Jacqueline Jaspert Regionalismus im südlichen Afrika
Jacqueline Jaspert
Regionalismus im südlichen Afrika Die Handel...
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Jacqueline Jaspert Regionalismus im südlichen Afrika
Jacqueline Jaspert
Regionalismus im südlichen Afrika Die Handels- und Sicherheitspolitik der SADC
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Zugleich erschienen als Dissertation an der Fakultät für Sozialwissenschaft, Ruhr-Universität Bochum, 2009
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2010 Lektorat: Katrin Emmerich / Sabine Schöller VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Rosch-Buch, Scheßlitz Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17199-9
Danksagung
Die vorliegende Studie wurde im April 2009 von der Fakultät für Sozialwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation angenommen. Sie entstand im Rahmen eines Promotionsstipendiums der Studienstiftung des deutschen Volkes. Für die ideelle wie finanzielle Unterstützung der Stiftung und die hervorragende Betreuung während der Promotionszeit möchte ich mich herzlich bedanken. Mein ganz besonderer Dank gilt meinem Betreuer Prof. Dr. Uwe Andersen. Er hat mich in jeder Phase des Dissertationsprojektes hervorragend unterstützt und durch interessante Diskussionen und konstruktive Kritik meinen Horizont erweitert. Herzlicher Dank gebührt auch Prof. Dr. Gustav Schmidt für die Übernahme des Zweitgutachtens und sein großes Interesse an den Fragestellungen dieser Arbeit. Während meines Feldforschungsaufenthaltes haben mir die Mitarbeiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Botsuana, insbesondere Dr. Marc Meinardus und Gabi Lübbe, wertvolle Hilfestellung geleistet. Ihre Kontakte und Kenntnisse haben mir den Weg zu einer Reihe interessanter Gesprächspartner geebnet. Allen Interviewpartnern, die in Botsuana und Südafrika ihr Wissen und ihre Zeit mit mir geteilt haben, möchte ich ebenfalls danken. Auch im privaten Umfeld haben eine Reihe von Menschen meine Arbeit unterstützt. Hierzu zählen insbesondere meine Eltern, Hubertine und Wilhelm Jansen sowie Nana, Michael und Ruben. Nadine Albach und Dr. Beatrix Waldenhof gaben wertvolle Hilfestellungen in Rechtschreibfragen bzw. fachliche Anregungen und waren mir als Freundinnen eine enorme Stütze. Ganz besonderer Dank gilt schließlich meinem Mann, Timm Jaspert, der mich durch alle Höhen und Tiefen des Promotionsprojektes begleitet und dabei seinen unerschütterlichen Optimismus und Humor nicht verloren hat. Ihm ist diese Studie gewidmet. Bochum, November 2009
Jacqueline Jaspert
7
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis…………………………………………………………11 Abbildungsverzeichnis………………………………………………………….15 Tabellenverzeichnis……………………………………………………………..16 1
Einleitung.................................................................................................... 17
2
Regionalismus in sozialwissenschaftlicher Perspektive ............................. 21 2.1 Definition zentraler Begriffe............................................................ 21 2.2 Sozialwissenschaftliche Forschung zum Regionalismus ................. 25 2.2.1 Was ist neu am ‚neuen Regionalismus’? .................................... 25 2.2.2 Regionalismus und Globalisierung ............................................. 28 2.2.3 Regionalismus: Chancen und Risiken für Entwicklungsländer .. 30 2.3 Regionalismus aus handels- und sicherheitspolitischer Perspektive 37 2.3.1 Regionalintegration im Handels- und Sicherheitsbereich ........... 38 2.3.2 Handelsintegration in theoretischer Perspektive ......................... 39 2.3.3 Sicherheitspolitische Integration in theoretischer Perspektive.... 44
3
Regionalismus in Afrika ............................................................................. 49 3.1 Regionalismus auf dem afrikanischen Kontinent ............................ 49 3.1.1 Die Southern African Customs Union (SACU) .......................... 53 3.1.2 Der Common Market for Eastern and Southern Africa (COMESA)....................................................... 57 3.2 Informelle Regionalisierung und Mikro-Regionalismus ................. 60 3.3 Hemmnisse für den Regionalismus im südlichen Afrika................. 64 3.4 Konzeptionelle Grundlagen der regionalen Integration und Koordination............................................................................. 71
4
Die SADC als Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas .............. 74 4.1 Die SADCC als Vorläufer der SADC.............................................. 74 4.2 Organisationsstruktur und Arbeitsweise der SADC ........................ 77 4.3 Die Handelspolitik der SADC ......................................................... 89 4.3.1 Die Handelsaktivitäten der SADC-Staaten im Überblick ........... 90
8
Inhaltsverzeichnis Das SADC-Handelsprotokoll...................................................... 95 4.3.2 4.4 Die Sicherheitspolitik der SADC................................................... 101 4.4.1 Sicherheitspolitische Herausforderungen innerhalb SADC ...... 102 4.4.2 Das ‚Organ on Politics, Defence and Security Co-operation’... 118 4.4.3 Der SADC-Verteidigungspakt und weitere Bestandteile der militärischen Kooperation................................................... 127
5
Der theoretische Analyserahmen .............................................................. 131 5.1 Kritische Diskussion des Analyserahmens .................................... 135
6
Die Theorieansätze im Einzelnen ............................................................. 139 6.1 Der Neo-Funktionalismus.............................................................. 139 6.1.1 Überblick zur neo-funktionalistischen Theorieentwicklung ..... 140 6.1.1.1 Exkurs: Der Funktionalismus nach David Mitrany.............. 140 6.1.2 Theorieverständnis des Neo-Funktionalismus .......................... 146 6.1.3 Motive und Zielsetzungen der Integration ................................ 149 6.1.4 Förderliche Bedingungen für Integration.................................. 150 6.1.5 Verlauf der Integration.............................................................. 154 6.1.6 Akteure der Integration ............................................................. 161 6.1.7 Anwendung in anderen regionalen Kontexten .......................... 163 6.2 Der Intergouvernementalismus...................................................... 165 6.2.1 Überblick zur intergouvernementalistischen Theorieentwicklung .................................................................. 166 6.2.2 Theorieverständnis des Intergouvernementalismus .................. 168 6.2.3 Motive und Zielsetzungen der Integration ................................ 169 6.2.4 Förderliche Bedingungen für Integration.................................. 171 6.2.5 Verlauf der Integration.............................................................. 173 6.2.6 Akteure der Integration ............................................................. 179 6.2.7 Anwendung in anderen regionalen Kontexten .......................... 181 6.3 Der New Regionalism Approach................................................... 182 6.3.1 Überblick zu den Theorieansätzen des Neuen Regionalismus.. 182 6.3.2 Theorieverständnis des NRA .................................................... 186 6.3.3 Motive und Zielsetzungen der Integration ................................ 188 6.3.4 Förderliche Bedingungen für Integration.................................. 190 6.3.5 Verlauf der Integration.............................................................. 191 6.3.6 Akteure der Integration ............................................................. 193 6.3.7 Anwendung in anderen regionalen Kontexten .......................... 196 6.4 Quintessenz und Vergleich der verschiedenen Theorieansätze ..... 196
7
Die forschungsleitenden Hypothesen........................................................ 204
Inhaltsverzeichnis 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5
9
Hypothese zu den Motiven und Zielen der regionalen Integration 205 Hypothese zu den förderlichen Bedingungen für regionale Integration...................................................................... 208 Hypothese zum Verlauf der regionalen Integration ....................... 214 Hypothese zu den Akteuren der regionalen Integration................. 217 Hypothese zu den Möglichkeiten einer allgemeinen Integrationstheorie..................................................... 224
8
Methodischer Aufbau der Untersuchung .................................................. 227 8.1 Das Forschungsdesign ................................................................... 227 8.2 Die Datenerhebung ........................................................................ 230 8.2.1 Das Experteninterview.............................................................. 231 8.2.2 Die Dokumentenanalyse ........................................................... 237 8.3 Die Datenaufbereitung................................................................... 238 8.4 Die Datenauswertung..................................................................... 240 8.5 Praktische Durchführung der Studie und kritische Reflexion........ 241
9
Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung ........................................ 247 9.1 Hypothese zu den Motiven und Zielsetzungen der Integration...... 247 9.1.1 Politische und wirtschaftliche Motive für den Integrationsprozess ................................................................... 248 9.1.2 Nationale und regionale Interessen im Integrationsprozess ...... 250 9.1.2.1 Herkunftsregeln im Rahmen der Freihandelszone ............... 251 9.1.2.2 Nichttarifäre Handelshemmnisse ......................................... 254 9.1.2.3 Die EPA-Verhandlungen zwischen SADC und EU ............. 255 9.1.3 Globalisierung und regionaler Wirtschaftsraum ....................... 264 9.1.4 Solidarität als Beweggrund für regionale Integration ............... 267 9.1.5 Sonstige Gründe und Ziele der Integration ............................... 273 9.1.6 Zusammenfassende Beurteilung der Hypothese ....................... 275 9.2 Hypothese zu den förderlichen Bedingungen regionaler Integration...................................................................................... 277 9.2.1 Die staatlichen Eliten im Integrationsprozess ........................... 278 9.2.2 Unterstützung der Integration durch die staatlichen Eliten ....... 280 9.2.3 Transaktionen innerhalb der Regionalgemeinschaft ................. 284 9.2.4 Die subjektive Wahrnehmung von Gemeinsamkeiten innerhalb der Regionalgemeinschaft......................................... 291 9.2.5 Homogenität unter den Mitgliedsländern.................................. 295 9.2.6 Weitere förderliche Bedingungen für den Integrationsprozess . 299 9.2.7 Zusammenfassende Beurteilung der Hypothese ....................... 300 9.3 Hypothese zum Verlauf der regionalen Integration ....................... 302
10
Inhaltsverzeichnis
Der Integrationsverlauf als Resultat bewusster Entscheidungen ......................................................................... 303 9.3.1.1 Exkurs: Die Spatial Development Initiatives ....................... 306 9.3.2 Kontroverse und unkontroverse Politikbereiche im Integrationsverlauf .................................................................................... 314 9.3.3 Impulse für den Integrationsprozess ......................................... 319 9.3.4 Zusammenfassende Beurteilung der Hypothese ....................... 322 9.4 Hypothese zu den Akteuren regionaler Integration ....................... 323 9.4.1 Staatliche Eliten und Staatsmänner im regionalen Integrationsprozess.................................................. 324 9.4.2 Zivilgesellschaftliche Akteure im regionalen Integrationsprozess ................................................................... 328 9.4.3 Privatwirtschaftliche Akteure im regionalen Integrationsprozess ................................................................... 331 9.4.4 Externe Akteure im regionalen Integrationsprozess ................. 335 9.4.5 Zusammenfassende Beurteilung der Hypothese ....................... 338 9.5 Hypothese zu den Möglichkeiten einer allgemeinen Integrationstheorie..................................................... 340 9.5.1 Regionalismus weltweit: Lernen von anderen Regionalorganisationen ............................................... 341 9.5.2 Allgemeingültige Prinzipien des Regionalismus ...................... 344 9.5.3 Zusammenfassende Beurteilung der Hypothese ....................... 347 9.3.1
10 Fazit ...................................................................................................... 349 10.1 Erkenntnisse zur Analysekraft der theoretischen Ansätze ............. 349 10.1.1 Die Motive und Ziele der regionalen Integration...................... 351 10.1.2 Die förderlichen Bedingungen für regionale Integration .......... 355 10.1.3 Der Verlauf der regionalen Integration ..................................... 360 10.1.4 Die Akteure der regionalen Integration..................................... 364 10.1.5 Zusammenfassung: Die Stärken und Schwächen der Theorieansätze im Vergleich .............................................. 370 10.2 Erkenntnisse für die theoretische Betrachtung von Regionalismus374 10.3 Erkenntnisse für die politische Praxis der Regionalintegration ..... 378 11
Ausblick................................................................................................ 381
Literatur- und Quellenverzeichnis……………………………………..............384 Anhang……………………………………………………………………….. 408
Abkürzungsverzeichnis
AKP ASAS ASCCI BIDPA BIP BLNS CARICOM CBR CEMAC COMESA CONSAS DC DRK EAC EBA ECCAS ECOWAS EG EIB EPA ESA EU EWG FANR FLS GATT GB GDP GPA GSP IB
Afrika, Karibik, Pazifik Association of African States Association of SADC Chambers of Commerce and Industry Botswana Institute for Development Policy Analysis Bruttoinlandsprodukt Botsuana, Lesotho, Namibia, Swasiland Caribbean Community Cross Border Region Communauté Économique et Monétaire de l'Afrique Centrale Common Market for Eastern and Southern Africa Constellation of Southern African States Developing Country Demokratische Republik Kongo East African Community Everything but Arms Economic Community of Central African States Economic Community of West African States Europäische Gemeinschaft Europäische Investitionsbank Economic Partnership Agreement Eastern Southern Africa Europäische Union Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Food, Agriculture and Natural Resources Frontlinienstaaten General Agreement on Tariffs and Trade Großbritannien Gross Domestic Product Global Political Agreement Generalised System of Preferences Internationale Beziehungen
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Abkürzungsverzeichnis
IG Intergouvernementalismus INSAT Inside Southern African Trade IPÖ Internationale Politische Ökonomie I&S Infrastructure and Services ISDSC Inter-State Defence and Security Committee LDC Least Developed Country LIG Liberaler Intergouvernementalismus MERCOSUR Mercado Común del Sur (Gemeinsamer Markt des Südens) MDC Movement for Democratic Change MDC-(T) Movement for Democratic Change - Morgan Tsvangirai-Fraktion MDC-(M) Movement for Democratic Change - Arthur Mutambara-Fraktion MDP Mutual Defence Pact MoU Memorandum of Understanding NAFTA North American Free Trade Agreement NF Neo-Funktionalismus NGI New Generation Issues NR New Regionalisms/New Realist Approach NRA New Regionalism Approach NRO Nichtregierungsorganisation NTH nicht-tarifäre Handelshemmnisse OAU Organisation of African Unity OPDS Organ on Politics, Defence and Security Co-operation’ PLANELM Plannungselement (der SADC Brigade) PTA Preferential Trade Area for Eastern and Southern Africa RISDP Regional Indicative Strategic Development Plan SACU Southern African Customs Union SADC Southern African Development Community SADCBRIG SADC-Brigade SADCC Southern African Development Coordination Conference SADC-CNGO SADC Council of Non-Governmental Organisations SADCPF SADC Parliamentary Forum SDI Spatial Development Initiative SEGA Support for Economic Growth and Analysis SHDSP Social and Human Development and Special Programmes SIPO Strategic Indicative Plan for the Organ on Politics, Defence and Security Cooperation SPA SADCC Programme of Action TDCA Trade and Development Co-operation Agreement TIFI Trade, Industry, Finance and Investment TIPS Trade and Industrial Policy Strategies
Abkürzungsverzeichnis TNF UN UNDP UNECA UN-Habitat UNITA USA WOA WTO ZANU-PF
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Trade Negotiation Forum United Nations United Nations Development Programme United Nations Economic Commission for Africa United Nations Human Settlements Programme União Nacional para a Independência Total de Angola (Nationale Union für die völlige Unabhängigkeit Angolas Untited States of America World Order Approach World Trade Organization Zimbabwe African National Union - Patriotic Front
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Überlappende Mitgliedschaften in afrikanischen Regionalorganisationen................................................................ 70 Abbildung 2: SADC-Staaten im Überblick ........................................................ 78 Abbildung 3: Organisatorischer Aufbau der SADC ........................................... 85 Abbildung 4: Alternative Akteursstrategien nach Schmitter ............................ 158
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1:
Überlappende Mitgliedschaften (COMESA, SADC, SACU). 58
Tabelle 2:
Sektorzuständigkeiten im Rahmen der SADC vor der Institutionenreform von 2001 ................................................. 79
Tabelle 3:
Die SADC-Staaten im Überblick............................................ 89
Tabelle 4:
Exporte der SADC in den Jahren 2000 und 2005................... 91
Tabelle 5:
Importe der SADC in den Jahren 2000 und 2005................... 92
Tabelle 6:
Die Top-Ten SADC-Exporte nach Produkten (2006)............. 93
Tabelle 7:
Übersicht zur Simbabwe-Krise............................................. 105
Tabelle 8:
Theorie und Empirie zu den Gründen und Motiven der regionalen Integration........................................................... 351
Tabelle 9:
Theorie und Empirie zu den förderlichen Bedingungen der regionalen Integration........................................................... 356
Tabelle 10:
Theorie und Empirie zum Verlauf der regionalen Integration............................................................................. 360
Tabelle 11:
Theorie und Empirie zu den Akteuren der regionalen Integration............................................................................. 365
1 Einleitung
In der sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Regionalismus haben die regionalen Integrationsprozesse afrikanischer Staaten bislang nur nachrangiges Interesse erfahren. Dementsprechend ist die Anzahl existierender Studien überschaubar und eine Reihe wichtiger Forschungsfragen noch unbeantwortet. Besonders gravierend ist die Tatsache, dass die theoretische Fundierung des afrikanischen Regionalismus bislang sehr schwach ist. Eine systematische Überprüfung bestehender integrationstheoretischer Ansätze auf ihre Erklärungskraft für den Kontext des südlichen Afrikas steht bislang aus. Diese Forschungslücke soll die vorliegende Arbeit schließen. Dabei konzentriert sich die Untersuchung auf die Southern African Development Community (SADC) als Regionalorganisation des südlichen Afrikas. Die SADC zählt zu den wichtigsten regionalen Organisationen auf dem Kontinent und bildet zudem eine der fünf Säulen der geplanten Afrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft. Im Mittelpunkt der theoretischen Auseinandersetzung mit dem regionalen Integrationsprozess der SADC-Staaten steht zunächst die Frage, welche integrationstheoretischen Ansätze für eine solche Analyse zur Verfügung stehen. Diese Frage ist aufgrund der stark ausdifferenzierten Forschungslandschaft nicht einfach zu beantworten. Es existiert eine Vielzahl verschiedener Theorieansätze, oftmals unterteilt in die Gruppen der ‚Mainstream-Theorien’ und der ‚Theorien des neuen Regionalismus’. Erstere sind insbesondere für die Analyse der Europäischen Union (EU) entwickelt worden, dem bislang prominentesten regionalen Integrationsprozess weltweit. Einen wichtigen Grundstein legten in diesem Zusammenhang die ‚klassischen Integrationstheorien’. Sie entstanden in den 50er bis 70er Jahren als Versuch, die beginnenden Integrationsprozesse der europäischen Staaten zu erklären. Als wichtigste Vertreter dieser klassischen Theorien gelten der Neo-Funktionalismus (NF) und der Intergouvernementalismus (IG). Die zweite Gruppe von Theorieansätzen, die als ‚Theorien des neuen Regionalismus’ zusammengefasst werden, wurde insbesondere zur Analyse von Regionalismus außerhalb Europas entwickelt. Die Ansätze beruhen auf der Annahme, dass die vergleichsweise jungen Prozesse des neuen Regionalismus spezielle Analyseinstrumente benötigen, die die Mainstream-Theorien nicht bereitstellen
18
1 Einleitung
können. Ein wichtiger Vertreter dieser Gruppe von Theorieansätzen ist der New Regionalism Approach (NRA). Doch die beschriebene Trennung der Theorieansätze wird in der Literatur auch kritisiert, da sie einen produktiven Austausch behindere und zudem auf der Wahrnehmung eines künstlichen Gegensatzes zwischen altem und neuem Regionalismus beruhe (vgl. Hettne/Söderbaum 2008; Warleigh 2004; Warleigh-Lack 2008). Auf der Grundlage dieser Argumentation soll diese Arbeit einen Beitrag zur Überwindung des Gegensatzes zwischen Mainstream-Theorien und Theorien des neuen Regionalismus leisten. Für die Analyse des Regionalismus im südlichen Afrika werden Theorieansätze beider Gruppen auf ihre Analysekraft hin untersucht. Am Beispiel von NF, IG sowie des NRA wird überprüft, welche Vorbzw. Nachteile die Ansätze für die Analyse des SADC-Integrationsprozesses besitzen und in welchen Punkten sie sich gegenseitig ergänzen können. Somit steht im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung die Beschäftigung mit den Stärken und Schwächen einzelner integrationstheoretischer Ansätze für die Analyse des Regionalismus im südlichen Afrika. Dabei kann der Untersuchungsgegenstand in verschiedener Hinsicht als voraussetzungsvoll bezeichnet werden. Mit der SADC wird eine Regionalorganisation untersucht, die sich aus Entwicklungsländern zusammensetzt. Dadurch weist sie grundlegende Unterschiede zu den Integrationsprozessen in Westeuropa auf, für deren Analyse die klassischen Integrationstheorien entwickelt wurden. Zusätzlich widmet sich die Untersuchung mit der Handels- und Sicherheitspolitik der SADC zwei Politikbereichen, die in Bezug auf ihren Integrationsverlauf sehr unterschiedliche Entwicklungen vermuten lassen. In welchem Maße die ausgewählten Theorieansätze in der Lage sind, diesen Besonderheiten Rechnung zu tragen, wird die folgende Untersuchung zeigen. Die Analyse der regionalen Integration im südlichen Afrika mit Hilfe der aufgeführten Theorieansätze kann darüber hinaus interessante Einblicke in zwei weitere Bereiche liefern. Sie ermöglicht zum einen wichtige Erkenntnisse zu den Möglichkeiten und Grenzen der theoretischen Auseinandersetzung mit Regionalismus. Konkret wird auf die Frage eingegangen, ob regionale Integrationsprozesse in verschiedenen Teilen der Welt mit Hilfe eines einzelnen Theorieansatzes analysiert werden können und welche Eigenschaften ein solcher Ansatz aufweisen muss. Dies beinhaltet auch die Frage, in welchem Maße ein theoretischer Ansatz auf die Besonderheiten der zu untersuchenden Region zugeschnitten sein sollte. Zum anderen kann die theoretisch fundierte Auseinandersetzung mit dem regionalen Integrationsprozess der SADC-Staaten auch neue Blickwinkel auf die Praxis der Integration im südlichen Afrika eröffnen.
1 Einleitung
19
Um diesem umfassenden Erkenntnissinteresse nachzukommen, nähert sich die vorliegende Arbeit dem Untersuchungsgegenstand zunächst aus einer theoretischen Perspektive. So liefert das zweite Kapitel nicht nur Definitionen der wichtigsten Begriffe im Bereich des Regionalismus, sondern bietet auch einen Überblick zu wichtigen sozialwissenschaftlichen Diskussionen in diesem Forschungsfeld. Darüber hinaus begründet das Kapitel die Auswahl der regionalen Handels- und Sicherheitspolitik der SADC-Staaten als Untersuchungsschwerpunkt und stellt wichtige theoretische Modelle zur Erforschung dieser Politikbereiche auf regionaler Ebene vor. Im dritten Kapitel wird der Untersuchungsfokus auf den afrikanischen Kontext gerichtet, indem die historische Bedeutung und Entwicklung des Regionalismus in Afrika sowie seine spezifischen Besonderheiten hervorgehoben werden. Zudem liefert das Kapitel einen Überblick zum Common Market for Eastern and Southern Africa (COMESA) und zur Southern African Customs Union (SACU), da diese zwei weiteren Regionalorganisationen des südlichen Afrikas die Politik der SADC in grundlegender Weise beeinflussen. Das vierte Kapitel grenzt den Fokus von der kontinentalen Ebene weiter auf das südliche Afrika ein und beschäftigt sich mit der Entstehung und Organisationsweise der SADC. Ein besonderer Schwerpunkt liegt hier auch auf der Handels- und Sicherheitspolitik der SADC. Der theoretische Analyserahmen, mit dessen Hilfe die ausgewählten Theorieansätze auf ihre Analysekraft im südlichen Afrika hin untersucht werden, steht im Mittelpunkt des fünften Kapitels. Das umfangreiche sechste Kapitel stellt die drei Theorieansätze NF, IG und NRA anhand der ausgewählten Analysekriterien ausführlich vor und bildet somit einen zentralen Pfeiler der vorliegenden Untersuchung. Darüber hinaus wird auch die Entstehungsgeschichte der Theorieansätze sowie die Möglichkeit ihrer Anwendung in verschiedenen regionalen Kontexten erläutert. Die Annahmen der Theorieansätze und die vorgestellten Forschungserkenntnisse zum Regionalismus in Afrika bilden in Kapitel sieben die Grundlage für die Herleitung von insgesamt fünf forschungsleitenden Hypothesen. Zur Überprüfung dieser Hypothesen wird im achten Kapitel ein Forschungsdesign entwickelt. Dieses greift hauptsächlich auf eine qualitative Studie zurück, die wiederum auf leitfadengestützten Experteninterviews1 und einer ergänzenden Dokumentenanalyse basiert. Das neunte Kapitel ist in der vorliegenden Untersuchung von herausragender Bedeutung. Es stellt nicht nur die Ergebnisse der empirischen Studie vor, sondern setzt diese Erkenntnisse auch in Bezug zu den fünf forschungsleitenden Hypothesen. Auf dieser Grundlage wird über eine Bestätigung der einzelnen Hypothesen in Teilen oder als Ganzes entschieden. 1
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Folgenden auf die explizite Nennung der weiblichen Form verzichtet.
20
1 Einleitung
Das zehnte Kapitel stellt den Bezug zwischen den Ergebnissen der Hypothesentests und den zentralen Forschungsfragen her und fasst dadurch die zentralen Erkenntnisse der Untersuchung zusammen. Darüber hinaus wird auf die Möglichkeiten der theoretischen Beschäftigung mit Regionalismus sowie die praktischen Einsichten aus einer solchen Analyse eingegangen. Abschließend gibt das elfte Kapitel neben einem sehr knappen Fazit einen Überblick zum weiterführenden Forschungsbedarf und skizziert verbleibende Fragen in der theoretischen Auseinandersetzung mit Regionalismus im südlichen Afrika.
2 Regionalismus in sozialwissenschaftlicher Perspektive
Aus einer theoretischen Perspektive heraus beschäftigt sich das nachfolgende Kapitel mit Regionalismus und liefert einen Überblick zu zentralen Begrifflichkeiten und Forschungsfragen in diesem Bereich. Die Übersichtsdarstellung bezieht sich auch auf die theoretische Auseinandersetzung mit Regionalismus im Handels- und Sicherheitsbereich. 2.1 Definition zentraler Begriffe Zu den grundlegenden Begriffen, die als Ausgangspunkt einer theoretischen Analyse definiert werden müssen, zählt zweifelsfrei der Begriff ‚Region’2. Allerdings können verschiedene Kriterien für die Definition einer Region angelegt werden. Zunächst ist es nahe liegend, eine Region aus geografischer Perspektive heraus zu betrachten und sie in räumlicher Hinsicht abzugrenzen. Nach diesem Verständnis bezeichnet der Begriff der Region ein geografisches Gebiet, das aus verschiedenen Einheiten besteht, die sich durch ihre gegenseitige räumliche Nähe auszeichnen.3 Auch wenn das Kriterium der geografischen Nähe in zahlreichen Definitionen berücksichtigt wird, ist es als alleiniges Merkmal für die Bestimmung einer Region nicht ausreichend. Oftmals werden für die Abgrenzung einer Region deshalb auch bestehende Interdependenzen herangezogen. Diese wechselseitigen Verbindungen können sich auf so unterschiedliche Bereiche wie Politik, Wirtschaft oder Kultur beziehen. Darüber hinaus kann eine Region auch nach dem Kriterium der Homogenität bestimmt werden. Einheiten einer Region können sich dabei durch Homogenität in sehr unterschiedlichen Bereichen auszeichnen, sei es durch homoge Wirtschaftssysteme oder politische Systeme, durch homogene Werte 2
3
Gemeint ist hier die Region im internationalen Kontext. Ausführungen zum Konzept der Mikro-Region finden sich in Kapitel 3.2. Hier und an anderer Stelle wurde bewusst der Begriff ‚Einheit’ verwendet, um deutlich zu machen, dass die einzelnen Teile einer Region nicht notwendigerweise Nationalstaaten sein müssen.
22
2 Regionalismus in sozialwissenschaftlicher Perspektive
oder Identitäten (vgl. Choi/Caporaso 2002: 481-482; Mansfield/Milner 1999: 590-591). In den konkreten Definitionen einer Region wird diesen Kriterien ein sehr unterschiedliches Gewicht beigemessen. Konstruktivistische Ansätze lassen die geografische Komponente weitgehend unberücksichtigt und vertreten die Ansicht, dass Regionen hauptsächlich durch gemeinsam geteilte Identitäten begründet werden (vgl. Mansfield/Milner 1999: 591). Vertreter des NRA verstehen Regionen als soziale Einheiten, die sozial konstruiert sind und von staatlichen wie nicht-staatlichen Akteuren aus verschiedenen Gründen erschaffen werden. Allerdings sehen sie Regionen nicht als homogene und geschlossene Ganzheiten, sondern vielmehr als Zusammenschluss unterschiedlicher Subsysteme (vgl. Söderbaum/Taylor 2003a: 11). Trotz der existierenden Unterschiede in den Definitionsmerkmalen der Region besteht in der sozialwissenschaftlichen Forschung weitgehende Einigkeit darüber, dass Regionen nicht ‚von Natur aus’ existieren, sondern vielmehr durch soziales Denken und Handeln konstruiert werden (vgl. Hurrell 1995: 38-39; Nye 1968: vi). Die vorliegende Untersuchung verwendet eine vergleichsweise breite Definition nach Joseph S. Nye, in dessen Mittelpunkt die Nationalstaaten stehen: „(…) an international region can be defined broadly as a limited number of states linked by a geographical relationship and by a degree of mutual interdependence.” (Nye 1968: vii)
Aufbauend auf diesem Verständnis der Region sind zudem die zentralen Begriffe ‚Regionalismus’ und ‚Regionalisierung’ näher zu betrachten, da sie in der sozialwissenschaftlichen Literatur nicht eindeutig definiert sind. Beide Begriffe können eine Vielzahl unterschiedlicher Prozesse bzw. Zustände beschreiben und in ihrer Bedeutung somit grundlegende Unterschiede aufweisen. Der Versuch einer groben Klassifizierung der bestehenden Definitionen von Regionalismus und Regionalisierung kann entlang folgender Merkmale vorgenommen werden: Regionalisierung zeichnet sich durch ihren Prozesscharakter aus, wird in erster Linie von nicht-staatlichen, insbesondere wirtschaftlichen Akteuren vorangetrieben (wobei ein Einfluss staatlicher Gruppen nicht ausgeschlossen wird) und ist eher von informeller Natur. Diese Kriterien finden sich auch in folgenden Definitionen: „I intend ‘regionalisation’ to mean: an explicit, but not necessarily formally institutionalised, process of adapting participant state norms, policy-making processes, policy styles, policy content, political opportunity structures, economies and identity (potentially at both elite and popular levels) to both align
2.1 Definition zentraler Begriffe
23
with and shape a new collective set of priorities, norms and interests at regional level, which may itself then evolve, dissolve or reach stasis.” (Warleigh-Lack 2008: 51) „Regionalization refers to the growth of societal integration within in a region and to the often undirected processes of social and economic interaction. This is what early writers on regionalism described as informal integration and what some contemporary analysts refer to as ‘soft regionalism’.” (Hurrell 1995: 334)
Mit dem Begriff des Regionalismus werden häufig die Werte, Ideen und Zielsetzungen zusammengefasst, die sich hinter einem konkreten regionalen Projekt verbergen. Diese sind oftmals Bestandteil eines formalen Programms und werden auf dieser Grundlage häufig von staatlichen Akteuren verfolgt. Exemplarisch sei hier die folgende Definition von Regionalismus aufgeführt: „Regionalism refers specifically to the idea, ideology, policies and goals that seek to transform a geographical area into a clearly identified social space. Regionalism also relates to the construction of an identity and carries as a result, a strong cognitive component. It postulates the implementation of a program and the definition of a strategy and therefore, is generally assimilated to formal arrangements and institution-building.” (Bach 2003: 22)
Vor dem Hintergrund dieser unterschiedlichen Bedeutungen der beiden Begriffe muss auch geklärt werden, in welchem Zusammenhang Regionalismus und Regionalisierung in der vorliegenden Untersuchung verwendet werden. Als grundlegende Unterscheidung wird hier das Kriterium der Formalität bzw. Informalität herangezogen. Mit dem Begriff ‚Regionalismus’ werden staatlich geleitete, formale Prozesse bezeichnet. Regionalisierung bezieht sich insbesondere auf die informellen Prozesse, die von nicht-staatlichen Akteuren vorangetrieben werden. Da sich die vorliegende Analyse auf die Handels- und Sicherheitspolitik der SADC und damit auf eine staatliche Regionalorganisation bezieht, liegt der Schwerpunkt also auf Regionalismus und nicht auf Regionalisierung.4 In einem engen Zusammenhang zu Regionalisierung und Regionalismus steht das Konzept der regionalen Integration. In Abgrenzung zur regionalen Kooperation ist die Integration auf regionaler Ebene voraussetzungsvoller und verbindlicher. Mit dem Begriff der Kooperation kann jegliche Form zwischenstaatlicher Aktivität zur Erreichung eines gemeinsamen Ziels umschrieben werden. Im Gegensatz dazu impliziert der Begriff der Integration die Schaffung 4
Zu den Unterschieden zwischen formalen und informellen Integrationsprozessen auf regionaler Ebene und ihrer Berücksichtigung in der vorliegenden Analyse finden sich weitere Informationen in Kapitel 3.2.
24
2 Regionalismus in sozialwissenschaftlicher Perspektive
einer neuen Struktur auf regionaler Ebene. Welche konkreten Eigenschaften diese neue Struktur besitzt, bleibt zunächst offen.5 Regionale Integration kann darüber hinaus sowohl einen Prozess als auch ein Endprodukt bzw. einen Zustand umschreiben. Auch eine Kombination aus beiden Sichtweisen ist möglich. Wird regionale Integration als Prozess verstanden, richtet sich seine Analyse insbesondere auf die Faktoren und Bedingungen, die den Integrationsprozess behindern bzw. befördern. Die Sichtweise der regionalen Integration als Zustand ist eher statisch und unter anderem darauf ausgerichtet, entsprechende Kriterien für die Analyse der Tiefe und Reichweite der Integration zu entwickeln. Die vorliegende Untersuchung beinhaltet ein Verständnis von regionaler Integration, das beide Sichtweisen miteinander kombiniert. Diese Konzeption bietet den Vorteil großer Offenheit, da sie eine große Bandbreite von Prozessen und Eigenschaften, die im Rahmen der regionalen Integration von Bedeutung sind, abdecken kann (vgl. Asante 1997: 20-21). Eine vielfach beachtete und zitierte Definition politischer (regionaler) Integration stammt von Ernst B. Haas:6 „Political integration is the process whereby political actors in several distinct national settings are persuaded to shift their loyalties, expectations and political activities toward a new centre, whose institutions possess or demand jurisdiction over the pre-existing national states.” (Haas 1968: 16)
Diese Definition ist sehr voraussetzungsvoll, da sie die Entstehung bzw. Existenz einer neuen, supranationalen Ebene zum grundlegenden Merkmal der Regionalintegration erhebt. Legt man die Definition von Haas zugrunde, erfüllt der Regionalismus im südlichen Afrika nicht die Bedingungen einer regionalen Integration. Denn hier ist die Übertragung nationaler Souveränitäten auf eine supranationale Ebene derzeit und auch in unmittelbarer Zukunft nicht absehbar. Für die vorliegende Untersuchung soll daher ein offeneres Verständnis von regionaler Integration zum Tragen kommen. Der Integrationsbegriff ist nicht auf solche Prozesse beschränkt, die zur Errichtung supranationaler Institutionen auf regionaler Ebene führen bzw. geführt haben. Stattdessen werden die Begriffe Regionalismus und regionale Integration bzw. Regionalintegration gleichbedeutend verwendet.
5 6
Dabei kann regionale Kooperation Bestandteil einer regionalen Integration sein. Eine entsprechende Definition wirtschaftlicher regionaler Integration findet sich in Kapitel 2.3.2.
2.2 Sozialwissenschaftliche Forschung zum Regionalismus
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Beide zeichnen sich durch ihren formalen Charakter aus, sind meist – nicht aber ausschließlich – staatlich getragenen und beinhalten die Zielsetzung, neue Strukturen auf regionaler Ebene zu gründen. 2.2 Sozialwissenschaftliche Forschung zum Regionalismus Aufgrund seiner weltweiten Verbreitung und seiner diversen Gestaltungsformen stellt der Regionalismus ein beliebtes Forschungsfeld innerhalb der Sozialwissenschaft dar. Entsprechend zahlreich sind die Forschungsprojekte und Publikationen in diesem Bereich. Das nachfolgende Kapitel liefert keinen umfassenden Überblick zur allgemeinen sozialwissenschaftlichen Forschung im Bereich des Regionalismus. Stattdessen konzentriert es sich auf diejenigen Aspekte, die in einem engen Zusammenhang zum Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit stehen. Im Einzelnen handelt es sich hier um die konzeptionelle wie zeitliche Einteilung in einen ‚alten’ und einen ‚neuen Regionalismus’, um die Beziehung zwischen Regionalismus und Globalisierung sowie um die potenziellen Vorteile der Regionalintegration für Entwicklungsländer. 2.2.1 Was ist neu am ‚neuen Regionalismus’? In der sozialwissenschaftlichen Literatur wird das weltweite Auftreten bzw. die Popularität von Regionalismus mit dem Bild von Wellen beschrieben. Danach entwickelte sich eine erste Regionalismuswelle in den späten 40er Jahren und reichte bis in die späten 60er Jahre, mit einigen Ausläufern sogar in die frühen 70er Jahre hinein. Nach einer zwischenzeitlichen Flaute erlangte der Regionalismus ab Mitte der 80er Jahre wieder neue Beliebtheit, die in einer zweiten Regionalismuswelle resultierte, deren Wirkung bis heute andauert. Gemeinhin werden die Prozesse der ersten Welle als ‚alter Regionalismus’, die der zweiten Welle als ‚neuer Regionalismus’ bezeichnet. Welche Ursachen für die Entstehung einer erneuten Regionalismuswelle verantwortlich waren und wie sich der neue Regionalismus vom alten unterscheidet, wird im weiteren Verlauf des Kapitels erläutert. Die Entwicklung der ersten Regionalismuswelle stand in unmittelbarer Verbindung zu den erschütternden Erfahrungen zweier Weltkriege und nahm in Europa ihren Ausgang. Von dort pflanzte sich der Trend zur regionalen Integration auch in andere Teile der Welt fort. Nachdem in Afrika zu Beginn der 60er Jahre zahlreiche Staaten ihre Unabhängigkeit erlangt hatten, gewann der Regionalismus auch dort rasch an Beliebtheit. Die jungen Staaten des Kontinents
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2 Regionalismus in sozialwissenschaftlicher Perspektive
sahen im regionalen wirtschaftlichen Zusammenschluss eine Möglichkeit, ihre nationale Entwicklung voranzutreiben und ihre marginalisierte Position im internationalen Wirtschaftssystem zu überwinden. Doch schon bald zeigten sich die Schwächen und Grenzen dieser Strategie (vgl. hierzu auch Kapitel 3.1). Nicht nur in Afrika, sondern auch in Europa geriet der Regionalismus in eine Krise (zu den Entwicklungen in Europa siehe auch Kapitel 6.1.1).7 Die Wiedererstarkung des Regionalismus in der zweiten Hälfte der 80er Jahre und die Entwicklung einer zweiten Regionalismuswelle sind auf folgende Faktoren zurückzuführen: In Europa unterzeichneten die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Gemeinschaft (EG) im Februar 1986 die Einheitliche Europäische Akte, in der unter anderem die Zielsetzung formuliert wurde, bis 1992 einen europäischen Binnenmarkt einzuführen. Dieser Schritt verhalf nicht nur dem europäischen Integrationsprozess zu einer neuen Dynamik, sondern blieb auch in anderen Teilen der Welt nicht folgenlos. Aus Sorge vor einer ‚Festung Europa’ überdachten zahlreiche Staaten ihre Haltung zur regionalen Wirtschaftsintegration und schlossen sich zu neuen Regionalgemeinschaften zusammen bzw. ließen alte wieder aufleben (vgl. Fawcett 1995: 23). Auch das Ende des Kalten Krieges brachte neue Chancen für den Regionalismus. Im Rahmen einer multipolaren Weltordnung eröffneten sich nicht nur neue Möglichkeiten für die Wahl der Kooperationspartner, auch die Überlagerung des Regionalismus durch die Konfliktlinien des Ost-West-Konflikts entfiel (vgl. Handley 1998: 4; Mistry 1995: 14). Für zahlreiche Entwicklungsländer ging das Ende des Kalten Krieges mit einem Bedeutungsverlust einher, da sie ihre Funktion als stellvertretende Austragungsorte des Ost-West-Konflikts und damit auch die großzügige finanzielle Unterstützung der ‚Supermächte’ verloren. Die Angst vor einer drohenden Bedeutungslosigkeit entwickelte sich hier zum Antriebsmoment für regionale Zusammenschlüsse (vgl. Fawcett 1995: 21-22). Von Bedeutung war außerdem eine neue politische Einstellung in den USA. Dort wurden wirtschaftliche Zusammenschlüsse auf regionaler Ebene lange Zeit mit Skepsis betrachtet, da sie nach Meinung der politischen Entscheidungsträger ein Hindernis für multilaterale Handelsliberalisierungen darstellen würden. Mit der Revision dieser Haltung entwickelten sich die USA zu einem wichtigen Unterstützer des Regionalismus (vgl. Bhagwati 1995: 28-31; Mistry 1995: 14). Einen weiteren Faktor, der insbesondere die Einstellung der Entwicklungsländer gegenüber regionalen Zusammenschlüssen veränderte, betont Louise Fawcett (vgl. 1995: 26-27). Ihrer Ansicht nach trat unter den Entwicklungs7
Parallel zu den Entwicklungen in der politischen Praxis erfreute sich der Regionalismus auch als Forschungsobjekt in der Sozialwissenschaft unterschiedlicher Beliebtheit, wie beispielsweise die Theorieentwicklung des NF eindrucksvoll zeigt (vgl. Kapitel 6.1).
2.2 Sozialwissenschaftliche Forschung zum Regionalismus
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ländern eine Desillusionierung ein, die auf der Erkenntnis beruhte, dass eine kollektive Solidarität in Gestalt möglichst umfassender regionaler Zusammenschlüsse gescheitert sei. Eine Alternative habe man stattdessen in vergleichsweise kleineren Zusammenschlüsse auf regionaler Ebene gesehen. Doch welche konkreten Eigenschaften zeichnen den ‚neuen Regionalismus’ im Vergleich zum ‚alten Regionalismus’ aus? Zunächst muss betont werden, dass eine allgemein akzeptierte Definition des neuen Regionalismus nicht existiert.8 Verschiedene Autoren subsumieren unterschiedliche Eigenschaften und Entwicklungen unter diesem Konzept. Weitgehende Einigkeit besteht allein darüber, dass mit dem Begriff des neuen Regionalismus diejenigen Prozesse zusammengefasst werden, die im Zuge der zweiten Regionalismuswelle stattfinden (vgl. Hettne 1999: 8). Zu den am häufigsten angeführten Eigenschaften des neuen Regionalismus zählen folgende: Die regionale Integration der zweiten Welle wird von multiplen Akteuren getragen. Das unterscheidet sie von den Prozessen der ersten Welle, die insbesondere von staatlichen Akteuren initiiert und gestaltet wurden. Insbesondere im wirtschaftlichen Bereich werden die Integrationsprozesse ‚von unten’ durch die marktwirtschaftlichen Kräfte sowie von Produzenten und Konsumenten vorangetrieben. In ökonomischer Hinsicht zeichnet sich der neue Regionalismus durch seine relative Offenheit aus. Anders als die früheren Prozesse, die oftmals protektionistisch angelegt waren, gestaltet sich der neue Regionalismus nach dem Ansatz der Marktintegration (siehe hierzu auch Kapitel 3.4). Die beteiligten Staaten sehen den regionalen Zusammenschluss nicht mehr als Mittel zur Abschottung und zur Herstellung regionaler Autarkie. Stattdessen versuchen sie, als regionale Gemeinschaft ihre Eingliederung in die internationalen Wirtschaftsprozesse zu verbessern. Eine weitere wichtige Eigenschaft des neuen Regionalismus ist seine Multidimensionalität, die sich zum einen auf die fachliche Ausrichtung der einzelnen regionalen Zusammenschlüsse bezieht. Diese zielen nicht mehr allein auf wirtschaftliche Integration ab, sondern befassen sich mit politischen, sozialen und ökologischen Fragestellungen. Zum Zweiten tritt der Regionalismus nun auch auf verschiedenen, teilweise überlappenden Ebenen auf. So existieren Regionalismus und Mikroregionalismus9 gleichzeitig nebensowie miteinander und erschaffen dadurch verschiedene parallele Formen der Region. Es ergeben sich zwangsläufig überlappende Mitgliedschaften und Zugehörigkeiten, da die Nationalstaaten ebenso wie die weiteren Akteure nicht mehr 8
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Das Adjektiv ‚neu’ kann sich sowohl auf die neuartigen Eigenschaften des Regionalismus beziehen als auch auf die Ausdehnung des Regionalismus in ‚neue’ geografische Gebiete, in denen zuvor keine regionalen Integrationsprozesse vorhanden waren (vgl. Hettne 1999: 22; Söderbaum 2003a: 4). Für weitere Informationen zum Mikroregionalismus siehe auch Kapitel 3.2.
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allein einem regionalen Zusammenschluss angehören (vgl. Breslin/Higgott 2000: 339+348; Breslin/Hook 2002: 3; Hettne 1999: 7-8; Hettne 2003: 23-24; Mistry 1995: 13-14).10 Die verbreitete Einteilung in einen alten und einen neuen Regionalismus wird in jüngerer Zeit aber auch kritisiert. So argumentieren Björn Hettne und Frederik Söderbaum (vgl. 2008: 62), dass zwischen den Prozessen der ersten und zweiten Regionalismuswelle wichtige Gemeinsamkeiten bestünden und die Entwicklung des Regionalismus in seiner Kontinuität betrachtet werden müsse. Außerdem besäßen viele der derzeitigen regionalen Zusammenschlüsse Wurzeln, die in die Zeit der ersten Regionalismus-Welle zurückreichen. Kurzum plädieren sie dafür, die Differenzierung in ‚alt’ und ‚neu’ als Beschreibung für die praktischen Prozesse des Regionalismus aufzuheben und nur noch auf die theoretische Diskussion zu beziehen. Dort ist nach ihrer Ansicht eine Differenzierung in ‚alt’ und ‚neu’ durchaus gerechtfertigt, da sich die frühen theoretischen Ansätze zur Erklärung des Regionalismus sehr wohl von den neueren Ansätzen unterscheiden. 2.2.2 Regionalismus und Globalisierung Die Beziehungen zwischen Regionalismus und Globalisierung sind äußert komplex und können im Nachfolgenden nur grob skizziert werden. Dabei findet zudem eine Konzentration auf die wirtschaftlichen Aspekte dieser beiden Phänomene statt.11,12 In diesem Zusammenhang hat in der Sozialwissenschaft vor allem das Verhältnis zwischen Regionalisierung und globalem Handel großes Interesse hervor10
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Das World Institute for Development Economics Research of the United Nations University (UNU-WIDER) publizierte im Rahmen eines Forschungsprojektes zum neuen Regionalismus in den Jahren 1999 bis 2001 eine Reihe von insgesamt fünf Büchern. Unter der Herausgeberschaft von Björn Hettne, András Inotai und Osvaldo Sunkel sind in diesen Werken grundlegende Arbeiten zur zweiten Regionalismuswelle enthalten. Weiter Informationen finden sich unter: http://www.wider.unu.edu/publications/ (25.11.2007). Die ebenso wichtigen politischen und sozialen Dimensionen dieser beiden Prozesse werden somit ausgeklammert. Ihre Existenz und Bedeutung soll damit aber keinesfalls bestritten werden. Eine definitorische Annäherung an den Begriff der weltwirtschaftlichen Globalisierung liefert Stefan A. Schirm (2006: 13): „In der Forschung konvergieren die verschiedenen Definitionen weltwirtschaftlicher Globalisierung zunehmend auf ein gemeinsames Verständnis von Globalisierung als Integration von Märkten, als grenzüberschreitende Verdichtung ökonomischer Räume und damit als Entgrenzung wirtschaftlicher Prozesse. Ökonomische Globalisierung sei daher hier grundlegend definiert als der zunehmende Anteil grenzüberschreitender privatwirtschaftlicher Aktivitäten an der gesamten Wirtschaftsleistung von Ländern.“
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gerufen. Die Frage, ob wirtschaftliche Integration auf regionaler Ebene dem Ziel des multilateralen Freihandels zuträglich ist oder nicht, ist deshalb auch Bestandteil vorliegenden Untersuchung. Die Rolle des Regionalismus wurde in diesem Zusammenhang oftmals mit der eines Trittbretts (stepping stone) bzw. eines Stolpersteins (stumbling bloc) für Handelsliberalisierungen auf globaler Ebene beschrieben. Bilden die regionalen wirtschaftlichen Zusammenschlüsse eine Vorstufe zum weltweiten Freihandel oder führen sie zur weiteren Fragmentierung der Weltwirtschaft?13 Die Schwierigkeit, ein eindeutiges Urteil über den Einfluss regionaler Wirtschaftsintegration zu fällen, liegt in ihrer ambivalenten Natur begründet. Die Liberalisierungen, die im Rahmen eines regionalen Zusammenschlusses gewährt werden, sind diskriminierend, da nur die Mitglieder der Regionalgemeinschaft von ihnen profitieren. Die Einordnung der Regionalintegration als Hindernis oder Förderung multilateralen Freihandels richtet sich danach, welcher Aspekt als gravierender eingeschätzt wird: die Liberalisierung oder die Diskriminierung (vgl. Baldwin 2004: 1-2). Diejenigen Vertreter, die im Regionalismus ein Hindernis sehen, argumentieren, dass der Freihandel auf regionaler Ebene eine deutlich geringere Effizienz im Vergleich zum globalen Freihandel besäße. Regionale Liberalisierungen seien lediglich eine ‚zweitbeste’ Lösung (vgl. Choi/Caporaso 2002: 491-492). Einer der prominentesten Vertreter dieser Sichtweise ist Jagdish Bhagwati. Er setzt sich unter anderem mit den Fragen nach der Effizienz, der Schnelligkeit und der Verlässlichkeit (im Sinne von Irreversibilität) von regionalen Wirtschaftsgemeinschaften bzw. -abkommen im Vergleich zu multilateralen Handelsliberalisierungen auseinander. In allen drei Aspekten sind seiner Meinung nach Liberalisierungen auf multilateraler Ebene überlegen. Er gelangt zu der Schlussfolgerung, dass die regionale Integration die Aufmerksamkeit der politischen Entscheidungsträger vom globalen Kontext ablenken würde. Sie seien geneigt, ihren Fokus auf die regionale Ebene zu richten und ihr Engagement für die Durchsetzung multilateralen Freihandels entsprechend zu vermindern. Zudem seien schwächere Staaten in Rahmen von regionalen Abkommen eher der Gefahr einer Dominanz durch größere bzw. wirtschaftlich stärkere Staaten ausgesetzt. Auch die Gefahr von Handelskriegen zwischen den einzelnen regionalen Wirtschaftsblöcken sei gegeben (vgl. Bhagwati 1992). Diese Argumente werden von den Befürwortern des Regionalismus angezweifelt. Bhagwatis Kritiker weisen darauf hin, dass die Verbreitung des Regionalismus in den 80er und 90er Jahren die multilateralen Verhandlungen im Rahmen des General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) nicht behindert 13
Die Beantwortung dieser Frage steht nicht im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung und wird deshalb nur in Form der wichtigsten Argumente kurz skizziert.
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habe. Ebenso seien die wichtigsten Verfechter des multilateralen Freihandels auch gleichzeitig an regionaler Handelsliberalisierung beteiligt. Darüber hinaus besäßen Handelsliberalisierungen auf regionaler Ebene durchaus das Potenzial, als Auslöser für weiterführende Liberalisierungen zu wirken. So habe die Unterzeichnung der Einheitlichen Europäischen Akte beispielsweise einen wichtigen Anstoß für die Aufnahme der multilateralen Verhandlungen der UruguayRunde gegeben (vgl. Baldwin 2004: 4-5). Die wirtschaftswissenschaftlich dominierte Diskussion um mögliche negative Auswirkungen des Regionalismus auf den globalen Freihandel ist noch nicht abgeschlossen. Bislang konnten noch keine definitiven empirischen Antworten gefunden werden, sodass sich auch in Zukunft Wissenschaftler mit dem Verhältnis von Regionalismus und Globalisierung bzw. globalem Freihandel auseinandersetzen werden (vgl. Schiff/Winters 2003: 209-243). Die Beziehungen zwischen Regionalismus und Globalisierung werden aber auch auf einer anderen Ebene diskutiert. Laut Björn Hettne und Fredrik Söderbaum kann das komplexe Verhältnis dieser beiden Prozesse nicht auf die oben diskutierte Fragestellung reduziert werden. Ihrer Ansicht nach sei der Einfluss der Globalisierungsprozesse in den verschiedenen Teilen der Welt sehr unterschiedlich und produziere dementsprechend auch diverse Gegenreaktionen. Eine mögliche Reaktion bestehe in der Eingrenzung der vornehmlich von marktwirtschaftlichen Kräften angetriebenen Globalisierung durch die Stärkung politischer und sozialer Kräfte im Rahmen regionaler Zusammenschlüsse (siehe hierzu auch Kapitel 6.3.3). 2.2.3 Regionalismus: Chancen und Risiken für Entwicklungsländer Im Allgemeinen gilt für Entwicklungs- und Industrieländer gleichermaßen die Annahme, dass sie nur unter bestimmten Voraussetzungen zu regionalen Zusammenschlüssen bereit sind. Eine Voraussetzung besteht beispielsweise darin, dass den Nationalstaaten aus der regionalen Integration Vorteile entstehen, in deren Genuss sie als einzelne Nationalstaaten nicht gelangen würden.14 Allerdings sind Art und Ausmaß möglicher Vorzüge auch von den spezifischen Eigenschaften der beteiligten Länder abhängig. So haben Entwicklungsländer, die sich zur regionalen Integration entschließen, im Vergleich zu Industrielän-
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Zu berücksichtigen ist hier aber auch die Tatsache, dass der einzelne Nationalstaat bestimmten Gefährdungen nicht mehr allein begegnen kann. Bei so genannten ‚grenzüberschreitenden’ Bedrohungen wie z. B. Umweltverschmutzung oder Kriminalität ist eine regionale Zusammenarbeit unabdingbar, wenn nachhaltige Erfolge erzielt werden sollen (vgl. Odén 2001: 166).
2.2 Sozialwissenschaftliche Forschung zum Regionalismus
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dern anders gelagerte Gewinne und Verluste im wirtschaftlichen, politischen und sozialen Bereich zu erwarten. Im folgenden Unterkapitel sollen die spezifischen Chancen und Risiken der Regionalintegration für die Länder des südlichen Afrikas mit einem besonderen Augenmerk auf die Bereiche Handel und Sicherheit näher erläutert werden.15,16 Dazu muss zunächst die Ausgangslage der afrikanischen Staaten in diesen beiden Politikbereichen kurz skizziert werden. Diese unterscheidet sich in einigen Punkten grundlegend von den gegebenen Voraussetzungen der Industriestaaten. Im Handelsbereich ergibt sich für die Staaten des südlichen Afrikas folgendes Bild: Die Größe der einzelnen nationalen Wirtschaftsmärkte ist vergleichsweise gering. Schwach ausgeprägte intra-regionale Handelsbeziehungen führen zu einer starken Abhängigkeit vom externen Handel. Die Exportstruktur der Staaten in der Region ist wenig diversifiziert und wird von Primärgütern dominiert.17 Bei hohen Transaktionskosten für die Handeltreibenden floriert der informelle Handel, der zudem durch die Durchlässigkeit der nationalen Grenzen weiter verstärkt wird. Hinzu kommen hohe Einkommens- und Entwicklungsunterschiede nicht nur zwischen den einzelnen Staaten, sondern auch innerhalb der einzelnen Staatsgebiete. Laut der ökonomischen Integrationstheorie, die einen allgemeingültigen und nicht auf Europa begrenzten Erklärungsanspruch vertritt, besitzen Länder, die diese skizzierten Eigenschaften aufweisen, keine optimalen Voraussetzungen für die Bildung von Handelsblöcken (vgl. Worldbank 2006: 13-20; Robson 1993: 334). Aus dieser speziellen wirtschaftlichen Ausgangslage resultiert auch eine besondere Zielsetzung der afrikanischen Staaten im Wirtschaftsbereich. Durch den Zusammenschluss auf regionaler Ebene versuchen sie, die wirtschaftliche Entwicklung ihrer Staaten, unter anderem durch Industrialisierung, voranzutreiben, um so der wirtschaftlichen Marginalisierung zu entkommen (vgl. Asante 1997: 24-25).18,19 15
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Allerdings ist der Regionalismus nicht allein auf die afrikanischen Staaten beschränkt. Auch andere Entwicklungsländer in Asien, Lateinamerika oder dem Mittleren Osten besitzen entsprechende, zum Teil sehr unterschiedliche Initiativen der Regionalintegration. Einen guten Überblick zur wirtschaftlichen regionalen Integration unter Entwicklungsländern bieten DeLombaerde/Estevadeordal/Suominen 2008 sowie Page 2000. Eine Reihe der genannten potenziellen Vorteile sind nicht ausschließlich durch regionale Integration zu erreichen, sondern teilweise auch durch bi- oder multilaterale Übereinkünfte. Dies gilt insbesondere für den Handelsbereich. Weitere Informationen zu den Handelsaktivitäten der SADC-Staaten finden sich in Kapitel 4.3.1. Damit sind die Ziele der Entwicklungsländer weitreichender als die der Industrieländer. Denn letztere beabsichtigen durch regionale Integration allein ihren bereits erreichten Wohlstand zu sichern bzw. auszubauen (vgl. Asante 1997: 24-25). Die Frage, ob regionale Wirtschaftsintegration für Entwicklungsländer eine geeignete Taktik zur Erreichung von Entwicklung und Wohlstand darstellt, wird in der Literatur umfassend dis-
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Die Situation im Sicherheitsbereich ist auch abhängig von der vergleichsweise schwachen wirtschaftlichen Entwicklung, da wirtschaftliche und soziale Quellen von Unsicherheit sich gegenseitig bedingen.20 So fehlen aufgrund der unzureichenden wirtschaftlichen Leistung beispielsweise notwendige Ressourcen, um die menschliche Sicherheit weiter Bevölkerungsteile zu gewährleisten.21 Armut, unzureichende Nahrungssicherung sowie ein stark eingeschränkter Zugang zur Gesundheitsversorgung gehören für viele Bewohner der afrikanischen Staaten zum alltäglichen Leben.22 Im engen Zusammenhang mit sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen stehen auch die potenziellen Gefahren im ökologischen Bereich. So fehlen nicht nur finanzielle Mittel, sondern auch das ökologische Bewusstsein, um den Umweltbedrohungen der Region wie Wassermangel und Wüstenbildung zu begegnen. Hinzu kommen politische Quellen von Unsicherheit, die allerdings in den verschiedenen Staaten der Region unterschiedlich stark ausgeprägt sind. Während Staaten wie die Republik Südafrika, Botsuana oder auch Namibia als vergleichsweise stabile Demokratien gelten, sind politische Freiheiten und Rechtsstaatlichkeit in anderen Ländern wie Simbabwe und der Demokratischen Republik Kongo (DRK) nicht gefestigt. Hier wird der Staat mit seinen verfügbaren Institutionen und Ressourcen von den regierenden Eliten für die Sicherung ihrer eigenen Macht missbraucht. Anstatt für die Sicherheit seiner Bürger zu sorgen, wird der Staat selbst zur Quelle von Unsicherheit. Somit entstehen Sicherheitsbedrohungen aus den Staaten selbst und sind nicht das Resultat externer Eingriffe bzw. Angriffe. Dies gilt auch für den militärischen Bereich. Während derzeit keine Konflikte zwischen zwei oder mehreren Staaten der Region mit Waffengewalt ausgetragen werden, gibt es einen großen innerstaatlichen Konfliktherd in der DRK, in den auch andere afrikanische Staaten der Region verwickelt sind bzw. waren (vgl. Ngubane 2004: 52-63). Trotz oder gerade wegen dieser spezifischen Ausgangsbedingungen im Handels- und Sicherheitsbereich bietet regionale Integration den afrikanischen
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kutiert. Mit dem potenziellen ökonomischen Nutzen der Wirtschaftsintegration für die Länder des südlichen Afrikas beschäftigen sich unter anderem Gupta/Yang 2007; Holden 2001 und Lewis/Robinson/Thierfelder 2002. Einen detaillierten Überblick zu den Sicherheitsgefährdungen im südlichen Afrika liefert das Kapitel 4.4.1. Mit den verschiedenen theoretischen Konzeptionen von Sicherheit setzt sich das Kapitel 2.3.3 auseinander. Ein übergreifendes Sicherheitsproblem, das sowohl den wirtschaftlichen wie den sozialen Bereich betrifft, stellt die illegale Migration dar. Die wirtschaftlich stärkeren und politisch stabileren Staaten der Region wie die Republik Südafrika üben eine große Anziehungskraft auf Bewohner der benachbarten Staaten aus. Durch den großen Strom an überwiegend illegalen Migranten werden bestehende wirtschaftliche und soziale Probleme wie z.B. Mangel an Arbeitsplätzen und geeigneten Wohnraum weiter verschärft.
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Staaten eine Reihe von potenziellen Vorteilen, die nun im Detail vorgestellt werden sollen. Dabei wird auch berücksichtigt, dass in der einschlägigen Literatur bezüglich der Beurteilung dieser Chancen der Regionalintegration keine Übereinstimmung herrscht. So können sich potenzielle Vorzüge der Regionalintegration nach Ansicht einiger Autoren auch zu Risiken entwickeln. Eine zentrale Debatte beschäftigt sich mit dem Verhältnis zwischen Handelsschaffung und Handelsumlenkung, die im Rahmen einer Zollunion nicht nur zwischen Entwicklungsländern entstehen.23 Demnach kann der freie Handel innerhalb der Zollunion den beteiligten Staaten einer Region die Möglichkeit eröffnen, ihren gegenseitigen Handel anzukurbeln und somit ihre Wirtschaftsleistung zu steigern. Dieser Handelsschaffung steht allerdings der negative Effekt der Handelsumlenkung entgegen. Sie entsteht, wenn der gemeinsame Außenzoll im Rahmen der Zollunion die Einfuhr von kostengünstig produzierten Waren auf dem Weltmarkt verhindert bzw. verteuert. Ob sich eine Zollunion für seine Mitglieder positiv auszahlt, wird also in entscheidendem Maße vom Verhältnis zwischen Handelsschaffung und Handelsumlenkung bestimmt. Betrachtet man dieses Verhältnis für wirtschaftliche Zusammenschlüsse unter Entwicklungsländern, ist zunächst eine Dominanz der Handelsumlenkung wahrscheinlich, da die beteiligten Staaten nicht mehr uneingeschränkt von den günstigen Importen aus den Industrieländer profitieren können. Hinzu kommt, dass die Wirtschaftsmärkte der afrikanischen Entwicklungsländer vergleichsweise klein sind. Dementsprechend ist nicht zu erwarten, dass alle benötigten Güter – und hier insbesondere industriell gefertigte Güter – innerhalb der Regionalgemeinschaft bereitgestellt werden können. Die Staaten müssen also weiterhin eine vergleichsweise große Menge von Gütern auf dem Weltmarkt erwerben, die sich nun durch den gemeinsamen Außenzoll verteuern. Damit begünstigen die Marktbedingungen der Entwicklungsländer eher eine Handelsumlenkung als eine Handelsschaffung (vgl. Asante 1997: 23; Schiff/Winters 2003: 35). Im Handelsbereich können sich für die Staaten im Allgemeinen aber noch weitere wirtschaftliche Vorteile ergeben, wenn sie sich zur Bildung einer Freihandelszone entschließen. Mit der Einführung regionalen Freihandels kommt es zu verstärktem Wettbewerb innerhalb des vergrößerten Wirtschaftsraums. Um dem stärkeren Konkurrenzdruck standzuhalten, müssen Firmen ihre Produktion effizienter gestalten und das Produktionsniveau steigern. Sie werden dadurch wettbewerbsfähiger und haben auch der globalen Konkurrenz mehr entgegenzusetzen. Außerdem bietet sich ihnen die Gelegenheit, im Rahmen der Markterweiterung verstärkt Skaleneffekte auszunutzen. 23
Beide Konzepte werden näher in Kapitel 2.3.2 diskutiert.
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2 Regionalismus in sozialwissenschaftlicher Perspektive
Ob sich eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und eine bessere Ausnutzung von Skaleneffekten auch im Rahmen einer Freihandelszone afrikanischer Länder realisieren lassen, bleibt unklar. Die Möglichkeit der betroffenen Länder, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, hängt beispielsweise stark von ihren jeweiligen Produktionsstrukturen ab. Nur wenn sich diese stark ähneln, entsteht verschärfte Konkurrenz, die die einzelnen Firmen dazu zwingt, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern (vgl. Page 2000: 22). Auch die Ausnutzung von Skaleneffekten ist in afrikanischen Ländern nicht problemlos umsetzbar. Dabei erscheinen die theoretischen Überlegungen zunächst viel versprechend: Durch einen Zusammenschluss auf regionaler Ebene können die einzelnen afrikanischen Ökonomien einen ihrer Nachteile – die geringe Größe ihrer jeweiligen Märkte – überwinden. Dadurch sind sie nicht länger in ihren Produktionskapazitäten eingeschränkt. Durch die Vergrößerung des Marktes sind größere Produktionseinheiten, die den Vorteil geringerer Produktionskosten besitzen, möglich und rentabel. Es entsteht – jedenfalls aus rein theoretischer Betrachtung – ein Wohlfahrtsgewinn für die produzierenden Firmen, die diesen auch in Form von Preissenkungen an den Verbraucher weitergeben können (vgl. Köster/Beckmann/Hebler 2001: 47-48). Für die afrikanischen Staaten erscheinen diese theoretischen Überlegungen jedoch nur begrenzt gültig. So führt beispielsweise Dirk Hansohm (vgl. 2002: 7) verschiedene Studien an, die gezeigt haben, dass aufgrund des niedrigen Einkommensniveaus, des eingeschränkten Güterangebots und der begrenzten Güternachfrage im südlichen Afrika das Potenzial für Skaleneffekte nur gering ist. Hinzu kommt, dass Skaleneffekte vor allem bei industriell gefertigten Massenprodukten relevant werden. Der Wirtschaftssektor der meisten Staaten des südlichen Afrikas wird allerdings vom Primärgüter-Export dominiert. Yongzheng Yang und Sanjeev Gupta (vgl. 2007: 417) heben hervor, dass einer praktischen Ausnutzung von Skaleneffekten die hohen Transportkosten in der Region des südlichen Afrikas entgegenstehen. Nahezu fatalistisch mutet die Einschätzung Colin McCarthys (vgl. 1999: 17) an, wonach auch ein Zusammenschluss der afrikanischen Märkte immer noch zu einem vergleichsweise kleinen Wirtschaftsraum führen würde, nähme man die Märkte von Wirtschaftzentren wie der Europäischen Union oder Nordamerikas zum Vergleich. Entsprechend vorsichtig solle die Erwartungshaltung bezüglich der Gewinne ausfallen, die aus einem größeren Wirtschaftsmarkt resultieren. Doch nicht nur die wirtschaftlichen und geografischen Gegebenheiten beeinträchtigen die praktische Ausnutzung der theoretisch möglichen Vorteile eines vergrößerten Wirtschaftsraums. Sheila Page (vgl. 2000: 23) betont, dass derzeit auch das Bewusstsein der Wirtschaftakteure einer tatsächlichen Ausnutzung von Skaleneffekten im Wege stehe. Denn damit die Produktion auf ein für
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Skaleneffekte wirksames Maß ausgeweitet werden könne, sei eine ‚regionale’ Sichtweise erforderlich. So müsse für die Kalkulation von Produktionsstrukturen und Gewinnerwartungen nicht mehr die nationale, sondern die regionale Ebene herangezogen werden, was wiederum ein gewisses Maß an regionalem Bewusstsein voraussetze. Ebenso wie andere Entwicklungsländer können die Länder des südlichen Afrikas eine Integration im Wirtschaftsbereich auch zur Förderung ihrer Industrialisierung nutzen. Im Rahmen eines koordinierten Aufbaus verschiedener Industriezweige in unterschiedlichen Ländern der Region können Kosten gespart werden, da nicht jedes einzelne Land die gleiche breite Palette von Industrien aufbauen muss. Durch eine frühe Koordination und Spezialisierung lassen sich auch später eventuell auftretende Anpassungskosten wie die Schließung unrentabler Industrien im Zuge zunehmenden Wettbewerbs in der Region vermeiden (vgl. Page 2000: 25). Doch damit die gesamte Region von der koordinierten industriellen Entwicklung profitieren kann, muss die Ansiedlung unterschiedlicher industrieller Sektoren innerhalb der Region gerecht verteilt sein. Ergeben sich einseitige Agglomerationen von Industrien in einem Land bzw. einer kleinen Anzahl von Ländern, führt dies zu De-Industrialisierung in den übrigen Ländern und verschärft die Ungleichheit zwischen den Mitgliedern (vgl. Shams 2003: 4). Laut moderner Wachstumstheorie übt auch der Faktor Wissen großen Einfluss auf Wachstum und Industrialisierung aus. Der gegenseitige Austausch von Wissen könnte durch verstärkten Kontakt im Rahmen eines wirtschaftlichen Zusammenschlusses gefördert werden. Somit könne sich für die beteiligten Länder ein Prozess des gegenseitigen Lernens ergeben (vgl. Schiff/Winters 2003: 18).24 Zusammenfassend bleibt hervorzuheben, dass eine koordinierte industrielle (Weiter-)Entwicklung der afrikanischen Staaten im Rahmen eines wirtschaftlichen Zusammenschlusses Vorteile bieten kann, allerdings auch an hohe Voraussetzungen geknüpft ist. Es wird ein hohes Maß an Koordination sowie ein langfristiges Interesse an der Entwicklung der Region benötigt. Ob diese Bedingungen derzeit in der SADC-Region gegeben sind, erscheint eher fraglich.
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Alan L. Schiff und Maurice Winters verwenden das Argument des Wissenstransfers, um ein Beispiel für die Vorteile einer Kooperation zwischen Entwicklungs- und Industrieländern zu geben. Ihrer Meinung nach könnten die Entwicklungsländer eindeutig mehr Gewinn aus einer Kooperation mit industrialisierten Ländern ziehen, die hoch entwickelte Technologien und das damit verbundene Wissen besitzen. Mit diesem und zahlreichen weiteren Argumenten wollen die beiden Autoren ihre Einschätzung unterstreichen, nach der eine Nord-Süd-Kooperation den Ländern des Südens weitaus mehr Vorteile bringe als eine Süd-Süd-Kooperation (vgl. Schiff/Winters 2003).
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2 Regionalismus in sozialwissenschaftlicher Perspektive
Die Auswirkungen regionaler Integration im Wirtschaftsbereich können sich auch im Sicherheitsbereich manifestieren. Durch die Stärkung der gegenseitigen Handelsbeziehungen werden die beteiligten Länder enger aneinander gebunden. Ihre Sicherheit wird verbessert, da Konflikte zwischen den Ländern kostspieliger und somit auch unwahrscheinlicher werden. Alan L. Schiff und Maurice Winters (vgl. 2003: 189-190) identifizieren unterschiedliche Wege, auf denen verstärkter zwischenstaatlicher Handel die Sicherheit der beteiligten Staaten verbessern kann: Erstens führe zunehmender Handel zu einer größeren ökonomischen Interdependenz, die mit einem stärkeren Interesse am Wohlergehen des jeweiligen Partners einhergehe. Zweitens verbessere sich durch zunehmende Handelsaktivitäten auch die gegenseitige Kenntnisse der Partner sowie ihre Vertrautheit miteinander. Dies könne Verständnis und Vertrauen fördern und sich als eine Art „Friedens-Dividende“ (Schiff/Winters 2003: 190) auszahlen. Die Erkenntnis, dass eine Verbesserung der Handelsbeziehungen auch das friedliche Miteinander in der Region fördern kann, lässt aber nicht den Umkehrschluss zu, dass jede Politik zur Förderung der Handelsbeziehungen gleichzeitig auch friedensstiftende Wirkung besitzt. Handelspolitik kann im Gegenteil auch zur Verschärfung von Konflikten beitragen, wenn sie beispielsweise nicht zu einer gerechten Verteilung der Gewinne führt (vgl. Schiff/Winters 2003: 194; Yang/Gupta 2005: 24). Doch regionale Integration kann noch weitere Vorteile für die allgemeine sicherheitspolitische Situation der beteiligten Staaten bieten. Durch die Einbindung in eine regionale Institution erhält die Politik der partizipierenden Staaten mehr Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit. Gleichzeitig werden die Möglichkeiten für plötzliche politische Richtungswechsel und nationale Alleingänge stark eingeschränkt (vgl. Hansohm 2002: 5-6). Der regionale Verbund kann also einen Rahmen bilden, der die Politik seiner Mitgliedsländer eingrenzt bzw. in geordnete Bahnen führt. Dies ist aber nur dann möglich, wenn die regionale Institution bei Nichtbeachtung der gesetzten Regeln wirkungsvolle Strafen verhängt und ausführt.25 Auch die Androhung des Ausschlusses aus der Regionalintegration muss als ernst zu nehmende Strafoption zur Verfügung stehen (vgl. Schiff/Winters 2003: 198). Außerdem kann durch regionale Integrationsmaßnahmen eine ganze Reihe von potenziellen Sicherheitsbedrohungen angegangen werden, die allein auf
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Auch für die Handelspolitik spielen Sicherheit und Verlässlichkeit eine große Rolle, da sie die Außenwirkung der Region stark beeinflussen. Nur wenn die Region als sicherer Standort für Produktionen und Investitionen angesehen wird, kann sie ausländische Investoren anlocken (vgl. Jenkins/Thomas 2001: 162).
2.3 Regionalismus aus handels- und sicherheitspolitischer Perspektive
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der nationalen Ebene nicht mehr wirkungsvoll zu bekämpfen sind. Durch regionale Abkommen und Gesetze können mögliche Gefahren wie Kriminalität, Umweltverschmutzung oder auch die Ausbreitung von Krankheiten wirkungsvoller und effektiver bekämpft werden. Ob die beteiligten Staaten diese Chancen wahrnehmen, hängt aber insbesondere davon ab, ob sie die Verbindlichkeit der regionalen Abkommen und/oder Gesetze anerkennen und unter Umständen bereit sind, ihre nationale Gesetzgebung gegenüber der regionalen anzupassen bzw. unterzuordnen. Doch regionale Integration kann auch über die Bereiche Handel und Sicherheit hinaus noch weitere allgemeine Vorteile bringen. So können Länder durch einen regionalen Zusammenschluss ihre Verhandlungsposition auf internationaler Ebene verbessern und dadurch ihrer Stimme mehr Gewicht verleihen. Für die afrikanischen Länder ist dieses Argument besonders wichtig, da sie aufgrund ihrer wirtschaftlichen Marginalisierung keine große Verhandlungsmacht besitzen, aber trotzdem mit externen Akteuren wie der internationalen Gebergemeinschaft und den internationalen Finanzinstitutionen in wichtige Verhandlungen treten müssen (vgl. Rowlands 1998: 917). Um die Chance auf eine stärkere Verhandlungsposition zu realisieren, müssen die afrikanischen Staaten einheitliche Position nach außen vertreten und mit einer vereinten Stimme sprechen. Die dafür notwendige Abstimmungs- und Kompromissbereitschaft ist bei den betreffenden Staaten bislang aber nicht vorhanden (vgl. Yang/Gupta 2005: 25). Eine mögliche Erklärung für diese Situation liefert Ruth Zimmerling (vgl. 1991: 150-151), indem sie das Kosten-NutzenVerhältnis eines solchen Verhaltens näher analysiert. Sie hebt hervor, dass ein abgestimmtes Handeln sofortige Kosten in Form eines Souveränitätsverzichts verursache, während der zu erwartende Nutzen erstens nicht garantiert werden könne und zweitens mit zeitlicher Verzögerung auftrete. Aufeinander abgestimmte Verhandlungspositionen und ein gemeinschaftliches Auftreten der betroffenen Länder würden demnach ein gewisses Maß an Risikobereitschaft und vor allem den ‚Glauben’ an die gemeinsame ‚regionale Sache’ erfordern. 2.3 Regionalismus aus handels- und sicherheitspolitischer Perspektive Fokussiert auf die Fragestellungen dieser Arbeit richten sich die folgenden Unterkapitel auf regionale Integrationsprozesse in den Bereichen Handel und Sicherheit. Doch vor der Erläuterung der theoretischen Grundlagen der handelsund sicherheitspolitischen Regionalintegration wird zunächst die Auswahl dieser beiden Politikbereiche begründet.
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2 Regionalismus in sozialwissenschaftlicher Perspektive
2.3.1 Regionalintegration im Handels- und Sicherheitsbereich Auf den ersten Blick erscheint die gemeinsame Analyse der Politikbereiche Handel und Sicherheit ungewöhnlich, da ihr konzeptioneller Zusammenhang, ihre Verbindung, nicht offensichtlich ist. Allerdings sind es gerade die Unterschiede der Handels- und Sicherheitspolitik, die diese Bereiche für die Analyse so interessant machen. Die sicherheitspolitische Integration ist als Bestandteil der allgemeinen nationalen Sicherheitspolitik von Staaten ein sensibler Politikbereich, der in hohem Maße mit nationaler Souveränität verbunden ist. Die Wahrung der Sicherheit gehört zu den Kernaufgaben eines Staates, der deshalb seine Kompetenzen und Zuständigkeiten in diesem Bereich verteidigt. Auch die Handelspolitik stellt ein wichtiges Betätigungsfeld staatlicher Akteure dar. Aber im Gegensatz zur Sicherheitspolitik erheben die Nationalstaaten in diesem Bereich nicht den Anspruch der alleinigen Zuständigkeit und zeigen sich nicht-staatlichen Eingriffen gegenüber weniger empfindlich. In der idealtypischen Vorstellung des Modells der Marktwirtschaft beschränkt sich der Staat auf die Setzung von Rahmenbedingungen und überlässt dem Marktmechanismus die weitgehende Regulation der Handelsaktivitäten. Auf der Grundlage dieser Eigenschaften können die beidn Politikbereiche als Gegensatzpaar konzeptionalisiert werden. Sicherheitspolitik als hoch sensibler, mit nationaler Souveränität verbundener Politikbereich, Handelspolitik als vergleichsweise unsensibler Politikbereich, in dem nationale Souveränitätsrechte eine weitaus schwächere Rolle spielen. Bezieht man diese Überlegungen auf den Prozess der Regionalintegration, ist in den beiden Politikbereichen aus konzeptionell-theoretischer Sichtweise ein höchst unterschiedlicher Integrationsverlauf zu erwarten. Integrationsprojekte im Handelsbereich können den ‚Grundstein’ für einen weitergehenden Integrationsprozess legen. Die politische Entscheidung für die Institutionalisierung eines gemeinsamen Marktes und damit für einen Souveränitätsverzicht im handelspolitischen Bereich stellt zugleich eine zentrale Entscheidung über den weiteren Integrationsweg dar. Der Integrationsmechanismus ‚Markt’, der als dezentralisiertes und entpolitisiertes Instrument nur noch in geringem Maße politischen Reglungsbedarf besitzt, kann die Funktion eines Motors für weitere Integrationsschritte übernehmen.26 Im Gegensatz dazu erscheinen Integrationsfortschritte im sicherheitspolitischen Bereich sehr viel schwerer zu verwirklichen. Eine Übertragung von sicherheitspolitischen Kompetenzen auf eine supranationale regionale Institution erfordert die Aufgabe 26
Die Erfahrungen mit der europäischen Integration belegen diese Annahme. Die Frage, ob im südlichen Afrika der Markt einen ähnlichen Integrationsmechanismus bereitstellen kann, gilt es im Rahmen dieser Untersuchung zu klären.
2.3 Regionalismus aus handels- und sicherheitspolitischer Perspektive
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nationalstaatlicher Souveränität in einem Bereich, der in hohem Maße mit Symbolik und Nationalbewusstsein verbunden ist. Weiterhin fehlt es in der Sicherheitspolitik an einem Äquivalent zum Integrationsmechanismus des Marktes in der Handelspolitik. Im Sicherheitsbereich kann eine weitergehende Integration durch kontinuierliche politische Aushandlungsprozesse erreicht werden – im Vergleich zur handelspolitischen Integration ein mühsamer und langwieriger Prozess. Trotz der gravierenden Unterschiede zwischen den beiden Politikbereichen bestehen auch Interdependenzen: Ein Mindestmaß an Sicherheit ist eine Grundvoraussetzung für wirtschaftliche Stabilität und Wachstum, wirtschaftliche Stabilität andererseits auch eine wichtige Einflussgröße für Sicherheit. Zusammengefasst verspricht die gleichzeitige Analyse von regionalen Integrationsbemühungen im Handels- wie im Sicherheitsbereich weitaus umfassendere und damit auch tragfähigere Erkenntnisse als die ausschließliche Analyse eines einzelnen Politikbereichs. Eine verzerrte Sichtweise auf die Möglichkeiten und Grenzen der Regionalintegration kann so vermieden werden, und der Erkenntnisgewinn der vorliegenden Arbeit sollte dementsprechend fundiert ausfallen. Allerdings ist mit der Entscheidung, den Integrationsprozess in zwei Politikbereichen zu analysieren, auch eine Einschränkung verbunden. In der vergleichenden Untersuchung können die beiden Bereiche nicht derart detailliert analysiert werden, wie dies bei nur einem Bereich möglich wäre. Dieser potenzielle Nachteil ist jedoch weitaus kleiner einzuschätzen als die Vorteile, die die vergleichende Analyse liefert. 2.3.2
Handelsintegration in theoretischer Perspektive
Die wirtschaftswissenschaftliche Auseinandersetzung mit ökonomischen Integrationsprozessen stellt ein umfassendes Forschungsgebiet dar, das hier nur in allgemeiner und stark komprimierter Form vorgestellt werden kann.27 Dabei konzentriert sich das folgende Kapitel auf die Definition zentraler Begriffe und die Vorstellung der verschiedenen wirtschaftlichen Integrationsstufen. Für die begriffliche Bestimmung wirtschaftlicher Integration existiert keine eindeutige Definition. Allgemein kann internationale ökonomische Integration definiert werden als „(…) institutional combination of separate national economies into larger economic blocs or communitites“ (Robson 1998: 1). Dabei 27
Die Handelsintegration ist ein wichtiger Bestandteil, gewissermaßen die Grundlage für eine weiterführende wirtschaftliche Integration. Das nachfolgende Kapitel konzentriert sich nicht allein auf handelspolitische Integration, sondern bezieht sich auf wirtschaftliche Integration im Allgemeinen.
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2 Regionalismus in sozialwissenschaftlicher Perspektive
kann der Begriff der Wirtschaftsintegration sowohl einen Prozess als auch einen Zustand umschreiben: Er beinhaltet einerseits diejenigen wirtschaftlichen Maßnahmen, die zur Beseitigung bestehender Diskriminierungen zwischen nationalen Wirtschaftsräumen vollzogen werden. Andererseits bezeichnet der Begriff aber auch einen Zustand, der durch die Abwesenheit von diskriminierenden Maßnahmen zwischen nationalen Ökonomien gekennzeichnet ist (vgl. Balassa 1961: 1). Der Zusammenschluss nationaler Ökonomien kann zudem in Form negativer und positiver Integrationsschritte vollzogen werden. Die negative Integration umfasst die Beseitigung von wirtschaftlichen Diskriminierungen bzw. Barrieren zwischenstaatlicher Wirtschaftsprozesse. Im Rahmen positiver Integrationsmaßnahmen werden existierende politische Maßnahmen und Institutionen angepasst oder neu gebildet und mit Entscheidungsgewalt ausgestattet. Der Ansatz der positiven Integration verlangt den Akteuren mehr ab, da er die Souveränität der Nationalstaaten tangiert und sie bei seiner Umsetzung mit größeren Herausforderungen konfrontiert (vgl. Tinbergen 1965: 77-78). Trotz unterschiedlicher Schwerpunkte und Nuancen in der Definition wirtschaftlicher Integrationsprozesse besteht in der wissenschaftlichen Literatur weitgehende Einigkeit, was die Ziele der Integrationsmaßnahmen betrifft. Durch den wirtschaftlichen Zusammenschluss sollen ökonomische Gewinne zur Wohlfahrtssteigerung in den beteiligten Ländern erzielt werden (vgl. Jovanoviü 1998: 9). Gleichzeitig dürfen politische Beweggründe und Zielsetzungen der Wirtschaftsintegration aber nicht außer Acht gelassen werden. Auch sie spielen bei der Entscheidung der Nationalstaaten, sich an wirtschaftlichen Integrationsprozessen zu beteiligen, eine Rolle (vgl. Balassa 1961: 6-7). Die verschiedenen Formen der wirtschaftlichen Integration können, je nach Integrationstiefe und Geltungsbereich, in sechs Stufen unterteilt werden. In ihrer Abfolge beschreiben die Stufen einen fortschreitenden Integrationsprozess, wobei die verschiedenen ‚Stationen’ auch eigenständige Zustandsformen darstellen (vgl. Lang/Stange 1994: 141). Eine erste Stufe im wirtschaftlichen Integrationsprozess kann die Präferenzzone darstellen. Hier einigen sich mindestens zwei Länder auf gegenseitige Vorzugsbedingungen im Handel mit bestimmten Gütern. Diese Vorteile können beispielsweise in Form von reduzierten Zöllen oder besonderen Einfuhr- bzw. Ausfuhrquoten für ausgewählte Güter gewährt werden. Entschließen sich die beteiligten Staaten, die bevorzugten Handelsbedingungen auf den gesamten Güterverkehr auszuweiten, erreichen sie die nächsthöhere Integrationsstufe der Freihandelszone. Ihre Mitglieder verpflichten sich, alle Zölle und anderweitigen quantitativen Restriktionen im gegenseitigen Handel abzubauen. Durch die Einführung von Herkunftsregeln kann sichergestellt werden, dass nur solche Pro-
2.3 Regionalismus aus handels- und sicherheitspolitischer Perspektive
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dukte in den Genuss des Freihandels kommen, die ihren Ursprung innerhalb der Integrationsgemeinschaft haben. Gegenüber Drittstaaten hält jedes Mitgliedsland eine unabhängige Handelspolitik aufrecht, die auch unterschiedliche Außenzölle beinhaltet. Die wiederum höhere Stufe der Zollunion ist dann erreicht, wenn sich die beteiligten Volkswirtschaften auch auf einen einheitlichen Außenzoll einigen. Die Notwendigkeit von Herkunftsregeln entfällt mit diesem Integrationsschritt. Wird darüber hinaus auch die freie Mobilität der Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit innerhalb der Integrationsgemeinschaft verankert, sind die Voraussetzungen für einen gemeinsamen Markt erfüllt. Durch die Freiheit des Kapitalverkehrs und insbesondere der Arbeitskräfte entsteht allerdings auch erhöhter Reglungsbedarf für die beteiligten Nationalstaaten. Diese müssen ihre nationalen Politiken anpassen bzw. harmonisieren, um eine ungewollte Verlagerung wirtschaftlicher Tätigkeiten in diejenigen Mitgliedsländer mit den günstigsten Standortbestimmungen zu verhindern. Zusätzlich soll auch der Abbau nichttarifärer Handelshemmnisse, der je nach Konzeptionalisierung auch schon im Zuge der Zollunion eingeführt wurde, weiter vorangetrieben werden. Ein nächster Integrationsschritt führt zur Errichtung einer Wirtschaftsunion, in der die Mitglieder einen gemeinsamen Binnenmarkt einführen und neben einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik auch die Vereinheitlichung ihrer wirtschaftlichen Rahmenbedingungen anstreben. Auf dieser Integrationsstufe wird auch die Geldpolitik der Mitgliedsstaaten zum Bestandteil des Integrationsprozesses. Die monetäre Integration umfasst nicht nur eine gemeinschaftliche Geldpolitik innerhalb des Integrationsraums, sondern auch die Einführung eines Systems fester Wechselkurse für die Währungen der Mitgliedsstaaten. Wahlweise kann Letzteres auch durch die Einführung einer Gemeinschaftswährung und einer gemeinsamen Zentralbank ersetzt werden. Dadurch entsteht eine Währungsunion, die als höchste Stufe der monetären Integration bezeichnet wird (vgl. Jovanoviü 1998; Köster/Beckmann/Hebler 2001; Molle 2006).28 Im Rahmen der wirtschaftlichen Integrationstheorie setzt sich die wirtschaftswissenschaftliche Forschung mit den verschiedenen Stufen des Integrationsprozesses auseinander. Die theoretischen Modelle, die zu diesem Zweck entwickelt wurden, besitzen einen allgemeingültigen Erklärungsanspruch und sind daher in ihrer Anwendung nicht auf spezifische Beispiele der Wirtschaftsintegration beschränkt. Die umfassenden Forschungsergebnisse zur Wirtschaftsintegration werden an dieser Stelle aber nicht im Detail vorgestellt. Zum einen bilden die Theorien der wirtschaftlichen Integration keinen Schwerpunkt der vorliegenden Untersuchung. Zum anderen bezieht sich der empirische Unter28
Mit einer Wirtschafts- und Währungsunion ist die höchste Stufe der wirtschaftlichen Integration erreicht. Der nächste logische Schritt würde die Bildung einer politischen Union mit einer gemeinschaftlichen supranationalen Regierung umfassen.
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2 Regionalismus in sozialwissenschaftlicher Perspektive
suchungsgegenstand dieser Arbeit auf die Schaffung einer SADCFreihandelszone sowie ihre geplante Ausweitung in eine Zollunion und ist somit auf einen engen Ausschnitt der Wirtschaftsintegration beschränkt.29 In einem kurzen Überblick werden deshalb lediglich die grundlegenden Arbeiten von Jacob Viner zur Zollunionstheorie vorgestellt werden. Dessen Argumente werden auch in der aktuellen Auseinandersetzung um die Möglichkeiten und Grenzen ökonomischer Integration immer wieder diskutiert und bilden die Grundlage der wirtschaftswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit ökonomischer Integration. Im Jahr 1950 entwickelte Jacob Viner (vgl. 1950) seine bis heute vielfach zitierte klassische Zollunionstheorie. Er ging der grundlegenden Frage nach, unter welchen spezifischen Bedingungen eine Zollunion zu verstärktem Handel zwischen den Partnern und damit zur Wohlfahrtssteigerung führe. Für die Analyse dieser Frage prägte er die Konzepte von trade creation (im Folgenden Handelsschaffung) und trade diversion (im Folgenden Handelsumlenkung). Zur Handelsschaffung kommt es laut Viner dann, wenn die beteiligten Staaten durch Wegfall der Zölle im intra-regionalen Handel die Möglichkeit haben, Güter aus der Region preisgünstiger zu importieren. Kostspielige lokal produzierte Güter, die nur aufgrund von Importzöllen im Wettbewerb bestehen konnten, würden in der Zollunion durch kostengünstigere Produkte der Unionspartner ersetzt (vgl. Viner 1950: 43). Durch den zollfreien Handel offenbarten sich die unverzerrten komparativen Kostenvorteile der beteiligten Länder bei der Produktion einzelner Güter. Werden diese Vorteile ausgenutzt, könnten Produzenten von geringeren Produktionskosten und Konsumenten von niedrigeren Preisen profitieren (vgl. Viner 1950: 41-55).30 Dabei wird das Ausmaß der Handelsschaffung umso größer ausfallen, je näher der Marktpreis innerhalb der Zollunion am Weltmarktpreis liegt. Auch der gemeinsame Außenzoll der Zollunion habe Einfluss auf den Effekt der Handelsschaffung: Je höher der Außenzoll der Union, desto geringer sei der potenzielle Nutzen für ihre Mitglieder. Der gemeinsame Außenzoll stelle eine Handelsbarriere dar, durch die ausländische Produzenten zugunsten inländischer Konkurrenten diskriminiert würden. Der Einfuhrzoll verteuere Produkte der Nichtmitglieder der Union künstlich, und nur aufgrund dieser Verzerrung könnten die Produkte, die innerhalb der Region produziert werden, im Wett29
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Bei weiterführendem Interesse finden sich entsprechende Überblicksdarstellungen zur wirtschaftlichen Integrationstheorie in El-Agraa 2002; Jovanoviü 1998 und Robson 1998. Aus ökonomischer Sichtweise spielen die sozialen Folgen einer solchen Verlagerung von Produktionsstrukturen wie der Verlust von Arbeitsplätzen durch die Schließung ‚ineffizienter’ Produktionsstätten keine Rolle. Diese Effekte werden als vorübergehende Nachteile betrachtet, die durch die weitreichenden Vorteile der Handelsschaffung kompensiert werden sollen. Auf die möglichen sozialen Folgen verstärkten Freihandels macht auch Cord Jakobeit (vgl. 1997: 18) aufmerksam.
2.3 Regionalismus aus handels- und sicherheitspolitischer Perspektive
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bewerb bestehen. Es kommt zur Handelsumlenkung, die sich für die betroffenen importierenden Länder negativ auswirkt. Diese zahlen für ein Importgut, das sie innerhalb der Union erwerben, mehr, als sie in einer Situation ohne Zölle auf dem Weltmarkt zahlen würden. Somit entsteht dem importierenden Land ein doppelter Schaden. Zum einen muss es Ausfälle in den Zolleinnahmen verkraften, zum anderen entgehen ihm durch die verzerrende Wirkung des Außenzolls die günstigen Preiskonditionen des Weltmarktes. Somit gilt: Je geringer der Außenzoll, mit dem eine Zollunion gewissermaßen als ‚Schutzschild’ ihren Wirtschaftsraum abschirmt, desto größer sind die Gewinne der beteiligten Staaten (vgl. Schiff/Winters 2003: 13+34; Viner 1950: 43-44). Mit seiner Analyse konnte Viner die bis dahin vorherrschende Meinung revidieren, eine Zollunion führe durch die Ausweitung des Freihandels per se zur Wohlfahrtssteigerung in den beteiligten Volkswirtschaften. Stattdessen zeigte er in seinen Arbeiten, dass erst das Verhältnis von Handelsschaffung zu Handelsumlenkung über den positiven Nutzen einer Zollunion entscheidet. Durch Viners Erkenntnisse, nach denen „Customs unions are, from the free-trade point of view, neither necessarily good nor bad: the circumstances discussed above are the determining factors“ (Viner 1950: 52), wurden zahlreiche weiterführende Forschungsarbeiten inspiriert. Sie beschäftigten sich mit der Frage, welche konkreten Bedingungen innerhalb eines Integrationsraums gegeben sein müssen, damit die Handelsschaffung gegenüber der Handelsumlenkung dominiert. Allgemein kann davon ausgegangen werden, dass die Einrichtung einer Zollunion dann wohlfahrtssteigernde Effekte besitzt, wenn die Union den Wettbewerb innerhalb ihrer Grenzen stimuliert und der gemeinsame Außenzoll nicht als Schutz gegen externe Importe missbraucht wird (vgl. Jovanoviü 1998: 39; Lang/Stange 1994: 142-143). Gleichzeitig ist zu berücksichtigen, dass die Zollunion keine optimale Lösung für die Förderung bzw. Einführung des Freihandelsprinzips darstellt. Die bestehenden Handelshemmnisse in Form interner Zölle werden zwar abgeschafft, aber durch ein anderes Handelshemmnis, den gemeinsamen externen Zoll, ersetzt. Unter der Annahme, dass das Freihandelsprinzip die beste Strategie zur Maximierung der Wohlfahrt ist, stellt die Zollunion also ‚nur’ eine zweitbeste Option dar (vgl. Jovanoviü 1998: 112). Trotz oder gerade wegen seiner grundlegenden Erkenntnisse ist Viners Zollunionstheorie aber nicht von Kritik verschont geblieben. Bezüglich ihrer Prämissen wurde sie insbesondere für ihren statischen Ansatz kritisiert. Sie berücksichtige keine dynamischen Effekte der Integration, die beispielsweise durch Effizienzsteigerungen im Zuge des verstärkten Wettbewerbsdruck hervorgerufen würden. Außerdem ist Viners Theorie im neoklassischen Paradigma der Wirtschaftswissenschaft eingebettet und lässt somit die Möglichkeit unvollkommener Märkte außen vor (vgl. Lang/Stange 1994: 144-154). Grundlegende Kritik hat
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2 Regionalismus in sozialwissenschaftlicher Perspektive
die traditionelle Zollunionstheorie auch für ihre unzureichende Begründungskraft erfahren. Nach Ansicht ihrer Kritiker gelingt es der Theorie nicht, die Überlegenheit einer Zollunion gegenüber unilateralen Zollsenkungen zu begründen. Zudem lasse sie die Verteilung der aus der Zollunion entstehenden Kosten und Gewinne unberücksichtigt, da sie von einer gleichberechtigten Nutzenverteilung der beteiligten Staaten auf der Grundlage ihrer jeweiligen komparativen Kostenvorteile ausgehe (vgl. Østergaard 1993: 30-32). 2.3.3 Sicherheitspolitische Integration in theoretischer Perspektive Bevor sich die Untersuchung detaillierter mit sicherheitspolitischen Fragen im Kontext des südlichen Afrika beschäftigt, sollen der Begriff der Sicherheit sowie verschiedene Formen der sicherheitspolitischen Kooperation erläutert werden. Dabei erhebt die folgende Darstellung nicht den Anspruch, die umfassende sozialwissenschaftliche Forschung im Sicherheitsbereich vorzustellen. Sie soll lediglich einen Überblick zu den wichtigsten Konzepten und Fragestellungen liefern. Im Allgemeinen wird zwischen einer negativen und einer positiven Dimension von Sicherheit unterschieden. Die negative Dimension beinhaltet die Abwesenheit von Gefahren und Bedrohungen. Die positive Dimension hingegen umfasst die aktive Schaffung von Strukturen und Bedingungen, die eine Wahrung der Sicherheit dauerhaft ermöglichen. Im traditionellen Verständnis bezieht sich die Sicherheitsfrage allein auf die Sicherheit des Staates. Dieser soll im Rahmen seiner äußeren Sicherheit vor der militärischen Bedrohung durch andere Staaten geschützt werden (vgl. Müller 2002: 369).Im Laufe der Zeit erfuhr das Sicherheitskonzept zunächst eine vertikale, später auch eine horizontale Erweiterung. Erstere führte seit den 70er Jahren dazu, dass nicht mehr allein militärische Bedrohungen, sondern auch ökonomische und ökologische Herausforderungen als Sicherheitsgefährdungen anerkannt wurden. Neben den externen wurden zusätzlich auch interne Bedrohungen als Gefahr für die staatliche Sicherheit berücksichtigt (vgl. Buzan 2003: 148; Debiel/Werthes 2006: 8-9). Besonders großes Interesse hat in diesem Zusammenhang Barry Buzans Werk „People, States, and Fear: An Agenda for International Security in the Post-Cold War Era“ von 1983 hervorgerufen. Darin weitet er die Sicherheitsagenda aus und unterscheidet unter anderem zwischen politischen, wirtschaftlichen, militärischen und ökologischen Sicherheitsbedrohungen (vgl. Buzan 1983: 73-92). Die horizontale Erweiterung des Sicherheitsbegriffs seit Ende der 80er Jahre revidierte insbesondere die Bedeutung des Staates und seine Rolle als alleini-
2.3 Regionalismus aus handels- und sicherheitspolitischer Perspektive
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ges Sicherheitssubjekt. Neben ihm wurde nun beispielsweise auch die Sicherheit von Nationen und Religionen in den Blick genommen. Unterhalb dieser Ebene wurde zudem die Sicherheit des Individuums immer stärker in den Mittelpunkt gerückt und die Sicherheitsagenda somit auf eine ganze Bandbreite von Bedrohungen des menschlichen Lebens ausgeweitet (vgl. Booth 1994: 3-4).31 Zentral ist in diesem Zusammenhang das Konzept der ‚menschlichen Sicherheit’ (human security), das in besonderer Weise durch das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations Development Programme, UNDP) geprägt wurde. In seinem Entwicklungsbericht des Jahres 1994 umschreibt die Organisation einen Sicherheitsansatz, der neben dem Staat auch das einzelne Individuum berücksichtigt und die Bedeutung der Menschenrechte sowie der allgemeinen menschlichen Entwicklung hervorhebt. Die existierenden Herausforderungen für die menschliche Sicherheit teilt der Bericht in sieben Kategorien ein: ökonomische Sicherheit, Ernährungssicherheit, gesundheitliche Sicherheit, ökologische Sicherheit, physische Sicherheit, lokale/kommunale Sicherheit und politische Sicherheit (vgl. UNDP 1994: 24-33).32 Die Ausweitung des Sicherheitsbegriffs wurde allerdings auch kritisiert. Je allgemeiner der Begriff gefasst werde, desto beliebiger seine Verwendung und desto geringer sein analytischer Nutzen. Auch die Implikationen für die Sicherheitspolitik – hier verstanden als Summe aller staatlichen Maßnahmen mit dem Ziel der Wahrung bzw. Herstellung von Sicherheit – seien gravierend: Kein politisches System sei in der Lage, alle Bedrohungen für das menschliche Leben zu beseitigen (vgl. Booth/Vale 1997: 336; Müller 2002: 369). Zusätzlich wird der Staat, als primärer Agent von Sicherheit, durch den breiten Sicherheitsbegriff herausgefordert, da er in einer Vielzahl von Bereichen für die Sicherheit seiner Bürger sorgen muss.33 Gleichzeitig kann – insbesondere im afrikanischen Kontext – nicht pauschal davon ausgegangen werden, dass der Staat die notwendige Fähigkeit und Motivation besitzt, um die Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten. In einigen Fällen kann der Staat sich sogar zur akuten Sicherheitsbedrohung entwickeln, wenn er beispielsweise sein Gewaltmonopol missbraucht. 31
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Daraus ergibt sich auch eine neue Rolle des Staates: Er ist nicht mehr allein das Subjekt, auf das sich die Sicherheitsbemühungen konzentrieren, sondern er ist für die Gewährleistung der Sicherheit seiner Bürger verantwortlich (vgl. Booth 1994: 3). Mit welchem Erfolg insbesondere die Staaten Afrikas dieser Aufgabe nachkommen, steht hier zunächst nicht zur Diskussion. Seither hat das Konzept der menschlichen Sicherheit weitgehende Beachtung gefunden und wurde umfassend diskutiert und weiterentwickelt. So widmet sich beispielsweise eine Sonderausgabe der Zeitschrift „Security Dialogue“ ausschließlich der Frage: „What is human security?“ (vgl. Security Dialogue 2004, Jg. 35, Nr. 3). In diesem Zusammenhang argumentiert Booth, dass eine umfassende Sicherheit nur hergestellt werden kann, wenn die staatliche Sicherheitspolitik von einer starken und lebhaften Zivilgesellschaft unterstützt bzw. ergänzt wird (vgl. Booth 1994: 18).
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In solchen Fällen spiegeln die staatlichen Interessen allein die Interessen der herrschenden Eliten und keinesfalls der Bevölkerung wider (vgl. Booth 1994: 5; Söderbaum 2003b: 167). Über die Auseinandersetzung mit dem Sicherheitsbegriff hinaus werden auch verschiedene Möglichkeiten zur sicherheitspolitischen Kooperation und ihre jeweiligen Erfolgsaussichten für die Wahrung von Sicherheit und Frieden in den Sozialwissenschaften diskutiert.34 Im allgemeinen Verständnis umschreibt der Begriff der Sicherheitskooperation die Zusammenarbeit von potenziellen Konfliktparteien. Diese binden sich gegenseitig in ihre jeweiligen sicherheitspolitischen Aktivitäten ein. Damit verlieren die Staaten einerseits politische Handlungsfreiheit und Unabhängigkeit, andererseits werden diese Verluste im Idealfall durch einen Zugewinn an nationaler Sicherheit kompensiert (vgl. Müller 2002: 370). In der theoretischen Auseinandersetzung sind eine Reihe unterschiedlicher Konzepte entwickelt worden, um die vielfältigen Formen sicherheitspolitischer Kooperation analytisch zu erfassen. Einen möglichen Rahmen für die Einordnung dieser Konzepte bietet der Ansatz des ‚security complex’ (im Folgenden übersetzt als ‚Sicherheitskomplex’). Nach Barry Buzan kann ein solcher Sicherheitskomplex definiert werden als „(…) group of states whose primary security concerns are sufficiently closely linked that their national securities cannot realistically be considered apart from one another.” (Buzan 1992: 169).35
Damit handelt es sich beim Sicherheitskomplex um ein dynamisches Konzept, das eine ganze Bandbreite von feindseligen bis freundschaftlichen Sicherheitsinterdependenzen umfasst.36 Das negative Ende dieses Spektrums bilden Interdependenzen, die allein auf der Wahrnehmung gegenseitiger Bedrohung, Rivalität und Angst basieren. 34
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An dieser Stelle wird bewusst der Begriff der Kooperation gewählt, da einige der dargestellten Formen der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit sehr lose angelegt sind und nicht die Zielsetzung eines weiterführenden Integrationsprozesses verfolgen. Diese Definition spiegelt ein eher traditionelles, staatszentriertes Verständnis von Sicherheit wider und wurde von Buzan an die aktuelle Theorieentwicklung angepasst. Demnach definiert er einen Sicherheitskomplex als „(…) a set of units whose major processes of securitization, desecuritization, or both, are so interlinked that their security problems cannot reasonable be analyzed or resolved apart from another“ (Buzan 2003: 142). Ein Sicherheitskomplex kann bestehen, ohne dass die involvierten Akteure ihn als solchen wahrnehmen. Nach außen hebt sich ein Sicherheitskomplex durch die stark ausgeprägten sicherheitspolitischen Interdependenzen und Beziehungen seiner Mitglieder untereinander ab, denen nur schwach ausgeprägte Interaktionen mit anderen Staaten außerhalb des Sicherheitskomplexes gegenüberstehen (vgl. Buzan 1992: 170).
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Die Mitte des Spektrums wird von ‚security regimes’ (im Folgenden übersetzt als ‚Sicherheitsregime’) eingenommen. Nach Robert Jervis können Sicherheitsregime definiert werden als: „(…) those principles, rules, and norms that permit nations to be reconstrained in their behaviour in the belief that others will reciprocate. This concept implies not only norms and expectations that facilitate cooperation, but a form of cooperation that is more than the following of short-run self-interest.“ (Jervis 1983: 173)37
Die Beziehungen von Mitgliedern eines Sicherheitsregimes sind grundsätzlich von Misstrauen bestimmt. Die gegenseitige Akkumulation und Absicherung von Machtressourcen im Rahmen des Sicherheitsregimes dient allein dem Ziel, nationale Sicherheit herzustellen bzw. abzusichern. Die involvierten Staaten nehmen sich weiterhin gegenseitig als potenzielle Gefahr wahr, aber durch den Regimecharakter ihrer Sicherheitsbeziehungen gelingt es ihnen zumindest, das Bedrohungspotenzial zu reduzieren. Dementsprechend sind die beteiligten Staaten auch nicht zur Bildung langfristiger Institutionen bereit, sondern ihre Kooperation verbleibt auf einem intergouvernementalen Niveau und wird von vergleichsweise funktionalen Ansprüchen bestimmt (vgl. Neethling 2003). Das positive Ende des Spektrum möglicher sicherheitspolitischer Kooperationsformen besetzt die Konzeption einer security-community (im Weiteren übersetzt als ‚Sicherheitsgemeinschaft’). Der Begriff der Sicherheitsgemeinschaft wurde in besonderer Weise von Karl W. Deutsch geprägt, der unter anderem der Frage nachging, wie Kriege vermieden werden können. Kennzeichnend für eine Sicherheitsgemeinschaft ist die Gewissheit ihrer Mitglieder, dass sie von gewaltsamen Formen der Konfliktregelung untereinander absehen. Auf der Basis eines bestehenden Zusammengehörigkeitsgefühls bildet die Gemeinschaft Institutionen und Praktiken heraus, die den bestehenden Frieden unter den Mitgliedern langfristig und verlässlich absichern. Dabei werden mit der ‚amalgamated security-community’ und der ‚pluralistic security-community’ zwei verschiedene Formen der Sicherheitsgemeinschaft unterschieden. Während erstere die Vereinigung der Nationalstaaten zu einer gemeinsamen übergeordneten Regierung vorsieht, ist die zweite Form der Sicherheitsgemeinschaft weniger voraussetzungsvoll. Die Mitglieder einer ‚pluralistic security-community’ behal37
Jervis bezieht seine Definition auf die allgemeine Regimedefinition von Stephen D. Krasner: „Regimes can be defined as sets of implicit or explicit principles, norms, rules, and decisionmaking procedures around which actors’ expectations converge in a given area of international relations. Principles are beliefs of fact, causation, and rectitude. Norms are standards of behavior defined in terms of rights and obligations. Rules are specific prescriptions or proscriptions for action. Decision-making procedures are prevailing practices for making and implementing collective choice.“ (Krasner 1983: 2)
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2 Regionalismus in sozialwissenschaftlicher Perspektive
ten ihre unabhängigen nationalen Regierungen (vgl. Deutsch 1957: 5-7). Für die Entstehung und Aufrechterhaltung von Sicherheitsgemeinschaften sind unter anderem Kommunikation und Austauschprozesse zwischen den Mitgliedern von zentraler Bedeutung, da sie die Entwicklung eines Gemeinschaftsgefühls fördern (vgl. Deutsch 1957: 36).38 Die vorgestellten Formen sicherheitspolitischer Kooperation können auch auf regionaler Ebene angewendet werden.39 Neben der Sicherheit des internationalen Systems und der Nationalstaaten wird die regionale Sicherheit als weitere analytische Ebene oftmals vernachlässigt (vgl. Buzan 1992: 168). Dabei zeichnet sich nach der Sichtweise Barry Buzans eine Region aus sicherheitspolitischer Perspektive durch folgende Kriterien aus: „(…) distinct and significant subsystem of security relations exists among a set of states whose fate is that they have been locked into geographical proximity.” (Buzan 1992: 168)
In diesem Zusammenhang argumentieren Barry Buzan und Ole Wæver (vgl. 2003), dass eigenständige regionale Formen und Strukturen von Sicherheit zur Bildung von Sicherheitskomplexen auf regionaler Ebene führten. Diese seien für die Analyse globaler sicherheitspolitischer Zusammenhänge unbedingt zu berücksichtigen.
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Das Konzept der Sicherheitsgemeinschaft ist in der sozialwissenschaftlichen Forschung umfassend diskutiert worden, kann hier aber nicht ausführlicher vorgestellt werden. Als ein Versuch aus jüngerer Zeit, die Konzeption der Sicherheitsgemeinschaft weiterzuentwickeln, sei hier lediglich auf den Aufsatz von Adler und Barnett aus dem Jahr 1998 hingewiesen (vgl. Adler/Barnett 1998). Die Frage, ob die SADC die Voraussetzungen erfüllt, um als Sicherheitsgemeinschaft bezeichnet zu werden, diskutieren van Aardt 1991; Booth/Vale 1997; Ngoma 2005 und Swart/du Plessis 2004.
3 Regionalismus in Afrika
Den folgenden Ausführungen liegt die Annahme zugrunde, dass regionale Integrationsprozesse in Afrika spezifische Eigenschaften aufweisen. Ihre besonderen Charakteristika sind unter anderem bedingt durch geografische, historische, kulturelle, wirtschaftliche und politische Faktoren, die sich auf dem afrikanischen Kontinent über Jahrhunderte hinweg entwickelt haben. Diese besonderen Gegebenheiten bilden die Grundlage und den Rahmen für die verschiedenen regionalen Integrationsbestrebungen der afrikanischen Staaten und sollen im weiteren Verlauf der Kapitels erörtert werden. 3.1 Regionalismus auf dem afrikanischen Kontinent Für das Verständnis der regionalen Integration im südlichen Afrika ist es von zentraler Bedeutung, den Integrationsprozess der SADC in einen kontinentalen Zusammenhang zu stellen. Schließlich haben sich die Integrationsbestrebungen der südlichen Staaten Afrikas nicht isoliert entwickelt, sondern waren und sind immer noch Teil eines komplexen Systems kontinentaler Einheitsbestrebungen. Gleichzeitig sind die regionalen wie kontinentalen Integrationsprozesse das Produkt einer langjährigen historischen Entwicklung, die in entscheidender Weise durch die Kolonialherrschaft geprägt wurde. Die Kolonialmächte teilten den Kontinent auf der Grundlage ihrer Herrschaftsansprüche in künstliche Staatsgebilde mit willkürlich gezogenen Grenzverläufen. Gleichzeitig versuchte insbesondere die französische Kolonialmacht, ihre Gebiete zu gemeinsamen Wirtschaftseinheiten zusammenzufassen, um so eine bessere Verwaltung und wirtschaftliche Ausbeutung zu ermöglichen (vgl. Nuscheler/Ziemer 1980). Die Kolonialherrschaft lieferte aber indirekt auch einen wichtigen Anstoß für spätere regionale wie kontinentale Einheitsbestrebungen: Sie beschwor den Unabhängigkeitskampf der afrikanischen Völker herauf und hatte gleichzeitig entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung des Panafrikanismus. Als eine Befreiungsbewegung, die sich gegen europäischen Kolonialismus und weißen Rassismus richtete, lassen sich die Ursprünge des Panafrikanismus bis ins späte 18. Jhd. zurückverfolgen. Eine entscheidende Prägung erhielt der
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3 Regionalismus in Afrika
Panafrikanismus allerdings zu Beginn des 20. Jhds. außerhalb Afrikas. Als Reaktion auf ihre Unterdrückung durch die weiße Bevölkerung besannen sich die Nachfahren ehemaliger Sklaven in Amerika auf ihre afrikanischen Wurzeln. Auf der Grundlage der vermeintlich westlichen Prinzipien von Demokratie und Gleichheit entwickelten sie einen emanzipatorischen Anspruch der Gleichberechtigung. Gleichzeitig legten sie ein idealisiertes und romantisiertes Afrikabild an den Tag, in dessen Rahmen sie die Einheit Afrikas heraufbeschworen (vgl. Geiss 1968: 11-13+152; Meyns 2002: 2; Traeder 1975: 185). Afrikanische Intellektuelle, die in den westlichen Staaten ausgebildet worden waren, brachten die Ideen des Panafrikanismus auf den afrikanischen Kontinent. Nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges erfuhr die Bewegung einen neuen Aufschwung und entwickelte sich zur „Ideologie der Dekolonisation“ Afrikas (Geiss 1968: 11). Der Panafrikanismus verband den Kampf für Unabhängigkeit und Selbstbestimmung der afrikanischen Staaten mit dem Streben nach kontinentaler Einheit und Solidarität. Somit lieferte die panafrikanische Bewegung zugleich eine, wenn auch nur vage, Konzeption für die Zeit nach der Erlangung der Unabhängigkeit.40 Gemäß der Forderung des ehemaligen ghanaischen Präsidenten Kwame Nkrumahs, einer der wichtigsten Verfechter des panafrikanischen Gedankens, sollte Afrika sich vereinen.41,42 Einen ersten Schritt auf dem Weg hin zur Errichtung dieser kontinentalen Einheit bildete der Zusammenschluss der afrikanischen Staaten, auf regionaler Ebene. Im regionalen Verbund hofften die jungen Staaten neue Lösungsstrategien für ihre wirtschaftliche Unterentwicklung und Armut entwickeln zu können. Unterstützung erhielten die afrikanischen Staaten in diesem Anliegen von der 1958 gegründeten kontinentalen Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen (United Nations Economic Commission for Africa, UNECA). Ihr Ziel, die soziale und wirtschaftliche Entwicklung Afrikas zu fördern, versuchte sie 40
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Als erste afrikanische Staaten erlangten 1956 der Sudan und 1957 Ghana ihre Unabhängigkeit. Bis 1960 war die Unabhängigkeit in West- und Zentralafrika weit vorangeschritten und hatte sich 1964 auch auf Ostafrika ausgedehnt. Im südlichen Afrika gestaltete sich der Befreiungskampf langwieriger. Sambia und Malawi wurden 1964 unabhängig, gefolgt von Angola und Mosambik, die 1975 von Portugal in die Unabhängigkeit entlassen wurden. Die Seychellen wurden 1976 zum unabhängigen Staat und Simbabwe 1980. Als Letztes erhielt Namibia 1990 seine Unabhängigkeit, nachdem es seit 1920 unter südafrikanischer Herrschaft gestanden hatte. Damit stand ein zentraler Bestandteil des Panafrikanismus im Gegensatz zu den nationalen Bestrebungen der afrikanischen Staaten, deren Großteil zu Beginn der 60er Jahre ihre Unabhängigkeit erlangte (vgl. Meyns 2002: 3). Für eine weiterführende Beschäftigung mit dem Panafrikanismus ist Imanuel Geiss (vgl. 1968) zu empfehlen, der sich insbesondere mit den historischen Grundlagen des Panafrikanismus im 18. und 19. Jhd. auseinandersetzt und zudem seine Entwicklung bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs nachzeichnet. Vincent Thompson (vgl. 1969) liefert einen guten Überblick zu den Auswirkungen des Panafrikanismus in Afrika bis zur Mitte der 60er Jahre.
