 Postoperative Behandlung – 408 Intra- und postoperative Komplikationen – 408 Literatur – 409
– 400
– 402
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_27, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
27.6
Unkompliziertes Ulcus duodeni: Pathogenese und konservative Therapie – 410
27.6.1 27.6.2 27.6.3 27.6.4 27.6.5 27.6.6
Klinische Symptomatologie – 410 Endoskopische Untersuchung – 411 Stadieneinteilung – 411 Pathogenese – 412 Diagnostik von Helicobacter-pylori-Infektionen – 413 Behandlungsindikation bei Helicobacter-pylori-positivem Ulcus duodeni – 413 Eradikationsschemata der H.-pylori Infektion bei Ulcus ventriculi et duodeni – 415 Therapie des H.-pylori-negativen Ulcus duodeni – 415 Literatur – 416
27.6.7 27.6.8 27.6.9
27.7
Unkompliziertes Ulcus duodeni: Operationsindikation und operative Therapie – 417
27.7.1 27.7.2 27.7.3 27.7.4 27.7.5 27.7.6 27.7.7 27.7.8
Präoperative Maßnahmen und Diagnostik – 417 Therapieziele und Indikationsstellung – 417 Anatomie der vagalen Innervation am Magen – 417 Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl – 417 Operationstechnik – 420 Postoperative Behandlung – 422 Ergebnisse – 422 Literatur – 422
27.8
Chirurgische Therapie der gastroduodenalen Blutung
27.8.1 27.8.2 27.8.3 27.8.4 27.8.5 27.8.6 27.8.7 27.8.8 27.8.9 27.8.10 27.8.11 27.8.12 27.8.13 27.8.14 27.8.15 27.8.16 27.8.17
Epidemiologie – 423 Klinische Symptomatologie – 424 Notfallmanagement – 424 Endoskopie – 426 Risikostratifizierung – 427 Vorgehen bei endoskopisch nicht lokalisierbarer Blutung Notfalloperation – 429 Frühelektive Operation – 429 Ulcus ventriculi – 430 Ulcus duodeni – 430 Mallory-Weiss-Syndrom – 431 Ulcus Dieulafoy – 431 Andere Blutungsquellen – 432 Ergebnisse – 433 Nachsorge – 433 Literatur – 433 Internetadressen – 434
– 423
– 428
27.9
Peptische Ulkusperforation
– 434
27.9.1 27.9.2 27.9.3 27.9.4 27.9.5 27.9.6
Epidemiologie – 434 Definition und Klassifikation – 435 Peritonitis bei Perforation – 435 Klinische Symptomatologie und Diagnostik Therapie – 436 Literatur – 439
27.10
Magenausgangsstenose
27.10.1 27.10.2 27.10.3 27.10.4 27.10.5 27.10.6
Definition und Klassifikation – 441 Klinische Symptomatologie – 441 Diagnostik – 441 Indikationsstellung, Therapieziele und Verfahrenswahl Operationstechnik und Ergebnisse – 442 Literatur – 443
27.11
Postoperative Folgezustände nach Magenresektion und Vagotomie – 443
27.11.1 27.11.2 27.11.3
Folgezustände nach Magenresektion – 443 Folgezustände nach Vagotomie – 445 Literatur – 446
27.12
Anomalien, Divertikel, Volvulus
27.12.1 27.12.2 27.12.3 27.12.4
Anomalien – 447 Divertikel – 448 Volvulus – 448 Literatur – 449
– 435
– 440
– 447
– 442
384
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
27.1
Pathophysiologie der Magenmotilität und der Magensekretion C. Prinz
27
Die ausgeprägte Motilität des menschlichen Magen wird durch neurale Prozesse koordiniert und bewirkt die kontinuierliche Durchmischung sowie einen koordinierten Weitertransport der Speise. Die Abgabe von Sekret in das Duodenum ist das Ergebnis einer koordinierten Aktivität von Antrum und Duodenum, eine Störung dieser Aktivität kann zum duodenogastraler Reflux und zur Schädigung der Magenschleimhaut, v. a. durch die Exposition mit Gallensäuren führen. Magenentleerungsstörungen werden vor allem bei mechanischen Hindernissen und bei der diabetischen Gastroparese gefunden. Die Magendrüsen werden durch neuronale, endokrine und parakrine Mechanismen kontrolliert. Wichtigsten Zellen sind die säureproduzierenden Parietalzellen, die pepsinogenproduzierenden Hauptzellen, die histaminhaltigen ECL-Zellen sowie die endokrinen Gastrin- und Somatostatinzellen. Gastrin wird im Rahmen der gastralen Phase aus G-Zellen im Antrum freigesetzt und stimuliert als endokriner Botenstoff die ECL-Zellen im Korpus. Histamin aus ECL-Zellen führt dann als parakriner Mediator zur Stimulation der Säuresekretion, die Wirkung kann selektiv durch H2-Rezeptorantagonisten blockiert werden. Protonenpumpenhemmer hemmen irreversibel den Transport von Protonen in das Magenlumen. Somatostatin hemmt die Funktion der ECL-, Parietal und Gastrinzellen des Magens.
27.1.1
Magenmotilität
Physiologie Der Magen ist von einer starken Muskelschicht umgeben, die ein Durchmischen und einen kontrollierten Transport der Speise ermöglicht. In nüchternem Zustand zeigt der Magen 2 Motilitätsmuster: eine Phase mit keiner oder nur geringer Motilität sowie eine Phase mit starken propulsiven Bewegungen, auch als interdigestive Motilitätsphase bezeichnet. Diese Phase nimmt ihren Ausgang von einem Schrittmacherzentrum im Korpus nahe der großen Kurvatur. Von diesem Zentrum ausgehend kommt es zu starken propulsiven Bewegungen in Richtung des Antrums, wobei die Frequenz etwa 3-mal pro Minute ist (Hinder u. Kelly 1977). Nach der Nahrungsaufnahme erfolgt zunächst im Fundusbereich eine nerval vermittelte Relaxation, dann wird der Mageneingang durch Druckerhöhung im unteren Ösophagussphinkter verschlossen (Siewert u. Blum 1977). Der Fundus kann dann einen tonischen Druck auf den Mageninhalt ausüben; das Magenantrum zeigt eine kon-
tinuierliche phasische Aktivität, was zur Durchmischung der Speise beiträgt. Dies führt zur proportionierten Abgabe in das Duodenum. Der Transport des Speisebreis bis zum Duodenum ist also das Ergebnis der koordinierten Aktivität von Fundus, Antrum und Pylorus. Die Magenentleerung erfolgt über Rezeptoren, die überwiegend im Duodenum lokalisiert sind. Diese erfassen Menge, Konsistenz und Zusammensetzung und steuern die Menge der Entleerung (Hund et al. 1975; Stubbs u. Hund 1975). Die Entleerung verläuft exponentiell. Von physiologischer Bedeutung sind der Kaloriengehalt (»Energiedichte«) und die Konsistenz; dies führt dazu, das flüssige und kalorienarme Speisen schneller entleert werden als feste (Tripathi 1999).
Störungen der Magenentleerung Insbesondere bei mechanischen Hindernissen kommt es zur Behinderung der Magenentleerung. Als häufigste Ursache findet man peptische Ulzera, die in der Nähe des Pylorus zu einer starken Schleimhautschwellung führen und dadurch den Pylorus verschließen. Auch maligne Ursachen sind häufig. Verätzungen führen nicht nur zur Schleimhautschädigung im Ösophagus, sondern häufig auch im Bereich des Pylorus, was eine endoskopisch gesteuerte Dilatation, ggf. auch eine Resektion des Pylorus notwendig machen kann. Vorsicht ist geboten bei Ulzerationen in dem Bereich der Stenose, da hier im Rahmen einer endoskopischen Dilatation ein erhöhtes Perforationsrisiko besteht. Hier ist der Operation der Vorzug zu geben. Metabolische Ursachen der Magenentlerungsverzögerung sind vor allem der Diabetes mellitus. Die sog. diabetische Gastroparese imponiert klinisch durch Oberbauchschmerzen, Sodbrennen und auch Erbrechen. Bei der endoskopischen Untersuchung ist der Magen trotz 12-stündiger Nahrungskarenz mit Speiseresten gefüllt. Die Ursachen liegen in einer Schädigung der afferenten und efferenten Nervenfasern im Magen. Die Therapie besteht in der Optimierung der Stoffwechselsituation sowie in der Gabe von prokinetisch wirkenden Medikamenten, z. B. Metoclopramid (Paspertin), oder auch Erythromycin-Derivaten in niedriger Dosierung, z. B. Erythrocin 100 mg 1–2× tgl. (Tripathi 1999). Auch bei Parkinson-Patienten wird gehäuft eine Magenentleerungsstörung beobachtet, die meist zentral bedingt ist. Hier steht die systemische Therapie der Grundkrankheit im Vordergrund.
Beschleunigte Magenentleerung Durch beschleunigte Entleerung des Mageninhalts kann es zur Übersäuerung des Duodenums kommen. Normalerweise wird das saure Sekret von sezernierten Alkali-Ionen abgepuffert, die jedoch nur eine begrenzte Pufferkapazität besitzen. Die beschleunigte Entleerung kann daher mit
385 27.1 · Pathophysiologie der Magenmotilität und der Magensekretion
Ulzera assoziiert sein, allerdings lässt sich diese Ursache meist nur als Ausschlussdiagnose stellen. Das sog. Dumping-Syndrom findet sich vor allem bei Billroth-II- oder Roux-Y-operierten Patienten, in denen ein kontrollierter Verschluss des Magenausgangs fehlt (7 Abschn. 27.11).
Duodenogastraler Reflux (»Gallereflux«) Normalerweise fungiert der Pylorus als Antirefluxventil für den Magen. In seltenen Fällen kann es jedoch zu Reflux von Duodenalsekret in den Magen kommen. Tierexperimentelle Untersuchungen beim Hund haben gezeigt, dass bei Implantation eines künstlichen Schrittmachers in das distale Duodenum ein massiver duodenogastraler Reflux ausgelöst werden kann; ebenfalls ließ sich tierexperimentell zeigen, dass ein kontinuierlicher Kontakt von Duodenalsaft mit der Magenmukosa zu Ulzerationen führen kann (Kelly u. Code 1977). Meist sind die genauen Ursachen für den Reflux jedoch ungeklärt. Gehäuft wird dieses Phänomen nach laparoskopischer Cholezystektomie beobachtet (Passaro et al. 2001). Funktionell liegen dem duodenogastralen Reflux ein ungenügender Pylorusverschluss sowie eine unkoordinierte Aktivität der Antrum- und Duodenalmotorik zugrunde, der man messtechnisch erfassen kann. Das Duodenalsekret enthält u. a. Bilirubin, das durch spezielle Sonden (»Bilitec«) im Magen exakt über 24 h bestimmt werden kann (Manifold et al. 2001; Byrne u. Attwood 1999; Stein et al. 1999; Nakamura et al. 2001; Dowall et al. 2000; Fein et al. 2000). Therapeutisch ist daher nicht nur die luminale Bindung von Gallensäuren, sondern auch die Hemmung der Säuresekretion wichtig (Vaezi u. Richter 2000). Bei einigen Patienten kommt es sogar zu einem Reflux von Gallensäuren bis in den Ösophagus, was eine Ösophagitis bei gleichzeitiger Exposition mit Magensäure induzieren kann (Vaezi u. Richter 2000). Diskutiert wird auch die Entwicklung von Karzinomen in der Speiseröhre durch die Exposition mit Gallensäuren (Fein et al. 2000; Menges et al. 2001; Marshall et al. 2001). Der Reflux von Gallensäuren und Bilirubin bis in den Ösophagus wird durch eine sondengesteuerte Analyse festgestellt (Cuomo et al. 2000). Die Therapie richtet sich auf die medikamentöse Bindung der Gallensäuren, die Gabe von Schleimhautprotektiva, propulsiv wirkende Medikamente sowie eine Inhibierung der Säuresekretion.
27.1.2
Magen sezerniert pro Tag etwa 3–5 l Flüssigkeit. Das Sekret enthält nicht nur Säure und Pepsinogen (Vorstufe der säureaktivierten Protease Pepsin); sondern auch Elektrolyte, Intrinsic-Faktor, Histamin und die Hormone Gastrin, Somatostatin und Prostaglandin E2 (Hersey u. Sachs 1995). Vor der Autodigestion schützt sich der Magen durch die Mukosabarriere. Hierunter versteht man die oberflächliche Schleimschicht sowie die dem Lumen zugewandten Schicht aus dicht aneinander gereihten Epithelzellen, die durch sog. »tight junctions« verbunden sind, sodass keine Substanzen in die Magenschleimhaut eindringen können. Dieser lipophile Wall fungiert als Grenzschicht zwischen tiefer gelegenen Abschnitten und dem Lumen und verhindert die Rückdiffusion von Säure sowie Elektrolyten aus dem Lumen (Allen et al. 1993; Davenport 1967).
Struktur und Topographie der Magendrüsen Bei der Ansicht der Magenoberfläche erkennt man kleine punktförmige Einsenkungen, die sog. »gastric pits«. Dies stellt die Mündung einer Magendrüse dar, aus der das saure Sekret in das Magenlumen gelangt. In dem Ausführungsgang der Magendrüsen (Canaliculus) liegt ein extrem saurer pH-Wert vor, der beim Menschen zwischen 1,0 und 4,0 liegt (21). Die Magendrüsen liegen in der oberflächlichen Mukosa und haben eine Gesamtgröße von etwa 2– 5 mm. Die Magendrüsen weisen eine ganz charakteristische strukturelle Gliederung auf (. Abb. 27.1; Helander 1981). An der Oberfläche liegen die schmalen Epithelzellen, die Teil der Mukosabarriere sind. Im sog. Hals der Drüsen liegen die Stammzellen des Magens, die durch kontinuierliche Proliferation und Differenzierung die Erneuerung des Epithels ermöglichen. Im mittleren Teil lie-
Magensekretion
Neben der Reservoir- und Transportfunktion hat der Magen die entscheidende Aufgabe, durch die Sekretion von Säure und Pepsin eine initiale Verdauung der aufgenommenen Speisen einzuleiten. Durch die starke Hyperazidität des Sekretes schützt der Magen weiterhin vor der Infektion mit Bakterien, aber auch kanzerogenen Substanzen. Der
. Abb. 27.1 Schematische Darstellung über die Struktur einer Magendrüse
27
386
27
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
gen die Haupt- und Belegzellen. Die Hauptzellen liegen im oberen Anteil dieses Abschnittes und produzieren Pepsinogen. Die Belegzellen liegen im unteren Teil dieses Abschnittes und werden als Parietalzellen bezeichnet. Parietalzellen produzieren Magensäure durch ein charakteristisches Enzym, die H+-K+-ATPase (DiBona 1979). An der Basis der Magendrüsen finden sich chromaffine Zellen, die »enterochromaffin-like« Zellen (ECL-Zellen). Diese Zellen sezernieren Histamin, das die Freisetzung der Säure kontrolliert (Chen et al. 1998; Andersson et al. 1998; Hakanson et al. 1994).
Komponenten der Magensekretion Magenschleim Der Magenschleim wird von den epithe-
lialen, an der Oberfläche liegenden Epithelzellen sezerniert. Es setzt sich aus Makromolekülen wie Glykoproteinen, Mukopolysaccharide und Blutgruppensubstanzen zusammen. Je nach Gehalt an sauren Sialinsäuren werden sie in saure oder neutrale Glykoproteine unterteilt. Diese Proteine bilden eine lineare Kette, von denen Seitenketten abzweigen. Die benachbarten Seitenketten der sauren Glykoproteine bilden kovalente Bindungen, sodass es zur Vernetzung dieser Moleküle kommt und ein zäher, visköser Schleimmantel den Magen belegt (Schrager u. Oates 1968). Magensäure Parietalzellen produzieren die Salzsäure, was den Hauptanteil des Magensekretes ausmacht, sowie den Intrinsic-Faktor, der für die Resorption von Vitamin B12 wichtig ist. Parietalzellen liegen im sog. oxyntischen Teil der Korpusmukosa (abgeleitet vom griechischen oxyno, d. h. säureproduzierend). Mikroskopisch lassen sich die etwa 20–25 μm großen Zellen durch die konische Zellform und den massiven Gehalt an Mitochondrien erkennen. Außergewöhnlich ist bei diesem Zelltyp die starke morphologische Änderung nach Stimulation, wobei die Membranoberfläche um ein Vielfaches vergrößert wird (DiBona et al. 1979). Histamin Histamin wird im Magen im Rahmen der Verdauung aus den ECL-Zellen freigesetzt (Hakanson et al. 1971). ECL-Zellen sind 10 μm kleine, neuroendokrine Zellen, die an der Basis der Magendrüsen lokalisiert sind und sich nicht von den Stammzellen ableiten. Eine strukturelle Ähnlichkeit besteht mit den chromaffinen Zellen des Nebennierenmarkes sowie den enterochromaffinen Zellen des Ileums. All diese Zelltypen produzieren ein biogenes Amin sowie mehrere Peptide (Prinz et al. 1999). Das Magenantrumhormon Gastrin wird nach Nahrungsaufnahme in die Blutbahn freigesetzt und erreicht auf dem Blutwege die ECL-Zellen. Gastrin bindet an CCK-B-Rezeptoren der ECL-Zellen und löst eine Erhöhung des intrazellulären Kalziumgehaltes aus. Es folgt eine Aktivierung der SNARE-Proteine SNAP-25 und Synaptobrevin, sodass eine
Exozytose resultiert. Gastrin koordiniert nicht nur die Freisetzung, sondern auf die Neusynthese und Speicherung von Histamin in den sekretorischen Vesikeln (Prinz et al. 1999; Sachs et al. 1997; Scott et al. 1993). Gastrin Gastrin wird aus den G-Zellen im Magenantrum
durch Peptide und Distension freigesetzt. Gastrin und Cholezystokinin haben eine identische Peptidsequenz in den 5 N-terminalen Aminosäuren, die die entscheidende Sequenz für den Gastrineffekt darstellt (»Pentagastrin«). Es wurden bisher 2 Rezeptoren für Gastrin bzw. CCK beschrieben: Der CCK-A-Rezeptor vermittelt die Wirkung von CCK wie Gallenblasenkontraktion oder Pankreassekretion. Dagegen vermittelt der CCK-B-Rezeptor die biologischen Wirkung des Gastrins wie Histaminsekretion und Schleimhautproliferation im Magen (Wank 1998). Injektion von Antikörpern gegen Gastrin im Tiermodell hebt die nahrungsinduzierte Säuresekretion auf (Kovacs et al. 1989). Gastrin wird aus den G-Zellen durch luminalen Kontakt mit Peptiden sowie Aminosäuren freigesetzt. Diese führen zu einer Alkalinisierung der sekretorischen Vesikel, sodass es zu einer Hormonfreisetzung kommt. Nachgewiesen wurde auch eine Rezeptor-abhängige Freisetzung durch das sog. »gastrin-releasing peptid« (GRP), dessen Derivate wie Bombesin in neuralen Endungen des N. vagus im Antrum gefunden werden (Lichtenberger et al. 1995; Lichtenberger 1982; Forssmann et al. 1979; Schepp et al. 1990; Sachs et al. 1997). Der Nachweis bestimmter Rezeptoren für Aminosäuren auf den G-Zellen steht allerdings noch aus. Die Verwendung von Gastrin-defizienten Mäusen hat weitere Aufschlüsse über die Bedeutung dieses Hormons für das Wachstum und die Proliferation der Magenschleimhaut erbracht. Gastrin und auch CCK-B-defiziente Mäuse entwickeln eine ausgeprägte Schleimhautatrophie im Magen (Wang u. Dockray 1999). Dagegen weisen transgene Gastrin-Mäuse, die dieses Hormon überexprimieren, eine erhöhte ECL- und Parietalzelldichte auf; nach einiger Zeit entstehen sogar präkanzeröse Läsionen im Magen, die durch die Infektion mit H. pylori weiter beschleunigt werden (Wang et al. 2000). > Gastrin ist damit das entscheidende Magenhormon, das neben der Säuresekretion auch die Schleimhautproliferation bzw. Differenzierung im Magen steuert. Somatostatin Ein Gegenspieler von Gastrin ist das Soma-
tostatin, das die Freisetzung von Histamin, Gastrin und der Säure hemmt (Sachs et al. 1997). Somatostatin wird aus den D-Zellen im Antrum freigesetzt. Protonen induzieren die Ausschüttung von Somatostatin, sodass über diese
387 27.1 · Pathophysiologie der Magenmotilität und der Magensekretion
Zellen ein wesentlicher Regulationsschritt in der Feedback-Hemmung der Magensekretion vermittelt wird: Bei erfolgter Säuresekretion wird reaktiv die Somatostatinsekretion stimuliert, wodurch die Gastrinfreisetzung mittels parakriner Freisetzung (zytoplasmatische Ausläufer) unterdrückt wird. Somatostatin bindet vorwiegend von Somatostatinrezeptoren vom Subtyp 2 auf den ECL-Zellen, G-Zellen und anderen endokrinen Zellen. Dies wird klinisch zur Diagnostik und Therapie von endokrinen Tumoren eingesetzt (Sandostatin). Pepsinogen Pepsinogen wird aus den Hauptzellen nach
Stimulation mit Azetylcholin, Adrenalin, aber auch gastrointestinalen Hormonen freigesetzt. Pepsinogen ist die Vorstufe von Pepsin, die im sauren Milieu des Magens aktiviert wird. Pepsin ist eine extrem potente Protease, die komplexe Proteinstrukturen in Peptide spalten kann. Dies ist für die Stimulation von G-Zellen von besonderer Bedeutung (Muller et al. 1990).
Regulation und Phasen der Säuresekretion Die Säuresekretion unterliegt im Magen einer komplexen Regulation. Ziel dieses Mechanismus ist es, die Säure zur Verdauung der Speisen adäquat bereit zu stellen, während unter basalen Bedingungen nur eine minimale Sekretion erfolgt. Die Säuresekretion wird durch zephale, gastrale und intestinale Mechanismen gesteuert. Während der Nahrungsaufnahme muss die Säuresekretion zunächst angeschaltet, dann aber auch wieder herunter reguliert werden. Die erforderlichen Vorgänge werden von verschiedenen Organen koordiniert und finden zeitlich überlappend statt. Der zephalen Phase liegt eine Aktivierung der Vaguskerne im Gehirn zugrunde. Die Impulse zum Magen werden mittels Aktivierung der Vagusfasern vermittelt. Im klassischen Pavlov-Experiment kommt es im Hundemodell allein durch Blickkontakt mit dem Essen zur Sekretion von Säure aus einer Magenfistel. Ausgelöst wird die zephale Phase durch das Betrachten, Riechen und Schmecken der aufzunehmenden Nahrung. Experimentell kann die durch Vagusreiz vermittelte Säuresekretion auch durch eine Insulin-Injektion sowie durch Scheinfütterung ausgelöst werden. Die gastrale Phase beginnt mit dem Nahrungseintritt in den Magen und wird im Wesentlichen durch die Distension des Magenantrums und die Freisetzung von Peptidbestandteilen vermittelt. Beide Komponenten setzen Gastrin aus den G-Zellen im Magenantrum frei. Gastrin zirkuliert über die Blutbahn und bindet an Gastrinrezeptoren auf den histaminhaltigen ECL-Zellen im Magenkorpus. ECL-Zellen sezernieren Histamin auf diesen Reiz hin, dies erreicht die Parietalzellen auf parakrinem Weg und stimuliert die Säuresekretion.
Nach erfolgter Säuresekretion erniedrigt sich konsekutiv der pH-Wert im Magen. Die Protonen wiederum erreichen das Magenantrum und führen zur nach luminalen Kontakt mit den G-Zellen zur Hemmung der Gastrinausschüttung, sodass ein wesentlicher Stimulus der Säuresekretion fehlt. Folglich wird nach erfolgter Säuresekretion wieder die Stimulation abgeschaltet, der Kreislauf ist geschlossen. Bei der intestinalen Phase der Magensekretion wurden neben stimulierenden Einflüssen, die u. a. durch Glukagon aus dem Dünndarm vermittelt werden (Schmidtler et al. 1994; Schepp et al. 1986), auch inhibierende Effekte beobachtet worden.
Mechanismus und Aktivierung der Säuresekretion Parietalzellen sezernieren Protonen in das Innere des Ma-
genlumens, sodass im unteren Bereich der Magendrüsen ein pH von unter 2,0 entsteht (. Abb. 27.2). Die Sekretion erfolgt durch aktiven Transport von Protonen im Austausch mit Kalium Ionen, was durch die sog. Protonenpumpe, die H+-K+-ATPase, vermittelt wird (Wolosin et al. 1981; Sachs et al. 1976). Durch ATP-Spaltung und Gegentransport mit Kaliumionen werden durch die Parietalzellen Protonen bis zu einem Gradienten von 106 angereichert. Die Protonenpumpen liegen in den Parietalzellen in komplett exprimierter Form vor; die Stimulation der Zellen durch Nahrungs- oder vagale Reize führt zur Assoziation der Vesikel mit der Plasmamembran und zum Kontakt mit Kaliumionen. Erst durch den Kontakt mit dem Magenlumen wird daher eine Aktivierung erreicht (Hersey u. Sachs 1995). > Die Parietalzellen werden im Wesentlichen durch den Histamin-H2-Rezeptor zur Sekretion stimuliert (Feldman u. Burton 1990).
Die Sequenz dieses Rezeptors wurde durch Klonierung eindeutig ermittelt (Gantz et al. 1991). Die Pharmakologie dieses Rezeptors ist sehr ausführlich beschrieben worden, hier sei auf die Literatur verwiesen (Feldman u. Burton 1990; Langstreth et al. 1977; Soll 1978). Histamin steigert intrazellulär die Konzentration von cAMP, was zu Aktivierung von Proteinkinasen und schließlich zur Assoziation der Tubulovesikel mit der Plasmamembran führt. Die Blockade dieser Rezeptoren stellt einen entscheidenden Mechanismus zur Blockade der Säuresekretion dar. Parietalzellen werden weiterhin durch Azetylcholinrezeptoren vom Typ M3 aktiviert, die eine Erhöhung des intrazellulären Kalziumspiegels bewirken (Kajimura et al. 1992). Azetylcholin stimuliert über cholinerge Rezeptoren (muskarinerge Rezeptoren Subtyp 3, sog. M3) die Erhöhung intrazellulärer Kalziumspiegel. Durch diese Prozesse
27
388
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
27
. Abb. 27.2 Die Parietalzelle und die Sekretion von Protonen. Nachdruck mit Genehmigung. Parietalzellen besitzen Rezeptoren für Histamin (H2) sowie Azetylcholin (M3), die zur Erhöhung der cAMP-Spiegel
oder der Kalziumkonzentrationen beitragen. Diese wiederum führen zur Assoziation der Tubulovesikel mit den Canaliculi der Plasmamembran
werden Enzymkaskaden aktiviert, die das Schlüsselenzym der Parietalzelle, die H+-K+-ATPase, aktivieren. Dieses in den Tubulovesikel der ruhenden und in den Mikrovilli der sezernierenden Parietalzelle gelegene Enzym führt zur Sekretion von Protonen in das Innere des Lumens. Im Gegensatz zu früheren Annahmen stimuliert Gastrin jedoch nicht die Funktion der Parietalzellen. Zwar lassen sich Gastrinrezeptoren auf den Parietalzellen nachweisen. Die Inkubation von isolierten Parietalzellen mit Gastrin führt jedoch nicht zur Säuresekretion. Vielmehr wirkt Gastrin auf indirektem Weg über die Histaminsekretion aus den ECL-Zellen des Magens (Prinz et al. 1994).
Selektivität und Nebenwirkungen unterscheiden. Als wesentliche Vertreter sind zu nennen: 4 Cimetidin, z. B. Cimetidin, Dosierung 200–800 mg/ Tag, Anwendung auch i.v. und in der Schwangerschaft möglich, wesentliche Nebenwirkungen Müdigkeit, zahlreiche Medikamenten Interaktionen, mittlerweile auch in den USA auch ohne Rezept erhältlich. 4 Ranitidin, z. B. Zantic, Dosierung 150–300 mg/Tag, Anwendung auch i.v. und in der Schwangerschaft, wesentliche Nebenwirkungen Kopfschmerzen und Müdigkeit, Hautausschlag, Interaktion mit Betablocker und Theophyllin. 4 Famotidin, z. B. Pepdul, Dosierung 20–40 mg/Tag, Anwendung auch i.v., Nebenwirkungen geringer, Selektivität für H2 gegenüber H1-Rezeptor etwa 150-fach. 4 Nizatidin, z. B. Nizax, 150–300 mg/Tag, Anwendung nur im Erwachsenenalter, Nebenwirkung Bradykardie, Selektivität etwa 300-fach, vor allem in Japan beliebt.
Medikamente zur Hemmung der Säuresekretion Histamin-H2-Rezeptorantagonisten (H2-RA) Der H2-Re-
zeptor auf den Parietalzellen des Magens kann durch selektive Antagonisten, die keine intrinsische Aktivität am Rezeptor besitzen, blockiert werden (Feldman u. Burton 1990). James Black beschrieb 1972 als erster die Pharmakologie und den Antagonismus dieses Rezeptors, was schließlich zur Einführung des Cimetidins führte (Black et al. 1972). In den letzten Jahrzehnten sind eine Reihe von H2-Antagonisten entwickelt worden, sie sich durch ihre
Protonenpumpeninhibitoren (PPI) 1981 wurde Omeprazol entdeckt, das kovalent an die Protonenpumpen der Parietalzellen bindet und dadurch zur Ausschaltung der Säuresekretion führt (Fellenius et al. 1981). Mittlerweile gibt es 3 weitere, ähnliche Präparate, die als irreversible Protonenpumpeninhibitoren bezeichnet werden.
389 27.1 · Pathophysiologie der Magenmotilität und der Magensekretion
> Durch PPI werden die Protonenpumpen irreversibel blockiert und damit die Säuresekretion vollständig ausgeschaltet. Dies hat die medikamentöse Therapie des Ulkusleidens revolutioniert, die chirurgische Therapie von Ulzera wurde zurückgedrängt.
Zurzeit sind Protonenpumpenhemmer die am häufigsten verschriebenen Medikamente in der westlichen Welt. Diese Pharmaka sind sog. Pro-Drugs, d. h. das Medikament wird erst im Körper zur aktiven Form umgewandelt. Irreversible PPI sind substituierte Benzyl-Imidazole, die eine besondere Sulfhydril-Gruppe aufweisen. Unter normalen pH-Bedingungen ist die Protonierung des Schwefelatoms stabil. Bei einem pH-Wert<3 kommt es jedoch zur Verlust der Protonenbindung und das Schwefelatom reagiert als Anhydrid. Da es im menschlichen Körper praktisch keine anderen Bereiche mit pH-Werten<2,5 gibt, gelangt das Medikament nach der systemischen Zirkulation an Parietalzellen und bindet dort spezifisch an die Cysteine der H+-K+-ATPase. Die Bindung ist nicht spezifisch, die selektive Wirkung wird vielmehr über die gezielte Aktivierung im Canaliculus der Parietalzelle hergestellt (Maton 1991). Folgende Medikamente werden zur Zeit klinisch verwendet : 4 Omeprazol (Antra, Generika): Dosierung 20–40 mg bei Ulzera, bei Reflux bis 120 mg, bei Zollinger-Ellison oder blutenden Ulzera bis 240 mg pro Tag. Mittlerweile an über 100 Millionen Menschen getestet mit sehr gutem Erfolg. Omeprazol liegt als S- und N-Enatiomer vor. Das S-Enantiomer (Nexium) wurde kürzlich als besonders schnell wirksam beschrieben, außerdem ist der Plasmapiegel dieses Medikamentes gegenüber dem S-Enatiomer erhöht; weitere Vorteile gegenüber dem Omeprazol sind die erhöhte Bioverfübarkeit und die besseren Heilungsraten (Thitiphuree u. Talley 2000). 4 Pantoprazol (Pantozol): Dosierung 40 mg, bei Reflux bis 120 mg. Oral oder i.v. verfügbar. pKa-Wert am niedrigsten in der PPI-Gruppe, daher gezielte Aktivierung nur bei pH<2,3; keine unspezifischen Nebenwirkungen. Bindet selektiv an Cys813 der H+-K+-ATPase. Selten gibt es Patienten, die Mutationen in diesem Abschnitt haben und daher auf diese Therapie nicht ansprechen. Vorteil: geringes Interaktionspotenzial. 4 Lansoprazol (Agopton). Dosierung 30 mg, bei Reflux bis 120 mg. Höchster pKa-Wert in dieser Medikamentengruppe. Vor allem in Japan eingesetzt. Seltene Nebenwirkungen wie bei Omeprazol. 4 Rabeprazol (Pariet): Dosierung 40 mg, besonders schneller Wirkungseintritt, kürzere Wirkdauer. Nebenwirkungen ähnlich den anderen Medikamenten. Bei Refluxkrankheit und On-demand-Therapie Dosierung 10 mg/Tag, nur geringe Erhöhung der Plasmagastrinspiegel.
Unter bestimmten Umständen (7 Abschn. 27.8) kann eine vollständige Hemmung der Säuresekretion notwendig sein. Wie bereits beschrieben, liegen die Protonenpumpen in den Parietalzellen in exprimierter Form vor und werden durch die Stimulation mit der Plasmamembran assoziiert. Die Protonenpumpenhemmer wie Omeprazol binden irreversibel an die Pumpen, worauf diese abgebaut werden. Durch histaminerge und neurale Stimulation werden dann neue Pumpen an der Oberfläche exprimiert. > Die Inhibierung der Säuresekretion wird nicht von der Halbwertszeit der Inhibitoren, sondern von der Halbwertszeit der Pumpen bestimmt. Da diese bei etwa 20–24 h liegt, ist eine kontinuierliche Gabe von PPI als Dauerinfusion notwendig, um eine vollständige Ausschaltung der Sekretion zu erreichen.
Pathophysiologie Die Überproduktion von Gastrin in neuroendokrinen Tumoren, sog. Gastrinomen, führt zur Hyperplasie und Tumorentstehung von ECL-Zellen, sowie zur Ausbildung multipler Ulzera in Magen und Duodenum. Diese Beobachtungen unterstreichen die elementare Bedeutung von Gastrin für die Stimulation der Säuresekretion. Der Nachweis gastrinproduzierender Tumoren (Zollinger-Ellison-Syndrom) bei therapierefraktären Ulzera wird durch die Injektion von Sekretin durchgeführt (Sekretintest), die zu einem starken Anstieg des Plasmagastrinspiegels innerhalb weniger Minuten führt. Nach erfolgreicher Lokalisation, meist im Pankreaskopf, wird eine lokale Resektion durchgeführt. Die Überproduktion von Histamin, beispielsweise in den ECL-Zell-Karzinoiden, wird selten beobachtet. Meist liegt ein genetischer Defekt zugrunde. Karzinoide sind ebenfalls gehäuft mit Ulzerationen assoziiert. ECL Zell Karzinoide sind typischerweise nicht metastasierend, sondern lokal infiltrierend. Bei ungenügendem Abbau der Säure und Pepsin sowie bei Ausfall der inhibitorischen Mechanismen kommt es zu einer verstärkten Säuresekretion, sodass Ulzera resultieren können. Dagegen sind Parietal- und Hauptzellmasse nach operativen Eingriffen, bei der Autoimmungastritis sowie bei VIPomen (Verner-Morrison-Syndrom) reduziert, sodass entsprechende Läsionen ausbleiben. 27.1.3
Literatur
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Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
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391 27.2 · Chronische Entzündungen im Magen – Disposition zur Karzinomentstehung
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27.2
Chronische Entzündungen im Magen – Disposition zur Karzinomentstehung C. Prinz
Chronische Entzündungen im Magen werden durch eine Autoimmunreaktion gegen Parietalzellen, durch die Helicobacter-pylori-Infektion oder durch Gallereflux bzw. durch regelmäßige Einnahme bestimmter Medikamente ausgelöst. Histopathologisch findet sich bei jeder dieser Gastritistypen eine charakteristische Morphologie. Insbesondere die chronische Helicobacter-pylori-Infektion ist nach jahrzehntelanger Exposition mit der Kanzerogenese im Magen assoziiert. Daher empfiehlt die »Europäische Helicobacter Pylori Gesellschaft (EHPSG)« die Eradikation von Patienten mit schweren histologischen Veränderungen im Magen, z. B. mit atrophischer Gastritis oder intestinaler Metaplasie. Auch Patienten mit einer Familienanamnese von Magenkarzinomen sollten von H. pylori eradiziert werden, da möglicherweise besonders virulente Stämme in der Familie übertragen wurden. Vor kurzem wurde eine genetische Suszeptibilität für Magenkarzinome identifiziert, die besonders in Zusammenhang mit der H.-pylori-Infektion besonderer Behandlung und endoskopischer Kontrollen bedarf.
27.2.1
Klinische Symptomatologie
Die chronische Gastritis ist eine oberflächliche Schädigung der Magenschleimhaut, die keine eigene Krankheitsentität bildet, sondern vielmehr durch verschiedene Mechanismen zustande kommt. Meist geben die Patienten nur sehr unspezifische Beschwerden wie Oberbauchschmerzen oder postprandiales Völlegefühl an. Die klinische Symptomatik bei chronischen Entzündungsprozessen im Magen ist äußerst
schwierig zu interpretieren und nicht eindeutig. Die Diagnose »chronische Gastritis« wird daher in der Regel histologisch gestellt. Eine frühzeitige korrekte Diagnostik sowie eine adäquate Therapie bestimmter Schleimhautschädigungen sind wichtig, da einige Formen von chronischen Entzündungen im Magen zur Karzinogenese disponieren und daher die Ursachen rechtzeitig beseitigt werden müssen (Sipponen et al. 1998; Anderson et al. 2000).
27.2.2
Formen
Als wesentliche Manifestationen chronischer Entzündungen im Magen sind die chronisch-atrophische Autoimmungastritis, die H.-pylori-induzierte Gastritis und die chemische Gastritis infolge von Gallereflux oder Medikamenteneinnahme zu nennen (Forman 1991; Asaka et al. 1994). Die Schleimhautschädigung wird histologisch (»Sydney-System«) nach dem Grad der Infiltration granulozytärer Zellen (Aktivität der Gastritis) sowie der Lymphozyten (Chronizität der Gastritis) beurteilt. Als besonderer Ausdruck der Schleimhautschädigung wird die glanduläre Atrophie sowie eine intestinale Metaplasie beschrieben (Oberhuber u. Haidenthaler 2000; Cohen et al. 2000; Sipponen et al. 1991).
Autoimmungastritis (AIG, Typ-A-Gastritis) Durch Antikörper gegen die Protonenpumpen der Parietalzellen (H+-K+-ATPase) kommt es zur Zerstörung der Parietalzellmasse im Magenkorpus (D’Elios et al. 2001). Schließlich resultiert eine ausgeprägte Schleimhautatrophie im gesamten Magen. Durch die konsekutive Hypoazidität und den reaktiv erhöhten Gastrinspiegel ist die AIG mit einem deutlich erhöhten Karzinomrisiko assoziiert. Das relative Risiko, bei Vorliegen einer AIG an einem Adenokarzinom zu erkranken, ist um das 5- bis 18-fache gegenüber Normalpatienten gesteigert (Kokkola et al. 1996; Sipponen 1989; Sipponen et al. 1985). Die klinischen Beschwerden sind untypisch. Meist fallen erst im Spätstadium eine perniziöse Anämie durch den begleitenden Mangel an Intrinsic-Faktor und Vitamin B12 auf. Durch wiederholte Endoskopien (2- bis 3-jährlich) sollte Magenfrühkarzinome und präkanzeröse Veränderungen ausgeschlossen werden. Bei Vorliegen einer H.-pylori-Infektion sollte eine Eradikationsbehandlung auch ohne Nachweis von Ulzera durchgeführt werden (Oberhuber et al. 1998; Stolte et al. 1998).
Die Helicobacter-pylori-Gastritis (Typ-B-Gastritis) Die Infektion mit H. pylori führt in der Mehrzahl der Fälle zu einer chronisch persistierenden Infektion. Die Kolonisation der Magenmukosa mit diesem Bakterium induziert
27
392
27
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
initial eine aktive Gastritis im Antrum mit Infiltration von Monozyten, Makrophagen und leukozytären Zellen. Eine besondere Rolle für die Aktivierung dieser entzündlichen Reaktion spielt das Zytotoxin-assoziierte Antigen CagA, das vakuolisierende Toxin VacA, aber auch das Blutgruppen Antigen bindende Antigen BabA, das die Adhäsion des Keims an die Schleimhaut vermittelt (Prinz et al. 2001). Nach jahrelanger Infektion kommt es zur sukzessiven Kolonisation des Korpus mit Infiltration von Granulozyten, Lymphozyten, eosinophilen Zellen sowie Plasmazellen. Charakteristisch sind insbesondere multiple Lymphfollikel in der Schleimhaut (Crabtree 1996; Censini et al. 1996). Durch die chronische Entzündung kommt es zur Schädigung der Magenschleimhaut mit Schädigung der oberflächlichen Epithelzellen, vor allem durch Induktion einer Apoptose (Wagner et al. 1997). Schließlich resultiert eine multifokale Atrophie und eine intestinale Metaplasie, die zur Entstehung von präkanzerösen Veränderungen (Dysplasien) und auch von Adenokarzinomen des Magens führen kann. Atrophische Gastritis, intestinale Metaplasie und auch schwere entzündliche Veränderungen im Magenkorpus sind als Risikofaktoren für die Entstehung von Magenkarzinomen identifiziert worden Dabei ist das relative Risiko für die Karzinomentstehung bei Vorliegen dieser Faktoren um das 4- bis 6-fache erhöht (Fontham et al. 1995; Correa u. Shiao 1994; Meining et al. 1998; Sipponen u. Kumura 1994).
Chemisch induzierte Gastritis durch Gallereflux und Medikamente (Typ-C-Gastritis) Die Bedeutung der NSAR für die Zerstörung der Mukosabarriere wird im 7 Abschn. 27.3.5 beschrieben. Diese Medikamente führen zu einer sog. C-Gastritis. Die Einnahme dieser schleimhautschädigenden Medikamente führt zur (unerwünschten) Unterdrückung der COX-1-Enzyme in der Magenschleimhaut, wodurch es zur verminderten Sekretion von Prostaglandin E2 kommt. Es kommt zur charakteristischen oberflächlichen Schleimhautzerstörung mit Hämorrhagien und Ödem, wobei die für H. pylori typische Infiltration mit entzündlichen Zellen und die Lymphfollikel fehlen. Auch durch den Reflux von Duodenalsekret (»Gallereflux«) kann es zur chronischen Schleimhautzerstörung kommen (7 Abschn. 27.1).
Andere, spezielle Formen der Gastritiden
denken. Typischerweise findet sich dieser Reflux bei einem Billroth-II-Magen ohne Braun’sche Fußpunktanastomose. Die Diagnose über die Art der Gastritis wird histologisch gestellt. Charakteristisch ist neben der Schleimhautschädigung oft eine Ösophagitis durch den Reflux bis in die Speiseröhre mit entsprechender Symptomatik (Sodbrennen, Erbrechen, Aufstoßen). Führen konservative Maßnahmen nicht zum Erfolg, ist an eine operative Sanierung zu denken (Umwandlungsoperation nach Henry-Soupalt, Interposition, Roux-Y-Jejunostomie). Granulomatöse Gastritis Diese Gastritisform tritt sehr
selten auf und ist meist idiopatischer Genese. Selten findet sich eine granulomatöse Gastritis im Rahmen eines M. Crohn oder des M. Boeck im oberen Gastrointestinaltrakt. Die meist präpylorisch lokalisierten Granulome lassen sich histologisch eindeutig darstellen. Manchmal finden sich Ulzerationen, die trotz Antibiotika oder antisekretorischer Therapie nicht abheilen. Eine Arbeit beschreibt einen Zusammenhang mit dieser Gastritisform und dem Auftreten eines M. Whipple (Zuckerman et al. 1994; Lichtenstein 1993; Ectors et al. 1992; Gumaste et al. 1989, Treem u. Ragsdale 1988). Sehr selten finden sich Störungen im Kalziumstoffwechsel wie bei dem primären Hyperparathyreoidismus (eigene Beobachtungen). Phlegmonöse Gastritis Dies ist eine bakterielle und abze-
dierende Entzündung der Magenwand, besonders der Submukosa. Sie tritt gelegentlich nach ausgedehnten Ulzerationen, Magenkarzinomen sowie nach Magenoperationen auf. Klinisch ist diese Gastritisform durch heftige Schmerzen, Fieber, Abwehrspannung und Leukozytose gekennzeichnet. Die Diagnose kann durch Computertomographie, Endosonographie und bioptisch gestellt werden. Meist ist eine testgerechte antibiotische Therapie erfolgreich (Sood et al. 2000; Radhi et al. 1999; Cohen et al. 2000). Lymphozytäre Gastritis Diese seltene Gastritisform wird histologisch durch die massive Infiltration der Mukosa mit intraepithelialen Lymphozyten diagnostiziert. Ursächlich ist eine begleitende Infiltration des Magens mit lymphozytären Zellen bei der Sprue, aber auch eine abnorme Reaktion des Magens auf die H.-pylori-Infektion. Die Therapie besteht bei Nachweis einer Sprue in glutenfreier Diät bzw. bei H.-pylori-Nachweis in einer entsprechenden Eradikationstherapie (Muller et al. 2001).
Gastritis des operierten Restmagens 5–10 Jahre nach einer
Magenteilresektion (meist Billroth-II-Magen) findet sich bei ca. 80% der Operierten eine chronische Gastritis unterschiedlichen Ausmaßes im Magenstumpf (Nielsen et al. 1972). Neben der Möglichkeit einer persisiterenden H.-pylori-Infektion ist hier insbesondere an eine Schädigung durch den Reflux von Galle in den Restmagen zu
Eosinophile Gastritis Bei einigen Patienten mit Ober-
bauchschmerzen zeigt sich in der histologischen Aufarbeitung der Proben eine starke Infiltration mit eosinophilen Zellen in der Magenmukosa. Diese ist meist mit einer eosinophilen Enteritis assoziiert. Man unterscheidet 3 Unterformen. Zum Teil liegt eine allergische Genese vor; beson-
393 27.2 · Chronische Entzündungen im Magen – Disposition zur Karzinomentstehung
dere Fälle können mit Aszitesbildung assoziiert sein. Ein Teil der Patienten reagiert auf Kortikoide.
zwischen der H.-pylori-Infektion und der Entstehung von Magenkarzinomen beschrieben, da es hier eindeutige wissenschaftliche Evidenzen gibt.
Morbus Ménétrier Bei dieser Erkrankung handelt es sich
um eine Magenschleimhauthypertrophie aufgrund einer Hyperplasie der Epithel- und Parietalzellen. Es liegt eine massive TGF-α-Sekretion vor; insbesondere bei gleichzeitiger H.-pylori-Infektion besteht ein Risiko zur kanzerogenen Entartung. Die Diagnose wird endoskopisch durch den Nachweis von Riesenfalten mit einer entsprechenden histologischen Diagnose gestellt. Therapie der Wahl ist insbesondere bei einem starken Albumin Verlust im Magen die komplette Magenresektion (Coffey et al. 1995; Sachs u. Encke 1993). Morbus Crohn Der M. Crohn ist eine chronisch entzündliche Erkrankung unklarer Ätiologie, die den gesamten Magen-Darm-Trakt befallen kann. Typischerweise finden sich die Läsionen im Ileum oder im linksseitigen Kolonabschnitt. Auch der Magen kann von den entzündlichen Infiltraten betroffen sein. Endoskopisch lassen sich Ulzerationen durch den M. Crohn nicht eindeutig von anderen Läsionen unterscheiden. Allerdings liefert die histologische Untersuchung des Ulkusgrundes und des Randwalls oft eine richtungsweisende Diagnose, die durch den Nachweis von Granulomen und das Fehlen von Lymphfollikeln charakterisiert ist. Zytomegalievirus-Infektion Die Infektion mit CMV kann bei immunsupprimierten Patienten (z. B. nach Organtransplantation, aber auch bei HIV-Infizierten) zur Ausbildung von Gastritiden, Erosionen, Ulzerationen im Magen, Duodenum, aber auch im Kolon führen. Typischerweise finden sich hier in der histologischen Untersuchung die sog. Eulen-Augenzellen, die die Diagnose sichern und eine Therapie mit Ganciclovir einleiten. Endoskopisch ist keine eindeutige Diagnose möglich.
27.2.3
Karzinomentstehung durch die chronische Entzündung im Magen
Die jahrzehntelange Entzündung im Magen führt meist zu einer Zerstörung der Schleimhaut mit konsekutiver Hypobis Achlorhydrie. Dies kann unter bestimmten Umständen die Entstehung von kanzerogenen Substanzen im Magen induzieren, die im Einzelnen noch nicht vollständig geklärt sind. Wichtige Faktoren in diesem Zusammenhang sind der Gehalt an Vitamin C und Antioxidanzien in der Nahrung und im Magen (protektiv) sowie der Gehalt an Nitraten und Nitrosaminen (schädigend; Correa et al. 1998; Correa u. Miller 1998; Forman 1998; Correa 1995; Correa u. Chen 1994). Im Folgenden sind die Zusammenhänge
Epidemiologie des Helicobacter-pylori-Magenkarzinom
Eine Metaanalyse über den Zusammenhang zwischen der H.-pylori-Infektion und der Mortalität durch distale Magenkarzinome wurde Anfang der 1990er-Jahre publiziert (Stolze u. Meining 1998). Es wurde die Seroprävalenz von H.-pylori-Antikörpern an insgesamt 3194 randomisiert ausgewählten Patienten bestimmt, dabei wurden 17 Zentren in 13 Ländern beobachtet und eine Regressionsanalyse durchgeführt. Es fand sich eine signifikante Korrelation zwischen der Prävalenz von H.-pylori-Antikörpern und der Inzidenz sowie der Mortalität distaler Magenkarzinome (Anonymous 1993). > Drei große prospektive Studien haben den Zusammenhang zwischen der Infektion mit H. pylori und der Entstehung von Magenkarzinomen eindeutig nachgewiesen.
Dabei wurden Fall-, kontrollierte oder Kohorten Studien durchgeführt. Die H.-pylori-Infektion wurde durch Antikörpernachweis in großen Blutbanken in USA und in England bestimmt. Im Mittel zeigte sich eine H.-pylori-Seropositivität etwa 13 Jahre vor der Diagnose des Magenkarzinoms. Es fand sich in allen Studien eine Assoziation von H. pylori mit intestinalem und diffusem Typ. Das relative Risiko für die Entwicklung von distalen Magenkarzinomen liegt zwischen 2 und 8, wenn eine H.-pylori-Infektion vorausging (Nomura et al. 1991; Parsonnet et al. 1991a,b; Forman 1991; Forman et al. 1991). In einer Metaanalyse von Forman wurden die Patienten in einer Gesamtgruppe zusammengefasst und die relativen Risiken verglichen. Dabei zeigte sich, dass das relative Risiko ansteigt, je länger die Seroprävalenz der H.-pylori-Infektion zurückliegt. Ein wesentlicher Faktor für die Kanzerogenese dieser Karzinome ist also die lange Entwicklungsdauer (. Tab. 27.1). Auch in den asiatischen Ländern zeigt sich ein eindeutiger epidemiologischer Zusammenhang zwischen der H.-pylori-Infektion und der Entstehung von distalen Magenkarzinomen sowie Magenfrühkarzinomen (Asaka et al.1994). Tiermodelle Neben den epidemiologischen Zusammenhängen hat man in den letzten Jahren auch geeignete Tiermodelle gefunden, in denen die Inokulation mit H. pylori zur Krebsenstehung führt. Damit erfüllt die H.-pylori Infektion auch ein entscheidendes Koch’sches Postulat. In den mongolischen Wüstenrennmäusen, sog. Gerbils, führt die H.-pylori-Infektion nach etwa 6 Monaten zur Entstehung von Atrophie, Metaplasie, schließlich auch zur Entstehung distaler Magenkarzinome. Dabei wurde als pathogenetischer Mechanismus diskutiert, dass es durch die
27
394
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
. Tab. 27.1 Metaanalyse von Forman über den zeitlichen Zusammenhang zwischen H.-pylori-Infektion, Entstehung von Magenkarzinomen und Vergleich der relativen Risiken (Forman et al. 1994)
27
Intervall Probennahme– Diagnose (Jahre)
Magenkarzinom % H. p.+ (n)
Kontrolle % H. p.+ (n)
Odds Ratio
95%-Konfidenzintervall
<5
20 (25)
34 (58)
2,1
0,6–8,7
5–9
37 (46)
46 (85)
2,3
0,9–6,5
10–14
70 (78)
58 (93)
4,4
1,8–13,0
>15
88 (98)
65 (98)
8,7
2,7–44,7
Achlorhydrie zu einer veränderten Mikroflora kommt, die die Entstehung von Nitrosoverbindung ermöglicht und damit zur Kanzerogenese beiträgt (Wtanabe et al. 1998). Kosten-Nutzen-Analyse der H.-pylori-Eradikation zur Karzinomprophylaxe Durch die eindeutigen experimentellen
und statistischen Zusammenhänge wurde Helicobacter von der WHO als ein Typ-1-Karzinogen eingestuft. Trotzdem ist es nicht sinnvoll, eine generelle Eradikation dieses Keims in der Weltbevölkerung anzustreben. Ein generelles H.-pylori-Screening mit nachfolgender Eradikation zur Karzinomprophylaxe ist weder kosteneffektiv noch praktikabel. > Die Eradikation sollte auf Risikogruppen beschränkt bleiben. Dazu zählen Patienten, die Magenkarzinome in der Familienanamnese haben, sowie Patienten, die schwere histologische Veränderungen wie Atrophie, intestinale Metaplasie und insbesondere Dysplasie aufweisen.
Dies wurde in den Empfehlungen der Europäischen und Kanadischen Gesellschaften berücksichtigt (Tytgat et al. 2000; McNamara u. O’Morain 2000): Maastricht Guidelines zur Eradikation von H. pylori bei Patienten mit chronischer Gastritis (Hentschel 2000; Heatley 1998) 4 Schwere histologische Veränderungen: atrophische Gastritis, intestinale Metaplasie, Dysplasie, Adenome 4 Magenkarzinome in der Familienanamnese 4 Zustand nach Resektion eines Magenfrühkarzinoms 4 Sehr selten: M. Ménétrier, lymphozytäre Gastritis
27.2.4
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395 27.3 · Unkompliziertes Ulcus ventriculi: Pathogenese und konservative Therapie
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27.3
Unkompliziertes Ulcus ventriculi: Pathogenese und konservative Therapie C. Prinz
Magenulzera entstehen durch ein Ungleichgewicht zwischen aggressiven und defensiven Schutzmechanismen im Magen. Ein Großteil der Magenulzera ist durch die Infektion mit H. pylori bedingt und wird durch eine sog. Triple-Therapie behandelt. Zu den aggressiven Faktoren, die die Schleimhaut schädigen, zählt weiterhin die Exposition mit Gallensäuren. Zunehmend häufiger werden NSAR-Gastropathien beobachtet. NSAR schädigen die defensiven Mechanismen der Schleimhaut, vor allem durch die Ausschaltung des COX-1-Isoenzyms, das die Prostaglandinsekretion steuert. Patienten, die unter längerfristige Medikation mit NSAR Schmerzen entwickeln, sollten mit H2-RA oder PPI prophylaktisch behandelt werden. NSARinduzierte Läsionen neigen zu Blutungen, die meist endoskopisch gestillt werden können und unter hochdosierter Therapie mit antisekretorischen Medikamenten beschleunigt abheilen.
27
27
396
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
27.3.1
Klinische Symptomatologie
Ulcera ventriculi sind exkavierte Schleimhautdefekte im Magen, die kraterförmig über die Lamina muscularis mucosae in die Magenwand penetrieren. Typischerweise zeigt sich eine fibrinbelegte Läsion mit einem leicht erhabenen Randwall. Magenulzera finden sich vor allem im Magenantrum, im Bereich der Angulusfalte und entlang der kleinen Kurvatur, der Fundus ist selten (<5%) betroffen. Die Prävalenz in Deutschland beträgt etwa 0,2%. Etwa 5% der deutschen Bevölkerung leidet im Laufe des Lebens mindestens einmal an solchen Geschwüren. Magenulzera verursachen ähnlich wie Duodenalulzera nur in etwa 2/3 der Fälle klinische Beschwerden wie Schmerzen, Erbrechen oder Völlegefühl. Durch die starke Durchblutung neigen Magenulzera zu Blutungen. Ein beträchtlicher Teil der Patienten kommt erst mit der akuten Blutung in die Klinik, ohne vorher Beschwerden gehabt zu haben (Soll 1990). > Unkomplizierte Magenulzera sind meist solitär und kleiner als 2 cm; multiple Läsionen deuten eher auf systemische oder medikamentenassoziierte Genese hin.
Läsionen, die größer als 2 cm und unregelmäßig begrenzt sind, sowie nur langsam abheilen, sind malignitätsverdächtig. Im aktiven Stadium zeigt sich ein stark geröteter Gewebedefekt, teilweise mit frischen Blutungstigmata (→ Forrest-Klassifikation). Im Heilungsstadium wird das Ulcus kleiner und ist mit einem zentralen Fibrinschorf bedeckt. Schließlich wird der Defekt reepithelialisiert und es bildet sich eine weißliche Narbe, die manchmal nur durch zulaufende Falten entdeckt wird. Ulzera sind meist von einem Randwall umgeben, der bei suspektem Aspekt mindestens 4- bis 6-mal ebenso wie der Ulkusgrund 4- bis 6-mal biopsiert werden sollte. Bei den H.-pylori-positiven Ulcera ventriculi findet sich regelmäßig eine chronische Gastritis vom sog. B-Typ im Antrum, die durch starke entzündliche Infiltration gekennzeichnet ist. Im Spätstadium greift diese Entzündung auf den Korpus über. Das Ausmaß der Entzündung und der Ulkusentstehung hängt dabei u. a. auch von der Kolonisationsdichte ab (Maaroos et al. 1991; Sipponen et al. 1992; Sipponen 1992). Magen- oder Duodenalulzera werden durch die endoskopische Untersuchung diagnostiziert, hierbei wird auf Zahl, Größe und Struktur geachtet. Zur Abklärung der Dignität und der Pathogenese werden nach dem akuten Stadium Biopsien aus dem Ulkusgrund und -rand sowie aus Magenantrum und Korpus entnommen. Im akuten Stadium, etwa bei einer Blutung, verbietet sich die Biopsie.
27.3.2
Differenzialdiagnose
Die Ätiopathogenese der Magenulzera ist vielschichtig. Es wird grundsätzlich postuliert, dass die Magenläsionen durch ein Ungleichgewicht zwischen aggressiven und protektiven Faktoren entstehen. Kommt es zum Überwiegen der aggressiven Faktoren durch Hyperazidität oder durch Exposition mit Gallensäuren, resultiert eine Schleimhautschädigung. Analog werden bei Ausschalten der defensiven Mechanismen durch Medikamente die Zellen der Mukosa einer Autodigestion ausgesetzt. Ähnlich wie bei den Duodenalulzera gilt auch im Magen das Dogma von Schwartz, dass »ohne Säure kein Ulkus« entstehen kann. > Gastrinproduzierende Tumoren sind daher typischerweise mit Ulzerationen im Magen und Duodenum assoziiert; dagegen findet sich bei der autoimmunen, atrophischen Gastritis fast nie ein Magenulkus.
In . Tab. 27.2 sind die verschiedenen Ursachen und die relativen Häufigkeiten von Magenulzera zusammengefasst. Zu den aggressiven Faktoren, die die Magenschleimhaut schädigen, zählen die Helicobacter-pylori-Infektion sowie
. Tab. 27.2 Differenzialdiagnose von Ulzerationen in Magen. Die relativen Häufigkeiten entstammen einer aktuellen Übersicht von Stolte et al. an einem großen Deutschen Kollektiv (Stolte et al. 2001); etwa 10% der Magenulzera sind primär maligne, diese werden getrennt abgehandelt Ursache
Häufigkeit
Charakteristika
H. pylori
70–80%
Antrum, singulär, B-Gastritis
Gallereflux
Selten
Operierter Magen, diffus, CGastritis
Aggressive Faktoren
Störung der defensiven Schutzmechanismen NSAR-Läsionen
10–20%
Diffus, multipel, C-Gastritis
Kortikosteroide
Selten
In Kombination mit NSAR, diffus, multipel
Medikamente
Selten
Antidepressiva, MAO Hemmer etc.
M. Crohn
Selten
Granulome, typische Histologie
CMV-Ulzera
Selten
Immunsuppression, TX, HIV
Maligne Ulzera
10%
>2 cm, unscharf, infiltrierend
Andere Ursachen
397 27.3 · Unkompliziertes Ulcus ventriculi: Pathogenese und konservative Therapie
ein pathologischer Reflux von Galle. Diese werden im Folgenden näher besprochen. Zu den wesentlichen Ursachen, die die defensiven Schutzmechanismen der Schleimhaut beeinträchtigen, zählt die Einnahme von Medikamenten. Dies wird anschließend eingehend besprochen (Soll 1990; Wolfe et al. 1999).
27.3.3
Helicobacter-pylori-assoziiertes Ulcus ventriculi
Ein Großteil der unkomplizierten Magenulzera ist mit der Infektion durch Helicobacter pylori assoziiert (70–80%, je nach Population). Die Kolonisation mit diesem Keim führt zu einer Störung dieses empfindlichen Gleichgewichtes im Magen, sodass aggressive Faktoren überwiegen. Durch die H.-pylori-Infektion kommt es zu zur Freisetzung von NH3 in den Magendrüsen des Antrums. H.-pylori-positive Patienten mit Magenulzera haben daher häufig eine erhöhte postprandialen Säuresekretion (Wormsley u. Grossmann 1965; Hamlet u. Olbe 1996). Dies führt zu Schädigung des Schleimhautepithels in Magen und Duodenum. In den Spätstadien (>30 Jahre nach Infektion) kommt es durch die chronische Besiedelung zur Schleimhautatrophie in Antrum und zunehmend auch im Korpus (Shirin u. Moss 1998). Durch diese sog. multifokale atrophische Gastritis verliert die Korpusmukosa ihre normale Architektur (Shirin u. Moss 1998; Fontham et al. 1995; Mobley et al. 1997), es resultiert schließlich eine Hypochlorhydrie, sodass die Ausbildung von Ulzera seltener ist (Brown 2000). > Der Goldstandard zum Nachweis der Infektion mit gleichzeitiger Beurteilung der Schleimhautstruktur im Magen ist nach wie vor die endoskopische Beurteilung des Magens.
Gleichzeitig mit der Endoskopie erfolgt eine Biopsieentnahme im Antrum und im Korpus (jeweils 2-mal), die der Aktivitätsbeurteilung der Gastritis dient. Mit dem sog. HUT-Test (Helicobacter-Ureasetest) wird die Ureaseproduktion in einer Biopsie nachgewiesen, wobei die Sensitivität über 90% liegt (Therapie: 7 Abschn. 27.6).
digen. Neben der Funktionsstörung des Pylorus liegt möglicherweise auch eine gestörte Motilität des Magens vor (Miranda et al. 1985). Die Agenzien zerstören die oberflächliche Schleimschicht mit den darunter liegenden Epithelzellen, sodass es zu flächigen Erosionen und auch Ulzerationen kommen kann. Histologisch findet sich meist eine typische C-Gastritis (Nakamura et al. 2001; Rhodes et al. 1969; Vaezi u. Richter 2000; Dowall et al. 2000; Fein et al. 2000; Borchard 2001). Der Gallereflux wird vor allem beim operierten Magen beobachtet und ist meist unabhängig von der Infektion mit Helicobacter pylori. Insbesondere nach Billroth-II-Operationen werden vermehrt eine flächige Rötung im Restmagen beobachtet. Nach langfristiger Exposition kann eine Karzinogenese entstehen (Dowall et al. 2000; Fein et al. 2000; Stein et al. 1999; Byrne u. Attwood 1999). Zur Therapie werden Metoclopramid (z. B. Paspertin), aluminiumhaltige Antazida, Cholestyramin (z. B. Quantalan), Schleimbildner (z. B. Ulcogant) sowie gleichzeitig eine niedrig dosierte antisekretorische PPI-Therapie (z. B. Pantozol) verordnet. Die Wirksamkeit dieser konservativen Therapie ist jedoch umstritten. Maligne Ursachen Ulzera, die größer als 2 cm sind, un-
regelmäßig begrenzt bleiben, einen tiefen Ulkusgrund besitzen und nur langsame Abheilungstendenz haben, sind malignitätsverdächtig. Hier sollte wiederholt (bis zu 20-mal) biopsiert werden. Auch Non-Hodgkin-Lymphome könne sich primär als Ulzeration im Magen zeigen. Diese erscheinen flach, sind von unregelmäßig geröteter und granulierter Schleimhaut umgeben, die sich flächig ausbreitet. Hier kann die Histologie eine eindeutige Aussage liefern. Wichtig ist allerdings hier eine korrekte Beurteilung der Schleimhautinfiltration, z. B. durch die Endosonographie. In dem Stadium der oberflächlichen Schleimhautinfiltration 1E1 und Nachweis von Helicobacter pylori sollte eine Eradikationstherapie nach der »Triple-Therapie« erfolgen. Bei Versagen diese Therapie sollte unbedingt eine Bakterienkultur mit Resistenztestung und anschließender testgerechter Therapie erfolgen (Rosin et al. 2001).
27.3.5 27.3.4
Ulcera ventriculi durch Reflux von Duodenalsekret (»Gallereflux«)
Bei einem ungenügenden Pylorusverschluss sowie einer unkoordinierten Aktivität von Antrum- und Duodenalmotorik kann es zum Reflux von Duodenalsaft in den Magen kommen. Die Inhaltsstoffe des Duodenalsekretes, vor allem Gallensäuren, Lezithine und der Pankreassaft, können die Magenschleimhaut insbesondere durch die gleichzeitige Exposition mit der Magensäure stark schä-
NSAR-induzierte Magenulzera und Gastropathien
Epidemiologie Die Einnahme von nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) ist mit beträchtlichen Nebenwirkungen im Magen assoziiert. Etwa 10% der Patienten entwickeln unter chronischer Therapie ein Ulkusleiden, wiederum 10% hiervon zeigen klinisch relevante Blutungen. Einer von 1000 behandelten Patienten stirbt an den Nebenwirkungen der Therapie. Epidemiologische Untersuchungen haben nachgewiesen, dass es durch die Neben-
27
398
27
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
wirkungen im Rahmen dieser Therapie zu mehr als 4000 Todesfällen pro Jahr in Deutschland kommt; damit ist die Todesursache »NSAR-Nebenwirkung« unter den 15 häufigsten Todesursachen in Deutschland und auch den USA. Die Verordnung von NSAR ist besonders problematisch bei der gleichzeitigen Einnahme von ASS und/oder Markumar; diese Medikamente verstärken die Blutungsneigung. Ein erhöhtes Risiko besteht bei auch Patienten, die ein Ulkus in der Vorgeschichte haben, älter als 70 Jahre sind, und evtl. gleichzeitig Steroidderivate einnehmen (Wolfe et al. 1999). Klinische Symptomatik Bereits 3 Tage nach der Einnahme
von ASS, Voltaren, Diclofenac und anderen NSAR kommt es in der Mehrzahl der Patienten (>50%) zu Oberbauchschmerzen. Diese sog. dyspeptischen Beschwerden stehen jedoch nicht in unmittelbaren Zusammenhang mit der Entstehung von Ulzera. Vielmehr hat einen Teil der Patienten, die unter kontinuierlicher Therapie Ulzera entwickeln, zunächst keine Beschwerden (5–10%). Erst die Komplikation durch Blutung oder Perforation führt die Patienten zum Arzt (Wolfe et al. 1999). Pathogenese ASS und NSAR führen durch unterschiedliche Mechanismen zur Schädigung der Magenschleimhaut (Anand et al. 1999). ASS und NSAR zerstören demnach die Schleimschicht der Mukosabarriere, dies geht mit einem Abfall der Potenzialdifferenz einher (Davenport 1967a,b). Aspirin (bereits bei einer Dosierung von 30– 80 mg) sowie NSAR (z. B. Ibuprofen) führen weiterhin zu einer signifikanten Reduktion der Prostaglandinsekretion um bis zu 60% (Cryer u. Feldman 1999). ASS und NSAR hemmen verschiedene Isoenzyme der Zyklooxygenasen (COX). Dies sind membranständige Enzyme, die aus der ungesättigten Fettsäure Arachidonsäure Prostaglandine synthetisieren. Diese Enzyme regulieren den lokalen Blutfluss, schützen Zellen vor Apoptose und rufen Entzündungsreaktionen hervor. Es gibt 2 Isoenzyme der COX, die an verschiedenen Prozessen beteiligt sind (Cryer u. Feldman 1998). Die COX-2 ist ein induzierbares Enzym, das vor allem bei entzündlichen Prozessen und auch beim Schmerzen hochreguliert und exprimiert wird. Dagegen ist die COX-1 ein ubiquitäres Enzym, das sich vor allem im Magen und in der Niere findet. Neben lokaler Funktion ist dieses Enzym verantwortlich für die Synthese von PGE2. PGE2 wird in verschiedenen Zellen der Magenmukosa, u. a. in ECL-Zellen synthetisiert. Die bisherigen NSAR hemmen beide Isoenzyme mit etwa gleicher Potenz und Sensitivität; dadurch kommt es zwar zur erwünschten Entzündungshemmung und Schmerzstillung, aber auch zur Ausschaltung des COX-1Enzyms in Magen und Niere, sodass Magenläsionen und Nierenschäden entstehen können. Die Toxizität der ein-
. Tab. 27.3 Selektive Hemmung der COX durch verschiedene NSAR Medikament
COX-1/COX-2 (IC50-Ratio)
Kommentar
Ibuprofen
0,5
COX-1-Hemmer
Indomethacin
1,9
Häufig verwendet
Diclofenac
18,9
In Deutschland am meisten verwendet
Celecoxib
>100
Selektiver COX-2-Inhibitor
Rofecoxib
>300
Höchste Spezifität für COX-2
zelnen Medikamente steht daher mit der unselektiven Hemmung der COX-1 in Zusammenhang (. Tab. 27.3), wobei beispielsweise Diclofenac die COX-2 etwa 20-mal stärker hemmt als die COX-1. Unter den bisher verwendeten NSAR, die im Folgenden aufgelistet sind, beträgt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Ulzera etwa 10–20%, die Häufigkeit von klinisch relevanten Blutungen liegt bei 1–3%. Dagegen zeigen die neuen COX-2-selektiven Hemmer, z. B. Rofexocib, keine signifikante Hemmung der COX-1 in therapeutischer Dosierung mehr und haben daher auch keine erhöhten Nebenwirkungen im Magen gegenüber Placebo (Bombardier et al. 2000; Gabriel et al. 1991). Rofecoxib wurde 2004 vom Markt genommen, weil es in Langzeitstudien mit einer erhöhten Rate an unerwünschten kardiovaskulären Ereignissen assoziiert war. Therapie der NSAR-induzierten Gastropathie Die Therapie
der NSAR-induzierten Läsionen zielt primär daraufhin ab, das ursächliche Medikament zu vermeiden. Dies ist allerdings nur in einem Teil der Patienten mit rheumatischen Erkrankungen möglich. Neuere Studien haben daher den gleichzeitigen Einsatz von PPI, H2-Blocker oder auch Sucralfat untersucht. Famotidin (Pepdul) in einer Dosierung von 20–40 mg/Tag ist effektiv in der Prophylaxe der NSAR-induzierten Gastropathie. In einer Studie betrug die Häufigkeit von Magenulzera unter NSAR-Einnahme 20%, unter gleichzeitiger Medikation mit 20 mg Famotidin fanden sich nur 13%, und unter 40 mg Famotidin nur 8% Ulzerationen. Ein ähnlicher Effekt fand sich auch bei Duodenalläsionen: 13% Ulzera in der Kontrollgruppe mit Naproxen, 4% Ulzera und 20 mg, und 2% unter 40 mg Famotidin (Taha et al. 1996; Hudson et al. 1997). Zahlreiche Studien belegen indessen die überlegende Wirksamkeit von PPI bei der Prophylaxe von NSAR-induzierten Läsionen in Magen und Duodenum. Eine doppelblind kontrollierte Studie (»Omnium«) an über 900 Pa-
399 27.3 · Unkompliziertes Ulcus ventriculi: Pathogenese und konservative Therapie
tienten verglich den Effekt von 20–40 mg/Tag Omeprazol mit 400 mg/Tag Misoprostol (ein Prostaglandinanalogon) bei Patienten mit Ulzera oder mehr als 10 Erosionen im Magen oder Duodenum unter NSAR-Einnahme. Es zeigte sich ein ähnlicher Therapieerfolg unter beiden Medikamenten (Heilung in etwa 70–75%) wobei der ein größerer Patientenanteil (60%) unter 40 mg Omeprazol in Remission blieb (Yeomans et al. 1998; Hawkey et al. 1998). Yeomans et al. verglichen den Effekt von PPI mit Ranitidin (300 mg) bei dieser Indikationsstellung (»Astronaut«Studie). In dieser Studie fand sich einer höherer Therapieerfolg von 40 mg Omeprazol (Abheilung in 72%) als Ranitidin (Abheilung in 63%), auch die Zahl der Patienten in Remission war unter PPI-Medikation höher als unter H2-RA (Yeomans et al. 1998). Cytotect, ein Prostaglandinanalogon, ist zur Therapie der NSAR-induzierten Läsionen zugelassen, wird aber vorwiegend in den angloamerikanischen Ländern aufgrund seines Preisvorteils eingesetzt. Cytotect ist durch die Nebenwirkung starker Durchfälle problematisiert und kann nicht in der Schwangerschaft verabreicht werden. 27.3.6
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27
400
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
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27 27.4
Stressulkus und Stressulkusprohylaxe C. Prinz
Eine generelle Prophylaxe von Stressulzera kann bei Patienten einer chirurgischen Intensivstation nicht empfohlen werden. Von einer Säuresekretionshemmung profitieren jedoch Patienten mit Risikofaktoren. Zu den Risikofaktoren zählen insbesondere Polytraumata, Verbrennungen und neurochirurgische Eingriffe. Stressulzera werden wie unkomplizierte Ulzera des oberen Gastrointestinaltraktes therapiert; Blutungen können endoskopisch gestillt werden. Bei der Primärprophylaxe sind H2-RA der Behandlung mit Sucralfat oder Antazida überlegen und werden in der Regel bei leichteren Fällen eingesetzt. Patienten mit hohem Risiko profitieren von der Behandlung mit PPI.
Stressulzera sind akute Schleimhautschädigungen im oberen Gastrointestinaltrakt. Typischerweise finden sich diese akuten Läsionen bei Patienten unter intensivmedizinischen Bedingungen, insbesondere nach Verbrennungen sowie nach schweren traumatischen Ereignissen. Unter diesem Oberbegriff sind u. a. die akute hämorrhagische Gastritis, das akute Ulkus und auch akute Erosionen zusammengefasst. Historisch hat man das sog. »Curling-Ulkus« beschrieben, das in Zusammenhang mit Verbrennungen im Duodenum auftritt, sowie das »Cushing-Ulkus«, das in Zusammenhang mit Verletzungen oder Erkrankungen des ZNS beobachtet wird (Pruitt et al. 1970). Pathogenetisch wichtig für die Entstehung dieser Läsionen sind eine Schleimhauthypoxie und Minderperfusion der Magenmukosa, die durch Hypotension, venöse Stase und Vasospasmen ausgelöst wird (Rosen et al. 1992). Als weitere pathogenetisch wichtige Mechanismen wurden eine gesteigerte Permeabilität der Magenschleimhaut, ein vermehrter gastroduodenaler Reflux, eine gesteigerte Histaminfreisetzung sowie ein akutes Energiedefizit in der Schleimhaut erwogen. Klinische Symptomatologie Stressulzera werden in 5–25% der Patienten unter intensivmedizinischen Bedingungen
beobachtet. Endoskopisch werden folgende Lokalisationen unterschieden (Rosen et al. 1992; Cook et al. 1994, 1996; Tryba u. Cook 1997): 4 60% sind Ulcera ventriculi, wobei das Antrum meist ausgespart bleibt. Die Ulzerationen sind in der Regel kleiner als 2 cm, und an mehreren Stellen im Magen sichtbar. 4 30% sind Ulcera duodeni. 4 In 10% der Fälle finden sich gleichzeitig Läsionen in Magen und Duodenum. In 5–15% der Fälle kommt es zu klinisch relevanten Schleimhautblutungen aus diesen Läsionen, die zu bedrohlichen Blutverlusten und Kreislaufinstabilitäten führen. Allerdings können die Ulzera unter entsprechender Therapie rasch abheilen und Blutungen ggf. endoskopisch gestillt werden (Rosen et al. 1992). Die H.-pylori-Infektion hat in diesem Zusammenhang keinen Einfluss auf Entwicklung oder Blutungsneigung der Ulzera (Schilling et al. 2000). > Eine prophylaktische Eradikation von H. pylori bei Intensivpatienten ist daher nicht gerechtfertigt. Risikofaktoren Die pathogenetischen Mechanismen, die zum Stressulkus führen, sind nicht eindeutig geklärt. Allerdings gibt es eine Reihe von ursächlichen Faktoren, die in diesem Zusammenhang beschrieben wurden und daher als Risikofaktoren charakterisiert wurden (Rosen et al. 1992;Cook et al. 1994; Tryba u. Cook 1997; Tryba 1987). Diese sind in der 7 Übersicht zusammengefasst (Cook et al. 1994). Verbrennungen, Schädelhirntraumen und neurochirurgische Eingriffe sind als wesentliche Risikofaktoren zu nennen. Verbrennungen führen insbesondere dann zu Stress Ulzerationen, wenn septische Komplikationen vorliegen (Pruitt et al. 1970). Auch nach akutem Nieren- und Leberversagen werden Stressläsionen beobachtet. Bei Patienten mit schweren Verbrennungen liegt die Häufigkeit von Stressulzera 4–6 Tage nach dem Ereignis bei etwa 25%, in 75% die Opfer hatten erosive Veränderungen im Magen (Pruitt et al. 1970).
Risikofaktoren einer Stressulkusentstehung 4 Trauma – Polytraumata – Schädelhirntrauma, Herz- und neurochirurgische Eingriffe – Ausgedehnte Verbrennungen, insbesondere mit septischen Komplikationen – Sepsis 6
401 27.4 · Stressulkus und Stressulkusprohylaxe
4 Aufenthalt auf der Intensivstation mit Organversagen – ARDS – Nierenversagen – Leberversagen mit Enzephalopathie 4 Zusätzliche Risikofaktoren – Alter >70 Jahre – Portale Hypertension bei Alkoholabusus – Koagulopathie
Diagnostik Im Vordergrund steht die klinische Beobach-
tung des Patienten. Richtungsweisend am intubierten Patienten ist der Hb- oder RR-Abfall sowie der Teerstuhl oder das hämatiniserte Sekret aus der Magensonde. Nicht-intubierte Patienten klagen meist über Oberbauchschmerzen, die im epigastrischen Bereich lokalisiert sind und nicht in den Rücken ausstrahlen. Diagnostisch entscheidend ist dann die endoskopische Untersuchung des Patienten, die mit großzügiger Indikationsstellung durchgeführt werden sollte, da diese bei einer Blutung gleichzeitig auch interventionelle Maßnahmen wie Unterspritzung oder Clipping bietet. Therapie Bei den meisten Patienten ist primär eine Optimierung der intensivmedizinischen Maßnahmen notwendig. Dazu zählen der Ausgleich eines Volumenmangelschocks durch Flüssigkeitsgaben, eine optimierte Beatmung und Schmerztherapie, sowie eine frühzeitige enterale Ernährung. Sind Ulzera sichtbar und liegt gleichzeitig eine Helicobacter-pylori-Infektion vor, sollte primär eine Eradikation erfolgen. Ist der Patient H.-pylori-negativ, erfolgt eine antisekretorische Therapie mit Histamin-H2-Rezeptorantagonisten (H2-RA, z. B. Pepdul 2×20–40 mg i.v.) oder Protonenpumpenhemmern (PPI, z. B. Pantoprazol 2×20– 40 mg i.v.) während des Intensivaufenthaltes. Bei Auftreten von Ulzera, die trotz endoskopischer Blutstillung wiederholt bluten, kann die PPI-Dosis auf bis zu 240 mg pro Tag i.v. (80 mg Bolus, 8 mg/h Dauerinfusion, z. B. mit Omeprazol pro Infusione) gesteigert werden, was die Abheilung der Läsionen signifikant beschleunigt (Lau et al. 2000). Prophylaxe Eine generelle Prophylaxe von Stressulzera
kann aufgrund der allgemein seltenen Inzidenz schwerer Nebenwirkungen wie Blutung oder Perforation in einem Gesamtkollektiv der Patienten einer chirurgischen Intensivstation nicht empfohlen werden (Tryba u. Cook 1997; Devlin et al. 1998). Klinische Studien haben allerdings erwiesen, dass Stressulzera unter den oben erwähnten Risikobedingungen besonders häufig sind und daher insbesondere in diesen Risikogruppen einer Primärprophylaxe bedürfen. Als pharmakologische Maßnahmen zur Primär-
. Tab. 27.4 Medikamente für die Primärprophylaxe bei Risikopatienten Medikament
Dosierung
Säuresekretionshemmer PPI, z. B. Omeprazol (Antra)
40 mg/Tag i.v.
PPI, z. B. Pantoprazol (Pantozol)
40 mg Tag i.v.
H2-RA, z. B. Ranitidin (Zantic)
150–300 mg/Tag i.v.
H2-RA, z. B. Famotidin (Pepdul)
2×20 mg/Tag i.v.
Schleimhautprotektiva Sucralfat (z. B. Ulcogant)
4×1 g per Magensonde
Antazida (z. B. Magnesium- und Aluminiunhydroxid, Maalox)
Antazida 4–6 Btl. per Magensonde
Azetylcholin-Rezeptorantagonisten Pirenzepin (M1-Rezeptorantagonist, z. B. Gatrozepin)
2×25–50 mg i.v.
prophylaxe stehen die in . Tab. 27.4 genannten Medikamente bei diesen Risikopatienten zur Verfügung (Zulassung für diese Indikationsstellung in Deutschland). In Metaanalysen wurde die Effizienz der H2-RA (z. B. Ranitidin oder Cimetidin) zur Stressulkusprophylaxe an einem randomisierten Patientengut verschiedener Intensivstationen nachgewiesen (Book et al. 1996; Zuckerman u. Shuman 1987; Cook 1995). Dabei lag die mittlere Blutungsinzidenz in der Plazebogruppe zwischen 10–15%, in der Gruppe mit H2-RA-Therapie bei 2,7% (Zuckerman u. Shuman 1987). Neuere Studien zeigen eindeutig, dass H2RA der Behandlung mit Sucralfat überlegen sind (1,7% Blutung versus 3,8% Blutung). Ein besonderer Vorteil des M1-Rezeptor-Antagonisten Pirenzepin liegt darin, dass es die Viskosität des Magenschleims nicht beeinflusst (Takakura et al. 1994). Prostaglandinanaloga wie Misoprostol (Cytotect) werden für die Therapie von peptischen Ulzera und der NSAR-induzierten Gastropathie erfolgreich verwendet (Walt 1992), sind jedoch bei dieser Indikationsstellung nicht vergleichend analysiert worden; dieses Präparat stellt im Gegensatz zu Pirenzepin auch keinen Therapiestandard bei der Primär- oder Sekundärprophylaxe der Stressulzera dar. Omeprazol in einer Dosierung von 40 mg pro Tag ist der Gabe von Ranitidin 300 mg pro Tag hinsichtlich der Verhinderung von Stressulzera überlegen und steigert den intragastischen pH auf über 4 bei 96% der Patienten (Ranitidin: 43% pH>4; Lasky et al. 1998). Omeprazol senkt auch die Inzidenz der gastrointestinalen Blutung deutlicher als die Behandlung mit H2-RA, wie eine andere Studie zeigt (Levy et al. 1997): In der Omeprazol-Gruppe (40 mg/Tag)
27
402
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
traten Blutungen nur in 6% auf, dagegen in 31% in der Ranitidin Gruppe (300 mg/Tag). > PPI sind als Standard in der Primärprophylaxe der Stressulzera bei Hochrisikopatienten anzusehen, allerdings etwas teurer als die Behandlung mit H2-RA.
27
Als Substanzen stehen Omeprazol pro infusione (40 mg/ Tag, pH 9, zentralvenöse Injektion, Stabilität maximal 4 h) oder Pantozol pro injectione (40 mg 1×/Tag) zur Verfügung. Alternativ kann auch Antra MUPS (40 mg) über eine Magensonde appliziert werden.
27.4.1
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27.5
Unkompliziertes Ulcus ventriculi: Operationsindikation und operative Therapie A.H. Hölscher, E. Bollschweiler
Durch die Erfolgsbilanz der Protonenpumpenhemmer und der Helicobacter-pylori-Eradikation sind elektive Operationen gastroduodenaler Ulzera in den 90er-Jahren stark zurückgegangen. Die verbleibenden Indikationen zur elektiven Operation beschränken sich auf die kleine Gruppe von Helicobacter-pylori-negativen Patienten, bei denen trotz Dosissteigerung der Säurehemmer oder wegen fehlender Patienten-Compliance keine Abheilung des Ulcus ventriculi zu erzielen ist. Wenn der Verdacht auf ein Malignom besteht, der Leidensdruck durch häufige Rezidive zu groß wird oder drohenden Komplikationen vorgebeugt werden soll, ist ferner die Indikation zur elektiven Ulkuschirurgie gegeben. Die Magenresektion nach Billroth I ist das Verfahren der Wahl beim Ulcus ventriculi. Die alternativen Vagotomieverfahren sind hier mit hohen Rezidivraten belastet. Die Gastroduodenostomie erhält die Duodenalpassage und hat im Vergleich zu anderen Rekonstruktionsverfahren ein geringeres Spektrum an Nebenwirkungen. Ist eine spannungsfreie Rekonstruktion nach Billroth I nicht möglich, wird eine Gastrojejunostomie nach Roux-Y- oder Billroth-II-Resektion mit Braun-Fußpunktanastomose ausgeführt. Bei pylorischen oder präpylorischen Ulzera sollte wegen der Hyperazidität zusätzlich eine selektiv gastrale Vagotomie hinzugefügt werden. Obwohl Magenresektionen auch laparoskopisch ausgeführt werden können, ist das offene Vorgehen als das Standardverfahren anzusehen. Wegen der geringen Operationsfrequenz werden sich randomisierte Studien mit dem Vergleich beider Techniken in kalkulierbaren Zeiträumen nicht mehr ausführen lassen.
27.5.1
Therapieziele und Indikationsstellung
Erstes Therapieziel der elektiven Operation beim Ulcus ventriculi ist die Resektion des bestehenden Geschwürs und gleichzeitige Rezidivprophylaxe durch 2/3-Resektion mit Entfernung des Locus minoris resistentiae an der kleinen Kurvatur. Zweites Ziel ist die sichere und möglichst physiologische Wiederherstellung des Magen-/Darmpassage mit Vermeidung von Folgezuständen. Die elektive chirurgische Therapie des peptischen Ulkus ist durch die effektiven konservativen Behandlungsmethoden stark in den Hintergrund gedrängt worden (Paimela 2004). Der elektiven Chirurgie eines chronischen peptischen Geschwürs geht ein langfristig angelegter konservativer Behandlungsversuch voraus.
27
403 27.5 · Unkompliziertes Ulcus ventriculi: Operationsindikation und operative Therapie
Indikationen für eine elektive Operation eines Ulcus ventriculi 4 Hoher Leidensdruck des Patienten bei Therapieresistenz mit mangelnder Ulkusabheilung oder häufigen Rezidiven 4 Schlechte Patienten-Compliance 4 Malignomverdacht 4 Prävention drohender Ulkuskomplikationen (Blutung, Perforation, Magenausgangsstenose)
27.5.2
Chirurgische Strategie
Ziel der elektiven operativen Behandlung des Ulcus ventriculi ist die definitive Ausheilung der Ulkuskrankheit. Fast ausschließlich werden distale Magenresektionen vorgenommen. Sie werden je nach Ausdehnung als Antrum-, 2/3-, 4/5- oder subtotale Resektionen ausgeführt. Unabhängig vom Ausmaß der Resektion wird die distale Magenresektion nach der Art der Anastomosierung des Magenrestes mit dem Dünndarm bezeichnet. Obwohl die Resektionsverfahren ohne Überlegungen zum Wirkungsmechanismus von der Karzinomchirurgie in die Ulkuschirurgie übernommen worden sind, erscheinen die pathophysiologischen Grundlagen der Resektion akzeptabel und geeignet, die therapeutische Effektivität dieses Prinzips zu erklären. Bei der Resektion werden die Belegzellmasse durch Entfernung eines Teils von Korpus und Fundus reduziert und das Antrum als Bildungsort des Gastrins entfernt. Im Falle eines Ulcus ventriculi eliminiert die Resektion den Ort der Ulkusprädilektion an der Antrum-Korpus-Grenze kleinkurvaturseits zusammen mit dem Magengeschwür. Durch Skelettierung der kleinen Kurvatur über die Resektionsgrenze hinaus wird der Magenrest teilweise vagotomiert. Nach der Resektion werden die Basalsekretion (BAO) und die maximale Sekretion (MAO) nach Pentagastrinsimulation jeweils um ca. 85% reduziert. Der medi-
ane pH, gemessen mit der intragastralen 24-Stunden-pHMetrie wird durch die 2/3-Magenresektion von 2 auf 5–6 angehoben (Hölscher 1993, 1996). Die Vagotomie führt nur zur Säurereduktion. Die vagotomiebedingte Verminderung der Magenwanddurchblutung, die Motilitätsveränderungen und die Reduktion der Schleimproduktion sind beim Ulcus ventriculi eher unerwünscht. Zudem ist die Vagotomie beim typischen, an der Antrum-Korpus-Grenze der kleinen Kurvatur lokalisierten Ulcus ventriculi wegen lokaler Entzündungen oder Ulkuspenetration technisch z. T. schwierig. Nicht immer kann die Antruminnervation sicher geschont werden, sodass eine Pyloroplastik notwendig werden kann. Eine Pyloroplastik ist aber beim Ulcus ventriculi unerwünscht, da sie einen duodenogastralen Reflux mit seinen möglichen Folgen initiieren oder verstärken kann.
27.5.3
Verfahrenswahl
Hier muss die Wahl zwischen den Resektionen vom Typ Billroth I bzw. II und Billroth II mit Roux-Y-Rekonstruktion getroffen werden. Alle 3 Verfahren haben heute einen hohen Sicherheitsstandard erreicht. Die postoperative Letalität dieser 3 Resektionen ist nach den gültigen Leistungsziffern ab 1980 mit weniger als 1% gleich (. Tab. 27.5). Insbesondere nach älteren Statistiken scheinen die Letalität und die allgemeinen postoperativen Komplikationen der resezierenden Verfahren beim Ulcus ventriculi geringgradig höher als beim Ulcus duodeni zu liegen. Dies hängt damit zusammen, dass Patienten mit Magengeschwür im Schnitt ca. 10 Jahre älter sind und mehr Zweiterkrankungen aufweisen. Anastomoseninsuffizienz und Nachblutung sind beim Billroth I selten geworden (. Tab. 27.6). In gleicher Weise ist das früher beim Billroth II als Nachteil angesehene Risiko einer Duodenalstumpfinsuffizienz bei dem heute üblichen maschinellen Verschluss äußerst gering. Für das Ulcus ventriculi ergeben sich hinsichtlich der Rezidivulkusquoten keine signifikanten Unterschiede zwischen Billroth I und Billroth II (. Tab. 27.7).
. Tab. 27.5 Postoperative Letalität nach Billroth-I-, Billroth-II- bzw. Roux-Y-Magenresektion wegen Ulcera ventriculi bzw. duodeni (Quellen: Hölscher 2002) Billroth I
Bis 1970
Billroth II
Studien
Patientenzahl
5
2167
(%)
2,5
Roux Y
Studien
Patientenzahl
3
952
(%)
3,6
Studien
Patientenzahl
–
–
(%)
–
1971–1980
6
1812
1,3
2
270
4,4
–
–
–
Nach 1980
7
700
0,7
2
457
0,7
6
216
0,9
404
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
. Tab. 27.6 Komplikationen nach Billroth-I-, Billroth-II- bzw. Roux-Y-Magenresektion wegen Ulcera ventriculi bzw. duodeni (Quellen: Hölscher 2002) Studien
Patientenzahl
Atonie/Stenose (%)
Nahtinsuffizienz/ Peritonitis (%)
Nachblutung (%)
Billroth I
9
4457
3,8
1,7
2,3
Billroth II
2
208
3,4
2,5
1,9
Billroth I
4
550
10,2
1,6
2,6
Billroth II
2
457
5,3
2,2
4,4
Roux-Y
5
346
9,5
2,3
2,3
1971–1980
27
Nach 1980
. Tab. 27.7 Rezidivulkusraten nach Billroth-I- und Billroth-II-Magenresektion und proximal gastrischer Vagotomie (PGV) wegen Ulcus ventriculi. Nachuntersuchungen bis 5 Jahre postoperativ (Quellen: Hölscher 2002b) Studien
Patientenzahl
Bis 1970
9
1833
1971–1980
8
Nach 1980
9
(%)
Studien
Patientenzahl
3,1
5
1313
940
2,9
3
984
2,5
3
Studien
Patientenzahl
1,6
–
–
320
6,6
–
484
1,5
10
Die Roux-Y-Modifikation von Billroth II ist hinsichtlich des Operationsrisikos und der postoperativen Komplikationen mit der Billroth I bzw. der Original-Billroth-IIResektion gleichzusetzen. Sie weist nach älteren Statistiken Ulkusrezidive zwischen 8 und 15% auf (Kennedy u. Green 1978; Menguy u. Chey 1980; Nielsen et al. 1974). Aus diesem Grund konnte sich dieses Verfahren als chirurgische Primärmaßnahme nicht durchsetzen (Menguy u. Chey 1980). Schon früh wurde die ulzerogene Wirkung der Roux-Y-Rekonstruktion im Tierexperiment nachgewiesen (Exalto 1910). Sie korreliert mit der Länge der Roux-YSchlinge (Arlt et al. 1984). Beim Ulkus vom Johnson-Typ I zeigte eine kontrollierte Studie bei gleichem Resektionsausmaß gleich große Rezidivulkusraten zwischen der Billroth-I-Resektion und der Magenresektion mit Roux-Y-Rekonstruktion (. Tab. 27.8; Hölscher u. Siewert 1991). Bei präpylorischen Ulzera, die in der Regel mit Hyperazidität einhergehen, sollte die Magenresektion mit einer selektiv gastralen Vagotomie (SGV) kombiniert werden. Unter diesen Bedingungen wiesen die beiden kontrollierten Studien ebenfalls gleiche Rezidivulkusraten zwischen Billroth I- und Roux-Y-Verfahren auf (. Tab. 27.8). In unkontrollierten Studien ohne diese Differenzierung der Ulkustypen und ohne entsprechende Ergänzung durch
(%)
(%)
Studien
Patientenzahl
(%)
–
1
–
14,3
–
–
4
150
15,3
411
3,1
7
960
12,0
SGV ist die Rezidivulkusrate der Roux-Y-Rekonstruktion beim Ulcus ventriculi etwas höher als bei der Billroth-Ioder Billroth-II-Resektion (. Tab. 27.7). Nach den von Emås publizierten 10-Jahres-Ergebnissen einer kleinen randomisierten Studie zum Vergleich proximal-gastrischer Vagotomie (PGV) mit Ulkusexzision versus BI-Resektion beim Ulcus ventriculi Johnson-Typ I waren die Rezidive mit 3 von 15 in der Vagotomie- und 2 von 14 in der Resektionsgruppe nicht signifikant unterschiedlich (Emås u. Fenstroem 1985). Auch die VisickKlassifikation und die Rate an Dumpingsymptomatik waren nach 10 Jahren nicht different. Aufgrund der wenigen Daten ist die PGV mit Ulkusexzision für diesen Ulkustyp jedoch nicht generell zu empfehlen und nur in Ausnahmefällen als Alternative zur Resektion anzusehen. Präpylorisches Ulkus Einen Sondertyp des Ulcus ventriculi stellt das präpylorische Ulkus dar. Solche Ulzera befinden sich definitionsgemäß in einem Abstand von bis zu 3 cm oral des Pylorus. Rezidivraten nach PGV sind hier besonders hoch. In einem Beobachtungszeitraum von 5–8 Jahren betrugen sie zwischen 12 und 44% (Becker et al. 1982; Ornsholt et al. 1983). Eine schlüssige pathophysiologische Erklärung für diesen Befund gibt es nicht, jedoch scheinen die Hyperazidität und Probleme der Magenentleerung eine
27
405 27.5 · Unkompliziertes Ulcus ventriculi: Operationsindikation und operative Therapie
. Tab. 27.8 Prospektiv randomisierte Studien zum Rekonstruktionsverfahren nach Magenresektion wegen Ulcus ventriculi Studien
Pääkonen et al. 1987
Haglund 1990
Hölscher 1991a
Ulcus-ventriculi-Typ
Pylorisch, präpylorisch
Präpylorisch (Johnson-Typ III)
Johnson-Typ I
Resektion
Antrektomie + SGV
Antrektomie + SGV
2/3-Magenresektion
Rekonstruktion
Billroth I
Roux Y
Billroth I
Roux Y
Billroth I
Roux Y
n
19
21
57
64
23
23
Klinikletalität (n)
0
0
1
0
0
0
Anastomoseninsuffizienz (n)
0
0
2
1
0
0
Postoperative Magenretention (%)
58
24
10
11
–
–
Nachbeobachtung (Jahre) ∅
1
1
2,2
2,6
5,6
5,9
Rezidivulkus (%)
0
0
1,7
1,5
13b
4,3
Visick I + II (%)
93
93
75
81
96
100
a
ergänzt 1994, b asymptomatisch
Bedeutung zu haben. Wird aber die Vagotomie mit einer Antrektomie kombiniert, so ist die Rezidivrate dagegen außerordentlich gering.
27.5.4
Operationstechnik
Distale Magenresektion Typ Billroth I Zugang Als Zugang empfiehlt sich in der Regel die media-
ne obere Laparotomie. Auch von einem supraumbilikalen Querschnitt aus ist die Resektion übersichtlich ausführbar. Skelettierung des Magens Sie beginnt in der Mitte der großen Kurvatur mit der Durchtrennung des Lig. gastrocolicum und der damit verbundenen Eröffnung der Bursa omentalis (. Abb. 27.3). Die Skelettierung kann beim Ulcus ventriculi zwischen den Vasa gastroepiloica und der Magenwand selbst erfolgen. Pyloruswärts wird der gastrale Ansatz des großen Netzes breiter und teilt sich in ein vorderes und hinteres Blatt, die möglichst einzeln durchtrennt werden sollten. Dabei empfiehlt es sich, zunächst stumpf im lockeren Zwischengewebe weiter duodenalwärts zu präparieren und die gefäßführenden Anteile dann isoliert zu versorgen. Präparation und Mobilisation des Duodenums (. Abb. 27.3)
Die periduodenale Skelettierung des oberen freien Anteils des Duodenums wird nach einem Kocher-Manöver so fortgesetzt, dass man unter Anspannen des Magens zunächst in Fortsetzung der großen Magenkurvatur die linke mediale Duodenalwand, dann die Hinterwand und schließlich von oben kleinkurvaturwärts die laterale Duo-
. Abb. 27.3 Magenresektion Typ Billroth I. Die Resektionsgrenzen sind oral 5 cm distal des His-Winkels im Bereich der kleinen Kurvatur bzw. an der großen Kurvatur im Bereich des proximalen Drittels des Versorgungsgebiets der A. gastroepiploica dextra, aboral 2 cm postpylorisch zu wählen. Die Skelettierung des Magens beginnt im Bereich der großen Kurvatur (A). Als nächster Schritt erfolgt die Präparation des Duodenums (B). Zu diesem Zweck muss der peritonale Überzug lateral des Duodenums zwischen dem unteren Duodenalknie und dem Ansatz des Lig. hepatoduodenale gespalten werden. Schließlich wird die Skelettierung des Magens entlang der kleinen Kurvatur nach oralwärts fortgesetzt (C). Die Ligatur der A. gastrica sinistra erfolgt distal ihres Scheitelbogens. Nach Entfernung des Resektats wird die Anastomosierungsebene rechtwinklig zur großen Kurvatur festgelegt
406
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
denalwand bis zum Ansatz des Lig. hepatoduodenale freilegt. Auf diese Weise können etwa 3–5 cm Duodenalhinterwand – beim Ulcus ventriculi meist ohne technische Schwierigkeiten – gewonnen werden. Den Übergang vom freien oberen Duodenum zum dorsal am Pankreas fixierten Anteil erkennt man am Verlauf der A. gastroduodenalis. An dieser Stelle geht die Serosa auf den Pankreaskopf über. Hier muss die Präparation besonders sorgfältig sein, da die Erhaltung der Arterie für die Durchblutung des Duodenums von Wichtigkeit ist.
27
Skelettierung der kleinen Kurvatur Nach allseitiger Mobili-
sierung des Duodenums wird die Skelettierung entlang der kleinen Kurvatur nach oralwärts so weit fortgesetzt, bis man ein ausreichendes Areal unverbrauchter Magenwand präpariert hat. Die Ligatur der A. gastrica sinistra erfolgt distal ihres Scheitelbogens unmittelbar an der kleinen Kurvatur. Magenresektion Das Duodenum wird 1–2 cm postpylo-
risch abgesetzt und nach Hochschlagen des Magens die Resektionsgrenze im Korpusbereich festgelegt. Das Absetzen selbst erfolgt am besten mit einem langen linearen Klammernahtgerät. Nach Entfernung des Resektates wird der mit der Klammernaht verschlossene Magenrest zum Duodenum geführt und der spitzwinkelige aborale Anteil rechtwinkelig zur großen Kurvatur so abgesetzt, dass das Magenlumen dem Duodenallumen entspricht. Gastroduodenostomie Die Anastomose wird als Gastroduodenostomia oralis partialis inferior angelegt. Die Nahttechnik im Bereich der Hinterwand ist die allschichtige, schleimhautadaptierende Rückstichnaht, die an der Kleinkurvaturseite begonnen wird. Die Vorderwand wird abschließend einreihig allschichtig – die Mukosa tangential fassend – mit Einzelknopfnähten versorgt. Die genannte Anastomose kann auch in fortlaufender Nahttechnik ausgeführt werden (Demartines et al. 1991). Abschließend werden die Anastomosen auf ihre Durchgängigkeit palpiert und die Lage der Magensonde über die Anastomose hinweg überprüft. Die Bursa omentalis wird durch Wiederanheftung des großen Netzes verschlossen (. Abb. 27.4). Das Operationsgebiet muss nicht grundsätzlich drainiert werden. Gastroduodenostomia terminolateralis Bei sehr schwierigen narbigen Verhältnissen am Duodenum kann es günstiger erscheinen, den Duodenalstumpf mit einem Klammernahtgerät zu versorgen und die Intestinalpassage durch eine End-zu-Seit-Anastomose (Gastroduodenostomia terminolateralis) wiederherzustellen. Zu diesem Zweck wird der Magen in gleicher Weise, wie oben beschrieben, abgesetzt, das präparierte Magenlumen wird aber nun auf die Vorderwand des Duodenums genäht. Das Magenlumen
. Abb. 27.4 Magenresektion Typ Billroth I. Die Gastroduodenostomie muss spannungsfrei zu liegen kommen. Die Bursa omentalis wird durch die Wiederanheftung des Netzes verschlossen
wird nach Verschluss des Duodenalstumpfes mit der Vorderwand des Duodenums anastomosiert. Die Inzision an der Duodenalvorderwand erfolgt leicht schräg. Die Nahttechnik ist dieselbe wie bei der terminoterminalen Anastomose (Hinterwand mit Rückstich; Vorderwand einreihig allschichtig extramukös oder in fortlaufender Technik). Gerade bei technisch schwierigen Duodenalstumpfverschlüssen eignet sich dieses Verfahren zur zusätzlichen Deckung des Stumpfes mit der Magenhinterwand.
Distale Magenresektion Typ Billroth II > Die Entscheidung zugunsten der alternativen Magenresektion vom Typ Billroth II ist dann zu treffen, wenn eine spannungslose Gastroduodenostomie nicht zu erreichen ist.
Wir wählen die antekolische Gastroenterostomie, weil für die retrokolische Gastroenterostomie ein vermehrter gastraler Reflux typisch ist. Ein anderes Argument ist die leichtere Revidierbarkeit der Anastomose bei einer etwaigen Reoperation. Präparation und Skelettierung des Magens Diese erfolgen in gleicher Weise wie beim Billroth I. Allerdings endet die Präparation des Duodenums mit dessen Blindverschluss. Wenn notwendig, kann die Magenresektion im Falle der Rekonstruktion mit einer Gastrojejunostomie ausgiebiger
407 27.5 · Unkompliziertes Ulcus ventriculi: Operationsindikation und operative Therapie
erfolgen als bei der Magenresektion vom Typ Billroth I. Die Skelettierung wird bei der klassischen 2/3-Resektion so weit fortgesetzt, bis etwa 80% der kleinen Kurvatur freipräpariert sind. Zur Orientierung bieten sich 2 anatomische Fixpunkte an. An der großen Kurvatur ist dies kurz unterhalb des Zuflusses der A. gastroepiploica sinistra und im Bereich der kleinen Kurvatur etwa 3–5 cm unterhalb der Kardia. Man markiert diese Punkte am besten durch Haltefäden. Zwischen diesen Fixpunkten wird der Magen mit einem Klammernahtgerät abgesetzt. Rekonstruktion Die Wiederherstellung der Intestinalpas-
sage erfolgt durch Gastrojejunostomie mit der ersten antekolisch hochgezogenen Jejunalschlinge. Die zuführende Schlinge kommt an die große Kurvatur, die abführende Schlinge an die kleine Kurvatur zu liegen. Diese isoperistaltische Gastroenterostomie hat sich bewährt, weil das Treitz-Ligament häufig relativ weit links lokalisiert ist und so das Hochführen der zuführenden Schlinge an die kleine Kurvatur oft zu einer anatomisch ungünstigen Lage von Schlinge und Anastomose führt. Weiterhin verläuft die Magenentleerung entlang der sog. Magenstraße der kleinen Kurvatur und erfährt bei minorseitiger Anastomosierung der abführenden Schlinge eine möglichst physiologische Fortsetzung. Die Länge der zuführenden Schlinge soll etwa 40–50 cm betragen. Die Anastomose wird als partielle ausgeführt, d. h. die oralen etwa 60% der geklammerten Absetzungslinie werden mit seroserösen Einzelknopfnähten übernäht, die aboralen etwa 40% zur Anastomosierung verwendet (. Abb. 27.5). Die terminolaterale Anastomose zwischen Magen und Jejunum sollte eine Länge von 5–6 cm haben. Die Nahttechnik ist die gleiche wie bei der Billroth-I-Anastomose. Die Operation wird mit einer Braun-Anastomose (laterolaterale Jejunojejunostomie) beendet, die am tiefsten Punkt zwischen zu- und abführender Schlinge angelegt werden sollte (sog. Fußpunktanastomose). Der Abstand zur Gastrojejunostomie sollte 15–20 cm betragen. Diese Seit-zuSeit-Anastomose soll den jejunogastralen Reflux, insbesondere von Galle, quantitativ verringern und gleichzeitig mögliche Schlingenprobleme verhindern. Als Länge dafür reichen 4–5 cm.
Distale Magenresektion mit Rekonstruktion Typ Roux-Y Resektionsausmaß und Verschluss des Magenstumpfes erfolgen bei diesem Alternativverfahren wie bei der BillrothII-Operation. Unterschiedlich ist lediglich die Art der Rekonstruktion. Sie erfolgt am besten durch eine terminolaterale Gastrojejunostomie mit der blind verschlossenen ersten Jejunumschlinge. Zu diesem Zweck wird das Mesenterium der ersten Jejunumschlinge unter Transillumination an einer anatomisch günstigen Stelle der Gefäß-
. Abb. 27.5 Magenresektion Typ Billroth II. Die Resektionsgrenzen werden wie folgt festgelegt: oral im Bereich der kleinen Kurvatur 3–5 cm subkardial; an der großen Kurvatur aboral des Zuflusses der A. gastroepiploica sinistra; aboral 2 cm postpylorisch. Oralis-partialis-Gastroenterostomie isoperistaltisch mit der ersten antekolisch hochgezogenen Jejunalschlinge. Braun-Fußpunktanastomose
arkade skelettiert und die aborale Schlinge mit einem Nahtapparat blind verschlossen und durchtrennt. Diese Schlinge wird mobilisiert und ante- oder retrokolisch zum Magenstumpf in den Oberbauch geführt. Die Anastomosierung zwischen erster Jejunumschlinge und Magenstumpf erfolgt terminolateral wie beim Billroth II. Das blinde Ende der Jejunumschlinge kommt an der kleinen Kurvatur des Magens zu liegen und kann zur Deckung der sog. Jammerecke genutzt werden. Zum Abschluss wird die zuführende Jejunumschlinge ca. 40–50 cm aboral der Gastrojejunostomie End-zu-Seit von links kommend in die abführende Jejunalschlinge eingepflanzt (. Abb. 27.6).
Rekonstruktion nach Magenresektion mit Klammernahttechnik Die beschriebenen Nahttechniken zur Gastroduodenostomie oder Gastrojejunostomie sind sehr standardisiert und sicher, sie erfordern keinen besonderen Zeitaufwand und sind kostengünstig. Beide Anastomosen und die zusätzlichen Dünndarmanastomosen lassen sich auch komplett in Klammernahttechnik herstellen. Der zeitliche Gewinn ist
27
408
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
4 30-Tage Mortalität: 1/29 (Laparoskopie) und 2/30 (offen) 4 Major-Komplikationen: 0/29 (Laparoskopie) und 1/30 (offen) 4 Minor-Komplikationen: 8/29 (Laparoskopie) und 7/30 (offen)
27.5.5
27
Postoperative Behandlung
Intraoperativ sollte eine Magensonde gelegt werden, die in der Regel am ersten postoperativen Tag entfernt werden kann. Am 4. bis 5. postoperativen Tag kann der Patient bei normalem Verlauf beginnen, schluckweise Tee oder Wasser zu trinken. Der weitere Kostaufbau von flüssiger über semisolider zu fester Kost erfolgt ab dem 5. bis 6. postoperativen Tag mit nachfolgender Diätberatung. Neben der postoperativen Analgesierung erfolgen Frühmobilisation und apparative Verfahren zur Atemvertiefung, da Patienten mit Oberbaucheingriffen zu oberflächlicher Atmung neigen. Ergebnisse der Therapie 7 Abschn. 27.5.3 sowie . Tab. 27.5 bis . Tab. 27.8. Empfehlungen zur Nachsorge 7 Abschn. 27.10).
27.5.6 . Abb. 27.6 Magenresektion Typ Billroth II mit Roux-Y-Rekonstruktion. Die zuführende Schlinge ist 40–50 cm distal der Gastrojejunostomie eingepflanzt
eher gering, eine Erhöhung der Sicherheit ist nicht erwiesen, aber die Materialkosten sind deutlich höher. Daher werden die Rekonstruktionen bei der offenen Chirurgie noch überwiegend in der beschriebenen Nahttechnik ausgeführt.
Laparoskopische Magenresektion Alle Formen der Magenresektionen bei gastroduodenalen Ulzera – Billroth I, Billroth II, Roux-Y – sind auch laparoskopisch ausführbar (Dulucq et al. 2005; Goh et al. 1997, 2010; Kanaya et al. 2002; Shiraishi et al. 1999; Saccomani et al. 2003; Zornig et al. 1998). Diese Verfahren orientieren sich an den bewährten Techniken der offenen Chirurgie, es werden jedoch in der Regel maschinelle Anastomosen angefertigt. Die bisher dazu publizierten Berichte umfassen meist sehr kleine Serien. Mehr Erfahrung, insbesondere aus Asien, liegen zur minimalinvasiven Technik beim Magenkarzinom vor. Eine prospektiv randomisierte Studie (Huscher et al. 2005) mit dem Vergleich von 30 laparoskopisch mit 29 offen subtotalen Resektionen beim distalen Magenkarzinom aus Europa zeigte vergleichbare Ergebnisse bezüglich:
Intra- und postoperative Komplikationen
Intraoperative Komplikationen sind bei standardisierter Operationstechnik selten. Sie umfassen Blutungen im Operationsgebiet, Pankreas- und Gallengangsläsionen, insbesondere bei penetrierenden Ulzera, und Milzverletzungen. Nach einer Magenresektion vom Typ Billroth I oder II können hauptsächlich folgende intraabdominelle Komplikationen auftreten: 4 Nahtinsuffizienz im Bereich der Anastomose (1–2,5%) 4 Duodenalstumpfinsuffizienz (1%) 4 Nachblutungen (2%) 4 Passagestörungen (2–5%) 4 Postoperative Pankreatitis (0,9%) Die Frühinsuffizienz im Bereich der Gastroduodenostomie oder Gastrojejunostomie in den ersten 3–4 postoperativen Tagen führt meist zu einer diffusen Peritonitis mit akutem Abdomen und ist revisionspflichtig. Dabei wird neben der Peritoneallavage in der Regel eine Neuanlage der Anastomose ausgeführt. Bei Frühinsuffizienz des Duodenalstumpfes wird ein erneuter Verschluss angestrebt. Ist dieses nicht möglich, so hat sich die Drainage des Duodenalstumpfes nach außen mit einem dicken Foley-Katheter bewährt. Sind die lokalen Verhältnisse bei der Reoperation
409 27.5 · Unkompliziertes Ulcus ventriculi: Operationsindikation und operative Therapie
noch gut, ist auch eine innere Drainage des Duodenalstumpfes z. B. in eine ausgeschaltete Roux-Y-Dünndarmschlinge möglich. Tritt die Leckage später auf, so ist die resultierende lokale Peritonitis konservativ meist beherrschbar, unter der Voraussetzung, dass die Insuffizienz ausreichend drainiert ist (evtl. CT-gezielte Drainage). Bei guter innerer Drainage über eine Magensonde und äußerer Drainage sowie zusätzlicher Applikation von Protonenpumpenhemmern sowie Sandostatin (Sekretionshemmung) und parenteraler Ernährung gelingt es fast immer, die Anastomose weitgehend trockenzulegen, sodass die Abheilung der Fistel abgewartet werden kann. Die Nekrose des Magenstumpfes ist eine seltene, aber fatale Komplikation und geht mit einer schweren Peritonitis einher, die die Revision erfordert. Die Spätinsuffizienz des Duodenalstumpfes kann bei guter äußerer Drainage, die evtl. CT-gezielt eingebracht werden muss, konservativ behandelt werden. Die zum Teil resultierende Duodenalfistel kann sekundär in eine ausgeschaltete Dünndarmschlinge eingepflanzt werden. Intragastrale Nachblutungen sind selten. Zunächst sollte ein Versuch der endoskopischen Blutstillung unternommen werden. Die Indikation zur Revision richtet sich nach dem Ausmaß der Blutung. In jedem Fall sollte eine operative Revision erfolgen, wenn mehr als 6 Blutkonserven/ 24 h zur Substitution des Blutverlustes benötigt werden. Bei einer operativen Revision einer Blutung aus der Anastomose oder dem Magenstumpf erfolgt die Wiedereröffnung des Magens durch eine Querinzision etwa 3–5 cm oberhalb der Anastomose. Von hier aus lassen sich Anastomose ebenso wie Magenstumpf leicht revidieren und Blutungsquellen gezielt umstechen. Der Wiederverschluss der Inzision erfolgt ebenfalls in querer Richtung. Extraluminale Blutungsquellen werden in typischer Weise versorgt. Stellt die Milz die Blutungsquelle dar, erfolgt die lokale Blutstillung möglichst mit Milzerhaltung. Ist die Splenektomie erforderlich, so muss wegen der erforderlichen Durchtrennung der Vasae gastricae breves auf die Durchblutung des Restmagens geachtet werden, da dieser meist nur noch durch die Arteria gastrica sinistra versorgt wird. Postoperative Passagestörungen im Bereich der Gastroduodenostomie oder Gastrojejunostomie sollten bei einwandfreier Operationstechnik nicht auftreten. Entwickeln sie sich trotzdem, so sind sie meist Folge eines Anastomosenödems, eines Hämatoms oder einer Magenatonie und bilden sich bei guter innerer Drainage in den folgenden 10–14 Tagen zurück. Revisionen sind nur im Ausnahmefall notwendig. Bei der postoperativen Pankreatitis handelt es sich meist um eine ödematöse Pankreatitis, deren Prognose relativ gut ist. Kommt es dagegen zu einer hämorrhagisch nekrotisierenden Pankreatitis, so ist mit einer höheren Letalität zu rechnen. Derartige postoperative Pankreatitiden
sollten immer den Verdacht auf eine mechanische Alteration des Pankreas nahe legen. Sie sind insgesamt selten. Postoperative Störungen treten beim Vorliegen lokaler Ulkuskomplikationen (Blutungen, Perforation) öfter auf. So fanden sich in einer Serie von 61 Billroth-I-Resektionen wegen akuter Ulkusblutung alle Komplikationen zwei- und mehrfach häufiger als bei den elektiven Billroth-I-Resektionen (Winkler 1977). Stenosierende oder penetrierende Ulzera wiesen in diesem Krankengut dagegen keinen höheren Komplikationsindex auf. 27.5.7
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27
410
27
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
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27.6
Unkompliziertes Ulcus duodeni: Pathogenese und konservative Therapie C. Prinz
Unkomplizierte Duodenalulzera sind in der Regel durch die Infektion durch mit dem gram-negativen Bakterium Helicobacter pylori bedingt. Die Infektion ist vor allem bei älteren Patienten in Deutschland noch weit verbreitet. Der Keim 6
führt zur chronischen Antrumgastritis, woraus eine erhöhte postprandiale Säuresekretion resultiert. Die Diagnose des Ulkus sowie die begleitende Infektion werden endoskopisch mit nachfolgender Untersuchung der Schleimhautproben aus Antrum und Korpus gestellt. Nichtinvasiv können die Infektion und der Therapieerfolg vor allem durch den Atemtest und einen sehr spezifischen Stuhltest gesichert werden. Ulzera werden mit der sog. Triple-Therapie behandelt, was in über 90% der Fälle einen anhaltenden Therapieerfolg sichert. Bei Versagen dieser Therapie kann auf eine sog. Reservetherapie zurückgegriffen werden.
27.6.1
Klinische Symptomatologie
Ulcera duodeni sind scharf begrenzte Schleimhautdefekte im Duodenum. Typischerweise zeigt sich ein solitärer, fibrinbelegter Schleimhautdefekt an der Vorderwand des Bulbus duodeni, der die Lamina muscularis mucosae überschreitet. Im Vergleich zum Ulkus ist bei der Erosion nur die oberflächliche Mukosa betroffen, die L. muscularis mucosae bleibt intakt, es liegt kein tiefer Defekt mit Randwall vor. Duodenalulzera verursachen in etwa 2/3 der Fälle klinische Beschwerden wie Oberbauchschmerzen, Nüchternschmerzen oder postprandiales Völlegefühl. In 1/3 der Fälle führen jedoch erst die Komplikationen den Patienten zum Arzt, z. B. der Teerstuhl durch eine Ulkusblutung. > Helicobacter-pylori-assoziierte Duodenalulzera sind typischer im Bulbus duodeni lokalisiert und oft mit einer gastralen Metaplasie im Bulbus assoziiert. Durch die dünne Wand in diesem Abschnitt sind Perforationen möglich. Multiple Ulzera im tiefen Duodenum lassen an ein Gastrinom, aber auch an Nebenwirkungen durch Medikamente wie NSAR denken.
Ulzera und Erosionen im Bulbus werden in der Regel von einer diffusen, entzündlichen Reaktion der oberflächlichen Schleimhautschichten begleitet. Dies zeigt eine Infiltration mit granulozytären, aber auch lymphozytären Zellen. In einem Großteil der Patienten beobachtet man eine gastrale Metaplasie in diesem Abschnitt. Innerhalb dieser Metaplasien lässt sich Helicobacter pylori nachweisen. Dies weist auf die Genese der unkomplizierten Duodenalulzera hin (Soll 1990). Gastritis Bei nahezu allen Patienten mit solitären Duodenalulzera, die keine NSAR oder andere schleimhautschädigende Medikamente einnehmen, zeigt sich eine oberflächliche Schleimhautentzündung im Magenantrum, wobei sich dort in den Magendrüsen spirillenförmige Bakterien nachweisen lassen. Die Schleimhaut ist mit monozytären Zellen, Granulozyten, Lymphozyten und eosino-
411 27.6 · Unkompliziertes Ulcus duodeni: Pathogenese und konservative Therapie
. Abb. 27.7 Frisches Ulcus duodeni (links) im Stadium Ib, sickernde arterielle Blutung
. Abb. 27.8 Ulcus duodeni im Stadium IIa
philen Zellen infiltriert. Die Entzündung persistiert über Jahrzehnte und greift vom Antrum auf den Korpus über. Nach Jahren der chronischen Entzündung kann die Gastritis mit Erosionen, Drüsenatrophie und intestinaler Metaplasie einhergehen (Peek u. Blaser 1997; Cover u. Blaser 1996; Blaser 1995). Die Mechanismen zur Entstehung dieser Gastritis sowie der begleitenden Ulzera werden im Folgenden beschrieben.
27.6.3
27.6.2
Endoskopische Untersuchung
Durch die endoskopische Untersuchung des Duodenums können peptische Ulzera und Erosionen eindeutig lokalisiert und klassifiziert werden. Die endoskopische Untersuchung dient nicht nur der makroskopischen Beurteilung, sondern bietet auch die Möglichkeit der Intervention bei Blutungen. Weiterhin können malignitätsverdächtige Ulzera biopsiert werden. Unkomplizierte Duodenalulzera sind meist solitär und kleiner als 2 cm; multiple Läsionen deuten eher auf systemische oder medikamentenassozierte Genese hin. Durch die starke Entzündungsreaktion können Faltenschwellungen die Ulzerationen verdecken, insbesondere im unmittelbar postpylorischen Bereich und im Bulbusknie. Eine gründliche Untersuchung mit wiederholter Spülung des Bulbus duodeni und vollständiger endoskopischer Darstellung (»Rundumblick«) ist daher wichtig. . Abb. 27.7 zeigt ein frisches Ulcus duodeni im Stadium IB.
Stadieneinteilung
Makroskopisch lassen sich bei Ulzera 3 verschiedene Stadien unterscheiden: 4 Das aktive Stadium zeigt eine Gewebeläsion mit akuter Entzündung und oft auch Blutungsstigmata (. Abb. 27.8), die nach der Forrest-Klassifikation (. Tab. 27.9) eingeteilt werden (Forrest et al. 1974). 4 Im Heilungsstadium wird das Ulkus kleiner und ist mit einem zentralen Fibrinschorf bedeckt. 4 Schließlich bildet sich eine Narbe.
. Tab. 27.9 Forrest-Klassifikation zur Beurteilung der Blutungsaktivität von Ulzera im Magen und Duodenum Stadium
Beschreibung
I
Aktive Blutung
– Ia
Spritzende arterielle Blutung
– Ib
Sickernde arterielle Blutung
II
Stattgehabte Blutung
– IIa
Keine aktive Blutung, aber sichtbarer Gefäßstumpf
– IIb
Ulkus mit Koagel bedeckt
– IIc
Ulkus mit Hämatin bedeckt
III
Ulkus ohne Blutungszeichen, fibrinbelegt
27
412
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
> Ulzerationen im Duodenum und vor allem im Magen, die trotz Therapie nicht abheilen, sind als suspekt zu betrachten. Die Malignitätsquote der Ulzera, die nach 4 Wochen nicht abheilen, liegt bei über 10%.
27
Maligne Ulzerationen im Bulbus duodeni entstehen z. B. durch Infiltration eines Pankreaskarzinoms an der Vorderwand, sind unregelmäßig begrenzt, zeigen nekrotische Areale und teils auch polypöses Wachstum am Rand. Die Diagnose wird bioptisch gestellt.
27.6.4
Pathogenese
> Intensive Forschung und klinische Studien haben nachgewiesen, dass die Mehrzahl (80–90%) der unkomplizierten Duodenalulzera mit der Infektion durch Helicobacter pylori in Zusammenhang steht. Dies trifft insbesondere bei denjenigen Patienten zu, die keine schleimhautschädigenden Substanzen wie NSAR, ASS und Kortikoide einnehmen.
Bereits um die Jahrhundertwende wurden im Magen von Ulkuskranken Bakterien nachgewiesen, die aber als Kontamination fehlgedeutet wurden. Salomon beschrieb bereits 1896 spirillenförmige Bakterien im Tiermagen, die er in Versuchsmäuse übertragen konnte und dort in den Magendrüsen wiederfand. 1983 gelangen Warren und Marshall die Keimisolierung und Kultur aus dem menschlichen Magen (Marshall u. Warren 1984). Es wurden spirillenförmige Bakterien im Magenschleim nachgewiesen, die wegen ihrer Ähnlichkeit zu anderen CampylobacterSpezies zunächst Campylobacter pylori, später Helicobacter pylori genannt wurden. H. pylori wurde nicht nur im Magenschleim identifiziert, sondern auch in den Magendrüsen und am Magenepithel. Mittlerweile ist bekannt, dass die Infektion mit H. pylori im Kinderalter von Geschwistern und den Eltern erworben wird und ohne Therapie lebenslang persistiert (Brown 2000). Durch die erfolgreiche konservative Therapie und vor allem die verbesserten Lebensbedingungen ist die Prävalenz der H.-pyloriInfektion in Deutschland sinkend und liegt zurzeit im Erwachsenenalter bei ca. 32%, im Kindesalter unter 10%. Dagegen liegt die Infektionsquote bei Patienten über 60 Jahre über 50%, was die Lebensbedingungen zum Zeitpunkt der Infektion widerspiegelt. H. pylori ist ein gram-negatives Bakterium, das durch die Produktion von Urease zum Überleben in dem aziden Milieu fähig ist. Der Keim benutzt die Harnstoffspaltung zur Herstellung von Ammoniak (NH3). NH3 verbindet sich im periplasmatischen Raum mit den Protonen zu
. Abb. 27.9 Helicobacter pylori produziert intrazellulär Urease. Harnstoff wird mittels spezieller Transporter in die Bakterien aufgenommen. Durch Spaltung des Harnstoffs entsteht NH3, das frei membrangängig ist. Die extrazellulären Protonen werden vor allem im Periplasma durch Bildung von Ammoniumionen abgepuffert, wodurch ein Säureschutzmantel für den Keim entsteht. Die Harnstoff-Aufnahme erfolgt mittels spezieller Transporter (Urease I), die bei einem pH-Wert unter 4 geöffnet werden. Bei pH 7 ist die Harnstoffaufnahme blockiert. Der pH im Inneren des Bakteriums ist neutral. (Nach Weeks et al. 2000)
NH4+, sodass der Keim die sauren Valenzen im periplasmatischen Raum und nach Autolyse extrazellulär abpuffert (Brown 2000; Mobley 1997). Urease ist daher der entscheidende Faktor für das Überleben in vivo. 15–20% des gesamten Proteingehaltes dieses Bakteriums bestehen aus Urease. Die massive Ureaseproduktion kann gleichzeitig zum selektiven Nachweis herangezogen werden, da es nur äußerst selten zur Infektion mit anderen Urease-bildenden Keimen kommen kann (. Abb. 27.9). H. pylori und Säuresekretion Die Kolonisation mit diesem
Keim in Magen und Duodenum führt zu einer Störung dieses empfindlichen Gleichgewichtes, sodass aggressive Faktoren überwiegen. Durch die H.-pylori-Infektion kommt es zu erhöhten Gastrinspiegeln und einer vermehrten postprandialen Säuresekretion (Wormsley u. Grossmann 1965; Hamlet u. Olbe 1996). Die erhöhte Gastrinoder durch Nahrung stimulierte Säuresekretion ist typisch für Patienten mit Duodenalulzerationen (Gillen et al. 1998). Die Hyperazidität führt zur Umwandlung der Schleimhaut im Bulbus (gastraler Metaplasie), was wiederum die Kolonisation des Bulbus mit diesem Keim favorisiert (Bendtsen et al. 1987; Blair et al 1986; Feldmann u. Richardson 1986; Isenberg et al. 1975). Gastritis, Ulkus, Karzinom und Lymphom nach Helicobacterpylori-Infektion Die Infektion mit dem Keim wird in der
Kindheit erworben. Offensichtlich liegt eine fäkal-orale Übertragung vor, die besonders häufig bei Kleinkindern und Eltern durch den intensiven Kontakt gegeben ist. Wichtig ist ein niedriger pH-Wert im Mundbereich, sodass der Keim zunächst im Plaque Material nachgewiesen werden kann und später den Magen kolonisiert. Meist liegt eine Mischinfektion vor, wobei sich dann in der Regel ein
413 27.6 · Unkompliziertes Ulcus duodeni: Pathogenese und konservative Therapie
Diagnostik von Helicobacter-pyloriInfektionen
bestimmter Keimtyp festsetzt und den Magen kolonisiert. Die Infektion mit den Keimen führt bei allen Patienten zu einer chronischen Gastritis. Während es bei der akuten Infektion zur Hyperazidität kommt, wird nach jahrzehntelanger Infektion eine multifokale atrophische Gastritis mit einer Hypochlorhydrie induziert (Peek u. Blaser 1997). Der Keim schädigt dann die Epithelzellen wie auch Parietalzellen durch Induktion eines programmierten Zelltodes, sodass es zur sukzessiven Schleimhautzerstörung kommt. Etwa 10–20% der Infizierten entwickeln peptische Ulzera (Soll 1990).
27.6.5
> Ein großer Teil der Infizierten entwickelt im Laufe des Lebens Ulzera im Magen und/oder im Duodenum (10–20%), ein kleiner Teil (ca. 1%) kann nach Jahrzehnten der Exposition (meist >20 Jahre) ein Magenfrühkarzinom oder ein Magenkarzinom entwickeln.
Der sog. CLO- oder HUT-Test, aber auch eine Bakterienkultur mit Resistenztestung und weitere wissenschaftliche Untersuchung sind aus einer Magenschleimhautbiopsie möglich (Caspary et al. 1996). Die Helicobacter-Infektion des Magens kann auch auf nichtinvasivem Wege diagnostiziert werden (Vaira et al. 1998). Als nichtinvasive Methoden stehen der Helicobacter-Atemtest, ein Stuhltest und auch serologische Verfahren zur Verfügung, die allesamt eine zufriedenstellende Sensitivität von >85% und eine Spezifität von 75–90% bieten (. Tab. 27.10). Allerdings liefern alle diese Verfahren keine weiteren Aussagen über Krankheiten des Magens, Infektionsausmaß oder gar Zeitpunkt der Infektion und sind zur alleinigen Diagnostik nicht ausreichend. Die endoskopische Untersuchung sollte daher bei allen Patienten mit Oberbauchbeschwerden am Anfang der Untersuchungen stehen (. Abb. 27.7). Schließlich gibt es auch einen neuen Stuhltest (Helicobacter-pylori-INFAI-Stuhltest), der pro Untersuchung etwa 10 € kostet. Dieser Test ist vor allem bei Kindern gebräuchlich; Sensitivität und Spezifität liegen über 90%.
Sehr selten ist die Entstehung von Mukosa-assoziierten B-Zell Lymphomen (MALT-Lymphomen) im Magen. Die Ursachen für die differenzielle Entwicklung sind nicht eindeutig geklärt. Allerdings weiß man, dass die Heterogenität bestimmter Stämme durch Expression von Virulenzfaktoren, die Immunantwort des Wirtes, sowie die Lebensbedingungen für die Entwicklung entscheidend sind. Offensichtlich disponiert die frühe Exposition in der Kindheit bei gleichzeitig schlechten Lebensbedingungen für die Entwicklung von Magenkarzinomen, z. B. in Kolumbien. Dagegen prädisponieren gute äußere Umstände (z. B hoher Vitamin-C-Gehalt) in diesem Infektionszeitraum zur Ulkusentstehung (Peek u. Blaser 1997; Blaser 1998; Sipponen et al. 1998; Blaser u. Crabtree 1996; Parsonnet 1998; Covacci et al. 1999). Keimtypen Bei der Helicobacter-Infektion werden verschiedene Keimtypen unterschieden, die mit besonderen Risiken assoziiert sind. Der klassische Pathogenitätsfaktor von H. pylori ist das vakuolisierende Toxin VacA (128 kDA), der eine Apoptose in epithelialen Zellen auslösen kann. Daneben ist auch die Präsenz einer sog. Pathogenitätsinsel (cagPAI) wichtig. Dieses System stellt ein Typ-IV-Sekretionssystem dar, mit dem die Keime ihre Produkte in die Zielzellen injizieren können und so zu einer Schädigung führen (Blaser u. Crabtree 1996; Censini et al. 1996). Schließlich sind auch die Adhärenz und die Kolonisationsdichte von entscheidender Bedeutung für den Krankheitsverlauf (Covacci et al. 1999). Die besondere Bedeutung dieser Virulenzfaktoren liegt darin, dass sie eine Apoptose der Epithelzellen auslösen können und dadurch direkt die Schleimhaut schädigen (Shirin u. Moss 1998). Dagegen ist die unspezifische Immunantwort auf die Infektion, z. B. durch Makrophagen, unabhängig von der Präsenz dieser Toxine.
> Der Goldstandard zum Nachweis der Infektion mit gleichzeitiger Beurteilung der Schleimhautstruktur im Magen sind nach wie vor die endoskopische Beurteilung des Magens mit gleichzeitiger Biopsieentnahme im Antrum und im Korpus (jeweils 2-mal) sowie die histologische Beurteilung der Aktivität und Chronizität der Gastritis.
27.6.6
Behandlungsindikation bei Helicobacter-pylori-positivem Ulcus duodeni
Die Bedeutung der Helicobacter-pylori-Infektion für die Entstehung peptischer Ulzera im Magen und Duodenum wurde durch klinische Studien nachgewiesen, in denen es nach einer Eradikationstherapie zu einer Verhinderung des chronisch-rezidivierenden Verlaufes der peptischen Ulzera kam (28). Nach Entfernung dieses Bakteriums kam es in einer Kontrollgruppe innerhalb eines Jahres in über 80% zu einem Ulkusrezidiv, während die erfolgreich behandelten in mehr als 95% der Fälle von der Ulkuskrankheit befreit wurden. Dies hat die medikamentöse und auch die chirurgische Therapie des Ulkusleidens revolutioniert. Mittlerweile gibt es klare Indikationsstellungen der DGVS (Deutschen Gslelschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten; Caspary et al. 1996) und der EHPSG (Gesellschaft zum Studium von Helicobacter pylori; Watanabe
27
414
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
. Tab. 27.10 Nichtinvasive Diagnostik von H.-pylori-Infektionen 13C-
27
oder 14C-Atemtest
Stuhltest (Vaira et al. 1991, 1998)
Serologische Testverfahren (ELISA; Herbrink u. van Doorn 2000)
Beschreibung
Infrarotanalyse (13C) oder Massenspektrometrie (14C)
Nachweis von H.-pylori-Antigenen in Stuhlprobe
Nachweis von Antikörper gegen Urease A/B, CagA, VacA, Hsp60; Antigengemisch, da große Variabilität
Sensititivität/ Spezifität
Etwa 95%/98%
95%
70–80%/75–87%
Indikation
Erfolgsbeurteilung einer Eradikation
Screening; Erfolg der Eradikation, Testung von Kindern
Screening von Datenbanken und Populationen
Kosten
Etwa 15–25 € pro Test
Etwa 10 €
Problem
Gleichzeitige Einnahme von PPI
Gleichzeitige Einnahme von PPI, mindestens 5 Tage vorher absetzen
et al. 1998; Tytgat u. Malfertheiner 2000; McNamara u. O’Morain 2000) bei Vorliegen einer Ulkuskrankheit und einer H.-pylori-Infektion, die in der 7 Übersicht zusammengefasst sind. Bei Nachweis einer H.-pylori-Infektion und Ulzera im Magen oder Duodenum wird grundsätzlich eine sog. Triple-Therapie durchgeführt. Weitere Indikationen sind der Riesenfaltenmagen, MALT-Lymphome im frühen Stadien, die die Lamina muscularis mucosae nicht penetriert haben, sowie Patienten mit Vorgeschichte von Ulzera oder Magenkarzinom in der Familiengeschichte (Graham 2000). Die H.-pylori-Infektion wird im Rahmen der endoskopischen Untersuchung durch den CLO-Test oder durch die nachfolgende Histologie bestimmt.
Indikationen zur Eradikation von H. pylori 4 DGVS – Ulcus ventriculi und duodeni, auch bei Ulkusnarben – Blutende Ulzera – NSAR-induzierte Ulzera, H.-pylori-positiv – Riesenfaltenmagen (M. Ménétrier) – MALT-Lymphom 1E1 4 EHPSG – Ulcera duodeni et ventriculi – Magenkarzinom in der Familiengeschichte – Schwere histologische Veränderungen in der Mukosa – Riesenfaltenmagen – MALT-Lymphom 1E1 – Idiopathische Thrombozytopenische Purpura (ITP) – Chronische Eisenmangelanämie, nicht anderweitig erklärbar (optional)
Nicht anwendbar zur Kontrolle einer H.-pylori-Eradikation
Klinisch relevante Empfehlungen vor Eradikation der H.-pylori-Infektion 4 Mindestintervalle für Testung: 2 Wochen nach PPI-Gabe, 4 Wochen nach Eradikation 4 Zuverlässige Diagnose durch zwei unabhängige Testverfahren (z. B. Schnelltest, Histologie, Atemtest oder Stuhltest), bei Ulkusnachweis reicht ein Verfahren 4 Vorgeschaltete (kurzfristige) PPI-Therapie gefährdet den Therapieerfolg nicht 4 Bei blutendem Ulkus sollte die Eradikationstherapie nach Aufnahme der Oralisierung durchgeführt werden 4 Indikation für Kinder und Jugendliche: Ulkus, Lymphom, auch: erosive Gastritis, CA/Verwandte, chronische Eisenmangelanämie
H.-pylori-Eradikation bei NSAR-Anwendern 4 NSAR-naive, ASS-naive Patienten: – möglich, H.-pylori-Testung und -Eradikation vor Beginn aber nicht generell empfohlen 4 Patienten, die seit langem NSAR/ASS erhalten: – Bei guter Verträglichkeit der NSAR/ASS: keine Eradikationsempfehlung – Blutung unter NSAR: PPI-Gabe; Testung auf H. pylori und ggf. Eradikation 4 PPI-Prophylaxe bei NSAR-Anwendern: – Alter >60 Jahre, Blutungs- oder Ulkusanamnese – Gleichzeitige Antikoagulation mit ASS, Kortikoidmedikation 4 PPI-Gabe bei Komedikation von ASS und Plavix
415 27.6 · Unkompliziertes Ulcus duodeni: Pathogenese und konservative Therapie
Richtlinien zur Nachuntersuchung nach Eradikationstherapie Bei unkomplizierten Duodenalulzera kann der Eradi-
kationserfolg nach 4 Wochen entweder endoskopisch oder durch den H.-pylori-Atemtest bestätigt werden. Ulcera ventriculi müssen endoskopisch im Zeitraum von 4–6 Wochen bis zur Abheilung beobachtet und ausführlich biopsiert werden.
27.6.7
Eradikationsschemata der H.-pylori Infektion bei Ulcus ventriculi et duodeni
Nach Empfehlung der DGVS sollten H.-pylori-positive Ulcera ventriculi oder duodeni nach folgendem Schema behandelt werden (Caspary et al. 1996). In erster Linie werden heute die kombinierte Gabe eines Protonenpumpenhemmers (PPI) wie Omeprazol, Pantoprazol, Lansoprazol oder Esomeprazol empfohlen, die in einer Standarddosis von 2×20–40 mg über 7 Tage eingesetzt werden. Diese werden mit Antibiotika kombiniert. Amoxicillin oder Clarithromycin werden im Magensaft angereichert und wirken lokal bakterizid. Metronidazol zeigt durch die Protonierung im Magensaft eine starke Aktivitätssteigerung. Als Alternativen stehen bei einer Reservetherape Wismutsalze, Tetrazykline, aber auch Rifabutin zur Wahl, die dann über 10– 14 Tage eingesetzt werden sollten. Rifabutin ist ein neues Präparat, das sich in aktuellen Studien als besonders effektiv erwiesen hat (Canducci et al. 2001; Perri et al. 2001). In den Reserveschemata sollte die PPI-Dosis auf 2×40 mg verdoppelt werden (. Tab. 27.11 und . Tab. 27.12). Wesentliche Nebenwirkungen der Eradikationstherapie sind Diarrhö, die manchmal auch Ausdruck einer pseudomembranösen Kolitis mit C. difficile sein können. Dies zwingt zum Absetzen der Medikamente und zur Entfernung der verantwortlichen Keime im Darm. Durch die Antibiotikawahl besteht weiterhin die Gefahr einer Keimselektion, evtl. Metronidazol- oder Clarithromycin-resistenter H.-pylori-Stämme. Es können gelegentlich vermehrt Drüsenkörperzysten entstehen, die jedoch ohne weitere Bedeutung sind. Insgesamt verpflichten die Nebenwirkungen zu einem strikten Einsatz der Eradikationstherapie nach den o. g. Kriterien.
. Tab. 27.11 Therapie des H.-pylori-positiven Ulcus ventriculi oder duodeni Medikament
Dosierung/Tag
»Französische Triple-Therapie« (7 Tage Therapie, erste Wahl) PPI (z. B. Omeprazol, Pantozol)
2×20 mg/40 mg
Amoxicillin
2×1 g
Clarithromycin (z. B. Klacid)
2×500 mg
»Italienische Triple-Therapie« (7 Tage Therapie, Cave Metronidazol-Resistenz) PPI (z. B. Omeprazol, Pantozol)
2×20 mg/40 mg
Clarithromycin (z. B. Klacid)
2×500 mg
Metronidazol (z. B. Clont)
2×400 mg
. Tab. 27.12 Second-line-Therapie nach Versagen der TripleTherapie Medikament
Dosierung/Tag
Dauer
Vorher »italienische Triple-Therapie« PPI
2x
10 Tage
Amoxicillin
2x1000 mg
10 Tage
Levofloxacin
1x500 mg
10 Tage
PPI
2x
10 Tage
Amoxicillin
2x1000 mg
10 Tage
Rifabutin
2x150 mg
10 Tage
oder
Vorher »französische Triple-Therapie« PPI
2x
10 Tage
Amoxicillin
2x1000 mg
10 Tage
Levofloxacin
1x500 mg
10 Tage
PPI
2x
10 Tage
Amoxicillin
2x1000 mg
10 Tage
Rifabutin
2x150 mg
10 Tage
PPI
2x
10 Tage
Amoxicillin
3x1000 mg
10 Tage
Metronidazol
3x500 mg
10 Tage
oder
oder
27.6.8
Therapie des H.-pylori-negativen Ulcus duodeni
In etwa 10% der Fälle findet sich ein H.-pylori-negatives Duodenalulkus. Meist sind die Ulzerationen auf Nebenwirkungen von schleimhautschädigenden Substanzen zurückzuführen. Neben den histologischen Untersuchungen sollte in diesen Fällen unbedingt der Atemtest verwendet
Bei Amoxillin-Allergie: durch Rifabutin ersetzen!
27
416
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
werden, da dieser Test wesentlicher sensitiver ist. Bei Fehlen einer H.-pylori-Infektion wird generell eine antisekretorische Therapie empfohlen. Zur Verfügung stehen: 4 PPI
5 Omeprazol (Antra), 40 mg/Tag oral 5 Pantoprazol (Pantozol), 40 mg/Tag oral
4 H2-RA
5 Ranitidin 150–300 mg/Tag (Zantic) 5 Famotidin 2×20 mg/Tag (Pepdul)
4 Schleimhautprotektiva und Antazida
27
5 Sucralfat 4×1 g per Magensonde, (z.B. Ulcogant) 5 Antazida 4–6 Btl. per Magensonde, (z. B. Magnesium- und Aluminiunhydroxid, Maalox, Ulcogant, Rennie etc.)
Die genannten Substanzen werden in der Regel über 4–6 Wochen appliziert, dann erfolgt eine erneute endoskopische Kontrolle und ggf. das Absetzen der Medikation.
27.6.9
Literatur
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417 27.7 · Unkompliziertes Ulcus duodeni: Operationsindikation und operative Therapie
27.7
Unkompliziertes Ulcus duodeni: Operationsindikation und operative Therapie A.H. Hölscher, E. Bollschweiler
Patienten mit Ulcus duodeni sind in 90–95% der Fälle mit Helicobacter pylori infiziert, sodass die Eradikationstherapie häufiger als beim Ulcus ventriculi erfolgreich eingesetzt werden kann. Das Ulcus duodeni ist in der Regel benigne, weshalb eine chirurgische Indikationsstellung zur Exzision primär fehlt. Die elektiven Vagotomieverfahren, die in den 1970er- und 1980er-Jahren eine Blütezeit erlebt haben, werden heute mit der Möglichkeit der H.-pylori-Eradikationstherapie praktisch nicht mehr gebraucht. Obwohl hier der Stellenwert der elektiven Chirurgie heute sehr gering ist, sollten die operativen Möglichkeiten für den Fall des Versagens der konservativen Therapie in das Behandlungskonzept mit einbezogen werden.
27.7.1
Präoperative Maßnahmen und Diagnostik (7 Abschn. 27.1 und 7 Abschn. 27.6)
Die obligate Endoskopie lokalisiert und beurteilt das Ulkus und eine eventuelle begleitende Magenausgangsstenose. Ulcus-duodeni-Patienten, bei denen eine Operation erwogen wird, sind vorselektioniert, weshalb präoperativ Serumgastrinbestimmung bzw. Sekretintest zum Ausschluss oder Beweis eines Zollinger-Ellison-Syndroms vorgenommen werden sollte. Voraussetzungen für die postoperative Erfolgskontrolle nach Vagotomie sind die Magensekretionsanalyse und die intragastrale pH-Metrie. Damit kann der säurereduzierende Effekt postoperativ erfasst werden (Hölscher et al. 1991). > Die Ulkusanamnese mit Dauer, Anzahl der Rezidive, Ulkuskomplikationen, medikamentöse Behandlung und Voroperationen ist für die Therapieentscheidung des Chirurgen Ausschlag gebend.
27.7.2
Therapieziele und Indikationsstellung
Therapieziel ist die gastrale Säurereduktion mit Ausheilung der Ulcus-duodeni-Krankheit und Vermeidung postoperativer Folgezustände. Dieses Ziel soll in erster Linie unter Erhaltung des Magens erreicht werden. Die Indikation zur elektiven operativen Therapie eines Ulcus duodeni wird nur beim Versagen einer adäquaten konservativen Therapie (H.-pylori-Eradikation und Säurehemmung) gestellt (Johnson 2000; Paimela et al. 2004). Die entsprechen-
de Patientengruppe umfasst H.-pylori-positive Patienten mit mehreren frustranen Eradikationsversuchen, H.-pylorinegative Patienten ohne Einnahme nichtsteroidaler Antirheumatika und Patienten mit mangelnder Compliance oder Fälle, bei denen die Möglichkeit einer konservativen Therapie nicht existiert (Jamieson 2000). Abgelaufene Ulkuskomplikationen und der Leidensdruck des Patienten sollten in die Entscheidung mit einfließen.
27.7.3
Anatomie der vagalen Innervation am Magen
Rechter und linker Nervus vagus teilen sich unterhalb der Hauptbronchien in mehrere Äste auf und bilden den vorderen und hinteren Plexus vagalis. Beide Trunci vagales entspringen aus diesen Plexus, wobei der vordere vorwiegend Äste des linken, der hintere Äste des rechten Vagus enthält. Am Magen selbst finden sich demnach Fasern aus Anteilen des rechten und linken Nervus vagus sowohl im vorderen als auch im hinteren Vagusstamm. Normalerweise liegt der anteriore Ast vorne links, der posteriore hinten rechts dem Ösophagus auf. Die hepatischen Äste entstammen dem vorderen Trunkus; sie gehen oberhalb oder auf Höhe der Kardia ab und können zusammen mit einem aufgeteilten vorderen Trunkus multipel sein oder aber als gastrohepatischer Nerv am kaudalen Rand des Ligamentum gastrohepaticum verlaufen (. Abb. 27.10). Als erste gastrale Äste gibt der anteriore Trunkus Fasern nach links vorne zu den untersten Anteilen der Speiseröhre, der Kardia und der Vorderfläche des Fundus und des Corpus ventriculi ab (. Abb. 27.10). Nach Abgabe dieser ösophagokardiofundalen Äste verläuft der vordere Trunkus (Latarjet-Ast) entlang der kleinen Kurvatur auf der Ventralseite und ca. 1–2 cm von ihr entfernt. Nach links hin gibt er Äste an die Vorderwand des Corpus ventriculi ab und endet am Antrum ca. 7 cm präpylorisch in 2–3 Ästen in Form eines Krähenfußes. Der dorsale Vagushauptstamm zeigt in der Regel gastrale Äste, die ca. 4 cm oberhalb seiner Mündung in den Plexus coeliacus entspringen. Die Variabilität ist groß und es kann ein sog. Ramus criminalis vorhanden sein, der sehr viel höher vom dorsalen Trunkus abzweigt und am His-Winkel entlang die Hinterseite des Fundus innerviert. Der tiefste gastrale Ast bildet den dorsalen Hauptast der kleinen Kurvatur, symmetrisch zum vorderen, aber weniger stark ausgebildet.
27.7.4
Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl
Die Unterbrechung der präganglionären efferenten parasympathischen Fasern, die mit den Nervi vagi den Magen
27
418
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
Trunkuläre Vagotomie Die Durchtrennung der Vagusstämme führt zu einer nahezu vollständigen vagalen Denervation des Magen-DarmTraktes bis hin zur linken Kolonflexur und der Leber, der Gallenblase und der Gallenwege (Dragstedt 1945). Die erhebliche Störung der Magenmotorik macht immer eine Drainageoperation notwendig. Wegen der hohen Nebenwirkungsrate ist die trunkuläre Vagotomie heute obsolet.
Selektiv gastrische Vagotomie
27
Die selektiv gastrische Vagotomie (SGV) umfasst die Durchtrennung aller zum Magen führenden Äste der Nervi vagi unter Schonung der Rami hepatopylorici und des Ramus coeliacus (. Abb. 27.10). Die vollständige SGV ergibt eine Reduktion der basalen und stimulierten Säuresekretion von 60–80%. Auch bei dieser Form der Vagotomie wird die Magenentleerung erheblich beeinträchtigt, weshalb ein Drainageverfahren angezeigt ist.
Proximal gastrische Vagotomie . Abb. 27.10 Chirurgische Anatomie des N. vagus. 1 vorderer Stamm; 2 hinterer Stamm; 3 Endigung des Latarjet-Astes; 4 rekurrente Zweige; 5 zöliakaler Ast; 6 Nn. hepatopylorici; 7 Latarjet-Nerven; 8 N. gastroepiploicus rechts; 9 hinterer gastraler Ast; 10 N. pyloroduodenalis
erreichen, hat eine Verminderung basaler und stimulierter Säure- und Pepsinogensekretion zur Folge. Dabei ist die Sekretion verschiedener Schleimhautabschnitte topographisch einzelnen Nervenästen zuzuordnen. Die Vagotomie beeinflusst aber auch die Magenmotorik durch den Verlust der rezeptiven Relaxation des Magenfundus und – je nach Ausdehnung der Vagotomie – auch die Antrummotilität. Folgen sind verlangsamte Entleerung fester und beschleunigte Entleerung flüssiger Nahrung. Die Schleimhautdurchblutung wird zunächst um 50–80% herabgesetzt. Die Helicobacter-pylori-Besiedelung wird durch die Vagotomie nicht beeinflusst (Hölscher et al. 1990). Vagus und Gastrin sind bei der Säurestimulation synergistisch. In diesen Mechanismus greift die Vagotomie durch Denervierung der Belegzelle ein. Das durch Vagotomie erreichte Azetylcholindefizit reduziert die Sekretion an der Belegzelle wesentlich (Olbe et al. 1986). Die durch Antrektomie erreichbare Säurereduktion (Ausschaltung der hormonellen Phase) lässt sich durch zusätzliche Vagotomie steigern. Die nach proximal-gastrischer Vagotomie erhaltene Antruminnervation hat keinen Einfluss auf die basale Säuresekretion, da nach proximal-gastrischer wie nach selektiv-gastrischer Vagotomie die Basalsekretion im gleichen Umfang reduziert wird.
Die selektive Unterbrechung der zu den säureproduzierenden Magenanteilen führenden Vagusfasern unter Erhaltung des vorderen und hinteren Ramus antralis (Nervus Latarjet) geht auf die experimentellen Untersuchungen von Griffiths u. Harkins (1957) und die klinische Pionierarbeit von Holle u. Hart (1967) zurück. Da in dieser Technik der proximale Teil des Magens denerviert wird, scheint der Begriff der proximal- gastrischen Vagotomie (PGV) der geeignetste. Besonderer Vorteil dieser Methode ist, dass bei einer Reduktion der Säureresekretion von 50–80% nur eine geringe Störung der Magenmotorik mit einem nahezu normalen Entleerungsverhalten resultiert. Eine Drainageoperation ist bei erhaltener Antruminnervation nicht notwendig, außer bei klinisch relevanter Magenausgangsstenose (7 Abschn. 27.10).
Minimalinvasive Vagotomieverfahren Hier wurde zunächst versucht, sich an den bewährten Techniken aus der offenen Chirurgie zu orientieren. Die PGV in der von Holle angegebenen Technik ist zwar laparoskopisch durchführbar, aber mit einem großen Zeitaufwand verbunden. Daher wandten viele laparoskopisch tätige Arbeitsgruppen modifizierte Techniken an, die teilweise in der Entwicklungsgeschichte der Vagotomie verworfen wurden oder hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit in der offenen Chirurgie nur bei einer kleinen Patientenanzahl angewandt und überprüft worden sind. Die hintere trunkuläre Vagotomie, kombiniert mit einer vorderen Seromyotomie, geht auf Taylor zurück (Taylor et al. 1990). Eine Modifikation der laparoskopischen Taylor-Operation beinhaltet statt der vorderen Seromyotomie die anteriore lineare Magenwandexzision mit dem Endo-GIA-Klammernahtgerät (Gomez-Ferrer et al.
419 27.7 · Unkompliziertes Ulcus duodeni: Operationsindikation und operative Therapie
a
b
. Abb. 27.11a,b Extramuköse Pyloromyotomie. a Fassen der Muskulatur ohne Eröffnung der Mukosa; b Verschluss des Defektes
1999). Ähnlich zu bewerten ist auch die laparoskopische hintere trunkuläre Vagotomie und vordere proximal-gastrische Vagotomie (Croce et al. 1999; Walia u. Abd el-Karim 1994). Von anderen Gruppen wurde die laparoskopische proximal-gastrische Vagotomie propagiert, die im Vergleich zu den genannten Verfahren eine deutlich längere Operationszeit erfordert (Cadière et al. 1999; Katkouda et al. 1998).
Drainageverfahren Grundsätzlich ist zwischen erweiternden und den Magenausgang umgehenden Verfahren zu unterscheiden. Pyloroplastik Die Pyloroplastik erweitert den Magenaus-
gang und führt zum Verlust der Pylorusfunktion (Antirefluxbarriere). Bei der Magenentleerung spielt der Pylorus allerdings eine untergeordnete Rolle. Entscheidend für die Entleerung fester Substanzen ist das terminale Antrum, das durch die meisten Pyloroplastiken auch in Mitleidenschaft gezogen wird. Die Pyloroplastik verhindert die postprandiale Propulsion-Retropulsion mit Durchmischung und Zerkleinerung fester Nahrung. Gleichzeitig wird durch die mechanische Erweiterung den Kräften der Magenentleerung kein nennenswerter Widerstand mehr entgegengesetzt, was das Dumpingsyndrom und den duodenogastralen Reflux begünstigt. Die klassische Pyloroplastik nach Heineke-Mikulicz stellt eine Längsinzision und Quervernähung dar. Fehlen morphologische Veränderungen der Pylorusregion, so kann die extramuköse Pyloromyektomie zur Anwendung kommen (. Abb. 27.11). Die Anastomosierungspyloroplastik nach Finney ist die Methode der Wahl bei schweren morphologischen Veränderungen von Pylorus und des Bulbus duodeni. Sie führt
zu einer weiten Passage vom Antrum ins Duodenum und wird – beim Vorderwandulkus – mit Vorteil unter Exzision des Geschwürs durchgeführt. Duodenoplastik Eine deutlich postpylorisch liegende Magenausgangsstenose wird pyloruserhaltend durch eine duodenale Erweiterungsplastik mit Längsinzision und Quervernähung behoben (Muller u. Martinoli 1985). Gastrojejunostomie Scheint eine Stenosierung reversibel (z. B. entzündlich) zu sein, so sollte eine Gastroenterostomie angelegt werden. Dadurch bleibt die Pylorusfunktion nach eventueller Rückbildung der Stenose intakt. Die Gastrojejunostomie sollte am tiefsten Punkt der Magenhinterwand isoperistaltisch mit Braun-Fußpunktanastomose angelegt werden. Funktionell werden hier die gleichen Ergebnisse wie mit der Pyloroplastik erreicht (7 Band 1: Onkologische Chirurgie).
Kombinierte Verfahren und Resektionsverfahren Die Kombination von SGV mit einer Antrektomie schaltet nicht nur die vagale Säurestimulation, sondern auch den humoralen Faktor des antralen Gastrins weitgehend aus. Die Wiederherstellung der Intestinalpassage erfolgt durch Gastroduodenostomie. Mit diesem kombinierten Verfahren kann eine fast vollständige Säurereduktion und damit die geringste Rezidivrate erreicht werden. Für die Behandlung der Ulcus-duodeni-Krankheit steht grundsätzlich auch die distale Magenresektion (Billroth II) zur Verfügung. Eine aktuell publizierte prospektiv randomisierte Studie stellt die Langzeitergebnisse der Magenresektion plus Vagotomie wegen Ulcus duodeni mit dem Vergleich Bill-
27
420
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
. Tab. 27.13 Vergleich von Billroth II versus Roux-Y-Anastomose nach 2/3-Magenresektion plus Vagotomie bei Patienten mit Ulcus duodeni – Kurz- und Langzeitergebnisse (Follow-up 12–21 Jahre) einer prospektiv randomisierten Studie (Csendes 2009) Billroth II (n=39)
Roux-Y (n=36)
Signifikanz
0%
2,7%
n.s.
10,3% 2,6% 0% 2,6% 5,1%
2,7% 8,4% 0% 0% 2,8%
n.s. n.s. n.s. n.s. n.s.
Kurzzeitergebnisse
27
Mortalität Morbidität – Gesamt – Nachblutung (Reoperation) – Anastomoseninsuffizienz – Anastomosenstriktur – Postoperative Magenatonie
. Abb. 27.12 Situs nach vollständiger PGV. Ösophagus, Vagusstämme und der Nervus Latarjet sind angeschlungen. Abdomineller Ösophagus und die kleine Kurvatur sind bis zum Krähenfuß denerviert
Langzeitergebnisse Normaler endoskopischer Befund
51,5%
90,3%
<0,0009
Ösophagitis
12,1%
3,2%
n.s.
Barrett-Ösophagus (short segment)
24,2%
3,2%
<0,0001
roth II versus Roux-Y-Anastomose vor (Csendes 2009). Dabei zeigten sich keine Unterschiede in der postoperativen Morbidität oder Mortalität (. Tab. 27.13). Bei den Langzeitergebnissen fanden sich Vorteile für die Roux-Y-Gruppe: 4 Weniger postoperative Symptome 4 Bessere Lebensqualität 4 Weniger endoskopische Auffälligkeiten Aufgrund dieser Studie wäre die Roux-Y der Billroth-IIRekonstruktion nach Magenresektion wegen Ulcus duodeni vorzuziehen. Weitere prospektive Studien liegen dazu nicht vor. In einer retrospektiven Untersuchung konnte für Patienten nach Roux-Y-Rekonstruktion ebenfalls eine geringere Rate an Refluxösophagitis und eine daraus resultierend bessere Lebensqualität im Vergleich zur Billroth-IIRekonstruktion gezeigt werden (Namikawa 2010).
27.7.5
Operationstechnik
Proximal gastrische Vagotomie Die PGV beginnt mit der Präparation des distalen Ösophagus, der mit einer dicken Magensonde geschient sein sollte. Der Ösophagus, der hintere und der vordere Vagusstamm
kranial der hepatopylorischen Äste werden angeschlungen. Der Punkt, an dem die Skelettierung des Magens im Bereich der kleinen Kurvatur beginnt, wird so gewählt, dass der distale Ast des Latarjet-Nervs im Bereich des Krähenfußes sicher geschont wird, während die beiden proximalen Äste durchtrennt werden (. Abb. 27.12). Grundsätzlich empfiehlt es sich, kleinkurvaturseits unter Erhaltung des distalen Krähenfußastes ca. 6 cm an den Pylorus heran zu skelettieren, da die Vollständigkeit der PGV dadurch nachweislich verbessert wird (Muller u. Martinoli 1985). Das kleine Netz wird magenwandnah in kleinen Schritten und in 2 Schichten von aboral nach oral hin skelettiert. Die Präparation wird vor der Kardia schräg bis zum His-Winkel geführt, wodurch die Muskulatur der Ösophaguswand auf einer Strecke von ca. 6 cm zirkulär freigelegt wird. Es müssen alle Fasern, die im Bereich zwischen His-Winkel und Milz vom Ösophagus zum Fundus ziehen, durchtrennt werden, um auch den sog. Ramus criminalis mit zu erfassen (. Abb. 27.12). Die häufigste Ursache einer unvollständigen Vagotomie ist fast immer die ungenügende Präparation im Ösophagus bzw. Kardiabereich. Der letzte Schritt der PGV ist eine Reserosierung der kleinen Kurvatur. Damit kann ein gewisser Schutz vor der seltenen ischämischen Nekrose der kleinen Kurvatur und eine Hinderniswirkung gegen eine Reinnervation erwartet werden. Im Kardiabereich ist darauf zu achten, dass bei der Reserosierung keine stenosierende Fundoplikation herbeigeführt wird. Die laparoskopische PGV wird in umgekehrter Trendelenburg-Lagerung durchgeführt, wobei der Chirurg zwischen den Beinen des Patienten steht. In der Regel werden
421 27.7 · Unkompliziertes Ulcus duodeni: Operationsindikation und operative Therapie
Selektiv gastrische Vagotomie und Antrektomie
5 Trokare verwendet, wobei außer dem Optiktrokar 2 weitere dazu dienen, jeweils mit einem Haken die Leber anzuheben bzw. mit einer Babcock-Klemme den Magen nach links zu ziehen. Danach wird, wie beim offenen Verfahren, die Dissektion der kleinen Kurvatur unter Belassung des distalen Krähenfußastes magenwandnah entweder mit Elektrokoagulation oder mit dem Ultraschallmesser durchgeführt (Katkouda et al. 1998). Das Hauptproblem beim laparoskopischen Vorgehen stellen Blutungen dar, die die Sicht verschlechtern oder das Erkennen des Nervenverlaufs erschweren. Dies ist insbesondere der Fall bei der Präparation des Truncus anterior im Kardiabereich und an der kleinen Kurvatur (Cadière et al. 1999). Bei der laparoskopischen posterioren trunkulären Vagotomie und anterioren Seromyotomie nach Taylor wird der hintere Vagusstamm durchtrennt. Danach wird mit dem elektrischen Häkchen eine Seromyotomie in 1,5 cm Abstand von der kleinen Kurvatur, beginnend am gastroösophagealen Übergang, bis 7 cm vom Pylorus zur Höhe der Trifurkation des Krähenfußes vorgenommen. Serosa und darunter liegende schräge Muskulatur werden komplett und die zirkuläre Muskelschicht oberflächlich durchtrennt. Die Blutstillung ist exakt durchzuführen und es muss sichergestellt werden, dass die Magenmukosa nach der Seromyotomie intakt ist (Luft- oder Methylenblaufüllung). Zuletzt wird die Seromyotomie mit einer fortlaufenden Naht wieder verschlossen (Taylor 1990; Mouiel u. Kathouda 1999; Gomez-Ferrer et.al. 1999).
Nach Freipräparieren des Ösophagus werden beide Vagusstämme dargestellt und angezügelt. Der hintere Zügel wird unter den hepatopylorischen Ästen durch ein Loch in der Pars flaccida des Omentum minus nach rechts geführt. Von dieser Öffnung aus wird unterhalb der Leberäste und unter deren Schonung alles Gewebe mit dem vorderen Latarjet-Nerv und dem deszendierenden Ast der Arteria gastrica sinistra bis zur Magenwand an der Kardia durchtrennt (. Abb. 27.13). An der Kardia wird die Präparation vorn schräg bis zum His-Winkel fortgesetzt, sodass die Muskulatur an der Vorderwand frei liegt. Die Kardiahinterseite wird minorseitig an der zweiten Schicht beginnend und unter Durchtrennung des vom hinteren Vagusstamm abgehenden Nervus Latarjet und der hinteren Fundusäste bis zu den Vasa gastrica brevia freipräpariert. Der Ösophagus wird auf ca. 6 cm Länge kranial der Kardia denudiert, wobei alle auf dem Muskel verlaufenden und von den Vagusstämmen abgehenden Nervenäste durchtrennt werden sollten. Wird das kombinierte Verfahren mit einer Antrektomie gewählt, so entspricht es einer Resektion nach Billroth I von etwa 40–50% des Magens (. Abb. 27.13). Dabei wird die proximale Resektionslinie leicht gewinkelt angelegt, um der an der kleinen Kurvaturseite höher reichenden Antrumgrenze Rechnung zu tragen. Die Technik der Resektion und der Rekonstruktion entspricht dem in 7 Abschn. 27.5 geschilderten Vorgehen.
a
b
. Abb. 27.13a,b SGV und Antrektomie. a Ausmaß der Antrumresektion. Selektive Durchtrennung aller distal der hepatopylorischen Nerven zum Magen einstrahlenden Vagusäste sowie zirkuläre Denu-
dierung des abdominellen Ösophagus. b Situs nach gastroduodenaler Oralis-partialis-Anastomose
27
422
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
. Tab. 27.14 Vergleich von verschiedenen Verfahren der Vagotomie beim chronischen Ulcus duodeni (prospektive randomisierte Studien nach 1990) Autor
Hildebrandt u. Herrmann 1992 Emås et al. 1993
27
Walia u. Abd el-Karim 1994 Jordan u. Thornby 1994
Verfahren
Patienten (n)
Nachbeobachtung (1 Jahr) 10
SGV
38
SGV+P
38
SGV
40
SGV+P
39
PGV
50
ALCS+hTV
50
PGV
100
SGV+A
100
6
1
15
Rezidiv (%)
Dumping (%)
Diarrhö (%)
Visick I/II (%)
12,5
2,6
2,6
81
16,7
0
5,3
84
20
–
–
55
15
–
–
70
14
8
10
76
12
6
14
76
16,5
2
Gleich
86
2,1
8
85
PGV Proximal gastrische Vagotomie, ALCS »anterior lesser curve seromyotomy«, SGV Selektiv gastrische Vagotomie, A Antrektomie, P Pyloroplastik
27.7.6
Postoperative Behandlung
Eine intraoperative gelegte Magensonde sollte am ersten postoperativen Tag entfernt werden. Danach kann ein schrittweiser Kostaufbau zunächst mit Trinken erfolgen. Bei Magenretention durch Pylorusspasmus muss eine erneute Dekompression durch Magensonde vorgenommen werden.
27.14). Die Visick-Verteilung war gleich bei signifikant höherer Dumpingsymptomatik nach dem kombinierten Verfahren. Dieses Vorgehen kann zwar nicht als Routineverfahren beim chronischen Ulcus duodeni empfohlen werden, wenn aber ein Rezidivulkus sicher vermieden werden muss, sollte das Verfahren erwogen werden. Antrektomie plus SGV sind günstig bei pylorischen oder präpylorischen Ulzera.
27.7.8 27.7.7
Ergebnisse
Zum Vergleich von Resektion und Vagotomie, insbesondere PGV, liegen keine aussagekräftigen randomisierten Studien vor (. Tab. 27.14). Die Rezidivraten nach Billroth-IIResektion sind deutlich geringer als nach Vagotomie, jedoch mit einer wesentlich höheren Rate an Folgeerkrankungen behaftet. Die postoperative Letalität ist bei der Beurteilung der Therapieverfahren einer benignen Erkrankung das härteste Kriterium, sodass dadurch die nichtresezierenden Vagotomieverfahren mit der niedrigsten Mortalität beim Ulcus duodeni zu favorisieren sind. Das Problem der PGV liegt in der relativ hohen Rezidivulkusrate von bis zu 30% im Langzeitverlauf (Emås 1993; Donahue 2000; Johnson 2000). Ein Rezidivulkus nach Vagotomie ist jedoch einer konservativen Behandlung oder einer erneuten Operation sehr viel besser zugänglich als ein Ulcus pepticum jejuni nach Magenresektion. Das wichtigste Alternativverfahren zur PGV ist die Antrumresektion in Kombination mit einer SGV. Die kumulative Rezidivrate nach 15 Jahren war in der Untersuchung von Jordan bei der PGV signifikant höher als nach Antrektomie plus SGV (Jordan u. Thornby 1994; . Tab.
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423 27.8 · Chirurgische Therapie der gastroduodenalen Blutung
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27.8
Chirurgische Therapie der gastroduodenalen Blutung J. Faß, K. Homayounfar
Die obere gastrointestinale Blutung stellt nach wie vor eine klinische und ökonomische Herausforderung dar. Zunehmende Komorbidität, Notfallendoskopie und Einnahme von nichtsteroidalen Antirheumatika und Antikoagulanzien führen zu vermehrten Blutungen und einer signifikanten Erhöhung des Blutungsrisikos.
27.8.1
Epidemiologie
Die obere gastrointestinale Blutung hat in den westlichen Industrienationen eine Prävalenz von ca. 48–160 Fällen/ 100.000 Einwohner (Barkun et al. 2010) und belastet allein in den Vereinigten Staaten das Gesundheitssystem mit etwa 750 Mio. US-Dollar/Jahr (Blatchford et al. 1997; Jiranek u. Kozarek 1996). Trotz der allgemein rückläufigen Ulkusinzidenz sind peptische Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüre noch immer für 50–70% der nichtvarikösen oberen gastrointestinalen Blutungen verantwortlich. Dabei kommt das Ulcus duodeni etwas häufiger vor als das Ulcus ventriculi (Barkun et a. 2001; Marshall et al. 1999). Andere Ursachen sind gastroduodenale und ösophageale Erosionen, Ösophagitis, Mallory-Weiss-Syndrom, Ulcus Dieulafoy, Angiodysplasien und andere Gefäßmalformationen, Malignome und seltene Entitäten wie Hämobilie, aortoduodenale Fisteln, Ulcus pepticum jejuni nach Magenresektionen u. a. (. Tab. 27.15; Blatchford et al. 1997; British Society of Gastroenterology Endoscopy Committee 2002; Longstreth 1995; Peura et al. 1997; Rockall et al. 1996; Vreeburg et al. 1997). Obwohl das vertiefte Verständnis der Ulkusgenese, die verbesserten Möglichkeiten der medikamentösen Therapie und die flächendeckende Einführung der diagnostischen und interventionellen Endoskopie zu erheblichen Verbesserungen in der Behandlung der peptischen Ulkuskrankheit geführt haben, blieb die Inzidenz der oberen gastrointestinalen Blutung nahezu unverändert, während ihre Mortalität (ehemals 10–14%) in Amerika (um 23%) und England (um 40%) abnahm und in Canada und den Niederlanden gleich blieb (Barkun et al. 2010). Das kann damit erklärt werden, dass die Patienten in neueren Serien älter sind, eine größere Komorbidität aufweisen und der Einsatz der interventionellen Notfallendoskopie noch immer sehr unterschiedlich gehandhabt wird (Barkun et al. 2004). Darüber hinaus führt die zunehmende Einnahme von nichtsteroidalen Antirheumatika und Antikoagulanzien zu vermehrten Blutungen und einer signifikanten Erhöhung des Blutungsrisikos. Generell weisen die
27
424
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
. Tab. 27.15 Inzidenz der verschiedenen Ursachen der nichtvarikösen oberen gastrointestinalen Blutung und ihre Mortalität
27
Blutungsursache
Inzidenz (%)
Mortalität (%)
Ulcus duodeni
24–35
10–12
Ulcus ventriculi
16–26
8–11
Gastroduodenale Erosionen
6–29
2–7
Ösophagitis
5–20
8
Mallory-Weiss-Syndrom
5–15
1–3
Ulcus Dieulafoy
0,2–1,2
1–2,9
Gefäßmalformationen
1,4–5
k. A.
Malignome
1–5
10–37
Andere
5–10
10–18
Patienten mit oberer gastrointestinaler Blutung gegenüber einem Vergleichskollektiv aus anderen Gründen endoskopierter Patienten folgende Charakteristika auf: Sie sind eher männlich, haben ein um 5 Jahre höheres Durchschnittsalter, trinken und rauchen mehr und nehmen in einem höheren Prozentsatz nichtsteroidale Antirheumatika und Antikoagulanzien.
27.8.2
Klinische Symptomatologie
Das klinische Erscheinungsbild der oberen gastrointestinalen Blutung hängt von der Grunderkrankung, der Lokalisation der blutenden Läsion und der Blutungsintensität ab. Bei der Ulkusblutung präsentieren sich 20% der Patienten mit Meläna, 30% mit Hämatemesis und 50% weisen beide Symptome auf. Die Inzidenz der Hämatochezie wird mit 5–15% angegeben (Barkun et al. 2004; Corley et al. 1998; Laine u. Peterson 1994; Vreeburg et al. 1997). Ob transrektal frisches Blut oder Teerstuhl auftreten, hängt vom Blutungsvolumen und der Blutungsintensität ab. Teerstuhl kann schon bei einem Blutungsvolumen von 50– 100 ml beobachtet werden, während für die Hämatochezie 1000 ml oder mehr Blutverlust notwendig sind (Laine u. Peterson 1994). Dementsprechend haben Patienten mit letzterem Symptom zu 3/4 ein blutendes Ulkus (43% Ulcus duodeni), einen höheren Transfusionsbedarf und eine höhere Mortalität (Wilcox et al. 1997). Das typische Symptom der Mallory-Weiss-Blutung ist das wiederholte, heftige Erbrechen frischroten Blutes das durch einen intrakardialen Schleimhauteinriss verursacht wird. Das Ulcus Dieulafoy kann sich, je nach Blutungsintensität, als Hämatemesis und/oder Meläna bemerkbar
machen. Charakteristisch ist das Fehlen einer Ulkusanamnese und der dazugehörigen klinischen Zeichen (Kasapidis et al. 2002). Etwa 1/3 aller Patienten mit einer oberen gastrointestinalen Blutung sind bei Aufnahme hämodynamisch instabil, 2/3 haben einen Hb-Wert <10 g/dl und 3/4 zeigen laborchemisch eine Anämie (Barkun et al. 2004; Peura et al. 1997). Abgesehen von den Blutungssymptomen wiesen in einer hölländischen Studie bei der Aufnahme 18% der Patienten eine Dyspepsie, 22% epigastrische Schmerzen, 10% Sodbrennen und 10% diffuse abdominelle Schmerzen auf (Vreeburg et al. 1997).
27.8.3
Notfallmanagement
Etwa 80% der oberen gastrointestinalen Blutungen kommen spontan zum Stehen und entwickeln im weiteren Verlauf kein Rezidiv (Laine u. Peterson 1994). Fast die gesamte Morbidität und Mortalität entsteht in den verbleibenden 20%. > Die wichtigste Aufgabe im Management der gastroduodenalen Blutung besteht also darin, diese Risikogruppe frühzeitig zu erkennen und einer sicheren und effektiven Therapie zuzuführen.
Für den Verlauf der Erkrankung spielen medizinische, aber auch organisatorische Parameter eine wesentliche Rolle. Nach eindeutigen Hinweisen aus der Literatur wird die Prognose der Patienten mit einer oberen gastrointestinalen Blutung von folgenden, organisatorischen Faktoren beeinflusst (British Society of Gastroenterology Endoscopy Committee 2002; Eisen et al. 2002): 4 Der Existenz eines standardisierten, gastroenterologisch/chirurgischen Konzeptes zur Behandlung dieser Entität 4 Der Verfügbarkeit einer interventionellen Endoskopie in erfahrener Hand für 24 h/Tag 4 Der Möglichkeit der Unterbringung von Patienten mit substitutionspflichtiger Blutung auf einer Intensivoder Wachstation 4 Verfügbarkeit einer leistungsfähigen Blutbank über 24 h/Tag Nach einer aktuellen Erhebung werden diese Voraussetzungen in über 90% der deutschen Kliniken erfüllt (Maiss et al. 2010). Das klinische Management des individuellen Patienten muss die Schwere und Ursache der Blutung, Begleiterkrankungen und Alter sowie die hierdurch verursachte Gesamtsituation berücksichtigen. Die empfohlenen Behand-
425 27.8 · Chirurgische Therapie der gastroduodenalen Blutung
. Abb. 27.14 Algorithmus für die Behandlung der akuten oberen gastrointestinalen Blutung (British Society of Gastroenterology Endoscopy Committee 2002)
lungsstufen und Entscheidungswege sind dem Algorithmus in . Abb. 27.14 zu entnehmen. Primärversorgung Die Art der Primärversorgung von Pa-
tienten mit einer akuten gastroduodenalen Blutung richtet sich im Wesentlichen nach dem Schweregrad des Blutverlustes und der, häufig von den Begleiterkrankungen bestimmten, klinischen Gesamtsituation. Alle Patienten sollten, unabhängig vom Schweregrad der Blutung bei Aufnahme, einen peripher-venösen Zugang erhalten. Bei dieser Gelegenheit sollten auch die Notfall-Laboruntersuchungen eingeleitet werden.
Notwendige Notfall-Laboruntersuchungen bei der gastroduodenalen Blutung (British Society of Gastroenterology Endoscopy Committee 2002) 4 4 4 4 4
Blutbild Hämoglobin im Serum Elektrolyte inkl. Serumkreatinin Gerinnung inkl. Quick-Test (Leberfunktion!) Kreuzprobe/ggf. Erythrozytenkonzentrate
Weiterhin gehört eine sorgfältige Anamnese, die die Fragen nach Vorerkrankungen, stattgehabten Operationen, Genussmittelkonsum, Medikamenteneinnahme und Gerinnungsstörungen beinhalten sollte, ganz an den Anfang
27
426
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
der Exploration. Die körperliche Untersuchung sollte, vor allem bei nicht geschäftsfähigen Patienten, unbedingt auf Operationsnarben, die Zeichen der portalen Hypertension oder einer Tumorerkrankung achten. > Eine digitale, rektale Untersuchung auf Blutungsstigmata ist obligatorisch!
27
Die Notwendigkeit des Einlegens einer Magensonde wird heute kontrovers beurteilt. Die Anwesenheit von frischem Blut im Magensondenaspirat beweist das Vorliegen einer oberen gastrointestinalen Blutung. Obwohl einige Daten das Legen einer Magensonde nicht unterstützen, konnte jedoch gezeigt werden, dass ihre initiale vorübergehende Platzierung (»in and out«) in der Lage war, eine schlechte Prognose und die Notwendigkeit einer Notfallendoskopie vorherzusagen (Barkun et al. 2010; Corley et al. 1998; Perng et al. 1994; Silverstein et al. 1981). In einer großen Studie war die Diagnose frischroten Blutes über die Magensonde ein unabhängiger Prognosefaktor für das Auftreten einer Rezidivblutung (Barkun et al. 2001). Obwohl eine Magensonde nicht zur Verhinderung einer Aspiration beiträgt, kann die Magenspülung über eine liegende Sonde hilfreich für die Vorbereitung auf die Notfallendoskopie sein (Barkun et al. 2010). > Bei allen instabilen Patienten mit Erbrechen frischroten Blutes sollte auch weiterhin eine Magensonde platziert werden.
In der Praxis werden 2 unterschiedliche Ausgangssituationen vorgefunden (British Society of Gastroenterology Endoscopy Committee 2002): 4 Leichte oder moderate Blutung: Es handelt sich meist um Patienten unterhalb des 60. Lebensjahres ohne wesentliche Begleiterkrankungen. Sie sind kreislaufstabil und haben eine Hämoglobinkonzentration >100 g/l. Diese Patienten können auf eine Normal- oder »Intermediate-care«-Station aufgenommen werden und dürfen, wenn sie stabil bleiben, trinken. Die Kreislaufparameter werden stündlich und die Urinausscheidung 6-stündlich gemessen. Die Endoskopie kann zum nächstmöglichen, aber innerhalb von 24 h liegenden, elektiven Termin erfolgen (Barkun et al. 2010). Werden bei der Untersuchung keine Stigmata der stattgehabten Blutung, Varizen oder ein Karzinom gefunden, ist die Prognose in der Regel gut. Meist handelt es sich um gastroduodenale Erosionen oder kleine, oberflächliche Ulzera. Die Patienten können zur Eradikationstherapie oder mit dem Hinweis auf einen Verzicht auf nichtsteroidale Antirheumatika schnell wieder in ambulante Behandlung entlassen werden. 4 Schwere, kreislaufwirksame Blutung: Hier handelt es sich meist um kreislaufinstabile Patienten jenseits des 60. Lebensjahres mit multipler Komorbidität, posi-
tivem Schockindex und einem Hämoglobinwert unter 100 g/l. Der Letztere kann jedoch auch trügerisch sein, da er sich erst nach einigen Stunden der Blutung messbar verändert. Bei heftiger Blutung kann ein Volumenmangelschock auch bei normalem Hb bestehen. Im Zentrum der Primärversorgung dieser Patienten steht die Schockbekämpfung und die Aufrechterhaltung bzw. Sicherung der Vitalfunktionen. Hierzu müssen zumindest 2 großlumige periphervenöse Zugänge und ein zentraler Venenkatheter gelegt werden, da auch die Messung des zentralvenösen Druckes in der Überwachung erforderlich ist. Somnolente Patienten und solche mit heftigem Bluterbrechen sollten sofort intubiert werden, um eine Aspiration zu verhindern oder zu erkennen und um eine adäquate Oxygenierung während der weiteren Therapie zu garantieren (British Society of Gastroenterology Endoscopy Committee 2002). Als Nächstes erfolgt die Aufnahme auf eine Intensivstation, wo ein engmaschiges Monitoring der Kreislaufparameter und der Urinausscheidung notwendig ist. Parallel findet die Volumensubstitution mit Erythrozytenkonzentraten, Plasmaexpandern und FFP statt. Bei spontanen oder medikamenteninduzierten Gerinnungsstörungen darf die Substitution von Gerinnungsfaktoren nicht die Notfallendoskopie verzögern (Barkun et al. 2010)! > Im Zentrum des Managements steht jedoch die Notfallendoskopie, die unmittelbar nach Kreislaufstabilisierung oder bei Misserfolg der Volumentherapie sofort durchgeführt werden muss.
Generell kann bei allen Patienten mit Nachweis von Blutungsstigmata mit hohem Risiko die Rezidivblutungsrate mit einer sofort einsetzenden, hochdosierten (>100 mg/ Tag) i.v. PPI-Therapie signifikant gesenkt werden (Barkun et al. 2010).
27.8.4
Endoskopie
Auf die Details der endoskopischen Diagnose und Therapie bei gastroduodenalen Blutungen wurde im vorhergehenden Kapitel ausführlich eingegangen. Hier soll daher lediglich noch einmal die Frage des Zeitpunkts der Untersuchung und ihre klinische Bedeutung dargestellt werden. Die zeitliche Definition der Notfallendoskopie variiert in verschiedenen Studien sehr stark zwischen 2–24 h nach Aufnahme (Cipolletta et al. 2002; Cooper et al. 1998; Lee et al. 1999). Inzwischen existiert die Empfehlung einer Konsensuskonferenz, den Zeitrahmen auf die ersten 24 h nach der Aufnahme festzulegen (Barkun et al. 2010). Die frühe Endoskopie für alle Risikogruppen der gastroduo-
427 27.8 · Chirurgische Therapie der gastroduodenalen Blutung
denalen Blutung reduziert die stationäre Liegedauer und die Operationsrate (Cooper et al. 1998). Bei Patienten mit niedrigem Risiko ermöglicht die frühe Endoskopie eine Kostenreduktion von 43–91% (Cipolletta et al. 2002; Lee et al. 1999). Bei schweren Blutungen sollte die Endoskopie grundsätzlich nur durch einen erfahrenen Untersucher durchgeführt werden der alle Blutstillungstechniken sicher beherrscht. Hierzu gehört auch mindestens ein adäquat ausgebildeter Assistent, der Erfahrung in der therapeutischen Endoskopie hat (British Society of Gastroenterology Endoscopy Committee 2002, Maiss et al. 2010). > Folgende Ziele sollen durch die Notfallendoskopie erreicht werden: 4 Die Klärung der Blutungsursache und Blutungsintensität 4 Wenn nötig Durchführung der endoskopischen Blutstillung 4 Die Risikostratifizierung im Hinblick auf das Blutungsrezidiv und die Notwendigkeit einer chirurgischen Intervention
Bei der Risikostratifizierung des kreislaufwirksam blutenden Patienten führt die gemeinsame Beurteilung durch Endoskopiker und Chirurgen zu einer Verbesserung der Ergebnisse (Barkun et al. 2010; British Society of Gastroenterology Endoscopy Committee 2002).
. Tab. 27.16 Statistisch signifikante Prädiktoren für das Fortbestehen oder Rezidivieren einer gastroduodenalen Blutung. Ergebnisse einer multivariaten Analyse von Studien der Jahre 1993–2003 (Barkun et al. 2003) Risikofaktoren
Odds Ratio für erhöhtes Risiko
Allgemeine klinische Faktoren Alter >65 Jahre
1,3
Alter ≥70 Jahre
2,30
Schock (systolischer RR<100 mmHg)
1,2–3,65
Allgemeinzustand (ASA 1 vs. 2–5)
1,94–7,63
Komorbidität
1,6–7,63
Bewusstseinslage
1,53–6,74
Persistierende Blutung
2,40–4,12
Laborparameter Aufnahme-Hb≤100 g/l; Hkt<0,3
0,8–2,99
Gerinnungsstörung
1,46–2,64
Klinische Blutungszeichen Meläna
1,1–2,4
Frisches Blut rektal/digital
2,26–6,26
Blut über Magensonde
1,1–11,5
Endoskopische Befunde
27.8.5
Risikostratifizierung
Die wesentlichen, bei der Risikoabschätzung der gastroduodenalen Blutung interessierenden Fragen, sind: 4 Benötigt der Patient eine stationäre Therapie sowie eine endoskopische Intervention und, wenn ja, in welchem Umfang? 4 Wird der Patient mit oder ohne endoskopische Intervention eine persistierende oder eine Rezidivblutung erleben? 4 Wie groß ist das Risiko des Patienten, an seiner Blutung zu versterben, und wie intensiv muss demnach die Therapie sein? 4 Sollte von vorneherein eine notfallmäßige oder frühelektive chirurgische Intervention erfolgen? Generell stehen zur Beantwortung dieser Fragen klinische Zeichen, Laborparameter und endoskopische Variablen zur Verfügung die mittlerweile in Scores zu den verschiedenen Komplexen Eingang fanden. Die klinische Relevanz dieser Parameter wurde in multiplen Studien überprüft (. Tab. 27.16). Die Blutungsintensität wird in der Regel nach der Forrest-Klassifikation beurteilt (7 Abschn. 27.8.1). Sie fand allerdings keinen Eingang in die neueren Score-
Aktive Blutung bei Endoskopie
2,5–6,48
Hochrisikostigmata
1,91–4,81
Koagel auf Läsion
1,72–1,9
Ulkusgröße ≥2 cm
2,29–3,54
Diagnose Magen- vs. Duodenalulkus
1,2–4,9
Ulkuslokalisation (hoch an der kleinen Kurvatur)
13,9 (9,2)
Systeme, wird jedoch in Deutschland nach wie vor von der überwiegenden Mehrzahl der Endoskopeure benutzt (Maiss et al. 2010). Für die Beantwortung der ersten Frage entwickelten Blatchford et al. einen Risikoscore auf der Basis rein klinischer Befunde und labormedizinischer Ergebnisse, der eine zuverlässige Aussage zur Notwendigkeit der stationären Aufnahme und der Wahrscheinlichkeit einer endoskopischen Intervention ermöglicht (Blatchford et al. 2000). Für die Analyse des Rezidivblutungs- und Mortalitätsrisikos steht, neben der Bewertung der einzelnen klinischen und endoskopischen Faktoren (. Tab. 27.16), seit 1996 das Rockall-Scoring-System (Rockall et al. 1996) zur Ver-
27
428
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
. Tab. 27.17 Rockall-Scoring-System für die obere gastrointestinale Blutung: Vergabe der Risikopunkte nach klinischen und endoskopischen Parametern
27
Variable
0
1
2
Alter
≤60 Jahre
60–79 Jahre
≥80 Jahre
Schock
RR≥100, Puls<100 »Kein Schock«
RR>100, Puls >100 »Tachykardie«
RR systolisch <100 »Hypotension«
Komorbidität
Keine wesentliche
Diagnose
Mallory-Weiss Läsion, keine Blutungsstigmata
Blutungszeichen
Keine oder nur »dunkler Fleck«
Herzinsuffizienz, KHK, schwere andere Krankheiten Alle anderen
Tumor oberer Gastrointestinaltrakt Blut im oberen Gastrointestinaltrakt, Koagel, »visible vessel«, aktive Blutung
. Tab. 27.18 Rezidivblutungsrate und Letalität in Abhängigkeit von den Risikopunkten im Rockall-Score (Rockall et al. 1996) Risikopunkte
0
1
2
3
4
5
6
7
8+
Risikopunkte
0
1
2
3
4
5
6
7
8+
Rezidivblutung (%)
4,9
3,4
5,3
11,2
14,1
24,1
32,9
43,8
41,8
Letalität (%)
0
0
0,2
2,9
5,3
10,8
17,3
27,0
41,1
fügung, das eine validierte Abschätzung des individuellen Risikos ermöglicht (. Tab. 27.17 und . Tab. 27.18). Es konnte eine eindeutige Korrelation zwischen der Risikopunktzahl und der Prognose der oberen gastrointestinalen Blutung gefunden werden, sodass sich das System auch in der Praxis bewährt hat. Dabei ist zu beachten, dass nur 50% der verstorbenen Patienten eine Rezidivblutung haben und 40% der Patienten mit Rezidivblutung sterben, was wiederum ein Licht auf die Bedeutung der Begleiterkrankungen und der klinischen Gesamtsituation wirft (Rockall et al. 1996). 4 Patienten mit einem Rockall-Risiko-Score von 0–2 Punkten können nach der endoskopischen Diagnose und ggf. Therapie (z. B. Mallory-Weiss-Läsion) in der Regel nach kurzer stationärer Beobachtung in die ambulante Betreuung entlassen werden. 4 Bei 3–4 Risikopunkten liegt das Rezidivblutungsrisiko schon über 10% und es gibt ein reales Letalitätsrisiko. Hier sollte eine stationäre Überwachung auf der Normalstation erfolgen, bis von einer stabilen Situation ausgegangen werden kann. Routinemäßige Kontrollendoskopien tragen in dieser Gruppe nicht zur Verbesserung der Ergebnisse bei. Eine weitere Endoskopie sollte nur bei Vorliegen einer Rezidivblutung erfolgen (Messmann et al. 1998). 4 Patienten mit >5 Risikopunkten sind vital gefährdet und haben ein hohes Rezidivblutungsrisiko. Sie sollten
in Endoskopiebereitschaft intensivmedizinisch überwacht werden. Bei Hochrisikopatienten mit initialer endoskopischer Therapie kann, bei ausgewählten Patienten, die geplante Kontrollendoskopie, ggf. mit erneuter Intervention, den Verlauf günstig beeinflussen (British Society of Gastroenterology Endoscopy Committee 2002; Barkun et al. 2010; Saeed et al. 1996).
27.8.6
Vorgehen bei endoskopisch nicht lokalisierbarer Blutung
Trotz des routinierten Einsatzes der Notfallendoskopie gelingt es, je nach Definition, bei 7–22% der Patienten nicht, bei der ersten Endoskopie die Blutungsquelle eindeutig zu identifizieren (Vreeburg et al. 1997). Diese Patienten weisen häufiger eine Hämatochezie und seltener eine Hämatemesis auf. Ein großer Teil dieses Kollektivs hat eine Gastritis, die während der Untersuchung nicht mehr blutet und erlebt eine Rezidivblutung in nur 5% der Fälle. Wenn bei der zweiten Endoskopie, trotz klinisch eindeutiger Blutung, wiederum keine Blutungsquelle lokalisiert werden kann, liegt der Verdacht nahe, dass es sich hier um eine sog. »seltene Ursache«, wie atypische, peptische Ulzera oder Divertikel im Jejunum, eine Hämobilie, Angiodysplasien oder von außen infiltrierende Malignome handelt. Hier wird eine erweiterte Diagnostik mit Angiographie und/
429 27.8 · Chirurgische Therapie der gastroduodenalen Blutung
. Tab. 27.19 Die Rolle der chirurgischen Therapie bei gastroduodenalen Ulzera mit hohem Rezidivblutungsrisiko (Jiranek u. Kozarek 1996) Läsion
Inzidenz
Rezidivblutung
Operationsrate
Mortalität
Aktive Blutung
18%
55%
35%
11%
»Visible vessel«
17%
43%
34%
11%
Adhärentes Koagel
17%
22%
10%
7%
oder Angio-CT notwendig. Häufig kann während einer erfolgreichen Angiographie dann auch gleich eine Blutstillung mittels Embolisation durchgeführt werden (Jiranek u. Kozarek 1996). In seltenen Fällen kann die Erythrozytenszintigraphie weiterhelfen. Eine andere klinische Situation liegt vor, wenn die Blutung so massiv ist, dass es nicht möglich ist, durch Spülen und Absaugen eine ausreichende Übersicht zu erhalten. Hier sind meist große Gefäße, wie die A. gastroduodenalis, gastrica dextra oder Äste der A. gastrica sinistra arrodiert. Eine besonders dramatische Situation stellt das Auftreten einer aortoduodenalen Fistel bei Zustand nach Implantation einer Gefäßprothese dar. In all diesen Fällen hilft nur noch die sofortige Notfalloperation.
Chirurgische Strategie Die Bedeutung der chirurgischen Therapie bei der Behandlung der gastroduodenalen Blutung nahm, durch die kontinuierliche Weiterentwicklung der Notfallendoskopie und der medikamentösen Möglichkeiten bedingt, in den letzten 2 Jahrzehnten ständig ab. In Deutschland sank die Operationsfrequenz von über 20% in den Jahren 1989/90 auf 6% in 1999/2000. Gleichzeitig nahm die Mortalität von 13% auf 8% ab (Seidel et al. 2002). Auch international werden heute nur noch 4,9–7% der gastroduodenalen Blutungen operiert (Barkun et al. 2004; Peura et al. 1997; Vreeburg et al. 1997). Dennoch spielt die Chirurgie, nach wie vor, bei den Läsionen mit hohem Risiko eine wichtige Rolle (. Tab. 27.19). Grundsätzlich gibt es, bezogen auf den Interventionszeitpunkt, 2 chirurgische Strategien: 4 Notfalloperation 4 Frühelektive Operation
27.8.7
Notfalloperation
Sie ist immer dann indiziert, wenn es auf endoskopischem Wege oder durch Embolisation nicht gelingt, eine aktive Blutung zum Stehen zu bringen. Alle Möglichkeiten sollten unternommen werden, um diese Situation zu vermeiden, da die Notfalloperation eine Letalität bis 50% aufweist.
Wichtig ist allerdings, dass endoskopische Blutstillungsversuche nur zeitlich limitiert und bei kreislaufstabilem Patienten unternommen werden. Bezüglich der Blutungsintensität und des Transfusionsvolumens gilt, dass mehr als 6 Konserven innerhalb von 24 h als kritische Grenze anzusehen sind bei deren Überschreiten die Mortalität sprunghaft ansteigt (Jiranek u. Kozarek 1996) und demzufolge eine sofortige Operation indiziert ist. Am besten wird bei Blutungen mit hohem Risiko von Anfang an der Chirurg in die Entscheidungsprozesse mit eingebunden (Barkun et al. 2010). Bei Patienten nach endoskopischer Blutstillung und Rezidivblutung gelten die gleichen Prinzipien. In einer prospektiv randomisierten Studie konnten Lau et al. (1999) zeigen, dass auch die Reendoskopie in dieser Situation die Operations- und Komplikationsrate senkt ohne die Mortalität zu erhöhen. In der reendoskopierten Gruppe mussten nur 27% der Patienten operiert werden.
27.8.8
Frühelektive Operation
Sie kommt zum Einsatz, um bei Patienten mit hohem Rezidivblutungsrisiko (. Tab. 27.16 und . Tab. 27.19) und initial großer Blutungsintensität eine erneute Blutungsepisode zu verhindern und damit das Mortalitätsrisiko zu senken (Branicki et al. 1990). Die Erfahrung zeigt, dass die meisten Rezidivblutungen innerhalb der ersten 2–3 Tage nach endoskopischer Blutstillung auftreten. Die frühelektive Operation sollte somit am nächsten elektiven Termin, jedoch auf jeden Fall innerhalb von 24–36 h nach der Primärversorgung durchgeführt werden, also wenn der Patient nach entsprechender Intensivtherapie eine gute Volumen- und Gerinnungssituation aufweist. Die Entscheidung zur frühelektiven Operation sollte auf der Basis der Erfahrung der beteiligten Ärzte, der Möglichkeiten der Institution und der klinischen Gesamtsituation unter Abwägung des Operationsrisikos getroffen werden (British Society of Gastroenterology Endoscopy Committee 2002; Jiranek u. Kozarek 1996). Neuere Studien zu diesem Behandlungskonzept existieren leider nicht, sodass die Argumentation auf empirischer Basis erfolgen muss.
27
430
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
Bei folgenden Blutungen sollte man eine frühelektive Operation in Erwägung ziehen: 4 Große Ulcera duodeni an der Bulbushinterwand (A. gastroduodenalis!) 4 Ulcera ventriculi >2 cm an der kleinen Kurvatur oder proximal hinterwandseitig »visible vessel« 4 Ulcera ventriculi mit Malignitätsverdacht (Histologie!) 4 Bei allen Forrest-Ia-Blutungen und unsicherer endoskopischer Blutstillung
27
> Bei einer Entscheidung zu abwartendem Verhalten sollte von chirurgischer Seite immer bedacht werden, dass rezidivierende endoskopische Blutstillungsversuche in der Regel zu erheblichen Wandveränderungen führen, die letztendlich die Ergebnisse der Operation erheblich kompromittieren können.
Die Laparotomie erfolgt bei allen oberen gastrointestinalen Blutungen über eine mediane Oberbauchlaparotomie unter Linksumschneidung des Nabels. Sie bietet die beste Übersicht und unbegrenzte Erweiterungsmöglichkeiten. Grundsätzlich ist bei der Ulkuserkrankung die Blutstillung das vorrangige Ziel des chirurgischen Eingriffs. Die Behandlung des Grundleidens erfolgt heute durch medikamentöse Eradikationstherapie. Vagotomien haben daher im Rahmen der im Folgenden zu besprechenden Eingriffe keinen Stellenwert mehr.
27.8.9
Ulcus ventriculi
Das Vorgehen beim Ulcus ventriculi ist von der Lokalisation und Ausdehnung der Läsion und von einem eventuell bestehenden Malignitätsverdacht abhängig. Grundsätzlich muss bei Läsionen der Magenschleimhaut immer eine Exzision mit histologischer Sicherung, wenn möglich durch Schnellschnittdiagnose, erfolgen. Da die Magengeschwüre meist intraoperativ tastbar sind, hat man mit der Lokalisation selten ein Problem. An der Magenvorderwand wird das Ulkus in querer Richtung in toto exzidiert und der Magen anschließend mit Einzelknopfnähten wieder verschlossen. Bei Lokalisation an der Hinterwand wird an den klassischen Stellen eine Gastrotomie durchgeführt und dann in gleicher Weise vorgegangen. Die blutenden Arterien verlaufen submukös. Daher sollte die Exzision immer als Vollwandresektion erfolgen, um ein erhöhtes Rezidivblutungsrisiko zu vermeiden. Bei größeren, penetrierenden Ulzera an der kleinen Magenkurvatur und präpylorisch ist in der Regel eine klassische 2/3 Magenresektion indiziert, da sonst Durchblutungsstörungen oder Stenosen den postoperativen Verlauf komplizieren können. Gleiches gilt bei großkurvaturseitigen Läsionen. Hier ist die Begründung das erhöhte Malignitätsrisiko. Die Rekonstruktion kann, je
nach Schule des Hauses, nach Billroth I oder II erfolgen. Sie sollte jedoch in jedem Fall den sicheren Verschluss des Duodenums beinhalten, da Anastomosen- und Duodenalstumpfinsuffizienzen die häufigsten chirurgisch-technischen Ursachen eines letalen Ausganges sind (Lau et al. 1999). Bei intraoperativ nicht tastbaren Ulcera ventriculi sollte an die Möglichkeiten der präoperativen Clipmarkierung und der intraoperativen Endoskopie gedacht werden. Große Gastrotomien zur Exploration lassen sich so häufig vermeiden.
27.8.10
Ulcus duodeni
Der operationsbedürftigen Blutung aus einem Ulcus duodeni liegt meistens ein tief penetrierendes peptisches Ulkus mit Arrosion der Arteria gastroduodenalis zugrunde. Dieses Gefäß wird aus 3 Zuflüssen, den Aa. gastroduodenalis, gastroepiploica dextra und pancreaticoduodenalis superior gespeist die zur sicheren Blutstillung alle unterbunden werden müssen. Die reine intraluminale Umstechung der Blutungsquelle ist mit einem höheren Rezidivblutungsrisiko behaftet. In der Notfallsituation steht die möglichst schnelle Blutstillung mit Stabilisierung des Kreislaufs im Vordergrund. Als Zugang zum Duodenum erfolgt eine Längsduodenotomie die, bei typischer Ulkuslokalisation, bis über den Pylorus hinaus ausgedehnt wird. So wird eine gute Übersicht erreicht die die gezielte Blutstillung beschleunigt und bei der späteren Rekonstruktion durch Pyloroplastik Stenosen vermeidet. Die Ulkusblutung wird zunächst durch eine tief durchgreifende »Vier-Quadranten-Umstechung« zum Stehen gebracht. Während die Anästhesie den Kreislauf stabilisiert, sollte das Ulkus, wenn technisch möglich, mit der benachbarten Schleimhaut bedeckt werden, um einen weiteren Kontakt zum aggressiven Duodenalsekret zu vermeiden (. Abb. 27.15b). Wenn stabile Kreislaufverhältnisse vorliegen folgt die ausgedehnte Mobilisierung des Duodenums nach Kocher. Jetzt kann man die Gefäßversorgung der Region palpatorisch identifizieren und bei der weiteren Präparation gezielt vorgehen. Die A. gastroduodenalis findet man am einfachsten, wenn man entlang der A. hepatica communis oder propria disseziert. Sie wird möglichst nahe am Duodenum ligiert oder umstochen. Bei penetrierenden Ulzera mit starker Umgebungsreaktion gelingt es meist nicht die A. gastroduodenalis am Unterrand des Duodenums gefahrlos darzustellen (cave: Pankreasfisteln!). Hier ist es sicherer, etwas aus dieser Region fernzubleiben und die Zuflüsse zu ligieren. Die A. gastroepiploica dextra kann leicht an der großen Kurvatur identifiziert werden. Die A. pancreaticoduodenalis dextra sup. findet man auf der Vorderfläche des Pankreaskopfes (. Abb. 27.15a). Der Eingriff wird durch den Ver-
431 27.8 · Chirurgische Therapie der gastroduodenalen Blutung
. Abb. 27.15a,b Relevante Gefäßanatomie bei der Versorgung von blutenden Ulcera duodeni an der Bulbushinterwand. Als Zuflüsse der A. gastroduodenalis müssen die Aa. gastroduodenalis (suprapankreatisch), gastroepiploica dextra und pancreaticoduodenalis superior
ligiert werden (a). Der Eingriff beginnt mit einer intraluminären Vierquadrantenumstechung der Blutungsquelle und der Schleimhautdeckung des Ulkus (b)
schluss der Duodenotomie durch eine Pyloroplastik nach Heinecke-Mikulicz beendet. Gelegentlich wird eine Blutung von atypischen, in der Pars descendens duodeni gelegenen Ulzera verursacht. Hier muss bei der Versorgung sorgfältig auf die Erhaltung des Abflusses der Papille geachtet werden. Bei der Ulkusübernähung kann in solchen Fällen der Gallengang transpapillär geschient werden. Am Ende sollte der Operateur die Einlage einer T-Drainage in Erwägung ziehen, da postoperative Schwellungszustände zu einem vorübergehenden biliaren Passageproblem führen können. Ist in diesen Fällen ein spannungsfreier querer Duodenalverschluss nicht möglich, besteht in den Gastroduodenostomien nach Finney oder Jaboulay eine oft sicherere Alternative.
Operation, wird als Zugang eine infrakardiale Gastrotomie gewählt. So erhält man eine gute Übersicht über diese Region und kann die oft tiefen Schleimhauteinrisse sicher übernähen (. Abb. 27.16). Das Mallory-Weiss-Syndrom ist häufig mit einer Hiatushernie und einer chronischen gastroösophagealen Refluxkrankheit assoziiert. In diesen Fällen ist nach der Blutstillung und dem Verschluss der Gastrotomie eine Hiatoplastik indiziert. Eine zusätzliche Fundoplikatio (Nissen oder Toupet) beseitigt das Refluxproblem und sichert die Naht der Magenwand.
27.8.11
Mallory-Weiss-Syndrom
Meist können Mallory-Weiss-Blutungen endoskopisch zum Stillstand gebracht werden. Erfordern sie dennoch eine
27.8.12
Ulcus Dieulafoy
Dieulafoy-Läsionen können heftig arteriell bluten und u. U. während der Endoskopie schwer zu finden sein, da sie klein und meist im proximalen Magen lokalisiert sind. Dennoch werden sie heute meist endoskopisch mit dauerhaft gutem Erfolg versorgt (Kasapidis et al. 2002). Wird trotzdem eine Operation notwendig, hat es sich bewährt, die Blutungsquelle mit einem Clip zu markieren (oder
27
432
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
27
a
b
. Abb. 27.16a,b Chirurgische Versorgung der Mallory-Weiss-Blutung. Die Blutungsquelle ist immer in der Kardia oder ihrer direkten Nachbarschaft lokalisiert. a Zugang durch subkardiale Längsgastrotomie. b Die Schleimhautrisse können meist problemlos umstochen
werden. Die häufig begleitende Hiatushernie und Refluxkrankheit werden mit Hiatoplastik und Fundoplikatio (Nissen, Toupet oder Dor) behandelt
gleich mit einem Endoclip die Blutstillung durchzuführen), da sie meist nicht tastbar ist. Man kann dann intraoperativ die Läsion unter Durchleuchtung genau lokalisieren und gezielt exzidieren. Eine noch elegantere Methode stellt die laparoskopische Resektion mit intraoperativer Endoskopie dar (Karanfilian et al. 1996), die jedoch nur bei vorderwandnaher Lokalisation einfach durchzuführen ist. Da Dieulafoy-Läsionen jedoch meist hoch an der kleinen Kurvatur in der Gegend des A.-gastrica-sinistra-Versorgungsgebietes lokalisiert sind, wird die minimalinvasive Methode Einzelfällen vorbehalten bleiben.
trunkulären oder gastrisch selektiven Vagotomie zur Säurereduktion als zusätzliche Maßnahme indiziert.
27.8.13
Andere Blutungsquellen
Ulcus pepticum jejuni Blutende Anastomosenulzera werden in der Regel nach Billroth-II- oder Rouy-Y-Rekonstruktion im Rahmen einer subtotalen Magenresektion gefunden. Vor allem sog. »refluxfreie« Roux-Y-Techniken mit langer Schlinge verhindern die Pufferung der Magensäure mit Duodenalsekret und wirken ulzerogen (Arlt et al. 1984). Nachdem das Ulkus lokalisiert und möglichst endoskopisch blutgestillt wurde, erfolgt, bei ausreichend großem Restmagen, die Nachresektion und, wenn nötig, die Modifikation der Rekonstruktion. Eine lange Roux-Schlinge sollte auf eine Länge von ca. 20 cm gekürzt werden, bei einer Billroth-II-Rekonstruktion mit tiefer Baun-Fußpunktanastomose kann diese aufgelöst oder in eine RouxY-Situation mit kurzer Schlinge umgewandelt werden. Da beim Ulcus pepticum jejuni die Ulkusgenese meist nicht Helicobacter-assoziiert ist, ist hier die Durchführung einer
Aortoduodenale Fistel Hier handelt es sich meist um dramatische Situationen, in denen der Patient nur bei entschlossenem und interdisziplinär gut koordiniertem Handeln den Operationssaal noch lebend erreicht. Die schnelle mediane Laparotomie ohne große Präliminarien und die sofortige Abklemmung der Aorta abdominalis in Höhe der Zwerchfellschlinge mit einer geraden Gefäßklemme führt zum Stehen der Blutung, aber auch zu einer erheblichen kardialen Belastung (cave Dekompensation mit Kammerflimmern!). Ursache der Blutung ist fast immer ein chronischer Protheseninfekt nach Aortenersatz mit Insuffizienz der proximalen Anastomose. Die Versorgung erfolgt nach gefäßchirurgischen Prinzipien, in der Regel durch extraanatomischen Bypass. Die Duodenalläsion ist meist erstaunlich klein und muss lediglich übernäht werden. Wichtig ist, dass vitales Gewebe (am besten Omentum majus) zwischen Duodenalrekonstruktion und neue Prothese platziert wird um eine Reinfektion mit Blutungsrezidiv zu vermeiden. Postoperativ wird der Verlauf von der Herz- und Nierenfunktion (suprarenale Abklemmung, Schock) bestimmt. Andere seltene Ursachen Maligne Tumoren des oberen
Gastrointestinaltraktes (v. a. GIST) können heftige, meist jedoch eher diffuse Blutungen verursachen, die meist einer endoskopischen Therapie zugänglich sind. Häufig, vor allem bei Lymphomen, treten sie unter Chemotherapie auf. Als Behandlungsalternativen zur Endoskopie kommen
433 27.8 · Chirurgische Therapie der gastroduodenalen Blutung
die angiographische Embolisation und, selten, die Notfallgastrektomie in Betracht. Die – häufig posttraumatische – Hämobilie und Blutungen aus dem Pankreas sind eine Domäne der Embolisation, da diese meist selektiver und mit weniger Kollateralschaden eingesetzt werden kann.
27.8.14
Ergebnisse
Der vermehrte und aggressivere Einsatz der endoskopischen Blutstillung hat in den letzten Jahrzehnten zu einer immer negativeren Patientenselektion für die Operation und zu einer Belastung für die chirurgischen Ergebnisse geführt. Als alternatives Konzept wurde daher die sog. frühelektive Operation inauguriert. Branicki et al. (1990) fanden bei notfallmäßig operierten Patienten eine Mortalität von 12,3% während in einer frühelektiv operierten Gruppe die Sterblichkeit 0% betrug. Diese Daten sind allerdings für heutige Verhältnisse nicht mehr repräsentativ, da in dieser Studie die interventionelle Endoskopie fast keine Rolle spielte. Bei Operation von Hochrisikopatienten und den Fällen, die bei Rezidivblutung endoskopisch nicht gestillt werden konnten, liegt die Mortalität in neueren Studien zwischen 8% und 23,7% (Jiranek u. Kozarek 1996; Laine u. Peterson 1994; Lau et al. 1999; Silverstein et al. 1981). Auch in diesen Studien sind die Kollektive sehr heterogen und zum Teil aus sehr langen Untersuchungszeit-räumen, sodass sie nicht ohne weiteres auf die heutige Situation übertragbar sind. Insgesamt lässt sich sagen, dass die postoperative Letalität, trotz der negativen Patientenselektion, im Vergleich zu früher nicht zugenommen hat und etwa bei 10–14% liegt (Barkun et al. 2010). Lau et al. (1999) zeigten, dass heute nur 27% aller Patienten mit endoskopischer Stillung einer Rezidivblutung später operiert werden müssen. In dieser Studie war die Gesamtmortalität und -morbidität in der Gruppe mit aggressiverer interventioneller Endoskopie niedriger als in der Gruppe mit frühzeitiger Indikationsstellung zum chirurgischen Vorgehen bei Rezidivblutung. Dass die Mortalität der Ulkusblutung insgesamt in den letzten Jahrzehnten von 13% auf 8% gesunken ist (Seidel et al. 2002), ist zum wesentlichen Teil den Fortschritten in der interventionellen Endoskopie zu danken. Aussagekräftige prospektiv randomisierte Studien zum Vergleich der frühelektiven Indikation mit einem prädominant endoskopischen Vorgehen fehlen. Ob dieses Konzept, an größeren Kollektiven angewandt, geeignet ist, die Ergebnisse weiter zu verbessern, muss bezweifelt werden, denn die Hälfte der Patienten mit gastroduodenaler Blutung stirbt an ihren Begleiterkrankungen (Rockall et al. 1996).
27.8.15
Nachsorge
Da die Eradikationstherapie von Helicobacter-positiven Ulkuspatienten bereits parallel zur Blutstillungstherapie verlaufen sollte (Barkun et al. 2004) wird diese, gegebenenfalls ambulant, komplettiert. Die Kontrollendoskopien zur Ulkusabheilung und die Kontrolle der erfolgreichen Eradikation erfolgen gemäß den gastroenterologischen Richtlinien (7 Abschn. 27.8.1). 27.8.16
Literatur
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27
434
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Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
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27.8.17
Internetadressen
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27.9
Peptische Ulkusperforation D. Oertli
Die Perforation stellt eine der Ulkuskomplikationen dar. Effiziente medikamentöse Säurehemmung und die Helicobacter-pylori-Eradikation haben die chirurgische Verfahrenswahl bei der Ulkusperforation in den letzten Jahren drastisch verändert. Das nichtoperative Vorgehen hat sich wegen ungünstiger Resultate bei älteren Patienten nicht durchsetzen können. Heute dürften bei den meisten Patienten mit Ulkusperforation die einfache Übernähung und Peritoneallavage, gefolgt von einer medikamentösen Ulkusbehandlung genügen. In geeigneten Situationen bei kurzer Anamnese, fehlenden Schockzeichen und kleinem Perforationsdurchmesser kann der Defektverschluss auch auf laparoskopischem Wege geschehen. Morbidität und Mortalität werden vor allem durch die Peritonitisdauer, das Patientenalter und durch vorbestehende Begleiterkrankungen negativ beeinflusst.
27.9.1
Epidemiologie
Schätzungsweise 5–10% der Patienten mit unbehandeltem Ulcus duodeni entwickeln zeitlebens eine Perforation (Johnson 1994). Perforationen sind zu 80% durch ein Ulcus duodeni und zu 20% durch ein Ulcus ventriculi bedingt (Lee et al. 2001). Obwohl elektive chirurgische Interventionen durch Säurehemmung und Helicobacter-pylori-Eradikation weitgehend ersetzt worden sind, bleibt die Perforationshäufigkeit des Ulcus duodeni konstant (Bloom u. Kroch 1993; Liu u. Wu 1997). Bei etwa 11% der Patienten geschieht die Erstmanifestation des Ulcus duodeni durch eine Perforation (Jordan u. Thronby 1995). Nichtsteroidale Antirheumatika sind in ca. 1/4 der Fälle für eine Perforation mit verursachend (Svanes 2000). Die peptische Ulkusperforation hat einen Anteil von ca. 5% bei den abdominalen Notfalleingriffen (Paimela 2004).
435 27.9 · Peptische Ulkusperforation
. Abb. 27.17a–c Klassifikation der Ulkuspenetration. a Grad I: murales Ulkus; b Grad II: Penetration mit fibröser Adhäsion; c Grad III: ge-
27.9.2
Definition und Klassifikation
Die Perforation stellt das Endresultat bzw. die akute Form der Ulkuspenetration dar. Sie wird definiert als Zustand der Penetration aller Wandschichten, wenn sich Magenrespektive Duodenalinhalt in die freie Bauchhöhle entleert. Von Norris u. Haubich (1961) wurde die Klassifikation der Penetration in 3 Schweregrade vorgeschlagen (. Abb. 27.17): 4 Grad I entspricht dem exkavierten muralen Ulkus, 4 Grad II der fibrösen Adhäsion an benachbarten Strukturen und 4 Grad III der gedeckten Perforation. Die meisten duodenalen Perforationen sind anterior und superior am Bulbus duodeni und das perforierte Ulcus ventriculi an der antropylorischen Region der Magenvorderwand gelegen. Ganz selten perforieren Ulcus duodeni und Ulcus ventriculi nach dorsal in die Bursa omentalis (Palmer 1972). Perforierte präpylorische Ulzera sind stark mit dem Gebrauch von nichtsteroidalen Antirheumatika korreliert (Bornman et al. 1999). Akute Ulzera führen in der Regel zu kleinen Perforationsdurchmessern mit wenig veränderter Magen- oder Duodenalwand; chronische hingegen tendieren zur Umgebungsfibrose mit kallöser Deformation der Wand und deutlich größerem Perforationsdurchmesser (Bornman et al. 1999).
27.9.3
Peritonitis bei Perforation
Austretendes Magen- oder Duodenalsekret führt in den ersten 6 h nach der Perforation zunächst zur chemischen Peritonitis ohne signifikante bakterielle Kontamination. Danach werden vor allem grampositive Keime (Streptokokken und Staphylokokken) gefunden. Nach ca. 24 h können immer häufiger gramnegative Stäbchen und Candida albicans aus der Bauchhöhle kultiviert werden (Boey et al. 1982). In protrahierten Fällen sind Hypovolämie und Oligoanurie die Folgen der entzugsbedingten
deckte Perforation in eine benachbarte Struktur. (Modifiziert nach Norris u. Haubich 1961)
Sequestrierung von intravasaler Flüssigkeit in die Peritonealhöhle.
27.9.4
Klinische Symptomatologie und Diagnostik
Typisch für die Ulkusperforation ist der plötzliche Beginn heftiger epigastrischer Schmerzen, die sich allmählich über das ganze Abdomen verteilen. Häufig können die Patienten den genauen Zeitpunkt der Ereignisse angeben. Chronische Ulkusbeschwerden können in bis zu 44% der Fälle in den Tagen vor der Perforation exazerbieren. Schulterschmerz als Zeichen der diaphragmalen Irritation durch die Peritonitis wird in 23–28% der Perforationen gefunden (Bornman et al. 1999). Die klinische Untersuchung ergibt bei generalisierter Peritonitis in der Regel brettharte Bauchdecken und fehlende Darmgeräusche. Eine Oberbauchsymptomatik kann u. U. verschleiert sein, wenn die Perforation abgedeckt ist und auslaufendes Sekret entlang der rechten parakolischen Rinne in den Unterbauch fließt und dort zu einem lokalisierten Peritonismus führt. Das Vorliegen einer Appendizitis kann in diesem Falle vorgetäuscht werden. Bei der Differenzialdiagnose der peptischen Ulkusperforation sind vor allem akute Cholezystitis, akute Pankreatitis, intestinale Strangulation, Mesenterialinfarkt und die Perforation an anderer Stelle zu berücksichtigen. Freie Luft unter dem Zwerchfell lässt sich in 50–80% der Ulkusperforationen nachweisen (Roh et al. 1983; Svanes et al. 1990). > Bei starkem klinischen Verdacht, aber fehlendem Nachweis freier Luft im konventionellen Abdomen- oder Thoraxröntgenbild sind die orale Gabe von wasserlöslichem Kontrastmittel angezeigt oder die Gastroskopie angezeigt, um die Ulkuspenetration oder -perforation darstellen zu können.
27
436
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
Bei unklaren Fällen hilft die Zusatzuntersuchung mittels Spiralcomputertomographie bei der Diagnostik und der Therapieentscheidung (Ongolo et al. 1999).
27.9.5
27
Therapie
Behandlungsziel ist die möglichst rasche Beseitigung der einsetzenden Peritonitis. Bei der peptischen Ulkusperforation findet man in 47–92% der Fälle eine Helicobacterpylori-Besiedelung der Antrummukosa (Goodwin et al. 1997; Reinbach et al. 1993; Tokunaga et al. 1998). Die Helicobacter-pylori-Infektion ist bei der Perforation häufiger als bei der Ulkusblutung (Tokunaga et al. 1998). Mit der Möglichkeit der Eradikationsbehandlung ist die früher praktizierte definitive chirurgische Ulkussanierung im Falle der Perforation nicht mehr notwendig (Blomgren 1997; Cocks 1992; Labenz u. Borsch 1994; Millat 2000). Kontrollierte Studien in der Ära vor der H.-p.-Eradikation beschrieben wohl nach einfacher Ulkusexzision und -übernähung häufiger Rezidivulzera auf als nach definitiver Ulkussanierung mit Vagotomie (Millat 2000). Eine randomisierte Studie zeigte, dass mit alleiniger Ulkusübernähung und konsequenter H.-pylori-Eradikation und Säureblockade Ulkusrezidive nach einem Jahr in nur 5% auftraten im Vergleich zu 38% bei der Gruppe mit Ulkusübernähung und Säurehemmung ohne H.-p.-Eradikation (Ng et al. 2000).
a
Operative Therapie Der Eingriff der Wahl ist die Ulkusexzision und Übernähung. Ulzera in Duodenalposition dürfen auch nur übernäht werden. Am Magen hingegen ist die Exzision immer angezeigt, damit der Prozess histologisch bezüglich eines eventuellen Magenkarzinoms aufgearbeitet werden kann. In der Regel eignet sich eine spindelförmige Exzision des Ulkus mit querer Wiedervernähung des Magen- oder Duodenallumens. Juxtapylorische Ulzera werden im Sinne einer Erweiterungspyloroplastik nach Heineke-Mikulicz versorgt (. Abb. 27.18 bis . Abb. 27.20). Die laparoskopische Versorgung einer Ulkusperforation wurde 1990 erstmals beschrieben (Mouret et al. 1990). Als Verfahren der Wahl bietet sich hier die einfache Übernähung der Perforationsstelle an. Gegebenenfalls wird die Naht durch einen gestielten Zipfel aus Omentum majus gedeckt (Song 2008). Die alternative laparoskopische Ver-
. Abb. 27.18a–c Operative Versorgung eines perforierten juxtapylorischen Ulkus. a Situation nach spindelförmiger Exzision der Ulkus in Längsachse und transpylorisch; b nach einem KocherManöver queres Vernähen der Exzisionsstelle als Pyloruserweiterungsplastik; c abgeschlossene Naht und digitale Überprüfung auf Durchgängigkeit
b
c
437 27.9 · Peptische Ulkusperforation
. Abb. 27.19 Operative Versorgung eines perforierten Ulcus duodeni. Spindelförmige Ulkusexzision quer zur Duodenalachse und queres Vernähen der Duodenotomie
. Abb. 27.20 Ulkusexzision bei perforiertem Ulcus ventriculi am Angulus quer zur Magenachse mit anschließender querer Naht
sorgungsmethode ist die Omentum-patch-Plastik, die die freie Perforation in eine gedeckte verwandelt (. Abb. 27.21; Böhm et al. 2001). Gemäß der Consensus Konferenz der European Association for Endoscopic Surgery ist die Laparoskopie beim akuten Abdomen mit Verdacht auf peptischer Perforation statthaft (Sauerland et al. 2006). Jedoch eignen sich nicht alle Patienten für dieses Verfahren (Katkhouda et al. 1999; Metzger et al. 2001). Indikationen für die Laparoskopie sind in der Regel gegeben, wenn die Anamnese weniger als 24 h andauert, kein Schockzustand besteht und der Perforationsdurchmesser nicht größer als 6 mm ist (Katkhouda et al. 1999; Malkov et al. 2004). In bis zu 12–25% der Fälle muss vom laparoskopischen Eingriff zum offenen Verfahren konvertiert werden (Zittel 2000; Bertleff u. Lange 2009). Seit 1990 werden zunehmend Arbeiten mit der laparoskopischen Versorgung der perforierten gastroduodenalen Ulkuserkrankungen veröffentlicht. Dabei wurde in den meisten Serien eine längere Operationsdauer, verglichen mit der konventionellen Laparotomie, aufgezeigt (Zittel 2000; Siu et al. 2002). Nachteilig bei der laparoskopischen Technik ist die höhere Frequenz an Nahtinsuffizienzen im Vergleich zum offenen Verfahren (Lunevicius u. Morkevicius 2005a). In einigen Arbeiten wird ein verminderter postoperativer Schmerzmittelbedarf bei der laparoskopischen Gruppe festgestellt (Lau et al. 1996; Zittel 2000). Eine randomisierte kontrollierte Studie zeigte für das laparoskopische Vorgehen kürzere Operations- und Hospitalisationszeiten und weniger pulmonale Infekte auf verglichen mit dem offenen Vorgehen (Siu 2002). Eine Metaanalyse (Lunevicius u. Morkevicius 2005a) anhand von 15 verschiedenen publizierten Arbeiten mit insgesamt 1113 Patienten zeigte für das laparoskopische Verfahren im Vergleich zur offenen Technik weniger Wundinfektionen und eine niedrigere Mortalität. Die wenigsten der zitierten Studien waren randomisiert, weswegen hier ein Selektions-bias zu Ungunsten der offenen Laparotomie zu postulieren ist. Die Konversionsrate zur Laparotomie betrug in dieser Übersichtsarbeit 19%. Bei weniger günstigen Verhältnissen lohnt sich die Forcierung des laparoskopischen Vorgehens nicht. Die einsetzende Peritonitis benötigt eine rigorose Peritoneallavage und ein Débridement eventuell vorhandener Fibrinbeläge. Ausgeprägte Fälle mit langem Intervall zwischen Perforation und chirurgischer Intervention benötigen u. U. eine programmierte Relaparatomie nach 48 h.
Konservative Therapie Perforierte Ulzera können sich im Verlauf spontan abdichten (Donovan et al. 1998). In ausgewählten Fällen kann hier die konservative Behandlung zum Ziel führen. Voraussetzungen dafür sind allerdings die nasogastrische Sonde zur Entlastung, eine medikamentöse Ulkustherapie, Antibio-
27
438
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
27
. Abb. 27.21a–d Verschluss eines perforierten Ulcus duodeni an der Vorderwand des Bulbus duodeni durch Omentum-Patch. a Stich
durch die Duodenalwand; b Fassen des Omentums; c Stich durch die Duodenalwand; d zusätzliche Stichsicherung durch Einzelknopfnähte
tika und die radiologische Magen- und Duodenumdarstellung mit wasserlöslichem Kontrastmittel, mit der gezeigt werden kann, dass sich ein Extravasat nicht in die freie Bauchhöhle entleert. Ist Letzteres aber der Fall, oder bessert sich der klinische Zustand des Patienten binnen 12 h nicht wesentlich, so muss die Indikation zur operativen Ulkusanierung gestellt werden. In einer randomisierten, kontrollierten Studie wurde die konservative Behandlung mit der operativen bei 83 Patienten verglichen (Crofts et al. 1989). Die Mortalität war in beiden Gruppen mit 5% gleich hoch. Im Vergleich zu jüngeren Patienten führte die konservative Behandlung bei über 70-jährigen Patienten signifikant häufiger nicht zum Ziel. Überdies war der Klinikaufenthalt bei den konservativ behandelten Patienten signifikant länger als bei den Operierten. Jüngere Patienten (<40 Jahre) ohne nichtsteroidale Antirheumatika sind zum größten Teil mit Helicobacter pylori infiziert und dürften sich am ehesten für die konservative Ulkustherapie qualifizieren. Gerade bei diesen Patienten mit niedrigem Operationsrisiko favorisieren wir jedoch das laparoskopische Vorgehen. In einer
anderen prospektiven Studie konservativ therapierter Patienten mit Ulkusperforation mussten im Verlauf 8 von 49 Patienten operiert werden. Die Gesamtmortalität lag bei eindrücklichen 10% (Marshall et al. 1999).
Ergebnisse Mit dem Einzug der Antibiotikatherapie in die Klinik haben sich Mortalität und Morbidität nach peptisch bedingter Perforation seit den 1950er-Jahren stetig verringert (Svanes et al. 2000). Hauptfaktoren, die das Sterberisiko beeinflussen, sind das Intervall zwischen Perforation und Ulkussanierung, das Patientenalter, internistische Begleiterkrankungen und das Ulcus ventriculi (. Tab. 27.20). In neueren Publikationen liegt die operative Mortalität bei der Ulkusperforation zwischen 1,4 und 9% (. Tab. 27.21). Bei über 70-jährigen Patienten lag die 30-Tage-Mortalität in einer Serie aus Schweden bei 27% (Blomgren 1997). Präoperativer Schockzustand und Immunosuppression stellen ebenfalls Faktoren für eine erhöhte Mortalität dar (Evans u. Smith 1997; Lunevicius u. Morkevicius 2005b). Der fatale Ausgang ist zu 81% durch unkontrollierbare syste-
439 27.9 · Peptische Ulkusperforation
. Tab. 27.20 Risikofaktoren für die Mortalität nach perforiertem peptischem Ulkus Faktor
Vergleich
Erhöhung der Mortalität
Autor/Jahr
Verzögerung bis zur Laparotomie
>6 h vs. <6 h
5-fach
>12 h vs. <12 h
4- bis 6-fach
Svanes 1994, Wakayama 1994, Blomgren 1997, Lunevicius 2005a
>24 h vs. <24 h
9-fach
>50 Jahre vs. <50 Jahre
6- bis 16-fach
>70 Jahre vs. <70 Jahre
2,5- bis 10-fach
Internistische Begleiterkrankung
Vorhanden vs. nicht vorhanden
3-fach
Hermannsson 1997
Ulkuslokalisation
Magen vs. Duodenum
2- bis 4fach
Blomgren 1997, Wakayama 1994
Alter
. Tab. 27.21 Morbidität und Mortalität bei der Ulkusperforation Autor
Jahr
Patienten (n)
Komplikation (%)
Mortalität (%)
Katkhouda
1999
30
20
4,0
Sillakivi
2000
394
20,6
5,6
Cougarda
2000
419
13,4
1,4
Lee
2001
436
20,4
7,8
Metzger
2001
47
22
4,0
Tsugawa
2001
130
n.a.
5,4
Siu
2004
172
16,3
8,1
Lunevicius
2005b
222
22
9,0
Palanivelu
2007
120
7,5
0
Song
2008
35
5,7
0
a
Sammelstatistik der Französischen Arbeitsgemeinschaft für laparoskopische Chirurgie (18 beteiligte Zentren)
mische Infektion bedingt (Chou et al. 2000). Die meisten Patientenserien zeigen Komplikationsraten um 20% auf (. Tab. 27.21). Dabei werden abdominelle Komplikationen (. Tab. 27.22) in etwa gleicher Häufigkeit vorgefunden wie systemische, ulkusbedingte, lokale Komplikationen sind seltener (Bornman et al. 1999).
27.9.6
Literatur
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Svanes 1994, Wakayama 1994, Irvin 1989, Hermannsson 1997, Lunevicius 2005a
Spektrum postoperativer Komplikationen
Gruppe
Komplikationen
Systemisch
Pneumonie, Nierenversagen, Kathetersepsis, Thromboembolie
Abdominell
Persistierende Peritonitis, intraabdomineller Abszess, Wundinfekt, Bauchdeckendehiszenz, Ileus
Lokal, ulkusbedingt
Intestinale Blutung, Reperforation, Magenausgangsstenose
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27
440
27
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
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27.10
Magenausgangsstenose A.H. Hölscher
Die Magenausgangsstenose (MAS) wird heute häufiger durch ein Antrumkarzinom verursacht als durch eine Ulkuskrankheit. Diese Differenzialdiagnose ist sehr wichtig, da endoskopische Biopsien aus der Stenose eine niedrige Sensitivität besitzen. Floride MAS im Rahmen eines akuten Ulkusschubes sind von fixierten narbigen Stenosen zu diffe6
441 27.10 · Magenausgangsstenose
renzieren. Die Therapie besteht zunächst in einer konservativen Behandlung mit Dekompression via Magensonde, Ausgleich des Wasser- und Elektrolythaushaltes, parenteraler Ernährung und medikamentöser Ulkustherapie. Die endoskopische Dilatationsbehandlung führt v. a. bei der floriden MAS zum Erfolg, muss aber häufig wiederholt werden. Bei einem Drittel der Patienten mit benigner MAS und initialer Ballondilatation wird später eine Operation (Stenosenplastik, Resektion) nötig.
27.10.1
Definition und Klassifikation
Unter der benignen MAS versteht man die organische Einengung von distalem Magen, Pylorus oder proximalem Duodenum als Folge einer gutartigen Erkrankung mit klinisch relevanter Verzögerung der Magenentleerung. Die MAS ist seltener im eigentlichen Pyloruskanal, sondern meistens postpylorisch lokalisiert (Mäkelä et al. 1996). Pathogenetisch wird die floride MAS als Folge einer entzündlichen Reaktion mit Begleitödem im akuten Ulkusschub von der narbigen Form als Folge rezidivierender abgeheilter peptischer Läsionen unterschieden. Eine funktionelle MAS entsteht als Folge einer Muskelhypertrophie von Pylorus und Antrum. Eine MAS wird solange als kompensiert bezeichnet, wie durch gesteigerte Peristaltik die Magenentleerung noch möglich ist. Das typische Erbrechen unverdauter Speisen fehlt hier. Bei anhaltender Obstruktion dekompensiert der Magen und es kommt zu Dilatation und Atonie. Der nunmehr komplette Entleerungsstopp führt zu rezidivierendem Erbrechen. Heute sind peptische Ulzera seltener Ursache der MAS als Malignome (Awan et al. 1998; Khullar u. DiSario 1996; Shone et al. 1995, Paimela et al. 2004). Bei Ulkuspatienten wird die Stenosehäufigkeit zwischen 2–16% angegeben (Hölscher u. Siewert 1982; Hölscher et al. 1990). Patienten mit benigner MAS haben in der Regel eine 10- bis 12-jährige Ulkusanamnese (Pelot u. Hollander 1985). Dies bedeutet, dass im Regelfall mehrere Ulkusschübe abgelaufen sein müssen, bevor eine relevante Obstruktion eintritt. Narbige Stenosen können sich auch postoperativ nach Übernähung eines perforierten, pylorusnahen Ulcus duodeni ausbilden.
27.10.2
Klinische Symptomatologie
Die MAS ist charakterisiert durch Druck- und Völlegefühl im Oberbauch, das sich mit zunehmender Magenfüllung verstärkt und durch Erbrechen sofort bessert (charakteristischer Symptomwechsel). Das schwallartige voluminöse Erbrechen von länger retinierten, unverdauten Speisen
ist als Leitsymptom der MAS anzusehen (Delaney 1978). Bei unbehandelter MAS verringert sich im Verlauf die schmerzhafte Peristaltik und es kommt zur Dilatation. Mit dem Einsetzen der Atonie werden Schmerzen durch ein konstantes Völlegefühl ersetzt. Das klinische Bild des profusen schwallartigen Erbrechens in der Spätphase der MAS ist eher auf das Versagen der Peristaltik als auf den eigentlichen Stenosegrad zurückzuführen. Eine lange bestehende MAS kann zu einer sekundären gastroösophagealen Refluxkrankheit Anlass geben. Schwerste Dilatation im Endstadium führt zum Cavakompressionssyndrom und zur Magenruptur. > Die wichtigste Folge der unbehandelten, dekompensierten MAS ist der Elektrolyt- und Flüssigkeitsverlust.
Der Salzsäureverlust durch das Erbrechen führt zu einer metabolischen hypochlorämischen Alkalose. Hinzu treten Hypokaliämie und Hyponatriämie durch Verluste mit dem Magensaft und mit dem Urin als Begleitkationen von Bikarbonat im Rahmen der renalen Kompensation. Letztendlich führt die MAS zu Katabolie und Kachexie.
27.10.3
Diagnostik
Bei der klinischen Untersuchung findet sich bei schlanken Patienten eine durch die Bauchhaut sichtbare Magenperistaltik, ein tastbares dilatiertes Organ und auskultatorisch nachweisbare Plätschergeräusche. Praktisch alle Patienten verlieren an Körpergewicht mit der MAS. Eine abnorm erhöhte Nüchternsekretmenge (>300 ml pro 24 h in der Magensonde) ist ein wichtiges Zeichen der Magenretention. > Für die Diagnose einer MAS sollten 3 Faktoren erfüllt sein (Delaney 1978): Erbrechen und signifikanter Gewichtsverlust, Magendilatation mit Magensaftrestmenge und Stenosendurchmesser von weniger als 9 mm.
Endoskopisch lassen sich vorhandene Speisereste trotz mehrstündigem Fasten, eine Dilatation, ein deformierter Magenausgang sowie die Unmöglichkeit der Passierbarkeit des Untersuchungsinstrumentes erheben. Endoskopische Biopsien können ein Malignom als Ursache der MAS beweisen, aber bei einer niedrigen Sensitivität nie ausschließen (Awan et al. 1998). Die Abdomenleeraufnahme stellt eine dilatierte lufthaltige Magenblase mit Spiegelbildung dar. Durch Kontrastmitteluntersuchung lässt sich der Stenosegrad direkt radiologisch vermessen. Um die extrapylorische/extraduodenale Region bildgebend erfassen zu können, eignen sich Computertomographie und endoluminaler Ultraschall (Khullar u. DiSario 1996). Die Magenentleerungsstörung kann durch alimentäre Entleerungs-
27
442
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
szintigraphie funktionell quantifiziert werden (Hör u. Baew-Christaw 1993). Die intraoperative Klassifizierung erfolgt am exaktesten durch eine offene Passageprüfung mit Hegarstiften.
27.10.4
27
Indikationsstellung, Therapieziele und Verfahrenswahl
Therapieziel ist die Behebung der Stenose. Initial soll der Magen mit einer Sonde entlastet werden. Unverdaute Nahrungsreste werden mit Kochsalzlösung über einen großkalibrigen Magenschlauch ausgespült. Die weitere Dekompression ist vom Stenosegrad und dem Sekretionsvolumen abhängig. Wenn die kontinuierlich abgesaugte Magensaftmenge weniger als 250 ml/12 h beträgt, kann auf eine einmalig tägliche Entlastung übergegangen werden. Der Ausgleich des Wasser- und Elektrolythaushaltes erfordert die Substitution von Wasser, Natrium, Kalium, Chlorid und die Korrektur der Alkalose. Das vollständige Ausmaß der Bluteindickung und der Verluste ist oft erst nach genügender Rehydrierung manifest. Gleichzeitig werden eine parenterale Ernährungstherapie und eine konservative Ulkusbehandlung (Protonenpumpenhemmer und Helicobacter-Eradikation) begonnen (Hopkins 1997; Lee u. O‘Moran 1997; Misiewicz 1997). Eine HelicobacterInfektion wurde bei 45–69% der Patienten gefunden, die wegen einer MAS operiert werden mussten (Tokunaga et al. 1998). Unter den genannten Maßnahmen wird eine reversible MAS in wenigen Tagen erkennbar sein (Stabile u. Passaro 1993). Prinzipiell stellt das Versagen der konservativen Therapie einschließlich der pneumatischen Dilatation jenseits des 5. bis 7. Tages eine Operationsindikation dar. Hier sind die allgemeingültigen Operationsmethoden der elektiven Ulkuschirurgie anzuwenden (7 Abschn. 27.5 und 7 Abschn. 27.7). Bei der Kombination verschiedener Komplikationen (z. B. Stenose und Blutung) ist die Indikationsstellung zur Chirurgie dem Individualfall anzupassen (Lam et al. 1978). Der Karzinomverdacht stellt ebenfalls eine Indikation dar, insbesondere in Anbetracht der niedrigen Sensitivität bezüglich des Malignitätsnachweises durch Biopsien (Awan et al. 1998).
27.10.5
Operationstechnik und Ergebnisse
Die Langzeitergebnisse der endoskopischen Dilatationsbehandlung sind ernüchternd. Sie kann insbesondere bei florider Stenose zu einer Besserung der Symptomatik führen. Bei narbigen Stenosen kommt es rasch wieder zur Restenosierung (Khullar u. DiSario 1996). Etwa ein Drittel der Patienten sind durch eine einmalige Dilatation von ihren
Symptomen befreit, weitere 33–84% brauchen wiederholte Dilatationen und 30% benötigen später doch eine Operation. Stentplatzierungen durch die Stenose wurden versucht, um Restenosierungen zu vermeiden, Langzeitbeobachtungen damit sind aber limitiert (Khullar u. DiSario 1996). Für die chirurgische Behebung der Stenose stehen die operative Dilatation, die Stenosenplastik, die Manschettenresektion und die distale Magenresektion zur Verfügung. Eine Gastroenterostomie als Bypassverfahren kommt nur in besonders gelagerten Fällen zur Anwendung (Zittel et al. 2000). Die operative offene oder geschlossene Dilatation kann u. U. gleich effektiv sein wie die Stenose- oder Pyloroplastik, birgt aber das Risiko der Restenosierung (Delaney 1978; Thomson u. Galloway 1979). Bei unauflösbarer Stenose oder Ruptur bei der Dilatation erfolgt die Segment- oder Manschettenresektion mit nachfolgender Gastroduodenostomie. Eine Erweiterungsplastik lässt sich manchmal wegen narbiger Wandverhältnisse chirurgisch nicht sicher ausführen. Bei Patienten, die durch Antrektomie oder Billroth-I-Resektion behandelt wurden, trat eine Restenosierunge in 5–8% auf (Mäkelä et al. 1996). In einer randomisierten Studie wurden 3 verschiedene chirurgische Techniken bei der durch ein Duodenalulkus verursachten MAS untersucht (Csendes et al. 1993). Die erste Gruppe erhielt eine proximal selektive Vagotomie (PSV) und eine Gastrojejunostomie, die zweite eine PSV kombiniert mit einer Jaboulay-(Seit-zu-Seit)Gastroduodenostomie und die dritte eine PSV mit Antrektomie. Bezüglich des säurereduktiven Effektes der Vagotomie und der Morbidität schnitten alle 3 Gruppen gleich ab. Nach einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 98 Monaten war das funktionelle Resultat, gemessen am Patientenanteil mit Visick-Score I, bei der ersten Gruppe mit 80% am besten. Für die Gruppe mit Antrektomie war der Anteil 75% und bei derjenigen mit der Jaboulay-Anastomose 70%. Die PSV in Kombination mit einer pyloroduodenalen Dilatation sollte nicht mehr durchgeführt werden, da hohe Ulkusrezidiv- und Restenosierungsraten über 40% berichtet worden sind (Mäkelä et al. 1996, Stabile u. Passaro 1993). Alle diese Behandlungsresultate kombiniert mit Vagotomien stammen aus der Zeit vor einer effektiven H.-p.-Eradikationsbehandlung. Die Infektion mit H. pylori wurde bei der Mehrzahl der Patienten, die wegen einer MAS operiert worden sind, gefunden (Tokunaga et al. 1998). Die konsequente H.-p.-Eradikation wird heute bei diesen Patienten mit MAS empfohlen (Hopkins 1997; Zittel et al. 2000).
443 27.11 · Postoperative Folgezustände nach Magenresektion und Vagotomie
27.10.6
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27.11
Postoperative Folgezustände nach Magenresektion und Vagotomie A.H. Hölscher
Für die Beurteilung der Spätergebnisse nach Magenresektion oder Vagotomie sind neben den Ulkusrezidivraten die Folgesymptome von Bedeutung. Dazu wird unter anderem die von Visick beschriebene Klassifikation herangezogen. Nach Magenresektion ist die Rekonstruktion nach Billroth II (oder Roux-Y-Gastrojejunostomie) funktionell eindeutig weniger günstig als diejenige nach Billroth I. Dumpingbeschwerden, Diarrhö, Gewichtsverlust, Anämie und Osteoporose sind in höherem Prozentsatz nach Gastrojejunostomie als nach Gastroduodenostomie anzutreffen. Das Magenstumpfkarzinom entsteht aus der langjährig persistierenden atrophen Gastritis mit intestinaler Metaplasie, die als fakultative Präkanzerose anzusehen ist. Alle Vagotomieformen verändern die Magenmotorik und die rezeptive Relaxation des Fundus. Nach Denervation fehlt die koordinierte Schrittmacherfunktion des Magens. Postoperative Folgezustände betreffen Dysphagie, Dumping und Diarrhö. Nur nach proximal selektiver gastrischer Vagotomie mit Erhaltung der Antruminnervation sind diese Folgezustände minimal ausgeprägt.
27.11.1
Folgezustände nach Magenresektion
Refluxösophagitis Sie stellt im Rahmen von Postgastrektomiebeschwerden nur einen Teilaspekt verschiedener Syndrome dar und ist nach Billroth-II-Resektion – indirekt manometrisch evaluiert – ausgeprägter als nach Billroth-I-Operation. Für die konservative Therapie stehen H2-Rezeptorenblocker, Protonenpumpenhemmer und Gallensäuren-bindende Substanzen (Cholestyramin oder Antazida) zur Verfügung. Bei therapieresistenter Refluxkrankheit hat sich die Umwandlung in die Roux-Y-Anastomose bewährt.
Dumpingsyndrom Frühdumping Das Dumpingsyndrom ist Folge des distal
resezierten, inkontinenten Magens (Mix 1922). Frühdumping wird definiert als gastrointestinale und kardiovaskuläre vasomotorische Symptome, die binnen einer halben Stunde nach Nahrungsaufnahme auftreten. Vor allem nach flüssigen, vor allem kohlehydrat- und fettreichen Mahlzeiten können Übelkeit, Hitzegefühl, Schwitzen, Tachykardie, Blutdruckabfall, Völlegefühl, Aufstoßen, Erbrechen und Diarrhö auftreten. Zwei verschiedene pathogenetische Mechanismen führen zum Spätdumping. Die in den Dünndarm rasch einströmende hyperosmolare Nahrung
27
444
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
vermag – wie Provokationstests gezeigt hatten – zwischen 400 ml und 800 ml Volumen aus dem Plasmavolumen relativ rasch zu entziehen (Roberts et al. 1954). Andererseits führt der hyperosmolare Reiz der intestinalen Mukosa zur Ausschüttung humoraler Faktoren wie Neurotensin, Bradykinin, vasoaktives intestinales Peptid und Polypeptid YY, die die Dumpingsymptome verstärken (Woodward u. Hocking 1987). Spätdumping Es tritt 1–3 h nach der Nahrungseinnah-
27
me auf und ist durch Schwitzen, Schwäche- und Hungergefühl gekennzeichnet. Im Gegensatz zum Frühdumping fehlen jedoch die vasomotorischen Symptome sowie Diarrhö. Die schnelle Glukoseabsorption induziert nicht nur primär eine Hyperglykämie, sondern auch eine überschießende Sekretion des insulinotropen Hormons GLP-1, das in den sog. L-Zellen des unteren Intestinaltraktes gebildet wird. Hyperglykämie und GLP-1-Erhöhung führen zu einer abnorm gesteigerten Insulinausschüttung, die letztlich eine Hypoglykämie verursacht (Toft-Nielsen et al. 1988). Epidemiologie Dumping besteht bei ca. 20% magenresezierter Patienten und ist direkt proportional zum Ausmaß der Resektion (Woodward u. Hockning 1987). Häufigkeit und Schweregrad dieser Nebenwirkung sind nach Billroth II ausgeprägter als nach Billroth I. Neuere Publikationen verzeichnen je nach Rekonstruktionstyp zwischen 1,1 und 9,2% postoperatives Dumping (. Tabelle 27.22). Therapie Die Therapie besteht in einer Flüssigkeitsrestrik-
tion während den Mahlzeiten, einer Fraktionierung in mehrere kleine Mahlzeiten, der Vermeidung von freien Zuckern oder Disacchariden (Ersatz durch Stärke oder Glukagon) und in der Verwendung von Quellstoffen, die die Magenentleerung hemmen können. In schweren therapierefraktären Fällen ist die Verabreichung des Somatostatinanalogons Octreotid angezeigt (Farthing 1993; Hölscher 1990; Vecht et al. 1999). Die Glukoseabsorption im Dünndarm kann ferner durch die Gabe des α-Glukosidaseinhibitors Acarbose gehemmt und somit Dumpingsymptome gebessert werden. Acarbose blockiert reversibel die Spaltung von komplexen Kohlenhydraten in die absorbierbaren Monosacharide (Imhof et al. 2001). > Die chirurgischen Optionen zur Behandlung des schweren Dumpings sind die Einengung des gastrointestinalen Stomas, die Rekonstruktion der Duodenalpassage (falls nach Billroth II technisch möglich) und die Interposition einer Magenersatzplastik oder eines Jejunumsegmentes zwischen Magen und Duodenum.
Atrophische Gastritis Innerhalb von 10 Jahren nach Magenresektion bildet sich bei 80–90% der Patienten eine atrophische Gastritis unterschiedlichen Ausmaßes aus. Trotz endoskopischem Befund einer Hyperämie der Magenschleimhaut (Magenerythem) und starker histologischer Veränderungen bleibt die große Mehrzahl der Patienten beschwerdefrei (Hoare et al. 1976). Etwa 10% magenresezierter Patienten klagen über behandlungsbedürftige Symptome wie epigastrische Schmerzen, Völlegefühl und galliges Erbrechen (Bondurant et al. 1987). Charakteristisch sind das Abklingen der Symptomatik nach galligem Erbrechen sowie ihre Verstärkung durch Stimulation der Galle- und Pankreassekretion. Ursache ist nicht die atrophische Stumpfgastritis per se, sondern der enterogastrale Reflux. Die Gastritis ist beim Billroth-II-Magen ausgeprägter als beim Billroth I (Werner et al. 1975). Sie nimmt jährlich im Mittel um 3% an Ausprägung zu (Kliems et al. 1979). Retrokolische Billroth-IIAnastomosen sind im Vergleich zu antekolischen oder zu Billroth-I-Anastomosen besonders refluxgefährdet. Zudem wurden mit steigendem intragastralen pH-Wert eine Zunahme der Keimbesiedelung und ein vermehrtes Auftreten der atrophischen Gastritis nachgewiesen (Schumpelick 1979). > Bei ausgeprägten Beschwerden der Refluxgastritis ist die isoperistaltische Jejunuminterposition oder die Umwandlung in eine Roux-Y-Anastomose indiziert (Bondurant et al. 1987; Kennedy u. Green 1978; Menguy u. Chey 1980).
Der therapeutische Effekt der Roux-Y-Ableitung zeigt sich dabei am stärksten an der Besserung der Symptome. Günstig beeinflusst werden galliges Erbrechen und retrosternaler Schmerz (Siewert 1980). Zwei prospektive Studien bestätigten diese Effekte der Roux-Y-Ableitung bei der gastralen Refluxkrankheit (Hoare et al. 1976; Malagelada et al. 1979). Interessant ist aber, dass sich die Gastritis nach der Roux-Y-Ableitung nicht zurückbildet. Dies kann bedeuten, dass sie nicht Folge des galligen Refluxes ist – einige Autoren (Alexander-Williams u. Hoare 1980) sehen sie als Folge der Hypochlorhydrie an – oder dass die Gastritis nicht mehr reversibel ist.
Magenstumpfkarzinom Die chronisch bestehende atrophische Stumpfgastritis mit intestinaler Metaplasie wird als fakultative Präkanzerose angesehen. Die Inzidenz der Magenstumpfkarzinome hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Nach einem Zeitintervall von 15 Jahren ist in ca. 3% mit einem Stumpfkarzinom zu rechnen (Ovaska et al. 1986). Eine japanische Sammelstatistik von 881 Magenstumpfkarzinomen zeigte, dass Patienten, die wegen einer benignen Erkrankung eine Billroth I Resektion hatten, im Durchschnitt nach 27 Jah-
445 27.11 · Postoperative Folgezustände nach Magenresektion und Vagotomie
ren und Patienten mit Billroth II nach 34 Jahren ein Karzinom im Restmagen entwickeln (Tanigawa et al. 2010). Therapie der Wahl ist die Restgastrektomie und regionäre Lymphadenektomie (Piso et al. 1999). Während in früheren Untersuchungen von einer verminderten Resezierbarkeit und einem um 7% schlechteren 5-Jahres-Überleben des Stumpfkarzinoms (Ovaska et al. 1986) gegenüber dem primären Magenkarzinom berichtet worden ist, kann ein solcher Unterschied heute nicht mehr gesehen werden (Thorban et al. 2000, Ojima et al. 2010).
sind die Ursachen (Marcinowska et al. 1995; Shingelton et al. 1957; Pääkonen et al. 1982). Knochenveränderungen nach Magenresektion werden bei bis zu 40% der Patienten beschrieben. In der Knochendensitometrie finden sich nach Billroth-II-Resektion um 20% verminderte und nach Billroth-I-Resektion um 8% verminderte Werte gegenüber Kontrollindividuen (Mellström et al. 1993).
Malnutrition
Postvagotomiedysphagie
Die Ursachen von Malnutrition und Malabsorption nach Magenresektion sind vielfältig. Die meisten dieser Störungen sind von geringem Ausmaß und werden selten zum klinischen Problem. Eine behandlungsbedürftige Malnutrition entwickelt sich vorwiegend nach einer Resektion vom Typ Billroth II. Im Langzeitverlauf berichten Mellström und Rundgren bei den Billroth-II-Resezierten im 70. Lebensjahr ein um durchschnittlich 6 kg und im 75. Lebensjahr ein um 11 kg vermindertes Körpergewicht gegenüber einer altersgleichen nichtoperierten gesunden Gruppe (Melström u. Rutgreen 1982). Im Gegensatz zu älteren Arbeiten ließ sich in neueren Studien bei Patienten mit Billroth-I-Resektion postoperativ kein signifikanter Gewichtsabfall mehr nachweisen; teilweise wurde sogar eine signifikante Gewichtszunahme bei diesen Patienten festgestellt.
Sie stellt eine akute postoperative, meist passagere Schluckstörung dar und ist als direkte Folge der Präparation im distalen Ösophagusbereich zu betrachten. Die Dysphagie tritt bei etwa 2% aller Vagotomietypen auf normalisiert sich innerhalb 2–3 Monaten postoperativ spontan (Taylor 1999).
Anämie Etwa die Hälfte der Magenresezierten weist 20 Jahre postoperativ eine Anämie auf (Tovey u. Clark 1980). Sie ist häufiger und ausgeprägter nach einer Billroth-II- als nach einer Billroth-I-Resektion und häufiger bei Patienten, die wegen eines Ulcus ventriculi, als bei solchen, die wegen eines Ulcus duodeni operiert worden sind. In abnehmender Häufigkeit liegt der Anämie ein Mangel an Eisen, Vitamin B12 oder an Folsäure zugrunde. Eine Kombination dieser Anämietypen ist häufig (Mellström u. Rundgren 1982). Die gestörte Eisenresorption im Darm ist die Folge der reduzierten Säurekonzentration, der fehlenden Duodenalpassage (Hauptort der Eisenresorption) bei der Billroth-II- oder Roux-Y-Rekonstruktion sowie der beschleunigten Darmpassage. Die genannten Anämieformen sind durch parenterale Substitution von Eisen oder der entsprechenden Vitamine einfach zu behandeln.
Knochenveränderungen Das Auftreten einer Osteomalazie und Osteoporose nach Magenresektion ist multifaktoriell bedingt. Verminderte Aufnahme von Kalzium und Vitamin D (v. a. bei Fettmalabsorption) sowie der Ausschluss der Duodenalpassage, wo sich der Hauptsitz der Kalziumresorption befindet,
27.11.2
Folgezustände nach Vagotomie
Dumping Dumping tendiert zur Besserung mit der Zeit postoperativ, kann sich selten aber auch Jahre nach dem Eingriff ausprägen. Die selektiv gastrische Vagotomie wurde 1948 von Jackson und Franksson propagiert, um die Häufigkeit an postoperativem Dumping und Diarrhö nach Vagotomie durch Erhaltung aller extragastrischen Vagusfasern zu reduzieren (Taylor 1999). Nach selektiv-gastrischer Vagotomie und Antrektomie wird Dumping bei einem Viertel der Patienten beobachtet (Macintyre et al. 1990). Die PSV mit Erhaltung der Antrummotilität zeigt in größeren Serien postoperatives Dumping bei 2,3–5,4% der Fälle (Enskog et al. 1986; Macintyre et al. 1990).
Postvagotomiediarrhö Sie entsteht aus verschiedenen pathophysiologischen Folgen nach Vagotomie: Die gestörte Magenmotilität mit pathologischem Entleerungsmuster führt zu einem gesteigerten intestinalen Transit. Eine verminderte Säuresekretion des Magens begünstigt die bakterielle Besiedelung des Dünndarms. Zudem führt die bakterielle Spaltung von Gallensäuren zur Malabsorption von Triglyzeriden, Fettsäuren, Aminosäuren und Kohlehydraten. Die osmotische Belastung nichtresorbierter Nahrungsbestandteile, die sich ins Kolon entleeren, führen dann schließlich zum Durchfall. Die Diarrhö kann in bis zu 3% invalidisierend sein mit Stuhldrang, Unterbauchschmerzen und wässrigen Entleerungen, die zu Inkontinenz führen können. Diarrhö wird nach selektiv-gastrischer Vagotomie und Antrektomie in bis zu 15% beobachtet (Jordan u. Condon 1970), nach PSV zwischen 3 und 11% (Enskog 1986; Jordan u. Condon 1970). Im Allgemeinen werden diätetische Maßnahmen mit Begrenzung der Flüssigkeitszufuhr, häufigen kleinen
27
446
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
Mahlzeiten und Reduktion freier Kohlehydrate oder Disaccharide sowie ballastreiche Kost ausreichen. Die Gabe von Spasmolytika und Antidiarrhoika neben gallesalzbindenden Substanzen (Cholestyramin, Aluminiumhydroxid) hilft in der Regel. Bei den seltenen schwersten Postvagotomiediarrhöen nach SGV und Pyloroplastik wird die operative Rekonstruktion des Pylorus oder die Interposition eines anisoperistaltischen, ca. 8–10 cm langen Ileumsegmentes im mittleren Ileumbereich empfohlen (Frederiksen et al. 1980).
27 27.11.3
Literatur
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447 27.12 · Anomalien, Divertikel, Volvulus
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27.12
Anomalien, Divertikel, Volvulus A.H. Hölscher
Anomalien, Divertikel oder Volvulus des Magens sind entweder symptomlos und werden zufällig entdeckt, verursachen rezidivierende Beschwerden oder führen zum akuten Abdomen. Die Kenntnis dieser seltenen Veränderungen ist daher wichtig, um zufällige Befunde interpretieren zu können und bei Symptomen auch diese Erkrankungen in die Differenzialdiagnose mit einzubeziehen. Eine Operationsindikation besteht bei symptomatischen Anomalien, Divertikeln oder Volvuluszuständen. Dabei werden die Divertikel abgetragen bzw. die Anatomie wiederhergestellt, um Rezidive zu vermeiden. Volvuluszustände haben in der Regel eine Ursache wie Hiatushernien oder Tumoren, die gleichzeitig chirurgisch saniert werden müssen.
27.12.1
Anomalien
Lageanomalien des Magens (Dextrogastrie) treten beim partiellen oder totalen Situs inversus auf. Einzelfälle von Magenektopien im Thoraxraum sind beschrieben worden. Missbildungen in Form einer Agastrie oder Mikrogastrie sind Raritäten. Selten sind auch Duplikaturen (. Abb. 27.22), die auf Störungen in der Entwicklung des Septum oesophagotracheale zurück zu führen ist. Eine Magenduplikatur ist meist mit einer Duplikatur des unteren Ösophagus, mit Wirbelsäulenanomalien und mit einem aberranten Pankreas kombiniert (Wieczorek 1984). Zu den partiellen Doppelbildungen werden die Riesendivertikel gezählt (Ottenjann 1973). Von den kongenitalen Stenosen im Bereich des Magens wird die membranöse Stenose im distalen Antrum am häufigsten beobachtet. Hierbei handelt es sich um eine ringförmige Schleimhautmembran, die teilweise auch muskuläre Anteile enthalten kann. Sie ist von der hypertrophischen Pylorusstenose des Säuglingsalters zu trennen.
Klinische Symptomatologie Angeborene Lageanomalien sind meist asymptomatisch. Bei Doppelbildungen kann es jedoch durch Stagnation von Sekret und Nahrungsbestandteilen im Blindsack zu entzündlichen Wandveränderungen, Ulzerationen und Blutungen kommen. Durch sich schlecht entleerende Doppelbildungen und Riesendivertikel können Passagestörungen auftreten. Bei der antralen Membranstenose findet sich in Abhängigkeit von der Passagebehinderung das Bild einer Magenausgangsstenose (7 Abschn. 27.10). Die Diagnose wird bei allen Anomalien endoskopisch bzw. röntgenologisch gestellt (. Abb. 27.22).
27
448
Kapitel 27 · Gutartige Erkrankungen von Magen und Duodenum
27 . Abb. 27.22 Prädilektionsstellen von Magenduplikaturen. Häufigkeitsverteilung von 93 Fällen in einer Sammelstatistik. (Modifiziert nach Wieczorek et al. 1984)
. Abb. 27.23 Prädilektionsstellen von Magendivertikeln mit Aufsicht auf die Hinterwand. Häufigkeitsverteilung von 342 Fällen in einer Sammelstatistik. (Modifiziert nach Palmer 1951)
Therapie
zudem gastroösophageale Refluxbeschwerden hervorrufen. Plötzliche heftige Oberbauchschmerzen lassen an eine Stieldrehung am Divertikel oder an eine Perforation denken.
Die Dextrogastrie macht in der Regel keine Therapie erforderlich. Bei Doppelbildungen ist hingegen oft eine operative Behandlung indiziert, besonders bei Passagebehinderungen, rezidivierendem Erbrechen und Ulzerationen in der Doppelbildung. Behandlungsziel ist die Abtragung der Doppelbildung bis zur unveränderten Magenwand. Membranöse Stenosen werden nach Gastrotomie reseziert und der Schleimhautdefekt vernäht.
27.12.2
Divertikel
Magendivertikel sind Ausstülpungen der Magenwand, wobei sich meist die ganze Wand, gelegentlich aber auch nur einige Schichten durch die Längsmuskulatur nach außen ausstülpen.
Pathogenese Echte Divertikel bilden sich im Bereich eines Locus minoris resistentiae oder von Nachbarschaftsprozessen (Traktionsdivertikel). Die häufigste Divertikellokalisation ist subkardial an der Fundushinterwand (. Abb. 27.23; Palmer 1951). Weitere Prädilektionen sind präpylorisch und an der großen Kurvatur.
Klinische Symptomatologie Eine Faltenbildung am Divertikelhals kann einen ventilartigen Mechanismus auslösen, der bei der Magenfüllung eine Auffüllung des Divertikels zwar zulässt, aber den Abfluss aus dem Divertikel bei entleertem Magen erschwert. Ulzerationen, Divertikulitis, Blutungen und Perforationen können die Folge sein. Dies verursacht Druckgefühl und epigastrische Schmerzen. Subkardiale Divertikel können
Operationsindikation Asymptomatische Magendivertikel erfordern keine Therapie. Indikationen zur operativen Behandlung sind radiologisch oder endoskopisch nachgewiesene Ulzerationen, besonders bei bestehender oder stattgehabter Blutung. Absolute Indikationen sind Perforation und Stieldrehung. Kardianahe Divertikel mit Kardiainsuffizienz und Refluxösophagitis erfordern eine operative Behandlung.
Operative Therapie Das Ziel ist die sichere Divertikelabtragung. Ist trotz eindeutigem präoperativen radiologischen Nachweises das Divertikel intraoperativ nicht auffindbar, so wird der Pylorus mit einer weichen Klemme verschlossen und der Magen mit Wasser oder Luft (intraoperative Gastroskopie) angefüllt. Das Divertikel wird an seiner Basis im Bereich der unveränderten Magenwand quer zur Magenachse (linearer Stapler oder extramuköse Naht) abgetragen. Der Eingriff kann auch laparoskopisch erfolgen (Kim et al. 1999). Bei kardianahen Divertikeln ist eine Lumeneinengung zu vermeiden. Der Verschluss sollte hier über einem dicken Magenschlauch erfolgen.
27.12.3
Volvulus
Ein Magenvolvulus besteht dann, wenn das Organ um mindestens 180° gedreht ist. Diese Drehung erfolgt ent-
449 27.12 · Anomalien, Divertikel, Volvulus
Diagnostik Die Diagnose des akuten Volvulus ist präoperativ schwierig zu stellen. Hinweis kann eine bei der Röntgenübersichtsaufnahme des Abdomens auffällige Verlagerung der Luftblase des Magenfornix sein. Die Röntgenkontrastdarstellung klärt in der Regel die typische Lageveränderung des Magens. Beim akuten, kompletten organoaxialen Volvulus ist die Kontrastmittelfüllung oft nicht möglich, da die Kardia durch die Magendrehung verschlossen ist.
Therapie
. Abb. 27.24 Mögliche Achsen, um die eine Organdrehung zu einem Volvulus führen kann
weder um die kardiopylorische Längs- oder um die Transversalachse (. Abb. 27.24). Entsprechend unterscheidet man einen organoaxialen von einem mesenterioaxialen Volvulus. Der organoaxiale Volvulus kommt am häufigsten vor und ist verursacht durch Eventration, diaphragmale Hernie, Pylorusobstruktion, Adhäsionen oder durch einen zu weiten Hiatus oesophagei (Wastell u. Ellis 1971). Der akute Volvulus bietet das klinische Bild eines akuten Abdomens mit Brechreiz, aber Unfähigkeit zu erbrechen (Hafter 1973). Wesentlich symptomärmer ist die seltener auftretende chronische Form mit Druckgefühl im Oberbauch, Störungen bei der Nahrungsaufnahme und Brechreiz (Wastell u. Ellis 1971).
Pathogenese Durch die peritoneale Fixation der Kardia und der Pars descendens duodeni sowie durch das Lig. gastrolienale und gastrocolicum wird der Magen in seiner Position gehalten. Bei abnorm langem Bandapparat ist eine organoaxiale Drehung möglich. Bei Tumoren, besonders aber bei Ausdehnung des Abdominalraumes in den Thorax aufgrund eines Zwerchfelldefektes, kann es zu einer Anhebung des Pylorus und zu einer Dorsal-kaudal-Verlagerung des Fornix und damit zu einer mesenterioaxialen Drehung kommen. Paraösophageale Hiatushernien oder Mischhernien mit Ausbildung können einen proximalen, distalen oder totalen Magenvolvulus, den sog. »upside down stomach« hervorrufen (Hölscher et al. 1984; Landreneau 1997).
Klinische Symptomatologie Das klinische Bild beim akuten organoaxialen Volvulus ist durch Passage- und Durchblutungsstörungen bestimmt. Komplikationen des Volvulus sind Strangulation, Blutung, Perforation, Milzruptur, Pankreatitis, Kolongangrän, Omentumavulsion und Schock.
Beim akuten Volvulus ist die sofortige Laparotomie indiziert. Ist die Rückverlagerung des Magens auch nach Adhäsiolyse schwierig, so kann die Punktion des prall gefüllten Organs erforderlich sein. Nach Rückverlagerung ist auf irreversibel durchblutungsgestörte Wandabschnitte, die einer Resektion bedürfen, zu achten. In 28% der Fälle wird eine Magennekrose angetroffen (Carter et al. 1980). Liegt keine sonstige organische Ursache für die Magendrehung vor, so besteht die weitere operative Behandlung in einer Gastropexie (Hölscher et al. 1984; Landreneau 1997; Katkhouda et al. 2000). Dabei müssen sowohl der Magenfundus als auch die kleine Kurvatur an der vorderen Bauchwand mit nichtresorbierbaren Nähten fixiert werden. Bei Zwerchfelldefekt und paraösophagealer Hernie sollte vor der Gastropexie eine hintere Hiatoplastik durch Krurorrhaphie vorgenommen werden. 27.12.4
Literatur
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27
28
Chirurgische Behandlung der morbiden Adipositas R.A. Weiner
28.1
Klassifikation und Komorbidität
– 452
28.2
Epidemiologie
28.3
Bedeutung der Adipositaschirurgie und metabolischen Chirurgie – 452
28.4
Chirurgische Prinzipien
28.4.1 28.4.2 28.4.3
Restriktion – 453 Malabsorption – 454 Hormonelle Regulationen
28.5
Indikationsstellung
28.6
Ergebnisse der Adipositaschirurgie
28.7
Verfahrenswahl
28.7.1 28.7.2 28.7.3 28.7.4 28.7.5 28.7.6 28.7.7 28.7.8
Laparoskopie versus Laparotomie – 458 Operationsverfahren zur Gewichtsreduktion – 458 Vergleich der Operationsverfahren hinsichtlich des Gewichtsverlustes – 462 Komplikationen und Management – 462 N.O.T.E.S. – 463 Neue Zugangswege ab 2009: S.I.L.S. – 463 Metabolische Chirurgie – 464 Mehrschritttherapie – 464
28.8
Nachsorge
28.8.1 28.8.2 28.8.3 28.8.4 28.8.5 28.8.6 28.8.7 28.8.8
Notwendigkeit – 464 Gegenstand der Nachsorge – 465 Veränderung der Komorbiditäten und der Folgeerkrankungen Vermeidung von Mangel- und Fehlernährungen – 465 Früherkennung von chirurgischen Komplikationen – 465 Erfassung von Mangelzuständen – 466 Lebensqualität – 466 Psychosozialer Support – 466
28.9
Folgeoperationen
28.10
Literatur
– 452
– 453
– 455
– 456 – 457
– 458
– 464
– 466
– 466
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_28, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
– 465
452
28
Kapitel 28 · Chirurgische Behandlung der morbiden Adipositas
Die Chirurgie des krankhaften Übergewichts (Adipositas), auch Adipositaschirurgie (historischer Begriff: bariatrische Chirurgie) genannt, hat aufgrund des Versagens konservativer Therapiekonzepte und der ungebremsten Zunahme in der Prävalenz von Übergewicht und Adipositas weltweit eine stetig wachsende Bedeutung. Durch die Zunahme der Probleme im Kindes- und Jugendalter ist eine weitere Zunahme des Durchschnitts-BMI der Bevölkerung zu erwarten. Es ist wissenschaftlich belegt, dass die Chirurgie der konservativen, nicht-operativen Therapie in Bezug auf langzeitige Gewichtskontrolle (Andersen et al. 1984), Lebensqualität (Weiner et al. 2007) und Verbesserung von Komorbiditäten überlegen ist (Colquitt et al. 2003; Sjöstrom et al. 2007). Adipositas ist eine chronische Erkrankung, die nicht kausal zu behandeln ist. Prävention ist die wichtigste gesamtgesellschaftliche Aufgabe zur Lösung des Problems.
28.1
Klassifikation und Komorbidität
Die Schwere der Adipositas wird nach der WHO-Klassifizierung eingeteilt (. Tab. 28.1). Dabei wird derzeit der Body-Mass-Index (BMI) als Berechnungsgrundlage verwendet. Eine Veränderung der Klassifikation aufgrund der Zunahme von Extremformen und der Risikolage ist in Diskussion. > BMI = Körpergewicht (kg)/Körpergröße (m2)
Die Adipositas ist eng assoziiert mit dem metabolischen Syndrom. Durch die Hypertonie, Diabetes mellitus Typ 2, Hypercholesterinämie und Dyslipidämie wird die Entwicklung der Arteriosklerose mit koronarer Herzkrankheit und ein frühzeitigerer Tod durch kardiovaskuläre Komplikationen begünstigt. Weiterhin treten mit hoher Inzidenz eine obstruktive Schlafapnoe, Gallenblasenerkrankungen, degenerative Gelenkserkrankungen, und eine Vielzahl von weiteren Erkrankungen auf. Durch ein vermehrtes Auftreten von Karzinomen (Kolon, Gallenblase, Pankreas Leber, Mamma, Endometrium, Ovarien,
. Tab. 28.1 Klassifizierung der Adipositas nach WHO
Zervix, Prostata) wird die Lebenserwartung der Adipösen gegenüber einem Normalgewichtigen weiter signifikant verkürzt. Eine Gewichtsreduktion verbessert dagegen die Lebenserwartung (Adams et al. 2007; Busetto et al. 2007; Christou et al. 2004; Sjöstrom et al. 2007). Allein die Sterblichkeit an Krebserkrankungen wurde im 5-Jahres-Intervall um mehr als 60% verringert (Adams et al. 2007).
28.2
Epidemiologie
Die Inzidenz der morbiden Adipositas hat in den vergangenen Jahren in der westlichen Welt stetig zugenommen (WHO 2000). Dabei ist es nicht nur zu einer Zunahme der Anzahl von übergewichtigen Patienten gekommen, sondern auch das Ausmaß der Adipositas – gemessen am BMI – ist immer größer geworden. In der BRD kam es in den letzten Jahren zu einer erheblichen Zunahme der Adipositasprävalenz sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern. Repräsentative Daten für die Prävalenz der Adipositas wurden in vier Gesundheitssurveys zwischen 1985 und 1998 erhoben. Nach den durch Befragung erhobenen Daten des deutschen Survey 2003 sind 70% der Männer und 50% der Frauen übergewichtig und 17% der Männer sowie 15% der Frauen adipös (Mensink et al. 2005). Für den Zeitraum 1985–2002 nahm die Prävalenz der Adipositas bei Männern von 16,2% auf 22,5% und bei Frauen von 16,2% auf 23,3% zu. Diese Daten entsprechen einer relativen Zunahme von 39% für Männer und 44% für Frauen (Prugger u. Keil 2007). Das mittlere Körpergewicht stieg bei Männern um 3,8 kg und bei Frauen um 5,4 kg an (Helmert u. Strube 2004). Neben Alter und Geschlecht variiert die Häufigkeit von Übergewicht stark nach der Region, dem sozialen Status und Herkunft. Im Osten ist die Prävalenz deutlich höher (Berg et al. 2001). Dramatisch ist die Zunahme der Adipositas im Kindesund Jugendalter. Derzeit wird geschätzt, dass 15% der Kinder und Jugendlichen im Alter von 3–17 Jahren übergewichtig und 6% adipös sind (Kurth u. Schaffrath-Rossario 2007). Aus übergewichtigen Kindern werden übergewichtige Erwachsene mit hohem Risiko für adipositasassoziierte Komorbiditäten.