3.1 Regionalismus auf dem afrikanischen Kontinent
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insbesondere durch eine Stärkung der regionalen und kontinentalen Kooperation bzw. Integration der afrikanischen Staaten zu erreichen.43 Die folgenden Jahrzehnte waren von wechselnden Prioritäten der afrikanischen Staaten zwischen regionaler und kontinentaler Einheit geprägt. In Bezug auf die Zielsetzung der panafrikanischen Einigung hatten sich in den frühen 60er Jahren zwei Gruppen herausgebildet. In der ‚Casablanca-Gruppe’ hatten sich mit Ghana, Guinea, Mali, Marokko, der Vereinigten Arabischen Republik (heutiges Ägypten) und der Exilregierung Algeriens die stärksten Verfechter der afrikanischen Einheit zusammengeschlossen. Die zahlenmäßig überlegenen Staaten der ‚MonroviaGruppe’ vertraten hingegen eine gemäßigte Position.44 Sie unterstützten den Zusammenschluss der afrikanischen Staaten, der allerdings auf der Grundlage ihrer souveränen Gleichheit vollzogen werden sollte. Zudem vertraten sie die Ansicht, dass sich der Einigungsprozess schrittweise, von ‚unten nach oben’, entwickeln sollte. Schließlich konnte sich die Monrovia-Gruppe durchsetzen, und ihre Vorstellungen manifestierten sich in der Gründung der Organisation of African Unity (OAU) im Mai 1963 in Addis Abeba, Äthiopien. Trotz ihrer Zielsetzung, die wirtschaftliche wie politische Integration aller afrikanischen Länder vorzubereiten, betont die Charta der OAU die nationalen Rechte ihrer Mitgliedsländer (vgl. Meyns 2002: 4-5). Doch schon in der zweiten Hälfte der 60er Jahre verloren die Bemühungen zur panafrikanischen Vereinigung an Kraft, und die afrikanischen Staaten richteten ihren Blick wieder verstärkt auf die regionale Ebene. Sie gründeten in den 60er und 70er Jahren eine Reihe regionaler Organisationen wie 1966 die Union Douanière et Économique de l’Afrique Centrale (UDEAC) in Zentralafrika, 1967 die East African Community (EAC) in Ostafrika und 1975 die Economic Community of West African States (ECOWAS) in Westafrika. Dabei hatten die neu geschaffenen Organisationen mit einer Reihe externer wie interner Probleme zu kämpfen, die ihre Erfolge stark schmälerten: So absorbierten die nationalen Probleme der jungen Nationalstaaten die gesamte Aufmerksamkeit ihrer Staatsund Regierungschefs. Die Zielsetzung der Regionalintegration wurde zu einem zweitrangigen Anliegen, das nur verfolgt wurde, wenn es nicht mit den primären nationalen Interessen kollidierte. In der Wirtschaftspolitik experimentierten verschiedene afrikanische Staaten mit den Möglichkeiten der Importsubstitution 43
44
Interessant sind auch die Berichte der UNECA zur regionalen Integration in Afrika. Siehe hierzu UNECA 2004; 2006 und 2008. Zur Monrovia-Gruppe gehörten die Staaten der Brazzaville-Gruppe, die hauptsächlich aus ehemaligen französischen Kolonien bestand. Darunter waren Dahomé (heutiges Benin), die Elfenbeinküste, Kamerun, die Republik Kongo, Madagaskar, Mauretanien, Niger, Senegal, Tschad, Upper Volta (heutiges Burkina Faso) und die Zentralafrikanische Republik. Weitere Mitglieder der Monrovia-Gruppe waren Äthiopien, Gabon, Liberia, Nigeria, Sierra Leone, Somalia, Togo und Tunesien.
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3 Regionalismus in Afrika
und versuchten so, ihre Entwicklung zu fördern und wirtschaftliche Unabhängigkeit zu erlangen. Dementsprechend war auch die Wirtschaftspolitik der regionalen Zusammenschlüsse von Protektionismus und Interventionismus bestimmt. Die Ineffektivität dieser Strategie konnte in den späten 70er Jahren nicht mehr geleugnet werden. Darüber hinaus erschwerten weitere Faktoren wie die politische und wirtschaftliche Heterogenität der afrikanischen Länder und ihr unterschiedliches Entwicklungsniveau die frühen (wie auch die aktuellen) Integrationsbemühungen der afrikanischen Staaten (vgl. Asante 1997: 35-37; Schiff/Winters 2003: 5). Die Flaute der regionalen Integrationsbestrebungen war allerdings nur vorübergehend und wurde in den späten 80er Jahren überwunden. Es kam zur Bildung neuer regionaler Organisationen wie der Preferential Trade Area for Eastern and Southern Africa (PTA) im Jahr 1981. Diese Neugründungen waren unter anderem auch auf die Verabschiedung des Lagos-Aktionsplans von 1980 im Rahmen der OAU und die Integrationsprozesse in Westeuropa zurückzuführen (vgl. hierzu Kapitel 2.2.1). Die im Aktionsplan von Lagos festgelegte Zielsetzung, eine gesamtafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft zu gründen, wurde mit dem Abuja-Vertrag 199145 nicht nur bekräftigt, sondern auch konkretisiert. Der Vertrag enthält einen konkreten Zeitplan und umreißt die einzelnen Schritte für die Umsetzung der kontinentalen Wirtschaftsgemeinschaft. Dabei werden die regionalen Integrationsmaßnahmen in den Dienst der übergeordneten, afrikanischen Einheit gestellt. Fünf ausgewählte afrikanische Regionalorganisationen sollen als Bausteine für die Afrikanische Wirtschaftsgemeinschaft fungieren.46 Sie sollen zu Zollunionen ausgebaut und dann anschließend in eine gemeinsame kontinentale Zollunion überführt werden. Daran anschließend wollen die Staaten einen gesamtafrikanischen Markt einführen, der in einem letzten Schritt zu einer afrikanischen Wirtschafts- und Währungsunion ausgebaut werden soll. Die Einrichtung der Afrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft als zentraler Bestandteil des Abuja-Vertrags soll bis 2028 abgeschlossen sein. Welche Erfolgsaussichten dieses ambitionierte Projekt in der Realität besitzt, wird sich in den folgenden Jahren zeigen (vgl. Draper/Halleson/Alves 2007: 7; Jakobeit/Hartzenberg/Charalambides 2005: 6-7). Die obigen Ausführungen haben das Zusammenspiel von regionalen wie kontinentalen Einheitsbestrebungen überblickartig skizziert. In den folgenden Kapiteln wird der Analysefokus allerdings gezielter auf das südliche Afrika ausgerichtet. Dort ist die SADC nicht die einzige Regionalorganisation, sondern 45
46
Die notwendige Anzahl von Ratifizierungen konnte erst 1994 erreicht werden, sodass die Implementierung des Vertrages erst drei Jahre nach seiner Unterzeichnung begann. Hierbei handelt es sich um die AMU für Nordafrika, die ECOWAS für Westafrika, die ECCAS für Zentralafrika, den COMESA für Ostafrika und die SADC für das südliche Afrika.
3.1 Regionalismus Regionalismus auf auf dem dem afrikanischen afrikanischen Kontinent Kontinent 3.1
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steht in direkter Konkurrenz zur SACU und zum COMESA. Da diese beiden Regionalorganisationen nicht nur bei ihren Mitgliedern, sondern auch in ihren Zielsetzungen grundsätzliche Überschneidungen mit der SADC aufweisen, sollen sie im Folgenden kurz vorgestellt werden. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei den Auswirkungen der Regionalintegration in SACU und COMESA auf die Politik der SADC. 3.1.1
Die Southern African Customs Union (SACU)
Die Ursprünge der SACU gehen auf das Jahr 1910 zurück, als die Gebiete des heutigen Botsuana, Lesotho und Swasiland in eine Zollunion mit der Südafrikanischen Union zusammengefasst wurden. Im Jahr 1969, nach der Unabhängigkeit der Staaten Botsuana, Lesotho und Swasiland, wurde die SACU auf eine neue vertragliche Grundlage gestellt. Faktisch gehörte zu dieser Zeit auch das Gebiet des heutigen Namibias zur Zollunion, da es seit 1945 unter südafrikanischer Herrschaft stand. Als unabhängiger Staat wurde Namibia offiziell aber erst 1990 zum eigenständigen Mitglied der SACU. Neben ihrer gemeinsamen Zollund Handelspolitik betreiben vier der SACU-Mitglieder (Botsuana ist nicht beteiligt) auch eine gemeinsame Währungspolitik, in dessen Rahmen sie ihre nationalen Währungen an den südafrikanischen Rand koppeln. Das SACU-Abkommen von 1969 sicherte Südafrika eine dominante Position innerhalb der Zollunion, da es die alleinige Verantwortung für die gemeinsame Zoll- und Handelspolitik besaß. Zudem wurden alle Zollabgaben zunächst an Südafrika entrichtet und in einem ‚national revenue Fund’ gesammelt. Bestandteil dieses Fonds waren zudem Einnahmen aus der einheitlichen Verbrauchssteuer, die im Rahmen der SACU erhoben wurde.47 Nach einer festgelegten Formel wurden die gesammelten Einnahmen dann anteilig auf die Unionsmitglieder verteilt. Die Verteilungsformel sollte Botsuana, Lesotho, Namibia und Swasiland (im Folgenden abgekürzt als BLNS-Staaten) aber nicht nur mit den Zollerlösen aus ihren jeweiligen Importen versorgen, sondern sie auch für eine Reihe von Nachteilen kompensieren, die ihnen aus der Zollunion mit Südafrika entstehen. 47
Die Erhebung einer einheitlichen Verbrauchsteuer im Rahmen einer Zollunion ist eher unüblich und ist im Falle der SACU hauptsächlich auf zwei Gründe zurückzuführen: Zum einen sollen die zusätzlichen Einnahmen aus der Verbrauchssteuer die Einkünfte der SACU – insbesondere vor dem Hintergrund sinkender Zolleinnahmen – stabilisieren. Zum anderen ist die Durchführung und Verwaltung unterschiedlicher nationaler Verbrauchssteuern in einer Region mit durchlässigen Grenzen nur schwer zu handhaben (vgl. Kirk/Stern 2005: 176; McCarthy 2004: 165).
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3 Regionalismus in Afrika
Zu diesen nachteiligen Auswirkungen zählt etwa der Preissteigerungseffekt. Da Südafrika nach dem SACU-Abkommen von 1969 allein über den Außenzoll verfügen konnte, setzte es diesen aktiv zum Schutz südafrikanischer Produzenten vor der günstigen Konkurrenz auf dem Weltmarkt ein. Gleichzeitig wurden die BLNS-Staaten durch den Außenzoll aber der Möglichkeit beraubt, von kostengünstigen Produkten außerhalb der Union zu profitieren, und sie mussten stattdessen vergleichsweise teure Produkte aus Südafrika importieren.48 Außerdem fand eine industrielle Entwicklung unter diesen Bedingungen nahezu ausschließlich in Südafrika statt, während die Entstehung neuer Industrien in den BLNSStaaten durch bestehende nicht-tarifäre Handelshemmnisse (NTHs) erschwert wurde. Darüber hinaus besaßen die BLNS-Staaten keinerlei Gestaltungsmacht über ihre Zollpolitik, und auch für diesen Einschnitt in ihre nationale Selbstbestimmung sollten sie eine Kompensation erhalten (vgl. Gibb 1998: 300-301; Kirk/Stern 2005: 175; WTO 2003: 6-7 + Fußnote 12). Während diese Regelungen zunächst bei allen Vertragsparteien große Zustimmung fanden, mehrten sich ab Mitte der 70er Jahre die kritischen Stimmen. Die BLNS-Staaten zeigten sich zunehmend unzufrieden mit der Verteilungsformel und beklagten ihre fehlenden Gestaltungsmöglichkeiten in der Zollunion. Gleichzeitig entwickelten sich für Südafrika die Kompensationszahlungen im Rahmen der SACU zu einem Problem. Obwohl die Zolleinnahmen stetig sanken, blieben die garantierten Zahlungen an die BLNS-Staaten gleich hoch. Die Kompensationszahlungen drohten sogar die Einnahmen des gemeinsamen Fonds zu übersteigen, sodass Südafrika die Ausgleichszahlungen aus anderen Quellen hätte bestreiten müssen (Jakobeit/Hartzenberg/Charalambides 2005: 8; McCarthy 2004: 162). Nach dem Ende der Apartheid in Südafrika begannen 1994 Verhandlungen über eine Reformierung der SACU, die über acht Jahre hinweg andauerten. Erst im Oktober 2002 wurde ein neuer SACU-Vertrag unterzeichnet, der als wichtigste Veränderungen eine neue institutionelle Struktur der SACU festlegt
48
Allerdings wird die Relevanz des Preissteigerungseffekts im Rahmen der SACU auch angezweifelt. Nach Ansicht Flatters und Stern leidet das Argument der Preis- bzw. Kostensteigerung an zwei Schwächen: Einerseits werde die Tatsache vernachlässigt, dass die BLNSStaaten ohne Zollunion ihre Staateinnahmen über eigene Importzölle generieren müssten. Von solchen Zöllen würden ähnliche preissteigernde Effekte wie im Falle der SACU ausgehen. Andererseits kritisieren sie, dass in der öffentlichen Wahrnehmung mögliche preissteigernde Effekte hervorgehoben würden, ohne gleichzeitig die Kompensationseffekte der Ausgleichszahlungen, die die BLNS-Staaten erhalten, angemessen zu berücksichtigen (vgl. Flatters/Stern 2006: 6-10).
3.1 Regionalismus Regionalismus auf dem afrikanischen Kontinent 3.1
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und daneben ein überarbeitetes System für die Verwaltung und Verteilung der gemeinsamen Einnahmen vorsieht.49 Die neuen Institutionen der SACU sollen den BLNS-Staaten eine gleichberechtigte Mitwirkung an der Zoll- und Handelspolitik ermöglichen. Ein Ministerrat, der aus mindestens einem Minister pro Mitgliedsland besteht, ist das neue oberste Entscheidungsorgan der SACU und bestimmt nach dem Einstimmigkeitsprinzip die Zoll- und Handelspolitik der Union. Unterstützt wird der Ministerrat von einer Kommission (‚Customs Union Commission’), die nicht nur für die Implementierung der Ministerratsbeschlüsse, sondern auch für die Verwaltung des gemeinsamen Einnahmefonds zuständig ist. Sie besteht aus Fachkräften der Mitgliedsländer und ist dem Ministerrat gegenüber weisungsgebunden. Darüber hinaus sieht der neue SACU-Vertrag die Schaffung eines Verwaltungssekretariats und eines unabhängigen ‚Tariff Boards’ vor, das aus unabhängigen Experten besteht und den Ministerrat in Zoll- und Handelsfragen beraten soll. Vier technische Verbindungskomitees sollen zudem den Ministerrat in den Bereichen Landwirtschaft, Zölle, Handel/Industrie und Transport beratend unterstützen. Zur Konfliktbeilegung ist zudem die Bildung eines Ad-hocTribunals vorgesehen, das für die Mitglieder bindende Entscheidungen nach dem Mehrheitsprinzip fällt (vgl. SACU 2002: Art. 7-15).50 Mit der Erneuerung der institutionellen Struktur wurden die BLNS-Staaten zu gleichwertigen Partner innerhalb der SACU. Die neue Form der demokratischen Entscheidungsfindung hat für die Politik der Zollunion wichtige Auswirkungen. Den BLNS-Staaten werden nicht nur neue Rechte, sondern gleichzeitig auch neue Pflichten zugesprochen. Inwiefern die Staaten die Kapazitäten und Fähigkeiten zur Erfüllung dieser Aufgaben besitzen, wird die Zukunft zeigen. Außerdem ist zu erwarten, dass politische Kurskorrekturen innerhalb der Union nun schwieriger und zeitaufwendiger durchzusetzen sind, da nicht nur alle Mitglieder ihre Zustimmung geben müssen, sondern auch verschiedene Instanzen am Entscheidungsprozess beteiligt sind. Vor dem Hintergrund des herrschenden Einstimmigkeitsprinzips stellt sich auch die Frage, welche Richtung die Zollpolitik innerhalb der SACU einschlagen wird. Schließlich besitzen die beiden ‚Lager’ der SACU eine unterschiedliche Sichtweise auf die Funktion von Zöllen. Während Südafrika Zölle als ein Instrument der Handels- und Industriepolitik 49
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Darüber hinaus bekennen sich die SACU-Mitglieder im neuen Vertrag zu einer gemeinsamen Politik in den Bereichen Landwirtschaft und industrielle Entwicklung. Sie wollen eine gemeinsame Wettbewerbspolitik betreiben und unfaire Handelspraktiken unterbinden (vgl. SACU 2002, Art. 39-40). Die Errichtung des Tribunals erfordert einen gesonderten Annex zum SACU-Vertrag, dessen Fertigstellung viele Jahre in Anspruch nahm. Letzten Planungen zu Folge soll das Tribunal seine Arbeit im März 2009 aufnehmen (vgl. www.sacu.int (05.03.2009)).
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3 Regionalismus in Afrika
betrachtet, leisten sie in den BLNS-Staaten in erster Linie einen unverzichtbaren Beitrag zum Staatseinkommen (vgl. McCarthy 2004: 175-176).51 Weitere zentrale Neuerungen des SACU-Vertrages betreffen die Verteilung der Einnahmen. Die Anteile der Mitglieder an den Einkünften der Union setzen sich aus drei Kategorien zusammen: Eine erste Kategorie umfasst sämtliche Zolleinnahmen der SACU-Staaten. Hier werden die Anteile der Mitglieder auf der Grundlage des Gesamtwerts ihrer intra-regionalen Importe (hier innerhalb der SACU) eines Jahres ermittelt. Da die BLNS-Staaten ihre Importe überwiegend aus Südafrika beziehen, werden sie einen entsprechend hohen Anteil an den Zolleinnahmen erhalten. Südafrikas Einnahmen werden hingegen geringer ausfallen, da es hauptsächlich aus anderen Teilen der Welt importiert. Somit werden die Einnahmen aus den Zöllen vom stärksten Mitglied der Union, Südafrika, auf die wirtschaftlich weniger starken Mitglieder umgelenkt. In einer zweiten Kategorie werden die Erlöse aus den Verbrauchssteuern, die auf Produkte in der SACU-Region erhoben werden, zusammengefasst. Die Beträge, die die einzelnen Mitglieder aus dieser Kategorie erhalten, berechnen sich auf der Grundlage ihres Anteils am BIP der SACU. Die so genannte Entwicklungskomponente stellt die dritte Kategorie von Einnahmen dar. Von den Steuereinnahmen der Union werden 15 % für diese Entwicklungskomponente verwendet. Verteilt wird sie auf der Basis des BIP pro Kopf in den einzelnen Mitgliedsländern. Dabei ist die Formel zur Berechnung der Entwicklungskomponente so konstruiert, dass die am wenigsten entwickelten SACU-Staaten am meisten profitieren (vgl. Flatters/Stern 2006: 2-3; Kirk/Stern 2005: 180- 185; WTO 2003: 10). Der Erfolg des neuen SACU-Vertrags hängt entscheidend davon ab, wie die Mitglieder die neuen Gestaltungsmöglichkeiten nutzen. Gleichzeitig bleibt die Zukunft der Zollunion in Bezug auf ihre Rolle im südlichen Afrika zunächst ungewiss. Das neue Abkommen der Zollunion beinhaltet keine dezidierten Hinweise für eine geplante Vertiefung der Integration. Allerdings verweist es auf die Möglichkeit einer Erweiterung der SACU um neue Mitglieder (vgl. Kirk/Stern 2005, Erasmus 2007).52 In seiner langjährigen Geschichte hat die SACU ihre Effektivität unter Beweis stellen können. Die Zollunion wäre prädestiniert dafür, als Kern bzw. Aus51
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Unter der alten Verteilungsformel des SACU-Vertrages von 1969 hatten die Einkünfte aus der SACU folgenden Anteil an den Staatseinnahmen ihrer Mitglieder: Botsuana bezog 12,8 % seiner Einnahmen aus der SACU, Lesotho 51 %, Namibia 30,4 %, Swasiland 54,1 % und Südafrika 3,9 % (Berechnungsjahr 2001/2002) (vgl. Kirk/Stern 2005: 174). Flatters und Stern machen darauf aufmerksam, dass das neue SACU-Abkommen falsche Anreize für die Auswahl potenzieller Neumitglieder setzt. Um einen möglichst großen Anteil der Zolleinnahmen für sich zu behalten, müssten die jetzigen Mitglieder ein Land aufnehmen, das möglichst wenig Importe aus der Region bezieht. Dies laufe allerdings den Interessen der Wirtschaftsintegration zuwider (vgl. Flatters/Stern 2006: 5).
3.1 Regionalismus Regionalismus auf auf dem dem afrikanischen afrikanischen Kontinent Kontinent 3.1
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gangspunkt eines ambitionierten Integrationsprozesses nach dem Ansatz der variablen Geometrie zu fungieren. Doch um eine solche Funktion auszufüllen, müsste zunächst das zukünftige Verhältnis zwischen SACU und SADC geklärt werden. Hierüber sind sich auch die Mitglieder der Zollunion nicht einig. Während Botsuana sich für eine Stärkung der SADC einsetzt, wollen die übrigen SACU-Staaten an ihrer Organisation festhalten. Auf kontinentaler Ebene wurde jedenfalls der SADC der Vorzug gegeben. So wählte die AU die SADC und nicht die SACU als Baustein für die geplante Afrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (vgl. Draper/Halleson/Alves 2007: 17-19; Erasmus 2007: 245). 3.1.2 Der Common Market for Eastern and Southern Africa (COMESA) Im November 1993 wurde der COMESA als Nachfolgeorganisation der 1981 gegründeten PTA ins Leben gerufen. Nach einjähriger Ratifizierungsphase wurde der Gründungsvertrag im Dezember 1994 wirksam. Die Transformation der PTA in den COMESA trug der Zielsetzung der Mitgliedsländer Rechnung, sich nicht nur gegenseitig bevorzugte Handelsbedingungen zu gewähren, sondern eine gemeinsame Wirtschaftsunion aufzubauen. Der COMESA umfasste im April 2009 19 Mitgliedsstaaten.53 Diese besitzen nicht nur in Bezug auf ihre Größe und ihre Wirtschaftsleistung sehr unterschiedliche Voraussetzungen, sondern zeichnen sich auch durch kulturelle und sprachliche Heterogenität aus. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick zu den Mitgliedern des COMESA und ihren bestehenden Doppelmitgliedschaften.54
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Trotz der großen Mitgliederzahl und seiner mittlerweile mehr als zwanzigjährigen Existenz wird der COMESA in der wissenschaftlichen Literatur nicht annähernd so intensiv diskutiert wie beispielsweise die SADC oder die SACU. Siehe hierzu auch das Schaubild in Kapitel 3.3.
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3 Regionalismus in Afrika
Tabelle 1: Überlappende Mitgliedschaften (COMESA, SADC, SACU) COMESA55 Ägypten Äthiopien Angola Botsuana Burundi DRK Dschibuti Eritrea Kenia Komoren Lesotho Libyen Madagaskar Malawi Mauritius Mosambik Namibia Ruanda Sambia Seychellen Simbabwe Sudan Südafrika Swasiland Tansania Uganda
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Quelle: http://www.unohrlls.org, www.comesa.int, www.sacu.int, www.sadc.int (06.03.2009) Ihr Ziel, eine gemeinsame Wirtschafts- und Währungsunion unter ihren Mitgliedern zu etablieren, verfolgen die COMESA-Staaten in folgenden Etappen. Bis zum Jahr 2000 sollte eine Freihandelszone errichtet werden, die gemeinsame Zollunion sollte bis 2004 folgen. Die weiteren Schritte vom gemeinsamen Markt bis zur wirtschaftlichen Union sollen bis 2025 vollzogen werden. Sein erstes 55
Im Jahr 1997 trat Mosambik aus dem COMESA aus, gefolgt von Tansania im Jahr 2000 und Namibia im Jahr 2003.
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Etappenziel konnte der COMESA mit der Einrichtung einer Freihandelszone im Oktober 2000 erreichen. Zu diesem Zeitpunkt bildeten Ägypten, Dschibuti, Kenia, Madagaskar, Malawi, Mauritius, Sudan, Sambia und Simbabwe eine Freihandelszone, die 2004 um Burundi und Ruanda sowie in einem weiteren Schritt 2006 um Libyen und die Komoren erweitert wurde. Das zweite Ziel, bis 2004 eine Zollunion einzuführen, konnten die COMESA-Staaten allerdings nicht verwirklichen. Aufgrund bestehender Differenzen über die Höhe des gemeinsamen Außenzolls verzögerte sich die Umsetzung der Zollunion bis Dezember 2008 (vgl. Dimaranan/Mevel 2008: 14; Draper/Halleson/Alves 2007: 10). Der institutionelle Aufbau des COMESA besitzt folgende Struktur. Oberstes Entscheidungsorgan und damit auch richtungsweisend für die Politik der Regionalorganisation ist die ‚COMESA-Authority’. Sie besteht aus den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer und fasst ihre Entschlüsse nach dem Einstimmigkeitsprinzip. Ihr untergeordnet ist der Ministerrat, der sich aus Ministern der Mitgliedsländer zusammensetzt und für den reibungslosen Ablauf der politischen Programme und Prozesse des COMESA zuständig ist (vgl. COMESA 1993: 7-12). Ein innovatives Element innerhalb des COMESA ist sein Gerichtshof. Er ist nicht nur für die Beilegung von Konflikten zwischen den Mitgliedsländern und die Interpretation der Bestimmungen des COMESAVertrags zuständig. Darüber hinaus bietet er auch den Bürgern der COMESARegion die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit von Bestimmungen der COMESAInstitutionen oder seiner Mitgliedsländer anzufechten.56 Außerdem ist der Gerichtshof auch für rechtliche Auseinandersetzungen zwischen dem COMESA und seinen Angestellten zuständig (vgl. COMESA 1993: Art. 19-44).57 Des Weiteren besitzt der COMESA ein ‚Committee of Governors of Central Banks’, das mit den Direktoren der nationalen Zentralbanken (oder äquivalenten Institutionen) besetzt ist und sich mit Finanz- und Währungsfragen befasst. In seinen Zuständigkeitsbereich fällt auch die Kontrolle des COMESA-Programms zur Harmonisierung der Fiskal- und Währungspolitik der Mitgliedsstaaten. Es wurde 1993 von der COMESA-Authority erlassen und gibt die konkreten Schritte bis zur geplanten Währungsunion im Jahre 2025 vor (vgl. COMESA 1993: Art. 13; www.comesa.int (07.03.09)). Darüber hinaus sind ein ‚Intergovernmental Committee’ sowie mehrere ‚Technical Committees’ beratend und planerisch in verschiedenen Politikbereichen für den COMESA tätig. Das COMESASekretariat mit Sitz in Lusaka, Sambia, wird von einem Generalsekretär ange56
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Im Falle einer Klage gegen nationale Bestimmungen müssen zunächst die nationalen Rechtsinstanzen durchlaufen werden, bevor der COMESA-Gerichtshof eingeschaltet werden darf (vgl. COMESA 1993, Art. 26). Seit März 2003 ist der COMESA-Gerichtshof in der sudanesischen Hauptstadt Karthum ansässig.
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führt und soll technische sowie beratende Hilfestellung bei der Implementierung des COMESA-Vertrages bereitstellen. Als Anlaufstelle für die Vertreter der Privatwirtschaft und sonstige Interessengruppen innerhalb des COMESA fungiert das ‚Consultative Committee of the Business Community and other Interest Groups’, das den gegenseitigen Dialog befördern soll (vgl. COMESA 1993: Art. 14-18). Ein wichtiges Signal für die zukünftige Zusammenarbeit der Regionalorganisationen des östlichen und südlichen Afrikas wurde im Oktober 2008 gesetzt. Auf einem gemeinsamen Gipfeltreffen von COMESA, EAC und SADC unterzeichneten die Staats- und Regierungschefs ein Memorandum of Understanding (MoU), das die Bereiche zukünftiger Kooperation und Integration umreißt. Vor dem Hintergrund der geplanten Afrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft sollen unter anderem die Handelsabkommen der Regionalorganisationen harmonisiert werden. Ziel ist es, eine gemeinsame Freihandelszone zu gründen, die schließlich in eine Zollunion transformiert werden soll (vgl. Communiqué of the COMESAEAC-SADC Tripartite Summit of Heads of State and Government, 22.10.2008, Kampala, Uganda). 3.2 Informelle Regionalisierung und Mikro-Regionalismus Eine Schwierigkeit in der Auseinandersetzung mit dem Regionalismus im südlichen Afrika besteht darin, seine komplexen und vielschichtigen Strukturen zu erfassen. Es besteht die Gefahr, dass durch eine besonders stark von europäischen Erfahrungen geprägte Sichtweise wichtige Eigenschaften des Regionalismus nicht erkannt bzw. nicht berücksichtigt werden. Der Untersuchungsfokus der vorliegenden Arbeit, der auf formale Regionalismus-Prozesse ausgerichtet ist, wird in diesem Unterkapitel in zweierlei Hinsicht ausgeweitet: Zum einen werden informelle Formen der Regionalisierung berücksichtigt, zum anderen werden Eigenschaften und Bedeutung des Regionalismus auf der Mikroebene thematisiert. Diese, wenn auch nur vorübergehende, Ausweitung des Erkenntnisinteresses hat folgende Gründe: Die Abgrenzung von formaler und informeller Regionalintegration bzw. von regionaler Integration auf Mikro- und Makroebene ist rein analytischer Natur. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die verschiedenen Formen der regionalen Integration in der Realität vollkommen isoliert voneinander existieren. Es ist vielmehr realistisch, dass gegenseitige Beeinflussungen stattfinden. Auch wenn diese Wechselwirkungen zwischen formalen und informellen Prozessen sowie zwischen Mikro- und Makroebene nicht zum primären Erkenntnisinteresse dieser Arbeit gehören, sollten sie nicht von vorneherein aus der Untersuchung aus-
3.2 Informelle Regionalisierung und Mikro-Regionalismus
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geschlossen werden. Darüber hinaus soll in diesem Unterkapitel ein möglichst breiter Überblick zu den existierenden Formen von Regionalismus und Regionalisierung im südlichen Afrika geliefert werden. In diesem Sinne soll zunächst die erste Einteilung in formale und informelle Prozesse des Regionalismus bzw. der Regionalisierung näher erläutert werden (eine Definition der Begriffe ‚Regionalismus’ und ‚Regionalisierung’ liefert das Kapitel 2.1). Regionalismus, als ein Prozess, der insbesondere von staatlicher Seite forciert und in Form institutioneller Strukturen verfestigt wird, ist überwiegend formaler Natur. Regionalisierung, die hingegen stärker von wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren vorangetrieben wird, entsteht in eher informellen Zusammenhängen. Allerdings besitzt diese Einteilung keine universelle Gültigkeit. Auch Regionalismus kann durchaus informelle Aspekte aufweisen, ebenso wie Regionalisierung im zeitlichen Verlauf formale, institutionalisierte Strukturen hervorbringen kann. Formale Regionalismusprozesse erschaffen im idealtypischen Fall eine formale Region, die auch als ‚De-jure’-Region bezeichnet werden kann. Diese besitzt einen vergleichsweise hohen Grad an Institutionalisierung und geht oftmals mit der Bildung von Regionalorganisationen einher. Regionalisierung, die gewissermaßen ‚von unten’ vorangetrieben wird, führt im idealen Fall zur Entstehung bzw. Festigung transnationaler Räume, die als ‚informelle Region’ oder ‚De-facto’-Region bezeichnet werden können (vgl. Rosamond/Warleigh 2006: 5, Fußnote 6; Söderbaum 1998: 2). Laut Daniel Bach sind informelle Prozesse der Regionalisierung für den afrikanischen Kontext von besonderem Gewicht, da sie ambivalente und vielschichtige Beziehungen zum formalen Regionalismus besitzen. Dieses komplexe Beziehungsgeflecht mache, seiner Ansicht nach, den spezifischen Charakter der afrikanischen Regionalintegration aus (vgl. Bach 1999a: 7).58 Als wichtigste Form der informellen Regionalisierung zwischen afrikanischen Staaten sieht Bach die transstaatliche Regionalisierung (‚trans-state Regionalisation’). Folgende Merkmale machen nach seinem Verständnis diese ‚weiche’ Form der Regionalintegration aus: Die transstaatliche Regionalisierung basiere auf Netzwerken, die nicht institutionalisiert seien. Sie zeichne sich weiterhin durch ihr besonderes Verhältnis zur staatlichen Sphäre aus. Obwohl die Netzwerke bzw. ihre Akteure 58
Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf formale Prozesse des Regionalismus im südlichen Afrika. Allerdings ist diese Schwerpunktsetzung nicht in einer bewussten Ausklammerung informeller Regionalisierungsprozesse begründet, sondern vielmehr in der theoretischen Fundierung der Untersuchung. Die ausgewählten Theorien, die zur Analyse der Fragestellungen dieser Arbeit herangezogen werden, beziehen sich allein auf formalen Regionalismus der Makroebene. Eine gleichzeitige Analyse von informellen und formalen Prozessen bzw. ihrer Wechselwirkungen ist durchaus erstrebenswert, müsste allerdings in einem anderen Theorierahmen und deshalb in einer anderen wissenschaftlichen Analyse stattfinden.
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3 Regionalismus in Afrika
außerhalb staatlicher Strukturen agieren, würden sie von der Ausnutzung selbiger profitieren.59 Von besonderer Bedeutung seien in diesem Zusammenhang die nationalstaatlichen Grenzen. Durch grenzüberschreitenden, illegalen Handel seien die involvierten Akteure bemüht, bestehende Grenzdisparitäten, beispielsweise in Bezug auf Zölle oder Steuern, zu ihrem Vorteil auszunutzen. Dabei hänge ihr Erfolg entscheidend von ihren Möglichkeiten ab, staatliche Kontrollen zu umgehen bzw. staatliche Funktionäre für ihre Zwecke zu gewinnen. Somit sei die Aufrechterhaltung bestehender Grenzen eine wichtige Voraussetzung für transstaatliche Regionalisierung und der Kampf gegen Liberalisierungs- und Freihandelsprogramme essenziell (vgl. Bach 1999b: 13-18; 2003: 26). Transstaaatliche Regionalisierung steht in diesem Fall also im Gegensatz zu den formalen Bestrebungen auf Makro-Ebene, innerhalb der verschiedenen Regionalorganisationen Afrikas Freihandelszonen zu implementieren – ein erster Hinweis auf mögliche Wechselwirkungen zwischen formaler und informeller Regionalintegration. Transstaatliche Netzwerke bieten den Beteiligten lukrative Möglichkeiten, auf dem informellen Markt Einkommen zu erwirtschaften. Oftmals werden diese Einkünfte als Zweiteinkommen genutzt, beispielsweise um den Ausfall anderer Einkommensarten aus der formalen Wirtschaft zu kompensieren oder auch zu ergänzen. Jedoch kommt diese Möglichkeit der Einkommenserwirtschaftung nicht unbedingt den am meisten benachteiligten Schichten zugute. Der Zugang zu den Handels- und Austauschnetzwerken der transstaatlichen Regionalisierung gestaltet sich exklusiv. Nur diejenigen, die innerhalb der Gesellschaft bereits über eine privilegierte Position verfügen, erhalten die Möglichkeit zur Teilnahme (vgl. Bach 1999c: 162; 2003: 28). Durch transstaatliche Regionalisierung werden also keine Umverteilungseffekte erreicht, sondern bestehende soziale Ungleichheiten sogar verfestigt (vgl. Wippel 2001: 89). Doch es gibt noch mehr negative Auswirkungen der transstaatlichen Regionalisierung auf die afrikanischen Staaten. Daniel Bach führt die schnelle Ausweitung dieser informellen, grenzüberschreitenden Netzwerke darauf zurück, dass die postkolonialen afrikanischen Staaten an der Aufgabe scheiterten, finanzielle Kapazitäten, Beschäftigung und eine effektive territoriale Kontrolle sicherzustellen. Transstaatliche Regionalisierung stünde somit also in direkter Verbindung zum Versagen der afrikanischen Staaten, grundlegende Staatsaufgaben zu 59
Durch seine besondere Beziehung zu den formalen, staatlichen Strukturen lässt sich transstaatliche Regionalisierung auch von Transnationalisierung unterscheiden. Letztere findet allein durch und zwischen nicht-staatlichen Akteuren (der Wirtschaft oder der Zivilgesellschaft) statt und ist nicht auf die Ausnutzung staatlicher Strukturen angewiesen. Transstaatliche Regionalisierung kann hingegen ohne staatliche, politische Formen und Strukturen nicht existieren (vgl. BøǗs 2003: 34).
3.2 Informelle Regionalisierung und Mikro-Regionalismus
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erfüllen (vgl. Bach 1999b: 18; 1999c: 161). Eben diese Schwächen werden durch die informellen Netzwerke ausgenutzt und weiter verstärkt: Die Hoheit des Staates über sein eigenes Territorium wird in Frage gestellt und bedroht. Die regionalen, informellen Räume, die als Ergebnis der transstaatlichen Regionalisierung entstehen, basieren auf dem Rückbau bzw. der Schwächung der bestehenden Staatsterritorien. Sie bedrohen somit die Kontrolle des Staates über sein eigenes Territorium sowie die Konzeption des Nationalstaates in Form von formalen territorialen Einheiten (vgl. Bach 1999c: 163-165).60 Die zweite Differenzierung, die im Folgenden thematisiert wird, betrifft die Unterscheidung in Regionalismus auf der Mikro- und der Makroebene. Charakteristische Eigenschaften einer Mikroregion sind ihre, in geografischer Hinsicht, relativ kleine Größe, sowie ihre subnationale Natur. Eine Mikroregion kann innerhalb der Grenzen eines Nationalstaates existieren, kann aber ebenso nationale Grenzen überschreiten (vgl. Grant 2003: 126-127). Im letzten Falle handelt es sich um eine ‚cross-border region’ (CBR) (grenzüberschreitende Mikroregion)61. Die Bedeutung nationaler Grenzen ist für diese Form des Mikroregionalismus grundlegend. Dabei kann die Verfestigung bestehender nationaler Grenzen ebenso ein Antriebsmoment für grenzüberschreitende Aktivitäten darstellen wie die zunehmende Durchlässigkeit von Grenzen. Im ersten Fall kann die Ausnutzung bestehender Grenzdisparitäten den Anreiz für grenzüberschreitende Austauschprozesse bieten. Im zweiten Fall kann die verstärkte Durchlässigkeit der Grenzen neue und gesicherte Möglichkeiten für eine Bandbreite von Transaktionen schaffen. Meist bilden CBRs keine Region im juristischen oder politisch-administrativen Sinne, stellen also keine formalen, subnationalen Administrationsebenen dar (vgl. Perkman/Sum 2002: 4-6+14-15). Die Entstehung von CBRs in Entwicklungsländern wird oftmals von staatlicher Seite aktiv unterstützt. Ein weiterer wichtiger Antriebsmotor sind allerdings privatwirtschaftliche Interessen. Sie werden ergänzt durch ein hohes Maß an Interaktionen zwischen nicht-staatlichen Akteuren sowie interpersonellen transnationalen Netzwerken, 60
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Dabei sind die Aktivitäten der transstaatlichen Regionalisierung nicht in allen afrikanischen Ländern mit gleicher Intensität verbreitet. Bach räumt ein, dass insbesondere solche Gebiete, in denen Strukturen bzw. Institutionen aus der Kolonialzeit weiterhin existieren, weniger betroffen seien. Ein Beispiel sei in diesem Zusammenhang die Franc Zone oder die SADC (vgl. Bach 1999c: 159). Diese Tatsache könnte darauf hindeuten, dass es sich hier um Staaten handelt, die ihr Staatsgebiet vergleichsweise wirksam kontrollieren und regieren können. Hinzu kommt, dass durch die regionale Integration zwischen diesen Staaten bestehende Unterschiede, z.B. in der Zoll- oder Steuerpolitik, verringert werden. Dadurch verringert sich das Potenzial, durch transstaatliche Regionalisierung Gewinne zu erzielen. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf grenzüberschreitende Mikroregionen, da diese größeren Einfluss auf die Makroregion ausüben, die im Zentrum der vorliegenden Analyse steht.
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3 Regionalismus in Afrika
beispielsweise im Bereich der Familie oder der Religion. Der Formalisierungsgrad von CBRs bleibt meist gering (vgl. Söderbaum/Taylor 2003a: 12-13).62,63 Eine bislang in der sozialwissenschaftlichen Forschung vernachlässigte Perspektive betrifft die wechselseitigen Beziehungen zwischen Mikro- und Makroebene. Eine strikt voneinander getrennte Erforschung dieser beiden Ebenen wird mittlerweile als kontraproduktiv angesehen. Es herrscht die Meinung vor, dass Prozesse auf Mikro- und Makroebene nicht in voneinander abgeschirmten Bahnen verlaufen, sondern miteinander verbunden sind. Demnach kann Regionalismus auf der Mikroebene durchaus Einfluss auf Prozesse der Makroebene nehmen, sowohl unterstützend als auch erschwerend (vgl. Breslin/Hook 2002: 2; Söderbaum 2005b: 91). Die Abschirmung zwischen Mikro- und Makroebene wird laut Fredrik Söderbaum durch zwei Vorgänge aufgebrochen: Zum einen durch die verstärkte Einflussnahme nicht-staatlicher Akteure auf der Makroebene, die bislang den staatlichen Akteuren vorbehalten war. Zum anderen durch die zunehmende Durchlässigkeit nationaler Grenzen, die neue Transaktionsmöglichkeiten auf der Mikroebene schafft (vgl. Söderbaum 2005b: 93). Wie genau die konkrete Beeinflussung von Mikro- und Makroebene im Einzelfall stattfindet, muss jeweils spezifisch untersucht werden. Gleiches gilt für die Frage, ob Regionalismus- und Regionalisierungsprozesse auf der Mikroebene zum Hindernis oder zur Stütze für ebensolche Prozesse auf der Makroebene werden können. 3.3 Hemmnisse für den Regionalismus im südlichen Afrika Diejenigen Faktoren, die den Regionalismus in den Ländern des südlichen Afrikas derzeit erschweren, bilden ein kompliziertes Beziehungsgeflecht und bedingen sich zum großen Teil gegenseitig. Aufgrund des spezifischen Untersuchungsfokus der vorliegenden Arbeit sollen sie entsprechend ihrer Relevanz für den Handels- bzw. Sicherheitsbereich getrennt betrachtet werden. Diese Aufteilung soll auch zeigen, wie groß der Anteil derjenigen Faktoren ist, die sich gleichermaßen auf den Handels- wie auf den Sicherheitsbereich auswirken.
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Hier wird deutlich, dass sich auf der Mikroebene Prozesse der Regionalisierung und des Regionalismus miteinander vermischen und ebenso wie formale und informelle Interaktionsmuster zu einer CBR verschmelzen. Ein weiteres prominentes Beispiel für Mikroregionalismus im südlichen Afrika sind die Spatial Development Initiatives (SDI), die in Kapitel 9.3.3.1 vorgestellt werden. Einen weiterführenden Einblick in den Mikro-Regionalismus liefert der von Ian Taylor und Fredrik Söderbaum (vgl. 2008) herausgegebene Sammelband „Afro-Regions: The Dynamics of Cross-Border MicroRegionalism in Africa“.
3.3 Hemmnisse für den Regionalismus im südlichen Afrika
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Die Faktoren, die eine handelspolitische Integration erschweren, stehen in engem Zusammenhang mit zwei grundlegenden Problemen: Zum einen dem geringen Handelsvolumen innerhalb der SADC-Region, zum anderen den großen Unterschieden in der Industrialisierung und wirtschaftlichen Entwicklung der einzelnen Staaten. Die Handelsaktivitäten zwischen den SADC-Staaten, die in Kapitel 4.3 ausführlich vorgestellt werden, gestalten sich nach einem ‚hub and spoke’-Muster: Die Handelsaktivitäten der kleineren Staaten sind auf ein dominantes Zentrum ausgerichtet, während die kleinen Staaten untereinander kaum oder nur sehr eingeschränkten Handel betreiben. Das Zentrum der Handelsaktivitäten (den ‚hub’) stellen die nördlichen Industrieländer dar. Die afrikanischen Länder (die ‚spokes’) richten ihren Handel auf den Norden aus und tauschen insbesondere Primärgüter, um im Gegenzug verarbeitete Produkte zu erhalten, die sie selbst nicht herstellen (vgl. McCarthy 1999: 21-22).64 Ein weiteres Kennzeichen der bestehenden ‚hub and spoke’-Struktur ist, dass die Handelsbeziehungen zwischen dem ‚hub’ und einem seiner angegliederten ‚spokes’ einfacher zu realisieren sind als Handel zwischen den einzelnen ‚spokes’ (vgl. Baldwin 1997: 5455). Dieser Aspekt hängt wiederum mit der schlechten infrastrukturellen Entwicklung der Länder des südlichen Afrikas zusammen. Insbesondere die Infrastruktur in den Bereichen Transport und Kommunikation ist, bis auf wenige Ausnahmen, relativ schwach entwickelt. Handelsaktivitäten sind dadurch zeitaufwendig, teuer und kompliziert (vgl. Asante 1997: 139). Auf der Grundlage dieser Bedingungen erscheinen bilaterale Freihandelsabkommen mit Industrieländern für die Staaten des südlichen Afrikas verlockender als regionale Handelsliberalisierungen. Ein weiteres, bereits genanntes Hindernis für regionale Handelsliberalisierungen innerhalb der SADC-Region ist die ungleiche ökonomische Entwicklung der beteiligten Staaten. Aufgrund von Unterschieden im Stand der Industrialisierung ergibt sich eine ungleichmäßige Verteilung der potenziellen Gewinne und Verluste der Handelsliberalisierung. Diejenigen Staaten mit dem größten Anteil an der industriellen Produktion und am intra-regionalen Handel profitieren überproportional stark. Die weniger entwickelten Staaten müssen dagegen befürchten, dass ihre Industrien im Rahmen des Liberalisierungsprozesses in die besser entwickelten Partnerländer abwandern (vgl. Foroutan 1995: 258).65 Hinzu 64
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Eine Ausnahme stellen in diesem Zusammenhang die Staaten der SACU dar. Sie weisen ein stärkeres intra-regionales Handelsvolumen als die übrigen SADC-Staaten auf. Allerdings zeigt sich auch innerhalb der SACU ein ‚hub and spoke’-Handelsmuster in abgeschwächter Form, da die Handelsflüsse zwischen den BLNS-Staaten sehr gering sind und sich stattdessen auf das wirtschaftliche Zentrum, die Republik Südafrika, konzentrieren (vgl. McCarthy 1999: 22). Diese Problematik wird durch die Tatsache verschärft, dass Ungleichheiten bezüglich der industriellen Entwicklung nicht nur zwischen den Partnerländern, sondern auch innerhalb der
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3 Regionalismus in Afrika
kommt, dass die betroffenen Staaten stark auf die kurzfristige Kosten-NutzenRechnung des Liberalisierungsprozesses fixiert sind und nicht berücksichtigen, dass sich in mittel- oder langfristiger Perspektive auch für sie Vorteile ergeben können (vgl. Marx 2000: 60). Vor diesem Hintergrund ist ein funktionierender Ausgleichs- bzw. Kompensationsmechanismus für diejenigen Länder, die aufgrund der Handelsliberalisierung zunächst mit wirtschaftlichen Verlusten rechnen müssen, von zentraler Bedeutung. Dabei sind verschiedene Formen des Ausgleichs möglich. Eine gezielte Wirtschaftsförderung aus finanziellen Mitteln eines regionalen Fonds ist ebenso denkbar wie direkte Finanzhilfen. Doch derzeit existieren solche Kompensationsmechanismen innerhalb der SADC nicht.66 Bislang mangelt es nicht nur an der Bereitschaft der stärkeren SADC-Staaten, ein solches ausgleichendes Instrument einzuführen, sondern auch an den finanziellen Mitteln. Auch die wirtschaftlich stärkeren SADC-Staaten müssen mit sehr begrenzten Budgets wirtschaften. Zudem stellen die Kompensationszahlungen für sie unmittelbare Kosten dar, während die zukünftigen Gewinne, die sich für sie aus der Wirtschaftsintegration ergeben (könnten), zunächst diffus und unsicher sind (vgl. Schiff/Winters 2003: 98). Ein zusätzliches Hindernis für wirtschaftliche Integration innerhalb der SADC ist die große Bedeutung der Zolleinnahmen für die beteiligten Staaten.67 Da die Einnahmen aus den Zöllen einen ganz erheblichen Teil der Staatseinnahmen ausmachen, würde ihr Wegfall auf regionaler Ebene die Haushaltslage der Länder empfindlich treffen. Doch das tatsächliche Gewicht dieses Arguments wird in der Literatur kontrovers diskutiert. So argumentieren Yang und Gupta (vgl. 2005: 14), dass die Einnahmeverluste, die durch den Wegfall des Zolls auf regionaler Ebene entstehen würden, auch vom Handelsvolumen innerhalb der Region abhängig sind. Da der Anteil des intra-regionalen Handels am Gesamthandel der Staaten des südlichen Afrikas klein ist, seien auch nur geringe Verluste durch den Wegfall des Zolls zu erwarten. Flatters (vgl. 2001: 31) verweist zudem auf die bereits bestehenden Zollerleichterungen innerhalb der Region, beispielsweise im Rahmen bilateraler Abkommen oder innerhalb der SACU. Zusätzliche Zollverluste, die durch Handelsliberalisierungen der SADC ent-
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einzelnen Staaten bestehen. Somit muss auch auf nationalstaatlicher Ebene der Ausgleich zwischen industriellen Zentren und peripheren, zumeist ländlichen Gebieten herbeigeführt werden (vgl. Evans/Holmes/Mandaza 1999: 22). Lediglich die SACU besitzt einen Kompensationsmechanismus: die so genannte Entwicklungskomponente (siehe hierzu Kapitel 3.1.1). Die Einfuhrzölle für Importe aus der SADC hatten im Jahr 2001 einen unterschiedlich hohen Anteil am Staatseinkommen der Mitgliedsstaaten: Malawi (8,0 %), Mauritius (5,8 %), Mosambik (5,4 %), SACU (0,4 %), Sambia (9,2 %), Simbabwe (7,0 %), Tansania (1,1 %) (vgl. Flatters 2001: 30).
3.3 Hemmnisse für den Regionalismus im südlichen Afrika
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stehen, würden daher für viele Länder vergleichsweise gering sein. Die Autoren gehen sogar so weit, den Wegfall von Zolleinnahmen als Anreiz zu werten, längst überfällige Steuerreformen in den betroffenen Ländern in Angriff zu nehmen. Eine verbesserte und erweiterte Steuererhebung im eigenen Land böte den betroffenen Staaten die Möglichkeit, ihre Einnahmeausfälle zu kompensieren (vgl. Flatters 2001: 31-32; Yang/Gupta 2005: 31). Im Bereich der Sicherheitspolitik gestaltet sich die Suche nach Faktoren, die den Vergemeinschaftungsprozess behindern, schwieriger. Der Einfluss der einzelnen Faktoren kann nicht ausschließlich auf den Sicherheitsbereich eingegrenzt werden. Daher werden im Folgenden weitere Hindernisse regionaler Vergemeinschaftung im südlichen Afrika präsentiert, die sich insbesondere im Sicherheitsbereich bemerkbar machen, jedoch auch die Handelsliberalisierung erschweren. Als Erstes sei hier der mangelnde politische Wille der nationalen Entscheidungsträger genannt. Diese unterstützen den Integrationsprozess nicht ausreichend und behindern damit die Vergemeinschaftung im Handels- und insbesondere im Sicherheitsbereich, der traditionell hoch politisiert und souveränitätsbehaftet ist. Die nationale Ebene steht nach wie vor im Zentrum des Interesses der Staats- und Regierungschefs, während die regionale Perspektive eine stark nachrangige Bedeutung hat. Verantwortlich für diese Prioritätensetzung ist unter anderem Unsicherheit bezüglich der Kosten und Nutzen, die sich für die jeweiligen Staaten aus der regionalen Integration ergeben. In seiner Analyse der ECOWAS arbeitet Shams (vgl. 2003: 16) weitere Gründe für das mangelnde regionale Engagement der nationalen Führer heraus, die auf die SADCStaaten übertragbar sind. So stehen nach seinen Erkenntnissen die unterschiedlichen politischen Ideologien sowie externe Allianzen der afrikanischen Staaten einem stärkeren regionalen Bewusstsein entgegen. Und aufgrund der bereits erläuterten wirtschaftlichen Gegebenheiten ziehen die Staats- und Regierungschefs Allianzen mit nicht-afrikanischen Staaten bzw. Industriestaaten vor. Deshalb verfolgen die Staats- und Regierungschefs eine Strategie, die es ihnen erlaubt, sich einerseits nach außen zum Regionalismus zu bekennen, andererseits ihre nationale Souveränität unter allen Umständen zu bewahren. Regionale Integration wird gewissermaßen als Mittel eingesetzt, um nationales Ansehen und nationale Macht zu steigern, ohne jedoch Gestaltungsmacht an eine supranationale Ebene zu transferieren (vgl. Adelmann 2003: 88). Das Primat der nationalen Souveränität beruht auf mehreren Faktoren. So gelten afrikanische Staaten im Allgemeinen als vergleichsweise ‚schwach’. Sie sind in besonderer Weise mit der Aufrechterhaltung innerer Stabilität beschäftigt und konzentrieren auf diese Bemühung alle verwendbaren Ressourcen. Die Übertragung von Souveränität wird hingegen als Bedrohung empfunden, da sie zu einer Schwächung des Nationalstaates führen könnte. Auch der Zugriff auf
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3 Regionalismus in Afrika
wichtige Ressourcen und Privilegien könnte durch Einschnitte in der nationalen Souveränität in Gefahr geraten. Und für diejenigen politischen Eliten, die ihre Machtposition im entscheidenden Maße auf die Verteilung von Privilegien stützen, könnte dies eine ernsthafte Bedrohung darstellen (vgl. Handley 1998: 6; Meyns 2000a: 80-81). Die Bedingungen für eine regionale Integration im Sicherheitsbereich werden darüber hinaus durch die akuten Krisenherde innerhalb der Region erschwert. Diese binden nicht nur wichtige Ressourcen, sondern polarisieren auch die Mitglieder der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas.68 Neben den spezifischen Hemmnissen der Regionalintegration in den Bereichen Handel und Sicherheit müssen auch allgemeine Einflussfaktoren berücksichtigt werden. Von enormer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang das Vorhandensein bzw. die Rolle einer regionalen Führungsmacht. Diese kann durch ihr Verhalten ganz konkret beeinflussen, ob von ihrer Vormachtstellung positive oder negative Impulse für den regionalen Integrationsprozess ausgehen. Potenziell können sich positive Effekte ergeben, wenn die Führungsrolle der Regionalmacht uneingeschränkt akzeptiert wird. Im Rahmen eines anerkannten Führungsanspruchs können Koordinationsprobleme innerhalb der regionalen Gemeinschaft vermieden werden. Kleinere Staaten können von der engen Kooperation mit der regionalen Hegemonialmacht profitieren, die mögliche Gefahr für die Region, die mit einem ‚Alleingang’ der Führungsmacht verbunden wäre, wird reduziert (vgl. Mattli 1999: 42-43; Meyns 2000a: 81). Doch diese positiven Auswirkungen können sich nur dann entfalten, wenn einige Bedingungen erfüllt sind. Dazu gehört beispielsweise die Bereitschaft aller beteiligten Staaten, den Führungsanspruch anzuerkennen sowie die Bereitwilligkeit der Regionalmacht, zugunsten der regionalen Entwicklung zu handeln und dabei auch entstehende Kosten auf sich zu nehmen. Im südlichen Afrika fällt die Rolle der regionalen Führungsmacht der Republik Südafrika zu, da sie in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht die Region dominiert. Das Verhältnis der übrigen SADC-Staaten zur Republik Südafrika ist ambivalent und kann in seiner Quintessenz auf zwei Fragen reduziert werden: Ist die Republik Südafrika erstens tatsächlich gewillt und fähig, die regionale Führungsrolle zu übernehmen? Und sind zweitens die übrigen Länder bereit, diese Führung zu akzeptieren (vgl. Dieter 1997: 224-226)? Die Beantwortung der ersten Frage ist aus der Perspektive Südafrikas nicht ganz einfach, denn aus dem regionalen Führungsanspruch erwachsen nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. So müsste Südafrika beispielsweise bei den Bemühungen um wirtschaftliche Ausgleichmechanismen eine Vorreiterrolle einnehmen und dabei 68
Ein Überblick zu den sicherheitspolitischen Herausforderungen in der SADC-Region findet sich in Kapitel 4.4.1.
3.3 Hemmnisse für den Regionalismus im südlichen Afrika
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auch zu wirtschaftlichen und finanziellen Zugeständnissen bereit sein. Doch ob die Republik eine solche Aufgabe übernehmen kann oder will, ist vor dem Hintergrund ihrer innerstaatlichen sozialen und wirtschaftlichen Probleme eher fraglich. Im Mittelpunkt steht dabei auch die Frage, welchen konkreten Nutzen Südafrika aus einer Vorreiterrolle ziehen könnte.69 Die zweite Frage, nach der Bereitschaft der übrigen SADC-Staaten, sich einer südafrikanischen Führung unterzuordnen, bringt ein sehr widersprüchliches Verhältnis zum Vorschein. Einerseits fürchten die Staaten des südlichen Afrikas eine Vormachtstellung der Republik Südafrika. Diese Skepsis und Angst ist insbesondere auf die historischen Erfahrungen mit der Kaprepublik, beispielsweise während der Apartheidzeit, zurückzuführen. Auf der anderen Seite umwarben sie Südafrika nach dem Ende der Apartheid 1994 im Bewusstsein seines politischen und wirtschaftlichen Gewichts und versuchten die Kaprepublik zu einer SADC-Mitgliedschaft zu bewegen. Während die konkreten Auswirkungen der Vormachtstellung Südafrikas noch nicht abgeschätzt werden können, sind die Folgen der überlappenden Mitgliedschaften einzelner afrikanischer Länder in unterschiedlichen Regionalorganisationen eindeutig negativ. Probleme ergeben sich, weil die betroffenen Regionalorganisationen gleiche oder ähnliche Ziele verfolgen. Im südlichen Afrika dominiert insbesondere die Konkurrenz zwischen SADC und COMESA.70 Noch komplizierter wird die Situation durch die gleichzeitige Existenz der SACU. Insgesamt sind acht Mitglieder der SADC (DRK, Madagaskar, Malawi, Mauritius, Sambia, Simbabwe, Seychellen und Swasiland (Stand April 2009)) auch in den COMESA eingebunden. Hinzu kommen Botsuana, Lesotho, Namibia, Südafrika und Swasiland, die neben ihrer SADC-Mitgliedschaft gemeinsam die Zollunion SACU bilden.
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Dieter (vgl. 1997: 224) hebt einige potenzielle Vorteile für Südafrika hervor. Ein stärkeres Engagement in der Region könnte beispielsweise durch entsprechendes Wohlwollen der internationalen Gebergemeinschaft honoriert werden. Südafrika könnte den Markt für seine Produkte erweitern und seinen Zugang zu wichtigen Wasserressourcen in der Region sichern. Darüber hinaus ist es auch im Interesse südafrikanischer Politik, dass die Region keine Destabilisierung erfährt, da von einer solchen Entwicklung auch die Republik negativ betroffen wäre. Die SADC hat im Jahr 1995 beschlossen, Doppelmitgliedschaften nicht mehr zu dulden. Allerdings war der Erfolg dieser Maßnahme begrenzt. Während Lesotho, Mosambik und Namibia ihre Mitgliedschaft im COMESA aufkündigten, reduzierten die anderen Staaten mit Doppelmitgliedschaften lediglich ihr Engagement im COMESA. Gleichzeitig traten die COMESAMitglieder DRK, Mauritius und Seychellen der SADC bei (vgl. Adelmann 2003: 38).
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3 Regionalismus in Afrika
Abbildung 1: Überlappende Mitgliedschaften in afrikanischen Regionalorganisationen
Quelle: Yang/Gupta 2007, aktualisiert Für den Handelsbereich ergeben sich durch die Doppelmitgliedschaften erhebliche Schwierigkeiten, denn die Handelstätigkeit wird komplexer und kostspieliger. So betreiben die Regionalorganisationen eine jeweils unterschiedliche Handelspolitik gegenüber Drittstaaten und besitzen verschiedene technische sowie qualitative Standards für die Einfuhr derselben Güter. Ist ein Land Mitglied in mehreren Regionalorganisationen, konkurrieren diese Bestimmungen miteinander oder widersprechen sich sogar (vgl. Schiff/Winters 2003: 15). Des Weiteren behindern überlappende Mitgliedschaften die klare Identifikation mit einer einzigen Regionalorganisation, und darunter kann auch die internationale Glaubwürdigkeit der betroffenen Staaten leiden (vgl. Hansohm 2002: 8). Außerdem üben die weitreichenden Zielsetzungen der Regionalintegration im südlichen Afrika nach Ansicht einiger Autoren einen hemmenden Einfluss aus. Überambitionierte und langfristig angelegte Ziele der Regionalintegration seien demnach für den afrikanischen Kontext nicht angebracht. Durch die hochgesteckten Ziele würden nur übertriebene Erwartungen geweckt, die nicht erfüllt werden könnten (vgl. Handley 1998: 7; Jakobeit 1997: 27-30).
3.4 Konzeptionelle Grundlagen der regionalen Integration und Koordination 71 71 3.4 Konzeptionelle Grundlagen der regionalen Integration und Koordination Der wichtigste Unterschied zwischen den Entwicklungsmodellen der Marktintegration, der Entwicklungsintegration und der Projektkoordination liegt in den unterschiedlich ausgestalteten Zielvorstellungen der regionalen Zusammenarbeit.71 Dementsprechend unterscheiden sich je nach Modell auch die potenziellen Chancen und Risiken, die im Rahmen des Integrationsprozesses auftreten. Der Ansatz der Marktintegration (auch: offener Regionalismus) geht zurück auf die von Jacob Viner entwickelte Theorie der Zollunion (vgl. Kapitel 2.3.2). Allerdings umfasst der Ansatz auch weitergehende ökonomische Integrationsschritte, die über die Bildung einer Zollunion hinausgehen. Das Modell der Marktintegration favorisiert einen offenen Regionalismus, dessen Kernziel in der Marktliberalisierung und einer damit einhergehenden Förderung des Freihandels liegt. Angetrieben durch den Marktmechanismus sollen in langfristiger Perspektive möglichst viele Hindernisse für den freien Verkehr von Waren, Dienstleitungen und Kapital innerhalb der Region beseitigt werden. Dabei ist eine Öffnung der Märkte sowohl in horizontaler, sprich gegenüber anderen regionalen Zusammenschlüssen, als auch in vertikaler Richtung, also gegenüber dem globalen Wirtschaftsmarkt und gegenüber der Mikroebene, möglich. Grundlegend ist dabei die Annahme, dass der freie Handel die gegebenen Ressourcen optimal verteilt und so eine Steigerung der allgemeinen Wohlfahrt erzielt werden kann (vgl. Söderbaum 2002: 76-80). Doch das Konzept der Marktintegration ist nicht frei von Kritik. Einer der allgemeinen Kritikpunkte hebt hervor, dass der Ansatz die spezifischen Vorteile der regionalen Marktliberalisierung nicht überzeugend verdeutlichen kann. Schließlich könnten die beschriebenen potenziellen Vorteile auch im Zuge unilateraler Handelsliberalisierungen erreicht werden. Außerdem würde die tendenziell problematische Verteilung der im Zuge der Marktliberalisierung entstehenden Gewinne und Verluste unter den beteiligten Staaten ausgeklammert (vgl. Østergaard 1993: 32-33). Ob eine Strategie der Marktintegration für die afrikanischen Staaten geeignet ist, steht ebenfalls zur Diskussion. Einige der Bedingungen, die für einen erfolgreichen Verlauf der Markintegration vorausgesetzt werden müssen, sind in Afrika nicht gegeben, wie Østergaard (vgl. ebd.) hervorhebt. Die Produktionsstrukturen der afrikanischen Ökonomien weisen beispielsweise nicht das notwendige Maß an Komplementarität auf und die industrielle 71
Im Zusammenhang mit der Vorstellung der Entwicklungsmodelle werden auch die Begriffe ‚regionale Zusammenarbeit’ und ‚regionale Koordination’ verwendet, da eines der Modelle, die Projektkoordination, keinen umfassenden regionalen Integrationsprozess anstrebt.
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3 Regionalismus in Afrika
Entwicklung innerhalb der Region sei in den meisten Ländern unterschiedlich weit vorangeschritten. Ob Marktliberalisierung unter diesen Umständen zu unmittelbaren Gewinnen für die beteiligten Staaten Afrikas führt, sei damit ungewiss. Kritische Stimmen erwarten eher eine zunehmende wirtschaftliche Polarisierung, die zugunsten der ohnehin besser entwickelten Staaten, insbesondere der Republik Südafrika, ausfällt (vgl. Gibb 1998: 289). Die beschriebenen Risiken und Defizite des Modells der Marktintegration versucht der Ansatz der Entwicklungsintegration (auch: development integration) zu beheben. Nach dessen Vorstellungen sollen die Länder innerhalb einer geografischen Region durch koordinierte Anstrengungen zunächst in die Lage versetzt werden, ihre jeweiligen Ökonomien zu stärken, ihre Infrastruktur auszubauen und ihre Industrialisierung zu forcieren. Diese Bemühungen beruhen auf der Annahme, dass zunächst die wirtschaftlichen Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit der Marktmechanismus zum Wohle der beteiligten Länder wirken kann (vgl. Adelmann 2003: 84). Doch um dieses Ziel zu erreichen, ist unter anderem ein hohes Maß an Staatsinterventionen notwendig. Damit ist politischer Wille eine Grundvoraussetzung für Entwicklungsintegration und wird nicht erst, wie im Falle der Marktintegration, in einem späten Stadium der Integration relevant (vgl. Lee 2003: 24; Mittelman 2001: 32). Entscheidend für den Erfolg der Entwicklungsintegration ist auch die möglichst gerechte Verteilung anfallender Gewinne und Verluste. Um diese sicherzustellen sollen (finanzielle) Kompensationsmechanismen zum Einsatz kommen (vgl. Østergaard 1993: 3435). Die problematischen Seiten des Ansatzes zeigen sich bei seiner Umsetzung. Für eine geplante industrielle Entwicklung ist ebenso wie für die Aushandlung von Kompensationsmaßnahmen ein hohes Maß an politischer Kooperation notwendig. Dies setzt wiederum voraus, dass die einzelnen Staaten willens und in der Lage sind, ihre nationalstaatlichen Interessen – gegebenenfalls auch gegen innerstaatliche Proteste – zumindest zeitweise zugunsten einer langfristigen regionalen Perspektive zurückzustellen. Die sektorale Projektkoordination ist ein drittes Modell der staatlichen Zusammenarbeit auf regionaler Ebene. Anders als die Markt- und Entwicklungsintegration zeigt sich die Projektintegration in ihren Zielen bescheidener. Die Zusammenarbeit der regionalen Partner soll sich auf einzelne, funktional eingegrenzte Bereiche konzentrieren. Dabei streben die beteiligten Staaten keine weitreichende Integration, sondern lediglich eine Kooperation in diesen Politikbereichen an. Reichweite und Tiefe der regionalen Vergemeinschaftung sind im Rahmen der sektoralen Projektkoordination also stark eingegrenzt. Dieser vergleichsweise zurückhaltende Anspruch ist nach Meinung der Befürworter der Projektkooperation insbesondere für afrikanische Länder geeignet. Die national-
3.4 Konzeptionelle Grundlagen der regionalen Integration und Koordination
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staatliche Souveränität der beteiligten Partner wird nicht angegriffen, die Kooperation konzentriert sich auf spezielle und wenig politisierte Bereiche, sodass potenzielle Konfliktquellen umgangen werden (vgl. McCarthy 1999: 38-39). Somit ist der erforderliche Einsatz, den die beteiligten Staaten im Rahmen einer sektoralen Projektkoordination erbringen müssen, vergleichsweise gering. Die Erfolgaussichten der regionalen Zusammenarbeit sind entsprechend gut. Dafür bleiben die potenziellen Gewinne der regionalen Zusammenarbeit auf einem bescheideneren Niveau als dies beispielsweise bei der Markt- oder der Entwicklungsintegration der Fall ist. Je nach konzeptionellem Modell der regionalen Zusammenarbeit unterscheiden sich also die Zielsetzungen ebenso wie die Chancen und Risiken, die sich für die beteiligten Staaten ergeben können. Somit darf auch eine kritische Auseinandersetzung bzw. eine Bewertung eines Regionalismusprozesses nicht ohne Berücksichtigung seines konzeptionellen Fundaments stattfinden. Und auch das Risiko eines Scheiterns bzw. Nicht-Zustandekommens regionaler Zusammenarbeit steht in Bezug zum Entwicklungsmodell. Hier gilt, dass je höher die Erwartungen, die mit einem Regionalismusprozess verknüpft sind, desto größer auch das Risiko eines Scheiterns.
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4 Die SADC als Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas
Der allgemeinen Überblicksdarstellung zum Regionalismus in Afrika folgt nun eine detaillierte Beschäftigung mit der SADC als zentralem Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit. Ein besonderer Schwerpunkt soll dabei auf ihre Entstehungsgeschichte und ihren institutionellen Aufbau gelegt werden.72 4.1 Die SADCC als Vorläufer der SADC Die Entstehung der SADCC ist untrennbar mit der Gruppe der Frontlinienstaaten (FLS) verbunden.73 Diese unterzeichneten auf ihrem Gipfeltreffen im April 1980 eine Deklaration mit dem Titel ‚Southern Africa: Toward Economic Liberation’ (auch bekannt als ‚Lusaka-Deklaration’) und ebneten damit den Weg für die Formalisierung und Ausdehnung ihrer Kooperation im Rahmen der SADCC.74 Damit wandelten sich Organisationsform und Aktionsradius der FLS, die ursprünglich das Ziel verfolgt hatten, die weiße Vorherrschaft im südlichen Afrika zu beenden. Mit der Gründung der SADCC gaben die FLS-Staaten ihrer Kooperation nicht nur einen formalen Rahmen, sondern dehnten ihre Zielsetzungen auch auf den wirtschaftlichen Bereich aus. In der Literatur werden verschiedene Beweggründe für diesen Schritt angeführt: So wird die Gründung der SADCC beispielsweise im Zusammenhang mit dem Lagos Plan of Action gesehen, der 1980 im Rahmen der OAU verabschiedet wurde und unter anderem die Bildung einer Afrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft als Ausdruck afrikanischer Einheitsbestrebungen anvisierte. Zur Vorbereitung auf dieses Ziel sah der Aktionsplan die Bildung von Freihandelszonen in den einzelnen Regionen des Kontinents, somit also auch im südlichen Afrika, vor (vgl. Oosthuizen 2006: 61) 72
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Die Entstehung der SADC ist ebenso wie ihre Funktionsweise sehr komplex und kann daher im Rahmen eines Überblicks nicht erschöpfend dargestellt werden. Zur vertieften Lektüre sei an dieser Stelle auf Oosthuizen 2006 und Vogt 2007 verwiesen. Nähere Informationen zu den FLS finden sich in Kapitel 4.4.2. Bei den Unterzeichnerstaaten handelte es sich um Angola, Botsuana, Lesotho, Malawi, Mosambik, Sambia, Simbabwe, Swasiland und Tansania.
4.1 Die SADCC als Vorläufer der SADC
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Des Weiteren wurde die Gründung der SADCC auch von Entwicklungen in der Region des südlichen Afrikas selbst beeinflusst. Mit der SADCC versuchten die FLS, eine schlagkräftige Alternative zur Constellation of Southern African States (CONSAS), die von der weißen Minderheitsregierung in Südafrika ins Leben gerufen worden war, aufzustellen.75 Darüber hinaus sahen die FLS im Ausbau der regionalen Kooperation eine Möglichkeit, ihre wirtschaftlichen Probleme zu überwinden, zumal ein solcher Schritt auch auf Seiten der westlichen Geber Zuspruch fand. Letztere konnten durch eine Unterstützung der SADCC indirekt gegen das Apartheidsregime in Südafrika Stellung beziehen, ohne auf direkte Sanktionen zurückgreifen zu müssen. Außerdem versuchten sie durch die Unterstützung der SADCC eine Stabilisierung der gesamten Region zu erzielen sowie den bestehenden Einfluss der Sowjetunion auf einzelne Länder der Region zurückzudrängen (vgl. Adelmann 2003: 25-26). Während die Gründungsstaaten der SADCC ihre Zusammenarbeit mit einem ersten Aktionsprogramm, dem SADCC Programme of Action (SPA), bereits 1980 untermauerten, erfolgte die offizielle Einigung auf die Institutionen, Rechte und Zielsetzungen der neu geschaffenen Organisation erst mit der Unterzeichnung eines MoU im Juli 1981.76 Als charakteristisches Merkmal der SADCC stach ihre dezentrale Organisationsstruktur hervor, in deren Rahmen die Verantwortlichkeiten für die verschiedenen Kooperationssektoren an einzelne Mitglieder übertragen wurden. Diese schufen in ihren nationalen Ministerien so 75
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Vogt bezeichnet die CONSAS als eine „Art innenpolitische Vorwärtsverteidigung“ (Vogt 2006: 60) der südafrikanischen Regierung unter P. W. Botha. Geplant war, dass dieser Staatengemeinschaft neben den SACU-Staaten auch Simbabwe und Namibia sowie die südafrikanischen Homelands Bophutatswana, Ciskei, Transkei und Venda angehören sollten. Nach den Plänen der weißen Minderheitsregierung sollte sich die Errichtung der CONSAS in mehrfacher Hinsicht positiv auswirken: Als Mitglieder einer Staatengemeinschaft wären die südafrikanischen Homelands der internationalen Anerkennung als selbständige Staaten einen Schritt näher und das südafrikanische System der Rassentrennung somit deutlich gestärkt. Außerdem böte eine engere Kooperation mit den Nachbarstaaten die Möglichkeit, die südafrikanischen Befreiungsbewegungen besser zu kontrollieren. Und schließlich hätte die verstärkte wirtschaftliche und militärische Kontrolle seiner Mitgliedsstaaten auch die außenpolitische Aufwertung Südafrikas zur Folge. Doch die südafrikanischen Pläne erwiesen sich als zu ambitioniert, da die CONSAS bei ihrer Gründung im Juli 1980 lediglich Südafrika sowie die Homelands Transkei, Bophutatswana und Venda umfasste (vgl. Vogt 2006: 60-61). Im MoU wurden vier zentrale Zielsetzungen der SADCC festgehalten: Erstens sollten die ökonomischen Abhängigkeiten hauptsächlich aber nicht ausschließlich von Südafrika reduziert werden. Zweitens sollte mit dem Aufbau von Verkehrs- und Nachrichteninfrastruktur die Voraussetzung für eine regionale Integration geschaffen werden. Drittens machten sich die Staatsund Regierungschefs zum Ziel, Ressourcen zu mobilisieren, um so die Durchführung nationaler, zwischenstaatlicher und regionaler Politik zu fördern. Viertens beabsichtigten die SADCCStaaten ihre Strategie der ökonomischen Befreiung durch internationale Zusammenarbeit und die Abstimmung von Sanktionen sicherzustellen (vgl. Vogt 2007: 65).
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4 Die SADC als Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas
genannte sektorkoordinierende Einheiten, die wiederum die Verwaltung und konzeptionelle Betreuung der Kooperation in einem spezifischen Sektor übernahmen. Den Schwerpunkt ihrer Kooperation legten die SADCC-Staaten auf die Bereiche Infrastrukturentwicklung (hier insbesondere in den Feldern Transport, Fernmeldewesen und Energie) sowie Nahrungsmittelsicherung. Als oberstes Entscheidungsorgan der SADCC fungierte eine jährlich stattfindende Gipfelkonferenz der Staats- und Regierungschefs, die nach dem Einstimmigkeitsprinzip die konzeptionelle Fortentwicklung der Organisation sowie die Kontrolle der Projektdurchführung und der Arbeit des Generalsekretariats wahrnahm. Ein untergeordneter Ministerrat übernahm die Koordinierung der Projektarbeit in den verschiedenen Wirtschaftssektoren sowie der gesamten Kooperation im Rahmen der SADCC. Ihm zugeordnet war ein ständiger Ausschuss (‚Standing Committee of Officials’), der die Arbeit des Ministerrates unterstützte, und je nach Bedarf dazu befugt war, Unterausschüsse für bestimmte funktionale Bereiche zu gründen. Als einziges ständiges Organ der SADCC war ein in der botsuanischen Hauptstadt Gaborone ansässiges Generalsekretariat tätig, das zugleich die einzige Verwaltungseinheit der SADCC darstellte. Seine Aufgabe bestand hauptsächlich in der allgemeinen Koordination der SADCCAktivitäten sowie in der Verwaltung des SADCC-Vermögens (vgl. Vogt 2006: 70-74). Mit der Organisationsstruktur der SADCC war eine Reihe von Vorteilen verbunden. Sie sicherte den Mitgliedern beispielsweise ein Höchstmaß an Flexibilität und ließ ihre nationalen Souveränitätsrechte unangetastet. Gleichzeitig bestand die Hoffnung, durch die dezentrale Organisationsform ein besonderes Maß an Verantwortlichkeit für den betreuten Koordinationsbereich bei den jeweiligen Mitgliedsländern aufzubauen (vgl. Meyns 2001: 61). Und schließlich konnte durch das System der sektorkoordinierenden Einheiten der kostspielige Aufbau einer eigenständigen SADCC-Bürokratie vermieden werden. Doch auch wenn der pragmatische Kooperationsansatz der SADCC und ihre Arbeit grundsätzlich positiv bewertet wurden77, so war die Erfolgsbilanz der Organisation zum Ende der 80er Jahre eher enttäuschend. Die ökonomischen Abhängigkeiten der SADCC-Staaten von Südafrika waren in keiner Weise reduziert, sondern hatten sich stattdessen noch verstärkt. In der infrastrukturellen Entwicklung í und hier insbesondere im Transportsektor í konnten zwar Erfolge verzeichnet werden, jedoch blieben diese hinter den Erwartungen zurück (vgl. 77
So konnte die SADCC wichtige Gelder der Entwicklungszusammenarbeit für die Region mobilisieren und dadurch eine Reihe beachtlicher regionaler Entwicklungsprojekte verwirklichen. Darüber hinaus wird der SADCC auch ein erheblicher Beitrag zur Entwicklung einer regionalen Solidarität unter den Mitgliedsstaaten zugesprochen (vgl. Le Pere/Tjønneland 2005: 14).
4.2 Organisationsstruktur und Arbeitsweise der SADC
77
Mair/Peters-Berries 2001: 301-302; Vogt 2007:85). Zudem offenbarte die lockere intergouvernementale Zusammenarbeit der SADCC-Staaten in zunehmendem Maße die Gegensätze zwischen den nationalen Anliegen der Mitglieder und den Interessen der Region. Infolge dieser Differenzen verminderte sich auf Seiten der internationalen Gebergemeinschaft das Interesse an der SADCC deutlich (vgl. Mair/Peters-Berries 2001: 302-303). Doch nicht nur diese Schwierigkeiten, sondern auch die fundamentalen wirtschaftlichen und politischen Veränderungen, die sich in den späten 80er Jahre innerhalb der Region abzeichneten, führten zu Überlegungen bezüglich einer Weiterentwicklung der SADCC.78 Die Unabhängigkeit Namibias und das sich abzeichnende Ende der Apartheidsherrschaft in Südafrika stellten die SADCC-Mitgliedsstaaten vor neue Herausforderungen. Welche Haltung sollte man gegenüber der regionalen Großmacht Südafrika einnehmen? Wären ein Beitritt Südafrikas zur SADCC und seine damit einhergehende Dominanz in der Regionalgemeinschaft erstrebenswert? Gleichzeitig setzte die PTA als Vorgängerorganisation der COMESA die SADCC-Staaten unter Zugzwang: Die PTA strebte nicht nur eine Fusion mit der SADCC an und stellte damit deren Existenzberechtigung grundsätzlich in Frage, sondern umwarb ebenso Südafrika als potenzielles Neumitglied. Vor diesem Hintergrund beschlossen die Staats- und Regierungschefs der SADCC gewissermaßen eine ‚Flucht nach vorn’ und entschieden sich 1989, ihre Zusammenarbeit stärker zu formalisieren (vgl. Adelmann 2003: 25-27). 4.2 Organisationsstruktur und Arbeitsweise der SADC Nach einer dreijährigen Vorbereitungszeit unterzeichneten insgesamt zehn Staats- und Regierungschefs des südlichen Afrikas im August 1992 den SADCVertrag und begründeten damit eine neue formale internationale Organisation: die SADC.79,80
78
79
80
Nicht zu vernachlässigen ist auch die Tatsache, dass die Überlegungen zur strukturellen Überarbeitung der SADCC in die Zeit der ‚zweiten Regionalisierungswelle’ fallen und damit auch eine entsprechende Beeinflussung von dieser allgemeinen Popularität regionaler Zusammenschlüsse erfahren haben dürften (vgl. Kapitel 2.2.1). Im Einzelnen handelt es sich bei den Gründungsstaaten um Angola, Botsuana, Lesotho, Malawi, Mosambik, Namibia, Sambia, Simbabwe, Swasiland und Tansania. Zeitgleich verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs neben dem SADC-Vertrag die ‚Windhoek-Deklaration’ als Gründungsdokument der neuen Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas.
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4 Die SADC als Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas
Abbildung 2: SADC-Staaten im Überblick
Quelle: www.worldbank.org (14.01.2009), aktualisiert Zu den grundsätzlichen Zielen der neuen Entwicklungsgemeinschaft wurden die Förderung des wirtschaftlichen Wachstums und der sozio-ökonomischen Entwicklung in der Region erhoben, um so die übergeordnete Zielsetzung der Armutsbekämpfung umzusetzen. Darüber hinaus zielen die regionalen Kooperations- und Integrationsmaßnahmen auf den Erhalt bzw. die Schaffung von Frieden, Sicherheit und Demokratie im südlichen Afrika (vgl. SADC 2001b, Kapitel 2, Artikel 5). Als Grundlage ihrer Zusammenarbeit im Rahmen der SADC einigten sich die Gründerstaaten auf fünf allgemeine Prinzipien. So muss erstens die souveräne Gleichheit der Mitgliedsstaaten bewahrt werden und ihre Zusammenarbeit zweitens auf der Basis von Solidarität, Frieden und Sicherheit erfolgen. Drittens verpflichten sich die Mitgliedsstaaten zum allgemeinen Respekt gegenüber den Menschenrechten, der Demokratie sowie der gesetzlichen Ordnung. Viertens definieren sie als Voraussetzung für ihre Zusammenarbeit eine regionale Gleichbehandlung sowie den Ausgleich und das Streben nach gegenseitigen Vorteilen.
4.2 Organisationsstruktur und Arbeitsweise der SADC
79
In einem fünften Punkt bekennen sich die SADC-Staaten zur Konfliktlösung mit friedlichen Mitteln (vgl. SADC 2001b, Kapitel 2, Artikel 4). Wie bereits im Namen der neu geschaffenen Organisation deutlich wird, bekennt sie sich zu einem Ansatz der Entwicklungsintegration. Dieser wird allerdings durch die Zielsetzung der wirtschaftlichen Liberalisierung erweitert, sodass die praktische Politik der SADC ebenso vom Ansatz der Marktintegration beeinflusst ist (vgl. Adelmann 2003: 28; Schoeman 2005).81 Von ihrer Vorgängerorganisation, übernahm die SADC zunächst die dezentrale Struktur der Sektorkooperation und den institutionellen Aufbau.82 Um der erweiterten Mitgliederzahl Rechung zu tragen – 1994 traten Südafrika und 1995 Mauritius der SADC bei – wurde die Anzahl der Sektoreinheiten erhöht. So konnten die Neumitglieder mit der Verwaltung eines Sektors betraut werden. Tabelle 2: Sektorzuständigkeiten im Rahmen der SADC vor der Institutionenreform von 2001 Land
Zuständigkeitsbereich
Angola Botsuana
Energie Viehzucht und Bekämpfung von Tierkrankheiten sowie Agrarforschung Lesotho Landnutzung, Bodenerhaltung und Wassernutzung Malawi Fischerei, Wildtiernutzung und Forstwesen Mauritius Tourismus Mosambik Transport- und Kommunikationswesen sowie Kultur, Information und Sport Namibia Hochseefischerei und Meeresressourcen Swasiland Entwicklung menschlicher Ressourcen Sambia Bergbau sowie Arbeit und Beschäftigung Simbabwe Sicherstellung der Nahrungsmittelversorgung, Landwirtschaft und natürliche Ressourcen sowie Getreideanbau Südafrika Investitionen, Finanzen/Kapitalmarkt, Gesundheit Tansania Industrie und Handel Anmerkung: Die SADC-Mitglieder DRK und Seychellen besaßen keine Sektorzuständigkeit.
Quelle: Vogt 2007: 140-141
81
82
Nähere Informationen zu den Ansätzen der Entwicklungs- und Marktintegration finden sich in Kapitel 3.4. Durch den SADC-Vertrag wurde mit dem SADC-Tribunal lediglich ein neues Organ geschaffen.
80
4 Die SADC als Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas
Die Zusammenarbeit in den einzelnen Sektoren wird überdies seit 1995 in Form von Protokollen geregelt. Diese sollen den Integrationsprozess in den einzelnen Sektoren durch die klare Formulierung von Zielsetzungen, Umsetzungsstrategien und Zeitrahmen vorantreiben (vgl. Mair/Peters-Berries 2001: 315).83 Doch ungeachtet dessen offenbarten sich zunehmend Schwächen und Probleme dieser Organisationsform. Einigen Mitgliedsstaaten gelang es aufgrund ihrer begrenzten Kapazitäten nicht, die notwendigen personellen, materiellen und finanziellen Ressourcen für eine effektive Verwaltung ihres Sektors bereitzustellen (vgl. Meyns 2001: 63). Die Kooperation in den betroffenen Sektoren war deshalb ineffektiv und brachte für die übrigen Mitglieder keinen Nutzen. Zusätzlich kamen einzelne Sektoren in den Genuss einer besonderen Förderung durch die internationale Gebergemeinschaft, sodass die Unterschiede bezüglich Leistung und Möglichkeit der verschiedenen Sektoren verstärkt wurden (vgl. Oosthuizen 2006: 64). Darüber hinaus führte die dezentrale Organisationsweise zunehmend zu Abstimmungsproblemen und Kompetenzüberschneidungen zwischen den einzelnen Sektoreinheiten. Das vergleichsweise schwache SADC-Sekretariat konnte die Koordination der regionalen Zusammenarbeit nicht mehr bewerkstelligen und die Erfolgsbilanz der SADC gestaltete sich zunehmend negativ (vgl. Vogt 2007: 84). Zudem offenbarte eine Studie der SADC Mitte der 90er Jahre, dass die dezentrale sektorale Zusammenarbeit ihren eigentlichen Zweck nicht erfüllte. Statt eines dezidierten regionalen Fokus war der Großteil der Projekte allein auf die nationale Ebene ausgerichtet und besaß daher nur einen sehr begrenzten Nutzen für die Region (vgl. Le Pere/Tjønneland 2005: 14). Vor diesem Hintergrund stellten die SADC-Mitglieder die dezentrale Organisationsform ihrer Regionalgemeinschaft zunehmend in Frage und setzten sich mit den Möglichkeiten einer Reform auseinander. 1996 wurde die Anfertigung einer Studie zu den Reformmöglichkeiten der SADC bei unabhängigen Consultants in Auftrag gegeben, die 1997 den Bericht „Review and Rationalisation of the SADC Programme of Action” vorlegten (vgl. Malan 1998). Darin präsentierten sie den Staats- und Regierungschefs des südlichen Afrikas zwei Reformoptionen. Eine erste Alternative setzte auf die Beibehaltung der dezentralen Sektorkoordination bei einer gleichzeitigen Rationalisierung und Umgestaltung der Sektorzuständigkeiten. Indem kein Mitglied mehr als einen Sektor verwaltet, sollten die Ressourcen der einzelnen Nationalstaaten geschont und Abstimmungsprobleme verringert werden. Eine zweite, weitreichendere Reformmöglichkeit sah die Zusammenfassung der bestehenden Sektoren in eine be83
Weitere Angaben zu den Protokollen der SADC finden sich im SADC-Vertrag unter Artikel 22 (vgl. SADC 2001b, Kapitel 7, Artikel 22).
4.2 Organisationsstruktur und Arbeitsweise der SADC
81
grenzte Anzahl von Clustern vor, die als regionale Institutionen in unterschiedlichen Teilen des südlichen Afrikas angesiedelt werden sollten. Durch die Schaffung nationaler SADC-Komitees unter der Leitung nationaler SADCKoordinatoren sollte weiterhin die regionale Anbindung der Mitgliedsstaaten sowie ihre Identifikation mit der Regionalorganisation gefördert werden. Doch in der Überzeugung, dass das System der nationalen Sektorzuständigkeiten wesentlich zu einem Gefühl des ‚ownerships’ unter den Mitgliedern der Regionalorganisation beitrug, entschieden sich die Staats- und Regierungschefs für die Beibehaltung der bestehenden Organisationsstruktur. Aber die Reformdebatte war noch nicht endgültig abgeschlossen, sondern wurde 1999 auf dem Gipfeltreffen in Maputo erneut aufgegriffen. Unter anderem auch, um im Rahmen einer allgemeinen Erneuerung der SADC-Struktur eine Lösung für den lähmenden Konflikt um die Stellung des ‚Organ on Politics, Defence and Security Co-operation’ (OPDS) herbeizuführen (vgl. Meyns 2001: 71-77). Zwei Jahre später verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs auf einem außerordentlichen Gipfeltreffen in Windhoek den „Report on the Review of the Operations of SADC Institutions including the OPDS“ und machten damit den Weg frei für eine umfassende Reform ihrer Organisation. Gleichzeitig erließen sie eine ergänzte Fassung des SADC-Vertrages, der den institutionellen Veränderungen Rechnung trägt.84 Zu den wichtigsten Veränderungen der Reform von 2001 zählt zweifelsohne die Zusammenfassung der sektorkoordinierenden Einheiten in vier Direktorate, die beim Sekretariat angesiedelt sind und von einem neu geschaffenen ‚Department of Strategic Planning, Gender, and Policy Harmonisation’ unter der Leitung des Generalsekretärs koordiniert werden. Konkret wurden die existierenden Kooperationssektoren in den folgenden vier Direktoraten gebündelt, die jeweils von einem Direktor geleitet werden: 1) Trade, Industry, Finance and Investment; kurz: TIFI85; 2) Food, Agriculture and Natural Resources; kurz: FANR; 3) Infrastructure and Services; kurz: I&S; 4) Social and Human Development and Special Programmes; kurz: SHDSP. Eine weitere wichtige Neuerung ergab die institutionelle Reform für das OPDS, das unter dem jährlich rotierenden Vorsitz einer Troika in die SADCStruktur eingegliedert wurde. Mit dem ‚Integrated Committee of Ministers’ wurde außerdem ein neues Organ geschaffen, das zur Unterstützung des Ministerrates die weitere Entwicklung der Regionalintegration planen und überwachen soll. Auch für die bereits bestehenden SADC-Organe, und hier insbe84
85
Soweit nicht anders angemerkt beziehen sich alle Verweise auf den SADC-Vertrag in dieser Untersuchung auf die überarbeitete Version von 2001. Weitere Informationen zum TIFI-Direktorat, das unter anderem mit der regionalen Handelspolitik betraut ist, finden sich in Kapitel 4.3.2.
82
4 Die SADC als Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas
sondere für das Sekretariat brachte die Reform von 2001 wichtige Neuerungen. Diese sollen gemeinsam mit der allgemeinen Vorstellung der SADC-Organe, ihrer Struktur und Arbeitsweise im Folgenden erläutert werden.86 An der Spitze der SADC steht unverändert das Gipfeltreffen (‚Summit’) der Staats- und Regierungschefs, das als oberstes Exekutivorgan mindestens zweimal jährlich zusammenkommt. Nach dem Einstimmigkeitsprinzip entscheidet das Gipfeltreffen über die politischen Leitlinien und die Struktur der SADC. Um die Erreichung der im SADC-Vertrag aufgeführten Ziele sicherzustellen, kann das Gipfeltreffen rechtliche Maßnahmen ergreifen.87 Es ernennt den ExekutivSekretär sowie seinen Stellvertreter und entscheidet über die Aufnahme neuer Mitglieder. Seit der institutionellen Reform von 2001 wird der Vorsitz der SADCOrgane nach einem Troikasystem verwaltet. Die Troikas bestehen aus dem aktuellen, dem vorhergehenden sowie dem zukünftigen Vorsitzenden der jeweiligen Organe, wobei die Ernennung des Vorsitzes der alphabetischen Reihenfolge der SADC-Mitgliedsländer folgt. Dem Gipfeltreffen untergeordnet ist der Ministerrat (‚Council’), der sich aus den Außenministern der SADC-Mitglieder zusammensetzt und mindestens viermal jährlich zu einem Treffen zusammenkommt. Er kann als wichtigstes Entscheidungsorgan der SADC bezeichnet werden und ist mit folgenden Aufgaben betraut: Er überwacht die Funktionsweise und Entwicklung der SADC sowie die Implementierung ihrer politischen Maßnahmen. Er ist mit der strategischen Weiterentwicklung der SADC beauftragt und entscheidet über ihre Arbeitsprogramme. Zudem ist er das wichtigste Beratungsorgan des Gipfeltreffens. Das Ständige Komitee (‚Standing Committee of Officials’) wird von jedem Mitgliedsland mit einem Staatssekretär besetzt und ist hauptsächlich als technisches Beratungsorgan des Ministerrates tätig und ihm gegenüber weisungsgebunden. Es tritt mindestens viermal jährlich zusammen. Ebenfalls dem Ministerrat untergeordnet ist das Integrierte Ministerkomitee (‚Integrated Committee of Ministers’), das mit der Reform von 2001 neu geschaffen wurde. Es besteht aus jeweils zwei Ministern der Mitgliedsländer und soll die Arbeit der vier Direktorate überwachen. Des Weiteren ist das Komitee gemeinsam mit dem Department of Strategic Planning, Gender, and Policy Harmonisation für die Umsetzung und Weiterentwicklung des Regional Indicative Strategic Development Plans (RISDP) der SADC zuständig.88,89 86
87 88
Dabei bezieht sich die folgende Darstellung auf Kapitel 5 des SADC-Vertrages (vgl. SADC 2001b, Kapitel 5, Artikel 9-17). Falls andere Quellen verwendet wurden, sind diese kenntlich gemacht. Diese Maßnahmen umfassen insbesondere den Erlass von Protokollen (vgl. Vogt 2007: 129). Der RISDP wird im weiteren Verlauf des Kapitels noch näher erläutert.
4.2 Organisationsstruktur und Arbeitsweise der SADC
83
Weitreichende Veränderungen brachte die Institutionenreform auch für das Sekretariat (‚Secretariat’). Als oberstes Exekutivorgan der SADC wurden seine Befugnisse und Zuständigkeiten ausgeweitet und umfassen unter anderem folgende Aufgaben: Es ist verantwortlich für die strategische Planung von Projekten und Programmen der SADC sowie für die Implementierung der Beschlüsse der übrigen SADC-Organe (einzige Ausnahme ist hier das OPDS). Ihm obliegen die finanzielle und allgemeine Verwaltung der SADC sowie die Organisation und das Management sämtlicher SADC-Konferenzen. Darüber hinaus übernimmt es die Koordination und Harmonisierung der nationalen politischen Maßnahmen und Strategien und besitzt repräsentative Aufgaben nach innen und außen. Auch das Monitoring und die Evaluierung der Implementierung regionaler Programme und politischer Maßnahmen fallen dem Sekretariat zu. Unter der Leitung eines Exekutiv-Sekretärs90 steht es aber nicht in der Macht des Sekretariats, Entscheidungen zu treffen, die für die Mitgliedsstaaten bindend sind. Ebenso wenig steht ihm ein Sanktionsmechanismus zur Verfügung. Auch wenn das Sekretariat durch die Ausweitung seiner Zuständigkeiten seit 2001 eine aktivere und fördernde Rolle für den Integrationsprozess spielt, so besteht immer noch eine starke Abhängigkeit von den Mitgliedsstaaten. Das Gipfeltreffen und der Ministerrat können Aufgabenzuschnitt und interne Struktur des Sekretariats jederzeit verändern und den Exekutivsekretär ohne weitere Angabe von Gründen entlassen (dies ist bereits 1999 und 2004 geschehen). Außerdem sorgen die Mitgliedsstaaten für die finanzielle wie personelle Ausstattung des Sekretariats (vgl. Vogt 2007: 135-136). Für die notwendige Anbindung zwischen nationaler und regionaler Ebene sollen Nationale SADC-Komitees (‚National SADC Committees’) sorgen. Sie ersetzen die bis zur Institutionenreform bestehenden nationalen Kontaktpunkte. Angesiedelt auf der Ebene der Nationalstaaten setzen sie sich aus nationalen Vertretern der Regierung, der Zivilgesellschaft sowie der Arbeitgeber- und Ar89
90
Vogt ist der Ansicht, dass die Mitgliedsländer den Verlust an Einfluss, der ihnen durch die Abschaffung der Sektoreinheiten entstanden ist, zumindest teilweise durch das Integrierte Ministerkomitee kompensieren können (vgl. Vogt 2007: 146). Der Exekutiv-Sekretär wird vom Gipfeltreffen auf Vorschlag des Ministerrates hin für eine vierjährige Amtszeit ernannt, die einmal verlängert werden kann. Seine Pflichten bestehen unter anderem in der Koordination bzw. Konsultation zwischen Mitgliedsländern und SADCInstitutionen. Er soll in engem Kontakt zu den verschiedenen SADC-Institutionen stehen und ihre Aktivitäten zur Umsetzung der SADC-Ziele aktiv unterstützen. Darüber hinaus kommen dem Exekutiv-Sekretär repräsentative Aufgaben zu. So vertritt er die SADC nicht nur nach außen, sondern ist auch für die Kooperation zwischen SADC und anderen Organisationen zuständig. In seinen Zuständigkeitsbereich fällt außerdem die allgemeine wie finanzielle Verwaltung des Sekretariats und die Ernennung der Mitarbeiter des Sekretariats. In einem jährlichen Bericht muss der Exekutiv-Sekretär über die Arbeit der SADC und ihrer Institutionen Rechenschaft ablegen.
84
4 Die SADC als Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas
beitnehmerverbände zusammen. Ihre Aufgabe besteht in der beratenden Mitwirkung bei der Festlegung einer gemeinsamen SADC-Politik sowie Koordination der Implementierung von SADC-Programmen auf nationaler Ebene (vgl. Vogt 2007: 148). Mit der Verabschiedung des überarbeiteten SADC-Vertrages wurde auch das 1996 gegründete und zwischenzeitlich suspendierte OPDS in die SADCStruktur inkorporiert. In seinem Aufbau der SADC-Struktur ähnelnd steht das OPDS unter dem Vorsitz einer Troika91 und wird von einem Ministerkomitee (‚Ministerial Committee’) koordiniert. Unterhalb des Ministerkomitees sind mit dem Inter-state Politics and Diplomacy Committee (ISPDC) und dem Inter-state Defence and Security Committee (ISDSC) zwei nachgeordnete Komitees angesiedelt, die ihren Zuständigkeiten entsprechend zur Erfüllung der Zielsetzungen des Organs beitragen sollen.92 Diese bestehen ganz allgemein in der Förderung bzw. Wahrung von Sicherheit und Frieden innerhalb der Region. Da der SADCVertrag das SADC-Sekretariat zur Übernahme der Sekretariatsaufgaben des OPDS verpflichtet, wurde im Rahmen der Strukturreform eine kleine administrative Einheit für das OPDS im Sekretariat geschaffen. Diese kann faktisch als fünftes Direktorat bezeichnet werden, auch wenn die Einheit mit zwei bis drei Mitarbeitern äußerst klein ist (vgl. Schleicher 2006: 16-17). Das SADC-Tribunal wurde bereits im ursprünglichen SADC-Vertrag geschaffen, konnte seine Arbeit aufgrund langjähriger Probleme und Verzögerungen bei der Besetzung der Richterstellen aber erst im August 2006 aufnehmen.93 Insgesamt verfügt das SADC-Tribunal über einen Pool von zehn Richtern, von denen fünf permanent für das Tribunal tätig sind, während die anderen fünf Richter als Vertretung bereitstehen. Die Richter stammen aus den Mitgliedsländern der SADC und gelten in Rechtsfällen, die ihr Heimatland betreffen, als befangen, sodass sie gegebenenfalls durch Richter aus dem Vertretungspool ersetzt werden müssen. Die Nominierung der Richter ist Aufgabe der Mitgliedsstaaten, ihre Ernennung erfolgt durch das Gipfeltreffen auf Empfehlung des Ministerrates (vgl. Oosthuizen 2006: 208-213). In den Händen des Tribunals liegt die ausschließliche Gerichtsbarkeit für alle Verfahren zwischen der SADC und ihren Mitgliedern. Die Urteile des Tribunals können nicht angefochten wer91
92 93
Während die nationale Zusammensetzung der Troikas von Gipfeltreffen, Ministerrat, Integriertem Ministerkomitee und Ständigem Komitee gleich ist, soll die Troika des Organs eine andere Zusammenstellung aufweisen (vgl. SADC 2001b: Kapitel 5, Artikel 9a). Dadurch soll eine starke Machtkonzentration in den Händen eines Vorsitzenden bzw. einer Troika vermieden werden. Das Kapitel 4.4.2 widmet sich eingehender dem Aufbau und der Arbeitsweise des Organs. Ähnlich wie im Falle des OPDS regelt ein eigenständiges Protokoll mit dem Titel ‚SADCProtocol on Tribunal and Rules of Procedure Thereof’ Zielsetzung, Aufbau und Funktionsweise des Tribunals.
4.2 Organisationsstruktur und Arbeitsweise der SADC
85
den, und die Mitglieder der SADC sind ebenso wie ihre Institutionen dazu verpflichtet, den Entscheidungen des Gerichts Folge zu leisten und seine Entscheidungen entsprechend umzusetzen. Allerdings stehen dem Tribunal keine eigenen Sanktionsmechanismen zur Verfügung, mit deren Hilfe es die Befolgung seiner Urteile erzwingen könnte (vgl. Vogt 2007: 127, 151-155). Angesiedelt ist das oberste judikative Organ der SADC in Windhoek, Namibia. Es verfügt laut den Bestimmungen des zuständigen Protokolls außerdem über einen Präsidenten, der aus den Reihen der berufenen Richter gewählt wird sowie über ein Sekretariat, das die Verwaltungsarbeit des Tribunals übernimmt. Einen zusammenfassenden Überblick zum institutionellen Aufbau der SADC gibt die folgende Abbildung94: Abbildung 3: Organisatorischer Aufbau der SADC
Quelle: SADC Today 2004b: 3
94
Als eine autonome SADC-Institution existiert außerdem das SADC Parliamentary Forum (SADCPF) als Vertretung der nationalen Parlamentarier der SADC-Staaten. Das Forum sieht seine Aufgabe in der Förderung des regionalen Integrationsprozesses und versucht, die SADC bei der Implementierung ihrer Beschlüsse zu unterstützen. Darüber hinaus setzt sich das Forum in besonderer Weise für Frieden, Sicherheit und Demokratie in der Region ein und hat sich in diesen Zusammenhang auch zu einer kritischen Stimme entwickelt, die Missstände offen benennt. Seit 1999 entsendet das Forum außerdem eigene Wahlbeobachtungsmissionen in die Region und veröffentlichte 2001 ein Handbuch mit dem Titel „Norms and Standards for Elections in the SADC Region“ (vgl. Landsberg/Baregu 2003: 4; Vogt 2007: 274-276). Weiterführende Informationen finden sich auf der Internetseite www.sadcpf.org.
86
4 Die SADC als Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas
Während der SADC-Vertrag als Gründungsdokument den institutionellen Rahmen der Entwicklungsgemeinschaft entwirft, erfolgt die konkrete Festschreibung der politischen wie wirtschaftlichen Ziele und Maßnahmen der SADC in Form von Protokollen. Diese werden vom Gipfeltreffen auf Empfehlung des Ministerrates hin verabschiedet und müssen anschließend in den einzelnen Mitgliedsländern ratifiziert werden. Erst wenn zwei Drittel der Unterzeichnerstaaten ihre Ratifizierungsunterlagen beim Exekutiv-Sekretär hinterlegt haben, tritt ein Protokoll in Kraft. Rechtlich bindend ist ein solches Protokoll nur für diejenigen Staaten, die es auch ratifiziert haben (vgl. SADC 2001b: Kapitel 7, Artikel 22). Neben den Protokollen machen die SADC-Staaten außerdem von Memoranden, Chartas und Deklarationen Gebrauch, die ihrer Zusammenarbeit einen formalen Rahmen verleihen. Diese Dokumente besitzen nicht die rechtliche Verbindlichkeit eines Protokolls, sondern skizzieren nur den grundlegenden Rahmen für eine Kooperation. Dabei kann die Formulierung eines MoU die Vorstufe zur Ausarbeitung eines Protokolls darstellen. Für die praktische Politik der SADC sind darüber hinaus zwei weitere Dokumente von zentraler Bedeutung: der RISDP und der Strategic Indicative Plan for the Organ on Politics, Defence and Security Cooperation (SIPO). Mit dem RISPD haben die SADC-Mitgliedsstaaten 2003 einen Entwicklungsplan für die Erreichung ihrer langfristigen Zielsetzungen verabschiedet. Er listet die konkreten Herausforderungen auf, mit denen die SADC-Staaten konfrontiert sind. Gleichzeitig benennt er Prioritäten und Zielsetzungen, die die Mitgliedsländer zur Grundlage ihrer regionalen Politik in den nächsten 15 Jahren erheben sollen.95 Zusätzlich wurde 2004 ein Implementierungsrahmen erlassen, der die Vorgaben des RISDP auf konkrete Zielsetzungen für die Direktorate und die Einheiten des Sekretariats herunterbricht (vgl. Oosthuizen 2006: 125-126).96 Mit dem SIPO verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs auf ihrem Gipfeltreffen im August 2003 einen Fünf-Jahres-Plan für die Implementierung des Protokolls für Politik, Verteidigung und Sicherheitskooperation. Im Vergleich zum RISDP enthält der SIPO keine detaillierten Handlungsanweisungen für die konkrete Umsetzung seiner Ziele und verbleibt auf einem eher allgemeinen Niveau. Seine Relevanz für die praktische Politik in der Regionalgemeinschaft ist dadurch eingeschränkt (vgl. Hammerstad 2004: 226-227; Oosthuizen 2006: 127+133).97 95
96 97
Der Plan nennt zwei Bereiche, in denen die SADC starke Prioritäten setzen sollte: Erstens die Reduzierung der Armut und der Kampf gegen HIV/Aids als sektorübergreifende Aktionsschwerpunkte. Zweitens sollten die Ziele der wirtschaftlichen Liberalisierung und Entwicklung, der Nahrungsmittelsicherheit sowie der menschlichen und sozialen Entwicklung im Mittelpunkt der Arbeit in den einzelnen Sektoren stehen (vgl. Oosthuizen 2006: 126). Der RIDSP ist unter www.sadc.int abrufbar. Weiterführende Informationen zu Entstehung und Inhalt des SIPO finden sich in Kapitel 4.4.2.
4.2 Organisationsstruktur und Arbeitsweise der SADC
87
Auf dieser Grundlage umfasste die SADC zu Beginn des Jahres 2008 insgesamt 15 Staaten. Die zehn Gründungsstaaten nahmen 1994 bzw. 1995 Südafrika und Mauritius in ihren Reihen auf und veränderten somit das Profil der SADC grundlegend.98 Mit der Aufnahme der regionalen Großmacht Südafrika gewann die SADC enorm an wirtschaftlicher Stärke. Darüber hinaus wandelten sich die bestehenden ökonomischen Abhängigkeiten von Südafrika, deren Abbau die Staaten des südlichen Afrikas über Jahre hinweg anstrebten, plötzlich zu einem Vorteil, da sie zur starken Verflechtung der Region beitrugen. Darüber hinaus konnten die SADC-Staaten vom vergleichsweise hohen Entwicklungsstand ihres neuen Mitglieds profitieren. Doch der Beitritt Südafrikas hatte nicht nur positive Auswirkungen, sondern brachte das Gleichgewicht zwischen den SADC-Staaten empfindlich durcheinander. Die Mitgliedsstaaten sorgten sich vor einer erdrückenden wirtschaftlichen Dominanz Südafrikas, die sich angesichts der Geschwindigkeit und des Ausmaßes, in dem südafrikanische Firmen den SADCMarkt eroberten, als nicht unbegründet erwies (vgl. Mair/Peters-Berries 2001: 302-305).99 Mit der zweiten Erweiterungsrunde, in deren Rahmen 1998 die DRK und die Seychellen in die SADC eintraten, wurde die Anpassungsfähigkeit der Organisation erneut auf eine harte Probe gestellt. Beide Staaten sind frankophon und besitzen somit einen anderen sprachlich-kulturellen Hintergrund als die restlichen SADC-Staaten. Die Aufnahme einer dritten Amtssprache führte ebenso wie die weiten Anfahrtswege in die neuen Mitgliedsstaaten zu steigenden Verwaltungskosten für die SADC. Zudem besaßen beide Staaten nur eine geringe wirtschaftliche Anbindung an die SADC-Gemeinschaft und waren bislang auf Verwaltungsebene mit regionalen Kooperations- und Integrationsprozessen weitgehend unerfahren (vgl. ebd.). Besonders gravierend wirkt sich auch heute noch die instabile politische Lage in der DRK auf die SADC aus. Sie absorbiert nicht nur ohnehin begrenzte diplomatische und finanzielle Ressourcen, sondern stellt auch einen Konfliktherd dar, der die Stabilität der gesamten Region bedroht. Auch die Mitgliedschaft der Seychellen gestaltete sich bislang nicht ohne Probleme. Aufgrund der vergleichsweise hohen Mitgliedsbeiträge100, der Kosten für die Teil98
99 100
Für die Aufnahme eines Landes ist das einstimmige Votum des Gipfeltreffens notwendig sowie die Bekenntnis des betroffenen Staates zum SADC-Vertrag. Mit der Rolle Südafrikas innerhalb der SADC beschäftigt sich auch das Kapitel 9.2.4. Im Jahr 2003 wurde die alte Regelung, wonach jedes SADC-Mitglied einen fixen Jahresbeitrag von US-$ 250.000 leisten muss, überarbeitet. Seitdem richtet sich der Mitgliedsbeitrag nach dem Anteil, den die einzelnen Staaten am GDP der SADC besitzen. Sie müssen dabei mindestens 5 % und höchstens 20 % ihres Anteils an die SADC entrichten. Im Budgetjahr 2005/2006 leisteten die SADC-Staaten folgende Anteile an den Einnahmen der SADC aus Mitgliedsbeiträgen (ohne Madagaskar und Seychellen): Angola: 7,55 %, Botsuana: 6,88 %, DRC: 7,02 %, Lesotho: 5,31 %, Malawi: 5,68 %, Mauritius: 6,59 %, Mosambik: 6,30 %, Namibia: 6,25 %,
88
4 Die SADC als Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas
nahme an den SADC-Aktivitäten sowie der unsicheren Auswirkungen der geplanten Freihandelszone ersuchte der Inselstaat darum, seine Vollmitgliedschaft in einen Beobachterstatus oder eine ähnliche Form der Assoziierung umzuwandeln. Da der SADC-Vertrag eine solche Form der Anbindung aber nicht vorsieht, entschieden sich die Seychellen für einen Austritt aus der SADC, den sie 2003 verkündeten und der gemäß den Vertragsbestimmungen 2004 gültig wurde (vgl. Oosthuizen 2006: 137-138). Doch schon bald revidierten die Seychellen ihre Entscheidung, und seit 2007 sind sie wieder vollwertiges Mitglied der SADC. Als letzten Neuzugang nahm die SADC 2005 Madagaskar in ihren Reihen auf.101 Einen Überblick der wichtigsten sozialen und wirtschaftlichen Kennzahlen der SADC-Staaten gibt die folgende Tabelle:
101
Sambia: 6,35 %, Simbabwe: 8,14 %, Südafrika: 20 %, Swasiland: 5,49 %, Tansania: 8,43 % (vgl. Oosthuizen 2006: 180, Fußnote 168). In jüngster Vergangenheit kam es außerdem im Inselstaat Madagaskar zu einer schweren innenpolitischen Krise. Im März 2009 wurde der gewählte Präsident Marc Ravalomanana von Teilen des Militärs und der Opposition entmachtet und flüchtete ins Exil nach Swasiland. Der Oppositionspolitiker Andry Rajoelina erklärte sich zum neuen Übergangspräsidenten. Auf diesen Schritt antwortete die SADC im April 2009 mit der Suspendierung der Mitgliedschaft Madagaskars (vgl. Neue Zürcher Zeitung, 01.04.2009: „Das südliche Afrika weist Madagaskar die Tür.“).
4.3 Die Handelspolitik der SADC
89
Tabelle 3: Die SADC-Staaten im Überblick Beitritt SADC
Grösse in km2
Bevölkerung in Mio. (2007)
GDP, in US-$ Mrd. (2007)
Alphabetisierungsrate 15 Jahre und älter in % der Bevölkerug (1995-2005)
Lebenserwartung bei Geburt in Jahren (2007)
Angola
1992
1.246.700
17,0
58,5
67,4
42
Botsuana
1992
581.730
1,9
12,3
81,2
50
DRK
1998
2.344.860
62,4
9,0
67,2
46
Lesotho
1992
30.350
2,0
1,6
82,2
43
Madagaskar* Malawi
2005
587.040
19,1
5,5
70,7
56
1992
118.480
13,9
3,6
64,1
48
Mauritius
1995
2.040
1,3
6,8
84,3
73
Mosambik
1992
799.380
21,4
7,8
38,7
43
Namibia
1992
824.290
2,1
6,7
85,0
52
Sambia**
1992
752.614
10,5
5,4
68,0
36
Seychellen
1998
460
0,09
0,73
91,8
72
Simbabwe
1992
390.760
13,4
---
89,4
43
Südafrika
1994
1.219.090
47,6
277,6
82,4
51
Swasiland
1992
17.360
1,1
2,9
79,6
41
Tansania
1992
947.300
40,4
16,2
69,4
52
Anmerkungen: * Die Angaben für Madagaskar beziehen sich auf das Jahr 2006, außer Angaben zur Alpabetisierungsrate ** Die Angaben für Sambia beziehen sich auf das Jahr 2004, außer Angaben zur Alpabetisierungsrate
Quellen: UNDP 2007; Worlbank 2008; www.worldbank.org (19.01.2009) 4.3 Die Handelspolitik der SADC Nachdem Entstehung und Organisationsstruktur der SADC in den vorangegangenen Kapiteln erläutert wurden, richtet sich der Blickpunkt der Analyse nun
90
4 Die SADC als Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas
dezidiert auf die handelspolitischen Aktivitäten der SADC. Im Mittelpunkt steht die Umsetzung des 1996 unterzeichneten Handelsprotokolls. Die nähere Beschäftigung mit der Entwicklung, dem Inhalt und der Implementierung des Protokolls setzt allgemeine Kenntnisse über die Handelsbeziehungen der SADCStaaten voraus. Daher stellt das folgende Unterkapitel zunächst die wichtigsten Fakten zu den Handelsaktivitäten der SADC-Staaten in einem Überblick zusammen. 4.3.1 Die Handelsaktivitäten der SADC-Staaten im Überblick Für eine Darstellung der Handelsströme innerhalb der SADC-Region ist umfassendes Datenmaterial notwendig. Um Vergleiche zwischen den einzelnen Mitgliedsländern anzustellen, müssen die notwendigen Daten nicht nur vollständig für alle Mitglieder vorhanden sein, sondern der Datenbestand muss zudem vergleichbar sein. Das bedeutet, den verschiedenen Kennzahlen muss die gleiche Definition zugrunde liegen, sie müssen mit Hilfe verlässlicher Quellen erhoben werden und sollten sich auf den gleichen Zeitraum beziehen. Wie in anderen Entwicklungsländern auch lassen begrenzte institutionelle und finanzielle Kapazitäten der statistischen Ämter in den SADC-Staaten die Einhaltung dieser Kriterien nicht immer zu. Das zur Verfügung gestellte Datenmaterial ist also mit entsprechenden Einschränkungen versehen. Die im Folgenden verwendeten Daten stammen aus der ‚SADC Trade Database’, die von der südafrikanischen Organisation ‚Trade and Industrial Policy Strategies’ (TIPS) zusammengestellt wird.102 Betrachtet man zunächst die Exporte der SADC-Staaten, so wird deutlich, dass die EU der wichtigste Handelspartner der SADC ist. Wie die folgende Tabelle zeigt, waren im Jahr 2005 37 % aller Exporte aus der SADC für die EU bestimmt. Weitere wichtige Handelspartner der SADC sind die NAFTA sowie Ostasien103, wobei der Handel mit Ostasien sich besonders beeindruckend entwickelt. Der Exportwert steigerte sich von 3.590 US-$ Mio. im Jahr 2000 auf 9.379 US-$ Mio. im Jahr 2005. Verantwortlich für die wachsende Bedeutung des ostasiatischen Raums für die SADC sind wohl die zunehmenden Wirtschaftsaktivitäten Chinas auf dem afrikanischen Kontinent. Zu einem weiteren wichti-
102
103
In dieser Datenbank fehlen Angaben für die SADC-Mitglieder Angola und DRK, da diese momentan ihre Handelsdaten noch nicht an das unabhängige Forschungsinstitut TIPS übermitteln. Für weitere Informationen zur SADC Trade Database siehe http://www.sadctrade.org. Unter dem Begriff Ostasien werden die Länder China, Japan, Südkorea, Macao, Mongolei und Taiwan zusammengefasst.
4.3 Die Handelspolitik der SADC
91
gen Handelspartner der SADC hat sich auch Südasien entwickelt, wobei die Exporte in diese Region hauptsächlich für Indien bestimmt sind. Tabelle 4: Exporte der SADC in den Jahren 2000 und 2005 Exporte
2000
2005
US-$ Mio %-Anteil US-$ Mio %-Anteil CARICOM* 20 0 23 0 Ostasien 3.590 10 9.379 14 EU25** 14.484 42 24.376 37 Mittlerer Osten 1.422 4 2.429 4 Mercosur 326 1 417 1 NAFTA 3.746 11 6.573 10 Ozeanien 1.107 3 1.616 2 Rest Afrika 1.192 3 2.827 4 Rest 88 0 112 0 Amerika*** Südasien 630 2 1.550 2 Süd936 3 1.544 2 Ostasien Sonstige 7.069 20 14.378 22 Welt 34.612 100 65.224 100 Anmerkungen: * Die Abkürzung CARICOM steht für die Caribbean Community ** Die Abkürzung EU25 beschreibt die Mitglieder der EU vor 2007. In diesem Jahr erweiterte sich die Union um Bulgarien und Rumänien auf insgesamt 27 Staaten. *** Die Bezeichnugn ‚Rest Amerika’ bezieht sich auf Nord-, Mittel- und Südamerika
Quelle: Trade and Industrial Policy Strategies 2007: 25 Bei den Importen gestaltet sich die Situation ähnlich, da auch hier die EU eine dominante Position einnimmt: Im Jahr 2005 stammten 30 % aller Importe der SADC aus der EU. Mit einem Anteil von 17 % bzw. 12 % an allen Importen der SADC-Staaten im Jahr 2005 belegen Ostasien und der Mittlere Osten die Plätze zwei und drei.
92
4 Die SADC als Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas
Tabelle 5: Importe der SADC in den Jahren 2000 und 2005 Importe
2000
CARICOM Ostasien EU25 Mittlerer Osten Mercosur NAFTA Ozeanien Rest Afrika Rest Amerika Südasien Süd-Ostasien Sonstige Welt
US-$ Mio 22 4.708 11.683 4.366 516 3.828 916 453 49 746 1,355 8,085 36,726
2005 %-Anteil 0 13 32 12 1 10 2 1 0 2 4 22 100
US-$ Mio 26 12.075 22.072 8.641 1.589 5.290 1.552 1.359 105 2.092 2,917 15,255 72,972
%-Anteil 0 17 30 12 2 7 2 2 0 3 4 21 100
Quelle: Trade and Industrial Policy Strategies (2007): 25 Die Importe der SADC setzten sich im Jahr 2005 hauptsächlich aus technisch hoch verarbeiteten Produkten wie Maschinen und Fahrzeugen, aber auch aus mineralischen Brennstoffen und Öl zusammen (vgl. Trade and Industrial Policy Strategies 2007: 21-24).
4.3 Die Handelspolitik der SADC
93
Tabelle 6: Die Top-Ten SADC-Exporte nach Produkten (2006) Nr.
Produkt
1
Mineralische Brennstoffe und Öl104 Perlen und Edelmetalle Eisen und Stahl Fahrzeuge Maschinen Kupferprodukte Eisenerz Aluminiumprodukte Elektronik, elektronische Ausrüstung Gartenbauerzeugnisse Sonstige Total
2 3 4 5 6 7 8 9 10
US-$ Mrd. 37,4
Anteil Gesamtexporte 32,9 %
21,9 6,8 5,0 4,9 4,3 4,0 3,4 1,6
19,3 % 6,0 % 4,4 % 4,3 % 3,7 % 3,5 % 3,0 % 1,4 %
1,4 23,0 113,5
1,2 % 20,3 % 100,0 %
Quelle: Kalaba/Tsedu 2008: 7 Wie die Tabelle zeigt, bestanden die Exporte der SADC-Staaten im Jahr 2006 zu 32,9 % aus mineralischen Brennstoffen bzw. Öl sowie aus Perlen und Edelmetallen (19,3 %). Unter den wichtigsten zehn Exportgütern der SADC befinden sich – wenn auch mit einem verhältnismäßig kleinen Anteil – aber ebenso Fahrzeuge und Maschinen, Kleidung und Tabakerzeugnisse. Die Herstellung dieser Produkte führt zur Entstehung von Wertschöpfungsprozessen innerhalb der Region. Für die Produktion einiger dieser Güter sind auch landwirtschaftliche Aktivitäten notwendig, sodass die überwiegend ländliche Bevölkerung der SADCStaaten eingebunden werden kann. Vor diesem Hintergrund besitzt die Exportstruktur der SADC durchaus Potenzial für die Bekämpfung von Armut und Arbeitslosigkeit innerhalb der Region (vgl. Kalaba/Tsedu 2008: 7-8). Doch wie steht es um die intra-regionalen Handelsbeziehungen? In der Fünf-Jahres-Periode von 2000 bis 2004 machten die intra-SADC-Exporte durchschnittlich 13,7 % der gesamten SADC-Exporte aus. Dieser niedrige Anteil verdeutlicht, dass die SADC-Staaten ihre Handelspartner hauptsächlich außerhalb der Region suchen und finden. Dabei wurden 55 % aller Exporte innerhalb der SADC in der genannten Periode von Südafrika getätigt. Bemerkenswert ist, dass Swasiland von 2000 bis 2004 durchschnittlich 17,5 % aller intra-regionalen 104
Für den hohen Anteil der Ölexporte ist insbesondere Angola verantwortlich, das nach Nigeria der zweit größte Ölproduzent in Sub-Sahara-Afrika ist (vgl. Kalaba/Tsedu 2008: 8).
94
4 Die SADC als Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas
SADC-Exporte vornahm, während kein anderer SADC-Staat für mehr als 7,5 % der intra-SADC-Exporte verantwortlich war. Diesen hohen Anteil an den intraSADC-Exporten erreicht Swasiland durch seinen Handel mit Zucker, der auch durch die Bestimmungen des Handelsprotokolls abgedeckt wird (vgl. Maiketso/Sekolokwane 2006: 4-5). Während Südafrika also die Rolle eines wichtigen Exporteurs im intraregionalen Handel übernimmt, zeigt sich bei den Importen ein anderes Bild. In der Periode von 2000 bis 2004 kamen durchschnittlich gerade einmal 2 % aller Importe der südafrikanischen Republik aus der SADC. Auch wenn die übrigen Staaten einen größeren Anteil ihrer Importe aus der Region beziehen, so ist dies kein Anzeichen für regen Handel unter den Mitgliedsländern der SADC. Denn hauptsächlich handelt es sich hier um Importe aus Südafrika. Die BLNS-Staaten beziehen beispielsweise mehr als 80 % ihrer Importe aus der Kaprepublik (vgl. Maiketso/Sekolokwane 2006: 6-7). Festzuhalten bleibt, dass der intra-regionale Handel der SADC-Staaten stark vom regionalen Schwergewicht Südafrika dominiert wird. Die Kaprepublik besitzt mit der SADC zwar einen attraktiven Absatzmarkt für ihre eigenen Produkte, bezieht ihre Importe aber fast ausschließlich von außerhalb der Region. Doch die Bedeutung Südafrikas darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der intra-regionale Handel der SADC-Staaten nur schwach ausprägt ist. Die Tatsache, dass die SADC-Mitglieder ihre Handelspartner vornehmlich außerhalb der Region suchen, läuft den Zielsetzungen der Freihandelszone entgegen und lässt ebenso die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer Wirtschaftsintegration im südlichen Afrika aufkommen. Auch die Reduzierung der Zölle durch die Umsetzung des Handelsprotokolls innerhalb der SADC hatte bislang keinen nennenswerten Effekt auf die Handelsaktivitäten. Eine mögliche Erklärung könnte darin bestehen, dass der Abbau der Zölle nicht mit einer Eliminierung von nicht-tarifären-Handelshemmnissen (NTH) einherging und diese nach wie vor den Handelsverkehr zwischen den SADC-Staaten behindern. Während dieses Hindernis für den intraregionalen Handel noch vergleichsweise leicht beseitigt werden könnte, gestaltet sich die Situation bei den Produktionsstrukturen der SADC-Staaten als kompliziertes Hemmnis für den regionalen Handel. Aufgrund der Tatsache, dass sich die Produktionsstrukturen der einzelnen Länder (mit Ausnahme Südafrikas) hauptsächlich auf Primärprodukte konzentrieren und sich damit stark ähneln, müssen die SADC-Mitglieder ihre Nachfrage nach höher verarbeiteten Gütern mit Produkten aus Südafrika oder aus anderen Teilen der Welt decken (vgl. Trade and Industrial Policy Strategies o.D.: 26-28).
4.3 Die Handelspolitik der SADC
95
4.3.2 Das SADC-Handelsprotokoll Für den allgemeinen Integrationsprozess der SADC ist das Handelsprotokoll von zentraler Bedeutung. Die wirtschaftlichen Integrationsziele der SADC können nur dann erreicht werden, wenn die Umsetzung des SADC-Handelsprotokolls, das die Einrichtung einer Freihandelszone vorsieht, gelingt. Darüber hinaus besitzt das Protokoll auch eine Signalwirkung für andere Kooperations- und Integrationsbereiche. Als eine Art Katalysator soll der Integrationsprozess im Handelsbereich auch die regionale Zusammenarbeit in anderen Bereichen befördern. Aufgrund der besonderen Bedeutung des Handelsprotokolls setzt sich dieses Kapitel ausführlich mit der Entstehung, dem Inhalt, dem Verhandlungsprozess sowie der Implementierung des Handelsprotokolls auseinander. Bis in die Mitte der 90er Jahre ließen die SADC-Aktivitäten eine dezidierte Ausrichtung auf den Handelsbereich vermissen. Auf einem Treffen des Ministerrates im Dezember 1995 in Lusaka, Sambia wurde erstmals der Vorschlag verhandelt, eine regionale Arbeitsgruppe zu Handelsfragen ins Leben zu rufen. Hintergrund dieser Bemühung war unter anderem auch die herrschende Unzufriedenheit mit der Arbeit der zuständigen Sektorkoordinationseinheit in Tansania. In der Folge erhielt der Ministerrat den Auftrag, die Erarbeitung eines Handelsprotokolls in die Wege zu leiten. In einer vergleichsweise kurzen Zeitspanne von ca. sieben Monaten wurde das Handelsprotokoll entwickelt und als Rahmenwerk vom SADC-Gipfeltreffen im August 1996 in Maseru, Lesotho verabschiedet. Als einziger der damals zwölf Mitgliedsstaaten unterzeichnete Angola das Protokoll nicht, holte diesen Schritt allerdings im Juli 2002 nach. Von den jüngeren Mitgliedern der SADC sind die DRK und die Seychellen dem Handelsprotokoll nicht beigetreten (vgl. Lee 2003: 110). Mit seinen insgesamt 39 Artikeln besteht das grundlegende Ziel des Handelsprotokolls in der Einrichtung einer SADC-Freihandelszone. Während die Artikel 1 bis 2 die wichtigsten Begriffsdefinitionen vornehmen und die Zielsetzungen des Protokolls formulieren, enthalten die Artikel 3 bis 11 Vereinbarungen zum Abbau von Handelshemmnissen im Güterhandel, insbesondere in Form von Zollreduzierungen und der Abschaffung von NTHs. Die nicht unerhebliche Aufgabe, einen konkreten Plan für die Eliminierung der bestehenden Handelshemmnisse zu erarbeiten und eine Kategorisierung der Handelsgüter vorzunehmen, wurde einem Trade Negotiation Forum (TNF) übertragen (vgl. SADC Protocol on Trade 1996: Artikel 3/1e). Die Bestimmungen des Protokolls sehen das TNF als zuständiges Verhandlungsgremium für alle Handelsfragen vor, die die Umsetzung des Protokolls betreffen. Im Rahmen des TNF sollen darüber hinaus die konkreten Angebote der einzelnen Mitgliedsstaaten zum Abbau ihrer Handelshemmnisse präsentiert,
96
4 Die SADC als Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas
bewertet und verhandelt werden. Außerdem soll mit dem TNF ein Expertengremium geschaffen werden, das die Maßnahmen zur Handelsliberalisierung überwachen sowie Ratschläge zu deren weiterer Ausgestaltung äußern kann (vgl. SADC Protocol on Trade 1996: Article 31/4). Jede Vertragspartei ist berechtigt, eine Verhandlungsdelegation in das TNF zu entsenden, über deren Zusammensetzung sie frei entscheiden kann. In den meisten Fällen waren es Vertreter der nationalen Handels-, Finanz- und Außenministerien, die zu den Verhandlungen im Rahmen des TNF zusammenkamen. Eine Beteiligung privatwirtschaftlicher Akteure wurde ebenfalls ermöglicht (vgl. SADC Today 2004a: 8).105 Die Artikel 12 bis 15 des Handelsprotokolls nehmen Bezug auf die Verfahrensweisen im Bereich der Zölle und verweisen in diesem Zusammenhang unter anderem auf Herkunftsregeln und Transithandel. Auf die konkrete Handelsgesetzgebung bezieht sich ein weiterer Teil des Protokolls mit den Artikeln 16 bis 21. Im Mittelpunkt steht hier insbesondere die Bestrebung, die Bestimmungen der SADC-Staaten gemäß den international gültigen Standards zu erweitern bzw. anzupassen. Dies gilt beispielsweise für technische Standards (Artikel 17) oder auch für Bestimmungen im Bereich des Gesundheits- und Pflanzenschutzes (Artikel 16). Außerdem verpflichten sich die Vertragsparteien von Subventionsund Kompensationszahlungen zugunsten ihrer nationalen Ökonomien Abstand zu nehmen (Artikel 19). Einzelne Ausnahmen zur Liberalisierung des Warenhandels innerhalb der SADC finden sich in den Artikeln 18, 20 und 21. Sie erlauben den einzelnen Nationalstaaten unter anderem dann Anti-DumpingMaßnahmen, wenn diese im Einklang mit geltendem WTO-Recht sind. Darüber hinaus können die Unterzeichnerstaaten einzelne Produkte, die für ihre Ökonomien von besonderer Bedeutung sind, sowie im Aufbau befindliche Industrien von den Bestimmungen des Freihandels ausschließen. In Artikel 22 des Handelsprotokolls werden die Unterzeichner aufgefordert, grenzüberschreitende Investitionen zu fördern. In den folgenden Artikeln 23 bis 25 vereinbaren die Staaten eine Liberalisierung des Dienstleistungssektors (Artikel 23), den Schutz intellektuellen Eigentums (Artikel 24) sowie die Förderung des Wettbewerbs bei gleichzeitiger Unterbindung unfairer Geschäftspraktiken (Artikel 25). Weiterhin verpflichten sich die Unterzeichnerstaaten durch ihre politischen Maßnahmen den Handel innerhalb der Region zu befördern. Die Artikel 27 bis 30 setzen sich mit den bi- und multilateralen Handelsabkommen unter den SADC-Staaten so105
Seit 1997 wurden Vertreter des Privatsektors in das TNF eingebunden. Dies geschah unter anderem, um den Sachverstand der Wirtschaftsvertreter für die Verhandlungen nutzbar zu machen und etwaigen Widerständen aus den Reihen der Wirtschaft entgegenzuwirken. In der Verhandlungspraxis stärkte die Teilnahme der privatwirtschaftlichen Akteure die Position Südafrikas, da es seine Delegation um verhandlungserfahrene und kompetente Wirtschaftvertreter erweitern konnte (vgl. Mair/Peters-Berries 2001: 337). Weitere Informationen zur Rolle der Privatwirtschaft in den TNF-Runden liefert das Kapitel 9.4.3.
4.3 Die Handelspolitik der SADC
97
wie ihren Handelsbeziehungen gegenüber Drittstaaten auseinander. Mit den Artikeln 31 bis 39 bilden Vorgaben zur institutionellen Umsetzung des Protokolls und zur Streitbeilegung im Handelsbereich den Schlussteil des Dokuments (vgl. SADC Protocol on Trade, 1996: Article 12-39). Doch zwischen der Unterzeichnung des ursprünglichen Protokolls und dem tatsächlichen Beginn der Implementierung einer überarbeiteten Version sollten vier Jahre vergehen. Diese Zeit wurde benötigt, um die detaillierten Bestimmungen des Protokolls auszuarbeiten und die notwendige Anzahl von Ratifizierungen durch die Unterzeichnerstaaten zu erhalten.106 An oberster Stelle der Verhandlungsthemen im TNF standen zunächst die geplanten Zollreduzierungen. Die Unterzeichnerstaaten mussten sich hier nicht nur auf den Umfang des Zollabbaus, sondern auch auf dessen zeitliche Umsetzung einigen. Um den bestehenden Entwicklungsunterschieden zwischen den SADC-Staaten Rechnung zu tragen, entwickelte man keinen einheitlichen Zeitplan für den Abbau der Zölle, sondern nahm eine Einteilung in drei Gruppen vor. Die SACU-Staaten als wirtschaftlich stärkste Gruppe sollten ihren Handel nach dem Prinzip des ‚frontloading’ am schnellsten liberalisieren. Ihre Zollsenkungen sollten zu einem frühen Zeitpunkt in der vereinbarten Implementierungsphase des Protokolls wirksam werden. Den Entwicklungsländern Mauritius und Simbabwe sollte eine Schonfrist bis zur Reduzierung ihrer Zölle gewährt werden. Dementsprechend sollten ihre Zollsenkungen erst in der Mitte der vereinbarten Implementierungszeit umgesetzt werden. Eine dritte Gruppe von Staaten, die die Least Developed Countries (LDC) unter den SADC-Staaten umfasst, kann den Zollabbau am längsten hinauszögern. Erst zum Ende der Implementierungsphase müssen sie ihren Handel mit den restlichen Vertragsstaaten liberalisieren (vgl. Lee 2003: 113-114). Außerdem einigten sich die SADC-Mitgliedsstaaten im Rahmen des TNF ihre Handelsgüter in vier Kategorien einzuteilen107: In einer ersten Kategorie A 106
107
Wie in Artikel 37 des Handelsprotokolls festgelegt, müssen zwei Drittel der SADC-Mitglieder das Protokoll ratifizieren, bevor es in Kraft treten kann (vgl. SADC Protocol on Trade 1996: Article 37). Die Klassifizierung von Wirtschaftsgütern und ihre Einteilung in verschiedene Produktgruppen erfolgt nach dem ‚Harmonized System’ der World Customs Organisation (WCO). Dieses System besitzt eine Produktnomenklatur, die 98 % aller international gehandelten Güter umfasst. Probleme können sich allerdings dann ergeben, wenn nicht alle teilnehmenden Staaten die Einteilung ihrer Waren auf der Grundlage der aktuellen Nomenklatur vornehmen, wie im Falle des SADC-Handelsprotokolls. Einige der Unterzeichnerstaaten haben ihre ursprüngliche Warenklassifizierung, die nach dem Harmonized System von 1996 vorgenommen wurden, noch nicht an die überarbeitete Version von 2002 angepasst. Daher ist es möglich, dass ein Gut von den SADC-Staaten unterschiedlich klassifiziert ist und somit in eine andere Zollkategorie fällt, eventuell sogar von der Zollreduzierung ausgeschlossen wird (vgl. The Services Group 2007: 48-49; Vogt 2007: 221-222).
98
4 Die SADC als Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas
befinden sich diejenigen Güter, die unmittelbar mit Beginn der Implementierungshase zollfrei gehandelt werden. Zu dieser Gruppe von Waren, die bereits vor der Verabschiedung des Handelsprotokolls zollfrei oder nur mit geringen Zöllen gehandelt wurden, gehören hauptsächlich unverarbeitete bzw. aufbereitete Agrarprodukte und sonstige Rohstoffe. Eine zweite Kategorie B von Gütern, die zuvor mit mittleren Zollsätzen belegt waren, erhält eine achtjährige Übergangsfrist für den allmählichen Abbau ihrer Zölle. Zu diesen Waren gehören beispielsweise Möbel, bestimmte Chemikalien, Papiererzeugnisse, spezielle Textilien und Keramikprodukte. Zusammengenommen sollen die Kategorien A und B 85 % des intra-regionalen Handels umfassen, sodass nach Ablauf der achtjährigen Übergangsfrist eine Freihandelszone nach den Bestimmungen der WTO existiert. Solche Güter, die die Vertragsstaaten als sensitiv klassifizieren, werden in einer dritten Kategorie zusammengefasst. Ihre Zölle sollen erst zwischen 2008 und 2012 abgeschafft werden. Damit die Zielsetzung der Handelsliberalisierung nicht unterlaufen wird, dürfen die in dieser Kategorie zusammengefassten Waren nicht mehr 20 % des intra-regionalen SADC-Handels ausmachen. Welche Güter die einzelnen Staaten als sensitiv deklarieren, liegt in ihrem Ermessen. Anders als im Falle der Kategorien A und B gelten hier keine einheitlichen Warenlisten. In einer vierten Kategorie werden unter anderem mit Waffen, Munition und Sprengstoff solche Waren zusammengefasst, die von den Bestimmungen des Handelsprotokolls ausgenommen und in den Handelsbeziehungen der SADCStaaten nur von marginaler Bedeutung sind (vgl. Kalenga 2004: 18-19; Vogt 2007: 200-201). Der Umgang mit den sensitiven Gütern barg für die Verhandlungen großes Konfliktpotenzial.108 Allgemeine Richtlinien für den Umgang mit sensitiven Gütern wurden auf dem siebten Treffen des TNF im Januar 1999 vereinbart. Das Protokoll der Sitzung legte unter anderem fest, dass die Unterzeichnerstaaten ihre Auswahl an sensitiven Gütern begründen und darüber hinaus Pläne für einen langfristig angestrebten Zollabbau in diesen Produktgruppen erarbeiten müssen (vgl. Record of the 7th Meeting of the SADC Trade Negotiating Forum (TNF), 25.-29.01.1999, Harare). Zu den wichtigsten sensiblen Produkten der SADCStaaten zählen Fußbekleidung/Leder, Kleidung und Textilien sowie Zucker. Besonders intensiv wurde hier darüber verhandelt, wie lange diese Produkte vom Freihandel ausgenommen werden dürfen. Schließlich wurde für zwei Sektoren die Einigung in Form einer Sondervereinbarung herbeigeführt. Im überarbeiteten Handelsprotokoll von 2000 widmet sich der Annex VII ausschließlich dem Handel mit Zucker und sieht eine langfristige Liberalisierung des Zuckerhandels ab 108
Ähnlich kontrovers gestalteten sich die Verhandlungen zu den Herkunftsregeln. Siehe hierzu Kapitel 9.1.2.1.
4.3 Die Handelspolitik der SADC
99
2012 vor.109,110 Im Textilsektor wurde Malawi, Mosambik, Sambia und Tansania in einer Sonderregelung garantiert, dass sie bis zum Jahr 2008 eine festgelegte Menge von Textilien in die SADC exportieren dürfen, ohne dass diese zuvor, wie in den Herkunftsregeln vorgesehen, eine zweistufige Weiterverarbeitung durchlaufen haben (vgl. Lee 2003: 119-121; Vogt. 2007: 201-203).111,112 Bereits in der Aushandlungsphase des Protokolls offenbarten sich auch die Schwierigkeiten, die mit den Doppelmitgliedschaften der SADC-Staaten einhergehen. So konnten die SACU-Staaten Botsuana, Lesotho, Namibia, Südafrika und Swasiland nicht getrennt, sondern nur als gemeinsame Zollunion in die Verhandlungen gehen.113 Doch diese Vorgehensweise konnte den großen Entwicklungsunterschieden, die innerhalb der SACU bestehen, nicht gerecht werden. Nachdem Südafrika im Rahmen des TNF seinen Zeitplan für den Zollabbau präsentierte, ohne sich vorher mit den anderen Mitgliedern der SACU zu besprechen, regte sich Widerstand. Die BLNS-Staaten forderten, dass ihrem im Vergleich zu Südafrika deutlich geringeren Entwicklungsstand Rechnung getragen wird. Aus dieser Debatte heraus entstand die Idee, jeweils zwei getrennte Pläne für die Zollreduzierungen auszuarbeiten: einen, der für den Handel mit Südafrika bestimmt ist und einen weiteren, der den Handel mit den verbleibenden SADCMitgliedern umfasst (vgl. Lee 2003: 116-118). Südafrika stimmte dieser Vorgehensweise zu und brachte damit die Verhandlungen zur Umsetzung des Handelsprotokolls ein gutes Stück voran. Doch in Bezug auf die noch ausstehende Ratifizierung des Handelsprotokolls zeigte sich Südafrika zögerlich. Die Kaprepublik, die als stärkste Wirtschaftsmacht der Region mit ihren Handlungen deutliche Signale setzt, entschloss sich erst im November 1999 zur Ratifizierung des Handelsprotokolls (vgl. Flatters 2001: 9-12). Doch selbst als mit diesem Schritt Südafrikas die notwendige Zweidrittelmehrheit für den Beginn 109
110
111
112
113
Allerdings wird diese Vereinbarung nur dann wirksam, wenn eine allgemeine Analyse des globalen Zuckermarktes fünf Jahre nach Inkrafttreten des Annexes zu dem Resultat kommt, dass sich der weltweite Zuckermarkt stabilisiert hat und die geplanten Handelsliberalisierungen für die Produzenten zumutbar sind (vgl. Amended Protocol on Trade, 2000, Annex VII, Article 3). Weitere Informationen zur Rolle des Zuckersektors in einer SADC-Freihandelszone finden sich bei Thomas 2001 und Lee 2003: 122-126. Zu den Herkunftsregeln in der SADC-Freihandelszone, die ebenfalls Gegenstand kontroverser Debatten waren, liefert das Kapitel 9.1.2.1 nähere Informationen. Die Aushandlung der detaillierten Bestimmungen des Handelsprotokolls wurde nicht nur durch die schwierigen Verhandlungsthemen erschwert. Auch die dezentrale Organisationsform der SADC hatte ihren Anteil an den langwierigen Verhandlungen, da die zuständige Sektorkoordinationseinheit in Tansania mit ihrer Aufgabe, eine Umsetzungsstrategie für das Handelsprotokoll zu erarbeiten, überfordert war (Mair/Peters-Berries 2001: 336-337). Aufgrund ihres gemeinsamen Außenzolls können die SACU-Mitglieder keine individuellen Angebote und Zeitpläne für Zollreduzierungen verfolgen.
100
4 Die SADC als Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas
der Implementierungsphase erreicht war, ergaben sich weitere Verzögerungen. Im Dezember 1999 verlangte Sambia einen Aufschub der Implementierung und begründete seine Forderung mit bestehenden Unklarheiten zu den Herkunftsregeln für die Textil- und Zuckerwirtschaft (vgl. The Times of Zambia, 03.01.2000: „Postpone SADC trade protocol, urges Zambia“).114 So wurde der Beginn der Implementierung zunächst auf April 2000 verschoben. Doch auch diese Frist wurde nicht eingehalten. Erst im Juli 2000 konnte ein Durchbruch in den Verhandlungen verkündet werden. Die Ergebnisse der zähen Aushandlungsprozesse wurden in einem überarbeiteten Handelsprotokoll festgehalten und den Staats- und Regierungschefs der SADC am 06. und 07. August 2000 auf ihrem Gipfeltreffen in Namibia zur Unterzeichnung vorgelegt. Die Implementierung des überarbeiteten Handelsprotokolls begann offiziell zum 1. September 2000 (vgl. UN Integrated Regional Information Networks, 27.07.2000: „Southern Africa: Free Trade Deal Struck”). Doch zu diesem Zeitpunkt hatten allein Mauritius und Südafrika die notwendigen Dokumente beim SADC-Sekretariat hinterlegt und erfüllten damit die Voraussetzungen für den Start des Zollabbaus.115 Erst ein Jahr später, im August 2001, waren die notwendigen Unterlagen aller Unterzeichnerstaaten hinterlegt und die Umsetzung der Handelsliberalisierung konnte beginnen. Doch auch nach dem offiziellen Start der Implementierungsphase des Handelsprotokolls setzten die SADC-Staaten ihre vereinbarten Zollsenkungen nur zögerlich um. Für sie war die Frage nach der Verteilung der entstehenden Kosten und Nutzen durch die Freihandelszone noch nicht abschließend geklärt. Sie fürchteten den gesteigerten Wettbewerb innerhalb eines liberalisierten SADCWirtschaftsraums, der insbesondere von südafrikanischen Firmen dominiert werden würde. Auch die entstehenden Verluste durch den Wegfall der Zolleinnahmen bereiteten einigen der SADC-Staaten Probleme.116 Im Jahr 2004, nachdem die Hälfte der anvisierten Zeit für die Einrichtung der Freihandelszone verstrichen war, sollten die bislang erreichten Erfolge im Rahmen eines ‚midterm-reviews’ überprüft werden. In diesem Zusammenhag gab das SADC-Sekretariat eine Reihe von Studien in Auftrag, unter anderem zu den Herkunftsregeln (vgl. Brenton/Flatters/Kalenga 2005), zu den NTHs (vgl. Imani Development 2005) und zu Struktur und Ausmaß des intra-regionalen 114 115
116
Unterstützt wurde Sambia in seinem Vorstoß von Südafrika und Mauritius. Nach der vorgenommenen Ratifizierung müssen die beteiligten Staaten ihre Instrumente für die Implementierung des Protokolls beim SADC-Sekretariat hinterlegen. Diese Instrumente bestehen im Wesentlichen aus den erarbeiteten Zeitplänen, in denen die Zollreduzierungen für die verschiedenen Kategorien von Waren festgehalten sind (vgl. Kalenga 2004: 19). Mit besonders schwerwiegenden Einnahmeverlusten werden Simbabwe, Malawi, Mosambik und Tansania zu kämpfen haben, wenn der Handel mit ihrem wichtigsten Partner Südafrika mit reduzierten Zöllen bzw. zollfrei ablaufen wird (vgl. Mair/Peters-Berries 2001: 340-341).
4.4 Die Sicherheitspolitik der SADC
101
Handels (vgl. van Seventer/Kalaba 2005). Als wichtigste Herausforderungen für die Handelsintegration identifizierten die Gutachter die komplexen Herkunftsregeln, die ihrer Meinung nach den intra-regionalen Handel eher behindern als fördern.117 Ebenso kritisch bewerteten sie die fehlende Bereitschaft der SADC-Staaten, gegen NTHs vorzugehen.118 Verzögerungen bei der Umsetzung der vereinbarten Zollreduzierungen offenbarten sich insbesondere im Falle Malawis, Mosambiks, Simbabwes und Tansanias.119 Doch eine weitere Erkenntnis stellte die Relevanz des Handelsprotokolls allgemein in Frage. Nur 30 % des intra-regionalen Handels laufen offiziell unter den Bestimmungen des Handelsprotokolls. Die restlichen 70 % regeln entweder bilaterale Abkommen oder andere regionale Übereinkünfte (vgl. The Services Group 2007). In der Folgezeit wurde die Notwendigkeit einer zügigen Implementierung des Handelsprotokolls immer wieder hervorgehoben. So beispielsweise im März 2005, als das SADC-Sekretariat in einer offiziellen Stellungsnahme die Ver-zögerungen bei der Implementierung des Handelsprotokolls offen zur Sprache brachte (vgl. The Herald, 05.07.2005: „Zim Ratifies SADC Trade Protocol”). Auf Beschluss der Staats- und Regierungschefs fand zudem im Oktober 2006 im südafrikanischen Midrand ein außerordentliches Summit statt, das sich ausschließlich mit dem aktuellen Stand der Wirtschaftsintegration beschäftigte. Hier wurde eine ‚Taskforce’ auf ministerieller Ebene ins Leben gerufen, um einen Plan zur Implementierung der SADC-Programme zu entwickeln. Im August 2008 konnten die Staats- und Regierungschefs offiziell den Beginn der Freihandelszone verkünden. Doch die Implementierung des Handelsprotokolls ist damit immer noch nicht abgeschlossen. Auf die Verhandlungsführer wartet noch eine Reihe von kontroversen Themen: Eine der größten Herausforderungen besteht wohl darin, den Zollabbau bis zum Jahre 2012 auch auf den Bereich der sensitiven Güter auszuweiten. Auch der Abbau der NTHs, der im Artikel sechs des Handelsprotokolls festgeschrieben ist, muss weiter forciert werden. Gleiches gilt für die Zielsetzungen, wirtschaftliches Wachstum, Diversifikation der wirtschaftlichen Produktion und Industrialisierung zu fördern. 4.4 Die Sicherheitspolitik der SADC Anders als im Handelsbereich beruht die sicherheitspolitische Integration der SADC-Staaten nicht auf einem einzelnen Protokoll, sondern es existieren ver117 118 119
Siehe hierzu auch das Kapitel 9.1.2.1. Die Problematik der NTHs innerhalb der SADC-Region wird in Kapitel 9.1.2.2 aufgegriffen. Einen detaillierten Überblick zum Stand der Implementierung der Zollsenkungen in den beteiligten SADC-Staaten liefert Vogt 2007: 222-225.
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schiedene Verträge und Protokolle, die für den Sicherheitsbereich von Bedeutung sind. Im Zentrum des folgenden Kapitels sollen die wichtigsten Dokumente der sicherheitspolitischen Integration stehen: Das ‚Protocol on Politics, Defence and Security Co-Operation’ und mit ihm das OPDS, der SIPO als Implementierungsplan für die Umsetzung des Protokolls sowie der ‚Mutual Defence Pact’ (MDP). Doch vorweg soll in einem kurzen Überblick die allgemeine Sicherheitslage innerhalb der SADC-Region skizziert werden. 4.4.1 Sicherheitspolitische Herausforderungen innerhalb SADC Die grundlegenden (welt-)politischen Veränderungen zu Beginn der 1990er Jahre beeinflussten auch die sicherheitspolitischen Herausforderungen im südlichen Afrika nachhaltig. Mit dem Untergang des Apartheidstaates in Südafrika war der über Jahrzehnte hinweg geführte Befreiungskampf gewonnen. Auch die – insbesondere durch die weiße Minderheitsregierung in Südafrika heraufbeschworene – Gefahr in Gestalt des Weltkommunismus verlor mit dem Zusammenbruch des Sozialismus an Relevanz. Allerdings wurde im Zuge dieser Entwicklungen auch deutlich, dass fundamentale Konflikte und Sicherheitsbedrohungen innerhalb der Region jahrelang von den dominanten Mustern des OstWest-Konflikts überdeckt worden waren (vgl. Meyns 2000b: 27-29; Williams 2004: 201-202). Sicherheitspolitische Themen waren somit keineswegs obsolet geworden, sondern präsentierten sich lediglich in einer abgewandelten Form. So waren es nicht mehr vornehmlich externe Bedrohungen, die die Sicherheit der einzelnen SADC-Staaten gefährdeten, sondern vielmehr interne Bedrohungen. Kennzeichnend dafür waren verschiedene innerstaatliche Konflikte, mit denen sich die SADC-Staaten seit den ausgehenden 90er Jahren konfrontiert sahen und die im direkten Zusammenhang mit der Schwäche der nachkolonialen afrikanischen Staaten standen (vgl. Buzan/Wæver 2003: 219-253). Zu den wichtigsten dieser Konflikte120 zählt der langjährige Bürgerkrieg in Angola, der 2002 mit Ermordung des Rebellenanführers Jonas Savimbi offiziell 120
Bei den aufgeführten Konflikten handelt es sich um äußerst komplexe Prozesse, die allesamt eine langjährige Vorgeschichte besitzen. Die folgenden Skizzen einzelner Konflikte präsentieren lediglich einen Ausschnitt dieser Auseinandersetzungen und sind auf ihre Bedeutung für die regionale Ebene ausgerichtet. Einen guten Überblick zu den teilweise sehr komplizierten Konfliktkonstellationen in Angola, der DRK und Simbabwe liefert die International Crisis Group auf ihrer Webseite www.crisisgroup.org. Mit seiner detaillierten Vorstellung der einzelnen SADC-Mitglieder, unter Berücksichtigung ihrer regionalen Einbindung, kann zudem Volker Ressler wichtige Hintergrundinformationen zu den Konflikten liefern (vgl. Ressler 2006: 137-235).
4.4 Die Sicherheitspolitik der SADC
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für beendet erklärt wurde. Auf regionaler Ebene hatte es insbesondere in den Jahren 1998 und 1999 Auseinandersetzungen zwischen Angola und Sambia gegeben, die auf den Vorwurf zurückgingen, Sambia unterstütze die angolanische Rebellenorganisation ‚União Nacional para a Independência Total de Angola’ (UNITA) mit Waffenlieferungen. Zur Bewährungsprobe für die SADC entwickelte sich jedoch die kriegerische Auseinandersetzung in der DRK. Hier zettelten Rebellen mit Unterstützung der Nachbarstaaten Uganda und Ruanda im August 1998 einen Aufstand gegen den amtierenden Präsidenten Laurent Kabila an, der als Mitglied der SADC die Regionalgemeinschaft zur Hilfe rief. Darauf antwortete der simbabwische Präsident Robert Mugabe als Vorsitzender des OPDS mit der Einberufung eines außerordentlichen Treffens der SADC-Staats- und Regierungschefs, bei dem Südafrika trotz seines amtierenden Vorsitzes der SADC nicht anwesend war. Nach einem weiteren Treffen des ISDSC ließ Mugabe verkünden, die SADC habe sich einstimmig entschieden, den in Bedrängnis geraten Präsidenten Kabila zu unterstützen. Noch im gleichen Monat entsandten Angola, Sambia und Simbabwe Truppen in die DRK und griffen damit aktiv in die kriegerischen Handlungen ein. Ihre Entscheidung rechtfertigten die Staaten, indem sie den Rebellenaufstand als einen externen Angriff Ugandas und Ruandas auf die DRK interpretierten. Doch Mugabes Vorgehen, den militärischen Einsatz als SADC-Aktion zu deklarieren, stand auf einem unsicheren Fundament. Das OPDS war eigentlich suspendiert und damit weder handlungs- noch beschlussfähig. Sein Vorsitzender, Robert Mugabe, war nicht befugt, offiziell im Namen der SADC zu sprechen und auch das ISDSC besitzt nicht die Autorität, ein militärisches Eingreifen der SADC-Staaten zu veranlassen (vgl. Nathan 2006: 613). Dementsprechend fand der militärische Eingriff auch keine ungeteilte Zustimmung innerhalb der SADC, sondern wurde besonders scharf von Südafrika verurteilt. Unterstützt von Botsuana und Tansania versuchte der südafrikanische Präsident Nelson Mandela, eine Beilegung des Kongo-Konflikts auf dem Verhandlungsweg herbeizuführen. Um seine Position zu untermauern, rief er ein außerordentliches SADC-Gipfeltreffen in Südafrika ein, an dem Mugabe allerdings nicht teilnahm. Hier sprachen sich die anwesenden Staaten für einen sofortigen Waffenstillstand und für die Aufnahme von Verhandlungen aus. Doch schon im September 1998 wandelte sich die südafrikanische Position schlagartig. Mandela erklärte auf einem Treffen der Vereinigung der Blockfreien Staaten, dass die SADC geschlossen hinter Simbabwe und seiner Entscheidung stehe, militärisch in den Kongo-Konflikt einzugreifen. In der Folgezeit demonstrierten die SADC-Staaten nach außen Einigkeit und Mandela zeigte sich bemüht, die entstandenen Gerüchte über Auseinandersetzungen zwischen ihm
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4 Die SADC als Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas
und Mugabe zu dementieren (vgl. Panafrican News Agency, 03.09.1998: „SADC Summit Supports Intervention In Congo“). Auf dem folgenden SADCGipfeltreffen in Botsuana im November 1998 diskutierten die SADC-Staaten die Möglichkeiten einer baldigen Beilegung des Konflikts. Im Juli 1999 unterzeichneten die Konfliktparteien in Lusaka ein Friedensabkommen, das den Rückzug fremder Truppen (auch der Truppen aus den SADC-Staaten), die Einrichtung eines gegenseitigen Dialogs und die Entsendung einer UN-Friedenstruppe vorsah.121 Als Motiv für die von Simbabwe angeführte militärische Intervention in der DRK werden insbesondere ökonomische Gründe angeführt. So habe Mugabe durch das militärische Eingreifen versucht, mit der Regierung Kabilas einen seiner wichtigsten Handelspartner zu unterstützen (vgl. Zimbabwe Independent, 28.08.1998: „The cost of sustaining Mugabe's ego“). Ungefähr zeitgleich zur Rebellion in der DRK kam es auch in Lesotho zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Anlass waren Vorwürfe der Opposition hinsichtlich einer breit angelegten Manipulation der nationalen Wahlen im Mai 1998. Den Protesten der Oppositionsbewegung schlossen sich Mitglieder des Militärs an und brachten ranghohe Angehörige der Streitkräfte in ihre Gewalt. In der Angst vor einem drohenden Putsch wendete sich Premierminister Ntsu Mokhele hilfesuchend an die SADC. Nach vorherigen Konsultationen mit Mosambik und Simbabwe entsandten Botsuana und Südafrika im September 1998 eigene Truppen nach Lesotho. Bei ihrer Ankunft trafen sie auf unerwartet starken Widerstand des Militärs in Lesotho, sodass die Mission, begleitet von taktischen Fehlern, heute weitestgehend als misslungen wahrgenommen wird (vgl. Nathan 2006: 612-613). Gleichzeitig zeigte sich Südafrika bestrebt, seine dominante Rolle bei der militärischen Aktion herunterzuspielen und betonte, der Eingriff in die Lesotho-Krise habe unter SADC-Mandat stattgefunden (vgl. Panafrican News Agency, 23.09.1998: „Lesotho Opposition Condemn SA Intervention In Lesotho”). Über die möglichen Motive Südafrikas für diese Intervention wurde in den Folgemonaten debattiert. Analysten sahen in der Militäraktion unter anderem einen Akt der vorbeugenden Selbstverteidigung, da Südafrika aufgrund der engen territorialen Anbindung zu Lesotho zwangsläufig von einer dortigen Krise negativ betroffen gewesen wäre (vgl. The Sowetan, 13.10.1998: „SA action in Lesotho 'legal'“).122
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Allerdings erwies sich das ausgehandelte Friedensabkommen schon bald als unzureichend und scheiterte. Der Konflikt weitete sich zu einem verheerenden Bürgerkrieg aus. Zudem spielten für Südafrika auch wirtschaftliche Motive eine Rolle. Die Unruhen gefährdeten ein zentrales Infrastrukturprojekt der südafrikanischen Regierung, das ‚Lesotho Highlands Water Project’, das die Wasserversorgung der südafrikanischen Wirtschaftsregion Gauteng sichern soll (vgl. Söderbaum 2003b: 175-176).
4.4 Die Sicherheitspolitik der SADC
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Zu einer weiteren sicherheitspolitischen Herausforderung für die SADC entwickelte sich die Situation in Simbabwe. Bereits in den 1990er Jahren mehrten sich die Anzeichen eines wirtschaftlichen Niedergangs der einstigen ‚Kornkammer Afrikas’, begleitet von zunehmenden anti-demokratischen Tendenzen innerhalb der Regierung Robert Mugabes. Mit der gewaltsamen Durchführung eines Landreformprogramms ab dem Jahr 2000 und steigender Repression durch die regierende Partei wurde die ökonomische und politische Situation des Landes immer dramatischer. Die Simbabwe-Krise wird in dieser Arbeit herangezogen, um exemplarisch den Umgang der SADC mit innerstaatlichen Sicherheitsbedrohungen zu verdeutlichen. Somit steht die Simbabwe-Krise im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen zur sicherheitspolitischen Integration, während andere Aspekte wie die militärische Kooperation nur kurz vorgestellt werden und wiederum andere außen vor bleiben. Letzteres gilt beispielsweise für die sicherheitspolitische Zusammenarbeit im Bereich der Nahrungsmittelsicherung oder die Arbeit zum Aufbau eines ‚Frühwarnsystems’, das als Analyseeinheit innerhalb der SADCSicherheitsbedrohungen in der Region frühzeitig erkennen soll. Die notwendigen Informationen zu den Entwicklungen in der SimbabweKrise liefert die folgende tabellarische Übersicht. Sie konzentriert sich insbesondere auf die Rolle der SADC in dieser Krise. Tabelle 7: Übersicht zur Simbabwe-Krise Ereignis Februar 2000: Verabschiedung des ‚Land Acquisition Act 2000’
Juni 2000: Parlamentswahlen in Simbabwe
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Erläuterung/Anmerkung - Gesetzliche Regelungen zur staatlichen Enteignung vornehmlich ‚weißer’ Farmen. - GB wird – ohne Rücksprache – in die Pflicht genommen, die Kompensationszahlungen an die enteigneten Farmer zu entrichten. Die Beziehungen zur ehemaligen Kolonialmacht sind dadurch auf einem Tiefpunkt. - GB stellt finanzielle Unterstützung für das Landreformprogramm ein. - Es gibt in den Folgemonaten erste gewaltsame Farmbesetzungen durch Kriegsveteranen und Anhänger der ZANU-PF123 in Simbabwe. - Die bis dahin bestehende ‚De-facto’Einparteienherrschaft der ZANU-PF wird abgelöst
Die Abkürzung ZANU-PF steht für ‚ Zimbabwe African National Union - Patriotic Front’
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4 Die SADC als Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas
August 2000: SADC-Gipfeltreffen in Namibia August 2001: Die USA erlassen die ‘Zimbabwe Democracy and Economic Recovery Bill’ August 2001: SADC-Summit in Malawi
September 2001: Gründung ministerieller SADC-Taskforce Dezember 2001: Angeblich kritische Töne des südafrikanischen Präsidenten in Bezug auf Mugabes Politik
Januar 2002: Außerordentliches SADCSummit in Malawi
durch ein Zweiparteiensystem. - Das 1999 gegründete MDC erlangt 57 von insgesamt 120 Parlamentssitzen. - Politische Gewalt und Einschüchterungen gegenüber Oppositionellen nehmen zu. - Der südafrikanische Präsident Mbeki und der malawische Präsident Muluzi erhalten ein Mandat, im Namen Simbabwes mit GB Gespräche zu führen. - Der Beschluss beinhaltet unter anderem ein Einreiseverbot für Mugabe, seine Kabinettsmitglieder und weitere hochrangige ZANU-PF-Mitglieder. - Die Staatschefs sind besorgt, dass die schlechte wirtschaftliche Situation in Simbabwe auf andere Staaten der Region übergreifen könnte. - Gründung einer Taskforce aus SADC-Staaten, die zusammen mit der Regierung in Simbabwe Möglichkeiten für die Lösung der wirtschaftlichen und politischen Krise im Land erarbeiten soll. - Aufruf an GB, seinen Zusagen aus dem ‚Lancaster House Agreement’, in dem es die Unterstützung für Landreformen in Simbabwe zugesagt hat, nachzukommen. -Verurteilung der amerikanischen Sanktionen. - Die Taskforce soll in der wirtschaftlichen und politischen Krise Simbabwes vermitteln. - Es gibt spürbare Spannungen zwischen Südafrika und Simbabwe. - Mbeki wird mit den Worten zitiert, Mugabe habe die zweitgrößte Wirtschaftsmacht im südlichen Afrika ruiniert. - Mbeki wird im eigenen Land zunehmend für seine Vorgehensweise kritisiert. Er solle ‚härter’ gegen Mugabe vorgehen. - Das Mugabe-Regime antwortet auf die Kritik mit dem Vorwurf, Südafrika wolle den Umsturz der ZANU-PF Regierung herbeiführen und habe sich mit GB und anderen westlichen Staaten gegen Simbabwe zusammengeschlossen - Offizielle Unterstützung für das Landreformprogramm in Simbabwe. - Ministerielle SADC-Taskforce soll weiter mit der EU, GB und den USA verhandeln.
4.4 Die Sicherheitspolitik der SADC
Februar 2002: Die EU erlässt Sanktionen gegen Simbabwe
März 2002: Präsidentschaftswahlen in Simbabwe
Oktober 2002: Mugabe wird als stellvertretender Vorsitzender der SADC ersetzt April 2003: Besuch der SADC-Taskforce in Simbabwe August 2003: SADC-Gipfeltreffen in Tansania
November 2003: Zunehmende politische Gewalt in Simbabwe Dezember 2003: Simbabwe tritt aus dem Commonwealth aus
Dezember 2003: Treffen zwischen Mbeki und Mugabe Januar 2004:
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- Es gibt Berichte, wonach SADC-Staats- und Regierungschefs Anstoß nehmen an den Äußerungen der Militärführung Simbabwes. Diese hatten geäußert, dass sie nur einen Wahlsieger akzeptieren würden, der aus den Reihen des Befreiungskampfes kommt. - Die EU zieht ihre Wahlbeobachtungsmission zurück. - So genannte ‚smarte Sanktionen’ richten sich gegen die Machthaber des Mugabe-Regimes: Unter anderem wird Vermögen von Mugabe und weiteren hochrangigen Offiziellen auf europäischen Banken eingefroren und ein Einreiseverbot in die EU erlassen. - Das ‚offizielle’ Wahlergebnis: Mugabe erhält 56,06 %, sein Kontrahent Tsvangirai 42,10% der Stimmen. - Der mosambikanische Präsident Chissano erklärt als Vorsitzender des OPDS die Wahlen als frei und fair. - Westliche Beobachter und das SADC Parliamentary Forum beklagen Gewalt und Wahlmanipulation und bezeichnen die Wahlen als nicht frei und fair. - Die SADC-Staaten wollen verhindern, dass Simbabwe im Jahr 2003 turnusgemäß den Vorsitz der SADC erhält. Stattdessen erhält Tansania den stellvertretenden Vorsitz. - Die Taskforce soll die Menschenrechtssituation in Simbabwe untersuchen und Gespräche mit Vertretern der Zivilgesellschaft und der Regierung führen. - Die Staats- und Regierungschefs drücken ihre Solidarität mit Simbabwe aus. - Es gibt einen Aufruf an westliche Staaten, die Sanktionen zu beenden. - Botsuana äußert Kritik an der Haltung der SADC gegenüber Simbabwe. - Anhänger der Opposition werden verhaftet. - Dem Austritt war eine Suspendierung Simbabwes durch das Commonwealth vorausgegangen. - Die SADC-Mitglieder missbilligen offiziell diese Entscheidung. - Mugabe fordert die SADC-Staaten zum Austritt aus dem Commonwealth auf. - Mbeki möchte die Aufnahme von Verhandlungen zwischen ZANU-PF und MDC erreichen. - Mbeki verkündet, dass Mugabe als Resultat seiner
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4 Die SADC als Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas
Mugabe signalisiert Gesprächsbereitschaft August 2004: SADC-Gipfeltreffen in Mauritius
August 2004: Drohender Wahlboykott durch den MDC November 2004: Treffen zwischen Mbeki und Tsvangirai sowie zwischen Tsvangirai und dem SADCVorsitzenden Januar 2005: Verstoß gegen die SADCWahlrichtlinien
Februar 2005: Probleme mit SADCWahlbeobachtungs-mission in Simbabwe März 2005: Bekanntgabe des Wahltermins für die Parlamentswahlen
Vermittlungsbemühungen Gesprächen mit dem MDC zugestimmt habe. - Der MDC traut dem Gesprächsangebot nicht. - Verabschiedung der SADC-Wahlrichtlinien. - Mbeki warnt, dass Mitglieder, die sich nicht an die Richtlinien halten, aus der Regionalgemeinschaft ausgeschlossen werden können. -Politische Kommentatoren deuten die Richtlinien als einen Versuch der SADC-Staaten, Mugabe zur Abhaltung demokratischer Wahlen zu drängen. - Bedingungen des MDC für die Teilnahme an den Wahlen im März 2005: Erfüllung der SADC-Wahlrichtlinien, Ende der politischen Gewalt und Aufhebung repressiver Medien- und Sicherheitsgesetze. - Beratungen zu den geplanten Parlamentswahlen im März 2005. - MDC macht Anwendung der SADC-Wahlrichtlinien weiter zur Bedingung für Wahlteilnahme. - Tsvangirai plädiert für spätere Wahlen im Juni 2005, um notwendige Reformen durchzuführen. - Mit der Verabschiedung restriktiver NRO- und Medien-Gesetze, dem Verbot von Wahlwerbung des MDC in den staatlichen Medien und der Neuordnung der Stimmbezirke zugunsten der regierenden Partei begeht Mugabe gravierende Verstöße gegen die SADC-Wahlrichtlinien. - Nachdem es einer Delegation von SADC-Staats- und Regierungschefs nicht gelungen war, ihre Untersuchungen zu den Bedingungen im Vorfeld der Wahlen zu beenden, wird von der SADC ein Expertenteam zusammengestellt. - Mugabe gibt den 31. März als Wahltermin für die Parlamentswahlen bekannt. - MDC nimmt „unter Protest“ an den Wahlen teil. - Das SADC Parliamentary Forum wird von der Liste der zugelassenen Wahlbeobachter gestrichen. - Ein Expertenteam der SADC erhält die notwendige Einladung zur Einreise verspätet, eine Woche vor dem Wahltermin. - Mbeki bezeichnet die Politik der Landreform in Simbabwe als “inkorrekt”, kritisiert aber die Äußerungen der amerikanischen Außenministerin Condoleezza Rice, die Simbabwe im US-Senat als „Vorposten der Tyrannei“ bezeichnet hatte.
4.4 Die Sicherheitspolitik der SADC März 2005: Parlamentswahlen in Simbabwe
Mai 2005: Operation Murambatsvina (“Drive Out Rubbish”)
Mai 2005: Spaltung innerhalb der ZANU-PF August 2005: SADC-Gipfeltreffen in Botsuana
November 2005: Anzeichen für Spaltung innerhalb der Oppositionsbewegung MDC
November 2005:
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- Offizielles Wahlergebnis: ZANU-PF gewinnt 78 von 150 Sitzen, der MDC erhält 41 Sitze. Zusammen mit den 12 Parlamentsitzen, die der Präsident frei vergeben darf, besitzt die ZANU-PF eine Zweidrittelmehrheit. - Die SADC-Wahlbeobachtungsmission erklärt die Wahlen für „frei und fair“, die AU als “technically competent”. - Mugabe verkündet, er werde nach dem Auslaufen seiner Amtszeit 2008 zurücktreten. - Im Rahmen einer dreimonatigen Kampagne mit dem offiziellen Ziel, Simbabwe von städtischen Slums zu befreien, werden informelle Siedlungs- und Geschäftsgebiete zerstört. Mehrere hunderttausend Einwohner verlieren ihre Existenzgrundlage. -Tatsächlicher Hintergrund der Aktion: Mugabe befürchtet ein Aufbegehren gegen die Regierung in den städtischen Slumgebieten. - Es gibt Auseinandersetzungen innerhalb der regierenden Partei, unter anderem um das Ende der Amtszeit Mugabes. - Die Partei ist in zwei Lager (Unterstützer und Widersacher Mugabes) gespalten. - Die SADC-Staats- und Regierungschefs vermeiden eine offizielle Stellungnahme zur Simbabwe-Krise. - Medienberichten zufolge wird Mugabe auf dem Gipfeltreffen nur mit wenig Herzlichkeit empfangen. - Auf einen Bericht des Programms des Vereinten Nationen für menschliche Siedlungen (UNHABITAT), der mit deutlichen Worten die katastrophale Situation nach den Vertreibungen der Operation Murambatsvina anprangert, reagiert die SADC nicht. - Es gibt einen Konflikt innerhalb des MDC wegen der Teilnahme an den Senatswahlen am 26.11.2005. - Senat wurde nach Verfassungsänderung der ZANUPF wieder eingeführt. - Tsvangirai ist gegen eine Beteiligung an den Senatswahlen. Sein Argument: Der Senat sei nur ein weiteres Machtinstrument Mugabes und eine große Geldverschwendung. Der Generalsekretär des MDC, Welshman Ncube, ist für eine Wahlbeteiligung. - Eine Gruppe von MDC-Mitgliedern lässt sich für die Wahl aufstellen. - Die ZANU-PF erlangt 59 der 66 Sitze.
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4 Die SADC als Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas
Senatswahlen Februar 2006: Offizielle Spaltung des MDC
Juni 2006: Tsvangirai stellt ‚roadmap’ vor
Juli 2006: Mkapa-Initiative
August 2006: SADC-Gipfeltreffen in Lesotho
März 2007: Festnahme Tsvangirais März 2007: Sambischer Präsident vergleicht Simbabwe mit der „sinkenden Titanic“ März 2007: Außerordentliches SADCGipfeltreffen zur Situation in Simbabwe 124
- Spaltung des MDC in zwei Fraktionen. - Fraktionen spiegeln auch eine ethnische Teilung wider: Die Unterstützergruppe um Tsvangirai besteht hauptsächlich aus Angehörigen der Shona-Gruppe, ihre Gegenfraktion, angeführt von Arthur Mutambara aus Angehörigen der Ndebele-Minderheit. - In den Folgemonaten kann sich die Gruppe um Morgan Tsvangirai als ‚Hauptfraktion’ des MDC durchsetzen.124 - Forderungen: Mugabe soll neue Verfassung akzeptieren, abtreten und einer Übergangsregierung die Vorbereitung von Wahlen unter internationaler Aufsicht ermöglichen. - Androhung von Massenprotesten, falls Mugabe diesen Forderungen nicht nachkommt. - Mugabe ernennt den ehemaligen tansanischen Präsidenten Benjamin Mkapa zum Mediator. Er soll sich insbesondere um die Beziehungen zu GB kümmern. - Mkapa führt Gespräche mit Botsuana, Namibia und Südafrika. - Innerhalb der SADC besteht Uneinigkeit über die Mkapa-Initiative. - Ihre finanzielle Unterstützung der Initiative wollen die SADC-Staaten unter anderem von einer Neuformulierung der Aufgabenstellung abhängig machen: Mkapa soll sich auf die allgemeine politische Situation in Simbabwe konzentrieren. - Tsvangirai wird im Polizeigewahrsam geschlagen. - Sambia ruft als erstes SADC-Mitglied dazu auf, die Vorgehensweise in der Simbabwe-Krise zu ändern. Präsident Levy Mwanawasa erklärt den Ansatz der stillen Diplomatie für gescheitert. Es entsteht Druck auf Südafrika, seine Verhandlungsstrategie zu überdenken. - Die Staats- und Regierungschefs bekräftigen ihre Solidarität mit Simbabwe. - Zum ersten Mal gibt es ein offizielles Eingeständnis, dass in Simbabwe ein Problem herrscht, das eine
Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf beide Fraktionen des MDC. Falls nur jeweils eine der Fraktionen gemeint ist, wird dies durch die Kennzeichnung MDC-(T) für ‚Morgan Tsvangirai-Fraktion’ bzw. MDC-(M) für ‚Arthur Mutambara-Fraktion’ kenntlich gemacht.
4.4 Die Sicherheitspolitik der SADC
April 2007: Einigung der MDCFraktionen über einen Verhandlungsplan Mai 2007: Erste Verhandlungserfolge
Juni 2007: Treffen der Verhandlungsparteien in Pretoria
Juli 2007: ZANU-PF boykottiert weiteres Treffen in Pretoria August 2007: 10.-18. August 07 SADC-Gipfeltreffen in Sambia
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regionale Lösung erfordert. - Mbeki wird offiziell beauftragt, an seinen Verhandlungen zwischen Regierung und MDC festzuhalten und der Troika Bericht zu erstatten. Genauere Angaben zum Inhalt der Verhandlungen und einem möglichen Zeitplan werden nicht genannt. - Der Exekutivsekretär der SADC, Tomaz Salomão, erhält den Auftrag, eine Studie zur wirtschaftlichen Situation in Simbabwe zu erstellen und darin mögliche Lösungswege für die Krise aufzuzeigen. - Die Führer beider MDC-Fraktionen präsentieren Mbeki ihren Verhandlungsplan. - Ihre Forderungen: eine Übergangsregierung, eine neue Verfassung, freie und faire Neuwahlen. - Südafrika kann Mugabes widerwillige Unterstützung für die erneute Verhandlungsinitiative gewinnen. - Es gibt ein Treffen zwischen beiden Fraktionen des MDC und der Regierungspartei. - Auf einem weiteren Treffen Anfang Juni soll der Rahmen weiterer Verhandlungen festgelegt werden. - Gegensatz: ZANU-PF möchte in den Gesprächen hauptsächlich über die Politik zur Landreform und die Aufhebung der Sanktionen verhandeln, der MDC über Verfassungsfragen und die anstehenden Präsidentschaftswahlen. - Der MDC fordert eine neue Verfassung und eine umfassende Reform der Wahlgesetze. - Die bestehende Spaltung innerhalb des MDC tritt wieder auf. Der MDC-(M) erklärt, dass sie einen eigenen Präsidentschaftskandidaten stellen wird. - Mugabe sagt, Verfassungsfragen stünden nicht zur Diskussion, es gäbe keinen Bedarf für eine neue Verfassung. - Eine Einigung ist weiterhin nicht in Sicht. - Mbeki präsentiert hinter verschlossenen Türen seinen Bericht zum Fortgang der Verhandlungen. Sein Bericht bleibt unveröffentlicht. - Der Bericht des Exekutivsekretärs zur wirtschaftlichen Krise in Simbabwe wird vorgestellt. - Die Finanzminister der SADC-Staaten werden beauftragt, in Zusammenarbeit mit der Regierung Simbabwes einen Plan zur Verbesserung der Wirtschaftslage zu erarbeiten. - Medienberichten zu Folge ergaben sich Unstimmig-
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4 Die SADC als Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas
September 2007: Zustimmung des MDC zur ‚Verfassungsänderung Nr. 18’ im simbabwischen Parlament
Oktober 2007: Drohung des MDC, aus den Verhandlungen auszusteigen November 2007: Einigung bzgl. Übergangsverfassung Dezember 2007: ZANU-PF macht geringe Zugeständnisse Dezember 2007: Spannungen zwischen den Verhandlungsparteien Januar 2008: Verhandlungsgespräche zwischen ZANU-PF und Fraktionen des MDC scheitern Februar 2008: SADC-Bekanntmachung: Verhandlungen hätten ein “Agreement on all substantive matters“ erreicht
keiten über die Ursache der Wirtschaftskrise: Während Simbabwe allein die bestehenden Sanktionen für die Krise verantwortlich macht, weisen andere SADCStaaten, unter ihnen Südafrika, auf die Verantwortlichkeit der Regierung für die Krise hin. - Wichtigster Inhalt: 1. Zusammenlegung der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im März 2008, 2. Parlament und Senat können gemeinsam mit einer Zweidrittelmehrheit einen neuen Präsidenten wählen, falls selbiger zurücktritt, stirbt oder sein Amt nicht mehr ausüben kann, 3. Schaffung weiterer 90 Parlamentssitze, 4. Gründung einer Menschenrechtskommission, die vom Präsidenten ernannt wird. - Die Zustimmung des MDC ist eher ein ‚symbolischer Akt’. ZANU-PF hat die notwendige Mehrheit, um Verfassungsänderungen allein durchzusetzen. - Hintergrund: eskalierende Gewalt gegen Oppositionsanhänger. - Konflikt um den Zeitpunkt der Wahlen: MDC fordert Verlegung der Wahlen von März auf Juni 2008, um bis dahin die Übergangsverfassung zu implementieren. - Mbeki nimmt an den Verhandlungen in Harare teil. - Die Regierungspartei nimmt kleinere Revision an bestehenden repressiven Gesetzen vor, die die Arbeit der Opposition und zivilgesellschaftlicher Organisationen enorm einschränken. - MDC bezeichnet die Änderungen als unzureichend. - Beide Fraktionen des MDC kritisieren, dass die ZANU-PF bislang die Übergangsverfassung nicht umgesetzt hat. - Das Datum für die Wahlen ist weiterhin ungeklärt. - Auslösender Faktor: Mugabe erklärt den 29. März 2008 zum Wahltermin. - Auch ein persönliches Eingreifen Mbekis konnte den Zusammenbruch der Verhandlungen nicht verhindern. - Tsvangirai wird im Vorfeld einer Wahlveranstaltung kurzzeitig festgenommen. - Nach den Verlautbarungen der SADC seien nur noch prozesstechnische Angelegenheiten zu regeln. - Mbeki legt die Zustimmung des MDC zur ‚Verfassungsänderung Nr. 18’ als seinen Verhandlungserfolg aus.
4.4 Die Sicherheitspolitik der SADC
Februar 2008: MDC bleibt gespalten
29. März 2008: Kommunal-, Parlamentsund Präsidentschaftswahlen in Simbabwe 2. April 2008: MDC erklärt Tsvangirai zum Gewinner der Präsidentschaftswahl
3. April 2008: Bekanntgabe der Ergebnisse der Parlamentswahlen
4. April 2008:
12. April 2008: Mbeki trifft Mugabe
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- MDC kritisiert Mbekis Darstellung als unzutreffend. - Gespräche zwischen den MDC-Fraktionen, die das Ziel verfolgen, Kräfte zu bündeln und die Oppositionsanhänger hinter einem gemeinsame Kandidaten Tsvangirai zu versammeln, scheitern. - Die MDC-Fraktionen stellen jeweils eigene Kandidaten für die Kommunal- und Parlamentswahl auf. Bei der Präsidentschaftswahl ist nur der MDC-(T) mit einem eigenen Kandidaten, Morgan Tsvangirai, vertreten. - SADC erklärt die Wahlen als „peaceful and credible“. - Unabhängige westliche Beobachter sind nicht zugelassen - Die Regierung verhindert die Bekanntgabe der Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen. Trotzdem dringen Informationen von der Niederlage Mugabes an die Öffentlichkeit. - Die Simbabwische Wahlkommission unterrichtet Mugabe von den Ergebnissen der Präsidentschaftswahl. Es ist eine deutliche Niederlage Mugabes. - Verzögerungstaktik: Mugabe versucht Zeit zu gewinnen. - Regierung geht brutal gegen die Opposition vor. - Die ZANU-PF hat eine historische Niederlage erlitten und zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit die Mehrheit im Parlament verloren. - MDC: Tsvangirai, 99 Sitze; MDC: Mutambara, 10 Sitze; ZANU-PF: Mugabe, 97 Sitze. - Es herrscht Uneinigkeit innerhalb der ZANU-PF über die weitere Vorgehensweise. - Das Politbüro der ZANU-PF entscheidet, eine Stichwahl durchführen zu lassen. - Die politische Gewalt gegen Oppositionsanhänger nimmt weiter zu. - Mbekie wird mit den Worten zitiert: “it’s a normal electoral process in Zimbabwe” (International Herald Tribune, 13.04.2008: “Zimbabwe plight is ‘normal’, South African says”). - Mbeki verliert international und in seinem Heimatland stark an Glaubwürdigkeit. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass sein ANC-interner-Rivale, Jacob Zuma, die Situation in Simbabwe schon mit scharfen
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12. April 2008: Außerordentliches SADCGipfeltreffen zur SimbabweKrise
17. April 2008 2. Mai 2008
7. Mai 2008: Diplomatische Vermittlungsversuche der SADC
9. Mai 2008: Mbeki trifft Mugabe 16. Mai 2008 Juni 2008: Bilanz der politischen Gewalt
Worten kritisiert hatte. - Der Gipfel wird einberufen vom SADCVorsitzenden, dem sambischen Präsidenten Levy Mwanawasa. - Mugabe nimmt nicht persönlich teil, aber Tsvangirai. - Die SADC-Staaten rufen in einer Stellungnahme zur schnellen Veröffentlichung der Wahlergebnisse auf. Die Stichwahl solle in einem ‚sicheren Klima’ stattfinden. - Die Meinungsverschiedenheit über die weitere Vorgehensweise innerhalb der SADC verhärten sich: Botsuana, Sambia und Tansania sprechen sich für eine Abdankung Mugabes und eine Übergangsregierung aus. Diese Lösung ist mit Südafrika als Mediator aber nicht durchzusetzen. - Tsvangirai ruft Mbeki dazu auf, sein Amt als Mediator niederzulegen und den Weg frei zu machen für eine neue Initiative. - Die Wahlkommission verkündet das offizielle Ergebnis der Präsidentschaftswahlen: Tsvangirai: 47,9 % und Mugabe 43,2 %. Demnach ist eine Stichwahl notwendig - Es bestehen ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit dieses Ergebnisses. - Die SADC entsendet eine ministerielle Troika, angeführt vom angolanischen Außenminister. Sie soll ‚shuttle-Diplomatie’ betreiben, zwischen Mugabe in Harare, Mwanawasa in Lusaka und Mbeki in Pretoria. - Die Troika appelliert an die Parteien Simbabwes, die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl zu akzeptieren und an einer Stichwahl teilzunehmen. - Es herrscht Uneinigkeit innerhalb der SADC über die Art und Weise der weiteren Vermittlungen: Präsidenten Botsuanas, Sambias und Tansanias möchten ein neues, größeres Vermittlerteam einsetzen. Hintergrund: Sie sind der Ansicht, dass Mbekis Vermittlung nur Mugabes Interessen geschützt hat. - Kritik an Mbeki: Er habe wieder keine Kritik gegenüber Mugabe geäußert. - Die Wahlkommission gibt den 27. Juni als Termin für die Stichwahl bekannt. - Der MDC gibt bekannt, dass seit den Wahlen im März insgesamt 86 Menschen getötet und 2000 als politische Gefangene inhaftiert worden sind.
4.4 Die Sicherheitspolitik der SADC 16. Juni 2008: Weitere Verhandlungen 27. Juni 2008: Stichwahl Präsidentschaftswahl 21. Juli 2008: Treffen zwischen Mugabe und Tsvangirai 24. - 29. Juli 2008: Gespräche zwischen MDC (beide Fraktionen) und ZANU-PF August 2008: Mitte des Monats: Stillstand in den Verhandlungen 16.-17. August 08: SADC-Gipfeltreffen in Südafrika
25. August 2008
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- Mbeki führt als regionaler Mediator weitere Einzelgespräche mit den Konfliktparteien, aber ohne Erfolg. - Tsvangirai lässt sich nicht als Kandidat für die Stichwahl aufstellen. - Wie erwartet gewinnt Mugabe die Stichwahl. - MDC-(T), MDC-(M) und ZANU-PF unterzeichnen ein MoU als Grundlage für den folgenden Verhandlungsprozess. Zielsetzung: die Bildung einer Einheitsregierung. - Gespräche auf der Grundlage des MoUs beginnen in Südafrika, geraten aber schon am 29. Juli in eine Sackgasse. - Das Verhandlungsteam von Präsident Mbeki ist, wie vom MDC gefordert, um Vertreter der AU und der UN erweitert worden. - Die Verhandlungsparteien können sich nicht auf die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Ämtern des Präsidenten und des Premierministers einigen. - Entscheidende Fragen: Welches Amt besitzt die eigentliche Macht im Staat? Welches ist eher mit repräsentativen Aufgaben belegt? - Auch Mugabe, Mutambara und Tsvangirai nehmen an dem Treffen teil. In den kontroversen Fragen (siehe oben) kann aber keine Einigung erzielt werden. - Der botsuanische Präsident boykottiert das Gipfeltreffen als Reaktion auf Mugabes Teilnahme. Botsuana erkennt das Ergebnis der Stichwahl um das Präsidentenamt nicht an, weil die Grundprinzipien der SADC und der AU verletzt wurden. - Am Rande des Treffens machen Mbeki und der angolanische Präsident dos Santos den Vorschlag, wie der Stillstand in den Verhandlungen überwunden werden könnte. Nach der einfachen Formel: ‚Wer das Parlament kontrolliert, soll auch die Kontrolle über die Regierung bekommen’, schlagen sie vor, die Wahl des Parlamentssprechers zum Kriterium für die zukünftige Machtverteilung zu machen. Ihre Annahme: Der MDC-(M) wird die ZANU-PF unterstützen, sodass der MDC-(T) in der Minderheit ist. Diese Entscheidung würde Tsvangirai dazu zwingen, Zugeständnisse zu machen. - Abstimmung über den Parlamentssprecher: Der Kandidat des MDC-(T) gewinnt und Tsvangirai geht damit gestärkt aus der Abstimmung hervor.
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4 Die SADC als Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas
29. - 31. August 2008: Gespräche unter SADCMediation in Südafrika 15. September 2008
21. September 2008: Mbeki legt sein Präsidentenamt nieder 11. - 12. Oktober 2008: Probleme bei Umsetzung des GPA
27. Oktober 2008: Treffen der SADC-Troika in Swasiland 9. November 2008: SADC-Gipfeltreffen in Südafrika
14. November 2008
- Die SADC distanziert sich von der vorherigen Idee - Die Gespräche verlaufen nach einem ‚stop-and-go’Muster. - Ein Abkommen zur Machteilung zwischen MDC und ZANU-PF wird unterzeichnet. Titel: ‚Global Political Agreement’ (GPA). - Inhalt des Abkommens: Teilung der exekutiven Macht zwischen Mugabe (weiterhin Präsident) und Tsvangirai (zukünftiger Premierminister). Beide werden mit der Leitung von Ministerien betraut. Es gibt eine knappe Mehrheit der Ministerien unter der Führung des MDC. Ein 18-monatiger Zeitraum ist für die Ausarbeitung einer Verfassungsreform vorgesehen. - Damit sollen zwei Machtzentren innerhalb der Regierung entstehen. Ihre Beziehungen und Einflussbereiche sind aber noch nicht geklärt. Ebenso offen ist die Zuteilung wichtiger Ministerien. - Berichten zufolge stimmt Tsvangirai dem Abkommen auch unter dem Druck der SADC-Staats- und Regierungschefs zu. Sie werfen ihm vor, eine ‚afrikanische Lösung’ der Krise zu verschmähen. - Aufgrund innerparteilicher Konflikte tritt Mbeki von seinem Amt als Präsident Südafrikas zurück. - Mbeki führt sein Amt als Mediator trotzdem fort. - Mugabe beansprucht ohne vorherige Absprache alle wichtigen Ministerien (unter anderem im Sicherheitsund Wirtschaftsbereich) für die ZANU-PF. - Tsvangirai droht aus den Verhandlungen auszusteigen. Er macht zur Bedingung, dass ihm das Innenministerium unterstellt wird, was ihm die Kontrolle über die Polizei und das Wahlsystem sichern würde. - Der MDC boykottiert das Treffen, nachdem Tsvangirai von den simbabwischen Behörden kein Reisepass ausgestellt wurde. - Ziel: Die festgefahrenen Verhandlungen über die Verteilung der Ministerien wiederbeleben - Mbekis Vorschlag: ZANU-PF und Tsvangirais MDC-Fraktion sollen gemeinsam das Innenministerium leiten und dieses Arrangement soll nach sechs Monaten noch einmal überprüft werden. Tsvangirai lehnt den Vorschlag ab. - Tsvangirai fordert, dass Mbeki als Mediator abgelöst wird. Er spricht sich dafür aus, dass die Mediatorrolle
4.4 Die Sicherheitspolitik der SADC
27. November 2008
Dezember 2008
26. Januar 2009: SADC-Gipfeltreffen zur Simbabwe-Krise
30. Januar 2009 11. Februar 2009: Vereidigung Tsvangirai als neuer Premierminister 13. Februar 2009: Vereidigung des Kabinetts
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der SADC entzogen und stattdessen auf die AU und die UN übertragen wird. - Die Verhandlungsparteien unterzeichnen die ‚Verfassungsänderung Nr. 19’, die das GPA rechtlich umsetzt. - Eine Übereinkunft konnte nur erzielt werden, da der Gesetzestext kontroverse Aspekte außen vor lässt. - Nach Aussagen des MDC (T) sind wichtige Aspekte noch ungeklärt. - Es herrscht Stillstand in den Gesprächen um die Einheitsregierung. - Tsvangirai droht aus den Gesprächen auszusteigen, falls inhaftierte MDC-Mitglieder und Unterstützer nicht aus der Haft entlassen werden. - Zum Abschuss des Treffens gibt der südafrikanische Interimspräsident Kgalema Montlanthe im Namen der SADC bekannt, dass im Februar eine Einheitsregierung in Simbabwe gegründet werden soll. Damit würde das im September beschlossene GPA umgesetzt. - Spaltung innerhalb der SADC: Berichten zufolge haben sich Botsuana, Sambia und Tansania gegen die Einheitsregierung ausgesprochen. Sie favorisieren freie und faire Neuwahlen in Simbabwe. - Der botsuanische Präsident veröffentlicht nach dem Gipfel eine Stellungnahme, in der er das Ergebnis des Gipfeltreffens offiziell begrüßt. - Die MDC stimmt der Bildung einer Einheitsregierung mit Mugabes ZANU-PF zu. - Zweifel bezüglich Mugabes Bereitschaft zur Machtteilung bleiben bestehen. - Die politische Repression gegenüber Anhängern der Opposition setzt sich fort. - Das Kabinett besteht aus 61 Ministern. - Das umstrittene Innenministerium teilen sich MDC(T) und ZANU-PF.
Quellen: Berichte der International Crisis Group (vgl. 2007, 2008a; 2008b), www.eisa.org.za, diverse Zeitungsartikel aus Financial Gazette, Neue Zürcher Zeitung, SW Radio Africa, Sunday Times, The Business Day, The Guardian, The Namibian, The New York Times, Zimbabwe Independent, Zimbabwe Standard.
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4 Die SADC als Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas
Der Umgang mit innerstaatlichen gewaltsamen Konflikten innerhalb der Region stellt nicht die einzige sicherheitspolitische Herausforderung für die SADCRegion dar.125 Sie ist allerdings eine der fundamentalsten, da durch die gewaltsamen Konflikte jegliche Grundlage für eine umfassende politische wie wirtschaftliche Entwicklung und Armutsbekämpfung – dem eigentlichen Hauptziel der SADC-Staaten – verloren geht. 4.4.2 Das ‚Organ on Politics, Defence and Security Co-operation’ Die Anfänge sicherheitspolitischer Kooperation im südlichen Afrika gehen zurück auf den Zusammenschluss der FLS. Entstanden war das Bündnis ursprünglich aus Bemühungen des damaligen sambischen Präsidenten, gemeinsam mit seinen Kollegen aus Botsuana, Mosambik und Tansania zwischen den Konfliktparteien des Befreiungskampfes in Simbabwe zu vermitteln. Die Gruppe, deren oberstes Ziel in der Abschaffung des weißen Minderheitsregimes im südlichen Afrika bestand, wuchs in den Folgejahren um Angola (Beitritt 1976), Simbabwe (Beitritt 1980) und Namibia (Beitritt 1990). Charakteristisch für die FLS war ihre flexible und informelle Organisationsform, die auf einen bürokratischen Unterbau weitestgehend verzichtete. Dies brachte dem Bündnis den Vorteil, schnell und unkompliziert auf aktuelle Entwicklungen reagieren zu können, ohne dabei wohlbehütete nationale Souveränitätsrechte anzutasten. Die Kooperation zwischen den Mitgliedern der FLS bestand hauptsächlich in Form unregelmäßig stattfindender Konsultationen der Staatschefs, sodass die FLS auch zutreffend als ein „Klub von Staatschefs“ (Meyns 2000b: 225) bezeichnet werden können. Mit der Gründung des ‚Inter-State Defence and Security Committee’ (ISDSC) der FLS wurde 1982 eine stärker institutionalisierte Kooperation auf der Ebene der Verteidigungsminister eingeleitet. Das ISDSC blieb allerdings die einzige institutionalisierte Form der Zusammenarbeit im Rahmen der FLS und konnte seinen Fortbestand sogar noch über die Existenz der FLS hinaus sichern (vgl. Meyns 2000b: 221-226). Konkrete Überlegungen zur sicherheitspolitischen Zusammenarbeit im Rahmen der SADC stellten erstmals zuständige Minister auf einem Workshop im Juli 1994 in Windhoek an (vgl. Cawthra 1997: 7). Sie erarbeiteten den Vor125
Zu den weiteren, neueren Sicherheitsgefährdungen zählen beispielsweise die HIV/AidsPandemie oder auch Nahrungsmittelknappheiten. Im ökologischen Bereich bedrohen insbesondere der erschwerte Zugang zu Trinkwasser sowie die zunehmende Desertifikation die Sicherheit im südlichen Afrika. Gemeinsam ist diesen Herausforderungen, dass sie auch Auswirkungen auf die politische und wirtschaftliche Stabilität der Staaten haben und damit nicht zu vernachlässigende Sicherheitsbedrohungen darstellen.
4.4 Die Sicherheitspolitik der SADC
119
schlag, den sicherheitspolitischen Bereich in Form eines Sektors für ‚Politics, Diplomacy, International Relations, Defence and Security, Peace, Conflict Prevention, Management and Resolution’ in die SADC-Strukturen zu integrieren. Rückenwind bekamen die Minister zusätzlich durch die FLS, die am 30. Juli ihre Auflösung bekannt gaben, um zukünftig in Form des ISDSC als sicherheitspolitischer Arm im Rahmen der SADC zu fungieren. Während der SADCMinisterrat den Vorstoß zur Gründung eines sicherheitspolitischen Sektors der SADC zunächst akzeptierte, stoppten die Staats- und Regierungschefs das Vorhaben auf ihrem nächsten Gipfeltreffen. Verantwortlich für diesen Rückzug waren wohl Bedenken, den sensiblen Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik gemäß dem Organisationsprinzip der Sektoreinheiten einem einzelnen Mitgliedsland anzuvertrauen. Außerdem erschien die primär auf technischer Ebene stattfindende Kooperation, die zu dieser Zeit innerhalb der SADC vorherrschte, für den Sicherheitsbereich nur wenig angemessen (vgl. Meyns 2001: 70+76). Nachdem sich die Vorschläge für einen neuen sicherheitspolitischen Sektor als zu ambitioniert erwiesen hatten, starteten die Außenminister der SADCStaaten im März 1995 eine neue Initiative. Sie gaben an die Staats- und Regierungschefs die Empfehlung weiter, die sicherheitspolitische Kooperation der SADC in Form einer ‚Association of African States’ (ASAS) zu organisieren. Diese sollte unabhängig vom SADC-Sekretariat politische und sicherheitspolitische Funktionen übernehmen und in ihrer Organisationsweise den unbürokratischen Ansatz der FLS fortführen (vgl. Cawthra 1997: 7-8; Malan 1998). Doch auf ihrem Summit im August 1995 konnte keine Einigung erzielt werden, und mit der ASAS war ein weiterer Vorstoß, eine sicherheitspolitische Dimension im SADC-Rahmenwerk zu institutionalisieren, gescheitert.126 Erst im Januar 1996 beschäftigten sich die Außen- und Verteidigungsminister erneut mit diesem Thema und gaben an die Staats- und Regierungschefs die Empfehlung weiter, ein OPDS zu begründen.127 Dieser Vorschlag wurde auf einem außerordentlichen Gipfeltreffen am 28. Juni 1996 in die Tat umgesetzt. In ihrem Kommuniqué legten die Staats- und Regierungschefs nicht nur die grundlegenden Prinzipien fest, unter denen das OPDS operieren sollte, sondern formu126
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Die Erfolgschancen einer ASAS waren wohl auch deshalb nicht besonders hoch, weil es sich um eine ausschließliche Initiative der Außenminister handelte, die weder mit den zuständigen Verteidigungsministern noch mit den nationalen Geheimdiensten abgestimmt war (vgl. Malan 1998). Zur Diskussion stand auch die Option, den sicherheitspolitischen Arm der SADC unter der Führung eines zusätzlichen Ministerrates arbeiten zu lassen. Damit sollte sichergestellt werden, dass der sensible Politikbereich möglichst nicht unter die Führung einzelner Staatschefs gerät. Doch dieser Plan wurde durch die Bestimmungen des SADC-Vertrages (Artikel 11) durchkreuzt, wonach ein weiterer Ministerrat nicht zulässig ist (vgl. van Aardt 1997: 148).
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4 Die SADC als Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas
lierten auch 16 konkrete Zielsetzungen des Organs128, deren Verwirklichung eine Abkehr vom bisherigen informellen Ansatz der regionalen Sicherheitskooperation notwendig machte (vgl. Communiqué of the Extraordinary SADC Summit, 28.06.1996, Gaborone, Botsuana; Malan 1998).129 Zur institutionellen Ausgestaltung des neuen Organs machte das Kommuniqué von 1996 nur vage Angaben. Das Organ sollte auf Gipfelebene angesiedelt sein und unabhängig von anderen SADC-Strukturen agieren. Zusätzlich waren für das neue Organ eine ministerielle und eine technische Arbeitsebene vorgesehen. Der Vorsitz sollte im Rahmen des Troika Prinzips jährlich rotieren. Das Erbe der FLS sollte in Form des ISDSC als eine Institution innerhalb des Organs fortgeführt werden.130 Die wenig detaillierten Angaben zur institutionellen Struktur des Organs ließen Freiraum für unterschiedliche Interpretationen der Funktionsweise des OPDS, die bald in einem handfesten Konflikt gipfelten.131 Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stand das Verhältnis zwischen OPDS und SADC. Insbesondere Südafrika vertrat die Position, dass das Organ dem SADC-Gipfeltreffen eindeutig untergeordnet sei und nicht als autonome Institution neben der SADC bestehen könne. Ein Lager, angeführt von Simbabwe, vertrat die gegenteilige Auffassung. Ihrer Meinung nach wolle Südafrika lediglich seine Dominanz innerhalb der SADC ausbauen und deshalb ein eigenständiges OPDS unter der Führung Mugabes verhindern. Ihre Forderung, das Organ solle parallel neben den übrigen SADC-Strukturen bestehen, untermauerte die ‚SimbabweFraktion’ mit dem Argument, dass die sicherheitspolitische Kooperation vor dem etwaigen Einfluss der Gebergemeinschaft, die die Aktivitäten der SADC zu großen Teilen finanzierte, geschützt werden müsse. Die Anhänger der Position Südafrikas (insbesondere Botsuana, Lesotho und Swasiland) beriefen sich hinge128
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Eine der Zielsetzungen besteht in der Ausarbeitung und Unterzeichnung eines Verteidigungspaktes (vgl. Communiqué of the Extraordinary SADC Summit, 28.06.1996) Wichtig ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass sich die SADC-Staaten durch die Gründung des OPDS allein zur Koordination, nicht zur Integration ihrer Sicherheitspolitik bekannten. So heißt es im Kommuniqué: „The Summit reaffirmed that the SADC organ constituted an appropriate institutional framework by which SADC countries would coordinate their policies and activities in the areas of politics, defense (sic!) and security.“ (Communiqué of the Extraordinary SADC Summit, 28.06.1996, Gaborone, Botswana) Während das ISDSC die Bereiche ‚Verteidigung und Sicherheit’ abdeckte, sollte ein neu zu gründendes Komitee mit den Arbeitsschwerpunkten ‚Politik und Diplomatie’ das zweite Standbein des Organs bilden (vgl. van Aardt 1997: 149). Es besteht begründeter Anlass zur Vermutung, dass die Angaben zur geplanten Struktur des Organs weniger auf reiflicher Überlegung als vielmehr auf dem dringenden Wunsch basierten, personalpolitische Fragen zu lösen. So sollte der Posten als Vorsitzender des Organs Mugabe über den verweigerten Vorsitz der SADC hinwegtrösten (vgl. Meyns 200b: 258). Nähere Informationen zu dieser personalpolitischen Entscheidung finden sich auch im Kapitel 9.1.2.
4.4 Die Sicherheitspolitik der SADC
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gen auf den SADC-Vertrag, in dem das Summit als „supreme Institution“ (Treaty of the SADC, Art. 19), als alleinige und oberste Instanz der Regionalgemeinschaft vorgesehen ist. Ein weiteres Summit des OPDS sei nach diesen Bestimmungen nicht zulässig (vgl. Ngoma 2005: 151-153). Personalisiert wurde dieser Konflikt über die Auslegung der Funktionsweise des OPDS in Gestalt der beiden Staatspräsidenten, Nelson Mandela und Robert Mugabe.132 Mugabe, der zum ersten Vorsitzenden des OPDS gewählt wurde, bezeichnete das Organ zudem als „fire engine“ (van Aardt 1997: 151) der Region und legte damit ein Verständnis sicherheitspolitischer Kooperation an den Tag, das weniger auf Prävention als vielmehr auf reine Krisenbewältigung ausgerichtet war und in der Tradition der FLS stand.133 Die dokumentierten Streitpunkte über die Funktionsweise des Organs konnten zunächst nicht geklärt werden und führten zur Suspendierung des Organs im September 1997. Erst ein Jahr später zeichnete sich nach zuvor erfolglosen Beratungen auf verschiedenen Ebenen eine Einigung ab. Zeitungsberichten zufolge konnte ein Konsens darüber erreicht werden, das OPDS in die SADC-Struktur einzugliedern. Die Beilegung des Konflikts um die Stellung des Organs und die damit verbundene Aktivierung der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit innerhalb der SADC wurde insbesondere vor dem Hintergrund der kriegerischen Auseinandersetzungen in der DRK (vgl. Kapitel 4.4.1) immer dringlicher (vgl. Business Day, 01.09.1998: „Political conflict will dominate summits agenda“). In der Zwischenzeit ignorierte Mugabe als amtierender Vorsitzender die Suspendierung des Organs und missbrauchte seine Stellung, indem er im Namen des OPDS Entscheidungen traf und Meinungsäußerungen abgab. Ohne entsprechendes Mandat agierte er in solch heiklen Situationen wie den kriegerischen Auseinandersetzungen in Angola oder in der DRK. Diesem Missbrauch wollten die SADC-Staats- und Regierungschefs auf ihrem Summit im August 1999 in Mosambik ein Ende bereiten. Mit einer Taktik von ‚Zuckerbrot und Peitsche’ wiesen sie Mugabe in seine Schranken. Einerseits übten sie starken Druck auf ihn aus, nicht weiter den Namen des Organs für seine außenpolitischen Aktivitäten zu missbrauchen. Andererseits zeigten sie sich nachgiebig und sprachen ihm seine Position als Vorsitzenden des Organs nicht ab. Allerdings war seine Amtszeit zunächst auf sechs Monate beschränkt, und er willigte ein, die SADC-Troika in Zukunft zu unterrichten, bevor er im Namen des Organs handelte. Diese Abmachung zwischen den Staats- und Regierungschef wurde nicht im offiziellen Kommuniqué des Gipfeltreffens festgehalten. Darüber hinaus erhielt der Minis132
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Vertiefende Einblicke in die problematische persönliche Beziehung dieser beiden Staatsmänner bietet das Kapitel 9.4.1. Dieses Verständnis des OPDS ist nur schwer mit den Zielsetzungen des Organs in den Bereichen der Konfliktprävention und der präventiven Diplomatie zu vereinbaren.
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4 Die SADC als Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas
terrat von den Staats- und Regierungschefs den Auftrag, die Operationen aller SADC-Institutionen zu überprüfen und innerhalb von sechs Monaten einen Bericht zu verfassen (vgl. Mail & Guardian, 17.09.1999: „SADC Stopps Mugabe’s Organ Abuse“). Nur wenige Monate später, im Oktober 1999, einigten sich die zuständigen Minister in Swasiland darauf, ihren Staats- und Regierungschefs zu empfehlen, das Organ in die SADC-Struktur zu integrieren und gegenüber dem SADCGipfeltreffen rechenschaftspflichtig zu machen.134 Um diese Beschlüsse in die Tat umzusetzen, sollte der erste Entwurf für ein Protokoll des OPDS, der bereits seit 1997 vorlag, überarbeitet werden (vgl. The Namibian, 29.10.1999: „SADC agrees defence organ ‚part of body’“). Bei einem weiteren Treffen der Verteidigungs- und Sicherheitsminister gut ein Jahr später stand die Umstrukturierung des OPDS erneut auf der Agenda. Hier zeigte sich wiederum, dass eine Mehrheit der SADC-Staaten den Plan, die eigenständige Macht des Organs zu reduzieren und unter einen rotierenden Vorsitz zu stellen, unterstützte. Der bereits in Swasiland erarbeitete Entwurf für die Eingliederung des Organs in die SADC wurde bekräftigt und von den Staats- und Regierungschefs gebilligt. Mugabe, der bislang seine Zustimmung verwehrt hatte, wurde der Entwurf erneut vorgelegt (vgl. Panafrican News Agency, 22.11.2000: „SADC security organ to be restructured”). Auf dem außerordentlichen Summit im März 2001 wurde mit der Verabschiedung des „Report on the Review of the Operations of SADC Institutions“ (vgl. SADC Secretariat: 2001) eine umfassende Neustrukturierung der Regionalorganisation beschlossen, die auch das OPDS einschloss (siehe auch Kapitel 4.2). Demnach soll das Organ dem Summit Bericht erstatten und von einem jährlich rotierenden Vorsitz im Rahmen des Troika-Prinzips geleitet werden (vgl. UN Integrated Regional Information Networks, 14.3.2001: „SADC changes will bring efficiency”).135 In den regionalen Medien wurde diese Entscheidung als eine herbe Niederlage für Mugabe gewertet. Gleichzeitig waren die Regierungsvertreter bemüht, Einigkeit zu demonstrieren und die Sprengkraft des jahrelangen Konflikts um die Rolle des Organs herunterzuspielen. Präsident Mugabe wurde sogar mit den Worten zitiert, er habe dem Entwurf für eine neue Positionierung des Organs
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In dieser Sitzung waren Namibia und Swasiland, neben Simbabwe die vehementesten Verfechter einer autonomen Positionierung des OPDS, nicht anwesend. Für Jakkie Cilliers ist die Tatsache, dass fünf Jahre benötigt wurden, um eine Einigung über das Organ zu erzielen, ein Anzeichen für bestehende Spaltungen und Misstrauen innerhalb der Region (vgl. UN Integrated Regional Information Networks, 14.03.2001: „Southern Africa: SADC Changes Will Bring Efficiency”)
4.4 Die Sicherheitspolitik der SADC
123
zugestimmt, um die Einheit in der Region nicht zu gefährden (vgl. The Namibian, 12.03.2001: „Defence organ wrested from Mugabe“). Schließlich unterzeichneten die Staats- und Regierungschefs auf ihrem Gipfeltreffen im August 2001 in Malawi ein entsprechendes Protokoll mit dem Titel ‚Protocol on Politics, Defence and Security Co-Operation’, das die Struktur, Arbeitsweise und Zielsetzung des reaktivierten Organs festlegt.136 Doch bis die notwendige Anzahl von Ratifizierungen erreicht wurde, vergingen weitere zweieinhalb Jahre, und erst im März 2004 konnte das Protokoll schließlich in Kraft treten. Die Bestimmungen des Protokolls legen nicht nur die Struktur und Funktionsweise des Organs fest, sondern skizzieren auch die Zielsetzungen der sicherheitspolitischen Kooperation. Diese bestehen ganz allgemein in der Förderung von Frieden und Sicherheit in der Region. Im Detail listet das Protokoll zwölf Zielsetzungen auf. Darunter sind folgende besonders erwähnenswert: Das Organ besitzt den Auftrag zur Vermeidung, Eindämmung und Lösung von interwie intra-staatlichen Konflikten innerhalb der Region. Es soll die Entwicklung demokratischer Institutionen ebenso unterstützen wie die Kooperation zwischen den SADC-Staaten und den Aufbau gemeinsamer politischer Werte und Institutionen. Darüber hinaus soll das Organ die Kooperation der nationalstaatlichen Sicherheits- und Polizeikräfte intensivieren und zum Aufbau einer gemeinsamen militärischen Friedenstruppe beitragen (vgl. SADC Protocol on Politics, Defence and Security Co-operation 2001: Article 2). Mit diesen Zielsetzungen legt das Protokoll ein vergleichsweise breites Sicherheitsverständnis an den Tag und berücksichtigt, dass die Sicherheit der Region auch durch innerstaatliche Konflikte gefährdet wird. Die grundlegenden Prinzipien, auf denen die Arbeit des Organs beruht, sind in der Präambel des Protokolls festgehalten. Hierzu zählen unter anderem die souveräne Gleichheit der SADC-Mitgliedsstaaten sowie der Respekt vor nationaler Souveränität, territorialer Integrität und politischer Unabhängigkeit der Staaten (vgl. SADC Protocol on Politics, Defence and Security Co-operation 2001: Preamble). Als oberste Entscheidungsinstanz des Organs benennt das Protokoll eine Troika, bestehend aus drei Staats- und Regierungschefs, von denen jeweils einer den aktuellen, den vorherigen und den nachfolgenden Vorsitz des Organs innehat. Um Machtkonzentration zu vermeiden, dürfen der Vorsitzende der Troika und sein Stellvertreter (gleichzeitig auch sein Nachfolger) nicht gleichzeitig in der Troika des SADC-Gipfeltreffens vertreten sein. Der Vorsitzende des Organs und somit der Troika wird vom Gipfeltreffen für die Amtszeit von einem Jahr gewählt. Er ist gegenüber dem Gipfeltreffen rechenschaftspflichtig und für die 136
Der Öffentlichkeit wurde das Protokoll allerdings erst im März 2002 präsentiert.
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4 Die SADC als Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas
allgemeine politische Führung des Organs sowie die Erreichung seiner Zielsetzungen verantwortlich. Entscheidungen werden innerhalb der Troika wie auch innerhalb des gesamten Organs einstimmig unter Anwesenheit von mindestens zwei Dritteln aller Mitglieder getroffen (vgl. vgl. SADC Protocol on Politics, Defence and Security Co-operation 2001: Article 3-4).137 Unterhalb der Troika ist ein Ministerkomitee angesiedelt, das aus den nationalen Ministern der Ressorts Außenpolitik, Verteidigung, öffentliche Sicherheit sowie Staatssicherheit besteht. Ein Minister aus demjenigen Land, das den aktuellen Vorsitz des Organs innehat, übernimmt für ein Jahr auch den Vorsitz des Komitees. Dem Ministerkomitee fällt die allgemeine Koordinierung der Arbeit des OPDS zu. Es kann Sachverhalte an die untergeordneten Komitees für Politik und Diplomatie sowie für Verteidigung und Sicherheit verweisen und ebenso Berichte aus diesen Gremien anfordern (vgl. Oosthuizen 20062006: 220221; SADC Protocol on Politics, Defence and Security Co-operation 2001: Article 5). Nachgeordnet folgen zwei weitere Komitees, deren Zuständigkeitsbereiche schon in ihren Titeln skizziert sind: Ein Komitee ist für die Arbeit des Organs in den Bereichen Politik und Diplomatie zuständig (Inter-State Politics and Diplomacy Committee, (ISPDC)), ein weiteres für Verteidigung und Sicherheit (InterState Defence and Security Committee, (ISDSC)). Das ISPDC besteht aus den Außenministern der Mitgliedsstaaten und wurde durch das Protokoll neu geschaffen. Das ISDSC hingegen bestand schon zu Zeiten der FLS und umfasst die nationalen Minister für Verteidigung, öffentliche Sicherheit sowie Staatssicherheit.138 Beide Komitees haben die Möglichkeit, weitere nachgeordnete Strukturen zu erschaffen, insofern ihnen dies für die Erreichung ihrer Aufgaben erforderlich scheint (vgl. SADC Protocol on Politics, Defence and Security Cooperation 2001: Article 6-7).139 Beim Vergleich der beiden Komitees ist das ISDSC bislang stärker in Erscheinung getreten. Es verfügt nicht nur über eine funktionierende Organisationsstruktur, sondern wurde auch deutlich öfter zu Sitzungen einberufen (vgl. Hammerstad 2004: 222-223).140 137
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Das Einstimmigkeitsprinzip grenzt die Handlungsmöglichkeiten des Organs enorm ein, da es keine Zwangsmaßnahmen vollstrecken kann und sich nur mit der Zustimmung eines Landes in dessen interne Angelegenheiten einmischen darf (vgl. Hammerstad 2004: 223). Damit sind im ISDSC und im ISPDC die gleichen Minister vertreten wie im Ministerkomitee. Neben dieser Doppelung wird auch die Aufteilung der sicherheitspolitischen Arbeit in zwei Themenblöcke kritisiert, da diese Trennung übergreifende Sicherheitsbedrohungen wie ethnischen Konflikten oder Terrorismus nicht gerecht werden könne (vgl. Solomon 2004: 189-190). Unterhalb des ISDSC existieren drei Sub-Komitees mit den Schwerpunkten Verteidigung, Sicherheit und Geheimdienste. Das ISPDS hat bislang noch keine nachgeordneten Strukturen ins Leben gerufen. Während das ISPSC seit seiner Gründung 2001 bis zum Juni 2004 lediglich drei Mal zusammentraf, konnte das ISDSC für diesen Zeitraum 25 Sitzungen verzeichnen. Laut den Bestim-
4.4 Die Sicherheitspolitik der SADC
125
Das OPDS besitzt kein eigenes Sekretariat, sondern wird in seinen administrativen Aufgaben von einer kleinen Einheit im SADC-Sekretariat, dem Direktorat für Politik, Verteidigung und Sicherheitsangelegenheiten, das im Rahmen der Strukturreform von 2001 geschaffen wurde, unterstützt (siehe hierzu auch Kapitel 4.2) (vgl. SADC Protocol on Politics, Defence and Security Cooperation 2001: Article 9; Schleicher 2006: 16-17). Um die Umsetzung des Protokolls sicherzustellen, beschloss das Ministerkomitee des neu aktivierten Organs im Dezember 2001 die Ausarbeitung des SIPO. Dieser Plan sollte konkrete Handlungsanweisungen formulieren, um so eine möglichst schnelle und effektive Implementierung des Protokolls zu ermöglichen. Doch die Verhandlungen zum SIPO erwiesen sich als schwierig. Neben den Mitgliedern der eigens bestimmten Arbeitsgruppe beteiligten sich auch andere SADC-Staaten an der Ausarbeitung des Strategieplans und beharrten darauf, ihre Vorstellungen durchzusetzen. Anstatt eine gemeinsame regionale Strategie der Sicherheitskooperation zu entwickeln, ging es mehr darum, die Vorstellungen der einzelnen Nationalstaaten zu befriedigen. Außerdem erschwerten die begrenzten personellen und finanziellen Kapazitäten sowie das Fehlen politischer Gestaltungsmacht auf Seiten des SADC-Sekretariats die Verhandlungen zum Strategieplan, die ohne eine Beteiligung zivilgesellschaftlicher Akteure stattfanden (vgl. van Nieuwkerk 2008: 89). Nach fast zweijährigen Verhandlungen wurde mit dem SIPO im August 2003 ein in seinen Inhalten weitgehend unkontroverses Dokument verabschiedet (vgl. Hammerstad 2004: 228). Der Strategieplan für das Organ ist in die vier Teilbereiche Politik, Verteidigung, staatliche Sicherheit und öffentliche Sicherheit aufgeteilt. Zu seinen Zielsetzungen gehören unter anderem die Vermeidung zwischen- wie innerstaatlicher Konflikte sowie Aggressionen, die Bildung bzw. Stärkung demokratischer Institutionen und Praktiken, der Aufbau einer gemeinsamen Friedenstruppe sowie eine verstärkte Zusammenarbeit der Polizei. Darüber hinaus wird der Aufbau gemeinsamer Kapazitäten zum Katastrophenmanagement und zur Nahrungsmittelsicherung festgeschrieben (vgl. SADC 2003b). Die Kritik am SIPO konzentriert sich insbesondere auf die Vielzahl seiner Zielsetzungen, die nicht hierarchisch gegliedert sind und relativ unspezifische Formulierungen enthalten. Außerdem fehlen konkrete Handlungsanweisungen, wie die vereinbarten Ziele in der politischen Praxis umgesetzt werden können (vgl. Hammerstad 2004: 226-228). Die Beurteilung des SADC-Organs und seiner bisherigen Leistungen fällt in der Literatur ernüchternd aus. Das Ziel, mit dem Organ ein wirkungsvolles Instrument für die Sicherstellung und Aufrechterhaltung des regionalen Friedens mungen des Protokolls sollen beide Komitees jeweils mindestens einmal jährlich zusammenkommen (vgl. van Schalkwyk/Cilliers 2004: 10 und Fußnote 15).
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4 Die SADC als Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas
zu entwickeln, konnte bislang nicht verwirklicht werden. Die zentrale Schwäche des Organs besteht in seiner mangelnden Unabhängigkeit von den SADC-Mitgliedsstaaten. Es besitzt keine eigenständige Souveränität und kann sich daher nicht zu einer kritischen Kraft entwickeln (vgl. Makoa 2005: 115-117; Nathan 2006: 606; Solomon 2004: 192). Darüber hinaus sieht Nathan (vgl. 2006: 606) zwei weitere Gründe, die das Organ in seiner Wirkungsfähigkeit begrenzen: Die Mitgliedsstaaten der SADC teilen erstens nicht die gleichen Werte. Sie besitzen deutlich divergierende sicherheitspolitische Auffassungen und unterscheiden sich in ihren allgemeinen politischen Orientierungen. In einem Lager können Botsuana, Mosambik, Südafrika und Tansania zusammengefasst werden, die bislang einen pazifistischen Ansatz verfolgt haben und besonderen Wert auf eine Konfliktbeilegung auf dem Verhandlungsweg legen. Ihnen stehen Angola, Namibia und Simbabwe gegenüber, die einen militaristisch dominierten Sicherheitsansatz vertreten.141 Die Orientierung an demokratischen Werten ist unter den Staaten der SADC ebenfalls unterschiedlich ausgeprägt. Auf einer Skala, die die Orientierung an demokratischen Werten in der Innenpolitik der SADC-Staaten festhält, besetzt Südafrika den höchsten Wert. Auf den letzten Rängen der Skala befinden sich die DRK und Simbabwe. Die restlichen SADC-Staaten belegen Plätze im Mittelfeld. Ein zweiter Grund für die Schwäche des Organs ist symptomatisch für die gesamte SADC: Durch geringe finanzielle und schwache administrative Kapazitäten werden sämtliche SADC-Programme in ihrer Wirksamkeit geschwächt (vgl. ebd.). Außerdem wird die sicherheitspolitische Arbeit des Organs durch bestehendes Misstrauen zwischen den Mitgliedsstaaten, das auch im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen und politischen Dominanz Südafrikas steht, erschwert (vgl. Zacarias 2003: 41-45). Als grundlegende Erkenntnis bleibt festzuhalten, dass für eine Stärkung des Organs fundamentale Veränderungen auf der nationalen Ebene der einzelnen Mitgliedsstaaten notwendig sind. Erst wenn die grundlegenden sicherheitspolitischen Werte der Mitgliedsstaaten kompatibel sind, können sie gemeinsame Ziele wirkungsvoll verfolgen. So lange diese Voraussetzung nicht gegeben ist und die SADC-Staaten darüber hinaus dem Organ keine eigenständige Gestaltungsmacht zubilligen, bleiben die Möglichkeiten des Organs äußerst begrenzt (vgl. Nathan 2006: 622). Abschließend muss aber auch ein positiver Aspekt der sicherheitspolitischen Arbeit der SADC Erwähnung finden. Die regelmäßigen 141
Allerdings bestätigen auch hier – wie Nathan an andere Stelle belegt – Ausnahmen die Regel: Südafrika griff beispielsweise militärisch in die Lesotho-Krise ein und die Gruppe um Simbabwe ist Verhandlungsansätzen gegenüber nicht gänzlich abgeneigt, insbesondere wenn sie im Anschluss an oder parallel zu militärischen Handlungen erfolgen (vgl. Nathan 2006: 615).
4.4 Die Sicherheitspolitik der SADC
127
Treffen der sicherheitspolitischen Entscheidungsträger im Rahmen des SADCOrgans fördern die gegenseitige Vertrauensbildung unter den Mitgliedsstaaten und leisten somit einen aktiven Beitrag für die Sicherheit der Region. 4.4.3 Der SADC-Verteidigungspakt und weitere Bestandteile der militärischen Kooperation Ein Bestandteil des Protokolls zur Sicherheitskooperation, und damit auch des SIPOs, ist die Zielsetzung, einen Verteidigungspakt für die SADC-Staaten zu entwickeln.142 Erste Entwürfe für einen solchen Pakt entwickelte eine Expertengruppe aus vier Mitgliedsländern. Ebenso wie bei der Erarbeitung anderer grundlegender Dokumente war das SADC-Sekretariat nicht involviert (vgl. Schleicher 2006: 22). Ende Juli 2001 einigten sich die Verteidigungsminister von zehn SADCStaaten auf einen ersten Entwurf eines Verteidigungspaktes (vgl. UN Integrated Regional Information Networks, 30.07.2001: „SADC Adopts Mutual Defence Pact Draft“). Doch Bestimmungen zu einer geplanten gegenseitigen Beistandsverpflichtung erwiesen sich schon bald als konfliktreich. So wurden die Verhandlungen 2002 vorübergehend unterbrochen, nachdem sich demokratisch geführte Staaten wie Botsuana und Südafrika gegen eine bindende Beistandsverpflichtung im Angriffsfall ausgesprochen hatten. Sie befürchteten, dass eine solche Bestimmung von nicht-demokratischen Staaten der Regionalgemeinschaft ausgenutzt werden könnte, um ihre Herrschaft im Falle eines externen Angriffs abzusichern (vgl. Swart/du Plessis 2004: 34-35). Differenzen ergaben sich auch bei dem Versuch Botsuanas und Südafrikas, einen Verteidigungspakt auf den Weg zu bringen, der alle SADC-Staaten umfasst. Für die SADC-Mitglieder Angola, Namibia, Sambia und Simbabwe, die bereits in einem eigenständigen Verteidigungspakt zusammengeschlossen waren, besaß dieser Punkt keine primäre Bedeutung (vgl. Ngoma 2004: 413). Schließlich unterzeichneten die Staats- und Regierungschefs den Verteidigungspakt auf ihrem Gipfeltreffen im August 2003 in Tansania. Während die ersten beiden Artikel des Verteidigungspaktes grundlegende Definitionen beinhalten und knapp seine Zielsetzung umreißen, bekennen sich die Unterzeichnerstaaten in einem dritten Artikel zur friedlichen Lösung von Konflikten.143 Sie 142
143
Im originalen Wortlaut heißt es: „(…) consider the development of a collective security capacity and conclude a Mutual Defence Pact to respond to external military threats“ (SADC Protocol on Politics, Defence and Security Co-Operation: Article 2, Paragraph 2(h)). Sofern nicht anders vermerkt beziehen sich die nachfolgenden Erläuterungen auf den Originaltext des Verteidigungspaktes (siehe SADC Mutual Defence Pact (2003)).
128
4 Die SADC als Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas
verpflichten sich in den Artikeln 4 und 5 auch, ihre individuellen wie gemeinschaftlichen Verteidigungskapazitäten in einzelstaatlichen wie regionalen Aktivitäten auszubauen und zu erhalten. Im Falle einer wahrgenommenen Bedrohung der Sicherheit, der territorialen Integrität oder der politischen Unabhängigkeit einer der Unterzeichnerstaaten soll zunächst versucht werden, den Konflikt auf dem Verhandlungswege beizulegen. Kernstück des Paktes ist der sechste Artikel, in dem festgehalten wird, dass die Vertragsparteien im Angriffsfall diejenige Unterstützung leisten, die sie für angemessen halten. Die Entscheidung, ob dieser Beistand militärische Hilfe umfasst, bleibt damit jedem Land selbst überlassen. Dieser flexible Ansatz ermöglicht den Mitgliedsstaaten eigenständige Entscheidungen in sensiblen sicherheitspolitischen Fragen und lässt damit die Souveränität der Mitgliedsländer unangetastet.144 Mit Verweis auf die Bestimmungen des ‚SADC Protocol on Politics, Defence and Security Co-operation’ wird im siebten Artikel das Prinzip der NichtEinmischung in die internen Angelegenheiten der Unterzeichnerstaaten bekräftigt. Darüber hinaus verpflichten sich die Vertragsparteien im achten Artikel, keine Personen oder Institutionen zu unterstützen, die das Ziel verfolgen, eines der Mitglieder der Verteidigungsgemeinschaft zu destabilisieren. Nach Meinung Naison Ngomas (vgl. 2004: 416) lässt diese Bestimmung Interpretationsspielraum und kann somit von staatlichen Eliten missbraucht werden, um ihre Herrschaft intern wie extern abzusichern. Außerdem vereinbarten die SADC-Staaten im neunten Artikel die gemeinsame Kooperation in Verteidigungsangelegenheiten, die gemeinsames Training der militärischen Truppen, den Austausch von militärischen wie geheimdienstlichen Informationen sowie Forschungsaktivitäten umfasst. Die verbleibenden Artikel 10 bis 22 widmen sich der institutionellen Umsetzung des Verteidigungspaktes. Im Mittelpunkt einer kritischen Diskussion des Verteidigungspaktes steht die Frage nach seiner tatsächlichen Relevanz. Diese ist bislang ungeklärt, denn der Verteidigungspakt ist zwar seit 2003 unterzeichnet, allerdings noch nicht von der notwendigen Zweidrittelmehrheit der Unterzeichnerstaaten ratifiziert (Stand Februar 2009). Der Vertragstext enthält zudem wenig konkrete Formulierungen und lässt Raum für zahlreiche Unklarheiten. Es ist beispielsweise nicht explizit festgehalten, unter welchen Umständen und mit welchen Verfahrensweisen die 144
Im Laufe der Verhandlungen wurde auch der vierte Paragraph des Artikels abgeschwächt. Zunächst war vorgesehen, dass kein militärisches Eingreifen der SADC-Staaten ohne vorherige Zustimmung der Vereinten Nationen stattfinden darf. Nach den Bestimmungen in der endgültigen Fassung wird der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in einem solchen Verteidigungsfall lediglich informiert (vgl. Ngoma 2004: 417).
4.4 Die Sicherheitspolitik der SADC
129
SADC-Staaten im Angriffsfall Gewalt anwenden. Aufgrund des bestehenden Interpretationsspielraums und des flexiblen Ansatzes der Beistandsverpflichtung wird die Wahrscheinlichkeit eines gemeinsamen Handelns der Vertragsstaaten verringert (vgl. Sirota 2004: 351). Ein weiterer Kooperationsbereich der SADC-Staaten im militärischen Bereich umfasst den Aufbau einer regionalen ‚peacekeeping capacity’ bestehend aus nationalen Streitkräften. Diese sollen präventiv oder im Fall akuter sicherheitspolitischer Krisen stabilisierend in betroffenen afrikanischen Ländern zum Einsatz kommen. Die Aktivitäten der SADC in diesem Bereich sind in den kontinentalen Zusammenhang der AU eingebettet. 1997 vereinbarten die AUVerteidigungsminister konkrete Maßnahmen zum Aufbau regionaler ‚standby’Brigaden. Diese Initiative nahm das ISDSC 1999 auf, indem es einen Plan für die Gründung einer multinationalen ‚SADC Standby peacekeeping brigade’ verabschiedete. Die Zielsetzung zur Entwicklung der regionalen ‚peacekeeping capacity’ wurden darüber hinaus im OPDS-Protokoll von 2001 (Artikel 2) und im SIPO (Seite 21) festgeschrieben. Weitere Impulse erhielt die Initiative durch einen Beschluss der AU, die auf ihrem Gipfeltreffen 2002 die Umrisse einer neu zu schaffenden kontinentalen Sicherheitsarchitektur festlegte. Ein Bestandteil dieser Sicherheitsstruktur ist der Aufbau einer ‚African Standby Force’ (im Folgenden übersetzt als ‚afrikanische Eingreiftruppe’) bestehend aus insgesamt fünf Brigaden, die von den einzelnen regionalen Blöcken des Kontinents (West-, Nord-, Ost-, Zentralafrika und dem südlichen Afrika) bereitgestellt werden sollen (vgl. Le Pere/Tjønneland 2005: 39-40; Ressler 2007: 106-107).145 Seinen Beitrag zu dieser gesamtafrikanischen Eingreiftruppe leistet das südliche Afrika in Form der multinationalen SADC-Brigade (SADCBRIG). Das Mandat der Brigade liegt in den Händen des Gipfeltreffens, das über ihren Einsatz im Rahmen von AU- oder UN-Operationen entscheidet. Die notwendige organisatorische Arbeit zum Betrieb der SADCBRIG übernimmt ein neu geschaffenes ‚Planungselement’ (PLANELM) im SADC-Sekretariat. Als einzige ständige Organisationseinheit wurde ein ‚Standby-Brigade Headquarter’ in Gaborone, Botsuana eingerichtet, zu dessen Aufgaben der Betrieb einer militärischen Grundstruktur gehört, um so den kurzfristigen Abruf nationaler Bereitschaftskräfte zu ermöglichen (vgl. Ressler 2007: 108). Als ‚standby’Arrangement verfügt die SADCBRIG über keine permanente militärische Struktur. Erst im Bedarfsfall wird über die konkrete Truppenstärke und -
145
Mit der Verabschiedung des „AU Protocol on the Peace and Security Council“ im Jahr 2003 erhielt die Kommission der AU den konkreten Auftrag zur Bildung der afrikanischen Eingreiftruppe.