BMI (kg/m2) Normalgewicht
18–24,9
Übergewicht
25–29,9
Adipositas Grad I
30–34,9
Adipositas Grad II
35–39,9
Adipositas Grad III (morbide Adipositas)
>40
Superadipositas
>50
28.3
Bedeutung der Adipositaschirurgie und metabolischen Chirurgie
Bildete die Chirurgie in der Vergangenheit die letzte Option der Behandlung der morbiden Adipositas, ist durch die rasante Entwicklung der minimalinvasiven und endoskopischen Techniken fester Bestandteil des Therapiekonzepts (Sharma 2004).
453 28.4 · Chirurgische Prinzipien
> Die chirurgische Therapie der Adipositas ist der konservativen Behandlung in Bezug auf langanhaltende Gewichtskontrolle, Verbesserung der Komorbiditäten und Kosteneffizienz überlegen.
Dieser Vorgang wurde auch deswegen beschleunigt, weil bis heute konservative Therapien im Langzeitverlauf scheitern. Die Pharmakotherapie hat derzeit keine effizienten uns sichere Optionen. Hinzu kommt, dass bei 90% der Patienten nach einem Gewichtsverlust, der auf konservativem Weg erreicht wurde, eine erneute Gewichtszunahme – häufig über das Ausgangsgewicht – auftritt (sog. Jo-JoEffekt; Goodrick et al. 1996).
28.4
Chirurgische Prinzipien
Mit der Chirurgie wird das Symptom Übergewicht behandelt, jedoch nicht kausal die in ihrer Ätiopathogenese multifaktorielle Krankheit Adipositas. Der Magen ist ein zentrales Organ in der Regulation der Nahrungsaufnahme und immer zentraler Bestandteil der operativen Intervention, die durch intestinale Aus- oder Umschaltungen (Bypässe) ergänzt werden. Die Grundprinzipien sind Restriktion und Malabsorption, die durch hormonelle Regulationen ergänzt, in einem unterschiedlichen Ausmaß kombiniert werden können. Grundsätzlich können folgende Hauptmechanismen bei den operativen Verfahren unterschiedenen werden: 4 Restriktion basiert auf dem Grundprinzip, die Zufuhr für feste Nahrung durch eine Verkleinerung des Magenreservoirs einzuschränken. Energiereiche Flüssigkeiten und breiige Kost kann ungehindert aufgenommen werden. Aus diesem Grunde müssen die Patienten eine ausreichende Compliance zeigen, um erfolgreich zu sein.
4 Malabsorption (Malassimilation) wird in erster Linie
durch eine späte Vermischung der Verdauungssäfte (Galle- und Pankreassäfte) mit der Nahrung erzielt. Damit wird die Aufnahme von Fett als ein Hauptenergieträger eingeschränkt. Eine kohlenhydratreiche Ernährung schränkt somit den Therapieeffekt ein. 4 Kombinationsverfahren, bei beide Prinzipien zur Anwendung kommen, sind zwar von einer exzellenten Gewichtsabnahme gefolgt, doch müssen die potenziellen Mangelerscheinungen durch eine intensive Supplementation vorgebeugt werden. Der Magenbypass ist ein vorwiegend restriktives Verfahren, mit milder Malabsorption von Energieträgern und weiteren Effekten. Die biliopankreatische Diversion mit Duodenalswitch (BPD-DS) ist ein typisches Kombinationsverfahren. 4 Hormonelle Effekte spielen eine wichtige Rolle bei allen Verfahren, die entweder eine die Nahrung aus der gastroduodenalen Passage ausschalten (GLP-1, GLP-6 u. a.) oder Magenvolumen resezieren (Ghrelin). 80% der abdominalen Ghrelinrezeptoren befinden sich im Magen, der durch eine Ausschaltung oder Resektion weniger Hungergefühle nach zentral signalisiert. Alle Effekte können auch kombiniert werden (. Tab. 28.2).
28.4.1
Restriktion
Das Prinzip besteht in einer Einschränkung der Nahrungsaufnahme für feste Bestandteile durch eine Verkleinerung des Magenreservoirs. Dazu wird der Magen in einem Vormagen (Magenpouch) und einen Rest- oder Hauptmagen separiert. Die Nahrungspassage wird durch ein Stoma behindert. Bei rein restriktiven Verfahren, wie dem Magen-
. Tab. 28.2 Chirurgische Prinzipien und typische Verfahren Restriktive Operation
Steuerbares Magenband (»gastric banding«) (. Abb. 28.1) Vertikale Gastroplastik mit Bandverstärkung (»vertical banded gastroplasty«; VBG) ist kein aktuelles Verfahren mehr Schlauchmagen (»sleeve gastrectomy«, SG) Proximaler Magenbypass (»proximal gastric bypass«, »Roux-en-Y-gastric bypass«; RNYGB) (. Abb. 28.2) hinsichtlich der Nahrungsaufnahme in erster Linie restriktiv
Malabsorptive Operation
Biliopankreatische Diversion (»biliopancreatic diversion«; BPD) Jejunoilealer Bypass (obsolet)
Kombinationsverfahren
Biliopankreatische Diversion mit Duodenalswitch (»duodenal switch«; BPD-DS) (. Abb. 28.5) Distaler Magenbypass (»distal gastric bypass«)
Experimentell
»Gastric stimulator« Duodenalschlauch Vagusstimulation u. a.
28
454
Kapitel 28 · Chirurgische Behandlung der morbiden Adipositas
28
. Abb. 28.1 Laparoskopisches »gastric banding« mit proximalem Pouch. Das Band bildet ein Stoma, das Pouch und Restmagen trennt
. Abb. 28.2 Proximaler Magenbypass. Der Hauptmagen ist abgetrennt (reversibel) und der kleine Magenpouch ist direkt an die alimentäre Schlinge angeschlossen. Die biliodigestive Schlinge leitet die Verdauungssäfte in den »common channel«
band, wird das steuerbare Stoma zur Barriere für die Aufnahme von festen Nahrungsbestandteilen (. Abb. 28.1). Wird der Magenpouch mit wenig Nahrung gefüllt, so sollte ein Sättigungsgefühl auftreten. Bei manchen Patienten lassen sich jedoch auf der Grundlage von Gen- und Rezeptorendefekten keine Sättigungszeichen erreichen. ! Cave ! Die Restriktion wird jedoch nicht bei flüssiger Energieaufnahme wirksam, da diese das Stoma mühelos passieren können.
Beim Magenbypass wird ebenfalls eine Restriktion für feste Nahrungsbestandteile durch eine im Durchmesser limitierte Gastroenterostomie erzeugt. Dazu kommen jedoch vielfältige hormonelle und auch in weitaus geringerem Ausmaß malabsorptive Effekte. Die Restriktion ist jedoch ein Hauptprinzip der Magenbypassoperation, die durch Aufdehnung des Stoma und der alimentären Schlinge wieder verloren gehen kann (. Abb. 28.2 und . Abb. 28.3). Das Ausweichen auf hochkalorische (»süße«) Getränke wird im Gegensatz zum Magenband durch die potenzielle Entwicklung eines Dumping-Syndroms in den meisten Fällen verhindert. Bei der BPD-DS ist die Restriktion durch den Schlauchmagen ein integraler Bestandteil des Funktionsprinzips, der insbesondere für den initialen Gewichtsverlust verantwortlich zeichnet. Bei der BPD nach Scopinaro wird ebenfalls eine milde Restriktion mit der Bildung eines Magenreservoirs von 200–300 ml erzeugt.
. Abb. 28.3 Aufdehnung der alimentären Schlinge nach Aufdehnung der Gastroenterostomie (Verlust der Restriktion). Darstellung als virtuelles CT
28.4.2
Malabsorption
Die Nahrungsassimilation ist der Überbegriff für die Digestion (Spaltung höhermolekularer Nahrungsbestandteile in niedrigmolekulare) und Absorption (Aufnahme der niedrigmolekularen Nahrungsbestandteile. Die hohe Kompensations- und Regenerationsfähigkeit des Verdauungstrak-
455 28.4 · Chirurgische Prinzipien
tes macht eine rasche Adaptation möglich, so dass die Malassimilation nur durch eine massive Einschränkung von Digestion und/oder Resorption möglich wird. Die subtotale Ausschaltung der Resorptionsfläche ist nach den negativen Erfahrungen mit dem Dünndarmbypass in den 1970er-Jahren obsolet. Die Erzeugung der Maldigestion kann durch die späte, d. h. tiefe Einleitung von Verdauungssäften (Gallenflüssigkeit, Pankreassaft) in den nahrungsführenden Darmanteil erzielt werden. Diese Mechanismen sind unabhängig von der Mitwirkung des Patienten. Allerdings müssen die Mechanismen auch bewusst ausgenutzt werden. Eine alleinige Einschränkung der Nahrungszufuhr verlangt eine Compliance des Patienten, um durch einen alleinigen »Hungerzustand« sein Gewicht zu reduzieren. Viele Patienten sind dazu nicht in der Lage, so dass sie unzureichend abnehmen. Durch die Kombination von Nahrungseinschränkung und Fettmangelverdauung wird der Patient durch den eigenen Körper unterstützt. Die Einschränkung in der Fettverdauung geschieht unabhängig vom eigenen Willen und lässt weitaus deutlichere Gewichtsreduktionen erzielen, als eine alleinige Verkleinerung der Aufnahmekapazität. Für extrem übergewichtige Patienten (Körpergewicht 225% über Idealgewicht) und Patienten mit eingeschränkter Compliance sollte die Malabsorption durch biliopankreatische Diversion (BPD) zur Anwendung kommen. Eine effiziente Malassimilation von Fett als ein Hauptenergieträger wird nur dann erreicht, wenn bei geringer oder nicht existenter Restriktion der »common channel« 50 cm beträgt (Scopinaro et al. 1978). Er darf nicht kürzer sein, da sonst profuse chologene Diarrhöen auftreten. In dieser Situation gelangen fast 100% der Gallensäuren ohne Reabsorption in das Kolon. Langfristig entwickelt sich zu den profusen therapieresistenten Diarrhöen auch ein Gallensäureverlustsyndrom. Ist der »common channel« länger (z. B. 65 cm), so ist die Malassimilation bei weitgehend fehlender Restriktion unzureichend. Nur bei einer gleichzeitigen Restriktion, wie sie bei der BPD-DS erzeugt wird, sollte der »common channel« zwischen 75 und 100 cm betragen. Ein »common channel« von mehr als 100 cm hat keinen wesentlichen Effekt auf die Fettassimilation. Beim proximalen Magenbypass ist die Mangelaufnahme von Energieträgern unbedeutend und wird durch die Kompensationsfähigkeit des langen Restdarms von mehr als 3 m völlig kompensiert. Für die Fettassimilation ist eine ausreichend große Reststrecke vorhanden und Steatorrhöen lassen sich beim proximalen Roux-Y-Magenbypass nicht nachweisen. Gibt es keine malabsorptiven Effekte nach Magenbypassoperationen? Ja, leider nicht für Energie, sondern für einzelne wichtige Substanzen, voran an erster Stelle Eisen, gefolgt von Kalzium. Diese malabsorptiven Effekte werden
nur zum Teil durch die Hauptresorptionsorte erklärt. Beim Eisen liegt der Hauptresorptionsort im Duodenum, welches ausgeschlossen wird. Allerdings werden auch die typischen Nahrungsbestandteile für die Eisenzufuhr weniger vertragen (Fleisch durch Mangel an Magensäure). Beim Kalzium spielt der sekundäre Hyperparathyreoidismus und die Regulation der D-Vitamine eine wichtigere Rolle, als die Ausschaltung des Duodenums. Bereits etwa 8% der morbid Adipösen haben präoperativ erhöhte Parathormonwerte, die sich je nach Operationsverfahren ändern. Durch die gezielte Supplementation mit Vitamin D3 kann relativ rasch und einfach eine ausreichende Kalziumaufnahme gewährleistet (. Abb. 28.5) und die »biliopancreatic diversion« (BPD) verwendet werden.
28.4.3
Hormonelle Regulationen
Die komplexen hormonellen Regulationen des Verdauungstraktes, insbesondere der Nahrungsaufnahme sind erst in den letzten Jahren mit der Entdeckung von enterogastralen Hormonen in ersten Ansätzen erforscht worden. Die Entdeckung neuer Hormone und hormonähnlicher Substanzen schreitet rasch voran und lässt auf die Erforschung einer Vielzahl neuer Regulationsmechanismen in naher Zukunft hoffen. Ghrelin als das Hungerhormon spielt eine zentrale Rolle in der Steuerung der Nahrungsaufnahme und wird nach den verschiedenen Operationsverfahren unterschiedlich beeinflusst. 80% der Rezeptoren befinden sich im Magen, insbesondere in einer hohen Konzentration im Magenfundus. Eine drastische Reduktion des Magenvolumens, wie bei der Schlauchmagenbildung, führt zu einer deutlichen Reduktion der Hormonrezeptoren und damit der Hormonspiegel. Inwieweit die teilweise veränderten Hunger- und Geschmacksempfindungen bis hin zu psychischen Veränderungen damit zu erklären sind, ist bislang offen. Die große Anpassungsfähigkeit des Organismus zeigt jedoch eine Anpassung der hormonellen Regulationen im Laufe der ersten postoperativen Jahre. Die Ausschaltung duodenaler Rezeptoren, des Hauptmagens insgesamt, aber insbesondere die durch die Dünndarmausschaltung erzeugte hormonelle Diversion mit Veränderung im Sekretionsverhalten einer ganzen Reihe von Enterohormonen ziehen eine Vielzahl metabolischer Veränderungen nach sich, die für auch für die Behandlung des metabolischen Syndroms eine Bedeutung besitzen. Ein wichtiger Hinweis für die Bedeutung hormoneller Mechanismen ist die postoperativ sehr kurzzeitige Remission des Diabetes mellitus vom Typ 2 nach allen Bypass-Verfahren. Die durch die Operation veränderte Regulation von Enterohormonen (GLP-1. GLP-2, GIP, Ghrelin u. a.) spielt offenbar eine Schlüsselrolle. Eine adäquate Ausschüttung des
28
456
Kapitel 28 · Chirurgische Behandlung der morbiden Adipositas
GIP verhindert zu hohe Glukosespiegel im Blut. GLP-1
28
wirkt über eine Stimulation der Freisetzung von Insulin und eine Hemmung der Glukagonsekretion, so dass der Blutzuckerspiegel nüchtern und nach Nahrungsaufnahme verringert ist. Ein Nebeneffekt ist zudem die verzögerte Entleerung von Mageninhalt in den Darm. Die hormonellen Regulationsmechanismus zeigen auch auf den engen Zusammenhang in der Entwicklung von Adipositas und Diabetes mellitus Typ 2. Letztendlich ist die Gewichtsreduktion die nur einzige Prävention, sondern auch die effektive Behandlung des Diabetes melltus Typ 2. Spezifische Effekte der bariatrischen Operation mit Duodenalexklusion (Bypass-Verfahren, Duodenalswitch), hormoneller Diversion und Fundusresektion (GhrelinEffekt) machen eine »metabolische Chirurgie« möglich, die jeder medikamentösen Therapie oder Insulinapplikation im therapeutischen Effekt überlegen ist. Der Diabetes mellitus vom Typ 2 kann bei Übergewicht und Adipositas durch eine operative Intervention von Bypass-Verfahren schlagartig beseitigt werden, wenn noch rechtzeitig interveniert und ausreichend Beta-Zellen vorhanden sind.
28.5
Indikationsstellung
Die Indikation zu einem adipositaschirurgischen Eingriff benötigt aufwändige Abklärungen, die durch ein eingespieltes, interdisziplinäres Team von Spezialisten durchgeführt werden sollten. Die Abklärungen beinhalten eine Ernährungsanamnese, das Feststellen der kardiopulmonalen Leistungsfähigkeit und der Ausschluss endokrinologischer Störungen und Stoffwechsel-Erkrankungen. Bereits manifeste Mängel an Vitaminen und Spurenelementen werden präoperativ korrigiert. Die gastroenterologische Untersuchung umfasst immer eine Gastroduodenoskopie zum Ausschluss einer Pathologie im oberen Gastrointestinaltrakt. Nach einer Bypassoperation können sowohl Restmagen, als auch das Duodenum und die Gallenwege endoskopisch nicht mehr untersucht werden. Eine psychiatrische oder psychologische Evaluation zum Ausschluss einer manifesten Psychose oder schweren Essstörungen kann die Abklärungen abschließen, falls anamnestische Anhaltspunkte für eine solche Erkrankung bestehen. > Die Abklärungen für einen adipositaschirurgischen Eingriff erfolgen im interdisziplinären Team.
Die »National Institutes of Health Consensus Conference« stellte 1991 zur Selektion von Patienten für einen bariatrischen Eingriff Empfehlungen auf (National Institutes of Health Consensus Development Conference (1992):
Voraussetzungen zur Durchführung operativer Eingriffe zur Gewichtsreduktion 4 Bei erstmaliger Therapie des Übergewichts zunächst Anstreben eines konservativen, nichtchirurgischen Vorgehens 4 Informierte und motivierte Patienten mit akzeptablem operativem Risiko 4 Evaluation durch ein multidisziplinäres Team 4 Erfahrene Chirurgen in einer Klinik mit adäquater Infrastruktur 4 Lebenslange medizinische Nachsorge nach der Chirurgie
Daneben gibt es in verschiedenen Ländern Auflagen, die durch die Kostenträger und Leitlinien internistischer Fachgesellschaften erhoben werden. Dabei kommen folgende Kriterien zur Geltung: 4 BMI >40 kg/m2 4 BMI >35 kg/m2 mit Begleiterkrankungen, wie arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus, Schlafapnoe-Syndrom, Dyslipidämie, degenerative Veränderungen des Bewegungsapparates und andere mehr, die durch eine Gewichtsreduktion gebessert werden können 4 Versagen von konservativen Therapieversuchen, die während mindestens 2 Jahren durchgeführt wurden (z. B. ärztlich geführte Diät- und Verhaltensprogramme) Kriterien wie z. B. willkürlich gezogene BMI-Grenzen, Alterslimits oder die Voraussetzung einer konservativen und nicht erfolgreichen Therapie sind nicht das Resultat chirurgischer Forschung, sondern von Konsensuskonferenzen und Leitlinien von internistischen Adipositasgesellschaften und werden deswegen heutzutage zunehmend kritisiert (Kral et al. 2005). ! Cave ! Fehlende Compliance ist eine Kontraindikation für rein restriktive Verfahren. Die Restriktion gibt nur eine Hilfestellung, die durch den Patienten aktiv umgesetzt werden muss.
Ist die Indikation zu einem chirurgischen Vorgehen gestellt, muss das am besten geeignete Verfahren ausgewählt werden (. Tab. 28.3). Es gibt kein ideales Verfahren. Alle Techniken haben Vorteile und Nachteile, die abgewogen werden müssen. Diese Auswahl richtet sich nach den Ergebnissen der präoperativen Abklärungen. So hat sich gezeigt, dass Patienten mit einem extrem hohen zu wenig von einem rein restriktiven Verfahren profitieren (Buchwald 2002), bleiben doch die meisten dieser Patienten nach einer Bandingoperation auch nach 2 Jahren noch im Be-
457 28.6 · Ergebnisse der Adipositaschirurgie
. Tab. 28.3 Kriterien für die Verfahrenswahl Verfahren
Ideale Indikation
Kontraindikation
Steuerbares Magenband
BMI <45 Weiblich, jung Ohne lange »Diätkarriere« Gute Compliance
Ösophagusdysmotilität »Sweeter« a
Proximaler Magenbypass
BMI <55 Diabetes mellitus Typ 2 Metabolisches Syndrom
Antikoagulation und Notwendigkeit der ASS-Einnahme Schwere intestinale Verwachsungen nach Peritonitis etc.
Schlauchmagen
BMI >60 als 1. Stufe bei erhöhtem Risiko vor Magenbypass oder BPD-DS BMI <60 bei intestinalen Verwachsungen (Peritonitis), M. Crohn, Eisenmangel
Kindes-und Jugendalter (Irreversibilität und Selbstentscheidung)a
Biliopankreatische Diversion
BMI >50 Metabolisches Syndrom Konversion nach restriktivem Verfahren
Berufliche und soziale Einschränkungen (Flatulenz, imperativer Stuhldrang)a Antikoagulation und Notwendigkeit der ASS-Einnahme
a
Relative Kontraindikationen
reich der morbiden Adipositas (Mognol et al. 2005). Weitere Kontraindikationen für ausschließlich restriktive Techniken bilden Essstörungen wie »binge eating disorders«, »sweet eaters« (Sugerman et al. 1987) und ein insuffizienter unterer Ösophagussphinkter (Weber et al. 2003). Auch beim Vorliegen eines latenten oder manifesten Diabetes mellitus Typ 2 konnte gezeigt werden, dass ein kombiniertes Verfahren mit Restriktion und Malabsorption der rein restriktiven Methode überlegen ist (Sjostrom et al. 2004; Pories et al. 1995; Cowan u. Buffington 1998; Weber et al. 2004). Die Steatosis hepatis und Frühformen eines zirrhotischen Umbaus sind keine Kontraindikationen, sondern eher Indikation für eine operativ induzierte Gewichtsreduktion. Voraussetzung ist eine ausreichende Syntheseleistung der Leber, die sich durch Gewichtsreduktion wieder regenerieren kann.
28.6
distalen Magenbypass kann diese Rate auf 90% ansteigen (Torres 1991). Nach einem »duodenal switch« haben die Patienten praktisch keine Restriktion, verlieren aber dennoch durch die starke Malabsorbtion 64–74% ihres Übergewichts (Marceau et al. 1998; Hess u. Hess 1998); die Folge sind jedoch häufig Diarrhö (14%) und Steatorrhö mit übelriechendem Flatus (Marceau et al. 1998). Komorbiditäten Ebenso wichtig wie der Gewichtsverlust ist die Wirkung auf die Komorbiditäten. Das sog. metabolische Syndrom ist ein Hauptfaktor für die Spätmorbidität der Adipositas wie kardiovaskuläre Erkrankungen. Der Diabetes mellitus verbessert sich bei den Bypassverfahren, noch bevor es zu einem signifikanten Gewichtsverlust kommt (Pories et al. 1995; Rubino u. Gagner 2002). Komorbiditäten wie die arterielle Hypertonie (Weber et al. 2004), Dyslipidämie und Schlafapnoe-Syndrom (Buchwald et al. 2004) reduzieren sich ebenfalls signifikant.
Ergebnisse der Adipositaschirurgie Morbidität und Mortalität Die Mortalität für Bypass-Ver-
Gewichtsverlust Im Gegensatz zur konservativen Behand-
lung können Patienten nach operativen lang anhaltend ihr Übergewicht um mehr als 50% reduzieren. Beim Magenband verlieren die Patienten ca. 40–60% ihres Übergewichtes (Weiner et al. 2003; Buchwald et al. 2004). Dies entspricht einem Abbau von 10–12 BMI-Punkten (Dargent 1999; O’Brien et al. 1999). Nach proximalem Magenbypass verlieren die Patienten etwa 61–77% des Übergewichtes innerhalb von 2 Jahren (Buchwald et al. 2004; Wittgrove u. Clark 2000; Schauer et al. 2000; DeMaria et al. 2002), beim
fahren liegt bei routinierten Teams bei 0,5% (Schauer et al. 2000; Higa et al. 2000) und beim Magenband bei 0,05% (Chapman et al. 2004). Als postoperative Komplikationen treten in erster Linie Wundinfekte auf. Bei Bypassverfahren kommt es sehr selten (1,5–2,2%) zu Anastomoseninsuffizienzen an der Gastroenterostomie (Schauer u. Ikramuddin 2001), die jedoch bei rechtzeitiger Diagnose und raschem Handeln effektiv kontrolliert werden können. Daneben kommen postoperative Blutungen einerseits, Lungenembolien trotz Thromboseprophylaxe andererseits
28
458
Kapitel 28 · Chirurgische Behandlung der morbiden Adipositas
vor (Wittgrove u. Clark 2000; Schauer et al. 2000; Higa et al. 2000). > Im Langzeitverlauf müssen Vitamine (B12) und Spurenelemente (Fe, Ca) substituiert werden.
28
Bei rein restriktiven Verfahren sind vermehrt Ösophagusdysmotilitäten und Pouch-Komplikationen (Vergrößerung des proximal des Bandes gelegenen Magenanteils) beschrieben (Suter et al. 2000; Niville u. Dams 1999; Holeczy et al. 2001; Gustavsson u. Westling 2002), was zu einem sekundären Bandversagen führen kann. Dies wiederum führt in bis zu 20% der Fälle nach Magenbanding zu einer Reoperation (Weber et al. 2003; Westling u. Gustavsson 2002). Nach Bypassoperationen können bei Verwendung von 21-mm-Zirkulärstaplern innerhalb der ersten Wochen bis zu 20% (Bell et al. 2003) Anastomosenstenosen gesehen, die sich nahezu immer endoskopisch durch Bougierung beheben lassen (Weber et al. 2004). Beim »duodenal switch« leiden die Patienten häufig unter Steatorrhö (14%) und übelriechendem Flatus (Marceau et al. 1998), was gelegentlich eine relative Kontraindikation für Patienten, die in der Öffentlichkeit arbeiten, darstellen kann. Bei stark malabsorptiven Verfahren können Vitamin- und Spurenelementmangelzustände vermehrt auftreten, was eine engmaschige und vor allem lebenslange Betreuung dieser Patienten erfordert.
28.7
Verfahrenswahl
Bei der Verfahrenswahl existieren starke geographische Unterschiede. In Europa hat sich schon früh das Magenbanding durchgesetzt, währenddessen in den USA der Magenbypass der Goldstandard geblieben ist. Weltweit werden weitaus mehr Bypassoperationen als Magenbandoperationen durchgeführt.
28.7.1
Laparoskopie versus Laparotomie
Die Entwicklung der minimal-invasive Chirurgie (MIC) hat ebenso wie die Zunahme der Adipositas zur Verbreitung der operativen Techniken zur Gewichtsreduktion beigetragen. Vergleicht man die Morbidität der offenen Dünndarmbypassoperationen und vertikalen Gastroplastik mit der laparoskopischen Magenband-Implantation, dann wird der große Fortschritt der zurückliegenden Jahrzehnte offensichtlich. Besonders profitieren adipöse Patienten von laparoskopischen Operationstechniken, weil aufgrund der Bauchdeckenstärke bei herkömmlichen Operationen unvergleichlich größere Schnitte angelegt werden müssen als bei normalgewichtigen Personen. Außerdem neigen fettreiche Bauchdecken zu Kom-
plikationen wie Blutergüssen, Infektionen und letztendlich auch zu späteren Narbenbrüchen. Bei der minimal-invasiven Chirurgie werden unabhängig vom Körpergewicht die gleichen kleinen Hautinzisionen notwendig. Die Folgen sind geringere Schmerzen und damit frühere Mobilisation, Entlassung und Aufnahme der gewohnten Tätigkeit. Die Komplikationen seitens der Wunden sind weitaus seltener. Für die LAGB, VBG und RNYGB-Operationen liegen Daten vor, die den Vorteil einer laparoskopischen Technik gegenüber der Laparotomie belegen. Beim steuerbaren Magenband und Magenbypass ist heute im allgemeinen Konsensus die laparoskopischen Technik das Verfahren der Wahl. Während es keine Unterschiede im Gewichtsverlust gibt, sind die allgemeine Komplikationsrate, die Gesamtmorbidität und die Verweildauer signifikant niedriger. Die Adipositaschirurgie ist heute daher vorwiegend eine laparoskopische Chirurgie ist. In den USA stieg ihr Anteil von 10% im Jahre 1999 auf 90% im Jahre 2004 (Benotti et al. 2004). Mit der Einführung und der Entwicklung der laparoskopischen Techniken wurde maßgeblich zur Verbreitung der bariatrischen Chirurgie beigetragen. Drei randomisierte Studien (. Tab. 28.4) verglichen laparoskopische gegen offene Magenbypasschirurgie (Nguyen et al. 2001; Westling u. Gustavsson 2001; Lujan et al. 2004). Dabei fanden sich für die laparoskopische Magenbypasschirurgie kürzere Hospitalisationszeiten, weniger postoperative Schmerzen und eine kürzere Rehabilitationszeit. Der postoperative Gewichtsverlauf von beiden Zugangsmethoden war vergleichbar (Nguyen et al. 2001). Hingegen waren die Wundprobleme wie Infektionen (1,3 vs. 10,5%) und Narbenhernien (0 vs. 7,9%) bei der Laparoskopie deutlich geringer, während Anastomosenstenosen an der Gastrojejunostomie im Spätverlauf beim laparoskopischen Bypass signifikant häufiger waren (2,6 vs. 11,4%). Die höheren Operationskosten für die Laparoskopie wurden durch die tieferen Hospitalisationskosten wettgemacht. > Die Laparoskopie hat vor allem bei adipösen Patienten Vorteile gegenüber der offenen Chirurgie (Dindo et al. 2003).
Weltweit werden deshalb auch mittlerweile fast 2 Drittel aller bariatrischen Operationen laparoskopisch durchgeführt (Buchwald u. Willkiams 2004).
28.7.2
Operationsverfahren zur Gewichtsreduktion
Steuerbares Magenband (»gastric banding«) Das Prinzip des steuerbaren Magenbandes besteht in der alleinigen Restriktion. Durch das Band wird ein kleiner
459 28.7 · Verfahrenswahl
. Tab. 28.4 Laparoskopie vs. offene Chirurgie Autor
Jahr
Infekte (%)
Hospitalisationszeit (Tage)
Hernien (%)
Stenosen (%)
Kosten (1000 USD)
Nguyen et al.
2001
1,3 vs. 10,5
3 vs. 4
0 vs.7,9
11,4 vs. 2,6
14 vs.14
Westling et al.
2001
0 vs. 12
4 vs. 6
0 vs. 4
4 vs. 0
Lujan et al.
2004
0 vs. 8
5 vs. 8
0 vs. 20
2 vs. 0
Pouch gebildet, der durch das einengende Stoma mit dem Hauptmagen verbunden ist. Die innere Oberfläche des Bandes ist aufblasbar. Je nach Füllungszustand ändert sich der innere Durchmesser des Bandes. Diese Veränderbarkeit des inneren Durchmessers bedingt auch die Steuerbarkeit des Durchlasses (Stoma). Das Band wird mit der Steuerkammer (Port) durch ein langes Silikonband verbunden. Die alleinige Restriktion verlangt eine hohe Compliance des Patienten. Der »excess weight loss« (EWL) beträgt 45–55% (Buchwald et al. 2004). Etwa 1/3 der Patienten lässt die notwendige Motivation zur Mitwirkung vermissen. Das Implantat kann sich mit geringen Operationsrisiken laparoskopisch implantiert werden. Allerdings ist die Re-Operationsrate langfristig >25%, wobei neben ein Verrutschen des Bandes (»slippage«) langfristig das Damokles-Schwert der Bandmigration über dem Patienten schwebt. Die Bandkomplikationen treten auch noch Jahren nach der Operation zu, so dass die Häufigkeit kumuliert. > Das Magenband gilt als ein Standardverfahren, das insbesondere in niedrigeren BMI-Bereichen (<45 ) und jungen weiblichen Patienten geeignet ist. Die Implantationstechnik ist heute durchgehend die Pars-flaccida-Technik.
Proximaler Magenbypass Für den Roux-en-Y-Magenbypass (RNYGB) existieren zahlreiche Modifikationen hinsichtlich der Magenpouchkonstruktion, der gastrojejunalen Anastomose und der Länge der alimentären und biliodigestiven Schlingen. Das Hauptkonstruktionsmerkmal ist ein kleiner Magenpouch, der mit einer alimentären Schlinge anastomosiert ist. Die 50 cm lange (gemessen vom Treitz-Ligament) biliodigestive Schlinge leitet die Verdauungssäfte >80 cm (in der Gegenwart 120–150 cm) von der Gastrojejunostomie entfernt in die alimentäre Schlinge, die dann aboral »common channel« (gemeinsamer Verdauungskanal) genannt wird. Der RNYGB erzeugt im Mittel einen Gewichtsverlust von 60–70% des Übergewichtes (Buchwald et al. 2004). Hauptmechanismus für den Gewichtsverlust ist Nahrungsrestriktion. Hormonelle Veränderungen in der Regulation (GLP-1-Hormon, Ghrelin) durch Ausschaltung
duodenaler Rezeptoren, der Ausschaltung des Fundus (Ghrelin) und weitere Prozesse unterstützen nicht nur die Gewichtsreduktion, sondern beeinflussen die Insulinregulation. Damit wird der Diabetes mellitus vom Typ 2 therapeutisch beeinflusst und innerhalb von 3 Monaten können 82% der Patienten ihre Medikation (Insulin u. a.) einstellen (Buchwald et al. 2004). Die malabsorptive Komponente ist für die Entwicklung von Mangelzuständen verantwortlich. Für die Energieaufnahme aus der Nahrung spielt die Malabsorption eine untergeordnete Rolle. Das wird allein dadurch verständlich, wenn man an die Kompensationsfähigkeit des mehrere Meter langen verbleibenden Restdarmes denkt. Eine Resektion von 150 oder 200 cm Dünndarm verursacht keine dauerhafte Beeinflussung des Körpergewichtes. Die primäre Ringverstärkung des Magenbypass oder die Kombination mit einem steuerbaren Magenband zählt weltweit nicht zum Standard. Letztere Kombination weist eine besonders hohe Morbidität aus und wird nur von einigen Chirurgen in Italien weiter praktiziert. Standards sind: 4 Kleiner Pouch (<15 cm3) 4 Alimentäre Schlinge bis 150 cm 4 Biliodigestive Schlinge 50 cm (in Europa) 4 Verschluss innerer Hernien zur Vermeidung von Obstruktionen Die Sicherheit des Verfahrens hängt eindeutig von der Lernkurve (Operationsvolumen) des Operateurs ab. Die lebenslange Supplementation ist essenziell.
Schlauchmagenbildung (»sleeve gastrectomy«) Die vertikale Resektion des Magens hat eine lange Historie. In der Adipositaschirurgie war sie Bestandteil der BPD-DSOperation, bis einige Chirurgen diese Operation in zwei Schritten durchführten. Hintergrund war die hohe Mortalität von mehr als 6% der BPD-DS-Operation bei Patienten mit einem BMI >60 in versierten Händen. Heute wird die laparoskopische »sleeve gastrectomy« weltweit zunehmend als »single-stage procedure« in allen BMI-Klassen durchgeführt (. Abb. 28.4).
28
460
Kapitel 28 · Chirurgische Behandlung der morbiden Adipositas
schritttherapie mit dem ungeklärten Problem der Klammernahtleckagen im His-Winkel und dadurch bedingten Morbidität und Mortalität, die knapp unter denen der Magenbypassoperationen liegt. Eine Supplementation wird angeraten, da bereits Mangelerscheinungen berichtet wurden. Etwa 1/3–2/3 der Patienten benötigen nach 5–10 Jahren einen Zweiteingriff (Weiner et al. 2007).
Biliopankreatische Diversion (BPD)
28
. Abb. 28.4 Prinzip der Schlauchmagenbildung. Über 80% des Magens werden irreversibel entfernt
Die Ausschaltung der Reservoirfunktion des Magens durch die Schlauchmagenbildung hat auch hormonelle Effekte, da die Zahl der Ghrelin-Rezeptoren im Magen drastisch verringert wird. Die hormonellen Effekte sind aber nicht dauerhaft, da der Körper auch hier über eine enorme Kompensationsfähigkeit verfügt. Die Gewichtsreduktion erfolgt in erster Linie durch Begrenzung der Nahrungsaufnahme für feste Nahrung und einem reduzierten Hungergefühl. Die Anpassung der Ernährung an die veränderten Bedingungen stellt das wesentliche Langzeitproblem des Eingriffs dar, der zudem nicht so risikoarm ist, wie man sich anfangs vorgestellt hat. Die mittlere Letalität von 0,4% weicht gegenüber der Magenbypassoperation mit 0,5% nur gering von dem komplexeren Eingriff ab, was auf das Fehlen intestinaler Komplikationen hindeutet. Das Verfahren ist noch nicht international standardisiert was Schlauchdurchmesser und Ausdehnung (mit oder ohne Resektion von Antrumanteilen) betrifft. Vergleichende Studien mit Magenbypassoperationen zeigen Gewichtsverlust und Veränderungen der Komorbiditäten im Kurzzeitverlauf analoge Ergebnisse. Allerdings ist der gastroösophageale Reflux nach LSG deutlich häufiger. Die Schlauchmagenbildung ist ein Verfahren, das rasch eine Verbreitung findet, weil es sich bei guten kurz- und mittelfristigen Ergebnissen hinsichtlich der Gewichtsreduktion operationstechnisch »simpel« darstellt. Es ist im Gegensatz zu Magenband und Magenbypass irreversibel, weshalb die Aufklärung und Entscheidungsfindung fundierter sein muss. Es ist ein etabliertes Verfahren zur Mehr-
Die biliopankreatische Diversion (BPD) mit Ausschaltung des Dünndarms von einer gemeinsamen Passage von Nahrung und Verdauungssäften mit einer gleichzeitigen Magenverkleinerung wurde von Scopinaro (Scopinaro et al. 1979) entwickelt. Das Restvolumen des Magenpouches muss jedoch 200–300 cm3 betragen, was eine geringe Restriktion darstellt. Ein verbleibender gemeinsamer Verdauungskanal, indem sich Verdauungssäfte (Gallen- und Pankreassaft) mit der Nahrung mischen, auch als »common channel« bezeichnet, von nur 50 cm führt zu einer Malassimilation von Fett. Die biliodigestive Schlinge ist lang, da bei der Abmessung der alimentären Schlinge, beginnend von der Bauhin-Klappe, die Darmkontinuität nach insgesamt 250 cm durchtrennt wird. Die Modifikationen betreffen in erster Linie die Länge der biliodigestiven und mit auch der alimentären Schlinge. In der Modifikation nach Larrad et al. (2007) wird die BL mit 50 cm kurz gehalten, der »common channel« bleibt standardmäßig bei 50 cm. Der Eingriff wird daher auch als Larrad 50–50 BPD bezeichnet. 343 Patienten, die im Langzeitverlauf bis zu 10 Jahren untersucht wurden, zeigten eine Letalität von 0,87% und eine chirurgische Morbidität von nur 7,6%. Der EWL betrug für morbid Adipöse nach 10 Jahren 77,8% und Superobese (BMI >50) 63,2%. Die wichtigste postoperative Komplikation war mit 44% der Narbenbruch, da ausschließlich offen operiert wurde. Unzureichenden Gewichtsverlust verzeichneten nach 5 Jahren 9% der morbid Adipösen (BMI <50) und 12% der Superobesen. Die Inzidenz der Hypoproteinämie betrug nur 0,29%, so dass hier ein Vorteil gegenüber der Original BPD nach Scopinaro besteht. 2,5% hatten schwere Diarrhöen, 10,8% milde Durchfälle, aber auch 9,2% Obstipation. 30% Eisenmangel, der in 3% aller Patienten Eiseninfusionen notwendig machte. Immerhin hatten 28% schon vor der Operation einen erhöhten Parathormonspiegel bzw. 30% einen Vitamin-D-Mangel, doch stieg die Häufigkeit eines sekundären HPT auf 45%. Die Revisionsoperationsrate lag bei 0%. In der Originaltechnik BPD-Scopinaro wird der Restmagen entfernt. In der Ära der MIC wird in einigen Zentren auf die Restgastrektomie verzichtet. In diesen Fällen muss eine mindestens 18-monatige medikamentöse Magensäurehemmung durchgeführt werden, um die Bildung von Ulzera im Restmagen und im Duodenum zu verhin-
461 28.7 · Verfahrenswahl
dern. BPD ist die letzte Option nach Versagen oder Rückfall nach restriktiver Verfahren. > Die BPD ist die einzig langfristig in der Gewichtskurve stabile und effiziente Operation und benötigt umfassende Supplementation.
Biliopankreatische Diversion mit Duodenalswitch (BPD-DS) Diese Technik ist in ihrer Gewichtsreduktion dem BPD gleichwertig, allerdings mit dem Vorteil des Erhalts des Pylorus. Es erfolgt eine Schlauchmagenbildung, die jedoch nicht zu restriktiv sein darf wie ein Magenbypass (SleeveDurchmesser: Charr 54–60). Das Duodenum wird postpylorisch (unter Erhalt des Pylorus) durchtrennt und mit der alimentären Ileum-Schlinge anastomosiert. Die bilodigestive Schlinge leitet die Verdauungssäfte 75–100 cm von der Bauhin-Klappe entfernt in das Ileum (. Abb. 28.5). Das Verfahren erfreute sich zunehmender Beliebtheit, da es eine exzellente Gewichtsreduktion verbunden mit einer sehr guten Lebensqualität nach einem Jahr bietet. Ein Dumping-Syndrom tritt durch Erhalt des Pylorus nicht auf. Die gastrointestinalen Nebenwirkungen in den ersten Monaten nach der Operation sind zunächst schwerwiegender als nach einem RNYGB, da der Schlauchmagen anfangs nur verzögert transportiert und der Darm sich funktionell adaptiert. Es gibt eine Reihe von technischen Variationen (Weiner et al. 2004). Mit der Verbreitung der Schlauchmagenbildung tritt der BPD-DS in einer Prozedur zurück und wird vorwiegend als zweiter Schritt nach LSG eingesetzt. Die Letalität ist höher als bei allen anderen Verfahren. Sie beträgt in der Metaanalyse von Buchwald et al. (2004) 1,1%. Bei einem BMI von über 60 kg/m2 steigt sie auf 6% an. Mit dem Erhalt des Pylorus werden die Gefahren eines späteren DumpingSyndroms umgangen. Allerdings beinhaltet die Durchtrennung des Zwölffingerdarmes die gefürchtete Komplikation der Duodenalstumpfinsuffizienz. BPD-DS ist die komplexeste Operation mit der höchsten Morbidität und Mortalität, allerdings dafür mit der besten Lebensqualität. Primäre BPD-DS-Operationen sind selten geworden, bei einem BMI >55 sollten sie stets als Zweischrittoperation durchgeführt werden (Weiner 2009).
Omega-Loop-Magenbypass Der Magenpouch wird durch Längsresektion des Magens entlang einer Kalibrationstube deutlich größer als beim »klassischen Bypass«. Es ist faktisch ein kurzer Schlauchmagen, an dem großkurvaturseitig eine ungeteilte Dünndarmschlinge angeschlossen wird. Die Dünndarmschlinge wird als Seit-zu-seit-Anastomose ohne Fußpunkt- oder Braun-Anastomose angeschlossen, weshalb ein Kontakt der Anastomose mit der Gallenflüssigkeit unausweichlich
. Abb. 28.5 Beim Duodenalswitch wird ebenfalls eine Schlauchmagenbildung durchgeführt. Der Pylorus wird erhalten. Der alimentäre Schenkel (Ileum) wird mit dem proximalen Duodenum anastomosiert und misst 150 cm. Der biliodigestive Schenkel ist variabel und der »common channel« misst 100 cm
ist. Die biliodigestive Schlinge ist 200 cm lang. Die Anastomose wird am kaudale Ende des schlauchförmigen Magenpouches in Seit- zu-Seit-Technik angelegt. Bei Patienten, die eine Bluttransfusion ablehnen, ermöglicht der BII-Magenbypass bei postoperativen Anastomosenblutungen die endoskopische Blutstillung im Bereich der Gastroenterostomie. Das Risikopotenzial der Blutung aus der EnteroEntero-Anastomose entfällt. Bei extremer Lebervergrößerung kann die hiatale Region nicht unter Sicht erreicht werden. Hier kann eine schlauchfömige (analog Schlauchmagenbildung, »sleeve gastrectomy«) Pouchbildung mit einer Resektion entlang einer Kalibrationssonde eine weit nach kaudal reichenden Pouch bilden, bei dem die Gastroenterostomie unter Sicht weit kaudal ausgeführt werden kann. Bei Hochrisikopatienten kann die Operationszeit verkürzt werden. Eine malabsorptive Komponente (Deaktivierung Pankreassekret, Gallensäuren-Reabsorption) ermöglicht einen guten Gewichtsverlust. Der Omega-Loop-Magenbypass ist eine Stagingoperation, der bei Hochrisikopatienten und bei extremen BMI durchgeführt werden kann. Die Umwandlung in eine Roux-Y-Form kann später nach Gewichtsverlust wegen Gallereflux einfach und bei erniedrigtem Risiko erfolgen.
Distaler Magenbypass Die Kombination von Magenpouch und eines kurzen Darmschenkels für die Verdauung (CC) initiiert eine über-
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Kapitel 28 · Chirurgische Behandlung der morbiden Adipositas
wiegend malabsorptive Komponente. Die verbleibende Darmlänge des Common channel wird von der BauhinKlappe auf 50–100 cm gemessen. Eine Reihe von Chirurgen wählten auch einen CC von mehr als 100 cm. Langfristig können sich neben den bekannten Mangelerscheinungen des proximalen Magenbypass zusätzlich Proteinmangelzustände entwickeln, da aufgrund der unzureichenden Verdauung von Proteinfasern die Absorption von Eiweißbausteinen im kurzen Restdarm eingeschränkt wird. Proteinmangelzustände sind faktisch kaum zu behandeln und machen regelmäßige intravenöse Supplementationen notwendig. Der distale Magenbypass zählt daher in Europa nicht zu den Standardverfahren, die allgemein empfohlen und eingesetzt werden. In den USA ist der distale Magenbypass mit weniger als 8% der Bypass-Verfahren ebenfalls nicht sehr stark verbreitet (Buchwald et al. 2004).
Magenschrittmacher Es existiert derzeit kein effektives Verfahren der Magenstimulation zur Gewichtsreduktion.
Fettabsaugung (Liposuktion) Die Fettabsaugung ist keine Adipositaschirurgie, sondern ein Verfahren der plastischen Chirurgie, das zur lokalen Entfernung überschüssiger Fettdepots eingesetzt werden kann. Es ist für die Behandlung der Adipositas nicht geeignet. Ein Nutzen dieser Technik für die langfristige Gewichtssenkung ist nicht belegt, die Risiken dieses Eingriffs sind schlecht dokumentiert, aber nicht unerheblich.
28.7.3
Vergleich der Operationsverfahren hinsichtlich des Gewichtsverlustes
Die Ergebnisse von Metaanalysen (Buchwald et al. 2004) und vergleichenden Studien aus dem Jahr 2009 (Strain et al. 2009) gleichen sich, wenn es um den Gewichtsverlust nach verschiedenen Operationsverfahren geht (. Abb. 28.6). Strain et al. (2009) haben neben dem absoluten Gewichtsverlust auch den Verlust an Fettmasse durch Bioelektroimpedenzmessung ermittelt, die analoge Ergebnisse zum Gesamtverlust stand. In allen Publikationen kommt es übereinstimmend zu einer folgenden Rangfolge des Gewichtsverlustes: BPD-DS > RNYGB > LSG > LAGB
28.7.4
Komplikationen und Management
Morbid Adipöse sind Hochrisikopatienten, die meist neben Folgeerkrankungen über eine Eingeschränkte funktionale kardiopulmonale Reservekapazität verfügen. Die
. Abb. 28.6 Verlust des Übergewichtes in Prozent (EWL%) nach verschiedenen Operationsverfahren. Rot: Buchwald et al. 2004; blau: Strain et al. 2009
Eingriffe selbst sind Hochrisikoeingriffe, da sie in der hiatalen Region mit Resektionen und Anastomosenbildung ein großes Gefahrenpotenzial in sich bergen. Ein ausreichendes Training des Chirurgen vor dem Start mit der Adipositaschirurgie ist absolute Notwendigkeit (Sauerland et al. 2005). Die Durchführung adipositaschirurgischer Eingriffe verlangt eine außergewöhnliche enge Zusammenarbeit mit dem Anästhesisten. Dies beginnt bei der Patientenlagerung und auch Umlagerung während einer Operation (BPD-DS) und setzt sich mit der Verwendung von Kalibrationssonden, Dichtigkeitsprüfungen (Blauprüfungen, Gasinsufflation) und intraoperative Gastroskopien fort. Besonders Sondenkomplikationen sind potenzielle Gefahren bei der laparoskopischen Magenchirurgie und müssen unbedingt vermieden werden Konversion Der Verfahrenswechsel, d. h. die Konversion
von einer videoendoskopischen minimal-invasiven Vorgehensweise ist integraler Bestandteil der Aufklärung. Intraoperativ muss aus folgenden Gründen rechtzeitig ein Verfahrenswechsel eingeleitet werden, wenn Komplikationen auftreten, die minimal-invasiv nicht zu beherrschen sind: 4 Technische Unzulänglichkeit oder eine extreme intraabdominelle Fettansammlung eine sichere Ausführung der Operation unter videoendoskopischen Bedingungen nicht zulassen 4 Die Zeitdauer des Eingriffs präoperativ gesetzte Limits überschreitet. Wichtig ist nur, dass diese Entscheidung rechtzeitig getroffen wird, um Schaden vom Patienten fern zu halten. Wird diese rasche Entscheidung nicht getroffen und es entwickeln sich schwere Komplikationen, die mit Folgeschäden oder Tod des Patienten einhergehen durch zögerliches Abwarten, so wird diese Fehlentscheidung dem Operateur negativ ausgelegt werden. Die operativ-technischen Voraussetzungen für eine Fortführung der Operation per laparotomiam muss immer gewährleistet sein (Assistenz, extralange Haken und Instrumente).
463 28.7 · Verfahrenswahl
Sondenkomplikationen Am häufigsten kommt es zum Er-
fassen von Sonden mit dem Linearstapler, wenn die Sonde nicht rechtzeitig oder vollständig bei Resektionen zurückgezogen wurde. Weiterhin werden mehrfache Sondierungen notwendig, wenn Sondengrößen gewechselt werden. Hier kann es auch zu Perforationen des Ösophagus, der Pouchhinterwand oder auch Anastomose kommen. Im Gegensatz zu offenen Operationen kann keine manuelle Führung der Sonden erfolgen und das Geschehen kann lediglich auf dem Videomonitor beobachtet werden. Blutungskomplikationen Die kausalen Möglichkeiten sind
bei komplexen Operationen, insbesondere bei Verwendung von Klammernahtgeräten sehr vielfältig. Die Entscheidung, ob konservatives Vorgehen mit Abwarten, Transfusionen, Relaparoskopie oder Relaparotomie hängt der Intensität, Kreislaufreaktion, klinischen Symptomatik und der Lokalisation der Blutung ab. Bei der Auswahl von Operationsverfahren sollte bei Patienten möglichst nichtresezierende Techniken ausgewählt werden, wenn aus verschiedenen Gründen die Transfusion von Blut und Blutderivaten abgelehnt wird. Insuffizienzen Die Diagnostik von Komplikationen bei morbid Adipösen ist sehr schwierig. Die Tachykardie, Fieber und Atemnot sind oftmals die ersten und einzigen Hinweiszeichen auf Leckagen nach Bypassoperationen (Weiner 2009), weshalb die umgehende Relaparoskopie bei allen Auffälligkeiten die Entwicklung von lebensbedrohlichen Zuständen verhindern kann. Röntgenkontrastuntersuchungen und CT sind bei extremer Adipositas oftmals nicht möglich oder in ihrer Aussagekraft eingeschränkt. Revisionseingriffe wegen Anastomoseninsuffizienz können »offen« oder laparoskopisch durchgeführt werden. Klammernahtblutungen können oftmals konservativ behandelt werden. Lungenembolien Die Lungenembolie (venöse Thrombose-Embolie; VTE) ist eine allgemeine und möglicherweise tödliche Komplikation. Adipositas ist ein unabhängiger Risikofaktor für VTE-Ereignisse. Adipositaschirurgie-Patienten haben auf hohes Risiko für VTE. Die Häufigkeit einer perioperativen Lungenembolie (LE) ist auf 0,85–1,2% geschätzt worden (de Freitas et al. 2006).
! Cave ! VTE bleibt eine führende Todesursache in der Adipositaschirurgie, wenn sie auch in der Ära der minimal-invasiven Chirurgie und Thromboseprophylaxe sehr selten geworden. Rhabdomyolyse Die Rhabdomyolyse ist eine weitere ge-
fürchtete Komplikation, die besonders bei extreme adipö-
sen Patienten auftreten kann. In der Adipositaschirurgie wird die Rhabdomyolyse als Folge des hohen Druckes auf die Muskulatur auf dem Operationstisch mit Ausbildung eines Kompartmentsyndroms angesehen. Generell sind die allgemeine Komplikationen und damit die Operationsmorbidität in den letzten Jahren stets weiter gesenkt werden. Insbesondere die Minimierung der Zugangswege hat zu einer Senkung der allgemeinen Komplikationen beigetragen. Auf die spezifischen Komplikationen und die Auswirkungen der operativ induzierten Gewichtsreduktion auf die Komorbiditäten und Folgeerkrankungen kann hier nicht detailliert eingegangen werden. Grundsätzlich kann jedoch festgestellt werden, dass die positiven Effekte den Nebeneffekten wesentlich überlegen sind.
28.7.5
N.O.T.E.S.
Die Nutzung natürlicher Körperöffnung als Zugang zu den Organen der Bauchhöhle mit Minimierung des Traumas der Bauchdeckenpenetrationen erscheint auch für die Adipositaschirurgie attraktiv. Gegenwärtig erscheint die Schlauchmagenbildung und der alleinige Bypass ohne Resektion (Gastroenetrostomie) als durchführbare Eingriffe. Generell ist im Jahre 2010 zu konstatieren: 4 N.O.T.E.S. wird die technologische Entwicklung stimulieren und zur Entwicklung neuartiger Geräte und Operationsroboter führen. 4 Der transgastrale Zugang hat gegenüber dem transvaginalen Zugang die größeren Aussichten für die Entwicklung viszeralchirurgischen Eingriffe durch N.O.T.E.S. 4 Transvaginale oder endoskopische (gastroskopische) Schlauchmagenbildungen haben bislang keinen wesentlichen Vorteile gegenüber einer laparoskopischen oder »single-port technique« nachweisen können.
28.7.6
Neue Zugangswege ab 2009: S.I.L.S.
Die Minimierung der Schnittführung durch nur einen Zugang (»single incision laparoscopic surgery«; S.I.L.S.) kann die Kosmetik, jedoch nicht immer das postoperative Schmerzempfinden verbessern. Die Operationszeiten verlängern sich in der Anfangsphase deutlich und bleiben auch nach der Lernphase hinter denen der Mehrfachtrokar-Technik zurück. Der kosmetische Aspekt spielt in der Adipositaschirurgie eine geringere Rolle als in der allgemeinen Viszeralchirurgie normalgewichtiger Patienten, zumal der zu bevorzugende infraumbilikale Zugang nicht immer für die Operationsdurchführung im hiatalen Bereich geeignet ist. Es alle gängigen Operationsverfahren,
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Kapitel 28 · Chirurgische Behandlung der morbiden Adipositas
mit Ausnahme der malabsorptiven, bereits in S.I.L.S.Technik durchgeführt worden (Lewis et al. 2009 u. a.). Inwieweit sich diese Zugangstechnik in der Adipositaschirurgie verbreiten wird, bleibt abzuwarten. In dieser Sparte von Hochrisikochirurgie stehen die Sicherheit der Operationsdurchführung und kurze Operationszeiten zur Vermeidung allgemeiner Komplikationen (Lungenembolie, Rhabdomyolyse, Dekubitalulzera u. v. a. m.) im Vordergrund. Bei der Schlauchmagenbildung ergibt sich der große Vorteil, dass das Magenresektat über die erweiterte Einzelinzision dann auch ohne zusätzliche Schnitterweiterung entfernt werden kann. Ein Vorteil, der auf die N.O.T.E.S.Technik nicht zutrifft.
28.7.7
Metabolische Chirurgie
Die gravierenden Veränderungen von präoperativ vorhandenen Stoffwechselstörungen nach adipositaschirurgischen Eingriffen haben dazu geführt, dass der Begriff »metabolische Chirurgie« eingeführt wurde. Folgerichtig haben sich die internationalen Fachgesellschaften, angefangen von der amerikanischen ASMBS (American Society for Metabolic and Bariatric Surgery) bis hin zur internationalen Föderation für Adipositaschirurgie dementsprechend umbenannt. Von metabolischer Chirurgie wird gesprochen, wenn die Behandlung des DMT2 oder anderer schwerwiegender Stoffwechselstörungen mit im Fokus der Indikation zur operativen Intervention steht. Damit rücken das Übergewicht und der BMI als alleiniger Maßstab für die Indikationsstellung zur Operation in den Hintergrund, denn die Effizienz der Maßnahmen ist auch bei niedrigem Übergewicht und niedrigen BMI-Klassen gegeben. Die Leitlinien zur Adipositaschirurgie setzen die Grenze für die Indikation zum operativen Eingriff beim Vorliegen von Folgeerkrankungen des Übergewichtes, die durch eine Gewichtsreduktion wesentlich gebessert werden können, auf den Grenzwert von 35 kg/m2 fest. Dabei wurde in der neuen Leitlinie festgestellt, dass diese Behandlung auch bei einem niedrigen BMI hinsichtlich der Stoffwechselfunktion, aber auch der Gewichtsreduktion effektiv ist und diese jedoch nur in Studien durchgeführt werden sollten. Auf der Basis der Erkenntnisse der letzten Jahre im Rahmen von Studien werden in verschiedenen Ländern nunmehr auch die Indikationserweiterungen vorgenommen, wobei diese Operationen auch in diesen Ländern zunächst nur Studien vorbehalten bleiben. Hier ist jedoch mit weiterer fundierter Datenlage eine grundlegende Veränderung zu erwarten. Besonders in Indien, wo durch die genetische Disposition der DMT2 wesentlich früher, d. h. bei einem niedrigen BMI auftritt, werden die Indikationen bereits zum jetzigen Zeitpunkt weit unter der Grenze eines BMI von 35 kg/m2 gesetzt.
28.7.8
Mehrschritttherapie
Adipositas ist mit einer Vielzahl von Folge-und Begleiterkrankungen assoziiert, die diese Patienten zu Hochrisikofällen für jeden chirurgischen Eingriff werden lassen. Die Einschränkungen der kardiopulmonalen Leistungsfähigkeit sind teilweise derartig gravierend, dass eine Vielzahl der Patienten auch schon in jungen Lebensaltern in die ASA-Klassifikation >III eingestuft werden müssen. Mit einer guten präoperativen Konditionierung, eine angepassten Narkoseführung, kurzen Operationszeiten und rascher Mobilisation lassen sich die Mehrzahl der Patienten auch mit hohen BMI-Klassen operieren. Das Risiko besteht in dem Auftreten von Komplikationen, die diese Patienten mit ihren drastisch eingeschränkten oder fehlenden Reservekapazitäten besonders vital gefährden können. Bereits geringfügige Komplikationen, die ein normalgewichtiger gesunder Patient weitgehend für kurze Zeiträume kompensieren kann, führt bei diesen Patienten zur Dekompensation und vitalen Gefährdung. Die präoperative Verbesserung der Ausgangssituation ist daher eine wichtige Maßnahme zur Risikominimierung. Die präoperative Gewichtsreduktion nimmt dabei eine Schlüsselrolle ein und verbessert zudem die Bedingungen für eine operative Intervention auch in technischer Hinsicht (verkleinertes Lebervolumen, Verluste an intraabdominellem Fett) wesentlich. Potenzielle Nebeneffekte, wie eine präoperativ induzierte Katabolie mit ihren negativen Auswirkungen auf die Immunabwehr, der Produktion von kurzlebigen Funktionsproteinen für die Wundheilung und andere Organfunktionen müssen mit berücksichtigt werden. Die katabole Situation kann nicht umgangen, die Intensität der Proteolyse kann jedoch protektiv durch gezielte Ernährung und körperliche Aktivität eingeschränkt werden. Dennoch hat bei Patienten mit einem BMI >>60 kg/m2 oder einem absoluten Körpergewicht von mehr als 200 kg die Überlegung Berechtigung, zu prüfen, ob der adipositaschirurgische Eingriff nicht in mehreren Schritten oder mit einer präoperativen Magenballontherapie begonnen werden sollte.
28.8
Nachsorge
28.8.1
Notwendigkeit
Wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie der Adipositas und ihrer Begleiterkrankungen ist die lebenslange Nachsorge der Patienten. Hierin liegt eine spezifische Besonderheit der Adipositaschirurgie, die sich grundlegend von allen anderen elektiven chirurgischen Operationsverfahren mit Ausnahme der Organtransplantation unterscheidet. Das Nachsorge-Management ist an
465 28.8 · Nachsorge
ein Netzwerk gebunden, welches den Patienten eine ortsnahe Betreuung ermöglicht, die jedoch von dem Adipositaschirurgen zentral geführt und überwacht werden sollte. Die Kontrolle des Gewichtsverlaufes, die Veränderung der Komorbiditäten und die Früherkennung von Langzeitkomplikationen werden in den Nachsorgesprechstunden erfasst und dokumentiert, evaluiert und behandelt. Darüber hinaus erfolgt die Datensicherung und Eingabe in die zentrale Qualitätssicherung für Adipositaschirurgie in Deutschland. Da die krankhafte Adipositas nicht kausal therapiert wird und es sich um eine chronische Erkrankung handelt, muss die Nachbetreuung lebenslang erfolgen. Einen kurativen Behandlungsansatz für die Adipositas gibt es derzeit nicht. Der Schwerpunkt bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe in der Prävention. Es ist unbestritten, dass die Nachsorge nur von fachkompetenten Ernährungsmedizinern und Chirurgen durchgeführt werden kann, die eine detaillierte Kenntnis der einzelnen eingesetzten Operationsverfahren und -materialien besitzen. Ohne lebenslange Nachsorge entwickeln viele Patienten Mangelerscheinungen, Langzeitkomplikationen oder haben durch eine erneute Gewichtszunahme aufgrund einer Ernährungsumstellung oder einer chirurgischen Komplikation den therapeutischen Effekt verloren. Das lebenslange Follow up für die operierten Patienten ist eine conditio sine qua non für die Adipositaschirurgie.
28.8.2
Gegenstand der Nachsorge
Bei der Nachsorge soll der Gesamtgesundheitszustand des Patienten beurteilt werden. Der Therapieverlauf wird nicht nur durch die Erfassung des aktuellen Körpergewichtes auf einer geeichten elektronischen Waage, sondern auch durch die aktuelle Erfassung des Übergewichtsverlustes und des BMI dokumentiert. Dazu ist die Bewegung des Patienten unter Kontrolle vorzunehmen und sofort zu dokumentieren. Die wiederholte Messung der Körpergröße ist ebenfalls im Langzeitverlauf notwendig, da sich hier ebenfalls Veränderungen ergeben. Das trifft insbesondere auf Kinder und Jugendliche zu, jedoch auch auf Patienten jenseits des 50. Lebensjahres. Die vitalen Körperfunktionen einschl. des Essverhaltens, Stuhlgangfrequenz und -beschaffenheit zählen ebenso zur Anamnese wie die allgemeinen Lebensbedingungen in psychosozialer Hinsicht.
28.8.3
Veränderung der Komorbiditäten und der Folgeerkrankungen
Sie sind sorgfältig zu untersuchen und zu dokumentieren, insbesondere hinsichtlich der veränderten Medikation. Bei
notwendigen Veränderungen hinsichtlich der Einstellung des Diabetes mellitus, der Bluthochdruckkrankheit oder anderer Folgeerkrankungen sind entsprechend den hausärztlichen Empfehlungen gegeben und mit diesen ein enger Kontakt herzustellen. Die Einstellung der CEPAPMasken muss fortlaufend überprüft werden, ehe diese Behandlung in vielen Fällen eingestellt werden kann.
28.8.4
Vermeidung von Mangelund Fehlernährungen
Die Ernährungsanamnese ist ein wichtiger Bestandteil der Nachsorge, die frühzeitig die Entwicklung von Fehlentwicklungen aufdecken soll. Bei Verdacht auf Veränderung der Ernährungsweise hinsichtlich einer einseitigen Ernährung (z. B. in flüssiger Form, restriktive Verfahren) muss in Einzelfällen auch durch Ernährungsprotokolle subtil erfasst werden. Die Beurteilung der Gebisssituation ist sowohl vor als auch nach Operation ein wichtiger Bestandteil, um eine vollwertige und ausreichende Ernährung zu gewährleisten. Patienten mit restriktiver Form müssen ausreichend gut kauen können, um feste Nahrung zu sich zu nehmen und ein Ausweichen auf pürierte Kost oder Flüssignahrung auszuschließen. Die Entwicklung eines Sweet-eater-Syndroms beim Magenband zeigt sich oftmals in einem kariösen Zahnstatus.
28.8.5
Früherkennung von chirurgischen Komplikationen
Die Symptomatik von chirurgischen Komplikationen kann sehr vielfältig sein und ist von den Operationsverfahren abhängig. Nach puren restriktiven Verfahren ist ein Gewichtsanstieg entweder durch Änderung der Ernährungsform oder Aufhebung der Restriktion verursacht. Beim Magenband kann diese Gewichtszunahme das Zeichen einer Bandmigration oder auch eines Funktionsverlustes des Magenbandes sein. Röntgendiagnostik und Endoskopie liefern die Diagnose und stellen die Weichen für eine operative Intervention. Intermittierende Bauchschmerzen, die uncharakteristisch sind und bis in den linken Oberbauch aber auch in den Rücken ausstrahlen, Unregelmäßigkeiten in der Stuhlfrequenz oder kolikartige Unterbauchbeschwerden können durch innere Herniationen oder Adhäsionen der Dünndarmschlingen nach Bypassverfahren auftreten. Bei intermittierend auftretenden Schmerzen ist daher die erneute Laparoskopie und Inspektion aller potenziellen inneren Hernien die einzige Möglichkeit, um eine potenzielle Inkarzeration des Dünndarms mit nachfolgender Nekrose und Ischämie zu vermeiden.
28
28
466
Kapitel 28 · Chirurgische Behandlung der morbiden Adipositas
28.8.6
Erfassung von Mangelzuständen
Klinisch manifeste Mangelzustände von Mineralstoffen, Spurenelementen und Vitaminen entwickeln sich erst über einen längeren Zeitraum, so dass eine allgemeine Labordiagnostik in den ersten Monaten nach adipositaschirurgischen Eingriffen sich auf die Kontrolle des Hämoglobins und der Entzündungsparameter und ggf. Leberwerte beschränken kann. Die Anämie, wie sie insbesondere bei menstruierenden Frauen nach Operationen mit Ausschluss des Duodenums im Rahmen von Bypass-Verfahren auftreten kann, äußert sich in den allgemein bekannten Symptomen. In der laborchemischen Diagnostik wird dann nicht nur das Hämoglobin sondern auch gleichzeitig der Eisenspiegel und der Vitamin-B12-Spiegel ermittelt. Die Erfassung von sich entwickelnden Osteoporosen durch einen sekundären Hyperparathyreoidismus ist insbesondere bei weiblichen Patienten jenseits der Menopause häufig und kann letztendlich durch eine Parathormonbestimmung und Knochendichtemessung objektiviert werden. Die Therapie des Osteoporoseschemas mit Vitamin D3 und Kalzium muss langfristig und dauerhaft durchgeführt werden und ist von der Normalisierung der Parathormonwerte unabhängig. Vielfältiger sind die Symptome von neurologischen Erkrankungen, die durch Mangel an B-Vitaminen auftreten. Diese sind nach allen Operationsverfahren mit und ohne Malabsorption möglich. Der Verlust von Kopfhaaren ist ein normales Symptom nach massiver Gewichtsreduktion, wie es auch im Rahmen von Diätprogrammen zu verzeichnen ist. Viele Patienten klagen in den ersten 3–6 Monaten nach der Operation über vermehrten Haarausfall. Dies ist allerdings ein temporärer Prozess. Die Bildung von Gallenkonkrementen ebenfalls ein häufiges Folgesymptom nach Gewichtsreduktion, das der sonographischen Kontrolle bedarf. Die prophylaktische Gabe von Medikamenten wird in der Effizienz unterschiedlich beurteilt. Sie sollte nur in der Phase der starken Gewichtsreduktion durchgeführt werden.
28.8.7
Lebensqualität
Die Erfassung der Lebensqualität durch spezielle Test- und Fragebatterien ist integraler Bestandteil der Erfassung der postoperativen Veränderungen und dokumentiert in der Regel eine allgemeine grundlegende Verbesserung der Lebenssituation des Patienten (Weiner et al. 2008).
28.8.8
Psychosozialer Support
Die Patienten waren vor der Operation bereits über Jahre oder Jahrzehnte hinweg psychologisch stigmatisiert. Die
sich daraus entwickelnden psychologischen Störungen bis hin zur hartnäckigen Körperschemastörung bedürfen einer langfristigen Therapie und Unterstützung, insbesondere nach der Operation, wenn sich das Körperäußere ändert.
28.9
Folgeoperationen
Die plastisch-ästhetischen Folgeeingriffe zählen zu den häufigsten Folgeoperationen. Sie werden insbesondere dann notwendig, wenn erst im höheren Alter (geringere Hautelastizität) und bei hohem BMI operiert wird. Junge Menschen, die sich bei einem BMI um die 40 einem adipositaschirurgischen Eingriff unterziehen, benötigen selten einen derartigen Folgeeingriff. Der Verlust der Restriktion stellt der häufigste Folgeeingriff dar, der nach einigen Jahren eine operative Korrektur notwendig werden kann. Hier ist jedoch die Indikation streng zu stellen. Malabsorptive verfahren verlangen in nur 1–2% der Fälle eine Korrektur des Common Channels (Weiner 2009). Die Möglichkeit des laparoskopischen Zugangs für Revisionen nach vorgängiger bariatrischer Chirurgie ist mehrfach demonstriert worden (Gagner et al. 2002). 28.10
Literatur
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28
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Kapitel 28 · Chirurgische Behandlung der morbiden Adipositas
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29
Erkrankungen des Dünndarms (außer Morbus Crohn) A. Erckmann, F. Erckmann, M. Jansen, E. Schippers, V. Schumpelick
29.1
Pathophysiologie
– 470
29.1.1 29.1.2 29.1.3 29.1.4
Malassimilation – 470 Diagnostik – 470 Spezielle Erkrankungen Literatur – 472
29.2
Kurzdarmsyndrom
29.2.1 29.2.2 29.2.3 29.2.4
Pathogenese – 472 Klinische Symptomatologie Therapie – 473 Literatur – 474
29.3
Blindsacksyndrom
29.3.1 29.3.2 29.3.3 29.3.4 29.3.5
Pathogenese – 474 Klinische Symptomatologie Diagnostik – 475 Therapie – 475 Literatur – 475
29.4
Divertikulose des Dünndarms
29.4.1 29.4.2 29.4.3 29.4.4 29.4.5
Pathogenese – 475 Klinische Symptomatologie Diagnostik – 476 Therapie – 476 Literatur – 476
29.5
Meckel-Divertikel
29.5.1 29.5.2 29.5.3 29.5.4
Klinische Symptomatologie Diagnostik – 477 Therapie – 477 Literatur – 477
– 471
– 472 – 473
– 474 – 475
– 475
– 475
– 476 – 476
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_29, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
470
Kapitel 29 · Erkrankungen des Dünndarms (außer Morbus Crohn)
29.1
Pathophysiologie M. Jansen, A. Erckmann, F. Erckmann, E. Schippers
Erkrankungen des Dünndarms manifestieren sich in Transportstörungen, Resorptionsstörungen, sowie mangelnder Enzym- und Hormonproduktion. Leitsymptome sind Malassimilation, Schmerzen (Koliken), Übelkeit, Erbrechen und Diarrhö.
29.1.1
29
Malassimilation
Resorptionsstörungen (Malassimilation) können durch Maldigestion oder Malabsorption entstehen. Die Maldigestion ist charakterisiert durch eine verminderte exokrine Enzymaktivität des Pankreas und der Dünndarmmukosa. In der Folge kommt es zu einer gestörten Aufschließung der Nahrungsbestandteile. Häufigste Ursachen sind die exokrine Pankreasinsuffizienz bei chronischer Pankreatitis oder Resektion des Pankreas sowie der Mangel an intraluminalen Gallesäuren durch Verschlussikterus oder Leberzirrhose. > Bei der Malabsorption handelt es sich um eine verminderte Resorption der Nahrungsbestandteile durch Schädigung der Schleimhaut oder eine beschleunigte Darmpassage.
Ursachen einer Malassimilation 4 Schädigung der Mukosa – Glutensensitive Sprue – Tropische Sprue – Morbus Whipple – Morbus Crohn – Eosinophile Gastroenteritis – Amyloidose 4 Angeborene Defekte – Laktasemangel – Synthesestörung der Chylomikronen (A-beta-Lipoproteinämie) – Glukosetransportstörung 4 Pankreasinsuffizienz – Chronische Pankreatitis – Pankreasresektion – Pankreaskarzinom – Zollinger-Ellison-Syndrom 4 Biliäre Insuffizienz – Verschlussikterus – Intrahepatische Cholestase 6
– Primär biliäre Zirrhose – Blind-loop-Syndrom (s. unten) – Afferent-loop-Syndrom (s. unten) 4 Iatrogen – Dünndarmresektion – Blindsacksyndrom (z. B. Seit-zu-SeitAnastomose) – Medikamente (Zytostatika, Antibiotika) 4 Hormonbildende Tumoren – Zollinger-Ellison-Syndrom – Verner-Morrison-Syndrom – Medulläres Schilddrüsenkarzinom – Karzinoide 4 Erregerbedingt – Yersinien, Salmonellen, Tuberkulose – Viren (Rota-, Parvo-, Reo-Viren, AIDS)
Nach Dünndarmteilresektionen müssen je nach Lokalisation unterschiedliche Resorptionsstörungen bedacht werden. So werden im Duodenum Kalzium, Magnesium, Eisen, Saccharide und wasserlösliche Vitamine resorbiert. Im Jejunum werden vor allem fettlösliche Vitamine, Eiweiß, Fette und Cholesterin resorbiert, während es im terminalen Ileum zur Resorption von Gallensäuren und des Vitamin-B12-Komplexes kommt (7 Kap. 7).
29.1.2
Diagnostik
Sonographie Die Sonographie ist als initiale Screeninguntersuchung indiziert bei Darmerkrankungen wie Ileus, entzündlichen Darmerkrankungen, Invagination oder Tumoren. Beurteilt werden können die Peristaltik mit Nachweis von Flüssigkeit innerhalb und außerhalb des Dünndarms, die pathologische Kokarde als sonomorphologisches Korrelat einer entzündlichen oder tumorösen Wandverdickung oder freie intraabdomineller Luft als Zeichen einer Hohlorganperforation (Ogata et al. 1996). Radiologische Verfahren Hier kommen derzeit folgende Untersuchungen zum Einsatz (7 Kap. 1 und 3):
4 Abdomenleeraufnahme im Liegen oder Stehen zum Nachweis freier Luft oder Flüssigkeitsspiegel 4 Enteroklysma nach Sellink zur Beurteilung der Passage, Nachweis von entzündlichen oder tumorösen Stenosen 4 Computertomographie
Eine vollständige visuelle Beurteilung erlaubt erstmals die Kapselendoskopie, bei der eine 1×2 cm große Kapsel geschluckt werden muss. Während der Passage durch den Dünndarm werden jede halbe Sekunde bis zu 50.000 Bilder
471 29.1 · Pathophysiologie
aufgenommen und über einen Sender auf einen tragbaren Rekorder übermittelt (Scapa et al. 2002). Inzwischen steht auch ein Ortungssystem zur Verfügung, das eine Zuordnung der abgebildeten Läsionen in Bezug auf 8 auf die Bauchdecke platzierten Sensoren ermöglicht.
29.1.3
Spezielle Erkrankungen
Glutensensitive einheimische Sprue (Zöliakie) Pathogenese Bei der Zöliakie handelt es sich um ein generalisiertes Malabsorptionssyndrom auf dem Boden einer Unverträglichkeit gegen das Getreideprotein Gluten. Die toxische Komponente des Glutens ist das Gliadin. Die Inzidenz liegt in Europa bei 1:300–1:1000. Erstmanifestationen werden ab dem 3. Lebensjahr beobachtet; allerdings entwickelt sich das Vollbild der Erkrankung häufig erst im Erwachsenenalter. Epidemiologisch ist eine genetische Disposition vorhanden. Direkte Verwandte sind in bis zu 15% erkrankt. Klinische Symptomatologie Im Kindesalter kann es zu Ge-
deihstörungen und Rachitis mit Durchfällen kommen. Häufig verläuft die Erkrankung jedoch klinisch stumm und manifestiert sich in Form von Mangelerscheinungen entsprechend der Malabsorption von Eisen, Folsäure, Vitamin B12, sowie Vitamin D und Kalzium. Die klinischen Korrelate sind Anämie, Ödeme, Adynamie, Knochenschmerz und Tetanie. In seltenen Fällen treten neurologische Schäden auf. Diagnostik Die Diagnose erfolgt histologisch durch Nach-
weis einer zottenlosen Mukosa. Gesichert wird die Diagnose jedoch erst durch Rückgang dieser Veränderungen unter glutenfreier Diät. Im Rahmen der Verlaufskontrolle werden auch serologische Tests wie der Nachweis von Antigliadinantikörpern eingesetzt. 10–15% der Patienten mit unbehandelter Zöliakie entwickeln ein malignes Lymphom oder ein Karzinom, das im gesamten Gastrointestinaltrakt auftreten kann. Sehr selten kommt es zu Dünndarmulzera, die durch Spontanperforationen und massive Blutungen jedoch eine hohe Letalität aufweisen.
die Trias Malabsorption, Lymphadenopathie, und Arthritis. Ursache ist eine Infektion mit dem stäbchenförmigen Bakterium Tropheryma Whippelii, das in der Dünndarmmukosa, in mesenterialen Lymphknoten und in zahlreichen Organen nachweisbar ist. Klinisch kommt es zu Durchfällen, Steatorrhö, Zeichen der allgemeinen Malabsorption und extrainstestinalen Symptomen wie Arthralgie und infektiöse Endokarditis (20–55%). Das ZNS ist bei 10–50% der Patienten betroffen mit supranukleären Ophthalmoplegie, Myoklonie und Demenz. Diagnostik Die Diagnose wird histologisch durch den Nachweis von Makrophagen mit PAS positivem Inhalt gestellt. Da diese Methode jedoch nicht ausreichend spezifisch ist, sollte heutzutage ebenfalls eine PCR Diagnostik durchgeführt werden. Derzeit werden immunhistologische Verfahren entwickelt, die den direkten Nachweis von T. Whippelii erlauben. Therapie Die Therapie besteht in der Antibiotikabehand-
lung. Zum Einsatz kommen Tetrazykline, Penicillin-Streptomycin oder Cotrimoxazol. Bei ZNS-Beteiligung ist eine antibiotische Therapie über mindestens 6 Monate erforderlich. Der Behandlungserfolg zeigt sich im klinischen Verlauf und wird mittels PCR dokumentiert. Der therapierefraktäre M. Whipple kann möglicherweise mit Interferon-Gamma erfolgreich behandelt werden. Die Prognose des behandelten M. Whipple ist günstig (Misbah et al. 2004). Symptome, die einen M. Whipple vermuten lassen 4 Unerklärbare Malabsorption mit systemischer Reaktion 4 Unerklärbare systemische Granulomatose ähnlich einer Sarkoidose 4 Unerklärbare Uveitis 4 Neurologische Erkrankung (Myoklonie, Demenz, supranukleäre Ophthalmoplegie)
HIV/AIDS Therapie Die Therapie besteht in einer konsequenten,
lebenslangen glutenfreien Diät. Initial ist meist auch eine Substitution der vermindert resorbierten Vitamine, Eisen und ggf. Elektrolyte erforderlich. Steroide sollten nur bei Versagen der glutenfreien Kost eingesetzt werden (Dewar et al. 2004).
Morbus Whipple Klinische Symptomatologie Die erstmals 1907 von George
Whipple erwähnte Erkrankung ist charakterisiert durch
Im Laufe einer HIV-Infektion entwickeln bis zu 50% der Patienten gastrointestinale Symptome wie Diarrhö und Gewichtsverlust. Ohne antivirale Therapie erleiden 91% der Patienten gastrointestinale opportunistische Erkrankungen. Durch den Einsatz einer hochaktiven antiretroviralen Therapie konnte der Anteil der erkrankten Patienten auf 30% signifikant reduziert werden (Monkermuller et al. 2005). Dennoch sind chronische Diarrhö, Gewichtsverlauf und Serumalbumin weiterhin entscheidende Faktoren für das Überleben (Poles et al. 2001).
29
472
Kapitel 29 · Erkrankungen des Dünndarms (außer Morbus Crohn)
Die häufigste Ursache für opportunistische Erkrankungen ist die CMV-Infektion. Weitere wesentliche Ursachen sind Clostridium difficile, Mycobacterium avium und Kryptospiroidose. Allerdings sind parasitäre, virale und bakterielle opportunistische Infektionen als Ursache für die Diarrhö nur noch in ca. 20% der Fälle zu finden, während nichtinfektiöse Formen in bis zu 70% der Fälle auftreten (Call et al. 2000). Ursachen einer Gastroenteritis bei AIDS (Furrer u. Fux 2002)
29
4 Bakteriell: Mykobakterien, Salmonellen, Shigellen, Campylobacter, Clostridium difficile 4 Parasiten: Kryptosporidien, Isospora belli, Mikrosporidien 4 Viral: Zytomegalievirus, Rota-, Adenoviren
Radiogene Enteritis Eine radiogene Enteritis kann nach Bestrahlung von intraoder retroperitonealen Tumoren oder Tumoren im kleinen Becken auftreten. Die akute strahleninduzierte Enteritis kann nach 2–3 Tagen zu einer gastrointestinalen Blutung führen. Häufiger jedoch kommt es zu Spätkomplikationen nach 1–2 Jahren mit unterer Gastrointestinalblutung, Diarrhöen, Obstruktion oder Fisteln. Allerdings werden auch Reoperationen wegen Spätkomplikationen nach 9–18 Jahren berichtet (Onodera et al. 2005), deren Ursache in 81% der Fälle eine Passagestörung war. Strahlenschäden sind dosis- und zeitabhängig. Bei einer Strahlendosis von 45 Gy beträgt die Rate klinisch manifester enteraler Strahlenschäden 5% und steigt nach einer Dosis von 65 Gy auf 50% der Fälle an. Etwa ein Drittel dieser Patienten benötigen eine chirurgische Therapie. Die adäquate chirurgische Vorgehensweise bei Strahlenenteritis wird aktuell diskutiert. Zur Verfügung stehen die Resektion, die Strikturoplastik oder die Anlage eines enteroenteralen Bypass. Die Resektion hat zwar eine erhöhte Morbiditäts- und Mortalitätsrate, führt jedoch langfristig zu deutlich besseren Ergebnissen hinsichtlich der 5-Jahres-Überlebensrate sowie der Reoperationsrate (Regimbeau et al. 2001).
29.1.4
Literatur
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29.2
Kurzdarmsyndrom F. Erckmann, A. Erckmann, M. Jansen, E. Schippers
Das Kurzdarmsyndrom charakterisiert ein Krankheitsbild, bei dem es durch Verlust größerer Dünndarmabschnitte und der damit verbundenen Reduzierung der Resorptionsfläche zu ausgeprägter Mangelernährung mit Wasser- und Elektrolytstörungen kommt.
29.2.1
Pathogenese
Als Ursache hierfür steht beim Erwachsenen an erster Stelle der durch den Chirurgen ausgelöste Verlust größerer Dünndarmabschnitte. Dieser ist am häufigsten durch arterielle, venöse oder kombinierte Durchblutungsstörungen bedingt. Seltenere Ursachen, welche zu ausgedehnten Resektionen des Dünndarmes zwingen, sind chronisch entzündliche Darmerkrankungen, pseudomembranöse Enteritis sowie Verwachsungen oder ausgedehnte Resektionen im Rahmen tumorchirurgischer Eingriffe (Thomson 2005). Beim Kind sind es angeborene Anomalien sowie Folgen ausgedehnter Invaginationen, die zu Resektionen mit Ausbildung eines Kurzdarmsyndroms führen. Der Schweregrad ist abhängig von der Länge des verbliebenen Dünndarms und der Lokalisation des Dünndarmverlustes mit oder ohne Dickdarmresektion. Erhebliche individuelle Schwankungen der Dünndarmlängen machen es sinnvoller,
473 29.2 · Kurzdarmsyndrom
von der Länge des in situ verbliebenen Dünndarms und nicht vom Resektionsausmaß zu sprechen (Nightingale 2006). > Eine ausgedehnte Dünndarmresektion unter Mitnahme des terminalen Ileums, des Zökums und größerer Dickdarmabschnitte führt zu ausgeprägteren Mangelerscheinungen als eine proximale Dünndarmresektion unter Erhalt des terminalen Ileums und Kolons.
Die Resektion des terminalen Ileums bedingt den Verlust von Gallensäuren und eine Resorptionsstörung von Vitamin B12. Zusätzlich verkürzt der Verlust der Bauhin-Klappe die Dünndarmtransitzeit und so die Kontaktzeit der Nahrung mit dem Dünndarm. Weiter ist der Wasser- und Elektrolytverlust mit konsekutiven chologenen Diarrhöen erheblich. Der verminderte Gallensäurenpool löst eine Fettmalabsorption in Kombination mit vermehrter Gallensteinbildung aus. Fettlösliche Vitamine werden nur unzureichend resorbiert und lösen so Mangelerscheinungen aus (Krähenbühl 1997). Insgesamt verfügt der Dünndarm jedoch über eine enorme Anpassungsfähigkeit, sodass nur in den seltensten Fällen eine komplette dauerhafte parenterale Ernährung indiziert ist. Die Adaptation zeigt sich durch eine Hyperplasie der Darmschleimhaut und Zunahme des Darmumfanges. Hierdurch kann die Absorptionskapazität um mehr als das Doppelte gesteigert werden. Langfristig können deshalb 100 cm Dünndarm für eine adäquate orale Ernährung ausreichend sein. Dieser Prozess der Adaptation dauert jedoch Monate. Erst danach kann abschließend die Ausprägung des Kurzdarmsyndroms endgültig beurteilt werden (Krähenbühl 1997). Die Prognose der Patienten, die dauerhaft parenteral ernährt werden müssen, hat sich in den letzten Jahren durch die Einführung der häuslichen parenteralen Ernährungstherapie bezüglich des Langzeitüberlebens und der Lebensqualität deutlich verbessert. Trotz besserem Verständnis bezüglich der Ernährungsphysiologie und parenteralen Ernährung bleibt die beste »Therapie« jedoch ein, wenn immer möglich, sparsam gewähltes Resektionsausmaß durch den Chirurgen.
29.2.2
Klinische Symptomatologie
Das klinische Erscheinungsbild des Kurzdarmsyndroms korreliert mit dem von der Resektion betroffenen Dünndarmabschnitt. Dehnt sich das Resektionsausmaß auf den proximalen Dünndarm aus, so kommt es zu Mangelerscheinungen bezüglich der Eisen-, Kalzium-, und Folsäureresorption. Ist der distale Dünndarmabschnitt betroffen, führt die mangelnde Vitamin-B12-Aufnahme zur Anämie
und die fehlende Rückresorption von Galle zur Unterbrechung des enterohepatischen Kreislaufs. Dies wiederum hat Wasser- und Elektrolytverlust, Diarrhö, Malabsorption von Fetten und der fettlöslichen Vitamine zur Folge.
29.2.3
Therapie
Konservative Therapie In der Initialphase des Kurzdarmsyndroms steht die konservative Therapie im Vordergrund. Wichtig ist hier die ausreichende Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution in den ersten Tagen. Die Ernährung erfolgt hauptsächlich parenteral, da Nahrungsaufnahme und Hypersekretion des Magens im Wesentlichen die Quantität der Diarrhö bestimmen. Zur Reduktion der Sekretmenge kommen H2-Blocker, Protonenpumpenhemmer sowie Somatostatin zum Einsatz. Ergänzend sollte, sobald die Anastomosen abgeheilt sind und die atone Phase des Darmes abgeklungen ist, mit einer vorsichtigen oralen Belastung begonnen werden. Dies kann in der frühpostoperativen Phase mittels isotoner, chemisch definierter Oligopeptiddiät in Form von Sondenkost oral oder aber über Magensonde geschehen. Hierdurch wird einer frühen Mukosaatrophie vorgebeugt und somit das Risiko einer Sepsis durch Translokationen von Keimen aus dem Darm reduziert. Danach schließt sich der langsame orale Kostaufbau an. Bei intaktem Kolon sollte dieser durch eine fettarme Diät erfolgen. Zur Verbesserung der Resorption kommen pflanzliche mittelkettige Fette zur Anwendung.. Kohlenhydrate sollten nicht in Form hypertoner Lösungen eingenommen werden. Ferner sind Milch und Milchprodukte wegen eines meist bestehenden sekundären Laktasemangels zu meiden. Auf Alkohol, Koffein und faserreiche Kost sollte möglichst verzichtet werden (Shanbhogue 1994). Zur Prävention einer Überlastung des Dünndarmes ist es sinnvoll, die Mahlzeiten in mehreren kleinen Portionen über den Tag verteilt einzunehmen. Durch die Gabe von Cholestyramin kann die häufig bestehende chologene Diarrhö positiv beeinflusst werden. Liegt jedoch eine Steatorrhö vor, kann Cholestyramin kontraproduktiv sein. Hier muss von Fall zu Fall individuell entschieden werden. Zudem können Peristaltikhemmer (z. B. Loperamid) zu einer verlängerten intestinalen Transitzeit der Nahrung beitragen und somit die Stuhlfrequenz senken. Ergänzend empfiehlt sich die Substitution von Spurenelementen und Vitaminen, die je nach enteraler Resorptionsfähigkeit auch parenteral verabreicht werden (z. B. Vitamin B12). Sollte es trotz oben genannter Maßnahmen zu einer Mangelernährung mit Wasser- und Elektrolytstörung kommen, ist eine kombinierte enterale/parenterale bzw. komplette parenterale Ernährung zu erwägen. Oft reicht jedoch die ergänzende parenterale Substitution von Fetten in Kom-
29
474
Kapitel 29 · Erkrankungen des Dünndarms (außer Morbus Crohn)
bination mit Vitaminen und Spurenelementen aus. Diese kann je nach Bedarf 1- bis 3-mal pro Woche erfolgen.
Chirurgische Therapie
29
Ist die endgültige Ausprägung des Kurzdarmsyndroms erreicht und die Situation trotz oben genannter Maßnahmen unbefriedigend, stehen eine Reihe von operativen Behandlungsmöglichkeiten zu Verfügung. Es sind im Wesentlichen 2 Prinzipien, die verfolgt werden. Ein Prinzip ist die Verlängerung der Transitzeit, die durch Rekonstruktion der Ileozökalklappe oder Interposition von anisoperistaltischen Dünndarmsegmenten bzw. einem Kolonsegment erreicht wird. Ein weiteres Prinzip ist die Vergrößerung der Resorptionsfläche durch Dünndarmverlängerung mittels Längsspaltung (Selzner 1996). Der theoretisch beste Ansatz zur dauerhaften Heilung ist die Dünndarmtransplantation. Hier muss zunächst die Entwicklung in den nächsten Jahren abgewartet werden (Ueno 2010). Steigende Transplantationszahlen mit verbesserten Langzeitergebnissen stimmen für die Zukunft hoffnungsvoll. Einzelheiten hierzu auch im 7 Kap. 31.
Nightingale J, Woodward JM (2006) Guidelines for management of patients with a shortbowel. Gut 55: iv1–iv12 Selzner M, Isenber J, Keller HW (1996) Derzeitiger Stand der operativen Behandlung des Kurzdarmsyndroms. Zentralbl Chir 121: 1–7 Shanbhogue LKR, Molnaar JC (1994) Short bowel syndrome: metabolic and surgical management. Br J Surg 81:486–499 Thompson JS, DiBaise JK, Iyer KR, Yeats M, Sudan D (2005) Postoperative short bowel syndrome. J Am Coll Surg 201:85–89 Ueno T, Fukuzawa M (2010) Current status of intestinal transplantation. Surg Today 40:1112–1122
29.3
Blindsacksyndrom F. Erckmann, A. Erckmann, M. Jansen, E. Schippers
In ausgeschalteten Dünndarmsegmenten, insbesondere in blind endenden Schlingen, treten bakterielle Fehlbesiedelungen auf. Die hieraus resultierenden klinischen Symptome werden unter dem Begriff Blindsacksyndrom subsumiert. Er steht heute für jegliche Formen der bakteriellen Fehlbesiedelung im Dünndarm.
Chirurgische Maßnahmen bei Kurzdarmsyndrom 4 Rekonstruktion der Ileozökalklappe – Antiperistaltisches Dünndarmsegment – Koloninterposition – Rezirkulierende Darmschleife – Intestinales Pacing 4 Vergrößerung der Resorptionsfläche – Dünndarmverlängerung durch Längsspaltung – Dünndarmtransplantation – Mukosaautotransplantation
Die Prognose eines Patienten mit Kurzdarmsyndrom wird neben seiner Grunderkrankung von der Erfahrung des erstbehandelnden Chirurgen bestimmt. Dieser sollte den Verlust der Bauhin-Klappe vermeiden. Bietet sich technisch die Möglichkeit, mehrere kurze Darmabschnitte zu verbinden, so ist dieser, bei sicherer Anastomosentechnik, im Vergleich zu ausgedehnten Resektionen der Vorrang zu geben. Jeder Zentimeter Dünndarm zählt und minimiert das Risiko eines Kurzdarmsyndroms.
29.2.4
Literatur
Jeppesen P, Mortensen P (1998) The influence of a preserved colon on the absorption of medium chain fat in patients with small bowel resection. Gut 43:478–483 Krähenbühl L, Büchler MW (1997) Pathophysiologie, Klinik und Therapie des Kurzdarmsyndroms. Chirurg 68:559–567
29.3.1
Pathogenese
Ursächlich für die pathologische Keimvermehrung, die den gesamten Dünndarm betreffen kann, sind in der Regel chirurgische Maßnahmen, die eine oder mehrere der physiologischen Schutzbarrieren des Dünndarms unterbrechen. Hauptfaktoren, welche den Dünndarm vor einer Keimüberwucherung schützen, sind 4 Azider Magensaft → Dekontamination 4 Regelrechte Dünndarmperistaltik → Clearance 4 Intakte Ileozökalklappe → Refluxbarriere Versagt einer dieser Mechanismen, kann es zur bakteriellen Überwucherung der Dünndarmflora kommen. Typische Beispiele sind Magenresektionen mit Verlust der säurebildenden Zellen und beschleunigter Restmagenentleerung, Roux-Y Rekonstruktionen (Schippers 1996), Stenosen im Dünndarm unter Ausbildung einer Stase sowie Resektionen der Ileozökalklappe oder Fisteln, die das Aufsteigen von Keimen aus dem Kolon ermöglichen (Halkic 2002). Das physiologische Keimspektrum verändert sich durch Zunahme dickdarmtypischer Bakterien (gramnegative Keime, Anaerobier). Zudem steigt die Anzahl der Keime im Dünndarmsekret pro Milliliter drastisch an. Es kommt zu einem gesteigerten Nährstoffverbrauch durch die Bakterien sowie zur Dekonjugation von Gallensalzen, mit der Folge einer Verminderung der Fettaufnahme und
475 29.4 · Divertikulose des Dünndarms
mangelnder Resorption von Vitamin B12. Hierdurch bildet sich eine megaloblastäre Anämie aus. Ferner resultiert eine Malabsorption von Proteinen, Kohlenhydraten und fettlöslichen Vitaminen (Vitamin A, D, E, K).
29.3.2
Klinische Symptomatologie
Die 3 klinischen Kardinalsymptome sind perniziöse Anämie, Steatorrhö und Malnutrition. Der Patient beschreibt unspezifische Bauchschmerzen, die oft von Übelkeit und Durchfall begleitet sind. Zudem wird häufig über Gewichtsverlust und Müdigkeit geklagt. Diese Symptome können erst Jahre nach dem intraabdominellen Eingriff klinisch manifest werden.
29.3.3
Diagnostik
Neben einer genauen Anamnese inkl. eventuell vorausgegangener Operationen ist die sicherste und spezifischste Methode die direkte Keimbestimmung aus dem Dünndarmsekret. Die Gewinnung unter Intubation des Jejunums ist jedoch aufwendig und für den Patienten belastend. Etabliert haben sich Atemtests, welche den erhöhten bakteriellen Metabolismus nachweisen können (Bures 2010). Bei Verdacht auf Vorliegen eines chirurgisch bedingten Blindsacksyndroms kann der direkte Nachweis des Blindsackes durch radiologische Diagnostik hilfreich sein.
29.3.5
Halkic N, Abdelmoumene A, Kianmanesh R, Vuilleumier H (2002) Blind loop syndrome. Swiss Surg 8:220–223 Bures J, Cyrany J, Kohoutova D, Förstl M, Rejchrt S, Kvetina J, Vorisek V, Kopacova M (2010) Small intestinal bacterial overgrowth syndrome. World J Gastroenterol 16:2978–2990 Schippers E, Willis S, Ruckdeschel G, Schumpelick V (1996) Small intestinal myoelectrical activity and bacterial flora after Roux-en-Y reconstruction. Br J Surg 83:1271–1275
29.4
Therapie
Chirurgische Ursachen des Blindsacksyndroms bedürfen grundsätzlich einer operativen Therapie. Hierbei sollten Blindsäcke ebenso wie Stenosen reseziert werden. Im Bereich des Magens kommen auch Umwandlungsoperationen in Betracht. Wegen guter konservativer Behandlungsmöglichkeiten ist die Indikation zur Operation hier nur relativ. Der Eingriff sollte erst nach Ausgleich einer mangelhaften Ernährungssituation erfolgen. Eine vorangegangene konservative Therapie zur Eindämmung der bakteriellen Fehlbesiedelung ist obligat. Die konservative Behandlung besteht in der Gabe von Antibiotika. Hierbei ist das Spektrum der anaeroben Keime mit abzudecken. Komplikationen wie Perforation, Ileus oder Blutung sind immer einer chirurgischen Therapie zuzuführen.
Divertikulose des Dünndarms F. Erckmann, A. Erckmann, M. Jansen, E. Schippers
Die Divertikulose des Dünndarms ist ebenso wie das Meckel-Divertikel ein eher seltenes Krankheitsbild. In Autopsiestudien werden die Divertikel in 0,3–4,5% nachgewiesen. Ihre Größe kann zwischen wenigen Millimetern bis zu 10 cm schwanken. Am häufigsten kommen sie multipel im proximalen Dünndarm vor und nehmen nach distal in ihrer Häufigkeit ab. Sie bilden sich im Bereich des Mesenteriums an den Durchtrittsstellen der Blutgefäße aus und führen zur Ausstülpung von Mukosa und Submukosa durch eine Muskellücke der Darmwand. Sie sind somit erworbene, »falsche« oder »Pseudo-«Divertikel (Kouraklis 2001).
29.4.1 29.3.4
Literatur
Pathogenese
Die Ursache der Dünndarmdivertikulose ist unklar, es wird jedoch eine Dysfunktion der Muskulatur bzw. des Plexus myentericus mit folgender Druckerhöhung vermutet (Lempinen 2004). Ihre Inzidenz nimmt mit steigendem Lebensalter zu.
29.4.2
Klinische Symptomatologie
Die meisten Patienten mit einer Divertikulose des Dünndarms sind asymptomatisch. Häufig wird die Diagnose als Zufallsbefund im Rahmen einer Laparotomie bzw. radiologisch gestellt. Treten jedoch Beschwerden auf, so sind diese häufig unspezifisch. Sie reichen von untypischen Bauchschmerzen und Blähungen bis zu Übelkeit und Erbrechen. Kommt es jedoch zu Komplikationen, welche in 10–40% beschrieben werden, führt die Klinik der Komplikation. Diese kann Folge von Entzündung und Perforation im Sinne eines Peritonismus bis hin zu Ileus oder intestinaler Blutung sein (Patel 2008).
29
476
Kapitel 29 · Erkrankungen des Dünndarms (außer Morbus Crohn)
. Abb. 29.2 Dünndarmileus durch Invagination eines MeckelDivertikel beim Erwachsenen
29
. Abb. 29.1 Asymptomatische Dünndarmdivertikulose als Zufallsbefund im Rahmen einer Laparotomie
29.4.3
Diagnostik
Wird die Diagnose nicht im Rahmen einer Laparotomie gestellt (. Abb. 29.1), so kann die Dünndarmdivertikulose häufig mittels Kontrastmittelschluck, CT oder MRT diagnostiziert werden. Hierbei gilt das unter dem Meckel-Divertikel aufgeführte. Eine neuere Methode des Nachweises ist die drahtlose Endoskopiekapsel, welche zurzeit jedoch nur in wenigen Zentren zur Verfügung steht.
29.4.4
29.5
Meckel-Divertikel F. Erckmann, A. Erckmann, M. Jansen, E. Schippers
Das Meckel-Divertikel ist entwicklungsgeschichtlich ein nicht vollständig zurückgebildeter Ductus omphaloentericus. Es liegt eine Ausstülpung aller Wandschichten vor, sodass es sich hier um ein echtes Divertikel handelt. Es ist 80–120 cm proximal der Bauhin-Klappe lokalisiert. Die Inzidenz liegt bei ca. 2% der Bevölkerung.
Therapie
Die asymptomatische Dünndarmdivertikulose hat keinen Krankheitswert und muss nicht behandelt werden. Auch die im Rahmen einer Laparotomie nachgewiesenen Divertikel tragenden Darmabschnitte sollten nicht reseziert werden, um hier das operative Risiko nicht zu steigern und einen unnötigen Verlust von Dünndarm zu vermeiden. Kommt es jedoch zu Komplikationen, müssen diese therapiert werden. Im Vordergrund steht hier bei Entzündungen die konservative Therapie mittels Antibiose. Ileus, Perforation oder Blutung sind jedoch immer chirurgisch anzugehen. 29.4.5
Lempinen M, Salmela K, Kemppainen E (2004) Jejunal diverticulosis: a potentially dangerous entity. Scand J Gastroenterol 39:905–909 Patel VA, Jefferis H, Spiegelberg B, Iqbal Q, Prabhudesai A, Harris S (2008) Jejunal diverticulosis is not always a silent spectator: a report of 4 cases and review of the literature. World J Gastroenterol 14:5916–5919
Literatur
Kouraklis G, Mantas D, Glivanou A, Kouskos E, Raftpoulos J, Karatzas G (2001) Diverticular disease of the small bowel: report of 27 cases. Int Surg 86:235–239
29.5.1
Klinische Symptomatologie
Klinisch ist das Meckel-Divertikel überwiegend symptomlos und wird meist als Zufallsbefund im Rahmen eines chirurgischen Eingriffs oder radiologischer Diagnostik aus anderen Gründen entdeckt. Kommt es jedoch zu Komplikationen, wird das Meckel-Divertikel klinisch relevant. Im Vordergrund der Komplikationen steht beim Erwachsenen der mechanische Ileus (. Abb. 29.2), wobei im Kindesalter Blutung oder Perforation die häufigsten Komplikationen sind (Gamblin et al. 2003). Oft ist die Ursache hierfür versprengte Magenschleimhaut oder Pankreasgewebe im Divertikel, welche Blutungen oder Ulzerationen mit Perforation verursachen. Als seltenere Komplikation kann es zu Entzündungen im Divertikel im Sinne einer Divertikulitis kommen. Hier ist die Symptomatik von der Klinik einer Appendizitis meist nicht zu unterscheiden.
477 29.5 · Meckel-Divertikel
29.5.2
Diagnostik
Das Meckel-Divertikel wird in den meisten Fällen im Rahmen chirurgischer Eingriffe als Nebenbefund entdeckt. Besteht der klinische Verdacht ist nach Ausschluss einer Komplikation der Versuch einer radiologischen Verifizierung mittels Sellink-MDP gerechtfertigt. Im Zweifel sollte auf ein wasserlösliches Kontrastmittel mit jedoch schlechterer Bildgebung zurückgegriffen werden. Weitere mögliche Methoden zur Darstellung sind das KontrastmittelCT oder die MRT (Trésallet et al. 2007). Liegt eine Blutungskomplikation vor, so gelingt der Nachweis eines Meckel-Divertikels häufig durch eine 99Tc-Szintigraphie oder bei starker Blutungsaktivität mittels selektiver Angiographie.
29.5.3
Therapie
Asymptomatische Meckel-Divertikel, die im Rahmen radiologischer Diagnostik zufällig zur Darstellung kommen, bedürfen keiner weiteren Therapie. Kommt es jedoch zu einer der oben beschriebenen Komplikationen, ist diese durch Resektion des Divertikels zu therapieren. Dies erfolgt durch Absetzen des Divertikels in Längsrichtung und Querverschluss des Defektes zur Verhinderung einer postoperativen Stenose. Wird ein Meckel-Divertikel im Rahmen eines anderen chirurgischen Eingriffes entdeckt, sollte dieses ebenfalls nach Möglichkeit immer reseziert werden (Tauro et al. 2010).
29.5.4
Literatur
Gamblin TC, Glenn J, Herring D, McKinney WB (2003) Bowel obstruction caused by a Meckel´s diverticulum enterolith: a case report and review of the literature. Curr Surg 60:63–64 Trésallet C, Renard-Penna R, Nguyen-Thanh Q, Cardot V, Chigot JP, Menegaux F (2007) Intestinal obstruction by an enterolith from a perforated giant Meckel´s diverticulum: diagnosis with CT reconstructed images. Int Surg 92:125–127 Tauro LF, George C, Rao BS, Martis JJ, Menezes LT, Shenoy HD (2010) Asymptomatic Meckel´s diverticulum in adults: is diverticulectomy indicated? Saudi J Gastroenterol 16:198–202
29
30
Gefäßerkrankungen des Dünndarms und des Kolons J. Schölmerich, C. Herfarth
30.1
Anatomische Grundlagen
– 480
30.2
Klinische Symptomatik
30.2.1 30.2.2 30.2.3 30.2.4 30.2.5
Chronische mesenteriale Ischämie – 480 Akute arterielle Embolie – 482 Arterielle Thrombose – 483 Nichtokklusive mesenteriale Ischämie (NOMI) Mesenterialvenenthrombose – 484
30.3
Prognose
30.4
Diagnostik
30.4.1 30.4.2 30.4.3 30.4.4 30.4.5 30.4.6 30.4.7
Laboruntersuchungen – 485 Sonographie – 485 Endoskopie – 486 Radiologische Verfahren – 486 Andere Diagnoseverfahren – 487 Differenzialdiagnose der akuten mesenterialen Ischämie Chronische mesenteriale Ischämie – 488
30.5
Therapie
30.5.1 30.5.2 30.5.3 30.5.4 30.5.5
Akute Mesenterialischämie – 488 Mesenterialvenenthrombose – 490 Andere Maßnahmen – 490 Chronische mesenteriale Ischämie – 490 Klinische Probleme und Schlussfolgerungen
30.6
Literatur
– 480
– 483
– 484 – 485
– 488
– 488
– 490
– 492
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_30, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
480
30
Kapitel 30 · Gefäßerkrankungen des Dünndarms und des Kolons
Gefäßerkrankungen des Dünndarms und Kolons umfassen neben der akuten mesenterialen Ischämie (arterielle Embolie, arterielle Thrombose, nichtokklusive Ischämie) und der Mesenterialvenenthrombose die chronische mesenteriale Ischämie unterschiedlicher Ursachen. Die akute mesenteriale Ischämie ist ein lebensbedrohlicher Notfall mit einer nach wie vor erschreckend hohen Letalität von über 50%. Die klinischen Erscheinungsformen werden von Art und Ausmaß der vaskulären Läsion und von der zugrunde liegenden Erkrankung bestimmt. Wesentliche Determinante der Prognose ist die Geschwindigkeit der Diagnose. Da bislang keine einfachen diagnostischen Tests mit ausreichender Sensitivität und Spezifität zur Verfügung stehen, erfolgt die Diagnose im Wesentlichen durch angiographische Verfahren. In jüngster Zeit ist auch die Computertomographie mit Rekonstruktionen erfolgreich eingesetzt worden. Die Behandlung der obstruktiven Mesenterialarteriensyndrome und der Mesenterialvenenthrombose ist meist chirurgisch, seltener gezielt interventionell. Bei nichtokklusiven Formen sind Versuche mit pharmakologischen Vasodilatatoren möglich. Die chronische mesenteriale Ischämie ist ein schwierig zu diagnostizierendes Krankheitsbild und wird in geeigneten Fällen interventionell oder gefäßchirurgisch behandelt.
30.1
. Tab. 30.1 Gefäßversorgung des Intestinums Gefäßstamm
Hauptäste
Versorgungsgebiet
Truncus coeliacus
A. hepatica propria
Leber, Magen (über A. gastrica dextra)
A. gastroduodenalis
Magen, Duodenum, Pankreaskopf
A. lienalis
Milz, Pankreas, Magen
A. gastrica sinistra
Magen, distaler Ösophagus
Aa. jejunales et ilei
Dünndarm
A. ileocolica
Zäkum, proximales Colon ascendencs, Appendix
A. colica dextra
Distales Colon ascendens, rechte Kolonflexur
A. colica media
2/3 des Querkolons
A. colica sinistra
Linkes Drittel des Querkolons, Colon descendens
A. mesenterica superior
A. mesenterica inferior
Anatomische Grundlagen
Die Gefäßversorgung des Magen-Darm-Trakts wird durch 3 große Arterien sichergestellt: 4 Truncus coeliacus 4 A. mesenterica superior (AMS) 4 A. mesenterica inferior (AMI) Die 3 großen Viszeralstämme bilden untereinander dabei eine große Anastomosenkette (. Abb. 30.1). So werden der Truncus coeliacus und die A. mesenterica superior über Kollateralen aus den Aa. pancreaticoduodenales superiores und inferiores verbunden, AMS und AMI anastomosieren über den Riolan-Gefäßbogen (Verbindung zwischen A. colica media und sinistra). Zusätzlich bestehen innerhalb des Versorgungsgebietes eines Gefäßstamms multiple Querverbindungen durch Arkadenbildungen der Seitenäste. Diese reichliche Anastomosenbildung gewährleistet, dass erst Ausfälle größerer Stromgebiete zu einer mesenterialen Ischämie führen, Astverschlüsse der zweiten oder dritten Ordnung jedoch vollständig kompensiert werden können (. Abb. 30.2). Am häufigsten von mesenterialen Durchblutungsstörungen betroffen ist das Stromgebiet der AMS. . Tab. 30.1 gibt einen Überblick über die Versorgungsgebiete der einzelnen Hauptäste der 3 großen Arterien.
30.2
A. sigmoidea
Sigma
A. rectalis superior
Rückseite des Rektums
A. iliaca interna
Unteres Rektumdrittel
A. rectalis inferior
Unteres Rektumdrittel
A. rectalis media
Mittleres Rektumdrittel
Klinische Symptomatik
Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen der chronischen und der akuten Ischämie, in Analogie zur Kardiologie vergleichbar mit der koronaren Herzerkrankung (Angina pectoris) und dem akuten Myokardinfarkt.
30.2.1
Chronische mesenteriale Ischämie
Die chronische mesenteriale Ischämie (CMI; Angina intestinalis) ist durch postprandiale Schmerzen und Gewichtsverlust charakterisiert. Sie ist durch wiederholte transiente Episoden inadäquater intestinaler Durchblutung, meist provoziert durch vermehrten metabolischen Bedarf während des Verdauungsprozesses, bedingt. Die Schmerzen treten in der Regel kurz nach Mahlzeiten auf und persis-
481 30.2 · Klinische Symptomatik
. Abb. 30.1 Arterielle Gefäßversorgung des Intestinums
a
b
c
d
. Abb. 30.2a–d Ausdehnung des Darminfarkts in Abhängigkeit von der Verschlusslokalisation: a Hauptstamm, b Ileo-colica, c Vasa recta, d Astverschluss 2. und 3. Ordnung
30
482
30
Kapitel 30 · Gefäßerkrankungen des Dünndarms und des Kolons
tieren für 1–2 h. Sie können über Wochen und Monate im Schweregrad langsam zunehmen und führen zu einer Reduktion der Nahrungszufuhr und entsprechendem Gewichtsverlust. Seltenere Erscheinungsformen der CMI sind Durchfälle, Übelkeit und Erbrechen oder auch abdominelle Dauerschmerzen. Noch seltener sind therapieresistente Magen- oder Duodenalulzera oder gangränöse akalkulöse Cholezystitiden (Arnott et al. 1999). Die viszerale Arteriosklerose ist relativ häufig und als Teilerscheinung eines generalisierten arteriosklerotischen Prozesses zu werten. So fand sich in einer unselektionierten Autopsieserie bei einem knappen Drittel der Patienten eine Stenose entlang der ersten Zentimeter der großen mesenterialen Arterien. Das Vorkommen dieser Stenosen korrelierte eng mit dem Alter der Patienten und mit einer gleichzeitig vorliegenden Koronarsklerose beziehungsweise einer zerebralen Arteriosklerose (Järvinen et al. 1995). Wie bei der koronaren Herzerkrankung führt ein Missverhältnis zwischen Sauerstoffangebot und -bedarf zu der »Angina abdominalis«. Trotz der häufigen morphologischen Gefäßveränderungen, die beispielsweise autoptisch gefunden werden, wird eine symptomatische chronische mesenteriale Ischämie im Vergleich zu allen anderen Manifestationen chronisch okklusiver Gefäßerkrankungen selten gefunden. Dies ist durch die ausgeprägte Kollateralisation der Mesenterialgefäße, die sich durch das langsame Fortschreiten der arteriosklerotischen Veränderungen zu einem noch weiteren Netz verzweigen kann, bedingt. So müssen in der Regel 2 der 3 Hauptstämme stenosiert sein, bevor es zu einer symptomatischen Ischämie kommen kann. Ein Überblick über die mitgeteilten Serien von Patienten mit CMI zeigte, dass 91% mindestens 2 und 55% 3 Gefäße okkludiert hatten, nur 7% und 2% zeigten eine isolierte Okklusion der AMS und des Truncus coeliacus (Moawad u. Gewertz 1997). Es ist aber davon auszugehen, dass die Diagnose einer chronischen mesenterialen Ischämie häufig verkannt wird.
30.2.2
Akute arterielle Embolie
Die häufigste Form der akuten mesenterialen Ischämie ist mit etwa 50% eine Embolie in die AMS. Bei einer Verminderung der Sauerstoffversorgung auf unter 50% kommt es zur Funktionsstörung des Darmes, bei einem Abfall auf unter 20% zu einer Nekrose, die von der Mukosa ausgeht und dann die gesamte Darmwand betrifft. In der zeitlichen Abfolge sind zunächst eine Verminderung der Resorption, ein Motilitätsverlust, ein Ileus, die Schleimhautablösung, die Blutung, die Permeabilitätssteigerung, die bakterielle Translokation, die Peritonitis und schließlich die Sepsis zu beobachten. Die Häufigkeit der Symptome bei der akuten mesenterialen Embolie gibt . Tab. 30.2
. Tab. 30.2 Symptome bei der Mesenterialembolie Symptome
Häufigkeit (%)
Abdomineller Schmerz
90
Erbrechen
47
Diarrhö
19
Meteorismus
19
Schock
17
Hämatochezie
15
Fieber
13
Stuhlverhalt
6
Hämatemesis
3
. Tab. 30.3 Zeitlicher Verlauf der Klinik der arteriellen mesenterialen Embolie Initialstadium 0–6 h
Stilles Intervall 7–12 h
Spätstadium >12 h
Schmerz
+++
+
++
Ileussymptome
8
+
+++
Peritonismus
8
+
+++
AZ
8
––
–––
Leukozytose
++
++
+++
Laktat
8
8
>6 mmol/l
Revaskularisierung
+++
++
+
Resektion
8
++
+++
Letalität
ca. 25%
ca. 60%
80–90%
Formen
Klinik
Labor
Therapie
wieder. Leitsymptom ist der plötzlich auftretende Bauchschmerz, der in der Regel periumbilikal oder im rechten Unterbauch lokalisiert wird. Das subjektiv starke Schmerzempfinden steht häufig im Gegensatz zur klinischen Untersuchung, bei der das Abdomen noch weich und diskret druckempfindlich ist. Viele Patienten klagen über Übelkeit, Erbrechen und Durchfall (Schneider et al. 1994). Von klinischer Bedeutung ist der zeitliche Verlauf der Symptomatik, wobei sich ein Initialstadium, ein stilles Intervall und ein Spätstadium unterscheiden lassen (. Tab. 30.3).
483 30.2 · Klinische Symptomatik
. Tab. 30.4 Komorbidität bei Patienten mit mesenterialen Durchblutungsstörungen (%) Embolie
Arterielle Thrombosen
Venöse Thrombosen
Arrhythmie
72
–
–
KHK
36
77
75
Hypertonie
68
62
25
Diabetes
28
8
–
Lungenerkrankungen
20
39
25
. Tab. 30.5 Häufigkeit intestinaler Beteiligung bei unterschiedlichen Vaskulitiden (Müller-Ladner 2001) Vaskulitistyp
Häufigkeit (%)
Primäre Vaskulitiden
Nierenerkrankungen
16
AT-III-Mangel
4
15
–
30–50
Churg-Strauss-Syndrom
25–50
M. Behçet
Bis 30
Takayasu-Arteritis
Bis 15
Wegener-Granulomatose
1–2
Riesenzellarteriitis
1
Sekundäre Vaskulitiden 15
50
In der Mehrzahl der Fälle liegt die Emboliequelle im Herzen. Weitere mögliche Streuquellen sind Aneurysmen der Aorta und der Mesenterialgefäße, selten Thromben im venösen Kreislauf mit paradoxer Embolie. . Tab. 30.4 gibt entsprechend die Komorbidität wieder. > Bei der akuten mesenterialen Ischämie ist initial häufig eine Diskrepanz zwischen starken Schmerzen und diskreter Druckempfindlichkeit des Abdomens zu beobachten. 30.2.3
Polyarteriitis nodosa
Arterielle Thrombose
Die bei weitem häufigste Ursache der Mesenterialarterienthrombose ist eine vorbestehende stenosierende Arteriosklerose der viszeralen Arterien. Seltenere prädisponierende Faktoren sind Vaskulitiden oder intraabdominelle Tumoren. Bei Vorliegen einer Vaskulitis ist eine intestinale Beteiligung meist eher selten, lediglich bei der Polyarteriitis nodosa, dem Churg-Strauss-Syndrom und der Purpura Schoenlein-Henoch wird diese häufiger beobachtet (. Tab. 30.5; Müller-Ladner 2001). Wegen der häufig bereits ausgebildeten Kollateralen verläuft die Symptomatik weniger akut als bei der Embolie; typisch sind allmählich zunehmende abdominelle Schmerzen mit einer Auftreibung des Bauches. Das Zeitintervall zwischen Beschwerdebeginn und Mesenterialinfarkt beträgt häufig 12–24 h. Gelegentlich finden sich auch länger zurückliegende Beschwerden im Sinne einer CMI. Auch bei diesen Patienten besteht zunächst eine Diskrepanz zwischen subjektiver Beschwerdeangabe und objektivem Befund. Bei bereits eingetretenem Mesenterialinfarkt kann sich dann allerdings rasch eine Sepsis mit Dehydration, blutigen Durchfällen und Schockzeichen entwickeln.
Purpura Schönlein-Henoch
50–90
Systemischer Lupus erythematodes
bis 50
Vaskulitis bei rheumatoider Arthritis
bis 10
Thrombangitis obliterans
1
30.2.4
Nichtokklusive mesenteriale Ischämie (NOMI)
Die nichtokklusive mesenteriale Ischämie (NOMI) wird am besten per exclusionem definiert: Es handelt sich um eine mesenteriale Ischämie, die nicht durch Arteriosklerose, arterielle oder venöse Thrombosen, Embolien oder Vaskulitis verursacht wird. Sie ist Konsequenz einer erheblich verminderten Perfusion der Mesenterialgefäße, die entweder durch eine Linksherzinsuffizienz, eine ausgeprägten Hypotonie (z. B. bei Schock oder Sepsis) oder eine Hypovolämie (bei Dehydratation, Blutung oder Diuretikatherapie) bedingt ist (Knichwitz et al. 2004). Dies spiegelt sich in den Begleiterkrankungen wider (. Tab. 30.6; Bruch et al. 1989). Eine sekundäre mesenteriale Vasokonstriktion in Folge eines systemischen »Niedrigflusssyndroms« ist die wesentliche Ursache des Syndroms. Medikamente, die die splanchnische Perfusion beeinflussen, werden ebenfalls als Ursache angeschuldigt, hier sind insbesondere Digoxin, Ergotamin, Katecholamine, Angiotensin II, Vasopressin und Betablocker zu erwähnen. Auch Kokainabusus ist beschrieben worden. Das klinische Erscheinungsbild leitet oft fehl, da die Patienten meist wegen einem zugrunde liegenden Krankheitsbild in der Regel schwer krank sind und häufig auf der Intensivstation behandelt werden. Die gastrointestinalen Symptome können unspezifisch sein und sich als Verstopfung, unspezifische Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und schleimig-blutige Durchfälle äußern. Wenn es zu einer intestinalen Gangrän gekommen ist, weist der Patient
30
484
Kapitel 30 · Gefäßerkrankungen des Dünndarms und des Kolons
. Tab. 30.6 Begleiterkrankungen bei NOMI (Bruch et al. 1989) Erkrankung
%
Herz
70
Niere
37
Pankreas
10
Hochdruck
10
Schock
40
Diabetes
23
Arteriosklerose
27
Medikamente: Digitalis 57%, Diuretika 23%
30
Peritonitiszeichen bzw. eine Sepsis auf. Bei allen Patienten, die entsprechende Vorerkrankungen haben und bei denen mit Verschiebungen des Flüssigkeitshaushaltes oder Veränderungen der Durchblutung zu rechnen ist, muss bei Auftreten entsprechender Symptome oder bei unerklärten Laborveränderungen bei Intensivpatienten (Leukozytose, LDH-Erhöhung) an die NOMI gedacht werden, da die Prognose außerordentlich ungünstig ist (s. unten).
30.2.5
Mesenterialvenenthrombose
Diese Erkrankung ist eine seltene Form der intestinalen Gefäßobstruktion, die langsam und symptomlos, subakut über Wochen und Monate, aber auch als akutes schweres Krankheitsbild verlaufen kann (Rhee u. Gloviczki 1997). Einen Überblick über die prädisponierenden Faktoren gibt . Tab. 30.4. Etwa 20% der Mesenterialvenenthrombosen bleiben ätiologisch ungeklärt, auch wenn zugrunde liegende primäre Störungen der Gerinnung (Mangel an Antithrombin III, Protein C, Protein S), Cardiolipin-Antikörper, Faktor-V-Leyden-Mutationen und Antikonzeptivaeinnahme sowie intraabdominelle Entzündungen, abdominelle Traumen und Hämoblastosen ausgeschlossen wurden (Lock 2001). Die Gefahr einer Pfortaderthrombose besteht in erster Linie nach Lebertransplantation oder nach Splenektomie. Die Hauptursachen dafür sind bei der Transplantation ein verminderter Perfusionsdruck durch ausgedehnte Kollateralisierung in Folge präexistenten Pfortaderhochdruckes oder, in Verbindung mit einer Splenektomie, die konsekutive Thrombozytose und ebenfalls gleichzeitig verminderter Perfusionsdruck. Auch bei der akuten Mesenterialvenenthrombose ist die klinische Symptomatik unspezifisch. Leitsymptom ist bei mehr als 90% der Patienten der Bauchschmerz, wobei
Dauer, Art, Schweregrad und Lokalisation große Variationen aufweisen. Meist bestehen die Schmerzen bei Aufnahme in die Klinik schon einige Tage. Über 50% der Patienten geben Übelkeit und Erbrechen an. Blutige Diarrhöen, Hämatochezie und Hämatemesis sprechen für einen bereits erfolgten Mesenterialinfarkt. Die Mehrzahl der Patienten hat ein schmerzhaftes, aufgetriebenes Abdomen mit abgeschwächten Darmgeräuschen, die Hälfte hat peritonitische Zeichen und Temperaturen über 38°C. > Patienten mit einer subakuten Mesenterialvenenthrombose haben über Wochen oder Monate Bauchschmerzen, ohne dass es zu einem Mesenterialinfarkt kommt.
Die Übergänge zur akuten Thrombose sind fließend. Die Diagnose einer chronischen Thrombose kann dann gestellt werden, wenn diese symptomlos verläuft. Die Patienten können auf Dauer asymptomatisch bleiben oder insbesondere bei Ausdehnung der Thrombose auf Pfortader und Milzvene durch Ösophagusvarizenblutungen auffallen.
30.3
Prognose
Zur Prognose der chronisch-mesenterialen Ischämie liegen keine gesicherten Daten vor. Langzeitstudien an Patienten, die eine Revaskularisation überlebten, zeigten ein 5-Jahres-Überleben von 81–86%. Unterschiede der Beobachtungszeit und kleine Fallzahlen limitieren die Wertigkeit dieser Zahlen allerdings. Gleiches gilt für Daten zur perkutanen transabdominalen Angioplastie (Schermerhorn et al. 2009), wobei sich günstigere Ergebnisse abzeichnen. Die verschiedenen Formen der akuten arteriellen mesenterialen Ischämie und die venöse Thrombose im Splanchnikusstromgebiet weisen nach wie vor eine sehr hohe Mortalität auf (. Tab. 30.7). Dies ist teilweise durch die Begleiterkrankungen der Patienten, vor allem aber durch die häufig verzögerte Diagnose bedingt. Ein Überblick über die publizierten größeren Serien mit akuter mesenterialer
. Tab. 30.7 Häufigkeit, Alter und Prognose der akuten mesenterialen Ischämie (insgesamt selten: ca. jeder 1000. hospitalisierte Patient) Formen
Verteilung (%)
Alter (Jahre)
Letalität (%)
Arterielle Embolie
39 (10–70)
73
71
Arterielle Thrombose
29 (10–67)
72
89
Nichtokklusive Ischämie
18 (2–48)
>60
83
Venöse Thrombose
14 (2–32)
70
67
485 30.4 · Diagnostik
. Tab. 30.8 Bedeutung der frühen Diagnose der akuten mesenterialen Ischämie für das Überleben. (Nach Brandt u. Boley 2000) Jahr der Studie
Patientenzahl
Mortalität
Mortalität
Keine Gangrän
Gangrän
<24 h
>24 h
1977
52
–
–
54
95
1981
47
–
–
57
73
1986
23
25
75
–
–
1990
65
25
68
–
–
1990
83
–
–
0
88
1990
98
26
71
–
–
1990
92
31
73
–
–
1997
141
–
–
44
92
Ischämie zeigt die Bedeutung einer frühen Diagnose für das Überleben der Patienten (. Tab. 30.8; Brandt u. Boley 2000). Wenn die Diagnose vor Auftreten einer Gangrän erfolgt, liegen die Mortalitätsraten in den Studien, die dieses analysiert haben, unter 30% (. Tab. 30.8). Erfreulicherweise lassen neuere Übersichten (Eckstein 2003; Schoots et al. 2004) erkennen, dass die Prognose sich in den letzten Jahren verbessert hat, wobei dies insbesondere für die Mesenterialarterienthrombose und die -venenthrombose gilt. Die durchschnittliche Letalität in Studien nach 2000 lag bei 53% (Eckstein 2003). Unverändert schlecht ist die Prognose der NOMI, die ja in der Regel Patienten betrifft, die a priori eine ungünstige Prognose aufweisen und bereits intensivpflichtig sind (Knichwitz et al. 2004). Hier spielen auch erhebliche Probleme der Erkennung des Krankheitsbildes bei analgosedierten Patienten eine Rolle, sodass die Prävalenz der NOMI und ihre Rolle für die Prognose dieser Patienten sicher unterschätzt werden.
30.4
Diagnostik
Anamnese und klinischer Befund sind bei Patienten mit mesenterialer Ischämie fast immer unspezifisch und vieldeutig. Die definitive Diagnosestellung bleibt somit eine echte klinische Herausforderung, zumal bei den akuten Formen der mesenterialen Ischämie zusätzlich der Zeitfaktor eine entscheidende Rolle für das Überleben des Patienten spielt. Flüssigkeitsexsudation in das Darmlumen oder den Peritonealraum kann zur Hämokonzentration führen; Hypoxämie und prärenales Nierenversagen treten oft begleitend auf. Sind diese Komplikationen aber erst eingetreten, ist das »therapeutische Fenster« meist bereits überschritten.
30.4.1
Laboruntersuchungen
Eine Reihe von Laborparametern sind bezüglich ihrer Aussagefähigkeit bei mesenterialer Ischämie diskutiert worden. Große Hoffnungen, die in die Bestimmung verschiedener im Darm vorkommender Enzyme (CK mit Isoenzymen, LDH, intestinale alkalische Phosphatase, GOT, Diaminoxidase, Hexosaminidase) gesetzt wurden, haben sich nicht erfüllt. Die Wertigkeit erhöhter Phosphatspiegel ist umstritten; ein erhöhtes anorganisches Phosphat gilt als wichtiger Hinweis auf eine mesenteriale Ischämie, andererseits schließen normale Phosphatwerte eine mesenteriale Ischämie keineswegs aus. Dasselbe gilt für erhöhte Laktatwerte. Viele Patienten haben eine Leukozytose, diese ist aber unspezifisch und sicher nicht differenzialdiagnostisch hilfreich. Ähnliches gilt für die metabolische Azidose. Eine Literaturübersicht (Kurland et al. 1992) kam zu dem Schluss, dass weder ein einzelner Parameter noch eine Kombination von Laborwerten ausreichende Sensitivität oder Spezifität haben, um die Diagnose mit hinreichender Sicherheit zu stellen, sodass Verbesserungen von Morbidität und Mortalität resultieren könnten. Diese Schlussfolgerung ist auch 18 Jahre später noch valide.
30.4.2
Sonographie
Die Sonographie ist das bildgebende Verfahren der ersten Wahl bei Patienten mit abdominellen Beschwerden. Bei akuter mesenterialer Ischämie können sonographisch eine verdickte (> 5 mm) Dünndarmwand, Zeichen eines Subileus oder Ileus mit erweiterten Darmschlingen und fehlender Peristaltik und – in fortgeschrittenen Fällen – freie intraabdominelle Flüssigkeit und Lufteinschlüsse im Portalsystem gefunden werden. Spezifische Kriterien zur defi-
30
486
30
Kapitel 30 · Gefäßerkrankungen des Dünndarms und des Kolons
nitiven Diagnose einer mesenterialen Ischämie gibt es jedoch nicht; die wesentliche Bedeutung der Sonographie liegt im Ausschluss anderer abdomineller Erkrankungen (Aortenaneurysma). Die Duplexsonographie gilt als viel versprechende Methode bei der Suche nach der chronischen mesenterialen Ischämie. Eine systolische Spitzengeschwindigkeit von mehr als 275 cm/s in der AMS und mehr als 200 cm/s im Truncus coeliacus oder ein komplett fehlendes Flusssignal in einer oder beiden Arterien gelten als sensitive (89%) und spezifische (92%) Parameter für eine mehr als 70%-ige Stenose oder einen Verschluss der Viszeralarterien. Bei der hohen Prävalenz einer viszeralen Arteriosklerose ist der Nachweis einer signifikanten Stenose allerdings nicht notwendigerweise gleichbedeutend mit einer mesenterialen Ischämie (Roobottom u. Dubbins 1995). Die Rolle der Duplexsonographie beim akuten Mesenterialarterienverschluss ist bislang wenig untersucht. Die Untersuchung kann durch den häufig vorhandenen Meteorismus erheblich erschwert oder unmöglich sein. Wenn ein normaler Fluss in der AMS gefunden werden kann, ist eine Okklusion des Hauptstammes proximal der A. colica unwahrscheinlich, dennoch können signifikante Embolien in größere Gefäßabschnitte jenseits dieses Punktes vorliegen. Über die Möglichkeiten dieser Methode bei Nachweis der bei NOMI auftretenden Vasokonstriktion der Mesenterialgefäße liegen keine sicheren Daten vor (Lock 2001). Die thrombosierte Mesenterialvene kann in der farbkodierten Duplexsonographie als erweitertes röhrenförmiges Gebilde ohne Flusssignal dargestellt werden. Bei guten Untersuchungsbedingungen kann hier eine definitive Diagnose möglich sein. Da in den meisten Fällen abdomineller Beschwerden in der Routine heute eine Sonographie erfolgt, erscheint es zweckmäßig, dann auch zu versuchen, die Abgänge der AMS und des Truncus coeliacus zu suchen und den Fluss dort zu analysieren. Dies vermag zumindest proximale Stenosen auszuschließen.
30.4.3
Endoskopie
Endoskopische Verfahren sind bei der Diagnostik der mesenterialen Ischämie wenig hilfreich, da das betroffene Segment im Allgemeinen jenseits der Reichweite des Endoskops im Dünndarm liegt. Die Gastroskopie kann differenzialdiagnostisch sinnvoll sein, um Magen- oder Duodenalulzera auszuschließen, in Einzelfällen kann bei Erreichen des oberen Jejunums endoskopisch eine Ischämie gesichert werden. Das Vorliegen einer ischämischen Kolitis lässt sich im akuten Stadium durch Petechien, Erosionen und eine blasse oder hyperämische Schleimhaut nachweisen, bei Verschluss
einer Segmentarterie findet sich häufig ein scharfer Übergang zwischen normaler und ischämischer Schleimhaut. Daten zur Videokapselendoskopie oder zur Doppelballontechnik liegen bisher noch nicht vor. Die Rolle der Laparoskopie ist unklar, sie ermöglicht die Beurteilung des Mesenteriums und der Darmwand. Eine unauffällige Laparoskopie schließt eine mesenteriale Durchblutungsstörung jedoch nicht aus.
30.4.4
Radiologische Verfahren
Röntgenübersichtsaufnahmen des Abdomens werden
angefertigt, um andere Ursachen abdomineller Beschwerden auszuschließen. Eine unauffällige Abdomenleeraufnahme schließt eine Mesenterialischämie nicht aus. Hochgradig verdächtig auf eine fortgeschrittene Ischämie sind eine Pneumatosis intestinalis und der Nachweis von Gas im Portalsystem. Beide Befunde sind allerdings selten. Die zunehmende Verbreitung der Computertomographie hat dazu geführt, dass bei vielen Patienten mit unklaren abdominellen Schmerzen diese Untersuchung relativ rasch durchgeführt werden kann. Die Multidetektor-CT (MDCT) mit flussgetriggerter und früher arterieller Phase ist heute in der Lage, arterielle Verschlüsse mit hoher Sensitivität und Spezifität (>95%) darzustellen. Neuere Studien deuten einen positiven Effekt bezüglich des Überlebens an (Aschoff et al. 2008; Wadman et al. 2010; Menke 2010). Der Goldstandard zur Diagnose der akuten mesenterialen Embolie oder Thrombose ist daher heute die MDCT. Wenn diese nicht zur Verfügung steht, muss auf die aufwändigere Angiographie zurückgegriffen werden. Entscheidend für den Erfolg der MODCT ist die explizite Frage nach der mesenterialen Durchblutungsstörung. Auch für die NOMI zeigen erste Daten Möglichkeiten der MDCT (Mitsuyoshi et al. 2007; Woodhams et al. 2009), wobei sich ebenfalls positive Effekte zum Überleben andeuten. Unter korrekter Technik ist die Identifikation einer Mesenterialvenenobstruktion sicher und als diagnostisches Verfahren der Wahl anzusehen. Die Sensitivität liegt zwischen 90 und 100%. Die Magnetresonanzangiographie (MRA) spielt für die Diagnose der chronischen mesenterialen Ischämie ebenso wie die CT-Angiographie eine wichtige Rolle (Carlos et al. 2001; Cademartiri et al. 2004). Machbarkeitsstudien (Lauenstein et al. 2005) weisen der MRT auch einen mögliche Rolle bei der akuten Ischämie zu. Ein Verschluss der arteriellen Gefäße kann sich als Füllungsdefekt nach Kontrastmittel zeigen. In früheren Studien war die CT nur bei 39% der Patienten diagnostisch, hingegen liegt in neueren Berichten die Sensitivität bei 80% (Klein et al. 1995). Durch die neuen MehrzeilenComputertomographen ist die CT mittlerweile in einigen
487 30.4 · Diagnostik
. Abb. 30.3 Notfalldiagnostik bei Verdacht auf akute mesenteriale Ischämie
coeliacus und der AMS wird letztere selektiv katheterisiert. Bei unauffälligem Befund können anschließend AMI und Truncus coeliacus selektiv dargestellt werden. Für die NOMI bleibt die Mesenterialangiographie bislang das verlässlichste Diagnoseverfahren – sie sollte früh bei klinischem Verdacht angewandt werden. Die NOMI ist angiographisch durch eine diffuse Verengung der AMS und ihrer Äste als Ausdruck der zugrunde liegenden Vasokonstriktion charakterisiert. Die peripheren Gefäßarkaden können spastisch eng gestellt sein, weit gestellte und spastische Abschnitt der Gefäße können aufeinander folgen und das Bild kann dann an eine Kette von Würsten erinnern (»string of sausage sign«). Die intramuralen Gefäße werden nur schlecht gefüllt und der niedrige Fluss in den Mesenterialgefäßen kann so zu einem verstärkten Rückfluss von Kontrastmittel in die Aorta während der selektiven Füllung der AMS führen. Gelegentlich ist die Differenzierung zwischen Arteriosklerose und mäßiggradiger Vasokonstriktion schwierig. Eine Gefäßerweiterung nach Injektion von Papaverin oder Prostaglandin E1 kann hier diagnostisch hilfreich sein. Inwieweit auch hier die MDCT den diagnostischen Algorithmus ändern wird, bleibt abzuwarten (Woodhams et al. 2009).
30.4.5
Zentren Methode der Wahl bei Verdacht auf mesenteriale Ischämie. Nach wie spielt die Angiographie eine Rolle beim Nachweis einer akuten oder chronischen mesenterialen Ischämie. Sie ermöglicht die eindeutige Sicherung der Diagnose, eine ätiologische Zuordnung der Ischämie (okklusiv – nichtokklusiv, embolisch – thrombotisch) und liefert entscheidende Hinweise für die Therapieplanung (s. unten). Nach Darstellung der Aorta und der Abgänge des Truncus
Andere Diagnoseverfahren
Laserdopplerflussmessung und endoluminale Pulsoximetrie haben im Tierversuch interessante Ergebnisse erbracht, klinische Daten sind nach wie vor rar und die Techniken sind nicht in der Routine verfügbar. Die tonometrische CO2-Bestimmung von luminal wurde diskutiert, auch hier liegen keine relevanten klinischen Daten vor. . Abb. 30.3 gibt einen Überblick über das diagnostische Vorgehen bei Verdacht auf akute mesenteriale Ischä-
. Abb. 30.4 Beispiel der Diagnostik und der Ergebnisse bei mesenterialer Obstruktion (Grothues et al. 1996)
30
488
Kapitel 30 · Gefäßerkrankungen des Dünndarms und des Kolons
mie oder Mesenterialvenenthrombose. . Abb. 30.4 gibt die Ergebnisse einer größeren Serie von Patienten bezüglich der Verdachtsdiagnosen, des zeitlichen Ablaufs von Diagnostik und Therapie und der Mortalität wieder.
30.4.6
30
Differenzialdiagnose der akuten mesenterialen Ischämie
Die Differenzialdiagnose der mesenterialen Ischämie ist umfangreich, viele der Differenzialdiagnosen können durch klinische Untersuchungen, einzelne technische Verfahren wie Elektrokardiogramm, Abdomenleeraufnahme, Sonographie, Computertomographie und Labormethoden ausgeschlossen werden. Bis zum Beweis einer anderen Diagnose muss die Verdachtsdiagnose einer mesenterialen Ischämie aufrechterhalten und weiter verfolgt werden (7 Übersicht). Mögliche Differenzialdiagnosen der akuten mesenterialen Ischämie 4 Akuter Myokardinfarkt (Hinterwandinfarkt!) 4 Ulcus ventriculi/duodeni mit Penetration/ Perforation 4 Sonstige Hohlorganperforation 4 Akute Pankreatitis 4 Akute Gastroenteritis 4 Mechanischer Ileus (inkarzerierte Hernien, Volvulus etc.) 4 Gallenkolik 4 Peritonitis (Divertikulitis, Appendizitis, spontane bakterielle Peritonitis, Pseudoperitonitis diabetica etc.) 4 Obstipation 4 Ureterenkolik 4 Disseziierendes Aortenaneurysma 4 Intoxikationen (Blei, Arsen) 4 Akute intermittierende Porphyrie 4 Vertebragene Beschwerden 4 Funktionelle Erkrankungen
30.4.7
Chronische mesenteriale Ischämie
Die Diagnose der Kolonischämie erfolgt im Wesentlichen endoskopisch; hier finden sich typische makroskopische Zeichen, während die histologische Untersuchung häufig nicht wesentlich weiterführt. Weder die Angiographie noch der Barium-Kontrasteinlauf geben beweisende Befunde für eine chronische Dickdarmischämie, sodass die Diagnose sich aus typischer Klinik, makroskopischem Befund bei der Endoskopie und im positiven Fall
aus den Ergebnissen der anderen genannten Verfahren ergibt. Die chronische Ischämie des Dünndarms (Angina intestinalis) kann mit Hilfe der Duplexsonographie (Grothues et al. 1996) oder MDCT, der MR-Angiographie und der Angiographie diagnostiziert werden. Die Diagnose ist angesichts der hohen Prävalenz der viszeralen Arteriosklerose und der Verbreitung unspezifischer postprandialer Beschwerden aber schwierig, da es selten gelingt, den eindeutigen Zusammenhang zwischen Gefäßveränderungen und Klinik herzustellen (Roobottom u. Dubbins 1995).
30.5
Therapie
30.5.1
Akute Mesenterialischämie
Der erste Schritt der Therapie bei allen Formen der akuten mesenterialen Ischämie ist die Stabilisierung der Kreislaufverhältnisse. Anämie, Flüssigkeitsdefizite und Störungen des Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalts (Azidose!) sollten ausgeglichen, die Pumpleistung des Herzens optimiert und hämodynamisch relevante Arrhythmien behandelt werden. Zur hämodynamischen Überwachung sollte ein Pulmonalarterienkatheter, zumindest aber ein zentraler Zugang gelegt werden (Lock 2001). Bei klinischen oder laborchemischen Zeichen einer fortgeschrittenen Ischämie müssen unverzüglich Antibiotika (z. B. ein Cephalosporin der dritten Generation in Kombination mit Metronidazol) appliziert werden. Potenziell vasokonstriktorische Medikamente (Digitalis!) sollten vermieden werden. Bei hypotensiven, hypovolämischen und im Schock befindlichen Patienten liegt immer eine mesenteriale Vasokonstriktion vor. Eine Angiographie in dieser Situation ist bei begründetem Verdacht auf eine NOMI daher sinnlos, es sei denn, eine andere Form der mesenterialen Ischämie soll als Ursache des Schocks sicher ausgeschlossen werden (Lock u. Schölmerich 2004). Die meisten Autoren empfehlen bei angiographischem Nachweis einer mesenterialen Ischämie eine selektive Applikation von Papaverin in die AMS über den Angiographiekatheter (Cappell 1998; Schneider et al. 1994; Knichwitz et al. 2004). Bei Vorliegen eines embolischen oder thrombotischen Gefäßverschlusses soll dadurch die häufig gleichzeitig vorhandene mesenteriale Vasokonstriktion behandelt werden. Bei der NOMI ist diese Maßnahme auch als definitive Therapiemöglichkeit anzusehen, wenn noch keine Nekrosen aufgetreten sind (Lock 2001). Papaverin ist ein potenter Phosphodiesteraseinhibitor und führt über eine Erhöhung der cAMP-Konzentration zu einer Vasodilatation. Die Dosierung liegt bei 30–60 mg/h (Applikation über eine Infusionspumpe). Heparin darf wegen Inkompatibilität mit Papaverin nicht im gleichen
489 30.5 · Therapie
System gegeben werden. Bei ausgeprägter Hypovolämie und Hypotonie ist Papaverin kontraindiziert. Während der Infusion muss eine kontinuierliche Überwachung von Blutdruck, Herzfrequenz und Herzrhythmus gewährleistet sein. Bei korrekter Lage des Infusionskatheters in der AMS kommt es allerdings nur selten zu systemischen Blutdruckabfällen, da das Papaverin während der ersten Leberpassage zu über 90% abgebaut wird. Beim plötzlichen Blutdruckabfall sollte die Infusion sofort gestoppt und die korrekte Lage des Angiographiekatheters überprüft werden. Eine seltenere Ursache einer akuten Hypotension ist eine Leberinsuffizienz mit inadäquater Clearance (Lock 2001). Eine Alternative ist Prostaglandin E1. In jüngerer Zeit wird empfohlen, bei akuten Mesenterialarterienokklusion eine perkutane Revaskularisation und Thrombolyse durchzuführen (Schoots et al. 2005; Schermerhorn et al. 2009; Heiss et al. 2010). Es besteht aber noch keine sehr breite Erfahrung mit diesem Verfahren, so dass es vorerst noch als experimentell angesehen werden muss (Kozuch u. Brandt 2005). > Bei Mesenterialarterienembolie und -thrombose ist daher bislang nach Stabilisierung des Patienten die rasche operative Gefäßdesobliteration Standardtherapie.
Nach einer medianen Oberbauchlaparotomie wird zunächst das Intestinum beurteilt. Bei der Mesenterialarterienembolie ist das proximale Jejunum in der Regel unauffällig, die betroffenen Darmanteile können den gesamten übrigen Dünndarm und den Dickdarm bis ins Colon transversum einschließen. Wenn ein Embolus in der AMS angenommen wird, wird die Eröffnung der AMS im Mesenterium durchgeführt, nachdem der Patient systemisch heparinisiert wurde. Die Arteriotomie sollte proximal der A. colica media erfolgen. Nach erfolgreicher proximaler und distaler Embolektomie sollten 30 min Reperfusion abgewartet werden, bevor eine Darmresektion durchgeführt wird. Eine gründliche intraoperative Klärung der Darmvitalität ist nötig, um die Darmresektion zu minimieren (Horgan u. Gorey 1992). Die Resektionsindikation schließt die Inspektion der Darmfarbe, sichtbarer Arterienpulsationen und der Peristaltik sowie die Palpation der Darmtextur und der arteriellen Pulsationen ein. Eine »Second-look-Operation« kann 12–24 h später durchgeführt werden, um Regionen fraglicher Vitalität zu inspizieren; dies hilft bei der Reduktion des initialen Resektionsausmaßes. Offensichtlich nekrotischer Darm muss selbstverständlich primär entfernt werden, in diesem Fall ist auch ein Stoma häufig notwendig. Wenn der gesamte Dünndarm gangränös ist, ist eine mehr oder weniger komplette Enterektomie mit konsekutiver lebenslanger intravenöser Ernährung die einzige Option.
> Ist die Darmvitalität und Reperfusion nicht ausreichend beurteilbar, sollte keine kontinuitätswiederherstellende Anastomose erfolgen, sondern zunächst ein Split-Stoma angelegt werden, das eine Beurteilung der Durchblutung der beiden herausgeleiteten Darmenden erlaubt. Weitere operative Interventionen werden von der Vitalität der Split-Stomata abhängig gemacht.
Bei einer NOMI besteht das Hauptproblem in der mesenterialen Vasokonstriktion, die nicht operativ korrigiert werden kann. Eine operative Exploration bei Patienten mit NOMI ist daher nur dann zweckmäßig, wenn die Patienten Zeichen einer Peritonitis aufweisen (Lock 2001). Entsprechend den oben dargestellten pathophysiologischen Prinzipien besteht die frühe Behandlung in der Korrektur prädisponierender und präzipitierender Faktoren und einer effektiven Behandlung der mesenterialen Vasokonstriktion. Die oben genannten allgemeinen Behandlungsmaßnahmen sind daher in diesem Falle von besonderer Bedeutung. Ein Behandlungsalgorithmus wird vorgeschlagen, der aber einen Extrakt der persönlichen Erfahrung der Autoren (Brandt u. Boley 2000; Knichwitz et al. 2004) und nicht das Ergebnis kontrollierter Studien darstellt. Die Behandlung ist im Prinzip pharmakologisch mit Hilfe der selektiven Infusion von Papaverin, anschließend oder alternativ Prostaglandin E1 (s. unten) in die AMS durchzuführen. Die Angiographie wird nach 30 min wiederholt, um die Beseitigung der Vasokonstriktion zu dokumentieren. Die Papaverin-Infusion wird für 24 h fortgesetzt. Eine erneute Angiographie nach 30-minütigem Ersetzen der Papaverin-Infusion durch Kochsalz definiert das weitere Vorgehen. Dieses Verfahren kann über weitere 24-Stunden-Intervalle fortgesetzt werden – entsprechende Behandlungszyklen bis zu 5 Tagen sind beschrieben. Bei einer lokalen Pharmakotherapie kann durch extremen Gefäßspasmus und ausgedehnte Kollateralisierung die Dilatationswirkung ausbleiben. Wenn sich Zeichen einer Peritonitis entwickeln oder sich unter der Infusion nicht zurückbilden, ist eine chirurgische Exploration indiziert. Die Papaverin-Infusion wird während und nach der Operation fortgesetzt. Eine Peritoneallavage mit warmer Kochsalzlösung (37°C) kann die Vasokonstriktion ebenfalls reduzieren. Offensichtlich nekrotischer Darm wird reseziert. Wenn die Operationsränder eindeutig vital sind, kann eine primäre Anastomose versucht werden, in allen anderen Fällen ist eine Exteriorisierung mit Anlage eines Split-Stomas zur Beurteilung der Vitalität im weiteren Verlauf angezeigt. Die Entscheidung für eine »Second-look-Operation« resultiert aus der fraglichen Vitalität während der initialen Operation. Das Zurücklassen fraglich vitalen Darmes kann ein späteres Kurzdarmsyndrom vermeiden, da der Darm häufig unter
30
490
Kapitel 30 · Gefäßerkrankungen des Dünndarms und des Kolons
den supportiven Maßnahmen revitalisiert wird und bei der zweiten Operation vitale und nichtvitale Segmente eindeutiger identifiziert werden können. Die Entscheidung für eine »Second-look-Operation« erfolgt durch den Operateur und sollte aufrecht erhalten werden, unabhängig vom klinischen Verlauf in der unmittelbaren postoperativen Periode. Je nach Befund können als Zeitpunkt für die Reoperation 12, 24 oder 36 h postuliert werden. Bei Problemfällen erleichtert das Split-Stoma die Entscheidung (AGA 2000).
30.5.2
30
Mesenterialvenenthrombose
Bei der akuten Mesenterialvenenthrombose ist in der Regel eine unverzügliche Antikoagulation notwendig. Wenn keine Peritonitis und keine Zeichen der Darmnekrose erkennbar sind, kann sich das weitere Vorgehen auf Antikoagulation beschränken. Diese muss in der Regel lebenslang weitergeführt werden. Wie bei der arteriellen Ischämie sind Antibiotika indiziert. Eine thrombolytische Therapie bei akuter Mesenterialvenen- bzw. Pfortaderthrombose kann auf 3 Wegen durchgeführt werden: systemisch, regional oder portal-regional. Die systemische Thrombolyse birgt die Gefahr der generalisierten Blutungsneigung, der intrazerebralen Blutung und der schweren intestinalen Mukosablutung, sodass als systemische Therapie nur die indirekte Thrombolyse durch Heparinisierung zu empfehlen ist. Die regionale Thrombolyse kann im Rahmen einer Operation ermöglicht werden, indem über eine Mesenterialvene ein Katheter bis in den Stamm der V. mesenterica cranialis bzw. die Pfortader, evtl. kombiniert mit einem transjugulär-transhepatisch intraportal gelegten Katheter, eingeführt wird. Die operative Thrombektomie bei Pfortaderthrombose mit regionaler Thrombolyse wird vereinzelt beschrieben (Demertzis et al. 1994). Der operative Zugang zur Thrombolyse hat sicherlich durch das interventionelle Verfahren der transjugulären, transhepatischen Katheterplatzierung in die Pfortader an Bedeutung verloren. Alle Patienten mit einer lokalisierten oder diffusen Peritonitis müssen unverzüglich laparotomiert werden. Die Darmresektion wird auf das Nötigste beschränkt, die »Second-look-Operation« ist hier ebenfalls häufig indiziert. Eine erfolgreiche Thrombektomie der VMS ist beschrieben worden; dies ist vermutlich nur zweckmäßig, wenn die Thrombose weniger als 3 Tage alt ist, da die meisten Patienten eine diffuse venöse Thrombose mit distaler Extension, die nicht durch Thrombektomie behandelt werden kann, aufweisen. Bei Bestätigung der Diagnose einer Mesenterialvenenthrombose erst intraoperativ kann über einen lokal gelegten Katheter eine lokale Thrombolyse erfolgen. Ist dies nicht möglich, ist eine Antikoagulation unmittelbar intraoperativ angezeigt.
30.5.3
Andere Maßnahmen
Eine Kurzzeitlyse ist bei allen Formen der mesenterialen Gefäßverschlüsse nur selten angezeigt, sie sollte nur bei jungen Patienten ohne peritonitische Zeichen mit Hinweis auf Verschlüsse peripherer Gefäße erwogen werden. Die Gabe von Prostaglandin E1 (Bolus 20 μg, dann 60 μg/h Dauerinfusion) wird als Alternative zur Papaverin-Infusion diskutiert.
30.5.4
Chronische mesenteriale Ischämie
Im Gegensatz zur akuten mesenterialen Ischämie spielt bei der chronischen Form der Faktor Zeit bei Diagnose und Therapie nur eine untergeordnete Rolle. Ziel der Therapie ist die Wiederherstellung des mesenterialen Blutflusses und damit die Beseitigung intestinaler Symptome und die Prophylaxe eines Mesenterialinfarkts. Viele Patienten haben vor Diagnosestellung bereits erheblich an Gewicht verloren und befinden sich in einem reduzierten Allgemeinzustand. Präoperativ sollte auf eine ausreichende Hydrierung, ggf. auf eine intravenöse Ernährung geachtet werden. Für den Therapieerfolg ist eine möglichst vollständig mesenteriale Revaskularisation entscheidend. > Als chirurgische Methoden der Wahl gelten ein antegrader aortomesenterischer Bypass oder die transaortale mesenteriale Entarterektomie.
Die perkutane transluminale Angioplastie der AMS weist hohe technische Erfolgsraten auf, der klinische Erfolg variiert von 63–100%. Die Fallzahlen der vorliegenden Untersuchungen sind allerdings noch sehr klein (Heiss et al. 2008; Schermerhorn et al. 2009). Eine längerfristige Antibiotikatherapie zur Verhinderung einer bakteriellen Translokation ist wiederholt empfohlen worden; bislang liegen keine klinischen Daten zur Effizienz einer solchen Maßnahme vor, die sich nur auf experimentelle Studien stützt.
30.5.5
Klinische Probleme und Schlussfolgerungen
Eine retrospektive Serie von 57 Patienten mit akuter mesenterialer Ischämie in einem schottischen Lehrkrankenhaus zeigte, dass nur 32% der Patienten eine korrekte Diagnose vor Operation oder Tod erfuhren (Mamode et al. 1999). Das Überleben lag mit 19% erschreckend niedrig, die Mortalität war verglichen mit Patienten der vorangegangenen 12 Jahre unverändert. Der entscheidende Weg zu einem besseren Überleben ist eine schnelle Diagnose. Je
491 30.5 · Therapie
. Tab. 30.9 Klinische Kriterien der verschiedenen Formen der akuten mesenterialen Ischämie Prädisposition
Leitsymptom
Definitive Diagnosestellung
Therapie
Mesenterialarterienembolie
Herzrhythmusstörungen, Zustand nach Myokardinfarkt, Aortenaneurysma
Plötzlich auftretend heftige Bauchschmerzen
MDCT, (Angiographie)
Embolektomie, (perkutane Intervention), Resektion von infarziertem Darm
Mesenterialarterienthrombose
Generalisierte Atherosklerose
Allmählich zunehmende Bauchschmerzen
MDCT, (Angiographie)
Operative Revaskularisation, (perkutane Intervention), Resektion von infarziertem Darm
Nichtokklusive mesenteriale Ischämie (NOMI)
Linksherzinsuffizienz, ausgeprägte Hypotonie, Hypovolämie, Anämie, vasokonstriktorische Medikation
Allmählich zunehmende Bauchschmerzen, aufgetriebenes Abdomen
Angiographie, (MDCT)
Papaverin, Prostaglandin E1, Resektion von infarziertem Darm
Mesenterialvenenthrombose
Hyperkoagulabilität, portale Hypertonie, entzündliche intraabdominelle Erkrankungen, postoperativ
Allmählich zunehmende Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen
MDCT, Duplexsonographie, (Angiographie)
Darmresektion + Heparin; evtl. Thrombektomie; in Einzelfällen nur Heparin oder Thrombolyse
kürzer das Intervall zwischen ersten Symptomen und Behandlungsbeginn ist, umso besser ist das Ergebnis (. Tab. 30.8). Lediglich bei einem Operationsbeginn innerhalb von 12 h ist bei Patienten mit embolischem Verschluss mit einer hohen Überlebensrate zu rechnen (Inderbitzi et al. 1990). In . Tab. 30.9 werden klinische Kriterien, Diagnoseverfahren und Therapie zusammengefasst. Der in den Anfangsstadien der mesenterialen Ischämie häufig noch weitgehend blande klinische Untersuchungsbefund kann den erstuntersuchenden Arzt in falsche Sicherheit wiegen. Darüber hinaus besteht bei den häufig multimorbiden Patienten, insbesondere bei NOMI, eine gewisse Hemmschwelle, sie einer invasiven Diagnostik zuzuführen. Es kann jedoch nur immer wieder betont werden, dass bloßes Abwarten und Kontrollieren in aller Regel gleichbedeutend mit dem Tod des Patienten ist. Einfache und nichtinvasive Untersuchungsverfahren mit hoher Aussagekraft gibt es bis heute nicht. Der Kliniker muss daher anhand der vorhandenen, oft genug widersprüchlichen Informationen aus Anamnese, Befund, unspezifischen Laborparametern und bildgebenden Verfahren die Entscheidung treffen, ob er zur Sicherung (oder zum Ausschluss) einer mesenterialen Ischämie eine CT und/oder Angiographie durchführen lässt oder nicht. Die folgenden Grundsätze sollten als Entscheidungshilfe verstanden werden. 4 Ähnlich wie beim Myokardinfarkt gibt es auch für den Mesenterialinfarkt ein bestimmtes Risikoprofil, das das Vorliegen einer mesenterialen Ischämie wahrscheinlich macht. 4 Typisch für das Frühstadium der akuten mesenterialen Ischämie ist ein Missverhältnis zwischen der erheblichen Beschwerdeangabe des Patienten und dem rela-
4
4
4 4
4
tiv unauffälligen abdominellen Untersuchungsbefund. Bei akuten, heftigen, anderweitig nicht erklärbaren Bauchschmerzen muss immer auch an eine mesenteriale Ischämie gedacht werden. Pathologische Laborwerte, wie eine sonst nicht zu erklärende Leukozytose, eine metabolische Azidose oder ein erhöhter Laktatwert, können als Hinweis auf eine mesenteriale Ischämie insbesondere bei Intensivpatienten gedeutet und als Argument für eine angiographische Klärung verwendet werden. Das Fehlen solcher Laborparameter schließt eine mesenteriale Ischämie niemals aus. Eine Multidetektor-CT ist in den meisten Fällen hilfreich, wenn sie korrekt durchgeführt wird (flussgetriggert und frühe Phase). Dies erfordert die gezielte Fragestellung. Falls eine MDCT nicht verfügbar oder möglich ist, ist eine Angiographie erforderlich. Die Angiographie als invasive Untersuchung kann zu Komplikationen führen, diese sind jedoch selten. Bei Patienten, bei denen eine mesenteriale Ischämie möglich erscheint, überwiegt der Nutzen einer frühen Angiographie deutlich die damit verbundenen Risiken. Zu rechtfertigen sind nicht die Angiographien, die veranlasst wurden, sondern die, die man unterlassen hat. Bei begründetem Verdacht auf eine akute mesenteriale Ischämie sollten vor einer Angiographie zunächst orientierend und möglichst zügig andere in Frage kommende Erkrankungen ausgeschlossen werden, was aufgrund der vielfältigen differenzialdiagnostischen Möglichkeiten (7 Abschn. 30.4.6) manchmal schwierig sein kann. Hier spielt heute die CT eine dominierende Rolle.
30
492
30
Kapitel 30 · Gefäßerkrankungen des Dünndarms und des Kolons
Der wesentliche Grund für die häufige Verkennung der chronischen mesenterialen Ischämie ist die Tatsache, dass bei der oft uncharakteristischen und vieldeutigen Symptomatik zu selten an dieses Krankheitsbild gedacht wird. Die diagnostische Abklärung ist bei einer bewussten Einbeziehung dieser Differenzialdiagnose aber deutlich einfacher als die der akuten mesenterialen Ischämie, da eine geplante abgestufte Diagnostik möglich ist. Die zunehmende Verbreitung der Duplexsonographie und die Erarbeitung valider Kriterien für eine Mesenterialgefäßstenose könnten dieses Verfahren in Zukunft als Screening-Untersuchung anwendbar werden lassen. Bei arteriellen Verschlüssen steht die Thrombektomie bzw. Embolektomie absolut im Vordergrund, gefolgt von der Antikoagulation. Bei venösen, portalen und mesenterialen Thrombosen kann eine direkte Antikoagulation durchgeführt werden. Die lokale portale bzw. mesenteriale Thrombolyse kann interventionell über einen transjugulär-transhepatischen intraportalen Katheter (TIPS-Weg) oder operativ über einen in eine Mesenterialvene gelegten Katheter erfolgen. 30.6
Literatur
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31
Dünndarmtransplantation F. Braun, F. Fändrich, A.R. Müller, K. Platz, D.C. Broering, T. Becker
31.1 Indikationsstellung
– 494
31.2 Evaluation des Empfängers 31.3 Transplantationstechnik
– 495
– 498
31.4 Perioperatives Management
– 500
31.5 Postoperatives Management
– 501
31.6 Überleben und Ausblick 31.7 Literatur
– 505
– 505
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_31, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
494
31
Kapitel 31 · Dünndarmtransplantation
Die Dünndarmtransplantation (DTx) ist eine noch junge Technik, die bei Patienten mit Kurzdarmsyndrom und Komplikationen der totalen parenteralen Ernährung (TPN) indiziert ist. Das International Intestinal Transplant Registry (IITR) erfasste bis 2005 weltweit bislang 989 DTx bei 923 Patienten in 61 registrierten Transplantationszentren. Ein Meilenstein in der Dünndarmtransplantation war die Einführung des Immunsuppressivums Tacrolimus, das gegenüber dem Ciclosporin eine effektivere Kontrolle von Transplantatabstoßungen ermöglichte. Mit der Etablierung von Tacrolimus als Basisimmunsuppressivum stieg die Anzahl der Dünndarmtransplantationen stetig an und erreichte 2001 erstmals 100 DTx pro Jahr. Von den bislang 989 Transplantationen erfolgten 43,8% als isolierte DTx, 39,0% als kombinierte Leber- und DTx (LDTx) und 17,2% als multiviszerale Transplantation (MTx). Die Mehrzahl der Empfänger waren Kinder (61%). Das Auftreten einer progressiven cholestatischen Lebererkrankung mit Fibrose oder Zirrhose infolge der TPN erforderte die hohe Anzahl kombinierter LDTx. Die stetige Verbesserung des Patienten- und Transplantatüberlebens, der Mangel an verfügbaren Spenderlebern und eine frühzeitigere Indikationsstellung zur DTx setzen gegenwärtig den Trend in Richtung isolierte DTx.
31.1
Indikationsstellung
Die Dünndarmtransplantation ist bei Patienten mit einem irreversiblen Verlust der Dünndarmfunktion und Komplikationen der total parenteralen Therapie indiziert (Benedetti et al. 2003; Fishbein et al. 2003; Grant et al. 2005). Die häufigste Ursache hierfür stellt das Kurzdarmsyndrom, das eine Inzidenz von 2–5 Patienten pro Millionen Einwohner pro Jahr aufweist (Koffeman et al. 2003). Die Mortalität beim Kurzdarmsyndrom des Erwachsenen liegt bei 15–47% und ist abhängig von dem Patientenalter, der Grunderkrankung und der Dauer der TPN (Schalamon et al. 2003).
Die Therapie der ersten Wahl ist gegenwärtig die TPN, die jedoch mit einer Vielzahl von Komplikationen assoziiert ist und ein 5-Jahres-Patientenüberleben von 60–88% aufweist (Scolapio et al. 1999; van Gossum et al. 1999; Pironi et al. 2003; Middleton 2007). Die Gabe von Wachstumshormonen, die Wiederherstellung der gastrointestinalen Kontinuität, Resektion von dysmotilen oder strikturierten Dünndarmsegmenten, rezirkulierende Loops oder reverse Segmente, Bianchi-Prozedur und serielle transverse Enteroplastik (STEP) sind alternative Techniken, die überwiegend frühzeitig bei pädiatrischen Patienten eingesetzt werden (Panis et al. 1997; Bianchi et al. 1999; Carlson et al. 2003; Kim et al. 2003; Buchman et al. 2004; Wales et al. 2005; Jones 2010). > Die Dünndarmtransplantation stellt derzeit die einzige kurative Therapie für Patienten mit einem irreversiblen Kurzdarmsyndrom dar.
Bei einer Restdünndarmlänge von 40–60 cm, einem intaktem Duodenum und einem Kolonsegment ist meist von einem irreversiblen Funktionsverlust auszugehen (Gouttebel et al. 1986; Dudrick et al. 1991; Byrne et al. 1995). Das Risiko für eine progressive cholestatische Lebererkrankung ist bei einer residualen Dünndarmlänge von weniger als 100 cm postduodenalem Jejunum, Vorhandensein eines Jejunostomas und Verlust der Ileozökalklappe oder des Zökums erheblich erhöht (Fryer et al. 2001). Dennoch sollte bei Kurzdarmpatienten ein Zeitintervall von ca. 6–12 Monaten bis zur Transplantation eingehalten werden, bevor von der Notwendigkeit einer lebenslangen TPN-Abhängigkeit ausgegangen werden kann (Grant et al. 2005; Goulet et al. 1999). Verschiedene Erkrankungen können zum TPN-pflichtigen Kurzdarmsyndrom führen und stellen eine Indikation zur DTx dar. Prinzipiell werden nur Patienten mit benignen Erkrankungen transplantiert. In mehr als 10% der bisher transplantierten Patienten lag jedoch eine malig-
. Abb. 31.1 Prozentuale Verteilung der Indikationen zur Dünndarmtransplantation bei Kindern und Erwachsenen. (Nach Grant et al. 2005)
495 31.2 · Evaluation des Empfängers
. Tab. 31.1 Absolute und relative Kontraindikationen zur Dünndarmtransplantation Absolute Kontraindikation
Relative Kontraindikation
Nicht kontrollierte schwere Infektion, Pneumonie, Sepsis, Multiorganversagen
Intestinale maligne Tumoren
Metastasierende maligne Erkrankungen
CMV-Risikokonstellation (Spender positiv und Empfänger negativ)
Fortgeschrittene kardiopulmonale Erkrankungen
Positives Crossmatch
HIV, AIDS
Anamnestisch systemische Mykose (z. B. Candida)
Manifeste Alkoholkrankheit, Drogenabusus Fehlende Compliance
ne Grunderkrankung (z. B. Desmoidtumor) vor, die im Einzelfall sorgfältig abgewogen werden muss. Die Indikationen zur DTx unterscheiden sich bei pädiatrischen und adulten Empfängern (. Abb. 31.1). Indikationszeitpunkt Die verbesserten Patienten- und Transplantatüberlebensraten haben die Dünndarmtransplantation aus der Etablierungsphase in eine vermehrte klinische Anwendung geführt (Grant 2005). In einigen Zentren erreichen die 3-Jahres-Patientenüberlebensraten nach Dünndarmtransplantation 73–88% (Fishbein et al. 2003; Farmer et al. 2004). Aufgrund der frustranen Ergebnisse der Dünndarmtransplantation in der Vergangenheit und der relativ guten Lebensqualität unter TPN bis zum Eintreten schwerwiegender Komplikationen erfolgte die Zuweisung zur Transplantation bislang relativ spät und oftmals als Ultima ratio (Grant et al. 1996). Der Zeitpunkt für die Indikation zur Dünndarmtransplantation sollte idealerweise vor dem Eintreten schwerwiegender TPN-assoziierter Komplikationen liegen. Zu diesen gehören die progressive cholestatische Lebererkrankung, rezidivierende Infektionen und Thrombosen zentralvenöser Katheter, der Verlust des venösen Zuganges, metabolische Azidose, schwerwiegende Elektrolytentgleisungen, akutes Nierenversagen, systemische Mykosen, Osteoporose und Frakturen. Annähernd 90% der Patienten, die auf der Warteliste zur Dünndarmtransplantation verstarben, waren bereits für eine kombinierte LDTx gelistet. Die führende Todesursache auf der Warteliste war eine Sepsis (Horslen et al. 2004). Bei Kindern erreichte die Mortalität auf der Warteliste bis zu 53% (Fecteau et al. 2001; Freeman 2008). Kontraindikationen Diese sind identisch mit anderen Typen solider Organtransplantationen (. Tab. 31.1). Die
Zytomegalie-Virus (CMV)-Erkrankung und insbesondere die CMV-Enteritis stellen eine der meist gefürchteten Komplikationen nach Dünndarmtransplantation dar. Daher sollten CMV-negative Empfänger, häufig Kinder, immer
CMV-negative Organe erhalten. Ein negatives Crossmatch ist immunologisch günstiger, da bei positivem Crossmatch der Reperfusionsschaden durch die Präsenz zytotoxischer Antikörper größer ist und in diesem Fall eine intensivere Immunsuppression erforderlich ist (Todo et al. 1992).
31.2
Evaluation des Empfängers
Die Evaluierung beinhaltet laborchemische, mikrobiologische, apparative und konsiliarische Untersuchungen, die zur Indikationsstellung, der Kalkulation des individuellen Risikos, zum Ausschluss von Kontraindikationen und der präzisen Planung der operativen Strategie in Bezug auf die Rekonstruktion der gastrointestinalen Integrität und der Gefäßanastomosen benötigt werden (. Tab. 31.2). Das individuelle Risikoprofil wird durch die Grunderkrankung, die Begleiterkrankungen und insbesondere durch die Komplikationen der TPN bestimmt (. Abb. 31.2). Zu diesen zählen: 4 Wiederkehrende Komplikationen zentralvenöser Katheter (z. B. Infektion, Thrombose; Terra et al. 2000; O’Keefe 1994) 4 Verlust des venösen Zuganges (Braun et al. 2004; Selvaggi et al. 2005; . Abb. 31.3) 4 Lebererkrankungen (z. B. Cholezystolithiasis, Steatosis, cholestatische Lebererkrankung, Fibrose, Zirrhose; Nightingale et al. 2003; Lloyd u. Gabe 2007) 4 Nierenfunktionsstörungen (z. B. Nephrolithiasis, akutes und chronisches Nierenversagen; Nightingale et al. 2003; Banerjee u. Warwicker 2002) 4 Metabolische Komplikationen (z. B. Hypokaliämie, Bikarbonatverlust, metabolische Azidose, Osteopenie, Osteoporose, Frakturen; Lopez et al. 2000; Klein et al. 1998) 4 Rekurrente bakterielle und mykotische Infektionen (z. B. Pneumonie, Sepsis; O’Keefe et al. 1994; Terra et al. 2000)
31
496
Kapitel 31 · Dünndarmtransplantation
. Tab. 31.2 Übersicht über die Phasen bei der Evaluation zur DTx Phase 1
Erstvorstellung
Anamnese, körperliche Untersuchung, Arztbriefe und Operationsberichte
Phase 2
Routine-Labor
Blutbild (Hämoglobin, Hämatokrit, Leukozyten, Thrombozyten), Gerinnung (Quick, INR, PTT, ATIII), Elektrolyte (Na, K, Ca, Mg, P, Cl), Substrate (Kreatinin, Harnstoff, Harnsäure, Glukose, Bilirubin, Laktat, Ammoniak), Enzyme (AST, ALT, AP, GGT, CK, LDH, GLDH, CHE, Lipase), Proteine (Gesamtprotein, Albumin, C-reaktives Protein, Cholesterin, Triglyzeride), Blutgasanalyse, Urinstatus und Urinsediment
Serologie
HAV (anti-HAV), HBV (HBsAg, HBeAg, HBcAg, anti-HBs), HCV (anti-HCV), HIV (anti-HIV), HSV (anti-HSV), CMV (anti-CMV), EBV (anti-EBV)
Immunologie
AB0-Blutgruppe, irreguläre Antikörper, humanes Leukozytenantigen (HLA)-Typisierung, Kreuzreaktive Antikörper (PRA), anti-HLA-Antikörper
Spezifische Bluttests
Hormonstatus* (TSH, T3, T4), Spezialgerinnung* (APC-Resistenz, Protein C und S, Gerinnungsfaktoren), Tumormarker* (AFP, CEA, CA 19-9, CA 125), intestinale Enterozytenmasse* (Citrullin-Test)
Apparative Diagnostik
EKG, Echokardiographie, Rö-Thorax, Lungenfunktionstest, extrakranielle Duplexsonographie, abdomineller Ultraschall, abdominelle Magnetresonanzangiographie (MRA), Sellink-Intestinographie, DXA-Knochendichtemessung
Apparative Zusatzdiagnostik
Stress-EKG*, MR-Intestinographie*
Invasive Diagnostik
Koronarangiographie*, Zöliakoo-Mesenterikographie*, Gastroskopie*, Koloskopie*, Nierenbiopsie*, Leberbiopsie*
Konsile
Neurologie, Kardiologie, Gastroenterologie, Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Zahn-Mund-Kieferchirurgie, Urologie, Gynäkologie und Psychosomatik
Indikationsstellung
Interdisziplinäre Transplantationskonferenz
Phase 3
31 Phase 4
* Fakultative Untersuchungen
. Abb. 31.2 Komplikationen der total parenteralen Therapie bei Patienten mit Kurzdarmsyndrom
497 31.2 · Evaluation des Empfängers
a
b
c
d
. Abb. 31.3a–d Verlust der venösen Zugangsmöglichkeiten zur TPN bei einer Kurzdarmpatientin nach multiplen zentralvenösen Kathetern. Die Patientin verstarb 522 Tage nach erfolgreicher Dünndarm-
transplantation an einer foudroyanten Aorten- und Mitralklappeninsuffizienz auf dem Boden einer Endokarditis, die auf die zahlreichen Katheterinfektionen zurückzuführen ist
Das Risiko einer chronisch cholestatischen Lebererkrankung steigt mit der TPN-Dauer und ist bei Ausbil-
Katheterinfektionen ist bei einer residualen Dünndarmlänge von weniger als 50 cm erheblich erhöht (Terra et al. 2000). Die durchschnittliche Infektionsrate zentralvenöser Katheter liegt bei 0,37 Infektionen pro Patientenjahr und die Infektionen führen meist zur Sepsis (Buchman et al. 1994). Insbesondere sollten systemische Mykosen unter TPN eruiert werden, da TPN-Patienten trotz erfolgreicher antimykotischer Therapie wegen des zentralvenösen Katheters dauerhaft Fremdmaterial in der Blutbahn haben, von dem nach der Transplantation eine bakterielle oder mykotische Sepsis ausgehen kann. Bei einer vorausgegangenen mesenterialen Ischämie ist eine Diagnostik hinsichtlich Vorhofflimmern und Thromboseneigung notwendig, die bei positivem Nachweis einer Koagulopathie eine spezifische Therapie mit gegebenenfalls lebenslanger Antikoagulation erfordern. Bei Kurzdarmpatienten besteht oftmals eine bereits eingeschränkte Nierenfunktion durch Alterationen der renalen Tubulusfunktion, stomale Salz-, Flüssigkeits- und Bikarbonatverluste, Hyperoxalurie, Nierenversagen, Uro-
dung einer Fibrose irreversibel (Iyer et al. 2004). Eine Bilirubin Konzentration >3 mg/dl zum Zeitpunkt der Evaluation ist prognostisch ungünstig (Bueno et al. 1999). Das Frühstadium einer cholestatischen Lebererkrankung ist nach erfolgreicher isolierter DTx potenziell reversibel (Iyer et al. 2004). Eine Reduktion Sojabohnen-basierter intravenöser Lipidemulsionen ist zur Therapie einer bestehenden Cholestase empfohlen (Cober u. Teitelbaum 2010). Fischöl-basierte Omega-3 Fettsäure-haltige Emulsionen werden aufgrund ihres hepatoprotektiven Effekts als vorteilhaft empfohlen (Fallon et al. 2010). Eine Leberbiopsie ist zum histologischen Ausschluss einer Leberfibrose oder Zirrhose notwendig, da deren Nachweis eine Indikation zur kombinierten LDTx darstellt (Fryer 2001; Horslen 2004). Der zentralvenöse Zugang stellt bei TPN-Patienten eine bedeutende Infektionsquelle dar und sollte immer in die präoperative mikrobiologisch Untersuchungen miteingeschlossen werden. Das Risiko von zentral venösen
31
498
Kapitel 31 · Dünndarmtransplantation
31 . Abb. 31.4 Spenderoperation: Das Ligamentum gastrocolicum ist gespalten, Milz und Pankreasschwanz aus dem Retroperitoneum gelöst, die Mesenterialwurzel wird sichtbar. Arteria und Vena colica dextra und media wurden stammnah abgesetzt
. Abb. 31.5 Spenderoperation: Das Jejunum ist hinter dem TreitzLigament durchtrennt, die Mesenterialgefäße werden freipräpariert
sepsis, Dehydration und nephrotoxische Medikamente (Banerjee u. Warwicker 2002; Boncompain-Gerard 2000; Buchmann et al. 1993). Bei Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz besteht die Indikation zur simultanen Nieren- und Dünndarmtransplantation. Die TPN kann das Auftreten eines Diabetes mellitus begünstigen. Häufig werden erhöhte Gastrinspiegel aufgrund fehlender inhibierender Peptide beobachtet. Das seltene Zollinger-Ellison-Syndrom sollte differenzialdiagnostisch ausgeschlossen werden. Nach Abschluss der Evaluation ist eine selektive Darmdekontamination (SDD) empfehlenswert, die im Gegensatz zu anderen Organtransplantationen bei der Dünndarmtransplantation einheitlich befürwortet wird (Todo et al. 1992).
31.3
> Eine psychosomatische Begleitung der potenziellen Empfänger ist frühzeitig empfohlen, da die Patienten aufgrund der oftmals langen und komplizierten Krankengeschichte oftmals an Depressionen leiden.
Aufgrund von Verwachsungen und Adhäsionsbeschwerden weisen die Patienten häufig einen hohen Schmerzmittelbedarf auf, weswegen frühzeitig die Anbindung an die Schmerzambulanz erfolgen sollte.
Transplantationstechnik
Vorbereitung des Spenders Der Spender erhält SDD 4-mal
5 ml/Tag bestehend aus 80 mg Tobramycin, 100 mg Cholestinsulfat und 500 mg Amphotericin B pro 5 ml. Die SDD wird über eine Magensonde appliziert. Zusätzlich erfolgt eine niedrigdosierte enterale Ernährung mit Immunonutrition ca. 25 ml/h. Spenderoperation Bei der Multiorganentnahme ist auf eine schonende Behandlung des Dünndarmes sowie kurzzeitige Kompromittierung des venösen Abflusses bei der Präparation des Kolons aus dem Retroperitoneum zu achten. Nach Präparation der Leber erfolgt die Durchtrennung des Ligamentum gastrocolicum sowie die Ligatur der Arteriae und Venae gasticae breves. Magen und Omentum werden nach kranial verlagert. Es erfolgt die Präparation von Milz und Pankreas aus dem Retroperitoneum (. Abb. 31.4), die Durchtrennung des Darmes aboral des TreitzLigaments sowie die Präparation der Arteria und Vena mesenterica superior, die Ligatur der Gefäße des oberen Jejunums, der Arteria und Vena colica dextra sowie media stammnah und die Durchtrennung des Mesokolon. Falls keine Pankreasentnahme erfolgt, werden die zum Pankreas ziehenden Gefäße ligiert (. Abb. 31.5). In jedem Fall sollte
499 31.3 · Transplantationstechnik
. Abb. 31.6 Empfängeroperation: Interposition des Spenderdünndarmes mit End-zu-End-Anastomose des Jejunums, End-zu-SeitAnastomose des terminalen Ileums mit dem Kolon und Ileostomaanlage. Bei gutkalibriger empfängerseitiger Vena mesenterica superior kann die venöse Anastomose auch am Pankreasunterrand erfolgen
eine vollständige Darstellung der Arteria und Vena mesenterica superior im Bereich der Mesenterialwurzel bis zum Pankreasoberrand erfolgen. Der letztgenannte Schritt gilt nicht für die kombinierte Entnahme von Leber, Pankreas und Dünndarm. Hierbei werden alle drei Organe »en bloc« entnommen. Perfusion Diese erfolgt über die Aorta. Nach Kanülierung der Portalvene wird diese kaudal komplett durchtrennt, um einen freien Ausfluss aus der Mesenterialvene zu gewährleisten. Bei kombinierter Leber-Dünndarm-Transplantation wird über die Vena mesenterica inferior perfundiert, um den Konfluenz von Vena mesenterica superior in die Vena porta intakt zu lassen. Nach arterieller Perfusion mit Konservierungslösung (z. B. 2000 ml Histidin-Tryptophan-Ketoglutarat (HTK)-Lösung oder 500 ml University of Wisconsin (UW)-Lösung) sollte die Arteria mesenterica direkt an der Aorta mit der Femoralisklemme oder manuell vorsichtig verschlossen werden. Eine übermäßige Perfusion des Darmes (z. B. >1000 ml UW-Lösung) kann die mukosale Mikrovaskulatur erheblich schädigen. Dies führt nach Reperfusion zum Verlust der Villusepithelien (Mueller et al. 1994; Mueller et al. 1996; Todo et al. 1992, Braun et al. 2004).
> Vor Entnahme wird der Dünndarm mittels eines GIA im Bereich des proximalen Jejunums und des terminalen Ileums durchtrennt. Eine intralu6
. Abb. 31.7 Empfängeroperation: Rekonstruktion von Arteria und Vena mesenterica superior; Arteria mesenterica superior auf die infrarenale Aorta direkt oder mittels Arteria-iliaca-Interponat und Vena mesenterica superior retropankreatisch End-zu-Seit auf die Pfortader
minale Darmperfusion wird wegen der hierdurch bedingten Schädigung der mukosalen Mikrovaskulatur nicht durchgeführt (Todo et al. 1992; Mueller et al. 1993, 1996). Nach Ligatur der Vena lienalis wird die Pfortader in ganzer Länge bis zur Durchtrennung im Hilusbereich entnommen (. Abb. 31.4). Empfängeroperation Die Transplantation sollte so schnell
wie möglich erfolgen. Die angestrebte kalte Ischämiezeit des Transplantates sollte 4–6 h nicht überschreiten. Je nach Voroperationen muss das operative Vorgehen häufig modifiziert werden. Dies gilt auch für die kombinierte Leber-Dünndarm-Transplantation. Die Anastomosierung der Arteria mesenterica superior erfolgt meistens direkt oder mittels Iliakainterponat auf die infrarenale Aorta. Die Anastomosierung der Portalvene (oder Vena mesenterica superior) des Spenders erfolgt, wenn möglich, auf die Portalvene des Empfängers (End-zu-Seit; . Abb. 31.6). Falls eine gutkalibrige Vena mesenterica superior unterhalb des Pankreas zu finden ist, kann diese ebenfalls zur Anastomosierung dienen (. Abb. 31.7). Die Vena cava sollte wegen der negativen Auswirkungen metabolischer und immunologischer Art (portokavaler Shunt) vermie-
31
500
Kapitel 31 · Dünndarmtransplantation
Bei allen Typen der Dünndarmtransplantation ist aufgrund der Voroperationen inklusive der stattgehabten Lavagen oftmals die Bauchdecke retrahiert und weist Narbenplatten auf. Der Bauchdeckenverschluss sollte spannungsfrei auf jeden Fall erfolgen. Dieses gelingt zunächst durch Implantation eines Kunststoffnetzes und stufenweise Annäherung sowie Adaptation der Bauchdeckenränder. Alternativ wurden die gleichzeitige Transplantation der Bauchdecke und die Verwendung der hinteren Rektusscheide als Bauchdeckenverschluss beschrieben (Levi et al. 2003; Gondoles u. Fauda 2008; Fryer u. Angelos 2004).
31
. Abb. 31.8 Kombinierte Leber-Dünndarm-Transplantation. Die venöse Achse zwischen Vena mesenterica superior und Pfortader bleibt erhalten. Die Empfängerpfortader wird End-zu-Seit in die spenderseitige Pfortader implantiert
den werden. Bei der venösen Anastomose ist besonders auf einen weiten, uneingeschränkt freien Abfluss des Mesenterialvenenblutes des Transplantates in die Pfortader des Empfängers zu achten, da eine venöse Stase den Reperfusionsschaden erheblich verstärken würde und unter Umständen zum frühen Transplantatversagen führen könnte. Die Anastomosierung des Darms erfolgt proximal in End-zu-End-Technik. Ist dies wegen der Kürze des verbliebenen Duodenums des Empfängers technisch nicht möglich, kann die Anastomose auch in Seit-zu-Seit-Technik erfolgen (. Abb. 31.7). Zur Dekompression des Transplantates und später auch zur enteralen Ernährung kann ein Ernährungskatheter in das transplantierte Jejunum eingenäht und durch die Bauchdecken ausgeleitet werden. Das distale Transplantatende wird mittels Ileostoma durch die Bauchdecken ausgeleitet, wobei die intestinale Kontinuität zum Kolon (End-zu-Seit) direkt hergestellt wird (. Abb. 31.7). Dies erleichtert später den Verschluss des Ileostomas. Bei kombinierter Leber-Dünndarm-Transplantation sollte die Kontinuität des Mesenterialvenenblutes erhalten bleiben (. Abb. 31.8). Die abgesetzte Pfortader des Empfängers wird End-zu-Seit in die Spenderpfortader implantiert. Die Transplantation des Kolons zur Reduktion von Diarrhöen wird kontrovers diskutiert. Zum Einen wurde im Rahmen von Abstoßungen eine erheblichen Steigerung des Risikos von letalen septischen Komplikationen beobachtet (Todo et al. 1995). Zum Anderen wurde ein signifikant besseres Überleben bei gleichzeitiger Transplantation des Kolons berichtet (Kato et al. 2008).
Lebendspende Die Rolle der Lebendspende-Dünndarmtransplantation wird bei der isolierten Transplantation kontrovers diskutiert, da diese ähnliche Patienten- und Transplantatüberlebensraten aufweist und ein potenzielles gesundheitliches Risiko für den Spender darstellt. Die Vorteile der Verwandten- Lebendspende sind die Verfügbarkeit eines Spenderorgans, die Vermeidung des Versterbens auf der Warteliste, die Auswahl eines geeigneten HLAMatch, eine kürzere kalte Ischämiezeit und die Möglichkeit zur Durchführung immunmodulatorischer Strategien (Fryer u. Angelos 2004; Tzventanov et al. 2010). Bei der Entnahmeoperation werden 150–200 cm Ileum 20 cm proximal der Ileozökalklappe, die immer erhalten wird, entnommen (Testa et al. 2004). Vor der Resektion des Ileumsegmentes wird der gesamte Spenderdünndarm ausgemessen werden, damit gewährleistet ist, dass 60% des Dünndarms beim Spender verbleiben (Testa et al. 2004). Die arterielle Versorgung des Transplantates erfolgt über die terminalen Äste der Arteria mesenterica superior und der venöse Abfluss über ein proximales Segment der Vena mesenterica superior bzw. Arteria und Vena ileocolica, die an die infrarenale Aorta und Vena cava End-zu-Seit anastomosiert werden (Testa et al. 2004; Cicalese et al. 2001).
31.4
Perioperatives Management
Ein bei der Prämedikation eingelegter Epiduralkatheter verbessert die Durchblutung der visceralen Organe und verringert den postoperativen Bedarf an Opiat-Analgetika. Perioperativ wird ein intensiviertes Kreislaufmonitoring durchgeführt. Nach Reperfusion ist besonders auf gute Blutdruckverhältnisse sowie ein hohes Herzzeitvolumen zu achten, da dies den Reperfusionsschaden vermindert. Der Volumenbedarf ist in den ersten Stunden nach Reperfusion hoch, da es zu großen Flüssigkeitsverschiebungen sowie zum Verlust von Albumin und Proteinen kommt: 4 in das Darmlumen (hohe Mukusproduktion), 4 in das lymphatische System, 4 in die Darmwand (Darmwandödem).
501 31.5 · Postoperatives Management
Diese Verluste sollten mit HAES, Human-Albumin, FFP und ggf. nicht-kolloidalen Lösungen unter strenger Überwachung aller Kreislaufparameter inklusive des kolloidosmotischen Druckes frühzeitig ausgeglichen werden. Zur Reduktion des Reperfusionsschadens kann diese Therapie mit einer niedrigdosierten Dopexamintherapie kombiniert werden. Ähnliches gilt für die nach Dünndarmtransplantation übliche Prostaglandin E2 (PGE2)-Therapie, die neben der Reduktion des Reperfusionsschadens auch immunmodulatorisch im Sinne einer Verminderung des Abstoßungsrisikos wirkt (Todo et al. 1992).
31.5
Postoperatives Management
Immunsuppression Die Netto-Immunsuppression ist auf-
grund der höheren Immunogenität des Dünndarms höher als nach anderen Organtransplantationen (Ringe u. Braun 2005; Müller et al. 2004). Das am häufigsten verwendete Basis-Immunsuppresivum ist Tacrolimus in Verbindung mit Kortikosteroiden und einer Antikörperinduktion (z. B. Anti-IL2R-mAk, ATG, Anti-CD52-mAk) (Abu-Elmagd et al. 2009). Tacrolimus kann nach der Frühphase mit Sirolimus kombiniert werden. Die jüngsten Ergebnisse mit der Kombination von Tacrolimus und Sirolimus sind sehr viel versprechend (Grant et al. 2005; Fishbein et al. 2002). Wäh-
rend der initialen Transplantationsphase besteht jedoch bei der Gabe von Rapamycin ein erhöhtes Risiko von Wundheilungsstörungen und Anastomoseninsuffizienzen (Groetzner et al. 2004). Im Langzeitverlauf kann die Tacrolimusdosis in Kombination mit Sirolimus gesenkt werden, wodurch das nephrotoxische Potenzial von Tacrolimus reduziert werden kann. Bei Verwendung von Mycophenolat sei auf die bekannten und häufig auftretenden gastrointestinalen Nebenwirkungen, insbesondere Diarrhöen, hingewiesen (Behrend 2001; Behrend u. Braun 2005; . Tab. 31.3). Bei hohen stomalen Flüssigkeitsverlusten kann die Bioverfügbarkeit oral applizierter Immunsuppressiva herabgesetzt sein. In einigen Zentren erfolgt deshalb initial eine intravenöse Applikation von Tacrolimus zur Aufrechterhaltung einer stabilen Blutspiegelkonzentration. Bei der intravenösen Applikation von Tacrolimus ist insbesondere auf das Auftreten einer Nephro- und Neurotoxizität zu achten. Ebenfalls sollte auf Medikamenten-Interaktionen geachtet werden, da CYP3A4-Inhibitoren (z. B. Fluconazol) zu einem raschen Anstieg der Tacrolimus-Blutspiegelkonzentration führen können. Zur Optimierung wird ein therapeutisches Drug Monitoring der Tacrolimus- und Sirolimus-Talblutspiegel empfohlen. Überwachung der Transplantatfunktion Diese erfolgt in erster Linie klinisch. Die Zeichen einer Dysfunktion des
. Tab. 31.3 Übersicht über die klinisch verfügbaren Medikamente zur Immunsuppression nach klinischer Dünndarmtransplantation Medikament
Wirkmechanismus
Indikation
Dosierung und Monitoring
Nebenwirkungen
Alemtuzumab
Anti-CD52-mAk
Induktion
0,3 mg/kg i.v., Kontrolle Lymphozyten
Lymphozytopenie, Infektionen
Antithymozytenglobulin
T-Zell-pAk
Induktion, Therapie AR
1,25–5 mg/kg i.v. über 5–10 Tage
Lymphozytopenie
Basiliximab
Chimärer Anti-CD25-mAk
Induktion
20 mg v. Tag 0 und 4
Selten allergische Reaktion
OKT3
Muriner Anti-CD3-mAk
Induktion, Therapie AR
5 mg v. über 5–10 Tage
Allergische Reaktion, Infektionen
Infliximab
Anti-TNF-α-mAk
Therapie AR
3 mg/kg v.
Infektionen
Tacrolimus
Kalzineurin-Inhibitor
Induktion, Erhaltung
0,1–0,15 mg/kg p.o., TL 15–20 μg/l (<3 Monate), TL 10–15 μg/l (>3 Monate)
Neuro- und Nephrotoxizität, Diabetes, Hypertonus
Sirolimus
mTOR-Inhibitor
Induktion, Erhaltung
6 mg p.o. initial Tag 1, 2 mg p.o. ab Tag 2, TL 5–10 μg/l (<3 Monate), TL 3–8 μg/l (>3 Monate)
Wundheilungsstörungen, Hyperlipidämie, Anämie
Prednisolon
Unspezifisch antiinflammatorisch
Induktion, Erhaltung
500 mg i.v. vor Reperfusion; 1 mg/kg i.v. stufenweise Dosisreduktion bis 5–7,5 mg Erhaltungsdosis pro Tag; 500 mg i.v. für 3–5 Tage bei akuter Abstoßung
Infektionen, Adipositas, erhöhtes kardiovaskuläres Risiko, Glaukom, Osteoporose Hyperlipidämie, Cushing
31
502
Kapitel 31 · Dünndarmtransplantation
Dünndarmtransplantates, wie sie häufig bei akuter Abstoßung oder CMV-Enteritis zu finden ist, sind: 4 Aufgetriebenes Abdomen 4 Abdominelle Schmerzen 4 Wässrige Diarrhöen 4 Erbrechen oder Ileus 4 Veränderungen (Dunkelfärbung) der Mukosa des Ileostomas
31
Eine weitere diagnostische Hilfe bietet die endoskopische Inspektion des Transplantates über das Ileostoma. Diese erfolgt initial in zweitägigen Abständen mit Entnahme von seriellen Biopsien zur histologischen Untersuchung sowie zur CMV-Diagnostik (PCR). Eine Weiterentwicklung ist die Zoom-Endoskopie, die eine bessere makroskopische Beurteilung der Zotten erlaubt (Kato et al. 1999). Die Sonographie des Darmes erlaubt prinzipiell eine Beurteilung der Peristaltik, einer Distension und eines Darmwandödems, jedoch verringern Luftüberlagerungen oftmals die Aussagekraft der Ultraschalldiagnostik. Zur Sicherung der Anastomosenverhältnisse wird üblicherweise am 5. postoperativen Tag sowie bei unklarem Abdomen eine Gastrografin-Passage durchgeführt. Spezifische Parameter für die Darmfunktion sind bisher nicht ausreichend etabliert. Die laborchemischen Untersuchungen beschränken sich somit auf die generellen Routineparameter. Zusätzlich sind der zelluläre Immunstatus sowie lösliche Immunparameter (sIL-2R, LBP, TNF-α, PCT) diagnostisch hilfreich. Die Bestimmung dieser Parameter ermöglicht die Erfassung einer Transplantatdysfunktion bzw. ist richtungsweisend für eine Infektionen (PCT, LBP) oder Abstoßung (sIL-2R, LBP, TNF-α).
sen in den Zellen der Krypten, eine Kryptitis oder eine Rarefizierung der Krypten, Nekrosen und eine Endothelitis (Ruiz et al. 2006; Wu et al. 2003; . Tab. 31.4; . Abb. 31.9). Die Transplantatabstoßung tritt häufig fokal auf, was die endoskopische und histologische Diagnostik erheblich erschwert, da diese in der Regel von der endoskopischen Zugangsmöglichkeit limitiert ist. Somit können proximal lokalisierte Abstoßungen der endoskopischen Diagnostik entgehen. Dem Monitoring von Funktionstesten (D-Xylose-Resorption, Serotonin, Citrullin, Calprotectin) und Immunparametern (sIL-2R, LBP, TNF-α) kommt gegenwärtige eine ergänzende Bedeutung zu, jedoch konnte bislang kein Parameter die Histologie als Goldstandard ersetzen (. Abb. 31.10). Immunhistochemische Untersuchungen beinhalten die Färbung von CD3- und CD25-positiven Zellen und sind sensitiver als die Histologie (Goulet et al. 1994). Die Therapie der akuten Abstoßung erfolgt nach internationalen Standards und sollte zügig erfolgen, da es mit Progression der Abstoßung zur Ausbildung einer Peritonitis mit Mikroperforationen des Dünndarms kommt: 4 Methylprednisolon 500 mg i.v. über 3–5 Tage 4 Bei steroidrefraktärer Abstoßung OKT3 5 mg i.v. über 5–10 Tage 4 Alternativ zur OKT3-Therapie auch ATG, ALG, IL-2Rezeptorantagonisten und Anti-TNF-α-mAk eingesetzt werden, sofern diese nicht bereits als Induktionstherapie eingesetzt wurden 4 Bei therapierefraktärer Abstoßung die Explantation des Transplantates
arealen in der Mukosa und der Verlust der Villusarchitektur mit transmuralen Zellinfiltraten ist hinweisend für eine akute Abstoßung. Histopathologisch finden sich Apopto-
Im Gegensatz zu den akuten Abstoßungen sind chronische Abstoßungen schwieriger zu diagnostizieren und therapieren. Klinisch imponiert bei der chronischen Abstoßung eine chronische Diarrhö mit Malabsorption und Gewichtsverlust (Todo et al. 1992). Der diagnostische Goldstandard ist ebenfalls die Histologie (. Tab. 31.4), die gegebenenfalls offen als Dünndarmvollwandbiopsien entnommen wird. Bei fortgeschrittener chronischer Abstoßung sollte umgehend die Explantation des Transplantates erfolgen.
. Abb. 31.9 Histologien einer exfoliativen therapierefraktären akuten Abstoßung 15 Tage nach DTx. Das Transplantat weist ein massi-
ves lymphozytäres Infiltrat und eine fast vollständige Destruktion der Zotten auf
Diagnostik und Therapie der akuten Transplantatabstoßung Der diagnostische Goldstandard ist die Histologie (HE-Färbung) (. Abb. 31.9). Das Vorliegen von Nekrose-
503 31.5 · Postoperatives Management
a
b
c . Abb. 31.10 Klinischer Verlauf einer Patientin mit Kurzdarmsyndrom, die nach DTx eine exfoliative therapie-refraktäre akute Abstoßung entwickelte. Tac Tacrolimus, Rapa Rapamycin, TL Talblutspiegel, ATG Antithymozytenglobulin, MP Methylprednisolon, AR akute
Abstoßung, IL-6 Interleukin-6, sIL-2R löslicher IL-2-Rezeptor, LBP Lipolysaccharidbindendes Protein, TNF Tumornekrosefaktor-α, PCT Procalcitonin, Tx Transplantation, OP Operation
Infektionen Besonders gefürchtet ist die CMV-Enteritis (. Abb. 31.11), die in jedem Fall mittels quantitativer
Reyes et al. 1993). Als Antimykotika kommen überwiegend Caspofungin, liposoamles Amphotericin B und Voriconazol zum Einsatz (Abu-Elmagd et al. 2009). Indikationen zur antimykotischen Prophylaxe und Therapie sind: 4 Schwere bakterielle, atypische oder virale Infektionen, Sepsis, SIRS 4 Fehlendes Ansprechen auf eine Antibiose 4 Langzeitantibiose 4 Schwere, rezidivierende Abstoßungen, steroidresistente Abstoßungen und langdauernde OKT3-Therapie 4 Nicht näher beschriebene, ausgeprägte Immunkompromittierung des Patienten 4 Retransplantation des Dünndarms
CMV-PCR und Immunhistochemie ausgeschlossen bzw. mit Ganciclovir i.v. und gegebenenfalls CMV-Immunglobulin i.v. längerfristig behandelt werden sollte (Reyes et al. 1992). Bei einer CMV Risikokonstellation (Spender CMV positiv und Empfänger CMV negativ) oder klinischem Verdacht auf eine CMV-Infektion kann präemptiv mit Valganciclovir p.o. therapiert werden. Bei bakteriellen Infektionen (Peritonitis) sollte bei Nichtansprechen der antibiotischen Therapie umgehend eine antimykotische Therapie eingeleitet werden, da mykotische Infektionen (cCave: Pilzperitonitis) relativ häufig beobachtet werden (Langnas et al. 1996;
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504
Kapitel 31 · Dünndarmtransplantation
. Tab. 31.4 Graduierung der Transplantatabstoßung nach Dünndarmtransplantation (Wu et al. 2003; Ruiz et al. 2004)
31
Graduierung
Histologisches Korrelat
Borderline
Minimale lokalisierte entzündliche Infiltrate, Krypten mit minimalem Epithelschaden, Zunahme der Apoptoserate in dem Zellepithel der Krypten (<6 Apoptosekörperchen pro 10 Krypten), keine oder minimal Schädigung der Architektur, keine mukosale Ulzeration
Gering
Geringe lokalisierte entzündliche Infiltrate mit aktivierten Lymphozyten, Krypten mit geringem Epithelschaden, Zunahme der Apoptoserate in dem Zellepithel der Krypten (>6 Apoptosekörperchen pro 10 Krypten), geringe Schädigung der Architektur, keine mukosale Ulzeration
Mäßig
Ausgedehnte entzündliche Infiltrate der Lamina propria, Krypten mit diffuser Epithelschädigung, Zunahme der Apoptoserate in den Zellen der Krypten mit fokal konfluierender Apoptose, mäßige Schädigung der Architektur, geringe bis mäßige intimale Arteritis möglich, keine mukosale Ulzeration
Schwer
Analog der mäßig-ausgeprägten akuten Abstoßung aber mit mukosalen Ulzerationen, schwere oder transmurale intimale Arteritis möglich
Transfusionsreaktionen Bei Blutgruppenkompatibilität kann ein Passenger-Lymphocyte-Syndrom auftreten (z. B. Blutgruppen: Spender 0 → Empfänger A). Hierbei reagieren Antikörper von Spenderlymphozyten gegen die Blutgruppenantigene des Empfängers, wodurch es zur Hämolyse mit Hyperbilirubinämie kommt. Klinisch imponiert ein Hauterythem, das differenzialdiagnostisch eine Graftversus-host-Reaktion impliziert. Zur Vermeidung eines Passenger-Lymphocyte-Syndrom sollten in einer solchen Konstellation nur Erythrozytenkonzentrate der Spenderblutgruppe gegeben werden. Eine komplette Vermeidung ist durch Blutgruppenidentität bei der Transplantation möglich. Ebstein-Barr-Virus und posttransplantationslymphoproliferative Erkrankung Aufgrund der Assoziation von Epstein-
Barr-Virus (EBV) und posttransplantationslymphoproliferativen Erkrankung (PTLD) sollte die klinische EBV-Infektion (EBV-PCR-Titeranstieg) hochdosiert mit Ganciclovir 2×10 mg/kg bis zum Abfallen des Titers ggf. über
Monate behandelt werden (Reyes et al. 1994, . Abb. 31.12). Eine PTLD kann sowohl im Transplantat (z. B. Ulzerationen) als auch in anderen Organen oder generalisiert auftreten. Die Immunsuppression sollte auf ein Minimum reduziert werden und der Patient bei einem HämatoOnkologen vorgestellt werden. Die PTLD ist oftmals antiCD20-positiv, das eine Therapieoption mit einem AntiCD20-mAk (Rituximab) ermöglicht. Ernährung Neben der nach größeren darmchirurgischen Eingriffen üblichen parenteralen Ernährung, die über den 5. postoperativen Tag hinaus durchgeführt wird, sollte unmittelbar postoperativ (ca. 6 h) parallel mit der enteralen Ernährung begonnen werden. Diese dient der Regeneration, dem Erhalt der Mukosa, der Wiederherstellung der gastrointestinalen Barrierefunktion und verringert das Risiko einer bakteriellen Fehlbesiedlung. Zu empfehlen sind hier als Immunonutrition bezeichnete Präparationen, die Glutamin, Arginin und Mikrofasern zur optimalen Versorgung der Mukosa enthalten (Bland u. Bailey 1998; Mueller et al. 1998; Schroeder et al. 1992). Bei Beginn des Kostaufbaues können unterstützend lebende Laktobazillen zum Wiederaufbau der Darmflora oral appliziert werden. Transplantatfunktion Nach erfolgreicher Dünndarmtrans-
. Abb. 31.11 Histologisches Bild einer CMV-Enteritis im Dünndarmtransplantat mit charakteristischen Eulenaugen-Zellen
plantation kann mittels alleiniger enteraler Ernährung ein guter Ernährungsstatus mit normalem Wachstum (bei Kindern) erreicht werden (Atkison et al. 1997; Goulet et al. 1997; Sudan et al. 2004). Die Gewichtszunahme ist bei Kindern altersentsprechend vergleichbar mit gesunden Kindern, ein Zustand, der mittels parenteraler Ernährung vor Transplantation nicht erreicht werden kann. Hier liegt der Gewichtsverlauf immer unterhalb der altersentsprechenden Perzentile. Auch wenn der mesenteriale Lymphabfluss durch die Operation unterbrochen wurde, erfolgt die Fettabsorption
505 31.7 · Literatur
a
b
. Abb. 31.12a,b Computertomographie des Oberbauches mit Nachweis einer EBV-Gastritis nach DTx
in ausreichender Form über Kollateralen (Winkelaar et al. 1997). Es kommt spontan zur Restitution der Lymphabflusswege innerhalb von 4–6 Wochen nach Transplantation. Eine Rekonstruktion der Lymphgefäße weist keine sichtbaren Vorteile auf. Bei guter Transplantatfunktion ist die Resorption von Aminosäuren und Kohlenhydraten ebenfalls unauffällig. Die Resorption intestinaler Disaccharide kann jedoch bei schwerer akuter und chronischer Abstoßung sowie schwerer Peritonitis signifikant reduziert sein (Xyloseresorptionstest) und erfordert bei diesen Patienten eine temporäre, zusätzliche parenterale Ernährung (Kauffman et al. 1998). Klinisch kann es aufgrund der gastrointestinalen Autonomie zunächst zur Hypo- oder Hyperperistaltik kommen. Bei guter Transplantatfunktion ist die Motilität des Darmes klinisch suffizient; klinisch nicht bedeutsame Veränderungen lassen sich jedoch tierexperimentell nachweisen. Erste Untersuchungen zur Lebensqualität nach Dünndarmtransplantation zeigten, dass diese nach erfolgreicher Transplantation deutlich besser ist, als vor Transplantation unter parenteraler Ernährung (DiMartini et al. 1998).
31.6
Überleben und Ausblick
In der Anfangsphase der Dünndarmtransplantation kam es durch schwere Abstoßungen zu überimmunsuppressionsbedingten Infektionen mit Peritonitis und Sepsis, die für die relativ hohe Letalität verantwortlich waren (Reyes et al. 1992; Grant 1996; Langnas et al. 1996; Furukawa et al. 1997). Die gegenwärtigen 1-Jahres-Patienten- und Transplantatüberlebensraten des IITR liegen bei 64,7 und 57,6% nach postmortaler Spende und bei 66,7 und 59,3% nach Lebendspende. Die häufigsten Todesursachen waren Sepsis
46% und Abstoßung 11,2% und die häufigsten Ursachen für eine Transplantatverlust waren Abstoßung 56,3%, Thrombose, Ischämie oder Blutung 20,6%, Sepsis 8,8%, Lymphome 1,2% und andere Ursachen 13,1% (Grant et al. 2005). Aufgrund der Verbesserung der Immunsuppression und des perioperativen Managements können 1-JahresPatientenüberlebensraten von ca. 80–90% bei guter Lebensqualität und alleiniger enteraler Ernährung erreicht werden (Rovera et al. 1998; Fishbein et al. 2003a,b; Masetti et al. 2004; Farmer et al. 2004; Reyes et al. 2005; Bond et al. 2005). Das Transplantatüberleben liegt ca. 10% niedriger als das Patientenüberleben. Weitere Anstrengungen konzentrieren sich derzeit auf das Monitoring der Transplantatfunktion, die Diagnostik der Transplantatabstoßung, die Reduktion des IschämieReperfusionsschadens sowie eine frühzeitige und dauerhaft gute Transplantatfunktion. In Verbindung mit einer frühzeitigeren Indikationsstellung könnte die Inzidenz von immunologischen und infektiologischen Komplikationen gesenkt und die Ergebnisse der Dünndarmtransplantation weiter verbessert werden (Abu-Elmagd et al. 2009; Sudan 2010). 31.7
Literatur
Abu-Elmagd KM, Costa G, Bond GJ, Wu T, Murase N, Zeevi A et al. (2009) Evolution of the immunosuppressive strategies for the intestinal and multivisceral recipients with special reference to allograft immunity and achievement of partial tolerance. Transpl Int 22(1):96–109 Atkison P, Chatzipetrou M, Tsaroucha A, Lehmann R, Tsakis A, Grant D (1997) Small bowel transplantation in children. Pediatr Transplant 1:111–118 Banerjee A, Warwicker P (2002) Acute renal failure and metabolic disturbances in the short bowel syndrome. QJM 95(1):37–40
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31
Kapitel 31 · Dünndarmtransplantation
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31
508
Kapitel 31 · Dünndarmtransplantation
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31
32
Morbus Crohn C. Tjaden, T. Hackert, J. Schmidt
32.1
Epidemiologie
– 510
32.2
Ätiologie
32.3
Pathologie
32.4
Klinische Symptomatologie
32.5
Diagnostik
32.5.1 32.5.2 32.5.3 32.5.4 32.5.5
Ösophagus, Magen, Duodenum – 514 Dünndarm – 514 Terminales Ileum, Kolon, Rektum – 515 Labor – 515 Differenzialdiagnose – 515
32.6
Komplikationen
32.7
Konservative Therapie
32.7.1 32.7.2 32.7.3 32.7.4 32.7.5 32.7.6
Akuter Schub des Morbus Crohn – 517 Chronisch-aktiver Morbus Crohn – 517 Remissionserhaltung und postoperative Rezidivprophylaxe Antibiotika – 518 Antisensenukleotide – 518 Ernährung – 518
32.8
Chirurgische Therapie
32.8.1 32.8.2 32.8.3
Indikationsstellung – 519 Operationstechnik und Verfahrenswahl Nachsorge – 524
32.9
Literatur
– 511 – 512 – 512
– 514
– 516 – 516
– 517
– 518 – 523
– 525
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_32, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
510
Kapitel 32 · Morbus Crohn
Im Jahre 1932 beschrieben Crohn, Ginzburg und Oppenheimer »eine Erkrankung des terminalen Ileums, die überwiegend junge Erwachsene betrifft und durch eine subakute oder chronische nekrotisierende und vernarbende Entzündung« gekennzeichnet ist. Dem Terminus Ileitis regionalis folgte entsprechend der Erkenntnis, dass jede Stelle des gesamten Gastrointestinaltraktes befallen sein kann, die Bezeichnung Enteritis regionalis. Heute ist M. Crohn der international anerkannte Begriff, wobei inzwischen diskutiert wird, in Abhängigkeit von Lokalisation, Befallsmuster (überwiegend entzündlich, stenosierend, fistulierend) und Ansprechen auf unterschiedliche Medikamente in weitere Subtypen zu unterteilen. Häufig finden sich außerdem extraintestinale Symptome. Der Verlauf des M. Crohn ist im Einzelfall nicht vorhersagbar. Die Erkrankung neigt zu rezidivierenden Schüben, gefolgt von spontanen oder medikamentös induzierten Remissionen. Saisonale Schwankungen sind bekannt mit hohen Rezidivneigungen im Herbst und Winter sowie den niedrigsten Raten im Sommer (Sonnenberg 2008).
32
32.1
. Tab. 32.1 Inzidenz und Prävalenz des M. Crohn in verschiedenen geographischen Regionen. (Modifiziert nach Gordon u. Nivatvongs 1999) Autor
Land
Jährliche Inzidenz
Garland et al. (1981)
USA
3,4–4,95
Gollop et al. (1988)
Rochester, MN
4,0
Haug et al. (1989)
Norwegen West
5,3
Stowe et al. (1990)
Rochester, NY
5,0
Probert et al. (1993)
England
Europäer Südasiaten
33,2
Maté-Jimenez et al. (1994)
Spanien
1,6
19,8
Odes et al. (1994)
Israel
4,2
50,6
Epidemiologie
Die Inzidenz des M. Crohn schwankt in den verschiedenen Ländern stark. Eine Übersicht gibt . Tab. 32.1. Die durchschnittliche Inzidenz der Erkrankung liegt zwischen 3 und 6 Fällen/Jahr/100.000 Einwohner, variiert jedoch zwischen 0,3 und 7,0. Die höchsten Werte werden aus den skandinavischen Ländern berichtet, die niedrigsten aus den südlichen Regionen (Mittelmeerraum, Arabische Länder). Generell berichten die meisten Studien von einer steigenden Inzidenz, die sich jedoch in den letzten Jahren seit 1975 abgeschwächt hat (Ekbom 2004; Vind et al. 2006). Der M. Crohn zeigt eine biphasische Altersverteilung mit einem Gipfel in der Altersgruppe zwischen 15 und 30 Jahren und einem zweiten Gipfel im späteren Lebensalter (55–65 Jahre; . Abb. 32.1). Frauen und Mädchen haben
. Abb. 32.1 Zweiphasiger Inzidenzpeak beim M. Crohn. Deutlich zu erkennen ist der zweite Peak beim älteren Menschen
Prävalenz
75,8
Asien/Afrika
55,0
Europa/Amerika
58,7
Beduinen/Araber
8,2
Tsianos et al. (1994)
Griechenland
0,3
Anseline et al. (1995)
Australien
2,1
Lindgren et al. (1996)
Schweden
Moum et al. (1996)
Norwegen Südost
5,8
Tragnone et al. (1996)
Italien
2,3
Hanauer et al. (1997)
USA
Timmer et al. (1999)
Deutschland
Ekbom (2004)
Schweden
5–6
Vind et al. (2006)
Dänemark
8,3
34,0 94,0
50,0 5,2
ein etwa 20–30% höheres Risiko einen M. Crohn zu entwickeln. Auch ethnische Faktoren sind von Bedeutung. Der M. Crohn zeigt eine genetische Prädisposition mit einem erhöhten relativen Risiko der Entwicklung der Erkrankung für erstgradig Verwandte eines Betroffenen zwischen 17 und 35 (Duerr 2003; Russel u. Satsangi 2004). Die Inzidenz ist bei eineiigen Zwillingen höher als bei zweieiigen. Andere Risikofaktoren sind Rauchen, Appendektomie, orale Antikonzeptiva und hoher sozioökonomischer Status (Bridger et al. 2002; Andersson et al. 2003).
511 32.2 · Ätiologie
32.2
Ätiologie
Die Ätiologie des M. Crohn kann noch immer nicht mit Sicherheit angegeben werden. Drei Thesen der diesbezüglichen wissenschaftlichen Diskussion haben sich in den letzten Jahren durchgesetzt (Chamberlin et al. 2006): 4 Defekte intestinale Barrierefunktion mit der Folge einer Überexposition gegen luminale Antigene 4 Gestörte immunologische Antwort in der Darmwand gegen ubiquitäre luminale Antigene 4 Spezifische Infektion Defekte intestinale Barrierefunktion Die erste Theorie beruht auf einer erhöhten Exposition gegenüber luminalen Antigenen des Darms bei einer defekten Mukosabarriere. Eine gestörte Permeabilität der Mukosa könnte das Eindringen von Bakterien oder Nahrungsbestandteilen in die Darmwand mit der Folge einer ständig initiierten Entzündung bedingen. Hierfür würden die familiären Häufungen beim M. Crohn und die verschiedenen intramural nachgewiesenen Virus- und Bakterienbestandteile sprechen. Darüber hinaus wird diese Theorie bestärkt durch die Tatsache, dass die Erkrankung am Ort der höchsten bakteriellen Konzentration gefunden wird und sich bessert, wenn mittels Antibiotika, Diversion oder Bypass die luminale Bakterienkonzentration sinkt. Gestörte immunologische Antwort Die zweite Hypothese (Sartor et al. 2007) beinhaltet das pathophysiologische Konzept, dass infolge einer Konfrontation des Gastrointestinaltrakts mit verschiedensten Antigenen eine unspezifische Entzündung zur lokalen und systemischen Reaktion
auf diese Antigene initiiert wird. Normalerweise erfolgt hierauf eine Herunterregulation der proinflammatorischen Antworten mit Heilung. Genetisch prädisponierte Patienten dagegen haben einen Defekt in der effizienten Herunterregulation und reagieren mit überschießender immunologischer Aktivität. Die konstante Balance zwischen pround antiinflammatorischen Reaktionen als ein permanenter Zustand einer kontrollierten Entzündung kann nicht aufrechterhalten werden. Es resultiert eine chronisch vernarbende Entzündung. Diese Theorie wird heute allgemein als Erklärungsmodell akzeptiert. Spezifische Infektion Bezüglich der dritten Theorie einer
spezifischen Infektion sind hauptsächlich atypische Mykobakterien, vor allem Mycobacterium paratuberculosis, untersucht worden. Ähnlich der intestinalen Tuberkulose bevorzugt der M. Crohn das terminale Ileum; es werden epitheloidzellige Granulome beobachtet; eine dem M. Crohn sehr ähnliche chronische Entzündung findet sich bei Rindern (Johne-Krankheit), bei der der gesicherte Erreger Mycobacterium paratuberculosis ist. Die DNA von M. paratuberculosis lässt sich bei vielen Crohn-Patienten nachweisen (Mendoza et al. 2009). Im eigenen Krankengut liegt die Nachweisrate mit einer speziellen Double-PCR bei ca. 52% (Autschbach et al. 2005). Eine große Metaanalyse von 28 Studien weist M. paratuberculosis signifikant häufiger bei Crohn-Patienten als bei Gesunden bzw bei Patienten mit Colitis ulcerosa nach (odds ratio 7,01 bzw. 4,1; Feller et al. 2007). Letztlich ist jedoch die Kausalität nicht einwandfrei gesichert. Auch Masernviren, Listeria moncytogenes und Zytomegalieviren sind weitere Pathogene für eine mögliche Infektionsgenese des M. Crohn (Chen et al. 2000; Hommes et al. 2004).
. Abb. 32.2 Typischer Aspekt des Dünndarms beim M. Crohn. Entzündliche Wandverdickung, mesenteriale Fettproliferation und narbige Verengungen sind sichtbar
32
512
Kapitel 32 · Morbus Crohn
. Abb. 32.3 Multiple segmentale Stenosen bei M. Crohn. Sie stellen die typische Indikation zur Strikturoplastik dar
32.3
Pathologie
Der M. Crohn ist eine transmurale, überwiegend submuköse Entzündung der Darmwand. Makroskopisch sieht man die typische segmentale Rötung mit Wandverdickung und mesenterialer Fettproliferation (. Abb. 32.2). Häufig sind mehrere hintereinander geschaltete Strikturen und Dilatationen sichtbar (. Abb. 32.3). Luminal imponiert das typische Pflastersteinrelief mit teilweise längsgestellten fissuralen Ulzera und vernarbenden Stenosierungen (. Abb. 32.4). Das Mesenterium weist zahlreiche vergrößerte Lymphknoten auf und ist deutlich verdickt. Der entzündete Darmabschnitt ist häufig adhärent zu benachbarten Organen; und es bilden sich Konglomerate aus, oft mit teils interenterischen, teils blind endenden Fisteln und Abszessen. Mikroskopisch sind submukosales Ödem, lymphoide Aggregationen, lymphoplasmazelluläre Infiltrate, Ulzera und ein fibrotischer Umbau zu sehen. Nahezu beweisend sind die in bis zu 50–60% der Fälle auftretenden epitheloidzelligen Granulome, die an die Sarkoidose erinnern.
32
32.4
. Abb. 32.4 Luminaler Aspekt des befallenen Dünndarms bei M. Crohn. Pflastersteinrelief, fissurale längsgestellte Ulzera und die ausgeprägte Wandverdickung sind zu erkennen
Klinische Symptomatologie
Da der M. Crohn den gesamten Intestinaltrakt befallen kann, hängt die klinische Symptomatik sowie die Therapie vom Ort des Befalls ab. Eine Übersicht über die Befallsverteilung gibt . Tab. 32.2. Im chirurgischen Krankengut findet sich vermutlich aufgrund der unterschiedlichen Patientenselektion ein weitaus höherer Anteil mit perianalem Befall als in der Tabelle aufgelistet. > Die Trias abdomineller Schmerz, Durchfälle (teils blutig) und Gewichtsverlust, eventuell in Verbindung mit Anämie, Fieber und oralen Aphthen, ist wegweisend für die Diagnose.
513 32.4 · Klinische Symptomatologie
. Tab. 32.2 Anatomische Verteilung des Crohn-Befalls bei Erstdiagnose (%) Autor
Pat = n
Dünndarm (%)
Ileozökal (%)
Kolon (%)
Perianal (%)
Greenstein et al. (1987)
1124
39
45
16
Ritchie et al. (1990)
332
23
33
44
Anseline et al. (1995)
130
35
32
28
5 21
Fernandez et al. (2004)
210
46
33
17
Smith et al. (2004)
231
36
16
38
OGI (%)
4 11
Deveaux et al. (2005)
178
17
38
25
Vind et al. (2006)
209
30
19
35
6
Wolters et al. (2006)
358
15
37
42
6
Henriksen et al. (2007)
200
27
26
45
2
Während beim alleinigen Dünndarmbefall abdominelle, meist postprandiale Schmerzen überwiegen, sind beim kombinierten oder alleinigen Kolonbefall häufig auch blutige Diarrhöen und eine Anämie vorhanden. Allerdings . Tab. 32.3 Symptomatik und Lokalisation beim M. Crohn Befallenes Organ
Klinische Symptomatik
Mund
Stomatitis aphthosa, schmerzhafte Schwellung Lippen/Wangen
Speiseröhre
Dysphagie
Magen/Duodenum
Nausea/Erbrechen/Oberbauchschmerz
Dünndarm
Abdominelle Schmerzen, oft nahrungsabhängig
Fisteln/Abszess
Palpable Resistenz, Fieber
Kolon
Obstruktion, Durchfälle
. Tab. 32.4 Extraintestinale Manifestationen und klinische Symptomatik Lokalisation
Symptomatik
Gelenkapparat
Arthritis, Spondylitis
Haut
Erythema nodosum, Pyoderma gangraenosum
Nieren und ableitende Harnwege
Hyperoxalurie, Nierensteine, urogenitale Fisteln, Pneumaturie, Fäkalurie
Gallenblase
Gallensäureverlust über den Stuhl, verminderter Gallensäurepool, lithogene Galle, Cholesteringallensteine (20–40%)
Leber
Pericholangitis, sklerosierende Cholangitis
11
1
weisen auch eine ganze Reihe anderer Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes ähnliche oder gleiche Symptome auf und müssen daher differenzialdiagnostisch ausgeschlossen werden (7 Übersicht). Einen Überblick über die zu erwartende klinische Symptomatik bezüglich des primären Befallsortes gibt . Tab. 32.3. Zu den nicht selten beobachteten extraintestinalen Manifestationen gehören Affektionen der Gelenke (Arthritis), der Haut (Pyoderma gangraenosum), der Nieren und ableitenden Harnwege (Steine, Fisteln) sowie der Gallenblase und Gallenwege (Steine, sklerosierende Cholangitis), die in . Tab. 32.4 zusammengefasst sind. Differenzialdiagnose des M. Crohn 4 Bakterien – Yersiniose – Salmonellose – Shigellose – Campylobacter – Tuberkulose – Clostridium difficile – Gonorrhö – Staphylokokkenenteritis – E. coli 0157:H7 4 Viren – Lymphgranuloma venereum 4 Pilze – Histoplasma – Candida – Aktinomykose 4 Protozoen – Amöben – Lamblien – Schistosomen 6
32
514
Kapitel 32 · Morbus Crohn
4 Tumoren – Maligne Lymphome – Karzinome – Karzinoid – FAP 4 Andere Krankheiten – Colitis ulcerosa – Strahlenenteritis – Ischämische Enteritis – Divertikulitis – Colon irritabile – Behçet-Syndrom – Appendizitis – Sprue – Sarkoidose
32
Zur Beurteilung der Erkrankungsschwere und des Verlaufs sind verschiedene Klassifikationen (z. B. Vienna-Klassifikation) und Aktivitätsscores (z. B. Crohn’s Disease Activity Index) gebräuchlich, in die u. a. Alter des Patienten, subjektive Beschwerden, Lokalisation des Befalls und vorhandene Komplikationen eingehen (Best et al. 1976; Gasche et al. 2000).
32.5
Diagnostik
Vor therapeutischen Erwägungen sollte beim M. Crohn ein vollständiges Staging durchgeführt werden. Hierbei sollte der gesamte Gastrointestinaltrakt erfasst werden, um mögliche noch asymptomatische Affektionen festzustellen.
32.5.1
Ösophagus, Magen, Duodenum
Die Ösophagogastroduodenoskopie gestattet eine Beurteilung und Biopsie bis zum unteren Duodenalknie. Insgesamt ist der Befall hier selten (. Abb. 32.5). Im Heidelberger Krankengut konnten wir bislang 33 von 1307 (2,5%) Patienten mit einem duodenalen Crohn erfassen (Schwalbach et al. 2004). Falls Fistelverdacht besteht, kann eine Gastrografindarstellung des oberen Gastrointestinaltraktes, im positiven Falle eine Hydro-MRT-Untersuchung hilfreich sein.
32.5.2
Dünndarm
Für die routinemäßige Diagnostik von Patienten mit M. Crohn hat in vielen Häusern die konventionelle Sonographie große Bedeutung, da sie beim erfahrenen Unter-
. Abb. 32.5 Typischer Hydro-MRT-Aspekt bei M. Crohn des terminalen Ileums. Intra- und extraluminale Bildgebung ohne Strahlenbelastung in einer nicht-invasiven Untersuchung sind die wesentlichen Vorteile der Technik
sucher eine präzise Darstellung von Wandverdickungen, Stenosen, Fisteln sowie Flüssigkeitsansammlungen ermöglicht und in vielen Fällen eine weitergehende Diagnostik unnötig macht. Durch orale Kontrastmittelgabe kann die Sensitivität verbessert und die Untersucherabhängigkeit des Verfahrens reduziert werden (Parente et al. 2004). Ein weiteres Verfahren mit Kontrastmittel ist die Magen-Darm-Passage nach Sellink, die jedoch nicht alle Stenosen zeigt und mit einer verhältnismäßig hohen Strahlenbelastung einhergeht, die gerade bei den meist jungen Patienten nach Möglichkeit vermieden werden sollte. Als Alternative wird daher inzwischen die Hydro-CT oder -MRT-Untersuchung durchgeführt (. Abb. 32.5), bei der Magen, Dünndarm und Kolon mit Wasser gefüllt werden. Vorteile dieser Untersuchungstechniken sind die gleichzeitige Möglichkeit der extraluminalen Bildgebung (Abszesse, Fisteln etc.) sowie die Möglichkeit der Beurteilung der Darmwanddicke und der Kontrastmittelaufnahme (Floridität) bei gleichwertigem Nachweis von Stenosen und prästenotischer Dilatation, sowie im Falle des HydroMRT die fehlende Strahlenbelastung (Bernstein et al. 2005, Ganten et al. 2003).
515 32.5 · Diagnostik
Differenzialdiagnose
Zunehmende Bedeutung findet die Kapselendoskopie, deren Einsatz jedoch limitiert ist durch ihre Kontra-
32.5.5
indikation bei Strikturen oder Stenosen. Nach deren Ausschluss kann sie bei symptomatischen Patienten erwogen werden, wenn die Endoskopie des terminalen Ileums unauffällig oder technisch unmöglich war (Triester et al. 2006).
Die Diagnose des M. Crohn ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Klinik, Endoskopie bzw. röntgenologischen Befunden und dem histologischen Befund. Letztlich beweisend ist nur die Biopsie, auch wenn hier nicht selten, insbesondere bei ausschließlichem Kolonbefall, immer noch diagnostische Unklarheit bleibt. Die im Jahre 1960 erstmals von Lockhardt-Mummery und Morson beschriebene Colitis Crohn unterscheidet sich jedoch meist in einem oder mehreren Punkten von der Hauptdifferenzialdiagnose Colitis ulcerosa. Diese für das therapeutische Procedere relevanten Differenzierungskriterien sind in . Tab. 32.5 zusammengestellt.
32.5.3
Terminales Ileum, Kolon, Rektum
Beim Staging des unteren Gastrointestinaltraktes stehen Prokto-, Rekto- und Koloskopie sowie die Endosonographie des Rektums und Sphinkterapparates im Vordergrund. Mittels Endoskopie können der meist segmentale Kolonbefall, häufig unter Aussparung des Rektums, eventuelle Fisteln und der Befall des terminalen Ileums aufgedeckt werden. > Längsgestellte Ulzera sind in Verbindung mit dem Plastersteinrelief diagnostisch wegweisend.
Bei Endoskopien obligat erfolgende Stufenbiopsien erlauben die diagnostische Einordnung und Erfassung des aktuellen Entzündungsgrades. Biopsien aus frühen Läsionen, den sog. Aphthen, oder auch aus Mikroulzera können bereits früh die Diagnose erbringen. Bei perianalen Fisteln sollten eine Prokto- und Rektoskopie sowie eine Endosonographie erfolgen. Eine ergänzende MRT-Untersuchung des Beckens ist bei hochgradiger Stenose im Analbereich hilfreich. Entscheidend für die Einordnung von perianalen Fisteln ist ihre Lagebeziehung zum Sphinkter ani (supra-, trans-, extrasphinktär) sowie deren Floridität und der Nachweis bzw. Ausschluss von perianalen oder perirektalen Abszessen. Eine Kontrastdarstellung des Kolons ist nur noch in Ausnahmefällen notwendig, etwa bei nicht-passierbarer Stenose im Kolon oder bei Fistelverdacht, aber auch hier kann die HydroMRT-Technik hilfreich sein.
32.5.4
Labor
Spezifische Parameter für den M. Crohn gibt es bislang nicht. Wichtig, besonders im Verlauf, ist jedoch die Beurteilung der Entzündungsaktivität anhand des CRP (Hoffmann et al. 2004). Häufig ist eine Eisenmangelanämie vorhanden. Bei Malabsorption als Folge der Krankheit oder nach Dünndarmresektion kann ein Mangel an Folsäure, Vitamin B12, fettlöslichen Vitaminen, Magnesium, Zink sowie anderen Spurenelementen bestehen. Eiweißmangel verbunden mit Hypalbuminämie oder Antithrombin-IIIMangel tritt besonders bei ausgedehnten Affektionen des Dünndarms oder enterokolischen Fisteln auf.
> Entscheidend sind das entzündungsfreie Rektum und der segmentale Befall, die eher beim Crohn anzutreffen sind, während der Rektumbefall und die kontinuierliche vom Rektum aszendierende Affektion für das Vorliegen einer Colitis ulcerosa sprechen.
Wenngleich Fisteln beim M. Crohn wesentlich häufiger anzutreffen sind, so finden sie sich doch auch bei immerhin 4% der Colitis-ulcerosa-Patienten der Heidelberger Chirurgischen Klinik. Weitere wichtige Differenzialdiagnosen sind in der Übersicht in 7 Abschn. 32.4 dargestellt. Routinemäßig sollte
. Tab. 32.5 Unterschiede zwischen M. Crohn und Colitis ulcerosa Befunde
M. Crohn
Colitis ulcerosa
Fieber
Häufig
Selten
Palpable Resistenz
Häufig
Selten
Gewichtsverlust
Häufig
Selten
Blut im Stuhl
Selten
Häufig
Bauchschmerzen
Häufig
Selten
Erbrechen
Häufig
Selten
Durchfälle
Häufig
Häufig
Dünndarmbeteiligung
Sehr häufig
Gelegentlich Backwash-Ileitis
Rektumbeteiligung
Seltener
Fast immer
Perianale Läsionen
Häufig
Selten
Fisteln
Häufig
Selten
Toxisches MegaKolon
Selten
Häufiger
Rezidiv nach Operation
Häufig
Nein
Klinischer Verlauf
Schubweise
Meist langsam progressiv
32
516
Kapitel 32 · Morbus Crohn
eine Untersuchung des Stuhls auf pathogene Bakterien, Wurmeier und andere Parasiten erfolgen. Eine Infektion mit Clostridium difficile, E. coli (v. a. Stamm 0157:H7) oder Yersinien kann das Bild einer rechtsbetonten Colitis Crohn täuschend ähnlich nachahmen (Ilnyckyj et al. 1997; Issa et al. 2008).
32.6
32
Komplikationen
Aufgrund der variablen Ausprägung und der verschiedenen Lokalisationen des M. Crohn sind vielfältige Komplikationen möglich. Entscheidend für den Chirurgen ist das frühzeitige Antizipieren vermeidbarer Komplikationen durch rechtzeitige Operation. So stellt z. B. die blind endende retroperitoneale Fistel eine dringliche Operationsindikation dar, da aus ihr vielfach Abszesse und sekundäre Affektionen von Duodenum, Nieren und ableitenden Harnwegen mit ihrerseits weiteren Folgekomplikationen (z. B. aszendierender Harnwegsinfekt etc.) hervorgehen können. Zwingende Interventionsindikationen sind Blutung, Perforation, Ileus, Abszesse, sekundäres Karzinom, enterovesikale und retroperitoneale Fisteln und das toxische Megakolon. Das Risiko, ein Crohn-assoziiertes Karzinom zu entwickeln, ist gegenüber der Normalbevölkerung insbesondere hinsichtlich eines Kolonkarzinoms deutlich erhöht (5- bis 7-fach; Jess et al. 2006), wenngleich niedriger als bei der Colitis ulcerosa. Crohn-assoziierte Karzinome sind gekennzeichnet durch häufig multifokales Auftreten, Entstehung in einer ausgeschalteten Schlinge, vorwiegendes Auftreten im Kolon bei Colitis Crohn und eine schlechte Prognose. Dünndarmkarzinome treten insgesamt selten, aber bei Crohn-Patienten dennoch häufiger als in der Normalbevölkerung auf. Komplikationen beim M. Crohn 4 Lokale Komplikationen – Fisteln (anorektal, interenterisch, enterokutan, enterovesikal, enterovaginal) – Abszesse (ischiorektal, pelvin, intraperitoneal, subphrenisch) – Hämorrhagie – Obstruktion (Ileus, Stenose) – Perforation – Akute Kolondilatation (toxisches Megakolon) – Ureterstenose – Karzinom – Sterilität – Osteomyelitis 6
4 Mit Kolonbefall assoziierte Komplikationen – Hautveränderungen (Erythema nodosum, Pyoderma gangraenosum, papulonekrotische Läsionen, granulomatöse Läsionen, sklerodermiforme Veränderungen) – Gelenkveränderungen (Mono- oder Polyarthritis, ankylosierende Spondylitis) – Augenveränderungen (Konjunktivitis, Episkleritis, Iridozyklitis, Chorioiditis, Vaskulitis) – Orale Veränderungen (Aphthen, Ulzera) 4 Folgen gestörter Dünndarmphysiologie – Malabsorption – Nierensteine – Gallensteine – Chologene Diarrhö – Enterales Eiweißverlustsyndrom 4 Unspezifische Folgen und Komplikationen – Lebererkrankung (Amyloid, PSC etc.) – Minderwuchs und verzögerte Pubertät – Hypophysenvorderlappeninsuffizienz – Osteoporose – Amyloidose – Polyarteriitis nodosa – Granulomatöse Myositis
32.7
Konservative Therapie
> Wie bei der Colitis ulcerosa gibt es keine kausale oder spezifische medikamentöse Therapie des M. Crohn. Das Ziel der medikamentösen Behandlung ist daher die Reduktion der entzündlichen Aktivität, Besserung der intestinalen und extraintestinalen Beschwerden und einer Korrektur der Ernährungsdefizite.
Zur Wahl der richtigen Medikation muss zunächst die Diagnose gesichert sein sowie Lokalisation und Ausdehnung der Erkrankung bestimmt und der Ausschluss abszedierender Komplikationen erfolgt sein. Der Schweregrad des M. Crohn kann mittels verschiedener Indizes, z. B. dem Harvey-Bradshaw-Index oder dem »Crohn’s Disease Activity Index« (CDAI), erfasst werden, die als Verlaufskontrolle hilfreich sein können (Best et al. 1976). Zur Berechnung muss der Patient zunächst einen Wochenbericht ausfüllen, daneben werden aktuelle klinische Parameter erhoben. Punktwerte <150 bedeuten geringe Aktivität, Punktwerte >150 mittlere bis starke Aktivität. Wie alle Score-Systeme hat auch dieser Index seine Schwächen und kann unzuverlässig sein.
517 32.7 · Konservative Therapie
Die folgenden Therapieprinzipien des M. Crohn sind vor allem den evidenzbasierten Leitlinien der Konsensuskonferenz der DGVS 2008 entnommen (www.dgvs.de).
32.7.1
Akuter Schub des Morbus Crohn
Der akute Schub wird ebenso wie die Indikation zur Therapie durch die klinische Symptomatik in Verbindung mit Laborwerten (BKS, CRP, Hb/Hkt, Thrombozyten) definiert. Seine Behandlung hängt auch ab von der Lokalisation des Crohn-Befalls. 4 Bei leichtem bis mäßig schwerem Schub bei Ileozökalbefall gilt Budenosid als Mittel der Wahl. Bei der Crohn-Kolitis ist ein Therapieversuch mit 5-Aminosalizylsäure (5-ASA; 3–6 g/Tag) gerechtfertigt, alternativ hochdosierte systemisch wirkende Glukokortikoide (1 mg/kg KG/Tag). 4 Im schweren akuten Schub sowohl bei Ileozökalbefall als auch bei der Crohn-Kolitis ohne Komplikationen steht der Einsatz von hochdosierten systemischen Glukokortikoiden an erster Stelle (1 mg/kg KG/Tag). Bei distalem Befall wird zusätzlich die Anwendung von Suppositorien, Klysmen oder Schäumen (5-ASA, Steroide) empfohlen. 4 Liegen häufige Schübe (>2/Jahr) vor, kann zusätzlich Azathioprin (2,5 mg/kg/Tag) oder sein Derivat 6-Mercaptopurin (6-MP, 1–1,5 mg/kg/Tag) gegeben werden. Vor einem Ansprechen müssen jedoch in der Regel mehrere Monate der Therapie stehen. 4 Bei ausgedehntem Befall des Dünndarms bzw. von Ösophagus und Magen sollte mit systemisch wirkenden Glukokortikoiden behandelt werden. Eine frühzeitige Ergänzung durch eine immunsuppressive Therapie mit Azathioprin bzw 6-MP sollte bei mäßiger bis schwerer Krankheitsaktivität erfolgen. Alle anderen Medikamente (Antibiotika, Infliximab, Ciclosporin, Methotrexat u. a.) werden bei der Initialtherapie des akuten Schubes nicht eingesetzt.
32.7.2
Chronisch-aktiver Morbus Crohn
Der chronisch-aktive Verlauf des M. Crohn wird definiert durch die persistierende oder rezidivierende Symptomatik über 6 Monate trotz adäquater Therapie. Hier lässt sich unterscheiden zwischen Steroidabhängigkeit (Notwendigkeit der Beibehaltung einer Steroidgabe zur Aufrechterhaltung einer stabilen Remission nach mindestens 2 gescheiterten Reduktionsversuchen innerhalb eines halben Jahres) und Steroidrefraktärität (klinische Aktivität lässt sich durch kontinuierlich hohe Steroidgabe
von 60 mg/Tag Prednisonäquivalent über 6 Wochen nicht durchbrechen). Die Behandlung des chronisch-aktiven M. Crohn sollte in erster Linie mit den Immunsuppressiva Azathioprin (2,0–2,5 mg/kg/Tag) oder 6-Mercaptopurin (1,0–1,5 mg/ kg/Tag) erfolgen. Als Medikamente der zweiten Wahl stehen Methotrexat (25 mg/Woche i.m.) oder Anti-TNF-αAntikörper (Infliximab i.v., 5–10 mg/kg alle 8 Wochen) bei Unverträglichkeit oder Wirkungslosigkeit von Azathioprin und 6-Mercaptopurin zur Verfügung. Bei den genannten Immunsuppressiva müssen besonders die Kontraindikationen und Nebenwirkungen berücksichtigt, auf sichere Kontrazeption bei Frau und Mann hingewiesen und regelmäßige Kontrollen (Anamnese, Untersuchung und Labor) durchgeführt werden. Es wird diskutiert, ob seit ihrer Einführung insgesamt seltener ein operatives Vorgehen bei steigender Inzidenz von Crohn-Patienten notwendig wird (Vind et al. 2006). 5-Aminosalizylate haben beim chronisch-aktiven M. Crohn nur untergeordnete Bedeutung.
32.7.3
Remissionserhaltung und postoperative Rezidivprophylaxe
Die Remission ist definiert als Symptomfreiheit nach einem vorangegangenen akuten Schub, chronischen Verlauf oder Operation. Die postoperative Remission zeigt dabei einen stabileren Verlauf als eine medikamentös induzierte. Eine prinzipielle Empfehlung, eine remissionserhaltende Therapie bei allen Patienten durchzuführen, existiert nicht, sondern muss vom individuellen Krankheitsverlauf und vom spezifischen Risikoprofil (Steroidabhängigkeit, chronisch-aktiver Verlauf, Fistelleiden, mehrfache Voroperationen) abhängig gemacht werden. 5-ASA zeigt bei medikamentös induzierter Remission keine Wirksamkeit. Bezüglich der postoperativen Rezidivprophylaxe gilt eine Dosierung von 3–5 g/Tag über einen Zeitraum von bis zu 3 Jahren als signifikant besser wirksam als Plazebo (Froehlich et al. 2007; Akobeng 2008). Glukokortikoide sollten nach ihrem Einsatz im akuten Schub möglichst ausgeschlichen und, wenn nötig, überlappend durch topische Kortikoide ersetzt werden (9 mg/Tag). Ausnahme bildet hier die steroidabhängige Verlaufsform, bei der durch die niedrig dosierte (5–10 mg/Tag) Steroidgabe die Remissionsdauer verlängert werden kann, auch wenn die absolute Rezidivfrequenz dadurch nicht beeinflusst wird. > Die wirksamsten Substanzen zur Remissionserhaltung sind Azathioprin (2,0–2,5 mg/kg/Tag) und 6-Mercaptopurin (1,0–1,5 mg/kg/Tag) über mindestens 4 Jahre.
32
518
Kapitel 32 · Morbus Crohn
Aufgrund des gravierenden Nebenwirkungsprofils sollten diese Immunsuppressiva allerdings nur bei streng ausgewählten Patienten mit erhöhtem Rezidivrisiko (persistierende laborchemische Entzündungsaktivität, Rauchen, endoskopisches Anastomosenrezidiv nach Operation, kurze Intervalle der Schübe, mehrfache chirurgische Eingriffe, fistulierender Verlauf) zum Einsatz kommen. Bei Patienten mit Methotrexat-induzierter Remission ist eine Rezidivprophylaxe mit Methotrexat (15 mg/Woche i.m.) über 40 Wochen wirksam. Die Beendigung des Rauchens gilt für rauchende Patienten als effektiver für die Remissionserhaltung als jede medikamentöse Therapie. Durch Beendigung des Rauchens kann die langfristige Rezidivrate des Morbus Crohn halbiert werden (Mahid et al. 2006).
32.7.4
32
Antibiotika
Der Einsatz von Antibiotika als Medikamente der ersten Linie wird in einer aktuellen Übersicht von Feller et al. (2010) diskutiert. Eine Langzeitbehandlung mit Metronidazol oder Clofazimin scheint erfolgsversprechend zu sein. Metronidazol wird vorwiegend bei der Colitis Crohn (10 mg/kg/Tag) und/oder perianalen Manifestationen (20 mg/kg/Tag) sowie als 3-monatige postoperative Rezidivprophylaxe für 12 Monate empfohlen (Froehlich et al. 2007). > Den größten Stellenwert hat der Einsatz von Antibiotika bei Crohn-Patienten in der Behandlung von septischen Komplikationen, symptomatischen Fisteln und zur perioperativen Prophylaxe.
Antimykobakteriell aktive Antibiotika wurden unter der Hypothese einer kausalen Therapie des M. Crohn im Sinne einer Eradikation atypischer Mykobakterien verschiedentlich eingesetzt, zeigten aber keine signifikanten Erfolge (Sandborn et al. 2007).
32.7.5
Antisensenukleotide
In einer randomisierten Multicenterstudie (n=331) wurde die Effektivität einer Blockade des entzündungsassoziierten Adhäsionsmoleküls (ICAM-1) mittels Transkriptionsblockade durch Antisensenukleotide untersucht. Hierbei zeigte sich 12 Wochen nach Therapiebeginn keine signifikant häufigere Remission als unter Plazebo (Yacyshyn et al. 2007).
32.7.6
Ernährung
Patienten mit M. Crohn haben vielfach organische Gründe für Malnutrition bzw. können sich aufgrund bestehender Stenosen und der damit verbundenen Angst vor Nahrungsaufnahme nicht adäquat ernähren (Stokes 1992). Ein durch enteralen Verlust, Malabsorption, Mangel an Resorptionsfläche, enteroenterale Fisteln mit funktionellem Kurzschluss und/oder Fehlbesiedelung entstandener Mangelzustand kann vielfach nicht adäquat ausgeglichen werden. Der nachhaltige Effekt einer elementalen Diät ist jedoch nicht bewiesen und allenfalls für Patienten mit überwiegendem Dünndarmbefall zu empfehlen (Heuschkel 2009). Der Ersatz von Omega-6-Fettsäuren (z. B. Arachidonsäure) durch Omega-3-Fettsäuren (Fisch- und Olivenöl) kann die Produktion von Entzündungsmediatoren hemmen (Nelson 1990). Eine Metaanalyse von 8 randomisierten Studien (n=413) zeigte, dass enterale Ernährung als alleinige Behandlung gegenüber Kortikoiden unterlegen war (Griffiths et al. 1995). Elementale versus nichtelementale Ernährung war nicht unterschiedlich wirksam. Aktuelle Übersichten mit geringeren Fallzahlen schließen jedoch die enterale Ernährung als Alternative zur Steroidtherapie insbesondere bei Kindern nicht aus (Smith 2008, Heuschkel 2009).
32.8
Chirurgische Therapie
Gemäß großer Krankheitsregister wurden in der Zeit vor Einführung nicht-steroidaler immunmodulierender Medikamente mehr als die Hälfte aller Crohn-Patienten innerhalb von 10 Jahren nach Diagnosestellung operiert (Peyrin-Biroulet et al. 2009). Inzwischen ist die Operationshäufigkeit bei Crohn-Patienten aufgrund der verbesserten Diagnostik sowie der Therapie mit Immunsuppressiva rückläufig (Vind et al. 2006). Da die chirurgische Therapie beim M. Crohn im Gegensatz zur Colitis ulcerosa die Erkrankung nicht heilen kann, ist die operative Intervention nur bei bestehenden oder drohenden Komplikationen indiziert. Grundsätzlich sollte zunächst die konservative Therapie ausgeschöpft sein. Die chirurgische Behandlung sollte rechtzeitig bei klinisch symptomatischen Stenosen, Fisteln, septischen Komplikationen und bei konservativ nicht adäquat beherrschbaren Beschwerden zum Einsatz kommen. Darüber hinaus bestehen Operationsindikationen zur Vermeidung von Komplikationen einer Dauertherapie mit Kortikoiden bzw. Immunsuppressiva, sowie zur Vorbeugung oder Behandlung maligner Entartung.
519 32.8 · Chirurgische Therapie
> Eine gründliche detaillierte Anamnese mit gezielten Fragen nach Beschwerdemuster und Medikation sowie die eingehende körperliche Untersuchung inkl. des rektalen Palpationsbefundes haben größte Bedeutung im Rahmen der chirurgischen Indikationsstellung.
Über 90% der Crohn-Patienten des Heidelberger Krankengutes gaben nach erfolgter Operation an, dass die Operation ihre Symptome entweder vollständig beseitigte (68%) oder wesentlich gelindert (24%) hat (Leowardi et al. 2003). Zwar erleiden innerhalb von 10 Jahren 44–55% der Patienten Rezidive, die eine erneute operative Intervention erfordern, jedoch können auch diese dann meist operativ beherrscht werden. Zur Vermeidung eines postoperativen Kurzdarmsyndroms wird in der modernen Crohn-Chirurgie, wenn überhaupt, nur eine sparsame Resektion des symptomatischen Bereiches ohne Sicherheitsabstände durchgeführt, ohne dass es hierbei zu einer höheren Rate an resektionsassoziierten Komplikationen (Insuffizienzen, Anastomosenrezidive) kommt als bei den früher üblichen Resektionen mit Sicherheitsabstand (McLeod 2003; Hyman 2007). Wenn möglich sollten nicht-resezierende Verfahren (z. B. Strikturoplastik, s. unten) bevorzugt werden. Vielfach können minimalinvasive operative Techniken eingesetzt werden.
32.8.1
Indikationsstellung
Eine Übersicht über die Operationsindikationen und deren Verteilung bei den Crohn-Patienten der chirurgischen Universitätsklinik Heidelberg gibt . Tab. 32.6. Der Zeitpunkt für die Operationsindikation wird weiterhin kontrovers diskutiert. Argumente für ein relativ frühes Intervenieren sind die hohe Besserungsrate der Beschwerden nach Operationen von über 90% (Ekelund u. Lindhagen 1989). Die entfernten Darmabschnitte sind bei Einhaltung des Sparsamkeitsgrundsatzes ohnehin weitgehend funktionslos. Aus einer frühen Publikation von Scott und Hughes (1994) geht hervor, dass 74% aller operierten Crohn-Patienten im Nachhinein einen früheren Operationszeitpunkt gewählt hätten (median 12 Monate, maximal 15 Jahre). Kein einziger gab einen späteren Zeitpunkt an. Grund hierfür war, dass die Beschwerden durch die Operation wesentlich gebessert oder beseitigt wurden (97%) und postoperativ eine normale Ernährung möglich war (86%). Opponenten dagegen argumentieren, dass eine Verzögerung der Indikationsstellung mit weniger Resektionen im individuellen lebenslangen Krankheitsverlauf und einem geringeren Risiko des Kurzdarmsyndroms einhergeht. Der Operationszeitpunkt sollte daher überwiegend von den klinischen Beschwerden bestimmt sein. Das
. Tab. 32.6 Durchgeführte Eingriffe der chirurgischen Universitätsklinik Heidelberg bei M. Crohn (1982–2010) Eingriff
N
Resektion Dünndarm
287
Ileozökalresektion
349
Anastomosennachresektion
251
Kolonsegment/Sigmaresektion
80
Hemikolektomie
130
Subtotale Kolektomie
112
Rektumresektion/-exstirpation
24
Proktokolektomie/Proktektomie
71
Deviation Ileostoma
281
Kolostoma
42
Hartmann-Operation
22
Intestinaler Bypass
4
Gastroenterostomie
6
Rekonstruktion Strikturoplastik
198
Fistelübernähung
169
Omentumplastik
83
Kontinuitätswiederherstellung
24
Ileostomarückverlagerung
120
Kolostomarückverlagerung
7
Pouch-Anlage
4
Laparoskopische Eingriffe Ileozökalresektion
40
Dünndarmsegmentresektion
6
Ileostomaanlage
4
Hemikolektomie
3
Subtotale Kolektomie
3
Fisteleingriffe Interenterisch
235
Enterokutan
87
Enterogenital
79
Enterovesikal
41
Retroperitoneal
39
Anal
288
Andere Abszess
162
Ureterolyse
23
Explorative Laparoskopie
25
Lavage
29
Endoskopische Intervention
43
Sonstige
206
32
520
Kapitel 32 · Morbus Crohn
individuelle Operationsrisiko und die bereits durchgeführte medikamentöse Therapie bzw. deren Nebenwirkungen sind dabei mit einzubeziehen. Ist die Indikation zum operativen Vorgehen bei einem Patienten mit M. Crohn gestellt, so sollte präoperativ ein komplettes Crohn-Staging erfolgen, um das individuelle Befallsmuster zu erkennen und ein logisches Operationskonzept zu erstellen. Bei geplanten Darmresektionen sollte ein Hydro-MRT des Abdomens sowie die Gastro- und Koloskopie erfolgen, bei Vorliegen von perianalen Fisteln darüber hinaus eine Proktoskopie, Endosonographie und Sphinktermanometrie sowie ein MRT des Beckens (7 Kap. 32.5). Im Notfall konzentriert sich die präoperative Diagnostik auf die Sonographie und die Übersichtsröntgenaufnahme des Abdomens, gegebenenfalls ergänzt durch eine Gastrografinpassage (bei Passagestörung) oder Computertomographie des Abdomens (bei Verdacht auf abszedierendes Geschehen). Wie vor allen großen abdominalchirurgischen Eingriffen werden die üblichen Vorbereitungen mit Bestimmung der Laborparameter, EKG, Lungenfunktion und RöntgenThorax durchgeführt.
32
Abszesse Abszesse sind bei M. Crohn die Folge einer gedeckten Perforation durch Fistulierungen. Am häufigsten finden sie sich im rechten Unterbauch und im Perianalbereich. Mit der Verfügbarkeit der interventionellen Drainage lassen sich viele dieser Abszesse extern drainieren. Nach Beherrschung der septischen Situation unter begleitender antibiotischer Therapie kann dann das fistelspeisende Segment frühelektiv reseziert werden. Gelegentlich, insbesondere bei gekammerten Prozessen oder bei multiplen interenterischen Abszessen, muss primär offen chirurgisch drainiert werden. Perianale Fisteln und Abszesse, die kaudal des Sphinkters liegen, werden von perineal her inzidiert und drainiert. Perirektale Abszesse oberhalb des Sphinkters und der Levatorenebene sollten von abdominell her drainiert werden, da ansonsten persistierende translevatorische oder transsphinktäre Fisteln resultieren können. Bei Vorliegen eines schweren Rektumbefalls mit sichtbarer speisender Rektumfistel oberhalb des Sphinkters kann ausnahmsweise auch hier transrektal unter Vorschaltung eines protektiven Stomas drainiert werden.
Fisteln Stenose und Obstruktion Patienten mit akuter Obstruktionssymptomatik bleiben zunächst nüchtern, werden eventuell mit einer Magensonde zur Entlastung versorgt und parenteral ernährt bzw. rehydriert. Besteht der Verdacht auf das Vorliegen überwiegend entzündlicher Stenosen ohne vorangegangene medikamentöse Therapie, wird diese zunächst in der Regel mit Kortikosteroiden vorgeschaltet. Sprechen Stenosen bei überwiegend narbiger Beschaffenheit auf eine antientzündliche konservative Therapie nicht mehr an, ist die operative Therapie der Obstruktionssymptomatik indiziert, die sich nach dem intestinalen Befallsmuster richtet. Der häufigste Ersteingriff ist die Ileozökalresektion oder die isolierte Dünndarmsegmentresektion. Bei kurzstreckigen Strikturen kann zum Erhalt der Darmlänge auch eine sog. Strikturoplastik erfolgen. Beide Fälle eignen sich besonders gut für ein minimalinvasives Vorgehen (Nguyen et al 2009, Rosenthal et al. 2009). Beim offenen Verfahren wird im Regelfall über eine mediane Laparotomie vorgegangen. Stenosen im Bereich des Kolons sind problematischer, da die Ileokolitis und Colitis Crohn stärker zum Rezidiv neigen. Daher gilt die Grundregel »so wenig wie möglich, so viel wie nötig entfernen«, um die Passage wiederherzustellen. > Die früher häufig geübte Praxis der Bypass-Operation von Crohn-assoziierten Konglomerattumoren ist heute wegen der entstehenden Blindsackprobleme, der Karzinombildung und der möglichen septischen Probleme weitgehend verlassen worden.
Fisteln entspringen meist aus einem primär vom Crohn befallenen Darmabschnitt mit nachgeschalteter Stenose und konsekutivem Hochdruck auf die transmural entzündete Darmwand. Sie können sich ihren Weg in alle benachbarten Strukturen und Organe suchen und im schlimmsten Fall zu einem fuchsbauartigen System von Fisteln und Abszessen werden, mit der Folge der sekundären Organaffektion und Kompromittierung. Innere Fisteln Etwa ein Drittel der Patienten mit M. Crohn entwickeln innere Fisteln, am häufigsten interenterisch verlaufend. Überwiegend finden sich ileosigmoidale Fistulierungen, die im terminalen Ileum ihren Ursprung nehmen (Broe et al. 1982). Interenterische Fisteln stellen nicht von vornherein, sondern erst bei Entwicklung eines funktionellen, resorptionsrelevanten Bypasses oder bei symptomatischer Stenose des terminalen Ileums eine Operationsindikation dar. Die Resektion des entsprechenden Fistelspeisenden Darmanteils mit primärer Anastomose und Übernähung des Einschlusssegments – falls nötig auch hier mit kurzstreckiger Resektion – ist die Therapie der Wahl.
> Eine absolute Operationsindikation stellt die blind endende retroperitoneale Fistel dar, da sie häufig Ausgangspunkt von Psoasabszessen und vielfältigen sekundären Organbeteiligungen mit entsprechenden Folgekomplikationen ist.
Enterovesikale Fisteln (typischer Luftabgang über die Harnröhre) müssen ebenfalls zwingend operativ behandelt werden, da sie zu potenziell lebensbedrohlichen aszendie-
521 32.8 · Chirurgische Therapie
inneren Fisteln meist vom terminalen Ileum oder von Anastomosen bei Rezidiven nach Operation aus. Obwohl für die unkomplizierte enterokutane Fistel keine zwingende Operationsindikation besteht, so stellt sie doch ein ständiges Potenzial für weitere Fisteln und Abszesse dar. Sie ist Indikator für einen aktiven Crohn des fistelspeisenden Darmsegments und entspringt meist vor oder in einer hochgradigen Stenose (Hochdruckzone). Das permanente Ausheilen einer enterokutanen Fistel ohne chirurgischen Eingriff stellt daher eine Rarität dar. In der Regel muss das fistelspeisende Darmsegment (meist stark stenotisch und damit ohnehin symptomatisch) entfernt und der Fistelkanal exzidiert werden. Anastomosenrezidive werden durch Anastomosennachresektion behandelt. Den selteneren kolokutanen Fisteln liegen häufig ausgedehnte, gelegentlich auch isolierte segmentale Manifestationen einer Colitis Crohn zugrunde. Beim segmentalen Kolonbefall kann eine Kolonsegmentresektion erfolgen. Rezidive sind jedoch häufig. Beim ausgedehnten Kolonbefall ist eine subtotale Kolektomie eventuell als zweiter Schritt nach erfolgloser temporärer Deviation zu erwägen. Eine Sonderform stellen die vom Zökum ausgehenden Fisteln z. B. nach Appendektomie dar, die aufgrund der fehlenden nachgeschalteten Stenose auch spontan ausheilen können. Perianale Fisteln 5–10% aller Patienten mit M. Crohn und
. Abb. 32.6 Fistel im distalen Ösophagus beim Crohn-Befall
renden Harnwegsinfekten führen und irreversible Nierenschädigungen verursachen können. Die Resektion des speisenden Darmabschnittes (meist das terminale Ileum) und die Exzision der Blasenwand mit Übernähung sowie die Interposition von Omentum majus sind hier die Therapie der Wahl. Protektiv sollte in diesen Fällen die Einlage eines Blasenkatheters erfolgen. Fisteln zum Magen sind selten und meist Folge der primären Affektion von benachbarten Darmabschnitten (Colon transversum, Jejunum). Noch seltener sind Fisteln, die vom Duodenum und von der Speiseröhre ausgehen (. Abb. 32.6). Duodenokolische Fisteln sind aufgrund des hohen Flüssigkeitsverlustes und der Malabsorption gefährlich und werden nach Exzision der Duodenalwand mit einer Roux-en-Y-Schlinge gedeckt. Äußere oder enterokutane Fisteln Die häufigsten äußeren
Fisteln sind perianale Fisteln, die gesondert abgehandelt werden (s. unten). Enterokutane Fisteln gehen wie die
40–60% der chirurgischen Crohn-Patienten weisen perianale Fisteln auf (. Abb. 32.7). Diese können als einziges oder unabhängiges Symptom des M. Crohn auftreten. Eine aggressive Therapie sollte mit Bedacht und nur bei Beschwerden, aber auch nicht zu spät durchgeführt werden. Einerseits rezidivieren diese Fisteln häufig und auch bei differenziertem chirurgischen Vorgehen ist der Sphinkterapparat und damit die Kontinenz des Patienten gefährdet. Andererseits droht durch therapeutischen Nihilismus bei fortschreitendem septisch-fistulierenden Geschehen ebenfalls die Zerstörung des Sphinkters oder auch die Entwicklung eines Fistelkarzinoms (Iesalnieks et al. 2010). Bei Vorliegen einer akuten Komplikation, also eines Abszesses mit Sepsisrisiko, sollten zuerst nur Inzision und Drainage durchgeführt werden. Erst im entzündungsfreien Stadium und nach genauer aktueller Evaluierung von Fistellokalisation und -ausdehnung erfolgt dann die definitive operative Therapie. Diese lokale Therapie sollte von einer adäquaten medikamentösen Systemtherapie (Immunsuppressiva, s. oben) begleitet werden. Bei hoher Fistelaktivität wird zusätzlich der Einsatz von Anti-TNF-α-Antikörper (Infliximab, 5–10 mg/kg i.v., alle 8 Wochen) empfohlen. Droht die Zerstörung des Sphinkters durch einen septisch-fistulierenden Verlauf, so bevorzugen wir die Vorschaltung eines doppelläufigen Ileostomas, um das Problem in eine elektive Phase überführen zu können. Eintei-
32
522
Kapitel 32 · Morbus Crohn
Wachstumsfugen interveniert werden, um ein Aufholen des versäumten Längenwachstums zu ermöglichen.
Notfallindikationen Fulminante und/oder toxische Kolitis Ähnlich wie bei der
Colitis ulcerosa kann auch bei der Colitis Crohn eine fulminante Kolitis oder sogar ein toxisches Megakolon auftreten. Die chirurgische Therapie sollte unverzüglich erfolgen, wenn sich der Zustand des Patienten unter maximaler intensivmedizinischer Therapie nicht bessert. Hierbei ist die 72-h-Grenze entscheidend, da anschließend die Mortalität deutlich ansteigt. In dieser Situation ist der Zustand der Patienten meist sehr schlecht und damit häufig ein zweizeitiges Vorgehen notwendig. Die partielle, ggf. auch subtotale Kolektomie mit terminaler Ileostomaanlage und distaler Kolonschleimfistel bzw. Hartmannstumpf-Anlage ist die Therapie der Wahl, die sekundär von einer Kontinuitätswiederherstellung gefolgt wird. Perforation 1–3% der chirurgischen Crohn-Patienten prä-
32
. Abb. 32.7 Ausgedehntes perianales Fistelsystem beim M. Crohn
lung und operative Therapie der perianalen und perirektalen Fisteln sind in 7 Kap. 35.2.4 und 35.2.5 dargestellt.
Seltenere Indikationen Neben den erwähnten Indikationsbereichen kann sich beim M. Crohn die Indikation zur Resektion beim manifesten oder drohenden Karzinom ergeben. Ähnlich der Colitis ulcerosa steigt das Karzinomrisiko vor allem bei den Patienten mit Colitis Crohn mit der Krankheitsdauer, dem Vorliegen einer Pankolitis und dem Auftreten von Dysplasien deutlich an. Auch Karzinome des Dünndarms und ausgeschalteter Segmente nach Bypassoperationen sind publiziert (Jess et al. 2006). Daher sollte sich die Indikation zur Resektion immer dann ergeben, wenn unter regelmäßiger endoskopischer Kontrolle Dysplasien oder eine segmentale Stenose neu auftreten. Extraintestinale Manifestationen des M. Crohn wie Gelenkbeschwerden, primär sklerosierende Cholangitis, Zirrhose, Spondylitis, Erythema nodosum etc. bessern sich häufig, jedoch nicht immer, wenn das erkrankte Darmsegment entfernt wird. > Eine weitere seltene, aber ungemein wichtige Indikation kann sich beim juvenilen Crohn ergeben, um eine Wachstumsverzögerung durch eine langdauernde Steroidtherapie aufzuhalten. In diesen Fällen sollte deutlich vor Verschluss der 6
sentieren sich mit einer freien Perforation, die am häufigsten das Zökum, danach zu je gleichen Teilen den Dünndarm und andere Dickdarmabschnitte betrifft (Ikeuchi u. Yamamura 2002; Veroux et al. 2003). Die Diagnose wird bei Vorliegen eines akuten Abdomens und Nachweis von freier Luft in der röntgenologischen Abdomenübersicht gestellt. Die Operation hat sofort unter Resektion des perforierten Darmabschnittes, ggf. auch unter Mitresektion nachgeschalteter stenotischer Bereiche zu erfolgen. Die Indikation zur Diskontinuitätsresektion hat großzügig zu erfolgen, da in diesen Fällen über die besten Überlebensraten berichtet wurde, wohingegen bei primärer Anastomose eine höhere Mortalität angegeben wird (Greenstein et al. 1985; Berg et al. 2002). Blutung Eine massive potenziell lebensbedrohliche Blutung tritt in 1–13% der Fälle beim M. Crohn auf. Sie betrifft häufiger junge Männer und geht meist vom terminalen Ileum, seltener auch vom Kolon aus. Eine unverzügliche Mesenterikographie kann in der Regel die Blutungsquelle lokalisieren und eine zielgerichtete Resektion ermöglichen. Wenn möglich sollte der selektive Arteriographiekatheter im blutenden Segmentast für die Operation belassen werden, da eine intraoperative Methylenblauinjektion das selektive Auffinden der betroffenen Darmschlinge im Situs erleichtern kann.
523 32.8 · Chirurgische Therapie
32.8.2
Operationstechnik und Verfahrenswahl
> Die moderne Chirurgie des M. Crohn berücksichtigt den Grundsatz des zur Erreichung des definierten Ziels erforderlichen minimalen Resektionsausmaßes (. Abb. 32.8). Die früher viel geübte Praxis, mit »Sicherheitsabstand« zu resezieren hat sich in prospektiv randomisierten Studien als falsch erwiesen (. Abb. 32.9; Ewe et al. 1989). Laparoskopie versus offenes Vorgehen Wenn immer mög-
lich und sinnvoll, sollten Primäreingriffe mittels minimalinvasiver Chirurgie erfolgen. Eingriffe wie Ileozökalresektionen, Stomaanlagen, Dünndarmsegmentresektionen, Strikturoplastiken oder auch Kolonsegmentresektionen sollten laparaskopisch assistiert durchgeführt werden, um die Belastung des Patienten zu minimieren (. Abb. 32.10; Nguyen et al 2009). In einer Übersicht von 1996–2005 veröffentlichten Studien zeigen Rosenthal et al., dass das laparoskopische Vorgehen hinsichtlich intraoperativer Sicherheit, postoperativer Entwicklung von Adhäsionen, Dauer des Krankenhausaufenthaltes, Lebensqualität, Kosmetik sowie Kosten dem konventionellen Verfahren zumindest gleichwertig oder überlegen war und daher als bevorzugtes Vorgehen angesehen werden kann (Rosenthal et al. 2009).
. Abb. 32.8 Typischer Verlauf der Resektionsgrenzen beim M. Crohn. Sparsame Resektion, darmnahe Skelettierung und Belassung der mesenterialen Lymphknoten sind die entscheidenden Grundsätze
. Abb. 32.9 Rezidivrate in Abhängigkeit vom »Sicherheitsabstand« bei der Crohn-Chirurgie. Es ist deutlich zu erkennen, dass bei radikaler Resektion die Rezidivrate sogar höher ist, als nach sparsamer darmschonender Resektion (Ewe et al. 1989)
Bezüglich Rezidiven oder Re-Operationen konnte in aktuellen Langzeitstudien kein Unterschied zwischen Laparoskopie und konventioneller Chirurgie beim M. Crohn festgestellt werden (Eshuis et al. 2010; Stocchi et al. 2008), jedoch wurden hier bei den offen operierten Patienten signifikant häufiger Narbenhernien und adhäsionsbedingte Beschwerden beobachtet. Auch beim Rezidiv oder zu befürchtenden ausgedehnten Verwachsungen muss zwischen laparoskopischem und offenem Vorgehen abgewogen werden. Konventionelle Eingriffe sind bei ausgedehntem Crohn-Befall, kom-
. Abb. 32.10 Zustand nach laparoskopisch-assistierter Ileozökalresektion. Kleine Wunden, weniger Schmerzen, schnellere Rekonvaleszenz, reduzierte Wundinfektrate und weniger postoperative adhäsionsbedingte Beschwerden sowie Narbenhernien sind ernstzunehmende Vorteile
32
524
Kapitel 32 · Morbus Crohn
plexen interenterischen Fistelsystemen oder bei Malignitätsverdacht sicherer. Die aseptische Phase des Eingriffes sollte so lange wie möglich aufrecht erhalten bleiben, bevor Fisteln oder Abszesse eröffnet werden. Bei der Anastomosennaht bevorzugen wir die atraumatische zweireihige (seromuskuläre und allschichtige) Naht mit resorbierbarem monofilem Nahtmaterial (z. B. Polydioxanon) mit dem Ziel, die Ausbildung von Anastomosenfisteln zu reduzieren. Resezierende Verfahren Zur Behandlung des M. Crohn
steht eine Fülle von resezierenden Verfahren zur Verfügung, die sich am betroffenen Segment und sekundär beteiligten Organen orientieren. Hierbei gilt, möglichst darmnah zu skelettieren und nur den stenosierten oder fisteltragenden Bereich sparsam zu entfernen (. Abb. 32.8). Die Verteilung der resezierenden Eingriffe an der Chirurgischen Universitätsklinik Heidelberg geht aus . Tab. 32.6 hervor. Die häufigsten Eingriffe sind die Ileozökalresektion, die Dünndarmsegmentresektion und die Kolonsegmentresektionen (meist im Sigma).
32
Strikturoplastik Diese von Alexander-Williams (1982) be-
schriebene Technik ermöglicht es in Anlehnung an die Pyloroplastik organsparend, d. h. nichtresezierend eine kurzstreckige Stenose chirurgisch zu erweitern (. Abb. 32.11). Sie wird immer dann eingesetzt, wenn mehrere hintereinander geschaltete kurzstreckige Stenosen (. Abb. 32.3) die Resektion von relativ viel Dünndarm erfordern würden. Meist sind diese segmentalen Stenosen im proximalen Dünndarm angesiedelt. Da der proximale Dünndarmbefall einen Hauptrisikofaktor für ein Rezidiv darstellt, ist dieser Ansatz gerade für diese Patienten zum Erhalt der Darmlänge besonders geeignet (Post et al. 1996). Bypass-Verfahren Gemäß den Empfehlungen der Kon-
sensuskonferenz für die chirurgische Behandlung des M. Crohn sind Bypassverfahren heute ein obsoletes Therapiekonzept. Gründe hierfür sind immer wieder publizierte Fälle von Karzinomen in durch einen Bypass ausgeschalteten Segmenten, die nicht adäquat endoskopisch kontrolliert werden können, sowie die Persistenz septischer Foci bei Belassung der entzündeten und ggf. noch fisteltragenden Segmente. Ausnahmen sind der ausgedehnte Befall des Duodenums, bei dem eine Gastrojejunostomie angelegt werden kann oder Fälle, in denen die Resektion zu risikoreich erscheint. Stomaanlage Die häufigsten Indikationen zur Stomaanlage beim M. Crohn sind die passagere Ausschaltung eines stark entzündeten Kolons bzw. ein ausgedehntes perianales Fistelsystem. Ziel ist hierbei die Ausheilung nach systemischen, lokalen medikamentösen oder operativen
. Abb. 32.11 Technik der Strikturoplastik. Längsinzision und Quervernähung sind die Prinzipien des Eingriffes, der zu einer Erweiterung der Stenose ohne Darmverlust führt
Maßnahmen. Außerdem erfolgt eine Stomaanlage in Notfallsituationen (Perforation, toxisches Megakolon) im Rahmen einer Diskontinuitätsresektion oder in Ausnahmefällen bei postoperativen Komplikationen (Anastomoseninsuffizienz).
32.8.3
Nachsorge
> Die Tatsache, dass der M. Crohn eine hohe Rezidivrate aufweist, macht eine gut geführte Nachsorge unentbehrlich.
Diese kann entweder über einen kooperierenden ausgewiesenen Gastroenterologen oder über die eigene Spezialsprechstunde erfolgen. Im eigenen Krankengut wurden der frühe Krankheitsbeginn, der überwiegend proximale Jejunumbefall und das gleichzeitige Vorliegen von enterokutanen oder perianalen Fisteln als unabhängige Risikofaktoren für ein Rezidiv identifiziert (Post et al. 1996).