130
4 Die SADC als Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas
zusammensetzung entschieden, um dann die notwendigen personellen wie technischen Ressourcen aus den Mitgliedsstaaten anzufordern.146 Die zunächst für das Jahr 2005 geplante Einführung der SADC-Brigade wurde erst auf 2006 verschoben. Doch auch diese Frist verstrich, da nicht alle SADC-Mitgliedsstaaten ihren zugesagten finanziellen Beitrag zum Aufbau der organisatorischen Strukturen leisteten. Zwei Jahre später als geplant wurde die SADCBRIG schließlich auf dem Gipfeltreffen im August 2007 offiziell ins Leben gerufen (vgl. Angola Press Agency, 17.08.2007: „SADC - Standby Force to Be Presented Friday“; The Namibian, 24.06.2006: „SADC Standby Force Delayed“). Aber auch nach ihrer Einführung sieht sich die SADCBRIG noch mit grundlegenden Problemen konfrontiert. Hierzu zählen bislang ungeklärte Kompetenzverteilungen zwischen PLANELM, dem SADCBRIG-Hauptquartier und dem SADC-Sekretariat sowie logistische Probleme. Auch die Fähigkeiten der Mitgliedsstaaten, im Bedarfsfall für Friedensmissionen ausgebildete Truppenteile zur Verfügung zu stellen, werden angezweifelt (vgl. Ressler 2007: 109).147 Als zentrales Trainingszentrum der SADC-Brigade dient das „SADC Regional Peacekeeping Center“ in Harare. Gegründet wurde diese Institution mit der Unterstützung dänischer Gelder der Entwicklungszusammenarbeit im Jahr 1996. Aus Protest gegen die gewaltsame Landreform in Simbabwe stellte Dänemark seine Unterstützung für das Trainingszentrum allerdings 2001 ein. Unter der Federführung des simbabwischen Verteidigungsministeriums blieb das Zentrum weitgehend inaktiv, bis es im August 2005 offiziell an die SADC übergeben wurde (vgl. Le Pere/Tjønneland 2005: 39-40; The Herald, 08.08.2005: „Zimbabwe Hands Over Training Centre to Sadc“).148
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An der SADCBRIG sind die SADC-Mitglieder DRK, Madagaskar und Mauritius nicht beteiligt. Einen Überblick zum Aufbau der gesamtafrikanischen Eingreiftruppe liefern Cilliers/Malan 2005. Allerdings wird sich erst in Zukunft zeigen, ob es der SADC gelingt, auch ohne externe finanzielle Unterstützung das Trainingscenter dauerhaft zu betreiben (vgl. Ressler 2007: 109).
5 Der theoretische Analyserahmen
Bevor die ausgewählten theoretischen Ansätze vorgestellt und analysiert werden, soll zunächst eine Erklärung zentraler Begriffe im Bereich der Theorie vorgenommen werden, um dem Ziel einer transparenten und intersubjektiv nachprüfbaren Untersuchung möglichst nahezukommen. Von Bedeutung ist insbesondere der (sozialwissenschaftliche) Theoriebegriff, schließlich bilden Theorien einen zentralen Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit. Während auf das spezifische Theorieverständnis der einzelnen ausgewählten Ansätze in späteren Kapiteln eingegangen wird (vgl. Kapitel 6), sollen hier zunächst allgemeine Überlegungen zum Wesen sozialwissenschaftlicher Theorien angestellt werden. Am Anfang einer solchen Auseinandersetzung steht zunächst die Feststellung, dass es keine allgemeingültige Definition sozialwissenschaftlicher Theorien gibt. Da Theorien immer unter den Annahmen eines spezifischen Wissenschaftsverständnisses entwickelt werden, existiert eine Vielzahl verschiedener Theorieverständnisse (vgl. Nohlen/Schulze 2004: 987). Um das weitläufige Feld der sozialwissenschaftlichen Theoriedebatte im Rahmen einer Übersicht zu erschließen, wird in einem ersten Schritt eine Klassifizierung in verschiedene Arten sozialwissenschaftlicher Theorien vorgenommen. Die Theorien der Sozialwissenschaft können unter anderem nach ihrem Anspruch unterschieden werden. Im Rahmen eines empirisch-analytischen Anspruchs geben Theorien Feststellungen und Erklärungen, ggf. auch Prognosen zu den beobachteten Tatsachen der empirischen Wirklichkeit ab. Eine Theorie mit normativen Anspruch hat hingegen die Ambition, Wertmaßstäbe, Werturteile und Handlungsanweisungen zu vermitteln (vgl. ebd.: 988-989). Zwei weitere, miteinander korrelierende Kriterien, die für die Klassifizierung sozialwissenschaftlicher Theorien herangezogen werden können, sind die Nähe zu ihrem spezifischen Gegenstandsbereich sowie ihre Reichweite. Sozialwissenschaftliche Theorien können sich zwischen zwei Polen bewegen: Auf der einen Seite können sie eine sehr hohe Präzision besitzen, die aus der detaillierten Beschäftigung mit einem stark eingegrenzten Gegenstandsbereich resultiert und eine vergleichsweise geringe Abstraktionskraft bedingt. Der entgegengesetzte Pol bedeutet eine geringe Spezialisierung bei gleichzeitig hohem Abstraktionsgrad. Zwischen diesen beiden Polen nehmen Theorien ‚mittlerer
132
5 Der theoretische Analyserahmen
Reichweite’ eine Art Mittelposition ein. Sie zeichnen sich dementsprechend durch einen mittleren Abstraktionsgrad und eine weder besonders spezifische noch besonders allgemeine Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Gegenstandsbereich aus (vgl. Kortmann/Schubert 2006: 35-36; Patzelt 1986: 220). Theorien können aber auch in deskriptive und analytische Theorien klassifiziert werden. Während sich analytische Theorien durch die Verwendung theoretischer Begriffe und der Postulierung von ‚Wenn-dann-Zusammenhängen’ auszeichnen, konzentrieren sich deskriptive Theorien auf die strukturierte Beschreibung beobachteter Tatsachen. Während Theorien einer mittleren Reichweite durchaus einen deskriptiven Charakter besitzen können, geht ein steigender Abstraktionsgrad der Theorien mit einer zunehmenden analytischen Ausrichtung einher (vgl. Patzelt 1986: 220-221). Mit Hilfe dieser genannten Kriterien, die lediglich eine Auswahl der am stärksten verbreiteten Klassifizierungsmerkmale darstellen, kann die Vielzahl an existierenden Theorien in verschiedene Kategorien vorstrukturiert werden. Gemäß der Zugehörigkeit zu einer dieser Kategorien unterscheidet sich auch die spezifische Definition des Begriffs der sozialwissenschaftlichen Theorie. Da die in dieser Arbeit verwendeten theoretischen Ansätze ein unterschiedliches Verständnis von Theorie besitzen und in ihren Erwartungen an die Leistungen einer Theorie unterschiedlich weit gehen, wird an dieser Stelle eine vergleichsweise allgemeine Definition des Theoriebegriffs verwendet. Sie soll lediglich einen übergeordneten Rahmen bereitstellen, ohne das theoretische Verständnis vorweg einzuengen. In diesem Sinne können Theorien nach der Definition von Helga Haftendorn bezeichnet werden als: „(…) Sätze von Aussagen, die in einem logischen Zusammenhang stehen, die einer wissenschaftlichen Untersuchung als Bezugsrahmen dienen, eine begrifflichsystematische Ordnung der Ereignisse ermöglichen und zu praktischem Handeln befähigen können.“ (Haftendorn 1975: 9-10)
An die Definition des Theoriebegriffs schließt sich weiterhin die Frage an, ob die in dieser Arbeit verwendeten Theorien nach den hier aufgestellten Kriterien überhaupt als Theorien zu bezeichnen sind. Ein erster Blick auf die Namen der hier untersuchten Theorieansätze kann bereits einen ersten Anhaltspunkt zur Beantwortung dieser Frage liefern: So gibt die Namensgebung des New Regionalism Approachs zu verstehen, dass es sich um einen theoretischen Ansatz und nicht um eine Theorie handelt.149 Es ist also nicht davon auszugehen, dass alle 149
Eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem theoretischen Verständnis der ausgewählten theoretischen Ansätze findet sich im Kapitel 6.
5.1 Kritische Diskussion des Analyserahmens
133
untersuchten Ansätze als ausgereifte Theoriemodelle bezeichnet werden können. Vielmehr befinden sie sich in unterschiedlichen Stadien theoretischer Entwicklung bzw. verfolgen unterschiedliche theoretische Zielsetzungen.150 Um begriffliche Ungenauigkeiten zu vermeiden, werden die drei ausgewählten theoretischen Konstrukte im Folgenden als ‚theoretische Ansätze’ bzw. ‚Theorieansätze’, nicht als ‚Theorien’ bezeichnet. Auch wenn keine allgemeingültige, klare Trennungslinie zwischen einer Theorie und einem theoretischen Ansatz existiert, kann der Ansatz eine Vorstufe zur Formulierung einer Theorie darstellen, da in ihm bereits grundlegende Annahmen der späteren Theorie enthalten sind.151 Der offene Begriff des theoretischen Ansatzes umfasst somit einen weitläufigeren Bereich theoretischer Konstrukte und eignet sich daher als Bezeichnung für die hier verwendeten theoretischen Beispiele. Doch die Klärung der wichtigen Begriffe ‚Theorie’ und ‚theoretischer Ansatz’ schafft noch keine ausreichende Grundlage für die Erarbeitung eines Analyserahmens für die Untersuchungsfragen dieser Arbeit. Es muss nicht nur der Gegenstand der Untersuchung spezifiziert werden, sondern auch die konkreten Kriterien, nach denen die Untersuchung vorgenommen wird. Im Zentrum der theoretischen Auseinandersetzung steht die Frage, welche Vor- bzw. Nachteile die verschiedenen theoretischen Ansätze für die Analyse des afrikanischen Regionalismus aufweisen. Um diese Frage zu beantworten, müssen die Theorieansätze in einer vergleichenden Untersuchung auf ihren jeweiligen Erkenntnisgewinn hin analysiert werden. Einen transparenten Charakter besitzt eine solche Analyse aber nur dann, wenn die Untersuchungskriterien offen gelegt werden. Wie kann also die Leistung bzw. die Güte eines Theorieansatzes für die Erklärung empirischer Sachverhalte überprüft werden? Und worin besteht die Leistung oder Güte theoretischer Ansätze überhaupt? Ein mögliches Kriterium zur Überprüfung von theoretischen Ansätzen ist der Wahrheitsgehalt. Dabei sind zwei unterschiedliche Arten von Wahrheit zu unterscheiden. Die faktische Wahrheit eines Theorieansatzes ist dann gegeben, wenn die theoretischen Aussagen mit den realen Gegebenheiten übereinstimmen bzw. sie zutreffend erklären. Die so genannte logische Wahrheit eines Theorie150
151
In der vorliegenden Arbeit wird keinerlei Wertung bezüglich der Überlegenheit der einen oder anderen Form bzw. Stufe der theoretischen Modellbildung vorgenommen. Stattdessen ist es Aufgabe der Untersuchung herauszufinden, welche Form der theoretischen Herangehensweise für die Auseinandersetzung mit regionaler Integration im südlichen Afrika den größten Erkenntnisgewinn bringt. An dieser Stelle ist anzumerken, dass der Begriff des theoretischen Ansatzes unterschiedlich definiert werden kann und nicht ausschließlich die Vorstufe einer Theorie bezeichnet. Auch die spezifische Herangehensweise an einen Forschungsstand wird gelegentlich als theoretischer Ansatz bezeichnet. Teilweise werden die Begriffe Theorie und theoretischer Ansatz auch synonym verwendet (vgl. Bieling/Lerch 2006: 15, Fußnote 5).
134
5 Der theoretische Analyserahmen
ansatzes ist dann vorhanden, wenn die Konstruktion der einzelnen Aussagen (-systeme) des Ansatzes nach einem logisch konsistenten Muster erfolgt (vgl. Opp 2002: 189). In der vorliegenden Arbeit wird die erstgenannte, faktische Wahrheit von Theorieansätzen analysiert. Es wird also untersucht, inwiefern die drei ausgewählten Theorieansätze in der Lage sind, den aktuellen Regionalismus im südlichen Afrika zu erklären.152 Dazu werden hier zwei Möglichkeiten der empirischen Prüfung des faktischen Wahrheitsgehalts von Theorieansätzen miteinander kombiniert. Zum einen der Vergleich der theoretischen Annahmen mit den konkreten Gegebenheiten der Realität, zum anderen die Gegenüberstellung konkurrierender Annahmen verschiedener Theorieansätze bezüglich eines Untersuchungsgegenstandes (vgl. ebd.: 195+202). Diese Vorgehensweise besitzt den Vorteil, dass die faktische Überprüfung einzelner Theorien erweitert wird um eine gegenseitige kritische Auseinandersetzung zwischen den konkurrierenden Theorien. Durch den direkten Vergleich können so Stärken und Schwächen einzelner Theorien leichter identifiziert werden. Darüber hinaus zeichnet sich die vorliegende Untersuchungssituation durch die Gegenüberstellung von Theorieansätzen unterschiedlicher Schulen aus – eine Konstellation, die Opp (vgl. 2002: 194) als besonders fruchtbar bezeichnet. Schließlich sei durch die Konfrontation von solch unterschiedlichen Theorieansätzen die Möglichkeit gegeben, Mängel an den Ansätzen der einzelnen Schulen aufzudecken. Diese Chance bestehe im Falle einer vergleichenden Untersuchung von Theorieansätzen derselben Schule nicht. Im letzteren Fall sei sogar eine verstärkte Gefahr zu verzeichnen, im theoretischen Elfenbeinturm der jeweiligen Theorieschule eine gewisse Blindheit gegenüber immanenten Schwächen derselbigen zu entwickeln. Im Zusammenhang mit der empirischen Überprüfung ausgewählter theoretischer Ansätze auf ihre faktische Wahrheit wird in der vorliegenden Arbeit der Begriff der Analysekraft verwendet.153 Damit soll der Erkenntnisgewinn umschrieben werden, den die einzelnen Theorieansätze in Bezug auf den Untersuchungsgegenstand erbringen können. Auch wenn von einer generellen Anwendbarkeit der drei Ansätze im afrikanischen Kontext auszugehen ist, bleibt die Frage, wie sinnvoll und ertragreich diese Anwendung ist. Bei der Analysekraft handelt es sich nicht um eine grob quantifizierbare Größe. Allein im Vergleich der verschiedenen Theorieansätze kann von größerer bzw. kleinerer Analysekraft 152
153
Allerdings ist zu beachten, dass logische und faktische Wahrheit in einem engen Zusammenhang stehen. Eine Theorie kann sich nur dann gemessen an der Realität bewahrheiten, wenn ihr logischer Aufbau korrekt und widerspruchsfrei ist (vgl. Opp 2002: 195). In einem ähnlichen Zusammenhang prägt Opp auch den Begriff des „Bewährungsgrads“ von Theorien (Opp 2002: 202).
5.1 Kritische Diskussion des Analyserahmens
135
in Bezug auf einen Untersuchungsgegenstand gesprochen werden. Konkret sollen die Ergebnisse zur Analysekraft im Kapitel 10.1 präsentiert werden. 5.1 Kritische Diskussion des Analyserahmens Um die Analysekraft der einzelnen Theorieansätze zu spezifizieren, muss zunächst der sehr komplexe Untersuchungsgegenstand, der Regionalismus im südlichen Afrika, bearbeitbar gemacht werden. Dazu wird der Regionalismus auf einige wenige Kernelemente reduziert, anhand derer dann die Analysekraft der Theorieansätze stellvertretend untersucht werden kann. Diese Kernelemente des Regionalismus werden im weiteren Verlauf Analysekriterien genannt. Es wird angenommen, dass es sich bei diesen Analysekriterien um die Grundpfeiler des Regionalismus handelt. Ist ein Theorieansatz in der Lage, bezüglich dieser Analysekriterien aufschlussreiche Einsichten zu vermitteln, so ist davon auszugehen, dass er in der Lage ist, den Regionalismus angemessen zu erklären. In der vorliegenden Arbeit wird der Regionalismus auf insgesamt vier Analysekriterien ‚reduziert’:Als erstes Analysekriterium werden die Motive und Zielsetzungen betrachtet, die die involvierten Akteure veranlassen, sich aktiv am Regionalismus zu beteiligen. Zweitens sind die Bedingungen für einen erfolgreichen Verlauf der regionalen Integration zu analysieren. Hier stehen die Voraussetzungen und Gegebenheiten im Mittelpunkt, die einen möglichst reibungslosen Verlauf der Regionalintegration ermöglichen.154 Der Integrationsverlauf wird als drittes Kriterium analysiert. Das Interesse ist hier insbesondere auf die Prozesse und Mechanismen gerichtet, die Regionalismus erhalten und vorantreiben. Ein viertes Analysekriterium setzt sich mit den verschiedenen Gruppen von Akteuren und ihren jeweils spezifischen Rollen und Machtpotenzialen auseinander. Diese vier Analysekriterien bilden gewissermaßen das Werkzeug, mit dessen Hilfe die Analysekraft der einzelnen Theorieansätze analysiert wird. In einem ersten Schritt gilt es, die Annahmen der theoretischen Ansätze bezüglich der genannten Analysekriterien zu ermitteln, um diese dann in einem zweiten Schritt mit der empirischen Realität zu vergleichen. Diese Vorgehensweise bietet eine Reihe von Vorteilen. So werden die Theorieansätze alle anhand der gleichen, offen gelegten Kriterien überprüft, sodass die Untersuchung der Analysekraft der einzelnen Ansätzen nach transparenten Kriterien erfolgt. Auch bieten 154
Der Begriff der Bedingung wird im Folgenden allerdings in einem breiten Verständnis verwendet. Er umfasst nicht nur notwendige Bedingungen, sondern auch förderliche Faktoren. Dieses breite Verständnis ist notwendig, da die theoretischen Ansätze ihr Verständnis der förderlichen Bedingungen der Regionalintegration nicht genauer spezifizieren.
136
5 Der theoretische Analyserahmen
die Analysekriterien die Möglichkeit, die drei ausgewählten Theorieansätze in strukturierter Weise vorzustellen. Dadurch ergibt sich wiederum die Gelegenheit, direkte Vergleiche zwischen den Annahmen der verschiedenen Ansätze zu ziehen und gegebenenfalls analytische Schwerpunkte zu erkennen. Der Analyserahmen der vorliegenden Arbeit wird durch zwei weitere Aspekte ergänzt, die zwar nicht im direkten Zusammenhang mit der Überprüfung der Analysekraft der Theorieansätze im afrikanischen Kontext stehen, sich aber auf ein weiterführendes Erkenntnisinteresse dieser Arbeit beziehen. Hier handelt es sich erstens um das Theorieverständnis und die spezifischen theoretischen Ansprüche, die die einzelnen Theorieansätze vertreten. Diese Aspekte müssen insbesondere für die abschließende Bewertung der Theorieansätze berücksichtigt werden. Schließlich sollen die theoretischen Ansätze nur auf der Grundlage ihrer eigenen Ansprüche beurteilt werden. Darüber hinaus kann die Auseinandersetzung mit den verschiedenen theoretischen Ansprüchen Erkenntnisse darüber liefern, welche Form der theoretischen Auseinandersetzung besser für die Analyse des afrikanischen Regionalismus geeignet ist: vergleichsweise offene theoretische Analyserahmen oder ausgereifte Theorien. Zweitens wird in der Analyse berücksichtigt, welche Angaben die einzelnen Theorieansätze zu ihrer jeweiligen Anwendbarkeit bzw. Aussagekraft in anderen regionalen Kontexten als ihrer ursprünglichen Untersuchungsregion machen. Dadurch können sich erste Hinweise auf Möglichkeiten und Schwierigkeiten bei der Übertragung der Theorieansätze auf andere Weltregionen ergeben. Darüber hinaus können die gewonnenen Erkenntnisse auch für die Diskussion über die Möglichkeiten einer allgemeingültigen Integrationstheorie genutzt werden. Insgesamt werden die Theorieansätze also auf sechs Kriterien hin untersucht. Vier dienen der Überprüfung der Analysekraft, zwei weitere werden für die Analyse weitergehender Fragestellungen dieser Arbeit herangezogen. Trotz seiner dargelegten Vorteile ist der Analyserahmen nicht frei von Nachteilen. Das ‚Problem der abhängigen Variable’ sei hier als Beispiel genannt: Die drei untersuchten Theorieansätze unterscheiden sich in ihren abhängigen Variablen, d.h., alle drei Ansätze besitzen ein unterschiedliches Explanandum. Diese Tatsache steht im engen Zusammenhang zu den unterschiedlich ausgeprägten Erkenntnisinteressen der Ansätze155 und offenbart sich in ihren unter155
Ohne der detaillierten Darstellung der Theorieansätze vorgreifen zu wollen, sei hier folgendes Beispiel genannt: Als Vertreter des IG interessiert sich Hoffmann etwa für die Rolle des modernen Nationalstaates im internationalen System. Die Erklärung des Zustandekommens regionaler Integration steht nicht im Mittelpunkt seiner Analysen. Für die Vertreter des NF hingegen steht die supranationale Gemeinschaftsebene im Zentrum ihrer Untersuchungen. Sie richten ihre Analyse gezielt auf die Entstehung und den Verlauf regionaler Integration aus. Ein wiederum anderes Erkenntnisinteresse legen die Vertreter des NRA an den Tag. Sie sind nicht ausschließ-
5.1 Kritische Diskussion des Analyserahmens
137
schiedlichen Untersuchungsschwerpunkten. Als Folge ist die direkte Vergleichbarkeit der Theorieansätze stark eingeschränkt. Die Bedingungen für einen Vergleich der Analysekraft der drei ausgewählten Ansätze in der Region des südlichen Afrikas sind also nicht optimal. Möglich ist eine vergleichende Analyse aber dennoch. Zumindest wenn – und das ist eine wichtige Bedingung – die unterschiedlich gelagerten Erkenntnisinteressen der Ansätze stets berücksichtigt werden. Schließlich darf ein Urteil über die konkrete Analysekraft der theoretischen Ansätze nur in Bezug auf ihr selbst erklärtes Erkenntnisziel gefällt werden. Durch die unterschiedlichen Erkenntnisinteressen der Theorieansätze wird der Regionalismus im südlichen Afrika aber aus einer sehr offenen Perspektive betrachtet. Und das ist ein großer Vorteil. Der Blickwinkel der Untersuchung ist also nicht grundsätzlich auf eine spezifische Form regionaler Integration begrenzt, sondern schließt vielmehr sehr verschiedene Formen des Regionalismus ein – eine Tatsache, die insbesondere den Gegebenheiten des afrikanischen Regionalismus Rechnung trägt. Ein weiterer problematischer Aspekt des hier vorgestellten Analyserahmens betrifft den Diskussionsstand der verschiedenen Theorieansätze. Alle drei Ansätze schauen auf eine unterschiedlich lange Geschichte zurück. Dies gilt insbesondere für den NF, der von verschiedenen Wissenschaftlern über eine verhältnismäßig lange Zeit weiterentwickelt und ausdifferenziert wurde. Für alle drei Theorieansätze existiert eine Vielzahl von Arbeiten, die von verschiedenen Autoren in einem bestimmten zeitlichen Kontext verfasst wurden und dementsprechend unterschiedliche Analyseschwerpunkte und -ergebnisse besitzen. Dadurch ergibt sich ein Auswahlproblem: Nach welchen Kriterien sollen diejenigen Texte und Autoren bestimmt werden, die stellvertretend für den gesamten theoretischen Ansatz in die Analyse einbezogen werden? Es ist wenig aussichtsreich, die Fülle an Arbeiten eines theoretischen Ansatzes mit der Absicht zu durchforschen, eine Herangehensweise bzw. einen Autor zu finden, der den gesamten Ansatz in all seinen Facetten repräsentiert. Vielversprechender ist, zumindest auf den ersten Blick, die Strategie, den jeweils letzten Stand der theoretischen Entwicklung der jeweiligen Ansätze zu verwenden. Generell ist davon auszugehen, dass die aktuellste Version eines Theorieansatzes auch die am weitesten entwickelte ist. In ihr sollen Schwächen und Unklarheiten des Theorieansatzes am ehesten ausgemerzt sein. Doch im hier vorliegenden Analysefall, und insbesondere in Bezug auf die MainstreamTheorien, trifft diese Argumentation nicht zu. Sowohl neo-funktionalistische wie intergouvernementalistische Theorien wurden zur Erklärung der europäischen Integration entwickelt und als Reaktion auf die Entwicklungen in diesem Feld lich auf regionale Integration fokussiert, sondern besitzen ein sehr breites Erkenntnisinteresse, das verschiedene Formen von Regionalisierung und Regionalismus einschließt.
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5 Der theoretische Analyserahmen
vorangetrieben. Da sich der Integrationsweg der europäischen Länder aber grundlegend von dem der afrikanischen unterscheidet, ist ein theoretischer Ansatz, der die jüngsten Entwicklungen in Europa angemessen erklären kann, nicht auch zwangsläufig für die Analyse afrikanischer Regionalintegration geeignet. Ein kurzes Beispiel soll dies verdeutlichen. Neo-funktionalistische Ansätze der 90er Jahre beschäftigten sich im besonderen Maße mit der Analyse und Erklärung von supranationalen Governance-Prozessen innerhalb der EU. Für die afrikanischen Staaten wäre ein solcher Analyseschwerpunkt aber nicht angemessen, da ihre regionale Integration nicht den Kriterien entspricht, die allgemein mit supranationalen Governance-Strukturen in Verbindung gebracht werden. Stattdessen sind ältere neo-funktionalistische Arbeiten, die sich hauptsächlich mit der Analyse des Zustandekommens und des Verlaufs regionaler Integration beschäftigen, trotz oder gerade wegen ihres Alters sehr viel besser für die Untersuchung des afrikanischen Regionalismus geeignet. In der vorliegenden Arbeit wurden die berücksichtigten Autoren bzw. relevanten theoretischen Beiträge nicht nach ihrer Aktualität, sondern nach ihrer Repräsentativität für den gesamten Theorieansatz ausgewählt. Im Vordergrund steht die Bemühung, möglichst zentrale Annahmen der einzelnen Ansätze herauszufiltern, dabei aber wichtige Differenzen und Weiterentwicklungen einzelner Autoren nicht unberücksichtigt zu lassen. Dennoch kann die Darstellung der drei Theorieansätze in Kapitel 6 weder Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Repräsentativität erheben. Insbesondere gilt es zu berücksichtigen, dass die Theorieansätze in dieser Arbeit unter der sehr speziellen Perspektive der Analysekriterien betrachtet werden.
6 Die Theorieansätze im Einzelnen
Die klassischen Integrationstheorien NF und IG wurden aus der Vielzahl existierender integrationstheoretischer Ansätze ausgesucht, da sie gewissermaßen die Grundpfeiler der politikwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Regionalismus darstellen. Aufbauend auf ihren Annahmen oder auch durch die kritische Abgrenzung zu ihnen entwickelte sich das heute stark ausdifferenzierte Feld der integrationstheoretischen Ansätze. Die beiden Theorien besitzen also eine grundlegende Bedeutung, auch wenn ihre Relevanz oftmals in Frage gestellt wird. Der Vorwurf lautet, dass die Theorieansätze für aktuelle Integrationsprozesse außerhalb des europäischen Raums ungeeignet seien (vgl. Østergaard 1993; Shaw et al. 2003: 193-194; Söderbaum 2005a: 223). Aber eine detaillierte Beschäftigung mit den theoretischen Annahmen kann diesen Vorwurf widerlegen, wie die folgenden Kapitel zeigen werden. In diesem Sinne plädiert auch Ben Rosamond (vgl. 2008: 80-90) für eine neue, unvoreingenommene Lesart der klassischen Integrationstheorien, allen voran des NF. Seiner Meinung nach wurden diese Theorieansätze vorschnell verworfen und ihre Relevanz für die Analyse des aktuellen Regionalismus nicht umfassend geprüft. Mit dem NRA wurde ein Theorieansatz ausgewählt, der im starken Kontrast zu den klassischen Integrationstheorien steht. Doch gerade dieser Gegensatz macht ihn für die vorliegende Analyse so interessant. Der NRA wurde dezidiert für die Untersuchung von Prozessen des neuen Regionalismus außerhalb Europas und mit einer besonderen Fokussierung auf afrikanische Staaten entwickelt. Ob diese Eigenschaften dazu führen, dass der NRA im Vergleich zu den klassischen Integrationstheorien eine deutlich höhere Analysekraft aufweist, soll die vorliegende Untersuchung zeigen. 6.1 Der Neo-Funktionalismus Der NF als prominentester integrationstheoretischer Ansatz wird im Folgenden mit einem besonderen Fokus auf die Arbeiten von Ernst B. Haas, Philippe C. Schmitter und Joseph S. Nye vorgestellt.
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6 Die Theorieansätze im Einzelnen
6.1.1 Überblick zur neo-funktionalistischen Theorieentwicklung Die Entwicklung des Neo-Funktionalismus steht im engen Zusammenhang mit den Arbeiten von Ernst B. Haas. Dessen zentrales Werk, ‚The Uniting of Europe’, legte in seiner ersten Auflage von 1958 die Grundlage für die neofunktionalistische Theorieentwicklung. Im Rahmen einer kritischen Weiterentwicklung der funktionalistischen Annahmen David Mitranys entwickelte Haas die erste politikwissenschaftliche Integrationstheorie zur Erklärung der Integrationsprozesse in Westeuropa. Aufgrund des besonderen Stellenwertes des Funktionalismus als Vorläufer der politischen Integrationstheorien soll der folgende Exkurs kurz die grundlegenden Merkmale dieses Ansatzes aufzeigen. 6.1.1.1 Exkurs: Der Funktionalismus nach David Mitrany Als wichtigster Vertreter des Funktionalismus beschäftigte sich David Mitrany insbesondere mit der Frage, welche internationale Ordnung am ehesten in der Lage sei, einen andauernden Frieden herzustellen bzw. zu bewahren.156 Sein Anliegen bestand darin, ein konzeptionell-theoretisches Modell zu erarbeiten, in dessen Rahmen Nationalstaaten transnationale Herausforderungen gemeinsam meistern können. Die Staaten sollten aktiv zusammengebracht und nicht friedlich voneinander ferngehalten werden (vgl. Mitrany 1971: 538). Nach dem Menschenbild, das den Arbeiten Mitranys zugrunde liegt, sind die Akteure grundsätzlich gut, verfolgen rationale Interessen und sind an der Herstellung allgemeiner Wohlfahrt interessiert. Allerdings können sich diese grundsätzlich positiven Eigenschaften nur in einem internationalen System funktionaler Logik optimal entfalten. Die derzeit bestehende Ordnung in Form von Nationalstaaten ist aus mehreren Gründen nur schlecht geeignet, um die allgemeinen Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen (vgl. Haas 1964: 8). Zum großen Teil sind die bestehenden Probleme von transnationalem Charakter, sodass einzelne Nationalstaaten nicht in der Lage sind, diese zufriedenstellend zu lösen. Zum Zweiten sind die Nationalstaaten stark mit der Aufrechterhaltung bzw. der Sicherung ihrer Macht beschäftigt und dadurch von ihrer eigentlichen Aufgabe, der Wohlfahrtssicherung, abgelenkt. In der Überwindung des territorialen Na156
In der Auseinandersetzung mit den Arbeiten Mitranys wird häufig die Frage diskutiert, ob der Funktionalismus als Theorie bezeichnet werden kann. Dieser Diskurs soll hier aber nicht aufgegriffen werden, da sich der folgende Exkurs ausschließlich auf die Inhalte des Funktionalismus und seine Rolle als Wegbereiter für den NF konzentriert. Ohne wertende Bedeutung wird der Funktionalismus ebenso wie NF, IG und NRA im Folgenden als theoretischer Ansatz bezeichnet.
6.1 Der Neo-Funktionalismus
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tionalstaates und der Schaffung funktionaler, transnationaler Organisationen157 sah Mitrany die beste und effizienteste Möglichkeit, die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse sicherzustellen (vgl. Mitrany 1948: 356; Rosamond 2000: 33). Da zwischen den Wohlfahrtsinteressen der einzelnen Nationalstaaten bzw. ihren Bevölkerungen große Überschneidungen bestehen, sollen diese durch transnational operierende Organisationen befriedigt werden. Der entscheidende Vorteil einer solchen Organisationsform liegt darin, dass die politische Organisationsweise durch eine rein funktionale ersetzt wird. Der Politik und politischen Entscheidungsprozessen brachte Mitrany im Allgemeinen großes Misstrauen entgegen und zweifelte an ihrer Fähigkeit, einen dauerhaften internationalen Frieden zu entwickeln bzw. zu erhalten. Die Sicherung allgemeiner Wohlfahrt habe unter der Verantwortung von Experten und Beamten im Rahmen internationaler Organisationen eine weitaus bessere Aussicht auf Erfolg. Diese seien nicht an nationale Loyalitäten gebunden und an einer rationalen sowie effizienten Erfüllung ihrer Aufgaben interessiert (vgl. Haas 1964: 9; Mitrany 1948: 356). Zudem sind die verschiedenen funktionalen Organisationen sehr flexibel, sodass sie sich an Veränderungen der menschlichen Bedürfnisse schnell anpassen und ihre Aufgaben weiterhin effektiv ausführen. Die konkrete Ausgestaltung der Organisationen wird dabei allein durch ihre zu erfüllenden Funktionen bestimmt. Gemäß diesem Prinzip von ‚Form folgt Funktion’ ergeben sich Größe, Struktur und Zuständigkeitsbereich der funktionalen Organisationen nach dem Prinzip der „technical self-determination“ (Mitrany 1965: 139): „The nature of each function tells of itself the scope and powers needed for its effective performance. All these elements are capable of concrete measurement, and unlike rigid political arrangements, they are therefore capable of concrete adjustment, in keeping with changes in the conditions of the function.” (Mitrany 1948: 358)
Mitrany verband mit der Einführung von funktionalen Organisationen die Hoffnung, einen tragfähigen und andauernden internationalen Frieden zu erschaffen. Indem alle Nationalstaaten gleichermaßen in die Organisationen eingebunden sind und von ihren effektiven Leistungen profitieren, werde ein engmaschiges Netz von Interdependenzen aufgebaut und die Grundlage für zwischenstaatliche Konflikte würde deutlich reduziert (vgl. Mitrany 1966: 96-99). 157
Ein Zusammenschluss von Nationalstaaten auf regionaler Ebene bringt laut Mitrany keinen Nutzen, sondern hebt die Nachteile der nationalstaatlichen Organisationsform lediglich auf eine übergeordnete Ebene. So bleibt die territoriale, unflexible Organisationsform der Staaten ebenso erhalten wie ihre Entscheidungsfindungsprozesse. Darüber hinaus sei eine Dominanz der stärkeren über die schwächeren Staaten im Rahmen regionaler Zusammenschlüsse wahrscheinlich (vgl. Mitrany 1965: 123-127).
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6 Die Theorieansätze im Einzelnen
Doch wie kann ein solches System funktional operierender internationaler Organisationen aufgebaut werden und welchen Beitrag müssen bzw. können die Nationalstaaten leisten? Ein zentraler Vorteil der funktionalistischen Vorgehensweise besteht laut Mitrany darin, dass die Souveränität der Nationalstaaten nicht direkt angegriffen wird. Diese würden lediglich dazu ermuntert, in dem Maße Souveränität an die internationale Organisation abzutreten, wie für die Ausführung einer spezifischen Funktion notwendig sei. Aufgrund der effektiven Arbeitsweise der Organisationen würden die Nationalstaaten diesem Schritt zustimmen, ohne dabei zu erkennen, dass ihre Souveränität schrittweise unterwandert wird. Mit steigender Anzahl von funktionalen Organisationen verringerten sich nicht nur die Zuständigkeiten der Nationalstaaten. Auch die Loyalitäten der Bürger verschöben sich von der nationalstaatlichen Ebene auf das neu entstandene Netz von internationalen Organisationen. Es entstünde ein weltweites Geflecht von effektiv arbeitenden, funktionalen Organisationen. Die nationalen Staaten würden derjenigen Aspekte von Macht und Identität enthoben, die vormals zu zwischenstaatlichen Konflikten geführt hätten (vgl. Haas 1964: 22; Mitrany 1948: 358-359).158 In der kritischen Auseinandersetzung mit den Arbeiten David Mitranys wird angezweifelt, dass funktionale Aufgabenbereiche aus dem allgemeinen Zuständigkeitsbereich des Staates herausgelöst werden können. Die Aufgabe der Wohlfahrtssicherung sei ein mit politischer Macht behafteter Prozess und könne deshalb nicht leicht an funktionale Organisationen übertragen werden. Zudem sei die allgemeine Trennung des Funktionalismus zwischen Politik und Technik/Funktion nicht haltbar, da einzelne Bereiche erst durch eine vorangegangene politische Entscheidung als technisch klassifiziert werden können. Die Vorstellung, dass eindeutig technische bzw. funktionale Zuständigkeitsbereiche existieren, die problem- und konfliktlos an internationale Organisationen übertragen werden könnten, ist nach Ansicht der Kritiker unrealistisch. Die meisten, wenn nicht sogar alle, ‚funktionalen’ Dienstleistungen umfassten auch die Allokation von Ressourcen und seien als solche notwendigerweise politisch. In diesem Zusammenhang wird auch die Annahme Mitranys angezweifelt, die technokratischen Entscheidungsträger der internationalen Organisationen würden effizienter und mit weniger Eigennutz allgemeine Wohlfahrtsinteressen verfolgen (vgl. Haas 1964: 23; Mutimer 1994: 26; Rosamond 2000: 40).
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Dabei sei es laut Mitrany nicht notwendig, dass die funktionalen Organisationen das gesamte Feld der internationalen Aktivitäten abdecken. Für die Sicherstellung des Friedens sei es bereits ausreichend, wenn diejenigen Bereiche unter eine gemeinsame funktionale Kontrolle gebracht würden, die eine grundlegende Bedeutung für die Existenz der Menschen besitzen und die von Natur aus eine Gefahr für die allgemeine Sicherheit darstellen (vgl. Mitrany 1971: 541).
6.1 Der Neo-Funktionalismus
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Des Weiteren wird der Funktionalismus Mitranys für seine Annahme kritisiert, zwischen den Interessen der Nationalstaaten bestünden große Überschneidungen, die sich unter anderem in einem gemeinsamen Interesse an der allgemeinen Wohlfahrt äußerten (vgl. Haas 1964: 30). Ein weiterer großer Teil der Kritik am Funktionalismus bezieht sich auf sein theoretisches Verständnis bzw. seine theoretische Leistungsfähigkeit. Die Arbeiten Mitranys werden in Teilen als normativ, ja, sogar als naiv bezeichnet (vgl. Mattli 1999: 23; Rosamond 2000: 40). Nach einer kritischen Auseinandersetzung nutzte insbesondere Ernst B. Haas den Funktionalismus, um darauf aufbauend den NF zu entwickeln. Ohne der detaillierten Vorstellung des NF in den folgenden Kapiteln vorgreifen zu wollen, seien hier die wichtigsten Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Funktionalismus und NF aufgeführt. Anders als sein Vorgänger ist der Fokus des NF nicht auf die globale, sondern vielmehr auf die regionale Ebene ausgerichtet. Im Mittelpunkt seines Interesses steht die Frage, unter welchen Bedingungen Nationalstaaten bereit sind, Teile ihrer nationalen Souveränität an eine übergeordnete regionale Ebene zu übertragen. Der NF beschäftigt sich also mehr mit der Interessenpolitik und weniger mit den Möglichkeiten einer globalen Friedensordnung. Anders als beim Funktionalismus nach Mitrany steht im Zentrum des NF die Annahme, dass als Ausgangspunkt des Integrationsprozesses ein Sektor von politischer Bedeutung geeignet ist, der aber funktional verwaltet werden kann. Während der Funktionalismus auf die Vorteile technischer Selbstbestimmung der internationalen Organisationen baut, hebt der NF für den Erhalt und den Ausbau des Integrationsprozesses die Bedeutung der expansiven Logik der Sektorintegration hervor (vgl. Mattli 1999: 23-25; Nye 1971: 51; O’Neill 1996: 34). Die wichtigsten Gemeinsamkeiten beider Ansätzen bestehen laut Joseph S. Nye (vgl. 1971: 53) in folgenden Punkten: Die funktionale Methode nimmt in beiden Ansätzen einen zentralen Stellenwert ein. Im Falle des Funktionalismus werden einzelne Funktionen des Nationalstaates an internationale Organisationen ausgelagert. Für den NF stellt die Übertragung der Zuständigkeit für einzelne funktionale Bereiche auf eine regionale Ebene den Anfangspunkt eines weitergehenden regionalen Integrationsprozesses dar. Darüber hinaus betonen beide Theorieansätze die Bedeutung von Wohlfahrt. Sie zeigen auch die Tendenz, die Bedeutung von Symbolen und Identitäten herunterzuspielen und stattdessen die nutzbringenden Faktoren der Gemeinschaftsbildung hervorzuheben. Die Annahmen beider Ansätze beziehen sich zudem auf pluralistisch organisierte Gesellschaften und sprechen den Experten und Bürokraten der internationalen Organisationen bzw. der regionalen Institutionen eine besondere Rolle zu. Der NF erfreute sich im Laufe seiner fast fünfzigjährigen Geschichte unterschiedlicher Beliebtheit: Nach anfänglicher Popularität geriet der Ansatz in Er-
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6 Die Theorieansätze im Einzelnen
klärungsnot, als der europäische Integrationsprozess ins Stocken kam. Auf Jahre des Abgesangs folgte schließlich die zögerliche Wiederentdeckung neofunktionalistischer Modelle. Im Überblick lassen sich folgende ‚Phasen’ der Theorieentwicklung erkennen: Einer ersten Blütezeit des Neo-Funktionalismus, Mitte der 50er bis Mitte der 60er Jahre, setzte die ‚Krise des leeren Stuhls’159 ein jähes Ende. Hatte das neo-funktionalistische Modell bis dahin seine Erklärungskraft für die europäische Integration eindrucksvoll unter Beweis stellen können, so wurde seine Relevanz nun in Frage gestellt. Es folgte eine Periode der Überarbeitung und Erweiterung in den frühen 70er Jahren. Insbesondere die Autoren Philippe C. Schmitter, Joseph S. Nye, Leon N. Lindberg und Stuart A. Scheingold setzten sich kritisch mit den Stärken und Schwächen des Ansatzes auseinander und trugen damit zu seiner systematischen Weiterentwicklung bei.160 Eine zweite Krisenzeit erlebte der Neo-Funktionalismus dann Mitte der 70er Jahre. Diesmal waren es keine konkreten Entwicklungen in der politischen Praxis, die die Erklärungskraft des Neo-Funktionalismus in Frage stellten. Vielmehr kam die Kritik aus den eigenen Reihen: Ernst B. Haas persönlich zweifelte die Relevanz seines Ansatzes und der Integrationstheorie im Allgemeinen an. In Zeiten zunehmender internationaler Interdependenz werde die Integrationstheorie als eigenes Theoriemodell obsolet und gehöre in den Bereich der Interdependenzforschung eingeordnet (vgl. Haas 1975: 86-88). Diese äußerst kritische Einschätzung der Relevanz neo-funktionalistischer Modelle leitete eine Phase des Stillstands ein, in der ihnen keine weitergehende Beachtung zuteil wurde. Erst ab Ende der 80er Jahre wurden neo-funktionalistische Konzeptionen, insbesondere für die Analyse der wieder erstarkten europäischen Integration, erneut aufgegriffen.161 Charakteristisch für diese Phase der ‚Wiederentdeckung’ war, dass nur Einzelaspekte des neo-funktionalistischen Modells aufgenommen und für die Analyse der neu entstehenden supranationalen Strukturen in der Europäischen Gemeinschaft herangezogen wurden. Die ‚Wiederaufnahme’ einzelner neo-funktionalistischer Annahmen ging somit zu Lasten der Kohärenz des theoretischen Modells, da eine systematische Weiterentwicklung nicht stattfand (vgl. Faber 2005: 175). Arbeiten, die aus-
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Der französische Präsident Charles de Gaulle boykottierte die vertraglich festgelegte Einführung von Mehrheitsentscheidungen im Ministerrat der (Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft) EWG durch Fernbleiben an sämtlichen Sitzungen und die Aussetzung laufender Verhandlungen. Mit diesem Vorgehen protestierte de Gaulle gegen eine Ausweitung der Gestaltungsmacht der europäischen Institutionen und brachte den Integrationsprozess vorübergehend zum Stillstand. Wichtige Artikel dieser Periode finden sich im Sammelband von Lindberg/Scheingold (1971). In einem der zentralen Werke dieser Periode setzten sich Dehousse und Majone (1994) mit der besonderen Rolle der supranationalen Organisationen für den Integrationsprozess auseinander.
6.1 Der Neo-Funktionalismus
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schließlich auf dem neo-funktionalistischen Modell beruhten, wurden zur Seltenheit. Ab Mitte der 90er Jahre zeichnete sich eine Neuorientierung neofunktionalistischer Modelle ab: Im Zuge einer ‚institutionalistischen Wende’ wurden weiterentwickelte neo-funktionalistische Prämissen mit Annahmen des neuen Institutionalismus162 verwoben.163 Als systematischen Versuch der Weiterentwicklung des neo-funktionalistischen Gedankengutes können darüber hinaus die Beiträge von Wayne Sandholtz und Alec Stone Sweet (vgl. 1997; 1998) gewertet werden. Auch Ernst B. Haas und einer seiner wichtigsten Schüler – Philippe C. Schmitter – meldeten sich nach langem Schweigen in Bezug auf das neo-funktionalistische Modell in jüngerer Vergangenheit wieder zu Wort (Haas 2001; Schmitter 2004, 2005; Malamud/Schmitter 2006). In einer kritischen Auseinandersetzung mit ihren frühen Arbeiten analysierten sie Vor- und Nachteile des NF für die Erklärung aktueller Integrationsprozesse sowohl in Europa als auch in anderen Weltregionen. In jüngster Zeit lässt sich in Fachkreisen nach Jahren der Kritik eine positivere Grundeinstellung gegenüber dem NF beobachten. Sie findet ihren Ausdruck in der Forderung, neo-funktionalistische Annahmen nicht ungeprüft abzulehnen, sondern ihre Anwendungsmöglichkeiten für die Analyse aktueller Integrationsprozesse erneut zu untersuchen.164 Dabei wird die Aktualität des NeoFunktionalismus hauptsächlich für die Analyse der EU diskutiert. Der in dieser Arbeit vorliegende Untersuchungsfokus geht allerdings über diese Frage hinaus: Es ist nicht nur zu prüfen, ob der NF als ‚altes Modell’ den Gegebenheiten des heutigen Regionalismus Rechnung tragen kann. Darüber hinaus soll auch analysiert werden, welche Erklärungskraft der Ansatz im Kontext von Entwicklungsländern besitzt.
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Unter dem Sammelbegriff des Neuen Institutionalisms wird eine Vielzahl unterschiedlicher sozialwissenschaftlicher Ansätze zusammengefasst. In der Annahme, dass Institutionen politisches Handeln einerseits eingrenzen, andererseits um neue Handlungsmöglichkeiten erweitern, heben die Ansätze die Bedeutung von Institutionen in politischen Prozessen hervor. Dabei liegt ihnen ein Institutionenbegriff zugrunde, der formale wie informelle Regeln und Konventionen umfasst, die den politischen Entscheidungsprozess strukturieren (vgl. Kaiser 2006: 314-317). Exemplarisch sei hier auf den Artikel von Pierson (vgl. 1996) verwiesen, der den europäischen Integrationsprozess aus dem Blickwinkel des historischen Institutionalismus heraus analysiert. So widmet sich beispielsweise eine Sonderausgabe des Journals for European Public Policy (Jg. 12, Nr. 2) der Bedeutung neo-funktionalistischer Analysemodelle für die aktuelle (europäische) Integrationsforschung. Teil dieser Ausgabe sind auch die besonders hervorzuhebenden Artikel von Mattli (2005) und Rosamond (2005). In ähnlicher Weise setzen sich auch Ruggie et al. (2005) mit den Werken von Ernst B. Haas und des Neo-Funktionalismus auseinander.
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6 Die Theorieansätze im Einzelnen
6.1.2 Theorieverständnis des Neo-Funktionalismus Die Beschäftigung mit den theoretischen Wurzeln und dem Theorieverständnis des Neo-Funktionalismus lässt sich an die aktuelle Diskussion um ein mögliches ‚Comeback’ des NF anknüpfen. Denn ein wichtiges Argument der Kritiker einer ‚Wiederbelebung’ neo-funktionalistischer Modelle betrifft seine direkte theoretische Herkunft: Das Modell sei für die heutige EU-Forschung nicht geeignet, da es aus dem Bereich der Internationalen Beziehungen (IB) hervorgegangen sei – einem Feld der Politikwissenschaft, das für die aktuelle Beschäftigung mit der EU keine angemessene Untersuchungsgrundlage darstelle.165 Diese Verortung des ursprünglichen NF im Feld der IB bedeutet aber nicht, dass Haas die Mitte der 50er Jahre vorherrschenden Ansprüche und Sichtweisen in diesem Feld der Politikwissenschaft teilte. Er wandte sich beispielsweise gegen die Tendenz der Realisten, dem internationalen System eine machtzentrierte Logik zuzusprechen. Ebenso kehrte er der im Bereich der IB immer wiederkehrenden Diskussion zwischen Realisten und Idealisten den Rücken (vgl. Rosamond 2005: 239). Außerdem verfolgte Haas weitergehende theoretische Ambitionen: Über rein empirische Analysen der europäischen Integrationsentwicklung, wie sie für die Forschung im Bereich der IB in den 50er Jahren kennzeichnend waren, wollte er hinausgehen. Auf der Grundlage der theoretischen Analyse wollte er Aussagen über die Integrationsentwicklung formulieren, deren Wahrheitsgehalt durch robuste empirische Testverfahren überprüft werden sollten (vgl. Rosamond 2005: 239). Im Geiste dieses Vorhabens entwickelten Haas und seine Mitstreiter auch die Gütekriterien, die sie an eine Theorie anlegten: Eine Theorie war ihrer Ansicht nur dann von hoher Qualität, wenn sie neben beschreibenden, erklärenden und prognostizierenden Fähigkeiten sauber abgeleitete Hypothesen besitzt und trotz einer begrenzten Anzahl von erklärenden Variablen eine große Reichweite aufweist. Weiterhin sollte sie einen möglichst hohen Abstraktionsgrad besitzen, es ermöglichen, neue Hypothesen zur weiteren Forschung zu generieren und ihre Annahmen sollten intersubjektiv nachprüfbar sein (vgl. Faber 2005: 84-85; Haas 1971: 6). 165
Dieses Argument ist Bestandteil einer Debatte, die die aktuelle EU-Forschung in zwei Lager teilt: Die Mehrheit der EU-Forscher betrachtet die EU als ein einzigartiges und eigenständiges politisches Gebilde, das Charakteristika eines Staates besitzt. Diese Auffassung hat zur Folge, dass für die Analyse der EU staatsbasierte Modelle der vergleichenden Politikwissenschaft herangezogen werden. Demgegenüber steht die Auffassung, die EU sei weniger als staatliches Gebilde, sondern vielmehr als eine internationale Organisation zu betrachten. Dies impliziert, dass die EU nicht in den Rang eines einzigartigen, staatsähnlichen Gebildes gehoben wird. Somit wird die Möglichkeit für Vergleiche mit anderen regionalen Gebilden eröffnet, die im Rahmen des Forschungsfeldes der Internationalen Beziehungen (IB) durchgeführt werden können (vgl. Rosamond 2005: 239; Warleigh 2004: 301-302).
6.1 Der Neo-Funktionalismus
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Doch diesen hohen theoretischen Ansprüchen konnte der NF nicht in vollem Maße genügen. So wurde beispielsweise seine Prognosefähigkeit durch die unerwartete Wendung des europäischen Integrationsprozesses im Rahmen der ‚Krise des leeren Stuhls’ in Frage gestellt. Der NF geriet in Erklärungsnot. Vor diesem Hintergrund wurden Anpassungen des ursprünglichen neofunktionalistischen Modells vorgenommen. So präsentierte beispielsweise Philippe C. Schmitter (vgl. 1970) ‚A Revised Theory of Regional Integration’, die einen der gewichtigsten Kritikpunkte am NF – die Vorstellung eines quasiautomatischen Integrationsprozesses – überwand. Doch auch dem überarbeiteten Modell gelang es nicht, dem hohen theoretischen Standard des NF zu genügen. Mit seiner Vielzahl von erklärenden Variablen sowie der damit verbundenen hohen Komplexität verfehlte Schmitter das Ziel, ein möglichst übersichtliches und handhabbares theoretisches Modell zu entwickeln. Durch die Konzeption des Integrationsprozesses als rein rationaler Prozess wurden darüber hinaus ‚irrationale’ Motive der beteiligten Akteure (z.B. nationalistische Beweggründe) nicht erfasst (vgl. Schmitter 1970: 842). Nach Meinung Anne Fabers (vgl. 2005: 71) steht das Modell Schmitters somit exemplarisch für das Dilemma des NF in den 70er Jahren: Auf der einen Seite versuchte man möglichst geringe Abstriche bezüglich Leistungsfähigkeit und Qualität der Theorie zu machen. Andererseits waren diese Ansprüche unvereinbar mit dem Ziel, eine übersichtliche und ‚handliche’ Theorie zu entwickeln. An dieser Stelle sei betont, wie hoch die frühen Vertreter des NF die Qualitätsmaßstäbe für ihre Theorie ansetzten. Diese hohen Anforderungen vor Augen kam Haas (vgl. 1971: 19) zu dem Schluss, dass der NF nur als „pre-theory“ bezeichnet werden könne.166 Vor dem Hintergrund dieser hohen Ansprüche lässt sich allerdings auch argumentieren, dass die Neo-Funktionalisten mit diesem überaus ehrgeizigen theoretischen Projekt nur scheitern konnten. Demnach wäre nicht von einem Versagen des NF zu sprechen, sondern vielmehr vom Scheitern eines spezifischen Theorieverständnisses (vgl. Faber 2005: 86; Mutimer 1994: 42). In seinem Theoriebegriff wurde Haas und damit auch der NF von zwei wissenschaftlichen Strömungen beeinflusst: dem Pluralismus167 und dem Beha-
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Zu einer vollwertigen Theorie werde der NF erst dann, wenn er vollständig erklären könne, wie und warum ein bestimmter Zustand im Integrationsprozess erreicht worden sei. Diese Einschätzung traf laut Haas (vgl. 1971) auch für die pre-theories Föderalismus und Transaktionalismus (insbesondere beeinflusst von Karl W. Deutsch) zu. Pluralistische Ansätze der Politikwissenschaft betonen, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Interessen innerhalb einer Gesellschaft existiert, die sich in Form verschiedener Interessengruppen manifestieren. Diese Gruppen versuchen, den politischen Entscheidungsprozess nach ihren Vorstellungen zu beeinflussen, sodass der politische Prozess als ein Wettkampf konkur-
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viorismus168, beides prominente wissenschaftliche Ansätze im Amerika der 50er Jahre. Der Einfluss des Pluralismus spiegelt sich insbesondere in der Annahme des NF wider, eine pluralistische Gesellschaftsstruktur sei eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiche Integrationsprozesse (vgl. Haas/Schmitter 1966: 267268).169 Darüber hinaus ist der NF auch ein Kind der „behavioristischen Revolution“ (Rosamond 2000: 54) in der amerikanischen Politikwissenschaft (vgl. Pentland 1975: 18). In seinem Theorieverständnis finden sich verschiedene Parallelen zu den Grundannahmen der behavioristischen Politikwissenschaft: So zum Beispiel der Anspruch, durch wissenschaftliche Analysen Erklärungen und Prognosen politischer Vorgänge zu ermöglichen, oder auch die Zielsetzung, eine intersubjektive Nachprüfbarkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse zu gewährleisten. Der Analysefokus des NF geht ebenfalls konform mit dem behavioristischen Wissenschaftsverständnis, indem er sich auf die Untersuchung politischen Verhaltens relevanter Akteure konzentriert statt auf konstitutionelle oder institutionelle Aspekte des politischen Prozesses (vgl. Rosamond 2000: 54). Nach den Ausführungen zu den theoretischen Wurzeln des NF sollen nun seine konkreten Inhalte in Bezug auf die vier Analysekriterien vorgestellt werden. Den Anfang machen seine Annahmen in Bezug auf die Motive und Ziele der Akteure im Integrationsprozess.
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rierender Einflussgruppen um möglichst große Gestaltungsmöglichkeiten beschrieben werden kann (vgl. Rosamond 2000: 55). Der Behaviorismus als Wissenschaftskonzept wurde zu Beginn des 20. Jhd. in den USA entwickelt. Er propagiert ein streng quantitativ-empirisches Wissenschaftsverständnis und fordert die ausschließliche Konzentration der wissenschaftlichen Betrachtung auf direkt beobachtbares und messbares Verhalten. Im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses steht individuelles und kollektives politisches Handeln (vgl. Holtmann 1994: 55). Laut Rosamond (2005: 240-241) bestehen aber noch weitere Verbindungen zwischen Pluralismus und NF. So teilen beide einen ähnlichen theoretischen Anspruch, da auch die pluralistische Politikwissenschaft über die deskriptive Analyse hinaus politische Phänomene systematisch zu erklären versucht. Außerdem stützt die pluralistische Argumentationsweise Haas’ Kritik an den klassischen Arbeiten der IB, konkret an der Vorstellung, moderne Gesellschaften seien in strikter und permanenter Weise auf Sicherheitsaspekte fokussiert. Darüber hinaus richtete die pluralistische Grundhaltung den Untersuchungsfokus verstärkt auf organisierte Interessengruppen und die Bedeutung ihrer dynamischen Interaktionen für den Integrationsprozess. Schließlich spiegelt sich die Nähe des NF zum Pluralismus laut Rosamond (ebd.) auch in Haas’ Definition von politischer Integration. Als ‚Endprodukt’ der Integration sieht er eine Form der politischen Gemeinschaft, die einem pluralistisch geprägten politischen Gemeinwesen auf nationaler Ebene gleicht (vgl. hierzu auch Fußnote 171).
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6.1.3 Motive und Zielsetzungen der Integration Aus neo-funktionalistischer Sichtweise sind es hauptsächlich ökonomische Gründe, die die Akteure zu regionalen Zusammenschlüssen motivieren. Von verstärkter regionaler Kooperation versprechen sie sich eine Steigerung der inländischen Wohlfahrt und die Unterstützung der nationalen Wirtschaft. Machtpolitische Motive zählen nach Ansicht der Neo-Funktionalisten nicht zu den Beweggründen für regionale Zusammenschlüsse (vgl. Giering 1997: 212).170 Doch welches konkrete Endziel verfolgen die Akteure nach neofunktionalistischer Vorstellung, wenn sie sich einmal aufgrund der oben genannten Motive für regionale Integrationsmaßnahmen entschlossen haben? Diese Frage berührt insbesondere die frühen neo-funktionalistischen Arbeiten, und sie wird in der wissenschaftlichen Literatur nicht eindeutig beantwortet. Einigkeit besteht in den frühen neo-funktionalistischen Schriften nur in folgendem Punkt: Am Ende eines erfolgreichen Integrationsprozesses entsteht ein neues politisches Zentrum mit entsprechenden Institutionen, auf das sich die Erwartungen und Aktivitäten der beteiligten Akteure immer stärker ausrichten. Für Haas sollten diese Institutionen einen supranationalen Charakter besitzen.171 In der Literatur finden sich unterschiedliche Einschätzungen, ob der NF auch konkrete Angaben bezüglich der konstitutionellen Ausgestaltung dieser neuen Institutionen macht. So argumentierten beispielsweise Giering (vgl. 1997: 210) und Tranholm-Mikkelsen (vgl. 1991: 3-4), dass die neo-funktionalistischen Autoren keine spezifische konstitutionelle Ausgestaltung vor Augen haben. Diese Einschätzung versuchen sie mit dem Argument zu stützen, dass der NF als prozessorientierter Theorieansatz mehr Interesse daran habe, den Verlauf der Integration statt dessen Endziel zu erklären. Gemäß dieser Lesart des NF kann der Integrationsprozess völlig unterschiedliche Resultate hervorbringen (vgl. Mutimer 1994: 31; Welz/Engel 1993: 164).172 Dem gegenüber stehen jene Auto-
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Deutlich wird an dieser Stelle auch, dass Haas seinem theoretischen Modell ein „technischfunktionalistisches“ Staatsverständnis (Faber 2005: 42) zugrunde legte, indem er annahm, dass Wohlfahrtsmaximierung das oberste und wichtigste Ziel eines Staates sei (vgl. auch Heathcode 1975: 39). „The end result of a process of political integration is a new political community, superimposed over the pre-existing ones.“ (Haas 1968: 16) Bei Lindberg (1963: 6) findet sich folgendes Verständnis von politischer Integration: „(1) the process whereby nations forgo the desire and ability to conduct foreign and key domestic policies independently from each other, seeking instead to make joint decisions or to delegate the decision-making process to new central organs; and (2) the process whereby political actors in several distinct settings are persuaded to shift their expectations and political activities to a new center.“ (Hervorhebungen im Original) Im Detail heißt es bei Mutimer (1994: 31): „(…) neofunctionalist integration can lead to a federal state, it can also give rise to integrated structures short of supranational state, or to a
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ren, nach deren Verständnis der frühe NF eine klare föderale Struktur für die neu entstehenden Institutionen vorsieht (vgl. Moravcsik 1993: 476; Zimmerling 1991: 90-104). Als unbestrittene neo-funktionalistische Annahmen gilt es also festzuhalten, dass erstens ökonomische Motive für eine Integrationsentscheidung ausschlaggebend sind und zweitens die Entstehung neuer zentraler Institutionen, die zum Bezugspunkt der involvierten Akteure werden, das Endresultat einer erfolgreichen Integration darstellen. Diese Annahmen sind aber auch Gegenstand der Kritik, so z.B. von Mattli: Der NF vertrete zwar die Annahme, dass die Schaffung supranationaler Institutionen für Staaten eine einzigartige Möglichkeit der Wohlstandsmaximierung sei. Eine theoretische Begründung für diese Verbindung zwischen Supranationalität und Wohlfahrt liefere der NF seiner Meinung nach aber nicht (vgl. Mattli 1999: 28). 6.1.4 Förderliche Bedingungen für Integration Einen ersten Beitrag zur Analyse der Erfolgsbedingungen von Integrationsprozessen lieferte Haas 1961173, indem er der Frage nachging, ob die Erfahrungen der europäischen Integration auch für andere Weltregionen von Relevanz seien.174 Er identifizierte institutionelle und funktionale Determinanten sowie Bedingungen des Umfeldes („environmental determinants“175), die seiner Ansicht nach für die erfolgreiche Integrationsentwicklung in Europa von ganz entscheidender Bedeutung seien. Ein Vergleich dieser Bedingungen mit den vorherrschenden Verhältnissen in anderen Weltregionen enthüllte allerdings gravierende Unterschiede. Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse zog Haas den Schluss, dass ausgehend von den europäischen Erfahrungen keine Verallgemeinerungen vorgenommen werden können. Europa könne also nicht als Vorbild für ein weltweites und „universal gültiges Gesetz der Integration“ (Haas 1961: 389) dienen. Stattdessen, so räumte Haas ein, könnten anders geartete Voraussetzungen zu
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state of a nonfederal character. Neofunctionalism is not theoretically limited to any particular level or kind of political integration.“ Haas’ Artikel „International Integration: The European and the Universal Process“ erschien zuerst 1961 in der Zeitschrift ‚International Organization’ (Jg. 15, Nr. 3), wurde jedoch im Sammelband „International Political Communities. An Anthology“ von 1966 neu aufgelegt. Das Ziel des NF besteht laut Haas darin, eine vergleichende regionale Integrationstheorie zu entwickeln. Haas und seine Mitstreiter versuchten, ihre Hypothesen, die sie aufgrund der europäischen Erfahrungen generiert hatten, auch in anderen regionalen Kontexten zu testen (vgl. Rosamond 2005: 243). Diese Bemühungen wurden von Nye (vgl. 1970) und auch von Schmitter (vgl. 1964) weitergetragen. Die Bedingungen des Umfelds werden auch Hintergrundfaktoren („background conditions“) genannt.
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alternativen Entwicklungspfaden führen, die zwar nicht dem ‚europäischen Modell’ folgen, aber ebenfalls einen erfolgreichen Integrationsprozess zu Stande bringen.176 Doch welche konkreten Voraussetzungen haben den Erfolg der europäischen Integration ermöglicht? Die europäische Erfahrung lehrt laut Haas (vgl. 1961: 369-378) Folgendes: Als ‚funktionale Voraussetzung’ sollte ein funktional spezifischer, gleichwohl aber auch wichtiger Bereich der Wirtschaftspolitik erster Gegenstand der Integration sein (siehe hierzu auch Kapitel 6.1.5). Weiterhin konnte Haas drei Hintergrundbedingungen identifizieren, die für die Integrationsentwicklung in Europa förderlich waren: Erstens die pluralistische Gesellschaftsstruktur der europäischen Staaten. Zweitens ihr relativ hohes Niveau an wirtschaftlicher und industrieller Entwicklung. Und drittens die Tatsache, dass die politischen Eliten in den einzelnen Ländern zwar in ideologisch motivierte Blöcke gespalten sind, sich diese Differenzierungen aber in allen Ländern wiederfinden. Dadurch entsteht unter den europäischen Ländern eine homogene Verteilung ideologischer Interessen, die durch Elitengruppen vertreten werden. Im Rahmen eines leicht veränderten Untersuchungsfokus beschäftigten sich Haas und Schmitter (vgl. 1966)177 weitergehend mit den Bedingungen erfolgreicher Integrationsprozesse. Sie erweitern nicht nur die Anzahl der Bedingungen auf insgesamt neun, sondern teilen den Integrationsverlauf auch in zeitliche Abschnitte ein, in denen jeweils unterschiedliche Variablen einen besonderen Einfluss auf die Integration ausüben. Sie unterscheiden zwischen Hintergrundbedingungen, Bedingungen zur Zeit der Initiierung des Integrationsprozesses und Prozessbedingungen (vgl. Haas/Schmitter 1966: 266- 275). Konkret sind die Ausgangsbedingungen eines Integrationsprozesses dann besonders gut, wenn ein hohes Maß an Transaktionen zwischen den beteiligten Staaten vorliegt, die Staaten sich in Größe und Machtumfang ähneln, ihre Gesellschaften pluralistisch strukturiert sind und die unterschiedlichen Elitegruppen der einzelnen Länder ihre Entsprechung in den Partnerländern finden. In der Initiierungsphase des Integrationsprojektes sind die Zielsetzungen der nationalen Regierungen, insbesondere ihre Unterstützung für den Integrationsprozess sowie die Machtbefugnisse der neu geschaffenen Gemeinschaft und ihrer Institutionen von Bedeutung. Während der ersten drei Jahre der regionalen Vergemeinschaftung beeinflussen außerdem folgende Prozessbedingungen den Fortgang der Integration: die Abstimmungs- und Entscheidungsregeln in den Gemeinschaftsinstitu176
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Diesen Gedanken entwickelten Haas und Schmitter zum Konzept der ‚funktionalen Äquivalente’ weiter (vgl. Kapitel 6.1.7) (vgl. Haas/Schmitter 1966). In ihrem Artikel beschäftigen sich die Autoren mit der Frage, welche Bedingungen die besten Voraussetzungen für ein Übergreifen des Integrationsprozesses vom wirtschaftlichen auf den politischen Bereich schaffen.
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tionen, die Transaktionsraten der Mitglieder untereinander sowie der Gemeinschaft mit Nicht-Mitgliedern und zu guter Letzt die Anpassungsfähigkeit und bereitschaft der beteiligten Akteure an die neuen Bedingungen und Strukturen. Basierend auf der Analyse dieser verschiedenen Arten von Bedingungen stellten Haas und Schmitter Prognosen über die Fortentwicklung verschiedener Integrationsmaßnahmen auf. Insgesamt fand ihre Arbeit große Beachtung, blieb allerdings nicht von Kritik verschont. Einige Kritikpunkte beruhten nach Ansicht Schmitters allerdings auf Missverständnissen, sodass er sich 1969 in einem ergänzenden Artikel dazu veranlasst sah, falsche Interpretationen auszuräumen. Selbstkritisch räumte er aber auch eine Schwachstelle des Modells ein: So sei beispielsweise die interne Verknüpfung und Beeinflussung zwischen den einzelnen Bedingungen nicht angemessen berücksichtigt (vgl. Schmitter 1969: 161). Darüber hinaus kritisierte Joseph S. Nye (vgl. 1965: 873), dass keine Angaben über die Hierarchie unter den einzelnen Variablen gemacht wurden. Sind nun alle Variablen von gleich großer Bedeutung für die Ausgestaltung des Integrationsprozesses? Im Jahr 1970 unternahm Nye den Versuch, Haas’ und Schmitters Modell kritisch weiterzuentwickeln. Dabei vergrößerte er nicht nur die Anzahl der Einflussfaktoren, sondern strukturierte sie auch neu. Die Wirkungen der verschiedenen Einflussfaktoren bestimmten Zeitabschnitten des Integrationsprozesses zuzuweisen, hielt Nye für wenig sinnvoll. Schließlich könne der Einfluss der verschiedenen Bedingungen nicht zeitlich eingrenzt werden, sondern erstrecke sich über den gesamten Integrationsprozess (vgl. Nye 1970: 812). Nye erarbeitete ein revidiertes neo-funktionalistisches Modell. Es baut auf sieben Integrationsbedingungen auf, die das integrative Potenzial der beteiligten Staaten bestimmen. Des Weiteren beinhaltet es sieben Prozessesmechanismen178, die nach der Initiierung einer ökonomischen Regionalorganisation wirksam werden. Die Wirkung und konkrete Ausgestaltung der Prozessmechanismen hängt von den Integrationsbedingungen ab. Letztere teilt Nye in strukturelle Bedingungen („structural conditions“) und wahrgenommene Bedingungen („perceptional conditions“) ein.179 Während strukturelle Bedingungen relativ stabil und eher von 178
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Hier handelt es sich um 1) funktionale Verflechtungen zwischen verschiedenen Problemstellungen, 2) Transaktionen zwischen den Beteiligten, 3) bewusste Verflechtungen und Koalitionsbildungen zwischen involvierten Akteuren, 4) Elitensozialisierung (Können persönliche Verbindungen zwischen den verschiedenen nationalen Eliten, eventuell sogar ein Gemeinschaftsgefühl hergestellt werden?), 5) Formierung regionaler NROs, 6) gemeinsame Identifikation und Identität und 7) Beteiligung externer Akteure (vgl. Nye 1970: 803-812). Zu den strukturellen Bedingungen zählen: 1) Ökonomische Macht der beteiligten Staaten, 2) Komplementarität zwischen den verschiedenen nationalen Eliten, 3) pluralistische Gesellschaftsstruktur, 4) Anpassungs- und Reaktionsfähigkeit der beteiligten Staaten. Die wahrgenommenen Bedingungen umfassen hingegen: 1) Wahrnehmung bezüglich Gleichheit der aus
6.1 Der Neo-Funktionalismus
153
anderen Faktoren als dem Integrationsprozess selbst beeinflusst sind, verhält es sich bei den wahrgenommenen Bedingungen anders. Sie erweisen sich im Verlauf des Integrationsprozesses als relativ unbeständig, sind stärker von der Integration selbst beeinflusst und beruhen insbesondere auf der Wahrnehmung der involvierten Akteure (vgl. Nye 1970: 802-821). Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die neo-funktionalistischen Modelle unter Berücksichtigung immer engmaschigerer Schemata von Variablen bzw. Bedingungen die Erfolgsvoraussetzungen für Integration zu erklären versuchen (vgl. Welz/Engel 1993: 152). Einen vorläufigen Höhepunkt bildet in diesem Zusammenhang die ‚Revised Theorey of Regional Integration’ von Schmitter aus dem Jahr 1970, die gegenüber den früheren Modellen enorm an Komplexität zugenommen hat.180,181 Demnach verläuft der Integrationsprozess in Form von wiederkehrenden Entscheidungszyklen, die den Akteuren die Möglichkeit geben, ihre Handlungsstrategie neu zu überdenken und gegebenenfalls die Vergemeinschaftung in eine neue Richtung zu lenken. Der Ausgang von zwei der insgesamt vier Entscheidungszyklen ist unter anderem von Variablen abhängig, die die Strategien der nationalen Akteure beeinflussen und weitestgehend mit den Variablen des Modells von Haas/Schmitter (vgl. 1966) übereinstimmen.182 Abschließend kann festgehalten werden, dass im NF keine übereinstimmende Meinung darüber herrscht, welche Variablen durch ihre spezifische Ausprägung die Erfolgaussichten eines Integrationsprozesses bestimmen. Es lassen sich allerdings zwei Variablen identifizieren, die in allen vier dargestellten neo-funktionalistischen Analysen auftauchen und somit einen ‚kleinsten gemein-
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der Integration resultierenden Gewinne, 2) Wahrnehmung der externen Situation und 3) die sichtbaren Kosten der Integration (vgl. Nye 1970: 814-821). Zwar deklariert Schmitter (1970) sein überarbeitetes Modell explizit als Bemühung, die Schwächen des Modells von Haas/Schmitter 1966 auszumerzen, sein Fokus richtet sich allerdings mehr auf die Analyse des Integrationsverlaufs. Detaillierte Informationen zu diesem Beitrag finden sich in Kapitel 6.1.5. Eine ausführlichere Darstellung des überarbeiteten Modells von Schmitter findet sich in Kapitel 6.1.5. Schmitter bleibt auch der Vorgehensweise treu, die einzelnen Variablen bestimmten zeitlichen Abschnitten des Integrationsverlaufs zuzuordnen. Im ersten „initiation cycle“ (Schmitter 1970: 850) entfalten folgende Variablen ihre Wirkung: 1) relative Macht und Größe der Mitglieder, 2) Transaktionsraten der beteiligten Staaten 3) pluralistische Sozialstruktur, 4) Komplementarität der Wertevorstellungen der Eliten und 5) externe Abhängigkeit der Mitglieder und der Region insgesamt. Im anschließenden „priming cycle“ (Schmitter 1970: 856) sind zusätzlich die folgenden Variablen wirkungsvoll: 1) Verteilung der Nutzen und Gewinne der Integration, 2) regionale Gruppenbildung (staatlicher und nicht-staatlicher Akteure), 3) Entwicklung einer regionalen Identität, 4) Reformwilligkeit und -unterstützung der beteiligten Akteure und 5) Abhängigkeit des internationalen Status der einzelnen Mitglieder von der regionalen Institution (vgl. Schmitter 1970: 850-868).
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6 Die Theorieansätze im Einzelnen
samen Nenner’ in der Analyse der Integrationsbedingungen bilden. Diese sind im Einzelnen: 1) die pluralistische Strukturierung der beteiligten Gesellschaften und 2) die gegenseitige Komplementarität der nationalen Eliten. Darüber hinaus wurde eine weitere Variable in drei der dargestellten Beiträge berücksichtigt. Es handelt sich hier um die Transaktionsraten zwischen den beteiligten Staaten (vgl. Haas/Schmitter 1966; Nye 1979, Schmitter 1970).183 Übereinstimmung besteht in neo-funktionalistischen Kreisen allerdings bezüglich der möglichen Übertragung europäischer Erfahrungen auf andere Weltregionen: Ein universelles Gesetz der Integration existiert demnach nicht, denn die europäischen Erfahrungen sind nicht verallgemeinerbar. In der Beschäftigung des NF mit Einflussfaktoren und Bedingungen der Integrationsentwicklung ist eine Variable allerdings sträflich vernachlässigt worden: die Rolle externer Akteure und Faktoren auf den Integrationsprozess. Diese Schwäche wurde auch von einzelnen Vertretern des NF erkannt (vgl. Haas 1966: 107; 1975: 5; Nye 1965: 882; Schmitter 1996: 10). 6.1.5 Verlauf der Integration Für den NF als prozessorientierten Ansatz (vgl. Rosamond 2000: 55) bildet die Beschäftigung mit dem Verlauf von Integrationsprozessen einen Schwerpunkt der theoretischen Analyse. Dementsprechend umfangreich sind auch die Ausführungen zu diesem Aspekt. Nach neo-funktionalistischer Sichtweise startet die Vergemeinschaftung idealerweise in Bereichen, die als wenig kontrovers angesehen werden und einen vorwiegend technischen Charakter besitzen. Oftmals handelt es sich hier um Sektoren der Wirtschaft. Auch wenn der ursprüngliche Sektor als Gegenstand der Integrationsmaßnahme funktional klar abgegrenzt ist, werden im Verlauf der weiteren Entwicklung auch benachbarte Sektoren tangiert. Diese sind zwar nicht die direkten Adressaten der Integration, doch aufgrund bestehender Interdependenzen werden auch Interessen und Handlungen in diesen angrenzenden Sektoren beeinflusst. Es entsteht neuer Reglungsbedarf, dem nur durch eine Ausweitung der Integration auf die umliegenden Sektoren entsprochen werden kann. Die Integration greift somit auf benachbarte Sektoren über und pflanzt sich 183
Allerdings herrscht über die Bedeutung der Transaktionsraten unter den Vertretern des NF keine Einigkeit. Nye stellt zum Beispiel in Frage, ob schwach ausgeprägte Transaktionsraten zwischen den Staaten einer Integrationsgemeinschaft tatsächlich ein Hindernis darstellen. Er vertritt die Ansicht, dass weniger die akut bestehenden als vielmehr die potenziellen Transaktionen, die im Verlauf der Integration zustande kommen, für den Erfolg eines Integrationsprojektes ausschlaggebend sind (vgl. Nye 1971: 99).
6.1 Der Neo-Funktionalismus
155
in Bereiche fort, die ursprünglich nicht Gegenstand der Vergemeinschaftung waren. Der Integrationsprozess entwickelt eine gewisse Eigendynamik und hat Konsequenzen, die von den Initiatoren nicht intendiert und auch nur schwer zu kontrollieren sind. Dieses Phänomen bezeichnen die Neo-Funktionalisten als spill-over-Effekt. Das spill-over-Konzept, das nach neo-funktionalistischer Logik als zentraler Mechanismus die Entwicklungsdynamik eines Integrationsprozesses bestimmt, besitzt eine funktionale, eine politische sowie eine geografische Dimension. In der ersten funktionalen Betrachtung wird betont, dass das Potenzial für spill-over dann besonders groß ist, wenn die betroffenen Politikbereiche spezifisch, sprich funktional klar abgegrenzt und wirtschaftlich bedeutungsvoll sind. Zweitens können die gewonnenen Einsichten zur Dynamik und zum Verlauf der Integration auch im Sinne einer politischen Strategie genutzt werden, um eine Ausweitung der Integration zu erreichen. Diese Annahme sahen die frühen NeoFunktionalisten besonders in der Europa-Politik von Robert Schuman und Jean Monnet bestätigt. Damit besitzt das spill-over-Konzept auch eine politischstrategische Dimension, für die der Begriff des ‚incrementalism’ geprägt wurde (vgl. Haas 1968: xxii, 1975: 12-15).184 In seiner dritten Dimension wird das spillover-Konzept in einer geografischen Bedeutung verwendet, um die räumliche Erweiterung des Integrationsprozesses auf neue Mitglieder zu analysieren.185 Darüber hinaus werden drei Arten des spill-overs unterschieden: Der funktionale spill-over liefert gewissermaßen die Grundlage der Integrationsdynamik. Aufgrund der bestehenden Interdependenzen zwischen einzelnen funktionalen Sektoren greifen Integrationsprozesse in einem Sektor auf benachbarte Bereiche über. Als politischen spill-over bezeichnete Haas ursprünglich die Ausweitung der Integration von rein wirtschaftlichen Sektoren auf stärker politische Bereiche (vgl. Haas 1968: 11-19). Im Laufe der Theorieentwicklung wurde der Begriff allerdings anders besetzt. So verstehen Stephen George (vgl. 1985: 21-28) und Jeppe Tranholm-Mikkelsen (vgl. 1991: 5-6) politischen spill-over als Lernpro184
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Dieses Verständnis des spill-over-Konzepts bricht streng genommen, so argumentiert Mutimer (vgl. 1994: 33), mit den behavioristischen Wurzeln des NF. Denn aus seiner Perspektive liefert der NF über die Erklärung der Integrationsdynamik hinaus konkrete Handlungsanweisungen für die politischen Akteure, wie sie eine Ausweitung der Integration herbeiführen können. Damit lässt der NF, laut Mutimer (vgl. ebd.), eine normative Tendenz erkennen, da er klare Präferenzen für ein stärker integriertes Europa zeigt. Bei dieser Argumentation stellt sich allerdings die Frage, ob nicht jede Integrationstheorie durch ihre Erklärung des Integrationsverlaufs Gefahr läuft, dass ihre Erkenntnisse ‚ausgenutzt’ werden. Denn schließlich kann ein besseres Verständnis der Integrationsdynamik von den politischen Akteuren immer dazu genutzt werden, den Verlauf der Integration in ihrem Sinne zu beeinflussen. Allerdings wird in diesem Punkt insbesondere in der jüngeren Literatur kritisch angemerkt, dass der NF die wichtigen Auswirkungen der einzelnen Erweiterungsrunden der europäischen Gemeinschaft nicht angemessen berücksichtigt (vgl. Schmitter 2005: 267).
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6 Die Theorieansätze im Einzelnen
zess der nationalen Eliten. Diese realisieren im Verlauf der Integration, dass die neue supranationale Ebene ihnen bessere Aussichten für die Verwirklichung ihrer jeweiligen Interessen und Forderungen bieten kann als die nationalstaatliche Ebene. Folglich verliert die nationale Struktur für die nationalen Eliten an Bedeutung, und sie wenden sich in besonderer Weise der supranationalen Ebene zu, wodurch neue Forderungen an die supranationalen Strukturen herangetragen werden und verstärkter Integrationsdruck entsteht (vgl. Tranholm-Mikkelsen 1991: 5-6). Auf diesen neu entstandenen Integrationsdruck können die Gemeinschaftsinstitutionen reagieren, indem sie in Verhandlungs- und Diskussionsprozessen die Rolle eines Vermittlers zu Gunsten einer Ausweitung der Integration einnehmen. Tranholm-Mikkelsen spricht in diesem Zusammenhang von „cultivated spill-over“ (1991: 6). Hier gelingt es den Gemeinschaftsinstitutionen,186 Verhandlungsergebnisse zu erzielen, die über eine Einigung nach dem Prinzip des ‚kleinsten gemeinsamen Nenners’ hinausgehen (vgl. TranholmMikkelsen 1991: 6).187 Im Verlauf der Theorieentwicklung wurde das spill-over-Konzept weiter überarbeitet. Zwei grundlegende Neuerungen betreffen zum einen die Abkehr von der Vorstellung eines Integrationsverlaufs, der quasi-automatisch von wirtschaftlichen auf politische Bereiche übergreift. Zum anderen wurde die Annahme eines spill-over-Mechanismus als einzig mögliche Entwicklungsdynamik abgelöst. Haas beispielsweise diagnostizierte für den Fall der europäischen Integration noch eine quasi automatische Entwicklungslogik: „Given all these conditions, (…) the progression from a politically inspired common market to an economic union and finally to a political union among states is automatic. The inherent logic of the functional process in a setting such as western Europe can push no other way.” (Haas 1968: xxiii)
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Die Neo-Funktionalisten verweisen hier insbesondere auf die wichtige Rolle der Europäischen Kommission. In seinen Arbeiten nimmt Ernst B. Haas keine konkrete Differenzierung des spill-over-Konzepts in drei verschiedene Arten vor. Allerdings finden sich indirekte Hinweise auf ein Verständnis von politischem spill-over, wie es auch z.B. Tranholm-Mikkelsen (1991) teilt, in der Einleitung zu „The Uniting of Europe“ von 1958 sowie auf den Seiten 9-10 und 283ff. dieses Buches. Hinweise auf den Prozess des „cultivated spill-over“ finden sich in Haas’ Artikel „International Integration: The European and the Universal Process“ (1961/1966). Haas verwendet allerdings nicht explizit den Begriff des kultivierten spill-overs.
6.1 Der Neo-Funktionalismus
157
Eine umfassende Revision dieser Annahmen wurde von Schmitter (vgl. 1970) präsentiert.188 Er lehnt nicht nur die Vorstellung eines festgelegten Endziels sowie eines quasi automatischen Übergreifens der Integration von wirtschaftliche auf politische Bereiche ab, sondern präsentiert neben dem spill-over auch alternative Entwicklungsdynamiken. Laut Schmitter kann der Integrationsverlauf am besten in Form von kriseninduzierten Entscheidungszyklen beschrieben werden.189 Diese wiederkehrenden Zyklen werden von endogenen Spannungen und Widersprüchen innerhalb des Integrationsprojektes hervorgerufen und zwingen nationale wie regionale Akteure und Autoritäten dazu, ihre jeweiligen Strategien zu überdenken. Hier steht es den Entscheidungsträgern offen, sich für eine Ausweitung oder auch für eine Verringerung der Tiefe und Reichweite der Integration in verschiedenen Bereichen zu entscheiden (vgl. Schmitter 1970: 842-844).190 Insgesamt stehen den Akteuren neben dem spill-over sechs weitere Handlungsalternativen zur Verfügung. Im Einzelnen handelt es sich um 1.) spill-over: Tiefe und Reichweite der Integration nehmen zu, 2) spill-around: nur die Reichweite der Integration nimmt zu, 3) build-up: nur die Tiefe der Integration nimmt zu, 4) retrench: Ausweitung der Tiefe bei gleichzeitiger Einschränkung der Reichweite der Integration, 5) muddle-about: Ausweitung der Reichweite bei gleichzeitiger Einschränkung des Grads an Integration, 6) spill-back: Rückschritt in beiden Dimensionen, 7) encapsulate: Tiefe und Reichweite der Integration bleiben im Wesentlichen unverändert. Schmitter kommt zu dem Schluss, dass sich die Akteure am wahrscheinlichsten für die Strategie der ‚encapsulation’ entscheiden, also einer Bewahrung des Status quo des Integrationsprozesses, der einer Stagnation gleichkommt (vgl. Schmitter 1970: 846).
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Die Vorstellung eines automatisch ablaufenden Integrationsprozesses war zuvor bereits von Leon N. Lindberg relativiert worden, indem er betonte, dass nur mit expliziter Unterstützung der Mitgliedsländer der Integrationsprozess fortgesetzt werden kann (vgl. Lindberg 1963: 11). Insgesamt unterscheidet Schmitter (vgl. 1970) vier kriseninduzierte Entscheidungszyklen oder auch Verlaufsphasen des Integrationsprozesses: „initiation cycle“, „priming cycle(s)“, „transforming cycle(s)“ und „transcending cycle(s)“. Die vier Zyklen bauen aufeinander auf, können allerdings wiederholt auftreten und bieten den Akteuren die Möglichkeit, ihre Integrationsstrategie neu zu überdenken. Während Schmitter die Entscheidungszyklen zu den unabhängigen Variablen seines Modells macht, bilden Tiefe (Autorität der regionalen Institutionen) und Reichweite der Integration (Anzahl der vergemeinschafteten Politikbereiche) die abhängigen Variablen. Sein Modell soll Erklärungen bzw. Vorhersagen darüber ermöglichen, warum und in welchen Situationen sich die involvierten Akteure für bzw. gegen eine Ausweitung der Tiefe und Reichweite der Integration entscheiden.
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6 Die Theorieansätze im Einzelnen
Abbildung 4: Alternative Akteursstrategien nach Schmitter
Quelle: Schmitter 1970: 845
Nach rein logischen Gesichtspunkten lässt Schmitters Modell zwei weitere Handlungsalternativen vermissen. Er vernachlässigt die Möglichkeiten, dass die Reichweite der Integration abnimmt, während die Integrationstiefe gleich bleibt sowie den umgekehrten Fall von abnehmender Integrationstiefe bei gleich bleibender Reichweite. Eine Begründung, warum er gerade diese beiden Alternativen unberücksichtigt lässt, ist in seinem Artikel allerdings nicht zu finden.191 191
Die von Schmitter entwickelten Akteursstrategien könnten auch die Grundlage für eine regimetheoretische Analyse bilden. In diesem Fall könnten die bestehenden Integrationsstrukturen als Regime aufgefasst werden (eine Definition des Regimebegriffs findet sich in Fußnote 37) und der Regimewandel in den Mittelpunkt der Analyse rücken. Interessant wäre in einer solchen Perspektive die Frage, welchen Einfluss spezifische Prinzipien, Normen, Regeln und Verfahrensweisen auf den Erhalt bzw. Verfall des Regimes ausüben. Darüber hinaus knüpfen sich
6.1 Der Neo-Funktionalismus
159
Bei der Diskussion des spill-over-Konzepts sind zwei weitere Überarbeitungen aus jüngerer Zeit hervorzuheben: Dorette Corbey (vgl. 1995) kritisiert, das spill-over-Konzept sei nicht ausreichend, um den charakteristischen Wechsel von Fortschritts- und Stagnationsphasen im Integrationsverlauf zu erklären. In ihrer dialektischen Neuinterpretation des NF vertritt sie in Bezug auf die europäische Integration folgende Annahmen: Integration in einem Politikbereich veranlasst die Nationalstaaten in einer Art ‚Schutzfunktion’, ihre Autonomie in angrenzenden Politikbereichen zu wahren und vor EU-Einfluss zu schützen. Zu diesem Zweck setzen die Staaten auf verstärkte Interventionen in den angrenzenden Politikbereichen – eine Stagnationsphase des Integrationsprozesses setzt ein. Doch unbeabsichtigt entwickeln sich die wachsenden staatlichen Interventionen zu einem Antriebsmotor weiterer Integration. Staatliche Interventionen eines Landes werden von anderen Ländern mit ähnlichen Maßnahmen beantwortet und führen somit mittelfristig zu kontraproduktiven Ergebnissen für die einzelnen Staaten. Einen Ausweg aus dieser Situation bietet die Durchführung eines weiteren Integrationsschrittes auf der höheren europäischen Ebene. Stagnationsphasen sind nach diesem Modell ein natürlicher Bestandteil des Integrationsprozesses. Sein dialektischer Charakter besteht in der Vorstellung, dass eine Handlung (Integrationsentscheidung) eine Reaktion (Staatsintervention in angrenzenden Bereichen) hervorruft und schließlich zu einer erneuten Integrationsnachfrage führt (vgl. Corbey 1995: 263265).192 Corbeys Modell kann unter anderem dafür kritisiert werden, dass die besonderen Eigenschaften der unterschiedlichen Politikbereiche, in denen Integration stattfindet, keine Berücksichtigung finden. Dabei besitzen verschiedene Politikbereiche unterschiedliche Funktionsbedingungen und Verteilungswirkungen, die sich auf den Integrationsverlauf auswirken können (vgl. Brückner 1999: 41-42). Auf eben diesen Kritikpunkt geht Klaus Busch (vgl. 1996) in seinem Beitrag zur Integrationstheorie ein. Er stellt die Erklärungskraft und Reichweite der unabhängigen, erklärenden Variablen bisheriger neo-funktionalistischer Modelle in Frage. Sein Argument: Da die erklärenden Variablen die „innere Struktur“
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zahlreiche weitere interessante Fragen an, z.B. nach der Regimeeffizienz und der Regimeleistung. Einen guten einführenden Überblick zur Regimeanalyse bietet Kohler-Koch 1989. Die Vorstellung eines quasi automatischen Integrationsprozesses, lediglich unterbrochen durch Phasen der Stagnation, lebt in Corbeys Modell wieder auf. Im Zusammenhang mit diesem Automatismus drängt sich auch die Frage auf, ob die Staaten keine Handlungsalternativen zum Einsatz staatlicher Interventionen haben und ob der Eingriff des einen Staates in einen Politikbereich zwingend von anderen Staaten mit dem gleichen Vorgehen beantwortet werden muss.
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6 Die Theorieansätze im Einzelnen
(Busch 1996: 291)193 des Integrationsobjektes selbst nicht berücksichtigen, bleibt ihr Beitrag zur Erklärung des Integrationsprozesses begrenzt (vgl. Busch 1996: 291-294). Dabei ist die innere Logik eines jeden Integrationsfeldes von großer Bedeutung, so Busch weiter, denn sie gibt Aufschluss über Voraussetzungen, die erfüllt, Konflikte, die gelöst und Regelungen, die aufgestellt werden müssen, damit es zu einem Fortschritt der Integration kommt (vgl. Busch 1996: 304).194 Unter Einbeziehung der ‚Politikfeldspezifika’ der von Integration betroffenen Bereiche, versucht Busch „Integrationsschwellen“ (Busch 1996: 282) zu bestimmen und Bedingungen für ihre Überwindung zu identifizieren, um so zu differenzierteren Aussagen über die Integrationsdynamik zu gelangen. Auch wenn es Busch nicht gelingt, mit Hilfe seines Modells konkrete Angaben bezüglich der Integrationsschwellen (z.B. quantifizierbare Angaben zu deren Höhe) in verschiedenen Politikbereichen zu machen, so liegt sein Verdienst darin, dass er auf die politikfeld-spezifischen Eigenschaften für den Integrationsprozess hinweist. Damit liefert sein Ansatz wichtige Anregungen für die Analyse von Integrationsprozessen in verschiedenen Politikbereichen und die mögliche Erklärung von unterschiedlichen Integrationserfolgen bzw. -schwierigkeiten. Das spill-over-Konzept als ‚Herzstück’ des NF hat seit seiner Entstehung noch weitere Kritik erfahren. So ist insbesondere die Einteilung von Politikbereichen nach ihrem nicht-kontroversen bzw. kontroversen, technischen bzw. nichttechnischen Charakter kritisiert worden (vgl. Caporaso 1998: 349). Die Annahme, dass die Politikbereiche, in denen Integration ihren Ausgang nimmt, zudem funktional klar abgegrenzt sein müssen, wird in jüngeren Publikationen von Schmitter in Frage gestellt. Ihm erscheint es fraglich, wie es zwischen eindeutig voneinander abgegrenzten Politikfeldern zu einem Übergreifen der Integration kommen kann (vgl. Schmitter 1996: 9; 2005: 262-263). Eine abschließende Würdigung des spill-over-Mechanismus muss hervorheben, dass sich seine Logik insofern bestätigt hat, als dass tatsächlich grundlegende Interdependenzen zwischen Politikbereichen bestehen, die ein Übergreifen der Integration grundsätzlich ermöglichen. Gleichzeitig betonen die Vertreter des NF, dass spill-over-Prozesse empirische Phänomene darstellen, deren Auftreten an bestimmte Bedingungen geknüpft sind.195 Auf der Grundlage dieser Einsicht 193
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Busch spricht in diesem Zusammenhang von den „inneren Prozessen der Integrationsobjekte“ sowie von ihrer „inneren Dynamik“ (Busch 1996: 294+297). Dabei lassen sich die inneren Logiken nicht für alle Integrationsbereiche gleich gut erkennen. Während es bei ökonomischen Integrationsvorhaben leichter ist, die innere Logik zu erfassen, ist dies im Bereich der politischen Integration schwieriger (vgl. Busch 1996: 304). Ein Ausbleiben von spill-over-Prozessen widerlegt nach Meinung Rosamonds aber noch keineswegs die Annahmen des NF. Schließlich sei es Ziel des NF gewesen, generelle Bedingungen ausfindig zu machen, unter denen ein Integrationsprozess die größten Erfolgsaussichten
6.1 Der Neo-Funktionalismus
161
wird in der aktuellen Integrationsforschung die partielle, nicht mehr die universelle, Relevanz des spill-over-Konzepts betont (vgl. O’Neill 1996: 51). 6.1.6 Akteure der Integration Die Ausführungen des NF zu den Akteuren des Integrationsprozesses lassen ein rationales Akteurskonzept erkennen. Demnach versuchen die im Integrationsprozess involvierten Akteure, ihre Interessen nutzenmaximierend zu verwirklichen (vgl. Haas 2001: 23).196 Gleichzeitig ist das Bestreben der involvierten Akteure, ihre Interessen zu realisieren, die primäre Antriebskraft für ihr Engagement im Integrationsprozess (vgl. Schmitter 1996: 5-6).197 Im idealtypischen Modell politischer Integration, das Haas in seinen frühen Arbeiten präsentiert, können drei verschiedene Akteursgruppen identifiziert werden: Eine erste Gruppe bilden die Repräsentanten der Nationalstaaten, die zwar als wichtige, aber nicht herausragende Akteure angesehen werden. Ihnen wird keine übergeordnete Bedeutung im Vergleich zu anderen Akteursgruppen zugesprochen. Diese Einschätzung beruht auf der Annahme, dass die Nationalstaaten zwar im Besitz von nomineller Souveränität sind, ihr nationales Interesse aber nur auf einem temporären Gleichgewicht zwischen den verschiedenen konfliktreichen Interessen unterschiedlicher Klassen, Klientele und Gruppen beruht. Gleichzeitig sind diese subnationalen Gruppen laut neo-funktionalistischer Auffassung in der Lage, unabhängig zu handeln und die Politik der Nationalstaaten zu umgehen oder aber auch zu unterminieren, was die Position des Nationalstaates eindeutig schwächt (vgl. Schmitter 1996: 5). Eliten aus Politik und Wirtschaft bilden eine zweite Akteursgruppe, die der NF in seiner Bedeutung hervorhebt (vgl. Haas 1968: 17).198 Dass er seinen Fokus
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198
besitzt. Sind diese Erfolgsbedingungen in einem Integrationskontext nicht gegeben, so ist es gemäß neo-funktionalistischer Annahmen nur eine logische Folge, dass spill-over-Prozesse ausbleiben (vgl. Rosamond 2005: 245). Darüber hinaus beinhaltet der NF keine zeitliche Komponente. Er macht keine Angaben zur zeitlichen Dauer der Integrationsentwicklung (vgl. Schmitter 2005: 257). Es kann demnach nicht ausgeschlossen werden, dass spill-over-Prozesse auch erst mit großer zeitlicher Verzögerung auftreten. Haas selbst bezeichnet die Ontologie des NF als „’soft’ rational choice“ (Haas 2001: 23). Dagegen haben idealistische Werte nur eine vorgelagerte Bedeutung, da sie Einfluss auf die Interessenbildung der Akteure ausüben können. Sie besitzen aber keine eigenständige Antriebskraft für den Integrationsprozess (vgl. Schmitter 1996: 5-6). Haas spricht in diesem Zusammenhang von den „politischen Eliten“ (Haas 1968: 17), fasst unter dieser Bezeichnung aber einen breiten Personenkreis zusammen, der sich auch auf den Wirtschaftsbereich und die politische Verwaltung erstreckt. Den Begriff der Eliten definiert Haas dabei als „(…) “elites“ are the leaders of all relevant political groups who habitually
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6 Die Theorieansätze im Einzelnen
insbesondere auf die Elitengruppen ausrichtet, begründet Haas (vgl. 1968: 17-18) für den europäischen Fall mit den folgenden Argumenten: Die Eliten haben großen Einfluss auf den Verlauf der Integration, denn aufgrund bürokratischer Strukturen nehmen sie die Führungspositionen in den europäischen Institutionen ein. Darüber hinaus sind es die Eliten in den verschiedenen politischen und wirtschaftlichen Gruppierungen, die die besten Kenntnisse über den Integrationsprozess und das größte Interessen an seiner weiteren Entwicklung besitzen. Sobald der Integrationsprozess eigene regionale Institutionen hervorbringt, üben deren Entscheidungsträger, als dritte Akteursgruppe, wesentlichen Einfluss auf die Gestaltung der Integration aus. Es entwickelt sich ein wechselseitiger Einfluss zwischen den Vertretern der neuen Institutionen und den nationalen Akteuren: Letztere versuchen, auf die Entscheidungsfindung der supranationalen Institutionen einzuwirken. Doch diese Bemühung wird dadurch erschwert, dass die neuen supranationalen Institutionen eigenständige Positionen entwickeln, die nicht mehr von nationalstaatlichen Interessen geleitet sind. Gleichzeitig versuchen die supranationalen Institutionen, für ihre Politik die Unterstützung der nationalen Akteure zu gewinnen (vgl. Haas 1968: 18). In der Erweiterung dieses idealtypischen Akteursmodells von Haas rücken auch die einzelnen Staatsmänner und ihre jeweilige Bedeutung für den Integrationsprozess in den Blickwinkel der Neo-Funktionalisten. Wie das Beispiel Charles de Gaulles in Europa gezeigt hat, können Staatsmänner den Integrationsprozess behindern, wenn sie rein nationalistische Ziele verfolgen. Aber unterstützen auch sie den Prozess einer schrittweisen Integration im Bereich der Wirtschaft und bleiben politische Aspekte zunächst außen vor, können von ihnen wichtige Impulse für den weiteren Integrationsverlauf ausgehen (vgl. Haas 1967: 329-331). Im Rahmen der Wiederentdeckung neo-funktionalistischer Analysen seit Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre hat die Diskussion um die Rolle der supranationalen Institutionen zugenommen. Durch den verstärkt institutionalistischen Blickwinkel dieser Beiträge zur europäischen Integration wurde der Einfluss der Europäischen Kommission besonders betont. Ein zentraler Beitrag dieser Periode stammt von Renaud Dehousse und Giandomenico Majone (vgl. 1994). Sie akzentuierten in ihrer Analyse europäischer Integration insbesondere die Dynamik und den Einfluss der supranationalen Institutionen. Dabei argumentieren sie, dass ein so zentraler Integrationsschritt wie die Verabschiedung der Einheitlichen Europäischen Akte nur unter Berücksichtigung des Einflusses der participate in the making of public decisions, whether as policy-makers in government, as lobbyists or as spokesmen of political parties. They include the officials of trade associations, the spokesmen of organised labour, higher civil servants and active politicians“ (Haas 1968: 17).
6.1 Der Neo-Funktionalismus
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Europäischen Kommission erklärt werden könne. Auch wenn die Nationalstaaten weiterhin die ausschlaggebenden Politikentscheidungen träfen, dürfe die Rolle der supranationalen europäischen Institutionen keinesfalls vernachlässigt werden (vgl. Dehousse/Majone 1994: 108-109). Darüber hinaus beschreiben die Autoren dieser Periode auch eine neue Organisationsform der Interessengruppen im europäischen Integrationsprozess. Diese schließen sich auf transnationaler Ebene zu informellen Netzwerken zusammen und bereiten so wichtige Integrationsschritte vor bzw. schaffen die Nachfrage für politische Innovationen (vgl. Faber 2005: 175). Zusammenfassend werden in neo-funktionalistischen Analysen also folgende Akteursgruppen hervorgehoben: die Nationalstaaten, insbesondere vertreten durch ihre Regierungen, die Eliten aus Politik und Wirtschaft sowie die supranationalen Institutionen, repräsentiert durch ihre jeweiligen Entscheidungsträger. Zusätzlich anerkannt wird außerdem die Bedeutung der nationalen Staatsmänner für die Ausgestaltung des Integrationsprozesses. Diese Akteure versuchen den Integrationsprozess so zu beeinflussen, dass ihre Interessen möglichst nutzenmaximierend verwirklicht werden. Dabei sind die Interessen der Beteiligten nach neo-funktionalistischer Vorstellung nicht fix gegeben, sondern können sich aufgrund veränderter Ideale oder Wertevorstellungen wandeln (vgl. Mattli 2005: 330). Auch auftretende Lerneffekte, die durch vermehrte Interaktionen auf regionaler Ebene entstehen, können im Verlauf der Integration die Interessen der nationalstaatlichen Akteure verändern (vgl. Schmitter 2005: 266). In kritischen Auseinandersetzungen mit dem Akteurskonzept des NF wird insbesondere hervorgehoben, dass den Nationalstaaten bzw. ihren Repräsentanten zu wenig Gewicht beigemessen wird. Die Annahme, die Vertreter der Nationalstaaten seien eine Akteursgruppe neben anderen, wird nach Ansicht einiger Kritiker dem tatsächlichen Gewicht der Nationalstaaten nicht gerecht (vgl. unter anderem Welz/Engel 1993: 153; Corbey 1995: 258). 6.1.7 Anwendung in anderen regionalen Kontexten Gemäß der Zielsetzung des NF, eine vergleichende Integrationstheorie zu entwickeln, haben sich neo-funktionalistische Autoren relativ ausgiebig mit der Erklärungskraft ihres Ansatzes im außereuropäischen Raum beschäftigt. Dabei stand zunächst die Frage im Mittelpunkt, ob sich die Erfolgsbedingungen europäischer Integration auch in anderen Regionen wiederfinden lassen (siehe Kapitel 6.1.4). Eine erste Untersuchung der arabischen Staaten, der Staaten des (ehemaligen) Sowjetblocks und der Staaten Nord- und Südamerikas von Haas (vgl. 1961) musste diese Frage klar verneinen. Haas zog daher das Fazit, dass eine
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6 Die Theorieansätze im Einzelnen
Nachahmung des europäischen Entwicklungsweges in anderen Teilen der Welt unwahrscheinlich sei (vgl. Haas 1961: 389). Diese Einschätzung wurde aber schon bald durch eine gemeinsam von Haas und Schmitter (vgl. 1966) durchgeführte Untersuchung der Integrationsprozesse in Lateinamerika relativiert. Sie kam zu dem Schluss, dass die vorherrschenden lateinamerikanischen Bedingungen als ‚funktionale Äquivalente’ zu den Bedingungen in Europa betrachtet werden können. D.h., sie erfüllen bestimmte, nach neo-funktionalistischer Sichtweise für einen Integrationsprozess notwendige Funktionen, auch wenn sie nicht mit den Strukturen und Bedingungen in Europa identisch sind (vgl. Haas/Schmitter 1966: 284). Mit der Einführung des Konzepts der funktionalen Äquivalente konnten die Vertreter des NF die potenzielle Reichweite ihres Ansatzes vergrößern. Auf der Grundlage der Integrationserfahrungen in Ostafrika stellte Joseph S. Nye (vgl. 1965) die Übertragbarkeit neo-funktionalistischer Annahmen in Frage. Sein gewichtiger Kritikpunkt: Im Integrationskontext afrikanischer Staaten habe sich die Einteilung in kontroverse und unkontroverse Politikbereiche, die nach neo-funktionalistischer Lesart insbesondere für den Start eines Integrationsprozesses äußerst wichtig ist, als wenig brauchbar erwiesen. Die Situation in vielen Entwicklungsländern des afrikanischen Kontinents sei nämlich durch eine „unreife Über-Politisierung“ („premature overpolitization“) (Nye 1965: 872) auch derjenigen Politikbereiche gekennzeichnet, die in Europa einen relativ unpolitischen und somit unkontroversen Charakter besäßen. Somit sei die Annahme, dass wirtschaftliche Politikbereiche aufgrund ihres unkontroversen Charakters einen idealen Ausgangspunkt für den Integrationsprozess lieferten, im Falle der afrikanischen Länder falsch. Der Bereich der Wirtschaftspolitik besitze dort oftmals ein hohes Konfliktpotenzial und sei von hoher symbolischer Bedeutung. Damit der neo-funktionalistische Ansatz als theoretischer Rahmen einer vergleichenden Analyse verwendet werden könne, forderte Nye, ausgehend von seiner Kritik, die weitere Überarbeitung des Ansatzes und die Beseitigung seines ‚Europa-Bias’ (vgl. Nye 1965: 884).199 Ungeachtet der gravierenden Unterschiede der politischen und sozialen Kontexte in Entwicklungsländern und europäischen Staaten sei eine vergleichende Analyse ihrer Integrationsprozesse sinnvoll, so Nye in einem späteren Artikel weiter (vgl. Nye 1970). Denn ein besseres Verständnis der spezifischen Bedingungen in Entwicklungsländern könne nur dann erreicht werden, wenn ihre 199
Seinen eigenen Beitrag zur geforderten Überarbeitung des NF leistete Nye nur wenige Jahre später (vgl. Nye 1970). Er modifizierte das ursprüngliche Modell, indem er die abhängige Variable neu definierte und mit der Vorstellung eines kontinuierlichen Integrationsprozesses brach. Zudem erweiterte er das Modell um eine Reihe von Akteuren sowie weiteren Bedingungen für eine erfolgreiche Integration (vgl. Nye 1970: 797).
6.2 Der Intergouvernementalismus
165
Integrationserfahrungen mithilfe eines einheitlichen Instrumentariums mit denen der europäischen Staaten verglichen würden.200 Eine solche Untersuchung müsse allerdings von der Bemühung geleitet werden, pauschale und vorurteilsbehaftete Urteile zu vermeiden und den europäischen Erfahrungen keinen Modellcharakter zuzusprechen (vgl. Nye 1970: 830-831). Auch wenn die Erfolgsaussichten für wirtschaftliche Integrationsprozesse in Entwicklungsländern, verglichen mit denen in Europa, deutlich schlechter seien, so blieben laut Nye Integrationsprozesse deshalb keineswegs ausschließlich auf Europa beschränkt (vgl. Nye 1970: 835). Auch wenn der NF ursprünglich entwickelt wurde, um Integrationsprozesse in Europa zu erklären, so reicht sein Anspruch deutlich weiter. Inwieweit aber die ‚europäischen Wurzeln’ des Theorieansatzes seine Anwendung in anderen regionalen Kontexten behindern, ggf. sogar ausschließen, ist bislang nicht eindeutig geklärt und daher eine der Fragestellungen der vorliegenden Arbeit. Fest steht, dass neo-funktionalistische Autoren die Gefahr, in eurozentristische Sichtweisen zu verfallen, erkannt haben und sich sensibel bzw. aufgeschlossen gegenüber den Besonderheiten des außereuropäischen Raumes zeigen (vgl. Nye 1965; 1970). Die Vorgehensweise, mit Hilfe des Konzepts der funktionalen Äquivalente über die Analyse des europäischen Einzelfalls hinauszugehen, wird allerdings auch kritisiert. Für Mattli (vgl. 2005: 342) zeigt die Anwendung des Konzepts auf den Fall Lateinamerika eine Reihe von Schwächen. Seiner Ansicht nach seien die von Haas und Schmitter (vgl. 1966) aufgeführten funktionalen Äquivalente willkürlich zusammengestellt und würden keinerlei theoretischen Erkenntnisgewinn bringen. 6.2 Der Intergouvernementalismus Neben neo-funktionalistischen Ansätzen bilden intergouvernementalistische Theorieansätze einen zweiten Analyseschwerpunkt der vorliegenden Arbeit. Dabei konzentriert sich die Untersuchung auf zwei herausragende Vertreter des Intergouvernementalismus. Zum einen auf Stanley Hoffmann, der seine Variante des Intergouvernementalismus bereits in den 60er Jahren als Antwort auf das augenscheinliche Scheitern neofunktionalistischer Modelle formulierte. Zum anderen auf Andrew Moravcsik, der im Zuge des Widererstarkens staatszentrierter Ansätze zu Beginn der 90er Jahre den liberalen Intergouvernementalismus entwickelte. 200
Sein überarbeitetes Modell des NF ist laut Nye für eine solche Analyse geeignet (vgl. Nye 1970: 835).
166
6 Die Theorieansätze im Einzelnen
6.2.1 Überblick zur intergouvernementalistischen Theorieentwicklung Seine erste Blütezeit erlebte der Intergouvernementalismus in den 60er und 70er Jahren. Die Erklärungsnot neo-funktionalistischer Ansätze rund um die ‚Krise des leeren Stuhls’ konnte sich der Intergouvernementalismus zu Nutze machen. Denn im gleichen Maße, wie die Erfahrungen mit dem französischen Präsidenten Charles de Gaulle die neo-funktionalisischen Annahmen in Frage stellten, schienen sie die Prämissen des IG von der Dominanz der Staaten im internationalen System sowie ihrer sehr eingeschränkten Bereitschaft zur Übertragung staatlicher Souveränität zu bestätigen. Wie diese Grundannahmen des IG bereits verdeutlichen, liegen seine theoretischen Wurzeln im Realismus. Gemein ist beiden theoretischen Ansätzen allerdings die Annahme von souveränen Staaten als wichtigste Akteure der internationalen Beziehungen, deren vorrangiges Ziel darin besteht, ihre jeweiligen nationalen Interessen durchzusetzen. Demnach ist regionale Integration lediglich eine Bemühung der beteiligten Staaten, ihre konkurrierenden nationalen Interessen soweit wie möglich miteinander in Einklang zu bringen, um daraus gemeinsamen Nutzen zu ziehen, ohne jedoch ihr ‚höchstes Gut’ – die nationalstaatliche Souveränität – zu opfern (vgl. Hoffmann 1959: 348; O’Neill 1996: 56-57).201 Die intergouvernementalistischen Arbeiten der 60er und 70er Jahre dominierte Stanley Hoffmann, der seine theoretischen Überlegungen dezidiert in Abgrenzung zum NF vornahm. Die hier folgende Darstellung seines Werkes liefert keinen repräsentativen Überblick über seine Arbeiten im Bereich der internationalen Beziehungen. Zum einen wird eine Konzentration auf seine frühen Arbeiten der 60er und 70er Jahre vorgenommen, zum anderen bleiben Aspekte, die nicht in engem Zusammenhang mit integrationstheoretischen Überlegungen stehen, unberücksichtigt. Schließlich ist die Außenpolitik de Gaulles (vgl. Hoffmann 1964b) oder das transatlantische Verhältnis der jungen europäischen Gemeinschaft (vgl. Hoffmann 1965, 1973) nicht von primärer Bedeutung für die Fragestellungen dieser Untersuchung. Einen ‚zweiten Frühling’ erlebten staatszentrierte Ansätze zu Beginn der 90er Jahre, insbesondere im Zusammenhang mit der Analyse zur Entstehung der Einheitlichen Europäischen Akte. Da die europäische Vergemeinschaftung mit 201
Hoffmann, als einer der bedeutendsten Vertreter des IG, teilt zwar die Grundannahmen des Realismus, setzt sich aber auch kritisch mit den realistischen Annahmen, z.B. mit dem realistischen Machtkonzept, auseinander. Nach Hoffmann ist Macht nicht von Natur aus negativ zu bewerten, sondern erhält ihre negativen Eigenschaften erst durch den spezifischen Kontext oder die spezifische Konstellation, in der Macht eingesetzt wird. Weiterhin kritisiert Hoffmann das seiner Meinung nach zu starke Gewicht, das dem Konzept der Macht in realistischen Ansätzen zugesprochen wird, ebenso wie die ausschließliche Konzentration auf rationale Elemente der Außenpolitik (vgl. Hoffmann 1959: 350-353).
6.2 Der Intergouvernementalismus
167
diesem Projekt weiter vorangeschritten war als von den Intergouvernementalisten ursprünglich prognostiziert, gerieten sie in Erklärungszwang. Der Herausforderung, die fortbestehende Relevanz intergouvernementalistischer Thesen zu beweisen, stellte sich unter anderem Andrew Moravcsik.202 In Anlehnung an klassische intergouvernementalistische Arbeiten und in Abgrenzung zum NF (den er als ‚Supranational Institutionalism’ bezeichnet) entwickelte er den ‚Governmental Institutionalism’. Aus den Grundannahmen dieses Ansatzes entstand der ‚Liberale Intergouvernementalismus’, der im Verlauf der 90er Jahre von einem Zwei-Ebenen-Modell zu einem Drei-Ebenen Modell erweitert wurde.203 In seinem Analysefokus knüpfte der LIG an den ursprünglichen Intergouvernementalismus an. Weiterhin werden die Nationalstaaten als Hauptakteure im internationalen System begriffen. Im Zentrum der Analyse stehen die Konzepte ‚Macht’ und ‚nationale Interessen’. Moravcsik ordnete seine Arbeit in die Tradition liberaler Ansätze ein204 und präsentierte als Quintessenz seiner Untersuchungen einen dreiteiligen Erklärungsansatz. Demnach könnten ökonomische Interessen, relative Macht und glaubwürdige Verbindlichkeit die Form, den Inhalt und das ‚Timing’ zentraler Integrationsschritte der Europäischen Gemeinschaft erklären (vgl. Moravcsik 1998: 4).
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Laut Faber zählt Moravcsik zu den wenigen Autoren, die Anfang der 90er Jahre eindeutig einer Theorierichtung – hier dem Intergouvernementalismus – zugeordnet werden können. Im Allgemeinen ging der Trend in jener Zeit hin zu einer Verknüpfung zwischen neofunktionalistischen und intergouvernementalistischen Thesen für die Analyse der europäischen Integration (vgl. Faber 2005: 144). Hier baute Moravcsik auf den Arbeiten von Robert D. Putnam zur ‚two level game-theory’ auf (vgl. hierzu Putnam 1988). Mit liberalen Ansätzen teilt Moravcsik die folgenden Annahmen: Erstens sind die wichtigsten Akteure im politischen Bereich rational handelnde, autonome Individuen und Gruppen, die mit dem Ziel, ihre eigenen Interessen zu verwirklichen und Risiken zu vermeiden, interagieren. Zweitens repräsentieren die Regierungen eine Teilmenge ihrer jeweiligen nationalen Gesellschaft; ihre Interessen und Identitäten auf internationaler Ebene werden durch die Interessenlagen ihrer nationalen Gesellschaft beschränkt. Drittens reflektieren staatliches Verhalten und Konflikt- sowie Kooperationsmuster die Natur und die Ausgestaltung staatlicher Interessen (vgl. Moravcsik 1993b).