525 32.9 · Literatur
Malireddy et al. fanden in einer großen Multivarianzanalyse den Nachweis von Granulomen am Operationspräparat als einzigen Risikofaktor für ein postoperatives Rezidiv (Malireddy et al. 2010). Diese Patienten sollten daher besonders engmaschig überwacht werden. Wir führen in der Regel 6 Wochen nach der Operation eine Nachuntersuchung durch. Hierbei wird der CDAI und der IBDQ mittels entsprechender Fragebögen dokumentiert. Stomaträger werden besonders durch Fachkräfte in der Stomaversorgung und -pflege geschult. Daneben wird bei diesen Patienten empfohlen, in regelmäßigen Abständen die Retentionswerte und Serumelektrolyte hausärztlicherseits kontrollieren zu lassen, da aufgrund der Stomaverluste gelegentlich Dekompensationen beobachtet werden. Die IBDQ-Bögen werden dann in einjährigen Abständen an die Patienten verschickt, um Verschlechterungen frühzeitig zu erkennen und ggf. Nachuntersuchungen einzuleiten. Eine medikamentöse Rezidivprophylaxe wird nach o. g. Richtlinien nur bei Risikopatienten empfohlen.
32.9
Literatur
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Kapitel 32 · Morbus Crohn
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33
Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum J. Braun, R. Kasperk, M. Saklak, F. Ulmer, S. Willis
33.1
Kolitis
– 529
33.1.1 33.1.2 33.1.3 33.1.4 33.1.5 33.1.6 33.1.7 33.1.8
Pseudomembranöse Kolitis – 529 Ischämische Kolitis – 531 Diversionskolitis – 532 Radiogene Kolitis – 532 Mikroskopische Kolitis – 533 Colitis ulcerosa – 533 Literatur – 545 Internetadressen – 546
33.2
Divertikulose und Divertikulitis
33.2.1 33.2.2 33.2.3 33.2.4 33.2.5 33.2.6 33.2.7 33.2.8 33.2.9 33.2.10
Grundlagen – 546 Klassifikation – 549 Klinische Symptomatologie – 549 Diagnostik – 550 Therapieziele und Indikationsstellung – 550 Konservative Therapie – 552 Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl – 553 Operationstechnik – 555 Ergebnisse – 556 Literatur – 556
33.3
Gutartige Neubildungen und Fehlbildungen
33.3.1 33.3.2 33.3.3 33.3.4
Adenome – 558 Gefäßanomalien des Kolons – 559 Morbus Hirschsprung – 560 Literatur – 560
33.4
Funktionelle Erkrankungen
33.4.1 33.4.2 33.4.3 33.4.4
Chronische Obstipation – 560 Syndrom des irritablen Kolons (Reizdarmsyndrom) Intestinale Pseudoobstruktion – 565 Literatur – 565
– 546
– 557
– 560 – 564
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_33, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
33.5
Kolonvolvulus
– 566
33.5.1 33.5.2 33.5.3 33.5.4 33.5.5 33.5.6
Grundlagen – 566 Sigmavolvulus – 566 Zökumvolvulus – 569 Transversumvolvulus – 571 Volvulus der linken Kolonflexur Literatur – 571
– 571
529 33.1 · Kolitis
33.1
Kolitis S. Willis, M. Saklak, J. Braun
Man unterscheidet grundsätzlich zwischen akuten und chronischen Kolitiden. Akute Entzündungen des Dickdarms durch Bakterien, Viren, Pilze und Parasiten gehören zu den häufigsten Darmerkrankungen überhaupt. Ihr Kardinalsymptom ist der Durchfall, der auch mit diffusen und krampfartigen Bauchschmerzen einhergehen kann. Zudem können vegetative Reaktionen wie Übelkeit, Erbrechen sowie Exsikkose auftreten. Je nach Pathogenitätsfaktoren der beteiligten Erreger sind unterschiedliche Krankheitsverläufe möglich. So können von manchen Erregern sekundäre Immunprozesse ausgehen, die zu einer anderweitigen Organschädigung führen können (z. B. reaktive Arthritis bei Yersinieninfektion). Die meisten Formen der akuten infektiösen Kolitis sind unkompliziert, selbstlimitierend und bedürfen keiner chirurgischen Intervention. Ausnahmen stellen die pseudomembranöse Kolitis oder bei Neugeborenen die nekrotisierende Enterokolitis dar, die bei kompliziertem klinischem Verlauf auch rasch eine chirurgische Therapie erforderlich machen können (7 Kap. 45). Chronisch-rezidivierende, unspezifische Entzündungen des Darms werden entweder als Colitis ulcerosa oder als Morbus Crohn klassifiziert. Während die Colitis ulcerosa ausnahmslos den Dickdarm beällt und nur selten auf den Dünndarm übergreift, betrifft der M. Crohn in unterschiedlichem Ausmaß sämtliche Abschnitte des Magendarmtrakts, weshalb diese Erkrankung in einem separaten Kapitel abgehandelt wird (7 Kap. 32). Ischämische Kolitis und mikroskopische Kolitis stellen wichtige Differenzialdiagnosen der chronischen Kolitis dar, sind jedoch meist konservativ zu beherrschen und erfordern nur selten eine chirurgische Therapie.
33.1.1
Pseudomembranöse Kolitis
Pathogenese Die pseudomembranöse Kolitis ist eine entzündliche Erkrankung des Kolons, die allgemein durch eine Veränderung der Zusammensetzung der physiologischen Darmflora ausgelöst wird. Als Ursachen kommen alle Faktoren in Frage, die das natürliche Gleichgewicht der Darmflora nachhaltig verändern. Neben der epidemiologisch häufigen antibiotikaassoziierten Diarrhö (10–30% der Fälle) kommen ätiologisch auch Ischämien des Gastrointestinaltraktes, Schock, Sepsis und Urämie in Frage. Bei den klinisch relevanten Fällen steht die Infektion mit Clostridium difficile im Vordergrund.
> Die Inzidenz der pseudomembranösen Kolitis in den Industrienationen nahm in den letzten Jahren aufgrund des gestiegenen Einsatzes von Breitbandantibiotika zu. Clostridium difficile besitzt mehrere Pathogenitätsfak-
toren. Es kommt u. a. auch in der normalen Darmflora des Menschen vor, wo es aber physiologischerweise nicht schädigend wirkt. Erst eine Dysbalance der Darmflora, wie sie häufig nach Antibiotikabehandlung oder zytostatischer Therapie oder bei allgemeiner Abwehrschwäche vorliegt, bietet ideale Voraussetzungen für eine unkontrollierte Vermehrung von Clostridium difficile. Fortgeschrittenes Lebensalter und bereits abgelaufene Clostridium-difficile-Infektionen stellen weitere Risikofaktoren dar (Price 2003). Verantwortlich für die klinische Symptomatik sind die von Clostridium difficile gebildeten Toxine A und B, die ihre Hauptwirkung an der Darmschleimhaut entfalten. Sie werden aktiv ins Darmlumen sezerniert, von wo aus sie an Rezeptoren der Enterozyten binden. Nach Aufnahme in die Zelle entfalten sie ihre zytotoxische Wirkung durch Zerstörung des Zytoskeletts und Lockerung des Zellverbundes. Die Folge ist ein Flüssigkeitsverlust ins Darmlumen, der als wässrige, teils blutige Diarrhö imponiert. Enterotoxin A und Zytotoxin B spielen auf zellulärer und subzellulärer Ebene die entscheidenden Rollen für die umfassende Schädigung der Darmmukosa. Toxin B schädigt dominant das Zytoskelett der Mukosa, Toxin A aktiviert parallel die Signaltransduktionskaskade der Immunabwehr, sodass durch die Degranulation von Mastzellen und Freisetzung von Entzündungsmediatoren wie den Interleukinen IL-1, IL-6, IL-8 und TNF chemotaktisch Granulozyten und Monozyten einwandern. Die Immunreaktion gegen die Bakterienzellen zur Abräumung von Zelldetritus wie Muzin und Fibrin bedingt beim Vollbild der pseudomembranösen Kolitis eine ausgeprägte Inflammation der Mukosa, die zu den endoskopisch nachweisbaren Pseudomembranen führt (Surawicz u. McFarland 2000).
Klinische Symptomatologie Die Leitsymptome der pseudomembranösen Kolitis sind wässrige – oder seltener blutige – Diarrhö, Fieber und abdominelle Schmerzen oder Krämpfe. Laborchemisch kann eine Leukozytose auftreten. In der Regel zeigen sich die Symptome in der ersten Woche nach Beginn einer antibiotischen Therapie, jedoch ist ein Ausbruch der Erkrankung auch Wochen nach Absetzen der Antibiotikatherapie möglich. In diesem Zusammenhang wichtig ist die präzise medikamentöse Anamnese.
Diagnostik Die Diagnose beruht auf der klinischen Symptomatik, einer mikrobiologischen Stuhluntersuchung und auf dem
33
530
Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
Nachweis von Pseudomembranen bei der Endoskopie. Besonderes Augenmerk liegt auf den allgemein prädisponierenden Faktoren wie einer abgeschlossenen oder laufenden antibiotischen oder chemotherapeutischen Behandlung oder eines kürzlich stattgefundenen operativen Eingriffes. Prinzipiell kann jede – auch einmalige prophylaktische Gabe – eines Antibiotikums Auslöser einer pseudomembranösen Kolitis sein, die häufigsten Auslöser sind aber β-Laktam-Antibiotika wie die Cephalosporine, Penicilline und Ampicillin sowie das Lincosamid Clindamycin. Generell tritt die pseudomembranöse Kollitis häufiger bei Substanzklassen auf, die die anaerobe Flora des Kolons verändern. ! Cave ! Auch eine einmalige Antibiotikumgabe kann eine pseudomembranöse Kolitis auslösen!
33
Zur Diagnosestellung ist der Nachweis von C. difficile und Toxin im Stuhl zwingend erforderlich. Der Toxinnachweis erfolgt immunologisch mittels ELISA, wobei eine Sensitivität und Spezifität von mehr als 90% erreicht werden. Der Nachweis von C. difficile erfolgt durch mikroskopische Kulturen. Zu beachten ist, dass 5–10% der Bevölkerung asymptomatische Träger sind ohne krank zu sein. Von hohem diagnostischem Wert ist die endoskopische Untersuchung des Patienten, da in über 90% der Fälle Pseudomembranen sigmoidoskopisch bzw. koloskopisch nachgewiesen werden können (. Abb. 33.1). Meist ist eine flexible Sigmoidoskopie ausreichend, da die Pseudomembranen typischerweise vorwiegend im Linkskolon lokalisiert sind. Da die Leitsymptome nicht spezifisch für die pseudomembranöse Kolitis sind, müssen andere Ursachen der Diarrhö sorgfältig ausgeschlossen werden.
Diagnostik der pseudomembranösen Kolitis 4 Anamnese und klinische Untersuchung 4 Stuhluntersuchung zum Toxinnachweis (A und B) mittels ELISA 4 Stuhlkultur zum Erregernachweis 4 Endoskopie
Differenzialdiagnosen der pseudomembranösen Kolitis 4 Bakterielle Infektionen mit Enterobakterien, insbesondere enteropathogene E. coli 4 Virale Infektionen insbesondere Enteroviren und HIV 4 Enteritiden durch Medikamente und andere chemische Noxen 4 Nahrungsmittelallergene (Sprue, Zöliakie) 4 Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen
. Abb. 33.1 Pseudomembranöse Kolitis
Therapie Neben den allgemein supportiven Maßnahmen bei Diarrhö wie einer adäquaten Flüssigkeitsbilanzierung und Hydrierung des Patienten steht insbesondere bei den klinisch schwereren Fällen die Wahl eines geeigneten Antibiotikums im Vordergrund. In leichten Fällen reicht unter Umständen neben den allgemeinen Maßnahmen ein Absetzen der bestehenden antibiotischen Medikation aus. Die wichtigsten Antibiotika sind in der Therapie Metronidazol, Vancomycin und Teicoplanin (Surawicz u. Farland 2000). Metronidazol ist das Mittel der Wahl in der Dosierung von 3-mal täglich 400 mg p.o. für 14 Tage. Während der Therapie sollte aufgrund möglicher Nebenwirkungen auf eine Alkoholkarenz geachtet werden. Vancomycin und Teicoplanin sind Mittel der Reserve. Ihr Einsatz sollte trotz leicht gestiegener Resistenzen gegen Metronidazol weiterhin restriktiv erfolgen, und nur bei Versagen bzw. einer Kontraindikation der Metronidazol-Therapie (medikamentöse Unverträglichkeit oder Gravidität im 1. Trimenon) verabreicht werden. Bis heute sind keine vollständigen Resistenzen gegen Vancomycin bekannt. Die Dosierung für Vancomycin liegt bei 3-mal täglich 250 mg p.o. Neuere Studien weisen vermehrt auf einen Nutzen probiotischer Therapien hin. Zielsetzung ist dabei eine weitgehende Wiederherstellung der normalen Darmflora durch Saccharomyces boulardii und Lactobacillus-Applikation. Im Verlauf sollte sich eine Besserung der Symptomatik innerhalb von 1–4 Tagen zeigen. Die Diarrhö sollte innerhalb von 2 Wochen sistieren. Rezidive treten in 20% der Fälle auf und müssen erneut konsequent behandelt werden. Bei fehlender Besserung, fulminanten Verläufen oder
531 33.1 · Kolitis
endoskopisch nicht beherrschbarer diffuser Blutung ist die Resektion des betroffenen Kolonsegmentes bis hin zur Kolektomie indiziert.
33.1.2
Ischämische Kolitis
Pathogenese Die ischämische Kolitis ist die häufigste Manifestation gastrointestinaler Ischämien. Sie verläuft entweder akut oder chronisch. Auslöser der Ischämie sind zumeist Verschlüsse der Mesenterialgefäße, wobei lokale Durchblutungsstörungen auf kleinere Kolonsegmente beschränkt sind. Die Prädilektionsstelle – vor allem beim älteren Menschen – ist die Riolan-Anastomose im Bereich der linken Kolonflexur, wo sich die arteriellen Versorgungsgebiete der A. mesenterica superior und A. mesenterica inferior treffen. Meist wird die ischämische Kolitis spätpostoperativ nach gefäßchirurgischen Eingriffen an der Aorta abdominalis beobachtet. Durch lokale Ischämie kommt es zur sekundären Schleimhaut- bzw. Darmwandentzündung, bzw. narbiger Ausbreitung mit z. T. langstreckigen Strikuturen. Die lokalen Ischämien entstehen zumeist auf der Basis vorbestehender arteriosklerotischer Veränderungen. Höheres Lebensalter ist dementsprechend ein wesentlicher Risikofaktor, der sich vornehmlich aus dem im Alter schlechteren Gefäßstatus ergibt (Higgins et al. 2004). > Die ischämische Kolitis wird häufig postoperativ nach gefäßchirurgischen Eingriffen – vor allem aortoiliakalen Eingriffen – beobachtet.
Klinische Symptomatologie Es werden 3 Subtypen der ischämischen Kolitis unterschieden, wobei insbesondere die transienten und die stenosierenden Typen von dem klinisch dringlicheren gangränösen Typus unterschieden werden müssen (Higgins et al. 2004). 4 Die transiente ischämische Kolitis präsentiert sich im akuten Verlauf mit abdominellen Schmerzen, vor allem im Bereich der linken Kolonflexur und mit blutiger Diarrhö. Häufig sind Übelkeit und Erbrechen, im weiteren Verlauf kommt es zum Fieberanstieg. Laborchemisch finden sich eine Leukozytose und Entzündungsparameter. 4 Die stenosierende Kolitis ist insgesamt häufiger und äußert sich insbesondere mit Passagestörungen, postprandialen Schmerzen, die auch in eine Angst vor Nahrungsaufnahme im Sinne einer Angina abdominalis einmünden können. 4 Die gangränöse Kolitis ist in ihrem Verlauf fulminant und äußert sich mit den klinischen Zeichen eines akuten Abdomens.
. Abb. 33.2 Ischämische Kolitis
Diagnostik Die klinische Symptomatik mit Angina abdominalis oder ein gefäßchirurgischer Eingriff in der Anamnese führen zur Verdachtsdiagnose. Entscheidendes diagnostisches Verfahren ist die Koloskopie. Hier imponieren zunächst ödematöse Schleimhautbezirke mit Einblutungen, später auch – insbesondere bei schwerem gangränösen Verlauf – dunkelrote bis schwarze Mukosaabschnitte, zum Teil mit Ulzerationen (. Abb. 33.2). Die Angio-CT mit rektaler Füllung ist hilfreich zum Nachweis von Kolonstenosen und hat den herkömmlichen Kontrastmitteleinlauf weitgehend abgelöst. Allerdings können Verschlüsse im Bereich der Randarkaden häufig nicht dargestellt werden. Dementsprechend ist auch eine Angiographie der Mesenterialgefäße meist verzichtbar.
Therapie Die transienten Verlaufsformen sind einer konservativen Therapie in der Regel gut zugänglich (MacDonald 2002). Die konservative Therapie umfasst eine effiziente Schmerztherapie sowie eine adäquate Flüssigkeitssubstitution. Wichtig ist eine aufmerksame Verlaufskontrolle, um möglichen Komplikationen rasch begegnen zu können. Vereinzelt wird eine Vollheparinisierung empfohlen. Die Prognose ist meist gut mit kompletter Ausheilung innerhalb von 2–3 Monaten. Bei bis zu 25% der Patienten muss jedoch mit einer späteren Strikturbildung oder einer segmentalen Kolitis gerechnet werden. Bei der stenosierenden Kolitis sollte das entsprechende Segment elektiv reseziert werden. Die gangränöse ischämische Kolitis ist mit hohen Mortalitätsraten behaftet und erfordert eine schnelle chirurgische Intervention mit Resektion betroffener Darmabschnitte. Je nach Lokalisation und Durchblutungssitua-
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Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
tion des Restdarms kann eine Anastomosierung versucht werden. Bei einer schlechten oder klinisch nicht einschätzbaren Durchblutungssituation ist von einer primären Anastomose abzuraten. Das sicherste Verfahren ist in solchen Fällen die Diskontinuitätsresektion (MacDonald 2002).
33.1.3
Diversionskolitis
Pathogenese Die Diversionskolitis ist definiert als unspezifische Entzündung des Intestinums, die nach chirurgischer Intervention aboral eines Ileo- oder Kolostomas auftritt. Die Inzidenz basierend auf endoskopischen Kriterien liegt bei über 50%, wobei 0–50% der Patienten Symptome entwickeln. Der Entstehungsmechanismus der Diversionskolitis ist unverstanden, diskutiert wird der fehlende trophische Reiz durch die endoluminale Stuhlpassage. Histopathologisch imponieren milde bis moderate Entzündungsherde mit lymphozytären und plasmazellulären Infiltraten der Lamina propria, erweiterten Blutgefäßen, Kryptenabszessen und einer Reduktion der Kryptenanzahl und der Bildung von lymphoiden Knötchen.
33
Klinische Symptomatologie Die Diversionskolitis verursacht Blutungen und mukösen Ausfluss. Patienten klagen häufig über Völlegefühl und abdominelle Schmerzen mit Ausstrahlung in das Becken und/oder Rektum. Der Zeitpunkt des Auftretens der Symptome variiert sehr stark. Sie können innerhalb eines Monats postoperativ auftreten, manifestieren sich jedoch nicht selten auch erst nach mehreren Jahren.
Asymptomatische Patienten sollten regelmäßig endoskopisch sowohl im ausgeschalteten und nicht-ausgeschalteten Darmabschnitt kontrolliert werden. Patienten mit permanentem Stoma können häufig erfolgreich mit Steroiden, Salizylaten und kurzkettigen Fettsäuren symptomatisch behandelt werden. Bei erfolgloser medikamentöser Therapie sollte bei Patienten mit permanenter Stomaanlage die Resektion des ausgeschalteten Darmabschnittes erwogen werden (Eggenberger u. Farid 2001).
33.1.4
Radiogene Kolitis
Pathogenese Die Toleranzschwelle des Dickdarms beträgt etwa 50 Gy Herddosis. Höhere Dosen und lokale Strahlenspitzen (z. B. Radiumeinlagen) bewirken irreversible Wandschädigungen, bevorzugt nach Bestrahlung intrapelviner Karzinome sowie von Nierenkarzinomen. Die Schädigung der Stammzellen der Schleimhaut führt in 11–15% der Fälle zu einer akuten Proktokolitis mit geschwollener Schleimhaut, Blutungen, Erosionen und Ulzerationen. Davon zu unterscheiden ist die chronische Strahlenkolitis, die sich oft erst Jahre nach der Bestrahlung im bestrahlten Gebiet entwickelt. Sie ist die Folge einer Strahlen-induzierten Angiosklerose, die in der Folge zu Schleimhauthypoxie, Wandfibrose, Stenosebildung und einem erhöhten Kolonkarzinomrisiko führt. Die Häufigkeit operationspflichtiger Strahlenspätschäden beträgt 1,5–2%.
Klinische Symptomatologie und Diagnostik
Die klinischen Symptome sind nicht wegweisend. Entscheidend ist die Endoskopie der ausgeschalteten Darmabschnitte mit Biopsieentnahmen für die histomorphologische Beurteilung ergeben. Radiologische Verfahren spielen zur Sicherung der Diagnose keine entscheidende Rolle, da die Befunde unspezifisch sind. Endoskopisch kann die Diversionskolitis auch wie ein M. Crohn oder eine Colitis ulcerosa imponieren, sodass die Diagnose immer im Gesamtkontext mit der Vorgeschichte des Patienten zu stellen ist.
Kardinalsymptom der akuten radiogenen Kolitis sind blutig-schleimige Diarrhö und Tenesmen. Die chronische Strahlenkolitis manifestiert sich entweder als hämorrhagisch-ulzeröse Proktokolitis mit diffusen Blutungen oder als chronischer Dickdarm(sub)ileus. Höhergradige lokale Wandschäden können Fistelbildungen zur Blase, Scheide, seltener enterokutane Fisteln bewirken. Als Begleitschäden können Schrumpfgallenblase, Harnleiter- und Dünndarmstenosen und eine sklerosierende konstriktive Peritonitis auftreten. Diagnostikum der Wahl ist die flexible Endoskopie, bei Stenosen und Begleiterkrankungen können Kolonkontrasteinlauf und CT erforderlich sein.
Therapie
Therapie
Die kausale Therapie besteht in der Wiederherstellung der Darmkontinuität. Bei Patienten, bei denen die Stomaanlage temporär erfolgte, sollte – soweit chirurgisch vertretbar – die Kontinuität frühestmöglich wiederhergestellt werden. Auch wenn bis dato keine Angaben über Dysplasien ausgeschalteter Darmsegmente vorliegen, wird eine regelmäßige Nachsorge empfohlen.
Die therapeutischen Möglichkeiten sind häufig unbefriedigend. Die konservative Therapie umfasst Sulfasalazin, Panthenol, Sucralfat-Einläufe, Spasmolytika, Sedativa, Östrogen-Progesteron-Kombinationen, Kortisonklysmen und schlackenreiche Kost (Wurzer et al. 1998). Die akute Strahlenkolitis klingt meist nach wenigen Wochen ab, der Übergang in eine chronische Kolitis ist selten.
Diagnostik
533 33.1 · Kolitis
Diffuse Blutungen bei hämorrhagischer chronischer Proktokolitis lassen sich am besten endoskopisch mittels Laserkoagulation behandeln (Tjandra u. Sengupta 2001). Bei nicht beherrschbarer profuser Blutung oder Ileus ist die sofortige operative Therapie indiziert. Ansonsten sollte die Operationsindikation aufgrund einer hohen Operationsletalität von 5–10% und einer Anastomoseninsuffizienzrate von bis zu 50% zurückhaltend gestellt werden. Lokale Reparationsversuche sind wegen der schlechten Heilungstendenz meist frustran, weshalb im Zweifelsfall dem mehrzeitigen Vorgehen der Vorzug zu geben ist.
33.1.5
Mikroskopische Kolitis
Pathogenese Es handelt sich hierbei um eine erstmals 1976 beschriebene Erkrankung des Kolons mit chronischer Diarrhö und normalem endoskopischen Aspekt, bei der sich histologisch ein charakteristisches subepitheliales kollagenes Band findet. Später wurde zusätzlich eine klinisch ähnliche, lymphozytäre Kolitis entdeckt, die ebenfalls nur mikroskopisch zu erkennen ist. Beide Erkrankungen wurden unter dem Oberbegriff »mikroskopische Kolitis« subsummiert (Schiller 2004). Die kollagene Kolitis kann aus einer lymphozytären Kolitis entstehen und umgekehrt. Die Ursache der mikroskopischen Kolitis ist unklar, eine familiäre Häufung und damit eine genetische Prädisposition scheinen vorzuliegen. Vermutlich liegt der mikroskopischen Kolitis eine abnormale Immunreaktion auf luminale Antigene zugrunde. An der Entstehung der Diarrhö ist bei der kollagenösen Variante die Kollagenschicht wahrscheinlich nicht beteiligt. Wahrscheinlicher ist als Ursache der Diarrhö und des erhöhten Stuhlgewichtes die Infiltration mit Entzündungszellen und konsekutive Freisetzung von Mediatorstoffen anzusehen. Es gibt Hinweise auf eine Assoziation mit autoimmunologischen Krankheiten wie dem Sjögren-Syndrom oder der Sprue, sodass eine autoimmunologische Komponente auch bei den mikroskopischen Kolitiden vorliegen kann. Medikamente, v. a. NSAR und Lansoprazol können möglicherweise ebenfalls eine mikroskopische Kolitis auslösen. Andere Daten weisen auf einen kausalen Zusammenhang mit der Entstehung von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wie M. Crohn und Colitis ulcerosa hin (Robert 2004).
Klinische Symptomatologie und Diagnostik Kardinalsymptom ist die wässrige Diarrhö. Korrekt diagnostizierbar ist die Erkrankung allerdings nur über eine endoskopische Stufenbiopsie und einer histopathologischen Untersuchung. Da die mikroskopische Kolitis meist den gesamten Dickdarm betrifft, können die Biopsien im gesamten Kolon entnommen werden. Die Breite der Kol-
lagenschicht nimmt jedoch vom Zökum zum Rektum ab. Das Rektum kann in seltenen Fällen ausgespart bleiben. Daher ist eine Biopsie aus dem Sigma und/oder dem rechten Kolon anzustreben. Wichtig ist der Ausschluss anderer Ursachen einer wässrigen Diarrhö, insbesondere einer Colitis ulcerosa (Schiller 2004).
Therapie Die Therapie ist primär konservativ, eine chirurgische Therapie ist in der Regel nicht indiziert. Primär sollten alle potenziell verursachenden Medikamenten (z. B. NSAR) abgesetzt werden. Kortikoide, speziell Prednisolon und Budesonid, haben sich als erfolgversprechende Therapie erwiesen. Die Relapsgefahr nach Absetzen ist jedoch hoch. Wismutsubsalyzylat und Mesalazin können eingesetzt werden. Symptomatisch kann die Stuhlfrequenz mit Loperamid gesenkt werden. Oftmals treten Spontanremissionen auf, wobei ältere Patienten haben eine höhere Spontanremissionsrate und einen milderen Verlauf aufweisen als junge Patienten (Schiller 2004).
33.1.6
Colitis ulcerosa
Definition und Epidemiologie Die Colitis ulcerosa ist eine chronisch entzündliche Darmerkrankung unbekannter Ätiologie. Sie betrifft primär das Rektum, kann sich jedoch von distal nach proximal ausdehnen und das ganze Kolon befallen. In der klinischen Praxis wird zwischen einem Befall des Rektums (Proktitis), des Rektosigmoids (Proktosigmoiditis), des Colon descendens (Linksseitenkolitis) und des gesamten Kolon (Pankolitis) unterschieden. Die Entzündung befällt ausschließlich Mukosa und Submukosa. Bei 10–40% der Patienten bleibt die Erkrankung auf das Rektum und Sigma beschränkt. Bei etwa 10% der Patienten mit schweren Verlaufsformen ist eine Beteiligung des terminalen Ileum möglich, die als »Backwash«-Ileitis bezeichnet wird. Die Inzidenz der Colitis ulcerosa wird mit 5–8 Neuerkrankungen/100.000 Menschen/Jahr und die Prävalenz mit 40–90 Fälle/100.000 Menschen angegeben. Das Manifestationsalter liegt zumeist zwischen dem 20. und dem 30. Lebensjahr. In einigen Statistiken wird ein zweiter Häufigkeitsgipfel zwischen dem 60. und dem 70. Lebensjahr beschrieben. Auffällig ist eine Zunahme der Inzidenz während der letzten Jahre, wobei nicht klar ist, ob die Krankheitsfälle tatsächlich zunehmen, oder ob die Diagnose aufgrund besserer Diagnostik häufiger gestellt wird. Bei 25% der Fälle liegt die Erstmanifestation im Kindesalter, was mit einer sehr schlechten Langzeitprognose verbunden ist. Bei Frauen wird die Colitis ulcerosa etwas häufiger beobachtet als bei Männern. Ebenso wie beim M. Crohn, jedoch nicht so ausgeprägt, gibt es sowohl eine familiäre als auch einen ethni-
33
534
Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
sche Häufung (europäische und nordamerikanische Juden), was eine genetische Komponente in der Krankheitsentstehung suggeriert. Andere epidemiologische Untersuchungen haben ergeben, dass Bewohner ländlicher Gegenden weniger häufig betroffen zu sein scheinen als die Bewohner städtischer Regionen. Die Bewohner nördlicher Länder sind stärker betroffen als die Bewohner südlicher Regionen, was für eine Beteiligung von Umgebungsfaktoren in der Pathogenese der Erkrankung spricht (Loftus 2004).
Pathogenese
33
Ätiologie und Pathogenese der Colitis ulcerosa sind noch weitgehend ungeklärt. Vermutlich führt wie beim M. Crohn ein Zusammenspiel genetischer, immunologischer und Umgebungsfaktoren zur Ausbildung der chronischen Entzündung. Dabei scheint nicht nur der Phänotyp der Erkrankung (M. Crohn oder Colitis ulcerosa), sondern auch der Krankheitsverlauf genetisch determiniert zu sein. Man geht heute davon aus, dass die chronische Entzündung der Darmwand auf einer andauernden und überschießenden Aktivierung des mukosalen Immunsystems durch endoluminale Mikroben berruht (Abraham u. Cho 2009). Dabei kann die chronische Immunstimulation durch einen Defekt der mukosalen Schleimhautbarriere und/oder durch ein Ungleichgewicht proinflammatorischer und entzündungshemmender Zytokine verursacht sein. Gesichert ist, dass Rauchen statistisch vor der Entstehung einer Colitis ulcerosa schützt, während ein Zusammenhang mit Ernährungsgewohnheiten, Antikonzeptiva, vorausgegangener Appendektomie und Stress weniger gut belegt ist. Es gibt wenig Evidenz dafür, dass psychosomatische Faktoren von pathogenetischer Bedeutung sind. Vielmehr scheinen verschiedene psychologische Auffälligkeiten sekundär durch den chronischen Krankheitsprozess verursacht zu sein (Farrell u. Peppercorn 2002; Podolsky 2002).
. Abb. 33.3 Pseudopolypen bei Colitis ulcerosa
Morphologie Morphologisch ist die erkrankte Mukosa durch ein samtartig, feingranuläres Aussehen gekennzeichnet. Die Entzündungsausbreitung ist kontinuierlich mit im Regelfall scharfer Begrenzung zum gesunden Darm. Punktförmige Erosionen gehen in hochgradig entzündlich veränderten Bereichen auch in echte Ulzerationen über. Nach dem Abklingen der akuten Entzündungsphasen kommt es durch Hyperplasie der zwischen den Ulkusnarben erhaltenen Schleimhautinseln zur Ausbildung charakteristischer entzündlicher Pseudopolypen (. Abb. 33.3). Im Extremfall können diese sogar das Bild einer Polyposis coli vortäuschen. Im akuten Schub ist das Kolon zunächst dilatiert. Bei langjährigem Verlauf kommt es zu einer zirkulären Schleimhautzerstörung mit narbiger Schrumpfung und es entwickelt sich das Bild eines weitgehend funktionslosen »Fahrradschlauches« (. Abb. 33.4).
. Abb. 33.4 Kolonkontrasteinlauf bei »ausgebrannter« Colitis ulcerosa mit Haustrenverlust und langstreckiger Stenosierung
Die histologische Untersuchung von Material, das im floriden Stadium gewonnen wurde, zeigt eine granulozytäre Entzündung mit Reduktion der Becherzellen. Häufig sind Kryptenabszesse, die allerdings auch beim M. Crohn und anderen Entzündungen gefunden werden. Remissionen gehen bisweilen mit einer Normalisierung des Schleimhautbildes einher. Bei langdauernder Kolitis findet man zunehmend Epitheldysplasien, die aufgrund histologischer Kriterien in »High-grade«- und »Low-grade«-Dysplasien unterteilt werden. Gelegentlich ist diese Unterscheidung auch für geübte Pathologen schwierig, woraus eine geringe
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535 33.1 · Kolitis
Konkordanz in der histologischen Beurteilung resultiert. In schwierigen Fällen sollte deshalb grundsätzlich eine zweite Meinung eingeholt werden. Etwa 50% der Dysplasien findet man in beetartig erhabenen oder flachen, evtl. perlmuttartig diskolorierten Bezirken, bevorzugt im Rektum. Diese »Dysplasie-assoziierten Läsionen oder Massen« (DALM) sind eng mit dem Auftreten von Karzinomen verknüpft (Warren 2004). In 10–15% der Fälle ist die Abgrenzung von anderen chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, vor allem zum M. Crohn schwierig. Ist eine eindeutige Zuordnung trotz ausreichender Biopsien nicht möglich, spricht man von indeterminierter Kolitis. > 50% der Dysplasien finden sich in normaler Schleimhaut.
Karzinomrisiko Patienten mit Colitis ulcerosa haben ein signifikant höheres Risiko, ein Kolonkarzinom zu entwickeln, als die Allgemeinbevölkerung. Dieses Risiko ist im Wesentlichen abhängig von Ausmaß und Dauer der Erkrankung. Die Aktivität der Erkrankung spielt demgegenüber keine Rolle. In einer Populations-basierten Studie war die Karzinominzidenz im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung bei Proktitis um das 1,7-fache, bei Linksseitenkolitis um das 2,8-fache und bei Pankolitis um das 14,8-fache erhöht. Nach 10-jähriger Erkrankungsdauer betrug die kumulative Karzinominzidenz von 0,1–0,8%, nach 30-jähriger Krankheitsdauer bereits 6–16% (Hata 2003). Noch höher ist das Karzinomrisiko bei Erstmanifestation der Erkrankung unter 30 Jahren, bei Nachweis einer sklerosierenden Cholangitis oder »Backwash«-Ileitis oder bei positiver Familienanamnese für kolorektale Karzinome (Heuschen 2001; Jayaram 2001). Als Faustregel steigt nach einer Erkrankungsdauer von 10 Jahren das Entartungsrisiko pro Jahr um 1% an. Eine kontinuierliche Aminosalizylat-Therapie, Rauchen und möglicherweise Folsäure- und Vitamin-E-Supplementierung konnten bislang als protektive Faktoren identifiziert werden (Farrell u. Peppercorn 2002). > Das Karzinomrisiko bei Colitis ulcerosa ist abhängig von Ausmaß und Dauer, nicht aber der Aktivität der Erkrankung.
Karzinome bei Colitis ulcerosa sind statistisch gleichmäßig über das gesamte Kolon und Rektum verteilt und treten in ca. 30% der Fälle multifokal auf. Es handelt sich meist um wenig differenzierte und muzinöse Adenokarzinome. Auch wenn nicht alle Kolitis-Karzinome aus Dysplasien entstehen, gelten letztere als Präkanzerosen. Schwere Dysplasien sind in 50–74% der Fälle mit einem kolorektalen Karzinom assoziiert, wobei diese auch fern der Schleimhaut entstehen können, die von der »High-grade«-Dyspla-
sie betroffen sind. Deshalb wird 8–10 Jahre nach Erkrankungsbeginn eine kontinuierliche Überwachung mittels jährlicher Koloskopie und Stufenbiopsien alle 10 cm des gesamten Dickdarms empfohlen, obwohl dadurch bislang weder eine statistisch signifikante Lebensverlängerung noch eine Kosteneinsparung nachgewiesen werden konnte (Delco 2000; Podolsky 2002). Durch die Entwicklung molekulargenetischer Marker könnte die Entdeckung von Dysplasien in Zukunft jedoch deutlich effizienter werden. ! Cave ! Jede Stenose bei Colitis ulcerosa ist malignitätsverdächtig!
Klinische Symptomatologie Die klinische Symptomatik der Colitis ulcerosa hängt von der Ausbreitung der Erkrankung und vom Schweregrad der Entzündung ab. Die Leitsymptome sind blutig-schleimige Durchfälle. Typisch für die aktive Colitis ulcerosa sind 4–10 Stuhlentleerungen pro Tag, darunter auch nächtliche Stuhlentleerungen. Viele Patienten klagen zudem über Tenesmen, Defäkationsschmerzen, imperativen Stuhldrang und das Gefühl der unvollständigen Stuhlentleerung. > Leitsymptom der Colitis ulcerosa sind blutigschleimige Durchfälle.
Der Schweregrad der Colitis ulcerosa wird nach Truelove und Witts in 3 Stadien eingeteilt (. Tab. 33.1; Truelove u. Witts 1954). Als Folge hoher Krankheitsintensität können Anämie, Eiweißmangel, Abwehrschwäche und Gewichtsverlust bis hin zur Anorexie auftreten. Die Erkrankung verläuft überwiegend schubweise mit durchaus längerfristigen spontanen Remissionen. Eine Unterscheidung in einen akuten oder chronischen Verlauf ist deshalb nur bedingt sinnvoll, da auch bei chronischen Verläufen akute, schwere Exazerbationen möglich sind.
. Tab. 33.1 Aktivitätsbeurteilung der Colitis ulcerosa nach Truelove und Witts Symptome/ Aktivität
Mild
Mittelschwer
Schwer
Stühle/Tag
<5
5–9
>9
Blutung
Gering
Intermittierend profus
Dauernd profus
Fieber
Afebril
37,5–38,5°C
>38,5°C
Hämoglobin
Normal
<10 g/dl
<7,5 mg/dl
BSG
<30 mm/h
>30 mm/h
>50 mm/h
Serumalbumin
Normal
3–4 g/dl
<3 g/dl
536
Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
. Abb. 33.5 Toxisches Megakolon bei Colitis ulcerosa
33 Die gefährlichsten Komplikationen der Colitis ulcerosa sind das toxische Megakolon (1–2%), Perforationen (3%) und massive Blutungen (3%). Klinisch manifestiert sich das toxische Megakolon durch plötzliches Sistieren des Stuhlgangs, ein schmerzhaft geblähtes, akutes Abdomen, Erbrechen und allgemeinen Intoxikationszeichen (septische Temperaturen, Schüttelfrost, Tachykardie, Tachypnoe, Verwirrtheit, Somnolenz, Schock). Pathognomonisch ist eine Zunahme des Colon-transversum-Durchmessers auf mehr als 6,5 cm in der Abdomenleeraufnahme (. Abb. 33.5). Perforationen ereignen sich meist infolge eines toxischen Megakolons, sind jedoch in seltenen Fällen auch so möglich. Massive Blutungen sind in der Regel Folge einer ausgeprägten Entzündung und damit im Gegensatz zum M. Crohn meist diffus und nicht lokalisiert. Seltenere Komplikationen sind narbige Stenosen und perianale Abszesse. Extraintestinale Manifestationen sind Arthritis, Erythema nodosum, Augenentzündungen, Thrombophlebitis, Pankreatitis, primär sklerosierende Cholangitis, Cholelithiasis, Nephrolithiasis, Hydronephrose und Amyloidose.
Diagnostik Die Diagnose einer Colitis ulcerosa wird ausschließlich histologisch gestellt. Hierfür ist bei entsprechendem Verdacht eine Rekto-/Sigmoideoskopie mit Entnahme von multiplen Biopsien erforderlich. Eine komplette Kolos-
kopie ist für die Diagnosestellung nicht zwingend erforderlich, zur Bestimmung des Krankheitsausmaßes, zur Erkennung von Dysplasien und zum Ausschluss eines gleichzeitig vorliegenden Karzinoms jedoch unentbehrlich. Etwa die Hälfte der Dysplasien entstehen aus flacher Schleimhaut und können oft nur mit speziellen Färbetechniken (z. B. Indigokarmin) sichtbar gemacht werden. Der Kolonkontrasteinlauf wurde in den letzten Jahren weitgehend durch die Endoskopie abgelöst. Sonographie, Computertomographie und Kernspintomographie sind hilfreich bei bestimmten Fragestellungen, besitzen im Allgemeinen jedoch auch keinen relevanten Stellenwert in der Diagnostik. Eine Ausnahme stellt das toxische Megakolon dar, wo die CT die einzige nichtinvasive Methode darstellt, um subklinische Abszesse und Perforationen zu erkennen. Wegen Perforationsgefahr dürfen bei Verdacht auf ein toxisches Megakolon keine Koloskopie oder ein Kontrastmitteleinlauf durchgeführt werden. AntigranulozytenantikörperSzintigraphie und Positronenemissionstomographie können in seltenen Fällen Zusatzinformationen hinsichtlich Erkrankungsausdehnung und -aktivität liefern. Neben den klinischen Parametern sind Laborparameter wie Hämoglobin, Serumalbumin, BSG oder CRP zur Abschätzung der Aktivität der Erkrankung hilfreich. Die Bestimmung der Crohn-spezifischeren Antikörper ASCA (Anti-Saccharomyces-cerevisiae-Antikörper) und Colitisspezifischeren Antikörper pANCA (perinukleäre antineutrophile zytoplasmatische Antikörper) können bei der Differenzialdiagnose M. Crohn/Colitis ulcerosa helfen.
Medikamentöse Therapie > Eine kausale medikamentöse Therapie der Colitis ulcerosa existiert bis heute nicht. Dennoch stellt die medikamentöse Therapie die primäre Therapie der Colitis ulcerosa dar.
Verschiedene Wirkstoffklassen stehen zur Verfügung, um mit hoher Erfolgsrate die Entzündungsaktivität der Darmschleimhaut zu unterdrücken. Moderne 5-Aminosalizylate (5-ASA, als Retardpräparat Mesalazin genannt) nehmen die zentrale Rolle in der Behandlung ein. Sofern die Ausdehnung der Kolitis die linke Kolonflexur nicht überschreitet, sind rektale Applikationsformen vorzuziehen. Mesalazin gilt als ziemlich nebenwirkungsarm und soll neben der Entzündungshemmung auch das Darmkrebsrisiko vermindern. Neben 5-ASA-Suppositorien und -Klysmen in einer Dosierung von 1 g/Tag kommen auch topisch wirksame Kortikosteroide wie Hydrokortisonschäume oder Budenosid-Klysmen (2 mg/Tag) zum Einsatz. Klinische Studien konnten zeigen, dass topische Steroide in der Behandlung der distalen Kolitis bei reduzierter Nebenwirkungsrate eine vergleichbare oder sogar höhere Wirksamkeit als orale Steroide haben. Geht die Entzündung
537 33.1 · Kolitis
über die linke Flexur hinaus, muss eine orale Medikation erfolgen. Bei gering- bis mäßiggradiger Entzündung sind orale 5-ASA-Präparate die Therapie der Wahl (Mesalazin 3–4,5 g/Tag, Sulfasalazin 4–6 g/Tag, Olsalazin 3 g/Tag). Bei höhergradiger Entzündung werden orale oder intravenöse Steroide eingesetzt. Initial werden 1 mg/kg PrednisolonÄquivalent pro Tag verabreicht, bis die akute entzündliche Erkrankungsaktivität kontrolliert ist. Anschließend erfolgt eine schrittweise Dosisreduktion um 10 mg/Woche und um 5 mg/Woche ab einer Dosis von 30 mg. Auch die orale Budesonid-Gabe ist möglich. In entsprechenden klinischen Studien zeigten 10 mg Budesonid eine vergleichbare Wirkung wie 40 mg Prednisolon. Ist eine längerfristige Immunsuppression sinnvoll (häufig rezidivierende Schüben, fehlende Remission, Steroidnebenwirkungen) soll in erster Linie Azathioprin (2–2,5 mg/kg KG) eingesetzt werden. Bei Unverträglichkeit kann auf 6-Mercaptopurin (1,5 mg/kg KG) ausgewichen werden. Beide Substanzen besitzen einen verzögerten Wirkungseintritt, sodass das therapeutische Ansprechen erst nach 2–3 Monaten erwartet werden kann. Erfahrungsgemäß hält der Nutzen dieser Therapie so lange an, wie die Substanz eingenommen wird und bei vielen Patienten treten beim Absetzen dieser Medikamente Erkrankungsrezidive auf. Aufgrund der zum Teil erheblichen Nebenwirkungen dieser Substanzen (v. a. Hämato- und Hepatotoxizität) sollte deshalb bereits frühzeitig auch eine chirurgische Therapie erwogen werden. Bei fulminanten Verläufen wird zunächst ein Versuch mit einer intravenösen Hochdosis-Steroidtherapie (100 mg Prednisolon-Äquivalent) unternommen. Bei Versagen dieses Versuchs kommt Ciclosporin zum Einsatz. Die übliche Dosierung beträgt 4 mg/kg KG i.v. über 3–7 Tage, anschließend 5 mg/kg KG per os über maximal 3 Monate. Das mittlere Ansprechen liegt bei 50–80% der Patienten mit schwerster Kolitis innerhalb von 7–10 Tagen. Nach initialem Ansprechen sollten überlappend Azathioprin oder 6-Mercaptopurine als Anschlusstherapie eingesetzt werden. Die Indikation zur chirurgischen Sanierung sollte bei schwerem oder fulminantem Verlauf frühzeitig gestellt werden, um nicht eine Notfallkolektomie mit sehr hoher Morbidität und Mortalität zu riskieren. Rein statistisch werden 50% der Patienten, bei denen durch Ciclosporin eine Kontrolle der Erkrankung erreicht werden konnte, innerhalb eines Jahres aufgrund eines erneuten schweren Schubs proktokolektomiert. Als weitere Reservepräparate stehen Methotrexat, Tacrolimus und der TNF-alpha-Blocker Infliximab zur Verfügung. Letzteres sollte eingesetzt werden, wenn Ciclosporin kontraindiziert ist und die Patienten einer Operation eher ablehnend gegenüberstehen. Daneben befinden sich zahlreiche weitere Medikamente in der Zulassung oder werden derzeit im Rahmen von Studien verwendet, wie
z. B. Certolizumab, Etanercept, Adalimumab, Basiliximab, Daclizumab u.v.a.m. Antibiotika (Ciprofloxacin, Metronidazol) finden kaum mehr Verwendung. Nach erfolgreicher Remission sollte eine Rezidivprophylaxe mit 1,5 g 5-ASA pro Tag über mindestens 2 Jahre durchgeführt werden. Bei ausschließlich linksseitiger Kolitis ist die Gabe von Klysmen, bei reiner Proktitis auch die Verwendung von Suppositorien (1 g/Tag oder 2×4 g/Woche) wirksam. Die Gabe von apathogenen E.-coli-Stämmen wurde als gleich wirksam für die Erhaltungstherapie der Colitis ulcerosa beurteilt wie die Standardtherapie mit Mesalazin (. Tab. 33.2; Stange et al. 2001; Rammert u. Kullak-Ublick 2003).
Operationsindikationen Da es sich bei der Colitis ulcerosa um eine isolierte Erkrankung der Kolonschleimhaut handelt, ist die chirurgische Therapie im Gegensatz zur medikamentösen Therapie kausal, d. h. sie führt zur definitiven Heilung der Erkrankung. Vor der Planung elektiver Eingriffe ist die histologische Sicherung der Diagnose obligat. Eine absolute Operationsindikation ist gegeben, wenn konservative Maßnahmen versagen, Komplikationen auftreten oder Karzinomverdacht besteht. . Tab. 33.3 führt die verschiedenen Indikationen zur Elektiv- und Notfallchirurgie auf. Die häufigste Indikation zur chirurgischen Therapie ergibt sich nach erfolgloser medikamentöser Therapie. Dazu zählen fehlendes Ansprechen auf die Therapie, Rezidive nach Absetzen der Therapie, Bedarf exzessiv hoher Steroiddosen oder das Auftreten von Therapiekomplikationen und -nebenwirkungen (Steroidabhängigkeit, Steroidpsychosen, Hypertonie, Diabetes, Osteopenie, aseptische Knochennekrosen usw.). > Als Faustregel gilt, dass 85% der Patienten mit mehr als 8 Stühlen pro Tag oder mit mehr als 3 Stühlen pro Tag und einem CRP>45 mg/l am dritten Tag der Steroidtherapie wegen Therapieversagens operiert werden müssen (Travis 1996).
Schwierig ist die Indikationsstellung beim toxischen Megakolon. Absolute Indikationen für einen operativen Eingriff sind Perforationen, unkontrollierbare Blutungen und zunehmende Dilatation. Eine Perforation oder Blutung erhöhen die Letalität des toxischen Megakolons von 4% auf 33%, weshalb in der Literatur einhellig eine frühzeitige Intervention bevorzugt wird (»Save the patient, not the colon« [Goligher]). Empfohlen wird derzeit ein 7-tägiger, aggressiver medikamentöser Therapieversuch unter engmaschiger, interdisziplinärer intensivmedizinischer Überwachung. Bei Verschlechterung des klinischen Zustands oder fehlender Besserungstendenz innerhalb von 72 h ist die operative Sanierung vor dem Auftreten von Komplikationen angezeigt (Gan 2003).
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Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
. Tab. 33.2 Therapiestandards bei Colitis ulcerosa entsprechend den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselerkrankungen Gering- bis mäßiggradiger Schub (distale Kolitis) Standard
Aminosalizylate (lokal): 1 g/Tag Suppositorien (Proktitis) oder 1 g/Tag Klysmen (Proktosigmoiditis)
Alternative
Kortikosteroide (lokal) als Schaum oder Klysma, z. B. Budesonid 2 mg/Tag
Gering- bis mäßiggradiger Schub (ausgedehnte Kolitis) Standard
Aminosalizylate (oral): 3–4,8 g/Tag, evtl. auch Aminosalizylate lokal
Alternative
Kortikosteroide (oral) 40–60 mg/Tag Prednisolon-Äquivalent
Schwerer oder fulminanter Schub (distale Kolitis) Standard
Kortikosteroide (oral oder parenteral): 40–100 mg/Tag Prednisolon-Äquivalent, evtl. plus Aminosalizylate (lokal)
Schwerer oder fulminanter Schub (ausgedehnte Kolitis) Standard
Kortikosteroide (oral oder parenteral): 40–100 mg/Tag Prednisolon-Äquivalent, evtl. plus Aminosalizylate (lokal)
Falls steroidrefraktär
Zusätzlich: Ciclosporin A (4 mg/kg KG i.v.) oder Tacrolimus (0,01 mg/kg KG) über 3–7 Tage)
Bei Therapieversagen
Proktokolektomie
Chronisch-aktive Erkrankung Standard
Azathioprin (oral) 2,5 mg/kg KG/Tag oder 6-Mercaptopurin (oral)
Rezidivprophylaxe
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Standard
Aminosalizylate (oral) 1,5 g/Tag
Falls ineffektiv/unverträglich
E. coli Nissle (oral) 200 mg/Tag
Wichtige Operationsindikationen stellen Dysplasien oder Karzinomverdacht dar. Aufgrund der bereits erwähnten Schwierigkeiten der histologischen Beurteilung ist eine absolute Operationsindikation erst gegeben, wenn 2 unabhängige Pathologen eine Dysplasie als »high-grade« beurteilen. Häufig finden sich dann bereits invasive Karzinome im Präparat. Dementsprechend wird die Indikationsstellung zur chirurgischen Therapie bereits beim Nachweis von »Low-grade«-Dysplasien diskutiert, auch wenn bislang ein eindeutiger Überlebensvorteil durch die Ausweitung der Indikationsstellung nicht bewiesen wer-
. Tab. 33.3 Operationsindikationen und Häufigkeiten bei Colitis ulcerosa Indikation
Häufigkeit
Therapierefraktäre Kolitis, Therapiekomplikationen
75%
Dysplasie, Kolitis-Karzinom
15%
Toxisches Megakolon (Notfall)
7%
Perforation, Blutung (Notfall)
3%
den konnte (Lim et al. 2003). Bei Patienten mit ausgeprägtem Risikoprofil wird derzeit die prophylaktische Proktokolektomie sogar bereits diskutiert, bevor endoskopisch-bioptisch Epitheldysplasien nachweisbar sind. Diese Überlegungen werden durch die Tatsache beeinflusst, dass der Karzinomentstehung häufig eine Erkrankungsphase vorausgeht, die von intensiver entzündlicher Aktivität geprägt ist. Bereits vorhandene Dysplasien werden dann durch die frisch entzündlichen, aber auch chronischen, regenerativen Veränderungen maskiert und können möglicherweise koloskopisch und histologisch nicht rechtzeitig erkannt werden. Aufgrund der guten Ergebnisse der chirurgischen Therapie mit definitiver Heilung der Erkrankung, Vermeidung von Medikamentennebenwirkungen und guter langfristiger Lebensqualität sollte die Indikation zur elektiven chirurgischen Therapie unseres Erachtens nicht zu restriktiv gestellt werden. Dennoch werden bislang insgesamt weniger als 20% der Patienten mit Colitis ulcerosa im Verlauf ihrer Krankheit operiert. Eine weitere Indikation besteht bei Wachstumsverzögerung bei Kindern mit Colitis ulcerosa. Die chronische Entzündung und die hochdosierte immunsuppressive Therapie können zu schwersten und z. T. irreversiblen körperlichen und psychosozialen Folgeschäden führen, die
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durch die frühzeitige chirurgische Therapie vermieden bzw. wieder aufgeholt werden können. Bei bioptisch indeterminierter Kolitis und klinisch fehlendem Verdacht auf M. Crohn kann entsprechend der Therapie bei Colitis ulcerosa vorgegangen und eine ileoanale Pouch-Operation durchgeführt werden. Postoperativ gelingt bei diesen Patienten zu 95% der histologische Nachweis einer Colitis ulcerosa. Bei den wenigen Patienten mit echter indeterminierter Colitis sind die Ergebnisse nach Pouch-Operation vergleichbar mit denen bei Colitis ulcerosa (Pishori et al. 2004). Bei Verdacht auf M. Crohn ist die restaurative Proktokolektomie jedoch kontraindiziert. ! Cave ! Versagen der medikamentösen Therapie, »Highgrade«-Dysplasien und Karzinomverdacht sind absolute Operationsindikationen.
. Abb. 33.6 Kock-Pouch
Operationsverfahren Proktokolektomie mit endständiger Ileostomie Bis zu Be-
ginn der 1980er-Jahre war die Proktokolektomie mit endständiger Ileostomie (Synonym: Brooke-Ileostomie) die chirurgische Therapie der Wahl bei Colitis ulcerosa. Die Entfernung der gesamten Dickdarmschleimhaut führt zur Beherrschung der mukosalen Grunderkrankung und damit verbunden zu einer wirkungsvollen Tumorprophylaxe. Das endständige Ileostoma stellt allerdings eine erhebliche psychische und physische Belastung für die meist jungen Patienten dar, was zu einer Ablehnung des Verfahrens gleichermaßen bei Patienten und behandelnden Ärzten führte. Die notwendige Operationsindikation wurde deshalb häufig zu spät gestellt bzw. bis zum Eintritt einer Notfallsituation hinausgezögert. Proktokolektomie mit Kock-Pouch Der Kock-Pouch ist eine kontinentes Ileostoma und stellt eine Alternative zur herkömmlichen Ileostomie dar. Eine Klappe, die aus dem terminalen Ileum gebildet wird, gewährleistet die Kontinenz für Gas und Stuhl. Die Operation ist komplex und die Lernkurve hoch. Knapp die Hälfte der Patienten benötigt im Laufe der Zeit eine Reoperation wegen Klappendysfunktion. Zudem leiden viele Patienten an Pouchitis und wässriger Diarrhö, weshalb die Indikation zur KockPouch-Anlage heutzutage selten geworden ist. Nur noch wenige Zentren verfügen über genügend Erfahrung mit dieser Technik (. Abb. 33.6). Proktokolektomie mit Ileumpouch-analer Anastomose Die
Proktokolektomie mit Ileumpouch-analer Anastomose (IPAA, Synonym: restaurative Proktokolektomie) ist heute das chirurgische Standardverfahren und die Therapie der Wahl bei Colitis ulcerosa. Es handelt sich um ein Konti-
. Abb. 33.7 Ileum-J-Pouch als Stuhlreservoir bei restaurativer Proktokolektomie
nenz-erhaltendes Verfahren, das 1978 erstmals von Parks und Nicholls beschrieben wurde. Hierbei wird nach erfolgter Proktokolektomie aus dem terminalen Ileum ein Reservoir (Pouch) gebildet, der als Neorektum mit dem Anus anastomosiert wird (. Abb. 33.7). Im Pouch sammelt sich der dünne und voluminöse Dünndarmstuhl. So kann zum einen die Frequenz der Stuhlentleerung, die nach der einfachen ileoanalen Anastomose bis weit über 20-mal täglich beträgt, zum anderen aber auch die Kontinenz gebessert werden (s. unten).
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Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
seren Kosmetik konnten bislang allerdings keine klaren Vorteile der Laparoskopie nachgewiesen werden. Geringfügig verkürzte Rekonvaleszenz und Liegezeit werden mit deutlich verlängerter Operationszeit und erhöhtem technischen Aufwand erkauft (Ahmed et al. 2009). Subtotale Kolektomie mit terminaler Ileostomie oder ileorektaler Anastomose Die subtotale Kolektomie wird bei
. Abb. 33.8 Auswahl von in der Literatur veröffentlichten PouchKonstruktionen. (Aus: Heuschen et al. 1999)
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Der in der Originalbeschreibung von Parks verwendete S-Pouch ist aufgrund eines langen abführenden Segmentes mit erheblichen Entleerungsstörungen behaftet. Es wurden deshalb andere Pouch-Designs entwickelt, von denen der J-Pouch am weitesten verbreitet ist (. Abb. 33.8). Der W-Pouch und der K-Pouch, die aus einem längeren Ileumsegment gebildet werden, haben möglicherweise eine höhere Dehnbarkeit und Kapazität als ein J-Pouch. Es liegen bislang allerdings keine Studien vor, die eindeutig die Überlegenheit eines bestimmten Pouch-Designs bezüglich der funktionellen Spätresultate belegen. Der Vergleich der einzelnen Pouch-Varianten ist allerdings in den meisten Studien nur sehr eingeschränkt verwertbar, da die einzelnen Pouch-Typen ein unterschiedliches Volumen hatten. Letztendlich scheint das Pouch-Design keine Rolle für die funktionellen Spätresultate zu spielen. Eine gestörte Entleerung bis hin zur Überlaufinkontinenz wurde bei sehr großen Pouches unabhängig vom Pouch-Design beschrieben. Ein zu großes Pouch-Volumen führt zu Stase des Pouch-Inhalts, zu einer dadurch bedingten bakteriellen Fehlbesiedelung und konsekutiv zu einer Verschlechterung der Entleerung. Wegen des geringeren Operationstraumas wird die minimalinvasive Chirurgie gerade bei Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen zunehmend häufiger eingesetzt. Obwohl technisch machbar erfordert die laparoskopische Proktokolektomie eine große technische Erfahrung. Mit Ausnahme der unbestritten bes-
drohenden oder bereits eingetretenen Komplikationen durchgeführt, um den Patienten durch einen schnellen und komplikationsarmen Eingriff aus seiner bedrohlichen Situation zu bringen. Im Notfall erfolgt in der Regel eine Diskontinuitätsresektion mit terminaler Ileostomie und Blindverschluss des Rektums nach Hartmann oder – falls auch dieses sehr brüchig oder vulnerabel erscheint – durch Ausleiten des distalen Sigmas als Schleimfistel. Nach einer Erholungsphase von mehreren Wochen bis Monaten wird dann die Proktektomie durchgeführt. Da bei der Colitis ulcerosa das Rektum immer befallen ist, ist eine elektive Kolektomie mit ileorektaler Anastomose kaum mehr indiziert. Eine Ausnahme stellen junge Patienten mit Kinderwunsch dar, bei denen aufgrund der möglichen Nervenschädigung im Rahmen der Rektumresektion zunächst nur die Kolektomie durchgeführt wird. Nach Abschluss der Familienplanung muss dann die Proktektomie mit Pouch-Anlage nachgeholt werden. Patienten mit ausgedehnter Proktitis, perianalen Fisteln, Rektumstenosen, nachgewiesenen Dysplasien im Rektum und extraintestinalen Manifestationen kommen für dieses Vorgehen nicht in Frage. Die Ileorektostomie ist außerdem als Palliativeingriff bei metastasierendem Kolonkarzinom bei Colitis ulcerosa indiziert. Der Eingriff muss ferner in Erwägung gezogen werden, wenn bei Pankolitis ein M. Crohn nicht ausgeschlossen werden kann.
Verfahrenswahl > Die restaurative Proktokolektomie mit ileoanaler Pouch-Anlage stellt derzeit die Therapie der Wahl zur definitiven Therapie der Colitis ulcerosa dar.
Die totale Proktokolektomie mit permanenter Ileostomie ist die Alternative für Patienten mit präexistenter Stuhlinkontinenz, die für eine ileoanale Anastomosierung nicht in Frage kommen. Ist bereits ein Karzinom nachgewiesen, haben die tumorchirurgischen Radikalitätsprinzipien oberstes Primat. Es besteht dann die Indikation zur Proktokolektomie unter Mitnahme des kompletten Lymphabstromgebiets. Bei tiefsitzenden Karzinomen muss notfalls auf eine Ileumpouch-Anlage verzichtet werden und eine Rektumexstirpation durchgeführt werden. Wegen des häufig multifokalen Auftretens von Karzinomen ist eine limitierte Resektion mit Ausnahme der Palliativsituation obsolet.
541 33.1 · Kolitis
. Tab. 33.4 Operationsverfahren und ihre Indikationen bei Colitis ulcerosa Indikation
Eingriff
Therapierefraktäre Kolitis
Proktokolektomie mit Ileumpouch-analer Anastomose (IPAA)
Schleimhautdysplasien Karzinomprävention Kolitis-Karzinom
IPAA mit Lymphadenektomie
Tief sitzendes Rektumkarzinom
Proktokolektomie mit endständiger Ileostomie und Lymphadenektomie
Sphinkterinsuffizienz
Proktokolektomie mit endständiger Ileostomie
Palliation bei Kolitis-Karzinom
Subtotale Kolektomie mit ileorektaler Anastomose
Kinderwunsch bei guter Entzündungskontrolle im Rektum (temporär) Fulminante Kolitis, toxisches Megakolon Perforation, Blutung
Subtotale Kolektomie mit endständiger Ileostomie, spätere Proktektomie mit Pouchanlage
Unsichere Histologie
Bei fulminanter, therapierefraktärer Colitis, toxischem Megakolon oder Perforation ist die subtotale Kolektomie als Diskontinuitätsresektion indiziert. Von einer Proktokolektomie muss wegen erhöhter Morbidität und Mortalität in der Notfallsituation strikt abgeraten werden. Nur wenn das toxische Megakolon mit einer profusen Blutung aus dem Rektum einhergeht, sollte das Rektum am besten mit einer ultratiefen Hartmann-Resektion mit entfernt werden. Wegen der Fragilität der Darmwand darf dem Kolon anheftendes Omentum majus nicht abgelöst, sondern muss mitreseziert werden. Die größte Gefahr iatrogen eine Perforation zu verursachen liegt im Bereich der linken Kolonflexur, weshalb diese bei der Operation als letzter Schritt mobilisiert werden sollte. Die »Turnbull-Operation«, d. h. die Anlage eines doppelläufigen Ileostomas und multipler Kolostomien zur Dekompression des Dickdarms, belässt den septischen Fokus in situ und wurde daher weitgehend verlassen (Gan u. Beck 2003). Obwohl die Blutung eines der Leitsymptome der Colitis ulcerosa ist, sind therapieresistente Blutungen selten. Meist sind diese Blutungen dann diffus, sodass im Gegensatz zum M. Crohn eine einzelne Blutungsquelle nicht auszumachen ist. In der Notfallsituation sollte daher ebenfalls eine subtotale Kolektomie mit endständiger Ileostomie erfolgen, sofern das Rektum nicht eine relevante Blutungsquelle darstellt (. Tab. 33.4).
Operationstechnik Proktokolektomie Im ersten Schritt wird von abdominell her eine komplette Proktokolektomie durchgeführt. Wenn keine ausgeprägte Adipositas vorliegt, kann diese über eine sparsame mediane oder auch eine kosmetisch günstige,
quere Unterbauchlaparotomie erfolgen. Dies relativiert den Gewinn des laparoskopisch-assistierten Vorgehens. Das Omentum majus wird durch Ablösen vom Colon transversum erhalten. Die Kolektomie erfolgt darmnah unter sicherer Schonung der ileokolischen Gefäße. Bei Karzinomverdacht muss das gesamte Lymphabstromgebiet mitentfernt werden, was die spätere Pouch-Rekonstruktion bei Zökum- oder Colon-ascendens-Karzinomen erschweren kann. Das Rektum wird von abdominal mobilisiert, wobei bei der dorsalen Dissektion des Rektums der Plexus hypogastricus sicher geschont werden muss. Desweiteren muss wegen der Gefahr der Verletzung der Nn. erigentes bei der ventralen Rektumdissektion die Denonvillier-Faszie über den Samenbläschen intakt bleiben. Während früher zur Schonung dieser Strukturen eine rektumwandnahe Präparation innerhalb des Mesorektum empfohlen wurde, wird heutzutage meist eine totale mesorektale Exzision wie beim Rektumkarzinom entlang der endopelvinen Faszien durchgeführt. Im distalen Anteil müssen diese durchtrennt werden (Übergang der Fascia pelvis parietalis und der Fascia pelvis visceralis), um die Präparation bis auf die Levatorenebene und in den intersphinktären Raum hinein fortsetzen zu können. Das Rektum wird dann unter kranialwärts gerichtetem Zug in Ebene des Beckenbodens offen abgesetzt. Bei der laparoskopischen Operation wird meist mit der Mobilisierung des Kolon transversum begonnen, anschließend das rechte und dann das linke Hemikolon mobilisiert, bevor analog zum offenen Vorgehen die Präparation im kleinen Becken erfolgt. Das Präparat wird meist über einen suprasymphysären Pfannenstielschnitt oder die spätere Stomastelle entnommen, kann aber auch durch den
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Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
Anus ganz ohne zusätzlichen Schnitt geborgen werden. Aufgrund der meist langen Operationszeit mit nicht oder spärlich durchblutetem Darm in der Bauchhöhle empfiehlt sich anschließend eine ausgiebige Lavage des Abdomens zur Abszessprophylaxe. ! Cave ! Bei der Proktokolektomie ist die Gefahr einer Verletzung der A. ileocolica zu beachten! Pouch-Bildung Die A. ileocolica und die A. mesenterica
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superior versorgen über darmnahe Gefäßarkaden das terminale Ileum. Der Dünndarm wird 15 cm vor seinem Ende angeschlungen und versuchsweise über das Os pubis gezogen. Der so gebildete Pouch-Apex sollte ca. 3 Querfinger über die Symphyse reichen. Ist die Länge des Mesenteriums trotz kompletter Mobilisierung der gesamten Mesenterialwurzel nicht ausreichend, so kann durch Inzision des Peritoneums über dem Gefäßstamm oder durch Durchtrennung größerer Äste der A. mesenterica sup. ein zusätzlicher Längengewinn erreicht werden, vorausgesetzt der Pouch wird über darmnahe Gefäßarkaden noch ausreichend versorgt. Die J-Pouch-Bildung erfolgt durch antimesenteriale Applikation von zwei 90-mm-Klammernahtgeräten. Die Applikation erfolgt zweimal über die Öffnung des Apex oder alternierend von kaudal und kranial. Um eine Blindsackbildung mit Stase zu vermeiden, kann das blinde Schenkelende End-zu-Seit mit der zuführenden Schlinge anastomosiert werden. Anastomosentechnik In der ursprünglichen Operations-
technik nach Parks wurde der Pouch unter Belassung eines muskulären Rektum-Cuffs nach endoanaler Mukosektomie per Handnaht an der Linea dentata anastomosiert. Hierfür wird die Rektumschleimhaut oberhalb der Linea dentata transanal von der Submukosa disseziert. Eine ausgedehnte Mukosektomie führt jedoch häufig zu Verletzungungen des Sphinkterapparates mit nachfolgender Inkontinenz. Außerdem erhöht die Mukosektomie das Risiko für septische Komplikationen, was langfristig aufgrund der Ausbildung starrer Narbenplatten ebenfalls zu einer Verschlechterung der funktionellen Ergebnisse führt. In vielen Zentren ist man daher dazu übergegangen den muskulären Cuff kurz zu halten und das Rektum 2–3 cm oberhalb der Linea dentata abzusetzen (. Abb. 33.9a). Im Bestreben, die Sphinktertraumatisierung und Komplikationsrate zu reduzieren, wird bei der sog. DoubleStapling-Methode eine sehr tiefe maschinelle Anastomose ca. 1–2 cm oberhalb der Linea dentata durchgeführt. Hierfür wird das Rektum knapp oberhalb des Beckenbodens mit einem Klammernahtgerät verschlossen und abgesetzt. Die Anastomosierung erfolgt mit einem transanal eingeführten zirkulären Klammernahtgerät nach Durchspie-
ßung des blind verschlossenen Rektumstumpfs mit dem Zentraldorn des Staplers. Allerdings konnte die theoretisch zu erwartende Verbesserung der funktionellen Ergebnisse durch Erhalt der Transitionalzone bislang nicht eindeutig nachgewiesen werden. Ein wesentlicher Nachteil des Double-Stapling ist das Belassen eines Rektumrestes von 0,5–4 cm mit dem Risiko der malignen Entartung. In der eigenen Erfahrung kann das Rektum mit modernen Klammernahtapparaten unmittelbar oberhalb der Linea dentata abgesetzt und die ileoanale Double-Stapling-Anastomose in Höhe der Linea dentata durchgeführt werden, was dieses Risiko deutlich vermindert. Eine Empfehlung aufgrund randomisierter und kontrollierter Studien kann bislang nicht gegeben werden. Wegen der deutlich unkomplizierteren Anastomosierung hat sich das Double-Stapling in vielen Zentren durchgesetzt (. Abb. 33.9b). Alternativ kann das Rektum nach intersphinktärer Präparation knapp oberhalb der Linea dentata offen abgesetzt, der freie Analrand von perineal mit Duval-Klemmchen gefasst und der kraniale Anteil des inneren Analschließmuskels scharf von der Pars profunda des Sphincter ani ext. gelöst werden. Der freie anorektale Rand wird mit einer Tabaksbeutelnaht versehen und eine maschinelle Anastomose durchgeführt (. Abb. 33.9c). Die damit verbundene Resektion der sensiblen Transitionalzone führt nicht zu einer Erhöhung der Inkontinenzrate (Willis et al. 2003). Die Anlage eines protektiven Deviationsileostomas ist fakultativ und bleibt dem Operateur überlassen. Ein solches schützt zwar nicht vor Nahtbrüchen, grenzt aber die von der Insuffizienz ausgehenden Komplikationen weitgehend ein. Bei Risikopatienten unter Steroid- oder immunsuppressiver Therapie sollte eine protektive Ileostomie für 6–12 Wochen angelegt werden (de Montbrun u. Johnson 2009).
Intra- und postoperative Komplikationen Die Letalität des Eingriffs liegt unter 1%. Entsprechend der Komplexität und Schwere der Operation sind Komplikationen bei bis zu 60% der Patienten beschrieben. Schwerere Komplikationen, die einer Reoperation bedürfen, treten bei bis zu einem Viertel der Patienten auf (Bach u. Mortensen 2007). Pelvine septische Komplikationen werden je nach Operationstechnik zwischen 0 und 17% beschrieben. Ursächlich sind infizierte Hämatome und Nahtbrüche der ileoanalen bzw. Pouch-Anastomosen. Anastomoseninsuffizienzen entstehen am ehesten als Folge zu großer Nahtspannung oder sekundär bei Spontanentleerungen von Cuff-Abszessen über den Pouch oder die ileoanale Anastomose. Unter Ileostomieschutz treten bis zu 16% klinisch inapparente Insuffizienzen auf, die meist spontan abheilen. Durch Narbenbildung kann es in der Folge zur Ausbildung von Strikturen, Stenosen oder einer kompletten Sklero-
543 33.1 · Kolitis
a
c
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. Abb. 33.9a–c Technik der Ileumpouch-analen Anastomose. a Transanale Mukosektomie und Handnaht; b Double-Stapling; c intersphinktäre Resektion mit Stapleranastomose
sierung des Pouches (»frozen pelvis«) mit konsekutiver Verschlechterung der funktionellen Ergebnisse kommen. Insgesamt verlieren bis zu einem Viertel der Patienten mit klinisch manifester Anastomoseninsuffizienz in der Folge ihren Pouch. Etwa ein Drittel der Patienten müssen sich wegen langstreckiger Stenosen wiederholten Analdilatationen in Narkose unterziehen. Dies betrifft vorwiegend Patienten mit endorektalem Durchzug, bei denen in höherem Ausmaß mit langstreckigen Stenosen durch Schrumpfung des Rektum-Cuffs auf dem Boden von Durchblutungsstörungen im Bereich des Pouch-Auslasses und der Sphinkteren zu rechnen ist. Die Rate lokaler Komplikationen steht in engem Zusammenhang mit der Erfahrung des Operateurs (Kiran et al. 2010). Eine Sonderform lokal entzündlicher Probleme nach ileoanaler Pouch-Operation stellt die sog. Cuffitis dar. Es handelt sich um eine akute Entzündung des supraanal belassenen Rektummukosaringes nach Pouch-analer Stapleranastomose, die zu Schleim- und Blutabgang, analem Juckreiz oder Schmerzen führen kann. Sie tritt bei etwa 10% der Patienten auf und spricht meist auf eine konservative Therapie mit lokal oder systemisch applizierten Steroiden oder 5-ASA an (Thompson-Fawcett et al. 1999). Dünndarmobstruktionen sind Adhäsionen anzulasten und treten in bis zu 23% auf. Nur 13−17% bedürfen einer operativen Behandlung. Die Misserfolgsrate der ileoanalen Pouch-Operation liegt in größeren Serien zwischen 3 und 15% innerhalb von 10 Jahren (Fazio et al. 2003). Eine erneute Pouch-Anlage ist meist nicht möglich, sodass der Pouch häufig exstirpiert und ein endständiges Ileostoma angelegt werden muss. Die Exzision des Pouch ist mit einer hohen Morbidität von 63% behaftet, wobei perineale
Wundheilungsstörungen die häufigsten Komplikationen ausmachen (Karoui et al. 2004). Insgesamt ist die postoperative Komplikationsrate nach ileoanaler Pouch-Operation jedoch niedriger einzuschätzen als nach Proktokolektomie mit permanenter Ileostomie.
Pouchitis Bei der Pouchitis handelt es sich um eine unspezifische Entzündung des Ileumpouch. Es ist die häufigste Langzeitkomplikation nach ileoanaler Pouch-Operation mit einer Häufigkeit bis zu 50% nach 10 Jahren. Die Ätiologie ist bislang unbekant; Risikopatienten sind Patienten mit primär sklerosierender Cholangitis, extraintestinalen Manifestationen und Nichtraucher. Die Diagnose wird gestellt anhand klinischer Symptome (Diarrhö, z. T. blutig, Stuhldrang, Tenesmen, Fieber, extraintestinale Manifestationen) und endoskopischem und histologisch-bioptischem Entzündungsnachweis. Sie wird je nach Verlauf in eine akute und chronische Verlaufsform unterschieden und anhand verschiedener Scoring-Systeme klassifiziert, von denen der »Pouchitis Disease Activity Index« (PDAI) am weitesten verbreitet ist (. Tab. 33.5; Sandborn et al. 1994). Die meisten Patienten haben nur einige milde Pouchitisepisoden und sprechen gut auf Antibiotika (Metronidazol 10–20 mg/kg/Tag oder Ciprofloxacin 2×500 mg über 2 Wochen) an. Probiotika sind wirksam zur Remissionserhaltung und ggfs. bei Nichtansprechen der antibiotischen Therapie. Etwa 25% der Patienten mit Pouchitis leiden an rezidivierender, schwerer Pouchitis und etwa 5% an chronischer Pouchitis. Diese werden entsprechend der medikamentösen Therapie der Colitis ulcerosa mit topischen Kortikosteroiden, 5-ASA, Immunsuppressiva oder topischem Bismuth behandelt. Bei
33
544
Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
. Tab. 33.5 »Pouchitis Disease Activity Index« (Maximum 18 Punkte; eine Pouchitis liegt definitionsgemäß bei ≥7 Punkten vor) Klinik Stuhlfrequenz
Stuhldrang/ Krämpfe
Rektaler Blutabgang Fieber >37,8°C
Score Normal postoperativ
0
1–2 Stuhlgänge mehr als normal postoperativ
1
≥3 Stuhlgänge mehr als normal Postoperativ
2
Keine
0
Gelegentlich
1
Gewöhnlich
2
Nie/selten
0
Täglich
1
Nein
0
Ja
1
Endoskopie
33
Ödem
1
Granulationen
1
Kontaktvulnerabilität
1
Verlust der Gefäßzeichnung
1
Schleimexsudation
1
Ulzerationen
1
Histologie Polymorphe Leukozyteninfiltration
Ulzerationen
Keine
0
Mild
1
Mild + Kryptenabszesse
2
Ausgeprägt + Kryptenabszesse
3
Keine
0
<25%
1
25–50%
2
>50%
3
Nichtansprechen auf die medikamentöse Therapie ist die Pouch-Exzision indiziert (Pardi et al. 2009).
Funktionelle Ergebnisse Nach ileoanaler Pouch-Operation wird zwar die Kontinenz erhalten, eine Restitutio ad integrum wird jedoch nur inkomplett erreicht. Bei äußerer Integrität des Abdomens bleibt die Stuhlfrequenz lebenslang erhöht und die Kontinenzleistung ist häufig zumindest partiell eingeschränkt. Nach einer Adaptationsphase von 6–12 Monaten haben die Patienten im Durchschnitt 5–7 Stuhlgänge pro Tag und
einen Stuhlgang pro Nacht. Ein Teil der Patienten benötigt permanent eine zusätzliche Medikation zur Stuhleindickung (Willis et al. 2003, Bach u. Mortensen 2007). Eine Analyse verschiedener Studien ergab, dass eine gute Kontinenz nach ileoanaler Pouch-Operation bei 43– 89% der Patienten erreicht werden konnte. 5–36% der Patienten hatten eine eingeschränkte Kontinenz mit Stuhlschmieren und der Notwendigkeit, dauerhaft oder gelegentlich eine Vorlage verwenden zu müssen. Tagsüber waren im Durchschnitt 80% aller Patienten vollständig kontinent. Ob und inwieweit durch den Alterungsprozess langfristig eine Verschlechterung der funktionellen Ergebnisse eintritt, kann derzeit nur spekuliert werden. Aufgrund der verbreiteten Einführung der restaurativen Proktokolektomie erst während der letzten 25 Jahre und des vorwiegend jungen Patientenkollektivs sind solche Daten derzeit naturgemäß noch nicht verfügbar. An ausgewählten Patienten konnte jedoch bereits gezeigt werden, dass die ileoanale Pouch-Operation auch bei über 70-Jährigen mit gutem Erfolg machbar ist. Hauptursache postoperativer Inkontinenzen ist der individuell unterschiedlich ausgeprägte Ruhedruckverlust im Analkanal. Er beträgt etwa 40–45% des Ausgangsruhedrucks und wird zumindest teilweise als Folge einer übermäßigen Dehnung des inneren Analschließmuskels im Rahmen der Mukosektomie gesehen (Kroesen et al. 1999). Der Funktionserhalt nach ileoanaler Pouch-Operation wird meist mit Gewinn an Lebensqualität gleichgesetzt, obwohl eine enge Korrelation zwischen Lebensqualität und Kontinenzfunktion nicht belegt ist (Willis et al. 2003). Der heilende und damit entscheidende Schritt zur Verbesserung der Lebensqualität bei Kolitispatienten ist die Entfernung des erkrankten Kolons und nicht der Funktionserhalt durch die Pouch-Anlage. Heuschen et al. konnten in einer prospektiven Verlaufsstudie nachweisen, dass die Lebensqualität von Kolitispatienten nach Proktokolektomie und LoopIleostomie signifikant zunahm, während die Wiederherstellung der natürlichen Stuhlpassage durch den Ileostomieverschluss keinen signifikanten Zugewinn mehr ergab (Heuschen 1998). Dementsprechend ist die Lebensqualität nach Proktokolektomie mit endständiger Ileostomie nur unwesentlich schlechter als nach restaurativer Proktokolektomie. Lediglich in den Aktivitätsbereichen Sport und Sexualleben zeigten Patienten nach IPAA bessere Resultate als die beiden anderen Gruppen (Camilleri-Brennan et al. 2003; Berndtsson et al. 2004).
Nachsorge Es besteht nur ein sehr geringes Risiko für eine De-novoEntsehung von Dysplasien in der Pouch-Mukosa, wobei Patienten mit chronischer Pouchitis möglicherweise stärker betroffen sind. Dysplasien und Karzinome entstehen vorwiegend in der analen Transitionalzone nach Double-
545 33.1 · Kolitis
Stapling oder inkompletter Mukosektomie, weshalb eine jährliche endoskopische Nachuntersuchung mit Biopsieentnahme allgemein empfohlen wird (Thompson-Fawcett et al. 2001). > Durch die Proktokolektomie ist im Gegensatz zur medikamentösen Therapie eine definitive Heilung der Colitis ulcerosa und damit eine wirksame Karzinomprävention möglich. Der ileoanale Pouch löst die Probleme des Dickdarmverlusts von allen zur Verfügung stehenden Verfahren hinsichtlich äußerer Integrität, Lebensqualität und Funktion am besten. Die Stuhlfrequenz bleibt langfristig erhöht und die Kontinenzleistung ist häufig zumindest partiell eingeschränkt. Aufgrund der schweren präoperativen Einschränkungen durch die Colitis ulcerosa bedeutet dies für die meisten Patienten dennoch eine deutliche Verbesserung ihrer Lebensqualität, weshalb die Operationsindikation häufiger und früher als bisher gestellt werden sollte.
33.1.7
Literatur
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33
546
Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
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33.1.8
33
Internetadressen
www.dccv.de: Deutsche Morbus Crohn/Colitis ulcerosa Vereinigung www.oemccv.or.at: Österreichische Morbus Crohn-Colitis ulcerosa Vereinigung www.smccv.ch: Schweizerische Morbus Crohn-Colitis ulcerosa Vereinigung www.awmf-online.de: Leitlinien Colitis ulcerosa www.kompetenznetz-ced.de: Informationen für Ärzte und Patienten
33.2
Divertikulose und Divertikulitis R. Kasperk, S. Willis
Divertikel sind sackartige Ausstülpungen der Darmschleimhaut durch Lücken in der Muskelschicht der Darmwand. Sie können im gesamten Gastrointestinaltrakt vorkommen, treten jedoch in einigen Regionen häufiger auf: im oberen Ösophagus, im Jejunum und im Dickdarm, wobei vor allem letztere klinisch relevant sind. Das Vorhandensein von Divertikeln im Dickdarm bezeichnet man als Divertikulose, die zumeist asymptomatisch ist und keinen Krankheitswert hat. Die symptomatische Divertikulose ist schwer von anderen funktionellen Krankheitsbildern (Reizdarm) abzugrenzen. Zudem muss die segmentale, mit der Divertikulose assoziierte Colitis (SCAD) von der eigentlichen Divertikulitis unterschieden werden. Die Divertikelkrankheit im engeren Sinne bezeichnet die Entzündung eines oder mehrerer Divertikel. Komplikationen des Entzündungsprozesses sind vor allem gedeckte (Abszess, Fistel) und freie (Peritonitis) Perforationen sowie Obstruktionen. Klinisch relativ blande »Divertikulitiden« müssen von Kolitiden anderer Art (z.B. SCAD) abge6
grenzt werden. Die Divertikelblutung erfolgt eher aus nicht akut-entzündlich veränderten Divertikeln und ist die häufigste Ursache der akuten unteren gastrointestinalen Blutung. Bei rezidivierender, den Patienten erheblich beeinträchtigender und vor allem bei komplizierter Divertikulitis liegt eine Indikation zur Sigmaresektion vor. Dagegen ist die Divertikelblutung zunehmend eine Domäne der Endoskopie.
33.2.1
Grundlagen
Anatomie und Pathogenese Bei den Divertikeln des Dickdarms handelt es sich um sog. »falsche« Divertikel, bei denen die Schleimhaut durch gefäßbedingte Lücken der Muskelwand herniert (. Abb. 33.10). Alle Wandstrukturen des Kolons sind an diesem Prozess beteiligt: 4 die Schleimhaut herniert und bildet den Divertikelsack, 4 die Submukosa bildet die notwendige Verschiebeschicht zwischen Schleimhaut und Muskelrohr, 4 die Gefäße fungieren als Leitschienen und ihre Gefäßlücken sozusagen als Bruchpforten, 4 die Ringmuskulatur führt zur Ausbildung sog. Druckkammern mit einem erhöhten intraluminären Druck, 4 die kontrakten Tänien verkürzen das muskuläre Darmrohr (»Konzertinaform«). Divertikel sind zunächst intramural gelegen (inkomplette Divertikel) und ragen erst im weiteren Verlauf über das Niveau der äußeren Muskelwand hinaus. Intramurale Divertikel weisen oft einen sehr engen Hals auf und sind daher auch für die Entstehung einer Divertikulitis prädisponierend. Das komplette Divertikel weist meist einen weiten Hals auf, der Divertikelsack wird nicht mehr von
. Abb. 33.10 Schemazeichnung eines Kolonsegments mit Divertikeln (falsches Divertikel, gebildet aus Mukosa und Serosa)
547 33.2 · Divertikulose und Divertikulitis
Muskulatur bedeckt. Rechtsseitige, im Zökum gelegene Divertikel sind durchschnittlich größer; damit kann das über die Divertikelwand und -kuppe ziehende Vas rectum auch in einem längeren Abschnitt geschädigt werden. Dies erklärt anatomisch die bekannte größere Blutungsneigung rechtsseitiger Dickdarmdivertikel. Jedes Divertikel kann zum Ausgangspunkt einer Entzündung werden, wobei nicht sicher ist, dass dieser immer eine Inkarzeration von Darminhalt im Divertikel zugrunde liegen muss. Möglicherweise reichen auch schon kleinste mechanische Alterationen, die dann zu Mikroperforationen führen und die Entzündung initiieren. Je nach Lokalisation des Divertikels und Grad des Entzündungsprozesses entwickelt sich aus dem lokalen Prozess eine Peridivertikulitis oder auch eine Perikolitis mit oder ohne Perforation in die freie Bauchhöhle. > Schon ein einziges, ggf. inkomplettes Divertikel kann im Entzündungsfall das gesamte Komplikationsspektrum der Divertikelkrankheit auslösen.
Die mit 80–90% bevorzugte Lokalisation der Divertikel ist das Kolon sigmoideum. Dies gilt zumindest für westliche Länder, während in asiatischen Ländern umgekehrte Verhältnisse mit einer Bevorzugung des rechten Kolons in 40–80% vorliegen, die auch nach Migration erhalten bleibt (Nakaji 2002). Die Patienten sind bei Krankheitsbeginn durchschnittlich 20 Jahre jünger als diejenigen in westlichen Ländern mit der typischen linksseitigen Divertikulitis. Die Ursachen hierfür sind unbekannt.
Epidemiologie Die Divertikulose nimmt zumindest in den westlichen Industrienationen in den letzten Jahrzehnten an Häufigkeit zu und ist in ihrer Inzidenz bzw. Prävalenz in einer gleichen Größenordnung wie Adipositas, koronare Herzkrankheit und Diabetes mellitus anzusetzen. Die Divertikuloseprävalenz zeigt eine klare Altersabhängigkeit, da die unter 50-Jährigen zu ungefähr 1/3 und die über 80-Jährigen zu 2/3 betroffen sind. Es gibt keine eindeutige Geschlechtsprädilektion, wobei Frauen durchschnittlich 5 Jahre später Komplikationen entwickeln, die eine chirurgische Therapie erfordern. In Bezug auf die Komplikationen zeigen Männer eine etwas höhere Inzidenz der Blutung, wogegen Frauen eine höhere Inzidenz von Striktur und Obstruktion aufweisen (McConnell 2003). Von den Patienten mit einer Divertikulose bleiben ca. 70% asymptomatisch, 5–15% erleiden eine Divertikelblutung und 10–25% entwickeln eine Divertikulitis (. Abb. 33.11).
Pathogenese Ätiologisch werden immer wieder bestimmte Lebensumstände der westlichen Industriegesellschaften diskutiert:
. Abb. 33.11 Natürlicher Verlauf der Divertikelkrankheit
Dies gilt insbesondere für einen niedrigen Anteil an Ballaststoffen und ein Überwiegen von hoch raffinierten Zuckern in der Nahrung. Echte Beweise im Sinne evidenzbasierter Studien gibt es hierzu allerdings nach wie vor nicht. Dennoch scheinen die Zugehörigkeit zu bestimmten ethnischen Gruppen, geringe physische Aktivität, die Einnahme von nichtsteroidalen Antirheumatika oder Kortikosteroiden und die Existenz anderer Erkrankungen, z. B. einer Niereninsuffizienz bei Zystennieren, prädisponierende Faktoren für die Entwicklung einer Divertikulitis zu sein (Morris 2003). Auf der funktionellen Ebene werden Motilitätsstörung bzw. Drucksteigerung als Ursachen diskutiert (Simpson 2003). Allerdings ist die Datenlage uneinheitlich und von Widersprüchen hinsichtlich der Ursachen-Wirkungsbeziehung gekennzeichnet (Commane 2009). Auf morphologischem bzw. strukturellem Niveau sind bereits seit längerem eine Abnahme der elastischen Fasern in der Darmwand und eine Veränderung der Architektur der Muskelzellen bei Divertikulitis bekannt. Darüber hinaus weiß man, dass mit zunehmendem Alter die »cross links« innerhalb der Kollagenfibrillen der Darmwand zunehmen und damit die Elastizität ohnehin schrumpft. Insgesamt ist der Kollagengehalt der Darmwand im Fall einer Divertikulitis höher als in nicht betroffenen Fällen. Parallel dazu lässt sich in der Darmwand von Divertikulitispatienten eine verminderte Expression der Matrixmetalloproteinasen 1 und 13 und eine Überexpression der Matrixmetalloproteinasen 2, 3 und 9 nachweisen (Schumpelick u. Kasperk 2001). Dies steht wiederum in enger Beziehung zu einer gleichfalls nachweisbaren Rarefizierung von Nervenzellen im Plexus submucosus und myentericus bei der Divertikulitis, also von Nervengeflechten, die maßgeblich an der Vermittlung motorischer Funktionen der Darmwand beteiligt sind. Hier zeigen sich gewisse Parallelen zu den histopathologischen Kriterien einer intestinalen neuronalen Dysplasie. Als Bindeglied zu den beschriebenen funktionellen Veränderungen lassen sich schließlich Untersuchungsergebnisse interpretieren, die die intrinsische Innervationsstörung auf Transmitter-Niveau untersuchen. Es ließ sich zeigen, dass die divertikeltragende Kolonwand eine verminderte Reaktion auf relaxierende Transmitter-
33
548
Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
. Abb. 33.12 Formen und Häufigkeit der komplizierten Sigmadivertikulitis. (Nach Oertli et al. 1993)
33
substanzen zeigt, entweder aufgrund eines Überwiegens der aktivierenden Transmittersubstanzen oder durch beschleunigten Abbau der relaxierenden Transmitter (YoungFadok u. Farrugia 2003). Kritisch muss allerdings zu diesen pathophysiologischen Daten angemerkt werden, dass bislang nicht sicher festzulegen ist, ob es sich bei den beschriebenen Veränderungen um primäre Ursachen oder vielmehr Folgezustände in einem divertikulitisch veränderten Darm handelt. Da sich auch starke Hinweise für eine entzündliche Ursache (autoinflammatorisch?) z.B. des Reizdarmsyndroms finden, ist anzunehmen, dass einige Krankheitsbilder, die als Sonderformen einer Kolitis anzusehen sind, bislang unter der unscharf definierten Rubrik einer »unkomplizierten Divertikulitis« oder »chronisch rezidivierenden Divertikulitis« subsummiert werden (Thorsen 2007; DeGiorgio 2008). Entsprechendes gilt auch für die SCAD.
Segmentale, Divertikulose-assoziierte Kolitis Bei der segmentalen, Divertikulose-assoziierten Kolitis (SCAD, »segmental colitis associated with diverticulosis«) handelt es sich um eine mukosale Entzündung im divertikeltragenden Dickdarm ohne Entzündung der eigentlichen Divertikel (Freeman 2008). Die Klinik entspricht der sog. unkomplizierten Divertikulitis, der Verlauf ist oftmals selbstlimitierend, seltener auch chronisch-rezidivierend. Ein Übergang in die Colitis ulcerosa ist beschrieben, histologisch bestehen deutliche Parallelen zu anderen chronischen Kolitiden (Harpaz 2006). Ätiopathogenetisch wer-
den Veränderungen der bakteriellen Flora durch Stase in Kombination mit einer relativen Ischämie der Mukosa und einer gesteigerten Exposition gegenüber luminalen Antigenen bzw. Toxinen diskutiert. Therapeutisch (sofern überhaupt notwendig) spricht die Erkrankung sehr gut auf 5-Aminosalizylate und nicht resorbierbare Antibiotika (Rifaximin) an.
Krankheitsverlauf der klassischen Divertikulitis Aufgrund der weit differierenden Literaturangaben zur Häufigkeit der Entwicklung einer Divertikulitis bei vorhandenen Divertikeln ist die immer wieder zitierte Zahl von maximal 10–25% nach wie vor als Schätzung anzusehen. Die Mehrzahl dieser Erkrankungen verläuft als unkomplizierte Divertikulitis, die gut auf konservative Therapie anspricht. In ca. 1/4 der Fälle entwickelt sich eine komplizierte Form die eine interventionelle bzw. operative Therapie erfordert. Dabei stellen Fistelbildung, Darmobstruktionen durch narbige oder entzündliche Stenosen, gedeckte Perforationen mit Abszessbildung und freie Perforationen mit Peritonitis die häufigsten Komplikationen dar (. Abb. 33.12). Während klinisch relevante Blutungen bei der akuten Divertikulitis eher eine Rarität darstellen, sind sie die häufigste Komplikation der Divertikulose. Von den initial konservativ behandelten Patienten mit einer Divertikulitis entwickeln bis zu 30% langfristig rezidivierende Beschwerden, aber nur 5% der initial konservativ behandelten Patienten mit unkomplizierter Divertikulitis
549 33.2 · Divertikulose und Divertikulitis
. Abb. 33.13 Klassifikation der perforierten Divertikulitis nach Hinchey. Grad I: mesenterial gelegene Phlegmone oder Abszess, Grad II:
parakolischer Abszess mit Quadrantenperitonitis, Grad III: diffuse eitrige Peritonitis, Grad IV: diffuse kotige Peritonitis
mussten später notfallmäßig operiert werden. In bis zu 80% der Patienten mit einer perforierten Divertikulitis handelt es sich um die Erstmanifestation und bei denen, die im Rahmen dieser Perforation versterben, sogar in 90%. Das Rezidivrisiko nach Resektion liegt zwischen 2 und 10%. Für einen besonders komplikationsträchtigen Verlauf der Divertikulitis beim (gut eingestellten) Diabetiker gibt es keine Beweise. Auch der immer zitierte Hinweis, dass die Divertikulitis beim jüngeren Menschen eine aggressivere Erkrankung sei, lässt sich nicht sicher belegen (Guzzo u. Hyman 2004). Die hohe Zahl an Primäroperationen, die das Bild eines relativ schwereren Verlaufes suggerieren, wird durch eine hohe Anzahl an präoperativen Fehldiagnosen relativiert.
nannt werden. Allerdings muss man nach gegenwärtigem Kenntnisstand davon ausgehen, dass symptomatische Divertikulose, unkomplizierte Divertikulitis und komplizierte Divertikulitis eher nicht Ausschnitte aus einem Spektrum darstellen (Chapman 2006). Es handelt sich vielmehr um eigenständige klinische Entitäten, und der Wechsel von einem Erkrankungstyp zum anderen ist die Ausnahme und nicht die Regel (Salem 2007). Die klinische Relevanz aller Klassifikationen ist dementsprechend gering. Die größte Verbreitung in der Literatur hat die 1978 von Hinchey publizierte Stadieneinteilung gefunden, die sich allerdings lediglich auf die Perforationssituation bezieht und diese in Stadien von I bis IV unterteilt (. Abb. 33.13). Kritisch ist zu dieser Klassifikation anzumerken, dass sie auf einer unizentrischen retrospektiven Analyse von nur 95 operierten Patienten beruht, sodass z. B. in das sog. Stadium IV mit generalisierter kotiger Peritonitis lediglich 7 Patienten fielen (Hinchey 1978).
33.2.2
Klassifikation
Es gibt vielfältige Bemühungen das Krankheitsausmaß bei klinischer Manifestation der Divertikelkrankheit exakt zu definieren. Alle dieser mehr als 15 Klassifikationssysteme gehen von einem Krankheitskontinuum der Divertikelkrankheit aus und definieren dementsprechend Segmente aus diesem vermuteten Kontinuum, die dann Stadien ge-
33.2.3
Klinische Symptomatologie
Klinisches Leitsymptom der Divertikulitis ist der Schmerz im linken Unterbauch mit oder ohne peritonitischer Abwehrreaktion (Schumpelick u. Kasperk 2001). Die Schmerz-
33
550
Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
lokalisation entspricht dem anatomischen Verteilungsmuster der Divertikelkrankheit. In den westlichen Ländern findet sich diese zu über 90% im linksseitigen Kolon, meist im Kolon sigmoideum, und nur zu 1–2% im rechtsseitigen Kolon. In den asiatischen Ländern hingegen finden sich 40–80% der Divertikulitiden im rechtsseitigen Kolon! Wenn Patienten Episoden mit ähnlicher Symptomatik in der Vorgeschichte angeben, ist das kein Beweis für vorangegangene Divertikulitis-»Schübe«. Gerade uncharakteristische Allgemeinbeschwerden wie Krankheitsgefühl, Inappetenz, Übelkeit und Meteorismus können meist erfragt werden, mäßiges Fieber und Leukozytose weisen auf den entzündlichen Prozess hin. Allerdings können sich zahlreiche Kolitiden anderer Genese (ischämisch, pharmakogen etc.) in gleicher Weise manifestieren. Zu betonen ist, dass eine Divertikulitis in allen Fällen von Erkrankungen des Mittel- und Unterbauches als Differenzialdiagnose in Betracht gezogen werden muss (Divertikulitis als »klinisches Chamäleon«). Insbesondere kann die Mitbeteiligung der ableitenden Harnwege bzw. des inneren Genitale zu differenzialdiagnostischen Schwierigkeiten führen. Die sog. Rechtsdivertikulitis ist in der westlichen Welt eine Rarität, führt aber aufgrund der schwierigen Abgrenzung zur Appendizitis oft zur Operation.
33
> Bei allen entzündlichen Erkrankungen des Mittelund Unterbauchs ist die Divertikulitis eine in Betracht zu ziehende Differenzialdiagnose.
33.2.4
Diagnostik
Typische Anamnese und klinische Untersuchung begründen die Verdachtsdiagnose einer Divertikulitis. Laborchemie, Abdomensonographie und, bei klinischem Verdacht, die Abdomenröntgenübersichtsaufnahme stellen die überall verfügbare Basisdiagnostik dar. Weitergehende Aussagen insbesondere bei unklarer Klinik oder vermutetem Vorliegen einer komplizierten Verlaufsform erlaubt vor allem die Abdomencomputertomographie (Kaiser 2004). Die CT liefert die umfassendste Aussage auch im Hinblick auf extraluminale Organveränderungen oder -beteiligungen (Abszess, Fistel, Gefäßkomplikationen, Leberbeteiligung, inneres Genital etc.) (. Abb. 33.14; Rotert 2003). Der Kolonkontrasteinlauf ist kostengünstiger, beschränkt sich aber in seiner Aussage auf intraluminale Veränderungen und ist daher als Routinediagnostik weitgehend verlassen worden (. Abb. 33.15). In fast allen Fällen kann die Diagnose allein aufgrund der klinischen Symptome und einer im Ultraschall nachweisbaren Kokarde als Ausdruck des Darmwandödems gestellt werden. Nach Ausschluss einer freien Perforation durch die Abdomenröntgenübersichtsaufnahme kann eine CT meist frühelektiv zum nächst
verfügbaren Zeitpunkt im Routinebetrieb vorgenommen werden. > Zwingend erforderliche Akutdiagnostik bei Verdacht auf Divertikulitis: Klinik, Sonographie, Labor, Abdomenröntgenübersichtsaufnahme. Eine CT (seltener Kontrasteinlauf) ist zum frühelektiven Zeitpunkt oft sinnvoll.
Die Koloskopie ist im Stadium der schweren akuten Divertikulitis wegen Perforationsgefahr kontraindiziert. Ihr Stellenwert liegt allerdings bei eher diskreter Klinik im initialen Ausschluss einer Kolitis und in der Kolonabklärung im Intervall zum differenzialdiagnostischen Ausschluss eines Tumorgeschehens. Zum anderen ist sie diagnostisches Mittel der Wahl in der Notfallsituation einer akuten unteren gastrointestinalen Blutung (Messmann 2003). Sie sollte hierbei unverzüglich, d. h. ohne den Versuch einer orthograden Lavage, von einem geübten Endoskopeur vorgenommen werden. Auf diese Weise ist es am wahrscheinlichsten möglich, den Ort der Blutung genau zu identifizieren. Eine Szintigraphie oder Angiographie liefern, sofern sie überhaupt noch in der akuten Phase der Blutung stattfinden (hohe Rate spontanen Sistierens, s. unten), dagegen nur ungefähre Informationen zur Blutungslokalisation. Liegt nach Abklingen der akuten Divertikulitis eine Stenosierung vor, die eine Komplettinspektion des Kolonrahmens mittels Endoskopie unmöglich macht, ist es nach orientierender Durchführung eines Kontrasteinlaufs indiziert, zunächst zu resezieren und die Komplettendoskopie ca. 2–3 Monate postoperativ nachzuholen. Je nach konkret vorliegender Symptomatik kann es im Einzelfall erforderlich werden, dieses diagnostische Repertoire um weitere Maßnahmen, z. B. in Hinblick auf urologische oder gynäkologische Erkrankungen zu erweitern. Auch die explorative Laparoskopie hat hier durchaus ihren Stellenwert.
33.2.5
Therapieziele und Indikationsstellung
Divertikulitis Die Therapie der unkomplizierten Sigmadivertikulitis ist konservativ und besteht in Antibiotikagabe, Nahrungskarenz, parenteraler Ernährung und Bettruhe. Darunter werden 80% der Patienten mit einem ersten Divertikulitisschub dauerhaft beschwerdefrei. Nur ein kleiner Prozentsatz entwickelt nach konservativ behandeltem erstem Schub Komplikationen oder weitere Entzündungsschübe. Für diese Patienten gibt es daher keine Indikation für eine operative Therapie. Wichtige Maßnahmen nach erfolgreich konservativ behandeltem erstem Schub einer Sigmadivertikulitis ist die Durchführung einer Koloskopie zum
551 33.2 · Divertikulose und Divertikulitis
. Abb. 33.14 Darstellung der komplizierten Divertikulitis im CT. Nachweis eines lokalisierten Abszesses (Kontrastmittelenhancement und Lufteinschlüsse) im mesenterialen Fettgewebe (Pfeil)
. Abb. 33.15 Kolonkontrasteinlauf bei akuter Sigmadivertikulitis. Nachweis einer fixierten Stenose im mittleren Sigma und die für die Entzündung charakteristischen spitz zulaufenden, ödematös verquollenen Divertikelhälse (Pfeil)
Ausschluss eines Malignoms oder einer postentzündlichen Stenose. Eine Ausnahme stellen immunsupprimierte Patienten dar, bei denen aufgrund eines deutlich erhöhten Rezidiv- und Komplikationsrisikos bereits nach dem ersten Schub eine elektive Sigmaresektion durchgeführt werden sollte. Dagegen scheint bei jungen Patienten unter 50 Jahre im Vergleich zu älteren Patienten kein erhöhtes Rezidiv- oder Komplikationsrisiko vorzuliegen, sodass die Indikation zur elektiven Sigmaresektion nicht generell be-
reits nach dem ersten Schub gestellt werden sollte (Biondo 2002; Guzzo u. Hyman 2004). Die Theorie, dass sich mit jedem weiteren Schub einer unkomplizierten Sigmadivertikulitis das Ansprechen auf die konservative Therapie vermindert, bei gleichzeitigem Anstieg der Komplikationshäufigkeit, lässt sich heute nicht mehr aufrecht halten (Chapman 2006; Janes 2005, 2006). Damit entfällt auch die prophylaktische Operationsempfehlung einer Resektion nach dem zweiten Schub. Die In-
33
552
Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
dikation zur Resektion bei rezidivierender unkomplizierter Divertikulitis ist stets eine Individualentscheidung, die Abwägung des Schweregrads der Schübe und des Leidensdrucks des Patienten getroffen werden muss. > Resektionsentscheidung bei der rezidivierenden unkomplizierten Divertikulitis immer individuell treffen.
Im Gegensatz zur Sigmadivertikulitis erleiden bei der Zökumdivertikulitis im weiteren Verlauf mehr als 60% der
33
Patienten ein Rezidiv trotz erfolgreicher konservativer Therapie. Dementsprechend wird hier bei gesicherter Diagnose bereits nach dem ersten Schub die Indikation zur Ileozökalresektion gestellt (Fang 2003). Bei der komplizierten Divertikulitis besteht in jedem Fall die Indikation zum chirurgischen Vorgehen. In den Stadien Hinchey III und IV, d. h. beim Vorliegen einer diffusen Peritonitis, handelt es sich um akut lebensbedrohliche Notfälle, die der sofortigen chirurgischen Intervention entsprechend den Grundsätzen der Peritonitisbehandlung bedürfen. Im Gegensatz dazu stellen die Stadien Hinchey I und II, d. h. gedeckte Perforationen mit Abszessbildung, keine perakuten Operationsindikationen dar. Hier sollte durch konservative Therapie und falls möglich durch sonographische oder CT-gesteuerte Abszessdrainage das akut entzündliche Geschehen überwunden und eine operative Fokussanierung möglichst frühzeitig angestrebt werden. Nach kurzem konservativem Therapieintervall von einigen Tagen kann der Gesamtzustand des Patienten in der Regel deutlich gebessert werden. Die anschließende frühelektive Operation ermöglicht die Resektion des Entzündungsherdes unter kontrollierten Bedingungen und geringerem Komplikationsrisiko. Bleibt die Befundbesserung aus, muss allerdings unverzüglich chirurgisch interveniert werden. Ebenso darf eine komplette klinische Besserung nach interventioneller Therapie nicht zum Verzicht auf die Resektion führen: diese Fälle weisen eine hohe Rezidivquote auf (Schumpelick u. Kasperk 2001; Kaiser 2004).
Patienten ein aggressives klinisches Management mit Volumen- und Blutsubstitution unter Monitoring von Blutgasen und Ausscheidung erforderlich. Die bereits angesprochene Notfallkoloskopie bietet als initiale Untersuchung ideale Möglichkeiten der Diagnostik (Lokalisation) und Primärtherapie (z. B. Unterspritzung mit verdünnter Adrenalinlösung, Argon-Plasma-Koagulation, Clip-Applikation). Sie ist technisch anspruchsvoll. Dies gilt allerdings ebenso für die diagnostischen Alternativen der Szintigraphie (erforderliche Blutungsintensität 0,1 ml/min) und der Angiographie (erforderliche Blutungsintensität 0,5– 1 ml/min). Die Angaben zur Erfolgsquote der letztgenannten Verfahren schwanken in weiten Grenzen. Im Rahmen der Angiographie besteht die Möglichkeit der selektiven arteriellen Embolisation (Gady 2003). Allerdings sind die Erfahrungen sehr begrenzt und das Vorgehen trägt das Risiko der Darmischämie und -nekrose von mindestens 10%. Die Indikation zur Operation ist bei massiver oder rezidivierender Divertikuloseblutung gegeben. Eine operative Intervention sollte nur bei klarer Lokalisationsangabe und in Abwägung des oftmals nicht unbeträchtlichen allgemeinen Operationsrisikos vorgenommen werden. Therapie der Wahl ist die segmentale Resektion. Bei anhaltender Blutung und weiterhin unklarer Lokalisation haben sich im eigenen Krankengut eine (naturgemäß arbiträre) Grenzziehung des konservativen Vorgehens nach Transfusion von insgesamt 6 Erythrozytenkonzentraten pro 24 h und ein anhaltender bzw. wieder auftretender Transfusionsbedarf von 2 Erythrozytenkonzentraten pro 24 h etabliert. Stets wird dann intraoperativ endoskopiert, um zumindest eine Eingrenzung auf das linke oder rechte Kolon zu erreichen. Unter diesem Vorgehen gelingt es, die Zahl der infolge anhaltender Blutung und fehlendem Lokalisationsnachweis erforderlichen subtotalen Kolektomien mit Ileorektostomie auf ein Minimum zu reduzieren (Renzulli 2002).
33.2.6
Konservative Therapie
Divertikelblutung Die Divertikelblutung stellt die häufigste Ursache eines akuten massiven Blutverlustes aus dem Kolon dar (30–50% der Fälle). Etwa 10–15% der Patienten mit Divertikulose erleiden eine Divertikelblutung, davon ca. 1/3 einen massiven Blutverlust. Da es sich vorwiegend um alte und multimorbide Patienten handelt, beträgt die Mortalität der Divertikelblutung 15–20%. Ursächlich liegt der Blutung eine Erosion des arteriellen Vas rectum im Bereich des Divertikelhalses zugrunde. Klinisch zeigt sie sich durch eine schmerzlose Hämatochezie. In ca. 80% der Fälle kommt es zum spontanen Stillstand der Blutung. Dennoch ist bei der eingeschränkten Kompensationsfähigkeit der meist alten
Symptomatische Divertikulose Die symptomatische Divertikulose mit funktionellen Beschwerden unterscheidet sich klinisch von der akuten Divertikulitis im Wesentlichen durch fehlende Infektzeichen. Die Therapie besteht hier in einer faserreichen Diät mit mehr als 30 g/Tag unlöslichen Faserbestandteilen (Evidenzgrad Ib) und aus regelmäßiger körperlicher Betätigung z. B. durch Jogging (ebenfalls Evidenzgrad Ib). Ziel dieser Maßnahmen ist eine Stuhlregulierung, d. h. der intraluminale Druck soll reduziert, die Stuhlmasse erhöht und die Passagezeit verkürzt werden. Die Wirkung von Spasmolytika ist nicht wissenschaftlich belegt, ihr Einsatz
553 33.2 · Divertikulose und Divertikulitis
. Tab. 33.6 Effektive Antibiotikatherapie der symptomatischen Divertikulitis Antibiotikum
Ansprechrate
Evidenzgrad
Piperacillin/Tazobactam
88%
Ib
Cefoxitin
78%
Ib
Meropenem
92%
Ia
Imipenem/Cilastatin
80%
Ib
Tobramycin-Clindamycin
89%
Ib
Cefepime-Metronidazol
88%
Ia
wird jedoch häufig empfohlen (Evidenzgrad IV). Antibiotika sind in dieser Situation nicht indiziert.
Unkomplizierte Divertikulitis Klinisch sind hier die Schmerzen im linken Unterbauch (tastbare Walze) ohne Vorhandensein einer echten Abwehrspannung kennzeichnend. Basis jeder Therapie ist die mit höchstem Evidenzgrad unterlegte Gabe von Antibiotika. Für verschiedene Therapieregime, sowohl als Monoals auch als Kombinationstherapie liegen Evidenzgrade von I vor (. Tab. 33.6). Die Therapiedauer ist mit ca. 7 Tage anzusetzen. Ein Patient, der entfiebert, klinisch gebessert ist und normale Leukozytenzahlen aufweist, profitiert von einer fortgeführten Antibiotikatherapie nicht. Außerordentlich wichtig ist, dass der Patient unter der Antibiotikatherapie innerhalb kurzer Zeit eine deutliche klinische Besserung erfahren sollte. Ein Nichtansprechen innerhalb von 2–3 Tagen zeigt entweder einen komplizierten Verlauf an oder sollte zu einem Überdenken der Diagnose mit erneuter und intensivierter Diagnostik führen. Bei klinisch leichtem Verlauf ist es durchaus möglich, die Antibiotika oral zu verabreichen. > Bei Nichtansprechen einer vermuteten Divertikulitis auf konservative Therapie unbedingt Diagnose überdenken und ggf. Diagnostik vertiefen.
Alle anderen häufig praktizierten Maßnahmen sind nicht durch Studien gesichert. Mesalazin/5-ASA hat mit einem Evidenzgrad Ib keinen signifikanten Erfolg in der Behandlung der akuten Divertikulitis. Chronisch rezidivierende Verläufe sind einer derartigen Therapie, u. U. in Kombination mit Rifaximin, eher zugänglich, wobei es nicht auszuschließen ist, dass bei den diesbezüglichen Studien weniger eine echte Divertikulitis als segmentale oder ischämische Kolitiden oder Grenzfälle von Reizdarm behandelt wurden (Peppercorn 2004, Koutroubakis 2008). Klinisch durchaus von Vorteil erscheinen die Verabreichung von Analgetika
sowie eine Reduktion der enteralen Belastung, wobei dies abhängig vom klinischen Schweregrad sein sollte. Auch lokal kühlende Maßnahmen werden vom Patienten häufig als angenehm empfunden und sind praktisch nebenwirkungsfrei. Keinerlei Nutzen hat jedoch eine strikte Bettruhe (Schumpelick u. Kasperk 2001).
33.2.7
Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl
Goldstandard in der chirurgischen Behandlung der Sigmadivertikulitis ist die offene oder laparoskopisch assistierte Sigmaresektion mit Wiederherstellung der Darmkontinuität durch eine End-zu-End-Anastomose. Dies sollte möglichst einzeitig und in einer Elektivsituation geschehen. Ziel der Operation ist es nicht, alle divertikeltragenden Kolonabschnitte zu entfernen, sondern nur den entzündeten Anteil. Das Resektionsausmaß richtet sich daher im Wesentlichen nach dem intraoperativen Befund. Im Falle des meist betroffenen Colon sigmoideum bedeutet dies, dass nach proximal so weit reseziert wird, dass die Darmwand nicht mehr verdickt oder palpatorisch rigide ist. Nach aboral ist die Resektion bis in das obere Rektum hinein fortzuführen, um die rektosigmoidale Hochdruckzone, der eine Schrittmacherfunktion in der Divertikelentwicklung zugeschrieben wird, vollständig mit zu entfernen. Es ist selbstverständlich, dass in die Nahtreihe der Anastomose keine Divertikel mit einbezogen werden (. Abb. 33.16). In dem nicht aufzuhaltenden Trend zur Minimierung des operativen Zugangs wurde die unkomplizierte Sigmadivertikulitis in den letzten Jahren zunehmend laparoskopisch oder laparoskopisch-assistiert operiert. Die laparoskopische Intervention in der Notfallsituation ist zwar prinzipiell möglich, weist aber keine generell dokumentierten Vorteile auf. Das laparoskopische Vorgehen bei der Divertikulitis ist – wenngleich in vielen Kliniken praktiziert – nach wie vor keineswegs zwingend. Die derzeit vorliegenden Studienergebnisse deuten einen Vorteil der laparoskopischen Operationen hinsichtlich eines rascheren Kostaufbaus, eines niedrigeren Analgetikaverbrauchs, einer Reduktion des Krankenhausaufenthaltes und einer Reduktion von Narbenhernien bei gleich hoher Erfolgquote an (Scheidbach 2004; Schwandner 2004; Willis 2005). Die hierzu publizierten sehr guten Operations-ergebnisse müssen vor dem immer vorhandenen Selektions-Bias interpretiert werden! Die Vorteile hinsichtlich kürzerer Verweildauer werden durch die Ergebnisse der »Fast-track«-Chirurgie vollständig aufgehoben, ganz zu schweigen von den längeren Operationszeiten, den höheren Kosten und dem zweifelsohne gesteigerten technischen Schwierigkeitsgrad des Eingriffs. Trotzdem
33
554
33
Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
. Abb. 33.16a,b Resektionsausmaß bei der Sigmadivertikulitis. a Oraler Absetzungsrand am Übergang Sigma – Colon descendens im entzündungsfreien Gebiet, distaler Absetzungsrand im proximalen Rektum distal des Abbruchs der Taenien, b Die Skelettierung erfolgt darmwandnah und in kleinen Schritten aufgrund des entzündlich verdickten Mesosigmas
stellt die laparoskopische Sigmaresektion in vielen Kliniken zunehmend den »state of the art« bei der unkomplizierten Sigmadivertikulitis dar. Selbstverständlich muss nicht laparoskopisch operiert werden, wenn die entsprechenden patientenbezogenen, infrastrukturellen oder personellen Voraussetzungen nicht gewährleistet sind. > Konventionelles und laparoskopisches Vorgehen stehen in der Elektivsituation gleichberechtigt nebeneinander. Für den Patienten viel bedeutsamer ist ein klinisches Management nach »Fasttrack«-Kriterien. Komplizierte Divertikulitis Bei der komplizierten Divertikulitis steht die Indikation zur Operation außer Frage. Die Art des chirurgischen Vorgehens ist abhängig vom Ausmaß der Erkrankung. In den Stadien Hinchey I und II ermöglicht die frühelektive Operation nach konservativer Therapie und ggf. interventioneller Abszessdrainage die Resektion des Entzündungsherdes unter kontrollierten Bedingungen und minimalem Komplikationsrisiko bei
gleichzeitiger Wiederherstellung der Darmkontinuität. Bei entsprechender operativer Erfahrung kann dies im Einzelfall auch laparoskopisch durchgeführt werden. In den Stadien Hinchey III und IV, d. h. beim Vorliegen einer diffusen Peritonitis, handelt es sich um akut lebensbedrohliche Notfälle, die der sofortigen chirurgischen Intervention bedürfen. Allerdings stehen Fragen zur chirurgischen Technik und Verfahrenswahl derzeit im Brennpunkt der Diskussion (Vermeulen 2010). Prinzipiell gelten bei der Behandlung der komplizierten Sigmadivertikulitis die Prinzipien der Peritonitis- und Sepsisbehandlung. Die Resektion des entzündeten Darmabschnittes und damit die Fokussanierung bildet die Voraussetzung für eine definitive Heilung. Daher sind dreizeitige Operationsverfahren, d. h. initiale Abszessdrainage und Kolostomie, gefolgt von der Sigmaresektion im Intervall und anschließender Kolostomieverschluss in einer dritten Sitzung, gänzlich verlassen worden. Als Ultima ratio beim septischen, kreislaufinstabilen Patienten bietet sich auch die Resektion mit beidseitigem Blindverschluss im Ersteingriff und Rekonstruktion im Zweiteingriff nach 1–2 Tagen an. Experimentellen Charakter haben Strategien, die bei diffuser Peritonitis zunächst nur laparoskopisch Spülen und Drainieren, d. h. den Fokus in situ belassen. Die hierzu berichteten Ergebnisse sind allerdings überraschend gut. Am weitesten verbreitet ist derzeit ein zweizeitiges Vorgehen. Bei der Diskontinuitätsresektion nach Hartmann wird der betroffene Darmabschnitt reseziert, das proximale Ende als Stoma ausgeleitet, das Rektum blind verschlossen und die Abdominalhöhle gespült. Je nach Schweregrad der Peritonitis, in unserer Klinik gemessen anhand des Mannheimer Peritonitis Index, wird zusätzlich ein Laparostoma angelegt und programmierte Etappenlavagen durchgeführt. Die Wiederherstellung der Darmkontinuität erfolgt etwa 6 Monate nach Ausheilen der Peritonitis. Allerdings ist die Hartmann-Auflösung oft technisch anspruchsvoll und hat eine nicht zu vernachlässigende eigene Morbidität und Mortalität, weshalb sie bei etwa einem Drittel der häufig multimorbiden Patienten letztendlich nicht durchgeführt wird. Die Resektion des Sigmas mit Durchführung einer primären Anastomose in der diffusen Peritonitis wurde lange Zeit aufgrund des hohen Anastomosenrisikos bei nicht vorbereitetem Darm und umgebender peritonealer Reizung abgelehnt. In den letzten Jahren wird zunehmend die Resektion mit primärer Anastomose im Stadium Hinchey III, d. h. bei diffuser eitriger Peritonitis, propagiert. Begründet wird dies mit den Nachteilen der Hartmann-Operation und der Möglichkeit der intraoperativen Darmspülung. Mit einer Letalität von 0–20% sind die Ergebnisse nach derzeitiger Datenlage vergleichbar mit der Hartmann-Operation. Es handelt sich hierbei jedoch um Studien mit wenigen, höchst selektionierten Patienten,
555 33.2 · Divertikulose und Divertikulitis
. Tab. 33.7 Operationsverfahren und Indikationen bei Sigmadivertikulitis (Richtlinien der Chirurgischen Universitätsklinik der RWTH Aachen) Indikation
Eingriff
Rezidivierende unkomplizierte Divertikulitis
Laparoskopische, ggf. offene Sigmaresektion mit Anastomose im entzündungsfreien Intervall
Komplizierte Divertikulitis mit Peridivertikulitis (Hinchey I)
Frühelektive laparoskopische, ggf. offene Sigmaresektion mit Anastomose
Komplizierte Divertikulitis mit parakolischem Abszess (Hinchey II)
Frühelektive offene, ggf. laparoskopische Sigmaresektion mit Anastomose nach interventioneller Abszessdrainage
Komplizierte Divertikulitis mit eitriger Peritonitis (Hinchey III)
Sofortige offene Sigmaresektion mit Anastomose und protektivem Stoma, ggf. Diskontinuitätsresektion nach Hartmann
Komplizierte Divertikulitis mit kotiger Peritonitis (Hinchey IV)
Sofortige Diskontinuitätsresektion nach Hartmann, ggf. offene Sigmaresektion mit Anastomose und protektivem Stoma
weshalb dieses Vorgehen noch nicht generell empfohlen werden kann. Es gibt letztendlich keine gesicherten Daten zu der in diesen Fällen zu bevorzugenden Strategie, sodass die Verfahrenswahl immer eine subjektive Einzelfallentscheidung ist (. Tab. 33.7; Salem 2004).
33.2.8
Operationstechnik
Das operative Vorgehen unterscheidet sich prinzipiell nicht von der auch sonst geübten Technik. Die perioperative »Single-shot«-Antibiotikaprophylaxe ist Standard. Eine Steinschnitt-Lagerung erlaubt jede Art von operativem Zugangsweg. Die Medianlaparotomie bietet sich insbesondere für Notfallsituationen an. Bei nicht zu adipösen Bauchdecken ist für die elektive Sigmaresektion im Sinne des »Fast-track«-Vorgehens eine quere bzw. schräge Inzision in der linken Fossa iliaca gut geeignet. Selbstverständlich kann auf eine radikuläre Unterbindung von Gefäßen aufgrund der gutartigen Grundkrankheit verzichtet werden, und eine tubuläre Resektion durchgeführt werden. Die Darstellung des linken Ureters ist bei jeder Form der Sigmaresektion obligat. Je nach anatomischen Verhältnissen erfolgt die Reanastomosierung per Klammer- oder Handnaht, entweder als fortlaufende, einreihig-allschichtige Naht mit 3–0 oder 4–0 resorbierbarem monofilen Nahtmaterial oder mit 3–0 resorbierbaren allschichtigen Einzelknopfnähten. Entscheidend ist die Lokalisation der Anastomose im proximalen Rektum, das anhand der fehlenden Tänien problemlos identifiziert werden kann.
Für die Laparoskopie werden ein 10 mm Optiktrokar periumbilikal, ein 10 mm-Arbeitstrokar im rechten Mittel- und ein 12 mm-Arbeitstrokare im rechten Unterbauch platziert. Der erste Arbeitsschritt ist die Mobilisierung des Sigmas und des Colon descendens bis zur linken Flexur und die sichere Identifizierung des linksseitigen Ureters. Anschließend erfolgt die Präparation ins kleine Becken bis unterhalb des rektosigmoidalen Übergangs mittels Ultracision oder Ligasure. Bei sehr langer Sigmaschlaufe ist ein zusätzlicher Trokar suprasymphysär oft hilfreich. Bei der meist durchgeführten laparoskopisch-assistierten Resektion wird das Sigma mittels Endo-GIA abgesetzt, über einen 5–10 cm langen Pfannenstielschnitt vor die Bauchdecke luxiert und das divertikeltragende Segment extrakorporal tubulär reseziert. Nach Befreiung des zu anastomosierenden oralen Darmendes vom mesenterialen Fettgewebe wird dort eine Tabaksbeutelnaht angelegt und ein EEA-Staplerkopf platziert. Der Darm wird wieder nach intraperitoneal zurückverlagert, die Minilaparotomie verschlossen und das Pneumoperitoneum wieder aufgebaut. Die Reanastomosierung erfolgt unter laparoskopischer Kontrolle nach peranalem Einführen des zirkulären Klammernahtgeräts in typischer DoppelstaplerTechnik (. Abb. 33.17).
Bei gleichzeitiger Versorgung einer durch die Divertikulitis hervorgerufenen Fistelung zur Blase oder zu anderen Organen ist darauf zu achten, dass die entsprechenden
33
556
Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
durch Verwendung von queren oder schrägen Zugängen bzw. durch minimalinvasive Techniken reduziert werden. Von höchster Bedeutung ist eine gute intra- und postoperative Schmerztherapie, vorzugsweise unter Nutzung einer thorakalen PDA. Postoperativ wird der Kostaufbau am 1. Tag nach dem Eingriff begonnen und bei Akzeptanz durch den Patienten schnell gesteigert sowie auf eine zügige Mobilisation, beginnend am Operationstag geachtet. Bei konsequenter Durchführung eines derartigen Maßnahmenpakets sind postoperative Verweildauern nach Kolonresektionen von 2–4 Tagen durch verschiedene Autoren belegt. Ausdrücklich gilt dies auch für die konventionelle Vorgehensweise. . Abb. 33.17 Laparoskopisch assistierte Sigmaresektion. Nach Resektion des entzündlichen Herds vor der Bauchdecke und Einknoten des EEA-Staplerkopfes erfolgt die Reanastomosierung unter laparoskopischer Kontrolle in Double-Stapling-Technik (1 Kameratrokar infraumbilikal, 2 Arbeitstrokar im rechten Unterbauch, 3 Arbeitstrokar im rechten Mittelbauch)
33
Nahtreihen von Darm und mitbetroffenem Organ nicht direkt nebeneinander zu liegen kommen, da sonst das Fistelrezidiv vorprogrammiert wäre. Es bietet sich die Interposition eines gestielten Netzanteiles an. Eine übernähte Blase wird über einen bevorzugt suprapubisch eingelegten Katheter für ca. 10 Tage entlastet. Die Platzierung abdomineller Drainagen kann zurückhaltend gehandhabt werden. Mobilisation und postoperativer Kostaufbau nach Elektiveingriffen beginnen am Operationstag oder am ersten postoperativen Tag. Im Allgemeinen sind die Patienten ideale Kandidaten für ein perioperatives Management im Sinne der multimodalen Rehabilitation (s. unten). Im Falle der Diskontinuitätsresektion erfolgt die Reanastomosierung in Abhängigkeit vom Schweregrad der ursprünglichen Erkrankung nach frühestens 6 Wochen, oft erst nach 6 Monaten. Auch dieser Eingriff kann laparoskopisch assistiert durchgeführt werden. »Fast-track«-Chirurgie In den letzten Jahren wurde deut-
lich, dass die Patienten im postoperativen Verlauf von einem Maßnahmenpaket, das auf die Optimierung der perioperativen Abläufe zielt erheblich profitieren. Besonders die Arbeiten von Kehlet waren hier wegbereitend (Basse 2004). Ein Benefit lässt sich für die verschiedensten Eingriffe, nicht nur in der Chirurgie, nachweisen. Dieses auch als multimodale Rehabilitation bezeichnete Vorgehen umfasst zunächst bekannte Maßnahmen, wie die Reduktion des Blutverlusts, die Vermeidung einer intraoperativen Auskühlung und die Aufrechterhaltung einer adäquaten Sauerstoffsättigung. Präoperativ wird besonders auf eine ausreichende enterale Ernährung bis wenige Stunden vor der Operation geachtet. Das Eingriffstrauma selbst soll
33.2.9
Ergebnisse
Unter den chirurgisch behandelten Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts weist die Kolondivertikulitis eine der höchsten Heilungsraten auf. Das Operationsrisiko des Elektiveingriffs ist mit einer Letalität von ca. 1% und einer Morbidität von 25% (dabei 7% abdominelle und 18% extraabdominelle Morbidität) sehr gering (Pessaux et al. 2004). Ein Reoperationserfordernis bei gesichertem Divertikulitisrezidiv kommt bei ca. 2% der Patienten vor. Im Langzeitverlauf scheint nach eigenen Untersuchungen eine erhöhte Inzidenz von Narbenhernien vorzuliegen. Hier könnte ein spezielles Risiko gegeben sein, das sich durch die wahrscheinlich zugrunde liegende Kollagen-Stoffwechselstörung erklärt. Eine erste Studie deutet darauf hin, dass durch die Bevorzugung der laparoskopischen Operationstechniken die Narbenhernieninzidenz zu reduzieren ist (Willis et al. 2005).
33.2.10
Literatur
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33.3
Gutartige Neubildungen und Fehlbildungen R. Kasperk, S. Willis
Hierzu zählt eine Vielzahl oft sehr seltener Krankheitsentitäten, die sich am besten hinsichtlich ihrer Abstammung von den Keimblättern klassifizieren lassen. Aufgrund der speziellen viszeralchirurgischen Relevanz wird im Folgenden hauptsächlich auf die Adenome, die Angiodysplasie und den Morbus Hirschsprung eingegangen. Bei allen anderen benignen Neubildungen des Kolons gilt zusammenfassend, dass sie im Wesentlichen entweder als Zufallsbefund diagnostiziert werden oder im Rahmen einer Passagebehinderung bzw. einer mehr oder weniger starken Blutungsepisode infolge Schleimhautarrosionen über dem wandständigen Tumor auffallen. Diagnostisch spielt die Endoskopie mit Biopsie eine herausragende Rolle. Im Einzelfall kommen alternative diagnostische Methoden wie die Computer- oder Magnetresonanztomographie oder die selektive Angiographie zum Einsatz. Bei Passagebehinderung bzw. stattgehabter Blutung ist die Operationsindikation im Prinzip stets gegeben. Sie besteht in einer sparsamen Entfernung des gutartigen Tumors. Dies kann sowohl mittels Kolotomie und Exzision wie auch mittels Segmentresektion und End-zu-End-Anastomose erfolgen. Bei derartigen Eingriffen bewährt sich insbesondere ein laparoskopisch assistiertes Vorgehen in Kombination mit der intraoperativen Endoskopie zur optimalen Lokalisation des Prozesses.
Gutartige Neubildungen und Fehlbildungen des Dickdarms 4 Epitheliale Neubildungen – Neoplastische Polypen/Adenome – Nicht-neoplastische Polypen – Hyperplastisch – Hamartomös (Peutz-Jeghers, juvenil) – Entzündlich 6
33
558
Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
4 Mesenchymale Neubildungen – Lipom – Leiomyom – Hämangiom – Lymphangiom
dieses bei den letzteren deutlich höher ausgeprägt ist (Bonithon-Kopp et al. 2004). Insgesamt ist davon auszugehen, dass ca. 90% der kolorektalen Karzinome auf dem Boden präexistenter Adenome entstehen. Hauptlokalisation neoplastischer Polypen ist der rektosigmoidale Bereich.
Klinische Symptomatologie und Diagnostik
33.3.1
Adenome
Grundlagen
33
Unter den adenomatösen Veränderungen der Dickdarmschleimhaut müssen die neoplastischen von den nicht-neoplastischen Erkrankungen abgegrenzt werden. Letztere sind praktisch nie von chirurgischer Relevanz. Im Gegensatz dazu ist die Diagnose von neoplastischen epithelialen Adenomen von erheblicher therapeutischer Bedeutung, wobei die Chirurgie hier ganz klar hinter endoskopischen Verfahren zurücktritt. Neben den einzelnen oder in geringer Zahl auftretenden Adenomen sind die sog. Adenomatosen zu unterscheiden, die durch das Auftreten von 100 und mehr Polypen definiert sind. Die bekannteste darunter ist die familiäre adenomatöse Polypose, weitere sind das Gardner-, Turcot- und das Zanca-Syndrom. Gemeinsam ist allen ein klar definierter Erbgang und die hoch wahrscheinliche Ausbildung von Malignomen innerhalb und außerhalb des Gastrointestinaltrakts, häufig schon in jugendlichem Alter. Wichtig ist daher in allen Fällen eine möglichst frühere Diagnosestellung schon vor der Pubertät, besondere Bedeutung kommt der Familienanamnese zu. Im Fall der familiären adenomatösen Polypose ist heute zur Vorbeugung der obligaten Entwicklung eines Dickdarmmalignoms die restaurative Proktokolektomie mit Ileumpouch-Bildung operativer Standard. Dieses sollte prophylaktisch möglichst nach der Pubertät, jedoch noch vor dem 20. Lebensjahr erfolgen. Das technische Vorgehen entspricht dem bei der Colitis ulcerosa (7 Abschn. 33.2.8). Die postoperativen funktionellen Einbußen werden von den Adenomatosispatienten allerdings wesentlich deutlicher empfunden, als von den Colitis-ulcerosa-Patienten. Dies muss aufklärungstechnisch berücksichtigt werden. > Bei Adenomatose (z. B. FAP) erfolgt die restaurative Proktokolektomie nach der Pubertät und vor dem 20. Lebensjahr.
Zahlenmäßig weitaus bedeutsamer und für die klinische Praxis damit viel relevanter sind die neoplastischen epithelialen Adenome, die zu 70% als tubuläre und zu ca. 10–15% als villöse Adenome vorkommen. Beide haben das Risiko der größenabhängigen malignen Entartung (klassisches Beispiel einer Adenom-/Karzinomsequenz), wobei
Rektumadenome weisen keine typische Symptomatologie auf. Gering bis mäßiggradige Schmerzen, Blutabgang und schleimige Durchfälle können vorhanden sein, meist jedoch handelt es sich um Zufallsbefunde im Rahmen einer Screeningmaßnahme, wie dem Nachweis okkulten Blutes im Stuhl bzw. der Vorsorgekoloskopie. Diagnose und Therapie sind eine Domäne der Endoskopie. Hinsichtlich der Diagnostik tritt die virtuelle Koloskopie mittels CT oder MR inzwischen neben die konventionelle Endoskopie (Vogt et al. 2004). Diese Verfahren haben aber noch beträchtliche Schwierigkeiten im Nachweis kleiner und flacher Läsionen und sind zudem nicht kostengünstiger. Wesentlichster Nachteil ist jedoch die fehlende Biopsie-/ Abtragungsmöglichkeit. Auch wurden bereits Perforationen im Rahmen virtueller Koloskopien berichtet (Kamar et al. 2004).
Operative Therapie Die Therapie besteht bei allen Läsionen über 5 mm Größe in der totalen endoskopischen Abtragung (7 Kap. 9). Nur Läsionen unter 5 mm Größe bzw. makroskopisch bereits hochgradig verdächtige Raumforderungen sollten biopsiert werden (Church 2004; Eickhoff u. Riemann 2000). Chirurgische Verfahren der Adenomabtragung werden nur bei endoskopisch nicht abtragbaren Adenomen zum Einsatz kommen. Gründe hierfür sind Größe über 4 cm, Breitbasigkeit und Lokalisation in einem endoskopisch nicht vollständig einsehbaren Bereich. Weitere seltene Indikationen für eine chirurgische Intervention sind nach endoskopischer Abtragung auftretende Perforationen bzw. Nachblutungen. > Die Indikation zur chirurgischen Adenomentfernung wird in Abhängigkeit von Größe, Breitbasigkeit oder Lokalisation in endoskopisch nicht einsehbarem Bereich gestellt.
Bei geplanter Operation ist für eine besonders sorgfältige Lokalisationsdiagnostik Sorge zu tragen, da intraoperativ u. U. selbst größere Polypen bei sehr weicher Konsistenz nicht transmural getastet werden können. Der Chirurg muss sich auf die präoperativen Angaben exakt verlassen können, reine Zentimeterangaben als Abstand von der Anokutanlinie sind absolut unzureichend. Hilfreich ist stets die Durchführung einer intraoperativen Endoskopie (Grund 2002). Besteht keine Möglichkeit der intraoperativen Koloskopie, ist aus chirurgischer Sicht unbedingt zu
559 33.3 · Gutartige Neubildungen und Fehlbildungen
fordern, dass die Tumorlokalisation präoperativ durch eine Abdomenröntgenübersichtsaufnahme mit vor dem Tumor liegendem Endoskop dokumentiert wird. Die endoskopische Applikation von Clips oder aber die Tuschemarkierung der Darmwand ist im Einzelfall hilfreich. Allerdings können sowohl intraluminal platzierte Clips, wie auch Tuschemarkierungen bei Adipositas des Patienten oder ausgeprägten Adhäsionen optisch maskiert und auch der Palpation entzogen sein. > Speziell bei minimalinvasivem Vorgehen ist eine sichere präoperative Lokalisation des Prozesses innerhalb des Kolons erforderlich.
Die chirurgische Taktik bezieht heute sehr stark minimalinvasive Vorgehensweisen mit laparoskopisch assistierten Resektionen ein (Hildebrandt et al. 2001). Die Entfernung kann entweder als Kolotomie und Wandexzision erfolgen oder aber als formale Segmentresektion mit zumeist handgenähter Anastomose (fortlaufend-resorbierbar, einreihigallschichtig oder allschichtige, resorbierbare Einzelknopfnähte). Die Patienten sind postinterventionell in ein Nachsorgeprogramm mit einer erstmaligen Kontrollkoloskopie nach 3 Jahren und weiteren Kontrollen in 5-jährigen Abständen aufzunehmen.
33.3.2
Gefäßanomalien des Kolons
Grundlagen Hierzu zählen neben den seltenen Hämangiomen und den echten Gefäßneoplasien (Hämangioendotheliom, Hämangioperizytom, Kaposi-Sarkom) die Teleangiektasien und die arteriovenösen Missbildungen. Unter letzteren haben vor allem die Angiodysplasien chirurgische Relevanz, da sie im gesamten Gastrointestinaltrakt als Blutungsquelle in Erscheinung treten können und hinsichtlich der unteren gastrointestinalen Blutung sogar die zweithäufigste Ursache nach der Divertikulose darstellen. Angiodysplasien im Kolon sind vorwiegend im Zökum bzw. Colon ascendens oder im Rektum lokalisiert und kommen eher multipel als solitär vor. Wichtigste diagnostische Maßnahme ist die Endoskopie, die ein charakteristisches Bild von Stecknadelkopf- bis maximal 2 cm großen kirschroten, runden oder unregelmäßigen, stets scharf begrenzten Flecken zeigt, von denen oftmals kleinere Gefäße ausstrahlen, die ihnen dadurch ein »spiderförmiges« Aussehen geben können (. Abb. 33.18). Vorwiegend werden Angiodysplasien bei Patienten über 55 Jahren diagnostiziert. Ätiologisch scheint es sich bei den im histologischen Bild ektatischen venösen und arteriellen Gefäßen um eine degenerative Veränderung, möglicherweise im Zusammenhang mit einem Kollagendefekt, zu handeln (Roskell 1998). Neben der endoskopischen Nachweismöglichkeit kommt im Fall
. Abb. 33.18 Teleangieektasie im Kolon
einer akuten Blutung auch die selektive Angiographie zum Einsatz.
Operative Therapie Die primäre Therapie erfolgt bei endoskopischem Nachweis der Blutung auf interventionellen Wege durch perifokale Injektion in die Darmwand oder Laser- bzw. ArgonPlasma-Koagulation (Fogel u. Valdivia 2002). Die chirurgische Therapie tritt vor allem beim Rezidivblutungsereignis in den Vordergrund. Im Fall einer nicht sistierenden und wahrscheinlich im unteren Gastrointestinaltrakt lokalisierten Blutung, die sich auf koloskopischem Wege nicht sicher identifizieren lässt, sollte intraoperativ, ggf. über eine Enterotomie, eine erneute Panendoskopie erfolgen. > Die intraoperative Endoskopie ist der Goldstandard der Diagnostik und Therapie einer unklaren unteren gastrointestinalen Blutung.
Entweder können intraoperativ endoskopisch unterstützt gezielte transmurale Durchstechungsligaturen angebracht oder formale Resektionen durchgeführt werden. Blinde Resektionen von nicht sicher blutenden, angiodysplasietragenden Darmabschnitten sind nicht indiziert. Die eigene Erfahrung mit der gegenwärtig recht populären Videokapselendoskopie bei unklaren Blutungsquellen zeigt, dass eine exakte Blutungslokalisation im Dünndarm meist nicht möglich ist und deshalb aus chirurgischer Sicht der aussichtsreicheren intraoperativen Endoskopie der Vorzug zu geben ist. Bei allgemeinen Kontraindikationen gegen eine Operation besteht ebenfalls die Möglichkeit einer supraselektiven Angiographie mit Embolisation. Dies beinhaltet allerdings das potenzielle Risiko eine Kolonwandischämie mit späterer Perforation und stellt darüber hinaus ein nicht überall verfügbares Verfahren dar.
33
560
Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
33.3.3
Morbus Hirschsprung
Grundlagen Der Morbus Hirschsprung, die kongenitale intestinale Aganglionose, ist im Wesentlichen eine Erkrankung des Kindesalters (7 Kap. 45), allerdings sind ca. 5% der Patienten bei Diagnosestellung älter als 16 Jahre. Die Abwesenheit von Ganglionzellen im Bereich des Dickdarms beginnend direkt oberhalb der Linea dentata und reicht unterschiedlich weit nach proximal, unter Umständen bis in den Dünndarm. Das aganglionäre Segment bedingt eine funktionelle Stenose: die betroffenen Darmabschnitte können aufgrund der nicht kompensierten sympathischen Innervation nicht relaxieren. Der Begriff des »Megacolon congenitum« ist insofern irreführend, da das sekundär dilatierte proximale Kolon von dem ursächlichen Defekt nicht betroffen ist. > Die dilatierten Dickdarmanteile liegen beim M. Hirschsprung proximal der pathophysiologisch betroffenen Kolonabschnitte.
33
Klinisch steht die chronische, gelegentlich intermittierende, Obstipation im Vordergrund. Anamnestisch lassen sich die Beschwerden bis ins Kindesalter zurückverfolgen. Die definitive Diagnose wird durch eine Rektumbiopsie gestellt, in der fehlende Ganglienzellen, hypertrophierte Nerven und ein erhöhter Azetylcholinesterasegehalt nachweisbar sind.
Operative Therapie Das Prinzip der heutzutage meist einzeitig durchgeführten Operation besteht in der vollständigen Entfernung des aganglionären Segments und in der Reanastomosierung des proximalen gangliontragenden Dickdarms mit dem Rektumstumpf in Höhe der Linia dentata (Elhalaby et al. 2004; Teitelbaum 2003). Mit jeder der zur Verfügung stehenden operativen Techniken lassen sich in 80% der Fälle gute Ergebnisse erzielen. Wichtig ist zudem neben der Entfernung des aganglionären Segments die Resektion des proximal angrenzenden funktionsuntüchtigen dilatierten Darmabschnittes. An der proximalen Resektionslinie sollten durch intraoperative Schnellschnittuntersuchung Ganglienzellen nachwiesen werden. 33.3.4
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33.4
Funktionelle Erkrankungen S. Willis, R. Kasperk
Die wesentlichen Aufgaben des Kolons sind die Stuhleindickung durch Wasser- und Elektrolytresorption sowie der Weitertransport und die kontrollierte Ausscheidung unverdauter Nahrungsreste. Klinisch äußern sich Störungen dieser Funktion nicht nur als Obstipation oder Diarrhö, sondern auch in Form von abdominellen Schmerzen, Blähungen und einer Vielzahl unspezifischer systemischer Symptome. Die Behandlung dieser funktionellen Störungen ist eine Domäne der Gastroenterologie, eine chirurgische Therapie ist nur bei ausgewählten Funktionsstörungen indiziert.
33.4.1
Chronische Obstipation
Grundlagen Die chronische Obstipation gehört zu den häufigsten Störungen der Dickdarmfunktion. Man unterscheidet eine primäre oder funktionelle Obstipation von sekundären, mit Medikamenteneinnahme oder anderen Krankheitsbildern assoziierten Formen. Gemeinsames Symptom ist die zu seltene, erschwerte oder inkomplette Entleerung von zu kleinen und in der Regel zu harten Stuhlmengen. Die Prävalenz beträgt je nach Definition von 2 bis zu 28% der Bevölkerung mit Häufung bei Frauen und Zunahme im Alter. Ein Zusammenhang mit dem Lebensstil oder dem Vorhandensein von Hämorrhoiden konnte bislang nicht sicher nachgewiesen werden. Nur etwa ein Drittel der Betroffenen sucht ärztlichen Rat; dennoch werden die Kosten der durchgeführten diagnostischen Maßnahmen aufgrund von chronischer Obstipation in den USA auf jährlich 6,9 Billionen Dollar geschätzt (Talley 2004).
561 33.4 · Funktionelle Erkrankungen
Funktionelle Obstipation Anhand epidemiologischer Daten wurden in einer Konsensuskonferenz in Rom die diagnostischen Kriterien der funktionellen Obstipation festgelegt (Thompson et al. 1999). Sie wird demnach als Kombination von chronischen oder rezidivierenden Defäkationsbeschwerden von mindestens 12 Wochen Dauer in den zurückliegenden 12 Monaten beschrieben. Dabei muss der Patient während einem Viertel der Zeit mindestens über 2 charakteristische Symptome klagen:
Rom-II-Kriterien der funktionellen Obstipation 4 Starkes Pressen bei mehr als 25% der Stuhlentleerungen 4 Klumpiger oder harter Stuhl bei mehr als 25% der Stuhlentleerungen 4 Gefühl der inkompletten Entleerung bei mehr als 25% der Stuhlentleerungen 4 Gefühl der anorektalen Obstruktion oder Blockierung bei mehr als 25% der Stuhlentleerungen 4 Manuelle Manöver zur Erleichterung der Defäkation bei mehr als 25% der Stuhlentleerungen (z. B. digitale Ausräumung, Stützen des Beckenbodens) 4 Weniger als 3 Stuhlentleerungen pro Woche 4 Fehlende Kriterien für das Vorliegen eines Reizdarmsyndroms
Pathophysiologisch werden mehrere Formen der funktionellen Obstipation unterschieden (Prather 2004): 4 Die »slow-transit constipation«, auch innertes Kolon genannt, ist eine primäre Kolonmotilitätsstörung mit pathologischer Verlängerung der Kolontransitzeit bei normaler Evakuation. Sie kommt bei etwa 12% der Patienten isoliert vor. 4 Eine »Outlet-Obstruktion« liegt bei etwa 16% der Patienten mit funktioneller Obstipation vor. Es handelt sich um eine Evakuationsstörung, deren Ursache meist eine Koordinationsstörung der Beckenbodenmuskulatur ist. 4 Die gemischte Störung bedeutet eine verzögerte Kolonpassage mit zusätzlicher Evakuationsstörung. 4 Die idiopathische Obstipation betrifft etwa die Hälfte aller Patienten, bei denen keine Kolonpathologien nachweisbar sind. In vielen Fällen bestehen psychische Auffälligkeiten, die entsprechend behandelt werden müssen (Whitehead 1996) Formal ist die funktionelle Obstipation vom obstipationsprädominanten Reizdarmsyndrom abzugrenzen, bei dem neben der Verstopfung zusätzlich noch andere Symptome wie abdominelle Schmerzen, Meteorismus oder wechselnde Stuhlkonsistenz vorhanden sind (s. unten).
Sekundäre Obstipation Verschiedenste neurologische, psychische, metabolische, endokrinologische und strukturelle Krankheitsbilder sind mit einer chronischen Obstipation assoziiert. Außerdem ist die Obstipation eine häufige Nebenwirkung verschiedenster Medikamente.
Sekundäre Ursachen der chronischen Obstipation 4 Erkrankungen des Kolons – Kolonstenose (postoperativ, entzündlich, tumorös) – M. Hirschsprung – Intestinale Pseudoobstruktion – Chagas-Erkrankung – Rektozele – Intussuszeption, Rektumprolaps – Sigmoidozele, Enterozele – Rezidivierender Volvulus 4 Muskel-Bindegewebserkrankungen – Sklerodermie – Amyloidose – Dermatomyositis 4 Metabolisch-endokrinologische Erkrankungen – Diabetes mellitus – Hypothyreose – Porphyrie – Hypokaliämie – Hyperkalzämie – Schwangerschaft 4 Neurologisch-psychiatrische Erkrankungen – Apoplex – M. Parkinson – Multiple Sklerose – Depression – Anorexie 4 Medikamente – Opiate – Trizyklische Antidepressiva – Antiepileptika – Diuretika – Nichtsteroidale Antiphlogistika – Kalziumantagonisten – Aluminiumhaltige Antazida – Eisen – Laxanzienabusus
Megakolon Die Begriffe Megakolon oder Megarektum be-
schreiben eine übermäßige Dilatation der entsprechenden Organe. Im Colon transversum wird dieser Begriff bei einem Querdurchmesser von über 6,5 cm, im Colon ascendens bei über 8 cm und im Rektum bei über 12 cm ver-
33
562
Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
wendet. Im Rektosigmoid handelt es sich in vielen Fällen um die Folge einer langjährigen chronischen Obstipation. Ein Megakolon kann jedoch auch auf dem Boden eines M. Hirschsprung, einer chronisch intestinalen Pseudoobstruktion oder einer Infektion mit Trypanosoma cruzi auftreten. Das toxische Megakolon ist eine lebensbedrohliche Komplikation der Colitis ulcerosa oder anderer infektiöser Kolitiden (7 Kap. 33.2).
Diagnostik Die Behandlung der chronischen Obstipation erfordert zunächst eine exakte Definition der pathophysiologischen Ursache. Anamnestisch kann eine erste Einordnung durch folgende Fragen erfolgen: 4 Ist die Stuhlhäufigkeit zu gering? 4 Ist die Evakuation zu schwer? 4 Ist die Konsistenz zu hart? 4 Dauert die Stuhlentleerung zu lange?
33
Eine gezielte Befragung nach Vorerkrankungen und eingenommenen Medikamenten erlaubt häufig bereits die Ursache einer Stuhlunregelmäßigkeit zu eruieren. Das Ausmaß der apparativen Diagnostik hängt vom Alter des Patienten, der Dauer der Beschwerden und der Präsenz von Begleitsymptomen ab. Bei Alarmsymptomen wie ungewolltem Gewichtsverlust, Änderung der Stuhlgewohnheiten, rektalem Blut- oder Schleimabgang muss ein organisches Leiden mittels Koloskopie ausgeschlossen werden. Zeigen einfache Therapieansätze keinen Erfolg, ist eine weiterführende Funktionsdiagnostik gerechtfertigt. Dabei sollten Patienten mit infrequenter Defäkation primär mittels Kolontransitzeitmessung abgeklärt werden. Diese kann mittels peroral applizierten, radiodichten Markern oder szintigraphisch durchgeführt werden. Der Vorteil der Szintigraphie ist die geringere Strahlenbelastung und die Möglichkeit, auch Magenentleerung und Dünndarmpassagezeit auswerten zu können (Wald 2004). Wegen der aufwendigeren Technik wird diese jedoch in der Praxis seltener eingesetzt. Bei der Markertechnik werden 10 Marker pro Tag über einen Zeitraum von 6 Tagen gegeben. Am 7. Tag wird eine Abdomenübersichtsaufnahme angefertigt und die Passagezeit anhand der Markerverteilung kalkuliert. Ist die Kolontransitzeit bei gleichmäßiger Verteilung der Marker bzw. der radioaktiv markierten Testmahlzeit im Kolorektum verzögert, spricht man von »slow-transit constipation« oder »inertem Kolon«. > Grundsätzlich kann eine Kolontransitzeit von mehr als 72 h als pathologisch betrachtet werden.
Bei Akkumulation der Marker im Rektum liegt am ehesten eine Entleerungsstörung vor. Diese kann über einen Ballonexpulsionstest einfach und kostengünstig bestätigt werden
(Minguez et al. 2004). Hierbei wird ein mit 50 ml Wasser gefüllter Ballon in das Rektum eingeführt. Kann der Ballon nicht spontan ausgestoßen werden, wird zunehmend Gewicht angehängt. Bei einem Gesunden müssen durchschnittlich 120 g Gewicht angehängt werden, während bei Evakuationsstörungen bis zu 700 g erforderlich sein können. Die Ursachen einer Entleerungsstörung werden mittels Defäkographie und Analmanometrie weiter abgeklärt. Bei der Videodefäkographie wird das Rektum mit einer stuhlähnlichen Bariumpaste gefüllt und anschließend die Defäkation im horizontalen Strahlengang gefilmt. Dadurch lassen sich Größe und Kontraktion des Rektums beurteilen sowie eine Rektozele, eine Intussuszeption oder eine Sigmoideozele nachweisen. Neuerdings steht auch die MR-Defäkographie zur Verfügung, die neben der fehlenden Strahlenbelastung auch die Beurteilung der Beckenbodenmotilität erlaubt (Dvorkin et al. 2004). Ein Fehlen des rektoanalen Inhibitionsreflexes bei der Analmanometrie ist verdächtig auf einen M. Hirschsprung und muss durch Rektumbiopsien weiter abgeklärt werden (s. oben). Kann manometrisch eine Kontraktion des Schließmuskels während der Ballonexpulsion nachgewiesen werden, so ist dies als Hinweis auf eine Beckenbodendysfunktion zu werten.
Therapie Die primäre Therapie der chronischen Obstipation ist konservativ (Herold 2001; DiPalma 2004). In vielen Fällen sind bereits eine ballaststoffreiche Ernährung und das Umstellen der Medikation erfolgreich. Gerade bei älteren Menschen ist auf eine ausreichende Trinkmenge hinzuweisen. Anstelle natürlicher Ballaststoffe können auch synthetische Polymere eingesetzt werden. Sie binden Wasser im Darm, erhöhen damit das Stuhlgewicht und fördern so die Dickdarmmotilität. Eine entsprechende Wirkung erzielen osmotische Laxanzien wie Laktulose, Polyethylenglykol (PEG) oder Natriumpicosulfat. Diphenylmethanderivate (Bisacodyl) und pflanzliche Antrachinone (Aloe, Faulbaumrinde, Sennesblätter) wirken über eine direkte Stimulation der Darmmotilität bei gleichzeitiger Hemmung der intestinalen Wasserresorption. In Studien erfolgversprechend sind neuere Therapieansätze mit Opiat- und 5-HT4-Antagonisten. Bei Entleerungsstörungen sind Klysmen oder Natriumhydrogenkarbonat-Suppositorien hilfreich. »Slow-transit constipation« Erst nach Ausschluss anderer
Ursachen und Ausschöpfen sämtlicher konservativer Therapiemöglichkeiten sollte die Indikation zur operativen Intervention in Betracht gezogen werden. Nur etwa 3–7% aller Patienten mit chronischer Obstipation sind Kandidaten für eine Operation. Das weitaus am häufigsten angewandte Verfahren ist die Kolektomie mit ileorektaler Anastomose – entsprechend liegen hier die größten klinischen
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563 33.4 · Funktionelle Erkrankungen
Erfahrungen vor. Die Erfolgsrate liegt bei etwa 90% mit persistierenden Obstipationsbeschwerden bei 10% der Patienten. Demgegenüber beträgt die Rate an postoperativen Diarrhöen bis zu 69% und die Rate neu aufgetretener Inkontinenzbeschwerden bis zu 52%. Bei bis zu 29% der Patienten entwickelt sich im Langzeitverlauf ein therapiepflichtiger Ileus und bis zu 9% der Patienten enden mit einem permanenten Ileostoma (. Tab. 33.8). Dementsprechend war die postoperative Lebensqualität trotz Behebung der Obstipation in vielen Fällen relevant eingeschränkt (Lim u. Ho 2001; FitzHarris et al. 2003). Vor diesem Hintergrund wurden in den vergangenen Jahren Studien mit reduziertem Resektionsausmaß durchgeführt. Die Ergebnisse nach subtotaler Kolektomie mit ileosigmoidaler oder auch zökorektaler Anastomose waren mit Erfolgsraten von 12–51% deutlich schlechter als nach Kolektomie und in 2 Studien mit erweiterter Hemikolektomie links betrug die Versagerrate gar 100% (Knowles et al. 1999). > Derzeit ist die offene oder laparoskopische Kolektomie mit ileorektaler Anastomose als chirurgische Standardtherapie bei therapierefraktärer »slow-transit constipation« anzusehens Verfahren mit gleichem funktionellem Ergebnis auch laparoskopisch durchgeführt werden (Bruch et al. 1999; Inoue et al. 2002).
Die partielle Kolonresektion ist nur gerechtfertigt, wenn der Verdacht auf eine segmental beschränkte Transportstörung besteht. Für diese Indikation wurden bei einzelnen Patienten gute Erfolge beschrieben (Lundin et al. 2002). Die restaurative Proktokolektomie mit Ileumpouchanaler Anastomose zur Behandlung der idiopathischen Obstipation ist nur in Ausnahmefällen indiziert, meist bei per-
sistierender Obstipation nach Kolektomie oder bei Vorliegen eines Megakolon mit Einschluss des Rektum (Kalbassi 2003). In diesen Fällen ist die präoperative Dünndarmszintigraphie zum Ausschluss einer Dünndarmmotilitätsstörung obligat. Dadurch kann das Risiko einer persistierenden Obstipation trotz Proktokolektomie vermieden werden. Outlet-Obstruktion Die primär konservative Therapie be-
inhaltet die Stuhlregulation, Ernährungsberatung und Entleerungshilfen. Bei Therapieversagern kann die operative Therapie indiziert sein. Diese orientiert sich an der verursachenden Pathologie: Wird das distale Rektum durch eine Enterozele oder Sigmoidozele komprimiert, ist eine Elevation des Beckenbodens mit synchroner Rektopexie und Sigmaresektion zu empfehlen. Bei manifestem Rektumprolaps findet sich bei bis zu 2 Dritteln der Patienten eine begleitende Obstipation. Hier stehen die transabdominelle Resektionsrektopexie und perineale Verfahren (RehnDelorme-Operation, Altemeier-Operation) als Therapieoptionen zur Verfügung. Bei intrarektaler Intussuszeption bieten transanale Verfahren Vorteile. Auch Rektozelen sind häufig Ursachen von Entleerungsstörungen. Therapeutisch konkurrieren die vaginale, die transanale und die transperineale Raffung mit Levatorenplatik. Als relativ neues Verfahren steht die transanale gestapelte Rektumresektion (STARR) zur Verfügung (Boccasanta et al. 2004). Diese Methode wurde unter Chirurgen schnell populär, obwohl nicht bewiesen ist, dass die Korrektur der Anatomie auch eine Normalisierung der Funktion bedingt und obwohl Misserfolge und Komplikationen nicht selten sind (Pechlivanides et al. 2007; Pescatori u. Gagliardi 2008). In Anbetracht der komplexen und eigenständigen Krankheitsbilder wird auf 7 Kap. 35 verwiesen.
. Tab. 33.8 Ergebnisse nach Kolektomie und Ileorektostomie bei »slow-transit-constipation« Autor
Patientenzahl
Erfolg (%)
Ileus (%)
Diarrhö (%)
Inkontinenz (%)
Stoma (%)
Piccirillo 1995
54
94
9
–
24
0
Redmond 1995
34
90
18
10
–
5
de Graaf 1996
44
67
2
14
14
7
Pluta 1996
24
92
21
33
–
0
Lubowski 1996
59
90
17
20
22
0
Platell 1996
96
82
–
–
52
9
Nyam 1997
74
87
9
10
1
0
Ho 1997
24
96
13
0
0
0
Bernini 1998
106
75
29
15
20
–
Fan 2000
24
87
21
8
–
–
FitzHarris 2003
112
81
17
69
45
4
564
Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
. Abb. 33.19 Therapeutischer Algorithmus bei chronischer Obstipation
33
Bei Koordinationsstörungen ist das Biofeedback-Training die Therapie der Wahl. Über einen geeigneten Sensor wird dem Patienten seine Beckenbodenfunktionsstörung dargestellt und über eine operative Konditionierung eine Funktionsänderung erreicht. Die Erfolgsraten betragen 55–100%, im Mittel 78% (Herold 2001; DiPalma 2004).
täten liegen und die 2 der 3 nachfolgenden Charakteristika aufweisen: 4 Erleichtert durch Defäkation und/oder 4 Beginn verbunden mit einer Änderung der Stuhlfrequenz und/oder 4 Beginn verbunden mit einer Änderung der Stuhlform
Gemischte Störung Besteht eine Kombination von »slow-
Kumulativ unterstützende Symptome für ein Reizdarmsyndrom sind: 1. <3 Stuhlentleerungen pro Woche 2. >3 Stuhlentleerungen pro Tag 3. Harter oder klumpiger Stuhlgang 4. Breiiger oder wässriger Stuhlgang 5. Pressen während des Stuhlgangs 6. Imperativer Stuhldrang 7. Gefühl der unvollständigen Stuhlentleerung 8. Schleimabgang während der Stuhlentleerung 9. Abdominelles Völlegefühl, Blähungen und abdominelle Schwellung
transit constipation« und »outlet obstruction« ist primär das Biofeedbacktraining indiziert. Nach Behebung bzw. Verbesserung der Entleerungsstörung kann in Ausnahmefällen die Kolektomie mit Ileorektostomie angezeigt sein (Pemberton 1991). Eine Übersicht über den Behandlungsalgorithmus bei chronischer Obstipation gibt . Abb. 33.19.
33.4.2
Syndrom des irritablen Kolons (Reizdarmsyndrom)
Die für verschiedenste, eher unspezifische funktionelle Darmbeschwerden gebräuchliche Diagnose des Colon irritabile oder des spastischen bzw. nervösen Kolon kann nur per exclusionem und nicht aufgrund biologischer Marker gestellt werden. Da nicht nur das Kolon, sondern der gesamte Gastrointestinaltrakt betroffen ist, hat sich in den letzten Jahren der Begriff des »irritable bowel syndrome« oder des Reizdarmsyndroms durchgesetzt. Die diagnostischen Kriterien wurden 1999 auf einer Konsensuskonferenz definiert (Rom-II-Kriterien des Reizdarmsyndroms). Es wird als Kombination von chronischem und rezidivierendem abdominellen Unbehagen oder Schmerzen von mindestens 12 Wochen Dauer während der vorhergehenden 12 Monate definiert, deren Ursache nicht in strukturellen oder biochemischen Abnormi-
Man unterscheidet einen diarrhöprädominanten (ein oder mehr Symptome von 2, 4, 6, aber kein Symptom von 1, 3, 5) und einen obstipationsprädominanten Typ (ein oder mehr Symptome von 1,3, 5, aber kein Symptom von 2, 4, 6). Oft wird das Beschwerdebild von anderen gastrointestinalen Beschwerden wie Dyspepsie und Übelkeit begleitet. Die Prävalenz liegt bei 15–20% der Bevölkerung mit Häufung bei Frauen. Als mögliche Ursachen werden intestinale Dysmotilität, viszerale Hypersensibilität und psychosoziale Faktoren diskutiert. Die Therapie ist in allen Fällen konservativ und symptomorientiert. Für den Viszeralchirurgen ist das Krankheitsbild wichtig als Differenzialdiagnose zur funktionellen Obstipation (Thompson et al. 1999).
565 33.4 · Funktionelle Erkrankungen
33.4.3
Intestinale Pseudoobstruktion
Grundlagen Die intestinale Pseudoobstruktion, erstmalig durch Ogilvie 1948 beschrieben, umfasst ein klinisches Zustandsbild, das durch eine Behinderung des intestinalen Transports mit erheblicher Kolondilatation in Abwesenheit eines mechanischen Hindernisses charakterisiert ist. Üblicherweise ist der Dickdarm involviert, seltener auch der Dünndarm. Die Ätiologie ist nach wie vor unklar. Betroffen sind insbesondere ältere, kritisch multimorbide Patienten, z. B. im postoperativen Verlauf. Es handelt sich typischerweise um akut auftretende Krankheitsbilder, die mit erheblicher Distension des Abdomens und Schmerzen im Sinne eines akuten Abdomens einhergehen (Kuhn 2003). Ein zweiter Altersgipfel einer allerdings mehr chronischen Verlaufsform der intestinalen Pseudoobstruktion findet sich im Kindesalter, auch hier typischerweise im Gefolge schwerer angeborener Erkrankungen. Diagnostik Die Diagnose wird bei klinisch auffälliger Distension des Abdomens meist anhand des Röntgen-Übersichtsbilds gestellt, das eine Dilatation des Zökums oder des Colon ascendens mit einem Durchmesser von über 12–14 cm zeigt. Wichtigste Differenzialdiagnose ist der mechanische Ileus, z. B. infolge eines Zökal- oder Sigmavolvulus. Therapie Therapieziel ist die Vermeidung der Perforation
infolge Wandüberdehnung, die eine Letalität von mehr als 20% aufweist (Delgado-Aros 2003). Therapie der Wahl ist die endoskopische Dekompression und ggf. transanale Platzierung einer Sonde zwecks Rezidivprophylaxe. Alternativ kommt die Anlage einer Zökalfistel oder eines Kolostomas infrage. Die Indikation zu einer Kolonresektion besteht nur selten, z. B. bei manifesten Wandischämien. Nach endoskopischer Dekompression kann die Tonisierung des Darms auf pharmakologischem Wege (Neostigmin) versucht werden. 33.4.4
Literatur
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33
566
Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
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33
33.5
Kolonvolvulus F. Ulmer, S. Willis
Unter einem Volvulus versteht man die Torsion eines sich an einem Stiel befindlichen Organs. Am häufigsten ist der Kolonvolvulus, bei dem die Torsion entweder um die eigene (organoaxial) oder häufiger um die Mesenterialachse (mesenterioaxial) erfolgt. Schon im Altertum befassten sich Hippokrates und Aulus Cornelius Celsus mit dem Krankheitsbild. Das vorgeschlagene konservative Vorgehen mit Einblasen von Luft in den Darm ist auch heute noch Bestandteil bei der endoskopischen Therapie. Atherton führte 1883 die erste operative Derotation eines Sigmavolvulus durch. Beim Volvulus kommt es durch die Rotation zu einer partiellen oder vollständigen Okklusion des Darms. Darüber hinaus liegt zusätzlich oft eine Minderdurchblutung des betroffenen Segments vor. Eine Distension des Darmabschnittes mit eventueller Gangrän, Nekrose und Perforation ist die Folge. In Entwicklungsländern ist der Volvulus nach Kolontumoren und Divertikulitis dritthäufigste Ursache eines Darmverschlusses. Die häufigsten Formen des Volvulus betreffen das Sigma sowie das Zökum. Die einzuleitende Therapie hängt davon ab, wie sehr die Durchblutung des Darms beeinträchtigt ist. Bei vitalem Darm ist die endoskopische Dekompression gefolgt von einer elektiven Resektion die Therapie der Wahl. Im Ileus oder bei Darmnekrose ist eine Notfalllaparotomie angezeigt.
33.5.1
Grundlagen
Epidemiologie Die Inzidenz des Kolonvolvulus variiert weltweit erheblich. In Westeuropa und in den USA erkranken daran nur ca. 5% oder weniger. In Osteuropa, Ländern des mittleren Ostens und Afrika ist der Volvulus in bis zu 75% der Fälle Ursache für einen Darmverschluss. Das Durchschnittsalter der Patienten liegt bei etwa 60–65 Jahren, mit einer Verteilung von 80% >50 Jahren und 45% >70 Jahren. Einige Autoren gehen von einer ausgewogenen Geschlechtsverteilung aus, wobei aus Ländern des mittleren Ostens, Südamerikas und Afrika von einem Verhältnis zugunsten der Männer berichtet wird (Pfeifer 2003). Mögliche Ursache hierfür könnte ein anderes Verhältnis von Länge zu Breite beim Mesokolon des Mannes sein. Der Dickdarmvolvulus kommt meist im Bereich des Sigmas (ca. 60%) und des Zoekums (ca. 35%) vor. Sehr selten sind Colon transversum, linke Flexur, Colon descendens oder Appendix betroffen.
Pathogenese Die Ätiologie des Volvulus ist noch nicht vollständig geklärt. Einig ist man sich, dass anatomische Voraussetzungen (ein langer, mobiler Darmabschnitt mit entsprechend langem Mesokolon) für die Entstehung notwendig sind. Eine kongenitale Variation der Länge des betroffenen Darmabschnitts und dem dazugehörigen Mesenterium könnte somit auch der Grund für das weltweit unterschiedliche Vorkommen sein. In der Literatur werden neben diesen wichtigen anatomischen Voraussetzungen noch zahlreiche andere prädisponierende Faktoren beschrieben: M. Hirschsprung, M. Chagas, Megakolon, Adhäsionen von vorausgegangenen Operationen, Diabetes mellitus, Tuberkulose, kardiovaskuläre Störungen, neurologische und psychiatrische Erkrankungen, Vitamin-B-Mangel, ischämische Kolitis, Schwangerschaft und der exzessive Verbrauch von Einläufen. Ebenso kann eine angeborene Anomalie (Malrotation) die Ursache für einen Volvulus neonatorum sein (Pfeifer 2003).
33.5.2
Sigmavolvulus
Der Sigmavolvulus ist weltweit die häufigste Form des Volvulus. Aufgrund einer ballaststoffreicheren Ernährung und der damit häufig einhergehenden Kolonverlängerung kommt der Sigmavolvulus in Ländern wie Asien und Afrika vermehrt vor. Ein langes Sigmamesenterium mit einer relativ schmalen Basis ist eine wichtige anatomische Voraussetzung für eine Torquierung im oder gegen den Uhrzeigersinn, wobei erstere die häufigere Form darstellt. Bei einem einfachen Darmverschluss im Bereich des Sigmas bleibt der betroffene Abschnitt normalerweise noch
567 33.5 · Kolonvolvulus
einige Tage lebensfähig. Grund hierfür ist, dass das Colon sigmoideum im Gegensatz zu den anderen Kolonabschnitten einem größeren intraluminalen Druck standhält, bevor es zu einer Gefäßobstruktion kommt. Übersteigt der intraluminale Druck jedoch den Kapillardruck, kommt es zu einer Venenthrombose mit konsekutivem Darminfarkt. Ist jedoch die akute Torquierung des Mesenteriums führend, so folgt der Darmischämie schnell die Nekrose.
Klinische Symptomatologie Es werden 3 unterschiedliche Formen des Sigmavolvulus unterschieden: Eine häufige subakute, eine seltenere akute Form mit schnell eintretender Wandnekrose und der sog. ileosigmoidale Knoten. 4 Bei der subakuten Form entwickeln sich die Symptome wie Bauchsschmerzen und Übelkeit mit Erbrechen über Tage mit einem in der klinischen Untersuchung geblähten Abdomen sowie tympanischen Klopfschall. Die Verfassung des Patienten ist im Allgemeinen gut, der schwere Schockzustand ein Spätsymptom. Die Anamnese ist für ähnliche, vorausgegangene Episoden häufig positiv. Oft ist das Hauptsymptom des Patienten eine neu aufgetretene Dyspnoe als Folge des Zwerchfellhochstands. 4 Im Gegensatz hierzu beginnt die Klinik bei der akuten Form mit plötzlich auftretenden, starken, kolikartigen Schmerzen und Erbrechen mit raschem Übergang in eine Peritonitis, meist innerhalb der ersten 24 h. 4 Bei der dritten Form, dem ileosigmoidalen Knoten, zeigen die Patienten eine Vielfalt unterschiedlicher Symptome, die von einfacher Verstopfung bis hin zum akuten Abdomen reichen. Ursache ist ein Ileumsegment, das sich um die Basis einer Sigmaschlinge wickelt und so zu einer mehr oder minder ausgeprägten Gefäß- oder Darmabschnürung führt.
Diagnostik In den meisten Fällen ist das Röntgenbild des Abdomens im Stehen wegweisend. Typischerweise kommt das Sigma ahaustral in Form eines verkehrten U’s zur Darstellung (. Abb. 33.20; Kaffeebohnenzeichen). Bei Unklarheiten kann der Kolonkontrasteinlauf mit wasserlöslichem Kontrastmittel oder ein CT mit rektaler Füllung weiterhelfen. Durch die Lumeneinengung an der Torsion kommt es zum sog. »bird’s peak sign« (Vogelschnabelzeichen) durch die sich verjüngende Kontrastmittelsäule an der Stelle der Torsion (. Abb. 33.21). Differenzialdiagnostisch muss an eine distale neoplastische Obstruktion, an einen Kolonvolvulus anderer Lokalisation sowie an eine Pseudoobstruktion (s. oben) gedacht werden. Im Zweifelsfall kann als nächste diagnostische und zugleich therapeutische Maßnahme eine sofortige Sigmoidoskopie durchgeführt werden. Bei der subakuten Form
erscheint die Mukosa des Sigma normal und rechtfertigt einen primär konservativen Therapieversuch (s. unten), während der Nachweis von Mukosanekrosen auf eine vitale Gefährdung des Darms bei der akuten Verlaufsform hinweist und zu einer Notfalllaparotomie mit Resektion des betroffenen Darmsegments führt.
Therapie Die Therapie des subakuten Sigmavolvulus hat sich in den letzten Jahren von der sofortigen Operation mit einer häufig hohen Mortalitätsrate hin zu einer primär konservativen Therapie mit frühelektiver Sigmaresektion gewandelt. > Goldstandard ist die umgehende endoskopische Dekompression des Volvulus und die Einlage eines Darmrohrs, um eine sofortige Retorquierung zu verhindern.
Die Erfolgsrate betrug zwischen 58 und 100% bei einer Mortalität zwischen 0 und 15% bei diesem sequenziellen Vorgehen. Dagegen ist die Notfallresektion bei dem multimorbiden Patientenkollektiv mit einer Mortalitätsrate von 40% behaftet (Safioleas et al. 2007). Das Problem der ausschließlich endoskopischen Therapie ist die hohe Rezidivquote von 23–85%, weshalb heute die elektive Sigmaresektion noch während des gleichen Krankenhausaufenthalts empfohlen wird (Pfeifer 2003). Die Reoperationsrate kann so auf 10% gesenkt werden (Renzulli et al. 2002). Dabei scheint die Laparoskopie gegenüber den offenen Verfahren zumindest gleichwertig zu sein, obwohl hierzu bislang nur wenige kasuistische Daten veröffentlicht wurden. Nichtresezierende Verfahren wie die Sigmapexie, Mesosigmoideoplastie und der T-Fastener sollten aufgrund schlechter Langzeitergebnissen kritisch bewertet werden und nur in Ausnahmefällen bei multimorbiden Patienten zum Einsatz kommen (Pfeifer 2003). Im Einzelfall ist bei stark erhöhtem Operationsrisiko aber auch ein rein konservatives Vorgehen vertretbar. Als Alternative kann die perkutane endoskopische Kolostomie erwogen werden (Al-Alawi 2010; . Abb. 33.22). Konsens besteht bei einem akuten Volvulus mit bestehender oder drohender Darmwandgangrän oder -nekrose. Hier ist eine unverzügliche Notfalloperation mit Resektion des betroffenen Segments indiziert. Die primäre Anastomose mit eventueller »on-table-lavage« und protektivem Stoma ist hierbei das Operationsverfahren der Wahl. Dabei scheinen sich die Ergebnisse hinsichtlich Mortalität (3%), Anastomoseninsuffizienzrate (15–27%) und mittlerem Krankenhausaufenthalt (12–16 Tage) beim Vorliegen von noch vitalem im Vergleich zu bereits gangränösem Darm nicht zu unterscheiden (Raveenthiran 2004). Bei ausgeprägter Peritonitis oder sehr schlechtem Allgemeinzustand des Patienten sollte im Zweifelsfall eine Diskontinuitäts-
33
568
Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
33
. Abb. 33.20 Abdomenröntgenleeraufnahme bei Sigmavolvulus. Man erkennt ein großes gasgefülltes Hohlorgan, das aus dem kleinen Becken unter das linke Zwerchfell zieht. Dieses radiologische
Phänomen wird verglichen mit einem zusammengepressten Schlauch eines Radreifens (»bent inner tube of a tyre«), auch »Kaffeebohnenzeichen« oder »Omegazeichen« genannt
. Abb. 33.21 Kolonkontrasteinlauf bei Sigmavolvulus. Durch die Verengung an der Basis der torquierten Schlinge entsteht das sog. Vogelschnabelzeichen (»bird’s beak sign«)
569 33.5 · Kolonvolvulus
. Abb. 33.22 Therapieschema beim Zökum- und Sigmavolvulus
resektion nach Hartmann durchgeführt werden, um den Patienten schnell aus seiner kritischen Situation zu bringen. Im Falle einer Gangrän empfiehlt es sich, intraoperativ den betroffenen Darm nicht zu detorquieren, da dies zu einem septischen Schock führen kann.
33.5.3
Zökumvolvulus
Grundlagen Der Zökumvolvulus ist für etwa 10–40% aller Kolonvolvulusfälle bzw. ca. 1% aller Darmverschlüsse verantwortlich. Das Durchschnittsalter ist im Gegensatz zum Sigmavolvulus niedriger (zwischen 30 und 60 Jahren). Die anatomische Voraussetzung eines Coecum mobile ist grundlegend. Sie resultiert aus einer fehlenden Verklebung und damit unvollständiger Fixation an das hintere parietale Peritoneum. Prädisponierende Faktoren für einen Zökumvolvulus sind vorausgegangene abdominelle Operationen, kongenitale Verwachsungen, ballaststoffreiche Ernährung, erhöhte Peristaltik aufgrund von Durchfall oder Abführmittelabusus sowie Schwangerschaften und maligne Prozesse im Beckenbereich. Pathologisch-anatomisch werden 2 Formen unterschieden (Madiba u. Thomsen 2002): 4 Der axiale ileokolische Volovulus (Drehung des Zökums um seine Längsachse) 4 Der nach oben geklappte Zökumvolvulus, das sog. »Cecale bascule« (Drehung des Zökums um seine Vertikalachse nach ventral und kranial)
Klinische Symptomatologie In Analogie zum Sigmavolvulus werden auch beim Zökumvolvulus 3 unterschiedliche klinische Verlaufsformen unterschieden (Pfeifer 2003): 4 Akut fulminanter Typ: Dieser ist durch ein akutes Abdomen auf dem Boden einer akuten mesenterialen Durchblutungsstörung charakterisiert. 4 Akut obstruktiver Typ: Dieser äußert sich durch die Rotation des Ileums klinisch als tiefer Dünndarmileus mit krampfartigen Bauchschmerzen, Erbrechen und aufgetriebenem Abdomen. 4 Subakuter oder rezidivierender Typ: Dieser ist durch unterschiedlich starke, kolikartige Bauchschmerzen gekennzeichnet, die meist nur von kurzer Dauer sind.
Diagnostik Der Zökumvolvulus ist auf der Abdomenröntgenleeraufnahme meist leicht zu erkennen. Typischerweise findet sich ein dilatiertes Zökum mit einem einzigen Flüssigkeitsspiegel, der abhängig von der Lage und dem Grad der Verdrehung überall im Abdomen auftreten kann. Bei dem axialen ileokolischen Volvulus zeigen sich oft zusätzlich erweiterte Dünndarmschlingen mit Spiegelbildung als Ausdruck eines Dünndarmileus (. Abb. 33.23). Die CT-Untersuchung führt ebenfalls zur Diagnose, ist jedoch meist entbehrlich und sollte jedoch aus Kostengründen nur bei Unklarheiten eingesetzt werden. Aufgrund der hohen Perforationsgefahr ist eine Koloskopie zur Diagnosestellung aufgrund der eingeschränkten Therapiemöglichkeiten umstritten (s. unten).
33
570
Kapitel 33 · Gutartige Erkrankungen von Dickdarm und Rektum
33
. Abb. 33.23 Abdomenröntgenleeraufnahme bei Zökumvolvulus. Man erkennt ein in den Mittelbauch disloziertes und massiv dilatiertes Zäkum mit Spiegelbildung, rechts daneben dilatierte Dünndarm-
schlingen mit multiplen Spiegeln als Ausdruck der begleitenden Dünndarmobturation
Therapie
niert mit einer langstreckigen Zökopexie an der Tänie des Colon ascendens lange Zeit die Therapie der Wahl. Die Rezidivrate bei Zökopexie betrug durchschnittlich 16% bei einer Mortalität von 18% (Pfeifer 2003). Aufgrund verbesserter operations- und intensivtechnischer Methoden haben sich in den letzten Jahren die resezierenden Verfahren zunehmend durchgesetzt. Der Vorteil der Resektion ist, dass ein Wiederauftreten des Volvulus unmöglich ist. Bezüglich der Mortalität und Morbidität unterscheiden sich die resezierenden Verfahren heute nicht mehr wesentlich von den nichtresezierenden Verfahren, weshalb letztere heute nur noch bei Hochrisikopatienten eingesetzt werden sollten. Standard ist die Hemikolektomie rechts, die bei entsprechender Erfahrung auch laparoskopisch durchgeführt werden kann (. Abb. 33.22; Tuech et al. 2002; Renzulli et al. 2002; Pfeifer 2003).
Im Gegensatz zum Sigmavolvulus ist die Koloskopie beim Zökumvolvulus wenig erfolgversprechend, da die Strecke vom Anus bis zur Verdrehung des Zökums deutlich länger ist als beim Sigmavolvulus. In einer relativ aktuellen Studie gelang die endoskopische Dekompression beim Zökumvolvulus nur bei einem Drittel der Patienten (Renzulli et al. 2002). Ohne Frage ist bei Darmgangrän die Resektion Methode der Wahl. Eine Hemikolektomie rechts ist anzustreben. Je nach intraoperativem Befund kann ein vorgeschaltetes Ileostoma sinnvoll sein. Bei bereits vorliegender Gangrän sollte der Volvulus ohne Detorsion reseziert und eine primäre Anastomose angestrebt werden (Madiba u. Thomsen 2002). Bei vitalem Darm bestehen 2 Therapieoptionen. Als nichtresezierendes Verfahren war die Detorsion kombi-
571 33.5 · Kolonvolvulus
33.5.4
Transversumvolvulus
Grundlagen Nur ca. 4% aller Volvulusvorfälle betreffen das Colon transversum. Meist sind die Patienten jüngeren Alters und weiblichen Geschlechts. Angeborene Anomalien wie ein frei bewegliches rechtes Kolon, ein langes Mesokolon, ein elongiertes Colon transversum oder das Chilaiditi-Syndrom sind prädisponierende Faktoren. Wie schon beim Sigma- und Zökumvolvulus muss zwischen einem akuten Typ mit peritonitischen Zeichen und einem subakuten Typ mit aufgetriebenem Abdomen, Krämpfen, Erbrechen und langsamer Verschlechterung unterschieden werden. Diagnostik Die Verdachtsdiagnose wird aufgrund der klinischen Untersuchung und Röntgenaufnahme gestellt. Die eigentliche Diagnose wird jedoch meist erst bei der Laparotomie gestellt. Therapie Bei Darmwandnekrose und bei Patienten in gutem Allgemeinzustand wird eine erweiterte Hemikolektomie rechts durchgeführt. Bei kritischen Patienten sind eine rechtsseitige Kolostomie und eine distale Mukusfistel oder ein distaler Kolonblindverschluss in das Therapiekonzept mit einzubeziehen (Pfeifer 2003).
33.5.5
Volvulus der linken Kolonflexur
Grundlagen Der Volvulus der linken Flexur ist eine Rarität. Weniger als 100 Fälle sind in der Literatur beschrieben. Zu einer Prädisposition kann es kommen, wenn die Haltebänder (Ligamentum gastrocolicum, phrenicolicum und splenocolicum) kongenital nicht angelegt sind oder bei chirurgischen Eingriffen durchtrennt wurden. Klinische Symptomatologie Das klinische Erscheinungsbild ist dem des Transversumvolvulus ähnlich. Beim fortgeschrittenen Stadium finden sich Zeichen eines Darmverschlusses. Im Kolonkontrasteinlauf ist dann eine komplette Obstruktion in Höhe der Milzflexur nachzuweisen. Therapie Aufgrund der Schwierigkeit, die Milzflexur aus-
reichend zu fixieren, ist eine Kolonsegmentresektion zu empfehlen (Mahajan et al. 2000).
33.5.6
Literatur
Al-Alawi K (2010) Percutaneous endoscopic colostomy: A new rechnique for the treatment of recurrent sigmoid volvulus. Scand J Gastroenterol 16:120–121 Madiba TE, Thomson SR (2002) The management of cecal volvulus. Dis Colon Rectum 45:264–267 Mahajan R, Seth S, Braithwaite PA (2000) Volvulus of the splenic flexure of colon: a case report and review. Int J Colorect Dis 15:182–184 Pfeifer J (2003) Volvulus des Dickdarms. J Gastrointest Hepatol Erkr 1:6-13 Raveenthiran V (2004) Restaurative resection of unprepared leftcolon in gangrenous vs. viable sigmoid volvulus. Int J Colorect Dis 19:258–263 Renzulli P, Maurer CA, Netzer P, Büchler MW (2002) Preoperative colonoscopic deratation is beneficial in acute colonic volvulus. Dig Surg 19:223–229 Safioleas M, Chatziconstantinou C, Felecouras E, et al. (2007) Clinical considerations and therapeutic strategy for sigmoid volvuluv in the elderly: a study of 33 cases. World J Gastroenterol 13:921– 924 Tuech JJ, Pessaux P, Regnet N, Derouet N, Bergamashi R, Arnaud JP (2002) Results of resection for volvulus of the right colon. Tech Coloproctol 6:97–99
33
34
Appendizitis Ch. Peiper, M. Binnebösel
34.1
Grundlagen
– 574
34.1.1 34.1.2 34.1.3 34.1.4
Epidemiologie – 574 Anatomie – 574 Pathogenese – 574 Neurogene Appendikopathie
34.2
Klinische Symptomatologie
34.3
Diagnostik
34.3.1 34.3.2 34.3.3 34.3.4
Laboruntersuchung – 576 Sonographie – 576 Radiologische Diagnostik – 577 Differenzialdiagnostik – 578
34.4
Indikationsstellung
34.5
Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl
34.5.1 34.5.2 34.5.3 34.5.4
Aufklärung – 578 Antibiotikaprophylaxe – 579 Intraoperative Befunde – 579 Verfahrenswahl – 580
34.6
Operationstechnik
34.6.1 34.6.2
Konventionelle Appendektomie – 580 Laparoskopische Appendektomie – 581
34.7
Postoperative Behandlung
34.8
Komplikationen
34.9
Ausblick
– 583
34.10
Literatur
– 583
34.11
Internetadressen
– 575
– 575
– 576
– 578 – 578
– 580
– 582
– 582
– 584
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_34, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
574
Kapitel 34 · Appendizitis
Die Appendektomie ist die häufigste abdominalchirurgische Operation und für nahezu alle Chirurgen der erste intraabdominelle Eingriff, der in der Ausbildung durchgeführt wird. Dennoch herrscht nach wie vor eine erstaunliche Unsicherheit in der Diagnosestellung der Appendizitis und der Festlegung des optimalen Operationszeitpunktes, die auch ihren Niederschlag in häufigen forensischen Implikationen findet.
34
34.1
Grundlagen
34.1.1
Epidemiologie
Die Appendizitis stellt die häufigste Abdominalerkrankung im chirurgischen Krankengut dar. Ihr Manifestationsgipfel liegt für Männer bei 10–14 Jahren, für Frauen bei 15–19 Jahren. Die Inzidenz in Deutschland beträgt etwa 100 Erkrankungen/100.000 Einwohner. Frauen haben ein lebenslanges Appendektomierisiko von 23%, während das der Männer mit 12% deutlich niedriger liegt. Die Appendizitis ist eine Erkrankung der Zivilisationsländer. Die Inzidenz liegt in Thailand oder Afrika deutlich niedriger als in Deutschland, obwohl hygienische Mängel wie beispielsweise unsauberes Trinkwasser die Inzidenz der Appendizitis deutlich erhöhen (Ohmann et al. 2002). Möglicherweise wird die Diagnose in westlichen Ländern lediglich häufiger gestellt. Große Populationsstudien mit Gruppengrößen von jeweils über 200.000 Menschen haben den Zusammenhang zwischen der Appendektomie und dem Risiko, eine Colitis ulcerosa zu entwickeln, untersucht. Hier zeigte sich eine eindeutige Risikoreduktion im Kollektiv der Appendektomierten. Dies war allerdings nur nachweisbar, wenn die Appendix zum Zeitpunkt der Operation Entzündungszeichen aufwies. Nach negativer Appendektomie war das Risiko unverändert (Andersson et al. 2001). Genetische Ursachen hierfür hätten zeitstabil sei müssen. Der protektive Effekt trat jedoch erst nach erfolgter Appendektomie auf (Hallas et al. 2004). Die offensichtlich immunologische Erklärung hierfür steht noch aus. Der beschriebene Effekt konnte auch in kleineren fallkontrollierten Studien bestätigt werden (Dijkstra et al. 1999; Koutroubakis et al. 2002). Für den M. Crohn ist ein reziproker Zusammenhang beschrieben. Offensichtlich ist nach erfolgter Appendektomie das Risiko, im weiteren Verlauf des Leben einen M. Crohn zu entwickeln, signifikant erhöht (Andersson et al. 2003).
34.1.2
Anatomie
Durch die frei bewegliche intraperitoneale Lage des Zökums unterliegt auch die Lage der Appendix vermiformis
. Tab. 34.1 Anatomisch definierte Positionen der Appendix Kaudalposition
In 30% der Fälle ragt die Appendix in das kleine Becken hinein und kann so eine enge Lagebeziehung beispielsweise mit dem rechten Ovar aufweisen
Medialposition
Die Appendix liegt zwischen den Dünndarmschlingen, ggf. auch retroileal
Lateralposition
Die Appendix findet sich zwischen der lateralen Bauchwand und dem Zökum
Retrozökale Kranialposition
In 65% aller Fälle ist die Appendix hinter dem Zökum nach oben geschlagen und liegt im Recessus retrocaecalis
Antezökale Kranialposition
Die Appendix ist vor dem Zökum nach oben geschlagen
großen Schwankungen. Die definierten Positionen der Appendix sind in . Tab. 34.1 dargestellt. Auch eine sekundär retroperitoneale Lage bei Caecum fixum mit völliger Adhäsion zur Faszie des M. iliacus ist möglich. In seltenen Fällen kann die Wanderung des Zökums nach kaudal während der Individualentwicklung ausbleiben und zu einem Hochstand von Zökum und Appendix unterhalb der Leber führen. Normalerweise jedoch projiziert sich die Abgangsstelle der Appendix aus dem Zökum auf den McBurney-Punkt. Die A. appendicularis verläuft im Mesenteriolum der Appendix und stellt einen funktionellen Endast der A. iliocolica dar. Die Lymphdrainage erfolgt über die Nodi lymphatici im Winkel zwischen Ileum und Zökum. Die Appendix zeigt den gleichen mikroskopischen Wandaufbau wie das Kolon, jedoch mit kürzeren Krypten. Charakteristisch sind zahlreiche Lymphfollikel, die rings um das Lumen angeordnet sind und vielfach die Muscularis mucosae durchbrechen.
34.1.3
Pathogenese
Die Appendizitis entsteht bei Verlegung des Appendixlumens durch narbige Stenosen, Kotsteine, Parasiten, Schleim, Nahrungsbestandteile, Endometrioseherde, ödematöse Schwellung, lymphoide Hyperplasie oder Tumoren. Die nachfolgende bakterielle Entzündung kann zu einer Durchwanderung der Appendixwand und zur Peritonitis führen. Die in der 7 Übersicht aufgeführten anatomischen Besonderheiten begünstigen dies noch. Je nach Grad der Entzündung werden die in . Tab. 34.2 aufgeführten Stadien der Appendizitis unterschieden.
575 34.2 · Klinische Symptomatologie
. Tab. 34.2 Stadien der Appendizitis Akut katarrhalisch
Makroskopisch zeigt sich eine Hyperämie überwiegend der distalen Hälfte der Appendix. Histologisch finden sich in einzelnen Schleimhautbuchten Oberflächendefekte der Schleimhaut mit Granulozyteninfiltraten der inneren Wandschichten
Seropurulent
Die Appendix ist stark gerötet und verdickt. Alle Wandschichten weisen Granulozyteninfiltrate auf. Auch in diesem Stadium ist noch eine Restitutio möglich
Ulzerophlegmonös
Die erheblich verdickte Appendix ist schmierig grau belegt. Sie zeigt Ulzerationen der Schleimhaut und granulozytär durchsetzte Fibrinbeläge auf der Serosa
Gangränös
Die Wand der Appendix ist dunkelrot bis blaurot-blauschwarz und zundrig-brüchig.
Ulzerös mit Perforation
Durch Nekrose der Appendixwand kommt es zum Austritt von Appendixinhalt
Perityphlitischer Abszess
Benachbarte Dünndarmschlingen oder Omentum majus decken die Perforation zur Bauchhöhle ab
Perforation mit Peritonitis
Infiziertes Material gelangt in die freie Bauchhöhle
Anatomische Besonderheiten der Appendix (Becker u. Höfler 2002) 4 Gerlach-Klappe am Eingang der Appendix 4 Scherengitterartiger Aufbau der Appendixwand, der eine Lumenerweiterung verhindert 4 Gefäßversorgung mit der Arteria appendicularis, die als funktionelle Endarterie nicht kompensiert werden kann
Die gesunde Appendix erfüllt als Bestandteil des darmassoziierten lymphatischen Gewebes aktive immunologische Aufgaben zur Erkennung fremder Proteine und Darmbakterien sowie zur Bildung von IgA-Immunglobulinen. Dies zeigt sich auch in der Anwesenheit von reichlich entwickeltem lymphoiden Gewebe in der Appendixwand (Becker u. Höfler 2002).
34.1.4
Neurogene Appendikopathie
Basierend auf der Tatsache, dass ein hoher Prozentsatz von Patienten mit klinischen Zeichen der Appendizitis auch bei Ausschluss histologischer Entzündungszeichen postoperativ beschwerdefrei ist, wurde die Theorie der neurogenen Appendikopathie weiter untersucht. In etwa 60% der beschriebenen Fälle lassen sich dann auch entsprechende Veränderungen nachweisen. Diese bestehen in neuromartigen Proliferationen nervaler Strukturen in der Wand der Appendix. Aber auch verdickte Nervenbündel im Plexus myentericus mit einer erhöhten Anzahl von Ganglionzellen wurden gefunden (Nemeth et al. 2003). Patienten mit diesen Veränderungen können die klinischen Zeichen der Appendizitis sowie unspezifische Symptome wie Blutdruckschwankungen, Obstipation, Diarrhö, Schweißausbrüche
und Meteorismus zeigen und einen chronisch-rezidivierenden Verlauf aufweisen (Becker u. Höfler 2002).
34.2
Klinische Symptomatologie
Wesentliche Bedeutung bei der Diagnosestellung der Appendizitis kommt der exakten Anamneseerhebung zu. Typisch ist ein mehrphasiger Verlauf bei kurzer Anamnesedauer und rascher Progredienz. Die Beschwerden sind zu Beginn unspezifisch (einschließlich Übelkeit und Erbrechen) und lassen sich nicht exakt lokalisieren. Mit Einbeziehung des parietalen Peritoneums in den Entzündungsprozess kommt es zu einem lokalisierbaren Punctum maximum des Schmerzes und damit zu der »Schmerzwanderung« in den rechten Unterbauch. Typisch sind dann der Druckschmerz am McBurney-Punkt (auf einer Linie zwischen rechter Spina iliaca anterior superior und Nabel an der lateralen Drittelgrenze) oder am Lanz-Punkt (rechte Drittelgrenze zwischen beiden Spinae iliacae anterior superior). Wegen der freien Beweglichkeit des Zökums kann die Appendizitis auch Schmerzen an anderen Regionen des Abdomens verursachen. Bei Eintreten einer Perforation kommt es häufig kurzfristig zu einer Beschwerdebesserung, bis dann die lokale Peritonitis zum Bild des akuten Abdomens führt. Klinische Symptome der Appendizitis 4 Druckschmerz am McBurney- und/oder LanzPunkt 4 Blumberg-Zeichen: ipsi- bzw. kontralateraler Loslassschmerz bei lokalem Peritonismus 4 Perkussionsschmerz 6
34
576
Kapitel 34 · Appendizitis
4 Erschütterungsschmerz 4 Lokale Abwehrspannung im rechten Unterbauch 4 Verminderung der Peristaltik im Rahmen der peritonealen Reizung 4 Rovsing-Zeichen mit Schmerzzunahme im rechten Unterbauch bei retrogradem Ausstreichen des Kolons 4 Psoasanspannungsschmerz (Anheben des rechten Beines gegen Widerstand) bei retroperitonealer Lage 4 Rechtsseitiger Douglas-Schmerz während der rektalen Untersuchung bei Lage im kleinen Becken 4 Axillorektale Temperaturdifferenz über 0,5°C als sehr unspezifisches Symptom
Nach Wagner et al (1996) weist die folgende Befundkonstellation am wahrscheinlichsten auf eine akute Appendizitis hin: 4 Initial epigastrische oder periumbilikale Schmerzen 4 Inappetenz, Übelkeit oder einmaliges Erbrechen 4 Schmerzwanderung in den rechten Unterbauch 4 Geringe Erhöhung der Körpertemperatur
34
> Anamnese und klinischer Befund besitzen den größten positiv prädiktiven Wert in der Diagnostik der Appendizitis (Lee et al. 2001) und müssen daher im Mittelpunkt der Diagnostik stehen.
Um die klinische Untersuchung vom Untersucher unabhängiger zu machen, wurden Versuche mit computerunterstützter Erfassung und Entscheidung (CAD) oder unterschiedlichen Score-Systemen durchgeführt. In einzelnen Fällen konnten durch deren Einsatz die Rate an negativen Appendektomien und die Perforationsrate deutlich gesenkt werden (Ohmann et al. 1995; Chong et al. 2010). Diese guten Ergebnisse ließen sich jedoch nicht von allen Arbeitsgruppen nachvollziehen. Andere Autoren fanden lediglich eine Verbesserung des Vorhersagewertes ohne Einfluss auf die negative Appendektomierate oder das Auftreten von Komplikationen. Möglicherweise haben diese Hilfsmittel dann einen hohen Stellenwert, wenn ein chirurgisch erfahrener Untersucher oder zusätzliche technische diagnostische Möglichkeiten nicht verfügbar sind (Zielke 2002).
34.3
Diagnostik
34.3.1
Laboruntersuchung
Veränderungen der Entzündungszeichen treten erst bei fortgeschrittenem inflammatorischen intraabdominellem
Prozess auf. Die wesentlichen zu bestimmenden Parameter sind hierbei die Leukozytenzahl und das C-reaktive Protein (CRP), das besonders bei älteren Patienten (>60 Jahre) der wichtigere Marker zu sein scheint (Sülberg et al. 2009). Auch die Korrelation zur Perforation ist beim CRP am höchsten. Dennoch sind diese Parameter insgesamt wegen ihres unspezifischen Charakters differenzialdiagnostisch nur von untergeordneter Bedeutung (Monneuse et al. 2010). ! Cave ! Normalwerte können eine Appendizitis nicht ausschließen.
Eine Urinuntersuchung kann mit dem Nachweis einer Hämaturie die Differenzialdiagnose auf eine urologische Ursache der Beschwerden leiten. Eine diskrete Mitbeteiligung des Urogenitaltraktes ist jedoch auch im Rahmen einer retrozökalen oder kaudalen Appendizitis möglich. Bei Frauen sollte eine Schwangerschaft ausgeschlossen werden.
34.3.2
Sonographie
Die unklare klinische Symptomatik als Hauptindikation zur Ultraschalldiagnostik der Appendizitis lässt es ratsam erscheinen, in die Untersuchung immer das gesamte Abdomen und das Retroperitoneum mit einzubeziehen. Zur direkten Darstellung der Appendix sollte ein hochauflösender Schallkopf verwendet werden. Normalerweise wird ein 7,5-MHz-Linearscanner benutzt. Durch leichten Druck kann störendes Darmgas verdrängt werden und die Abbildungsqualität steigt. Durch diese von Puylaert beschriebene graduierte Kompressionstechnik kann auch die nicht pathologisch veränderte Appendix dargestellt werden, überdies lässt sich die Kompressibilität der Appendix und des Fettgewebes überprüfen und entzündliches von nicht entzündetem Fettgewebe differenzieren (Puylaert et al. 1987). Nicht zuletzt lässt sich durch diese Technik eine Korrelation der Klinik mit dem sonographischen Befund vornehmen. Liegt eine phlegmonöse oder gangränöse Appendizitis vor, sieht man das vergrößerte Organ als pathologische Kokarde. Im Querschnitt weist sie das »target sign« mit einer echoarmen mittleren Schicht, umgeben von einer inneren echoreichen und einer äußeren echoreichen Schicht auf (. Abb. 34.1). Diese Kokarde besitzt keine Peristaltik und endet blind bzw. kann nicht zum Ileum verfolgt werden. Im Gegensatz zum Dünndarm ist sie nicht komprimierbar. Kann eine solche Veränderung gefunden werden, ist eine akute Appendizitis mit einer Trefferquote von 80–90% sehr wahrscheinlich (Lehmann et al. 2000). Für eine perforierte Appendix spricht der zusätzliche Nachweis von
34
577 34.3 · Diagnostik
. Tab. 34.3 Sensitivität und Spezifität sonographisch objektivierbarer Veränderungen der Appendix. (Nach Rettenbacher et al. 2001)
a
Kriterium
Sensitivität
Spezifität
Durchmesser >6 mm
100%
68%
Endliche Struktur
100%
37%
Runde Querschnittsform
100%
37%
Fehlende Komprimierbarkeit
97%
20%
Echoreiche Fettgewebsalteration
86%
97%
Lokaler Schmerz an der Appendix
86%
68%
Kein intraluminales Gas
85%
79%
Erhöhte Perfusion der Appendixwand (Duplex)
79%
31%
Freie intraabdominelle Flüssigkeit
60%
58%
Appendikolith
28%
96%
Vergrößerte mesenteriale Lymphknoten
20%
70%
b . Abb. 34.1a,b Sonographische Darstellung einer ulzerophlegmonösen Appendizitis, Echogenität des umgebenden Fettgewebes erhöht als Zeichen der inflammatorischen Mitreaktion. 8-MHz-LinearSonde. a Querschnitt, b Längsschnitt
Flüssigkeit in Form einer echofreien Raumforderung in der Nachbarschaft des Wurmfortsatzes. . Tab. 34.3 gibt eine Übersicht wichtiger sonographisch objektivierbarer Veränderungen mit der dazugehörigen Sensitivität und Spezifität. Fehlt die Organschwellung, scheint die Darstellung der gesunden Appendix stark vom Untersucher abhängig zu sein. Die Mitteilungen über die Trefferquoten reichen von 12% (Lehmann et al. 2000) bis 95% (Lee et al. 2002). Insgesamt variiert aktuellen Metaanalysen zufolge die Sensitivität der Sonographie bei der akuten Appendizitis zwischen 78 und 88% sowie die Spezifität zwischen 83 und 94% (. Tab. 34.4). Mögliche indirekte Hinweise auf eine Appendizitis ohne hohe Spezifität sind der Nachweis freier Flüssigkeit oder fehlender Dünndarmperistaltik im rechten Unterbauch. Eine wesentliche Aufgabe der Sonographie stellt jedoch auch der Ausschluss relevanter Differenzialdiagnosen wie der Ovarialzyste, der Urolithiasis, der Cholezystitis, des Harnverhaltes oder der Ileitis terminalis dar. > Bei positivem Nachweis der entzündeten Appendix ist von einer Operationsindikation auszugehen, ein fehlender Nachweis schließt die Appendizitis nicht aus (Rettenbacher et al. 2001).
. Tab. 34.4 Metaanalysen zum Stellenwert der Sonographie bei akuter Appendizitis Autoren
n
Sensitivität in %
Spezifität in %
Obermaier et al. 2003
27224
79,6
89,8
Terasawa et al. 2004
1516
86
81
Yu et al. 2005
2643
86,7
90
Doria et al. 2006
9356
88
94
Al-Khayal 2007
13046
83,7
k.A.
van Randen et al. 2008
671
78
83
n = Anzahl der Patienten; k.A. = keine Aussage)
34.3.3
Radiologische Diagnostik
In der Nativdiagnostik kann bedingt durch die lokale Peritonitis mit Dünndarmatonie bei fortgeschrittener Appendizitis die Bildung vereinzelter Dünndarmspiegel im rechten Unterbauch beobachtet werden. Jedoch fehlt regelhaft auch bei perforierten Befunden der radiologische Nachweis freier Luft. Zur Diagnosefindung und als Unterstützung der Operationsindikation kann auf die Röntgenaufnahme des Abdomens im Stehen verzichtet werden. Auch weiterführende Diagnostik wie die Computertomographie oder der Kontrasteinlauf spielen im Vergleich zur Sonogra-
578
Kapitel 34 · Appendizitis
phie im deutschsprachigen Raum in der Routinediagnostik keine Rolle. Im Zweifelsfall kann eine Computertomographie lediglich helfen, die Rate der falsch negativen Appendektomien zu senken (Kaiser et al. 2002). Abweichend hiervon ist die Indikation zur computertomographischen Untersuchung bei unklaren Befunden, z. B. bei bereits medikamentös anbehandelten oder älteren Patienten, großzügig zu stellen. Gerade in der Differenzialdiagnose der lokalen Raumforderung entzündlicher oder tumoröser Genese ist die Computertomographie der Sonographie überlegen und kann ggf. gleich als Bildgebung zur perkutanen Intervention dienen.
Auch bei Kleinkindern ist die Diagnosestellung durch fehlende Erhebung der Eigenanamnese, der geringen diagnostischen Bedeutung von Erbrechen und der frühzeitigen starken Beeinträchtigung des Allgemeinzustandes, insbesondere bei der Perforation, problematisch. Das postoperative Auftreten einer Appendizitis beispielsweise nach Cholezystektomie ist fast nicht oder erst anlässlich einer Relaparotomie wegen peritonealer Erscheinungen oder diffuser Bauchschmerzen mit Fieber zu erkennen.
34.4 34.3.4
34
Differenzialdiagnostik
Die bei Kindern häufige Lymphadenitis mesenterialis lässt sich von der Appendizitis im Allgemeinen durch die Beobachtung über einige Stunden abgrenzen. Die abdominellen Symptome der Lymphadenitis sind normalerweise rasch rückläufig, eine Abwehrspannung entwickelt sich nicht. Dagegen sind Tonsillen und Lymphknoten anderer Lokalisation häufig mitbeteiligt. Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen kann eine Ileitis terminalis bei M. Crohn oder eine Yersinieninfektion als Differenzialdiagnose in Frage kommen und sich ggf. sonographisch durch Nachweis eines wandverdickten terminalen Ileums abgrenzen lassen. Ein entzündetes Meckel-Divertikel ist in der klinische Routine selten die Ursache der Beschwerden, lässt sich aber präoperativ nicht differenzieren und führt ebenso zur Operationsindikation wie die Appendizitis. Die Gastroenteritis zeigt häufig im Anfangsstadium die Symptome der akuten Appendizitis, manifestiert sich dann aber mit Durchfällen, die für die Appendizitis untypisch sind. Andererseits kann die bei einer Peritonitis auftretende Entleerung dünnen Stuhls leicht als Diarrhö bei Gastroenteritis fehlgedeutet werden. Eine Appendizitis mit retrozökaler Lage kann zu entzündlicher Mitreaktion des Ureters führen. Auch bei lokaler Peritonitis ist ein auffälliger Urinbefund möglich. > Die primär gestellte Diagnose der Zystopyelonephritis bedarf daher der engmaschigen Überprüfung, was in der klinischen Realität aufgrund der häufig urologischen Weiterbehandlung auf organisatorische Schwierigkeiten stoßen kann. Deletäre Verzögerungen in der korrekten Behandlung der akuten Appendizitis sind so vorgezeichnet.
Die Diagnosestellung im Alter kann durch larvierte Verlaufsformen und in der Schwangerschaft durch Lageänderungen des Zökums, aber auch durch Fehlinterpretation der Beschwerden im Unterbauch erschwert werden.
Indikationsstellung
Nach Stellung der Verdachtsdiagnose besteht die Indikation zur Appendektomie ohne weiteren zeitlichen Aufschub. Eine zeitverzögerte Operation, um die Nüchternheit des Patienten abzuwarten, ist bei akuten Befunden kontraindiziert, insbesondere beim Vorliegen einer postulierten intestinalen Atonie. Lediglich bei einer diffusen Peritonitis mit entsprechender Beeinträchtigung der Vitalparameter kann eine kurzfristige Stabilisierung des Patienten unter intensivmedizinischen Bedingungen sinnvoll sein. Konservative Therapie Mehrere Studien, die die primär kon-
servative Therapie mit systemischer Antibiose mit der primären Operation verglichen, konnten nur für selektionierte Kollektive Vorteile zeigen. Dann allerdings sank vor allen die Rate an schweren Komplikationen signifikant (Hansson et al. 2009). Durch eine Operationspflicht im konservativen Arm von 20–30% lässt sich dieses Vorgehen jedoch nicht global empfehlen (Styrud et al. 2006; Varadhan et al. 2010). Gleiches gilt beim Vorliegen eines perityphlitischen Abszesses. Durch perkutane Drainage und systemische Antibiose zeigen sich unabhängig vom Patienten-Alter keine Vorteile im Vergleich zur primären Operation (Sleem et al. 2009; St. Peter et al. 2010). > Die Indikation zur Operation sollte bei Kindern, alten Menschen und unter Immunsuppression großzügig gestellt werden, da hier die klinischen Symptome verschleiert oder schwierig zu interpretieren sein können.
34.5
Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl
34.5.1
Aufklärung
Die Appendektomie per se besitzt mit unter 1% eine geringe Letalität. Jeder Patient muss auf eine Wundheilungsstörung sowie eine mögliche Insuffizienz des Appendix-
579 34.5 · Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl
stumpfes mit konsekutiver kotiger Peritonitis oder einer Stuhlfistel hingewiesen werden. Die Morbidität ist abhängig vom Stadium der Entzündung, Wundheilungsstörungen können in bis zu 15% auftreten. Je nach Lage der Appendix kann eine Erweiterung des Zuganges notwendig sein. Im Aufklärungsgespräch sollte auch darauf hingewiesen werden, dass möglicherweise intraoperativ eine andere Diagnose gestellt und die operative Strategie entsprechend geändert wird.
34.5.2
Antibiotikaprophylaxe
Eine routinemäßig durchgeführte perioperative Antibiotikaprophylaxe hat in einer prospektiven Multicenterstudie das Risiko des subkutanen Wundinfektes bei der offenen Appendektomie von 3,8% auf 0,7% und beim laparoskopischen Vorgehen von 1% auf 0% gesenkt (Koch et al. 2000). Diese sollte daher bei jeder Appendektomie als »Single-shot«-Gabe eines modernen Cephalosporins bzw. eines Breitband-Penicillins in Kombination mit Metronidazol durchgeführt werden.
34.5.3
Intraoperative Befunde
Blande Appendix Liegt bei blander Appendix trübes Exsu-
dat intraabdominell vor, müssen andere Ursachen wie ein perforiertes Ulcus ventriculi oder duodeni, eine Cholezystitis oder Sigmadivertikulitis, ggf. auch unter Erweiterung des Zugangs, ausgeschlossen werden. Ist dies erfolgt, so sollte beim offenen Vorgehen über einen Wechselschnitt auf jeden Fall appendektomiert werden, da die charakteristische Narbe als Beweis für die stattgehabte Appendektomie gilt und später die Differenzialdiagnose der Appendizitis ausschließt (Becker u. Neufang 1997). Beim laparoskopischen Vorgehen wird die Indikation zur Appendektomie bei makroskopisch blandem Befund in der Literatur unterschiedlich angegeben. Einerseits spricht das mögliche Vorliegen einer neurogenen Appendikopathie bei makroskopisch unauffälligem Aussehen für die Entfernung des Wurmfortsatzes. Andererseits konnten beispielsweise van den Broek et al. (2001) zeigen, dass in ihrem Patientengut mit belassener Appendix (n=109) nur 15 Patienten erneut wegen Schmerzen im rechten Unterbauch stationär aufgenommen werden mussten. Sechs von ihnen wurden letztendlich doch appendektomiert, und nur einer hatte auch histologisch eine Appendizitis. Wegen der in den letzten Jahren fortgeschrittenen Standardisierung der Operationstechnik und konsekutiv sinkenden Komplikationsraten wird aber zunehmend auch bei makroskopisch unauffälliger Appendix die Appendektomie empfohlen (Garlipp u. Arlt 2009).
Meckel-Divertikel Findet sich während der Appendektomie
ein perityphlitischer Abszess oder eine lokale Peritonitis, ist die Revision des Dünndarmes auf ein Meckel-Divertikel nicht indiziert, um infiziertes Material nicht weiter im Abdomen zu verschleppen. In allen anderen Fällen, insbesondere bei makroskopisch unauffälliger Appendix, ist die Suche nach einem Meckel-Divertikel möglich. Die Indikation hierzu wird kontrovers diskutiert. Das wesentliche Gegenargument sind die Serosaläsionen, die am Darm durch die Eventrierung insbesondere bei zu kleinem Zugang entstehen und die zu vermehrten postoperativen Adhäsionen führen können. In der Literatur ist die Empfehlung dennoch eindeutig und untermauert die Notwendigkeit der Revision des aboralen Dünndarms auf ein Meckel-Divertikel bei nur gering ausgeprägter Appendizitis (Ruh et al. 2002), da die Komplikationsrate hierdurch nicht wesentlich erhöht wird. Dies gilt unabhängig von der Operationstechnik. Karzinoid Karzinoide der Appendix sind selten und werden normalerweise erst zufällig bei der histologischen Aufarbeitung entdeckt. Findet sich überraschend ein solcher Befund, so erscheint eine Nachresektion nicht notwendig, wenn der Tumor kleiner als 1 cm ist und die Appendixbasis oder das Mesenteriolum nicht infiltriert waren. In allen anderen Fällen sollte unter onkologischen Kautelen eine Hemikolektomie rechts durchgeführt werden. Pseudomyxoma peritonei Der als Karzinom mit niedrigem
Malignitätsgrad anzusehende Tumor geht oft von einer Mukozele aus und gehört zur Differenzialdiagnose beispielsweise eines zystischen Ovarialtumors. Er sollte so radikal wie möglich reseziert werden, da die Rezidivtendenz sehr hoch ist. Die Kombination der zytoreduktiven Chirurgie mit einer hyperthermen intraabdominellen Chemotherapie (HIPEC) scheint die Prognose entscheidend zu verbessern (Elias et al. 2008). Morbus Crohn Stellt sich intraoperativ ein M. Crohn als Ursache der ursprünglichen Symptomatik heraus, sollte nur appendektomiert werden, wenn die Basis der Appendix symptomfrei ist. Insgesamt scheint die Komplikationsrate in dieser Situation jedoch geringer zu sein als nach Dünndarmresektionen wegen eines M. Crohn (PrietoNieto et al. 2001). Perityphlitischer Abszess Ist beim ausgedehntem Abszess und Nekrose der Appendix das Organ nicht mehr darstellbar, ist die palliative Drainage – offen oder perkutan – und ggf. die zweizeitige Intervallappendektomie nach Abklingen der entzündlichen Symptomatik nach mehreren Wochen oder Monaten indiziert.
34
580
Kapitel 34 · Appendizitis
. Tab. 34.5 Literaturvergleich der Vorteile von laparoskopischer oder offener Appendektomie Autor
Operationsdauer
Stationärer Aufenthalt
Komplikationsrate
Kosten
Intraabdomineller Abszess
Wei et al. 2010
k.U.
lap
lap
k.U.
lap
Ball et al. 2004
k.U.
k.U.
k.U.
n.u.
n.u.
Vegunta 2004
Offen
lap
lap
Offen
Offen
Lagares-Garcia et al. 2003
k.U.
k.U.
n.u.
k.U.
n.u.
Lee u. Lin 2003
k.U.
lap
k.U.
n.u.
n.u.
Marzouk et al. 2003
Offen
lap
lap
n.u.
k.U.
Milewczyk et al. 2003
Offen
k.U.
k.U.
n.u.
n.u.
Lippert et al. 2002
Offen
n.u.
lap
Offen
n.u.
Long et al. 2001
Offen
lap
k.U.
k.U.
n.u.
k.U. kein Unterschied, n.u. nicht untersucht, offen: Vorteile für die offene Appendektomie, lap Vorteile für die laparoskopische Appendektomie
34.5.4
34
Verfahrenswahl
Die laparoskopische Appendektomie hat sich nach anfänglich hoher Komplikationsrate inzwischen flächendeckend durchgesetzt. 2003 wurden in Nordrhein-Westfalen 46,8% aller Appendektomien laparoskopisch durchgeführt (QSFPSE NRW 2003). In der Literatur sind inzwischen die Vor- und Nachteile des laparoskopischen Vorgehens relativ eindeutig herausgearbeitet worden (. Tab. 34.5). Die früher gefundene längere Operationsdauer ist durch standardisierte Operationstechnik gesunken, die Dauer des gesamten stationären Aufenthaltes weiterhin niedriger als beim offenen Vorgehen. Der wesentliche Vorteil scheint das seltenere Auftreten subkutaner Wundinfekte zu sein (Long et al. 2001; Pederson et al. 2001; Wullstein et al. 2001). Die Rate intraabdomineller Abszesse ist nur in wenigen Arbeiten bei der laparoskopischen Operation erhöht.
34.6
Operationstechnik
34.6.1
Konventionelle Appendektomie
Die konventionelle Appendektomie ist seit Jahrzehnten standardisiert und erfolgt über den unteren lateralen Wechselschnitt nach McBurney und Sprengel, der die unterschiedlichen Faserrichtungen der einzelnen Bauchwandschichten respektiert. Zur Verbesserung des kosmetischen Ergebnisses kann der Hautschnitt weit kaudal und nahezu waagerecht angelegt werden. Lediglich bei einer Unterbauchperitonitis stellt die mediane Unterbauchlapa-
rotomie eine Alternative dar. Der pararektale Zugang ist wegen der Denervierung des M. rectus abdominis und des schlechten kosmetischen Ergebnisses abzulehnen.
Nach Eröffnung des Abdomens wird das Zökum vor die Bauchdecke luxiert (. Abb. 34.2). Ist die Identifikation der Appendix schwierig, kann man der Taenia libera zum Zökalpol folgen. Anschließend erfolgt die Durchtrennung des Mesenteriolums der Appendix mit der A. appendicularis unter Ligaturen. Die Appendix selbst wird basisnah mit einer Klemme verschlossen und kolonwärts davon ligiert. Dazwischen kann sie dann durchtrennt werden (. Abb. 34.3). Der Stumpf wird mit einer Tabaksbeutel- oder Z-Naht versenkt (. Abb. 34.4). Dabei ist darauf zu achten, dass das Lumen der Ileozökalklappe unversehrt bleibt. Liegt eine ausgedehnte Entzündung mit Nekrose der Appendixbasis vor, muss die Zökumwand mit Einzelknopfnähten spannungsfrei adaptiert werden. Falls dies wegen ausgeprägter Wandinfiltration nicht möglich erscheint, kann auf die Sicherung des Stumpfes unter ausgiebiger Drainage verzichtet oder besser eine Zökalpol- oder Ileozökalresektion durchgeführt werden. Nach Austupfen des Douglas-Raumes wird die Bauchdecke schichtweise verschlossen. Bei lokaler Peritonitis sollte eine Drainage für 2–3 Tage eingelegt werden.
581 34.6 · Operationstechnik
Ist das Zökum retroperitoneal fixiert, muss die Präparation intraabdominell vorgenommen werden. Bei retrozökal fixierter Lage der Appendix kann diese basisnah beginnend mit sog. Kletterligaturen entwickelt werden. Alternativ ist es auch möglich, die Basis primär zu durchtrennen und zu versorgen und anschließend die Appendix aus ihren Verwachsungen zu lösen und zu entfernen. ! Cave ! In jedem Fall ist auf eine vollständige Appendektomie zu achten.
34.6.2 . Abb. 34.2 Vorluxieren des Zökums vor die Bauchdecke
. Abb. 34.3 Absetzen der Appendix zwischen Basisligatur und Klemme
. Abb. 34.4 Versenken des Appendixstumpfes durch Tabaksbeutelnaht
Laparoskopische Appendektomie
Ein besonderer Vorteil der Laparoskopie ist die erhöhte Übersicht, durch die relevante Differenzialdiagnosen wie die Ileitis terminalis oder eine Overialzyste mitbeurteilt werden können. Der Zugang erfolgt normalerweise über einen infraumbilikalen 10 mm-Trokar für die Kamera, einen 5 mmTrokar im rechten Mittelbauch etwas kranial der Fossa inguinalis lateralis und einen 10 mm-Trokar tief im linken Unterbauch in der linken Fossa supravesicalis kaudal der Schamhaargrenze. Operateur und kameraführender Assistent stehen beide auf der linken Seite des Patienten. Nach Ausschluss oder Absaugen von putrider Flüssigkeit intraabdominell, die sonst in der Abdominalhöhle unkontrolliert verteilt werden könnte, wird der Patient in Trendelenburg- und Linksseitenlage gelagert. Das Mesenteriolum kann unter bipolarer Koagulation oder mit dem Endo-GIA durchtrennt werden (. Abb. 34.5). Der Verschluss der Appendix erfolgt entweder mit der Roeder-Schlinge oder ebenfalls mit dem Endo-GIA (. Abb. 34.6). Hierbei erscheint die StaplerAppendektomie bezüglich postoperativer Abszessbildung und Entwicklung einer postoperativen Unterbauchperitonitis günstiger (Klima 1998). Der Stumpf wird nicht versenkt (. Abb. 34.7). Das in der Anfangszeit geübte Koagulieren des AppendixStumpfes ist wegen der Gefahr der Zökumnekrose mit konsekutiver Peritonitis obsolet. Auch beim laparoskopischen Vorgehen kann bei retrozökaler Lage die Appendix zunächst an der Basis dargestellt, verschlossen und durchtrennt werden, um dann retrograd den Wurmfortsatz zu entwickeln. Hierbei empfiehlt sich jedoch auf alle Fälle die Verwendung eines Linearstaplers (Tamme u. Köckerling 2003). 6
34
582
Kapitel 34 · Appendizitis
Die abgesetzte Appendix kann entweder durch den Trokar im linken Unterbauch oder über einen Bergebeutel geborgen werden. Bei fortgeschrittenen Entzündungsformen scheint die lokale Lavage die postoperative Abszessrate senken zu können (Ritter et al. 1998). Bei lokaler Peritonitis sollte auch beim laparoskopischen Vorgehen eine Drainage für 2–3 Tage eingelegt werden. Die Faszienlücken an den 10-mm-Trokaren müssen verschlossen werden.
. Abb. 34.5 Laparoskopisches Durchtrennen des Mesenteriolums mit dem Linearstapler
Eine Weiterentwicklung stellt die mikroinvasive Operation dar, die durch die Verwendung von zwei 3-mm-Trokaren das kosmetische Ergebnis verbessert und das Trokarhernienrisiko minimiert. Sie kann von erfahrenen Operateuren bei schlanken Patienten und niedrigem Entzündungsgrad der Appendix ohne erhöhtes Komplikationsrisiko durchgeführt werden (Mainik et al. 2003). Auch die transvaginale Appendektomie (N.O.T.E.S.) oder die Operation über einen einzigen infraumbilikalen Zugang (SILS) stellen vielversprechende Innovationen dar, deren Stellenwert aktuell unter Sudienbedingungen ermittelt wird (Horgan et al. 2009; Lee et al. 2010).
34 34.7
. Abb. 34.6 Laparoskopisch abgesetzte Appendix
Eine antibiotische Therapie ist nur beim Vorliegen einer Peritonitis indiziert. Der postoperative Kostaufbau kann unabhängig vom Operationsverfahren rasch innerhalb der nächsten 24 h erfolgen. Lediglich bei ausgeprägter Atonie wegen Peritonitis muss Peristaltik-adaptiert vorgegangen werden. Die Entlassung kann je nach intraoperativem Befund rasch erfolgen. Die durchschnittliche stationäre Aufenthaltsdauer lag 2003 in Deutschland bei 6 Tagen (BQS 2003).
34.8
. Abb. 34.7 Blick auf die Klammernaht-Reihe über der Wurzel des Mesenteriolums und dem Appendixstumpf
Postoperative Behandlung
Komplikationen
Die Rate der Wundheilungsstörungen wurde noch 1997 in Abhängigkeit vom Stadium des Entzündungsprozesses mit etwa 9% nach offener und 4% nach laparoskopischer Appendektomie angegeben (Becker und Neufang 1997). Nach Angaben der Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung trat ein subkutane Wundinfekt 2003 in Deutschland noch in 3,1% aller Fälle auf (BQS 2003). In diesen Fällen muss die Wunde revidiert werden. Eine antibiotische Therapie ist nur bei ausgeprägter Bauchdeckenphlegmone sinnvoll.
583 34.10 · Literatur
Intraabdominelle Abszesse sind häufig Ausdruck von belassenem infektiösem Material und nur selten Folge einer Appendixstumpfinsuffizienz. Hier ist nach Diagnosesicherung die Indikation zur Revision großzügig zu stellen. In ausgewählten Fällen kann der Abszess auch perkutan interventionell drainiert werden. Bei weiterbestehender lokaler oder generalisierter Peritonitis kann es zu einem paralytischen Ileus kommen. Hier muss rasch relaparotomiert, die Bauchhöhle lavagiert und der Fokus saniert werden. Die 30-Tage-Mortalität liegt wegen des überwiegend gesunden Kollektives bei unter 1%. Werden nur Appendektomien bei Erwachsenen untersucht, steigt die Mortalität bereits auf 1,8%. Treten ernste Komplikationen auf, kann die Mortalität je nach Komorbidität auf über 30% steigen (Margenthaler et al. 2003). Die Inzidenz von Narbenhernien ist nach einem Wechselschnitt mit 0,4% sehr gering. Das Risiko für einen Bridenileus ist in Abhängigkeit vom primären intraabdominellen Befund deutlich höher. In einer Langzeit-Beobachtungsstudie in Skandinavien an 3230 Patienten hatten nach 10 Jahren 1,24% der appendektomierten Patienten einen mechanischen Ileus entwickelt, und 0,68% mussten daran operiert werden (Tingstedt et al. 2004). Im Gegensatz zu häufig geäußerten Theorien scheint eine perforierte Appendizitis keinen negativen Einfluss auf die weibliche Fertilität bzw. die Integrität der Tuba ovarica zu haben (Urbach et al. 2001).
34.9
Ausblick
Eine Verbesserung der Behandlung von Patienten mit akuter Appendizitis würde sich in der Reduktion der Perforationsrate und der Rate an histologisch unauffälligen Appendices niederschlagen. Dies ist nur durch eine Verbesserung der diagnostischen Möglichkeiten zu erreichen. Da die sonographisch gestützte Diagnosestellung stark untersucherabhängig ist, werden in Zukunft möglicherweise Schnittbildverfahren wie MR oder CT einen höheren Stellenwert einnehmen. Abhängig wird das zu einem großen Teil nicht von den medizinischen Erfordernissen, sondern auch von den zu erzielenden Fallerlösen sein. Die Liegedauer wird sich unter ökonomischen Zwängen weiter verkürzen bis hin zu einem hohen Anteil an ambulanten Appendektomien. Ein nahezu vollständiger Ersatz der konventionellen Operation durch die Laparoskopie, wie es bei der Cholezystektomie geschehen ist, wird sich hier nicht vollziehen, da die Appendektomie häufig als Notfalloperation durchgeführt wird, und ein gleichbleibend hoher Standard an laparoskopischer Operationstechnik nicht bei allen Diensthabenden vorhanden ist. Außerdem ist der finanzielle Auf-
wand durch die verkürzte Liegedauer nur teilweise kompensierbar.
34.10
Literatur
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34
584
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Kapitel 34 · Appendizitis
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34.11
Internetadressen
http://leitlinien.net/: Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie zum Thema Appendizitis www.klinikmanual.de: Zusammenfassung aktueller Aspekte in der Behandlung der Appendizitis durch die Technischen Universität München
35
Proktologie C.G.M.I. Baeten, C. Beglinger, L. Degen, M. von Flüe, M.O. Guenin, W.R. Marti
35.1
Funktionelle Anatomie, Pathophysiologie und Diagnostik – 586
35.1.1 35.1.2 35.1.3 35.1.4 35.1.5
Funktionelle Anatomie – 586 Physiologie – 589 Pathophysiologie – 590 Diagnostik – 590 Literatur – 594
35.2
Therapie proktologischer Erkrankungen
35.2.1 35.2.2 35.2.3 35.2.4 35.2.5 35.2.6 35.2.7 35.2.8 35.2.9 35.2.10
Anästhesieverfahren – 594 Hämorrhoiden – 595 Analfissur – 608 Anorektale Fisteln und Abszesse – 613 Rektovaginale Fisteln – 620 Morbus Crohn – 620 Rektumprolaps/Analprolaps – 622 Sexuell übertragene proktologische Infektionen Anale Trauma und Fremdkörper – 631 Literatur – 631
35.3
Therapie der Analinkontinenz
35.3.1 35.3.2 35.3.3 35.3.4 35.3.5 35.3.6 35.3.7
Definition – 635 Inzidenz – 635 Diagnostik – 635 Indikation – 636 Konservative Therapie – 637 Operative Therapie – 639 Literatur – 643
– 594
– 626
– 635
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_35, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
586
Kapitel 35 · Proktologie
35.1
Funktionelle Anatomie, Pathophysiologie und Diagnostik L. Degen, C. Beglinger
An der Defäkation und Kontinenzerhaltung sind mehrere Strukturen in einem komplexen Zusammenspiel beteiligt. Das Anorektum, aber auch der Dickdarm erfüllen dabei wichtige Aufgaben. Im folgenden Kapitel werden physiologische Funktionsabläufe in ihren Hauptprinzipien erörtert und deren Diagnostik zusammen mit möglichen Störungen vorgestellt.
35.1.1
Funktionelle Anatomie
Kontinenz und Defäkation sind gegensätzliche Funktionen des Anorektums, die erst durch die Koordination zwischen Analkanal, Beckenboden und Rektum erreicht werden.
Analkanal Der anatomische Analkanal misst ca. 2 cm und erstreckt sich von der Analöffnung bis hin zur Linea dentata. Der chirurgische oder klinische Analkanal ist etwas länger und dehnt sich vom oralen Ende des M. puborectalis bis zum
kaudalen Ende des M. sphincter ani externus auf einer Strecke von 2–5 cm aus, wobei er in der Regel bei Frauen kürzer ist. Für die Physiologie ist dieser Abschnitt von entscheidender Bedeutung und wird im Folgenden mit dem Begriff »Analkanal« bezeichnet. Der Analkanal wird von zwei konzentrischen Muskelkanälen umschlossen (. Abb. 35.1). Zum einen findet sich hier der innere Schließmuskel (M. sphincter ani internus), der sich aus der Fortsetzung der inneren zirkulären Schicht der Muscularis propria der Rektumwand bildet. Über diesen gestülpt liegt ein zweiter Muskel, der äußere Schließmuskel (M. sphincter ani externus), der aus der Beckenbodenmuskulatur hervorgeht. Zwischen innerem und äußerem Schließmuskel befindet sich eine dünne, muskulär-bindegewebliche intersphinktäre Schicht, die sich aus der äußeren Muskelschicht der Muscularis propria des Rektums formt. Der M. sphincter ani externus besteht anatomisch aus 3 Anteilen: der Pars profunda, der Pars superficialis und der Pars subcutanea. Bei Frauen ist der äußere Schließmuskel ventral in den proximalen Anteilen des Analkanals schwächer ausgeprägt als bei Männern. Die Pars subcutanea wird von Muskelfasern aus der intersphinktären Schicht durchsetzt, die an der Perianalhaut befestigt sind (M. corrugator ani) und die typische Fältelung in diesem Bereich hervorrufen.
35
. Abb. 35.1 Analkanal im Längsschnitt. Beziehung der muskulären Strukturen im Übergang vom Rektum zum Analkanal. (Leicht modifiziert aus Pemberton 1991)
587 35.1 · Funktionelle Anatomie, Pathophysiologie und Diagnostik
. Abb. 35.2 Beckenbodenmuskulaturen. (Leicht modifiziert aus Pemberton 1991)
Der M. sphincter ani externus ist trotz quer gestreifter Muskulatur nicht nur zu einer kurzfristigen, sondern auch zu einer langdauernden Kontraktion fähig. Neben der reflektorischen Steuerung, kann er zur Verbesserung der Kontinenzleistung auch willkürlich aktiviert werden. Der M. sphincter ani internus hält demgegenüber einen Dauertonus aufrecht. Eine Relaxation wird nur durch zunehmende Füllung des Rektums mit steigendem Druckaufbau erreicht (rektoanaler Inhibitionsreflex).
Beckenboden Der Beckenboden kann als Platte aus Skelettmuskulatur (M. levator ani) und zugehörigen Faszien betrachtet werden, die trichterförmig in den M. sphincter ani externus übergeht (. Abb. 35.2). Der M. puborectalis ist der mediale Anteil des M. levator ani, der seine beiden Ansätze am Os pubis hat und schlingenförmig um das obere Ende des Analkanals am anorektalen Übergang zieht. Zwischen den beiden Armen der Puborektalisschlinge befindet sich das Diaphragma urogenitale, das aus den Mm. transversi perinei zusammen mit Faszien gebildet wird. Der Zug der Puborektalisschlinge bewirkt in Ruhe beim Gesunden eine Abwinkelung des Analkanals in der Längsachse, was als anorektaler Winkel bezeichnet wird und einen wichtigen Kontinenzfaktor darstellt (. Abb. 35.3 und . Abb. 35.4). Weiter verschließen die Pars pubica und die Pars iliaca des M. levator ani den Beckenboden fächerförmig, ausgehend von Os sacrum und Os coccygis. Dieser trichterförmige Beckenboden hat physiologisch einerseits die Aufgabe, beim aufrechten Gang den Bauchinhalt gegen die Schwerkraft abzustützen und andererseits wichtige Entleerungsfunktionen zu ermöglichen.
Aus anatomischer Sicht beginnt das Rektum auf Höhe S3 und folgt dem Sakrum, zunächst kaudalwärts, um sich dann nach ventral auf einer Gesamtlänge von 13–15 cm zu erstrecken. Typischerweise verläuft es dabei in 2 seitlichen Kurven, die sich im Rektumlumen als transversale Falten (Houston) bemerkbar machen. Die meist vorhandene mittlere der 3 Falten ist als Kohlrausche-Falte bekannt und befindet sich in Höhe des peritonealen Umschlags. Das Rektum ist dorsal und lateral beidseits von perirektalem Fett, dem Mesorektum, umgeben. Das Mesorektum ist in seinem posterioren Bereich von einer Faszie umgeben, die als Waldeyer-Faszie bezeichnet wird. Durch das
. Abb. 35.3 M. puborectalis. Schema mit Blick von oben. Der M. puborectalis schlingt sich dorsal um den Darm und definiert so den anorektalen Übergang. (Leicht modifiziert aus Pemberton 1991)
35
588
35
Kapitel 35 · Proktologie
. Abb. 35.4 Anorektaler Winkel. Der M. puborectalis bildet in der Längsachse durch anterioren Zug den anorektalen Winkel. (Leicht modifiziert aus Pemberton 1991)
. Abb. 35.5 Gefäßversorgung des Rektums und des Analkanals. (Leicht modifiziert aus Pemberton 1991)
Mesorektum verlaufen die lokal versorgenden Gefäße und Nerven. Die Vorderwand der Faszienkapsel wird bei der Frau durch das Septum rectovaginale und beim Mann durch die prostataperineale Denonvillier-Faszie gebildet. Im Ruhezustand ist das Rektum, bedingt durch einen Druckgradienten zwischen Rektum und Rektosigmoid, meist leer. Beim Übergang in den Analkanal finden sich 6–12 längsgerichtete Schleimhautfalten (Columnae anales), die Muskularisstränge, Lymph- und Blutgefäße enthalten. Die kaudalen Enden dieser Falten sind durch Schleimhautfalten zu Taschen (Analkrypten) verbunden, in die feine Gänge der Proktodealdrüsen münden. Diese Krypten und Proktodealdrüsen sind beim Menschen häufig Ausgangspunkt akuter entzündlicher Erkrankungen wie Analfissuren und Fisteln. Die relativ prägnante Linie der Krypten wird wegen ihrer regelmäßigen Erhabenheit Linea dentata genannt. In diesem Übergangsbereich geht die wenig sensible Rektumschleimhaut allmählich in das hochsensible Anoderm über, das aus nichtverhornendem Plattenepithel gebildet wird. Die Sensibilität des Analkanals ist ein bedeutsamer Kontinenzfaktor, vor allem zur Unterscheidung von Stuhl und Gas (Flatus). Proximal der Linea dentata liegen die inneren Hämorrhoiden, die als Schwellkörper den Eingang zum Analkanal überlagern und zusätzlich abdichten.
Nervenversorgung Der M. levator ani wird von Ästen des Plexus sacralis meist von S3 und S4 versorgt. Die Innervation des M. puborectalis wird kontrovers entweder als isolierte Versorgung durch den N. pudendus, durch Wurzeln der Sakralnerven S3/S4 oder als überlappende Innervation dieser beiden vermutet (2, 5, 8). Der M. sphincter ani externus ist durch Äste des N. pudendus innerviert, der aus dem Plexus sacralis (S2–S4) hervorgeht. Der M. sphincter ani internus wird, wie der restliche Gastrointestinaltrakt, sowohl autonom parasympathisch (S2–S4) als auch sympathisch (L5) innerviert. Die parasympathischen Fasern erhöhen den Tonus des inneren Sphinkters, wohingegen der Sympathikus diese Funktion hemmt.
Gefäßversorgung Rektum und Analkanal werden hauptsächlich durch die A. rectalis superior und durch die gepaarte A. rectalis inferior versorgt (. Abb. 35.5). Die A. rectalis media ist ein Ast der A. iliaca interna und anastomosiert sowohl mit der A. rectalis superior als auch mit der A. rectalis inferior. Die A. rectalis superior entspringt als direkte Fortsetzung der A. mesenterica inferior und versorgt den größten Teil des proximalen Rektums sowie die inneren Hämorrhoiden. Die A. rectalis inferior zweigt aus der A. pudenda interna ab, die ein Ast der A. iliaca interna ist und den unteren
589 35.1 · Funktionelle Anatomie, Pathophysiologie und Diagnostik
Analkanal versorgt. Der venöse Abfluss folgt im Wesentlichen der arteriellen Versorgung.
35.1.2
Physiologie
Verschiedene, wichtige Techniken, die in der Funktionsdiagnostik verwendet und später im Kapitel diskutiert werden, haben mitgeholfen, die anorektale Physiologie der Stuhlkontinenz und der Defäkation besser zu verstehen.
Stuhlkontinenz Unter der Stuhlkontinenz wird die Fähigkeit verstanden, Stuhl willkürlich zurückzuhalten, um Ort und Zeit der Entleerung willentlich zu bestimmen. Die Kontinenz muss während der frühen Kindheitsphase erlernt werden und bedarf eines ungestörten Zusammenspiels mehrerer Faktoren und Mechanismen (7 Übersicht). Diese Kontinenzleistung wird aktiv durch den muskulären Sphinkterapparat mit spezifisch erzielten Druckwerten, mit dem anorektalen Winkel und mit dem sog. rektoanalen Inhibitionsreflex aufrechterhalten. Zusätzlich kommen auch dem Rektum mit seiner Reservoirkapazität und seiner Motorik und nicht zuletzt auch der Stuhlbeschaffenheit eine erhebliche Bedeutung zu (Rao 2004). Verantwortliche Faktoren für Stuhlkontinenz 4 4 4 4 4
Muskulärer Sphinkterapparat Anorektaler Winkel Rektoanaler Inhibitionsreflex Rektum: Reservoirkapazität und Motorik Stuhl: Konsistenz und Volumen
Anale Hochdruckzone Die Länge der analen Hochdruckzone misst in Ruhe ca. 4 cm und ist bei Frauen etwas kürzer als bei Männern. Der Ruhedruck im Analkanal nimmt im Längsprofil von proximal nach distal allmählich zu. 1–2 cm proximal der Analöffnung wird meist das Druckmaximum erreicht, worauf die Werte relativ steil zum atmosphärischen Druck hin wieder abfallen. Dies markiert das distale Ende des analen Sphinkters. Der durchschnittliche maximale Ruhedruck im Analkanal beträgt 40–50 mmHg, wobei Frauen niedrigere Werte zeigen als Männer. Die asymmetrische Anordnung der Sphinktermuskulatur führt zu einer ungleichmäßigen Druckverteilung entlang der Längsachse des Analkanals. Der Ruhedruck ist in den proximalen Abschnitten posterior und distal anterior am ausgeprägtesten. Neben dem M. sphincter ani internus, der 85% des Druckes generiert, ist auch der M. sphincter ani externus am Ruhedruck beteiligt. Dieser Ruhedruck kann sowohl im Wachzustand als auch im Schlaf nachge-
wiesen werden. Während der Stuhlevakuation verschwindet jedoch die Aktivität des M. sphincter ani externus. Nach Aufforderung zur Kontraktion der analen Sphinktermuskulatur kann eine Druckzunahme auf über 100 mmHg mit Verlängerung der analen Druckzone beobachtet werden. Obwohl durch zusätzliches Bauchpressen auch der intrarektale Druck gesteigert werden kann, bleiben die maximalen Kontraktionswerte in der analen Druckzone immer noch deutlich höher. Der aktive Kontraktionsdruck wird durch den M. sphincter ani externus und den M. puborectalis generiert. Da sich die Muskulatur schnell schwächt und die Kontraktionsdrücke kaum länger als 1 min aufrechterhalten werden können, scheint dieser Mechanismus vor allem für die kurzfristige Kontinenzleistung bei Stuhldrang eingesetzt zu werden. Anorektaler Winkel Der anorektale Winkel wird durch den
anterioren Zug der M.-puborectalis-Schlinge zwischen Analkanal und Rektum gebildet (. Abb. 35.4). Möglicherweise unterstützt dieser die länger dauernde Kontinenz für geformten Stuhl. Durch Öffnung des in Ruhe spitzwinklig konfigurierten anorektalen Übergangs wird die Passage von Stuhl bei der Defäkation erleichtert. Im angewinkelten Zustand kann sich demgegenüber der anorektale Übergang wie ein Ventil auswirken und die Passage von Stuhl verhindern (Bannister et al. 1987). Anorektale Sensibilität Erst durch die Wahrnehmung des Darminhaltes im tieferen Rektum kann zwischen Gas (Flatus) und Stuhl unterschieden werden (Wald u. Tunuguntla 1984). Dehnungsrezeptoren in der Darmwand oder im Beckenboden lassen die Rektumfüllung erkennen. Die erste Wahrnehmung einer Dehnung geht parallel mit dem Auslösen des sog. rektoanalen Inhibitionsreflexes. Dieser lokale Reflex wird durch eine schnelle rektale Dehnung ausgelöst und hat eine leichte Kontraktion der Rektumwand, vor allem aber eine Relaxation im Bereich des M. sphincter ani internus und eine Kontraktion im Bereich des M. sphincter ani externus zur Folge. Es wird vermutet, dass dieser Reflex die Unterscheidung zwischen den verschiedenen Qualitäten des Darminhaltes ermöglicht. Durch die Relaxation in den proximalen Abschnitten des Analkanals tritt der Inhalt der Rektumampulle tiefer und kommt in den Kontakt mit dem hochsensiblen Epithel der analen Übergangszone. In diesem Segment wird dann die bewusste Information über den Aggregatzustand des Darminhaltes (fest, flüssig und gasförmig) generiert, um dann entweder die adäquate Kontinenz zu wahren oder die Defäkation zuzulassen. Kontrastiert werden jedoch diese Vermutungen durch Angaben von Patienten mit ileoanaler Anastomose und fehlendem Reflex, die über eine adäquate Kontinenzleistung berichten. Interessanterweise wurde auch nach lokaler Anästhesie der Analmukosa die Konti-
35
590
Kapitel 35 · Proktologie
nenzleistung bei gesunden Probanden nicht beeinträchtigt (Read u. Read 1982).
Stuhlkonsistenz wiederum zu einer adäquaten Kontinenzfunktion.
Rektumkapazität und -compliance Die Kapazität des Rek-
tums bestimmt die Häufigkeit und den Grad des Stuhldranges. Obwohl bereits 10 ml im Rektum wahrgenommen werden können, lassen sich gut 300 ml Flüssigkeit ins Rektum einbringen, ohne einen imperativen Stuhldrang auszulösen. Diese Fähigkeit zur Akkommodation, d. h. zur rezeptiven Relaxation, ist nicht nur eine passive, sondern auch eine aktive dynamische Fähigkeit des Rektums. Werden bei einer allmählichen Wanddehnung durch einen Ballon die Druckveränderungen gegen die Volumenveränderungen (dP/dV) aufgezeichnet, lässt sich aus der Steigung der so gemessenen Kurve die sog. Compliance als Parameter objektivieren (7 Kap. 6). Bei veränderten Wandeigenschaften wie z. B. bei entzündlichen Prozessen des Rektums oder nach operativen Eingriffen (z. B. tiefe anteriore Resektion) verringert sich die Wandcompliance und damit auch die Reservoirkapazität. Die Patienten verspüren folglich häufiger imperativen Stuhldrang und leiden an Episoden von Inkontinenz (Lee u. Park 1998).
35
Darmmotilität Üblicherweise ist das Rektum leer. Wahrscheinlich ist das primäre Reservoir für Stuhl weiter proximal gelegen. Während der distalen Kolonkontraktionen tritt der Stuhl in das Rektum, worauf sich zunächst die Rektumwand relaxiert. Im Rektum lassen sich bei längerer Messung 3 unterschiedliche Motoraktivitäten erkennen, wobei vor allem den sog. rektalen Motorkomplexen Beachtung geschenkt wurde (Kumar et al. 1989). Ähnlich den Motorkomplexen der Nüchternaktivität des Dünndarms (7 Kap. 6) finden sich im Rektum alle 1–1,5 h 3–10 min dauernde kräftige phasische Kontraktionen mit einer Frequenz von 2–3 pro min. Parallel zu diesen Motorkomplexen ließ sich eine Zunahme des analen Ruhedrucks sowie der analen Kontraktionsaktivität beobachten. Der dadurch aufgebaute Druckgradient ist für die Kontinenzleistung von Bedeutung. Auch im Analkanal zeigt der Ruhedruck rhythmische Schwankungen. Neben langsamen Druckwellen (15/min) werden in 40% gesunder Probanden ultralangsame Druckwellen (2/min) gefunden. Da die Frequenz der langsamen Druckschwankungen im distalen Analkanal am höchsten ist, wird vermutet, dass diese Aktivität zur Kontinenzverbesserung beiträgt (Sorensen et al. 1989). Stuhlvolumen und Konsistenz Durch eine plötzliche Ver-
änderung der Stuhlkonsistenz oder des Stuhlvolumens kann die Kontinenzleistung beeinträchtigt werden. Sogar Gesunde können bei starker wässriger Diarrhö Mühe bekunden, den Stuhlabgang adäquat zu verhindern (Drossman et al. 1986). Häufig führt die Normalisierung der
35.1.3
Pathophysiologie
Störungen in den dargestellten Funktionsabläufen verursachen unterschiedliche Erkrankungen. Gutartige Krankheiten wie Analfissuren, aber auch Beckenbodendysfunktion mit schwerer Obstipation oder Inkontinenz, um nur einige zu nennen, können die Folge sein. Für die detaillierte Diskussion verweisen wir auf 7 Kap. 33 und 7 Abschn. 35.2.
35.1.4
Diagnostik
Anamnese Typische Beschwerden, die mit einer Störung der Beckenbodenfunktion assoziiert sind, reichen von Inkontinenz bis zur Obstipation. Obwohl nicht eindeutig diskriminierend, kann das häufige Pressen beim Stuhlgang oder das Gefühl einer inkompletten Stuhlentleerung ein erster Hinweis auf eine Beckenbodendysfunktion darstellen. Wesentlich ist die Anamnese in der Beurteilung der Stuhlinkontinenz, um sowohl deren Schweregrad als auch die daraus folgende Beeinträchtigung der Lebensqualität abschätzen zu können. Mehr als 50% der Patienten mit Stuhlinkontinenz werden ihre Beschwerden aus Scham nicht freiwillig schildern und müssen direkt darauf angesprochen werden (Johanson u. Lafferty 1996).
Klinische Untersuchung Die klinische Untersuchung führen wir am liegenden Patienten in Linksseitenlage durch. Unter Spreizen der Gesäßhälften wird zunächst die Perianalregion inspiziert, um daran anschließend den Patienten zum Pressen aufzufordern. Dies erlaubt nicht nur die Beweglichkeit des Beckenbodens abzuschätzen, sondern kann auch mögliche Prolapserscheinungen auslösen. Die nachfolgende digitale Palpation des Analkanals und des Rektums soll den erreichbaren Bereich auf pathologische Veränderungen wie Tumoren, aber auch Stuhlreste untersuchen. Durch Zusammenkneifen des Anus lässt sich die Funktion des muskulären Sphinkterapparates im besten Fall grob abschätzen. Beim Pressen mit dem Versuch, den untersuchenden Finger auszustoßen, sollte eine deutliche Relaxation des Sphinkters spürbar sein, die mit einer Senkung des Beckenbodens einhergeht. Der palpatorischen Untersuchung ist eine Proktoskopie auch unter aktivem Pressen des Patienten anzuschließen. Hier können in das Lumen des Proktoskops prolabierende Wandanteile den Verdacht auf einen inneren Rektumprolaps wachrufen (Hinninghofen u. Enck 2003).
591 35.1 · Funktionelle Anatomie, Pathophysiologie und Diagnostik
a
b
. Abb. 35.6a,b Endoanale Sonographie mit Normalbefunden. Im Zentrum als dunkler scharf begrenzter Fleck ist der Schallkopf zu erkennen. a M. puborectalis lässt sich als U-förmige, gegen ventral (oben) offene hyperechogene Struktur abgrenzen. b Der M. sphincter
ani internus kommt als dunkler, homogener Ring von ca. 2 mm Dicke zur Darstellung. Der M. sphincter ani externus liegt dem M. sphincter ani internus als hyperechogener Ring außen
Anorektale Manometrie
Endoanale Sonographie
Indikation Die anorektale Manometrie (7 Kap. 6) ist bei
Indikation Die endoanale Sonographie ist die empfindlichs-
einer Stuhlinkontinenz, aber auch beim Verdacht auf eine Beckenbodendysfunktion zum funktionellen Nachweis bzw. zum Ausschluss eines M. Hirschsprung indiziert. Beim M. Hirschsprung fehlt der rektoanale Inhibitionsreflex (Tobon et al. 1968).
te Methode zur Darstellung eines muskulären Sphinkterdefektes. Mit den heutigen Geräten lassen sich der M. sphincter ani internus, der M. sphincter ani externus und der M. puborectalis deutlich unterscheiden (. Abb. 35.6). Zusätzliche Pathologien, wie z. B. Fistelgänge, Abszesse oder Vernarbungen, aber auch Analkarzinome, können mit entsprechender Erfahrung im umgebenden Gewebe exakt lokalisiert werden (Rottenberg u. Williams 2002).
Untersuchung In der Manometrie werden der Ruhedruck
und der aktive Kontraktionsdruck im Längsverlauf des Analkanals bestimmt. Im gleichen Untersuchungsverfahren lassen sich durch eine zusätzliche Ballondehnung Hinweise auf die physikalischen Wandeigenschaften und die Kapazität des Rektums gewinnen. Die schnelle kurzfristige Wanddehnung kann zudem den rektoanalen Inhibitionsreflex überprüfen.
Ballonexpulsionstest Indikation Der Ballonexpulsionstest ist eine einfache und robuste Methode zur initialen Evaluation einer Beckenbodendysfunktion bei erschwerter Defäkation. Untersuchung Dem liegenden Patienten wird ein an einem Katheterende befestigter, kleiner Ballon in das Rektum eingeführt und mit 60 ml Wasser gefüllt. Daran anschließend kann er nun einerseits gebeten werden, den Ballon auf der Toilette in aller Abgeschiedenheit auszustoßen. Andererseits ist auch eine Ballonevakuation in Seitenlage unter zunehmendem Zug am Katheter denkbar. Liegt eine Beckenbodendysfunktion vor, wird die Ballonexpulsion misslingen oder nur bei hohem Zug möglich sein (Beck 1992).
Untersuchung Die heutigen, meist starren endoanalen
Sonden messen im Durchmesser knapp 2 cm und verwenden teilweise einen zirkulär rotierenden Schallkopf von 5–10 MHz. Einzelne Geräte erlauben neben radialen Querschnittsbildern auch longitudinale Bilddarstellungen. Dem Patienten wird meist in Seitenlage die Sonde vorsichtig anal eingeführt und dann unter kontinuierlicher Überwachung der Bilder wieder herausgezogen. Der M. sphincter ani internus wird im Analkanal als dunkler, homogener Ring von ca. 2 mm Dicke gesehen. Der M. puborectalis wie auch der M. sphincter ani externus stellen sich demgegenüber als unregelmäßige, hyperechogene Strukturen dar, wobei der M. puborectalis die typische, nach ventral offene U-Form zeigt (. Abb. 35.6). Bei einer Verletzung des muskulären Sphinkterapparates, wie z. B. nach einer schweren vaginalen Geburt oder einem Trauma, lässt sich der Defekt mit hoher Sensitivität und Spezifität als Kontinuitätsunterbrechung erfassen.
Defäkographie Indikation Die Defäkographie erlaubt morphologische und funktionelle Veränderungen darzustellen, die während der Defäkation sichtbar sind (z. B. innerer Prolaps,
35
592
Kapitel 35 · Proktologie
a
35
b
. Abb. 35.7 Normale Defäkographie. Die Bilder wurden im lateralen Strahlengang aufgenommen, a unmittelbar vor der Defäkation, b während der Stuhlevakuation; links im Bild ist beim Patienten jeweils ventral aufgenommen. Der anorektale Winkel öffnet sich und
die Stuhlentleerung ist unbehindert möglich. Zusätzlich ist in den oberen Bildabschnitten durch die orale Einnahme von Kontrastmittel der Dünndarm abzugrenzen
Rektozele, Beckenbodendysfunktion) und weder klinisch noch endoskopisch adäquat erfasst werden können. Neben dem Ausmessen statischer Verhältnisse am Beckenboden können dynamisch die Funktionsabläufe während der Stuhlevakuation beurteilt werden. Die Untersuchung ist mit einer relativ hohen Strahlenbelastung verbunden, die bei der Indikationsstellung mitberücksichtigt werden muss (Bartram 2003).
Für spezielle Fragestellungen (z. B. Enterozele) wird neben dem Rektum auch der Dünndarm mit Kontrastmittel zur Darstellung gebracht (. Abb. 35.8). An vielen Zentren wird bereits routinemäßig die Vagina mittels kontrastmittelgefüllten Tampons markiert und zudem die Harnblase mit radiologischer Markierung dargestellt.
Untersuchung In Seitenlage wird dem Patienten röntgendichtes, angedicktes Kontrastmittels als künstlicher Stuhl in das Rektum instilliert. Anschließend setzt sich der Patient auf eine Plastiktoilette hinter einen Durchleuchtungsschirm und im lateralen Strahlengang werden unterschiedliche Manöver inkl. der Stuhlevakuation dokumentiert. Dies kann entweder durch einzelne statische Bilder oder – weit aufschlussreicher – dynamisch mit Videoaufnahmen geschehen (. Abb. 35.7). Gemessen werden vor allem die Beweglichkeit des Beckenbodens, die Rektumweite sowie die Veränderungen des anorektalen Winkels zwischen der Längsachse des Analkanals und der Achse der dorsalen Rektumwand. Da die absoluten Normwerte z. B. des anorektalen Winkels erheblich variieren, wird deren diagnostische Aussagekraft vielerorts kritisch hinterfragt. Viel wichtiger ist jedoch die qualitative Beurteilung der dynamischen Ereignisse wie passagere Ausbildung einer Rektozele oder das Verhalten des anorektalen Winkels während einer Evakuation.
. Abb. 35.8 Enterozele. Das Bild wurde im lateralen Strahlengang aufgenommen; links im Bild ist bei der Patientin ventral. Vor der Defäkographie erhielt die Patientin zur Darstellung des Dünndarms oral Kontrastmittel. Beim Pressen bildet sich eine deutliche Enterozele aus und das Rektum stellt sich dorsal davon als weitere kontrastmittelgefüllte Struktur dar
593 35.1 · Funktionelle Anatomie, Pathophysiologie und Diagnostik
Der Finger wird hier mit der montierten Elektrode anal eingeführt und so weit wie möglich an den Ursprung des N. pudendus herangeführt. Danach wird der Nerv mit der Elektrode an der Fingerspitze so weit elektrisch stimuliert, bis es zu einer gut messbaren Kontraktion des innervierten M. sphincter ani externus kommt, die mit einer zweiten Messelektrode an der Fingerbasis registriert wird. Die Latenz zwischen Nervenstimulation und Muskelkontraktion lässt sich dann als Pudenduslatenzzeit messen. Eine Latenz über 2,5 ms wird im Allgemeinen als pathologisch gewertet. Der diagnostische und prognostische Wert dieses Parameters wird aber durch eine erhebliche interindividuelle Streubreite eingeschränkt. Entsprechend ist die klinische Bedeutung der Pudenduslatenzzeit umstritten und als Routineuntersuchung einer Stuhlinkontinenz nicht zu empfehlen. Elektromyographie Die Elektromyographie (EMG) testet
. Abb. 35.9 Schema der St.-Marks-Fingerelektrode. Der Finger mit der montierten Elektrode wird anal eingeführt. Mit der Elektrode an der Fingerspitze wird der N. pudendus elektrisch stimuliert und mit den Elektroden an der Fingerbasis wird die Kontraktion des innervierten M. sphincter ani externus gemessen. Die verstrichene Zeit zwischen Stimulation und Muskelkontraktion wird als Pudenduslatenzzeit gemessen
die Funktion und Innervation des M. sphincter ani externus und des M. puborectalis. Dabei lassen sich Nadelelektroden oder Oberflächenelektroden einsetzen. Die Messung der elektrischen Aktivität ermöglicht es, Denervationen und Narben nachzuweisen (Cheong et al. 1995). Obwohl die Oberflächenelektroden für den Patienten weit angenehmer sind, bedarf es zur exakten Defektbeurteilung meist der schmerzhaften Nadel-EMG. Die feine Nadelelektrode wird dabei in den externen Sphinkter und dann in den M. puborectalis vorgeschoben. Hier werden zur Charakterisierung der Pathologie unterschiedliche Parameter in Ruhe, bei Kontraktion aber auch bei Defäkation gemessen. In der Diagnostik eines Sphinkterdefekts wurde die EMG-Untersuchung im klinischen Alltag praktisch vollständig durch die Endosonographie ersetzt.
Beckenbodenelektromyographie
Kernspintomographie
Indikation In ausgewählten Fällen können elektrophysio-
Obwohl sich die Kernspintomographie (MRT) in verschiedenen Indikationsbereichen als hochsensitive, nichtinvasive bildgebende Methode etablieren konnte, sind deren Anwendungsbereiche bei der anorektalen Funktionsdiagnostik noch unklar. Optimale diagnostische Ergebnisse sind im anorektalen Bereich bei der Darstellung komplexer Fistelsysteme z. B. als Komplikation eines M. Crohn zu erzielen. Da mit modernen MRT-Verfahren nicht nur statische Bilder, sondern auch dynamische Bildsequenzen möglich sind, bieten sich hier viel versprechende Möglichkeiten zur Funktionsdiagnostik mit präziser Abgrenzung der verantwortlichen Strukturen. Um den diagnostischen Stellenwert für den klinischen Alltag genauer präzisieren zu können, bedarf es jedoch noch weiterer Studien (Rao 2010).
logische Verfahren zur weiteren Evaluation einer Stuhlinkontinenz herangezogen werden. Bei den elektrophysiologischen Verfahren wird vor allem zwischen der sog. terminalen N.-pudendus-Motorlatenzzeit- oder Pudenduslatenzzeitbestimmung und der eigentlichen BeckenbodenEMG unterschieden. Pudenduslatenzzeit Die Bestimmung der Pudenduslatenzzeit erlaubt, die Innervation des muskulären Sphinkterapparates durch den N. pudendus zu untersuchen. Beim konventionellen Verfahren wird die Leitgeschwindigkeit des N. pudendus auf eine elektrische Stimulation hin mit einer speziell entwickelten Elektrode (St.-MarksFingerelektrode) gemessen (. Abb. 35.9; Snooks et al. 1985).
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Kapitel 35 · Proktologie
35.1.5
Literatur
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35.2
Therapie proktologischer Erkrankungen M.O. Guenin, M. von Flüe
Die komplexe Anatomie und Physiologie des Anus bedingen vielfältige proktologische Erkrankungen, ist deren Therapie nicht immer einfach ist. Die proktologischen Erkrankungen sind hier eingeteilt in Hämorrhoidalleiden, Analfissur, anorektale Fisteln und Abszesse, Besonderheiten der anorektalen Probleme bei M. Crohn, Rektum- und Analprolaps und sexuell übertragene Infektionen der Analregion.
35.2.1
Anästhesieverfahren
Proktologische Eingriffe können sämtlich in Allgemeinnarkose, einem rückenmarksnahen Verfahren oder teilweise in Lokalanästhesie durchgeführt werden. Die Vorteile der Allgemeinnarkose sind gute Akzeptanz und Analgesie sowie eine optimale Relaxation. Nachteile sind die notwendige präoperative kardiopulmonale Risikoabklärung und Prämedikation. Rückenmarksnahe Verfahren (Peridural-, Spinalanästhesie, Sattelblock) sind technisch anspruchsvoller, erzeugen aber eine ausgezeichnete Analgesie und Relaxation ohne die Nebenwirkungen der Allgemeinnarkose. Als Kontraindikation gelten hämorrhagische Diathese und septische Prozesse im Bereich der Injektionsstelle. Septische Prozesse im Operationsgebiet hingegen sind keine Kontraindikation. Zunehmend werden auch lokale Anästhesieformen in der Proktologie angewandt. Während in der reinen oberflächlichen Infiltrationsanästhesie die operativen Möglichkeiten auf die Exzision von Marisken und eventuell eine geschlossene Sphinkterotomie begrenzt sind, bietet der posteriore Perinealblock eine breitflächige, tiefe Anästhesie mit einer partiellen Sphinkterrelaxation und ein bluttrockenes Operationsgebiet, das Hämorrhoidektomien, Fistelexzisionen und Sphinkterotomien erlaubt (Marti 1993). Der posteriore Perinealblock wird mit 40 ml eines schnellwirkenden Lokalanästhetkiums (z. B. 1% Lidocain]) kombiniert mit 10 μg/ml Adrenalin und 4 ml Natriumbikarbonat 8,4% durchgeführt. Bei Bedarf können 20 ml des Lidocains durch ein langwirkendes Anästhetikum (Bupivacain [Carbostesin] oder Ropivacain [Naropin]) ersetzt werden. Für einen posterioren Perinealblock werden zuerst eine Hautquaddel und ein kleines subkutanes Depot mit ca. 2 ml der Anästhetikamischung dorsal der hinteren Kommissur gesetzt. Von dieser Stelle aus wird der präsakrale Raum durch das Lig. anococcygeum hindurch mit 5 ml infiltriert. Ebenfalls von dieser Punktionsstelle ausgehend, werden anschließend die beiden Ischiorektal-
595 35.2 · Therapie proktologischer Erkrankungen
. Abb. 35.11 Prädilektionsstellen des Hämorrhoidalleidens in Steinschnittlage . Abb. 35.10 Arterielle Versorgung des Hämorrhoidalkonvolutes. 1 Mukosa, 2 Hämorrhoidalarterien, 3 Hämorrhoidalkonvolut, 4 M. sphincter ani externus, 5 M. sphincter ani internus, 6 anokutane Linie, 7 Columnae anales
gruben mit je 10 ml infiltriert. Die Ischiorektalgruben werden erreicht, indem man die Nadel jeweils zur Horizontalen um 45° nach ventral und zur Medianen um 45° nach lateral richtet. Zum Schluss werden anterior der ventralen Kommissur wiederum eine Hautquaddel und ein kleines Subkutandepot gespritzt, von dem aus die zirkuläre subkutane Infiltration perianal erfolgt.
35.2.2
Hämorrhoiden
Das Hämorrhoidalleiden ist in westlichen Ländern die am häufigsten auftretende Erkrankung des Analkanals. Über 50% der Menschen zivilisierter Länder beklagen Probleme wegen Hämorrhoiden. Alle Altersgruppen, seltener auch Kleinkinder, sind betroffen. Männer sind doppelt so häufig betroffen wie Frauen. Inzidenz und Prävalenz des Hämorrhoidalleidens sind in der westlichen Welt gegenüber den Drittweltländern erhöht, möglicherweise als Folge faserarmer und nährstoffreicher Kost. Chronische Obstipation, Alkoholkonsum, sitzender Tätigkeit, psychische Stressfaktoren sowie Schwangerschaft sind weitere prädisponierende Faktoren. Hämorrhoiden sind vaskuläre Kissen der analen Übergangszone, bestehend aus Arteriolen, Venolen und arteriovenösen Verbindungen. Diese Schwellkörper tragen mit einer veränderlichen Blutfüllung wesentlich zur Feinkon-
tinenz bei. Der Hämorrhoidalplexus besteht aus einem inneren und einem äußeren Abschnitt. Die Trennlinie zwischen den beiden Anteilen bildet die Linea dentata. Die arterielle Versorgung erfolgt über 3 Endäste der A. rectalis superior (. Abb. 35.10), die bei 3, 7 und 11 Uhr in Steinschnittlage (SSL) in den Analkanal einstrahlen. Diese Lokalisation erklärt die Prädilektionsstellen für das innere Hämorrhoidalleiden, die sich bei 3, 7 und 11 Uhr in SSL befinden (. Abb. 35.11). Kleinere Hämorrhoidalkissen können auch zwischen diesen Prädilektionsstellen auftreten. Der venöse Abfluss erfolgt oberhalb der Linea dentata letztlich ins portale Stromgebiet und unterhalb der Linea dentata über die der Vv. iliacae internae ins Gebiet der V. cava inferior. Zwischen den beiden Abflussgebieten bestehen zahlreiche Anastomosen. Arteriovenöse Anastomosen im Plexus haemorrhoidalis erzeugen eine nahezu arterielle Sauerstoffspannung im hämorrhoidalen Blut mit hellroter Farbe.
Klassifikation Das Hämorrhoidalleiden wird in 4 Stadien eingeteilt (. Abb. 35.12): 4 Stadium I: Leichtgradig vergrößerte, innere Hämorrhoiden, die sich in den Analkanal vorwölben, jedoch nicht prolabieren. Die Diagnose ist proktoskopisch zu stellen. 4 Stadium II: Beim Pressen prolabieren die Hämorrhoiden im Stadium II in den Analkanal. Die Reposition erfolgt spontan. Wahrscheinlich verlieren die Hämorrhoiden im Stadium II weitgehend ihre Funktion für den Feinverschluss des Anus (Marti 1998).
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Kapitel 35 · Proktologie
4 Stadium III: In den Analkanal prolabierende Hämor-
Indikationsstellung
rhoiden ohne spontane Reposition. Diese gelingt nur manuell. Durch die chronische Reizung im prolabierten Zustand können an der Oberfläche schmerzhafte Metaplasien entstehen. 4 Stadium IV: Irreponible Hämorrhoiden. Der fixierte Mukosaprolaps ist meist mit einer oberflächlichen Leukoplakie versehen. Klinisch besteht meist Schleimfluss mit Stuhlschmieren, oft begleitet von Analekzem, Pruritus und rezidivierenden, teils heftigen Blutungen.
Die Therapie des Hämorrhoidalleidens richtet sich nach dessen Stadium. Während die Stadien I und II ohne operativen Eingriff behandelt werden, sind die Stadien III und IV eher der Chirurgie vorbehalten. Vor jeder Therapie steht die gründliche Regulation der gestörten Darmtätigkeit. Diätetische Maßnahmen zur Behebung der chronischen Obstipation und Verhinderung heftiger Pressattacken während der Stuhlentleerung sind anerkannte, prophylaktisch wirksame Maßnahmen.
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d
. Abb. 35.12a–d Stadieneinteilung des Hämorrhoidalleidens. a Proktoskopisch sichtbare Vergrößerung des Hämorrhoidalkissens ohne Prolaps; b in den Analkanal prolabierende Hämorrhoidalkon-
volute mit spontaner Reposition; c prolabierende Hämorrhoidalkonvolute, die manuell reponiert werden müssen; d dauernd prolabierte Hämorrhoidalkonvolute, die nicht reponiert werden können
597 35.2 · Therapie proktologischer Erkrankungen
Behandlungsverfahren bei Hämorrhoidalleiden 4 Nichtoperativ – Stuhlregulation – Lokale Salbenapplikation – Sklerosierung – Gummibandligaturen – Infrarotkoagulation – Kryochirurgie 4 Operativ – Hämorrhoidektomie – Staplerhämorrhoidopexie – Dopplergesteuerte Ligatur der Hämorrhoidalarterien – Laterale interne Sphinkterotomie – Analdilatation
Nichtoperative Therapie Stuhlregulation Die Stuhlregulation ist in jedem Stadium
des Hämorrhoidalleidens indiziert. Die Basis bilden faserreiche Kost, pflanzliche Quellmittel und eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr. Sowohl Obstipation als auch Diarrhö sind zu vermeiden. Harter Stuhl im Rektum und dessen Evakuation führen zum Anschwellen der Hämorrhoidalkissen. Diarrhö bewirkt eine Schleimhautirritation, die die Entstehung von Hämorrhoiden begünstigt oder auch ein vorhandenes Hämorrhoidalleiden verschlimmert. Eine ausreichende Menge von weichem Stuhl im Rektum bewirkt durch eine reflektorische Abnahme des Tonus des inneren Sphinkters eine Senkung des analen Ruhedruckes. Dadurch wird der Blutabfluss aus dem hämorrhoidalen Plexus erleichtert. Topische Behandlung Die topische Behandlung des Hämorrhoidalleidens erfolgt üblicherweise mit Salben, Cremes oder Suppositorien, denen antiseptische, analgetische bzw. anästhetische, vasoaktive, antithrombotische, steroidale oder nichtsteroidale sowie antiinflammatorische Medikamente beigemengt sind. Um eine optimale Wirkung zu erzielen, sollten Suppositorien digital im Analkanal platziert und Salben mittels Applikator eingebracht werden. Steroidzusätze können bei langdauernder Anwendung zur Atrophie des Anoderms und der perianalen Haut führen. Dadurch werden auch chronische, ekzematoide Veränderungen und Pilzinfektionen begünstigt. Die symptomatische topische Therapie ist bei Exazerbation des Hämorrhoidalleidens in jedem Stadium indiziert. Sklerotherapie Die Sklerotherapie mit submukös appli-
zierten, gewebeirritierenden Substanzen erzeugt eine asep-
tische Entzündung mit nachfolgender submuköser Fibrose und Gewebeschrumpfung. Sie bewirkt eine Drosselung der Blutzufuhr mit Verkleinerung des Hämorrhoidalpolsters. Als gewebeirritierende Substanzen werden phenol-, mandelöl- oder chininhaltige Lösungen verwendet. Die Technik nach Bensaude (Bensaude 1967) gilt als Standardmethode. Etwa 3 ml 5%iges Phenol-Mandelöl werden oral der Hämorrhoiden submukös instilliert. Intravaskuläre Injektionen müssen vermieden werden. Die Injektion erfolgt über eine 10 cm lange, 20-Gauge-Nadel durch ein Proktoskop unmittelbar oral des Analpolsters (. Abb. 35.13). Alle 3 Prädilektionsstellen können in einer Sitzung injiziert werden. Bei Schmerzen muss die Injektion sofort abgebrochen und die Nadel neu platziert werden. Eingelegte Wattetampons fixieren die Hämorrhoidalpolster besser auf ihrem Untergrund. Meist sind mehrere Sitzungen in 1- bis 4-wöchigen Intervallen notwendig. Frühere Injektionsstellen sollten bei der Reinjektion vermieden werden. Komplikationen sind selten und meist Folge einer falschen Injektionstechnik. Zu oberflächliche Injektionen verursachen Schleimhautnekrosen oder Rektumulzera mit Schmerzen und Blutungen. Zu tiefe Injektionen können die umgebenden Organe schädigen oder infolge Narbenbildung zu einer Striktur führen. Als Folge einer intravaskulären Injektion mit nachfolgender Gefäßthrombose wurde ein Fall einer rektosigmoidalen Nekrose beschrieben (Haas 1967). Leichte allergische Reaktionen auf die Injektionslösung sind möglich. Abszessbildung und Ölgranulome entstehen selten. Impotenz und nekrotisierende Fasziitis sind als Komplikationen beschrieben (Bullock 1997; Kaman et al. 1999; Ribbans u. Radcliffe 1985). Die Erfolgsrate beträgt bei Hämorrhoiden I. und II. Grades 48–75%, die Rezidivrate innert 3–4 Jahren wird auf mindestens 15–30% (Follow-up 3–4 Jahre) geschätzt (Santos et al. 1993; Kilbourne 1934). Gummibandligaturen Die Ligatur von Hämorrhoiden ist
wahrscheinlich die älteste Behandlungsart des Hämorrhoidalleidens. Im Gegensatz zum Mittelalter, wo die äußerst schmerzhafte Ligatur des gesamten Anoderms vorgenommen wurde, ist die Gummibandligatur bei korrekter Applikation schmerzarm und ambulant durchführbar. Das heutige Verfahren wurde von Blaisdell (1954) entwickelt und von Barron (1963) modifiziert. Dabei wird unter proktoskopischer Kontrolle eine Schleimhautportion an der Basis des Hämorrhoidalknotens entweder manuell mit einer speziellen Pinzette oder mittels Vakuum in einen speziellen Applikator gesaugt (. Abb. 35.14). Über diese Schleimhautportion wird ein Gummiring platziert. Dadurch wird eine Strangulation der Schleimhaut mit Fibrosierung des zuführenden Gefäßes erreicht. Dies führt nach ca. 10 Tagen zur Abstoßung der nekrotischen Knoten, wodurch eine kurzfristige Blutung auftreten kann (Aufklärungsge-
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Kapitel 35 · Proktologie
. Abb. 35.13a–c Sklerotherapiemethode nach Bensaude. a Technik der submukösen Injektion oral des Hämorrhoidalkonvolutes im Bereich des zuführenden Pedikels; b korrekte Injektionslokalisation; c korrekter Aspekt nach Injektion
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spräch!). Das zurückbleibende Ulkus heilt innerhalb von 3–4 Wochen völlig ab. Das Verfahren ist schmerzarm, vorausgesetzt, die Ligatur wird korrekt, d. h. unmittelbar proximal der Hämorrhoide, über deren zuführenden Pedikel platziert. Schmerzen können dann auftreten, wenn zusätzlich zur Schleimhaut auch darunter liegende Muskulatur mitstranguliert wird oder wenn die Ligatur zu nahe an die Linea dentata oder ins Anoderm gesetzt wird. Etwaige Schmerzen sollen schon beim Einsaugen oder Einziehen der Schleimhaut vor der Platzierung der Gummibandligatur erfragt werden. Treten sie erst unmittelbar nach gesetzter Ligatur auf, so muss diese wieder entfernt und neu platziert werden.
> Pro Sitzung sollten nicht mehr als 2 Hämorrhoiden mit Gummibandligaturen versehen werden. Zu viele Ligaturen können zirkuläre Nekrosezonen und konsekutive Stenosen verursachen.
Die Behandlung kann im Zeitraum von 4–6 Wochen mehrfach wiederholt werden. Indiziert ist die Gummibandligatur bei Hämorrhoiden I. und II. Grades. Die chirurgische Sanierung im Anschluss an vorangegangene Gummibandligaturen ist problemlos möglich. Bei äußeren Hämorrhoiden wäre die Gummibandligaturen zu schmerzhaft. Die Erfolgsrate bei Hämorrhoiden II. Grades beträgt 77% nach 5 Jahren (Savioz et al. 1998). Die kosmetischen
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b . Abb. 35.14a,b Gummibandligatur nach Barron. a Saugapplikator; b Applikationstechnik durch das Proktoskop
Resultate der Gummibandligatur sind nicht mit den Resultaten der chirurgischen Exzision vergleichbar, da hygienisch störende Marisken zurückbleiben, die bei Bedarf exzidiert werden müssen. Die Inzidenz ernster Komplikationen beträgt 0–1,2%, leichtere Nebenwirkungen treten in 8–20% auf (Konings et al. 1999; Marshman et al. 1989). Schmerzen, Blutungen, Ulzera und Infekte werden dabei am häufigsten beschrieben. Schwere und sogar tödlich verlaufende septisch-toxische Komplikationen sind aus Fall-
berichten bekannt (Clay et al. 1987; Shamesh et al. 1987; O’Hara 1980). Die Gummibandligatur ist beim M. Crohn kontraindiziert. Infrarotkoagulation Bei der Infrarotkoagulation nach
Neiger et al. (1977) wird mit Hilfe eines speziellen Applikators über einen starren Lichtleiter (. Abb. 35.15) eine exakt zu dosierende Hitzestrahlung auf die Mukosa gesetzt. An der Oberfläche entsteht eine Temperatur von ca. 100°C, in
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Kapitel 35 · Proktologie
Gewebes auf Temperaturen zwischen –60° und –150°C. Dazu wird eine Kältesonde unter proktoskopischer Führung direkt auf die Hämorrhoidalkissen platziert. Nach kryochirurgischer Hämorrhoidektomie kann ein wässriger Ausfluss auftreten, der bis zu 4 Wochen anhalten kann, besonders wenn auch äußere Hämorrhoiden behandelt werden (Keighley 1998; Detrano 1973). Störende Marisken können zusätzlich eine spätere chirurgische Intervention notwendig machen. Der heutige Stellenwert dieser immer noch selten angewandten Therapieform ist unklar. Prospektive Daten sind nicht verfügbar.
Hämorrhoidektomie
. Abb. 35.15 Infrarotkoagulationsgerät nach Neiger
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3 mm Tiefe von 60°C. Die daraus resultierende Koagulationsnekrose von ca. 3 mm führt zur Unterbrechung der Blutzufuhr und heilt innerhalb von 2–3 Wochen ab. Die Narbe fixiert die Mukosa auf das darunter liegende Gewebe und verhindert so den Prolaps. Die Infrarotkoagulation hat einen ausgezeichneten hämostatischen Effekt, der die Sklerosierungsverfahren übertrifft. Die Applikation der Infrarotstrahlen erfolgt unter proktoskopischer Kontrolle und kann von einer Person ohne Hilfe durchgeführt werden. Pro Sitzung werden maximal 4 Stellen koaguliert. Normalerweise genügen 2 Sitzungen für einen optimalen Therapieeffekt. Die Infrarotkoagulation ist einfach, schnell und effektiv. Sie verursacht weniger Komplikationen und Nebenwirkungen als die Sklerotherapie oder Gummibandligatur (Walker et al. 1990). Die Infrarotkoagulation ist indiziert bei Hämorrhoiden I. und II. Grades, in eingeschränktem Maße auch für Hämorrhoiden III. Grades (Ambrose et al. 1985). Eine Heilung ist für erst- und zweitgradige Hämorrhoiden in 75% zu erwarten. Die Rezidivrate beträgt 15% innerhalb von 3 Jahren. Die Behandlung kann beliebig wiederholt werden. Im Vergleich zur Gummibandligatur sind weniger Komplikationen bei allerdings weniger guten Heilungsraten zu erwarten. > Die Infrarotkoagulation wird oft nur für Hämorrhoiden I. Grades empfohlen, während die Gummibandligatur für Hämorrhoiden II. Grades die Therapie der Wahl darstellt. Kryochirurgie Die kryochirugische Ablation beruht auf
einer Gewebezerstörung durch schnelle Abkühlung des
Bei der Hämorrhoidektomie entfernt man den Hämorrhoidalknoten mit oder ohne darüber liegender Mukosa und Anoderm. Die Operationswunden können offen belassen oder partiell bzw. ganz verschlossen werden. Die chirurgische Exzision der Hämorrhoiden ist bei komplizierten Hämorrhoiden II. Grades (Blutung, therapieresistente Hämorrhoiden II. Grades) sowie Hämorrhoiden III. und IV. Grades indiziert. Eine weitere Indikation ist bei den eher seltenen akuten Thrombosen der inneren Hämorrhoiden gegeben. Kontraindikationen bilden M. Crohn, portale Hypertension, Gerinnungsstörungen und Patienten mit geschwächtem Immunsystem. Folgende Operationsverfahren wurden beschrieben: 4 Offene Exzision der Hämorrhoiden nach MilliganMorgan (Milligan et al. 1937) 4 Geschlossene Hämorrhoidektomie mit vollständigem Verschluss der Operationswunde nach Ferguson (Ferguson u. Heaton 1959) 4 Submuköse Hämorrhoidektomie nach Parks (1965) 4 Halb-offene oder halb-geschlossene Exzision mit partiellem Verschluss der Operationswunde (Ruiz-Moreno 1977) 4 »Hämorrhoidopexie« mit einem zirkulären Stapler nach Longo (1998) Offene Hämorrhoidektomie nach Milligan-Morgan Bis vor
einigen Jahren war das offene Verfahren nach MilliganMorgan die wohl am weitesten verbreitete Methode. Nach einem kleinen Einlauf wird der Patient in Steinschnittposition gelagert. Der betroffene Hämorrhoidalknoten wird mittels Analretraktor oder Operationsproktoskop (Fansler) eingestellt (. Abb. 35.16). Eine erste Klemme wird im Bereiche der größten Prominenz nahe der Linea dentata und eine zweite Klemme im Schleimhautbereich nahe des Pedikels der Hämorrhoide angelegt. Die Dissektion kann entweder mit dem Skalpell, dem Electrocauter, dem Ligasure® (ein System was Druck und Radiofrequenz kombiniert) oder dem Harmonicskalpell® (ein System basierend auf Ultraschall) durchgeführt werden. Sie beginnt am anodermalen Übergang. Durch Zug an den Klemmen
601 35.2 · Therapie proktologischer Erkrankungen
. Abb. 35.16a–d Hämorrhoidektomie nach Milligan-Morgan. a Fassen der Hämorrhoidalkonvolute und Inzision des Anoderms; b Präparation unter strikter Schonung des M. sphincter ani internus; c Durchstechungsligatur der Basis; d Endbefund
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. Abb. 35.17a–f Hämorrhoidektomie nach Ferguson. a Einstellung des Hämorrhoidalkonvolutes; b spindelförmige Inzision von Anoderm und Mukosa; c Dissektion des Konvolutes von seiner Unterlage;
d Durchstechungsligatur der Basis; e fortlaufender Verschluss von Mukosa und Anoderm; f Endbefund nach 3-Zipfel-Resektion
603 35.2 · Therapie proktologischer Erkrankungen
wird die Hämorrhoide hochgehoben, sodass die subkutane Portion des Sphincter ani externus und die kaudale Grenze des Sphincter ani internus sauber dargestellt und geschont werden können. Anschließend erfolgt die elliptische Umschneidung des Knotens in Richtung Pedikel. Um eine narbige Analstenose zu vermeiden müssen genügend breite Schleimhaut- und Anodermbrücken zwischen den einzelnen Resektionszonen erhalten bleiben. Nach vollständiger Mobilisation des Knotens wird der Pedikel mittels einer Klemme gefasst und mit einer Durchstechungsligatur versorgt. Analog dazu werden die anderen Hämorrhoiden versorgt. Die Schleimhautdefekte werden offen belassen und mittels hämostyptischem Tampon komprimiert. Postoperativ ist eine konsequente Stuhlregulation und Analhygiene mit Sitzbädern und/oder Ausduschen der Operationswunden zweimal täglich sowie nach jedem Stuhlgang durchzuführen. Geschlossene Hämorrhoidektomie nach Ferguson Geschlossene und halboffene Verfahren haben zum Ziel, die Wundheilung nach Hämorrhoidektomie zu beschleunigen und die postoperativen Schmerzen zu vermindern. Das geschlossene Verfahren nach Ferguson unterscheidet sich von der offenen Hämorrhoidektomie nach Milligan-Morgan dadurch, dass nach Exzision der Hämorrhoide und Wundgrunddesinfektion Mukosa und Anoderm spannungsfrei vollständig verschlossen werden (. Abb. 35.17). Dabei ist die Fixation der Mukosa am Sphincter ani internus notwendig, um einem Mukosaprolaps und einer sumukösen Infektion vorzubeugen. Die Patientenzufriedenheit liegt nach 5 Jahren bei über 90 % (Guenin et al. 2005). Submuköse Hämorrhoidektomie nach Parks (. Abb. 35.18)
Parks beschrieb 1965 eine submuköse Exzisionstechnik, wobei die Submukosa mit einer NaCl/Adrenalin-Lösung (evtl. mit einem Lokalanästhetikumzusatz) unterspritzt wird. Der Hämorrhoidalknoten wird kaudal mit der Klemme gefasst, sparsam zirkulär umschnitten und von Anoderm und Mukosa abpräpariert. Die Mukosa wird türflügelartig hochgehoben und die darunter liegenden Hämorrhoidalkonvolute werden submukosal reseziert. Der Pedikel wird mittels Durchstechungsligatur unterbunden und abgetrennt. Eine Exzision von zusätzlicher Mukosa erfolgt nur dann, wenn eine überschüssige Portion verbleibt. Nach exakter Blutstillung wird die Mukosa fortlaufend von oral nach aboral verschlossen. Das Anoderm wird mit Einzelknopfnähten adaptiert. Der Vorteil dieser Exzisionstechnik liegt in der Erhaltung des hochsensiblen Anoderms, was in einer geringen Analstenoserate resultiert. Schwierige Dissektionstechnik und deutlich erhöhter Zeitbedarf sind die Nachteile. Außerdem sind persistierende Feinkontinenzstörungen weniger häufig, da das sensible Anoderm erhalten bleibt. Die Komplika-
tionsmöglichkeiten sind mit denen der offenen Verfahren vergleichbar. Halb offene und halb geschlossene Verfahren Nach Resek-
tion der Hämorrhoide werden der mukosale und anodermale Wundrand beidseits der Resektion fortlaufend an den Sphincter internus und, im äußeren Anteil, an das subkutane Fettgewebe genäht (. Abb. 35.19). Bei der halb geschlossenen Technik wird die Schleimhaut bis zur Linea dentata fortlaufend verschlossen und der äußere Anteil der Operationswunde zur Drainage offen belassen (. Abb. 35.20). »Hämorrhoidopexie« mit dem zirkulären Stapler nach Longo (. Abb. 35.21) Die »Staplerhämorrhoidopexie« ist ein Ver-
fahren, das bei Hämorrhoiden III. Grades sowie beim Mukosaprolaps angewandt wird. Der Eingriff muss unter Peridural-/Spinalanästhesie oder Vollnarkose durchgeführt werden. Unter proktoskopischer Sicht werden 3– 5 cm proximal der Linea dentata ein oder zwei Tabaksbeutelnähte angelegt. Diese sollen die Mukosa im Bereich der zu exzidierenden Pedikel mitsamt der darunter liegenden Gefäßversorgung zirkulär ohne Lücken fassen, ohne die Muskulatur zu tangieren. Danach wird ein modifizierter zirkulärer Stapler (Durchmesser 32 oder 33 mm) mit aufgesetzter Andruckplatte in den Analkanal eingeführt. Die Tabaksbeutelnaht wird unterhalb der Andruckplatte verknotet. Beim Staplerschluss muss der Schaft nach oral in den Analkanal hineingedrückt werden, um das Mitfassen des sensiblen Anoderms zu verhindern. Mit dem Auslösen des Staplers wird die Mukosa im Bereich der Basis der Hämorrhoiden reseziert und die randständige Mukosa anastomosiert. Bei Einhaltung des korrekten Abstandes (2,5–5 cm zur Linea dentata) ist das Verfahren schmerzarm, kontinenzschonend, mit minimalem Blutverlust und kurzer Operations- und Hospitalisationszeit durchführbar (Hetzer et al. 2002). Der relativ hohe Preis des zirkulären Staplers und die verbleibenden, zum Teil störenden Marisken sind die Nachteile. Langzeit Nachkontrollen zeigen eine hohe Zufriedenheit (Füglistaler et al. 2007).
Dopplersonographisch gesteuerte Hämorrhoidalarterienligatur Die dopplersonographisch gesteuerte Hämorrhoidalarterienligatur (HAL) ist eine minimalinvasive Behandlungsmethode, die theoretisch bei allen Stadien des Hämorrhoidalleidens angewandt werden kann (. Abb. 35.22). Sie wurde 1995 von Morinaga publiziert (Morinaga et al. 1995) und seither ohne gute prospektive Daten verbreitet. Das Grundinstrument für die HAL ist ein an der Spitze geschlossenes Operationsproktoskop mit einem Seitenfenster. Herzstück diese Proktoskopes ist eine Dopplersonde an der aboralen Kante des Seitenfensters, mit der die arteriellen Versorgungsäste der Hämorrhoidalkonvolute lokalisiert
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. Abb. 35.18a–f Hämorrhoidektomie nach Parks. a Einstellung des Hämorrhoidalkonvolutes, submuköse/subkutane Injektion von POR8, sodass Anoderm und Mukosa vom Gefäßkonvolut abgehoben werden; b tennisschlägerförmige Inzision von Anoderm und Mukosa; c Dissektion des Gefäßkonvolutes von Anoderm/Mukosa; d Dissektion des Gefäßkonvolutes von seiner Unterlage (M. sphincter ani internus) unter Zug nach zentral; e Durchstechungsligatur der Basis, Resektion des Konvolutes; f fortlaufender Wundverschluss von Mukosa/Anoderm
605 35.2 · Therapie proktologischer Erkrankungen
. Abb. 35.19 Halb offene Hämorrhoidektomie. Fixation von Mukosa und Anoderm an Sphincter ani internus und Subkutis
Laterale Sphinkterotomie
. Abb. 35.20 Halb geschlossene Hämorrhoidektomie. Äußerer Anteil der Operationswunde bleibt zur Drainage offen
werden. Diese Arterien werden in der Folge durch das Seitenfenster gezielt umstochen. Der Therapieeffekt kann akustisch durch eine Signalveränderung oder bei neueren Geräten optisch durch eine Flussumkehr kontrolliert werden. Anders als in den konventionellen anatomischen Modellen der hämorrhoidalen Gefäßversorgung können bis zu 12 arterielle Äste lokalisiert werden. Obwohl Bursics et al. für die HAL und die Hämorrhoidektomie vergleichbare Resultate fanden (Bursics et al. 2004), empfiehlt sich die HAL hauptsächlich für Hämorrhoiden 2. Grades, da Prolaps und störende Marisken durch diese Behandlung auch nach Auskunft des Erfinders nur mangelhaft behandelt werden.
Die partielle laterale interne Sphinkterotomie (LST) ist anerkannt zur Behandlung chronischer Analfissuren (Abcarian 1975). Die Annahme, dass Hämorrhoiden teilweise durch einen spastischen internen Sphinkter verursacht werden, brachte die laterale partielle Sphinkterotomie auch hier ins Therapiespektrum. Das Verfahren wurde bei Hämorrhoiden jeden Grades durchgeführt. Äußere Hämorrhoiden, Prolaps und Marisken wurden dadurch nicht behoben. Verglichen mit Gummibandligaturen konnte die wesentlich invasivere LST bei Hämorrhoiden I. und II. Grades keine besseren Resultate erzielen (Arabi et al. 1977). Hauptkomplikation der LST ist die Kontinenzstörung, die in bis zu 25% der behandelten Patienten auftreten kann (Khubchandani u. Reed 1989). Dementsprechend ist aktuell die laterale Sphinkterotomie zur Therapie von Hämorrhoiden als obsolet zu betrachten.
Manuelle anale Dilatation Die manuelle anale Dilatation nach Lord (1968) besteht in einer progredienten Dilatation des Anus. Die Komplikationsrate dieser Behandlungsmethode ist relativ hoch. Insbesondere werden Kontinenzstörungen unterschiedlichen Ausmaßes beschrieben. Nach Einführung der analen Endosonographie wurden teilweise schwere Schädigungen des M. sphincter ani internus erkannt. Insbesondere Frauen nach mehreren Geburten leiden in über 50% unter signifikanten Störungen der Feinkontinenz (MacDonald et al. 1992). Aufgrund der hohen Komplika-
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. Abb. 35.21a–d »Staplerhämorrhoidektomie« nach Longo. a Reposition der Hämorrhoiden; b zirkuläre, lückenlose submuköse Tabaks-
beutelnaht ca. 3–5 cm ab ano, Stapler eingeführt; c progredienter Schluss des Staplers und Auslösen desselben; d Endresultat
tionsrate ist die manuelle anale Dilatation ebenfalls als obsolet zu betrachten.
wurde eine Fournier-Gangrän als schwere infektiöse Komplikation beschrieben (Lehnhardt et al. 2004; Bönner et al. 2001).
Komplikationen Infektionen Infektionen nach Hämorrhoidektomie sind selten und treten höchstens bei immungeschwächten Patienten auf. Obwohl lokale infektiöse Komplikationen nach geschlossener Hämorrhoidektomie eher erwartet werden, ist im randomisierten Vergleich keine Häufung zu finden (Ho et al. 1997). Als extreme Rarität wurden Leberabszesse nach Hämorrhoidektomie beschrieben. Sowohl nach Milligan-Morgan wie auch nach Staplerhämorrhoidopexie
Blutung Relevante Blutungen am 1. postoperativen Tag
sind meist Folge einer unzureichenden Blutstillung oder einer abgerutschten Pedikelligatur. Während letztere häufig nur durch eine Reoperation zu behandeln sind, können Blutungen aus dem Wundgrund meist durch lokale Kompression mit Hämostyptika oder mittels eines Blasenkatheterballons oder durch submuköse Injektion mit verdünnter Adrenalinlösung gestillt werden. Blutungen aus der Klam-
607 35.2 · Therapie proktologischer Erkrankungen
rüber können meist konservativ mit wiederholten Dilatationen behoben werden (Khubchandani u. Reed 1994). Kontinenzstörungen Die Feinkontinenz ist innerhalb der
ersten 2 postoperativen Wochen häufig gestört. Die Dehnung des Anus während der Operation und die partielle Resektion von sensiblem Anoderm sind die Gründe dafür. Persistierende Feinkontinenzstörungen sind je nach Behandlungsmethode bei zwischen 5% und 26% der Patienten zu erwarten (Eu et al. 1994; Pfeiffer et al. 1994; Füglistaler et al. 2007). Harnretention Ältere Männer mit Prostatahyperplasie und
. Abb. 35.22 Transparentes Proktoskop mit integrierter Lichtquelle, Seitenschlitz und Dopplersonde zur Lokalisation der Hämorrhoidalarterien
Frauen mit Beckenbodensenkung neigen vor allem nach lumbaler Anästhesie während der ersten 2 postoperativen Tage häufig zu Harnretentionen, insbesondere, wenn diese Patienten perioperativ überhydriert wurden (Hoff et al. 1994). Carbachol i.v. oder Einmalkatheterismus lösen dieses Problem. Stuhlverhaltung Postoperative Schmerzen und die da-
mernaht bei Staplerhämorrhoidopexie können mit einer akkuraten intraoperativen Blutstillung weitgehend vermieden werden. Schmerz Die Hämorrhoidektomie ist unabhängig von der Wahl des Operationsverfahrens unterschiedlich schmerzhaft. Die ambulante Hämorrhoidektomie ist zwar kostensparend, jedoch zieht die Mehrzahl der Patienten bei einer nochmaligen Hämorrhoidektomie den stationären Aufenthalt vor (Ho et al. 1998). Die Staplerhämorrhoidopexie ist signifikant schmerzärmer und deshalb auch ambulant durchführbar. Die topische Applikation von Lokalanästhetika bei der Hämorrhoidektomie kann hilfreich sein, allergische Reaktionen sind aber nicht selten. Nichtsteroidale Antirheumatika, allenfalls ergänzt durch Pethidin, bringen die beste Analgesie. Nach Morphingabe können die Schmerzen exazerbieren. Zusatzeingriffe wie manuelle anale Dilatation oder Sphinkterotomie vermögen den postoperativen Schmerz nicht zu senken (Mathai et al. 1996) und können die Kontinenz beeinträchtigen. Kontrovers diskutiert werden sphinkterrelaxierende Substanzen wie Glyzeroltrinitrat (Ho et al. 1997, Hwang et al. 2003), Botulinustoxin A und Nifedipin Salbe 0,2 %. Stenose Wird eine mindestens 1 cm breite Mukosa-Anoderm-Brücke zwischen den exzidierten Hämorrhoiden belassen, sind narbige Analstenosen äußerst selten (Eu et al. 1995). Betrifft die Stenose die perianale Haut, ist eine konservative Behandlung mit Dilatation meist ungenügend. Eine Strikturoplastik oder eine plastische Operation im Sinne eines Verschiebelappens, z. B. eine Y-V-Plastik, sind erforderlich. Stenosen auf Höhe der Linea dentata oder da-
raus resultierende Angst vor einer defäkationsbedingten Schmerzexazerbation sind die Gründe für eine Stuhlverhaltung nach Hämorrhoidektomie. Eine Überlaufdiarrhö ist die Folge. Durch impaktierte Stuhlmassen im Rektum kommt es zur Relaxation des inneren Sphinkters und zum inkompletten Analschluss, weshalb ständig Schleim fließt. Rezidivierende Einläufe oder gar eine manuelle Ausräumung des Rektums in Narkose können notwendig werden. Die schmerzbedingte Stuhlverhaltung ist bei der ambulanten, mit einem oralen Morphinsulfat-Präparat (MST) als Analgetikum versorgten Hämorrhoidektomie häufiger als bei der stationären Hämorrhoidektomie.Im Extremfall kann eine Stuhlverhaltung bei Hämorrhoidalleiden bis zu einer Zökumperforation führen. Rezidive Therapiebedürftige Rezidive sind nach einer kor-
rekt durchgeführten Hämorrhoidektomie selten (retrospektiv <3%; Hayssen et al. 1999). Nicht komplett resezierte Hämorrhoiden können sich postoperativ rasch vergrößern und zusätzliche Maßnahmen wie Gummibandligaturen oder Infrarotkoagulation notwendig machen. Bei der Staplerhämorrhoidopexie scheinen therapiebedürftige Rezidive meist die Folge einer zu großen Distanz des Staplerkranzes zur Linea dentata zu sein.
Spezielle Situationen Hämorrhoiden in Kombination mit einer entzündlichen Darmerkrankung Sowohl die Colitis ulcerosa als auch der
M. Crohn können durch Hämorrhoiden kompliziert werden. Bei der Colitis ulcerosa können die Hämorrhoiden relativ gefahrlos reseziert werden, solange die Patienten nicht unter hohen Steroiddosen stehen. Die Hämorrhoid-
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Kapitel 35 · Proktologie
ektomie bei Morbus-Crohn-Patienten ist kontraindiziert, weil hohe Komplikationsraten die Regel sind. Insbesondere können komplexe Fistelbildungen auftreten, die eine Rektumresektion notwendig machen können (Jeffery et al. 1977). Anale Operationen beim M. Crohn müssen strengstens indiziert und limitiert angewandt werden (Wolkomir u. Luchtefeld 1993). Hämorrhoiden und myeloproliferative Syndrome Eine Hämorrhoidektomie bei Patienten mit myeloproliferativen Syndromen ist nur bei absoluter Notwendigkeit nach Korrektur der eingeschränkten Gerinnung und unter antibiotischer Prophylaxe zu rechtfertigen. Das Risiko lang anhaltender Wundheilungsstörungen und infektiöser Komplikationen ist bei diesen Patienten erhöht (Marti 1998). Hämorrhoiden und HIV-Infektion HIV-infizierte Patienten sollten zurückhaltend operativ behandelt werden. Nur die akute Hämorrhoidalthrombose stellt eine klare Operationsindikation dar. Insbesondere bei Patienten mit tiefer CD4-Zellzahl (<200) kann es zu lang anhaltenden Wundheilungsstörungen und signifikanten septischen Komplikationen kommen. Daten aus den USA, die keine Erhöhung der Komplikationsrate bei HIV-Patienten festhalten, wurden retrospektiv erfasst (Hewitt et al. 1996).
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Hämorrhoiden in der Schwangerschaft Während der Schwangerschaft können Hämorrhoiden entstehen oder vorbestehende Hämorrhoiden größer werden. Die Indikation zur Hämorrhoidektomie ist nur bei einer akuten Blutung oder einer Thrombose gegeben, da die Hämorrhoiden nach der Geburt meist spontan abheilen (Meddich u. Fazio 1995). Thrombosierter Hämorrhoidalknoten Der Plexus haemor-
rhoidalis inferior liegt am äußeren Ende des Analkanals am Übergang vom verhornenden zum nichtverhornenden Plattenepithel. Es handelt sich dabei nicht um einen Schwellkörper, sondern um einen einfachen venösen Abfluss. Perianalvenenthrombose und Hämorrhoidalblutung sind die häufigsten Komplikationen der äußeren Hämorrhoiden. Die perianale Thrombose manifestiert sich als stark druckdolente, manchmal juckende, livide verfärbte kugelige Resistenz. Unter konservativer Therapie bildet sie sich im Verlauf von 2–3 Wochen spontan zurück. Durch eine lokale Drucknekrose der darüber liegenden Haut und Spontanperforation mit Entleerung des Koagels kann es zur rascheren Abheilung kommen. Nach Abheilung resultiert in der Regel eine Mariske, die persistieren kann. Anamnese und Inspektionsbefund sind typisch für dieses Krankheitsbild. Differenzialdiagnostisch ist ein Analkarzinom in Betracht zu ziehen. Bei starken Schmerzen bringen die radiäre Inzision und die Entleerung des Koagulums in Lokalanästhesie so-
. Abb. 35.23 Fissurlokalisationen. Lateral gelegene Fissuren verlangen nach einer Ursachenklärung
fortige Erleichterung. Die Inzision der äußeren Hämorrhoidalthrombose ist eine reine Schmerztherapie. Rezidivierende äußere Hämorrhoidalthrombosen sind oft kombiniert mit inneren Hämorrhoiden.
35.2.3
Analfissur
Unter einer Analfissur versteht man eine stark schmerzhafte, radiär verlaufende, meist elliptische Ulzeration des Anoderms im distalen Analkanal. Die Läsion kann in oraler Richtung bis an die Linea dentata oder sogar darüber hinaus reichen. Das Ulkus ist in 80–90% der Fälle an der hinteren Kommissur lokalisiert (. Abb. 35.23). In 10% der Fälle (hauptsächlich bei Frauen) liegt es in der ventralen Kommissur und 5–10% liegen lateral. Anterior und posterior gelegene Fissuren können simultan vorkommen. Analfissuren werden in akute oder chronische Formen unterteilt. Unterschiede ergeben sich aus der Krankheitsdauer und dem Aspekt.
Pathogenese Analfissuren werden in primäre und weit seltenere sekundäre Formen unterteilt. Zur primären Form gehören die akute und die chronische Fissur. Zu sekundären Fissuren führen folgende Erkrankungen: 4 Chronisch entzündliche Darmerkrankungen
5 M. Crohn 5 Colitis ulcerosa
4 Sexuell übertragbare Erkrankungen
5 Lues 5 Lymphogranuloma venereum 5 Ulcus molle 5 Herpes simplex 5 HIV
609 35.2 · Therapie proktologischer Erkrankungen
4 Infektiöse Erkrankungen und Parasitosen
5 Tbc 5 Amöben
4 Dermatologische Affektionen
5 Psoriasis vulgaris 5 Lichen sclerosus
4 Präkanzerosen
5 M. Bowen 5 M. Paget
4 Neoplasmen
5 Leukämie 5 Karzinome
4 Medikamentöse Nebenwirkungen
5 Ergotamin-Abusus 5 Nicorandil-Therapie (Watson 2002)
4 Mechanische Einwirkungen
5 Ärztliche Untersuchungen/Therapien 5 Anale Sexualpraktiken
> Vor allem bei lateral liegenden Fissuren muss nach einer Grunderkrankung gesucht werden.
Die Entstehung der akuten oder chronischen Analfissur bleibt viel diskutiert. Die eigentliche Ätiologie ist nicht restlos geklärt. Folgende Theorien können einzeln oder kombiniert (multifaktoriell) für eine akute Analfissur und deren Übergang in die chronische Form verantwortlich gemacht werden. Mechanische Theorie Die Annahme, dass eine Schleim-
hautverletzung im Sinne einer akuten Fissur durch Passage von harten Stuhlmassen gesetzt wird, ist die älteste und am weitesten verbreitete Theorie. Grundsätzlich kann jede mechanische Einwirkung im Analkanal zur akuten Fissur führen. Eine Obstipation ist nicht ein obligat koexistierender Faktor (Hananel u. Gordon 1997). Verminderte Gewebselastizität Fissuren zeigen histolo-
gisch fibrotische Veränderungen, die zu einer eingeschränkten Elastizität des dortigen Gewebes führen. Ob diese Veränderungen Ursache oder Folge der Fissur sind, bleibt unklar. Jedoch ist die Transformation zur chronischen Fissur von zunehmendem Verlust der lokalen Gewebeelastizität begleitet. Lokale Ischämie Analfissuren sind oft mit einem Hämor-
rhoidalleiden vergesellschaftet. Infolge Thrombose und verminderter Durchblutung können ein variköses Ulkus und eine Fissur entstehen. Damit lässt sich jedoch die Prädilektionsstelle von Fissuren nicht erklären. Untersuchungen mittels Laserdopplersonographie und perkutaner Oxymetrie weisen in der dorsalen Kommissur des Analkanals einen verminderten Blutfluss nach. An dieser Stelle liegt das Endstromgebiet zweier verschiedener Hämor-
rhoidalarterien. Letztere müssen den inneren Analsphinkter durchqueren, was bei spastischem Sphinktertonus zur zusätzlichen Einschränkung der Durchblutung führt (Schouten et al. 1994). Deshalb gehen einige Autoren davon aus, dass es sich bei der Analfissur um ein primär ischämisches Ulkus handelt (Schouten et al. 1996). Dadurch lässt sich die Ätiologie der akuten Fissur nicht erklären, da letztere unter konservativer Therapie (Stuhlregulation, lokale Maßnahmen) eine gute spontane Heilungstendenz aufweist. Für die Transformation zur chronischen Fissur mag die »Durchblutungstheorie« zutreffen. Infektion Chronische Infektionen, ausgehend von lokalisierten Kryptitiden, und spezifische Infektionen wie Tuberkulose, Syphilis und HIV-Infektion bilden die Grundlage der Infektionstheorie zur Entstehung von Analfissuren (Soullard 1975). Spezifisch infektiöse Ulzerationen des Analkanals unterscheiden sich in Topographie und Morphologie vom typischen längsgerichteten Erscheinungsbild unspezifischer Fissuren (Chung et al. 1997). Analer Ruhedruck Patienten mit Analfissuren weisen erhöhte
anale Ruhedruckwerte auf (Arabi et al. 1977). Ob dies Folge oder Ursache der Analfissur ist, ist immer noch unklar. Trotz erhöhtem Ruhedruck wurden z. T. überschießende maximale Druckwerte festgestellt. Dafür wird ein abnormales Reflexmuster der Sphinktermuskulatur verantwortlich gemacht. Nach Abheilen der Analfissur sind diese Phänomene nicht mehr nachweisbar, was eher dafür spricht, dass es sich dabei um eine Folge des Fissurleidens und nicht um die Ursache handelt. Andererseits wird vermutet, dass bei Crohn-Patienten ein erhöhter analer Ruhedruck Ursache von Fissuren und Fisteln sein könnte (Andersson et al. 2003).
Chronifizierung der Analfissur Ein kleiner Teil der akuten Analfissuren nimmt einen chronischen Verlauf. Aspektmäßig sind frische Analfissuren von gesunder Mukosa begrenzt und weisen einen roten Wundgrund auf. Chronische Analfissuren sind begrenzt von fibrosierter, teils unterminierter Mukosa und weisen einen weißlichen Wundgrund auf, worin querverlaufende Fasern des inneren Analsphinkters erkennbar sind. Der kraniale Wundrand ist begrenzt durch eine hypertrophe Analpapille, die als Folge der chronischen Entzündung entstanden ist. Kaudal der Fissur findet man die sog. Vorpostenfalte, die schon beim nicht gespreizten Anus auf das Vorliegen einer Fissur hinweist. > Die chronische Analfissur unterhält sich selbst im Sinne eines Circulus vitiosus, als dessen Stimulus der Hypertonus des inneren Analsphinkters fungiert (Wehrli 1996). Die Unterbrechung des Circulus vitiosus führt zur Abheilung der Fissur.
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610
Kapitel 35 · Proktologie
Klinische Symptomatologie Hauptsymptom der Analfissur ist der Schmerz. Dieser tritt typischerweise während oder unmittelbar nach der Defäkation auf und hält für 2–3 h an. Der Schmerz ist im Anus lokalisiert und kann in den Rücken, die Gesäßbacken und in die Oberschenkel ausstrahlen. Zweithäufigstes Symptom sind Blutungen, die kombiniert mit einem Hämorrhoidalleiden als hellrote Spontanblutungen auftreten oder isoliert als kleine Blutspuren auf dem Toilettenpapier bemerkt werden.
Diagnostik Die Anamnese ist in der Regel absolut richtungsweisend. Die Inspektion nach manueller Spreizung der Gesäßhälften erbringt in den meisten Fällen die Diagnose. ! Cave ! Die digitale Untersuchung kann höchstens nach Applikation von Lokalanästhetika durchgeführt werden und bestätigt den erhöhten analen Ruhedruck. Sie ist nicht indiziert.
Die submuköse oder intersphinktäre Injektion von Lokalanästhetika zur besseren Akzeptanz der Untersuchung ist nicht in jedem Fall möglich und daher nicht allgemein akzeptiert. Eine Proktoskopie ist schmerzbedingt meist unmöglich und darf nicht erzwungen werden. Eine atypische Fissurlokalisation (lateral, ventral) erfordert die Suche nach einer spezifischen Ursache.
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Therapie Die Therapiewahl ist abhängig von Akuität und zeitlichem Verlauf der Krankheit. Folgende Vorgehensweises sind möglich: Akute Fissuren haben eine ausgezeichnete Spontanheilungstendenz (Lund u. Scholefield 1996; Vouillamoz 1996; Oh et al. 1995). Eine zentrale Rolle spielt dabei die konsequente Stuhlregulation (Ballaststoffe, evtl. kombiniert mit pflanzlichem Quellmittel und viel Flüssigkeit). Dadurch wird über den rektoanalen Inhibitionsreflex eine Relaxation des inneren Sphinkters erreicht und eine Traumatisierung des Analkanals durch harten Stuhl vermieden. Ergänzend wirken warme Sitzbäder in Kamillosanlösung und/ oder Analhygiene mit nasser Watte oder mit der Dusche. Lokal irritierende Manipulationen, d. h. Analhygiene mit Seife oder mit kommerziell erhältlichen Feuchttüchern sollten vermieden werden. Steroidhaltige Cremes bewirken eine Atrophie des Anoderms. Trotz ausgezeichneter Kurzzeitwirkung sollten sie nur mit Zurückhaltung und kurzfristig angewandt werden. Die chronische Analfissur erfordert eine konsequente, mindestens 4-wöchige Therapie mit sphinkterrelaxierenden Maßnahmen, da keine Selbstheilungstendenz vor-
liegt. Vorab gelten die erwähnten Maßnahmen zur Analhygiene und zur Stuhlregulation. Chemische Sphinkterrelaxation Lokale medikamentöse Maßnahmen haben die Herabsetzung des Ruhedruckes im Analkanal zum Ziel. Nitroglyzerinhaltige Salben wie Glyzeroltrinitrat (Lund et al. 1997), Nifedipinhaltige Topika und inter-/intrasphinktärische Injektionen von Botulinustoxin (Maria et al. 1998) wirken sphinkterrelaxierend. Glyzeroltrinitrat/Nifedipin Die topische Applikation von Nitroglyzerin bewirkt innerhalb von 15 min eine signifikante und für 6–10 h anhaltende Senkung des Ruhedruckes im Analkanal. Die Applikation hat 2-mal täglich zu erfolgen. Häufige Anwendung kann zu Gewöhnung führen (Watson et al. 1996). An Nebenwirkungen können Kopfschmerzen und Schwindelgefühle auftreten. Erstere treten dosisabhängig auf, können über 2–3 h anhalten und werden effizient mit Paracetamol oder Azetylsalizylsäure behandelt. Als 0,2%-ige Salbe wird topisches Nitroglyzerin am besten ertragen und hat dabei immer noch einen guten Heilungseffekt. Die Heilungsrate einer chronischen Fissur unter Nitroglyzerintherapie beträgt ca. 50%. Nifedipin produziert weniger Kopfschmerzen, scheint aber insgesamt mit einer niedrigeren Heilungsrate vergesellschaftet zu sein und muss 4- bis 6-mal täglich appliziert werden. Botulinustoxin A Die Injektion von Botulinustoxin kann in
den inneren Sphinkter selbst oder in den intersphinktären Raum erfolgen. Dadurch wird eine partielle Lähmung der Sphinktermuskulatur mit signifikanter Senkung des Ruhedruckes erreicht. Die Senkung des Ruhedruckes scheint dosisabhängig. Bisher wurden Mengen zwischen 5–30 Einheiten Botulinustoxin injiziert. Als Nebenwirkung tritt in ca. 10% eine passagere Inkontinenz für Luft auf. Bleibende Kontinenzstörungen sind nicht beschrieben. Bei 20% der Frauen mit dritt- bis viertgradigen Hämorrhoiden wurde nach Botulinustoxin-Injektion eine Hämorrhoidalthrombose beobachtet (Jost et al. 1995). Dabei handelt es sich um nichtreproduzierbare Daten. Manuelle anale Dilatation Die Technik der manuellen
analen Dilatation wurde anfangs des letzten Jahrhunderts von Recamier (1838) beschrieben und in der Zwischenzeit verschiedentlich modifiziert. Anfänglich wurde der Sphinkterapparat mit bis zu 8 Fingern transanal gedehnt. Diese unkontrollierte Dehnung und teils unkritische Anwendung der Methode führte zu Kontinenzstörungen von bis zu 55% (McDonald et al. 1992) besonders bei multiparen Frauen. Analendosonographisch ließen sich eindeutige Schäden in der Sphinktermuskulatur nachweisen. Der sonomorphologische Sphinkterschaden korreliert jedoch nicht immer mit dem Ausmaß der Kontinenzstörung. Die
611 35.2 · Therapie proktologischer Erkrankungen
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. Abb. 35.24a–d Partielle laterale Sphinkterotomie. a Konzentrische Inzision lateral (Position 3 Uhr in SSL), Darstellung des M. sphincter ani internus und der intermuskulären Grube; b submuköse und intermuskuläre Präparation des M. sphincter ani internus; c Einkerbung
des M. sphincter ani internus von aboral nach oral bis auf Höhe der oralen Grenze der Fissur, maximal bis Linea dentata; d Blutstillung und Verschluss der anodermalen Inzision
manuelle Dilatation gilt wegen der Gefahr der diffusen Sphinkterzerreißung als obsolet.
heilung und Schlüssellochdeformitäten waren jedoch die Folgen. Trotz gut funktionierendem Restsphinkter können dadurch Feinkontinenzstörungen, anale Dermatitis und Pruritus entstehen. Eisenhammer und Parks propagierten deshalb die laterale Lokalisation der Sphinkterotomie. Dadurch wurde die Inzidenz von Feinkontinenzstörungen deutlich gesenkt (Eisenhammer 1951; Parks 1967). Aufgrund der guten Fissurheilung, der geringen Rezidivquote
Partielle laterale Sphinkterotomie (. Abb. 35.24) Die Sphinkterotomie wurde 1818 von Boyer und Godsall eingeführt. Durch Einkerbung des aboralen Drittels des internen Sphinkters in der dorsalen Kommissur wurde eine Senkung des Sphinkterdrucks erreicht. Verzögerte Wund-
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Kapitel 35 · Proktologie
. Abb. 35.25 Endosonographisches Bild nach lateraler Sphinkterotomie
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und der geringen Komplikationsrate gilt die laterale interne Sphinkterotomie im englischsprachigen Raum und bei uns als Standardmethode zur Behandlung der chronischen Analfissur. Die Operation wird in SSL durchgeführt. Die Darmvorbereitung mittels Einlauf 1 h vor dem Eingriff ist genügend. Der Eingriff kann in Lokal-/Periduralanästhesie kombiniert mit POR8 oder im Sattelblock erfolgen. Die linkslaterale Zirkumferenz des Analkanals wird mit einem Analretraktor dargestellt. Die Hautinzision erfolgt auf einer Länge von 1,5–2 cm linkslateral über dem intersphinktären Sulkus. Der Intersphinktärraum wird eröffnet und der innere Analsphinkter kaudal inzidiert. Nach exakter Blutstillung wird die Inzisionswunde mit resorbierbarem Fadenmaterial verschlossen. Die Sphinkterotomiekerbe ist mit dem Finger gut zu spüren und endosonographisch gut zu erkennen (. Abb. 35.25). Die Sphinkterotomie darf nie den Level der Linea dentata übersteigen. Eine Inzisionslänge bis zum kranialen Fissurende scheint genügend (Littlejohn u. Newstead 1997). Bei älteren Multipara besteht häufig ein kurzer funktioneller Analkanal. Bei ihnen ist die Indikation zur Sphinkterotomie restriktiver zu stellen, da das Inkontinenzrisiko nach Sphinkterotomie erhöht ist. Wir empfehlen die laterale Sphinkterotomie als Standardverfahren zur Behandlung der chronischen Analfissur. In geübten Händen ist dieser Eingriff ohne Mortalität und praktisch ohne Morbidität mit einer ausgezeichneten Erfolgsrate durchführbar. Allerdings wird dieser Eingriff im schriftdeutschen Raum aufgrund erhöhter Raten an Kontinenzproblemen im Alter als Spätfolge nicht mehr empfohlen (Hasse et al. 2004). Laterale subkutane Sphinkterotomie (. Abb. 35.26) Dieser
Eingriff bedeutet eine Modifikation der offenen lateralen Sphinkterotomie mit deutlich weniger Zeitbedarf (Notaras 1971). Über eine maximal 1 cm lange radiäre Inzision des
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. Abb. 35.26a,b Laterale subkutane Sphinkterotomie nach Notaras. Operative Technik: a Palpation der intermuskulären Grube; b Einführen der Skalpellklinge in die intermuskuläre Grube, Klingenfläche parallel zur Muskulatur, digitale Kontrolle der Klingenlage
Anoderms über dem intersphinktären Sulkus wird der intersphinktäre Raum aufgesucht. Ein Graeve-Messer oder ein Skalpell, dessen Klingenfläche parallel zur Muskulatur liegt, wird in den Intersphinktärraum eingeführt. Der linke Zeigefinger wird transanal platziert und die Skalpellklinge Richtung Anus um 90° gedreht, womit sodann der kaudale Anteil des internen Sphinkters unter digitaler Kontrolle gespalten werden kann. Auftretende Blutungen werden digital komprimiert. Der Vorteil dieser Methode ist der geringere Zeitbedarf und die geringere Invasivität. Der Nachteil gegenüber der offenen Methode ist die verminderte Übersicht und somit ein erhöhtes Risiko einer zu ausgedehnten Sphinkterotomie oder einer Verletzung des äußeren Sphinkters.
613 35.2 · Therapie proktologischer Erkrankungen
eckige Hautlappen wird mobilisiert und in den Analkanal hinein verlagert. Das Transplantat bedeckt dadurch die Fissur und wird an den Fissurenden mit resorbierbarem Fadenmaterial angenäht. Dieses Verfahren ist wegen der ausgedehnten Mobilisation aufwendig und trotz der guten Heilungschancen nur in Ausnahmefällen zu empfehlen.
Ergebnisse 90–100% der Patienten nach lateraler Sphinkterotomie bleiben längerfristig beschwerdefrei (Oettle 1997). Die Schmerzen verschwinden in der Regel nach erfolgtem, erstem Stuhlgang. Die Heilung der Fissur nimmt zwischen 2–4 Wochen in Anspruch.
Komplikationen . Abb. 35.27 Fissurektomie zur histologischen Untersuchung
Fissurektomie (. Abb. 35.27) Die Operation erfolgt in Lo-
kalanästhesie oder rückenmarksnaher Anästhesie. In SSL wird die Fissur mittels Operationsproktoskop oder Analretraktor exploriert. Die Fissurränder werden geglättet, der Fissurgrund débridiert und die Vorpostenfalte sowie evtl. vorkommende Analpapillen reseziert. Selten wird dieser Eingriff mit einer dorsalen Sphinkterotomie oder mit einer analen Dilatation kombiniert (Gabriel 1948). Dieses Verfahren war wegen seiner Schmerzhaftigkeit und oft lang anhaltenden Wundheilungsstörungen sehr umstritten. Hauptindikation war die Gewebegewinnung zur histologischen Untersuchung bei Verdacht auf neoplastische Veränderungen. Wie bereits erwähnt, gewann dieses Verfahren wegen der Spätprobleme der lateralen Sphinkterotomie wieder an Popularität.
Kontinenzstörungen sind nach lateraler Sphinkterotomie
in bis zu 35% beschrieben (Romano et al. 1994). Diese hohe Komplikationsrate kann durch sorgfältige Patientenauswahl und maßvolle Sphinkterotomie entsprechend der lokalen Verhältnisse im Analkanal vermindert werden. Lokal infektiöse Komplikationen sind eher selten und treten hauptsächlich beim immunkompromittierten Patienten auf. Diese Patienten bedürfen perioperativ einer antibiotischen Prophylaxe. Blutungen sind meist punktuell und durch Einlage einer Analtamponade oder lokale Kompression stillbar. Persistierende rezidivierende Analfissuren sind häufig Folge einer zu knapp bemessenen Sphinkterotomie. Die anale 3D-Endosonographie kann zur Bestimmung der früheren Sphinkterotomielänge und zur Beurteilung des notwendigen Eingriffs hilfreich sein.
35.2.4
Anorektale Fisteln und Abszesse
Y-V-Analplastik (. Abb. 35.28) Dieses Verfahren erfordert
als ersten Schritt eine Fissurektomie. Anschließend wird die Inzision kaudal der Fissurektomie Y-förmig nach perianal erweitert (Nyam et al. 1995). Der resultierende drei-
Pathogenese Perianale Abszesse und anale Fisteln haben primäre oder sekundäre Ursachen.
. Abb. 35.28a–c Y-V Analplastik. a Fissurektomie und Y-förmige Erweiterung der Inzision; b Präparation eines breitbasigen Lappens; c V-förmige Fixation des Lappens nach intraanal
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Kapitel 35 · Proktologie
. Abb. 35.29 Anatomie der Proktodealdrüsen. 1 Proktodealdrüse, 2 Sphincter ani externus, 3 Sphincter ani internus, 4 Longitudinalmuskulatur, 5 Drüsenausführgang, 6 Linea dentata
. Abb. 35.30 Klassifikation der Abszesslokalisationen. 1 Perianal, 2 perineal, 3 ischiorektal, 4 intersphinktär, 5 submukös, 6 pelvirektal
Primäre Form Über 90% der Fälle haben ihren Ursprung
Sekundäre Formen Sekundäre Abszesse entstehen auf-
in den analen Krypten der Linea dentata, worin sich Stuhlreste ansammeln und zur chronischen kryptoglandulären Infektion führen (Stelzner 1976). Dies ist eine Infektion der Proktodealdrüsen, die zwischen innerem und äußeren Analsphinkter lokalisiert sind und deren Ausführungsgang transsphinktär in die Krypten mündet (. Abb. 35.29). Infekt und Abflussbehinderung führen zum Circulus vitiosus, ähnlich dem Verlauf der Analfissur: Entzündung – Schmerz – Spasmus des inneren Analsphinkters – Blockierung des kryptoglandulären Abflusses – Abszessbildung – Schmerz – Sphinkterspasmus. Infolge der intersphinktären Lage der Proktodealdrüsen entsteht primär ein intersphinktärer Abszess, der sich entlang dem geringsten Widerstand, d. h. im intersphinktären Raum, ausbreitet. Darin verläuft der Abszess nach kranial, nach kaudal oder zirkulär zur Gegenseite. Druck, Arosion und primäre bakterielle Entzündung führen zur Einschmelzung von Sphincter ani externus, transsphinktärem Durchbruch und letztlich zu einem ischiorektalen Abszess. Dieser kann sich nach kranial, kaudal oder zirkulär ausbreiten. Der seltene sog. Hufeisenabszess entsteht bei semizirkulärer, dorsaler Ausbreitung eines Abszesses im Ischiorektalraum. Die pelvirektale Ausbreitung einer kryptoglandulären Infektion ist selten. Als Ursache hierfür sind die komplizierte Divertikulitis, die komplizierte Appendizitis und spezifische entzündliche Darmerkrankungen, d. h. M. Crohn und Colitis ulcerosa, zu nennen.
grund infizierter Atherome, einer Hidradenitis supurativa oder eines lokalisierten Pyoderma gangraenosum. Die sekundäre Fistelbildung kann nach einer Analfissur oder postoperativ etwa nach einer Hämorrhoidenoperation auftreten. Spezifische entzündliche Darmerkrankungen (Colitis ulcerosa und M. Crohn), spezifische Infektionen (Tuberkulose, Aktinomykose und Lymphogranuloma venereum) sowie maligne Darmerkrankungen (Analkarzinom, Präkanzerosen) sind ebenso mögliche Ursachen für eine sekundäre Fistel.
Klassifikation Abszesse werden primär nach ihrer Lokalisation, Analfisteln nach ihrem Verlauf klassifiziert. Abszesse können perianal (subkutan), intersphinktär, ischiorektal, pelvirektal oder submukös lokalisiert sein (. Abb. 35.30). Die Abszessausdehnung erfolgt entlang dem Weg des geringsten Widerstandes. Fisteln werden unter Berücksichtigung des Verlaufes zwischen dem Ort der Entstehung und der Mündung nach außen eingeteilt. Sie verlaufen intersphinktär, transsphinktär, suprasphinktär oder extrasphinktär (. Abb. 35.31). Die prozentualen Anteile variieren altersentsprechend erheblich.
Klinische Symptomatologie Hauptsymptome sind anale Schmerzen, Schwellung, Rötung und Fieber. Sitzen und Defäkation verstärken die Schmerzen. In der Regel sind perianale Abszesse gut sicht-
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. Abb. 35.31a–f Klassifikation der Fistelverläufe. a 1 Intersphinktär, 2 tief transsphinktär, 3 hoch transsphinktär, 4 suprasphinktär; b 5 intersphinktäre Fistel mit hohem Ausläufer und möglicher Verbindung zurück zum Rektum; c 6 intersphinktäre Fistel mit hohem Ausläufer
und möglicher Verbindung zurück zum Rektum und zusätzlichem intersphinktärem Ausläufer nach kaudal; d 7 transsphinktär mit hohem blind endendem Trakt; e 8 suprasphinktäre Fistel; f 9 extrasphinktäre Fistel
bar. Die digitale Untersuchung des Analkanals ist schmerzbedingt meist unmöglich und soll nicht erzwungen werden. Die Haut über dem Abszess kann bei fortgeschrittener Entzündung bereits stark ausgedünnt und ante perforationem erscheinen. Inguinale Lymphknoten können vergrößert und dolent sein. Chronische Fisteln produzieren putride, fäkale oder serosanguinöse Sekrete, die die Haut der äußeren Fistelöffnung irritieren. Retention führt zu Schwellung, Schmerzen und Fieber. Die Symptome sind nach spontaner Entleerung des Abszesses meist behoben. Das chronische Fistelleiden kann als »Fuchsbau« multipler Fistelgänge persistieren.
Diagnostik Akutes Stadium Im akuten Stadium des Perianalabszesses
ist eine weitergehende Diagnostik nicht sinnvoll. Die digitale Untersuchung des Analkanals ist äußerst schmerzhaft und nur in Narkose zu empfehlen. Sie gibt einen ersten Hinweis auf die Ausdehnung des Prozesses. Mittels Rektoskopie sollen Proktitis und eine innere Fistelöffnung gesucht oder ausgeschlossen werden. Der Nachweis einer inneren Fistelöffnung gelingt im akuten Stadium nur in ca. 1/3 der Fälle (Ramanujam et al. 1984). Dies erfordert Erfahrung und Geduld, da das Rektum zum Zeitpunkt der Operation meist unvorbereitet ist.
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Kapitel 35 · Proktologie
den kann. Die Fistulographie mit wasserlöslichem Kontrastmittel ist bei hoher Fistel, deren Ursprung im kleinen Becken liegt, hilfreich. CT, MR-Tomographie und 3D-Ultraschall ergeben präzise Auskunft über Ausdehnung, Verlauf und Beziehung der Fistel zu den umliegenden Strukturen.
Therapie
. Abb. 35.32 Goodsall-Regel
Die Fistelsuche mittels Knopfkanülen ist im akuten Stadium gefährlich und darf nicht forciert werden. Mittels analer Endosonographie kann die Ausdehnung des Prozesses genauer bestimmt werden. Weitergehende Untersuchungen wie CT oder MR-Tomographie sind nicht abheilenden Abszessen vorbehalten.
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Chronisches Stadium Beim chronischen Fistelleiden ist die digitale, anale Untersuchung praktisch schmerzfrei. Der Fistelgang ist als indurierter Strang sowohl transanal als auch perianal gut tastbar. Eine hohe Fistellage kann die Palpation des Fistelganges schwierig machen. Mittels Proktoskopie bzw. Rektoskopie muss versucht werden, die innere Fistelöffnung zu identifizieren. Dabei kann die Regel von Goodsall (Goodsall u. Miles 1900) hilfreich sein (. Abb. 35.32):
> Eine perianale Fistelöffnung, die in SSL ventral einer horizontal durch den Anus gelegenen Mittellinie lokalisiert ist, mündet als gerader Fistelgang direkt in einer analen Krypte ventral dieser Mittellinie. Dorsal gelegene Fistelöffnungen und solche, die mehr als 3 cm perianal entfernt und ventral der besagten Mittellinie liegen, münden als gebogene Fistelgänge in einer dorsalen Krypte.
Die Sondierung des Fistelganges mittels Knopfsonde oder Knopfkanüle kann schmerzhaft sein und einer Anästhesie bedürfen. Die Injektion von blauem Farbstoff durch den kutanen Porus in die Fistel hilft, die innere Öffnung zu identifizieren. Die Injektion von Wasserstoffperoxid in den kutanen Porus verursacht im Fistelsystem eine Druckerhöhung, wodurch weißer Schaum aus der inneren Fistelöffnung herausquillt. Weniger invasiv ist die Injektion von 1 ml Luft in das Fistelgangsystem, das anschließend mittels analer Endosonographie gut identifiziert und verfolgt wer-
Ein Abszess muss chirurgisch evakuiert werden (»ubi pus ibi evacua«). Bevorzugte Anästhesieform ist die Periduralanästhesie oder die Allgemeinnarkose in SSL. Diese erlauben gründliche Untersuchung und sauberes Abszessdébridement. Die Hautinzision erfolgt spindelförmig perianal radiär. Nach Abszessdrainage wird die Abszesswand mit dem scharfen Löffel gründlich kürettiert. Die Hautexzision verhindert eine rasche Verklebung der Wunde mit erneuter Retention von infiziertem Material (. Abb. 35.33). In 2/3 der Fälle kann die innere Fistelöffnung im akuten Stadium nicht gefunden werden. Nach Abszessöffnung ist die Suche nach einem inneren Fistelgang nicht zu empfehlen, da mit Leichtigkeit eine Via falsa entsteht. Ist der Fistelgang bereits präoperativ identifiziert, darf der Fistelgang bei Vorliegen eines intersphinktären Abszesses gespalten werden, sofern die innere Fistelöffnung nicht oberhalb der Linea dentata lokalisiert ist. Höher liegende Fisteln oder transsphinktärer Fistelverlauf mit ischiorektalem oder pelvirektalem Abszess sollten zu einem späteren Zeitpunkt definitiv saniert werden. In der Zwischenzeit ist die Drainage mittels Seton-Einlage zu gewährleisten. Nach gründlichem Débridement der Abszesshöhle und lokaler Blutstillung wird die Wunde mit feuchter Gaze ausgelegt und feucht verbunden. Primärer Wundverschluss unter antibiotischem Schutz ist wegen hoher Rezidivgefahr infolge Retention obsolet. Eine Spezialform stellt der dorsal gelegene Hufeisenabszess dar. Dieser wird durch mehrere radiäre Inzisionen drainiert (. Abb. 35.34). Radiäre Inzisionen lassen ein besseres kosmetisches Resultat erwarten als eine großzügige semizirkuläre Exzision. Wichtig sind großzügiges Débridement und gute Drainage. Kann die innere Fistelöffnung mühelos identifiziert werden, empfiehlt sich auch hier die Drainage mittels Seton. Gelegentlich wird die Anlage einer doppelläufigen Sigmoidostomie notwendig, um die Abheilung eines sehr ausgedehnten Prozesses oder einer Läsion der Rektumwand zu gewährleisten. Antibiotika Eine antibiotische Prophylaxe ist bei immun-
kompromittierten Patienten, Diabetikern, Patienten mit valvulärer Herzerkrankung oder bei Trägern von infektanfälligem Prothesenmaterial (z. B. mechanische Herzklappe) erforderlich. Eine alleinige Antibiotikatherapie ist ungenügend. Chronische Fisteln heilen nicht spontan. Der Fokus ist in über 90% eine kryptoglanduläre Infektion.
617 35.2 · Therapie proktologischer Erkrankungen
. Abb. 35.33a–c Abszessdébridement. Chirurgische Technik. a spindelförmige Hautexzision radiär; b Reinigung des Wundgrundes; c Auslegen des Wundgrundes mit Gazestreifen
Dieser Fokus muss samt Fisteltrakt vollständig, jedoch kontinenzschonend entfernt werden. Eine saubere Exzision und Drainage zusätzlicher Fisteltrakte sind für einen rezidivfreien Verlauf und eine geringe Narbeninduktion essenziell. Fistulotomie/Fistulektomie (. Abb. 35.35) Die intersphink-
täre oder die kaudal verlaufende transsphinktäre Fistel mit eindeutiger Mündung in einer Krypte wird sondiert und gespalten. Dieses »deroofing« einer transsphinktären Fistel
. Abb. 35.34 Hufeisenabszess. Drainage des Hufeisenabszesses über mehrere radiäre Inzisionen, die untereinander verbunden sind. Setondrainage der dorsalen Fistelöffnung
verletzt nur subkutane Anteile des externen Analsphinkters. Bei normaler funktioneller Analkanallänge hat dies keine Kontinenzstörung zur Folge. Alleinige Erhaltung des proximalen Sphinkters mit Puborektalisschlinge reicht nur für eine Grobkontinenz (Kontinenz für festen Stuhl) aus. Die muskuläre Destruktion des mittleren und kaudalen Analkanals bedeutet erheblichen Kontinenzverlust. Bei kurzem funktionellem Analkanal, insbesondere bei älteren Patientinnen, ist die Einlage eines Setons vorzuziehen. Die Fistulektomie bedeutet im Gegensatz zur Fistulotomie die vollständige Exzision des Fistelganges mitsamt Granulationsgewebe. Einerseits ist der funktionelle Analkanal verkürzt und andererseits hemmen Skarifizierung und Sensibilitätsverlust den kompetenten Analverschluss. Infolge progredienter Relaxation des Beckenbodens und altersbedingter Verkürzung des Analkanals kann auch bei primär korrekt und sphinkterschonend durchgeführtem Eingriff im Alter eine Inkontinenz auftreten. Der resultierende Hautdefekt nach Fistelexzision bzw. Deroofing wird offen weiterbehandelt. Primärer Wundverschluss nach Fistulektomie ist wegen kontaminierter Operationswunden kontraindiziert. Eine plastische Deckung größerer Defekte mit Vollhaut oder Spalthauttransplantat ist erst bei Vorliegen sauberer Granulation und planem Wundgrund ohne Taschenbildung ratsam. Dadurch können die Wundheilung beschleunigt und das kosmetische Resultat positiv beeinflusst werden. Fistulektomie kombiniert mit Seton-Drainage (. Abb. 35.36)
Transsphinktäre Analfisteln, die kranial der Linea dentata
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Kapitel 35 · Proktologie
münden, oder suprasphinktäre Fisteln dürfen wegen postoperativem Inkontinenzrisiko nicht gespalten werden. In diesem Falle ist die Exzision von der kutanen Öffnung des Fistelganges bis zum ischiokruralen Eintritt in die Sphinktermuskulatur zu empfehlen. Der transsphinktär verlaufende Fistelgang wird auskürettiert und mittels SetonEinlage drainiert. Anoderm und Haut, die von der SetonDrainage umfasst werden, sollten inzidiert werden. Die weitere Wundbehandlung erfolgt offen durch Ausduschen der Operationswunde 3-mal täglich und nach jedem Stuhlgang. Der Seton kann locker, d. h. ohne Einschnürung des Sphinkters geknotet werden, bis der ischiokrurale Defekt mit Granulationsgewebe aufgefüllt und verheilt ist. In diesem Falle ist eine sekundäre Fistulotomie sogar bis Höhe der Puborektalisschlinge möglich, da nun aufgrund der fibrösen Verwachsung die Gefahr der Retraktion der Sphinktermuskulatur und damit der Inkontinenz minimal ist. Alternativ dazu kann der Seton straff geknotet und bei Lockerung in regelmäßigen Abständen nachgezogen werden. Dadurch schneidet der Faden langsam durch die Sphinktermuskulatur, bewirkt einen Granulationsreiz und verhindert die schnelle Muskelretraktion weitgehend. Trotzdem kann eine Beeinträchtigung der Kontinenz resultieren. Fistulektomie kombiniert mit Mukosa-Advancement-Flap (. Abb. 35.37) Der ischiorektale Anteil des Fistelganges
. Abb. 35.35a–c Fistulektomie. a Sondierung der Fistel; b sorgfältige Exzision des gesamten Traktes und der kutanen Öffnung; c offene Wundbehandlung
wird bis zum Eintritt in den Sphincter ani externus ausgeschält. Der transsphinktäre Fistelverlauf wird gründlich auskürettiert und die innere (anale) Fistelöffnung exzidiert. Ein gut durchbluteter, breiter Mukosaflap wird mobilisiert. Nach Muskelnaht des transsphinktären Defekts wird der Mukosaflap nach kaudal verlagert und deckt dadurch die Sphinkternaht. Alternativ dazu kann der transsphinktäre Fistelgang exzidiert statt kürettiert werden. Die Deckung der Exzisionsstellen lumenseits erfolgt mittels Mukosaflap oder Mukosa-/Internusflap nach der gleichen
. Abb. 35.36 Fistulektomie kombiniert mit Seton-Drainage. Exzision der kutanen Fistelöffnung und des Fisteltraktes bis zur Einmün-
dung in den Sphinkter oder den Beckenboden und Spaltung der Mukosa. Von da Einlage eines Setons
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. Abb. 35.37a–d Mukosa-Advancement-Flap. a Transsphinktäre Fistel; b Ausschälung des Fistelganges und Vorbereitung eines breit-
basigen Mukosaflaps; c Verschluss der Internusmuskulatur; d Resektion der mukosalen Fistelöffnung, Verschluss der Mukosa
Technik. Diese Operationstechnik ist nicht ungefährlich und sollte dem spezialisierten Chirurgen vorbehalten bleiben. Die Komplikationsraten sind relativ hoch (Nahtdehiszenz in 9–20%, Fistelrezidiv in 8–17%, signifikante Kontinenzstörung in 20–40%; Garcia-Aguilar et al. 1996; Athanasiadis et al. 1994). Letztere wird hauptsächlich auf ungenügende Erfahrung und Operationstechnik zurückgeführt, weil dabei oft eine partielle Läsion des inneren Sphinkters verursacht wird. Durch eine präzise und gewebeschonende Ausschälung des Fisteltraktes mittels einer speziellen Schere (scharf, spitz) kann die Sphinkterschä-
digung vermieden werden. Die Erfolgsrate beträgt über 85% für primäre Fisteln und ca. 50% für Crohn-Fisteln (Schouten et al. 1999; Makowiec et al. 1995). Bei komplexen Fisteln sollte die Behandlung stufenweise erfolgen: Primär sollte eine Drainage mittels lockerem Seton-Faden während 6 Wochen durchgeführt werden. Anschließend kann die Fistelbehandlung wie oben erwähnt durchgeführt werden (van der Hagen et al. 2005). Fistula Plug Da die Resektion dieser Fisteln mit dem Risi-
ko von Inkontinenzen verbunden ist, wurde in den letzten
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620
Kapitel 35 · Proktologie
Jahren eine neue Technik, die wesentlich schonender ist, entwickelt. Nach Vorbereitung der Fistel mit einem lockeren Seton Faden während 6–8 Wochen wird dann der Fistelgang auskürettiert und anschließend mit einem biologischen Plug verschlossen (Fistula Plug®). Dieser wird so in der Fistel platziert, dass er sich nicht mehr bewegen kann, und zusätzlich am inneren Teil, im Bereich des Sphinkters, angenäht. Der Hauptvorteil dieser Technik ist das keine größere Manipulation am Sphinkterapparat nötig ist. Dadurch ist das Risiko einer Inkontinenz deutlich verringert. Die Erfolgsrate in der Literatur liegt zwischen 50–80% (Ellis et al. 2010). Extrasphinktäre Fisteln Auch hohe, extrasphinktäre bzw.
pelvirektale Fisteln können primär von den Proktodealdrüsen ausgehen. Weitere Ursachen sind spezifische Darmerkrankungen (M. Crohn, Colitis ulcerosa) und ineffiziente Drainage ausgedehnter Perianalabszesse. Bei Vorliegen einer hohen extrasphinktären Fistel hat sich primär die Seton-Drainage zur Abheilung von Entzündung und Abszedierung bewährt. Nach Ausbildung einer kontrollierten chronischen Fistel kann diese über einen parasakralen Zugang exzidiert, das Rektum verschlossen und der Defekt mittels Glutaeus- oder Grazilisplastik gedeckt werden. Dorsale Hufeisenfistel (. Abb. 35.34) Die chirurgische Be-
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handlung der dorsalen Hufeisenfistel gleicht der Behandlung des Hufeisenabszesses. Mehrere radiäre Inzisionen erlauben Débridement und Drainage der Fistelgänge. Dadurch soll eine großflächige, kosmetisch und funktionell störende Hautexzision mit entsprechender Narbenbildung vermieden werden. Der dorsal liegende transsphinktäre Fistelanteil wird mittels Seton behandelt. Die Operationswunden werden der Heilung per secundam überlassen, sodass letztlich eine unkomplizierte, d. h. Seton-drainierte Fistel verbleibt, die mit der Seton- oder »Advancementflap«-Technik endgültig behandelt werden kann.
Komplikationen Komplikationen nach chirurgischer Therapie chronischer Fisteln sind Stuhlinkontinenz, Fistelrezidiv und Rektumprolaps. Inkontinenz Eine partielle, unmittelbar postoperative Kon-
tinenzstörung nach Fistelchirurgie ist häufig und sollte im Verlauf von 2–4 Wochen deutlich regredient sein. Eine Störung der Kontinenz kann in 20–40% verbleiben. Dieses Risiko kann durch eine gewebe- bzw. muskelschonende Operationstechnik reduziert werden. In der akuten Situation und im Zweifelsfalle ist eine Seton-Drainage immer der scharfen Sphinkterspaltung vorzuziehen, obwohl auch für die Behandlung mit einem Cutting-Seton Inkontinenzraten
zwischen 5–60% veröffentlicht wurden (Pearl et al. 1993; Hamalainen u. Sainio 1997; Garcia-Aguilar et al. 1998). Rezidiv Ein Fistelrezidiv ist in der Regel darauf zurückzuführen, dass der Fokus, d. h. die infizierte Proktodealdrüse entweder nicht gefunden oder nicht radikal exzidiert worden ist. Bei Vorliegen eines M. Crohn ist die Rezidivrate auch nach primärer adäquater Therapie erhöht (bis >50%). Rektumprolaps Die Durchtrennung des anorektalen Ringes
kann einen progredienten Rektumprolaps mit konsekutiver Inkontinenz auslösen. Über die Häufigkeit dieser Komplikation sind jedoch keine Daten verfügbar.
35.2.5
Rektovaginale Fisteln
Pathogenese Rektovaginale Fisteln sind in ca. 80 % der Fälle Folgen von Geburtstrauma. Als weitere Ursachen kommen in Frage: eine Komplikation vom Morbus Crohn, eine Komplikation nach Hysterektomie oder tiefer anteriorer Rektumresektion, eine chronische Entzündung im Bereich des Rektums, ein infiltrierender Tumor oder ein Zustand nach Radiotherapie. Diese Fisteln führen meistens zu einer schweren Reduktion des Sexuallebens. Therapie Sie ist abhängig von der Ursache der Fistel. Tumorfisteln müssen nach onkologischen Prinzipien reseziert werden, mit oder ohne Rektumamputation dies je nach Höhe vom Tumor. Crohn-Fisteln sollten so lange wie möglich konservativ behandelt werden. Bei schwerer Proctitis, muss eventuell eine Anlage eines Entlastungsstomas oder sogar eine Rektumamputation besprochen werden. Die Höhe der Fistel bestimmt meistens auch den Zugang: bei hoher rektovaginaler Fistel ist meistens ein transabdominaler Zugang nötig. Dagegen kann bei tiefen Fisteln entweder transrektal, transperineal oder transvaginal operiert werden. Das Verschlussprinzip, ist dass die verschiedenen Schichten nicht direkt übereinander verschlossen werden sondern leicht verschoben (z. B. Mucosaflap) um eine bessere Heilung zu erhalten. In gewissen Fällen muss sogar ein Muskel-Verschiebelappen als Interponat eingebaut werden.
35.2.6
Morbus Crohn
Epidemiologie Proktologische Veränderungen treten im Rahmen eines M. Crohn in 46–90% der Fälle auf (McClane u. Rombeau 2001; Solomon 1996; Fielding 1972). Bei ausschließlichem
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Befall des terminalen Ileums liegt eine anale Mitbeteiligung nur in 10–30% vor. Der isolierte anorektale Befall tritt in ca. 11% auf (Williams 1979). Die Inzidenz des Analkarzinoms ist bei Crohn-Patienten deutlich erhöht (Connell et al. 1994; Slater et al. 1984).
Klinische Symptomatologie Der anale M. Crohn ist klinisch gelegentlich schwierig zu definieren, da Crohn- und nicht Crohn-assoziierte Veränderungen nebeneinander auftreten können. Die häufigsten crohnbezogenen Manifestationen sind Abszesse, Fissuren, Fisteln und ödematöse Marisken. Weniger häufig treten auch Ulzerationen, Hautödeme und rektovaginale Fisteln auf. Fissur Crohn-spezifische Fissuren sind eher lateral lokalisiert und schmerzlos. Die crohnspezifische Analfissur ist typischerweise schmerzlos, breitbasig und ohne eigentliche Präferenz der Lokalisation. Auch dorsal- oder ventralgelegene Fissuren können crohnbezogen sein. Hautulzeration und Marisken Durchfallepisoden führen zu
einer großflächigen Mazeration der Haut. Initialer Pruritus kann sich durch diese dauernde Hautreizung in starke Schmerzen umwandeln. Fortgeschrittenes Alter und damit langdauernde Erkrankungen sind Ursache für stark ödematöse Marisken. Histologisch findet sich eine ausgeprägte, lymphozytäre Infiltration, die für den M. Crohn pathognomonisch ist. Schleimhautulzera Schleimhautulzera können im Anal-
kanal und im Rektum auftreten. Meist sind sie großflächig, tief, exkaviert und somit der Ursprung für Fisteln und Abszesse. Die genannten Ulzera sind aufgrund der chronischen und rezidivierenden Reizung Ursache von narbigen Stenosen. Letztere sind in jeder Höhe des Analkanals und des Rektums anzutreffen und können zur Behinderung der Stuhlpassage führen. Abszess Abszesssymptome sind bei Crohn-Patienten im Vergleich zur Normalbevölkerung deutlich weniger ausgeprägt. Insbesondere Steroid- und Antibiotikatherapien führen zur Maskierung der Symptomatik. Dadurch werden unter Umständen Diagnose und zweckmäßige Therapie verzögert. Fisteln Crohn-assoziierte anale Fisteln können ähnlich der Normalbevölkerung von Proktodealdrüsen ausgehen und entweder inter-, trans- oder suprasphinktär via Ischiorektalraum zur Haut oder zur Vagina verlaufen. Zudem ist mit einer hohen Inzidenz extrasphinktärer Fisteln, ausgehend von rektalen Ulzera, zu rechnen. Jedes rezidivierende, perianale Fistelleiden muss trotz fehlender Anamnese und
spezifischer Symptomatik endoskopisch, bioptisch und radiologisch auf M. Crohn abgeklärt werden. Anale Strikturen Anale Strikturen kommen in bis zu 7,5%
der Crohn-Patienten vor (Greenstein et al. 1975). Neuere Daten lassen allerdings vermuten, dass die Inzidenz rückläufig ist (<1%: Sangwan et al. 1996). Ätiologisch sind sie meist die Folge der tief greifenden transmuralen Entzündung des M. Crohn, der anorektalen Fisteln und der wiederholten chirurgischen Eingriffe (Keighley 1998). Sie können meist konservativ behandelt werden. Wiederholte Ballondilatation und Bougierung führen meist zum Erfolg. Letztere kann der Patient mit Hilfe von Hegarstiften selbst durchführen. Hämorrhoiden Die Inzidenz eines Hämorrhoidalleidens
kombiniert mit M. Crohn ist gegenüber früheren Behauptungen nicht erhöht. Die Hämorrhoidektomie bei CrohnPatienten kann Fisteln verursachen, weshalb die Therapie symptomatischer Hämorrhoiden bei bekannter CrohnDiagnose so konservativ wie möglich bleiben sollte. Auch auf Rubber-Banding und Sklerotherapie sollte verzichtet werden. Die geringste Morbidität ist mit der Infrarotkoagulation zu erreichen.
Diagnostik Die Diagnose eines M. Crohn ist aufgrund von analen Veränderungen nicht zu stellen. Anamnese, klinischer, endoskopischer und radiologischer Befund sowie das histologische Resultat ergeben zusammen die Diagnose (7 Kap. 32.5). Zur Bestimmung von Ausdehnung und Aktivität der Erkrankung ist eine komplette Koloskopie bis ins terminale Ileum mit Biopsien notwendig. Die selektive Dünndarmpassage mit Barium (Sellink 1974) gibt Auskunft über Dünndarmrelief, Strikturen und Ulzera. Zur genauen Abklärung des proktologischen Befalles sind nebst einer vorsichtigen digitalen Untersuchung eine Anorektoskopie und eine Endosonographie notwendig. Beim Vorliegen von Fisteln sind zur Planung des operativen Eingriffes eine präoperative Fistulographie, ein MRT und eine endoanale Sonographie hilfreich. Analkanal und kutane Fistelöffnungen sollten zur korrekten Beurteilung der bildgebenden Verfahren vorerst markiert werden. Die endoanale Sonographie dient auch intraoperativ zur präzisen Lokalisation von Abszessen und Fistelgängen. Sofern anale Stenosen die Passage der Ultraschallsonde verunmöglichen, ist in jedem Fall die präoperative Magnetresonanztomographie indiziert. Computertomographie und multiplanare Magnetresonanztomographie mit intraanaler Spule haben, wo verfügbar, die konventionelle Fistulographie ersetzt. Die Beurteilung dieses Bildmaterials bedarf jedoch einer großen Erfahrung seitens des Radiologen (DeSouza et al. 1998; Beckingham et al. 1996).
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Kapitel 35 · Proktologie
Therapie Ausdehnung und Schweregrad der Crohn-assoziierten proktologischen Veränderungen sowie die Erfolgschance der chirurgischen Therapie korrelieren direkt mit der intestinalen Entzündung und damit der Aktivität des M. Crohn (Siproudhis et al. 1997). Somit gilt es vorerst, durch medikamentöse Therapie die Crohn-Erkrankung systemisch zu behandeln. Chirurgische Maßnahmen sind evtl. sekundär indiziert. Eine Ausnahme bilden akute Abszesse, deren Inzision und Drainage auch bei hochaktiver Erkrankung sofort durchgeführt werden muss. Ansonsten soll jede Operation crohnassoziierter proktologischer Erkrankungen möglichst konservativ, d. h. mit dem kleinstmöglichen Eingriff erfolgen (Sandborn et al. 2003). In 7 Kap. 32.6 ist die konservative und chirurgische Therapie des M. Crohn ausführlich dargestellt.
35.2.7
35
Rektumprolaps/Analprolaps
Der Rektumprolaps bedeutet eine Invagination (Intussuszeption) der gesamten Rektumwand ins Rektumlumen mit konsekutivem Vorfall durch den Analkanal nach außen. In der Literatur ist die Nomenklatur verwirrend. Nachfolgend ist der Schleimhautprolaps ohne Beteiligung der gesamten Rektumwand als Mukosaprolaps oder synonym als Analprolaps definiert. Als inkompletter Prolaps wird die ventrale Rektumwandinvagination definiert und als innerer oder synonym okkulter Prolaps die zirkuläre Invagination des Rektums ohne Durchtritt durch den Analkanal (. Abb. 35.38).
Pathogenese
vorderwand problemlos in sich einstülpen und schließlich eine zirkuläre Invagination ausbilden. In Abhängigkeit der Spannung von Beckenboden und Analkanal tritt der Rektumprolaps hauptsächlich bei der Defäkation auf. Bei zunehmendem Schweregrad ist er auch beim Gehen, Stehen und Husten möglich. Eine partielle oder totale Stuhlinkontinenz kann den Prolaps begleiten, ist aber nicht die Regel.
Klinische Symptomatologie Defäkationsprobleme im Sinne einer inkompletten Evakuation mit heftigen Pressattacken und mukoide Sekretion mit chronischer Mukosa- und Hautirritation sind die Hauptsymptome. Pruritus und Blutabgang sind die Folge. Unterschiedliche Grade der Stuhlinkontinenz werden gefunden. Der Anus kann infolge Dauerstress bzw. Dauerrelaxation oder aufgrund eines muskulären oder neurologischen Schadens klaffen. Meist besteht ein tiefer Sphinkterruhedruck. Solitäres Rektumulkus Das solitäre Rektumulkus liegt
meist an der ventralen Rektumwand und ist Folge einer chronischen Traumatisierung der Schleimhaut durch Intussuszeption in den Analkanal. Ein solches Ulkus ist bei der Intussuszeption nicht obligat. Makroskopisch erscheint das solitäre Rektumulkus als ödematöse, verdickte, hyperäme und teilweise exulzerierte Läsion. Mikroskopisch bietet sich ein relativ typisches Bild, das mit »Colitis cystica profunda« bezeichnet wird (Kang et al. 1996; Vora et al. 1992). Makroskopisch und mikroskopisch muss die Veränderung von einer Colitis ulcerosa und einer Neoplasie abgegrenzt werden (Guest u. Reznick 1989). Die Potenz zur malignen Transformation eines solitären Rektumulkus ist noch nicht geklärt (Tsuchida et al. 1999).
Mukosa-/Analprolaps Der Mukosa- oder Analprolaps ent-
steht aufgrund einer geschwächten Verbindung zwischen Submukosa und darunter liegender Muskulatur. Der Prolaps kann zirkulär oder segmentär entstehen. Der segmentäre Prolaps betrifft meist den ventralen Anteil des Analkanals. Der zirkuläre Mukosaprolaps wird als Analprolaps definiert und kann mit einem Hämorrhoidalleiden assoziiert sein. Der zirkuläre Mukosaprolaps gilt nicht als Vorstufe des Rektumprolapses. Rektumprolaps Die Pathogenese des Rektumprolapses ist
nicht völlig geklärt. Ursächlich werden Beckenbodenschwäche, tiefer Douglas und mobiles Rektum (laterale Ligamentschwäche sowie laxe dorsale Fixation), oft kombiniert mit einer Levatorendiastase angenommen (Ryan 1980). Der Rektumprolaps wird jedoch auch bei normal aktivem Beckenboden bei jungen Frauen beobachtet. Beim Paraplegiker hingegen ist der Rektumprolaps trotz gelähmtem Beckenboden selten. Die meisten Patienten mit Rektumprolaps weisen einen tiefen Douglas-Raum auf. Dadurch kann sich die Rektum-
Descending-Perineum-Syndrom Das Syndrom des deszen-
dierenden Perineums beschreibt ein Tiefertreten des Perineums unter die Sitzbeinhöckerebene beim Pressen. Ursächlich sind Schädigung der neuralen Versorgung des Beckenbodens oder auch Anismus mit fehlender Relaxation der Puborektalisschlinge bei der Defäkation möglich. Durch den konsekutiv verstärkten Pressakt kommt es zum Tiefertreten des Beckenbodens. Das Syndrom des deszendierenden Perineums erscheint inhomogen, da eigentlich eine Hyperkontinenz besteht. Die meisten Patienten müssen die Defäkation digital unterstützen. Dadurch kann der Rektumprolaps sowohl Folge als auch Ursache des Syndromes sein. Symptome des deszendierenden Perineums sind Schmerzen, Schleimfluss, Defäkationsstörungen (»outlet obstruction«) und das Gefühl der inkompletten Evakuation. Inkontinenz kommt nur in ca. 15% der Fälle vor (Harewood et al. 1999). Inkontinenz Eine kompromittierende Kontinenz für Stuhl tritt im Vergleich zur Normalbevölkerung gehäuft auf
623 35.2 · Therapie proktologischer Erkrankungen
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(24%; Gemsenjäger 1996), wobei nicht jeder Patient mit Rektumprolaps eine Kontinenzstörung hat. Trotz geschädigter somatischer Beckenbodenmuskulatur bleibt der Analverschluss durch den Ruhetonus des inneren Sphinkters langfristig kompensiert. Zusätzliche Distension des distalen Rektums und Dilatation des Analkanals führen allerdings zu einer Relaxation des inneren Sphinkters und später zu einem klaffenden Anus.
. Abb. 35.38a–e Rektumprolaps. a Normalbefund; b inkompletter (ventraler) Prolaps; c innerer (okkulter) Prolaps; d kompletter Rektumprolaps; e Kombination mit einer Enterozele
Diagnostik Allgemein Die Anamnese ist wegweisend. Die Symptome beinhalten den Prolaps, Schleimabsonderung, gelegentlich Blutabgang, schwere Obstipation oder im Gegenteil rezidivierende Diarrhö, Stuhlinkontinenz und gelegentlich inkomplette Evakuation. Die klinische Differenzierung zwischen einem Analprolaps und einem Rektumprolaps ist nicht immer einfach. Die digitale Palpation kann den Ver-
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Kapitel 35 · Proktologie
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. Abb. 35.39a,b Rektumprolaps: konzentrische Schleimhautfurchung
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dacht erhärten. Während beim Rektumprolaps die gesamte Rektumwand zwischen Daumen und Zeigefinger zu palpieren ist, kann beim Analprolaps nur Mukosa komprimiert werden. Die Provokation eines Prolapses ist in Linksseitenlage und in Steinschnittlage ungünstig. Die Untersuchung des Patienten ist in kauernder oder sitzender Position (auf der Toilette) während der Defäkation zu empfehlen. Das prolabierte Rektum weist eine konzentrische, zirkuläre Schleimhautfurchung auf, während beim Analprolaps eine radiäre Furchung vorliegt (. Abb. 35.39). Außerdem ist der Sphinktertonus beim Analprolaps meist normal bis erhöht und beim Rektumprolaps eher erniedrigt (Hiltunen et al. 1986). Rektoskopie Rektoskopisch sind Zeichen der chronischen Traumatisierung der Schleimhaut und/oder ein solitäres Rektumulkus zu finden. Letzteres sollte in jedem Fall biopsiert werden. Die Histologie ist charakteristisch, jedoch nicht pathognomonisch (Kang et al. 1996). Zudem sind entzündliche oder neoplastische Darmerkrankungen auszuschließen. Beim Rückzug des Rektoskopes und Aktivierung der Bauchpresse lassen sich die Intussuszeption oder gar der Prolaps gegebenenfalls provozieren. Bildgebende Verfahren Als bildgebendes Verfahren steht
die Videodefäkographie zur Verfügung (Marti 1991; Mellgren et al. 1994). Dabei kann der Defäkationsvorgang mit einem röntgendichten Kontrastmittel im seitlichen Strahlengang festgehalten werden. Zusätzlich lässt sich die Blase retrograd mit Kontrastmittel füllen und die Vagina mit einem kontrastmittelgetränkten Tampons darstellen. Zur sicheren Diagnostik einer Enterozele kann der Dünndarm mit einem oral zugeführten Kontrastmittel sichtbar gemacht werden (Vierkompartimentmethode). Aufgrund der Strahlenbelastung und der relativ invasiven Vorberei-
tung wird sie kaum noch angewendet und wird durch die MR-Defäkographie immer mehr ersetzt. Neuerdings ist die dynamische MR-Defäkographie möglich. Diese erlaubt mit hoher Präzision die einzelnen Beckenorgane voneinander abzugrenzen und ihre Beziehung zueinander exakt darzustellen. Als Kontrastmittel hierzu dient ein gadoliniumhaltiges Gel (Hilfiker et al. 1998; Schoenenberger et al. 1998). Zusätzliche Untersuchungen Präoperativ ist zum Ausschluss zusätzlicher Erkrankungen eine Koloskopie empfehlenswert. Eine konkomitierende Obstipation oder Inkontinenz ist neurophysiologisch, manometrisch oder mittels Transitzeitbestimmung zu objektivieren. Letztere Untersuchungstechniken bleiben jedoch aufgrund ihrer hohen Kosten speziellen Fragestellungen und Forschungszwecken vorbehalten.
Therapie des Analprolapses Der zirkuläre Analprolaps, d. h. der alleinige Mukosavorfall wird gleich einer Hämorrhoidektomie bei 3, 7 und 11 Uhr behandelt. Außerdem stellt er bei klar nachgewiesener Reponibilität eine gute Indikation für die »Staplerhämorrhoidopexie« nach Longo dar. Der irreponible Analprolaps verlangt nach einer konventionellen chirurgischen Therapie. Handelt es sich um einen kleinen segmentalen Mukosaprolaps sind auch konservative Verfahren möglich. Deren Prinzip beruht auf einer Fixation der Mukosa auf ihrer Unterlage (Gummibandligaturen, Sklerotherapie und Infrarotkoagulation).
Therapie des Rektumprolapses Watts et al. (1985) haben über 100 verschiedene operative Verfahren zur Behandlung des Rektumprolapses beschrieben und nach Zugangsweg bzw. nach Therapieprinzip klas-
625 35.2 · Therapie proktologischer Erkrankungen
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. Abb. 35.40a–c Resektionsrektopexie nach Frykman-Goldberg. a Nach kompletter Mobilisation des Rektums unter Schonung der lateralen Ligamente erfolgt die Pexierung des gestreckten Rektums an die präsakrale Faszie. b Der redundante rektosigmoidale Uebergang wird zur Vermeidung eines Ventilmechanismus reseziert; c Resultat, Seitenansicht
sifiziert. Die Zugangswege unterscheiden abdominelle und perineale Verfahren. Die abdominellen Verfahren werden heutzutage zunehmend auch laparoskopisch durchgeführt. Abdominelle Verfahren unterscheiden Operationen mit oder ohne Verwendung von Fremdmaterialien sowie Operationen mit oder ohne Resektion des rektosigmoidalen Überganges. Abdominelle Verfahren weisen in der Literatur meist bessere Resultate auf als perineale Verfahren (Altemeier et al. 1971; Frykman u. Goldberg 1969; Nay u. Blair 1972; Ripstein 1972; Wells 1959). Das Prinzip der abdominellen Verfahren beruht hauptsächlich auf der Mobilisation des Rektums und der Fixation am Sakrum in gestreckter Stellung. Die komplette Mobilisation des Rektums bis zum Beckenboden erfolgt unter Schonung sowohl der autonomen Nerven als auch der Gefäßversorgung der Rektumampulle. Die Fixation am Sakrum kann mittels nichtresorbierbaren Nähten beidseitig des Rektums erfolgen oder aber durch die Implantation eines resorbierbaren oder nichtresorbierbaren Kunststoffnetzes dorsal-hemizirkulär bzw. ventral-hemizirkulär.
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Rektopexie und Sigmoidektomie Die heute favorisierte
Operationstechnik ist die Resektionsrektopexie nach Frykman u. Goldberg (1969; . Abb. 35.40): Nach Mobilisation der peritonealen Verklebung im linken Unterbauch wird das Peritoneum pararektal beidseits inzidiert. Das Rektum wird auf der Fascia pelvis visceralis scharf mobilisiert, wobei die Nn. hypogastrici beidseits zu schonen sind. Auch die ventrale Mobilisation des Rektums bis zum Beckenboden ist zu empfehlen, da sonst die Streckung des Rektums in kranialer Richtung nicht komplett möglich wird. Infolge tiefer Lage des Douglas-Raumes und perirektaler Fibrosierung ist darauf zu achten, Vagina und Beckenboden nicht zu beschädigen. Trotz Schonung der lateralen Ligamente lässt sich das Rektum nun weit nach kranial ziehen. Die dadurch entstehende redundante Sigmaschleife samt rektosigmoidalem Übergang wird reseziert. Dadurch wird ein Siphoneffekt mit nachfolgender Obstipation verhindert. Außerdem werden potentiell komplikationsträchtige Divertikel reseziert. Zur Fixation wird die mesorektale Fascie beidseits mit je 3–4 Einzel-
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Kapitel 35 · Proktologie
knopfnähten gefasst und knapp unterhalb des Promontoriums an die präsakrale Faszie pexiert. Eine Stenosierung des Rektums im Fixationsbereich muss vermieden werden. Abschließend wird der neue Douglas-Raum durch Raffung des Peritoneums auf Höhe des Promontoriums rekonstruiert. Die gleichzeitige Raffung der dorsalen Levatorenschenkel ist nur sehr selten indiziert, zumal eine signifikante Verbesserung weder für die Kontinenzleistung noch für die Rezidivhäufigkeit bisher nachgewiesen sind. Anteriore Rektopexie Das Verfahren nach Ripstein be-
inhaltet die ventrale Fixation des gestreckten Rektums mit einem Marlex- oder Teflonstreifen am Promontorium. Dieser Eingriff ist wegen Strikturen im Fixationsbereich und hoher Rezidivrate verlassen worden. Posteriore Rektopexie Die präsakrale Rektopexie nach
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Wells (Ivalon-Sponge-Operation) verwendet zur präsakralen Fixation des Rektums ein rechteckiges Stück IvalonSponge, das es mit mehreren Einzelknopfnähten am Sakrum befestigt wird. Das Ivalon-Sponge wird vielerorts durch Polypropylennetze ersetzt. Eine oft erwähnte Häufung infektiöser Komplikationen lässt sich aus der Literatur statistisch nicht belegen (Athanasiadis et al. 1996). Trotzdem empfehlen wir speziell auch wegen der Stenosierungsgefahr Zurückhaltung bei der Implantation von Fremdmaterialien. Funktionelle Kolonbeschwerden und insbesondere Obstipation treten nach Resektionsrektopexie seltener auf als nach Verwendung von Kunststoffnetzen (Lechaux et al. 1998; Scaglia et al. 1994; Luukkonen et al. 1992). Laparoskopischer transabdomineller Zugang Die laparos-
kopische Technik (Agachan et al. 1996) hat dieselben Operationsprinzipien zu befolgen wie die offene Technik. Der ausgezeichneten Übersicht über das Operationsfeld stehen allerdings eine lang anhaltende Trendelenburg-Lagerung des häufig alten Patienten, die signifikant verlängerte Operationszeit (Solomon 2002) und die hohe Lernkurve gegenüber. Die perioperative Morbidität kann aber damit reduziert werden und die Rezidivraten sind im Langzeitverlauf mit 3% gering (Wijffels 2010). Perineale Verfahren beinhalten die parasakrale Rektosigmoidektomie, die transsphinktäre Rektumresektion (Mason), die rektale Mukosektomie und Muskelplikatur (Delorme) sowie anale Zerklageverfahren. Abdominelle wie perineale Verfahren können mit zusätzlicher Einengung der Levatorenschenkel durchgeführt werden. Perineale Verfahren werden wegen der hohen Rezidivrate nur für Patienten mit erheblichem Narkoserisiko empfohlen. Die 2 folgenden Verfahren zeigen in der Literatur generell gute Resultate:
Rektosigmoidektomie nach Altemeier (1971; . Abb. 35.41)
Das Prinzip dieser Operation ist die Resektion des prolabierten Darmes ohne kutane Inzision. Hierfür werden 3 cm oral der Anokutangrenze (ca. 1 cm oral der Linea dentata) Mukosa und Muskelschichten des prolabierten Darms zirkulär umschnitten, wonach man von ventral auf den Douglas-Raum stößt. Dieser wird eröffnet, wonach die Vorderseite des proximalen Rektums oder Sigmas zur Darstellung kommt. Durch Zug an diesem Darm nach kaudal kann das gesamte überschüssige Dickdarmteilstück sichtbar gemacht werden. Es folgt der Wiederverschluss des Douglas-Raums durch eine möglichst hoch am Sigma angelegte Naht. Der M. puborectalis kann mit einigen Nähten gerafft werden. Anschließend werden an der Resektionsgrenze 3 Haltefäden ventral und an den Seiten des Kolons gelegt, wonach die Kolonwand schrittweise durchtrennt werden kann. Der proximale Resektionsrand kann nun mit dem primären Resektionsrand 3 cm ab Anokutanlinie fortlaufend vernäht werden. Nach Durchtrennung der Hinterwand des Darmes wird das Mesorektum sichtbar und schrittweise mit Durchstechungsligaturen versorgt. Zuletzt erfolgt die Vervollständigung der Anastomose. Rektale Mukosektomie und Muskelplikation nach Delorme (Uhlig u. Sullivan 1979; . Abb. 35.42) Die von Delorme
1900 beschriebene Operation beinhaltet die Mukosektomie des prolabierten Darmabschnittes mit wellenförmiger Raffung der dadurch freigelegten Muskulatur. Dadurch kommt es zur Verkürzung und Reposition des prolabierten Darmes. Abschließend wird die Mukosa zirkulär reanastomosiert und der durch die Plikation entstandene Muskelring kranial der Levatoren reponiert. Dadurch dient letzterer als muskuläres Pessar. Die Indikation dazu bilden Patienten mit relativ kleinem Prolaps und erheblichem Operationsrisiko. Die Rezidivrate liegt bei ca. 10–50% (Tobin u. Scott 1994; Watts et al. 2000). Abschließend empfehlen wir aufgrund unserer Erfahrungen in erster Linie die Resektionsrektopexie nach Frykman u. Goldberg (1969), die sowohl offen als auch laparoskopisch durchgeführt werden kann. Sie wird in der Regel auch von alten Patienten sehr gut toleriert und ist bei geeigneter Technik komplikationsarm und effizient. Für die seltenen Fälle, bei denen tatsächlich keine Allgemeinnarkose zugemutet werden kann und eine dringende Operationsindikation besteht, empfehlen wir aufgrund der besseren Resultate die Operation nach Altemeier.
35.2.8
Sexuell übertragene proktologische Infektionen
Sexuell übertragene proktologische Infektionen entstehen durch Inokulation pathogener Erreger auf die perianale
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. Abb. 35.41a–g Perineale Rektosigmoidektomie nach Altemeier. a Anschlingen des aboralen Schnittrandes mit Fäden; b Identifikation der peritonealen Umschlagfalte des Douglas-Raums. c Das Colon sigmoideum ist nun direkt sichtbar, es muss maximal herausgezogen und das Mesenterium zwischen Ligaturen durchtrennt werden. d Die Fäden für die anteriore Levatorenplastik werden vor-
e
gelegt. e Queres Durchtrennen des Colon sigmoideum ca. 2 cm distal der in a gezeigten Fadenmarkierung und Knoten der Fäden der Levatorenplastik; f Durchtrennen der dorsalen Hemizirkumferenz des Rektums auf Höhe der Linea dentata. g Sigmoidoanale Anastomose mit Einzelknopfnaht, das Sigma extramukös allschichtig, im Analkanal Mukosa und Submukosa fassend
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Kapitel 35 · Proktologie
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. Abb. 35.42a–e Rektale Mukosektomie und Muskelplikation nach Delorme. a Zirkuläre Inzision der Mukosa des prolabierten Rektums auf Höhe der Linea dentata; b Dissektion des Mukosaschlauches von der Muscularis propria; c Plikatur der freigelegten Muskulatur mit vorgelegten Einzelknopfnähten; d supraanale Reposition des Muskelwulstes durch Knoten der vorgelegten Fäden im Analkanal; e Reanastomosierung der Mukosa nach Resektion des abpräparierten Mukosaschlauches, wobei darauf geachtet werden muss, dass auch diese vorgelegte Einzelknopfnaht in den Analkanal zu liegen kommt
629 35.2 · Therapie proktologischer Erkrankungen
Haut, das Anoderm, in den Analkanal und bis ins Rektum durch anal-rezeptive und oroanale Sexualpraktiken. Das Spektrum umfasst alle von den sexuell übertragbaren Erkrankungen bekannten Keime, insbesondere das Herpessimplex-Virus Typ II (seltener auch Typ I), das Zytomegalievirus und das humane Herpesvirus Typ VIII. Immundefekte generell und insbesondere die HIV-Infektion begünstigen den Ausbruch der durch diese Erreger ausgelösten Erkrankungen und können deren Verlauf aggravieren. Das Keimspektrum umfasst auch Mischinfektionen mit entsprechend komplexeren Erscheinungsbildern, die vom Untersucher nötige infektiologische Kenntnisse fordert. In der Folge werden hier nur die wichtigsten Infektionskrankheiten beschrieben werden.
Syphilis Ätiologie Der Erreger der wieder mit zunehmender Häufigkeit auftretenden Syphilis heißt Treponema pallidum und gehört zur Familie der Spirochäten.
Gonorrhö Ätiologie Die Gonorrhö wird durch einen gramnegati-
ven Diplokokkus (Neisseria gonorrhoeae) verursacht. Bei Frauen wird die perianale Region meist durch eine Schmierinfektion vom Introitus vaginae her mitbefallen, während bei homosexuellen Männern die Inokulation durch analen Koitus verursacht wird (Rufli 1985). Klinische Symptomatologie Bei rektalem Befall ist eine re-
lativ symptomarme Proktitis zu sehen. Diagnostik Die Diagnose lässt sich kulturell im Rektal-
abstrich stellen. Am einfachsten ist aber der molekularbiologische Genomnachweis mit PCR (»polymerase chain reaction«) oder LCR (»ligase chain reaction«) im Urin. HIV-positive Patienten leiden häufiger an systemischen Komplikationen wie Arthritis und Konjunktivitis (Lau et al. 1990; Strongin et al. 1991; Keat 1990). Therapie Ceftriaxon 250 mg einmalig i.v. oder i.m. oder
Klinische Symptomatologie Wie die genitale Syphilis
durchläuft auch die anorektale Form 4 Stadien. Der Primäraffekt (»harter Schanker«) führt 3 Wochen nach Infektion zu einer dolenten Ulkusbildung, die als simple Analfissur missgedeutet werden kann. Die oft atypische Lokalisation der Fissur sollte jedoch die Differenzialdiagnose erweitern, besonders wenn auch die inguinalen Lymphknotenstationen vergrößert sind. Der im Rektum auftretende Primäraffekt der Syphilis führt zu einer entzündungsbedingten, ulzerösen Schwellung der Rektumschleimhaut, die mit schweren peranalen Blutungen einhergehen und mit einem Rektumkarzinom verwechselt werden kann. Die sekundäre Form der Syphilis weist anal die typischen Condylomata lata auf, die mit einem generalisierten, fußbetonten, asymptomatischen Exanthem einhergeht. Aus den Condylomata lata lässt sich spirochätenreicher Saft auspressen (hoch infektiös). Diagnostik Als spezifische Luesserologie dienen TPHAund FTA-abs-IgM-Nachweis. Zur Verlaufsbeurteilung unter Therapie werden die unspezifischen Tests (VDRL) verwendet. HIV-positive Patienten zeigen oft einen schnelleren und maligneren Verlauf der Erkrankung. Die zerebrospinale Beteiligung tritt früher und häufiger auf (Rolfs et al. 1997; Marra et al. 1996). Therapie Penicillin wird auch heute noch eingesetzt. Das
Stadium I wird mit einer einmaligen Dosis Penicillin 2,4 Mio IE i.m., das Stadium II mit 2,4 Mio IE i.m. 1-mal pro Woche für 3 Wochen behandelt. Bei nachgewiesener zerebrospinaler Beteiligung ist eine hochdosierte Penicillin-Therapie mit 5-mal 4 Mio. IE täglich i.v. über 10 Tage notwendig.
Ciprofloxacin 500 mg einmalig p.o.
Chlamydienproktitis Ätiologie Die Chlamydienproktitis wird sowohl durch Chlamydia trachomatis als auch durch Chlamydia psittaci verursacht. Die Übertragung erfolgt zur Hauptsache beim analen Koitus. Betroffen sind vor allem homosexuelle Männer. Klinische Symptomatologie Ähnlich der gonorrhoischen Proktitis ist auch die Chlamydienproktitis relativ beschwerdearm. Hauptsymptome sind eitriger Ausfluss und Tenesmen. Das kaudale Drittel der Rektumschleimhaut ist gerötet und weist wenige kleinere Ulzerationen auf. Als seltene Manifestation der rektalen Chlamydieninfektion ist das »Lymphogranuloma venereum« (syn. inguinales Lymphogranulom) zu nennen. Letzteres verursacht heftige Diarrhö, blutig-eitrigen Ausfluss und Abdominalkrämpfe. Das endoskopische Bild zeigt schwellungsbedingte, rektale Stenosen, ähnlich der rektalen Manifestation eines M. Crohn. Die Assoziation mit der Entstehung eines Plattenepithelkarzinoms wird diskutiert (Chopda et al. 1994; Daling et al. 1987). Diagnostik Die Diagnose erfolgt durch Genomnachweis mittels PCR oder LCR im Urin (kombinierter Test mit Gonokokken-Nachweis). Therapie Es werden Doxycyclin, 2-mal 100 mg/Tag wäh-
rend 14 Tagen, oder eine Einmaldosis von Azithromycin 1 g eingesetzt.
35
630
Kapitel 35 · Proktologie
Herpes-simplex-Virusinfektion
Therapie In der Frühphase kann Valacyclovir (Valtrex) ein-
Klinische Symptomatologie Die proktologische Infektion
gesetzt werden. Lokaltherapeutisch sind trocknende Pasten (Tannosynt) und antimikrobielle Maßnahmen notwendig.
mit dem Herpes-simplex-Virus wird in der Regel durch analen Geschlechtsverkehr übertragen. Klinisch finden sich perianale Hautläsionen mit kleinen Bläschen, die sich besonders im Analkanal und in der Rima ani zu konfluierenden Ulzerationen ausbilden. Die Infektion kann ins distale Rektum aufsteigen. Eine äußerst schmerzhafte Proktitis mit diffusen Ulzerationen kann assoziiert auftreten. Gehäufte proktologische Herpes-simplex-Virusinfektionen bei HIV-positivem Status sind bekannt. HIV-positive Patienten haben einen klinisch schwereren Verlauf und die Ulzerationen sind großflächiger. Bei tiefer CD4-Zellzahl sind Rezidive gehäuft und Erkrankungen mit Acyclovirresistenten Virenstämmen sind beschrieben (Augenbraun u. McCormack 1994; Bagdades et al. 1992).
Molluscum-contagiosum-Infektion Klinische Symptomatologie Das Molluscum-contagiosum-
Virus gehört morphologisch zu den Pockenviren und verursacht beim Menschen kleine Knötchen von 2–5 mm Durchmesser mit zentraler Delle (sog. Dellwarzen). Das Virus wird durch Kontakt übertragen und ist beim Erwachsenen in der Genitalregion zu finden. Homosexuelle Männer weisen das Virus in der perianalen Region auf. Es besteht ein geringer Juckreiz. Kratzen fördert die weitere Verbreitung des Virus. Diagnostik Diagnostisch genügt der typische Aspekt der zentral eingedellten Warze.
Diagnostik Die Klinik ist vor allem bei Frauen oft atypisch:
jede Schleimhautläsion kann durch einen Herpes bedingt sein! Bei Immunsupprimierten finden sich kaum Bläschen, sondern nur Schleimhautulzera. Der Erregernachweis erfolgt durch Antigennachweis mittels Immunfluoreszenz, durch Viruskultur oder mittels PCR. Differenzialdiagnostisch ist eine sakrale Herpes-zoster-Infektion auszuschließen.
Therapie Die Warze wird mit dem scharfen Löffel entfernt und anschließend mit einem jodhaltigen Desinfektionsmittel desinfiziert. Bei größerflächigem Befall kann topisch 5-Fluorouracil eingesetzt werden (Christen 1998). Außerdem wird die topische Anwendung von Cidofovir (Vistide) diskutiert (Davies et al. 1999).
Therapie Valaciclovir p.o. 2×500 mg/Tag für 7 Tage (Drake et al. 2000).
Condyloma-acuminatum-Infektion
Zytomegalievirusinfektion
35
Klinische Symptomatologie Anorektale Infektionen mit dem Zytomegalievirus sind seltener als Herpes-simplex-Virusinfektionen und kommen meist in Verbindung mit einer HIV-Erkrankung vor. Die Infektion manifestiert sich als schmerzhafte Ulzeration im Bereich der anokutanen Linie, teilweise begleitet von Fieber, Durchfall und Blutungen. Diagnostik Immunfluoreszenz, Viruskultur oder die PCR
führen zum Ziel. Therapie In schweren Fällen wird die Medikation mit
Ganciclovir oder Foscarnet empfohlen.
Ätiologie Die sog. »spitzen Kondylome« oder Genitalwarzen werden ausgelöst durch einen Befall der Haut mit dem humanen Papillomavirus Typ VI und XI, das hauptsächlich durch sexuellen Kontakt übertragen wird. Ein Großteil der Patienten ist HIV-positiv. Klinische Symptomatologie Klinisch präsentiert sich die
Erkrankung in einer blumenkohlartigen Wucherung von 1–2 mm großen Hautläppchen, die sich als konfluierende Läsionen zu Rasen von 2–3 cm Durchmesser zusammenschließen können. Eine Extremvariante ist der BuschkeLöwenstein-Tumor, eine Präkanzerose, die in bis zu 56% maligne entartet (Critchlow et al. 1998; Chu et al. 1994). Sowohl dermale als auch mukosale Formen der Condylomata acuminata sind bekannt. Brennender Juckreiz ist das Hauptsymptom.
Herpes-zoster-sacralis-Infektion Klinische Symptomatologie Der Herpes zoster entspricht
Diagnostik Es genügt der typische makroskopische
einer Reaktivierung des Varicella-zoster-Virus im Dermatom S3–S5. Klinisch sind halbseitige perianale Bläschen, kombiniert mit Schmerzen im betroffenen Gebiet, festzustellen. Immunkompromittierte Patienten weisen langwierige Verläufe und gehäufte Rezidive auf.
Aspekt.
Diagnostik Die Diagnose ergibt sich aus dem typischen
klinischen Bild und aus dem Virusnachweis aus dem Bläschensekret.
Therapie Lokal kann eine Podophyllin-Lösung angewandt
werden. Diese Therapie kann zu unangenehmen Hautirritationen führen, da die Kondylomata in feucht-warmen Hautfalten liegen. Die radikale Exzision mittels Elektrokaustik oder mittels CO2-Laser ist erfolgversprechender. Eine solche Therapie muss aber oft in mehreren Sitzungen durchgeführt werden. Deswegen sollten die Patienten nach
631 35.2 · Therapie proktologischer Erkrankungen
einer Resektion immer nach ca. 3 Monaten kontrolliert werden. Ganz wichtig ist auch die Behandlung des Partners, da sonst das Rezidiv vorprogrammiert ist. Beim HIV-positiven Patienten sind Rezidivraten bis 66% bekannt (Chu et al. 1994).
35.2.9
Anale Trauma und Fremdkörper
Anale Traumen sind meistens iatrogen wie z. B. Geburtstraumen oder Folgen von analen oder transanalen Operationen. Seltener sind es Folgen von Unfällen (Beckenfrakturen, Pfählungsläsionen) oder Folgen von eingeführten Fremdkörpern. Falls es der Allgemeinzustand des Patienten erlaubt, sollte eine sofortige Rekonstruktion des Defektes angestrebt werden. Je nach Ausmaß der Läsion muss dann ein protektives Entlastungsstoma angelegt werden. Anale Fremdkörper werden meistens zu autoerotischen Zwecken eingeführt. Diese verschiedenen Objekte (Früchte, Steine, Shampooflaschen, Dildos usw.) können zu Verletzungen führen, sowohl von der Schleimhaut wie auch von der Darmwand, die bis zur Perforationen führen kann. Je nach Größe und Kraft die angewendet wird können auch Verletzungen am Schließapparat vorkommen. Diagnostik Nach einer sorgfältigen Anamnese sollte primär
ein konventionelles Röntgenbild vom Abdomen durchgeführt werden. Damit kann einerseits die Größe, die Form und die Lage des Fremdkörpers beurteilt werden, andererseits kann eine eventuelle Perforation festgestellt werden. Therapie Meistens kann die Entfernung transanal durch-
geführt werden. Nach Entfernung sollte immer eine Rektoskopie stattfinden um eine Perforation auszuschließen.
35.2.10
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35
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Kapitel 35 · Proktologie
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635 35.3 · Therapie der Analinkontinenz
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35.3
Therapie der Analinkontinenz C.G.M.I. Baeten, W.R. Marti
Stuhlinkontinenz ist ein häufiges und für die betroffenen Patienten ein beschämendes Symptom, hervorgerufen durch verschiedene Pathologien. Als häufigste Ursachen gelten zerebrale Degeneration, iatrogen verursachte chirurgische (Fistulotomie, Sphinkterotomie, Hämorrhoidektomie oder anale Dilatation) oder geburtshelferische Verletzungen des Sphinkterapparates. Die schlechteste Prognose haben Patienten mit peripherer neurogener Inkontinenz. Durch die progressive Denervation des externen Sphinkters und des Beckenbodens mit Hyposensibilität der Perianalregion senkt sich der Beckenboden oft ab, was zusätzlich die Entleerung des Rektums behindert. Die Therapie sollte erst nach Erhebung des anatomischen und funktionellen Status und nach eingehender Patienteninformation ausgewählt werden, wobei es zu beachten gilt, dass primär immer die einfachste und am wenigsten invasive Methode gewählt werden soll. Oft reicht eine konservative Therapie mit Biofeedback oder Einläufen. Die Sphinkterrekonstruktionen nach isolierter Verletzung ergeben eine exzellente Kontinenzrate. Hingegen ist die chirurgische Therapie der Beckenbodenproblematik durch vordere und/oder hintere Beckenbodenplastik bei unsorgfältiger Indikationsstellung oft frustrierend. Die Muskeltransposition hat bei wenigen Patienten ihren Platz, die entweder an persistierender Inkontinenz nach nicht erfolgreicher Beckenbodenplastik oder an einer ausgedehnten Sphinkterzerstörung leiden. In therapierefraktären Situationen hilft manchmal nur noch die antegrade Spülung des Kolons via Stoma oder die Anlage eines endständigen Stomas zur definitiven Ableitung des Stuhls.
35.3.1
Definition
Anale Kontinenz ist die Fähigkeit, den Stuhlgang aufzuhalten und ihn an einem geeigneten Ort zu einem selbstgewählten Zeitpunkt auszuscheiden. Infolgedessen entspricht anale Inkontinenz dem unwillkürlichen, nicht auf-
haltbarem Abgang von Stuhl oder Luft. Bei Ärzten und Patienten herrscht Unklarheit über den Unterschied von Verlust von Stuhlgang gegenüber dem »Soiling«. Hier verbleibt nach dem Stuhlgang eine kleine Menge klebrigen Fäzes im Analkanal und entweicht dann in den darauf folgenden Stunden. In der perianalen Region entsteht dann eine Hautreizung mit Juckreiz und Mazeration. Diese Feuchtigkeit, zusammen mit einer geringen Menge Fäzes, verursacht eine bräunliche Verschmutzung in der Unterwäsche. Soiling tritt auf, wenn der Analkanal nach kontrolliertem Stuhlgang nicht völlig leer ist, vor allem bei Patienten mit deformiertem Anus, Hämorrhoiden, Fissuren, Fisteln oder Narben nach analen Eingriffen. Dieses Phänomen tritt nur dann auf, wenn der Stuhl flüssig oder klebrig ist, aber nicht bei hartem Stuhlgang. Die Unterscheidung zwischen analer Inkontinenz und Soiling ist insofern wichtig, weil deren Behandlung verschieden ist.
35.3.2
Inzidenz
Die Angabe der genauen Inzidenz von Patienten mit einer analen Inkontinenz ist schwierig. Patienten schämen sich oft ihres Problems und verschweigen dieses sogar ihren nächsten Familienmitgliedern. Der Moment, in dem Hilfe gesucht wird, ist abhängig vom Schweregrad der Inkontinenz und dem Ausmaß der sozialen Behinderung durch dieses Problem. Viele Patienten passen eher ihre Lebensgewohnheiten an, als dass sie Hilfe suchen. So gibt es Fälle, in denen Betroffene ihr Haus kaum noch verlassen und mit allen Mitteln Familienbesuche vermeiden. Das Verlassen der Wohnung für Einkäufe wird zur Obsession. Alle öffentlichen Toiletten in der Stadt sind diesen Patienten bekannt. Der Weg wird in Abhängigkeit vom Vorhandensein von Toiletten geplant. Die Prävalenz, geschätzt aufgrund einiger Studien in den Vereinigten Staaten (Talley et al. 1992), liegt um 2,3%. In Großbritannien sollen 0,4% der Bevölkerung mehr als 1-mal wöchentlich inkontinent sein. Operationsdaten der Niederlande (16 Mio. Einwohner) listen 500 Sphinkteroperationen jährlich auf. Windeln für Erwachsene werden in den Niederlanden an 200.000 »Kunden« verkauft, hiervon schätzungsweise 10% wegen analer Inkontinenz. Die Inkontinenz ist einer der häufigsten Gründe, ältere Patienten in ein Pflegeheim aufzunehmen.
35.3.3
Diagnostik
Anamnese Es ist wichtig zu wissen, wie die Inkontinenz
entstanden ist: Ob sie schon lange besteht, ob sie sich allmählich verschlimmert und wie die Konsistenz des Stuhls bei Inkontinenz ist (Diarrhö oder fester Stuhl). Wie oft tritt
35
636
Kapitel 35 · Proktologie
unwillkürlicher Verlust und wie oft normaler, kontrollierter Stuhlgang auf? Fühlt man den drohenden Stuhlgang kommen, kann aber die Toilette nicht rechtzeitig erreichen? Hat man seine Lebensgewohnheiten wegen analer Inkontinenz angepasst? Die Anamnese ist auch wichtig, um Inkontinenz von Soiling zu differenzieren.
Vaginale Endosonographie Bei Frauen ermöglicht die vaginale Endosonographie die Abbildung des geschlossenen Sphinkters. Der vordere Teil des Sphinkters ist gut sichtbar, durch die unzureichende Auflösung in der Tiefe aber bleibt die Beurteilung des dorsalen Sphinkterabschnittes schwierig.
Inspektion Die Inspektion im Ruhezustand informiert
Magnetresonanztomographie Die MRT-Untersuchung des Beckens gibt genaue Informationen über die Anatomie. Nicht nur Anus und Sphinkter, auch die umgebenden Strukturen und mögliche pathologischen Veränderungen sind mit dem MRI deutlich zu erkennen. Das funktionelle MRI kann alle Strukturen des Beckens auch bei angespanntem Beckenboden und während des Stuhlgangs visualisieren. Die hierfür benötigten Geräte sind jedoch nur in wenigen spezialisierten Instituten verfügbar.
über die Anwesenheit von prolabierenden Hämorrhoiden oder über Narben vorangegangener Eingriffe, über Fisteln oder Schlüssellochdeformitäten. Die Inspektion beim Pressen zeigt einen eventuell vorhandenen Rektum- oder Analprolaps, auch eine Rektozele kann sichtbar werden. Digitale Austastung Die digitale Austastung informiert über
den Sphinktertonus, die Kontraktilität der Beckenbodenmuskeln und mögliche Rektumtumoren, die die Kontinenz beeinflussen können. Bei gleichzeitiger Austastung von Rektum und Vagina können Rektozelen ertastet werden. Defäkographie Sie bietet die Möglichkeit, die Inkontinenz
dynamisch zu objektiveren. Der Verlust von Stuhl beim Unvermögen, Sphinkter und M. puborectalis zu kontrahieren, spricht für eine Pathologie der Sphinkter- und/oder Beckenbodenmuskulatur. Gleichzeitig kann eine etwaige Rektozele zur Darstellung kommen.
EMG Das EMG des Beckenbodens und Sphinkters gibt
Informationen über die (Re-)Innervation von Muskeln und über das Ausmaß des neurogenen Schadens. Die Latenzzeit ist ebenfalls ein Indikator für eine Schädigung des N. pudendus (Rogers et al. 1989; Felt Bergsma et al. 1990). Sensibilitätsproben Diese vermitteln durch Registrierung
der Wärmeempfindung oder der Wahrnehmung von elektrischer Reizung einen Hinweis auf die Sensibilität des Analkanals.
Anale Manometrie Die anale Manometrie ermöglicht, den
35
Druck des analen Sphinkters im Ruhezustand und beim Anspannen objektiv festzustellen. Die Länge des funktionellen Analkanals kann ebenfalls gemessen werden. Zusätzlich kann durch Füllung des Rektumballons der rektoanale Inhibitionsreflex gemessen werden, der einen Hinweis für fehlende Ganglionzellen in der Darmwand bei M. Hirschsprung und für die Funktion von sensiblen und motorischen Nerven gibt.
Rektosigmoidoskopie Die Rektosigmoidoskopie dient dem Nachweis von entzündlichen Prozessen, Polypen und Tumoren, die ebenfalls die Kontinenz beeinflussen können. Der Analkanal ist mit der Sigmoidoskopie schlecht zu beurteilen, darum ist hier die Anoskopie zur Ergänzung empfehlenswert.
35.3.4
Indikation
Messung der Kapazität Eine Kapazitätsmessung des Rek-
tums ist mit dem Rektumballon möglich. Das maximale Volumen, die Compliance und der Moment, in dem der sich füllende Ballon gespürt wird, können durch Insufflation bzw. Druck- und Volumenregistrierung gemessen werden. Anale Endosonographie Die anale Endosonographie bietet
die Möglichkeit, den internen und externen Sphinkter abzubilden und zuverlässig Rupturen nachzuweisen. Ein Teil der puborektalen Muskelschlinge kann ebenfalls abgebildet werden. Ein unvermeidbarer Nachteil der anal eingeführten Sonde ist der, dass der Anus nur in geöffneten Zustand dargestellt werden kann. Eigentlich wird so nur der Zustand während des Stuhlgangs und nie der Ruhezustand abgebildet (Law u. Bartram 1989; Thakar u. Sultan 2004).
Die Kontinenz resultiert aus dem Zusammenspiel diverser Faktoren (7 Übersicht). Voraussetzungen für die anale Kontinenz 4 4 4 4 4 4 4
Intakte Sphinkteren Intakter Beckenboden Gute Compliance des Rektums Ungestörte Peristaltik und Transit des Kolons Normale Sensibilität Kognitive Funktionen Geformter Stuhlgang
637 35.3 · Therapie der Analinkontinenz
Falls einer dieser Faktoren gestört ist, hängt die Kontinenz umso mehr von der Qualität der anderen Faktoren ab. Eine Sphinkterruptur muss nicht unweigerlich zur Inkontinenz führen, wenn fester Stuhlgang und eine gute Sensibilität vorliegen. Die Wahl der Therapie hängt von der Beurteilung verschiedener Faktoren, die zusammen die Kontinenz bestimmen, ab. Aufgrund der Anamnese, dem Status und dem sinnvollen Einsatz von einigen Zusatzuntersuchungen kann man sich ein Bild des Inkontinenzproblems machen. Unsinnig ist der Einsatz aller diagnostischen Verfahren bei jedem Patienten. Vor allem die Anamnese bestimmt, welche Untersuchungen man vornehmen sollte. Da die Inkontinenz multifaktoriell beeinflusst wird, kann bei vielen Patienten mit der Wiederherstellung eines einzelnen Faktors nicht automatisch die Wiederherstellung der Kontinenz erreicht werden. Die Inkontinenz kann mit Hilfe der Anamnese, der klinischen Untersuchung und eventuell apparativen diagnostischer Verfahren erfasst und ätiologisch eingeteilt werden (7 Übersicht). Die Ursachen, der Schweregrad und die Lokalisation des defizienten Faktors bestimmen dann die Möglichkeit und Wahl der Therapie. Dazu gilt, dass primär immer die einfachste und am wenigsten invasive Therapie gewählt wird. Ätiologie der Inkontinenz 4 Trauma – Direktes Trauma – Obstetrisch – Chirurgisch 4 Kongenital – Anale Atresie – Spina bifida – M. Hirschsprung 4 Neurologisch – Zerebral (Tumor, Demenz, psychisch) – Spinal (Querschnittslähmung, Kaudasyndrom) – Peripher (Pudendusläsion) 4 Entzündlich – Perianale Fistel – Rektovaginale Fistel 4 Rektum – Rektumprolaps – Entzündliche Darmerkrankung – Tumor – Zustand nach anteriorer Rektumresektion
35.3.5
Konservative Therapie
Diät und Medikation Bei Inkontinenz, die durch Diarrhö verursacht wird, ist es sinnvoll, den Grund der Diarrhö aufzuspüren. Die am besten geeigneten Untersuchungen hierfür sind die Sigmoido- und Koloskopie, Biopsie mit pathologisch-anatomischer Untersuchung und Analyse des Stuhls. Liegt eine spezifische Entzündung vor, so ist die Therapie der ersten Wahl medikamentös. In schweren Fällen der Colitis ulcerosa und des M. Crohn kann die Chirurgie zum Einsatz gelangen (7 Kap. 32 und 33). Ist die Ursache der Diarrhö aber eine Nahrungsmittelallergie, so ist eine angepasste Diät die adäquate Therapie (7 Kap. 33). In der westlichen Welt wird vielen Patienten zu einer schlackenreichen Ernährung geraten. Dies führt bei einigen Patienten zu einem »Overshoot-Effekt« und kann dann die Ursache der Diarrhö sein. Der Wechsel zu einer schlackenarmen Ernährung ist dann für einige Patienten die Lösung des Problems. Anreicherung der Nahrung mit Schlacken mit einer begrenzten Flüssigkeitsaufnahme führt bei einigen Patienten zur Verfestigung des Stuhls. Bleiben Diäten erfolglos, so kann mit dem Einsatz von Konstipentia, z. B. Loperamid 2–12 mg/Tag, die Diarrhö bekämpft werden. Hierbei muss man aber immer an die Möglichkeit einer Pseudodiarrhö denken, wie sie beim M. Hirschsprung oder der Spina bifida auftritt. Der eingedickte Stuhl kann nicht evakuiert werden und die begleitende Pseudodiarrhö verursacht die Inkontinenz. Obstipation und Inkontinenz treten dann gleichzeitig auf. Widersprüchlicherweise behandelt man diese Form der Inkontinenz bei Pseudodiarrhö am besten mit Laxanzien (z. B. Quellmittel), eventuell mit digitaler Ausräumung des Rektums oder Einläufen.
Darmspülung Angesichts der Tatsache, dass Inkontinenz aus dem Verlust von Fäzes aus dem Kolon resultiert, ist es möglich, das Problem insofern zu lösen, dass man das Kolon präventiv mit Einläufen entleert. Durch das leere Kolon wird der Patient für einige Stunden pseudokontinent. Einläufe kann man mit handelsüblichen Phosphatklysmas, aber auch mit Leitungswasser, das mit einem Spülsack oder einer Pumpe eingebracht wird, machen. Meistens genügt dazu 1 l Wasser. Das Erreichen von Pseudokontinenz ist nicht für alle Patienten die beste Lösung. Liegt ein insuffizienter Sphinkter vor, so läuft das eingebrachte Wasser sofort wieder aus und nur das distale Rektum wird gespült. Der Stuhl im Colon descendens und Sigmoid bleibt hingegen unverändert liegen. Diese Prozedur dauert bei einigen Patienten sehr lange und noch Stunden später läuft das eingebrachte Wasser aus. Gelingt die retrograde Darmspülung nicht, so ist die antegrade Spülung eine Alternative. Ein Zugang zum Kolon wird via Appendix, Zäkum, distalem Ileum
35
638
Kapitel 35 · Proktologie
oder Colon transversum angelegt (Malone et al. 1990; Kiely et al. 1994; Hughes u. Williams 1995; Krogh u. Laurberg 1998). Appendikostomie Die Appendikostomie nach Malone
hat den Vorteil, dass es sich dabei um einen einfachen Eingriff handelt. Die Appendix kann laparoskopisch gefasst und durch eine Punktionsöffnung mit der Spitze nach außen luxiert werden. Die Appendixspitze wird schräg abgeschnitten und mit der Haut vernäht. Einer Stenosierung wird vorgebeugt, indem durch die Appendix ein Urinkatheter eingeführt wird. Nach 2 Wochen wird dieser entfernt, wobei ab diesem Zeitpunkt die Appendix 2-mal täglich mit einem Katheter intubiert werden sollte, um den Verschluss des Zugangs zu vermeiden. Direkt nach der Operation kann mit der antegraden Darmspülung begonnen werden. Die zur Entleerung des Kolons notwendige Flüssigkeitsmenge ist individuell verschieden (250–2000 cm3). Dies gilt auch für die Frequenz der Spülung. Gute Resultate dieser Technik sind bei Kindern und Erwachsenen beschrieben worden. Potentielle Probleme stellen die Leckage der Spülflüssigkeit durch die Appendix, anhaltender Abfluss der Spülflüssigkeit aus dem Anus und Infektionen peristomal dar, wodurch Stenosen des Zugangs entstehen können. Die Spülflüssigkeit kann auch resorbiert werden; Patienten mit einer Herzinsuffizienz ist dieser Eingriff darum nicht zu empfehlen.
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Biofeedbacktherapie Beruht die Inkontinenz auf einer unzureichenden Funktion von – anatomisch intaktem – Beckenboden und externem Sphinkter, so kann mit Hilfe eines aktiven Trainings die Funktion wiederhergestellt werden. Derartige Übungsprogramme sind nur dann erfolgreich, wenn man den Effekt der Übungen auch wahrnehmen kann. In der perianalen Region ist dies ohne Hilfsmittel schwer zu erreichen. Eine Sonde im Anus ermöglicht die ständige Registrierung von Druck und EMG, wodurch man über die Funktion der jeweiligen trainierten Muskeln informiert wird. Verschiedene Geräte stehen für diese Messungen zur Verfügung. Das Übungsprogramm kann mit der Insufflation eines Rektumballons, mit dem der nahende Stuhlgang simuliert werden kann, erweitert werden. Die Resultate dieser Biofeedbackübungen sind abhängig von der Intensität und der Frequenz der Übungen und der richtigen Indikation. Meistens werden diese Übungen von speziell geschulten Krankengymnastinnen begleitet. Gute Resultate dieser Technik werden beschrieben, außer der psychischen Belastung sind keine Nachteile bekannt. In der Regel wird ein Erfolg dieser Methode, wenn auch bescheiden, nach 2 Monaten beobachtet. Nur dann ist es sinnvoll, mittels Biofeedback länger zu üben.
Sakrale Nervenstimulation Die sakrale Nervenstimulation ist eine neue Technik zur Behandlung der Stuhlinkontinenz. Sie ist abgeleitet von der in der Urologie eingesetzten sakralen Neuromodulation (Matzel 1995). Der Einsatz dieser Methode führte bei Patienten mit kompletter Inkontinenz nicht nur zur Verbesserung der Harninkontinenz, sondern auch der Stuhlinkontinenz. Der Wirkmechanismus dieser neuen Therapie ist nicht vollständig verstanden; es gilt jedoch als sicher, dass die Stimulation Nerven beeinflusst, die die Harnblase, den Beckenboden, dem Urethrasphinkter, das Rektum und den analen Sphinkter hat. Wahrscheinlich werden einige Reflexe inhibiert, andere angeregt. Eine der interessantesten Einsatzmöglichkeiten dieser Therapie ist die probeweise Stimulation zur Festlegung, inwiefern eine operative Versorgung für den Patienten erfolgreich sein kann (Uludag 2004). Die Patienten müssen zunächst für 3 Wochen ein Tagebuch führen, in dem sie alle Inkontinenzepisoden festhalten. Zur genauen Beurteilung der Stuhlinkontinenz bestimmen zu können, bedarf es einer im Vergleich zur Urininkontinenz längeren Dokumentation. Die ambulante, klinische Untersuchung findet in der Heidelberger-Lagerung (Knie-Ellenbogen) statt. Zunächst erfolgt eine Lokalanästhesie im Bereich der Haut über dem Os sacrum. Anschließend wird eine Testnadel in das Foramen S3 eingeführt. Diese Nadel wird mit einem externen Stimulator verbunden. Die elektrische Nervenstimulation erfolgt mit einer hohen Stromamplitude von ca. 10 V. Damit wird die Kontraktion des muskulären Beckenbodens sichtbar gemacht. Durch die Nadel wird ein temporärer Draht eingebracht und anschließend die Nadel entfernt. Nun können weitere Stimulationen durch diesen Draht von extern verabreicht werden. Der äußere Teil des Drahtes wird gluteal an der Haut aufgeklebt, sodass der Patient die externe Stimulation zu Hause fortsetzen kann. Im weiteren Verlauf muss der Patient erneut über einen Zeitraum von 3 Wochen die Inkontinenzepisoden in einem Tagebuch festhalten, das mit dem initialen Tagebuch verglichen werden kann. Nur eine Reduktion der Inkontinenzepisoden um mindestens 50% wird als Indikation für eine definitive Stimulatorimplantation betrachtet. Die definitive Implantation kann in Vollnarkose oder in Epiduralanästhesie durchgeführt werden. In der Mittellinie über dem Os sacrum erfolgt die Hautinzision, das Foramen S3 wird freigelegt. Eine intraoperative Stimulation über eine Nadel bestätigt die korrekte Positionierung. Über eine spezielle Sonde wird die Öffnung des Foramen geweitet, sodass die definitive Elektrode 6
639 35.3 · Therapie der Analinkontinenz
eingeführt werden kann. Die Elektrode wird mit nichtresorbierbaren Nähten am Periost des Sakrum fixiert. Das andere Ende der Elektrode wird in die Subkutis über den Musculus gluteus maximus ipsilateral eingelegt. Hier wird die entsprechend nötige Tasche freipräpariert und das andere Ende des Elektrodendrahtes durch einen subkutanen Tunnel in diese Tasche gezogen. Der Elektrodendraht wird über ein Verlängerungskabel mit dem zu implantierenden Stimulator verbunden. Die Inzision wird mittels direkter Hautnaht verschlossen (Matzel 2004). Der Stimulator wird initial auf eine Amplitude von ca. 1,5 V eingestellt, der Patient kann am Tag der Operation die Klinik verlassen. Weitere ambulante Kontrollen in den ersten 30 Tagen nach Implantation sind für die definitive Programmierung des Stimulators essenziell. Eine leichte Erhöhung der Amplitude ist gelegentlich notwendig, um die Reizschwelle zu erhalten, an der der Patient den Stimulationsreiz als Kribbeln um den Anus fühlt.
Die Ergebnisse dieser Technik sind sehr gut mit einer primären Erfolgsrate von 80–90% (Matzel 2004; Vaizey 2000; Uludag 2004; Kenefick 2002; Ganio 2001). Die meisten Patienten erreichen eine weitestgehende Wiederherstellung der Kontinenz, die zumeist für etliche Jahre anhält. Die Komplikationsrate ist sehr gering, Nebenwirkungen sind problemlos beherrschbar.
35.3.6
Operative Therapie
Beruht die Inkontinenz auf dem Versagen des analen Sphinkterapparates, so stehen diverse Operationstechniken zur Verfügung, wie z. B. »sphincter repair«, »post- and »preanal repair« des Beckenbodens, Thiersch-Wire, SilasticSchlingen, aufwendige Rekonstruktion mittels Gluteusplastik, Fascia-lata-Plastik, die dynamische Grazilisplastik mit Elektrostimulation, die Implantation einer Sphinkterprothese oder die sakrale Nervenstimulation (s. oben). Im Rahmen dieses Kapitels würde es zu weit führen, alle diese Techniken zu beschreiben, es folgt hier nur eine Auswahl davon. Vorbereitung Solange das Anorektum bei Inkontinenzoperationen anatomisch intakt bleibt, ist das Anlegen einer entlastenden Ileo- oder Kolostomie nicht nötig. Tritt allerdings perioperativ eine iatrogene Perforation des Anorektums auf, kann das Anlegen eines Stomas angebracht sein. Ist bereits im Rahmen einer vorangegangen Behandlung wegen Inkontinenz ein Stoma angelegt und will man
nun in zweiter Instanz mit einem analen Eingriff versuchen, die Kontinenz wiederherzustellen, wird dieses Stoma am besten erst nach Abheilung aller perianaler Wunden wieder verschlossen. Als Vorbereitung für operative anale Eingriffe dient die Darmspülung. Diese hat den Vorteil, dass in den ersten postoperativen Tagen kein Stuhl durch den Anus passiert. Ihr Nachteil ist die Gefahr, dass während der Operation noch zurückgebliebenes Spülwasser ausläuft und das Operationsfeld verschmutzt. Ein im Rektum platzierter Tampon kann dies verhindern, er muss am Ende des Eingriffs wieder entfernt werden. Die perioperative Antibiotikaprophylaxe ist nötig. Für die Knie-Ellbogen-Lagerung des Patienten bevorzugen wir die Vollnarkose, da diese Lagerung vom wachen Patienten als sehr unangenehm erfahren wird. Die Steinschnittlage als alternative Lagerungsform des Patienten erlaubt auch Eingriffe am Sphinkter unter spinaler oder epiduraler Anästhesie.
Sphinkterrekonstruktion Eine Sphinkterrekonstruktion ist in den Fällen, in denen die Inkontinenz auf einer Unterbrechung des analen Sphinkters beruht, nötig. In der Mehrzahl dieser Fälle betrifft es Frauen mit einer Sphinkterläsion nach einer Geburt. Die Sphinkterschädigung kann auch nach Operationen an analen Fisteln oder an Hämorrhoiden auftreten. Seltener kann eine Pfählungsverletzung die Ursache der Sphinkterruptur sein. Die Lücke zwischen den Sphinkterstümpfen darf für eine erfolgreiche Wiederherstellung nicht zu groß sein. Liegt eine mehrfache Ruptur vor, so ist eine Sphinkterrekonstruktion nicht mehr möglich. Der Nutzen eines präoperativen EMG des Sphinkterrestes ist diskutabel. Es gibt Hinweise, dass ein bewiesener neurogener Schaden bei einer Sphinkterruptur das Resultat der Operation nicht wesentlich kompromittiert (Lehur et al. 1995; Engel u. Brummelkamp 1994; Briel et al. 1998; Oliveira et al. 1996; Engel et al. 1994a; Yoshioka u. Keighley 1989; Engel et al. 1994b; Pinedo et al. 1998; Leroi et al. 1997). Der Patient wird für die Sphinkterrekonstruktion in die Knie-Ellbogen- oder Steinschnittlage gebracht. Ein Urinkatheter zur Markierung der Urethra ist bei Männern wichtig, da diese sich bei der vorderen Sphinkterruptur im Operationsfeld befindet. Bei Frauen muss die Vagina jodiert werden. Die Ruptur befindet sich fast immer ventral vom Anus unterhalb der vorbestehenden Hautnarbe. Angefangen wird mit einem bogenförmigen Schnitt im Perineum ventral des Anus. 6
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Kapitel 35 · Proktologie
Die Vaginarückwand wird vom unterliegenden Narbengewebe und den Sphinkterstümpfen freipräpariert. Das digitale Abschieben der Vaginawand mit einer um den Finger gewickelten Kompresse hat den Vorteil, dass es weniger blutet als bei der scharfen Dissektion. Lateral findet man beiderseits die Muskelfasern der puborektalen Schlinge. Die Stümpfe des analen Sphinkters werden beidseitig identifiziert und über eine Länge von einigen Zentimetern freigelegt. Danach wird das Narbengewebe vom Anus gelöst und die Sphinkterstümpfe von der analen Mukosa und Submukosa befreit. Im Idealfall sind interne und externe Sphinkter gut zu unterscheiden, allerdings ist es in der Praxis umständlich, diese Strukturen voneinander zu trennen. Wichtig ist es, Anus und Rektum nicht zu perforieren, da hierdurch mit hoher Wahrscheinlichkeit rektovaginale Fisteln entstehen. Das Narbengewebe wird beiderseits bis knapp auf das vitale Muskelgewebe der Sphinkter entfernt. Die beiden Stümpfe des analen Sphinkters können überlappend mit einer Matratzennaht vernäht werden (. Abb. 35.43). Die separate Naht von internem und externem Sphinkter ist illusorisch und wird nur von wenigen Autoren beschrieben. Nach der Naht des Sphinkters können beide Schenkel der puborektalen Schlinge nach medial gerafft werden, wodurch eine zusätzliche Bedeckung zwischen Rektum/Anus und der Vagina resultiert (vordere Levatorplastik; Corman 1980). Abschließend wird die Haut wieder verschlossen. Bei einigen Frauen liegt eine schmale Hautbrücke zwischen Rektum und Vagina vor. Diese lässt sich durch eine einfache Z-Plastik verbreitern (. Abb. 35.44).
Ergebnisse Die Resultate der Sphinkterrekonstruktion sind gut und ungefähr 75% der Patienten werden kontinent. Postoperative Infektionen oder eine schwere Pudendopathie mit neurogenem Schaden des analen Sphinkters können zum Versagen der Methode führen.
> Bei Rupturen des Sphinktermuskels ist die Sphinkterrekonstruktion wegen seiner relativen Einfachheit und den guten Resultaten den komplizierteren Eingriffen wie der Grazilisplastik oder den künstlichen Sphinkteren klar vorzuziehen.
Hintere Levatorplastik Diese wird auch »post anal repair« genannt. Ursprünglich wurde sie konzipiert, um den den anorektalen Winkel zu
. Abb. 35.43 Sphinkterrekonstruktion. Bei Sphinkterläsionen werden die beiden Stümpfe der Sphinktermuskulatur mobilisiert, von Narbengewebe befreit und im Sinne einer Matratzennaht überlappend vernäht. Die Skizze zeigt die vernähten, sich überlappenden Enden des Sphinktermuskels
. Abb. 35.44 Z-Plastik zur Verbreiterung des Dammes zwischen Vagina und Rektum: links bogenförmige Inzision konvex um den Anus (A). Vor dem Hautschluss wird eine zusätzliche flache, V-förmige Inzision (– – –) ausgeführt, wobei zwei Hautlappen (B bzw. C) gebildet werden. Diese beiden Hautlappen werden auf die jeweilige Gegenseite gezogen (B‘ bzw. C‘), wie rechts dargestellt. Die Hautinzision kann nun Z-förmig vernäht werden
korrigieren (Abbas et al. 2005). Dies hat sich aber nicht bestätigt. Sie führt lediglich zu einer Verlängerung der Hochdruckzone des Analkanals. Der Patient wird in Steinschnittlage positioniert. Die Eröffnung der Haut erfolgt durch eine semizirkuläre Inzision 3 cm dorsal des Anus ungefähr auf Höhe der Spitze des Os coccygis. Von hier aus wird der externe Sphinktermuskel dargestellt, die intersphinktäre Schicht aufgesucht und der externe Sphinktermuskel vom internen Muskel dorsal abgelöst. Durch diese intersphinktäre Schicht kann nun kranial davor die Waldeyer-Faszie quer inzidiert und das Rektum nach ventral mobilisiert werden. Dabei gelingt die Darstellung des M. puborectalis und des M. ischiococcygeus. Die Schenkel der beiden Muskeln werden mit Einzelknopfnähten unter Einbezug der dorsalen Muskel6
641 35.3 · Therapie der Analinkontinenz
fasern des M. sphincter ani externus miteinander vernäht. Dadurch gelingt eine dorsale Raffung des Beckenbodens mit dorsaler Plikatur des M. sphincter ani externus.
Ergebnisse Die Langzeitresultate wurden in einer Serie von 116 Patienten von Yoshiaka publiziert (Yoshiaka u. Keighley 1989). Nach hinterer Levatorplastik wurde in diesem Patientengut eine Kontinenzrate für festen und flüssigen Stuhl von 34%, nur für festen Stuhl in 57% und überhaupt keine Besserung in 9% erreicht. Ungeachtet dieser guten Resultate beklagten sich jedoch noch 63% dieser Patienten über Stuhlschmieren. Die alleinige hintere Levatorplastik ist deshalb weitgehend wieder verlassen worden.
Vordere Levatorplastik Bei Patientinnen, die postpartal an einer neurogenen Stuhlinkontinenz ohne Sphinkterverletzung leiden, kommt häufig in der Videodefäkographie zusätzlich eine Rektozele zur Darstellung. In dieser Situation wird die vordere Beckenbodenplastik klar bevorzugt. Lagerung der Patientin in Steinschnittlage. Es wird eine bogenförmige Hautinzision zwischen Introitus und Anus durchgeführt. Anschließend wird die vaginale Hinterwand bis zur Fornix nach ventral mobilisiert und der M. sphincter ani externus ventral angeschlungen und so die beiden Schenkel des M. levator ani ventral und kranial des Sphinktermuskels gelegen dargestellt. Mit Einzelknopfnähten werden die beiden Schenkel des M. levator ani sowie einige Fasern des M. sphincter ani externus gefasst und nach Vorlegen aller Nähte von dorsal nach ventral hin geknotet, ohne die vaginale Hinterwand mitzufassen.
Ergebnisse Osterberg et al. (1996) haben die Langzeit-
resultate nach vorderer Levatorplastik in einer retrospektiven Studie aufgearbeitet. Nach einer durchschnittlichen Beobachtungszeit von 8 Jahren wurde eine gute bis sehr gute Kontinenz in 74% der 45 Patientinnen, die an einer postpartalen, neurogenen Stuhlinkontinenz litten, erreicht. Bei den 31 Patientinnen, die an einer neurogenen Stuhlinkontinenz unklarer Genese litten, wurde nur in 45% der Fälle eine gute Kontinenz erreicht.
Totale Beckenbodenplastik Wird die vordere Levatorplastik mit einer hinteren kombiniert durchgeführt, so spricht man von einer totalen Be-
ckenbodenplastik. Korsgen et al. (1997) dokumentierten eine Serie von 75 Patientinnen mit totaler Beckenbodenplastik. Dabei zeigte die Nachkontrolle, dass der Patientinnenanteil mit täglichen Inkontinenzsymptomen von 73% auf 14% abgesunken war. Deen et al. (1993) verglichen in einer randomisierten Studie die totale Beckenbodenplastik mit der alleinigen vorderen und der alleinigen hinteren Beckenbodenplastik zur Korrektur neurogener Stuhlinkontinenz. 8 von 12 Patientinnen nach totaler Beckenbodenplastik waren 24 Monate postoperativ komplett kontinent. Diese Kontinenzrate war im Vergleich zu den anderen beiden Techniken zu diesem Zeitpunkt der Nachkontrolle signifikant besser.
Dynamische Grazilisplastik In den Fällen, in denen nach einem schweren Trauma die anale Sphinktermuskulatur praktisch nicht mehr existiert, embryologisch niemals angelegt war oder nach einer misslungenen Sphinkterrekonstruktion, kann der anale Sphinkter durch autologes Material (M. gracilis, M. gluteus) oder durch eine Prothese (künstliche Sphinkter) ersetzt werden. Dasselbe gilt auch bei schwerem neurogenem Schaden, bei dem der anatomisch intakte Sphinkter funktionslos ist (Kaudasyndrom, Ausfall des N. pudendus). Diese Technik kann auch bei Patienten eingesetzt werden, die nach einer abdominoperinealen Resektion ihren Anus verloren haben und bei denen ein »colon pull through« zum Perineum ausgeführt wurde. Dieses letzte Stück Kolon wird dann mit einem oder beiden Grazilismuskeln umwickelt. Der M. gracilis, der beim Gehen oder Sporttreiben keine wichtige Funktion hat, eignet sich besonders gut für eine Sphinkterplastik. Er darf hingegen nicht denerviert oder vorher schon atroph sein. Der M. gracilis erhält die Innervation und die Blutversorgung von proximal. Der distale Teil kann daher vollständig mobilisiert werden. Der distale Anteil des Muskels wird um den Anus gewickelt und ist dann durch aktives Anspannen in der Lage, diesen zu schließen. Dieses aktive Anspannen ist insofern problematisch, als der Patient nicht in der Lage ist, diesen Muskel 24 h am Tag zu kontrahieren. Physiologisch ist dies auch nicht möglich, da der Muskel überwiegend aus schnell ermüdenden Typ-2-Fasern aufgebaut ist. Der M. gracilis dient als Hilfsmuskel beim Gehen und kann nur kurz angespannt werden. Stimuliert man den M. gracilis allerdings elektrisch, erzeugt man eine dauerhafte Kontraktion. Dadurch passt sich der Muskel allmählich an und wird unermüdbar. Dies geschieht durch Umbau von Typ-2- zu Typ-1-Muskelfasern. Die Kombination der Grazilisplastik mit der Implantation eines Pulsgenerators und Elektroden bezeichnet man als dynamische Grazilisplastik. Die dynamische Grazilisplastik ist in der Lage, die anale Sphinkterfunktion elektrisch gesteuert zu übernehmen. Wird der Stimulator mit einer Fernbedie-
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nung ausgeschaltet, entspannt sich der Muskel und die Entleerung des Rektums wird ermöglicht. Mit der Fernbedienung kann dann der Stimulator wieder eingeschaltet werden, womit sich der Muskel wieder anspannt und den Anus schließt. Der Umbau von Typ-2- zu Typ-1-Muskelfasern geschieht langsam, darum ist eine Übungsperiode von 4–8 Wochen notwendig, um eine Überbelastung des Muskels zu verhindern. Diese Technik eignet sich für Patienten, die den Stimulator bedienen können und stellt damit keine gute Variante für Kleinkinder oder demente Patienten dar (Corman 1980; Baeten et al. 1995; Williams et al. 1991; Adang et al. 1998; Baeten u. Rongen 1997; Cavina 1996; Geerdes et al. 1995; Penninckx 2004).
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Bei Männern muss präoperativ ein Urinkatheter eingelegt, bei Frauen die Vagina jodiert werden. Der Patient wird in der Steinschnittlage platziert und so abgedeckt, dass die mediale Seite von Oberund Unterschenkel bis 10 cm unter dem Knie, die untere Bauchhälfte und das Perineum frei bleiben. Durch einen medialen Schnitt im Oberschenkel wird der M. gracilis freigelegt. Die distalen Arterien und Venen werden ligiert. Dann wird die Sehne des M. gracilis bis an seine Insertion an der Tuberositas tibiae freigelegt. Durch einen kleinen Hilfsschnitt wird die Sehne distal abgelöst. Es folgt das Freilegen des proximalen Teils des Muskels bis an das neurovaskuläre Bündel, das sich immer 8 cm vom proximalen Ansatz befindet. Das neurovaskuläre Bündel muss nicht vollständig dargestellt werden; zurückbleibendes Bindegewebe behütet es vor iatrogenem Schaden. Durch bilaterale, perianale Inzision kann digital an der dorsalen Seite des Anus ein Tunnel anlegt werden, wobei das Os coccygis der Orientierungspunkt ist. Auch frontal wird digital ein Tunnel angelegt. Dies kann dann schwierig sein, wenn sich bei Patienten, die schon viele Male operiert wurden, Narbengewebe zwischen Anorektum und Vagina befindet. Die Schicht zwischen Rektum und Vagina ist sehr dünn und die Gefahr einer Perforation zum Anorektum ist hier groß. Man kann diese Komplikation vermeiden, indem ein zusätzlicher Schnitt in der Rückwand der Vagina angelegt wird. Ist der Tunnel um den Anus vollendet, wird ein subkutaner Tunnel vom Perineum zum proximalen Anteil der M. gracilis angelegt. Dieser Tunnel muss so weit sein, dass der Grazilismuskel ohne komprimiert zu werden gut hindurchpasst. 6
Der Grazilis wird nun vom Bein her umgeklappt (. Abb. 35.45), um den Anus gewickelt und das distale Sehnenende am Periost verankert. Danach werden im Oberschenkel zwei Elektroden im Muskel angebracht. Die Elektroden werden dann unter der Faszie des M. rectus durchgezogen und mit dem Schrittmacher, der subkutan eingelegt wird, verbunden. Der Schrittmacher wird erst nach 6 Wochen eingeschaltet, um dann mit den Übungen zu beginnen, um den Muskel zu Typ-1-Muskel umzubauen.
Ergebnisse Die dynamische Grazilisplastik bringt gute
Resultate. Ungefähr 75% der vorher völlig Inkontinenten werden ganz kontinent. Dies lässt sich durch anale Manometrie, Defäkographie und Testklysmas objektivieren und wird durch eine signifikante Verbesserung der Lebensqualität bestätigt. Faucheron et al. (1994) publizierten eine Serie von 22 Patienten. Davon waren 19 (86%) Patienten stuhlkontinent. Hingegen konnte nur 1 Patient (4,5%) auch flüssigen Stuhl kontrollieren.
Künstliche Sphinkter Das Indikationsgebiet für die künstlichen Sphinkter überlappt mit dem der dynamischen Grazilisplastik. Sie sind die einzige Alternative, wenn kein vitaler Muskel zur Verfügung steht. Allerdings ist diese Technik weniger geeignet, wenn der Patient schon viele perianale Infektionen erlitten hat. Das Infektionsrisiko bei künstlichen Neosphinktern ist viel größer als bei der Sphinkterplastik mit Muskulatur. Der künstliche Darmsphinkter ist eine Modi-
. Abb. 35.45 Die dynamische Grazilisplastik. Der M. gracilis wird von distal her bis vor dem Einstrahlen des neurovaskulären Bündels (V, A, N) in den Muskel mobilisiert und subkutan verlagert um den Anus geschlungen. Das distale Ende des Muskels wird auf der Gegenseite am Periost des Beckens verankert. Die Elektroden (E) werden unter der Rektusscheide durchgeführt und nahe an der Nerveneintrittsstelle am Muskel fixiert. Der Pacemaker (P) kommt subkutan in der kaudalen Bauchwand zu liegen
643 35.3 · Therapie der Analinkontinenz
fikation der schon länger bestehenden künstlichen Sphinkter der Harnwege (Christiansen u. Lorentzen 1989; O’Brian et al. 2004; Hajivassiliou u. Finlay 1998). Der künstliche Darmsphinkter besteht aus einer Silikonmanschette, die um den Anus platziert wird. Die Manschette ist über einen Schlauch mit einer Pumpe verbunden, die beim Mann im Skrotum und bei der Frau im Labium majus untergebracht ist. Über einen zweiten Schlauch ist diese Pumpe zusätzlich mit einem druckregulierenden Ballon verbunden, der im Cavum Retzii platziert wird. Das ganze System ist mit einer verdünnten Kontrastmittellösung gefüllt, sodass es auf einem Röntgenbild gut erkennbar ist. Vor der Operation sollte der Darm völlig leer sein, ein entlastendes Stoma wird nicht empfohlen. Der Patient wird in der Steinschnittlage gelagert und bilateral vom Anus werden zwei Schnitte gesetzt. Genau wie bei der dynamischen Grazilisplastik wird ein Tunnel angelegt und mit einem Messgerät die genaue Breite und Länge der zu platzierenden Manschette gemessen. Die leere Manschette der richtigen Abmessungen wird dann um den Anus gelegt und geschlossen. Der Schlauch wird subkutan zu einem Schnitt im Unterbauch geführt. Präperitoneal wird eine Tasche angelegt, in die der druckregulierende Ballon eingebracht wird. Der Ballon wird mit einer standardisierten Menge Wasser und Kontrastmittel gefüllt. Beide Schläuche werden mit der Pumpe verbunden, die dann aus dem Unterbauchschnitt zum Skrotum oder Labium gebracht wird. Die Manschette bleibt während der ersten Wochen, bis alle Wunden abgeheilt sind, leer. Erst danach wird die Pumpe aktiviert. Die Manschette füllt sich und drückt den Anus zusammen. Um das Rektum entleeren zu können, betätigt der Patient die Pumpe. Dadurch entleert sich die Manschette und der Stuhl kann den Anus passieren. Nach einigen Minuten strömt die Flüssigkeit wieder zurück in die Manschette und der Anus wird geschlossen.
Ergebnisse Die Resultate der künstlichen Sphinkter in einer Analyse der publizierten Serien von Wong et al. (1996), Christiansen u. Lorentzen (1989) und Lehur et al. (1996) zeigen eine Explantation bei 10 von 37 Patienten (27%) als Folge von Infektionen, Erosion und mechanischer Probleme. Die Kontinenzrate liegt bei 73%. Auch spätere Studien zeigen, dass in einem großen Prozentsatz der Patienten eine Verbesserung von Kontinenz und Lebensqualität erreicht werden kann.
Kolostomie Wenn keine der beschriebenen konservativen oder chirurgischen Behandlungsverfahren eine Verbesserung der Inkontinenz bietet, darf die Möglichkeit der Anlage eines Kolostomas nicht außer Betracht gelassen werden. Eine weitere Indikation, eine Kolostomie wegen Inkontinenz anzulegen, liegt bei den Patienten vor, die für jeden Gang zur Toilette hilfsbedürftig sind. Dies gilt für rollstuhlabhängige oder bettlägerige Patienten. Bei diesen Patienten ist eine Kolostomie die viel bessere Lösung als jede chirurgische partielle Wiederherstellung der Sphinkterfunktion. Die Technik für das Anlegen einer Kolostomie wegen Inkontinenz unterscheidet sich nicht von anderen Indikationen. Es ist allerdings wichtig, den Rektumstumpf zu spülen. Impaktierte Stuhlreste können nämlich zu Entzündung und Schleimabsonderung führen, wodurch der Patient immer noch pseudoinkontinent bleiben würde (Wade 1989).
35.3.7
Literatur
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35
Kapitel 35 · Proktologie
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36
Erkrankungen der Gallenwege C. Ackermann, P. Born, M. Classen, H. Feußner, F. Harder, B. Kern, S. Krähenbühl, F. Lammert, C. Looser, D. Oertli, R. Peterli, R. Schlumpf, G.A. Stalder, J. Wydler
36.1
Anatomie der Gallenwege
36.1.1 36.1.2 36.1.3 36.1.4 36.1.5 36.1.6 36.1.7
Gallenblase – 647 Extrahepatische Gallenwege – 647 Fehlbildungen und anatomische Variationen Gefäßversorgung – 649 Lymphatischer Abfluss – 650 Innervation – 650 Literatur – 650
36.2
Pathophysiologie der Gallensekretion und Motilität der Gallenwege – 650
36.2.1 36.2.2 36.2.3 36.2.4
Mechanismen der Gallenbildung – 650 Pathophysiologie der Gallenbildung – 652 Störungen der Motilität der Gallenwege – 654 Literatur – 654
36.3
Konservative Therapie der Cholezystolithiasis
36.3.1 36.3.2 36.3.3 36.3.4 36.3.5 36.3.6 36.3.7
Pathogenese und Klassifikation – 655 Klinische Symptomatologie – 656 Diagnostik – 656 Orale Litholyse mit Gallensäuren – 657 Extrakorporale Stoßwellenlithotripsie – 657 Rezidivprophylaxe und Nachsorge – 657 Literatur – 657
36.4
Endoskopische Therapie der Choledocholithiasis
36.4.1 36.4.2 36.4.3 36.4.4 36.4.5 36.4.6 36.4.7 36.4.8
Instrumentarium – 658 Techniken – 664 Diagnostik der Choledocholithiasis – 672 Indikationsstellung – 673 Ergebnisse – 674 Komplikationen – 675 Zusammenfassung und Ausblick – 676 Literatur – 676
36.5
Cholelithiasis aus chirurgischer Sicht
36.5.1 36.5.2
Epidemiologie – 679 Klinische Symptomatologie von Cholezystound Cholangiolithiasis – 679 Diagnostik – 679 Indikationsstellung und Verfahrenswahl – 680
36.5.3 36.5.4
– 647
– 648
– 655
– 658
– 678
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_36, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
36.5.5 36.5.6 36.5.7
Operationstechnik – 682 Ergebnisse – 686 Literatur – 687
36.6
Komplikationen der Cholezystolithiasis
36.6.1 36.6.2 36.6.3 36.6.4
Akute Cholezystitis – 689 Biliodigestive Fisteln – 691 Mirizzi-Syndrom – 692 Literatur – 693
36.7
Cholangitis und intrahepatische Cholelithiasis
36.7.1 36.7.2 36.7.3 36.7.4
Akute Cholangitis – 694 Papillenstenose – 695 Intrahepatische Cholangiolithiasis Literatur – 697
36.8
Gallengangszysten und Caroli-Krankheit
36.8.1 36.8.2 36.8.3 36.8.4 36.8.5 36.8.6
Epidemiologie – 698 Klassifikation – 698 Pathogenese – 699 Klinische Symptomatologie Diagnostik – 700 Literatur – 702
36.9
Endoskopische Therapie der benignen Gallenwegsstrikturen – 702
36.9.1 36.9.2 36.9.3 36.9.4 36.9.5 36.9.6 36.9.7 36.9.8
Pathogenese – 702 Klinische Symptomatologie – 703 Diagnostik – 703 Therapie – 704 Postoperative Strikturen – 707 Chronische Pankreatitis – 709 Primär sklerosierende Cholangitis – 711 Literatur – 712
36.10
Reinterventionen an den Gallenwegen
36.10.1 36.10.2 36.10.3 36.10.4 36.10.5 36.10.6 36.10.7
Unspezifische postoperative Symptome – 714 Residual- und Rezidivsteine, Störungen der Papillenfunktion Zystikusstumpfsyndrom – 715 Klassifikation der Gallenwegsläsionen – 715 Operative Therapie von Gallenwegsläsionen – 721 Ergebnisse – 725 Literatur – 726
– 689
– 694
– 696
– 698
– 700
– 714 – 715
647 36.1 · Anatomie der Gallenwege
36.1
Anatomie der Gallenwege D. Oertli
Die Kenntnis sowohl des regelhaften Verlaufes und der Gefäßversorgung der Gallenwege als auch deren Gang- und Gefäßvariationen ist für eine sichere, komplikationsarme hepatobiliäre Chirurgie essenziell.
36.1.1
det in den Ductus cysticus, der den Anschluss an den Ductus choledochus herstellt. Der Raum zwischen Leberunterfläche, Hauptgallengang und Gallenblaseninfundibulum mit der Zystikuseinmündung wird Calot-Dreieck genannt. Je nach Höhe der Einmündung des Ductus cysticus ist dieser dreieckige Raum größer oder kleiner. Hier hat der Chirurg bei der Cholezystektomie nach Eröffnung des Peritonealüberzuges den Ductus cysticus und die A. cystica aufzusuchen.
Gallenblase 36.1.2
Die Gallenblase liegt mit etwa einem Drittel ihrer Zirkumferenz der Unterfläche der Leber an. Zwei Drittel sind von Serosa bedeckt. Sie fasst ca. 50 ml Galle. Feine Gallengänge verbinden Leber und Gallenblase (Luschka-Gänge). Topographisch wird die Gallenblase in Fundus, Korpus (der Leber anliegende Abschnitt) und Infundibulum eingeteilt. Das Infundibulum – auch Hartmann-Tasche genannt – liegt nicht mehr der Leber an und ist relativ beweglich von 2 Peritonealblättern überzogen. Das Infundibulum mün-
. Abb. 36.1 Anatomie der extrahepatischen Gallenwege. 1 Ductus hepaticus dexter, 2 Ductus hepaticus sinister. Hauptgallengang: 3 Ductus hepaticus, 4 Ductus cysticus, 5 supraduodenaler Ductus choledochus, 6 retroduodenaler Ductus choledochus, 7 intrapankreatischer Ductus choledochus, 8 Papilla Vateri. Gallenblase: 9 Fundus, 10 Korpus, 11 Infundibulum, 12 direkt in die Gallenblase mündende Gallengänge
Extrahepatische Gallenwege
Die extrahepatischen Gallenwege verlaufen im Ligamentum hepatoduodenale und werden in 5 Abschnitte unterteilt (. Abb. 36.1). Am Zusammenfluss der beiden Lebergallengänge (1 und 2) beginnt der Ductus hepaticus (3), der bis zur Einmündung des Ductus cysticus (4) reicht. Distal der Einmündung des Ductus cysticus wird der Gallengang Ductus choledochus genannt und topographisch in einen supraduodenalen (5), retroduodenalen (6)
. Abb. 36.2 Topographie innerhalb des Lig. hepatoduodenale. 1 Ductus hepaticus, 2 Ductus choledochus, 3 Vena portae, 4 A. hepatica communis, 5 A. hepatica dextra, 6 A. cystica, 7 A. hepatica sinistra, 8 A. gastroduodenalis
36
648
36
Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
. Abb. 36.3a–s Varianten des Ductus cysticus. a Normale Anatomie; b fehlender D. cysticus, direkte Einmündung des Infundibulums in den D. hepatocholedochus; c parallelverlaufender D. cysticus zum
D. hepatocholedochus; d Spiralverlauf des D. cysticus um den D. hepaticus communis herum und kaudale Mündung; e–s selten beschriebene Varianten des D. cysticus. (Nach Hess 1986)
und retro- bzw. intrapankreatischen (7) Abschnitt unterteilt. An seiner Einmündungsstelle ins Duodenum besteht ein intramuraler Ductus choledochus (8) und bildet mit dem Sphincter Oddi die Papilla Vateri. Im hepatoduodenalen Ligament liegt der Hauptgallengang – auch Ductus hepatocholedochus genannt – in enger Nachbarschaft zu Blut- und Lymphgefäßen und zwar ventral der V. portae und rechts der A. hepatica propria. Diese topographische Beziehung bleibt, wenn auch weniger unmittelbar, nach kaudal zum Duodenum hin weiterhin bestehen (. Abb. 36.2). Rechts der V. portae zwischen V. cava inferior und dem Duodenum verläuft retroduodenale Anteil des Ductus choledochus. Er kann durch eine duodenale Mobilisation (Kocher-Manöver) chirurgisch dargestellt werden. Der intrapankreatische Anteil des Gallenganges ist wegen des Pankreasparenchymes und der unmittelbaren Nachbarschaft mit der sich verzweigenden A. gastroduodenalis chirurgisch kaum angehbar. Der letzte Abschnitt des Gallenganges tritt in unterschiedlich schrägem Verlauf durch die Wand des Duodenums und ist durch eine Verengung des Lumens im Bereich der Sphinktermuskulatur gekennzeichnet.
36.1.3
Fehlbildungen und anatomische Variationen
Die isolierte Agenesie der Gallenblase stellt eine Rarität dar. Ihre Prävalenz wird mit 0,007–0,13% angegeben (Faure et al. 2008; Kestenholz et al. 1997). Gallenblasenseptierungen und -duplikaturen (Häufigkeit ca. 1:4000 Autopsien; Hess 1986) oder eine vollständig intrahepatisch gelegene Gallenblase sind ebenfalls extrem selten, während eine teilweise intrahepatische Lokalisation gelegentlich vorkommt. In ca. 4% der Fälle ist die Gallenblase an einem eigentlichen Mesozystium an der Leberunterfläche relativ mobil aufgehängt und kann Torsionen erlauben und unter Umständen zu einem Gallenblasenvolvulus führen (Faure et al. 2008). Die Transposition der Gallenblase nach links mit einem Gallenblasenbett im Lebersegment III stellt eine ausgesprochene Rarität dar und ist dann mit einer intestinalen Malrotation assoziiert (Campbell et al. 1993). Die Bedeutung der Anatomie für die Chirurgie liegt vor allem in den relativ häufig vorkommenden Variationen der extrahepatischen Gallenwege (. Abb. 36.3). Die Höhe der Hepatikusgabel innerhalb des Lig. hepatoduodenale
649 36.1 · Anatomie der Gallenwege
mündet der D. cysticus erst nach einem längerstreckigen Verlauf parallel zum D. hepaticus communis (Taourel et al. 1996). In 9–15% der Fälle ist kein gemeinsamer rechtsseitiger D. hepaticus ausgebildet, sondern das Gangsystem der vorderen Lebersegmente IV und V mündet separat relativ kaudal in den D. hepaticus communis (. Abb. 36.4c). ! Cave ! Die Vereinigung des hinteren Segmentganges (aus den Lebersegmenten VI und VII) mit dem linken D. hepaticus kann als »Bifurkation« missgedeutet und der weiter kaudal einmündende rechte vordere Segmentgang leicht mit dem D. cysticus verwechselt werden (Babel et al. 2009; Northover u. Terblanche 1982; Strasberg 2008).
36.1.4
. Abb. 36.4 Varianten der Hepatikusgabelung. a Normale Anatomie der intrahepatischen Gallenwege und typische Hepatikusgabel (52%); b Mündung der beiden vorderen rechten Lebersegmentäste direkt in die Gabel im Sinne einer Trifurkation (13%); c abnorm tiefe und separate Einmündung der beiden vorderen rechten Lebersegmentäste in den D. hepaticus communis (15%)
kann sehr variabel sein (Hashimoto et al. 2002). Ebenso weicht die Mündung des Ductus cysticus in den Ductus hepatocholedochus recht häufig von den normalen Verhältnissen ab. Dieser Umstand muss bei Gallenblasen- und Gallenwegseingriffen in Betracht gezogen werden, um Gallengangsläsionen zu vermeiden (Strasberg 2008). Magnetresonanztomographische Cholangiographien zeigen, dass die Mündung des D. cysticus in 9% der Fälle abnorm kaudal und in 17% medial des D. choledochus lokalisiert sein kann. Bei 25% der untersuchten Individuen
Gefäßversorgung
Die arterielle Versorgung der Gallenwege weist so häufige Variationen auf, dass es schwierig ist, eine Normalanatomie zu beschreiben. Einige dieser Variationen haben eine große chirurgische Bedeutung und müssen dem Operateur bekannt sein. Die A. hepatica entspringt in der Regel aus dem Truncus coeliacus nach rechts in Richtung Pfortader, der sie ventral anliegt. Noch bevor sie den Leberhilus ganz erreicht, gabelt sie sich in 3 Endäste, in die Aa. hepatica dextra, media und sinistra. In ca. 20% der Individuen besteht eine aberrierende – der A. gastrica sinistra entspringende – A. hepatica sinistra, die bei einer Magenresektion gefährdet sein kann. Fast ebenso oft (in ca. 16 % der Fälle) liegt eine aberrierende A. hepatica dextra vor, die aus der A. mesenterica superior entspringt und beispielsweise bei einer Duodenopankreatektomie verletzt werden kann (Stauffer et al. 2009). In 3% der Fälle ist die aberrierende A. hepatica die einzige arterielle Blutversorgung der Leber (Hess 1986). Die arterielle Durchblutung des Hauptgallenganges erfolgt über kleine Seitenäste, die aus der A. hepatica propria oder – im kaudalen Abschnitt – aus der A. gastroduodenalis entspringen. Die Gallenblasendurchblutung erfolgt über die A. cystica und über kleine arterielle Äste im Gallenblasenbett. Die A. cystica ist entweder einfach oder doppelt angelegt, kurz oder lang. Sie verläuft entweder vor oder hinter dem rechten und linken D. hepaticus, dem D. hepaticus communis oder dem D. choledochus. Sie kann großkalibrig und einer kleinen rechten Leberarterie zum Verwechseln ähnlich sein. Sie kann sich am Gallenblasenhals aufteilen oder es handelt sich überhaupt um 2 getrennte Arterien. Läsion oder unbeabsichtigte Ligatur bzw. Klippung der A. hepatica dextra oder einer akzessorischen oder eigenständigen aberrierenden rechten Leberarterie kann in einer partiellen Leberischämie resultieren (Strasberg 2008).
36
650
Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
36.1.5
Lymphatischer Abfluss
Im Calot-Dreieck findet sich in der Regel ein dem Infundibulum der Gallenblase aufliegender größerer Lymphknoten (Mascagni-Lymphknoten). Die Lymphe der Gallenblase, die sich mit derjenigen der Leber vereinigt, zieht zu den Lymphknoten des Lig. hepatoduodenale, die zu beiden Seiten des supraduodenalen D. choledochus liegen, folgt von hier der A. hepatica communis entlang des Pankreasoberrandes und erreicht so die zöliakalen Lymphknoten. Lymphknotenmetastasen beim Gallenblasenkarzinom sind in erster Linie am D. cysticus, pericholedochal, retroportal, seltenerweise pankreatikoduodenal, zöliakal und interaortokaval zu suchen (Tsukada et al. 1997). Eine retrograde Metastasierung in den Leberhilus ist ungewöhnlich und kommt erst durch tumorbedingte Verlegung des lymphatischen Abflusses zustande.
Northover JNA, Terblanche J (1982) Applied surgical anatomy of the biliary tree. Clin Surg Intern 5:1 Stauffer JA, Bridges MD, Turan N, Nguyen JH, Martin JK (2009) Aberrant right hepatic arterial anatomy and pancreaticoduodenectomy: recognition, prevalence and management. HPB Surgery 11: 161–165 Strasberg SM (2008) Error traps and vasculo-biliary injury in laparoscopic and open cholecystectomy. J Hepatobiliary Pancreat Surg 15: 284–292 Taourel P, Bret PM, Reinhold C, Barkun AN, Atri M (1996) Anatomic variants of the biliary tree: diagnosis with MR cholangiography. Radiology 199:521–527 Tsukada K, Kurosaki I, Uchida K, Shirai Y, Oohashi Y, Yokoyama N, Watanabe H, Hatakeyama K (1997) Lymph node spread from carcinoma of the gallbladder. Cancer 80:661–667
36.2
Pathophysiologie der Gallensekretion und Motilität der Gallenwege S. Krähenbühl
36.1.6
36
Innervation
Das Lig. hepatoduodenale beherbergt ein komplexes System von autonomen Nervenfasern, dessen physiologische Bedeutung nicht letztlich geklärt ist. Der anterior gelegene Nervenplexus besteht primär aus sympathischen Fasern, die aus den paraaortalen Ganglien von Th7 bis Th10 entspringen und mit dem Plexus coeliacus, aber auch mit Vagusfasern kommunizieren. Dieser Nervenplexus umgibt vor allem die hepatischen Arterien. Das anteriore Nervengeflecht ist mit dem posterioren verbunden. Dieses umgibt die V. portae und den Gallengang. Distension von Leberkapsel und Gallenblase verursachen Schmerzen, die sich in die rechten Schulter- oder Skapularegion (3. und 4. zervikales Dermatom) projizieren können.
Die Sekretion der Galle konnte in den letzten 10 Jahren molekular charakterisiert und damit die Grundlage für das Verständnis der Mechanismen der wichtigsten Cholestasesyndrome geschaffen werden. Für die praktische Tätigkeit wichtig ist die Differenzierung zwischen intra- und extrahepatischer Cholestase sowie das Verständnis der Auswirkungen von chronischer Cholestase. Die Dysfunktion des Sphincter Oddi ist die wichtigste Ursache für eine Störung der Motilität der Gallenwege. Aufgrund der Beschwerden und objektiver Kriterien können Patienten mit SphincterOddi-Dysfunktion in verschiedene Gruppen aufgeteilt werden, was für die Einleitung einer rationalen Therapie entscheidend ist.
36.2.1 36.1.7
Literatur
Mechanismen der Gallenbildung
Kanalikuläre und duktuläre Gallenbildung Babel N, Sakpal SV, Paragi P, Wllen J, Feldman S, Chamberlain RS (2009) Iatrogenic bile duct injury associated with anomalies of the right hepatic sectoral ducts: a misunderstood and underappreciated problem. HPB Surgery; Article ID 153269, doi:10.1155/ 2009/153269 Campbell KA, Sitzmann JV, Cameron JL (1993) Biliary tract anomalies associated with intestinal malrotation in the adult. Surgery 113:312–317 Faure JP, Doucet C, Scepi M, Rigoard P, Carretier M, Richer JP (2008) Abnormalities of the gallbladder, clinical effects. Surg Radiol Anat 30: 285-290 Hashimoto M, Hashimoto M, Ishikawa T et al. (2002) Right hepatic duct emptying into the cystic duct: report of a case. Surg Endosc 16:359 Hess W (1986) Anatomie und Physiologie. In: Hess W, Rohner A, Akovbiantz A (Hrsg) Die Erkrankungen der Gallenwege und des Pankreas, 1. Piccini Nuova Libraria, Padova, S 3–42 Kestenholz PB, von Flüe M, Harder F (1997) Gallenblasenagenesie bei Erwachsenen: Eine laparoskopische Diagnose. Chirurg 68:643–645
Die Gallenbildung erfolgt sowohl kanalikulär (in den Hepatozyten) wie auch duktulär (im Gallengangsepithel), wobei bei der kanalikulären Fraktion eine gallensäurenabhängige und eine gallensäureunabhängige Komponente unterschieden werden können. Dieser Sachverhalt ist in . Abb. 36.5 schematisch dargestellt. Für jedes mMol Taurocholat, das kanalikulär sezerniert wird, steigt der Gallenfluss um ca. 8 ml. Die choleretische Potenz variiert von Gallensäure zu Gallensäure und beträgt z. B. für Norchenodeoxycholat in der Ratte 220 ml/mMol. Der gallensäureunabhängige Teil stammt sowohl aus den Hepatozyten wie auch aus den Gallengängen, und steht unter hormonaler Kontrolle. Die kanalikuläre Komponente wird durch Insulin und Glukagon sowie c-AMP-Analoga und Theophyllin stimuliert, die duktuläre durch Sekretin.
651 36.2 · Pathophysiologie der Gallensekretion und Motilität der Gallenwege
Gehalt der Leber an kleinen Gallenwegen (Duktuli) und ist unabhängig von der Sekretion von Gallensäuren (Knuchel 1989). Das spricht dafür, dass die Gallenduktuli tatsächlich an der Gallenproduktion beteiligt sind.
Molekulare Charakterisierung der Transportsysteme
. Abb. 36.5 Der Gallenfluss kann in eine gallensäurenunabhängige und in eine gallensäurenabhängige Komponente aufgeteilt werden. Die gallensäurenunabhängige Komponente stammt aus den Hepatozyten (kanalikulär) und aus den Cholangiozyten (duktulär). Die gallensäurenabhängige Komponente stammt nur aus Hepatozyten (duktulär). Die choleretische Potenz der Gallensäuren ist unterschiedlich, sie beträgt z. B. 8 ml/mmol für Taurocholat und 220 ml/mmol für Norchenodeoxycholat
Wichtige Stoffe, die gallensäureunabhängig sezerniert werden, sind z. B. Bikarbonat und Glutathion. Infusion von Sekretin führt zur Stimulation eines bikarbonatreichen Gallenflusses, sowohl beim Menschen als auch bei der Ratte. Das Ausmaß der Stimulation korreliert eng mit dem
Bei der Charakterisierung von Transportproteinen, die an der Sekretion von Galle beteiligt sind, sind in letzter Zeit entscheidende Fortschritte gemacht worden (. Tab. 36.1; Trauner 1998). Gallensäuren werden an der sinusoidalen Membran der Hepatozyten sowohl natriumabhängig wie natriumunabhängig aufgenommen. Konjugierte Gallensäuren wie z. B. Taurocholat werden vor allem natriumabhängig durch den Natrium-Taurocholat-Kotransporter (NTCP), der in der sinusoidalen Membran lokalisiert ist, in die Hepatozyten aufgenommen. Dieser Transporter ist 1991 als erstes Gallensäurentransportsystem durch Hagenbuch et al. (1991) kloniert worden. Nichtkonjugierte Gallensäuren werden ebenfalls sinusoidal v. a. natriumunabhängig aufgenommen, das entsprechende Transportprotein wurde ebenfalls kloniert und heißt OATP (»organic anion transport protein«; Jacquemin et al. 1994). Nebst Gallensäuren transportiert es interessanterweise auch andere organische Substanzen wie z. B. Bromosulfophthalein und bestimmte Medikamente. Der geschwindigkeitsbestim-
. Tab. 36.1 Für die Gallensekretion wichtige Transportproteine Bezeichnung
Lokalisation
Funktion
Natrium-Taurocholattransporter (NTCP)
Sinusoidal
Natriumabhängiger Transport von konjugierten Gallensäuren aus dem Blut in die Galle
Organischer Anionentransporter (OATP)
Sinusoidal
Natriumunabhängiger Transport von unkonjugierten Gallensäuren und anderen Substanzen
Multidrug-resistance-1 P-glycoprotein (MDR1)
Kanalikulär
ATP-abhängiger Transport vieler Substanzen in die Galle
Multidrug-resistance-3 P-glycoprotein (MDR3)
Kanalikulär
ATP-abhängiger Transport von Phosphatidylcholin
Multidrug-resistance-associated protein (MRP2, cMOAT)
Kanalikulär
ATP-abhängiger Transport von konjugiertem Bilirubin in die Galle → gallensäurenunabhängiger Fluss
Canalicular bile salt-export pump (sister of P-glycoprotein) (SPGP)
Kanalikulär
Export von Gallensäuren in die Galle → gallensäurenabhängiger Fluss
Glutathiontransporter
Kanalikulär
Export von Glutathion in die Galle (noch nicht kloniert) → gallensäurenunabhängiger Fluss
Cystic fibrosis transmembrane regulator (CFTR)
Luminale Membran
Chloridkanal, erleichtert Transport von Chlorid in die Galle
Chloride-bicarbonate anion exchanger (AE2)
Luminale Membran
Erleichtert Bikarbonattransport in die Galle → gallensäurenunabhängiger Fluss
Hepatozyten
Cholangiozyten
36
652
36
Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
mende Schritt der Sekretion von Gallensäuren liegt aber nicht auf der sinusoidalen, sondern auf der kanalikulären Seite der Hepatozyten. Schon früh ist gezeigt worden, dass die kanalikuläre Sekretion von Gallensäuren eine ATP-abhängige Funktion ist (Nishida et al. 1991). Erst kürzlich wurde aber das zugehörige Transportprotein kloniert (»canalicular bile salt export pump« oder »sister of P-glycoprotein«, SPGP; Gerloff et al. 1998). Es gehört in die Gruppe der ABC-Transporter (»ATP-binding cassette transporters«, weil diese Proteine spezielle Strukturen zum Binden und Hydrolisieren von ATP besitzen, aus dem sie die Energie zum Transport von Substraten gewinnen). Das Fehlen der Funktion des SPGP führt zu einer Form von progressiver, familiärer intrahepatischer Cholestase (PFIC Typ 2). Neben dem Gallensäureexporter gibt es im Kanalikulus weitere ABC-Transporter, die für die Gallenproduktion sehr wichtig sind. Zu erwähnen sind das »multidrug-resistance-3 P-glycoprotein« (MDR3), das Phospholipide in die Galle sezerniert (Elferink et al. 1997). Das Fehlen dieses Transporters führt ebenfalls zu progressiver, familiärer, intrahepatischer Cholestase (PFIC Typ 3). Erwähnenswert ist auch das »canalicular multidrug resistance-associated protein« (c-MOAT oder MRP2), das organische Anionen wie z. B. Bilirubindiglukuronid sezerniert. Bei Patienten mit Dubin-Johnson-Syndrom (familiäre, konjugierte Hyperbilirubinämie) fehlt dieses Protein. Wie in . Tab. 36.1 gezeigt, gibt es neben diesen Transportern eine Reihe anderer Transportsysteme, die für den kanalikulären oder duktulären Transport der Galle wichtig sind. Zukünftige Studien werden zeigen, wie sich die Expression und Funktion dieser Transportproteine bei den verschiedenen Formen der Cholestase verändert.
36.2.2
Pathophysiologie der Gallenbildung
Cholestase kann histologisch als Akkumulation von Galle in den Hepatozyten oder Gallenwegen, physiologisch als Einschränkung des Gallenflusses und klinisch als Retention von normalerweise biliär eliminierten Substanzen definiert werden. Die wichtigsten dieser Substanzen sind Bilirubin, Gallensäuren, Cholesterin und Metalle (z. B. Kupfer). Die Akkumulation dieser Substanzen in den Körperflüssigkeiten und Geweben und das Fehlen im Darm erklären die meisten Symptome bei Cholestase (s. unten). Ursachen der Cholestase Die wichtigsten Ursachen der
Cholestase sind in der folgenden Übersicht aufgeführt. Klinisch wichtig ist die Unterscheidung zwischen intra- und extrahepatischer Cholestase, was mittels Sonographie (dilatierte Gallenwege bei extrahepatischer Cholestase) und Klinik meist gelingt (oft Schmerzanamnese und Zeichen
von Cholangitis wie Fieber und Schüttelfrost bei extrahepatischer Cholestase). Eine medikamentös ausgelöste Cholestase ist eine Ausschlussdiagnose und liegt bei ca. 20% der Patienten mit Cholestase vor. Bei Patienten mit extrahepatischer Cholestase erfolgt als Zweituntersuchung meist eine ERCP oder, insbesondere im Fall eines schwer zugänglichen Gallenganges, eine MR-Cholangiographie. Bei der ERCP ist vorteilhaft, dass mit der Untersuchung auch gleich therapeutisch interveniert werden kann. Beim Vorliegen einer ätiologisch unklaren, intrahepatischen Cholestase führt eventuell eine Leberbiopsie weiter. Wichtige intrahepatische Ursachen für Cholestase 4 Hepatozyt – Hepatitis: viral, Medikamente (z. B. C17-alkylierte Steroide, Chlorpromazin, Danazol, Ciclosporin, Makrolide, Östrogene, trizyklische Antidepressiva), Toxine (z. B. Alkohol) – Zirrhose – Endotoxine (Sepsis, postoperativ) – Schwangerschaft – Totale parenterale Ernährung – Familiäre Formen der chronischen Cholestase (. Tab. 36.1) 4 Kleine Gallenwege – Primär biliäre Zirrhose/Autoimmuncholangitis – Medikamente (z. B. Carbamazepin, Chlorpromazin, Penicilline) – Akute und chronische Abstoßung nach Transplantation – »Graft versus host disease« – Biliäre Atresie – Idiopathische Duktopenie 4 Große Gallenwege – Primär sklerosierende Cholangitis – Sekundär sklerosierende Cholangitis (chronische Cholangitis, Medikamente wie z. B. Floxuridin) Wichtige intrahepatische Ursachen für Cholestase 4 Verschluss der großen Gallenwege (Stein, Tumor, Zysten, Parasiten)
Während die extrahepatische Cholestase meist kausal therapierbar ist, kann bei intrahepatischer Cholestase oft nur eine symptomatische Therapie durchgeführt werden. Ausnahmen sind die Verabreichung von Ursodeoxycholsäure (10–15 mg/kg/Tag) bei primär biliärer Zirrhose und die Lebertransplantation bei Patienten mit fortgeschrittenem Leberleiden.
653 36.2 · Pathophysiologie der Gallensekretion und Motilität der Gallenwege
Folgen der Cholestase Die wichtigsten Folgen der Cholestase sind Ikterus, Pruritus, Osteopathie, Hyperlipidämie, Hepatopathie und Malabsorption. Ikterus Neben dem Pruritus ist der Ikterus das wichtigste
Symptom, das den cholestatischen Patienten zum Arzt führt. Ein Skleren- und Hautikterus tritt erst auf, wenn das Serumbilirubin eine Konzentration von 50 μmol/l überschritten hat. Obwohl in vitro gezeigt worden ist, dass Bilirubin den Metabolismus von Lebermitochondrien hemmt (Zetterström u. Ernster 1956), gibt es beim Erwachsenen keine sicheren Hinweise, dass Bilirubin toxisch ist. Beim Neugeborenen kann wegen erhöhter Permeabilität der Blut-Hirn-Schranke bei hohen Bilirubinkonzentrationen ein Kernikterus auftretender zu einem Hirnschaden und schließlich zum Tod führen kann. Interessanterweise ist das Bilirubin ein Antioxidans (Stocker et al. 1987), allerdings ist die physiologische Bedeutung dieser Eigenschaft bis jetzt nicht klar. Erwähnenswert ist sicher die Tatsache, dass das Bilirubin bei cholestatischen Krankheiten einen prognostischen Wert hat. Patienten mit primär biliärer Zirrhose, bei denen im Abstand von 6 Monaten das Serumbilirubin >34 μmol/l beträgt, haben eine mittlere Überlebenszeit von 4 Jahren (Shapiro et al. 1979). Pruritus Die genauen Ursachen, die zum Pruritus bei Cholestase führen, sind momentan nicht geklärt. Der Umstand, dass Anionenaustauscher wie z. B. Cholestyramin wirksam sind, hat zur Annahme geführt, dass Gallensäuren dafür verantwortlich sind. Da die Konzentration der Gallensäuren in der Haut nicht mit dem Ausmaß des Pruritus korreliert (Ghent et al. 1977), sind aber wahrscheinlich andere Faktoren mitverantwortlich. Endogene Opioide könnten dabei eine Rolle spielen, weil kürzlich gezeigt werden konnte, dass Opiatantagonisten wie Naltrexon bei cholestatischem Pruritus wirksam sind (Wolfhagen et al. 1997). Therapeutisch bewährt haben sich Antihistaminika (z. B. Hydroxyzin bis 3-mal 25 mg täglich), Cholestyramin (bis 4-mal 4 g täglich) oder Naltrexon (einschleichen mit 12,5–25 mg/Tag, bis 50 mg pro Tag). In verzweifelten Fällen kommen auch Plasmapherese oder Hämoperfusion in Frage, insbesondere vor einer geplanten Transplantation. Unbehandelbarer Pruritus kann zum Suizid führen und ist deshalb eine Indikation für die Lebertransplantation. Dyslipidämie Klinischer Ausdruck der cholestatischen
Hypercholesterinämie sind Xanthome, insbesondere im Bereich der Augen (Xanthelasmen). Cholesterin wird entweder unverändert oder nach Umwandlung zu Gallensäuren fast ausschließlich biliär eliminiert, was die Hypercholesterinämie bei Cholestase erklärt. Neben der Hypercholesterinämie besteht bei cholestatischen Patienten
oft auch eine Hypertriglyzeridämie (Jahn et al. 1985). Bei Patienten mit primär biliärer Zirrhose ist die Dyslipidämie interessanterweise nicht mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko vergesellschaftet, muss also aufgrund der momentan verfügbaren Literatur nicht behandelt werden (Crippin et al. 1982). Osteopathie Schon seit langem ist bekannt, dass chro-
nische Cholestase mit einer Osteopenie und erhöhtem Frakturrisiko (v. a. der Wirbelkörper) vergesellschaftet ist. Pathophysiologisch liegt meist eine Osteoporose vor, nur selten handelt es sich um eine Osteomalazie (Hay 1995). Bei der Pathogenese könnte eine Verminderung der »insulin-like growth factors I and II« (IGF-)Konzentration eine Rolle spielen, was bei Patienten mit Leberzirrhose oder chronischer Cholestase beschrieben ist. Für das Bilirubin ist in vitro zudem gezeigt worden, dass es die Proliferation und Funktion von Osteoblasten hemmt (Janes et al. 1995). Zur Osteopenieprophylaxe sollten cholestatische Patienten zu körperlicher Betätigung angehalten und mit Kalzium und Vitamin D substituiert werden. Bei Frauen können auch niedrig dosierte Oestrogene verabreicht werden, obschon Östrogene potentiell cholestatisch sind. Zur Frakturprophylaxe bei bestehender Osteopenie scheinen sich Bisphosphonate zu eignen, wie in einer kürzlich erschienenen Studie beschrieben (Guanabens et al. 1997). Hepatopathie Eine extrahepatische Cholestase führt so-
wohl beim Tier als auch beim Menschen innerhalb von einigen Wochen zu einer Hepatopathie mit Proliferation der Gallengänge, Fibrose und schließlich sekundär biliären Zirrhose. Obwohl das Volumen der Hepatozyten konstant bleibt, sind wichtige hepatische Funktionen eingeschränkt, so z. B. die Albuminsynthese (Krähenbühl et al. 1995). Die Einschränkung der Albuminsynthese lässt sich einerseits auf eine verminderte Expression des Albumingens und wahrscheinlich auch auf Störungen im Energiemetabolismus zurückführen (Krähenbühl et al. 1994). Interessanterweise sind die meisten histologischen und funktionellen Veränderungen nach Wiederherstellung des Gallenflusses innerhalb einiger Wochen reversibel (Zimmermann et al. 1992). Malabsorption Das Fehlen von Galle im Darm führt zu
Malabsorption, insbesondere von Triglyzeriden und fettlöslichen Vitaminen. Verminderte Absorption von Triglyzeriden kann zu Steatorrhoe und schließlich Malnutrition führen. Therapeutisch können mittellangkettige Triglyzeride verabreicht werden, die galleunabhängig absorbiert werden. Ein Mangel an Vitamin K kann leicht am Sinken des Quick festgestellt werden, therapeutisch kann Vitamin K parenteral verabreicht werden. Mangelzustände von Vitamin A und E sind häufig subklinisch. Bei Erwachse-
36
654
Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
nen substituiert man nur bei klinischen Zeichen eines entsprechenden Mangels. Bei Kindern sollte gut auf neurologische Symptome eines Vitamin-E-Mangels geachtet werden (Hyporeflexie, zerebelläre Ataxie, Ophtalmoplegie, periphere Polyneuropathie); hier empfiehlt sich die prophylaktische Gabe von parenteralem Vitamin E (Sokol 1987).
36.2.3
Störungen der Motilität der Gallenwege
Grundlagen
36
Obwohl eine biliäre Dyskinesie alle größeren Gallenwege betreffen kann, wird der Begriff meist nur für Störungen der Funktion der Gallenblase und/oder des Sphincter Oddi verwendet. Da die Krankheiten der Gallenblase in den folgenden Kapiteln besprochen werden, beschränkt sich dieses Kapitel auf die Dysfunktion des Sphincter Oddi. Der Sphincter Oddi kann in einen proximalen und einen distalen Teil aufgegliedert werden. Der proximale Teil umschließt den Gallengang gerade vor dem Eintritt ins Duodenum und auch intramural, der distale ist der eigentliche Sphincter ampullae und umschließt das distale Ende des Gallengangs im Bereich der Ampulle. Die Funktion des Sphincter Oddi ist die Regulation des Gallenflusses ins Duodenum und die Verhinderung eines Refluxes aus dem Duodenum in die Gallenwege. Manometrische Studien am Menschen zeigen, dass der Sphincter Oddi spontane, phasische Kontraktionen mit einer Frequenz von ca. 4/min und einer Dauer von ca. 5 s aufweist. Es wird angenommen, dass sich das Reservoir des Sphinkters (der Raum zwischen dem proximalen und distalen Sphincter Oddi) während den Ruhephasen füllt und der Inhalt durch die Kontraktion ins Duodenum entleert wird. Die motorische Aktivität des Sphinkters steht sowohl unter neuronaler wie hormonaler Kontrolle. Cholecystokinin, Sekretin und Glukagon führen zu einer Erschlaffung des Sphinkters, währenddem Opiate einen Spasmus auslösen (Grace et al. 1990).
Klinische Symptomatik Dysfunktionen des Sphinkters äußern sich klinisch in intermittierend auftretenden Schmerzen im Bereich des rechten Oberbauches mit möglicher Ausstrahlung in den Rücken, die durch Essen fettreicher Nahrung verstärkt werden können. Dyskinesien des Sphincter Oddi sind bei 20–40 % der Patienten mit Postcholezystektomiesyndrom für die Beschwerden verantwortlich, kommen aber natürlich auch bei Patienten ohne Cholezystektomie vor (Hogan 1988). Typischerweise sind mehr Frauen als Männer betroffen. Die Beschwerden können funktionell oder durch eine organische Stenose bedingt sein; diese Differenzierung gelingt aber leider klinisch meist nicht.
Diagnostik und Klassifikation Um die Diagnose und damit auch die Behandlung zu verbessern, ist 1988 von Hogan u. Geenan eine Klassifikation geschaffen worden, die auch heute noch gültig ist. Klassifikation der Sphincter-Oddi-Dysfunktion 4 Gruppe I – Objektive Befunde: Gallengang dilatiert (>12 mm), ERCP mit verzögertem Abfluss des Kontrastmittels, pathologische Leberwerte – Meist organische Stenose – Endoskopische Sphinkterotomie oder chirurgische Sphinkteroplastik 4 Gruppe II – Nicht mehr als ein objektiver Befund (7 Gruppe I) – Organische Stenose oder funktionelle Dyskinesie – Weitere Abklärung mittels Manometrie – Therapie je nach manometrischem Befund (7 Text) 4 Gruppe III – Keine objektiven Befunde – Funktionelle Dyskinesie – Manometrie je nach Beschwerden
Therapie Eine endoskopische Sphinkterotomie oder eine chirurgische Sphinkteroplastik kommen bei Patienten der Gruppe I oder auch bei Patienten der Gruppe II mit einem basalen Sphinkterdruck >40 mmHg in Frage (Hogan u. Geenen 1988). Bei den übrigen Patienten der Gruppe II (Sphinkterdruck <40 mmHg) und Patienten der Gruppe III erfolgt primär eine medikamentöse Therapie, z. B. mit Nifedipin 3-mal 10 mg täglich (Sand et al. 1993).
36.2.4
Literatur
Crippin JS, Lindor KD, Jorgensen R et al. (1982) Hypercholesterolemia and atherosclerosis in primary biliary cirrhosis: what is the risk? Hepatology 15:858–862 Elferink RP, Tytgat GN, Groen AK (1997) Hepatic canalicular membrane 1: The role of mdr2 P-glycoprotein in hepatobiliary lipid transport. FASEB J 11:19–28 Gerloff T, Stieger B, Hagenbuch B et al. (1998) The sister of P-glycoprotein represents the canalicular bile salt export pump of mammalian liver. J Biol Chem 273:10046–10050 Ghent CN, Bloomer JR, Klatskin G (1977) Elevations in skin tissue levels of bile acids in human cholestasis: Relation to serum levels and to pruritis. Gastroenterology 73:1125–1130 Grace PA, Poston GJ, Williamson RC (1990) Biliary motility. Gut 31:571– 582
655 36.3 · Konservative Therapie der Cholezystolithiasis
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36.3
Konservative Therapie der Cholezystolithiasis F. Lammert
Die Cholezystolithiasis ist ein gutartiges Leiden: 80% der Gallensteinträger haben keine Symptome und von diesen asymptomatischen Steinträgern werden in 10 Jahren nur 20–40% symptomatisch, bei 1–3% treten Komplikationen, wie eine akute Cholezystitis oder eine biliäre Pankreatitis, auf. Auf diesen epidemiologischen Daten basiert das Therapiekonzept, dass asymptomatische Steinträger nicht behandelt werden und dass für symptomatische Patienten nur eine wenig belastende, komplikationsarme Behandlung in Frage kommt. Es wurden deshalb als Alternativen zur offenen Cholezystektomie medikamentöse Therapien entwickelt, die jedoch durch die laparoskopische Cholezystektomie weitgehend abgelöst wurden. Dennoch werden auch heute noch gelegentlich die medikamentöse, orale Steinauflösung und die extrakorporale Stoßwellentherapie für die Behandlung einzelner, speziell selektionierter Patienten eingesetzt.
36.3.1
Pathogenese und Klassifikation
Die Cholezystolithiasis ist eine der häufigsten und kostenträchtigsten gastroenterologischen Erkrankungen. 8–20% der deutschen Bevölkerung, also etwa 10 Millionen Menschen, haben Gallensteine. Die Prävalenz bei beiden Geschlechtern erhöht sich mit dem Alter; im Alter von 75 Jahren haben 20% der Männer und 35% der Frauen Gallensteine. Bei der Prävalenz lassen sich weltweit auffällige geographische Unterschiede erkennen, die zum Teil durch die Ernährung, aber auch durch genetische Faktoren bedingt sind.
Risikofaktoren für Cholesteringallensteine 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
Höheres Lebensalter Weibliches Geschlecht (w:m=2:1 bis 3:1) Gravidität, Östrogene Adipositas Forcierter Gewichtsverlust Hochkalorische ballaststoffarme Kost Totale parenterale Ernährung Hohe Serumtriglyzerid- und niedrige HDL-Spiegel Diabetes mellitus Fibrate Octreotidtherapie bei Akromegalie oder neuroendokrinen Tumoren 4 Ciclosporin A 4 Rückenmarksverletzungen 4 Magenbypass und Billroth-II-Resektion
36
656
Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
Gallenblasensteine treten signifikant häufiger (3:1) in Familien von Gallensteinträgern auf als in Familien gesunder Kontrollpersonen. Neuere Zwillingsstudien untermauern die Bedeutung der genetischen Risikofaktoren (Lammert u. Sauerbruch 2005), zu denen die Apolipoprotein-E4-Isoform (Venneman et al. 2001) und das Gen der Phospholipidexportpumpe der Leber (ABCB4) zählen (Rosmorduc et al. 2003). > 4-F-Regel für das Risiko von Cholesteringallensteinen: female, fat, forty, fertil.
Gallenblasensteine werden in Cholesterin- und Bilirubinsteine eingeteilt: 4 Cholesterinsteine bestehen zu mehr als 50% aus kristallinem Cholesterin, sind hell und machen bis zu 80% aller Gallensteine aus. 4 Bilirubinsteine bestehen vorwiegend aus polymerisierten Kalziumbilirubinat (schwarze Pigmentsteine) und enthalten weniger als 20% Cholesterin.
36
Im CT sind reine Cholesterinsteine iso- oder hypodens zur Gallenflüssigkeit, schwarze Pigmentsteine meist hyperdens. Pigmentsteine sedimentieren am Boden der Gallenblase, Cholesterinsteine schweben. Cholesteringallensteine entstehen bei einer Cholesterinübersättigung der Gallenblasengalle (Paumgartner u. Sauerbruch 1991). Als Maß der Cholesterinübersättigung der Galle wird der Cholesterinsättigungsindex (CSI) angegeben. Er ist definiert als das molare Verhältnis der Cholesterinkonzentration einer Gallenprobe zu der Konzentration, die maximal in Mizellen aus Gallensäuren und Phospholipiden gelöst werden kann. Die häufigste Ursache der Cholesterinübersättigung ist die genetisch oder exogen induzierte Hypersekretion von Cholesterin durch die Leber. Die Hyposekretion von Gallensäuren, z. B. in Folge enteralen Gallensäurenverlustes, oder Phospholipiden, z. B. in Folge eines ABCB4-Gendefekts, sind selten. Eine Hypomotilität der Gallenblase (z. B. durch Neuropathien bei Diabetes mellitus) sowie die Bildung von Gallenblasensludge, der aus Muzin und Mikrolithen besteht, begünstigen die Steinbildung. Obgleich 80% aller Gallenblasensteine Cholesterinsteine sind, liegen im höheren Lebensalter sowie in Afrika und Asien häufig schwarze Pigmentgallensteine in der Gallenblase vor. Voraussetzung für die Bilirubinpräzipitation ist die Hypersekretion von Bilirubinkonjugaten, die anschließend in der Galle gespalten werden. Die Bilirubinhypersekretion kann durch eine Bilirubinüberproduktion (Hämolyse, große Hämatome, ineffektive Erythropoese) oder eine enterohepatische Zirkulation von Bilirubin bedingt sein (Vitek u. Carey 2003). Bei Erkrankungen mit Gallensäurenverlust (M. Crohn, Mukoviszidose, Leberzirrhose, Ileozökalpolresektion, jejunoilealer Bypass) wurde
eine vermehrte enterohepatische Bilirubinzirkulation beschrieben (Vitek u. Carey 2003). Der Übertritt von Gallensäuren in das proximale Kolon führt zu einer vermehrten Löslichkeit, gesteigerten Absorption und enterohepatischen Zirkulation unkonjugierten Bilirubins mit nachfolgender Erhöhung der Bilirubinkonzentrationen in der Galle (»Hyperbilirubinobilie«).
36.3.2
Klinische Symptomatologie
60–80% der Gallensteinträger bleiben asymptomatisch, ein Viertel der Gallensteinträger entwickelt eine symptomatische Cholelithiasis. Die Wahrscheinlichkeit, Symptome zu entwickeln, beträgt in den ersten 5 Jahren nach Diagnosestellung 2% pro Jahr und verringert sich in den folgenden Jahren auf 0,5–1% (Gracie u. Ransohoff 1982). Nach erstmaliger Symptomatik bekommt die Hälfte der Patienten innerhalb eines Jahres neuerliche Schmerzattacken. Charakteristische Symptome für Gallensteine sind, abgesehen von Komplikationen, Schmerzattacken von mehr als 15 min Dauer im Epigastrium oder rechten Oberbauch, die auch in den Rücken und in die rechte Schulter ausstrahlen können (»Gallekoliken«; Neubrand et al. 2000). Nicht selten besteht Übelkeit, gelegentlich auch Erbrechen. Dyspeptische Beschwerden, Druck- und Völlegefühl, chronische abdominelle Schmerzen, Flatulenz, Unverträglichkeit von fetthaltiger Nahrung sowie Sodbrennen stehen in Abwesenheit einer Gallenkolik wahrscheinlich nicht in Zusammenhang mit Gallensteinen. Andere Ursachen müssen differenzialdiagnostisch in Betracht gezogen werden, z. B. gastroösophageale Refluxkrankheit, Reizdarmsyndrom, Gastritis, peptisches Ulkus. Das Risiko von biliären Komplikationen (Cholezystitis, Steinperforation, Gallenblasenempyem, Cholangitis, Choledocholithiasis) nach einer Gallenkolik beträgt 1–3% pro Jahr, beim asymptomatischen Steinträger jedoch nur 0,1–0,2% (Neubrand et al. 2000).
36.3.3
Diagnostik
Als Basisdiagnostik sollten bei Verdacht auf Gallenblasensteine ein Basislabor und eine Ultraschalluntersuchung des Abdomens erfolgen. Diese weist eine Sensitivität von 84–97% und eine Spezifität von 95–99% für das Erkennen von Gallenblasensteinen auf (Shea et al. 1994). Zur weiterführenden Diagnostik kommt ein CT als empfindlicher Nachweis einer Gallensteinverkalkung (z. B. vor Litholyse), bei Verdacht auf Gallenblasenempyem oder Perforation der Gallenblase und bei Adipositas sowie besonderen anatomischen Gegebenheiten in Frage.
657 36.3 · Konservative Therapie der Cholezystolithiasis
36.3.4
Orale Litholyse mit Gallensäuren
1972 wurde erstmals über die erfolgreiche Steinauflösung bei Patienten mit Gallenblasenkonkrementen durch die orale Applikation von Chenodeoxycholsäure berichtet (Danzinger et al. 1972). Das Prinzip dieser Behandlung beruht darauf, dass Chenodeoxycholsäure die Cholesterinübersättigung korrigiert und die Cholesterinkristalle sich langsam auflösen. Heute wird als Medikament Ursodeoxycholsäure (UDCA) eingesetzt (10–15 mg/kg/Tag). UDCA ist im Gegensatz zur Chenodeoxycholsäure, die zu Transaminasenerhöhungen führen kann, bis auf Diarrhöen bei höherer Dosierung nebenwirkungsfrei, hat zudem eine hepatoprotektive Wirkung und beeinflusst die Symptome günstig. > Die nichtoperative Behandlung von symptomatischen Gallenblasensteinen mittels medikamentöser Litholyse sollte nur bei unkomplizierter symptomatischer Cholezystolithiasis durchgeführt werden, wenn die Patienten den chirurgischen Eingriff ablehnen oder Kontraindikationen gegen die Operation bestehen.
Für eine Litholyse mit Gallensäuren eignen sich vorwiegend Patienten mit multiplen kleinen (<5 mm), röntgennegativen Steinen in einer gut kontrahierenden Gallenblase. Auch bei größeren Steinen (6–10 mm) kann der Versuch einer konservativen Therapie vertretbar sein, wobei die ESWL die Zeitdauer bis zur Steinfreiheit verkürzt (7 Abschn. 36.3.5). Ungefähr 5% aller symptomatischen Gallensteinträger erfüllen diese Kriterien (Strasberg u. Clavien 1992). Durch die orale Gabe von UDCA werden bei Patienten mit einer funktionstüchtigen Gallenblase (sonographisch bestimmte Ejektionsfraktion nach Reizmahlzeit >60%) akzeptable Therapieerfolge erzielt (Steinfreiheit 70–80% innerhalb von 6–12 Monaten; Neubrand et al. 2000). Die Therapiedauer beträgt je nach Steingröße 6–24 Monate. Falls nach 6 Monaten kein Ansprechen festzustellen ist, sollte die Behandlung abgebrochen werden. Die UDCA-Therapie wird nach sonographisch verifizierter Steinfreiheit noch für 3 Monate fortgesetzt.
36.3.5
Extrakorporale Stoßwellenlithotripsie
Bei der extrakorporalen Stoßwellenlithotripsie (ESWL) werden Gallensteine durch elektrohydraulisch, elektromagnetisch oder piezokeramisch außerhalb des Körpers erzeugte Schockwellen, die mittels Ultraschall oder Röntgendurchleuchtung auf das Konkrement zentriert werden, zertrümmert (Sauerbruch et al. 1986). Die Behandlung ist erfolgreich, wenn die Steine in winzige Bröckchen fragmentiert werden, da diese dann spontan abgehen oder sich
ganz auflösen können, wozu die ESWL mit einer adjuvanten UDCA-Therapie kombiniert wird. Voraussetzung zur Durchführbarkeit sind eine funktionierende Gallenblase und ein nicht verkalktes solitäres Konkrement bis zu einem Durchmesser von 2 cm (Neubrand et al. 2000). Unter diesen Voraussetzungen kann eine Steinfreiheit bei 70% der Patienten innerhalb von 6 Monaten erwartet werden. Etwa 7% aller symptomatischen Gallensteinträger erfüllen diese Kriterien (Strasberg u. Clavien 1992). Kontraindikationen sind Cholezystitis, Schwangerschaft, Koagulationsstörungen und fokale Leberkrankheiten im Behandlungsfeld. Die Behandlung verläuft nicht immer ohne Komplikationen, da bei 30% der Patienten Koliken früh nach dem Eingriff oder im späteren Verlauf auftreten. Seltener sind eine Pankreatitis (1%), eine Gallengangobstruktion (1%) oder eine vorübergehende Hämaturie (15%).
36.3.6
Rezidivprophylaxe und Nachsorge
> Der Patient ist bei der oralen Litholyse mit oder ohne ESWL auf das nicht unerhebliche Rezidivsteinrisiko hinzuweisen.
Es liegt bei Solitärsteinen <2 cm bei 33% innerhalb der ersten 5 Jahre nach erfolgreicher ESWL; bei multiplen Steinen <5 mm steigt es auf bis zu 50% innerhalb der ersten 5 Jahre an (Sackmann et al. 1994; Neubrand et al. 2000). 60% der Patienten mit Rezidivsteinen werden symptomatisch (Sackmann et al. 1994). Da diese Patienten offensichtlich eine hohe Prädisposition zur Steinentstehung besitzen, kann bei ihnen eine erneute konservative Therapie nicht empfohlen werden. Eine niederländische Studie (Venneman et al. 2001) konnte zeigen, dass die Rezidivhäufigkeit nach ESWL bei Patienten, die für das ApoE4Allel homo- oder heterozygot sind, mehr als zweifach erhöht ist. Beim symptomatischen Steinrezidiv sollte zur Cholezystektomie geraten werden. Bei asymptomatischen Rezidivsteinpatienten ist der Wert einer prophylaktischen konservativen oder operativen Therapie nicht belegt. Aus diesem Grund ist auch die regelmäßige sonographische Kontrolle nach erfolgreicher konservativer Therapie nicht notwendig.
36.3.7
Literatur
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
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36.4
Endoskopische Therapie der Choledocholithiasis P. Born, M. Classen
Gallengangssteine (. Abb. 36.6) finden sich bei ca. 20% aller Patienten mit Cholezystolithiasis (Leuschner 1990). Steine können aber nicht nur aus der Gallenblase in den Gang wandern, sondern dort, beispielsweise nach Cholezystektomie, auch neu entstehen. Abflussbehinderungen der Galle wie durch Sphinkter-Oddi-Dyskinesie oder juxtapapilläre Duodenaldivertikel hervorgerufen, aber auch Hindernisse wie eingebrachte Stents können die Steinbildung fördern. Im Gegensatz zu Gallenblasensteinen bedeutet der Nachweis von Steinen im Gang fast immer eine Behandlungsindikation. Durch die Einführung der endoskopischen Papillotomie (EPT) im Jahre 1973 war es erstmalig auf nichtoperativem Wege möglich geworden, Zugang zu den Gallenwegen zu erlangen und damit Steine aus dem Gallengang endosko6
pisch zu entfernen (Classen u. Demling 1974; Kawai et al. 1974). Diese neue, wenig invasive Methode fand rasch weite Verbreitung. Die Indikation für ERCP und EPT wurde auch auf die wichtigsten Komplikationen der Choledocholithiasis, die akute Cholangitis und die biliäre Pankreatitis ausgedehnt.
36.4.1
Instrumentarium
Endoskope Für die Durchführung einer ERCP mit ggf. sich anschließender EPT und weiteren Interventionen wie Stenteinlage oder Steinextraktion verwendet man im Regelfall Geräte mit Seitblickoptiken. Für diagnostische Zwecke und Eingriffe mit dünnkalibrigen Instrumenten (z. B. Stents bis 7 Fr) genügen Geräte mit einem Außendurchmesser von 11 mm, die über einen Arbeitskanal von 2,8 bzw. 3,2 mm Durchmesser verfügen. Für interventionelle Eingriffe, insbesondere die Einlage dickerlumiger Prothesen (bis Fr 12), oder auch für die Lithotripsie verwendet man dagegen dickere Geräte (Treatment-Geräte oder »Jumbos«) mit einem Arbeitskanal bis zu 4,2 mm bei einem Außendurchmesser von 12,5 mm. In seltenen Fällen, zumeist nach vorausgegangenen Operationen, wie beispielsweise einer langen zuführenden Schlinge nach Billroth-II-Resektion oder bei Vorliegen eines Roux-Y-Magens, werden orthograde Optiken verwendet, überwiegend Kinderkoloskope (. Abb. 36.7) und neuerdings Einzel-oder Doppelballon-Endoskope, die für die Inspektion des Dünndarms entwickelt wurden. Es ist auch möglich, die Gallenwege direkt zu inspizieren, entweder perkutan transhepatisch oder endoskopisch retrograd im Rahmen einer sog. Mother-Baby-Endoskopie. Für die perorale endoskopische Cholangioskopie (POCS) setzt man mittlerweile Cholangioskope ein, die z. B. bei einem Außendurchmesser von 3,4 mm immer noch einen Arbeitskanal von 1,2 mm aufweisen und über die üblichen Treatment-Geräte, die wesentlich besser handhabbar sind als die früher benutzten »dicken Mütter«, eingeführt werden können (. Abb. 36.8). Die neuesten Cholangioskope weisen einen noch geringeren Durchmesser (10 F) und eine weiter verbesserte Beweglichkeit der Spitze auf und sind von einem einzelnen Untersucher bedienbar (Fishman et al. 2009). Für die perkutan transhepatische Cholangioskopie (PTCS) verwendet man kürzere (38 cm) Endoskope, die zum Einsatz kommen können, sobald der auf 16 Fr dilatierte Trakt stabil genug ist. Der Durchmesser der Arbeitskanäle von in der Regel 1,0–1,2 mm ist ausreichend für den Einsatz von Lasersonden zur Steinzertrümmerung. Auch bei diesen Geräten tendiert die Entwicklung zu einer weiteren Verkleinerung des Außendurchmessers (. Abb. 36.9).
659 36.4 · Endoskopische Therapie der Choledocholithiasis
. Abb. 36.6 Choledocholithiasis – endoskopisch retrograde Darstellung
. Abb. 36.7 Endoskope: orthograde und Seitblickoptik
36
660
Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
lotom – ein Vorschnitt erfolgen; in einigen Tagen hat dann
. Abb. 36.8 »Mother-Baby«-Endoskopie
Papillotome Obwohl es mehrere Modifikationen gibt, wird überwiegend immer noch das sog. Erlanger Papillotom verwendet, ein »Pull-type«-Papillotom. Es handelt sich dabei um einen Katheter mit einem Stahldraht, der am distalen Ende einige Zentimeter vor der Gerätespitze aus dem Katheter austritt und je nach Typ kurz vor oder direkt an der Spitze wieder in den Katheter eintritt. Der Bereich vom Wiedereintritt bis an die Spitze wird als Nase bezeichnet. Ziehen an diesem Draht führt zu einer Anwinkelung der Spitze und damit einem Anspannen der Drahtsehne. Sollte die Intubation eines Ganges nicht gelingen, kann mit einem Papillotom ohne Nase – einem »Precut«-Papil-
36
. Abb. 36.9 Cholangioskop für die PTCS mit eingeführter Laserfaser
ein erneuter Intubationsversuch günstigere Erfolgsaussichten. Als Alternative kann auch ein sog. Nadelmesserpapillotom verwendet werden. Hier besteht das Gerät aus einem Katheter und einem Draht, der an der Spitze ausgefahren werden kann. Mit dieser Spitze wird vom Ostium her das Dach der Papille inzidiert. Schwierig ist dabei die Festlegung der Tiefe des Schnittes. Insbesondere in weniger geübten Händen ist mit einer erhöhten Komplikationsrate (z. B. Perforation) zu rechnen (. Abb. 36.10). Eine aktuellere »Precut«-Methode über den Pankreasgang drängt diese Vorgehensweisen allerdings zunehmend in den Hintergrund (Akashi et al. 2004). Nicht nur in schwierigen Situationen setzen sich die drahtgeführte Intubation des Gallenganges und die drahtgesicherte Papillotomie durch (Tanaka et al. 1997). Neben der weniger invasiven Vorgehensweise bietet diese Technik auch noch den Vorteil bei Unübersichtlichkeit (z. B. akute Blutung) den Zugang zum Gallengang gesichert zu halten. Beim Billroth-II-Magen ist die Durchführung einer EPT schwieriger, da aufgrund der veränderten Anatomie im Gegensatz zum üblichen Vorgehen in die »verkehrte Richtung« geschnitten werden muss. Der veränderten Anatomie kann man Rechnung tragen, indem man versucht, den Schaft des Endoskops um 180° zu drehen, um dann mit dem normalen Papillotom wieder »richtig« zu schneiden. Alternativ kann man das Nadelmesser verwenden oder die »Push-type«-Papillotome, wobei das sog. Haifischflossenpapillotom zu den bekanntesten
661 36.4 · Endoskopische Therapie der Choledocholithiasis
. Abb. 36.10 Papillotome: konventionelles Erlangen-Papillotom, Nadelmesserpapillotom, »Push-type«-Papillotom (von links nach rechts)
. Abb. 36.11 Steinkorb
zählt. Erfolgreich eingesetzt werden auch Veränderungen der konventionellen Papillotome wie beispielsweise das S-förmige Papillotom, wobei eine Veränderung der Schnittrichtung erzielt wird durch ein vollständiges Herumwickeln des Drahtes um den Katheter (Hintze et al. 1997).
Körbe Je nach anatomischer Situation und Steingröße können verschieden große Körbe (. Abb. 36.11) mit 4 oder 6 Branchen verwendet werden. Die Durchmesser variieren zwischen 15 und 45 mm. Mittlerweile stehen auch Körbe zur Verfügung, die über einen Draht geführt werden können. Immer wieder wird auch versucht, durch Modifikationen die Steuerbarkeit im Gang zu verbessern. Für besonders große Steine, die nicht extrahiert werden können, stehen spezielle Lithotripter-Körbe zur Verfügung. Sie sind aus einem durchgehenden Seilstück gefertigt (d. h. Lötstellen als potenzielle Schwachstellen liegen nicht vor), wobei das Seil stärker ist als bei normalen Korb. Wenn der Stein eingefangen ist, wird der Plastikmantel
entfernt und ein Metallgewinde aufgezogen. Wenn man jetzt den Korb zuzieht, wird der Stein gegen das Metall gedrückt und dabei zerkleinert.
Ballonkatheter Es kommen in der Routinearbeit überwiegend 2 doppellumige Modelle zum Einsatz, der Dilatations- und der Steinballon. Beim Steinballon handelt es sich um einen 5- bis 7-French-Katheter mit meist runden Ballonen (Durchmesser 9–18 mm) an der Spitze, die dazu dienen, Steinmaterial aus dem Gallengang zu entfernen. Ferner verwendet man sie zur abschließenden Kontrolle des Gallenganges nach erfolgter Steinausräumung. Mit dem aufgeblasenen Ballon wird Gang blockiert, um ein zu rasches Abfließen des Kontrastmittels zu verhindern und damit eine bessere Gangdarstellung zu erreichen (. Abb. 36.12). Der längliche Dilatationskatheter dient zur Behandlung von Stenosen oder zur Aufweitung der Papille anstelle einer EPT. Er entfaltet sich bei einem Druck von 6–8atm, im Routineeinsatz wird er bis ca. 8–12 atm aufgeblasen (. Abb. 36.13).
36
662
Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
. Abb. 36.12 Steinballon
. Abb. 36.13 Dilatationsballon
36
Drähte In der Endoskopie bedient man sich vorwiegend zweier Drahttypen, die zumeist eine Stärke von 0,035 inch haben. Für die Passage über eine Stenose oder zur Intubation der Papille nimmt man üblicherweise einen sehr flexiblen Führungsdraht z. B. aus Nickel-Titan mit einer Polyurethanummantelung. Für weitere Manipulationen, insbesondere zur Stenteinlage, ist im Anschluss das Umwechseln auf einen festeren Draht, wie beispielsweise den Teflondraht notwendig. Zunehmend kommen aber auch Drähte mit einem steifen Schaft und einer flexiblen hydrophilen Spitze zum Einsatz. Man erspart sich damit den Drahtwechsel. Allerdings ist bei sehr schwierigen Sondierungen u. E. weiterhin der Verwendung der weichen Führungsdrähte der Vorzug einzuräumen aufgrund ihrer besseren Verformbarkeit z. B. bei einer gewollten Bildung von Schlingen.
quenz 1–10 Hz) mit einem Steinerkennungssystem (»intelligenter Laser«) den vorläufigen Höhepunkt der Entwicklung darstellen (. Abb. 36.14). Bei diesem Laser wird jeder einzelne Impuls analysiert. Anhand der Reflexion des Lichtes innerhalb der ersten Nanosekunden nach Abgabe des Impulses kann unterschieden werden, ob der Laserstrahl auf ein Konkrement oder auf Gewebe getroffen ist. Im letzteren Falle wird die weitere Energieabgabe sofort abgebrochen, sodass das Gewebe keinen Schaden nimmt. Dieses Lasersystem ist das erste, das ohne direkte visuelle Kontrolle eingesetzt werden kann. Damit weist es insbesondere im Vergleich zur elektrohydraulischen Lithotripsie (EHL) einen Vorteil auf. Die EHL bewirkt zwar eine wesentlich schnellere Steindesintegration, aber sie kann nur unter optischer Kontrolle erfolgen. Aufgrund des hohen Preises haben die o. g. Lasersysteme jedoch keine weite Verbreitung gefunden.
Laserlithotripsie
Extrakorporale Stoßwellenlithotripsie (ESWL)
Es gibt verschiedene Lasersysteme, wobei die seit einigen Jahren zur Verfügung stehenden Farbstofflaser (Wellenlänge 594 nm; Laserenergie 60–150 mJ pro Puls, Pulsfre-
Die ESWL-Geräte der sog. 2. Generation benötigen für die Anwendung keine Badewanne mehr. Es genügt, den Applikator mit einem hydrophilen Gel zu bestreichen und dann
663 36.4 · Endoskopische Therapie der Choledocholithiasis
mit einer nasobiliären Sonde oder einer perkutanen transhepatischen Cholangiodrainage (PTCD) vorversorgt ist. Nach Darstellung des Konkrementes in beiden Ebenen werden die Stöße mit einer konstanten Frequenz von 100 pro Minute abgegeben, wobei meistens mit einer mittleren Energie begonnen und je nach Toleranz des Patienten auf das gerätespezifische Maximum gesteigert wird. Im Regelfall werden maximal 6000 Impulse pro Sitzung appliziert, d. h. die Untersuchung dauert ungefähr eine gute Stunde (. Abb. 36.15). Bis zur Steinfreiheit können mehrere Sitzungen erforderlich sein.
PTCD-Set
. Abb. 36.14 Farbstofflaser
direkt auf die Haut aufzubringen. Eine Analgosedierung mit entsprechender Kreislaufüberwachung ist in den meisten Fällen ausreichend. 3 verschiedene Generatoren (elektrohydraulisch, elektromagnetisch und piezoelektrisch) stehen zur Verfügung; in ihrer Effektivität haben sie sich als gleichwertig erwiesen (Schneider et al. 1991). Die Ortung der Steine im Gallengang erfolgt bei uns unter Röntgenkontrolle in 2 Ebenen. Dazu ist es für die Kontrastmittelinstallation erforderlich, dass der Patient
. Abb. 36.15 ESWL-Gerät (Röntgenortung in 2 Ebenen und Applikator)
Für die Primärpunktion zur Kontrastierung der Gallenwege verwenden wir eine Chiba-Nadel (Länge: 20 cm; Dicke 22 Gauge). Ein geeignet erscheinender Ast wird dann mit einem PTCD-Set einer Nadel mit einer 5-FrPlastikhülle (25 cm) punktiert. Die Dilatation erfolgt mit verschiedenen Bougie-Systemen, z. B. Vessel-Bougies mit aufsteigendem Durchmesser von 7–10 Fr (Länge 20 cm) und Nimura-Plastik-Bougies (60 cm) mit einer Stärke von 10–18 Fr (. Abb. 36.16). In den letzten Jahren wird bei uns nahezu ausschließlich das sog. Frimberger-Set bestehend aus Bougies, die über einen Spannguide gleiten, verwendet. Das Kernstück ist der sog. Spannguide, ein flexibler Metalldraht mit einem Durchmesser von 1,5 bzw. 2,2 mm, der sich durch Aufwickeln im gesamten Verlauf versteifen lässt (Frimberger et al. 2001). Dazu gibt es passende Plastik-Bougies (. Abb. 36.17). Mittlerweile stehen aber auch komplette Sets für die Neuanlage einer PTCD zur Verfügung. Als Drainage für die Langzeitanwendung verwendet man sog. Yamakawa-Prothesen,
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664
Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
. Abb. 36.16 PTCD-Ausstattung: Chiba-Nadel, PTCD-Nadel mit Hülle, Vessel-Bougie, Nimura-Bougie (von oben nach unten)
36
. Abb. 36.17 Frimberger-Set: Spannguide mit adaptierten Bougies unterschiedlicher Größe
deren äußeres Ende direkt auf der Hautoberfläche zu liegen kommt (. Abb. 36.18).
36.4.2
Techniken
Endoskopischen Papillotomie Der Eingriff läuft zunächst ab wie bei der diagnostischen endoskopischen retrograden Gallenwegs- und Pankreasdarstellung (ERCP). Der Patient ist im Regelfall sediert. Eine prophylaktische Verabreichung von Antibiotika erfolgt nur bei Patienten mit erhöhtem Endokarditisrisiko,
sowie bei Vorliegen eines Galleaufstaus oder Pankreaspseudozysten (Mani et al. 1997). Nach Kontrastierung der Gallenwege führt man das Papillotom, sofern es nicht bereits für die Darstellung verwendet wurde, in den Gallengang und überprüft die korrekte Lage radiologisch, wenn die Intubation nicht bereits drahtgeführt durchgeführt wurde. 6
665 36.4 · Endoskopische Therapie der Choledocholithiasis
. Abb. 36.18 Yamakawa-Prothese mit Spülansatz
Um optimal schneiden zu können, sollte nur ein Drittel bis allenfalls die Hälfte der angespannten Sehne mit Gewebe beladen sein. Dann wird die Stromabgabe ausgelöst, wobei man die Applikation stoßweise durchführt (diese Applikationsweise kann im Generator vorprogrammiert werden – »Endocut«; . Abb. 36.19). Die Schnittführung zielt in Richtung 11 Uhr, um möglichst weit von der Retroduodenalarterie entfernt zu bleiben und damit das Risiko einer Blutung so gering wie möglich zu halten. Die Schnittlänge ist der Größe der Steine, im Wesentlichen aber den anatomischen Gegebenheiten an der Papille anzupassen. Wir versuchen im Regelfall das Papillendach vollständig zu eröffnen.
Zumindest bei schwieriger Intubation des Gallenganges ist die Verwendung eines Führungsdrahtes dem sog. »precutting« vorzuziehen. Das »Precut«-Papillotom hat eine kürzere Sehne, wobei diese Sehne an der Spitze des Katheters ansetzt. Zum Einsatz kommt es, wenn der Gang nicht intubiert werden konnte. Alternativ kann auch mit dem Nadelmesser das Dach der Papille eröffnet werden. Nach dem »precut« lässt man in der Regel 1–2 Tage verstreichen, um nach Abschwellen des Gewebes einen erneuten Intubationsversuch zu unternehmen. Gerade mit dem Nadelmesser gelingt es häufiger, den Gang eröffnen, sodass dann die EPT vervollständigt werden kann. Diese Methode ist aber auch in den Händen geübter Untersucher riskanter als die konventionelle EPT. Selbst bei sehr erfahrenen Untersuchern liegen sehr unterschiedliche Präferenzen diesen beiden Methoden gegenüber vor.
> Die neue Methode des »precuts« über den pankreatischen Sphinkter verdient zunehmende Aufmerksamkeit. Nach der pankreatischen Sphinkterotomie ist die Intubation des Gallenganges in fast allen Fällen möglich (Akashi et al. 2004).
Wenn der Gang kontrastiert ist oder gar schon eine Cholangitis vorliegt, sollte man im Falle eines endoskopischen Scheiterns den Zugang zum Gallengang zu erreichen den perkutan transhepatischen Zugang wählen. Ist ein Stein in der Papille eingeklemmt (. Abb. 36.20), ist das Eröffnen der Papille mit dem Nadelmesser oft relativ einfach und gefahrlos, da das Papillendach von dem Stein angehoben wird. Hat man den Zugang zum Gallengang erreicht, wird wiederum mit einem konventionellem Papillotom der Schnitt vergrößert. Besondere Schwierigkeiten kann der Billroth-II-Magen bereiten. Aufgrund der postoperativ veränderten Anatomie ist eine um 180° gedrehte Schnittrichtung erforderlich (. Abb. 36.21). Gelingt es, die Spitze des Endoskops ebenfalls zu drehen, wird konventionell geschnitten. Ansonsten verwendet man entweder die beschriebenen modifizierten Papillotome oder typische »Push-type«-Papillotome. Alternativ wird auch oft das Nadelmesserpapillotom verwendet. Dies gilt besonders, wenn man vor der Papillotomie einen dünnen Stent einlegt . Man kann diesen dann als Leitschiene für die Schnittführung verwenden und hat zudem ein Art Schutzschild für das Messer, womit ein zu tiefes Eindringen vermieden wird. In seltenen Fällen gelingt es nicht, die Papille zu intubieren, u. U. auch nicht nach Vorschnitt oder man kann sie gar nicht finden wie beispielsweise beim Vorliegen von Duodenaldivertikeln. Man kann dann in einem sog. Ren-
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666
Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
a
> Die Erfolgsrate für die EPT reicht an die 100% heran. Komplikationen Die Komplikationsrate wird in zahl-
36
b
. Abb. 36.19a,b Endoskopische Papillotomie. a Radiologische Kontrolle eines über einen Führungsdraht platzierten Papillotoms; b endoskopisches Bild
dez-vous-Verfahren (. Abb. 36.22) den Gallengang perkutan transhepatisch punktieren, einen Draht in das Duodenum vorschieben und drahtgeführt dann die EPT durchführen. Alternativ kann der Draht auch intraoperativ im Rahmen der CHE über den D. cysticus in das Duodenum eingebracht werden.
reichen Studien relativ konstant mit ca. 10% angegeben (Freeman et al. 2004); die methodenbedingte Mortalität unter 0,5% wobei sie bei der Indikationsstellung Choledocholithiasis sogar bis auf 0,15 absinkt (Tanaka et al. 1997). Allerdings muss man durch die Intervention eine Verschlechterung der zugrundeliegenden Erkrankung berücksichtigen, sodass die 30-Tage-Mortalität mit 2,3% beziffert wird (Freeman et al. 2004). Die wesentlichsten Komplikationen sind Pankreatitis, Cholangitis und Blutung, während die Perforation eher selten beobachtet wird (Freeman et al. 2004; Tanaka et al. 1997). Es gibt eine Vielzahl an Versuchen, durch die prophylaktische Verabreichung von Medikamenten das Pankreatitisrisiko zu senken. Obwohl zumindest für NSAID positive Daten vorliegen (Elmunzer et al. 2008), hat ihre Anwendung offensichtlich keine weite Verbreitung gefunden (Dumonceau et al. 2010). Die prophylaktische Einlage eines kurzen Stents in den Pankreasgang senkt speziell bei Risikopatienten das Auftreten einer postinterventionellen Pankreatitis (Smithline et al. 1993;Tarnasky et al. 1998). Allerdings ist im Falle eines Nichtgelingens, wie aktuelle Daten zeigen, mit einem deutlichen Anstieg der Pankreatitiswahrscheinlichkeit zu rechnen (Freeman et al. 2004),
667 36.4 · Endoskopische Therapie der Choledocholithiasis
. Abb. 36.23 Sphinkteroklasie
. Abb. 36.20 In die Papille eingeklemmter Stein
. Abb. 36.21 Schema der Schnittführung bei EPT
sodass man auch hier mit endgültigen Empfehlungen wohl noch zurückhaltend sein wird. Langzeitkomplikationen sind, wenn man von den Folgen die einer noch in situ befindlichen Gallenblase absieht, insgesamt selten. Sie entstehen zumeist im Zusammenhang mit einer Restenosierung der Papille sowie einer erneuten Steinbildung (Prat et al. 1996). Zumindest bei Patienten mit gehäuften Steinrezidiven ist eine medikamentöse Prophylaxe mit Ursodesoxcholsäure zu überlegen (Yasuda et al. 1989). Insgesamt sind aber negative Auswirkungen so selten, dass früher geäußerte Bedenken des Einsatzes bei jungen Patienten mittlerweile fallen gelassen worden sind. Zur EPT gibt es 2 Alternativen, wobei die Ballondilatation in den letzten Jahren wieder vermehrt untersucht wurde, während der medikamentösen Weitstellung des Sphinkters nur eine geringe Bedeutung beigemessen wird.
Sphinkteroklasie Über einen Führungsdraht wird ein Dilatationsballon in den Gallengang eingeführt und dann aufgeblasen (. Abb. 36.23). In einer großen Vergleichsstudie (Bergman et al. 1995) waren Erfolgs- und Komplikationsraten von EPT und Ballondilatation gleich. Bei Steinen mit einer Größe über 12 mm waren aber häufiger Papillotomien notwendig geworden. > Es muss gefordert werden, dass jeder Endoskopiker, der die technisch sicherlich einfache Ballondilatation der Papille durchführt, auch prinzipiell in der Lage ist, eine EPT durchzuführen. . Abb. 36.22 Rendez-vous-Technik
Obwohl in den kontrollierten Studien (Arnold et al. 2001; Bergman et al. 1997, 2001; Prat et al. 1996; Vlavianos et al.
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668
Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
2003) die Komplikationsraten nach der Dilatation vergleichbar zur EPT sind, ist die Stellung der Dilatation letztlich immer noch nicht endgültig geklärt (Carr-Locke 2008). Hauptursache dafür sind sehr unterschiedliche Beobachtungen zum Pankreatitisrisiko (Disario et al. 1997). Zumeist wird der Einsatz bei blutungsgefährdeten Patienten (Bergman 1998), bei Rezidivstenosen nach EPT oder in unübersichtlichen Situation wie bei Papillenlage in einem Divertikel oder bei manchen Billroth-II-Situationen (Prat et al. 1996) empfohlen. Gerade bei Patienten mit Koagulopathien und Leberzirrhose ist nach Ballondilatation mit weniger Blutungskomplikationen als nach Sphinkterotomie zu rechnen (Park et al. 2004). Ferner ist nach Ballondilatation der Papille mit einer höheren Rate an Rezidivsteinen und damit assoziierten Problemen zu rechnen.
a
Medikamentöse Weitstellung des Sphinkters Manche Autoren (Uchida et al. 1997) empfehlen, die Steinextraktion nach alleiniger medikamentöser Weitung der Papille mit Nitroglyzerin. Verständlicherweise kommt dabei die mechanische Lithotripsie häufiger zum Einsatz. Diese Methode wird eine Reservemaßnahme für ausgesuchte Fälle bleiben.
Steinextraktion
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In Abhängigkeit von den anatomischen Gegebenheiten, in erster Linie aber von der Steingröße, erfolgt die Auswahl des Dormiakorbes. In der Regel verwendet man für die Extraktion kleiner Steine kleine Körbe mit 4–6 Branchen, während bei größeren Steine größere Körbe mit 4 Branchen zum Einsatz kommen. Insbesondere, wenn die Steine intrahepatisch liegen oder durch die Manipulationen in die Peripherie geschoben wurden, haben drahtgeführte Körbe Vorteile. In Analogie zur Stenteinlage wird ein Führungsdraht in das gewünschte Segment platziert und darüber dann der Korb nachgeschoben (. Abb. 36.24). Eine Alternative zur Steinextraktion mit dem Korb stellt der Ballon dar. Damit gelingt es manchmal, fixierte Steine zu mobilisieren, kleinere Steine und Gallenschlamm aus dem Gang zu entfernen. Bei größeren Steinen wird der flexible Ballon dagegen oft gegen die Wand gedrückt und passiert den Stein, ohne ihn zu extrahieren (. Abb. 36.25).
Mechanische Lithotripsie Gerade wenn man versucht, größere Steine zu extrahieren sollte man sog. Lithotripsiekörbe verwenden, um im Falle eines Scheiterns den Stein mechanisch zerkleinern zu können. Dabei wird, wenn der Stein im Korb eingefangen ist, der Griff abgeschraubt und das Gerät unter Belassen des Korbes entfernt. Nach Abziehen der Plastikhülle zieht man eine Metallhülle über den Draht und schiebt sie bis an den Stein. Das äußere Drahtende wird auf einem Gewinde auf-
b . Abb. 36.24a,b a Im Korb gefasster, noch im Gallengang befindlich; b Steinextraktion
gezogen. Beim Zuziehen des Korbes wird der Stein gegen die starre Metallhülle gedrückt und dabei zerkleinert. Die Fragmente werden anschließend in herkömmlicher Weise entfernt. Weiterentwickelte Systeme erlauben die Durchführung der Lithotripsie über das Gerät, was den Eingriff vereinfacht. Die Erfolgsraten der mechanischen Lithiotripsie werden mit über 90% angegeben (. Abb. 36.26; Leung et al. 2001; Nakajima et al. 1997).
Extrakorporale Stoßwellenlithotripsie Im Gegensatz zur Behandlung von Gallenblasensteinen wird die Therapie von Gangsteinen häufig unter radiologischer Steindarstellung durchgeführt. Deshalb muss ein
669 36.4 · Endoskopische Therapie der Choledocholithiasis
a
c . Abb. 36.25a–c Steinentfernung mittels Ballon. a Radiologische Darstellung des geblockten Ballons im Gallengang; b Steinextraktion durch Ballondurchzug; c Ballondurchzug durch Papille
titis vorzubeugen. Selbst beim Sonderfall mit in einem abgerissenen Korb eingefangenen Steinen, sollte – wenn die ESWL nicht unmittelbar zur Verfügung steht – eine Drainage platziert werden.
b
Zugang zum Gallengang, entweder eine nasobiliäre Sonde oder eine PTCD, postoperativ u. U. auch ein T-Drain vorhanden sein. Die Gallenwegsdrainage ist zudem erforderlich, um den Galleabfluss zu gewährleisten (. Abb. 36.27) und damit dem Entstehen einer Cholangitis oder Pankrea-
. Abb. 36.26 Schema der mechanischen Lithotripsie
> Bei gewährleistetem Galleabfluss und Zustand nach EPT gelingt es mit Hilfe der ESWL und anschließender konventionellen Fragmententfernung in 70–90% aller Fälle, den Gallengang steinfrei zu bekommen (Meyenberger et al. 2006; Sackmann et al. 2001), wobei die Methode als komplikationsarm gilt.
Laserlithotripsie Nur Lasersysteme mit dem sog. Steinerkennungssystem benötigen nicht unbedingt eine visuelle Kontrolle bei der Abgabe der Energie. Aber wegen der Rigidität muss die
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
a
a
b
b
36 . Abb. 36.27a,b Extrakorporale Stoßwellenlithotripsie. a Nasobiliäre Sonde; b Sonde in situ bei im Cysticusabgang eingeklemmten Stein
. Abb. 36.28a,b Perorale Cholangioskopie; b Perkutan transhepatische Cholangioskopie
Laserfaser in Fällen, in denen man sich nur auf die radiologische Kontrolle stützt, über eine Führungshülle (z. B. eine Huibregtse-Sonde) an den Stein herangeführt werden. Überwiegend erfolgt jedoch auch bei diesem System, wie bei den älteren Lasersystemen und der elektrohydraulischen Lithotripsie, die Behandlung unter Sichtkontrolle, d. h. im Rahmen einer Cholangioskopie. Dazu bedient man sich zweier Zugangswege entweder peroral (POCS) im Rahmen einer Mother-Baby-Cholangioskopie oder perkutan transhepatisch (PTCS; Neuhaus et al. 1998) (. Abb. 36.28). Diese Methode stellt einen der Hauptfaktoren dafür dar, dass die Erfolgsrate der endoskopischen Steintherapie an die 100% heranreichen kann (Neuhaus et al. 1998). Al-
lerdings ist sie durchaus zeitintensiv, und die Anschaffungskosten für den Laser sind erheblich.
Cholangioskopie Perorale Cholangioskopie Die Grundvoraussetzung für die POCS ist die ausreichende Weite der Papillotomie. Die Entwicklung dünnerer Cholangioskope hat die Intubation des Gallenganges wesentlich erleichtert. Unter Sicht wird die Lasersonde auf den Stein gerichtet. Je weiter peripher das Konkrement liegt, umso schwieriger wird der Eingriff. Denn obwohl die Cholangioskope außerhalb des Motherscopes sehr gut beweglich sind, schwindet diese Beweglichkeit im Gallengang oft auf ein Minimum. In manchen Fällen kann man versuchen das Cholangios-
671 36.4 · Endoskopische Therapie der Choledocholithiasis
der EPT. Problematisch ist, dass die kleinen Cholangioskope sehr empfindlich und reparaturanfällig sind. Perkutan transhepatische Cholangioskopie Da die perorale
Cholangioskopie davon abhängig ist, dass die Papille gut zugänglich ist, ergibt sich die Hauptindikation der PTCS in Analogie zur PTCD bei Patienten, deren Papille nicht erreicht werden konnte, z. B. nach vorangegangenen Operationen wie manche Billroth-II-Situationen, Roux-Y-Magen, Zustand nach Whipple-Operation oder nach anderen biliodigestiven Anastomosierungen. Steine, die zudem nicht selten proximal von Stenosen auftreten, können dann nur von perkutan angegangen werden (. Abb. 36.29). Was die EPT für die POCS bedeutet, stellt der perkutan transhepatische Trakt für die PTCS dar. a
b . Abb. 36.29 Zustand nach biliodigestiver Anastomose und Anastomosenstenose mit Steinmassen prästenotisch. a Frühe Füllungsphase, b späte Füllungsphase
kop über einen Führungsdraht an die gewünschte Stelle zu bringen. Hierbei hat man allerdings das Problem, dass nach Ziehen des Drahtes die rigide Lasersonde einen langen und oft gewundenen Weg nehmen soll, was nicht immer gelingt. Normalerweise wird die Lasersonde bereits bis an die Spitze des Cholangioskops geschoben und dann erst das Instrument überhaut eingeführt. Die Erfolgsaussichten der Lasertherapie sind insgesamt sehr hoch mit Raten zwischen 80–98% Steinfreiheit (Born et al. 1995), wobei aber insbesondere die Lage der Steine ausschlaggebend ist. Komplikationen durch die Cholangioskopie selbst sind kaum zu erwarten, die beobachteten Probleme sind in den allermeisten Fällen Folge
Zunächst erfolgt die Darstellung des biliären Systems. Dann wird mit der PTCD-Nadel ein möglichst peripher gelegener Ast zumeist des rechtens Systems, möglichst in Höhe der Einstichstelle punktiert, um für die sich anschließende Dilatation einen möglichst guten Schubwinkel zu sichern. Über einen steifen Führungsdraht, der mit der Spitze im Dünndarm verankert werden sollte, erfolgt die Bougierung, wobei bei uns zunächst mit VesselBougies von Fr 7 auf Fr 10 dilatiert wird. Der Trakt wird mit einem Pigtail-Katheter für einige Tage gesichert, bis dann in der 2. Sitzung mit Bougies vom Nimura-Typ die Dilatation auf 16 Fr fortgesetzt wird. Mit den Nimura -Bougies kann man den Trakt dann in den Therapiepausen auch sichern. Wieder einige Tage später, also gut 1 Woche nach Beginn der Intervention ist der Trakt stabil für die Cholangioskopie. Mittlerweile stehen bereits Cholangioskope zur Verfügung, für die ein Trakt von 12 Fr genügt. Die Bildqualität ist allerdings zuminderst jetzt noch nicht vergleichbar mit der der Standardgeräte. Mit Hilfe des Frimberger-Sets (Frimberger et al. 2001) ist es möglich, mit speziell angepassten PlastikBougies die Dilatation über einen sog. Spannguide durchzuführen. Das Versteifen dieses Führungsdrahtes durch Aufwickeln am äußeren Ende führt zu einer Begradigung der schubrichtung der Bougies sodass eine Dilatation bis Fr 16 prinzipiell bereits in einer Sitzung möglich ist. Selbst wenn dies nicht angestrebt wird, kann mit diesem Dilatationsset die Intervention wesentlich vereinfacht werden. So schwierig im Vergleich zur POCS die Anlage des Traktes ist, so einfach gestaltet sich dann die 6
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672
Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
Durchführung der perkutanen Cholangioskopie. Große, auch peripher gelegene Steine können fragmentiert, und die Teile in den Darm geschoben werden. Aufgrund der vorangegangenen Dilatationssitzungen sind zumeist auch evtl. vorhandene Stenosen beseitigt.
Die Erfolgsraten für die Behandlung von Steinen im Gallengangsbereich wie auch intrahepatisch werden mit 90– 100% (Born et al. 1997; Yasuda et al. 1989) angegeben. Die technischen Vorteile der PTCS lassen den elektiven Einsatz zu, wenn Steine intrahepatisch liegen oder wenn aufgrund der Größe zeitlich aufwendige endoskopische Manipulationen dem Patienten erspart werden sollen (. Abb. 36.30; Lee et al. 2001). Komplikationen durch die Cholangioskopie sind extrem selten; allerdings ist die Anlage des Traktes mit einer Komplikationsrate von bis zu 50% behaftet, wobei es sich jedoch zumeist um leichtere Formen handelt, wobei wiederum die Cholangitis im Vordergrund steht (Born et al. 1997). Selten kommt es zu schweren Komplikationen wie arterielle Blutung, Pneumothorax o. ä. > Die Lasertherapie unter cholangioskopischer Kontrolle insbesondere von perkutan ist eine einfache und sichere Methode der Steinentfernung, selbst wenn andere Methoden wie z. B. die ESWL (Born et al. 1995) bereits versagt haben.
36
a
b
In einer randomisierten Vergleichsstudie konnte die Überlegenheit der Lasertherapie gegenüber der ESWL belegt werden (Neuhaus et al. 1998). Da die Lasersysteme ebenso wie die ESWL-Geräte sehr teuer sind, und ihr Einsatz insgesamt nur bei einer kleinen Minderheit der Patienten mit Choledocholithiasis erforderlich ist, sollte die Anschaffung auf spezialisierte Zentren beschränkt bleiben.
36.4.3
Diagnostik der Choledocholithiasis
Kolikartige rechtsseitige Oberbauchbeschwerden, evtl. begleitet von einem Ikterus, einer Entfärbung des Stuhl und einer dunkelbraunen Verfärbung des Urins, weisen klinisch auf das Vorliegen einer Choledocholithiasis hin. Laborchemisch können ein Anstieg des Bilirubins, der alkalischen Phosphatase (AP) und der γ-GT zusätzliche Indikatoren sein. Ein Anstieg der Transaminasen und Fieber zeigen eine Cholangitis und ein Lipaseanstieg eine biliäre Pankreatitis an. Eine nicht unerhebliche Anzahl von Patienten mit Choledocholithiasis bleiben jedoch asymptomatisch und auch alle Laborparameter können unverändert sein. Somit
c . Abb. 36.30a–c Perkutan transhepatische Cholangioskopie. a Einführen des Gerätes; b Lasersonde auf ein großes Konkrement gerichtet; c Steindesintegration unter cholangioskopischer Kontrolle
ist die Diagnostik, insbesondere präoperativ, in manchen Fällen sehr schwierig. Gerade wenn die intraoperative Cholangioskopie nicht routinemäßig durchgeführt wird und das therapeutische Vorgehen aufgeteilt wird in endoskopische Gangsanierung und chirurgische Gallenblasen-
673 36.4 · Endoskopische Therapie der Choledocholithiasis
ten kleinen Steinen in der Gallenblase ist die Indikation für weiterführende Maßnahmen relativ großzügig zu stellen. Endosonographie (. Abb. 36.31) und Kernspintomographie haben die diagnostische ERCP weitgehend ersetzt (Lee u. Chung 1998; Leuschner 1990; Prat et al. 1996; Deviere et al. 1997 ). Für die MRCP wird beim Steinleiden eine Spezifität und Sensitivität von ca. 90% angegeben (Guibaud et al. 1995). Gleich gute Werte (Lachter et al. 2000; de Ledinghen et al. 1999; Palazzo 1997) liegen auch für den endoskopischen Ultraschall vor. Je nach geplanter Vorgehensweise kann man in Einzelfällen auch eine intraoperative Klärung anstreben.
36.4.4 . Abb. 36.31 Endosonographische Darstellung einer Choledocholithiasis
entfernung (therapeutisches Splitting), ist die präoperative Diagnostik besonders wichtig. Obwohl in Studien immer wieder spezielle Laborwerte (Wang et al. 2001), einzelne Untersuchungen wie die i.v. Galle, der transabdominelle wie auch der endoskopische Ultraschall oder die ERCP als sehr aussagefähig hervorgehoben werden, muss man immer noch einräumen, dass alle Methoden zum Teil gravierende Mängel aufweisen (Neuhaus 1997). > Die ERC, der diagnostische Goldstandard, kann nicht mehr für das routinemäßige präoperative Screening empfohlen werden (Classen et al. 2002), da die Komplikationen zu hoch sind und in der MRCP und Endosonographie gleichwertige wesentlich risikoärmere Methoden zur Verfügung stehen (Mark et al. 2002).
Zudem ist auch die Interpretation in manchen Situationen durchaus problematisch. Beispielsweise ist bekannt, dass in einem erweiterten Gang durchaus sehr leicht Steine übersehen werden können, und selbst im schlanken Gang kleine Steine (sog. Mikrolithen) in bis zu 10% der Fälle erst nach Papillotomie zum Vorschein erkannt werden (Eimiller at al. 1988; Neuhaus et al. 1993). In der Praxis wird man eine Zusammenschau mehrerer Untersuchungsergebnisse durchführen. Unabhängig, ob Symptome vorliegen oder nicht, wird man präoperativ eine Labor- und eine Ultraschalluntersuchung veranlassen. Im Falle eines erweiterten Ganges (Kruis et al. 1997), pathologischer Laborwerte oder suspekter Klinik muss die weitere Diagnostik individuell gestaltet werden. Gerade bei typischer Symptomatik und sonographisch festgestell-
Indikationsstellung
Choledocholithiasis Aufgrund der möglichen Risiken einer Choledocholithiasis – kurzfristig Entstehung einer Cholangitis oder biliären Pankreatitis und langfristig Leberveränderungen bis hin zur sekundär biliären Zirrhose – ist der alleinige Steinnachweis im Gang Indikation zur Behandlung. Allerdings steht in der aktuellen S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheit und der Deutschen Gesellschaft für Viszeralchirurgie, dass asymptomatische Gallengangssteine ebenfalls behandelt werden können, aber nicht zwingend therapiert werden müssen, da der Krankheitsverlauf benigner zu sein scheint. Weniger als die Hälfte der betroffenen Patienten werden symptomatisch und mehr als 20% der Steine (allerdings nur bei einer Größe bis zu 8 mm) gehen spontan ab (Lammert et al. 2007). Einschränkend wird aber im Kommentar das Fehlen von prospektiven Langzeitdaten betont. Zu klären ist die Vorgehensweise. 4 Bei Patienten, deren Gallenblase bereits entfernt ist, wird man heute im Regelfall immer die endoskopische Therapie wählen. 4 Befindet sich die Gallenblase dagegen noch in situ, bestehen mehrere Vorgehensmöglichkeiten (. Abb. 36.32). Die offene Operation mit Gangrevision wird heute nur noch selten durchgeführt. Die laparoskopische Gangsanierung stellt in Abhängigkeit von den lokalen Gegebenheiten und auch der Lage und Größe der Steine die wesentliche Alternative zu dem immer noch am häufigsten gewählten Vorgehen dem sog. therapeutischen Splitting, bestehend aus endoskopischer Gangsanierung und anschließender laparoskopischer Cholezystektomie (CHE) dar. Welchen Stellenwert die intraoperative ERC/EPT mit Steintherapie im Sinne einer »Singlestep«-Intervention erlangen wird, bleibt abzuwarten (Ghazal et al. 2009).
36
674
Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
ist. Als Ursache liegt zumeist eine Obstruktion der Gallenwege zugrunde, wobei Steine und Tumore, sowie nach vorangegangenen Eingriffen okkludierte Stents und Anastomosenstenosen im Vordergrund stehen. Unter der bereits vor der Untersuchung begonnenen Antibiotikatherapie wird der Gallengang dargestellt, wobei im Akutzustand ein Prallfüllen mit Kontrastmittel vermieden werden sollte, um eine vermehrte Keimeinschwemmung in die Blutbahn zu vermeiden. Falls Steine die Ursache der Obstruktion darstellen, kann bei kritisch Kranken zunächst das Vorgehen auf die Einlage einer NBS limitiert werden, ansonsten jedoch erfolgt EPT und Steinausräumung nach Möglichkeit in gleicher Sitzung (. Abb. 36.33; Lee u. Chung 1998).
Biliäre Pankreatitis . Abb. 36.32 Choledocholithiasis und Steingallenblase in situ
36
Neben der Cholangitis stellt die biliäre Pankreatitis die zweite gefährliche Akutkomplikation der Choledocholithiasis dar. Ein Stein im Papillenniveau, der den Abfluss des Pankreassaftes behindert, und zusätzlich eine durch die Gallenwegsobstruktion ausgelöste Cholangitis, die die Situation aggraviert, werden als ursächliche Faktoren diskutiert; letztendlich ist aber die Pathogenese noch nicht vollständig geklärt. Die Verbesserung in der Diagnostik der Choledocholithiasis hat dazu geführt, dass der Anteil der biliären Genese an der Gesamtzahl aller Pankreatitiden deutlich höher eingeschätzt wird als früher – man geht davon aus, dass ca. 2/3 bis 3/4 aller Pankreatitiden biliären Ursprungs sind (Raraty et al. 1997). Wie bereits erwähnt, sind es gerade die schwer zu erkennenden kleinen Steine (Mikrolithen bis 5 mm), die häufig eine Pankreatitis auslösen (Eimiller et al. 1988). Neben der konventionellen Therapie der akuten Pankreatitis ist der Einsatz der ERCP immer noch Gegenstand teils heftiger Debatten.
36.4.5 . Abb. 36.33 Cholangitis; Entleerung von Eiter nach EPT
Immer noch nicht endgültig geklärt ist, bei welchen Patienten und in welchem Alter man sich auf die alleinige endoskopische Steintherapie beschränken und die Gallenblase in situ belassen kann (Hartmann et al. 2008).
Cholangitis Die Infektion der Gallenwege, die sich klassischerweise in Fieber, rechtsseitigen Oberbauchschmerzen und Ikterus äußert (Lee u. Chung 1998), stellt einen Notfall dar, dessen Behandlung zunehmend aus den Händen der Chirurgen in die der endoskopisch tätigen Internisten übergegangen
Ergebnisse
Choledocholithiasis Bei ca. 95% aller Patienten mit Choledocholithiasis gelingt eine suffiziente EPT. Bei insgesamt 80–90% aller Patienten kann man mit konventionellen Maßnahmen (Dormiakorb und Ballon) eine Steinfreiheit des Gallenganges erreichen (Cotton 1993). Wenn bei den verbleibenden sog. schwierigen Steinen, vor allen in spezialisierten Zentren, zusätzliche Maßnahmen wie mechanische, elektrohydraulische und Laserlithotripsie sowie die ESWL herangezogen werden, gelingt es heute in fast 100% der Fälle, Steinfreiheit zu erzielen. Im Vergleich zur offenen chirurgischen Intervention hat sich die Endoskopie insbesondere bei Risikopatienten als zumindest gleichwertig erwiesen (Sivak 1989; Neoptolemos et al. 1988).
675 36.4 · Endoskopische Therapie der Choledocholithiasis
Wie in der Diagnostik die intraoperative Gallenwegsdarstellung, so gewinnt auch die intraoperative Sanierung der Gallenwege auf laparoskopischen Weg zunehmend an Bedeutung. Selbst bei endoskopisch nicht entfernbaren Steinen hat sich diese neue Methode bereits bewährt (Poole et al. 1997). Dennoch wird im Augenblick noch, nicht zuletzt auch unter dem Aspekt der postoperativen Komplikationen, eine suffiziente Endoskopie vorausgesetzt, dem therapeutischen Splitting vielerorts der Vorzug gegenüber der laparoskopischen Cholezystektomie mit gleichzeitiger Choledochusrevision eingeräumt (Gundlach et al. 1996). Für Hochrisikopatienten, für die eine endoskopische Steinentfernung nicht in Frage kommt und eine Operation sowieso ausgeschlossen ist, wird eine alleinigen Stenteinlage vorgeschlagen (Dalton u. Chapman 1995; Jain et al. 2000). In der Akutphase ist diese Maßnahme sicherlich sehr effektiv. Allerdings muss man bei einer Langzeitanwendung der Stenttherapie aufgrund rezidivierender Probleme von Seiten der Gallenwege (Cholangitis; Bergman et al. 1997; Chopra et al. 1996) mit einer nicht unerheblichen Komplikationsrate rechnen, sodass eine definitive Sanierung des Gallenganges, sobald es dem Patienten zumutbar erscheint, angestrebt werden sollte (Lammert et al. 2007).
Cholangitis In einer Metaanalyse (Classen et al. 1997) erwies sich die endoskopische Behandlung in 89,8% als erfolgreich, mit einer Mortalität von 2%. Diese Studie bestätigte auch Einzeldaten, die den Zeitfaktor betonten und bei frühzeitiger (innerhalb von 24 h bzw. spätestens 72 h) Intervention eine Verbesserung der Ergebnisse beobachteten (Boender et al. 1995; Chak et al. 2000; Classen et al. 1997). In der Behandlung kommt der nasobiliären Sonde (NBS) eine besondere Bedeutung zu. Zum einen gewährt sie den Galleabfluss, wenn die Steine nicht entfernt werden konnten, zweitens erlaubt sie eine einfache Kontrolle nach vermeintlich vollständiger Steinentfernung, ohne erneute Belästigung des Patienten durch das Endoskop und drittens ermöglicht sie eine Spülung des Gallenganges. Die Endoskopie, die möglichst frühzeitig erfolgen sollte, hat sich aufgrund der geringeren Invasivität der Notfallchirurgie als überlegen erwiesen (Lai et al. 1992). Gelingt die endoskopische Sanierung des Gallenganges nicht, ist in Abhängigkeit von den lokalen Gegebenheiten eine PTCD oder die chirurgische Sanierung der Gallenwege anzustreben.
Biliäre Pankreatitis Es gab lange nur 4 kontrollierte Studien zum Effekt der Endoskopie bei Patienten mit biliärer Pankreatitis (Neoptolemos et al. 1988; Fan et al. 1993; Nowak et al. 1995; Fölsch et al. 1997). Während die Studien der ersten 3 genannten Autoren einen Vorteil für die Patienten, allerdings zum Teil
sehr unterschiedlich ausgeprägt, fanden zeigte sich in der Fölsch-Studie bei den endoskopierten Patienten sogar ein nachteiliger Effekt. Auch neuere Studien kamen wieder zu unterschiedlichen Ergebnissen (van Santvoort et al. 2009; Oria et al. 2007; Pezzili et al. 2009). In den Fällen, in denen eine begleitende Cholangitis vorliegt, ist die Indikation zur frühzeitigen endoskopischen Gangsanierung jedoch unumstritten. Bei milde verlaufenden Pankreatitiden ohne Hinweise für eine Begleitcholangitis besteht zumindest keine Indikation für eine notfallmäßig durchzuführende ERCP mit Steintherapie (Kapetanos 2010). Die Empfehlungen der bereits zitierten S3-Litlinie lauten ähnlich. Allerdings wird bei persistierendem Steinnachweis auch bei leichter Verlaufsform eine Steinentfernung als Pankreatitisrezidivprophylaxe angeraten wobei der Zeitpunkt für die Intervention aber offen gehalten wird (Lammert et al. 2007). Der prophylaktische Effekt der EPT bei rezidivierenden Schüben einer biliären Pankreatitis ist belegt (Siegel et al. 1994). Bei Patienten mit Zustand nach biliärer Pankreatitis und Steingallenblase in situ ist – auch wenn nach EPT und erfolgreicher Steinentfernung die Gefahr eines Rezidivs geringer ist (Raraty et al. 1997) – die Indikation zur Cholezystektomie großzügig zu stellen. Die Einführung der laparoskopischen CHE hat zu einem Rückgang der postoperativen Rate an biliären Pankreatitiden geführt (Z’graggen et al. 1997); falls sie dennoch auftritt, ist die ERCP mit EPT unverändert indiziert.
36.4.6
Komplikationen
Akutkomplikationen Diese sind in der Regel Folge der
Papillotomie. Wie schon ausgeführt liegt in der bislang größten prospektiven Studie die Gesamtkomplikationsrate bei 9,8%, wobei die Pankreatitis mit 5%, gefolgt von der Blutung mit 2%, im Vordergrund steht (Freeman et al. 1996). Patientenbezogene Faktoren, die zu einer Steigerung des Risikos führen, sind das Vorliegen einer SphinkterOddi-Dyskinesie und die Leberzirrhose. Methodenassoziiert erhöhen schwierige Intubationsbedingungen der Papille, die Anwendung von »Precut«-Methoden und das perkutan transhepatische Vorgehen die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Komplikationen (Mehta et al. 1998). Langzeitkomplikationen Spätfolgen können in bis zu 20%
nach EPT auftreten. Eine Restenosierung der Papille, Steinrezidive und Cholangitis stehen dabei im Vordergrund, sind aber im Regelfall endoskopisch gut beherrschbar (Wojtun et al. 1997; Hawes et al. 1990; Frimberger 1998). Verbliebene Gallenblase nach EPT Im Regelfall wird man
nach einer EPT bei Patienten mit Gallenblase eine Opera-
36
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
tion empfehlen. Allerdings werden immer wieder Altersgrenzen oder Begleiterkrankungen diskutiert, bei denen abweichend die Gallenblase belassen werden soll oder kann. Bei diesen Patienten ist aber mit einem erhöhten Risiko von Problemen sowohl von Seiten der Gallenblase als auch dem Gallengang zu rechnen (Boerma et al. 2002).
36.4.7
Zusammenfassung und Ausblick
Die Choledocholithiasis kann sich unter verschiedenen Erscheinungsbildern manifestieren. Die Palette reicht vom beschwerdefreien Patienten mit einem von Steinen ausgemauerten Choledochus bis hin zur nekrotisierenden Pankreatitis hervorgerufen durch ein winziges Konkrement im Papillenbereich. In der Diagnostik haben Laboruntersuchungen und der transabdominelle Ultraschall Priorität. Die Eskalation der Untersuchungsmaßnahmen reicht bis hin zur ERCP, wobei diese jedoch von MRCP und EUS mittlerweile im Regelfall verdrängt sein sollte. Die Daten des endoskopischen Ultraschalls sind ebenso vielversprechend wie die Ergebnisse der intraoperativen Gallenwegsdarstellung während der laparoskopischen Cholezystektomie (Hyser et al. 1999).
36
> In der Therapie stellt die ERCP mit EPT und Steinextraktion sowie in ausgewählten Fällen die PTCD immer noch die wichtigste weniger invasive Alternative zur herkömmlichen Cholezystektomie mit Gallengangsrevision dar und bildet den Vergleichsstandard für die neuen laparoskopischen Behandlungsstrategien.
Steinentfernungsraten aus den Gallenwegen von nahezu 100% bei einer akzeptablen Komplikationsrate haben zu einer Ausweitung der Indikationsstellung auf Patienten aller Altersgruppen (Sugiyama u. Atomi 2000) geführt und gerade in der Zeit des therapeutischen Splittings die Stellung der Endoskopie bei Vorliegen einer Cholezysto- und Choledocholithiasis gefestigt. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die neuen laparoskopischen Methoden die Therapie der Choledocholithiasis, zumindest bei den Patienten, bei denen eine Cholezystektomie vorgesehen ist, wieder verändern werden. Unabhängig davon zeigt gerade die Therapie des Gallensteinleidens wie eng interventionelle Endoskopie und Viszeralchirurgie in der interdisziplinären Patientenversorgung zusammengerückt sind.
36.4.8
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
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36.5
Cholelithiasis aus chirurgischer Sicht R. Peterli, Ch. Looser
Die Einführung minimalinvasiver Operationstechniken hat die Gallensteinchirurgie in einem Ausmaß revolutioniert wie kaum ein anderes Gebiet der Viszeralchirurgie. Die laparoskopische Cholezystektomie hat sich in den letzten Jahren als Methode der Wahl zur Behandlung von Gallenblasensteinen durchgesetzt. Im folgenden Kapitel werden Diagnostik und Therapie der Cholezysto- und Cholangiolithiasis beschrieben und die Resultate der verschiedenen chirurgischen Verfahren vorgestellt.
679 36.5 · Cholelithiasis aus chirurgischer Sicht
36.5.1
Epidemiologie
In Mitteleuropa nimmt die Prävalenz der Cholelithiasis zu, sie liegt zwischen 10 und 20% (Kang et al. 2003; Kratzer et al. 1995). Sie steigt im weiteren mit zunehmendem Alter. Frauen sind bis doppelt so häufig betroffen wie Männer. Die jährliche Inzidenz der Cholelithiasis liegt bei knapp 1% (Misciagna et al. 1996). Prädispositionsfaktoren sind Multiparität, Übergewicht, familiäre Belastung, Diabetes, Hyperlipoproteinämie und langzeitiges Fasten. Die ethnisch-geographische Herkunft hat ebenfalls einen Einfluss. Beispielsweise weisen 75% der Pima-Indianerinnen in Nordamerika im Alter von 25–34 Jahren eine Cholelithiasis auf. Sie ist hingegen bei gewissen afrikanischen Stämmen unbekannt. Grundsätzlich werden 2 Typen von Gallensteinen unterschieden. In der westlichen Welt überwiegen die Cholesterinsteine mit 70%, die übrigen 30% sind Pigmentsteine. In Asien werden Pigmentsteine häufiger als Cholesterinsteine angetroffen. Durch den Einfluss westlicher Ernährungsgewohnheiten werden in Singapur immer häufiger Cholesterin- als Pigmentsteine angetroffen (Ti et al. 1996).
36.5.2
Klinische Symptomatologie von Cholezysto- und Cholangiolithiasis
Die typische Gallenkolik durch Steineinklemmung im Gallenwegssystem tritt im Anschluss an ein fettreiches Mahl auf, dauert Minuten bis wenige Stunden und strahlt in die rechte Flanke oder rechte Schulterregion aus. Bei der klinischen Untersuchung des Patienten mit Gallenkolik besteht eine Druckdolenz im rechten Oberbauch ohne peritonitische Zeichen. Patienten mit Cholangiolithiasis können sich ikterisch präsentieren mit einer Anamnese von hellen Stühlen und dunklem Urin. Cholelithiasis-bedingte Beschwerden sind von funktionellen Oberbauchsymptomen häufig nicht klar abzugrenzen (Peterli et al. 1998). Zwischen 30 und 80% der Gallensteinträger sind asymptomatisch (Attili et al. 1995; Muhrbeck 1995). Die asymptomatische Cholelithiasis kann über die symptomatische oder direkt zu Komplikationen in der Gallenblase (7 Kap. 36.6) oder in den Gallenwegen (7 Kap. 36.7) führen. Liegt eine Cholangiolithiasis vor, so handelt es sich zu Beginn um eine funktionelle Phase: Bei normal weitem Gallenwegssystem steigen die Leberenzyme ohne begleitende Hyperbilirubinämie an. Anschließend folgt die anatomische Phase mit Dilatation zuerst der extra-, später auch der intrahepatischen Gallenwege. Die Bilirubinwerte sind dann erhöht. Bei einer intermittierenden oder rezidivierenden Obstruktion (z. B. mehrzeitige Steinabgänge)
oder bei gleichzeitig bestehender Leberzirrhose kann die Erweiterung des biliären Systems fehlen. Schließlich folgt die ikterische Phase, der Patient zeigt alle klinischen Kriterien des obstruktiven Ikterus. > Eine asymptomatische Choledocholithiasis liegt bei Patienten vor geplanter Cholezystektomie in 3–11% der Fälle vor (Collins et al. 2004; Nebiker et al. 2009).
36.5.3
Diagnostik
Sonographie Zur Diagnose der Cholezystolithiasis ist
heute die Sonographie als einfache, weit verbreitete und kosteneffiziente Methode die Untersuchung der Wahl. Ihre Sensitivität beträgt annähernd 100% (Maglinte et al. 1991; Marzio et al. 1992). Gallensteine stellen sich typischerweise als echoreiche Strukturen variabler Größe und Konfiguration mit dorsaler Schallabschwächung oder komplettem -verlust dar (. Abb. 36.34). Kleine Konkremente, vor allem reine Cholesterinsteine, manifestieren sich als rundliche, scharf begrenzte, echogene Strukturen ohne dorsale Schalländerung. Die dokumentierte, schwerkraftabhängige Verschieblichkeit in Patienten-Linksseitenlage klärt die Differenzialdiagnose zu einem sonomorphologisch gleich aufgebauten Gallenblasenpolypen. Die Linksseitenlage erlaubt auch eine bessere Beurteilung des Gallenblasen-Infundibulums hinsichtlich kleiner, impaktierter Konkremente. Mittels moderner, hochauflösender Geräte gelingt auch der Nachweis einer Mikrolithiasis mit einer Steingröße von 1–2 mm. Die Literaturangaben über den sonographischen Nachweis einer Choledocholithiasis variieren erheblich zwischen 30–80% (Lo u. Chen 1996). Ein erweiterter D. choledochus als Leitstruktur erleichtert den intraduktalen Konkrementnachweis (. Abb. 36.35). > Je proximaler der Stein liegt, umso leichter kann er sonographisch identifiziert werden (keine Überlagerung durch das Duodenum). Magnetresonanz-Cholangiographie Die MRC benutzt
stark T2-gewichtete Sequenzen, die statische Flüssigkeiten, wie die Galle, sehr signalintensiv ohne Verwendung von Kontrastmittel darstellen lassen. Von Vorteil sind die beliebig wählbare Schnittebene, die Möglichkeit zur dreidimensionalen Rekonstruktion aus dem axialen Datensatz sowie die Unabhängigkeit von Überlagerungen. Die Sensitivität zum Nachweis sowohl der Cholezystoals auch Choledocholithiasis liegt zwischen 92 und 100% (. Abb. 36.36; Griffin et al. 2003; Hallas 2005; Ke et al. 2003).
36
680
Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
. Abb. 36.34 Sonographische Diagnostik: typische Cholezystolithiasis. Zwei Konkremente als echoreiche Strukturen mit dorsalem Schallverlust innerhalb einer normalgroßen und zartwandigen Gallenblase
Intravenöse Cholangiographie Die IVC weist zwar unter Anwendung der konventionellen Tomographie zum Nachweis von Gallengangssteinen eine hohe Sensitivität auf (Schuppisser 1996), erreicht aber nicht die hervorragenden Ergebnisse der MRC. Beim obstruierenden Konkrement mit erhöhten Bilirubinwerten (>20 mmol/l) ist die hepatogene Kontrastmittelsekretion zu stark eingeschränkt, um eine diagnostisch verwertbare Darstellung der Gallenwege zu ermöglichen. Zudem ist sie zeitaufwendig und besitzt das Potenzial der Kontrastmittelnebenwirkung.
36
Computertomographi Lediglich knapp 50% der Gallen-
konkremente weisen Dichtewerte auf, dass sie im CT nachgewiesen werden können. Eine Aerobilie, sei sie spontan bei choledochoduodenaler Fistel oder nach vorangegangener Gallengangsintervention (biliodigestive Anastomose, Papillotomie) macht den Konkrementnachweis sowohl im Ultraschall (Luft ist gleich echogen wie ein Konkrement) als auch in der MRC (ähnliches Signalverhalten) praktisch unmöglich. In dieser Situation findet die CT ihren Einsatz, indem die Dichten von Luft und Stein unterschiedlich sind. Endoskopisch retrograde Cholangiographie Die ERC hat
als invasive Abklärungsmethode ihre Position als Goldstandard an die MRC abgegeben. Sie sollte bei bestätigtem Gallengangskonkrement nur noch als therapeutische Methode der Wahl zur Steinextraktion eingesetzt werden. Therapeutisch ist sie in 70–97% erfolgreich, der Nachweis eines Gallengangsteines gelingt in 90% (Lo u. Chen 1996).