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6 Die Theorieansätze im Einzelnen
6.2.2 Theorieverständnis des Intergouvernementalismus In ihrem theoretischen Anspruch unterscheiden sich die beiden untersuchten Vertreter intergouvernementalistischer Ansätze voneinander. Die rückblickende Auseinandersetzung mit Hoffmanns Arbeiten zum europäischen Integrationsprozess zeigt für Anne Faber, dass dieser nie das Ziel verfolgte, eine eigenständige Theorie regionaler Integration zu entwickeln (vgl. Faber 2005: 108). In seinem allgemeinen Theorieverständnis legt Hoffmann besonderes Gewicht auf die deskriptiven Fähigkeiten einer Theorie, wonach mit Hilfe theoretischer Konzepte und Begriffe die Realität möglichst adäquat wiedergegeben und beschrieben werden soll. Seiner Meinung nach reichen die Möglichkeiten sozialwissenschaftlicher Theorien nicht aus, um kausale Gesetzmäßigkeiten sozialer Prozesse zu identifizieren und auf dieser Grundlage Vorhersagen über zukünftige Entwicklungen zu machen (vgl. Hoffmann 1959: 357358).205 Für Andrew Moravcsik ist es ebenfalls nicht erstrebenswert, eine umfassende Theorie der europäischen Integration zu entwickeln. Zu dieser Einschätzung kommt er aber nicht, weil er der Forschung zur europäischen Integration keinen eigenständigen Stellenwert zuspricht, sondern da seiner Ansicht nach ein solch komplexer Prozess nicht durch eine einzelne Theorie zufriedenstellend erfasst werden kann. Nur durch das Zusammenspiel verschiedener Theorien – im besten Falle Theorien mittlerer Reichweite, die generalisierbare Annahmen erlauben – sei eine theoretische Annäherung an den europäischen Integrationsprozess möglich (vgl. Moravcsik 1995: 612; 1998: 19-20). In diesem Zusammenhang hebt Moravcsik die positive Eignung seines eigenen Modells hervor. Schließlich verknüpfe es drei verschiedene Analyseebenen, auf denen jeweils unterschiedliche Theorien angewendet werden, sodass sich zusammengenommen ein multikausales Analyseraster ergäbe (vgl. Moravcsik 1999: 9 + 15).206 Die Qualität einer Theorie lässt sich laut Moravcsik daran messen, ob sie eine deduktive Vorgehensweise wählt, sie die Möglichkeit bietet, ihre theoretischen Annahmen empirisch zu überprüfen und ob sie Erklärungs- und Prognosekraft besitzt (vgl. Moravcsik 1993: 476-477). Somit wird deutlich, dass 205
206
Nur unter der Bedingung, dass zum einen alle intervenierenden Variablen bekannt sind und zum zweiten ihre Anzahl begrenzt ist, seien Vorhersagen auf der Grundlage sozialwissenschaftlicher Theorien möglich. Da diese Bedingungen aber in den Sozialwissenschaften selten gegeben sind, ist auch die Aussicht, auf der Grundlage theoretischer Modelle Vorhersagen zu treffen, äußert schlecht (vgl. Hoffmann 1959: 358). Zu diesem Punkt wirft Faber allerdings die berechtigte Frage auf, ob der von Moravcsik erhobene Anspruch auf Multikausalität tatsächlich eingehalten wird, bedenkt man die starke Fixierung des LIG auf die Interessen der beteiligten Staaten und ihre jeweiligen Regierungen (vgl. Faber 2005: 214, Fußnote 280).
6.2 Der Intergouvernementalismus
169
Moracsik, anders als Hoffmann, weit reichende Ansprüche an eine Theorie stellt und ein positivistisch geprägtes Theoriebild besitzt (vgl. Faber 2005: 215). Ob er diesen hochgesteckten Ansprüchen selbst aber gerecht werden kann, wird unterschiedlich bewertet. So wird der LIG mit dem Vorwurf konfrontiert, er stelle keine ausgereifte Theorie, sondern lediglich einen theoretischen Ansatz dar (vgl. Wincott 1995: 598-600).207 Insbesondere die kausale Verknüpfung zwischen den verschiedenen Ebenen seines Ansatzes sei unzureichend (vgl. Faber 2005: 179). Letzteres Argument kann Moravcsik nicht überzeugend widerlegen, wenn er argumentiert, dass der LIG in seiner ganzheitlichen (dreiteiligen) Struktur zwar keine Theorie darstellt, auf seinen einzelnen Ebenen aber einen grundlegenden theoretischen Inhalt besitzt, da anerkannte politikwissenschaftliche Theorien aufgegriffen und weiterentwickelt werden (vgl. Moravcsik 1995: 613). 6.2.3 Motive und Zielsetzungen der Integration Aus intergouvernementaler Sichtweise dient der europäische Integrationsprozess in rationaler und pragmatischer Art und Weise den Interessen der Nationalstaaten, denn er unterstützt ihre Anpassung an veränderte internationale Bedingungen und sichert ihren Fortbestand. So stellt er beispielsweise Verhandlungsforen für die Lösung internationaler Probleme bereit. Da die Staaten den Vergemeinschaftungsprozess selbst initiieren und kontrollieren, kann er sich keinesfalls zu einer Bedrohung für sie entwickeln. Ganz im Gegenteil, er wird die Stärke der Nationalstaaten sichern (vgl. Hoffmann 1983: 21; 35). Die europäische Integration hat aus intergouvernementalistischer Perspektive keine ideologischen oder idealistischen Antriebskräfte (vgl. Cini 2003: 95). Die wichtigsten Motive, die Nationalstaaten zu Integrationsmaßnahmen bewegen, sind rationaler Natur und bestehen in der Bewahrung bzw. Stärkung ihrer Macht und der Durchsetzung nationaler Interessen. Gemäß dieser Prioritätensetzung sind die Konzepte von Macht und nationalen Interessen auch zentrale Analysekonzepte der intergouvernementalistischen Ansätze. Auch in seiner Weiterentwicklung des Intergouvernementalismus hielt Moravcsik an der Vorstellung fest, Machterweiterung bzw. -erhalt und die Durchsetzung nationaler Interessen seien die grundlegenden Motive für Integrationsprozesse. Allerdings nahm er Veränderungen in der Konzeptualisierung nationaler Interessen vor, indem er sie in den Rang einer abhängigen Variablen erhob. Damit brach Moravcsik mit der Vorstellung, die nationalen Interessen eines Staates seien fix gegeben und stabil. Nach seinen Überlegungen sind 207
Zu den Unterschieden zwischen einer Theorie und einem theoretischen Ansatz siehe Kapitel 5.
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6 Die Theorieansätze im Einzelnen
Staatspräferenzen das Resultat eines pluralistischen Wettbewerbs zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen um politische Macht auf der nationalstaatlichen Ebene. Die Analyse der Entstehung nationaler Interessen unter Berücksichtigung des Einflusses gesellschaftlicher Akteure auf der nationalstaatlichen Ebene ist für Moravcsik eine grundlegende Voraussetzung für die Untersuchung von Integrationsprozessen und eine der wichtigsten Innovationen seines theoretischen Ansatzes. Ganz allgemein sei die Analyse inländischer Politik eine Voraussetzung, keine Erweiterung einer systematischen Analyse internationaler Beziehungen, da die Nationalstaaten auf internationaler Ebene auf der Grundlage von Interessen und Zielsetzungen handeln, die im Inland gebildet werden (vgl. Moravcsik 1993a: 481; Moravcsik 1991: 55). Der Staat wird nicht länger als unitärer Akteur gesehen. Die ‚Blackbox’ in der zuvor die nationalstaatlichen Interessen gebildet wurden, wird erstmals aufgebrochen und ihr Inhalt genauer untersucht. Aber nicht nur zur Bildung der nationalen Interessen, sondern auch zu deren konkreten Inhalt macht Moravcsik Angaben. Demnach seien es vornehmlich wirtschaftliche Interessen, die ihren Ursprung in der bestehenden ökonomischen Interdependenz der Staaten haben, die die nationalen Präferenzen bestimmen. Geopolitische oder ideologische Anliegen hätten nur dann einen Einfluss auf die Ausgestaltung des nationalen Interesses, wenn sich die wirtschaftlichen Interessen diffus und/oder schwach gestalten oder sich die nationalstaatlichen Akteure ihre Interessen in einem Umfeld der Unsicherheit vertreten müssten (vgl. Moravcsik 1993a: 480; Moravcsik 1995: 612; Moravcsik/Nicolaïdis 1999: 61). Zusammenfassend teilen die beiden untersuchten intergouvernementalen Ansätze also die Vorstellung, dass der Integrationsprozess im Dienst der Nationalstaaten steht und sie bei der Wahrung ihrer Macht sowie bei der Durchsetzung ihrer nationalen Interessen unterstützt. Während sich im klassischen Intergouvernementalismus nach Hoffmann die nationalen Interessen der Staaten aus ihrer relativen Machtposition im internationalen System ergeben, rückt Moravcsik in seiner liberalen Variante des Intergouvernementalismus die nationalstaatliche Ebene ins Blickfeld der Analyse. Demnach entstehe das nationale Interesse als Ergebnis eines pluralistischen Aushandlungsprozesses verschiedener gesellschaftlicher Gruppen um politische Macht auf der nationalstaatlichen Ebene und ist in besonderer Weise von ökonomischen Interessen beeinflusst.
6.2 Der Intergouvernementalismus
171
6.2.4 Förderliche Bedingungen für Integration Laut Hoffmann sind die Aussichten für die Bildung einer politischen Gemeinschaft dann besonders gut, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind (vgl. Hoffmann 1963: 528-529; 1966: 904-908): Die beteiligten Staaten sollten eine pluralistische Gesellschaftsstruktur aufweisen, und die verschiedenen ideologischen Ausrichtungen ihrer jeweiligen Eliten sollten eine Entsprechung in anderen beteiligten Ländern finden.208 Außerdem bestehe die Notwendigkeit, dass die politischen Führer und Eliten der involvierten Staaten den Integrationsprozess befürworten und aktiv unterstützen. Schließlich handele es sich bei Integrationsmaßnahmen nach intergouvernementalistischer Sichtweise nicht um zufällig bzw. unbewusst auftretende Ereignisse, sondern ihre Initiierung setze eine bewusste Entscheidung der politischen Führer voraus.209 Des Weiteren betont Hoffmann die Bedeutung subjektiver Faktoren: Das Gefühl, dass sich die am Integrationsprozess beteiligten Staaten in einer ähnlichen nationalen Lage befinden oder anderweitige Gemeinsamkeiten wie zum Beispiel geteilte Erfahrungen oder Probleme besitzen, habe positive Auswirkungen auf den Integrationsverlauf. Entscheidend sei dabei nicht, ob sich die Nationalstaaten tatsächlich und objektiv in einer ähnlichen Lage befänden, sondern allein die subjektive Wahrnehmung von Gemeinsamkeit (vgl. Keohane/Hoffmann 1991: 24). In Europa war diese Bedingung beispielsweise durch die gemeinsame Kriegserfahrung gegeben. Sie einte die Staaten in dem Bestreben, die Wiederholung solch kriegerischer Auseinandersetzungen unbedingt zu verhindern. Als weiteren Einflussfaktor auf die Erfolgsaussichten eines Integrationsprozesses hebt Hoffmann die individuelle Vergangenheit der beteiligten Staaten hervor. Seiner Ansicht nach gestaltet sich die Integration leichter, wenn die beteiligten Staaten in Bezug auf ihre Vergangenheit lediglich „leichtes Gepäck“ (Hoffmann 1966: 906, Übersetzung der Verfasserin) zu tragen haben. Blicken die involvierten Staaten schon auf langjährige Erfahrungen als autonome Einzelstaaten im internationalen System zurück, bestehen erschwerte Bedingungen für einen erfolgreichen Integrationsprozess. Der Einfluss der Vergangenheit zeigt sich für Hoffmann besonders eindringlich am europäischen Beispiel: Im Verbund teilen die involvierten Staaten zwar gemeinsame Kriegserfahrungen, als 208
209
Hier handelt es sich um einen der äußerst seltenen Fälle, in denen Hoffmann mit den Annahmen der Neo-Funktionalisten übereinstimmt (vgl. Kapitel 6.1.4). Im Umkehrschluss bedeutet dies auch, dass der Integrationsprozess vollkommen von den politischen Eliten abhängig ist und es demnach auch in ihrem Ermessen liegt, den Integrationsprozess zu stoppen bzw. rückgängig zu machen (vgl. Hoffmann 1963: 529).
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6 Die Theorieansätze im Einzelnen
Einzelstaaten haben sie diese Kriege aber in unterschiedlichen Rollen erlebt und somit aus verschiedenen Blickwinkeln wahrgenommen. Dies hat zur Folge, dass die Staaten auf unterschiedliche Weise mit ihrer Vergangenheit umgehen und ungleiche Methoden der Vergangenheitsbewältigung anwenden – Bedingungen, die eine regionale Integration der Staaten erschweren (vgl. Hoffmann 1964a: 1272). Die Vergangenheit der beteiligten Staaten hat laut Hoffmann also Einfluss auf die Zukunftsaussichten eines Integrationsprojektes: Die involvierten Staaten müssen ihre jeweiligen historischen Erfahrungen hinter sich lassen und den starken Willen für einen gemeinsamen Neuanfang besitzen. Dies setzt allerdings eine effektive Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und ihre anschließende Bewältigung voraus (vgl. Hoffmann 1979: 4-5). Eine letzte Voraussetzung ist zwar nicht zwingend für die Initiierung eines Integrationsprojektes, gewinnt aber in dessen Verlauf immer mehr an Bedeutung: die Bestimmung einer Richtung und eines Ziels der Integration durch die beteiligten Akteure. Diese Entscheidung ist, so Hoffmann, nicht länger aufzuschieben, wenn die Integration nicht mehr nur Bereiche der Wohlfahrtspolitik und vornehmlich wirtschaftliche Fragestellungen betrifft, sondern in den politischen Bereich übergreift (vgl. Hoffmann 1964a: 1271-1274; 1966: 886).210 Im Gegensatz zu Hoffmann setzt sich Moravcsik nicht dezidiert mit den Bedingungen für eine erfolgreiche Integration auseinander. Gemäß seinem Modell ergreifen die Nationalstaaten dann die Initiative, wenn sie die Chance sehen, in internationalen Verhandlungsprozessen ihr rationales Streben nach Macht und Verwirklichung staatlicher Interessen erfolgreich umzusetzen. Eine internationale Kooperation wird allerdings nur dann ermöglicht, wenn ein gewisses Maß an Übereinstimmung zwischen den nationalen Interessenlagen der beteiligten Staaten besteht, die wiederum stark von ökonomischen Interdependenzen bestimmt sind (vgl. Moravcsik 1993a: 480-487) Bezüglich der Bedingungen erfolgreicher Integration besitzt der klassische Intergouvernementalismus Hoffmanns also konkretere Annahmen als die liberale Variante Moravcsiks und soll daher auch für diesen Analysepunkt im Mittelpunkt stehen. Mit den Vertretern des NF teilt Hoffmann die Annahme, dass pluralistische Gesellschaftsstrukturen und ideologische Homogenität der Eliten die Erfolgaussichten der Integration erhöhen. Darüber hinaus betont er in besonderer Weise die subjektiven Wahrnehmungen der Nationalstaaten (z.B. bezüglich ihrer 210
Das Fehlen einer solchen konkreten Zielvorstellung ist für Hoffmann auch ein zentraler Hemmfaktor der europäischen Integration der 60er Jahre (vgl. Hoffmann 1964a: 1271). Doch die besondere Relevanz dieses Punktes bleibt seiner Meinung nach nicht nur den europäischen Politikern verborgen, sondern auch den Vertretern des NF, da sie die entscheidende Frage nach dem Ziel der Integration umgehen und sich ausschließlich auf den Prozess der Integration konzentrieren. Sie halten an ihrer Vorstellung des Integrationsprozesses fest, getreu dem Motto „It does not matter where we go as long as we go somewhere together.“ (Hoffmann 1964a: 1274)
6.2 Der Intergouvernementalismus
173
Gemeinsamkeiten und ihrer Vergangenheit) sowie konkrete Zielvereinbarungen und dezidierte Unterstützung der Integration durch die politischen Eliten als entscheidende Einflüsse auf die Erfolgsaussichten eines Integrationsprojektes. 6.2.5 Verlauf der Integration Seine Sichtweise des Integrationsverlaufs formuliert Hoffmann in Abgrenzung zu neo-funktionalistischen Annahmen. Seiner Meinung nach entspricht die Vorstellung, der Integrationsprozess gehorche allein der expansiven Logik der Sektorintegration, nicht der Realität. Nur in sehr eingeschränkten Politikbereichen nachrangiger Bedeutung seien die Nationalstaaten bereit, den spill-overMechanismus walten zu lassen. Zu diesen Bereichen der ‚low politics’, wie Hoffmann sie nennt, gehören insbesondere wohlfahrtsbezogene und wirtschaftliche Themenfelder, die die staatliche Souveränität nicht direkt betreffen und die sich aufgrund ihres technischen Charakters vergleichsweise unkontrovers gestalten. Bereiche der so genannten ‚high politics’ wie die Außen- und Sicherheitspolitik seien jedoch gegen die funktionale Logik des spill-over immun und damit auch vom Integrationsprozess ausgeschlossen, so Hoffmann. Denn diese Politikbereiche beträfen in direktem Maße die staatliche Autorität sowie Souveränität und wiesen ein hohes Konfliktpotenzial auf. Zudem stehe hier die nationalstaatliche Macht zur Disposition, was dazu führe, dass die Staaten jeglicher Art von Souveränitätsverzicht oder -übertragung abgeneigt seien. Gemäß der „logic of diversity“ setze sich der Bereich der ‚Großpolitik’ aus separaten Themenfeldern zusammen. In denen besäßen die Staaten unterschiedliche Nationalinteressen, die von ihrem jeweiligen historischen, geografischen sowie innenpolitischen Hintergrund geprägt würden. Da die Verfolgung dieser Interessen für sie von großer Relevanz ist, seien die Nationalstaaten hier nicht bereit, die Beteiligung bzw. Einflussnahme anderer Staaten zu akzeptieren und verließen sich allein auf ihre einzelstaatliche Durchsetzungskraft. Darüber hinaus seien die Möglichkeiten für Kooperation und Integration schon durch die Unterschiede in den nationalen Interessenlagen stark eingeschränkt (vgl. Hoffmann 1965: 90). Schlussendlich sind die Staaten nach intergouvernementalistischer Sichtweise also nur in Politikbereichen von nachrangiger Relevanz zur Regionalintegration bereit. Bereiche hingegen, die von vitaler Bedeutung für die Staaten sind, bleiben außen vor (vgl. Hoffmann 1966: 881-882).211 211
In diesem Zusammenhang reflektiert Hoffmann aber auch die Schwierigkeiten einer strikten Trennung von high und low politics. So können beispielsweise Wohlfahrtsinteressen, die typi-
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6 Die Theorieansätze im Einzelnen
Damit präsentiert Hoffmann ein grundlegend anderes Bild vom Verlauf der Integration als die Vertreter des NF, und er versäumt es nicht, seine Kritikpunkte an deren Sichtweise detailliert darzulegen. Die Vorstellung des NF, wonach Wohlfahrtsinteressen gegenüber dem Streben nach Macht und Prestige überwiegen, der klassische Bereich der high politics also an Relevanz verloren habe, weist Hoffmann entschieden zurück (vgl. Hoffmann 1965: 92). Damit stellt er der Annahme, der spill-over-Prozess könne sich ausgehend vom wirtschaftlichen in den politischen Bereich fortpflanzen, die Annahme einer stark eingeschränkten Gültigkeit der expansiven Logik gegenüber.212 Über diese engen Grenzen hinaus sei das neo-funktionalistische Modell lediglich ein „act of faith“ (Hoffmann 1965: 94). Im Kreise der NF wirke die Idee der expansiven Logik der Sektorintegration wie eine Droge, die ihre Anhänger in den Glauben versetzt, eine europäische Einigung sei allein durch konkrete Verhandlungen schrittweise zu erreichen und brauche allein den Beistand unabhängiger, supranationaler Experten (vgl. Hoffmann 1964a: 1274).213 Versöhnlicher gegenüber neo-funktionalistischen Annahmen zeigte sich Hoffmann Anfang der 90er Jahre. Im Rahmen einer intergouvernementalistischen Analyse zu den institutionellen Veränderungen innerhalb der EG griff er gemeinsam mit Robert Keohane unter anderem auf den spill-over-Mechanismus zurück. Gemäß dem spill-over-Konzept komme es dann zu einer Ausweitung gemeinschaftlicher Aufgaben, so spezifizieren die beiden Autoren, wenn die Nationalstaaten ihre Interessen miteinander zum Ausgleich bringen und so ein gewisses Maß an Übereinstimmung zwischen ihren verschiedenen nationalstaatlichen Interessen erreichen (vgl. Keohane/Hoffmann 1991: 17-22). Doch auch Hoffmanns eigene Annahmen blieben nicht von Kritik verschont, denn ihre Gültigkeit wurde im Verlauf der europäischen Integration zunehmend fraglich. Die Entwicklungen in Europa zeigten, dass die statische Unterteilung in Bereichen von low und high politics die politische Realität nicht angemessen widerspiegelt. Zum einen haben sich auch Integrationsprozesse im wirtschaftlichen Bereich als sehr konfliktreich erwiesen, zum anderen ist die
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scherweise zum Bereich der low politics gehören, auch für machtpolitische Zielsetzungen der high politics instrumentalisiert werden (vgl. Hoffmann 1965: 92). Die expansive Logik der Sektorintegration funktioniert nach Ansicht Hoffmanns nur im Bereich der Wohlfahrtspolitik, da hier der gemeinsame Wille zur Wohlfahrtsmaximierung vorherrscht und über quantifizierbare und kalkulierbare Interessen verhandelt wird. Weiterhin sollte der Gegenstand der Integration die nationalen Ressourcen der involvierten Staaten nur zu einem geringen Anteil betreffen. Darüber hinaus müssen die beteiligten Akteure die gemeinsame Integration ernsthaft verfolgen und von ihrem Nutzen überzeugt sein. Diese Bedingung ist wiederum nur dann gegeben, wenn die involvierten Akteure konvergente Gewinnerwartungen besitzen und sie diese rational kalkulieren können (vgl. Hoffmann 1963: 530; 1964a: 1274-1275). Hoffmanns Kritik am NF gipfelt schließlich in dem Vorwurf, der NF sei ideologisch eingefärbt und beruhe allein auf einem Wunschdenken (vgl. Hoffmann 1964a: 1276-1277).
6.2 Der Intergouvernementalismus
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europäische Integration auch in Bereichen der high politics, wie z.B. der Außenpolitik, vorangeschritten (vgl. Faber 2005: 97; Rosamond 2000: 79). Basierend auf diesen – aus intergouvernementalistischer Sichtweise – unvorhergesehenen Entwicklungen überarbeitete Hoffmann seine Konzeption, indem er die statische Zuordnung von bestimmten Politikbereichen in low oder high politics aufhob. Stattdessen könne die Relevanz einzelner Politikbereiche für spezifische Nationalstaaten nun je nach Zeitpunkt und Situation variieren und Politikbereiche seien nicht mehr unabänderlich einem einzelnen Bereich zugehörig. Die Unterteilung in low bzw. high politics ersetzte Hoffmann durch die Differenzierung in Politikbereiche, deren Ziel die Maximierung des Allgemeinwohls ist und solche, die durch Reziprozität bestimmt werden bzw. deren Aushandlungsprozesse den Charakter eines Nullsummenspiels aufweisen (vgl. Hoffmann 1983: 29-30). Diese konzeptionellen Änderungen trugen der Tatsache Rechnung, dass die Nationalstaaten der 80er Jahre in einem stärker interdependenten Orbit agierten als noch vor zwanzig Jahren, was unter anderem zur Folge hat, dass die Staaten ihr Bewusstsein für souveräne Autonomie verändern (vgl. O’Neill 1996: 65). Mit dem klassischen Intergouvernementalismus teilt Moravcsik die Annahme, dass Integration nicht als fortlaufender Prozess schrittweise vonstatten geht, sondern eher in einzelnen Integrationsschüben voranschreitet. Spill-overProzesse besitzen in diesem Zusammenhang nur eine marginale Bedeutung, denn Entscheidungen für eine Ausweitung der Integration sind das Ergebnis zwischenstaatlicher Verhandlungen und somit bewusste Entscheidungen der beteiligten Staaten (vgl. Moravcsik 1991: 48; 1993a: 475-476). Gemäß dieser Prämisse erscheint es nur konsequent, dass Moravcsik in seinem LIG jene zwischenstaatlichen Verhandlungen, die seiner Meinung nach über den Verlauf der Integration entscheiden, in den Mittelpunkt der Analyse rückt. Ihn beschäftigt insbesondere die Frage, welche Faktoren den Verlauf und das Ergebnis zwischenstaatlicher Verhandlungen beeinflussen und die Nationalstaaten dazu bewegen, Souveränität abzutreten bzw. zusammenzulegen (vgl. Moravcsik 1999: 174). Auf der Grundlage dieser Fragestellung entwirft Moravcsik ein Untersuchungsdesign, das den Entscheidungs- und Verhandlungsprozess der Nationalstaaten in drei Ebenen unterteilt. Jede Ebene wird jeweils von einem Set unterschiedlicher Faktoren beeinflusst und mit Hilfe verschiedener theoretischer Ansätze analysiert. Auf einer ersten Ebene untersucht Moravcsik die nationale Politik der einzelnen Staaten mithilfe einer liberalen Theorie, um so Erkenntnisse über die Bildung nationaler Präferenzen zu gewinnen. Er geht davon aus, dass die politischen Eliten die nationalen Interessen und Ziele nicht autonom formulieren, sondern von gesellschaftlichen Akteuren beeinflusst werden. Letztere besitzen keine fixierten Präferenzen, sondern treten je nach spezifischer Situation für die
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6 Die Theorieansätze im Einzelnen
Verwirklichung unterschiedlicher Ziele ein. Wie stark sie ihren Einfluss geltend machen können, hängt von ihrer Einheit und Stärke ab. Laut liberaler Theorie kann das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft als Prinzipal-AgentBeziehung beschrieben werden, in dem der Staat als Agent die Anliegen des Prinzipals, in diesem Falle der Gesellschaft, vertritt. Nach dem Modell Moravcsiks können die gesellschaftlichen Akteure nur auf der nationalen Ebene ihre Interessen wirkungsvoll artikulieren und damit Einfluss ausüben. Ein eigenständiger Zugang zur regionalen Ebene bleibt ihnen verwehrt, da die Nationalstaaten hier als eine Art ‚Gatekeeper’ agieren und die gesellschaftlichen Akteure ausschließen (vgl. Moravcsik 1993a: 483-484). Auf einer zweiten Analyseebene untersucht Moravcsik die internationalen Verhandlungen aus der Sichtweise einer intergouvernementalen Theorie. Demnach ist der Verhandlungsspielraum der einzelnen Regierungen, wenn sie in die internationalen Verhandlungsrunden eintreten, bereits durch die auf nationaler Ebene gebildeten Interessen festgelegt. Die Regierungen können sich nur dann vom Druck der nationalen Gesellschaftsgruppen lösen, wenn die Auswirkungen einer Kooperationsentscheidung auf internationaler Ebene diffus sind und die gesellschaftlichen Gruppen ihre konkreten Kosten- und Nutzenverhältnisse nicht kalkulieren können. Unter diesen Umständen haben die Gesellschaftsgruppen nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten, sich zu positionieren und ihre jeweiligen Regierungen zu beeinflussen. Dementsprechend wächst in dieser Situation der autonome Entscheidungsspielraum der Regierungen ebenso wie ihre Möglichkeit, verstärkt ideologisch oder persönlich geprägte Einstellungen in die Verhandlungsposition einfließen zu lassen (vgl. Moravcsik 1993a: 488-696).214 Ob die nationalen Regierungen ihre Positionen in den internationalen Verhandlungen durchsetzen können bzw. welche Zugeständnisse sie machen müssen, hängt allein von ihrer relativen Machtposition ab.215 Laut Moravcsik tendieren die Staaten dazu, sich in ihrem Verhandlungsergebnis dem kleinsten gemeinsamen Nenner, der zwischen den verschiedenen nationalstaatlichen Interessen besteht, anzunähern. Als einziges Zwangsmittel, das einen Staat dazu bewegen kann, entgegen seinen Interessen ein Verhandlungsergebnis zu akzep-
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Die Annahme, dass die Nationalstaaten auch autonome Handlungsmöglichkeiten besitzen, steht laut Moravcsik nicht im Widerspruch zur Grundannahme einer pluralistischen Interessenbildung auf nationaler Ebene, da die Nationalstaaten nur unter bestimmten Bedingungen dem Einfluss der nationalen Gesellschaftsgruppen entgehen können (vgl. Moravcsik 1995: 614). Die relative Machtposition eines Staates in internationalen Verhandlungen wird durch drei Determinanten bestimmt. Erstens durch die unilateralen Handlungsalternativen die ein Staat besitzt, zweitens durch seine Chancen alternativer Koalitionen und drittens durch die Möglichkeiten, durch Kompromisse, Ausgleichszahlungen oder Verknüpfungen eine Einigung zu erzielen (vgl. Moravcsik 1993a: 498-507).
6.2 Der Intergouvernementalismus
177
tieren, ist die glaubhafte Androhung eines Ausschlusses (vgl. Moravcsik 1991: 25-26). Auf einer dritten Analyseebene setzt sich Moravcsik mit der Frage auseinander, unter welchen Umständen sich die Nationalstaaten in den zwischenstaatlichen Verhandlungen zu einer Zusammenlegung („pooling“) oder Delegierung („delegation“) nationalstaatlicher Souveränität entschließen.216 Unter Zuhilfenahme der funktionalen Regimetheorie liefert Moravcsik folgende Erklärungen: Die Europäische Gemeinschaft kann als internationales Regime betrachtet werden, das dazu beiträgt, die entstehenden Transaktionskosten bei der Identifizierung, Aushandlung und Einhaltung internationaler Abkommen unter Bedingungen der Unsicherheit zu reduzieren. Die nationalen Regierungen müssen in ihrer Entscheidungsfindung zwischen den Vor- und Nachteilen, die für sie mit einem Verzicht auf nationale Souveränität verbunden sind, abwägen. Hierbei gilt, dass je größer die potenziellen Gewinne, je größer die Unsicherheit über spezifische Entscheidungen in der Zukunft und je kleiner das politische Risiko217, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich Regierungen zur Zusammenlegung oder Delegation von Souveränität entschließen (vgl. Moravcsik 1993a: 514). In ihrer Entscheidungsfindung sind die Regierungen, so Moravcsik weiter, nur in sehr geringem Maße durch bereits bestehende europäische Institutionen eingeschränkt. Die Idee einer Pfadabhängigkeit in der Entwicklung lehnt er damit ab. Seiner Meinung nach ist die europäische Integration nicht auf unbeabsichtigte Konsequenzen oder Verknüpfungen zurückzuführen, sondern einzig und allein auf die bewussten und rationalen Entscheidungen der nationalen Regierungen (vgl. Moravcsik 1999: 175; Moravcsik/Nicolaïdis 1999: 79). In der kritischen Auseinandersetzung mit Moravcsik ist insbesondere die Aussagekraft seiner Erkenntnisse mit der Begründung angezweifelt worden, seine methodische Vorgehensweise sei nicht einwandfrei. So bezieht sich einer der vehementesten Kritikpunkte auf die Auswahl seiner Untersuchungsfälle, denn der LIG beschränkt sich ausschließlich auf die Analyse ‚großer’ zwischenstaatlicher Verhandlungen, die Meilensteine in der Geschichte der europäischen Integration darstellen, wie die Verhandlungen zur Einheitlichen Europäischen Akte. Damit werde, so die Kritik, die alltägliche Politik in der Europäischen Gemeinschaft vernachlässigt und der gesamte Prozess der Vor- und Nachberei216
217
Moravcsik versteht ‚Zusammenlegung von Souveränität’ als den Entschluss der nationalen Regierungen, über zukünftige Fragen mit Hilfe von Abstimmungsregeln zu entscheiden, die nicht auf Einstimmigkeit beruhen. Er spricht dann von einer ‚Delegation von Souveränität’, wenn supranationale Akteure zur autonomen Entscheidungsfindung befugt werden, ohne dass die Nationalstaaten Vetomöglichkeiten besitzen (vgl. Moravcsik 1998: 67). Unter politischem Risiko versteht Moravcsik hier die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten von nachteiligen Auswirkungen für die nationalen Regierungen und ihre jeweiligen gesellschaftlichen Interessengruppen auf nationaler Ebene (vgl. Moravcsik 1993: 511).
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6 Die Theorieansätze im Einzelnen
tung der großen Verhandlungen, die Rückkopplungen aus vorangegangenen politischen Entscheidungen ebenso wie die Implementierung der Verhandlungsergebnisse außen vor gelassen. Damit konzentriere sich der LIG nur auf einzelne isolierte Episoden oder Ausschnitte der Integrationsentwicklung und seine Aussagefähigkeit sei dementsprechend begrenzt (vgl. Mattli 1999: 11+29; Rosamond 2000: 146). Die ausschließliche Analyse zwischenstaatlicher Verhandlungen habe zudem zur Folge, dass der LIG auf verzerrten Untersuchungsbeispielen beruhe, die ein stark einseitiges Bild des Integrationsprozesses liefern, so eine weitere Kritik. Der intergouvernementalen Politik werde zu großes Gewicht zugesprochen, während beispielsweise administrative oder juristische Prozesse unberücksichtigt blieben und die Rolle der regionalen Institutionen im Allgemeinen vernachlässigt werde. Der Bandbreite an möglichen Integrationsverläufen könne der LIG mit diesem eingegrenzten Fokus nicht gerecht werden. Und die Erkenntnis, dass die Nationalstaaten als dominante Akteure den Integrationsprozess bestimmen, sei, so die Kritiker, bei der ausschließlichen Analyse von zwischenstaatlichen Verhandlungen auch nicht wirklich überraschend (vgl. Caporaso 1998: 348; Mattli 1999: 29). Moravcsik begegnet der Kritik mit dem Argument, der LIG liefere auch für die Analyse alltäglicher Politikprozesse ein sinnvolles Analyseinstrument und rechtfertigt sein Vorgehen mit folgender Erklärung: „The restriction of LI applications to ’grand bargains’ is a theoretically justified first step, since such bargains are less constrained by powers previously delegated to supranational actors or complex domestic policy processes.” (Moravcsik 1995: 613, Fußnote 5).
Überzeugen kann diese Argumentation allerdings nicht, denn sie ermöglicht kein Urteil darüber, ob es sich hier um eine gerechtfertigte Auswahl zur Reduzierung von Komplexität handelt oder ob diese Auswahl nicht doch ein verzerrtes Bild des europäischen Integrationsprozesses liefert. Außerdem kann auch die Annahme des LIG kritisiert werden, die nationalen Regierungen könnten den Einfluss nationaler (gesellschaftlicher) Interessengruppen auf der regionalen Ebene begrenzen. Die Annahme, dass die nationalen Regierungen gewissermaßen ein Monopol innehaben und nur sie allein einen effektiven Zugang zur regionalen Ebene besitzen kann, im Lichte der praktischen europäischen Politik in Frage gestellt werden. Zusammenfassend sehen die beiden vorgestellten intergouvernementalen Ansätze den Nationalstaat als Kontrollinstanz des Integrationsprozesses, der als rational handelnder Akteur bewusste Entscheidungen über den Fortgang der Integration trifft. Die Unterschiede in den vitalen Interessen der verschiedenen Staaten sowie ihre rationale Bemühung, die eigene Souveränität zu bewahren,
6.2 Der Intergouvernementalismus
179
haben zur Folge, dass bestimmte Politikbereiche für Integrationsmaßnahmen weniger zugänglich sind als andere. Der Einfluss der expansiven Logik der Sektorintegration ist nach intergouvernementalistischer Sichtweise äußerst begrenzt. 6.2.6 Akteure der Integration Aus intergouvernementalistischer Sichtweise sind die Nationalstaaten die wichtigsten Akteure im internationalen System und dominieren somit auch den Integrationsprozess. Trotz zunehmender Vergemeinschaftung entspricht allein der Nationalstaat dem natürlichen und zeitlosen Bedürfnis des Menschen nach Zugehörigkeit und Identität zu einer politisch abgegrenzten Einheit (vgl. O’Neill 1996: 60). Die Mitwirkung transnational agierender Interessengruppen und Parteien am Integrationsprozess sieht Hoffmann durchaus als gegeben an. Er betont aber auch, dass diese Gruppen nur agieren können, weil die Nationalstaaten die dafür notwendigen Bedingungen und Institutionen geschaffen haben (vgl. Hoffmann 1965: 90). Eine Mitwirkung und Beeinflussung des Integrationsprozesses durch transnationale Akteure ist also nur in einem von den Nationalstaaten abgesteckten Rahmen möglich. Die Nationalstaaten bestimmen aus intergouvernementaler Sicht also die Regeln sowie die Mitspieler der Integration. Können die divergierenden Interessen der verschiedenen Nationalstaaten partiell überwunden werden, so ist dies nach Hoffmann auch den jeweiligen Staatsmännern und -frauen zu verdanken. Setzen diese ihre Führungsqualitäten ein, können sie durchaus die Aushandlung von Kompromisslösungen und damit ein Fortschreiten des Integrationsprozesses bewirken. In der europäischen Geschichte wurde diese Funktion von Persönlichkeiten wie Schuman, Adenauer oder Gasperi ausgeübt, später auch von Mitterand, Kohl, Thatcher und Delors (vgl. Hoffmann 1963: 529; Hoffmann 1989: 31-32) Moravcsik bezieht im Rahmen des LIG ebenso wie Hoffmann in der ‚Akteursfrage’ eine klare Position zugunsten der Nationalstaaten als wichtigste Akteure im internationalen System (vgl. Moravcsik 1991: 27). Er begreift den einzelnen Nationalstaat als rational handelnden, eigennützigen Akteur, der im Rahmen von internationalen Verhandlungen trotz pluralistischer Strömungen im Inneren eine einheitliche Position nach Außen vertritt und solche Übereinkünfte anstrebt, die seine nationalen Interessen möglichst effizient befriedigen (vgl. Moravcsik 1998: 22; Moravcsik/Nicolaïdis 1999: 61). Zu Beginn der 90er Jahre, also in jener Zeit, in der Moravcsik erste konzeptionelle Bestandteile des LIG entwickelte, beherrschte die Frage, ob die supranationalen (europäischen) Institutionen oder die Regierungen der Mitgliedsstaaten
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6 Die Theorieansätze im Einzelnen
den europäischen Integrationsprozess dominieren, die politikwissenschaftliche Europaforschung (vgl. Faber 2005: 127). Moravcsiks Positionierung in dieser Frage fällt eindeutig zugunsten der Nationalstaaten aus. Doch um diese Position zu untermauern, kommt er nicht umhin, im Gegenzug die nachrangige Rolle supranationaler Akteure und Institutionen nachzuweisen. Dies hatte zur Folge, dass sich Moravcsik – anders als Hoffmann – eingehender mit supranationalen Akteuren und Institutionen auseinandersetzte. Moravcsik begriff den Staat nicht länger als unitären Akteur, sondern versuchte, die ‚Blackbox’ Staat aufzubrechen und den Entstehungsprozess nationaler Interessen bzw. Positionen genauer zu analysieren. Dem Staat fiel dabei die Aufgabe zu, die verschiedenen bestehenden Interessen auf der nationalstaatlichen Ebene zu aggregieren und in einem nationalem Interesse zu bündeln (vgl. Kapitel 6.2.5). Supranationale Institutionen mit ihren dazugehörigen Akteuren sichern und unterstützen, laut Moravcsik, den Integrationsprozess gemäß den Annahmen der Regimetheorie, da sie Transaktionskosten reduzieren und die Effizienz internationaler Verhandlungen erhöhen. Sie besitzen damit eine vorwiegend passive Rolle, die ihnen von den nationalen Regierungen zugedacht wird (vgl. Caporaso 1998: 348-349; Gilpin 2001: 354, Moravcsik 1993a: 507). Die supranationalen Institutionen stellen in keiner Weise eine Bedrohung für die Nationalstaaten dar. Ganz im Gegenteil, ergänzend zur effizienzsteigernden Wirkung, die ihnen schon im Rahmen der Regimetheorie zugesprochen wird, erweisen sie sich in weiterer Hinsicht als Unterstützung für die Nationalstaaten. Zum einen spielen die supranationalen Institutionen eine wichtige Rolle für die Zementierung und Absicherung bereits erreichter Verhandlungsergebnisse. Sie schreiben den ‚Status quo’ fest, auf dessen Grundlage weiterführende Integrationsschritte ermöglicht werden (vgl. Moravcsik 1991: 56). Zum anderen können die supranationalen Institutionen den Nationalstaaten zu verstärkter Autonomie und verbesserter Durchsetzungskraft auf nationaler Ebene verhelfen. Denn erstens verschaffen die supranationalen europäischen Institutionen den Initiativen der Mitgliedsländer zusätzliche Legitimität. Zweitens wird der Politikprozess durch die Verlagerung auf die europäische Ebene von der nationalen Ebene abgeschirmt und entzieht sich somit auch in stärkerem Maße nationalen Widerständen (vgl. Moravcsik 1993a: 514-516). Doch über diese unterstützenden Funktionen hinaus haben die supranationalen Institutionen und ihre entsprechenden Akteure laut Moravcsik keinen eigenständigen Einfluss auf den Integrationsverlauf (vgl. Moravcsik 1991: 47). Belege für diese Sichtweise fand Moravcsik in seinen Analysen zur Entstehung des Amsterdamer Vertrages und der Einheitlichen Europäischen Akte (vgl. Moravcsik 1991; Moravcsik/Nicolaïdis 1999). Oftmals wird das Argument der ‚asymmetrischen Informationen’ angeführt, um eine besondere Rolle suprana-
6.2 Der Intergouvernementalismus
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tionaler Institutionen und Akteure zu begründen. Demzufolge sind die supranationalen Akteure in einer überlegenen Situation, da sie über wichtige Informationen verfügen, die den Regierungsvertretern nicht zugänglich sind. Dadurch werden Erstere zu unabkömmlichen und einflussreichen Partnern in den internationalen Verhandlungen. Eine solche herausragende Position der supranationalen Institutionen können Moravcsik und Nicolaïdis bei den Verhandlungen zum Amsterdamer Vertrag allerdings nicht erkennen (vgl. Moravcsik/Nicolaïdis 1999: 69). Ebenso wenig liefert die Untersuchung des Entstehungsprozesses der Einheitlichen Europäischen Akte Hinweise auf einen entscheidenden Einfluss supranationaler Institutionen wie der Europäischen Kommission (vgl. Moravcsik 1991: 47). Auch wenn die supranationalen Institutionen und ihre Vertreter an einigen Verhandlungsprozessen beteiligt waren, so besteht für Moravcsik ein grundlegender Unterschied zwischen Beteiligung und Einflussnahme. Erst wenn der Entscheidungsfindungsprozess der Nationalstaaten durch die supranationalen Akteure einen Ausgang nimmt, der ohne ihren Einfluss nicht möglich gewesen wäre, kann von einem entscheidenden Einfluss ihrerseits gesprochen werden (vgl. Moravcsik 1991: 46; Moravcsik/Nicolaïdis 1999: 69). In ihrer Konzeption zu den wichtigsten Akteuren des Integrationsprozesses weisen der klassische Intergouvernementalismus Hoffmanns und der LIG nach Moravcsik also grundlegende Gemeinsamkeiten auf. Die Nationalstaaten dominieren und steuern den Integrationsprozess. Die supranationalen Institutionen können ihren Einfluss nur dann geltend machen, wenn dies von den Regierungsvertretern der Nationalstaaten gewünscht und zugelassen wird. 6.2.7 Anwendung in anderen regionalen Kontexten Mit Fragen der Übertragbarkeit seiner theoretischen Annahmen auf andere, außereuropäische Kontexte beschäftigt sich Hoffmann nicht eingehend. Er hebt lediglich hervor, dass die von ihm genannten Bedingungen für eine erfolgreiche politische Integration (vgl. Kapitel 6.2.4) allgemeine Gültigkeit besitzen (vgl. Hoffmann 1966: 904). Darüber hinaus distanziert sich Hoffmann von dem Bestreben, aus dem Verlauf der europäischen Integration allgemeine Gesetzmäßigkeiten zu formulieren. Der konkrete Verlauf eines Integrationsprojektes würde von den nationalen Regierungen und ihren jeweiligen Reaktionen auf innenund außenpolitische Entwicklungen bestimmt (vgl. Bieling 2006: 105). Ohne dass Moravcsik einen besonderen Schwerpunkt auf die Gültigkeit des LIG im außereuropäischen Raum legt, beinhalten seine Ausführungen einige interessante Aspekte zu diesem Thema. Denn Moravcsik postuliert, dass die Annahmen des LIG durchaus verallgemeinert werden können, da sich der LIG
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6 Die Theorieansätze im Einzelnen
aus Elementen allgemeiner politikwissenschaftlicher Theorien, wie beispielsweise der Regimetheorie, zusammensetze. Diese allgemeinen Theorien stellen laut Moravcsik sicher, dass der LIG auch in anderen Teilen der Welt Erklärungs- und Analysekraft besitzt und dadurch einen Vergleich der EG mit anderen Institutionen ermöglicht (vgl. Moravcsik 1993a: 477-478+519). Dieser Anspruch entspricht dem allgemeinen Ziel Moravcsiks, eine Theorie zu entwickeln, mit deren Hilfe verallgemeinerbare Rückschlüsse aus den europäischen Erfahrungen gezogen werden können. Für eine spezifisch ‚europäische’ Theorie besteht seiner Meinung nach keine Notwendigkeit (vgl. Moravcsik 1998: 2). In Bezug auf die allgemeine Aussagefähigkeit sei der LIG dem NF klar überlegen, so Moravcsik weiter. Denn aus seiner Sicht fehlt dem NF eine Grundlage aus allgemeinen politikwissenschaftlichen Theorieelementen, die auch in anderen Regionen und für andere Institutionen anwendbar wären (vgl. Moravcsik 1993a: 477). Sowohl Hoffmann als auch Moravcsik gehen davon aus, dass ihre Theorieansätze allgemeine Relevanz besitzen und in ihrer Erklärungskraft nicht ausschließlich auf den europäischen Kontext beschränkt sind. Ob diese Annahmen einer konkreten Überprüfung für den afrikanischen Kontext standhalten, wird die spätere Analyse zeigen. 6.3 Der New Regionalism Approach Als dritter Theorieansatz dieser Arbeit unterscheidet sich der NRA in mehrfacher Hinsicht von den bereits diskutierten Ansätzen. Es handelt sich nicht nur um einen sehr jungen Ansatz, sondern auch um einen theoretischen Entwurf, der sich klar von den Prämissen der beiden ‚klassischen’ theoretischen Integrationsmodelle abgrenzt. 6.3.1 Überblick zu den Theorieansätzen des Neuen Regionalismus Der NRA gehört zu jenen Theorieansätzen des ‚Neuen Regionalismus’, die seit Mitte der 90er Jahre den Anspruch erheben, für die Analyse des aktuellen Regionalismus besser geeignet zu sein als die klassischen Ansätze. Letztere bieten nach Ansicht der Vertreter des Neuen Regionalismus Anlass zur Kritik, weil sie als ‚problemlösende Ansätze’ eine positivistische Logik besitzen, von der sich die Anhänger der neueren Theorieansätze eindeutig distanzieren (vgl. Söderbaum/Taylor 2004: 2-3). Darüber hinaus wurden die klassischen Theorieansätze des Regionalismus für den europäischen Kontext entwickelt. Ihnen liegen damit Annahmen und Konzeptualisierungen zugrunde, die sich auf den spezifischen
6.3 Der New Regionalism Approach
183
europäischen Fall beziehen und nicht ungeprüft auf andere Weltregionen übertragen werden können. Doch genau dies ist nach Auffassung der Vertreter des Neuen Regionalismus häufig geschehen. Die EG sei einem normativen Verständnis folgend unberechtigterweise zum Vorzeigemodell erhoben und als Maßstab für die Bewertung anderer Regionalisierungsprojekte herangezogen worden (vgl. Söderbaum/Shaw 2001: 212; Söderbaum/Taylor 2004: 2-3). Die Aussagekraft der klassischen Ansätze sei, so die Anhänger des Neuen Regionalismus weiter, außerhalb Europas zudem stark beschränkt, da sie die jeweils herrschenden historischen Kontexte oder die spezifischen Stellung einer Region oder eines Staates im globalen politischen Machtgefüge nicht angemessen berücksichtigen würden (vgl. Söderbaum 2005a: 223). Darüber hinaus analysieren die klassischen Ansätze, aus der Sicht der Vertreter des New Regionalism, hauptsächlich die Rolle von Staaten als aggregierte und einheitliche Akteure bzw. konzentrieren sich auf zwischenstaatliche Regionalorganisationen (vgl. Söderbaum 2005a: 231). Für die Prozesse und Akteure des Regionalismus, die außerhalb dieses verengten Blickwinkels stattfinden und agieren, seien die Mainstream-Ansätze ‚blind’. Den identifizierten Mängeln der klassischen Theorien stellen die Vertreter des neuen Regionalismus ihre eigenen Ansätze gegenüber. Diese zeichnen sich nach Aussage ihrer Anhänger unter anderem dadurch aus, dass sie die Entstehung der derzeitigen sozialen Ordnung ins Visier nehmen und Möglichkeiten strukturellen und sozialen Wandels analysieren. Sie weisen zudem in theoretischer und konzeptioneller Hinsicht stärkere Nuancen auf als die problemlösenden Theorieansätze. Beispielsweise stellen sie die Vorstellung von Staaten als wichtigste Akteure im internationalen System in Frage und berücksichtigen neben den formalen Prozessen auch die Regionalisierung auf informeller Ebene. Laut Söderbaum besitzen die kritischen Theorien mit diesen Eigenschaften eine weitaus bessere Grundlage für die Entwicklung eines stärker global ausgerichteten Ansatzes zur Untersuchung des weltweiten Regionalismus als die klassischen Theorien (vgl. Söderbaum 2005a: 221-222; 232). Die verschiedenen Ansätze des Neuen Regionalismus unterscheiden sich allerdings auch in ihren spezifischen Akzentsetzungen und sollen daher im Folgenden kurz vorgestellt werden. Insgesamt lassen sich innerhalb des New Regionalism drei verschiedene Ansätze unterscheiden: der World Order Approach (WOA), der New Regionalisms/New Realist Approach und der NRA (vgl. Söderbaum 2005a: 232-239).
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6 Die Theorieansätze im Einzelnen
Der WOA steht in besonders enger Beziehung zur kritischen Internationalen Politischen Ökonomie (IPÖ) in der Tradition von Robert Cox218 und wurde von einer Forschergruppe um das Political Economy Research Centre an der University of Sheffield (Großbritannien, (GB)) entwickelt.219 Im Zentrum der Analyse steht das Verhältnis zwischen Globalisierung und Regionalismus sowie die Entstehung von ‚world order’. Prozesse des Regionalismus sind für die Vertreter des WOA eine logische Folge der Globalisierung und werden von einzelnen Staaten oder Regionen aktiv genutzt, um sich in die globalisierte Weltordnung einzufügen bzw. ihre Macht in der globalen politischen Ökonomie zu manifestieren. Das größte Interesse an einer Fortführung bzw. Ausweitung von Regionalismus haben die politischen Eliten der einzelnen Staaten, da ihnen Regionalismus die Möglichkeit bietet, inländische Widerstände zu unterdrücken und die bestehende hegemoniale Ordnung, und damit auch ihre eigene Machtposition, zu stärken. Grundsätzlich besitzt der WOA also eine eher kritische Haltung gegenüber Regionalismus, so lange dieser zur Sicherung der bestehenden hegemonialen Ordnung beiträgt und somit die existierenden Ungleichheiten innerhalb und zwischen den Regionen eher verstärkt als beseitigt. Dabei besitzen staatlich gelenkte Regionalprojekte durchaus das Potenzial, einen Beitrag zur Reduzierung von Ungerechtigkeit und ungleicher Entwicklung zu leisten. Doch so lange diese Probleme nicht konkret angegangen werden und der Regionalismus allein den Regeln des neoliberalen Wirtschaftens gehorcht, trägt der Regionalismus laut WOA eher zur Verschärfung der existierenden globalen Ungleichheiten bei (vgl. Söderbaum 2002: 26-27; 2005: 232-233). Der New Regionalisms/New Realist Approach (NR) als zweiter Ansatz des Neuen Regionalismus besitzt den Anspruch, mit Hilfe einer kontextbezogenen und akteursorientierten Analyse Einsicht in die komplexen Prozesse von Regionenbildung und Regionalisierung in Entwicklungsländern zu vermitteln (vgl. Söderbaum 2005a: 236). Vertreter des NR widersprechen der Vorstellung, bei regionaler Integration handele es sich notwendigerweise um einen staatlich gelenkten Prozess.220 Stattdessen betonen sie die Multidimensionalität des Regionalismus, nicht nur in Bezug auf seine Inhalte, sondern auch bezüglich seiner 218
219
220
Als exemplarische Auswahl für das Werk des Robert Cox seien an dieser Stelle die Arbeiten von 1981 und 1995 genannt (vgl. Cox 1981; 1995). Nähere Erläuterungen, unter anderem zur kritischen IPÖ, finden sich in Kapitel 6.3.2. Auch wenn folgende Autoren nicht ausschließlich als Vertreter des WOA im engeren Sinne bezeichnet werden können, so finden sich Anleihen an den WOA bei Gamble/Payne (vgl. 2003) und Kearns/Hook (vgl. 1999). Als prominenteste Vertreter des NR gelten Morten BøǗs, Marianne H. Marchand und Timothy M. Shaw. Die Grundlage für die Entwicklung des Ansatzes legten Artikel dieser und weiterer Autoren in einer Sonderausgabe der Zeitschrift Third World Quarterly aus dem Jahr 1999 (Jg. 20, Nr. 5).
6.3 Der New Regionalism Approach
185
Akteure. Eine alleinige Fokussierung auf staatliche Akteure und Prozesse des Regionalismus ist ihrer Meinung nach nicht angemessen, da mit einer solchen Forschungsperspektive regionale Integrationsprozesse im informellen Sektor, die insbesondere in den Entwicklungsländern von großer Bedeutung sind, nicht erfasst werden.221 Die wichtigsten Akteure der Regionalisierung sind nach Ansicht des NR die nicht-staatlichen Akteure und hier insbesondere diejenigen, die im informellen Sektor agieren. Dementsprechend richtet der NR seine Analyse besonders gezielt auf die Akteure und Prozesse der Regionalisierung auf informeller Ebene aus (vgl. BøǗs/Marchand/Shaw 2003: 204; Söderbaum 2005a: 236237). Die Namensgebung des Theorieansatzes lenkt den Blick weiterhin auf ein multidimensionales Verständnis von Regionalisierung und Region.222 Die Anhänger des NR heben hervor, dass Regionalisierung nicht aus einem einzelnen Prozess, sondern aus einer Vielzahl komplexer, überlappender, teilweise auch kontradiktorischer Prozesse besteht, die gleichzeitig ablaufen. Diesem Umstand trägt der Ansatz durch die Bezeichnung als New Regionalisms Approach Rechnung (vgl. BøǗs/Marchand/Shaw 2003: 204, Lee 2003: 35). Pluralität betonen die Vertreter des NR auch in Bezug auf die Konzeption der ‚Region’. Demnach ist eine Region nicht durch geografische Grenzen statisch fixiert, sondern entsteht erst durch soziale Praxis. Sie ist ein soziales Konstrukt, das ständigen Veränderungen unterworfen ist. Innerhalb eines geografischen Raumes können mehrere Regionen gleichzeitig existieren, seien sie nun geografisch oder auch nur im Bewusstsein der Menschen manifestiert (vgl. BøǗs/Marchand/Shaw 2003: 204-205; 2005: 8). Eine rein politikwissenschaftliche Analyse kann nach Auffassung der NR-Vertreter die Komplexität und Multidimensionalität von Regionalisierungs-prozessen nicht mehr angemessen erfassen und muss daher mit Erkenntnissen benachbarter Disziplinen, wie z.B. der Geografie, angereichert werden (vgl. BøǗs/Marchand/Shaw 2005: 1-2). Ähnlich wie der WOA legt auch der NR besonderes Gewicht auf die Beziehungen zwischen Globalisierung und Regionalisierung und betont, dass beide Prozesse gleichzeitig auftreten, sich gegenseitig beeinflussen und ihre positiven 221
222
Die Vertreter des NR konzentrieren sich also stärker auf Regionalisierung statt auf Regionalismus. Zur Unterscheidung der beiden Begriffe siehe Kapitel 2.1. Der zweigeteilte Name des Theorieansatzes lässt darüber hinaus auch den Anspruch erkennen, einen ‚New Realist Approach’ zu entwickeln. Allerdings findet sich in den verschiedenen Werken der Vertreter des NR keine genaue Definition oder Erklärung dieses Anspruchs. So legt Söderbaum die Schlussfolgerung nahe, dass ‚realist’ weniger im Zusammenhang mit realistischen Theorien der IB, sondern vielmehr im Sinne von ‚realistisch’ zu verstehen sei. Diese Schlussfolgerung deckt sich mit dem Anspruch des NR/NRA, ein realistisches Bild des Regionalismus in den Ländern des Südens zu liefern (vgl. BøǗs/Marchand/Shaw1999: 1065; Söderbaum 2002: 30-31).
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6 Die Theorieansätze im Einzelnen
wie negativen Auswirkungen sich höchst ungleich zwischen den Regionen bzw. innerhalb der verschiedenen Länder verteilen (vgl. BøǗs/Marchand/Shaw 2003: 197-201; 2005: 3-4). Der dritte Ansatz im übergeordneten Bereich der kritischen Ansätze zum Neuen Regionalismus ist der New Regionalism Approach (NRA). Er entstand im Rahmen eines Forschungsprojektes an der Universität der Vereinten Nationen in Helsinki in den 90er Jahren223 und wurde durch Björn Hettne und Fredrik Söderbaum am Institut für Friedens- und Entwicklungsforschung der Universität Göteborg weiterentwickelt. Von den insgesamt drei Ansätzen des Neuen Regionalismus ist der NRA für die Analyse der vorliegenden Arbeit von besonderer Relevanz. Denn er beinhaltet grundlegende Merkmale des Neuen Regionalismus, wie beispielsweise die besondere Berücksichtigung nicht-staatlicher Akteure, ohne jedoch in eine einseitige Ausrichtung zu verfallen. Dies gelingt den beiden anderen Ansätzen nicht im gleichen Maße. Schließlich konzentriert sich der WOA hauptsächlich auf die Beziehungen zwischen Globalisierung und Regionalismus, während der NR seinen Fokus gezielt auf die informellen Prozesse und Akteure der Regionalisierung ausrichtet. Insofern kann der NRA als ‚gemäßigter’ Ansatz des Neuen Regionalismus bezeichnet werden, der aufgrund seiner Offenheit am ehesten in der Lage ist, Annahmen der klassischen Integrationstheorien mit Erkenntnissen des Neuen Regionalismus zu verbinden. Deshalb ist der NRA von besonderem Interesse und wird, stellvertretend für die Ansätze des Neuen Regionalismus, in der Untersuchung der vorliegenden Arbeit berücksichtigt. 6.3.2 Theorieverständnis des NRA Die theoretischen Wurzeln des NRA sind in der kritischen IPÖ (auch als ‚reflexive’ oder ‚neue’ IPÖ bezeichnet) verankert, die wiederum auf die Arbeiten von Robert W. Cox zurückgeht. Anlass zur Erarbeitung eines neuen Strangs der IPÖ224 war die Kritik an der positivistischen Logik und am eng ausgerichteten Untersuchungsprogramm der Mainstream-Ansätze der IPÖ (vgl. Payne 2000: 201; Söderbaum/Taylor 2004: 3). Eine ‚kritische’ Theorie zeichnet sich laut Cox 223
224
Genauer handelte es sich um ein Projekt mit dem Titel ‚The New Regionalism: Implications for Global Development and International Security’ am ‚World Institute for Development Economics Research’ an der United Nations University, Helsinki. Die IPÖ beschäftigt sich mit der Interaktion von Politik und Ökonomie im internationalen bzw. globalen Kontext. Da diese gesellschaftlich vermittelten Interaktionsmuster von zahlreichen verschiedenen Wirkungszusammenhängen und Mechanismen bestimmt sind, ergibt sich ein entsprechend komplexes Untersuchungsfeld für die IPÖ. Einen guten Überblick zu den aktuellen Forschungsfeldern im Bereich der IPÖ bietet Schirm 2007.
6.3 Der New Regionalism Approach
187
dadurch aus, dass sie sich mit der Entstehung existierender Ordnungen und der Erarbeitung von Strategien für gesellschaftlichen und sozialen Wandel auseinandersetzt. Sein oft zitiertes Credo, auf das sich auch die Vertreter des NRA beziehen, lautet: „Theory is always for someone and for some purpose. All theories have a perspective. Perspectives derive from a position in time and space. The world is seen from a standpoint definable in terms of nation or social class, of dominance or subordination, of rising or declining power, of a sense of immobility or of present crisis, of past experience, and of hopes and expectations for the future.” (Cox 1981: 128)
Entsprechend dieser Annahmen lehnt der NRA positivistische Theorien strikt ab. ‚Werturteilsfreie’ bzw. ‚objektive’ Theorieansätze sind nach Ansicht der Vertreter des NRA nicht existent. Stattdessen sind theoretische Ansätze nicht von der Realität abgegrenzt und unbeeinflusst, sondern bilden einen integralen Bestandteil der realen Welt (vgl. Söderbaum 2004a: 15+38). Mit der Entwicklung des NRA unternehmen die Wissenschaftler um Björn Hettne den Versuch, drei bislang isolierte theoretische Perspektiven in einem neuen Theorieansatz zu vereinen. Im Einzelnen handelt es sich hier um Ansätze der IPÖ, der Entwicklungstheorie sowie der regionalen Integrationstheorie. Der Vorteil einer Kombination dieser Ansätze liegt darin, dass Schwachpunkte eines einzelnen Ansatzes durch eine jeweils andere theoretische Perspektive ausgeglichen werden können, die Stärken der jeweiligen Ansätze aber dennoch zum Tragen kommen.225 Außerdem kann, so das Argument der NRA-Vertreter, durch die Kombination verschiedener Stränge der drei ausgewählten Theorieansätze eine geeignete Grundlage für die Entwicklung einer stärker global ausgerichteten Theorie geschaffen werden (vgl. Hettne/Söderbaum 1998: 6-7). Ob der NRA die Grundlage für eine solche Theorie bilden soll, ist bislang unklar. Zum jetzigen Zeitpunkt kann vom NRA als einer eigenständigen Theorie noch nicht die Rede sein. Es handelt sich ‚lediglich’, wie bereits an der Bezeichnung als New Regionalism Approach deutlich wird, um einen Ansatz. Zwar ist die Trennlinie zwischen einem wissenschaftlichen Ansatz und einer Theorie sehr dünn, doch im Falle des NRA fehlt, wie Vertreter des NRA selbst hervorhe225
So liefert die IPÖ beispielsweise einen wichtigen Beitrag zur Untersuchung von ‚world order’. Sie wird in ihrer Analysekraft aber noch erweitert, wenn ebenso Fragen der Entwicklung Berücksichtigung finden. Durch eine Verbindung von IPÖ mit Elementen der Entwicklungstheorie können beide theoretischen Perspektiven profitieren. Die Entwicklungstheorie überwindet ihren Fokus auf einzelne Staaten, die IPÖ wird durch die stärker normativ ausgerichteten Fragestellungen der klassischen Entwicklungstheorie bereichert (vgl. Hettne/Söderbaum 1998: 6-7).
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6 Die Theorieansätze im Einzelnen
ben (vgl. Söderbaum 2003a: 8-9), ein wichtiges Charakteristikum einer Theorie: die kausale Verknüpfung zwischen abhängigen und unabhängigen Variablen. Es besteht also Einigkeit bezüglich des derzeitigen ‚theoretischen Standes’ des NRA, was seine weitere Entwicklung anbetrifft sind aber widersprüchliche Signale zu registrieren. In seinen Publikationen von 2002 und 2004 verfolgt Söderbaum noch eindeutig das Ziel, den NRA auszubauen und seine einzelnen Komponenten stärker miteinander zu verknüpfen, um so eine ‚New Regionalism Theory’ zu entwickeln (vgl. BøǗs/Marchand/Shaw 2003: 202, Fußnote 4; Hettne/Söderbaum 2000: 458; Söderbaum 2002: 35-57; 2004: 37-53). Doch von der Sinnhaftigkeit dieses Ziels ist Söderbaum einige Jahre später nicht mehr vollkommen überzeugt. Stattdessen regt er an, den Ansatz auf seinem derzeitigen, relativ offenen Stand zu belassen, statt ihn in das ‚enge Korsett’ einer ausgefeilten Theorie zu pressen. Davon verspricht sich Söderbaum eine breitere Anwendbarkeit des NRA in verschiedenen Politikbereichen und Weltregionen. Der NRA könnte dann die Funktion eines ‚Meta-Ansatzes’ übernehmen, der ein Grundgerüst für Analysen unterschiedlicher Art darstellt und je nach Anwendungsfall weiterentwickelt werden kann.226 Auch wenn bezüglich des theoretischen Anspruchs des NRA keine eindeutige Zielsetzung besteht, so bleibt festzuhalten, dass die Vertreter des NRA nach wie vor bestrebt sind, eine möglichst breite Anwendbarkeit ihres Theorieansatzes sicherzustellen. Dies versuchen sie unter anderem durch die Einbeziehung und Kombination unterschiedlicher theoretischer Perspektiven zu erreichen. Keine Einigkeit besteht hingegen darüber, ob der NRA für diese Zielsetzung besser zu einer Theorie ausgearbeitet werden oder auf dem Stand eines Theorieansatzes verbleiben sollte. 6.3.3 Motive und Zielsetzungen der Integration Die Ursachen und Beweggründe regionaler Integrationsprozesse können nach den Annahmen des NRA nur dann erkannt werden, wenn Regionalismus nicht isoliert, sondern in Bezug zum Prozess der Globalisierung gesehen wird. Schließlich stehen die beiden Prozesse in einem engen Zusammenhang und beeinflussen sich gegenseitig, wie der NRA im Einklang mit den anderen Ansätzen des Neuen Regionalismus betont (vgl. Hettne 2003: 29). Für die konkrete Konzeptualisierung der Beziehung zwischen Regionalismus und Globalisierung bezieht sich Hettne auf die Arbeiten Karl Polanyis. Dieser sieht die Notwendigkeit, die neoliberale Logik offener Märkte, wie sie sich in 226
Persönliches Gespräch mit Fredrik Söderbaum am 26.04.2004, in Nicosia, Zypern.
6.3 Der New Regionalism Approach
189
der globalisierten Weltwirtschaft manifestiert, zu begrenzen. Die ‚Zügelung’ des unbändigen Wirtschaftsprozesses und die Abkehr von einem rein gewinnmaximierenden Denken könne nur durch ein stärkeres politisches Eingreifen erreicht werden. Eine solche ‚Rückkehr der Politik’ könne unterschiedliche Formen annehmen. Unter anderem könne sie auch in der Gestalt von Regionalismus auftreten (vgl. Hettne 2005: 272; Polanyi 1957). Nach dieser Vorstellung bietet Regionalismus also die Möglichkeit, den negativen Konsequenzen der vorangegangenen Ausweitung des Marktmechanismus in einem zweiten Schritt (‚second movement’) mit politischen Reaktionen auf regionaler Ebene entgegenzutreten. Zielsetzungen wie die Verwirklichung von Frieden, Umweltschutz oder Entwicklung, denen im Prozess des globalen Wirtschaftens keine angemessene Bedeutung zugeordnet wird, können so wieder forciert werden. Unter Rückgriff auf Polanyis Konzeption eines „second movement“ betonen die Vertreter des NRA also die positiven Eigenschaften des Regionalismus. Denn Regionalismus bzw. Regionalisierung seien insbesondere dann, wenn sie vom Engagement zivilgesellschaftlicher Akteure getragen werden, in der Lage, den negativen Konsequenzen der Globalisierung Einhalt zu bieten (vgl. Hettne 1999: 6; 2003: 30-33).227,228
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Somit besitzen die Vertreter des NRA auch eine deutlich positivere Sichtweise vom Potenzial und den Möglichkeiten eines Regionalisierungsprozesses im Vergleich zu anderen Ansätzen im Bereich des Neuen Regionalismus (vgl. Kapitel 6.3.1). Weitere Arbeiten zum Verhältnis zwischen Globalisierung und Regionalismus aus der Sichtweise des NRA finden sich in Hettne/Inotai/Sunkel 1999.
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6 Die Theorieansätze im Einzelnen
6.3.4 Förderliche Bedingungen für Integration Die Verfechter des NRA betonen, dass sich Regionalismus auf drei verschiedenen Ebenen gleichzeitig manifestiert. Da es dem NRA ein Anliegen ist, den Prozess des Regionalismus möglichst in seiner ganzen Komplexität zu analysieren, muss jede dieser drei Ebenen in der Analyse berücksichtigt werden. Dabei lässt sich nicht a priori bestimmen, welche Ebene die größte Bedeutung hat. Fest steht nur, dass die Prozesse auf den unterschiedlichen Ebenen gleichzeitig stattfinden, sich gegenseitig beeinflussen und je nach regionalem Kontext in ihrer Bedeutung variieren (vgl. Hettne 1994: 10). Das globale System stellt die erste Ebene dar, die den Regionalismus beeinflusst und im Gegenzug auch von den Prozessen des Regionalismus mitgestaltet wird. Als Voraussetzung für die Entstehung von Regionalismus muss das globale System ein ausreichend großes Maß an Handlungs- und Manövrierspielraum bereitstellen. Unter den Bedingungen der Bipolarität in den Zeiten des Kalten Krieges waren die Möglichkeiten für Regionalismus beispielsweise stark eingeschränkt. Auf der anderen Seite bleibt auch die globale Ebene vom Regionalismus nicht unbeeinflusst. So führt die Zunahme von regionaler Integration im Zuge des Neuen Regionalismus beispielsweise zu strukturellen Veränderungen auf der globalen Ebene (vgl. ebd.). Auf einer zweiten Ebene müssen, laut NRA, die interregionalen Beziehungen in die Analyse einbezogen werden. Hier spielt insbesondere die westeuropäische Integration eine wichtige Rolle, da sie in positiver wie negativer Hinsicht den Anstoß für weiteren Regionalismus liefert. Im positiven Sinne kann die EG als ‚Erfolgsgeschichte’ und Vorzeigemodell gesehen werden, das zur Nachahmung in anderen Erdteilen anregt. Andererseits gehen von ihr auch negative Signale aus, da sie die Angst vor einer ‚Festung Europa’ schürt und somit ‚Gegenmaßnahmen’ in Form weiterer regionaler Zusammenschlüsse von Drittstaaten vorantreibt (vgl. Hettne 1994: 34-35). Die Region als solches wird von den Vertretern des NRA auf einer dritten Ebene berücksichtigt. Regionalismus kann sich dort am besten entfalten, wenn zwischen den verschiedenen nationalstaatlichen Einheiten Homogenität in Bezug auf Kultur, Wirtschaftspolitik, politisches System und Sicherheitspolitik herrscht. Kennzeichnend für eine Vertiefung des Regionalismus ist demnach der Wandel von einer relativen Heterogenität zwischen den beteiligten Einheiten zu einer verstärkten Homogenität. Für die Initiierung von Regionalismus ist nach Ansicht der NRA-Vertreter jene kulturelle Homogenität von besonderer Bedeutung, die sich in Form einer „inhärenten regionalen Zivilgesellschaft“ („inherent regional civil society“) (Hettne 1994: 8) manifestiert. Sie entwickelt sich zwar sehr langsam, aber ist sie erst einmal vorhanden, kann sie gewissermaßen den
6.3 Der New Regionalism Approach
191
Grundstein für einen Regionalismus legen, in dessen Verlauf dann auch Homogenität in wirtschaftlichen und (sicherheits-)politischen Bereichen an Bedeutung gewinnt (vgl. Hettne 1994: 8-9). In Bezug auf die Bedingungen für eine erfolgreiche Integration hebt der NRA also wiederum die Einbindung der regionalen Ebene in die globalen Strukturen hervor. Regionalismus wird nicht isoliert, sondern in seinen Beziehungen zur globalen Ebene und zu anderen Prozessen der regionalen Integration gesehen. Erleichtert wird Regionalismus dann, wenn sich die einzelnen, nationalen Einheiten durch Homogenität in Bezug auf ihre Kultur, ihre Wirtschaftspolitik, ihr politisches System und ihre Sicherheitspolitik auszeichnen. 6.3.5 Verlauf der Integration Aus Sicht des NRA nimmt der Regionalismus bei idealtypischer Betrachtung folgenden Verlauf: Verdichtet sich die Intensität von regionalen Integrationsprozessen innerhalb eines geografischen Gebiets, so steigt auch der Zusammenhalt innerhalb der Region und diese tritt als eigenständige Einheit stärker hervor. Es kommt also zu einem Prozess, in dessen Verlauf sich ein geografisches Gebiet von einem passiven Objekt zu einem aktiven Subjekt entwickelt, das im zunehmenden Maße in der Lage ist, die transnationalen Interessen der entstehenden Region zu artikulieren und zu vertreten. Diese Entwicklung erfassen die Vertreter des NRA mit Hilfe des Konzepts von regionness. Sie teilen den Prozess zunehmender Regionalintegration in insgesamt fünf verschiedene Stufen von regionness ein, die sich jeweils durch ein zunehmendes Maß an regionaler Identität und Zusammengehörigkeit auszeichnen. So entsteht ein analytischer Rahmen für die vergleichende Untersuchung von unterschiedlichen regionalen Integrationsprozessen, der im Folgenden vorgestellt werden soll (vgl. Hettne 2003: 28; 2005: 270; Hettne/Söderbaum 2000: 461).229 Die Grundlage für den Regionalismus bildet eine geografische und ökologische Einheit, die von natürlichen Grenzen umschlossen ist. Sie kann als eine ‚potential region’ bezeichnet werden (Hettne/Söderbaum 2000: 462). Zu vertiefter regionaler Integration kommt es nur, wenn sich vermehrte Kontakte und Aus229
In der NRA-Literatur finden sich variierende Konzepte von regionness. Zunächst wurde der Prozess steigender regionness in drei Stufen unterteilt (vgl. Hettne/Söderbaum 1998). In späteren Publikationen werden insgesamt fünf Stufen unterschieden, wobei diese nicht in allen Publikationen vollkommen identisch beschrieben werden (vgl. Hettne 1994; Hettne 2003; Hettne/Söderbaum 2000). Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf Hettne/Söderbaum 2000, da in diesem Artikel die Konzeption von regionness sehr ausführlich dargestellt wird (vgl. Hettne/Söderbaum 2000: 461-469).
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6 Die Theorieansätze im Einzelnen
tauschprozesse zwischen den Bewohnern der einzelnen nationalen Einheiten entwickeln und so die erste regionness-Stufe, die so genannte ‚pre-regional zone’, überwunden werden kann. Im zweiten Entwicklungsabschnitt, in dessen Verlauf sich die Region zu einem ‚regional complex’ herausbildet, besitzen die Interaktionen zwischen den nationalen Einheiten noch einen sporadischen, unsicheren und kurzfristigen Charakter. Entscheidend für die weitere Stärkung regionaler Zusammengehörigkeit und Identität ist allerdings eine generelle Offenheit gegenüber externen Beziehungen und die Überwindung einer ausschließlich nach innen, auf den eigenen Nationalstaat, gerichteten Orientierung. Steigen Kommunikations- und Transaktionsraten zwischen den einzelnen Staaten weiter an und übernehmen auch zivilgesellschaftlicher Akteure in diesem Prozess eine wichtige Rolle, so ist die dritte Ebene der ‚regional society’ erreicht. Das Auftreten zivilgesellschaftlicher Akteure ist ein charakteristisches Merkmal dieser Entwicklungsstufe, während der vorangegangene Entwicklungsprozess hauptsächlich von staatlichen Akteuren und Institutionen dominiert wurde. Auf der Ebene der regional society agieren beide Akteursgruppen nebenund miteinander. Doch nur wenn die Integrationsprozesse auf den unterschiedlichen Ebenen und in den verschiedenen Themenfeldern als gemeinsames Ziel den weiteren Ausbau von regionness verfolgen, kann die nächste Stufe erreicht werden. In dieser Phase können formale Organisationen und soziale Institutionen eine unterstützende Funktion haben (vgl. ibid: 464-466). Im Rahmen eines weiteren, vierten Entwicklungsschrittes gilt es, den Stand einer ‚regional community’ zu erreichen. Hier ist die regionale Integration schon so weit fortgeschritten, dass die Region eine eigene regionale Identität, Legitimität und Strukturen der Entscheidungsfindung besitzt, sich also zu einem aktiv und eigenständig handelnden Subjekt entwickelt hat. Die Differenzierung in unterschiedliche nationale Einheiten wurde durch eine gemeinsame regionale Identität ersetzt, sodass allein noch die Differenzierung zwischen ‚insidern’ und ‚outsidern’ der regionalen Gemeinschaft zählt. Die Spitze des regionalen Integrationsprozesses bildet die Verwirklichung eines ‚region-state’ auf einer abschließenden fünften Entwicklungsstufe. Doch hierbei handelt es sich um einen hypothetischen Endpunkt von regionness, denn bislang wurde dieses level in der Realität noch nicht erreicht. Denkbar ist aber laut NRA, dass sich in einem solchen region state durch die Zusammenlegung von Souveränität eine neue politische Einheit entwickelt, in deren Rahmen unterschiedliche, kompatible Kulturen miteinander existieren (vgl. Hettne/Söderbaum 2000: 462-468). Das Konzept von regionness ist nach Aussage der NRA-Vertreter keineswegs als Stufenmodell zu verstehen, das eine unumgängliche evolutionäre Logik
6.3 Der New Regionalism Approach
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vorschreibt. Das Konzept umschreibt lediglich eine theoretisch-konzeptionelle Entwicklungslogik, die hauptsächlich heuristischen Zwecken dienen soll (vgl. Hettne 2003: 29; 2005: 270; Hettne/Söderbaum 2000: 470). 6.3.6 Akteure der Integration Aus Sichtweise des NRA sind die Präferenzen und Zielsetzungen der einzelnen, am Regionalismus beteiligten Akteure nicht vorbestimmt oder unabänderlich gegeben, sondern werden unter dem Einfluss spezifischer sozialer, kultureller und historischer Faktoren gebildet. Die Handlungen der einzelnen Akteure haben demnach einen ganz individuellen Hintergrund, der je nach Regionalisierungsprozess variiert und nicht verallgemeinert werden kann. Die verschiedenen Akteure können die regionale Integration aktiv gestalten und sogar als Instrument zur Überwindung bestehender Machtstrukturen nutzen (vgl. Söderbaum 2004a: 44-45). In den Arbeiten zum NRA lassen sich insgesamt drei verschiedene Akteursgruppen in Regionalismusprozessen ausmachen. Zu einer ersten Gruppe können die staatlichen Akteure, hier insbesondere die Vertreter der nationalen Regierungen, zusammengefasst werden. Diese spielen für den Regionalismus zwar eine wichtige Rolle, besitzen im Vergleich zu anderen Akteuren aber keine übergeordnete Stellung. Von besonderem Interesse sind für die Analysen im Rahmen des NRA die Beziehungen und Interaktionen zwischen den staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (vgl. Söderbaum 1998: 9). In ihren Aktivitäten beziehen sich die staatlichen Akteure oftmals auf nationale Interessen, deren Verwirklichung sie nach eigenen Aussagen anstreben. Die Vertreter des NRA begegnen diesem Anspruch mit Vorsicht und weisen darauf hin, dass im Namen des so genannten nationalen Interesses oftmals auch Ziele bestimmter sozialer Gruppen oder Personen verfolgt werden und das Gemeinwohl auf der Strecke bleibt. Bei der Analyse der Handlungen staatlicher Akteure sei also verstärkt darauf zu achten, wie das nationale Interesse gebildet werde und wessen Interessen es letztendlich widerspiegele (vgl. Söderbaum 2004a: 50). In einer zweiten Gruppe berücksichtigen die Vertreter des NRA die nichtstaatlichen Akteure. Diese wurden aus Sicht des NRA in der wissenschaftlichen Analyse von Regionalismus bislang vernachlässigt. Daher besteht konkreter Forschungsbedarf bezüglich der nicht-staatlichen Akteure sowie ihrer Beziehung zu den staatlichen Akteuren in regionalen Integrationsprozessen (vgl. Söderbaum/Shaw 2001: 221). Neben zivilgesellschaftlichen Akteuren berücksichtigen die Vertreter des NRA hier auch die Rolle der Privatwirtschaft. Deren Vertreter haben sich laut NRA zu wichtigen Kooperationspartnern und Geldgebern der staatlichen Eliten entwickelt, sodass auf regionaler Ebene gemeinsame Projekte,
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6 Die Theorieansätze im Einzelnen
etwa in den Bereichen Energie- und Wasserversorgung, durchgeführt werden (vgl. Söderbaum 1998: 9). Im Rahmen der besonderen Berücksichtigung nichtstaatlicher Akteure wird in den Arbeiten des NRA auch darauf hingewiesen, dass diese Akteure nicht allein in staatlich institutionalisierten Prozessen und Strukturen wirken, sondern ein ganz erheblicher Teil ihrer Aktivitäten im informellen Bereich stattfindet. Für die Bildung einer Region sind diese informellen Handlungen von großer Wichtigkeit und müssen daher in der Analyse berücksichtigt werden (vgl. Söderbaum 2004a: 48-51). Eine dritte, nicht zu vernachlässigende Gruppe bilden für den NRA die externen Akteure. Hierzu zählen beispielsweise dem regionalen Integrationsprozess nicht angehörige Nationalstaaten, Vertreter der internationalen Gebergemeinschaft oder auch internationale (staatliche wie nicht-staatliche) Organisationen. Diese Akteure können eigenständig oder auch in variierenden Akteurskonstellationen agieren, um so Einfluss auf den Regionalismus zu nehmen (vgl. ebd.). Die Vertreter des NRA legen Wert darauf, keiner Akteursgruppen a priori eine herausragende Bedeutung für den Regionalismus zuzusprechen. Erkenntnisse zu den spezifischen Rollen und Beiträgen der unterschiedlichen Akteure seien erst nach eingehenden Untersuchungen möglich (vgl. Söderbaum 2005a: 241; Söderbaum/Shaw 2001: 221). Auch in den konkreten Untersuchungen von Regionalismus sei eine einseitige Konzentration auf die eine oder andere Gruppe von Akteuren zu vermeiden. Denn mit derartigen Analyseschwerpunkten könne die Realität aktueller regionaler Integrationsprozesse, die sich durch vielschichtige und komplexe Akteurskonstellationen auszeichnet, nicht mehr erfasst werden. Stattdessen sollen die beteiligten Akteure möglichst in der Gesamtheit ihrer bestehenden Interaktionsbeziehungen untersucht werden (vgl. Söderbaum 2002: 49-50). Als eine Möglichkeit, das komplexe Zusammenwirken der unterschiedlichen Akteure zu analysieren, schlägt Söderbaum die Einbeziehung des Konzepts von ‚regional governance’ vor. In Anlehnung an James Rosenau definiert Fredrik Söderbaum regional governance als: „Spheres of authority at the regional level of human activity, that amount to systems of rule – formal or informal, public or private – in which goals are pursued through the exercise of control.“ (Söderbaum 2004b: 422).
Er vertritt die Vorstellung, dass Governance-Strukturen auf unterschiedlichen Ebenen gleichzeitig existieren, teilweise sogar miteinander verflochten sind und sich gegenseitig beeinflussen können. Demnach entwickeln sich nicht nur auf der globalen und nationalen, sondern auch auf der regionalen Ebene GovernanceStrukturen. Sie bieten verschiedenen Akteuren aus dem staatlichen wie nicht-
6.3 Der New Regionalism Approach
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staatlichen Bereich, die in interdependenten Beziehungen stehen, die Möglichkeit zum gegenseitigen Austausch und Umsetzung ihrer jeweiligen Interessen. Die verschiedenen Governance-Strukturen können in ihrer Form stark variieren. Als Kernmerkmale sollten sie lediglich ein gewisses Maß an Kontrolle und Kontinuität aufweisen. Damit Governance-Strukturen nachhaltig und legitim sind, müssen sie zudem ein Mindestmaß an Formalität besitzen und öffentliche Interessen umfassen. Wie bereits in Söderbaums Definition von regional governance deutlich wird, ist Governance zudem nicht auf öffentliche, formale Strukturen begrenzt, sondern kann auch im privaten und informellen Bereich stattfinden (vgl. Shaw et al. 2003: 198; Söderbaum 2002: 51; 2004b: 420-422).230 Doch welche konkreten Vorteile bietet das Konzept von regional governance für die Analyse von Regionalismus aus Sicht der NRA-Vertreter? Durch die Berücksichtigung von Governance-Strukturen, in denen die verschiedenen Akteure miteinander interagieren, könne die oftmals analytische und künstliche Trennung zwischen Akteuren des Staates, der Zivilgesellschaft/Wirtschaft und externen Akteuren überwunden werden. Denn Gegenstand der Analyse seien nicht die Akteure im Einzelnen, sondern die komplexen Akteurskonstellationen im Ganzen. Auch das Problem des ewig einseitigen Analyseschwerpunktes zugunsten der einen oder anderen Akteursgruppe im Regionalismus sei durch eine Analyse unter Berücksichtigung von ‚regional governance’-Strukturen hinfällig. Weiterhin biete das Governance-Konzept eine Möglichkeit, die Fokussierung auf staatliche und formale Prozesse zu umgehen und stattdessen auch informelle und private Aspekte von Governance in den analytischen Rahmen und somit in die Untersuchung zu integrieren (vgl. Söderbaum 2005a: 241-242). Doch Söderbaum warnt auch vor einer idealisierten Sichtweise von regional governance. So weist er darauf hin, dass diese Strukturen von den beteiligten, nutzenorientierten Akteuren bewusst genutzt werden, um ihre jeweiligen Interessen und Ziele durchzusetzen. In diesem Sinne besteht die Aufgabe der wissenschaftlichen Forschung darin zu analysieren, welche Machtstrukturen innerhalb dieser Governance-Strukturen herrschen, welche Interessen die dominanten Akteure verfolgen und wer als Nutznießer von Governance-Strukturen profitiert (vgl. Söderbaum 2002: 51; 2004b: 420). Zusammenfassend werden im Rahmen des NRA also drei Akteursgruppen des Regionalismus hervorgehoben. Es handelt sich um staatliche, nicht-staatliche und externe Akteure, die in formellen wie informellen Strukturen von regionaler Governance agieren. 230
Dementsprechend nimmt Söderbaum eine Differenzierung zwischen öffentlicher und privater governance bzw. zwischen formaler und informeller Governance vor (vgl. Söderbaum 2004b: 421-422).
196
6 Die Theorieansätze im Einzelnen
6.3.7 Anwendung in anderen regionalen Kontexten Mit der Konzeption des NRA versuchen die Wissenschaftler um Björn Hettne einen Theorieansatz zu entwickeln, der insbesondere für die Analyse von Regionalismus in den Ländern des Südens (und hier im Speziellen in Afrika) geeignet ist. Den besonderen Eigenheiten dieser Formen der regionalen Integration versuchen die Forscher Rechnung zu tragen, indem sie auch die informelle Seite von Integrationsprozessen berücksichtigen.231 Außerdem legen sie besonderen Wert auf die Einbindung der komplexen Akteurskonstellationen und bringen die regionale Ebene auch in Verbindung mit globalen Strukturen und Prozessen. Doch die Anhänger des NRA wollen keinen Ansatz entwickeln, der ausschließlich für den Regionalismus des Südens ‚reserviert’ ist, sondern auch in anderen regionalen Kontexten ein ergiebiges Analyseinstrument darstellt (vgl. Söderbaum 2002: 31-32).232 Die vom NRA angestrebte breite, über den eigentlichen Untersuchungsfokus hinausgehende Analysekraft sprechen seine Vertreter den Mainstream-Theorien der europäischen Regionalintegration ab. Am Beispiel der afrikanischen Länder hebt Söderbaum die seiner Meinung nach bestehenden Schwachstellen der Mainstream-Ansätze hervor. Diese seien aufgrund ihrer Konzentration auf formalen und staatlich gelenkten Regionalismus nicht in der Lage, regionale Integration in Afrika angemessen zu untersuchen. Unter anderem auch aufgrund der höchst unterschiedlichen Eigenschaften der Staaten Afrikas und Europas (vgl. Söderbaum 2004b: 426; Söderbaum/Shaw 2003: 212).233 6.4 Quintessenz und Vergleich der verschiedenen Theorieansätze Mit Hilfe einer Gegenüberstellung der theoretischen Annahmen sollen nicht nur die wichtigsten Punkte hervorgehoben, sondern insbesondere Gemeinsamkeiten und Unterschiede der verschiedenen Ansätze herausgearbeitet werden. Diese Erkenntnisse können sich in der späteren Analyse als hilfreich erweisen, wenn es
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232
233
Somit berücksichtigen die Vertreter des NRA neben dem Regionalismus auch Prozesse der Regionalisierung. Zur Unterscheidung der beiden Begriffe siehe Kapitel 2.1. Inwiefern diesem Anspruch aber auch Rechnung getragen wird, bleibt bisher offen, da sich die Anwendungen des NRA zunächst nur auf afrikanische Länder beschränken. So argumentiert Söderbaum, dass viele der Staaten Afrikas vergleichsweise schwach seien und ihre Staatsführer der Macht- und Souveränitätserhaltung mehr Gewicht beimäßen als der Verwirklichung nationaler und öffentlicher Interessen. Zudem werde in einigen Fälle lediglich die Fassade eines Staates aufrechterhalten, um die eigentlich vorhandenen neo-patrimonialen oder auch verbrecherischen politischen Systeme zu verbergen (vgl. Söderbaum 2004b: 426).
6.4 Quintessenz und Vergleich der verschiedenen Theorieansätze
197
darum geht, mögliche Anknüpfungspunkte oder auch Ergänzungsmöglichkeiten der einzelnen Theorieansätze aufzuzeigen. In ihrem theoretischen Anspruch weisen die untersuchten Ansätze deutliche Unterschiede auf. Schließlich variieren die Anforderungen, die die verschiedenen Wissenschaftler an ihre jeweiligen Theorieansätze stellen, stark. Den weitreichendsten und ambitioniertesten theoretischen Anspruch vertreten zweifelsohne die Neo-Funktionalisten. Sie beabsichtigten die Entwicklung einer Theorie regionaler Integration, die auch die Möglichkeiten des Vergleichs unterschiedlicher Regionen eröffnet. Darüber hinaus erwarten sie von einer Theorie unter anderem die Fähigkeit zu beschreiben, zu erklären und zu prognostizieren. Diesem Anspruch diametral entgegengesetzt sind die Ambitionen des IG, die durch die Arbeiten Hoffmanns repräsentiert werden. Seiner Meinung nach sollten und können die Möglichkeiten einer Theorie nicht über Deskription hinausgehen. Die Forderung, durch theoretische Modelle Gesetzmäßigkeiten sozialer Prozesse zu identifizieren oder sogar Vorhersagen über zukünftige Entwicklungen zu formulieren, übersteigt seiner Meinung nach die Möglichkeiten sozialwissenschaftlicher Theorien. Moravcsik traut den theoretischen Modellen durchaus über reine Deskription hinausgehende Fähigkeiten zu, betont aber, dass eine vereinzelte Theorie nicht in der Lage sei, komplexe Prozesse der regionalen Integration zufriedenstellend zu erklären. Mit diesen Fragen nach der ‚Leistung der Theorie’ setzten sich die Vertreter des NRA (noch) nicht konkret auseinander. Ihre Diskussion beginnt auf einer vorgeschalteten Ebene. Sie fragen, ob eine ausgearbeitete Theorie überhaupt das geeignete Instrument darstellt, um Regionalismus zu analysieren. Kann ein offener theoretischer Ansatz der Zielsetzung, ein Analyseinstrument für die Untersuchung von Regionalismus in verschiedenen Teilen der Welt zu entwickeln, nicht sehr viel besser entsprechen? An dieser Stelle ist also hervorzuheben, dass die theoretischen Ansätze unterschiedliche theoretische Zielsetzungen verfolgen und auf der Grundlage dieser verschieden gearteten Ansprüche und Zielsetzungen beurteilt werden müssen. Es wäre also ein schwerer Fehler, alle drei Ansätze gleichen Beurteilungsmaßstäben zu unterziehen. Für die vorliegende Untersuchung sind die starken Unterschiede im theoretischen Anspruch eher von Vorteil, denn so können die verschiedenen theoretischen Konzeptionen besser auf ihre Vor- und Nachteile für die Analyse des afrikanischen Regionalismus hin überprüft werden. Auf die Frage nach den Motiven und Zielsetzungen, die die Staaten dazu veranlassen, sich an regionaler Integration zu beteiligen, bieten die drei theoretischen Ansätze unterschiedliche Antworten. Laut NF bringt die Erwartung öko-
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6 Die Theorieansätze im Einzelnen
nomischer Gewinne und einer damit verbundenen Steigerung der allgemeinen Wohlfahrt die Nationalstaaten zur Forcierung regionaler Zusammenschlüsse. Beide Vertreter der intergouvernementalistischer Ansätze sehen hingegen andere Beweggründe. Als rational handelnde Akteure nehmen die Nationalstaaten demnach nur deshalb an der regionalen Integration teil, weil sie ihnen die Chance bietet, ihre nationale Macht zu bewahren, ggf. sogar auszubauen und ihre Nationalinteressen zu verwirklichen. Die einzige Übereinstimmung mit den Annahmen des NF besteht darin, dass auch die Intergouvernementalisten die Bedeutung wirtschaftspolitischer Aspekte betonen, da sie das nationale Interesse in entscheidendem Maße bestimmen. Anders als die beiden klassischen Ansätze stellen die Vertreter des NRA den Regionalismus in Bezug zur Globalisierung.234 Ihrer Meinung nach sind die Prozesse des Regionalismus in der Lage, die negativen Konsequenzen der Globalisierung abzufangen, indem sie die Logik des neoliberalen Wirtschaftens zurückdrängen und für eine Rückkehr sozialer Wertmaßstäbe sorgen. Allerdings wird aus den Arbeiten der NRA-Vertreter nicht eindeutig ersichtlich, ob die Akteure diese Möglichkeiten, die ihnen die Regionalintegration bietet, auch bewusst einsetzen bzw. zur Entscheidungsgrundlage für die Teilnahme an der regionalen Integration machen. So kann nicht eindeutig geklärt werden, ob es sich hier um potenzielle oder um tatsächliche Motive handelt. Trotz unterschiedlicher Vorstellungen der Theorieansätze von Motiven und Zielsetzungen, die Staaten zur Beteiligung an regionaler Integration bewegen, weisen sie eine Gemeinsamkeit auf. Sie betonen, dass Regionalismus durchaus positive Wirkungen entfalten könne und nicht per se mit negativen Auswirkungen für die beteiligten Akteure/Nationalstaaten verbunden sei. Doch in welchen konkreten Fällen die positiven Seiten des Regionalismus gegenüber den negativen überwiegen und welche Akteursgruppen zu Gewinnern bzw. Verlierern werden, bedarf der Klärung im jeweiligen Einzelfall. Neben den Motiven der Regionalintegration wurden die ausgewählten Theorieansätze auch daraufhin analysiert, welche Bedingungen ihres Erachtens für die erfolgreiche Durchführung einer Regionalintegration gegeben sein müssen. Allerdings beinhaltet die Frage nach ‚den Bedingungen einer erfolgreichen Integration’ eine gewisse ‚Ungenauigkeit’. Die einzelnen Theorieansätze 234
Bei dieser Feststellung gilt es aber zu berücksichtigen, dass zur Entstehungszeit des NF und des IG die Globalisierungsprozesse nicht die gleiche Relevanz besaßen, geschweige denn im gleichen Maße in Wissenschaft und Medien thematisiert wurden wie dies in den 90er Jahren, zur Zeit der Entstehung des NRA, der Fall war. Den ‚klassischen’ Ansätzen, die in dieser Untersuchung berücksichtigt werden, kann also die fehlende Anbindung zwischen Regionalisierungsund Globalisierungsprozesse nicht vorgeworfen werden. Neuere Ansätze, die auf den Prämissen der klassischen Theorieansätze aufbauen, berücksichtigen die Bedingungen der heutigen, globalisierten Welt.
6.4 Quintessenz und Vergleich der verschiedenen Theorieansätze
199
machen keine genauen Angaben darüber, in welchem Maße die regionale Integration von den jeweiligen Bedingungen abhängt. Ist Regionalintegration schlichtweg unmöglich, wenn diese Bedingungen nicht gegeben sind, oder wird sie lediglich erschwert? Zu dieser Frage liefern die Theorieansätze keine Antwort. Am ausgiebigsten setzen sich die Autoren des NF mit den Bedingungen einer erfolgreichen Regionalintegration auseinander. Allerdings diskutieren sie eine ganze Reihe von verschiedenen Bedingungen, ohne sich abschließend über deren Relevanz zu einigen. Zwei Bedingungen lassen sich aber mit Abstand am häufigsten in den neo-funktionalistischen Analysen wiederfinden: eine pluralistisch organisierte Gesellschaftsstruktur und ideologische Homogenität der Eliten in den beteiligten Ländern. Zudem wird – wenn auch nicht so häufig – die Bedeutung der Transaktionsraten zwischen den beteiligten Staaten hervorgehoben. Hoffmann erkennt als Vertreter des IG die Relevanz der beiden genannten Bedingungen des NF an, ergänzt sie allerdings noch um weitere Faktoren. Demnach üben auch übereinstimmende subjektive Wahrnehmungen der Nationalstaaten (z.B. in Bezug auf ihre Vergangenheit) sowie konkrete Zielvereinbarungen und dezidierte Unterstützung der Integration durch die politischen Eliten eine förderliche Wirkung auf den Integrationsprozess aus. Moravcsik setzt sich nicht gesondert mit den Bedingungen erfolgreicher Integration auseinander. Gemäß seiner theoretischen Annahmen kommt es dann zur Integration, wenn die nationalen Interessen der beteiligten Nationalstaaten übereinstimmen. Für den NRA sind dann gute Voraussetzungen für eine regionale Integration gegeben, wenn die verschiedenen Nationalstaaten sich bezüglich ihrer Kultur, ihrer Wirtschaftspolitik, ihres politischen Systems sowie ihrer Sicherheitspolitik als homogen erweisen. Dabei wird der Homogenität im kulturellen Bereich besondere Bedeutung für die anfängliche Initiierung der regionalen Integration zugesprochen. Auch wenn die drei theoretischen Ansätze auf den ersten Blick eine Reihe von unterschiedlichen Bedingungen für erfolgreiche Regionalintegration hervorheben, so lässt sich im Kern eine Übereinstimmung erkennen. Sie teilen die Annahme, dass sich Gemeinsamkeiten zwischen den einzelnen nationalen Einheiten positiv auf die Erfolgsaussichten einer regionalen Integration auswirken. Diese Gemeinsamkeiten können ganz unterschiedlicher Gestalt sein. Und wie Hoffmann betont, müssen sie nicht einmal objektiv nachvollziehbar bzw. überprüfbar sein. Auch eine subjektive Empfindung von ‚Gleichheit’ fördert die Bereitschaft zum regionalen Zusammenschluss. Doch welchen konkreten Verlauf nimmt die regionale Integration bzw. welche Mechanismen und Kräfte bewirken eine Ausweitung oder auch Eindäm-
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mung der Integrationsbemühungen? Auch in dieser Frage vertreten die theoretischen Ansätze unterschiedliche Sichtweisen. Laut NF stellen sich erste Integrationserfolge zunächst in vergleichsweise unkontroversen Politikbereichen von vorwiegend technischem Charakter ein. Doch aufgrund bestehender Interdependenzen werden auch angrenzende Politikbereiche beeinflusst, sodass neuer Reglungsbedarf entsteht, dem durch eine Ausweitung der Integration auf die umliegenden Sektoren entsprochen werden kann. Dieser Mechanismus, der sich laut NF im Integrationsverlauf ausweitet und somit für die Einbeziehung immer weiterer Politikbereiche in den Integrationsprozess sorgt, wird als spill-over bezeichnet. Das Konzept von spillover als Kernelement des NF hat langjährige Debatten und Untersuchungen zu seiner tatsächlichen Relevanz hervorgerufen. Die Sichtweise des spill-overs als allgemeingültiger Integrationsmechanismus ist in jüngeren Analysen allerdings der Vorstellung einer eingeschränkten, partiellen Relevanz gewichen. Aufgrund seiner ausgiebigen Beschäftigung mit dem Verlauf der Integration wird der NF auch als prozessorientierter Ansatz bezeichnet, eine Charakterisierung, die für die Vertreter des IG Anlass zur Kritik bietet. Sie werfen dem NF vor, durch die zu starke Konzentration auf den Prozess der Integration Fragen nach dem Ziel und der Substanz zu vernachlässigen (vgl. Hoffmann 1964a: 1274). Dementsprechend präsentiert Hoffmann als Vertreter des IG ein anderes Bild vom Verlauf des Integrationsprozesses, wonach der Nationalstaat als zentrale Kontroll- und Lenkungsinstanz zu keiner Zeit die Kontrolle über den Fortgang der Integration aus der Hand gibt. Zudem sind der Integrationsentwicklung gemäß der ‚logic of diversity’ Grenzen gesetzt. Aufgrund der unterschiedlichen vitalen Interessen der Nationalstaaten sowie ihrer Bemühung, die eigene nationale Souveränität zu bewahren, sind die Nationalstaaten nicht in allen Politikbereichen zu Integrationsmaßnahmen bereit. Das Fortschreiten der Integration manifestiert sich in einzelnen Integrationsschüben, nicht in einem fortlaufenden Prozess, wie beide Vertreter des intergouvernementalistischen Lagers hervorheben. Laut Moravcsik treffen die Nationalstaaten ihre Entscheidungen über den Fortgang eines Integrationsprozesses im Rahmen internationaler staatlicher Verhandlungen, die Bestandteil eines umfassenderen Entscheidungs- und Verhandlungsprozesses auf drei verschiedenen Ebenen sind. Die Vorstellung, dass es zu unvorhergesehenen und unbeabsichtigten Veränderungen im Integrationsprozess kommen kann, etwa aufgrund von Folgewirkungen vorangegangener Entscheidungen, lehnt Moravcsik strikt ab. Damit grenzt er sich auch von jüngeren Arbeiten ab, die neo-funktionalistische Annahmen mit Grundzügen des historischen Institutionalismus verknüpfen (vgl. Moravcsik 1999:175; Pierson 1996). Auch der NRA verdeutlicht mit dem Konzept von regionness eine eigene Sichtweise auf den Integrationsverlauf. Insgesamt unterteilen die Vertreter des
6.4 Quintessenz und Vergleich der verschiedenen Theorieansätze
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NRA den Prozess zunehmender regionness in fünf Stufen, die mit einer steigenden Eigenständigkeit der sich entwickelnden Region einhergehen. In diesem Prozess verwandelt sich ein geografisches Gebiet von einem passiven Objekt zu einem aktiven Subjekt mit eigenständigen Interessen. In der Auseinandersetzung mit den Akteuren des Integrationsprozesses zeigen die untersuchten Ansätze sowohl Gemeinsamkeiten als auch gravierende Unterschiede. Aus neo-funktionalistischer Sichtweise sind drei Akteursgruppen im besonderen Maße in den Integrationsprozess involviert. Hier handelt es sich erstens um die Nationalstaaten, vertreten insbesondere durch die nationalen Regierungen und ihre Staatsmänner, sowie zweitens um Eliten aus den Bereichen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Die dritte Gruppe von Akteuren stellen die im Rahmen des Integrationsprozesses entstandenen supranationalen Institutionen und deren Vertreter. All diese Akteure beeinflussen Gestalt und Verlauf der Integration mit dem Ziel, ihre jeweiligen Interessen nutzenmaximierend zu verwirklichen. Die beiden Vertreter des IG konzentrieren sich stärker auf eine einzige Akteursgruppe. Ihrer Meinung nach sind die Nationalstaaten die dominierenden und einflussreichsten Akteure im Integrationsprozess und sollten daher im Mittelpunkt der Analyse stehen. Zwar erkennen die Intergouvernementalisten an, dass auch transnational agierende Interessengruppen und Parteien ebenso wie supranationale Institutionen und ihre Vertreter am Integrationsprozess mitwirken. Nach ihrer Ansicht geschehe dies aber nur auf nationaler Ebene innerhalb eines engen Rahmens, der von den Nationalstaaten vorgegeben wird. Damit sind diese Akteure von nachrangiger Bedeutung und können in keiner Weise die machtvolle Position der Nationalstaaten gefährden. Hier zeigt sich ein wichtiger Unterschied zu den neo-funktionalistischen Annahmen, die davon ausgehen, dass transnational und supranational agierende Institutionen und Akteure den Nationalstaat umgehen, ja, sogar in seiner Position schwächen können. Die Intergouvernementalisten hingegen erkennen ein grundlegend anderes Machtverhältnis, in dem der Nationalstaat die Wirkungsmöglichkeiten transnationaler und supranationaler Initutionen und sonstiger Interessengruppen bestimmt und dementsprechend eingrenzen kann. Auch die Vertreter des NRA sehen in den Nationalstaaten wichtige Akteure der Regionalintegration. Allerdings heben sie hervor, dass die Staaten in keiner Weise den anderen Akteuren übergeordnet seien. Zu diesen werden die nichtstaatlichen Akteure gezählt, die auch im informellen Bereich agieren, ebenso wie externe Akteure, staatlicher oder nicht-staatlicher Natur. Von den beiden anderen untersuchten Ansätzen unterscheidet sich der NRA, da er versucht, erstens das Bewusstsein für Handlungen der Akteure im informellen Bereich zu stärken und
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zweitens das komplexe Zusammenwirken unterschiedlicher Akteure in Form von Governance-Strukturen zu analysieren. Auch wenn die drei untersuchten Ansätze in ihrer Vorstellung von den relevanten Akteuren der Integration Überschneidungen aufweisen, so unterscheiden sie sich doch gravierend darin, wie sie die Machtverhältnisse zwischen den verschiedenen Akteursgruppen konzeptualisieren bzw. welche Akteure sie als dominant erachten. Eine wichtige Gemeinsamkeit besteht allerdings in einem weiteren Punkt, der die Interessenbildung der jeweiligen Akteure und insbesondere das nationale Interesse betrifft. Die Vertreter aller Ansätze analysieren den Entstehungsprozess dieser Interessen. Bis auf Hoffmann kommen alle zu dem Schluss, dass die Interessen der Akteure nicht fix gegeben sind, sondern erst durch die Einwirkungen einer Vielzahl von Faktoren sowie durch verschiedene Aushandlungsprozesse entstehen.235 In Bezug auf die Anwendungsmöglichkeiten der untersuchten Theorieansätze in verschiedenen Weltregionen ist zunächst hervorzuheben, dass sich allein der NF in seinen frühen Arbeiten eingehend mit diesem Aspekt auseinandersetzt. Die beiden anderen Ansätze lassen hingegen nur indirekte Rückschlüsse zu diesem Thema zu. Gemäß dem Anspruch der frühen Vertreter des NF, eine vergleichende Theorie zu entwickeln, wurden die neo-funktionalistischen Annahmen im außereuropäischen Raum getestet. Hier bewiesen Autoren wie Haas und Nye durchaus Sensibilität gegenüber den spezifischen Besonderheiten dieser Regionen. Mit dem Konzept der funktionalen Äquivalente tragen sie dem Umstand Rechnung, dass die für die Integration notwendigen Funktionen durchaus von unterschiedlichen Akteuren und Strukturen geleistet werden können. Damit erweiterten sie ihre Untersuchungsperspektive, mussten sich aber auch dem Vorwurf stellen, ihren Ansatz unverhältnismäßig stark auszuweiten bzw. auf theoretisch nur schwach begründete Füße zu stellen. Da sich Hoffmann ausschließlich mit der europäischen Integration auseinandersetzt und nicht die Absicht verfolgt, eine eigenständige Theorie zu entwickeln, macht er keine Angaben zur Gültigkeit seiner theoretischen Überlegungen im außereuropäischen Raum. Auch Moravcsik legt kein deutlich stärkeres Interesse für die Analysekraft seiner Annahmen in anderen Regionen an den Tag. Gleichzeitig proklamiert er aber aufgrund der Tatsache, dass sich sein Theorieansatz aus Versatzstücken allgemeiner politikwissenschaftlicher Theorien zusammensetze, auch dessen allgemeine Gültigkeit.
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Hoffmann betrachtet das nationale Interesse der Staaten als gegeben und insbesondere durch die vorhandenen Machtpositionen der einzelnen Nationalstaaten im internationalen System fixiert.
6.4 Quintessenz und Vergleich der verschiedenen Theorieansätze
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Der NRA ist der einzige Ansatz, der nicht die regionale Integration in Europa zum Gegenstand der Analyse macht, sondern vielmehr den Regionalismus in den Ländern des Südens. Mit dieser Ausrichtung sollte der NRA also über die beste Grundlage für eine Analyse des afrikanischen Regionalismus verfügen. Ob er diese Erwartung erfüllen kann, wird sich zeigen.
7 Die forschungsleitenden Hypothesen
Auf der Grundlage der im letzten Kapitel vorgestellten Theorieansätze sollen nun fünf Hypothesen hergeleitet werden. Diese bilden eine wichtige Verknüpfung zwischen der theoretischen und der empirischen Ebene dieser Arbeit. Mit Hilfe der Hypothesen können die Annahmen der einzelnen Theorieansätze auf ihre empirische Erklärungskraft hin untersucht werden. Sie ermöglichen den Abgleich der theoretischen Annahmen mit der empirischen Realität und besitzen daher für den Forschungsprozess eine große Bedeutung. Die Grundlage für eine anschließende Überprüfung der Hypothesen bilden die Ergebnisse der empirischen Forschung dieser Arbeit. Damit der Bezug zwischen Theorie und Empirie nachvollziehbar bleibt, wird die Ableitung der einzelnen Hypothesen nach folgendem Schema vorgenommen: Vier der insgesamt fünf Hypothesen beziehen sich jeweils auf eines der Analysekriterien, mit deren Hilfe die theoretischen Ansätze zum Regionalismus strukturiert wurden.236 Mit den einzelnen Hypothesen sollten die Annahmen der verschiedenen Theorieansätze zu den jeweiligen Analysekriterien möglichst umfassend abgedeckt werden. Eine fünfte Hypothese fällt aus diesem Rahmen heraus. Sie beschäftigt sich auf einer übergeordneten Ebene mit den Möglichkeiten und Grenzen einer ‚allgemeinen Integrationstheorie’. Zunächst wird für jede Hypothese das allgemeine Erkenntnisinteresse kurz skizziert, bevor auf mögliche Einschränkungen oder Herausforderungen methodischer Art eingegangen wird. Damit die hypothetischen Annahmen nicht im ‚luftleeren’ Raum stehen, werden in einem weiteren Schritt die konkreten Annahmen der Theorieansätze genannt, deren Gültigkeit im südlichen Afrika mit Hilfe der Hypothese überprüft werden soll. Der konkrete Bezug zwischen Theorie und Untersuchungsgegenstand wird dann unter Berücksichtigung vorhandener Sekundärliteratur hergestellt. Diese kann erste Anhaltspunkte liefern, wie sich die Sachverhalte, die von den Theorieansätzen beschrieben werden, auf empirischer Ebene verhalten.
236
Hier handelt es sich um die Motive/Zielsetzungen regionaler Integration, um die Bedingungen einer erfolgreichen Regionalintegration, den Verlauf des Integrationsprozesses sowie die Akteure der regionalen Integration.
7.1 Hypothese zu den Motiven und Zielen der regionalen Integration
205
Auf dieser Grundlage erfolgt dann die Formulierung der hypothetischen Annahmen. Da es sich um vergleichsweise komplexe Zusammenhänge handelt, die im Rahmen der empirischen Untersuchung überprüft werden sollen, sind auch die Hypothesen relativ umfassend, zumal die Annahmen der Hypothesen so weit wie möglich auch für die Handels- und Sicherheitspolitik differenziert werden müssen.237 7.1 Hypothese zu den Motiven und Zielen der regionalen Integration Die erste Hypothese soll ein besonderes Augenmerk auf die Motive und Zielsetzungen richten, die die Staaten des südlichen Afrikas zu ihrem Zusammenschluss auf regionaler Ebene veranlassen. Da in diesem Zusammenhang auch die ursprünglichen Motive zur Bildung einer regionalen Staatengemeinschaft berücksichtigt werden müssen, schließt die Analyse auch die Vorgängerorganisation der SADC, die SADCC, ein. Ein erster Aspekt der Hypothese soll sich mit den Ursprungsmotiven für die Gründung einer Regionalgemeinschaft auseinandersetzen und klären, ob politische oder wirtschaftliche Interessen den Ausschlag für die Gründung der SADCC bzw. SADC gaben. Damit steht die Annahme des NF zur Disposition, wonach die Nationalstaaten bzw. dessen staatliche Eliten regionale Zusammenschlüsse hauptsächlich aus ökonomischen Gründen anstreben, um so ihre nationale Wirtschaftskraft zu stärken und ihre inländische Wohlfahrt zu steigern. Dass wirtschaftliche Motive für die Staaten des südlichen Afrikas eine derart prominente Rolle spielen, muss aber eher bezweifelt werden. Die Auswertung der bestehenden Literatur verdeutlicht, dass politische und wirtschaftliche Motive zwar eng miteinander verzahnt sind, die politischen Beweggründe aber eindeutig dominieren. In der Literatur herrscht die Einschätzung vor, dass mit der Gründung der SADCC das Ziel verfolgt wurde, die Kooperation zwischen den unabhängigen Staaten der Region zu stärken und so die bestehende wirtschaftliche Abhängigkeit (insbesondere) von Südafrika zu reduzieren. Ausschlaggebend für den regionalen Zusammenschluss waren also politische Ambitionen, die aber in Teilen auch eine Zusammenarbeit im wirtschaftlichen Bereich notwendig machten (vgl. Mair/Peters-Berries 2001: 298; McCarthy 1999: 15; Meyns 2000a: 68-69). Auch im weiteren Verlauf hätten sich die Prioritäten der beteiligten Staaten nicht verändert. Es seien immer noch die politischen Motive, die die Staaten im südlichen Afrika dazu bewegen, ihre Mitgliedschaft in der SADC aufrecht zu erhalten. Colin McCarthy geht sogar so weit, die regiona237
Die Hypothesen können aber im Rahmen der empirischen Überprüfung wieder in ihre einzelnen Kernaspekte zerlegt und somit problemlos bearbeitet werden (vgl. Kapitel 9).
206
7 Die forschungsleitenden Hypothesen
le Integration im südlichen Afrika als ein politisches Konstrukt zu bezeichnen, das durch den Zement der Wirtschaft zusammengehalten wird (vgl. McCarthy 1999: 15). Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse soll in einer ersten Hypothese die Annahme vertreten werden, dass politische Motive sowohl bei der Gründung als auch bei der Fortführung der SADCC bzw. SADC gegenüber wirtschaftlichen Interessen dominieren. Darüber hinaus soll in der ersten Hypothese die Bedeutung nationaler Interessen im regionalen Integrationsprozess thematisiert werden. Nach den Annahmen des IG sind die Nationalstaaten nur dann zu einer Beteiligung an regionalen Zusammenschlüssen bereit, wenn ihre Interessen dadurch unterstützt werden. Dies geschieht beispielsweise, indem die Mitgliedschaft in einer Regionalgemeinschaft den Nationalstaaten hilft, sich an veränderte internationale Bedingungen anzupassen und auf diese angemessen zu reagieren.238 Aber spielen die nationalen Interessen der einzelnen Mitgliedsländer auch im Falle der SADC eine derart wichtige Rolle? Entscheiden allein nationale Interessen über Art und Umfang der Beteiligung an der Regionalgemeinschaft oder existiert auch ein übergeordnetes regionales Interesse, dem sich die einzelnen Nationalstaaten verpflichtet fühlen? In der Literatur werden diese Fragen eindeutig beantwortet: Es herrscht die Ansicht, dass die nationalen Interessen gegenüber den regionalen Interessen dominieren. Für Martin Adelmann unterliegt beispielsweise die Regionalintegration in Afrika anderen Voraussetzungen als in Europa. Seiner Meinung nach wird als Ziel nicht die Überwindung des Nationalstaates verfolgt, sondern gerade dessen Stärkung (vgl. Adelmann 2003: 88). Vor diesem Hintergrund ist auch die fehlende Bereitschaft der SADC-Staatsoberhäupter zu sehen, Teile ihrer nationalen Souveränität an eine übergeordnete regionale Ebene abzutreten. Die Staaten der SADC-Region fürchten, dass sie ein partieller Verzicht von nationaler Souveränität schwächen könnte. Daher lehnen sie jegliche Übertragung von Souveränitätsrechten auf die regionale Ebene ab (vgl. Asante 1996: 30; Meyns 2000a: 80-81; Schiff/Winters 2003: 22).239 Colin McCarthy ist der Ansicht, dass regionalen Zielsetzungen nur Priorität beigemessen wird, wenn sie letztendlich nationalen Interessen dienen. Hinzu kommt, dass nationale Interessen oftmals im 238
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Ganz allgemein spiegelt das nationale Interesse nicht notwendigerweise die Wohlfahrtsinteressen der Bevölkerung der Nationalstaaten wider. So hebt beispielsweise Fredrik Söderbaum hervor, dass die herrschenden nationalen Eliten Afrikas oftmals ihre eigenen Anliegen zum nationalen Interesse deklarieren würden (vgl. Söderbaum 2002: 165). In diesem Zusammenhang werden die afrikanischen Staaten, die erst vor vergleichsweise kurzer Zeit ihre Unabhängigkeit erlangt haben, auch als „nation-states in the making“ (Evans/Holmes/Mandaza 1999: 22) bezeichnet. Sie sind noch nicht bereit, die gerade gewonnene und mühsam erkämpfte nationale Souveränität auf regionaler Ebene zu teilen.