36.5.4
. Abb. 36.35 Sonographische Diagnostik der Choledocholithiasis: kleine Gallenblasenkonkremente (gerader Pfeil), Konkremente im D. choledochus mit vorgeschaltet erweiterten Gallenwegen (runder Pfeil)
Indikationsstellung und Verfahrenswahl
Asymptomatische Cholezystolithiasis Die asymptomatische Cholezystolithiasis führt innerhalb von 5–10 Jahren in etwa 10–20% der Fälle zu Symptomen und in 5–10% zu Komplikationen (McSherry et al. 1984; Halldestam et al. 2004). Die Mortalität der Cholezystektomie beträgt heute unter 0,1%, bei älteren Patienten und bei Vorliegen einer Komplikation liegt sie höher (Peterli et al. 2000; Wölner-
681 36.5 · Cholelithiasis aus chirurgischer Sicht
Obwohl die Gallensteinkrankheit wiederholt in Zusammenhang mit der Entstehung des Gallenblasenkarzinoms gebracht wird, kann unseres Erachtens das Argument der Cholezystektomie zur Tumorprophylaxe nicht herangezogen werden (Strom et al. 1996; Zatonsky et al. 1997). Symptomatische Cholezystolithiasis Bei Oberbauchkoli-
ken und nachgewiesener Cholezystolithiasis ist die Indikation zur Cholezystektomie unbestritten. Schwieriger ist die Indikationsstellung bei atypischen Abdominalbeschwerden. Es gibt keine schlüssige Untersuchung, die präoperativ unspezifische Gastrointestinalbeschwerden wie abdominelles Druckgefühl, Blähung usw. einer nachgewiesenen Cholezystolithiasis zuordnen lässt. Der Entschluss zur Cholezystektomie fällt hier nach eingehender Abklärung des übrigen Gastrointestinaltraktes allerdings leichter als bei der eigentlichen asymptomatischen Cholezystolithiasis. Diese Patienten sollten aber präoperativ darauf hingewiesen werden, dass ihre Beschwerden unter Umständen funktionellen Darmstörungen entsprechen und deshalb postoperativ anhalten können. Die Indikation zur Cholezystektomie bei typischen Oberbauchkoliken kann schwierig zu stellen sein, wenn die Cholezystolithiasis trotz wiederholter Sonographie nicht nachgewiesen werden kann. In diesen Fällen können eine Mikrolithiasis oder ein sog. »Sludge« bestehen und unter dieser Annahme kann die Indikation zur Cholezystektomie gestellt werden.
a
Verfahrenswahl In den letzten 20 Jahren hat sich die lapab . Abb. 36.36a,b Magnetresonanz-Cholangiographie. a Signallose Konkremente in der signalreichen Flüssigkeit der Gallenblase (→); b signalloses Konkrement im D. cysticus (→) und im nicht erweiterten D. choledochus (←)
hanssen et al. 2005). Aufgrund dieser Zahlen darf man einem jungen asymptomatischen Gallensteinträger die Cholezystektomie empfehlen, um ihn vor einem risikoreichen Eingriff bei Steinkomplikationen im Alter zu bewahren, während man bei betagten beschwerdefreien Steinträgern noch zurückhaltender sein sollte.
Indikationen zur Cholezystektomie bei asymptomatischen Gallenblasensteinen 4 Nachweis zahlreicher, kleiner Steine 4 Steinträger, die häufig Länder mit ungenügender medizinischer Versorgung bereisen 4 Steinträger, die aufgrund ihrer morbiden Adipositas operiert werden (Deitel u. Cowan 2000)
roskopische Cholezystektomie als Standardverfahren etabliert. Anfänglich wurden ca. 50% aller Cholezystektomien laparoskopisch durchgeführt, heute sind es über 95% (Peterli et al. 2000; Wölnerhanssen et al. 2005). Für eine primär offene Cholezystektomie existieren nur noch wenige Indikationen: 4 Cholezystektomie als Begleiteingriff bei einer Operation, die eine Laparotomie benötigt 4 Wenn die kardiopulmonalen Nachteile des Pneumoperitoneums die potenziellen Vorteile der Laparoskopie überwiegen 4 Gleichzeitige, offene Gallenwegsrevision (Status nach erfolgloser endoskopischer Steinextraktion) 4 Cholezysto- oder cholangioenterale Fistel 4 Mirizzi-Syndrom 4 Karzinomverdacht im Gallenblasenbereich Cholangiolithiasis Das Vorgehen bei Choledocholithiasis
richtet sich nach dem klinischen Befund des Patienten und den lokalen Gegebenheiten, der Erfahrung und dem Können des behandelnden Teams (Radiologie, Gastroenterologie, Chirurgie). Beim Konzept des Therapiesplittings werden die Gallengangssteine vor der Cholezystektomie mittels ERC und Papillotomie entfernt. Alternativ kann
36
682
Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
36 . Abb. 36.37 Laparoskopische Cholezystektomie Lagerung und Trokarpositionen: 1 Operateur, 2 erster Assistent, 3 Operationsschwester,
4 evtl. zweiter Assistent an Stelle von 5 Autoretraktionshaken für die Leber, 6 Apparateturm; Trokarpositionen s. Text
direkt die Gallenwegsrevision (GWR) – laparoskopisch oder offen – durchgeführt werden. Therapiesplitting und offene GWR zeigten in verschiedenen prospektiven Untersuchungen (Hammarström et al. 1995; Targarona et al. 1996) vergleichbare Resultate. Eine weitere Variante zur Behandlung intraoperativ entdeckter Gallengangssteine ist die sog. »Rendez-vous«-Technik mit ERC + Papillotomie während der laparoskopischen Cholezystektomie. Sie ist ähnlich erfolgreich, aber wohl wegen der schlechten Planbarkeit der Operationssaalkapazität nicht sehr verbreitet (Enochsson et al. 2004). In ausgewählten Fällen kann auch die Politik »wait and see« verfolgt werden, passieren doch mehr als ein Drittel der intraoperativ entdeckten Gallengangssteine spontan (Collins et al. 2004). Die GWR nach Cholezystektomie bleibt den Patienten vorbehalten, die
wegen unerkannter Residualsteine nach Cholezystektomie symptomatisch werden und bei denen das Problem endoskopisch nicht lösbar ist.
36.5.5
Operationstechnik
Laparoskopische Cholezystektomie Lagerung Der Patient wird in Rückenlage mit abgewinkelten Beinen so gelagert, dass der Tisch in Fußtieflage gebracht werden kann (»französische« Lagerung). Dadurch entfernen sich Netz, Querkolon, Magen und Duodenum aus dem Blickfeld. Die Beine sind so weit gespreizt, dass der Operateur (. Abb. 36.37) zwischen den Beinen zu Stehen oder Sitzen kommt; der erste Assistent, der die Ka-
683 36.5 · Cholelithiasis aus chirurgischer Sicht
mera führt, sitzt rechtsseitig des Patienten, die Operationsschwester zur rechten Seite des Operateurs und selten wird ein zweiter Assistent an der linken Seite des Patienten benötigt. Alternativ zu dieser in Europa weit verbreiteten Methode gibt es die »amerikanische« Technik, bei welcher der Patient in gewöhnlicher Rückenlage operiert wird. Der Operateur und sein Assistent stehen auf der linken Patientenseite. Trokarpositionen Das Pneumoperitoneum wird nach Hautinzision paraumbilikal entweder über eine VeressNadel oder unter Sicht im Sinne einer Minilaparotomie hergestellt und der Trokar (A in . Abb. 36.37) für das Endoskop eingeführt. Dieser wird im späteren Verlauf der Operation durch einen größeren Trokar ersetzt, durch den die Gallenblase extrahiert werden kann. Ein Arbeitskanal (B) für die rechte Hand des Operateurs und ein weiterer für die linke Hand zum Fassen der Gallenblase (C) werden unter Sichtkontrolle eingeführt. In Position D kann entweder durch einen Arbeitskanal ein Saugspülrohr oder ein Spatel oder Autoretraktionshaken eingeführt werden, um die Leber zu retrahieren.
Etwaige Verwachsungen um die Gallenblase werden gelöst. Die Serosa im Bereiche des Calot-Dreiecks wird inzidiert, um D. cysticus und die A. cystica zu präparieren. Die übersichtliche Darstellung des Überganges vom Infundibulum zum D. cysticus ist entscheidend zur Vermeidung von Gallengangsverletzungen. Hingegen ist die vollständige Präparation der Zystikusmündung in den Hepatocholedochus wegen der Gefahr der Gallengangsverletzung zu vermeiden (. Abb. 36.38). Der D. cysticus kann zur intraoperativen Cholangiographie kanüliert werden. Genügend lang präparierte Zystikus- und Zystikasegmente werden zwischen Clips durchtrennt (. Abb. 36.39). Anschließend wird die Gallenblase unter Zug von der Leberunterseite abgelöst (. Abb. 36.40). Die Bergung der Gallenblase erfolgt entweder durch einen Extraktionstrokar oder mit dem Bergebeutel. Gelegentlich ist dafür eine Inzisionserweiterung paraumbilikal notwendig. Anschließend erfolgen die Spülung des Wundgebietes und die Kontrolle der Blutstillung. Die Arbeitskanäle werden unter Sicht entfernt und evtl. Stichkanalblutungen gestillt. Das Pneumoperitoneum wird abgelassen und die Bauchdecke paraumbilikal auf Faszienebene verschlossen.
. Abb. 36.38 Laparoskopische Cholezystektomie: Präparation des Calot-Dreiecks. 1 D. cysticus frei präpariert, 2 A. cystica, 3 Lig. hepatoduodenale, 4 Fasszange mit Zug am Infundibulum
. Abb. 36.39 Laparoskopische Cholezystektomie: Durchtrennen von D. cysticus und A. cystica zwischen Clip
. Abb. 36.40 Laparoskopische Cholezystektomie: Herauslösen der Gallenblase vom Leberbett. 1 Hakenelektrode, 2 Fasszange an Gallenblase, 3 Autoretraktionshaken für die Leber
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
Neuere Verfahren NOTES Bei NOTES (»natural orifice transluminal en-
doscopic surgery«) handelt es sich um ein operativ-endoskopisches Verfahren, wobei die Zugänge über natürlich vorkommende Körperöffnungen gewählt werden und daher auf Hautinzisionen verzichtet werden kann. Bei Hybridverfahren werden konventionelle Zugänge (z. B. umbilikal) mit Zugängen über natürliche Öffnungen (z. B. transgastrisch, vaginal, anal) kombiniert. Ein erster Bericht über eine transvaginale Cholezystektomie bei einem Menschen erschien 2007 (Marescaux 2007), wobei sämtliche Instrumente über eine Kolpotomie eingeführt wurden und die Extraktion der Gallenblase ebenfalls transvaginal erfolgte. Die Cholezystektomie per NOTES wird im Rahmen von Studien durchgeführt, noch fehlen Langzeitresultate wie auch randomisierte Studien. Als Vorteile werden genannt: weniger oder gar keine Hautinzisionen (Narben, Kosmetik), Zugänge schmerzarm. Nachteile: längere Operationsdauer, Kontamination durch natürlich vorkommende Flora (oral, vaginal), mögliche Dyspareunie. Die Akzeptanz eines vaginalen Zugangs für ein nicht-gynäkologisches Leiden scheint nicht selbstverständlich zu sein. Umfragen unter Patientinnen ergaben bei der Mehrzahl eine Ablehnung gegenüber dieser Methode, vor allem schien die Angst vor einer Dyspareunie wichtiger als das kosmetische Resultat (Strickland 2010).
36
SILS SILS (»single incision laparoscopic surgery«) ist ebenfalls eine noch nicht weit verbreitetet, neuere Methode. Hier wird über eine einzige umbilikale Inzision (»single port«) das gesamte Instrumentarium eingeführt und die Cholezystektomie laparoskopisch durchgeführt. Auch hier fehlen größere Zahlen und Langzeitresultate. Die hohe Qualität der konventionellen, laparoskopischen Cholezystektomie bezüglich Operationsdauer, Morbidität und Mortalität noch zu übertreffen, dürfte jedoch schwierig werden.
Laparoskopische Gallenwegsrevision Die laparoskopische Gallenwegsrevision, die dem laparoskopisch versierten Chirurgen vorbehalten sein sollte, kann transzystisch oder über eine Choledochotomie geschehen. Sie richtet sich nach den anatomischen Gegebenheiten und nach den Präferenzen des Operateurs. Transzystischer Zugang Diese Technik ist bei 80–95% der Patienten mit Gallengangssteinen anwendbar (Ferzli et al. 1996; Rojas-Ortega et al. 2003; Tranter u. Thompson 2002). Der D. cysticus wird eher nahe dem D. hepatocholedochus inzidiert und mit einem röntgendichten Führungsdraht intubiert. Über diesen Draht werden Dilatatoren eingebracht und der D. cysticus so weit aufdilatiert, dass ein Konkrement der maximalen Größe von 6 mm mittels Dor-
. Abb. 36.41 Offene Cholezystektomie: Bauchdeckeninzisionen: 1 subkostal, 2 quer
miakörbchen unter Durchleuchtungskontrolle oder cholangioskopisch geborgen werden kann. Laparoskopische Choledochotomie Sie kommt zur Anwendung entweder bei kleinkalibrigem D. cysticus (<4 mm), atypischer Zystikusmündung oder bei relativ großem Gallengangskonkrement (>6 mm). Die Steinentfernung erfolgt mittels Ballonkatheter, Dormiakörbchen und Spültechniken. Wie bei der offenen GWR erfolgt in aller Regel eine T-Draineinlage. Ein direkter Gallengangsverschluss kann bei sicherer Steinfreiheit und nicht erfolgter Manipulation in Papillennähe erfolgen (Petelin 1998; Waage et al. 2003). Mit dieser Methode wird eine Steinfreiheit in über 90% erreicht (Rojas-Ortega et al. 2003; Tranter u. Thompson 2002).
Offene Cholezystektomie Inzision In der Regel bewähren sich subkostale oder quere Oberbauchinzisionen (. Abb. 36.41). Letztere ist vor allem bei schlanken Patienten möglich und kosmetisch vorteilhaft. Bei unklarer Anatomie oder mangelhafter Exposition empfiehlt sich die Schnitterweiterung.
Zur optimalen Einstellung des Operationsfeldes bzw. der subhepatischen Loge haben sich am Operationstisch fixierte Selbsthaltehaken bewährt. Bei Verwachsungen im Bereich der Gallenblasenvorderwand, die meistens kulissenartig in 3 Schichten vorliegen (großes Netz, rechtes Kolon bzw. Mesokolon, Duodenum bzw. Antrum) erfolgt die Präparation 6
685 36.5 · Cholelithiasis aus chirurgischer Sicht
immer gallenblasennah von rechts nach links und von ventral nach dorsal. Die weiteren Schritte zur Darstellung des CalotDreiecks mit dem D. cysticus und der A. cystica entsprechen dem Vorgehen bei der laparoskopischen Cholezystektomie. Anspruchsvoll sind die Verwachsungen im Bereich des Lig. hepatoduodenale, die eine sorgfältige Präparation erfordern. Bei unklarer Anatomie empfiehlt sich die Durchführung eines Cholangiogramms, um die genaue Lage der Gallengänge zu erfahren. Das Ablösen der Gallenblase geschieht entweder ante- oder retrograd. Bei stark verdickter Hinterwand oder intrahepatisch liegender Gallenblase kann die Hinterwand in situ belassen (subtotale Cholezystektomie) und die Schleimhaut auskürettiert bzw. mit der Diathermie koaguliert werden. Das Gallenblasenbett wird ausgespült und die Blutstillung kontrolliert.
a
b . Abb. 36.42a,b Offene Gallengangrevision: einfache Steinentfernung. a Steinentfernung leberwärts mit der Steinfasszange; b Steinentfernung duodenumwärts mit der Steinfasszange unter gleichzeitiger digitaler Fixation des Konkrements
Offene Gallenwegsrevision Nach erfolgter Cholezystektomie erfolgt die Choledochotomie zwischen Haltefäden und Steinentfernung mittels Forgarty-Katheter oder spezieller Steinfasszangen (. Abb. 36.42) und/oder Gangspülung (Distensionsspülung). Die Steinfreiheit des Gallenganges, sowohl im Bereich der Pa-
pille als auch der Hepatikusgabel, ist choledochoskopisch zu überprüfen. Abschließend wird ein T-Drain, z. B. Latexgummi eingelegt und die Choledochotomie fortlaufend mit atraumatischer Naht mit resorbierbarem Faden verschlossen (. Abb. 36.43).
. Abb. 36.43a–c Offene Gallengangsrevision: Einlage eines T-Drains. a Schräges Zuschneiden der Enden der T-Schenkel und Exzision eines Wandstücks aus der Dreiwegstelle; b Einschieben des T-Drains in den
Choledochus; c Verschluss der Choledochotomie mit fortlaufender Naht
36
686
Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
Intraoperative Komplikationen Eine schwerwiegende intraoperative Komplikation ist die Gallengangsverletzung. Hauptgründe für die Gallengangsläsion sind mangelnde Erfahrung des Operateurs, schlechte Übersicht bei entzündlichen Veränderungen mit Blutungsneigung sowie das Nichterkennen von anatomischen Varianten. Unübersichtliche Darstellung des Überganges vom Infundibulum zum D. cysticus, exzessive Präparation seiner Einmündungsstelle in den Hauptgallengang oder blutstillende Maßnahmen bei Blutungen aus der abgerissenen A. cystica sind weitere Fehler. Bei der offenen Cholezystektomie wird die Gallengangsläsion mit einer Häufigkeit von 0,2% angegeben (Gebhardt u. Meinl 1994; Shea et al. 1996). Zu Beginn der laparoskopischen Ära nahmen biliäre Komplikationen um das 4- bis 8fache zu (Doctor et al. 1998; Fullarton u. Bell 1994; Siewert et al. 1994). In einer Metaanalyse über annähernd 80.000 laparoskopische Cholezystektomien kam es in 0,5% der Fälle zu Gallengangsverletzungen (Shea et al. 1996). Im eigenen, prospektiv untersuchten Krankengut von 4498 Cholezystektomien liegt die Rate unter 0,1% (Wölnerhanssen et al. 2005). Verletzungen ohne Substanzverlust können durch direkte Naht über ein eingelegtes T-Drain versorgt werden. Ein durchtrennter Hauptgallengang mit Substanzverlust erfordert eine biliodigestive Anastomose. > Gallengangsverletzungen bei laparaskopischen Cholezystektomien treten nur noch in ca. 0,5% der Fälle auf.
36
Schwerwiegende intraoperative Blutungskomplikationen sind sehr selten geworden. Durch vermehrte Erfahrung des Operateurs, aber auch bedingt durch neuere, technische Entwicklungen (bessere Insufflatoren, Kameras, Argonbeamer, Clipapplikatoren etc.) können Blutungen rasch, übersichtlich und sicher gestillt werden. Hingegen zwingen Verletzungen großer Gefäße zu raschem Handeln mit sofortigem Umstieg. Andere Komplikationen, wie z. B. Punktionsverletzungen von intestinalen Strukturen und Gefäßen beim Herstellen des Pneumoperitoneums oder beim Einführen der Trokare, können dramatische Auswirkungen haben. Ein mögliches Problem stellt die Gallenblasenperforation mit Steinverlust dar. Durch Zug mit der Fasszange kann die Gallenblasenwand einreißen oder bei der Präparation wird die Gallenblasenwand direkt durch Instrumente verletzt. Diese bei der offenen Cholezystektomie selten beobachtete Situation wird bei der laparoskopischen Cholezystektomie in einer Häufigkeit 5–33% beschrieben. Selten führen zurückgelassene Gallensteine zu septischen Komplikationen. Nach ausgiebiger Spülung des Abdomens und möglichst vollständiger Steinentfernung konnte kein negativer Einfluss auf das Langzeitresultat nachgewiesen werden. Ein Umstieg wegen Gallensteinverlust ist nicht
indiziert (Jones et al. 1995; Peterli et al. 1998; Schäfer et al. 1997).
Frühpostoperative Komplikationen Kommt es postoperativ zu einem cholostatischen Ikterus und ist eine Gallengangsverletzung ausgeschlossen, liegt meist eine Cholangiolithiasis vor. Sie kommt nach laparoskopischer in 0–1% und nach offener Cholezystektomie in ca. 3% der Fälle vor (Peterli et al. 2000). Die Behandlung erfolgt mittels Papillotomie und endoskopischer Steinextraktion. Weitere frühpostoperative Komplikationen sind Nachblutungen aus dem Leberbett, Cholaskos (aus Luschka-Gängen oder aus insuffizientem Zystikus) und Infekte. Diese Flüssigkeitsansammlungen können häufig perkutan Ultraschall- oder CT-gesteuert punktiert und drainiert werden. Zu einer klinisch manifesten postoperativen Lungenembolie kommt es entsprechend einer Metaanalyse von über 150.000 laparoskopischen Cholezystektomien in 0,06% (Lindberg et al. 1997). Die Gesamtmorbidität der laparoskopischen Cholezystektomie beträgt 2–5%. Bei der offenen Cholezystektomie liegt sie um 10%, bedingt durch die Patientenselektion (Shea et al. 1996; Wölnerhanssen et al. 2005).
36.5.6
Ergebnisse
Umsteigerate Die Konversion zur Laparotomie ist in der
Regel angezeigt bei einem intraoperativ unklaren Befund. Die häufigsten Gründe dafür sind schwere chronische oder akut entzündliche Veränderungen mit starker Blutungsneigung und intensiven Verwachsungen oder intraoperative Komplikationen. Zu Beginn der laparoskopischen Ära betrug die Umsteigerate über 10%. Mit vermehrter Operationserfahrung und bedingt durch technische Entwicklungen (Instrumente, Apparate) sank sie auf 1–5% (Shea et al. 1996; Peterli et al. 2000; Wölnerhanssen et al. 2005). Wenn intensive Verwachsungen oder eine schwere Entzündung zu erwarten sind, empfehlen wir primär zu laparoskopieren, um intraoperativ innerhalb kurzer Zeit zu entscheiden, ob die Operation laparoskopisch durchführbar ist oder aber ein Umstieg angemessen erscheint. Mortalität Die Mortalität der Cholezystektomie ist abhängig vom Patientenalter, Vorliegen von Komorbidität (Zirrhose, kardiopulmonale Erkrankungen), von der Erkrankungsart (umkomplizierte Cholezystolithiasis oder kompliziertes Steinleiden) und vom Operationszeitpunkt (Elektiv-, Notfalleingriff). Im eigenen Krankengut mit 4498 Patienten beobachteten wir eine 0%-Mortalität für die laparoskopische Cholezystektomie. In großen Metaanalysen wird eine Mortalität von unter 0,1% für die laparoskopische Cholezystektomie angegeben, bei Umstieg
687 36.5 · Cholelithiasis aus chirurgischer Sicht
oder primär offenem Zugang liegt die Mortalität zwischen 0,5 und 1% (Lindberg et al. 1997; Peterli et al. 2000; Shea et al. 1996; Wölnerhanssen et al. 2005). Spätresultate Die Cholezystektomie ist eine effiziente und definitive Behandlungsart der Cholezystolithiasis. Persistierende Langzeitbeschwerden nach Cholezystektomie werden unter dem Begriff »Postcholezystektomiesyndrom« (PCS) zusammengefasst. In älteren Serien nach konventioneller Cholezystektomie wurde das PCS in 25– 40% beschrieben, wobei ca. 10% der Cholezystektomierten abklärungsbedürftige Beschwerden angaben. Zu 2/3 handelte es sich um organische Ursachen (1/4 davon biliärer, 3/4 extrabiliärer Genese) und zu 1/3 um funktionelle Beschwerden (Pribram 1950; Tondelli u. Gyr 1983). Zu den biliären Ursachen des PCS zählen Residualsteine, die in einer Häufigkeit bis 1% vorkommen. Papillenstenosen wurden früher in einer Häufigkeit um 2% aller Cholezystektomien beschrieben, meist bei gleichzeitig vorhandener Cholangiolithiasis oder als Folge einer Steinpassage. Heute werden diese Begriffe als Ursache für das PCS nur noch selten herangezogen. Zu den extrabiliären Ursachen gehören gastroösophagealer Reflux, peptisches Ulkus, Narbenhernien und narbenassoziierte Schmerzen, letztere sind nach laparoskopischer Cholezystektomie signifikant seltener anzutreffen. Der überaus größte Anteil der persistierenden Beschwerden nach Cholezystektomie muss mit funktionellen, nichtorganischen Beschwerden erklärt werden. In mehreren Serien konnte kein Unterschied der Prävalenz von Langzeitbeschwerden zwischen laparoskopisch und offen cholezystektomierten Patienten nachgewiesen werden (McMahon et al. 1995; Ure et al. 1995; VanderVelpen et al. 1993; Wilson u. Macintyre 1995). Im eigenen Krankengut waren über 90% absolut beschwerdefrei oder klagten nur gelegentlich über diskrete Symptome sowohl nach offener als auch laparoskopischer Cholezystektomie. Knapp 10% gaben erhebliche und schwere Symptome an (Peterli et al. 1998). Diesen Zahlen ist die Prävalenz von Abdominalbeschwerden in der gesunden Bevölkerung gegenüberzustellen. In mehreren epidemiologischen Studien konnte nachgewiesen werden, dass bis zu 1/3 der klinisch Untersuchten über Bauchbeschwerden klagten (Kay u. Jorgensen 1994; Muller et al. 1984; Peterli et al. 1996). Somit kann nach Cholezystektomie lediglich erwartet werden, dass maximal 80–90% der Operierten absolut beschwerdefrei werden. Resultate der Gallenwegsrevision Wird zusätzlich zur offe-
nen Cholezystektomie eine GWR vorgenommen, so steigen Komplikationsrate und Letalität (bis zu 6,6%) an (Herzog u. Bertschmann 1990). Die Morbidität (Infektionen, Hämatom, Cholaskos, Residualstein, Gallengangsverletzung)
wird unterschiedlich (prospektive vs. retrospektive Untersuchungen, Definition Morbidität) zwischen 1,9% (Marti et al. 1994) und 28,2% (Roslyn et al. 1993) angegeben. Unabhängig, ob die laparoskopische GWR transzystisch oder via Choledochotomie vorgenommen wird, werden eine Morbidität (Pankreatitis, Gallengangsstrikturen, Galleleck, Wundinfekt, Blutung) von 3,3–29,1% und eine Mortalität von 0–1,6% angegeben (Perissat et al. 1994; Petelin 1998; Tranter u. Thompson 2002; Rojas-Ortega et al. 2003). Die Erfolgsrate bei der laparoskopisch transzystischen GWR liegt bei 91–95% (Rojas-Ortega et al. 2003; Waage et al. 2003; Ferzli et al. 1996). Steinfreiheit wird bei der laparoskopischen Choledochotomie auch in über 90% erreicht (Petelin 1998; Tranter u. Thompson 2002; Rojas-Ortega et al. 2003). > Die offene GWR ist nach wie vor ein bewährtes Verfahren und ist überall dort geeignet, wo moderne Technologie (Endoskopie, laparoskopische Chirurgie) nicht zum Erfolg führt oder nicht zur Verfügung steht. In den Händen laparoskopisch wenig erfahrener Operateure sollte der Gallengangsstein zweizeitig – ERC und Papillotomie mit nachfolgender laparoskopischer Cholezystektomie – behandelt werden (therapeutisches Splitting).
36.5.7
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
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36.6
Komplikationen der Cholezystolithiasis
thiasis, die bei Frauen dreimal häufiger vorliegt als bei Männern, verteilt sich die akute Cholezystitis etwa zu gleichen Teilen auf die beiden Geschlechter. Gründe dafür sind nicht bekannt. Pathogenese 95% aller akuten Cholezystitiden treten beim
Vorliegen von Gallensteinen auf, nur in 5% der Fälle sind keine Steine nachweisbar. Bei 1% der akuten Cholezystitiden liegt ein Karzinom vor (Thorbjarnarson 1960). In der Pathogenese der akuten Cholezystitis ist die mechanische Obstruktion am Gallenblasenausgang der wichtigste Faktor. Entsprechend der Ätiologie ist sie in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle durch einen impaktierten Stein im Infundibulum oder Zystikus bedingt. Die Blockade am Gallenblasenausgang hat bei anhaltender Sekretion von Schleim eine Überdehnung mit Zirkulationsstörung und schließlich Nekrose zur Folge. Der Infekt ist meist nur ein sekundäres Phänomen. Die bakterielle Besiedlung findet in der devitalisierten Gallenblasenwand einen günstigen Nährboden. Bakterien lassen sich in etwa 50% der akuten Cholezystitiden nachweisen. Bei Operation innerhalb der ersten 24 h nach Auftreten der Symptome sind 30% der Bakterienkulturen positiv, nach 24–72 h bereits 80%. Als Keime lassen sich meist aerobe und anaerobe Darmbakterien, in erster Linie E. coli und Klebsiellen nachweisen. Sie können via V. portae, Lymphgefäße oder aszendierend über dem Gallengang in die Gallenblase gelangen.
Klinische Symptomatologie
C. Ackermann, C. Looser Komplikationen der Cholezystolithiasis treten gehäuft bei symptomatischer Cholelithiasis auf. Dieses erhöhte Risiko für komplizierten Verlauf ist neben den Beschwerden der Grund für die grundsätzliche Indikation zur Cholezystektomie bei symptomatischer Cholelithiasis. Dieses Kapitel beschreibt die häufigsten Komplikationen der Cholezystolithiasis, nämlich die akute Cholezystitis, biliodigestive Fisteln und das Mirizzi-Syndrom.
Bei akuter Cholezystitis kann häufig eine Anamnese von früheren Koliken erhoben werden. Der aktuelle Schmerz ist dagegen konstant, im rechten Oberbauch lokalisiert, häufig in den Rücken ausstrahlend und oft von Nausea und Erbrechen begleitet. Meist besteht Fieber. Bei der Untersuchung findet sich eine Druckdolenz im rechten Oberbauch und bei etwa einem Drittel kann die gestaute Gallenblase als Resistenz palpiert werden. In der Regel findet sich eine Leukozytose.
Diagnostik 36.6.1
Akute Cholezystitis
Der Begriff akute Cholezystitis wird klinisch und pathologisch-anatomisch verwendet. Pathologisch-anatomisch beinhaltet er alle Formen akuter entzündlicher Veränderungen der Gallenblase.
Grundlagen Epidemiologie Etwa 20% der Cholezystektomien werden
bei akuter Cholezystitis vorgenommen (Wölnerhanssen et al. 2005). Im Gegensatz zur Verteilung der Cholezystoli-
Die klinische Diagnose einer akuten Cholezystitis wird durch die abdominelle Sonographie bestätigt. Differenzialdiagnostisch müssen in erster Linie akut entzündliche Erkrankungen der Leber, die akute Appendizitis, die akute Pankreatitis sowie das penetrierende oder perforierte peptische Ulkus in Betracht gezogen werden. Die Abklärung erfolgt durch blutchemische Untersuchungen, Sonographie und ggf. Computertomographie bzw. Gastroduodenoskopie. Das im Stehen angefertigte Thoraxröntgenbild informiert am zuverlässigsten über freie, subphrenische Luft und lässt eine pleuropulmonale Erkrankung als Ursache der Oberbauchschmerzen ausschließen.
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690
Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
. Abb. 36.44 Akute Cholezystitis im Längsschnitt. Hydrops der Gallenblase mit erheblicher, unregelmäßiger Wandverdickung und -ödem (hypoechogener intramuraler Saum in longitudinaler Ausrichtung). Wenig freie Flüssigkeit in der Gallenblasenloge. Echoreiche Konkremente mit dorsalem Schallverlust, daneben Gries/ Sludge mit Niveaueinstellung zur Galle
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Sonographie Die Sonographie ist die meist angewendete Untersuchungstechnik und Methode der Wahl. Die Diagnose einer akuten Cholezystitis gelingt mit einer Erfolgsrate von 85–95% (Brink et al. 1998). Die beiden Kriterien des Konkrementnachweises zusammen mit dem »sonographic Murphy sign«, maximale Druckdolenz bei Positionierung des Schallkopfs über der Gallenblase, ergeben eine Sensitivität von 92%. Typischerweise ist die akut entzündete Gallenblase groß (Längsdurchmesser >10 cm), wandverdickt (Wanddurchmesser >4–5 mm, normal 2–3 mm), hat einen intramuralen, hypoechogenen Randsaum (Ödem) und ist neben den Konkrementen ausgefüllt mit echogenem Material (Sludge, Pus oder Blut bei der hämorrhagischen Cholezystitis), das positionsabhängig, der Schwerkraft folgend, eine Niveaueinstellung zum Gallensaft aufweist. Häufig findet sich um die Gallenblase wenig freie Flüssigkeit (. Abb. 36.44). Sonographische Befunde bei akuter Cholezystitis sind: 4 Gallensteine: Nachweis gelingt in 95–100% (Marzio et al. 1992). 4 Wandverdickte Gallenblase: Nebst der akuten Cholezystitis als häufigste Ursache wird bei folgenden Erkrankungen eine verdickte Gallenblasenwand gefunden (Brink et al. 1998): 5 Chronische Cholezystitis, Adenomyomatose, Gallenblasenkarzinom 5 Chronische Hepatitis, Leberzirrhose (bei Vorliegen von Aszites) 5 Akute Pankreatitis (Begleitödem) 5 Ulcus duodeni (lokale entzündliche Infiltration) 5 (Rechts-)Herzinsuffizienz, Niereninsuffizienz, Hypoproteinämie (Flüssigkeitsretention im dritten Raum)
. Abb. 36.45 CT-Schnitt auf Höhe der Gallenblasenloge nach intravenöser Kontrastmittelapplikation. Die verdickte Gallenblasenwand zeigt ein deutliches, diskret unregelmäßiges Enhancement. Wenig Flüssigkeit um die Gallenblase. Die Konkremente sind nicht verkalkt und im CT nicht erkennbar
5 Multiples Myelom (Ätiologie unbekannt) 5 AIDS (Ätiologie unbekannt) 4 Lediglich 70% der akuten Cholezystitiden zeigen anlässlich der Untersuchung auf der Notfallstation die typische Wandverdickung. Dieses Kriterium ist abhängig vom zeitlichen Intervall zwischen Auftreten der Symptome und der sonographischen Untersuchung (Laing et al. 1981). 4 Lokale, entzündliche Infiltration: das Wandödem präsentiert sich als hypoechogenen, intramuralen Saum. Beim Gallenblasenempyem und der nekrotisierenden Cholezystitis kommt es zusätzlich zu einer sonographisch nachweisbaren Infiltration des Fettgewebes in der Gallenblasenloge und des angrenzenden Leberparenchyms. Dies gilt insbesondere für die seltene, xanthogranulomatöse Cholezystitis. Diese lokalen Infiltrationen machen eine Unterscheidung zu einer tumorösen Infiltration häufig unmöglich. 4 Hydrops der Gallenblase: Die akute Cholezystitis wird mehrheitlich ausgelöst durch ein im Infundibulum oder D. cysticus impaktiertes Konkrement. Lediglich bei längerer Nahrungskarenz bzw. parenteraler Ernährung (IPS-Patienten) kann eine normale Gallenblase einen Längsdurchmesser von >10 cm erreichen. Computertomographie Durch lokale Flüssigkeits-Einlagerung wird die verdickte Gallenblasenwand von ihrem Bett separiert. Sie zeigt ein verstärktes Kontrastmittel-Enhancement (Yamashita et al. 1995) (. Abb. 36.45). Auch in der CT kann eine Unterscheidung zu einem Tumor Schwierigkeiten bereiten.
691 36.6 · Komplikationen der Cholezystolithiasis
Magnetresonanztomographie T2-gewichtete Sequenzen analog zur MRC zeigen eine vergleichbar hervorragende Sensitivität wie die Sonographie und CT (Regan et al. 1998). Mittels MRC können in 4% der Patienten mit Cholezystolithiasis klinisch stumme Gallengangssteine festgestellt werden (Nebiker et al. 2009).
Therapieziele und Indikationsstellung > Die Cholezystektomie ist die Therapie der Wahl der akuten Cholezystitis.
Der Vorteil der frühzeitigen Cholezystektomie ist gut belegt (Johansson et al. 2003; Knight et al. 2004; Papi et al. 2004; Polymeneas et al. 2004). Hauptvorteil ist ein insgesamt kürzerer Spitalaufenthalt ohne höhere Morbidität oder Mortalität. Beim Eingriff innerhalb von 1–2 Tagen nach Klinikeintritt werden die Patienten weder dem Risiko des Notfalleingriffs noch jenem des Rezidivs bei der Cholezystektomie à froid ausgesetzt. Die frühe Cholezystektomie ist allerdings nicht überall Standard (Cameron et al. 2004). Die Zeit nach Klinikeintritt wird dazu verwendet, notwendige Abklärungsuntersuchungen durchzuführen und die präoperativen therapeutischen Maßnahmen einzuleiten. Dazu gehören intravenöse Flüssigkeitszufuhr, antibiotische Therapie und evtl. Magensonde. Das klinische Bild bessert sich bei der Mehrzahl der Patienten mit akuter Cholezystitis rasch unter diesen konservativen Maßnahmen, sodass die frühzeitige Cholezystektomie geplant werden kann. Bei Zunahme von Schmerzen, Lokalbefund und Zeichen der Sepsis trotz antibiotischer Therapie besteht das Risiko der Gallenblasenperforation und es ist die Indikation zur unverzüglichen notfallmäßigen Operation gegeben.
griffs wie bei elektiver Cholezystektomie (Johansson et al. 2003; Ubiali et al. 2002). Sie ist allerdings technisch viel schwieriger als die laparoskopische Cholezystektomie bei fehlender akuter Entzündung und sollte deshalb von einem in laparoskopischer Chirurgie erfahrenen Chirurgen durchgeführt werden. Die laparoskopische Operation bei akuter Cholezystitis ist technisch einfacher, wenn sie in der akut-ödematösen Phase operiert wird, d. h. 24–48 h nach Klinikeintritt. 3–7 Tage nach Hospitalisation besteht eine beginnend fibrosierende Entzündung, die die laparoskopische Präparation erschwert (Lo et al. 1996). Bei einem Patienten mit akuter Cholezystitis und kritischem Allgemeinzustand können eine antibiotische Therapie und eine perkutane Cholezystostomie mit sonographisch gesteuerter Drainage durchgeführt werden. In einer Studie bei 809 Patienten mit akuter Cholezystitis wurde dies bei 10,6% der Operationen vorgenommen (Wiseman et al. 2010).
Operationstechnik In der Regel müssen Netzadhäsionen gelöst und die gestaute Gallenblase punktiert werden. In einzelnen Fällen kann eine »Fundus-first-Technik« angewendet werden (Rosenberg u. Leinskold 2004). Ein dilatierter Ductus cysticus wird am besten mit einem Endo-GIA durchtrennt (Yeh et al. 2004). Die Extraktion der Gallenblase sollte in einem Bergebeutel erfolgen. Bei unübersichtlicher Anatomie sollte die Schwelle zum Umstieg auf eine offene Cholezystektomie niedrig sein, damit kein erhöhtes Risiko für eine Gallengangsverletzung eingegangen wird. Die Umsteigerate beträgt im eigenen Krankengut bei 498 laparoskopischen Operationen bei akuter Cholezystitis 19%, initial 27%, in den letzten Jahren 12% (Wölnerhanssen et al. 2005) und in der Literatur teilweise unter 5% (Asoglu et al. 2004).
Wahl des Operationszeitpunktes Bei der akuten Cholezystitis kann die Cholezystektomie entweder »früh« (während der gleichen Hospitalisation) oder »spät« (zunächst konservative antibiotische Therapie, Operation bei Rehospitalisation mindestens 6 Wochen nach Ersthospitalisation) geplant werden. In Metaanalysen wurden Vorteile für die frühe Cholezystektomie festgestellt. Die Operationszeit ist zwar verlängert, die Morbidität und die Wahrscheinlichkeit eines Umstiegs auf offene Operation sind jedoch nicht signifikant verschieden (Siddiqui et al. 2008). Die Hospitalisationszeit ist insgesamt kürzer (Gurusamy et al. 2010), die Kosten geringer (Wilson et al. 2010).
Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl Operation der Wahl bei akuter Cholezystitis ist die laparoskopische Cholezystektomie. Sie bietet bei vergleichbarer Sicherheit die gleichen Vorteile des laparoskopischen Ein-
Ergebnisse Die Letalität der Cholezystektomie bei akuter Cholezystitis liegt in der Größenordnung von 0–3% (Asoglu et al. 2004; Lo et al. 1996; Wölnerhanssen et al. 2005).
36.6.2
Biliodigestive Fisteln
Biliodigestive Fisteln entstehen bei Cholelithiasis infolge Erosion, Drucknekrose und schließlich gedeckter Perforation der Gallenblasenwand (seltener eines anderen Teiles des Gallenwegssystems) in ein benachbartes Organ. Die Fistelung betrifft in etwa 75% der Fälle das Duodenum, in etwa 15% das Kolon und in den übrigen Fällen den Magen oder den D. hepatocholedochus (Glenn et al. 1981).
36
692
Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
Klinische Symptomatologie Klinisch kann sich eine biliodigestive Fistel durch Gallensteinileus, aszendierende Cholangitis oder Gallensäurenverlustsyndrom manifestieren. Der Gallensteinileus ist eine der Ileusursachen bei Patienten ohne abdominale Voroperation und ohne abdominelle Hernie. In etwa der Hälfte der Fälle findet sich eine Anamnese von Gallensteinleiden. Cholezystoduodenale Fisteln sind oft asymptomatisch, gelegentlich bestehen unspezifische Oberbauchbeschwerden. Bei cholezystokolischer Fistel findet sich meist eine Anamnese von häufigen Stuhlentleerungen, Diarrhö oder Steatorrhö wegen des Gallensäurenverlustsyndroms und Fieberepisoden oder Schüttelfrost wegen der aufsteigenden Cholangitis. Bei cholezystogastraler Fistel kann eine Magenentleerungsstörung auftreten (Bouveret-Syndrom).
Diagnostik Der Nachweis eines Luftcholangiogramms auf dem Röntgenleerbild ist diagnostisch für eine biliodigestive Fistel. Die Fisteldarstellung erfolgt durch Kontrastmitteluntersuchungen des Magen-Darm-Traktes (Magen-Darm-Passage oder Kolondoppelkontrast) bzw. der Gallenwege (intravenöse Cholangiotomographie, ERCP oder PTC). Beim Gallensteinileus ist typischerweise ein verkalktes Konkrement von über 2,5 cm Durchmesser im Leerbild erkennbar, meist im Ileum, seltener im Jejunum oder Sigma (Morrissey u. McSherry 1994).
Therapieziele und Indikationsstellung
36
Bei asymptomatischer biliodigestiver Fistel (speziell bei cholezystoduodenaler Fistel) und betagtem Patient kann primär auf eine Operation verzichtet werden. In allen anderen Fällen ist die Indikation zur Operation in der Regel gegeben. Beim Gallensteinileus besteht immer die Indikation zur notfallmäßigen Operation.
Operation bei Gallensteinileus Bei der Notfalloperation wegen Gallensteinileus wird das obstruierende Konkrement nach oral in den Bereich einer gut durchblutenden dilatierten Darmschlinge bewegt und dort durch eine Enterotomie entfernt. Bei Ischämie oder Perforation ist eine Darmsegmentresektion notwendig. Zur Vermeidung eines Ileusrezidivs (in etwa 5% der Fälle) sollten weitere größere Steine im Darm proximal der Obstruktion oder in der Gallenblase entfernt werden (Clavien et al. 1990). Die Frage, ob gleichzeitig mit der Behebung des Ileus auch eine Cholezystektomie und Fistelsanierung durchgeführt werden soll, ist umstritten (Rodriguez et al. 1997; Zügel et al. 1997). Die Mortalität der Operation bei Gallensteinileus liegt meist im Bereich von 5–15% (Morrisey u. McSherry 1994; Zaliekas u. Munson 2008). In einer Literaturzusammenstellung von über 1000 Fällen mit Gallensteinileus betrug die Mortalität bei der Enterolithotomie allein 11,7% und bei der gleichzeitigen Operation der biliodigestiven Fistel 16,9% (Reisner u. Cohen 1994). Bei Risikopatienten ist es sicherer, bei der notfallmäßigen Operation nur die Darmobstruktion zu beheben und die Cholezystektomie mit Fistelverschluss in einem zweiten elektiven Eingriff zu planen. Bei etwa einem Drittel der Patienten kann wegen fehlender Beschwerden auf eine zweite Operation verzichtet werden.
36.6.3
Mirizzi-Syndrom
Mirizzi hat 1948 ein Syndrom beschrieben, bei dem es wegen starker Entzündung im Bereich der cholezystohepatischen Mündung durch ein inkarzeriertes Konkrement zu einer Stenose des D. hepaticus kommt (Mirizzi 1948). Dieses Krankheitsbild wurde später von McSherry et al. (1982) als Mirizzi I, eine im weiteren Verlauf entstehende Fistel zwischen Gallenblase und D. hepaticus als Mirizzi II klassifiziert.
Operationstechnik Therapie der Wahl ist die technisch meist anspruchsvolle Cholezystektomie und der Verschluss der Fistel zum betroffenen Darmabschnitt mittels Naht der Darmwand bzw. der Magenwand. Die Operation wird oft durch die chronische Cholezystitis mit Ausbildung einer Schrumpfgallenblase erschwert. Bei präoperativ bekannter biliodigestiver Fistel empfiehlt sich in der Regel eine offene Operation. Eine laparoskopische Operation ist in einzelnen Fällen möglich (Sharma et al. 2004). Im Fall von cholezystokolischer Fistel wurde der erfolgreiche Fistelverschluss mittels endoskopischem linearem Stapler (Endo-GIA 30) beschrieben (Ibrahim et al. 1995; Nixon u. Mirghani 1995).
Klinische Symptomatologie In der Mehrzahl der Fälle wird die Stenose des D. hepaticus beim Mirizzi-Syndrom als Zufallsbefund bei den präoperativen radiologischen Untersuchungen vor einer Cholezystektomie festgestellt. Bei starker Stenosierung kann auch ein Ikterus vorliegen.
Diagnostik Beim Mirizzi-Syndrom findet sich sonographisch typischerweise eine Dilatation der Gallenwege bzw. des D. hepaticus oberhalb der Zystikusmündung, ein inkarzeriertes Konkrement in der Gallenblase oder im D. cysticus und ein Kalibersprung im D. hepaticus unterhalb des inkarzerierten Steines. Diese Situation erfordert eine radiologische Darstellung der Gallenwege entweder mittels intravenöser
693 36.6 · Komplikationen der Cholezystolithiasis
Cholangiographie oder MR-Cholangiographie bzw. im Falle eines Ikterus mittels ERCP oder PTC.
Therapieziele und Indikationsstellung Beim Mirizzi-Syndrom ist grundsätzlich die Indikation zur Operation gegeben. Bei Ikterus und hohem Operationsrisiko kann die Cholostase im Einzelfall durch einen biliären Stent behoben werden (Binnie et al. 1992).
Operationstechnik Die Cholezystektomie ist beim Mirizzi-Syndrom technisch meist schwierig. Erfolgreiche laparoskopische Operationen wurden beschrieben (Paul et al. 1992; Schäfer et al. 2003). Für den laparoskopisch nicht sehr erfahrenen Chirurgen empfiehlt sich eine offene Operation bzw. ein Umstieg auf offene Operation bei der Schwierigkeit, eine übersichtliche Präparation zu erreichen. Bei unklarer Anatomie sollte eine intraoperative Cholangiographie angestrebt werden. Beim Mirizzi-Typ I sollte versucht werden, den inkarzerierten Stein in die Gallenblase zu bewegen. Bei der Präparation empfiehlt sich eine »Fundus-first-Technik«. Gelegentlich ist es ratsam, einen Teil des »Steinbettes«, d. h. des D. cysticus oder des Infundibulums der Gallenblase in situ zu belassen, um eine risikoreiche Präparation nahe am D. hepaticus zu vermeiden. Im Zweifelsfall sollte eine intraoperative Schnellschnittuntersuchung durchgeführt werden, da bei 6–28% der Patienten mit Mirizzi-Syndrom ein Gallenblasenkarzinom vorliegt (Lai u. Lau 2006). Beim Mirizzi-Typ II wird die Gallenblase bzw. der D. cysticus über dem inkarzerierten Stein eröffnet und damit die Fistelöffnung im D. hepaticus freigelegt. In diese Fistelöffnung im Gallengang wird nach der Cholezystektomie ein T-Drain eingelegt (Baer et al. 1990; Dewar et al. 1991). Bei großen Fisteln kann eine Hepatikojejunostomie notwendig sein (Elwood 2008). 36.6.4
Literatur
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
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36.7
Cholangitis und intrahepatische Cholelithiasis B. Kern, C. Ackermann
Bei der akuten Cholangitis handelt es sich um eine meist bakterielle Entzündung der Gallengänge, die der Antibiotikatherapie sowie der Dekompression der Gallenwege bedarf. Die Papillenstenose ist eine benigne, organische, nichtneoplastische Verengung der Papille. Sie wird heute zusammen mit der Papillendyskinesie zum Begriff der Papillendysfunktion zusammengefasst. Unter intrahepatischer Cholangiolithiasis (intrahepatische Lithiasis, Hepatolithiasis) versteht man das Vorhandensein von Gallensteinen in den Gallengängen oberhalb der Gabelung vom linken und rechten Ductus hepaticus (auch wenn diese Gabelung extrahepatisch liegt).
36.7.1
Akute Cholangitis
Pathogenese Die akute Cholangitis ist eine bakterielle, selten parasitäre Entzündung der Gallengänge. Voraussetzung für einen solchen Infekt ist eine biliäre Stase, die in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle durch eine Obstruktion bei Cholangiolithiasis verursacht wird. Weniger häufig kommen andere obstruktiv wirkende Pathologien vor wie benigne Gallengangsstrikturen, stenosierende Tumoren der Gallengänge oder der periampullären Organe oder zystische Veränderungen der Gallenwege. Der häufigste Mechanismus der bakteriellen Kontamination der Gallenwege ist eine aszendierende Besiedelung aus dem Darm. Invasive diagnostische Maßnahmen wie z. B. ERCP oder PTC, Fremdkörper wie z. B. Stents, sowie biliodigestive Anastomosen sind als relevante Risikofaktoren anzusehen.
Klinische Symptomatologie Obstruktion der Gallenwege und Infekt bestimmen auch die klinische Präsentation, die von Charcot 1877 erstmals beschrieben wurde. Die nach ihm benannte Charcot-Trias besteht aus Ikterus, rechtsseitigen Oberbauchschmerzen und Fieber. Diese typische klinische Präsentation ist nur bei 60–70% der Fälle vorhanden (Hanau et al. 2000). Ein Teil der Patienten präsentieren sich mit den klinischen Zeichen des Schocks und ZNS-Symptomatik in Form von Bewusstseinsveränderungen. Diese Symptome sind als prognostisch bedenklich anzusehen.
Diagnostik Die Laborbefunde zeigen eine typische Konstellation von positiven Entzündungszeichen (CRP, Leukozytose) und Cholostaseparametern mit erhöhter alkalischer Phospha-
695 36.7 · Cholangitis und intrahepatische Cholelithiasis
tase und erhöhtem Bilirubin. Häufig bestehen positive Blutkulturen. In der Diagnostik unerlässlich ist die Ultraschalluntersuchung. Häufig zeigt diese bereits die Ursache der Cholangitis. Computertomographie, Magnetresonanztomographie und Magnetresonanz-Cholangiopankreatikographie (MRCP) geben zusätzliche Informationen über Ursache und Lokalisation der Obstruktion.
bei Cholangiolithiasis ist mit einer erheblichen Morbidität von 66% und Letalität von 32% belastet (Lai et al. 1992). Im Gegensatz dazu wird die Letalität für die endoskopische Therapie mit <10% und für die PTCD mit 5–17% angegeben (Boender et al. 1995; Sugiyama et al. 1997).
Komplikationen Therapie Die wichtigste Therapie der akuten Cholangitis besteht in einer intravenösen Antibiotikatherapie. Bei der zu erwartenden Flora handelt es sich meist um Mischinfektionen mit mehreren Keimen. Am häufigsten werden E. coli, Klebsiellen, Enterokokken, Enterobacter-Species und Anaerobier gefunden. Seltener werden Proteus-Species, Streptokokken, Pseudomonas oder Staphylokokken nachgewiesen (Kiesslich et al. 2003; Bornman et al. 2003). Dementsprechend sollte ein, wenn möglich gallegängiges Breitspektrumantibiotikum eingesetzt werden, das gemäß Antibiogramm von positiven Blutkulturen angepasst wird. Parallel dazu werden ggf. Hypovolämie und metabolische Störungen korrigiert. > Ein weiteres wichtiges Therapieziel ist die Dekompression des unter Druck stehenden infizierten biliären Systems endoskopisch mittels ERCP und gegebenenfalls Steinextraktion.
Die Dringlichkeit, mit der diese Therapie eingeleitet werden muss, richtet sich nach klinischen Kriterien, wobei insbesondere Sepsis, Schock und Mitbeteiligung des zentralen Nervensystems ein notfallmäßiges Vorgehen diktieren. Durch Einlegen entweder einer nasobiliären Sonde oder einer internen Endoprothese (Stent) wird der Abfluss sichergestellt (Sharma et al. 2005). Der Vorteil der nasobiliären Sonde besteht in der Möglichkeit der Gallenwegsspülung. Bei stabilen Patienten erfolgt die Dekompression in der Regel innerhalb 72 h (Lipsett et al. 2003). Die radiologisch-interventionelle perkutan transhepatische Cholangiodrainage (PTCD) kommt wegen vermehrter Morbidität weniger häufig zum Einsatz, ist aber eine Alternative bei Misslingen der ERCP. Eine primär chirurgische Dekompression ist nur indiziert, wenn endoskopische oder radiologisch-interventionelle Techniken versagt haben oder nicht anwendbar sind. Anlässlich des operativen Eingriffs werden die Gallenwege minimal durch einen T-Drain dekomprimiert. Maximal wird gleichzeitig die biliäre Obstruktion definitiv behoben. Dies ist im Fall einer Choledocholithiasis die Regel, richtet sich jedoch bei anderen Ursachen einer biliären Obstruktion nach dem Zustand der Patienten. Kompliziertere Eingriffe bei Strikturen, Tumoren oder Zysten müssen häufiger zweizeitig durchgeführt werden. Die primär chirurgische Therapie der akuten Cholangitis
Die Mortalität der unbehandelten akuten Cholangitis beträgt annähernd 100%. Unter der oben beschriebenen Therapie ist die Mortalität in erster Linie abhängig von der Schwere der Erkrankung: Milde Formen der akuten Cholangitis verlaufen praktisch ohne Mortalität. An der schweren Form der septischen Cholangitis sterben trotz adäquater Dekompression der Gallenwege und antibiotischer Therapie 3–11% der Patienten (Sugiyama et al. 1997). Risikofaktoren für eine steigende Komplikationsrate bzw. steigende Mortalität sind neben Komorbidität in erster Linie Komplikationen der akuten Cholangitis wie Leberabszesse und akute Niereninsuffizienz. Patienten mit abgelaufener akuter Cholangitis neigen zu Rezidiven. Als Ursache werden die entzündlich geschädigten Gallenwege und anatomische Veränderungen, wie Zustand nach biliodigestiver Anastomose, angesehen. Ebenfalls wurde eine erhöhte Inzidenz des Cholangiokarzinoms nach rezidivierenden Cholangitiden festgestellt (Tocchi et al. 2001).
36.7.2
Papillenstenose
Klinische Symptomatologie Die Papillenstenose führt infolge Abflussbehinderung von Galle und/oder Pankreassaft zu klinischen Symptomen (Tondelli et al. 1994), die oftmals ähnlich deren der Cholangiolithiasis sind: Koliken im rechten Oberbauch, Ikterus und erweiterte Gallenwege in der bildgebenden Diagnostik.
Diagnostik Aufgrund einer sehr hohen Spezifität/Sensivität erfolgt die weitere Abklärung mittels ERCP (Tzovaras et al. 1998). Im Zusammenhang mit einer Papillenstenose sind dabei 2 Befunde von Wichtigkeit: Einerseits ist die Kanülierung der Papille erschwert oder unmöglich, und andererseits besteht eine verlangsamte Entleerung eines einmal gefüllten Gallenganges. Zusätzlich sollte eine manometrische Untersuchung erfolgen, wobei bei einem basalen Sphinkterdruck von >40 mmHg von einer Papillenstenose ausgegangen werden kann. Alternativ kann auch eine MRCP durchgeführt werden. Diese Untersuchungstechnik zeigt ebenfalls eine gute und genaue Darstellung des Gallengangssystem, hat aber gegenüber der ERCP den Nachteile, dass keine
36
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
gleichzeitigen therapeutischen Interventionen durchgeführt werden können (Piccinni et al. 2004). Liegen bei einem Patienten die laborchemische Konstellation einer biliären Obstruktion, ein Gallengang von mehr als 12 mm Durchmesser im Ultraschall und der Nachweis von Kontrastmittel im Gallengang später als 45 min nach ERCP vor, so ist diese Konstellation genügend spezifisch, um eine Papillenstenose zu diagnostizieren (Hogan et al. 1988). Nach der Milwaukee-Klassifikation lassen sich 3 Patientengruppen unterscheiden: 4 Typ I: Symptome, Cholestase, Gallengang>12 mm und verzögerter Kontrastmittelabfluss 4 Typ II: Symptome und Cholestase oder Gallengang>12 mm oder verzögerter Kontrastmittelabfluss 4 Typ III: nur Symptome ohne biliäre Obstruktion
Therapie Bei Patienten des Typs I und II sollte eine endoskopische Sphinkterotomie durchgeführt werden. Diese führt in etwa 80% zu Beschwerdefreiheit. Bei Patienten des Typ III ist der Erfolg der Sphinkterotomie deutlich schlechter. Hier kann ein therapeutischer Versuch mit Relaxanzien von glatter Muskulatur wie Nitraten oder Kalziumantagonisten oder evtl. eine lokale Botulinumtoxin Applikation sinnvoll sein (Piccinni et al. 2004; Wehrmann 2004).
36.7.3
Intrahepatische Cholangiolithiasis
Epidemiologie
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Die intrahepatische Cholangiolithiasis, also der Steinnachweis proximal des Zusammenfluss des rechten und linken Hepatikusastes, ist in westlichen Ländern selten, in asiatischen Ländern jedoch deutich häufiger anzutreffen. Die Inzidenz in % aller Patienten mit Cholelithiasis beträgt in Europa ca. 1%, in Japan 4%, in Taiwan 20% und in China 38–45% (Kim MH et al. 2003; Lo et al. 1997).
Pathogenese Pathogenetisch muss unterschieden werden zwischen Gallensteinen, die in der Gallenblase oder im Ductus hepatocholedochus gebildet wurden und sekundär leberwärts dislozierten, sowie solchen, die primär in den intrahepatischen Gallenwegen gebildet wurden. Steine, die in der Gallenblase oder im Ductus hepatocholedochus gebildet werden In den westlichen Ländern stam-
men die intrahepatischen Gallensteine meist aus der Gallenblase, seltener aus dem Gallengang und sind retrograd in die intrahepatischen Gallengänge gewandert. Strikturen der intrahepatischen Gallengänge spielen pathogenetisch keine Rolle, entstehen jedoch möglicherweise sekundär als entzündliche Reaktion bei inkarzeriertem Konkrement.
Steine, die in den intrahepatischen Gallenwegen gebildet werden Es kann unterteilt werden zwischen intrahepati-
schen Steinen als Folge einer bekannten Lebererkrankung, als Folge einer Gallengangsobstruktion auf Höhe der Hepatikusgabel und der sog. primären intrahepatischen Cholangiolithiasis ungeklärter Ätiologie. 4 Intrahepatische Steinentstehung bei Lebererkrankungen: Intrahepatische Steinentstehung findet sich
bei verschiedenen Lebererkrankungen wie Caroli-Syndrom, Hydatidenzysten, Abszess, Karzinom. 4 Intrahepatische Steinentstehung bei Gallenwegobstruktion. Eine Abflussstörung der Galle auf Höhe der
Hepatikusgabel kann aufgrund von Stase und Infekt zur intrahepatischen Lithiasis führen. Ursache ist meist eine postoperative Stenose nach Gallenwegverletzung oder Hepatikojejunostomie. 4 Primäre intrahepatische Cholangiolithiasis: In asiatischen Ländern tritt die intrahepatische Cholangiolithiasis als eigenständiges Krankheitsbild auf, oft zusammen mit einer extrahepatischen Cholangiolithiasis, aber meist ohne Cholezystolithiasis. Praktisch immer lässt sich eine bakterielle Cholangitis nachweisen. Häufig assoziiert ist ein parasitärer Befall (Clonorchis sinensis, Ascaris lumbricoides). Man bezeichnet dieses Krankheitsbild auch als Orientalische Cholangiohepatitis. Ätiologisch kommen auch Genmutationen und pathologische Proteinexpressionen als möglicher Pathomechanismus in Frage (Kokuryo et al. 2003). Die primäre intrahepatische Cholangiolithiasis rezidiviert häufig und gilt als Risikofaktor des Cholangiokarzinoms (Kim et al. 2003).
Klinische Symptomatologie Typisch für die Hepatolithiasis sind Schmerzen im rechten Oberbauch. Ikterus und Fieber finden sich in etwa der Hälfte der Fälle. Die Leberwerte sind in über 80% der Fälle pathologisch. In Spätstadien kann eine biliäre Zirrhose mit Aszites entstehen und das Risiko eines Cholangiokarzinoms ist erhöht (Hwang et al. 2004).
Diagnostik Die Sonographie kann in der Hand des geübten Untersuchers bei ca. 70% die intrahepatische Cholangiolithiasis nachweisen und gehört standardmäßig in die präoperative Diagnostik. Im Computertomogramm sind die in der Regel viel Pigment und wenig Kalzium enthaltenden intrahepatischen Steine meist schlecht sichtbar. Die MRCP ist die Untersuchung der Wahl und erlaubt meist eine genaue Darstellung und Lokalisation von intrahepatischen Steinen, sowie den Nachweis von gallengangsstrikturen und -erweiterungen. Alternativ bieten sich die ERCP und PTC an, die mit hoher Genauigkeit gleich gute Resultate wie die MRCP liefern jedoch mit höherer Invasivität. Beim Vorliegen von
697 36.7 · Cholangitis und intrahepatische Cholelithiasis
ausgeprägten Gallengangsstrikturen ist die MRCP der ERCP überlegen (Sugiyama et al. 2001; Kim et al. 2002). Intraoperativ kann die Hepatolithiasis durch Cholangiographie oder alternativ durch intraoperative Sonographie nachgewiesen werden. Konkremente in den beiden Hepatikusästen können auch cholangioskopisch diagnostiziert werden.
Therapie Intrahepatische Gallensteine können grundsätzlich medikamentös (Chemolitholyse), mit Hilfe extra- und/oder intrakorporeller Stoßwellenlithotripsie, instrumentell (endoskopisch-retrograd bzw. perkutan durch liegenden T-Drain oder durch transhepatische Fistel) und operativ angegangen werden. Die chirurgische Therapie steht dabei im Vordergrund, da sie nicht nur die Steinentfernung, sondern auch die dauernde Behebung einer Galleabflussstörung ermöglicht. Operative Techniken zur Steinentfernung Folgende Techni-
ken stehen zur Verfügung: 4 Gallenwegsrevision durch Choledochotomie, bzw. durch Hepatikotomie 4 Transhepatische Cholangiolithotomie 4 Leberresektion (beseitigt auch das Risiko der Entwicklung eines Cholangiokarzinoms) 4 Lebertransplantation Verfahrenswahl Die Verfahrenswahl richtet sich nach der
Lokalisation der intrahepatischen Lithiasis, und dem Vorhandensein von Gallenwegstenosen. 4 Keine oder extrahepatische Gallenwegsstenose:
Gallenwegsrevision evtl. kombiniert mit Papillotomie bzw. Papillenplastik oder Hepatikojejunostomie (bzw. Hepatikoduodenostomie) 4 Steine und Gallenwegsstenose, Bereich rechter Leberlappen: Segmentresektion oder Hemihepatekto-
mie rechts, evtl. Hepatikojejunostomie mit Roux-YSchlinge 4 Steine und Gallenwegsstenose, Bereich linker Leberlappen: Links laterale Segmentektomie oder Hemi-
hepatektomie links, evtl. Hepatikojejunostomie mit Roux-Y-Schlinge 4 Hepatolithiasis mit sekundärer biliärer Zirrhose: ggf. Lebertransplantation
Ergebnisse Die Hepatektomie ist heutzutage eine sichere Behandlungsmöglichkeit bei intrahepatischer Cholangiolithiasis. Sie zeigt eine sehr gute Erfolgsrate mit einer auch im Langzeitverlauf hohen Steinfreiheitsrate (Jjang et al. 2010; Chen et al. 2004). Durch Entfernung der Steine sowie der intraduktalen Stenosen und Dilatationen wird zusätzlich das Risiko eines Cholangiokarzinoms deutlich reduziert.
Die Resultate der Hepatikojejunostomie sind ebenfalls gut. Das Problem ist eine signifikant höhere Rate von Cholangitiden postoperativ. In der Arbeit von Kusano et al. (2001) zeigen 30% der Patienten nach Hepaticojejunostomie wegen Hepatolithiasis eine Cholangitis. Der Stellenwert der Lebertransplantation ist umstritten. Größere Fallzahlen liegen nicht vor. Chen et al. (2010) berichten von 15 Patienten mit Hepatolithiasis und sekundärer biliärer Zirrhose mit gutem Verlauf nach Transplantation. Nichtoperative Techniken zur Steinentfernung Nichtope-
rative Vorgehen sind möglich bei Patienten, die dem operativen Risiko nicht ausgesetzt werden können oder die eine operative Therapie ablehnen. 4 Extrakorporelle und/oder intrakorporelle Lithotrypsie: Impaktierte Steine oder Steine, die von der Größe
nicht durch einen T-Drain passen, können mittels intra- und/oder extrakorporeller Behandlung zertrümmert werden. Die Zertrümmerung erfolgt entweder mittels Stoßwellen oder mittels Laser durch sonographische Ortung des Steines von außen oder endoskopisch. Die Methode hat eine niedrige Morbidität und Mortalität. Der Fragmentationserfolg wird mit bis zu 90% angegeben (Adamek et al. 1999; Xu et al. 2002). 4 Perkutan transhepatische Verfahren: Die perkutan transhepatischen Verfahren ermöglichen einen sicheren Zugang ohne Notwendigkeit einer Laparotomie. Gallenwegsstrikturen können aufdilatiert werden und intrahepatische Steine können über Körbchenkatheter und mittels cholangioskopischer Kontrolle extrahiert werden. Eine Kombination mit einem Stoßwellenverfahren ist möglich. Es besteht ein nicht unbedeutendes Risiko von Rezidivsteinen und Cholangitiden (Neuhaus 1999; Huang et al. 2003).
36.7.4
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36.8
Gallengangszysten und Caroli-Krankheit J. Wydler, R. Schlumpf
Gallengangszysten und Caroli-Krankheit sind seltene Erkrankungen der Gallenwege, die jedoch wegen ihrer Komplikationen, wie rezidivierende Cholangitiden und Pankreatitiden, Abszesse, Steinbildung, und dem hohen Risiko einer malignen Entartung einen problematischen Langzeitverlauf aufweisen. Die Therapie muss typenspezifisch und häufig interdisziplinär erfolgen.
36.8.1
Epidemiologie
Die zystische Erweiterung der Gallenwege ist eine seltene Anomalie, die sowohl die intra- oder extrahepatischen Anteile des Gallengangssystems als auch beide zusammen befallen kann. Die Inzidenz dieses erstmals 1852 beschriebenen Krankheitsbildes variiert von 1:13.000 bis zu 1:2.000.000 Geburten, mit sehr großen Unterschieden in der geographischen Verteilung, ist in Asien gar mit einer Inzidenz von 1:1000 zu rechnen. Diese unterschiedliche Prädisposition ist ungeklärt, genauso wie die Geschlechtsverteilung (Singham et al. 2009). Annähernd 80% aller Patienten sind weiblichen Geschlechts. Typischerweise handelt es sich um ein chirurgisches Problem der Kindheit und Jugend und dennoch wird bei ca. 20% der Patienten die Diagnose erst im Erwachsenenalter gestellt. Im Gegensatz dazu kann die Caroli-Krankheit in jedem Alter auftreten und zeigt keine ethnische, geographische oder geschlechtsspezifische Prädominanz. Bei diesem Krankheitsbild treten kongenitale Ektasien der intrahepatischen Gallenwege multipel oder solitär, diffus in der ganzen Leber oder segmental beschränkt auf. Bei den seit 1958 über 200 publizierten Fällen wird ein autosomal-rezessiver Vererbungsmodus angenommen (Benhidjeb et al. 1996a).
36.8.2
Klassifikation
Die 1977 von Todani vorgeschlagene Klassifikation, die auf der klassischen Einteilung von Alonso-Lej aus dem Jahre 1959 beruht, hat sich durchgesetzt (. Abb. 36.46; Todani et al. 1977):
699 36.8 · Gallengangszysten und Caroli-Krankheit
. Abb. 36.46 Klassifikation der Gallengangszysten nach Todani
4 Typ I: Zystische Dilatation des extrahepatischen Gal-
4 4 4
4
lenganges 5 a »Gewöhnliche« Choledochuszyste 5 b Segmentale Dilatation 5 c Diffuse Dilatation Typ II: Divertikel des extrahepatischen Gallenganges Typ III: Zystische Dilatation oder Divertikel des intraduodenalen Anteiles des Ductus choledochus Typ IV: Multiple Zysten 5 a Intra- und extrahepatisch 5 b Nur extrahepatisch Typ V: Intrahepatische Zysten (solitär oder multipel) – Caroli-Krankheit 5 Unilobulärer Typ 5 Diffuser Typ
Bei der Caroli-Krankheit wird unterschieden zwischen einer einfachen, oft unilobulären Form und dem häufi-
geren diffusen Typ, der mit einer periportalen Fibrose einhergeht (. Abb. 36.46). Die exakte Inzidenz der verschiedenen Typen von Zysten ist wegen der verschiedenen verwendeten Klassifikationen nicht genau bekannt, ungefähr fallen jedoch auf den Typ Ia 65%, Ib<1%, Ic 15%, II 3%, III 5%, IVa 10%, IVb<1% und V<1% (Tsao et al. 1994).
36.8.3
Pathogenese
Mit verschiedenen Theorien versucht man, die Ätiologie und Pathogenese dieses Krankheitsbildes zu erklären. Trotz vieler Diskussionspunkte und neuesten Untersuchungsresultaten ist die von Babitt (1969) aufgestellte »Common-channel-Theorie« weltweit akzeptiert, vermag jedoch sicherlich nur einen Teil der Fälle zu erklären. Babitt demonstrierte eine anormale pankreatobiliäre Mün-
36
700
36
Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
dung, bei der der Ductus Wirsungianus 2–3,5 cm proximal der Ampulla Vateri senkrecht in den Choledochus eintritt (normalerweise bis 5 mm). Dadurch kommt es nicht nur zu einem außerordentlich langen gemeinsamen Gang, sondern der Zusammenfluss liegt auch außerhalb des Sphincter Oddi und es fehlt somit ein eigener Sphinktermechanismus. Wegen des höheren intraluminalen Drucks im Ductus pancreaticus ergibt sich ein Reflux von Pankreassaft in die Gallenwege. Das im Gallensaft auch ohne duodenale Enterokinase aktivierte Trypsinogen bricht das Gallengangsepithel auf und leitet eine submuköse Entzündung ein, die die Wand zunehmend schwächt (Babitt 1969). Höhere Amylasewerte in der Gallenflüssigkeit in der Choledochuszyste im Vergleich zu Kontrollpatienten konnten nachgewiesen werden (Sugiyama et al. 2004). Allerdings haben einerseits mehr als 30% der Patienten mit Gallengangszysten unauffällige Mündungsverhältnisse und andererseits entwickeln viele Menschen mit einem »common channel« keine Zysten. Daneben wurden andere Möglichkeiten für das Vorhandensein von Pankreassaft in den Gallenwegen nachgewiesen (Benhidjeb et al. 1996a). So fand sich sowohl bei Gesunden als auch bei Patienten mit Gallengangszysten mit einer Häufigkeit zwischen 4% und 98% ektopes Pankreasgewebe in der Gallengangswand. Auch konnten elektronenmikroskopisch verschiedene cholangiovenöse und cholangiolymphatische Refluxwege dargestellt werden. Dass es sich bei den Gallengangszysten aber nicht nur um ein erworbenes, sondern auch um ein kongenitales Leiden handeln kann, konnte mittels pränataler Ultraschalluntersuchung gezeigt werden. Zudem sind die pankreatischen Enzyme bei Kindern unter 2 Monaten noch nicht aktiviert, was wieder für eine kongenitale Theorie spricht (Yamashiro et al. 1993). Die Vielfalt von synchron vorkommenden Anomalien scheint Ausdruck einer multifaktoriellen und komplexen embryologischen Störung zu sein, sodass die genaue Ätiologie dieses Krankheitsbildes weiterhin unklar ist (Singham et al. 2009).
36.8.4
Klinische Symptomatologie
Ikterus, Bauchschmerzen und palpabler Tumor als klassisch beschriebene Symptomentrias finden sich bei bis zu 60% der Patienten, vor allem bei Kindern und Jugendlichen, in Erwachsenenserien jedoch deutlich seltener. Häufig präsentiert sich die Erkrankung unspezifisch, und die Symptome treten einzeln oder in Kombination auf: Ikterus in 45–64%, palpabler Tumor in 37–58% und Abdominalschmerzen in 51–55% (Tsao et al. 1994). Bei Erwachsenen resultieren die Symptome vielfach in assoziierten Komplikationen wie Cholangitis, Zystolithiasis, Choledocholithiasis, Hepatolithiasis, Pankreatitis, Leberabszesse, biliäre Zirrhose, portale Hypertension und maligne Ent-
artung der Zystenwand oder anderswo im Gallen- oder Pankreasgangsystem. Weitere Symptome sind Fieber, Koliken, Übelkeit, Erbrechen, Gewichtsverlust, Pruritus und gastrointestinale Blutungen. Sponate Rupturen mit galliger Peritonitis sind selten. 4 Klassische Symptomentrias: Ikterus, Bauchschmerz, palpabler Tumor 4 Assoziierte Komplikationen: Cholangitis, Lithiasis (Zystolithiasis, Choledocholithiasis, Hepatolithiasis), Pankreatitis, Leberabszess, biliäre Zirrhose, portale Hypertension, maligne Entartung 4 Unspezifische Symptome: Fieber, Koliken, Erbrechen, Gewichtsverlust, Pruritus. gastrointestinale Blutung
36.8.5
Diagnostik
Wegen des schleichenden und zum Teil intermittierenden Verlaufes wird die Diagnose erst mit einer gewissen Latenz gestellt, in über 60% der Fälle nach mehr als einem Jahr. Oft wird das Leiden auch erst im Rahmen einer Cholezystektomie erkannt. Die Caroli-Krankheit kann das ganze Leben asymptomatisch verlaufen. Erste Symptome manifestieren sich in der Regel nach 20 Jahren, wobei Lokalisation und Ausmaß der Zysten das Beschwerdebild bestimmen. Die Krankheitszeichen sind initial meist sehr diskret, sodass auch hier viele Diagnosen verschleppt werden. In der präoperativen Evaluation und Diagnostik zeigen über 70% der Patienten im Labor pathologische Leberwerte mit Zeichen der Cholestase. Die Sonographie kann mit einer hohen Trefferquote die Diagnose stellen, weist aber deutliche Schwächen auf bei Typ-III-Zysten (Choledochozelen) sowie bei großen Zysten vom Typ I, wo die Unterscheidung von zystischen Pankreaskopfveränderungen erschwert sein kann. Hier ist speziell die Endosonographie von Vorteil. Für die Abgrenzungen eignet sich die endoskopische retrograde Cholangiopankreatographie (ERCP). Dabei ist von Vorteil, dass einerseits die genaue Ausdehnung der Zysten, Konkremente und anatomische Anomalien festgestellt und der Typ bestimmt und dass andererseits beim Typ III mit der Papillotomie gleichzeitig die Behandlung der Wahl durchgeführt werden kann. Andererseits besteht bei Patienten mit Gallengangszysten ein massiv erhöhtes Risiko einer postinterventionellen Cholangitis und Pankreatitis nach ERCP. > Die MRCP gilt heute als Diagnostikum der Wahl.
Heute hat deshalb die Computertomographie und vor allem die Magnetresonanz-Cholangiopankreatographie (MRCP) die entscheidene Stelle in der Diagnostik eingenommen. Diese Untersuchungen geben Informationen über die benachbarten Strukturen und deren Beziehung zur Zyste. Tumoröse Veränderungen der Zystenwand
701 36.8 · Gallengangszysten und Caroli-Krankheit
können am besten mittels MRT und Endosonographie nachgewiesen werden.
Therapie Die Behandlung von Gallengangszysten mittels Zystenterostomie, wie sie bis Mitte der 70er-Jahre weltweit als Goldstandard galt, ist mit einer hohen Spätmorbidität behaftet. Dazu zählen rezidivierende Cholangitiden und Pankreatitiden, Lithiasis, Leberabszesse, Anastomosenstrikturen und vor allem die maligne Entartung der Zysten. Das mit einer sehr schlechten Prognose behaftete Zystadenokarzinom der Gallengangszyste (medianes Überleben nach Diagnosestellung 8 Monate, 2-Jahres-Überleben 5%) entwickelt sich bei nichtoperierten Gallengangszysten in 2,5–28%, nach enteraler Drainage in 50%, durchschnittlich 4 Jahre postoperativ (Flanigan 1977; Tsao et al. 1994). Wegen dieser schwerwiegenden Komplikationen wurde die enterale Drainage von Gallengangszysten als Methode verlassen, heute gilt es, eine typenspezifische Behandlung zu wählen. Bei Patienten, die als Kinder noch eine Drainageoperation erhalten hatten, sollte die Zyste, mit oder ohne Symptome, noch vor dem 30. Lebensjahr radikal reseziert werden (Visser et al. 2004). > Als Prinzipien gelten deshalb: radikale Exzision der zystischen Abschnitte weit im Gesunden, stets verbunden mit einer Cholezystektomie, bei Tumorverdacht Schnellschnittuntersuchung sowie Herstellung eines ungehinderten Galleabflusses mit Verhinderung von Pankreassaftreflux in die Gallenwege.
Es ist umstritten, ob residuelle Ganganteile, entweder intrahepatisch oder intrapankreatisch, das Risiko für ein späteres Karzinom erhöhen. Dennoch wird empfohlen, die befallenen Ganganteile auch an diesen zum Teil schwer zugänglichen Bereichen radikal zu resezieren (Jordan et al. 2004). Typ I Radikale Resektion der Zyste mit Hepatikoduodenostomie oder einer Hepatikojejunostomie mit Roux-YSchlinge, wobei letzteres Verfahren wegen massiv tieferer Komplikationsrate zu bevorzugen ist (Wiseman et al. 2005). Typ II Exzision des Divertikels mit primärem Verschluss des Gallenganges über einer T-Drainage. Bei geringstem Zweifel über die Dignität in der Histologie muss eine radikale (Nach-)Operation wie bei Typ I erfolgen. Diese Zysten können sich für eine laparoskopische Resektion eignen (Lipsett et al. 2003) Typ III Die Wahl der Behandlung ist abhängig von der Größe. Kleine intramurale Choledochozelen (<3 cm) können
effizient mit der endoskopischen Papillotomie therapiert werden. Bei größeren Choledochozelen (>3 cm) erfolgt die transduodenale Exzision der Zyste. Dabei muss der Ductus pankreaticus dargestellt und geschont werden. Zur Lokalisation kann eine intraoperative Ultraschalluntersuchung hilfreich sein. Falls der Pankreasgang posterior in die Choledochozele mündet, sollte er in die duodenale Mukosa reimplantiert werden. Alternativ kann die Zystenwand mit der Pankreatikusmündung belassen werden. Regelmäßige Nachkontrollen sind jedoch erforderlich. Typ IVa Bei Patienten mit intra- und extrahepatischen
Gallengangszysten ist eine extrahepatische Exzision bis weit in den Leberhilus hinein und die Schaffung einer breiten Hepatikojejunostomie indiziert. Trotzdem ist der Erfolg der Operation unsicher, treten doch in 23–44% biliäre Spätkomplikationen, wie rezidivierende Cholangitiden, Anastomosenstrikturen und Steine, auf. Es ist deshalb von Bedeutung, intraoperativ die Gallenwege weit nach intrahepatisch entweder radiologisch oder endoskopisch darzustellen, um vorhandene Strikturen zu erkennen und evtl. mit einer Duktoplastik zusätzlich zu versorgen (Todani et al. 1998). Um spätere endoskopische Reinterventionen zu erleichtern, kann die jejunale Schlinge gegen die Bauchwand hin fixiert werden (Hewitt et al. 1995). 43% der Patienten mit Typ-IVa-Zysten zeigen eine Beschränkung der Erkrankung auf den linken Leberlappen (Lenriot et al. 1998). In diesen Fällen sollte der Exzision eine Hemihepatektomie links angeschlossen werden, um die erwähnten Spätkomplikationen zu vermeiden. Typ IVb Hier ist die chirurgische Behandlung vom genauen
Befund bzw. der Ausdehnung abhängig zu machen. Typ V (Caroli-Krankheit) Die meisten Erwachsenen mit Caroli-Krankheit weisen einen unilobulären Typ auf, zu 90% ist der linke Leberlappen befallen. Bei ausreichender hepatischer Reserve stellt die Leberteilresektion die Behandlung der Wahl dar und führt zu einer Heilung. Diffuser Typ Falls die betroffenen Gallengangsabschnitte
nicht resezierbar sind, bleibt die Prognose schlecht und ist durch rezidivierende Cholangitiden, Infekte und Steinbildungen mit zunehmender Leberzirrhose gekennzeichnet. Die Anwendung medikamentöser, endoskopischer und chirurgischer Verfahren sowie der Stoßwellenlithotripsie einzeln oder in Kombination hat dabei höchstens palliativen Charakter. Zudem ist die Inzidenz von Gallengangstumoren 100-mal häufiger (Benhidjeb et al. 1996b). Wegen dieser Problematik kann die Lebertransplantation als Behandlungsoption angesehen werden, Langzeitresultate fehlen jedoch noch. Die Indikation und Festlegung
36
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
des Transplantationszeitpunktes sollte interdisziplinär festgelegt werden. > Patienten, bei denen eine Choledochuszyste reseziert wurde, sollten lebenslänglich regelmäßig nachkontrolliert werden. Das Risiko einer malignen Entartung sinkt auch nach Resektion nicht auf Null (Lipsett et al. 2003).
36.8.6
36
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36.9
Endoskopische Therapie der benignen Gallenwegsstrikturen P. Born, M. Classen
Die Einführung der endoskopischen Papillotomie (Classen et al. 1974; Kawai et al. 1974) im Jahre 1973 eröffnete dem interventionell tätigen Endoskopiker den Zugang zum Gallengang. Diese Methode war zunächst für die Therapie der Choledocholithiasis entwickelt worden. Aber bereits einige Jahre nach der Einführung wurde die Indikationsstellung auf die Einlage von Prothesen zur palliativen Überbrückung maligner Stenosen ausgedehnt (Soehendra et al. 1980). Von da war es dann nur noch ein kleiner Schritt zur endoskopisch retrograden Therapie benigner Strikturen. Mittlerweile hat sich, auch aufgrund technischer Verbesserungen der Ausstattung, die endoskopische Behandlung zu einem Standardeingriff bei Stenosen, sowohl am biliären System als auch am Pankreasgang, weiterentwickelt. Nahezu zeitgleich wurde der perkutan transhepatische Zugang zu den Gallenwegen (PTC) etabliert, sodass hier eine suffiziente Komplementärmethode zur Verfügung steht, wenn die endoskopisch retrograde Cholangiographie (ERC) nicht durchführbar ist. Die Vorgehensweise sollte bei jedem einzelnen Patienten in enger interdisziplinärer Zusammenarbeit zwischen Gastroenterologen und Viszeralchirurgen abgesprochen werden.
36.9.1
Pathogenese
Die Einführung und rasche Verbreitung der laparoskopischen Cholezystektomie (laparoskopische CHE) hat in besonderem Maße die Diagnostik und Therapie von biliären Läsionen neu belebt. Aber auch die Zunahme von Lebertransplantationen mit einem relativ hohen Anteil an Patienten mit anschließenden biliären Problemen sowie die mit zunehmender Häufigkeit vorgestellten Patienten mit Stenosen und Lecks nach Anlage biliodigestiver Anastomosen führten zu einer Intensivierung der weniger invasiven endoskopischen Verfahren. Neben diesen iatrogenen Ursachen gibt es aber noch eine Vielzahl von weiteren Ursachen die für das Entstehen nicht malignombedingter Gallenwegsstenosen verantwortlich sind und die interventionelle Endoskopie in unterschiedlicher Weise herausfordern.
703 36.9 · Endoskopische Therapie der benignen Gallenwegsstrikturen
Ursache benigner Gallenwegsstrikturen 4 Zustand nach Operationen – Cholezystektomie (konventionell und laparoskopisch) – Choledochotomie – Biliobiliäre Anastomosen (Reparaturoperationen, Lebertransplantation) – Biliodigestive Anastomosen – Leberteilresektionen 4 Pankreatitiden – Chronische Pankreatitis – Akute Pankreatitis 4 Cholangitiden – Infektionen (mit und ohne Steine, Kryptosporidien [AIDS]) – Sklerosierende Cholangitis (primär sklerosierende Cholangitis, sekundär sklerosierende Cholangitis, ischämiebedingt, zytostatikainduziert – Lokal fibrosierende Cholangitis 4 Abdominaltraumen – Strahlentherapie 4 Weitere Ursachen – Angeborene Veränderungen – Choledochuszysten – Gefäßanomalien
36.9.2
Klinische Symptomatologie
Das Beschwerdebild kann stark variieren. Es reicht von heftigsten Schmerzzuständen mit Fieber und Cholangitis unmittelbar nach einer Operation auftretend, bis hin zu vollkommener Beschwerdefreiheit und Spätmanifestation als sekundär biliäre Zirrhose. Im Regelfall sind aber Ikterus und Anstieg der cholestaseanzeigenen Laborparameter die wichtigsten Indikatoren, gefolgt von Oberbauchschmerzen und Cholangitis. Es werden jedoch auch immer wieder asymptomatische Patienten vorgestellt, bei denen lediglich im Rahmen von Routineuntersuchungen pathologische Laborparameter oder erweiterte Gallenwege im Ultraschall auffallen. Die Zeitspanne zwischen Operation und Eintreten der Beschwerden reicht von einigen Tagen bis zu Jahrzehnten. Überwiegend treten die Symptome allerdings im ersten Jahr nach dem Eingriff auf (Lillemoe 1997).
36.9.3
Diagnostik
Die endoskopisch retrograde (ERC) und die perkutan transhepatische (PTC) Cholangiographie sind die sichers-
ten Methoden zur Darstellung pathologischer Veränderungen an den Gallenwegen. Da jedoch beide Methoden erhebliche Komplikationen hervorrufen können, sollten sie nicht als Erst- oder Screeninguntersuchung verwendet werden. Bei klinischem Verdacht einer Gallenwegsobstruktion werden Laboruntersuchungen und die Ultraschalldiagnostik den invasiven Methoden vorangestellt. Mittlerweile ist die Magnetresonanz-Cholangiopankreatikographie (MRCP), die Magnetresonanztomographie mit der Möglichkeit der Rekonstruktion von Gallenwegen und Pankreasgang die Methode der ersten Wahl geworden. Diese Methode hat neben der geringen Invasivität den großen Vorteil gegenüber ERCP und PTCD, dass auch bei Vorliegen kompletter Stenosen die prästenotischen Gangabschnitte abgebildet werden. Hochgradige oder komplette Stenosen, speziell wenn sie unmittelbar an einer Gangauftrennung liegen, können bei ERCP und PTC leicht übersehen werden, weswegen bei entsprechendem Verdacht unbedingt ergänzende bildgebende Maßnahmen wie Sonographie, Computertomographie oder eben die MRT erforderlich sind. Zudem erlaubt die MRT eine Beurteilung der Gefäßsituation und kann als Funktionsuntersuchung ausgeführt auch Aussagen zur Wirksamkeit von Stenosen machen. > In der nichtinvasiven Diagnostik der extrahepatischen Gallenwegen kommt der MRCP die größte Bedeutung zu. Malignität Ist eine Striktur festgestellt worden, stellt sich
in vielen Fällen die Frage der Dignität. Über das Endoskop kann versucht werden mit einer Zange unter Durchleuchtung Gewebematerial für die histologische oder mit einer Bürste für die zytologische Untersuchung zu gewinnen. Aber selbst mit der Kombination beider Methoden lässt sich nur eine Sensitivität von ca. 70% erreichen (Schoefl et al. 1997). Höher (bis 90%) liegt die Erfolgsrate, wenn die Biopsieentnahme unter Sicht, also cholangioskopisch, sei es peroral oder technisch einfacher perkutan transhepatisch erfolgt (Nimura et al. 1989). Auch eine ergänzend durchgeführte endosonographisch gesteuerte Punktion kann die Erfolgsrate weiter anheben (Rösch et al. 2004). Abzuwarten bleibt, welchen Stellenwert der intraduktale Ultraschall und die in Entwicklung befindliche intraduktale Kernspintomographie erreichen werden. Weiterhin bleibt abzuwarten, ob molekularbiologische Parameter, wie Onkogenmutationen (z. B. ki-ras-Mutation für das Pankreaskarzinom) dazu beitragen, die maligne Genese von Stenosen besser und früher erkennen und vielleicht sogar das potenzielle Entartungsrisiko benigner Strikturen (z. B. bei der primär sklerosierenden Cholangitis-PSC) besser abschätzen zu können (Rivera et al. 1997).
36
704
Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
36.9.4
Therapie
> Jeder Endoskopiker, der eine ERC oder PTC durchführt, muss im Falle des Vorliegens einer Stenose auch in der Lage sein, zumindest provisorisch die prästenotischen Gallenwegsabschnitte zu drainieren, da ansonsten ein hohes Cholangitisrisiko besteht.
Endoskopisch retrograde Cholangiographie Nach Darstellung einer Stenose wird man sich im Regelfall zunächst den Zugang zum Gallengang durch eine endoskopische Papillotomie (EPT) sichern. Nach erfolgter EPT werden ein steifer Führungsdraht und darüber eine Plastikprothese, vorzugsweise mit einem Kaliber von 10 oder 11,5 Fr, platziert. Höhergradige Stenosen müssen ggf. mit einem weichen Führungsdraht passiert werden. Anschließend wird ein dünnlumiger Katheter nachgeführt, der weiche Draht gegen einen steiferen ausgetauscht und der Stent gelegt.
Erscheint die Stenteinlage aufgrund des Widerstandes nicht aussichtsreich oder scheitert sie, muss die Engstellung zunächst erweitert werden. Dazu eignet sich, speziell bei kurzstreckigen und gerade verlaufenden Stenosen die Dilatation mit einem Ballon, wobei aber auch für die Ballonplatzierung zumindest eine Lumenweite von ca. 6 Fr
notwendig ist. Möglicherweise kann in Zukunft die Verwendung dünnkalibriger (3,3 Fr) Angioplastieballone in Situationen mit engen und derben Stenosen weiterhelfen (Freeman 2001). Alternativ kann man mit Bougies, die eine filiforme Spitze aufweisen, in aufsteigendem Durchmesser eine adäquate Aufweitung der Stenose für die Stenteinlage erzielen. Benigne Stenosen werden in der Regel mit Plastikstents versorgt, da zumindest nicht-ummantelte Metallstents kaum mehr entfernt werden können, und im Falle einer Okklusion, mit der bei längerer Liegezeit zu rechnen ist, zu Ikterus und Cholangitis führen können (Lopez 2001). Die Einlage mehrerer Stents, mit dem Ziel einer möglichst weiten Dehnung der Stenose (. Abb. 36.47) kann die Erfolgsaussichten weiter verbessern (Costamagna et al. 2001, 2010; Draganov et al. 2002). Komplikationen Initial wird die Komplikationsrate des
Eingriffes von der Papillotomie (EPT) dominiert, wobei diese seit der Einführung der EPT relativ konstant bei 10% geblieben ist. Dabei dominieren Pankreatitis (5,4%) und Blutung (2%), während verschiedene andere Komplikationen wie Cholangitis und Perforation seltener beobachtet werden (Freeman et al. 1996; Freeman 2002). Gerade aber bei Patienten mit Stenosen kommt der Cholangitis eine besondere Bedeutung zu. Nach Dilatationen beobachtet man oft das Auftreten von Fieber, in Folge einer Keimeinschwemmung im Rahmen der Manipulationen. Bei allen stentversorgten Patienten stellen Stentverschluss und -dislokation ein besonderes Problem
36
. Abb. 36.47 Röntgenbild (links) und endoskopische Darstellung (rechts) einer Striktur mit mehreren Stents
705 36.9 · Endoskopische Therapie der benignen Gallenwegsstrikturen
dar. Mit der Okklusion von Stents ist in Abhängigkeit von der Lumenweite nach 7–32 Wochen zu rechnen. Dislokationen werden in 2–5% aller Fälle beobachtet (Gilbert et al. 1992). Als Folge können zum Teil schwere Cholangitiden auftreten, die einer raschen endoskopischen Reintervention bedürfen. Es empfiehlt sich bei Patienten, die mit mehr als einen Stent versorgt wurden, einen planmäßigen Stentwechsel frühzeitiger durchzuführen, als wenn nur ein einziger Stent platziert wurde, also meist schon nach ca. 2 Monaten (sonst nach 3–4 Monaten). Antibiotikaprophylaxe Während heute für eine diagnos-
tische ERCP keine Antibiotikaprophylaxe mehr gefordert wird, empfehlen jedoch nationale und internationale Fachgesellschaften die Durchführung dieser Prophylaxe bei allen Eingriffen an Patienten mit biliären Strikturen, mit anamnestischen Hinweisen für eine vorangegangene Cholangitis und beim Vorliegen von Pankreaspseudozysten. Die ESGE (European Society of Gastrointestinal Endoscopy) empfiehlt sie sogar bei allen therapeutischen Interventionen am Gallengang. Neben der oralen Gabe von Chinolonen wird parenteral die Applikation von Chinolonen, Aminoglykosiden, Cephalosporinen oder Ureidopenicillinen vorgeschlagen (Rey et al. 1998).
Perkutane transhepatische Cholangiographie Der perkutane Zugang zu den Gallenwegen wird gewählt, wenn die Papille aufgrund vorangegangener Operationen nicht erreichbar ist, die Intubation des Gallenganges nicht gelingt oder eine Passage der Stenose nicht möglich ist (. Abb. 36.48a, b). Zunächst wird unter Durchleuchtung der Leberschatten abgegrenzt und die Verschieblichkeit des Zwerchfelles verifiziert. Dann erfolgt im Bereich der mittleren Axillarlinie die Punktion mit einer Chiba-Nadel, wobei die Stichrichtung primär vom Hilus wegzielt. Sobald man einen Gallengang getroffen hat, erfolgt die Kontrastierung des biliären Systems. Man kann dann entweder direkt über die Chiba-Nadel, meistens aber nach erneuter Punktion eines möglichst peripher gelegenen Astes einen Führungsdraht einbringen und diesen möglichst bis in den Dünndarm vorschieben. Darüber wird ein dünnlumiger Katheter platziert und dann ein steifer Führungsdraht für den Einsatz von Bougies eingelegt. Bei uns wird der Trakt in der Regel zunächst bis 10 Fr aufgeweitet und einige Tage später die Dilatation bis 16 Fr mit nachfolgender Einlage einer Drainage (PTCD) vom 6
Yamakawa-Typ fortgeführt (. Abb. 36.48d–f ). Diese perkutanen Yamakawa-Plastikprothesen können im Hautniveau abgestöpselt werden und reichen distal im Dünndarm über das Treitz-Band.
Gelingt die Passage über die Stenose initial nicht, wird der prästenotische Anteil des biliären Systems nach außen abgeleitet. Nach Entstauung der Gallenwege sind die Aussichten, die Stenose zu passieren, im zweiten Versuch oft günstiger. Sollte die Passage aber selbst dann noch nicht möglich sein, wird der prästenotische Trakt für eine Cholangioskopie (12–16 Fr) aufgedehnt und die Drahtpassage unter Sicht erneut versucht. Alternativ wird in einigen Zentren die Primärpunktion unter sonographischer Kontrolle durchgeführt. Speziell bei der Punktion des linken Leberlappens kann damit die Strahlenbelastung für die Hände des Untersuchers deutlich reduziert werden. Komplikationen Komplikationen treten in bis zu 40% aller
Eingriffe auf, wobei am häufigsten (ca. 50%) Fieber und Cholangitis beobachtet werden. Seltener treten relevante Blutungen auf, wobei speziell arterielle Blutungen zu Notfallsituationen führen können. Weiterhin, glücklicherweise selten, sind das Auftreten von Verletzungen der Pleura mit Ergussbildung und Infektion sowie der Pneumothorax (Joseph et al. 1986; Born 1996). Auch in der Langzeitanwendung ist die PTCD nicht unproblematisch. Sondenbrüche sind nach Einführung von Prothesen aus Tecothane nicht mehr zu erwarten, aber Galleaustritt seitlich der Prothese mit zum Teil schweren Hautveränderungen, Schmerzen und Prothesenverschlüsse führen doch bei einem Teil der Patienten zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Wohlbefindens, das bereits durch die Prothese herabgesetzt ist. Vorzeitige Prothesenwechsel sind bei bis zu 40% aller Patienten erforderlich (Born et al. 1998). Antibiotikaprophylaxe Wenngleich noch keine Richtlinien
vorliegen, sollte doch zumindest im Rahmen der Erstanlage und bei Dilatationen der Gallenwege eine Antibiose prophylaktisch verabreicht werden, da bereits unmittelbar nach der Erstanlage zumindest in der Galle bei 60% der Patienten Keime nachweisbar sind. Einen Tag später steigt die Rate sogar auf 85%, allerdings ist dieser Befund nicht gleichbedeutend mit einer klinisch fassbaren Infektion (Joseph et al. 1986; Rösch et al. 2003). Die Wahl der Antibiotika dürfte ähnlich ausfallen wie bei der ERCP.
Rendez-vous-Technik Gelingt es mit dem Endoskop, die Papille zu erreichen, nicht jedoch den Gallengang zu intubieren, kann man versuchen, nach vorangegangener perkutan transhepatischer
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
a
c
b
d
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e
. Abb. 36.48a–f Patient mit distaler Gallengangsstenose nach Pankreasteilresektion. a ERC: Kompletter, nicht einmal mit einem Führungsdraht passierbarer Gangabbruch im distalen Choledochus; b PTC: Darstellung des proximal der Stenose gelegenen biliären Systems; c Dilatation in Rendez-vous-Technik; d 16-Fr-Yamakawa in situ; e Prothese wird im Hautniveau abgestöpselt (mit Spülansatz); f nach 6 Wochen bereits sehr erfreuliches Ergebnis
f
707 36.9 · Endoskopische Therapie der benignen Gallenwegsstrikturen
Punktion einen Führungsdraht von außen in den Dünndarm zu schieben und diesen dann zu fassen über das Gerät auszuleiten. Nun können durch die Fixierung von außen wesentlich einfacher Instrumente über den Draht durch das Endoskop, z. B. das Papillotom oder auch Bougies, eingeführt werden. Man kann aber auch nur den Draht festhalten und unter Fixierung von beiden Seiten bougieren, eine Methode, die sich bei sehr derben Stenosen bewährt hat (. Abb. 36.48c). Letztendlich kann man sogar versuchen, beim Vorliegen einer kompletten Stenose durch Einführen eines Drahtes über das Endoskop und gleichzeitigen Passageversuchen über ein perkutan eingeführtes Cholangioskop wieder eine Verbindung herzustellen (Petzold et al. 2001). Als Alternative zu der bei kompletter Durchtrennung des Gallenganges aber meist doch erforderlichen Anlage einer biliodigestiven Anastomose wurde bei uns intraoperativ vom Operateur ein perkutan eingebrachter Führungsdraht über eine bislang nicht passierbare längere komplette Stenose in den Dünndarm geschoben, der Defekt lokal gedeckt und dann die Stenttherapie wie beschrieben fortgesetzt. Sollte sich der bislang beobachtete gute Verlauf auch langfristig bestätigen lassen, wäre diese chirurgisch assistierte endoskopische Drainage eine Alternative zur herkömmlichen Anastomosenanlage (Born 2005). Mittlerweile hat sich aber eine effektive Alternative zur PTCD herauskristallisiert. Die Einfach- und Doppelballonendoskope – für die Inspektion des Dünndarmes entwickelt – ermöglichen jetzt auch das Erreichen des Gallenund Pankreasganges in schwierigen Situationen wie nach Billroth-II-Magenoperationen oder totalen Gastrektomien mit Y-Roux-Anastomosen, die für konventionelle Endoskope oft nicht erreichbar waren. Das entsprechende Zubehör in »Überlänge« für die Manipulationen an den Gängen steht jetzt auch zur Verfügung (Itoi et al. 2010).
36.9.5
Postoperative Strikturen
Cholezystektomie Epidemiologie Strikturen nach Cholezystektomie sind insgesamt selten. Nach konventioneller CHE werden sie in ca. 0,2% und nach laparoskopischer CHE in 0,3–0,6% der Fälle beobachtet (Lillemoe 1997). Für unsere Belange ist es dabei unerheblich, ob die Zunahme an Komplikationen nach laparoskopischer CHE im Vergleich mit der konventionellen nur ein Effekt der Lernphase oder doch methodenbedingt ist (Mathisen et al. 2002). Trotz des prozentual gesehen geringen Auftretens sind diese Strikturen in endoskopischen Zentren durchaus kein seltenes Problem, was auf die Häufigkeit dieser Operationen zurückzuführen ist. Nach konventioneller CHE sollte sich die Mehrzahl der Strikturen einige Wochen bis 6 Monate
nach der Operation manifestieren, während Verletzungen nach der laparoskopischen Methode bereits intraoperativ bemerkt werden, bzw. die Läsionen sich frühzeitiger postoperativ bemerkbar machen (Lillemoe 1997). Klinische Symptomatik Klinische Hinweise sind Schmer-
zen, Fieber, und Anstieg der Cholestaseparameter. Diagnostik Der diagnostische Goldstandard bei Verdacht auf Cholangitis ist die Cholangiographie, primär endoskopisch retrograd. Bei weiterer Verbesserung der Abbildungsqualität könnte die MRC die ERC ablösen, wobei allerdings die Endoskopie den Vorteil der Möglichkeit einer sofortigen therapeutischen Intervention bietet. Therapie Therapeutisch stehen neben der Reparaturope-
ration oder einer biliodigestiven Anastomose die endoskopische und ggf. die perkutan transhepatische Stenttherapie zur Verfügung, ggf. ergänzt durch eine Ballondilatation, die über beide Zugangsmöglichkeiten angewandt werden kann. Ergebnisse Liegt eine komplette Durchtrennung des Cho-
ledochus vor, sind allerdings diese Maßnahmen nur in Ausnahmefällen erfolgversprechend (Prat et al. 1997; Baron et al. 2003). Handelt es sich dagegen um eine Striktur, dann liegt die technische Erfolgsrate bei ca. 90% (Prat et al. 1997; Born et al. 1999). Damit sind die Ergebnisse auch im direkten Vergleich, denen chirurgischer Eingriffe als ebenbürtig anzusehen. Die Frühkomplikationsrate bei endoskopisch behandelten Patienten ist niedriger als bei operierten, während mit zunehmender Beobachtungszeit endoskopisch behandelte Patienten häufiger Probleme, zumeist in Zusammenhang mit den Stents haben. Die Langzeiterfolgsrate ist jedoch wieder in beiden Gruppen gleich (Davids et al. 1993; de Palma et al. 2003). Als Konsequenz dieser Daten ist bei den meisten Patienten zunächst ein endoskopischer Therapieversuch gerechtfertigt. > Die Langzeitergebnisse nach endoskopischer Therapie zeigen, dass die Stenttherapie, zumindest wenn sie ca. 1 Jahr lang konsequent durchgeführt wurde (Huibregtse et al. 1989; Born et al. 1999; Bergman 2001; Costamagna 2001), bei 50–90% aller Patienten einen anhaltenden Erfolg ermöglicht.
Bei diesen Zahlen muss aber eingeräumt werden, dass eine endgültige Bewertung erst möglich sein wird, wenn die Nachbeobachtungszeiten entsprechend lange sind. Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass in der Bergman-Studie, die sich über einen Beobachtungszeitraum von mehr als 10 Jahren erstreckt, alle Rezidive bereits in den ersten beiden Jahren nach Stententfernung aufgetreten sind (Bergman
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708
Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
Entfernbarkeit mit der Gefahr, später evtl. notwendig werdende Operationen zu komplizieren, und das potenzielle Infektionsrisiko stellen schwer einzuschätzende Risiken dar. Eine erste kleine Vergleichsstudie (Dumonceau et al. 1998) zeigt dann auch Vorteile zu Gunsten von Plastikstents.
Biliodigestive Anastomosen
a
36 b . Abb. 36.49a,b Biliodigestive Anastomose. a Restenosierung einer mit massivem Aufstau des biliären Systems und Steinbildung; b Versorgung einer Anastomosenstenose mittels PTCD, die durch einen okkludierten Metallstent verläuft
2001). Eine weitere Langzeitanalyse (Costamagna 2010) bestätigt diese positiven Ergebnisse, wenngleich in der italienischen Studie nach im Median 6,8 Jahren bei 20% der Patienten erneut biliäre Probleme auftraten, bei 11,4% Restenosen, die aber wiederum endoskopisch behandelbar waren. Diese Daten beziehen sich auf Plastikstents. Mittlerweile gibt es auch eine Vielzahl an Erfahrungsberichten zu Metallstents, die jedoch sehr kontrovers interpretiert und diskutiert werden. Solange keine größeren Vergleichsstudien vorliegen sollte man dem Einsatz von Metallstents bei benignen Strikturen jedoch noch sehr vorsichtig gegenüberstehen (Ikeda et al. 2004), denn die eingeschränkte
Restenosierungen von biliodigestiven Anastomosen, wie beispielsweise nach Sekundäreingriffen in Folge biliärer Komplikationen, aber auch nach Primäroperationen (z. B. nach Whipple-Operation) machen in vielen Fällen einen endoskopischen Eingriff unmöglich, da die Papille mit dem Endoskop nicht mehr erreichbar ist. Diese Fälle waren die klassischen Indikationen für die PTC, gefolgt von einer Ballondilatation oder Bougierung mit abschließender Stenteinlage (. Abb. 36.49; PTCD), werden jetzt aber immer häufiger über die o.b. Dünndarmendoskope erfolgreich behandelt. Bei der PTCD strebt man im Gegensatz zu früher die Einlage dicklumiger Prothesen (meistens 16 Fr) mit der Spitze weit im Dünndarm an. Diese sog. Yamakawa-Prothesen können im Hautniveau abgestöpselt werden und reduzieren damit die Behinderung des Patienten. Eine regelmäßige Spülung ist erforderlich. Die Erfolgsraten sind zumindest gleichwertig verglichen mit der ERC (Born et al. 1999; Schuhmacher et al. 2001). Schwierig ist das Procedere nach Rückbildung der Stenose, denn wenn der perkutane Stent entfernt ist, muss im Falle eines Stenosenrezidivs der transhepatische Trakt neu angelegt werden. Derzeit werden versuchsweise gekürzte Prothesen, deren Spitze proximal der früheren Stenose liegt, oder sehr dünne Katheter, die keine Drainagefunktion mehr haben, als sog. Platzhalter eingelegt. Erst wenn sich nach einer Beobachtungszeit von einigen Monaten keine Restenosierungstendenz zeigt wird der Trakt aufgegeben, ansonsten kann man nach Dilatation des erhaltenen Traktes leichter wieder eine dicke Prothese einlegen. Langzeitergebnisse bestätigen die initialen Erfolgsraten und zeigen daß den allermeisten Patienten (über 80%) ein chirurgischer Reeingriff erspart bleibt (Weber et al. 2009).
Leberteilresektion Gallenwegsstrikturen und Stenosen an biliodigestiven Anastomosen sind gefürchtete Komplikationen nach Leberteilresektionen. Das Vorgehen entspricht dem in den vorangegangen 2 Abschnitten abgehandelten.
Lebertransplantation Epidemiologie Gallengangsstrikturen, im Bereich oder außerhalb der Anastomose am Spendercholedochus sind neben Leckagen die häufigsten Komplikationen (10–35%) am Gallengang (Rossi et al. 1998; Bacchella 2004). Sie tre-
709 36.9 · Endoskopische Therapie der benignen Gallenwegsstrikturen
ten überwiegend innerhalb der ersten 3 Monate postoperativ auf (Rizk et al. 1998). Klinische Symptomatologie Hinweise sind ein Anstieg der Cholestaseparameter (75%) und seltener eine Cholangitis (17%; Rizk et al. 1998). Therapie Nach endoskopischer Darstellung der Stenose und EPT erfolgt die Einlage dicklumiger Plastikprothesen (. Abb. 36.50) nach vorangegangener Ballondilatation. Auch bei diesen Stenosen hat sich die Einlage mehrerer Stents bewährt (»maximale Stenttherapie«). Ergebnisse Sowohl die kurzfristigen Ergebnisse mit Er-
folgsraten bis 100% als auch die Langzeitergebnisse mit Werten über 70% sind zufriedenstellend (Rerknimitr et al. 2002; Park et al. 2003; Pasha et al 2007). Zudem hat die endoskopische Therapie offensichtlich keinen negativen Einfluss auf das Überleben von Patienten und Spenderorgan (Rossi et al. 1998; Rizk et al. 1998; Pfau et al. 2000; Schwartz et al. 2000; Mahajani et al. 2000; Morelli et al. 2003; Pasha et al. 2007).
a
Ischämische Stenosen Eine weitere Komplikation in Zusammenhang mit der Lebertransplantation stellt das Auftreten ischämischer Stenosen dar. In einer großen Serie von über 1000 Lebertransplantationen wurde (Hintze et al. 1999) diese Art von Stenosen bei 2,4% aller Patienten gefunden. Nach der Lokalisation werden 3 Typen unterschieden: 4 Typ I: Stenosen nur extrahepatisch 4 Typ II: Stenosen zirkumskript intrahepatisch 4 Typ III: multiple intra- und extrahepatische Stenosen
In dieser Studie konnte gezeigt werden, dass bei zumindest 50% aller endoskopisch mit Stent und/oder Ballon behandelten Patienten im Beobachtungszeitraum von 3 Jahren eine Retransplantation vermieden werden konnte. Naturgemäß sind umschriebene und möglichst extrahepatisch gelegene Stenosen für die endoskopische Therapie besser geeignet.
36.9.6
Chronische Pankreatitis
Epidemiologie Bei 10–47% aller Patienten mit chronischer
Pankreatitis tritt eine Obstruktion des Gallenganges auf, wobei eine Vergrößerung des Pankreaskopfes, fibrotische Veränderungen oder Pankreaspseudozysten als wesentliche Ursachen angesehen werden (Huibregtse et al. 1994). Therapie Ikterus, Schmerzen und Cholangitis sind die kli-
nischen Manifestationen, die die Indikation für eine The-
b . Abb. 36.50a,b a Anastomosenstenose nach Lebertransplantation; b Stenttherapie
rapie mit Stents darstellen. Da aber auch bei beschwerdefreien Patienten in fast 10% aller Fälle eine Cholangitis auftritt oder sich eine sekundar biliäre Zirrhose entwickelt, wird bei allen Patienten mit einer Stenose eine Drainage angestrebt. Ergebnisse Die technischen Erfolgsraten der Endoskopie sind mit bis zu 100% sehr hoch (. Abb. 36.51). Die Akut-
komplikationen, zumeist eher leichterer Art, liegen bei etwa 18%, wobei Verschlechterung der Pankreatitis, Blutung, Fieber und Zunahme der Schmerzen ungefähr gleich häufig auftreten (Huibregtse et al. 1994). Die Langzeitergebnisse der Stenttherapie waren allerdings lange enttäuschend. Bei allenfalls einem Drittel aller
36
710
Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
. Abb. 36.51 Chronische Pankreatitis mit Stenosierung des distalen Gallenganges und des Pankreasganges im Kopfbereich – Drainage beider Gänge
36
behandelten Patienten ist es auf Dauer möglich ohne Stents auszukommen (Huibregtse et al. 1994; Gottlieb et al. 1996; Born et al. 1998,Cahen et al. 2005). Für die Mehrzahl der Patienten ist mittelfristig eine Operation erforderlich, wenn sie sich nicht einer fortgesetzten Stenttherapie mit regelmäßigen Stentwechseln unterziehen. Für junge Patienten ist diese Behandlungsform jedoch problematisch. Eine belgische Arbeitsgruppe (Deviere et al. 1994) begann deshalb Metallstents in den Gallengang einzusetzen und berichtet bei 90% aller Patienten nach einer Nachbeobachtung von im Median 33 Monaten über eine suffiziente Stentfunktion. In einer weiteren kleinen Serie (van Berkel et al. 2004) wird bei einem Follow-up von 50 Monaten eine Erfolgsquote von 69% beschrieben, wobei aber auch bei den erfolgreich therapierten Patienten teilweise bereits Folgeinterventionen notwendig geworden waren. Letztlich muss man dem Einsatz von Metallstents – zumindest der nicht ummantelten, die nur sehr schwer wieder entfernbar sind – bei benignen Erkrankungen und jungen Patienten mit einem gewissen Vorbehalt gegenüber stehen. Die Daten zu prinzipiell entfernbaren, zumindest teilweise ummantelten Stents sind positiv (Erfolgsraten bis 90%), die Studien allerdings so klein, dass endgültige Empfehlungen immer noch problematisch sind (Cahen et al. 2008; Behm et al. 2009).
Deshalb verdienen einige Studien (Pozsar et al. 2003; Bordos et al. 2003), die den Effekt des multiplen Stenting (Einlage mehrerer Plastikstents nebeneinander) bei dieser Fragestellung untersuchten und bei einem allerdings kürzerem Follow-up von 9–21 Monaten ebenfalls Erfolgsraten von 60–78% beschrieben, eine besondere Aufmerksamkeit. Erste Nachfolgestudien mit Beobachtungszeiten von ca 1 Jahr nach Beendigung der Stenttherapie bestätigen diese Daten (Pozsar et al. 2004). Nicht übersehen werden sollten, obwohl die meisten Studien nur kleine Patientenzahlen umfassen, die guten Langzeitergebnisse der chirurgischen Therapie, auch im direkten Vergleich mit der endoskopischen Behandlung (Smits et al. 1996; Born et al. 1998). Dies muss bei der Beratung der Patienten unbedingt berücksichtigt werden. > Die endoskopische Stenteinlage ist derzeit in der Primärtherapie sicherlich indiziert; für die Langzeitbehandlung sollte jedoch unbedingt ein Abwägen von Für und Wider von Stenttherapie und Operation erfolgen.
Ein weiteres Problem stellt die Dignität der Striktur, d. h. die Differenzialdiagnose chronische Pankreatitis/Pankreaskarzinom dar. Denn trotz moderner Bildgebung und morphologischer Darstellung ist eine eindeutige Differenzierung zwischen chronischer Entzündung und Malignom
711 36.9 · Endoskopische Therapie der benignen Gallenwegsstrikturen
nen sogar die Überlebenszeit der Patienten verlängern zu können (Baluyut et al. 2001). Die aussichtsreichste Therapie ist jedoch die Lebertransplantation (Martin et al. 1990). Schwierig ist die Festlegung des Zeitpunktes für die Lebertransplantation, wegen des Entartungsrisikos der PSC. Lokale fibrosierende Cholangitis Speziell bei Hilusstenosen
stellen umschriebene fibrosierende Cholangitiden die wichtigste Differenzialdiagnose zu den Klatskintumoren dar und bereiten große diagnostische Schwierigkeiten. In 13–38% (Verbeek 1992; Izbicki 1995) von Hepatikusgabelstenosen findet sich diese benigne Veränderung. Diese Tatsache ist bei der Therapieplanung zu berücksichtigen, wenn beispielsweise palliativ ohne histologische Sicherung der Diagnose Metallstents eingelegt werden sollen, die bei längerer Überlebenszeit des Patienten okkludieren können und damit Schwierigkeiten bereiten. Entzündliche Strikturen der extrahepatischen Gallenwege
Möglicherweise eine Variante der PSC stellen nicht traumatische, umschrieben fibrosierende entzündliche Strikturen der extrahepatischen Gallenwege dar (Standfield 1989). Die wenigen bislang berichteten Patienten wiesen nach operativer Therapie eine gute Langzeitprognose auf. . Abb. 36.52 PSC mit typischen Veränderungen an den kleinen Gallenwegen und dominanter Striktur des Choledochus
in manchen Fällen nicht möglich. Ferner muss in der Langzeitbetreuung der Patienten mit chronischer Pankreatitis das erhöhte Entartungsrisiko berücksichtigt werden.
36.9.7
Primär sklerosierende Cholangitis
Die primär sklerosierende Cholangitis (PSC) ist eine chronisch, fortschreitende, entzündlich fibrosierende Erkrankung der intra- und extrahepatischen Gallenwege ungeklärter Genese, die letztlich zur biliären Zirrhose führt (Martin et al. 1990; Wagner et al. 1996). Ikterus und Anstieg der Cholestaseparameter sind Leitsymptome. Therapie Die endoskopischen Interventionsmöglichkeiten mit Ballondilatation, Stenteinlage und wie in einer Studie berichtet (Wagner et al. 1996), Kochsalzspülung über eine nasobiliäre Sonde sind auf dominante Stenosen, möglichst zentral oder extrahepatisch gelegen beschränkt (. Abb. 36.52). In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass auf diese Weise eine Verbesserung des Befindens und der Laborparameter erreicht werden kann (van Milligen de Wet 1996; Wagner et al. 1996). Wiederholte endoskopische Interventionen bei Patienten mit dominanten Stenosen schei-
Gallelecks Eine weitere häufige Komplikation von chirurgischen Eingriffen an Gallenblase und Gallenwegen stellen Lecks dar (Born 1994). Am häufigsten treten sie nach Cholezystektomie (0,5–1,0%) und Lebertransplantation (11%) auf. Während sie im Rahmen der CHE Folge einer Zystikusstumpfinsuffizienz oder einer Verletzung eines (meist in das Gallenblasenbett) aberrierenden peripheren Astes des rechten Hepatikus sind, sind sie nach der Transplantation oft Folge einer Anastomoseninsuffizienz oder Relikt eines entfernten T-Drains. Prinzipiell können sie durch Eingriffe aller Art an den Gallenwegen wie aber auch durch Traumen hervorgerufen werden (. Abb. 36.53). Klinische Symptomatologie Im Gegensatz zu Stenosen,
deren klinische Manifestation oft sehr viel Zeit benötigt, lösen Lecks sehr rasch (oft bereits innerhalb von 24 h postoperativ) klinische Beschwerden aus. Die Patienten klagen über Schmerzen und Fieber, nicht selten in Verbindung mit lokalen Reizzuständen im rechten Oberbauch. Diagnostik Sonographisch kann man schon sehr früh nach der Operation freie Flüssigkeit nachweisen. Falls eine Drainage eingelegt wurde, fördert diese Galle. Je nach Ausprägung werden die Lecks in gering- bzw. hochgradige unterschieden. Das Leck kann durch eine Kernspintomographie dargestellt werden. Letztlich stellt aber die ERC vor allem bei den kleineren Leckagen die beste diagnostische
36
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
Ergebnisse Ein Verschluss der Lecks wird in 80–100% der
Fälle erreicht, zumeist bereits nach sehr kurzer Zeit (innerhalb einiger Tage). Komplikationen sind die typischen der ERCP und Papillotomie (Foutch 1993; Ryan 1998; Bhattacharjya 2003). In der Langzeitbeobachtung über Jahre nach der Intervention bleiben diese guten Werte unbeeinträchtigt erhalten (de Reuver 2007).
36.9.8
a
36 b . Abb. 36.53a,b Gallelecks. a Typische Zystikusstumpfinsuffizienz nach laparoskopischer CHE. b Doppelleck nach Messerstichverletzung
Möglichkeit dar und ermöglicht im Anschluss die unmittelbare therapeutische Versorgung. Therapie Das Ziel des Eingriffes ist es den transpapillären
Druckgradienten zu senken. Dies kann durch eine alleinige Papillotomie aber auch eine Stenteinlage ohne vorangegangene Papillotomie erreicht werden, selbstverständlich (und wahrscheinlich am effektivsten) auch durch eine Kombination dieser beiden Maßnahmen. Die endoskopischen Maßnahmen werden von einer antibiotischen Therapie flankiert. Zudem sollten – sofern nicht bereits eine Drainage platziert war – Verhalte von ausgetretener Galle drainiert werden, sei es nun unter sonographischer oder CT-gesteuerter Kontrolle.
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
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36.10
Reinterventionen an den Gallenwegen H. Feußner
Auch heute noch sind Gallenwegsläsionen für den Patienten oft schicksalsbestimmend und führen nicht selten nach langen schweren Krankheitsverläufen zum Tode. Am häufigsten werden sie bei der offenen und der laparoskopischen Cholezystektomie verursacht (Clavien 1992; Hannan 1999; MacFadyen 1998; Orlando 1993; Roslyn 1993). Von zahlenmäßig geringerer Bedeutung sind instrumentelle Verletzungen im Rahmen von Endoskopien, unfallbedingte Schädigungen und Anastomosenkomplikationen nach Lebertransplantation, wobei die Behandlung letzterer in der Literatur immer häufiger diskutiert wird (Abt et al. 2003; Pasha et al. 2007; Thuluvath et al. 2003). Jede Schädigung der Gallenwege erfordert stets eine sachkundige Primärversorgung durch entsprechend erfahrene und geübte Zentren, um die kritische Prognose möglichst günstig zu beeinflussen. Da diese nicht immer gewährleistet werden kann, sind Reinterventionen häufig erforderlich. Per definitionem werden darunter alle invasiven Maßnahmen im Anschluss an einen bereits abgeschlossenen Eingriff am Gallenwegssystem verstanden. Reparative Maßnahmen von Läsionen im Rahmen des Primäreingriffes gehören daher nicht zu den Reinterventionen. Reinterventionen an den Gallenwegen sind heute längst nicht mehr allein die Domäne der Chirurgie. Endoluminale interventionelle Maßnahmen (endoskopisch-retrograd oder transhepatisch) können bei bestimmten Indikationen ausreichend sein. Es hat sich gezeigt, dass ein wohlabgewogener Einsatz verschiedener therapeutischer Ansätze je nach Schädigungsmuster die Effizienz der Behandlung insgesamt verbessern kann (Doctor et al. 1998; Nordin et al. 2002; Nuzzo et al. 2005; de Reuver u. Rauws et al. 2007).
36.10.1
Unspezifische postoperative Symptome
Auch heute wird trotz verbesserter Diagnostik ein nicht unbeträchtlicher Teil cholezystektomierter Patienten (10– 30%) nach dem Eingriff nicht beschwerdefrei (Lum et al. 2006; Tsoraides et al. 2007).
715 36.10 · Reinterventionen an den Gallenwegen
Für persistierende oder gar neu aufgetretene Beschwerden – abgesehen von iatrogenen Läsionen durch die Cholezystektomie, die heute leicht nachweisbar sind (Girometti et al. 2010) – sind häufig organische Erkrankungen der Leber, der Bauchspeicheldrüse und des Gastrointestinaltrakts verantwortlich, insbesondere Ulcera duodeni bzw. die gastroösophageale Refluxkrankheit (Terhaar et al. 2005). Ebenso können funktionelle gastrointestinale Ursachen auslösend sein. Nicht ganz selten spielen auch psychosomatische bzw. psychiatrische Aspekte eine Rolle (Jess et al. 1998; Stefaniak et al. 2004). > Eine interventionelle oder gar operative Reintervention an den Gallenwegen ist in den wenigsten Fällen erforderlich bzw. sinnvoll. 36.10.2
Residual- und Rezidivsteine, Störungen der Papillenfunktion
In etwa 0,1–1,2% der Fälle werden nach Cholezystektomie im Langzeitverlauf Residualkonkremente gefunden (Charfare et al. 2003; Duca et al. 2004). Der postoperative Verdacht auf belassene oder neugebildete Gallenwegskonkremente (klinische Symptomatik, Erhöhung der cholostaseanzeigenden Enzyme) ist heute eine Indikation für die kernspintomographische Darstellung der Gallenwege (MRCP) oder die Endosonographie. Beide Untersuchungen sind gleichwertig. In Abhängigkeit vom Befund ergibt sich die Indikation für die endoskopisch retrograde Choledochographie bzw. -skopie. Belassene Konkremente können auf diese Weise zuverlässig geborgen werden. Nur ganz ausnahmsweise ist eine laparoskopische oder offen-chirurgische Revision erforderlich (Pernice et al. 2009). Echte Steinneubildungen in den Gallenwegen, also echte Rezidivsteine, sind außerordentlich selten. Die Häufigkeit wird mit höchstens 1% angegeben (Gilleland et al. 1990; Ros et al. 1987). Normalerweise reicht der ständige Spülstrom der Galle aus, um einer erneuten Konkrementbildung vorzubeugen. Nur bei Abflusshindernissen im Bereich des Gallengangs und der Papille und bei rezidivierender Cholangitis können gelegentlich Pigmentsteine neu auftreten. Auch hier ist die ERCP mit Papillotomie und Steinextraktion in über 95% der Fälle erfolgreich (Zhou et al. 2003). Eine Ausnahme stellt die primär intrahepatische Cholelithiasis dar, die jedoch in den Ländern der westlichen Hemisphäre außerordentlich selten ist.
36.10.3
Zystikusstumpfsyndrom
Vor der Einführung der endoskopisch-retrograden Cholangiographie wurde dem »zu langen« Zystikusstumpf ein
Krankheitswert beigemessen, wenn nach Cholezystektomie Beschwerden (weiter) bestanden (Shaw et al. 2004). Im Allgemeinen geht man heute davon aus, dass auch der »lange« Zystikusstumpf funktionell bedeutungslos ist. Er findet sich beim symptomatischen wie beim asymptomatischen Patienten in gleicher Häufigkeit (Bodvall et al. 1966). Ob Zystikusverschlusssteine im verbliebenen Stumpf wirklich Beschwerden machen, wenn das vorgeschaltete kontraktile Element fehlt, bleibt unklar. Die Entfernung mittels ERCP bereitet jedenfalls in der Regel keine Schwierigkeiten (Zhou et al. 2003). Anders ist es, wenn tatsächlich Reste des Infundibulums oder gar des Gallenblasenkorpus verblieben sind. In diesen Fällen ist eine Reintervention bzw. Nachresektion ohne Zweifel indiziert, die prinzipiell auch laparoskopisch durchgeführt werden kann (Chowbey et al. 2003; Daly et al. 2002; Pernice et al. 2009). Das Phänomen »Neurinom im Zystikusstumpf« ist wohl eher eine Verlegenheitsdiagnose bzw. ein Zufallsbefund bei erfolgter Nachresektion des D. cysticus.
36.10.4
Klassifikation der Gallenwegsläsionen
Von entscheidender klinisch-praktischer Bedeutung sind Gallenwegsläsionen, die direkt oder indirekt durch den chirurgischen Eingriff (in der Regel die Cholezystektomie) gesetzt wurden (Carrol et al. 1998). Die klinische Manifestation ist sehr unterschiedlich und kann von der einfachen postoperativen Gallefistel bis Stenosierung mit schwerstem Ikterus, Cholangitis und galliger Peritonitis reichen. Diesen Symptomen kann eine einfache Insuffizienz des D. cysticus, aber auch eine tangentiale Läsion des D. hepatocholedochus oder gar eine partielle Resektion des Hauptgallengangs zu Grunde liegen. In Anbetracht der erheblichen und z. T. sehr unterschiedlichen therapeutischen Konsequenzen ist hier eine möglichst exakte Klassifizierung der verantwortlichen Läsion erforderlich. Die bisher in der Praxis immer noch am häufigsten verwendete Klassifikation, die allerdings nur Gallengangsstrikturen einschließt und die Pathogenese nicht mit berücksichtigt, stammt von Bismuth und Lazorthes (Bismuth et al. 1981) (. Abb. 36.54). Hierbei wird ausschließlich die Höhenlokalisation als Kriterium benutzt: 4 Typ I: Stenose unterhalb der Zystikuseinmündung 4 Typ II: mittlere Stenosen bis in den Bereich des D. hepaticus communis 4 Typ III: hohe Stenosen, die die Hepatikusgabel zwar erreichen, sie aber noch nicht miteinbeziehen 4 Typ IV: Stenosen der Bifurkation mit verschiedenen Varianten 4 Typ V: Stenose eines atypischen rechten Gallengangs mit oder ohne Beteiligung der Bifurkation
36
716
Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
. Abb. 36.54 Klassifikation der Gallenwegsstrikturen nach Bismuth
36
Mit der Einführung der laparoskopischen Operationstechnik gewannen Gallengangsläsionen und ihre Behandlung eine neue Aktualität, wobei deutlich wurde, dass die bisherigen Klassifikationsversuche nicht mehr ausreichten. Abgesehen davon, dass eine rein höhenbezogene Klassifikation von Stenosen keinen Aufschluss über die Entstehung der Läsion erlaubt, können mit einer derartigen Klassifikation auch die Vielzahl anderer Schäden wie Gallelecks usw. nicht erfasst werden. Auch Gallenwegsdefekte, die (noch) nicht zu einer Stenose geführt haben, lassen sich nicht nach Bismuth klassifizieren. Das Bedürfnis nach einer geeigneteren Klassifikation wurde zudem in der Ära der laparoskopischen Cholezystektomie dadurch noch deutlicher, dass sich offensichtlich das bisherige Spektrum der Gallenwegsläsionen, wenn nicht qualitativ, so doch quantitativ erheblich wandelte. > Im Vergleich zu früheren Untersuchungen (Andren-Sandberg et al. 1985) nahmen ganz zweifellos große Defektläsionen der Gallenwege sowohl absolut wie auch relativ zu.
In den 1990er-Jahren wurden daher zahlreiche neue Klassifikationen vorgeschlagen, die jedoch entweder zu detailliert waren, um für den klinischen Gebrauch sinnvoll anwendbar zu sein (Olsen et al. 1997; Soper et al. 1995; Targarona et al. 1998) oder zu sehr vereinfachten, sodass sie den spezifischen Gegebenheiten nicht ausreichend Rechnung tragen (Mc Mahon et al. 1995; Wherry et al. 1996). Wir haben daher eine eigene Klassifikation vorgeschlagen (Siewert et al. 1994), die sich – einschließlich späterer Modifikationen (Bektas et al. 2007; Neuhaus et al. 2000; Schmidt et al. 2004) besonders im deutschen Sprachraum weitgehend durchgesetzt hat und die den speziellen Um-
ständen der laparoskopischen Cholezystektomie im besonderen Maß Rechnung trägt (. Tab. 36.2). Diese Klassifikation umfasst vier verschiedene Formen, deren Schwere von I bis IV zunimmt (. Abb. 36.55). Die Gallenwegsläsion Typ I umfasst Gallefisteln infolge einer Zystikusstumpfinsuffizienz bzw. durch die Eröffnung aberrierender Gallengänge, während der Typ II die sog. Spätstenosen beinhaltet. Bei Typ III liegt eine tangentiale Läsion des Hauptgallengangs vor; bei Typ IV erfolgte eine partielle Resektion des Ganges. Bei den beiden letztgenannten Formen wird zusätzlich differenziert, ob eine Gefäßläsion vorliegt oder nicht. Gefäßläsionen betreffen meist die A. hepatica dextra, seltener die A. hepatica propria. Sie erschweren in jedem Fall eine etwaige Reinterven-
. Tab. 36.2 Klassifikation für Gallenwegsläsionen bei laparoskopischer Cholezystektomie Typ I
Postoperative Gallefistel, z. B. Zystikusstumpfinsuffizienz, akzessorische Gallengänge
Typ II
Spätstenosierung des Ductus hepatocholedochus
Typ III
Tangentiale Läsion, unterschieden nach: – Typ IIIa: mit Kompromittierung der arteriellen Durchblutung – Typ IIIb: ohne Beeinträchtigung der Durchblutung
Typ IV
Defektläsion: biliäre Läsion mit mehr oder weniger langstreckigen Defekten des Ductus hepatocholedochus, unterschieden nach: – Typ IVa: Defektläsion mit Kompromottierung der arteriellen Durchblutung – Typ IVb: Defektläsion ohne Beeinträchtigung der arteriellen Durchblutung
717 36.10 · Reinterventionen an den Gallenwegen
Zystikusstumpfinsuffizienzen treten auf, wenn der D. cysticus primär unzureichend verschlossen wurde oder wenn die Clips sekundär dislozieren (»abrutschen«). Die Gefahr der Zystkusstumpfinsuffizienz nimmt zu, wenn nur ein statt wie normalerweise üblich zwei Clips gesetzt wurden. Clips sollten annähernd rechtwinklig zur Achse des D. cysticus platziert werden. Clips mit speziellen Verschlüssen (i. d. R. absorbierbare Clips) scheinen einen besseren Verschluss zu gewährleisten als Metallclips. > Unabhängig davon muss in jedem Fall von Zystikusstumpfinsuffizienz abgeklärt werden, ob eine periphere Störung des Galleabflusses vorliegt, da eine Clipdislokalisation immer auch als Hinweis auf einen erhöhten Druck in den Gallenwegen gewertet werden muss. Klinische Symptomatologie Klinisch sind Patienten mit Galleleck in der unmittelbaren postoperativen Phase meist völlig unauffällig. Deshalb ist es gerade bei kurzzeitstationär behandelten Patienten wichtig, Galleleckagen rechtzeitig vor Entlassung aus der stationären Behandlung auszuschließen.
. Abb. 36.55 Klassifikation der Gallenwegsläsionen. (Nach Siewert u. Feussner 1993)
tion, da unter Umständen mit einer verstärkten Kollateralisation zu rechnen ist und in jedem Fall eine weitere Kompromittierung der Leberversorgung durch den Reeingriff vermieden werden muss. Unter Umständen wird die Resektion des ischämischen (rechten) Leberlappens erforderlich (Felekouras et al. 2007).
Gallenwegsläsion Typ I Es handelt sich um eine »einfache« Gallefistel durch die Eröffnung peripherer kleinerer Gallengänge, z. B. im Bereich des Leberbetts oder infolge einer Zystikusstumpfinsuffizienz. Bei den großen anatomischen Variationen im Bereich der ableitenden Gallenwege ist die unbeabsichtigte Eröffnung kleiner so genannter aberrierender Gallengänge bis zu einem gewissen Grad unvermeidbar, da bei der Präparation im Calot-Dreieck oder im Gallenblasenbett eine Unterscheidung von kleinen Venen oder Bindegewebsstrukturen meist nicht möglich ist. Gelegentlich kann man eröffnete aberrierende Gallengänge bei der abschließenden Kontrolle der Resektionsfläche an dem diskreten Galleaustritt erkennen und mit einem Clip verschließen (Wright et al. 1998), doch stellt dies eher eine Ausnahme dar.
Diagnostik Wegweisend in der Diagnostik ist der Abfluss von Galle über die eingelegte Wunddrainage, der bereits in den ersten 24 h nach dem Eingriff zu beobachten ist. Bei gestörtem Abfluss nach außen findet sich laborchemisch meist ein rascher, isolierter Anstieg des Bilirubins bei unauffälligen cholostaseanzeigenden Enzymen. Sonographisch ist ein Flüssigkeitsverhalt perihepatisch sichtbar, sofern nicht durch die Drainageflüssigkeit bereits ein eindeutiger Hinweis besteht. Wurde nicht primär eine Drainage gelegt bzw. wurde diese zum Zeitpunkt der sonographischen Untersuchung bereits gezogen, muss die Qualität des Verhalts mittels einer sonographisch gesteuerten Punktion gesichert werden. Im nächsten Schritt hat eine endoskopisch-retrograde Darstellung der Gallenwege durch einen ausreichend erfahrenen Untersucher zu erfolgen. Zystikusstumpfleckagen können meist auf Anhieb erkannt werden, während Lecks aus kleineren Gallengängen manchmal erst nach erneutem Anspritzen mit Kontrastmittel und sorgfältiger Beobachtung des Ablaufs gesehen werden (. Abb. 36.56). Therapie Das Therapieprinzip besteht bei Läsionen des
Typs I darin, den Galleabfluss per vias naturales soweit wie möglich zu erleichtern, sodass sich die Fistel spontan schließen kann. Gelegentlich kann hier bereits die endoskopische Sphinkterotomie ausreichend sein. Häufig empfiehlt sich jedoch auch die Einlage einer nasobiliären Sonde bzw. eines Stents (Marks et al. 1998). Innerhalb weniger Tage verschließt sich die Fistel und der Stent kann bei
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
. Abb. 36.56 Röntgenologische Darstellung einer Gallenwegsläsion vom Typ I
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guten Langzeitergebnissen entfernt werden (Ryan et al. 1998). Relativ selten ist eine chirurgische Reintervention erforderlich, die u. U. auch laparoskopisch erfolgen kann (Woods et al. 1994).
Gallenwegsläsion Typ II So genannte Spätstenosen der Gallenwege sind dadurch gekennzeichnet, dass Operateur und Patient den Eingriff und den unmittelbaren postoperativen Verlauf als unauffällig empfinden. Erst Wochen oder Monate nach dem Eingriff treten allmählich Zeichen der beginnenden Cholostase auf. Als Ursache wird eine lokale Ischämie des Gallengangs angesehen, die – sofern sie nicht unmittelbar zu einer lokalen Nekrose mit Gallenaustritt führt – eine mehr oder weniger heftige entzündliche Reaktion mit späterer narbiger Schrumpfung des Ganges auslöst (Richardson et al. 1996) (. Abb. 36.57). Kausal kommen die scharfe Präparation an der Gallengangswand oder thermische Schäden durch Elektrokoagulation in Betracht. Klinische Symptomatologie Klinisch ist der Patient zu-
nächst völlig beschwerdefrei. Als erste Zeichen der begin-
. Abb. 36.57 Thermo-ischämische Schädigung des Hauptgallengangs als Ursache der sog. Typ-II-Läsion
719 36.10 · Reinterventionen an den Gallenwegen
. Abb. 36.58 Röntgenologische Darstellung einer Typ-II-Läsion (ERC)
nenden Cholostase werden häufig ein unspezifisches Druckgefühl im rechten Oberbauch, Ikterus und/oder Juckreiz angegeben, die ihn dann wieder dazu veranlassen, den Arzt aufzusuchen. Diagnostik Laborchemisch sind die cholostaseanzeigenden Enzyme stets deutlich erhöht, während das Bilirubin nicht selten nur mäßig erhöht ist. Sonographisch wird immer eine Erweiterung der intrahepatischen Gallengänge nachgewiesen. Diese Befundkonstellation erfordert immer die Durchführung einer ERCP (. Abb. 36.58). Alternative Abklärungsversuche mittels der intravenösen Cholangiographie oder der MRCP sind bei einer klaren Befundkonstellation nutzlos und überflüssig. Therapie Da bisher noch keine verlässlichen Kriterien ge-
funden werden konnten, mit denen vorausgesagt werden kann, ob eine konservative Behandlung mit einer Bougierung und einer anschließenden Stenteinlage erfolgversprechend ist oder nicht, wird die Behandlung zunächst konservativ-interventionell erfolgen. Wenn endoluminale Behandlungsversuche auch nach Ablauf eines Jahres erfolglos sind, ist in der Regel die chirurgische Therapie indiziert (Davidoff et al. 1991).
Gallenwegsläsionen Typ III Tangentiale Läsionen der Gallenwege werden ähnlich wie der Typ I innerhalb der ersten postoperativen Tage auffällig, sofern sie nicht bereits intraoperativ entdeckt wurden. Verursacht werden derartige Läsionen durch eine zu gallengangsnahe scharfe Präparation. Klinische Symptomatologie Klinisch stehen die Zeichen
einer Galleleckage im Vordergrund. Bei subtotaler oder totaler Stenosierung dominieren dagegen die Zeichen der Cholostase. Diagnostik Bilirubin (ca. 1 mg/% pro Tag) und cholos-
taseanzeigende Enzyme steigen zwar nur mäßig, aber kontinuierlich an. Der nächste Schritt muss wiederum in der Durchführung einer ERCP bestehen, mit der die zugrundeliegende Läsion rasch geklärt werden kann (. Abb. 36.59). Therapie Rein konservative Therapieversuche sind bei tan-
gentialen Läsionen wahrscheinlich weniger zweckmäßig. In Ausnahmefällen können obstruierende Clips durch eine Dilatation abgeschoben und der freie Abfluss wiederhergestellt werden, ebenso wie gelegentlich subtotale tangentiale
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
. Abb. 36.59 Tangentiale Läsion des Gallengangs im Sinne einer Typ-III-Läsion
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Durchtrennungen durch einen Stent oder eine nasobiliäre Sonde wieder überbrückt werden können. In der Regel ist hier aber eine chirurgische Reintervention erforderlich. Sofern intraoperativ kein wesentlicher Defekt des Hauptgallengangs gesetzt wurde, kann unter Umständen eine Choledochusplastik oder die Anlage einer End-zu-End-Anastomose des Hauptgallengangs über eine T-Drainage bzw. einem Stent versucht werden. Nach der Abheilungsphase und der Entfernung des T-Drains wird die Sicherung der Anastomose durch einen Stent für die Dauer eines Jahres empfohlen.
Gallenwegsläsionen Typ IV Dieser Läsionstyp wird während der ersten postoperativen Tage manifest. Ursächlich spielt immer eine Verwechselung des Hauptgallengangs mit dem D. cysticus die entscheidende Rolle (Siewert et al. 1993). Bei der Präparation des CalotDreiecks kann die Situation eintreten, dass die Präparation des Infundibulums zu weit links, d. h. linkslateral des D. hepatocholedochus, begonnen wird. Die dann gallenblasenwärts erscheinende kanalikuläre Struktur wird – besonders wenn es sich um einen schlanken Hauptgallengang handelt – als Gallenblasengang gedeutet und im nächsten Schritt bei dem Versuch, die Gallenblase aus dem Gallenblasenbett
. Abb. 36.60 Die Verwechselung des D. hepaticus mit dem D. cysticus wird durch lateralen Zug an einem schlanken Gallengang begünstigt
auszulösen durchtrennt. Begünstigt wird diese Verwechselung durch lateralen Zug an der Gallenblase, den man normalerweise zum Zweck der besseren Anspannung der Infundibulumstrukturen ausübt. Dadurch wiederum kann auch der Hauptgallengang leicht bogenförmig nach rechts gezogen werden, sodass der Eindruck entsteht, als würde er zur Gallenblase ziehen (. Abb. 36.60). Typischerweise wird dabei der distale, d. h. leberferne Stumpf des D. choledochus in der Annahme, dass es sich um den D. cysticus handelt, mit Doppelclips verschlossen. Der leberwärtige Stumpf des Hauptgallengangs wird häufig nicht verschlossen, da der Operateur nicht mehr damit rechnet, neben der A. cystica noch eine weitere kanalikuläre Struktur vorzufinden. Gelegentlich wird der proximale Stumpf im Zuge der weiteren Präparation aber dann doch noch identifiziert und dann unter der Annahme, dass es sich um einen aberrierenden Gallengang handelt, zwischen Clips durchtrennt. Klinische Symptomatik Wenn der proximale Stumpf nicht
geclippt wurde, fließt die gesamte Galleproduktion ungehindert in die Peritonealhöhle. Durch die Rückresorption kommt es zu einem raschen Bilirubinanstieg ohne wesentlichen Anstieg der cholostaseanzeigenden Enzyme. Wenn die Galle nicht primär infiziert ist, kann die peritoneale
721 36.10 · Reinterventionen an den Gallenwegen
b
a
Reizung zunächst recht diskret sein. Wenn der proximale Stumpf ebenfalls mit Clips verschlossen ist, steht die intrahepatische Cholostase ganz im Vordergrund. Diagnostik Laborchemisch ist immer ein Bilirubinanstieg
nachweisbar: Bei Leckage erfolgt der Anstieg durch Rückresorption isoliert und rasch, bei Verschluss langsamer und parallel mit den cholostaseanzeigenden Enzymen. In der Ultraschalluntersuchung sind entweder freie intraperitoneale Flüssigkeitsansammlungen oder eine massive intrahepatische Cholostase nachzuweisen. Die ERC ist auch in diesem Fall obligatorisch. Meist kann dabei nur der blind endende distale Anteil des D. choledochus dargestellt werden. Die Abklärung des leberseitigen Gallenwegssystems erfordert dann die perkutane transhepatische Choledochographie (PTCD). In Zusammenschau mit dem ERCP-Befund kann dann das Ausmaß des Defektes abgeschätzt werden (. Abb. 36.61). Wichtig ist auch die ergänzende Abklärung des Gefäßstatus mittels Angiographie oder Angio-CT (Usal et al. 1998), da gegebenenfalls bei ausgedehnteren Ischämien auch eine Leberresektion erforderlich ist (Kaman et al. 2004; Kapoor et al. 2009; Walsh et al. 2004). Therapie Die sog. Defektläsion des Gallengangs erfordert
in der Regel das sofortige chirurgische Eingreifen, insbesondere wenn die Galle bei unverschlossenem proximalen Stumpf frei in die Bauchhöhle abfließen kann. Bei komplettem Verschluss des proximalen Stumpfes kann dadurch
. Abb. 36.61a,b Darstellung einer Typ-IV-Läsion mittels ERC (a) und PTCS (b). Im vorliegenden Falle wurde auch der proximale Stumpf mit Clips verschlossen
Zeit gewonnen werden, dass man die eingebrachte PTCDSonde als Drainage liegen lässt und somit die produzierte Galle nach außen abfließen lässt. > Bei ausgedehnten Defektläsionen ist immer die Anlage einer biliodigestiven Anastomose im Sinne einer Hepatikojejunostomie erforderlich (7 Abschn. 36.10.5, »Biliodigestive Anastomosen«).
36.10.5
Operative Therapie von Gallenwegsläsionen
Verfahrenswahl Für die primäre oder sekundäre Rekonstruktion bzw. den Ersatz der abführenden Gallenwege kommen prinzipiell in Betracht: 4 Choledochusplastik 4 Direkte (biliobiliäre) Anastomosen der Gallengangsenden 4 Gallengangs-Darm-Verbindungen Die größte klinische Bedeutung haben Neuverbindungen des Gallengangs mit dem Gastrointestinaltrakt, für die zahllose Varianten angegeben wurden. Als Regelverfahren hat sich die Hepatikojejunostomie durchgesetzt. Sie ist besonders dann indiziert, wenn durch bereits vorausgegangene Reparatureingriffe das zentrale Gallenwegssystem »verbraucht wurde«.
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
. Abb. 36.62a–c Choledochusplastik bei sehr kurzstreckiger Stenose. a Längsinzision des Gallengangs im stenosierten Bereich. b Quervernähung mit Einzelknopfnähten. c Danach Einlage einer T-Drainage
ober- oder unterhalb der Anastomose. Das T-Drain kann später durch einen intraluminalen Stent ersetzt werden
Ausgesprochene Notlösungen stellen hepatodigestive Anastomosen (Gorband et al. 1953) analog der Kasai-Operation bei kongenitaler Gallengangsatresie oder die definitive perkutane Galleableitung dar. In derartigen Finalsituationen ist heute die Lebertransplantation zu erwägen (Robertson et al. 1998).
rung der verbleibenden Stümpfe theoretisch sicherlich ein bestechendes Konzept, sodass diese Technik prinzipiell gut für die Versorgung von Typ-II- und Typ-III-Läsionen geeignet wäre (Glenn et al. 1978). In der Praxis ist die Endzu-End-Anastomose häufig nicht so spannungsfrei auszuführen, wie es zur Vermeidung einer Restenosierung unbedingt erforderlich ist, sodass dieses Verfahren nur für kurzstreckige Stenosen geeignet ist (Csendes et al. 1989). Der Gallengang wird oberhalb und unterhalb der Stenose sorgfältig freipräpariert und die Stenose außerhalb der Narbenformation reseziert, wobei die Stümpfe etwas angeschrägt werden. Durch eine ausgiebige Mobilisation des Duodenums und des Pankreaskopfes wird eine bessere Approximation der Stümpfe erreicht. Die Anastomosierung wird wiederum mit feinem resorbierbarem monofilem Nahtmaterial vorgenommen (. Abb. 36.63). Die Schienung erfolgt mit einer T-Drainage, die über mindestens 6 Wochen belassen und dann ggf. gegen einen inneren Stent ausgetauscht werden sollte. Die guten Ergebnisse der Langzeitstenttherapie haben in den letzten Jahren offensichtlich dazu beigetragen, dass die End-zu-End-Anastomosierung wieder häufiger angewendet wird (de Reuver u. Busch 2007).
Choledochusplastik
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Der Versuch einer Choledochusplastik ist nur dann sinnvoll, wenn die Läsion des Gallengangs – wenn überhaupt – nur mit einem minimalen Substanzverlust verbunden ist. Derartige Situationen können beispielsweise bei der Läsion vom Typ III oder seltener einmal bei Typ II vorliegen. Verhältnismäßig einfach kann die Gallenwegsläsion vom Typ III in dieser Weise angegangen werden, wenn sie bereits intraoperativ entdeckt wird. Nach (proximaler, d. h. leberwärts gerichteter) Einlage einer T-Drainage wird die Läsion mit feinem, resorbierbarem monofilem Nahtmaterial quer vernäht (. Abb. 36.62). Es wird von einigen Autoren empfohlen, die Läsion nach Ziehen der T-Drainage noch auf die Dauer eines weiteren Jahres mit einem intraluminalen Stent zu überbrücken. So genannte Spätstenosen vom Typ II sind meist langstreckig, sodass eine Gallengangsplastik meist nicht in Frage kommt. Nur in Sonderfällen ist eine Längsinzision mit anschließender Quervernähung in Betracht zu ziehen, wobei auch hier die temporäre Einlage einer T-Drainage und ggf. eines Stents selbstverständlich ist.
Direkte biliobiliäre Anastomosen Bei Gallengangsstrikturen, die die ganze Zirkumferenz betreffen, ist Anfrischung der beiden Gallengangsstümpfe mit anschließender direkter End-zu-End-Anastomosie-
! Cave ! Trotz der verständlichen Neigung des Operateurs, die Gallenwegsrekonstruktion in möglichst anatomischer Form vorzunehmen, darf die direkte End-zu-End-Anastomose dennoch nicht »erzwungen« werden. Im Zweifelsfall sollte einer biliodigestiven Anastomose der Vorzug gegeben werden.
723 36.10 · Reinterventionen an den Gallenwegen
a
b
. Abb. 36.63a,b End-zu-End-Anastomosierung des Gallengangs. a Das (kurzstreckige) stenosierte Segment wird reseziert. b Hinterund Vorderwandnaht mit Einzelknopfnähten
Biliodigestive Anastomosen Bei längerstreckigen Stenosen (Typ II, Typ III) und erst recht bei Defektläsionen (Typ IV) ist die biliodigestive Anastomose unumgänglich (Rossi et al. 1992). Formal gliedert sich der Eingriff in drei Einzelschritte (Blumgart et al. 1988): 4 Gewinnung von ausreichend langen, gut durchbluteten und nicht entzündeten Gallengangsstümpfen 4 Präparation des Anschlusses an den Gastrointestinaltrakt (Y-Roux-Schlinge) 4 Direkte Schleimhautnaht zwischen den beiden erstgenannten Strukturen Der Schwierigkeitsgrad hängt von der Lokalisation der Stenose am Gallenwegssystem (Nähe zur Hepatikusgabel) und dem Durchmesser des verbliebenen Gallenwegssystems ab. Ist bei der Erstoperation ein Verschluss der zentralen Gallenwege erfolgt, so kommt es im Laufe der Zeit zu einer Stauung und Dilatation der intrahepatischen Gallenwege, wodurch ihre Präparation erheblich erleichtert wird. Wesentlich ungünstiger ist es, wenn der Gallenwegsdefekt mit einer Gallefistel einhergeht, weil in diesen Fällen eine Dilatation der Gallenwege nicht eintritt. In jedem Fall ist es empfehlenswert, präoperativ eine perkutane transhepatische Drainage der großen Gänge vorzunehmen, weil die liegenden Stents die Identifikation und die Präparation der zentralen Stümpfe wesentlich erleichtern (. Abb. 36.64). Präoperativ muss stets abgeklärt werden, ob gleichzeitig auch eine arterielle oder venöse Gefäßverletzung bei der Erstoperation gesetzt wurde. Im Fall einer Verletzung der A. hepatica propria wird die Durchblutung der Leber über kollaterale oder anatomische Varianten aufrecht erhalten. Diese müssen bei einem Reeingriff sorgfältig geschont werden. Eine Angiographie (Zöliakographie, Me-
. Abb. 36.64 Defektläsion des D. hepatocholedochus mit Resektion der Hepatikusgabel: typischer Befund bei Gallengangsläsion vom Typ IV
senterikographie) ist deswegen in der präoperativen Abklärung unabdingbar. Abgeklärt werden muss präoperativ auch die portale Perfusion. Liegt eine Pfortaderthrombose bzw. eine kavernöse Transformation der Pfortader vor, muss mit erheblichen Blutungen bei der Revision gerechnet werden. Gewinnung des Gallengangsstumpfes Die Präparation der
zentralen Stümpfe erfordert die komplette und übersichtliche Darstellung aller Strukturen des Ligamentum hepatoduodenale. Perkutan gelegte Drainagen erleichtern die Präparation und können gleichzeitig auch zur postoperativen Schienung der Anastomose genutzt werden. Müssen mehrere intrahepatische Gallenwegsstümpfe präpariert werden, sollte das Ziel sein, diese zunächst miteinander latero-lateral zu anastomosieren und schließlich zu einem möglichst starkkalibrigen anastomosierbaren Stumpf zu kommen (. Abb. 36.65). Wenn die Stenosierung auch über die Bifurkation hinaus nach zentral entwickelt ist, wird unter Umständen auch die getrennte Anastomosierung beider Hepatici erforderlich. Die Präparation des linken Hauptganges ist dabei infolge seiner guten Erreichbarkeit nahe des Ansatzes des Lig. teres meist weniger problematisch. Deutlich schwieriger kann es dagegen sein, einen anastomisierungsfähigen Stumpf des rechten Hepatikus zu gewinnen. Da Reinterventionen dieser Art fast immer elektiv vorgenommen werden können, ist es sinnvoll, zunächst eine ausreichende Dilatation des rechten (!) Hauptgallenganges eintreten zu lassen. Die perkutane Drainage des (getrennten) linksseitigen Systems ist für diese Phase aus-
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
. Abb. 36.65 Anastomosierung der beiden Hepatikusäste zu einem gemeinsamen Lumen
. Abb. 36.66 Verschluss der Vorderwand. Der blinde Schenkel der hochgezogenen Y-Roux-Schlinge wird an der Bauchdecke angeheftet
reichend. Erst unmittelbar vor der Operation wird dann auch rechtsseitig die perkutane Drainage, die eine wesentliche Orientierungshilfe für den Eingriff darstellt, eingelegt. Dank moderner Präparationshilfen (z. B. Ultraschalldissektoren) kann meist genügend Länge und Raum auch für die Anastomisierung des rechten Gallenwegssystems erreicht werden.
zunächst die Vorderwand mit doppelt armierten Fäden zu erfassen, um sie damit nach oben ziehen zu können, und die hintere Wand übersichtlich darzustellen. Die Naht wird mit feinstem resorbierbaren monofilen Nahtmaterial ausgeführt. Die Mehrzahl aller erfahrenen Arbeitsgruppen bevorzugt eine innere Schienung der Anastomose, meist getrennt für das rechte und linke Gallenwegssystem. Die Drains können entweder transhepatisch oder über die Y-Roux-Schlinge ausgeleitet werden.
Präparation der Y-Roux-Schlinge Kleine und kleinste Gal-
lengänge werden mittels Durchstechungsnähten blind verschlossen. Zur Anastomosierung wird eine nach Roux-Y ausgeschaltete Dünndarmschlinge verwendet. Es kann eine sinnvolle Maßnahme sein, den blinden Schenkel jenseits der Anastomose möglichst lang zu lassen, um ihn transkutan gut erreichbar unter der Bauchdecke zu fixieren und zu markieren (. Abb. 36.66). Gegebenenfalls kann bei später notwendigen endoskopischen Maßnahmen an der Anastomose in Lokalanästhesie rasch ein Zugang in den Anastomosenschenkel geschaffen werden, sodass die Möglichkeit einer Rendezvous-Technik ergänzend zur transhepatischen Behandlung gegeben ist (Beckingham et al. 1998; Hutson et al. 1984). Schleimhautnaht Für die Anastomosierung ist die exakte
Schleimhautadaptation zwischen Gallenwegen und Jejunumschlinge entscheidend. Gerade bei zarten Gallenwegen ist hier eine entsprechende Erfahrung notwendig. Für die übersichtliche Anlage der Anastomose ist es sinnvoll,
Technische Varianten Nach mehr als 100 Jahren Gallenchirurgie erstaunt es nicht, dass eine fast unübersehbare Zahl von technischen Varianten bzw. Alternativen zu der oben geschilderten Technik der biliodigestiven Anastomosierung angegeben wurden. In der Mehrzahl sind sie heute bedeutungslos oder nur ganz ausnahmsweise in Sonderfällen indiziert. 4 Besonders vielfältig sind Techniken, die durch Vergrößerung des Anastomosierungsquerschnitts eine geringere Restenosierungrate erzielen sollen. Beispielhaft sollen hier die adaptierende Dreiecksplastik bzw. die sog. Schmetterlingsplastik nach Gütgemann (Gütgemann et al. 1961) genannt werden. 4 Bei der radikulären Anastomose nach CouinaudHepp soll eine breite Anastomose zwischen den intrahepatischen Gallenwegen und dem Dünndarminterponat durch Anschluss an den linken Hepaticus er-
725 36.10 · Reinterventionen an den Gallenwegen
reicht werden (Couinaud et al. 1961). Dieser ist in der Regel relativ leicht nach Spaltung des Ansatzes des Lig. falciforme erreichbar, sodass problemlos 3–4 cm des intakten linken Hauptganges freigelegt und anastomosiert werden können. 4 Eine Steigerung stellt das Verfahren nach Champeau dar, bei dem die Anastomose noch zentraler angelegt werden kann (Champeau et al. 1966). 4 Zeitweilig wurde auch die so genannte Mukosazylinderplastik (Smith et al. 1964) propagiert, bei der eine »nahtlose« Schleimhautadaptation zwischen einem Mukosazylinder des Dünndarms und den Enden des Gallengangsepithels angestrebt wird. Heute scheinen viele dieser für »verzweifelte Fälle« angegebenen Verfahren angesichts der deutlich verbesserten intraluminalen Behandlungsmöglichkeiten nur noch historisch interessant und für die klinische Praxis bedeutungslos.
36.10.6
Ergebnisse
Die Ergebnisse von Reinterventionen an den Gallenwegen sind auch heute noch nicht in vollem Umfang befriedigend. Auch in den besten Serien kann mit einem langfristigen Erfolg nur in etwa 80% der Fälle gerechnet werden (Huang et al. 2003; Liu et al. 2004; Regöly-Mérei et al. 1998). Günstigere Ergebnisse können nur in Serien mit einem hohen Anteil an günstig behandelbaren Läsionen oder kürzerem Follow-up gesehen werden (Doctor et al. 1998; McDonald et al. 1995). Der (dauerhafte) Erfolg von Reinterventionen an den Gallenwegen hängt von folgenden Faktoren ab (Li et al. 2005; Lillemoe et al. 2000; Sicklick et al. 2005; Wu et al. 2010): 4 Intervall zwischen dem Schadenereignis und der Reparation 4 Höhe der Gallenwegsläsion 4 Typ der Läsion 4 Begleitschäden 4 Art der Rekonstruktion 4 Spezifische operative Erfahrung des Chirurgen 4 Anzahl der bereits vorausgegangenen Reparationsversuche Bedauerlicherweise wird auch heute die Mehrzahl aller Gallenwegsläsionen erst im postoperativen Verlauf erkannt (Chapman et al. 1995; Gigot et al. 1997). Die Einführung der laparoskopischen Technik hatte darauf keinen Einfluss. Prinzipiell ist die Gesamtprognose der Patienten, wie in allen größeren Serien nachgewiesen wurde, besser, wenn die Läsion bereits während des Ersteingriffs realisiert und versorgt wird (Letalität, postoperative biliäre Komplikationen, Reoperationsrate) (Gigot et al. 1997).
Eine klare Abhängigkeit besteht auch zwischen der Höhe der Läsion (Mercado et al. 2005), der Schwere des
Eingriffs und des langfristigen Erfolgs. Je hilusnaher der Defekt lokalisiert ist, umso anspruchsvoller wird die Rekonstruktion. Ebenso deutlich ist die Korrelation zwischen dem Typ der Läsion und der Möglichkeit einer erfolgreichen Behandlung. Läsionen vom Typ I können fast immer durch eine konservative bzw. semi-invasive Behandlung zur Ausheilung gebracht werden. Die Aussichten sind beim Typ II bereits deutlich geringer. Typ III und IV müssen operativ behandelt werden, wobei die bei Typ IV anzulegende Anastomose zwangsläufig hilusnah oder höher anzulegen ist. Bezüglich der Begleitschäden ist in erster Linie die Kompromittierung der Gefäßversorgung zu nennen. Später bildet sich nicht selten eine portale Hypertension aus. Beide Situationen erschweren die Rekonstruktion erheblich und sind mit einer wesentlich höheren Mortalität und Morbidität verbunden. Die floride Cholangitis oder gar lokale Peritonitis erhöhen ebenfalls die Komplikationsrate beträchtlich, sodass durch eine sinnvolle Kombination mit radiologischen und endoskopischen Maßnahmen vor einem geplanten Reeingriff stets versucht werden sollte, lokal möglichst blande Verhältnisse zu erreichen (Doctor et al. 1998). Bei allen postprimär entdeckten Läsionen oder gar vor einer operativen Reintervention sollte jedoch die Zuweisung in ein entsprechend erfahrenes Zentrum bedacht werden. Jeder fehlgeschlagene Reparationsversuch verschlechtert die Erfolgsaussichten einer erneuten Reintervention deutlich (Chapman et al. 1995). Da die (kurzfristige) Lösung des Problems einer Gallenwegsverletzung durch eine deutlich schlechtere langfristige Prognose erkauft wird, ist der an sich verständliche Wunsch, die verursachte Läsion auch selbst zu korrigieren, im höheren Interesse des Patienten nicht angebracht. Eine wesentliche Rolle spielt in jedem Fall auch die Art der Rekonstruktion. Aufgrund der langfristig ungünstigen Erfahrungen mit Choledochusplastiken und direkten Endzu-End-Anastomosen (Csendes et al. 1989; Frattaroli et al. 1996) wurde die Hepatikojejunostomie mit einer ausgeschalteten Dünndarmschlinge heute eindeutig das Verfahren der Wahl, wobei stets eine direkte Mukosanaht angestrebt werden sollte (Mercado et al. 2004). Die Ergebnisse der so genannten »nahtlosen« Mukosaplastik waren insgesamt enttäuschend (Chapman et al. 1995), sodass dieses Verfahren heute nicht mehr empfohlen werden kann. Unbestritten ist auch bei Reinterventionen an den Gallenwegen die spezielle Erfahrung des Chirurgen für die weitere Prognose von entscheidender Bedeutung. Da Gallenwegsläsionen bei der Vielzahl von jährlich durchgeführten Cholezystektomien mit einer Frequenz von 0,3–0,8% verhältnismäßig selten vorkommen, ist nicht zu
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Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
erwarten, dass jeder einzelne Operateur spezielle Kenntnisse im Management der Gallenwegsläsionen erwerben kann. Sofern er die Läsion bereits intraoperativ bemerkt, sollte kritisch abgewogen werden, ob eine Versorgung ad hoc angebracht ist. 36.10.7
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727 36.10 · Reinterventionen an den Gallenwegen
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36
728
Kapitel 36 · Erkrankungen der Gallenwege
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36
37
Erkrankungen der Leber R. Margreiter, R. Schlumpf, M. Schmeding, J. Wydler
37.1
Pathophysiologie und Diagnostik
– 730
37.1.1 37.1.2 37.1.3 37.1.4 37.1.5
Zellnekrose – 730 Synthesestörung – 731 »Physiologische« Altersveränderungen – 732 Bildgebende Diagnostik – 732 Literatur – 736
37.2
Echinokokkose der Leber
37.2.1 37.2.2 37.2.3 37.2.4 37.2.5 37.2.6 37.2.7
Pathogenese – 736 Epidemiologie – 737 Klinische Symptomatologie Diagnostik – 738 Therapie – 739 Literatur – 741 Internetadressen – 742
37.3
Lebertrauma inklusive Bilhämie
37.3.1 37.3.2 37.3.3 37.3.4 37.3.5 37.3.6 37.3.7
Klassifikation – 742 Diagnostik – 742 Konservative Therapie – 743 Therapieziele und Indikationsstellung Operationstechnik – 743 Komplikationen – 746 Ergebnisse – 746
37.3.8
Literatur
– 736
– 737
– 742
– 743
– 746
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_37, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
730
Kapitel 37 · Erkrankungen der Leber
37.1
Pathophysiologie und Diagnostik M. Schmeding
Die Leber wiegt im Mittel 1800 g beim Mann und 1400 g bei der Frau. Wie aus der Prometheussage bekannt, besitzt die Leber eine ausgeprägte Regenerationsfähigkeit, solange das Organ nicht stark geschädigt und fibrotisch umgewandelt ist. Hämodynamisch wird die Leber über die A. hepatica propria und die V. portae versorgt, wobei »Feedbackmechanismen« zwischen beiden Systemen bestehen. Ein System allein vermag die Leberperfusion zu sichern, weshalb eine Pfortaderthrombose ebenso wie ein Verschluss der A. hepatica propria in der Regel überlebt wird. Die laborchemische Diagnostik der Lebererkrankungen gliedert sich in zwei Hauptgruppen: Zum einen die Leberenzyme, die als Schädigungsparameter dienen, d.h. ein Lebertrauma mit ggf. involviertem Zelluntergang anzeigen (ASAT, ALAT, GLDH), zum anderen die Funktionsparameter, die die exkretorische sowie die synthetische Funktion der Leber abbilden (Bilirubin, Quick/INR, Protein, Albumin). Diese Unterscheidung ist insofern wichtig, als z. B. bei einer akuten Hepatitis die Transaminasen als Zeichen des Zelluntergangs über 1000 U/ml liegen können, ohne dass es dabei zu einer Einschränkung der Syntheseleistung kommen muss. Im Folgenden soll diese Unterscheidung bei der Darstellung der Pathophysiologie und insbesondere bei der Labordiagnostik beibehalten werden.
37.1.1
Zellnekrose
Hepatozellulärer Schaden
37
Aspartat-Aminotransferase (ASAT oder GOT) Die Aufgabe der Aspartat-Aminotransferase liegt im Transfer von Aminogruppen auf α-Ketosäuren. Intrazellulär findet sich das Enzym nicht nur in Mitochondrien, sondern auch im Zytoplasma. Aufgrund dieser Tatsache kommt es relativ rasch bei Zelltrauma zu einem Anstieg der Werte im Blut. Neben der Leber findet sich dieses Enzym im Skelettmuskel, dem Myokard wie auch in der Niere. Pathologien dieser Organe führen deshalb ebenfalls zu einem Anstieg im Serum. Die Serumhalbwertzeit beträgt nur 12–24 h. Eine längerfristig zu beobachtende Erhöhung ist demnach nur mit einer kontinuierlichen Zellschädigung zu erklären. Alanin-Aminotransferase (ALAT oder GPT) Die Funktion der ALAT ist mit der der ASAT vergleichbar, die Serumhalbwertzeit ist mit ca. 50 h aber deutlich länger. Nach einem akuten Trauma fallen die Werte deshalb langsamer ab. Da die Konzentration der ALAT in der Leber gegenüber anderen Organen um mindestens den Faktor 10 hö-
her ist, kann die ALAT für den klinischen Alltag als »leberspezifisch« bezeichnet werden. Eine akute Erhöhung der ASAT und ALAT findet sich bei toxischen Leberschäden (z. B. Knollenblätterpilzintoxikation) oder fulminanten viralen Hepatitiden. Mäßig erhöhte Werte finden sich bei Mononucleosis infectiosa, chronischen viralen Hepatitiden sowie der Stauungsleber. Geringgradige Erhöhungen finden sich häufig bei Lebertumoren und Lebermetastasen. Ferner können Medikamente ein Grund sein für erhöhte Transaminasen (z. B. viele Antibiotika, ACE-Inhibitoren, Betablocker…). Bei isoliert erhöhten Transaminasen muss nach Ausschluss einer ischämischen Kardiopathie (mittels Serumkreatinkinase) am ehesten an Steatose oder Steatohepatitis gedacht werden. Die Unterscheidung zwischen diesen 2 letzten Diagnosen, die nur bioptisch gestellt werden kann, ist insofern wichtig, als nach neueren Erkenntnissen die Steatohepatitis häufiger in eine Zirrhose übergeht als bisher angenommen. Hauptrisiko für eine Steatohepatitis ist der Alkoholkonsum, daneben Diabetes mellitus, Adipositas sowie Schilddrüsenunterfunktionen. Weitere chronische Hepatopathien müssen ebenfalls ausgeschlossen werden, vorab die Hämochromatose (Eisenstatus), der α-Antitrypsinmangel (α-Antitrypsin im Serum) sowie ein M. Wilson (Kupfer im Blut und im 24-hUrin, Coeruloplasmin im Serum). Autoimmun bedingte chronische Hepatitiden können mittels Antikörper-Suchtests ausgeschlossen werden (»antimitochondrial antibodies«, »smooth muscle antibodies«, »liver-kidney microsomal antibodies« im Serum). Hinsichtlich der differenzialdiagnostischen Abklärung unklar erhöhter Leberwerte empfiehlt sich stets die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit einem erfahrenen Hepatologen. Nach der oft hilfreichen Sonographie (Die Leber ist diesem Verfahren sehr gut zugänglich.). kann im Zweifelsfall die Leberbiopsie und die histologische Auswertung des Präparates diagnostische Klarheit bringen. Bei isoliert erhöhten Transaminasen müssen die in der Übersicht aufgelisteten Parameter abgeklärt werden.
Ursachen isoliert erhöhter Transaminasen 4 Alkoholabusus? 4 Adipositas, Diabetes mellitus 4 Chronische Hepatitis – Frühere Bluttransfusionen? – Hepatitis-B-Marker – Hepatitis-C-Marker (fluktuierende Werte der Transaminasen) 4 Medikamente 4 Herzinsuffizienz 4 Biliärer Schaden
731 37.1 · Pathophysiologie und Diagnostik
Die wichtigen Substanzen/Enzyme, die in die Diagnostik biliärer Erkrankungen herangezogen werden, sind das Bilirubin (direkt und indirekt), die alkalische Phosphatase, die γ-Glutamyltransferase und, bei uns seltener bestimmt, die Leucinaminopeptidase. Der Leser sei auf das entsprechende Kapitel verwiesen (7 Kap. 36.2). In Bezug auf das Bilirubin seien hier nur einige Gedanken erwähnt. Es ist stets zwischen einer isolierten Bilirubinämie oder einer parallelen Erhöhung anderer Leberparameter zu unterscheiden. Bei einer isolierten Hyperbilirubinämie gilt es differenzialdiagnostisch folgendermaßen vorzugehen.
Es besteht eine ständige Balance zwischen Hämostase und Fibrinolyse, wobei die Leber für beide Regelsysteme die Hauptschaltstelle ist. Die Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X sind Vitamin-K-abhängig (sog. Prothrombinkomplex). Ursachen eines Vitamin-K-Mangels 4 Alimentär (Fehlen pflanzlicher Zusätze zu Nahrung) 4 Antibiotikatherapie (Reduktion der Vitamin-K-produzierenden Darmflora) 4 Gallengangsverschluss oder Lipasemangel (mangelnde Resorption)
Ursachen einer isolierten Hyperbilirubinämie 4 Suche nach Hämolyse (z. B. Sphärozytose, parainfektiös, postoperativ nach Bluttransfusionen etc.) 4 Familiäre Formen der Hyperbilirubinämie – Unkonjugiert (M. Gilbert-Meulengracht) – Konjugiert (Dubin-Johnson- und RotorSyndrom)
37.1.2
Synthesestörung
Gesamteiweiß Das menschliche Plasma beinhaltet mehrere hundert Proteine. Bei der Bestimmung des Gesamteiweißes spielen die Immunoglobuline und vor allem das Albumin die entscheidende Rolle. Hypoproteinämien entstehen durch Proteinmangelernährung, Maldigestion oder Malabsorption. Angeborene Synthesedefekte für Albumin existieren ebenfalls, doch sind meist sekundäre Störungen der Albuminsynthese wie chronische Hepatopathien die Ursache einer Hypalbuminämie. Folgende wichtigen Plasmaproteine werden durch die Leber synthetisiert (Auswahl): 4 Albumin 4 α1-Antitrypsin 4 α-Fetoprotein 4 α2-Makroglobulin 4 Coeruloplasmin 4 C-reaktives Protein (CRP) 4 Ferritin 4 Fibrinogen 4 Komplementfaktoren (C1, C3 und C6) 4 Prothrombin 4 Transferrin 4 Gerinnungsfaktoren α1-Antitrypsin, Coeruloplasmin, CRP und Fibrinogen gehören zu den Akute-Phase-Proteinen.
Bei einer Hepatopathie ist dieses Gleichgewicht gestört: Zum einen sind sowohl das hämostatische wie auch fibrinolytische System betroffen, zum anderen wird aufgrund der Funktionseinschränkung des RES-Systems auch der Abbau der aktivierten Gerinnungsfaktoren verzögert. Die Prothrombinzeit (Quickwert) repräsentiert mit guter Empfindlichkeit die Faktoren II, VII und X, etwas weniger empfindlich die Faktoren V und Fibrinogen. Bei einer bestehenden Leberzirrhose kann der Quickwert noch normal sein, wohingegen der Faktor V schon unter Normwerte absinkt. Das Fibrinogen zeigt sich erst bei deutlicher Reduktion des Quickwertes erniedrigt. Faktor VIII ist der einzige Gerinnungsfaktor, der auch in anderen Organen synthetisiert wird. Er ist deshalb nur bei schweren Formen des Leberzellversagens (üblicherweise parallel zu einer DIC) erniedrigt. Sowohl bei der akuten als auch bei der chronischen Hepatopathie ist der FaktorVIII-Status normal oder sogar erhöht. Der Gerinnungsfaktor mit der kürzesten Halbwertszeit ist der Faktor VII (HWZ ca. 8 h). Abnormalitäten der Hämostase bei chronischen Lebererkrankungen 4 Reduzierte Synthese von Gerinnungsfaktoren 4 Reduzierte Synthese von normal vorkommenden Koagulationsinhibitoren 4 Synthese von abnormalen Koagulationsproteinen, einige davon mit antikoagulierender Wirkung 4 Disseminierte intravasale Gerinnung 4 Vitamin-K-Mangel 4 Erhöhte fibrinolytische Aktivität
In der Akutsituation eines fulminanten Leberzellversagens bewährt sich primär die serielle Bestimmung des Faktors V, da er Vitamin-K-unabhängig ist und die Werte als prognostischer Faktor verwendet werden können.
37
732
Kapitel 37 · Erkrankungen der Leber
Obschon nicht mit der hepatischen Syntheseleistung verbunden, sei aufgrund der klinischen Wichtigkeit noch kurz auf die bei portaler Hypertonie als Folge chronischer Leberpathologien beobachtete Thrombopenie hingewiesen. Diese ist multifaktoriell bedingt und kann nicht nur aufgrund des Hypersplenismus erklärt werden. Es bestehen sowohl qualitative und quantitative Veränderungen als auch intrinsische Plättchendefekte sowie pathologische Interaktionen zwischen Thrombozyten, endothelialen Faktoren und Gerinnungsfaktoren. Dies ist auch für den chirurgisch tätigen Arzt von Bedeutung. Bei verringerter Prothrombinzeit (Quick <40%) ist nicht nur die postoperative Blutungstendenz, sondern auch die Mortalität signifikant erhöht. Operationen im Bereiche der Gallenwege beim zirrhotischen Patienten bergen ein Risiko. So ist bei Cholezystektomien die Mortalität um ein Vielfaches erhöht. Hauptursache sind hier Blutungs-komplikationen.
37.1.3
37
»Physiologische« Altersveränderungen
Da heute ein wesentlicher Anteil der operierten Patienten über 65 Jahre alt ist, seien noch einige Aspekte zur Veränderung der Leberfunktion im Alter erwähnt. Das Lebergewicht nimmt im Alter ab, die Leberdurchblutung ist deutlich verringert. Dies scheint ein Hauptgrund für die verminderte Metabolisierung hepatisch abgebauter Medikamente zu sein. Da aber nur die Phase-I-Metabolisierungswege (u. a. Oxidation, Reduktion) nicht aber die Konjugierung (Phase II) beeinflusst werden, kann die verminderte hepatische Perfusion nur partiell für den bis um 30% verringerten Metabolismus verantwortlich gemacht werden. Pro Dezennium nimmt das Serumalbumin um etwa 2 g/l ab. Die Cholesterinsättigung der Galle nimmt mit dem Alter zu, was ein Grund für die erhöhte Rate von Gallensteinen mit steigendem Alter sein kann. Die Transaminasen wie auch die alkalische Phosphatase und die γ-GT zeigen hingegen keine Änderungen der Werte aufgrund fortgeschrittenen Alters.
37.1.4
Bildgebende Diagnostik
In der Diagnostik der Lebererkrankungen unterscheiden wir sinnvollerweise diffuse und fokale Veränderungen des Leberparenchyms. Die diffusen Parenchymerkrankungen sind die Domäne der klinischen Untersuchung und der laborchemischen Diagnostik; nur in ausgewählten Fällen ist eine weiterführende Schnittbilddiagnostik oder eine operative Therapie induziert. Im chirurgischen Krankengut dominieren Patienten mit fokalen Leberläsionen. Auf-
gabe der bildgebenden Diagnostik ist die Erkennung dieser Läsionen, die Definition der Dignität und die Abklärung der Operabilität bzw. des geeigneten Resektionsverfahrens. Hierzu stehen uns die Sonographie (inkl. Duplex), die Computertomographie (CT), die Magnetresonanztomographie (MRT), die Positronen-Emissions-Tomographie (PET), die Szintigraphie und die Angiographie zur Verfügung. Obgleich eine Myriade von Publikationen zur Abklärung retrospektiv bekannter Lebertumoren existiert, so gibt es wenig allgemein akzeptierte Algorithmen für die im klinischen Alltag bei weitem häufigste Fragestellung, nämlich die Abklärung des primär unklaren Lebertumors. Neben einer kurzen Vorstellung der adäquaten Untersuchungstechnik werden wir im Folgenden daher auch Ratschläge für eine sinnvolle Auswahl der Untersuchungsverfahren geben.
Sonographie/Duplex Aufgrund der Verfügbarkeit, der relativ geringen apparativen Kosten und nicht-existenter Nebenwirkungen ist die Sonographie meist das primäre bildgebende Verfahren bei Lebererkrankungen. In geübter Hand und bei adäquater Patientenvorbereitung ist die Sonographie geeignet zum Screening, eine Sensitivität für fokale Leberläsionen von 58–80% genügt jedoch nicht für definitive Therapieentscheide oder eine Operationsplanung. Unterschiedliche Echogenitäten fokaler Leberläsionen erlauben in gewissem Umfang eine Dignitätszuordnung. So werden zufällig erkannte benigne Veränderungen wie dysontogenetische Leberzysten oder Hämangiome, die eine Prävalenz von 4–5% haben, mit großer Sicherheit erkannt (. Abb. 37.1a). Die Spezifität der Methode ist bei den übrigen primären oder sekundären Lebertumoren ungenügend, um eine zuverlässige Zuordnung zu gewährleisten. Auch wenn Tumorentitäten spezielle bildgebende Engramme zugeordnet werden (z. B. »Halo« bei malignen Lebertumoren), so ist deren Spezifität für Therapieentscheidungen nicht ausreichend (. Abb. 37.1b,c). Nicht eindeutig benigne Läsionen können ggf. sonographisch gesteuert punktiert und damit zytologisch oder histologisch untersucht werden. Hierbei ist zu beachten, dass primäre Lebertumoren nur durch ausreichendes histologisches Material überhaupt klassifizierbar sind und eine zytologische Diagnostik häufig zu falsch negativen Befunden führt. Hierbei gilt es stets das Risiko der Tumorzell-Verschleppung in Betracht zu ziehen. Größere retrospektive Untersuchungen konnten zeigen, dass Patienten, die im Vorfeld eine Punktion ihres Lebertumors erhalten haben, ein langfristig schlechteres Outcome aufweisen. Mit Hilfe der unterschiedlichen, heute in hochauflösender Qualität zur Verfügung stehenden Methoden, ist ein versierter Radiologe heute meist in der Lage, die Tumorentität nicht invasiv einzuordnen.
733 37.1 · Pathophysiologie und Diagnostik
a
b
c . Abb. 37.1a–c Sonographische Darstellung fokaler Leberläsionen. a homogen echodichter Herd (Pfeil) mit dorsaler Schallverstärkung bei Patient mit kolorektalem Karzinom: »klassisches« Hämangiom. b homogen echodichte Herde ohne dorsale Schallverstärkung bei
Patienten mit Nierenzellkarzinom: multiple Lebermetastasen (bioptisch gesichert). c inhomogen echoarmer Herd (Pfeile): Lebermetastase bei Kolonkarzinom (intraoperativ gesichert)
37
734
Kapitel 37 · Erkrankungen der Leber
Die farbkodierte Duplexsonographie erlaubt eine akkurate und nichtinvasive Beurteilung der arteriellen, systemisch-venösen und portal-venösen Zirkulation der Leber. Die Richtung des Blutflusses, z. B. bei portaler Hypertension kann präoperativ oder präinterventionell definiert werden und der therapeutische Einfluss auf die Hämodynamik quantifiziert werden. In der postoperativen Überwachung nach Lebertransplantation gehört die Duplexsonographie zum Standardrepertoire. Eine Verbesserung der morphologischen Diagnostik von fokalen Leberläsionen ist durch die Duplexsonographie nach bisherigen Erkenntnissen nicht zu erwarten. > Die (Duplex-)Sonographie ist die Screeninguntersuchung der Wahl bei Erkrankungen der Leber. Aufgrund der geringen Spezifität sollten pathologische Befunde weiter (CT, MRT) abgeklärt werden.
Computertomographie
37
Bei meist schon vorliegendem sonographischen Befund wird die CT zur besseren topographischen Zuordnung der Läsionen und Verbesserung der Spezifität eingesetzt. Gleichzeitig können die übrigen Abdominalorgane und die regionären Lymphknoten beurteilt werden. Bei einer Erstuntersuchung der Leber gehört die Kombination aus Nativ-CT und dynamischer CT (d. h. mit i.v. Gabe von Kontrastmittel [KM]) zum Standard. Die Nativ-CT kann bei Folgeuntersuchungen, z. B. im Rahmen einer onkologischen Nachsorge entfallen. Bei der organorientierten Untersuchung sollte die Schichtdicke nicht mehr als 5 mm betragen; ein Qualitätskriterium ist die gute Kontrastierung der portalen Gefäße und der Lebervenen, die sich mit der heute fast überall verfügbaren Spiral-CT verlässlich erreichen lässt. Läsionsspezifische Perfusionsphänomene wie z. B. das Irisblendenphänomens beim Hämangiom lassen sich durch eine sequenzielle CT über der Läsion nachweisen. Wenn auch die Ergebnisse verschiedener Studien variieren, so liegt doch die durchschnittliche Sensitivität (Detektion) und Spezifität (Dignität) der CT bei jeweils ca. 90%, immer vorausgesetzt, dass relevante klinische Angaben und Untersuchungsergebnisse zur Befundinterpretation vorliegen.
Magnetresonanztomographie Mehrere Studien haben gezeigt, dass bei Einsatz schneller Untersuchungssequenzen die MRT der dynamischen CT in Sensitivität und Spezifität zumindest gleichwertig ist. Eingeschränkte Verfügbarkeit und die höheren Kosten wirken sich derzeit noch nachteilig auf die Methode aus, sodass die MRT nach wie vor seltener und nur bei ausgewählten Indikationen (z. B. Jodallergie, unklare Dignität in Sonographie und CT) eingesetzt wird. Es gibt eine Vielzahl von Untersuchungsprotokollen, auf die hier nicht eingegangen werden
kann. Zum Qualitätsstandard gehört auch bei diesem Untersuchungsverfahren die i.v. Gabe eines Gadoliniumhaltigen KM. Hilfreich für die Differenzialdiagnostik sind häufig leberspezifische KM (Mangan- oder Eisenkomplexe) die in Hepatozyten oder in Zellen des retikuloendothelialen Systems aufgenommen werden und so eine Differenzierung des normalen und des pathologisch verändertem Leberparenchyms ermöglichen (. Abb. 37.2). Zunehmende Bedeutung gewinnt die MR-Angiographie als nichtinvasive Alternative zur (invasiven) Katheterangiographie (s. unten).
Angiographie Die geringe Sensitivität und Spezifität der Arteriographie hat dazu geführt, dass seit Etablierung der CT die Arteriographie aus der Routinediagnostik verschwunden ist. Indikation bleibt einzig die Abklärung vaskulärer Normvarianten zur Operationsplanung bzw. die interventionelle Ablation von Lebertumoren (TACE). Die Darstellung der Pfortaderäste als indirekte (Spleno)Portographie ist sozusagen eine Beigabe der Arteriographie. Ansonsten obliegt die rein diagnostische Abklärung dieser Gefäße in erster Linie der Sonographie, seltener der MR-Angiographie oder der CT. Eine direkte transhepatische Portographie führen wir nur noch bei gleichzeitig geplanten Interventionen (z. B. Stentimplantation bei Pfortaderstenosen, selektive Venenblutentnahme) durch. Die Lebervenenphlebographie ist bei adäquater sonographische Untersuchungstechnik nicht mehr indiziert. Wir führen sie lediglich vor Anlage einer transjugulären intrahepatischen portosystemischen Stentshunt (TIPS) und bei der gleichzeitigen indirekten (transsinusoidalen) Messung der Pfortaderdrucks durch.
Szintigraphie/PET Die geringe räumliche Auflösung der nuklearmedizinischen Verfahren in der Leber führt dazu, dass diese Verfahren nicht zur Detektion, sondern zur Abklärung der Artdiagnose eingesetzt werden. In problematischen Einzelfällen gelingt die Charakterisierung von Hämangiomen mit der Blut-Pool-Szintigraphie, die mit markierten Erythrozyten durchgeführt wird. Für die Differenzialdiagnostik von hepatozellulärem Adenom und der fokal nodulären Hyperplasie (FNH) ist der Hepato-IDA-Scan (»iminodiacetic acid«) geeignet: Die FNH speichert aufgrund der sehr hohen Durchblutung den Tracer, kann ihn jedoch nicht in die Galleflüssigkeit sezernieren, sodass die Läsion eine über Stunden persistierende Speicherung zeigt. Für FNHHerde mit einer Größe >2 cm bietet dieses Verfahren eine Spezifität von 100% bei einer Sensitivität von 88%. Andere insbesondere maligne Tumoren erscheinen als Speicherdefekte im HIDA-Scan, können jedoch ebenfalls erst ab einer Größe von ≥2 cm erkannt werden.
735 37.1 · Pathophysiologie und Diagnostik
a
b . Abb. 37.2a,b Verbesserung der Erkennbarkeit von Tumoren (hier multifokales hepatozelluläres Karzinom) in der transversalen MRT der Leber (T1-Wichtung) vor (a) und nach (b) i.v. Gabe eines superparamagnetischen Kontrastmittels. Das retikuloendotheliale System
des gesunden Leberparenchyms speichert die Partikel und wird dadurch signalarm (dunkler); das Tumorgewebe behält seine Signalintensität und wird besser erkenn- und abgrenzbar
Die PET bietet eine wertvolle Hilfestellung bei der Einordnung unklarer Leberläsionen in stoffwechselaktive und inaktive Prozesse. So kann beispielsweise in einem CT-morphologisch verdächtigen Areal der Leber und Zustand nach Voroperation in diesem Bereich zwischen einer (inaktiven) narbigen Läsion und einem (aktiven) Tumorrezidiv unterschieden werden. In Fusion mit der CT liefert die PET als PET-CT hier also wertvolle Zusatzinformationen. Aufgrund der relativen Unschärfe des Verfahrens ist die Methode jedoch nicht zur anatomisch exakten Diagnostik, z. B. zur genauen Beurteilung der Resektionsgrenzen, geeignet.
Diagnostische Strategien bei fokalen Leberläsionen Bei Anwendung diagnostischer Strategien muss feststellbar sein, ob eine Krankheit vorliegt, ob ihr eine benigne oder maligne Ursache zugrunde liegt und ob eine Therapie nötig und möglich ist. Folglich unterscheiden wir im Folgenden 3 Szenarien: Zufällig entdeckte Läsion Sie wird meist in der Sonographie, die aus anderer Indikation durchgeführt wird, entdeckt. Erfüllt die Läsion die klassischen Kriterien der Gutartigkeit (Zyste, Hämangiom), so ist keine weitere Diagnostik vonnöten. Bei suspektem Befund führt die sonographisch gesteuerte Punktion am schnellsten (und
37
736
Kapitel 37 · Erkrankungen der Leber
möglicherweise auch kosteneffizient) zum Ziel. Häufig wird hier jedoch eine CT indiziert, um die invasive Punktion und das potenzielle Risiko einer Tumorzellverschleppung zu vermeiden. Hierdurch können komplizierte Hämangiome (Irisblendenphänomen), komplizierte Leberzysten (kein KM-Enhancement) oder Lipome (Fettdichte) sicher klassifiziert werden. Eine Restmenge von Läsionen wird jedoch verbleiben, die weiterer Diagnostik oder einer gesteuerten Punktion zuzuführen ist.
37
Extrahepatische maligne Grunderkrankung Auch hier müssen klassisch benigne Herde (s. oben) ausgeschlossen werden. Die Therapieoptionen bestimmen dann das weitere Vorgehen. Durch die Sonographie allein lässt sich ein diffuser metastatischer Befall abklären (. Abb. 37.1b). Ist aus technischen Gründen (z. B. Adipositas, Emphysem) keine verlässliche Aussage möglich, wird alternativ die dynamische CT durchgeführt. Liegt kein diffuser Befall vor und sind die Läsionen nach den aktuellen Standards hepatochirurgischer Zentren resektabel, so wird eine dynamische CT durchgeführt. Durch die Markteinführung leberspezifischer Kontrastmittel hat sich hier zunehmend die MRT als z. T. noch sensitiveres Verfahren etabliert. Mit Hilfe eines erfahrenen Radiologen und der unterschiedlichen zur Verfügung stehenden diagnostischen Optionen sind heute fast alle zunächst unklaren Leberläsionen nicht invasiv einzuordnen. Bei fortbestehendem unklarem Befund sollte erwogen werden, diesen diagnostisch zu punktieren. Abhängig von Lokalisation und Verdachtsmomenten kann dies präoperativ CT-/US-gesteuert oder intraoperativ, unter sonographischer oder palpatorischer Steuerung erfolgen. Hierbei sollte aber unbedingt in Betracht gezogen werden, ob die Läsion nicht ohnehin chirurgisch entfernt werden kann und muss. In diesem Falle sollte man auf die Punktion aufgrund des Risikos der Tumorzellverschleppung verzichten.
Helmberger T, Holzknecht N, Gregor M, Gauger J, Helmberger R, Reiser M (1998) Fokale Lebererkrankungen. Radiologe 38:263–269 Laing ADP, Gibson RN (1998) MRI of the liver. J Magn Res Imaging 8:337–345 Lock G,Schölmerich J (1998) Vorgehen bei sonographischer nachgewiesener Raumforderung der Leber. Ultraschall Klin Prax 11:117– 120 Mahfouz AE, Hamm B, Mathieu D (1996) Imaging of metastases to the liver. Eur Radiol 6:607–614 Oberstein A, Kauczor HU, Mildenberger P, Ibe M, Teifke A, Rieker O, Gerken G, Thelen M (1996) Drei-Phasen-Spiral-CT in der Diagnostik von Lebererkrankungen: Vergleich mit der CT-Arteriographie und -Arterioportographie. Fortschr Röntgenstr 164:449–456 Valls C, Lopez E, Guma A, Gil M, Sanchez A, Andia E, Serra J, Moreno V, Figueras J (1998) Helical CT versus CT arterial portography in the detection of hepatic metastasis in colorectal carcinoma. Am J Roentgenol 170:1341–1347
37.2
Echinokokkose der Leber J. Wydler, R. Schlumpf
Bei der zystischen Echinokokkose, früher eine klare Domäne der Chirurgie, besteht eine Tendenz zu weniger invasiven Therapieformen: Die PAIR-Methode (Punktion-AspirationInjektion-Reaspiration) in Kombination mit Chemotherapie entwickelt sich zum Standardverfahren. Die chirurgischen Optionen verfügen über das Potenzial, den Parasiten total zu entfernen und den Patienten so zu heilen. Die alveoläre Echinokokkose ist eine schwere Erkrankung mit einer Mortalität von über 90% bei unbehandelten Patienten. Radikale Chirurgie gemäß onkologischen Richtlinien, gefolgt von einer mindestens zweijährigen Chemotherapie muss bei allen operablen Patienten gefordert werden. Bei inoperablen Patienten oder nach nichtradikaler Resektion erhöht die langjährige Chemotherapie das Überleben signifikant.
37.2.1
Pathogenese
Verdacht auf primäres Lebermalignom Die Sonographie ist
bei diesen Tumoren, auch bei Vorliegen anderer Verdachtsmomente (wie erhöhtes α-Fetoprotein) oft unergiebig. Die meist zirrhotisch umgebaute Leber hat ein inhomogenes Echomuster und maligne Tumoren sind oft nur schwer von Regeneratknoten oder fibrosierten Leberregionen zu unterscheiden. Multifokales Tumorwachstum kann nicht sicher nachgewiesen oder ausgeschlossen werden. CT und MRT, letztere unter Verwendung leberspezifischer Kontrastmittel führen deutlich verbesserten Nachweisraten. 37.1.5
Literatur
Gebel M, Caselitz M, Manns MP (1998) Sonographische Diagnostik von Raumforderungen der Leber. Ultraschall Klin Prax 11:109– 116
Die humane Echinokokkose ist eine zoonotische Infektion, verursacht durch die Larvenform (Metazestoden) des Bandwurmes der Art Echinococcus, der im Dünndarm von Karnivoren gefunden wird. Die über den Darm ausgeschiedenen Eier des Bandwurmes können eine Vielzahl verschiedener Arten von Zwischenwirten inkl. den Menschen infizieren. Von den 4 bekannten Spezies des Echinicoccus sind 2 von speziellem medizinischen Interesse: 4 E. granulosus: führt zur zystischen Echinokokkose; Endwirt Hund und Wolf 4 E. multilocularis: führt zur alveolären Echinokokkose; Endwirt Fuchs oder Katze Zwischenwirte für E. granulosus sind Warmblütler, vor allem Pflanzenfresser, für E. multilocularis vor allem die
737 37.2 · Echinokokkose der Leber
Feldmaus. Die Infektion des Menschen erfolgt fäkal-oral durch die genannten infizierten Tiere, deren Kot und/oder durch Kot verunreinigte Nahrungsmittel. Die Eihülle der Larve wird durch den Magensaft im Menschen verdaut, durchdringt die Schleimhaut des Duodenums und gelangt so in den Pfortaderkreislauf. Aus diesen entwicklungsfähigen Onkosphären entstehen zunächst kleine Bläschen, die allmählich zu Finnen heranwachsen.
37.2.2
Epidemiologie
Die zystische Echinokokkose ist weltweit verbreitet und tritt vor allem in Schafzuchtgebieten endemisch auf. Die bevorzugten Regionen sind Europa, Asien, der Mittelmeerraum, Südamerika, Australien und Ostafrika. Die alveoläre Echinokokkose kommt bevorzugt in Gegenden mit einer hohen Dichte des Endwirtes Fuchs vor, nämlich im nördlichen Asien, Russland, Kanada und Alaska. In Europa gelten Südwestdeutschland und die Nordostschweiz als Endemiegebiete. Die jährliche Inzidenz der zystischen Echinokokkose variiert stark in den verschiedenen Endemiegebieten zwischen <1–220 Erkrankungen pro 100.000 Einwohnern. Die Mortalität ist gering (2–4%), kann aber bei inadäquater medizinischer Versorgung bedeutend ansteigen. Glücklicherweise ist die Inzidenz bei der alveolären Echinokokkose in den meisten Endemiegebieten geringer (0,02–1,4 neue Erkrankungen pro 100.000 Einwohner). Aber die unbehandelten oder unzureichend behandelten Patienten weisen innerhalb 10–15 Jahre nach der Diagnosestellung eine Mortalität von über 90% auf (WHO Informal Working Group on Echinococcosis 1996).
37.2.3
schicht besteht. Eine vom Wirt gebildete Bindegewebsschicht umschließt die Finne (Perizyste). Der natürliche Verlauf der Infektion ist nun sehr unterschiedlich. Einige Zysten wachsen (durchschnittlich 1– 30 mm/Jahr) und verbleiben in einem Zustand ohne wesentliche Veränderungen über Jahre hinweg, andere Zysten können spontan rupturieren oder kollabieren und damit vollständig verschwinden. Durch die Ausschwemmung von lebenden Protoskolizes nach spontaner oder traumatischer Zystenruptur oder während eines interventionellen Verfahrens kann eine sekundäre Echinokokkose entstehen. Nach einer variablen Inkubationszeit kann die Infektion symptomatisch werden, sobald die Zyste einen Druck auf das umliegende Gewebe ausübt: Störung der Blutzirkulation und des Galleabflusses sowie Atrophie des Lebergewebes mit entsprechenden klinischen Störungen. Lungenechinokokken verursachen oft keine Symptome. Klinische Erscheinungen (Schmerzen, Husten, Atembeschwerden) treten jedoch bei Ruptur der relativ dünnwandigen Blasen auf. Im Gehirn oder im Rückenmark angesiedelte Finnen verursachen neurologische Symptome. Komplikationen im Spontanverlauf des Echinococcus cysticus 4 Ruptur der Zyste ins Peritoneum mit Anaphylaxie oder peritonealer Dissemination oder beidem 4 Ruptur in die Gallenwege: Cholangitis oder Cholostase oder beides 4 Ruptur in Pleura oder Lunge: pleurale Hydatosis oder bronchiale Fisteln 4 Leberabszesse durch infizierte Zysten 4 Druck durch Zystenmasse auf Gallenwege, Pfortader, Lebervenen, V. cava inferior → Cholostase, portale Hypertension, Budd-Chiari-Syndrom
Klinische Symptomatologie
Die Beschwerden und die klinischen Befunde der Echinokokkose sind im Wesentlichen abhängig von der Lokalisation der Zysten und vom Spontanverlauf der Erkrankung. Daneben treten unspezifische Symptome wie Müdigkeit, Inappetenz und Völlegefühl auf.
> Für das chirurgische Vorgehen wichtig zu wissen ist, ob eine Kommunikation mit den Gallenwegen besteht, entweder durch Gallenachweis in der Zyste, Tochterzysten in den Gallenwegen oder durch eine direkte Verbindung im ERCP.
Zystische Echinokokkose
Alveoläre Echinokokkose
Die Metazestoden können sich in fast allen Organen entwickeln. Etwa 80% der Patienten weisen jedoch den Befall eines einzelnen Organs auf und zeigen eine solitäre Zyste. Zwei Drittel der Zysten finden sich in der Leber, 20% in der Lunge. Die Finne von E. granulosus wird auch als »Hydatide« bezeichnet (hydatis: Wasserblase). Sie stellt im typischen Falle eine mit Flüssigkeit gefüllte, ein- oder mehrkammerige Blase dar, deren Wand aus einer inneren, zellulären Keimschicht und der äußeren, azellulären Kutikular-
Die Finnen von E. multilocularis zeigen einen anderen Aufbau. Sie bestehen aus Konglomeraten mikroskopisch kleiner bis maximal haselnussgroßer Bläschen, die von Granulations- oder Bindegewebe umschlossen sind. Dadurch entsteht eine alveoläre Struktur. Pathogenetisch bedeutsam ist die Tatsache, dass die Finne durch Proliferation ungehemmt, tumorartig wächst und allmählich die befallenen Organe durchdringt. Echinococcus multilocularis siedelt sich bei 98% der Fälle primär in der Leber an, sekundär
37
738
Kapitel 37 · Erkrankungen der Leber
. Abb. 37.3 Zystische Echinokokkose der Leber
37
kann eine »Metastasierung« in die Lunge und in andere Organe erfolgen. Durch zentrale Nekrose des Parasiten entstehen manchmal größere Zerfallshöhlen. Die befallene Leber ist meist vergrößert und von harter Konsistenz. Nach einer langen asymptomatischen Inkubationszeit von mindestens 5–15 Jahren treten mit cholostatischem Ikterus (2/3 der Fälle) und/oder Oberbauchschmerzen (1/3 der Fälle) erste Symptome auf. Bei einem Drittel der Patienten wird die alveoläre Echinokokkose bei den Abklärungen wegen Müdigkeit, Gewichtsverlust, Hepatomegalie oder pathologischen Leberparametern als Zufallsbefund entdeckt. Die Erkrankung nimmt einen chronisch-schleichenden Verlauf und endet inadäquat oder unbehandelt innerhalb von Monaten oder Jahren tödlich (mittlere Überlebenszeit nach Diagnosestellung bei 21 unbehandelten Patienten aus Alaska 5,3 Jahre, alle Patienten verstarben innerhalb von 14 Jahren; Wilson et al. 1992). Trotzdem gibt es auch Abwehrmechanismen des Wirtes, durch die die Metazestoden degenerieren, kalzifizieren und schließlich absterben. Die Rate dieser Spontanheilungen ist jedoch nicht bekannt.
37.2.4
Diagnostik
Die Diagnose wird mit Hilfe radiologischer Abklärungen in Kombination mit serologischen Untersuchungen gestellt. Oft wird eine Echinokokkose bei asymptomatischen Patienten diagnostiziert, wenn aus anderen Gründen eine
Abdomensonographie oder ein CT durchgeführt wird. Die radiologischen Zeichen sind sehr typisch. Durch Verkalkungen in der Zystenwand können kreisförmige Kalkschatten selbst in Abdomenleerbildern gesehen werden. Sonographisch können die Zystenstruktur und der Inhalt identifiziert werden, Tochterzysten verursachen eine unterschiedliche Densität (»Zyste in der Zyste« bei der zystischen Echinokokkose). Durch die ultraschallgestützte internationale Klassifikation sollen die Behandlungsprinzipien vereinfacht und Studienresultate besser miteinander vergleichbar gemacht werden können (WHO Informal Working Group 2003). Der Echinococcus alveolaris ist dagegen schlecht abgrenzbar und weist ein inhomogenes komplexes Echomuster mit echoarmen und echoreichen Anteilen auf. Die Differenzierung gegenüber Tumoren ist häufig schwierig. In der Computertomographie stellen sich Details wie multiple Septen, Tochterzysten und die genaue topographische Lage optimal für eine präoperative Planung dar (. Abb. 37.3). Das MRT zeigt diese Strukturen ebenfalls, bringt jedoch keinen zusätzlichen Nutzen. Bei vorhandenem Ikterus oder anderweitigem Verdacht auf eine Beteiligung der Gallenwege hilft uns das ERCP sowohl in diagnostischer als auch therapeutischer Hinsicht. Im Labor erweist sich das Routinelabor als wenig hilfreich, reflektiert aber komplizierte, infizierte Zysten bei erhöhten Entzündungswerten und pathologischen Leberparametern. Die serologischen Studien sind sowohl für die Diagnostik, mit der Differenzierung zwischen alveolärem
739 37.2 · Echinokokkose der Leber
und zystischem Echinococcus, als auch für die Verlaufskontrollen nach erfolgter Therapie wichtig. Es gelingt in über 95% zwischen zystischer und alveolärer Form zu differenzieren (Siles-Lucas et al. 2001). Enzym-, Immunfluoreszenz- und Hämagglutinationstests sind bei Leberbefall sehr sensitiv und spezifisch, bei Lungenbefall jedoch deutlich schlechter.
37.2.5
Therapie
Zystische Echinokokkose Zu den Behandlungsprinzipien der zystischen Echinokokkose gehört die Abtötung des Erregers, die Entfernung der infizierenden Element aus der Leber, die Therapie der Resthöhle und die Vermeidung von postoperativen Rezidiven, sowie lokalen und biliären Komplikationen. Die Therapie soll leicht und schnell anwendbar sein, blutarm durchgeführt werden können und ein geringes Risiko für peri- und postoperative Komplikationen aufweisen. Lange Zeit galt die Chirurgie unangefochten als Behandlung der ersten Wahl. Seit Anfang der 90er-Jahre setzt sich mehr und mehr die weniger invasive Punktions-Aspiration-Injektion-Reaspirations-Methode (PAIR) in Kombination mit Chemotherapie durch. Heute scheint diese Therapieform der Chirurgie in klinischer und parasitologischer Effektivität, Morbidität und Mortalität, Hospitalisationsdauer und Rezidivraten signifikant überlegen zu sein (Smego et al. 2003). Chirurgie Die Chirurgie hat das Potenzial, den Parasiten
total zu entfernen und den Patienten zu heilen. > Je radikaler die chirurgische Intervention, desto größer ist das Operationsrisiko, aber desto kleiner ist auch die Rezidivgefahr. Mit der Einführung der Chemotherapie prä- und postoperativ ist es möglich, ein weniger aggressives chirurgisches Verfahren zu wählen. Die Indikation zur chirurgischen Behandlung ist weiterhin unbestritten bei Zysten, wo eine Verbindung zu den Gallenwegen diagnostiziert oder vermutet wurde (Kayaalp et al. 2002).
Zu den radikalen chirurgischen Verfahren zählen die totale Perizystektomie (. Abb. 37.4) und die partielle Hepatektomie (Belli et al. 1983). Als konservative Chirurgie gilt die offene Zystektomie mit oder ohne Omentumplastik. Daneben werden auch laparoskopische Methoden beschrieben, zum Teil mit einer speziellen Aspirationsschleifmaschine. Dadurch soll eine bessere Kontrolle über die Ausschwemmung des Materials sowie über Verbindungen mit den Gallenwegen erzielt werden. Das Risiko von Komplikationen, insbesondere der Ausschwemmung,
. Abb. 37.4 Intraoperativer Situs bei Perizystektomie
wurde bisher nicht vollständig evaluiert (Baskaran u. Patnaik 2004). Es fehlen prospektiv randomisierte Studien zwischen laparoskpischer, konventioneller und perkutaner Technik (Sayek et al. 2001). Mit dem chirurgischen Eingriff sollte eine begleitende medikamentöse Therapie mit Benzimdazolderivaten (Mebendazol und Albendazol) durchgeführt werden. Dadurch soll zur Erleichterung der Operation die Zyste weicher und der intrazystische Druck gesenkt werden können. Jedoch sind weder Dauer noch Effektivität dieser Behandlung bestimmt. Möglicherweise wird durch die perioperative medikamentöse Therapie das Risiko einer sekundären Echinokokkose reduziert, wobei die Behandlung mindestens 4 Tage präoperativ begonnen und während einem Monat postoperativ durchgeführt werden sollte. Die genaue Länge der Behandlung ist weiterhin unklar (Brunetti et al. 2010). Für die intraoperative Abtötung der Protoskoliziden existiert keine ideale Substanz. Einerseits kommt es durch die Hydatidenflüssigkeit zu einer unvorhersagbaren Verdünnung der Agenzien, und Tochterzysten können nur schwer angegangen werden; andererseits kann es bei Verbindung mit dem Gallensystem zu schweren toxischen, irreversiblen Schädigungen kommen. Wegen dieser Ge-
37
740
Kapitel 37 · Erkrankungen der Leber
fahr der Cholangitis, die zu einer sklerosierenden Cholangitis führen kann, wurde der Einsatz von Formalin verlassen. Die gleichen Nebenwirkungen, jedoch in geringerem Ausmaß können auch die heute gebräuchlichen Substanzen (95% Alkohol, 20%NaCl) verursachen. Die Risiken der operativen Verfahren sind abhängig vom Ausmaß der Chirurgie, den allgemeinen chirurgischen Risiken (Narkose, Infektion, Thrombose). Intraoperativ kann es zu einer anaphylaktischen Reaktion kommen und es besteht die Gefahr einer sekundären Echinokokkose bei Ausschwemmung von lebendem Material (2–25%). Die operative Mortalität variiert von 0,5–4%.
37
PAIR Bei der PAIR wird die Zyste unter sonographischer oder computertomographischer Kontrolle punktiert und der Zysteninhalt aspiriert. Der Zysteninhalt wird auf Bilirubin untersucht, das Verfahren wird abgebrochen, falls so eine Verbindung zu den Gallewegen nachgewiesen wird. Eine solche Kommunikation sollte durch Injektion von Kontrastmittel in die Zyste zusätzlich ausgeschlossen werden. Anschließend erfolgt die Instillation einer proktozoliden Substanz während mindestens 15 min, gefolgt von der Reaspiration. Ein intravenöser Zugang am Patienten muss vorhanden sein, genauso wie die Anwesenheit von Anästhesiepersonal zur Behandlung von allergischen oder anaphylaktischen Reaktionen. Ebenfalls wird, wie bei den operativen Verfahren, eine Chemotherapie empfohlen (mindestens 4 Tage präinterventionell bis 1 Monat postinterventionell). Eine Schwangerschaft wird nicht mehr als Kontraindikation angesehen, die Chemotherapie sollte aber in der Frühschwangerschaft weggelassen werden. In verschiedenen Studien zeigte diese Methode auch im Langzeitverlauf gute Resultate mit einem vernachlässigbaren Risiko der Anaphylaxie, guter Wirksamkeit und geringer Rezidivrate (Men et al. 1999; Aygun et al. 2001; Smego et al. 2003; Brunetti et al. 2004). Durch die minimale Invasivität dieses Verfahrens sind die Komplikationsraten kleiner und die Hospitalisationszeit kürzer als bei der Operation. Die Gefahren liegen, wie bei jeder Punktion, in Blutungen, Verletzung von anderen Strukturen oder Infektionen. Chemotherapie Bei alleiniger Chemotherapie zeigen 30% der Patienten nach 12 Monaten eine Heilung, 30–50% eine Degeneration und/oder eine signifikante Verkleinerung. 20–40% weisen dagegen keine Veränderungen auf. Junge Menschen sprechen besser auf eine Chemotherapie an als alte, ebenso Patienten mit einer kleinen Zyste mit einer dünnen Wand (WHO Informal Working Group on Echinococcosis 1996).
Indikationen der Chemotherapie 4 Inoperable Patienten 4 Multiple Zysten in 2 oder mehr Organen 4 Peritoneale Zysten
Kontraindikationen der Chemotherapie 4 4 4 4
Große Zysten mit der Gefahr einer Ruptur Inaktive oder verkalkte Zysten Früh- und Spätschwangerschaft Chronische Lebererkrankungen, Knochenmarksdepression
Die übliche Dosierung von Albendazole beträgt 10– 15 mg/kg/d, kontinuierlich verabreicht. Die früher vorgeschlagenen monatlichen Pausen sollten nicht mehr durchgeführt werden (Brunetti et al. 2010). Als Nebenwirkungen der medikamentösen Behandlung besteht eine Hepatoxizität, es treten Neutropenie, Thrombozytopenie und Alopezie auf. Regelmäßige Laborkontrollen sowie sonographische Verlaufskontrollen sind notwendig. Ergebnisse Obwohl die PAIR-Methode in den letzten Jah-
ren einen enormen Aufschwung erfahren hat und überzeugende Resultate zeigte, wird sie doch nicht überall akzeptiert. Als Gründe dafür werden die Gefahr der Anaphylaxie sowie die peritoneale Parasitenaussaat angegeben. Dies scheinen jedoch vor allem theoretische Gefahrenpotenziale zu sein, konnten in der Metanalyse von Smego keine signifikanten Unterschiede gezeigt werden (Smego et al. 2003). Obwohl bei ca. 90% der Zysten eine gewisse Verbindung zu den Gallewegen besteht, erweist sich das für die PAIR-Methode nicht als Nachteil. Es treten sogar signifikant weniger Gallefisteln auf (Smego et al. 2003), diese können in der Regel endoskopisch behandelt werden. Große Verbindungen zum Gallengangsystem sollten sicherlich präinterventionell festgestellt, oder nach der Punktion durch Kontrastmittelgabe in die Zyste dargestellt werden. Beeindruckend sind jedoch die signifikanten Vorteile der PAIR-Methode, was die Effektivität, Morbidität, Mortalität, Rezidivrate und Hospitalisationsdauer angeht (Smego et al. 2003; Brunetti et al. 2004). Mitentscheidend für die Verfahrenswahl sind aber auch die apparativ-technischen Möglichkeiten sowie die Erfahrung in Leberchirurgie.
Alveoläre Echinokokkose Wegen des infiltrativen Wachstums des Echinococcus multilocularis und der schlechten Prognose muss eine radikale chirurgische Resektion angestrebt werden. Diese richtet sich nach den Grundsätzen der Tumorchirurgie. Eine frühe Diagnosestellung ermöglicht die radikale Resektion und verbessert somit die Prognose. Bei den präo-
741 37.2 · Echinokokkose der Leber
perativen Abklärungen müssen das Ausmaß der Resektion und die Operabilität im Hinblick auf eine Radikalität genau abgeklärt werden. Trotzdem kann dies mit den modernen Untersuchungsmethoden oft nicht klar definiert werden. Auch bei makroskopisch radikaler Resektion besteht die Gefahr, unsichtbare Anteile des Parasiten zurückgelassen zu haben, sodass ein Rezidiv oder eine Dissemination auch nach Jahren noch möglich ist. Deswegen ist eine postoperative Chemotherapie über mindestens 2 Jahre indiziert, ebenso wie die Nachkontrollen während mindestens 10 Jahren (Brunetti et al. 2010). > Auch die nichtradikale Resektion bietet dem Patienten Vorteile, da die Parasitenmasse reduziert wird und das Ansprechen auf die Chemotherapie dadurch verbessert werden kann. Allerdings muss eine Langzeitchemotherapie über mehrere Jahre angeschlossen werden (Emre et al. 2003; Brunetti et al. 2010).
Kontraindikationen der operativen Therapie 4 Inoperable bzw. extensive Läsionen 4 Übergriff auf andere Organe 4 Sekundäre Veränderungen: Thrombose V. portae/ V. cava, Cholostase, Kolliquationsnekrosen der Leber
Eine routinemäßige präoperative Chemotherapie ist, außer vor geplanter Lebertransplantation, nicht indiziert (Brunetti et al. 2010). In seltenen Fällen kann jedoch bei initialer Inoperabilität nach der Chemotherapie eine Resektion durchgeführt werden. Als palliative Maßnahmen in Fällen, in denen eine Operation kontraindiziert ist, steht eine Reihe interventioneller Verfahren zur Behandlung der lokalen Komplikationen zur Verfügung. Damit kann nicht nur die Lebensqualität verbessert, sondern oft auch die Überlebenszeit verlängert werden. Bei einer schweren alveolären Echinokokkose, die auf die Leber beschränkt ist und mit einer Leberinsuffizienz einhergeht, kann die Lebertransplantation in sehr ausgewählten Fällen ein lebensrettendes Verfahren sein. Postoperativ ist eine Langzeitchemotherapie notwendig. Trotzdem besteht die Gefahr, dass unter der notwendigen Immunsuppression ein Rezidiv eines präoperativ nicht bekannten Herdes auftritt. Bei guter Patientenselektion kann ein 5-Jahres-Überleben von 70%, bei Rezidivfreiheit von 58% erreicht werde (Bresson-Hadni et al. 2003).
Behandlungsprinzipien der alveolären Echinokokkose 4 Behandlung der Wahl ist bei allen operablen Patienten die radikale chirurgische Resektion der parasitären Läsion der Leber und anderer beteiligter Organe. 4 Chemotherapie für eine befristete Zeit ist nach radikaler Chirurgie indiziert. 4 Langzeitchemotherapie ist nach inkompletter Resektion, bei inoperablen Patienten, nach palliativen Maßnahmen und nach Lebertransplantation indiziert.
37.2.6
Literatur
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37
742
Kapitel 37 · Erkrankungen der Leber
WHO Informal Working Group on Echinococcosis (2003) International classification of ultrasound images in cystic echinococcosis for application in clinical and field epidemiological settings. Acta Trop 85(2):253–261 Wilson JF, Rausch RL, McMahon BJ, Schantz PM (1992) Parasitical effect of chemotherapy in alveolar hydatid disease: review of experience with mebendazole and albendazole in Alaskan Eskimos. Clin Infect Dis 15(2):234–249
truktionen erstmals beim Leberverletzten durchgeführt werden, sollen in diesem Kapitel Richtlinien angeboten werden, wie auch weniger Erfahrene das primäre Operationsziel, nämlich die lebensrettende Blutstillung, am ehesten erreichen können.
37.3.1 37.2.7
Internetadressen
http://www.medicalweb.it/aumi/echinonet/ http://www.cdc.gov/ http://www.who.int/zoonoses/resources/echinococcosis/en/index. html
Die Einteilung der Schweregrade der Leberverletzungen nach Moore wurde vom selben Autor und Mitarbeitern etwas modifiziert und von der American Association for the Surgery of Trauma anerkannt (. Tab. 37.1).
37.3.2 37.3
Diagnostik
Lebertrauma inklusive Bilhämie R. Margreiter
37
Klassifikation
Auf kaum einem Gebiet der operativen Medizin hat sich das therapeutische Vorgehen in den letzten Jahrzehnten so drastisch gewandelt wie bei der Behandlung des Lebertraumas. War noch etwa vor 20 Jahren die konservative Therapie ausschließlich leichten Leberverletzungen vorbehalten, so werden heute 80% aller stumpfen Lebertraumata nicht-operativ therapiert. Gründe dafür sind die Tatsache, dass viele Leberverletzungen zum Zeitpunkt der Laparotomie nicht mehr bluten, die Verfügbarkeit einer neuen Generation von Computertomographen und das Wissen, dass viele Komplikationen des Lebertraumas mit minimalinvasiven Methoden korrigiert werden können. Die Leber als größtes parenchymatöses Organ des Bauchraumes ist trotz Protektion durch die darüber liegenden Rippen in besonderer Weise verletzungsgefährdet. So ist das in unseren Breiten vorherrschende stumpfe Bauchtrauma in etwa 20% mit einer Leberverletzung vergesellschaftet. Bei stumpfen Lebertraumata wiederum finden sich häufig begleitende Schädel-, Thorax-, oder Knochenverletzungen bzw. Läsionen anderer intraabdomineller Organe. Wenn auch heute der Großteil auch schwerer Lebertraumata konservativ behandelt werden kann, so bleiben doch immer noch Leberrupturen, die offen zu versorgen sind. Bedenkt man, dass das ausgedehnte Lebertrauma mit Zerreißung großer vaskulärer Strukturen auch für den erfahrenen Leberchirurgen gelegentlich eine kaum lösbare Herausforderung darstellt, so wird verständlich, dass sich ein in der Leberchirurgie nicht speziell ausgebildeter Operateur durch das schwere Lebertrauma überfordert fühlt. Da jedoch jeder Allgemeinchirurg mit dieser Situation konfrontiert sein kann und unbedingt vermieden werden sollte, dass ausgedehntere Leberresektionen und Gefäßrekons6
Der physikalischen Untersuchung kommt nur geringe Bedeutung zu, Sie sollte jedoch gerade im Hinblick auf äußere Verletzungszeichen nie unterlassen werden. Die 1965 eingeführte diagnostische Peritoneallavage zeichnet sich durch eine hohe Sensibilität für den Nachweis von Blut und Entzündungszellen aus und hat gerade deshalb beim stumpfen Bauchtrauma zu vielen unnötigen Laparotomien geführt. Das Versagen der diagnostischen Peritoneallavage als Indikator zum operativen Vorgehen beim Lebertrauma hat dazu geführt, dass diese diagnostischen Maßnahmen durch Ultraschall und vor allem durch die Computertomographie ersetzt wurden.
. Tab. 37.1 Einteilung der Schweregrade der Leberverletzungen nach Moore et al. Grad
Beschreibung
I
Subkapsuläres Hämatom (<10% Leberoberfläche, ohne Größenzunahme), Kapselriss, weniger als 1 cm tiefer Parenchymriss – nicht blutend
II
Subkapsuläres Hämatom (10–50% Leberoberfläche), intraparenchymatöses Hämatom <2 cm Durchmesser, 1–3 cm tiefer blutender Kapsel – und Parechymriss <10 cm lang
III
Subkapsuläres Hämatom (>50% Leberoberfläche oder Größenzunahme), rupturiertes, blutendes subkapsuläres Hämatom; intraparenchymatöses Hämatom >2 cm Durchmesser oder Größenzunahme, Parenchymriss >3 cm tiefer
IV
Ruptruriertes intraparenchymatöses Hämatom blutend, Zerreißung 25–50% eines Leberlappens
V
Zerreißung von mehr als 50% eines Leberlappens; Verletzung der großen Lebervenen oder der retrohepatischen Vena cava
VI
Abriss der Leber
743 37.3 · Lebertrauma inklusive Bilhämie
Der Ultraschall, im Schockraum vom behandelnden Chirurgen durchgeführt, ist ein verlässliches Instrument zum quantitativen Nachweis von intraabdominellem Blut, erreicht jedoch nicht die Aussagekraft der Computertomographie.
durchaus belassen werden, bei Größenzunahme sollte angiographiert und bei Nachweis des blutenden Gefäßes dieses embolisiert werden.
> Die Computertomographie stellt heute beim kreislaufstabilen Patienten das Diagnostikum der Wahl dar. Sie vermittelt ein gutes Bild vom Ausmaß der Verletzung auch anderer parenchymatöser Organe, sowohl intra- als auch retroperitoneal.
37.3.4
Als einziger Nachteil der Methode muss die Tatsache angesehen werden, dass z. T. Magen-, Darm- und Zwerchfellverletzungen nicht erkannt werden können. In großen Serien betrug der Anteil übersehener Begleitverletzungen des Darmes jedoch unter 1%. Zwei Punkte sollten jedoch unbedingt bedacht werden: 4 Der hämodynamisch instabile Patient sollte keinesfalls einer CT-Untersuchung zugeführt, sondern sofort operiert werden. Eine Thoraxübersichtsaufnahme kann für die Entscheidung, welche Körperhöhle zuerst eröffnet werden soll, hilfreich sein. 4 Nicht die Radiomorphologie der Leberverletzung, sondern ausschließlich die Hämodynamik bestimmen das therapeutische Vorgehen.
37.3.3
Therapieziele und Indikationsstellung
! Cave ! Wenn trotz adäquater Volumen- und Blutsubstitution sowohl beim penetrierenden als auch stumpfen Bauchtrauma Kreislaufinstabilität fortbesteht, ist die notfallmäßige Laparotomie unverzüglich durchzuführen.
Primäres Therapieziel beim Lebertrauma ist eine zumindest temporäre Blutstillung; anzustreben ist jedoch die definitive Versorgung. Bei penetrierenden Verletzungen im Oberbauch sollten Thoraxverletzungen mit HämatoPneumothorax oder Perikardtamponade durch klinische Untersuchung, Röntgen und/oder Sonographie vor Beginn des Eingriffes nach Möglichkeit ausgeschlossen werden. Um unnötige Laparotomien zu vermeiden, wird bei Stichverletzungen die Wunde in Lokalanästhesie revidiert. Eine Unversehrtheit der Faszie berechtigt zum abwartenden Vorgehen. Zur Abklärung einer fraglichen Peritonealpenetration empfiehlt sich die diagnostische Laparoskopie.
Konservative Therapie 37.3.5
Heute werden 80% aller Lebertraumata mit hohen Erfolgsraten konservativ therapiert. Nach Diagnosestellung durch CT werden hämodynamisch stabile Patienten mit Verletzungen Grad I–III an eine Überwachungsstation, solche mit höhergradigen Verletzungen an einer Intensivpflegestation aufgenommen und entsprechend überwacht. In Einzelfällen kann bei Verdacht auf aktive arterielle Blutung aufgrund von Kontrastmittelnachweis im Leberparenchym durch eine gezielte angiographische Embolisation eine Laparatomie vermieden werden. Wenn auch kontrovers diskutiert, führen wir Kontroll-CT bei Verletzungen ab dem IV. Grad routinemäßig zumindest vor Entlassung zum Nachweis der Wundheilung und intraabdomineller Flüssigkeitsansammlungen, die einer Drainage bedürfen oder zur Erfassung anderer Pathologien durch. Blut und/ oder Galle werden vorzugsweise zwischen 3. und 5. postoperativen Tag laparoskopisch abgesaugt, die Bauchhöhle gespült und ggf. drainiert. Gallengangsverletzungen werden endoskopisch retrograd diagnostiziert und ggf. durch einen Stent zur Sicherung des Gallenabflusses in das Duodenum zum Ausheilen gebracht. Größere Verletzungen können zu einem späteren Zeitpunkt operativ versorgt werden. Supkapsuläre Hämatome, wenn sie stationär bleiben und die Leber nicht zu sehr komprimieren, können
Operationstechnik
Im Gegensatz zur elektiven Leberchirurgie, bei der heute einem uni- oder bilateralen Subkostalschnitt mit medianer Verlängerung bis zum Xyphoid der Vorzug gegeben wird, empfiehlt sich beim Bauchtrauma wegen der raschen und blutarmen Durchführbarkeit die mediane Ober-/Mittelbauchlaparotomie. Im Falle von schwer zugänglichen Verletzungen im Bereiche der Leberkuppe kann die Inzision rasch durch den Rippenbogen in den 6.–8. Interkostalraum oder durch eine partielle Sternotomie erweitert werden. Wurde der Bauch – aus welcher Indikation auch immer – eröffnet, so können oberflächliche Parenchymeinrisse, sofern überhaupt notwendig, mit resorbierbarem Nahtmaterial der Stärke 3/0 oder 4/0 versorgt werden, wobei wir der sog. 8er-Naht den Vorrang geben. Die Knoten sollten sehr vorsichtig zugezogen werden, um ein Einschneiden ins fragile Lebergewebe zu vermeiden. Ein kleines subkapsuläres Hämatom kann eröffnet werden, um sorgfältige Blutstillung mit dem Elektro- oder Infrarotkoagulator zu erzielen, größere Hämatome einem Grad II oder III entsprechend, sollten jedoch nur bei exzessiver Kompression der Leber bzw. großer Rupturgefahr eröffnet und versorgt werden. Zur Blutstillung von Verletzungen des dritten
37
744
Kapitel 37 · Erkrankungen der Leber
. Abb. 37.5 Pringle-Manöver
Grades kann es gelegentlich notwendig sein, stärker blutende Gefäße zu ligieren oder mit 4/0- bzw. 5/0-Nähten zu umstechen. ! Cave ! Tiefe durchgreifende Nähte sind wegen der Gefahr der Verletzung bzw. Unterbindung großer vaskulärer Strukturen nach Möglichkeit zu vermeiden!
37
Wenn viert- und fünftgradige Läsionen operiert werden müssen, verschafft man sich durch Absaugen des Blutes grobe Übersicht über die Leber- aber auch Begleitverletzungen. Die Blutung kann nach Wegfall der Tamponade nach Laparotomie durchaus noch heftiger werden. Zur Erfassung des genauen Verletzungsausmaßes und der exakten Lokalisation sowie auch zur definitiven Blutstillung kann die Blutung auf 2 Arten temporär kontrolliert werden: durch die manuelle Kompression des verletzten Leberanteils oder die Okklusion des Lig. hepatoduodenale. Da gerade die genaue Beurteilung und vor allem die Versorgung durch die manuelle Kompression erschwert bzw. unmöglich gemacht werden kann, geben wir der Hilusokklusion (Pringle-Manöver; . Abb. 37.5) und zwar mittels Tourniquet und Nabelschnurbändchen, den Vorzug. Bei Nicht-Voroperierten kann das kleine Netz stumpf perforiert und das Lig. hepatoduodenale in Sekundenschnelle umfahren werden. Wenn auch immer wieder empfohlen wird, den Gallengang nicht mitzufassen, so wird man diesen in der Eile nicht freipräparieren. Wir selbst haben bisher bei zahlreichen Pringle-Manövern keinerlei Schäden am Gallengang beobachten können. Durch die Okklusion des Ligamentum hepatoduodenale können ein völliger Stopp der
portalvenösen und eine signifikante Reduktion der arteriellen Blutung erzielt werden. Quillt weiterhin dunkles Blut besonders hinter und unter der Leber hervor, so besteht der Verdacht auf eine Läsion der retrohepatischen V. cava bzw. der großen Lebervenen. Für diese Situation wurden 2 Methoden zur weitgehenden vaskulären Okklusion der Leber angegeben: zum einen das Einführen eines intrakavalen Shunts, sei es über das rechte Herz oder von infrahepatisch her, zum anderen das Klemmen der supraund infahepatischen V. cava. Der intrakavale Shunt wird immer wieder kolportiert, es liegen aber nur ganz wenige Erfahrungsberichte mit schlechten Ergebnissen vor, sodass man auf diese Technik durchaus verzichten sollte. Hingegen kann die Cava unterhalb der Leber und oberhalb der Nierenvenen relativ rasch freigelegt und angezügelt werden. Dazu wird das Peritoneum etwa 2 cm kaudal der Umschlagfalte inzidiert und die Vorderwand der Cava weitgehend stumpf dargestellt. Die restliche Cava kann dann leicht freipräpariert und umfahren werden, wobei auf der rechten Seite auf einmündende zusätzliche Nebennierenvenen zu achten ist. Etwas schwieriger ist das Umfahren der suprahepatischen Cava. Nach Spalten des Ligamentum falciforme kann das linke Ligamentum triangulare rasch inzidiert werden, wobei auf die linke Lebervene zu achten ist. Hat man weitgehend stumpf die Vorderwand der Cava freigelegt, wird das rechte Ligamentum triangulare lateral der rechten Lebervene inzidiert und die Cava mit einer Overhold-Klemme unterfahren und angezügelt. Eine Alternative wäre die sagittale Spaltung des Zwerchfells direkt über der Cava und die intraperikardiale Umfahrung der Hohlvene, eine Technik, die man sinnvollerweise bei ausgedehnten Zerreißungen in der Nähe des venösen Leberhilus anwendet. Die Okklusion des Ligamentum hepatoduodenale kann bis zu 60 min belassen werden. Man wird sie sinnvollerweise zur Überprüfung der Blutstillung zwischendurch immer wieder lösen. > Die gesamte vaskuläre Isolation der Leber ist so kurz wie möglich zu halten.
Ist es einmal gelungen, sich Übersicht zu verschaffen, so hängt das weitere Vorgehen vom Verletzungstyp ab. Bei ausgedehnten Verletzungen des rechten Leberlappens sollte dieser zuerst mobilisiert werden indem das rechte Ligamentum triangulare gespalten wird. Zu diesem Zweck wird infrahepatisch parakaval beginnend die Inzision des Peritoneums nach lateral weitergeführt. Zu starker Zug am »rechten unteren Eck« der Leber ist zu vermeiden, da sonst leicht eine weitere Parenchymläsion gesetzt wird. Bei dem anschließenden Präparationsschritt wird der rechte Leberlappen von der Assistenz nach medial gehalten, während der Operateur das Zwerchfell nach lateral spannt (. Abb. 37.6). Hat man das gesamte Ligamentum inzidiert,
745 37.3 · Lebertrauma inklusive Bilhämie
. Abb. 37.7 Packing des rechten Leberlappens
. Abb. 37.6 Durchtrennung des rechten Ligamentum triangulare
können das lockere Bindegewebe mit der rechten Nebenniere bis zur Cava leicht durchtrennt bzw. stumpf abgeschoben werden. Obwohl von einzelnen Gruppen nach wie vor die anatomische Resektion zur Behandlung des schweren Lebertraumas propagiert wird, sollte diese von nicht in der Leberchirurgie speziell Ausgebildeten nur bei Zertrümmerung eines ganzen Leberlappens ohne Verbleiben von vitalem Lebergewebe vorgenommen werden. Ansonsten hat sich der Eingriff auf das Débridement avitalen oder nekrotischen Gewebes zu beschränken. Ausgedehnte Läsionen der Cava oder der großen Lebervenen sollten unter vaskulärer Okklusion versorgt werden. Bei persistierender arterieller Blutung ist diese gezielt zu umstechen oder angiographisch durch selektive Embolisation zu stillen. Wegen der Gefahr der Entstehung ausgedehnter Nekrosen sollte die A. hepatica keinesfalls im Stamm ligiert werden. Kann die Blutung aus Parenchymverletzungen durch Ligaturen, gezielte Umstechungen oder Koagulation nicht unter Kontrolle gebracht werden, sollte der verletzte Leberanteil nach vorheriger Mobilisation mittels Bauchtüchern sorgfältig umlegt und komprimiert werden. Bei diesem Packing genannten Vorgehen ist auf eine gleichmäßige Kompression und auf einen ungestörten venösen Ausfluss zu achten (. Abb. 37.7), wie auch ein Kompartmentsyndrom unbedingt zu vermeiden ist. Diese perihepatische Tamponade sollte wegen der Infektionsgefahr nicht länger als 48 h belassen werden. Nach
a
b . Abb. 37.8a,b Mesh-Wrapping
behutsamer Entfernung der Tamponade müssen evtl. nekrotische Parenchymanteile debridiert werden. Dabei können gelegentlich auch Gallenwegsverletzungen erkannt und versorgt werden. > Bei ausgeprägten Parenchymverletzungen sollte initial keine Resektion, sondern ein Packing der Leber erfolgen.
Als Alternative zum Packing bietet sich das Mesh-Wrapping an (. Abb. 37.8). Darunter versteht man die Kompressionsverpackung des verletzten Leberlappens oder der
37
746
Kapitel 37 · Erkrankungen der Leber
ganzen Leber mithilfe eines resorbierbaren Netzes aus Polyglykolsäure oder Polyglactin. Nach Mobilisation wird der Leberlappen mit dem Netz umwickelt und dieses dann unter entsprechender Spannung in sich vernäht. Um eine Dislokation zu vermeiden, ist es am Ligamentum falciforme zu fixieren. Im Falle des Wrappings des rechten Leberlappens sollte prophylaktisch cholezystektomiert werden. Als Nachteil gegenüber der perihepatischen Bauchtuchtamponade muss der größere zeitliche Aufwand gesehen werden. Die durch zusätzliche Raffnähte sehr gut dosierbare Kompression ohne Beeinträchtigung benachbarter Strukturen und Organe ist genauso als Vorteil zu nennen, wie die geringere Infektionsgefahr und die Möglichkeit der Punktion eines Hämatoms oder Bilioms durch das Netz hindurch. Wegen der Resorbierbarkeit des Materials dürfte sich die Zahl der Reeingriffe reduzieren lassen. > Grundsätzlich sollte jedoch bei Problemen mit der Blutstillung eine Verlegung des Patienten nach hämodynamischer Stabilisierung in ein Zentrum angestrebt werden.
Wenn trotz der geschilderten Maßnahmen keine Blutstillung erzielt werden konnte, wurde als Ultima ratio gelegentlich eine Lebertransplantation durchgeführt. Da man in dieser Situation meist kein geeignetes Transplantat zur Verfügung haben wird, sollte bei zweitzeitigem Vorgehen nach Hepatektomie die möglichst lange belassene Pfortader seitlich in die Cava eingepflanzt werden.
Relaparotomie mit Ausräumung allen nekrotischen Gewebes und sorgfältiger Entleerung eitrigen Sekretes und gegebenenfalls gezielter Umstechung eines Gallelecks erforderlich sein.
37.3.7
Leichtere und mittelschwere Leberverletzungen (1. bis 4. Grad) werden mit geringer Morbidität und praktisch ohne Letalität fast ausschließlich konservativ behandelt. Todesfälle sind meist auf Begleitverletzungen bzw. Multiorganversagen zurückzuführen. Für alle Verletzungsgrade zusammen wird in größeren Serien eine Letalität von 10– 15% (30%) angegeben, die jedoch – wenn leberbezogen – überwiegend mehrheitlich in den Gruppen der fünft- und sechstgradigen Verletzungen auftreten. Unstillbare Blutungen sind für Früh-, Sepsis mit Multiorganversagen für die meisten Spättodesfälle verantwortlich. Aber auch bei Verletzungen mit Beteiligung großer Venen konnte in den letzten Jahren die Letalität durch Packing bzw. direkte Gefäß-Versorgung von ehemals über 80% auf unter 20% gesenkt werden (Coughlin et al. 2004; Fingerhut u. Trunkey 2000). Verlassen scheint wegen der katastrophalen Ergebnisse der intrakavale Shunt zugunsten anderer Verfahren wie z. B. der totalen vaskulären Exklusion.
37.3.8 37.3.6
Komplikationen
Hämobilie
37
Gelegentlich führt ein stumpfes Bauchtrauma zu einer arteriobiliären Fistel mit Blutung in die Gallenwege. Meist wird die posttraumatische Hämobilie bei zentralen Hämatomen beobachtet, sie kann aber auch durch unkontrollierte Durchstechungsnähte verursacht werden. Der endoskopische Nachweis der Blutung aus dem Choledochus ist beweisend. Gelingt die selektive Embolisation der speisenden Arterie nicht, bleibt nur der operative Verschluss der Fistel, der meist nur durch Resektion des betroffenen Leberabschnittes zu erzielen und mit einem nicht unbeträchtlichen Risiko verbunden ist.
Galleleck, Abszessbildungen Mit Gallelecks und Abszessbildungen muss nach schweren Leberverletzungen in etwa 5 (1–8)% gerechnet werden. Längere Liegedauer des zur Tamponade eingebrachten Materials erhöht genauso die Infektionsgefahr wie avitales Lebergewebe. In erster Linie wird man bemüht sein, Abszesse und Biliome perkutan zu drainieren. Sollte sich diese Maßnahme als nicht zielführend erweisen, kann eine
Ergebnisse
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37
38
Portale Hypertension J. Bauer, P.-A. Clavien, Ph. Dutkowski, W.A. Gantert, G. Lurje, B. Müllhaupt, E.L. Renner, M. Schmeding, M. Selzner, C. Sieber, M. von Flüe
38.1
Pathophysiologie
– 750
38.1.1 38.1.2 38.1.3 38.1.4 38.1.5 38.1.6
Ursachen der portalen Hypertension – 750 Pathophysiologie der »Backward-Theorie« – 751 Pathophysiologie der »Forward-Theorie« – 751 Kollateralkreisläufe – 751 Hepatische Enzephalopathie – 752 Literatur – 753
38.2
Notfalltherapie der Blutung bei portaler Hypertension
38.2.1 38.2.2 38.2.3 38.2.4 38.2.5 38.2.6 38.2.7 38.2.8 38.2.9
Risiko einer Blutung – 754 Prognose der Varizenblutung – 754 Initiale Therapie der Varizenblutung – 755 Diagnostik – 755 Konservative Therapie der akuten Blutung – 756 Operative Notfalltherapie – 760 Prophylaxe einer Rezidivblutung – 761 Andere Blutungsquellen bei portaler Hypertension Literatur – 763
38.3
Elektive Therapie der portalen Hypertension
38.3.1 38.3.2 38.3.3
Konservative Therapie – 764 Literatur – 767 Operative Therapie der portalen Hypertension
38.4
Therapie des Aszites bei Leberzirrhose
38.4.1 38.4.2 38.4.3 38.4.4
Konservative Therapie – 776 Literatur – 779 Chirurgische Maßnahmen bei therapieresistentem Aszites Literatur – 782
– 754
– 762
– 764
– 768
– 776
– 780
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_38, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
750
Kapitel 38 · Portale Hypertension
38.1
Pathophysiologie M. Schmeding, C. Sieber, J. Bauer
38
Während die Pathologie, die zur portalen Hypertension führt, im prähepatischen, hepatischen und posthepatischen venösen Gefäßbett liegen kann, machen die intrahepatischen Erkrankungen mit Abstand den Großteil aus. In unseren Breitengraden ist es die durch Alkoholabusus bedingte ethyltoxische Leberzirrhose, weltweit die durch Infektionen (HCV, HBV) bedingten Zirrhosen. Die chronische Hepatitis C mit ihren Komplikationen (Leberzellversagen, portale Hypertension und hepatozelluläres Karzinom) wird in den kommenden Jahren trotz moderner Therapieverfahren noch an Bedeutung gewinnen. Neben der Obstruktion im portalvenösen Ausflusstrakt (»backward theory«) ist es vorab ein vermehrter Blutflusseinstrom ins arterielle Splachnikusgebiet (»forward theory«), der zur Erhöhung des Druckes in der Portalvene beiträgt. Die Resistenz in den portalvenösen Kollateralen bedingt sowohl die Höhe des Portalvenendruckes als auch die Wahrscheinlichkeit der Blutungskomplikation. Eine der Hauptkomplikationen zirrhotischer Lebererkrankungen ist neben der fehlenden Syntheseleistung – die bei zunehmendem Leberzellverfall Indikation zur Lebertransplantation ist – die portale Hypertension mit ihren Folgekomplikationen (Blutungen aus Varizen und der portal-hypertensiven Gastropathie, Aszitesbildung und hepatische Enzephalopathie). Diagnostisch ist die abdominelle Sonographie die Methode der ersten Wahl. Sowohl im B-Bild als auch in der Doppleruntersuchung lassen sich eine Vielzahl von Befunden erheben, die die Diagnose »portale Hypertension« ermöglichen. Wichtige Zusatzinformationen liefern auch die Computertomographie und die Magnetresonanztomographie. Bei Verdacht auf eine portale Hypertension sollte immer eine Ösophagogastroduodenoskopie durchgeführt werden, da das Feststellen von (großen) Varizen therapeutische Implikationen nach sich zieht ([Prä-]Primär- und Sekundärprophylaxe der Varizenblutung). Angiographische Untersuchungen haben an Bedeutung verloren und sind primär in der präoperativen Abklärung weiterhin von Bedeutung oder im Zusammenhang mit interventionellen Maßnahmen wie der Einlage eines transjugulären portosystemischen Shunts (TIPS).
38.1.1
Ursachen der portalen Hypertension
In . Tab. 38.1 sind einleitend die wichtigsten Leberpathologien aufgrund ihrer Lokalisation im portohepatischen venösen Gefäßsystem aufgeführt. Diese pathologisch-anatomische Differenzierung hilft sowohl in der Diagnosestellung als auch im Einleiten kausaler Therapien.
. Tab. 38.1 Pathologisch-anatomisch wichtige Ursachen der portalen Hypertension Lokalisation
Klinisches Beispiel
Prähepatisch
Portalvenenthrombose Milzvenenthrombose Arteriovenöse Fistel der Milz
Hepatisch – präsinusoidal
Schistosomiasis Primär biliäre Zirrhose (früh) Chronisch aktive Hepatitis Idiopathische portale Hypertension Sarkoidose
Hepatisch – sinusoidal
Äthyltoxische Leberzirrhose Primär biliäre Zirrhose (spät)
Hepatisch – postsinusoidal
Alkoholische Hepatitis Budd-Chiari-Syndrom Venookklusive Erkrankung (Venen <300 μm)
Posthepatisch
Konstriktive Perikarditis Herzinsuffizienz/Trikuspidalinsuffizienz
Verschiedene Faktoren beeinflussen die Höhe des Portalvenendruckes und damit das Ausmaß der portalen Hypertension (Sieber et al. 1993; Wiest et al. 2002). Lange galt die wegen struktureller Veränderungen erhöhte Resistenz im venösen Gefäßbett als einzige Erklärung für den pathologisch hohen Portalvenendruck (7 Übersicht). Dieses pathophysiologische Prinzip ist als »Backward-Theorie« bekannt. Sie vermag allerdings nicht zu erklären, weshalb es selbst nach Eröffnung dekomprimierender Kollateralkreisläufe nicht zu einem Absinken des Portalvenendruckes auf Normalwerte kommt. Die in der Folge beschriebene »Forward-Theorie« besagt, dass es bei Patienten mit portaler Hypertension nebst einer Druckerhöhung im portalvenösen Ausflusstrakt auch zu einem vermehrten arteriellen Bluteinstrom ins Mesenterialbett kommt. Schließlich moduliert auch die vaskuläre Resistenz in portosystemischen Kollateralen den Portalvenendruck. Einflussfaktoren für die Höhe des Portalvenendruckes unter portal-hypertensiven Zuständen 4 Resistenzerhöhung im portalvenösen Ausflusstrakt (»Backward-Theorie«) 4 Hyperdyname Zirkulation (»Forward-Theorie«) 4 Resistenz in portosystemischen Kollateralen nach Eröffnung von Umgehungskreisläufen
Dieses komplexe Zusammenspiel dreier verschiedener Faktoren lässt leicht verstehen, dass einzelne Regulations-
751 38.1 · Pathophysiologie
mechanismen der portalen Hypertension nicht isoliert betrachtet werden können. Es erklärt aber auch, weshalb die splanchnische Hämodynamik beim gleichen Patienten über kurze Zeit beträchtlich variieren kann.
38.1.2
Pathophysiologie der »Backward-Theorie«
Lange galt das intrahepatische venöse Gefäßsystem in der zirrhotisch veränderten Leber als fixiert, d. h. auf vasodilatatorische oder vasokonstriktorische Stimuli nicht oder nur marginal reagierend. Neuere Erkenntnisse im Tiermodell haben aber gezeigt, dass es auch eine dynamische Komponente gibt, die durch aktive Kontraktion von portalen und septalen Myofibroblasten, aktivierten »stellate cells« und durch Myofibroblasten in den hepatischen Venulen modifiziert werden können (Wiest et al. 2002; Pinzani et al. 1999; Rockey et al. 1996). Dieser erhöhte intrahepatische vaskuläre Tonus wird durch die Vasokonstriktoren wie Endothelin, Leukotriene, Tromboxan A2, Angiotensin, aber auch α-adrenerge Simuli moduliert (Ballet et al. 1988; Graupera et al. 2002). Als »Gegenspieler« fungieren die Vasodilatatoren Stickoxid (»nitric oxide«, NO), Prostazyklin, Nitrate und Kalziumantagonisten (Reichen et al. 1986; Marteau et al. 1989). Die verminderte intrahepatische NO-Synthese ist durch eine endotheliale Dysfunktion bedingt (Gupta et al. 1998; Rockey et al. 1998) und scheint neben den rein funktionellen Aspekten auch die lokale Thrombogenese und Fibrogenese zu fördern (Wiest et al. 2002). Die idiopathische Portalvenenthrombose oder das Budd-Chiari-Syndrom (Lebervenen-Verschluss) sind relativ seltene Erkrankungen. Es muss an sie gedacht werden, wenn sich die Leberfunktion kurzfristig verschlechtert und es akut zur Aszitesbildung und im Falle des Budd-ChiariSyndroms auch zur Leberschwellung mit Kapselspannungsschmerz kommt.
38.1.3
Pathophysiologie der »Forward-Theorie«
Da die heute therapeutisch verwendeten Pharmaka primär auf der Modulation der hyperdynamen Zirkulation basieren, soll hier detaillierter darauf eingegangen werden (Sieber et al. 1993). Konzeptuell existieren 2 Möglichkeiten für die beobachtete systemische sowie speziell splanchnische Vasodilatation: 4 Verminderte Sensitivität des arteriellen Gefäßbettes auf endogen zirkulierende Vasopressoren 4 Erhöhte Konzentration zirkulierender oder lokal wirksamer Vasodilatatoren
Die vaskuläre Antwort auf endogene Vasopressoren wie Noradrenalin, Vasopressin und Endothelin ist bei Patienten mit portaler Hypertension vermindert, obgleich die Plasmawerte dieser Substanzen erhöht sind. Diese endogenen Vasopressorensysteme scheinen somit kompensatorisch aktiviert zu sein. Vermehrt zirkulierende oder lokal aktive Vasodilatatoren sind deshalb pathophysiologisch mit den hämodynamischen Veränderungen verbunden. Die Endothelzelle z. B. ist ein metabolisch aktiver Zelltyp und produziert eine Vielzahl vasodilatatorischer Substanzen. Neben erhöhtem Blutfluss und Scherkräften stimulieren diverse zirkulierende Substanzen die Sekretion des Stickoxids (»nitric oxide«, NO). Biosynthesehemmung von NO vermag die verminderte vaskuläre Reaktivität unter portalhypertensiven Zuständen aufzuheben. NO scheint eine Schlüsselposition in der Pathogenese der hyperdynamen Zirkulation zuzukommen (Wiest et al. 2002).
38.1.4
Kollateralkreisläufe
Die klinisch wichtigsten Umgehungskreisläufe bei portaler Hypertension sind die Ösophagus- und Magenfundusvarizen. Diese liegen direkt unter der Mukosa, und Blutungen ins Lumen führen zu signifikanten Blutverlusten aufgrund der fehlenden Kompression durch umgebendes Gewebe. Kollateralkreisläufe können sich aber im gesamten Gastrointestinaltrakt ausbilden und Grund für Blutungen sein (z. B. Duodenal- und Rektalvarizen). Bei einem portosystemischen Druckgradienten (Wedge-Druck minus freier hepatischer Venendruck) von weniger als 12 mmHg bluten Ösophagusvarizen nicht. Dennoch kommt es nicht bei allen Patienten, die einen Druckgradienten über 12 mmHg aufweisen, zu Blutungsepisoden. Ein erhöhter Portalvenendruck ist somit permissiv, nicht aber allein entscheidend für das Auftreten einer Blutung. > Ein erhöhter Blutfluss steigert den intramuralen Druck in den Kollateralvenen, was zu einer kontinuierlichen Dehnung dieser Gefäße führt. Wird ein kritischer Druck erreicht, kommt es zur Ruptur (Gesetz von LaPlace).
Die portal-hypertensive Gastropathie, ätiologisch vermutlich primär mit einer Vasodilatation auf arteriolärer Ebene verbunden (wiederum NO-mediiert), ist daneben die häufigste Ursache für chronische okkulte Blutungen beim Patienten mit portaler Hypertension (Panes et al. 1993). Welche klinischen und pathologischen Assoziationen sind bei einer chronischen Lebererkrankung zu bedenken? Diese seien abschließend stichwortartig aufgeführt: 4 Splenomegalie und erweiterte Abdominalvenen: portale Hypertension
38
752
Kapitel 38 · Portale Hypertension
4 Ösophagus-/Magenfundusvarizen (Endoskopie): portale Hypertension 4 Chronische Pankreatitis: alkoholische Lebererkrankung 4 Steatorrhö: alkoholische Leberaffektion (auch ohne chronische Pankreatitis möglich) 4 Malnutrition: Muskelschwund = Sarkopenie 4 (Poly-)Neuropathien 4 Abdominalhernie: häufig bei Aszites (cave operative Sanierung vor Behandlung des Aszites) 4 Gallensteine: Etwa 20% der Männer und 30% der Frauen mit chronischer Lebererkrankung haben Gallensteine, meist Pigmentsteine. Diese verringern die Lebenserwartung nicht und sollten nur bei Notfällen behandelt werden, da die Cholezystektomie bei diesen Patienten schlechter ertragen wird. 4 Infektionen: Die Funktion des retikuloendothelialen Systems (RES) ist bei chronischen Leberaffektionen vermindert, vorab aufgrund der Umgehungskreisläufe. Septikämien sind beim Zirrhotiker häufig (ca. 4,5% pro Jahr). Eine spontan-bakterielle Peritonitis bei Aszites muss ebenfalls immer ausgeschlossen werden, da sie rein klinisch initial häufig oligo- bis asymptomatisch verläuft, jedoch eine erhebliche Letalität hat (7 Kap. 38.4).
38.1.5
Hepatische Enzephalopathie
Der Begriff hepatische Enzephalopathie umfasst ein potenziell reversibles neuropsychiatrisches Syndrom, das im Rahmen von Lebererkrankungen auftreten kann und eine schwerwiegende Komplikation chronischer hepatischer Leiden darstellt (Butterworth et al. 2003; Blei et al. 2001). Es besteht aus quantitativen und qualitativen Bewusstseinsstörungen, die bis zum Koma führen können. Es werden 3 Hauptgruppen unterschieden (s. Übersicht).
38 Typen der hepatischen Enzephalopathie 4 Akute hepatische Enzephalopathie – Hepatisches Koma – Shunt-Enzephalopathie – Reye-Syndrom 4 Chronische hepatische Enzephalopathie – Intermittierend oder progredient – Enzephalopolyneuropathie (»Non-Wilson«) 4 Familiäre hepatolentikuläre Degeneration (M. Wilson)
Pathogenese Die Pathogenese der hepatischen Enzephalopathie ist sicherlich multifaktoriell bedingt. Zwei Hauptszenarien zu
diesem klinisch wichtigen Problem können aber umrissen werden: 4 Stoffe, die für die Integrität des Nervensystems essenziell sind, werden zu wenig synthetisiert: Mangelhypothese. 4 Stoffe, die das zentrale Nervensystem funktionell beeinträchtigen, werden von der Leber vermehrt gebildet oder ungenügend abgebaut: Intoxikationshypothese. Vor allem für klinische Belange kann das Auftreten einer hepatischen Enzephalopathie weiter differenziert werden. Eine mögliche ätiologische Differenzierung der PSE ist: 4 Menge des stickstoffhaltigen Darminhaltes 4 Ausmaß des portosystemischen Kollateralkreislaufes 4 Schweregrad der Lebererkrankung, u. a. verminderte Ammoniakelimination 4 Mangel an essenziellen Substanzen Das genaue Ausmaß dieser einzelnen Faktoren bei der PSE ist unklar. Sicherlich kann eine Leberfunktionseinschränkung per se zu Funktionsstörungen im Gehirn führen, da Letzteres 85% des Glukoseumsatzes wie auch der Aminosäurenproduktion der Leber verbraucht. Die Ammoniakhypothese ist weiterhin ein Hauptpfeiler der pathogenetischen Überlegungen. Ammoniak entsteht beim Eiweißabbau im Darm, in den Muskeln und der Niere und wird normalerweise in der Leber im Rahmen der Harnstoffsynthese eliminiert. Die zentralen Wirkungen kommen vermutlich dadurch zustande, dass das Ammoniak mit dem Redoxsystem in den Astrozyten interferiert und über die Bildung von freien Radikalen (ROS) den Astrozyten schädigt. Ammoniak allein erklärt aber die Veränderungen nicht. Klinisch wichtig ist auch, dass ein einzeln bestimmter Wert keine Aussage über den Schweregrad der Enzephalopathie erlaubt. Serielle Messungen hingegen können einen Trend feststellen; Ammoniak ist somit weiter ein »Surrogatmarker« in der Betreuung von Patienten mit chronischer Hepatopathie und einer möglichen hepatischen Enzephalopathie (Lockwood et al. 2004; Kundra et al. 2005). Eine weitere Hypothese beschreibt das Auftreten von »falschen« Neurotransmittern, wobei es zu einer Zunahme von Phenylalanin und Tyrosin im Gehirn kommt, die die Tyrosinhydroxylasekapazität übersteigt und zur Anhäufung neurotoxischer Substanzen führt. Das Gleiche gilt auch für neurotoxische kurz- und mittelkettige Fettsäuren, die aufgrund einer verminderten hepatischen Beta-Oxidation von langkettigen Fettsäuren anfallen. Schließlich wird auch ein Dysequilibrium zwischen exzitatorischen und inhibitorischen Aminosäuren hingewiesen, wie z. B. der inhibitorischen Aminobuttersäure (GABA). Weiter scheint auch die dopaminerge Neutransmission bei der hepatischen Enzephalopathie alteriert zu
753 38.1 · Pathophysiologie
sein, was zur Gabe von Dopaminagonisten geführt hat. Nach der aktuellen Datenlage kann die Gabe von Dopaminagonisten bei der hepatischen Enzephalopathie allerdings nicht empfohlen werden (Als-Nielsen et al. 2004). Die Pathogenese der hepatischen Enzephalopathie bleibt multifaktoriell bedingt. Dies impliziert auch, dass eine kausale Therapie ausgesprochen schwierig sein kann.
Klinische Symptomatologie und Diagnostik Der Schweregrad wird in Stadien eingeteilt. In der folgenden Übersicht sei eine vereinfachte Fassung aufgeführt. Gradeinteilung der hepatischen Enzephalopathie 4 Stadium 0: Psychische Veränderungen im Sinne eines Durchgangssyndroms. Diagnose nur mit psychometrischen Tests möglich (z. B. Zahlenverbindungstest) 4 Stadium 1: Unruhe, Euphorie oder Ängstlichkeit. Desorientiertheit, Schlafstörungen 4 Stadium 2: Antriebsminderung, Lethargie, nur selten Agitation. Asterixis (leichtgradig), Rigor, verwaschene Sprache 4 Stadium 3: Somnolenz bis Stupor. Bisweilen delirante Bilder mit Halluzinationen. Tremor, Asterixis (mittel- bis schwergradig) 4 Stadium 4: Koma (Phase I–IV)
Ein frühes Zeichen kann eine Tag-Nacht-Umkehr sein. Patienten mit einer PSE im Stadium 0 können nur testpsychologisch diagnostiziert werden, bereits in diesem Stadium ist aber die Reaktionsfähigkeit deutlich vermindert (cave: Strassenverkehr!). Der Zahlenverbindungstest hat sich für die repetitive Testung bewährt, hilft aber bei der initialen Beurteilung wenig. Bei der klinischen Untersuchung ist »Asterixis« am typischsten. Der Patient vermag keine Position zu halten; die Untersuchung erfolgt bei ausgestreckten Armen und mit nach dorsal flektierten Händen. Bei der PSE kommt es zum sog. »liver flap«, der intermittierend unkontrollierten Flexion der Hände. Ein verändertes Elektroenzephalogramm (EEG) ist ein Kardinalsymptom der PSE. Es kommt zu einer progressiven Abnahme der Frequenz und einem parallelen Anstieg der Amplitude der Hirnstromkurven, verbunden mit einer klinischen Verschlechterung des Patienten. Im Falle unklarer Bewusstseinstrübung bei Patienten mit Hepatopathien soll das EEG zur Differenzialdiagnose immer durchgeführt werden. Weiter helfen auch bildgebende Verfahren wie Computertomographie (meist unauffällig, lässt andere Ursachen ausschließen) oder die Magnetresonanz-
tomographie (inkl. Spektraluntersuchung). Die hepatische Enzephalopathie tritt häufig intermittierend auf. Auslösende Faktoren einer hepatischen Enzephalopathie 4 Hepatische Faktoren – Umgehungskreisläufe – Synthesestörung 4 Nichthepatische Ursachen – Medikamente (Diuretika, Hypnotika, Sedativa, Betablocker) – Toxine (Alkohol) – Metabolische Faktoren (Hypo-/Hyperglykämie, Elektrolyt- und Säure-Basen-Verschiebungen) – Andere Ursachen (Obstipation, gastrointestinale Blutung, Infektionen)
Klinisch am häufigsten sind eine Azotämie, Medikamente (Tranquilizer, Sedativa, Betablocker, Analgetika) sowie gastrointestinale Blutungen, die zusammen gut 2/3 der Ursachen ausmachen. Gefolgt werden diese von Proteinüberlastung, hypokaliämischer Alkalose sowie Infektionen. Differenzialdiagnose Bewusstseinstrübungen bei Patien-
ten mit Zirrhose und portaler Hypertonie können auch durch andere Ätiologien bedingt sein, die es auszuschließen gilt, da der therapeutische Zugang ein vollständig anderer und evtl. auch notfallmäßig indiziert ist. Differenzialdiagnostisch (speziell beim Alkoholiker wichtig) muss deshalb bei neu aufgetretenen Bewusstseinsstörungen an folgende Ursachen gedacht werden: 4 Chronisches subdurales Hämatom 4 Alkoholentzugssyndrom 4 Wernicke-Enzephalopathie 4 Hyponatriämie Auf die akut auftretende PSE im Rahmen eines fulminanten Leberversagens soll hier nicht genauer eingegangen werden. Die Mortalität hier liegt bei über 75%, speziell aufgrund des Hirnödems. 38.1.6
Literatur
Als-Nielsen B, Gluud LL, Gluud C (2004) Dopaminergic agonists for hepatic encephalopathy. Cochrane Database Syst Rev 18:CD003047 Ballet F, Chretien Y, Rey C et al. (1988) Differential response of normal and cirrhotic liver to vasoactive agents. A study in the isolated perfused rat liver. J Pharmacol Exp Ther 244:233–235 Blei AT, Cordoba J (2001) Practice Parameters Committee of the American College of Gastroenterology. Hepatic encephalopathy. Am J Gastroenterol 96:1968–1976
38
754
Kapitel 38 · Portale Hypertension
Butterworth RF (2003) Hepatic encephalopathy – a serious complication of alcoholic liver diesease. Alcohol Res Health 27:143–145 Graupera M, Garcia-Pagan JC, Titos E et al. (2002) 5-lipoxygenase inhibition reduces intrahepatic vascular resistance of cirrhotic rat liver: a possible role of cysteinyl-leukotrienes. Gastroenterology 122:387–393 Gupta TK, Toruner M, Chung MK et al. (1998) Endothelial dysfunction and decreased production of nitric oxide in the intrahepatic microcirculation of cirrhotic rats. Hepatology 28:926–931 Kundra A, Jain A, Banga A et al. (2005) Evaluation of plasma ammonia levels in patients with acute liver failure and chornic liver disease and its correlation with the severity of hepatic encephalopathy and clinical features of raised intracranial tension. Clin Biochem 38:696–699 Lockwood AH (2004) Blood ammonia levels and hepatic encephalopathy. Metab Brain Dis 19:345–349 Marteau P, Ballet F, Chazouilleres O et al. (1989) Effect of vasodilators on hepatic microcirculation in cirrhosis : a study in the isolated perfused rat liver. Hepatology 9:820–823 Pinzani M, Gentilini P (1999) Biology of hepatic stellate cells and their possible relevance in the pathogenesis of portal hypertension in cirrhosis. Semin Liver Dis 19:397–410 Reichen J, Le M (1986) Verapamil favorably influences hepatic microvascular exchange and function in rats with cirrhosis of the liver. J Clin Invest 78:448–455 Rockey DC, Weisiger RA (1996) Endothelial induced contractility of stellate cells from normal and cirrhotic rat liver: Implications for regulation of portal pressure and resistance. Hepatology 24:233–240 Rockey DN, Chung JJ (1998) Reduced nitric oxide production by endothelial cells in cirrhotic rat liver: Endothelial dysfunction in portal hypertension. Gastroenterology 114:344–351 Sieber CC, Stalder GA (1993) Pathophysiologische und pharmakotherapeutische Aspekte der portalen Hypertonie. Schw Med Wschr 123:3–13 Wiest R, Groszmann RJ (2002) The paradox of nitric oxide in cirrhosis and portal hypertension: Too much, not enough. Hepatology 35: 478–491
38.2
38
Notfalltherapie der Blutung bei portaler Hypertension M. Selzner, B. Müllhaupt, P.-A. Clavien
Die Ösophagusvarizenblutung stellt eine der gefährlichsten Komplikationen der portalen Hypertension dar und ist mit einer Mortalität zwischen 30% und 60% verbunden (Garcia-Tsao 2002; Bambha et al. 2008). Unabhängig von der Therapie ist die Langzeitprognose der Patienten schlecht und nur wenige überleben mehr als 5 Jahre. Die initiale Therapie der Varizenblutung entspricht der Behandlung anderer schwerer oberer Gastrointestinalblutungen und beinhaltet die rasche Volumensubstitution und Intensivüberwachung. Zum nächstmöglichen Zeitpunkt muss eine Notfallendoskopie durchgeführt werden, um die Blutungsquelle zu lokalisieren und gleichzeitig endoskopisch zu therapieren. Die Blutstillung kann zugleich durch die medikamentöse Senkung des portalen Druckes unterstützt werden. Ist in Ausnahmefällen die 6
endoskopische Blutstillung nicht möglich, so kommen andere Behandlungsverfahren wie ein transjugulärer intrahepatischer portosystemischer Shunt (TIPS), eine chirurgische Shuntoperation oder eine Devaskularisierungsoperation (SugiuraOperation) zum Einsatz. Diese Verfahren stehen auch nach erfolgreicher Blutstillung zur Verfügung, um eine Rezidivblutung zu vermeiden (Sekundärprophylaxe). Dieses Kapitel behandelt die Notfalltherapie der Varizenblutung und stellt Maßnahmen zur Sekundärprophylaxe dar. Chirurgische und konservative Maßnahmen zur Verhinderung einer ersten Varizenblutung (Primärprophylaxe) werden im 7 Kap. 38.3.1 besprochen.
38.2.1
Risiko einer Blutung
Die Häufigkeit von Ösophagusvarizen korreliert mit dem Schweregrad der Lebererkrankung. Während bei Patienten im Child A-Stadium bei 40% der Patienten Varizen vorliegen, ist dies im Stadium Child C bei 80% der Patienten der Fall (Garcia-Tsao 2002). Von diesen erleiden 25–40% innerhalb von 5 Jahren eine Varizenblutung (D’Amico et al. 2006). Ein portovenöser Druckgradient (Druckgradient zwischen Portalvene und Vena cava inferior) von über 12 mmHg ist notwendig, um Ösophagusvarizen zu entwickeln. Sind Varizen einmal vorhanden, wird das Blutungsrisiko vor allem durch die Größe der Varizen, dem Vorhandensein von roten Striemen bei der Endoskopie (»red wale marks«), dem Schweregrad der Lebererkrankung und dem portovenösen Druckgradienten bestimmt (s. oben). Eine Senkung des portovenösen Druckgradienten unter 12 mmHg lässt das Blutungsrisiko verschwinden, und eine Senkung des portalen Druckes um 20% vermindert signifikant das Blutungsrisiko (Thalheimer et al. 2004; Villanueva et al. 2008). Risikofaktoren der Varizenblutung 4 Große Ösophagusvarizen 4 Endoskopische Erscheinung – Rote Striemen – Kirschrote Flecken 4 Child-Stadium 4 Portosystemischer Druckgradient
38.2.2
Prognose der Varizenblutung
Die Mortalität der Varizenblutung ist mit 30–60% außerordentlich hoch und korreliert mit der Leberfunktion. Die Leberfunktion ist für das Überleben der Patienten nach einer Varizenblutung der wichtigste prognostische Faktor. Während die mittlere Überlebensrate von Patienten im Child-C-Stadium nach einer Varizenblutung 2–8 Monate
755 38.2 · Notfalltherapie der Blutung bei portaler Hypertension
beträgt, liegt die mittlere Überlebensrate bei Patienten im Child-A- oder -B-Stadium bei 15–45 Monaten (Krige et al. 2006; Casado et al. 1998). Wegen der hohen Letalität bei Varizenblutung und der großen Rezidivgefahr müssen diese Patienten durch ein interdisziplinäres Team aus Gastroenterologen, Chirurgen und interventionellen Radiologen behandelt werden.
bewirken kann (7 Kap. 38.2.5, »Medikamentöse Therapie«). Noch während der Patient auf die Endoskopie wartet, sollte mit der Octreotidtherapie begonnen werden. Bei Somnolenz des Patienten ist die Indikation zur Intubation frühzeitig zu stellen.
38.2.4 38.2.3
Initiale Therapie der Varizenblutung
Bei Patienten mit Varizenblutung steht die Kreislaufstabilisierung an erster Stelle. Eine sofortige Intensivüberwachung ist zwingend erforderlich, um Komplikationen wie Aspiration oder Blutungsschock zu verhindern. Mindestens zwei großlumige periphere intravenöse Zugänge (18 Gauge oder größer) sollten angelegt werden. Eine Substitution mit kristallinen Lösungen sollte sofort begonnen werden und mittels Erythrozytenkonzentraten sollte der Hämatokrit bei 25–30% gehalten werden (Lata et al. 2003). Eine unzureichende Kreislaufstabilisierung vor einer Endoskopie ist eine Todesursache in dieser Patientengruppe (Jutabha u. Jensen 1996). Eine übermäßige Transfusion ist zu vermeiden, da dadurch die Bildung von Aszites begünstigt werden kann und sich die Beatmung verschlechtert. Zudem kann durch eine überschießende Transfusion der Pfortaderdruck gesteigert werden, wodurch sich das Risiko einer Rezidivblutung erhöht. Ein zentraler Venendruck (ZVD) von 2–5 mmHg sollte angestrebt werden. Die meisten Patienten mit einer chronischen Lebererkrankung leiden aufgrund der verminderten Lebersynthese und des Hypersplenismus an einer Koagulopathie und Thrombozytopathie. Es sollte versucht werden, die Gerinnung durch Gabe von »fresh frozen plasma« (FFP) zu normalisieren. Bei weniger als 50.000 Thrombozyten/μl sollten vor einer Endoskopie Thrombozyten transfundiert werden. Bei einem Teil der Patienten kann dadurch die Blutung vermindert oder gestillt werden. Eine Vitamin-K-Substitution sollte ebenso wie eine Antibiotikaprophylaxe mit Amoxicillin oder Norfloxacin begonnen werden. In einer Metaanalyse konnte gezeigt werden, dass die prophylaktische Antibiotikagabe bei Patienten mit einer Ösophagusvarizenblutung das Infektionsrisikos reduziert und das Überleben verbessert (Bernard et al. 1999). In einer prospektiv randomisierten Studie war die Gabe von Ofloxacin mit einer verringerten Infektrate und einer Reduktion von Rezidivblutungen verbunden (Hou et al. 2004). Durch die Blutung kann eine Verschlechterung der Enzephalopathie auftreten. Eine prophylaktische Gabe von Laktulose über eine Magensonde ist daher empfehlenswert. Eine weitere mögliche Maßnahme ist die medikamentöse Therapie mit Somatostatin, Octreotid oder Vasopressin, die eine Blutungsverminderung oder Blutstillung
Diagnostik
Die Endoskopie spielt bei der Diagnostik und Therapie der Varizenblutung eine zentrale Rolle. Die Endoskopie sollte zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach initialer Kreislaufstabilisierung durchgeführt werden. Eine massive Blutung kann die Endoskopie unmöglich machen. In diesen Fällen kann die Untersuchung erneut nach einer Ballontamponade und Ausschöpfung der medikamentösen Therapie erfolgen. Gelegentlich muss eine Magenspülung via großlumiger nasogastrischer Sonden erfolgen, um nicht bei der Endoskopie durch Blut oder Koagel behindert zu werden. Kürzlich untersuchten Frossard et al. (2002) in einer prospektiv randomisierten Studie die Gabe von Erythromycin zur Magenentleerung vor der Endoskopie bei Varizenblutung. Nach Verabreichung von Erythromycin bestand bei der Endoskopie signifikant häufiger ein leerer Magen als in der Placebobehandelten Kontrollgruppe. Durch die verbesserten Untersuchungsbedingungen wurde die Endoskopiezeit reduziert und die Zahl der Reendoskopien verringert. Obere gastrointestinale Blutungen bei Patienten mit Leberzirrhose können in variköse und nichtvariköse Blutung unterteilt werden. Ungefähr ein Drittel der Patienten mit Leberzirrhose und oberer gastrointestinaler Blutung weisen keine Ösophagusvarizen auf (Lata et al. 2003). Von den 70% der Patienten mit Varizen weist nur ein Drittel eine endoskopisch nachweisbare aktive Blutung auf. Bei einem weiteren Drittel sistiert die Blutung bereits spontan, und ein weiteres Drittel der Patienten hat eine andere Blutungsquelle wie z. B. duodenale oder gastrale Varizen, ein peptisches Ulkus oder ein gastrointestinaler Tumor.
Ursachen der schweren oberen gastrointestinalen Blutung bei zirrhotischen Patienten 4 Varikös – Ösophagusvarizen – Magenvarizen – Ektope Varizen (duodenal, anorektal) 4 Nichtvarikös – Hypertensive Gastropathie – Peptisches Ulkus – Tumor – Dieulafoy-Syndrom (gastrische submuköse Aneurysmen)
38
756
Kapitel 38 · Portale Hypertension
. Abb. 38.1 Technik der endoskopischen Sklerosierungstherapie mit intravariköser und paravariköser Injektion. (Aus Stein und Korula 1995)
> Für die Einleitung einer geeigneten Therapie ist die genaue Diagnosestellung zwingend erforderlich.
38.2.5
38
Konservative Therapie der akuten Blutung
Die endoskopische Sklerosierungstherapie und die endoskopische Gummibandligatur sind die Grundlage der Therapie der akuten Varizenblutung und können 90% der Varizenblutungen stillen (Bhasin u. Siyad 2004). Vereinzelt ist ebenfalls eine Acrylat-Injektion indiziert (Cipolletta et al. 2009). Versagen der endoskopischen Therapie kommen alternative Verfahren wie die medikamentöse Therapie, die Ballontamponade, der TIPS und chirurgische Techniken zum Einsatz.
Endoskopische Therapie Sklerosierungstherapie Die Sklerosierungstherapie kann im Rahmen der diagnostischen Endoskopie durchgeführt werden und besteht in der Injektion von Natriumtetradecylsulphat, Polidocanol oder Ethanolamin (. Abb. 38.1). Dadurch ist es möglich, 90% der Blutungen zu stillen, wobei 70% der Blutungen in der ersten und insgesamt 90% der Blutungen in der zweiten Sitzung kontrolliert werden (Krige et al. 2006). Im Vergleich dazu werden durch eine Ballontamponade nur 50% der Blutungen kontrolliert. In mehreren großen prospektiv randomisierten Studien wurde die Sklerosierungstherapie mit der medikamentösen Therapie
verglichen (Gross et al. 2001). Die Ergebnisse zeigen, dass die Sklerosierungstherapie der medikamentösen Behandlung in Bezug auf Blutstillung und auf Verminderung der Rezidivblutungsrate überlegen ist. Jedoch nur eine Arbeit zeigte eine Verringerung der Frühmortalität durch Sklerosierungstherapie im Vergleich zur medikamentösen Behandlung. Dies zeigt, dass obwohl akute Blutungen erfolgreich durch die Sklerosierungstherapie kontrolliert werden, der Effekt auf die Überlebensrate gering ist, was möglicherweise mit dem Schweregrad der Lebererkrankung zusammenhängt. Zudem ist die Sklerosierungstherapie mit einer erheblichen Komplikationsrate verbunden. Praktisch 90% der Patienten entwickeln nach der Sklerosierungstherapie Ösophagusulzera und bei 10–30% kommt es zu schwerwiegenden Komplikationen wie z. B. Blutungen, Ösophagusstenosen, Perforationen und Mediastinitis. Die Mortalität der Sklerosierungstherapie wird in der Literatur zwischen 0,5% und 2% angegeben (Matloff 1992). Komplikationen der endoskopischen Sklerosierungstherapie bei Varizenblutung (nach Stein und Korula 1995) 4 Ösophageal – Ulzeration – Striktur – Ösophagitis 6
757 38.2 · Notfalltherapie der Blutung bei portaler Hypertension
– Periösophageale Entzündung/Abszess – Pseudotumor (Hämatom) 4 Extraösophageal (selten) – Mediastinitis – Aspirationspneumonie – ARDS – Pleuraerguss – Chylothorax – Bakteriämie 4 Andere – Brustschmerz – Odynophagie – Fieber
a
Gummibandligatur Die endoskopische Gummibandligatur wurde Mitte der 80er-Jahre von Stiegmann entwickelt (Stiegmann et al. 1989). Bei der endoskopischen Gummibandligatur werden die Varizenknoten mit dem Endoskop gefasst und ein Gummiring wird über die Basis der Vene gelegt (. Abb. 38.2). Mit den modernen Ligaturinstrumenten stehen mehrfache Gummibandladungen zur Verfügung, wodurch die Behandlungszeit verkürzt wird (. Abb. 38.3). Die Gummibandligatur besitzt eine ähnliche Effektivität zur Blutstillung wie die Sklerosierungstherapie und kann 90% der Blutungen kontrollieren. Die Rate der Rezidivblutungen nach Gummibandligatur liegt bei 30%. Eine Metaanalyse von 13 randomisierten Studien zeigte, dass die Gummibandligatur der Sklerosierungstherapie durch die niedrigere Rate an Rezidivblutungen und die geringere
b
. Abb. 38.2a,b Technik der endoskopischen Varizenbandligatur. a Das Endoskop mit Bandingvorrichtung liegt über einer Varize. b Die strangulierte Varize. (Aus Baillie 1997)
. Abb. 38.3a,b Endoskopische Gummibandligatur bei der akuten Varizenblutung. a Endoskopischer Aspekt einer akuten Varizenhämor-
rhagie im distalen Ösophagus. b Strangulierte Varize nach erfolgreicher Gummibandligatur
38
758
Kapitel 38 · Portale Hypertension
Komplikationsrate überlegen ist (Villanueva et al. 2008). Zudem sind weniger Sitzungen als bei der Sklerosierungstherapie notwendig, um die Varizen zu eliminieren. Von der überwiegenden Zahl der Gastroenterologen wird heute die Gummibandligatur als Standardtherapie gegenüber der Sklerosierungstherapie bevorzugt. > In 10% der Fälle kann durch eine zweifache endoskopische Therapie keine Blutungskontrolle erreicht werden. In diesen Fällen müssen ein TIPS, eine Notfalloperation oder eine Devaskularisierungstherapie in Erwägung gezogen werden.
Medikamentöse Therapie Vasopressin/Terlipressin/Nitroglyzerin Vasopressin induziert eine Vasokonstriktion im Splanchnikusbereich und senkt dadurch den portalen Blutfluss und den portalen Druck. Die Anwendung von Vasopressin ist durch die systemische Vasokonstriktion mit dem Risiko einer kardialen, gastrointestinalen oder peripheren Ischämie verbunden. Durch die gleichzeitige Gabe von Nitroglyzerin (intravenös oder Hautpflaster) wird die Sicherheit der Vasopressinanwendung erhöht. Terlipressin ist ein Vasopressinderivat mit längerer Wirkungsdauer und geringeren Nebenwirkungen. In einer Untersuchung konnte durch die Gabe von Terlipressin in Kombination mit Nitroglyzerin eine Verbesserung der Überlebensrate gezeigt werden (Dell’Era et al. 2008). Die Hälfte aller Varizenblutungen kann mit der Vasopressin-/Nitroglyzerintherapie kontrolliert werden (Abraldes et al. 2008). Die normale Dosierung des Vasopressins beträgt 0,1–0,8 UI/min als Dauerinfusion mit oder ohne initialem Bolus von 20 UI über 10 min. Nitroglyzerin sollte in einer Dosierung von 40 μg/min verabreicht werden und wird um 40 μg/min alle 15 min erhöht, solange der systolische Blutdruck über 100 mmHg liegt (maximale Infusionsgeschwindigkeit 400 μg/min).
38
> Die Vasopressin-/Nitroglyzerintherapie muss unter sorgfältiger EKG und Blutdruckkontrolle erfolgen. Sie ist mit der Entwicklung der Somatostatin-/Octreotidtherapie in den Hintergrund getreten und in der Regel nur noch bei Unverträglichkeit der Octreotidtherapie indiziert. Somatostatin/Octreotid Somatostatin ist ein aus 14 Ami-
nosäuren bestehendes Peptid, welches die Durchblutung des Splanchnikus und dadurch den Pfortaderdruck vermindert. Octreotid ist ein synthetisches Somatostatinanalog mit deutlich längerer Halbwertzeit (1–2 h vs. 1–2 min). Somatostatin wird in einer Dosierung von 250 μg/h und Octreotid mit 50 μg/h verabreicht. Obwohl Octreotid auch subkutan verabreicht werden kann, ist diese Applikationsform bei Patienten mit akuter Varizenblutung nicht aus-
. Tab. 38.2 Metaanalyse prospektiver randomisierter Studien von Somatostatin vs. Vasopressin. (Nach Rodrigues-Perez u. Groszmann 1992) Somatostatin
Vasopressin
Blutungskontrolle (%)
72
44
Schwere Nebenwirkungen (%)
3
18
reichend sicher. Eine Metaanalyse von Studien, die Somatostatin mit Vasopressin vergleichen, zeigte, dass Octreotid der Vasopressintherapie bezüglich der Kontrolle akuter Varizenblutungen überlegen ist (77% vs. 44%; . Tab. 38.2; Dell’Era et al. 2008; Rodriguez-Perez et al. 992). Ebenso traten bei der Octreotidtherapie weniger schwere Nebenwirkungen als bei der Vasopressingabe auf (3% vs. 18%). Eine intensive Kreislaufüberwachung ist bei der Octreotidtherapie nicht erforderlich und kann auch bei Patienten mit vorbestehender Herzerkrankung angewandt werden. Sobald die Blutung sistiert, können die meisten Patienten auf einer normalen Station betreut werden. Die Octreotidtherapie ist aufgrund der einfachen Anwendung zur medikamentösen Standardtherapie bei Varizenblutungen geworden. In einer Metaanalyse wurde gezeigt, dass Octreotid eine mit der Sklerosierungstherapie vergleichbare Blutstillung erreicht bei einer niedrigeren Komplikationsrate (Avgerinos et al. 1995). In einer weiteren prospektiv randomisierten Studie erhielten 227 Patienten entweder eine alleinige endoskopische Therapie oder eine Endoskopie in Kombination mit einem Octreotidanalogum (Cales et al. 2001). Die Blutungskontrolle gelang signifikant besser bei Patienten mit kombinierter medikamentöser und endoskopischer Therapie als mit alleiniger Endoskopie. Allerdings konnte durch die kombinierte Therapie keine Verbesserung der Überlebensrate gezeigt werden. Novoseven Ein neuer Therapieansatz ist die Verabreichung
von hämostatischen Medikamenten. Kürzlich wurde gezeigt, dass durch die Gabe von FVII (rFVIIa; Novoseven) die Prothrombinzeit bei Patienten mit akuter Varizenblutung verbessert werden kann (Rodrigues-Perez u. Groszmann 1992). Allerdings konnte in einer randomisierten Doppelblindstudie kein Vorteil der rFVII-Gabe gegenüber einer Placebomedikation bezüglich Blutungskontrolle oder Entwicklung einer Rezidivblutung in den ersten 5 Tagen gezeigt werden (Bosch et al. 2008).
Ballontamponade Trotz kombinierter endoskopischer und medikamentöser Therapie persistieren die Varizenblutungen bei 5–10% der
759 38.2 · Notfalltherapie der Blutung bei portaler Hypertension
a
b
. Abb. 38.4a,b Sengstaken-Blakemore- (a) und Linton-Nachlass-Sonde (b)
Patienten. Bei diesen Patienten kann durch die Platzierung von nasogastrischen Ballonsonden (Sengstaken-Blakemore-, Linton-Nachlass-Sonde) die Blutung durch Kompression gestillt werden (. Tab. 38.3). Die unsachgemäße Sondenplatzierung ist jedoch mit einer hohen Komplikationsrate verbunden, und die Anwendung der Ballontamponade ist nur noch in seltenen Fällen indiziert, zumeist zur Überbrückung bis zur weiteren Therapie der portalen Drucksenkung (TIPS, Shunt). Die Ballonsonden unterscheiden sich in der Zahl und der Lokalisation der Ballons (. Abb. 38.4). Zusätzliche Lumina der Sonden können zum Absaugen des Magens oder des Ösophagus verwendet werden. Die Ballonsonden sollten nur auf einer Intensivstation verwandt werden. Vor Platzierung der Sonden sollte der Patient zum Schutz der Atemwege intubiert werden. Bei der Sengstaken-Blakemore-Sonde wird die Sonde in den Magen platziert. Danach wird der distale Ballon aufgeblasen und soweit zurückgezogen, bis der Ballon am gastroösophagealen Übergang liegt. Die Ballons müssen mit Luft gefüllt werden, da eine Wasserfüllung eine Verformung der Ballons bewirkt. Zur Kontrolle der Sondenlage sollte ein Röntgenbild angefertigt werden. Der zweite Ballon im
. Tab. 38.3 Typen nasogastrischer Sonden für die Ballontamponade Sondentyp
Lumen
Ballon
Linton
Gastrisch, ösophageal
Ballon
SengstakenBlakemore
Nur gastrisch
Gastrisch, ösophageal
Minnesota
Gastrisch, ösophageal
Gastrisch, ösophageal
Ösophagus kann mit 25–40 mmHg aufgeblasen und für maximal 12 h geblockt gelassen werden. Im Gegensatz dazu besitzt die Linton-Nachlass-Sonde nur einen Ballon, der im Magen gefüllt wird. Anschließend wird die Sonde unter Zug gesetzt. Während die Sengstaken-BlakemoreSonde für ösophageale Varizenblutungen geeignet ist, komprimiert die Linton-Nachlass-Sonde vor allem Magenfundusvarizen. > Bei 90% der Patienten kann durch die Ballontamponade die Blutung gestillt werden. Allerdings kommt es bei 50% der Patienten innerhalb von 24 h zu Rezidivblutungen, weshalb im blutungsfreien Intervall eine endoskopische Behandlung erfolgen sollte (Dell’Era et al. 2008).
Die häufigsten Komplikationen beinhalten Aspiration, Ösophagusruptur oder Striktur, Magen- oder Ösophagusulzerationen. Eine kraniale Dislokation der Ballons kann zu einer Verlegung der Luftwege führen. In diesem Fall sollte durch eine Durchtrennung der Füllungsschläuche eine sofortige Dekompression erfolgen.
Komplikationen der Ballontamponade bei Varizenblutung 4 Inkorrektes Legen der Sonde – Ösophagusruptur – Asphyxie 4 Verlängertes Belassen der Sonde – Ulzerationen/Perforation – Aspirationspneumonie – Periösophageale Entzündung/Abszess 4 Fixierung der Sonde – Drucknekrose an Nase, Stirn oder Kinn
38
760
Kapitel 38 · Portale Hypertension
a
Die meisten Arbeiten zeigen, dass durch die notfallmäßige TIPS-Einlage in 90–100% der Fälle eine Blutungskontrolle gelingt, bei einer 20–30% Blutungsrezidivrate und einer 25–50% Mortalität innerhalb von 30 Tagen (Rössle zu. Grant 2004). Bei 30–80% der Patienten kommt es innerhalb eines Jahres zu Shuntstenosen, wodurch rezidivierende Interventionen notwendig werden (Henderson et al. 2006). Ein weiteres Problem des TIPS besteht in der Entwicklung einer hepatischen Enzephalopathie in 15– 25% der Fälle. Risikofaktoren sind hohes Alter, Schwere der Lebererkrankung (Child C), Größe des Shunts und hepatopetaler Blutfluss (Chau et al. 1998). Häufig erfolgt die Platzierung des TIPS als überbrückende Maßnahme bis zu einer Lebertransplantation. > Relative Kontraindikationen der TIPS-Platzierung sind Pfortaderobstruktionen, polyzystische Lebererkrankungen und rechtsseitiges Herzversagen. Besonders häufig kommt der TIPS bei blutenden Magenvarizen zum Einsatz, die einer endoskopischen Therapie schlechter zugänglich sind (Avgerinos et al. 1995).
38.2.6
b
. Abb. 38.5a,b Prinzip der transjugulären portosystemischen Shuntanlage. Instrumentierung nach Punktion der rechten V. jugularis interna unter Durchleuchtungskontrolle. Ausgehend von der rechten Lebervene wird ein ca. 3–4 cm langer Parenchymkanal bis in den rechten, intrahepatischen Pfortaderast punktiert (a), dilatiert und schließlich ein 8–10 mm dicker Wallstent platziert (b)
38
Transjugulärer intrahepatischer portosystemischer Shunt Der transjuguläre intrahepatische Stent besteht aus einem expandierendem Metallgitter, das über die Lebervenen durch das Leberparenchym in einen Pfortaderast eingebracht wird, was einem portosystemischen Shunt entspricht (. Abb. 38.5). Das Ziel der TIPS-Platzierung ist die Dekompression der Pfortader mit einer Senkung des portalen Druckes unter 12 mmHg, wobei eine Senkung des portalen Druckes durch den TIPS in 90% der Patienten gelingt. In gleicher Sitzung mit der TIPS-Platzierung kann eine Embolisierung blutender Varizen erfolgen. Die TIPSPlatzierung ist jedoch anspruchsvoll und sollte nur von einem erfahrenen interventionellen Radiologen erfolgen. Die TIPS-Einlage ist indiziert, wenn durch Endoskopie und medikamentöse Therapie keine Blutungskontrolle erreicht werden kann.
Operative Notfalltherapie
Operative Verfahren zur Blutungskontrolle beinhalten chirurgische Shuntanlagen und Devaskularisierungsoperationen. Durch die Entwicklung des TIPS ist die Anwendung operativer Verfahren zur Notfalltherapie einer akuten Blutung deutlich zurückgegangen. Bei gut erhaltener Leberfunktion und anhaltender Blutung trotz Endoskopie und medikamentöser Therapie und Unmöglichkeit einer TIPS-Einlage kann eine notfallmäßige Shuntanlage oder Devaskularisierung indiziert sein.
Shuntoperation Die elektive Shuntchirurgie ist ein sicheres Verfahren mit einer Mortalität von unter 5%. Im Gegensatz dazu ist die notfallmäßige Shuntanlage mit einer Mortalität zwischen 20% und 50% verbunden. Die Operationstechniken der verschiedenen Shunts werden im 7 Kap. 38.3.2 besprochen. Die distalen splenorenalen Shunts sind zwar mit einer geringeren postoperativen Enzephalopathie behaftet, machen aber eine aufwändige und zeitintensive Präparation notwendig. Demgegenüber ist die Anlage eines portokavalen Shunts deutlich einfacher. > Der in der Notfallsituation zumeist bevorzugte Shunt ist der portokavale End-zu-Seit- oder Seitzu-Seit-Shunt.
Diese Shunts sind technisch einfach durchzuführen und sichern eine effektive Senkung des portalen Druckes. Im
761 38.2 · Notfalltherapie der Blutung bei portaler Hypertension
Verlauf entwickeln jedoch 40–50% der Patienten eine hepatische Enzephalopathie, wodurch die Lebensqualität der Patienten beeinträchtigt und die Entwicklung eines Leberversagens begünstigt wird. Zudem kann die Präparation im Leberhilus eine spätere Lebertransplantation erschweren. Orloff et al. berichteten eine prospektiv randomisierte Studie, in der 211 Patienten mit blutenden Ösophagusvarizen entweder eine endoskopischen Sklerosierungstherapie oder einen portacavalen Shunt erhielten (Orloff et al. 2009). Portakavale Shuntanlage resultierte in signifikant besserem Langzeitübeleben, einer niedrigeren Rezidivblutungsrate und einem geringeren Auftreten hepatischer Enzephalopathie im Vergleich mit der Sklerisierungstherapie. In einer weiteren randomisierten Studie wurde bei Patienten mit akuter Varizenblutung der TIPS mit einem portokavalen H-Shunt verglichen (Rosemurgy et al. 2003). Es zeigte sich eine bessere Blutungskontrolle durch den chirurgischen Shunt bei einer identischen Langzeitüberlebensrate. Patienten mit einer Shuntanlage hatten weniger Interventionen im Verlauf als Patienten mit einer TIPSPlatzierung.
Devaskularisierungsoperation Die alleinige Ösophagustransektion ist mit einer hohen Komplikations- und Rezidivblutungsrate verbunden und wurde als Therapieoption verlassen. Demgegenüber können Devaskularisierungsverfahren im Rahmen einer akuten Varizenblutung als Ultima ratio indiziert sein, wenn es trotz Endoskopie und medikamentöser Therapie nicht zu einer Blutstillung kommt und z. B. bei Portalvenenthrombose eine TIPS- und Shuntanlage nicht möglich ist. In Zürich führen wir eine modifizierte Devaskularisierungsoperation durch, bei der als alleiniger abdomineller Eingriff eine Splenektomie, eine Devaskularisierung von Magen und distalem Ösophagus sowie eine Ösophagustransektion erfolgt (7 Kap. 38.3). Die Devaskularisierungsoperation ist auch nach erfolgloser Anlage eines distalen splenorenalen Shunts möglich. Sie sollte nur bei erhaltener Leberfunktion (Child-A-, frühes Child-B-Stadium) erfolgen.
38.2.7
Prophylaxe einer Rezidivblutung
Trotz erfolgreicher Blutstillung kommt es bei 50–80% der Patienten im Verlauf zu einer Rezidivblutung (D’Amico et al. 2006; Kirge et al. 2006), wobei jede Rezidivblutung mit einer Mortalität zwischen 40% und 70% behaftet ist. Risikofaktoren einer Rezidivblutung sind eine fortgeschrittene Lebererkrankung, Schwere der Erstblutung, eingeschränkte Nierenfunktion und eine Enzephalopathie. Endoskopisch erfassbare Risikofaktoren sind eine aktive Blutung zum Endoskopiezeitpunkt, große Varizen und Zeichen einer kürzlich stattgefundenen Blutung (Bambha et al. 2008).
Zudem gibt es eine starke Korrelation zwischen der Höhe des portovenösen Druckgradienten und der Rezidivblutungsrate (D’Amico et al. 2006).
Medikamentöse Therapie Idealerweise sollte der portovenöse Druckgradient medikamentös unter 12 mmHg gesenkt werden. Ist dies nicht möglich, so bewirkt auch eine Senkung des portovenösen Druckes von 20% des Ausgangswertes eine Senkung des Blutungsrisikos von 40–70% auf unter 15% (Bambha et al. 2008; Bureau et al. 2002; Patch et al. 2002). Verschiedene Medikamente wurden zur Prophylaxe von Rezidivblutungen verwandt, jedoch bestehen nur für nichtselektive Betablocker ausreichende Daten über ihre Effektivität (Dell’Era et al. 2008). Es erscheint logisch, die Gabe der Betablocker auf die Reduktion des portovenösen Druckgradienten abzustimmen. Die Messung des Druckgradienten ist jedoch aufwändig und invasiv. > Daher wird allgemein die Betablockertherapie so dosiert, dass eine 25%-Reduktion der Herzfrequenz erreicht wird.
Mit dieser Vorgehensweise ist die Betablockade gleichwertig mit einer endoskopischen Sklerosierungstherapie zur Rezidivblutungsprophylaxe. Allerdings konnte gezeigt werden, dass bei 30% der Patienten trotz ausreichender Dosierung der Betablocker keine Senkung des portovenösen Druckgradienten erreicht wird. Diese Patienten können nur mit einer invasiven Messung des Gradienten identifiziert werden. Ähnlich wie in der primären Blutungsprophylaxe kann durch die zusätzliche Gabe von Isosorbid-5-Mononitrat (ISMN) die Blutungsgefahr weiter gesenkt werden, ohne jedoch das Gesamtüberleben zu verbessern und um den Preis vermehrter Nebenwirkungen (Dell’Era et al. 2008). In einer Metaanalyse von 12 prospektiv randomisierten Studien wurde die Gabe von Propanolol mit einer endoskopischen Sklerosierungstherapie zur Prophylaxe von Rezidivblutungen verglichen (D’Amico et al. 2006). Beide Therapieformen hatten eine identische Effektivität zur Blutungsprophylaxe. Die Sklerosierungstherapie war jedoch mit signifikant mehr Komplikationen verbunden.
Endoskopische Langzeittherapie Die endoskopische Sklerosierungstherapie wird zur Prophylaxe einer Rezidivblutung während 4 Wochen wöchentlich durchgeführt, bis alle Varizen obliteriert sind. Da die Varizen zumeist innerhalb eines Jahres zurückkommen, sollte die endoskopische Untersuchung im ersten Jahr alle 3 Monate wiederholt werden. Werden keine Varizen gefunden, so sind weitere jährliche Kontrollen notwendig. Bei 40% der Patienten kommt es trotz endoskopischer Therapie zu einer Rezidivblutung. Eine Metaanalyse ver-
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762
Kapitel 38 · Portale Hypertension
glich die Sklerosierungstherapie mit der endoskopischen Gummibandligatur (D’Amico et al. 2006). Es zeigte sich, dass die Gummibandligatur mit einer geringeren Rezidivblutungsrate (25% vs. 30%), geringeren Komplikationen, niedrigeren Kosten und einer besseren Überlebensrate verbunden war. Die Sklerosierungstherapie wurde in den letzten Jahren weitgehend von der Gummibandligatur abgelöst. Drei Studien verglichen die endoskopische Gummibandligatur mit einer kombinierten Betablocker- und ISMN-Behandlung zur Verhinderung von Rezidivblutungen aus Ösophagusvarizen (Patch et al. 2002; Villanueva et al. 2001; Lo et al. 2002). Während eine Studie einen Vorteil der kombinierten medikamentösen Therapie zeigte, fand die zweite Studie weniger Rezidivblutungen mit der endoskopischen Gummibandligatur. Die dritte Studie zeigte für beide Therapien vergleichbare Ergebnisse. Ein weiterer Therapieansatz ist, die pharmakologische Therapie mit der endoskopischen Therapie zu kombinieren. In 2 Studien führte die kombinierte Behandlung mit Betablockern und Sklerosierung zu einer geringeren Rezidivblutungsrate als Betablockade allein (Vinel et al. 1992; Avgerinos et al. 1993). Eine Verbesserung der Überlebensrate wurde allerdings nicht erreicht. Ebenso war in einer randomisierten Studie die Kombination von Nadolol plus endoskopischer Gummibandligatur mit einer niedrigeren Rezidivblutungsrate verbunden als endoskopische Gummibandligatur allein (Lo et al. 2000).
Transjugulärer intrahepatischer portosystemischer Shunt
38
In einer Metaanalyse von 11 Studien wurde der TIPS mit der endoskopischen Prävention von Rezidivblutungen verglichen (Luca et al. 1999; Papatheodoridis et al. 1999). Die TIPS-Anlage war mit einer geringeren Rezidivblutungsrate verbunden. Allerdings kam es häufiger zu einer Enzephalopathie und die Überlebensrate war in beiden Therapiearmen identisch.
Chirurgische Verfahren Die chirurgischen Shunts können in nichtselektive und selektive Shunts unterteilt werden. Die chirurgischen Verfahren werden ausführlich im 7 Kap. 38.3.2 beschrieben. Beim nichtselektiven totalen portosystemischen Shunt wird der gesamte mesenteriale Blutfluss in die V. cava umgeleitet. Dadurch kann in 90% der Patienten eine ösophageale Blutung kontrolliert werden. Allerdings kommt es bei 40–50% der Patienten zu einer Enzephalopathie, weshalb die Indikation zum portosystemischen Shunt nur noch bei durch medikamentöse oder endoskopische Therapie nicht stillbare Ösophagusvarizenblutung oder beim akuten Budd-Chiari-Syndrom gegeben ist (Stipa et al. 1994). Beim partiellen portosystemischen Shunt wird
durch einen kleinen Shuntdurchmesser der hepatische Blutfluss aufrecht erhalten. Dafür wird in der Regel ein 8 mm Interponat zwischen Portalvene und V. cava verwandt. Von einigen Gruppen wurde eine exzellente Kontrolle der Varizenblutung (90%) bei einer geringen Enzephalopathierate von 15% berichtet. > Der gegenwärtig meistgebrauchte Shunt ist der selektive distale splenorenale Shunt (WarrenShunt; Warren et al. 2000).
Bei dem distalen splenorenalen Shunt werden die Ösophagusvarizen dekomprimiert, ohne dass der Druck im Pfortadersystem gesenkt wird. Dadurch werden 90% der Pfortaderblutungen kontrolliert bei einer Enzephalopathierate von 10–15% (Henderson 2006). Von den meisten Chirurgen wird heute der distale splenorenale Shunt den nicht selektiven Shunts gegenüber bevorzugt. Der splenorenale Shunt offeriert eine effektive Blutungskontrolle bei geringem Enzephalopathierisiko. Zudem bleibt die Möglichkeit einer späteren Lebertransplantation erhalten. Henderson et al. (2006) berichtete kürzlich über eine prospektiv randomisierte Studie, in der 140 Patienten mit rezidivierender Varizenblutung entweder einen distalen splenorenalen Shunt oder einen TIPS erhielten. Es zeigte sich kein Unterschied zwischen den beiden Gruppen bezüglich Rezidivblutungsrate, Enzephalopathie oder Mortalität. Patienten mit TIPS benötigten jedoch signifikant häufiger Reinterventionen verglichen mit Patienten nach Shuntchirurgie. Weitere chirurgische Verfahren wie die Devaskularisierungsoperation (Sugiura-Operation) und die Lebertransplantation werden in den 7 Kap. 38.3.2 und 38.5 besprochen.
38.2.8
Andere Blutungsquellen bei portaler Hypertension
Es können 2 Arten von gastralen Varizen unterschieden werden: 4 Varizen, die sich nahe dem gaströsophagealen Übergang befinden und aus erweiterten Ösophagusvarizen entstehen 4 Magenfundusvarizen Der Verlauf bei ösophagogastralen Varizen bezüglich Ansprechen auf eine endoskopische Therapie und Überleben ist identisch zu Patienten mit Ösophagusvarizen. Im Gegensatz dazu weisen Magenfundusvarizen ein erhöhtes Rezidivblutungsrisiko und ein vermindertes Überleben auf (Ryan et al. 2004). Die Notfalltherapie von blutenden Magenfundusvarizen ist oft durch die Unzugänglichkeit der Fundusvarizen und bei Blutansammlungen im Magen
763 38.2 · Notfalltherapie der Blutung bei portaler Hypertension
erschwert. Bei erfolgreicher Blutstillung sollte eine Erhaltungstherapie mit nichtselektiven Betablockern (z. B. Nadolol) in Kombination mit Isosorbidmononitrat erfolgen. In einer prospektiv randomisierten Arbeit wurde zur Therapie von Fundusvarizen die endoskopische Injektion von N-Butyl-2-Cyanoacrylat mit einer Sklerosierungstherapie verglichen (Sarin et al. 2002). Dabei wurde durch N-Butyl-2-Cyanoacrylat eine signifikant bessere Blutungskontrolle und Obliterationsrate der Varizen erreicht. Das isolierte Vorkommen von Magenvarizen kann durch eine Milzvenenthrombose (segmentale portale Hypertension) bedingt sein. In diesen Fällen ist eine Splenektomie kurativ und daher Therapie der Wahl. Varizen im Duodenum kommen selten vor, können aber eine massive obere gastrointestinale Blutung auslösen. Eine erfolgreiche Therapie von blutenden Duodenalvarizen mittels Gummibandligatur, Sklerosierungstherapie oder Shuntanlage wurde vereinzelt berichtet.
38.2.9
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764
Kapitel 38 · Portale Hypertension
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38.3
Elektive Therapie der portalen Hypertension
38.3.1
Konservative Therapie M. Schmeding, C. Sieber, J. Bauer
38
Bei der konservativen Therapie muss unterschieden werden, welche die klinisch relevanten Komplikationen der portalen Hypertonie sind. Dabei handelt es sich um Blutungen aus Ösophagusvarizen, Magenfundusvarizen, portal-hypertensive Gastropathie und Varizen anderer Provenienz (z. B. Rektalvarizen) sowie um Aszitesbildung und die hepatische Enzephalopathie. Im Folgenden soll detaillierter auf die Blutungen sowie die hepatische Enzephalopathie eingegangen werden. In Bezug auf die konservative Therapie des Aszites sei auf 7 Kap. 38.4.1 verwiesen.
Rationale für eine medikamentöse (konservative) Therapie Die portale Hypertonie, also der Anstieg des portal-venösen Druckes über einen Grenzwert, ist die Hauptursache für die Komplikationen einer chronischen Hepatopathie abgesehenen von der Synthese-/Metabolisierungsleistung. Der hepa-
tovenöse Druckgradient (HVPG) (Groszmann et al. 1979) reflektiert den Portalvenendruck bei den meisten Hepatopathien (Perello et al. 1999; Wongcharatrawee et al. 2000). Ziel ist es, den HVPG unter 12 mmHg abzusenken (Groszmann et al. 1990; Feu et al. 1995; Vorobioff et al. 1996), sei dies medikamentös oder interventionell (TIPS, chirurgisch). Kann diese Zielgröße nicht erreicht werden, der Portalvenendruck gegenüber dem Ausgangswert jedoch um mindestens 20% vermindert werden, so wird ebenfalls eine gute Blutungsprävention erreicht werden (Bosch et al. 2005). Auch die Aszites-Bildung wird so günstig beeinflusst (Viallet et al. 1975; Garcia-Tsao et al. 1985; Casado et al. 1998). Zur Senkung des Portalvenendruckes können diverse vaskuläre Zielgebiete herangezogen werden: 4 Senkung des arteriellen Blutflusses im Splanchnikusgebiet 4 Senkung des vaskulär-venösen Widerstandes in der Leber 4 Interferenz mit Angiogenese Für erstere Komponente bestehen die meisten Daten für die Betablocker, für Letzteres die Gabe von Nitraten, heute meist in Kombination. Zukunftsperspektiven liegen in NO-Donoren zur Absenkung des intrahepatischen Widerstandes oder in der Gentherapie mit Adenoviren, die für NO-Syntethasen kodieren (Hernandez-Guerra et al. 2005). Auch im Bereich des arteriellen Gefäßsystems und hier in der Prävention der hyperdynamen Kreislaufsituation zeichnen sich neuere Therapieansätze ab. Nachdem schon vor einigen Jahren gezeigt werden konnte, dass bei portalhypertensiven Zuständen die Gefäße nicht nur vasodilatiert sind, sondern es auch zu einer vermehrten Angiogenese kommt (Sumanovski et al. 1999), ergeben neue Daten, dass durch Inhibition der Angiogenese mittels einem VEGF-Rezeptorantagonist (»vascular endothelial growth-factor«) die Entwicklung der hyperdynamen Zirkulation hochsignifikant inhibiert werden kann (Fernandez et al. 2005).
Blutungen aus Ösophagusund Magenfundusvarizen Eine Zirrhose allein zieht nicht automatisch die Entwicklung einer portalen Hypertonie mit Varizenbildung nach sich. In prospektiven Studien konnte gezeigt werden, dass 35–80% der Patienten mit Zirrhose Varizen entwickeln, von denen wiederum 25–40% zu Blutungen führen. Die Faktoren, die als Zeichen für ein erhöhtes Risiko für eine Blutung gewertet werden können, sind: 4 Varizengröße 4 »red whales« und »cherry red spots« auf den Varizen 4 Schweregrad der Leberfunktionsstörung (Child-Stadium C; 7 Kap. 38.2) 4 Hepatovenöser Druckgradient (HPVG) >12 mmHg
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Diese primär nicht invasiv zu bestimmenden Richtgrößen – bis auf den HPVG – erlauben verlässlich, das Risiko für eine Blutung und damit auch die Dringlichkeit einer präventiven Therapie zu bestimmen. In der Diskussion der konservativen Therapiemöglichkeiten zur Verhinderung einer Varizenblutung können 3 Gruppen unterschieden werden: 4 Prä-Primärprophylaxe (Verhinderung der Entwicklung von Kollateralen) 4 Primärprophylaxe (Verhinderung einer Erstblutung) 4 Sekundärprophylaxe (Verhinderung einer Rezidivblutung)
Prä-Primärprophylaxe Im Tiermodell konnte gezeigt werden, dass eine langfristige Gabe von nichtselektiven Betablockern die Ausbildung von Kollateralen und Aszites verhindern kann (Sarin et al. 1991). Bei Patienten mit Varizen werden diese unter Betablockertherapie kleiner oder verschwinden gar (Casado et al. 1998; Groszmann et al. 1990), wenn der hepatovenöse Druckgradient unter 12 mmHg gesenkt werden kann (Escorsell et al. 1997). Demgegenüber konnte eine präventive Wirkung (Varizenausbildung) bei Patienten mit kompensierter Zirrhose nicht bewiesen werden (Groszmann et al. 2003).
Primärprophylaxe Metaanalysen haben klar gezeigt, dass mit der Gabe von Betablockern die Inzidenz einer Erstblutung signifikant vermindert werden kann. Zusätzlich wird parallel dazu die Mortalität signifikant gesenkt (Hayet et al. 1990; Poynard et al. 1991). Kann der hepatovenöse Druckgradient unter 12 mmHg gesenkt werden, kommt es zu keinen Blutungen. Da in der Praxis dieser Druckgradient selten bestimmt wird (angiographische Untersuchung), wird der Betablocker einschleichend dosiert, bis die Ausgangsherzfrequenz um 25% gefallen ist (nicht unter 60 Schläge/min). In Bezug auf die Prävention einer Erstblutung scheint es keine große Rolle zu spielen, ob ein unspezifischer oder kardioselektiver Betablocker verschrieben wird. Die meisten Daten wurden allerdings mit Propranolol erhoben. Mit Carvedilol konnten sogar noch überzeugendere Effekte erzielt werden (Banares et al. 2002). Neben ihrer Wirkung auf das Herz agieren Betablocker dadurch, dass durch die Blockade vaso-dilatatorischer Betarezeptoren im arteriellen Splanchnikusgebiet zirkulierendes Noradrenalin nur noch auf die vasokonstriktorischen Alpharezeptoren wirkt. Die damit verbundene Vasokonstriktion führt zu einem Flussabfall in den die Portalvene speisenden Arterien, was konsekutiv zu einem Abfall des Druckes in der V. portae führt. Bei Kontraindikationen für eine Betablockertherapie gibt es momentan leider keine gesicherten Alternativen.
Versucht wurde der Einsatz von Nitraten, Clonidin und neu auch mit einem Angiotensin-II-Rezeptorantagonisten, doch ist die Datenlage für Nitrate – als Einzeltherapie – und Clonidin kontrovers und für Angiotensin-II-Rezeptorantagonisten existieren erst recht kontroverse Daten (siehe auch unter Sekundärprävention). Auch die Kombination von Betablockern mit Nitraten scheint in der Primärprophylaxe keine signifikanten Vorteile gegenüber der alleinigen Betablockertherapie zu haben (Garcia-Pagan et al. 2002). Neuerdings muss sich die Betablockergabe in der Primärprophylaxe auch gegenüber der endoskopischen Varizenligatur (EVL) bei großen Varizen bewähren. Aufgrund der recht hohen Abbruchsrate der Betablockertherapie scheint hier die EVL effektiver zu sein (Jutabha et al. 2005). Da aber auch gegenteilige Daten bestehen, scheint zumindest die EVL eine gute Alternativoption zur Betablockergabe bei deren Unverträglichkeit zu sein (Chalasani et al. 2005). > Bei der Primärprophylaxe zur Verhinderung einer Erstblutung sind Betablocker das Mittel der Wahl.
Sekundärprophylaxe Für die Sekundärprophylaxe, also der Verhinderung einer Rezidivblutung, ist die Situation komplexer. Dies deshalb, als vielerorts mit endoskopischen Verfahren nach einer Blutung eine Eradikation der Varizen versucht wird (7 Kap. 38.2). Während dies bei Ösophagusvarizen auch recht gut gelingt – sei es mit einer Injektionsmethode (Sklerosierungstherapie) oder heute vor allem mit »Banding« (Stiegmann et al. 1992; Gimson et al. 1993) –, so ist dies bei Magenfundusvarizen schwieriger (z. B. mit Histoacrylinjektion; Soehendra et al. 1987). Es muss deshalb unterschieden werden zwischen einer reinen pharmakologischen Sekundärprophylaxe und einer, die zusätzlich zu endoskopischen Verfahren durchgeführt wird. Für letztere Kombination gibt es keine Studien, die einen signifikanten Vorteil für die Zugabe von Betablockern zur endoskopischen Therapie zeigen. Es gibt aber Gruppen, die eine rein pharmakologische Therapie favorisieren. Prinzipiell gibt es 2 Gründe dafür: Erstens entfallen mögliche Komplikationen einer endoskopischen Therapie (Ulzera, Blutungen, Strikturen), zweitens sind endoskopische Verfahren nicht überall verfügbar. Betablocker allein sind je nach Studie gleich effektiv wie endoskopische Verfahren in der Verhinderung einer Rezidivblutung, die Datenlage ist aber weit heterogener als für die Primärprophylaxe (Burroughs 1992; Pagliaro et al. 1989). Dennoch sollte nicht verschwiegen werden, dass ein beträchtlicher Prozentsatz der Patienten Betablocker nicht zu sich nehmen können. Auch mag die Compliance im Gegensatz zu Studienbedingungen nicht immer optimal sein. Weitere
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Kapitel 38 · Portale Hypertension
Studien zeigen, dass die Kombination eines Betablockers mit einem Nitrat signifikant bessere Resultate bringt als die Sklerosierungstherapie (Villanueva et al. 1996, 2001). Betablocker – meist in Kombination mit einem Nitrat – sind demnach weiterhin die am besten dokumentierten Medikamente zur Prophylaxe von Blutungskomplikationen bei portaler Hypertonie. Sartane – und hier vorab Losartan – senken zwar den hepatovenösen Druckgradienten (HVPG) in einigen Studien (Castano et al. 2003; Schneider et al. 1999), doch sind die Daten kontrovers (Tripathi et al. 2004) und haben deswegen kaum Eingang in die Klinik gefunden. Insgesamt sind die Sartane, die bei fortgeschrittener Zirrhose gar gefährlich sind, auch bei leichtergradiger Zirrhose ineffektiv. Terlipressin (Vasopressin) spielt eine wichtige Rolle in der Therapie der akuten Varizen-bedingten GI-Blutung. Eine Standard-Therapie mit Terlipressin zur Primär- oder Sekundärprophylaxe ist aktuell nicht etabliert, erste Ergebnisse zeigen jedoch einen Vorteil für die kombinierte endoskopische und medikamentöse Terlipressin-Therapie hinsichtlich der Sekundärprophylaxe (Lo et al. 2009). Endotheline erhöhen die intrahepatische vaskuläre Resistenz. Erste erfolgversprechende Resultate im Tierversuch ließen sich beim Menschen sowohl mit Endothelin-A und -B-Rezeptorenantagonisten nicht zeigen (Therapondos et al. 2004). Die hepatische vaskuläre NO-Synthese ist als Gegenspieler der Vasokostriktoren bei der Leberzirrhose vermindert. Deshalb wird versucht, diese Synthese selektiv anzukurbeln (Fiorucci et al. 2001). Erste positive Resultate im Tiermodell müssen beim Menschen aber noch bestätigt werden. Da die endoskopische Ligatur von Ösophagusvarizen zum Goldstandard geworden ist, wird diskutiert, ob diese Therapie effektiver als die medikamentöse Monotherapie mit Betablockern oder gar die Kombinationstherapie Betablocker und Nitrate ist. Neuere Daten zeigen eine Äquipotenz dieser beiden Therapieoptionen sowohl in der Primärprophylaxe (Schepke et al. 2004) wie auch zur Prophylaxe der Rezidivblutung (Sarin et al. 2005). Schließlich stellt sich noch die Frage, inwieweit die Zugabe eines Betablockers zur endoskopischen Varizenligatur einen additiven Benefit bringt. Dies scheint nur in der Sekundärprävention von Varizenblutungen so zu sein (Sarin et al. 2005). Die Zukunft wird zeigen, inwieweit pharmakologische Kombinationstherapien, evtl. sogar parallel zu endoskopischen Verfahren, die Rezidivblutungsgefahr und ggf. auch die blutungsassoziierte Mortalität noch weiter senken können. Die portal-hypertensive Gastropathie ist eine weitere häufige Ursache für eine hypochrome, mikrozytäre Anämie bei Patienten mit portaler Hypertonie. Endoskopisch
hat die Mukosa eine »schlangenhautartige« Felderung. Auch hier haben Studien gezeigt, dass Betablocker mit Erfolg eingesetzt werden können (Perez-Ayuso et al. 1991). Als »semikonservatives« Verfahren zur Verhinderung einer Rezidivblutung sei hier noch der transjuguläre intrahepatische portosystemische Shunt (TIPS) erwähnt, der an anderer Stelle abgehandelt wird (7 Kap. 38.2).
Therapie der hepatischen Enzephalopathie Ein spezifische Therapie existiert nicht; die Maßnahmen sind deshalb als symptomatische Therapieansätze zu verstehen. Komatöse Patienten gehören unbedingt auf eine Intensivstation (cave Hirnödem). Dies auch, um eine Drucksonde anlegen zu können. Da das aus dem Darm anfallende Ammoniak nur ungenügend hepatisch abgebaut werden kann, gilt es, die Darmpassage zu beschleunigen. Dies gelingt mit Laxanzien, bewährt hat sich das synthetische Disaccharid Laktulose, wobei die Dosis erhöht wird, bis der Patient 2–3 weiche Stühle pro Tag hat. Das schlecht resorbierbare Antibiotikum Neomycin wird heute aufgrund seiner Ototoxizität kaum mehr eingesetzt, zumal es Laktulose nicht überlegen ist. Es ist zwar bewiesen, dass Antibiotika die intraluminale Produktion von Ammoniak vermindern. Die eingesetzten Antibiotika werden aber von der Zielpopulation häufig schlecht ertragen. > Der Antibiotikaeinsatz sollte nicht prophylaktisch, sondern nur bei nachgewiesenem Infekt zielgerichtet – gute Abdeckung aerober und anaerober Keime – eingesetzt werden (Maddrey et al. 2005). Als nichtresorbiertes Antibiotikum wird momentan Rifaximin präferiert (Zeneroli et al. 2005). Insgesamt sollten Antibiotika dann eingesetzt werden, wenn mit Laktulose kein Erfolg zu erzielen ist.
Bei Zirrhotikern mit Typ-2-Diabetes mellitus kann weiter ein guter Benefit mit Acarbose gezeigt werden (Gentile et al. 2005). Inwieweit eine niedrig-dosierte Acarbose-Therapie auch bei nicht-diabetischen Patienten mit hepatischer Enzephalopathie erfolgreich ist, ist noch nicht bekannt. Auch eine Alteration in der GABA-ergen Neutrotransmission in der Pathophysiologie der hepatischen Enzephalopathie wird diskutiert. Hier würden endogene Benzodiazepine den GABA-A-Rezeptor allosterisch verändern, was zu einem erhöhten Tonus dieses Neutrotransmittersystems führen soll. Aufgrund der »GABA-Hypothese« wurde schon vor Jahren Flumazenil eingesetzt (Gyr et al. 1996). Neuere Daten zeigen, dass primär nur dann Veränderungen bestehen, wenn die Patienten im Vorfeld der Entwicklung der hepatischen Enzephalopathie exogen mit Benzodiazepinen behandelt wurden, was allerdings sehr häufig
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der Fall ist (Ahboucha et al. 2004). Insgesamt scheinen eher nicht-benzodiazepinähnliche Substanzen – möglicherweise Neurosteroide – an der Modulation des GABA-ergen System und über diesen Mechanismus an der hepatischen Enzepahlopathie beteiligt zu sein. Inwieweit die Eiweißzufuhr eingeschränkt werden muss, ist schwierig zu beurteilen. Der Patient mit einer chronischen Hepatopathie benötigt prinzipiell eher mehr Eiweiß als ein Gesunder; andererseits sollte bei akut bestehender Enzephalopathie der Wert von 0,5 g/kg KG/Tag wohl nicht überschritten werden. Sobald eine Verbesserung eintritt, sollte die Eiweißzufuhr kontinuierlich bis auf 1,5 g/kg KG/Tag erhöht werden (katabole Stoffwechsellage). Verzweigtkettige Aminosäurelösungen scheinen nicht nur für die hepatische Enzephalopathie, sondern für die Therapie der chronischen Leberinsuffizienz per se – als Supplement – sinnvoll zu sein (Marchesini et al. 2005). Basistherapie der hepatischen Enzephalopathie 4 Meiden von Noxen – Alkohol – Medikamente 4 Normalisierung des Elektrolythaushalts (u. a. Hyponatriämie) 4 Rasche und effiziente Behandlung infektiöser Prozesse 4 Intestinale Detoxifikation – Laktulose – Selten Antibiotika (Rifaximin) 4 Zweckmäßige Ernährung – Ausgewogen und vitaminreich (antioxidativ) – Ballaststoffreich (prokinetisch) – Bevorzugung von Milch- und Pflanzeneiweiß 4 Verbesserung der Entgiftungsfunktion der Leberzelle – Verzweigtkettige Fettsäuren, Ornithin-Aspartat (experimentell)
38.3.2
Literatur
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Kapitel 38 · Portale Hypertension
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38.3.3
Operative Therapie der portalen Hypertension G. Lurje, Ph. Dutkowski, P.-A. Clavien
Vor der weit verbreiteten klinischen Anwendung der portokavalen Shunts im Jahre 1945 war keine effektive chirurgische oder medizinische Therapie zur Kontrolle der Varizenblutung bei portaler Hypertension vorhanden. Die klassische chirurgische Maßnahme zur Behebung der portalen Hypertension, der portokavale Shunt, wurde 1877 erstmals von Nikolai Vladimirovick Eck beschrieben (Childs 1953). 20 Jahre später beschrieben Pavlov und Kollegen die Konsequenzen der Diversion des portalen Blutflusses (Hahn 1893). Bei Tieren mit funktionierendem Shunt atrophierte die Leber. Diejenigen Tiere, bei denen der portokavale Shunt thrombosierte, hatten eine normale Leber und tolerierten eine normale Diät. Die Eck-Fistel, eine End-zu-Seit portokavale Anastomose, war die erste Operation, bei der ein kurzzeitiger Überlebensvorteil für Patienten mit Varizenblutung nachgewiesen werden konnte (Rikkers 1990). In den 1950er- und 1960er-Jahren erschienen verschiedene Arbeiten zum Vergleich prophylaktischer oder therapeutischer portosystemischer Shunts. Obwohl die Anlage portosystemischer Shunts zu weniger Blutungsepisoden, Aszites und Leberversagen führte, zeigten die Resultate dieser Studien übereinstimmend keinen Überlebensvorteil für Patienten mit portosystemischer Shunt Anlage (Rikkers 1987). In den 1950er-Jahren sind daher verschiedenste Shuntvarianten beschrieben worden, mit dem Ziel einer selektiven Dekompression des Pfortaderdrucks bei möglichst erhaltener portaler Leberperfusion. Ein prominentes Beispiel hierfür ist der Warren Shunt, ein distaler splenorenaler Shunt, mit dem unter Beibehaltung des hepatischen portalen Flusses, Varizenblutungen erfolgreich kontrolliert werden konnten (Warren 1982). Sugiura u. Futagawa publizierten 1973 ihre Originalarbeit über die ösophagogastrische Devaskularisationstechnik zur Kontrolle der Varizenblutung mit exzellenten Resultaten. Bis zur Einführung der orthotopen Lebertransplantation (OLT) als Standardtherapie der Child-B- und -C-Leberzirrhose existierte jedoch keine erfolgreiche chirurgische Therapie zur definitiven Behandlung der portalen Hypertension.
769 38.3 · Elektive Therapie der portalen Hypertension
. Abb. 38.6 Das portosystemische Kollateralsystem. (Aus Orloff 1972)
Anatomie und Pathophysiologie der portalen Hypertension Wie ausführlich im 7 Abschn. 38.1 diskutiert worden ist, erhöht sich der Druck im portalvenösen System als Folge eines erhöhten Widerstandes im Bereiche des hepatischen portalvenösen Systems. Ferner existiert eine erhöhte splanchnische Perfusion bei Patienten mit Leberzirrhose als Folge eines hyperdynamen kardiovaskulären Zustandes, der zur Vergrößerung des portalvenösen Volumens führt. Als Folge davon bilden sich venöse Kollateralen, um dem hohen Druck im portalvenösen System entgegen zu wirken. Trotz der Ausbildung dieser effektiven Kollateralen bleibt eine deutliche Erhöhung des splanchnischen Blutangebotes und des venösen Druckes bestehen. Die häufigsten Komplikationen der portalen Hypertension sind gastro-
intestinale Blutung und Aszites. Die gastrointestinale Blutung tritt bei portalvenösen Drücken höher als 12 mmHg auf (Benoit 1986). Die verschiedenen Kollateralen zwischen dem portalen und dem systemischen Venensystem sind (. Abb. 38.6): 4 der gastroösophageale Übergang, versorgt über die V. gastrica sinistra mit Abfluss zur V. azygos 4 das splenorenale System, versorgt über die V. lienalis mit Abfluss zu den retroperitonalen Venen 4 das umbilikale Venensystem, das klinisch das sog. Caput medusa bildet und in das Venensystem der Bauchdecke abfließt 4 der hämorrhoidale Venenplexus, der über die V. mesenterica inferior gespeist wird und über die V. iliaca interna abfließt
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Kapitel 38 · Portale Hypertension
Das Azygossystem ist mit dem relativ dünnwandigen, fragilen und oberflächlichen Plexus der gastrischen und ösophagealen Venen verbunden. Ein erhöhter portalvenöser Druck über 12 mmHg induziert dort eine erhöhte Wandspannung der Varize, und lokale Faktoren wie Gastritis oder Ösophagitis können zu einer Varizenblutung führen (Bosch 1986). Die primäre Lokalisation der portalen Flussstörung kann entweder als prä-, intra- oder posthepatisch klassifiziert werden (7 Abschn. 38.1.1). Die klinische Präsentation hängt deshalb vom Ort der primären Flussstörung ab. Das Budd-Chiari-Syndrom als posthepatische venöse Okklusion ist z. B. durch ein akutes Auftreten von massivem Aszites charakterisiert, während der prähepatische portale Block keinen Aszites aufweist (Klein 1990). Die genaue Lokalisation der venösen Okklusion und die Charakterisierung der Leberfunktion sind für die Therapiewahl von kritischer Bedeutung.
. Tab. 38.4 Child-Pugh-Klassifikation Klinische Parameter Enzephalopathie
Aszites
Bilirubin (mg/dl)
Albumin (g/dl)
Indikationsstellung
38
Im Zeitalter des transjugulären intrahepatischen portokavalen Shunts (TIPS) und der OLT werden die klassischen chirurgischen Shunts und Devaskularisationsoperationen seltener durchgeführt. Bei Patienten mit Komplikationen der portalen Hypertension muss jeder Therapieentscheid auf der Child-Pugh-Klassifikation und auf der vermuteten pathologischen Ursache – sei sie bedingt durch eine Lebererkrankung oder durch einen prähepatischen Block – gründen. Die Child-Pugh-Klassifikation eignet sich sehr gut, um die Patienten in verschiedene Schweregrade der Leberfunktionsstörung einzuteilen und den postoperativen Outcome zu prognostizieren (. Tab. 38.4; Pugh 1973). Die derzeitigen Indikationen zur operativen Behandlung der portalen Hypertension sind grundsätzlich alle Kandidaten für eine OLT, bei denen eine konservative Behandlung und TIPS zur Kontrolle der Varizenblutung fehlgeschlagen haben oder Patienten, die keine Kandidaten zur OLT darstellen, bei denen die herkömmliche Behandlung zur Blutungskontrolle nicht erfolgreich war. Patienten mit unkontrollierbarer Varizenblutung und solche, die nicht Kandidaten für ein TIPS sind, können ebenfalls für eine dringliche operative Behandlung in Erwägung gezogen werden (Kap. 38.2).
Transjugulärer intrahepatischer portokavaler Shunt Jede Diskussion über eine chirurgische Therapie der portalen Hypertension wäre nicht vollständig ohne den Einbezug einer TIPS-Anlage, da sie die klassischen operativen Behandlungen der Komplikationen der portalen Hypertension bei Patienten mit Lebererkrankung ersetzt hat (7 Abschn. 38.3.1). Heutzutage wird der TIPS als Überbrückungsverfahren zur OLT bei solchen Patienten empfohlen, bei denen andere konventionelle Modalitäten zur
Prothrombinwert (%)
Einteilung
Score
Fehlt
1
I/II
2
III/IV
3
Fehlt
1
Wenig
2
Massiv
3
2
1
2–3
2
>3
3
3,5
1
2,8–3,5
2
2,8
3
50–100
1
30–50
2
<30
3
Child A = 4–6 Punkte, Child B = 7–9 Punkte, Child C = >10 Punkte
Blutungskontrolle (Sklerotherapie, endoskopisches Banding) fehlgeschlagen haben. Andere Indikationen zum TIPS sind therapierefraktärer Aszites, portale Gastropathie und das hepatorenale Syndrom (Coldwell 1995). Notfallmäßige operative Eingriffe wurden durch die Einführung der TIPS praktisch eliminiert (Kap. 38.2), da jene bei vergleichsweise niedriger Morbidität und Mortalität den portalen Venendruck effektiv unter 12 mmHg senken kann. Außerdem vereinfacht die TIPS im Falle einer aktiven Blutung die selektive angiographische Embolisation einzelner Varizen in der gleichen Sitzung (Rössle 1994). Komplikationen einer TIPS beinhalten – wie herkömmliche chirurgische portosystemische Shunts auch- eine Verschlechterung der Leberfunktion als Folge des portalvenösen Shuntings und die Enzephalopathie. Leider ist die Durchgängigkeitsrate der gelegten Stents trotz Einsatz moderner Beschichtungsverfahren weiterhin limitiert. Der Einsatz des TIPS bei Patienten, die keine Kandidaten für die OLT sind, ist kontrovers, weil die Langzeitdurchgängigkeit nur durch multiple Reinterventionen aufrecht gehalten werden kann. Shuntdysfunktionsraten bis zu 60% wurden innerhalb der ersten 6 Monate nach Anlage beobachtet (Skeens 1995). Zudem kann ein schlecht platzierter Stent bei einer später durchgeführten OLT unter Umständen erhebliche Probleme bereiten. Liegt er z. B. mit einem Ende in der Vena cava, so
771 38.3 · Elektive Therapie der portalen Hypertension
kann es unmöglich sein, die suprahepatische Kavaklemme zu setzen. Liegt er in der Vena portae, so kann er die Pfortaderanastomose komplizieren (Clavien 1998).
Verfahrenswahl Vor dem Hintergrund eines relativ hohen Risikos einer hepatischen Dekompensation und anderer peri- und postoperativer Morbidität (Enzephalopathie) müssen Patienten mit schwerer Lebererkrankung für chirurgische Eingriffe ohne OLT sehr sorgfältig ausgewählt werden. Der Schlüssel zur Anwendung der korrekten Operationsmethode ist die Abwägung des Schweregrads der hepatischen Dysfunktion gegenüber dem Risiko einer erneuten Varizenblutung. > Shuntoperationen sind deshalb ideal für Patienten mit einer guten Leberfunktion (Child-Klassifikation A, also keine OLT-Kandidaten), bei denen eine konservative Therapie einschließlich der interventionellen Endoskopie nicht erfolgreich war.
. Abb. 38.7 End-zu-Seit-portokavaler Shunt
Chirurgische Shunts Sie werden in die 3 Typen total, partiell und selektiv eingeteilt: Totale Shunts Der portokavale Shunt ist das klassische
Beispiel eines totalen Shunts, der entweder durch eine End-zu-Seit- oder durch eine Seit-zu-Seit-Anastomose zwischen der Portalvene und der V. cava inferior bewerkstelligt wird (. Abb. 38.7 und . Abb. 38.8). Totale Shunts führen zu einer kompletten Diversion des Blutflusses weg von der portalen zur systemischen Zirkulation und bewirken so eine gute Rückbildung von therapierefraktären Aszites sowie eine maximale Protektion gegen rezidivierende Varizenblutungen. Die Shuntanlage ist technisch relativ einfach und wurde früher als optimale Dekompressionsmethode für Notfalleingriffe empfohlen (Orloff 1986). Der Hauptnachteil eines solchen Shunts ist jedoch das relativ hohe Risiko einer postoperativen Enzephalopathie, so dass dieser heute nur noch bei Patienten mit kompensierter Zirrhose (Child A oder B ohne Aszites) angewendet werden sollte. Bei Kandidaten zur OLT sollte er hingegen vermieden werden, da der portokavale Shunt bei Patienten mit limitierter hepatischer Reserve mit einer deutlichen Verschlechterung der Leberfunktion assoziiert ist. Unlängst wurde diese Operation durch die minimalinvasive TIPS-Anlage, dem hämodynamischen Äquivalent des portokavalen Shunts, ersetzt. Einen anderen Typ eines totalen Shunts stellt der mesokavale Shunt dar. Er wird in der Regel mit einem großlumigen Dacron-Interponat (19–22 mm Durchmesser) zwischen der V. mesenterica superior am Ansatz der Radix mesenterii und der V. cava inferior gebildet (. Abb. 38.9; Lillemoe 1990). Dieses Shuntverfahren ist besonders in-
. Abb. 38.8 Seit-zu-Seit-portokavaler Shunt
diziert bei Patienten mit Varizenblutung, die eine Obstruktion des venösen Ausflusses aus der Leber aufweisen (Budd-Chiari-Syndrom), für solche, die eine spätere OLT benötigen, oder bei Kindern mit portaler Hypertension, bei denen wegen des kleinen Venenkalibers ein splenorenaler Shunt technisch nicht möglich ist. Der mesokavale Shunt ist auch wirksam bei Patienten mit Thrombose der Vena porta. Im Gegensatz zum portokavalen Shunt kom-
38
772
Kapitel 38 · Portale Hypertension
. Abb. 38.10 Mesokavaler H-Shunt (partieller Shunt) mit ringverstärkter PTFE-Prothese 8–15 mm . Abb. 38.9 Mesokavaler Shunt mit Interposition einer großlumigen Prothese (19–22 mm)
pliziert der mesokavale Shunt eine spätere OLT nicht, da er anlässlich einer Transplantation entweder mit dicken Ligaturen oder mit einem vaskulären Klammergerät leicht aufgehoben werden.
38
Partielle Shunts Sie erhalten die portale Perfusion leberwärts, indem sie den portalvenösen Druck senken. Ziel der partiellen Shunts ist, einer Progression der Leberfunktionsstörung entgegen zu wirken, indem sie das Risiko von Varizenblutungen senken. Der gebräuchlichste partielle Shunt ist der kalibrierte mesokavale Shunt in einer H-Position zwischen der V. mesenterica superior und der V. cava inferior (Collins 1994). Er wird entweder mit einer 8–15 mm großen Dacron-Prothese (Polytetrafluoroäthylen-(PTFE-) Prothese) oder als autologe Vene aus der Jugularis interna gebildet (. Abb. 38.10). Weil der Shuntdurchmesser verhältnismäßig klein ist, kommt es nicht zur kompletten Diversion des portalen Flusses weg von der Leber wie beim konventionellen mesokavalen Shunt. Ähnlich dem totalen mesokavalen Shunt interferiert auch der kalibrierte mesokavale Shunt in H-Position nicht mit einer etwaigen OLT und weißt außerdem ein relativ niedriges Risiko für eine Enzephalopathie auf. Sein Nachteil ist das höhere Risiko der Shuntthrombose wegen seines kleineren Durchmessers. Die Einjahres-Durchgängigkeitsrate dieses Shunttyps beträgt 70% (Collins 1994). Als Alternative dazu kann eine kleinlumige Interposition einer PTFE-Prothese zwischen Portalvene und V. cava erfolgen (. Abb. 38.11). Solche portokavale Shunts mit Interposition einer PTFE-Prothese in
. Abb. 38.11 Portokavaler partieller Shunt (H-Graft) mit 8–10 mm dicker, ringverstärkter PTFE-Prothese. (Aus Colbas et al. 1994)
H-Position zeigten, im randomisierten Vergleich zur minimalinvasiven TIPS-Anlage, ein verbessertes Überleben sowie weniger Shunt-Thrombosen vor allem bei Patienten mit Child-A- und -B-Leberzirrhose (Rosemurgy 2005). Selektive Shunts Sie führen zur selektiven Dekompression gastroösophagealer Varizen, indem sie den portalen Venen-
773 38.3 · Elektive Therapie der portalen Hypertension
. Abb. 38.12 Warren-Shunt (distaler splenorenaler Shunt)
erneuter Varizenblutung und zeigen eine Überlebensrate von ca. 75% nach 5 Jahren (Henderson 1992). Andererseits zeigen Patienten nach Anlage eines selektiven WarrenShunts ein signifikant erhöhtes Risiko für das Auftreten einer portalvenösen Thrombose dar. Insbesondere bei Patienten mit äthyltoxischer Zirrhose kann dadurch die Präservation des portalvenösen Flusses über die Zeit verloren gehen, vor allem wenn sich neue venöse Kollateralen ausbilden. Die Verminderung des portalvenösen Flusses führt in dieser Situation vermehrt zu Pfortaderthrombosen und konsekutiv zu häufigeren Varizenblutungsrezidiven (Henderson 1983), weshalb wird von manchen Autoren die Anlage eines partiellen mesokavalen H-Shunts zur besseren Langzeitprävention der Rezidivblutung bei äthyltoxischer Leberzirrhose empfohlen wird (Sarfeh 1994).
Devaskularisationsverfahren fluss erhalten. Der distale splenorenale Warren-Shunt ist der am häufigsten angewendete selektive Shunt für Patienten mit Child-A- oder -B-Leberzirrhose, die keine Transplantationskandidaten sind (Henderson 1992). Für Patienten auf der Transplantationsliste hingegen ist der TIPS die bessere Methode zur Behandlung von Varizenblutung als Überbrückung bis zur OLT. Der Warren-Shunt besteht in einer Anastomosierung zwischen dem milzfernen Ende der V. lienalis mit der linken Nierenvene End-zu-Seit und in einer Unterbrechung aller signifikanten venösen Kollateralen, vor allem im Bereich der V. gastrica sinistra und der V. gastroepiploica (. Abb. 38.12). Zur Darstellung der portalvenösen Durchgängigkeit sowie des Kalibers der V. lienalis, der größer als 1 cm sein sollte, wird präoperativ ein Angiogramm durchgeführt. Obwohl Dopplerultraschall oder Duplexuntersuchung im postoperativen Verlauf zur Kontrolle der Durchgängigkeit des angelegten Shunts verwendet werden, sollte diese nichtinvasive Diagnostik nicht zur präoperativen Abklärung der venösen Anatomie angewendet werden, da eine sonographischen Bildgebung sowie deren Sensitivität und Spezifität bekanntlich sehr untersucherabhängig ist. Der Warren-Shunt führt zu einer isolierten Dekompression gastroösophagealer Varizen, während der systemische portale Hochdruckfluss erhalten bleibt. Das Verfahren bietet die Vorteile einer niedrigeren Enzephalopathierate und eines geringeren Rezidivblutungsrisiko von weniger als 5% nach einem Jahr. Bei Patienten mit vorbestehendem Aszites sollte der Warren-Shunt nicht angelegt werden, weil die Ausbildung von Aszites eine der häufigeren Komplikationen des Verfahrens darstellt. Postoperativ auftretender Aszites kann in solchen Fällen relativ einfach mit Natriumund Flüssigkeitsrestriktion sowie diuretischer Behandlung behandelt werden (Warren 1982). Patienten mit adäquater oder guter hepatischer Funktion (Child A oder B ohne Aszites) sind zu 90% frei von
Diese Operationsmethoden gehen die blutenden Varizen direkt an. Die derzeit gebräuchlichste Devaskularisationsmethode stellt die Sugiura-Operation dar (Sugiura u. Futagawa 1973). Ursprünglich wurde zunächst der intrathorakale Ösophagus durchtrennt und die Devaskularisation des intraadominalen Ösophagusabschnittes durch eine Laparotomie vervollständigt. Die Sugiura-Operation basiert auf dem einzigartigen Prinzip der Durchtrennung der Perforansvenen im Bereich der ösophagogastrischen Varizenkonvolute, während sie den Venenplexus der Kollateralen zwischen der V. coronaria und dem Azygosvenensystem erhält. Wichtig dabei ist, dass ösophageale und gastrische Varizen möglichst extensiv ausgeschlossen werden. Der intrathorakale Anteil der Operation besteht in einer wandnahen Devaskularisation der Ösophagusvenen, wobei der periösophageale Venenplexus unangetastet bleibt. Der Ösophagus wird also von allen einsprossenden Venen, beginnend auf Höhe der V. pulmonalis bis kaudal über den gastroösophagealen Übergang hinaus, befreit. Zuletzt wird der Ösophagus durchtrennt und mit Einzelknopfnähten reanastomosiert. Die abdominelle Phase der Operation devaskularisiert den gastroösophagealen Übergang weiter aboral entlang des Omentum minus und der großen Kurvatur.
Als Folge der trunkulären Vagotomie muss eine vordere Pyloroplastik durchgeführt werden. In der Regel wird zusätzlich eine Splenektomie durchgeführt. Dabei sollten möglichst alle Venenkollateralen zwischen dem portalvenösen und dem Azygossystem erhalten werden (Sugiura 1973). Sugiura u. Futagawa publizierten 1977 die Resultate von 276 Patienten mit ihrer Operationsmethode. Dabei wurden 224 Patienten elektiv und 52 notfallmäßig zur
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774
a
38
Kapitel 38 · Portale Hypertension
b
. Abb. 38.13a,b a Ösophageale EEA-Stapler-Transsektion. (Aus Wexler 1980). b Modifiziertes Sugiura-Verfahren angewandt an der Duke-Universität: Dieses Verfahren beinhaltet Splenektomie (1), extensive ösophageale Devaskularisation (2), ösophageale Transsektion mit EEA-Stapler via kleiner anteriorer Gastrotomie (3), extensive
gastrische Devaskularisation (4) und Pyloroplastik (5). Die Pyloroplastik wird durchgeführt wegen der trunkulären Vagotomie im Zusammenhang mit der ösophagealen Transsektion. Abschluss der Operation ist die Implantation einer jejunalen Ernährungssonde, hier nicht gezeigt
Kontrolle der Varizenblutung operiert. Die operative Mortalität betrug 3% und in einer Nachbeobachtungsperiode von 1–10 Jahren wurde eine Rezidivvarizenblutung in nur 2,3% der Fälle registriert. Das aktuelle Überleben der Patienten betrug 83%. Dabei bestand eine signifikante Korrelation zwischen der Mortalität und dem Schweregrad der Leberdysfunktion zum Zeitpunkt der Operation. Demnach wiesen Child-A- und -B-Patienten ein Überleben von 95 bzw. 87% auf, während Patienten mit Child-C-Leberzirrhose eine Überlebensrate von nur 57% zeigten. Das Auftreten einer postoperativen Enzephalopathie wurde bei keinem Patienten beobachtet. Eine 1984 publizierte Follow-up-Studie mit zusätzlichen 671 Patienten zeigte eine operative Mortalität von 4,9%. Diese korrelierte mit dem Schweregrad der Leberfunktionsstörung. Demnach hatten Patienten mit Child-C-Zirrhose eine operative Mortalität von 20% und ein Langzeitüberleben von nur 53% (Sugiura u. Futagawa 1984). Als Folge der exzellenten Resultate von Sugiura und Kollegen wurde die Devaskularisationsoperation von vielen Chirurgen außerhalb von Japan übernommen. Die Ergebnisse von Zentren außerhalb Japans sind allerdings sehr unterschiedlich. Viele Chirurgen wenden eine modifizierte Sugiura-Operation an, die durch einen alleinigen transab-
dominalen Zugang die Devaskularisation inkl. Durchtrennung und Reanastomosierung des Ösophagus in einem Schritt vornimmt (Ginsberg 1982). An der Duke-Universität wurde ein modifiziertes Sugiura-Verfahren entwickelt (. Abb. 38.13b): Nach medianer oberer Laparotomie werden die Kardia und der intraabdominelle Ösophagus weit nach transhiatal mobilisiert. Eine Splenektomie wird als Teil der gastrischen Devaskularisation vorgenommen. Periösophageal einsprossende Venen werden sorgfältig durchtrennt, während zur V. azygos ziehende periösophageale Kollateralvenen, die durch den Hiatus oesophagei ziehen, geschont werden. Da durch einen alleinigen abdominellen Zugang die Devaskularisation nicht sehr weit nach kranial bis zur unteren Pulmonalvene betrieben werden kann, erfolgt die kraniale Präparation des Ösophagus über einen transhiatalen Zugang, so dass eine adäquate 6
775 38.3 · Elektive Therapie der portalen Hypertension
ösophageale Devaskularisation auf eine Länge von 6–10 cm erreicht werden kann. Der Ösophagus wird mit Hilfe eines EEA-Staplers transsektiert, indem dieser durch eine vordere Gastrotomie eingeführt und ca. 5 cm oral des gastroösophagealen Überganges abgefeuert wird (. Abb. 38.13a). Die Operation wird mit Entnahme einer Leberbiopsie und Implantation einer jejunalen Ernährungssonde abgeschlossen.
Indikationen für ein modifiziertes Sugiura-Verfahren sind
Patienten, die weder für einen Warren-Shunt noch für eine OLT in Frage kommen, wenn eine portalvenöse oder splanchnische Thrombose besteht, wenn ein früherer chirurgisch angelegter Shunt thrombosiert ist oder wenn bereits früher eine Splenektomie erfolgte (7 Übersicht). Der Erfolg einer solchen Devaskularisationsoperation bei Patienten mit Ösophagusvarizenblutung ist abhängig von einer sorgfältigen Patientenselektion und der richtigen Festlegung des Operationszeitpunktes. . Tab. 38.5 fasst
. Tab. 38.5 Mortalitätsrate nach Child-Klassifikation bei Patienten nach elektiver Sugiura-Operation. (Nach Orozco et al. 1992) Child-Klassifikation
Patientenzahl
Operative Mortalität (%)
A
63
12
B
32
31
C
5
80
. Abb. 38.14 Algorithmus zur elektiven Therapie der Varizenblutung
die Resultate dieser Operation in Abhängigkeit vom ChildStatus und dem Zeitpunkt der Operation zusammen (Orozco 1992). Wie bei jedem operativen Verfahren zur Behandlung der Komplikationen der portalen Hypertension außer der OLT hängt das operative Resultat direkt von der hepatischen Reserve ab.
Bedingungen und Indikationen für das Sugiura-Verfahren bei Patienten mit therapierefraktärer Varizenblutung 4 Child-A- oder -B-Klassifizierung 4 Kein Aszites 4 Kein Kandidat für Warren-Shunt oder Lebertransplantation 4 Portalvenöse oder splanchnische Thrombose 4 Misslungener chirurgischer Shunt 4 Vorhergehende Splenektomie
Zusammenfassung Bei der Verfahrenswahl müssen die hepatische Funktionsreserve der Patienten (Child-Klassifikation) sowie der natürliche Verlauf der zugrunde liegenden Lebererkrankung in Erwägung gezogen werden. Als Ergänzung für die Behandlung der akuten Varizenblutung werden in . Abb. 38.14 die Behandlungsrichtlinien zur elektiven Therapie der Varizenblutung aufgeführt. Child-C-Patienten oder solche mit einer Lebererkrankung, die in Richtung Leberversagen führt, sollten zur Evaluation in ein Transplantationszentrum geschickt werden. Dabei kann eine TIPS die Wartezeit bis zur Transplantation überbrücken. Patienten mit Child-A- oder -B-Erkrankungen ohne Aszites mit Komplikationen der Varizenblutung und Patienten, bei
38
776
Kapitel 38 · Portale Hypertension
denen die Lebererkrankung nicht als rasch progredient eingestuft wird, sollten in therapierefraktären Fällen für einen Warren-Shunt mit einem präoperativen Angiogramm evaluiert werden. Falls das Angiogramm eine venöse Anatomie aufdeckt, die nicht für den splenorenalen Shunt geeignet ist, sollte eine Devaskularisationsoperation (modifiziertes Sugiura-Verfahren) in Erwägung gezogen werden. Child-Aoder -B-Patienten mit rasch progredienter Lebererkrankung sollten für eine OLT evaluiert werden. Child-B-Patienten mit Aszites oder alle Child-C-Patienten sollten nach Evaluation durch ein multidisziplinäres Team der OLT zugeführt werden. Child-C-Patienten, die keine Kandidaten zur OLT sind, sollten einen TIPS und eine sorgfältige Nachkontrolle erhalten. Werden diese spezifischen Richtlinien zur Patientenselektion und zur Festlegung des Operationszeitpunktes korrekt angewendet, können chirurgische Shunts, Devaskularisationsoperationen und Leberersatztherapien wirksam und sicher bei Patienten mit Komplikationen der portalen Hypertension angewendet werden.
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38.4
Therapie des Aszites bei Leberzirrhose
38.4.1
Konservative Therapie E.L. Renner
Einschränkung der Na+-Zufuhr und Diuretika kontrollieren Aszites in 80–90% der Zirrhotiker. Eine rasche Aszitesentlastung lässt sich mittels Parazentese (und i.v. Albuminersatz) erzielen. Versagen diese Maßnahmen, kommt für geeignete Patienten die Einlage eines transjugulären portosystemischen Shunts (TIPS) in Frage.
Grundlagen 50–60% aller Zirrhotiker entwickeln im Verlaufe ihrer Lebererkrankung Aszites (Ginés et al. 1987). Aszites prädisponiert zu Zwerchfellhochstand, Pleuraerguss (hepatischer Hydrothorax) mit konsekutiven Atembeschwerden und infektgefährdeten, minderbelüfteten basalen Lungenabschnitten, (Umbilikal-)Hernien und spontan bakterieller Peritonitis. Nach Auftreten von Aszites überleben Zirrhotiker median 2 Jahre (D’Amico et al. 1986). Bei Auftreten von Aszites muss deshalb die Indikation zur orthotopen Lebertransplantation geprüft werden (. Abb. 38.15).
777 38.4 · Therapie des Aszites bei Leberzirrhose
. Abb. 38.15 Flussdiagramm zur Diagnose/Therapie des Aszites beim Zirrhotiker. Erläuterungen s. Text
Differenzialdiagnose Der Serum-Aszites-Albumin-Gra-
dient lässt zuverlässig zwischen portal-hypertensiver und neoplastischer oder entzündlicher Aszitesursache unterscheiden (Runyon et al. 1992). Ist die Differenz zwischen Serum-Albumin- und Aszites-Albumin-Konzentration >11 g/l, liegt eine portal-hypertensive Genese vor, sofern die Klinik eine kardiale Ursache unwahrscheinlich macht. Entzündlicher oder neoplastischer Aszites ist durch einen Serum-Aszites-Albumin-Gradienten <11 g/l gekennzeichnet. Die Indikation zur diagnostischen Punktion soll deshalb bei neu aufgetretenem Aszites und bei jeder klinischen Verschlechterung eines Zirrhotikers mit Aszites großzügig gestellt und im Punktat minimal Albumin, Zellzahl (inkl. Differenzierung) und Bakteriologie bestimmt werden. Eine lege artis durchgeführte diagnostische Aszitespunktion birgt auch bei portaler Hypertonie und eingeschränkten Gerinnungsverhältnissen kaum Risiken. Pathogenese Zwei Mechanismen lassen beim Zirrhotiker Aszites entstehen: 4 Ein wegen portaler Hypertonie und Hypalbuminämie erhöhter Nettofiltrationsdruck presst vermehrt Plasma aus dem Kapillarbett des Pfortaderkreislaufs ins Interstitium.
4 Die hyperdyname Zirkulation des Zirrhotikers aktiviert gegenregulatorisch das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (7 Kap. 38.1). Ersteres führt zum »Ausschwitzen« von Flüssigkeit in die freie Bauchhöhle, sobald die Kapazität der Lymphbahnen im Pfortaderstromgebiet überschritten ist, entzieht dem Gefäßsystem laufend Volumen und unterhält somit eine gesteigerte renale Na+- und Wasserretention. Das renal retinierte Na+ und Wasser verschwindet in den Aszites, ein Circulus vitiosus ist etabliert.
Therapiemodalitäten Die konservative Therapie zielt auf eine negative Na+- und damit Flüssigkeitsbilanz. Meist genügen eingeschränkte Na+-Zufuhr (Diät) und diuretische Therapie (Aldosteronantagonisten). Falls dies nicht ausreicht oder eine rasche Aszitesentlastung nötig ist, kommt die Parazentese mit i.v. Albuminersatz zum Einsatz. Bei Versagen dieser Maßnahmen kommt für geeignete Patienten die Einlage eines transjugulären portosystemischen Shunts (TIPS) in Frage, die chirurgische Verfahren, wie den peritoneovenösen Shunt, verdrängt hat.
38
778
Kapitel 38 · Portale Hypertension
Na+-arme Diät Eine Na+-arme Diät (Reduktion der Na+-Zu-
fuhr auf 3 g oder 50 mmol täglich) führt bei 10% der Zirrhotiker zur negativen Na+-Bilanz und beherrscht den Aszites (Gauthier et al. 1986). Beim ambulanten Patienten ist dies aber oft nicht praktikabel (Notwendigkeit zu Kantinen-/Restaurantessen, Complianceprobleme wegen fadem Geschmack). Realistisch ist, die Patienten zu sparsamem Umgang mit Salz beim Kochen und zum Unterlassen des Nachsalzens bei Tisch bzw. zum Vermeiden speziell Na+reicher Nahrungsmittel (Konserven, Pommes frites etc.) anzuhalten. Die Einschränkung der Na+-Zufuhr bleibt aber die erste Stufe jeder Aszitestherapie. Diuretika Die Diuretikatherapie zielt darauf, den Aszites
38
auf ein erträgliches Maß zu reduzieren (Lebensqualität). Dabei soll das Körpergewicht täglich um max. 0,5 kg (ohne periphere Ödeme) bzw. 1 kg (mit peripheren Ödemen) abnehmen, kann Aszites doch mit einer maximalen täglichen Rate von 0,5 l, periphere Ödeme mit einer solchen von 1 l ins Gefäßsystem mobilisert werden (Shear et al. 1970; Pockros et al. 1986); wird rascher und/oder vollständig ausgeschwemmt, droht die prärenale Niereninsuffizienz. Aus pathophysiologischen Gründen (sekundärer Hyperaldosteronismus) bleibt der Aldosteronantagonist Spironolacton Diuretikum erster Wahl (Pérez-Ayuso et al. 1983; Santos 2003). Mit einer täglichen Dosis von 100 mg p.o. beginnend kann nach Maßgabe der erzielten Gewichtsreduktion alle paar Tage (Wirkungseintritt benötigt 24–48 h) um 100 mg bis auf maximal 400 mg täglich gesteigert werden. Die Na+- und K+-Konzentration in einer Spot-Urinprobe lässt beurteilen, ob der sekundärer Hyperaldosteronismus vollständig antagonisiert (Urin [Na +] ≥Urin [K+]) resp. eine Steigerung der Spironolactondosis sinnvoll ist. Neben dem natriuretischen Effekt scheint Spironolacton auch eine direkte vasodilatatorische Wirkung im portalen Gefäßbett zu haben und den Pfortaderund Varizendruck zu senken (García-Pagán et al. 1994; Nevens et al. 1996). ! Cave ! Unter jeder diuretischen Therapie sind beim Zirrhotiker Nierenfunktion (prärenale Niereninsuffizienz) und Serum-Elektrolyte (Hyponatriäme und Hyperkaliämie) zu beachten. Die antiandrogene Wirkung von Spironolacton kann eine schmerzhafte Gynäkomastie verursachen.
Wirkt Spironolacton allein ungenügend (oder zu wenig rasch), kann mit kleinen Dosen eines Schleifendiuretikums kombiniert werden. Mit täglich 40 mg Furosemid p.o. beginnend bewärt sich pro 100 mg Spironolacton nicht mehr als 40 mg Furosemid zu kombinieren und eine Tagesdosis von 160 mg Furosemid nicht zu überschreiten. Das neuere Schleifendiuretikum Bumetanid (5–10 mg/Tag
p.o.) ist beim Zirrhotiker bzgl. Wirkung und Nebenwirkungen möglicherweise dem Furosemid überlegen (Gerbes et al. 1993; Laffi et al. 1991). Schleifendiuretika verursachen beim Zirrhotiker nicht selten prärenale Niereninsuffizienz und Hyponatriämie (Sherlock et al. 1966, Santos et al. 2003), ihr Einsatz verlangt deshalb engmaschige Kontrolle. ! Cave ! Zirrhotiker mit Aszites unter diuretischer Therapie reagieren besonders empfindlich mit einer Verschlechterung der Nierenfunktion auf eine Therapie mit NSAID. NSAID sollten deshalb in dieser Situation vermieden werden. Parazentese Gilt es Aszites rasch zu mobilisieren, z. B. we-
gen spannungsbedingtem Dyskomfort oder pulmonaler Komplikationen, oder ist die max. tolerierte Diuretika Dosis ungenügend wirksam, ist eine Parazentese indiziert. 6 l Aszites und mehr können wiederholt und ohne Risiko einer (prärenalen) Niereninsuffizienz abpunktiert werden, sofern gleichzeitig pro Liter abpunktiertem Aszites ≥6 g humanes Serumalbumin (20%-ige Lösung) i.v. infundiert wird (Ginés et al. 1987; Salerno et al. 1987). Albumin ist dabei anderen Plasmaexpandern (Dextrane, Gelatinelösungen) bzgl. Verhinderung einer zirkulatorischen Dysfunktion überlegen; letztere erhöht Rehospitalisationsfrequenz und Mortalität signifikant (Ginés et al. 1996). Parazentesen sollten möglichst mit Einschränkung der Na+Zufuhr und Beginn einer diuretischen Therapie kombiniert werden, um einer raschen Reakkumulation von Aszites entgegenzuwirken (Fernanández-Esparrach et al. 1997). Transjugulärer intrahepatischer portosystemischer Shunt (TIPS) Werden trotz Ausreizen der diuretischen Therapie
Parazentesen in einer für Patient und Arzt unzumutbaren Häufigkeit notwendig, kann die Einlage eines TIPS helfen. Diese intrahepatisch angelegte Verbindung zwischen Lebervene und Pfortader entspricht funktionell einem zentralen Seit-zu-Seit-Shunt. Sie senkt in einem großen Prozentsatz der Patienten den Druckgradienten zwischen Pfortader und Lebervenen um ≥50% des Ausgangswertes oder auf ≤12 mmHg. Die dadurch erzielte Kontrolle des Aszites wird mit einem ca. 30%-igen Risiko einer hepatischen Enzephalopathie erkauft (Risiko abhängig u. a. vom Schweregrad der vorbestehenden Leberfunktionsstörung und vom Alter), scheint das Überleben aber nicht beeinflussen zu können (Saab et al. 2004; Deltenre et al. 2005).
Spezielle Situationen Von den diversen sekundären Komplikationen des Aszites beim Zirrhotiker seien nur die Hyponatriämie und die spontane bakterielle Peritonitis erwähnt.
779 38.4 · Therapie des Aszites bei Leberzirrhose
Hyponatriämie Hyperdyname Zirkulation und humorale Gegenregulationsmechanismen steigern beim Zirrhotiker mit Aszites die Sekretion von antidiuretischem Hormon und vermindern die renale Clearance von freiem Wasser auf (Arroyo et al. 1994; Ginès et al. 1996; Gines et al. 2008). Dies kann zur schweren Verdünnungshyponatriämie führen, besonders wenn gleichzeitig die Natriurese durch Diuretika gesteigert wird. Die Verdünnungshyponatriämie (Serum Na+<130 mmol/l) verlangt Einschränkung der freien Wasser Zufuhr (keine Glukoselösungen infundieren, Einschränkung der Trinkmenge) und (vorübergehende) Reduktion/Absetzen der Diuretika (insbesondere der Schleifendiuretika); NaCl-Infusionen sind nicht nur unwirksam, sondern verstärken die Flüssigkeitsretention. Vasopressin-V2-Rezeptor-Antagonisten (sog. Vaptane) steigern die renale Clearance von freiem Wasser und dürften künftig eine Rolle in der Behandlung von Aszites und Hyponatriämie spielen (Gines et al. 2008; Wong et al. 2010). Spontane bakterielle Peritonitis (SBP) Die SBP, meist durch
eine Durchwanderung von Darmkeimen verursacht und häufig oligo- oder asymptomatisch, weist eine hohe Mortalität auf. Prädisponierend ist eine Aszites-Proteinkonzentration ≤10 g/l. Bei jeder Verschlechterung des Allgemeinzustandes und/oder unerklärter Verstärkung einer Enzephalopathie muss beim Zirrhotiker mit Aszites an eine SBP gedacht und diagnostisch punktiert werden (Zellzahl inkl. Differenzierung, Blutkulturröhrchen am Bett beimpfen). Leukozytenzahl ≥500/μl und/oder eine Granulozytenzahl ≥250/μl sind diagnostisch. DrittgenerationCephalosporine sind als empirische antibiotischen Therapie am besten dokumentiert, neben Quinolonen und Augmentin (Ginés et al. 1992). Albumin (1,5 g/kg KG i.v. humanes Serumalbumin zum Zeitpunkt der Diagnose, 1 g/kg KG am 3. Tag) reduziert die Häufigkeit SBP-bedingter Nierenfunktionsstörungen und die Mortalität signifikant (Sort et al. 1999). Ein SBP-Rezidiv tritt in 80% innerhalb Jahresfrist auf. Eine Sekundäprophylaxe mit Quinolonen (Noroxin 400 mg p.o. täglich) oder Trimetoprim-Sulfamethoxazole (eine Forte-Tablette an 5 Tagen pro Woche) senkt die Rezidivrate auf 10–20% (Ginés et al. 1990; Singh et al. 1995). Bei Hochrisikopatienten (Aszites-Protein ≤10 g/l) hat sich die primäre Prophylaxe als wirksam erwiesen (Singh et al. 1995; Rolachon et al. 1995; Grangé et al. 1998). Sekundäre und primäre SBP-Prophylaxe sind kosteneffektiv (Singh et al. 1995; Inadomi et al. 1997).
38.4.2
Literatur
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38
780
Kapitel 38 · Portale Hypertension
Rolachon A, Cordier L, Bacq Y et al. (1995) Ciprofloxacin and longterm prevention of spontaneous bacterial peritonitis: results of a prospective controlled trial. Hepatology 22:1171–1174 Runyon BA, Montano AA, Akriviadis EA et al. (1992) The serum-ascites albumin gradient is superior to the exudate-transudate concept in the differential diagnosis of ascites. Ann Int Med 117:215– 220 Saab S, Nieto JM, Ly D, Runyon BA (2004) TIPS versus paracentesis for cirrhotic patients with refractory ascites (review). Cochrane Database Syst Rev 3:CD004889 Salerno F, Badalamenti S, Incerti P et al. (1987) Repeat paracentesis and iv albumin infusion to treat »tense« ascites in cirrhotic patients: a safe alternative therapy. J Hepatol 5:102–108 Shear L, Ching S, Gabuzda GJ (1970) Compartmentalization of ascites and edema in patients with hepatic cirrhosis. N Engl J Med 282:1391–1396 Santos J, Planas R, Pardo A et al. (2003) Spironolactone alone or in combination with furosemide in the treatment of moderate ascites in nonazotemic cirrhosis. A randomized comparative study of efficacy and saftey. J Hepatol 39:187–192 Sherlock S, Senewiratne B, Scott A et al. (1966) Complications of diuretic therapy in hepatic cirrhosis. Lancet i:1049–1053 Singh N, Gayowski T, Yu VL et al. (1995) Trimethoprim-sufamethoxazole for the prevention od spontaneous bacterial peritonitis in cirrhosis: a randomized trial. Ann Int Med 122:595–598 Sort P, Navasa M, Arroyo V et al. (1999) Effect of intravenous albumin on renal impairment and mortality in patients with cirrhosis and spontaneous bacterial peritonitis. N Engl J Med 341:403–409 Wong F, Gines P, Watson H et al. (2010) Effects of a selective vasopressin V2 receptor antagonist, satvaptan, on ascites recurrence after paracentesis in patients with cirrhosis. J Hepatol 53:283–290
4 Der Originalshunt nach LeVeen besteht aus einem inerten Kollektorschlauch, der in die Bauchhöhle implantiert und über ein Einwegventil mit einem dünnen Schlauch verbunden ist. Dieser liegt subkutan und leitet den Aszites indirekt in die V. cava. Der Transport geschieht infolge des Druckunterschiedes zwischen Peritonealhöhle und V. cava rein passiv. 4 Die später beschriebenen Systeme (Denver, Agishi) weisen zusätzlich zum Ventil eine Pumpkammer auf. Diese wird subkutan implantiert und erlaubt durch Druck von außen den aktiven Transport der Aszitesflüssigkeit. Eine weitere Modifikation weist zusätzlich eine Vorkammer auf (Hakim, Guzmann), die die perkutane Flüssigkeitsentnahme ermöglicht. Die Wahl zwischen den einzelnen Kathetersystemen ergibt sich aufgrund folgender Fakten: Der zusätzliche Pumpmechanismus des Denver-Shunts, insbesondere nach Ausgleich des peritoneozentralvenösen Druckgefälles, müsste eigentlich eine regelmäßige Durchströmung des Systems ermöglichen und dadurch einer Shuntokklusion vorbeugen. Die einzige randomisierte Vergleichsstudie zeigt allerdings eine etwas bessere Langzeit-Patency des LeVeen-Shunts gegenüber dem Denver-Shunt bei vergleichbarer Komplikationsrate (Fulenwider et al. 1986). Auch eine zusätzliche Titaniumverstärkung der venösen Katheterspitze verbessert die Katheterfunktion des Denver-Shunts nicht (Gines et al. 1995).
Auswahl und Vorbereitung der Patienten 38.4.3
Chirurgische Maßnahmen bei therapieresistentem Aszites B. Kern, M. von Flüe
38
Die Therapie des hepatogenen oder malignen Aszites ist primär konservativ. Bei Versagen der konservativen Behandlung kommen prinzipiell 3 chirurgische Therapieansätze in Frage: der portosystemische Shunt, der peritoneovenöse Shunt und die Lebertransplantation. Die erste und letzte Therapieoption werden in 7 Kap. 38.3 und 39 eingehend behandelt. Dieses Kapitel diskutiert die Vor- und Nachteile des peritoneovenösen Shunts. Der peritoneovenöse Shunt besteht aus einem Kunststoffkatheter mit eingebautem Einwegventil. Dieser wird zwischen Peritonealhöhle und zentralem Venensystem implantiert. Dadurch wird ein kontinuierlicher Aszitesrückfluss in das venöse System ermöglicht (Zühlke et al. 1994).
Evaluation der Kathetersysteme Das erste peritoneovenöse Shuntsystem wurde 1974 von Le Veen beschrieben (LeVeen et al. 1974). Seither haben sich mehrere Modifikationen, beruhend auf 2 verschiedenen Wirkprinzipien, durchgesetzt (Feussner et al. 1990):
> Der peritoneovenöse Shunt ist indiziert als Ultima Ratio bei therapieresistentem Aszites aufgrund einer fortgeschrittenen Leberzirrhose oder aufgrund einer Peritonealkarzinose eines gynäkologischen oder gastrointestinalen Malignoms (Elcheroth et al. 1994; Gough et al. 1993; Schölmerich 1991; Schumacher et al. 1994).
Bei Patienten mit malignem Aszites kann in 62–77% der Fälle eine signifikante Verbesserung der Lebensqualität erreicht werden (Zanon et al 2002). Dadurch kann vielen Patienten eine Spitalentlassung und ambulante Weiterbehandlung ermöglicht werden. Eine vermehrte systemische Metastasierung wurde dabei nicht beobachtet (Edney et al. 1989; Gough et al. 1993). Die Implantation eines peritoneovenösen Shunts zur Aszitesbehandlung bei Patienten mit metastasierendem Mamma- oder Ovarialkarzinom ist gerechtfertigt: Der Palliationseffekt und die damit verbundene Verbesserung der Lebensqualität sind hier sehr wichtig wegen der deutlich höheren mittleren Überlebenszeit verglichen mit Patienten mit gastrointestinalen Karzinom (Edney et al. 1989). Nach Shuntanlage sind erhebliche Flüssigkeitsverschiebungen mit Einschwemmen gerinnungsaktiver Subs-
781 38.4 · Therapie des Aszites bei Leberzirrhose
. Abb. 38.16a–e Implantationstechnik des peritoneovenösen Shunts
tanzen, Stoffwechselprodukte und pathogener Keime in den intravasalen Raum zu erwarten. Deshalb ist ein peritoneovenöser Shunt bei Patienten mit schwerer Leber-, Nieren- oder dekompensierter Herzinsuffizienz, ausgeprägter hepatoportaler Enzephalopathie, generalisierter Gerinnungsstörung sowie Aszitesinfektion kontraindiziert. Die sorgfältige präoperative Abklärung mit Evaluation der kardiorespiratorischen, hepatischen, renalen Reserve sowie die Kontrolle der Gerinnungsfunktion mit bakteriologischer Untersuchung und Bestimmung der Leukozytenzahl (<500 Zellen/mm3) des Aszites sind unabdingbar (Schumpelick et al. 1993).
Chirurgische Therapie Katheterimplantation (Zühlke et al. 1994) Entsprechend
evaluierte und vorbereitete Patienten werden in Allgemeinnarkose oder in Lokalanästhesie operiert (Rückenlage mit angehobenem Oberkörper). Eine antibiotische Prophylaxe ist obligat. Nach Desinfektion und steriler Abdeckung wird über eine kurze Inzision im rechten oder linken Oberbauch das Peritoneum dargestellt und eröffnet. Der peritoneale Katheter des Shunts wird eingeführt (. Abb. 38.16) und die Peritonealhöhle mittels Tabaksbeutelnaht abgedichtet. Das Ventil wird auf der Rektusscheide fixiert (. Abb. 38.16d) und der venöse Schenkel
38
782
Kapitel 38 · Portale Hypertension
des Systems subkutan zur rechten Halsseite durchgezogen. Eine zusätzliche Inzision stellt die V. jugularis interna dar. Der venöse Katheterschenkel wird durch eine zweite Tabaksbeutelnaht in Richtung V. cava superior vorgeschoben (. Abb. 38.16b). Intraoperativ muss die korrekte Katheterlage auf Höhe des dritten bis vierten Interkostalraumes radiologisch gesichert werden. Alternativ zur offenen Technik kann der Eingriff perkutan oder laparoskopischassistiert erfolgen. Die laparoskopische Technik ermöglicht zudem die Exploration des Abdomes und/oder die Entnahme von Biopsien (Clara et al. 2004). Komplikationen und Ergebnisse Trotz der Einfachheit des Eingriffes ist die Anlage eines peritoneovenösen Shunts komplikationsträchtig. Grund dafür ist die schlechte Ausgangslage der schwer kranken Patienten mit fortgeschrittener Leberinsuffiizienz oder fortgeschrittenem Tumorerkrankung. Diese werden postoperativ durch die große Volumenverschiebung sowie durch die shuntspezifischen Komplikationen schwer belastet (Rosemurgy et al. 1992). Dadurch beträgt die perioperative 30-Tage-Mortalität zwischen 5 und 43% (Arroyo et al. 1992; Elcheroth et al. 1994; LeVeen et al. 1974; Schumacher et al. 1994; Schumpelick et al. 1993). 27% der Todesfälle nach peritoneovenösem Shunt werden durch infektiöse Komplikationen wie Pneumonie, Sepsis und Peritonitis verursacht. In 14% der Fälle führen kardiorespiratorische Versagen aufgrund der massiven Volumenverschiebungen zum Tode. Disseminierte intravasale Gerinnung mit Verbrauchskoagulopathie, Nieren- oder Leberversagen sowie gastrointestinale Blutungen sind weitere Todesursachen (Zühlke et al. 1994; Zanon et al. 2002). Langfristig sind Shuntinfektion und Shuntokklusion die häufigsten Komplikationen (6–40%; Arroyo et al. 1992; Hillaire et al. 1993).
38
> Zusammenfassend stellt der peritoneovenöse Shunt eine effiziente Behandlung des therapieresistenten Aszites dar und kann die Lebensqualität der Patienten vorübergehend verbessern. Aufgrund der signifikanten perioperativen Komplikationen und der unbefriedigenden Langzeitresultate sollte der peritoneovenöse Shunt nur bei Versagen oder Kontraindikationen der TIPS-Verfahren indiziert werden (Ferral et al. 1993; Henderson et al. 1998).
38.4.4
Literatur
Arroyo V, Gines P, Planas R (1992) Treatment of ascites in cirrhosis. Diuretics, peritoneovenous shunt, and large-volume paracentesis. Gastroenterol Clin North Am 21:237–256 Clara R, Righi D, Bortolini M, Cornaglia S, Ruffino MA, Zanon C (2004) Role of different techniques for the placement of Denver peritoneovenous shunt (PVS) in malignant ascites. Surg Laparoscop Endoscop Percutan Tech 14:222–225 Edney JA, Hill A, Armstrong D (1989) Peritoneovenous shunts palliate malignant ascites. Am J Surg 158:598–601 Elcheroth J, Vons C, Franco D (1994) Role of surgical therapy in management of intractable scites. World J Surg 18:240–245 Ferral H, Bjarnason H, Wegryn SA, Rengel GJ, Nazarian GK, Rank JM, Tadavarthy SM, Hunter DW, Castaneda-Zuniga WR (1993) Refractory ascites: Early experience in treatment with transjugular intrahepatic portosystemic shunt. Radiology 189:795–801 Feussner H, Siewert JR (1990) Chirurgische Maßnahmen bei therapieresistentem Aszites. In: Siewert JR, Harder F, Allgöwer M, Blum AL, Hollender LF, Peiper HJ (Hrsg) Chirurgische Gastroenterologie. Springer, Berlin Fulenwider JT, Galambos JD, Smith RB, Henderson JM, Warren WD (1986) LeVeen vs Denver peritoneovenous shunts for intractable ascites of cirrhosis. A randomized, prospective trial. Arch Surg 121:351–355 Gines A, Planas R, Angeli P, Guarner C, Salerno F, Gines P, Salo J, Rodriguez N, Domenech E, Soriano G (1995) Treatment of patients with cirrhosis and refractory ascites using LeVeen shunt with titanium tip: comparison with therapeutic paracentesis. Hepatology 22:124–131 Gough IR, Balderson GA (1993) Malignant ascites. A comparison of peritoneovenous shunting and nonoperative management. Cancer 71:2377–2388 Henderson JM, Barnes DS, Geisinger MA (1998) Ascites. Curr Probl Surg 35:435–438 Hillaire S, Labianca M, Borgonovo G, Smadja C, Grange D, Franco D (1993) Peritoneovenous shunting of intractable ascites in patients with cirrhosis: improving results and predictive factors of failure. Surgery 113:373–379 LeVeen HH, Christoudias G, Ip M, Luft K, Falk G, Grosberg S (1974) Peritoneovenous shunting for ascites. Ann Surg 180:580–590 Rosemurgy AS, Statman RC, Murphy CG, Albrink MH, McAllister EW (1992) Postoperative ascitic leaks:The ongoing challenge. Surgery 111:623–625 Schölmerich J (1991) Strategies in the treatment of ascites. HepatoGastroenterol 38:365–370 Schumacher DL, Saclarides TJ, Staren ED (1994) Peritoneovenous shunts for palliation of the patient with malignant ascites. Ann Surg Oncol 1:378–381 Schumpelick V, Riesener KP (1993) Peritoneo-venöser Shunt – Indikation, Grenzen, Ergebnisse. Chirurg 64:11–15 Zanon C, Grosso M, Apra F, Clara R, Bortolini M, Quaglino F, Cornaglio S, Simone P (2002) Palliative treatment of malignant refractory ascites by positioning of Denver peritoneovenous shunt. Tumori 88:123–127 Zühlke H, Häring R (1994) Therapie des Aszites – chirurgisch. In: Paquet KJ, Schölmerich J (Hrsg) Pfortaderhochdruck. Karger, Basel
39
Lebertransplantation F. Braun, D.C. Broering, T. Becker
39.1
Indikationen und Kontraindikationen
– 784
39.1.1 39.1.2 39.1.3 39.1.4
Akutes Leberversagen – 784 Chronische Lebererkrankungen – 784 Akut-auf-chronisches Leberversagen – 786 Kontraindikationen – 786
39.2
Allokation
39.2.1 39.2.2 39.2.3
Dringlichkeitsstufe »high urgency« – 788 Dringlichkeitsstufe »kombinierte Transplantation« Dringlichkeitsstufe »elektiv« – 788
39.3
Evaluation des Empfängers
39.4
Evaluation des Lebendspenders
39.5
Transplantationstechnik
39.5.1 39.5.2 39.5.3
Postmortale Spenderoperation Organperfusion – 792 Empfängeroperation – 792
39.6
Perioperatives Management
39.6.1 39.6.2 39.6.3
Laborchemisches Monitoring – 793 Apparatives Monitoring – 794 Immunsuppression – 794
39.7
Postoperative Komplikationen
39.7.1 39.7.2 39.7.3 39.7.4 39.7.5 39.7.6
Primäre Dysfunktion und/oder Nichtfunktion des Transplantates Chirurgische Blutung – 795 Vaskuläre Komplikationen – 795 Biliäre Komplikationen – 796 Infektionen – 799 Rezidiv der Grunderkrankung – 799
39.8
Ergebnisse
39.9
Literatur
– 786 – 788
– 789 – 789
– 791 – 791
– 793
– 794
– 799 – 800
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_39, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
– 794
784
Kapitel 39 · Lebertransplantation
Die erste experimentelle Lebertransplantation (LTx) erfolgte 1956 durch Cannon in Los Angeles. Dieser folgte 1963 die erste humane LTx bei einem 3-jährigen Kind mit biliärer Atresie durch T.E. Starzl in Denver, welcher 1967 erstmalig erfolgreich eine humane LTx durchführte. Im Jahre 1983 wurde die LTx als Therapieverfahren chronischer Lebererkrankungen vom National Institute of Health (NIH) anerkannt (National Institutes of Health Consensus Development Conference Statement). Eine stetige Verbesserung des Patienten- und Transplantatüberlebens wurde durch die Einführung neuer Immunsuppressiva und Fortschritten in der intensivmedizinischen Therapie ermöglicht. Die LTx-Anzahl pro Jahr, die dem European Liver Transplant Registry (ELTR) gemeldet wurde, lag 1980 bei n=25 und stieg 1990 auf n=2111 und 2000 auf n=4821. Das 5-Jahres-Patientenüberleben konnte von 22% vor 1985 auf 65% in dem Zeitraum von 1990–1994 gesteigert werden. Die enorme Verbesserung der Ergebnisse führte in den folgenden Jahrzehnten zu einer Ausweitung der Indikationen, wodurch der Bedarf an Spenderorganen bei gleichbleibender Organspenderrate nicht mehr gedeckt werden konnte. Die Mortalität auf der Warteliste erreichte 15–25%, so dass am 16.12.2006 neue Allokationsrichtlinien in Deutschland eingeführt wurden. Die alternativen Transplantationstechniken etablierten sich bereits vor Einführung des MELD, um die Mortalität auf der Warteliste zu reduzieren. Zu diesen gehören die Split-LTx (sLTx), die Domino-LTx und die Lebendspende (LD)LTx. Zudem wurden die Richtlinien zur Organtransplantation nach §16 des Transplantationsgesetzes erlassen. Diese enthalten die Richtlinien für die Aufnahme auf die Warteliste zur LTx sowie die Richtlinien zur Organvermittlung zur LTx.
39.1
39
Indikationen und Kontraindikationen
Die Indikation zur Lebertransplantation besteht bei nicht rückbildungsfähiger, fortschreitender, das Leben des Patienten gefährdender Lebererkrankung, wenn keine akzeptable Behandlungsalternative besteht und keine Kontraindi-
kationen für eine Transplantation vorliegen. Eine weitere Indikation besteht bei genetischen Erkrankungen, bei denen der genetische Defekt in der Leber lokalisiert ist und dieser durch eine Transplantation korrigiert werden kann. Potenzielle Kandidaten für eine Lebertransplantation sollten auf die Warteliste aufgenommen werden, wenn die Überlebenswahrscheinlichkeit und/oder die Lebensqualität mit einer Transplantation größer ist als ohne. Prinzipiell werden die Kandidaten für eine LTx klinisch anhand des Krankheitsverlaufs in akut und chronisch unterteilt.
39.1.1
Akutes Leberversagen
Der prozentuale Anteil der Patienten, die wegen eines akuten Leberversagens (ALV) transplantiert wurden, beträgt nach Angaben des ELTR 9%. Die Ätiologie des ALV kann viraler, medikamentöser, toxischer, metabolischer oder vaskulärer Genese sein (. Tab. 39.1). Die häufigsten Ursachen sind die Paracetamol-Intoxikation und die akute Hepatitis-B-Virus (HBV)-Infektion. Nicht selten bleibt die Ätiologie trotz intensiver Diagnostik ungeklärt.
39.1.2
Chronische Lebererkrankungen
Die Ätiologie der chronischen Lebererkrankungen ist vielfältig (. Tab. 39.2). Das ELTR erfasste bis Dezember 2008 n=87.964 LTx. Die Ätiologien der chronischen Lebererkrankungen waren 58% Zirrhose, 14% Tumore, 10% cholestatische Erkrankungen, 6% metabolische Erkrankungen und 3% andere Erkrankungen. Die Hepatitis B, Hepatitis C und Alkohol waren die häufigsten Ätiologien einer Leberzirrhose (. Abb. 39.1). HBV-assoziierte Leberzirrhose Die replikative HBV-Infektion galt bis vor wenigen Jahren als Kontraindikation. Die Verfügbarkeit potenter Nukleosid- und/oder Nukleotidanaloga (z. B. Lamivudine, Adefovir, Entecavir, Tenofovir)
. Tab. 39.1 Ätiologien des akuten Leberversagens Ätiologie
Genese
Viral
Hepatitis-B-Virus (HBV); selten Hepatitis-A-Virus (HAV), Hepatitis-C-Virus (HCV), Hepatitis-D-Virus (HDV), Hepatitis-E-Virus (HEV), Zytomegalievirus (CMV), Epstein-Barr-Virus (EBV)
Medikamentös
Acetaminophen, Aspirin (Reye-Syndrom), Disulfiram, Gold, Halothan, Marcumar, nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR), Rifampicin, Tetrazykline
Toxisch
Ecstasy, Knollenblätterpilz (α-Amanitin)
Metabolisch
Morbus Wilson, HELLP-Syndrom
Vaskulär
Budd-Chiari-Syndrom, »veno-occlusive disease«
785 39.1 · Indikationen und Kontraindikationen
. Tab. 39.2 Ätiologien der chronischen Lebererkrankungen Ätiologie
Genese
Zirrhose
Hepatitis-B-Virus (HBV), Hepatitis-C-Virus (HCV), Autoimmunhepatitis, Alkohol
Cholestase
Primär/sekundär biliäre Zirrhose, primär/sekundär sklerosierende Cholangitis, Gallengangsatresie, kryptogen
Metabolisch/ genetisch
Morbus Wilson, hereditäre Hämochromatose, α1-Antitrypsin-Mangel, selten: Crigler-Najjar-Syndrom Typ I, erythropoetische Protoporphyrie, familiäre amyloidotische Polyneuropathie, Galaktosämie, Glykogenspeichererkrankung Typ I und IV nach Pompe, Hämophilie Typ A, Harnstoffzyklusdefekt, Morbus Byler, Morbus Gaucher, Niemann-PickErkrankung, primäre Hypercholesterinämie, primäre Hyperoxalurie, Tyrosinämie
Vaskulär
Budd-Chiari-Syndrom
Tumor
Benigne: Zystenleber, Hämangiomatose Maligne: hepatozelluläres Karzinom (HCC), selten: hiläres Cholangiokarzinom (CCC), Hepatoblastom, hepatisch metastasiertes Karzinoid, Epithelioides Hämangioendotheliom, Hämangiomatose
Re-LTx
Initiale Nichtfunktion und Dysfunktion des Transplantates, chronische Abstoßung, »ischemic-type biliary lesion« (ITBL), Thrombose der Leberarterie
führte zu einer effektiven Therapie und Kontrolle der Virusreplikation. Die Therapie mit Nukleosid- und/oder Nukleotidanaloga wird bei Nachweis von HBV-DNA bereits vor der LTx begonnen. Peri- und post-LTx erhalten die Patienten zusätzlich Anti-Hepatitis B-Immunglobulin (HBIG), wodurch eine Re-Infektion effektiv vermieden werden kann und die replikative HBV-Infektion somit keine Kontraindikation mehr darstellt. HCV-assoziierte Leberzirrhose Der Genotyp 1b ist in unseren Regionen am weitesten verbreitet und zeigt ebenso wie der Genotyp 4 ein schlechtes Ansprechen auf die kombinierte antivirale Therapie mit pegyliertem Interferon und Ribavirin. Dennoch sollte ein Ausheilen der HCV durch antivirale Kombinationstherapie angestrebt werden, da die HCV-Infektion regelhaft innerhalb der ersten 6 Monate nach Transplantation wieder auftritt, und 20% der Patienten nach 5 Jahren erneut eine Zirrhose entwickeln (Gane et al. 1996). Der Schweregrad der Leberzirrhose und die
Nebenwirkungen der antiviralen Therapie limitieren jedoch häufig die Option der antiviralen Kombinationstherapie, welche dann postoperativ erfolgen kann. Alkoholassoziierte Leberzirrhose Die alkoholische Leber-
zirrhose stellt eine zunehmende Indikationsgruppe dar. Die Richtlinien der Bundesärztekammer fordern eine Abstinenz von mindestens 6 Monaten vor Aufnahme auf die Warteliste. Die Rückfallquote nach LTx liegt bei ca. 20% (Bramstedt u. Jabbour 2006), so dass eine sorgfältige medizinische, psychologische und soziale Betreuung vor und nach der LTx erforderlich ist. Die Patienten sollten regelmäßig von einem Psychologen oder Psychiater gesehen als auch in eine Selbsthilfegruppe eingebunden werden. Hiläres cholangiozelluläres Karzinom Das hiläre Cholangio-
karzinom galt bis vor wenigen Jahren aufgrund der schlechten Ergebnisse nach LTx als Kontraindikation. Die MAYOClinic etablierte ein neoadjuvantes Protokoll, welches zu
. Abb. 39.1 Ätiologien der Indikation Leberzirrhose bei lebertransplantierten Patienten, die zwischen Mai 1968 und Dezember 2008 vom ELTR erfasst wurden
39
786
Kapitel 39 · Lebertransplantation
einer dramatischen Steigerung des Patientenüberlebens führte (Heimbach et al. 2006), so dass Patienten mit einem hilärem CCC gegenwärtig im Rahmen eines neoadjuvanten Protokolls transplantiert werden dürfen. Hepatozelluläres Karzinom Die Prognose von Patienten
mit einem hepatozellulären Karzinom (HCC), das aufgrund einer fortgeschrittenen Leberzirrhose und somit fehlender Regenerationskapazität der Leber nicht reseziert werden kann, hängt im wesentlichen von der Gefäßinvasion des HCC ab. Eine perkutane Biopsie sollte möglichst unterbleiben, um eine Tumorzellstreuung zu vermeiden. Die Richtlinien der Bundesärztekammer erlauben die Diagnose eines HCC wenn das AFP >400 ng/ml ist und eine hyperperfundierte intrahepatische Raumforderung nachweisbar ist oder mit zwei unterschiedlichen bildgebenden Verfahren eine hyperperfundierte intrahepatische Raumforderung nachgewiesen werden kann. Die weitere Selektion der LTx-Kandidaten richtet sich nach den Milan-Kriterien (Mazzaferro et al. 1996), wobei die Tumorausdehnung maximal eine Raumforderung bis 5 cm oder maximal 3 Raumforderungen <3 cm aufweisen darf. Zusätzlich dürfen keine extrahepatischen Metastasen und makrovaskulär kein invasives Wachstum vorliegen. Als geeignete Therapie des HCC bis zur LTx kann wiederholt die transarterielle Chemoembolisation (TACE) in 4- bis 6-wöchigen Intervallen überbrückend durchgeführt werden.
39.1.3
39
Akut-auf-chronisches Leberversagen
Die akut-auf-chronische Lebererkrankung ist häufig mit einem Mehrorganversagen und einer hohen Mortalität assoziiert. Eine Eigenanamnese ist häufig aufgrund der schweren Erkrankung (z. B. Intubation) nicht möglich. Häufig wird fremdanamnestisch eine alkoholbedingte Lebererkrankung angegeben. Nach den Allokationsrichtlinien müssen die Patienten eine mindestens sechsmonatige Abstinenz aufweisen, bevor eine Transplantation erwogen werden kann. Demgegenüber sind Patienten abzugrenzen die eine akute Dekompensation einer Leberzirrhose z. B. Infekt bedingt erleiden (Katoonizadeh et al. 2010). Häufige Infektionsherde sind eine spontan bakterielle Peritonitis oder Pneumonie. Bei diesen Patienten erfolgt die Indikationsstellung entsprechend den Patienten mit chronischer Lebererkrankung.
39.1.4
Kontraindikationen
Diese sind überwiegend identisch mit denen anderer Organtransplantationen (. Tab. 39.3). Jedoch wird die serologische HIV-Positivität aufgrund der Erfolge der hoch-
. Tab. 39.3 Kontraindikationen zur Lebertransplantation Kontraindikation
Ursachen
Absolut
Schwere kardiale oder pulmonale Begleiterkrankungen, fehlende Compliance, aktiver Alkohol- oder Drogenabusus, Multiorganversagen, schwere oder nicht-kontrollierbare Infektsituation, Pneumonie und Sepsis, AIDS, extrahepatische Malignome
Relativ
Extrem reduzierter Allgemein- und Ernährungszustand
aktiven antiretroviralen Therapie (HAART) nicht mehr als absolute Kontraindikation angesehen (O’Grady et al. 2005).
39.2
Allokation
Die Allokation bezeichnet die Zuweisung der Spenderlebern an die Empfänger, die durch die Eurotransplant International Foundation (ET) in Leiden, Holland erfolgt. Die seit langem etablierte Child-Turcotte-Pugh (CTP)Klassifikation galt klinisch als zuverlässiges Kriterium für den Indikationszeitpunkt (. Tab. 39.4). Ab einem CTPScore ≥7 Punkte (Child B oder C) bestand bis zur Einführung des MELD die Indikation zur LTx (Steinmann et al. 2001). Jedoch erreichte die Mortalität auf der Warteliste zur LTx 20-30% (Everhart et al. 1997). Zur Senkung der Wartelistenmortalität wurde die Allokation am 16.12.2006 auf das MELD-System umgestellt.
. Tab. 39.4 Child-Turcotte-Pugh (CTP)-Klassifikation zur Einteilung des Schweregrades von chronischen Lebererkrankungen Punkte
1
2
3
Enzephalopathie
Nein
Grad I–II
Grad III–IV
Aszites
Nicht/wenig
Kontrolliert
Refraktär
Bilirubin (bei PBC/PSC)
<2 mg/dl <4 mg/dl
2–2,9 mg/dl 4–10 mg/dl
≥3 mg/dl >10 mg/dl
Albumin
35 g/l
28–35 g/l
<28 g/l
Quick oder INR
>60% <1,7
40–60% 1,7–2,3
<40% >2,3
Stadium (Punktzahl): Child A (5–6), Child B (7–9) und Child C (10–15) INR International normalized ratio, PBC primär biliäre Zirrhose, PSC primär sklerosierende Cholangitis
787 39.2 · Allokation
. Abb. 39.2 Prinzip der Priorisierung der Organzuteilung (Allokation) im MELD-System
. Abb. 39.3 MELD-Score-Äquivalente zur kalkulierten 3-Monats-Mortalitätswahrscheinlichkeit
Der MELD-Score wurde ursprünglich zur Einschätzung des individuellen Risikos bei Patienten mit Leberzirrhose etabliert, die einen transjugulären intrahepatischen Stent erhalten sollen. Hierbei ermöglicht der MELD-Score eine Einschätzung der Wahrscheinlichkeit innerhalb von drei Monaten zu versterben. Das MELD-System wurde anschließend in der Region des United Network for Organ Sharing (UNOS) auf Patienten mit Leberzirrhose übertragen, die für eine Lebertransplantation gelistet wurden. Der MELD-Score korrelierte besser als der CTP-Score mit dem klinischen Verlauf von Patienten, die eine Lebererkrankung im Endstadium aufweisen. Die bessere Darstellung der medizinischen Dringlichkeit führte zur Einführung des MELD-Scores bei der Allokation von Spenderlebern in den USA und die ersten Analysen dieser Umstellung bestätigten eine Senkung der Wartelistenmortalität. Aufgrund dieser Erfahrung wurde die Allokation im Bereich von Eurotransplant ebenfalls auf das MELD-System umgestellt. Im Gegensatz zum vorherigen Allokationssystem wird die Wartezeit in der MELD-Allokation lediglich bei definierten Ausnahmeregelungen (»standard exceptions«) berücksichtigt, die sich in den einzelnen Mitgliedsländern von Eurotransplant unterscheiden und in Deutschland von der Bundesärztekammer in deren Richtlinien definiert werden. Das Grundprinzip des MELD basiert auf der primären Versorgung der kränksten Patienten (»sickest first«):
4 Die höchste Priorität haben Notfallpatienten mit akuten Lebererkrankungen ohne chronische Vorerkrankung der Leber. 4 Die zweithöchste Priorität haben Patienten, die für eine kombinierte Organtransplantation gelistet sind, wobei die kombinierte Nierentransplantation ausgenommen ist. 4 Die dritthöchste Priorität haben elektive Patienten mit einer chronischen oder akut-auf-chronischen Lebererkrankung (. Abb. 39.2). Der MELD-Score errechnet sich aus den Laborwerten von Serum-Kreatinin (in mg/dl), Serum-Bilirubin (in mg/dl) und der International Normalized Ratio (INR). Die Berechnungsformel für den MELD lautet: 10 {0,957 × Loge (Kreatinin mg/dl) + 0,378 × Loge (Bilirubin mg/dl) + 1,120 × Loge (INR) + 0,643} Der errechnete Wert wird auf ganze Zahlen gerundet und auf maximal 40 begrenzt. Laborwerte <1,0 werden auf 1,0 gesetzt. Das Serum-Kreatinin ist maximal auf 4,0 mg/dl begrenzt und wird bei Dialysepatienten auf 4 mg/dl festgesetzt. Der niedrigste MELD-Score ist 6 und der höchste 40 Punkte. Die 3-Monats-Mortalitätswahrscheinlichkeit liegt bei 22 Punkten bei 10% und bei 40 Punkten bei >90% (. Abb. 39.3).
39
788
Kapitel 39 · Lebertransplantation
39.2.1
Dringlichkeitsstufe »high urgency«
Bei Patienten in akut lebensbedrohlicher Situation (HU) droht ohne Transplantation der Tod in wenigen Tagen. Sie werden daher vorrangig vor allen anderen Patienten bei der Organzuteilung berücksichtigt. Innerhalb der HU-Patienten erfolgt die Organverteilung nach der Wartezeit innerhalb der Dringlichkeitsstufe HU. Indikationen für eine Zuerkennung des HU-Status können sein: 4 Akutes Leberversagen 4 Akutes Transplantatversagen innerhalb von 14 Tagen nach Transplantation 4 Akute Dekompensation bei Morbus Wilson und BuddChiari-Syndrom 4 Lebensbedrohliches Lebertrauma 4 Anhepatischer Zustand als Folge eines akuten Leberversagens mit toxischem Lebersyndrom Die Kings-College-Kriterien werden bei Paracetamol und nicht-Paracetamol-assoziierten akuten Leberversagen verwendet (. Tab. 39.5). Bei einem virusassoziierten Leberversagen werden die Clichy-Kriterien verwendet. Clichy-Kriterien bei akutem Leberversagen viraler Genese 4 Enzephalopathie Grad III oder IV 4 und Faktor V ≤20% für Empfänger <30 Jahren 4 oder Faktor V ≤30% für Empfänger >30 Jahre
39.2.2
Dringlichkeitsstufe »kombinierte Transplantation«
Bei Patienten, die eine Lebertransplantation in Kombination mit anderen nicht-renalen Organen erhalten sollen,
39
beurteilt eine Auditgruppe der Vermittlungsstelle auf Antrag des Transplantationszentrums, ob im Einzelfall unter Berücksichtigung von Indikation und Erfolgsaussicht eine vorrangige Allokation als sinnvoll und dringlich angesehen wird. In diese Dringlichkeitsstufe fallen beispielsweise Patienten mit einer Hämochromatose, die eine kombinierte Herz- und Lebertransplantation benötigen oder Patienten mit einem Kurzdarmsyndrom, bei denen eine kombinierte Dünndarm-Lebertransplantation indiziert ist. Die kombinierte Leber-Nierentransplantation ist über die Warteliste zur Nierentransplantation geregelt. Prinzipiell können beide Organe simultan oder sequenziell transplantiert werden, wobei letzteres Vorgehen für Patienten mit einem hepatorenalem Syndrom empfohlen wird.
39.2.3
Dringlichkeitsstufe »elektiv«
Die elektiv gelisteten Patienten mit chronischer Lebererkrankung werden anhand des MELD-Scores priorisiert. Die alleinige Verwendung der Laborwerte bildet jedoch nicht bei allen Patienten den Schweregrad der Erkrankung mit der notwendigen Dringlichkeit ab, so das Standardausnahmekriterien eingeführt wurden, die in regelmäßigen Intervallen aktualisiert werden (. Tab. 39.6). Sollte die Dringlichkeit trotz der Standardausnahmekriterien nicht ausreichend abgebildet werden, kann eine Höherstufung des Patienten individuell bei ET beantragt werden (NichtStandardausnahmekriterien). Die Dringlichkeit über die Standard und Nicht-Standard Ausnahmekriterien werden gegenüber dem Lab-MELD als Match-MELD abgebildet. Der höhere Punktewert zählt für die Allokation. Je höher der MELD-Score desto kürzer sind die Intervalle für eine erneute Ermittlung der Dringlichkeit. Ab einem MELDScore ≥25 Punkte müssen die aktuellen Laborwerte in wöchentlichen Intervallen an ET gemeldet werden.
. Tab. 39.5 Kings-College-Kriterien bei akutem Leberversagen Paracetamol
Nicht Paracetamol
pH <7,3 (unabhängig vom Grad der Enzephalopathie) oder PT >100 s (Quick <7%, INR >7) und Serum-Kreatinin >3,4 mg/dl und Enzephalopathie Grad III oder IV (alle 3 Kriterien müssen erfüllt sein)
PTT >100 s (INR >7, Quick <7%) (unabhängig von dem Grad der Enzephalopathie) oder mindestens 3 der folgenden Kriterien (unabhängig von dem Grad der Enzephalopathie): – Alter <10 oder >40 Jahre – Bilirubin >17,5 mg/dl – Ikterusbeginn >7 Tage vor Enzephalopathie – PTT >50 s (Quick <15%, INR >4) Mögliche Ursachen des Leberversagens: – Unklare Hepatitis – Halothan – Medikamententoxizität
789 39.4 · Evaluation des Lebendspenders
. Tab. 39.6 Übersicht über spezielle Krankheitsbilder, die als Standardausnahmen bei der Erlangung eines Match-MELD anerkannt sind Standardausnahme
Höherstufung der Dringlichkeit Initial
Nach 3 Monaten
Hepatozelluläres Karzinom (HCC)
15%
+10%
Nicht-metastasierendes Hepatoblastom
MELD 30 Punkte
»HU« nach 30 Tagen
Adulte polyzystische Degeneration der Leber (APDL)
10%
+10%
Primäre Hyperoxalurie Typ 1 (PH1)
10-15%
+10%
Persistierende Leberdysfunktion (inklusive »Small for size«Syndrom) mit Indikation zur Retransplantation
3-Monats Mortalität des Lab-MELD plus 20% der 3-Monats-Mortalität
Zystische Fibrose (Mukoviszidose)
10%
+10%
Familiäre amyloidotische Polyneuropathie (FAP)
15%
+10%
Hepatopulmonales Syndrom (HPS)
15%
+10%
Portopulmonale Hypertension (PoPH)
25%
+10%
Harnstoffzyklusdefekte
MELD 30 Punkte
»HU« nach 30 Tagen
Hiläres Cholangiokarzinom
10%
+10%
Hereditäre hämorrhagische Teleangiektasie (Rendu-OslerWeber-Syndrom)
15% oder MELD 40 Punkte bei ALV
+10% +10%
Hepatisches Hämangioendotheliom
15%
Biliäre Sepsis
3-Monats-Mortalität des Lab-MELD plus 20% der 3-Monats-Mortalität
Primär sklerosierende Cholangitis (PSC)
3-Monats-Mortalität des Lab-MELD plus 20% der 3-Monats-Mortalität
39.3
Evaluation des Empfängers
Diese dient der Sicherung der Indikation, der Einstufung der Dringlichkeit, der Kalkulation des individuellen Risikos und der Abklärung von Kontraindikationen. Die Evaluation beinhaltet laborchemische, immunologische, serologische, apparative und konsiliarische Untersuchungen. Die Konsile dienen der Feststellung von Infektionsherden, dem Ausschluss von extrahepatischen Tumorerkrankungen und der psychologischen Eignung und Begleitung. Individuell wird das Standardprocedere der Evaluation durch fakultative Untersuchungen erweitert, wenn dies notwendig erscheint (. Tab. 39.7). Beispielsweise kann eine präoperative Angiographie (Zöliakographie) zur Planung der arteriellen Anastomosierung dienen, da fixierte Stenosen des Truncus coeliacus relativ häufig zu beobachten sind und in diesem Fall ein Interponat auf die Aorta zu planen ist. Des Weiteren können Pfortaderthrombosen sicher ausgeschlossen werden (Murray et al. 2005).
> Zur Vorbereitung auf die Lebertransplantation sollten alle empfohlene Impfungen (Tetanus, Diphtherie, Aktualisierung von Polio mit Todimpfstoff, Pneumokokken, Hepatitis A und Hepatitis B) aktualisiert werden. Bei immunsupprimierten Patienten (z. B. Autoimmunhepatitis) sind Lebendimpfstoffe kontraindiziert.
39.4
Evaluation des Lebendspenders
Die Leber-Lebendspende erweitert die Verfügbarkeit von Spenderorganen, wodurch die Mortalität auf der Warteliste gesenkt werden kann. Die Leber-Lebendspende weist gegenüber der postmortalen Spende ein besseres Patientenüberleben auf, wobei dies nur in Zentren mit einer Mindestfallzahl von 20 Lebendspenden erreicht wird (Berg et al. 2007). Die potenziellen Vorteile der Lebendspende für den Empfänger müssen gegen jegliches Risiko beim Spender sorgfältig abgewogen werden (Braun et al. 2009). Daher erfordert die Evaluation des Lebendspenders neben der Überprüfung der Freiwilligkeit einen sorgfältigen Ausschluss
39
790
Kapitel 39 · Lebertransplantation
. Tab. 39.7 Evaluation des Empfängers Phase 1
Erstvorstellung
Anamnese und körperlicher Untersuchung, Sichtung Arztbriefe und Operationsberichte
Phase 2
Routinelabor
Blutbild (Hämoglobin, Hämatokrit, Leukozyten, Thrombozyten), Gerinnung (Quick, INR, PTT, ATIII), Elektrolyte (Na, K, Ca, Mg, P, Cl), Substrate (Kreatinin, Harnstoff, Harnsäure, Glukose, Bilirubin, Laktat, Ammoniak), Enzyme (AST, ALT, AP, GGT, CK, LDH, GLDH, CHE, Lipase), Proteine (Gesamtprotein, Albumin, CRP, Cholesterin, Triglyzeride), Tumormarker (AFP, CEA, CA 19-9, CA 125), Blutgasanalyse, Urinstatus und Urinsediment
Serologie
HAV (anti-HAV), HBV (HBsAg, HBeAg, HBcAg, anti-HBs), HCV (anti-HCV), HIV (anti-HIV), HSV (anti-HSV), CMV (anti-CMV), EBV (anti-EBV)
Immunologie
AB0-Blutgruppe, irreguläre Antikörper
Speziallabor
Hormonstatus* (TSH, T3, T4), Spezialgerinnung* (APC-Resistenz, Protein C und S, Gerinnungsfaktoren)
Apparative Diagnostik
EKG, Echokardiographie, Röntgen-Thorax, Lungenfunktionstest, extrakranielle Duplexsonographie, abdomineller Ultraschall
Apparative Zusatzdiagnostik
Stress-EKG*, DXA-Knochendichtemessung*
Invasive Diagnostik
Koronarangiographie*, Zöliako-Mesenterikographie*, Gastroskopie*, Koloskopie*, MR-Cholangigraphie; endoskopische retrograde Cholangiographie*, Leberbiopsie*, (Mini-)Laparoskopie*
Konsile
Neurologie, Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Zahn-Mund-Kieferchirurgie, Innere Medizin, Urologie, Gynäkologie und Psychosomatik
Indikationsstellung
Interdisziplinäre Transplantationskonferenz
Phase 3
Phase 4
* fakultative Untersuchungen
von Risikofaktoren, die postoperativ zu Morbidität und Mortalität führen könnten. Die Mortalität bei der LeberLebendspende wird mit 0,1–0,5% angegeben (Lo et al. 2003; Ringe et al. 2008; Schieno et al. 2001; Trotter et al. 2002). Selektionskriterien für eine Leber-Lebendspende Freiwilligkeit
39
4 4 4 4 4 4
Familiäre oder emotionale Verbundenheit Alter 18–60 Jahre Kompatible Blutgruppe Kein erhöhtes Thromboserisiko (BMI <30 etc) Keine größeren abdominellen Voroperationen Restlebervolumen >30% des Gesamtlebervolumens 4 Steatosis hepatis <10% bei Lebendspende für erwachsenen und <30% bei kindlichem Empfänger (<16 Jahre) 4 Keine anatomischen Variationen, die eine Rekonstruktion im Spender erfordern
Die standardisierte Evaluation des Lebendspenders erfolgt anhand eines Stufenplans (. Tab. 39.8). Hierdurch werden unnötige medizinische Untersuchungen, psychische Belas-
tungen und Kosten vermieden werden. Der Erstkontakt beinhaltet die Anamnese und körperliche Untersuchung mit Erfassung des Body-Mass-Index, ein erstes Aufklärungsgespräch über die Lebendspende, eine kleinere Labordiagnostik (Routine, Blutgruppe) und eine erste Begutachtung durch einen Psychologen. Im Falle einer potenziellen Eignung folgt eine umfassende Labordiagnostik, ein Abdomen-Ultraschall und eine CT-Untersuchung zur Detektion anatomischer Varianten der Lebergefäße und Volumetrie der Lebersegmente II + III, I–IV und V–VIII. Das residuale Lebervolumen (RLV; Zielgröße >30%) und die Graft-Body-Weight-Ratio (GBWR; Zielgröße >0,8%) werden ermittelt. Die weitere Diagnostik beinhaltet ein EKG, Herzecho, Lungenfunktion, Röntgen-Thorax in zwei Ebenen, Duplex-Sonographie der extrakraniellen hirnversorgenden Gefäße und eine MR-Cholangiographie (MRC). Individuell erfolgen weitere Untersuchungen (z. B. Koloskopie), falls diese erforderlich sind. Abschließend findet die schriftliche Aufklärung zur Lebendspendeoperation im Beisein eines unabhängigen Mediziners und die zweite psychologische Begutachtung statt. Als letzte Untersuchung erfolgt eine Leberbiopsie, die unter anderem der histologischen Graduierung einer Steatose dient. Potenzielle Spender mit unzureichendem Anti-HBs-Titer werden ge-
791 39.5 · Transplantationstechnik
. Tab. 39.8 Evaluation des Leber-Lebendspenders Phase 1
Erstvorstellung mit Prüfung der prinzipiellen Eignung eines potenziellen Lebendspenders
Anamnese und körperlicher Untersuchung (inklusive BMI), AB0-Blutgruppe sowie BedsideTest, kleines Labor (Blutbild (Hämoglobin, Hämatokrit, Leukozyten, Thrombozyten), Gerinnung (Quick, INR, PTT, ATIII), kleine Routine (Na, K, Kreatinin, Harnstoff, Glukose, Bilirubin, AST, ALT, AP, GGT, CRP), erstes Aufklärungsgespräch und prinzipielles Einverständnis für Evaluation und Lebendspende, erste psychologische Evaluation
Phase 2
Abklärung der leberanatomischen Eignung
Sono-Abdomen, CT-Abdomen zur Volumetrie (Segment II + III, Segment I–IV, Segment V–VIII) und Detektion anatomischer Varianten
Phase 3
Spezielle Labordiagnostik
Routine (Ca, Mg, P, Cl, Fe, Harnsäure, Laktat, Ammoniak, CK, LDH, GLDH, CHE, Cholesterin, Triglyzeride, Amylase, Lipase, Gesamtprotein, Albumin), Blutgasanalyse, Urin (Status und Sediment), Hormonstatus (TSH, T3, T4), Spezialgerinnung (Thromboseneigung mit APC-Resistenz, Protein C und S, Faktor-V-Leiden Mutation, Homozysteinurie, Antiphospholipid-Antikörper, Gerinnungsfaktoren), Tumormarker (AFP, CEA, CA 19-9, CA 125, NSE, PSA bei Männern), Coeruloplasmin, α1-Antitrypsin, Transferrin, Transferrin-Sättigung, Autoimmunhepatitis Antikörperstatus, Eiweiß-Elektrophorese; Serologie: HAV (anti-HAV), HBV (HBsAg, HBeAg, HBcAg, anti-HBs), HCV (anti-HCV), HIV (anti-HIV), HSV (anti-HSV), CMV (anti-CMV), EBV (anti-EBV), Aspergillus (Antigen und Antikörper), Candida (Antigen und Antikörper)
Apparative Diagnostik
EKG, Herzecho, Lungenfunktion, Röntgen-Thorax in 2 Ebenen, extrakranielle Duplex-Sonographie, MR-Cholangiographie
Abklärung der psychologischen Eignung
Zweite psychologische Evaluation
Invasive Diagnostik
Leberbiopsie
Konsile
Innere Medizin, Anästhesie zur Prämedikation
Einwilligung zur Lebendspende
Operationsaufklärung im Beisein eines unabhängigen Mediziners (z. B. Rechtsmediziner)
Indikationsstellung
interdisziplinäre Transplantationskonferenz
Abschließende Maßnahmen
Votum der Lebendspendekommission der zuständigen Ärztekammer; aktive Immunisierung gegen HAV und HBV; elektive Planung der Lebendspende-Operation
Intraoperativ
Cholangiographie beim Spender einer kompletten Leberhälfte
Phase 4
Phase 5
gen eine Hepatitis-B-Virusinfektion geimpft. Die kompletten Unterlagen der Evaluation werden an die Gutachterkommission für Lebendspende des zuständigen Bundeslandes geschickt, deren Aufgabe es ist die Freiwilligkeit sowie die genetische oder emotionale Verbundenheit zu prüfen. Die Lebendspende kann bei Vorlage eines positiven Ethikvotums realisiert werden.
39.5
Transplantationstechnik
39.5.1
Postmortale Spenderoperation
Bei der Multiorganentnahme wird zunächst die infrarenale Aorta und Vena cava freigelegt. Dazu wird das rechte Hemikolon aus dem Retroperitoneum gelöst. 6
Die Aorta und Vena cava werden oberhalb der Iliakalbifurkation angeschlungen. Die Aorta wird bis zum Abgang der Arteria mesenterica superior präpariert und diese am Abgang dargestellt. Hierbei ist auf eine akzessorische rechte Leberarterie aus der Arteria mesenterica superior zu achten. Danach erfolgt die Darstellung aller Strukturen im Ligamentum hepatoduodenale und die Mobilisation der Leber, die im Uhrzeigersinn erfolgt und mit der Mobilisation des linken Leberlappens beginnt. Hierbei ist auf eine akzessorische linke Leberarterie zu achten. Abschließend wird die Aorta subphrenisch präpariert und angeschlungen.
39
792
Kapitel 39 · Lebertransplantation
39.5.2
Organperfusion
Ein Perfusionskatheter wird in die infrarenale Aorta eingebracht und diese distal ligiert. Anschließend wird die Aorta subphrenisch ligiert oder ausgeklemmt. Unmittelbar im Anschluss erfolgt die Perfusion der viszeralen Organe mittels Schwerkraftperfusion. Die am häufigsten klinisch verwendeten Konservierungslösungen sind die Histidin-Tryptophan-Ketoglutarat (HTK)-Lösung und die University of Wisconsin (UW)-Lösung, wobei nur die HTK-Lösung in Deutschland zur Organkonservierung zugelassen ist. Die infrarenale Vena cava wird inzidiert, um einen störungsfreien Abfluss des Perfusionsmediums zu gewährleisten. Bei gleichzeitiger Pankreas- oder Dünndarmentnahme wird die Portalvene nach kaudal komplett durchtrennt, um einen freien Ausfluss des Mesenterialvenenblutes zu gewährleisten. Des Weiteren wird die Vena cava suprahepatisch sowie im Bereich der Iliakalbifurkation durchtrennt. Abschließend wird die Leber für den Transport im Dreibeutelsystem steril verpackt. Die kalte Ischämiezeit sollte so kurz wie möglich gehalten werden und 12 h nicht überschreiten, da ansonsten die Rate von initialen Transplantatfunktionsstörungen und ischämischen Gallengangsschädigungen (ITBL) steigt. Die Feinpräparation der Spenderleber mit eventueller Ex-situ-Gefäßrekonstruktion erfolgt auf einem Beistelltisch (»back-table«) im Operationssaal des Empfängerkrankenhauses.
39.5.3
patischen Phase jedoch nicht dekomprimiert, welches postoperativ zu einer Dünndarmdysfunktion führen kann. Bei sehr kurzer Klemmzeit des porto-mesenterialen Abstroms kann jedoch regelhaft auf einen veno-venösen Bypass verzichtet werden.
Hepatektomie Der Zugang erfolgt über eine mediane Oberbauchlaparotomie mit rechtslateraler Erweiterung (umgekehrtes »L«). Nach Mobilisation des linken Leberlappens erfolgt die Darstellung der suprahepatischen Vena cava unter Ablösung des rechten Leberlappens vom Zwerchfell. Das Ligamentum hepatoduodenale wird lebernah quer inzidiert. Die Arteria hepatica propria, die Pfortader und der Ductus choledochus werden dargestellt und angeschlungen. Die Vena cava wird durch Luxation der Leber nach ventromedial dargestellt und in kaudokranialer Richtung freipräpariert. Die rechte Nebennierenvene wird mit einer Durchstechungsligatur abgesetzt und die Lebervenen dargestellt. Es folgt die Darstellung und Durchtrennung des Ductus cysticus sowie lebernah die des Ductus choledochus. Die Arteria hepatica propria und die Vena porta werden abgesetzt. Die Lebervenen werden lebernah tangential abgesetzt, so dass die Eigenleber des Empfängers entnommen werden kann.
Empfängeroperation Technik der Vollorganlebertransplantation
39
Die Transplantation erfolgt überwiegend orthotop in der sog. »Piggy-back«-Technik (Broering et al. 2008; Tzakis et al. 1989), bei der die empfängerseitige Vena cava erhalten bleibt. Die »Piggy-back«-Technik ermöglicht den Verzicht auf einen veno-venösen Bypass, da die Nieren und die untere Körperhälfte über die lediglich partiell ausgeklemmte, erhaltene Vena cava weiter drainiert werden. Dies ist ein Vorteile gegenüber der operativen Technik mit Ersatz der empfängereigenen Vena cava, da die meisten Empfänger aufgrund des MELD-Systems eine Beeinträchtigung der Nierenfunktion aufweisen. Zudem steht mit der »Piggy-back« Technik ein Standard zur Verfügung, der sowohl bei der split-LTX als auch Lebendspende verwendet wird. Aus diesen Gründen wurde die »Piggy-back« Technik an unserem Zentrum als Standard etabliert. Das Pfortader- und Mesenterialvenenblut wird während der anhe-
Die Spenderleber wird aus der 4°C kalten Konservierungslösung genommen und im Empfängersitus eingepasst. Bis zur Reperfusion erfolgt eine weitere Kühlung der Leber durch Übergießen mit kühler NaCl-Lösung. Die longitudinal partiell ausgeklemmte Vena cava wird über ca. 7 cm längs inzidiert und Seit-zu-Seit mit der ebenfalls längs inzidierten spenderseitigen Vena cava langstreckig mit Prolene 4/0 fortlaufend anastomosiert. Im Anschluss erfolgt die End-zu-End-Anastomose der Pfortader mit Prolene 6/0, wobei auf eine span6
793 39.6 · Perioperatives Management
nungsfreie Naht zu achten ist, damit kein Sanduhrphänomen auftritt. Danach erfolgt die retrograde Reperfusion des Transplantates. Die Anastomosierung der spenderseitigen Arteria hepatica bzw. des Truncus coeliacus auf die empfängerseitige Arteria hepatica erfolgt idealerweise am Konfluenz der Arteria gastroduodenalis mit Prolene 7/0. Bei einer kleinkalibrigen empfängerseitigen Arteria hepatica kann alternativ der Truncus coeliacus für die Anastomose verwendet werden. Bei einer fixierten Stenose des Truncus coeliacus sollte die Anastomosierung auf die infrarenale Aorta mittels Verlängerung durch ein Gefäßinterponat (z. B. Arteria iliaca) erfolgen. Die infrarenale Aorta ist zu bevorzugen, da hierbei das Ausklemmen der Aorta gegenüber der supracoeliacalen Anastomose keine Pankreatitis provozieren kann. Bei nichtfixierter Stenose des Truncus coeliacus kann die Spaltung des Ligamentum arcuatum die arterielle Perfusion verbessern. Nach Freigabe der arteriellen Perfusion sollte sich das Transplantat rasch und homogen rosig färben. Abschließend erfolgt die Rekonstruktion des Galleabflusses durch Anlage einer Choledocho-Choledochostomie in End-zu-End-Technik. Bei Patienten mit einem extrahepatischen PSC-Typ wird primär eine Hepatiko-Jejunostomie angelegt. Im Falle einer kaliberstarken Arteria lienalis bzw. bei einem Lienalissteal-Syndrom sollte ein Banding der Arteria lienalis durchgeführt werden.
Technik der Teillebertransplantation Diese Techniken wurden aufgrund des Spenderorganmangels – generell aber insbesondere im Bereich der Kinderlebertransplantation – eingeführt (Bismuth u. Houssin 1984). Nachteilig ist jedoch, dass die Ligamentstrukturen (A. hepatica, Pfortader und Gallengang) nur für einen Empfänger optimal zur Verfügung stehen (Broelsch et al. 1990). > Zunehmend durchgesetzt hat sich die SplitLebertransplantation in der Pädiatrie, wobei die linkslateralen Segmente (II und III) der Spenderleber für ein Kind verwandt werden und der rechte Leberlappen einem Erwachsenen zugeteilt wird (Lloyd u. Broelsch 1994).
Hier zeigt insbesondere das In-situ-Splitting während der Spenderoperation gute Erfolge. Mit dieser Technik profitieren zwei Empfänger von einem Spenderorgan (Pichlmayr et al. 1988). Bereits vor Perfusion der Leber werden die Ligamentstrukturen für die linkslateralen Segmente selektiv dargestellt und angeschlungen, das Leberparenchym durchtrennt, beidseits mit Klips versorgt und die
linke Lebervene dargestellt. Dies bedeutet zwar einen erheblichen Zeitaufwand während der Spenderoperation, bietet aber die geringsten Komplikationen für beide Empfänger. Alternativ kann die Teilung der Leber auch nach Perfusion am Beistelltisch erfolgen. Bei der Lebendspende-Lebertransplantation kann ebenfalls das linkslaterale Segment (Segment II + III) eines Erwachsenen für die Transplantation eines Kindes verwandt werden. Bei der Lebendspende-Lebertransplantation beim Erwachsenen kann der linke (Segment I–IV) oder rechte (Segment V–VIII) Leberlappen verwendet werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass sowohl für den Spender als auch den Empfänger ausreichend Restlebervolumen zur Verfügung steht. Die Mindestmenge an Lebervolumen beträgt 0,8% des Empfänger-Körpergewichtes. Die Technik ist ähnlich dem In-situ-Splitting, nur dass die Perfusion erst nach Entnahme des linkslateralen Segmentes ex vivo erfolgt (Broelsch 1994).
39.6
Perioperatives Management
Das perioperative Monitoring beinhaltet ein intensiviertes Kreislaufmonitoring. Nach Reperfusion ist besonders auf gute Blutdruckverhältnisse sowie ein hohes Herzzeitvolumen zu achten, da Patienten mit fortgeschrittener Leberzirrhose aufgrund der pathophysiologischen Veränderungen hieran adaptiert sind. Des Weiteren ist zur Reduktion des Reperfusionsschadens ein ungehinderter venöser Abfluss in die Vena cava bedeutsam. Dies wird erreicht durch Senkung des zentralvenösen Druckes (angestrebter ZVDBereich: 5–7 mmHg) sowie durch Vermeidung von postoperativer Nachbeatmung, insbesondere Überdruckbeatmung (Neuhaus et al. 1996). Auch die Wahl der Katecholamine (vorzugsweise Noradrenalin und Dobutamin) ist von Bedeutung für eine gute Durchblutung des Splanchnikusgebietes und die Oxygenierung der Leber.
39.6.1
Laborchemisches Monitoring
Neben der Bestimmung von Routinelaborparameter werden nach Lebertransplantation insbesondere die Parameter des Säure-Basen-Haushaltes, das Laktat und der kolloidosmotische Druck bestimmt. Leberspezifische Funktionsparameter werden täglich gemessen. Als Infektionsparameter sind die Bestimmung von CRP und Prokalzitonin (PCT) wegen der laufenden Immunsuppression häufig besser verwertbar als die Bestimmung der Leukozytenzahl. Des Weiteren sollte auch der Magnesiumspiegel wegen seines Zusammenhanges mit dem Auftreten von Krampfanfällen unter Immunsuppression mit Ciclosporin-A-Mikroemulsion oder Tacrolimus bestimmt und Hypomagnesiämien
39
794
Kapitel 39 · Lebertransplantation
konsequent therapiert werden. Hyponatriämien, die für den Leberzirrhotiker pathognomonisch sind, müssen, falls sie sich nicht spontan normalisieren, langsam über einen Zeitraum von 2–3 Tagen ausgeglichen werden, da sich ansonsten eine lebensbedrohliche extrapontine Myelinolyse entwickeln kann (Neuhaus et al. 1996). Invasive Maßnahmen werden aufgrund katheterbedingter Infektion unter der Immunsuppression so kurz wie möglich gehalten (ca. 4–7 Tage). Als Richtgrößen in der Frühphase (<48 h) gelten: ZVD 6–10 cmH2O, Hämoglobin >8,0 g/dl, Thrombozyten >70/nl, Quick >50-70% und AT-III >50–70%.
39.6.2
Apparatives Monitoring
Von besonderer Bedeutung für die postoperative Überwachung ist die tägliche Farbduplex- und dopplersonographische Untersuchung des Transplantates. Hiermit können vor dem Ansteigen biochemischer Funktionsparameter frühzeitig arterielle Durchblutungsstörungen, Verminderungen des Pfortaderflusses und venöse Abflusshindernisse verifiziert werden. Ferner ist die Darstellung von minderperfundierten und nekrotischen Leberarealen, peri- und intrahepatischen Hämatomen und die Entstehung einer Pankreatitis, eines Milzinfarktes oder eines Pleuraergusses am Intensivbett sofort zu erkennen. Bei pathologischen Befunden kann umgehend eine weitere Diagnostik mittels Computertomographie oder Angiographie eingeleitet werden.
weisen. Beide CNI werden vorzugsweise mit anderen nicht-nephrotoxischen Immunsuppressiva (z. B. Mycophenolat mofetil) kombiniert, um die CNI-Dosis als Nephroprotektion zu reduzieren. Eine Dosisreduktion der CNI oder ein verzögerter Einsatz kann initial durch eine Induktion mit einem monoklonalen Anti-CD25-Antikörper (Basiliximab) oder polyklonalen Antikörper (z. B. AntiThymozytenglobulin) erreicht werden. Bei Patienten mit HCC sollten niedrige Talblutspiegel der CNI angestrebt werden, da bei erhöhten Talblutspiegeln eine erhöhte HCC-Rekurrenz beschrieben wurde (Vivarelli et al. 2008). Zudem scheint der Einsatz von Sirolimus bei Patienten mit HCC vorteilhaft zu sein (Schnitzbauer et al. 2010). Häufige Nebenwirkungen der medikamentösen Immunsuppression sind die Nephro- und Neurotoxizität der CNIs (z. B. Ciclosporin, Tacrolimus), gastrointestinale Symptome durch Purin de-novo Synthese Inhibitoren (z. B. Mycophenolat mofetil), sowie Akne, Schleimhautulzerationen und Hyperlipidämie durch mTOR-Inhibitoren (z. B. Sirolimus). > Bislang kann auf die medikamentöse Immunsuppression zur Prophylaxe und Therapie von Transplantatabstoßungen nicht verzichtet werden. Große Hoffnungen liegen in der Induktion von Toleranz, die aktueller Forschungsgegenstand ist (Braun et al. 2009).
39.7 39.6.3
39
Postoperative Komplikationen
Immunsuppression
Das gesteigerte Patienten- und Transplantatüberleben rückt heutzutage die Lebensqualität nach Lebertransplantation in den Vordergrund. Insbesondere wird eine individualisierte Immunsuppression favorisiert, die eine Vermeidung von Nebenwirkungen durch die medikamentöse Immunsuppression berücksichtigt. Aufgrund der Verfügbarkeit potenter neuer Immunsuppressiva ist heute ein Transplantatverlust durch eine akute Abstoßung eine Rarität. Vielmehr ist die Erhaltung der Nierenfunktion ein zentrales Ziel, das durch eine niedrigere Dosierung der Calcineurin-Inhibitoren (CNI) verwirklicht wird. Der Einsatz von Kortikosteroiden wurde in der jüngsten Vergangenheit sehr kontrovers diskutiert. Aufgrund der zahlreichen Nebenwirkungen der Kortikosteroide besteht ein Trend zu steroidsparenden immunsuppressiven Regimes (Ringe et al. 2001). Die derzeit am häufigsten verwendeten Basisimmunsuppressiva sind weiterhin die CNI Ciclosporin-A-Mikroemulsion und Tacrolimus, die beide eine dosisabhängige Nephrotoxizität und dosisunabhängige Neurotoxizität auf-
Die Komplikationen nach einer Lebertransplantation können in Abhängigkeit vom zeitlichen Verlauf in Früh- und Spätkomplikationen unterteilt werden (. Abb. 39.4).
39.7.1
Primäre Dysfunktion und/oder Nichtfunktion des Transplantates
Unmittelbar nach Reperfusion des Transplantates steht die Primärfunktion der Spenderleber im Vordergrund. Eine Dysfunktion kann sich intraoperativ bereits durch eine verzögerte, fleckige oder livide Färbung der Spenderleber in der Reperfusionsphase bemerkbar machen. Bei guter Primärfunktion kann intraoperativ bereits eine Gallesekretion nachgewiesen werden. Charakteristisch für eine primäre Nichtfunktion sind das Vorliegen eine Laktatazidose, eine Hypoglykämie und die Notwendigkeit einer regelmäßigen Substitution mit Gerinnungsfaktoren. Als Ursachen einer Nichtfunktion kommen beispielweise eine Leberarterienthrombose oder eine lange kalte Ischämiezeit (>18 h) in Betracht.
795 39.7 · Postoperative Komplikationen
. Abb. 39.4 Komplikationen nach Lebertransplantation in Abhängigkeit vom zeitlichen Auftreten
Eine schwerwiegende primäre Transplantatfunktionsstörung ist charakterisiert durch: 4 weniger als 3 Monate nach Lebertransplantation 4 Hyperbilirubiämie ≥10 mg/dl, keine Abstoßung oder Gallengangsobstruktion 4 Gallengangsischämie oder ITBL (keine Anastomosenstriktur der Gallenwege dokumentiert durch MRC oder ERC) 4 INR ≥1,5 4 Aszites Das »Small-for-size«-Syndrom geht ebenfalls mit einer schweren Dysfunktion des Transplantates einher (Dahm et al. 2005). Bei einer Nichtfunktion ist immer eine Retransplantation notwendig, wohingegen bei einer schweren Dysfunktion eine Retransplantation indiziert ist, wenn mindestens drei der o. g. Kriterien erfüllt sind.
39.7.2
Chirurgische Blutung
Chirurgische Blutungen bedürfen primär einer Optimierung des Gerinnungsstatus und/oder operativen Revision. Nachblutungen treten mit einer Inzidenz von 10–20% auf. Häufige Ursachen sind Blutungen im Bereich der Anastomosen, Verletzungen der Leberkapsel mit oder ohne Parenchymschaden oder Nachblutungen am Resektionsrand nach Teil-Lebertransplantation. Meistens sind die Blutungen durch eine unzureichende Funktion der Transplantatleber bedingt und sistieren nach Substitution mit Gerinnungsfaktoren (FFP) und Thrombozytenkonzentraten sowie der Funktionsaufnahme des Transplantates. Eine Hämatomausräumung nach Konsolidierung der Gerinnungssituation (ca. 2–4 Tage) beschleunigt den postoperativen Heilungsverlauf und vermindert das
Risiko einer Infektion oder eines intraabdominellen Abszesses.
39.7.3
Vaskuläre Komplikationen
Die Inzidenz von Thrombosen der Arteria hepatica variiert von 2,5–10% bei Erwachsenen und 8,3–20% bei Kindern (Sanchez-Bueno et al. 2994; Shackleton et al. 1997; Bekker et al. 2009). Die Gefahr steigt, wenn ein Gefäßinterponat zur Rekonstruktion benutzt wurde. Neben chirurgisch-technischen Aspekten haben auch die Spender- und Empfängeranatomie (aberrierende Arterien), die initiale Transplantatfunktion (Ödem) sowie immunologische Faktoren (hyperakute und chronische Abstoßung) einen Einfluss auf die Entwicklung einer arteriellen Thrombose. Führendes klinisches Zeichen ist das deutliche Ansteigen der Transaminasen. Tritt eine Thrombose der Arteria hepatica frühpostoperativ auf, kann eine sofortige Thrombektomie in 50–88% bei Erwachsenen erfolgreich sein (Pinna et al. 1996). Anderenfalls wird eine notfallmäßige Retransplantation notwendig. Im Langzeitverlauf kompromittiert eine Thrombose der Arteria hepatica die Transplantatfunktion weniger und wird meist kompensiert. Jedoch kommt es hierbei oftmals zu einer progredienten Schädigung des Gallenwegsystems (. Abb. 39.5), die nach Monaten oder Jahren häufig eine Retransplantation erfordert (Valente et al. 1996). Die Inzidenz der Portalvenenthrombose liegt bei 2,6–2,9% (Freise et al. 2008; Khalaf 2010). Risikofaktoren stellen ein zuvor angelegter portokavaler Shunt, vorangegangene Pfortaderthrombosen sowie hypoplastische Spender- oder Empfängerpfortadern dar. Die Pfortaderthrombose ist umso bedrohlicher, je früher sie auftritt. Frühpostoperativ kann es dabei zu einer deutlichen Transplantatdysfunktion mit hämodynamischer Instabilität und
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796
39
Kapitel 39 · Lebertransplantation
. Abb. 39.5 Destruktion des intra- und extrahepatischen Gallenwegssystems aufgrund einer Thrombose der Arteria hepatica
. Abb. 39.6 Kavographie. »Kinking« der V. cava bei langer SpenderV.-cava. Hier wurde eine notfallmäßige Retransplantation notwendig
Varizenblutungen kommen. Im späteren Verlauf nach Transplantation ist sie überwiegend asymptomatisch. Eine Stenose der supra- oder infrahepatischen Vena cava ist selten (1–2%), geht jedoch mit einer deutlichen Mortalität von 50–75% einher. Besonders gefährlich ist die Stenose der suprahepatischen Vena cava, da hier der lebervenöse Ausfluss kompromittiert ist. Prädisponierend ist eine zu lange suprahepatische Vena cava (»kinking«, . Abb. 39.6) oder die chirurgische Obstruktion der Anastomose. Es kommt zur massiven Aszitesproduktion, zum Ödem der Leber sowie der distalen Extremität und zur Niereninsuffizienz. Ballondilatation und Stentimplantation können erfolgreich sein. Oftmals ist eine technisch schwierige operative Revision der Anastomose oder eine notfallmäßige Retransplantation erforderlich.
fangszeit der Lebertransplantation erlitt jeder dritte Patient eine Gallenwegskompliaktion (Starzl et al. 1977; Calne u. Williams 1979). Insbesondere waren dies Leckagen und Strikturen durch eine inadäquate Konservierung oder Anastomosentechnik. Die diagnostischen Möglichkeiten waren begrenzt und verzögerten die Diagnose. Als Konsequenz verstarb die Hälfte der Patienten an einer Sepsis vor Einleitung einer Intervention (Williams et al. 1973). Die Diagnostik der Gallenwegskomplikationen hat sich insbesondere durch Ultraschall, CT-Abdomen, MR-Cholangiographie, endoskopisch-retrograde Cholangiographie (ERC) und perkutane transhepatische Cholangiographie erheblich verbessert. Heutzutage treten biliäre Komplikationen in den ersten 3 Monaten nach Transplantation mit einer Inzidenz von ca. 20% auf. Die Rate interventionspflichtiger Komplikation beträgt 5–10% in der Frühphase und 10% in der Spätphase. Die Mortalität konnte durch zeitnahe Diagnose und Intervention deutlich reduziert werden (Wall et al. 1989; Soehendra et al. 1980). Weiterhin stellen die Leckagen und Strikturen der Gallenwegsanastomose als auch die
39.7.4
Biliäre Komplikationen
Die Gallengangskomplikationen stellen die häufigsten Komplikationen nach Lebertransplantation dar. In der An-
797 39.7 · Postoperative Komplikationen
. Abb. 39.7 Therapie der Gallenleckage
diffusen Strikturen der Bifurkation oder intrahepatischen Äste schwerwiegende Komplikationen nach einer Lebertransplantation dar, die in 1–3% zu einem Transplantatverlust führen (Asfar et al. 1996; Backmasn et al. 1993). Die interventionelle Therapie ist häufig erfolgreich und die Mehrzahl der Anastomosenstrikturen kann interventionell (z. B. ERC, PTC) mittels Ballondilatation und temporärer Stentimplantation behandelt werden. Eine chirurgische Intervention ist bei Versagen der interventionellen Therapie indiziert. Bei biliären Komplikationen in der Spätphase sollte immer eine arterielle Perfusionsstörung ausgeschlossen werden. Nicht-Anastomosenstrikturen (NAS) vom ischämischen Typ stellen weiterhin ein schwerwiegendes Problem dar, welches meist eine Retransplantation erfordert.
Leckagen Leckagen treten meist in der Frühphase und selten in der Spätphase nach Transplantation auf. Ein gehäuftes Auftreten ist mit der T-Drain-Entfernung (33%) assoziiert. Häufig ist eine frühe Leckage chirurgisch technisch bedingt und durch arterielle Devaskularisation des peribiliären Gefäßplexus bedingt und intraoperativ findet sich als Korrelat eine Nekrose des spenderseitigen Gallenganges. Andere Ursachen einer Leckage sind Nahtinsuffizienz (Anastomose, Zystikusstumpf etc.) oder ein Galleleck an der Resektionsfläche nach Transplantation einer Teilleber. Die Therapie einer Leckage richtet sich nach der Größe und der Klinik. Kleinere Leckagen könne konservativ behandelt werden. Eine Leckage der extrahepatischen Gallenwege kann bei Choledochocholedochostomie interventionell durch ERC behandelt werden. Bei Versagen der interventionellen Therapie ist die operative Revision indiziert. Bei Vorliegen einer BDA sollte primär eine operative Revision erfolgen, da meist eine größere Kontamination
durch Austritt von Darminhalt vorliegt. Eine Leckage an der Resektionsfläche kann meist durch sonographisch oder CT-gestützte Kathetereinlage drainiert werden. Gleichzeitig sollte eine ERC mit Papillotomie erfolgen, um eine Druckentlastung des Gallengangssystems zu erreichen. Versagt die interventionelle Therapie ist die operative Revision indiziert (. Abb. 39.7).
Strikturen Strikturen der Gallenwege machen 40% aller biliären Kompliaktionen aus und sind die häufigste Ursache in der Spätphase nach Transplantation. Die Inzidenz liegt bei 3–14%. Die Einlage eines T-Drain ist ohne Einfluss auf die Inzidenz von Strikturen. Ein gehäuftes Auftreten ist mit der Anlage einer Roux-Y-Choledochojejunostomie (Cholangitis) assoziiert. Strikturen sind zudem ein zunehmendes Problem wegen der komplexeren Rekonstruktionstechniken bei der Teilebertransplantation. Die Strikturen werden unterteilt in Anastomosenregion und Nicht-Anastomosenregion (hilär vs. intrahepatisch). Die Ätiologien von Anastomosenstrikturen (AS) sind: 4 Chirurgisch-technisch 4 Thrombose der Leberarterie (HAT) 4 Low-flow-Phänomen 4 Ischämie-Reperfusionsschaden (ITBL) 4 Immunologisch (z. B. ABO-i, chronische Abstoßung) 4 Infektionen (CMV) Die gleichen Ätiologien können auch Nicht-Anastomosenstrikturen (NAS) verursachen. Zudem können diese durch ein Rezidiv der Grunderkrankung bei Autoimmunerkrankungen (PSC, AIH) oder Hepatitis C verursacht werden. Die Abgrenzung zwischen den Ätiologien kann schwierig sein, insbesondere zwischen dem Rezidiv der Grundkrankheit und der sekundär biliären Zirrhose (SSC).
39
798
Kapitel 39 · Lebertransplantation
. Abb. 39.8 Therapie von Anastomosenstrikturen
39
Das therapeutische Vorgehen beinhaltet zunächst den Ausschluss einer arteriellen Perfusionsstörung mittels (CT)-Angiographie. Eine FKDS ist unzureichend, da nicht zwischen Leberarterie und arteriellen Kollateralen differenziert werden kann. Sollte die Leber ausschließlich über Kollateralen arteriell versorgt werden, könnten diese bei einer operativen Revision zerstört werden, welches ein Transplantatversagen zur Folge hätte. In der weiteren Diagnostik besitzt die ERC die höchste Sensitivität in der Diagnostik von Strikturen und kann als diagnostischer Goldstandard angesehen werden. Sollte eine ERC wegen einer BDA nicht möglich sein, kann auf eine PTC ausgewichen werden. Die ERC und PTC erlauben in gleicher Sitzung eine therapeutische Intervention durch Papillotomie, Ballondilatation und Stenteinlage (7–12 French, 5–18 cm). Die Stents neigen zur Okklusion und sollten in regelmäßigen Intervallen gewechselt werden (meist alle 3–6 Monate). Zur Prophylaxe einer Cholangitis sollte eine niedrig dosierte Ciprofloxacingabe 2×250 mg oral über 4–6 Wochen erfolgen. Der Gallefluss kann durch UDC 3×250 bis 3×500 mg unterstützt werden. Die Komplikationsraten der ERC und PTC liegen bei 4 und 7%. Die beste chirurgische Therapie bleibt das interdisziplinäre Vorgehen. Als operative Optionen bestehen die Konversion einer Choledochocholedochostomie in eine Hepatikojejunostomie, die Neuanlage einer Hepatikojejunostomie bei Stenose derselben und letztlich die Retransplantation. Bei der Anastomosenstrikturen einer Choledochocholedochostomie zeigt die ERC gute Erfolgsraten von 70– 89%. Die mediane Therapiedauer beträgt 12 (2–24) Monate und meist sind wiederholte ERCs und multiple Stents erforderlich. Komplikationen der endoskopischen Intervention sind eine Cholangitis oder Pankreatitis (9%) in der
Frühphase und die Stentokklusion (18%) in der Spätphase. Die chirurgische Therapie mit Anlage einer Hepatikojejunostomie ist bei Versagen der endoskopischen Therapie indiziert. Die Konversion zur Roux-Y-Hepatikojejunostomie hat eine geringe postoperative Mortalität, kann jedoch im weiteren Verlauf zu rekurrenten Cholangitiden führen (12%). Weitere potenzielle Komplikationen sind eine Restriktur, eine Galleleckage, eine Darmischämie/ perforation und eine persistierende Cholangitis. Für die postoperative Transplantatfunktion nach Anlage einer Roux-Y-Hepatikojejunostomie ist eine frühzeitige Operation innerhalb der ersten 2 Jahre nach Transplantation günstig (Sutcliffe et al. 2004) (. Abb. 39.8). Bei Anastomosenstrikturen einer Roux-Y-Hepatikojejunostomie wird die interventionelle Therapie mittels PTC kontrovers diskutiert. Als Komplikationen können eine Sepsis, eine Perforation des Gallengangs und eine Verletzung der Pfortader oder Leberarterie auftreten. Die chirurgische Therapie besteht in der chirurgischen Revision der Roux-Y-Hepatikojejunostomie, der Neuanlage der Roux-Y-Hepatikojejunostomie oder der Neuanlage einer intrahepatischen Hepatikojejunostomie. Die chirurgischen Komplikationen sind eine Restriktur, eine Galleleckage, eine Ischämie oder Perforation des Dünndarms und eine persistiernede Cholangitis. Bislang gibt es keine vergleichenden radomisierten Studien zwischen PTC und Hepatikojejunostomie. Bei Nicht-Anastomosenstrikturen (NAS) ist die interventionelle Therapie (ERC, PTC) nur in ca. 28% erfolgreich. Trotz nicht-chirurgischer Intervention ist die Mortalität und Rate an Retransplantationen mit 25–50% hoch. Die chirurgische Therapie beinhaltet bei Nachweis einer Leberarterienthrombose die Retransplantation. Bei einer
799 39.8 · Ergebnisse
»ischemic type biliary lesion« (ITBL) ohne Nachweis eines vaskulären Problems kann eine Hilusresektion, Portoenterostomie oder Hepatikusgabelresektion eine klinische Verbesserung erreichen. Jedoch ist im weiteren Verlauf meist eine Retransplantation indiziert.
39.7.5
Infektionen
Im ersten Monat nach einer LTx stehen generell bakterielle Infekte (Wundinfekte, Pneumonie etc.) im Vordergrund sowie mykotische Infektionen (z. B. Candida, Aspergillus) bei Patienten mit einer ausgeprägten Transplantatfunktionsstörung oder schweren Myelodepression. Ab dem zweiten Monat treten vermehrt opportunistische Infektionen und Virusinfektionen auf. Innerhalb des zweiten bis sechsten postoperativen Monats umfasst das Spektrum von Infektionen nach Lebertransplantation Zytomegalie, Listerien, Tuberkulose und Toxoplasmose. Nach dem sechsten Monat treten konventionelle oder ambulant erworbene Infektionen (Pneumokokken, Hämophilus, Salmonellen, Influenza) sowie persistierende oder opportunistische Infektionen (Varizella zoster, Toxoplasmose [Retinitis], Zytomegalievirus [Retinitis, Kolitis]) auf. Ein erhöhtes Risiko für das Auftreten einer CMV-Infektion besteht bei CMV-negativen Empfängern, die eine Leber von einem CMV-positiven Spender erhalten. Ab einer CMV-Virämie von über 500 Kopien sollte eine präemptive Therapie mit Valganciclovir eingeleitet werden. Bei einer schweren CMV-Infektion, CMV-Enteritis oder Resorptionsproblemen von Valganciclovir sollte Ganciclovir parenteral appliziert werden. Die Dosierungen von Ganciclovir und Valganciclovir müssen an die Nierenfunktion angepasst werden.
39.7.6
Rezidiv der Grunderkrankung
Das Rezidiv der Grunderkrankung ist ab dem ersten Jahr nach der Transplantation die Hauptursache für Transplantatversagen oder den Tod des Patienten. Die folgende Erkrankungen können nach einer Transplantation rezidivieren: 4 Virale Hepatitis (Hepatitis B, Hepatitis C) 4 Autoimmunerkrankungen (PBC, PSC, AIH) 4 Tumoren (HCC, andere) Die Diagnostik umfasst die krankheitstypische Laborkonstellation und die Histologie der Spenderleber. Die Therapie richtet sich nach der zugrundeliegenden Erkrankung.
39.8
Ergebnisse
Das Patientenüberleben nach Lebertransplantation wird im wesentlichen durch die Grunderkrankung, die Höhe des MELD, die Qualität des Spenderorgans und die frühpostoperativen Komplikationen bestimmt. Die Vermeidung von Komplikationen beinhaltet ein optimales perioperatives Management, die Vermeidung chirurgisch-technischer Komplikationen und eine effektive Abstoßungsprophylaxe. Schwere bakterielle, atypische, virale oder mykotische Infektionen sind überwiegend nach Transplantatdysfunktion, komplikationsreichen postoperativen Verläufen und rezidivierender Abstoßungstherapie zu beobachten. Der Langzeiterfolg wird wesentlich durch die Gefahr eines Rezidives der Grunderkrankung bestimmt, dies gilt insbesondere für Patienten, die wegen einer alkoholtoxischen Leberzirrhose transplantiert wurden. Bei Patienten, die wegen eines HCC in Zirrhose transplantiert wurden, ist die Entstehung eines Tumorrezidivs ein deutlicher Risikofaktor. Die Registry-Daten des ELTR berichten für den Zeitraum von Januar 1988 bis Juni 2009 ein 10-Jahres-Patientenüberleben von 62% bei Patienten mit einer Leberzirrhose (n=42.833), von 58% bei Patienten mit Tumoren (n=10.590) und 45% bei Patienten mit akuten Leberversagen (n=6356). Die eigenen Ergebnisse verdeutlichen den Einfluss des MELD-Score und des Transplanttyps auf das Überleben (. Abb. 39.9 und . Abb. 39.10). Das Patientenüberleben zeigt eine deutliche Abhängigkeit vom MELD-Score, wobei Patienten mit einem MELD-Score über 27 ein schlechteres Patientenüberleben aufweisen (. Abb. 39.9). Das Transplantatüberleben war nach Lebendspende, Größenreduktion oder Teilen der Spenderleber (split) besser als nach Vollorgantransplantation (. Abb. 39.10). Die Gruppe der Vollorganempfänger beinhaltet die kritischen Patienten mit einem hohen MELD-Score. > Die Lebertransplantation bietet eine gute therapeutische Möglichkeit für Patienten im Endstadium der Lebererkrankung und im akutem Leberversagen. Die verbesserten Langzeitüberlebensraten dürfen durchaus als erfolgreich betrachtet werden. Weitere Fortschritte in der Immunsuppression und Toleranzforschung werden möglicherweise die Erfolge und Lebensqualität noch weiter verbessern können.
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800
Kapitel 39 · Lebertransplantation
. Abb. 39.9 Patientenüberleben nach Lebertransplantation in Abhängigkeit vom MELD-Score am UKSH, Campus Kiel seit Einführung des MELD
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. Abb. 39.10 Transplantatüberleben nach Lebertransplantation in Abhängigkeit vom Transplantattyp am UKSH, Campus Kiel seit Einführung des MELD
39.9
Literatur
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39
40
Pankreas
40.1
Anatomie und Physiologie des Pankreas
– 805
40.1.1 40.1.2 40.1.3
Anatomie – 805 Physiologie – 810 Literatur – 812
40.2
Konservative Therapie der akuten Pankreatitis
40.2.1 40.2.2 40.2.3 40.2.4 40.2.5 40.2.6 40.2.7
Definition und Pathogenese – 813 Klinische Symptomatologie – 814 Diagnostik – 814 Therapeutisches Vorgehen – 815 Endoskopische Therapie – 816 Nachsorge und Prognose – 817 Literatur – 817
40.3
Chirurgische Therapie der akuten Pankreatitis
40.3.1 40.3.2 40.3.3 40.3.4 40.3.5 40.3.6 40.3.7 40.3.8 40.3.9
Grundlagen – 818 Klinische Symptomatologie – 819 Diagnostik – 819 Therapieziele und Indikationsstellung – 819 Chirurgische Strategie, Verfahrenswahl und Operationstechnik Nachsorge – 821 Komplikationen und Ergebnisse – 821 Ausblick – 821 Literatur – 821
40.4
Pseudozysten des Pankreas
40.4.1 40.4.2 40.4.3 40.4.4 40.4.5 40.4.6
Grundlagen – 822 Klinische Symptomatologie – 823 Diagnostik – 824 Konservative und interventionelle Therapie Operative Therapie – 825 Literatur – 826
– 822
– 824
– 813
– 818
– 820
40.5
Pathogenese und konservative Therapie der chronischen Pankreatitis – 827
40.5.1 40.5.2 40.5.3 40.5.4 40.5.5 40.5.6
Klassifikation – 827 Pathogenese – 827 Klinische Symptomatologie Diagnostik – 831 Therapie – 834 Literatur – 836
40.6
Chirurgische Therapie der chronischen Pankreatitis
40.6.1 40.6.2 40.6.3 40.6.4 40.6.5 40.6.6
Grundlagen – 837 Therapieziele und Indikationsstellung – 837 Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl – 838 Operationstechnik – 839 Peripankreatische Komplikationen – 842 Literatur – 843
40.7
Pankreastrauma
40.7.1 40.7.2 40.7.3 40.7.4 40.7.5 40.7.6 40.7.7
Grundlagen – 843 Diagnostik – 844 Konservative Therapie – 845 Interventionelle Therapie – 845 Operative Therapie – 845 Komplikationen – 848 Literatur – 849
40.8
Postoperative Syndrome nach Eingriffen am Pankreas inkl. Substitution der exokrinen Pankreasfunktion – 850
40.8.1 40.8.2 40.8.3 40.8.4
Epidemiologie – 850 Frühkomplikationen – 850 Spätkomplikationen – 851 Literatur – 852
40.9
Pankreastransplantation
40.9.1 40.9.2 40.9.3 40.9.4 40.9.5 40.9.6 40.9.7 40.9.8 40.9.9
Grundlagen – 852 Indikationsstellung – 853 Kontraindikationen – 853 Spenderselektion – 854 Operationstechnik – 855 Immunsuppression – 858 Komplikationen – 858 Ergebnisse – 859 Literatur – 860
– 830
– 837
– 843
– 852
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_40, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
805 40.1 · Anatomie und Physiologie des Pankreas
40.1
Anatomie und Physiologie des Pankreas C. Beglinger, D. Oertli
Das Pankreas entsteht aus einer Verschmelzung zweier Anlagen des primitiven Vorderdarms. Störungen der regelhaften Organogenese erklären Pancreas anulare und divisum sowie den Ductus pancreaticus accessorius. Die retroperitoneal gelegene Drüse besitzt enge topographische Beziehungen zu Duodenum, den Gallenwegen, der Milz und zu den Oberbauchgefäßen. Gefäßvarianten besonders der arteriellen Durchblutung von Leber und Querkolon sind bei Pankreasresektionen zu bedenken und zu berücksichtigen. Hauptfunktion des exokrinen Pankreas besteht in der Sekretion von bikarbonathaltiger Flüssigkeit und von Verdauungsenzymen. Man unterscheidet zwischen der digestiven und 6
. Abb. 40.1a–c Embryogenese des Pankreas. a Ausbildung der dorsalen und ventralen Pankreasanlage; b Rotation des ventralen
der interdigestiven (postprandialen) Sekretionsphase des Pankreas. Beide Phasen werden mit verschiedenen Motilitätsaktivitäten des oberen Magen-Darm-Traktes und des Gallenwegssystems während der kephalen, gastrischen und intestinalen Verdauungsphase koordiniert.
40.1.1
Anatomie
Embryologie und Fehlbildungen Das Pankreas entsteht aus einer dorsalen und ventralen Ausstülpung des primitiven Vorderdarms. Die größere dorsale Anlage ist eine endodermale Ausstülpung des Duodenums und bildet Korpus und Kauda des Pankreas. Die kleinere ventrale Pankreasanlage stellt eine seitliche Ausstülpung aus dem hepatischen Divertikel dar und bildet später Pankreaskopf und Processus uncinatus (. Abb. 40.1).
Pankreas; c Verschmelzung der Pankreasanlagen zur Bauchspeicheldrüse des Erwachsenen
40
806
Kapitel 40 · Pankreas
a
c
b d
40
. Abb. 40.2a–d Bildgebung beim Pancreas anulare. a Die Magendarmpassage zeigt die konzentrische Einengung des Duodenums Pars II durch das anuläre Pankreasparenchym (Kompression von außen). b Die kontrastmittelverstärkte Computertomographie lässt die Umringung des Duodenums (wie ein »Zangenbiss«) erkennen.
Angeschnitten zeigen sich der anuläre Pankreasgang sowie der Wirsungianus. c,d Magnetresonanztomographie (inkl. MRCP): transverse Schnittbilder analog CT und die Gangrekonstruktion im Subtraktionsverfahren: anulärer Pankreasgang, der um das Duodenum herumzieht
Mit der Rotation des deszendierenden Duodenums wandert das ventrale Pankreas nach dorsal und verschmilzt mit dem dorsalen Pankreas bis zum Ende der sechsten Embryonalwoche. Malrotation der ventralen Anlage kann in einem Pancreas anulare resultieren. Diese Fehlbildung ist charakterisiert durch eine ringförmige Einengung des Duodenum Pars II durch normales Pankreasparenchym, das sogar die Duodenalmuskulatur penetrieren kann. Im Ring des Pankreasgewebes verläuft ein
großer Gang, der in der Regel in den Hauptpankreasgang einmündet (. Abb. 40.2). In der Schwangerschaft kann das obstruierende Pancreas anulare beim Feten eine der Hydramnionursachen darstellen (Hays et al. 1961; Merrill u. Raffensperger 1976). Trotz einer Stenose ist jedoch etwa die Hälfte der betroffenen Individuen bis ins Erwachsenenalter symptomlos (Lloyd-Jones et al. 1972; Kiernan et al. 1980). Die Ätiologie des Pancreas anulare ist unbekannt. In ca. 80% sind die
807 40.1 · Anatomie und Physiologie des Pankreas
. Abb. 40.3a–d Bildgebung beim Pancreas divisum: Magnetresonanztomographie des Pankreas und der ableitenden Gallenwege. a,b Axiale MRT: unvollständig miteinander verschmolzene Parenchymteile. Im Kopfbereich die kleinere ventrale Anlage, davon abgesetzt Korpus und Kauda, aus der dorsalen Anlage. c,d Magnetresonanzcholangiopankreatikographie: Mündung der dorsalen Pankreas-
anlage als Ductus accessorius (Santorini) separat ins Duodenum. Mündung der ventralen Anlage (wegen der zu geringen Auflösung in der MRT nicht darstellbar) zusammen mit den Ductus choledochus an der Papilla vateri. Cholezystolithiasis als Nebenbefund. (Mit freundlicher Genehmigung von PD Dr. C. Buitrago-Téllez, Universitätsklinik Basel)
neonatalen und in ca. 20% die adulten Fälle mit anderen kongenitalen Anomalien (Trisomie 21, tracheoösophageale Fistel, kardiale und renale Missbildungen) vergesellschaftet (Salonen 1978). Die Verschmelzung der Pankreasanlagen vereinigt die beiden Gangsysteme. Der Pankreashauptgang, der Ductus Wirsungianus mündet zusammen mit dem im distalen Abschnitt intrapankreatisch gelegenem Ductus choledo-
chus an der Papilla duodeni major (Vateri) ins Duode-
num. Er entspricht in seinem duodenumnahen Abschnitt dem Gang der ventralen und im Korpus- und Kaudabereich demjenigen der dorsalen Anlage. Bleibt die Rückbildung des duodenumnahen Abschnittes der dorsalen Pankreasanlage aus, so persistiert er als Ductus accessorius (Santorini). Er mündet meistens separat über eine Papilla duodeni minor ins Duodenum. Bei 3,6–4% der
40
808
Kapitel 40 · Pankreas
. Abb. 40.4 Topographie des Pankreas. 1 Kopf, 2 Processus uncinatus, 3 Hals, 4 Korpus, 5 Kauda, 6 Ductus Wirsungianus, 7 Ductus accessorius
(Santorini), 8 Duodenum, 9 Milz, 10 A. hepatica propria, 11 A. lienalis, 12 A. und V. mesenterica superior, 13 V. cava, 14 Aorta abdominalis
Individuen verschmelzen die Gangsysteme nicht. Es verbleiben 2 separate Drüsensysteme als Pancreas divisum (. Abb. 40.3; Uomo et al. 1995; Sugawa et al. 1987). Es ist nicht erwiesen, dass diese anatomische Variante häufiger mit akuter oder chronischer Pankreatitis einhergeht (Delhaye et al. 1985).
Gefäßversorgung
Topographische Anatomie
40
Das Pankreas liegt vollkommen retroperitoneal im Epigastrium und linken Hypochondrium. Es beginnt medial der Pars II des Duodenums mit seinem Caput und seinem nach dorsal und kaudal vordringenden Processus uncinatus, verläuft in schräger Achse nach links lateral und kranial mit Kollum, Korpus und Kauda und endet im Milzhilus. Am Kopf ist das Pankreas gegen dorsal fixiert, gegen den Schwanz hin aber relativ mobil. Beim Erwachsenen wiegt die Drüse 80–90 g, ist ca. 15–20 cm lang, ca. 3 cm breit und 1,0–1,5 cm dick. Sie liegt mit Caput und Kollum auf Höhe des ersten oder zweiten Lumbalwirbelkörpers gerade ventral des rechten medialen Nierenrandes. Im Kaudabereich überkreuzt die Drüse die linke Niere und Nebenniere vollständig in der Regel auf Höhe des 12. Brustwirbelkörpers. Das Pankreas ist ventral mit Peritoneum der Bursa omentalis überzogen und wird vornehmlich vom Magen überdeckt. Die Drüse wird von rechts nach links von den folgenden Gefäßen unterkreuzt: V. cava, Portalvene, V. lienalis, V. mesenterica superior, Aorta und A. mesenterica superior (. Abb. 40.4).
Die arterielle Blutversorgung des Pankreas erfolgt hauptsächlich über die pankreatikoduodenalen Arterien und über Äste der Milzarterie. Hauptäste der Arterien und Venen verlaufen dorsal des Pankreas. Pankreaskopf und Duodenum erhalten ihre Blutversorgung aus Gefäßarkaden, die die beiden superioren pankreatikoduodenalen Arterien (der A. gastroduodenalis entspringend) mit den beiden unteren (der A. mesenterica superior entspringend) verbinden (. Abb. 40.5). Direkte Äste der A. pancreaticoduodenalis inferior, seltener der A. mesenterica superior versorgen den Processus uncinatus. Hals, Korpus und Kauda werden von der A. pancreatica transversa versorgt. Sie entspringt aus der A. pancreatica dorsalis, verläuft inferoposterior längs durch die Drüse und ist über Arkaden mit der A. lienalis verbunden. Die A. pancreatica posterior ist ein Ast der A. lienalis in 37%, des Truncus coeliacus in 33%, der A. mesenterica superior in 21% und der A. hepatica in 8% der Fälle (Pansky 1990). Im Vergleich zu den entsprechenden Arterien verlaufen die Venen parallel zueinander und oberflächlicher. Vier pankreatikoduodenale Venen bilden Arkaden, die Pankreaskopf und Processus uncinatus drainieren. V. pancreaticoduodenalis anterior superior und beide Vv. pancreaticoduodenales inferiores münden in die V. mesenterica superior. Die V. pancreaticoduodenalis posterior superior mündet direkt in die V. portae. Pankreashals, Korpus und Kauda werden durch viele kleine venöse Äste drainiert, die sich entweder nach kranial in die V. lienalis
809 40.1 · Anatomie und Physiologie des Pankreas
. Abb. 40.5 Gefäßversorgung und lymphatische Stationen des Pankreas. Arterielles System: 1 Aorta abdominalis, 2 Truncus coeliacus, 3 A. hepatica communis, 4 A. gastroduodenalis, 5 A. pancreaticoduodenalis posterior superior, 6 A. pancreaticoduodenalis anterior superior, 7 Aa. pancreaticoduodenales posterior und anterior inferior,
8 A. mesenterica superior, 9 A. pancreatica dorsalis, 10 A. lienalis, 11 A. pancreatica transversa, 12 A. pancreatica caudalis. Peripankreatische Lymphknotenstationen: 13 pylorisch, 14 pankreatikoduodenal, 15 splenopankreatisch superior, 16 splenopankreatisch inferior, 17 splenisch
oder nach kaudal in die V. pancreatica transversa bzw. in die V. mesenterica superior entleeren. Es existiert eine Reihe von Gefäßvarianten, deren mögliches Vorliegen vom Chirurgen während einer Pankreasresektion bedacht, erkannt und ggf. geschont werden soll. Die häufigste Variante stellt in 26% eine aus der A. mesenterica superior entspringende A. hepatica dextra dar (Michels 1955). Dorsal des Pankreaskopfes ist dieses Gefäß während einer Pankreatikoduodenektomie gefährdet. In 2–4,5% entspringt die A. hepatica communis (Truncus hepatomesentericus) und in ca. 12% die A. hepatica dextra aus der A. mesenterica superior (Skandalakis et al. 1993). Diese Gefäße sind am Oberrand des Pankreaskopfes möglichen Verletzungen, die Leber- und Duodenumischämie zur Folge haben können, ausgesetzt. Weiter kann die A. colica media nach ihrem Ursprung aus der A. mesenterica superior den Pankreaskopf penetrieren und darauf ins Mesokolon einstrahlen (Skandalakis et al. 1993). Alle genannten Varianten, die aus der A. mesenterica superior entspringen, können hinter, vor oder durch den Pankreaskopf verlaufen (Skandalakis et al. 1979).
uncinatus werden durch pylorische und pankreatikoduodenale Lymphknoten drainiert. Hals, Körper und Schwanz geben die Lymphe in die splenopankreatischen Lymphknotengruppen ab. Die pylorischen, pankreatikoduodenalen und superioren splenopankreatischen Lymphknoten drainieren in die zöliakalen Lymphknoten. Die inferioren splenopankreatischen Lymphgefäße münden in die Lymphknotengruppen der A. mesenterica superior und der periaortalen Region. Über diese beiden Hauptkanäle fließt die Lymphe über den Ductus thoracicus nach supraklavikulär links in das tiefe Venensystem ab. Pankreaskarzinommetastasen können sich dort manifestieren. Bei Patienten mit Pankreaskopfkarzinom sind Lymphknotenmetastasen in absteigender Häufigkeit pankreatikoduodenal posterior, inferior, anterior, in den Lymphknoten der A. mesenterica superior, pericholedochal, retroportal und paraaortal zu erwarten (Shirai et al. 1997). Beim Malignom im Korpus und Schwanzbereich hingegen werden die splenopankreatischen, paraaortalen und zöliakalen Lymphknotengruppen befallen (Nakao et al. 1997).
Innervation Lymphatisches System Die lymphatische Drainage des Pankreas folgt grundsätzlich der arteriellen Gefäßversorgung (. Abb. 40.5). Eine einheitliche Terminologie der pankreatischen Lymphknotenstationen existiert nicht. Pankreaskopf und Processus
Das Pankreas wird sympathisch (Nn. splanchnici) und parasympathisch (Nn. vagi) innerviert. Es finden sich viszeral efferente, motorische und afferente, sensorische Fasern zu den Gefäßwänden, den Pankreasgängen und den Pankreasdrüsen. Sie regulieren den pankreatischen Blutfluss, be-
40
810
Kapitel 40 · Pankreas
40.1.2
Physiologie
Funktion Die Hauptaufgabe des exokrinen Pankreas ist die Sekretion von bikarbonathaltiger Flüssigkeit und von Verdauungsenzymen. Der bikarbonatreiche Saft ist wichtig zur Neutralisierung des sauren Magenbreis, der vom Magen nach dem Essen ins Duodenum abgegeben wird. Die Aufrechterhaltung des »milieu intérieur« beinhaltet jedoch nicht nur die Neutralisierung von saurem Mageninhalt, sondern auch die Schaffung optimaler Bedingungen für die Verdauungsenzyme, die die verschiedenen Nahrungskomponenten (Kohlehydrate, Eiweiße, Fette) in ihre Bestandteile zerlegen (Solomon 1994). Der Pankreassaft besteht demzufolge aus Verdauungsenzymen, die von den Azinuszellen produziert werden, sowie aus bikarbonatreicher Flüssigkeit, die primär von den Gangepithelien sezerniert wird.
Zusammensetzung des Pankreassaftes
. Abb. 40.6 Innervation des Pankreas
40
einflussen die azinäre und zentroazinäre Sekretion und leiten die viszerale Schmerzempfindung des Pankreas ab. Die präganglionäre sympathische Innervation erfolgt über den aus den 5. bis 9. oder 5. bis 10. Thorakalsegmenten entspringenden N. splanchnicus major und dem aus den 9. und 10. oder 10. und 11. Thorakalsegment stammenden N. splanchnicus minor. Der N. splanchnicus imus (12. Thorakalsegment) beteiligt sich ebenfalls mit Fasern am Pankreas. Diese splanchnischen Nerven ziehen durch die Zwerchfellschenkel zum Plexus coeliacus bzw. zum Ganglion coeliacum und strahlen postganglionär ins Pankreasparenchym ein. Innerhalb des Plexus kreuzen einige afferente Fasern die Mittellinie. Die Zellen der efferenten sympathischen Fasern liegen in den dorsalen Wurzeln des Ganglion coeliacum, wo sie Verbindungen zu den somatischen, sensorischen Fasern haben. Parasympathisch wird das Pankreas über die Rami coeliaci des Truncus vagalis posterior innerviert. Dieser teilt sich in einen posterioren gastrischen und einen zöliakalen Plexus (Skandalakis et al. 1974). Die zöliakale Aufteilung zieht in den Plexus coeliacus, der Vagusäste zum Pankreas und anderen Abdominalorganen abgibt (. Abb. 40.6).
Der Saft des exokrinen Pankreas ist alkalisch und hat eine sehr hohe Bikarbonatkonzentration (bis 150 mmol/l) im Vergleich zum Plasma (25 mmol/l). Pro Tag werden ungefähr 1500 ml Saft produziert. Die Galle und die Flüssigkeitsproduktion des Dünndarms sind ebenfalls alkalisch; diese 3 Flüssigkeiten neutralisieren den sauren Mageninhalt, sodass im oberen Dünndarm unter normalen Bedingungen ein pH von 6,0–7,0 vorhanden ist. Die wichtigsten verschiedenen Verdauungsenzyme sind in der folgenden Übersicht zusammengefasst (Solomon et al. 1994). Die meisten Enzyme werden als inaktive Vorstufen, sog. Proenzyme, sezerniert. Trypsinogen wird als Erstes durch das Enzym Enterokinase, das im Dünndarm produziert wird, zum aktiven Trypsin umgewandelt. In der Folge aktiviert Trypsin eine Reihe von anderen Enzymen (. Abb. 40.7). Die wichtigsten Verdauungsenzyme des exokrinen Pankreas 4 Proteolytische Enzyme – Trypsin – Chymotrypsin – Elastase – Carboxypeptidase A und B 4 Lipolytische Enzyme – Lipase, Kolipase – Cholesterolesterose – Phospholipase A2 4 Amylase 4 Nukleolytische Enzyme – Ribonukleasen – Desoxyribonuklease
811 40.1 · Anatomie und Physiologie des Pankreas
. Abb. 40.7 Aktivierung von Pankreasproteasen
Sekretionsmuster Um die pathophysiologischen Prozesse der Bauchspeicheldrüse zu verstehen, muss man das normale Sekretionsprofil des exokrinen Pankreas kennen. Die humane Pankreassekretion wird im Allgemeinen in 2 distinkte Phasen unterteilt, die interdigestive Sekretion und die postprandiale (digestive) Sekretion (Layer et al. 1988; Solomon et al. 1994; Keller u. Layer 2005; Chandra u. Liddle 2009). Beide Sekretionsphasen sind in die Motilitätsaktivitäten des oberen Magen-Darm-Traktes integriert. Daraus ergibt sich eine Koordination der verschiedenen Verdauungsprozesse: Motorik (Magenentleerung), Säuresekretion, Gallefluss und exokrine Pankreassekretion. Die interdigestive Phase beginnt unmittelbar nach der postprandialen Phase, nachdem alle Nahrung aus dem oberen Magendarmtrakt verschwunden ist. Das interdigestive Muster wird unterbrochen durch Nahrungseinnahme, wobei Hormone und neurale Mechanismen an der Steuerung beteiligt sind. Die interdigestive Periode bleibt solange unterbrochen, wie Nahrung im Magen vorhanden ist. Menschen, die Frühstück, Mittagessen und Abendessen zu sich nehmen, zeigen demzufolge ein postprandiales Verdauungsmuster während des ganzen Tages bis spät in die Abendstunden. In der Regel dauert es mindestens 5 h nach Mahlzeitbeginn, bis das postprandiale Verdauungsmuster von der interdigestiven Phase abgelöst wird. Unter normalen Umständen (3 Mahlzeiten/Tag mit einem Energiegehalt von 20–30 kcal/kg KG) beginnt demzufolge das postprandiale Verdauungsmuster mit der Einnahme des Frühstücks und endet etwa um Mitternacht. Die interdigestive Phase dauert anschließend bis zur nächsten Nahrungseinnahme am folgenden Tag.
Pankreassekretion während der interdigestiven Phase Die Koordination von Sekretion (Magensaft, Galle und Pankreassaft) und Motilität ist von großer physiologischer Bedeutung: Es kann damit verhindert werden, dass die ag-
gressiven Säfte die Integrität des oberen Magen-DarmTraktes beeinträchtigen. Durch Konvention werden die interdigestiven oberen gastrointestinalen Funktionen in 3 Phasen unterteilt: 4 Phase I ist charakterisiert durch minimale motorische und sekretorische Aktivitäten (Ruhephase): Die Magensaft- und die Pankreassekretionen sind minimal, die Gallesekretion sistiert und keine wesentlichen motorischen Aktivitäten sind erfassbar. 4 In Phase II kann man eine verstärkte motorische Aktivität, begleitet von gesteigerten Sekretionen beobachten (Layer et al. 1988; Solomon et al. 1994; Keller u. Layer 2005). Die motorische Aktivität ist eng mit den Sekretionen gekoppelt. 4 Die motorische Aktivität steigert sich in Phase III zu einem Maximum, sowohl in Bezug auf motorische Aktivität als auch in Bezug auf Sekretionen. Diese kurze intensive Phase dauert nur etwa 5–10 min, dann wird wieder die Ruhephase (Phase I) aufgenommen. > Die Gesamtdauer eines interdigestiven Zyklus dauert 60–90 min und wiederholt sich so lange, bis ein postprandiales Muster den Zyklus unterbricht.
Die Regulation der interdigestiven Pankreassekretion unterliegt einem komplexen Wechselspiel von stimulierenden und hemmenden Faktoren. Die genaue Bedeutung der einzelnen Komponenten ist zurzeit noch unklar, doch stehen neurale Steuerungsmechanismen im Vordergrund, vor allem vagale, cholinergische Fasern (Layer et al. 1992; Adler et al. 1995; Chandra u. Liddle 2009). Es gibt experimentelle Hinweise, dass enteropankreatische Nerven an der Steuerung beteiligt sind; die Rolle der intrapankreatischen Nervenfasern und die Bedeutung des sympathischen Nervensystems wurden bisher ungenügend untersucht.
Exokrine Pankreassekretion während der Verdauungsperiode Die wichtigste Funktion des exokrinen Pankreas ist die Sekretion von Verdauungsenzymen zur Aufspaltung der verschiedenen Nahrungskomponenten. Die mahlzeitstimulierte Pankreassekretion wird üblicherweise in 3 Phasen unterteilt, wobei die verschiedenen Phasen überlappen und interagieren: eine kephale, eine gastrische und eine intestinale Phase. Kephale Phase Sie wird durch den Anblick, den Gedanken, den Duft oder den Geschmack von wohlschmeckendem Essen induziert (Anagnostides et al. 1984; Solomon et al. 1994; Adler et al. 1995). Die Pankreassekretion kann also stimuliert werden, ohne dass Nahrung in den MagenDarm-Trakt gelangen muss. Die Verabreichung des unspezifischen, muskarinischen Blockers Atropin kann die
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Kapitel 40 · Pankreas
kephale Phase vollständig unterdrücken, womit dokumentiert werden konnte, dass das cholinerge System der wichtigste Regulator der kephalen Phase darstellt. Gastrische Phase Der Magen reguliert seine Entleerung
und bestimmt damit das Ausmaß der Nahrungsabgabe in den Dünndarm. Die Nahrung im Dünndarm ist jedoch ein wichtiger Stimulus für die Anregung der Pankreassekretion. Die Bedeutung des Magens, unabhängig von seiner Rolle als Nahrungsreservoir, in der Regulation der Pankreassekretion ist aber beim Menschen nur ansatzweise untersucht. Experimente mit Ballondistension des Magens habe aber klar gezeigt, dass die exokrine Sekretion durch Dehnung des Magens stimuliert werden kann. Das Signal wird durch vagovagale Reflexe ausgelöst (Cargill et al. 1979; Solomon et al. 1994).
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Intestinale Phase Die intestinale Phase ist der bedeutendste Stimulationsfaktor der postprandialen Pankreassekretion; damit ist dargelegt, dass das Ausmaß der postprandialen exokrinen Sekretionsmenge von der duodenalen Stimulation bestimmt wird (Beglinger et al. 1992). Experimentell konnte eine Beziehung zwischen duodenaler Stimulation mit ansteigenden Mengen der Fettsäure Oleat und dem Enzymausstoß dokumentiert werden. Dabei sind hydrolysierte Fettsäuren mit einer Kettenlänge von mehr als 12 Kohlenstoffatomen (>C12) die potentesten Stimulatoren der Pankreassekretion, essenzielle Aminosäuren (vor allem Phenylalanin, Valin, Methionin und Tryptophan) oder Mischungen von Aminosäuren induzieren ebenfalls eine markante Enzymsekretion, obwohl das Ausmaß nur etwa 50% der maximalen, durch Fettsäuren induzierten Sekretion erreicht. Kohlenhydrate sind hingegen schlechte Stimulatoren der exokrinen Pankreassekretion (Solomon et al. 1994; Keller u. Layer 2005). Die Stimulation der Pankreasenzymsekretion durch Nahrungskomponenten im proximalen Dünndarm wird vorwiegend durch eine Wechselbeziehung zwischen dem Verdauungshormon Cholezystokinin (CCK) und dem cholinergen System vermittelt. Die Sekretion wird praktisch vollständig unter cholinerger Rezeptorblockade mit Atropin unterdrückt (Beglinger et al. 1992). Zusätzlich zur Wechselbeziehung mit dem cholinergen Nervensystem interagiert CCK auch mit dem klassischen Verdauungsenzym Sekretin, dem wichtigsten Stimulator der Pankreasbikarbonatsekretion. Die Bikarbonatsekretion ist wichtig zur Neutralisierung der Magensäure; durch Neutralisierung kann das intraluminale pH nach Mahlzeiteinnahmen auf 6–7 gehalten werden, was für eine optimale Enzymaktivität notwendig ist. Bei einem tiefen pH sind verschiedene Enzyme, speziell die Pankreaslipase inaktiviert (Keller u. Layer 2005). Die Bedeutung des intraduodenalen pH wird daher bei chronischer Pankreasinsuffizienz ersicht-
lich: Bei fortgeschrittener Erkrankung werden nicht nur ungenügende Enzymmengen sezerniert, sondern die reduzierten Enzyme werden ungenügend aktiviert, weil durch die verminderte Bikarbonatsekretion das pH auf 4–6 abfallen kann.
Bedeutung des Dünndarms in der Regulation der Pankreassekretion > Die wichtigsten stimulatorischen Mechanismen der exokrinen Pankreassekretion liegen in der gastroduodenalen Region.
Nach einer Mahlzeiteinnahme genügt demzufolge die Exposition des gastroduodenalen Segmentes mit Nahrung, um eine maximale Pankreassekretion zu erzeugen. Zwar sind auch die distalen Anteile des Dünndarms (proximales Jejunum) in der Lage, die Pankreasenzymsekretion anzuregen. Beim gesunden Individuum ist dies jedoch eine redundante physiologische Funktion. Die jejunale Enzymstimulation kann aber wichtig werden nach operativen Eingriffen wie Gastrojejunostomien (z. B. Billroth II oder Roux-en-Y-Rekonstruktion), wo Antrum und Duodenum ausgeschlossen werden. Der distale Dünndarm (Ileum) hat in der späten postprandialen Phase die Funktion, die Pankreasenzymsekretion zu drosseln (Keller et al. 1997; Keller et al. 2006; Layer et al. 1990). Die Mechanismen, die dazu führen, sind zurzeit nur teilweise definiert. Kandidaten sind vor allem hormonale Hemmsubstanzen, die im Ileum produziert werden, wie die Hormone Somatostatin-28, Peptid YY und »glucagon-like-peptide 1« (GLP-1). Die Hemmung der exokrinen Pankreassekretion durch diese Peptide wird auch als »Ileal brake« bezeichnet (Chandra u. Liddle 2009; Keller et al. 2006).
40.1.3
Literatur
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813 40.2 · Konservative Therapie der akuten Pankreatitis
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40.2
Konservative Therapie der akuten Pankreatitis F. Lammert
Die Diagnose der akuten Pankreatitis beruht auf dem klinischen Bild und dem Nachweis erhöhter Pankreasenzyme im Serum. Zusätzliche Laboruntersuchungen und bildgebende Verfahren werden zur Sicherung der Diagnose, zur Beurteilung des Schweregrades der Pankreasschädigung, zur Erfassung von Komplikationen und bei der Abklärung der auslösenden Ursache eingesetzt. Bei 80% der Patienten liegt eine leichte Verlaufsform vor (serös-ödematöse Pankreatitis). Bei der schweren nekrotisierenden Form entwickeln sich häufig lokale oder systemische Komplikationen und Organversagen. Die Letalität der akuten Pankreatitis insgesamt liegt bei 2–12%. Die frühzeitige Erkennung und die fachgerechte intensivmedizinische Behandlung der nekrotisierenden Pankreatitis sind von entscheidender prognostischer Bedeutung.
40.2.1
Definition und Pathogenese
Klinisch ist die akute Pankreatitis durch akute Oberbauchbeschwerden und eine signifikante Erhöhung (>3-fach) der Pankreasenzyme im Serum gekennzeichnet. Morphologisch ist die akute Pankreatitis durch eine entzündliche Schädigung der Bauchspeicheldrüse unterschiedlichen Ausmaßes definiert, die von einem interstitiellen Ödem (serös-ödematöse Pankreatitis) bis zu ausgedehnten Parenchymnekrosen reichen kann (akute Pankreasnekrose). Die häufigsten Ursachen der akuten Pankreatitis sind das Gallensteinleiden – wobei nicht selten auch eine klinisch schwer erkennbare Mikrolithiasis für eine Pankreatitis verantwortlich ist – und der Alkoholkonsum. Bei der ethyltoxisch bedingten akuten Pankreatitis handelt es sich meistens um eine akute Attacke einer zugrunde liegenden chronischen Pankreatitis. Weitere seltene Ursachen sind oft nur als Einzelfälle beschrieben. Ursachen der akuten Pankreatitis 4 Gallensteine (40–60%) 4 Alkoholabusus (20–40%) 4 Medikamente: Azathioprin, Tetrazyklin, Thiazide, Sulfonamide, Furosemid, Isoniazid, Cisplatin 4 Trauma, Operationen 4 ERCP 4 Duodenaldivertikel 4 Ulkuskrankheit 6
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Kapitel 40 · Pankreas
4 Tumor 4 Viren: Mumps, Hepatitisviren A, B und C, Coxsackie, Zytomegalie, Herpes zoster, HIV 4 Parasiten: Askariden, Clonorchis 4 Bakterien: Yersinien, Salmonellen, Mykobakterien, Leptospiren 4 Ischämie: Schock, Embolie, Panarteriitis nodosa 4 Stoffwechselkrankheiten: Hyperlipoproteinämien, Hyperparathyreoidismus 4 Kongenital: Pancreas divisum, Pancreas anulare, Choledochuszysten, hereditäre Pankreatitis
Die akute Pankreatitis ist die Folge einer intrapankreatischen Aktivierung und Freisetzung von Pankreasenzymen (Proteasen, Lipase), die mit einer überschießenden Stimulation des Entzündungssystems und der Freisetzung multipler Mediatoren sowie freier Radikale aus Makrophagen, Mastzellen und Neutrophilen einhergeht (Mitchell et al. 2003). Wird die kompensatorische Wirkung der Schutzmechanismen (Proteaseinhibitoren, Antiproteasen) überfordert, kommt es zum Fortschreiten der Erkrankung. Diese erste Phase der Entzündung kann zu lokalen Gewebsnekrosen und einer systemischen inflammatorischen Reaktion mit Schock führen. Im weiteren Verlauf können Infektionen der Nekrosen schwere septische Komplikationen hervorrufen.
40.2.2
Klinische Symptomatologie
In der Regel manifestiert sich die akute Pankreatitis – nicht selten im Anschluss an eine reichliche Mahlzeit oder einen Alkoholexzess – mit heftigen Oberbauchschmerzen.
Diese beginnen plötzlich, steigern sich kontinuierlich und strahlen oft gürtelförmig vom Oberbauch in den Rücken aus. Die »gummiartige« Abwehrspannung des Abdomens ist ein charakteristischer Befund. Als Begleitsymptome treten häufig Übelkeit und Erbrechen mit den Zeichen eines Subileus oder Ileus auf. Ein schwerer Verlauf zeigt sich in der Ausbildung eines hypovolämischen Schocks, einer respiratorischen Insuffizienz, eines akuten Nierenversagens oder einer Verbrauchskoagulopathie. Ekchymosen in der linken Flanke (Grey-Turner-Zeichen) oder periumbilikal (Cullen-Zeichen) treten bei 5% der Patienten auf, zeigen oft eine ausgeprägte Pankreasnekrose an und sind daher ein signum male ominis. Komplikationen der nekrotisierenden Pankreatitis sind infizierte Nekrosen, Abszesse und Pseudozysten.
40.2.3
Diagnostik
Labordiagnostisch wird der klinische Verdacht einer akuten Pankreatitis durch die eindeutige Erhöhung der Lipase bestätigt (zumeist initial >3-fache der oberen Normgrenze). Die Höhe des Enzymanstiegs korreliert nicht mit dem Schweregrad. Die Bestimmung der Amylase, die im Krankheitsverlauf rascher als die Lipase wieder fällt, verbessert die diagnostische Aussage nicht, zumal bei Makroamylasämie, Sprue, Parotitis, Niereninsuffizienz oder als paraneoplastisches Syndrom isolierte Amylaseerhöhungen bei normwertiger Lipase beobachtet werden. Weitere Laborwerte dienen weniger der primären Diagnose einer akuten Pankreatitis als der Suche nach deren Ätiologie, der Bestimmung des Schweregrades und damit der Prognose. . Tab. 40.1 fasst das diagnostische Vorgehen zusammen. Für eine biliäre Pankreatitis bei Choledocholithiasis ist eine frühzeitige transiente Erhöhung der ALT und wei-
. Tab. 40.1 Diagnostisches Vorgehen bei Verdacht auf akute Pankreatitis. (Nach Wagner et al. 2003)
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Ziel
Diagnostische Maßnahmen
Probleme
Sicherung der Diagnose
Anamnese und Befund
Klinischer Befund und Enzymanstieg stimmen nicht immer mit dem CT-Befund überein
Messung der Lipase im Serum
Bei längerem Intervall zwischen Schmerzbeginn und stationärer Aufnahme Amylase oft wieder normal, nur noch Lipase erhöht
Ultraschall
Bei schwerer Pankreatitis ist der Ultraschall oft nicht aussagefähig (luftüberlagertes Pankreas)
Differenzialdiagnose serös-ödematöse vs. nekrotisierende Pankreatitis
KM-CT frühestens 48–96 h nach stationärer Aufnahme
Als Ersatz für das KM-CT gibt es kein sicheres nichtbildgebendes Zeichen für eine Pankreasnekrose, ein Verdacht besteht bei CRP>150 mg/l, Organversagen, Pleuraerguss, Ranson-Score ≥3, Imrie-Score ≥3, APACHE-II-Score ≥8 oder BMI>30 kg/m2
Sicherung einer Nekroseninfektion
Feinnadelpunktion
Erfolgt Ultraschall- oder CT-gesteuert und setzt viel Erfahrung voraus
815 40.2 · Konservative Therapie der akuten Pankreatitis
terer Leberwerte (AP, Bilirubin) typisch, die sich beim spontanen Steinabgang durch die Papille rasch normalisiert. Zur möglichst frühzeitigen Differenzierung zwischen der milden serös-ödematösen Pankreatitis und der prognostisch ernsthafteren, nekrotisierenden Pankreatitis werden in klinischen Studien spezielle Score-Systeme verwendet (Ranson- oder Imrie-Score). Nachteilig ist, dass diese Scores nur für die ersten 48 h validiert sind und der alternativ eingesetzte APACHE-II-Score nicht pankreasspezifisch ist. Glasgow-Kriterien (Imrie-Score) 4 Innerhalb von 48 h nach Aufnahme: – Alter >55 Jahre – Leukozyten >15 G/l – Nüchtern-Glukose >180 mg/dl – Harnstoff >96 mg/dl – Arterieller pO2 <60 mmHg – Kalzium <2 mmol/l – Albumin <32 g/l – LDH >600 U/l – Transaminasen >100 U/l 4 0–2 Punkte: leichte Pankreatitis 4 3–9 Punkte: schwere Pankreatitis
Bei schweren Verläufen erfolgen engmaschige Laborkontrollen (Blutbild, Elektrolyte, Kreatinin, Harnstoff, Eiweiß/ Albumin, TPZ, PTT, Blutzucker, LDH). Ein CRP-Anstieg auf über 150 mg/l spricht für das Vorliegen einer schweren Pankreatitis. Ein Anstieg des Prokalzitonins deutet möglicherweise auf ein erhöhtes Risiko für infizierte Nekrosen und einen schweren septischen Verlauf hin (Rau et al. 1997). Als bildgebende Verfahren werden Ultraschall, Endosonographie und KM-CT eingesetzt (. Tab. 40.1). Der sonographische Nachweis von Gallensteinen spricht, besonders mit gleichzeitiger Erhöhung der Leberwerte, für eine gallensteinbedingte Pankreatitis. Bei ambivalenter Situation mit eher geringer Wahrscheinlichkeit eines Gallengangsteines sollte eine Klärung der vermuteten Steinobstruktion mittels Endosonographie erfolgen, sofern diese verfügbar ist. Bei Verdacht auf einen schweren Verlauf gibt das CT wesentliche Informationen über das Ausmaß und die Lokalisation von Nekrosen. Die Minderperfusion im KM-CT (Dichte <30 Hounsfield-Einheiten) definiert die Nekrose des Parenchyms, wobei in der Frühphase das transiente Ödem eine Nekrose vortäuschen kann. Eine Röntgenübersicht des Thorax in 2 Ebenen kann Pleuraergüsse nachweisen, deren Auftreten mit der nekrotisierenden Verlaufsform assoziiert ist. Besonders bei Patienten mit einer ersten Attacke einer akuten Pankreatitis stellt sich immer die Frage, ob es sich
um eine eigentliche akute Pankreatitis im engeren Sinn, mit vollständigem Erholungspotenzial des Organs nach Abklingen der akuten Phase, handelt oder ob ein erster Schub einer chronischen Pankreatitis vorliegt. Für diese Differenzialdiagnose ist die genaue Erhebung der Anamnese mit etwaigen Hinweisen für eine vorbestehende Pankreasinsuffizienz, für frühere Pankreatitisschübe oder das Vorliegen eines chronischen Alkoholabusus hilfreich. Auf der anderen Seite sprechen vorausgegangene biliären Koliken für eine akute steinbedingte Pankreatitis. Pankreasverkalkungen als diagnostisches Zeichen einer chronischen Pankreatitis können im Ultraschall, im Abdomenleerbild oder im CT nachgewiesen werden.
40.2.4
Therapeutisches Vorgehen
Alle Versuche, kausal in den Ablauf der pathophysiologischen Mechanismen einzugreifen, sind bis dato erfolglos geblieben. Dies gilt sowohl für Hormone, die die Pankreassekretion unterdrücken können (z. B. Glukagon, Somatostatin), als auch für Hemmer der Proteasen (z. B. GabexatMesilat, Aprotinin). Deshalb stehen die Behandlung der Symptome und die Verhinderung und Behandlung von möglichen Komplikationen bei den konservativen Therapiemaßnahmen der akuten Pankreatitis im Vordergrund. Es wird zwischen einer standardisierten Basistherapie für alle Pankreatitisfälle und einer Intensivtherapie für schwere Formen unterschieden.
Therapieprinzipien bei akuter Pankreatitis 4 Ausreichende parenterale Flüssigkeitssubstitution (ZVD-gesteuert) 4 Intensivmedizinische Überwachung und Behandlung obligat bei schwerer Verlaufsform 4 Suffiziente Schmerztherapie 4 Orale Nahrungskarenz bis Schmerzfreiheit 4 Magensonde bei Subileus/Erbrechen 4 Stressulkusprophylaxe bei schwerer Verlaufsform (Protonenpumpenhemmer) 4 Prophylaktische Antibiose bei Nekrosen und biliärer Pankreatitis 4 Ausreichende Kalorienzufuhr 4 Früher enteraler Kostaufbau 4 Pankreasenzyme prinzipiell nicht indiziert 4 Thromboseprophylaxe durch Low-dose-Heparinisierung 4 ERCP bei schwerer biliärer Pankreatitis frühzeitig durchführen 4 Interdisziplinärer Therapieansatz, ggf. rasche Verlegung in ein Zentrum
40
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Kapitel 40 · Pankreas
Standardisierte Basistherapie
Intensivmedizinische Therapie
> Grundlage der initialen Basistherapie ist die enterale Nahrungskarenz bis zur Schmerzfreiheit bei adäquater parenteraler Flüssigkeitssubstitution.
Zeigen der klinische Verlauf, ein Anstieg des CRP auf über 150 mg/l, hohe Risiko-Scores oder der Nachweis von Nekrosen im CT eine nekrotisierende Pankreatitis mit der Gefahr von Organkomplikationen und Sepsis an, muss der Patient einer Intensivüberwachung und -therapie zugeführt werden. Die Intensivtherapie richtet sich nach den auftretenden Organkomplikationen (pulmonale Insuffizienz, Nierenversagen, Kreislaufversagen und Schock) sowie den metabolischen Störungen (Hyperglykämie, Hypokalzämie, metabolische Azidose). Bei der schweren Verlaufsform mit respiratorischer Insuffizienz ist eine frühzeitige Beatmung indiziert, wobei keine pankreatitisspezifischen Kriterien der Beatmung existieren und der primäre Beatmungsansatz nichtinvasiv gewählt werden sollte. Zur Prophylaxe gegen Thrombosen und eine disseminierte intravasale Gerinnung wird eine niedrig dosierte Gabe von Heparin (5000– 10.000 IE/24 h) empfohlen (Rünzi et al. 2000), wobei keine Verlängerung der PTT erzielt werden soll.
Der tägliche Flüssigkeitsbedarf beträgt im Initialstadium der akuten Pankreatitis mindestens 3 l und wird bei der akuten Pankreatitis häufig unterschätzt. Zur Kontrolle der Hydrierung dienen ZVD-Messung (Ziel-ZVD 10 cm H2O) und Urinausscheidung. Eine Magensonde ist nicht generell notwendig, es sei denn, es liegt ein Subileus bzw. Ileus mit Erbrechen vor (Rünzi et al. 2000). Mehrere prospektive randomisierte Studien konnten kürzlich zeigen, dass eine frühe enterale Ernährung der parenteralen Ernährung bei akuter Pankreatitis wahrscheinlich überlegen ist (Meier et al. 2002; Marek et al. 2005). Eine enterale Sondennahrung ab dem 3. Tag über eine am Treitz-Band platzierte Dünndarmsonde (oder nach neueren Studien mit gleicher Effektivität auch über eine Magensonde) erhält die Integrität des Darmepithels, verhindert die Zottenatrophie im Darm und verringert die prognostisch kritische Kolonisation bzw. Infektion der Nekrosen. Durch die enterale Diät sollten 25–35 kcal/kg/Tag zugeführt werden (1,2–1,5 g Protein, 4–6 g Kohlenhydrate und max. 2 g Fett/kg/Tag). Bei schwerer Pankreatitis ist eine Stressulkusprophylaxe indiziert (Protonenpumpeninhibitor). Bei den symptomatischen Maßnahmen steht die effektive Schmerzbehandlung im Vordergrund. Als Basistherapie wurde bisher häufig ein Procain-Perfusor empfohlen, obgleich die Wirkung zweifelhaft ist und die intravenöse Applikation von Buprenorphin (0,3 mg Bolus, gefolgt von 0,1 mg/h) überlegen ist (Jakobs et al. 2000, Kahl et al. 2004). Bei nicht ausreichender Wirkung können Buprenorphin oder andere Opioide ohne relevante Wirkung auf den Sphinkter Oddi (Pethidin, Pentazocin) mit peripher wirksamen Analgetika (Metamizol) kombiniert werden. Die transdermale Applikation von Opioden (Fentanyl, Buprenorphin) hat den potenziellen Vorteil, gleichbleibende Wirkspiegel zu erreichen.
Antibiotikatherapie
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Die prophylaktische Antibiotikatherapie gehört nicht zur Basistherapie, wird aber bei Sepsis bzw. SIRS, Mutiorganversagen oder bioptischem Infektionsnachweis in Nekrosen für mindestens 7–10 Tage empfohlen (Rünzi et al. 2000; Nordback et al. 2001; Bassi et al. 2003). Positive klinische oder tierexperimentelle Studien sprechen für den Einsatz von Imipenem als Monotherapie (3×500–1000 mg/ Tag) oder Ciprofloxacin (2×400 mg/Tag) bzw. Levafloxacin (1×500 mg/Tag) + Metronidazol (3×500 mg/Tag). Mögliche Risiken dieser Antibiotikaprophylaxe sind die Entwicklung von Candida-Infektionen und die Selektion grampositiver Bakterien (Isenmann et al. 2004).
Infektion von Nekrosen Die bakterielle Infektion der primär sterilen Nekrosen stellt eine prognostisch entscheidende Verschlechterung bei der nekrotisierenden Pankreatitis dar. Eine Nekroseninfektion ist anzunehmen, wenn Fieber oder Organversagen in Verbindung mit einem Leukozyten- oder CRP-Anstieg auftreten und extrapankreatische Infektionen ausgeschlossen sind. In dieser Situation ist die gezielte Feinnadelaspiration der Nekrosen unter Ultraschall- oder CT-Kontrolle indiziert, da infizierte Nekrosen einer resistenzgerechten antibiotischen Therapie und bei septischem Verlauf einer operativen Entfernung der Nekrosen mit anschließender Drainage der Bauchhöhle und evtl. Lavage bedürfen. Die häufigsten Erreger sind E. coli, Enterokokken, Enterobacter und Klebsiella spp. (Isenmann et al. 2004). Perkutane Drainagen sind in dieser Situation erfahrenen Zentren vorbehalten. Bei Nachweis von infizierten Pseudozysten und Abszessen kann primär interventionell oder chirurgisch therapiert werden. Nichtinfizierte Pseudozysten sollten nur dann therapiert werden, wenn lokale Symptome bestehen (Gallengangs- oder Duodenalobstruktion, wesentliche Größenzunahme, Blutung). Symptomatische Pseudozysten >6–10 cm können hierbei primär interventionell drainiert werden, da deren perkutane Katheterdrainage eine sichere und effektive Methode zur Dekompression darstellt.
40.2.5
Endoskopische Therapie
Bei positiver Anamnese für ein Gallensteinleiden, dem Nachweis von Gallensteinen oder einem erweiterten Gangsystem im Ultraschall und einer initialen ALT-Erhöhung
817 40.2 · Konservative Therapie der akuten Pankreatitis
besteht der dringende Verdacht, dass die akute Pankreatitis durch einen inkarzerierten Gallenstein ausgelöst sein könnte. Bei biliärer Pankreatitis mit obstruktivem Ikterus und/oder Cholangitis besteht die Indikation zur dringlichen ERC mit Papillotomie und Steinentfernung (<24 h; Fölsch et al. 1997; Fogel et al. 2003). Darüber hinaus diskutiert eine Metaanalyse (Sharma et al. 1999) einen günstigen Effekt der Papillotomie bei der biliären Pankreatitis generell. Da die Pankreatitis häufig auf einer Migration von Gallenblasensteinen in den Choledochus beruht, sollten alle Patienten mit noch vorhandener Gallenblase cholezystektomiert werden. Die Cholezystektomie kann bei Patienten mit leichter Pankreatitis früh (innerhalb einer Woche nach klinischer Erholung) vorgenommen werden (Fogel et al. 2003). Dagegen sollte die Operation bei Patienten mit schwerer nekrotisierender Pankreatitis frühestens 6 Wochen nach klinischer Konsolidierung durchgeführt werden (Nealon et al. 2004). Bleibt die Ätiologie unklar, sollte im freien Intervall (frühestens nach 8 Wochen) eine MRCP oder ERCP erfolgen, um eine biliäre Genese oder eine Ursache im Bereich der Papille oder der Pankreasgänge zu erkennen und einen Tumor auszuschließen. Alternativ zur perkutanen Katheterdrainage von Pseudozysten kann eine endosonographisch gesteuerte Zystenterostomie mit einer Pigtail-Prothese für 3–6 Wochen durchgeführt werden (Cortes et al. 2002). ! Cave ! Bei der endosonographisch gesteuerten Zystenterostomie besteht – abhängig von der Erfahrung des Untersuchers – eine erhebliche Blutungs- und Infektionsgefahr. Die enterale Drainage einer flüssigen Nekroseansammlung ist ebenfalls riskant, da Prothesen <10 Fr rasch verstopfen und zu einer sekundären Infektion führen können.
40.2.6
Nachsorge und Prognose
Die Basistherapie sollte bis zu einer deutlichen Besserung des Patienten (Schmerzfreiheit, Normalisierung der Körpertemperatur und des Abdominalbefundes) erfolgen. Die Wiederaufnahme der oralen Ernährung ist unabhängig von einem noch nachweisbaren Enzymanstieg. Entscheidend ist, dass der Patient zu Beginn der Nahrungsaufnahme beschwerdefrei ist. Die serös-ödematöse Pankreatitis heilt in der Regel folgenlos ab und hinterlässt eine normale exokrine und endokrine Pankreasfunktion. Die Letalität ist mit 1% gering. Zur Rezidivprophylaxe ist die Klärung der Ätiologie entscheidend. Dies gilt insbesondere für den Alkoholkonsum, für Medikamente bei der seltenen medikamentös induzierten Pankreatitis und beim Nachweis von Gallensteinen.
Bei der nekrotisierenden Pankreatitis ist in 50% der Fälle mit einer Defektheilung zu rechnen. Hierbei kann es zu Diabetes mellitus, exokriner Insuffizienz und Einschränkungen anderer Organsysteme kommen, z. B. zu einer Milzvenenthrombose. Eine Pankreasfunktionsdiagnostik ist 3 Monate nach Abklingen der akuten Pankreatitis sinnvoll, da dann von einer Normalisierung ausgegangen werden kann. Bei persistierender exokriner Pankreasinsuffizienz ist mit einem Übergang in eine chronische Pankreatitis zu rechnen. Die Letalität der akuten Pankreasnekrose beträgt 10– 20%. Die Prognose ist vor allem von der Ausdehnung der Nekrosen und bakteriellen Superinfektionen abhängig.
40.2.7
Literatur
Villatoro E, Larvin M, Bassi C (2005) Antibiotic therapy for prophylaxis against infection of pancreatic necrosis in acute pancreatitis. Cochrane Database Syst Rev 3:CD002941 Cortes ES, Maalak A, Le Moine O, Baize M, Delhaye M, Matos C, Devière J (2002) Endoscopic cystenterostomy of nonbulging pancreatic fluid collections. Gastrointest Endosc 56:380–386 Fölsch UR, Nitsche R, Lüdtke R, Hilgers RA, Creutzfeldt W and the German Study Group on Acute Biliary Pancreatitis (1997) Early ERCP and papillotomy compared with conservative treatment for acute biliary pancreatitis. N Engl J Med 336:237–242 Fogel EL, Sherman S (2003) Acute biliary pancreatitis: When should the endoscopist intervene? Gastroenterology 125:229–235 Isenmann R, Runzi M, Kron M, Kahl S, Kraus D, Jung N, Maier L, Malfertheiner P, Goebell H, Beger HG; German Antibiotics in Severe Acute Pancreatitis Study Group (2004) Prophylactic antibiotic treatment in patients with predicted severe acute pancreatitis: a placebo-controlled, double-blind trial. Gastroenterology 126: 997–1004 Jakobs R, Adamek MU, von Bubnoff AC, Riemann JF (2000) Buprenorphine or procaine for pain relief in acute pancreatitis. A prospective randomized study. Scand J Gastroenterol 35:1319– 1323 Kahl S, Zimmermann S, Pross M, Schulz HU, Schmidt U, Malfertheiner P (2004) Procaine hydrochloride fails to relieve pain in patients with acute pancreatitis. Digestion 69:5–9 Marik PE, Zaloga GP (2005) Meta-analysis of parenteral nutrition versus enteral nutrition in patients with acute pancreatitis. BMJ 328:1407–1410 Meier R, Beglinger C, Layer P, Gullo L, Keim V, Laugier R, Friess H, Schweitzer M, Macfie J; European Society of Parenteral and Enteral Nutrition Consensus Group (2002) ESPEN guidelines on nutrition in acute pancreatitis. Clin Nutr 21:173–183 Mitchell RM, Byrne MF, Baillie J (2003) Pancreatitis. Lancet 361:1447– 1455 Müller CA, Uhl W, Printzen G, Gloor B, Bischofberger H, Tcholakov O, Büchler MW (2000) Role of procalcitonin and granulocyte colony stimulating factor in the early prediction of infected necrosis in severe acute pancreatitis. Gut 46:233–238 Nealon WH, Bawduniak J, Walser EM (2004) Appropriate timing of cholecystectomy in patients who present with moderate to severe gallstone-associated acute pancreatitis with peripancreatic fluid collections. Ann Surg 239:741–749
40
818
Kapitel 40 · Pankreas
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40.3
Chirurgische Therapie der akuten Pankreatitis C.J. Krones, R. Kasperk
40
Epidemiologisch zeigt die akute Pankreatitis in westlichen Industrieländern weiterhin eine steigende Inzidenz. Bei überwiegend mildem Verlauf kommt die Krankheit in der Chirurgie jedoch nur selten vor (Heinrich et al. 2006). Neben Fortschritten im pathophysiologischen Verständnis, der Bildgebung und der Intervention hat insbesondere die moderne, interdisziplinäre Intensivmedizin den Behandlungserfolg erheblich gesteigert. Die Prognose des Patienten bestimmt sich heute von der Entwicklung eines multiplen Organversagens (MOV) als Folge einer systemischen Entzündungsantwort (SIRS) und dem Auftreten von Sekundärinfektionen. Die Chirurgie der schweren akuten Pankreatitis konzentriert sich neben den seltenen Komplikationen nicht-drainierbarer, subakuter Pseudozysten, Hohlorganperforationen oder Hämorrhagien auf die infizierte Nekrose und Abszessbildung. Ziel der operativen Therapie ist dabei die Ausräumung des Infektherds, die ausreichend radikal aber auch behutsam erfolgen muss. Die Indikationsstellung, Terminierung und Durchführung der Nekrosektomie stellen größte Ansprüche an den Viszeralchirurgen. Beste Behandlungsmethode der milden biliären Verlaufsform ist die primäre Cholezystektomie mit intraoperativer Cholangiographie (Heinrich et al. 2006).
40.3.1
Grundlagen
Chirurgische Epidemiologie Die Inzidenz der akuten Pankreatitis liegt in westlichen Industrieländern zwischen 10–80/100.000 Einwohnern (Toouli et al. 2002). Die große Variationsbreite weist neben unterschiedlichen Populationen und Lebensgewohnheiten auch auf diskrepante Datenerhebungen. Die Inzidenz bei Männern liegt um 10–30% über der von Frauen. Bei stei-
gendem Alkoholkonsum ist die Zunahme an Neuerkrankungen auch Folge einer verbesserten Diagnostik. Dagegen wird die Mortalitätsrate niedrig mit 1/100.000 Einwohner angegeben (Secknuss u. Mössner 2000) und zeigt deutlich geringere regionale Unterschiede. > In der milden Verlaufsform der akuten Pankreatitis besitzt die Chirurgie außerhalb der Cholezystektomie keine Indikation. In ca. 20% aller Fälle nimmt die Erkrankung jedoch einen lebensbedrohlichen Verlauf mit Nekrosen an Organ und Umgebung. Dann erreicht die Letalitätsrate ca. 30% und eine operative oder transkutane Intervention ist indiziert (Heinrich et al. 2006).
Pathogenese der akuten Pankreatitis Obstruierende Gallensteine sind mit 30–60% weiterhin Hauptursache der akuten Pankreatitis. Dabei kann es sich auch um Mikrolithen handeln, die der herkömmlichen Diagnostik entgehen und häufig der echte Auslöser einer als idiopathisch ausgelösten Pankreatitis darstellen (Tandon u. Topazian 2001). Alkohol bleibt mit ca. 30% zweithäufigste Ursache der Erkrankung, wobei die Pathogenese hier jedoch nicht endgültig geklärt ist (Wullstein u. Bechstein 2004). Nur in ca. 10% der Fälle kann auch die moderne Diagnostik die Genese der Erkrankung nicht erklären, sodass tatsächlich eine idiopathische Form vorliegt.
Ätiologie der akuten Pankreatitis 4 Häufig – Gallensteine – Alkohol – Idiopathisch – Hyperlipidämie – Hyperkalzämie – Sphinkterdysfunktion – Medikamente/Toxine – Zustand nach ERCP – Trauma – Postoperativ 4 Ungewöhnlich – Pancreas divisum – Periampulläres Karzinom – Pankreaskarzinom – Periampulläres Divertikel – Vaskulitis 4 Selten – Infektion – Autoimmun – α1-Antitrypsinmangel
819 40.3 · Chirurgische Therapie der akuten Pankreatitis
Klassifikation Zur Vereinheitlichung der internationalen Terminologie wurde 1993 die Atlanta-Klassifikation herausgegeben. Sie umfasst den Gesamteindruck aus Klinik, Laborkonstellation, lokalen Komplikationen und Organversagen und integriert eine Multi-Score-Analyse (Apache II, Ranson). Eine exakte Definition der schweren Verlaufsform lässt sich jedoch nicht treffen. Zudem sind nicht alle Kriterien alltagstauglich (7 Kap. 40.2; Rünzi et al. 2000).
Prognostische Faktoren Neben der intensivmedizinischen Therapie der schweren Verlaufsform hängt die Gesamtprognose der akuten Pankreatitis wie auch bei der chronischen Form von der weiteren Lebensführung ab. Entscheidend ist dabei der Alkoholkonsum. Während allgemein ein 2. Schub der Erkrankung in ca. 28% eintritt, liegt die Rückfallquote bei alkoholischer Genese der Erkrankung bei ca. 50%.
40.3.2
Klinische Symptomatologie
Kardinalsymptom der akuten Pankreatitis ist der abdominelle Dauerschmerz, der in der Regel akut im Epigastrium einsetzt. Die Schmerzintensität variiert dabei stark und korreliert zumeist nicht mit dem eher harmlosen abdominellen Palpationsbefund (»Gummi-Abdomen«). Erst die Organkomplikation erzeugt einen Peritonismus. Aufgrund der retroperitonealen Organlage zielen typische Ausstrahlungen Richtung Rücken, Schulter und Flanke. Schmerzfreie Verlaufsformen sind insbesondere für Patienten in der Peritonealdialyse und nach Nierentransplantation beschrieben. Ein wichtiges Zeichen der Erkrankung ist Fieber. Die meisten Patienten entwickeln initial als Ausdruck der Hyperinflammation Temperaturen um 39°C. > Ab der 2. Woche der Erkrankung weisen septische Temperaturen dagegen häufig auf infizierte Organnekrosen. Im Fall der fieberhaften Cholangitis ist die zügige Gallengangsdekompression indiziert.
Neben Übelkeit, Erbrechen und reflektorischer Darmparalyse betreffen weitere Symptome vor allen Dingen die systemische Entzündungsantwort. Dazu gehören pulmonale Dysfunktion, Tachykardie, Hypotension, Oligurie und Elektrolytentgleisungen. Das klinische Erscheinungsbild reicht dabei von geringer Beeinträchtigung bis zum schweren Schock.
40.3.3
Diagnostik
Neben Anamnese und Klinik stellt sich die Diagnose der akuten Pankreatitis durch eine deutliche Erhöhung von P-Amylase und Lipase im Serum. Dabei werden jeweils Sensitivitäten und Spezifitäten über 90% erreicht, aber Enzymerhöhungen fehlen in 10–30% und korrelieren nicht mit der Erkrankungsschwere (Mitchell et al. 2003). Zusätzlich muss der unterschiedliche Zeitverlauf der Enzymerhöhungen berücksichtigt werden. > Schon zum Zeitpunkt der Erstdiagnose muss die biliäre Pankreatitis wegen der therapeutischen Konsequenzen erkannt werden.
Dies gelingt in der Regel durch Bestimmung der Cholestaseparameter und eine angepasste Bildgebung. Zur Beurteilung von Schwere und Verlauf der Erkrankung hat sich neben dem C-reaktiven Protein bisher kein Einzelparameter klinisch etablieren können. Die Bedeutung des Prokalzitonin ist nicht endgültig geklärt (Werner et al. 2003). In der Bildgebung ist die kontrastmittelverstärkte Computertomographie (KM-CT) der Sonographie insbesondere bei der Identifikation und Verlaufsbeurteilung von Nekrosen überlegen (Yousaf et al. 2003). Eine kapilläre Minderperfusion kann in der KM-CT allerdings auch Nekrosen vortäuschen (Rünzi et al. 2000). > Die Sonographie ist obligater Bestandteil der Primärdiagnostik, um zeitnah einen Gallengangsstau zu erkennen.
Durch die häufig vorliegende Paralyse kann das Pankreas aber in bis zu 50% der Fälle nicht ausreichend beurteilt werden (Yousaf 2003). Der Stellenwert von Kernspintomographie (MRT) und Magnetresonanzcholangiopankreatikographie (MRCP) in der akuten Pankreatitis ist noch unklar. Die MRT bietet Vorteile im Nierenversagen, die Organbeurteilung entspricht der KM-CT. Verfügbarkeit, Untersuchungsdauer und Kosten sind entscheidende Nachteile beider Verfahren. Die endoskopisch-retrograde Cholangiopankreatikographie (ERCP) wird in der Akutphase der Pankreatitis vornehmlich therapeutisch zur Steinextraktion eingesetzt. Im freien Intervall dient sie bei unklarer Genese zur Abklärung der Gangverhältnisse (Wullstein u. Bechstein 2004).
40.3.4
Therapieziele und Indikationsstellung
Fortschritte in der Intensivmedizin haben in den letzten 2 Jahrzehnten zu einem Therapiewandel geführt. Die akute Pankreatitis wird heute weit überwiegend konservativ behandelt. Die chirurgische Therapie ist dagegen etwas in
40
820
Kapitel 40 · Pankreas
den Hintergrund getreten, besitzt aber noch feste Einsatzbereiche. Ziele der chirurgischen Therapie sind: 4 Ausräumung von infizierten Nekrosen und/oder Abszessen 4 Gallengangssanierung 4 Behandlung von Komplikationen an Umgebungsorganen 4 Cholezystektomie im Intervall Sterile Nekrosen stellen allein keine Operationsindikation (Heinrich et al. 2006). Bei 40–70% entwickeln sich infizierte Pankreasnekrosen, die dann eine Intervention zum
kompletten Débridement indizieren (UK Guidelines 2005). Die Diagnostik umfasst Klinik (Anstieg von Fieber, Infektparametern und Schmerzen sowie Organversagen), Bildgebung und Keimnachweis. Weichensteller ist dabei die CT-Diagnostik, die bei begründetem Verdacht die Punktion beinhaltet. Gasansammlungen in der KM-CT beweisen die Infektion allein. Wegen der deutlich geringeren Morbidität sollte der CT- oder US-gesteuerten Drainage zur Entlastung von Abszessen gegenüber der Laparotomie zunächst Vorrang gegeben werden. Die Ableitung über Drainagen limitiert sich jedoch nicht durch ungünstige Lokalisation, sondern auch durch den Durchmesser, der die matschigen Nekrosen schon physikalisch nicht immer ableiten kann. > Die nicht drainierbare, infizierte Nekrose oder Abszedierung indiziert die operative Nekrosektomie (Evidenzgrad III).
40
Peripankreatische Flüssigkeitsansammlungen und asymptomatische subakute Pseuodozysten benötigen ohne Infektnachweis primär keine Intervention (Toouli et al. 2002). Sie sind Ausdruck der Grunderkrankung und bilden sich häufig spontan zurück (Evidenzgrad III). Die Sanierung einer biliären Obstruktion ist obligat und Domäne der ERCP. Bei Verdacht auf eine Cholangitis sollte diese als Notfall in weniger als 24 h erfolgen, bei alleiniger Obstruktion reicht die Durchführung innerhalb der ersten 3 Erkrankungstage (Rünzi et al. 2000). Die ERCP sollte eine endoskopische Papillotomie beinhalten, da hierdurch das Risiko einer frühzeitigen erneuten Steineinklemmung deutlich gesenkt wird (Evidenzgrad II; Toouli et al. 2002). > Eine operative Gangsanierung ist erst indiziert, wenn die ERCP versagt. Wegen der deutlich erhöhten Morbidität und Mortalität sollte diese jedoch nicht in den ersten 48 h nach Erkrankungsbeginn durchgeführt werden (Uhl et al. 2002).
Zu den seltenen, aber typischen Notfallkomplikationen an peripankreatischen Organen gehören neben der gastrointestinalen Perforation insbesondere Blutungskomplika-
tionen. Beide Veränderungen können meist nur operativ beherrscht werden kann. Bei Hohlorganperforationen ist am häufigsten das Kolon betroffen. Hämorrhagien entstehen neben entzündlichen Arrosionen im Mesokolon insbesondere durch inflammatorische Aneurysmen der Milzarterie. Auch das Risiko für peptische Ulzera und bei Alkoholabusus Ösophagusvarizen ist erhöht. Milz- oder Portalvenenthrombosen stellen in der Regel keine Operationsindikation dar (Evidenzgrad III; Toouli et al. 2002). Da in bis zu 50–60% der Fälle mit biliärer Pankreatitis ein 2. Schub eintritt, steht hier die Indikation zur Cholezystektomie im Intervall. Diese kann sowohl laparoskopisch als auch konventionell durchgeführt werden und sollte die Möglichkeit der Cholangiographie beinhalten (Heinrich et al. 2006). Ohne adäquate Papillotomie ist die Operation noch während des Primäraufenthalts indiziert (Evidenzgrad III). Nach erfolgreicher Papillotomie ist ein weiteres Aufschieben der Cholezystektomie für 2 Wochen möglich, allerdings tritt dann in bis zu 10% der Fälle eine Cholezystitis auf (UK-Guidelines 2005).
40.3.5
Chirurgische Strategie, Verfahrenswahl und Operationstechnik
Bei der Ausräumung von Nekrosen und Infektherden sollte sich der operative Zugang nach der Lokalisation der Nekrosestraßen richten. > Eine gute Bildgebung ist obligate präoperative Voraussetzung der Nekrosektomie.
Die eigentliche Nekrosektomie erfolgt dann möglichst organerhaltend, indem nur die wirklich nekrotischen Gewebsanteile digitoklastisch oder unter vorsichtiger Instrumentenführung entfernt werden. Die laparoskopische Machbarkeit ist beschrieben (Zhu et al. 2001). Bei beeinträchtigter Vitalität des Colon transversum wird im Zweifel frühzeitig zur erweiterten Hemikolektomie rechts mit protektiver Stomaanlage geraten (Toouli et al. 2002). Strategisch platzierte Spüldrainagen beenden den Eingriff, dem sich eine geschlossene Spülbehandlung (1–2 l/Tag) anschließen kann. Die Dauer der Spülbehandlung ist dabei individuell festzulegen, Elektrolytverschiebungen durch die Spülflüssigkeit sind zu beachten. Alternativ kann bei abdominellen Kompartment die Anlage eines Laparostomas notwendig sein. Die Etappenlavage ersetzt dann bis zum Bauchdeckenverschluss die Spülbehandlung. Der endgültige Bauchdeckenverschluss sollte nur spannungsfrei erfolgen. Vergleichende Untersuchungen zu den Operationstechniken liegen nicht vor, doch weist die Literatur auf Vorteile der geschlossenen Spülbehandlung (Heinrich et al. 2006). Arterielle Blutungen z. B. aus der Milzarterie erfordern die chirurgische Blutstillung und in der Regel die Splenek-
821 40.3 · Chirurgische Therapie der akuten Pankreatitis
tomie. Venöse oder Sickerblutungen können ein Packing des Oberbauchs erforderlich machen. Hier sollte nichtadhärentes Material bevorzugt werden. Die Revision muss danach innerhalb von 48 h durchgeführt werden. Auch ein wiederholtes Packing bis zum Erreichen ausreichender Granulationsverhältnisse kann einem verzweifelten Versuch der Blutstillung überlegen sein.
40.3.6
Nachsorge
Neben Spülbehandlung und Etappenlavage wird die postoperative Behandlung durch die intensivmedizinische Therapie der Sekundärkomplikationen als Folge von Sepsis, systemischer Inflammation (SIRS) und Multiorganversagen (MOV) bestimmt. Patienten mit einer schweren Pankreatitis benötigen dabei vielfach unterschiedliche Therapien zum temporären Organersatz, was die Verlegung in spezialisierte Zentren notwendig machen kann. Die Dauer der Spülbehandlung und die Frequenz der Etappenlavage sind wie der Zeitpunkt des endgültigen Bauchdeckenverschlusses individuell zu entscheiden. Gleiches gilt für den Einsatz von Drainagen, wobei bei langer Liegedauer Arrosionsschäden möglich sind.
40.3.7
Komplikationen und Ergebnisse
Intraoperative Komplikationen betreffen vor allem schwer beherrschbare, diffuse Blutungen. Ein Débridement muss deshalb mit äußerster Vorsicht durchgeführt werden. Formale Organresektionen des Pankreas sind obsolet (Rünzi et al. 2000; Uhl et al. 2002). > Generelle Prinzipien der chirurgischen Therapie sind neben der organerhaltenden Nekrosektomie die Minimalisierung intraoperativer Hämorrhagien und die Maximalisierung des postoperativen Spüleffekts.
Bei Vorliegen infizierter Pankreasnekrosen erreicht die Mortalität in Verbindung mit einem Multiorganversagen unter rein konservativer Therapie fast 100% (Uhl et al. 2002). Dagegen liegt die Letalitätsrate der chirurgischen Therapie infizierter Pankreasnekrosen in spezialisierten Zentren zwischen 10% und 30% (Büchler et al. 2000; Fernandez et al. 1998). Neben handwerklichem Geschick bleibt das »Timing« der Operation dabei entscheidend. Frühe Interventionen erreichen in den ersten 2 Wochen Mortalitätsraten bis zu 65% und sollten deshalb vermieden werden. In der 3. bis 4. Erkrankungswoche nimmt die perioperative Komplikationsrate deutlich ab (Heinrich et al. 2006).
40.3.8
Ausblick
Durch Fortschritte in der interdisziplinären Intensivmedizin ist die Therapie der akuten Pankreatitis vornehmlich konservativ ausgelegt. Die Chirurgie konzentriert sich außerhalb von Notfällen auf die Cholezystektomie mit Gangsanierung und die Ausräumung infizierter Nekrosen. Bei der Nekrosektomie stehen das offene Débridement mit geschlossener kontinuierlicher Lavage, das Débridement mit Laparostoma und/oder Drainage und/oder Etappenlavage und das Débridement mit Packing und geplanter Etappenlavage zur Verfügung. Vergleichende Untersuchungen zu den Operationsverfahren liegen bisher nicht vor. Erste Studien (Evidenzgrad III) berichten auch für die begrenzte Nekroseinfektion eine erfolgreiche konservative interventionelle Therapie (Baron u. Morgan 1999). Das Management der sterilen Nekrose ist primär eine Domäne der konservativen Medizin (Evidenzgrad III). Für einen Benefit der vereinzelt nach frustraner Maximaltherapie auch ohne Infektnachweis durchgeführten Nekrosektomie findet sich bisher keine Evidenz. 40.3.9
Literatur
Baron T, Morgan DE (1999) Acute necrotizing pancreatitis. N Engl J Med 34:1412–1417 Büchler MW, Gloor B, Müller CA et al. (2000) Acute necrotizing pancreatitis: Treatment strategy according to the stauts of infection. Ann Surg 232:619–626 Fernandez-del Castillo C, Rattner DW, Makary MA, et al. (1998) Debridement and closed packing for the treatment of necrotizing pancreatitis. Ann Surg 228:676–684 Heinrich S, Schäfer M, Rousson V, Clavien PA (2006) Evidence-based treatment of acute pancreatitis. Annals Surg 243:154–168 Mitchell RMS, Byrne MF, Baillie J (2003) Pancreatitis. Lancet 361:1447– 1455 Rünzi M, Layer P, Büchler MW et al. (2000) Therapie der akuten Pankreatitis. Z Gastroenterol 38:571–581 Secknuss R, Mössner J (2000) Inzidenz- und Praevalenzveränderungen der akuten und chronischen Pankreatitis in Deutschland. Chirurg 71:249–252 Tandon M, Topazian M (2001) Endoscopic ultrasound in idiopathic acute pancreatitis. Am J Gastroenterol 96:705–709 Toouli J, Brooke-Smith M, Bassi C et al. (2002) Guidelines for the management of acute pancreatitis. J Gastroenterol Hepatol 17:15–39 Uhl W, Warshaw A, Imrie C et al. (2002) IAP guidelines for the surgical management of acute pancreatitis. Pancreatology 2:565–573 UK working party for the management of acute pancreatits (2005) UK guidelines for the management of acute pancreatitis. Gut 54 (Suppl III):iii1–iii9 Werner J, Hartwig W, Uhl W (2003) Useful markers for predicting severity and monitoring progression of acute pancreatitis. Pancreatology 3:115–127 Wullstein C, Bechstein WO (2004) Akute Pankreatitis. Chirurg 75:641–652 Yousaf M, McCallon K, Diamond T (2003) Management of acute pancreatitis. Br J Surg 90:407–420 Zhu JF, Fan XH, Zhang XH (2001) Laparoscopic treatment of severe acute pancreatitis. Surg Endosc 15:146–148
40
822
Kapitel 40 · Pankreas
40.4
Pseudozysten des Pankreas M. Schäfer, P.-A. Clavien
Unter den zystischen Pankreasläsionen stellen Pankreaspseudozysten die weitaus häufigste Entität dar. Ihre Entstehung beruht auf akuten und/oder chronisch entzündlichen Veränderungen des Pankreas und des peripankreatischen Gewebes (Klöppel 2000). Differenzialdiagnostisch müssen Pankreaspseudozysten von echten zystischen Neoplasien des Pankreas unterschieden werden, welche in den vergangenen Jahren an klinischer Wichtigkeit gewonnen haben (Sarr et al. 2003; Brugge et al. 2004). Die klinischen Symptome sind meistens unspezifisch und werden hauptsächlich durch die Lokalisation und Komplikationen der Pseudozysten bestimmt. Computertomographie und Endosonographie ermöglichen eine präzise Darstellung der Pseudozysten und benachbarten anatomischen Strukturen. Moderne bildgebende Verfahren können zudem wichtige Hinweise bezüglich Ätiologie und Dignität von zystischen Pankreasläsionen geben. Endoskopische Pseudozystendrainagen kommen mittlerweile bei den meisten Patienten als erstes Therapieverfahren zum Einsatz. Dennoch bleiben die offenen chirurgischen Drainageoperationen als therapeutischer Goldstandard bestehen. Bei selektionierten Patienten werden pseudozysto-enterische Ableitungen auch laparoskopisch durchgeführt. Perkutane, interventionell-radiologische Verfahren spielen eine untergeordnete Rolle.
40.4.1
Grundlagen
Definition
40
Eine Pankreaspseudozyste wird als lokalisierte, amylasehaltige Flüssigkeitsansammlung definiert, die sich intrapankreatisch oder extrapankreatisch befindet und als Folge einer akuten oder chronischen Pankreatitis entstanden ist. Im Gegensatz zu echten Pankreaszysten besitzen Pseudozysten keine Epithelauskleidung, sondern sind von einer Wand aus entzündlichem, fibrotisch verändertem Gewebe umgeben. Die Ausbildung der Pseudokapsel benötigt mehrere Wochen. Die am häufigsten verwendete Atlanta-Klassifikation unterscheidet deshalb zwischen peripankreatischen Flüssigkeitskollektionen, Pseudozysten und pankreatischen Abszessen (Bradley 1993).
Epidemiologie Genaue Angaben über die Inzidenz von Pankreaspseudozysten sind nur eingeschränkt möglich. Bei akuten Pankreatitiden finden sich bei 30–60% der Patienten peripankreatische Flüssigkeitsansammlungen, die im Verlauf teilweise bis vollständig resorbiert werden (Bumpers u. Bradley 1998). Nach 6 Wochen bestehen nur noch bei 5–15% der
Patienten nachweisbare Flüssigkeitskollektionen, die die Kriterien von Pseudozysten erfüllen (Sandberg u. Dervenis 2004). Bei chronischer Pankreatitis wird eine Inzidenz von 20–40% für Pankreaspseudozysten angegeben (Sandberg u. Dervenis 2004). Da jedoch Mikrozysten zum histomorphologischen Bild der chronischen Pankreatitis gehören, stellt sich letztlich die Frage, ab welcher Größe von »echten« Pseudozysten gesprochen werden kann.
Pathogenese In den industrialisierten Ländern ist das Auftreten von Pankreaspseudozysten in über 70% der Fälle mit einer alkoholinduzierten Pankreatitis assoziiert (Pitchumoni 1999; Usatoff 2000). Dabei können Pseudozysten als Folge von akuten und chronischen Pankreatitiden auftreten. Weitere Ursachen sind die biliäre Pankreatitis, postinterventionelle Pankreatitis nach ERCP und Abdominaltraumen (Sandberg u. Dervenis 2004). Pseudozysten bei akuter Pankreatitis sind das Endprodukt von pankreatischen und/oder peripankreatischen Flüssigkeitskollektionen. Diese können entweder als Folge von Pankreasgangrupturen oder Transsudation aus dem entzündeten Pankreasgewebe entstehen. Nach teilweiser Resorption der Flüssigkeit bildet sich eine fibröse Kapsel von unterschiedlicher Dicke aus. Diese Pseudozysten sind am häufigsten in der Bursa omentalis lokalisiert, die ein praktisch vollständig geschlossenes Kompartiment bildet. Eine Kommunikation zwischen Pseudozyste und Pankreasgang kann nicht immer nachgewiesen werden, obwohl initial eine solche Verbindung wahrscheinlich immer besteht (Sandberg u. Dervenis 2004). Bei chronischer Pankreatitis sind 2 verschiedene pathogenetische Mechanismen beschrieben, die zur Pseudozystenbildung führen können. Die Obstruktion von Seitenästen des Pankreasganges durch Konkremente, Proteinpräzipitate oder nekrotisches Epithel induziert eine prästenotische Dilatation des entsprechenden Seitenastes. Die Ruptur einer solchen intrapankreatischen Gangdilatation mit Arrosion der Pankreaskapsel führt zur peripankreatischen Flüssigkeitskollektion und Pseudozystenbildung (Traverso u. Kozarek 1999). Akute Entzündungsschübe bei vorbestehender chronischer Pankreatitis (»acute-on-chronic pancreatitis«) verursachen segmentale Parenchymnekrosen mit Ausbildung von Pseudozysten. Pseudozysten aufgrund einer chronischen Pankreatitis zeigen keine bevorzugte Lokalisation. Posttraumatische Pseudozysten, die typischerweise als Folge von stumpfen Abdominaltraumen entstehen, werden durch eine Ruptur des Pankreasgangsystems und/oder Parenchymverletzung (»Pankreasfraktur«) verursacht (Shan et al. 2002). Die meisten Pankreaspseudozysten bei Kindern sind die Folge von stumpfen Abdominaltraumen, beispielsweise nach Fahrradsturz (Canty u. Weinmann 2001).
823 40.4 · Pseudozysten des Pankreas
Klassifikation Es gibt bisher keine einheitliche und generell akzeptierte Klassifikation von Pankreaspseudozysten. Grundsätzlich können diese aufgrund verschiedener Kriterien eingeteilt werden: 4 Art der Grunderkrankung, im Wesentlichen akute bzw. chronische Pankreatitis (Sarles’ classification, D’Egidio and Schein’s classification, Atlanta classification; Sarles et al. 1961; D’Egidio u. Schein 1991; Bradley 1993) 4 Ausmaß der Nekrosebildung (Neoptolemos et al. 1993) 4 Pathologische Veränderungen des Ductus pancreaticus (Nealon et al. 2002) 4 Lokalisation der Flüssigkeitskollektion (Atlanta classification; Bradley 1993) 4 Art der Therapie (konservativ, interventionell oder chirurgisch) Stellvertretend für die Vielzahl von parallel existierenden Klassifikationen ist nachfolgend nur die Atlanta-Klassifikation dargestellt, die die Unterscheidung von peripankreatischen Flüssigkeitskollektionen, Pseudozysten und pankreatischen Abszessen ermöglicht (Bradley 1993). Die Begriffe »akut« und chronisch« werden zur Beschreibung der Genese der Pseudozysten verwendet. Dies ist teilweise verwirrend, da die gleichen Begriffe auch benutzt werden, um den zeitlichen Ablauf der Entstehung von Pseudozysten zu beschreiben. 4 Akute Flüssigkeitskollektionen entstehen aufgrund einer akuten Pankreatitis und sind peripankreatisch lokalisiert. Eine umgebende Kapsel aus Granulationsund/oder Bindegewebe fehlt. 4 Akute Pseudozysten entstehen als Folge einer akuten Pankreatitis oder eines Pankreastraumas und benötigen zur vollständigen Ausbildung mehrere Wochen. Die stark amylasehaltige Flüssigkeit ist umgeben von einer Kapsel aus Granulations- und Bindegewebe. 4 Chronische Pseudozysten entstehen als Folge einer chronischen Pankreatitis oder eines akuten Schubes einer chronischen Pankreatitis. Die stark amylasehaltige Flüssigkeit ist umgeben von einer Kapsel aus Granulations- und Bindegewebe. 4 Ein pankreatischer Abszess ist eine intraabdominelle Eiterkollektion in enger anatomischer Beziehung zum Pankreas. Pankreasabszesse können als Folge einer akuten, chronischen oder traumatischen Pankreatitis entstehen.
40.4.2
Die Patienten verspüren unspezifische Symptome wie Oberbauchschmerzen, Übelkeit/Nausea und Erbrechen. Große Pseudozysten, die im Pankreaskopf liegen, können zu einer Kompression des Duodenums und/oder des Gallenganges führen und so postprandiales Erbrechen und Ikterus verursachen. Als Komplikationen treten Fistelbildungen in benachbarte Organe auf, beispielsweise Kolon, Perikard und Pleura. Selten, aber potenziell lebensbedrohlich sind Gefäßarrosionen mit akuten Blutungskomplikationen. Typischerweise sind Blutungskomplikationen die Folge von rupturierten Pseudoaneurysmen der Milzarterie. Inflammatorisch bedingte Milzvenenthrombosen können zu segmentaler portaler Hypertonie im Bereich des Magens führen. Pseudozysten können sich sekundär infizieren. Die weit verbreitete Anwendung von Ultraschall und Computertomographie hat zu verbesserten Kenntnissen über den natürlichen Verlauf von Pankreaspseudozysten geführt (Sandberg u. Dervenis 2004). Trotzdem bleiben die Angaben in der Literatur über den Spontanverlauf widersprüchlich. Dies ist hauptsächlich auf das Fehlen einer allgemein anerkannten Klassifikation zurückzuführen. So wird beispielsweise in vielen Arbeiten bei Vorliegen einer akuten Pankreatitis nicht zwischen Pseudozysten und peripankreatischen Flüssigkeitskollektionen unterschieden.
Verlauf von akuten Pseudozysten In mehreren älteren Studien beträgt die spontane Rückbildungsrate von akuten Pankreaspseudozysten 8–70% (Sandberg u. Dervenis 2004). Fehlende einheitliche Klassifikation, ungenaue Diagnostik und unklare Grunderkrankung sind Hauptfaktoren, die für diesen weiten Bereich verantwortlich sind und verlässliche Aussagen beeinträchtigen. Je höher der Anteil der Patienten mit peripankreatischen Flüssigkeitskollektionen ist, desto größer ist auch die spontane Rückbildungsrate. Beim Vorliegen von Pseudozysten bei einer »Acute-on-chronic«-Pankreatitis ist eine geringere spontane Resorptionsrate zu erwarten. Aufgrund von Beobachtungen aus den 1970er-Jahren wurde postuliert, dass sich akute Pseudozysten nur innerhalb der ersten 6 Wochen nach Entstehung zurückbilden können (Sandberg u. Dervenis 2004). Spontane Resorptionen sind jedoch auch später noch möglich, und bis zu 6 Monaten nach Entstehung nachgewiesen (Vitas u. Sarr 1992). Sobald akute Pseudozysten einen Durchmesser über 4–5 cm aufweisen, sinkt die spontane Resorptionsrate (D’Egidio u. Schein 1991; Sandberg u. Dervenis 2004).
Klinische Symptomatologie Verlauf von chronischen Pseudozysten
Die klinische Manifestation von Pankreaspseudozysten zeigt eine große Variabilität und ist hauptsächlich abhängig von der Lokalisation und der Zystengröße.
Chronische Pseudozysten, die als Folge einer chronischen Pankreatitis oder »Acute-on-chronic«-Pankreatitis entstehen, zeigen eine geringe spontane Rückbildungstendenz
40
824
Kapitel 40 · Pankreas
(Sandberg u. Dervenis 2004). In der Literatur wird die spontane Rückbildungsrate mit 3–26% angegeben. Als Hinweise für die Persistenz von Pankreaspseudozysten gelten das Vorhandensein von multiplen Zysten, Zystenlokalisation im Pankreasschwanz, fehlende Verbindung zum Pankreasgang, Größenzunahme im Verlauf, biliäre und postoperative Genese (Sandberg u. Dervenis 2004).
40.4.3
Diagnostik
> Für die Diagnose einer Pankreaspseudozyste sind bildgebende Verfahren unerlässlich. Die Computertomographie ist dabei die Untersuchung der Wahl. Während die Sonographie als Screening- und Nachsorgeuntersuchung geeignet ist, können mit der MRT-Untersuchung insbesondere Pathologien des Pankreasgangsystems dargestellt werden (MRCP-Untersuchung).
40
Die MRCP-Untersuchung hat in den vergangenen Jahren die diagnostische ERCP fast vollständig verdrängt, da potenzielle Komplikationen, wie beispielsweise Blutungen und Aggravation der Pankreatitis vermieden werden können (Hartmann 2004). Im Weiteren lässt sich mittels MRCP eine Choledocholithiasis verlässlich nachweisen. Die Endosonographie ist eine wertvolle Untersuchung im Rahmen der Differenzialdiagnostik und bei jeglichen endoskopischen Interventionen (. Abb. 40.8). Charakteristischerweise findet sich eine oder mehrere in oder um die Bauchspeicheldrüse gelegene zystische Strukturen (. Abb. 40.9). Oftmals bestehen zusätzliche Befunde, die auf das Vorliegen einer akuten oder chronischen Pankreatitis schließen lassen. Laborchemische Resultate sind nicht diagnostisch verwertbar und können nur über eine gleichzeitig bestehende Pankreatitis oder Gallengangsstenose Aufschluss geben. Bei Vorliegen eines extrahepatischen Verschlussikterus kann der Tumormarker CA19–9 erhöht sein, ohne dass eine Gallenwegs- oder Pankreasneoplasie vorliegt (falsch-positiver Wert).
40.4.4
Konservative und interventionelle Therapie
. Abb. 40.8 Transgastrische Endosonographie
. Abb. 40.9 CT-Bild mit chronischer Pankreatitis und großer Pseudozyste im Pankreaskopf und Verkalkungen im Pankreaskorpus und -schwanz
Verdacht auf Malignität klar indiziert. Offene chirurgische Drainageoperationen (z. B. Pseudozysto-Gastrostomie, Pseudozysto-Jejunostomie) werden seit Jahrzehnten durchgeführt und stellen den therapeutischen Standard dar, an dem sich die radiologischen und endoskopischen Interventionen messen müssen. Art und Schweregrad der Grunderkrankung, Zystenlokalisation sowie die Kompetenz des interdisziplinären Behandlungsteams sind die wesentlichen Faktoren, die die Verfahrenswahl bestimmen.
Perkutane Drainage Während kleine und asymptomatische Pseudozysten konservativ behandelt werden können, besteht bei Kompression, Verdrängung, Fistelbildung, Infektion, Blutung und unklarer Dignität die Indikation zur interventionellen oder operativen Therapie. Am häufigsten erfolgt eine externe oder interne Drainage der Pseudozysten, Resektionen werden nur in wenigen Fällen durchgeführt, sind aber bei
Die CT- oder sonographiegesteuerte Pseudozystenpunktion ist bei großen Pseudozysten technisch einfach. Da die einmalige Punktion eine hohe Rezidivrate von 70% aufweist, muss in der Regel eine Ableitung mit einem perkutan ausgeleiteten Katheter durchgeführt werden. Dieser kann unter intermittierendem Spülen für mehrere Wochen bis Monate belassen werden (Pitchumoni u. Agarwal 1999).
825 40.4 · Pseudozysten des Pankreas
Die Rezidivrate beträgt 20–50%, wobei insbesondere infizierte Pseudozysten, gekammerte Pseudozysten und Stenosen im Pankreasgang Risikofaktoren für eine erhöhte Rezidivrate darstellen (D’Egidio u. Schein 1992; Tsuei u. Schwartz 2003). Der Stellenwert der perkutanen Drainage beschränkt sich heute auf die akute Drainage von infizierten Pseudozysten und peripankreatischen Flüssigkeitskollektionen.
Endoskopische Drainage Bei der endoskopischen Zystendrainage gelangen die 2 nachfolgend dargestellten Methoden zur Anwendung: 4 Herstellen einer Verbindung zwischen Pseudozyste und Gastrointestinaltrakt (Zystoenterostomie) 4 Transpapilläre Drainage der Pseudozyste über den Pankreasgang (Baillie 2004) Für beide Verfahren gibt es bisher kein standardisiertes technisches Vorgehen. Zystoenterostomie Pseudozysten, die an den Magen oder an das Duodenum grenzen, können endoskopisch drainiert werden, indem eine Fistel zwischen der Pseudozyste und dem Magen (Pseudozysto-Gastrostomie) bzw. Duodenum (Pseudozysto-Duodenostomie) angelegt wird. Die Darstellung der genauen anatomischen Verhältnisse (cave: Punktion von großen Gefäßen) und die anschließende Punktion der Pseudozyste erfolgen unter endosonographischer Darstellung. In Seldinger-Technik oder nach Eröffnen der Pseudozyste mit der Diathermie werden mehrere Plastikstents eingebracht, die 4–6 Wochen belassen werden (. Abb. 40.10). Transpapilläre Drainage Die transpapilläre Drainage von
Pseudozysten bedingt, dass eine Kommunikation zwischen Pankreasgang und Pseudozyste besteht. Die Stenteinlage benötigt eine Papillotomie und eventuell vorhandene Stenosen des Pankreasganges müssen dilatiert werden. Aufgrund des beschränkten Durchmessers des Pankreasganges können nur relativ kleinkalibrige Stents verwendet werden, sodass sich nekrosehaltige und zähflüssige Pseudozysten nicht oder nur ungenügend entleeren lassen. Ergebnisse Beide Techniken, die Pseudozystoenterostomie und die transpapilläre Drainage, weisen vergleichbare Erfolgs- und Komplikationsraten auf (Tsuei u. Schwartz 2003; Hammarstrom et al. 2004). In ungefähr 85% der Fälle gelingt die Drainage der Pseudozysten, wobei allerdings die Angaben in der Literatur eine große Bandbreite von 46– 100% aufweisen. Eine effektive Größenreduktion der Pseudozysten wird in etwa 75% (33–100%) erreicht. Die Komplikationsrate beträgt 5–25%, die Mortalität ist gering (<1%). Trotz initial hohen Erfolgsraten entwickeln ungefähr 20%
. Abb. 40.10 Transgastrische endoskopische Pseudozystogastrostomie
der Patienten (4–33%) im Langzeitverlauf Rezidivpseudozysten, die mehrheitlich operativ behandelt werden.
40.4.5
Operative Therapie
Interne Zystendrainage Die interne Zystendrainage ist das chirurgische Standardverfahren bei unkomplizierten Pseudozysten. Es stehen 3 verschiedene Drainagemöglichkeiten zu Verfügung: 4 Zystogastrostomie 4 Zystoduodenostomie 4 Zystojejunostomie mit einer Roux-Y-förmigen Jejunumschlinge Die Verfahrenswahl wird durch die anatomischen Verhältnisse und persönliche Präferenz des Chirurgen bestimmt. Über eine mediane Laparotomie oder quere Oberbauchlaparotomie werden Pankreas und Pseudozyste dargestellt. Anschließend wird die Pseudozyste eröffnet, débridiert und ein Anteil der Zystenwand zur histologischen Untersuchung eingesandt. Die definitive Drainage erfolgt dann als Zystoenterostomie, wobei die Anastomose am tiefsten Punkt der Pseudozyste angelegt werden sollte. Liegt die Pseudozyste an der Magenhinterwand, wird nach einer anterioren Gastrotomie die Magenhinterwand mit der Zyste anastomosiert. 6
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826
Kapitel 40 · Pankreas
Eine Zystoduodenostomie wird ausschließlich bei Pseudozysten im Pankreaskopf oder Processus uncinatus durchgeführt. Die Zystojejunostomie kann bei jeglicher Zystenlokalisation angelegt werden und stellt deshalb das bevorzugte Verfahren dar. Eine Roux-Y-förmige ausgeschaltete Jejunumschlinge wird durch das Mesokolon des Kolon transversum hochgezogen und mit der Pseudozyste anastomosiert. Zum Schluss wird eine Enteroenterostomie hergestellt, die den zu- und abführenden Jejunalschenkel miteinander verbindet (. Abb. 40.10).
Ergebnisse Die Morbidität und Mortalität der chirurgischen
Zystoenterostomie beträgt 11–24% bzw. 5–9%. Die Rezidivraten sind deutlich geringer als bei den endoskopischen Drainageverfahren und werden in der Literatur mit 5–8% angegeben (Tsuei u. Schwartz 2003; Rosso et al. 2003).
Resektion Die Pseudozystenresektion kommt nur für wenige Patienten mit chronischer Pankreatitis zur Anwendung. Pseudozysten im Korpus und Pankreasschwanz werden mit einer milzerhaltenden distalen Pankreatektomie behandelt. Duodenumerhaltende Pankreaskopfresektion oder partielle Duodenopankreatektomie nach Whipple sind sehr selten durchgeführte Eingriffe bei Pseudozysten im Pankreaskopf, die nicht mit einer interner Drainage versorgt werden können. Bisher wurden die chirurgischen Drainage- und Resektionsverfahren über einen konventionellen offenen Zugang durchgeführt. Diese Eingriffe sind auch laparoskopisch machbar, wobei einschränkend gilt, dass bisher nur kleine Fallzahlen aus spezialisierten Zentren publiziert wurden (Roth 2003; Palanivelu et al. 2007). 40.4.6
40
Literatur
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827 40.5 · Pathogenese und konservative Therapie der chronischen Pankreatitis
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40.5
Pathogenese und konservative Therapie der chronischen Pankreatitis L. Degen, C. Beglinger
Die chronische Pankreatitis ist eine protrahiert verlaufende, häufig schubweise auftretende Entzündung der Bauchspeicheldrüse, die zu einer irreversiblen Zerstörung des Gewebes führt. Allmählich vermindern sich sowohl exokrine wie auch endokrine Funktionen des Pankreas und münden im späteren Verlauf der Krankheit in eine Globalinsuffizienz des Organs. Im Gegensatz dazu stehen die histologischen Veränderungen der akuten Pankreatitis, die sich in der Regel nach Abheilen der akuten Attacke ohne Residuen vollständig zurückbilden. Eine Histologie ist jedoch praktisch nie vorhanden, weder bei der akuten noch bei der chronischen Pankreatitis. Die Diagnose muss deshalb primär klinisch gestellt werden. Dabei ergibt sich die Schwierigkeit, dass Patienten mit chronischer Pankreatitis akute Entzündungsepisoden erleiden können, die klinisch und laborchemisch von einer akuten Pankreatitis nicht unterschieden werden können. Hier wird nur der Verlauf zeigen, welche Krankheit der akuten Episode zugrunde lag. Bei der chronischen Pankreatitis werden die Azini allmählich zerstört und durch fibrotisches Gewebe ersetzt. Teile der Pankreasgänge sind häufig unregelmäßig begrenzt und als Resultat von Strikturen, intraduktalen Proteinablagerungen oder Verkalkungen dilatiert. Irreversible Strukturveränderungen lassen sich Jahre vor der klinischen Manifestation der chronischen Pankreatitis finden.
40.5.1
Klassifikation
Verschiedenste Klassifikationen sind für die Einteilung der Pankreatitiden vorgeschlagen worden. Die Unterscheidung zwischen akuter und chronischer Form beruht dabei auf strukturellen und funktionellen Kriterien. Primär auf histologischen und funktionellen Veränderungen basierend, wird zwischen akuter und chronischer Pankreatitis
unterschieden; als Spezialform der chronischen Pankreatitis wird die obstruktive Pankreatitis abgegrenzt. Letztere ist durch eine strukturelle und funktionelle Verbesserung nach Beheben der Obstruktion charakterisiert. Die Unterscheidung der akuten Pankreatitis von einem akuten Schub einer chronischen Pankreatitis bleibt aber zu Beginn schwierig und erschwert eine präzise Klassifikation.
40.5.2
Pathogenese
Epidemiologische Schätzungen zur Inzidenz und Prävalenz chronischer Pankreatitiden variieren beträchtlich. Die Prävalenz der chronischen Pankreatitis in Autopsiestudien variiert zwischen 0,04% und 5%. Die bedeutendste Ätiologie der chronischen Pankreatitiden ist in Mitteleuropa mit 70–80% der Alkohol. Bei wenigen Patienten lassen sich anatomische Varianten (Pancreas divisum), metabolische (Hypertriglyzeridämie, Hyperparathyreoidismus) oder immunologische (Autoimmunpankreatitis) Faktoren nachweisen. In etwa 2% der Patienten findet man eine familiär gehäufte Erkrankung, wobei bei weniger als 1% ein autosomal-dominant vererbtes Krankheitsbild vorliegt. In gewissen tropischen Regionen (Südindien, Bangladesh, Westafrika) wird eine spezielle Form der chronischen Pankreatitis gefunden, deren Ursache unklar ist und als tropische Pankreatitis bezeichnet wird. Die chronische Pankreatitis ist das Resultat einer rezidivierenden oder konstanten Aktivierung des Immunsystems, das eine zytotoxische Schädigung der Azinuszellen induziert. Diese Aktivierung des Immunsystems hat eine antiinflammatorische Reaktion zur Folge, vermittelt durch verschiedene Zytokine; diese fördern die Entwicklung einer Fibrose. Drei Faktoren sind also wichtig in der Entwicklung einer chronischen Pankreatitis (Whitcomb 2004): 4 Rezidivierende Schädigung des Organs 4 Persistierende Aktivierung des Immunsystems 4 Markante antiinflammatorische Reaktion Verschiedene Risikofaktoren sind identifiziert worden, aber keiner allein genügt, um eine chronische Pankreatitis auszulösen. Alkohol und Tabak sind illustrative Beispiele dafür: beide werden von vielen Personen konsumiert, aber nur wenige entwickeln eine chronische Pankreatitis, was als ein starker Hinweis für eine genetische Disposition gewertet werden muss.