7.1 Hypothese zu den Motiven und Zielen der regionalen Integration
207
Gegensatz zu den regionalen Interessen stehen und nur schwer miteinander vereinbar sind (vgl. McCarthy 1999: 25+35). Auf der Basis dieser Einschätzungen wird in der Hypothese von einer eindeutigen Dominanz der nationalen gegenüber den regionalen Interessen ausgegangen, die sich sowohl in der Handels- als auch in der Sicherheitspolitik zeigt. In einem weiteren Punkt soll die Hypothese auch die Rolle der Globalisierung in den Blick nehmen und überprüfen, inwiefern die Prozesse auf globaler Ebene die Bereitschaft der Nationalstaaten zur regionalen Integration beeinflussen. Damit sollen insbesondere die Annahmen des NRA überprüft werden, der von einem engen Zusammenhang beider Prozesse ausgeht und eine gegenseitige Beeinflussung annimmt. Laut NRA besitzen Regionalismusprozesse sogar das Potenzial, den negativen Konsequenzen der Globalisierung Einhalt zu bieten. Globale Wirtschaftsprozesse, die das ausschließliche Ziel der Gewinnmaximierung verfolgen, können durch politische Eingriffe auf regionaler Ebene wieder mit Zielsetzungen wie Umweltschutz oder Friedenssicherung verbunden werden. Doch in welchem Zusammenhang stehen Globalisierung und Regionalismus im südlichen Afrika? Gibt es auch hier eine gegenseitige Beeinflussung?240 Für Michael Marx stellt der Zusammenschluss der SADC-Staaten einen Versuch dar, den fortschreitenden wirtschaftlichen Bedeutungsverlust der betroffenen Länder auf globaler Ebene aufzuhalten (vgl. Marx 2000: 55). Diese Ansicht soll mit Hilfe der Hypothese überprüft werden. Es wird angenommen, dass die Staaten des südlichen Afrikas die Globalisierung als Chance und nicht als Bedrohung wahrnehmen. Im regionalen Verbund versprechen sie sich bessere Beteiligungsmöglichkeiten an den wirtschaftlichen Globalisierungsprozessen, und somit liefert die Globalisierung ein weiteres Motiv für die Beteiligung an der regionalen Integration. Abschließend stellt sich die Frage, ob neben den ‚harten’ nationalpolitischen Interessen und den wirtschaftlichen Motiven nicht auch ideologische bzw. idealistische Gründe die Staaten des südlichen Afrikas zum Zusammenschluss auf regionaler Ebene bewegen. Damit steht die Annahme des IG auf dem Prüfstand, wonach derlei Motivationen für die Entscheidung der Nationalstaaten, sich an regionalen Zusammenschlüssen zu beteiligen, keine Rolle spielen. Es liegt die Vermutung nahe, dass insbesondere im Bereich der Sicherheitspolitik idealistische Antriebkräfte, die sich aus einem regionalen Solidaritätsbewusstsein speisen, für den Regionalismus im südlichen Afrika sehr wohl eine Rolle spielen. In der Literatur wird oftmals auf den gemeinsamen Kampf 240
Weiterführende Informationen, insbesondere zur wissenschaftlichen Diskussion zum Verhältnis zwischen Globalisierung und Regionalismus, bietet das Kapitel 2.2.2.
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7 Die forschungsleitenden Hypothesen
gegen das Apartheidsregime in Südafrika verwiesen, der die bereits ‚befreiten’ Staaten der Region etwa zum Zusammenschluss zur Gruppe der Frontstaaten bewog (vgl. Schleicher 2006: 8; Mair/Peters-Berries 2001: 41).241 Der gemeinsame Widerstand gegen das weiße Minderheitsregime konnte durchaus einen Nährboden für weitergehende und fortdauernde Solidarität zwischen den Staaten der Region bieten. Außerdem darf das Prinzip der afrikanischen Solidarität, das seinen Ausdruck unter anderem in der panafrikanistischen Bewegung fand, in seiner Bedeutung nicht unterschätzt werden (siehe hierzu auch Kapitel 3.1) (vgl. Schleicher 2006: 52). Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse wird in der Hypothese die Annahme vertreten, dass eine historisch gewachsene Solidarität unter den Staaten des südlichen Afrikas für die regionale Sicherheitspolitik durchaus eine Rolle spielt. Zusammenfassend resultieren die vorgestellten Annahmen in der folgenden ersten Hypothese. Sie soll die empirischen Untersuchungen zu den Motiven und Zielsetzungen der regionalen Integration leiten: Die Gründung der SADC bzw. ihrer Vorgängerorganisation, der SADCC, ist auf politische Beweggründe zurückzuführen. Wirtschaftliche Interessen sind von nachrangiger Bedeutung. Darüber hinaus sind es primär nationale Interessen, die die einzelnen Staaten im Handels- wie im Sicherheitsbereich dazu bewegen, sich an regionalen Integrationsmaßnahmen zu beteiligen. Im Handelsbereich wird der regionale Zusammenschluss zudem als Chance gesehen, die wirtschaftliche Bedeutung der Region, und somit jedes einzelnen Nationalstaates, auszubauen und einer marginalisierten Stellung innerhalb der Weltwirtschaft zu entkommen. Im Sicherheitsbereich spielen Solidaritätsgedanken, die ihren Ursprung in der Geschichte der Region haben, als Beweggründe für den regionalen Zusammenschluss eine weitaus wichtigere Rolle als im Handelsbereich. 7.2 Hypothese zu den förderlichen Bedingungen für regionale Integration Die einzelnen theoretischen Ansätze (und hier insbesondere der NF) zählen eine ganze Reihe von Bedingungen auf, die für eine erfolgreiche Integrationsentwicklung erfüllt sein müssen. All diese Bedingungen auf ihre Bedeutung im Kontext der Integration im südlichen Afrika zu überprüfen, würde den Rahmen 241
Weiterführende Informationen zur Gruppe der Frontstaaten liefert das Kapitel 4.4.2.
7.2 Hypothese zu den förderlichen Bedingungen für regionale Integration
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dieser Untersuchung sprengen. Daher muss eine Konzentration auf die wichtigsten Bedingungen stattfinden. Für den NF sollen insbesondere die Relevanz einer pluralistischen Gesellschafstruktur, die Rolle der Elitenkomplementarität und die Bedeutung der Transaktionen zwischen den beteiligten Staaten untersucht werden. Für den IG bzw. LIG stehen ebenfalls die pluralistische Gesellschaftsstruktur und die Elitenkomplementarität im Vordergrund. Ebenso soll die dezidierte Unterstützung des Integrationsprozesses durch die Eliten und die subjektive Wahrnehmung der beteiligten Staaten bezüglich gemeinsamer historischer Erfahrungen einbezogen werden. Für den NRA gilt es, die Bedeutung von Homogenität in wirtschaftlicher, politischer und kultureller Hinsicht unter den beteiligten Staaten für eine erfolgreiche Integration zu prüfen. Neben der relativ hohen Anzahl verschiedener Bedingungen, die in Form der Hypothese überprüft werden müssen, wird die Untersuchung durch einen weiteren Umstand erschwert. Im Grunde umfasst die Analyse eine doppelte Fragestellung: Es muss erstens untersucht werden, ob die von den theoretischen Ansätzen hervorgehobenen Bedingungen für die Integration im südlichen Afrika gegeben sind. Falls dies der Fall ist, schließt sich zweitens die Frage an, welche Rolle diese Bedingungen im afrikanischen Kontext spielen. Schließlich ist es denkbar, dass die Bedingungen, die von den theoretischen Ansätzen hervorgehoben werden, im südlichen Afrika nur wenig Relevanz besitzen und die Erfolgsaussichten des Integrationsprozesses nicht wesentlich tangieren. Vor dem Hintergrund der genannten Herausforderungen soll im Folgenden eine Hypothese zu den Bedingungen der Integration entwickelt werden. Deshalb werden die Annahmen zu den einzelnen Bedingungen kurz skizziert, bevor sie in einer Hypothese zusammengefasst werden. Der NF und der IG sehen in der Existenz pluralistischer Gesellschaftsstrukturen in den Nationalstaaten, die eine regionale Integration anstreben, eine wichtige Erfolgsbedingung. Sind solche pluralistischen Strukturen nicht vorhanden, fehle es den politischen Akteuren an wichtigen Unterstützern für ihr Integrationsvorhaben und relevante Informationskanäle blieben ihnen verschlossen. Dies hätte wiederum zur Folge, dass sich die Politiker stärker auf der Grundlage von Ideologie und Unsicherheit bewegen müssten (vgl. Nye 1971: 100-101). Es bleibt also für den Kontext des südlichen Afrikas zu klären, ob erstens pluralistische Gesellschaftsstrukturen in den einzelnen Staaten vorhanden sind und zweitens, ob die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen den Integrationsprozess unterstützen. Der Frage nach der Existenz pluralistischer Gesellschaftsstrukturen in den SADC-Mitgliedsländern in einer empirischen Analyse nachzugehen, ist kein leichtes Unterfangen. Es wären aufwendige soziologische Untersuchungen für die einzelnen SADC-Staaten notwendig. Eine andere Möglichkeit bestünde darin, Experten nach ihrer Einschätzung bezüglich der Existenz plura-
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7 Die forschungsleitenden Hypothesen
listischer Gesellschaftsstrukturen zu befragen. Aber auch diese Vorgehensweise birgt Probleme. Denn erstens beschäftigen sich die ausgewählten Experten nicht schwerpunktmäßig mit den Sozialstrukturen der SADC-Mitgliedsländer, zweitens handelt es sich bei dem Konzept ‚pluralistischer Gesellschaftsstrukturen’ um ein sehr theoretisches Konstrukt, das in einer Interviewsituation näher erläutert werden müsste. Aber es besteht die Möglichkeit, diese methodischen Probleme zu umgehen: Reduziert man die Annahmen des NF und des IG auf ihren Kern, geht es beiden theoretischen Ansätzen um die Frage, ob der Integrationsprozess über die staatlichen Eliten hinaus auch von anderen gesellschaftlichen Gruppen getragen wird. Sind neben den staatlichen Entscheidungsträgern weitere gesellschaftliche Akteure involviert, die den regionalen Integrationsprozess unterstützen, bestehen gute Erfolgsaussichten. Im Falle der SADC scheint diese Voraussetzung aber nicht gegeben. In der Literatur wird die fehlende Beteiligung nicht-staatlicher Akteure am Integrationsprozess etwa als ein wichtiger Grund für dessen Ineffektivität gesehen (vgl. zum Beispiel Asante 1997: 82, Hansohm 2002: 9). Der SADCIntegrationsprozess vollzieht sich sowohl im Handels- als auch im Sicherheitsbereich allein auf staatlicher Ebene, und eine Anbindung an gesellschaftliche Gruppen findet nur marginal statt. Selbst für den Fall, dass die Gesellschaften der SADC-Staaten pluralistisch strukturiert sind, wäre die Situation nicht entscheidend anders. Denn die regionale Integration im südlichen Afrika ist ein von staatlichen Eliten getragener Prozess, der ohne die Mitwirkung weiterer gesellschaftlicher Gruppen vonstatten geht. Vor dem Hintergrund dieser Annahmen gewinnen zwei weitere Bedingungen im Zusammenhang mit der Rolle der Eliten im Integrationsprozess an Bedeutung. Sowohl NF als auch IG betonen, dass es erstens für den Integrationsprozess förderlich sei, wenn Eliten unterschiedlicher ideologischer Ausrichtung ihre Entsprechung in anderen Mitgliedsländern fänden. Der IG hebt zweitens hervor, wie wichtig die Unterstützung der Eliten für den Erfolg des Integrationsprozesses sei. Diese beiden Bedingungen stehen in einem engen Zusammenhang. Denn selbst wenn die Vielfalt an ideologischen Ausrichtungen der Eliten in den einzelnen Mitgliedsländern komplementär ist, so nützt dieser Umstand dem Integrationsprozess nur, wenn die Eliten am Integrationsprozess beteiligt sind bzw. im Rahmen ihrer Ausrichtungen den Integrationsprozess unterstützen. Doch wie im vorherigen Abschnitt erläutert, wird hier die These vertreten, dass allein die staatlichen Eliten eine tragende Rolle für den Integrationsprozess spielen. Andere Eliten aus Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft sind nicht in relevanter Weise am Integrationsprozess beteiligt. Somit ist im Fall der SADC allein die Ausrichtung der staatlichen Eliten für den Erfolg des Integrationsprozesses
7.2 Hypothese zu den förderlichen Bedingungen für regionale Integration
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ausschlaggebend. Es gilt die Frage zu klären, ob und in welchem Maße diese staatlichen Eliten den Integrationsprozess unterstützen. In der Literatur wird allgemein beklagt, dass es den staatlichen Eliten am notwendigen Willen mangelt, die Integration voranzutreiben. Auch die fehlende Bereitschaft der nationalen staatlichen Eliten, auf Teile ihrer Souveränität zugunsten der regionalen Ebene zu verzichten, zeigt, dass die Unterstützung für die Regionalintegration dann aufhört, wenn die nationale Souveränität angegriffen scheint. Die staatlichen Eliten stehen einer Übertragung nationaler Souveränität auch deshalb besonders kritisch gegenüber, weil sie den Verlust bestehender Privilegien und materieller Vorteile befürchten (vgl. Meyns 2000a: 80-81). Sie fürchten darüber hinaus, dass durch die Übertragung nationaler Souveränität auf die regionale Ebene der Nationalstaat entscheidend geschwächt würde (vgl. Schiff/Winters 2003: 22). Eine solche Schwächung der nationalstaatlichen Ebene kann eine Reihe von Staaten im südlichen Afrika, die ohnehin um die Aufrechterhaltung ihrer internen Stabilität kämpfen, nicht hinnehmen (vgl. Evans/Holmes/Mandaza 1999: 22; Handley 1998: 6). Eine weitere Bedingung für einen aussichtsreichen Integrationsverlauf sehen die Vertreter des NF dann erfüllt, wenn zwischen den Staaten, die eine Regionalintegration anstreben, bereits umfassende Transaktionen stattfinden. Diese Transaktionen können sich sowohl auf wirtschaftliche als auch auf politische Prozesse beziehen. Die Relevanz dieser Bedingung ist für den Fall des südlichen Afrikas nur zu unterstreichen. Im Wirtschaftsbereich bestehen die wichtigsten Transaktionen in den Handelsaktivitäten zwischen den einzelnen SADC-Staaten. Aufgrund großer Ähnlichkeiten in den Produktionsstrukturen ist das Ausmaß an intra-regionalem Handel niedrig. Daher können durch eine Handelsintegration auch nur vergleichsweise geringe Gewinne entstehen, was die Erfolgsaussichten der Handelsintegration entscheidend schmälert (vgl. zum Beispiel McCarthy 1999: 21; Rowlands 1998: 923-026).242 Die nur schwach ausgeprägten Handelsbeziehungen zwischen den Staaten der SADC-Region haben zur Folge, dass die Bedingung umfassender Transaktionen zumindest für den Wirtschaftsbereich nicht erfüllt wird. Im Sicherheitsbereich können die Transaktionen zwischen den Staaten ganz unterschiedliche Aktivitäten umfassen. Sie können ganz allgemein als ‚Austauschprozesse’ verstanden werden. Zu solchen Austauschprozessen zählen beispielsweise Beratungen und Treffen der Staats- und Regierungschefs oder auch Kontakte auf diplomatischer Ebene. Damit wird der Transaktionsbegriff im Sicherheitsbereich weitestgehend mit Verhandlungen und Beratungen 242
Diese Annahme gilt nur eingeschränkt für die Republik Südafrika, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Vormachtstellung und relativ diversifizierter Wirtschaftsstrukturen umfassenden Handel mit den regionalen Partnern betreibt (vgl. McCarthy 1999: 28-31).
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7 Die forschungsleitenden Hypothesen
gleichgesetzt und unterscheidet sich grundlegend von seiner Bedeutung im Handelsbereich. Anders als im wirtschaftlichen Bereich ist in der Sicherheitspolitik ein hohes Maß an Transaktionen vorhanden, wodurch die Sicherheitsintegration unterstützt wird. In der Literatur wird beispielsweise hervorgehoben, dass die SADC-Institutionen Foren bereitstellen, in denen sicherheitspolitische Probleme diskutiert werden. Die Aussprache zwischen den Staaten führe dazu, dass die Politik der einzelnen Mitgliedsländer leichter vorausgesehen und verstanden werden könne. Dieses „talk-club element“ (Hammerstad 2004: 225) der Sicherheitsintegration könne einen wichtigen Beitrag zur Vermeidung bzw. Lösung politischer Spannungen und zur Vertrauensbildung in der Region leisten (vgl. Hammerstad 2004: 224-226, Schleicher 2006: 24). Demnach soll im Folgenden die Annahme geprüft werden, dass der Sicherheitsbereich im Vergleich zum Wirtschaftsbereich durch ein höheres Maß an Transaktionen gekennzeichnet ist, wodurch die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Integration verbessert werden. Darüber hinaus ist die Annahme des IGs zu untersuchen, wonach die subjektive Wahrnehmung der Staaten einer Integrationsgemeinschaft von Bedeutung ist. Laut IG wirkt es sich positiv auf den Integrationsentwicklung aus, wenn die beteiligten Staaten untereinander Gemeinsamkeiten, z.B. in ihrer Geschichte oder ihrer nationalen Lage, wahrnehmen. Ob diese Übereinstimmungen objektiv vorhanden sind, ist dabei zweitrangig. Wichtig ist allein die subjektive Wahrnehmung der involvierten Staaten. Diese Bedingung weist Überschneidungen zu einem der untersuchten Motive für regionale Integration auf. In der ersten Hypothese soll die Annahme getestet werden, dass regionale Solidarität, die ihren Ursprung in geteilten historischen Erfahrungen hat, ein wichtiges Motiv für die Initiierung und Aufrechterhaltung der Regionalintegration darstellt. Da die Bedeutung der gemeinsamen Geschichte somit schon berücksichtigt wurde, soll an dieser Stelle eine Konzentration auf die subjektiv wahrgenommenen Gemeinsamkeiten unter den SADC-Staaten erfolgen. Die Analyse der relevanten Literatur legt den Schluss nahe, dass insbesondere aufgrund der wirtschaftlichen und politischen Vormachtstellung Südafrikas (vgl. zum Beispiel Adelmann 2003: 63-64; Gibb 1998: 289-290) eine subjektive Wahrnehmung von Gemeinsamkeiten, die über geteilte historische Erfahrungen hinausgeht, nicht vorhanden ist. So sieht sich Südafrika aufgrund seiner wirtschaftlichen und politischen Stärke mit dem Anspruch anderer Staaten konfrontiert, eine aktivere Führungsrolle in der Region zu übernehmen. Gleichzeitig geht diese Forderung mit Angst vor der erdrückenden Dominanz Südafrikas in der Region einher. Diese ambivalente Situation zeigt sich auch im sicher-
7.2 Hypothese zu den förderlichen Bedingungen für regionale Integration
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heitspolitischen Bereich. Die Sorge vor der politischen Dominanz Südafrikas sorgt gemeinsam mit seiner Vergangenheit als Apartheidstaat für ein Klima des Misstrauens, das für den Aufbau einer integrierten Sicherheitspolitik nicht förderlich ist (vgl. Schleicher 2006: 31, Marx 2000: 55-56). Die subjektive Empfindung von Gemeinsamkeiten innerhalb der SADC wird auch durch den Umstand erschwert, dass die einzelnen Staaten der Region mehreren Regionalorganisationen gleichzeitig angehören (vgl. Hansohm 2002: 8). Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse soll mit der Hypothese die Annahme geprüft werden, dass die Staaten der SADC-Region die Bedingung der wahrgenommenen Gemeinsamkeiten weder im Handels- noch im Sicherheitsbereich erfüllen. Als letzter Bestandteil der Hypothese wird die Bedeutung von Homogenität für die Erfolgsaussichten eines Integrationsprojektes untersucht. Die Vertreter des NRA sind der Ansicht, dass regionale Integration erleichtert wird, wenn die beteiligten Staaten Homogenität in Bezug auf ihre Kultur, ihr politisches System, ihre Wirtschaftspolitik und ihre Sicherheitspolitik aufweisen. Doch eine solche Homogenität ist im Handelsbereich bzw. im allgemeinen wirtschaftlichen Bereich der SADC-Staaten nicht gegeben. Dieses Urteil wird zumindest in der einschlägigen Literatur vertreten. Die Autoren betonen insbesondere die große „wirtschaftliche Asymmetrie“ (Adelmann 2003: 81) innerhalb der Region, die sich auch in großen Entwicklungsunterschieden zwischen den einzelnen Staaten äußert. Gleichzeitig wird die Auffassung vertreten, dass die Handelsintegration von Nationalstaaten mit einer ähnlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und eines ähnlichen Entwicklungsstandes deutlich leichter wäre (vgl. Asante 1997: 63; Gibb 1998: 297-298; Handley 1998: 7). Die Bedingung von Homogenität im Wirtschaftsbereich ist im Falle des südlichen Afrikas also nicht erfüllt und stellt die Regionalintegration vor große Herausforderungen. Einer homogenen Sicherheitspolitik der einzelnen SADC-Mitgliedsstaaten müssten gemeinsame politische Werte und die Wahrnehmung geteilter Sicherheitsbedrohungen zugrunde liegen. Aber auch diese Voraussetzungen sind im südlichen Afrika nicht gegeben. So stellen Mair und Peters-Berries (vgl. 2001) beispielsweise fest, dass die SADC-Mitglieder eine unterschiedliche Basis an politischen Grundwerten besitzen und auch in der Ausgestaltung ihrer politischen Systeme große Unterschiede aufweisen (vgl. Mair/Peters-Berries 2001: 360).243 Zudem sind die einzelnen SADC-Staaten in ihrer demokratischen Entwicklung unterschiedlich weit vorangeschritten, und es existiert keine externe Bedrohung mehr (wie ehemals das Apartheidsregime in Südafrika), deren Bekämpfung die Staaten der Region einen würde (vgl. Hammerstad 2004: 232). 243
Zu ähnlichen Einschätzungen kommt auch Schleicher (vgl. 2006: 56).
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Somit soll in der nachfolgenden Hypothese die Annahme geprüft werden, dass weder im Handels- noch im Sicherheitsbereich die Bedingung einer Homogenität unter den SADC-Mitgliedsstaaten vorhanden ist. Auf der Grundlage der dargestellten theoretischen Annahmen soll folgende Hypothese getestet werden: Die regionale Integration im südlichen Afrika wird sowohl im Handels- als auch im Sicherheitsbereich ohne die Mitwirkung gesellschaftlicher Gruppen allein von staatlichen Eliten getragen. Selbst die staatlichen Eliten zeigen nur begrenzten politischen Willen, die Regionalintegration voranzubringen. In Bezug auf das Ausmaß an Transaktionen hat die Sicherheitsintegration aufgrund bestehender Austausch- und Verhandlungsprozesse zwischen den Nationalstaaten bessere Erfolgsaussichten als die Handelsintegration. Eine subjektive Wahrnehmung von Gemeinsamkeiten besitzen die Mitgliedsstaaten der SADC weder im Handels- noch im Sicherheitsbereich, da die regionale Vormachtstellung Südafrikas den Staaten der Region die großen wirtschaftlichen und politischen Unterschiede vor Augen führt. Zusätzlich erschwert wird die regionale Integration durch die fehlende Homogenität der beteiligten Staaten im wirtschaftlichen und politischen Bereich, die sich beispielsweise in ökonomischen Entwicklungsunterschieden und grundlegenden Differenzen in politischen Grundwerten wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit äußert. 7.3 Hypothese zum Verlauf der regionalen Integration Im Mittelpunkt der dritten Hypothese steht die Frage, auf welche Art und Weise sich der Integrationsprozess im südlichen Afrika weiterentwickelt. Der Fokus der Analyse wird mit dieser Hypothese also besonders auf den Prozess bzw. den Fortgang der Integration ausgerichtet, ohne dabei die Differenzierung der Politikbereiche Handel und Sicherheit außer Acht zu lassen. Um den Abgleich der theoretischen Annahmen mit der Realität der SADC-Integration zu ermöglichen, müssen aber zunächst zwei Sachverhalte geklärt werden. Hier handelt es sich erstens um die Frage, wie der Fortschritt eines Integrationsprozesses überhaupt gemessen wird bzw. anhand welcher Kriterien ein Fortschritt als solcher identifiziert werden kann. Für den Handelsbereich kann das Stufenmodell der ökonomischen Integration einen Anhaltspunkt für die Be-
7.3 Hypothese zum Verlauf der regionalen Integration
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arbeitung dieser Fragestellung liefern. Immer dann, wenn ein wichtiger Schritt hin zur Erreichung einer nächsthöheren Stufe auf der Integrationsleiter vollzogen wurde, kann von einem Fortschritt gesprochen werden. Für den Sicherheitsbereich fehlt ein solcher fest umrissener Maßstab, unter anderem auch, weil die Ziele in der sicherheitspolitischen Integration weniger konkret formuliert sind. Deshalb liefern allein die jeweils zuvor festgelegten, konkreten Zielsetzungen der Sicherheitsintegration in den offiziellen Dokumenten der SADC (wie z.B. dem RISDP) einen Anhaltspunkt für die Beurteilung etwaiger Fortschritte. Zweitens ergeben sich Schwierigkeiten bei der Einschätzung der Geschwindigkeit des Integrationsprozesses. Es muss festgelegt werden, nach welchen Kriterien ein Integrationsverlauf als ‚schnell’ oder ‚langsam’ bezeichnet werden kann. Der direkte Vergleich mit Integrationsprozessen in anderen Teilen der Welt kann eine erste Orientierung, aber keinen Maßstab liefern. Sonst besteht die Gefahr, die Besonderheiten der SADC-Integration zu vernachlässigen. Außerdem muss berücksichtigt werden, dass jeder Integrationsprozess sehr spezifisch ist und auch seine eigene Geschwindigkeit besitzt. Daher sollte jedes Integrationsvorhaben an seinem eigenen Tempo gemessen werden. Eine ex-postAnalyse, die sich auf die zeitliche Komponente bezieht und den Integrationsverlauf rückblickend bewertet, erscheint daher als eine angemessene Vorgehensweise. Die konkrete Hypothese zum Verlauf der regionalen Integration muss folgende Aspekte berücksichtigen. Zunächst muss geklärt werden, ob Fortschritte im Integrationsprozess auf bewusste Entscheidungen der Funktionsträger zurückzuführen sind oder ob dem Integrationsprozess auch ein gewisses Maß an Eigendynamik innewohnt, die sich beispielsweise in Form von spill-overProzessen äußert. Für den IG und den LIG ist ein Fortschreiten des Integrationsprozesses auf die bewussten Handlungen der staatlichen Entscheidungsträger zurückzuführen. Dieser Sichtweise des Integrationsverlaufs steht die Vorstellung der NF entgegen, wonach die Integration in einem Sektor eine expansive Logik nach sich ziehen kann, die dann zum Übergreifen der Integration auf weitere Politikbereiche führt. Doch ob das spill-over-Konzept bzw. die expansive Logik der Sektorintegration im südlichen Afrika auch Relevanz besitzt, ist bislang fraglich. Der Verlauf der regionalen Integration wird von den staatlichen Eliten kontrolliert, die selbst darüber verfügen können, in welchem Maße und in welchen Bereichen die Integration voranschreitet. Ein Indiz für die uneingeschränkte Kontrolle der staatlichen Eliten über den Integrationsprozess findet sich in ihrem Umgang mit dem SADC-Sekretariat. Die Staats- und Regierungschefs weigern sich, das Sekretariat mit den notwendigen finanziellen und personellen Kapazitäten auszustatten, die es zur Erfüllung seiner Aufgaben benötigt. Dahinter steckt wohl
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die Befürchtung, die Kontrolle über den Integrationsprozess zu verlieren, wenn das Sekretariat die Möglichkeit erhält, den Integrationsprozess eigenverantwortlich voranzutreiben und zu gestalten (vgl. Marx 2000: 59-60). Demzufolge ist in der folgenden Hypothese unter anderem die Annahme zu prüfen, dass die staatlichen Eliten den Verlauf des Integrationsprozesses steuern, ohne in ihrer Gestaltungsmacht von einer expansiven Logik der Sektorintegration eingeschränkt zu werden. Allerdings ist diese Annahme noch einmal differenziert für die beiden Politikbereiche zu betrachten: Im Sicherheitsbereich zeigen die staatlichen Eliten noch weniger Bereitschaft, den Integrationsprozess voranzubringen als im Handelsbereich. Dieser Umstand hängt insbesondere mit der größeren Sensibilität sicherheitspolitischer Themen zusammen. Diese höhere Empfindlichkeit in Fragen der Sicherheitspolitik zeigte sich schon in den Anfängen des regionalen Integrationsprozesses. Eine im Jahr 1994 im Rahmen der SADCC getroffene Entscheidung, Sicherheitspolitik als eine neue sektorkoordinierende Einheit in die Struktur der SADCC aufzunehmen, wurde bereits ein Jahr später wieder rückgängig gemacht. Grund für diesen Richtungswechsel war die Weigerung der Mitgliedsstaaten, die Verantwortung für die regionale Sicherheit an ein einzelnes Mitglied zu übertragen (vgl. Meyns 2001: 70). Bei der Übertragung ähnlicher Zuständigkeiten für den Handelsbereich zeigten die Staaten der Region keine Bedenken. So war Tansania bis 2001 mit der Koordinierung des Industrie- und Handelssektors betraut. Außerdem sind die potenziellen Gewinne einer sicherheitspolitischen Integration für die beteiligten Staaten weniger leicht zu bestimmen als im Handelsbereich. Während sich die Erfolge einer Handelsintegration unter anderem in einer Zunahme des intra-regionalen Handels vergleichsweise leicht quantifizieren lassen, treten die Vorteile einer sicherheitspolitischen Integration mit größerem zeitlichem Abstand zu Tage und können nicht so konkret gemessen werden. Darüber hinaus sind die Zielsetzungen der sicherheitspolitischen Integration weitaus unspezifischer und breiter formuliert als im Bereich der Handelspolitik, was die Integrationsbemühungen noch weiter erschwert.244 Zusammengenommen zeigen diese Ausführungen, dass die regionale Integration im Sicherheitsbereich mit weitaus größeren Problemen belastet ist als im Handelsbereich. Die Tatsache, dass sich verschiedene Politikbereiche in unterschiedlicher Weise für eine Integration auf regionaler Ebene eignen, wird auf theoretischer Ebene vom IG berücksichtigt. Er nimmt eine Einteilung in kontroverse (vor244
Durch das Fehlen einer gemeinsamen externen Bedrohung und der steigenden Relevanz ‚neuer’ sicherheitspolitischer Herausforderungen, wie Migration und Umweltverschmutzung, wird das Feld der Sicherheitspolitik zunehmend komplexer und bietet dadurch erschwerte Bedingungen für eine Integration.
7.4 Hypothese zu den Akteuren der regionalen Integration
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nehmlich (sicherheits-)politische) Politikbereiche und weniger kontroverse (hauptsächliche wirtschaftliche) Politikbereiche vor. Diese Differenzierung erscheint vor dem Hintergrund der praktischen Erfahrungen mit dem Regionalismus im südlichen Afrika durchaus berechtigt. Schlussfolgernd und mit Bezug auf das südliche Afrika liegt die Annahme nahe, dass Regionalismus im Handelsbereich, dem weniger kontroversen Politikbereich, schneller und einfacher voranschreitet als Regionalismus im sensiblen Sicherheitsbereich. Darüber hinaus kann die Handelsintegration im südlichen Afrika als eine Art ‚Impulsgeber’ für weitergehenden Regionalismus fungieren. Denn sie besitzt diejenigen Eigenschaften, die laut NF ein Politikbereich aufweisen muss, um sich im besonderen Maße als Ausgangspunkt für einen regionalen Integrationsprozess zu eignen. Sie zeichnet sich durch einen vergleichsweise technischen Charakter aus und ist funktional gut von anderen Bereichen abzugrenzen.245 Die vorangegangenen Ausführungen zum Verlauf des Integrationsprozesses können zu folgender Hypothese zusammengefasst werden: Der Verlauf der regionalen Integration im südlichen Afrika ist das ausschließliche Resultat bewusster Entscheidungen der beteiligten Nationalstaaten bzw. ihrer staatlichen Eliten. Als vergleichsweise unkontroverser Politikbereich schreitet die Regionalintegration im Handelsbereich problemloser und schneller voran als im Sicherheitsbereich. Somit eignet sich die Handelsintegration besonders als Ausgangspunkt der regionalen Integration und kann die Funktion eines Impulsgebers für weitergehende regionale Integrationsprozesse übernehmen. 7.4 Hypothese zu den Akteuren der regionalen Integration In der vierten Hypothese soll ein besonderes Augenmerk auf die Akteure des regionalen Integrationsprozesses gerichtet werden. Dabei ist in einem ersten Schritt zu klären, welche verschiedenen Akteursgruppen an der Regionalintegration beteiligt sind. 245
Anders als in der ersten Hypothese steht hier nicht die Frage im Mittelpunkt, ob handelspolitische Motive oder wirtschaftliche Motive allgemein den Ausschlag für die Beteiligung eines Staates an der Regionalintegration geben. Vielmehr geht es darum, ob bereits bestehende Integrationsmaßnahmen in der Handelspolitik in besonderer Weise geeignet sind, um den Integrationsprozess auf weitere Bereiche auszuweiten.
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7 Die forschungsleitenden Hypothesen
Erste Anhaltspunkte für die Beantwortung dieser Fragestellung bieten die theoretischen Ansätze. Wie in den Kapiteln 6.1.6, 6.2.6 und 6.3.6 erläutert, unterscheiden die theoretischen Ansätze insbesondere zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren. Zusätzlich thematisiert der NRA auch die Bedeutung ‚externer Akteure’ für den Integrationsprozess. Diese Aufteilung soll grundsätzlich übernommen werden, allerdings in einer stärker ausdifferenzierten Form. Im Folgenden werden die staatlichen Eliten als Repräsentanten des Nationalstaates verstanden. Sie stellen gewissermaßen die ‚personifizierte Form’ des Nationalstaates dar und bestehen aus Regierungsvertretern und den obersten Repräsentanten des staatlichen Verwaltungsapparates. Aus der Gruppe der staatlichen Akteure sollen die Staatspräsidenten gesondert hervorgehoben und auf ihre Rolle im Integrationsprozess hin untersucht werden. Zusätzlich sollen auch die zivilgesellschaftlichen Akteure in ‚zwei Lager’ geteilt werden.246 Grundlage für die Aufteilung ist das Kriterium, ob die Akteure materielle bzw. kommerzielle Zwecke verfolgen oder ob sie sich einem im weitesten Sinne ideellen Ziel verschrieben haben. Nach dieser Unterteilung sind privatwirtschaftliche Akteure von anderen Kräften der Zivilgesellschaft wie NROs247, Gewerkschaften oder Kirchen zu unterscheiden. Zusammenfassend sollen die folgenden Akteursgruppen auf ihre Gestaltungsmacht im regionalen Integrationsprozess hin untersucht werden: erstens die staatlichen Eliten unter besonderer Berücksichtigung der Rolle der Staatsmänner bzw. Staatspräsidenten. Zweitens die zivilgesellschaftlichen Akteure, drittens die privatwirtschaftlichen Akteuren gefolgt von den externen Akteuren an vierter Stelle. Im Falle der Nationalstaaten liegt die seltene Situation vor, dass alle drei theoretischen Ansätze die Nationalstaaten bzw. ihre staatlichen Eliten als wichtige Akteursgruppe anerkennen. Unterschiede ergeben sich erst bei der Frage, wie gewichtig die Rolle der staatlichen Eliten im Vergleich zu den anderen involvierten Akteuren eingeschätzt wird. Während NF und NRA die Gruppe der staatlichen Elite als eine gleichwertige Akteursgruppe neben anderen betrachten, 246
247
In Anlehnung an Merkel und Lauth (vgl. 1998: 7) kennzeichnen folgende Merkmale die Akteure der Zivilgesellschaft: Sie agieren in einer vorstaatlichen bzw. nicht-staatlichen Zone, die zwischen Privatsphäre und Staat angesiedelt ist. Sie finden sich freiwillig in einer Vielzahl verschiedener Organisationen und Assoziationen mit dem Ziel zusammen, ihre materiellen wie normativen Interessen zu artikulieren und autonom zu organisieren. Um ihre Ziele zu erreichen, versuchen sie Einfluss auf die Politik auszuüben, ohne jedoch nach politischen Ämtern zu streben. An dieser Stelle sollen NROs verstanden werden als: „(…) any group of people relating to each other regularly in some formal manner and engaging in collective action, provided that the actions are non-commercial, non-violent and are not on behalf of government“ (Willets 2001: 370).
7.4 Hypothese zu den Akteuren der regionalen Integration
219
betont der IG ihre herausragende Dominanz. Die zentrale Position der staatlichen Eliten äußere sich beispielsweise darin, dass das Ausmaß der Beteiligung anderer Akteursgruppen am Integrationsprozess allein von staatlicher Seite bestimmt und eingegrenzt wird. Nach IG Sichtweise reglementiert der Nationalstaat als eine Art ‚Gatekeeper’ den Zugang weiterer Akteure zum Integrationsprozess auf regionaler Ebene. Eine besondere Rolle kommt nach Auffassung des NF und des IG auch den nationalen Staatspräsidenten zu, die den Integrationsprozess in entscheidender Weise behindern oder auch voranbringen können. Behinderungen ergäben sich dann, wenn die Staatsmänner stark auf nationalistische Ziele fixiert seien. Besitzen sie hingegen Verhandlungsgeschick und die Bereitschaft zur Aushandlung von Kompromissen, könnten sie einen positiven Integrationsverlauf entscheidend befördern. In Bezug auf den Regionalismus im südlichen Afrika kann die dominante Position der staatlichen Eliten nur betont werden. Hier treten die Nationalstaaten, personifiziert durch ihre jeweiligen Eliten aus Regierung und Verwaltung, in keiner Weise als eine Akteursgruppe unter vielen, sondern als die wichtigste Akteursgruppe auf. Diese herausragende Stellung können die staatlichen Eliten bewahren, indem sie ihre Machtbefugnisse vehement gegenüber anderen Akteursgruppen verteidigen und in keiner Weise zur Übergabe von Souveränitätsrechten bereit sind (vgl. Shaw 2000: 408). Auch die Annahmen zur Bedeutung der einzelnen Staatsmänner erweisen sich im Falle des südlichen Afrikas als richtig. Denn vor dem Hintergrund einer stark personalisierten Politik sind die Charaktere der einzelnen Staats- und Regierungschefs in ihrer Relevanz nicht zu unterschätzen. Die SADC präsentiert sich als ein „Klub von Staatsmännern“ (Meyns 2000b: 262), in dem die Zusammenarbeit durch persönliche Animositäten und Auseinandersetzungen zwischen seinen Staatspräsidenten empfindlich gestört werden kann (vgl. Clapham 1998: 22; Marx 2000: 64; Schleicher 2006: 8). Auf dieser Grundlage soll die Annahme überprüft werden, dass die staatlichen Eliten als dominante Akteursgruppe den Integrationsprozess bestimmen und darüber hinaus die Staats- und Regierungschefs mit ihren Charaktereigenschaften und persönlichen Beziehungen den Regionalismus prägend beeinflussen. In ihren Annahmen bezüglich der Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure im Integrationsprozess zeigen die theoretischen Ansätze keine derart hohe Überschneidung wie im Falle der staatlichen Eliten. Vielmehr betont alleine der NRA die Relevanz zivilgesellschaftlicher Kräfte für die regionale Integration und kritisiert die Tatsache, dass diese Akteursgruppe in bisherigen sozialwissen-
220
7 Die forschungsleitenden Hypothesen
schaftlichen Analysen des Regionalismus oftmals nicht berücksichtigt wurde (vgl. Söderbaum/Shaw 2001: 221).248 Dabei macht das Beispiel der SADC deutlich, wie wichtig eine zivilgesellschaftliche Beteiligung an den regionalen Integrationsprozessen ist. Denn wird die Integration auf regionaler Ebene alleine von staatlichen Eliten getragen, so handelt es sich um einen ‚top-down-approach’, dem eine entsprechende Verankerung in den Gesellschaften der beteiligten Staaten fehlt. Zudem können zivilgesellschaftliche Akteure durch ihre Erfahrungen und speziellen Kenntnisse die Gestaltung des Regionalismus entscheidend bereichern (vgl. SADC CNGO 2006). In verschiedenen grundlegenden SADC-Dokumenten wird die Zielsetzung vorgegeben, zivilgesellschaftliche Akteure in den Prozess der regionalen Integration einzubinden (siehe beispielsweise SADC Secretariat 2001b: Chapter 7, Art. 23; SADC Secretariat 2003b: Objective 3). Konkret werden zivilgesellschaftliche Akteure im SADC-Vertrag als „key stakeholder“ bezeichnet, denen eine Beteiligung in den Nationalkomitees der einzelnen Mitgliedsstaaten zugesprochen wird (vgl. SADC Secretariat 2001b: Chapter 5; Art. 16a). Nicht zuletzt bietet der 1998 gegründete SADC Council of NGOs, der auf der Grundlage eines MoU seine Beziehungen zur SADC formalisiert hat, den zivilgesellschaftlichen Kräften Möglichkeiten zur Mitwirkung innerhalb der SADC. Doch in ihrer Untersuchung zur Beteiligung zivilgesellschaftlicher Kräfte an der regionalen Sicherheitsintegration kommen Gina van Schalkwyk und Jakkie Cilliers zu dem Fazit, dass die SADC eine Einbeziehung der Zivilgesellschaft auf dem Papier zwar anerkennt, diese praktisch aber nicht umsetzt. Gleichzeitig fehle den zivilgesellschaftlichen Akteuren eine Möglichkeit, ihre Beteiligung einzuklagen. Weiterhin würde das Verhältnis zwischen SADC und den zivilgesellschaftlichen Akteuren durch gegenseitiges Misstrauen sowie mangelnde Ressourcen und interne Konflikte auf Seiten der nicht-staatlichen Akteure erschwert (vgl. van Schalkwyk/Cilliers 2004:125-127).249 Im Handelsbereich gestaltet sich die Situation ähnlich. So waren beispielsweise an der Erarbeitung der ersten Version des Handelsprotokolls, das 1996 unterzeichnet wurde, keinerlei Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen beteiligt (vgl. Lee 2003: 110). All diese Faktoren führen zu der Annahme, dass zivilgesellschaftliche Akteure weder im Handels- noch im Sicherheitsbereich einen nennenswerten Einfluss auf den regionalen Integrationsprozess ausüben können. 248
249
Allerdings muss berücksichtigt werden, dass die Vertreter des NRA in ihren Untersuchungen auch Regionalisierungsprozesse auf informeller Ebene einbeziehen, während sich die vorliegende Untersuchung ausschließlich auf formale Prozesse konzentriert. Eine ähnliche Einschätzung findet sich auch bei Oosthuizen (vgl. 2007: 166), der die Beteiligung zivilgesellschaftlicher Akteure an der Arbeit der SADC als ad hoc, unsystematisch und begrenzt charakterisiert.
7.4 Hypothese zu den Akteuren der regionalen Integration
221
Ebenfalls in der Sphäre der nicht-staatlichen Akteure angesiedelt werden die Vertreter der Privatwirtschaft an dieser Stelle als eine eigenständige Akteursgruppe betrachtet. Sie unterscheiden sich aufgrund ihres Gewinnstrebens grundsätzlich von den übrigen zivilgesellschaftlichen Akteuren und werden deshalb separat betrachtet. Diese Ausdifferenzierung der nicht-staatlichen Akteure wird im Rahmen der theoretischen Ansätze allerdings nicht vorgenommen. In der Konzeptionalisierung des NF sind die Akteure der Privatwirtschaft Teil der wirtschaftlichen Elite und beeinflussen somit gemeinsam mit den Eliten aus Politik und Gesellschaft den Integrationsprozess (vgl. Haas 1968: 17). Nach der intergouvernementalen Logik ist die Beteiligung der Wirtschaftsvertreter am Integrationsprozess nur in von den staatlichen Akteuren abgesteckten Grenzen möglich. Ein eigenständiger bzw. unkontrollierter Zugang zum Integrationsprozess ist für Wirtschaftsakteure nach dieser Sichtweise nicht möglich (vgl. Hoffmann 1965: 90). Der NRA hingegen hebt hervor, dass sich die privatwirtschaftlichen Akteure verstärkt zu einem Partner der staatlichen Eliten entwickeln. Dabei sind die Wirtschaftsvertreter aber nicht nur an der Gestaltung der Regionalintegration beteiligt, sondern sind gleichzeitig auch Adressaten dieses Prozesses. Insbesondere in Wirtschaftssektoren wie Energie und Transport, die von vitaler Bedeutung für den Wirtschaftsbereich sind, ist der privatwirtschaftliche Einfluss spürbar (vgl. Söderbaum 1998: 9). Im südlichen Afrika sind deutliche Bemühungen zur Einbindung privatwirtschaftlicher Akteure in die Prozesse auf regionaler Ebene erkennbar. Diese beruhen insbesondere auf der Einsicht, dass der Wirtschaftsprozess nicht (mehr) allein vom Staat, sondern auch von der Privatwirtschaft bestimmt wird. Der RISDP sieht die Privatwirtschaft als ein „strategic vehicle“ (Rede Benjamin Mkapa anlässlich der Verabschiedung des RISDP, 12.03.2004, Arusha, Tansania) für die Erreichung der Ziele der Regionalgemeinschaft. Gemäß dieser Bedeutung haben die Bestrebungen der SADC, die Privatwirtschaft in die Strategie- und Politikformulierung einzubeziehen, bereits zu ersten konkreten Resultaten geführt. So wurde beispielsweise im November 2004 das SADC-BusinessForum ins Leben gerufen.250 Trotz dieser Entwicklungen fühlen sich die Wirtschaftsakteure noch nicht als gleichberechtigter Partner der SADC anerkannt (vgl. Hansohm/Shilimela 2006: 32-33).251 250 251
Nähere Informationen zum SADC Business Forum liefert das Kapitel 9.4.3. Studien zufolge sind die privatwirtschaftlichen Akteure der Auffassung, dass die Regionalintegration die wirtschaftliche Situation in den beteiligten Ländern verbessern kann. Gleichzeitig herrschen aber auch Bedenken, dass die Handelsintegration bestehende Probleme wie hohe Arbeitslosigkeit und vermehrte Ströme von Migranten nicht lösen, sondern eher verschärfen wird (vgl. Deen-Swarray/Schade 2006: 63).
222
7 Die forschungsleitenden Hypothesen
Im Folgenden soll daher die Annahme überprüft werden, dass den Akteuren der Privatwirtschaft im Vergleich zu anderen nicht-staatlichen Akteuren zwar eine weitgehende Beachtung von Seiten der SADC zuteil wird, diese aber noch nicht weit genug geht. Potenzielle Synergieeffekte werden somit nicht ausgenutzt und die Relevanz einer Zusammenarbeit in Fragen der Handelsintegration nicht erkannt. Im Falle der externen Akteure als vierte hier untersuchte Akteursgruppe muss die empirische Analyse in einem ersten Schritt klären, welche spezifischen Personengruppen unter der Bezeichnung zusammengefasst werden. Schließlich ist es denkbar, dass die Vorstellungen der theoretischen Ansätze darüber, wer als ‚externer Akteur’ bezeichnet werden kann, nicht mit den Vorstellungen der befragten Experten übereinstimmen. Weiterhin ist auch von Interesse, in welcher Art und Weise die externen Akteure den Regionalismus beeinflussen. Die Relevanz der externen Akteure wird in besonderer Weise vom NRA hervorgehoben. Seine Vertreter zählen zur Gruppe der ‚Externen’, beispielsweise Nationalstaaten, die dem Regionalbündnis nicht angehören, Vertreter der internationalen Gebergemeinschaft oder auch internationale (staatliche oder nichtstaatliche) Organisationen (vgl. Söderbaum 2004a: 48-51). Durch die Betonung der Rolle externer Akteure im regionalen Integrationsprozess erfasst der NRA eine wichtige Akteursgruppe, die von den anderen theoretischen Ansätzen vernachlässigt wird.252 Im Falle der SADC treten Externe insbesondere in Gestalt der internationalen Geber der Entwicklungszusammenarbeit in Erscheinung253, die fast 60 % des Budgets der Regionalorganisation finanzieren (Stand Budget 2006-2007) (vgl. Tjønneland 2006: 1). Dabei gewähren die Europäische Kommission, Großbritannien, die drei skandinavischen Staaten sowie Deutschland und als internationale Organisation die Weltbank in der Reihenfolge ihrer Nennung die größten Finanzmittel (vgl. ebd.: 10).254 Trotz der bestehenden finanziellen Abhängigkeit 252
253
254
Dabei lassen NF und IG die Relevanz externer Kräfte in ihren theoretischen Überlegungen nicht vollkommen unberücksichtigt. Allerdings konzeptionalisieren sie die Rolle externer Akteure eher im Zusammenhang mit den allgemeinen Rahmenbedingungen, die zur Initiierung des europäischen Integrationsprozesses führten. So berücksichtigte Hoffmann beispielsweise den US-amerikanischen Einfluss für die Entfaltung der Regionalintegration in Europa (vgl. Bieling 2006: 98). Die Analyse konzentriert sich im Folgenden auf die Vertreter der internationalen Gebergemeinschaft. Weitere externe Akteure wie internationale Organisationen oder Drittstaaten im Allgemeinen bleiben damit außen vor. Dabei sind direkte Transferleistungen an das SADC-Sekretariat oder an ein anderes SADCOrgan nur eine von vielen Möglichkeiten, die den Gebern zur Verfügung stehen, um die regionale Vergemeinschaftung zu unterstützen. In seiner Studie zum Verhältnis zwischen der SADC und ihrer Gebergemeinschaft kommt Tjønneland zu dem interessanten Ergebnis, dass eine Reihe von Gebern auch eine stärkere Rolle Südafrikas innerhalb der SADC forciert, indem sie bei-
7.4 Hypothese zu den Akteuren der regionalen Integration
223
gelingt es den Staaten des südlichen Afrikas Eigenständigkeit zu bewahren und die Beeinflussung der Gebergemeinschaft in sicherheitspolitisch relevanten Bereichen gering zu halten.255 Im Handelsbereich können sich die Staaten der SADC aufgrund der großen Marktmacht, die insbesondere die EU ausübt, deutlich schlechter gegenüber externer Beeinflussung abgrenzen. Auf der Grundlage der obigen Ausführungen soll die Analyse der Akteurskonstellationen in der Handels- und Sicherheitspolitik der SADC von folgender Hypothese geleitet werden: Die regionalen Integrationsprozesse im Bereich der Handels- und Sicherheitspolitik werden von den staatlichen Eliten als Repräsentanten der Nationalstaaten als einflussreichste und dominante Akteursgruppe konkurrenzlos angeführt. Personifiziert wird diese Machtposition in Gestalt der nationalen Staats- und Regierungschefs, deren Charaktere und persönlichen Beziehungen den Erfolg der Regionalintegration entscheidend beeinflussen. Während zivilgesellschaftliche Akteure weder im Handels- noch im Sicherheitsbereich über eine nennenswerte Beteiligung verfügen, spielen die Vertreter der Privatwirtschaft in der Handelsintegration eine grundlegende (wenn auch noch ausbaufähige) Rolle. Von externen Akteuren geht eine substanzielle Beeinflussung auf die SADC-Handelsintegration aus. Dieser Einfluss basiert aber weniger auf der direkten finanziellen Unterstützung der SADC, sondern vielmehr auf der wirtschaftlichen Stärke der externen Akteure. In sicherheitspolitischen Fragen hingegen gelingt es den SADC-Staaten, sich gegenüber externen Beeinflussungen erfolgreich abzuschotten.
255
spielsweise Teile ihrer bilateralen Zusammenarbeit mit Südafrika auf einem regionalen Fokus ausrichtet (vgl. Tjønneland 2006: 6+21). Ein Mittel, um die regionale Sicherheitspolitik von externen Einflussnahmen abzuschotten, ist beispielsweise eine Bestimmung im ‚Protocol on Politics, Defence and Security Co-operation’, wonach jede Zusammenarbeit mit externen Akteuren im sicherheitspolitischen Bereich vom Gipfeltreffen bewilligt werden muss (vgl. Protocol on Politics, Defence and Security Cooperation, Article 10, Paragraph 2).
224
7 Die forschungsleitenden Hypothesen
7.5 Hypothese zu den Möglichkeiten einer allgemeinen Integrationstheorie Mit der fünften und damit letzten Hypothese dieser Untersuchung sollen die Möglichkeiten und Grenzen einer ‚allgemeinen Integrationstheorie’ diskutiert werden. Im Zentrum steht die Frage, ob die Entwicklung eines allgemeinen theoretischen Ansatzes zur Erklärung von Regionalismus in verschiedenen Teilen der Welt möglich und sinnvoll ist. Da sich die vorliegende Untersuchung auf die SADC – als regionaler Zusammenschluss von Entwicklungsländern – konzentriert, stellt sich auch die Frage, ob für die Analyse von Entwicklungsländern andere Theorieansätze notwendig sind als im Falle von Industrieländern. Die Auseinandersetzung mit Fragen einer ‚allgemeinen Integrationstheorie’ hat weit reichende Implikationen. Denn das – zunächst rein gedankliche – Vorhaben, verschiedene Regionalismusprozesse mit ein und derselben Theorie zu analysieren, impliziert, dass die regionalen Zusammenschlüsse miteinander verglichen werden. Sind aber in der Realität die Voraussetzungen für eine vergleichende Analyse von Regionalismus gegeben? Oder zeichnen sich die Prozesse eher durch ihre Einzigartigkeit aus? In der wissenschaftlichen Literatur vertreten eine Reihe von Autoren die Auffassung, dass vergleichende Regionalismus-Studien nicht nur möglich, sondern auch im höchsten Maße sinnvoll sind (siehe unter anderem Breslin/Higgott 2000; Breslin/Higgott/Rosamond 2002; Hettne/Söderbaum 2006). So argumentiert beispielsweise Warleigh (vgl. 2004: 304-305), dass vergleichende Analysen von Regionalismus große Erkenntnisgewinne bringen können, wenn einige Voraussetzungen berücksichtigt werden. So sollten die Vergleiche von der Suche nach allgemeinen Prinzipien geleitet werden und nicht von der Absicht, Gleichheit herzustellen. Außerdem dürfe die Analyse nicht einen regionalen Integrationsprozess in die Funktion eines Vorbilds für andere Prozesse erheben. Ein weiterer potenzieller Vorteil vergleichender Studien bestehe darin, dass theoretische Annahmen besser getestet würden und Fallstudien vor dem Hintergrund einer Fülle an empirischen Erkenntnissen untersucht werden könnten (vgl. Breslin/Higgott/Rosamond 2002: 15). Über die wissenschaftliche Diskussion hinaus könnten vergleichende Analysen von Regionalismusprozessen zudem auch für die politische Praxis relevant sein. Im Rahmen von Lern- bzw. Nachahmungsprozessen hätten regionale Organisationen so die Möglichkeit, von den Erfahrungen anderer Integrationsprojekte zu profitieren.256,257 256
Als zentrales Hindernis für die Entwicklung solch vergleichender Studien identifizieren Shaun Breslin und Richard Higgott (vgl. 2000: 343) die Dominanz der EU als Regionalorganisation, die sich ihrer Ansicht nach nicht nur in der praktischen Politik, sondern auch in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung manifestiert. Die EU werde oftmals als wichtigstes, wenn
7.5 Hypothese zu den Möglichkeiten einer allgemeinen Integrationstheorie
225
Vor dem Hintergrund der genannten Ausführungen gründet auch die vorliegende Untersuchung auf der Annahme, dass die vergleichende Analyse von Regionalismus sowohl möglich als auch sinnvoll ist. Erst durch einen Vergleich können die jeweiligen Eigenschaften, die den spezifischen Prozess der Regionalintegration ausmachen, identifiziert werden. Doch wie kann eine vergleichende Analyse von Regionalismusprozessen praktisch durchgeführt werden? Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass ein einheitlicher Analyserahmen verwendet wird, auf dessen Grundlage die verschiedenen Prozesse miteinander verglichen werden. Einen solchen Analyserahmen kann beispielsweise eine regionale Integrationstheorie bereitstellen. Aber wie muss sie dafür ausgestattet sein? Zunächst muss berücksichtigt werden, dass die verschiedenen regionalen Integrationsprozesse grundlegende Unterschiede aufweisen, die nicht alle von einer einzelnen Theorie berücksichtigt werden können (vgl. Gilpin 2001: 358-359). Um die Integrationstheorie auf die verschiedenen Regionalismusprozesse gleichzeitig anwenden zu können, muss sie eine vergleichsweise hohe Abstraktionsebene besitzen. Das hohe Abstraktionsniveau ist die Voraussetzung dafür, die Gemeinsamkeiten der regionalen Projekte mit Hilfe des theoretischen Analyserahmens identifizieren zu können (vgl. Breslin/Higgott 2000: 342). Auch Joseph Nye argumentiert, dass sich Unterschiede wie Gemeinsamkeiten nur dann identifizieren lassen, wenn man Regionalismus in Industrie- und Entwicklungsländen dem gleichen Analyserahmen unterwirft (vgl. Nye 1971: 99). In eine ähnliche Stoßrichtung gehen die Forderungen Fredrik Söderbaums, einer der wichtigsten Vertreter des NRA. Er plädiert für die Entwicklung von theoretischen Analyseinstrumenten, die in ihrer Anwendbarkeit global ausgerichtet sind (vgl. Söderbaum 2005a: 221+238). Basierend auf den oben genannten Argumenten soll mit der folgenden Hypothese die Annahme geprüft werden, dass es eine allgemeine Integrationstheorie im Sinne eines ausdifferenzierten theoretischen Modells nicht geben kann. Sinnvoll ist allein ein einheitlicher Analyserahmen, der auf einer hohen
257
nicht sogar als einzigartiges Beispiel der Regionalintegration gehandelt, an dem Integrationsprozesse in anderen Teilen der Welt gemessen würden. Dies habe unter anderem zur Folge, dass sich die EU-Forschung zu einer eigenständigen Subdisziplin der politikwissenschaftlichen Forschung entwickeln würde, die sich in eher abgeschotteten Kreisen bewegt und nur in geringem Maße zu vergleichenden Studien innerhalb der Disziplin beiträgt. Allerdings ist die vergleichende Analyse von Regionalisierungsprozessen nicht für alle Autoren ein sinnvolles Unterfangen. William Wallace argumentiert beispielsweise, dass der europäische Integrationsprozess nicht mit anderen regionalen Projekten verglichen werden kann. Seiner Meinung nach ist der historische Kontext der europäischen Integration zu spezifisch, als dass daraus relevante Erkenntnisse für andere Regionen abgeleitet werden könnten (vgl. Wallace 1994: 11-12).
226
7 Die forschungsleitenden Hypothesen
Abstraktionsebene verbleibt und damit einen angemessenen theoretischen Rahmen für die vergleichende Analyse von Integrationsprozessen bilden kann. Demnach lautet die fünfte Hypothese: Die vergleichende Analyse von Regionalismus ist sinnvoll und wünschenswert; allerdings ist keine einzelne Theorie in der Lage, das entsprechende Rahmenwerk für einen solchen Vergleich bereitzustellen. Stattdessen gilt es, einen Analyserahmen zu entwickeln, der eine vergleichsweise hohe Abstraktionsebene besitzt. Mit der entsprechenden Flexibilität, die ein solches Vorgehen bietet, können sehr unterschiedliche Prozesse der regionalen Integration in verschiedenen Teilen der Welt analysiert werden.
8 Methodischer Aufbau der Untersuchung
Das folgende Kapitel soll die methodischen Grundlagen der vorliegenden Untersuchung vorstellen und erläutern. Dies geschieht mit der Zielsetzung, einen präzisen Einblick in das Untersuchungsdesign sowie die Datenerhebung, -aufbereitung und -auswertung zu geben. Es ist allerdings zu beachten, dass zwischen dem entworfenen Forschungsdesign und der Forschungspraxis oftmals eine Diskrepanz entsteht, wenn die theoretischen Ansprüche nicht allesamt in der Untersuchungspraxis verwirklicht werden konnten. Aus diesem Grund ist es wichtig, neben den konzeptionelltheoretischen Annahmen, die der empirischen Untersuchung zugrunde liegen, auch die praktische Seite des Forschungsprozesses zu erläutern. Deshalb schließt das Kapitel mit einer zusammenfassenden Darstellung und kritischen Reflexion der verwendeten Erhebungs-, Aufbereitungs- und Auswertungstechniken. 8.1 Das Forschungsdesign Die Grundlage für den empirischen Forschungsprozesses bildet das Forschungsdesign, das als eine Art ‚Masterplan’ sowohl die Zielsetzung als auch den Ablauf der empirischen Untersuchung festhält. Weitere grundlegende Informationen zur Ausgestaltung der Untersuchung wie die Verortung der empirischen Analyse im Spannungsfeld zwischen quantitativer und qualitativer Forschung sind ebenso Bestandteile des Untersuchungsdesigns. Als erstes wichtiges Merkmal der empirischen Untersuchung sei hier festgehalten, dass es sich um eine vorwiegend qualitative Studie handelt. Ein Vergleich der Erklärungsstrategie und Methodik von qualitativer und quantitativer Forschung verdeutlicht auch den Grund für diese Auswahl. Die Erklärungsstrategie quantitativer Verfahren beruht auf statistischen Verfahren und verfolgt das Ziel, aus statistisch signifikanten Zusammenhängen zunächst auf Kausalzusammenhänge und letztendlich auf Kausalmechanismen zu schließen. Die qualitativen Verfahren konzentrieren sich hingegen auf einen oder wenige ausgewählte konkrete Fälle, die sie möglichst vollständig untersuchen, um so auf direktem Wege Kausalmechanismen ausfindig zu machen. Mit ihrem Fokus auf die Politik der SADC ist die vorliegende Analyse eindeutig eine fallbasierte
228
8 Methodischer Aufbau der Untersuchung
Untersuchung, für die sich eine qualitative Erklärungsstrategie anbietet. Und auch in ihrer Methodik ist die qualitative Forschungsstrategie im Vergleich zur quantitativen für die vorliegende Untersuchung weitaus besser geeignet. Denn während quantitative Erklärungsansätze nur unter ganz bestimmten Bedingungen, z.B. erst bei einer bestimmten Fallzahl von Untersuchungsobjekten, anwendbar sind, haben qualitative Methoden einen breiteren Anwendungsbereich. Sie nehmen keine Standardisierungen vor, und das Resultat ihrer Untersuchung besteht nicht aus Zahlen, sondern aus verbalen Beschreibungen bzw. Interpretationen (vgl. Brüsemeister 2008: 19-33; Gläser/Laudel 2006: 23-24, 69). Mit der Entscheidung für eine qualitative Analyse geht allerdings auch die Notwendigkeit einher, nicht nur die allgemeinen Gütekriterien empirischer Sozialforschung, sondern auch die speziellen Gütekriterien qualitativer Forschung zu berücksichtigen. Einen allgemeinen Maßstab für die Güte empirischer Sozialforschung legen die drei Kriterien der Reliabilität, der Validität und der Repräsentativität fest. Dabei bezeichnet die Reliabilität den Grad der Genauigkeit und Reproduzierbarkeit eines Messergebnisses bei wiederholten Messungen unter gleichen Bedingungen. Die Validität bezieht sich auf die Gültigkeit einer Messung. Es soll sichergestellt werden, dass beispielsweise unter zu Hilfenahme von Indikatoren tatsächlich die gewünschten Merkmale oder Konzepte erhoben werden. Die Bedingung der Repräsentativität ist dann gegeben, wenn die zu untersuchende Grundgesamtheit von Untersuchungsobjekten oder -subjekten im Rahmen einer untersuchten Stichprobe zwar verkleinert, aber unverfälscht widergespiegelt wird (vgl. Spöhring 1995: 27-35; Tiede/Voß 2000: 84). Philipp Mayring stellt die Relevanz dieser „klassischen Kriterien“ (Mayring 2002: 140) für die qualitative Forschung allerdings in Frage, da sie stark auf die Besonderheiten der Testverfahren quantitativer Forschungsdesigns abgestimmt seien. Für die Durchführung qualitativer Forschung stellt er die folgenden sechs eigenständigen Gütekriterien auf (vgl. Mayring 2002: 140-148): Erstens betont er die Wichtigkeit der Verfahrensdokumentation. Da die Methoden qualitativer Untersuchungen meist sehr spezifisch auf den Untersuchungsgegenstand zugeschnitten sind, muss das methodische Vorgehen genau dokumentiert werden, um es für Außenstehende nachvollziehbar zu machen.258 Zweitens ist eine argumentative Absicherung vorgenommener Interpretationen von Bedeutung. Interpretationsschritte müssen argumentativ hergeleitet und begründet werden. Als dritte Maxime qualitativer Forschung führt Mayring die Regelgeleitetheit an, die eine systematische und an Verfahrensregeln orientierte Bearbeitung des Untersuchungsmaterials sicherstellen soll. Ein viertes Gütekriterium ist die Nähe zum 258
Mayring (vgl. 2002: 149) betont gleichzeitig, dass der Untersuchungsgegenstand nicht der Methode untergeordnet werden darf und vorgefertigte Verfahrensweisen nicht blindlings angewendet werden sollten.
8.1 Das Forschungsdesign
229
Gegenstand, die sich durch eine möglichst enge Anbindung der Forschung an die „Alltagswelt der beforschten Subjekte“ (Mayring 2002: 146) auszeichnet. Als fünften Punkt nennt Mayring die kommunikative Validierung. Deren Vorteile sieht er darin, dass erste Ergebnisse einer Untersuchung durch eine erneute Rückkoppelung mit den Beforschten diskutiert werden können. Die Validität der Ergebnisse kann sich so verbessern. Als letztes Gütekriterium nennt Mayring die Triangulation, die seiner Ansicht nach die Qualität der Forschung entscheidend verbessern kann. Auf welchen Überlegungen der Triangulationsansatz beruht, stellt Walter Spöhring anschaulich dar (vgl. Spöhring 1995: 320-322): Die Bezeichnung steht für eine Dreieckskonstruktion und die Vorstellung, dass man sich einer Erkenntnis aus verschiedenen Perspektiven gleichzeitig annähert. Die Ergebnisse empirischer Forschung hätten dann eine besonders hohe Gültigkeit, wenn sie aus der gleichzeitigen Anwendung unterschiedlicher Methoden gewonnen würden. Dabei besteht die Zielsetzung nicht darin, mit Hilfe der verschiedenen Methoden zu exakt gleichen Ergebnissen zu gelangen. Vielmehr versucht man einen Erkenntnisgewinn durch die gegenseitige Ergänzung der Forschungsergebnisse zu erreichen. Zudem fallen Schwachpunkte und Fehlerquellen der einzelnen Methode weniger stark ins Gewicht, wenn die empirische Untersuchung auf mehr als nur einer ‚methodischen Säule’ beruht. Doch der Ansatz der Triangulation ist nicht allein auf die Methoden der Untersuchung beschränkt, sondern kann auch auf die Datenquellen oder die der Analyse zugrunde liegenden Theorien angewendet werden. Triangulation kann also sowohl in der Datenbeschaffung als auch in der Datenauswertung benutzt werden (vgl. Miller/Fredericks 1994: 28).259 Neben der Bestimmung als vorwiegend qualitativ und fallbasiert ist noch ein weiteres Merkmal der vorliegenden Untersuchung hervorzuheben. Es ist ihr Ziel, ein Set von Hypothesen zu überprüfen. Doch die Bestätigung oder Verwerfung einer Hypothese ist im Fall eines empirischen Forschungsdesigns nicht immer eindeutig. Anders als bei der Arbeit mit quantitativen Daten kann diese Entscheidung nicht auf der Grundlage von statistisch signifikanten Werten getroffen werden. Stattdessen muss ein höherer argumentativer Aufwand betrieben werden, um darzustellen, auf welche Art und Weise die gewonnenen qualitativen Daten eine Bestätigung oder auch eine Verwerfung der Hypothesen nahe legen. Denkbar ist aber auch, dass die empirischen Ergebnisse eine Überarbeitung bzw. veränderte Akzentuierung der Hypothese erforderlich machen. Neben einer eindeutigen Verwerfung oder Bestätigung der Hypothese existieren somit auch Grauzonen. 259
In welchem Maße die klassischen Kriterien empirischer Sozialforschung ebenso wie die von Mayring speziell für die qualitative Forschung postulierten Gütekriterien in der vorliegenden Untersuchung berücksichtigt werden konnten, wird in Kapitel 8.5 diskutiert.
230
8 Methodischer Aufbau der Untersuchung
Zudem kann die erschwerende Situation auftreten, dass keine eindeutigen Ergebnisse für die Annahme oder Ablehnung einer Hypothese vorliegen. In einem solchen Fall muss detailliert begründet werden, welche Erkenntnisse schwerer wiegen und somit den Ausschlag für die Beurteilung der Hypothese geben (vgl. Miller/Fredericks 1994: 39+47). Diese Grundsätze sollen den Test der insgesamt fünf Hypothesen in dieser Arbeit leiten und werden in Kapitel 9 berücksichtigt. Zusammenfassend ist die vorliegende Untersuchung also als eine qualitative, fallbasierte und Hypothesen testende Studie zu klassifizieren. Um das Untersuchungsdesign vollständig zu beschreiben, fehlen aber noch einige Angaben, etwa zu den Datenquellen, zur Vorgehensweise der Datenerhebung, zur Aufbereitung ebenso wie zur Auswertung der Daten. Diese Informationen sollen im Folgenden geliefert werden. 8.2 Die Datenerhebung Die in dieser Untersuchung verwendeten Daten stammen hauptsächlich aus zwei unterschiedlichen Quellen. Zum einen aus Experteninterviews mit insgesamt 44 Akteuren, zum anderen aus einer Analyse relevanter Dokumente wie Verträge, Protokolle und Kommuniqués der SADC, aber auch Zeitungsartikel. Diese Kombination verschiedener Datenquellen bringt gemäß dem Triangulationsansatz den Vorteil, dass das Datenset als Ganzes verbesserte Aussichten auf Reliabilität und Validität besitzt. Doch gleichzeitig ergibt sich auch eine grundlegende Frage, auf die Miller und Fredericks (vgl. 1994: 27-28) aufmerksam machen. Besitzen die Daten aus den verschiedenen Quellen die gleiche Relevanz? Mit welcher Wertigkeit fließen sie in den Auswertungsprozess ein? Im hier vorliegenden Fall stellt sich die Frage nach der Relevanz nur eingeschränkt, da die Daten der verschiedenen Quellen eher ergänzenden Charakter haben. Die Datenquellen wurden so ausgesucht, dass sie ein möglichst umfassendes Bild des Untersuchungsgegenstandes aus verschiedenen Perspektiven bieten. Im Rahmen von Experteninterviews wurden Mitarbeiter der SADC, freie Consultants sowie Wissenschaftler befragt. Ihnen ist gemein, dass sie sich beruflich mit den Regionalismusprozessen auseinander setzen und dadurch spezielle Kenntnisse haben. Allerdings betrachten sie den Regionalismus aus ganz spezifischen Blickwinkeln, da sie unterschiedliche fachliche Hintergründe besitzen und in verschiedenen institutionellen Zusammenhängen eingebunden sind. Die verschiedenen Sichtweisen ergänzen sich somit gegenseitig und werden noch zusätzlich durch die Dokumentenanalyse erweitert. Letztere basiert hauptsächlich auf Vertragstexten und Protokollen der SADC sowie Artikeln verschiedener überregionaler Zeitungen, vorwiegend aus der
8.2 Die Datenerhebung
231
Region. Während die SADC-Dokumente die offizielle Position der Regionalorganisation widerspiegeln, kommentieren die Zeitungsartikel die Geschehnisse auf regionaler Ebene oftmals aus einer nationalen Perspektive, manchmal auch mit kritischeren Tönen. Somit bilden die Ergebnisse aus der Dokumentenanalyse wiederum eine interessante Ergänzung zu den Ergebnissen der Experteninterviews. Doch bevor die konkreten Ergebnisse der Untersuchung vorgestellt und interpretiert werden, sollen zunächst die beiden Erhebungstechniken des Experteninterviews und der Dokumentenanalyse näher erläutert werden. 8.2.1 Das Experteninterview Als eine spezielle Form des qualitativen Interviews teilt das Experteninterview zwei grundlegende Eigenschaften mit anderen qualitativen Interviews: Zum einen sind seine Fragen grundsätzlich offen formuliert. Dies gibt dem Befragten die Möglichkeit, seine Antworten frei zu artikulieren. Zum anderen kommen qualitative Methoden bei der Auswertung der Interviews zum Tragen.260 Im Grad ihrer Strukturierung können qualitative Interviews allerdings unterschiedlich gestaltet sein. Eine gewisse thematische Vorstrukturierung erfährt das Interview, wenn die Fragen durch einen Leitfaden261 vorgegeben sind. Ebenso möglich ist es jedoch, den Inhalt der Fragen nicht vorher festzulegen und auch die Abfolge der Interviewfragen flexibel zu gestalten (vgl. Mayring 2002: 6667). Exemplarisch soll an dieser Stelle eine Definition des qualitativen Interviews von Walter Spöhring (1995: 150) vorgestellt werden: „(…) wird unter dem Begriff des ‚qualitativen’ (…) Interviews der Grundtyp der nichtstandardisierten persönlichen Befragung einer einzelnen Person durch (in der Regel) einen einzelnen Interviewer dargestellt, die anhand eines mehr oder weniger offenen Leitfadens (oder einer bloßen thematischen Vorgabe) in einer neutralen (ggf. ‚weichen’) Gesprächsatmosphäre mit informationsermittelnder (meist analytischer) Zielsetzung durchgeführt wird.“ (Spöhring 1995: 150)
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Auch wenn Experteninterviews vielfach mit qualitativen Interviews in Verbindung gebracht werden, kann grundsätzlich auch eine Befragung von Experten in Form von quantitativen, standardisierten Forschungsdesigns vorgenommen werden (vgl. Deeke 1995: 7). In der vorliegenden Untersuchung wurde ein thematischer Leitfaden entwickelt und in den Interviews verwendet. Nähere Informationen zur Funktion eines Leitfadens im qualitativen Interview folgen weiter unten.
232
8 Methodischer Aufbau der Untersuchung
Durch ihre grundsätzliche Offenheit besitzen qualitative Interviews den Vorteil, dass sie dem jeweiligen Kontext einer Interviewsituation offen gegenüberstehen. Der Forscher ist nicht in ein standardisiertes Frage-Antwort-Gerüst eingeengt und kann sich recht flexibel auf die spezifischen Relevanzstrukturen und sozialen Kontexte der Interviewpartner einlassen (vgl. Trinczek 2005: 211-212). Dennoch sollte die vergleichsweise offene Form der Interviewführung nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um eine künstliche Befragungssituation handelt. Interviewer und Befragter sind sich meist fremd, und die Redeanteile während des Interviews sind ungleich verteilt. Annähernd alle Fragen werden vom Interviewer gestellt und ausschließlich der Befragte antwortet. Ein weiteres Kennzeichen der künstlichen Befragungssituation besteht darin, dass die Äußerungen des Befragten sozial folgenlos sind, da er keine Sanktionen fürchten muss, wenn seine Aussagen anonymisiert werden (vgl. Spöhring 1995: 148-153). Das Experteninterview gehört also zur Gruppe der qualitativen Interviews. Für eine genauere Verortung des Experteninterviews müssen allerdings seine besonderen Merkmale näher erläutert werden. Den Anfang soll hier das spezifische Erkenntnisinteresse machen, das dem Experteninterview zugrunde liegt. Laut Gabriele Abels und Maria Behrens gibt der Begriff „Informationsgespräch“ (2005: 175) den Zweck, den der Forscher mit dem Experteninterview verfolgt, präzise wider. Für die Erforschung sozialer Prozesse und Situationen soll das besondere Wissen derjenigen Personen genutzt werden, die in diesen sozialen Prozessen in verschiedenen Rollen involviert sind (vgl. Gläser/Laudel 2006: 10-11). Dabei wird besonderer Wert darauf gelegt, dass das Interview einem Gespräch unter Experten möglichst nahekommt, sodass Interviewer und Befragter auf „gleicher Augenhöhe reden“ (Pfadenhauer 2005: 121).262 Zentral für das Experteninterview ist die Bestimmung und Definition des Begriffs ‚Experte’. Denn schließlich ist die Befragung von Experten das zentrale Merkmal dieser Interviewform, und die Definition des Expertenbegriffs entscheidet letztendlich darüber, welche Personen interviewt werden. Eine allgemeingültige Definition des Experten kann es aber nicht geben, da der Expertenstatus relational mit Bezug auf die jeweilige Forschungsfrage und den Untersuchungsgegenstand vom Forscher verliehen wird (vgl. Meuser/Nagel 2005: 73262
Stellt sich die Situation eines ‚Gesprächs unter Experten’ nicht ein, ist das Interview keineswegs zum Scheitern verurteilt. In ihrer Auseinandersetzung mit Experteninterviews aus einer geschlechtertheoretischen Perspektive heben Gabriele Abels und Maria Behrens beispielsweise hervor, dass es auch durchaus von Vorteil für den Interviewer sein kann, wenn er von den Befragten als weniger kompetenter Gesprächspartner wahrgenommen wird. Insbesondere in Interviews männlicher Experten durch eine weibliche Forscherin sei der Effekt zu beobachten, dass den Frauen weniger Fachwissen und Kompetenz zugetraut würde. Dies führe dazu, dass sich die Experten sehr auskunftsfreudig, teilweise auch belehrend zeigen, was für die Informationsgewinnung von Vorteil sei (vgl. Abel/Behrens 2005: 182).
8.2 Die Datenerhebung
233
74).263 Die Bestimmung der Experten im Rahmen einer Untersuchung erfolgt also nach dem spezifischen vorliegenden Erkenntnisinteresse und wird zudem vom jeweils zugrunde liegenden Expertenbegriff beeinflusst. So kann der Begriff des Experten unterschiedlich eng gefasst sein. Als Experte können beispielsweise Personen gelten, die im Rahmen ihrer Beteiligung an bestimmten sozialen Prozessen ein besonderes Wissen erworben haben. Wie exklusiv diese Wissensbestände des Experten sein müssen und in welchem Maße sie sich vom Alltagswissen abgrenzen sollten, ist dabei eine Definitionsfrage, die zuvor vom Forscher bzw. dem Forscherteam beantwortet werden muss. Als zusätzliches Kriterium kann neben dem besonderen Wissensbestand auch das Vorhandensein von Problemlösungskompetenzen bzw. -zuständigkeiten zur Voraussetzung für den Expertenstatus gemacht werden (vgl. Gläser/Laudel 2006: 10-11; Pfadenhauer 2005: 115-117).264 Die Personen, die als Experten im Rahmen der Interviews befragt werden, interessieren nicht unbedingt als gesamte Persönlichkeiten. Stattdessen konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf eine Funktion oder Rolle, die diese innerhalb eines gewissen Organisationsgefüges wahrnehmen. Dabei lassen sich die relevanten Experten für eine Untersuchung nicht zwangsläufig in den obersten Hierarchieebenen einer Organisation oder gesellschaftlicher Strukturen finden. Vielmehr können sich auch formal ‚untergeordnete’ Personen als wahre Experten herausstellen. Dies steht auch im Zusammenhang mit der Tatsache, dass sich Expertenwissen nicht zwangsläufig aus einer schulischen oder beruflichen (Aus)Bildung ableitet (vgl. Deeke 1995: 11; Meuser/Nagel 2005: 74; Pfadenhauer 2005: 124). Das wichtigste Kriterium für die Auswahl der Experten in dieser Untersuchung ist ihr Bezug zur SADC bzw. zur regionalen Integration im südlichen Afrika in den Bereichen Handel und Sicherheit. Das bedeutet, dass nur solche Personen als Experten befragt wurden, die sich beruflich mit diesen Themenbereichen auseinander setzen und somit besonderes Wissen besitzen. Allerdings war bei der Auswahl der Experten keine Problemlösungskompetenz und 263
264
Der hier angegebene Artikel von Michael Meuser und Ulrike Nagel, der mittlerweile zu den ‚Klassikern’ in der Literatur zu Experteninterviews zählt, ist ein unveränderter Neuabdruck. Erstmalig erschien der Artikel mit dem Titel „ExpertInneninterviews – vielfach erprobt, wenig bedacht. Ein Beitrag zur qualitativen Methodendiskussion“ im Jahre 1991 im von Detlef Garz und Klaus Kraimer herausgegebenen Band „Qualitativ-empirische Sozialforschung“, im Westdeutschen Verlag, Opladen. Als Beispiel für eine Definition des Expertenbegriffs, die alle oben genannten Kriterien umfasst sei hier die Definition von Michaela Pfadenhauer (2005: 117) aufgeführt: „(…) gelten uns also diejenigen Personen als ‚Experten’, die über privilegierte Informationszugänge verfügen und – darüber hinaus – für den Entwurf, die Implementierung und/oder Kontrolle von Problemlösungen verantwortlich (zu machen) sind.“
234
8 Methodischer Aufbau der Untersuchung
zuständigkeit zwingend erforderlich. Gleichwohl erfüllen einzelne Befragte, wie z.B. die Mitarbeiter des SADC-Sekretariats, diese Bedingung. Andere Gruppen, wie etwa Wissenschaftler, haben keine direkte Zuständigkeit für die Problemlösungen im Bereich der regionalen Integration. Sie können zwar durch wissenschaftliche Analysen einen wichtigen Beitrag zur Identifizierung von Problemen leisten und auch mögliche Lösungswege aufzeigen, aber deren Implementierung liegt allein in den Händen der Politik. Besonderes Gewicht wurde bei der Auswahl der Experten auch darauf gelegt, dass sie aufgrund ihrer beruflichen Position die regionale Integration aus jeweils verschiedenen Perspektiven betrachten. So wurden Insider wie Angestellte des SADC-Sekretariats befragt, aber auch freie Consultants, die im Rahmen verschiedener Studien für die SADC arbeiten. Diese Berater haben sehr detaillierte Einblicke in die Prozesse innerhalb der SADC, sind der Organisation aber gleichzeitig nicht verpflichtet. Wegen ihrer vergleichsweise unabhängigen Position weisen diese Personen meist ein hohes Maß an Reflexion auf – eine Annahme, die sich im Fall der interviewten Consultants voll und ganz bestätigte. Ähnliches gilt auch für Vertreter der internationalen Gebergemeinschaft, die eng mit der SADC zusammenarbeiten, ohne von ihr ‚vereinnahmt’ zu werden. Eine weitere Gruppe bilden die Wissenschaftler, die wiederum eine stärker theoretisch geprägte Sichtweise besitzen und die Prozesse meist aus einer distanzierteren Perspektive betrachten.265 Für die vorliegende Untersuchung gilt, dass der Expertenstatus ein methodisches und soziales Konstrukt ist. Die Zuschreibung als Experte erfolgte nach den genannten Kriterien. Allerdings wurde diese Zuschreibung nicht nur von der Autorin dieser Arbeit allein vorgenommen, sondern auch von dritten Personen, die in der Vermittlung von Interviewpartnern hilfreich waren.266 Allerdings ist diese Hilfe bei der Suche nach geeigneten Interviewpartnern oftmals unverzichtbar. Im vorliegenden Fall musste insbesondere aufgrund der geografischen Entfernung und der relativ undurchsichtigen praktischen Arbeitsstrukturen innerhalb der SADC auf die Empfehlungen von ‚Insidern’ zurückgegriffen werden. Zwei Grundprobleme bleiben ohnehin bestehen, egal ob die Experten nur durch den Forscher oder auch über Empfehlungen ausgewählt werden: Erstens sind die angefragten Gesprächspartner nicht unbedingt für ein Interview verfügbar, etwa weil sie durch Reisen oder anderweitige Verpflichtungen stark 265
266
Zudem bietet es sich auch an, verschiedene Frageaspekte der Untersuchung mit den einzelnen Gruppen von Befragten unterschiedlich ausführlich zu diskutieren. Demnach können Mitarbeiter der SADC gezielte Auskünfte über die Abläufe innerhalb der SADC geben, während Fragen rund um die Möglichkeit einer allgemeinen Integrationstheorie insbesondere von den Wissenschaftlern detailliert beantwortet werden können. Vergleiche hierzu auch Kapitel 8.5.
8.2 Die Datenerhebung
235
eingebunden sind. Zweitens zeigt sich erst im eigentlichen Interview, ob ein Gesprächspartner die Bezeichnung als ‚Experte’ tatsächlich verdient.267 Zur Vorstellung der hier angewendeten Erhebungsmethode des Experteninterviews fehlt nun noch ein Aspekt: Der Interviewleitfaden, mit dessen Hilfe die Interviews durchgeführt wurden.268 Dabei ist ein solcher Leitfaden kein spezifisches Instrument des Experteninterviews, sondern kann ebenso bei anderen Formen des qualitativen Interviews zur Anwendung kommen. Die Grundlage für den Interviewleitfaden bildet das spezifische Erkenntnisinteresse, das im Rahmen des Interviews verfolgt wird. Für die Entwicklung eines Leitfadens ist es demnach notwendig, dass der Forscher weiß, welche Erkenntnisse er mit Hilfe der Interviews überhaupt gewinnen möchte. Um diese gewünschten Informationen zu erhalten, wird das Interview in so genannte Leitfragen vorstrukturiert, die alle relevanten Aspekte abdecken. Die detaillierte Formulierung der Fragen steht dabei nicht im Vordergrund, sondern vielmehr deren Inhalt und Abfolge. Im Idealfall sollte der entwickelte Leitfaden in Probeinterviews getestet werden, bevor die eigentliche Erhebungsphase beginnt. Eine solche Pilotphase dient nicht nur dem Test der Leitfragen, sondern auch dem Training des Interviewers (vgl. Mayring 2002: 69-70). Eine solche Pilotphase gab es bei der hier vorliegenden Untersuchung nicht. Ein Test des Leitfadens ist nur dann effektiv, wenn er unter den gleichen Bedingungen wie die anschließenden Interviews stattfindet. Das bedeutet, dass die Testinterviews mit Experten, nicht aber mit wahllos ausgesuchten Personen durchgeführt werden müssen. Nur so kann man herausfinden, ob Fragen des Leitfadens eventuell missverständlich sind oder ob sich eine andere Anordnung der Fragen anbietet. Aufgrund der großen räumlichen Entfernung zu den Experten im südlichen Afrika und zeitlichen wie finanziellen Restriktionen war eine solche Testphase leider nicht möglich. Allerdings wurde in den ersten Interviews bewusst getestet, wie z.B. die Fragen am besten formuliert werden und welche Abfolge der Fragen dem Erkenntnisinteresse am dienlichsten ist. Diese Einsichten wurden dann in den folgenden Interviews berücksichtigt. Im Interview kommt dem Leitfaden eine Steuerungsfunktion für den Gesprächsverlauf zu. Durch die vorherige Festlegung zentraler Fragen und deren Abfolge fällt die Fokussierung des Interviews auf die wirklich interessierenden Themen leichter. Dabei darf der Leitfaden das Interview aber nicht sklavisch 267
268
Neben der Auseinandersetzung um den Expertenbegriff beherrscht derzeit außerdem die Diskussion um den methodischen Status des Experteninterviews die Literatur. Ausgangspunkt ist die Frage, ob Experteninterviews ein eigenständiges methodisches Konzept darstellen. Die entsprechenden Argumente und Standpunkte dieser Diskussion werden von Deeke 1995; Kassner/Wassermann 2005 und Pfadenhauer 2005 vorgestellt. Der Interviewleitfaden der vorliegenden Untersuchung ist im Anhang abgedruckt.
236
8 Methodischer Aufbau der Untersuchung
bestimmen, sondern der Interviewer sollte je nach Gesprächsverlauf entscheiden, welche Frage wann angemessen ist (vgl. Flick 1995: 109-113). Neben der Strukturierung des Interviews bietet der Leitfaden den weiteren Vorteil, dass er den Inhalt der Interviews strukturiert. Durch die im Leitfaden festgelegten Themenaspekte wird sichergestellt, dass in allen Interviews die mehr oder weniger gleichen Informationen erhoben werden. Dadurch erleichtert sich auch die anschließende Auswertung des Interviewmaterials, da es entsprechend der Themen des Leitfadens bereits vorstrukturiert ist und die gewonnenen Daten leichter zu vergleichen sind (vgl. Flick 1995: 113; Mayring 2002: 70). Erstellt der spätere Interviewer den Leitfaden selbst, kann er sein Wissen gleichzeitig auch für die Interviews nutzen. Er ist in die Thematik der Interviews eingearbeitet und wird somit vom Befragten eher als kompetenter Gesprächspartner wahrgenommen (vgl. Meuser/Nagel 2005: 77). Doch neben diesen genannten Vorteilen stellt der Interviewleitfaden andererseits auch große Herausforderungen an den Interviewer. Dieser muss spontan in der jeweiligen Interviewsituation entscheiden, wann er von den Vorgaben des Leitfadens abweicht, wann er ggf. Nachfragen stellt oder wann er auf Ausführungen des Befragten eingeht, die nicht in direktem Zusammenhang mit den Themen des Leitfadens stehen. Dies erfordert auf Seiten des Interviewers ein hohes Maß an Feingespür für die jeweilige Interviewsituation. Er muss die richtige Balance zwischen einem möglichst natürlichen Gespräch und der künstlichen Befragungssituation des Interviews finden (vgl. Hopf 1978: 107-114). Eine Gefahr für den Interviewer besteht darin, dass er zum Opfer der „Leitfadenbürokratie“ (Hopf 1978: 101) wird.269 Diese tritt auf, wenn der Leitfaden nicht länger ein Mittel zur Informationsgewinnung ist, sondern zum Blockadeinstrument wird. In einem solchen Fall ist der Interviewer zu stark auf den Leitfaden fixiert und reagiert nicht auf Anknüpfungspunkte, die der Befragte in der konkreten Interviewsituation liefert. Die Zielsetzung einer zügigen und leitfadengetreuen Gesprächsführung kann in diesem Fall zu Lasten von Spezifizierungen und Zusatzinformationen gehen (vgl. Hopf 1978: 104-106).270 269
270
Laut Christel Hopf (vgl. 1978: 101) haben empirische Erfahrungen gezeigt, dass die Gefahr der Leitfadenbürokratie weitaus größer ist als die Gefahr, den Leitfaden zu vernachlässigen und unkontrolliert vom eigentlichen Thema abzuschweifen. Mögliche Erklärungsansätze für Leitfadenbürokratie liefert Christel Hopf (vgl. 1978: 101-102). Zum einen treten innerhalb des leitfadengestützten Interviews eine Reihe von Verhaltensproblemen auf, die der Interviewer meistern muss. Sich in einer solchen Situation an den Leitfaden ‚zu klammern’, ist keine abwegige Reaktion. Zum anderen kann in größeren Forscherteams, in denen verschiedene Personen Interviews durchführen, schnell die Angst vor Illoyalität gegenüber dem Team und dem institutionellen Rahmen aufkommen, sollten die Vorgaben des Leitfadens nicht genauestens eingehalten werden. Zu guter Letzt steht das Informationsinteresse, das mit einem Interview verfolgt wird, im Konflikt mit dem meist sehr begrenzten Zeitrahmen des Interviews.
8.2 Die Datenerhebung
237
Nachdem das leitfadengestützte Experteninterview als eine der Erhebungstechniken der vorliegenden Untersuchung so umfassend vorgestellt wurde, soll nun auch die Dokumentenanalyse näher erläutert werden. 8.2.2 Die Dokumentenanalyse Vorweg sei vermerkt, dass Experteninterviews und Dokumentenanalyse in der vorliegenden Analyse nicht das gleiche Gewicht besitzen. Während die Interviews als primäre Datenquelle der Untersuchung dienen, kommt der Dokumentenanalyse eher eine ergänzende Rolle zu. Mit ihrer Hilfe sollen Informationen gewonnen werden, die im Rahmen der Experteninterviews nicht erhoben wurden bzw. nicht erhoben werden konnten.271 Im Rahmen der Dokumentenanalyse werden zwei verschiedene Arten von Dokumenten analysiert. Zum einen handelt es sich hier um SADC-Dokumente wie Verträge, Protokolle, Strategiepapiere und verschiedene Kommuniqués. Zu den SADC-Dokumenten zählen ebenso interne Papiere, die beispielsweise im Rahmen der Verhandlungen im TNF entstanden sind. Zum anderen werden Zeitungsartikel verschiedener afrikanischer Zeitungen in die Analyse einbezogen. Der Zugang zu Dokumenten der SADC gestaltete sich teilweise problematisch. Während Basisdokumente, wie etwa die verschiedenen Protokolle, auf den offiziellen Internetseiten der SADC eingesehen werden können, waren interne Papiere, wie offizielle Protokolle von Sitzungen oder Verhandlungen, schwieriger zugänglich. Auch wenn diese Dokumente von den Akteuren vor Ort als wenig sensitiv eingestuft wurden, fehlt es an zentralen Archiven und Sammelstellen innerhalb der SADC.272 Außerdem beschlossen die Staats- und Regierungschefs der SADC im August 2003, die Kommuniqués und Protokolle ihrer Summits sowie die Protokolle der Treffen des SADC-Ministerrates nicht mehr unmittelbar, sondern erst nach einer zweijährigen Frist zu veröffentlichen. Diesen Beschluss setzten die SADC-Staaten bislang aber nicht um (vgl. van
271
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Dabei wurde eine Art Arbeitsteilung zwischen den Erhebungstechniken angewendet. So wurden die Experteninterviews beispielsweise dazu genutzt, Informationen zu erhalten, die nicht in Dokumenten nachgelesen werden können. Gleichzeitig bestand die Zielsetzung der Interviews darin, Einschätzungen der Experten zu erfahren, die sich nicht in offiziellen SADCDokumenten nachlesen lassen. Somit liegt es allein im Ermessen einzelner Beteiligter bzw. Mitarbeiter der SADC, ob und mit welcher Sorgfalt sie die Protokolle der Verhandlungen archivieren. Problematisch ist auch, dass der Zugang zu den Dokumenten von einzelnen Personen kontrolliert werden kann und die Dokumente mit dem Ausscheiden der einzelnen Personen aus dem Arbeitsverhältnis quasi verloren gehen.
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8 Methodischer Aufbau der Untersuchung
Schalkwyk/Cilliers 2004: 122).273 Der Zugriff auf Artikel verschiedener Zeitungen in der Region ist dank des kostenpflichtigen Online-Archivs des Anbieters AllAfrica Global Media (www.allafrica.com) problemlos möglich. Das Archiv bietet verschiedene Suchfunktionen und umfasst den Zeitraum seit Oktober 1996.274 Das wichtigste Kriterium für die Auswahl der jeweiligen Dokumente aus beiden Gruppen (offizielle Dokumente und Zeitungsartikel) ist ihr Informationsgehalt bezüglich der Politikbereiche Handel und Sicherheit auf regionaler Ebene. Bei einigen Dokumenten, wie z.B. dem Handelsprotokoll, legt schon der Titel nahe, dass sie interessante Informationen für die Beantwortung der Forschungsfragen enthalten. Aber auch andere grundlegende Dokumente, wie z.B. der SADC-Vertrag, wurden auf ihren Erkenntnisgehalt überprüft. In einigen Fällen konnten sich die Dokumente aus beiden Gruppen auch sinnvoll ergänzen. Insbesondere bei den offiziellen Kommuniqués der Treffen der Staats- und Regierungschefs boten die entsprechenden Zeitungsartikel eine willkommene Fokussierung auf die nationalen Perspektiven, oftmals auch verbunden mit einem kritischen Unterton.275 8.3 Die Datenaufbereitung Zwischen der Erhebung empirischer Daten und ihrer Auswertung liegt ein Arbeitsschritt, in dem das gewonnene Datenmaterial so aufbereitet wird, dass es die Voraussetzungen für die gewählte Art der Datenauswertung erfüllt. Diese Aufbereitung des Materials wird oftmals in ihrer Bedeutung unterschätzt, was Mayring (vgl. 2002: 85) berechtigterweise kritisiert. Dies hat zur Folge, dass viele empirische Studien keine genaue Auskunft darüber geben, mit welchen Vorgehensweisen sie ihr empirisches Material bearbeiten bzw. aufbereiten. Doch diese Information ist gerade deshalb so wichtig, weil sich durch die Aufbereitung des Materials nicht nur dessen äußere Form verändert, sondern sich unter Umständen auch inhaltliche Veränderungen ergeben.
273
274
275
Eine Auswahl von Kommuniqué der Gipfeltreffen ist allerdings auf der Internetseite des Institutes for Security Studies mit Sitz in Pretoria unter http://www.issafrica.org (06.04.09) zugänglich. Ebenso sind im Archiv Pressemitteilungen und Materialen zahlreicher Organisationen verfügbar, die sich mit Afrika im weitesten Sinne beschäftigen, wie z.B. CARE International, Friends of the Earth oder das Media Institute of Southern Africa. In der vorliegenden Untersuchung wurden diese Materialen aber nur vereinzelt benutzt. Der Hauptfokus lag auf Zeitungsartikeln. Nähere Informationen zur konkreten Analyse der ausgewählten Dokumente liefert das Kapitel 8.4.
8.3 Die Datenaufbereitung
239
In der hier vorliegenden Untersuchung stellt sich die Frage der Datenaufbereitung allein für die Experteninterviews. Die Texte der Dokumentenanalyse lagen bereits in schriftlicher Form vor. Sie mussten lediglich zusammengestellt und ggf. in ein passendes elektronisches Format gebracht werden, damit sie mit Hilfe der computergestützten Datenanalyse ausgewertet werden konnten. Die Experteninterviews, die mit Hilfe eines digitalen Aufnahmegeräts mitgeschnitten wurden, mussten hingegen zuerst verschriftlicht werden. Sie wurden einer wörtlichen und nahezu vollständigen Transkription unterzogen. Dieses Vorgehen war zwar sehr zeitaufwendig, lieferte aber die bestmögliche Basis für die spätere Auswertung des Materials. Bei der Transkription wurden folgende Kriterien berücksichtigt: Die Interviews mit einer durchschnittlichen Dauer von ca. 30 bis 45 Minuten sind weitgehend vollständig transkribiert worden. Allein Passagen, in denen der Befragte von den eigentlichen Fragen abschweifte und auf Themen einging, die für den Untersuchungskontext nicht relevant waren, wurden nicht berücksichtigt. Zu erwähnen ist außerdem, dass ein Großteil der Interviews im Rahmen der Transkription vom Englischen ins Deutsche übersetzt werden musste.276 Da dieser Arbeitsschritt von der Autorin dieser Arbeit selbst und nicht von einem professionellen Übersetzer übernommen wurde, ist die Möglichkeit nicht zu vernachlässigen, dass sich kleinere Fehler in die Übersetzung eingeschlichen haben können. Um dieses Risiko zu reduzieren, wurden Passagen, in denen eine Übersetzung schwierig war oder sich der Sinn des Gesagten nicht zweifelsfrei erschließen ließ, kenntlich gemacht und im Original belassen. In den Transkripten wurden Pausen und Zögern des Interviewpartners ebenso wie Versprecher nicht kenntlich gemacht.277 Für die Strukturierung der verschriftlichten Interviews wurden die einzelnen Fragen des Leitfadens herangezogen. Somit hatten alle transkribierten Interviews eine vorläufige Struktur, die sich weitgehend ähnelte und somit den späteren Vergleich der Interviews erleichterte. Direkt nach den einzelnen Interviews wurde in einer Art ‚Interviewbericht’ wichtige Angaben zur Person des Befragten, zur Interviewsituation und atmosphäre festgehalten. Diese Informationen wurden bei der Auswertung der Interviews ebenfalls berücksichtigt.
276 277
Von den insgesamt 41 Gesprächen konnten sechs in Deutsch geführt werden. Da nicht die sprachliche Ausdrucksweise, sondern der Inhalt des Gesagten im Vordergrund steht, konnte auf diese ‚Feinheiten’ in der Transkription verzichtet werden.
240
8 Methodischer Aufbau der Untersuchung
8.4 Die Datenauswertung Nach der Erhebung und Aufbereitung des empirischen Datenmaterials besteht die letzte, aber auch entscheidende Aufgabe darin, das vorhandene Datenmaterial auszuwerten und zu interpretieren. Dazu bieten sich verschiedene Verfahren an, die jeweils unterschiedliche Voraussetzungen und Zielsetzungen besitzen. In der vorliegenden Untersuchung kommt eine qualitative Inhaltsanalyse zur Anwendung. Dieses Verfahren zeichnet sich dadurch aus, dass einem Text inhaltliche Informationen entnommen und diese in ein neues Format umgewandelt werden, um so eine Weiterverarbeitung des Materials getrennt vom ursprünglichen Text zu ermöglichen. Welche Informationen dem Text zur weiterführenden Analyse entnommen werden, entscheidet sich auf der Basis eines Analyserasters, das wiederum aufgrund theoretischer Vorüberlegungen entwickelt wurde (vgl. Glaser/Laudel 2006: 191-194). Dieses Untersuchungsraster wird auch als Kategoriensystem bezeichnet und stellt das Herzstück der qualitativen Inhaltsanalyse dar. Um die Inhaltsanalyse möglichst transparent zu gestalten, sollten die einzelnen Kategorien definiert und ihr jeweiliger theoretischer Hintergrund erläutert werden. Nach Mayring (vgl. 2002: 114-121) kann die qualitative Inhaltsanalyse in drei verschiedene Grundformen unterteilt werden, die sich jeweils in ihrer Zielsetzung unterscheiden. Demnach kann es sich um eine inhaltsanalytische Zusammenfassung, Explikation oder Strukturierung handeln. Für die vorliegende Untersuchung erscheint die inhaltsanalytische Strukturierung am besten geeignet zu sein, da sie das Material nach festgesetzten Kriterien ordnet bzw. auf der ordnenden Grundlage dieser Kriterien interpretiert.278 Auf der Basis des vorliegenden, aus theoretischen Erkenntnisinteressen abgeleiteten Kategoriensystems ordnet die strukturierende qualitative Inhaltsanalyse einzelne Textpassagen den verschiedenen Kategorien zu. Doch bevor die Zuordnung einzelner Textpassagen zu den Kategorien erfolgt, sollte zunächst die theoretische Herleitung und Fundierung des Kategoriensystems erläutert werden. Dies hat den Vorteil, dass das Vorgehen der Analyse für den Leser transparent wird und der Bezug zum theoretischen Hintergrund der Untersuchung erkennbar bleibt. Damit wird auch die spätere Rückbindung der empirischen Untersuchungsergebnisse an die theoretischen Grundlagen erleichtert. Mayring (vgl. 2002: 118-121) empfiehlt darüber hinaus die folgenden drei Arbeitsschritte, die problemlos im Anschluss an die theoretische Herleitung des Kategoriensystems durchgeführt werden können. Erstens sollten die Kategorien 278
Die beiden anderen Varianten sind hingegen weniger geeignet, da sie eine rein zusammenfassend-komprimierende bzw. erklärend-erläuternde Funktion besitzen.
8.5 Praktische Durchführung der Studie und kritische Reflexion
241
genau definiert werden, damit eine eindeutige Zuordnung von Textstellen zu einzelnen Kategorien möglich ist. In einem zweiten Schritt sollten „Ankerbeispiele“ (Mayring 2002: 118) als Prototypen für die Zuordnung einzelner Textstellen zu einer Kategorie festgelegt werden. Und um die Zuordnung des Textmaterials möglichst eindeutig zu gestalten, sollten drittens Kodierregeln für den Fall aufgestellt werden, dass einzelne Kategorien nicht leicht voneinander abzugrenzen sind. Auf der Grundlage dieser Regeln wurde die Analyse des empirischen Materials dieser Untersuchung mit Hilfe der QDA-Software MAXQDA durchgeführt. Dieses Computerprogramm zur sozialwissenschaftlichen Textanalyse bietet für die qualitative Auswertung des Datenmaterials eine Reihe von Vorteilen, die Udo Kuckartz überblicksartig vorgestellt (vgl. Kuckartz 1999). Allgemein bietet die computergestützte Analyse des Datenmaterials den Vorteil, dass auch größere Textmengen zeitsparend und übersichtlich verarbeitet werden können. Außerdem erhöht sich mit dem Einsatz eines Computerprogramms die Transparenz und Nachvollziehbarkeit des Auswertungsprozesses, da die einzelnen Arbeitsschritte leichter rekonstruiert werden können und besser zugänglich sind. Hinzu kommt, dass MAXQDA 2007 keine hohen Vorbedingungen an die Daten stellt, sie müssen lediglich in digitalisierter Form vorliegen (vgl. Kuckartz 1999: 32-34). Nach der ausführlichen Beschäftigung mit den theoretischen Grundlagen der empirischen Studie soll nun der Fokus auf die Forschungspraxis ausgerichtet werden. Dabei gilt es nicht nur, die Vorgehensweise der Datenerhebung aus praktischer Sicht vorzustellen. Vielmehr geht es auch darum zu überprüfen, ob die theoretisch gesetzten Ziele und Standards praktisch erreicht werden konnten. Ob es also gelungen ist, Anspruch und Wirklichkeit der empirischen Studie miteinander in Einklang zu bringen, soll das folgende Kapitel zeigen. 8.5 Praktische Durchführung der Studie und kritische Reflexion Die Erläuterungen zur praktischen Vorgehensweise sind aufgeteilt nach den Arbeitsschritten der Datenerhebung, -aufbereitung und -auswertung. Dabei wird das eigene Vorgehen auch kritisch reflektiert. Bei der Datenerhebung spielen die Experteninterviews eine zentrale Rolle. Während eines sechswöchigen Aufenthalts in Botsuana und Südafrika konnten 41 Experteninterviews durchgeführt werden. In drei Fällen wurden zwei Experten gleichzeitig interviewt, sodass insgesamt die Einschätzungen von 44 Experten für die Untersuchung berücksichtigt wurden. Vor Beginn der Feldforschung wurde bereits versucht, mit einer Reihe von Experten per E-Mail in Kon-
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8 Methodischer Aufbau der Untersuchung
takt zu treten. Die Resonanz auf diese Anfragen, in denen erste Informationen zur Untersuchung geliefert und die Bitte um einen Interviewtermin vorgebracht wurden, war gut. So konnten bereits im Vorfeld der Forschungsreise insgesamt sechs Interviewtermine vereinbart werden.279 In Botsuana bzw. Südafrika wurden dann durch die bestehenden Kontaktpersonen weitere Gesprächspartner vermittelt und es konnte eigenständig der Kontakt zu potenziell interessanten Gesprächspartnern aufgenommen werden.280 Vor Ort wurde der Kontakt mit den Experten telefonisch oder persönlich gesucht. In der Mehrzahl der Fälle gestaltete sich die Terminabsprache unkompliziert. Nur in weniger als einem Viertel der Fälle gab es insofern Schwierigkeiten, als dass Termine kurzfristig abgesagt oder nicht eingehalten wurden. Nur in sehr wenigen Ausnahmefällen verweigerten Personen ein Interview. Meist wurden hier hohe Arbeitsbelastung und mangelnde Zeit als Gründe angegeben. Interessanterweise zeigte sich, dass die SADC-Experten aus dem Handelsbereich sehr viel offener gegenüber meinem Anliegen waren als SADC-Experten aus dem Sicherheitsbereich. Während niemand im Handelsbereich nach einem offiziellen Empfehlungsschreiben verlangte, wurde dies im Sicherheitsbereich beispielsweise zur Voraussetzung für ein Interview gemacht. Zu beobachten war auch, dass die Mitarbeiter im Sicherheitsbereich stärker dazu neigten, mich mit meiner Interviewanfrage an ihre Vorgesetzten zu verweisen, da diese eher in der Lage seien, Auskünfte zu geben. Die größere Auskunftsfreudigkeit der Experten im Handelsbereich ist aber nur ein nachrangiger Grund für die Überzahl an Interviews mit dem Themenschwerpunkt Handel (26 von insgesamt 41 Interviews). Hingegen wurden nur sieben Interviews dezidiert zu Sicherheitsthemen durchgeführt. Bei den Experteninterviews ergab sich die Schwierigkeit, dass in vielen Fällen eine eindeutige Zuordnung der Experten in den Bereich der Handels- oder Sicherheitspolitik nicht möglich war. Eine ganze Reihe von befragten Experten beschäftigte sich zwar mit dem Regionalismus im südlichen Afrika, ohne jedoch eine dezidierte Konzentration auf handels- oder sicherheitspolitische Themen zu haben. Diese Interviews (insgesamt acht) sind in der Auflistung der Interviewpartner im Anhang entsprechend kenntlich gemacht. In den meisten dieser Fälle stand die allgemeine Ausrichtung der Experten einem aufschlussreichen Interview aber nicht entgegen, sondern lieferte wichtige ergänzende Informationen.
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Allerdings erwiesen sich die frühzeitigen Interviewanfragen auch während der Feldforschung noch als Hilfe, da einige Gesprächspartner zwar auf die Anfrage nicht reagiert hatten, sich aber sehr wohl an meine Anfrage erinnerten. Die problematische Seite der Vermittlung von Experten über Dritte wurde bereits in Kapitel 8.2.1 diskutiert.
8.5 Praktische Durchführung der Studie und kritische Reflexion
243
In den Fällen, in denen die Experten vorab dem Bereich der Handels- oder Sicherheitspolitik zugeordnet wurden, geschah dies auf der Grundlage rein subjektiver Entscheidungen der Autorin und der verfügbaren Kenntnisse über die Arbeitsfelder der Experten. In einigen Fällen erwies sich diese Zuordnung im Verlauf des Interviews aber als falsch. Entweder waren die Arbeitsschwerpunkte des Experten vorab falsch eingeschätzt worden oder die Experten äußerten sich im Interview ausschließlich zu Themen außerhalb ihres eigentlichen Fachgebiets. Die Überzahl der Interviews zur Handelsintegration ist auch damit zu erklären, dass zahlenmäßig mehr Personen innerhalb des TIFI-Direktorats der SADC oder als unabhängige Experten im Handelsbereich arbeiten. Dies hängt auch damit zusammen, dass die Handelsintegration innerhalb der SADC eine längere Geschichte hat als die Integration im Sicherheitsbereich. Letztere existiert in ihrer jetzigen Form im Rahmen des OPDS erst seit 2001. Hinzu kommt, dass dem Handelsbereich gerade zum Zeitpunkt der Feldforschung (April und Mai 2007) besondere Aufmerksamkeit aufgrund der bevorstehenden Einführung der Freihandelszone im Jahr 2008 geschenkt wurde. Neben der Einordnung nach Themenbereichen können die Interviews auch anhand anderer Kriterien wie dem Geschlecht der Interviewpartner oder ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Organisation klassifiziert werden. Die entsprechenden Informationen finden sich in der Übersicht der Interviewpartner im Anhang. Darüber hinaus lassen sich auch einige Angaben zum Verlauf und zur Ergiebigkeit der Interviews machen. Diese hatten eine durchschnittliche Dauer von 30 bis 45 Minuten. Ausnahmen stellten das kürzeste Interview mit knapp 15 Minuten und das längste mit 75 Minuten dar.281 Am aufschlussreichsten waren Interviews mit Gesprächspartnern, die nicht oder nicht mehr unmittelbar bei der SADC beschäftigt waren. Hier handelte es sich insbesondere um freie Consultants, die aufgrund ihrer Gutachtertätigkeit für die SADC Einblicke in die Strukturen der Organisation besitzen, gleichzeitig aber sehr kritisch und reflektiert berichten konnten. Die Erfahrungen während der Feldforschung haben außerdem gezeigt, dass es nicht immer die hochrangigen Funktionsträger waren, die die interessantesten Einsichten lieferten. Diese Tatsache ist unter anderem damit zu erklären, dass hochrangigere Experten in ihrer Funktion insbesondere mit Management- und Repräsentationsaufgaben betraut sind. Sie sind speziell für Interviewsituationen geschult und geben daher ‚professionellere’ Antworten, die die offizielle Rhetorik der Organisation (in diesem Falle der SADC) wiedergeben. Experten der mittleren Hierarchieebene gaben hingegen bereitwilliger Auskunft, 281
Die große Mehrzahl der Interviewpartner wies bereits bei der Terminabsprache auf ihre begrenzten Zeitkapazitäten hin und ließ sich oftmals von der Zusage überzeugen, dass das Interview nicht länger als 30 Minuten in Anspruch nehmen würde.
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8 Methodischer Aufbau der Untersuchung
legten eine größere Offenheit an den Tag und konnten sehr interessante Einsichten liefern. Mit Ausnahme einer Expertin erklärten sich alle Interviewpartner mit der Aufzeichnung des Gesprächs auf einem elektronischen Aufnahmegerät bereit. Der Veröffentlichung ihrer Aussagen in Form von direkten Zitaten stimmten die Experten grundsätzlich zu. Allerdings gaben sie auch vereinzelte vertrauliche Auskünfte, die selbstverständlich nicht zitiert wurden und lediglich als Hintergrundinformationen Verwendung fanden. Der Leitfaden erwies sich in den Interviews als sehr hilfreich. Bei den Interviewfragen gab es nur sehr selten Verständnisprobleme. In den meisten Fällen, in denen die Interviewten eine Frage nicht verstanden, waren Gründe wie eine unklare Ausdrucksweise der Autorin dieser Arbeit dafür verantwortlich. Abschließend ist an dieser Stelle die Einschränkung angebracht, dass die 44 befragten Experten weder eine repräsentative noch eine erschöpfende Auswahl darstellen. Es konnte lediglich ein Ausschnitt derjenigen Personen, die nach dem hier vorliegenden Konzept als Experten im Bereich der regionalen Integration gelten, in die Untersuchung einbezogen werden. Somit kann auch nicht für die Ergebnisse der Auswertung der Experteninterviews der Anspruch der Repräsentativität erhoben werden. Für die Dokumentenanalyse wurden ca. 100 offizielle Dokumente der SADC und ca. 900 Zeitungsartikel ausgewertet. Der Großteil der Protokolle, Verträge und Strategiepapiere ist online über die Internetseite der SADC zugänglich. Weitere Berichte oder auch Gutachten wurden während der Feldforschung zusammengetragen. Für die Recherche nach Zeitungsartikeln wurde auf das Online-Archiv von AllAfrica Global Media zurückgegriffen. Allerdings kann auch hier nicht der Anspruch erhoben werden, dass eine erschöpfende oder repräsentative Auswahl von Zeitungsartikeln, die sich mit regionaler Integration im Handels- und Sicherheitsbereich beschäftigen, in die Analyse eingeflossen ist. Denn die Suche und Auswahl der Zeitungsartikel erfolgte über das OnlineArchiv des Medienanbieters. Hier kann mit Hilfe einzelner Stichworte (in diesem Falle ‚trade SADC’ und ‚security SADC’) nach relevanten Artikeln gesucht werden. Die dann folgende Auswahl der tatsächlich relevanten Artikel aus der Vielzahl von ca. 3000 Treffern ist eine subjektive Entscheidung, und es kann nicht ausgeschlossen werden, dass interessante Artikel übersehen bzw. nicht in die Auswahl aufgenommen wurden. Zum Vorgehen der Datenaufbereitung wurden bereits in Kapitel 8.3 einige Angaben gemacht. Im Mittelpunkt der Aufbreitung der Experteninterviews stand die Bemühung, trotz Verschriftlichung und Übersetzung möglichst nah am Original zu bleiben. Das größte Problem bestand in der Übersetzung eines Großteils der Interviews vom Englischen ins Deutsche (vgl. auch Kapitel 8.3). Die
8.5 Praktische Durchführung der Studie und kritische Reflexion
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Transkription wurde durch die Tatsache, dass die Mitschnitte der Interviews digital vorlagen, enorm erleichtert. Einzelne Schwachstellen des empirischen Datenmaterials (Experteninterviews und Dokumente) traten auch in der Datenauswertung zutage. Hier zeigten sich beispielsweise die Nachteile der vergleichsweise offenen Interviewgestaltung. Nicht alle Experten äußerten sich zu den exakt gleichen Themen, teilweise, weil sie das Interview in eine andere, im Leitfaden nicht vorgesehene Richtung lenkten oder weil die Zeit für das Interview stark begrenzt war. Dies hat zur Folge, dass die Anzahl von Experteneinschätzungen zu bestimmten Fragen vergleichsweise gering ist.282 Außerdem verdeutlichte die Auswertung der Interviews auch die sehr unterschiedliche Qualität bzw. den sehr unterschiedlichen Informationsgehalt der Interviews. Dies hat auch zur Folge, dass bestimmte Interviews in der Vorstellung der empirischen Ergebnisse in Kapitel 9 sehr viel öfter zitiert werden als andere. Aber auch bei der Dokumentenanalyse zeigten sich bei der Auswertung zwei problematische Aspekte. Ein erster Punkt betrifft die bereits erwähnten Probleme in der Verfügbarkeit einzelner SADC-Dokumente und die Kriterien für die Auswahl von Zeitungsartikeln (vgl. hierzu Kapitel 8.2.2). Ein zweiter Aspekt bezieht sich auf den Informationsgehalt eines großen Teils der SADCDokumente. Viele dieser Papiere sind für die empirische Analyse wertlos, da ihr Informationsgehalt über reine Absichtserklärungen nicht hinausgeht. Besonders auffällig zeigt sich dieser Punkt in den Kommuniqués der SADC-Gipfeltreffen, die oftmals nur eine Zusammenstellung der Tagesordnungspunkte enthalten.283 Doch trotz der beschriebenen methodischen Herausforderungen muss sich auch die vorliegende Untersuchung an den Maßstäben messen lassen, die in Kapitel 8.1 als allgemeine Gütekriterien qualitativer Forschung aufgestellt wurden. Die Überprüfung der vorliegenden empirischen Analyse im Hinblick auf die Einhaltung der genannten Kriterien kommt zu einem überwiegend positiven Urteil. Dem ersten Kriterium der Verfahrensdokumentation wird durch die ausführliche Darstellung der Vorgehensweise der Untersuchung entsprochen. Alle angewandten Methoden werden dem Leser offen präsentiert, und mögliche Schwachstellen werden kritisch reflektiert.