Alkoholinduzierte Pankreatitis In den westlichen Zivilisationen haben die meisten Patienten mit chronischer Pankreatitis eine langdauernde Anamnese von Alkoholüberkonsum (>60–80 g/Tag, länger als 5 Jahre) (Lankisch 2002). Dabei spielt es keine Rolle, ob Bier, Wein oder Schnaps täglich oder schubweise
40
828
40
Kapitel 40 · Pankreas
. Abb. 40.12 Abdomenleerbild eines Patienten mit tropischer Form einer chronisch kalzifizierenden Pankreatitis. Im Bereich des
Pankreas imponieren multiple kalkdichte Verschattungen, die intraduktalen Konkrementen entsprechen
in exzessiven Mengen konsumiert wird. Das Risiko einer chronischen Pankreatitis steigt mit zunehmender Dauer und Menge des Alkoholkonsums (Wilson 1985; Hanck et al. 2004). Nach der initialen Manifestation der Entzündung kann der weitere Entzündungsprozess autonom auch ohne zusätzlichen Alkoholkonsum fortschreiten. Der Alkohol ist zwar ein häufiger, aber insgesamt ein ungenügender Risikofaktor für die Entwicklung einer chronischen Pankreatitis. Da die Empfindlichkeit auf Alkohol individuell stark variiert, lässt sich keine minimale, harmlose Alkoholmenge nennen, die eine untere »sichere« Grenze darstellt. Vereinzelte Formen der idiopathischen Pankreatitis dürften deshalb bei empfindlicheren Patienten auch alkoholischer Genese sein. Insgesamt entwickeln nur 5–10% der schweren Trinker eine Pankreatitis und entsprechend der Geschlechtsverteilung beim Alkoholismus erkranken Männer häufiger als Frauen, typischerweise im Alter zwischen 35–45 Jahren. Der Einfluss von diätetischen oder genetischen Faktoren auf die Entstehung der alkoholischen Pankreatitis ist zurzeit Fokus intensiver Forschung. Eiweiß- und sehr fettreiche Diäten wurden von einzelnen Autoren als prädisponierender Faktor suggeriert, andere vermochten dies jedoch nicht zu bestätigen (Whitcomb 2004). Eine eiweißarme Ernährung im Kleinkindesalter wurde vor allem bei der tropischen Pankreatitis – einer Spezialform der chronischen Pankreatitis in tropischen Ländern – als pathogenetischer Faktor vorgeschlagen, doch konnte auch hier bisher keine kausale Beziehung nachgewiesen werden. Ferner könnte ein Mangel an Spurenelementen wie Selenium
oder Zink durch die verminderte Produktion antioxidativ wirkender Enzyme zu einer erhöhten Empfindlichkeit des Pankreasgewebes gegenüber oxidativen Noxen und dadurch zu einer Pankreatitis führen; aber auch diese Arbeitshypothese ist höchst umstritten. Die Pathogenese der alkoholinduzierten, chronischen Pankreatitis ist weiterhin unklar. Es ist denkbar, dass Alkohol eine Hypersekretion von pankreatischen Proteinen stimuliert, die dann später in Folge »Übersättigung« sedimentieren und innerhalb des Pankreasgangsystems verkalken können. Obwohl diese duktalen Konkremente bei allen Formen der chronischen Pankreatitis festzustellen sind (Freedman et al. 1993; Whitcomb 2004), finden sie sich bei der alkoholinduzierten und bei der tropischen Pankreatitis weitaus am häufigsten (. Abb. 40.12). Die blockierten Duktuli könnten z. B. durch Rückstau die intrazelluläre Aktivierung von Pankreasenzymen in den Azini oder andere Mechanismen fördern, die schließlich zur Schädigung der Drüsenstruktur führen. Eine alternative Hypothese basiert auf der Annahme einer inadäquaten Aktivierung des Zytochrom P450. Die dadurch induzierte vermehrte Produktion freier Radikale erhöht den oxidativen Stress, was zu einer Schädigung der Pankreaszellen führen könnte. Die experimentelle Grundlage zu dieser Hypothese ist jedoch eher dürftig.
Genetische Faktoren Die Manifestation einer chronischen Pankreatitis wird von einem genetischen Hintergrund definiert; dabei kann man zwischen protektiven genetischen Faktoren und gene-
829 40.5 · Pathogenese und konservative Therapie der chronischen Pankreatitis
tischen Risikofaktoren unterscheiden (Rosendahl 2008, Whitcomb 2004, Witt 2000, Witt 2006). Die ersten Mutationen wurden bei Patienten mit autosomal-dominant vererbter Pankreatitis nachgewiesen (Varianten des kationischen Trypsinogen mit N29I und R122H bezeichnet). Bei dieser Form der chronischen Pankreatitis handelt es sich um eine vererbte Krankheit mit einer Penetranz von ca. 80%. Mehr als 80% dieser Kranken entwickeln vor dem 20. Lebensjahr eine chronische Pankreatitis. Das klinische Bild unterscheidet sich kaum von demjenigen nicht vererbter Pankreatitiden (Perrault 1994). Wiederholte Schübe von schweren Oberbauchschmerzen charakterisieren den klinischen Verlauf. In 20% der Fälle entwickelt sich 8– 10 Jahre nach den ersten Schmerzepisoden ein manifester Diabetes mellitus und in 15–20% eine ausgeprägte Steatorrhö. In den meisten dieser Familien kann eine Punktmutation des kationischen Trypsinogengens auf dem Chromosom 7q35 nachgewiesen werden (Whitcomb et al. 1996). Diese Mutation beeinträchtigt einen Trypsininaktivierungsmechanismus; das aus inaktivem Trypsinogen entstehende Trypsin provoziert die Autodigestion des Pankreas. Dieser genetische Defekt könnte in Zukunft einer Gentherapie zugänglich sein (Whitcomb 2004). Später wurden Mutationen im Trypsininhibitorprotein (SPINK1) sowie im »cystic fibrosis transmembrane conductance regulator« (CFTR) nachgewiesen; diese Veränderungen finden sich sowohl bei der alkoholischen Pankreatitis wie auch bei der sog. idiopathischen Form der chronischen Pankreatitis (Cohn 2005; Whitcomb 2004). In der Zwischenzeit sind weitere Risikofaktoren identifiziert worden, aber auch protektive Faktoren wie die Mutation G129R des anionischen Trypsinogens. Bei Vorliegen von protektiven Faktoren ist die Entwicklung einer chronischen Pankreatitis weniger wahrscheinlich, bei einer entsprechenden Risikokonstellation jedoch sehr viel häufiger. Heute sind bei rund einem Viertel der Patienten mit chronischer Pankreatitis genetische Risikofaktoren nachweisbar. Hochrechnungen haben ergeben, dass bei Vorliegen von N29I und R122H das Risiko, an einer chronischen Pankreatitis zu erkranken, etwa 1000-fach erhöht wird. Rauchen erhöht dieses Risiko noch weiter. Bei Vorliegen einer homozygoten N34S-Mutation von SPINK1 wird das Risiko etwa 500-fach erhöht (Bhatia 2005; Whitcomb 2004). Diese Zahlen verdeutlichen, dass diese Risiken wesentlich größer sind als hoher Alkoholkonsum, für den eine maximale Risikosteigerung von 3–4 beschrieben worden ist (White 2002). > Die Entwicklung einer chronischen Pankreatitis wird primär durch den genetischen Hintergrund bestimmt und durch verhaltensbedingte Risikofaktoren (Alkohol, Rauchen) moduliert. In Zu6
kunft werden sicher weitere genetische Veränderungen entdeckt werden; damit wird die sog. »idiopathische Pankreatitis« seltener werden.
Sporadische (früher idiopathische) Pankreatitis Chronische Pankreatitiden, die ätiologisch nicht geklärt werden können, werden als sporadisch (früher idiopathisch) eingestuft. Entscheidend für die Zuordnung zu dieser Kategorie ist der sichere Ausschluss anderer Ursachen einer chronischen Pankreatitis. Typischerweise fehlt eine Geschlechtsdominanz. Patienten mit einer juvenilen Form präsentieren sich initial überwiegend mit Bauchschmerzen, die älteren Patienten zumeist erst mit exokriner Insuffizienz, Diabetes mellitus und Pankreasverkalkungen. Im Vergleich zur alkoholinduzierten chronischen Pankreatitis entwickelt sich bei der sporadischen Pankreatitis die exokrine wie auch endokrine Insuffizienz verzögert.
Seltene Formen Tropische Form In gewissen tropischen Ländern von
Afrika und in großen Teilen Asiens ist die tropische Form einer chronischen kalzifizierenden Pankreatitis die häufigste Ursache (Pitchumoni 1984). Die Patienten erkranken typischerweise im Kindesalter und entwickeln bereits in der Adoleszenz eine endo- wie auch exokrine Pankreasinsuffizienz. Häufig sterben die Patienten in jungen Jahren. Abdominalschmerzen charakterisieren den Krankheitsbeginn. Einige Jahre später manifestiert sich ein Diabetes mellitus. Zu diesem Zeitpunkt können auf Abdomenröntgenbildern praktisch immer diffuse Pankreasverkalkungen erkannt werden (. Abb. 40.11). Histologisch finden sich Dilatationen der Duktuli, Pankreaskonkremente, ein chronisch entzündliches Zellinfiltrat und eine Atrophie des Parenchyms. Die Beschwerden und Veränderungen gleichen denjenigen der alkoholinduzierten chronischen Pankreatitis, obwohl deren Ätiologie unterschiedlich ist. Bei der tropischen Pankreatitis scheint die Malnutrition im Kleinkindesalter ein wichtiger prädisponierender Faktor zu sein (Pitchumoni 1984). Ein Mangel an Zink, Kupfer und Selen, wie er häufig bei einer Mangelernährung gefunden wird, könnte ebenfalls im Rahmen der antioxidativ wirkenden Enzyme von Bedeutung sein. Letztlich ist die Pathogenese der tropischen Pankreatitis nicht geklärt. Trauma Stumpfe und penetrierende Bauch-, aber auch Rückentraumen können zu einer Pankreasverletzung führen, die klinisch nicht ins Auge fallen muss (Jurkovich u. Carrico 1990). Ein Teil dieser Pankreatitiden wird durch die vollständige Ruptur des Pankreasganges ausgelöst. Der kontinuierliche Sekretverlust kann sich als Aszites oder lokalisierte Flüssigkeitsansammlung manifestieren. Geringere
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Kapitel 40 · Pankreas
Verletzungen bleiben häufig während Monaten bis Jahren unentdeckt. Eine vollständige Ruptur des Ductus pancreaticus muss chirurgisch saniert werden. Kleinere Risse lassen sich häufig mit einem Stent und Octreotid, einem Somatostatin-Analogon, plus totaler parenteraler Ernährung erfolgreich behandeln (Jenkins u. Berein 1995). Pancreas divisum Das Pancreas divisum ist die häufigste
kongenitale Anomalie des Pankreas, die sich bei 7–8% der Bevölkerung in Europa, jedoch weit weniger häufig in Afrika, Amerika und Asien findet. Die Anomalie erklärt sich durch die fehlende Fusion zweier entodermaler Anlagen des primitiven Vorderdarms zum Pankreas. Dadurch bleiben der dorsale und ventrale Ganganteil des Pankreas isoliert oder nur partiell verbunden. Der dorsale Pankreasgang drainiert als Folge dieser Fehlbildung durch die Papilla minor den größten Anteil des exokrinen Pankreassekrets ins Duodenum. Nur ein kleiner Teil des Sekrets wird durch den ventralen Anteil des Pankreas über die Papilla major abgeleitet. Chronische Pankreatitiden sollen nun Folge einer duktalen Hypertonie bei ungenügendem Sekretabfluss durch die zu kleine Papilla-minor-Öffnung sein. Dieser hypothetisch einleuchtende Mechanismus ließ sich jedoch bis jetzt nicht sicher bestätigen. Zudem wird die Bedeutung des Pancreas divisum als Risikofaktor kontrovers diskutiert, da nur wenige Personen mit einem Pancreas divisum tatsächlich eine Pankreatitis entwickeln. Bei einzelnen symptomatischen Patienten, deren Abfluss tatsächlich gestört ist, kann hingegen die chirurgische oder endoskopische Drainage das Beschwerdebild erheblich lindern. Die besten therapeutischen Erfolge mit der endoskopischen Papillotomie der Papilla minor sind bei Patienten mit wiederholten Attacken einer Pankreatitis zu erwarten. Ein Drittel der Patienten mit Schmerzen und chronischer Pankreatitis profitieren von der Therapie. Patienten mit Schmerzen ohne Pankreatitis zeigen hingegen keinerlei klinische Verbesserung (Lehman et al. 1993). Obstruktive Form Die Obstruktion des Pankreashaupt-
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ganges durch einen Tumor, eine benigne Stenose der Papilla Vateri, eine Narbe nach traumatischer Pankreatitis oder eine Pseudozyste kann eine chronische Pankreatitis auslösen. Diese obstruktive Form der chronischen Pankreatitis wird von anderen Ätiologien unterschieden, da bei rechtzeitiger Korrektur der Obstruktion sowohl klinisch als auch biologisch eine teilweise, gelegentlich vollständige Abheilung möglich ist (Gyr et al. 1985). Histologisch ist diese obstruktive chronische Pankreatitis durch eine diffuse azinäre Atrophie, Fibrosen und Dilatationen des Gangsystems charakterisiert. Falls die Korrektur der Obstruktion zu spät erfolgt, ist eine unverminderte Progredienz der Veränderungen wahrscheinlich. Intraduktale Konkremente sind bei der rein obstruktiven Form selten zu finden.
40.5.3
Klinische Symptomatologie
Schmerzen > Schmerz ist das Kardinalsymptom der chronischen Pankreatitis und wird als dumpfer, konstanter epigastrischer Schmerz beschrieben, der häufig, jedoch nicht immer, in den Rücken ausstrahlt.
Gelegentlich ist der Schmerz mit Übelkeit und Erbrechen verbunden. Durch aufrechtes Sitzen und Vorwärtslehnen kann die Symptomatik gelindert werden. Häufig verspüren die Patienten in den initialen Stadien der chronischen, vor allem alkoholinduzierten Pankreatitis, lediglich geringe Beschwerden. Im Laufe der Zeit nimmt nicht nur die Häufigkeit der Schmerzen, sondern auch die Dauer der Schmerzepisoden zu und schließlich wird ein konstanter Schmerz die Klinik prägen. Da die Nahrungsaufnahme die Beschwerden erheblich verstärken oder gar provozieren kann, verzichten Patienten bei schwerem Verlauf auf die Mahlzeiten und verlieren trotz leidlich erhaltener exokriner Funktion an Gewicht. Die wichtigsten Symptome und Befunde sind in . Tab. 40.2 zusammengefasst. Die Schmerzen sind das zentrale Problem der chronischen Pankreatitis, doch wird die Schmerzgenese noch ungenügend verstanden. Verschiedene Studien suggerieren, dass ein erhöhter Druck in den Pankreasgängen an der Entstehung der Schmerzen beteiligt ist (Malfertheiner et al. 1987). Daneben wird ein direkt toxischer Effekt von Alkohol diskutiert, möglicherweise in Verbindung zur Pankreatitis-assoziierten Neuritis. Anhaltender Alkoholkonsum verstärkt die Beschwerden, während Abstinenz die schmerzfreien Intervalle verlängert. Möglicherweise spielen im Frühstadium der Krankheit entzündliche Mediatoren eine bedeutende Rolle in der Schmerzgenese. Perineural konzentrierte eosinophile Infiltrate im Pankreas können zytotoxische Enzyme als entzündliche Mediatoren sezernieren, die ein neuronales Ödem sowie ein Verlust an Perineum verursachen; dadurch können Schmerzen induziert und unterhalten werden (Bockmann et al. 1988;
. Tab. 40.2 Typische Symptome und Befunde der chronischen Pankreatitis Symptome/Befunde
Häufigkeit (%)
Schmerzen
80–98
Gewichtsverlust
5–85
Diabetes mellitus (bei fortgeschrittener Krankheit)
50–60
Steatorrhö
30–40
Ikterus
20–25
831 40.5 · Pathogenese und konservative Therapie der chronischen Pankreatitis
Di Sebastiano et al. 2003). In histopathologischen Untersuchungen ließen sich tatsächlich Proliferationen von myelinfreien Nervenfasern, perineurale mononukleäre Infiltrationen sowie Schmerzmediatoren wie Substanz P und »calcitonin gen-related peptide« nachweisen (Ammann et al. 1984; Bockmann et al. 1988; Di Sebastiano et al. 2003). Häufig wird der Schweregrad der geschilderten Schmerzen durch zusätzliche Probleme wie einer Abhängigkeit von Narkotika mitbeeinflusst. Mit fortschreitender Krankheit kann eine spontane Abnahme der Schmerzen beobachtet werden (Ammann et al. 1984). Neuere Daten wie auch persönliche klinische Erfahrungen lassen jedoch vermuten, dass die Wahrscheinlichkeit einer spontanen Schmerzlinderung gering ist (Di Sebastiano et al. 2003). Ob die Schmerzminderung durch ein Ausbrennen der Pankreasentzündung zustande kommt oder einem Gewöhnungseffekt des Patienten gleichkommt, ist unklar.
Pankreasinsuffizienz 10–20% der schmerzfreien Patienten mit chronischer Pankreatitis leiden an einer exokrinen und endokrinen Funktionsinsuffizienz (Ammann et al. 1984; Layer et al. 1994). Die klassische Trias von Steatorrhö, Diabetes mellitus und Pankreasverkalkungen wird bei weniger als einem Drittel der Patienten zum Zeitpunkt der Diagnose gefunden. Eine klinisch signifikante, durch Maldigestion hervorgerufene Malnutrition wird erst bei einem Verlust von über 90% der Drüsenfunktion manifest. Patienten mit schwerer exokriner Pankreasinsuffizienz vermögen die Nahrung nicht zu verdauen (Maldigestion). Die Fetthydrolyse ist früher beeinträchtigt als die Protein- und Kohlenhydrataufspaltung. Es entwickelt sich demzufolge zunächst eine Steatorrhö und erst später finden sich Zeichen der Eiweißmalnutrition. Patienten mit Fettmaldigestion beschreiben häufig einen weichen, fettigen, übelriechenden Stuhlgang, der nur schwer wegzuspülen ist. Blähungen, Bauchkrämpfe und Flatulenz sind häufig beklagte Beschwerden. Trotz ähnlich ausgeprägter Steatorrhö bleibt die Resorption von fettlöslichen Vitaminen (A, D, E, K) bei Patienten mit chronischer Pankreatitis besser als bei Patienten mit zöliakieinduzierter Malabsorption. Etwa 40% der Patienten mit exokriner Pankreasinsuffizienz weisen eine Vitamin-B12-Malabsorption auf. Dennoch ist ein klinisch relevanter Mangel an Vitamin B12 oder an fettlöslichen Vitaminen selten.
Glukoseintoleranz und Diabetes mellitus Obwohl Patienten mit chronischer Pankreatitis häufig eine Glukoseintoleranz entwickeln, präsentiert sich ein manifester Diabetes mellitus erst spät im Krankheitsverlauf, d. h. in der Regel mehr als 20 Jahre nach Beginn der Erkrankung. Eine endokrine Insuffizienz entwickelt sich mit
fortschreitender Krankheit bei 60% der Patienten (Layer et al. 1994). Die meisten zeigen einen insulinabhängigen Diabetes mellitus, der sich aber durch die zusätzliche Beeinträchtigung der glukagonproduzierenden α-Zellen vom Diabetes mellitus Typ I unterscheidet. Die gleichzeitig bestehende Maldigestion und der Alkoholkonsum steigern in Kombination mit der Inselzellinsuffizienz das Risiko einer spontanen Hypoglykämie. Generell ist der Diabetes mellitus bei chronischer Pankreatitis schwer einzustellen. Eine echte diabetische Ketoazidose ist jedoch selten. Hingegen können Spätkomplikationen des Diabetes wie Nephropathie oder Retinopathie auch hier auftreten.
40.5.4
Diagnostik
> Die Diagnose der chronischen Pankreatitis ist in der Regel einfach: Eine typische Anamnese, ein bildgebendes Verfahren (Ultraschall, CT oder MRCP) ermöglichen in der Regel eine klare und einfache Definition der Krankheit.
Klinische Untersuchung Die meisten Patienten sind abgemagert und scheinen an einer schweren konsumierenden Krankheit zu leiden. Ein Malignom ist differenzialdiagnostisch immer in Erwägung zu ziehen. Zeichen einer zusätzlichen chronischen Leberkrankheit können sich bei Alkoholmissbrauch finden. Bei fehlender Hepatopathie wird ein Ikterus oft durch eine mechanische Obstruktion der extrahepatischen Gallenwege hervorgerufen (z. B. Pankreaskopfraumforderung, Pseudozyste). Patienten mit Steatorrhö zeigen zum Teil ausgeprägte Trommelschlegelfinger. Eine düstere Verfärbung der Haut über dem Epigastrium oder im unteren thorakalen Wirbelsäulenbereich lassen vermuten, dass der Patient Hitzequellen zur Linderung der Schmerzen über längere Zeit verwendet hat. Diese Veränderungen haben keinen diagnostischen Wert, insbesondere nicht in der Abgrenzung einer Pankreatitis gegenüber einem Karzinom. Im asymptomatischen Intervall helfen die körperlichen Standarduntersuchungen kaum bei der Diagnose einer Pankreatitis.
Labordiagnostik Die Labordiagnostik spielt eine untergeordnete Rolle und ist nur für den Nachweis des akuten Schubes sinnvoll (Enzyme, CRP). Die Serumkonzentrationen der Pankreasenzyme Amylase und Lipase sind nur bei akuten Schüben, jedoch nicht im Intervall erhöht. Im späteren Verlauf bleiben die Konzentrationen häufig auch während der akuten Episoden im Normbereich. Die absoluten Werte der Amylase wie auch der Lipase lassen keine prognostischen Rückschlüsse zu. Erhöhte alkalische Phosphatase- oder γ-Glutamyltransferase-Konzentrationen lassen in Intervallen ohne Hin-
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Kapitel 40 · Pankreas
weise auf einen akuten Schub eine Gallenabflussstörung vermuten, sei es infolge einer Stenose des Ductus choledochus oder durch extrinsische Kompression der extrahepatischen Gallenwege.
Funktionsuntersuchung > Die Pankreasinsuffizienz lässt sich am sichersten durch Quantifizierung der Stuhlfettausscheidung oder durch Messung der exokrinen Sekretion mittels Sondentest unter hormoneller Stimulation nachweisen.
Funktionsuntersuchungen des Pankreas basieren auf der direkten oder indirekten Messung der Bikarbonat- und/ oder Enzymsekretion nach direkter oder indirekter Stimulation der exokrinen Pankreassekretion. Sie haben klinisch keine grosse Bedeutung mehr. Fettmalabsorption Bei Fettmalabsorption ist die β-Caro-
tinkonzentration im Serum frühzeitig vermindert und gilt als sensitiver, wenn auch nicht spezifischer Marker der Malabsorption (Lembcke et al. 1989). Eine Steatorrhö lässt sich mikroskopisch durch eine Sudanrot gefärbte Stuhlprobe nachweisen oder durch quantitative Analyse der Fettausscheidung verifizieren (Sensitivität und Spezifität ca. 90%). Die quantitative Stuhlfettanalyse ist das Referenzverfahren zur Diagnose einer Malabsorption. Gewöhnlich wird dabei für 72 h der Stuhl unter standardisierter Diät mit 100 g Fett pro Tag gesammelt. Die normale Fettausscheidung von 7 g/24 h wird dabei von Patienten mit Steatorrhö weit übertroffen und kann 20–30 g/24 h betragen. Intubationstests mit direkter Messung der exokrinen Pankreassekretion Die direkte Stimulation gilt als Goldstan-
40
dard der Funktionsdiagnostik. Dabei wird das Pankreas durch Sekretin allein oder kombiniert mit Cholezystokinin stimuliert. Der Sekretinstimulationstest ist wahrscheinlich das sensitivste direkte Verfahren zur Analyse der exokrinen Pankreasfunktion. Trotzdem müssen bereits mehr als 60% der Funktion eingebüßt sein, bevor der Test abnorme Werte anzeigt. Das Peptid Sekretin provoziert die Sekretion einer bikarbonatreichen Flüssigkeit aus dem Pankreas. Eine Pankreasinsuffizienz liegt in der Regel vor, falls im duodenalen Aspirat weniger als 70–80 mEq/l Bikarbonat nachzuweisen sind. Der Sekretintest ist nicht nur zeitaufwendig und für den Patienten unangenehm, sondern auch schwierig zu standardisieren. Der Sekretinstimulationstest hat seine klinische Bedeutung verloren und wird nur noch in wenigen Zentren, vorwiegend für klinische Studien eingesetzt. Ein vereinfachtes Testverfahren wurde kürzlich publiziert; dabei werden Duodenalsaftproben endoskopisch während einer Routine-Gastoduo-
denoskopie gewonnen nach Stimulation mit Sekretin (Conwell et al. 2003). Indirekte Messung der exokrinen Pankreassekretion Als Alternative zu den aufwendigen und von den Patienten wenig beliebten Intubationsuntersuchungen wurden indirekte Methoden zur Erfassung der exokrinen Pankreasfunktion entwickelt. Von diesen Methoden ist in der Zwischenzeit nur noch die Messung der Stuhlelastase verfügbar. Diese hat den Nachteil, dass eine diagnostisch ausreichende Sensitivität erst bei mäßig bis stark ausgeprägter Funktionseinschränkung gegeben ist.
Bildgebende Verfahren Im Abdomenleerbild sind diffuse, intraduktale Kalziumablagerungen pathognomonisch für eine chronische Pankreatitis und bei gut 30% der Patienten nachzuweisen (. Abb. 40.11). Am häufigsten finden sich die Verkalkungen bei der alkoholischen sowie tropischen Pankreatitis, können aber auch bei hereditären und seltener bei idiopathischen Formen erkannt werden. Diese Verkalkungen sind vorwiegend im Pankreasgangsystem lokalisiert. Sonographie/Computertomographie Die Sonographie wie auch die Computertomographie des Abdomens haben die Diagnostik der chronischen Pankreatitis wesentlich erleichtert. Fokale oder diffuse Veränderungen des Pankreas, Unregelmäßigkeiten oder eigentliche Dilatationen der Pankreasgänge wie auch Flüssigkeitsansammlungen (z. B. Pseudozysten) im Parenchym können in der Regel ohne Probleme nachgewiesen werden (. Abb. 40.13). Die Sensitivität und Spezifität der Abdomensonographie liegt bei 60–70% bzw. 80–90%. Die Computertomographie weist eine bessere Sensitivität (>90%) bei vergleichbarer Spezifität auf. Zum Nachweis von Komplikationen einer Pankreatitis ist die CT-Untersuchung die bevorzugte Methode. Die Abgrenzung gegenüber malignen Veränderungen ist jedoch auch mit dem CT schwierig. Hier hat der endoskopische Ultraschall (EUS) eine dokumentierte Bedeutung. Die Grenzen der Methoden liegen momentan in der korrekten Diagnose früher Stadien der Pankreatitis sowie in der Differenzierung entzündlicher gegenüber neoplastischer Pankreasveränderungen (Rösch et al. 1992, Rösch et al. 2004). Die Endosonographie hat aber eine hohe Genauigkeit erreicht und hat in geübten Händen eine hohe Sensitivität und Spezifität (speziell hoher negativer prädiktiver Wert). Zu berücksichtigen ist hierbei, dass die Qualität der Methode außerordentlich untersucherabhängig ist (Aithal et al. 2002). Durch die Wand des Magens können EUS-gesteuerte Feinnadelbiopsien durchgeführt werden, um Zytologien von Pankreasmassen zu erhalten. Die strukturelle Integrität der Drüsen kann jedoch weiterhin nur an Biopsien beurteilt werden.
833 40.5 · Pathogenese und konservative Therapie der chronischen Pankreatitis
. Abb. 40.13 Die Computertomographie des Abdomens bei chronisch kalzifizierender Pankreatitis zeigt die intraduktalen Verkalkun-
gen. Das Pankreasparenchym wirkt inhomogen und aufgelockert und die Strukturen sind unregelmäßig begrenzt
> Die EUS-geführte Feinnadelaspiration hat sich aber in den letzten Jahren rasch zur Methode der Wahl bei der diagnostischen Abklärung von Raumforderungen im Pankreas entwickelt.
Magnetresonanz-Cholangiopankreatographie Die MRCP
Endoskopische retrograde Cholangiopankreatographie Die
ERCP hat ihre Bedeutung in der Diagnostik der chronischen Pankreatitis eingebüßt und ist in der Regel nur noch zur therapeutischen Intervention angezeigt. Bis Mitte der 90er-Jahre war sie die Referenzuntersuchung zum Nachweis duktaler Abnormitäten bei der chronischen Pankreatitis (. Abb. 40.14). Nach der Cambridge-Klassifikation können die duktalen Veränderungen fraglich (Cambridge I), leicht bis mäßig (Cambridge II) oder ausgeprägt (Cambridge III) sein (Axon et al. 1984). Die Korrelation dieser Veränderungen mit den CT-Befunden ist bei den ausgeprägtesten Formen am besten. Ähnliche Rückschlüsse sind auch in Bezug auf die exokrine Pankreasfunktion zulässig. Die meisten Patienten mit deutlichen Pankreasgangveränderungen zeigen eine eingeschränkte Pankreasfunktion und vice versa. Es gibt aber auch Patienten mit normalem Gangsystem und abnormer Funktion oder umgekehrt! Physiologische, altersabhängige Pankreasgangunregelmäßigkeiten oder ein persistierender Schaden nach akuter nekrotisierender Pankreatitis erschweren gelegentlich die Diagnose einer chronischen Pankreatitis. Die Schwere der duktalen Veränderungen nimmt mit der Krankheitsdauer zu. > Ein vollständiger Verschluss des Hauptganges ist ungewöhnlich und muss ein Malignom vermuten lassen.
liefert ausgezeichnete Bilder der abdominellen Eingeweide, einschließlich der Leber, der Gallenwege und des Pankreas. Verschiedene Studien dokumentieren, dass die MRCP- der ERCP-Diagnostik ebenbürtig ist (Soto et al. 1996; Domagk et al. 2004). Da es sich um ein nichtinvasives
. Abb. 40.14 ERCP einer fortgeschrittenen chronischen Pankreatitis: Der Ductus Wirsungianus ist deutlich dilatiert. Im distalen Anteil lässt sich ein Konkrement als Kontrastmittelaussparung erkennen. Die Seitenäste im Pankreaskopf sind verplumpt, dilatiert und unregelmäßig begrenzt; im Korpus fehlen sie praktisch vollständig
40
834
Kapitel 40 · Pankreas
bildgebendes Verfahren ohne Risiko für Pankreatitis handelt, sollte die Magnetresonanzuntersuchung des Pankreas das diagnostische ERCP ersetzen. Die Bildgebung kann verbessert werden durch gleichzeitige intravenöse Gabe von Sekretin. Die genaue Methodik für ein Sekretin-MR des Pankreas ist zurzeit in Diskussion.
Differenzialdiagnose Bei einem Patienten mit langer Alkoholanamnese, typischen Schmerzen und rezidivierender Hyperamylasämie, ist die Diagnose kaum problematisch. Anders jedoch bei nicht derart offensichtlicher Anamnese: Hier können verschiedene andere Ursachen wie z. B. eine Ulkuskrankheit, Gallensteine, ein Reizdarmsyndrom und eine Endometriose den chronischen Abdominalschmerzen zugrunde liegen. Die Differenzialdiagnose der chronischen Pankreatitis ist von 2 Schwierigkeiten geprägt. Die eine Problematik betrifft Patienten mit chronischen Abdominalschmerzen und chronischer Pankreatitis, deren bildgebende Verfahren jedoch unauffällige Resultate zeigen. Hier sind Funktionstests notwendig. Zum anderen gibt es die Unterscheidung der chronischen Pankreatitis vom Pankreaskarzinom. Patienten mit chronischer Pankreatitis weisen ein erhöhtes Karzinomrisiko auf (Lowenfels et al. 1993), das z. B. bei Patienten mit hereditärer Pankreatitis 5-mal größer ist als bei Gesunden. Die Differenzierung kann außerordentlich schwierig sein und gelegentlich die chirurgische Resektion zur Diagnosestellung erfordern. Die Stützpfeiler der Diagnose sind immer die bildgebenden Verfahren, gelegentlich kombiniert mit gesteuerter Feinnadelbiopsie oder mit Biopsieentnahme. Endoskopische Bürstenabstriche des Gallen- oder Pankreasganges können ebenfalls diagnostisch sein. Obwohl die Sensitivität zwischen 70–96% liegt, erlaubt ein negatives Resultat keine sicheren Rückschlüsse. Zusätzliche Techniken wie Flusszytometrie und Bestimmung von Genmutationen wurden zur Verbesserung der Sensitivität entwickelt (Ryan u. Baldauf 1994). Dennoch bleiben negative Befunde eine diagnostische Herausforderung.
40
40.5.5
Therapie
Die Therapie der chronischen Pankreatitis konzentriert sich auf die Kontrolle der Schmerzen, die Korrektur der Maldigestion/Malabsorption sowie die Behandlung von Gangobstruktionen und eventuellen Komplikationen.
Schmerzmanagement Die Schmerzen bedürfen in der Regel einer systematischen und oft intensiven Therapie. Das Schmerzsyndrom ist allerdings nicht leicht zu quantifizieren. Das Ausmaß der Beschwerden wird durch Probleme wie die Abhängigkeit
von Alkohol oder von Narkotika mitbeeinflusst und die Schmerztherapie dadurch kompliziert. Obschon eine gewisse spontane Schmerzlinderung im Krankheitsverlauf denkbar ist, sind analgetische Behandlungen häufig während Monaten und Jahren nötig. Stützpfeiler der konservativen Schmerztherapie 4 Alkoholabstinenz 4 Analgetika – Leichte Schmerzen: peripher wirksame Analgetika (Salizylate, Paracetamol) – Mäßige Schmerzen: Kombination: peripher wirksame Analgetika + niedrig potente, zentral wirksame Analgetika (Tramadol) – Schwere Schmerzen: Kombination: peripher wirksame Analgetika + hoch potente, zentral wirksame Analgetika (Buprenorphin, Pentazocin) 4 Antidepressiva 4 Säuresekretionshemmer: Protonenpumpenblocker 4 Plexus-coeliacus-Nervblockade
Alkoholabstinenz Die Wirkung der stets dringend emp-
fohlenen Alkoholabstinenz auf die Schmerzhäufigkeit wird kontrovers beurteilt. Sicher konnte jedoch gezeigt werden, dass Patienten mit chronischer Pankreatitis durch weiteres Trinken ihre Überlebensrate deutlich ungünstig beeinflussen (Ammann et al. 1984). Patienten sollten deshalb ermutigt werden, an einem Entzugsprogramm teilzunehmen und abstinent zu bleiben. Analgetika Die medikamentöse Therapie der Schmerzen
ist wichtig und sollte in der initialen Phase der chronischen Pankreatitis mit peripher wirkenden Analgetika wie Salizylaten oder Paracetamol versucht werden. Die Dosierung ist individuell anzupassen und die Medikamente sollten, wenn möglich, vor den Mahlzeiten eingenommen werden, damit postprandial akzentuierte Schmerzen besser kontrolliert werden können. Bei zunehmender Symptomatik sind zunächst die Dosierung und die Frequenz der Tabletteneinnahme zu steigern. In schweren Fällen müssen jedoch Opiate eingesetzt werden. Säureblocker Durch die Hemmung der Magensäureproduktion durch Protonenpumpenblocker wird der Säureload ins Duodenum vermindert und das intraduodenale pH angehoben; dadurch wird der endogene Stimulus zur Pankreassekretion reduziert. Eine reduzierte Pankreassekretion könnte allenfalls die Schmerzsymptomatik günstig beeinflussen. Trotz fehlender systematischer Untersuchungsbefunde ist dieser therapeutische Ansatz weit
835 40.5 · Pathogenese und konservative Therapie der chronischen Pankreatitis
verbreitet und wird regelmäßig versucht. Die Gabe von Protonenpumpenblocker zur Schmerztherapie ist nicht gut dokumentiert, die Medikamente sind aber häufig wichtig zur Behandlung der Malabsorption (Enzymsubstitution, s. unten). Trypsin Die orale Substitution von Pankreasenzymen soll die Schmerzen durch einen negativen Feedbackmechanismus günstig beeinflussen. Normalerweise werden CCKfreisetzende Peptide durch Trypsin im Duodenum denaturiert. Bei der chronischen Pankreatitis ist die azinäre Produktion von Trypsin vermindert und entsprechend auch die Denaturierung des CCK-freisetzenden Peptids. Gemäß dieser Hypothese soll die vermehrte Sekretion von CCK Schmerzen provozieren, deren Mechanismus nicht sicher geklärt ist, aber möglicherweise von einer vermehrten Enzymproduktion abhängt. Peroral eingenommene Pankreasenzyme in hoher Dosierung sollen diesen Defekt korrigieren und die Denaturierung des CCK-freisetzenden Peptids wieder verbessern (Layer et al. 1990). Die publizierten Daten von randomisierten Studien zeigen jedoch keinen signifikanten Einfluss auf die Schmerzlinderung durch eine Enzymtherapie. Zusätzlich konnte bei Patienten mit chronischer Pankreatitis keine erhöhten CCK-Blutspiegel nachgewiesen werden, sodass die ganze Hypothese auf wackligen Füssen steht. Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass die orale Gabe von Trypsin keine wirkungsvolle Schmerzbehandlung darstellt.
Enzyme im Magen oder Duodenum, müssen mindestens 25.000 IU Lipase pro Mahlzeit eingenommen werden, damit eine Steatorrhö korrigiert werden kann (DiMagno 1982). Da die Lipase säureinstabil ist, wird deren Inaktivierung eine wichtige Bedeutung zugemessen. Zur Wirkungsverbesserung wurden deshalb Tabletten mit pH-sensitiver Oberfläche entwickelt, die sich erst bei einem pH über 5 auflösen. Durch dieses spezielle Coating werden die Enzyme während der Magenpassage von der Säure geschützt. Zusätzlich wird versucht, die Enzymsubstitution durch Säuresekretionshemmung zu verbessern. Der intraduodenale pH ist bei Patienten mit exokriner Insuffizienz in der Regel erniedrigt (reduzierte Enzym- und Bikarbonatsekretion!); durch Gabe eines Säureblockers (Protonenpumpenblocker) wird die Säureproduktion vermindert, der Säureload in den Dünndarm reduziert, was zu einem erhöhten intraduodenalen pH führt und so zu einem verbesserten »milieu intérieur«. Die Enzymtabletten können während des Essens eingenommen werden, ohne dass sich dies nachteilig auf die Effektivität des Medikamentes auswirkt (DiMagno et al. 1977). Die Wirksamkeit der Enzymsubstitution kann relativ einfach anhand des Gewichtsverlaufes und anhand der Reduktion von Diarrhö, Abdominalschmerzen sowie Blähungen überprüft werden. Für wissenschaftliche Zwecke müssen zusätzlich der Fettgehalt des Stuhles oder die exokrine Funktion gemessen werden. Die oralen Pankreasenzyme vermindern die Resorption von Folsäure durch Bildung unlöslicher Komplexe und verschlechtern die Eisenabsorption signifikant.
Plexus-coeliacus-Nervblockade Patienten mit schweren,
nicht beherrschbaren Schmerzen, können einer Blockade des Plexus-coeliacus-Nerven zugeführt werden. Obwohl die Injektion von Alkohol in den Plexus des N. coeliacus gewöhnlich Patienten mit fortgeschrittenem Karzinom vorbehalten ist, lässt sich diese Therapie auch bei schwersten Schmerzen bei chronischer Pankreatitis versuchen. Der Therapieerfolg variiert beträchtlich und dauert zumeist nur einige Monate. Da überdies Komplikationen wie orthostatische Hypotonien oder Hemiparese beschrieben wurden, sollte dieses Verfahren nur zurückhaltend erwogen werden. Durch die nur vorübergehend wirksamen Blockaden z. B. mit Kortikosteroiden können Patienten besser charakterisiert werden, die allenfalls von einem definitiven Verfahren profitieren würden.
Therapie der Maldigestion/Malabsorption Enzymsubstitution Das Ziel der Enzymsubstitution ist die
Kompensation der exokrinen Pankreasinsuffizienz. Die Korrektur der Fettmangelverdauung ist dabei am schwierigsten zu erreichen. Zur adäquaten Behandlung der Malabsorption müssen 5–10% der physiologischen Maximalmenge an Lipase ins Duodenum gelangen. Unter optimalen Bedingungen, d. h. bei fehlender Inaktivierung der
Mittelkettige Triglyzeride Früher wurden als diätetische
Maßnahmen bei Patienten mit Steatorrhö mittelkettige Triglyzeride der ansonsten fettarmen Diät zugesetzt. Obwohl die mittelkettigen Triglyzeride den theoretischen Vorteil einer von Lipase und Gallensalzen unabhängigen Resorption haben, klagten viele Patienten über eine verstärkte Diarrhö, sodass diese Behandlungsmaßnahme an Popularität verloren hat.
Korrektur von Gangobstruktionen Bei Patienten mit zunehmenden oder therapierefraktären Schmerzen sollte eine CT-Untersuchung veranlasst werden, um Komplikation wie Pseudozysten auszuschließen. Da eine duktale Hypertonie, wie früher bereits erwähnt, als mögliche Ursache der Schmerzen in Frage kommt, wurden chirurgische und endoskopische Verfahren zur Drucksenkung entwickelt. Die bis jetzt publizierten Studien können eine günstige Beeinflussung des Krankheitsverlaufes durch die endoskopischen Verfahren nicht sicher bestätigen. Umso mehr müssen Vorteile und Risiken der Behandlung kritisch gegeneinander abgewogen werden, zumal erhebliche Schädigungen des Gangsystems wie auch des Parenchyms denkbar sind.
40
836
Kapitel 40 · Pankreas
Verschiedene endoskopische Verfahren wurden entwickelt und empfohlen. Bei einer Dilatation des gesamten Pankreasganges kann eine endoskopische Sphinkterotomie des Ductus pancreaticus die Drainage genügend verbessern und entsprechend die Beschwerden günstig beeinflussen (Kozarek et al. 1994). Auch Lithotrypsien und Steinextraktionen aus dem Pankreasgang sowie Stenteinlagen wurden versucht. Die Wahrscheinlichkeit einer Verbesserung der Beschwerden mit einer kombinierten Endotherapie liegt zwischen 50–85% während der folgenden 15–25 Monate. Verglichen mit dem chirurgischen Verfahren ist die endoskopische Therapie relativ neu. Obwohl gute Resultate von einigen Experten berichtet werden, gehören die ERCP-Verfahren mit Ductus-pancreaticus-Sphinkterotomie, Stenteinlage zur Überbrückung von Strikturen und Fisteln sowie zur Steinextraktion spezialisierten Zentren vorbehalten.
40.5.6
40
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40.6
Chirurgische Therapie der chronischen Pankreatitis R. Kasperk, C.J. Krones
Die chronische Pankreatitis ist zumeist ein konservativ zu behandelndes Krankheitsbild. Lässt sich hiermit allerdings keine ausreichende Symptomkontrolle erzielen, sollten rechtzeitig chirurgische Optionen in die interdisziplinären therapeutischen Überlegungen einfließen.
40.6.1
Grundlagen
Vieles in der Pathogenese der chronischen Pankreatitis (CP) ist nach wie vor ungeklärt (Pezzilli 2009). Bekannt sind allerdings die morphologischen (Zerstörung der azinären und Gangepithelien mit Gangobstruktion, Steinbildung und Fibrose) und funktionellen (Verlust der exokrinen und endokrinen Funktion) Folgen der schubweise verlaufenden, chronischen Entzündung. Klinisches Bild und Verlauf variieren stark. Chirurgische Behandlungsansätze zielen lediglich auf die anatomische Beseitigung von Folgezuständen, die in 30–60% der Betroffenen zu erwarten sind (Mayerle et al. 2004). Ob darüber hinaus auf der Basis der heute optimierten Diagnostik und damit früher einsetzenden Therapie zumindest eine Verzögerung des fortschreitenden Zerstörungsprozesses erreicht wird, ist nicht gesichert. Objektiv nachweisbare Komplikationen rechtfertigen chirurgische Maßnahmen: Stenosen und Strikturen, Pseudozysten, Infektionen, Blutungen, Thrombosen und malignitätsverdächtige Raumforderungen. Zahlenmäßig treten diese Interventionen allerdings hinter der Indikationsstel-
lung aufgrund des subjektiven Symptoms Schmerz zurück, der bis zu 90% der Patienten mit CP betrifft.
40.6.2
Therapieziele und Indikationsstellung
Eine Operation kann den Krankheitsprozess nicht heilen. Der eigentliche Auslöser der CP, weltweit zu 75% chronischer Alkoholkonsum, hat auf die Therapiewahl nur insofern Einfluss, als die sichere Ausschaltung der Noxe Grundvoraussetzung für jegliche Planung chirurgischer Maßnahmen sein sollte. > Voraussetzung jeder chirurgischen Therapie sollte die sichere Beendigung des Alkoholabusus sein.
Ziel der Operation ist die Beseitigung der Komplikation mit einer Maßnahme, die so einfach wie möglich ist und dabei einen Parenchymverlust weitgehend vermeidet. Die operationsbedingte Funktionseinschränkung betrifft kaum die exokrine Aktivität des Organs, sondern die endokrine und zwar besonders nach Resektionen und nicht nach Drainageoperationen (Maartense et al. 2004). Grundlage jeder Operationsplanung ist die objektivierbare bildgebende Diagnostik. MRCP und ERCP definieren die Gangveränderungen, CT oder MRT erlauben die Beurteilung des Parenchyms sowie der umgebende Organe. Während bei den objektiven Komplikationen der CP die Bildgebung das Problem klar definiert und die Operation weitgehend festlegt, ergibt sich hinsichtlich der häufigsten Indikation Schmerz keine Korrelation zwischen der Ausprägung des subjektiven Symptoms und dem Ausmaß der anatomisch nachweisbaren Veränderungen. Therapeutische Entscheidungen basieren hier prinzipiell auf klinischen, d. h. subjektiven Kriterien und sind damit evidenzbasierten Evaluierungen nur begrenzt zugänglich (Terrace et al. 2007). Die Entscheidung des »Wann« und »Ob« chirurgischer Maßnahmen ist also krankheitsimmanent komplex und wird durch die Tatsache, dass die Patienten typischerweise erst nach langjähriger internistischer Betreuung und ggf. interventioneller Therapie selektiv den Chirurgen sehen, nicht einfacher. Klare Hinweise auf die auszuwählende chirurgische Technik ergeben sich aus 3 anatomischen Informationen der Bildgebung: 4 Durchmesser des Pankreasgangs 4 Lokalisation einer Gangobstruktion 4 Nachweis einer umschriebenen Raumforderung Diese morphologischen Informationen sind zum einen wichtig im Zusammenhang mit der Hauptindikation
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Kapitel 40 · Pankreas
Schmerz und zum anderen mit dem Dilemma des nicht auszuschließenden Malignoms. Zwei Theorien bilden die pathophysiologische Basis für eine chirurgische Intervention bei der primären Indikation Schmerz: 4 Theorie des lokalisierten viszeralen Kompartmentsyndroms (Druckerhöhung intraparenchymatös und in den Gängen durch entzündlich bedingte Abflussbehinderung) 4 Perineurale Entzündungstheorie (entzündungsbedingte Ausschüttung von toxisch wirkenden Substanzen mit direkter Wirkung auf die zahlreichen intraund peripankreatischen Nerven) Da sich zudem im Pankreaskopf ein relativ großer Parenchymanteil befindet und den Veränderungen hier aufgrund klinischer Erfahrung eine Schrittmacherwirkung für den Verlauf der CP zugeschrieben wird, ergibt sich aus letzterer Theorie der therapeutische Ansatz der Pankreaskopfresektion. Der komplementäre Ansatz besteht in einer Druckminderung durch Ableitung des Gangsystems in den Darm.
40.6.3
Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl
Die chirurgische Therapiewahl in der Behandlung von Schmerzen bei CP bewegt sich zwischen den Polen Drainage und Resektion. Die chirurgische Strategiewahl erfolgt unter Einbeziehung anatomischer Daten, Komorbiditäten und psychosozialer Faktoren wie Analgetikaabhängigkeit, Alkoholabusus etc. Die 7 Übersicht stellt die verfügbaren Techniken zusammen. Die Namensgebung erfolgt teils nach dem Erstbeschreiber, teils nach der chirurgischen Maßnahme. Gerade einige neuere Operationstechniken, auf die weiter unten eingegangen wird, lassen sich allerdings diesem Schema nicht mehr eindeutig zuordnen; sie kombinieren drainierende wie resezierende Elemente (Andersen u. Frey 2010).
40
Chirurgische Therapieoptionen zur Behandlung der CP im Rahmen der Hauptindikation Schmerz 4 Drainageoperation – Drainage ohne Teilresektion (PartingtonRochelle) – Drainage mit Teilresektion (DuVal, PuestowGillesby) 4 Resektion – Pankreaskopfresektion/Duodenopankreatektomie (Kausch-Whipple, pyloruserhaltende DPE, duodenumerhaltende DPE) 6
– Pankreaslinksresektion/subtotale Pankreasresektion – Totale Pankreatektomie 4 Kombination von Resektion und Drainage (Beger, Frey, Berner Modifikation, Izbicki etc.) 4 Neuroablative Verfahren 4 Bilaterale thorakoskopische Splanchniektomie
Drainageoperationen sind insbesondere dann indiziert,
wenn der Ductus Wirsungianus auf mehr als 6 mm dilatiert ist. Die Pankreaskopfresektion ist speziell dann indiziert, wenn sich der entzündliche Zerstörungsprozess vor allem in dieser Organregion abspielt und das Gangsystem wenig dilatiert ist oder wenn hier eine umschriebene Raumforderung mit nicht sicher ausschließbarer Malignität vorliegt. Neuroablative Maßnahmen kommen nur in Betracht, wenn die vorgenannten Eingriffe aufgrund spezieller, zumeist allgemeiner Kontraindikationen nicht durchführbar oder hinsichtlich einer Beseitigung des Schmerzes gescheitert sind. In den letzten Jahren haben sich kombinierte Operationstechniken herausgebildet, die versuchen, den oftmals weniger eindeutigen anatomischen Verhältnissen Rechnung zu tragen. Abgesehen davon, dass diese Eingriffe nicht mehr klar in die o. g. Kategorien einzuordnen sind, beziehen sie sich auf zahlenmäßig immer kleinere Subkollektive. Das macht die Beurteilung ihrer Wertigkeit schwierig und wirft die Frage auf, ob hierzu publizierten prospektive Vergleichsstudien mit Gruppengrößen von 20–30 Patienten den Begriff der daraus abgeleiteten »Level-I-Evidenz« nicht überdehnen (Sakorafas et al. 2001; Andersen u. Frey 2010). Generell gilt, dass das Risiko der Operation und speziell das Risiko der Resektion in den letzten Jahren erheblich gesenkt werden konnte: Die Letalität liegt meist unter 3%. Auch laparoskopische Vorgehensweisen wurden publiziert. Allerdings ist nicht davon auszugehen, dass die Laparoskopie zur Durchführung der genannten großen drainierenden oder resezierenden Verfahren zahlenmäßig relevante Bedeutung erlangen wird. Während die Ergebnisse der chirurgischen Therapie, gleich ob es sich um Drainage- oder resezierende Operationen handelt, bei korrekter Indikationsstellung sehr gut sind, zeigen Langzeituntersuchungen nach mehr als 5 Jahren eine klare Verschlechterung der Situation. Dies gilt speziell für Patienten mit weiterem Alkoholabusus in Kombination mit insulinpflichtigem Diabetes (Olah et al. 2004).
839 40.6 · Chirurgische Therapie der chronischen Pankreatitis
40.6.4
Operationstechnik
Drainageoperationen Therapierefraktäre Schmerzen bei dilatiertem Pankreasgang und Abwesenheit einer umschriebenen Raumforderung bilden die klassische Befundkonstellation für diesen Eingriff. Vorteile sind der maximale Erhalt von Parenchym sowie eine minimale Morbidität (<5% Majorkomplikationen) und Letalität (0–4%). Der schmerzstillende Effekt liegt bei 80–90% nach einem Jahr und 60–85% nach 5 Jahren, wobei abstinente Patienten sich stets am oberen Ende des Spektrums befinden. > Voraussetzung für die Drainageoperation ist das Vorliegen einer »Large-duct«-Erkrankung mit einem Gangdurchmesser von über 6 mm.
Heute kaum noch praktiziert werden die ursprünglichen Varianten der Drainageoperation nach DuVal (limitierte distale Resektion mit End-zu-End-Pankreatojejunostomie, 1954) oder Puestow-Gillesby (limitierte distale Resektion mit Längseröffnung des Pankreasgangs und Drainage beider Flächen über eine Roux-Y-Schlinge, 1958). Standard ist die laterolaterale Pankreatojejunostomie nach PartingtonRochelle (1960), die keine distale Resektion beinhaltet. Grundlage des Eingriffs ist die langstreckige ventrale Eröffnung des Pankreasgangs in einer Ausdehnung von mindestens 8–10 cm, um eine möglichst zuverlässige Dekompression des oftmals multipel strikturierten Gangsystems (»chain of lakes«) zu erzielen. Meist lassen sich auch größere Mengen an Konkrementen aus dem Hauptgang und Nebenästen entfernen (. Abb. 40.15). > Standard der typischen Drainageoperation bei CP ist die laterolaterale Pankreatojejunostomie nach Partington-Rochelle.
An technische Grenzen stößt die Gangeröffnung im Pankreaskopfbereich. Die Organdicke ist hier erheblich größer und der Pankreasgang taucht nach dorsal ab. Zudem lässt sich über eine einfache ventrale Eröffnung das Drainagegebiet des Ductus Santorini nicht erreichen. Zur Lösung dieses Problems wurde eine Operation konzipiert, die die langstreckige Eröffnung des Pankreasganges mit einer »Aushöhlung« des Pankreaskopfes von ventral kombiniert (auch Frey-Verfahren genannt). Die Drainage erfolgt wiederum über eine Seit-zu-Seit-Anastomose in eine Roux-YSchlinge. Eine weitere Modifikation des kombiniert drainierenden und resezierenden Vorgehens bezieht sich auf Fälle, in denen bei CP und Fehlen einer fokalen Raumforderung keine oder nur eine geringgradige Dilatation des Ganges vorliegt. Durch die Exzision eines bis auf den Ductus Wirsungianus reichenden V-förmigen Segments aus der Ventralfläche des Pankreas wird versucht, einen möglichst
. Abb. 40.15 Aus dem Ductus pancreaticus entferntes Steinmaterial
großen Anteil des Organs zu dekomprimieren (Schneider et al. 2009). Diese Variante ist parenchymsparend und daher insbesondere bei bereits erheblich eingeschränkter Pankreasfunktion attraktiv. Allerdings sind die Erfahrungen hierzu sehr begrenzt und die Ergebnisse widersprüchlich (Sakorafas et al. 2001). Stenosen bzw. Strikturen, die auf den Sphincter Oddi begrenzt sind, werden heute zumeist endoskopisch angegangen. Nur selten ergibt sich im Rahmen einer CP die Indikation zu einer transduodenalen Papillotomie oder einer Papillenexzision und Gang-Reimplantation. Genereller Vorteil aller reinen oder kombinierten Drainageverfahren gegenüber der Resektion ist der weitgehende Parenchymerhalt und die Vermeidung der technisch oft schwierigen Pankreasdurchtrennung vor dem Venenkonfluens. Nachteil ist die ggf. unzureichende Dekompression eines stenosierten D. choledochus. Die Naht der laterolateralen Anastomose ist unproblematisch, da das Pankreas bei CP ein sehr sicheres Nahtlager bietet. Es wird resorbierbares Nahtmaterial der Stärke 3–0 oder 4–0 verwendet, sowohl Einzelknopfnähte als auch fortlaufende Naht sind möglich. Jeder Stich umfasst die gesamte Darmwand und Pankreaskapsel mit darunter liegendem Parenchym. Eine direkte Adaptation zwischen Mukosa des Darms und des Pankreasgangs ist nur im Pankreaskorpus/-schwanzbereich möglich und auch nicht unbedingt erforderlich.
Resezierende Operationen Die überwiegend fokale Ausprägung des Krankheitsprozesses mit Schmerzen oder eine Raumforderung mit Malignitätsverdacht sind Indikationen zur Resektion bei der CP. Auch spezifische Komplikationen wie eine Gallengangs- oder Duodenalstenose oder eine Zystenbildung können eine Resektion indizieren. Genereller Nachteil dieses Vorgehens ist der Parenchymverlust bei ohnehin
40
840
40
Kapitel 40 · Pankreas
. Abb. 40.16 Die pyloruserhaltende Pankreatikoduodenektomie nach Traverso und Longmire. Die Rekonstruktion wird mit einer lateralen Pankreatikojejunostomie, einer End-zu-Seit-Choledocho-
jejunostomie und einer End-zu-Seit-Duodenojejunostomie durchgeführt. (Aus Traverso u. Longmire 1978)
reduzierter Funktionsreserve und der technisch höhere Anspruch des Eingriffs. Insbesondere gilt letzteres für Fälle mit vaskulärer Beteiligung (Kompression, Okklusion; Alexakis et al. 2004). Über Jahrzehnte hatte die klassische Duodenopankreatektomie (DPE) nach Kausch-Whipple (1912/1935) eine prohibitiv hohe Letalität und Morbidität. Erst seit ca. 20 Jahren werden für die verschiedenen Varianten der Pankreaskopfresektion konstant Letalitätsraten unter 5% berichtet. Gleichwohl ist die Morbidität dieser ausgedehnten Eingriffe mit 20–50% auch heute noch nicht zu vernachlässigen. Der Operationserfolg der Pankreaskopfresektion im Hinblick auf die Indikation Schmerz liegt in einer ähnlichen Größenordnung wie der von drainierenden Verfahren mit nahe 90% nach einem und 60–80% nach 5 Jahren. Eine kausale Beziehung zwischen CP und Malignomentwicklung gilt heute als weitgehend gesichert. Das Risiko an einem duktalen Adenokarzinom zu erkranken wird mit 4% angegeben (Mayerle et al. 2004). Ein Malignomverdacht als Operationsindikation liegt, soweit spezifiziert, in 16–58% der Fälle vor (Jimenez et al. 2003). In bis zu 10% der Kopfresektate bei vermeintlicher CP findet sich ein Malignom.
nisse von Whipple, der 1935 zunächst die zweizeitige und 1941 dann die einzeitige Variante des Eingriffs publizierte. Während diese Autoren den distalen Magen resezierten, publizierte Watson 1944 die pyloruserhaltende DPE. Erst nach erneuter Publikation durch Traverso und Longmire 1978 erreichte diese Technik Popularität und gilt heute vielerorts als die Standardversion der Pankreaskopfresektion bei CP (. Abb. 40.16). Der proximale, meist mit einer Staplernaht verschlossene Dünndarm wird dabei transmesokolonisch in den Oberbauch geführt und zunächst eine terminolaterale Pankreatikojejunostomie angelegt. Hierzu existieren vielfältige technische Variationen, von denen keine die grundsätzliche Überlegenheit besitzt. Im eigenen Vorgehen wird die hintere Zirkumferenz des durchtrennten Pankreas mit resorbierbaren Einzelknopfnähten seromuskulär mit der Darmwand vereinigt. Nach anschließender antimesenterialer Stichinzision des Dünndarms wird der Pankreasgang mit 2 adaptierenden Nähten (PDS 5–0) unter Mitfassen der Mukosa in den Darm implantiert. Anschließend erfolgt die Vorderwandnaht. Manchmal lässt sich durch eine zweite Nahtreihe eine Art Teleskopanastomose herstellen. 10–15 cm aboral erfolgt die terminolaterale Hepatikojejunostomie mit resorbierbarer Naht und weitere 30–40 cm aboral die terminolaterale Duodenojejunostomie, ebenfalls mit fortlaufender resorbierbarer Naht und unter Verlagerung des Magens vor das Querkolon.
Pankreaskopfresektion Eine Pankreaskopfresektion führte
1912 erstmalig Kausch durch, allerdings mit geringem Überlebenserfolg. Ähnlich schlecht waren auch die Ergeb-
841 40.6 · Chirurgische Therapie der chronischen Pankreatitis
b a
. Abb. 40.17a–c Duodenumerhaltende Resektion des Pankreaskopfes nach Beger et al. a Der Pankreaskopf ist durchtrennt. b Ein Teil des Pankreaskopfes zwischen der duodenalen Seite der Portalvene und des intrapankreatischen Ductus choledochus ist reseziert. c Rekonstruktion mit einer End-zu-End-Pankreatikojejunostomie mit dem Pankreaskorpus und einer Seit-zu-Seit-Pankreatikojejunostomie zur Resektionshöhle des Pankreaskopfes. (Aus Beger 1997)
> Die pyloruserhaltende DPE gilt heute vielerorts als Standard der Resektionsverfahren bei CP.
Den Duodenalverlust als potenziellen Nachteil der klassischen DPE vermeidet die von Beger 1981 konzipierte duodenumerhaltende Kopfresektion (. Abb. 40.17). Im Rahmen der Resektion des Pankreaskopfs nach Durchtrennung des Organs vor dem Venenkonfluens bleibt hier ein schmaler Saum Pankreasgewebe am Duodenum erhalten und wird mit der den Korpus drainierenden Schlinge anastomosiert (Köninger et al. 2004). Die Technik ist anspruchsvoll, es besteht die Gefahr einer Duodenalischämie. Größere Erfahrungen außerhalb der Gruppe um den Erstbeschreiber liegen nicht vor. Auch die bereits erwähnte Frey-Operation kann als Variante der Kopfresektion verstanden werden (Strobel et al. 2009). Sie unterscheidet sich von der Beger-Operation durch den Verzicht auf die formale Organdurchtrennung und durch die Kombination mit einer longitudinalen Spaltung des Pankreasgangs, ggf. auch ohne Vorhandensein einer Dilatation (. Abb. 40.18). Die »Berner Modifikation« dieser Frey-Operation verzichtet wiederum auf die Längsspaltung des Organs. Das publizierte Datenmaterial zu den Ergebnissen all dieser Varianten im Vergleich zur klassischen Kausch-Whipple-Resektion ist begrenzt. Die Letali-
c
täten sind ähnlich niedrig (<3%), die Erfolgschancen hinsichtlich Schmerzreduktion liegen allgemein bei 80–90% und die postoperative Morbidität ist tendenziell geringer. Pankreaslinksresektion Diese auch als distale oder sub-
totale Pankreasresektion bezeichnete Operation ist lediglich noch bei pathologischen Veränderungen, die sich auf Pankreaskorpus oder -schwanz begrenzen indiziert. Hierbei steht dann zumeist der Malignomverdacht im Vordergrund. Nachteilig sind insbesondere die regelhaft auftretenden erheblichen metabolischen Konsequenzen, speziell der endokrinen Insuffizienz. Aufgrund dieser gravierenden funktionellen Nachteile ist die subtotale Linksresektion unter der Indikation Schmerzbehandlung praktisch verlassen (Eckhauser et al. 2003). Totale Pankreatektomie Auch diese Operation führt
zwangsläufig zu einer kaum zu handhabenden kompletten exo- und endokrinen Insuffizienz mit beträchtlichen Einschränkungen der Lebensqualität sowie signifikanter Morbidität und Letalität, insbesondere bei fortgesetztem Alkoholabusus. Selbst die Indikation im Rahmen einer »completion pancreatectomy« nach vorangegangener ineffektiver Teilresektion muss unter diesen Bedingungen kritisch gesehen werden (Sakorafas et al. 2001). Gleichwohl gibt
40
842
Kapitel 40 · Pankreas
a
b
. Abb. 40.18a,b Duodenumerhaltende Resektion des Pankreaskopfes nach Frey et al. (1987). a Resektion des über den Pankreas-
gängen liegenden Pankreasgewebes, b gefolgt von einer longitudinalen Pankreatikojejunostomie. (Aus Isbicki u. Blöchle 1997)
es Autoren, die die totale Pankreatektomie, vorzugsweise unter Duodenum- und Milzerhalt für selektierte Patienten mit therapierefraktären Schmerzen bei CP vorschlagen (Alexakis et al. 2003).
Die häufigste Ursache einer isolierten Milzvenenthrombose ist die perivenöse Entzündung bei CP. Obwohl diese
> Pankreaslinksresektion und totale Pankreatektomie werden heute bei CP zur Schmerzbehandlung wegen erheblicher funktioneller Nebenwirkungen kaum noch angewendet.
Neuroablative Verfahren Erfolgsaussagen hierzu sind aufgrund der geringen veröffentlichten Fallzahlen und der sehr unterschiedlichen Ergebnisse mit weitgehendem Fehlen von Langzeitresultaten schwierig. Abdominelle chirurgische Zugangswege sind verlassen. Die bilaterale thorakoskopische Splanchniektomie scheint eine komplikationsarme Methode zu sein (Bradley u. Bem 2003). Nach 4 Jahren klagen allerdings 50% der Patienten erneut über Schmerzen (Buscher et al. 2002). Ein konkurrierendes Verfahren ist die sonographisch oder CT-gesteuerte perkutane Coeliacus-Blockade durch Alkoholinjektion.
40
40.6.5
Peripankreatische Komplikationen
Die Inzidenz von Gallengangsstenosen bei den hospitalisierten CP-Patienten schwankt je nach zu Grunde liegendem Kollektiv zwischen 3% und 60%. Chirurgische Kollektive zeigen höhere Inzidenzen als internistische (Vijungco u. Prinz 2003). Ähnliches gilt für Duodenalstenosen, wobei deren Inzidenzen generell niedriger sind. Bei narbig fixierten Stenosen, die nicht im Rahmen einer Resektion angegangen werden, besteht die Indikation zur Choledochoduodeno- bzw. Choledochojejunostomie oder zur Gastroenterostomie.
in bis zu 45% der Fälle von CP vorliegt, ist sie meist asymptomatisch. Sie kann aber auch, in ca. 5%, über die Ausbildung von Ösophagus- oder Fundusvarizen oder über eine hypertensive Gastropathie zu massiven oberen gastrointestinalen Blutungen führen. Therapie der Wahl und bei Diagnosestellung nach einer Blutung indiziert ist die Splenektomie (Weber u. Rikkers 2003). Eine Routinesplenektomie bei Milzvenenthrombose ist aber nicht notwendig (Heider et al. 2004). Im Rahmen von akuten Blutungen bei der CP ist das Pseudoaneurysma mit 70% die häufigste Ursache. Dabei können alle Gefäße um das Pankreas Ausgangspunkt sein, meist sind aber die A. lienalis oder die A. pancreaticoduodenalis die Ursache. Wenn möglich sollten hämodynamisch stabile Patienten angiographiert und embolisiert werden. Bei Erfolg und Abwesenheit sonstiger Operationsindikationen ist das die definitive Behandlung. Andere Patienten müssen operiert und das Gefäß ligiert werden (Bergert et al. 2004). Häufig kommt es bei CP, wie auch nach akuter Pankreatitis, zur Bildung von Pseudozysten (7 Kap. 40.4). Auf der Basis einer entzündungsbedingten Ruptur des Pankreasgangsystems kann es zur Kommunikation mit dem peripankreatischen Raum und der Ausbildung eines pankreatogenen Aszites oder eines entsprechenden Pleuraergusses kommen. Diese inneren Pankreasfisteln sollten initial konservativ mittels Octreotid und Stent angegangen werden (Dhebri u. Ferran 2005). Bei Persistenz wird nach Identifikation der Gangruptur per ERCP eine interne Drainage in eine Roux-Y-Schlinge vorgenommen.
843 40.7 · Pankreastrauma
40.6.6
Literatur
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40.7
Pankreastrauma D. Oertli
Pankreasverletzungen sind seltene Folgen eines meist stumpfen Abdominaltraumas. Die Mehrheit der stumpfen Pankreasverletzungen treten im Rahmen einer massiven Gewalteinwirkung im Oberbauch auf (oft mehrere Organe beteiligt) und werden anlässlich einer Notfalllaparotomie infolge eines hämorrhagischen Schocks diagnostiziert. Diagnostische Probleme hingegen bietet die isolierte Pankreasverletzung. Initiale Amylasebestimmung, Oberbauchsonographie und Peritoneallavage sind wenig hilfreich. Sensitivität und Spezifität der kontrastmittelverstärkten Dünnschicht-Computertomographie beim Nachweis von Pankreasverletzungen liegen bei 85%. Das Verletzungsausmaß wird computertomographisch eher unterschätzt. Bei klinischem Verdacht auf Pankreasverletzung muss diese durch repetierte klinische, labor- und bildgebende Untersuchung innerhalb der ersten Stunden aktiv gesucht bzw. ausgeschlossen werden. Morbidität und Letalität dieser Verletzung sind relevant und steigen mit dem Schweregrad und mit der Verzögerung von Diagnosestellung und Therapie. Wenn möglich sind Drainageverfahren den Resektionen vorzuziehen.
40.7.1
Grundlagen
Epidemiologie Pankreasverletzungen sind selten; im Rahmen des stumpfen Bauchtraumas kommen sie in 1–5% der Fälle vor (Bradley et al. 1998; Tyburski 2001; Lin 2004). Abklärungsund Therapieempfehlungen stützen sich deshalb ausschließlich auf retrospektive Arbeiten, die zudem bei größeren Fallzahlen multizentrisch erfasst wurden (Akhrass et al. 1997; Cogbill et al. 1991; Patton et al. 1997; Fleming 1999). Die Häufigkeit von Pankreasverletzungen beträgt in großen amerikanischen Traumazentren 0,4% aller Traumafälle. Während in der angloamerikanischen Literatur penetrierende Mechanismen durch Schuss- und Stichverletzungen mit 2/3 überwiegen (Amirata et al. 1994; Vasquez et al. 2001), sind in Mitteleuropa stumpfe Verletzungsmechanismen vorherrschend (Fartmann u. Kirchner 1985; Riedl et al. 1994).
40
844
Kapitel 40 · Pankreas
Klinische Symptomatologie Beim stumpfen Unfallmechanismus erfordert die retroperitoneale Lage des Pankreas eine massive Gewalteinwirkung, um eine Parenchymläsion zu bewirken. Am häufigsten sind Verletzungen des Pankreaskorpus unmittelbar ventral der Wirbelsäule zu erwarten. Bei Kindern stellt das abdominelle Trauma die häufigste Ursache der akuten Pankreatitis dar, weil das Pankreas in diesem Alter sehr vulnerabel ist. An eine Pankreasverletzung ist zu denken bei: 4 direkten Stößen auf Epi- oder Hypogastrium (Lenkstange, Lenksäule, hochsitzender Beckengurt), 4 Stichverletzungen des Rückens, der Flanke, des Epioder Hypogastrium, 4 abdominellen Schussverletzungen. Beim stumpfen Pankreastrauma ist in mehr als 90% und beim penetrierenden Trauma in 60% der Fälle mit Begleitverletzungen zu rechnen (Cogbill et al. 1991). Duodenale Verletzungen werden ca. 25 % aller Pankreasläsionen beobachtet (Tan 2009). Assoziierte Leberrupturen und Verletzungen der zentralen infrahepatischen Gefäßachsen sind für die hohe Frühletalität durch Verbluten in 50–75%, verantwortlich (Amirata et al. 1994). Die Gesamtletalität nach Pankreasverletzung dagegen beträgt zwischen 2 und 18% (Patton et al. 1997; Bradley 1998). Sie wird in Abhängigkeit von der Verletzungsschwere, den begleitenden Duodenalund Gefäßläsionen, aber auch von der zeitgerechten Diagnose entscheidend beeinflusst (Arkovitz et al. 1997; Cogbill et al. 1991; Kao et al. 2003; Patton et al. 1997).
Klassifikation Für die Klassierung von Pankreasverletzungen hat sich der »Organ Injury Scale der American Association for the Surgery of Trauma« (AAST) etabliert (. Tab. 40.3; Moore
40
et al. 1990). Er unterteilt die schweren Parenchymverletzungen mit Gangverletzungen entsprechend ihrer Lokalisation im Bezug auf die mesenteriale Gefäßachse in proximale und distale Läsionen unterteilt (Grad III und IV; Moore et al. 1990). Den höchsten Schweregrad in beiden Klassifikationen bilden die Pankreaskopfzerstörungen, die mit Begleitverletzungen des duodenalen Knies, des Gallenwegsystems und den viszeralen Gefäßen im Oberbauch einhergehen können. Dieser Score hat sich anhand eines Kollektives mit 193 Patienten mit Pankreasverletzungen sowohl prädiktiv für die Morbidität als auch prognostisch bezüglich der Letalität als signifikant erwiesen (Kao et al. 2003).
40.7.2
Diagnostik
Während das stumpfe Massivtrauma des Oberbauchs wegen der Begleitverletzungen und das penetrierenden Trau-
. Tab. 40.3 Pancreatic Organ Injury Scale der AAST Grad I
Verletzungsmuster Hämatom
Geringe Kontusion ohne Gangbeteiligung
Lazeration
Oberflächlicher Organeinriss ohne Gangbeteiligung
Hämatom
Höhergradige Kontusion ohne Gangbeteiligung oder Gewebeverlust
Lazeration
Tiefe Rissverletzung ohne Gangbeteiligung oder Gewebeverlust
III
Lazeration
Distale Organruptur oder Parenchymdestruktion mit Gangbeteiligung
IV
Lazeration
Proximale Organruptur oder Parenchymdestruktion mit Beteiligung der Ampulla Vateri
V
Lazeration
Massive Pankreaskopfdestruktion
II
ma im Oberbauch obligat zur explorativen Laparatomie und damit in der Regel zur Diagnose der Pankreasverletzung führen, stellen isolierte Pankreastraumen ein relevantes diagnostisches Problem dar.
Bildgebende Verfahren Die abdominelle Sonographie ist zur Diagnostik von Pankreasverletzungen ungeeignet. Auch die Aussagekraft der CT ist wegen einer Sensitivität von 71–85% und einer Spezifität um 80 % limitiert (Udekwu et al. 1996; Akhrass et al. 1996; Arkovitz et al. 1997). Die gezielte Suche nach indirekten Zeichen einer Pankreasverletzung, einem peripankreatischen Exudation, einem Extravasat zwischen Pankreas und Milzvene oder einer Verdickung der linken Gerotafaszie können die Sensitivität der CT verbessern (Lane et al. 1996; Venkatesh u. Wan 2008). Typische Zeichen einer Kontusion sind minder Kontrastmittel-aufnehmende Parenchymbezirke (. Abb. 40.19a). Scharfe Unterbrechungen der Parenchymstruktur sprechen hingegen für eine Fraktur der Drüse (. Abb. 40.19b). Diese Läsionen haben eine Prädilektionsstelle im Halsbereich des Pankreas gerade ventral der Wirbelsäule, wobei diese bei einer Kraftwirkung von vorne als Hypomochlion einwirkt. Das Verletzungsausmaß wird computertomographisch in bis zu 30% der Fälle unterschätzt (Ilahi et al. 2002). Vor allem bei schlanken Individuen mit minimalem retroperitonealem Fettgewebe können Pankreasläsionen u. U. nicht in Erscheinung treten (Venkatesh u. Wan 2008). Die Darstellung einer Ruptur des Pankreasgangsystemes mit der CT ist schwierig und wird mit einer diagnostischen Genauigkeit (Accuracy) von nur 43% angegeben (Cirillo u. Koniaris 2002). Positive CT-Befunde bei der Erstunter-
845 40.7 · Pankreastrauma
vität für die Darstellung von pankreatischen Gangrupturen im Gegensatz zur statischen MRP ohne Stimulation zu erhöhen (Ragozzino et al. 2003; Gillams et al. 2006). Die MRP hat einen klaren Stellenwert in der posttraumatischen, vielmehr chronischen Phase zur Beurteilung von Pseudozysten, Gangdilatation oder Strikturen (Lin 2004).
Labordiagnostik
a
Die Bestimmung der Amylase – auch im Eluat der Peritoneallavage bestimmt – in der Initialphase, lässt jegliche Sensitivität vermissen (Cogbill et al. 1991). Ansteigende oder persistierend erhöhte Amylasewerte nach Oberbauchtrauma können hingegen ein Hinweis auf eine Pankreasverletzung sein (Takishima 1997; Matsuno et al. 2009). Verlaufsmessungen sind deshalb sinnvoll. Die Hyperamylasämie ist jedoch nicht spezifisch für die Pankreasverletzung. Sie kann bei Dudenalperforationen, Lebertrauma, kraniofazialen Verletzungen und bei Intoxikationen vorkommen (Greenlee et al. 1984; Wright u. Stanski 2002).
40.7.3
Konservative Therapie
Niedriggradige Pankreasverletzungen (Grad I und II) können u. U. nicht operativ angegangen werden. Voraussetzungen dafür ist die Möglichkeit einer engmaschigen klinischen Überwachung der Patienten und das Vorliegen einer isolierten Pankreasläsion bzw. die Absenz einer weiteren abdominalen Läsion, die durch Laparotomie zu versorgen ist. b . Abb. 40.19a,b Computertomographie bei Pankreasverletzung. a Pankreaskontusion (Pfeil): hypodense, lokalisierte Kontusionszone im Kopf-Hals-Bereich des Pankreas. b Pankreasfraktur (Pfeil): glattberandete Parenchymunterbrechung als Hinweis auf eine Fraktur
suchung sind diagnostisch, während negative Befunde bei entsprechender Klinik, z. B. zunehmenden epigastrischen Schmerzen, eine erneute CT-Untersuchung, eine Magnetresonanz-Pankreatographie (MRP) bzw. eine explorative Laparatomie nach sich ziehen sollten. Die Integrität des Pankreasganges wird entweder mit der MRP oder zuverlässiger mit der endoskopisch-retrograden Pankratographie (ERP) – auch im Traumafall – nachgewiesen. Eine präoperative ERP ist bei Hinweis auf Pankreasverletzung zum Nachweis und zur Lokalisierung eines Lecks im Gangsystem aber nur beim kreislaufstabilen Patienten indiziert. Bei unklaren ERP-Befunden hat sich ein unmittelbar daran anschließendes CT zum Nachweis von ausgetretenem Kontrastmittel bewährt (Takishima et al. 1996). Die Erfahrung der MRP in der akuten Traumaphase ist derzeit noch limitiert (Bhasin et al. 2009). Die Sekretin-stimulierte, dynamische MRP scheint die Sensiti-
40.7.4
Interventionelle Therapie
Die ERP ist eine unverzichtbare diagnostische und therapeutische Methode bei Pankreasverletzungen. Nebst der Gangläsion im Sinne der traumatischen Ruptur kann die ERP auch stenotische Segmente mit hoher Detailtreue nachweisen. Gangläsionen an geeigneter Stelle können durch eine endoskopische Stenteinlage in den Ductus Wirsungianus behandelt werden und eine chirurgische Intervention u. U. ersparen. Dies ist besonders bei isolierter Pankreasverletzung mit Läsion des Gangsystems und bei kreislaufstabilen Patienten möglich geworden. Es liegen mehrere Fallberichte von erfolgreichen Stentbehandlungen vor (Cattaneo et al. 2002; Hsieh et al. 2003; Huckfeldt et al. 1996; Kim et al. 2001; Thomas et al. 2009).
40.7.5
Operative Therapie
Die Behandlungsprinzipien des traumatisierten Pankreas unterscheiden sich nicht von denjenigen anderer verletzter parenchymatöser Organe: Blutstillung und Débridement
40
846
Kapitel 40 · Pankreas
a
b
c
40
avitaler Drüsenanteile, sowie Identifikation von Gangläsionen stehen an erster Stelle. Je nach Schweregrad und Lokalisation der Läsion stehen rekonstruktive oder resezierende Verfahren zur Auswahl, wobei interne und externe Drainagen zur Ableitung von Pankreassekret zusätzlich Anwendung finden. Art und Umfang der Begleitverletzungen, hämodynamische und gerinnungsphysiologische Verhältnisse bestimmen Art und Umfang der Erstversorgung.
Exploration Der Pankreasexploration geht die Revision des übrigen Abdomens zum Ausschluss und zur Therapie von Begleitverletzungen voraus. Die Exploration des Pankreas nach stumpfem Trauma beinhaltet die aktive Suche nach Hämatomen in der Bursa omentalis, im kleinen Netz, im Lig. gastrocolicum und im Mesocolon transversum. Die Pankreasvorderseite wird durch Spaltung des Lig. gastrocolicum
. Abb. 40.20a–c a Spaltung des Lig. gastrocolicum zur Exploration der Pankreasvorderwand; b digitale Palpation des Pankreaskopfes nach Kocher-Mobilisation; c Mobilisierung von Milz und Pankreasschwanz nach Spaltung des Lig. splenorenale und splenodiaphragmale zur Inspektion der Pankreashinterwand
unter Schonung der gastro-epiploischen Gefäße dargestellt und der Kopfbereich durch ein Kocher-Manöver mobilisiert (. Abb. 40.20). Läsionen im Schwanzbereich werden durch Mobilisation der Milz und des Pankreasschwanzes nach ventral und medial exploriert (. Abb. 40.20c). Die Palpation der Drüse verhindert das Übersehen einer Parenchymzerreißung bei intakter Kapsel. Hämatome werden durch Inzision der Kapsel entlastet und das Parenchym wird nach Defekten und Gangläsionen abgesucht. Bei entsprechender Ausdehnung der Läsion wird das Pankreas entlang seinem Oberund Unterrand mobilisiert. Die Therapie von Pankreasverletzungen wird durch den Nachweis oder den Ausschluss einer Pankreasgangläsion bestimmt. Bei fehlender MRP oder ERP ist der intraoperative Nachweis einer Pankreasgangverletzung schwierig und würde eine intraoperative ERP erfordern, was beim
847 40.7 · Pankreastrauma
Traumapatienten selten möglich ist. Ebenso ist eine antegrade Pankreatographie durch eine Duodenotomie zeitaufwendig und nicht komplikationsfrei. Nach Linksresektion können Abfluss und Gangläsionen nach proximal durch MRP oder ERP beurteilt werden.
Verfahrenswahl Eine Verletzung des Hauptdrüsenganges ist wahrscheinlich, wenn das CT-Bild eine komplette Parenchymdurchtrennung oder eine Verletzung mehr als 50% des Drüsenparenchyms zeigt. In diesen Fällen ist eine Laparotomie indiziert. Wenn die Verletzung inkomplett ist oder weniger als 50% des Parenchymes ausmacht, sollte die ERP in geeigneten Fällen angewendet werden. Bei distaler Gangdisruption (Grad-III-Läsion; . Tab. 40.3) empfiehlt sich die Pankreaslinksresektion. Proximale Läsionen (Grad IV) hingegen werden am besten kombiniert durch Drainage und endoskopischer Stenteinlage versorgt. Die kephale Duodenopankreatektomie ist nur in Ausnahmefällen indiziert, wenn weniger invasive Verfahren nicht zum Ziel führen. Grad-V-Lazerationen erfordern eine pylorische Exklusion, eine Duodenaldivertikulierung kombiniert mit einer distalen Resektion, einer Pankreatikojejunostomie oder einer Drainage. Auch hier steht die Whipple-Operation bei kompletter Kopfzerstörung als Ultima ratio an letzter Stelle. Die Gesamtletalität nach diesem vereinfachten Vorgehen betrug in einer Studie mit 124 Pankreasverletzungen 13%, die pankreasbezogene Letalität lediglich 2% (Patton et al. 1997). Die Morbidität war mit einer Komplikationsrate von 31% durchaus mit früheren Studien (Jones 1985; Mansour et al. 1989; Ivantury et al. 1990) vergleichbar.
. Abb. 40.21 Distale Resektion und End-zu-End-Pankreatikojejunostomie mit einer Roux-Schlinge bei gleichzeitig bestehender Pankreaskopfkontusion
Drainageoperationen Die alleinige Drainage ist nach Kontusionen und Hämatomen (»Organ-Injury-Scale«-Grade I und II) anlässlich einer Revisionslaparotomie meist genügend. Drainagen sollten bei allen Pankreasverletzungen großzügig eingesetzt werden, insbesondere dann, wenn eine Gangverletzung nicht sicher ausgeschlossen werden kann.
Resektions- und Rekonstruktionsoperationen Bei Verletzungen des Pankreas im Korpus- oder Schwanzbereich mit sichtbarer Gangläsion oder in Fällen, in denen eine Gangverletzung aufgrund einer >50% Parenchymzerreißung vermutet werden kann, ist die Linksresektion die Methode der Wahl. Die Splenektomie ist bei unverletzter Milz nicht obligat und sie kann in über 50% der Fälle, allerdings mit vermehrtem Zeitaufwand, vermieden werden (Cogbill et al. 1991). Rekonstruktionen, wie die Ableitung des proximalen Pankreas in eine Roux-Y-Schlinge bei unsicherem Abfluss ins Duodenum (. Abb. 40.21) bzw. eines unverletzten distalen Pankreas bei Korpusruptur (. Abb.
. Abb. 40.22 Nahtverschluss des proximalen Pankreasstumpfes und distale Pankreatikojejunostomie End-zu-End mit einer RouxSchlinge
40
848
Kapitel 40 · Pankreas
. Abb. 40.23 Duodenopankreatektomie nach schwerer Kombinationsverletzung von Pankreaskopf und Duodenum
40.22), sind abhängig von Anzahl und Schweregrad der
Begleitverletzungen. Gelegentlich ist dazu im Sinne der »damage control« ein zweizeitiges Vorgehen indiziert. Diese Überlegungen gelten insbesondere bei zerstörtem Pankreaskopf mit Zusatzverletzung von Duodenum und Gallenwegen (Grad V), bei denen eine Duodenopankreatektomie (. Abb. 40.23) indiziert wäre. Beim isolierten Trauma bietet sich eine Pankreatikojejunostomie ohne Resektion nur in Ausnahmefällen an. Voraussetzung dafür ist eine limitierte Parenchymruptur bei intakter Pankreashinterfläche.
40.7.6
40
Komplikationen
Die Letalität nach Pankreasverletzungen wird hauptsächlich durch unkontrollierbare Blutungen in der Initialphase und in deutlich geringerem Umfang durch pankreasbedingte septische Komplikationen oder ein Multiorganversagen in der Spätphase bestimmt und liegt zwischen 5–23% (el-Boghdadly et al. 2000; Kao et al. 2003; Lin et al. 2004; Lopez et al. 2005; Patton et al. 1997). Verletzungen des Pankreaskopfes haben eine fast doppelt so hohe Letalität (28 %) verglichen mit Schwanzverletzungen (16 %), dies v.a. bedingt durch assoziierte Läsionen an der mesenteriko-portalen Venenachse, der Vena cava und an der A. mesenterika superior (Wong et al. 1997). Etwa drei
Viertel der Fatalitäten ereignen sich in den 48–72 h nach Unfall (Asensio et al. 1999). Komplikationen sind nach Pankreasverletzungen mit Raten zwischen 8 und 62% (Mittelwert 36%) hoch (Bradley et al. 1998; Meredith u. Trunkey 1988). Die Morbidität steigt durch Diagnoseverzögerung zusätzlich bis auf über 60% an (Arkovitz et al. 1997; Patton et al. 1997; Olah et al. 2003; Lin et al. 2004). Die häufigste pankreasbedingte Komplikation sind intraabdominelle Abszesse (Akhrass et al. 1997; Vasquez et al. 2001). Sie sind häufiger nach Verletzungen in Kombination mit Hohlorganen, speziell nach Kolonverletzungen. Gehäuft wurden sie auch bei Massentransfusionen während der ersten 24 h beobachtet (Cogbill et al. 1991). Sie können mehrheitlich durch CT- oder ultraschallgesteuerte Punktion, Spülung und Drainage zur Ausheilung gebracht werden. Hingegen ist bei Pankreasabszessen mit Pankreasnekrosen ein offenes Débridement nötig. Gefürchtete Komplikation nach Pankreasläsionen und insbesondere nach Resektionen sind Pankreasfisteln (Häufigkeit bis 57% nach Vasquez et al. 2001). Nach Resektionen treten sie unabhängig von der Parenchymverschlusstechnik auf (Cogbill et al. 1991). Die Mehrheit aller Fisteln verschließen spontan. Parenterale und enterale (jejunale) Ernährung und in den letzten Jahren auch die Gabe von Somatostatin werden als adjuvante Maßnahmen empfohlen (Kellum et al. 1988; Amirata et al. 1994). Die günstigen Resultate einer Somatostatinbehandlung in der elektiven Pankreaschirurgie (Büchler et al. 1992) sprechen zudem für diese Zusatztherapie, deren Wertigkeit beim Trauma aber noch nicht geklärt ist (Amirata et al. 1994). Die posttraumatische Pankreatitis wird in 1–32% beobachtet (Jurkovich u. Carrico 1990; Vasquez et al. 2001). Sie ist bei fehlenden hämorrhagischen Komplikationen, die mit einer hohen Mortalität belastet sind, üblicherweise selbstlimitierend. Die Ausbildung von Pseudozysten (2–18%) ist nach operativer Behandlung von Pankreasverletzungen infolge er meist angewandten Drainagebehandlung selten (Akhrass et al. 1997; Bradley et al. 1998; Vasquez et al. 2001). Die Behandlung unterscheidet sich nicht von derjenigen von Pankreaspseudozysten anderer Ätiologie. Endo- und exokrine Insuffizienz nach Pankreasresektionen werden nur vereinzelt nach proximalen Resektionen von >80% der Drüse beschrieben (Jones 1985). Schließlich können Blutungskomplikationen an Resektionsrändern oder durch insuffiziente Ligaturen nach Milzexstirpation ein Grund für Reinterventionen nach Pankreasverletzungen darstellen.
849 40.7 · Pankreastrauma
40.7.7
Literatur
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40
850
Kapitel 40 · Pankreas
40.8
Postoperative Syndrome nach Eingriffen am Pankreas inkl. Substitution der exokrinen Pankreasfunktion R. Fried
Typische postoperative Syndrome wie Malabsorption und Maldigestion, Fisteln, chronische Schmerzen und die exokrine Pankreasinsuffizienz können in vielen Fällen konservativ behandelt werden. Der Einsatz von galenisch optimierten Pankreasenzympräparaten ist dabei ein wesentlicher Bestandteil der Therapie.
40.8.1
40
Epidemiologie
In der modernen Pankreaschirurgie haben Mortalitätsraten und postoperative Morbidität sowie Komplikationen gegenüber früher deutlich abgenommen. Als mögliche Erklärung wird eine Änderung der Operationsverfahren mit weniger totalen Pankreatektomien und einer höheren Rate von pyloruserhaltenden Eingriffen angeführt. Kürzere Operationszeiten mit geringerem Blutverlust sind die Folge. Durch neue diagnostische Verfahren wird auch eine bessere Selektion von Patienten zur potenziell kurativen Resektion von Pankreaskarzinomen ermöglicht, mit 5-Jahres-Überlebensraten von über 40% (Crist et al. 1987). In einer neueren prospektiven Studie mit 650 Pankreatikoduodenektomien wurden bei einer Mortalitätsrate von lediglich 1,4% in 41% der Fälle postoperative Komplikationen wie verzögerte Magenentleerung (19%), Pankreasfisteln (14%) und Wundinfektionen (10%) beobachtet (Yeo et al. 1997). In 12 publizierten Studien aus den Jahren 1990–2000 werden Mortalitätsraten von 0–11% und Komplikationsraten von 18–54% beschrieben (Halloran et al. 2002). Eine verbesserte Klassifikation und die Einteilung in Schweregrade ermöglicht eine standardisierte, objektive und reproduzierbare Beurteilung der Folgen von Eingriffen am Pankreas (DeOliveira et al. 2006). Die Komplikationen der Pankreaschirurgie lassen sich in frühe Komplikationen innerhalb der ersten 30 Tage und Langzeit- oder spät auftretende Komplikationen einteilen (s. Übersicht). Eine besondere Kategorie stellen Komplikationen der Pankreas- oder Inselzelltransplantation dar.
Postoperative Komplikationen in der Pankreaschirurgie 4 Frühkomplikationen – Sekundäre Blutung – Paralytischer Ileus – Sepsis – Fisteln – Abszess – Pankreatitis – Multiples Organversagen – Intestinale Obstruktionen – Verzögerte Magenentleerung 4 Spätkomplikationen – Rezidiv der Grundkrankheit – Chronische Schmerzen – Malabsorption – Malnutrition – Diabetes mellitus – Dumping – Peptische Ulzerationen
40.8.2
Frühkomplikationen
Blutungen Früh postoperativ auftretende Blutungen können meist durch Erythrozytenersatz und Stabilisierung der Gerinnung beherrscht werden. Erst bei größeren Blutungen wird eine Relaparotomie notwendig. Gefürchtet ist die sekundäre oder verzögerte Blutung 1–3 Wochen nach Operation. Sie beruht auf einer Arrosion von Blutgefäßen nach Anastomoseninsuffizienz oder Abszessbildung. Die Behandlung erfolgt mit adäquatem Débridement und Drainage sowie Antibiotika. In Fällen von rezidivierender oder episodischer Blutung können gelegentlich konservative Maßnahmen erfolgreich sein.
Paralytischer Ileus Ein prolongierter Ileus kann durch eine lokalisierte oder diffuse Peritonitis, ein retroperitoneales Hämatom oder durch den Austritt von Flüssigkeit aus einer defekten Anastomose verursacht werden. Elektrolytstörungen (Na+, Mg++) und medikamentöse Einflüsse spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Eine medikamentöse Stimulation mit Cholinesterasehemmern (Neostigmin) oder Parasympathomimetika (Distigmin) verbessert die Peristaltik. In jedem Falle ist der frühe Einsatz der enteralen Ernährung anzustreben.
851 40.8 · Postoperative Syndrome nach Eingriffen am Pankreas inkl. Substitution der exokrinen Pankreasfunktion
40.8.3
Spätkomplikationen
Chronische Schmerzen Chronische Schmerzen, die nach Operation nicht sistieren oder wieder neu auftreten, können oft nur mit Opiatanaloga beherrscht werden. In erster Linie sollte aber der Versuch unternommen werden, andere Mittel zur Schmerzbehandlung einzusetzen. Alkoholverbot und fettarme Kost in Verbindung mit Pankreasenzympräparaten stellen einen ersten Schritt dar (s. unten; exokrine Pankreasinsuffizienz). Bei ungenügender Wirkung können ein Spasmolytikum oder nichtsteroidale Antirheumatika, vorzugsweise zusammen mit einem Säuresekretionshemmer, eingesetzt werden. Schließlich wird aber bei vielen Patienten die Therapie mit einem zentral wirksamen Analgetikum (Tilidin, Tramadol) oder einer opiatähnlichen Substanz erfolgen. Als Alternative kommt die Blockade des Ganglion coeliacum mittels Injektion von absolutem Alkohol in Frage, wozu mehrere bildgebende Verfahren genutzt werden. Die paralumbare Injektion von Alkohol unter CT-Kontrolle oder die transabdominelle ultraschallgesteuerte Applikation von Alkohol sind technisch gut durchführbar, die schmerzstillende Wirkung dauert aber selten länger als 3 Monate an (Caratozzolo et al. 1997; Mercadante et al. 1998). Neu ist der Einsatz der Endosonographie zur punktgenauen transgastrischen Applikation von Alkohollösungen im Bereich des Ganglion coeliacum. Bei dieser Methode genügen geringere Injektionsmengen und die Schmerzstillung wird in vielen Fällen erreicht. Wenige Langzeitdaten und vergleichende Studien mit anderen Methoden scheinen einen Vorteil der endosonographisch durchgeführten Blockade des Ganglion coeliacum zu belegen (Wiersema et al. 1996; Gress et al. 2001). Die Wirkung ist allerdings bei der chronischen Pankreatitis weniger nachhaltig als bei Patienten mit Pankreaskarzinomen. Als typische Begleiterscheinung wird, zumindest initial, eine Diarrhö beobachtet.
Malabsorption Schwere Steatorrhöen, einhergehend mit dem Verlust fettlöslicher Vitamine, treten meist nur nach totaler Pankreatektomie und bei fortgeschrittener chronischer Pankreatitis auf. Da pankreatische Proteasen zudem essenziell für die Absorption des Vitamin B12 sind, können auch hier Mangelerscheinungen auftreten. Die Behandlung erfolgt in beiden Fällen mit Pankreasenzympräparaten und entsprechender Vitamin-Substitution.
Malnutrition Zusätzlich zum Verlust fettlöslicher Substanzen im Stuhl spielt hier auch die verminderte Absorption von Proteinen eine Rolle. Auch diese kann mit Pankreasenzympräparaten therapiert werden. Wesentlich ist ebenfalls die genügende
Schmerzbehandlung, da Patienten oft nur aus Angst vor postprandialen Schmerzen ihre Nahrungsaufnahme einschränken.
Diabetes mellitus Nach totaler Pankreatektomie und ausgedehnter Pankreasresektion bei vorbestehender chronischer Pankreatitis kann der daraus resultierende Diabetes mellitus schwierig einzustellen sein, da auch das für die Gegenregulation bei Hypoglykämien wichtige Glukagon fehlt. Diese Patienten benötigen meist ungefähr 30 Einheiten Insulin täglich. Intensive Therapieschemata mit bis zu 6 InsulinInjektionen täglich und häufiger Selbstkontrolle des Blutzuckers sind notwendig, um gefährliche prolongierte Hypoglykämien zu vermeiden. In Einzelfällen ist der Einsatz einer mikroprozessorgesteuerten Insulininfusionspumpe zu diskutieren.
Dumping Pyloruserhaltende Operationsverfahren und die Schonung der Vagusnerven während der Operation haben die Inzidenz des Dumpingsyndroms wesentlich vermindert. Die Therapie des Dumping basiert im Wesentlichen auf einer Umstellung der Ernährung mit häufigen Mahlzeiten und Reduktion des Gehalts einfacher Kohlehydrate. In Einzelfällen kann der Einsatz des Somatostatinanalogons Octreotid diskutiert werden.
Fisteln Interne (pankreatikoenterale) und externe (pankreatikokutane) Fisteln können mit fettarmer Diät, Pankreasenzymsubstitution oder parenteraler Ernährung behandelt werden, sprechen aber nur teilweise auf konservative Maßnahmen an. Wiederholte Operationen zur Fistelexzision und Drainage müssen dann diskutiert werden. Mehrere Untersuchungen beschreiben den günstigen Effekt von Octreotid auf vorhandene Fisteln (Bassi et al. 1996) sowie in der Prävention von Fisteln (Briceno et al. 1998). Die Dosierung beträgt 0,1–0,45 mg täglich und Octreotid wird in 3–4 Injektionen subkutan oder als Dauerinfusion verabreicht. Die beste Wirkung lässt sich bei schon länger bestehenden Fisteln mit hoher Sekretionsrate nachweisen. Der Effekt der postoperativen Prophylaxe von Fisteln hingegen ist zu wenig gesichert, um sie generell empfehlen zu können (Lowy et al. 1997).
Exokrine Pankreasinsuffizienz Bei einem Rückgang der Enzymsekretion von mehr als 85% kann die exokrine Pankreasinsuffizienz in Form einer Steatorrhö manifest werden. Im Vordergrund steht die Fettmaldigestion. Aus diesem Grunde sollte in erster Linie die Substitution der Lipasen angestrebt werden. Diese beträgt für eine normale Mahlzeit 20.000–40.000 IU. Wesent-
40
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Kapitel 40 · Pankreas
lich ist eine gute Durchmischung des Speisebreis mit dem verwendeten Enzympräparat sowie die vollständige postprandiale Entleerung zusammen mit der Nahrung. Die Enzymsubstitution sollte deswegen auch gleichzeitig mit dem Essen erfolgen. In der Galenik moderner Präparate werden Mikrotabletten oder Pellets innerhalb einer Kapsel verwendet. Die Enzyme sind in diesen Partikeln vor der Magensäure geschützt und werden erst bei höherem pH im Duodenum freigesetzt. Bei chronischer Pankreatitis kann es wegen der gleichzeitigen Verminderung der Bikarbonatsekretion zu einem ungenügenden pH-Anstieg im Duodenallumen kommen, was die Freisetzung der Enzyme behindert. In diesen Fällen wird die Wirkung von Enzympräparaten durch die gleichzeitige Gabe eines Säureblockers, heute meist in Form eines Protonenpumpenblockers, verbessert. Bei ungenügendem Ansprechen muss an die Möglichkeit einer bakteriellen Überwucherung des Dünndarms gedacht werden. Schließlich können zur Ergänzung der Diät MCT-Fette zugesetzt werden, was allerdings die zusätzliche parenterale Zufuhr von fettlöslichen Vitaminen notwendig machen kann. 40.8.4
40
Literatur
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40.9
Pankreastransplantation O. Drognitz, U.T. Hopt
Nach einer erfolgreichen kombinierten Pankreas-/Nierentransplantation entfallen die Dialysebehandlungen, die exogenen Insulinapplikationen, die Trinkmengenbeschränkungen und viele Diätvorschriften. Für die Patienten bedeutet dies im Vergleich zu einer alleinigen Nierentransplantation eine Verbesserung der individuellen Selbstbestimmung und eine Rückgewinnung von Freiheit und Normalität. In einer Vielzahl von Publikationen konnte inzwischen nachgewiesen werden, dass die Lebensqualität nach kombinierter Pankreas-/Nierentransplantation zum Teil deutlich ansteigt (Piehlmeier et al. 1996). Eine Verbesserung wird allerdings in den meisten Fällen erst ein halbes Jahr nach Transplantation erreicht.
40.9.1
Grundlagen
Beim Gesunden wird die Blutzuckerkonzentration über einen sensitiven Rückkopplungsmechanismus in sehr engen Grenzen konstant gehalten. Bei Diabetikern fehlt dieser Rückkopplungsmechanismus, sodass der Blutzucker im Rahmen der exogenen Insulinapplikation mehr oder weniger großen Schwankungen unterworfen ist. Diese Schwankungen führen kurzfristig zu den bekannten metabolischen Entgleisungen mit zum Teil lebensbedrohlichen Hypo- und Hyperglykämien. Viel gravierender sind jedoch die diabetischen Spätschäden, die bei der Hälfte aller Patienten die charakteristischen mikrovaskulären Veränderungen der Augen, der Nieren, der Nerven und der Extremitäten hervorrufen. Diabetes ist in den industrialisierten Ländern die häufigste Ursache für Blindheit bei Erwachsenen. Über ein Drittel der Patienten werden im Verlauf der Erkrankung terminal niereninsuffizient und benötigen eine Nierenersatztherapie. Diabetiker haben ein ca. 15-fach erhöhtes Risiko für periphere Amputationen und eine signifikant erhöhte Prävalenz der koronaren Herzkrankheit. Die diabetischen Spätschäden sind die Ursache für eine erhöhte Morbidität und eine deutlich reduzierte Lebenserwartung der betroffenen Patienten verglichen mit der Durchschnittsbevölkerung (Hopt u. Drognitz 2000). Vordringliches Ziel jeder Diabetesbehandlung ist daher die engmaschige Einstellung des Blutzuckers. In großen Studien konnte inzwischen zweifelsfrei bewiesen werden, dass die Qualität der Blutzuckereinstellung mit der Ausbildung und der Progredienz der diabetischen Spätschäden korreliert (UK Prospective Diabetes Study Group 1998). Die Pankreastransplantation ist das zurzeit einzige klinisch etablierte Verfahren mit einer hohen Erfolgsrate,
853 40.9 · Pankreastransplantation
das den Mechanismus der physiologischen rückkopplungsgesteuerten Insulinsekretion wieder herstellt. Hierdurch wird der Blutzucker – wie beim Gesunden – in physiologischen Grenzen konstant gehalten.
40.9.2
Indikationsstellung
> Die klassische Indikation zur simultanen Pankreas/ Nierentransplantation ist der juvenile Typ-I-Diabetes mit negativem C-Peptid und terminaler Niereninsuffizienz.
Allerdings werden zunehmend auch Patienten, die sich im Stadium einer präterminalen Niereninsuffizienz mit einer Kreatinin-Clearance von weniger als 40 ml/min befinden, für eine simultane Transplantation evaluiert. In großen nordamerikanischen Zentren beträgt der Anteil dieser präemptiv transplantierten Patienten bereits bis zu 40% (Sollinger et al. 1998). Die Indikation für eine alleinige Pankreastransplantation ohne gleichzeitige Nierentransplantation (PTA) ist bei Typ-I-Diabetikern mit lebensgefährlichen, kaum zu beeinflussende Hypoglykämien auf der Grundlage einer Hypoglykämiewahrnehmungsstörung oder einer Störung der Gegenregulation gegeben (. Tab. 40.4). Auch eine diabetische Neuropathie mit schwerer orthostatischer Dysregulation, eine instabile diabetische Stoffwechsellage durch eine diabetische Gastroparese oder das frühe Auftreten bzw. rasche Fortschreiten weiterer diabetischer Spätschäden können einen solchen Eingriff rechtfertigen (. Tab. 40.4). Aufgrund der Nephrotoxizität der Basisimmunsuppressiva (Tacrolimus, Ciclosporin) gelten funktionierende Eigennieren mit einer Kreatinin-Clearance von mehr als 60– 70 ml/min als obligate Voraussetzung für dieses Verfahren. Für den Fall einer alleinigen Pankreastransplantation nach erfolgreicher Nierentransplantation (PAK) wird von den
meisten Zentren eine Kreatinin-Clearance der transplantierten Niere von über 40–50 ml/min gefordert. In den USA beträgt der Anteil der alleinigen Pankreastransplantation 5% und der Anteil der Pankreas-nach-Nierentransplantation 13% an allen Bauchspeicheldrüsentransplantationen (Gruessner u. Sutherland 2002). Die Frage, ob auch Typ-II-Diabetiker simultan pankreas-/nierentransplantiert werden sollen, wird national und international kontrovers diskutiert. Bei sorgfältiger Empfängerselektion ist die Erfolgsrate mit der der Pankreastransplantation beim Typ-I-Diabetiker vergleichbar. Die Patienten benötigen zwar keine exogene Insulinzufuhr mehr, die übrige, dem Typ-II-Diabetes zugrunde liegende komplexe metabolische Problematik besteht aber nach Transplantation weiter fort. Darüber hinaus würde der bereits bestehende Organmangel durch eine prinzipielle Erweiterung des Empfängerkollektivs noch verschärft werden. Die Richtlinien der ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer sowie das Eurotransplant Advisory Commitee beschränken derzeit die Pankreastransplantation auf Typ-II-Diabetiker mit auch im Stimulationstest negativem C-Peptid. In den USA dagegen wird an manchen Zentren keine Differenzierung zwischen Typ-I- und Typ-II-Diabetes vorgenommen. Weltweit beträgt der Anteil von Typ-II-Diabetikern laut Internationalem Pankreastransplantationsregister (IPTR 2002) ca. 5% an allen Pankreastransplantationen (Gruessner u. Sutherland 2002).
40.9.3
Kontraindikationen
Aufgrund der Multimorbidität von Diabetikern ist vor einer Aufnahme auf die Warteliste eine umfassende – zum Teil auch invasive – Diagnostik erforderlich (. Übersicht). Diese dient dem Ausschluss bzw. der vorherigen Behand-
. Tab. 40.4 Indikationen zur Pankreastransplantation Simultane Pankreas-/ Nierentransplantation (SPK)
Diabetes mellitus Typ I mit terminaler oder präterminaler Niereninsuffizienz
Pankreas- nach Nierentransplantation (PAK)
Bereits nierentransplantierte Typ-I-Diabetiker mit gut funktionierendem Nierentransplantat (Kreatinin-Clearance >40–50 ml/min)
Isolierte Pankreastransplantation (PTA)
Typ-I-Diabetiker mit stabiler Funktion der Eigennieren (Kreatinin-Clearance >60–70 ml/min) und – rezidivierenden, lebensbedrohlichen Hyperglykämien (Hypoglykämiewahrnehmungsstörung/ Störung der Gegenregulation) und/oder – rascher Progredienz der diabetischen Spätschäden trotz optimaler Betreuung und/oder – unverhältnismäßig starke Einschränkung der Lebensqualität
Diabetes mellitus Typ II
Momentan in Deutschland nur sehr eingeschränkt erlaubt, in den USA beträgt der Anteil der Typ-IIDiabetiker an allen Pankreastransplantierten ca. 5%
SPK »simultaneous pancreas-kidney transplant« (simultane Pankreas-/Nierentransplantation), PKA »pancreas after kidney transplant« (Pankreas-nach-Nierentransplantation), PTA »pancreas transplant alone« (alleinige Pankreastransplantation)
40
854
Kapitel 40 · Pankreas
lung allgemeiner und spezieller Empfänger-Risiken. Allgemeine Kontraindikationen für eine Pankreastransplantation sind eine bestehende Malignomerkrankung, schwere Allgemeininfektionen wie z. B. HIV, schwere psychische Störungen, anamnestische Hinweise für Noncompliance, Alkohol- oder Drogenabhängigkeit und Vorerkrankungen, die generell die Durchführung eines größeren operativen Eingriffes verbieten. Die Altersobergrenze liegt je nach Zentrum zwischen 50 und 60 Jahren und bezieht sich mehr auf das biologische als auf das numerische Alter. Von besonderer Bedeutung ist die sorgfältige Erfassung möglicher kardialer Vorschädigungen des Empfängers. Patienten mit schwerer koronarer Herzkrankheit (KHK) oder einem bereits durchgemachten Myokardinfarkt haben nach Transplantation ein signifikant erhöhtes Mortalitätsrisiko (Drognitz et al. 2004). Vor dem Hintergrund, dass sich allein durch die klinische Symptomatik und das vorliegende kardiologische Risikoprofil bei niereninsuffizienten Diabetikern eine KHK nicht sicher ausschließen lässt, ist die Durchführung einer Koronarangiographie an vielen Zentren obligat (Koch et al. 1997). Relevante Untersuchungen vor Aufnahme auf die Warteliste
40
4 Allgemeine Untersuchungen – Anamnese – Körperliche Untersuchung – Röntgenthorax – Sonographie Abdomen – Lungenfunktionstest 4 Gewebetypisierung/präformierte zytotoxische Antikörper – Blutgruppenbestimmung – HLA-Typisierung – Antikörperbestimmung 4 Infektionsausschluss – Virologie (HIV, HAV, HBV, HCV, CMV, HSV, EBV) – Abstriche (Urin, Rachen, Stuhl) 4 Herz – EKG – Belastungs-EKG – Echokardiogramm – Koronarangiographie 4 Gefäße – Becken-Bein-Angiographie oder Angio-MR – Duplex Karotiden 4 Magen-/Darmtrakt – Gastroskopie – Koloskopie 6
4 Konsiliaruntersuchungen – Urologie (Urodynamik, Restharnbestimmung) – Dentologie (Zahnstatus, Ausschluss Infektion, ggf. Zahnsanierung) – Ophthalmologie (Grad der diabetischen Retinopathie) – Neurologie (Grad der diabetischen Polyneuropathie) – Hals-Nasen-Ohren (Ausschluss Infektion der Nasennebenhöhlen) – Dermatologie (Ausschluss Melanom) – Gegebenenfalls Gynäkologie (Ausschluss Malignom, Infektion)
40.9.4
Spenderselektion
Da das operative Risiko bei einer Pankreastransplantation deutlich größer ist, gelten für die Akzeptanz eines Pankreasangebotes wesentlich strengere Kriterien als bei einer isolierten Nierentransplantation. Wie eng diese Kriterien gefasst werden, wird durch die einzelnen Zentren festgelegt. Einigkeit besteht im Moment darüber, dass sich Spender mit einer Alkohol- oder Diabetesanamnese, einem abdominellen Trauma unter Mitbeteiligung des Pankreas, einer Sepsis oder einem extrakraniellen Malignom generell nicht als Pankreasspender eignen. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass sich die Ergebnisse nach Pankreastransplantation bei einem Spenderalter über 45 Jahre signifikant verschlechtern (Odorico et al. 1998). Daher gilt an den meisten Zentren ein Spenderalter von 40–50 Jahren als Obergrenze, während die untere Spender-Altersgrenze bei ca. 10 Jahren liegt. Andere Kriterien wie die Höhe der Hypernatriämie, die Dauer des Intensivaufenthaltes und die Schwere einer vorbestehenden Arteriosklerose werden zwischen den Zentren unterschiedlich beurteilt. Relative Kontraindikationen für eine Pankreasentnahme sind Spender mit einem BMI von über 30 kg/m2, länger dauernde Phasen der Hypotonie und hohe Dosen kreislaufunterstützender Katecholamine. Die aktuellen Amylase-, Lipase- oder Glukosewerte lassen keine sichere Aussage zur Verwendbarkeit des Organs zu, da eine Hyperglykämie bzw. eine Hyperamylasämie/Hyperlipasämie auch auf eine Steroidtherapie oder auf andere Faktoren zurückgeführt werden kann. Die endgültige Entscheidung für oder gegen die Akzeptanz eines Pankreastransplantates obliegt dem Transplanteur, der bei der vorbereitenden Organpräparation vor Beginn der Narkose des Empfängers die Organqualität nach dem Grad der Fibrose, dem Grad der Verfettung und dem Vorhandensein vaskulärer atheromatöser Läsionen
855 40.9 · Pankreastransplantation
abschließend beurteilen muss. Vor dem Hintergrund der geringen Kaltischämietoleranz des Pankreas von 8–12 h wird auf eine Allokation nach dem Grad der Gewebeübereinstimmung von Spender und Empfänger (HLA-Kompatibilität) in aller Regel verzichtet. Die Kriterien für die Pankreasallokation in Deutschland werden in den Richtlinien der Bundesärztekammer auf der Grundlage des vom Transplantationsgesetz geforderten aktuellen Standes der Wissenschaft festgelegt. Demnach haben Patienten mit einer Doppeltransplantation Vorrang vor Patienten mit einer Einorgantransplantation. Dies führt dazu, dass die durchschnittliche Wartezeit für eine simultane Pankreas-/Nierentransplantation ca. 12–18 Monate, dagegen die durchschnittliche Wartezeit für eine alleinige Nierentransplantation aufgrund des Organmangels ca. 6 Jahre beträgt. Begründung für diese »Ungleichbehandlung« ist die Tatsache, dass Typ-I-Diabetiker unter einer Dialysebehandlung eine viel schlechtere Lebenserwartung haben als Patienten, die aus anderen Gründen dialysepflichtig geworden sind.
40.9.5
Operationstechnik
Spenderoperation Da die Pankreasentnahme in aller Regel im Rahmen einer Multiorganspende erfolgt, ist der Standardzugang die mediane Laparotomie vom Xiphoid bis zur Symphyse mit oder ohne Sternotomie. Das Pankreas kann nach Durchtrennung des kleinen Netzes oder durch Eröffnung der Bursa omentalis zwischen Magen und Querkolon auf seine Eignung zur Transplantation vorab orientierend beurteilt werden. Die abdominellen bzw. retroperitonealen Organe werden in der Reihenfolge Leber, Pankreas und Nieren entnommen. Leber und Pankreas können allerdings auch en bloc entnommen und später in tabula getrennt werden. Nach präoperativer Antibiotikaprophylaxe beginnt die Multiorganentnahme mit der Mobilisierung des gesamten Rechtskolons und des Dünndarmkonvolutes inkl. des Duodenums aus den retroperitonealen Verwachsungen. Die V. cava inferior wird bis über die Einmündung der beiden Nierenvenen dargestellt und die infrarenale Aorta freigelegt. Die A. gastrica dextra wird anschließend durchtrennt und die A. hepatica com. sowie die A. hepatica propria und die A. gastroduodenalis in ihrem Abgangsbereich identifiziert. 6
Nach Gabe von 25.000 I.E. Heparin i.v. und Verschluss der subphrenischen Aorta erfolgt die Perfusion mit 3–4 l kalter Belzer-UW-Lösung (ViaSpan) oder 7–10 l kalter HTK-Lösung (Custodiol) über einen in die distale Aorta eingebrachten Perfusionskatheter. Gleichzeitig erfolgt eine Oberflächenkühlung mit eiskalter 0,9%-iger NaCl-Lösung. Auf eine zusätzliche Perfusion der Leber über die V. mesenterica superior kann verzichtet werden (de Ville et al. 1994). Während der Organperfusion ist auf eine ausreichende venöse Druckentlastung durch sofortige breite Eröffnung der supra- und infrahepatischen V. cava und auf eine ausreichende Oberflächenkühlung des Pankreas durch Eröffnung des Lig. gastrocolicum zu achten. Nach abgangsnahem Absetzen der A. gastroduodenalis und Durchtrennung der Pfortader und des D. choledochus am Pankreasoberrand wird die Leber mit dem Truncus coeliacus entnommen. Die A. lienalis wird ebenfalls abgangsnah abgesetzt und das Duodenum postpylorisch und distal des Treitz-Bandes mit dem Klammernahtgerät verschlossen und durchtrennt. Anschließend wird die Mesenterialwurzel mit ausreichendem Sicherheitsabstand zum Proc. uncinatus und zum Abgang der A. pancreaticoduodenalis inferior mit dem Doppelklammernahtgerät verschlossen und ebenfalls durchtrennt. Zuletzt wird das Mesocolon transversum vom Pankreas abgelöst und der Pankreasschwanz und -korpus über den »Haltegriff Milz« aus dem Retroperitoneum gelöst.
Von besonderer Bedeutung bei der Pankreas-Duodenalentnahme ist die spätere ausreichende Vaskularisierung des Organs. Hierbei sind insbesondere Gefäßvariationen zu berücksichtigen, wie etwa ein Abgang der A. hepatica dextra oder communis aus der A. mesenterica superior oder ein Abgang der A. pancreatica dorsalis/transvera aus der A. hepatica communis. Da der Truncus coeliacus bei der Multiorganentnahme am Lebertransplantat verbleibt, wird der Pankreasschwanz über die A. lienalis, das Duodenalsegment mit dem Pankreaskopf entsprechend über die A. mesenterica superior versorgt. Dies bedeutet, dass bei der späteren »Back-table«-Präparation eine arterielle Rekonstruktion der beiden verbliebenden Gefäße zu einem Stammgefäß notwendig wird. Hierzu sind zahlreiche Methoden publiziert worden. Weit verbreitet ist die End-zuEnd-Anastomose (5/0 oder 6/0; nicht-resorbierbares monofiles Nahtmaterial) zwischen der A. lienalis und der A. mesenterica superior einerseits und der beim Spender
40
856
Kapitel 40 · Pankreas
Bedeutung, da die lokale Freisetzung von aktivierten Pankreasenzymen ähnlich wie bei der akuten Pankreatitis zu gravierenden lokalen Gewebeschädigungen führen kann (Hopt et al. 1992). Die in den 80er-Jahren noch zum Teil favorisierte Technik der sog. Segmenttransplantation unter Verwendung des Pankreasschwanzes ist heutzutage verlassen worden. Hierbei wurde der D. Wirsungianus ligiert oder mit Gewebekleber verblockt. Kennzeichen dieser Technik war eine hohe Inzidenz von postoperativen Pankreatitiden und Pankreasfisteln. > Standard der Pankreastransplantation ist heutzutage die sog. Ganzorgantransplantation, bei der das gesamte Pankreas inkl. eines kurzen blindverschlossenen Zwölffingerdarmsegmentes transplantiert wird (Nghiem u. Corry 1987).
. Abb. 40.24 Pankreastransplantat nach Ex-situ-Rekonstruktion der arteriellen Strombahn im Sinne einer Corry-Plastik. Die A. lienalis und die A. mesenterica superior wurden mittels einer Y-Plastik aus der Iliacalbifurkation des Spenders zu einer gemeinsamen Transplantatarterie vereinigt. Am Pankreaskopf wurde ein ca. 10 cm langes Duodenalsegment um die Papilla Vateri zur Ableitung des exokrinen Pankreassekretes belassen. Im Vordergrund die V. portae
entnommenen Iliakalbifurkation andererseits (sog. Y-Plastik nach Corry; . Abb. 40.24) sowie die direkte End-zuSeit-Anastomose zwischen der A. lienalis und der mit Aortenpatch entnommenen A. mesenterica superior.
Empfängeroperation
40
Die klinische Pankreastransplantation war nach ihrer Einführung durch Lillehei und Kelly an der Universität von Minnesota im Jahre 1966 durch eine sehr hohe peri- und postoperative Morbidität und Mortalität sowie durch eine inakzeptable 1-Jahres-Funktionsrate gekennzeichnet. Mit der Verbesserung der operativen Technik, der Immunsuppression und der Organkonservierung haben sich die Ergebnisse jedoch dramatisch verbessert, sodass die Pankreas-/ Nierentransplantation heutzutage als ein weltweit etabliertes und akzeptiertes Verfahren in der Behandlung von niereninsuffizienten Typ-I-Diabetikern gilt (American Diabetes Association 1992). Ein sicheres Management der exokrinen Pankreassekretion ist bei der Pankreastransplantation von zentraler
Das Spenderduodenum kann anschließend entweder mit der Harnblase oder mit dem oberen Jejunum anastomosiert werden. Erst hierdurch konnte die Inzidenz postoperativer Nahtinsuffizienzen und Pankreasfisteln signifikant reduziert und die Akzeptanz der Pankreastransplantation deutlich erhöht werden. Die »Back-table«-Präparation umfasst neben der bereits erwähnten Gefäßrekonstruktion das Absetzen der Milz vom Pankreasschwanz sowie ggf. die Verlängerung der Pfortader mit der vom Spender stammenden Iliakalvene. Das Duodenum wird nach Identifikation der Papilla Vateri auf eine Gesamtlänge von ca. 10 cm symmetrisch gekürzt und die Enden mit einem Klammernahtgerät und zusätzlicher Übernähung verschlossen. Die eigentliche Empfängeroperation beginnt mit einer großen Medianlaparotomie und anschließender Darstellung der Beckengefäße. Das Pankreas wird aufgrund der Gefäßanatomie traditionell arteriell an die rechte, die Niere im Falle einer Simultantransplantation an die linke Beckenachse angeschlossen (monofiles nichtresorbierbares Nahtmaterial der Stärke 5/0 oder 6/0). Die venöse Ableitung des Pankreas kann systemisch-venös an die V. iliaca externa bzw. V. cava inferior oder portal-venös an einen Ast oder den Stamm der V. mesenterica superior erfolgen (Fadenstärke 6/0). Das Duodenalsegment wird mittels zweireihiger fortlaufender Naht (monofil, resorbierbar; Stärke 3/0 oder 4/0) Seit-zu-Seit an die 2. Jejunalschlinge oder alternativ an eine nach Y-Roux ausgeschaltete Dünndarmschlinge anastomosiert (sog. enterale Drainage).
Der in den 1980er-Jahren überwiegend durchgeführte Anschluss des Duodenalsegmentes an die Harnblase (sog. Blasendrainage) ist inzwischen von den meisten Zentren
857 40.9 · Pankreastransplantation
. Tab. 40.5 Wahl der exokrinen Drainage Drainageverfahren
Vorteile
Nachteile
Blasendrainage
Unkomplizierte Überwachung des Pankreastransplantates über die Amylaseausscheidung im Urin Günstiger Effekt auf den arteriellen Hypertonus durch vermehrte Ausscheidung von Natrium über die Blase (Hricik et al. 2000)
Unphysiologisch Metabolische Azidose durch Bikarbonatverlust Urologische Komplikationen (hämorrhagische Zystititis, Dysurie, Urethrastriktur, Urethritis, Prostatitis; Pirsch et al. 1998) Gefahr der Dehydratation Höhere Inzidenz an Refluxpankreatitiden verglichen mit enteraler Drainage Im Langzeitverlauf bis zu 24% Konversionsoperationen (Sollinger et al. 1998)
Enterale Drainage
Physiologisch Signifikant weniger urologische Komplikationen Keine Bikarbonatsubstitution notwendig Keine Konversionsoperationen
Schlechtere Überwachung der Transplantatfunktion (durch verbesserte immunsuppressive Protokolle heutzutage weniger relevant)
wegen signifikanter urologischer Probleme und einem zum Teil erheblichen Bikarbonatverlust verlassen worden (. Tab. 40.5). So betrug der Anteil pankreastransplantierter Patienten mit Blasendrainage im Zeitraum von 1996–2002 in den USA nur noch 35% mit abnehmender Tendenz (Gruessner u. Sutherland 2002). Die Frage, in welcher Form die venöse Ableitung des Pankreas erfolgen soll, wird kontrovers diskutiert. Sicher ist, dass durch die von Gaber et al. (1993) eingeführte Methode der portal-venösen Drainage die unphysiologische Hyperinsulinämie, die nach Pankreastransplantation mit systemisch-venösem Anschluss beobachtet wird, verhindert werden kann (. Abb. 40.25). Ursache hierfür ist die Tatsache, dass das insulinreiche Blut wie unter physiologischen Bedingungen auch dem »First-pass«-Effekt der Leber unterliegt (Pfeffer et al. 1997). Ob diese Technik allerdings darüber hinaus klinische Vorteile gegenüber der systemisch-venösen Drainage hat, konnte bisher nicht zweifelsfrei bewiesen werden. In den USA betrug im Zeitraum von 1996–2002 der Anteil der Pankreata mit portalvenöser Drainage ca. 25% an allen Pankreastransplantationen (International Pancreas Transplant Registry). Eine neue operative Technik der Pankreastransplantation wurde 2005 durch Boggi publiziert. Hierbei wird nach Medianlaparotomie das gesamte Rechts-Kolon mobilisiert und das Pankreastransplantat retroperitoneal im rechten Mittelbauch platziert. Der portalvenöse Anschluss des Transplantates erfolgt über eine Anastomose zwischen der Portalvene des Spenders und der von dorsal freigelegten infrapankreatische V. mesenterica superior des Empfängers. Durch eine Modifikation dieser Technik kann dann das gekürzte Spenderduodenum problemlos an den Zwölffingerdarm des Empfängers seit-zu-seit anastomosiert werden. Hierdurch ist das Spenderduodenum für endos-
. Abb. 40.25 Schema der Pankreasduodenaltransplantation mit portal-venös-enteraler Drainage. Die Ableitung des exokrinen Sekretes erfolgt physiologisch über die erste oder zweite Jejunalschlinge und der venöse Anschluss des Transplantates an einen Ast der V. mesenterica superior (sog. portal-venös-enterale Drainage). Durch die portal-venöse Ableitung wird die bei der systemischvenösen Drainage beobachtete unphysiologische periphere Hyperinsulinämie verhindert
40
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Kapitel 40 · Pankreas
kopische Untersuchungen zugänglich. Während die beschriebene Transplantationstechnik die Durchführung von Biopsien und damit das Monitoring des Pankreastransplantates substantiell erleichtert, stellt der Verschluss des Duodenums des Empfängers bei eintretendem Transplantatverlust und Notwendigkeit der Transplantatentfernung ein möglicherweise gravierendes Problem dar. Ob sich diese Technik entsprechend durchsetzen wird, bleibt abzuwarten (De Roover et al. 2007).
40.9.6
40
Immunsuppression
Grundsätzlich ist in der Frühphase nach Pankreastransplantation wie auch bei anderen Organtransplantationen eine höhere Immunsuppression notwendig als in der Spätphase, da die Inzidenz akuter Abstoßungen in den ersten 6 Monaten am höchsten ist. Daneben ist – bedingt durch die höhere Immunogenität der Bauchspeicheldrüse – eine absolut gesehen stärkere Immunsuppression nach Pankreastransplantation erforderlich als z. B. nach einer alleinigen Nieren- oder Lebertransplantation. Momentaner Standard in der Pankreastransplantation ist eine Quadrupeltherapie bestehend aus einem Calcineurin-Inhibitor, einem Antimetaboliten, einem Glukokortikoid und einem antilymphozytären Antikörper in der Induktionstherapie. In den USA erhalten über 70% der Patienten nach Pankreastransplantation heutzutage eine Basisimmunsuppression bestehend aus Tacrolimus, Mycophenolat mofetil (CellCept) und Kortison (International Pancreas Transplant Registry). Unter dieser Kombination kann nach simultaner Pankreas-/Nierentransplantation auch ohne antilymphozytäre Antikörper die Abstoßungsfrequenz von ehemals 60–80% innerhalb des ersten Jahres auf bis zu 21% reduziert werden (Stratta et al. 1999). Parallel hierzu ist der immunologisch bedingte Transplantatverlust zwischen 1987 und 2002 nach Simultantransplantation von 5% auf ca. 2% und nach alleiniger Pankreastransplantation von 37% auf 9% zurückgegangen (Gruessner u. Sutherland 2002). Inwieweit sich durch den Einsatz des antiproliferativ wirksamen mTOR-Inhibitors Sirolimus (Rapamune) bzw. dessen Derivat Everolimus (Certican) die Inzidenz des chronischen Transplantatversagens insbesondere der kotransplantierten Niere reduzieren lässt, bleibt abzuwarten. Beide Substanzen sind im Gegensatz zu den CalcineurinInhibitoren nicht nephrotoxisch und verzögern möglicherweise die Progression der Intimaverdickung im Rahmen des chronischen Transplantatversagens.
. Abb. 40.26 Nekrotisierende Transplantatpankreatitis
40.9.7
Komplikationen
Abdominelle Komplikationen Trotz der Verbesserungen im Bereich der operativen Technik, der Organkonservierung und der Immunsuppression ist die Komplikationsrate nach simultaner Pankreas-/Nierentransplantation höher als nach alleiniger Nierentransplantation. Dies gilt jedoch nur für das erste Jahr nach Transplantation (Stratta et al. 1996). Danach sinkt die Komplikationsrate deutlich ab und unterscheidet sich nicht mehr signifikant von der nach alleiniger Nierentransplantation (Cattral et al. 1998). Zu den chirurgischen Komplikationen gehören Transplantatthrombosen, Anastomoseninsuffizienzen, Nachblutungen oder Komplikationen durch intraabdominelle Infektionen. Die Transplantatthrombose führt in der Regel zu einem sofortigen und irreversiblen Transplantatverlust. Ihre Inzidenz ist hat in den letzten 10 Jahren abgenommen und beträgt heutzutage ca. 5–6% (International Pancreas Transplant Registry). Ursache ist neben technisch-bedingten Komplikationen wie z. B. eine Abknickung der Pfortader durch eine zu lang belassene Vene auch die im Rahmen der Transplantatpankreatitis zu beobachtende Hyperkoagulopathie durch einen Abfall der Antithrombin-III- und Protein-C-Serumkonzentration. In solchen Fällen ist neben der Routine-Gabe von Heparin die Substitution von Antithrombin III sinnvoll. Die Inzidenz der Transplantatpankreatitis liegt bei 1,4–16% (FernandezCruz et al. 1993; International Pancreas Transplant Registry) und kann ähnlich wie bei der genuinen Pankreatitis in einer ödematösen oder auch nekrotisierenden Form auftreten (. Abb. 40.26). Neben spenderspezifischen Faktoren spielt in der Pathogenese der Transplantatpankreatitis der Ischämie-/Reperfusionsschaden eine zentrale Rolle. Hierbei kommt es durch Aktivierung von Endothelzellen, Freisetzung von zahlreichen Entzündungsmediatoren und Expression von Adhäsionsmolekülen zu einer
859 40.9 · Pankreastransplantation
zunehmenden Schädigung der Endothelbarriere mit Ödembildung und Störung der Mikrozirkulation. Klinisch kann die Beurteilung des Abdominalbefundes mitunter schwierig sein. Ein CRP-Wert über 200 mg/l innerhalb der ersten 3 Tage nach Transplantation (Peak-CRP; Benz et al. 2001) sowie erhöhte Leukozyten- und Amylase-/Lipasewerte in der Drainageflüssigkeit können bei der Diagnose einer schweren Transplantatpankreatitis hilfreich sein. Entscheidend für die Prognose ist ein frühzeitiges und aggressives Vorgehen mit ggf. wiederholten abdominellen Lavagen und Entfernung peripankreatischer Nekrosen. Da trotz der Applikation von Polyvidon-Iod in das Lumen des Spenderduodenums das Pankreastransplantat meist nicht völlig steril ist, treten abdominelle Infektionen häufiger auf als nach alleiniger Nierentransplantation. Lokale Verhalte können interventionell drainiert werden, bei Zeichen der Peritonitis oder bei Verdacht auf eine Anastomoseninsuffizienz ist immer die chirurgische Intervention indiziert. Leckagen im Bereich der Duodenozystostomie oder Duodeno-Enterostomie sind selten, die Inzidenz liegt unter 1% (International Pancreas Transplant Registry). Die in direktem Zusammenhang mit der Blasendrainagetechnik stehende Morbidität durch rezidivierende Zystitiden, Urethrastrikturen, Blutungen aus der Harnblase und einen zum Teil erheblichen Bikarbonatverlust kann im Langzeitverlauf die Lebensqualität der Patienten deutlich vermindern und erfordert nicht selten eine Konversionsoperation mit Aufhebung der Blasenanastomose und Anschluss des Pankreastransplantates an das Jejunum. Die Inzidenz einer solchen Konversionsoperation wird in der Literatur mit ca. 24% innerhalb von 5 Jahren angegeben (Sollinger et al. 1998). Durch den primären Anschluss des Transplantates an den Dünndarm (enterale Drainage) kann das Auftreten solcher urologischer Komplikationen sicher vermieden werden.
Akute Abstoßung Die meisten Abstoßungsreaktionen treten innerhalb der ersten 6 Monate nach Transplantation auf. Hiernach sinkt das Risiko deutlich ab, sodass konsekutiv die Immunsuppression reduziert werden kann. > Eine rechtzeitige Diagnosestellung ist vor allem deswegen von entscheidender Bedeutung, da nur bei rascher Therapie die abstoßungsbedingte Schädigung des Transplantates noch reversibel ist.
Kommt es nach simultaner Pankreas-/Nierentransplantation zu einer Abstoßungsreaktion, so sind in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle beide Organe betroffen. Eine isolierte Abstoßung des Pankreastransplantates ist sehr selten (Shapiro et al. 2000). Somit lässt sich mit Hilfe der Retentionsparameter der kotransplantierten Niere die Funktion beider Organe problemlos und präzise über-
wachen. Die perkutane Nierentransplantatbiopsie sichert die Diagnose, dagegen wird eine perkutane oder offene Pankreasbiopsie nur in Ausnahmefällen durchgeführt. Die Überwachung der Pankreastransplantatfunktion mit Hilfe des Nüchternblutzuckerspiegels ist wenig hilfreich, da dieser erst dann ansteigt, wenn bereits über 90% der Inselzellen geschädigt worden sind. Die Antirejektionstherapie besteht in der Hochdosis-Bolusgabe von Kortison in Einzelfällen auch in Verbindung mit polyklonalen antilymphozytären Antikörpern (ATG, ALG) bzw. Anti-CD3-Antikörpern (OKT 3). Alternativ und weniger nebenwirkungsreich kann anstelle der Antikörpertherapie der Tacrolimusspiegel auf Werte um 15–20 ng/ml passager angehoben werden. Mit diesem Schema kann der überwiegende Teil der Abstoßungen erfolgreich behandelt werden.
Systemische Infektionen Durch die Immunsuppression können trotz nachgewiesener systemischer Infektion allgemeine Entzündungszeichen wie Fieber und Leukozytose fehlen, was die richtige Diagnosestellung in der Praxis erschwert. Besonders opportunistische Erreger wie Candida albicans, Pneumocystis carinii, Herpes-simplex- (HSV) und Zytomegalieviren (CMV) können zum Teil schwere Infektionen bei den immunkompromittierten Patienten hervorrufen. An den meisten Zentren in Deutschland wird daher aufgrund der höheren Immunsuppression nach Pankreastransplantation grundsätzlich eine CMV-Prophylaxe mit Ganciclovir (Cymeven) oder Valganciclovir (Valcyte) sowie eine antimykotische Abschirmung mit Diflucan und Amphomoronal für insgesamt 3 Monate nach Transplantation durchgeführt. Zusätzlich ist die Gabe von Co-Trimoxazol zur Pneumocystis-carinii-Prophylaxe ähnlich wie bei der Nierentransplantation als Standard etabliert. Bei Infektionsverdacht ist ähnlich wie bei einem Abstoßungsverdacht eine rasche und umfassende Abklärung – im Zweifel immer unter stationären Bedingungen – erforderlich. Nach ca. 6 Monaten sinkt schließlich das Risiko für opportunistische Infektionen und das Erregerspektrum und die Infektlokalisation gleichen sich derjenigen der Normalbevölkerung an.
40.9.8
Ergebnisse
Patientenüberlebensund Transplantatfunktionsraten Weltweit sind bis Ende 2002 ca. 19.000 Pankreastransplantationen durchgeführt worden, davon über 14.000 allein in den USA (International Pancreas Transplant Registry 2002). Seit ihrer nationalen Einführung 1979 hat die Zahl der Pankreastransplantationen in Deutschland bis ins Jahr 2000 kontinuierlich zugenommen. Im Jahr 2000 wurde mit
40
860
40
Kapitel 40 · Pankreas
244 Transplantationen ein Höchststand erreicht. Heutzutage werden in 21 Zentren in der Bundesrepublik Pankreastransplantationen durchgeführt. Die Ergebnisse der deutschen und der europäischen Transplantationszentren haben sich in den letzen Jahrzehnten verbessert und entsprechen denen der nordamerikanischen Zentren (Büsing et al. 1997; Deutsche Stiftung Organtransplantation). Die 1-Jahres-Funktionsrate (Insulinfreiheit) nach Simultantransplantation beträgt heutzutage 83% für das Pankreasund 92% für das Nierentransplantat bei einem Patientenüberleben von 95% (International Pancreas Transplant Registry). Im Vergleich hierzu waren die Funktionsraten nach alleiniger Pankreastransplantation traditionell deutlich schlechter. Seit Mitte der 90er-Jahre hat sich dies geändert. Nach den neusten Daten des IPTR liegt die 1-JahresPankreasfunktionsrate inzwischen bei 78%. An ausgewählten Zentren werden sogar 1-Jahres-Funktionsraten von über 90% erzielt (Kaufman et al. 1999). Während die 1-Jahres-Ergebnisse vor allem die Qualität der operativen Technik und die Fortschritte auf dem Gebiet der immunsuppressiven Therapie reflektieren, konnte in verschiedenen Publikationen Ende der 1990er-Jahre ein signifikanter Überlebensvorteil für Patienten nach simultaner Pankreas-/Nierentransplantation im Langzeitverlauf im Vergleich zur alleinigen Nierentransplantation gezeigt werden (Smets et al. 1999). Dabei liegt das 10-Jahres-Überleben der Patienten in großen US-amerikanischen SingleCenter-Studien zwischen 60 und 75% bei einer 10-JahresFunktionsrate von 45–65% sowohl für das Pankreas- als auch für das Nierentransplantat (Sollinger et al. 1998; Sutherland et al. 2001). Bei der Beurteilung der genannten Langzeitergebnisse muss berücksichtigt werden, dass die durchschnittliche Lebenserwartung niereninsuffizienter Typ-I-Diabetiker auf der Warteliste ca. 8 Jahre, nach alleiniger Nierentransplantation ca. 13 Jahre dagegen nach simultaner Pankreas-/Nierentransplantation ca. 23 Jahre beträgt (Ojo et al. 2001). Aufgrund der hervorragenden Langzeitergebnisse muss die Pankreastransplantation heutzutage als eine lebensverlängernde Therapieoption angesehen werden. Verschiedene Arbeiten gehen davon aus, dass dies im Wesentlichen auf einen Rückgang kardial-bedingter Todesfälle zurückzuführen ist (Secchi et al. 1998). Dennoch stellen kardiale Komplikationen auch nach erfolgreicher simultaner Pankreas-/Nierentransplantation die häufigste Todesursache im Langzeitverlauf dar (Secchi et al. 1998; Drognitz et al. 2004).
Einfluss der Pankreastransplantation auf die diabetischen Spätschäden Zahlreiche Studien konnten zeigen, dass die erfolgreiche Pankreastransplantation zu einer Normalisierung des Glukosemetabolismus, d. h. zu normalen Nüchternblutzucker-
spiegeln bzw. HbA1c-Werten führt. Auch unter Belastung mit Glukose bzw. Stimulation mit Glukagon werden bei der überwiegenden Mehrzahl der Patienten nach Transplantation normale Blutzuckerwerte gemessen. Durch den Anschluss des Transplantates an den portal-venösen Kreislauf (portal-venöse Drainage) wird die bei der systemischvenösen Drainage beobachtete periphere Hyperinsulinämie verhindert. Die Pankreastransplantation führt damit praktisch zu einer vollständigen Normalisierung des Glukosestoffwechsels (Pfeffer et al. 1997). > Es gilt inzwischen als sicher, dass nach einer erfolgreichen Pankreastransplantation das weitere Fortschreiten bestimmter diabetischer Spätschäden verhindert wird.
In vielen Studien wird sogar ein Rückgang der Spätschäden beobachtet. Dies gilt insbesondere für die Mikroangiopathie, die Polyneuropathie und die autonome Neuropathie. Allerdings sind diese Effekte oft erst mit einer Latenz von etwa 5 Jahren zu beobachten. Darüber hinaus ist inzwischen unstrittig, dass die erfolgreiche Pankreastransplantation im Langzeitverlauf einen protektiven Effekt auf die simultan transplantierte Niere hat und ein Wiederauftreten der diabetischen Nephropathie im Transplantat auf lange Sicht verhindert wird. Allerdings muss man davon ausgehen, dass es für alle fortgeschrittenen diabetischen Spätschäden einen sog. »point of no return« gibt, ab dem ein Verbesserung auch bei vollständiger Normalisierung des Blutzuckers nicht mehr erzielt werden kann (Hopt u. Drognitz 2000). 40.9.9
Literatur
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861 40.9 · Pankreastransplantation
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40
41
Milz D. Oertli
41.1
Anatomie
– 864
41.1.1 41.1.2 41.1.3 41.1.4 41.1.5
Topographie – 864 Gefäßversorgung – 864 Lymphatische Drainage – 865 Histologie – 865 Anlageanomalien – 865
41.2
Physiologie
41.2.1 41.2.2
Filterfunktion – 866 Immunologische Funktion
41.3
Pathophysiologie
41.3.1 41.3.2
Hyposplenismus – 867 Hypersplenismus – 867
41.4
Milzloser Zustand
41.4.1 41.4.2 41.4.3
Blutbildveränderungen – 868 Immunologische Veränderungen – 868 Prophylaxe bei Milzverlust – 868
41.5
Diagnostik
41.5.1 41.5.2
Klinische Untersuchung – 868 Bildgebende Verfahren – 869
41.6
Chirurgische Erkrankungen der Milz
41.6.1 41.6.2 41.6.3
Primäre Milzerkrankungen – 870 Milzveränderungen bei hämatologischen Erkrankungen Andere Affektionen – 873
41.7
Milzverletzungen
41.7.1 41.7.2 41.7.3
Traumatische Milzruptur – 873 Spontane Milzruptur – 874 Iatrogene Verletzung – 874
41.8
Milzchirurgie
41.8.1 41.8.2 41.8.3
Offene Splenektomie – 874 Laparoskopische Splenektomie Milzresektionen – 877
41.9
Komplikationen der Milzchirurgie
41.10
Literatur
– 866 – 866
– 867
– 868
– 868
– 870 – 871
– 873
– 874 – 876
– 877
– 879
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_41, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
864
Kapitel 41 · Milz
Die chirurgisch zu behandelnden Läsionen der Milz umfassen Verletzungen, hämatologische Erkrankungen und seltener fokale Veränderungen. Wenn früher bei einer traumatischen Milzruptur eine Splenektomie vorgenommen wurde, wird heute wegen der unerwünschten Folgen des Milzverlustes (»overwhelming postsplenectomy infection«) nach Möglichkeit die Organerhaltung angestrebt. Milzerhaltende Eingriffe stellen aber wegen ihrer hohen operativ-technischen Anforderungen eine echte Herausforderung für den Chirurgen dar. Die Indikationen zur therapeutischen Splenektomie sind bei Verdrängungssymptomatik durch sehr große Milzen und bei den Folgen des Hypersplenismus mit Anämie und/oder hämorrhagischer Diathese gegeben. Bei verschiedenen gutartigen und malignen hämatologischen Erkrankungen hat die diagnostische Splenektomie wegen raffinierterer diagnostischer Verfahren und hochwirksamer Chemotherapie an Bedeutung abgenommen.
41
41.1
Anatomie
41.1.1
Topographie
Die Milz ist das größte retikuloendotheliale Organ des Menschen. Sie ist etwa faustgroß und wiegt zwischen 150– 250 g. Im Alter atrophiert das Organ physiologischerweise und kann dann nur noch 50 g schwer sein. Es liegt im linken Hypochrondrium und hat engen Kontakt zur 9., 10. und 11. Rippe links. Die Milz muss mindestens ihre Größe verdoppeln, bis sie am linken Rippenbogen in Erscheinung tritt und palpabel wird. Das Organ besitzt zwei Hauptoberflächen: Die parietale, konvexe Fläche liegt dem Zwerchfell an, während die viszerale, mehr konkave Fläche enge Beziehungen zu Pankreasschwanz, Magen, der linken Niere und zur linken Kolonflexur besitzt. Das splenogastrische Ligament ist Synonym zum gastrosplenischen Omentum, das die Aa. gastricae breves enthält. Seine Ausdehnung ist sehr variabel; normalerweise zieht es vom oberen Milzpol bis in das unteren Drittel. Das splenokolische Ligament zieht von der linken Kolonflexur an den Milzunterpol. Es ist kurz und wenig vaskularisiert. Das splenorenale Ligament wird durch das dorsale Milzperitoneum gebildet, das die Milz gegen das Retroperitoneum hin fixiert. Normalerweise enthält es wenig kleine Gefäße, die allerdings im Falle einer Splenomegalie an Größe zunehmen können. Das splenophrenische Ligament verbindet die Milz mit dem Zwerchfell und kann insbesondere bei inflammatorischen oder neoplastischen Milzerkrankungen breitflächigen und innigen Kontakt zwischen Milz und Zwerchfell aufweisen. Eine konstante peritoneale Falte zieht vom großen Netz zum Milzunterpol im Sinne des splenoomentalen Ligamentes. Es zieht sepa-
. Abb. 41.1 Arterielle und venöse Gefäßversorgung der Milz
. Abb. 41.2 Schematische Darstellung der segmentalen Milzgefäßversorgung
rat zum Milzunterpol und ist hauptsächlich für iatrogene Milzverletzungen bei Eingriffen im linken Oberbauch verantwortlich. Das Organ ist von einer relativ zerreißlichen, lediglich ca. 0,1 mm dicken bindegewebigen Kapsel umgeben.
41.1.2
Gefäßversorgung
Die A. lienalis entspringt dem Truncus coeliacus und nimmt einen geschlängelten Verlauf am Pankreasoberrand bis zum Milzhilus. Dort verzweigt sie sich in 5–10 Segmentäste bzw. deren subsegmentären Arterien (. Abb. 41.1). Weil die Milz durch ein Endarteriensystem durchblutet
865 41.1 · Anatomie
und die Arterienanordnung segmental ist, entstehen Parenchymsegmente, die Milzresektionen erlauben (. Abb. 41.2; 7 Abschn. 41.8.3). Das venöse Blut sammelt sich in der V. lienalis, die in der Regel kaudal der Milzarterie dorsal von Pankreasschwanz und -korpus zusammen mit der V. mesenterica superior als venöser Konfluens in die Pfortader einmündet.
41.1.3
Lymphatische Drainage
Die Milzlymphgefäße nehmen ihren Ursprung in der Milzkapsel und in den Trabekulae. Sie führen dann Gefäße weg vom Hilus zu den supra- und infrapankreatischen Lymphknotengruppen. Die größte splenopankreatische Lymphknotengruppe findet sich entlang der A. lienalis. Eine kleinere Anzahl Lymphknoten findet sich in der Nähe der Gastricae-breves-Gefäße. Sowohl der Magen als auch das Pankreas können in diese milznahen Lymphknotengruppen drainieren.
41.1.4
. Abb. 41.3 Schematische Darstellung des histologischen Aufbaues der Milz, 1 schneller Pfad, 2 langsamer Pfad
Histologie
Im Milzparenchym trennen sich die Segmentarterien von den sie begleitenden Venen und treten in die weiße Pulpa ein. Dort werden sie zu Zentral- oder Pinselarterien (. Abb. 41.3). Aus der fibrösen Milzkapsel penetrieren die sog. Trabekulae in das Organinnere und geben der Milz die histologische Grobstruktur. Das Milzparenchym besteht zu 80% aus der roten und zu 20% aus der weißen Pulpa. Der Blutfluss durch die Milz geschieht über die Trabekelarterien, die sich im Parenchyminneren zu Pinselarteriolen verzweigen, zunächst in die Lymphfollikel der weißen Pulpa entweder direkt durch das Kapillarsystem in Venolen (schneller Pfad) oder indirekt durch die Marginalzone in die rote Pulpa (langsamer Pfad). Im Bereich der roten Pulpa wird das venöse Blut wieder gesammelt und durch die Trabekelvene aus dem Organ heraustransportiert . Abb. 41.3). Untersuchungen von Groom haben gezeigt, dass ca. 90% des Blutflusses das schnelle Kapillarnetzwerk in den Lymphfollikeln benützen, während ca. 10% langsamer durch Austritt in das retikuläre Netzwerk der roten Pulpa passieren (Groom 1987). Die weiße Pulpa besteht aus drei Kompartimenten: eine zentrale Arteriole umgeben von einer periarteriolären lymphatischen Scheide, die Follikel und die Marginalzone. Die Marginalzone umgibt sowohl die lymphoide Gefäßscheide als auch die Follikel und bildet die Trennschicht zur roten Pulpa. In der periarteriolären lymphatischen Scheide befinden sich T- und B-Lymphozyten. Makrophagen und dendritische Zellen finden sich ebenfalls in den primären Follikeln.
. Abb. 41.4 Akzessorische Milzanlage in Hilusnähe, intraoperativ ersichtlich nach Eröffnung der Bursa omentalis
Die rote Pulpa besteht aus venösen Sinus oder Sinusoiden und aus Zellsträngen, gebildet aus Makrophagen, Thrombozyten, Lymphozyten, neutrophilen Granulozyten und Plasmazellen. Die venösen Sinus sind spezielle Gefäßstrukturen mit multiplen interendothelialen Poren oder Spalten von einem Durchmesser zwischen 1–5 μm, die es erlauben, dass normale Erythrozyten hindurch schlüpfen können.
41.1.5
Anlageanomalien
Akzessorische Milzen sind die häufigsten Anomalien
(. Abb. 41.4). Sie sind meist in der Nähe des Milzhilus gelegen und seltener am Pankreasoberrand im splenogas-
41
866
Kapitel 41 · Milz
trischen Omentum oder nahe der linken Kolonflexur zu finden. Akzessorische Milzen kommen zwischen 16 und 20% der Individuen vor, meistens in Form von 1–5 einzelnen Anlagen, die meist nicht größer als 2 cm und schwerer als 45 g sind (Morgenstern u. Skandalakis 1997; Delaitre et al. 2000). Die Asplenie ist wahrscheinlich die seltenste Milzanomalie und kommt nur im Rahmen schwerer kardiovaskulärer Malformationen vor, die jenseits des Kindesalters kaum mit dem Leben vereinbar sind (Majewski u. Upshur 1978). Auch die kongenitale Hyposplenie ist sehr selten. Solche Patienten zeigen die hämatologischen Stigmata der asplenischen Individuen und haben das lebenslängliche Risiko der fulminanten Postsplenektomiesepsis (7 Abschn. 41.4). Bei der Polysplenie sind statt einem solitären Organ multiple kleine Milzknötchen vorhanden (Skandalakis et al. 1989). Diese embryonale Fehlbildung übersteigt selten 10 Milzmassen und besteht oft aus wenigen Einheiten. Auch diese Missbildung ist mit schwerwiegenden kardiovaskulären Anomalien und insbesondere mit Situs inversus vergesellschaftet. Die splenogonadale Fusion entspricht einer Fehlentwicklung bzw. einem fehlerhaften Deszensus der Milzanlage zusammen mit den linken Gonaden. So können Milzanteile im linken Testis und in der Nachbarschaft des linken Ovares gefunden werden.
41.2
Physiologie
Die beiden Hauptfunktionen der Milz sind die Filtration von Blutbestandteilen und die immunologische Funktion. Sie werden in den folgenden Abschnitten dargelegt. Nebenfunktionen sind die Reservoirbildung und die Hämatopoese. Hauptfunktionen der Milz
41
4 Filtration – Culling: Elimination alternder oder abnormer Erythrozyten – Pitting: Entfernung abnormer erythrozytärer Einschlusskörperchen und Remodeling der Erythrozyten 4 Immunologisch – Aufnahme und Prozessieren von Antigenen – Lymphozyten-Homing – Lymphozytenaktivierung – Antikörper- und Lymphokinproduktion – Makrophagenaktivierung – Opsonisierung 6
Nebenfunktionen der Milz 4 Reservoir: Speicherung und normale Sequestrierung von Thrombozyten, Granulozyten und Eisenionen 4 Hämatopoese: Lymphozyten- und Makrophagenproduktion. Unter pathologischen Umständen: Erythro-, Granulo- und Megakaryopoese
41.2.1
Filterfunktion
In Ruhe fließen ca. 5% des Herzminutenvolumens durch die Milz (Peters 1983). Die Mikrozirkulation in der roten Pulpa wird durch die sog. Billroth-Ketten, bestehend aus kontraktilen retikulären Zellen reguliert. Kontraktile Elemente im Bereich der venösen Sinus variieren die Spannung der endothelialen Zellen und der dazwischen liegenden Spalten. Damit wird der Wiedereintritt von Blutzellen aus dem Interstitium in die venöse Zirkulation reguliert. In der Mikrozirkulation wird das einströmende Blut bis zu einem Hämatokrit von 80% eingedickt, was einen verlängerten Kontakt zwischen den Erythrozyten und den Zellen des retikuloendothelialen Systems (RES) erlaubt. Diese RES-Zellen sind zum einen aus Monozyten herangereifte Makrophagen, deren Hauptaufgabe die Phagozytose ist. Der andere Zelltyp sind die retikulären Zellen, die physiologischerweise den Blutfluss durch die rote Milzpulpa regulieren. Sie phagozytieren nur bei Organhypertrophie oder wenn die Milz mit einer sehr großen Menge von abnormen Blutzellen belastet wird. > Die Milz erfüllt zwei verschiedene Arten von Qualitätskontrolle für Erythrozyten: Mit dem Pitting entfernt sie verschiedene Einschlüsse und Partikel aus den Erythrozyten. Diese sind Sideringranulat, Chromatinreste (Howell-Jolly-Körperchen), Präzipitate denaturierten Hämoglobins (Heinz-Körperchen) und Malariaparasiten (Schnitzer et al. 1972). Die zweite Filterfunktion für Erythrozyten wird Culling genannt und bezeichnet die selektive Entfernung von alternden oder abnormen Erythrozyten aus dem Blutkreislauf.
41.2.2
Immunologische Funktion
Die weiße Pulpa ist das Zentrum der immunologischen Funktion und stellt die größte Ansammlung lymphatischer Zellen im Körper dar. Beim Fehlen der Milz kann deren Funktion zum Teil von anderen lymphoiden Organen übernommen werden. Einzigartig aber ist die Immunfunktion
867 41.3 · Pathophysiologie
der Milz im Sinne der Elimination von Bakterien, die eine Polysacharidkapsel besitzen. Im RES-Netzwerk der Milz kommt es zur Interaktion zwischen zirkulierenden Partikeln, löslichen Antigenen und den Lymphozyten mit den RES-Zellen, die als antigenpräsentierende Zellen (APZ) funktionieren. Daneben entfernen Makrophagen zirkulierende Immunkomplexe, opsonisierte Bakterien und anitkörperbeladene Blutzellen bei autoimmunen Zytopenien. 50% der lymphoiden Zellen, die in die Milzzirkulation gelangen, strömen in die weiße Pulpa ein (Nieuwenhuis u. Ford 1976). Die normale Milz enthält ca. 25% des vollständig austauschbaren T-Lymphozytenpools und bis 15% des vollständig austauschbaren B-Lymphozytenpools (Christensen et al. 1978). B- und T-Zellen werden vom Blutstrom direkt in die Marginalzone eingeschleust, worauf die T-Zellen in den Zentralbereich der periarteriolären lymphoiden Scheide gelangen. Die B-Zellen passieren diese Scheide ebenfalls, gelangen aber dann zur Korona der Lymphfollikel. Die Verweildauer der T-Zellen in der Milz beträgt ca. 4 h, diejenige der B-Zellen ca. 18 h (Van Ewijk u. Nieuwenhuis 1985). Die Opsonisation ist eine weitere immunologische Funktion der Milz. Die Phagozytose polysaccharidbekapselter Bakterien (Pneumokokken, Meningokokken und Haemophilus influenzae) ist nur möglich nach vorangegangener Beladung mit speziellen Serumfaktoren. Dazu gehören die Opsonine, die spezifische IgM-Antikörper und C3B-Moleküle des Komplementsystems sind. Daneben wirkt das Tuftsin als IgG1-Gammaglobulin ebenfalls erleichternd auf die Phagozytose. Erst ein Überschuss von Opsonin und Tuftsin vermag den bakteriellen Polysaccharidmantel zu neutralisieren und gleichzeitig den pathogenen Organismus an die Makrophagen im RES des Körpers zu binden. Aufgrund der spezifischen Struktur der Milz ist sie als einziges Organ in der Lage, durch unterschiedliche Blutflussgeschwindigkeiten nichtopsonisierte pathogene Organismen in einem zeitlich ausreichenden Kontakt mit Makrophagen in der Milz zu bringen und so zu eliminieren. Die Entfernung von zirkulierenden Immunkomplexen ist eine weitere wichtige Funktion der phagozytierenden Zellen der Milz (Aguado u. Mannik 1987).
41.3
Pathophysiologie
41.3.1
Hyposplenismus
Hyposplenismus bedeutet eine defekte oder fehlende Funktion der Milz. Ihre Ursache kann kongenital oder erworben sein. Hauptursache für den Hyposplenismus ist der Zustand nach Splenektomie (7 Abschn. 41.4). Seltener tritt der Hyposplenismus bei normaler Milzgröße oder sogar bei vergrößerter Milz auf.
Hyposplenismus 4 Kongenital: Asplenie, Hypoplasie, kongenitales Immundefizitsyndrom 4 Erworben: – Nach Splenektomie – Atrophie und/oder Organinfarzierung: Sichelzellanämie, Vaskulitiden, essenzielle Thrombozythämie, Malabsorption, nach Radio- und Chemotherapie – Funktionelle Asplenie: Infiltration durch Leukämie, Lymphome, multiples Myelom, Amyloidose, Sarkoidose, vaskuläre Milztumore – Erniedrigte Immunfunktion: physiologisch bei Neugeborenen und im hohen Alter, AIDS, Radio- oder Chemotherapie, immunsuppressive Medikamente, Endokrinopathien, chronischer Alkoholismus
41.3.2
Hypersplenismus
Vom Hyperspleniesyndrom spricht man, wenn bei zellreichem Knochenmark im Rahmen einer Splenomegalie eine periphere Zytopenie entsteht. Dies ist die häufigste Indikation zur Splenektomie. Primäre, idiopathische Hyperspleniesyndrome sind selten. Sie können sich sekundär als Folge einer ganzen Reihe von Zuständen entwickeln.
Hypersplenismus 4 Sequestrierung abnormer Zellen durch eine sonst normale Milz: – Kongenitale Erythrozyten, Sphärozytose, Elliptozytose, Sichelzellanämie – Erworbene Erythrozytopathien: autoimmunhämolytische Anämie, Parasitosen (Malaria) – Autoimmune Thrombozytopenie und Neutropenie 4 Sequestrierung normaler Blutzellen bei normaler Milz: – Portale Hypertension (Leberzirrhose, BuddChiari-Syndrom, Pfortaderthrombose) 4 Sequestrierung normaler Blutzellen bei Milzerkrankungen: – Makrophagendefekte: Banti-Syndrom, Histiozytosis, Speicherkrankheiten, Parasitosen (Kala-Azar) – Infiltrative Zustände: Leukämien, Lymphome, myeloide Metaplasie, chronische Infektionen (Tuberkulose, Bruzellose), Milzmetastasen – Vaskuläre Abnormitäten: Gefäßtumoren, Peliosis
41
868
Kapitel 41 · Milz
Die häufigste Ursache stellt die portale Hypertension im Rahmen einer Leberzirrhose oder Pfortaderthrombose dar (McCormick u. Murphy 2000). Bei portaler Hypertension muss eine Splenektomie allerdings vermieden werden, weil sie zu schweren Konsequenzen führen kann (Verschlechterung der Hypertension durch Unterbindung von spontanen portosystemischen Shunts oder Risiko einer Pfortaderthrombose).
41.4
Milzloser Zustand
41.4.1
Blutbildveränderungen
Im milzlosen Zustand zeigt das Blutbild im Langzeitverlauf nur diskrete Veränderungen. In der unmittelbaren Postsplenektomieperiode werden eine Leukozytose (normalerweise bis 25.000/mm3) sowie eine Thrombozytose (bis zu 1×106/mm3) festgestellt. Diese Veränderungen normalisieren sich in der Regel innerhalb 3 Wochen. Die chronischen Veränderungen im Blutbild beziehen sich auf die Erythrozytenmorphologie mit Anisozytose und Poikilozytose sowie auf das Vorhandensein von Howell-Jolly-Körpern, Heinz-Körpern und der basophilen Stippelung.
41.4.2
41
Immunologische Veränderungen
Zur optimalen Infektabwehr gegen pathogene Keime sind die Phagozytoseaktivität von Milzmakrophagen und die Opsonisationsfunktion notwendig. Im milzlosen Zustand entfallen diese Funktionen, und die Phagozytose pathogener Keime wird vornehmlich durch die Leber übernommen. Die konstante Blutzirkulation durch die Leber gestattet aber nur einen kurzfristigen Kontakt zwischen den Erregern mit den Makrophagen. Infektiöse Komplikationen (0,7–4,3%) beziehen sich vornehmlich auf die polysaccharidbekapselten Keime und können in jedem Alter und nach jedem Zeitintervall nach Splenektomie auftreten. Das Risiko dieser fulminanten Sepsis (»overwhelming postsplenectomy infection«, OPSI) ist besonders hoch während der ersten 3 Jahre nach Splenektomie und mit bis zu 4,5% in den ersten 5 Lebensjahren (Holdsworth u. Cuschieri 1994). Die OPSI kann in bis zu 50% tödlich verlaufen (Waghorn 2001).
41.4.3
von Streptococcus pneumoniae, einschließlich der 6 häufigsten Serotypen, die invasive, antibiotikaresistente Pneumokokkeninfektionen bei Erwachsenen und Kindern verursachen. Dieser 23-valente Impfstoff enthält 90% der Pneumokokkenstämme, die aus Blutproben isoliert wurden und mindestens 85%, die aus Proben von Körperstellen stammen, die im Allgemeinen steril sind. Nach Möglichkeit sollte mindestens 14 Tage vor elektiver Splenektomie geimpft werden. Aufgrund einer postoperativen regelhaft auftretenden Immunosuppression wird nach notfallmäßiger Splenektomie die Impfung erst nach 2 Wochen empfohlen. Eine Wiederholung der Immunisierung (»boost«) ist alle 10 Jahre indiziert. Trotz entsprechender Vakzination gegen die entsprechenden Serotypen sind fatale Pneumokokkeninfektionen beschrieben worden (Holdsworth u. Cuschieri 1994). Vakzine gegen Haemophilus influenzae und NeisseriaMeningitiden wurden in den letzten Jahren ebenfalls entwickelt und sollten insbesondere bei splenektomierten Kleinkindern angewendet werden. Da praktisch alle Pneumokokkenstämme gegen Penicillin sensibel sind, wurde auch über eine langzeitige antibiotische Prophylaxe mit Penicillin bei splenektomierten Individuen diskutiert. Eine routinemäßige Penicillinprophylaxe über eine längere Dauer als 2 Jahre kann derzeit auch für Kinder nicht empfohlen werden.
41.5
Diagnostik
41.5.1
Klinische Untersuchung
Die Untersuchung der Milz geschieht in rechter Seitenlage, wobei die linke Hand des Untersuchers durch Umfassen der linken Flanke eine möglicherweise vergrößerte Milz nach vorne zu verschieben versucht und die Palpation mit
Prophylaxe bei Milzverlust
Zur Vermeidung der lebensgefährlichen OPSI wird derzeit ein polyvalenter Pneumokokkenimpfstoff angeboten. Er besteht aus einer Mischung hochgereinigter Kapselpolysacharide der 23 häufigsten oder invasivsten Kapseltypen
. Abb. 41.5 Abdominaluntersuchung zur Milzpalpation
869 41.5 · Diagnostik
. Abb. 41.6 Oberbauchsonographie mit Darstellung einer subkapsulären Zyste, hervorgegangen aus einem subkapsulären Hämatom
. Abb. 41.7 Abdominelle Computertomographie der unter . Abb. 41.6 abgebildeten posttraumatischen Zyste
flacher rechter Hand von vorne durchgeführt wird (. Abb. 41.5). Der Untersucher steht dabei entweder vor oder hinter dem Patienten. Sehr große Milzen können bis in den Unterbauch und mit ihrem Unterpol sogar nach rechts über die Mediane hinaus tastbar sein. Bei sehr großer Milz kann man bei schlanken Patienten Einkerbungen – die sog. Crenae der Milz – palpieren. Auskultatorisch kann zuweilen ein atemsynchrones Reiben festgestellt werden, vor allem, wenn eine Perisplenitis (häufig Ausdruck eines Milzinfarktes) vorliegt. Nach Sturz, stumpfem Bauchtrauma oder bei penetrierenden Verletzungen können Patienten bei starker Blutung in die Bauchhöhle die Zeichen des Blutungsschockes aufweisen. In der Regel besteht dann ein Peritonismus mit
Abwehrspannung. Besonders in Kopftieflage kann sich ein Schulterschmerz infolge der diaphragmalen Reizung einstellen. Bei subkapsulärer oder tamponierter Blutung kann auch nur eine diskrete Symptomatik im linken Epigastrium vorliegen. Besonders bei Kontusionsmarken über der Milzloge oder bei Rippenfrakturen basal links ist eine strenge Beobachtung des Patienten angezeigt.
41.5.2
Bildgebende Verfahren
Als Standarduntersuchungsmethoden bei Milzerkrankungen stehen die Sonographie und die Schichtbildverfahren (CT, MRI) zur Verfügung (. Abb. 41.6 und . Abb. 41.7).
41
870
Kapitel 41 · Milz
Bei begründetem Verdacht auf eine frische Milzruptur führt die Ultraschalluntersuchung am einfachsten und schnellsten zum Ziel. Sie ist die geeignetste Modalität für die Grob- und Schnelldiagnostik, wenn parenchymatöse Verletzungen und insbesondere freie Flüssigkeit um die Milz herum festgestellt werden soll. Im Vergleich zur Sonographie ist die CT-Untersuchung sensitiver und spezifischer, aber aufwendiger und im Notfall bei hämodynamisch instabilen Patienten kontraindiziert. Die diagnostische Genauigkeit (»accuracy«) bezüglich Milzverletzungen beträgt 91%, Sensitivität und Spezifität liegen über 95%. Zystische und fokale Läsionen lassen sich mit der abdominellen Sonographie gut abgrenzen. Zur feinen Diagnostik allerdings eignen sich kontrastmittelverstärktes CT oder die Kernspintomographie besser. Eine bildgebende Funktionsdiagnostik der Milz kann mittels Szintigraphie mit 99mTechnetium-markierten und hitzedenaturierten Erythrozyten vorgenommen werden. Dabei lassen sich die Anreicherungen über der Milz und der Leber sowie die Extraktionsrate auf dem Blut messen.
41.6
Chirurgische Erkrankungen der Milz
41.6.1
Primäre Milzerkrankungen
Benigne Veränderungen
41
Die häufigste lokale benigne Erkrankung der Milz ist die Echinokokkuszyste. Aufgrund der portalvenösen Verbreitung der Parasiten mit bevorzugtem Befall der Leber wird die Milz nur bei 0,5–3,5% der erkrankten Individuen befallen (Wolf u. Lenner 1998). Für die Bildgebung typisch sind die deutlich ausgebildete Zystenwand und Septierungen des Zysteninhaltes. Die Echinokokkusserologie ist in der Regel diagnostisch. Sowohl milzerhaltende Eingriffe als auch die Splenektomie wurden für die Milzechinokokkose empfohlen (Abi et al. 1989; Narasimharao et al. 1987; Vara-Thorbeck et al. 1991; Culafic et al. 2010). Nichtparasitäre, blande Zysten kommen in allen Altersgruppen vor und werden in echte Zysten (ausgekleidet mit einer Epithelschicht) und falsche bzw. traumatische Zysten unterschieden. Traumatische Zysten entstehen in der Regel aus einem subkapsulären Hämatom, das sich in der Folge resorbiert. Die Symptomatik betrifft in der Regel Oberbauchschmerzen links bei großen, raumfordernden Zysten. Die Indikation zur Resektion ist erst bei Symptomen gegeben. Zysten mit einem Durchmesser von weniger als 4 cm sollten am besten sonographisch kontrolliert werden. Wird die Indikation zur Resektion gestellt, kommen vor allem milzerhaltende Operationsmethoden zum Einsatz. Einerseits kann die Zyste komplett unter Mitnahme eines Randsaumes von normalem Milzparenchym vorgenommen werden. Andererseits gibt es die Möglichkeit
der Milzdekapsulierung bzw. der partiellen Zystektomie. Hier wird nicht im normalen Milzparenchym präpariert, sondern gerade am Rande der Zyste (Touloukian u. Seashore 1987). Milzzysten können auch laparoskopisch mit den beiden genannten Resektionsverfahren entfernt werden. Die Anwendung von Klammernahtinstrumenten zur Parenchymdissektion wurde beschrieben (Uranus et al. 1994; Yavorski et al. 1998; Gianon et al. 2003). Das Hämangiom ist die häufigste benigne Neoplasie der Milz. Sie kommt solitär oder multipel vor und kann zur Spontanruptur Anlass geben. Die Behandlung ist in der Regel die Splenektomie. Lymphangiome sind weniger häufig als Hämangiome, können große Tumore bilden oder die ganze Milz durchsetzen (Morgenstern et al. 1992). Die Peliosis bezeichnet eigentlich keine neoplastische Läsion, sondern das Vorliegen von blutgefüllten Zysten über die ganze Milz, meistens im Rahmen einer Splenomegalie. Die Gefahr der Peliosis ist die spontane Ruptur mit intraperitonealer Hämorrhagie (Celebrezze et al. 1998). Hamartome stellen fokale Entwicklungsanomalien in einer sonst normalen Milz dar. Die Herde sind aus normalen zellulären Elementen aufgebaut, aber funktionell nicht organisiert. Makroskopisch sind es umschriebene, meist solitäre Knötchen. Hamartome werden lediglich in 0,17% der Splenektomiepräparate gefunden (Lam et al. 1999). Milzabszesse entstehen in der Regel hämatogen im Rahmen eines septischen Zustandes. Zu den benignen lokalen Veränderungen wird auch der Milzinfarkt gezählt, der meist nach arterieller Embolisation bei Herzkrankheiten, aber auch gelegentlich im Gefolge einer Milzvenenthrombose auftreten kann. Segmentale Infarkte werden bei massiver Splenomegalie unterschiedlicher Genese (Autosplenektomie) beobachtet. Die Splenektomie ist bei totalem Infarkt oder bei Superinfekt indiziert.
Maligne Erkrankungen Das Hämangiosarkom der Milz ist ein sehr seltener primärer Milztumor, der ein hohes Spontanrupturrisiko und eine sehr schlechte Prognose besitzt (Simanksi et al. 1986; Neuhauser et al. 2000). Das maligne fibröse Histiozytom, das primäre Plasmozytom der Milz sowie das Kaposi-Sarkom sind weitere sehr seltene maligne Milztumore. Milzmetastasen kommen in bis zu 7% der generalisierten Malignomerkrankung vor (Morgenstern u. Skandalakis 1985). Die Tumorerkrankungen, die am häufigsten zu Milzmetastasen führen, sind die Karzinome des Ovars (. Abb. 41.8), der Brustdrüse und der Lunge sowie das maligne Melanom. In Einzelfällen ist die Metastasierung auf die Milz beschränkt, sodass eine Splenektomie indiziert sein kann (Lee et al. 2000).
871 41.6 · Chirurgische Erkrankungen der Milz
. Abb. 41.8 CT-Bild einer solitären Milzmetastase nach Ovarialkarzinom bei einer 48-jährigen Patientin, behandelt durch Splenektomie
genannt) ist eine Synthesestörung des Hämoglobinproteins. Sie führt zu intrazellulärer Ausfällung von Hämoglobin und zur vorzeitigen Sequestration der Zellen. Der genetische Defekt kann im Bereich der Alpha-, Beta- oder Gammakette des Hämoglobins sitzen. Im Verlauf der homozygoten Form (Thalassaemia major) kommt es zur massiven Splenomegalie mit Hypersplenismus. Bei erhöhtem Transfusionsbedarf ist die Indikation zur Splenektomie gegeben. Sie sollte aber sehr streng gestellt werden, weil die Patienten zum einen ohnehin infektanfällig sind und zweitens die Gefahr einer Eisenüberladung im Sinne einer Transfusionshämochromatose mit Gefahr der Leberzirrhose beim splenektomierten Patienten besteht, weil die Milz als Eisenspeicher gegen die Hämochromatose schützt. Die heterozygote Form (Thalassaemia minor) verläuft meistens asymptomatisch, weshalb dort die Splenektomie nie indiziert ist. Sichelzellanämie Diese hereditäre hämolytische Anämie
41.6.2
Milzveränderungen bei hämatologischen Erkrankungen
Erythrozytäres System Hereditäre Sphärozytose (Kugelzellanämie) Diese hereditäre, autosomal-dominante Erkrankung führt dazu, dass die Erythrozyten in Folge eines Membrandefektes kugelförmig deformiert sind. Solche abnorme Erythrozyten werden in der Milz vermehrt phagozytiert, worauf eine Hämolyse mit Anämie, eine Hyperbilirubinämie und in ca. 30% der Fälle eine Cholezystolithiasis entsteht. Die Splenektomie ist die Therapie der Wahl und führt zur Normalisierung der Erythrozytenüberlebenszeit, hat aber keinen Einfluss auf die Erythrozytenform. Bei nachgewiesener Cholelithiasis sollte gleichzeitig bei diesen meist jüngeren Patienten eine Cholezystektomie erfolgen. Die Sphärozytose manifestiert sich schon im Kleinkindesalter. Die Splenektomie sollte jedoch wegen des erhöhten Infektionsrisikos bis nach dem 6. Lebensjahr aufgeschoben werden (Abdullah et al. 2009). Die Ovalozytose oder Eliptozytose ist eine der Sphärozytose ähnliche hereditäre Erkrankung. Hier ist die Splenektomie aber nur bei deutlicher Splenomegalie (lediglich 10% der Fälle) indiziert. Hämolytische Anämie durch Enzymdefekt Der Pyruvatkinasemangel führt zu einer erhöhten Sequestrationsrate von Erythrozyten in der Milz und somit zu Anämie. Ein ähnlicher Defekt ist der Glukose-6-Phosphatdehydrogenasemangel. Während die Splenektomie beim ersteren Defekt die Anämie verbessern kann, ist sie beim letzteren weniger erfolgreich. Thalassämie Die Ursache dieser autosomal-dominant ver-
erbten hämolytischen Anämie (auch Mittelmeer-Anämie
ist durch sichelartige Erythrozyten gekennzeichnet. Das normale Hämoglobin A ist durch ein Hämoglobin S ersetzt, das unter Sauerstoffeinwirkung kristallisieren kann und zur Deformierung der Erythrozyten Anlass gibt. Klinisch findet sich bereits im Kindesalter eine massive Splenomegalie (Alwabari et al. 2009). Charakteristisch für den Krankheitsverlauf sind progrediente Milzinfarzierungen, bedingt durch die massiv erhöhte Blutviskosität mit progredienter Milzfibrosierung und Funktionsverlust der Milz (Autosplenektomie). Autoimmunhämolytische Anämie Diese wird durch anti-
erythrozytäre Antikörper verursacht. Kälteantikörper führen zur intravasalen Hämolyse, weshalb in diesem Falle eine Splenektomie nutzlos ist. Dagegen fördern Wärmeantikörper eine Sequestration der Erythrozyten in der Milz und deswegen kann eine Splenektomie erfolgreich sein. Die Indikation dafür wird gestellt, wenn die Steroidtherapie wirkungslos ist oder wenn steroidinduzierte Komplikationen befürchtet werden müssen. Schwere aplastische Anämie Sie ist ein Zustand mit peri-
pherer Panzytopenie und einer Knochenmarksaplasie. Für Patienten unter 50 Jahren mit einer kurzen Krankheitsdauer stellt die Knochenmarkstransplantation die Therapie der Wahl dar. Patienten, die für diese Therapie nicht in Frage kommen, erhalten eine Immunsuppression mit Antilymphozytenglobulin. Die Splenektomie ist bei persistierendem hohem Transfusionsbedarf indiziert.
Thrombozytäres System Immunthrombozytopenische Purpura Diese chronische Purpura (M. Werlhof) ist eine Autoimmunerkrankung. Autoantikörper binden an Thrombozyten, die dann in der
41
872
Kapitel 41 · Milz
Milz vermehrt sequestriert werden. Die Milz ist dabei nicht vergrößert. Standardbehandlung dafür ist die Gabe von Steroiden, was bei ca. 80% der Patienten zur Remission führt. Bei Therapieversagen nach 6-wöchiger Behandlung ist die Splenektomie, in der Regel auf laparoskopischem Wege, angezeigt. Mit einer Teil- oder Vollremission der Thrombozytopenie ist in 87% der Fälle postoperativ zu rechnen (Beseoglu et al. 2005). Sonderformen der immunthrombozytopenischen Purpura ist die HIV-assoziierte Thrombozytopenie und diejenige im Rahmen des systemischen Lupus erythematodes (sog. Evans-Syndrom). Thrombotisch thrombozytopenische Purpura Dieses Syn-
drom führt zur Okklusion von Arteriolen und Kapillaren durch hyaline Membranen und letztlich zur Mikroangiopathie mit terminaler Niereninsuffizienz. Zusätzlich zur Purpura zeigen sich Anämie, Fieber und neurologische Ausfälle. Die Ätiologie dieser Erkrankung ist ungeklärt. Auslöser kann in einigen Fällen eine Schwangerschaft sein. Die Krankheit ist rasch progredient und kann durch intrazerebrale Blutungen zum Tode führen. Standardbehandlung sind die Gabe von Thrombozytenaggregationshemmern sowie die Plasmapherese. Der Wert von Steroiden und der Splenektomie ist fraglich.
Myeloproliferative Syndrome, Leukämien und Lymphome
41
Osteomyelofibrose Die idiopathische Osteomyelofibrose ist eine myeloproliferative Erkrankung, die zur Bindegewebsproliferation und letztlich zur Fibrose des Knochenmarks führt. Die entsprechende extramedulläre Blutbildung geschieht dann vor allem in Milz und Leber. Im Verlauf führt diese Krankheit daher zur massivsten Splenomegalie mit entsprechendem Hypersplenismus (. Abb. 41.9). Wegen obstruktiver hepatischer Fibrose kann sie auch durch eine portale Hypertension kompliziert sein. Die Indikation zur Splenektomie ist bei symptomatischer Milz (Kompressionserscheinungen umliegender Organe, Oberbauchschmerzen durch Milzinfarkte) oder bei Anämie und Thrombozytopenie gegeben (Böhner et al. 1996). Die Splenektomie bei Osteomyelofibrose ist risikoreich und zeigt in der Arbeit von Tefferi und Mitarbeiter eine Mortalität von 9% und eine Morbidität von 31% (Tefferi et al. 2000). Sekundäre Formen der Osteomyelofibrose treten nach lymphatischen und myeloischen proliferativen Erkrankungen auf. Chronisch myeloische Leukämie Diese myeloproliferative
Erkrankung verläuft phasenweise und zeigt in der chronischen Phase eine Leukozytose mit Linksverschiebung. Nach meist langjähriger chronischer Phase geht sie in eine akzelerierte, akute Phase über, die in einer akuten Leukämie in kurzer Zeit fatal endet. Eine Knochenmarkstrans-
. Abb. 41.9 Photographie aus dem Operationssaal: entnommene, 5 kg schwere Milz einer 62-jährigen Patientin mit Osteomyelofibrose und entsprechender abdominaler Verdrängungssymptomatik
plantation ist die Therapie der Wahl in dieser Situation. Früher wurde vor Transplantation eine Splenektomie durchgeführt mit dem Ziel, die in der Milz persistierenden leukämischen Zellen als Ausgangspunkt für ein Rezidiv zu eliminieren. Es wurde aber gezeigt, dass eine vorgängige Splenektomie auf das Überleben nach Knochenmarkstransplantation keinen Einfluss hat (Gratwohl et al. 1985; Mesa et al. 2000). In Einzelfällen jedoch ist die Splenektomie bei Kompressionssyndromen, Anämie und bei portaler Hypertension indiziert (Mesa et al. 2000). Lymphome Obwohl früher wegen des häufigen Milzbefalls im Rahmen des Hodgkin-Lymphoms eine StagingLaparotomie inkl. Splenektomie durchgeführt worden ist, ist dieses Vorgehen heute praktisch obsolet. Staging-Untersuchungen mit nichtinvasiven, bildgebenden Verfahren erlauben heute eine genaue Stadiumbestimmung der Krankheit. Die Staging-Laparotomie bleibt heute deshalb nur indiziert, wenn man bei Stadium I (mit geringem Risiko eines infradiaphragmalen Lymphknoten- und Milzbefalls) auf eine Chemotherapie verzichten möchte und eine alleinige Radiotherapie der supradiaphragmalen Tumorlokalisation plant. Die Splenektomie bei Patienten mit Non-Hodgkin-Lymphom wird entweder aus diagnosti-
873 41.7 · Milzverletzungen
schen oder therapeutischen Gründen empfohlen. Hypersplenismus und autoimmunohämolytische Anämie sind seltene therapeutische Indikationen (Xiros et al. 2000). Haarzellleukämie Diese Leukämie ist eine proliferative
Erkrankung der B-Lymphozyten und führt oft zu massiver Splenomegalie mit Hypersplenismus. Die Therapie der Wahl ist die parenterale Gabe von Interferon-α und die Indikation zur Splenektomie wird nur bei Therapieversagen, bei Verdrängungserscheinungen, Schmerzen oder bei Hypersplenismus gestellt (Golomb u. Vardiman 1983). Chronisch lymphatische Leukämie Diese Krankheit gehört zu den niedrigmalignen Non-Hodgkin-Lymphomen und wird in der Regel mit alleiniger Chemotherapie behandelt. Die Splenektomie ist bei symptomatischer großer Milz mit Hypersplenismus gegeben und führt in über 70% zur Besserung von Thrombozytopenie und Anämie (Neal et al.1992).
41.6.3
Andere Affektionen
Die folgenden Erkrankungen können zur symptomatischen Splenomegalie und Hypersplenismus führen und deshalb Indikationen zur Splenektomie darstellen. Beim M. Gaucher handelt es sich um eine abnorme Speicherung bzw. Retention von Glykolipiden und Zerebrosiden in den Zellen des RES (Cox et al. 2008). Die Porphyria erythropoietica entspricht einer rezessiv vererbten Erkrankung mit abnormer Einlagerung von Porphyrinen im Milzgewebe. Das Felty-Syndrom stellt eine Autoimmunerkrankung dar mit Antikörperbildung gegen Zellkerne neutrophiler Granulozyten. Klinisch finden sich eine rheumatoide Arthritis, eine Splenomegalie und eine Neutropenie, die durch Anämie und Thrombozytopenie kompliziert werden kann. Die Splenektomie bessert die Neutropenie, die Arthritis wird allerdings dadurch nicht beeinflusst. Etwa 25% der Patienten mit Sarkoidose zeigen eine Splenomegalie und ca. 5% einen Hypersplenismus. Spontane Rupturen sehr großer Sarkoidosemilzen sind beschrieben worden. Milzarterienaneurysma Etwa 60% der viszeralen Aneurys-
men betreffen die Milzarterie, 20% die A. hepatica, 8% die A. mesenteria superior und je 4% die Aa. coeliaca gastricae und andere (Williams et al. 1994; Al-Habbal et al. 2010). In der Angiographie werden Aneurysmen der A. lienalis zwischen 0,8 und 4% gefunden (Williams et al. 1994). Das Milzarterienaneurysma entsteht auf dem Boden einer Arteriosklerose, eines kongenitalen Wanddefekts, in den letzten Schwangerschaftsmonaten oder embolisch-mykotisch bei einer Endokarditis. Es wird gehäuft bei portaler
Hypertension mit Splenomegalie angetroffen. Die Ruptur (2–10% Risiko) präsentiert sich unter dem Bild des akuten Abdomens mit oder ohne Zeichen des hypovolämischen Schocks. Die Blutung erfolgt meist in die Bursa omentalis und kann durch Tamponade zunächst sistieren. Ein Durchbruch in die freie Bauchhöhle oder in ein Hohlorgan ist aber die Regel. Die rupturbedingte Mortalität wird in der Literatur zwischen 25 und 75% angegeben (Williams et al. 1994). Milzarterienaneurysmen werden meist als Zufallsbefunde oder erst bei der Ruptur entdeckt (Al-Habbal et al. 2010).
41.7
Milzverletzungen
41.7.1
Traumatische Milzruptur
Beim stumpfen Bauchtrauma ist die Milz das am häufigsten verletzte Organ (Staib et al. 2004). Der Verletzungsgrad an der Milz wird nach dem »Organ Injury Scale« der amerikanischen Gesellschaft der Traumatologen in 4 Schweregrade klassifiziert (Moore et al. 1995). Beim hämodynamisch stabilen Patienten mit Milzruptur aufgrund eines abdominellen Monotraumas ist ein konservatives Vorgehen zu wählen, vorausgesetzt, es bestehen keine Gerinnungsstörung und die Möglichkeit einer lückenlosen Kreislaufüberwachung. Etwa 64% der pädiatrischen und 24% der erwachsenen Verletzten mit stumpfem Bauchtrauma erweisen sich als hämodynamisch stabil und qualifizieren für die nicht operative Behandlung (Trunkey et al. 1997). In einer Metaanalyse über insgesamt 60 Publikationen erwies sich die konservative Behandlung der Milzruptur bei Kindern in 96% und bei Erwachsenen in 86% als erfolgreich. Bluttransfusionen waren in beiden Gruppen bei einem Drittel der Patienten notwendig (Trunkey et al. 1997). Ein theoretisches Risiko der konservativen Behandlung stellt das Verpassen weiterer abdomineller Verletzungen (z. B. Dünndarmperforation) dar. Dies traf aber nur für 4 von insgesamt 2000 Patienten mit Milzruptur zu (Johnson u. Shatney 1986; Cogbill et al. 1989; Cosentino et al. 1990; Oller et al. 1991). Das Risiko einer zweizeitigen Organruptur nach konservativer Behandlung der Milzverletzung beträgt in allen publizierten Serien weniger als 1% (Trunkey et al. 1997). Für die Behandlung wird eine 48- bis 72-stündige Überwachung auf einer Intensivstation inkl. Bettruhe empfohlen, gefolgt von einer stationären Behandlung während 5–10 Tagen (Esposito u. Gamelli 1997). Die Dauer der Einschränkung körperlicher Aktivität sollte individuell auf den Patienten und den Schweregrad der Milzverletzung abgestimmt werden. Hämodynamisch instabile Patienten mit Hämatoperitoneum müssen unverzüglich der Laparotomie zugeführt werden. Nach Möglichkeit – und v. a. bei jungen Individuen – ist das verletzte Organ zu präservieren.
41
874
Kapitel 41 · Milz
Derzeit stehen verschiedene operative Methoden zur Blutstillung an der Milz zur Verfügung: Übernähung mit komprimierenden Parenchymumstechungen, Argon-Koagulation, Infrarotdiathermie, Applikation von Gelfoam, oxidierter Zellulose, Kollagen und Fibrinkleber. Eine weitere Möglichkeit ist der sog. Meshrepair, bei dem die verletzte Milz in ein resorbierbares Netz eingehüllt und tamponiert wird. Tiefer reichende Verletzungen in den Polbereichen eignen sich zur Milzresektion, die sich an die segmentale Durchblutung des Organs orientieren (7 Abschn. 41.8.3). 41.7.2
Spontane Milzruptur
Verschiedene Krankheiten, die zur Splenomegalie führen, können zur spontanen Ruptur des Organs führen. Die Krankheitsursache ist in ca. 93% der Fälle identifizierbar (Renzulli et al. 2009). Dazu gehören die Mononucleosis infectiosa, akute und chronische Leukämien, hämolytische Anämie, Polycythaemia vera und Infektionskrankheiten, insbesondere die Malaria (Yagmur et al. 2000). Auch die pathologisch veränderte, rupturierte Milz eignet sich bei hämodynamisch stabilen Patienten für die nichtoperative Behandlung (Guth et al. 1996). 41.7.3
Iatrogene Verletzung
Abdominelle Eingriffe (Exploration des Abdomens, Mobilisation der linken Kolonflexur, Magen-, Pankreas- und Nierenoperationen) können zu iatrogenen oder akzidentellen Verletzungen der Milz führen. Häufig ist es Zug an Verwachsungen mit der Organkapsel oder den Aufhängebändern, der zu Kapselrissen führt. Eine sorgfältige Operationstechnik kann solche Situationen verhindern helfen. Die Milz kann auch anlässlich einer Koloskopie traumatisiert werden (Pfefferkorn et al. 2007; Stauch et al. 2010).
41
! Cave ! Vorsicht ist geboten beim Legen von Thoraxdrains. Die zu kaudal eingebrachte Thoraxdrainage oder der auf korrekter Höhe (d. h. 4. ICR; Mamillenhöhe) eingelegte Schlauch nach Organverlagerung bei linksseitiger Zwerchfellruptur sind vermeidbare iatrogene Verletzungen.
41.8
Milzchirurgie
41.8.1
Offene Splenektomie
Der Eingriff geschieht in Rückenlage mit leicht angehobener linker Seite. Als Inzisionen bieten sich die mediane Laparotomie oder der Subkostalschnitt links an.
. Abb. 41.10 Verlagerung der Milz unter Mobilisation des Pankreasschwanzes und -korpus
Operationstechnik Bei der notfallmäßigen Entfernung
einer stark blutenden, rupturierten Milz sollte versucht werden, das mit Tüchern tamponierte Organ zusammen mit dem relativ leicht mobilisierbaren Pankreasschwanz auf Bauchdeckenhöhe zu mobilisieren (. Abb. 41.10). Der Blutverlust lässt sich etwas verringern, wenn man zwischen Zeige- und Mittelfinger der linken Hand die A. lienalis im Pankreasschwanzbereich oder deren erste Aufzweigungen komprimiert. Dann können die Beziehungen zwischen Milz, Spitze des Pankreasschwanzes und Magen überblickt und die Klemmen ohne Verletzung dieser Nachbarorgane gesetzt werden. Bei der elektiven Splenektomie beginnt man mit der Durchtrennung des Lig. splenocolicum. Mit der rechten Hand werden Größe, Beschaffenheit und Adhärenz der Milz insbesondere zum Zwerchfell untersucht. Die präliminäre Ligatur der oft großkalibrigen A. lienalis am Pankreasoberrand realisiert man nach Eröffnen der Bursa omentalis nach Spalten des Lig. gastrocolicum oder durch Eingehen durch das in der Regel transparentere Omentum minus (. Abb. 41.11). ! Cave ! Die Unterbindung der A. lienalis nahe am Abgang am Truncus coeliacus sollte wegen möglicher Verwechslung mit der A. hepatica communis und möglicher Mangeldurchblutung im Bereich von Pankreaskorpus und -schwanz vermieden werden.
Die arterielle Ligatur verringert augenblicklich das Milzvolumen, wodurch man besonders bei sehr großen Milzen wesentlich an Übersicht gewinnt. Die Kapselspannung lässt nach und damit auch die Verletzbarkeit des Organs,
875 41.8 · Milzchirurgie
. Abb. 41.11 Präliminäre Ligatur der A. lienalis am Pankreasoberrand nach Eröffnen der Bursa omentalis
das sich nun leichter aus seinem Lager luxieren lässt. Der Blutverlust während der Präparation verringert sich und die Sequestration hört auf. Deshalb sollten – wo nötig – zu diesem Zeitpunkt Thrombozyten transfundiert werden. Mit der linken Hand wird das Organ so weit nach vorne und medial gezogen, dass das weitgehend avaskuläre Gewebe im Bereich des Lig. splenorenale angespannt und mit der Schere im Abstand von ca. 1–2 cm zur Milzkonvexität durchtrennt werden kann (. Abb. 41.12). Nach Spalten der den ventralen Milzhilus bedeckenden Serosa lassen sich die Hilusgefäße zwischen Klemmen – evtl. in mehreren Schichten – durchtrennen und ligieren (. Abb. 41.13). Auch hier sollte die zuweilen sehr engen Beziehungen zu den Nachbarorganen beachtet werden. Eine etwaige Verletzung des Pankreasschwanzes wird an dieser Stelle mit atraumatischen Durchstechungsnähten unter präziser Blutstillung vorgenommen. Eine Verletzung von Magenfundus im Bereich der Gastricae-breves-Gefäße wird durch Einstülpen der Naht der Magenwand an jener Stelle versorgt (. Abb. 41.14). Nach Nebenmilzen, die meist im Hilusbereich gelegen sind, ist möglichst frühzeitig im Verlauf einer elektiven Splenektomie zu suchen. Am Schluss der Operation können sie u. U. im blutig imbibierten Operationsgebiet nur noch schwer ausfindig gemacht werden. Der Eingriff ist erst nach perfekter Kontrolle der Hämostase abgeschlossen. Wegen möglicher aszendierender bakterieller Infektion sollte der subphrenische Raum nach Splenektomie routinemäßig nicht oder nur kurzzeitig (<24 h) drainiert werden. Die einzige Indikation
. Abb. 41.12 Scharfes Durchtrennen des Lig. phrenicolienale und des Lig. splenorenale
. Abb. 41.13 Durchtrennung des Lig. gastrolienale mit Unterbindung der Aa. und Vv. gastricae breves
41
876
Kapitel 41 · Milz
Verfahren. Die weitaus häufigste und geeignetste Indikation zur LS ist die idiopathische thrombozytopenische Purpura, weil bei dieser Krankheit keine Splenomegalie besteht (Delaitre et al. 2000; Park et al. 2000).
. Abb. 41.14 Definitive Versorgung der Milzhilusgefäße, bevor das Organ vom Pankreasschwanz abgetrennt wird
für ein länger liegendes Drain ist der Zustand nach Übernähung einer Verletzung am Pankreasschwanz.
41.8.2
Laparoskopische Splenektomie
Die erste erfolgreiche Splenektomie auf laparoskopischem Weg wurde von Delaitre u. Maignien (1991) beschrieben. Ähnlich den anderen laparoskopischen Eingriffen im Oberbauch dürfte die minimalinvasive Splenektomie zu einer schnelleren postoperativen Erholung und zu weniger respiratorischen Komplikationen führen (Kathkouda u. Mavor 2000; Sharma u. Shukla 2009; Pattenden et al. 2010).
41
Indikationsstellung Prinzipiell ergeben sich für die laparoskopische Splenektomie (LS) die gleichen Indikationen wie zum offenen Verfahren, außer beim stumpfen Bauchtrauma und gewissen Malignomen. Bei Milzgewichten über 1 kg steigt die Konversionsrate zum offenen Verfahren dramatisch (Berman et al. 1999; Mahon u. Rhodes 2003). Die massive Splenektomie per se ist keine Kontraindikation für das laparoskopische Verfahren und wurde erst durch die Anwendung des Handports überhaupt möglich (Hellman et al. 2000; Smith et al. 2004; Walsh et al. 2004). Kontraindikationen für die LS sind die erhebliche kardiopulmonale Komorbidität und die Leberzirrhose mit portaler Hypertension. Vorangegangene Eingriffe im Oberbauch sind relative Kontraindikationen zum laparoskopischen
Operationstechnik Wir bevorzugen eine 60°-Halbseitenlage unter Anhebung der Flanke des Patienten, damit mehr Aktionsraum zwischen dem linken Rippenbogen und der Beckenschaufel geschaffen wird. Das Kippen des Operationstisches in die Anti-Trendelburg-Position verbessert die laparoskopische Sicht. Normalerweise sind insgesamt 4 Trokare nötig, 3 davon entlang des Rippenbogens und der Optiktrokar supraumbilikal bzw. im linken Mittelbauch. Die Dissektion geschieht in 5 Schritten: 4 Durchtrennen der Gastricae-breves-Gefäße (. Abb. 41.15a) 4 Durchtrennen des Lig. splenocolicum 4 Nach Möglichkeit präliminäres Clippen der A. lienalis (. Abb. 41.15b) 4 Ligatur bzw. Clippen der unteren Polgefäße 4 Kontrolle der Hilusgefäße (entweder mit Clip oder mit Gefäß-Endo-GIA; . Abb. 41.15c) 4 Ablösen der Milz von ihrer Aufhängung am Diaphragma 4 Verbringen des Organes in einen genügend großen Bergebeutel (. Abb. 41.15d) 4 Erweiterung einer Mini-Inzision und Morcellieren der Milz im Bergebeutel
Der Einsatz eines intrakorporal krümmbaren 5-mmHakens erleichtert die Präsentation des Organs und die Durchtrennung der Hilusgefäße. Der Gebrauch des Ultraschalldissektors (Ultracision, Ethicon) erleichtert dabei die Dissektion und ermöglicht in der Regel ein bluttrockenes Operationsfeld. Das so ausgelöste Organ kann entweder in einen Bergebeutel gebracht, zerkleinert und durch eine Miniinzision entfernt werden, andererseits – besonders bei Splenomegalie oder wenn aus diagnostischen Gründen das Organ intakt bleiben muss – durch die Inzision im Mittel- bzw. Unterbauch im Bereich des Handports entfernt werden. Ergebnisse Es existieren keine prospektiven Studien, die
die LS gegen die offenen Splenektomie vergleichen. Der Vergleich geschieht retrospektiv gegenüber einem historischen Kontrollkollektiv oder mit rezenten offen chirurgischen operierten Fällen (Diaz et al. 1997) mit entsprechendem Selektionsbias. Bei hämatologischer Indikation zur Splenektomie ist der therapeutische Erfolg in beiden Gruppen gleich (Farah et al. 1997). Dagegen ist der postoperative Verlauf in der laparoskopischen Gruppe besser, weil weniger Schmerzen, weniger Komplikationen und ein rascherer Nahrungsaufbau sowie ein kürzerer stationärer
877 41.9 · Komplikationen der Milzchirurgie
a
b
c
d
. Abb. 41.15a–d Laparoskopische Splenektomie. a Durchtrennen des Ligamentum gastrolienale und der Vasa breves mit der Ultradissektionsschere. b Präliminäres Clippen der A. lienalis oder von Polarterien. c Durchtrennen der Hilusgefäße mit einem vaskulären
Klammernahtinstrument. d Verbringen des Organs in einen Bergebeutel zwecks späterem Morcellement und zur Extraktion nach extrakorporal
Aufenthalt vorhanden sind (Domini et al. 1999; Targaronna et al. 1999; Velanovich u. Shurafa 2001). In einer Sammelstatistik mit über 450 Patienten mit LS lag die intraoperative Konversionsrate zwischen 3,7 und 19%; der Transfusionsbedarf durchschnittlich bei 7,4% der Patienten. Die Morbidität betrug 8% und die Mortalität 0,7% (Kathkouda u. Mavor 2000).
1988; Bar-Maor 1993; Kehila et al. 1994; Bader-Meunier et al. 2001). Generell erhalten die Patienten 2 Wochen präoperativ (sofern nicht unter hohen Steroiddosen oder Chemotherapie) eine Pneumokokkenimmunisierung.
41.8.3
Milzresektionen
Die segmentale Gefäßversorgung ermöglicht Resektionen an der Milz und somit die Organerhaltung bei Milzverletzungen und benignen Erkrankungen. Die Milzresektion wurde erstmals durch Campos-Christo aus Brasilien bei 8 Patienten mit Milzruptur vorgenommen (Campos-Christo 1962). Indikationen zu den organerhaltenden Resektionen sind das Trauma, benigne Zysten, Sphärozytose, Thalassaemia major und der M. Gaucher (Sagar u. McMahon
Operationstechnik Die Operationstechnik besteht in der
Dissektion der Hilusgefäße, einer präliminären, selektiven Arterienligatur, gefolgt von einer atraumatischen Mobilisation des Organs. Nach Demarkation der entsprechenden Segmente erfolgt die Parenchymdurchtrennung entweder stumpf digital, mit dem Ultraschalldissektor, einem Wasserstrahldissektor (Rau et al. 2001) oder mit Klammernahtapparaten (. Abb. 41.16).
41.9
Komplikationen der Milzchirurgie
Morbidität und Mortalität nach Splenektomie sind prinzipiell von der Grundkrankheit abhängig. Sie werden auch
41
878
Kapitel 41 · Milz
a
b
41 c . Abb. 41.16a–c a Milzresektion: Parenchymdurchtrennung entlang der segmentalen Durchblutungsgrenze. b Selektive Blutstillung mittels Applikation von Titanclips und von feinen Umstechungsligaturen an der Resektionsfläche. c Intraoperativer Situs nach kranialer Hemisplenektomie bei einer Echinokokkuszyste
vom Milzgewicht beeinflusst. Die Entfernung von Milzen, die schwerer als 2 kg sind, führt signifikant häufiger zu Komplikationen als bei leichteren Organen (Horowitz et al. 1996). Schlüsselt man die Indikation zur Splenektomie auf, so führen benigne Indikationen viel seltener zu postoperativen Komplikationen im Vergleich zu malignen bzw. myeloproliferativen Grunderkrankung (Ruiz-Arguelles et al. 1998). Diesen Unterschied haben wir auch am eigenen Patientengut (Steinmann 2006) beobachten können, wo Morbidität und Mortalität bei myeloproliferativen Erkrankungen und Lymphomen am häufigsten auftraten (. Tab. 41.1). Erhöhte Morbidität und v.a. die postoperative Mortalität waren mit der malignen Grunddiagnose und dem Milzgewicht klar korreliert (. Tab. 41.2). Die Literaturübersicht über 10 Serien ergibt eine Komplikationsrate nach Splenektomie zwischen 3,2 und 52% sowie eine Mortalität zwischen 1,2 und 9%. Unter den myeloproliferativen Erkrankungen zeigt die Splenektomie nach Osteomyelofibrose das höchste peri- und postoperative Risiko mit Komplikationsraten zwischen 31 und 50% und einer Mortalität zwischen 9 und 21% (Arnoletti et al. 1999; Tefferi et al. 1999). Die häufigsten Komplikationen nach Splenektomie betreffen das Respirationssystem mit Atelektasenbildung, Pleuraergüssen und Pneumonien mit einem Risiko zwischen 7 und 13% (Ellison u. Fabri 1983). Die häufigste lokal-chirurgische Komplikation betrifft die Nachblutung (3% Risiko) sowie die Ausbildung eines subphrenischen Abszesses in 4–8% der Fälle (Horowitz et al. 1996; MacRae et al. 1992). Dies resultiert in einer Relaparotomierate zwischen 4 und 5%. Wundkomplikationen betreffen Hämatombildung, Serome und subkutane Infektionen (3–6%, bei Patienten mit Steroidmedikation steigt das Risiko von Komplikationen auf 11% (Jockovich et al. 1994). Thromboembolische Komplikationen sind gehäuft bei myeloproliferativen Erkrankungen und beim Hypersplenismus und betreffen 2–11% der Patienten (Ellison u. Fabri 1983, van’t Riet et al. 2000). Besonders gefürchtet ist die Thrombose einer großlumigen Vena lienalis, die sich unter Umständen auf die Pfortader ausbreiten kann (Chaffanjon et al. 1998; Ikeda et al. 2007; Mohamed et al. 2010). In einer Untersuchung über 60 konsekutiven Splenektomien aus hämatologischer Indikation wurden mittels Dopplersonographie 1,6% symptomatische und 6,7% asymptomatische Milzvenenthrombosen gefunden. Für diese Komplikation waren bei den meisten Patienten die drei Risikofaktoren Thrombozytose, myeloproliferative Grunderkrankung und sehr große Milz vorhanden (Tefferi et al. 2000). Bei dieser Risikokonstellation empfiehlt sich deshalb eine peri- und postoperative Antikoagulation der Patienten. Die Ausbildung eines postoperativen Ileus und die Dünndarmobstruktion nach Splenektomie wird in 1–10% der Fälle mit einer Reoperationsrate zwischen 2 und 7%
879 41.10 · Literatur
. Tab. 41.1 Komplikationen nach Splenektomie aus hämatologischen Gründen (Universitätsklinik Basel 1984–2000) Indikationen
n
Morbidität (%)
Mortalität (%)
Myeloproliferative Erkrankungen
44
32
2
Lymphome
59
41
1
Anämien
39
18
0
Thrombozytopenien
19
6
0
Andere (Lupus erythematodes, Sarkoidose, Mononukleose, Gammopathie)
10
30
0
Alle
171
28,6
1,8
. Tab. 41.2 Morbidität in Abhängigkeit der Grunddiagnose und des Milzgewichtes (Universitätsklinik Basel 1984–2000) Diagnosegruppen
n
Milzgewicht (g) ±Std
Morbidität (%)
Mortalität (%)
Maligne hämatologische Erkrankungen
44
1233±1168
25%
2,9%
Benigne Krankheit
59
257±245
14
0
gesehen (Jockovich et al. 1994). Nebst postoperativ bedingter Adhäsionen kann auch die Splenose zur intestinalen Obstruktion führen (Sirinek et al. 1984). Unter einer Splenose versteht man die Autotransplantation von Milzgewebe nach einem Milztrauma. Die versprengten Milzzellen siedeln sich häufig in der Abdominalhöhle oder seltener, bei gleichzeitiger linksseitiger Zwerchfellruptur, im Pleuraraum an (Buchino 1998). Mit der Einführung der laparoskopischen Splenektomie scheint sich die postoperative Pneumoniehäufigkeit zu reduzieren. Als einzige respiratorische Veränderungen werden Atelektasenbildung und Pleuraerguss in bis zum 4% beschrieben (Phillips et al. 1997). Postoperatives Fieber nach Splenektomie tritt in 4–8% der Fälle auf (Horowitz et al. 1996; MacRae et al. 1992) und wird durch Leukozyten-agglutinierende Antikörper verursacht. Dieses Fieber ist selbstlimitierend und vorübergehend (Ellison u. Fabri 1983).
41.10
Literatur
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41
42
Chirurgie des großen Netzes D. Liebermann-Meffert
42.1
Chirurgische Anatomie und Physiologie
– 884
42.2
Erkrankungen des Omentum
42.2.1 42.2.2
Klinische Symptomatologie – 886 Operative Strategie: was tun? – 886
42.3
Chirurgische Anwendung des gesunden Omentum
42.3.1 42.3.2 42.3.3
Indikationsstellung: Wundversorgung und Rekonstruktion – 886 Omentum als Gewebeersatz: chirurgische Technik – 886 Omentum als Volumenersatz, technische Hinweise, Beispiele – 888
42.4
Prognose und Empfehlungen: rasche Wundheilung
42.5
Literatur
– 885
– 886
– 888
– 889
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_42, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
884
Kapitel 42 · Chirurgie des großen Netzes
Das Omentum majus, die viszerale mesenteriale »Gewebeschürze« des Abdomen erhielt in den letzten Jahren Bedeutung für die chirurgische Behandlung komplizierter Wunden in- und außerhalb des Abdomen. Die Indikation betrifft die Verwendung des gesunden Omentum zur Deckung kritischer Anastomosen, zur Rekonstruktion komplexer intraund extraperitonealer Wunden und avaskulärer Defekte sowie die seltenen Erkrankungen des großen Netzes. Für die oft schwer kranken Patienten in schlechtem Allgemeinzustand ist die zeitsparende Technik und komplikationsarme Versorgung durch das Omentum von Vorteil und Ausweg. Neuerdings erhält das Omentum zunehmende Beachtung wegen seines Zellinhaltes, der beim »tissue engineering« und der Stammzellenforschung verwendet wird.
42.1
Chirurgische Anatomie und Physiologie
Gewebearchitektur Das Omentum besteht aus einem Ge-
rüst kollagener, elastischer und retikulärer Fasern, die Trabekel bilden. Diese führen Blut- und Lymphgefäße und sind von Fettwülsten umgeben. Zwischen den Strängen liegen feine, durchsichtige und dehnbare Membranen aus von Mesothel überzogenem faserigem Bindegewebe (. Abb. 42.1).
Das Omentum beginnt an der großen Kurvatur des Magens, zieht kaudalwärts um nach 2–5 cm mit der Hinterwand an dem anterioren Peritoneum des Colon transversum anzuhaften. Dieser Abschnitt bildet das Ligamentum gastrocolicum, die vordere Begrenzung der Bursa omentalis. In Kontinuität liegen nach rechts das Ligamentum hepatocolicum, nach links das Ligamentum gastrolienale. Weiter aboral reichend hängt das Omentum frei wie eine Schürze – oft bis zur Symphyse – auf den Schlingen des Dünndarms. Form, Ausdehnung, Fettgehalt und Volumen der Omentumschürze sind variabel. Die Gefäßversorgung teilt das Omentum entsprechend der . Abb. 42.2 mit der viel reicheren des Magens. Rechte und linke A. gastroepiploica erhalten Blut aus dem Truncus coeliacus: die linke Arterie über die A. lienalis, die rechte Arterie über die A. gastroduodenalis. Nach meinen Untersuchungen erhält letztere zusätzlich auch eine bemerkenswerte Blutversorgung aus der A. mesenterica superior (Liebermann-Meffert et al. 1992). Beide Aa. epiploicae folgen mäanderförmig der großen Kurvatur des Magens in Distanzen zwischen 0,5 cm bis zu 4 cm (LiebermannMeffert u. White 1983). 10–15 cm links der Mitte der großen Kurvatur anastomosieren sie entweder außerhalb (. Abb.
42
. Abb. 42.1 Gewebestrukturen des Omentum. (Aus LiebermannMeffert u. White 1983)
. Abb. 42.2 Beispiel für arterielle Gefäßversorgung des Omentum aus einer durchgehenden gastroepiploischen Arkade. Intraaortale Post-mortem-in-situ-Injektion von Barium-Gelatine. (Aus LiebermannMeffert u. White 1983)
885 42.2 · Erkrankungen des Omentum
42.2, Pfeil), oder um ein Viertel weniger häufig, in der Magenwand. Die gastroepiploische Arkade entsendet 4–8 Vasa epiploicae, deren feine Gefäße bevorzugt in der Peripherie anastomosieren. Zahlreiche mikroskopisch feine Gefäßknäuel in Form eines Rete mirabile mit Verbindungen zwischen Arteriolen und Venolen existieren im gesamten Bereich der Membranen. Marginale Arkaden (Barkow) sind selten und ohne Bedeutung für chirurgische Belange. Der Gefäßverlauf ist variabel (Beispiel: . Abb. 42.2). Der venöse Abfluss erfolgt parallel mit den Arterien durch die Vv. epiploicae und Vv. gastroepiploicae über die V. mesenterica superior rechts und die V. lienalis links in die V. portae. Die omentalen Lymphbahnen beginnen (. Abb. 42.1) als sackförmige Auftreibungen im Zentrum der arteriovenösen Gefäßknäuel. Sie liegen unter dem einschichtigen und mit Interzellularspalten versehenen Peritonealüberzug, das bedeutet, mit offenem Zugang zur Bauchhöhle (Liebermann-Meffert u. White 1983; Skandalakis et al. 2004). Die Lymphe gelangt in die großen Abflussgebiete des Magens. Biophysiologie, Zellbiologie und Immunreaktion Die einschichtige Endothelwand der Gefäßknäuel besitzt als Besonderheit intrazelluläre Fensterungen (Interzellulärspalten), die als Transportweg von Lipiden, Lipoproteinen u. a. zwischen Gefäßlumen und umgebendem Gewebe gelten. In den Gefäßknäuel lagern Cluster immunologisch aktiver T- und B-Lymphozyten, Makrophagen bzw. Zellen des retikulohistiozytären und leukozytären Systems. Diese Strukturen, die als lymphoretikuläre Organe (LRO), »omentum
associated lymphoid tissue« (OALT) oder »Ranvier’s milky spots« bezeichnet werden (Beelen 1991; Liebermann-Meffert u. White 1983; Shimotsuma et al. 1989), sind Grundlage für das außergewöhnliche Funktionsverhalten des Omentum. Bemerkenswert sind auch das Verhalten der Omentumlymphozyten und Makrophagen, die Entzündungs- oder onkologisch bedingte Angiogenese (»polypeptid growth factors«), Bildung von Gewebefaktoren wie Wachstumsfaktoren, hämostatische Faktoren, Stimulatoren zur Fibrinund Fibrinogenbildung und Dopamin bzw. Neurotransmitter (Beelen 1991; Goldsmith 1990; Liebermann-Meffert 2000; Shilov et al. 1995; Zhang et al. 1997) sowie die Umprogrammierung von omentalen Mesenterialzellen (LRO) zu Stammzellen (Litbarg et al. 2011; Yokoo et al. 2008). Aufgrund des Potenzials zur Bildung von Adhäsionen, Neovaskularisation und Hämostase sowie der Fähigkeit zur zellulären Phagozytose und Immunreaktion übernimmt das große Netz nach einer Gewebeverletzung bzw. Entzündung praktisch sofort die Aufgaben der Infektionsabwehr in der Bauchhöhle und der Heilung nach Auflegen auf ein evtl. infiziertes Wundbett oder auf durch Röntgenbestrahlung geschädigtes Gewebe (Goldsmith 1990; LiebermannMeffert 2000; Logmans 1996; Shilov et al. 1995).
42.2
Erkrankungen des Omentum
Primäre Erkrankungen des Omentum sind selten. Häufiger sind Schäden durch pathologische Prozesse, die im
. Tab. 42.1 Beispiele für primäre und sekundäre Omentumerkrankungen Erkrankung
Ursache
Agenesie, Aplasie
Kongenitale Missbildung
Lücke mit Hernia transomentalis
Kongenital oder sekundär nach stumpfem Bauchtrauma oder Stichverletzung
Hernien (innere und äußere)
Omentum in Mesenterialfurchen (z. B. unter Treitzschem Band, im Foramen Winslowi, Lücken im Diaphragma). Omentum in Bruchpforte, Bruchsack (z. B. umbilikal, inguinal, Narbe)
Verletzungen
Bauchtrauma, Stichverletzung, chirurgischer Eingriff
Adhäsionen
Entzündung im Bauchraum, Operationen an Viszera, Omentumverletzung, Fremdkörper (z. B. Talkum an Handschuhen), Omentitis
Torsion
Primär selten, sekundär infolge Netzadhäsionen
Infarkt
Bei primärem Infarkt unbekannt, sekundär durch regionale Ischämie, Netztorquierung
Omentitis
Bakterielle Infektion, Perforation von Bauch- oder Beckenviszera, spezifische Veränderungen (z. B. Tbc, Geschlechtskrankheiten, Parasiten, M. Boeck), Fremdkörper (z. B. Puder, Kontrastmittel, Nahtmaterial)
Zysten
Kongenital (z. B. Lymphzyste), sekundär (z. B. Trauma, Parasiten)
Benigne Tumoren
Umschriebene gutartige Vermehrung omentalen Gewebes (z. B. Lipom, Fibrom, Angiomyolipom, Mesotheliom)
Maligne Tumoren
Bösartiges Wachstum omentalen Gewebes (z. B. Liposarkom, Fibrosarkom, Mesotheliom). Metastasen extraomental lokalisierter bösartiger Tumoren (z. B. Magen, Ovar, Kolon)
42
886
Kapitel 42 · Chirurgie des großen Netzes
Abdomen ablaufen (. Tab. 42.1; Liebermann-Meffert u. White 1983, pp 103–185; Skandalakis et al. 2004).
42.2.1
Klinische Symptomatologie
Symptome und klinisches Bild entsprechen dem des subakuten oder akuten Abdomens. Laborwerte und Befunde klinischer Untersuchungen sind unspezifisch. Die Diagnose ist schwierig, denn es gibt keine organspezifische Zeichen. Häufig sind Fehldiagnosen wie Appendizitis, Salpingitis, Perforation oder »unklarer Bauch«. Chirurgisch interveniert werden muss bei Verdacht auf Blutungen im Netz, Ileus infolge Netzadhäsionen, Netztorquierung, Infarkten, Inkarzeration in Bruchlücken, Netznekrosen, einer zur Peritonitis führenden Omentitis, Netzabszessen oder parasitärem Befall.
42.2.2
Operative Strategie: was tun?
Das Vorgehen folgt etablierten Prinzipien: Adhäsionen soweit notwendig lösen, Hernien reponieren, Kompressionsschäden exzidieren, Bruchpforten ebenso wie Netzdefekte nach Resektion kleinerer Infarkte, gutartiger Nekroseherde, Tumoren oder Zysten unter sorgfältiger Erhaltung der epiploischen Gefäße verschließen. Hier reicht in der Regel eine partielle Resektion von Omentumgewebe. Multiple Echinococcuszysten, Aktinomykose, Netztorsion (cave ausgedehnte Nekrose durch Gefäßschaden!) sowie maligne Tumoren des Omentum oder Malignome des Magens und Ovars erfordern eine Omentektomie mit Mobilisation vom Querkolon und Abtrennung der gastroepiploischen Gefäßarkade zwischen Milzhilus und Pylorus (Liebermann-Meffert u. White 1983, pp 103ff).
42
42.3
Chirurgische Anwendung des gesunden Omentum
42.3.1
Indikationsstellung: Wundversorgung und Rekonstruktion
Aufgrund seiner anatomischen und biophysiologischen Eigenschaften dient das Omentum mit Vorteil der Versorgung prekärer Wunden, in heiklen Situationen zur Rekonstruktion und wenn gängige Methoden wegen des schlechten Allgemeinzustandes des Patienten nicht praktikabel sind. Wir betrachten es auch als »Ultima ratio« für Tumorpatienten und in Notfällen. Beispiele sind u. a. 4 Deckung flächenhafter Defekte von Organen (Viszera und Haut) 4 Präventive Abdeckung risikoreicher Anastomosen
4 Präventive Abschirmung des Darmes: Schutz vor Schädigung von Gefäßen durch Röntgenstrahlen 4 Versorgung für ischämisches, durch Bestrahlung bereits geschädigten Gewebes 4 Volumenersatz für ausgedehnte, infektionsgefährdete Resthöhlen 4 Verbesserung schlechter Blutversorgung durch rasche Angiogenese
42.3.2
Omentum als Gewebeersatz: chirurgische Technik
Die Verwendung des Omentum erfordert folgende Schritte 4 Radikale Darstellung des Defektes (Débridement) am Ort der krankhaften Veränderung nach chirurgischen Kriterien 4 Deckung des Defektes mit gestieltem oder freiem Omentum 4 »Skin grafts« direkt oder sekundär nach Omentumtransposition auf Wunde befestigen Zugang Das Omentum wird durch einen medianen oder
pararektalen Oberbauchschnitt freigelegt. Der Eingriff erfolgt auch laparoskopisch (Kamei et al. 1998; Reade et al. 2003; Saltz et al. 1993), was die Gewinnung eines Omentumlappens vereinfacht. Damit entfällt die risikoreiche »offene Laparotomie«, oft ein Argument der plastischen Chirurgen gegen den Gebrauch des Omentum. Deshalb wird die Omentumverlagerung heute fachüberschreitend meist als Teamwork mit den Viszeralchirurgen durchgeführt. Mobilisation des Omentum Die freie Netzschürze wird hochgehoben und das Omentum sorgfältig begutachtet. Sodann wird die dorsale Haftung am Colon transversum, d. h. die avaskuläre embryonale Verschmelzung über beide Flexuren hinaus, schichtgerecht mobilisiert, was oft stumpf möglich ist (. Abb. 42.3); sofern die Appendices epiploicae des Kolon nicht verletzt werden, kommt es zu keiner Blutung. Verfahrenswahl, Planung Volumen, Plastizität und das besondere Gefäßnetz des Omentum eignen sich optimal für die Deckung ausgedehnter Flächen. Reicht die natürliche Länge nicht, so wird operativ das Omentum gespalten und aus ihm – unter Wahrung der Gefäßversorgung – Lappen gebildet. Solche gefäßgestielte und transponierte Omentumlappen können im Abdomen und Thorax appliziert und ebenso problemlos an die Körperoberfläche verlagert und pexiert werden (Arnold et al. 1996; Goldsmith 1990; Hultman et al. 2002; LiebermannMeffert u. White 1983).
887 42.3 · Chirurgische Anwendung des gesunden Omentum
Dabei entweder pylorusnah oder am Milzhilus den gastroepiploischen Gefäßstiel der Arkade erhalten (. Abb. 42.4). Das Gefäß am jeweils entgegengesetzten Ende der Arkade identifizieren und sorgfältig ligieren. Wegen der größeren Länge und Dicke des Gefäßes ist der Gefäßstiel der rechten Seite zur Transposition geeigneter als der auf der linken Seite. Hinzukommt, dass die rechte Arterie mehr epiploische Gefäße besitzt als die linke. Liegt der Versorgungsort jedoch im linken Abdomen, ist wegen der größeren Nähe zum Defektort der linke Gefäßstiel vorzuziehen (. Abb. 42.5). Gefäßstiel nie völlig skelettieren, weil er ohne stabilisierendes Gewebe verletzlich wird. Störungen der Durchblutung der großen Kurvatur des Magens sind bei korrekter Technik nicht zu erwarten, da die Gefäßversorgung der gesamten Magenwand weitgehend über die A. gastrica sinistra gesichert wird. Weitere innere Verlängerungen wurden vorgeschlagen (Goldsmith 1990; Liebermann-Meffert u. White 1983).
a
Verlagerung des Omentumlappens Welchen Omentumb . Abb. 42.3 Mobilisation des Omentum vom Colon transversum in der avaskulären Schicht außerhalb der Appendices epiploicae (Pfeil). (Aus Liebermann-Meffert u. White 1983)
Lappenbildung und Abtrennen des Omentum vom Magen
Die Gefäßarchitektur wird erneut begutachtet. Sehr fettreiche Omenta, die hinsichtlich ihrer Gefäßversorgung schwierig zu beurteilen sind, können im Zweifelsfalle durch Doppler-Untersuchung intraoperativ kontrolliert werden. Danach wird das Omentum von rechts – oder von links – unter schrittweiser (!) Ligatur der gastroepiploischen Magenäste entlang der Wand der großen Kurvatur abgetrennt.
a
lappen, welche Technik man wählt und wie ausgedehnt innere Spaltungen nötig sind (Goldsmith 1990), hängt von der Lage und Größe des Defektes ab. Wir unterscheiden wie folgt: 4 Einfache Pexie: Der Defekt ist in unmittelbarer Nähe der Omentumschürze (z. B. Leber, Magen) ohne Zug erreichbar: Omentopexie direkt durchführen. Eventuell kann jedoch eine innere Netzspaltung mit Lösung vom Querkolon von Vorteil sein. 4 Transposition am Gefäßstiel: Der Defekt ist in größerer Distanz vom Omentum (z. B. Beckenboden, Thorax, außerhalb des Abdomen) und nicht oder nur unter Zug erreichbar: Lösen vom Querkolon und Omentum unter Erhaltung der Blutversorgung an einem der beiden Gefäßstiele vom Magen trennen (. Abb. 42.4).
b
. Abb. 42.4 Beispiele für Stielung und Verlängerung des Omentum, gebraucht für die Transposition. (Aus Liebermann-Meffert u. White 1983)
42
888
Kapitel 42 · Chirurgie des großen Netzes
a
b
. Abb. 42.5a,b Tamponade des Präsakralraumes nach Exenteration. (Aus Liebermann-Meffert u. White 1983)
4 Freier Transfer mit Anastomose am Gefäßstiel: Der
Defekt kann nur extraperitoneal durch freie Transplantation erreicht werden (z. B. Kopf, Unterschenkel): Lappenstiel durchtrennen und Mikroanastomose der Vasae gastroepiploicae mit geeigneten Gefäßen im Defektbereich anlegen.
42.3.3
42
Omentum als Volumenersatz, technische Hinweise, Beispiele
die Infektions- und Reoperationsrate deutlich (Fujiwara 2003; Liebermann-Meffert u. White 1983; LiebermannMeffert u. Rist 1989; Samson et al. 1994). Da die Dünndarmschlingen außerhalb des postoperativen Bestrahlungsfeldes verbleiben, kann man mit dieser Strategie eine höhere Strahlendosis anwenden, als die für den vorgefallenen Dünndarm normalerweise erlaubte Strahlendosis von 45 Gy (Logmans et al. 1994). Das gleiche trifft für die Komplikationen der radikal-abdominellen Hysterektomie zu (Patsner u. Hackett 1997).
Abdomen und Sakralhöhle
Extraperitoneale Wunden und Defekte
Der Omentumlappen eignet sich zum Ausfüllen großer Resthöhlen im Leberparenchym nach Ausräumung parasitärer, entzündlicher und kongenitaler Zysten oder Abszessen, zur Deckung von Defekten nach Trauma und Tumorresektion und für die Tamponade kleiner Höhlen im Pankreas nach Entfernung von Pseudozysten. Bewährt hat sich das Netz zur Abdeckung problematischer gastroduodenaler Anastomosen, zum Absichern der Naht perforierter Ulzera des Magens oder Duodenum, sowie um Infektionen durch aortoduodenale oder vesikovaginorektale Fisteln zu begrenzen und die Fistelung zur Heilung zu bringen. In der Tumorchirurgie wird nach Resektion des Colon sigmoideum meist links (. Abb. 42.5), bei abdominoperinealer Rektumamputation und Débridement das Omentum vorzugsweise rechts gestielt und durch innere Teilung verlängert. Danach wird der Lappen retrokolisch auf kürzestem Weg in die Sakralhöhle verlagert. Abknicken des Omentumstiels kann durch Mobilisieren der Flexura lienalis (Stielung links) und der Flexura hepatica (Stielung rechts) vermieden werden. Diese »Netzplombe« verringert
Nach dem gleichen Prinzip wird das Netz zur Deckung intrathorakaler Rupturen oder Anastomosen bei Ösophagustumoren gebraucht (Liebermann-Meffert u. Siewert 1991; Ohwada et al. 2000), zur Behandlung der tiefen Sternomediastinitis und vaskulären Infektion nach Herz- und Lungenoperationen, postoperativen Fistelungen der Bronchialstümpfe (Hultman et al. 2002; Liebermann-Meffert u. Siewert 1991; Maiwald et al. 1999; Shrager et al. 2003; Yasuura et al. 1998) oder neuraler Schäden (Goldsmith 2007). Für die zahlreichen Indikationen und Techniken weiterer Bereiche wird auf die fachbezogene Literatur verwiesen.
42.4
Prognose und Empfehlungen: rasche Wundheilung
Durch Volumen und Plastizität besitzt der Omentumlappen nicht nur den Vorteil, große Oberflächen versorgen zu können, sondern auch ein großes Heilungspotenzial
889 42.5 · Literatur
(Beelen 1991; Shilov et al. 1995; Zhang et al. 1997). Hierher gehört , dass es sich um autologes Ersatzmaterial handelt. Gewinnung und Handhabung sind einfach. Bei sorgfältiger Handhabung des Omentum ist die Komplikationsrate niedrig (Goldsmith 1990; Hultman et al. 2002; Liebermann-Meffert u. White 1983; Ohwada et al.2000; Shrager 2003). Das Transponat wird durch lockere Nähte oder Fibrinkleber auf der defekten Unterlage fixiert, haftet rasch auf dem »rauen« Wundbett, bildet Adhäsionen und Gefäßeinsprossungen. Geschmeidigkeit behält das Omentum auch an der Körperoberfläche. Primäres Decken des Netzes mit Spalthaut verhindert das Austrocknen und verringert damit die Retraktion und Sklerose im Transponat. Mit Erfolg werden auch »composite grafts« wie Omentum mit Muskellappen oder Omentum mit Knochen kombiniert (Arnold et al. 1996; Hultman et al. 2003; Stamatis et al. 1994). > Zur Vermeidung postoperativer Komplikationen hat sich bewährt: Omentum nie traumatisieren, dies bedeutet: Gewebe nicht komprimieren, nicht torquieren, bei Durchzug durch eine Tunnelierung mit Plastikbeutel vor Verletzung schützen, Zug vermeiden, Gefäße nicht knicken, Integrität der Gefäßbogen beachten und kleinste Blutungsherde ligieren (cave: Massenligatur vermeiden). Omentumgewebe vertragen Austrocknung schlecht; daher während der Operation durch nasse Tücher oder in Plastikbeuteln feucht halten. Kontraindikationen Mängel am Omentum, wie zu kleines
Netz, Gefäßanomalien, extreme Verwachsungen, Tuberkulose, Peritonealkarzinose und Metastasen maligner Tumoren verbieten die Transposition. Präoperative Aufklärung Der Patient mit Malignom muss um die eindeutige Verbesserung seiner Lebensqualität durch die Versorgung des Wundbettes mit Netz wissen, aber auch, dass eine Heilung der Grundkrankheit durch das Omentum nicht möglich ist.
42.5
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42
890
Kapitel 42 · Chirurgie des großen Netzes
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42
43
Hernien J. Conze, K. Junge, U. Klinge, C.R. Krones, R. Rosch, V. Schumpelick
43.1
Grundlagen
– 892
43.1.1 43.1.2 43.1.3
Epidemiologie – 892 Pathophysiologie – 893 Klassifikation – 894
43.2
Klinische Symptomatologie und Diagnostik
43.2.1 43.2.2 43.2.3
Anamnese – 897 Klinische Untersuchung – 897 Differenzialdiagnostik – 897
43.3
Therapieziele und Verfahrenswahl
43.3.1 43.3.2
Leistenhernien – 898 Narbenhernien – 900
43.4
Biomaterialien
43.4.1 43.4.2 43.4.3
Anforderungen – 901 Materialien – 901 Netzkomplikationen – 902
43.5
Anästhesie
43.5.1 43.5.2 43.5.3
Lokalanästhesie – 905 Peridural- und Spinalanästhesie Intubationsnarkose – 905
43.6
Operationstechnik
43.6.1 43.6.2
Leistenhernienreparation – 905 Narbenhernienreparation – 910
43.7
Intra-/postoperative Komplikationen
43.7.1 43.7.2
Leistenhernien – 914 Bauchwandhernien – 915
43.8
Ergebnisse und Prognose
43.8.1 43.8.2
Leistenhernien – 916 Narbenhernien – 917
43.9
Literatur
– 897
– 898
– 900
– 905 – 905
– 905
– 914
– 916
– 918
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_43, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
892
Kapitel 43 · Hernien
43.1
Grundlagen
43.1.1
Epidemiologie R. Rosch
Die allgemeine Inzidenz von Bauchwandhernien liegt bei etwa 2–4% der Bevölkerung mit einer ansteigenden Häufigkeit im höheren Lebensalter. Insgesamt handelt es sich zumeist um äußere Hernien (95%). Neben selteneren Hernienentitäten sind die Leisten- und die Narbenhernien am häufigsten.
Leistenhernie Mit einem Anteil von 10–15% aller chirurgischen Eingriffe und ca. 20 Millionen Eingriffen weltweit pro Jahr stellen Leistenhernien eine der häufigsten operationspflichtigen Erkrankungen des Menschen dar. Im Jahre 1997 wurden in Deutschland ca. 220.000 Leistenhernienreparationen durchgeführt. Die häufigste Manifestation liegt im Kindesund Jugendalter sowie im höheren Lebensalter (>40 Jahre). 25% aller Männer und 2% aller Frauen bekommen während ihres Lebens eine Leistenhernie, ein bilaterales Auftreten ist hierbei insgesamt in ca. 15% der Fälle zu erwarten (Condon u. Carilli 1994). Bei Kindern treten 90% der Hernien beim männlichen Geschlecht auf, möglicherweise in Verbindung mit dem Descensus testis. Bei unreifen Frühgeborenen liegt die Inzidenz mit ca. 30% deutlich höher. Beidseitige Hernien kommen mit 10% bei beiden Geschlechtern in etwa gleich häufig vor.
Rezidiv- und Narbenhernien
43
Narbenbrüche zählen mit einer kumulativen Inzidenz von etwa 10–20% zu den häufigen Hernienentitäten. Bei einer Anzahl von etwa 700.000 Laparotomien pro Jahr in Deutschland ist von mindestens 70.000 Narbenhernien pro Jahr auszugehen. Die klinische Manifestation einer Narbenhernie erfolgt in der Mehrzahl erst nach mehr als einem Jahr (Mudge u. Hughes 1985). Rezidivnarbenhernien sind je nach eingesetzter Reparationstechnik in bis zu 50% der Patienten zu erwarten. Dabei zeigt die kumulierte Inzidenz einen über mehr als eine Dekade weitgehend linearen Verlauf (Flum et al. 2003). Von Narbenbrüchen abzugrenzen ist der Platzbauch. Dabei handelt es sich um eine Wundruptur ohne peritoneale Auskleidung, die postoperativ eine Inzidenz von ca. 1% aufweist (Schumpelick 2000). In der Regel geht dieser mit einer Wundrandnekrose infolge eines Infektes einher. Unklar ist bislang, ob die Leistenbruch-Rezidive lediglich eine Sonderform der Narbenhernie darstellen. Ihr Anteil an der Gesamtzahl der Leistenhernienoperationen ist mit ca. 15% seit Jahren weitgehend konstant (Bay-Nielsen et al. 20001; Haapaniemi et al. 2001). Die Altersverteilung
. Abb. 43.1 Alters- und Geschlechterverteilung bei der Rezidivleistenhernie (Hospital Episode Statistics England 1995/1996)
. Abb. 43.2 Intervall bis zum Auftreten eines Leistenhernienrezidivs (Qualitätssicherung Sachsen: Leistenhernien 1999)
verhält sich hierbei ähnlich der bei der primären Leistenhernie (. Abb. 43.1). Wie bei der Bauchwandnarbenhernie manifestieren sich die Rezidivhernien mit erheblichem Abstand zur initialen Operation, 2/3 mit einem Intervall von >3 Jahren (. Abb. 43.2). Wie für das Narbenhernienrezidiv ist auch für das Leistenhernienrezidiv ein linearer Inzidenzanstieg im Zeitverlauf beschrieben, mit einem noch steileren Verlauf bei Patienten mit Re-Rezidiven (Haapaniemi et al. 2001). Patienten mit direkten oder rezidivierenden Leistenbrüchen haben hierbei neben einem erhöhten Risiko für das Auftreten postoperativer Komplikationen auch ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Re-Rezidivs (Kald et al. 1998).
Sonstige Hernien Die Häufigkeitsverteilung primärer Hernien ist . Tab. 43.1 zu entnehmen. Schenkelhernien haben einen Anteil von 10% an allen primären Hernien und treten im Verhältnis 1:4 vornehmlich bei Frauen auf. Allerdings ist auch bei der Frau die Leistenhernie absolut häufiger als die Schenkelhernie, wobei es sich hierbei zumeist um indirekte Leistenhernien handelt. Wie bei der Leisten- und Schenkelhernie
893 43.1 · Grundlagen
43.1.2
Pathophysiologie
. Tab. 43.1 Häufigkeit primärer Hernien (Schumpelick 2000) Hernientyp
Häufigkeit/ Anteil
Geschlechterverteilung (m/w)
Leistenhernien
80%
4–8:1
Schenkelhernien
10%
1:4
Nabelhernien
5%
1:9
Epigastrische Hernien
5%
3:1
Spieghel-Hernie
Circa 1000
3:4
Lumbale Hernie
<400
Supravesikale Hernie
Keine Angabe
Hernia ischiadica
<100
Hernia perinealis
Keine Angabe
Hernia lumbalis
Circa 300
Hernia obturatoria
0,07%
1:6
entstehen auch die anderen primären Hernien im Bereich präformierter Schwachstellen vornehmlich im Bereich der Linea alba (epigastrische Hernie), der Linea semilunaris (Spieghel-Hernie) und des Nabels (Umbilikalhernie). Insgesamt sind diese Hernien mit einem Gesamtanteil von 10% selten, am häufigsten handelt es sich um epigastrische und umbilikale Hernien (Anteil jeweils ca. 5%). Weitere seltene primäre Bruchformen sind die Hernia obturatoria, Hernia ischiadica, Hernia lumbalis und die Hernia perinealis, die zumeist nur in Kasuistiken beschrieben worden sind. > Von den Bauchwandhernien abzugrenzen ist die Rektusdiastase mit breiter Dehiszenz der Linea alba ohne eigentliche Bruchpforte oder die Bauchdeckenrelaxation als Folge eines z. B. Lumbalschnittes und Schädigung der Muskelinnervation.
Sozioökonomische Bedeutung Die Relevanz ökonomischer Aspekte in der Leistenhernienchirurgie ergibt sich in erster Linie aus der hohen Hernieninzidenz. Die zunehmend geforderte Kostenersparnis wird seit den 80er-Jahren vornehmlich durch die kurzzeitstationäre und ambulante Operationen realisiert. Für Dänemark wurde im Rahmen einer landesweiten Qualitätssicherung im Zeitraum von 1998–2000 der Anteil an tageschirurgischen Hernienoperationen mit 59% beziffert (Bay-Nielsen et al. 2001). Für die Narbenhernien werden allein die stationären Behandlungskosten in Deutschland pro Jahr auf ca. 128 Millionen Euro geschätzt. Noch nicht eingerechnet sind hierbei zusätzliche Folgekosten durch ambulante Nachbetreuung, Arbeitsunfähigkeit, Rehabilitationsmaßnahmen oder Berentungen.
R. Rosch Leistenhernie Verschiedene Aspekte der Anatomie wurden für die Entstehung von Leisten- und Schenkelhernien verantwortlich gemacht, wie ein persistenter Processus vaginalis oder die unterschiedliche Beckenanatomie zwischen Mann und Frau. Eine weitere häufig genannte Ursache für die Entstehung von Hernien ist der erhöhte intraabdominelle Druck, der in Zusammenhang mit der Adipositas, chronischem Husten, Prostatahyperplasie oder Obstipation gesehen wird (Condon u. Carilli 1994). All diese Erklärungsversuche konnten jedoch bislang nicht durch klinische Studien belegt werden; auch Untersuchungen im Tiermodell ergaben keine Assoziation zwischen erhöhtem intraabdominellem Druck und der Entwicklung von Hernien. > In den letzten Jahren wird zunehmend von primären oder sekundären Bindegewebsstörungen in der Pathogenese primärer Hernien ausgegangen.
Für verschiedene Bindegewebskrankheiten mit Störung des Kollagenmetabolismus, wie beispielsweise EhlersDanlos-, Marfan-Syndrom oder der Osteogenesis imperfecta, konnte ein Zusammenhang mit dem Auftreten von Bauchwandhernien und insbesondere von Leistenhernien gezeigt werden. Für Gefäßaneurysmen konnte eine Assoziation mit dem Auftreten von (Leisten-)Hernien gezeigt werden. Schließlich stellt auch für die Varikosis eine überdurchschnittliche Komorbidität bei Patienten mit Leistenhernien dar. Bereits im Jahre 1970 wurde über eine altersunabhängige Ausdünnung der Rektusscheide bei Patienten mit Leistenhernien berichtet. Zusätzlich wurde eine Assoziation bilateraler Hernien mit ausgeprägter Fasziendystrophie im Vergleich zu unilateralen Hernien beobachtet. Fibroblasten der vorderen Rektusscheide von Patienten mit Leistenhernien wiesen eine Reduktion der Proliferationsrate und des Prolineinbaus sowie eine defekte Hydroxylierung des Kollagens mit irregulärer Kollagenfibrillenstruktur auf. Untersuchungen zur Biomechanik der Fascia tranversalis zeigten bei Patienten mit Leistenhernien eine erhöhte Elastizität und Dehnbarkeit, die mit Veränderungen der Kollagenzusammensetzung und -struktur, insbesondere einer Verschiebung des Kollagen-Typ-I/Typ-III-Quotienten vergesellschaftet ist. Eine ähnliche Erniedrigung des Kollagen-I/III-Quotienten fand sich auch im Gewebe von Leistenhernienpatienten. Das komplexe und dynamische System der Extrazellulärmatrix ist einem steten Umbau unterworfen. So ist eine exogene Beeinflussbarkeit neben einer individuellen Prädisposition grundsätzlich anzunehmen. Bei Rauchern mit direkten und indirekten Leistenhernien
43
894
Kapitel 43 · Hernien
wurde beispielsweise ein Ungleichgewicht zwischen Proteasen und Antiproteasen im Blut nachgewiesen, was möglicherweise für deren veränderte Zusammensetzung der Extrazellulärmatrix verantwortlich ist.
Nabelhernie Bei kindlichen Nabelhernien entsteht die Bruchlücke am Anulus umbilicalis nach der Obliteration der Nabelschnurgefäße. In 98% der Fälle schließt sich diese Lücke in den ersten Lebensjahren spontan und ist als physiologisch zu betrachten. Im Gegensatz hierzu entsteht die Nabelhernie im Erwachsenenalter zumeist als paraumbilikale Hernie neben dem Nabelpfeiler und zeigt keinerlei spontane Regressionstendenz. Als begünstigende Faktoren für die Entwicklung einer Nabelhernie werden Übergewicht, eine Leberzirrhose bzw. Aszites genannt, häufig ist die Nabelhernie mit einer Rektusdiastase kombiniert. Obwohl hinsichtlich der Pathologie der Nabelhernie der Nachweis für eine Störung im Kollagenstoffwechsel noch nicht erbracht ist, so legen doch die Assoziation mit angeborenen Kollagenstoffwechselstörungen einen ähnlichen ursächlichem Zusammenhang wie bei der Leistenhernie nahe.
Rezidiv- und Narbenhernien In der Pathogenese von Narbenhernien und von Hernienrezidiven sind einerseits exogene und technische Aspekte von endogenen, patientenbezogenen Risikofaktoren zu unterscheiden.
43
Technische Faktoren Zu den technischen Aspekten zählt insbesondere der Laparotomieverschluss selbst: In verschiedenen Studien zeigte sich eine signifikante Beeinflussung der Narbenhernieninzidenz durch das Nahtmaterial und der verwendeten Nahttechnik (Hodgson et al. 2000; Hoer et al. 2001; Rucinski et al. 2001). Nach den in der Literatur vorhandenen Metaanalysen, weisen sowohl fortlaufende Nähte mit nichtresorbierbarem monofilem Material wie auch fortlaufende Nähte mit langzeitresorbierbarem Material die geringsten Narbenhernieninzidenzen auf (Rucinski et al. 2001). Hinsichtlich der exakten chirurgischen Technik zur Vermeidung von Narbenhernien zeigte sich ein prophylaktischer Effekt bei einem Verhältnis von Nahtlänge zur Wundlänge von 4:1 (Hoer et al. 2001). Obwohl die Ergebnisse von Metaanalysen bezüglich der Frage fortlaufende Nahttechnik versus Einzelknopfnaht uneinheitlich sind, sprechen experimentelle Untersuchungen für einen Verschluss der Laparotomie mit einer fortlaufenden, Langzeit-resorbierbaren Naht (Hoer et al. 2001, 2002). Einen weiteren technischen Einflussfaktor stellt der Chirurg selbst dar. Allerdings stehen Berichten, wonach die Spezialisierung auf die Hernienchirurgie mit einer Verringerung der Rezidivraten einhergeht, Untersuchungen gegenüber, die keine Beeinflussung der Leis-
tenhernienrezidivrate durch die Erfahrung des Operateurs zeigten (Sorensen et al. 2002). Zusammenfassend muss man folgern, dass die richtige Technik mit steigender Expertise die Ergebnisse in der Hernienchirurgie zwar verbessern, andererseits jedoch keine sichere Garantie für die Prävention von Rezidivhernien darstellt, und somit auch bei bester Technik Rezidivhernien nicht sicher verhindert werden können. Patientenbezogene Faktoren Für Leistenhernienrezidive
konnte eine erhöhte Inzidenz bei positiver Familienanamnese nachgewiesen werden (Jansen et al. 2009). Insgesamt sprechen auch die verzögerte Latenz für die Ausbildung von Rezidivhernien, die hohen Rezidivraten, das Auftreten von Rezidiven trotz Netzimplantation und die Altersstruktur für patientenbezogene, biologische Ursachen in der Pathogenese der Narbenhernien und von Hernienrezidiven. Grundsätzlich zählen v. a. Faktoren, die die Wundheilung und eine ausreichende Narbenbildung beeinträchtigen, zu den Auslösern der Narben- und Rezidivhernienentstehung. Zu nennen sind wiederum angeborene oder erworbene Bindegewebserkrankungen (Kortikosteroide, Erkrankungen des Kollagenstoffwechsels, Patienten mit Aneurysmata, Wundinfektionen, Serome). Bezüglich des Leistenhernienrezidivs ist Rauchen als wichtiger Risikofaktor beschrieben (Sorensen et al. 2002). Die Entstehung von Narbenhernien- und Rezidivhernien ist somit nicht allein Folge eines technischen Fehlers sondern im Zusammenhang mit einer komplexen Beeinträchtigung der Wundheilung zu sehen. Analog zu den primären Hernien müssen Störungen des Kollagenmetabolismus auch für die Entstehung der Narbenhernien und der Rezidivhernien verantwortlich gemacht werden. Dies wurde in eigenen Untersuchungen zur Narbenhernie und zum Leisten- und Narbenhernienrezidiv bestätigt. Dabei zeigte sich sowohl auf Protein- als auch auf RNA-Ebene eine Erniedrigung des Kollagen-Typ-I/Typ-III-Quotienten (Jansen et al. 2004; Junge et al. 2004).
43.1.3
Klassifikation K. Junge
Eine einheitliche Klassifikation ist sowohl für die Narben-, als auch die Leistenhernie erforderlich, um die Reproduzierbarkeit und Vergleichbarkeit klinischer Studien zu gewährleisten. Grundlage ist die Erkenntnis, dass die einzelnen Bruchformen ein durchaus unterschiedliches Risikoprofil für das Entstehen eines Rezidivbruches aufweisen. Nur eine eindeutige Einteilung der differenten Bruchformen erlaubt die kritische Analyse des Outcome in Abhängigkeit von unterschiedlichen operativen Versorgungen. So
43
895 43.1 · Grundlagen
hat eine große mediale Leistenhernie im Durchschnitt ein – verfahrensunabhängig – mehr als 5-fach höheres Rezidivrisiko als eine kleine laterale Leistenhernie. Prinzipiell sollte jede Klassifikation eine möglichst einfache und klare Einteilung besitzen, um in der klinischen Routine Anwendung zu finden. Jede Kategorisierung sollte vom Operateur schnell und sicher durchführbar sein, um eine möglichst suffiziente Erfassung aller Hernienreparationen zu ermöglichen. Kritisch anzumerken bleibt, dass die bisherigen Klassifikationen vorwiegend deskriptiv die lokalen, anatomischen pathophysiologischen Begebenheiten (Lokalisation, Größe) differenzieren, bekannte systemische Begleitfaktoren für das Auftreten eines Rezidivs (z. B. Alter, Geschlecht, Vorerkrankungen) jedoch nicht berücksichtigt werden. Eine derartig umfassende, prognostisch relevante Klassifikation ist allerdings Grundvoraussetzung für eine individuelle patientenbezogene Verfahrenswahl.
. Tab. 43.2 Aachener Klassifikation der Inguinalhernien Lokalisation der Bruchpforte
Größe der Bruchpforte Referenzgröße (1,5 cm)
L
Lateral = indirekte Leistenhernie
M
Medial = direkte Leistenhernie
F
Femoral = Schenkelhernie
C oder ML
Kombinierte Hernien
Rx
Rezidivhernie, Anzahl Voroperationen
I
<1,5 cm
II
1,5–3,0 cm
III
>3,0 cm
Offen
Querdurchmesser Zeigefingerkuppe
Laparoskopisch
Brachenlänge der Endoskopieschere
Leisten-/Femoralhernie Die Klassifikation von Hernien in der Inguinalregion sollte alle Hernientypen erfassen und zudem bei den klassischen offenen, als auch bei den laparoskopischen Reparationstechniken gleichermaßen anwendbar sein. In der Literatur finden sich unterschiedlichste Klassifikationen. Dies mag daran liegen, dass nicht jeder Vorschlag alle Hernientypen erfasst, die Größe der Bruchpforte nicht durch Messung quantifiziert wurde oder die Einteilung für die klinische Routine zu kompliziert war. Die wohl gebräuchlichste Klassifikation wurde 1993 von Nyhus vorgestellt (Nyhus 1993). Als Klassifikationskriterien gelten die Größe der Bruchpforte und der Zustand der Hinterwand des Leistenkanals. 4 Als Typ 1 werden indirekte Leistenhernien mit unauffälligem, innerem Leistenring (kindliche Hernien) beschrieben. 4 Der Typ 2 zeichnet sich durch eine indirekte Hernie mit zusätzlicher Erweiterung des inneren Leistenrings aus. 4 Hauptkriterium für den Typ 3 ist ein Defekt der Hinterwand des Leistenkanals, wobei direkte und indirekte Hernien mit einer Erweiterung des inneren Leistenrings, Schwächen und Defekte der Fascia transversalis sowie Femoralhernien zusammengefasst. 4 Unter dem Typ 4 werden alle Rezidivbrüche der Inguinalregion subsumiert. Vermissen lässt diese Klassifikation jedoch eine klare Trennung zwischen direkter und indirekter Leistenhernie und der Femoralhernie sowie eine genaue Größenangabe. Die 1994 durch Schumpelick vorgestellte Aachener Klassifikation klassifiziert neben der Lokalisation (direkt, indirekt, femoral) auch die Größe der Bruchpforte und die Rezidivanzahl (. Tab. 43.2; Schumpelick et al. 1994). Als
. Tab. 43.3 EHS-Klassifikation der Inguinalhernien EHS Groin Hernia Classification 0
Primary
Recurrent
1
2
3
X
L M F
prognostisch relevant im Hinblick auf ein erhöhtes Rezidivrisiko ist das Vorliegen einer großen direkten Hernie, einer Femoralhernie oder einer Rezidivhernie. Neben der Klassifikation nach Nyhus und der Aachener Klassifikation wurde 2007 die Klassifikation der European Hernia Society eingeführt (Miserez 2007) (. Tab. 43.3). Kritisch anzumerken bleibt, dass auch diese Klassifikation vorwiegend deskriptiv die lokalen, anatomischen pathophysiologischen Begebenheiten (Lokalisation, Größe) differenziert, bekannte systemische Begleitfaktoren (Alter, Familienanamnese) für das Auftreten eines Rezidiv jedoch nicht berücksichtigt werden (Junge 2006).
Narbenhernien Unter der Schirmherrschaft der Europäischen Herniengesellschaft (EHS) wurde 2009 eine international gültige Klassifikation der Bauchwandhernien vorgestellt (Muysoms 2009). Als erster Schritt wurden die primären Bauchwandhernien von den Narbenhernien unterschieden (. Tab. 43.4). In die Gruppe der primären Bauchwandhernien gehören demnach die medianen Nabel- und epigastrischen Hernien
896
Kapitel 43 · Hernien
. Tab. 43.4 EHS-Klassifikation der primären Bauchwandhernien Primäre Bauchwandhernien Median
Durchmesser (cm)
Klein (<2 cm
Mittel (2–4 cm)
Groß (≥4 cm)
Epigastrische Hernien Umbilikale Hernien
Lateral
Spieghel-Hernien Lumbarhernien
sowie die lateralen Spieghel- und Lumbarhernien. Diese können der Größe nach, d. h. dem maximalem Defektdurchmesser, in 3 Gruppen eingeteilt werden (klein <2 cm; mittelgroß 2–4 cm; groß ≥4 cm). Bisherige Klassifikationsversuche konnten sich bislang international nicht durchsetzen. Die nun vorliegende Klassifikation der EHS nimmt Parameter vorangegangener Versuche wie Längen- und Breitenangabe, aber auch morphometrische Beschreibungen mit auf. So werden die medianen Narbenhernien in 5 Untergruppen unterteilt (. Abb. 43.3a): 4 M1: subxyphoidal (vom Xyphoid bis 3 cm nach kaudal) 4 M2: epigastrisch (3 cm unterhalb des Xyphoid bis 3 cm oberhalb des Nabels) 4 M3: umbilikal (von 3 cm oberhalb bis 3 cm unterhalb des Nabels) 4 M4: infraumbilikal (von 3 cm unterhalb des Nabels bis 3 cm oberhalb der Symphyse 4 M5: suprapubisch (von der Symphyse bis 3 cm kranial).
Leistenband und der Wirbelsäule. Die lateralen Narbenhernien werden in 4 Untergruppen zusammengefasst
Unter der lateralen Bauchwand versteht man den Bereich zwischen lateralem Rektusrand, dem Rippenbogen,
Bei multiplen Defekten werden die äußersten Fasziendefekte zur Messung herangezogen (. Tab. 43.5).
(. Abb. 43.3b): 4 L1: subkostal (zwischen Rippenbogen und einer horizontalen Linie 3 cm oberhalb der Nabels) 4 L2: Flanke (lateral der Rektusscheide und 3 cm ober- und unterhalb einer horizontalen Linie des Nabels) 4 L3: iliakal (zwischen einer horizontaler Linie 3 cm unterhalb des Nabels und der Leistenregion) 4 L4: lumbar (latero-dorsal der vorderen Axillarlinie) Die Größenangabe erfolgt zum einen in genauer Zentimeterangabe (Breite und Weite in cm). Zum anderen wurde eine semiquantitative Einteilung in 3 Gruppen vorgesehen, die nur die Breite des Fasziendefektes beschreibt: 4 W1: <4 cm 4 W2: 4–10 cm 4 W3: >10 cm
43 . Abb. 43.3a,b Lokalisation der medianen (a) und lateralen Narbenhernien (b)
897 43.2 · Klinische Symptomatologie und Diagnostik
. Tab. 43.5 EHS-Klassifikation der Narbenhernien Median
Lateral
M1: subxyphoidal
O
M2: epigastrisch
O
M3: umbilikal
O
M4: infraumbilikal
O
M5: suprapubisch
O
L1: subkostal
O
L2: Flanke
O
L3: iliakal
O
L4: lumbar
O
Narbenhernienrezidiv?
Ja O
Länge …cm
Weite: …cm
Weite …cm
Nein O
W1 (>4 cm) O W2 (4–10 cm) O W3 (>10 cm) O
Bauchwandregion sowie etwaige Vorwölbungen, Asymmetrien oder Einziehungen beim Husten oder Pressen. Die Palpation erfolgt bei der Leistenhernie mit dem Zeigefinger durch Einstülpung der Skrotalhaut durch den äußeren Leistenring. Untersucht wird die Bruchgeschwulst auf Konsistenz, Reponibilität, Größe des Bruchringes und die anatomische Beziehung zum Leistenband, Leistenkanal, Schambeinast und Skrotum. Hierbei ist die Größe und korrekte Position beider Hoden insbesondere unter forensischen Aspekten mit zu dokumentieren. Eine Differenzierung zwischen direkten bzw. indirekten Hernien ist durch die klinische Untersuchung nicht zuverlässig möglich. Bei der Narbenhernie lassen sich gelegentlich multiple Narbenhernien innerhalb einer Narbe mit dazwischen befindlichen Faszienbrücken palpieren (Gitterbruch).
43.2.3
Differenzialdiagnostik
Wichtige lokale Differenzialdiagnosen der Leistenhernie sind . Tab. 43.6 zu entnehmen. 43.2
Klinische Symptomatologie und Diagnostik K. Junge
Inspektion, Palpation und Sonographie stellen die Grundpfeiler in der Diagnostik von Leisten- und Narbenhernien dar. Eine weitere apparative Diagnostik ist lediglich bei seltenen (z. B. inneren) oder komplizierten Hernien oder großen Bauchwanddefekten notwendig.
43.2.1
Anamnese
Anamnestisch beschreiben die meisten Patienten eine Schwellung, einen Knoten oder eine Vorwölbung, die z. B. nach körperlicher Arbeit, beim Sport oder Husten auftritt und in Ruhe wieder verschwindet. So ist auch der Spontanschmerz bei der unkomplizierten Hernie eher die Ausnahme, häufiger dagegen wird ein Fremdkörpergefühl beschrieben. Nur selten ist die persistierende Schwellung mit Inkarzeration erstes Symptom. Auf eine Inkarzeration weist ein anhaltender Schmerz mit Druckempfindlichkeit der oft irreponiblen Bruchgeschwulst, später dann mit Übelkeit und Erbrechen als Zeichen einer Passagestörung.
43.2.2
Klinische Untersuchung
Die Inspektion erfolgt im Stehen und Liegen. Beurteilt werden die Symmetrie der Leisten- bzw. der vorderen
Sonographie In der apparativen Herniendiagnostik ist die
Sonographie mit einer Sensitivität von 85,0% und einer Spezifität von 93,8% als nichtinvasives, zeit- und kostensparendes, beliebig wiederholbares Verfahren ohne Risiken ein ideales Hilfsmittel; insbesondere bei der Zuordnung kleiner Hernien oder bei adipösen Patienten mit kaum tastbarem Lokalbefund. Die Untersuchung wird mit einem Real-Time-Gerät und einem 5,0–7,5-MHz-Schallkopf für kurze Fokuseinstellungen durchgeführt. Neben Lokalisation und Größe lassen sich die Art des Bruchinhalts und differenzialdiagnostische Erkrankungen (z. B. Lymphome, Hämatome) abgrenzen. Wichtige sonographische Kriterien einer Hernie sind: Nachweis einer Faszienlücke (Differenzialdiagnose Rektusdiastase), Darstellung des Bruchinhalts, Volumenzunahme des Bruchinhalts und der Bruchpforte im Rahmen dynamischer (Valsalva-Manöver) Untersuchungen (. Abb. 43.4). Additiv kann mittels Doppler-Sonographie oder farbkodierter Duplexsonographie die Hodendurchblutung bestimmt werden oder eine präoperative Identifizierung direkter und indirekter Leistenhernien in ihrer Lagebeziehung zu den unteren epigastrischen Gefäßen erfolgen. Weitere apparative Diagnostik Die Computertomographie
oder die Kernspintomographie sind besonders bei komplizierten Hernien oder großen Bauchwanddefekten leistungsfähige Methoden zur Darstellung der Bruchsackbinnenstrukturen, zur Darstellung der gesamten Bauchwand und deren Beziehung zu intraabdominellen Organen. Andere, meist nur dem Einzelfall und seltenen Hernienformen vorbehaltene bildgebende Verfahren sind
43
898
Kapitel 43 · Hernien
. Tab. 43.6 Differenzialdiagnostik der Inguinalhernien Differenzialdiagnose
Besonderheiten
Hydrozele
Schmerzlose Schwellung, »Wasserkissengefühl«, Grenzen oft gut palpabel, diaphanoskopisch rosa transparent
Varikozele
Links häufiger als rechts (linker Hoden tiefer, Mündung linker V. spermatica in V. renalis), Gefühl des Skrotums als »Beutel voller Würmer«
Lymphadenitis
Kaum verschieblich, druckschmerzhaft, keine Lage- und Größenänderung unter Husten und Pressen, meist mit Schenkelhernie verwechselt, operative Freilegung bei Zweifel zwischen Inkarzeration und Lymphknoten, keine forcierten Repositionsversuche
Lipom
Weich, nicht hustenverschieblich, wichtige Differenzialdiagnose der Femoralhernie
Tumoren
Meist schmerzloses langsam progredientes Wachstum, primär (Weichteiltumoren) oder sekundär (Metastasen)
Abszesse
Druckdolente Schwellung mit palpabler Fluktuation als Senkungsabszesse bei M. Crohn, Tuberkulose und septischen urogenitalen Affektionen entlang der Psoasloge
Zysten
Selten Lymphzysten, meist Zysten des Processus vaginalis
Sonstige
Endometriose, Varixknoten der V. saphena magna, Hodentumoren, Leistenhoden
43.3
Therapieziele und Verfahrenswahl K. Junge
Das primäre Ziel der operativen Versorgung einer Leistenund Narbenhernie ist die Rekonstruktion unter Wiederherstellung der physiologischen Bauchwandintegrität. Bei den Leistenhernien werden anteriore und posteriore Zugänge sowie Naht- und Netzverfahren unterschieden. In der Therapie der Narbenhernie hat sich die Netzaugmentation gegenüber den Nahtverfahren durchgesetzt.
43.3.1 . Abb. 43.4 Sonographische Darstellung einer Leistenhernie
43
die Abdomenröntgenübersicht (z. B. Nachweis luftgefüllter Darmschlingen im Bruchbereich), die Röntgenuntersuchung der Magen-Darm-Passage oder der Kolonkontrasteinlauf (z. B. Nachweis von Gleithernien oder inneren Hernien), die intravenöse Pyelographie und Zystographie (z. B. Blasengleithernie) und die Herniographie (Peritoneographie). Die Bestimmung der Lungenfunktion (Spirometrie) und Durchführung eines Belastungs-EKG haben sich in der präoperativen Abklärung gerade bei großen nicht reponiblen Narbenhernien (»verlorenes Heimatrecht«) zur Abschätzung der postoperativen Morbidität als hilfreich gezeigt.
Leistenhernien
Die EHS-Guidelines zur Behandlung der Leistenhernie im Erwachsenenalter wurden durch eine Arbeitsgruppe von 14 Länderbeauftragten der EHS erstellt und enthalten Empfehlungen zur routinemäßigen Versorgung der Leistenhernie (Simons 2009). Die Guidelines sind evidenzbasiert und wurden durch das Appraisal for Research and Evaluation (AGREE)-Instrument der Cochrane Kollaboration validiert. Eine Übersicht der Empfehlungen kann . Abb. 43.5 entnommen werden: Bezüglich der allgemeinen Operationsindikation wird die Berücksichtigung des »watchful waiting« Konzeptes als akzeptable Option für Männer mit minimal symptomatischen oder asymptomatischen Leistenhernien angesehen. Dabei werden minimal symptomatische Hernien als solche definiert, die keinen Einfluss auf die Alltagsaktivität
899 43.3 · Therapieziele und Verfahrenswahl
. Abb. 43.5 Flussdiagramm zur Behandlung der Leistenhernie
haben. Für symptomatische Leistenhernien wird eine chirurgische Therapie empfohlen. Strangulierte Hernien sollten eine notfallmäßig operativ versorgt werden. > Nach den EHS-Guidelines sollten alle männlichen erwachsenen Patienten (>30 Jahre) mit einer symptomatischen Leistenhernie mit einem Netzverfahren versorgt werden.
Wenn ein Nahtverfahren verwendet werden soll, ist das Shouldice-Verfahren zu favorisieren. Das Lichtensteinund die laparoskopischen (TAPP, TEP) Verfahren werden evidenzbasiert als die besten Verfahren für die Therapie
einer primären unilateralen Hernie empfohlen. Für die Therapie einer Rezidivhernie nach offener Voroperation werden die laparoskopischen Verfahren favorisiert. Andere offene Netzverfahren (PHS, Kugel-Patch, Plug and Patch«) können als Alternative zur Lichtenstein-Reparation angesehen werden, wenngleich lediglich Kurzzeitergebnisse zur Rezidivrate vorliegen. Für große, nicht reponierbare Skrotalhernien, nach Unterbaucheingriffen und falls keine Vollnarkose möglich ist, wird das Lichtenstein-Verfahren empfohlen. Im Falle einer Rezidivhernie nach posteriorer Voroperation sollte ein anteriores Verfahren präferiert werden.
43
900
Kapitel 43 · Hernien
. Abb. 43.6 Exemplarischer Workflow zur Verfahrenswahl bei der Narbenhernie
43.3.2
43
Narbenhernien
Basierend auf den pathophysiologischen Erkenntnissen, dass die Entstehung einer Narbenhernie häufig als Ausdruck einer mechanisch instabilen Narbenbildung anzusehen ist, erscheint verständlich, dass der einfache Nahtverschluss als Wiederholung des primär versagenden Verfahrens (ähnliches gilt für die Therapie der Rezidivleistenhernie) in mehr als der Hälfte der Fälle erneut versagt. Somit bleibt nach Ausschluss technischer Fehler beim initialen Faszienverschluss (. Abb. 43.6) ein Verfahrenswechsel hin zur Netzaugmentation der Bauchdecke unumgänglich. Aus den pathophysiologischen Begebenheiten begründet sich ebenfalls die Notwendigkeit der Verstärkung einer gesamten ehemaligen Inzision, auch wenn sich bislang lediglich in einem kleinen Areal eine Narbenhernie ausgebildet hat. Bei der Verfahrenswahl zur Netzaugmentation stehen die offene Onlay-Technik und die retromuskuläre SublayTechnik zur Verfügung. Die Inlay-Technik stellt lediglich eine Defektüberbrückung ohne eigentliche Augmentation dar und zeigt dementsprechend dem Nahtverfahren ähnliche Rezidivquoten. Ihre Anwendung sollte auf Patienten mit einem traumatischen Bauchwanddefekt beschränkt bleiben, da bei diesen nicht zwingend von einer gestörten Narbenbildlung auszugehen ist. Unter den Augmentationsverfahren hat die retromuskuläre Sublay-Technik den Vorteil der Implantatfixation durch den Bauchinnendruck, dies allerdings nur in Verbindung mit dem Verschluss der vorderen Rektusscheide als suffizientem Widerlager. Als nachteilig wird oftmals die ausgedehnte Präparation (subkutan bzw. retromuskulär)
angesehen. Die epifasziale Platzierung des Netzes als Onlay vermeidet die retromuskluäre oder intraabdominelle Präparation, geht jedoch mit einer gehäuften Rate lokaler Wundkomplikationen einher. Ferner zeigen sich gehäuft Rezidivhernien am Rande der von der Faszie abgehobenen Netze, wenn es zu einem Auseinanderweichen des Faszien- Nahtverschlusses kommt. Alternativ werden in jüngerer Zeit laparoskopische Techniken propagiert (»intraperitoneales onlay mesh«, IPOM), die die Bruchlücke nach Reposition des Bruchinhaltes durch ein intraabdominelles Netz verschließen. Allerdings sind diesem Verfahren unter Berücksichtigung der Therapieprinzipien (Verstärkung der gesamten ehemaligen Inzision, überlappende Netzaugmentation von >5 cm) anatomische Grenzen gesetzt und beschränken den Einsatz auf zentral gelegene Defekte.
43.4
Biomaterialien K. Junge
Alloplastische Netze zur Bauchwandverstärkung bei der Versorgung von Narbenhernien und Leistenhernien gehören zu den am häufigsten eingesetzten Implantaten in der Vizeralchirurgie. Seit der erstmalig gezielten Verwendung eines alloplastischen Netzes durch Usher 1959 wurden eine Reihe von Verfahren (Lichtenstein, TIPP-Rives, Plug and Patch, Wantz, Stoppa) zur offenen Versorgung von Bauchwandhernien beschrieben, die heutzutage durch laparoskopische Verfahren (TAPP, TEP, IPOM) ergänzt werden.
901 43.4 · Biomaterialien
43.4.1
Anforderungen
Aus bewährten Nahtmaterialien (Polyester, Polypropylene) wurden dafür netzartige Gewebe entwickelt, die nach Implantation in die Leiste oder in die vordere Bauchwand durch Induktion von Narbengewebe eine Stabilisierung der Reparationsebene hervorrufen sollen. Cumberland und Scales (Goldstein 1999) stellten Kriterien für die Eignungsfähigkeit von Bauchwandimplantaten auf. Demnach sollen Implantate folgende Eigenschaften aufweisen: 4 Nicht von Körpersubstanzen angreifbar 4 Chemisch inert 4 Keine Entzündungsreaktion aufweisend 4 Nicht kanzerogen wirkend 4 Keine allergische Reaktion auslösend 4 Mechanisch ausreichende Stabilität aufweisend 4 Gut herstellbar 4 Sterilisierbar
43.4.2
Materialien
Grundsätzlich müssen monofile und multifile, resorbierbare und nicht resorbierbare Netze bzw. Folien unterschieden werden. Resorbierbare Materialien (z. B. Polyglactin 910, Polyglycolsäure) können nur in den ersten 2–3 Wochen die mechanische Belastung kompensieren, werden dann sukzessive resorbiert und es verbleibt ein kollagenreiches, mechanisch jedoch nicht belastungsfähiges Narbengewebe. Für die dauerhafte Verstärkung kommen demnach nur Implantate aus nicht resorbierbaren Polymeren zum Einsatz (Polypropylen [PP], Polyester [PET], Polytetrafluorethylen [PTFE], Polyvinylidenfluorid [PVDF]). Kriterien der Biokompatibilität und klinischen Tauglichkeit 4 Polymer (PP, PET, PTFE, PVDF) 4 Materialmenge (leicht-/schwergewichtig, Flächengewicht [g/m2]) 4 Porosität und Porengröße (klein-/großporig) 4 Dehnbarkeit und Elastizität (steif/elastisch) 4 Reißfestigkeit (Streifenzug, Stempeldruck) 4 Randfestigkeit (Aus-/Weiterreißkraft) 4 Handhabung (z. B. laparoskopische Platzierbarkeit)
Während die ersten Netzkonstruktionen generell eine meist kleinporige Struktur mit einem hohen Flächengewicht (g/m2) besaßen, die zumindest bei einigen Patienten eine intensive Fremdkörperreaktion induzierten, geht heutzutage der Trend zu Implantaten mit einer an die phy-
siologischen Begebenheiten der vorderen Bauchwand angepassten textilen Struktur. So konnte mittlerweile auch in klinischen Studien ein Vorteil für den Einsatz großporiger, materialreduzierter und elastischer Netzmaterialien aufgezeigt werden (Post et al. 1999).
Polytetrafluorethylen Die folienartigen Materialien aus Polytetrafluorethylen (PTFE; Gore-Tex) zeichnen sich durch ihre inkompletten Poren mit einer geringen Größe von 1–6 μm aus, die eine Bakterienpersistenz im Falle einer Kontamination erlauben. Da die Bakterien in diesem Fall vor der Vernichtung durch Makrophagen in den Maschen geschützt sind, muss gegenüber größerporigen Materialien ein infiziertes PTFENetz in der Regel entfernt werden. Neben der geringen Porengröße sind vornehmlich die Hydrophobie und die negative elektrische Ladung für eine minimale zelluläre Durchbauung des Implantats verantwortlich. Durch die somit fehlende feste fibröse Verankerung im Wirtsgewebe kommt der Fixierung von PTFE eine besondere Bedeutung zu. Vorteilhaft ist beim PTFE, dass über dasselbe Prinzip erklärbare geringe adhäsive Potenzial, das auch einen intraabdominellen Einsatz erlaubt. Zur Verbesserung der Gewebeintegration wurden zahlreiche Kombinationen mit großporigen Komponenten bzw. Polypropylenanteilen auf der antiperitonealen Seite entwickelt.
Polypropylen Die Gruppe der Polypropylennetze (z. B. Atrium, Marlex, Prolene, Surgipro, TiMesh, Vypro, Ultrapro) umfasst schwergewichtige, kleinporige und steife sowie leichtgewichtige, großporige und elastische Implantatvarianten (. Abb. 43.7). Das Ausmaß der Entzündungsreaktion bzw. konsekutiven bindegewebigen Einscheidung korreliert positiv mit der Materialmenge und insbesondere der Kontakt-Oberfläche. Schwergewichtige und kleinporige Materialien werden in eine Narbenplatte integriert, leichtgewichtige und großporige Materialien dagegen lediglich von einer perifilamentär beschränkten Fibrose eingescheidet. Diese Materialien können somit ihre textile Elastizität auch in vivo wahren (. Abb. 43.8). Zur besseren klinischen Handhabung bei der Implantation sind die meisten der materialreduzierten Netze mit resorbierbaren Fäden als Additiv versetzt (z. B. Polyglactin 910, Monocryl). Kombinationen mit Hyaluronsäurebeschichtungen oder Kollagenfolien wurden für den intraabdominellen Einsatz entwickelt.
Polyester Netzmaterialien aus Polyester (Polyethylenterephthalat, Mersilene) werden vornehmlich in Frankreich bevorzugt. Durch die überwiegende Konstruktion aus Multifilamenten sind die Materialien in ihrer textilen Form sehr flexibel
43
902
Kapitel 43 · Hernien
a
b . Abb. 43.7a,b Mikroskopische Darstellung (12,5×) eines schwergewichtigen, kleinporigen Marlex-Netzes (a) bzw. eines leichtgewichtigen, großporigen Vypro-Netzes (b)
. Abb. 43.8 Induktion einer Narbenplatte nach Implantation eines schwergewichtigen und kleinporigen Polypropylennetzes (rechts oben, Prolene) bzw. lediglich perifilamentäre Narbennetzbildung nach Implantation eines leichtgewichtigen und großporigen Netzmaterials (links unten, Vypro) in einem Patienten (HE, 40×)
(. Abb. 43.9). Materialien aus Polyester induzieren eine zumeist sehr moderate Entzündungs- und Fibrosereaktion. Eine erhöhte Seromneigung dieser Netzmaterialien wird diskutiert (Leber et al. 1998), wie auch der zumindest theoretische Nachteil einer Degradation nach Langzeitimplantation, der durch persistierende Infekte beschleunigt werden kann. Da in diesem Sinne vereinzelt schon über Rupturen von Polyesternetzen berichtet wurde, erscheint die Verwendung von Polyester als Material für eine dauerhafte Bauchwandverstärkung bedenklich.
43
Polyvinylidenfluorid Erste experimentelle und klinische Ansätze zeigen, dass eine Netzkonstruktion aus dem in der Herz-Thorax-Chirurgie und Traumatologie bereits seit Jahrzehnten als
. Abb. 43.9 Mikroskopische Darstellung eines leichtgewichtigen Mersilene Netzes (12,5×)
Nahtmaterial benutzen Polyvinylidenfluorid (PVDF) eine ausgezeichnete Biokompatibilität aufweisen. Vorteilhaft ist besonders eine gegenüber dem Polypropylen fehlende Oberflächenversprödung und somit konsekutiver Stabilitätsverlust nach Langzeitimplantation.
43.4.3
Netzkomplikationen
So unbestritten der Nutzen von Netzmaterialien in der Hernienchirurgie ist, so kontrovers werden die durch die Implantation dieser Materialien hervorgerufenen Komplikationen diskutiert. Während Mitte der 90er-Jahre eine nahezu völlige Freigabe der Mesh-Techniken bis hin zur teilweise uneingeschränkt propagierten Implantation bei Jugendlichen erfolgte, mehren sich gerade unter dem Aspekt der potenziellen Langzeitfolgen die Forderungen nach Altersgrenzen zur Netzimplantation (Simmermacher
903 43.4 · Biomaterialien
2004). Die Bedeutung dieser Komplikationsproblematik wurde 2004 in einer von Neumayer et al. veröffentlichten prospektiven Multicenter-Studie verdeutlicht. So zeigte sich bei einem 2-jährigen Follow-up von 994 mit einem offenen Netzverfahren versorgten Patienten eine Langzeitkomplikationsrate von immerhin 17,4% (Neumayer et al. 2004).
Fremdkörperreaktion Jedes in den menschlichen Körper implantierte Material erzeugt eine Fremdkörperreaktion. Dabei erfolgt nach initial frustranem entzündlichen Eliminationsversuch (Granulozyten, Makrophagen) die konsekutive Abkapselung durch bindegewebige Ummantelung (Fibroblasten) des Fremdkörpers. Das Ausmaß dieser Fremdkörperreaktion wird dabei erheblich durch Art und Menge sowie die effektive Oberfläche des eingebrachten Polymers bestimmt. So zeigen schwergewichtige Polypropylen Netzmaterialien eine dem Flächengewicht positiv korrelierende entzündliche wie auch bindegewebige Fremdkörperreaktion. Konsekutiv finden sich diese schwergewichtigen Varianten im Verlauf in eine ausgedehnte Narbenplatte integriert, während materialreduzierte Materialien eine lediglich perifilamentäre Narbenkapsel (Narbennetz) zeigen. Klinisch zeigt sich die entzündliche Aktivität in erhöhten Spiegeln von Akutphaseproteinen (CRP) und einer reaktiven Hyperämie im Implantatlager (. Abb. 43.10).
. Abb. 43.10 Entzündungsreaktion 90 Tage nach subkutaner Implantation eines Prolene-Netzes in der Maus (PP Polypropylenfilamente, HE, 100×)
Neuralgie, Fremdkörpergefühl, Netzschrumpfung Schmerzen und Fremdkörpergefühl gehören neben dem Rezidiv zu den häufigsten Komplikationen nach Hernienreparation. Manifestiert sich der Schmerz unmittelbar postoperativ, weißt dies auf eine intraoperative direkte Nervenverletzung hin; eine Latenz von mehreren Monaten spricht dagegen für eine sekundäre Nervenirritation im Rahmen der chronischen Fremdkörperreaktion auf das implantierte Material. Bei der Ausbildung einer steifen Fibroseplatte können kleinste sensible Nervenfaszikel integriert und konsekutiv irritiert werden (. Abb. 43.11). Dies kann nach Mitteilung der MRC-Gruppe nach Lichtenstein-Plastik bis zu 36% und nach laparoskopischen Verfahren bis zu 28% der Patienten betreffen (Collaboration 2000). Allerdings berichten neuere Studien über ähnliche hohe Raten von chronischen Leistenschmerzen auch nach Nahtverfahren, ohne jedoch nach dem Zeitverlauf zu differenzieren. Nienhuijs konnte 2007 zeigen, dass die Verwendung leichtgewichtiger Implantate die Rate an chronischen Schmerzen senken kann (Nienhuijs 2007). Der anhaltende Gewebsumbau mit zunehmender Fibrose bewirkt langfristig die Einsteifung und Schrumpfung des Implantatlagers. Durch diese physiologische Wundkontraktion wurden Implantatflächen von 30–50% der
. Abb. 43.11 Immunhistochemische Darstellung von arrodierten Nervenfaszikeln (Pfeil) nach Explantation eines Polypropylen Netzes wegen chronischer Schmerzen (S100, 40×)
Ausgangsfläche beobachtet (Coda et al. 2003; Klinge et al. 1998).
Serom Eine Seromformation im Implantatlager nach laparoskopischer Narbenhernienreparation kann in 100% der Patienten beobachtet werden (Susmallian et al. 2001). Auch im Rahmen der Leistenhernienreparation sind diese bei lückenlosen postoperativen sonographischen Kontrollen regelhaft nachweisbar (Peiper et al. 2002). Aufgrund der geringen Ausdehnung ist ihre klinische Relevanz meistens gering. In Einzelfällen ist jedoch die Ausbildung von großen, interventionspflichtigen Seromen (. Abb. 43.12 und . Abb. 43.13) zu beobachten. Diese sind als Ausdruck einer pathologischen Fremdkörperreaktion zu werten und sowohl materialabhängig als auch Ausdruck einer individuellen Antwort auf das Implantat (Schachtrupp et al. 2003).
43
904
Kapitel 43 · Hernien
. Abb. 43.12 Sonographische Darstellung einer großer Seromhöhlen nach Narbenhernienreparation
. Abb. 43.15 Klinisch inapparente Implantatkontamination eines Polypropylennetzes mit verschleimenden Staphylokokken (Staph. epidermidis)
Adhäsion, Arrosion, Migration, Fistelbildung Ebenfalls als Zeichen einer chronischen Fremdkörperreaktion zu werten ist die Ausbildung von Adhäsionen bei intraabdomineller Platzierung der Netzmaterialien. Wenngleich heutzutage zahlreiche Netzmodifikationen (Beschichtung mit Hyaluronsäre, Kollagenfilm usw.) für den intraabdominellen Einsatz erhältlich sind, so scheint eine »adhäsionsfreie« Netzintegration zurzeit nicht absehbar. Auch die Netzmigration, Organarrosion (z. B. Ductus spermaticus) und Fistelformation (z. B. Blase, Dünn-, Dickdarm) stellen Komplikationen des chronischen fremdkörperassoziierten Remodelling im Implantatlager dar (. Abb. 43.14). . Abb. 43.13 Operationssitus einer großen therapierefraktären Seromhöhle nach Narbenhernienreparation
43 . Abb. 43.14 Operationssitus einer enterokutanen Fistel nach präperitonealer und epifaszialer Leistenhernienreparation
Infektion Unter Verwendung alloplastischer Materialien werden Infektionsraten von 3–4% für die Inguinal- und 6–8% für die Narbenhernienreparation angegeben (Deysine 2004). Differenziert werden müssen die frühpostoperativen Infektionen von den auch nach mehreren Jahren auftretenden Spätinfektionen, die durch eine zunächst klinisch inapparente Oberflächenkontamination (. Abb. 43.15) der Biomaterialien induziert werden. Eine signifikante Reduktion der frühpostoperativen Infektionsrate kann neben strikter aseptischer und antiseptischer, möglichst atraumatischer Operationsverfahren durch eine perioperative SingleShot-Prophylaxe erreicht werden (Celdran et al. 2004). Im Gegensatz zu den oberflächigen Wundinfektionen zeigt sich der manifeste Implantatinfekt als therapeutische Herausforderung, der zumeist weitere operative Interventionen (Drainage, offene Wundbehandlung) bis zur kompletten Netzexplantation erfordert.
905 43.6 · Operationstechnik
43.5
Anästhesie C.J. Krones
Die Wahl der Narkoseform sollte unter der Prämisse erfolgen, Leisten- und Schenkelhernien in Tageschirurgie zu versorgen. Reponible inguinale Hernien können bei offenem Verfahren über einen ventralen Zugang sicher in Lokalanästhesie ± Sedation. durchgeführt werden. Die Intubationsnarkose (ITN) benutzt kurzwirksame Medikamente in Kombination mit Lokalanästhesie, und stellt damit die erste Alternative. Peridural- und Spinalanästhesie sind dagegen nicht die erste Wahl. Sie bieten keine Vorteile und können stattdessen sogar mit einer temporären Blasenentleerungsstörung behaftet sein. Das individuelle Verfahren muss im praktischen Alltag neben dem Risikoprofil auch soziale Charakteristika des Patienten, die OP-Struktur und ökonomische Aspekte berücksichtigen. Randomisierte Studien belegen Vorteile der Lokalanästhesie im Bezug auf postoperative Schmerzen, Blasenentleerung, Anästhesiekomplikationen und Erholungszeit (Simons et al. 2009).
43.5.1
43.5.3
Intubationsnarkose
Größte Vorteile der Intubationsnarkose (ITN) bleiben Immobilität, Muskelrelaxation und die geringere psychische Belastung. Deshalb ist eine ITN bei Kindern, unkooperativen Patienten, schwierigen Lokalverhältnissen oder präoperativ nicht ausreichend planbarem Vorgehen vorzuziehen. Die ITN ist in Kombination von kurzwirksamen Substanzen und lokaler Infiltration auch in der Tageschirurgie durchführbar. Nachteile bleiben Atemwegskomplikationen, kardiovaskuläre Belastung, Übelkeit und Erbrechen und eine verzögerte zentralnervöse Erholung (Song et al. 2000).
43.6
Operationstechnik
43.6.1
Leistenhernienreparation
Lokalanästhesie
Entscheidender Vorteil der Lokalanästhesie ist die Risikominderung, insbesondere beim Vorliegen relevanter Nebenerkrankungen. Aber auch der nicht vorerkrankte Patient profitiert durch die geringe Narkosebelastung. Eine ausreichende Kooperation unter der Operation ist Voraussetzung. Kinder und unkooperative Patienten aber auch eine Sprachbarriere sind in der Regel nicht geeignet. Weitere Ausnahmen sind die maligne Adipositas, schwierige Rezidiveingriffe, irreponible Skrotalhernien und Inkarzerationen. Neben einer bedarfsadaptierten systemischen Sedation und Analgesie wird eine Blockade der Nn. ilioinguinalis und iliohypogastricus und eine Hautinfiltration im Schnittverlauf durchgeführt. Die sichere Applikation des Nervenblocks verlangt ein Training. Eine zusätzliche Infiltration des Samenstranggebildes sowie ggf. des Peritonealsackes ist im Anschluss obligat. Intraoperative Schmerzen sind der häufigste Grund für Patientenunzufriedenheit (Nordin et al. 2004).
43.5.2
der modernen Variante werden kurz wirksame Lokalanästhetika mit spinalen Opioiden kombiniert. Nach Spinalanästhesie treten jedoch nicht selten spinale Kopfschmerzen auf. Die postoperative Bettruhe und die Neigung zur Harnretention verlängern zudem den Krankenhausaufenthalt.
Peridural- und Spinalanästhesie
Peridural- und Spinalanästhesie weisen nicht die Risiken einer Vollnarkose auf, benötigen diese jedoch zumindest als Rückzugsmöglichkeit. Beide Verfahren bieten eine zuverlässige Analgesie für die gesamte Dauer der Operation und sind auch im frühen Säuglingsalter anzuwenden. In
C.J. Krones Grundsätzlich unterscheiden sie sich die verschiedenen Methoden zur Reparation von Leistenhernien nach Zugang (transinguinal offen oder laparoskopisch) und Reparationsart (Naht oder Mesh). Die Vielzahl der Verfahren macht deutlich, dass eine Standardoperation und der Standardpatient noch nicht definiert sind. Exzellente Ergebnisse sind von spezialisierten Zentren für alle unten dargestellten Methoden beschrieben. Jeder Operateur sollte in seinem Spektrum sowohl über anteriore und endoskopische Verfahren verfügen.
Die Leitlinien der European Hernia Society empfehlen ab dem 18. Lebensjahr unter dem Hinweis auf eine niedrigere Rezidivrate und geringere Schmerzen die Mesh-Implantation (Simons et al. 2009). Ansonsten sollte die Auswahl des Operationsverfahrens den individuellen Fall berücksichtigen (»tailored approach«). Hier zählen neben dem individuellen Rezidivrisiko (Kollagenmetabolismus, Nebenerkrankungen, körperliche Belastung) bei Rezidiven zur Minimierung der Komplikationsrate auch die Voroperationen. Rezidive nach inguinalem Zugang werden vorzugsweise endoskopisch, ein Wiederauftreten nach endoskopischem Voreingriff eher transinguinal versorgt. Skrotalhernien lassen sich am besten in Lichtenstein-Technik versorgen. Bei weiblichen Patienten ist der intraoperative
43
906
Kapitel 43 · Hernien
Ausschluss einer Schenkelhernie obligat. Meshes <8×12 cm sollten nicht implantiert werden. Für den Leistungserbringer erscheint die Lichtenstein-Technik ökonomisch die beste Variante, volkswirtschaftlich haben die endoskopischen Verfahren Vorteile.
Shouldice-Technik
43
Die Shouldice-Technik stellt das beste Nahtverfahren dar. Die Bassini-Reparation ist nach Literatur obsolet (Beets et al. 1997). Dem Horizontalschnitt in der Leistenbeuge folgt die subkutane Präparation bis zur Externusaponeurose mit Ligatur der kreuzenden Vasa epigastrica superficialis. Die Externusaponeurose wird im Anschluss auf 2–3 cm Breite freipräpariert und vom Oberrand des äußeren Leistenrings im Faserverlauf nach kraniolateral gespalten. Hierbei ist der meist kranial auf dem Funiculus verlaufende N. ilioinguinalis penibel zu schonen und ein Abstand von ca. 2 cm zum Leistenband einzuhalten. Nach Zügelung des Samenstranggebildes (digitales Unterfahren von lateral nach medial auf dem Os pubis) folgt die Spaltung und Dissektion des M. cremaster, was die Übersicht erleichtert. Alternativ kann der Muskelmantel abgestreift und nach Nahtabschluss readaptiert werden. Der am Funiculus verlaufende R. genitalis des N. genitofemoralis muss dabei geschont werden. Die weitere Präparation folgt teils stumpf, teils scharf auf dem Niveau der spiegelnden Fascia cremasteria interna. Hierbei werden Samenstranggebilde (Ductus deferens, Gefäße) von indirektem Bruchsack bzw. einem zusätzlich vorhanden Lipom getrennt. Die Eröffnung des Bruchsacks mit weiterer Präparation unter Fingerführung wird heute zur Vermeidung von peritonealen Adhäsionen nicht mehr empfohlen. Der Plexus pampiniformis muss penibel geschont werden, da seine Verletzung die häufigste Ursache der postoperativen Orchitis ist. Der indirekte Bruchsack wird in Höhe des peritonealen Umschlags dorsal des inneren Leistenringes nach Umstechung reponiert oder abgetragen. Bei Skrotalhernien bleibt der distale Brucksack zur Vermeidung hartnäckiger Hämatoserome offen. Die anschließende Spaltung der Fascia transversalis erfolgt unter Sicht vom inneren Leistenring nach medial in Richtung Os pubis. Bei großen direkten Hernien kann hierbei die sparsame Resektion der ausgedünnten Transversalis-Faszie notwendig sein. Bei präparatorischer Verletzung der subfaszialen epigastrischen Gefäße wird eine Umstechung empfohlen. Die kraniale Lefze der Faszie wird dann stumpf vom päperitonealen Fett abgeschoben, bis an der Unterseite der Übergang der Aponeurose des M. transversus in die Rektusscheide als »weiße Linie« sichtbar ist. Sie stellt das mediale Nahtlager dar. Der kaudale Faszienanteil wird ebenfalls abpräpariert. Neben einem ausreichenden Nahtlager dient dies auch zur Inspektion/Palpation der Schenkelpforte.
. Abb. 43.16 Sicht auf die fast abgeschlossene erste Nahtreihe zur Rekonstruktion der Leistenkanalhinterwand nach Shouldice
Der anschließende Nahtverschluss doppelt die Faszie, dabei wird die kaudale Lefze nach dorsal umgeschlagen. Die Naht beginnt medial am Schambeinhöcker und zieht fortlaufend nach lateral. Orientierendes Maß für die Weite des inneren Bruchrings ist der Hegarstift 11,5. Nach Umkehr der Stichrichtung wird der freie Rand der kranialen Lefze dann auf die kaudale Begrenzung genäht (. Abb. 43.16). Bei schwachen Faszien kann dabei ein Mitfassen des unteren Randes des Leistenbandes notwendig sein, ohne dass dabei die zweite Nahtreihe oder der spätere Verschluss der Externusaponeurose gefährdet wird. Zur Vermeidung eines suprasymphysären Rezidivs reicht die Naht medial 1–2 cm über das Os pubis hinaus und wird nach nochmaliger Umkehr unter Arretierung am Pecten ossis pubis geknotet. Wegen der Schmerzhaftigkeit ist das Mitfassen des Periost zu vermeiden. Im Anschluss folgt als fortlaufende zweite Nahtreihe von lateral nach medial das Anheften der Transversus-Muskulatur an das Leistenband. Der Rückweg fasst Teile des M. obliquus internus. Die Muskelnaht darf die Durchblutung nicht gefährden und muss deshalb spannungsarm sein. Nach Reposition der Samenstranggebilde wird dann die Externusaponeurose von lateral zum äußeren Leistenring fortlaufend verschlossen. Auf die Einlage einer subkutanen Redondrainage kann verzichtet werden, da sie das Risiko eines Hämatoseroms nicht vermindert.
Zimmerman-Technik Die Reparation nach Zimmerman/Litle/Marcy (1940) ist nur bei mäßig erweitertem inneren Bruchring und sonst stabiler Fascia transversalis indiziert. Nach zirkulärer Präparation folgt der Nahtverschluss einreihig oder fortlaufend.
907 43.6 · Operationstechnik
Kraniale Anteile der Transversalis-Faszie, Transversus-Aponeurose, kaudaler Tractus iliopubicus und das Leistenband können in die Naht einbezogen werden (. Abb. 43.17). Spaltung und Resektion des M. cremaster sind fakultativ, aber zur sicheren Darstellung des inneren Bruchrings oft unumgänglich. Das Verfahren ist der Shouldice-Naht unterlegen (Beets et al. 1997).
Lichtenstein-Technik Die Reparation nach Lichtenstein (Lichtenstein et al. 1989) platziert ein Kunststoffnetz zwischen Externusaponeurose und Internus- und Transversumuskulatur. Nach Spaltung der Externusfaszie wird der Bruchsack ohne Resektion des Kremaster freigelegt. Das Samenstranggebilde wird dann unter Mitnahme aller Nerven und Gefäße stumpf aus der Umgebung befreit und angezügelt. Der Bruchsack wird nur reponiert. Die Reposition kann mit Naht fixiert werden. Die Leistenkanalrückwand wird danach durch Auflage eines Kunststoffnetzes verstärkt. Als grobes Maß kann einen Netzgröße von ca. 6×14 cm dienen, das Implantat muss allerdings meist individuell angepasst werden. Mit abgerundeten Ecken und einem lateralen Schlitz – ca. 2 cm vom Rand entfernt über ca. 1/3 der Gesamtlänge – wird das Netz dann ausgehend vom Os pubis am Leistenband nahtfixiert. Der kraniale Anteil des Implantats wird unter die Muskulatur geschoben und ggf. an der Internus-Aponeurose fixiert. Der kraniale »Schwalbenschwanz« des geschlitzten Netzes umfährt den Samenstrang kranial des inneren Leistenringes und wird nichtresorbierbar an unterer Lefze und Leistenband fixiert, sodass eine neuer innerer Leistenring entsteht (. Abb. 43.18). Die im Original beschriebene, fortlaufende Netzanheftung am Leistenband ist mittlerweile mehrheitlich zu Gunsten der Einzelknopftechnik verlassen. Modifikationen finden sich bei der Netzfixation, die von Gewebeklebern, über einzelne resorbierbare Fäden bis hin zu nichtresorbierbaren fortlaufenden Nähten reicht. Gerade bei großen direkten Hernien bleibt zudem die geforderte mediale Überlappung des Os pubis (2 cm) wegen des Ansatzes der Rektusmuskulatur schwierig (Simons et al. 2009).
TIPP-Rives-Technik Bei der transinguinalen präperitonealen Mesh-Prothese (TIPP) wird das Netz präperitoneal unterhalb der Transversalis-Faszie platziert (Rives 1967; Schumpelick u. Arlt 1996). Die Indikation konzentriert sich auf große Hinterwanddefekte oder Rezidive, bei denen eine LichtensteinReparation aufgrund fehlendem anterioren Widerlager nicht ausreichend erscheint. Nach Freilegung der Leistenkanalhinterwand wird die Fascia transversalis in ganzer Länge gespalten. Hierbei kann die Ligatur der epigastrischen Gefäße notwendig
. Abb. 43.17 Einreihiger Nahtverschluss des erweiterten inneren Leistenrings bei der Reparation nach Zimmerman
. Abb. 43.18 Darstellung der Netzposition im Querschnitt bei der Lichtenstein-Technik
sein. Nach stumpfer Trennung der Faszienrückfläche vom präperitonealem Raum wird das leicht rhomboid zugeschnittene Netz (ca. 12×15 cm) subfaszial eingelegt. Die Nahtfixation erfolgt über Einzelknopf-U-Nähte. Kaudal wird dabei am Lig. Cooperi begonnen, dann lateral an das Leistenband angeheftet und schließlich kraniomedial mit leichter Vorspannung transmuskulär fixiert. Kraniolateral darf das geschlitzte Netz dabei den Samenstrang nicht strangulieren. Die »Schwalbenschwänze« werden anders als beim Lichtenstein nicht gedoppelt (. Abb. 43.19). Persistierende Schmerzen der Fixationsnähte am Lig. Cooperi sind beschrieben.
Plug-and-Patch-Technik Die Reparation nach Rutkow (Rutkow u. Robbins 1993) versucht den lokalen Herniendefekt der Leistenkanalhinterwand durch Einlage eines schirmchenartig präformierten Netzes zu stabilisieren. Ein weiteres flächig aufge-
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908
Kapitel 43 · Hernien
Kurzzeitverlauf gleicht die Rezidivrate dem Lichtenstein, während Langzeitergebnisse wie für alle anderen PatchVerfahren nicht vorliegen (Simons et al. 2009).
Wantz-Technik
. Abb. 43.19 Darstellung der Netzposition im Querschnitt beim Tipp-Rives
Die Methode nach Wantz (1989) wird überwiegend bei höheren Rezidiven und Kontraindikation zum laparoskopischen Vorgehen eingesetzt. Das Netz wird subfaszial präperitoneal eingelegt. Der quere transmuskuläre Zugang zum präperitonealen Raum liegt ca. 5 cm oberhalb des Leistenbands, der Weg durch alte Narbenfelder wird dabei vermieden. Die Externusaponeurose wird in gleicher Richtung und Länge gespalten. Nach Medialisierung des Rektus wird die lateral liegende Internus- und Transversus-Muskulatur im Faserverlauf disseziert. Nach querer Spaltung der nun freiliegenden Transversalis-Faszie wird der Peritonealsack stumpf nach dorsal gedrängt und die untere Faszienlefze nach kaudal mobilisiert. Damit wird der Bruchsack nach dorsal gedrängt. Die Stabilisierung der Leistenkanalhinterwand erfolgt dann nach Parietalisierung des Samenstrangs durch ein rhomboid zugeschnittenes Netz von ca. 12×15 cm, das schüsselförmig den Peritonealsack umfasst und alle Bruchpforten überdeckt (. Abb. 43.20). Das Os pubis wird dabei wiederum unterfüttert, die Nahtfixation des Netzes entspricht dem TIPP. Eine spannungsarme Adaptation der Bruchpforte kann vor der Netzplatzierung technisch sinnvoll sein.
Stoppa-Technik
. Abb. 43.20 Platzierung des Mesh-Implantats in der Technik nach Wantz In Relation zum knöchernen Becken
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legtes Netz verstärkt im Anschluss, ähnlich zum Lichtenstein, die Leistenkanalhinterwand. Nach Spaltung der Externusfaszie wird der Bruchsack ohne Resektion des Kremaster freigelegt. Das Samenstranggebilde wird dann unter Mitnahme aller Nerven und Gefäße stumpf aus der Umgebung befreit und angezügelt. Der Bruchsack wird nach Präparation nur reponiert. In die freipräparierte Bruchlücke wird dann das Netzschirmchen gestopft. Die Fixation erfolgt über variable Einzelknopfnähte am Rand des Bruchrings. Die Transversalis-Fszie wird danach durch einen geschlitzten Onlay-Patch verstärkt, die nur die schmale Präparationsebene um das Samenstranggebilde augmentiert. Persistierende Schmerzen durch pseudotumoröse Verhärtungen im Bereich des Netzschirmchen, Plug-Migrationen sowie Rezidive bei unzureichender Verstärkung der Leistenkanalhinterwand sind beschrieben. Im
Das Konzept der Stoppa-Plastik (Stoppa et al. 1973), der Grand Procedure de Reinforcement du Visceral Sac (GPRVS), ist die umfassende prothetische Verstärkung der Fascia transveralis im präperitonealen Raum. Die Prothese kleidet dabei beiderseits den kompletten präperitonealen Raum aus, und wird durch den peritonealen Druck gegen die Bauchwand fixiert. Der »Stoppa« wird dementsprechend vornehmlich bei beidseitigen, großen Rezidivhernien eingesetzt. Eine spezielle Bruchpfortenversorgung ist nicht erforderlich, da die Netzprothese alle Bruchpforten überdeckt (. Abb. 43.21). Nach Unterbauchmedianschnitt von Nabel bis Symphyse folgt die Spaltung der Linea alba. Die weitere Präparation erfolgt präperitoneal. Ohne Eröffnung wird der Peritonealsack von den Bauchdecken gelöst. Die Präparationsebene reicht lateral unter Darstellung der epigastrischen Gefäße bis zum M. iliopsoas, kaudal mit Freipräparation der Blase bis ins Spatium Retzii und in der Tiefe unter Sicht auf Ureter und Iliakalgefäße bis zum Foramen obturatorium. Bruchsäcke werden ausgelöst und zurückgedrängt oder reseziert. Die V-förmige Netzprothese besitzt die Breite des Symphysenabstands und die Höhe der Distanz zwischen Nabel und Symphyse. Dabei
909 43.6 · Operationstechnik
zeigt die kraniale Spitze auf den Nabel. Mit Klemmen fixiert wird das Netz nach Parietealisierung der Samenstränge präperitoneal faltenfrei eingelegt und umfasst den kaudalen Peritonealsack schließlich halbsphärsich. Die Fixation erfolgt mit einer Naht an der Linea alba, ggf. auch mit zusätzlichen Einzelknopfnähten am Lig. Cooperi. Reposition der Muskulatur und Bauchdeckenverschluss beenden den Eingriff.
TAPP-Technik Die transabdominelle präperitoneale Prothese (TAPP; Corbitt 1991) nutzt den Ansatz der präperitonealen Netzanlage laparoskopisch. Transabdominell wird dabei die Leistenkanalhinterwand nach peritonealer Eröffnung von dorsal dargestellt und augmentiert (. Abb. 43.22). Der Kameratrokar wird in der Medianlinie ca. 2–4 cm supraumbilikal platziert. Die 2 Arbeitstrokare befinden sich beidseits in der Medioklavikularlinie auf Höhe des Nabels. Das Peritoneum wird dann horizontal unterhalb des Nabels von der Plica umbilikalis medialis bis lateral des inneren Bruchrings inzidiert, und stumpf und scharf nach kaudal von epigastrischen Gefäßen, Tarnsversalis-Faszie, Cooper-Ligament und Samenstranggebilde abpräpariert. Es folgt die vollständige Freilegung und Reposition des Bruchsacks. Danach wird unter Überdeckung aller Bruchpforten ein ca. 12×15 cm großes Netz faltenfrei eingelegt. Zur Fixation wird vornehmlich geklebt. Große Hernie benötigen zur Vermeidung eines »blow-outs« eine mediale Fixation mit Clips. Das »triangle of pain« muss dabei unbedingt ausgespart werden (Schonung der lateral der epigastrischen Gefäße bzw. unterhalb des Tractus iliopubicus verlaufenden Nn. cutaneus femoris lateralis, ilioinguinalis, iliohypogastricus, Rr. genitalis et femoralis des N. genitofemoralis). Der Peritonealverschluss erfolgt durch fortlaufende Naht. Eine Versorgung von beidseitigen Hernien ist in einer Sitzung durchführbar. Die Schenkelpforte ist immer einsichtig.
TEP-Technik Die totale extraperitoneale Prothese (TEP; Phillips et al. 1993) wiederholt die Platzierung des Netzes nach dem Prinzip von Stoppa in endoskopischer Variante (. Abb. 43.23). Der Zugang für Luftinsufflation und Kamera liegt periumbilikal auf der betroffenen Seite gelegt. Nach Eröffnung der Rektusscheide wird der Raum zwischen Muskulatur und Hinterblatt der Rektusscheide bzw. Peritoneum stumpf disseziert. Der erste Arbeitszugang liegt auf der betroffenen Seite in der Verbindungslinie zwischen Nabel und Symphyse sowie lateral der Linea alba. Hierüber wird die stumpfe Dissektion zur Platzierung des zweiten Arbeitszugangs im lateralen Unterbauch auf Höhe des ersten Arbeitszugangs fortgesetzt.
. Abb. 43.21 Platzierung des Mesh-Implantats in der Technik nach Stoppa In Relation zum knöchernen Becken
. Abb. 43.22 Platzierung des Netzimplantats bei der TAPP
Da jede akzidentelle Eröffnung des Peritoneum zum Verlust von Gas und Übersicht führt, sollten Lecks im Peritoneum nach Möglichkeit vernäht werden. Der Bruchsack wird reponiert und komplett parietalisiert. Die weitere Präparation reicht zur Überdeckung aller Bruchpforten medial von der Linea alba bis zur Spina iliaca anterio superior. Ventral werden die Bruchpforten und nach dorsal das Foramen obturatum dargestellt. Das Netzimplanatat misst ca. 12×15 cm und benötigt keine Fixation, denn der Peritonealsack drückt unter langsamem Ablassen der Insufflation das Implanatat gegen die Bauchdecke. Wie bei der TAPP muss das Mesh deshalb kaudal den Peritonealsack umfassen. Die Gegenseite kann immer in gleicher Sitzung beurteilt und ggf. mit behandelt werden. Der ungewohnte Präparationsraum bedingt eine verhältnismäßig lange Lernkurve.
43
910
Kapitel 43 · Hernien
. Abb. 43.24 Nahtreparation einer Narbenhernie
ziendefekten sollte eine Darmvorbereitung erfolgen. Bei vorgesehener Implantation von Netzprothesen ist eine perioperative Single-Shot-Antibiose (z. B. Cephalosporin der 2. Generation) empfehlenswert.
Nahtverfahren Die einfachste Form der Narbenhernienversorgung stellt das konventionelle Nahtverfahren mit direkter Stoß-aufStoß-Naht mittels durchgreifenden Fasziennähten dar (. Abb. 43.24). Nach Exzision der Hautnarbe und Freilegung des Fasziendefektes erfolgt die Eröffnung der Leibeshöhle mit lokaler Adhäsiolyse. Im Anschluss an die Präparation eines suffizienten Nahtlagers wird der Nahtverschluss mit direkter Stoß-auf-Stoß-Naht, in fortlaufender oder in Einzelknopftechnik mit nichtresorbierbarem Nahtmaterial der Stärke 0 oder 1 durchgeführt. Wie beim primären Faszienverschluss sollte die Fadenlänge der Wundlänge angepasst werden, entsprechend einem Verhältnis von 4:1 mit einem Nahtabstand von 1 cm und einer Stichlänge von 2 cm. Die Nahtverfahren stellen eine Wiederholung des primären und nachgewiesenermaßen bereits versagenden Bauchdeckenverschlusses dar. Nicht unerwartet sind sie mit Rezidivraten von bis zu 50% behaftet, weshalb die Indikation für diese Operationstechnik streng zu stellen ist.
a
b
. Abb. 43.23 Platzierung des Netzimplantats bei der TEP
43.6.2
Narbenhernienreparation J. Conze
43
Prinzipiell lassen sich 2 Reparationsverfahren unterscheiden, zum einen die konventionellen Nahtverfahren, zum anderen Reparationstechniken unter Verwendung von Netzmaterialien. Patienten mit drohender Inkarzeration, persistierenden Beschwerden, sozialer Deprivation oder persistierender Arbeitsunfähigkeit sollten einer elektiven Operation zugeführt werden. Infektfreie Hautverhältnisse sind dabei obligat, Druckulzera sind zunächst primär konservativ zu behandeln. Bei einem Broca-Index von über +10% ist eine Gewichtsreduktion anzustreben. Je nach Größe der Narbenhernie ist im Rahmen der präoperativen Diagnostik eine Lungenfunktionsprüfung zu fordern. Bei großen Fas-
> Indikation für Nahtverfahren bestehen heute vor allem noch für kleinere Narbenhernien (<4 cm), wobei hierbei nichtresorbierbaren Nahtmaterial der Vorrang gegeben werden sollte.
In seltenen Fällen, bei entsprechender Komorbidität des Patienten, ist bei primären Narbenhernien auch ein einmaliger Nahtversuch zu vertreten. Die Reparationstechnik der Fasziendoppelung nach Mayo erhöht die Bauchwandspannung und vermindert die Durchblutung. Sie sollte nicht mehr durchgeführt werden. Ebenso verhält es sich mit den früher propagierten FaszienEntlastungsnähten (Ventrofil, Sandoz-Plagues etc.), die keinen Einsatz mehr finden sollten, da sie die Gefahr für das Entstehen eines abdominellen Kompartmentsyndroms erhöhen und zu einer Verschlechterung der Durchblutung intra- und retroperitonealer Organe führen können.
Netzverfahren Bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurden die ersten Netzverfahren zur Narbenhernienreparation beschrieben. Da-
911 43.6 · Operationstechnik
mals standen den Chirurgen Netze aus Silberdraht und Metall zur Verfügung. Erst die Entwicklung von Kunststoffnetzen hat zum breiten Einsatz von Netzreparationen geführt. In den 70er-und 80er-Jahren waren es vor allem französische Chirurgen wie Chevrel, Rives, Stoppa und Flament, die diese Techniken weiterentwickelt und propagiert haben. Die Netzverfahren ermöglichen einen weitestgehend spannungsfreien Verschluss des Fasziendefektes. Je nach Position der Netzprothese innerhalb der Bauchwand (Inlay, Onlay, Sublay) sowie nach Implantationstechnik (offen/ laparoskopisch) lassen sich die Operationstechniken unterscheiden. Dabei fungiert das Netz entweder als Bauchwandersatz (offen Inlay, offen oder laparoskopisch IPOM) oder als zusätzliche Verstärkung zur Augmentation der Bauchwand. Bauchwandersatz mittels Netzinterposition (Inlay) Die Inlay-Technik stellt die einfachste Form der Netzreparation dar. Hierbei wird in den freigelegten Fasziendefekt ein Netz von entsprechender Größe eingenäht und der Defekt überbrückt (. Abb. 43.25). Hierbei handelt es sich um einen reinen Bauchdeckenersatz, bei dem das einliegende Netz nach ventral nicht durch Muskulatur und Faszie bedeckt ist. Das Netz wird ausschließlich durch die Fixationsnaht am Netz-Faszien-Übergang gehalten, entweder Stoß-auf-Stoß oder fortlaufend. Die resultierende narbige Fixation entspricht weitgehend der der konventionellen Nahtverfahren. Dies erklärt auch eine ähnlich hohe Rezidivquote dieser Reparationstechnik bei Hernien-Patienten von bis zu 40%, weswegen diese Technik vornehmlich auf Patienten mit traumatischem Bauchwanddefekt beschränkt sein sollte. Epifasziale Netzplastik (Onlay) Bei der von Chevrel be-
schriebenen Onlay-Technik wird nach ausgedehnter Präparation der Subkutis und Nahtverschluss des Fasziendefektes ein Netz auf dem vorderen Blatt der Rektusscheide platziert (. Abb. 43.26). Hierbei sollte die Fasziennaht (fortlaufend, nichtresorbierbar) in allen Richtungen um wenigstens 5–6 cm durch das Mesh überlappt werden. Die Ränder des Netzes werden zirkulär mit nichtresorbierbaren Fäden auf der Faszie fixiert. Anatomische Grenzen verhindern den Einsatz dieser Technik in Nachbarschaft zum Rippenbogen, Xyphoid oder Beckenknochen. Diese Operationstechnik ist durch die epifasziale Netzlage einfach durchzuführen. Nachteilig ist das ausgedehnte Trauma mit der Gefahr von postoperativer Serombildung und Hautnekrose. Aufgrund eines fehlenden Netzwiderlagers liegt die Hauptspannung auf der Fasziennaht. Weicht die Mittellinie auseinander kann es bei unzureichender Netzfixation zu sog. »Button-hole«-Rezidiven kommen.
. Abb. 43.25 Netzinterposition bei der Inlay-Versorgung einer Narbenhernie
. Abb. 43.26 Netzposition bei der Onlay-Versorgung einer Narbenhernie
. Abb. 43.27 Netzposition bei der retromuskulären Sublay-Versorgung einer Narbenhernie
Retromuskuläre Netzplastik (Sublay) Das Standardverfah-
ren der Narbenhernienreparation ist derzeit die retromuskuläre Netzplastik. Technisch aufwendig gewährleistet sie eine anatomische Rekonstruktion der Bauchwand mit Netzverstärkung (. Abb. 43.27). Die Schicht zwischen M. rectus und hinterer Rektusscheide ist relativ avaskulär und lässt sich meist stumpf präparieren. Durch die retromuskuläre Position, oberhalb der Linea arcuata auf dem hinteren Blatt der Rektusscheide, kommt das Netz weder mit dem Intestinum noch mit dem subkutanen Fettgewebe in Kontakt. Dabei wirken die Rektusmuskulatur und die verschlossene vordere Rektusscheide als Widerlager. Nach Exzision der Hautnarbe folgt die Freilegung des Fasziendefektes mit Inzision der gesamten Fasziennarbe. Anschließend wird das Peritoneum eröffnet und eine lokale Adhäsiolyse durchgeführt. Die Eröffnung des Bauchraums ist in der Regel notwendig, um die Präparation der Linea alba für die spätere kraniale und kaudale Unterfütterung zu erleichtern und die Verletzung möglicher akkreter Intestinalorgane zu vermeiden. Anschließend erfolgt die Inzision der Rektusscheide vom Faszienrand aus mit Eröffnung des retromuskulären Raumes und Mobilisation bis an den lateralen Rand der Rektusscheide (. Abb. 43.28). Es folgt die Präparation eines ausreichenden Netzlagers im Bereich der Mittellinie durch Inzision der hinteren Rektusscheide beidseits der Linea alba über eine Länge von 5–7 cm (. Abb. 43.29; Conze et al. 2004). Zwischen den auseinanderweichenden Rändern des hinteren Blattes der Rektusscheide wird präperitoneales Fett (»fatty triangle«) sichtbar.
43
912
Kapitel 43 · Hernien
. Abb. 43.28 Darstellung des retromuskulären Nahtlagers (cave neurovaskuläre Strukturen am lateralen Rand der Rektusscheide)
. Abb. 43.31 Entlastungsinzisionen der vorderen Rektusscheide
. Abb. 43.29 Darstellung des »fatty triangle«
Nunmehr fortlaufender Nahtverschluss des Peritoneums oberhalb der Linea arcuata mitsamt dem hinteren Blatt der Rektusscheide mit resorbierbaren Nahtmaterial der Stärke 0. Es folgt das Einbringen der Netzprothese mit sicherer Überlappung des verschlossenen Defektes von mindestens 5–6 cm in alle Richtungen (. Abb. 43.30). Das Netz wird zirkulär mit Einzelknopfnähten zur Vermeidung einer Frühdislokation fixiert. 1–2 Redondrainagen auf dem Netz sollen allfällige Serome drainieren. Jetzt schließt sich der spannungsarme Faszienverschluss der vorderen Rektusscheide an (fortlaufend mit nichtresorbierbarem Nahtmaterial der Stärke 1). > Grundsätzlich sollte aus pathophysiologischen Erwägungen heraus immer die ganze Fasziennarbe in die Reparation mit eingebunden sein, um der Bildung von Pseudorezidiven vorzubeugen.
43 . Abb. 43.30 Netzplatzierung mit einer Überlappung von 5–6 cm in allen Richtungen
Die segmentalen neurovaskulären Strukturen am lateralen Rand der Rektusscheide sind unbedingt zu schonen. Ist ein spannungsarmer Verschluss der vorderen Rektusscheide erschwert, können beidseits der Mittellinie längsverlaufende Entlastungsinzisionen durchgeführt werden (. Abb. 43.31). Wirksamer ist die ein- oder beidseitige Kombination mit der Bauchwand-Komponentenseparation nach Ramirez möglich, wobei durch die ausgedehnte epifasziale Präparation mehr lokale Wundkomplikationen auftreten können (s. unten). Problematisch kann die ausreichende Netzunterfütterung im Bereich von knöchernen Strukturen sein. Die ausreichende Netzunterfütterung von mindestens 5 cm in alle Richtungen ist v. a. im Bereich der Mittellinie durch Darstellung des »fatty triangle« sicherzustellen.
913 43.6 · Operationstechnik
> Reicht der Fasziendefekt bis an das Xyphoid heran, muss das Netz dahinter platziert werden, da die Nahtfixierung von Netzen an knöchernen Strukturen nicht sinnvoll ist.
Eine ausreichende Unterfütterung lässt sich durch Eröffnung des retroxyphoidalen Raumes erzielen. Dorthin gelangt man durch scharfe Ablösung der hinteren Rektusscheide vom Xyphoid (Conze et al. 2005). Ähnlich verhält es sich im Bereich der Symphyse. Durch das Fehlen der hinteren Rektusscheide unterhalb der Linea arcuata lässt sich der retropubische Raum im Niveau des Präperitoneums meist stumpf präparieren.
. Abb. 43.32 Netzposition bei der laparoskopischen Versorgung einer Narbenhernie
. Abb. 43.33 Komponentenseparationstechnik nach Ramirez
Laparoskopische Netzverfahren Seit Anfang der 1990er-
Jahre werden auch laparoskopische Techniken zur Narbenhernienreparation eingesetzt. Sie haben den Vorteil, dass sie das operative Trauma reduzieren. Durch den defektfernen Zugang wird die initiale Narbe belassen und die Bruchlücke von innen dargestellt. In der initialen Beschreibung dieser Technik wurde hierbei eine reine Defektüberbrückung ohne direkte Adaptation des Fasziendefektes durchgeführt. In den letzten Jahren wird vermehrt ein laparoskopischer Faszenverschluss angestrebt, um eine entsprechende Rekonstruktion der Bauchdecke mit anschließender Netzaugmentation zu erzielen. Problematisch kann die Präparation einer ausreichenden Überlappung am Übergang zu knöchernen Strukturen und im Bereich der Flanke sein, wo Zwerchfell oder retroperitoneale Organe die weite Abdeckung der Bruchpforte einschränken. So ist die Netzplatzierung und Fixation bei suprasymphysärer Lage durch die Nähe zur Blase erschwert. Für die erforderliche großzügige Unterfütterung muss hier, analog zur TAPP, ein Implantat/Netzlager retropubisch im präperitonealen Raum präpariert werden. Durch die intraabdominelle Position mit direktem Kontakt zwischen Netz und Intestinum besteht eine erhöhte Gefahr der Adhäsionsbildung. Zurzeit werden zur dauerhaften Fixation neben Staplerklammern und Spiraltackern vor allem transmuskuläre Fixationsnähte eingesetzt. Nach offener Anlage eines Pneumoperitoneums folgt die lokale Adhäsiolyse und Freilegung des Fasziendefektes. Der Bruchsack wird in situ belassen. Die Bruchpforte wird mit einer Netzprothese mit sicherer Überlappung von mindestens 5–6 cm in alle Richtungen abgedeckt (. Abb. 43.32). Das Netz wird mit Endostaplern oder Spiraltackern mit/ oder ohne transmuskulären Nähten fixiert. Plug-and-Patch-Technik Bei dieser Technik wird der Fas-
ziendefekt präpariert und durch ein Netz mit selbst-aufspannendem Randring unterfüttert. Der Fasziendefekt darüber wird entweder verschlossen oder durch Fixierung am Netz überbrückt. Studien mit größeren Fallzahlen oder
Langzeitergebnisse dieser Technik liegen zurzeit noch nicht vor. Mögliche Indikation für diese Reparationsform könnten vor allem kleinere Narbenhernien außerhalb der Mittellinie mit ausreichendem Abstand zu knöchernen Strukturen sein. Komponentenseparationstechnik (Ramirez) Diese Opera-
tionstechnik wurde 1990 erstmals von Ramirez beschrieben (Ramirez 1990). Sie ermöglicht eine spannungsarme, anatomisch-physiologische Defektüberbrückung durch Separation der beiden oberen lateralen Bauchwandmuskeln zwischen M. obliques internus und M. obliquus externus in einer relativ avaskuläre Schicht (. Abb. 43.33). Die beidseitige Durchtrennung der Externusfaszie direkt neben der Rektusscheide und die gleichzeitige Mobilisation der Rektusmuskulatur ermöglichen die Überbrückung von Defekten in einer Größe bis zu maximal 20 cm. Vor allem bei kontaminierter Wunde, aber auch in Kombination mit der Netzplastik kann durch diese Technik ein spannungsarmer Faszienverschluss erzielt werden. Aufgrund des ausgedehnten operativen Traumas ist die Indikation streng zu stellen. Nach Exzision der ganzen Hautnarbe und Freilegung des Fasziendefektes erfolgt zunächst die Inzision der Rektusscheide vom Faszienrand aus mit Eröffnung des retromuskulären Raumes und Mobilisation der Rektusmuskulatur bis an den lateralen Rand der Rektusscheide. Es folgt nun die großzügige epifasziale Präparation der Externusfaszie, nach kranial bis über den Rippenbogen. Die Längsinzision der Externusfaszie erfolgt ca. 2 cm lateral der Linea semilunaris als dem lateralen Rand der Rektusscheide (. Abb. 43.34). Dabei muss sich die Längsinzision unbedingt auf die Faszie des M. externus beschränken. Diese Inzision ist auch minimal invasiv mittels endoskopische Technik durchführbar, wodurch das Weichteiltrauma deutlich reduziert werden kann. Re-Eingriffe nach Netzreparation Bei elektiven oder notfallmäßigen Re-Eingriffen nach vorangegangener Netz-
43
914
Kapitel 43 · Hernien
nach Definition der Komplikation und Intensität der Nachfrage. Die häufigsten Frühkomplikationen stellen Hämatome und Serome (8–22%), Harnretention und früher Schmerz. Langzeitprobleme sind der chronische Schmerz und das Rezidiv. Lebensbedrohliche Komplikationen sind Raritäten. Die penible Ausführung der Reparationstechnik macht sich in Bezug auf Rezidivrate und Nervenschonung bei allen Verfahren bezahlt.
Hämatome stammen meist aus dem Plexus pampiniformis
. Abb. 43.34 Verschiebeschicht zwischen M. obliquus externus und internus bei der Komponentenseparationstechnik nach Ramirez. Laterale Gefäße sollten geschont werden
reparation kann die Inzision durch das implantierte Netz erfolgen. Beim anschließenden Bauchdeckenverschluss ist darauf zu achten, das durchtrennte Netz mit fortlaufender, nichtresorbierbarer Naht zu verschließen. Erfolgt der Eingriff wegen eines Rezidivs hängt das operative Vorgehen von der Lokalisation des Fasziendefektes und Position des Netzes innerhalb der Bauchwand ab. Rezidive nach retromuskulärer Netzplastik treten vornehmlich am oberen Rand im Bereich der Mittellinie auf. Hier kann eine ausreichende Unterfütterung durch das Einbringen eines weiteren Netzes, das mit nichtresorbierbarer Naht an das bereits implantierte Netz fixiert wird, sichergestellt werden. Bei vorangegangener Onlay-Netzreparation kann ein Verfahrenswechsel mittels retromuskulärer Netzposition durchgeführt werden. Vor einer Revision wegen persistierender, postoperativer Schmerzen sollten im Vorfeld alle konservativen Therapieoptionen ausgeschöpft sein. Handelt es sich um einen lokalen Schmerz, ist die Ursache häufig eine Fixationsnaht oder Staplerklammer, was lokal chirurgisch zu beheben ist. Besteht ein diffuser, netzassoziierter Schmerz kann eine Netzexplantation als Ultima ratio in Erwägung gezogen werden.
43.7
Intra-/postoperative Komplikationen
43.7.1
Leistenhernien C.J. Krones
43
Die zusammenfassende Komplikationsrate bei Leistenhernienoperationen liegt in systematischen Reviews zwischen 15–50% (Neumayer 2004; Nordin 2004; Bittner et al. 2005; Schmedt et al. 2005; Eklund 2006). ie Zahl variiert dabei je 6
oder Muskel- und Peritonealgefäßen. Die rate liegt bei endoskopischen Eingriffen niedriger. Kleine Hämatome resorbieren sich spontan - größere Ansammlungen sollten ggf. operativ ausgeräumt werden. Allerdings ist das Hämatom in der Revision häufig in den Skrotalhüllen verteilt und dann nicht in toto entfernbar. Die Indikation zur Revision verlangt deshalb die sorgfältige Abwägung von Risiko und Nutzen. Serome treten in 1–12% der Fälle auf. Das Risiko liegt bei endoskopischen Eingriffen wegen der größeren Präparationsfläche höher. Die meisten Serome resorbieren sich in 6–8 Wochen spontan. Sie sind sonographisch leicht nachweisbar, und können in der Regel konservativ therapiert werden. Größere Flüssigkeitsmengen können zur Beschleunigung der Abheilung unter sterilen Kautelen abpunktiert werden. Infektionen sind allerdings beschrieben. Die Prophylaxe durch Drainageneinlage beurteilt die Literatur widersprüchlich. Die Rate an Wundinfektionen liegt unter 5%, steigt aber beim Rezidiveingriff oder bei Inkarzerationen. MeshImplantationen erhöhen die Infektrate nicht. Eine perioperative Antibiose senkt die Infektionsrate in keinem Verfahren signifikant (Simons 2009). Oberflächliche Wundinfekte sind bei endoskopischen Eingriffen seltener. Bei manifesten Infektionen sollte die Wunderöffnung in der Revision ausreichend breit sein. Infekte nach Mesh-Implantationen können verspätet auftreten und die Netzexplantation erfordern. Die Mesh-Entfernung ist anspruchsvoll und resultiert immer in einem Gewebedefekt, was die Bedeutung der Asepsis betont. Konservative Heilungsversuche sind bei begrenztem Infekt des Netzlagers gerechtfertigt, aber immer langwierig. Die Blasenretention unterliegt vielen perioperativen und operativen Faktoren. Sicher steigt sie mit der Invasivität der Narkose auf bis zu 3%. Die Operationsverfahren sind dagegen gleichwertig. Das intraoperativ infundierte Volumen stellt einen signifikanten Risikofaktor (Koch et al. 2006). Verletzungen der Harnblase sind für offene und endoskopische Verfahren beschrieben, aber selten. Eine intraoperativ volle Blase prädisponiert. Testikuläre Komplikationen treten bei allen Verfahren gleich häufig auf. Die ischämische Orchitis entwickelt sich 24–72 h postoperativ. Und kann zu Hodennekrose oder
915 43.7 · Intra-/postoperative Komplikationen
-atrophie führen. Die penible Schonung von arterieller Versorgung und venösem Plexus ist deshalb obligat. Das Verletzungsrisiko steigt beim Rezidiv und der kompletten Exzision skrotaler Bruchsäcke. Die Samenstrangdissketion muss auch hier minimalisiert werden. Eine Revision ist allenfalls innerhalb der ersten 6 h postoperativ erfolgsversprechend. Eine Verletzung des Samenleiters sollte wegen seiner stabilen Konsistenz zumindest bei Primäreingriffen immer vermeidbar sein. Bei den Gefäßverletzungen sind insbesondere die epigastrischen A. und V. femoralis gefährdet. Die brüske Behandlung der V. epigastrica inferior kann bis zum Ausriss aus der V. femoralis führen. Je nach Situs können Blutungen aus dem akzessorischen Ast der A. obturatoria (»Corona mortis«) und der Vasa circumflexa iliaca profunda auftreten. Blindes Setzen von Klemmen oder der ungezielte Einsatz der Thermokoagulation im Rahmen der akuten Blutung können die Situation unnötig verkomplizieren. Ratsam ist stattdessen ein weiteres Präparieren ggf. unter digitaler Kompression bis zur eindeutigen Identifikation der Blutungsquelle. Blutungen aus kleineren Gefäßen werden mit Durchstichligaturen versorgt. Stichverletzungen größerer Gefäße werden primär komprimiert oder – wie größerer Defekte – ohne Einengung gefäßchirurgisch versorgt. Durchtrennende Nervenverletzungen z. B. des N. ilioinguinalis, R. genitalis des N. genitofemoralis, N. cutanaeus femoris lateralis oder N. hypogastricus lassen sich mit ausreichender Kenntnis der Anatomie und Übersicht im Situs in der Regel vermeiden. Häufige Fehlerquelle beim N. ilioinguinalis ist das Mitfassen des nicht ausreichend mobilisierten Nerven bei der Externusnaht. Der R. genitalis des N. genitofemoralis kann bei der Kremaster-Resektion am inneren Leistenring mit gefasst werden. Bei akzidenteller Durchtrennung eines Leistennervens ist der Versuch der Rekonstruktion wenig sinnvoll. Stattdessen wird die Resektion empfohlen. Trotz aller Bemühungen zur Schonung der Nerven gehört das Auftreten postoperativer chronischer Leistenschmerzen zu den häufigsten Komplikationen. Schwerste, u. U. sogar invalidisierende Schmerzen sind mit einer Rate von bis zu 1% für alle Operationsverfahren beschrieben. Die Implantation von Meshes beinhaltet als Risiken neben der Infektion des Netzlagers auch den chronischen Schmerz, die Netzschrumpfung (»shrinkage«), persistierende Beschwerden durch eine übermäßige Steifigkeit der Leistenregion und die Netzwanderung. Material, Fixation, Indikation und Implantationsbedingungen sollten dementsprechend sorgfältig ausgewählt werden. Wie oben erwähnt gehört eine Netzexplantation in erfahrende Hand.
43.7.2
Bauchwandhernien J. Conze
Intraoperative Komplikationen Die gefährlichste intraoperative Komplikation der Narbenhernienreparation ist die akzidentelle Darmverletzung, vor allem dann, wenn sie während der Operation unbemerkt bleibt. Gerade bei den laparoskopischen Techniken scheint die Gefahr der unbemerkten, iatrogenen Enterotomie höher zu sein als bei den offenen Verfahren und wird mit einer Inzidenz von bis zu 6% angegeben (Koehler u. Voeller 1999).
Postoperative Komplikationen Die wichtigsten postoperativen Komplikationen der Narbenhernienreparation sind Infektion, Serombildung, Blutung und das Rezidiv. Vor allem bei den offenen Netzverfahren und der Komponentenseparation ist aufgrund der ausgedehnten Präparation mit einer erhöhten Rate von Blutungskomplikationen zu rechnen. Das Ausmaß der Serombildung ist zum einen abhängig von der Art des implantierten Kunststoffnetzes und zum anderen von der Netzposition innerhalb der Bauchwand. In der Onlay-Technik treten Serome durch die epifasziale Präparation vermehrt auf. Durch das Belassen des Bruchsacks bei den laparoskopischen Netzverfahren findet sich bei fast allen Patienten ein Serom. Die meisten Serome kommen meist spontan oder nach steriler Punktion zur Ausheilung, nur selten kommt es zur Ausbildung einer persistierenden Seromkapsel, die ggf. operativ revidiert werden muss. Netzinfektionen können in bis zu 10% der Fälle auftreten. Ob die Netzprothese entfernt werden muss oder einer konservativen Therapie zugänglich ist, hängt dabei vor allem von der Art des implantierten Netzes ab. > Keine der beschriebenen Operationsverfahren zur Narbenhernienreparation ist rezidivfrei. Bei konsequenter Einhaltung der oben aufgeführten Prinzipien der retromuskulären Netzreparation lassen sich jedoch Rezidivquoten von unter 5 % erzielen.
Rezidive treten vor allem an den Netzrändern durch unzureichende Präparation und Netzunterfütterung auf. Für das Verfahren der laparoskopischen Narbenhernienreparation stehen Langzeitergebnisse mit größeren Fallzahlen noch aus, erste Veröffentlichungen berichten von Rezidivquoten von bis zu 16% innerhalb der ersten 4 Jahre (Bageacu et al. 2002), in einer randomisierten Vergleichsstudie bei 12% (Itani 2010). Bei entsprechender Expertise können aber auch deutliche bessere Ergebnisse erreicht werden (Berger et al. 2009).
43
916
Kapitel 43 · Hernien
43.8
Ergebnisse und Prognose K. Junge
Prüfstein eines jeden Verfahrens zur Reparation einer Hernie ist neben der Rezidivrate auch der chronische Schmerz. Voraussetzung für die kritische Prüfung der verwendeten Methode bleibt somit nur die konsequente Nachuntersuchung des eigenen Krankengutes.
Grundsätzlich sind für valide Aussagen zur Ergebniserfassung in der Hernienchirurgie folgende Kriterien zu fordern: 4 Ausreichend große Fallzahl 4 Einheitliche chirurgische Technik 4 Nachuntersuchungszeitraum von mindestens einem Jahr 4 Klinische und sonographische Kontrolluntersuchungen Eine Vielzahl der Publikationen in der Hernienchirurgie erfüllen diese Kriterien nicht, diese sind im klinischen Alltag auch schwer zu realisieren. Den höchsten Stellenwert haben nach den Cochrane-Kriterien Metaanalysen prospektiv randomisierter Studien, wenngleich auch diese lediglich für die untersuchten Zeiträume verlässliche Aussagen treffen können und zum Teil durch Integration von Einzelstudien mit stark abweichenden Resultaten in ihrer Gesamtaussage fraglich erscheinen (s. unten).
43.8.1
Leistenhernien
Rezidivrate
43
Nach der Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung GmbH wurden für das Jahr 2002 unter Einbezug kindlicher Hernien sowie von Nabel- und Schenkelhernien in 49,98% ein Verfahren ohne Implantat und in 50,02% ein Verfahren mit Implantat verwandt. Dabei stehen 70,70% konventionellen 26,92% endoskopischen Verfahren gegenüber. Für die Leistenhernie des Erwachsenen sind die Methoden nach Shouldice, Lichtenstein sowie die TAPP und TEP die am häufigsten durchgeführten Interventionen. Dabei differieren die publizierten Rezidivraten erheblich. Zu unterscheiden sind die zumeist hervorragenden Ergebnisse spezialisierter Zentren von denen groß angelegter MulticenterStudien sowie von der Betrachtung durch Metaanalysen. Demgegenüber stehen dann die flächendeckenden epidemiologischen Erhebungen (Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung), deren Daten Rückschlüsse auf die Rezidivquote erlauben. Nach der Literatur lassen sich in spezialisierten Zentren mit nahezu allen angewandten Verfahren exzellente
Rezidivraten von <1% erreichen. Metaanalysen prospektiv randomisierter Studien konnten dabei im Hinblick die Rezidivrate einen Vorteil der offenen oder laparoskopischen Netzverfahrens gegenüber den Nahtverfahren zeigen (Collaboration 2000). So konnte mit einem Netzverfahren (maximalen Nachbeobachtungszeit von 4 Jahren) die kumulative Rezidivrate auf 1,6% (36/2232) im Vergleich zur der nach Nahtverfahren von 4,9% (113/2300) gesenkt werden. Dabei variierte die Rezidivrate erheblich innerhalb der 18 eingeschlossenen Studien (0–10,0% für die Netzverfahren sowie 0–23,0% für die Nahtverfahren). Kritisch anzumerken ist, dass die Ergebnisse dieser Metaanalysen durch einige wenige Studien unverhältnismäßig beeinflusst werden. So wurden im Vergleich der »Flatmesh«-Verfahren mit den Nahtverfahren im Rahmen dieser Metaanalyse 15 Studien integriert, von denen alleine 3 Studien für 61% der gesamten Rezidive in der Nahtgruppe verantwortlich waren. Beim Vergleich des TEP-Verfahrens mit den Nahtverfahren war unter insgesamt 6 Studien lediglich eine für sämtliche Rezidive bei den Nahtverfahren verantwortlich. Bei der auch nach 4 Jahren noch konstant linear ansteigenden Rezidivrate erscheint eine definitive Beurteilung, in wieweit die Rezidivrate auch dauerhaft gesenkt werden kann, noch verfrüht (. Abb. 43.35). Diese Skepsis wird unterstützt durch epidemiologische Daten der Qualitätssicherung, die zumindest bislang, bei nahezu konstant 50% mit einem Netzverfahren versorgten Patienten, keine signifikante Reduktion der Anzahl der Rezidivoperationen zeigen konnten.
Schmerzen Nach O’Dwyer treten postoperative Schmerzen nach Leistenhernienreparation in bis zu 30% der Patienten auf. Bezüglich der Verfahrenswahl (Netz- vs. Nahtverfahren, offene vs. endoskopische Netzverfahren) zeigt sich die Datenlage nicht eindeutig. Verfahrensunabhängig scheinen jedoch besonders junge Patienten betroffen zu sein. Nach klinischem Eindruck müssen direkt postoperativ auftretende Schmerzsyndrome von sich erst im Intervall von bis zu 2 Jahren postoperativ entwickelnden Schmerzsyndromen differenziert werden. Ursächlich erscheinen dabei intraoperative Nervenläsionen bis hin zu chronischen Nervenirritationen im Rahmen einer Fremdkörperreaktion z. B. nach Netzimplantation. Wenngleich als insgesamt häufige Komplikation zu nennen, ist eine operative Therapie (z. B. Neurolyse, Netzexplantation) zur Therapie eines chronischen Schmerzsyndroms eher selten, nicht zuletzt Ausdruck der geringen Erfolgsaussichten jeglicher chirurgischer Maßnahmen.
917 43.8 · Ergebnisse und Prognose
. Abb. 43.35 Linearer Anstieg der kumulativen Rezidivraten nach Naht- bzw. Netzverfahren zur Versorgung einer Leistenhernie (Colla-
boration 2000). Da bislang kein Plateau erreicht wird, sind Aussagen zur langfristigen Rezidivquote derzeit nicht möglich
. Abb. 43.36 Kumulative Rezidivraten nach Naht- bzw. Netzverfahren nach Flum et al. (2003)
43.8.2
Narbenhernien
Im Gegensatz zu den Leistenhernien erscheint die Datenlage bei der Narbenhernie eindeutig. 2004 veröffentlichten Burger et al. kumulative 10-Jahres-Rezidivraten einer Multicenter-Studie unter Vergleich der Naht- mit den Netzverfahren. Dabei zeigten die Nahtverfahren mit 63% eine signifikant erhöhte Rezidivrate gegenüber den Netzverfahren mit 32% (Burger et al. 2004). Diese Ergebnisse können durch eine auf 10.822 therapierten Patienten basierten »population-based« Studie bestätigt werden (Flum et al. 2003). Im
Rahmen dieser Studie wurde nach 5 Jahren durch unspezifizierte Netzverfahren eine im Vergleich zu den Nahtverfahren signifikante Reduktion der Rate an Rezidiveingriffen erreicht (13,9% vs. 11%). Dabei zeigt sich – wie bei den Leistenhernien beschrieben – auch hier eine konstant ansteigende kumulative Rezidivrate nach beiden Versorgungsverfahren, die im Rahmen der 10-Jahres-Übersicht nach Netzverfahren (. Abb. 43.36) lediglich eine Verschiebung des Auftretens eines Rezidivs um etwa 2 Jahre vermuten lässt. Werden die verschiedenen Verfahren zur Netzimplantation verglichen, so zeigen sich hinsichtlich der Rezidiv-
43
918
Kapitel 43 · Hernien
. Abb. 43.37 Kumulative Rezidivfreiheit beim Vergleich offener Netzverfahren (Schumpelick 2000)
. Tab. 43.7 Rezidivrate nach Narbenhernienreparation mittels Netz in Abhängigkeit vom Overlap Autor
Netzposition
Überlappung (cm)
Anzahl (n)
Follow-up (Monate)
Rezidivrate (%)
Park et al. 1999
Onlay
1,5
49
54
36
Luijendijk et al. 2000
Sublay
2
84
36
24
Schumpelick et al. 1999
Sublay
5
81
22
4,9
McLanahan et al. 1997
Sublay
6
86
24
3,5
Toniato et al. 2002
Sublay
6
77
38
2,6
rate Vorteile bei der retromuskulären Sublay-Technik gegenüber dem Onlay- und Inlay-Verfahren (. Abb. 43.37). Dabei zeigt sich eine Relation der Rezidivrate zum Ausmaß der Überlappung des Fasziensverschlusses durch das Netzimplantat (. Tab. 43.7). Wenngleich randomisierte Studien zum Vergleich laparoskopischer Verfahren mit den offenen Netzverfahren noch fehlen, so wurden zumindest durch einige Zentren bislang hervorragende Ergebnisse publiziert.
43.9
43
Literatur
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43
920
Kapitel 43 · Hernien
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43
44
Kindliche Hernien G. Steinau, K. Junge
44.1
Leistenhernien
– 922
44.1.1 44.1.2 44.1.3 44.1.4 44.1.5 44.1.6 44.1.7 44.1.8 44.1.9
Epidemiologie – 922 Klinische Symptomatologie Diagnostik – 922 Indikationsstellung – 922 Verfahrenswahl – 923 Operationstechnik – 923 Nachsorge – 924 Komplikationen – 924 Ausblick – 924
44.2
Nabelhernien
44.2.1 44.2.2 44.2.3 44.2.4 44.2.5 44.2.6
Embryologie – 924 Spontanverschlussrate – 925 Klinische Symptomatologie und Diagnostik Indikationsstellung – 925 Operationstechnik – 925 Komplikationen und Nachsorge – 925
44.3
Epigastrische Hernien
44.3.1 44.3.2 44.3.3
Klinische Symptomatologie und Diagnostik Operationstechnik – 926 Komplikationen und Nachsorge – 926
44.4
Literatur
– 922
– 924
– 925
– 926 – 926
– 926
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_44, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
922
Kapitel 44 · Kindliche Hernien
Die operative Versorgung kindlicher Hernien im Bauchdeckenbereich stellen die häufigsten Operationen im Kindesalter dar. Sie umfassen Leisten-, Nabel- und epigastrische Hernien. Leistenhernien müssen operiert werden; die Operationstechnik ist weitgehend standardisiert. Die meisten Nabelhernien verschließen sich spontan, vor allem bei Inkarzeration und Persistenz des Nabelbruchs besteht eine Operationsindikation. Epigastrische Hernien werden bei Nachweis der Faszienlücke und des Lipoms chirurgisch versorgt.
44.1
Leistenhernien
44.1.1
Epidemiologie
In etwa 1–2% aller termingeborenen Kinder ist mit dem Auftreten einer Leistenhernie zu rechnen, bei Frühgeborenen erhöht sich diese Rate auf 10–30%. In der Regel handelt es sich um indirekte Brüche, direkte Hernien und Schenkelhernien sind selten. Entwicklungsgeschichtlich bildet sich ein Processus vaginalis aus, der noch bei bis zu 90% aller Neugeborenen und bei 30–50% aller Kinder bis zum 2. Lebensjahr offen bleiben kann. Erst wenn sich dieser Processus vaginalis mit Bruchinhalt füllt, liegt eine Hernie vor. Von daher besitzt ein offener Processus vaginalis keinen Krankheitswert. Er kann auch bei Erwachsenen bei Autopsien in bis zu 30% nachgewiesen werden, ohne dass anamnestisch jemals eine Hernie bestanden hat. Da auf der rechten Seite der Hoden später deszendiert als links und dadurch der Processus vaginalis später obliteriert, treten häufiger Hernien auf der rechten Seite auf. Die Relation beträgt 5:1. In etwa 15% der Fälle sind beidseitige Hernien zu erwarten. Der Bruchsackinhalt besteht beim Jungen aus Darm- oder Netzanteilen, während beim Mädchen häufig Anteile des Ovar oder der Tube vorliegen. > Bei 1–2% aller Termingeburten ist mit einer Leistenhernie zu rechnen. Auf der rechten Seite tritt der Bruch häufiger auf.
44.1.2
44
Klinische Symptomatologie
Kardinalsymptom der Leistenhernie ist die inguinale Vorwölbung, besonders beim Schreien. Die Vorwölbung kann bei Jungen bis zum Skrotum reichen. Bei Mädchen ist die Schwellung neben dem Mons pubis und oberhalb des Os pubis lokalisiert. Häufig entdecken die Mütter die Schwellung als Zufallsbefund.
44.1.3
Diagnostik
Die Sicherung der Diagnose erfolgt durch das Abtasten der Bruchpforte und der eventuellen Reposition von Bruchsackinhalt. Gelegentlich ist bei der klinischen Untersuchung das Gleiten der Bruchsackhüllen zu tasten; sog. »silk-glove sign«. Geachtet werden muss auf das Vorliegen einer Asymmetrie im Inguinalbereich. Eine Invagination des Hodens mit Austastung des Leistenkanals ist im Säuglings- und Kleinkindesalter nicht notwendig. Sonographische Untersuchungen sind in der Regel entbehrlich. In vielen Fällen lässt sich die Diagnose durch die glaubhafte Schilderung des Befundes durch die Mutter stellen. Dies ist ausreichend zur Stellung der Diagnose Leistenhernie. Differenzialdiagnostisch von einer Leistenhernie sind eine Hydrozele, ein Leistenhoden, eine Femoralhernie und vergrößerte Lymphknoten abzugrenzen. Bei einer Hydrocele testis liegt ein prall elastischer Tumor im Hodenbereich, bei einer Hydrocele funiculi spermatici eine Vorwölbung im Leistenbereich vor. Kann der Oberrand der Hydrozele umfasst und oberhalb davon sicher eine Hernie ausgeschlossen werden, so besteht im ersten Lebensjahr keine Operationsindikation, da eine Hydrozele in diesem Lebensabschnitt sich häufig spontan zurückbildet. > Differenzialdiagnostisch sind Hydrozelen, Leistenhoden, Femoralhernien und vergrößerte Lymphknoten von einer Leistenhernie abzugrenzen.
44.1.4
Indikationsstellung
Der Nachweis einer Leistenhernie stellt die Indikation zur Operation dar. Handelt es sich um Frühgeborene mit einem Gewicht von unter 2500 g und liegt keine Inkarzeration vor, so kann unter stationären Bedingungen abgewartet werden, bis kurz vor der Entlassung die Operation elektiv erfolgt. Bei einer Inkarzeration ist die schonende Reposition eventuell im warmen Wasserbad und Sedierung indiziert. Gelingt die Reposition, sollten 1–2 Tage bis zur Operation abgewartet werden, damit sich das lokale Ödem zurückbilden kann. Bei nicht reponibler Hernie, unsicherer Reposition und im Zweifelsfall ist eine dringliche Operationsindikation vorhanden. Liegt eine doppelseitige Hernie vor, können beide Seiten in der gleichen Sitzung operiert werden. Kontroversen bestehen bezüglich der Exploration der Gegenseite, wenn nur einseitig eine Hernie nachgewiesen wurde. Wegen der potenziellen Gefährdung des Samenstranges und/oder der Hodengefäße wird eine routinemäßige Exploration der kontralateralen Seite von uns für nicht indiziert erachtet, wenn auch in den Vereinigten Staaten dies häufig vorgenommen wird.
923 44.1 · Leistenhernien
> Der Nachweis einer Leistenhernie stellt die Indikation zur Operation dar.
44.1.5
Verfahrenswahl
Therapieziel ist die hohe Bruchsackabtragung. Dies kann mit oder ohne Eröffnung des Leistenkanals erreicht werden. Gravierende Unterschiede in der Komplikations- oder Rezidivrate bestehen zwischen den beiden Verfahren nicht. Während in der Technik nach Fergusen regelhaft die Eröffnung des Leistenkanals vorgenommen wird, wird dieser Operationsschritt bei Czerny nicht durchgeführt, sondern durch den äußeren Leistenring die Abtragung des Bruchsackes herbeigeführt. Da bei größeren Kindern – bedingt durch die Länge des Leistenkanals – eine Bruchsackabtragung ohne Eröffnung des Leistenkanals erschwert sein kann, wird in der eigenen Klinik grundsätzlich die Operation mit Eröffnung des Leistenkanals vorgenommen. Ab einem Alter zwischen 12–14 Jahren führen wir regelhaft die Operation in der Technik nach Shouldice durch; dies kann bei kooperativen und älteren Jugendlichen auch in Lokalanästhesie durchgeführt werden. Bei allen Kindern und Jugendlichen unter 12 Jahren erfolgt die Operation in der oben beschriebenen Technik. > Die Operation wird mit Eröffnung des Leistenkanals und hoher Bruchsackabtragung durchgeführt. Bei Kindern älter als 12–14 Jahre erfolgt die Operation nach Shouldice.
44.1.6
Operationstechnik
In Rückenlage mit angehobenen Becken wird eine ca. 2–3 cm lange Inzision in der queren Unterbauchhautfalte durchgeführt. Nach Durchtrennung der Scarper-Faszie erfolgt die Darstellung der Aponeurose des M. externus. Es schließt sich die Eröffnung der Faszie und danach die Abschiebung des M. internus und des Ligamentum inguinale von der Faszie an. Der Anulus inguinalis externus wird dargestellt, muss jedoch nicht eröffnet zu werden. Durch die Spaltung der Kremasterfasern wird der Bruchsack sichtbar, der angeklemmt wird. Leitgebilde ist die glänzend weißliche Farbe des Bruchsackes. Die Samenstranggebilde verlaufen an der Hinter- bzw. Unterseite des Bruchsackes. 6
Der Bruchsack wird eröffnet und ein evtl. vorhandener Bruchsackinhalt vorsichtig reponiert. Anschließend erfolgt die Durchtrennung der Hinterwand des Bruchsackes, wobei das Setzen von stumpfen Klemmchen an der Hinterwand die Durchtrennung erleichtert, wenn dabei die Hinterwand firstartig nach oben gezogen wird. Samenstrang und Hodengefäße können dabei gut gesehen werden und sind bei diesem Manöver zu schonen. Nach der Durchtrennung erfolgt an der Ventralund Dorsalseite des Bruchsackes die weitere Präparation bis in Höhe des inneren Leistenringes. Die Samenstranggebilde werden mit einem feinen Tupfer nach dorsal weggedrückt, der Bruchsack wird verzwirbelt (. Abb. 44.1). In Höhe des inneren Leistenringes wird der Bruchsack mit einer 4×0-PGS-Naht umstochen und der überschüssige Anteil abgetragen. Der Stumpf des Bruchsackes zieht sich unter den M. internus zurück. Beim Mädchen wird der Bruchsackstumpf unter den M. internus fixiert, um das Ligamentum rotundum neu zu verankern. Der distale Anteil des durchtrennten Bruchsackes wird belassen. Liegt gleichzeitig ein Leistenhoden vor, so ist dieser in der gleichen Operationssitzung im Hodensack zu pexieren. Die Adaptation der Kremasterfasen erfolgt mit 4×0-PGS. Die Externus-Aponeurose wird ebenfalls mit 4×0 fortlaufendem PGS-Faden verschlossen. Resorbierbare Subkutannähte mit 5×0 und intrakutane Einzelknopfnähte der Stärke 6×0 beenden den Eingriff (. Abb. 44.2). Abschließend wird eine Streckung der Samenstranggebilde durch Zug am Hoden erreicht und so ein postoperativer Hodenhochstand vermieden.
. Abb. 44.1 Freipräparation des Bruchsackes bis in Höhe des inneren Leistenringes
44
924
Kapitel 44 · Kindliche Hernien
hochstand in bis zu 2% und Rezidivhernien kommen in etwa 0,3–1,5% vor.
44.1.9
. Abb. 44.2 Verschluss der Hautwunde
! Cave ! Bei Durchtrennung der Hinterwand des Bruchsackes darf es zu keiner Verletzung der Samenstranggebilde kommen.
44.1.7
Nachsorge
Kinder ab einem Alter von ½ Jahr und älter können noch am Operationstag entlassen werden. Auf das Baden sollte für ca. 1 Woche verzichtet werden. Eine körperliche Schonung ist lediglich Kindern, die Leistungssport ausüben, zu empfehlen. Nach ambulanten oder tageschirurgischen Eingriffen werden die weiteren Wundkontrollen regelhaft durch die niedergelassenen Pädiater vorgenommen.
44.1.8
44
Komplikationen
Komplikationen sind im Kindesalter seltene Ereignisse. Zu nennen sind Durchtrennungen des Ductus deferens oder der Vasa deferens; diese sollten unter Zuhilfenahme von mikrochirurgischen Techniken versorgt werden. Die diesbezüglichen Erfahrungen im Kindesalter sind allerdings spärlich und die Erfolgsaussichten gering. Häufiger wird es zu einer Schädigung der Samenstranggebilde durch eine Quetschung mit einer Pinzette oder einem Klemmchen kommen. Dies führt meist zum Verschluss der Gebilde. Intraoperativ kann es zu Verletzungen des Ovars, der Harnblase oder Darmanteilen kommen. Hämatome und Infektionen sind weitere Komplikationen die auftreten können. Oberflächliche Infekte der Wunden bedürfen desinfizierender Maßnahmen. Eine Wundspreizung ist nur in Ausnahmefällen erforderlich. Spätkomplikationen beinhalten die postoperative Hodenatrophie in bis zu 0,6%, den postoperativen Hoden-
Ausblick
Diagnostik und Operationstechnik sind standardisiert; es scheinen zukünftig lediglich punktuelle Fortschritte der Technik möglich zu sein. Verbesserungen zur Bestimmung von Risikogruppen bei der Ausbildung einer einseitigen bzw. beidseitigen Hernie werden möglich sein. Die Differenzierung des Kollagenstoffwechsels wird genauere Vorhersagen über die Entstehung von Rezidivhernien zulassen. Von Schier wurde Ende der 1990er-Jahre die laparoskopische Hernienoperation in Deutschland bekannt gemacht. Vorteile scheinen hinsichtlich des Erkennens einer kontralateralen Hernie zu bestehen. Nachteile liegen in den bisherigen höheren Rezidivraten und dem vermehrten technischen Aufwand der Operation.
44.2
Nabelhernien
44.2.1
Embryologie
Embryologisch entsteht der physiologische Nabelbruch durch ein Missverhältnis der Größe der Leibeshöhle und dem rasanten Wachstum der Dünndarmschlingen. Im Laufe der Entwicklung wird vorübergehend die Leibeshöhle zu klein, um die sich rasch entwickelnden Darmschlingen aufzunehmen, sodass ein Teil des Mitteldarms (Nabelschleife) in das extraembryonale Zölom innerhalb der Nabelschnur hinausgedrängt wird. Auf diese Weise kommt es zum sog. physiologischen Nabelbruch. Die Öffnung des Umbilikalkanals, der ventral durch die linea alba, dorsal durch die Fascia umbilicalis und lateral durch die beiden medialen Anteile der Rektusscheide begrenzt wird, verläuft oberhalb der obliterierten Nabelvene. Somit zieht der Kanal schräg durch die Bauchdecken vom Peritoneum bis zum Subkutangewebe und ist in etwa dem Leistenkanal vergleichbar. Insofern kann zwischen einer direkten und indirekten Nabelhernie unterschieden werden, wobei für den Nabel – anders als für die Leiste – postuliert wird, dass die direkte Hernie, die gerade durch die Bauchdecken verläuft, dem kongenitalen Typ und die indirekte Hernie, die innerhalb des Kanals verläuft dem Erwachsenentyp entspricht. > Direkte Nabelhernien entsprechen dem kongenitalen, indirekte dem Erwachsenentyp.
925 44.2 · Nabelhernien
44.2.2
Spontanverschlussrate
Es herrscht generelle Übereinstimmung, dass sich ein großer Teil der kindlichen Nabelhernien spontan verschließt. Die Rate der Spontanheilung einer kindlichen Nabelhernie wird in der Literatur mit 80–100% angegeben. In etwa der Hälfte der Fälle kommt es zu einem Verschluss innerhalb des ersten Lebensjahres, dies kann sich allerdings durchaus auch noch im 5., 6. oder späteren Lebensjahr ereignen. Der Spontanverschluss ist unabhängig von der Bruchgröße. Die Persistenz einer kindlichen Nabelhernie beträgt 6–10%. > 80–100% der Nabelhernien verschließen sich spontan. Die Persistenz beträgt 6–10%.
44.2.3
Klinische Symptomatologie und Diagnostik
Leitsymptom ist eine schmerzlose Schwellung, die in der Regel problemlos reponibel ist (. Abb. 44.3). Die Diagnose wird mit dem tastenden Finger gestellt. Differenzialdiagnostisch ist eine Inkarzeration oder eine supraumbilikale Hernie auszuschließen. Nabelfisteln oder -granulome lassen sich leicht erkennen. Eine sonographische Untersuchung ist entbehrlich.
44.2.4
Indikationsstellung
Die Ansichten über die Operationsindikation kindlicher Nabelhernien sind so zahlreich wie die Anzahl der Autoren. Sie kommen dabei zu so unterschiedlichen Ergebnissen, die von der Operation jeder Nabelhernie bis zur Operation keiner Hernie reichen. Eine absolute Operationsindikation besteht bei Vorliegen einer Inkarzeration, die sehr selten vorkommt. Hautulzerationen über dem Nabelbruch, die durch den permanenten
Baucheingeweidedruck ausgelöst und unterhalten werden, stellen ebenfalls eine dringliche Operationsindikation dar. Relative Indikationen liegen bei glaubhaften subjektiven Beschwerden und bei Persistenz des Nabelbruchs vor. Wenn die Indikation zur elektiven Operation einer kindlichen Nabelhernie besteht, so ist u. E. der günstigste Termin zwischen dem 4. und 6. Lebensjahr. Einerseits ist in der Regel nicht mehr mit einem Spontanverschluss zu rechnen, andererseits müssen die Kinder nicht aus der Schule genommen oder später in den Ferien operiert werden.
44.2.5
Wir führen den Eingriff in der von Spitzy schon 1910 beschriebenen Technik durch. In Rückenlage erfolgt die semizirkuläre infraumbilikale Umschneidung des Nabels. Nach Durchtrennung des Subkutangewebes wird der Nabelpfeiler dargestellt, umfahren und angezügelt. Der Bruchsack wird knapp unterhalb des Hautniveaus eröffnet und ein eventuell vorhandener Bruchsackinhalt reponiert. Eine exakte Darstellung der proximal und distal des Bruchsackes gelegenen Faszie schließt sich daran an. In querer Richtung wird mit 2×0-PGS-Naht der Verschluss des Bruchringes herbeigeführt und der Nabel durch eine an der Unterseite der Nabelhaut gestochene 3×0-Naht mit der Faszie fixiert, um das Nabelgrübchen wiederherzustellen. Der Hautverschluss erfolgt intrakutan mit resorbierbaren 6×0 Einzelknopfnähten. Ein kleiner Tupfer wird abschließend in die Nabelgrube mittels eines kleinen Kompressionsverbandes eingelegt.
> Die Operation der Nabelhernie erfolgt in der Technik nach Spitzy mit querem Verschluss des Bruchringes.
44.2.6
. Abb. 44.3 Kindliche Nabelhernie
Operationstechnik
Komplikationen und Nachsorge
Kommt es zu einer Verletzung der Nabelhaut, so wird diese Öffnung von innen her durch resorbierbare Einzelknopfnähte verschlossen. Rezidive sind selten und meistens Ausdruck einer fehlerhaften Operationstechnik. Des Weiteren können vereinzelt Hämatome, Serome oder Wundinfektionen auftreten. Regelmäßige Wundkontrollen werden empfohlen. Eine Sportbefreiung für ca. 2 Wochen erscheint angeraten.
44
926
Kapitel 44 · Kindliche Hernien
44.3
Epigastrische Hernien
Hernien die direkt dem Nabel benachbart sind, werden als supraumbilikale, die Hernien, die in der epigastrischen Linea alba auftreten, als epigastrische Hernien bezeichnet. Bei den Defekten in der Linea alba handelt es sich um eine oder mehrere Faszienlücken, die zwischen dem Processus xiphoideus und dem umbilicus auftreten können. Da in der Regel ein Bruchsack nicht vorhanden ist, werden sie als unechte Hernien bezeichnet. > Supraumbilikale und epigastrische Hernien müssen unterschieden werden. Es können eine oder mehrere Faszienlücken auftreten.
44.3.1
Klinische Symptomatologie und Diagnostik
Die klinische Symptomatik wird gewöhnlich durch die Vorwölbung von präperitonealen Lipomen verursacht, die zu Schmerzen bis hin zu Koliken führen können. Die Diagnostik beschränkt sich auf den Tastbefund, womit der Nachweis einer Faszienlücke erbracht wird. Im Zweifelsfalle kann eine Sonographie hilfreich sein. > Durch den Nachweis der Faszienlücke und des Lipoms ist die Operationsindikation gestellt.
44.3.2
Operationstechnik
Über dem präoperativ beim wachen Kind angezeichneten Fasziendefekt wird ein querer Hautschnitt angelegt. Liegt eine supraumbilikale Hernie vor, so führen wir einen semizirkulären Hautschnitt durch. Es erfolgt die Darstellung des Bruchringes mit Abtragung des präperitonealen Lipoms und die Freipräparation der Faszienränder. Der Defekt wird mit resorbierbaren Einzelknopfnähten der Stärke 2×0 in querer Richtung verschlossen. Die Hautnaht führen wir mit intrakutanen Einzelknopfnähten durch.
44.3.3
44
Komplikationen und Nachsorge
Hämatome, Serome und Wundinfektionen treten selten auf. Regelmäßige Wundkontrollen werden empfohlen. Ebenfalls wird eine körperliche Schonung für ca. 2 Wochen angeraten
44.4
Literatur
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45
Spezielle gastroenterologische Probleme in der Kinderchirurgie D. von Schweinitz
45.1
Grundlagen
– 930
45.1.1 45.1.2 45.1.3
Klinische Symptomatologie und Diagnostik des akuten Abdomens – 930 Bildgebende Diagnostik – 930 Spezielle Operationstechniken im Kindesalter
45.2
Ösophagusatresie
45.2.1 45.2.2 45.2.3 45.2.4
Epidemiologie und Pathogenese – 933 Klinische Symptomatologie und Diagnostik Operative Therapie – 935 Komplikationen und Prognose – 935
45.3
Gastroösophagelaer Reflux
45.3.1 45.3.2 45.3.3 45.3.4
Pathogenese – 936 Klinische Symptomatologie und Diagnostik Therapie – 937 Komplikationen und Ergebnisse – 937
45.4
Hypertrophe Pylorusstenose
45.4.1 45.4.2 45.4.3 45.4.4
Epidemiologie und Pathogenese – 937 Klinische Symptomatologie und Diagnostik Operative Therapie – 938 Komplikationen – 938
45.5
Duodenalatresie
45.5.1 45.5.2 45.5.3
Epidemiologie und Pathogenese – 939 Klinische Symptomatologie und Diagnostik Operative Therapie und Ergebnisse – 940
45.6
Dünndarmatresien
45.6.1 45.6.2 45.6.3 45.6.4
Epidemiologie und Pathogenese – 940 Klinische Symptomatologie und Diagnostik Operative Therapie – 941 Ergebnisse und Prognose – 942
– 931
– 933 – 933
– 936 – 936
– 937 – 937
– 939 – 939
– 940 – 940
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9_45, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
45.7
Malrotationsanomalien des Darms
– 942
45.7.1 45.7.2 45.7.3
Pathogenese – 942 Klinische Symptomatik und Diagnostik – 943 Operative Therapie und Ergebnisse – 943
45.8
Mekoniumileus
45.8.1 45.8.2 45.8.3
Pathogenese und Epidemiologie – 944 Klinische Symptomatologie und Diagnostik Therapie und Prognose – 944
45.9
Invagination
45.9.1 45.9.2 45.9.3
Epidemiologie und Pathogenese – 944 Klinische Symptomatik und Diagnostik – 945 Therapie und Ergebnisse – 945
45.10
Appendizitis
45.10.1 45.10.2
Epidemiologie, klinische Symptomatologie und Diagnostik Operative Therapie und Ergebnisse – 946
45.11
Meckel-Divertikel
45.11.1 45.11.2 45.11.3
Epidemiologie und Pathogenese – 946 Klinische Symptomatologie und Diagnostik Operative Therapie und Ergebnisse – 946
45.12
Nekrotisierende Enterokolitis
45.12.1 45.12.2 45.12.3
Epidemiologie und Pathogenese – 947 Klinische Symptomatologie und Diagnostik Therapie und Ergebnisse – 947
45.13
Morbus Hirschsprung und intestinale neuronale Dysplasie – 949
45.13.1 45.13.2 45.13.3 45.13.4 45.13.5 45.13.6
Pathogenese und Epidemiologie – 949 Klinische Symptomatologie und Diagnostik – 950 Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl – 950 Operationstechnik – 950 Komplikationen und Ergebnisse – 951 Intestinale neuronale Dysplasie – 951
– 944 – 944
– 944
– 945
– 946 – 946
– 947 – 947
– 945
45 45.14
Anorektale Malformationen
45.14.1 45.14.2 45.14.3 45.14.4 45.14.5 45.14.6
Epidemiologie und Pathogenese – 952 Klinische Symptomatologie und Diagnostik Chirurgische Strategie – 954 Operationstechnik – 954 Nachsorge – 954 Komplikationen und Ergebnisse – 954
45.15
Gallengangsatresie
45.15.1 45.15.2 45.15.3 45.15.4
Epidemiologie und Pathogenese – 955 Klinische Symptomatologie und Diagnostik Operative Therapie – 956 Ergebnisse und Prognose – 956
45.16
Literatur
– 956
– 952 – 953
– 955 – 955
930
45
Kapitel 45 · Spezielle gastroenterologische Probleme in der Kinderchirurgie
Viele gastroenterologische Erkrankungen des Kindesalters unterscheiden sich grundlegend von denen des Erwachsenenalters. Wegen der verschiedenartigen Physiologie und der verschiedenen Entwicklungsstufen treten sie meist altersspezifisch auf. Zudem beruhen viele, vor allem auch chirurgische Erkrankungen, auf angeborenen Fehlbildungen, wobei nicht alle dieser Fehlbildungen sofort in der Neugeborenenperiode klinisch in Erscheinung treten müssen. So bestehen nicht nur Unterschiede zum Erwachsenenalter, sondern jede Altersperiode der Kindheit hat seine speziellen chirurgisch-gastroenterologischen Erkrankungen. Dies bedeutet, dass hinsichtlich Diagnostik und Therapie eine hoch differenzierte Vorgehensweise notwendig ist, um für die einzelnen Patienten eine möglichst günstige Prognose zu bewirken, die sich stets auf das ganze zukünftige Leben bezieht. Deshalb sind für die Behandlung dieser Erkrankungen genaue Kenntnisse in der Embryologie, Physiologie und Anatomie des Kindesalters, in speziellen operativen Techniken und in der Nachsorge für diese Patienten notwendig. Da gerade in den vergangenen Jahren sowohl technisch, aber auch in der molekularen Diagnostik rapide Fortschritte erzielt wurden, unterliegt die viszerale Kinderchirurgie einem ständigen Wandel, mit dem Schritt zu halten nötig ist, um bestmögliche Diagnostik und Therapie anbieten zu können. Das bedeutet, dass die Mehrzahl der Erkrankungen, vor allem bei Neugeborenen und Säuglingen, an kinderchirurgischen Zentren behandelt werden sollten, an denen die nötige Expertise vorhanden ist. Die Mehrzahl der Krankheitsbilder entsteht durch Fehlbildungen des Magen-Darm-Traktes bei Neugeborenen, Säuglingen und Kleinkindern, einige jedoch auch sekundär als Folge von Entzündungen. Auf die häufigsten dieser Erkrankungen soll nach einem allgemeinen Teil in diesem Kapitel kurz eingegangen werden, um dem Viszeralchirurgen einen Überblick über die Entstehung, Symptomatik, Diagnostik, Therapie und Prognose zu geben. Eine Vertiefung kann über die im Anhang aufgeführten speziellen Monographien erfolgen (von Schweinitz u. Ure 2009).
45.1
Grundlagen
45.1.1
Klinische Symptomatologie und Diagnostik des akuten Abdomens
eher diffusen Schmerzäußerung. Erbrechen oder Rückfluss aus der Magensonde sind klare Zeichen für eine Transportstörung. Die Darmgeräusche sind auch bei einer Obstruktion oft vermindert, eine typische Stenoseperistaltik wie beim älteren Patienten lässt sich selten hören. Gelegentlich kann auch bei einer kompletten Obstruktion noch ein Absetzen von Mekonium beobachtet werden. Vor allem bei Frühgeborenen kann eine sich rasch ausbreitende Phlegmone der Bauchdecken auf eine abgelaufene Perforation hinweisen. > Bei Früh- und Neugeborenen kann eine allgemeine Sepsis einziges Indiz für ein akutes Abdomen sein. Ältere Säuglinge und Kleinkinder bieten meist klarere Zeichen für ein akutes Abdomen. Akute Nahrungsverweigerung, Erbrechen, Stuhlverhalt und ein rascher Verfall des Allgemeinzustandes sind klare Zeichen. Jedoch bereitet die klinische Artdiagnose und Lokalisationsdiagnostik bei den nichtkooperativen, berührungsempfindlichen, oft jammernden oder schreienden Kindern erhebliche Schwierigkeiten. So ist die klinische Untersuchung oft nicht sehr befriedigend. Umso wichtiger ist deshalb die genaue Befragung der Eltern oder Betreuer hinsichtlich der Vorgeschichte und dem zeitlichen Ablauf aller Symptome. Schulkinder bereiten die wenigsten Probleme. Bei ihnen ist die Anzahl der Differenzialdiagnosen am geringsten. Häufig weisen typische Symptome und klare anamnestische Angaben bereits auf die Erkrankung hin, und die Befunde der physikalischen Untersuchung sowie weiterführender Diagnostik sind eindeutig. . Tab. 45.1 gibt eine Übersicht über die wichtigsten chirurgischen Erkrankungen mit einem akuten Abdomen und ihr Vorkommen in den verschiedenen Altersperioden. Dazu muss in die Differenzialdiagnose, vor allem bei Neugeborenen und Säuglingen, eine Reihe internistischer Erkrankungen einbezogen werden, wie Stoffwechselstörungen, Zöliakie und auch die Enteritis, im Schulalter die Purpura SchönleinHennoch, gegen die die chirurgischen Erkrankungen abgegrenzt werden müssen.
45.1.2
Gerade bei Früh- und Neugeborenen ist die Symptomatik beim akuten Abdomen sehr oft unspezifisch und der lokale Befund wenig eindrucksvoll. Dabei unterscheidet sie sich wesentlich von der des Schul- und Erwachsenenalters. Die Kinder wirken oft schlapp und krank, ein geblähtes Abdomen fällt beim Darmverschluss oder einer Perforation auf. Die Bauchdecken werden quasi nie bretthart, und auf die Palpation reagieren die Neugeborenen mit einer
Bildgebende Diagnostik
Eine gute Bildgebung ist essenziell für eine rasche und sichere Diagnose sowie für die richtige Indikationsstellung einer eventuellen Operation. Auch hier gibt es vor allem im frühen Kindesalter Besonderheiten, die es zu beachten gilt. Deshalb sollte immer zumindest ein pädiatrisch versierter Radiologe, am besten ein spezialisierter Kinderradiologe bei Säuglingen und Kleinkindern die bildgebende Diagnostik durchführen. Der Schwerpunkt der Bildgebung im Kindesalter liegt heute ganz eindeutig bei der Sonographie. Besser als bei
931 45.1 · Grundlagen
. Tab. 45.1 Differenzialdiagnose des akuten Abdomens im Kindesalter Erkrankung
Lebensalter
Magenperforation
FG/NG
Magen-/Pylorusatresie
FG/NG
Hypertrophe Pylorusstenose
Sgl
Duodenalatresie/-stenose
FG/NG
Dünn-/Dickdarmatresie
FG/NG
Volvulus/Kompression bei Lageanomalien des Darms
FG/NG/Sgl/KK
Rektum-/Analatresien
FG/NG
Invagination
Sgl/KK
Meckel-Divertikel
Sgl/KK/SK
Appendizitis
(KK)/SK
Mekoniumileus
FG/NG
Mekoniumpfropfsyndrom
FG/NG
Intraluminäre Obstruktion bei zystischer Fibrose
KK/SK
Nekrotisierende Enterokolitis
FG/(NG)
M. Hirschsprung
(FG)/NG/Sgl/KK
M. Crohn, Colitis ulcerosa
SK
Akute Pankreatitis
(KK)/SK
Tumoren, Raumforderungen
NG/Sgl/KK/SK
FK Frühgeborenes, NG Neugeborenes, Sgl Säugling, KK Kleinkind, SK Schulkind
Erwachsenen lassen sich beim Kind mit dieser Methode Veränderungen der parenchymatösen Organe, aber auch vieler Anteile des Magen-Darm-Traktes darstellen. Dabei nimmt die farbkodierte Dopplersonographie einen zunehmenden Stellenwert ein. Wichtig sind jedoch eine entsprechende Ausrüstung (z. B. spezieller Schallkopf) und gegebenenfalls eine Ruhigstellung des Kindes. Gelegentlich ist es sinnvoll, dass der Chirurg zusammen mit dem Radiologen und dem Pädiater die Beurteilung der Befunde während der sonographischen Untersuchung vornimmt. An zweiter Stelle steht auch heute noch die konventionelle Röntgenuntersuchung. Hier ist es bei guter Kenntnis der möglichen Differenzialdiagnosen oft schon anhand einer Abdomenleeraufnahme möglich, die korrekte Diagnose zu stellen. So können oft Kontrastmitteluntersuchungen vermieden werden. Überhaupt sollte vor allem bei Früh- und Neugeborenen mit der Anwendung von Röntgenkontrastmitteln äußerste Zurückhaltung geübt werden. Wenn notwendig, sollten diese stets als isotone Lösungen
verabreicht werden. Wasserlösliche Kontrastmittel sind in aller Regel den bariumhaltigen vorzuziehen. Bei Atresien des Magen-Darm-Traktes oder Perforationen ist die antegrade Kontrastmittelgabe überflüssig und kontraindiziert. Die Schichtbildverfahren Computer- und Kernspintomographie (MRT) kommen bei gastroenterologischen Erkrankungen des Kindesalters nur selten zum Einsatz. Ihre Nachteile liegen in der Strahlenbelastung (beim CT), dem hohen technischen Aufwand und den Kosten sowie bei Kleinkindern in der Notwendigkeit einer Narkose während der Durchführung. Indikationen können sich beim Abdomentrauma sowie bei Prozessen der parenchymatösen Organe wie Leber, Milz oder Pankreas ergeben. In jüngerer Zeit gibt es Fortschritte in der Anwendung des MRT bei kindlichen Darmerkrankungen, das heute schon in einigen speziellen Fällen die Kontrastmittel-Röntgenuntersuchungen ersetzen kann. Im Gegensatz hierzu befinden sich endoskopische Techniken auch im Kindesalter im Vormarsch, nachdem Geräte hierfür entwickelt wurden, die genügend klein sind, um sie auch beim Säugling und Kleinkind einzusetzen. Hierzu zählen die Ösophagogastroskopie, die obere Intestinoskopie sowie die Koloskopie. Die Durchführung der ERCP wird nur an ganz wenigen Zentren bei Kindern ausgeübt und bedarf einer hochspeziellen Erfahrung. Alle diese Techniken sollen nur von speziell ausgebildeten pädiatrischen Gastroenterologen oder Kinderchirurgen ausgeführt werden, die die speziellen Krankheitsbilder und die möglichen Gefahren der jeweiligen Altersgruppe kennen. In aller Regel müssen Endoskopien bei Kindern in Vollnarkose vorgenommen werden. Die Verwendung von Laparoskopie und Thorakoskopie zur Diagnostik ist heute mit Einführung entsprechender Gerätschaften in kinderchirurgischen Zentren etabliert (Bax et al. 2008) > Standarduntersuchungen bei akutem Abdomen im Kindesalter sind die Sonographie und die Abdomenröntgenaufnahme.
45.1.3
Spezielle Operationstechniken im Kindesalter
Zugangswege Insbesondere bei jungen Kindern mit dem noch relativ kurzen Abdomen sollte als Standard die quere Laparotomie, in den meisten Fällen über dem Oberbauch, gewählt werden. Von diesem Zugang aus kann man bei Säuglingen und Kleinkindern bei guter Übersicht alle Bereiche des Abdomens einsehen. Stets sollte der Nabelvenenstrang zwischen Ligaturen durchtrennt werden, um einer postoperativen aufsteigenden Infektion mit nachfolgender
45
932
Kapitel 45 · Spezielle gastroenterologische Probleme in der Kinderchirurgie
45
. Abb. 45.1 Einschichtige Nahttechnik nach Herzog
. Abb. 45.2 »End-to-back«-Anastomose
Sepsis vorzubeugen. Lediglich bei Operationen am abdominellen Ösophagus (z. B. Fundoplikatio) oder im kleinen Becken (anale Durchzugsoperation) ist auch bei kleinen Kindern die Längslaparotomie berechtigt, die am Unterbauch oft auch über einen Pfannenstielschnitt möglich ist. Als Zugang zum thorakalen Ösophagus wählt man – bei normalen Situs – in aller Regel die rechtslaterale Thorakotomie. Dabei kann man bei Säuglingen retropleural vorgehen, indem man die Pleura parietalis stumpf von der Thoraxwand abschiebt und den Pleurasack vollkommen intakt lässt. Bei Eingriffen am tiefen Rektum (z. B. bei Rektumatresie) hat sich der perineale Zugang in der Mittellinie dorsal bis zum Steiß bewährt, von dem aus die extraperitonealen Organe des kleinen Beckens gut dargestellt werden können. Auch die minimalinvasive Chirurgie kommt im Kindesalter nach Entwicklung genügend kleiner Laparoskope mit zugehörigem Instrumentarium zunehmend zum Einsatz und kann diagnostisch und therapeutisch genutzt werden. Die Indikationen zu laparoskopischen Operationen müssen im Kindesalter jedoch besonders kritisch gestellt werden, da die mit geringem Risiko durchzuführenden Eingriffe in dieser Altersgruppe oft noch sicherer, schneller und kostengünstiger mittels konventioneller, offener Chirurgie ohne große Belastung der Patienten möglich sind. Auf alle Fälle bedarf es eines speziellen Trainings in der kindlichen Laparoskopie, bevor ein Chirurg diese Eingriffe vornehmen kann (Bax et al. 2008).
einer Einengung des Lumens kommen, sodass die Passage bis zur Abschwellung eingeschränkt ist.
Nahttechnik bei kleinlumigem Darm Prinzipiell können auch bei jungen Kindern für die Darmnaht dieselben Techniken angewendet werden wie bei Erwachsenen. Viele Kinderchirurgen verwenden die einreihige, nicht invertierende, auf Stoß genähte Anastomose, andere die zweireihige invertierende Technik. Die Technik nach Herzog (1974) hat sich hierbei bewährt, da sie dennoch bereits primär dieselbe Festigkeit der Anastomose wie die zweireihige Technik gewährleistet (. Abb. 45.1). Bei sehr kleinlumigem Darm, vor allem des Neu- und Frühgeborenen, kann es jedoch direkt postoperativ zu
Besondere Techniken der kindlichen Darmchirurgie Bei einer Reihe von angeborenen Erkrankungen, insbesondere kongenitalen Atresien des Dünndarms, besteht eine große Kaliberdifferenz zwischen dem proximalen und distalen Darmanteil, die das Anfertigen einer Anastomose technisch außerordentlich erschwert. Dennoch sollte immer eine primäre End-zu-End-Anastomose angestrebt werden, da mit dieser langfristig Passagestörungen und Probleme durch ein Blindsacksyndrom vermieden werden können. Von dem stark aufgeweiteten proximalen Blindsack sollte ein genügend großer Anteil reseziert werden, da das untere Ende des Blindsackes auch nach längerer Wartezeit keine gerichtete Peristaltik entwickelt. Durch Exzision eines keilförmigen antimesenteriellen Wandanteils kann am proximalen Darmteil das Lumen nach Vernähen konisch eingeengt werden, um eine Anastomose mit dem distalen, kaliberschwachen Anteil zu ermöglichen. Zusätzlich kann der engere Darm noch schräg angeschnitten und antimesenterial längs inzidiert werden, wonach die Anastomose dann als sog. »End-to-back«Anastomose angefertigt wird (. Abb. 45.2). > Auch bei großer Kaliberdifferenz sollte eine End-zu-End-Anastomose angestrebt werden (ggf. »end-to-back«).
Eine Technik, mittels der bei Kindern mit sehr weitem proximalem Darmanteil dieser für eine Darmverlängerung genutzt werden kann, ist die Bianchi-Technik (Bianchi 1980). Hierbei wird der Darm so in seiner Längsachse gespalten, dass die letzten Gefäßverzweigungen im Mesenterium jeweils zur rechten und/oder zur linken Darmhälfte präpariert werden können. Danach können die zwei Hälften um eine gewisse Strecke gegeneinander verschoben und zu einem dünneren Rohr hintereinander geschaltet vernäht werden. Diese Operation wird vor allem zur Verbesserung eines Kurzdarmsyndroms bei Kindern ver-
933 45.2 · Ösophagusatresie
Eine besondere Form des Kunstafters ist die BishopKoop-Fistel (Bishop u. Koop 1957), derer man sich bedienen kann, wenn damit zu rechnen ist, dass eine Passagestörung nur vorübergehend anhält, wie z. B. nach einer Darmatresie oder bei einem Mekoniumileus. Hierbei wird nach Durchtrennung der proximale Darmschenkel Endzu-Seit an den abführenden Schenkeln anastomosiert und als endständiger Anus praeter ausgeführt. So bildet dieser Kunstafter ein Überlaufventil, das aber die natürliche Passage nicht verhindert, wenn der distale Schenkel wieder frei durchgängig wird. Gelegentlich verschließt sich eine Bishop-Koop-Fistel dann auch spontan.
. Abb. 45.3 Lange Seit-zu-Seit-Anastomose zwischen aganglionärem Kolon und gesundem Dünndarm
wendet. Vor einigen Jahren wurde eine weitere, technisch viel einfachere Methode zur Darmverlängerung entwickelt, die serielle transverse EntroPlastik – STEP (Kim et al. 2003). In vielen kinderchirurgischen Zentren wie auch nach eigener Erfahrung ist beim erweiterten kindlichen Kurzdarm diese Anwendung von seriellen, queren Staplernaht-Einschnitten gut anwendbar und kann die Darmmotilität und Resorptionsfunktion in diesen Fällen deutlich verbessern (von Schweinitz u. Ure 2009). Ebenfalls im Kindesalter häufiger als bei Erwachsenen ist die Verwendung längerer Seit-zu-Seit-Anastomosen von zwei Darmabschnitten. Diese findet vor allem bei der Hirschsprung-Erkrankung Verwendung (7 Abschn. 45.13), um längere Anteile aganglionären Darms nicht verwerfen zu müssen, seine Resorptionsfläche zu nutzen und dennoch eine gerichtete Peristaltik zu erhalten (O’Neill et al. 2003). Hierbei wird ein aganglionärer Darmabschnitt (in der Regel Dickdarm) antimesenteriell geschlitzt und mit einem entsprechenden gesunden Dünn- oder Dickdarmabschnitt Seit-zu-Seit vernäht (. Abb. 45.3). Nicht selten müssen auch im Kindesalter, oft schon bei Neugeborenen, Anus praeter angelegt werden. Prinzipiell können diese doppelläufig oder endständig wie bei Erwachsenen gefertigt werden. Bei einigen Indikationen ist es wichtig, eine genügend große Hautbrücke zwischen zuund abführendem Schenkel zu bilden, um einen Übertritt von Kot in den ausgeschalteten Darmschenkel sicher zu vermeiden. Handwerklich schwierig kann die Anlage eines Anus praeter bei Neu- und Frühgeborenen sein, insbesondere wenn die sehr dünne und zerreißliche Darmwand zusätzlich entzündet ist. Dann sind auch spätere Komplikationen wie Prolaps, Stenose, Wandperforation und Hauterosionen häufig.
45.2
Ösophagusatresie
45.2.1
Epidemiologie und Pathogenese
Die Häufigkeit der Ösophagusatresie wird mit einem Fall auf 3000 Geburten angegeben. Sie entsteht offensichtlich durch eine fehlerhafte Trennung der Ösophagus- von der Trachealanlage. Die genaue Pathogenese ist jedoch unklar, zumal auch die normale Embryologie dieser beiden Organe nicht eindeutig bekannt ist. Wichtig ist, dass 50–70% aller Kinder mit einer Ösophagusatresie weitere Fehlbildungen aufweisen, und zwar 35% kardiovaskuläre, 24% gastrointestinale und 20% urogenitale Malformationen; 25% der Kinder haben eine VACTERL-Assoziation mit vertebralen, anorektalen, kardialen, tracheo-ösophagealen und renalen sowie Extremitätenfehlbildungen (»limb«). Die isolierte Ösophagusatresie ist sehr selten, meistens besteht eine Verbindung zur Trachea. Diese »Fistel« geht bei 85% der Kinder vom unteren Blindsack aus (Typ Vogt IIIb; . Abb. 45.4). Im deutschsprachigen Raum hat sich die Typeneinteilung nach Vogt (1929) weitgehend durchgesetzt. Wichtig ist zu wissen, dass beim seltenen Typ II ohne Fistel zur Trachea quasi immer ein sehr großer Abstand zwischen den Ösophagusenden besteht. Als Sonderform sind die H-Fistel, bei der der Ösophagus normal durchgängig ist (Typ IV), und die extrem seltene komplette Aplasie des Ösophagus (Typ I) zu nennen.
45.2.2
Klinische Symptomatologie und Diagnostik
Vielfach wird die Verdachtsdiagnose einer Ösophagusatresie bereits sonographisch während der Schwangerschaft gestellt, vor allem wenn bei der Mutter ein Polyhydramnion vorliegt. Postnatal werden die Kinder durch eine übermäßige Salivation auffällig, bei der ersten Trinkmahlzeit kommt es zu Erbrechen und Husten.
45
934
Kapitel 45 · Spezielle gastroenterologische Probleme in der Kinderchirurgie
45
. Abb. 45.4 Typen der Ösophagusatresie nach Vogt
Rasch kann eine Überblähung des Magens eintreten, insbesondere bei künstlicher Beatmung. Durch einen Zwerchfellhochstand kommt es danach zu einer Beeinträchtigung der Atmung, die wegen Übertritts von Magensaft über die untere Fistel in das Bronchialsystem und der nachfolgenden Entzündung verschlimmert wird. So kann bald das Bild eines Atemnotsyndroms entstehen. Bereits direkt nach der Geburt sollte die Diagnose vermutet werden, wenn sich eine Magensonde nicht vorschieben und kein Fruchtwasser aspirieren lässt. In einem solchen Fall darf das Neugeborene nicht mit der Maske beatmet werden, um eine rasche Überblähung des Magens zu vermeiden. Die Verlegung in eine Kinderklinik erfolgt, wenn möglich, unter Spontanatmung. Nach Einbringen einer kontrastgebenden Magensonde kann die Diagnose anhand einer thorakoabdominellen Röntgenaufnahme gestellt werden (. Abb. 45.5). Findet sich ein weiter oberer Blindsack und Luft im Magen-Darm-Trakt, ist die häufigste Form mit unterer tracheoösophagealer Fistel sehr wahrscheinlich. Eingabe von Kontrastmittel (nur wasserlöslich!) ist in aller Regel überflüssig. Ein luftleeres Abdomen weist auf das Fehlen einer unteren, ein kleiner oberer Blindsack auf das Vorliegen einer oberen Fistel hin. Die endgültige Sicherung der anatomischen Variante lässt sich mittels Bronchoskopie und Ösophagoskopie in Narkose direkt vor der Korrekturoperation erreichen. Präoperativ sollte mittels Ultraschall bzw. Echokardiographie ein normaler, linksseitiger Verlauf des Aortenbogens gesichert werden. Weitere Fehlbildungen am Herzen, dem Urogenitalsystem, dem Magen-Darm-Trakt sowie der Wirbelsäule sind mittels Ultraschall zu suchen. Ferner empfiehlt sich die Blutentnahme für eine Chromosomenanalyse. . Abb. 45.5 Thorakoabdominelles Röntgenleerbild bei Ösophagusatresie Typ III b nach Vogt mit großem oberem Blindsack und Luft im Magen und Intestinum
45
935 45.2 · Ösophagusatresie
45.2.3
Operative Therapie . Tab. 45.2 Risikogruppen bei Kindern mit Ösophagusatresie
Die Ösophagusatresie stellt in der Regel keine absolute Notfallindikation zur Operation dar, solange kein schweres Atemnotsyndrom besteht. Meist ist es günstiger, unter ständiger Saugung an der Sonde im oberen Blindsack das Kind zu stabilisieren. Abhängig von der Gesamtprognose ist das weitere Vorgehen festzulegen: 4 Bei Kindern der Risikogruppe I und einem erwarteten kurzen Abstand der Blindsäcke (Typ Vogt IIIb und IIIc; Spitz et al. 1994; . Tab. 45.2) sollte rasch eine primäre Korrektur vorgenommen werden. 4 Bei Kindern der Risikogruppe II und III kann es besser sein, zunächst eine Gastrostomie anzulegen und später die Anastomose durchzuführen. 4 Bei einem großen Abstand der Blindsäcke (≥6 Wirbelkörper, Typ II und IIIa nach Vogt) muss meistens primär die Fistel verschlossen und eine Gastrostomie, gegebenenfalls auch ein zervikales Ösophagostoma angelegt werden. Allerdings kann ein sofortiger Verschluss der unteren Fistel als Notfalleingriff ist bei rascher Verschlechterung der Atemsituation notwendig werden. Dies sollte, wenn möglich, dann mit einer endgültigen Korrektur durch eine End-zu-End-Anastomose kombiniert werden. Die Korrekturoperation erfolgt bei normalem linksseitigem Aortenbogen über eine rechtslaterale Thorakotomie durch den 4. ICR. Durch stumpfes Abschieben der Pleura parietalis können auf diesem extrapleuralen Weg nach Durchtrennen der V. azygos die Ösophagusenden aufgesucht werden. Nach Absetzen und luftdichtem Verschluss der Fistel werden die Ösophagusanteile so präpariert, dass eine spannungsfreie End-zu-End-Anastomose möglich ist. Nach Eröffnen des oberen Blindsackes erfolgt diese mittels einer einreihigen Einzelknopfnaht nach Platzieren einer Magensonde. Bei extrapleuralem Vorgehen ist die Einlage einer Drainage fakultativ.
Gruppe
Geburtsgewicht
Herzfehler
Überlebensrate (%)
I
>1500 g
Kein Herzfehler
95
II
<1500 g
Oder Herzfehler
59
III
<1500 g
Mit Herzfehler
22
der Anastomose indiziert. Nach 10 Tagen sollte die Anastomose mittels Kontrastmittelröntgen überprüft werden. Insbesondere bei isolierter Ösophagusatresie (Typ II) ohne tracheoösophageale Fistel kann der Abstand zwischen den Blindsäcken sehr groß und eine primäre Anastomose unmöglich sein. Bei diesen Kindern wird zunächst eine Gastrostomie angelegt und die endgültige Korrektur verschoben, die manchmal alleine durch spontanes Wachstum der Blindsäcke später möglich werden kann. Es wurde eine Vielzahl von zusätzlichen Techniken der Bougierung beschrieben. Sollte beim aufgeschobenen Eingriff der Abstand noch immer sehr groß sein, kann durch komplette Mobilisierung des unteren Ösophagus und durch zirkuläre oder spiralförmige Myotomie am oberen Blindsack dieser oft überwunden werden. Auch ist es möglich, aus dem weiten oberen Blindsack einen Vorderwandlappen zu bilden, der heruntergeschlagen und zu einem Rohr geformt einige Zentimeter überbrücken kann. Bei Versagen dieser Methoden muss der fehlende Ösophagus ersetzt werden. Dieses kann durch Kolon- oder Dünndarminterponation oder durch einen Magenhochzug geschehen. Insbesondere Letzterer wurde in den letzten Jahren zunehmend propagiert und bringt in der Mehrzahl der Kinder befriedigende funktionelle Ergebnisse (Spitz 1992). > Eine notfallmäßige Operation der Ösophagusatresie erfolgt nur bei schwerem Atemnotsyndrom vor allem zum Verschluss der tracheoösophagealen Fistel.
45.2.4
Einige kinderchirurgische Kliniken führen die Ösophagusanastomose mit gutem Erfolg auch thorakoskopisch durch (Bax et al. 2008). Wegen der hohen technischen Schwierigkeit und der noch nicht validierten Gleichwertigkeit der Ergebnisse kann aber dieses Vorgehen noch nicht als allgemeiner chirurgischer Standard angesehen werden (Metzelder u. Ure 2010). Postoperativ wird das Neugeborene auf der Intensivstation betreut. Eine längere und tiefere Sedierung und Beatmung sind jedoch nur bei größerer Spannung auf
Komplikationen und Prognose
Eine frühe Komplikation ist die Anastomoseninsuffizienz, die bei bis zu 15% der Patienten auftritt. Oft reicht eine Drainage als alleinige Maßnahme und es kommt zu einer spontanen Abheilung, nur selten ist eine operative Revision notwendig. Sehr viel häufiger, in bis zu 40% aller Fälle, kommt es im Verlauf zu Anastomosenstrikturen. In den meisten Fällen reicht es aus, die Anastomose ein- oder mehrfach zu bougieren, was mittels in Narkose eingeführter Bougies oder über eine endoskopisch durchgeführte Ballon-
936
45
Kapitel 45 · Spezielle gastroenterologische Probleme in der Kinderchirurgie
dilatation bewerkstelligt werden kann. Relativ selten kommt es zu einem Rezidiv der tracheoösophagealen Fistel, vor allem nach einer Anastomoseninsuffizienz. Hier bedarf es in aller Regel einer operativen Revision mit Verschluss der Rezidivfistel und Interponation von Weichteilgewebe zwischen Trachea und Ösophagus. Im weiteren Verlauf kommt es oft zu einem klinisch signifikanten gastroösophagealen Reflux. Bei entsprechenden Symptomen wird zunächst eine konservative Therapie eingeleitet, jedoch wird bei einer Reihe dieser Patienten eine operative Beseitigung mittels einer Fundoplikatio notwendig. Einige Säuglinge mit Ösophagusatresie leiden an einer begleitenden Tracheomalazie, die zu bellendem Husten, in seltenen Fällen auch zu schwerwiegenden respiratorischen Problemen führt. In aller Regel besteht eine spontane Besserungstendenz und es kommt zu einer Normalisierung. So ist nur selten die operative Aortopexie indiziert, bei der über die Fixierung des Aortenbogens am Sternum eine indirekte Stabilisierung und Öffnung des Trachealrohres ermöglicht wird. Insgesamt hängt die Überlebenschance der Kinder mit Ösophagusatresie vom Vorkommen weiterer Fehlbildungen, insbesondere der kardialen Missbildungen und deren Auswirkungen und Korrekturmöglichkeiten ab. Eine recht zuverlässige Abschätzung der Prognose erlaubt die Gruppeneinteilung nach Waterston, die das Geburtsgewicht und eventuelle Herzfehler berücksichtigt (Spitz et al 1994; . Tab. 45.2). > Die Prognose der Ösophagusatresie ist vor allem vom Vorkommen weiterer (kardialer) Fehlbildungen abhängig.
45.3
Gastroösophagelaer Reflux
45.3.1
Pathogenese
Aufstoßen und leichtes Hochbringen von Nahrung, vor allem nach einer Mahlzeit, ist bei Säuglingen sehr häufig und meistens kein Zeichen für einen pathologischen gastroösophagealen Reflux (GÖR). Ein solcher Reflux, der keine weiteren Symptome verursacht, kann als physiologisch gelten. Kinder, bei denen klinische Symptome auftreten, sollten einer Diagnostik und Therapie zugeführt werden. Ursächlich für einen pathologischen Reflux ist ein erniedrigter Druck im Bereich des unteren Ösophagussphinkters, kombiniert mit einem zu flachen His-Winkel im Kardiabereich. Überdies kommt eine Hiatushernie häufig vor. Kinder mit Ösophagusatresie, Zwerchfellhernie, Bauchwanddefekten, intestinaler Malrotation und solche mit zerebraler Retardierung sind prädisponiert für das spätere Auftreten eines GÖR. Wie beim Erwachsenen kommt es
. Abb. 45.6 Obere Magen-Darm-Passage mit Kontrastmittel zur Darstellung eines »upside-down stomach« bei großer Hiatushernie und gastroösophagealem Reflux
auch beim Kind zu einer Ösophagitis mit konsekutiven Ulzerationen und Narbenbildung, ferner zu rezidivierenden Aspirationen mit Pneumonitis.
45.3.2
Klinische Symptomatologie und Diagnostik
Neben dem Erbrechen können die Kinder durch nächtliches Weinen und Husten, einen Stridor, Schmerzen beim Schlucken oder auch durch Apnoeanfälle auffallen. Bei längerem Verlauf treten rezidivierende Pneumonien, Meläna, Dysphagie und Eisenmangelanämie auf. Schließlich kommt es zu einer Mangelernährung und einer Dystrophie. Für die primäre Diagnostik kann neben der Anamnese und der Suche nach okkultem Blut im Stuhl die Sonographie eingesetzt werden, um einen Reflux darzustellen und den Pylorus zu beurteilen. Sicherer sind jedoch die 24-Stunden-pH-Metrie oder die Impedanzmessung im Ösophagus, jedoch verlangen diese eine stationäre Aufnahme. Die genauere Darstellung der Morphologie sollte durch ein Röntgen mit Kontrastmittelbreischluck erfol-
937 45.4 · Hypertrophe Pylorusstenose
gen, insbesondere um eine Hiatushernie nachzuweisen oder auszuschließen und den Schweregrad des Refluxes festzulegen (. Abb. 45.6). Die Szintigraphie ist sehr sensibel für den Nachweis eines GÖR, einer Aspirationstendenz und die Bestimmung der Ösophagus-Clearence. Sie bietet aber oft zu den anderen, notwendigen Untersuchungen keine entscheidende zusätzliche Information. Ähnliches gilt für die technisch bei kleinen Kindern schwierige Ösophagusmanometrie. Bei entsprechender Symptomatik sollte eine Ösophagoskopie zur Beurteilung einer etwaigen Ösophagitis durchgeführt werden. Dies ist jedoch bei den meisten Kindern nur in Narkose möglich.
45.3.3
45.3.4
Komplikationen und Ergebnisse
Als Komplikationen können vor allem ein Refluxrezidiv, ein Hernienrezidiv, eine distale Ösophagusstenose und nach offener Operation Probleme durch einen Verwachsungsbauch auftreten. Insgesamt hat die Operation eine Erfolgsquote von 90%, diese ist jedoch deutlich ungünstiger bei zerebral geschädigten Kindern oder solchen mit den genannten anatomischen Fehlbildungen.
45.4
Hypertrophe Pylorusstenose
45.4.1
Epidemiologie und Pathogenese
Therapie
In aller Regel steht zunächst die konservative Therapie ganz im Vordergrund. Diese besteht in Hochlagerung des Oberkörpers, Eindicken der Nahrung sowie Gabe von vielen kleinen Mahlzeiten. Medikamentös kommen Antazida, H2-Blocker und Protonenpumpeninhibitoren zum Einsatz. Nur bei Versagen der konservativen Therapie, d. h. bei anhaltendem Erbrechen, weiterhin rezidivierender Pneumonitis oder Apnoeanfällen ist die Operation zu erwägen. Diese ist auch indiziert bei schwerer Ösophagusstriktur oder einem Brachyösophagus und bei anhaltender Gedeihstörung sowie einer ausgeprägten Hiatushernie (. Abb. 45.6). Bei zerebral geschädigten Kindern sowie solchen mit den oben genannten anatomischen Anomalien sollte die Operationsindikation großzügiger gestellt werden. Das operative Vorgehen besteht aus einer Hiatoplastik mit evtl. Entfernung der Hernie, einer Fundoplikatio und einer Gastropexie an der vorderen Bauchdecke. Die Fundoplikatio kann auch bei Kindern mit dem Verfahren von Nissen durchgeführt werden, das aus der Erwachsenenchirurgie bekannt ist. In letzter Zeit hat jedoch die weniger radikale vordere Semifundoplikation nach Thal (1968) wegen der weniger schweren Gasretention vermehrt Anhänger gefunden. Auch eine Kombination von dieser mit einer partiellen hinteren Fundoplikatio ergibt gute Resultate. In den vergangenen Jahren wurden zunehmend die Fundoplikatio und Hiatoplastik auch bei Kindern laparoskopisch durchgeführt. Bei einem erfahrenen Operateur hat dies durchaus eine Berechtigung, insbesondere bei zerebral geschädigten Kindern, die dann eine deutlich raschere Erholung vom Eingriff erleben (von Schweinitz u. Till 2004). Postoperativ verbleibt die Magensonde über Nacht, ein vorsichtiger Nahrungsaufbau ist ab dem 2. postoperativen Tag möglich.
Eine der häufigsten abdominellen Erkrankungen der frühen Säuglingszeit ist die hypertrophe Pylorusstenose. Kurz nach der Geburt kommt es zu einer Hypertrophie insbesondere der zirkulären Pylorusmuskulatur über einer Länge von 2–2,5 cm auf einen Durchmesser von 1–1,5 cm mit nachfolgender Stenosierung des Pyloruskanals. Die Ursache für diese Erkrankung, die bei 2–3 Kindern auf 1000 Geburten vorkommt, ist nicht sicher geklärt. Es scheint sich um ein multifaktorielles Geschehen zu handeln. Dabei spielt eine genetische Prädisposition sicher eine Rolle, worauf eine familiäre Häufung, eine Bevorzugung der weißen Rasse und eine deutliche Knabenwendigkeit (5:1) hindeuten.
45.4.2
Klinische Symptomatologie und Diagnostik
Wegen der Pylorusstenose kommt es zu anhaltendem schwallartigem Erbrechen und einer Wandhypertrophie des Magens, nachfolgend zu Säure-Base- und Elektrolytstörungen sowie Exsikkose und allmählich zu Mangelerscheinungen. Differenzialdiagnostisch sind ein ausgeprägter gastroösophagealer Reflux, Gastroenteritis, zunehmender Hirndruck und Stoffwechselstörungen zu bedenken. Ein allmählich zunehmendes, nichtgalliges Erbrechen im Alter von 2–4 Lebenswochen, das sich dann schwallartig präsentiert, deutet auf die hypertrophe Pylorusstenose hin. Sichtbare peristaltische Wellen im linken und eine palpable Walze im rechten Oberbauch sind klare Zeichen für die Erkrankung, ebenso wie eine hypochlorämische Alkalose. Die Diagnose lässt sich in fast allen Fällen sonographisch sichern, indem der zu lange Kanal (>16 mm) und zu dicke (Durchmesser >5 mm, Wanddicke >4 mm) Pylorusmuskel dargestellt wird. Nur in Einzelfällen ist die Darstellung mittels Kontrastmittelröntgen notwendig.
45
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45
Kapitel 45 · Spezielle gastroenterologische Probleme in der Kinderchirurgie
> Anhaltendes schwallartiges Erbrechen in der 2. bis 4. Lebenswoche mit Säure-Basen- und Elektrolytstörungen deutet auf eine hypertrophe Pylorusstenose hin.
45.4.3
Operative Therapie
Obwohl bekannt ist, dass die hypertrophe Pylorusstenose eine selbstlimitierende Erkrankung ist, gilt als Therapie der Wahl die Pyloromyotomie nach Weber-Ramstedt (Ziegler et al. 2002), da ein konservatives Vorgehen eine Wochen andauernde Betreuung mit vielen kleinen Mahlzeiten und gegebenenfalls einer parenteralen Ernährung bedeuten würde. Vor der Operation jedoch sollte der Säugling durch Infusionstherapie zum Ausgleich der Dehydratation sowie des Elektrolyt- und Säure-Base-Haushaltes stabilisiert werden.
4–6 h nach der Operation kann mit dem Nahrungsaufbau begonnen werden. Bei Perforation der Pylorusschleimhaut oder extremer Magenwandhypertrophie sollte besser 24 h abgewartet werden. Der Nahrungsaufbau ist nach etwa 1 Tag abgeschlossen, sodass der Säugling je nach Befinden ab dem 3. Tag entlassen werden kann. > Gelingt die Myotomie ohne Mukosadefekt, kann der Kostaufbau nach 4–6 h postoperativ erfolgen.
In manchen Kliniken wird die Pyloromyotomie laparoskopisch durchgeführt. Hierbei wird der Pylorus mit 2 Nähten an der Bauchdecke vorübergehend fixiert und mit der monopolaren Nadel inzidiert (Bax et al. 2008). Angesichts der Einfachheit der offenen Operation, vor allem über einen periumbilikalen Zugang, hat sich die laparoskopische Technik jedoch nicht allgemein durchgesetzt.
45.4.4 Bei der anschließenden Operation wird der verdickte Pylorusmuskel am besten über einen semizirkulären Zugang über dem Nabel vor die Bauchdecke luxiert. An der wenig durchbluteten ventralen Zirkumferenz wird der Muskel in Längsrichtung vom Antrum bis zum Bulbus duodeni inzidiert; die Muskelfasern werden stumpf mit einer gebogenen Klemme auseinander gedrängt, bis die Schleimhaut offen liegt. Diese muss intakt bleiben (. Abb. 45.7). Ein kleiner Defekt kann mit einer dünnen, resorbierbaren Naht (7-0) verschlossen werden.
. Abb. 45.7 Pyloromyotomie nach Weber-Ramstedt
Komplikationen
Komplikationen sind bei korrekter Operationstechnik sehr selten. Jedoch können eine Peritonitis durch ein nicht erkanntes Schleimhautleck und auch ein Platzbauch bei Wundheilungsstörung lebensgefährliche Folgen haben. Anhaltendes oder wieder auftretendes Erbrechen deutet entweder auf eine ungenügende Myotomie hin oder ist Ausdruck eines anhaltenden, während der Pylorusstenose aufgetretenen gastroösophagealen Refluxes (RoviraltaSyndrom), der entsprechend behandelt werden muss. Späte Komplikationen der Erkrankung sind nicht beobachtet worden.
939 45.5 · Duodenalatresie
a
b
c
. Abb. 45.8a–c Formen der Duodenalatresie. a Membranöse Form, b komplette Atresie, c Pancreas annulare
45.5
Duodenalatresie
45.5.1
Epidemiologie und Pathogenese
Die angeborene Duodenalatresie kommt bei einem Kind auf 6000–7000 Lebendgeborene vor. Sie ist bei vielen Kindern mit weiteren Fehlbildungen assoziiert und tritt besonders häufig bei der Trisomie 21 (Mongolismus, M. Down) auf. Deshalb wird eine genetische Ursache angenommen. Prinzipiell können 3 Formen vorliegen (. Abb. 45.8): 4 Verschluss oder eine weitgehende Stenosierung des Lumens durch eine Membran 4 Echte Atresie mit oder ohne fibröse Strangverbindung der getrennt liegenden Blindsäcke 4 Verschluss durch ein Pancreas annulare
bauch mit luftleerem übrigem Abdomen (. Abb. 45.9). Bei einem solchen Bild erübrigt sich weitere bildgebende Diagnostik. Präoperativ sollten andere Fehlbildungen gesucht und eine Chromosomenanalyse eingeleitet werden. Mit Infusionstherapie sollte das Kind stabilisiert und eine eventuelle Dehydratation sowie Elektrolyt- und Säure-Base-Haushaltsstörungen ausgeglichen werden. Eine kräftige Magensonde soll den oberen Blindsack bis zur Operation entlasten.
Letztere ist die häufigste Form. Über 80% der Duodenalatresien liegen distal der Gallengangseinmündung. Als Ursache für eine Membranbildung oder eine echte Atresie wird heute eine mangelhafte Rekanalisierung der Duodenalanlage in der 8. bis 10. Schwangerschaftswoche angesehen, während das Pancreas annulare wahrscheinlich durch Ausbleiben der Rotation der ventralen Pankreasanlage hinter das Duodenum entsteht.
45.5.2
Klinische Symptomatologie und Diagnostik
Die meisten Kinder mit Duodenalatresie fallen bereits während der späten Schwangerschaft durch ein mütterliches Polyhydramnion und einen typischen Ultraschallbefund auf. Postnatal wird das Neugeborene rasch durch galliges Erbrechen bei geblähtem Oberbauch, eingefallenem unterem Abdomen und fehlendem Mekoniumabgang symptomatisch. Die Röntgenübersichtsaufnahme des Abdomens zeigt eine typische doppelte Spiegelbildung im Ober-
. Abb. 45.9 Röntgenabdomenleeraufnahme mit doppeltem Spiegel bei Duodenalatresie
45
45
940
Kapitel 45 · Spezielle gastroenterologische Probleme in der Kinderchirurgie
45.5.3
Operative Therapie und Ergebnisse
Die Laparotomie erfolgt über einen queren Oberbauchschnitt mit nachfolgender Mobilisierung der Duodenalanteile. Bei nicht unterbrochener Kontinuität des Duodenums erfolgt eine Längsinzision der antimesenterialen Wand. Die verschließende Membran wird gespalten oder allenfalls lateral partiell exzidiert. Eine komplette Exzision ist nur erlaubt, wenn zuvor die Papille eindeutig aufgefunden wurde und nicht im Bereich der Membran gelegen ist. Bei einer echten Atresie und einem Pancreas anulare wird die Kontinuität mit einer Duodenoduodenostomie wiederhergestellt. Am besten hat sich bewährt, den großen oberen Blindsack quer und den kleinen unteren antimesenteriell längs zu öffnen. Bei der anschließenden Anastomosierung kommt es zu einer diamantförmigen Verbindung, die hinsichtlich der Passage und etwaiger Nahtinsuffizienz die besten Ergebnisse ergeben hat (Kimura et al. 1990). Wenige Kliniken führen auch diese Operation laparoskopisch durch. ! Cave ! Beim Pancreas anulare darf der Gewebering nicht durchtrennt werden.
Nach 2–3 Tagen kann mit dem vorsichtigen Nahrungsaufbau begonnen werden, wenn über die Magensonde kein Sekretfluss mehr festzustellen ist. Die Gesamtprognose ist abhängig von möglichen weiteren Fehlbildungen (z. B. Herzfehler). Nahtinsuffizienzen oder spätere Passagestörungen sind sehr selten.
45.6
Dünndarmatresien
45.6.1
Epidemiologie und Pathogenese
Im Gegensatz zur Duodenalatresie sind die jejunoilealen Atresien eine der häufigsten Darmobstruktionen bei Neugeborenen. Eine genetische Determination konnte hier nicht festgestellt werden, selten finden sich Begleitfehlbildungen. Vielmehr sind die Atresien in der überwiegenden Mehrzahl auf Ereignisse während der späteren Fetalzeit zurückzuführen, die mit einer Durchblutungsstörung oder schweren Entzündung von Dünndarmanteilen einhergehen. Hierzu gehören die Laparochisis, intrauteriner Volvulus oder Invagination, aber auch Passagestörungen mit Darmperforation bei zystischer Fibrose oder M. Hirschsprung sowie auch Entzündungen, z. B. nach Gabe von Farbstoffen wie Methylenblau in das Fruchtwasser zur Fruchthöhlenmarkierung, das vom Fötus geschluckt wird. Anatomisch finden sich unter-
schiedliche Formen, die wie folgt klassifiziert sind (O’Neill et al. 2003): 4 Typ I: solitäre Membranatresie mit erhaltener Darmkontinuität (. Abb. 45.10a) 4 Typ II: solitäre Atresie mit fibrösem Strang (. Abb. 45.10b) 4 Typ IIIa: solitäre Atresie ohne Verbindung der Enden (. Abb. 45.10c) 4 Typ IIIb: solitäre Atresie in der sog. »Apple-peel«-Formation mit einem nicht fixierten Mesenterium commune (. Abb. 45.10d) 4 Typ IV: multiple Atresien (. Abb. 45.11) Immer ist der proximale Blindsack stark aufgeweitet und der postatretische Darm um ein Vielfaches dünner. Gelegentlich münden beide Darmenden in eine große abgekapselte Höhle, die sich nach intrauteriner Perforation und nachfolgender Mekoniumperitonitis gebildet hat. Nach intrauterinem Volvulus können auch längere Darmabschnitte zugrunde gegangen sein, und es besteht bereits primär ein Kurzdarmsyndrom.
45.6.2
Klinische Symptomatologie und Diagnostik
Ein Polyhydramnion entsteht bei ca. ¼ der Fälle. Häufig wird die Dünndarmatresie bereits beim pränatalen Ultraschall festgestellt. Postnatal können Symptome auch verzögert auftreten. Es zeigt sich ein aufgetriebenes Abdomen, hochgestellte Peristaltik und teilweise galliges Erbrechen. Mekonium wird oft noch initial abgesetzt. Die Sonographie zeigt erweiterte Darmschlingen mit teilweise vermehrter Peristaltik. Diagnostisch ist besonders das Röntgenübersichtsbild des Abdomens, das mehrere Spiegel aus Ausdruck des Darmverschlusses zeigt (. Abb. 45.12). Je nach Zahl und Lokalisation der Dünndarmspiegel kann ungefähr die Höhe des proximalsten Verschlusses geschätzt werden. Viele Kinderchirurgen führen einen Kontrastmitteleinlauf von rektal durch, um zwischen einem Dünn- und Dickdarmverschluss zu unterscheiden, ein intrauterin nicht befahrenes Mikrokolon festzustellen und einen M. Hirschsprung auszuschließen sowie um die Lage des Zökums im Hinblick auf eine mögliche Rotationsanomalie zu lokalisieren. Eine antegrade Kontrastmitteldarstellung ist gefährlich und fast nie indiziert. Differenzialdiagnostisch kommen vor allem eine Aganglionose (M. Hirschsprung) und ein Mekoniumileus in Betracht, die beide eine andere therapeutische Strategie benötigen. ! Cave ! Bei Verdacht auf Dünndarmatresie keine antegrade Kontrastmitteldarstellung.
941 45.6 · Dünndarmatresien
a
b
d
c
. Abb. 45.10a–d Formen der Dünndarmatresie. a Typ I: membranöse Atresie mit intakter Darmwand und Mesenterium; b Typ II: komplette Atresie mit fibrösem Strang; c Typ IIIa: komplette Atresie mit fehlendem Mesenterium; d Typ IIIb: »Apple-peel«-Atresie
45.6.3
. Abb. 45.11 Intraoperativer Situs bei multiplen Dünndarmatresien (Typ IV)
Operative Therapie
Präoperativ müssen eine mögliche Dehydratation sowie Elektrolyt- und Säure-Base-Haushaltsverschiebungen ausgeglichen werden. So stabilisierte Neugeborene sollten danach zügig der Operation zugeführt werden. Nach einer queren Oberbauchlaparotomie oder auch in geeigneten Fällen orientierenden Laparoskopie muss das weitere Vorgehen individuell vom Befund und der Gesamtsituation des Kindes abhängig gemacht werden. Prinzipiell kann gelten, dass bei reifem und stabilem Kind und nur mäßiger präatretischer Dilatation nach Resektion eines kurzen Stückes des proximalen Blindsackes eine primäre End-zu-End-Anastomose durchgeführt werden kann. Dies geschieht mittels der im 7 Kap. 45.1.3 geschilderten Techniken. Bei stabilen Kindern mit stark dilatiertem proximalem Blindsack ist ebenfalls eine primäre Anastomose anzustreben. Jedoch muss hier zunächst der gesamte, massiv aufgeweitete proximale Darm reseziert und/oder im Sinne eines »tapering« verschmälert werden. Bei Frühgeborenen, instabilen Kindern, nach abgelaufener schwerer oder noch vorhandener Entzündung (Mekoniumperitonitis) oder bei schlecht durchblutetem
45
942
Kapitel 45 · Spezielle gastroenterologische Probleme in der Kinderchirurgie
konium abgesetzt, ist es günstig, für einige Tage dem Säugling nur sehr kleine Mengen Muttermilch zu verabreichen, um die Produktion der Verdauungsenzyme und den enterohepatischen Kreislauf zu initiieren sowie eine gerichtete Peristaltik anzuregen. Der Nahrungsaufbau muss dann sehr vorsichtig erfolgen.
45
45.6.4
Ergebnisse und Prognose
Mögliche Komplikationen sind neben Stenosierung und Insuffizienz einer Anastomose, die eine Relaparotomie bedingen würden, vor allem eine Sepsis und eine erneute Obstruktion durch Verwachsungen. Insgesamt versterben heute unter 25% aller Säuglinge mit einer Dünndarmatresie. Die Mortalität ist jedoch deutlich höher bei Kindern mit multiplen Atresien (57%), »Apple-peel«-Formation (71%), Mekoniumperitonitis (65%) und Laparochisis (66%). Die Prognose ist besonders schlecht bei Kurzdarmsyndrom. Hier ist eine parenterale Langzeiternährung notwendig mit oft konsekutivem Leberschaden und Sepsis. Bei einigen Kindern können operative Maßnahmen wie die Darmverlängerung mit der STEP Methode oder der nach Bianchi (7 Kap. 45.4) die Situation verbessern, für wenige Kinder ist eine Dünndarmtransplantation, gegebenenfalls kombiniert mit einer Lebertransplantation, eine therapeutische Option. . Abb. 45.12 Röntgenabdomenleerbild mit multiplen Dünndarmspiegeln und leerem Unterbauch bei Jejunalatresie
Darm sollte zunächst nur ein Anus praeter angelegt werden. Hierfür werden am einfachsten die beiden atretischen Darmschenkel als doppelläufiger Kunstafter oder getrennt voneinander ausgeführt. Bei multiplen Atresien können mehrere Anastomosen notwendig sein, um nicht zu viel Darmlänge zu verlieren, gelegentlich auch die Anlage mehrerer Kunstafter (. Abb. 45.11). Besonders heikel ist die Operation bei der »Apple-peel«-Formation, da eine iatrogene Beeinträchtigung der Blutversorgung im schmalen, leicht drehbaren Mesenterium commune zu einer Gangrän des gesamten Dünndarms führen kann. Postoperativ können manche Kinder nach einer einfachen Anastomose oder einer Kunstafteranlage bereits nach wenigen Tagen ernährt werden. Oft jedoch bedarf es einer sehr viel längeren, gelegentlich einer mehrwöchigen Wartezeit, bis der Darm funktionell in der Lage ist, eine normale Passage zu gewährleisten. Bei diesen Kindern muss frühzeitig mit einer vollen parenteralen Ernährung über einen zentralen Venenkatheter begonnen werden, die bis zum vollständigen Nahrungsaufbau fortgeführt werden muss. Zeigt der Darm eine gute Peristaltik und wird Me-
45.7
Malrotationsanomalien des Darms
45.7.1
Pathogenese
Während der frühen Schwangerschaft ist das Wachstum des Darms schneller als das der Körperhöhle. Deshalb kommt es normalerweise zu einer Herniation in der 4. Schwangerschaftswoche und die weitere Entwicklung des Darms findet im sog. physiologischen Nabelbruch statt. Hier durchläuft der Darm 2-mal eine Drehung um 90° gegen den Uhrzeigersinn, wobei sich die duodenojejunale Schleife und die ileozökale Schleife getrennt voneinander jeweils um die Achse der A. mesenterica superior drehen. In der 10. bis 11. Schwangerschaftswoche wird der Darm wieder in die Peritonealhöhle zurückverlagert. Hierbei durchlaufen die beiden Schlingen jeweils eine nochmalige Drehung um 90°, sodass insgesamt 270° erreicht werden. In der 12. Schwangerschaftswoche schließlich kommt es zur Fixierung des Colon ascendens und descendens sowie der Mesenterialwurzel an der Abdomenhinterwand. Verschiedene Störungen dieses Ablaufes sind bekannt. Am häufigsten ist die Nonrotation, bei der der Dünndarm im rechten und der Dickdarm im linken Abdomen verbleibt, was für einen Volvulus prädisponiert. Inkomplette
943 45.7 · Malrotationsanomalien des Darms
oder reverse Rotationen der duodenojejunalen Schleife bei normaler Rotation der ileozökalen Schleife mit Fixationsbestrebung des Kolons führt zu verschiedenen Lageanomalien, die häufig Passagestörungen und strangulierenden Bindegewebssträngen, inneren Hernien und/oder nachfolgendem Volvulus um den nichtfixierten Mesenterialstiel bedingen. Dasselbe gilt für Rotationsstörungen der ileozökalen Schleife, die ebenfalls bei normaler oder auch gestörter Rotation der duodenojejunalen Schleife vorkommen können. Rotationsanomalien, am häufigsten eine Nonrotation, kommen immer bei kongenitaler Zwerchfelllücke und Bauchwanddefekten (Laparochisis und Omphalozele) vor. Sie sind häufig bei anderen Fehlbildungen, insbesondere assoziiert mit Ösophagus-, Duodenal- und anorektalen Atresien.
45.7.2
Klinische Symptomatik und Diagnostik
Malrotationen können lebenslang symptomlos bleiben. Ansonsten treten klinische Symptome in 65% im ersten Lebensmonat, 22% im 2. bis 12. Lebensmonat und der Rest bei Kleinkindern auf. Je nach Art der Malrotation können ein kompletter oder inkompletter Verschluss im Duodenum, Dünndarm oder Kolon und/oder ein Volvulus mit Durchblutungsstörung vorliegen (. Abb. 45.13). Entsprechend sind die Symptome variabel mit Erbrechen, kolikartigen Schmerzen, Schocksymptomatik und Dehydratation. Auf der Röntgenabdomenübersichtsaufnahme kann die Luftverteilung im Abdomen beurteilt werden. Mit der Sonographie wird eine hypertrophe Pylorusstenose und eine Invagination ausgeschlossen und die Darmerweiterung, ggf. auch die Durchblutung des Mesenteriums, dargestellt. Ein Röntgenkontrasteinlauf stellt die Lage des Kolons dar und gibt so Hinweis auf eine Malrotation. Bei protrahierten Verläufen mit subakuter klinischer Symptomatik kann eine antegrade Untersuchung mit wasserlöslichem Kontrastmittel indiziert sein, um eine genauere Diagnose zu stellen. > Hauptsymptom der Malrotation ist die Passagestörung, häufig verursacht durch Bindegewebsstränge über dem Duodenum (Ladd-Bänder).
45.7.3
Operative Therapie und Ergebnisse
Bei akuter Symptomatik besteht eine absolute Operationsindikation, nachdem das Kind mit einer Magensonde versorgt ist und eine Infusionstherapie eingeleitet wurde. Bei geringer chronischer oder intermittierender Symptomatik
. Abb. 45.13 Dünndarmvolvulus bei Malrotation
kann der Operationszeitpunkt elektiv gewählt werden. Das operative Vorgehen muss je nach Form der Malrotation und Befund während des Eingriffes individuell gewählt werden. Dabei sollten die folgenden Prinzipien befolgt werden: Nach querer Oberbauchlaparotomie sollte das gesamte Darmpaket vor den Bauch eviszeriert werden, um sofort einen Volvulus festzustellen und die Lage der Darmschlingen zueinander zu identifizieren (. Abb. 45.13). Danach sollte ein Volvulus sofort detorquiert werden (meistens gegen den Uhrzeigersinn), wonach der Dünndarm auf gangränöse Abschnitte und Perforationen abzusuchen ist. Anschließend werden alle obstruierenden Gewebsstränge, vor allem über dem Duodenum (LaddBänder) gelöst. Verwachsungen zwischen den Darmschlingen werden getrennt. Alle Obstruktionen des zuführenden Duodenums und Dünndarms werden beseitigt, die Durchgängigkeit des gesamten Darms wird mittels Spülung überprüft. Oft ist es einfacher, den Situs in einer Nonrotation zu belassen. Die Erfahrung zeigt, dass eine Überführung in eine normale Position mit Fixierung der TreitzFlexur und des Zökums in korrekter anatomischer Lage keine Vorteile bringt. Je nach Position sollte eine Entfernung der Appendix erwogen werden, um einer späteren Appendizitis an einer abnormen Stelle vorzubeugen.
Wenn bei ausgedehnter Darmgangrän teilweise nur mäßig durchblutete Abschnitte zurückgelassen werden müssen, sollte ein Zweiteingriff nach 1–3 Tagen fest eingeplant werden. Postoperativ ist die Erholung des Darms von der
45
944
45
Kapitel 45 · Spezielle gastroenterologische Probleme in der Kinderchirurgie
Dauer der Obstruktion und dem Schweregrad der Durchblutungsstörung abhängig. Bei länger notwendiger Nahrungskarenz sollte das Kind parenteral ernährt werden. Insgesamt ist die Prognose günstig, lediglich beim Kurzdarmsyndrom ist die Mortalität hoch.
45.8
Mekoniumileus
45.8.1
Pathogenese und Epidemiologie
Durch Ansammlung von zu zähem und festem Mekonium kann es insbesondere im terminalen Ileum zu einer kompletten Obstruktion kommen. Die häufigste Ursache hierfür ist die zystische Fibrose oder Mukoviszidose, die zu einer pathologischen biochemischen Zusammensetzung des Dünndarmstuhles führt. Neben den schweren pulmonalen Veränderungen, der Lebererkrankung und der Pankreasinsuffizienz tritt der Mekoniumileus bei 10–20% aller Kinder mit einer zystischen Fibrose auf. Schon intrauterin kann das Krankheitsbild zu einer Darmperforation mit Mekoniumperitonitis und Darmatresie führen. Häufiger jedoch werden die Kinder erst postnatal symptomatisch. So unterscheidet man zwischen unkompliziertem Mekoniumileus mit eingedicktem Mekonium vor der Ileozökalklappe und komplizierten Fällen mit Volvulus, Perforation, Atresien, Peritonitis und Sepsis.
45.8.2
Klinische Symptomatologie und Diagnostik
Pränatal werden im Ultraschall insbesondere die oben genannten Folgen der Obstruktion entdeckt. Postnatal entwickeln sich Erbrechen, geblähtes Abdomen, mangelnder Mekoniumabgang, Schock und Sepsis als Zeichen des Obstruktionsileus und der nachfolgenden Infektion sowie eventueller Perforation. Differenzialdiagnostisch sind die anderen Ursachen für neonatale intestinale Obstruktionen einzubeziehen. Insbesondere können der M. Hirschsprung und das Mekoniumpfropfsyndrom des distalen Kolons eine ähnliche Symptomatik bieten. Radiologisch finden sich in der Abdomenübersichtsaufnahme erweiterte Darmschlingen mit Spiegeln sowie eine körnerartige Darstellung des eingedickten Mekoniums im rechten Unterbauch. Bei abgelaufener Perforation sieht man Verkalkungen und gelegentlich eine große Höhle als Hinweis auf einen komplizierten Mekoniumileus. Mit einem Kontrastmitteleinlauf ist ein Mikrokolon darstellbar. Die Sonographie bietet zunehmend bessere Möglichkeiten der Darstellung der Pathologie im rechen Unterbauch.
45.8.3
Therapie und Prognose
Bei klinisch und radiologisch unkompliziertem Mekoniumileus ist der therapeutische Einsatz eines hohen Einlaufes mit 1:4 verdünntem Gastrografin, ggf. kombiniert mit Azetylcystein gerechtfertigt. Dieser sollte durch einen erfahrenen Kinderradiologen in Operationsbereitschaft durchgeführt werden, da die Perforationsgefahr hoch ist. Ist der Einlauf genügend hoch bis in das terminale Ileum, ist die Erfolgsrate bis zu 55%. Bei Versagen dieser Therapie oder kompliziertem Mekoniumileus ist die Operation indiziert. Dabei soll insbesondere der Darm vom zähen Mekonium entleert werden. Dies geschieht am besten über eine ileale Enterotomie und Spülung des Darms über einen weichen Katheter mit physiologischer NaCl-Lösung, N-Azetylcystein oder Gastrografin (1:4 verdünnt!). Wenn eine weiter bestehende intraluminäre Obstruktion befürchtet wird, kann ein Spülkatheter durch die Bauchdecke in das Darmlumen eingelegt werden. Nur selten ist ein Anus praeter indiziert, der dann oft als eine Bishop-Koop-Fistel (7 Abschn. 45.1) angelegt wird. Bei Vorliegen einer Darmperforation, einer Atresie oder einer Mekoniumperitonitis müssen entsprechende Maßnahmen ergriffen werden. Postoperativ sind oft Intensivtherapie mit Gabe von Breitbandantibiotika und totaler parenteraler Ernährung notwendig. Zur möglichst raschen Diagnose einer zystischen Fibrose sollte sofort die molekulargenetische Diagnostik auf Mutationen des F-508-CF-Gens eingeleitet werden, da ein Schweißtest beim Neugeborenen schwierig ist. Die Gesamtprognose ist im Wesentlichen von der Ausprägung der Mukoviszidose abhängig. Sie ist deutlich schlechter beim komplizierten Mekoniumileus, insbesondere wenn sehr viel Darm durch Nekrose nach einem Volvulus verloren gegangen ist. > Der Mekoniumileus kann in einem Teil der Fälle durch einen hohen Gastrofineinlauf (1:4 verdünnt!) beseitigt werden (cave Perforationsgefahr!).
45.9
Invagination
45.9.1
Epidemiologie und Pathogenese
Die Einstülpung eines Darmanteils in einen anderen ist ein sehr typisches Krankheitsbild für das Säuglings- und Kleinkindesalter. Die Invagination ist häufiger beim Knaben als beim Mädchen, die 2. Hälfte des ersten Lebensjahres stellt einen Höhepunkt dar. Die Ursache bleibt in der Regel unklar, nur in unter 10% der Fälle findet sich eine Leitstruktur, wie ein Meckel-Divertikel, ein Polyp oder vergrößerte mesenteriale Lymphknoten. Die häufigste Form ist die ileo-
945 45.10 · Appendizitis
zökale Invagination, bei der der Invaginationskopf in der Regel das Colon transversum erreicht. Jedoch kommen auch ileoileale und kolokolische Invaginationen vor.
45.9.2
Klinische Symptomatik und Diagnostik
Sehr typisch ist der plötzliche Beginn mit abdominellen Schmerzen, sodass die Kinder plötzlich schreien, sich krümmen und erbrechen. Dies tritt öfters nach fieberhaften Infekten, vor allem im Rahmen einer Gastroenteritis auf. Danach werden die Kinder eher apathisch und die Schmerzsymptomatik bessert sich. Schließlich stellen sich auch Zeichen der Dehydratation ein. Bei der Untersuchung ist das Abdomen weich, gelegentlich meteoristisch, die Darmgeräusche eher spärlich. Oft kann man das Invaginat als walzenförmigen Tumor im rechten Oberbauch tasten. Blutabgang bei der rektalen Untersuchung ist ein Spätzeichen der Erkrankung. Mit modernen Ultraschallgeräten lässt sich heute die Diagnose Invagination sicher stellen (. Abb. 45.14) oder ausschließen, ein Röntgenkontrastmitteleinlauf ist nur selten notwendig.
45.9.3
Therapie und Ergebnisse
Die Therapie der Wahl für alle Kinder, bei denen noch keine Zeichen für eine Darmgangrän mit Peritonitis bestehen, ist die hydrostatische Devagination. Insbesondere bei länger dauernder Anamnese sollte das Manöver unter Operationsbereitschaft durchgeführt werden. In Sedierung und nach Anlage einer intravenösen Infusion erfolgt der hohe Einlauf mit physiologischer NaCl-Lösung oder Ringerlaktat unter sonographischer Kontrolle bis zur vollständigen Reposition des Invaginats. Eine in vielen Kliniken angewandte Möglichkeit ist die Reposition der Invagination mit Röntgenkontrastmittel
unter Durchleuchtung. Diese Methode ergibt eine erhöhte Sicherheit der kompletten Devagination im Vergleich zum Ultraschall. Mancherorts wird die Reposition auch durch Luftinsufflation erreicht, die kontrollierende Bildgebung erfolgt hier ebenfalls mit Röntgendurchleuchtung. Bei Zeichen einer Peritonitis und dem Verdacht auf bereits eingetretene Darmwandgangrän oder bei Nachweis einer Raumforderung als Ursache der Invagination ist die Laparotomie über einen queren Oberbauchschnitt indiziert. Dasselbe gilt bei erfolglosem konservativem Repositionsversuch oder einem 3. oder 4. Rezidiv einer Invagination. Dann wird die Invagination vorsichtig manuell reponiert, eine Zökopexie und Fixierung des Ileums am Zökum
. Abb. 45.14 Sonographische Darstellung eines ileozökalen Invaginates im Querschnitt (konzentrisches Ringzeichen)
ist fakultativ. Bei unmöglicher Reposition, ausgeprägter Darmwandgangrän oder einem Tumor erfolgt die Resektion mit End-zu-End-Anastomose. In jüngerer Zeit hat sich die konservativ nicht reponible Invagination als eine Indikation zur Laparoskopie herausgestellt, die teilweise gute Erfolge gezeigt hat (Bax et al. 2008). Die Erfolgsrate der hydrostatischen Devagination liegt bei 70%, die Rezidivrate beträgt hier ca. 20%. Nach chirurgischer Devagination ist letztere 3%. Komplikationen können vor allem nach Laparotomie durch Verwachsungen auftreten. Die Sterblichkeit ist bei korrekter Therapie minimal.
45.10
Appendizitis
45.10.1
Epidemiologie, klinische Symptomatologie und Diagnostik
Die akute Appendizitis hat einen Häufigkeitsgipfel im Schulalter. Sie kommt jedoch selten auch schon bei Kleinkindern und Säuglingen vor. Die Symptomatik im Schulalter ist meist typisch mit Appetitlosigkeit, Übelkeit und Erbrechen. Die Bauchschmerzen finden sich zunächst
45
946
45
Kapitel 45 · Spezielle gastroenterologische Probleme in der Kinderchirurgie
im Oberbauch und verschieben sich dann in den rechten Unterbauch. Die klinische Symptomatik sowie Laborparameter gleichen denen bei jungen Erwachsenen (7 Kap. 34). In letzter Zeit hat sich bei Kindern zunehmend die Sonographie als diagnostisches Hilfsmittel bewährt. Mit ihr ist es oft möglich, eine verdickte Appendix darzustellen, ferner können andere Erkrankungen ausgeschlossen werden. Die häufigste Differenzialdiagnose bei Kindern sind Gastroenteritis, Lymphadenitis mesenterialis, Obstipation, Harnwegsinfektion und Pleuropneumonie. > Bei Kleinkindern ist der Verlauf der Appendizitis deutlich rasanter als bei älteren Kindern und die Symptomatik untypisch. Man findet oft hohes Fieber, einen weichen Bauch bei einem schwer kranken Kind und häufig Durchfall. Bei der überwiegenden Mehrzahl dieser Kinder besteht bei Krankenhauseintritt bereits eine Perforation.
45.10.2
Operative Therapie und Ergebnisse
Die Operation erfolgt beim Kind in derselben Weise wie beim Erwachsenen mit einem Zugang im rechten Unterbauch und Entfernung der Appendix. Die Einlage einer Drainage sowie die Durchführung einer Spülung bei Perforation werden kontrovers diskutiert. Beides hat nach neueren Untersuchungen keinen wesentlichen zusätzlichen Effekt. Kinder sollten jedoch bei perforierter Appendizitis über mehrere Tage eine intravenöse antibiotische Therapie erhalten. Auch bei Kindern ist die laparoskopische Appendektomie gut etabliert. Die Vorteile sind jedoch nicht so eindeutig wie beim Erwachsenen und kommen vor allem bei älteren Kindern mit einer Adipositas zum Tragen. Bei nachgewiesener Perforation mit perityphlitischem Abszess kann zunächst konservativ mit Antibiotika behandelt werden, um nach 6–10 Wochen die Intervallappendektomie durchzuführen. So genannte Gelegenheitsappendektomien anlässlich anderer Eingriffe sollten bei Kindern nur bei Fehlbildungen mit Lageanomalien der Appendix (z. B. Malrotation) vorgenommen werden. Postoperativ erholen sich Kinder in der Regel rasch. Ein Kostaufbau ist meistens nach 1–2 Tagen möglich, die Mobilisierung problemlos. Als Komplikationen müssen Nachblutung, Stumpfinsuffizienz und Abszessbildung beachtet werden. Die Mortalität ist sehr gering, die Rate von Adhäsionen und Tubendysfunktionen bei Mädchen nach perforierter Appendizitis jedoch hoch.
45.11
Meckel-Divertikel
45.11.1
Epidemiologie und Pathogenese
Das Meckel-Divertikel als Rest des fetalen Ductus omphaloentericus ist die häufigste intestinale Fehlbildung und findet sich bei 2% der Bevölkerung. Wegen des möglichen Vorkommens von ektoper Magenschleimhaut im Divertikel und oft verbliebener strangförmiger Verbindung zum Nabel wird es gelegentlich akut symptomatisch. Im Säuglingsalter führt es am häufigsten zu intestinaler Obstruktion, im Kleinkindesalter ist es die häufigste intestinale Blutungsquelle. Selten kann es im Kindesalter auch zu einer Divertikulitis kommen.
45.11.2
Klinische Symptomatologie und Diagnostik
Je nach Erkrankung treten Symptome eines Ileus mit Schmerzen, Erbrechen und geblähtem Abdomen oder eine rezidivierende schmerzlose intestinale Blutung auf. Entsprechend richtet sich danach die Diagnostik. Das MeckelDivertikel ist weder im Ultraschall noch radiologisch sicher zu identifizieren. Bei Verdacht auf ektope Magenschleimhaut und nichtakuter Symptomatik kann eine 99mTechnetium-Szintigraphie durchgeführt werden, die eine relativ hohe Sensitivität aufweist. Im Zweifel lässt sich die Diagnose sicher laparoskopisch stellen oder ausschließen.
45.11.3
Operative Therapie und Ergebnisse
Bei akutem Ileus wird in der Regel eine Laparotomie durchgeführt, bei der das Divertikel abgetragen oder über eine
. Abb. 45.15 Meckel-Divertikel
45
947 45.12 · Nekrotisierende Enterokolitis
Dünndarmsegmentresektion entfernt wird (. Abb. 45.15). Bei nichtakuter Symptomatik oder Blutung ist eine Laparoskopie gerechtfertigt. Meistens kann dabei das Divertikel entfernt werden, sonst kann auch auf die offene Laparotomie umgestiegen werden. Bei zufälligem Auffinden eines Meckel-Divertikels anlässlich einer anderen Operation (z. B. Appendektomie) sollte dieses ebenfalls entfernt werden. Komplikationen sind selten und die Prognose ist in aller Regel ausgezeichnet.
stützen würden. Sowohl die bakterielle Translokation durch die Darmwand als auch die Ausschüttung von Endotoxinen sind wichtige Faktoren bei der NEC. Die genaue Pathogenese ist noch nicht bekannt. Weltweite klinische und experimentelle Studien haben jedoch verschiedene ätiologisch wichtige Faktoren herauskristallisiert, die in ihrem Zusammenspiel zu dem Krankheitsbild führen können.
45.12.2 45.12
Nekrotisierende Enterokolitis
45.12.1
Epidemiologie und Pathogenese
Die nekrotisierende Enterokolitis (NEC) kommt überwiegend nur bei sehr unreifen Frühgeborenen vor. So hat ihre Häufigkeit nach Aufbau der Frühgeborenenintensivstationen seit 1970 weltweit stark zugenommen, und man rechnet mit 3 Erkrankungsfällen auf 1000 lebend geborene Kinder. Fast ausschließlich sind Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht <1500 g betroffen. Bei dieser Erkrankung kommt es ca. 10 Tage nach der Geburt, meist nach Beginn einer enteralen Ernährung zu einer sich rasch ausbreitenden, gangränösen Entzündung des Dünn- und Dickdarms. Durchblutungsstörungen des Darms spielen eine wichtige Rolle mit Schwerpunkt im Ileozökalbereich, dem Endstromgebiet der A. mesenterica superior. Bei anschließenden Reperfusionsprozessen trägt die Bildung von Sauerstoffradikalen zur Entzündung bei. Wichtig ist auch eine Besiedelung des Darms mit selektierten Bakterien (Enterobacteriacaea, Clostridien, Klebsiellen, E. coli) unter der Antibiotikadauertherapie der Kinder. Hierzu trägt die oft notwendige Ernährung der Frühgeborenen mit künstlicher Säuglingsmilch bei, die einen guten Nährboden für Bakterien bietet, aber – im Gegensatz zur Muttermilch – keine protektiven Substanzen enthält, die das funktionsarme, immature Immunsystem der Frühgeborenen unter-
Klinische Symptomatologie und Diagnostik
Im Vordergrund stehen meist die Zeichen der Darmwandischämie mit aufgetriebenem Abdomen, fehlender Peristaltik, galligem Erbrechen und Absetzen von blutigen Stühlen. Gelegentlich sind jedoch auch die Symptome der Sepsis bis zum septischen Schock überwiegend. Auch bei fortgeschrittener Peritonitis und Perforation bieten Frühgeborene nicht den typischen »brettharten« Bauch. Vielmehr kommt es zu einer Infiltration der Bauchdecken mit Schwellung, Rötung und schließlich Gangrän (. Tab. 45.3). . Tab. 45.3 gibt auch eine Übersicht über die klinischen Stadien der NEC (Bell et al. 1978) sowie die Zeichen in der Röntgenabdomenleeraufnahme (. Abb. 45.16). Kontrastmitteldarstellungen sind kontraindiziert. Soweit es der Zustand des Kindes erlaubt, kann im Frühstadium sonographisch bereits Gas in der Pfortader gesehen werden, was heute eine frühere Diagnose der Krankheit erlaubt. Weitere Labordiagnostik muss die Entzündungsparameter, die Gerinnungssituation, die Nierenleistung, die Leberparameter sowie mikrobiologische Untersuchungen umfassen.
45.12.3
Therapie und Ergebnisse
Schon bei ersten Anzeichen einer NEC und Vorliegen der Risikofaktoren muss eine konsequente Therapie eingeleitet
. Tab. 45.3 Klinische Stadien der nekrotisierenden Enterokolitis (NEC) Stadium
Symptome
Röntgen
Sonographie
Therapie
Überleben (%)
I: NEC-Verdacht
Geblähter Bauch, Erbrechen
Subileus
Weich, atone Darmschlingen
Konservativ
100
II: NEC sicher
Zusätzlich: Abdomen gespannt, Blutung
Ileus, Pneumatosis intestinalis, Pfortadergas
Wie oben, plus Gasblase in Pfortader
Konservativ
95
III: NEC fortgeschritten
Wie oben, dazu Schock, respiratorische und Kreislaufinsuffizienz, Bauchdecken infiltriert
Wie oben, Pneumoperitoneum
Wie oben, plus Flüssigkeit im Abdomen
operativ
50
948
Kapitel 45 · Spezielle gastroenterologische Probleme in der Kinderchirurgie
45
. Abb. 45.17 Nekrotisierende Enterokolitis mit ausgedehnter Dünndarmgangrän
. Abb. 45.16 Röntgenabdomenleerbild bei nekrotisierender Enterokolitis mit Pneumatosis intestinalis und erweiterten Darmschlingen
werden. Sie umfasst komplette Nahrungskarenz, Legen einer Magensonde, hoch dosierte Breitbandantibiose, parenterale Ernährung sowie Intensivtherapie inkl. künstlicher Beatmung. Radiologische Kontrollen sollten alle 6 h vorgenommen werden. > Eine Operationsindikation ergibt sich bei Verschlechterung unter konservativer Therapie und bei einer Perforation. Idealerweise sollte einerseits die Laparotomie weitestgehend vermieden werden, dennoch sollte man einer Perforation zuvorkommen.
Deshalb muss auch ein erfahrener Chirurg gefährdete Kinder häufig genug selbst klinisch untersuchen. Eine radiologisch bei Kontrollen an einer Stelle im Abdomen »fixierte« Darmschlinge ist verdächtig auf fortgeschrittene Gangrän. Einige Autoren empfehlen die Durchführung einer Parazentese mit einer dünnen Nadel, um peri-
toneale Flüssigkeit zur Diagnostik zu aspirieren. Die Laparoskopie ist bei diesen sehr unreifen Frühgeborenen nicht etabliert. Bei der Laparotomie über einen queren Oberbauchschnitt ist der Darm genau zu beurteilen und muss extrem vorsichtig behandelt werden (. Abb. 45.17). Vollkommen nektrotische Anteile werden sparsam reseziert, die verbliebenen Darmanteile meistens am einfachsten als endständiger Anus praeter ausgeleitet. Nur bei kurzstreckiger NEC und sonst gesundem Darm ist eine primäre Anastomose gerechtfertigt. Auch bei totalem Befall des gesamten Darms kann ein Behandlungsversuch gerechtfertigt sein. Dann sollte die Passage durch eine hohe proximale Enterostomie unterbrochen werden. Beim schwerst kranken Frühgeborenen mit sicherer Perforation kann auch lediglich das Abdomen ohne Laparotomie mit einer oder mehreren weichen Drainagen versorgt werden. In vielen Fällen ist ein Zweiteingriff nach Erholung des Kindes notwendig, um eventuelle narbig-stenotische Darmanteile zu resezieren und die Kontinuität wieder herzustellen. Zuvor sollte jedoch versucht werden, mittels Kontrastmittelröntgen die Durchgängigkeit und Motilität der Darmanteile zu überprüfen. In den letzten Jahren hat sich vor allem aufgrund der verbesserten Intensivtherapie die Prognose der NEC deutlich gebessert. So kann von einer Gesamtüberlebensrate von 70–90% der Kinder ausgegangen werden. Überschattet ist dieses Ergebnis von der ungünstigen Prognose bei Kindern mit Kurzdarmsyndrom und durch häufige und lange andauernde Probleme bei massivem Verwachsungsbauch dieser Patienten (AWMF-Leitlinie, 2010).
949 45.13 · Morbus Hirschsprung und intestinale neuronale Dysplasie
45.13
Morbus Hirschsprung und intestinale neuronale Dysplasie
45.13.1
Pathogenese und Epidemiologie
Die Inzidenz beträgt 1 auf 3000–5000 Lebendgeburten, Knaben sind häufiger betroffen als Mädchen. Dabei kommen familiäre Fälle, insbesondere mit ausgedehntem Kolonbefall vor. Der M. Hirschsprung ist gehäuft assoziiert mit Trisomie 21. Eine ursächliche Rolle scheinen Mutationen des RET-Protoonkogens auf dem Chromosom 10 zu spielen, diese wird aber auch verschiedenen »MissenseMutationen« des Endothelin-B-Rezeptorgens zugeschrieben. Am häufigsten kommt der Befall des Rektosigmoids vor (ca. 75%), ausgedehntere Formen, wie Befall bis zum Colon transversum (15–20%) und des gesamten Kolons mit terminalem Ileum (Zuelzer-Wilson-Syndrom: 5–10%) sind seltener. Im Jahre 1887 beschrieb Harald Hirschsprung 2 typische Erkrankungsfälle von Säuglingen, die an einem persistierenden Megakolon verstarben. Jedoch wurde erst Mitte des 20. Jahrhunderts klar, dass die eigentliche Ursache der Erkrankung eine funktionelle distale Obstruktion des Dickdarms mit sekundärer proximaler Dilatation ist. Sehr früh wandern im Embryo neuronale Zellen aus der Neuralleiste in die obere intestinale Anlage ein und bewegen sich in Richtung des kaudalen Endes. Diese Wanderung ist in der 12. Schwangerschaftswoche abgeschlossen. Es wird angenommen, dass entweder eine gestörte Migration oder Veränderungen der lokalen Umgebung die Einnistung dieser neuronalen Zellen und ihre Entwicklung zu intestinalen Ganglienzellen verhindert. So findet man beim M. Hirschsprung eine Aganglionose sowohl im submukösen (Meissner) als auch im intermuskulären (Auerbach) Plexus der Dickdarmwand vom distalen Rektum (Linea dentata) kontinuierlich nach proximal reichend. Neben dem Fehlen der Ganglienzellen findet man eine starke Hypertrophie, insbesondere der cholinergen Nervenfasern in der Darmwand. Obwohl die genaue Pathophysiologie nicht geklärt ist, scheint die permanente Engstellung und fehlende Motilität der betroffenen Abschnitte (. Abb. 45.18 und . Abb. 45.19) durch eine überwiegende Aktivität der cholinergen Innervation bei mangelnder Steuerung durch die Ganglienzellen bedingt zu sein. Andere Störungen des adrenergen und autonomen Systems, die durch Stickoxid aktivierten Neurone und die neuroendokrinen Zellen sind wahrscheinlich gleichwertig involviert (Holschneider u. Puri 2000). Durch die permanente Engstellung des aganglionären distalen Dickdarms kommt es zur Stase im proximalen Anteil, die wiederum eine bakterielle Überbesiedlung, eine Alteration des Schleimhautüberzugs und eine Beeinträchtigung der lymphoiden Abwehr bedingt. Dadurch kommt
. Abb. 45.18 Röntgenkolonkonstrasteinlauf bei M. Hirschsprung mit Befall des Rektosigmoids, Übergang zum Megakolon im oberen Sigma
. Abb. 45.19 Kalibersprung im Kolon vom erweiterten zum verengten aganglionären Segment bei M. Hirschsprun
es insbesondere durch Vermehrung und Einwandern von gramnegativen pathogenen Keimen und/oder Anaerobiern zu einer Enterokolitis, die trotz intensiver Therapie und erfolgreicher Korrekturoperation lange Zeit persistieren kann. Eine systemische Ausbreitung der Infektion mit Sepsis und Ausschüttung von Endotoxinen führt rasch zum lebensbedrohlichen, gefürchteten Krankheitsbild des toxischen Megakolons des Säuglingsalters.
45
950
45
Kapitel 45 · Spezielle gastroenterologische Probleme in der Kinderchirurgie
45.13.2
Klinische Symptomatologie und Diagnostik
Bei jedem Kind mit schwerer Obstipation seit der Neugeborenenzeit, besonders bei gleichzeitiger Gedeihstörung, muss der Verdacht auf einen M. Hirschsprung geäußert werden. Heutzutage wird die Diagnose jedoch meistens in der frühen Säuglingszeit gestellt. Klinische Zeichen sind fehlender Stuhl- oder Mekoniumabgang, aufgetriebenes Abdomen und Darmsteifungen. Dazu kommen Nahrungsverweigerung, Erbrechen und Dehydratation, beim toxischen Megakolon zusätzlich Fieber und Kreislaufschock. In der Röntgenabdomenübersichtsaufnahme sieht man erweiterte Dick- und Dünndarmschlingen bei fehlender Darmabbildung im kleinen Becken. Der Kontrastmitteleinlauf stellt das enggestellte distale Darmsegment und das darüber liegende Megakolon dar und lässt damit auch die Übergangszone zum nichtbefallenen Darm festlegen (. Abb. 45.18). Zumindest bei allen Kindern mit unklarer Symptomatik sollte die anorektale Manometrie eingesetzt werden. Mit dieser Methode lassen sich oft die abnorm gesteigerte Kontraktion und die fehlende reflektorische Relaxation des Rektums nachweisen. Unumgänglich für eine endgültige Diagnose oder Ausschluss derselben ist jedoch die Entnahme von Probebiopsien aus 2, 3 und 5 cm Höhe ab ano. Diese können auch beim Säugling einfach als kleine Saugbiopsien entnommen werden. Sicherer lässt sich die Diagnose jedoch aus transanal offen chirurgisch entnommenen Biopsien stellen, für die es einer kurzen Narkose bedarf. Im Biopsat werden routinemäßig das Fehlen von Ganglienzellen und mittels Azetylcholinesterase-Reaktion die Vermehrung der cholinergen Nervenfasern nachgewiesen, weitere histochemische Untersuchungen sind möglich. Bei Kindern mit Infektion oder gar toxischem Megakolon bedarf es der zusätzlichen sofortigen Labordiagnostik und bakteriellen Abklärung. Differenzialdiagnostisch müssen beim akuten Geschehen vor allem der Mekoniumileus, untere Ileum- oder Kolonatresien, die Rektumatresie oder funktionelle Darmstörungen sowie Sepsis und akute Stoffwechselstörungen in Betracht gezogen werden. Besonders schwierig ist die Differenzierung bei Vorliegen einer totalen Aganglionose des Kolons. > Die Diagnose M. Hirschsprung wird mittels Biopsien aus dem Rektum gesichert.
45.13.3
Chirurgische Strategie und Verfahrenswahl
Bei hoch akutem toxischem Megakolon ist die sofortige Anlage eines Anus praeter im rechten Querkolon indiziert und oft lebensrettend. Verzögernde Diagnostik, gar Kontrastmitteleinläufe mit Darmperforation gefährden diese Kinder unnötig. Der Kunstafter wird als doppelläufiges Stoma mit einer Faszienbrücke angelegt. Parallel erfolgt die bakteriologische und chemische Labordiagnostik, therapeutisch die Stabilisierung des Kreislaufs und breite antibiotische Therapie. In derselben Narkose sollten die Rektumbiopsien entnommen werden. Bei weniger akuten Fällen sollte bis zur endgültigen Diagnosesicherung der Darm mit vorsichtigen Einläufen entleert werden. Die Ernährung erfolgt weiter mit Muttermilch. Zur operativen Korrektur mit dem Ziel, die pathologischen Darmsegmente zu entfernen und gleichzeitig eine Stuhlkontinenz wiederherzustellen, sind verschiedene anale Durchzugsverfahren im Einsatz. Swenson war 1948 der Erste, der eine entsprechend brauchbare Methode fand, die auch heute noch von manchen Chirurgen geübt wird. Die beiden weltweit häufigsten Verfahren nach Duhamel (1960) und Soave (1964) und der in den letzten Jahren zunehmend geübte rein transanale Durchzug werden im Folgenden kurz beschrieben. In der Vergangenheit wurde regelmäßig die operative Korrektur des M. Hirschsprung als dreizeitiges Verfahren mit Anlage eines protektiven Anus praeters durchgeführt. Zunehmend führen Kliniken jedoch die Korrektur nach orthograder Darmspülung im Säuglingsalter auch als primäre einzeitige Durchzugsoperation durch.
45.13.4
Operationstechnik
Bei der Mehrzahl der Kinder kann der Morbus Hirschsprung mit einem rein transanalen, endorektalen Durchzug – TERPT des gesunden Dickdarmes korrigiert werden. Die Methode nach Soave (siehe unten) war die Grundlage für die Entwicklung der ausschließlich transanalen Operation, die für einen Befall von bis zu 30 cm ab ano vor allem bei jungen Kindern geeignet ist (de la Torre et al. 2001). Hierbei wird zunächst direkt oberhalb der Linea dentata die Schleimhaut zirkulär inzidiert, der Schleimhautschlauch bis auf Höhe der peritonealen Umschlagsfalte ausgeschält und danach der ganze befallene Darm transanal freipräpariert und abgesetzt. Dies gelingt soweit nach proximal, bis das distale Kolon vom fixierten Colon descendens bis zum Anus gestreckt durch das kleine Becken verläuft. Vor dem Einnähen des durchgezogenen gesunden Darms in den analen Stumpf muss die muskuläre Rektummanschette dorsal längs gespalten und der Ganglienzellgehalt des belassenen Darmes per Schnellschnitt gesichert werden.
951 45.13 · Morbus Hirschsprung und intestinale neuronale Dysplasie
Bei Kindern mit einer Ausdehnung der HirschsprungErkrankung über das mittlere Sigma hinaus nach proximal wird eine transperitoneale Mobilisierung oder Resektion notwendig. Dafür wird in Rückenlage nach querer Unterbauchlaparotomie am Kolon der Übergang zum gesunden Darm festgestellt und die Resektionshöhe festgelegt (. Abb. 45.19). Hier sollte der Normalbefund intraoperativ durch eine Schnellschnittuntersuchung gesichert werden. Danach wird das distale, aganglionäre Kolon abgesetzt, der proximale Stumpf mit erhaltener, genügend langer Gefäßarkade vorläufig verschlossen und das distale Kolon bis zum Rektum freipräpariert. Bei der Methode nach Duhamel wird nun der aganglionäre Darm knapp unterhalb der peritonealen Umschlagsfalte abgesetzt und das Rektum an seiner Hinterwand von Kreuz- und Steißbein abpräpariert. Anschließend wird der gesunde proximale Darm nach Eröffnung der Hinterwand direkt oberhalb der Linea dentata hinter dem Rektum durchgezogen. Nach Einnähen des durchgezogenen Darms wird mit dem Stapler zwischen den beiden eine lange Seitzu-Seit-Anastomose hergestellt und schließlich das proximale Rektumende mit dem durchgezogenen Darm vernäht (. Abb. 45.20). Vorteile dieser Methode sind der Erhalt der Sensibilität in der vorderen Rektumwand bei Beseitigung jeder zirkulären Enge, das Umgehen der Präparation an der Blasenhinterwand und die Möglichkeit, bei totaler Aganglionose des Kolons auch eine längere Rektum- und Sigma-Dünndarm-Anastomose herzustellen. Auch die Methode nach Soave, bei der der gesamte Darm durch den belassenen Rektummuskelschlauch durchgezogen wird, vermeidet die zirkuläre Präparation des Rektums mit Gefahr der Verletzung von Nervenstrukturen im kleinen Becken. Am rektosigmoidalen Übergang wird die äußere Darmwand zirkulär inzidiert und die Mukosa aus dem Rektum herauspräpariert. Dieser freipräparierte Mukosaschlauch wird dann zum Anus heraus ausgestülpt. Über eine ventrale Eröffnung des Mukosaschlauches wird der gesunde Darm bis zum Anus durchgezogen und dort mit Absetzen des Mukosaschlauches sukzessive eingenäht (. Abb. 45.21). Die abdominelle Mobilisation des Kolons kann beim Vorgehn nach Soave auch laparoskopisch erfolgen. Einige Kinderchirurgen vollziehen auch die transabdominellen Schritte der Operation nach Duhamel laparoskopisch (Bax et al. 2008). Dies hat sich jedoch wegen der technischen Schwierigkeit und der noch nicht gesicherten gleichwertigen Ergebnisse noch nicht allgemein durchgesetzt.
45.13.5
Komplikationen und Ergebnisse
In geübten Händen haben bei gewissenhafter Nachsorge alle Methoden ähnliche Ergebnisse. Eine zufrieden stellende
. Abb. 45.20 Durchzugsoperation nach Duhamel
. Abb. 45.21 Durchzugsoperation nach Soave
Stuhlkontinenz kann bei über 90% der Kinder erreicht werden, viele Kinder behalten eine Restobstipation. Ein Problem stellt jedoch die Enterokolitis dar, die auch nach gelungener Durchzugsoperation persistieren oder erneut auftreten kann und dann einer Langzeitantibiose bedarf. Akute Heilungsprobleme und Wundinfektionen sind selten, in 10–15% muss jedoch mit postoperativer intestinaler Darmobstruktion gerechnet werden. Die Mortalität ist beim unkomplizierten, subakuten M. Hirschsprung mit ca. 3% gering, sie ist jedoch bei totaler Kolonaganglionose und Befall des Dünndarms deutlich erhöht und erreicht bei Säuglingen mit toxischem Megakolon 30% (Holschneider u. Puri 2000).
45.13.6
Intestinale neuronale Dysplasie
Weitere, weitgehend definierte Störungen der neuronalen Versorgung des distalen Dickdarms und Rektums werden
45
952
45
Kapitel 45 · Spezielle gastroenterologische Probleme in der Kinderchirurgie
als intestinale neuronale Dysplasien (IND) bezeichnet. Bei der sehr seltenen IND Typ A besteht eine Hypo- bis Aplasie der sympathischen Innervation. Hier steht klinisch der akute Beginn im frühen Säuglingsalter mit fehlendem Stuhlgang und Ileus im Vordergrund. Die Diagnose wird aus der Rektumbiopsie gestellt. Wie beim M. Hirschsprung sind Anus-praeter-Anlage und/oder Resektion mit Durchzugsoperation indiziert. Bei der häufigeren IND Typ B handelt es sich um eine Unreife des parasympathischen Plexus submucosus. Dies führt zu einer chronischen Obstipation mit Megarektum und Enkopresis. Die Therapie ist nach Diagnosestellung aus einer Rektumbiopsie in der Regel konservativ mit Sphinkterdehnung und Einläufen. Selten ist eine Anuspraeter-Anlage notwendig. Oft kommt es langsam zu einer Besserung der Symptomatik.
45.14
Anorektale Malformationen
45.14.1
Epidemiologie und Pathogenese
Die normale Ausformung des unteren Körperendes wird offensichtlich – genau wie die des kranialen Endes – ganz früh in der Embryonalzeit genetisch festgelegt. Wohl wegen dem komplizierten anatomischen Aufbau und dem entsprechend vielschichtigen Ablauf der Embryogenese dieser Region kommen anorektale Malformationen relativ häufig bei ca. 1 auf 4000–5000 Kindern vor, wobei Knaben etwas häufiger betroffen sind als Mädchen. In den ersten Schwangerschaftswochen kommt es durch Fusion des Entoderms und des Ektoderms zur Bildung der Kloakalmembran, die den Embryo nach kaudal abschließt. In der 4. bis 6. Schwangerschaftswoche formiert sich die primitive Kloake. Diese wird in der 6. Woche durch seitliches Einwachsen der 2 mesodermalen Radke-Falten und dem Einwachsen der Tournau-Falte von kranial her in den dorsalen anorektalen Kanal und den ventralen Sinus urogenitalis unterteilt. Aus letzterem werden später die Blase und Harnröhre sowie das untere Drittel der Vagina gebildet. Der Analkanal bis zur Linea dentata entsteht aus eingestülptem Entoderm, dem Proktoderm. Aufgrund einer falschen genetischen Steuerung dieser Prozesse kommt es je nach zeitlichem und/oder örtlichem Auftreten der Störung zu einer Vielfalt von Fehlbildungen an Rektum, Vagina und Harnröhre, die meistens mit einer Atresie des Rektums oder Anus und einer vom verschlossenen Darm nach ventral verlaufenden Verbindung, auch Fistel genannt, vergesellschaftet sind. Insbesondere bei hohen Formen der Rektumatresie besteht meist zusätzlich eine mangelnde Ausbildung der Beckenbodenmuskulatur, insbesondere des Aufhängeapparates
. Tab. 45.4 Klassifizierung der Rektumatresien Männlich
Weiblich
Perineale (kutane Fistel)
Perineale (kutane) Fistel
Rektourethrale Fistel (rektobulbär, rektoprostatisch)
Rektovestibuläre Fistel (rektovaginal sehr selten)
Rektovesikale Fistel
Persistierende Kloake
Atresie ohne Fistel
Atresie ohne Fistel
für das Rektum, sowie neuronale Defizite der Organe im kleinen Becken, vor allem Blasenfunktionsstörungen. Die sehr frühe Determinierung der anorektalen Malformationen erklärt auch die hohe Inzidenz von weiteren Fehlbildungen bei den betroffenen Kindern (50–60%). Von diesen ist am häufigsten die VACTERL-Kombination mit Fehlbildungen an vertebralen, anorektalen, kardialen, tracheoösophagealen, renalen und Extremitätenstrukturen. Vermehrt bestehen aber auch Assoziationen mit dem M. Hirschsprung und der Trisomie 21 sowie vielen anderen Syndromen. Die früher übliche, sog. Wingspread-Conference-Klassifikation (Stephens u. Smith 1986) in hohe, intermediäre und tiefe Rektumatresien hat insbesondere nach den bahnbrechenden Arbeiten von Alberto Peña (1990) mit neuen anatomischen Erkenntnissen und daraus abgeleiteten neuen Operationsverfahren heute an Bedeutung verloren. Genauer und für die Praxis relevanter ist eine Einteilung entsprechend der Lage der Fistel, die bei über 95% der Rektumatresien vorhanden ist. Nach dieser Einteilung ist eine klinische Zuordnung der Patienten und entsprechenden therapeutischen Entscheidungen leicht möglich (. Tab. 45.4). Beim Knaben kommt am häufigsten die Rektumatresie mit urethraler Fistel vor (. Abb. 45.22). Die rektoperinealen Fisteln bei der tiefen Form verlaufen oft subepithelial nach ventral (. Abb. 45.23). Beim Mädchen ist die häufigste Form die Rektumatresie mit vestibulärer Fistel (. Abb. 45.24). Die perineale Fistel entspricht immer einer tiefen Form mit Analatresie und wird auch als ventrale Analektopie bezeichnet (. Abb. 45.25). Die persistierende Kloake (. Abb. 45.26) ist durch eine mangelnde Trennung von Rektum, Scheide und Harnröhre mit einem persistierenden Ausführungskanal charakterisiert. Es besteht lediglich eine gemeinsame Öffnung mit deutlich verkürzten Labien und Vestibulum, das Rektum hat immer eine hohe Atresie. Oft besteht schon beim Neugeborenen ein Hydrokolpos durch Stauung. Ferner ist die persistierende Kloake, wie auch beim Knaben die hohe Rektumatresie mit Blasenfistel, häufig mit weiteren Fehlbildungen, insbesondere des oberen Harntraktes assoziiert.
953 45.14 · Anorektale Malformationen
. Abb. 45.22 Hohe Rektumatresie mit rektourethraler (bulbärer) Fistel
. Abb. 45.24 Rektumatresie mit rektovestibulärer Fistel
. Abb. 45.23 Männliches Neugeborenes mit tiefer Analatresie mit perinealer, subepithelialer Fistel
. Abb. 45.25 Weibliches Neugeborenes mit tiefer Analatresie mit perinealer Fistel (ventrale Analektopie)
45.14.2
Klinische Symptomatologie und Diagnostik
Die Fehlbildung fällt in aller Regel bereits bei der äußerlichen Inspektion des Neugeborenen auf, spätestens beim ersten Messen der Temperatur. Kinder mit tiefer Atresie und genügend weiter perinealer Fistel können oft ausreichend Mekonium und anfangs auch (Muttermilch-)Stuhl absetzen. Bei allen anderen Rektumatresien kommt es nach 1–2 Tagen zu geblähtem Abdomen, Unwohlsein und Erbrechen. Die wichtigste Beurteilung über die vorliegende Form der Fehlbildung erfolgt klinisch nach einer Wartezeit von 16–24 h, die für eine abdominelle Sonographie sowie die
. Abb. 45.26 Persistierende Kloake mit Hydrokolpos
45
954
45
Kapitel 45 · Spezielle gastroenterologische Probleme in der Kinderchirurgie
Suche nach weiteren Fehlbildungen (Nieren, Herz) und eine Urinuntersuchung genutzt werden sollten. Danach hat das Neugeborene in aller Regel Mekonium durch die Fistel entleert, sodass diese genau lokalisiert werden kann.
45.14.3
Chirurgische Strategie
Bei Kindern beiderlei Geschlechts mit perinealer Fistel, d. h. sicher tiefer Atresie, kann je nach Weite der Fistel sofort oder verzögert die Korrekturoperation über eine sog. minimale posteriore sagittale Anoplastik (MPSAP) erfolgen. Bei allen anderen Kindern mit Fistel, d. h. bei Knaben mit rektourethraler oder rektovesikaler Fistel (Mekonium im Urin) oder bei Mädchen mit rektovestibulärer Fistel (sichtbar), rektovaginaler Fistel (Mekonium in der Vagina) oder persistierender Kloake (äußerlich erkennbar, Mekonium im Urin) muss ein Anus praeter im Kolon angelegt werden, um zunächst dem Stuhlgang Abfluss zu verschaffen. Die endgültige Korrektur der hohen Atresie erfolgt mit 1–4 Monaten oder später nach genauer Röntgenkontrastmitteldarstellung der Anatomie. Bei persistierender Kloake sollte die Korrektur erst nach 6 Monaten erfolgen. Bei fehlender Fistel muss der Abstand der Atresie vom Perineum mittels Sonographie und/oder einer seitlichen Röntgenaufnahme mit Kopftieflage (Invertogramm) erfolgen. Bei einem Abstand unter 1 cm ist eine primäre Korrektur erlaubt, bei allen anderen Kindern ein Anus praeter indiziert. > Die klinische Beurteilung der Analatresieform erfolgt nach 16–24 h, wenn das Kind Mekonium über die Fistel entleert.
45.14.4
Operationstechnik
Der Anus praeter wird am besten im linken Unterbauch am Übergang vom Colon descendens zum Sigma angelegt. Es muss dabei darauf geachtet werden, dass genug Sigmalänge für den späteren Durchzug erhalten bleibt, und dass beide Kolonschenkel getrennt voneinander in die Bauchdecke platziert werden, um einen Übertritt von Stuhl in den abführenden Schenkel zu vermeiden. Im weiteren Verlauf wird dieser durch antegrade Spülungen vollkommen entleert. Bei Verbindung zu Harnröhre, Blase oder Vagina ist eine antibiotische Dauerprophylaxe notwendig. Zur Korrekturoperation werden die Kinder mit einer Darmentleerung vorbereitet, und es wird ein transurethraler Blasenkatheter eingelegt. Die Lagerung erfolgt in Bauchlage mit erhöhtem Steiß für den sagittalen Zugang in der Medianlinie. Mittels Elektrostimulierung wird die genaue Lokalisation der Beckenbodenmuskulatur und des Sphinkterkomplexes festgestellt. Im Gegensatz zu den frü-
her üblichen »blinden« Durchzugsverfahren können bei der Methode nach Peña (posteriore sagittale Anorektoplastik, PSARP; Peña 1990) über die sagittale mediane Inzision ohne Verletzung von Nerven und Muskeln alle Strukturen von kaudal her aufgesucht werden. Dies ermöglicht die Isolierung des Rektumblindsackes, Verschluss der Fistel und Platzieren des unter Umständen noch zu modellierenden Rektums genau in die Anlage des muskulären Aufhängeapparates (. Abb. 45.27). Bei persistierender Kloake kann diese bei einem kurzen gemeinsamen Ausführungskanal (>3 cm) ebenfalls von kaudal her korrigiert werden. Bei höheren Formen ist ein zusätzlicher abdomineller Zugang (offen oder laparoskopisch) zur Mobilisierung des Darms und gegebenenfalls Präparation eines Dünndarmsegmentes für einen Vaginalersatz notwendig. Dasselbe gilt für hohe Rektumatresien bei Knaben mit vesikaler Fistel. Die Präparation zur Trennung von Rektum und Vagina oder Urethra oder auch von Vagina und Urethra ist schwierig, da diese Gebilde bei den anorektalen Malformationen über eine Strecke eine gemeinsame Wand haben. Stets ist genügend perineales Gewebe zwischen die durchgezogenen Organe zu interponieren, um Fistelrezidive zu vermeiden. In wenigen Kliniken wird seit einiger Zeit eine kombiniert laparoskopisch-anale Durchzugsoperation geübt (Bax et al. 2008). Mangels gesicherter Langzeitergebnisse ist dieses Verfahren derzeit noch als experimentell einzustufen.
45.14.5
Nachsorge
Der Blasenkatheter wird für ca. 5 Tage belassen, die antibiotische Prophylaxe für 1 Woche fortgeführt. Nach Heilung der Wunden, in der Regel nach 2 Wochen, wird der Anus mit Hegarstiften kalibriert. Anschließend ist eine regelmäßige Dilatationsbehandlung über 3-6 Monate nötig, anfangs 1- bis 2-mal täglich, später mit größeren Abständen. Im Alter von 1-4 Monaten sollte eine Hegargröße von 12 mm Durchmesser, danach aufsteigend bis Hegargröße 14 mm mit 12 Monaten bzw. 16 mm mit 3 Jahren angestrebt werden, um Stenosierungen mit konsekutiver Obstipation zu vermeiden. Der Anus praeter kann zurückverlagert werden, wenn der Rektumkanal genügend weit für den problemlosen Stuhldurchtritt ist, in der Regel frühestens nach 4–6 Wochen.
45.14.6
Komplikationen und Ergebnisse
Die häufigste postoperative Komplikation ist die Wundinfektion, die jedoch meistens durch lokale Wundbehandlung und Antibiotikatherapie zum Abheilen zu bringen ist,
955 45.15 · Gallengangsatresie
a
. Abb. 45.27a,b Posteriore sagittale Anorektalplastik. a Intraoperativer Situs bei PSARP einer Rektumatresie mit rektovestibulärer Fistel, eröffneter Rektumblindsack, b Situs nach Fertigstellung der PSARP
ohne dass wichtige muskuläre Strukturen zerstört werden. Eine Analstenose oder ein Schleimhautprolaps machen gelegentlich einen weiteren Eingriff notwendig. Gerade Kinder mit tiefer Analatresie leiden häufig an einer hartnäckigen Obstipation, die entsprechend behandelt werden muss. Die Inkontinenz ist dagegen das im Vordergrund stehende Problem nach hohen Rektumatresien. Bisher wurde eine komplette Stuhlkontinenz bei 65% der Kinder mit verstibulärer Fistel, jedoch nur bei 25–35% der Kinder mit hoher Atresie wie rektourethraler Fistel oder persistierender Kloake erreicht. Deshalb müssen diese Kinder auch nach gelungener Korrektur in spezialisierten Zentren weiter betreut werden. Die Mortalität ist nicht abhängig vom operativen Eingriff, sondern im Wesentlichen von den assoziierten Fehlbildungen. Sie liegt für Kinder mit tiefen Atresien bei 5% und solchen mit hohen Atresien bei 15%.
45.15
Gallengangsatresie
45.15.1
Epidemiologie und Pathogenese
Die Gallengangsatresie ist eine seltene, nur bei ca. 1 auf 18.000 Geburten vorkommende Erkrankung. Sie ist offensichtlich keine angeborene Fehlbildung. Obwohl die Pathogenese nicht eindeutig klar ist, mehren sich in jüngerer Vergangenheit Hinweise, dass es sich um einen entzündlichen Prozess handelt, der durch eine abnorme Immunreaktion auf eine Virusinfektion der Mutter kurz vor der Geburt beim Kind ausgelöst wird. Dabei kommt es nach
b
der Geburt zu einer fortschreitenden Vernarbung mit Verschluss vor allem der extrahepatischen Gallengänge. Die Gallengangsatresie kann distal im Choledochus stattfinden, sodass die proximalen Gallenwege am Leberhilus offen bleiben. Hier spricht man von einer chirurgisch korrigierbaren Form (Schweizer u. Schier 1991). Sehr viel häufiger findet man aber den Verschluss der gesamten oder vor allem proximalen Gallengangsanteile bis in die Leberpforte hinein (chirurgisch nicht korrigierbare Form), wobei der Prozess auch intrahepatische Gallengänge betreffen kann. Als Reaktion auf die Cholestase kommt es in der Leber zu periportaler Entzündung mit reaktiver Proliferation kleiner Gallengänge und schließlich zur cholestatischen Fibrose und Zirrhose. Bereits nach 6 Wochen Krankheitsdauer ist mit entsprechenden Leberveränderungen zu rechnen.
45.15.2
Klinische Symptomatologie und Diagnostik
Meist besteht bei den betroffenen Neugeborenen ein Icterus prolongatus mit anhaltend hohen Serumbilirubinwerten und vermehrtem konjugiertem Bilirubinanteil. Weitere Cholestaseparameter sind ebenfalls positiv. Dabei sind die Kinder vorerst in gutem Allgemeinzustand. Das Mekonium ist oft hellgelb, späterer Stuhlgang dann grauweiß, der Urin dunkel. Im weiteren Verlauf kommt es allmählich bei fortschreitender Leberzirrhose zur Dekompensation der Leberfunktion.
45
956
45
Kapitel 45 · Spezielle gastroenterologische Probleme in der Kinderchirurgie
Differenzialdiagnostisch gibt es viele Ikterusursachen des Neugeborenen zu bedenken, im Vordergrund stehen jedoch die neonatale Hepatitis und die intrahepatische Gallengangshypoplasie. Die umfassende Labordiagnostik muss mögliche Virusinfektionen ausschließen. Bei der Sonographie sieht man typischerweise eine verkleinerte, auf eine Probemahlzeit nicht reagierende oder ganz fehlende Gallenblase und erweiterte intrahepatische Gallenwege. In der hepatobiliären Sequenzszintigraphie mit Technetium stellt man den fehlenden Abfluss des Tracers in den Darm fest. Die Punktionshistologie kann durch das relativ typische histologische Bild weitere Hinweise liefern, sie wird jedoch erst nach einigen Wochen Krankheitsverlauf deutlich. > Die gesamte Diagnostik sollte bis zur 6. Lebenswoche abgeschlossen sein, da danach mit der Entwicklung einer irreversibler Leberzirrhose zu rechnen ist. Im Zweifel muss eine intraoperativ durchgeführte Cholangiographie Klarheit schaffen.
45.15.3
Operative Therapie
Die Therapie ist operativ. Vor dem Eingriff sollte dem Kind über 4 Tage Vitamin K verabreicht werden. Bei einem ausschließlichen Befall des unteren Ductus choledochus (korrigierbare Form) kann die Galle über eine Hepatikojejunostomie mittels einer retrokolisch hochgezogenen Roux-YSchlinge permanent abgeleitet werden. Bei dem häufigeren, proximalen Befall (nicht korrigierbare Form) hat sich die Hepatoportojejunostomie nach Kasai et al. (1963) durchgesetzt (. Abb. 45.28). Hierbei wird die Gallenblase antegrad herausgelöst und entlang dem vernarbten Ductus cysticus und hepaticus die Leberpforte aufgesucht, die als narbige Platte in der Pfortadergabel zu finden ist. Diese Narbenplatte wird scharf von der Leberkapsel abgesetzt, ohne das dahinter liegende Parenchym zu verletzen. Hierbei sollen noch offene zuführende Gallengänge angefrischt werden. Eine mindestens 40 cm lange Roux-Y-Jejunumschlinge wird retrokolisch hochgezogen, am Ende verschlossen und Seitzu-End mit der Leberpforte anastomosiert. Postoperativ muss für ca. 1 Woche ein gut gallegängiges Antibiotikum intravenös verabreicht werden, anschließend wird eine längerfristige orale Cholangitisprophylaxe empfohlen. Der Gallefluss sollte durch die Gabe von Cholestyramin angeregt werden.
45.15.4
Ergebnisse und Prognose
Je nach Alter des Kindes und Grad der Leberfibrose bzw. -zirrhose, kann die Hepatoportojejunostomie eine endgültige Heilung nur bei ca. 50% der Kinder erreichen. Bei den
. Abb. 45.28 Hepatoportojejunostomie nach Kasai bei Gallengangsatresie
Übrigen kommt es trotz Operation zu einer Verschlechterung der Leber wegen mangelndem Gallefluss. Es wurde aber gezeigt, dass dies nach Hepatoportojejunostomie langsamer fortschreitet und die Kinder in einem besseren Allgemein- und Ernährungszustand verbleiben und so in einem besseren Zustand eine eventuelle Lebertransplantation entsprechend besser überstehen.
45.16
Literatur
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45
958
Stichwortverzeichnis
Stichwortverzeichnis A AB0-Blutgruppensystem 198 ABCDE-Regel 256 Abciximab 70 Abdomen, akutes 7 akutes Abdomen Abdomenübersichtsaufnahme 36 Abdominaltrauma – Abklärungsalgorithmus 259 – Antibiotikagabe 261 – chirurgische Therapie 255 – Diagnostik 257 – frühpostoperative Ernährung 271 – Gefäßverletzungen 267 – penetrierendes 256, 260 – stumpfes 256 – Verletzungsmuster 256 Abstoßung – akute 197, 859 – chronische 197 – hyperakute 197 Abstoßungstherapie 198 Abszess – enterischer 31 – intraabdomineller 27, 30 – pankreatischer 823 – peridivertikulitischer 43 – perihepatischer 265 – perityphilitischer 43, 575, 578, 579 – subphrenischer 360 Abszessdrainage – enterische 31 – interventionelle perkutane 27 – perkutane 206 Acarbose 766 Achalasie 7 auch Ösophagusachalasie – endoskopische Therapie 129 – hypermotile 129 – idiopathische 337 – krikopharyngeale 302 – sekundäre 336 – zervikale 292 Acute Physiology and Chronic Health Evaluation Score II 244 Adhäsion, postoperative 149 Adipositas – Epidemiologie 452 – Klassifikation 452 – Mehrschritttherapie 464 – morbide 451 Adipositaschirurgie 452 – Indikation 456 – Komplikationen 462 – Nachsorge 464 – Prinzipien 453 – Verfahrenswahl 458 Advanced-trauma-life-support-Kriterien 256
Aganglionose 949 Agastrie 447 AIDS, Gastroenteritis 472 Akute-Phase-Proteine 731 akutes Abdomen 233 – Diagnostik 234 – Erstmaßnahmen 235 – Früh- und Neugeborene 930 – Kindesalter 930 – Sonographie 6 – Symptomatik 930 Alaninaminotransferase 109, 730 Alemtuzumab 501 5-Aminosalizylate 536 α1-Antitrypsinclearance 97, 101 ambulante Chirurgie 209 Amoxicillin 415 Amylase 845 Analatresie 952 anale Hochdruckzone 589 Analektopie, ventrale 952 Analfissur 608 – chronische 609, 610 – Diagnostik 610 – Pathogenese 608 – Symptomatik 610 – Therapie 610 Analkanal 586 – Ruhedruck 589 Analprolaps 622 – Therapie 624 Analtrauma 631 Anämie – aplastische 871 – autoimmunhämolytische 871 – hämolytische 871 Anästhesie, ambulante 155 Anästhesieplanung 154 Anästhesietechniken 154 Anastomose – anale 187 – rektale 187 Anastomoseninsuffizienz – Klassifikation 207 – Therapie 207 Anastomosenring, biofragmentierbarer 180 Anastomosenstenose, endoskopische Therapie 128 Anastomosierungspyloroplastik 419 Angina abdominalis 482, 531 Angiographie 49 – Indikationen 49 – superselektive 53 Angioplastie, perkutane transluminale 490 Anismus 86 Anoplastik, minimale posteriore sagittale 954 anorektaler Winkel 587, 589 Anorektoplastik, posteriore sagittale 954
Antazida 401, 416 Anti-Thymozytenglobulin 794 Antibiotika – Aktivität gegen Anaerobier 227 – Auswahl 225 Antibiotikaprophylaxe – Abdominaltrauma 261 – Appendektomie 579 Antibiotikatherapie – Abdominaltrauma 261 – abdominelle Infektionen 226 – Cholangitis 695 – Indikationen 225 – kalkulierte 246 – Kolitis 530 – Morbus Crohn 518 – Perianalabszess 616 – Peritonitis 246 – präventive 224 Antikörper – monoklonale 69 – zytotoxische 197 Antilymphozytenglobuline 199 Antimediatoren 241 Antirefluxchirurgie 354 – Indikation 326 – Komplikationen 330 – Reoperation 332 – Verfahren 327 Antirefluxmechanismus 300 Antisensenukleotide 518 Antithymozytenglobuline 199, 501 Antrektomie 421, 442 Anus praeter 950, 954 Aorta, Läsionen 269 APACHE II 244 Appendektomie – Indikation 578 – konventionelle 160, 580 – laparoskopische 580, 581, 946 Appendikopathie, neurogene 575 Appendikostomie 638 Appendix – blandfer 579 – Karzinoid 579 – vermiformis 574 Appendizitis 573 – akute 6 – Diagnostik 576, 945 – Epidemiologie 574, 945 – Kindesalter 945 – Komplikationen 582 – operative Therapie 946 – Pathogenese 574 – postoperative Behandlung 582 – Sonographie 6 – Symptomatik 575, 945 Apple-peel-Formation 942 Arcitumomab 70
J. R. Siewert et al (Herausgeber), Gastroenterologische Chirurgie, DOI 10.1007/978-3-642-14223-9, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2011
959 Stichwortverzeichnis
Argon-Plasma-Koagulation 137 Arrosion, septische 217 Arteria – cystica 649 – gastrica 649 – gastroduodenalis 884 – hepatica 649, 808 – – Thrombose 795 – lienalis 808, 884 – mesenterica 649 – – inferior 480 – – superior 480, 808, 884 – pancreatica – – dorsalis 808 – – posterior 808 – – transversa 808 – pancreaticoduodenalis 808 Arteriosklerose, viszerale 482 ASA-Risikogruppen 152 Aspartataminotransferase 109, 730 Aspirationsmukosektomie 121 Aspirationsthrombektomie, viszerale 52 Asplenie 866 – Impfungen 221 Asterixis 753 Aszites – chirurgische Therapie 780 – Katheterimplantation 781 – Pathogenese 777 – Punktion 27 – Therapie 776 Atlanta-Klassifikation 823 Auerbach-Plexus 335 Autoimmungastritis 391 Autosplenektomie 871 Azathioprin 537 Azetylcholin-Rezeptorantagonisten 401
B Backwash-Ileitis 533, 535 Ballondilatation, endoskopische 128, 130 Ballonexpulsionstest 591 Ballonkatheter 661 Ballontamponade 758 Bariumperitonitis 38 Bariumsulfat 38 Barostat 83 Barotrauma 378 – intraluminales 375 Barrett-Karzinom, Definition 315 Barrett-Ösophagus 315, 320 – Definition 315 – Diagnostik 324 – mit Dysplasie 325 – ohne Dysplasie 325 – operative Therapie 327, 332 Basiliximab 200, 501, 794 Bauchdeckenverschluss, temporärer 246, 272 Bauchhöhle, Drainage 183 Bauchreden 291
Bauchtrauma – Diagnostik 5, 41 – Pankreasverletzungen 843 – Sonographie 5 – stumpfes 259 Bauchwand, Anatomie 158 Bauchwanddefekte, traumatische 271 Bauchwandhernie, primäre 895 Beckenboden 587 Beckenbodenelektromyographie 593 Beckenbodenplastik, totale 641 Beckenfraktur 268 Becquerel 64 Beger-Operation 841 Belegzellen 386 Bensaude-Technik 597 Bianchi-Technik 932 Bilhämie 742 Biliom 746 Bilirubin 385 Bilirubinstein 656 Bilitec-Messung 82 Billroth-I-Resektion 403 – distale 405 Billroth-II-Resektion 403 Billroth-Ketten 866 Bindegewebskrankheiten, Hernien 893 binge eating 457 Bishop-Koop-Fistel 933 Blasendrainage 856 Blasendruck 249 Blasengleithernie 898 Blindsacksyndrom 93, 474 Blumberg-Zeichen 575 Blutersatz 217 Blutgerinnungsstörungen 220 Blutstillung – endoskopische 216 – gastrointestinale Blutung 136 – Technik 263 Blutstuhl 134 Blutung – akute 216, 217 – gastroduodenale 423 – gastrointestinale 53 – intraluminale 217 – juxtakavale venöse 265 Bochdalek-Hernie 357 Body-Mass-Index 452 Boerhaave-Syndrom 372, 374 – Diagnostik 375 – Symptomatik 375 – Therapie 376 Botulinumtoxin – Achalasie 342 – Ösophagusachalasie 130 – Analfissur 610 Bridenileus 237 Budd-Chiari-Syndrom 762 Budenosid 536
C Caecum fixum 574 Calcineurin-Inhibitoren 794 Calot-Dreieck 647 Calprotectin 97 Caroli-Krankheit, Epidemiologie 698 Carotinmangel 96 13C-Atemtest 414 14C-Atemtest 414 β-Carotinoide 96 Champeau-Technik 725 Charcot-Trias 694 Chemoembolisation, transarterielle 786 Chiba-Nadel 18 Child-Pugh-Klassifikation 770 Child-Turcotte-Pugh-Klassifikation 786 Chirurgie – ambulante 209 – metabolische 452, 464 Chlamydienproktitis 629 13C-Lactoseureid-Atemtest 98 Cholangiodrainage, perkutane transhepatische 663, 695 Cholangiographie – endoskopisch retrograde 258, 680, 704 – intravenöse 680 – perkutane transhepatische 705 Cholangiolithiasis – intrahepatische 696 – Symptomatik 679 Cholangiopankreatikographie, endoskopisch-retrograde 700, 819, 833 Cholangioskopie 670 – perkutan transhepatische 658, 671 – perorale 670 – perorale endoskopische 658 Cholangitis 694 – akute 694 – Antibiotikatherapie 228 – lokale fibrosierende 711 – primär sklerosierrende 711 – sekundäre 228, 231 – sklerosierende 535 – Therapie 674 Choledochocholedochostomie 798 Choledocholithiasis – Diagnostik 7, 672 – endoskopische Therapie 658 – Komplikationen 675 – Pankreatitis 814 Choledochotomie, laparoskopische 684 Choledochusplastik 722 Choledochuszyste 699 Cholelithiasis, chirurgische Therapie 678 Cholera, endokrine 106 Cholestase 785 – Ätiologie 652 – extrahepatische 652 – Folgen 653 – intrahepatische 652 Cholesterinsättigungsindex 656 Cholesterinstein 656, 679
A–C
960
Stichwortverzeichnis
Cholezystektomie 691 – Drainage 189 – Gallenwegsstriktur 707 – im Intervall 820 – Indikation 680 – Komplikationen 707 – konventionelle 189 – laparoskopische 189, 682 – offene 684 Cholezystitis – akute 7, 689 – Diagnostik 7 Cholezystokinin 104, 106 Cholezystolithiasis – asymptomatische 680 – Diagnostik 656, 679 – extrakorporale Stoßwellenlithotripsie 657 – Komplikationen 689 – konservative Therapie 655 – Risikofaktoren 655 – Symptomatik 656, 679 Cholezystostomie, perkutane 52 Churg-Strauss-Syndrom 483 Ciclosporin A 198 – Colitis ulcerosa 537 Cimetidin 388, 401 Citrullin-Test 93 Clarithromycin 415 Clichy-Kriterien 788 CLO-Test 413 Clostridium-difficile-Infektion 529 Clostridium-difficile-Kolitis 225 CMV-Enteritis 503 CMV-Infektion 472, 799 Coeliacus-Blockade, perkutane 842 Colitis Crohn 515, 522 Colitis ulcerosa 533 – Definition 533 – Diagnostik 536 – Differenzialdiagnose 515 – Epidemiologie 533 – Hämorrhoiden 607 – Karzinomrisiko 535 – medikamentöse Therapie 536 – Morphologie 534 – operative Therapie 537 – Pathogenese 534 – Rezidivprophylaxe 537 – Symptomatik 535 Collis-Gastroplastik 355 Common-channel-Theorie 699 common channel 455, 460 Computertomographie, Indikationen 41 Condyloma-acuminatum-Infektion 630 14C-Oxalsäureresorptionstest 98 51Cr-Albumintest 97 Crohn’s Disease Activity Index 516 CT-Angiographie 44 CT-Kolonographie 44 Cuff-Abszess 542 Cuffitis 543 Cullen-Zeichen 814
Curie 64 Curling-Ulkus 400 Cushing-Schwelle 199 Cutter, lineare 178 Cyanoacrylate 169 Cytotect 399
D D-Xylosetest 91, 92, 100, 101 Daclizumab 200 Damage control surgery 261 Darm – Invagination 944 – Malrotation 942 – Nonrotation 942 Darmdekontamination, selektive 498 Darmmotilität 590 Darmperforation 119 Darmspülung 637 Darmwandischämie 947 Defäkationstest 85 Defäkographie 591, 636 Denervationssyndrom 332 Dennis-Sonde 280 Denver-Shunt 780 Descending-Perineum-Syndrom 622 Devagination, hydrostatische 945 Devaskularisationstherapie 773 Devaskularisierungsoperation 761 Deviationsileostoma 542 Dextrogastrie 447 Dezelerationstrauma 267 Diabetes mellitus – bei chronischer Pankreatitis 831 – nach Pankreatektomie 851 – Typ 2 456 Diagnostik – mikrobiologische 225 – Rektumatresie 930, 931, 933, 936, 937, 939, 940, 943–948, 950, 953 Diarrhö – antibiotikaassoziierte 529 – chologene 473 – sekretorische 106 Diathese – hämorrhagische 220 – vaskuläre hämorrhagische 222 Dibucain-Zahl 111 Dickdarmileus 278, 281 Dilatation, anale 605 Dilatationskatheter 661 Disaccharid-Toleranztest 91 Diversion – biliiopankreatische 460 – biliopankreatische 453, 457 – hormonelle 455 Diversionskolitis 532 Divertikel 7 auch Ösophagusdivertikel – epiphrenisches 305 – parabronchiales 307 Divertikulektomie 304
Divertikulitis – akute 8 – Sonographie 8 Divertikulopexie 305 Divertikulose 475 Dormiakörbchen 123, 668 Double-Stapling-Methode 542 Douglas-Schmerz 235, 576 Drainage – endoskopische 825 – enterale 856 – exokrine 857 – geschlossene 185 – halboffene 185 – Indikationen 186 – intraabdominelle 184 – offene 185 – perkutane 824 – prophylaktische 184 – therapeutische 184, 190 – transpapilläre 825 Drainageoperation 839, 847 Drainagetypen 186 Druck – intraabdomineller 247 – intravesikaler 249 – portosystemischer 751 – pulmonalarterieller 272 – zentralvenöser 249 Dubin-Johnson-Syndrom 652, 731 Ductus – accessorius 807 – choledochus 647, 807 – cysticus 647 – Wirsungianus 807 Duhamel-Technik 951 Duktopenie, idiopathische 652 Dumping-Syndrom 83, 443, 445, 851 Dünndarm – bakterielle Überbesiedlung 93 – Divertikulose 475 – Gefäßerkrankungen 479 Dünndarmatresie 940 Dünndarmerkrankungen 469 Dünndarmileus 277, 281 Dünndarm-Lebertransplantation 788 Dünndarmtransit 68 Dünndarmtransplantation 493 – Abstoßungsreaktion 502 – Empfängerevaluation 495 – Empfängeroperation 499 – Ernährung 504 – Indikation 494 – Kontraindikationen 495 – perioperatives Management 500 – postoperatives Management 501 – Spenderoperation 498 – Technik 498 – Transfusionsreaktionen 504 Dünndarmverletzungen 266 Duodenalatresie 939 Duodenalschlauch 453 Duodenalstumpf-Insuffizienz 207
961 Stichwortverzeichnis
Duodenalswitch 453, 457, 461 Duodenalulkus 134, 135 – endoskopische Untersuchung 411 – Eradikationstherapie 414 – Helicobacter-pylori-assoziiertes 410 – operative Therapie 417, 430 – Pathogenese 412 – Stadieneinteilung 411 – Symptomatik 410 – Therapie 413 Duodenalverletzungen 266 Duodenalwandhämatom 266 Duodenoduodenostomie 940 Duodenojejunostomie, terminolaterale 840 Duodenopankreatektomie 266, 840, 848 Duodenoplastik 419 Duodenumvarize 763 Durchzugsmanometrie 79 Dyskinesie, biliäre 654 Dyslipidämie 452 Dysphagie – endoskopische Therapie 130 – nicht-obstruktive 344 – sideropenische 312 Dysplasie, intestinale neuronale 951
Enteritis regionalis 510 Enterogastrone 107 Enterokinase 810 Enterokokken – Vancomycin-resistente 229, 243 Enterokolitis, nekrotisierende 947 Enzephalopathie, hepatische 752, 767 Erbrechen, schwallartiges 937 Ernährung – enterale 132, 271 – postoperative 271 Erythromycin, Ileus 281 Erythrozyten, 99mTc-markierte 65 Erythrozytenkonzentrat 220 ESBL 225, 243 Esmarch-Handgriff 370 Esomeprazol 415 Esopha- Coil 131 Essstörungen 457 Etappenlavage 820 Ethanolinjektion, perkutane 22 Ethanolinstillation, perkutane 26 Eulen-Augenzellen 393 Evans-Syndrom 872 Everolimus 199 extrakorporale Stoßwellenlithotripsie 662, 668
E Ebstein-Barr-Virusinfektion 504 Echinokokkose 736 – alveoläre 737, 740 – Diagnostik 738 – Epidemiologie 737 – Pathogenese 736 – sekundäre 737 – Symptomatik 737 – Therapie 739 – zystische 736, 739 Echinokokkuszyste, Milz 870 ECL-Zellen 386 Ehlers-Danlos-Syndrom 893 Einzelknopfnaht 171 Einzelkopfnaht 172 Eisenmangel 99 Elektrogastrographie 84 Elektromyographie 593 Embolie – akute arterielle 482 – mesenteriale 482 Embolisation, transhepatische 52 Embolisationstherapie 53 Emphysem 148 Endobrachyösophagus 314, 315 Endoloop 118 Endoprothese, Gallengangdrainage 124 Endoskopie, therapeutische 115 Endosonographie 11, 36 – anale 636 – Indikationen 11 – transgastrische 824 – vaginale 636 Endotheline, Varizenblutung 766
F Faden, resorbierbarer 166 Fadendurchzugsmethode, transorale 133 Fadenentfernung 172 Fadenmaterial – Elastizität 164 – Flexibilität 165 Fadenstärke 164 Fadenstruktur 164 Faktor-IX-Mangel 220 Faktor-VIII-Mangel 220 Faktor-XIII-Mangel 220 Famotidin 388, 398, 416 fatty triangle 911 FDG-PET 71 Feinnadel 18 Feinnadelpunktion, Komplikationen 20 Femoralhernie 895 Fettabsaugung 462 Fettmalabsorption 99, 832 Fettmalassimilation 96 Fibrinkleber 136, 169 Fissur, akute 610 Fissurektomie 613 Fistel – anorektale 613 – aortoduodenale 432, 888 – arteriiobiliäre 746 – biliodigestive 691 – cholezystoduodenale 692 – cholezystokolische 692 – enterokutane 521 – extrasphinktäre 620
C–G
– innere 520 – Morbus Crohn 520 – perianale 521 – perineale 952 – rektoperineale 952 – rektovaginale 620 – tracheoösophageale 935 – urethrale 952 – vesikovaginorektale 888 Fistula Plug 619 Fistulektomie 617 Fistulotomie 617 Flankenschnitt 160 Folsäuremangel 99 Forrest-Klassifikation 135 Fremdkörper – anale 631 – Analkanal 631 – Diagnostik 370 – extraluminale 369 – iatrogene 369 – Magen 369 – Ösophagus 369 Fremdkörperextraktion 370 – endoskopische 138 Fremdkörpermediastinitis 38 Frey-Operation 839, 841 Frimberger-Set 663 Fundophrenikopexie 355 Fundoplikation 937 – Komplikationen 330 – nach Nissen-Rossetti 328, 329 Fundus-first-Technik 691 Funktionstest, globaler 91 Furosemid 778 Fußpunktanastomose 407
G G-AEP-Kriterien 210 G-Zellen 105, 386 67Ga-Zitrat-Szintigraphie 69 Gallefistel 716, 740 Galleleck 265, 711, 746, 797 Gallenbildung 650 – duktuläre 650 – kanalikuläre 650 – Pathophysiologie 652 Gallenblase 647 – Agenesie 648 – Hydrops 690 Gallenblasenduplikatur 648 Gallenblasenkarzinom, Sonographie 10 Gallenblasenperforation 686 Gallenblasenseptierung 648 Gallengangsatresie – Diagnostik 955 – Epidemiologie 955 – Kindesalter 955 – operative Therapie 956 Gallengangsdrainage, endoskopische transpapilläre 124
962
Stichwortverzeichnis
Gallengangsendoprothese 124 Gallengangskonkremente, endoskopische Therpaie 123 Gallengangsstein, Fragmentation 123 Gallengangsstenose 842 Gallengangstein, endoskopische Therapie 123 Gallengangsverletzung 686 Gallengangszyste 698 – Diagnostik 700 – Epidemiologie 698 – Klassifikation 698 – Pathogenese 699 – Symptomatik 700 – Therapie 701 Gallensäuren 385 – Transportsysteme 651 Gallensekretion, Pathophysiologie 650 Gallenstein, obstruierender 818 Gallensteinileus 692 – operative Therapie 692 Gallenwege – Anatomie 647 – extrahepatische 647 – Gefäßversorgung 649 – Innervation 650 – lymphatischer Abfluss 650 – Motilitätsstörungen 654 – Reintervention 714 – Striktur 797 Gallenwegskonkremente, Sonographie 13 Gallenwegsläsionen – Klassifikationen 715 – operative Therapie 721 Gallenwegsobstruktion 52 Gallenwegsrevision – laparoskopische 684 – offene 685 Gallenwegsstenose, extrahepatische 697 Gallenwegsstriktur – Ätiopathogenese 702 – biliodigestive Anastomosen 708 – Diagnostik 703 – endoskopische Therapie 702 – postoperative 707 – Symptomatik 703 – Therapie 704 Gallenwegstumoren, Sonographie 9 Gallereflux 397 Gammaglutamyltransferase 110 Gammakamera 65 Ganglion coeliacum 810 Ganglion-coeliacum-Blockade 851 Gas-bloat-Syndrom 332 Gasembolie 149 Gastrektomie, Drainage 187 Gastrin 104, 105, 386 – Überproduktion 389 gastrin-releasing peptid 386 Gastrinom 389 Gastritis – chemisch induzierte 392 – chronische 391
– Duodenalulkus 410 – Eradikationstherapie 134, 394 – granulomatöse 392 – Helicobacter-pylori-assoziierte 412 – lymphozytäre 392 – operierter Restmagen 392 – phlegmonöse 392 – Symptomatik 391 Gastroduodenalblutung – Blutstillung 134 – obere 134 Gastroduodenoskopie 456 Gastroduodenostomie 181, 406 – terminolateralis 406 Gastroenteritis, Differenzialdiagnose 578 Gastroenterostomie 181, 454, 461 – antekolische 406 Gastrografin-Passage 206, 280 – Extravasat 265 Gastrointestinalblutung 52 – Diagnostik 65 – Embolisationstherapie 53 – endoskopische Therapie 135 Gastrojejunostomie 407, 419, 442 – perkutane 52, 57 gastroösophageale Refluxkrankheit, Epidemiologie 313 gastroösophagealer Reflux – konservative Therapie 937 – operative Therapie 937 – Ösophagusatresie 936 gastroösophagelaer Reflux – Kindesalter 936 Gastroparese 83, 272 Gastropathie – NSAR-induzierte 397 – portal-hypertensive 751, 766 Gastropexie 328, 355, 937 – hintere 355 Gastroplastik 453 – vertikale 458 Gastrostomie – perkutane 57 – perkutan endoskopische 132 – perkutan radiologische 52 Gefäßligatur, selektive 263 Gefäßverletzungen – intraabdominelle 267 – Leistenhernienoperation 915 Gerinnungsstörungen 731 Gerlach-Klappe 575 Gesamteiweißbestimmung 731 Gesetz von LaPlace 751 Gewebetransplantation 194 Gewichtsreduktion, operative 456 Ghrelin 453, 455, 459 Gianturco-Stent 131 Glasgow-Kriterien 815 glucose-dependent insulinotropic peptide 106 Glukagon 104 Glukose-H2-Atemtest 93 Glukoseintoleranz 831
Glukosetoleranz, pathologische 92 Glutamatdehydrogenase 110 Glycomer 168 Glyzeroltrinitrat 610 Gonorrhö 629 Goodsall-Regel 616 Graft-versus-host-Erkrankung 197 Gray 65 Grey-Turner-Zeichen 814 Grobnadel 18 Gummibandligatur 757 – Hämorrhoiden 597
H H+-K+-ATPase 386 H2-Atemtest 91 Haarzellleukämie 873 Haemoclip 118, 137 Haifischflossenpapillotom 660 Hämatemesis 134 Hämatochezie 53, 134 Hämatom – Leberpforte 268 – perikolisches 269 – perirenales 269 – – pulsierendes 270 – retroperitoneales 268 Hämobilie 265, 423, 746 Hämochromatose 730, 871 Hämoperitoneum 257 Hämophilie – A 220 – B 220 Hämorrhoidalarterienligatur, dopplersonographisch gesteuerte 603 Hämorrhoidalknoten, thrombosierter 608 Hämorrhoidektomie 600 – geschlossene 603 – Komplikationen 606 – offene 600 – submuköse 603 Hämorrhoiden 595 – Gummibandligatur 597 – Infrarotkoagulation 599 – Klassifikation 595 – Kryochirurgie 600 – Morbus Crohn 621 – Schwangerschaft 608 – Sklerotherapie 597 – Therapie 596 – topische Therapie 597 Hämorrhoidopexie 603 Hartmann-Tasche 647 Hassontrokar 145 Hautklammer 169 Hautnaht 170 Hebe-Senk-Einlauf 280 Heimlich-Handgriff 370 Heinz-Körperchen 866 Helicobacter-Atemtest 413 Helicobacter-pylori-Eradikation 394, 414
963 Stichwortverzeichnis
Helicobacter-pylori-Gastritis 391 Helicobacter-pylori-Infektion 412 – Diagnostik 413 Helicobacter-pylori-Magenkarzinom 393 Helicobacter-Ureasetest 397 Hemiplikation 328 Heparine, niedermolekulare 222 Hepatektomie 792 Hepatikojejunostomie 697, 721, 956 – terminolaterale 840 Hepato-IDA-Scan 734 Hepatoportojejunostomie 956 hepatorenales Syndrom 788 Hepatozyten, Funktionsanalyse 69 Herdsanierung, chirurgische 240 Hernia – ischiadica 893 – lumbalis 893 – obturatoria 893 – perinealis 893 Hernie 891 – epigastrische 893, 926 – kindliche 921 – lumbale 893 – paraumbilikale 894 – supravesikale 893 – unechte 926 Hernienoperation, laparoskopische 924 Herniographie 898 Herpes-simplex-Virusinfektion 629, 630 Herpes-zoster-sacralis-Infektion 630 Herz-Kreislauf-Funktion, Überwachung 203 Herzerkrankungen, perioperatives Risiko 152 Herzzeitvolumen, vermindertes 147, 249 Hiatoplastik 937 – hintere 355 – transabdominelle 355 Hiatusgleithernie 350 Hiatushernie 350 – axiale 319, 350 – Diagnostik 353 – Klassifikation 350 – operative Therapie 354 – paraösophageale 350 – Symptomatik 351 HIDA-Szintigraphie 69 Hidradenitis supurativa 614 Hirntod 195 – Diagnostik 196 – Symptomatik 196 Histamin 386 – Überproduktion 389 Histamin-H2-Rezeptorantagonisten 388, 401 Histokompatibilitätsantigene 197 HIV-Infektion 471 – Hämorrhoiden 608 – proktologische Infektionen 629 HLA-System 197, 198 Howell-Jolly-Körperchen 866 Hufeisenabszess 616 Hufeisenfistel, dorsale 620
human leukocyte antigens 197 HUT-Test 397, 413 Hydatide 737 Hydro-CT 514 Hydro-MRT 514 Hydrokortison, Sepsis 242 5-Hydroxytryptamin 104 Hypalbuminämie 731 Hyperbilirubinämie – familiäre konjugierte 652 – isolierte 731 Hypercholesterinämie 452 – cholestatische 653 Hypergastrinämie 106 Hyperkapnie 147 Hyperoxalurie 98 Hypersplenismus 221, 867 Hypertension – intraabdominelle 247 – portale 52 Hypertension, portale – Hypersplenismus 868 Hyponatriämie 779 Hypopharynx 289 Hypoproteinämie 731 Hyposplenie, kongenitale 866 Hyposplenismus 867
I Icodextrin 282 Icterus prolongatus 955 IgA-Endomysium-Antikörper 100 IgA-Gliadin-Antikörper 100 Ikterus 653 – cholostatischer 686 – obstruktiver 679 Ileitis – terminalis 577 – – Morbus Crohn 578 – regionalis 510 Ileostomie – endständige 539 – permanente 540 – terminale 540 Ileumpouch 539 Ileus – Ätiologie 277 – dekompensierter 234 – Diagnostik 278 – Epidemiologie 276 – Erstmaßnahmen 278 – konservative Therapie 280 – mechanischer 234, 276 – operative Maßnahmen 281 – paralytischer 276, 583, 850 – Pathophysiologie 276 – postoperativer 277, 878 – Prophylaxe 282 – Sonographie 7 – Symptomatik 277 – Therapie 275
Ileuskrankheit 276 Iliakainterponat 499 Immunantwort, zellvermittelte 197 Immunität, peritoneale 147 Immunkoagulopathie 221 Immunmodulatoren 271 Immunonutrition 504 Immunsuppression 198 – Dünndarmtransplantation 501 – Lebertransplantation 794 – Pankreastransplantation 858 Immunsuppressiva 198, 517 Impedanzmessung 322, 936 Imrie-Score 815 Infektion, intraabdominelle 244 Infektlokalisation 69 Infliximab 501 Infrarotabsorptionsspektrometrie 96 Infundibulum 647 Inhibitionsreflex – anorektaler 85 – rektoanaler 589 Inlay-Technik 911 Inlet-Patch 310 Insulin 104 Insulintherapie, intensivierte 242 Intensivmedizin, chirurgische 201 Interleukin-2-Antikörper 200 intestinale neuronale Dysplasie 951 Intrakutannaht 171 Intraluminalstapler 179 Intrinsic-Faktor 386 Intrinsic-Faktor-Mangel 94 Inulin-H2-Atemtest 99 Invagination 944 Ischämie – akute mesenteriale 488 – chronische mesenteriale 480, 488, 490 – intestinale 241 – nichtokklusive mesenteriale 483 Ischämiezeit, kalte 197 Ivalon-Sponge-Operation 626
J J-Pouch 540 Jaboulay-Gastroduodenostomie 442 Jamieson-Divertikel 302 Jejunalsonde 272 Jejunostomie – perkutane 52, 59 – transgastrische 57 Jejunumpouch 181 Jo-Jo-Effekt 453
K K-Pouch 540 Kalziumantagonisten, Achalasie 341 2-Kanal-pH-Metrie, ösophagogastrale 81 Kapselendoskopie 470, 476, 515
G–K
964
Stichwortverzeichnis
Kardia, Dilatation 341 karzinoembryonales Antigen 70 Karzinom – Crohn-assoziiertes 516 – hepatozelluläres 786 – – Kryotherapie 25 – – perkutane Ethanolinstillation 26 – – Radiofrequenzablation 24 Katheter, gastrojejunaler 58 Katheterangiographie 50, 55 Katheterokklusion 127 Kilian-Muskellücke 302 Kings-College-Kriterien 788 Klammerinstrumente 177 Klammernahtgeräte – Anwendungsmöglichkeiten 181 – Indikationen 180 – lineare 181 – zirkuläre 180 Klatskin-Tumor 126 Kneifdruck, maximaler 85 Knochenmarksaplasie 871 Knochenmarktransplantation 194 Knotenbruchfestigkeit 164 Knotensicherheit 165 Koagulationsnekrose 364 Koagulopathie, erworbene 221 Kock-Pouch 539 Kolektomie, subtotale 540 Kolitis 529 – distale 538 – fulminante 522 – gangränöse 531 – indeterminierte 535 – ischämische 531 – kollagene 533 – lymphozytäre 533 – mikroskopische 533 – pseudomemembranöse 529 – radiogene 532 – stenosierende 531 – toxische 522 Koller-Pouch 5 Kolliquationsnekrose 364 Kolon, Gefäßerkrankungen 479 Kolonanastomose 187 Kolonischämie 488 Kolonkarzinom – Sonographie 10 – Staging-Laparoskopie 13 Kolonkontrasteinlauf 278 Kolonpouch 181 Kolontransit 68 Kolonverletzungen 266 Kolostoma 643 Kolostomie 643 Kompartmentsyndrom, abdominelles 243, 247, 272 Komplikationen, postoperative 205, 223 Komponentenseparationstechnik nach Ramirez 913 Koniotomie 370
Konstipentia 637 Kontrastmittel – Applikation 40, 45 – – intravenöse 46 – – orale 45 – Auswahl 38 – Blush 269 – Extravasat 258 – hyperosmolare 39 – isoosmolare 40 – ösophagogastrointestinale 38 – Sonographie 4 – wasserlösliche 39 Kontrastmittelbreischluck 936 Kortikosteroide – Colitis ulcerosa 536 – Immunsuppression 199 Kremaster-Resektion 915 Kryotherapie, Lebertumoren 25 Kugelzellanämie 871 Kürschnernaht 171 Kurzdarmsyndrom 472 – chirurgische Therapie 474 – Pathogenese 472 – Symptomatik 473
L Lactomer 168 Ladd-Bänder 943 Laimer-Muskellücke 291, 302 Laktasemangel 470 – primärer 91 – sekundärer 473 Laktoseintoleranz 91, 100 Laktosetoleranztest 91 Laktulose-H2-Atemtest 94, 98 Langzeit-pH-Metrie 74 Langzeitmanometrie, ambulante 80 Lansoprazol 389, 415 Lanz-Punkt 575 Laparochisis 940 Laparoskopie 143 – historische Entwicklung 144 – Indikationen 146 – Komplikationen 148 – Kontraindikationen 146 – Staging 13 Laparostoma 272, 820 Laparotomie 157 – dekompressiven 250 – mediane 159, 237 – paramediane 159 – quere 160 – subkostale 160 Large-duct-Erkrankung 839 Laryngopharynx 289 Laserablation, interstitielle 25 Laserlithotripsie 662, 669 Lasertherapie, Tumoren 131 Lavage, geschlossene 245 Laxanzien 637
Lebendorganspende 195 Lebendspende, Lebendspende 500 Leber – Ablationsverfahren 23 – Szintigraphie 69 – Zellnekrose 730 Leber-Dünndarm-Transplantation 500 Leberbiopsie, perkutane 21 Leberechinokokkose 736 Lebererkrankungen 729 – chronische 784 Leberhämatom, subkapsuläres 264 Leberläsionen, fokale 735 Lebermetastasen – Kryotherapie 25 – Radiofrequenzablation 24 – Staging-Laparoskopie 13 Leberresektion, Drainage 189 Lebertransplantation 783 – Allokation 786 – Empfängerevaluation 789 – Empfängeroperation 792 – Gallenwegsstriktur 708 – Immunsuppression 794 – Indikationen 784 – Komplikationen 794 – Kontraindikationen 784, 786 – Lebendspende 789 – Organperfusion 792 – partielle 793 – perioperatives Management 793 – postmortale Spenderoperation 791 – Technik 791 Lebertumoren 736 – Sonographie 9 – Staging-Laparoskopie 13 Lebervenenphlebographie 734 Leberverletzungen 264, 742 – Diagnostik 742 – Einteilung 265 – Klassifikation 742 – konservative Therapie 743 Leberversagen – akut-auf-chronisches 786 – akutes 784 Leberzirrhose 785 – alkoholassoziierte 785 – HBV-assoziierte 784 – HCV-assoziierte 785 – Therapie der Aszites 776 Leistenhernie 922 – Diagnostik 897, 922 – Epidemiologie 892, 922 – Klassifikation 895 – Komplikationen 924 – operative Therapie 922 – Pathophysiologie 893 – postoperative Komplikationen 914 – Symptomatik 897, 922 – Therapie 898 Leistenhernienreparation 905 Leucinaminopeptidase 731
965 Stichwortverzeichnis
Leukämie, chronisch myeloische 872 Leukozytenszintigraphie 68 Levatorplastik – hintere 640 – vordere 641 Lewy-Körper 337 Lichtenstein-Verfahren 899, 905, 907 Lifttechnik 172 Linea – alba 158 – arcuata 158 – dentata 588 Linearstapler 177 Linea semilunaris 158 Linksseitenkolitis 533 Linton-Nachlass-Sonde 759 Lipase 835 Liposuktion 462 Lithotripsie, mechanische 123, 668 Lithotripter-Korb 661 Long-segment-Barrett-Ösophagus 315 Loperamid 637 Los-Angeles-Klassifikation 316 Loslassschmerz 575 Lungenfunktion – Überwachung 203 – eingeschränkte, perioperatives Risiko 152 Lymphadenitis mesenterialis 578 Lysetherapie, intraarterielle 55
M Magen – Anomalien 447 – Fremdkörper 369 – Innervation 417 – Motilitätsstörungen 83 – Säuresekretion 387 – Skelettierung 405 Magen-Bypass, Drainage 187 Magen-Darm-Trakt, Gefäßversorgung 480 Magenausgangsstenose 440 – dekompensierte 441 – Diagnostik 441 – floride 441 – funktionelle 441 – kompensierte 441 – Symptomatik 441 – Therapie 442 Magenband, steuerbares 457, 458 Magenbypass 453, 454 – distaler 453, 461 – proximaler 453, 457 Magendivertikel 448 Magendrüsen 385 Magenduplikatur 447 Magenektopie 447 Magenentleerung 384 – beschleunigte 384 – Untersuchung 66 – verzögerte 83
Magenentleerungsszintigraphie 323 Magenfrühkarzinom, Mukosaresektion 120 Magenfundusvarize 751, 762, 764 Magenkarzinom – chronische Gastritis 393 – Endosonographie 11 – Sonographie 9 – Staging-Laparoskopie 13 Magenmotilität 384 Magenmukosa – ektopische 66 – heterotope 310 Magenperforation, traumatische 378 Magenpouch 453 Magenresektion 403, 430 – Anämie 445 – distale 405 – Komplikationen 408 – laparoskopische 408 – Malnutrition 445 – Osteomalazie 445 – Osteoporose 445 – postoperative Komplikationen 443 – Rekonstruktion 407 Magenruptur, traumatische 378 Magensäure 386 Magenschleim 386 Magenschrittmacher 462 Magensekretion 384 – Hemmung 388 Magensonde 272, 426 Magenstumpfkarzinom 444 Magentransposition 187 Magenulkus 135 – Ätiopathogenese 396 – Helicobacter-pylori-assoziiertes 397 – Johnson-Typ 404 – kompliziertes 395 – NSAR-induziertes 397 – operative Therapie 402, 430 – perforiertes 579 – präpylorischer 404 – Symptomatik 396 Magenverätzung 364 – Diagnostik 366 – Klassifikation 365 – Symptomatik 365 – Therapie 367 – transmurale 367 Magenverletzungen 266, 363, 372 Magenvolvulus 448 Magenwedgeresektion 181 Magnetresonanzcholangiographie 49, 679 Magnetresonanzcholangiopankreatikographie 49, 700, 819, 833 Magnetresonanzpankreatikographie 258 Magnetresonanztomographie 49 major histocompatibility complex 197 Makroamylasämie 111 Malabsorption 90, 454, 653, 851 Malassimilation 455, 470 – Ätiologie 470 Maldigestion 470
Malformationen, anorektale 952 Mallory-Weiss-Blutung 424 Mallory-Weiss-Syndrom 53, 134, 375, 423 – operative Therapie 431 Malrotationsanomalien, Darm 942 MALT-Lymphom 413 Mangelernährung 153 Mannheimer Peritonitis-Index 244 Manometrie – anale 636 – anorektale 84, 591, 950 – antroduodenale 83 – gastrointestinale 83 Marfan-Syndrom 893 McBurney-Punkt 160, 574, 575 Meckel-Divertikel 476 – Diagnostik 66, 477, 946 – entzündeter 578 – Epidemiologie 946 – Kindesalter 946 – operative Therapie 946 – Symptomatik 476, 946 – Therapie 477 Megakolon, toxisches 536, 537 Mehrpunktmanometrie 77 Mehrzeilenspiralcomputertomographie 48 Mekoniumileus 944 Mekoniumperitonitis 940, 944 Meläna 134 MELD-System 786 Menghini-Set 18 6-Mercaptopurin 537 Mesenterialangiographie 487 Mesenterialarterienembolie 489 Mesenterialhämatom 265 Mesenterialinfarkt 483 Mesenterialischämie 52, 497 – akute 54, 488 – chronische 56 – nicht-okklusive 54 Mesenterialvenenthrombose 484 – Therapie 490 Mesenterialwurzel, Hämatom 268 Mesh-Implantation 905 Mesh-Wrapping 263, 745 Metallstent 125 Metronidazol 415 – Kolitis 530 Mikrogastrie 447 Milan-Kriterien 786 Milwaukee-Klassifikation 696 Milz – akzessorische 865 – Anatomie 864 – Diagnostik 868 – Echinokokkuszyste 870 – Filterfunktion 866 – Gefäßversorgung 864 – Hämangiom 870 – Hämangiosarkom 870 – Hamartom 870 – Histologie 865
K–M
966
Stichwortverzeichnis
Milz – immunologische Funktion 866 – lymphatische Drainage 865 – Lymphom 872 – Opsonisation 867 – Pathophysiologie 867 – Physiologie 866 – Pulpa 865 – Zyste 870 Milzabszess 30, 870 Milzarterienaneurysma 873 Milzfibrosierung 871 Milzinfarkt 870 Milzmetastasen 870 Milzresektion 877 Milzruptur – spontane 874 – Therapie 263 – traumatische 873 Milzvenenthrombose 870 – isolierte 842 Milzverletzungen 263, 873 – Einteilung 264 minimale posteriore sagittale Anoplastik 954 Minnegerode-Zeichen 373 Mirizzi-Syndrom 692 Misoprostol 401 Mittelbauchlaparotomie 743 Molluscum-contagiosum-Infektion 630 Mononucleosis infectiosa 730 Morbus – Crohn 393, 509, 620 – – Abszesse 520 – – akuter Schub 517 – – anale Striktur 621 – – Analfissur 621 – – Appendektomie 579 – – Ätiologie 511 – – chirurgische Therapie 518 – – chronisch-aktiver 517 – – Diagnostik 514, 621 – – Differenzialdiagnose 513, 515 – – Epidemiologie 510 – – Ernährung 518 – – Fistel 621 – – Fisteln 520 – – Hämorrhoiden 607, 621 – – Komplikationen 516 – – konservative Therapie 516 – – Lokalisation 513 – – Nachsorge 524 – – Operationstechnik 523 – – Pathologie 512 – – Rezidivprophylaxe 517 – – Symptomatik 512 – – Therapie 622 – Gaucher 873 – Gilbert-Meulengracht 731 – Hirschsprung 86, 949 – Ménétrier 97, 393 – Osler-Weber-Rendu 222 – Werlhof 221, 871 – Whipple 471
Morrison-Pouch 5 Mother-Baby-Endoskopie 658 Motilität – Diagnostik 66 – gastrointestinale 66 Motilitätsstörungen – Gallenwege 654 – Magen 83 – Ösophagus 296, 347 – viszero-viszerale Reflexe 234 MR-Defäkographie, dynamische 624 MRSA 225, 228, 243 mTOR-Inhibitoren 199 Mukosa-Advancement-Flap 618 Mukosabarriere 385 – defekte 511 Mukosaischämie 241 Mukosaprolaps 622 Mukosaresektion, endoskopische 119 Mukosatonometrie 272 Mukosazylinderplastik 725 Mukosektomie, rektale 626 Multidetektor-Computertomographie 486 Multiorgandysfunktionssyndrom 244 Multiorganversagen 241 – Klassifikation 244 Multiviszeralresektion 202 Musculus – cricopharyngeus 291 – obliquus externus abdominis 158 – obliquus internus abdominis 158 – rectus abdominis 158 – sphincter ani externus 586 – sphincter ani internus 586 – transversus abdominis 158 MUSE-Schema 316 Muskelblutung 217 Muskelplikation nach Delorme 626 Mycobacterium paratuberculosis 511 Mycophenolat 501, 794 Mycophenolatmofetil 199 Mykose, invasive intraabdominelle 229 Myotomie – distale 307 – laparaskopische 342 – zervikale 304
N N.O.T.E.S. 463 Nabelhernie 924 – Diagnostik 925 – Embryologie 924 – operative Therapie 925 – Pathophysiologie 894 – Spontanverschluss 925 Nachblutung 216, 217 Nadel 169 – atraumatische 169 – chirurgische 169 Nadelkorpus 170 Nadelmesserpapillotom 660
Naht – chirurgische 163 – fortlaufende 171, 173 – gastrointestinale 172 Nahtinsuffizienz 207 Nahtmaterial 164 – Auswahl 169 – Eigenschaftgen 164 – Gewebeverträglichkeit 165 – natürliches 167, 168 – nichtresorbierbares 167 – Reißfestigkeit 164 – Resorbierbarkeit 166 – synthetisches 167, 168 Nahttechnik 175 Narbenhernie 149 – Diagnostik 897 – Epidemiologie 892 – Klassifikation 895 – nach Appendektomie 583 – Pathophysiologie 894 – Symptomatik 897 – Therapie 900 Narbenhernienreparation 910 Nasopharynx 289 natural orifice transluminal endoscopic surgery 684 Neostigmin 280 Nervenstimulation, sakrale 638 Nervus splanchnicus 810 Netzaugmentation 900 Netzinterposition 911 Netzplastik – epifasziale 911 – rektomuskuläre 911 Netzverfahren – Biomaterialien 900 – Komplikationen 902 – laparoskopische 913 – offene 899 Neuropeptid Y 107 Neurotensin 104 Niedrigflusssyndrom 483 Nierenverletzungen 269 Nifedipin 610 Nissen-Fundoplikation 328 Nitrate, Achalasie 341 Nitroglyzerin 610 – Varizenblutung 758 Nizatidin 388 NOMI 54 Nonrotation, Darm 942 NOTES 684 Novoseven 758 Nussknacker-Ösophagus 297, 300, 346
O OALT 885 Oberbauchlaparotomie 743 Octreotid 444 – Varizenblutung 758
967 Stichwortverzeichnis
Odynophagie 313, 339 Okklusionsdruck, pulmonalkapillärer 249 OKT3 200, 501 Omega-3-Fettsäuren 153 Omega-Loop-Magenbypass 461 Omentitis 886 omentum associated lymphoid tissue 885 Omentum majus – Anatomie 884 – chirurgische Anwendung 886 – Erkrankungen 885 – Gefäßversorgung 884 – Gewebeersatz 886 – Volumenersatz 888 Omeprazol 389, 399, 401, 415, 416 Onlay-Technik 911 – offene 900 Operationssitus, Überwachung 204 OPSI 868 Organentnahme, Verstorbene 195 Organhämatom 217 Organkonservierung 196 Organperfusion, Verbesserung 249 Organspende 195 Organspendeoperation 196 Oropharynx 289 ösophagogastraler Übergang 297 Ösophagogastroduodenoskopie 216, 514 Ösophagospasmus, diffuser 297, 300, 344 Ösophagus – Anatomie 289, 293, 298 – Arzneimittelulzera 313 – Epithel 293 – Fremdkörper 369 – Funktionsstörungen 295, 335 – Infektionen 312 – Motilitätsmessung 79 – Motilitätsstörungen 75, 296, 347 – Muskulatur 293 – Peristaltik 75, 294 – Physiologie 289 – tubulärer 290, 292 – Webs 312 Ösophagus-pH-Metrie 345 Ösophagusachalasie 297, 300, 335 – Ätiopathogenese 337 – Diagnostik 129, 339 – endoskopische Therapie 129 – Epidemiologie 336 – Klassifikation 335 – operative Therapie 342 – Pathophysiologie 337 – sekundäre 336 – Symptomatik 338 – Therapie 341 Ösophagusatresie 933 – Diagnostik 933 – isolierte 933 – operative Therapie 935 – Symptomatik 933 Ösophagusbreischluck 74 Ösophagusdivertikel 301 – funktionelles 301
– Lokalisation 301 – operative Therapie 304, 306 – parabronchiales 307 – Rezidiv 308 – Symptomatik 302, 306 Ösophagusduplikatur 447 Ösophagusdvertikel, epiphrenisches 305 Ösophagusexstirpation 368 Ösophagusfistel 372 Ösophaguskarzinom – Endosonographie 11 – Risiko 337 – Staging-Laparoskopie 13 Ösophagusmanometrie 74, 297, 340, 345, 354 – Auswertung 79 – Indikationen 74, 82 – Instrumentarium 75 – stationäre 76 – Technik 76 Ösophagusperforation 372 – Diagnostik 373 – sekundäre 372 – Symptomatik 373 – Therapie 373 Ösophagusresektion, Drainage 187 Ösophagusring 311 Ösophagusruptur 372 – Diagnostik 373 – emetogene 374 Ösophagussphinkter – Funktionsstörungen 300 – Hypertension 300, 346 – Hypertonie 292 – oberer 74, 79, 290 – Ruhedruck 292 – unterer 75, 79, 298, 299 Ösophagussprache 291 Ösophagusstenose – Bougierung 368 – interventionelle Therapie 58 Ösophagustransitzeit 341 Ösophagustumoren, submuköse 309 Ösophagusvarize 53, 751, 764 – Inzidenz 754 Ösophagusverätzung 364 – Diagnostik 366 – Klassifikation 365 – Symptomatik 365 – Therapie 367 Ösophagusverletzungen 265, 363, 372 Osteomalazie 99 Osteomyelofibrose 872 Otto-Kanüle 18 overwhelming postsplenectomy infection 868 Oxalatsteinnephrolithiasis 98
P Packing 745 PAIR 740
M–P
Pancreas – divisum 808, 827, 830 – anulare 940 Pancreolauryltest 101 Pankratographie, endoskopisch-retrograde 845 Pankreas – Anatomie 805 – anulare 806 – Drainage 824 – Drainageoperation 847 – exokrines 810, 811 – Gefäßversorgung 808 – Innervation 809 – lymphatische Drainage 809 – Nekrosektomie 820 – Physiologie 810 – Rekonstruktionsoperation 847 – Sekretionsmuster 811 – Spüldrainage 820 Pankreas-/Nierentransplantation 853 Pankreasabszess 30, 823 Pankreasamylase 111, 819 Pankreasbiopsie 21 Pankreaschirurgie, postoperative Komplikationen 850 Pankreasenzyme 111, 810 Pankreasfistel 842, 848 – Therapie 851 Pankreasgangobstruktion 835 Pankreasgangstein 127 Pankreasgangstenose 127 Pankreasinsuffizienz 470, 831 – Enzymsubstituion 835 – Enzymsubstitution 851 – exokrine 851 – Nachweis 832 – Vitamin-B12-Mangel 95 Pankreaskarzinom, Staging-Laparoskopie 13 Pankreaskopfresektion 838 – Durchführung 840 Pankreaslinksresektion 841 Pankreaslipase 111, 819 Pankreasnekrose – infizierte 816, 820 – sterile 820 Pankreaspseudozyste 822 – akute 823 – chronische 823 – Definition 822 – Diagnostik 824 – endoskopische Drainage 825 – Epidemiologie 822 – Klassifikation 823 – konservative Therapie 824 – nach Trauma 848 – operative Therapie 825 – perkutane Drainage 824 – posttraumatische 822 – Symptomatik 823 Pankreaspseudozysten 127 Pankreasresektion 847 Pankreassaft 810
968
Stichwortverzeichnis
Pankreassekretion 811 – Messung 832 Pankreastransplantation 852 – Abstoßungsreaktion 859 – Empfängeroperation 856 – Ergebnisse 859 – Immunsuppression 858 – Indikationen 853 – Komplikationen 858 – Kontraindikationen 853 – nach Nierentransplantation 853 – Spenderoperation 855 – Spenderselektion 854 Pankreastrauma 843 – penetrierendes 843 – stumpfes 843 Pankreatektomie – Diabetes mellitus 851 – totale 841 Pankreatikoduodenektomie 190 – pyloruserhaltende 841 Pankreatikojejunostomie 190 – terminolaterale 840 Pankreatiokolith 13 Pankreatitis – akute – – Antibiotikatherapie 816 – – Ätiologie 818 – – chirurgische Therapie 818 – – Diagnostik 814, 819 – – endoskopische Therapie 816 – – Epidemiologie 818 – – Klassifikation 819 – – Nachsorge 817, 821 – – Schmerztherapie 816 – – Symptomatik 813, 814, 819 – – Therapie 815 – – Ursachen 813 – alkoholinduzierte 827 – biliäre 674, 675, 814, 819 – chronische 127, 709 – – chirurgische Therapie 837 – – Diabetes mellitus 831 – – Diagnostik 831 – – Glukoseintoleranz 831 – – idiopathische 829 – – kalzifizierende 829 – – Klassifikation 827 – – Pathogenese 827 – – Pseudozysten 822 – – Schmerztherapie 834 – – Symptomatik 830 – – Therapie 834 – Dekompression 250 – Drainageoperation 838 – endoskopische Therapie 127 – genetische Faktoren 828 – nekrotisierende 228, 231, 816 – obstruktive 827, 830 – postinterventionelle 822 – postoperative 409 – posttraumatische 848 – Pseudoaneurysma 842
– serös-ödematöse 817 – Sonographie 13 – sporadische 829 – traumatische 830 – tropische 829 Pankreatojejunostomie 839 Pantoprazol 389, 415, 416 Panzytopenie 871 Papaverin 488 Papillenstenose 695 Papillotom 660 Papillotomie 817, 820 – endoskopische 122, 658, 664 Paracetamol-Intoxikation 784 Parazentese 778 Parenchymflächenversiegelung 263 Parietalzellen 386, 387 Patientenalter, Operationsrisiko 152 Patterson-Kelly-Syndrom 312 111In-Pentreotid 70 Pepsinogen 387 Peptid, YY 107 Perfusionsdruck, abdomineller 249 Perfusionsmanometrie 75, 85 Perianalabszess 613 – Diagnostik 615 Periduralanästhesie, thorakale 154 Perinealblock 594 Perisplenitis 869 Peristalsis – hypertensive 346 – sekundäre 295 – tertiäre 295 Peristaltikmuster 84 Peritonealdialyse 282 Peritoneallavage 259 – diagnostische 742 Peritoneographie 898 Peritonismus 819 Peritonitis 243, 503 – akute 227 – Antibiotikatherapie 227, 230, 246 – Diagnostik 244 – diffuse 190, 227, 247 – Drainage 190 – interventionelle Therapie 246 – Klassifikation 244 – Laparotomie 490 – Mortalität 247 – primäre 227, 243 – quartäre 244 – sekundäre 227, 230, 243 – spontane bakterielle 779 – Symptomatik 244 – tertiäre 227, 244 – Therapie 244, 489 Peutz-Jeghers Polyp 119 Pfählungsverletzung 261, 267 Pfannenstielschnitt 160 Pfortaderdruck 734 Pfortaderstenose 56 Pfortaderthrombektomie 52 Pfortaderthrombolyse 52
Pfortaderthrombose 56 – akute 56 – chronische 56 – Diagnostik 56 Pharyngooösophagographie 373 Pharynx, Anatomie 289 Phosphatase, alkalische 109, 731 PICCO-Technik 203 Piggy-back-Technik 792 Pigtail-Katheter 671 Pigtail-Prothese 125 Plastersteinrelief 515 Pleuraerguss, Punktion 27 Plexus coeliacus 810 Plexus-coeliacus-Nervblockade 835 Plug-and-Patch-Technik 907, 913 Plummer-Vinson-Syndrom 312 Pneumoperitoneum – Anlage 145 – Definition 145 – Pathophysiologie 146 Poliglecapron 168 Polyamid 167 Polyarteriitis, nodosa 483 Polybutester 168 Polydioxanon 169 Polyester 168 Polyesternetz 901 Polyglactin 168 Polyglyconat 169 Polyglykolsäure 168 Polyglytone 169 Polyhydramnion 933, 939 Polyp – neoplastischer 119 – nicht-neoplastischer 119 Polypektomie – endoskopische 117 – Komplikationen 118 Polypektomieschlinge 118 Polypeptid, pankreatisches 104, 106 Polypropylen 168 Polypropylennetz 901 Polytetrafluorethylennetz 901 Polyvinylidenfluoridnetz 902 PONV 155 Porphyria erythropoietica 873 portale Hypertension 749 – Ätiologie 750 – elektive Therapie 764 – medikamentöse Therapie 764 – Notfalltherapie 754 – operative Therapie 768 – Pathophysiologie 750, 769 Portalvenendruck, Senkung 764 Portalvenenthrombose 795 Portioschiebeschmerz 235 Portographie 734 Positronenemissionstomographie 70 post anal repair 640 Postcholezystektomiesyndrom 687 posteriore sagittale Anorektoplastik 954
969 Stichwortverzeichnis
postoperative nausea and vo 155 Postpolypektomiesyndrom 118 posttransplantationslymphoproliferative Erkrankung 504 Postvagotomiediarrhö 445 Postvagotomiedysphagie 445 Pouch, ileoanaler 544 Pouchitis 539, 543 PPI-Test 322 Prämedikationsvisite 155 Precut-Papillotom 660 Prednisolon, Dünndarmtransplantation 501 Pringle-Manöver 262, 744 Processus – pterygoideus 290 – uncinatus 805 Processus vaginalis 922 Prokalzitonin 815 Prokinetika 281 Proktitis 533 Proktodealdrüsen 614 Proktokolektomie 539 – laparoskopische 540 – restaurative 539 – Technik 541 – totale 540 Proktokolitis 532 Proktosigmoiditis 533 Proktosigmoidoskopie 258 Proktoskopie 590 Prostaglandinanaloga 401 Protein C 242 Protein-C-Mangel 222 Protein-S-Mangel 222 Proteinmalassimilation 97 Prothesenokklusion 127 Prothrombinzeit 100 Protonenpumpenhemmer 137, 325, 388, 398, 401, 415, 416 Pruritus, bei Cholestase 653 Pseudoachalasie 336 Pseudocholinesterase 110 Pseudodiarrhö 637 Pseudozyste, pankreatische 822 Pseudozystendrainage, endoskopische 127 Pseudozystenresektion 826 Pseudozysto-Gastrostomie 824 Pseudozysto-Jejunostomie 824 Psoasabszess 520 Psoasanspannungsschmerz 576 Pudenduslatenzzeit 593 Pull-type-Papillotom 660 Pulsionsdivertikel 301, 305 Punktionsnadeln 18 Punktionsschallköpfe 19 Punktionstechnik 19 Purpura – autoimmunthrombozytopenische 221 – immunthrombozytopenische 871 – Schoenlein-Henoch 483 – thrombotisch thrombozytopenische 872
Pursestring-Klemme 180 Pyloromyektomie 419 Pyloromyotomie 938 Pyloroplastik 419 – nach Heineke-Mikulicz 419, 436 Pylorospasmus 83 Pylorusexklusion 266 Pylorusstenose – hypertrophe 937 – operative Therapie 938 Pyoderma gangraenosum 513, 614
R Rabeprazol 389 Radioaktivität 64 Radiofrequenzablation 23 Radionuklide 64 Radiopharmazeutika 64 Ranitidin 388, 399, 401, 416 Ranvier’s milky spots 885 Rapamycin 199 red wale mark 754 Reflux – gastroösophagealer 68 – physiologischer 315 Refluxkrankheit 7 gastroösophageale Refluxkrankheit 318 – Definition 315 – Diagnostik 321 – klassische 326 – primäre 318 – Rezidivprophylaxe 325 – sekundäre 319 – Symptomatik 321 – Therapie 325 Refluxösophagitis 319, 443 – Definition 315 – Klassifikation 315 region of interest 65 Regurgitation 339 Reißfestigkeit 164 Rekanalisation, mesenterial-venöse 56 Rektopexie 625 – anteriore 626 – laparoskopische 626 – posteriore 626 Rektosigmoidektomie, nach Altemeier 626 Rektosigmoidoskopie 636 Rektum – Gefäßversorgung 588 – Nervenversorgung 588 Rektumatrasie, Symptomatik 953 Rektumatresie 952 – Diagnostik 953 – hohe 952 – Klassifikation 952 Rektumcompliance 590, 636 Rektumkapazität 590 – Messung 636 Rektumkarzinom, Endosonographie 12
Rektumprolaps 620, 622 – Therapie 624 Rektumresektion, Drainage 187 Rektumulkus, solitäres 622 Rektumverletzungen 267 Rektusdiastase 893, 894 Rektusscheide 158 Rekurrensparese 308 Relaparotomie 245 Relaxatio diaphragmatica 358 Rendez-vous-Verfahren 310, 666, 682, 705 Renorrhaphie 270 Resistenzentwicklung 225 resorbierbares 168 Resorptionstests 89 Rezidivblutung 216, 217 Rezidivhernie – Epidemiologie 892 – Pathophysiologie 894 – Therapie 899 Rifabutin 415 Riolan-Anastomose 531 Riolan-Gefäßbogen 480 Rippenbogenrandschnitt 160 Risikoabschätzung – postoperative 155 – präoperative 151 Rockall-Scoring-System 427 Rotor-Syndrom 731 Roux-en-Y-Magenbypass 453, 459 Roux-Y-Choledochojejunostomie 266, 797 Roux-Y-Duodenojejunostomie 266 Roux-Y-Galleableitung 329, 334 Roux-Y-Hepatikojejunostomie 798 Roux-Y-Magenresektion 403, 407 Roviralta-Syndrom 938 Rovsing-Zeichen 576 Rückstichnaht 172 – nach Allgöwer 171 Rückzugsmanometrie, stationäre 76, 79
S S-Pouch 540 S.I.L.S. 463 Saint-Trias 352 Sarkoidose, Splenomegalie 873 Säuresekretion – Helicobacter pylori 412 – postprandiale 397 Savary-Gilliard-Bougie 128 Savary-Miller-Klassifikation 315 Schädel-Hirn-Trauma 260 Schatzki-Ring 311 Schenkelhernie 893 Schilddrüsenbiopsie 21 Schilddrüsenkarzinom, Sonographie 9 Schillingtest 94, 100, 101 Schlauchmagen 453, 457, 459 Schließmuskel – äußerer 586 – innerer 586
P–S
970
Stichwortverzeichnis
Schluckakt 289 Schmerz – epigastrischer 830 – postprandialer 480 – somatischer 234 – viszeraler 234 Schmerztherapie, akutes Abdomen 236 Schmetterlingsplastik 724 Schockraum 258 Schussverletzung 261 Schwangerschaft, Hämorrhoiden 608 75SeHCAT-Test 95, 100 Seide 167 Seilbahntechnik 172 Sekretin 104, 106 Sekretinstimulationstest 832 Sellink-MDP 477 Sengstaken-Blakemore-Sonde 759 Sepsis – abdominelle 240 – adjunktive Therapie 241 – Kausaltherapie 240 – sekundäre 226 – Supportivtherapie 240 Sepsiskrankheit, generalisierte 245 Sequential Organ Failure Assessment 244 Seromyotomie, anteriore 421 Seton-Drainage 617 Short-segment-Barrett-Ösophagus 315 Shouldice-Technik 906 Shouldice-Verfahren 899 Shunt – atriokavaler 265 – mesokavaler 771 – partieller 772 – peritoneovenöser 780 – portokavaler 499, 761, 771 – selektiver 772 – splenorenaler 760, 762, 773 – transjugulärer intrahepatischer portokavaler 770 – transjugulärer intrahepatischer portosystemischer 760, 762, 778 Shuntoperation 760 Sigmoidektomie 625 Sigmoideoskopie 530, 536 silk-glove sign 922 SILS 684 Single-Photon-Emissionscomputertomographie 65 single incision laparoscopic surgery 684 Sirolimus 199, 501 SIRS 202 Sklerosierungstherapie 756, 761 Sklerotherapie, Hämorrhoiden 597 Soave-Technik 951 SOFA 244 Somatostatin 104, 107, 386 – Varizenblutung 758 Somatostatinanaloga 70, 107 Sonographie – diagnostische 3
– endoanale 591, 636 – interventionelle 17 – intraoperative 12 – kontrastmittelverstärkte 9 – kontrastverstärkte 4 – perkutane 8 – vaginale 636 Soorösophagitis 312 SPECT 65 Speiseröhre 7 Ösophagus Spender-Empfänger-Matching 198 Sphärozytose, hereditäre 871 Sphincter Oddi 648, 654 Sphincter-Oddi-Dysfunktion 654 Sphincter-Oddi-Dyskinesie 658 Sphinkter, künstlicher 642 Sphinkteroklasie 667 Sphinkterotomie – endoskopische 122 – laterale 605 – laterale subkutane 612 – pankreatische 665 – partielle laterale 611 Sphinkterrekonstruktion 639 Sphinkterrelaxation, chemische 610 Sphinkterruhedruck 85 Spieghel-Hernie 893 Spironolacton 778 Splanchniektomie, thoraskopische 842 Splenektomie – Blutbildveränderungen 868 – Drainage 189 – Impfungen 264, 868 – laparoskopische 876 – offene 874 Spleno-Portographie 734 Sprue 99 – einheimische 99 – glutensensitive einheimische 471 Stapler – lineare 177 – zirkuläre 179 Stapleranastomose 182 Staplerhämorrhoidopexie 603 Staplerösophagojejunostomie 182 Steatorrhö 96, 473, 831, 832 – nach Pankreaschirurgie 851 – Therapie 835 Steinerkennungssystem 662 Steinextraktion 668 – endoskopische 123 Steinfragmentation 123 Stenose, peptische 314, 315, 320, 327 Stentangioplastie 56 Stenttherapie – endoskopische 60 – Gallengangdrainage 124 – oberer Gastrointestinaltrakt 60 STEP 933 Sternotomie 260, 261 Stichverletzung 260 Stomaanlage, Morbus Crohn 524 Stoppa-Technik 908
Stoßwellenlithotripsie, extrakorporale 657, 662, 668 Stressulkus 400 – Diagnostik 401 – Prophylaxe 400, 401 – Risikofaktoren 400 – Therapie 401 Stressulkusprophylaxe 816 Strikturoplastik 524 Strip-Biopsie 121 Stuhlelastase 832 Stuhlfettanalyse, quantitative 96 Stuhlinkonenz, sakrale Nervenstimulation 638 Stuhlinkontinenz 622, 635 – Ätiologie 637 – Biofeedbacktherapie 638 – Definition 635 – Diagnostik 635 – Inzidenz 635 – konservative Therapie 637 – operative Therapie 639 Stuhlkonsistenz 590 Stuhlkontinenz 589 Stuhlregulation 597 Stuhlvolumen 590 Stumpfgastritis, atrophische 444 24-Stunden-Bilirubin-Messung 324 24-Stunden-Manometrie 297 24-Stunden-Ösophagus-pH-Metrie 318 24-Stunden-pH-Metrie 68, 74, 322, 936 – Durchführung 81 – Indikationen 74 – Technik 80 Subileus 816 Sublay-Technik 900, 911 Sucralfat 401, 416 Sugiura-Operation 773 – modifizierte 774 Syphilis 629 Szintigraphie – 67Ga-Zitrat 69
T Tabaksbeutelnaht 180 Tabaksbeutelnahtklemme 180 Tacrolimus 199, 501, 794 Tag-Nacht-Umkehr 753 TAPP-Technik 909 Taurocholat 650 Teerstuhl 134 Teicoplanin 530 Teillebertransplantation 793 Teleangiectasia haemorrhagica hereditaria 222 Teleskopphänomen 332 TEP-Technik 909 Terlipressin 758 – Varizenblutung 766 TERPT 950
971 Stichwortverzeichnis
Textiltamponade 263 Thal-Fundoplastik 307, 342 Thalassaemia – major 871 – minor 871 Thokoskopie 310 Thorakotomie, anterolaterale 260, 261 Thoraxdrainage 260, 261 Thrombektomie, operative 490 Thromboembolie, Risikofaktoren 222 Thromboembolieprophylaxe – Komplikationen 221 – perioperative 222 – routinemäßige 222 Thrombolyse, regionale 490 Thrombopenie 732 Thrombophilie 222 Thrombose, arterielle 483 Thrombozytentransfusion 221 Thrombozytopathie 221 Thrombozytopenie 221 – aplastische 221 – heparininduzierte 221, 222 – medikamentös-allergische 221 – thrombozytoklastische 221 TIPP-Rives-Technik 907 TIPS 734 TIPSS 52 tissue factor pathway inhibitor 242 Tracheomalazie 936 Traktionsdivertikel 301, 307 Traktotomie 261 transanaler, endorektaler Durchzug 950 Transfusion, Indikationen 220 Transitzeit – orozökale 94, 98 Transplantatabstoßung, akute 502 Transplantation – historische Entwicklung 194 – Indikationen 195 – isogene 194 – Kontraindikationen 195 – orthotope 195 – substitutive 195 – xenogene 194 Transplantatpankreatitis 858 Transplantatthrombose 858 Triclosan 166 Triple-Therapie 414 – französische 415 – italienische 415 Trokarpunktion, direkte 146 Trucut-Nadel 19 Truncus – coeliacus 480, 808, 864, 884 – vagalis posterior 810 Tuboovarialabszess 31 Tumortherapie, endoskopische palliative 130 Turnbull-Operation 541
U Ulcus – Dieulafoy 423, 424 – duodeni 403, 410 – pepticum jejuni 432 – ventriculi 395 Ulkusblutung 137, 216 Ulkusperforation – laparoskopische Versorgung 237 – peptische 434 – Peritonitis 435 – Sonographie 8 – Symptomatik 435 – Therapie 436 Ultraflex-Stent 131 Ultraschall, laparoskopischer 12 Ultraschallkontrastmittel 4 Unverträglichkeit 471 Urease 412 Ureterverletzungen 270 Urethrozystographie, retrograde 258
V VACTERL-Assoziation 933, 952 Vacucut-Nadel 18 Vagotomie – minimalinvasive 418 – postoperative Komplikationen 445 – proximal gastrische 420 – proximal selektive 442 – selektiv gastrale 404, 418, 421 – trunkuläre 334, 418, 421, 773 Vakuumtherapie 246 Valsalva-Manöver 897 Vancomycin 530 Varizenblutung 764 – Diagnostik 755 – endoskopische Therapie 756 – Initialtherapie 755 – konservative Therapie 756 – medikamentöse Therapie 758 – operative Therapie 760 – Prophylaxe 765 – Rezidiv 761 – Risikofaktoren 754 Varizenligatur, endoskopische 765 Vaskulitis, intestinale Beteiligung 483 Vaskulopathie, obliterative 197 vasoaktives intestinales 106 Vasopressin, Varizenblutung 758 Vektormanometrie 85 Vena cava, Läsionen 269 Venenpatchangioplastie 268 Veress-Kanüle 145 Verfahren, endoskopische 130 Verner-Morrison-Syndrom 470 Vessel-Bougie 671 Videodefäkographie 624 vigorous achalasia 336
VIPom 106 Vitalfunktionen, Überwachung 202 Vitamin-B12-Malabsorption 95 Vitamin-B12-Mangel 99 Vitamin-B -Resorptionstest 94 Vitamin-K-Mangel 221 Vollorganlebertransplantation, Vollorgan 792 Volumenersatz, Sepsis 240 Von-Willebrand-Krankheit 220 Vormagen 453 VRE 228
W W-Pouch 540 Waldeyer-Faszie 587 Wall-Stent 131 Wantz-Technik 908 Warren-Shunt 773 Webs, ösophageale 312 Wedge-Druck 751 Weichgewebeblutung 217 Willis-Schlinge 342 Witzelfistel 376 Wundinfektion 149 – Prophylaxe 166
X Xenotransplantation 194 13C-D-Xyloseatemtest 94 Xyloseresorptionstest 505
Y Y-V-Analplastik 613 Yamakawa-Prothese 663
Z Zäkostomie, perkutane 52, 59 Zenker-Divertikel 292, 302 – Einteilung 302 – Operationsindikation 302 – operative Therapie 304 – pharyngoösophageale 291 Zimmerman-Technik 906 Zöliakie 100, 471 Zollinger-Ellison-Syndrom 417, 470 Zugangswege, chirurgische 159 Zwerchfellentzündung 360 Zwerchfellhernien, extrahiatale 356 Zwerchfellruptur 270, 358 Zwerchfelltumoren 360 Zwerchfellverletzungen 270, 358 Zwirn 167 Zyklooxygenasen 398 Zylinderepithelmetaplasie 314
S–Z
972
Stichwortverzeichnis
Zystenterostomie 817 Zystikusstumpfinsuffizienz 717 Zystikusstumpfsyndrom 715 Zystoduodenostomie 825 Zystoenterostomie 825 Zystogastrostomie 825 Zystojejunostomie 825 Zytomegalie-Virusinfektion 629, 630, 799 – Enteritis 503 Zytomegalievirus-Infektion 472 – Gastritis 393