282
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Diese Tatsache muss auch bei der Interpretation der Ergebnisse in Kapitel 9 berücksichtigt werden. Den oberflächlichen Inhalt der SADC-Kommuniqués beklagen auch Gina van Schalkwyk und Jakkie Cilliers. Sie machen außerdem darauf aufmerksam, dass sich die Beschaffung dieser Dokumente vor der Einrichtung der Internetseite der SADC im Jahr 2002 sehr schwierig und aufwendig gestaltete (vgl. van Schalkwyk/Cilliers 2004: 122).
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8 Methodischer Aufbau der Untersuchung
Der Forderung nach einer argumentativen Absicherung vorgenommener Interpretationen wird ebenfalls nachgekommen. Dies beginnt schon bei der ausführlichen Herleitung der fundierten Untersuchungshypothesen (siehe hierzu Kapitel 7). Die Prüfung dieser Hypothesen erfolgt im direkten Bezug zum erhobenen Datenmaterial. Die Transparenz dieses Prozesses wird zusätzlich dadurch erhöht, dass die Datenanalyse computerunterstützt durchgeführt wurde. Indem die einzelnen Interpretationsschritte jeweils am Datenmaterial belegt werden, haben sie eine starke argumentative Absicherung. Auch die dritte Maxime qualitativer Forschung, die Regelgeleitetheit, kann dieser empirischen Untersuchung attestiert werden. Insbesondere im Prozess der Datenauswertung wurden strenge Vorgaben eingehalten, was zu einer systematischen Auswertung des Materials führte. Das vierte Güterkriterium, eine enge Anbindung des Forschers an die „Alltagswelt der beforschten Subjekte“ (Mayring 2002: 146), konnte allerdings nicht erfüllt werden. Insbesondere aufgrund der geografischen Entfernung war es nicht möglich, einen physisch engeren und langfristigen Kontakt zu den Mitarbeitern und Experten der SADC aufrecht zu erhalten.284 Auch das fünfte Kriterium der kommunikativen Validierung wurde in der vorliegenden Untersuchung nicht erfüllt. Aus organisatorischen, finanziellen und zeitlichen Gründen liegt eine erneute Rückkoppelung mit den befragten Experten nicht im Bereich der Möglichkeiten dieses Dissertationsprojektes. Allerdings wurde das letzte Güterkriterium, das der Triangulation, wiederum erfüllt. Zwar sind es nur zwei Methoden der Datenerhebung (und nicht drei, wie sie der Triangulationsansatz ursprünglich vorsieht), die in der vorliegenden Untersuchung zur Anwendung kamen, dennoch ergibt sich der positive Effekt einer Erhöhung der Validität der Ergebnisse. Abschließend kann also festgehalten werden, dass von den sechs aufgestellten Qualitätskriterien qualitativer Forschung insgesamt vier in dieser Untersuchung berücksichtigt werden konnten.
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Die einzige Möglichkeit, einen alltäglichen Kontakt herzustellen, besteht für den Forscher darin, selbst eine Arbeitsbeziehung mit der SADC einzugehen. Dies würde meines Erachtens aber wiederum zu Problemen führen, da eine unabhängige Position gegenüber dem Untersuchungsgegenstand dann nicht mehr gegeben wäre.
9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
In diesem Kapitel werden die Resultate der empirischen Studie vorgestellt, interpretiert und im Zusammenhang mit den vorher abgeleiteten Hypothesen gebracht. Dies erfolgt mit der Zielsetzung, die insgesamt fünf Hypothesen der Arbeit zu überprüfen, um so abschließend die Erklärungskraft der theoretischen Ansätze beurteilen zu können. Um die Überprüfung der vergleichsweise komplexen Hypothesen zu erleichtern, werden diese in ihre Kernaspekte heruntergebrochen und dann einzeln untersucht. Die Analyse der einzelnen Aspekte folgt dabei stets dem gleichen Muster: Zunächst wird überblicksartig das Erkenntnisinteresse dargestellt. Darauf folgen Angaben zu den jeweiligen Quellen, die der Analyse zugrunde liegen. Falls bei der Auswertung methodische Probleme aufgetreten sind, werden diese ebenfalls erläutert,285 bevor dann die konkreten Untersuchungsergebnisse vorgestellt werden. Der Fokus der Untersuchung ist notwendigerweise auf den Test der vorgestellten Hypothesen ausgerichtet. In der empirischen Untersuchung ergaben sich aber oftmals auch interessante Ergebnisse, die über die Hypothesen hinausgehen. Diese weiterführenden Erkenntnisse sind für den Test der Hypothese im engeren Sinne nicht relevant. Sie vervollständigen aber das Bild der untersuchten Zusammenhänge und haben daher für das Gesamtverständnis der Thematik große Bedeutung. Liefert die empirische Untersuchung solche weiterführenden Ergebnisse, werden diese in einem gesonderten Unterkapitel zu jeder Hypothese kurz vorgestellt. 9.1 Hypothese zu den Motiven und Zielsetzungen der Integration Das Erkenntnisinteresse der ersten Hypothese erstreckt sich auf die Motive, die für die Staaten des südlichen Afrikas ausschlaggebend sind, sich an regionalen Integrationsmaßnahmen zu beteiligen. Wurde die Gründung der SADC
285
Eine ausführliche Diskussion der methodischen Schwierigkeiten der empirischen Untersuchung findet sich in Kapitel 8.5.
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9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
eher von politischen oder wirtschaftlichen Motiven bestimmt? Welche Gründe bewogen die einzelnen Staaten zur Mitgliedschaft und welche Zielsetzungen verfolgen sie bis heute damit? Auf der Grundlage dieser Fragen ist die in Kapitel 7.1 entwickelte Hypothese zu testen.286 Um ihre Überprüfung zu erleichtern, wird die Hypothese in fünf einzelne Aspekte unterteilt. Erstens die ursprüngliche Motivation für die Gründung der SADC bzw. der SADCC: Standen hier wirtschaftliche oder politische Motive im Vordergrund? Zweitens die Relevanz nationaler Interessen im Prozess der regionalen Integration. Drittens die Bedeutung globaler Wirtschaftsprozesse für die Integration im Handelsbereich und viertens die Rolle eines historisch fundierten Solidaritätsempfindens für die sicherheitspolitische Integration. Außerdem sollen fünftens auch Integrationsgründe berücksichtigt werden, die in der empirischen Untersuchung besonders hervorgetreten sind, ohne dass sie von den untersuchten theoretischen Ansätzen erwähnt werden. 9.1.1 Politische und wirtschaftliche Motive für den Integrationsprozess Die Motivationslage der Staaten des südlichen Afrikas kann sich im Verlauf der Zeit verändern. Die Gründe, die sie im Jahr 1980 zum Beitritt in die SADCC veranlassten, können sich durchaus unterscheiden von denjenigen Motiven, die sie 28 Jahre später dazu bewegen, sich weiterhin im Rahmen der SADC zu engagieren. Die zeitliche Komponente muss daher berücksichtigt werden. Allerdings vor dem Hintergrund, dass im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit eine zeitgenössische, keine historische Betrachtung der SADC bzw. SADCC steht. Nach der Bedeutung politischer und wirtschaftlicher Motive für die Integrationsentscheidung wurde in den Experteninterviews nicht dezidiert gefragt. Stattdessen wurden die Experten allgemeiner befragt, welche Motive ihrer Ansicht nach für die Staaten des südlichen Afrikas den Ausschlag gaben, sich der SADC anzuschließen. Eine solche allgemeine Frageformulierung wurde in verschiedenen Stellen der Experteninterviews angewendet und soll hier stellvertretend erläutert werden. Zu den Vorteilen dieser Vorgehensweise zählt, dass das Antwortverhalten der Befragten nicht vorbestimmt wird. So können auch Ergebnisse zutage treten, die so nicht erwartet wurden und die die Untersuchung um 286
In der Hypothese wird die Annahme aufgestellt, dass die Gründung der SADC bzw. SADCC auf politische Beweggründe zurückzuführen ist und nationale Interessen dominieren. Darüber hinaus soll überprüft werden, ob die regionale Integration im Handelsbereich als Möglichkeit wahrgenommen wird, eine gleichberechtigte Teilhabe an den Globalisierungsprozessen zu erreichen. Es ist weiterhin zu überprüfen, ob regionale Solidaritätsempfindungen im Sicherheitsbereich eine stärkere Rolle spielen als im Handelsbereich.
9.1 Hypothese zu den Motiven und Zielsetzungen der Integration
249
interessante Erkenntnisse bereichern. Nachteilig ist allerdings, dass nicht alle Interviewpartner detailliert nach den gleichen Sachverhalten befragt wurden. Darunter leidet sowohl die Anzahl der Antworten als auch ihre Vergleichbarkeit. Vor diesem Hintergrund äußerten sich insgesamt dreizehn Experten zu den politischen bzw. wirtschaftlichen Gründen für regionale Integration im südlichen Afrika.287 Allerdings ist die Anzahl der Experten, die zur sicherheitspolitischen Integration befragt wurden, sehr viel kleiner als die Anzahl der Experten aus dem Handelsbereich.288 Die Einschätzungen der Experten hinsichtlich der politischen und wirtschaftlichen Motive für die Regionalintegration ergeben jedoch ein recht eindeutiges Bild. Mehrheitlich vertreten sie die Einschätzung, dass politische Motive für die Gründung der SADC ausschlaggebend waren und eine größere Bedeutung spielten als wirtschaftliche Überlegungen (vgl. Interviews Nr. 1, 17, 20, 34, 36 und 37).289 Abweichend äußerte sich allein der ehemalige Generaldirektor der SADC, Dr. Themba Mhlongo, der hauptsächlich wirtschaftliche Gründe für die Integration im Rahmen der SADC anführt. Die Auswertung der Interviews verdeutlicht zudem, dass die Frage nach der Bedeutung politischer und wirtschaftlicher Motive für die Integrationsentscheidung nicht allgemeingültig beantwortet werden kann. Die Experten heben beispielsweise hervor, dass zu den ursprünglich politischen Beweggründen für die Entstehung der SADC im Laufe der Entwicklung wirtschaftliche Interessen hinzugekommen seien (vgl. Interviews Nr. 21 und 35). Außerdem besäßen nicht alle Mitgliedsstaaten der SADC die gleichen Prioritäten, sodass einzelne Mitglieder stärker wirtschaftliche Gründe für ihre Mitgliedschaft in der SADC hätten, während andere der Organisation hauptsächlich aus politischen Gründen beigetreten seien. Dieser Aspekt verweist auf ein Phänomen, das an anderer Stelle von Interviewpartnern erwähnt wird (vgl. Interviews Nr. 1 und 5) und hier als ‚Paketlösungen’ bezeichnet werden soll. Gemeint ist die Tatsache, dass die einzelnen Mitglieder der SADC sich mit ihrem Beitritt zur SADC zu einem ‚Gesamtpaket’ an Integrationsbemühungen in verschiedenen Politikbereichen bekennen. Auch wenn sie aufgrund ihrer nationalen Interessenlage nur einzelne Bereiche der Integration besonders fördern, können sie sich einer zumindest
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288 289
Hier lautete die Frage im originalen Wortlaut: What are the most important motives for the SADC states to get involved or to stay involved in regionalist security/trade activities? (siehe Interviewleitfaden, Anhang) Siehe hier auch Kapitel 8.5. Exemplarisch sei hier die Einschätzung Paul Kalengas genannt: „I don’t think regional integration has evolved from a trade perspective. It has more evolved from political security objectives. (…)These are much more predominant in these countries’ interest in regional integration.“ (Interview Nr. 20).
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9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
grundlegenden – unter Umständen auch widerwilligen – Unterstützung anderer Integrationsbereiche nicht entziehen (vgl. Kapitel 9.1.5). Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die große Mehrheit der Experten hauptsächlich politische Gründe für die Entstehung der SADC verantwortlich macht. Hinter der weiteren Entwicklung der Regionalorganisation sehen sie allerdings eine komplexe Mischung von wirtschaftlichen und politischen Motiven, deren Analyse die Festlegung auf einen bestimmten Zeitpunkt und spezifische Mitglieder erfordert. 9.1.2 Nationale und regionale Interessen im Integrationsprozess In diesem Abschnitt soll untersucht werden, wessen Interessen die Staaten durch ihre Mitgliedschaft in der SADC fördern möchten. Sind es ihre eigenen nationalstaatlichen Interessen oder stehen diese unter Umständen sogar zugunsten regionaler Belange zurück? Erkenntnisse zur Rolle nationaler und regionaler Interessen können dabei nicht nur aus den Experteninterviews, sondern auch aus der Dokumentenanalyse gewonnen werden. Der Auswertung der Experteninterviews muss allerdings vorangestellt werden, dass nur eine vergleichsweise geringe Zahl der Befragten auf die direkte Frage nach der Bedeutung regionaler und nationaler Interessen einging (sieben von insgesamt 41 Experten). Zudem sind diese Experten ausnahmslos dem Handelsbereich zuzuordnen. Außerdem hat die Auswertung gezeigt, dass die in den Interviews gestellte Frage nach dem Einfluss des nationalen Interesses auf die regionale Politik der einzelnen Staaten (siehe Interviewleitfaden, Anhang) nicht eindeutig formuliert war. Denn in ihren Antworten gehen die Experten nicht nur darauf ein, ob die Mitgliedstaaten der SADC ein gemeinsames regionales Interesse verfolgen, sondern sie äußern sich auch zu der Frage, ob dieses regionale Interesse im Vergleich zu nationalen Interessen stärker ist. Diese Ungenauigkeit in der Frageformulierung und die geringe Fallzahl der Antworten schränken die Aussagekraft der Experteninterviews in diesem speziellen Fall stark ein, sodass sie hier nur erste Anhaltspunkte, aber keine fundierten Antworten liefern. Die Auswertung der Interviews zeigt, dass die Einschätzungen der Experten zur Rolle nationaler Interessen anders ausfallen als erwartet. Die Befragten sehen nämlich keine überragende Bedeutung der nationalen Interessen. Stattdessen betonen sie mehrheitlich ein leichtes Übergewicht nationaler Interessen bei einem gleichzeitigen Nebeneinander mit regionalen Interessen. Unter den gegebenen methodischen Einschränkungen findet die Annahme von einer überragenden Dominanz nationaler Interessen also zunächst keine Bestätigung.
9.1 Hypothese zu den Motiven und Zielsetzungen der Integration
251
Doch im Interviewmaterial lassen sich noch weitere Hinweise auf die Bedeutung der nationalen Interessen finden. Es liegt die Vermutung nahe, dass die SADC-Mitgliedsländer insbesondere in den Bereichen, die in den Verhandlungen zur Regionalintegration heftig umstritten sind, nationale Interessen verteidigen. Unter dieser Annahme wird das Interviewmaterial erneut untersucht. Auf die Frage nach den größten Herausforderungen für den regionalen Integrationsprozess im Handelsbereich (siehe Interviewleitfaden, Anhang) stechen zwei Themenkomplexe aufgrund ihrer häufigen Nennungen besonders hervor: die Herkunftsregeln im Rahmen der Freihandelszone und die nichttarifären Handelshemmnisse. In welchem Zusammenhang diese beiden Aspekte zum nationalen Interesse der einzelnen Mitgliedsstaaten stehen, soll im Folgenden erläutert werden. 9.1.2.1 Herkunftsregeln im Rahmen der Freihandelszone Die Experten betonen, dass die Herkunftsregeln ein äußerst strittiges Thema in den Verhandlungen zur Implementierung der Freihandelszone seien (vgl. Interviews Nr. 10, 12, 13, 15, 20, 26, 27, 36 und 37). Um die Diskussion um die Herkunftsregeln besser zu verstehen, sind zunächst folgende Hintergrundinformationen notwendig. Allgemein sollen Herkunftsregeln im Rahmen einer Freihandelszone sicherstellen, dass ausschließlich Produkte aus den jeweiligen Mitgliedsländern in den Genuss der Zollvergünstigungen kommen.290 Ursprünglich waren im Handelsprotokoll der SADC vergleichsweise einfache und übersichtliche Herkunftsregeln vorgesehen, die sich an den entsprechenden Regeln der COMESA orientierten.291 Doch diese Regeln wurden 1996 abgeändert, bevor sie überhaupt wirksam wurden.292 Die neu aufgelegten Herkunftsregeln sind sehr spezifisch auf verschiedene Sektoren und Produkte zugeschnitten und im Allgemeinen stärker restriktiv ausgerichtet als ihre Vorgänger. Um eine regionale Herkunft proklamieren zu können, müssen Produkte umfassendere und substantiellere Weiterverarbeitungsprozesse innerhalb der Region durchlaufen als in den ursprünglichen Regelungen vorgesehen (vgl. Brenton, Flatters, Kalenga 2005: 16). Die 290
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Ohne Herkunftsregeln besteht die Gefahr, dass Drittstaaten die unterschiedlich hohen Außenzölle der Mitglieder der Freihandelszone ausnutzen, indem sie, unabhängig vom eigentlichen Bestimmungsort, ihre Produkte über das Mitgliedsland mit dem geringsten Einfuhrzoll einführen (Phänomen der ‚trade deflection’). Diese Übereinstimmung der Herkunftsregeln von SADC und COMESA war insbesondere vor dem Hintergrund der überlappenden Mitgliedschaften der beiden Organisationen sinnvoll. Zu den einzelnen, z.T. widersinnigen Kritikpunkten an den ursprünglichen Herkunftsregeln siehe Brenton/Flatters/Kalenga 2005: 14-16.
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9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
Verhandlungen zu den neuen Herkunftsregeln waren langwierig und kompliziert und sind für eine Reihe von Produkten immer noch nicht abgeschlossen. Im Rahmen der Interviews kritisieren die befragten Experten, dass die derzeitigen Herkunftsregeln für die SADC-Region nicht angemessen seien. Zum einen würden die langwierigen Verhandlungen zu den produktspezifischen Regelungen personelle und institutionelle Kapazitäten voraussetzen, die den meisten SADC-Staaten nicht zur Verfügung stünden (vgl. Interviews Nr. 10 und 37). Zum anderen, und dieser Punkt ist schwerwiegender, würden die restriktiven und komplexen Herkunftsregeln der regionalen wirtschaftlichen Entwicklung schaden, da sie den intra-regionalen Handel eher behindern als ihn fördern (vgl. Interviews Nr. 26, 27 und 36). Wenn also nicht die Interessen der Region im Vordergrund stehen, liegt die Vermutung nahe, dass für die Neugestaltung der Herkunftsregeln vor allem nationale Interessen ausschlaggebend waren. Diese Einschätzung vertreten auch die Experten. Sie betonen, dass insbesondere die wirtschaftlich stärkeren Staaten der Region, allen voran Südafrika, von den neuen Herkunftsregeln profitieren und diese gezielt zum Schutz nationaler Wirtschaftszweige einsetzen (vgl. Interviews Nr. 13, 15 und 20).293 Der Einsatz von Herkunftsregeln zu protektionistischen Zwecken ist im Handel mit so genannten sensiblen Wirtschaftgütern wie Textilien, Kleidung, Maschinen, elektrischen Produkten und landwirtschaftlichen Erzeugnissen wie Weizen und Zucker besonders stark. Für Zucker und Textilien gibt es sogar gesonderte Abkommen innerhalb des SADC-Handelsprotokolls. Am Beispiel der Textilindustrie kann eindrucksvoll erläutert werden, wie die Herkunftsregeln zum Schutz heimischer Industrien missbraucht werden. Für die SADC-Region ist der Textil- und Bekleidungssektor von besonderer Bedeutung, da eine Reihe von Mitgliedsstaaten in signifikantem Maße in diesem Sektor produzieren. Dementsprechend sind die Herkunftsregeln in diesem Bereich streng. Damit sich Stoffe und Kleidungsstücke für die Zollreduzierungen qualifizieren, müssen sie eine ‚doppelte Transformation’ innerhalb der Region durchlaufen. Für die Herstellung von Kleidungsstücken müssen Textilien aus der Region verwendet werden, bei der Fabrikation von Stoffen regional produziertes Garn. Das Garn wiederum muss aus ungekämmten Fasern oder aus chemischen Produkten erzeugt worden sein (vgl. Flatter 2002: 18-26).294 293
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Exemplarisch wird dies an den Worten Paul Kalengas deutlich: (…) that criteria to determine origin in most cases is quite restrictive again responding to the need for protection. Particularly South Africa has pushed a very restrictive rule of origin regime in order to protect its industries (…). (Wortstellung verändert) (Paul Kalenga, Interview Nr. 20). Lediglich für die Staaten Malawi, Mosambik, Tansania und Sambia wurde die Bedingung der doppelten Transformation der Herkunftsregeln zeitweise ausgesetzt. Für ihre Textil- und Kleidungsexporte in die SACU galten von 2000 bis 2005 vereinfachte Herkunftsregeln, die lediglich eine ‚einfache Transformation’ verlangten. Allerdings unterlagen diese Exporte in die
9.1 Hypothese zu den Motiven und Zielsetzungen der Integration
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Diese strikten Herkunftsregeln sind in großen Teilen den Forderungen Südafrikas geschuldet, das neben Mauritius einer der Hauptproduzenten von Textilien in der Region ist. Die Vertreter Südafrikas argumentierten, die doppelte Transformation als Herkunftsnachweis halte die Produzenten dazu an, regionale Produkte zu verarbeiten, statt diese aus anderen Teilen der Welt (insbesondere aus Asien) zu importieren. Somit liefere die doppelte Transformation einen Beitrag zur Vertiefung der wirtschaftlichen Integration. Fakt ist jedoch, dass nahezu keine der Textilproduktionen in der SADC-Region die Bestimmungen der doppelten Transformation erfüllt. Selbst den südafrikanischen Produzenten gelingt dies nicht, da sie hauptsächlich Güter weiterverarbeiten, die nicht aus der Region stammen. Auf den ersten Blick erscheint es somit paradox, dass sich die südafrikanischen Verhandlungsführer für Herkunftsregeln einsetzen, die selbst ihre eigenen Produzenten nicht einhalten können. Frank Flatters (vgl. 2002: 2122) hat dafür folgende Erklärung: Südafrika erhebt Einfuhrzölle in Höhe von 20 % auf die meisten gewebten und gestrickten Textilien, die für die südafrikanische Bekleidungsindustrie eine große Kostenbelastung darstellen. Kompensation erfahren die südafrikanischen Produzenten allerdings durch Importzölle von 40 % und mehr auf Kleidungsstücke, die sie auf dem heimischen Markt effektiv vor ausländischer Konkurrenz schützen. Im Falle von Freihandel und einer einfachen Transformationsregelung wären die südafrikanischen Produzenten auf ihrem heimischen Markt gegenüber anderen Produzenten der SADC-Region im Nachteil. Da letztere nicht mit hohen nationalen Einfuhrzöllen zu kämpfen haben, könnten sie den südafrikanischen Markt mit preisgünstigeren Produkten versorgen und somit den südafrikanischen Produzenten Konkurrenz machen. Daher haben die Vertreter Südafrikas kein Interesse an einem liberalisierten Handel im Textilbereich, da er ihrer heimischen Industrie schaden würde. Zusammenfassend kommt Frank Flatters zu dem Urteil: „The rules of origin and tariff liberalization schedules in SADC were shaped primarily by the existing policy regimes and by the constellation of interests in the domestic textile and garment industries in the Member States.“ (Flatters 2002: 18)295
295
SACU restriktiven Einfuhrquoten (vgl. Record of the SADC Summit 07.08.2000, Windhoek, Namibia). Mit der Einschätzung, dass die SADC-Staaten die Herkunftsregeln einsetzen, um ihre nationalen Interessen zu schützen, ist Flatters nicht allein. Diese Auffassung vertritt beispielsweise auch Paul Kalenga (2005: 34): „They (SADC Rules of Origin, Anmerkung der Verfasserin) have departed from their initial purpose to prevent trade deflection towards protection of certain ‚domestic’ industries, especially in the region’s developed and largest economy – South Africa.“
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9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
9.1.2.2 Nichttarifäre Handelshemmnisse Die nationalen Interessen der SADC-Mitglieder zeigen sich auch in ihrem Umgang mit nichttarifären Handelshemmnissen (NTH), die sie ähnlich wie die Herkunftsregeln einsetzen, um ihre nationalen Ökonomien zu schützen. Allgemein werden alle Maßnahmen, die nicht zur Gruppe der Zölle gehören, aber dennoch den freien Handel von Waren behindern, unter dem Begriff der NTH zusammengefasst. Dazu zählen beispielsweise Importkontingente, gezielte Subventionen am nationalen Markt, aufwendige bürokratische Regelungen zur Zollabfertigung oder auch eine restriktive Visapolitik. Auch staatliche regulative Maßnahmen wie Standards und Normen zum Gesundheits- und Verbraucherschutz können in illegitimer Weise benutzt werden, um Barrieren für den freien Handelsverkehr zu errichten. Ebenso wie Zölle besitzen die NTH eine marktverzerrende Wirkung und grenzen den potenziellen Gewinn des Freihandels ein. In den Statuen der Welthandelsorganisation (WTO) ist ein generelles Verbot von NTHs festgehalten296, das Ausnahmen nur zum Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen, zum Schutz der öffentlichen Sittlichkeit und Ordnung sowie zum Schutz nationaler Kulturgüter oder endlicher Naturressourcen vorsieht. Die SADC-Staaten haben sich zudem in ihrem Handelsprotokoll zur Eliminierung bestehender NTHs verpflichtet und sich gleichzeitig dazu bekannt, keine neuen NTHs einzurichten (vgl. SADC Protocol on Trade, Article 6). Eine Abschaffung der NTH würde den intra-regionalen Handel erleichtern und entspräche somit den Entwicklungsinteressen der Region. Nach Einschätzung der befragten Experten ist die Eliminierung der NTHs innerhalb der SADC kein leichtes Unterfangen, sondern eine große Herausforderung (vgl. Interviews Nr. 12, 13, 18, 25, 26 und 32), der die SADCMitglieder aber nicht mit der notwendigen Ernsthaftigkeit begegnen. Die befragten Experten beklagen ein mangelndes Bewusstsein und fehlenden politischen Willen für die Aufhebung der NTHs (vgl. Interviews Nr. 15, 27 und 37). Gleichzeitig sehen die Experten eine Entwicklung, die den Bestimmungen des Handelsprotokolls diametral entgegenläuft: Die SADC-Staaten tendieren dazu, die Reduzierung der Zölle im regionalen Handel durch einen Ausbau der NTH zu ‚kompensieren’, um so weiterhin ihre heimischen Wirtschaften vor Konkurrenz zu schützen (vgl. Interviews Nr. 17 und 20). Das Urteil der Experten zur Problematik der NTH wird von anderen Autoren bestätigt (siehe unter anderem: Imani Development 2004; Flatters 2001: 3; Kalenga 2004: 24-25; Meyn 2005: 197).
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Mit Ausnahme der Seychellen sind alle SADC-Staaten Mitglieder der WTO.
9.1 Hypothese zu den Motiven und Zielsetzungen der Integration
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Der Umgang mit den Herkunftsregeln und den NTH innerhalb der SADC verdeutlicht exemplarisch, dass im wirtschaftlichen Bereich die nationalen gegenüber den regionalen Interessen überwiegen. Doch um ein abschließendes Urteil über die Rolle der nationalen Interessen treffen zu können, müssen auch mögliche Gegenbeispiele berücksichtigt werden. Es ist zu vermuten, dass sich regionale Interessen insbesondere in Form einer regionalen Solidarität gegenüber Nichtmitgliedern äußern. Besonders stark sollte diese Solidarität in Beziehungen zu anderen Regionalorganisationen ausgeprägt sein. Ein gutes Beispiel stellen in diesem Zusammenhang die Verhandlungen der SADC mit der EU über ein ‚Economic Partnership Agreement’ (EPA) dar. Es ist zu vermuten, dass die SADC-Staaten ein gemeinsames regionales Interesse gegenüber der EU vertreten, da sich in diesen Verhandlungen nicht nur die Interessen zweier verschiedener Regionalorganisationen, sondern auch die Interessen von Entwicklungs- und Industrieländern gegenüberstehen. 9.1.2.3 Die EPA-Verhandlungen zwischen SADC und EU Mit den EPAs sollen die Handelsbeziehungen zwischen der EU und den AKPStaaten (Afrika-Pazifik-Karibik) auf eine neue Grundlage gestellt werden.297 Eine Neuregelung war notwendig geworden, da die nichtreziproken Handelsbeziehungen im Rahmen des Abkommens von Cotonou298 den Prinzipien der WTO widersprachen. Es wurde insbesondere kritisiert, dass die EU in den Handelskapiteln des Abkommens nichtreziproke Handelsvergünstigungen gewährte, 297
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Die Thematik der EPAs kann an dieser Stelle nur in Form eines Überblicks dargestellt werden. Für weiterführende Informationen sind insbesondere folgende Quellen empfehlenswert: Die Internetseite http://www.acp-eu-trade.org bietet eine Fülle von Dokumenten zu den Handelsbeziehungen zwischen EU und AKP-Staaten. Weitere Hintergrundberichte und Informationsmaterialien bietet die Seite des European Centre for Development Policy Research (ECDPM) unter www.ecdpm.org. Um die neuesten Entwicklungen in den EPA-Verhandlungen zu verfolgen, bietet sich insbesondere der gemeinsam von ECDPM und dem International Centre for Trade and Sustainable Development (ICTSD) monatlich herausgegebene Newsletter ‚Trade Negotiations Insights’ an. Er ist zugänglich unter: http://www.ictsd.org/tni/index.htm. Das Abkommen von Cotonou gehört zu den zentralen Vertragswerken der Entwicklungszusammenarbeit der EU und regelt die Kooperation mit den Entwicklungsländern im Raum Afrika, Karibik und Pazifik. Das Abkommen steht in der Nachfolge der Lomé-Akommen, von denen zwischen 1975 und 1990 insgesamt vier unterzeichnet wurden. Es identifiziert fünf tragende Säulen für die Kooperation zwischen den Vertragsstaaten: Intensivierte Zusammenarbeit im politischen Bereich (unter anderem stärkere Berücksichtigung von Demokratie und Menschenrechten als Voraussetzung für Mittelvergabe), verstärkte Armutsbekämpfung, Einbeziehung nichtstaatlicher Akteure, wirtschaftliche und finanzielle Zusammenarbeit im Rahmen der WTO-Regeln sowie eine effektivere Finanzierung und Programmabwicklung (vgl. Schmidt 2002).
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9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
die lediglich den AKP-Staaten, nicht aber anderen Entwicklungsländern in Lateinamerika und Asien zugute kamen. Diese Diskriminierung der Entwicklungsländer außerhalb des AKP-Raums sollte bis Ende des Jahres 2007 aufgehoben werden (vgl. Oxfam 2007: 5-6). Die Verhandlungen zwischen der EU und den AKP-Staaten begannen offiziell 2002, wobei die EU nicht mit der AKP-Gruppe (79 Staaten im Mai 2008) als Ganzes verhandelte, sondern die Staaten dazu ermutigte, sich in regionale Blöcke zusammenzuschließen.299 Doch die SADC als Regionalorganisation des südlichen Afrikas konnte ihre Mitglieder für den Verhandlungsprozess nicht vereinen. Stattdessen kam es zu einer Aufspaltung in verschiedene Verhandlungsgruppen – eine Strategie, mit der die Staaten des südlichen Afrikas versuchten, ihren unterschiedlichen nationalen Interessen größere Geltung zu verschaffen. Wie heterogen die Interessenkonstellationen innerhalb der Gruppe der SADC-Staaten waren und sind, verdeutlichen die Konflikte, die im Verlauf der Verhandlungen zutage traten. Zentral ist in diesem Zusammenhang die Rolle der Republik Südafrika. Formal ist Südafrika der Gruppe der AKP-Staaten 1998 beigetreten, war allerdings nicht in das Abkommen von Cotonou eingebunden. Stattdessen besitzt Südafrika seit 1999 ein eigenständiges Freihandelsabkommen mit der EU, das Trade and Development Co-operation Agreement (TDCA).300 Durch ihre Mitgliedschaft in der SACU sind die BLNS-Staaten ebenso Teil des Freihandelsabkommens, obwohl sie an seinem vierjährigen Aushandlungsprozess nicht beteiligt waren. Die Verhandlungen zwischen EU und SADC wurden 2004 aufgenommen. Die Vorbereitungen und die konkrete Durchführung der Verhandlungen wurden auf Seiten der SADC von Botsuana koordiniert.301 Weiterhin wurde im SADCSekretariat eine EPA-Einheit ins Leben gerufen, die zwar kein Verhandlungsmandat besaß, dafür aber technische Expertise lieferte sowie Koordinations- und Sekretariatsaufgaben übernahm (vgl. Mushiri 2008: 121-122). Im März 2006 legten die SADC-Staaten einen ersten Entwurf für die konkrete Ausgestaltung des EPAs vor. Darin enthalten war auch die Forderung, Südafrika in die EPA299
300
301
Begründet wurde diese Aufforderung mit folgenden Argumenten: Zum einen würde die Anzahl der zu verhandelnden Abkommen überschaubar bleiben, und zum anderen würden bestehende regionale Integrationsbemühungen auf Seiten der Entwicklungsländer gestärkt (vgl. ECDP 2001; European Commission o.D.: 3) Die EPAs unterscheiden sich von einem Freihandelsabkommens lediglich durch eine finanzielle Komponente, die vom europäischen Entwicklungsfond und der Europäischen Investitionsbank (EIB) geleistet wird, um die Implementierung des Abkommens zu unterstützen (vgl. ECDP 2001). Allerdings wurde Botsuana in dieser Position zunehmend von Südafrika abgelöst, das seit seiner Einbeziehung in den Verhandlungsprozess die Führungsrolle übernommen hat (vgl. Mushiri 2008: 121, Fußnote 8).
9.1 Hypothese zu den Motiven und Zielsetzungen der Integration
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Verhandlungen mit einzubeziehen. Erst ein Jahr später veröffentlichte die EU eine offizielle Stellungnahme zu diesem Dokument. Die Kommission erklärte sich mit einer Beteiligung Südafrikas einverstanden, allerdings nur mit dem Status eines Beobachters. Die Beteiligung Südafrikas wurde damit begründet, dass sie als Teil der SACU vom Verhandlungserfolg der BLNS-Staaten unmittelbar betroffen sei (vgl. Bertelsmann-Scott 2007; Kruger 2007). An diesem Beispiel werden auch die Machtkonstellationen innerhalb der Region deutlich. Südafrika kann ohne Beteiligung der übrigen SACU-Mitglieder über ein Freihandelsabkommen mit der EU verhandeln, von dem die BLNS-Staaten ebenso betroffen sind. Umgekehrt ist dies nicht der Fall. Durch die Einbeziehung Südafrikas wurden die Verhandlungen schwieriger. Um seine nationale Wirtschaft vor europäischer Konkurrenz zu schützen, widersetzte sich Südafrika der Forderung der EU, die so genannten ‚New Generation Issues’ (NGI) in das EPA einzubinden.302 Andere SADC-Staaten waren bereit, auf die EU-Forderung einzugehen, da sie sich von der Einbeziehung der Bereiche Dienstleistungen und Investitionen im EPA eine Effizienzsteigerung ihrer nationalen Produktion und ausländische Direktinvestitionen versprachen.303 Der Konflikt um die NGI in den EPA-Verhandlungen ist nur ein Beispiel, das zeigt, wie Südafrika versuchte, seine nationalen Interessen durchzusetzen. Eingebunden in die Gruppe der wirtschaftlich deutlich schwächeren Staaten der Region wollte es Zugeständnisse erreichen, die es aufgrund seiner relativen Wirtschaftskraft gegenüber der EU alleine nicht durchsetzen konnte. Dies geschah zu Lasten der übrigen SADC-Staaten, die ihre Entwicklungsinteressen nicht entsprechend vertreten konnten (vgl. INSAT 2007: 10-11+17). Gleichzeitig zeigt die Diskussion um die NGI, dass es den SADC-Staaten bislang nicht gelungen ist, gemeinsame regionale Positionen zu definieren. Stattdessen dominieren nach wie vor nationale Handelsinteressen. Südafrika wurde 2007 zum vollständigen Mitglied der SADC-EPAVerhandlungsgruppe. Gleichzeitig wurde klar, dass die von der WTO gesetzte Zeitfrist für die Verhandlungen nicht eingehalten werden konnte. Aufgrund der großen Differenzen in den Positionen der Verhandlungspartner erschien es unre302
303
Zu den NGI zählen die Themenbereiche Handel/Investitionen, Handel/Wettbewerb, öffentliches Austragswesen und Handelserleichterung. Diese wurden auf der Ministerkonferenz der WTO 1996 in Singapur in die Verhandlungsagenda aufgenommen. Zu den verschiedenen Argumenten der Verhandlungspartner für und gegen eine Einbindung der NGI siehe auch Bertelsmann-Scott 2007. Hinter der kompromisslosen Haltung der Europäischen Kommission wird folgende Strategie vermutet: Die Kommission versuche mit einer weit reichenden Liberalisierung der Dienstleistungssektoren in den SADC-Staaten einen Präzedenzfall zu schaffen, um so auch wirtschaftlich attraktivere Staaten wie Indien zu umfassenden Liberalisierungen zu bewegen (vgl. Inter Press Service, 08.06.2007: „Africans Speak Out Against EPAs As Unwelcome“).
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9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
alistisch, bis zum Ende des Jahres 2007 eine Einigung zu erzielen.304 Unter dem steigenden Druck zersplitterte die Gemeinschaft der SADC-Staaten immer weiter in verschiedene Verhandlungsgruppen auf. Zum Ende des Jahres 2007 hin spiegelten die Gruppenkonstellationen, in denen die Verhandlungen mit der EU geführt wurden, die ursprünglichen Mitgliedschaften in den Regionalorganisationen nicht mehr wider. So hatten sich die SADC-Mitglieder Madagaskar, Malawi, Mauritius, Sambia, Seychellen und Simbabwe dafür entschieden, gemeinsam mit einem großen Teil der COMESA-Mitglieder die ESA-(Eastern Southern Africa)-EPAVerhandlungsgruppe zu gründen.305 In der Verhandlungsgruppe der SADC agierten lediglich noch die SACU-Mitglieder Botsuana, Lesotho, Namibia, Südafrika und Swasiland sowie Angola, Mosambik und Tansania. Für die drei letzteren Staaten war wohl die Anbindung an ihren wichtigen Handelspartner Südafrika der entscheidende Grund, sich der SADC-EPA-Verhandlungsgruppe anzuschließen. Die DRK hatte sich bereits 2005 dazu entschieden, gemeinsam mit den zentralafrikanischen Staaten im Rahmen der Communauté Économique et Monétaire de l'Afrique Centrale (CEMAC) mit der EU zu verhandeln (vgl. Meyn 2006: 141-150). Die Zersplitterung der SADC-Mitglieder in unterschiedliche Verhandlungsgruppen macht deutlich, dass ein gemeinsames regionales Interesse nicht dominant ist. Die Mitgliedsstaaten können ihre Wirtschaftsinteressen nicht zu einer gemeinsamen regionalen Verhandlungsposition bündeln. Erschwert wird der Zusammenhalt der SADC-Staaten außerdem durch die Unterschiede in ihrem Entwicklungsstand. Für die insgesamt acht SADC-Staaten, die zur Gruppe der LDCs gehören (Angola, DRK, Lesotho, Madagaskar, Malawi, Mosambik, Sambia und Tansania) besteht beispielsweise die Möglichkeit, unter der Everything but Arms-Initiative (EBA) ihre Handelsbeziehungen zur EU unverändert weiterzuführen. Somit ergeben sich für die LDCs unter den SADCMitgliedern Handlungsoptionen, die den übrigen Staaten nicht zur Verfügung stehen.306 304
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Die EU versuchte den Druck zu erhöhen, indem sie androhte, die Importzölle für Produkte aus denjenigen AKP-Staaten, die keine Least Developed Countries (LDCs) sind, zu erhöhen, falls bis zum 31.12.2007 kein EPA unterzeichnet werden würde (vgl. Oxfam 2008: 7). Von den COMESA-Mitgliedern haben sich lediglich Ägypten, Libyen und Swasiland der ESAEPA-Verhandlungsgruppe nicht angeschlossen. Die unilaterale EBA-Initiative soll allen Waren aus LDCs mit Ausnahme von Waffen freien Zugang zum EU-Markt gewähren. Ausgenommen sind bis 2009 allerdings auch Bananen, Reis und Zucker (vgl. Schmidt 2002). Somit besteht für die LDCs unter den SADC-Staaten die Möglichkeit, die Unterzeichnung eines EPAs abzulehnen und stattdessen im Rahmen der EBAInitiative ihren Handel mit der EU fortzuführen (vgl. Bertelsmann-Scott 2007). Den übrigen SADC-Staaten bleibt nur eine weniger attraktive Möglichkeit: Sie könnten das Generalised System of Preferences (GSP) der EU für einen erleichterten EU-Marktzugang nutzen. Aller-
9.1 Hypothese zu den Motiven und Zielsetzungen der Integration
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Die Aufspaltung der Staatengemeinschaft in verschiedene Verhandlungsgruppen wird auch auf höchster Ebene als Problem erkannt. Der damalige Vorsitzende der SADC, der botswanische Präsident Festus Mogae, warf in einer Rede im August 2006 beispielsweise folgende Frage auf: „Although we have made some progress in the Economic Partnership Agreement Negotiations (…); I am worried by talk of SADC of seven plus the Republic of South Africa in the context of the EPA. Are we not supposed to be fourteen (14)?” (Rede Festus G. Mogae anlässlich der Eröffnung des SADC-Summits, 17.08.2006, Maseru, Lesotho)
Die Verhandlungen mit der EU verfestigen bereits bestehende Trennungslinien zwischen den SADC-Mitgliedern, die hauptsächlich darauf zurückzuführen sind, dass die Staaten des südlichen Afrikas mehreren Regionalorganisationen gleichzeitig angehören.307 Mit Ausnahme der karibischen Staaten hat es bis zur gesetzten Frist, dem 31.12.2007, keine der Gruppen geschafft, ein EPA mit der EU zu unterzeichnen. Stattdessen wurden vorläufige Abkommen geschlossen, die im Verlauf des Jahres 2008 weiter verhandelt werden sollten.308 Zwischen der EU und der SADCEPA-Gruppe wurde ein vorläufiges Abkommen präsentiert, dem aber nicht alle Mitglieder der Verhandlungsgruppe zustimmten. Während Botsuana, Lesotho, Mosambik und Swasiland das vorläufige Abkommen Ende November 2007 annahmen, äußerte Namibia grundlegende Kritik an einzelnen Bestimmungen. Nur unter dem Vorbehalt, dass die kritisierten Punkte in den Verhandlungen zu einem endgültigen EPA thematisiert würden, stimmte schließlich auch Namibia am 05.12.2007 zu (vgl. Pressemitteilung, Republic of Namibia, Ministry of Trade and Industrie, 05.12.2007). Angola gehörte ebenso wie Südafrika und Tansania nicht zu den Unterzeichnern des vorläufigen Abkommens. Während Angola jedoch versicherte, dem Abkommen so schnell wie möglich beitreten zu wollen, distanzierte sich Südafrika und gab an, weiterhin im Rahmen des TDCA in die EU exportieren zu wollen. Tansania wechselte in der Zwischenzeit die Verhandlungsgruppe und trat der EAC (East African Community)-EPA-Gruppe bei.
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dings sind die Vergünstigungen, die das GSP den Entwicklungsländern bietet, relativ unattraktiv. Die Reduzierung der tarifären und nichttarifären Handelshemmnisse ist vergleichsweise gering und die Liste der Ausnahmen relativ lang (vgl. ECDPM 2002). Welche enorme Herausforderung die überlappenden Mitgliedschaften in der Region für den Fortgang der regionalen Integration darstellt wurde auch in zahlreichen Experteninterviews betont (siehe Kapitel 9.2.4). Einen umfassenden und vergleichenden Überblick zu dem seit Januar 2008 geltenden Handelsabkommen zwischen der EU und den afrikanischen Staaten bietet Stevens et al 2008.
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9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
In der ESA-EPA-Verhandlungsgruppe entschieden sich die SADCMitglieder Sambia und Malawi dafür, vorerst weiter als LDCs unter der EBAInitiative in die EU zu exportieren. Die übrigen Staaten dieser Verhandlungsgruppe – unter ihnen die SADC-Mitglieder Madagaskar, Mauritius und Simbabwe – unterzeichneten ein vorläufiges Abkommen mit der EU. Das Gleiche gilt für die EAC-EPA-Verhandlungsgruppe, der das SADC-Mitglied Tansania angehört. Die DRK, die sich für die Verhandlungen der zentralafrikanischen Staatengruppe CEMAC angeschlossen hatte, nutzte als LDC weiterhin die EBA-Initiative für ihre Exporte in die EU (vgl. ECDPM 2008; Interim Economic Partnership Agreement between the SADC EPA States and the EU 2007). Der Aushandlungsprozess der EPAs konnte also nicht wie geplant Ende 2007 abgeschlossen werden, sodass die WTO die Ausnahmeregelung für die AKP-Staaten für ein weiteres Jahr verlängerte. In der Zwischenzeit lief das Mandat der EPA-Einheit im SADC-Sekretariat aus und konnte bislang nicht erneuert werden. Die EPA-Verhandlungsgruppe der SADC-Staaten konnte im März 2009 wichtige Fortschritte vermelden. Durch Zugeständnisse von Seiten der Europäischen Kommission wurde die Mehrzahl der bestehenden Streitpunkte ausgeräumt. Unklar war zu diesem Zeitpunkt aber die zentrale Frage, ob Südafrika als Teil der SADC-EPA-Verhandlungsgruppe ein Abkommen unterzeichnen oder außen vor bleiben würde (vgl. Business Day, 16.03.2009: „SA may be excluded from EU partner deal“; Inter Press Service, 15.02.2008: „EPA Damages Regional Cooperation in Region“; Trade Negotiations Insight, March 2009). Die EU hat mit den EPA-Verhandlungen nicht ihr erklärtes Ziel einer Stärkung der Regionalintegration erreicht, sondern vielmehr das Gegenteil: Die Region ist stärker zersplittert als zuvor. Die SADC-Staaten haben es nicht geschafft, eine gemeinsame Verhandlungsposition zu finden, die sie gegenüber der EU vertreten können. Je nach nationalen Wirtschaftsinteressen haben sie sich in unterschiedlichen Verhandlungsblöcken zusammengefunden. Die EPAVerhandlungen sind ein Beispiel dafür, wie deutlich die nationalen gegenüber den regionalen Interessen dominieren. Zumindest gilt das für den Handelsbereich. Die Experteninterviews zu den nationalen Interessen im Sicherheitsbereich liefern keine ausreichenden Informationen, da sich nur ein Teil der Befragten zu dieser Thematik äußerten. Daher beruhen die im Folgenden dargestellten Ergebnisse zur Rolle nationaler und regionaler Interessen im Sicherheitsbereich auf der Dokumentenanalyse. Die Analyse der Simbabwe-Krise macht deutlich, dass die Identifizierung von nationalen bzw. regionalen Interessen im Sicherheitsbereich weitaus schwieriger ist als im Bereich der Handelspolitik. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen:
9.1 Hypothese zu den Motiven und Zielsetzungen der Integration
261
Zunächst ist die Motivationslage der beteiligten Staaten undurchsichtig. Ihr Vorgehen, mit dem Ansatz der stillen Diplomatie in der Simbabwe-Krise zu vermitteln, ist umstritten. Über die Motive, die die Staats- und Regierungschefs aber letztendlich zu diesem Vorgehen bewegen, können nur Vermutungen angestellt werden. Somit lässt sich auch nicht klären, ob nationale oder regionale Motivationen bei der Wahl dieses Vorgehens eine Rolle spielen. Der gesamte Verhandlungsprozess zeichnet sich durch ein hohes Maß an Geheimhaltung aus, wodurch die Analyse eindeutig erschwert wird. Ein weiterer Punkt, der ein Urteil über die Rolle nationaler und regionaler Interessen im Sicherheitsbereich beeinträchtigt, steht im Zusammenhang mit den verwendeten Quellen. Hier handelt es sich hauptsächlich um Reden der SADCStaats- und Regierungschefs sowie um Zeitungsartikel. Bei den Reden der Politiker ist zu beachten, dass sie ein hohes Maß an Rhetorik beinhalten. Die Analyse der Berichterstattung zur Simbabwe-Krise hat deutlich gemacht, dass die veröffentlichten Statements der Politiker oftmals kein wahrheitsgemäßes Bild von den Diskussionen der Staats- und Regierungschefs hinter verschlossenen Türen liefern.309 Deshalb muss die Aussagekraft dieser Dokumente mit besonderer Vorsicht gewertet werden. Gleichzeitig kann der Wahrheitsgehalt von Zeitungsartikeln nicht immer nachgeprüft werden.310 Vor dem Hintergrund der genannten Einschränkungen soll im Folgenden geklärt werden, ob es nun regionale oder nationale Interessen sind, die die Verhandlungen zur Simbabwe-Krise dominieren. Eine Dominanz nationaler Interessen zeigt sich im folgenden Beispiel: Derjenige Mitgliedsstaat, der am eindeutigsten seine nationalen Interessen vertritt, ist zweifelsohne Simbabwe selbst. Allerdings ist in diesem Fall das nationale Interesse gleichbedeutend mit den Interessen des Mugabe-Regimes und steht in 309
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Ein anschauliches Beispiel liefert das 27. ordentliche Gipfeltreffen der SADC im August 2007 in Sambia. Zeitungsberichten zufolge war es zwischen Mugabe und dem SADC-Vorsitzenden, dem sambischen Präsidenten Levy Mwanawasa, zu einer heftigen verbalen Auseinandersetzung gekommen, in deren Folge Mugabe mit seiner Delegation vorzeitig das Gipfeltreffen verlassen hat. In den offiziellen Statements zum Gipfeltreffen wurde dieser Konflikt nicht erwähnt, und auch Mbeki bestritt, dass Meinungsverschiedenheiten aufgetreten seien (vgl. Business Day, 07.09.2007: „Mugabe Tantrum at SADC comes to light“; Communique SADC Summit 2007, Lusaka, Zambia). Ergeben sich widersprüchliche Angaben, ist meist nur schwer herauszufinden, welcher Aussage man nun Glauben schenken sollte. So meldet die Business Day zum Beispiel im August 2007, Mbeki werde in seinem Bericht über die Verhandlungsbemühungen in Simbabwe die besondere Verantwortung GBs herausstellen und die ehemalige Kolonialmacht indirekt für die Krise verantwortlich machen. Nur zehn Tage später veröffentlicht dieselbe Zeitung die offizielle Aussage eines Regierungssprechers, der heftig dementiert, dass der südafrikanische Präsident GB eine Mitschuld für die Situation in Simbabwe zuspricht (vgl. Business Day, 14.08.2007: „Mbeki blames UK for crisis in Zimbabwe“; Business Day, 24.08.2007: „Zimbabwe Dialog on track, says Mbeki“).
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9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
keinem Zusammenhang zu Wohlfahrtsinteressen der Bevölkerung. Mugabe und seine Anhänger versuchen, alle Möglichkeiten zu nutzen, um ihre Herrschaft zu sichern und nehmen keinerlei Rücksicht auf die Auswirkungen, die ihre Politik auf die Region hat. Stattdessen versuchen sie auch die regionale Ebene für diese Zwecke zu instrumentalisieren und verlangen uneingeschränkte Solidarität von ihren SADC-Partnern.311 Simbabwe fordert Unterstützung ein, ohne sich im Gegenzug den Verpflichtungen, die mit der SADC-Mitgliedschaft verbunden sind, zu stellen.312 Für die herrschende Elite in Simbabwe steht also klar ihr Interesse am eigenen Machterhalt im Vordergrund. Die Interessen der Region sind den nationalen Zielsetzungen klar untergeordnet. Die Suche nach weiteren Beispielen, die eindeutig die Dominanz nationaler Interessen belegen, gestaltet sich schwierig. Oftmals kann nicht eindeutig festgestellt werden, ob es nationale oder regionale Interessen sind, die die Handlungen der SADC-Staaten bestimmen. Hinzu kommt, dass nationale und regionale Beweggründe sich nicht immer ausschließen, sondern in vielen Fällen die Interessen der Region gleichzeitig auch den Interessen der einzelnen Nationalstaaten entsprechen. Hier einige Beispiele: Die Krise in Simbabwe schadet der Stabilität und Sicherheit der gesamten Region. Es besteht z.B. die berechtigte Befürchtung, dass die ohnehin relativ geringe Anziehungskraft der SADCRegion für ausländische Direktinvestitionen noch weiter sinken wird und darunter die wirtschaftliche Entwicklung leidet (vgl. Financial Gazette, 27.04.2000: „Farm Invasions threaten regional stability“). Damit entsteht ein wirtschaftlicher Schaden, von dem die Region als Ganzes und die Nationalstaaten im Einzelnen gleichermaßen betroffen sind. Ob die SADC-Staaten nun also aus einem nationalstaatlichen oder aus einem regionalen Interesse heraus agieren, wenn sie auf die negativen Auswirkungen der Simbabwe-Krise aufmerksam machen, ist nur 311
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Als sich im Dezember 2003 Simbabwe dazu veranlasst sieht, seinen Austritt aus dem Commonwealth zu verkünden, fordert Mugabe beispielsweise die anderen SADC-Staaten dazu auf, es ihm gleichzutun und ihre Beziehungen zum Commonwealth abzubrechen. Dem Austritt Simbabwes aus dem Commonwealth war seine Suspendierung vorausgegangen (vgl. Mopheme/The Survior, 18.12.2003: „SADC says ‚No’ to Commonwealth, Mugabe pulls out…“). Ein gutes Beispiel sind in diesem Zusammenhang die von der SADC erlassenen Richtlinien und Prinzipien für demokratische Wahlen. Zum Zeitpunkt ihrer Verabschiedung auf dem SADC-Gipfel im August 2004 wurde berichtet, sie seien als ein Versuch der SADC-Staaten zu deuten, Mugabe zur Durchführung von freien und fairen Wahlen zu bewegen. Doch Simbabwe erkannte das SADC-Dokument nicht als rechtlich bindend an und betrachtete es eher als eine Art ‚Roadmap’ für den Entwicklungsweg hin zu einer Demokratie. Die nachfolgenden Wahlen in Simbabwe hielten die Richtlinien nicht ein und wurden von westlichen Beobachtern nicht als frei und fair eingestuft (vgl. Financial Gazette, 15.07.2004: „SADC tightens screws on Zim“; The Herald, 09.02.2005: „SADC poll guidelines not legal document (…)“). Dabei sind die Richtlinien in den SADC-Vertrag eingebettet und somit für alle SADC-Mitgliedsstaaten bindend.
9.1 Hypothese zu den Motiven und Zielsetzungen der Integration
263
schwer feststellbar (vgl. The Times of Zambia, 20.04.2000: „Zimbabwe Land Crisis Concerns The Region“). Gleiches gilt für andere negative Auswirkungen der politischen und wirtschaftlichen Krise in Simbabwe, wie z.B. die wachsende Anzahl von Flüchtlingen. Durch die vermehrte Zuwanderung von Simbabwern werden bestehende soziale und wirtschaftliche Probleme in den angrenzenden Staaten verstärkt.313,314 Eine nachhaltige Lösung der Krise in Simbabwe, dem Auslöser der massenhaften Migration, ist auch im Interesse der Region und ganz besonders im Interesse der insgesamt fünf Anrainerstaaten, die am stärksten betroffen sind. Auch die Zahlung von Geldern im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit ist durch die Situation in Simbabwe in Gefahr. So stoppte Dänemark aus Protest gegen Mugabes Landreform beispielsweise die Finanzierung für ein regionales Trainingscenter zur Friedenssicherung in Harare. Solche Verluste an Hilfsgeldern zu vermeiden, ist sowohl im Interesse einzelner Staaten als auch im Sinne der Region als Ganzes (vgl. Sunday Times, 31.08.2003: „SADC rallies behind Mugabe, but that won’t make the pain go away“; Zimbabwe Standard, 10.08.2003: „SADC ministers agree on regional defence pact“). Die Analyse der Verhandlungen zur Simbabwe-Krise zeigt aber auch ein Beispiel für die Dominanz regionaler Interessen. Im Oktober 2002 wurde Simbabwe der stellvertretende Vorsitz der SADC entzogen und stattdessen an Tansania vergeben. Die übrigen SADC-Staaten wollten mit diesem Vorgehen verhindern, dass turnusgemäß Simbabwe im Jahr 2003 den Vorsitz der SADC erhält. Vor dem Hintergrund der zu dieser Zeit herrschenden Konflikte um die Landreform in Simbabwe sahen die SADC-Mitglieder in Simbabwe nicht den geeigneten Repräsentanten ihrer Organisation. Zudem wollten sie verhindern, dass jedes Treffen der Regionalorganisation durch den Vorsitz Mugabes und die Krise in Simbabwe überschattet wird. Die Staats- und Regierungschefs wollten mit diesem Schritt ihre Organisation vor einem Glaubwürdigkeitsverlust schützen, der zwangsläufig auch dazu führen würde, die Unterstützung der Gebergemeinschaft zu verlieren (vgl. Sunday Times, 06.10.2002: „SADC leaders spurn Mugabe“; Zimbabwe Independent, 04.10.2002: „SADC deals Zimbabwe major diplomatic blow“). Ein solches Beispiel für die Dominanz regionaler Interessen
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Insbesondere in Südafrika werden die Migranten als weitere Konkurrenten um ohnehin knappe Arbeitsplätze gesehen. Wie groß die sozialen Spannungen sind, zeigen beispielsweise die gewaltsamen Ausschreitungen vom Mai 2008, in denen südafrikanische Bürger in verschiedenen Townships gewaltsam gegen Einwanderer aus anderen afrikanischen Staaten, insbesondere Simbabwe, Mosambik und Malawi, vorgingen (vgl. BBC, 21.05.2008: „SA leader orders army to deploy“). Es handelt sich hier um grenzüberschreitende Bedrohungen, vor denen sich die übrigen SADCStaaten nicht abschotten können.
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9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
ist im Zusammenhang mit den Bemühungen der SADC zur Simbabwe-Krise allerdings einzigartig.315 Zusammenfassend bleibt also festzuhalten, dass sich im Sicherheitsbereich die nationalen Interessen nicht derart stark äußern wie im Handelsbereich. Stattdessen gehen nationale und regionale Interessen oftmals einher, sodass sich nicht zweifelsfrei feststellen lässt, ob die SADC-Staaten aus einer stärker nationalen oder primär regionalen Motivation handeln.316 Hier zeigt sich ein wichtiger Unterschied zur Handelspolitik. Denn im Bereich der Handelsliberalisierung stehen die nationalen Interessen zumindest in kurz- bis mittelfristiger Sichtweise den regionalen Interessen eher entgegen.317 Im Vergleich zur Handelspolitik gestaltet sich die Analyse im Sicherheitsbereich deutlich schwieriger, da die Politiker über die Motive ihrer Vorgehensweise eher Stillschweigen bewahren. Festzuhalten bleibt, dass sich nationale Interessen nicht derart stark im Sicherheitsbereich äußern wie in der Hypothese angenommen. 9.1.3 Globalisierung und regionaler Wirtschaftsraum Im folgenden Abschnitt soll das Zusammenspiel von Regionalismus und Globalisierung318 näher betrachtet werden. Von besonderem Interesse sind dabei zwei Fragestellungen. Erstens: Wie nehmen die regionalen Akteure im südlichen Afrika die Globalisierungsprozesse wahr? Betrachten sie die globalisierte Weltwirtschaft als Bedrohung für die regionalen Wirtschaftsstrukturen oder eher als Chance? Zweitens: In welchem Zusammenhang stehen Regionalismus und Globalisierung nach Ansicht der involvierten Akteure? Wird die regionale Integration im südlichen Afrika als Vorstufe für die Einbindung in die globale Welt315
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Auffällig ist, wie oft die SADC-Mitglieder ihre Solidarität mit Simbabwe bekunden (siehe hierzu Kapitel 9.1.4). Hinter diesem Vorgehen können sich potenziell auch regionale Interessen verbergen. Da die Motive und das Kalkül der Staats- und Regierungschefs aber nicht einsichtig sind, entziehen sie sich einer fundierten empirischen Analyse. Diese Überschneidung von nationalen und regionalen Interessen hängt aber auch mit der Natur der Sicherheitsgefährdungen zusammen, die aus der Simbabwe-Krise erwachsen. Es handelt sich hier vorwiegend um grenzüberschreitende fundierten empirischen Analyse. Diese Überschneidung von nationalen und regionalen Interessen hängt aber auch mit der Natur der Sicherheitsgefährdungen zusammen, die aus der Simbabwe-Krise erwachsen. Es handelt sich hier vorwiegend um grenzüberschreitende Probleme wie Migration, die nicht allein auf der nationalstaatlichen Ebene gelöst werden können. In einer langfristigen Betrachtung sieht dies allerdings schon wieder anders aus, denn von einer wirtschaftlich starken Region des südlichen Afrikas profitieren auch die einzelnen Nationalstaaten. Um dieses langfristige Ziel zu erreichen, müssen die einzelnen Staaten aber ihre Fokussierung auf die kurz- bis mittelfristigen nationalen Wirtschaftsinteressen zumindest zeitweise überwinden. Eine Definition weltwirtschaftlicher Globalisierung findet sich in Fußnote 12.
9.1 Hypothese zu den Motiven und Zielsetzungen der Integration
265
wirtschaft gesehen oder dient der regionale Zusammenschluss eher der Abschottung vor dem globalen Markt? Mit Hilfe des empirischen Materials sollen diese Fragen beantwortet werden. Dabei kommt bei der Analyse der ersten Fragestellung vor allem die Dokumentenanalyse zum Tragen, während die zweite Frage auf der Grundlage der Experteninterviews analysiert wird. In den Interviews wurde bewusst offen nach der Beziehung von Regionalismus und Globalisierung gefragt.319 Dies geschah mit der Absicht, die Globalisierungsprozesse nicht ausschließlich mit wirtschaftlichen Prozessen in Verbindung zu bringen. So sollte auch den Experten im Sicherheitsbereich die Chance gegeben werden, sich zur Rolle der Globalisierung für die regionale Sicherheitsintegration zu äußern. Diese Möglichkeit wurde von den Experten aber leider nicht genutzt, daher beziehen sich die folgenden Ausführungen ausschließlich auf den Handelsbereich. Als erstes Ergebnis der Dokumentenanalyse ist festzuhalten, dass die Akteure der SADC die Ambivalenz des Globalisierungsprozesses betonen, der für die Region sowohl Risiken als auch Chancen bringt. Allerdings fühlen sie sich der Globalisierung nicht schutzlos ausgeliefert. So betonte der angolanische Präsident Dos Santos in seiner Rede zum Abschluss des SADC-Gipfeltreffens 2002 in Luanda: „This is why we must face globalisation as an inexorable process from which we gain nothing in excluding ourselves. This does not mean that we must submit to and accept unruled globalization that is savage and ruthless, and that doesn’t take into account the interests and legitimate anxieties of our countries, to attain development (…). Our countries must be able to participate in the benefits of globalization on the same equal footing with developed countries, so as not to be marginalized from opportunities that this process offers.“ (Record of the SADC Summit, 02.03.10.2002, Luanda, Angola)
Weiterhin fällt auf, dass in den Kommuniqués und anderen offiziellen Veröffentlichungen der SADC die Globalisierung neutral bis positiv bewertet wird. Es findet keine pauschale Verurteilung statt, in deren Rahmen gegen die Globalisierung polemisiert und sie zur Ursache wirtschaftlicher Probleme stilisiert wird. Stattdessen werden die Chancen betont, die für die Region erwachsen können, wenn sie sich den Herausforderungen der Globalisierung stellt.320 319
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Erst in einer weiteren, vertiefenden Frage wurde darauf eingegangen, ob regionale Integration auch als Schutz vor den Auswirkungen der Globalisierung, sowohl im Handels- als auch im Sicherheitsbereich, gesehen wird (vgl. Interviewleitfaden, Anhang). Zum Beispiel: „Let us then resolve to make SADC one economic entity - our link to the global market. Let us use SADC to build the regional, together with the national, capacity to access
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Doch in welchem Zusammenhang stehen die Globalisierungsprozesse zur regionalen Integration im südlichen Afrika? Keiner der befragten Experten vertrat die Ansicht, der regionale Zusammenschluss der SADC-Staaten werde bewusst als Schutz- und Abschottungsmechanismus gegenüber der globalisierten Weltwirtschaft eingesetzt. Stattdessen betonten eine ganze Reihe von Experten die Bedeutung der regionalen Integration als Vorbereitung oder auch als ‚stepping stone’ für die Globalisierung (vgl. Interviews Nr. 2, 5, 12, 17, 20, 26 und 32). Nach Meinung der Experten existiere innerhalb der Region auch die Vorstellung, die Regionalintegration könne ein wichtiger vorbereitender Schritt für eine stärkere Einbindung der Region in globale Wirtschaftsprozesse sein. Damit bestätigen die Interviewpartner die Annahme, dass die Regionalintegration primär als Chance gesehen wird, um an der Globalisierung teilzuhaben. Mit den Worten des Direktor des TIFI-Direktorats: „Diese regionale Strategie wird auch benutzt, um auf die Realität der Globalisierung zu antworten. Denn nur wenn man eine kohärente regionale Strategie hat, ist man in der Lage, sich in die multilateralen und internationalen Globalisierungstrends einzuklinken.“ (Noko Murangi, Interview Nr. 26)
Allerdings weisen einige Experten auch auf die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis hin. Denn ob die theoretische Möglichkeit, die Regionalintegration als Vorbereitung für eine Einbindung in den globalen Markt zu nutzen, auch praktisch wahrgenommen wird, ist eine andere Frage. Die interviewten Experten sind hier eher skeptisch (vgl. Interviews Nr. 2, 13, 20 und 32).321 Außerdem
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the benefits and opportunities that globalisation presents, while cushioning ourselves from its negative shocks, ripples and uncertainties.”(Rede Benjamin William Mkapa, Präsident von Tansania und Vorsitzender der SADC anlässlich der Verabschiedung des RISDP am 12.03.2004 in Arusha, Tansania) Ein weiteres Beispiel liefert der SADC Executive Secretary, Kaire M. Mbuende, bei der Eröffnung des SADC-Gipfeltreffens am 08.09.1997:„The process of globalisation offers numerous opportunities that the region can take advantage of. We should not only see threat in globalisation. There are also opportunities that the region can take advantage of, such as access to a wider choice of low cost, high quality goods and services (…)“. (Record of the Summit, 08.09.1997, Blantyre, Malawi). Eine Aufzählung der negativen Begleiterscheinungen der Globalisierung für die Region finden sich im SIPO: „The negative effects of globalisation such as the growing vulnerability of national borders, increase in organized and transnational crime, drug trafficking, money laundering and human trafficking“ (SIPO, Paragraph 5.2, S. 32). Ein kritischer SADC-Mitarbeiter beschrieb die Situation mit folgenden Worten: „Die Zielsetzung, Zugang zum globalen Markt zu bekommen, ist ein theoretisches Thema. Theoretisch geht es darum, untereinander zu handeln, um so zu lernen, um schließlich auch im globalen Rahmen zu handeln. Theoretisch wird regionaler Handel oft als ‚stepping stone’ bezeichnet, aber ich persönlich bin nicht so überzeugt, ob das wirklich stimmt. Ob regionale Integration uns wirklich hilft, mit dem Rest der Welt zu handeln, denn wir versuchen noch nicht einmal, unsere ‚external trade policy regimes’ miteinander zu harmonisieren. (…) Es gibt keine wirkliche und
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betonen zwei Interviewpartner zusätzlich, dass die Vorstellung der Regionalintegration als ‚stepping stone’ derzeit weit verbreitet sei und zur gängigen „Weltrethorik“ (Mark Meinardus, Interview Nr. 13) zähle (siehe auch Interview Nr. 15).322 Diese Äußerungen machen darauf aufmerksam, dass genau analysiert werden muss, ob der verbal deklarierte Zusammenhang zwischen Regionalismus und Globalisierung auch in der praktischen Politik umgesetzt wird. Dieser Aspekt geht allerdings über den Fokus der vorliegenden Untersuchung hinaus und kann daher nicht weiter verfolgt werden. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Akteure der Regionalintegration im südlichen Afrika der Globalisierung nicht grundsätzlich ablehnend gegenüberstehen. Sie heben zwar die Risiken hervor, die mit den Globalisierungsprozessen verbunden sind, betonen aber insbesondere die wirtschaftlichen Chancen für die Region. 9.1.4 Solidarität als Beweggrund für regionale Integration In diesem Unterkapitel soll analysiert werden, welche Rolle das Bewusstsein einer regionalen Solidarität unter den SADC-Mitgliedern spielt. In Abgrenzung zu Beweggründen, die die Festigung der nationalstaatlichen Macht zum Ziel haben, werden Solidaritäts- und Gemeinschaftsgefühle an dieser Stelle zu den idealistischen Antriebskräften der Integration gezählt. Dabei sollte das Solidaritätsempfinden unter den SADC-Mitgliedern nicht nur auf seine Ursprünge hin untersucht werden, sondern auch auf seine unterschiedlich starke Ausprägung im Handels- und Sicherheitsbereich. Für eine solche Analyse werden die Experteninterviews und die Dokumentenanalyse herangezogen. Einschränkend muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass die Experten ihre Antworten entweder auf Handelspolitik bezogen oder allgemeine Aussagen machten. Für den Sicherheitsbereich können somit keine Rückschlüsse aus den Experteninterviews gezogen werden. Die Beteiligung an der Handelsintegration ist laut der Meinung von drei Experten teilweise auch auf Solidaritätsempfindungen zurückzuführen (vgl. Inter-
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bewusste regionale Agenda mit dem Ziel, die Region in die globale Ökonomie zu integrieren. Denn Themen wie ‚external trade policy’ werden nicht angesprochen (…)“ (Paul Kalenga, Interview Nr. 20). Diese Äußerungen lassen auch die Deutung zu, dass die regionalen Akteure im südlichen Afrika dazu neigen, gängige Lehrmeinungen zu übernehmen. An dieser Stelle wäre es auch interessant zu untersuchen, inwiefern die internationale Gebergemeinschaft bestimmte Denkansätze und Lehrmeinungen an die Regionalgemeinschaft weitergibt.
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views Nr. 1, 2 und 26).323 Die Experten heben außerdem die Bedeutung der gemeinsamen Geschichte der SADC-Staaten hervor. Erlebnisse, wie die Kolonialherrschaft oder der gemeinsame Kampf gegen das Apartheidregime in Südafrika, hätten die Solidarität unter den Ländern der Region verfestigt, so die Experten (vgl. Interviews Nr. 1, 2, 10, 26 und 40).324 Die Experteninterviews zeigen also, dass auch Faktoren wie regionale Solidarität und gemeinsame historische Erfahrungen für die Staaten einen Grund darstellen, sich der SADC anzuschließen bzw. ihre Mitgliedschaft in der SADC aufrecht zu halten. Gleichzeitig sind die Erkenntnisse der Expertenbefragung aber auch begrenzt. Es werden keine Aussagen darüber gemacht, welches Gewicht diesen ‚idealistischen’ Motiven für Integration im Vergleich zu anderen Faktoren zukommt. Außerdem lassen die Ergebnisse der Expertenbefragung keine Differenzierung in die Politikbereiche Handel und Sicherheit zu. Zumindest der letzte der beiden Schwachpunkte kann durch die Dokumentenanalyse ausgeglichen werden. Eine vergleichende Analyse des Handels- und Sicherheitsbereichs anhand der vorliegenden Dokumente zeigt, dass regionale Solidarität in den beiden Politikbereichen eine sehr unterschiedliche Rolle spielt. Der Verlauf der Handelsintegration weist keine Beispiele für die Existenz einer regionalen Solidarität auf. Stattdessen dominieren eindeutig die nationalen Interessen der einzelnen Mitgliedsstaaten, die ihre nationalen Märkte vor der regionalen Konkurrenz schützen möchten.325 Im Sicherheitsbereich haben die SADC-Staaten hingegen schon zu verschiedenen Anlässen ihre regionale Solidarität unter Beweis gestellt. Die SADCStaaten haben beispielsweise in den offiziellen Kommuniqués ihrer Gipfeltreffen die Politik Mugabes bis zum März 2007 nicht offiziell verurteilt.326 Stattdessen 323
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Im Interview fasst Katrina Morris die Zusammenhänge folgendermaßen zusammen: „Viele der Nationalstaaten sind aufgrund der politischen Signifikanz und der Geschichte Mitglied in der SADC. Die ökonomische Integration müssen sie in diesem ‚Paket’ auch akzeptieren, auch wenn sie nicht primärer Beweggrund der Zusammenarbeit ist. Einige Staaten sind nicht im gleichen Maße der ökonomischen Integration zugetan wie der politischen Zusammenarbeit. Sie schätzen die SADC insbesondere als politisches Forum.“ (Katrina Morris, Interview Nr. 1) In den Worten Farai Zizhous: „Auch die Geschichte spielt eine Rolle, denn so stark wie die Staaten in der Vergangenheit kooperiert haben, ist eigentlich gar nicht denkbar, dass für die Staaten etwas anderes als Kooperation in Frage kommen könnte.“ (Farai Zizhou, Interview Nr. 10). Ein Indiz für die dominante Rolle der nationalen Wirtschaftsinteressen im Rahmen der wirtschaftlichen Integration ist die schleppende Implementierung der Freihandelszone. So wurde der Startpunkt für die Zollsenkungen mehrere Male verschoben (vgl. Kapitel 4.3.2). Weitere Beispiele für die Dominanz der nationalen Interessen finden sich in Kapitel 9.1.2. Eine Distanzierung gegenüber dem Regime Mugabes fand auch auf dem Gipfeltreffen im März 2007 in Tansania noch nicht statt. Hier wurde lediglich zum ersten Mal öffentlich zugegeben,
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haben sie Mugabe und sein Regime gestärkt, indem sie die Verantwortung der ehemaligen Kolonialmacht GB betont und eine Aufhebung der Sanktionen gegenüber Simbabwe gefordert haben (vgl. Panafrican News Agency, 09.08.2000: „Mugabe gets SADC’s support for land reform“; Record of the SADC Summit, 12.-14.08. 2001, Blantyre, Malawi; Record of the SADC Summit, 15.-16.08. 2003, Dar Es Salaam, Tanzania). Die Wahlbeobachtungsmissionen der SADC haben außerdem keinen der Urnengänge zwischen 2000 und 2008 in Simbabwe für die Missachtung demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien kritisiert. Westliche Beobachter hingegen verweigerten den Wahlen der Jahre 2002 (Präsidentschaftswahlen), 2005 (Parlamentswahlen) und 2008 (Präsidentschafts- und Parlamentswahlen) das Gütesiegel ‘frei und fair’ (vgl. Record of the SADC Summit, 06.-07.08.2000, Windhoek, Namibia; The Daily News, 14.04.2005: „Are our neighbours honest friends?“; Southern African News Features, 01.04.2008: „SADC calls on all parties to accept results of elections“).327,328 Ein weiteres Beispiel für die öffentliche Solidarität der SADC-Staaten mit Mugabe steht im Zusammenhang mit dem EU-Afrika-Gipfel in Portugal im Dezember 2007. Der britische Premierminister Gordon Brown hatte im Vorfeld angekündigt, seine Teilnahme abzusagen, falls Mugabe ebenfalls eine Einladung für das Gipfeltreffen erhalten würde. Daraufhin drohten die SADC und weitere
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dass die Situation in Simbabwe ein Problem darstellt, das eine regionale Antwort erfordert (vgl. Crisis Group 2007: 2). In ihrer Beurteilung der Wahlen 2008 benutzte die SADC-Wahlbeobachtungsmission allerdings nicht mehr die Worte ‚frei’ und ‚fair’. Stattdessen charakterisierte sie die Wahlen als „peaceful“ und „credible“. Doch nicht alle Mitglieder der Beobachtungsmission stimmten diesem Urteil zu. Schon zur Parlamentswahl im Jahr 2000 hatten die Vertreter Südafrikas innerhalb der SADC-Mission eine abweichende Beurteilung der Wahlen veröffentlicht. Ende März 2008 wiederholte sich diese Spaltung. Die Vertreter der südafrikanischen Partei ‚The Democratic Alliance’ kündigten an, den vorläufigen Bericht der SADC-Beobachtermission nicht zu unterschreiben. Aufgrund des undemokratischen Umfeldes, in dem die Wahlen stattfanden und der bestehenden Defizite bei der Ausführung der Wahlen wollten sich die Vertreter der südafrikanischen Oppositionspartei dem Urteil der SADC-Mission nicht anschließen (vgl. Business Day, 14.03.2008: „SADC observers meet Zimbabwe State media“; The Democratic Alliance, Press Release, 31.03.2008: „Democratic Alliance refuses to sign the SADC Observer mission’s preliminary report“). Seit August 2004 besitzt die SADC mit dem Dokument „Principles and Guidelines Governing Democratic Elections“ eigene Wahlrichtlinien. Sie halten unter anderem Prinzipien demokratischer Wahlen fest, regeln das Mandat und die Zusammensetzung von SADC-Wahlbeobachtungsmissionen und liefern einen Verhaltenskodex für SADC-Wahlbeobachter. Allerdings konstituieren die Richtlinien keinen Vertrag und besitzen somit auch keinen bindenden Charakter. Die konkreten Bestimmungen finden sich auf der Internetseite der SADC unter www.sadc.int. Die Wahlrichtlinien der SADC existieren damit neben den bereits 2001 veröffentlichten „Norms and Standards for Elections in the SADC Region“ des SADCPF (siehe hierzu auch Fußnote Nr. 94).
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9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
afrikanische Staaten mit einem geschlossenen Boykott des Gipfels, falls Mugabe die Teilnahme verweigert werden würde (vgl. Institute for War and Peace Reporting, 20.10.2007: „Africa to Boycott Europe Summit if Mugabe Barred“).329 Diese Beispiele verdeutlichen die Solidarität der SADC-Staaten mit Simbabwe. Obwohl die Staaten der Region unter der Krise leiden und ihre negativen Auswirkungen zu spüren bekommen (siehe Kapitel 9.1.2), kündigen sie ihre Solidarität mit dem ehemaligen Befreiungskämpfer Mugabe nicht auf. Welche möglichen Beweggründe gibt es für dieses Verhalten?330 Zu nennen wäre hier an erster Stelle das Prinzip der Nichteinmischung in die internen Angelegenheiten eines souveränen Staates. Die Staats- und Regierungschefs halten dieses Prinzip gegenüber Simbabwe aufrecht, da sie andernfalls befürchten müssten, selbst auch ‚Opfer’ einer Einmischung in nationale Angelegenheiten zu werden. Die SADC-Staaten möchten mit Simbabwe keinen Präzedenzfall schaffen, der später zu ihren eigenen Ungunsten ausgelegt werden könnte.331 Hinzu kommen die große Ehrfurcht und der allgemeine Respekt, den Mugabe als ehemaliger Freiheitskämpfer in der Region genießt (vgl. Interview Nr. 4). Dieser Respekt steht in engem Zusammenhang mit herrschenden soziokulturellen Faktoren, die das Zusammenleben in afrikanischen Ländern prägen. Hierzu zählen beispielsweise die allgemeine Hochachtung vor dem Alter (Mugabe ist 1924 geboren) und die Tatsache, dass harsche Kritik nicht in der Öffentlichkeit geübt wird. Ebenso spielt die bei vielen afrikanischen Politikern verwurzelte Überzeugung eine Rolle, wonach ‚afrikanische Probleme’ mit ‚afrikanischen Methoden’ möglichst in Einhelligkeit und ohne Einmischung von nichtafrikanischen Staaten gelöst werden sollten (vgl. The New York Times, 27.06.2008: „Complex Ties Lead Ally Not to Condemn Mugabe“). Des Weiteren besteht auch die begründete Annahme, dass die SADCPartner eine demokratische Ablösung des Mugabe-Regimes nicht uneingeschränkt gutheißen würden. Denn mit Mugabe und seiner ZANU-PF wäre dann zum ersten Mal eine ‚Befreiungsbewegung an der Macht’ abgewählt worden. 329
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Schließlich nahm Mugabe am Gipfel in der portugiesischen Hauptstadt Lissabon teil, während Gordon Brown dem Treffen aus Protest fern blieb. Da die SADC-Staats- und Regierungschefs über ihre Motive Stillschweigen bewahren, können hier letztendlich nur begründete Vermutungen präsentiert werden, die die akademische Diskussion und die regionale Presse bestimmen. Diese Sichtweise bestätigte beispielsweise der botswanische Präsident Festus Mogae nach seiner Rückkehr von einem SADC-Gipfeltreffen in Malawi im Januar 2002. Befragt nach seiner Einschätzung zur Krise in Simbabwe sagte Mogae, die SADC könne wenig tun, wenn Mugabe seinen Versprechungen nicht nachkomme und für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in seinem Land sorge. Er bezeichnete Mugabe als einen ehrenwerten Mann und Führer eines souveränen Staates, dem man keine Vorschriften machen könne (vgl. allAfrica, 16.01.2002: „Mugabe can tell us to go to hell’ SADC leaders admit“).
9.1 Hypothese zu den Motiven und Zielsetzungen der Integration
271
Dies wäre ein starkes Signal, das auch für die anderen ehemaligen Befreiungsbewegungen der Region nicht ohne Bedeutung wäre.332 Der Sicherheitsexperte Helmut Orbon sieht in einer solchen Abwahl sogar den Beginn einer neuen Ära in der Region, die nicht mehr durch die Befreiungsideologie, sondern durch demokratische Standards bestimmt werden könnte (vgl. Interview Nr. 4).333 In den Experteninterviews wird auch ein weiterer Erklärungsansatz angesprochen: Mugabes Politik der Landumverteilung sowie seine offensive Haltung gegenüber der westlichen Gebergemeinschaft werden im Kern von den Staatsund Regierungschefs der Region unterstützt. Auch wenn sie unter Umständen die gewaltsame Ausführung seiner Politik verurteilen, so stimmten sie zumindest teilweise mit seinen Forderungen überein (vgl. Interviews Nr. 4 und 22). Die Solidarität, die das Regime Mugabes in der Region genießt, ist nicht auf eine einzelne der genannten Begründungen zurückzuführen. Es handelt sich vielmehr um eine komplexe Mischung aus mehreren der aufgeführten Faktoren.334,335 Allerdings muss an dieser Stelle auch erwähnt werden, dass die Unterstützung für Mugabe nicht bei allen Staaten der Region gleich stark ausgeprägt ist. Während Angola und Namibia zu den treuen Verbündeten Mugabes zählen, vertreten Staaten wie Botsuana, Tansania und Sambia die Ansicht, die SADC sollte ihre Strategie in der Simbabwe-Krise überdenken und aktiver werden. Für diese Position versuchte der botsuanische Präsident Ian Khama Unterstützung von weiteren SADC-Mitgliedern zu erhalten, jedoch ohne Erfolg. Botsuana entwickelte sich im Verlauf der Simbabwe-Krise sogar zu einem der schärfsten 332
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Hierzu zählen beispielsweise die SWAPO in Namibia und der ANC in Südafrika. Und auch die Wurzeln der ZANU-PF in Simbabwe reichen bis in den Befreiungskampf zurück. Hier spielt auch Misstrauen gegenüber neu entstandenen Kräften mit zivilgesellschaftlichen Wurzeln, wie dem MDC als wichtigste Oppositionspartei Simbabwes, eine große Rolle. Nicht bestätigten Zeitungsberichten zu Folge habe Mbeki auf dem außerordentlichen Summit im März 2007 die Opposition in Simbabwe als ein Surrogat von Kräften bezeichnet, die das Ziel verfolgten, die ehemalige Befreiungsbewegung ZANU-PF zu stürzen. Er wird zitiert mit den Worten: „Today it is Zimbabwe and we don’t know who is next“ (Institute for War & Peace Reporting, 20.10.2007: „Africa to Boycott Europe Summit if Mugabe Barred“). Die Strategie der stillen Diplomatie ist auch Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzungen. Nach der Einschätzung Martin Adelmanns (vgl. 2004) ist diese Vorgehensweise im Einklang mit den Prämissen der südafrikanischen Außenpolitik, die in besonderer Weise an der Lösung von Konflikten auf dem Verhandlungswege festhält. Zudem ist die stille Diplomatie aus südafrikanischer Sichtweise eine durchaus rationale Vorgehensweise, da sie anders als im Falle einer offenen Konfrontation mit Mugabe eine aktive Einflussnahme auf den Verlauf der Simbabwe-Krise sichert. Diese Zielsetzung ist insbesondere vor dem Hintergrund fehlender Alternativen in Form von Wirtschaftssanktionen oder militärischen Angriffen durch Südafrika von großem Gewicht (vgl. Adelmann 2004: 271-272). Die Beschäftigung mit den Motiven, die die Staaten der Region zur Solidarität mit Simbabwe bewegen, zeigt auch, dass die Unterstützung Mugabes für einige der Staats- und Regierungschefs ein Selbstschutz ist. Sie stellen sich hinter Mugabe, um ihre eigene Herrschaft abzusichern.
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9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
Kritiker des Mugabe-Regimes. So schlug der Außenminister Botsuanas, Phandu Skelemani, etwa vor, die Grenzen zu Simbabwe abzuriegeln oder die Lieferungen an Benzin zu unterbrechen, um Mugabe so zum Rücktritt zu zwingen.336 (vgl. International Crisis Gropu 2008b: 6; Zimbabwe Independent, 25.08.2007: „Mugabe Exposes SADC As Toothless“).337 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass in der regionalen Handelspolitik keine Beispiele für ein Solidaritätsbewusstsein unter den SADC-Staaten erkennbar sind. Im Sicherheitsbereich zeichnet sich ein anderes Bild. Die Staaten der Region verhalten sich gegenüber dem krisengebeutelten Simbabwe nach außen solidarisch und nehmen für diese Haltung auch Beeinträchtigungen ihrer nationalen Ziele in Kauf. Zwei Einschränkungen sollen dieses vorläufige Fazit aber begleiten: Zum einen kann die hier vorliegende Analyse nur auf jene Solidarität eingehen, die die SADC-Staats- und Regierungschefs nach außen demonstrieren. Ob und in welchem Umfang die SADC-Politiker kontroverse Diskussionen hinter verschlossenen Türen führen, kann hier nicht analysiert werden. In den Medien tauchen allerdings immer wieder Meldungen auf, die aus ‚gut unterrichteter Quelle’ von heftigen Auseinandersetzungen zwischen den SADC-Staats- und Regierungschefs über die Vorgehensweise in der Simbabwe-Krise berichten.338,339 Zum anderen sollte auch betont werden, dass es sich bei der hier untersuchten Solidarität um einen Zusammenhalt auf höchster Ebene, sprich der Regierungen und Spitzenpolitiker, handelt. Es werden keine Aussagen darüber gemacht, ob und in welchem Maße Solidarität zwischen Wirtschaftsvertretern, zivilgesellschaftlichen Akteuren oder auch ‚einfachen Bürgern’ besteht.
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Nach offiziellen Angaben der botsuanischen Regierung wurde der 640 km lange und über vier Meter hohe elektrisch gesicherte Zaun an der Grenze zu Simbabwe als Schutz vor einem Übergreifen der Maul- und Klauenseuche errichtet. Zweifelsohne dient er aber auch dem Schutz vor den Strömen an illegalen Migranten aus Simbabwe (vgl. Ressler 2007: 202). Während eines Staatsbesuchs Anfang 2007 in Namibia hatte der sambische Präsident Levy Mwanawasa beispielsweise Simbabwe mit der sinkenden Titanic verglichen und die Strategie der ‚stillen Diplomatie’ für gescheitert erklärt (vgl. Allgemeine Zeitung, 20.08.2007: „Krise totgeschwiegen“; UN Integrated Regional Information Networks, 30.03.2007: „Regional Leaders' Meeting a 'Non-Event'“). Auf dem außerordentlichen Gipfeltreffen im März 2007 kam es nach Angaben aus Diplomatenkreisen beispielsweise zu heftigen Auseinandersetzungen, da eine Reihe von SADC-Staatsund Regierungschefs Mugabe dazu gedrängt habe, entweder sein Amt zu verlassen oder grundlegende Reformen in Politik und Wirtschaft durchzuführen. Der Wahrheitsgehalt dieser Meldung ist allerdings nur schwer nachzuprüfen (vgl. Zimbabwe Independent, 31.03.2007: „SADC Grills Mugabe“). In seiner Analyse der SADC erläutert Oosthuizen (vgl. 2006: 60), dass unter den SADC-Staatsund Regierungschefs die ungeschriebene Abmachung bestehe, Meinungsverschiedenheiten unter den Mitgliedsstaaten nicht in die Öffentlichkeit zu tragen.
9.1 Hypothese zu den Motiven und Zielsetzungen der Integration
273
9.1.5 Sonstige Gründe und Ziele der Integration Die empirische Untersuchung wurde zwar speziell auf die Überprüfung der Hypothesen ausgelegt, hat aber darüber hinaus auch weitere interessante Ergebnisse zutage gefördert, die hier kurz vorgestellt werden sollen. Dabei wurden zu gleichen Teilen Experteninterviews und Dokumente für die Analyse herangezogen.340 Sowohl für den Handels- als für den Sicherheitsbereich können Armutsbekämpfung und Entwicklungsförderung als die dominanten Motive für die regionale Integration bezeichnet werden.341 Dieses Ergebnis wird nicht nur von den Experteninterviews getragen (vgl. Interviews Nr. 7, 10, 15, 18, 27, 39 und 40), sondern findet auch in der Dokumentenanalyse seine Bestätigung. So heißt es beispielsweise im SADC-Vertrag: “1. The objectives of SADC shall be to: a. promote sustainable and equitable economic growth and socioeconomic development that will ensure poverty alleviation with the ultimate objective of its eradication, enhance the standard and quality of life of the people of Southern Africa and support the socially disadvantaged through regional integration; )…)” (SADC Secretariat 2001b: Article 5, Paragraph 1a)
Auch in weiteren grundlegenden Dokumenten der SADC wie dem RISDP und dem ‚Report on the Review of the Operations of SADC Institutions’ ist die Zielsetzung, durch den regionalen Zusammenschluss Armut zu reduzieren und Entwicklung voranzutreiben, festgeschrieben (vgl. SADC Secretariat 2001a: Article 3, Paragraph 3.1; SADC Secretariat 2003: Chapter 4, Paragraph 4.2). Ebenfalls findet sich in zahlreichen Records und Kommuniqués der SADC-Gipfeltreffen der Verweis auf Entwicklungsförderung als grundlegendes Ziel (vgl. zum Beispiel Record of the SADC Summit, 9.3.2001, Windhoek, Namibia; Communiqué of the SADC Summit, 12.-14.08.2001, Blantyre, Malawi). Für den Handelsbereich zeigte die empirische Analyse zudem, dass ein Großteil der Integrationsmotive in ökonomische Wirkungsketten zusammengefasst werden kann. Durch eine Liberalisierung des regionalen Handels sollen größere Märkte geschaffen, Skaleneffekte ausgenutzt und Effizienzsteigerungen in der Produktion bewirkt werden. Dies soll dann zu einem besseren Investitionsklima in der Region und gesteigerter Wettbewerbsfähigkeit der regionalen Pro340
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Allerdings kommen hier mehr die offiziellen Dokumente der SADC und Reden der Staats- und Regierungschefs zum Tragen als Zeitungsartikel. Hiermit wird auch deutlich, dass Armut sowohl ein wirtschaftliches als auch ein sicherheitspolitisches Problem ist und die Armutsbekämpfung eine Herausforderung darstellt, die für beide Politikbereiche gleichermaßen relevant ist.
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9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
duzenten führen. In den Interviews wiesen eine ganze Reihe von Experten auf einen oder mehrere dieser Aspekte hin (vgl. Interviews Nr. 7, 21, 34 und 36).342 Hier ein Beispiel: „Die SADC-Staaten haben so kleine und fragmentierte Ökonomien. Einzelne Ökonomien sind nicht in der Lage, sich in den globalen Markt zu integrieren. Die kleinen Ökonomien sind auch nicht in der Lage, Investitionen anzuziehen. Auch ‚economies of scale’ sind hier wichtig.“ (Rosalind Thomas, Interview Nr. 7)343
Für den Sicherheitsbereich steht im Vergleich zum Handelsbereich sehr viel weniger empirisches Material für die Auswertung zur Verfügung. Im ‘Protocol on Politics, Defence and Security Co-Operation’ ist als allgemeines Ziel des OPDS die Förderung von Sicherheit und Frieden in der Region festgehalten (vgl. SADC Protocol on Politics, Defence and Security Co-Operation, Article 2, Paragraph 1). Außerdem sei auch die Verbreitung von Demokratie und demokratischen Werten ein erklärtes Ziel der politischen Zusammenarbeit innerhalb der SADC (vgl. Interview Nr. 4, SADC Secretariat 2001a; Record of the SADC Summit, 9.3.2001, Windhoek, Namibia). Einige weitere Motive, die sich nicht speziell auf den Handels- oder den Sicherheitsbereich beziehen, sondern eher allgemeiner Natur sind, sollen hier noch erwähnt werden: Sowohl die Interviews als auch die ausgewerteten Dokumente zeigen, dass die Aussicht, als regionale Gemeinschaft mehr Verhandlungsmacht und Gewicht auf der internationalen politischen Bühne zu besitzen, ebenfalls ein Motiv für die Regionalintegration darstellt (vgl. Interviews Nr. 1, 4, 6 und 22). So betont der damalige Vorsitzende der SADC, Benjamin Mkapa in einer Rede: „SADC provides us with a strong framework to build upon, and to enable our people and region to make the necessary adjustments. It offers us best vehicle for meeting the social, economic and political needs of our people and our region, and enables us to speak to the globalising world with a united, firm negotiating power that dare not 342
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In ihrem gemeinsamen Interview machen Landon MacMillan und Mmatlou Kalaba berechtigterweise darauf aufmerksam, dass es sich bei den genannten Zusammenhängen um theoretische Annahmen über Wirkungszusammenhänge handelt, die sich in der praktischen Umsetzung noch bewahrheiten müssten (vgl. Landon MacMillan und Mmatlou Kalaba, Interview Nr. 34). In den offiziellen Records der SADC-Gipfeltreffen finden sich ähnliche Argumentationen: „Above all we need to accelerate the process of integration as this would create a large economic space and provide economies of scale. This in turn would increase the rate if return on investment and make the region more attractive to both domestic and foreign investment. The result would be increased levels of economic growth and the creation of jobs and consequently poverty reduction.“ (Rede SADC Executive Secretary Dr. Prega Ramsamy anlässlich der Eröffnung des SADC Summits, 12.08.2001, Blantyre, Malawi)
9.1 Hypothese zu den Motiven und Zielsetzungen der Integration
275
be ignored.“ (Rede Benjamin Mkapa anlässlich der Eröffnung des SADC Summits, 25.-26.08.2003, Dar Es Salaam, Tansania)
Weiterhin äußern drei Experten die Ansicht, dass die Staaten des südlichen Afrikas in ihrer Entscheidung, sich regional zusammenzuschließen, auch von externen Akteuren beeinflusst worden seien (vgl. Interviews Nr. 2, 38 und 39). Durch Fördermittel, die die internationale Gebergemeinschaft und allen voran die EU für Regionalorganisationen zur Verfügung stellt, sei ein Anreiz für den Zusammenschluss auf regionaler Ebene entstanden.344 Aber nicht nur die spezifisch ausgerichtete Förderung der Gebergemeinschaft, sondern auch der allgemeine weltweite politische Trend, sich in regionalen Blöcken zusammenzufinden, habe die Staaten der Region beeinflusst (vgl. Interviews Nr. 10 und 37). Gleichzeitig werden die bereits genannten Motive auch relativiert. Nicht alle beteiligten Staaten seien sich über die Auswirkungen, die ihre Mitgliedschaft in der SADC hat, im Klaren. Drei Experten heben hervor, dass einige Staaten im regionalen Integrationsprozess „mitschwimmen“ (Sonja Kurz, Interview Nr. 5), ohne sich der Zielsetzungen und Auswirkungen ihrer Mitgliedschaft in der SADC tatsächlich bewusst zu sein (vgl. Interviews Nr. 1, 5 und 38). 9.1.6 Zusammenfassende Beurteilung der Hypothese Im Folgenden soll ein abschließendes Urteil über die erste von insgesamt fünf Hypothesen getroffen werden. Ob die Hypothese verworfen oder bestätigt werden muss, hängt von den Untersuchungsergebnissen zu den einzelnen Aspekten der Hypothese ab. Die erste Teilannahme der Hypothese, wonach politische Motive eine größere Bedeutung für die Integrationsentscheidung haben als wirtschaftliche Überlegungen, kann bestätigt werden. Allerdings gilt für diese Aussage folgende Einschränkung: Die Bedeutung von wirtschaftlichen und politischen Motiven ist nicht fix, sondern kann je nach Mitgliedsland und Zeitpunkt variieren. Die obige Aussage beinhaltet also ein gewisses Maß an Ungenauigkeit, da sie einen allgemeinen Zusammenhang proklamiert und sich nicht auf spezifische Mitglieder oder einen bestimmten Zeitabschnitt bezieht.
344
Mit den Worten einer befragten Expertin: „Die Gebergemeinschaft ist von der Idee angetan, regionale Zusammenschlüsse zu fördern und dies ist auch ein Motiv, in SADC zu verbleiben. Diese Tatsache sollte nicht ignoriert werden. Es besteht auch internationaler Druck, der die Staaten dazu veranlasst, auf regionaler Ebene zu kooperieren (z.B. EPA-Verhandlungen als ein Beispiel, wie die EU regionale Integration forciert).“ (Gina van Schalkwyk, Interview Nr. 2)
276
9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
Das Fazit zum zweiten Teilaspekt der Hypothese fällt weniger eindeutig aus. Die angenommene starke Dominanz nationaler Interessen im Handels- wie im Sicherheitsbereich kann so nicht bestätigt werden. Stattdessen ergibt sich ein sehr viel differenzierteres Bild: Für den Handelsbereich zeigen die Experteninterviews zwar eine große Bedeutung, aber keine überragende Dominanz nationaler Interessen. Am Beispiel der Herkunftsregeln, der NTHs sowie der EPAVerhandlungen zeigt sich allerdings eine eindeutige Vorherrschaft nationaler Interessen. In der Sicherheitspolitik lassen sich Beispiele sowohl für nationale als auch für regionale Interessen finden. Anders als im Handelsbereich stimmen nationale Sicherheitsinteressen auch oftmals mit den sicherheitspolitischen Interessen der Region überein. Daher ist eine Differenzierung in rein nationale und rein regionale Interessen sehr viel schwieriger als im Handelsbereich. Darüber hinaus ergibt sich das Problem, dass die Staaten der Region ihre sicherheitspolitische Integration vertraulicher behandeln als ihre Zusammenarbeit im Handelsbereich. Es ist aber festzuhalten, dass die in der Hypothese angenommene alleinige Dominanz von nationalen Interessen sowohl in der regionalen Handels- als auch in der Sicherheitspolitik so nicht bestätigt werden kann. Eine Vorherrschaft nationaler Interessen hat sich allein für die Handelspolitik herauskristallisiert.345 In der Sicherheitspolitik nehmen nationale Interessen keine derart prominente Rolle ein. In Bezug auf die Bedeutung nationaler und regionaler Interessen muss die Hypothese also differenziert bzw. abgeändert werden. Der dritte Teilaspekt der Hypothese bezieht sich allein auf den Handelsbereich, da er den Zusammenhang zwischen dem regionalen Integrationsprozess und den Prozessen der Globalisierung herstellt. Hier kam die Analyse zu dem Ergebnis, dass die SADC-Akteure sich der bestehenden Gefahren des Globalisierungsprozesses bewusst sind. Gleichwohl heben sie aber auch hervor, welche Vorteile sich für die Region ergeben, wenn ihr die Eingliederung in die globalen Wirtschaftsprozesse gelingt. Die SADC-Region fühlt sich den Globalisierungsprozessen gegenüber nicht schutzlos ausgeliefert und möchte an ihnen teilnehmen. Als Vorbereitung dafür dient unter anderem die anvisierte Integration auf regionaler Ebene. Damit kann die Annahme, die regionale Integration werde als Chance gesehen, der weltwirtschaftlichen Marginalisierung zu entkommen und eine Eingliederung in die Globalisierungsprozesse zu erreichen, bestätigt werden. Im letzten Teilaspekt der Hypothese wurde die Bedeutung von Solidaritätsempfindungen unter den Staaten der Region für die Gründung bzw. Aufrechterhaltung des regionalen Zusammenschlusses analysiert. Die angenommene deutlich stärkere Bedeutung von solidarischem Bewusstsein für den Sicher345
Dieses Ergebnis ist allerdings mit der Einschränkung verbunden, dass die befragten Experten lediglich die große Bedeutung der nationalen Interessen hervorhoben, ohne von einer Dominanz der nationalen über die regionalen Interessen zu sprechen.
9.2 Hypothese zu den förderlichen Bedingungen regionaler Integration
277
heitsbereich im Vergleich zum Handelsbereich konnte bestätigt werden. Zum einen verdeutlichen die Experteninterviews, dass Solidarität unter den SADCStaaten einen wichtigen Faktor für die Beteiligung am regionalen Integrationsprojekt darstellt. Zum anderen zeigte die empirische Untersuchung am Beispiel der Simbabwe-Krise den – zumindest öffentlich demonstrierten – solidarischen Zusammenhalt innerhalb der Region. Was bedeuten diese Ergebnisse zu den einzelnen Untersuchungsaspekten der Hypothese nun für deren Gesamtbeurteilung? Nach der empirischen Untersuchung haben sich von den insgesamt vier Teilaspekten der Hypothese drei bestätigt. Nur die Annahmen zur Bedeutung des nationalen Interesses für den Sicherheitsbereich haben sich als nicht korrekt erwiesen. Damit kann die Hypothese – mit einer entsprechenden Anpassung für die Annahmen zum nationalen Interesse – bestätigt werden. Unter den genannten methodischen Einschränkungen gelten zu den Gründen und Motiven der regionalen Integration im SADC-Raum demnach folgende Ergebnisse: Die Gründung der SADC bzw. ihrer Vorgängerorganisation, der SADCC, beruht primär auf politischen Motiven. Darüber hinaus dominieren im Handelsbereich entgegen den offiziellen Verlautbarungen die nationalen Interessen der einzelnen Mitgliedsländer. Anders im Sicherheitsbereich: Nationale Interessen sind hier schwächer ausgeprägt und werden von historisch begründeten Solidaritätsempfindungen überlagert, die im Handelsbereich keine große Rolle spielen. Wirtschaftlich versuchen die Mitgliedsstaaten, die Integration als Chance zu nutzen, sich in die globale Weltwirtschaft einzugliedern und ihrer marginalisierten Stellung im Weltwirtschaftssystem zu entkommen. 9.2 Hypothese zu den förderlichen Bedingungen regionaler Integration Im folgenden Unterkapitel sollen die Annahmen der theoretischen Ansätze zu den Bedingungen einer erfolgreichen regionalen Integration überprüft werden. Es ist also erstens zu untersuchen, welche förderlichen Bedingungen im südlichen Afrika gegeben sind und zweitens, welche Relevanz diese Bedingungen für den Integrationsprozess besitzen. Vorweg sollen aber noch einige methodische und begriffliche Grundlagen diskutiert werden. Eine Auseinandersetzung mit den Bedingungen der Integration wirft zuallererst die Frage auf, was eine ‚erfolgreiche’ Regionalintegration überhaupt ausmacht. Je nachdem, welche theoretischen Annahmen dieser Frage zugrunde liegen, fällt die Antwort unterschiedlich aus (vgl. Kapitel 9.1). Doch an dieser Stelle sind die Bedingungen der Integration weniger auf das Endziel der Integration als vielmehr auf den Integrationsverlauf bezogen. Es geht
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9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
darum, welche Bedingungen gegeben sein müssen, damit der Prozess der Integration gemäß seinen Zielsetzungen möglichst problemlos voranschreitet. Bei den Bedingungen für eine erfolgreiche Regionalintegration handelt es sich also mehr um ‚förderliche Bedingungen’ als um ‚Erfolgsbedingungen’ im engeren Sinne. Allerdings besteht in Bezug auf die förderlichen Bedingungen eine methodische Ungenauigkeit. Weder die theoretischen Ansätze noch die Ergebnisse der empirischen Untersuchung lassen Erkenntnisse darüber zu, ob unter den verschiedenen Bedingungen eine Hierarchie besteht. Die Frage, ob einzelne Bedingungen von essenzieller Bedeutung sind und einen größeren Einfluss auf die regionale Integration ausüben als andere, kann also nicht beantwortet werden.346 Um die Untersuchung der Hypothese zu erleichtern, wird sie in einzelne Untersuchungsaspekte zergliedert. Als Erstes soll die Rolle der staatlichen Eliten im Integrationsprozess näher untersucht werden. Zweitens soll die Frage analysiert werden, in welchem Maße sich die staatlichen Eliten für die handels- und sicherheitspolitische Integration auf regionaler Ebene einsetzen. In einem dritten Aspekt soll die Rolle bestehender Transaktionen im Sicherheits- und Handelsbereich näher betrachtet werden. Darauf folgt viertens die Analyse der Relevanz subjektiv wahrgenommener Gemeinsamkeiten. In einem fünften Punkt wird die Bedingung der Homogenität betrachtet, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der bestehenden Entwicklungsunterschiede zwischen den SADC-Staaten. Abschließend sollen sechstens auch diejenigen Bedingungen vorgestellt werden, die sich in den Experteninterviews als besonders relevant erwiesen haben, ohne dass sie im engeren Zusammenhang zu den Annahmen der theoretischen Ansätze stehen. 9.2.1 Die staatlichen Eliten im Integrationsprozess In diesem Abschnitt soll geklärt werden, ob die staatlichen Eliten die regionale Integration der SADC-Staaten alleine tragen oder ob auch andere gesellschaftliche Gruppen daran beteiligt sind. Mit dieser Fragestellung ergeben sich große Überschneidungen zur vierten Hypothese dieser Arbeit, die sich mit den Akteuren der Regionalintegration auseinandersetzt. Um Doppelungen zu vermeiden, soll hier ausschließlich auf die staatlichen Eliten eingegangen werden, um so die Richtigkeit der hypothetischen Annahmen zu überprüfen. Der umfassende Überblick zu den weiteren Akteursgruppen der SADC-Integration folgt dann in Kapitel 9.4. 346
Dieser Punkt wurde allerdings auch von Joseph S. Nye (vgl. 1965: 873) kritisiert (vgl. Kapitel 9.2).
9.2 Hypothese zu den förderlichen Bedingungen regionaler Integration
279
Die Ergebnisse zur Rolle staatlicher Eliten im Handelsbereich stammen aus den Experteninterviews. Hier wurden die Interviewpartner nach den wichtigsten Akteuren der regionalen Integration und ihrer jeweiligen Funktion befragt (vgl. Interviewleitfaden, Anhang). Für den Sicherheitsbereich liefert die Analyse der Interviews weniger ertragreiche Ergebnisse, sodass hier hauptsächlich Erkenntnisse aus der Dokumentenanalyse zum Tragen kommen. Konkret lieferten die Experteninterviews für den Handelsbereich folgende Ergebnisse: Befragt nach den wichtigsten Akteuren der Handelsintegration benennt eine große Mehrheit der Experten die staatlichen Eliten als dominante Akteursgruppe (vgl. Interviews Nr. 1, 5, 6, 10, 14, 17, 18, 21, 24, 26, 27, 33 und 38). Jedoch gehen dabei nicht alle Experten in ihrer Einschätzung so weit wie Abie Ditlhake, der die Auffassung vertritt, die SADC-Handelsintegration werde allein von den Staats- und Regierungschefs vorangetrieben (vgl. Interview Nr. 24). Andere Interviewpartner sprechen den Staatseliten zwar die dominante Rolle zu, schließen einen schwachen Einfluss anderer Akteursgruppen aber nicht kategorisch aus: „Die Aktivitäten der Zivilgesellschaft auf regionaler Ebene sind nur sehr lose an SADC gebunden. Die Integration wird wirklich von politischen Eliten geleitet. Theoretisch gibt es bestehende Strukturen, mit denen die Zivilgesellschaft beteiligt werden kann, aber die funktionieren nicht besonders gut.“ (Peter Draper, Interview Nr. 38)
Dabei spezifiziert eine Reihe von Experten auch ihr Verständnis der staatlichen Elite im Zusammenhang mit der SADC-Integration. Sie verstehen darunter primär die Staats- und Regierungschefs, umgeben von ihrer jeweiligen Regierung bzw. ihren Ministerien (vgl. Interviews Nr. 1, 5, 10, 14, 17, 18, 24, 27 und 33).347 Zusammenfassend belegen die Ergebnisse der Experteninterviews die Annahme von der eindeutigen Vormachtstellung der staatlichen Eliten im Handelsbereich. Für den Sicherheitsbereich äußern sich leider nur zwei Befragte zur Rolle der staatlichen Eliten. Und die Einschätzungen dieser Experten sind gegensätzlich. Während Mpho G. Molomo die Sicherheitsintegration als ein Projekt bezeichnet, das allein von Staaten vorangetrieben würde (vgl. Interview Nr. 22), vertritt Tanki J. Mothae eine andere Ansicht. Er sieht die staatlichen Akteure als eine treibende Kraft, die „Seite an Seite“ (Tanki J. Mothae, Interview Nr. 28) mit den zivilgesellschaftlichen Institutionen die Integration voranbringe. Eine mög347
Interessant ist hier auch der Zusammenhang von Eliteninteressen und nationalen Interessen. Zwei Interviewpartner äußern die Meinung, dass das nationale Interesse in den einzelnen SADC-Staaten lediglich die Interessen der politischen Eliten widerspiegele. Nach Ansicht der Befragten würden die Eliten das nationale Interesse so interpretieren, dass es zu ihrem eigenen Vorteil gereicht und ihre Macht erhält (vgl. Interviews Nr. 3 und 4).
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9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
liche Erklärung für diese unterschiedlichen Sichtweisen kann in der beruflichen Position der beiden Experten liegen. Während Mpho G. Molomo seine Einschätzung aus der Perspektive eines Wissenschaftlers abgibt, ist Tanki J. Mothae als Direktor des OPDS ein ranghoher SADC-Vertreter, der auch die offizielle Sichtweise der Organisation vertritt.348 Die Analyse der Vermittlungsbemühungen der SADC in der SimbabweKrise stärkt allerdings die Annahme der alleinigen Relevanz staatlicher Eliten für die Sicherheitsintegration. Denn zu keiner Zeit lässt der Verhandlungsverlauf eine Beeinflussung von zivilgesellschaftlicher Seite erkennen. Die Staats- und Regierungschefs halten an ihrer umstrittenen Vorgehensweise fest, auch wenn die Akteure der Zivilgesellschaft zu einem schärferen Umgang mit dem Regime Mugabe aufrufen (vgl. UN Integrated Regional Information Networks, 17.08.2006: „Zimbabwe not on SADC heads of State agenda“).349 Zusammenfassend konnten die empirischen Ergebnisse die Annahme bestätigen, dass staatliche Eliten als wichtigste Personengruppe den Verlauf und die Ausgestaltung der regionalen Integration sowohl im Handels- wie im Sicherheitsbereich bestimmen. Allerdings gilt es dieses Resultat einzuschränken, da die Bedeutung der staatlichen Eliten noch nicht mit der Relevanz weiterer Akteursgruppen verglichen wurde. Eine abschließende Beurteilung der Macht- und Einflussmöglichkeiten der verschiedenen Akteursgruppen kann somit erst in Kapitel 9.4 erfolgen. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkung hat sich der erste Teilaspekt der Hypothese bestätigt: Die staatlichen Eliten dominieren den Integrationsprozess im Handels- wie im Sicherheitsbereich. 9.2.2 Unterstützung der Integration durch die staatlichen Eliten Im folgenden Kapitel soll die Bereitschaft der staatlichen Eliten, den Integrationsprozess im Handels- und Sicherheitsbereich zu unterstützen, analysiert werden. Dieser Analyseschwerpunkt basiert auf der gerade begründeten Annahme, dass allein die Staatseliten relevanten Einfluss auf den Verlauf des Integrationsprozesses ausüben (vgl. Kapitel 9.2.1). Die Rolle der staatlichen Eliten im Handels- und Sicherheitsbereich soll anhand zweier Aspekte untersucht werden. Zum einen wird analysiert, wie stark 348
349
Dies soll nicht bedeuten, dass dem Wissenschaftler per se eine größere Glaubwürdigkeit geschenkt wird. Es ist lediglich davon auszugehen, dass ein Vertreter der SADC eher in der Pflicht steht, die positiven Einschätzungen seiner Organisation wiederzugeben als ein Universitätsangestellter. Dies bedeutet aber nicht, dass zivilgesellschaftliche Akteure in der Simbabwe-Thematik inaktiv sind, sondern lediglich, dass sie ihren Einfluss nicht im Rahmen der SADC geltend machen (können).
9.2 Hypothese zu den förderlichen Bedingungen regionaler Integration
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der politische Wille, den Integrationsprozess voranzutreiben, ausgeprägt ist. Zum anderen gilt es zu klären, wie weit die Staatseliten in ihrer Unterstützung der regionalen Integration gehen. Sind sie bereit, nationale Souveränitätsrechte für die Stärkung der regionalen Ebene zu opfern? Die Analyse wird hauptsächlich auf der Grundlage der Experteninterviews vorgenommen. Allerdings nehmen die Interviewpartner keine Differenzierungen nach Handels- und Sicherheitspolitik vor, sodass eine Gegenüberstellung der beiden Politikbereiche nur sehr eingeschränkt möglich ist. Durch die zusätzliche Einbeziehung der Dokumentenanalyse kann dieses Defizit auch nur eingeschränkt kompensiert werden. Zunächst ist aber eine Erläuterung zur Operationalisierung des politischen Willens erforderlich. Da es sich um eine Geisteshaltung handelt, ist der politische Wille generell schwer fassbar. Die Analyse politischen Willens muss sich deshalb auf Handlungen konzentrieren, die den entsprechenden Willen zum Ausdruck bringen und damit sichtbar machen. Im hier vorliegenden Fall soll der politische Wille zur Regionalintegration an der Implementierung regionaler Beschlüsse und der Bereitschaft der SADC-Staaten, Teile ihre nationalen Souveränität zugunsten der regionalen Ebene zu ‚opfern’, festgemacht werden.350 Die allgemeine Bedeutung des politischen Willens für den Erfolg der regionalen Integration heben insgesamt fünf Befragte hervor (vgl. Interviews Nr. 1, 12, 15, 23 und 27). Allerdings vertritt gleichzeitig eine Mehrheit der Experten die Überzeugung, dass das notwendige Maß an politischem Willen unter den SADC-Staaten nicht vorhanden ist (vgl. Interviews Nr. 1, 7, 34, 35 und 36). Als Belege für diese Aussagen führen sie unter anderem die langsamen Fortschritte bei der Implementierung regionaler Entscheidungen auf nationaler Ebene an (vgl. Interviews Nr. 23, 34, 35, 37 und 40). Zwei Interviewpartner bringen das Problem folgendermaßen auf den Punkt: „Die Staaten machen Versprechungen, aber wenn es an die Implementierung geht, sind sie nicht wirklich interessiert.“ (Stella Mushiri, Interview Nr. 37) „Aber im Grunde ist die größte Herausforderung, dass die Mitgliedsstaaten ihre Entscheidungen nicht implementieren.“ (Jabulani T. Mthethwa, Interview Nr. 23)
Die Sichtweise, dass die schleppende Implementierung von regionalen Beschlüssen auf nationaler Ebene ein ernst zu nehmendes Problem darstelle, teilen auch die Staats- und Regierungschefs. Auf ihrem Summit im August 2000 in Namibia brachten sie selbstkritisch zum Ausdruck, dass die Implementierung regionaler Beschlüsse beschleunigt werden müsse. Sie kritisierten, dass im 350
Allerdings ist hier zu beachten, dass der politische Wille bei jedem Mitgliedsland unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann. Daher ist es schwierig, Aussagen über den politischen Willen der SADC-Staaten als Gemeinschaft zu tätigen. Eine weitere methodische Schwierigkeit besteht darin, dass für eine verzögerte Implementierung der SADC-Beschlüsse auch andere Faktoren wie fehlende materielle oder personelle Ressourcen verantwortlich sein können.
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9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
Durchschnitt eine Zeitspanne von zwei Jahren notwendig sei, bis ein SADCProtokoll die notwenige Anzahl von Ratifizierungen (zwei Drittel der Unterzeichner) erreicht habe und damit in Kraft treten könne (vgl. Record of the SADC Summit, 06.-07.08.2000, Windhoek, Namibia). Drei Interviewpartner teilen die Kritik am mangelnden politischen Willen nicht (vgl. Interviews Nr. 10. 18 und 33). So zum Beispiel auch Themba Mhlongo: „Für mich ist der Wille und die Bereitschaft nicht das Problem, denn ich glaube wirklich, dass alle Staats- und Regierungschefs genug zu Hause zu tun haben, und wenn sie nicht den entsprechenden Willen hätten, dann würden sie nicht an den SADC-Treffen teilnehmen und Entscheidungen treffen. Es gibt einen politischen Willen.“ (Thema Mhlongo, Interview Nr. 33).
Vergleicht man den vorhandenen politischen Willen im Handels- und Sicherheitsbereich ergibt sich folgendes Bild: Gemessen an der Geschwindigkeit der Entstehung und Implementierung des Handelsprotokolls ist der politische Wille zur Handelsintegration nur schwach ausgeprägt. Wie das Kapitel 4.3.2 ausführlich darstellt, nahm die Aushandlung der konkreten Bestimmungen des Handelsprotokolls insgesamt vier Jahre in Anspruch. Ein weiteres Jahr verstrich, bis die Implementierungsphase des Protokolls beginnen konnte. Auch in der Implementierung zeigten sich die SADC-Mitglieder sehr zurückhaltend. Mit der Einführung der Freihandelszone im August 2008 erreichten die SADC-Staaten ein wichtiges Zwischenziel auf dem Weg zur regionalen Wirtschaftsunion. Doch eine Reihe von grundlegenden Konfliktpunkten und Problemen (z.B. in Bezug auf NTHs) sind immer noch nicht ausgeräumt. Die Beteuerungen der Staats- und Regierungschefs, wie wichtig eine zügige Implementierung des Handelsprotokolls für die Entwicklung der Region ist, kann vor diesem Hintergrund wohl eher als ein Lippenbekenntnis verstanden werden: „The Summit expressed great concern over the slow rate of ratification of protocols, especially the critical Protocol on Trade. The Summit was also concerned regarding the whole process of regional integration in SADC which was considered to be too slow, especially in the light of globalisation.“ (Record of the SADC Summit, 13.14.09.1998, Grand Bay, Mauritius)
Aber auch im Sicherheitsbereich ist der politische Wille, gemessen an der Geschwindigkeit der Implementierung zentraler Protokolle, schwach. Der Verteidigungspakt, am 26.08.2003 unterzeichnet, war nach dem vorliegenden Kenntnisstand bis zum Juli 2008 noch nicht ratifiziert. Das Protokoll zur Kooperation
9.2 Hypothese zu den förderlichen Bedingungen regionaler Integration
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in den Bereichen Politik, Verteidigung und Sicherheit, unterzeichnet am 14.08.2001, brauchte zweieinhalb Jahre, bis es in Kraft treten konnte (nähere Informationen finden sich in Kapitel 4.4). Der politische Wille der Entscheidungsträger, die regionale Integration zu unterstützen, kann auch an der Bereitschaft gemessen werden, ‚Opfer’ für den Integrationsprozess zu erbringen. Das wohl schmerzlichste Opfer, das ein Nationalstaat in diesem Zusammenhang leisten kann, besteht in der Übertragung nationaler Souveränität auf die regionale Ebene. Doch ein solcher Schritt ist sehr voraussetzungsvoll, wie der tansanische Präsident Benjamin Mkapa betont: „This requires enhanced and sustained political will and commitment to regional integration goals, based on balanced benefits to all members. We must be prepared to surrender a little more of our national sovereignty over domestic policy, so as to pool our regional sovereignty in pursuit of larger and longer term goals and benefits to all member countries.“ (Rede Benjamin Mkapa anlässlich des Abschlusses des SADC Summit, 26.08.2003, Dar es Salaam, Tansania)
Nach Aussage der befragten Experten ist die Übertragung oder Zusammenlegung von Souveränität auf regionaler Ebene zwar von immenser Bedeutung (vgl. Interviews Nr. 3 und 20), allerdings sei die notwendige Bereitschaft unter den SADC-Staats- und Regierungschefs nicht vorhanden (vgl. Interviews Nr. 1, 2, 3, 7, 29, 33, 34 und 35). Für diese Weigerung, Souveränitätsrechte abzutreten, sehen die Experten folgende Gründe: Bei den Staaten des südlichen Afrikas handelt es sich um vergleichsweise junge Staatsgebilde. Nach ihrem mühsamen Kampf um politische Unabhängigkeit seien diese derzeit noch nicht bereit, ihre gerade gewonnene Souveränität auf regionaler Ebene zu teilen bzw. zusammenzulegen (vgl. Interviews Nr. 1, 2 und 35). Außerdem gilt eine Reihe von Staaten der Region als politisch instabil. Diese könnten nach Einschätzung der Experten eine Schwächung ihrer nationalen Souveränität nicht riskieren (vgl. Interviews Nr. 2 und 33). Einige Befragte sind außerdem der Meinung, dass überzogene Angst vor einem Machtverlust und auch Unkenntnis auf Seiten der politischen Führer eine Rolle spiele. Nach Ansicht der Experten verstehe die Mehrheit der Staats- und Regierungschefs nicht, dass sie durch eine Zusammenlegung von Souveränitätsrechten auch ihre nationale Macht stärken könnten. Sie sähen nicht die Möglichkeiten, die ihnen eine regionale Zusammenarbeit biete und fühlten sich stattdessen von der Forderung, Teile ihrer nationalen Souveränität an die regionale Ebene abzutreten, bedroht (vgl. Interviews Nr. 3, 33 und 34). Zusammenfassend hat die Analyse gezeigt, dass der politische Wille der staatlichen Eliten, den regionalen Integrationsprozess zu unterstützen, schwach
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ausgeprägt ist. Gemessen an ihrer Bereitschaft, regionale Beschlüsse zu implementieren und Anteile ihrer nationalen Souveränität an eine regionale Ebene zu übertragen, ist ihre Unterstützung der Regionalintegration eher dürftig. Das bedeutet, dass eine förderliche Bedingung für einen erfolgreichen Integrationsprozess, nämlich die Unterstützung durch die staatlichen Eliten, im Falle der SADC nicht gegeben ist. Daraus ergibt sich eine Reihe von problematischen Auswirkungen für die Fortführung des Integrationsprozesses, die wiederum die Relevanz dieser Bedingung belegen. Aufgrund der beschriebenen Defizite des Interviewmaterials sind an dieser Stelle keine differenzierten Aussagen zu den beiden Politikbereichen Handel und Sicherheit möglich. 9.2.3 Transaktionen innerhalb der Regionalgemeinschaft Im folgenden Abschnitt wird der Frage nachgegangen, inwiefern die Erfolgsaussichten des Integrationsprozesses auch von den bestehenden Transaktionen unter den Mitgliedsländern beeinflusst werden. Es gilt zu klären, ob relevante Transaktionen im Handels- und Sicherheitsbereich stattfinden und ob diese Austauschprozesse auf den Erfolg des Integrationsprozesses Einfluss nehmen. In den Interviews sind die Experten nicht konkret nach Transaktionen unter den SADC-Mitgliedsstaaten gefragt worden. Stattdessen wurden sie aufgefordert, die ihrer Meinung nach wichtigsten Bedingungen für einen erfolgreichen Integrationsprozess zu nennen. Für die Analyse der Transaktionen unter den SADCStaaten reichen die Resultate aus den Experteninterviews nicht aus, da keine verwendbaren Ergebnisse für den Sicherheitsbereich vorliegen. Dementsprechend muss die Analyse mit Erkenntnissen aus der Dokumentenanalyse angereichert werden. Ein erstes Ergebnis aus den Experteninterviews gilt sowohl für den Sicherheits- als auch für den Handelsbereich. Auf die Frage nach den wichtigsten förderlichen Bedingungen für eine erfolgreiche Regionalintegration nennt nur ein einziger Experte die Transaktionen zwischen den beteiligten Nationalstaaten.351 Das bedeutet, dass die Experten den Transaktionen auf den ersten Blick eine vergleichsweise geringe Bedeutung sowohl für den Handels- als auch für den Sicherheitsbereich zusprechen. Für den Handelsbereich relativiert sich dieses erste Ergebnis allerdings, da vier Experten im Verlauf des Interviews auf das geringe intra-regionale Handels351
Hier handelt es sich um Paul Kalenga, der sich für den Handelsbereich folgendermaßen äußert: „Ökonomische Integration kann man z.B. nicht zwischen Ländern erzwingen, die keine wirtschaftlichen Verbindungen besitzen, die nicht miteinander handeln.“ (Paul Kalenga. Interview Nr. 20)
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volumen als ein zentrales Hindernis für die Integration zu sprechen kommen (vgl. Interview Nr. 20, 33, 36 und 41). Demnach besitzen die Transaktionen im Handelsbereich nach Meinung der Experten also doch eine gewisse Bedeutung für die Erfolgsaussichten des Integrationsprozesses. Problematisch seien die schwachen Handelsbeziehungen insbesondere aus einem Grund: Den betroffenen Staaten würden die ökonomischen Anreize fehlen, die Handelsintegration voranzutreiben, wenn ihre wichtigsten Handelspartner außerhalb der Region lägen (vgl. Interviews Nr. 20 und 41). Eine wichtige Ursache für das vergleichsweise geringe Handelsvolumen innerhalb der Region liege in den Produktionsstrukturen der SADC-Staaten, die sich in großen Teilen überschneiden und somit nur wenig natürliches Potenzial für intra-regionalen Handel bereithalten (vgl. Interview Nr. 20). Festzuhalten ist also, dass für die befragten Experten bestehende Handelsaktivitäten keine wichtige Grundbedingung für die Handelsintegration im südlichen Afrika darstellen. Allerdings sehen die Experten in den relativ schwachen Handelsaktivitäten unter den Mitgliedern der SADC schon eine Herausforderung für den Integrationsprozess. Zur Rolle der Transaktionen im Sicherheitsbereich liefern die Experteninterviews, wie bereits erwähnt, nur sehr eingeschränkte Ergebnisse, sodass hier hauptsächlich die Dokumentenanalyse zum Tragen kommt. Es ist die Frage zu klären, in welchem Maße Transaktionen in Form von Konsultationen und Verhandlungen im sicherheitspolitischen Bereich vorhanden sind und ob diese Austauschprozesse eine förderliche Bedingung für den Integrationsprozess darstellen. Am Beispiel der Simbabwe-Krise lässt sich zeigen, wie umfassend die Verhandlungen und Austauschprozesse unter den Staats- und Regierungschefs der Region sind. Die Staatengemeinschaft verfolgt unter der Führung Südafrikas eine Verhandlungsstrategie, die unter der Bezeichnung der ‚stillen Diplomatie’ firmiert. Kennzeichen dieser Verhandlungsweise ist, dass die Staaten keine öffentliche Kritik gegenüber dem Mugabe-Regime üben. Anstatt mit Sanktionen und militärischem Eingreifen zu drohen, versuchen sie den Ausgleich durch Verhandlungen herbeizuführen. Sämtliche Beratungen der SADC-Staats- und Regierungschefs zur Simbabwe-Frage finden ebenso unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt wie die Treffen mit den Konfliktparteien aus Simbabwe. Über den Verhandlungsverlauf und die Verhandlungsziele dringen nur spärliche Informationen nach außen, sodass eine objektive Beurteilung der Verhandlungsfortschritte nur schwer möglich ist. Im Laufe der Zeit haben sich auch die
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Schwerpunkte der Verhandlungsagenda verändert und damit auch die angestrebten Verhandlungsziele. Hier ein Überblick:352 Zunächst konzentrierten sich die Vermittlungsbemühungen der SADCStaaten im Fall Simbabwe auf die Beziehung zur ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien. Nach der Verabschiedung des ‚Land Acquisition Act’ im Jahr 2000 und der Zunahme gewaltsamer Enteignungen weißer Farmer durch ZANUPF-Anhänger stellte Großbritannien seine finanzielle Unterstützung für das simbabwische Landreformprogramm ein. Gemeinsam mit den USA, die im August 2001 erste Sanktionen gegen Simbabwe verhängten, wurden die beiden Westmächte zu Sündenböcken Mugabes. Dieser machte für den wirtschaftlichen Niedergang seines Landes die ausbleibende Unterstützung Großbritanniens sowie die westlichen Sanktionen verantwortlich. Die Vermittlungsbemühungen der SADC-Staaten konzentrierten sich zu diesem Zeitpunkt darauf, die Beziehungen zwischen Simbabwe und den westlichen Geberstaaten wieder zu verbessern. So erhielten beispielsweise Südafrika und Malawi auf dem SADC-Gipfeltreffen im August 2000 den Auftrag, im Namen Simbabwes mit der ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien Gespräche zu führen (vgl. Panafrican News Agency, 09.08.2000: „Mugabe Gets SADC's Support for Land Reform“; Zimbabwe Independent, 17.08.2001: „Mugabe Suffers Setbacks At SADC Summit“). Mit dem rapiden wirtschaftlichen Niedergang Simbabwes und der gleichzeitigen Erstarkung der Oppositionsbewegung MDC geriet die innenpolitische Lage immer stärker in den Fokus. Spätestens mit der Präsidentschaftswahl im März 2002 präsentierte sich der MDC mit seinem Anführer Morgan Tsvangirai als ernst zu nehmende Konkurrenz für Mugabe. Das Mugabe-Regime begegnete dieser neuen politischen Kraft im eigenen Land mit zunehmender politischer Gewalt und Repression. Die Staats- und Regierungschefs der Region konnten den wirtschaftlichen und sozialen Verfall sowie die gravierenden Menschenrechtsverletzungen in Simbabwe nicht länger ignorieren. Unter der Verhandlungsführung des südafrikanischen Präsidenten Thabo Mbeki verfolgten sie das Ziel, die Regierungspartei ZANU-PF und die Oppositionspartei MDC an den Verhandlungstisch zu bringen. Im Dezember 2003 signalisierte Mugabe Gesprächsbereitschaft, und Mbeki konnte die zögerliche Aufnahme von Gesprächen zwischen MDC und ZANU-PF als Ergebnis seiner ‚stillen Diplomatie’ deklarieren. Die SADC wollte daraufhin sicherstellen, dass die Parlamentswahlen im Jahr 2005 nach demokratischen Standards ablaufen. Durch diesen Schritt sollte eine friedliche Einigung zwischen den konkurrierenden politischen Kräften in Simbabwe weiter vorangetrieben werden (vgl. UN
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Detailliertere Informationen zum Verlauf der Simbabwe-Krise finden sich in Kapitel 4.4.1.
9.2 Hypothese zu den förderlichen Bedingungen regionaler Integration
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Integrated Regional Information Networks, 04.04.2003: „SADC Task Force to Investigate Human Rights Situation“). Im Vorfeld der Wahlen im März 2005 entsandte die SADC verschiedene Missionen, um die Einhaltung der SADC-Wahlrichtlinien zu überprüfen. Doch bereits vor dem eigentlichen Wahltermin verstieß die ZANU-PF durch den Erlass restriktiver Mediengesetze gegen die Richtlinien. Die ZANU-PF ging erwartungsgemäß als Sieger der Wahl hervor, die nach Berichten westlicher Beobachter den demokratischen Standards nicht entsprach. Trotz internationaler Proteste deklarierte die SADC-Wahlbeobachtungsmission den Urnengang als ‚frei und fair’ (vgl. Zimbabwe Independent, 18.02.2005: „SADC Edgy Over Poll Observers“). Im Juli 2006 ergriff Mugabe die Initiative und ernannte den ehemaligen tansanischen Präsidenten Benjamin Mkapa zum Vermittler. Er sollte die Beziehungen zu Großbritannien wiederherstellen. Die SADC-Staaten machten ihre Unterstützung der Mkapa-Initiative von einer neuen Ausrichtung des Verhandlungsschwerpunktes abhängig. Benjamin Mkapa sollte nicht die Beziehungen zu Großbritannien in den Vordergrund seiner Verhandlungen stellen, sondern vielmehr die innenpolitische Krise Simbabwes. Doch die Forderung des SADCStaaten verlief, ebenso wie die Initiative selbst, im Sand (vgl. Zimbabwe Independent, 18.08.2006: „Mugabe Loses Grip On SADC“). Auf dem außerordentlichen Summit im März 2007 erkannte die SADC die Situation in Simbabwe erstmals offiziell als regionales Problem an. Mbeki erhielt vom Gipfeltreffen den offiziellen Auftrag, an seinen Vermittlungsbemühungen zwischen der regierenden ZANU-PF und den beiden Fraktionen der Oppositionsbewegung festzuhalten. Einen Monat später präsentierte Mbeki seinen Verhandlungsplan, dessen Ziel darin bestand, freie und faire Präsidentschaftswahlen 2008 sicherzustellen (vgl. Zimbabwe Independent, 13.04.2007: „Mbeki Rolls Out Plan“). Inmitten eines Klimas der zunehmenden Gewalt gegenüber Anhängern der Opposition kam es in den folgenden Monaten zu Gesprächen zwischen Simbabwes Regierung und den beiden Gruppen des MDC. Erste Ergebnisse seiner Vermittlungsbemühungen stellte Mbeki auf dem SADC-Gipfeltreffen im August 2007 vor – allerdings hinter verschlossenen Türen. Nach ersten Berichten über Annäherungen der Verhandlungsparteien verschärften sich zum Jahresende die Spannungen. Diese waren insbesondere auf Mugabes Weigerung zurückzuführen, die bereits ausgehandelte Übergangsverfassung zu implementieren und die für März 2008 geplanten Präsidentschaftswahlen auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben (vgl. SW Radio Africa, 17.12.2007: „Negotiators Meet Mbeki to Try to Break Talks Deadlock“). Im Februar 2008 veröffentlichte die SADC eine Stellungnahme, in der sie den erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen bekannt gab. Mbekis Mediation
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habe dazu geführt, dass ein „agreement on all matters relating to the political situation in Zimbabwe“ (Fahamu, 27.03.2008: „The SADC Facilitation And the Zimbabwe Crisis“) erreicht worden sei. Doch diese Einschätzung teilten nicht alle Verhandlungspartner. Der MDC hatte bereits im Januar 2008 die Gespräche für gescheitert erklärt und warf Mbeki vor, das Ergebnis der Verhandlungen zu beschönigen. Diejenigen Sachverhalte, die in den Verhandlungen nicht geklärt werden konnten, seien nicht von prozeduraler, sondern von substanzieller Natur (vgl. Zimbabwe Independent, 22.02.2008: „Mbeki Lied to SADC – MDC“). Die Ende März 2008 folgenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen gerieten zu einer Farce. Während die Ergebnisse der Parlamentswahlen, aus denen die Opposition als Gewinner hervorging, bekannt gegeben wurden, hielt die Regierung die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl unter Verschluss. Erst im Mai veröffentlichte die simbabwische Wahlkommission das Ergebnis: Keiner der Kontrahenten habe die notwendigen 50 % der Stimmen erreicht und somit sei eine Stichwahl erforderlich. Weder dieses Ergebnis noch das Resultat der im Juni folgenden Stichwahl, an der Tsvangirai aus Protest nicht teilnahm, erkannte die Opposition an. Inmitten nationaler wie internationaler Proteste vermied der SADC-Verhandlungsführer Mbeki weiterhin jede öffentliche Kritik am MugabeRegime. Allerdings verlor er mit dieser Taktik zusehends an Glaubwürdigkeit. So forderte Oppositionsführer Tsvangirai Mbeki auf, sein Verhandlungsamt niederzulegen und den Weg für eine neue Initiative frei zu machen (vgl. The New York Times, 09.06.2008: „Lost Letter Raises Questions About Mbeki’s Role in Zimbabwe“; SW Radio Africa, 07.04.2008: „Tsvangirai in South Africa Seeking Pressure for Election Results“). Wohl auch aufgrund des Mangels an wirksamen Alternativen erklärte sich die Opposition zu Gesprächen bereit und unterzeichnete gemeinsam mit Vertretern der ZANU-PF im Juli 2008 ein MoU. Dieses sollte die Grundlage für Verhandlungen liefern, an deren Ende eine Regierung der nationalen Einheit stehen sollte. Erwartungsgemäß erwiesen sich die Gespräche als schwierig. Mehrmals drohte Oppositionsführer Tsvangirai mit dem Austritt aus den Verhandlungen. Im September unterzeichneten die Konfliktparteien ein ‚Global Political Agreement’ (GPA), das die Teilung der Exekutivmacht in die zwei Positionen des Präsidenten (weiterhin Mugabe) und des Premierministers (Tsvangirai) vorsah. Doch die Aushandlung der detaillierten Bestimmungen stellte die Verhandlungen erneut vor große Herausforderungen (vgl. allAfrica.com, 15.09.2008: „Pact Sets Up Finely-Balanced Coalition“; International Herald Tribune, 13.09.2008: „A deal, but no clarity, in Zimbabwe“). Die SADC zeigte sich im komplizierten Verhandlungsprozess sehr aktiv, und Mbeki hielt an seiner Funktion als Mediator fest, trotz seines Rücktritts als Präsident Südafrikas. Er führte weiterhin persönliche Gespräche neben den
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Treffen der SADC-Troika bzw. Gipfeltreffen im Oktober und November 2008. Im Januar 2009 gab die SADC zum Abschluss eines außerordentlichen Gipfeltreffens bekannt, dass eine Einigung über die detaillierten Bestimmungen des GPA erzielt werden konnte und die Bildung einer simbabwischen Einheitsregierung für Februar 2009 geplant sei. Am 11. Februar 2009 wurde Morgan Tsvangirai als neuer Premierminister Simbabwes vereidigt. Die Vereidigung des Kabinetts erfolgte zwei Tage später (vgl. The Financial Times, 30.02.2009: „Tsvangirai gambles on ‘forced marriage’“; The NewYork Times, 19.03.2009: „Fragile signs of hope emerging in the gloom of Mugabe’s rule”). Aber wie fällt die abschließende Beurteilung der SADCVerhandlungsbemühungen unter der Führung Mbekis in der Simbabwe-Krise aus? Können die Verhandlungen als Erfolg gewertet werden? Positiv ist zunächst hervorzuheben, dass es die regionale Staatengemeinschaft geschafft hat, die Konfliktparteien an den Verhandlungstisch zu bringen. Zu berücksichtigen ist hier aber auch, dass weder der Regierung Simbabwes noch der Opposition viele Alternativen zur Verfügung standen. So kämpfte die regierende ZANU-PF mit dem rasanten wirtschaftlichen Verfall des Landes und der schwindenden Unterstützung innerhalb der Bevölkerung bei gleichzeitiger Erstarkung der Opposition. Letztere hatte sich trotz massiver Proteste unter dem Einsatz des Lebens ihrer Anhänger nicht gegen die repressive Staatsgewalt durchsetzen können. Wie tragfähig sich die gemeinsame Einheitsregierung von ZANU-PF und MDC erweist, wird erst die Zukunft zeigen. Allerdings sind bereits jetzt einige Anzeichen einer zum Scheitern verurteilten Zusammenarbeit zu beobachten. So ist beispielsweise ein Machtwechsel innerhalb der ZANU-PF ausgeblieben, da die ‚Hardliner’ um Präsident Mugabe immer noch die Politik bestimmen. Die Hoffnung auf junge, demokratische Kräfte innerhalb der Regierungspartei bleibt (noch) unerfüllt. Es bestehen darüber hinaus begründete Zweifel, dass Mugabe und seine Parteifunktionäre zu einer Machtteilung unter gleichberechtigten Bedingungen bereit sind. Sie sehen den MDC bislang als Juniorpartner, dessen Regierungsbeteiligung unter anderem die Aufhebung der westlichen Sanktionen bewirken soll. Auch die westlichen Staats- und Regierungschefs stehen der Einheitsregierung eher skeptisch gegenüber und knüpfen die Aufhebung ihrer Sanktionen sowie die finanzielle Unterstützung der neuen Regierung an die erfolgreiche Umsetzung von Reformen. Die Rolle der SADC im Verhandlungsprozess um die Simbabwe-Krise ist ambivalent. Die Staaten der Regionalgemeinschaft haben vergleichsweise großes Verhandlungsengagement an den Tag gelegt. Wohl auch, weil die Nachbarstaaten Simbabwes, insbesondere Südafrika und Botsuana, ebenfalls unter der Krise leiden. Der SADC-Verhandlungsführer, Thabo Mbeki, ist stark kritisiert
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worden. Zum einen wurde ihm von Seiten des MDC Parteilichkeit vorgeworfen. Er habe versucht, die Verhandlungen zugunsten Mugabes zu beeinflussen und sei deshalb nicht als neutraler Mediator geeignet. Zum anderen wurde sein Festhalten an der Verhandlungstaktik der stillen Diplomatie sowohl in Afrika als auch in den westlichen Ländern mit zunehmendem Unverständnis betrachtet. Die SADC-Staaten zeigten sich in Fragen der Simbabwe-Krise zunehmend gespalten, und Mbekis Vorgehensweise wurde insbesondere von Botsuana und Sambia deutlich kritisiert (vgl. Kapitel 9.1.4). Doch Mbeki ließ sich nicht von seiner Verhandlungstaktik abbringen. Anfang 2009 ist die wirtschaftliche und soziale Lage in Simbabwe sehr schlecht. Die jahrelangen Verhandlungen haben an der realen Not der Bevölkerung bislang nur wenig geändert. So ist die Wirtschaft unter der Last der Hyperinflation zusammengebrochen. Die Versorgung mit sauberem Trinkwasser und Nahrungsmitteln ist ebenso wenig sichergestellt wie eine grundlegende medizinische Betreuung der Bevölkerung. Diese Faktoren führten im November 2008 zum Ausbruch einer Cholera-Epidemie, die bislang mehrere tausend Menschenleben forderte. Inzwischen hat ein Drittel der Einwohner Simbabwes das Land verlassen und ist in benachbarte Staaten geflüchtet (vgl. International Crisis Group 2008a; 2008b). Für die Rolle der Transaktionen im Sicherheitsbereich ergibt sich folgendes Fazit: Es findet ein ausgiebiger Austausch statt, dessen Ergebnisse zum jetzigen Zeitpunkt aber noch nicht abschließend beurteilt werden können. Der augenscheinliche Erfolg der Verhandlungen in Gestalt der neuen Einheitsregierung muss sich in Zukunft noch beweisen. Ob die Austauschprozesse nun eine förderliche Rolle für die Sicherheitsintegration spielen, ist aufgrund der genannten Gründe nur schwer zu beurteilen. Die aufgetretene Spaltung der SADC-Staaten in Bezug auf die Vorgehensweise in der Simbabwe-Krise läuft den Zielen der sicherheitspolitischen Integration zuwider. Die Tatsache, dass die Staats- und Regierungschefs der Region trotz der langen Krisendauer den Verhandlungstisch nicht verlassen haben, kann als Erfolg oder auch als Scheitern bewertet werden. Es ist ein Erfolg, dass der Dialog aufrechterhalten und eine Lösung auf dem Verhandlungsweg priorisiert wurde. Ein Scheitern stellt ganz klar die Tatsache dar, dass es in diesem langen Zeitraum nicht gelungen ist, Mugabe Einhalt zu bieten und der Bevölkerung Simbabwes in ihrer Not zu helfen. Wie lässt sich also die Bedeutung der Transaktionen für den Erfolg des Integrationsprozesses im südlichen Afrika abschließend zusammenzufassen? Sowohl im Handels- als auch im Sicherheitsbereich fehlen eindeutige Ergebnisse. Die interviewten Experten sehen in den schwach ausgeprägten Handelsbeziehungen zwischen den Staaten der Regionalgemeinschaft zwar ein Problem, halten die wirtschaftlichen Austauschprozesse aber nicht für eine grundlegende
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Bedingung der regionalen Integration. Im Sicherheitsbereich findet hingegen ein ausgiebiger Austausch statt, dessen Auswirkungen auf den Integrationserfolg jedoch nur schwer zu bestimmen sind. Vor diesem Hintergrund kann das Fazit zur Rolle der Transaktionen nicht so präzise ausfallen wie gewünscht. Festzuhalten bleibt, dass bestehende Transaktionen im Handelsbereich eine förderliche Wirkung auf den Integrationsprozess besitzen. Im Sicherheitsbereich ist ihre Auswirkung nicht eindeutig zu bestimmen. Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse ist ein eindeutiges Urteil zur Bedeutung der Transaktionsraten im südlichen Afrika nicht möglich. Damit kann auch die Relevanz der Hypothese in diesem Punkt nicht geklärt werden. 9.2.4 Die subjektive Wahrnehmung von Gemeinsamkeiten innerhalb der Regionalgemeinschaft Der subjektive Eindruck der SADC-Staaten über bestehende Gemeinsamkeiten soll im folgenden Abschnitt thematisiert werden. Dabei interessiert insbesondere die Eigenwahrnehmung der Staaten und nicht die objektiv gegebenen Unterschiede oder auch Gemeinsamkeiten.353 Von zentraler Bedeutung ist in diesem Zusammenhang das Verhältnis der Staatengemeinschaft gegenüber dem regionalen ‚Schwergewicht’ Südafrika. Die politische und wirtschaftliche Vormachtstellung der Kap-Republik stellt das Gemeinschaftsgefühl innerhalb der SADC auf eine harte Probe. Gleiches gilt für die Tatsache, dass alle Staaten der Region neben ihrer Mitgliedschaft in der SADC auch noch anderen Regionalorganisationen angehören. Die folgenden Ausführungen basieren zum überwiegenden Teil auf der Auswertung der Experteninterviews. Ergebnisse aus der Dokumentenanalyse kommen nur bei der Thematik der überlappenden Mitgliedschaften zum Tragen. Leider lässt das empirische Material keine eindeutige Differenzierung in die Politikbereiche Handel und Sicherheit zu. Immerhin kann die Rolle Südafrikas getrennt aus einer wirtschaftlichen und einer sicherheitspolitischen Perspektive beleuchtet werden, während eine solche Differenzierung für die überlappenden Mitgliedschaften nicht möglich ist. Die Experteninterviews machen deutlich, welche herausragende Stellung die Republik Südafrika innerhalb der Region besitzt. Diese Sonderstellung bezieht sich sowohl auf die Handelspolitik als auf das allgemeine politische Ge-
353
Ausgeklammert werden gemeinsame historische Erfahrungen, die bereits in Kapitel 9.1.4 thematisiert wurden.
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wicht Südafrikas.354 In handelspolitischer Hinsicht gilt Südafrika als „powerhouse“ (Farai Zizhou, Interview Nr. 10) der Region, als das Land, dessen Wirtschaftsentwicklung am weitesten vorangeschritten ist und das demnach auch das größte wirtschaftliche Potenzial innerhalb der Region besitzt (vgl. Interviews Nr. 4, 9, 10, 12, 15, 17, 32, 34, 39 und 41). Diese wirtschaftliche Vormachtstellung Südafrikas habe nicht per se nachteilige Folgen für die übrigen Staaten des südlichen Afrikas. Diese könnten beispielsweise von südafrikanischen Direktinvestitionen in der Region und der damit einhergehenden Schaffung von Arbeitsplätzen profitieren (vgl. Interviews Nr. 9, 17 und 21). Trotzdem dominiere nach Aussage der Experten eine eher skeptische Haltung gegenüber Südafrika innerhalb der Region, die insbesondere von einer Angst vor der wirtschaftlichen Dominanz der Kap-Republik genährt würde. Außerdem setze Südafrika nach Meinung der Experten seine Wirtschaftskraft allein für nationale Zwecke ein, ohne eine entsprechende Entwicklung der Region zu forcieren (vgl. Interviews Nr. 3, 5, 6, 9, 13, 15, 17, 18, 21, 31, 32 und 37).355 Die Wirtschaftsmacht Südafrikas sei für die Regionalintegration also nicht unbedingt von Vorteil, sondern verstärke bereits vorhandene Ängste und Vorurteile.356 Dass die Kap-Republik unter den Staaten des südlichen Afrikas auch in politischer Hinsicht eine Sonderrolle einnimmt, zeigt die Diskussion um eine mögliche Führungsrolle Südafrikas in der Region. Aufgrund seiner wirtschaftlichen Macht und seines politischen Gewichts wäre Südafrika auf den ersten Blick die ideale ‚Lokomotive’, um den Integrationsprozess weiter voranzutreiben. Doch nach Aussagen der Experten wäre eine solche südafrikanische Führungsrolle mit Problemen belastet. Die südafrikanische Führung ist laut Expertenmeinung darum bemüht, ihre Vormachtstellung nicht im Stile eines „big brothers“ (Helmut Müller-Glodde, Interview Nr. 5) für die Region auszunutzen und zu stark zu dominieren (vgl. Interviews Nr. 5, 16, 34 und 40). Stattdessen versuchten die südafrikanischen Akteure mehr aus dem Hintergrund heraus, beispielsweise durch die Bereitstellung von Expertise, zu agieren (vgl. Interviews Nr. 5, 32 und 39). Diese Strategie umschreibt Harwy Short als Mitarbeiter im südafrikanischen Außenministerium mit der Formel „we lead from behind“ (Harwy Short, Interview Nr. 39).
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Die folgenden Ausführungen zur Rolle Südafrikas beziehen sich also nicht dezidiert auf die Sicherheitspolitik, sondern allgemeiner auf seine grundlegende politische Bedeutung. Anstatt den Handel innerhalb der Region zu fördern, baue Südafrika beispielsweise lieber seine außerafrikanischen Handelsbeziehungen aus, da diese größere Entwicklungs- und Gewinnpotenziale versprächen (vgl. Interviews Nr. 15, 18, 31 und 32). Die Situation im Handelsbereich würde weiterhin durch den Umstand erschwert, dass Südafrika aufgrund seiner wirtschaftlichen Voraussetzungen als größter Gewinner aus einer Handelsliberalisierung hervorgehen würde (vgl. Interviews Nr. 9 und 15).
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Die Frage, ob Südafrika den Willen und die notwendigen Kapazitäten besitzt, um eine aktive Führungsrolle für die Regionalintegration zu übernehmen, wird von den Experten nicht eindeutig beantwortet. Zwei Experten geben die Einschätzung ab, dass Südafrika weder gewillt noch befähigt sei, die aktive Führung zu übernehmen (vgl. Interviews Nr. 4 und 31). Andere Experten sehen durchaus Möglichkeiten für eine südafrikanische Führungsrolle (vgl. Interviews Nr. 9, 13 und 39).357 Die Diskussion um eine mögliche südafrikanische Führungsrolle im politischen Bereich zeigt, mit welchen Vorbehalten die Position Südafrikas betrachtet wird. Das bestehende Misstrauen gegenüber der Republik beruht aber nicht nur auf seiner dominanten Position, sondern auch auf seiner Vergangenheit als Apartheidstaat, der innerhalb der Region (und insbesondere von den FLS) lange Zeit als Bedrohung wahrgenommen wurde (vgl. Meyns 2000b). Zusammenfassend zeigen diese Erläuterungen die ambivalente Rolle Südafrikas. Die Kap-Republik ist in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht die mit Abstand stärkste Macht in der Region, bleibt aber gleichzeitig immer noch ein Entwicklungsland mit begrenzten Kapazitäten und Ressourcen (vgl. Nathan 2006: 621). Dementsprechend besitzt Südafrika innerhalb der Region eine Sonderstellung. Die Republik gilt sowohl in wirtschaftlicher wie auch in politischer Hinsicht als ein Partner, den man mit Vorbehalten betrachtet. Dieses Misstrauen behindert die Bildung eines subjektiven Gemeinschaftsgefühls unter den Staaten der SADC. Darüber hinaus wird die Entwicklung eines Gemeinschaftsgefühls durch den Umstand erschwert, dass die Staaten der Region mehreren Regionalorganisationen gleichzeitig angehören. Welche Relevanz diese überlappenden Mitgliedschaften besitzen (vgl. Kapitel 3.3), wird allein schon daran deutlich, wie häufig die Experten auf diesen Umstand zu sprechen kamen. Insgesamt hoben 17 Experten die Schwierigkeiten hervor, die mit den überlappenden Mitgliedschaften innerhalb der Region verbunden sind (vgl. Interviews Nr. 1, 2, 5, 8, 10, 11, 13, 15, 17, 18, 23, 24, 27, 33, 34, 38 und 41). Dabei sieht eine Reihe von Experten auch einen direkten Zusammenhang zum mangelnden Gemeinschaftsgefühl unter den SADC-Staaten. Ihrer Meinung nach seien die Doppelmitgliedschaften ein Anzeichen dafür, dass die Staaten der Region ihre Zugehörigkeit nicht eindeutig bestimmen. Sie wollten sich nicht ausschließlich für die SADC entschei357
Für einen anderen Experten ist die Frage nach einer möglichen Führungsrolle Südafrikas gar nicht relevant, da im Rahmen der SADC-Statuten alle Mitgliedsländer gleichberechtigt seien und die gleichen Stimmrechte besäßen (vgl. Interview Nr. 28). Diese Einschätzung mag richtig sein, wenn man die Rolle Südafrikas allein auf der Grundlage des SADC-Vertrags analysiert. Berücksichtigt man aber auch die politische Realität, so erscheint diese Bewertung nicht haltbar.
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9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
den, da sie in diesem Fall die Optionen, die ihnen Mitgliedschaften in weiteren Regionalorganisationen bieten, ausschlagen würden (vgl. Interviews Nr. 5, 10, 17, 18, 24, 33 und 34).358 Gäbe es unter den SADC-Staaten ein starkes Gefühl subjektiver Gemeinsamkeiten, wäre der Drang, weiteren Regionalorganisationen anzugehören, wohl deutlich schwächer. Weiterhin heben die Experten hervor, dass mit den überlappenden Mitgliedschaften auch eindeutige negative Auswirkungen für den Integrationsprozess einhergehen: So würden die multiplen Mitgliedschaften den reibungslosen Fortgang der SADC-Integration verzögern (vgl. Interviews Nr. 1 und 27) und die Gefahr einer Zersplitterung der SADC in verschiedene Regionalgruppen vergrößern (vgl. Interview Nr. 41). Das größte Hindernis stellten die Doppelmitgliedschaften allerdings im Bereich der Handelsintegration dar. Das erklärte Ziel der SADC-Gemeinschaft, eine Zollunion zu bilden, könne nicht verwirklicht werden, so lange die einzelnen Mitglieder weiteren Organisationen angehören, die ebenso das Ziel einer Zollunion verfolgen (vgl. Interviews Nr. 2, 11 und 34; Communiqué of the SADC Summit, 17.08.2006, Maseru, Lesotho; SADC Secretariat 2003: Article 3.2.2.3).359 Resümierend legen sowohl der Umgang mit der Regionalmacht Südafrika als auch die bestehenden überlappenden Mitgliedschaften den Schluss nahe, dass unter den SADC-Staaten die subjektive Wahrnehmung von Gemeinsamkeiten nicht stark ausgeprägt ist. Das Fehlen eines ausgeprägten Gemeinschaftsgefühls hat durchaus negative Auswirkungen für das Integrationsprojekt. Die subjektive Empfindung von Gemeinsamkeiten erweist sich also auch im südlichen Afrika als förderliche Bedingung für einen erfolgreichen Integrationsprozess. Auf den ersten Blick scheint dieses Resultat den Ergebnissen des Kapitel 9.1.4 zu widersprechen. Schließlich konnte insbesondere für den Sicherheitsbereich ein solidarisches Bewusstsein unter den Staaten der Region festgestellt werden. In der Tat existiert zwischen den Staaten der Region ein Solidaritätsund Gemeinschaftsbewusstsein, das aber nicht primär durch die Mitgliedschaft 358
359
Ein Interviewpartner postuliert interessanterweise auch einen Zusammenhang zwischen der Ungleichheit der SADC-Staaten und ihren bestehenden Doppelmitgliedschaften: „Aber einer der Gründe, warum ein „lack of coherence“ besteht, ist die Unsicherheit der Staaten, wo sie hingehören. Das ist auch der Grund, warum viele von ihnen verschiedenen Organisationen angehören. Die Staaten haben das Gefühl, dass einige Staaten im südlichen Afrika dominieren. Und daher glauben sie, dass es für sie einfacher wäre, zu einer anderen Region oder Organisation zu gehören, wo sie vielleicht selbst die Möglichkeit haben zu dominieren. Und dann führt das zu mangelndem ‚commitment’.“ (Themba Mhlongo, Interview Nr. 33) Da ein Land nur jeweils einer Zollunion angehören kann, müssen sich insbesondere diejenigen SADC-Staaten, die auch der COMESA angehören, in naher Zukunft für eine Organisation entscheiden. Die Tatsache, dass sich die Staaten bisher aber noch nicht auf eine Organisation festgelegt haben, kann auch als Zeichen gewertet werden, dass sie die Regionalintegration nicht mit der notwendigen Ernsthaftigkeit verfolgen.
9.2 Hypothese zu den förderlichen Bedingungen regionaler Integration
295
in einer bestimmten Regionalorganisation ausgedrückt wird. Gefühle von Solidarität und Gemeinschaft können sich im südlichen Afrika entlang anderer Bestimmungslinien bilden, die nicht mit den Mitgliedschaften in Regionalorganisationen übereinstimmen. Außerdem muss berücksichtigt werden, dass gerade im Falle der Simbabwe-Krise die zur Schau gestellte Solidarität der SADCMitglieder eventuell durch das hohe Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit und den Druck der westlichen Staaten provoziert wird. 9.2.5 Homogenität unter den Mitgliedsländern Die Frage, ob die Mitgliedsstaaten einer Regionalorganisation homogen sind, ist von sehr umfassender Natur. Schließlich kann man die Fragestellung auf so vielfältige Bereiche wie Politik, Wirtschaft, Kultur oder Sozialstruktur beziehen. Um dieses breite Spektrum abzudecken, wurden die Experten gezielt befragt, ob sich die Staaten der SADC durch Homogenität auszeichnen. Spezifischere Erkenntnisse für den Handels- und Sicherheitsbereich soll zudem die Analyse der ökonomischen Entwicklungsunterschiede unter den SADC-Staaten beziehungsweise die Betrachtung ihrer politischen Werte liefern. Mit Hilfe dieser Vorgehensweise soll geklärt werden, ob und in welchem Maße Homogenität unter den SADCMitgliedern vorhanden ist und ob sich das gegebene Ausmaß an Homogenität eher positiv oder negativ auf den Integrationsprozess auswirkt. Die Analyse beruht in diesem Fall ausschließlich auf der Auswertung der Experteninterviews. Da die Thematik der Homogenität durch insgesamt drei Fragestellungen (nach Homogenität allgemein, nach wirtschaftlichen Entwicklungsunterschieden und nach politischen Werten) abgedeckt wird, liefern die Interviews ausreichend verwertbares Material. Allerdings liegen zu einzelnen Fragestellungen nur verhältnismäßig wenige Antworten vor. Hinter der allgemeinen Frage nach der Homogenität unter den SADCStaaten verbergen sich zwei einzelne Fragestellungen. Zum einen, ob Homogenität unter den SADC-Mitgliedern gegeben ist und zum zweiten, welche Rolle dem Vorhandensein oder auch dem Fehlen von Homogenität zugesprochen wird. Im Rahmen der Interviews wurde den Experten keine genauere Vorgabe gemacht, ob sich ihre Antworten auf den handels- oder den sicherheitspolitischen Bereich beziehen sollen. Entsprechend breit gefächert sind auch die Auskünfte der Experten. Dabei vertritt eine Mehrzahl der Befragten die Auffassung, dass die SADC-Staaten nicht als homogene Staatengruppe bezeichnet werden können (vgl. Interviews Nr. 14, 21, 22, 27 und 35). Drei Experten begründen ihre Einschätzung mit den bestehenden ökonomischen Unterschieden zwischen den Ländern (vgl. Interviews Nr. 14, 22 und 27), während zwei Experten auf das Fehlen
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9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
gemeinsamer politischer Werte hinweisen (vgl. Interviews Nr. 21 und 35). Lediglich zwei Befragte vertreten die Ansicht, dass die SADC-Region die Bedingung der Homogenität erfüllt. Allerdings – und diese Einschränkung ist wichtig – beziehen beide Experten ihre Aussage allein auf den kulturellen Bereich (vgl. Interviews Nr. 2 und 28).360,361 Interessanterweise äußern sich zwei Experten auch kritisch zur Relevanz der Homogenitätsbedingung. So wirft ein Experte die Frage auf, ob die Bedingung einer homogenen Staatengemeinschaft nicht unrealistisch sei. Schließlich seien auch Integrationsräume wie die EU und die NAFTA aus sehr heterogenen Staaten zusammengesetzt (vgl. Interview Nr. 24). Ein weiterer Interviewpartner kritisiert die Annahme, dass bereits zu Beginn eines Integrationsprojektes Homogenität unter den beteiligten Staaten gegeben sein müsse: „Zur These, dass zur Integration Homogenität herrschen muss, würde ich die Gegenthese aufstellen, dass der Prozess der Integration und seine Entwicklungs- und Umverteilungsmechanismen tendenziell zu einer Angleichung führen kann.“ (Marc Meinardus, Interview Nr. 13).362
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass unter den Experten die Einschätzung überwiegt, für die SADC-Region sei die Bedingung der Homogenität nicht gegeben. Die Äußerungen der Interviewpartner zu den ökonomischen Entwicklungsunterschieden in der SADC-Region sollen nähere Erkenntnisse zur Bedeutung von Homogenität liefern. Sehen die Experten in den bestehenden Entwicklungsunterschieden ein großes Hindernis für die Handelsintegration, kann daraus gefolgert werden, dass Homogenität im Handelsbereich von Bedeutung ist. Hier geht es also nicht um die Frage, ob ökonomische Entwicklungsunterschiede 360
361
362
Hier die Einschätzung von Tanki Mothae: „Die Bedingung der Homogenität ist gegeben. Wir haben das Glück, dass viele der beteiligten Staaten eine ähnliche Kultur haben. So haben z.B. mehr als die Hälfte der Länder den Prozess des Befreiungskampfes durchlebt. Das ist eine große Gemeinsamkeit. Natürlich hat man auch diversifizierte Kulturen und Sprachen. (…) Wir sind alle Afrikaner, und alle Afrikaner haben gemeinsame Wurzeln. (…)“ (Tanki Mothae, Interview Nr. 28) Darüber hinaus äußern sich zwei Experten auch zur allgemeinen Bedeutung von Homogenität. Dazu zählt die Einschätzung, dass vorhandene Homogenität den Integrationsprozess erleichtert (vgl. Interview Nr. 2) ebenso wie die Auffassung, dass Homogenität umso wichtiger wird, desto weiter ein Integrationsprozess voranschreitet (vgl. Interview Nr. 14). Die Kritik dieser Interviewpartner verdeutlicht, wie komplex die Bedingung der Homogenität ist. Denn es muss nicht nur näher definiert werden, auf welche Bereiche sich die Homogenität beziehen soll, sondern auch, anhand welcher Indikatoren Homogenität gemessen werden kann. Daran schließt sich wiederum die Frage an, welche Ausprägungen bzw. welche Werte vorliegen müssen, um von einer homogenen bzw. nicht-homogenen Region sprechen zu können.
9.2 Hypothese zu den förderlichen Bedingungen regionaler Integration
297
innerhalb der Region bestehen, sondern vielmehr darum, ob die existierenden Unterschiede die Handelsintegration nachhaltig behindern.363 Für eine ganze Reihe von Experten stellen die ökonomischen Entwicklungsunterschiede zwischen den SADC-Staaten ein zentrales Hindernis für die Handelsintegration dar (vgl. Interviews Nr. 1, 9, 15, 18, 22, 23, 24, 27, 34 und 41).364 Mit dem unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklungsstand der SADCStaaten würden verschiedene Probleme einhergehen. Etwa der Versuch der schwächeren Ökonomien, ihre Industrien im Zuge einer Handelsliberalisierung vor ausländischer Konkurrenz zu schützen (vgl. Interview Nr. 41) oder die eingeschränkten Handelsmöglichkeiten aufgrund fehlender Komplementaritäten in den Produktionsstrukturen (vgl. Interview Nr. 9) oder aber auch die Tatsache, dass die stärkeren Ökonomien mehr Einfluss besäßen und die Agenda der Handelsintegration somit entscheidend bestimmen können (vgl. Interview Nr. 23). Aber einige der Experten sehen in den Entwicklungsunterschieden kein unüberwindbares Problem für die Handelsintegration, sondern lediglich eine Herausforderung, die gemeistert werden kann (vgl. Interviews Nr. 9, 12, 17, 23 und 32). Zwei Interviewpartner heben sogar hervor, dass sich die Entwicklungsunterschiede nicht per se negativ auf die Erfolgsaussichten der Handelsintegration auswirken müssten (vgl. Interviews Nr. 17 und 23). Die möglichen positiven Auswirkungen umschreibt ein Experte folgendermaßen: „Die Entwicklungsunterschiede sind ein Hindernis und ein Potenzial. Wenn man mit Südafrika ein ’powerhouse’ in der Region hat, dann gibt es für die Nachbarstaaten auch gute Möglichkeiten, davon zu profitieren. Zum Beispiel, indem Investitionen von südafrikanischen Firmen gefördert werden, die auch lokale Arbeitsplätze schaffen und auch lokales Knowhow vermitteln oder auch, indem lokale Firmen Zulieferverträge mit südafrikanischen Firmen schließen können usw.“ (Thomas Feige, Interview Nr. 17)
Die ökonomischen Entwicklungsunterschiede unter den Mitgliedern der SADC werden von der Mehrzahl der Interviewpartner also eindeutig als Faktor eingestuft, der die Handelsintegration erschwert. Einige Experten vertreten gleichzeitig die Auffassung, dass diese Herausforderung überwunden werden kann. 363
364
Dass die Region durch große ökonomische Entwicklungsunterschiede gekennzeichnet ist, gilt als unumstritten und wird beispielsweise auch von den Staats- und Regierungschefs als Problem anerkannt (vgl. Rede Benjamin Mkapa anlässlich der Verabschiedung des RISDP, 12.03.2004, Arusha, Tansania). Stellvertretend sei hier folgende Einschätzung genannt: „Die kritischen Aspekte sind für mich nicht Unterschiede in Sprache und Kultur, sondern die Unterschiede in der wirtschaftlichen Entwicklung und in der Wirtschaftspolitik verschiedener Mitgliedsstaaten. Man muss gemeinsame Standards etablieren, und die wirtschaftliche Entwicklung muss angeglichen werden.“ (Abie Ditlhake, Interview Nr. 24)
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9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
Die Ergebnisse der Experteninterviews legen also nahe, dass die Homogenitätsbedingung für das südliche Afrika nur eingeschränkte Bedeutung besitzt. Schließlich erschweren wirtschaftliche Entwicklungsunterschiede zwar die Handelsintegration, machen sie aber nicht unmöglich. Welche Relevanz Homogenität im politischen Bereich besitzt, soll stellvertretend am Beispiel politischer Werte wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit analysiert werden.365 Dabei legen die Experten ein einheitliches Urteil an den Tag, wenn sie das Fehlen gemeinsamer politischer Werte und Grundsätze unter den Staaten der SADC als Problem für die politische Integration beklagen (vgl. Interview Nr. 1, 21, 24, 31 und 35). Zwei Experten heben in diesem Zusammenhang auch die Diskrepanz zwischen der Rhetorik der SADC-Mitglieder und ihrer tatsächlichen Politik hervor (vgl. Interviews Nr. 1 und 35). So seien die SADC-Grundsätze für demokratische Wahlen ein Beispiel dafür, dass gemeinsame demokratische Standards auf dem Papier vorhanden seien, die aber in der politischen Praxis nicht angewendet würden (siehe Simbabwe) (vgl. Interviews Nr. 1). Allerdings geben die Experten keine weiterführenden Hinweise, wie gemeinsame politische Grundwerte wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit innerhalb der Region verfestigt werden könnten. Auch im politischen Bereich ist demnach keine Homogenität unter den SADC-Mitgliedern vorhanden, was problematische Folgen für den Integrationsprozess hat. Daraus kann gefolgert werden, dass die Bedingung der Homogenität auch im politischen Bereich der SADC-Integration Relevanz besitzt. Resümierend kann festgehalten werden, dass laut Aussagen der Experten die Staaten des südlichen Afrikas die Bedingung der Homogenität weder im wirtschaftlichen noch im politischen Bereich erfüllen. Daraus ergeben sich Probleme für den Fortschritt des Integrationsprozesses. Die Bedingung der Homogenität ist für den Integrationsprozess also ohne Zweifel relevant. Doch die Tatsache, dass im südlichen Afrika Heterogenität und nicht Homogenität vorherrscht, bedeutet noch nicht unweigerlich das Scheitern des Integrationsprozesses. Insbesondere im wirtschaftlichen Bereich sehen die Experten Möglichkeiten, den Integrationsprozess trotz fehlender Homogenität voranzutreiben.
365
Die Analyse der Fragestellung, ob im (sicherheits-)politischen Bereich Homogenität unter den SADC-Mitgliedern besteht, kann mit Hilfe sehr unterschiedlicher Indikatoren untersucht werden. Im vorliegenden Fall wird die Auswahl an möglichen Indikatoren allerdings durch die Antworten der Experten so stark eingeschränkt, dass allein der Indikator der politischen Grundwerte Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zur Verfügung steht.
9.2 Hypothese zu den förderlichen Bedingungen regionaler Integration
299
9.2.6 Weitere förderliche Bedingungen für den Integrationsprozess Die empirische Untersuchung hat weiterführende Ergebnisse zu den Bedingungen einer erfolgreichen Integration erbracht, die an dieser Stelle vorgestellt werden. Die Experten haben im Rahmen der Interviews insbesondere zwei weitere Bedingungen hervorgehoben, die ihrer Meinung nach für eine erfolgreiche Fortführung der Regionalintegration im südlichen Afrika essenziell sind. Hier handelt es sich zum einen um die Bedingung der politischen Stabilität. Vier Experten heben hervor, dass ein Integrationsprozess auf regionaler Ebene nur dann erfolgreich sein könne, wenn die beteiligten Nationalstaaten stabile politische Systeme besitzen (vgl. Interviews Nr. 1, 10, 17 und 22). Diese politische Stabilität kann nach Meinung zweier Experten auch als eine „Vorbedingung“ (Thomas Feige, Interview Nr. 17 und Themba Mhlongo, Nr. 33) für die Regionalintegration bezeichnet werden. Mit diesem Hinweis auf die Bedeutung politischer Stabilität tragen die Experten den spezifischen Realitäten des südlichen Afrikas Rechnung. Denn unter den Mitgliedsstaaten der SADC sind insbesondere zwei Staaten, die derzeit keine stabilen politischen Systeme besitzen: die DRK und Simbabwe. Eine weitere Bedingung für eine erfolgreiche Regionalintegration im südlichen Afrika ist nach Ansicht der Experten die Stärkung des SADC-Sekretariats, das derzeit unter mangelnden Befugnissen und einer unzureichenden Ausstattung leide. So beklagen die Experten, dass das Sekretariat kein entsprechendes Mandat besitze, um die Implementierung von SADC-Beschlüssen zu überprüfen bzw. einzufordern (vgl. Interviews Nr. 7, 37 und 39). Außerdem könne es keine eigenständigen Entscheidungen treffen oder im Namen der SADC-Mitglieder Verhandlungen aufnehmen (vgl. Interviews Nr. 11, 33 und 40). Diese Situation würde noch verschärft durch verschiedene Probleme im Personalwesen des SADCSekretariats. Dazu zähle seine chronische Unterbesetzung (vgl. Interviews Nr. 7 und 17), das problematische Rekrutierungsverfahren für neue Mitarbeiter, das auf einem länderspezifischen Quotensystem basiert366 (vgl. Interviews Nr. 5 und 366
Das Quotensystem, das die SADC für die Einstellung ihrer Angestellten zugrunde legt, basiert auf einem Punktesystem und soll eine faire Repräsentation der Mitgliedsstaaten im Sekretariat und anderen angegliederten SADC-Institutionen gewährleisten. Für die oberste Führungsebene innerhalb der SADC, die die Positionen der Direktoren in den einzelnen Direktoraten bis zum Exekutivsekretär umfasst, gilt folgendes Prinzip: Kein Mitgliedsland soll mehr als einen Posten besetzen, so lange andere Mitglieder auf dieser Ebene noch nicht durch einen Landsmann vertreten sind. Die Positionen des Exekutivsekretär, des stellvertretenden Exekutivsekretärs und des Chief Directors rotieren unter den SADC-Mitgliedern. Das SADC-Personal darf maximal zwei Amtszeiten mit einer Laufzeit von je vier Jahren in einer Position verbringen. Für vakante Stellen dürfen die SADC-Staaten maximal vier Bewerber in das Auswahlverfahren bringen, von denen jeweils zwei weiblich sein müssen (vgl. Oosthuizen 2006: 172-173).
300
9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
37) und die vergleichsweise kurzen wie unsicheren Beschäftigungsverhältnisse der einzelnen Mitarbeiter (vgl. Interviews Nr. 6, 7 und 37).367 Zusammengenommen machen diese Aspekte das SADC-Sekretariat zu einem ‚zahnlosen Tiger’, der nicht in der Lage ist, die Integration aktiv voranzutreiben. 9.2.7 Zusammenfassende Beurteilung der Hypothese In der folgenden abschließenden Gesamtbeurteilung der Hypothese soll nicht nur entschieden werden, ob die Annahmen der Hypothese zu bestätigen oder zu verwerfen sind. Zusätzlich muss auch ein Urteil über die Relevanz der einzelnen Bedingungen für das südliche Afrika gefällt werden. Die Annahme der Hypothese, wonach der Integrationsprozess allein von staatlichen Eliten getragen wird, kann bestätigt werden. Die empirische Untersuchung hat gezeigt, dass die Integration im südlichen Afrika ohne nennenswerte Beteiligung zivilgesellschaftlicher Gruppen ausschließlich als zwischenstaatlicher Prozess abläuft. Diese Vormachtstellung der staatlichen Eliten hat zur Folge, dass die Regionalintegration ein Elitenprozess ist, dem die Anbindung an weitere gesellschaftliche Gruppen fehlt. Damit ist die regionale Integration auf einem unsicheren Fundament gebaut, denn es fehlt ihr eine breit ausdifferenzierte Basis an Unterstützern. Die Relevanz der ersten förderlichen Bedingung, die eine möglichst breite Beteiligung verschiedener Elitengruppen am Regionalismus vorsieht, konnte also für das südliche Afrika bestätigt werden. Allerdings gilt für dieses Ergebnis noch eine Einschränkung: Auch wenn an der dominanten Rolle der staatlichen Eliten kein Zweifel besteht, wurden die vorhandenen Akteurskonstellationen des regionalen Integrationsprozesses noch nicht detailliert untersucht (siehe hierzu Kapitel 9.4). Die Auswertung des empirischen Materials hat ebenso bestätigt, dass der politische Wille der staatlichen Eliten, den Integrationsprozess voranzubringen, nur begrenzt vorhanden ist. Die schleppende Implementierung regionaler Protokolle und die fehlende Bereitschaft der staatlichen Eliten, Souveränitätsrechte an eine regionale Ebene zu übertragen, sind nur zwei Indizien für die unzureichende Unterstützung des Integrationsprozesses. Damit ist die Hypothese in einem weiteren Teilaspekt bestätigt. Die empirische Untersuchung konnte die bestehende 367
Hinzu kommt außerdem, dass die Gehälter der SADC-Angestellten relativ unattraktiv sind (vgl. Interview Nr. 37). Ein Experte, der in diesem Zusammenhang nicht namentlich genannt werden will, berichtete auch von einer Tendenz unter SADC-Angestellten, das vergleichsweise geringe Fixgehalt durch Auslandsreisen aufzubessern, da diese mit einem hohem Tagesgeld entschädigt würden.
9.2 Hypothese zu den förderlichen Bedingungen regionaler Integration
301
Diskrepanz verdeutlichen, mit der die Staatseliten dem Integrationsprozess begegnen: Öffentlich bekennen sie sich zum Integrationsprozess, während sie ihre politischen Entscheidungen weitgehend ohne Rücksichtnahme auf die regionale Ebene treffen. Damit fehlt dem Integrationsprozess die Unterstützung durch die entscheidende Akteursgruppe, die den größten Beitrag zur Förderung des Integrationsprozesses erbringen könnte. Damit hat sich auch die zweite untersuchte Bedingung für das südliche Afrika als relevant erwiesen. In Bezug auf die Transaktionen zwischen den SADC-Staaten hat die empirische Studie folgende Ergebnisse erbracht: Wie in der Hypothese angenommen erschwert im Handelsbereich das vergleichsweise geringe Ausmaß an wirtschaftlichen Transaktionen zwischen den SADC-Staaten den Integrationsprozess. Im Sicherheitsbereich ist das Ausmaß an Transaktionen hingegen hoch, allerdings mit ungesichertem Erfolg. Zusammenfassend sind die empirischen Erkenntnisse nicht aussagekräftig, so dass über eine Annahme, bzw. Verwerfung der Hypothese in diesem Punkt nicht entschieden werden kann. Darüber hinaus hat die empirische Analyse gezeigt, dass eine subjektive Wahrnehmung von Gemeinsamkeiten unter den SADC-Mitgliedern nicht vorhanden ist. Die in der Hypothese formulierte Annahme, wonach insbesondere die politische wie wirtschaftliche Vormachtstellung Südafrikas ein Gemeinschaftsgefühl unter den SADC-Staaten erschwert, wurde durch die empirische Analyse bestätigt. Gleichzeitig konnte gezeigt werden, dass sich das fehlende Gemeinschaftsgefühl negativ auf den Integrationsverlauf auswirkt, wodurch die Relevanz dieser Bedingung unterstrichen wird. Allerdings ist hier einschränkend zu erwähnen, dass sich diese Ergebnisse nicht konkret auf die Sicherheitspolitik beziehen, sondern vielmehr in den allgemeineren Kontext von politischer Regionalintegration einzuordnen sind. Dementsprechend sollte auch die Formulierung der Hypothese abgeändert werden.368 Eine Bestätigung findet auch der letzte Teilaspekt der Hypothese, wonach die SADC-Staaten weder in wirtschaftlicher noch in politischer Hinsicht die Bedingung der Homogenität erfüllen. Dass diese Bedingung für den afrikanischen Fall relevant ist, zeigt die Tatsache, dass die mangelnde Homogenität unter den SADC-Staaten den Integrationsprozess erschwert. Da aber trotz der bestehenden Heterogenität Integrationsprozesse existieren, wird deutlich, dass es sich um eine Bedingung handelt, die nicht zwingend erforderlich ist, um die Existenz eines Integrationsprozesses sicherzustellen. In der Gesamtbeurteilung hält die Hypothese der empirischen Überprüfung stand. Allein die Annahmen zur Bedeutung der Austauschprozesse im Sicher368
Die ursprüngliche Formulierung der Hypothese sollte insofern geändert werden, als dass nicht konkret von der Sicherheitspolitik, sondern vielmehr allgemeiner von der regionalen Integration im politischen Bereich gesprochen werden sollte.
302
9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
heitsbereich haben sich nicht bestätigt. Die in der Hypothese formulierten Annahmen zur Ausprägung der verschiedenen Bedingungen im südlichen Afrika haben sich somit bis auf eine Ausnahme als richtig erwiesen. Doch die Erkenntnisse, die durch die Überprüfung der Hypothese gewonnen werden konnten, gehen noch weiter. Die empirischen Daten haben nicht nur gezeigt, welche Bedingungen für eine erfolgreiche Integration im südlichen Afrika vorhanden bzw. nicht vorhanden sind, sondern auch, welche Relevanz sie besitzen. Es konnte belegt werden, dass jede einzelne der überprüften Bedingungen den Integrationsprozess befördern kann, für seine Existenz bzw. Fortführung aber nicht essenziell notwendig ist. Das Beispiel der SADC-Integration zeigt, dass regionale Integration also auch möglich ist, wenn die von den theoretischen Ansätzen formulierten Bedingungen nicht gegeben sind. 9.3 Hypothese zum Verlauf der regionalen Integration Das folgende Kapitel soll die Entwicklung des Integrationsprozesses im Handels- und Sicherheitsbereich näher beleuchten. Die Bewertung von Fortschritt, Geschwindigkeit und Verlaufsform der Regionalintegration soll dabei vor dem Hintergrund der Ziele erfolgen, die sich die Staatengemeinschaft im RISDP, dem derzeit wichtigsten Strategiepapier der SADC, gesetzt hat. Für den Handelsbereich findet sich im RISDP folgende Aussage: „The overall objective of the SADC Trade Protocol is to attain a Free Trade Area as a step towards achieving a Customs Union and subsequently a Common Market. On the whole, the SADC trade policies and strategies are consistent with the objectives of eliminating obstacles to the free movement of capital, labour and goods and services and the improvement of the region’s economic management and performance through regional cooperation with the ultimate goal of eradicating poverty.“ (SADC 2003a: 33, Paragraph 3.2.2.2)
Gemäß der wirtschaftlichen Integrationstheorie sehen die SADC-Staaten in der Schaffung der Freihandelszone nur einen ersten Teilschritt hin zur Verwirklichung des gemeinsamen Marktes, der wiederum zur Armutsbekämpfung in der Region beitragen soll. Somit ist jede Entwicklung im Handelsbereich als Fortschritt zu werten, die die Staatengemeinschaft der Umsetzung einer Freihandelszone näher bringt. Für den Sicherheitsbereich finden sich im RISDP keine detaillierten Angaben, sodass hier der SIPO als Strategieplan für das Organ für Sicherheit, Politik und Verteidigung herangezogen werden muss. Im SIPO, der nach den Worten des ehemaligen Executive Secretary Prega Ramsany als Kompass für die Suche
9.3 Hypothese zum Verlauf der regionalen Integration
303
nach Frieden und Sicherheit in der Region betrachtet werden könne (vgl. SADC Today 2005: 4) wird als Zielsetzung hervorgehoben: “The core objective of the SIPO therefore, is to create a peaceful and stable political and security environment through which the region will endeavour to realise its socio-economic objectives.” (SADC 2003b: 6)
Doch diese Passage des SIPOs wirft weitere Fragen auf, da die Absicht, ein friedliches und stabiles politisches und sicherheitspolitisches Umfeld zu schaffen, noch weiterer Spezifizierung bedarf. Es wird aus dem Dokument nicht ersichtlich, durch welche Kriterien Frieden und Stabilität definiert sind, sodass Spielraum für Interpretationen entsteht.369 Bezogen auf den Verlauf des Integrationsprozesses bedeutet dies, dass jede Entwicklung in der regionalen Sicherheitspolitik, die die Region näher an das oben beschriebene Ziel heranbringt, als Fortschritt gewertet werden kann. Zur Überprüfung der in Kapitel 7.3 aufgestellten Hypothese werden in diesem Kapitel die folgenden Aspekte analysiert: Erstens soll die Frage beantwortet werden, ob der Integrationsprozess einer expansiven Logik gehorcht oder ausschließlich auf bewusste Entscheidungen der politischen Mandatsträger zurückzuführen ist. Zweitens rücken die Unterschiede zwischen den beiden Politikbereichen in den Untersuchungsfokus. Es wird analysiert, in welchem Politikbereich der Integrationsprozess leichter und somit auch schneller voranschreitet. Außerdem gilt es in einem dritten Punkt zu klären, ob von der Handels- oder von der Sicherheitspolitik die stärkeren Impulse für ein Fortschreiten des Integrationsprozesses ausgehen. Anders als in den vorangegangenen Kapiteln ergibt die Auswertung des empirischen Materials zum Integrationsverlauf keine weiterführenden Erkenntnisse, die über die Prüfung der Hypothese hinausgehen. Daher entfällt in diesem Kapitel eine Kategorie mit ‚sonstigen Erkenntnissen’ zum Integrationsverlauf. 9.3.1 Der Integrationsverlauf als Resultat bewusster Entscheidungen Im Zentrum des folgenden Abschnitts soll die Frage stehen, mit welcher Art von Antrieb der Integrationsprozess voranschreitet. Ist hier eine expansive Logik relevant, die mehr oder weniger eigenständig den Integrationsprozess weiterführt oder liegt es allein in den Händen der politischen Entscheidungsträger zu 369
Ein Stück weit ist diese vergleichsweise unpräzise Zielformulierung auch in der Natur des Politikbereichs begründet. Sicherheitspolitische Ziele lassen sich nicht so konkret formulieren wie entsprechende Ziele im Handelsbereich, die meist auch quantifizierbar sind. Nichtsdestotrotz kann aber auch nicht ausgeschlossen werden, dass eine Zielformulierung, die Raum für Interpretationen lässt, politisch beabsichtigt ist.
304
9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
bestimmen, in welchen Bereichen und mit welcher Geschwindigkeit die Integration fortschreitet? Als eine Form der expansiven Logik soll in diesem Kapitel die Relevanz des spill-over-Konzepts eingehender analysiert werden. Doch einen Integrationsprozess auf Anzeichen von spill-over-Prozessen zu untersuchen, ist kein einfaches Unterfangen. Zum einen wird die Analyse der Relevanz des spill-overKonzepts durch den Umstand erschwert, dass es sich um ein sehr theoretisches Konstrukt handelt. In einer Interviewsituation besteht somit die Gefahr, dass der Befragte mit dem theoretischen Konzept nicht vertraut ist oder gegebenenfalls ein anderes Verständnis von seiner Bedeutung besitzt als der Interviewer. Daher müssen die Fragen, die sich mit der spill-over-Thematik befassen, besonders sorgsam ausgewählt werden, um eventuell aufkommende Missverständnisse zu vermeiden. Zweitens wurde das spill-over-Konzept in seiner langjährigen Geschichte mehrfach weiterentwickelt und modifiziert. Daher muss an dieser Stelle zunächst spezifiziert werden, welche Version des spill-overs Gegenstand der Analyse sein soll. Als grundlegender Antrieb des Integrationsprozesses stand bei Haas insbesondere der funktionale spill-over im Mittelpunkt.370 Ihm liegt die Annahme zugrunde, dass der Integrationsprozess in funktional begrenzten und technischen Bereichen beginnt und dann auf kontroverse, politische Bereiche übergreift.371 An dieser Stelle soll allerdings die allgemein gehaltene Definition des spill-overs von Leon Lindberg zum Tragen kommen, da sie den grundlegenden Mechanismus dieser Integrationsdynamik in den Vordergrund stellt: „’Spill-over’ refers to a situation in which a given action, related to a specific goal, creates a situation in which the original goal can be assured only by taking further actions, which in turn create a further condition and a need for more action, and so forth.“ (Lindberg 1963: 10)
Ergänzt werden soll diese Definition allerdings noch um den Aspekt der eingeschränkten Kontrollfähigkeit. Ein weiteres Kennzeichen des spill-overs ist seine ‚Sogfunktion’. Sie sorgt dafür, dass die politischen Entscheidungsträger nur in begrenztem Rahmen kontrollieren können, auf welche Bereiche sich der Integrationsprozess ausweitet (siehe auch Kapitel 6.1.5). 370
371
Diese Art des spill-overs beschreibt folgenden Prozess: Die Vergemeinschaftung in einem funktional klar begrenzten und technischen Bereich besitzt eine expansive Logik, die dazu führt, dass weitere Bereiche, die durchaus auch politischen Charakter besitzen, in den Integrationsprozess einbezogen werden. Nach dieser Vorstellung wäre die Sicherheitspolitik als vergleichsweise kontroverser und sensibler Politikbereich kein geeigneter Ausgangspunkt für spill-over-Prozesse. Siehe hierzu auch Kapitel 9.3.2.
9.3 Hypothese zum Verlauf der regionalen Integration
305
Ein weiterer, dritter Punkt, der die Analyse erschwert, hat gleichzeitig das größte Gewicht: In der Realität existiert kein Politikbereich vollkommen isoliert von anderen Bereichen. Es ergeben sich in jedem Fall Anknüpfungspunkte, und die Entscheidungen in einem Politikbereich bleiben in der Regel nicht folgenlos für angrenzende Bereiche. Um das Auftreten von spill-over-Prozessen nachweisen zu können, müssten also sämtliche Politikbereiche, die auch nur entfernt mit der regionalen Handels- und Sicherheitspolitik in Verbindung stehen, analysiert werden. Doch eine solche umfassende Analyse kann und will die vorliegende Untersuchung nicht leisten. Denn schließlich handelt es sich beim spill-overKonzept nur um eines von vielen theoretischen Konzepten, die auf ihre Relevanz für das südliche Afrika hin untersucht werden. Es ist also durchaus möglich und sogar wahrscheinlich, dass eine Vielzahl von kleinen spill-over Prozessen existiert, die aber in ihrer Bedeutung für den Fortgang der Regionalintegration nicht relevant sind. Um nähere Informationen zur Relevanz möglicher spill-over-Prozesse für den Integrationsverlauf zu erhalten, wurden die Experten im Rahmen der Interviews mit folgenden Fragen konfrontiert: Zum einen wurden sie nach den Auswirkungen befragt, die die Regionalintegration im Handels- bzw. Sicherheitsbereich auf angrenzende Politikbereiche hat. Zum Zweiten wurden sie um eine Einschätzung gebeten, ob die Handels- oder Sicherheitsintegration auch nicht-intendierte Folgen nach sich gezogen hat (s. Interviewleitfaden, Anhang).372,373 Doch die Erkenntnisse aus den Interviews zur Bedeutung von spillover-Prozessen sind eher dürftig.374 Aufgrund der geringen Anzahl von Experten, die sich zur Thematik äußerten, können folgende Ergebnisse nur eine erste Orientierung liefern. Interessanterweise heben drei Experten hervor, dass eine gegenseitige Beeinflussung von Politikbereichen, die thematische Überschneidungen bzw. Gemeinsamkeiten besitzen, fast schon unvermeidbar sei (vgl. Interviews Nr. 2, 9 und 15). Als Beispiel führen die Befragten die Auswirkungen der Handelsintegration auf die Entwicklung der Infrastruktur innerhalb der Region an. In diesem Zusammenhang verweist Balefi Tsie (vgl. Interview Nr. 9) insbesondere auf den Maputo Development Corridor, als ein konkretes Beispiel für einen spillover vom Handels- in den Transportsektor. Da die Bedeutung des Maputo 372
373
374
Es wurde versucht, die Fragen möglichst praxisnah und konkret zu formulieren. Daher wurde auch der theoretische Begriff spill-over vermieden. Stattdessen werden nicht-intendierte Folgen des Integrationsprozesses als Indiz für einen spill-over-Prozess gewertet. Neben den Experteninterviews sind auch die Ergebnisse der Dokumentenanalyse zur Handelsund Sicherheitspolitik in die Analyse eingeflossen. Insgesamt äußern sich nur fünf Befragte zur spill-over-Thematik im weitesten Sinne (vgl. Interviews Nr. 2, 9, 15, 17 und 20), wobei zwei von ihnen ihre Einschätzung auch noch mit den Worten einleiten, dass sie in ihrem Urteil nicht sicher seien (vgl. Interviews Nr. 2 und 15).
306
9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
Development Corridors bzw. weiterer Spatial Development Initiatives (SDIs) auch in anderen Zusammenhängen sowohl in den Interviews als auch in Dokumenten hervorgehoben wurde375, folgt an dieser Stelle ein Exkurs zu den SDIs. Dabei soll insbesondere der Frage nachgegangen werden, ob die SDIs tatsächlich das Resultat eines spill-over-Prozesses der SADC-Handelsintegration sind. 9.3.1.1 Exkurs: Die Spatial Development Initiatives Im südlichen Afrika stellen die SDIs, die insbesondere von der Republik Südafrika vorangetrieben werden, ein prominentes Beispiel für Mikroregionalismus dar.376 Mit den SDIs soll das ökonomische Potenzial von Mikroregionen, die bislang aus politischen oder historischen Gründen vernachlässigt wurden, aktiviert werden, um so ökonomisches Wachstum zu stimulieren.377 Die älteste und wahrscheinlich auch bekannteste SDI, der Maputo Development Corridor, beruht beispielsweise auf alten Handelswegen zwischen Südafrika und Mosambik. Die südafrikanischen Provinzen Gauteng und Mpumalanga, die keinen eigenen Zugang zum Meer besitzen, sollen unter anderem durch den Bau einer Schnellstraße eine bessere Anbindung an den mosambikanischen Hafen in Maputo erhalten.378 Für alle SDIs wird die Strategie verfolgt, durch große staatliche Infrastrukturprojekte die Wettbewerbsfähigkeit der Mikroregionen zu verbessern, um so privatwirtschaftliche Investitionen anzulocken. Diese sollen einen Beitrag zur sozialen Entwicklung der Mikroregionen erbringen, indem beispielsweise Arbeitsplätze geschaffen werden und gleichzeitig alle wirtschaftspolitischen Maßnahmen unter der Prämisse der ökologischen Nachhaltigkeit stehen (vgl. Mitchell 1998: 758). Organisiert und geleitet werden die SDIs mit Hilfe relativ informeller und unbürokratischer Strukturen. Neben Vertretern der subnationalen und nationalen politischen Ebene sowie der Privatwirtschaft sind außerdem Aktivisten von Interessengruppen und lokalen Vereinigungen am Planungs- und 375
376
377
378
Entsprechende Hinweise finden sich in den Interviews Nr. 9, 25, 32, 36 und 41 sowie in folgenden Dokumenten: SADC 2003a: 121, Paragraph 6.2.6; SADC Today 2003: 4 und in der Rede Prega Ramsamys anlässlich der Eröffnung des SADC-Summit, 16.08.2004, Grand Baie, Mauritius. Zwei Kategorien von SDIs sind zu unterscheiden: SDIs, die sich allein auf das Staatsgebiet Südafrikas beschränken, und SDIs, die grenzüberschreitend zwei oder mehrere Länder der SADC umfassen (vgl. COMESA 2001: 21-23). Die folgenden Ausführungen beziehen sich allein auf diejenigen SDIs, die grenzüberschreitender Natur sind. Insgesamt existieren nach Angaben von südafrikanischer Seite elf verschiedene SDIs (vgl. http://www.southafrica.info/doing_business/economy/development/sdi.htm, (20.12.2008)). Weitergehende Informationen zum Maputo Development Corridor bieten Lundin/Söderbaum 2002, Mitchell 1998 und Söderbaum/Taylor 2003.
9.3 Hypothese zum Verlauf der regionalen Integration
307
Durchführungsprozess der SDIs beteiligt. Dieser findet nach einem stark zentralisierten Muster unter der Vorgabe einer spezifischen ‚SDI Methodologie’ statt (vgl. Söderbaum 2005b: 99; Söderbaum/Taylor 2003a: 1-8; Söderbaum/Taylor 2004: 9). Bei den SDIs handelt es sich í auch nach offizieller Darstellung der Verantwortlichen í primär um Initiativen zur Mobilisierung von Investitionen, nicht um umfassende Entwicklungsinitiativen. Auch wenn sie viele der bestehenden Entwicklungsprobleme adressieren und andere umfassende Entwicklungsmaßnahmen nicht vorhanden sind, so sind die SDIs nicht als umfassendes Programm der Regionalentwicklung konzipiert (vgl. COMESA 2001: 9-12). In der kritischen Diskussion werden die SDIs insbesondere für ihre starke Ausrichtung auf ökonomische Rentabilität bei einer gleichzeitigen Vernachlässigung von Entwicklungs- und Umweltschutzaspekten kritisiert. Hinzu kommt der an die einzelnen Staaten gerichtete Vorwurf, sich ihrer Verantwortung im sozialen Bereich zu entziehen und stattdessen zu einem reinen Förderer der Wirtschaft zu ‚verkommen’. Dabei wird auch angezweifelt, dass die SDIs einen ‚trickledown’-Effekt herbeiführen können, in dessen Rahmen Investitionen zu wirtschaftlichem Wachstum und dieses wiederum zu allgemeiner Entwicklung führen. Der im starken Maße zentralisierte Entscheidungsprozess der SDI lasse zudem keine angemessene Partizipation der Bevölkerung und Zivilgesellschaft zu, sodass Widerstände an der Basis gegen die Entwicklungsinitiativen nicht auszuschließen seien (vgl. Söderbaum/Taylor 2003b: 108-115). Die Frage, ob es sich bei den SDIs um eine Form des spill-overs handelt, der durch die wirtschaftliche Integration auf SADC-Ebene angestoßen oder zumindest beeinflusst wurde, ist höchst interessant, aber auch sehr komplex. Schließlich handelt es sich um Prozesse mit sehr unterschiedlicher Reichweite. Während die SDIs im kleinräumigen Rahmen der Mikroebene angesiedelt sind, umfasst die SADC-Integration auf der Makroebene eine Gruppe von 15 Staaten (Stand Dezember 2008). Die wechselseitigen Beziehungen zwischen Integrationsprojekten auf der Mikro- und Makroebene stellen bislang ein vernachlässigtes Forschungsfeld in den Sozialwissenschaften dar. Allerdings wird diese Situation stark kritisiert. Eine strikt voneinander getrennte Erforschung dieser beiden Ebenen wird mittlerweile als kontraproduktiv angesehen, da die Meinung vorherrscht, dass Prozesse auf Mikro- und Makroebene nicht in voneinander abgeschirmten Bahnen verlaufen, sondern miteinander verbunden sind (vgl. Breslin/Hook 2002: 2; Söderbaum 2005b: 91). Die Abschirmung zwischen Mikro- und Makroebene wird, aus der Sicht Fredrik Söderbaums, aufgebrochen durch die verstärkte Einflussnahme nichtstaatlicher Akteure auf die Makroebene, die bislang den staatlichen Akteuren vorbehalten war sowie durch die zunehmende Durchlässigkeit nationaler Grenzen, die neue Transaktionsmöglichkeiten auf der Mikroebene schaffe (vgl.
308
9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
Söderbaum 2005b: 93). Die theoretischen Annahmen stehen der Vermutung, die SADC-Integration könne in Form eines spill-overs die Integration in verschiedenen Mikroregionen beeinflussen, also nicht entgegen. Allerdings liefern die Experteninterviews keine eindeutigen Erkenntnisse zur Beziehung zwischen SDIs und SADC. Bei der Auswertung wird schnell klar, dass die Interviewfrage zur Beeinflussung der Initiativen auf Mikroebene durch die SADC-Integration von den Experten unterschiedlich verstanden wurde. Während zwei Befragte sich dazu äußern, ob die SDIs den SADC-Integrationsprozess unterstützen können (vgl. Interviews Nr. 9 und 41), beziehen sich zwei weitere Experten auf die derzeitige Relevanz und die vorhandenen Probleme der SDIs (vgl. Interviews Nr. 25 und 36). Lediglich eine Expertin erfasst die eigentliche Intention der Frage379 und sieht einen direkten Zusammenhang zwischen dem Beitritt Südafrikas zur SADC und der Verbreitung der SDIs (vgl. Interview Nr. 32). Demnach sei die Entscheidung Südafrikas, sich nach seiner Unabhängigkeit der SADC und nicht der COMESA anzuschließen, auch mit der Verpflichtung verbunden gewesen, die großen Entwicklungsdisparitäten zu seinen Nachbarstaaten zu verringern. Für die Erreichung dieses Ziels standen verschiedene Optionen zur Verfügung, wie beispielsweise die Einrichtung eine Kompensationsmechanismus oder direkte Hilfszahlungen an die Nachbarländer. Doch Südafrika habe einen indirekten Weg gewählt, indem es seine SDIs, die zunächst nur auf die Republik Südafrika beschränkt waren, auf die Nachbarländer ausweitete, um so einen Beitrag zu deren Entwicklung zu leisten.380 Da die Erkenntnisse aus den Interviews nicht ausreichen, um ein abschließendes Urteil zu möglichen spill-over-Prozessen der SADC-Integration auf die Mikroebene zu fällen, werden auch die offiziellen Dokumente der SADC berücksichtigt. Sie zeigen, dass von offizieller Seite auf die Initiativen Bezug genommen wird, diese aber kein Bestandteil der SADC-Aktivitäten sind. In den wichtigsten Dokumenten wie dem SADC-Vertrag, dem Handelsprotokoll, dem SIPO oder dem Protokoll des OPDS bleiben die SDIs unerwähnt. Lediglich im RISDP wird an verschiedenen Stellen der Bezug zu den Initiativen auf Mikro379
380
Es ist anzunehmen, dass die Interviewfrage nicht präzise genug formuliert war und somit nicht die erwünschten Informationen erbrachte. Die Expertin Lolette Kritzinger-van Niekerk berichtet auch, dass die indirekte Förderung der Region durch die SDIs damals die einzige realistische Option für den jungen südafrikanischen Staat dargestellt hätte. Seine finanziellen Mittel wurden so kurz nach dem Ende der Apartheid im eigenen Land dringend gebraucht. Finanzielle Hilfen Südafrikas für die Nachbarländer wären auf wenig Verständnis innerhalb der südafrikanischen Bevölkerung gestoßen. Hinzu kam, dass gerade zu diesem Zeitpunkt Finanzmittel von zwei großen südafrikanischen Institutionen zur Entwicklungsfinanzierung (Development Bank of Southern Africa und Industrial Development Cooperation of South Africa) frei wurden, die in der grenzüberschreitenden Arbeit eingesetzt werden sollten (vgl. Interview Nr. 32).
9.3 Hypothese zum Verlauf der regionalen Integration
309
ebene hergestellt. Es wird beispielsweise hervorgehoben, wie wichtig die Implementierung des RISDP auch im Rahmen der SDIs ist, um so die bestehenden Entwicklungsunterschiede zu verkleinern (vgl. SADC 2003a: 121, Paragraph 6.2.6). Des Weiteren werden die SDIs im Zusammenhang mit den regionalen Zielsetzungen im Transportwesen als ein ‚Mikrokosmos’ der Regionalintegration bezeichnet. Von den Erfahrungen der SDIs könne die Makroebene profitieren und ihre Förderung könne einen Beitrag zu einer verbesserten Infrastruktur im Transportwesen leisten (vgl. SADC 2003a: 43, Paragraphen 3.3.4.2.1 und 3.3.4.2.3).381 Weitere Informationen enthält lediglich ein Artikel im offiziellen SADC-Magazin ‚SADC Today’. Dort heißt es, dass die SDIs als eine „regionale Initiative“ (SADC Today 2006: 3) zur Verbesserung der Infrastruktur beitragen und dadurch einen Beitrag zur Beschleunigung der Integration leisten.382 Damit liefert die empirische Analyse keine eindeutigen Erkenntnisse zu der wechselseitigen Beeinflussung der Integrationsprozesse auf Mikro- und Makroebene. Das Beziehungsgeflecht zwischen SADC und den SDIs kann auf der Grundlage des vorliegenden empirischen Materials nicht ermittelt werden. Um die Grenzen des vorliegenden empirischen Materials zu kompensieren, müssen an dieser Stelle Erkenntnisse aus der Sekundärliteratur herangezogen werden. In seiner Analyse der SADC kommt Oosthuizen (vgl. 2006: 248) zu dem Fazit, dass die SDIs kein Bestandteil des SADC Programmes of Action (SPA) seien und nicht von der SADC betrieben würden. Allerdings räumt er der SADC ein Interesse am Erfolg der Entwicklungskorridore ein, da in einigen Sektoren die Zielsetzungen der SADC mit denen der SDIs übereinstimmen und die SDIs damit einen direkten Beitrag zur Erreichung des sozioökonomischen Zielsetzungen der SADC leisten können. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Annahme, die SDIs seien das Ergebnis eines spill-overs von der Makro- auf die Mikroebene, so nicht bestätigt werden kann. Bei der SADC-Handelsintegration und den SDIs handelt es sich um Prozesse, die sich gegenseitig beeinflussen (können). Allerdings gibt es keine Anzeichen dafür, dass die SDIs das Resultat einer expansiven Logik des SADC-Integrationsprozesses sind. Nachdem die Auswertung der Experteninterviews und der offiziellen Dokumente der SADC keinen Aufschluss über mögliche spill-over-Prozesse liefern konnte, soll nun eine andere Vorgehensweise gewählt werden. Nach der Definition von Leon Lindberg äußert sich die spill-over-Dynamik unter anderem darin, 381
382
Darüber hinaus wird auch die Bedeutung weiterer SDIs erwähnt, die besonders auf den Tourismussektor ausgerichtet sind und die einen Beitrag zur Förderung der touristischen Anziehungskraft der Region leisten können (vgl. SADC 2003a: 89, Paragraph 4.6.4.2). Gleichlautende Aussagen finden sich auch in einer neueren Ausgabe (vgl. SADC Today 2007: 2).
310
9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
dass für die Verwirklichung eines bestimmten Integrationsziels Maßnahmen in angrenzenden Politikbereichen notwendig werden, die so ursprünglich nicht beabsichtigt waren. Die Suche nach möglichen spill-over-Prozessen kann also auch in den angrenzenden Politikbereichen ansetzen. Aber um welche Politikbereiche handelt es sich hier im konkreten Fall der Handels- und Sicherheitspolitik der SADC? Für den Handelsbereich liefert bereits die Organisationsstruktur der SADC erste Anhaltspunkte zu möglichen angrenzenden Politikbereichen. Die Bereiche Handel, Infrastruktur, Finanzen und Investitionen sind schließlich in einem Direktorat (dem so genannten TIFI) zusammengefasst. Gleichzeitig mit der Integration im Handelsbereich strebt die SADC auch eine Integration im Finanzund Investitionssektor sowie im Infrastrukturbereich an. Damit fällt es bei der Analyse aber deutlich schwerer, eine Integrationsmaßnahme in den angrenzenden Politikbereichen ausschließlich auf eine vorher getroffene Entscheidung im Rahmen der Handelsintegration zurückzuführen. Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass die Integrationsprozesse im Handelsbereich so angelegt sind, dass sie gleichzeitig auch die Sektoren Finanzen/Investitionen und Infrastruktur beeinflussen. Vor dem Hintergrund dieser Einschränkung sind folgende Entwicklungen zu beobachten. Im August 2006 wurde das SADC-Protokoll für Finanzen und Investitionen unterzeichnet, dessen Ratifizierung bislang aussteht.383 Schon 1995 hatten die Staats- und Regierungschefs der Region einen Entwurf für ein entsprechendes Protokoll als zu anspruchsvoll abgelehnt. So verblieb die Zuständigkeit für Finanz- und Investitionsfragen im Rahmen der regionalen Gemeinschaft von 1994 bis 2001 in Form einer sektorkoordinierenden Einheit bei Südafrika. Für die Ausarbeitung eines neuen Protokolls wurde ein anderer Weg als im Handelsbereich gewählt. Man einigte sich darauf, zunächst einzelne MoU zu den zentralen Aspekten im Finanz- und Investitionssektor auszuarbeiten und zu implementieren. Erst 2006 konnte ein Konsens über ein neues Rahmenwerk für das Protokoll erreicht werden, das die bestehenden MoU in Form von Annexen eingegliederte (vgl. Ruf 2006: 215-216). In Artikel 2 heißt es zu den Zielen des Protokolls: „(…) foster harmonisation of the financial and investment policies of the State Parties in order to make them consistent with objectives of SADC and ensure that
383
Bis zum Februar 2007 hatten Angola, Malawi, Namibia, Sambia und die Seychellen das Protokoll noch nicht unterzeichnet.
9.3 Hypothese zum Verlauf der regionalen Integration
311
any changes to financial and investment policies in one State Party do not necessitate undesirable adjustments in other State Parties.“ (Ruf 2006: 216)384
Die insgesamt elf Annexe des SADC Finanz- und Investitionsprotokolls, die seinen Inhalt maßgeblich bestimmen, können in die vier Kategorien Investitionen, Steuern, Makroökonomische Konvergenz und Finanz-/Kapitalmärkte eingeteilt werden.385 Da die MoU, auf denen die Annexe basieren, schon seit unterschiedlichen Zeiträumen existieren, hat auch ihre Umsetzung sehr unterschiedliche Niveaus erreicht (vgl. Ruf 2006: 217-223).386 Gemeinsam mit dem Handelsprotokoll bildet das Finanz- und Investitionsprotokoll einen wichtigen Pfeiler der ökonomischen Integration. Die Protokolle bedingen sich gegenseitig insofern, als dass beide Protokolle erst dann ihre optimale Wirkung entfalten können, wenn das jeweils andere Protokoll ebenfalls umgesetzt wird. Eine regionale Integration im Finanz- und Investitionsbereich kann zudem eine wichtige Katalysatorwirkung für die Entwicklung eines gemeinsamen Marktes innerhalb der SADC-Region erbringen. Doch derzeit behindert eine Reihe von Problemen den Fortgang der Integration im Finanzsektor. Dazu gehören technische Schwierigkeiten und begrenzte institutionelle wie personelle Kapazitäten, die die Umsetzung der verschiedenen MoU erschweren. Ein großes Problem stellt in diesem Zusammenhang auch das Fehlen verlässlicher statistischer Daten dar, wodurch die Messung bereits erreichter Fortschritt oder die Konzeption der weiteren Vorgehensweise stark beeinträchtigt wird. Darüber hinaus wird die Finanz-Integration durch die starken wirtschaftlichen Disparitäten zwischen den SADC-Mitgliedern, instabile Landeswährungen und nationale Unterschiede im Bankenwesen der Mitglieder behindert (vgl. UNECA 2008: 250-251; Vogt 2007: 256-257). Die Aktivitäten der SADC im Bereich der infrastrukturellen Entwicklung gehen bereits auf die Zeit ihrer Vorgängerorganisation, der SADCC, zurück. In den 80er Jahren hatten ihre Mitgliedsstaaten im regionalen Ausbau der Infrastruktur die Möglichkeit gesehen, ökonomische Abhängigkeiten von Südafrika abzubauen. Heute sehen die SADC-Staaten in der Verbesserung ihrer Infra384
385
386
Der Text des Finanz- und Investitionsprotokolls ist auf der Internetseite der SADC nicht verfügbar (Stand März 2009). Diese Einteilung von Yvonne Ruf (vgl. 2006) findet sich in ähnlicher Weise auch im Bericht der UNECA zu finanzpolitischen und geldpolitischen Integrationsmaßnahmen in Afrika wieder. Als wichtigste Ziele der Integration der SADC im Bereich der Geldpolitik werden hier die Erreichung makroökonomischer Konvergenz innerhalb der Region genannt, die Harmonisierung der nationalen Steuerpolitiken sowie der nationalen Geldpolitiken, die Konvertibilität der nationalen Währungen als Vorstufe zur Einführung einer gemeinsamen regionalen Währung und schließlich die Einführung einer SADC-Währungsunion (vgl. UNECA 2008: 239). Auf die konkreten Entwicklungen in den genannten Bereichen kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Einen guten Überblick hierzu liefern Ruf 2006 und UNECA 2008.
312
9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
struktur eine wichtige Voraussetzung für die Steigerung ihrer ökonomischen Wettbewerbsfähigkeit und des intra-regionalen Handels. Zusätzlich soll die Entwicklung der Infrastruktur in der Region das allgemeine Investitionsklima verbessern und somit auch ausländische Investoren anlocken. Im Mittelpunkt der Aktivitäten der SADC zur infrastrukturellen Entwicklung steht das Protokoll für Infrastruktur, Kommunikation und Meteorologie, das 1996 verabschiedet wurde und im Juli 1998 in Kraft trat.387 Im Protokoll wird der Bereich der Infrastruktur insbesondere durch den Transportsektor vertreten. In diesem Sektor besitzt das Protokoll eigenständige Kapitel zum Straßen- und Schienenverkehr sowie zur Schiffs- und zur zivilen Luftfahrt. Der Kommunikationsbereich wird jeweils durch Kapitel zur Telekommunikation und zum Postdienst abgedeckt. Ein weiteres Kapitel umfasst die Vereinbarungen zur Meteorologie. Die Aktivitäten zur Umsetzung des Protokolls sollen auf nationaler Ebene durch neu ins Leben gerufene Teams koordiniert werden. Deren Arbeit beruht auf nationalen Aktionsplänen, die als strategische Planungsinstrumente die Implementierung der Bestimmungen des Protokolls sicherstellen sollen. Der Ausbau der Infrastruktur soll weniger durch umfangreiche Investitionen der Nationalstaaten, sondern vielmehr in Kooperation mit privatwirtschaftlichen Akteuren erfolgen. Zusätzlich versprechen sich die SADC-Staaten bereits von der Harmonisierung ihrer nationalen Maßnahmen und Politiken im Bereich der Infrastruktur konkrete Entwicklungsfortschritte (vgl. Kritzinger-van Niekerk/Moreira 2002: 59-65). Dieser sehr knappe Überblick zu den regionalen Aktivitäten in den Bereichen Finanzen/Investitionen und Infrastruktur zeigt, wie umfassend die Aktivitäten der SADC-Staaten in diesen Bereichen sind. Es existiert eine Vielzahl von möglichen Anknüpfungspunkten zur Handelspolitik und somit auch unzählige Möglichkeiten für spill-over-Prozesse. Hinzu kommt, dass der Handelsbereich naturgemäß nicht nur die Entwicklungen in den genannten Bereichen tangiert, sondern auch zu einer Reihe weiterer Politikbereiche (z.B. Energiepolitik oder Visapolitik) eine enge Verbindung besitzt. Auf dieser Grundlage kann nur das vorläufige Resümee gezogen werden, dass eine umfassende und erschöpfende Analyse zu möglichen spill-overProzessen aus der Handelsintegration in andere Bereiche hier nicht möglich ist. Eine solche Analyse würde eindeutig den Rahmen dieser Untersuchung sprengen und böte genug Stoff für eine eigenständige Untersuchung. Für die folgenden Ausführungen ist diese Einschränkung stets zu berücksichtigen. Trotz aller Schwierigkeiten bei der Suche nach möglichen spill-overProzessen kann festgehalten werden, dass eine funktionale Logik in der Handels387
Einen weiteren wichtigen Beitrag zur infrastrukturellen Entwicklung leisten die SDIs, die in Kapitel 9.3.3.1 näher vorgestellt werden.
9.3 Hypothese zum Verlauf der regionalen Integration
313
integration existiert. Die obigen Ausführungen haben gezeigt, dass Abhängigkeiten zwischen der Handelspolitik und angrenzenden Politikbereichen, wie Finanzoder Infrastrukturpolitik, bestehen. Dies hat zur Folge, dass ein Integrationsfortschritt in der Handelspolitik nicht folgenlos für die benachbarten Politikbereiche bleibt, sondern ein Entscheidungszwang entsteht. Die staatlichen Akteure werden vor die Wahl gestellt, auf die veränderte Situation im Handelsbereich mit einer Vertiefung bzw. Ausweitung der Integration in angrenzenden Bereichen zu reagieren. In der Entscheidung über die möglichen Reaktionen stehen den staatlichen Eliten allerdings verschiedene Handlungsoptionen zur Verfügung. Sie müssen dem Druck hin zu einer vertieften Integration also keinesfalls nachgeben. Ebenso können sie sich dazu entschließen, den Status quo zu erhalten, oder sogar ein Rückschritt in der Reichweite oder Tiefe der Integration ist möglich. Somit ist mit der funktionalen Logik, die sich in den Interdependenzen zwischen den Politikbereichen manifestiert, eine wichtige Voraussetzung für spill-overProzesse gegeben. Diese Logik bzw. der Integrationsdruck, den sie erzeugt, ist aber nicht stark genug, um einen zwangsläufigen expansiven Prozess herbeizuführen. Verschiedene Beispiele aus der politischen Praxis der SADC-Staaten belegen diese Annahmen. So ist beispielsweise trotz seiner allgemein anerkannten Bedeutung für die Region das SADC-Finanzprotokoll noch nicht von einer ausreichenden Anzahl von SADC-Mitgliedsstaaten ratifiziert. In anderen Bereichen wie der Telekommunikation und der Infrastruktur sind ebenfalls schleppende Entwicklungen auf regionaler Ebene zu beobachten. Die Staats- und Regierungschefs besitzen also eindeutig die Möglichkeit, sich der expansiven Logik fortschreitender Integration zu entziehen oder diese zumindest aufzuschieben. Demnach liegt es allein in den Händen der staatlichen Eliten zu entscheiden, ob sie dem entstandenen Integrationsdruck nachgeben und mit einer Vertiefung bzw. Ausweitung der Integration reagieren. Die Gestaltungsmacht der staatlichen Eliten ist durch die funktionale Logik nicht eingeschränkt. Es entsteht eine Situation, die aus neo-funktionalistischer Sichtweise am ehesten mit dem Modell von Schmitter (vgl. 1970) beschrieben werden kann. Demnach wird der Integrationsverlauf durch Entscheidungszyklen bestimmt, die die involvierten Akteure vor verschiedene Handlungsalternativen stellen. Eine dieser Alternativen ist der spill-over, der, wie Schmitter selbst festhält, aber nicht die wahrscheinlichste Handlungsoption darstellt (vgl. Kapitel 6.1.5). Doch wie gestaltet sich die Situation in der Sicherheitspolitik? Anders als im Handelsbereich sind die Interdependenzen zu anderen Politikbereichen hier weniger offensichtlich bzw. weniger konkret. Dies hängt insbesondere damit zusammen, dass die Integration im sicherheitspolitischen Bereich deutlich schwächer ausgestaltet ist als im Handelsbereich. Die regionalen Verbindlich-
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9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
keiten sind hier weitaus geringer. Darüber hinaus sind die sicherheitspolitischen Zielsetzungen auf regionaler Ebene längst nicht so konkret wie in der Handelspolitik. Somit lässt sich eine funktionale Logik, wie sie sich im Handelsbereich manifestiert, im Sicherheitsbereich nicht feststellen. Das bedeutet nicht, dass die Sicherheitspolitik keinerlei Anknüpfungspunkte zu anderen Politikbereichen besitzt. Die weitere Entwicklung der regionalen Sicherheitsintegration im südlichen Afrika wird zeigen, ob sich Interdependenzen ergeben und mit Erreichung einer vertieften Integration auch funktionale Sachzwänge entstehen. Es kann zusammenfassend festgehalten werden, dass die Analyse zur Relevanz des spill-over-Konzepts ein vergleichsweise kompliziertes Unterfangen darstellt und nur unter gewissen methodischen Einschränkungen vorgenommen werden kann. Zwar existiert im Handelsbereich eine funktionale Logik, aber diese ist (noch) nicht stark genug, um als Antriebsmotor der Integration zu fungieren und die Gestaltungsmacht der staatlichen Eliten einzuschränken. Anders sieht die Situation im Sicherheitsbereich aus, wo eine funktionale Logik bislang nicht festgestellt werden kann. Demnach entsteht keine expansive Logik im Sinne eines spill-over-Mechanismus, die den Integrationsprozess vorantreibt. Es lässt sich lediglich beobachten, dass die Regionalintegration im handelspolitischen Bereich einen Anpassungsdruck in benachbarten Politikbereichen erzeugt, der von den staatlichen Entscheidungsträgern aber nicht zwingend mit einer Vertiefung oder Ausweitung der Integration beantwortet werden muss. Diese Erkenntnisse legen den Schluss nahe, dass die Handelspolitik gute Voraussetzungen besitzt, um als Start- oder Ausgangspunkt eines regionalen Integrationsprozesse zu fungieren. Diese Annahme soll im Folgenden näher untersucht werden. 9.3.2 Kontroverse und unkontroverse Politikbereiche im Integrationsverlauf Im Mittelpunkt des folgenden Kapitels steht die Annahme, dass sich Politikbereiche in unterschiedlichem Maße für Regionalismus eignen. So herrscht in Politikbereichen, die einen engen Zusammenhang zur nationalstaatlichen Souveränität besitzen, eher eine Blockadehaltung gegenüber regionalen Integrationsbemühungen. Dem stehen Politikbereiche gegenüber, in denen sich die regionale Integration vergleichsweise leicht und auf unkontroversem Wege entfalten kann. Letztere zeichnen sich nach Angaben der theoretischen Modelle eher durch ihren technischen, wohlfahrtsbezogenen Charakter aus. Oftmals handelt es sich hier um Politikbereiche mit einem starken wirtschaftlichen Bezug. Mit der Handels- und Sicherheitspolitik liegen in dieser Arbeit zwei gegensätzliche Poli-
9.3 Hypothese zum Verlauf der regionalen Integration
315
tikbereiche vor, die sich zunächst optimal in das Schema der kontroversen bzw. unkontroversen Bereiche einordnen lassen. Aber stimmen diese theoretischen Annahmen mit der Wirklichkeit der regionalen Integrationsbestrebungen im südlichen Afrika überein? Gestaltet sich die Integration im Handelsbereich einfacher als der Integrationsprozess im Sicherheitsbereich? Und müsste dann in der Fortführung dieser Argumentation die Integration im Handelsbereich nicht ungleich schneller voranschreiten als im Sicherheitsbereich? Mit Hilfe der Experteninterviews und der in den Kapiteln 4.3 und 4.4 vorgestellten Entwicklung der handels- und sicherheitspolitischen Integration sollen diese Fragen beantwortet werden. Doch vorweg folgender Hinweis: Bei der Bestimmung der Politikbereiche, in denen die Integration leichter oder schwerer bzw. schneller oder langsamer vonstatten geht, handelt es sich um eine relative Einteilung. Es ist zu berücksichtigen, dass die Zuordnung von Eigenschaften wie schnell/langsam, kontrovers/unkontrovers kontextabhängig ist und keine allgemeine Gültigkeit besitzt. Damit sind die Ergebnisse der empirischen Untersuchung zunächst nur für den spezifischen Kontext der Handels- und Sicherheitsintegration im südlichen Afrika relevant. In den Interviews wurden die Experten gefragt, in welchem Politikbereich die Integration ihrer Meinung nach leichter vorangebracht werden kann (s. Interviewleitfaden, Anhang). Die Antworten der Befragten zeigen ein relativ einheitliches Bild, indem sie mehrheitlich den Handelsbereich als den weniger kontroversen und damit auch leichter zu integrierenden Politikbereich einstufen (vgl. Interviews Nr. 2, 4, 9, 21, 38 und 39).388 Eine Expertin bringt die Zusammenhänge folgendermaßen auf den Punkt: „Handel ist leichter zu integrieren als Sicherheit. Es ist ein sehr zielgerichteter und technischer Bereich. Der Handelsbereich ist auch offener, es gibt mehr Debatten über den Handelsbereich als über den Sicherheitsbereich (das bedeutet aber nicht, dass im Handelsbereich schon genug debattiert wird). Handel ist außerdem nicht so ein hartes politisches Thema wie Sicherheit.“ (Gina van Schalkwyk, Interview Nr. 2).
Als weitere Gründe für die schlechteren Aussichten der regionalen Integration im Sicherheitsbereich nennen die Experten die hohe Sensibilität sicherheitspolitischer Themen (vgl. Interview Nr. 9) sowie die Tatsache, dass die Handelsintegration schneller zu Vorteilen und Gewinnen für die beteiligten Staaten füh388
Die grundlegende Annahme, wonach die Voraussetzungen für regionale Integration nicht in allen Politikbereichen in gleicher Weise gegeben sind, bestätigt ein Experte mit folgender Aussage: „Es gibt unbestreitbar Themen, in denen regionale Integration leichter ist und solche, in denen Integration schwieriger ist.“ (Helmut Orbon, Interview Nr. 4).
316
9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
ren könne (vgl. Interview Nr. 21). Nur ein einziger Experte schätzt die Bedingungen für einen Integrationsprozess im Handelsbereich schlechter ein als im Sicherheitsbereich. Seiner Meinung nach würde die Handelsintegration durch den Umstand erschwert, dass neben den Regierungen auch privatwirtschaftliche Akteure den Integrationsprozess beeinflussen. Durch diese zusätzliche Akteursgruppe werde die Integration komplizierter als im Sicherheitsbereich, wo allein die verantwortlichen Regierungsvertreter den Integrationsprozess bestimmen (vgl. Interview Nr. 33).389,390 Außerdem weist ein Experte auf die seiner Meinung nach eingeschränkten Vergleichsmöglichkeiten zwischen Handels- und Sicherheitspolitik hin, da die Integration im Handelsbereich schon sehr viel länger forciert würde als im Sicherheitsbereich (vgl. Interview Nr. 22).391 Diese ungleichen Voraussetzungen müssten bei der Beurteilung der Resultate der Handels- und Sicherheitsintegration berücksichtigt werden. Nach Meinung der Experten gestaltet sich die regionale Integration im Handelsbereich also leichter als im Sicherheitsbereich. Für die Einordnung dieses Ergebnisses muss allerdings beachtet werden, dass die Sicherheitspolitik der SADC hier exemplarisch am Beispiel ihrer Rolle in der Simbabwe-Krise untersucht wurden. Es ist also durchaus möglich, dass sich andere Bereiche der sicherheitspolitischen Integration weniger problematisch gestalten. Aber schlagen sich diese verbesserten Integrationsvoraussetzungen auch in der Geschwindigkeit des Integrationsprozesses nieder? Macht die Handelsintegration im Vergleich zur Sicherheitsintegration schnellere bzw. bessere Fortschritte? Leider liefert die Auswertung der Experteninterviews nicht die notwendigen Antworten auf diese Fragen, denn die Interviewpartner äußern sich lediglich allgemein zur Geschwindigkeit des Integrationsprozesses.392 Bezogen auf die langjährige Geschichte der SADC beklagen zwei Experten den unzureichenden 389
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Weitere Erkenntnisse zur Rolle der Vertreter der Privatwirtschaft im Integrationsprozess finden sich im Kapitel 9.4.3. Der betreffende Experte, Themba Mhlongo, hat als ehemaliger hochrangiger SADC-Vertreter besondere Kenntnisse vom Innenleben der Organisation. Es ist davon auszugehen, dass er im Rahmen seiner Tätigkeit entsprechende Erfahrungen gemacht hat, die ihn zu dieser Beurteilung kommen lassen. Gleichzeitig ist Herr Mhlongo auch an anderer Stelle bereits durch Einschätzungen aufgefallen, die sich von der Meinung anderer Experten grundsätzlich unterschieden (siehe Kapitel 9.1.1 und Fußnote 358). Während die Integration im Handelsbereich schon von der 1980 gegründeten SADCC verfolgt wurde, kam es erst 1996 zur Formierung des OPDS als dem zentralen Organ der Sicherheitsintegration. Dabei wurden die Experten auch nicht dezidiert nach einer Einschätzung zur Geschwindigkeit der Integrationsmaßnahmen gefragt. Vielmehr kamen die Experten im Zusammenhang mit den Herausforderungen der Regionalintegration im SADC-Raum auf die Geschwindigkeit der Integration zu sprechen (siehe Interviewleitfaden, Anhang).
9.3 Hypothese zum Verlauf der regionalen Integration
317
Fortschritt des Integrationsprozesses (vgl. Interviews Nr. 7 und 39).393 Eine Reihe der Befragten hält den Zeitplan der Wirtschaftsintegration, wonach auf die Freihandelszone im Jahr 2008 die Zollunion im Jahr 2010 und ein gemeinsamer Markt 2015 folgen soll (vgl. SADC 2003a: 86, Paragraph 4.5.5), für vollkommen unrealistisch (vgl. Interviews Nr. 6, 11, 14, 18 und 41).394 Um weitere Erkenntnisse zur Geschwindigkeit des Integrationsprozesses im Handels- und Sicherheitsbereich zu erlangen, muss ihr Verlauf näher untersucht werden. Folgende Kriterien sollen dabei helfen: Erstens wird berücksichtigt, wie viele zentrale Dokumente (Protokolle oder MoU) in welchem Zeitraum auf den Weg gebracht wurden. Zweitens kann analysiert werden, wie viel Zeit zwischen der Verabschiedung dieser Dokumente und ihrer tatsächlichen Implementierung vergeht. Drittens wird untersucht, wie schwerwiegend die Konflikte und Streitpunkte sind, die die Umsetzung der Integrationsziele begleiten und wie viel Zeit benötigt wird, um diese Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Die Integration im Handelsbereich beruht auf dem Handelsprotokoll als zentralem Dokument. Von der ersten Version des Handelsprotokolls aus dem Jahr 1996 bis zur Unterzeichnung einer überarbeiteten Version im August 2000 vergingen vier Jahre. Ein weiteres Jahr wurde benötigt, bis der Implementierungsprozess im September 2001 beginnen konnte. Sowohl die Aushandlungsals auch die Implementierungsphase des Handelsprotokolls waren vergleichsweise lang und sind beide noch nicht abgeschlossen. Die Tatsache, dass sich Verhandlung und Implementierung des Protokolls überschneiden, erschwert zudem eine klare Beurteilung des Integrationsfortschritts im Handelsbereich. Allerdings verdeutlichen die zähen Verhandlungen und die zögerliche Bereitschaft der SADC-Staaten, das Protokoll zu unterzeichnen, dass handelspolitische Fragen keineswegs unkontrovers sind.395 Vielmehr besitzen sie ein hohes Konfliktpotenzial für die Staaten des südlichen Afrikas und genießen eine hohe Priorität. Die regionale Integration im Sicherheitsbereich beruht mit dem Protokoll für Politik, Verteidigung und Sicherheitskooperation, dem SIPO und dem MDP auf drei zentralen Dokumenten. Es brauchte insgesamt zwei Jahre von den ersten 393
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Nach der Einschätzung Harwy Shorts ist der schleppende Fortgang der Integration insbesondere auf die Abstimmungsregeln innerhalb der SADC zurückzuführen, die allein Konsensentscheidungen vorsehen. Somit bewege sich die Integration auf der Grundlage des kleinsten gemeinsamen Nenners der verhandelnden Parteien fort (vgl. Interview Nr. 39). Lediglich eine Interviewpartnerin kann dem ambitionierten Zeitplan positive Seiten abgewinnen. Sie ist der Meinung, dass die verbindlichen Zeitvorgaben auf die beteiligten Staaten Druck ausübe, ihren Versprechungen auch Taten folgen zu lassen (vgl. Interview Nr. 21). Der lange Verhandlungsprozess im Vorfeld der Verwirklichung der Freihandelszone muss aber nicht notwendigerweise negativ beurteilt werden. Für Mair und Peters-Berries (vgl. 2001: 339) kann er auch ein Indiz dafür sein, dass die wichtigsten Konfliktpunkte letztendlich geklärt sind.
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9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
Überlegungen innerhalb der SADC, eine Kooperation im Sicherheitsbereich aufzubauen, bis zur Einigung auf genaue Modalitäten für die sicherheitspolitische Zusammenarbeit. Allerdings blieb die Entscheidung der Staats- und Regierungschefs, die SADC um eine sicherheits-(politische) Komponente zu erweitern, inhaltlich sehr vage. Erst im März 2001 wurden die überarbeiteten Bestimmungen aus dem Jahre 1996 von den Staatschefs unterzeichnet – das Organ wurde zumindest theoretisch handlungsfähig. In der Praxis konnte es seine Arbeit aber erst aufnehmen, nachdem die notwendige Anzahl von Ratifizierungen des Protokolls im März 2004 erreicht wurde. Um eine möglichst effektive und schnelle Implementierung des Protokolls und damit auch eine wirkungsvolle Arbeit des Organs sicherzustellen, wurde ein Implementierungsplan, der SIPO, erstellt. Die Ausarbeitung dieses Plans nahm knapp zwei Jahre in Anspruch. Die Entwicklung des MDPs als drittes zentrales Dokument des Sicherheitsbereichs begann 1996. Damals wurde das Ziel, einen Verteidigungspakt zu schließen, erstmals offiziell im Kommuniqué eines Gipfeltreffens festgehalten. Die Unterzeichnung des ausgearbeiteten Verteidigungspaktes erfolgte dann im Jahr 2003. Die Ratifizierung des Paktes steht nach dem vorliegenden Kenntnisstand noch aus. Wie die Auseinandersetzung um die Arbeitsweise des Organs oder die Konflikte um die Beistandsverpflichtung im MDP demonstrieren (vgl. Kapitel 4.4), ist das Konfliktpotenzial der sicherheitspolitischen Themen als hoch einzuschätzen.396 Doch in welchem Politikbereich verläuft der Integrationsprozess nun schneller? Diese Frage kann nicht eindeutig beantwortet werden. Die Auseinandersetzung mit dem Verlauf der Handels- und Sicherheitsintegration hat gezeigt, wie groß die Unterschiede zwischen diesen beiden Politikbereichen sind. Aufgrund dieser Differenzen ist es nur sehr eingeschränkt möglich, Integrationsverlauf und Integrationsgeschwindigkeit in beiden Politikbereichen zu vergleichen. So besteht ein wichtiger Unterschied darin, dass die Aushandlungsprozesse im Handelsbereich sehr konkrete Bestimmungen und Zahlenvorgaben umfassen, während die Zielsetzungen im Sicherheitsbereich weitaus unspezifischer sind und durchaus Interpretationsspielraum zulassen. Daraus kann aber nicht pauschal geschlussfolgert werden, dass die Verhandlungen im Handelsbereich schwieriger bzw. langwieriger sind, nur weil es mehr Detailfragen zu klären gibt. Demgegenüber sind die Sicherheitsfragen mit einer größeren Sensitivität belastet, was 396
Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass die Verhandlungen im Sicherheitsbereich mit weitaus mehr Vertraulichkeit geführt wurden als im Handelsbereich. Es ist also durchaus möglich, dass weitere Konflikte in den Verhandlungen aufgetreten sind, aber nicht an die Öffentlichkeit gelangten.
9.3 Hypothese zum Verlauf der regionalen Integration
319
zur Folge hat, dass bereits die Einigung auf grundlegende Zielsetzungen sicherheitspolitischer Integration langwierige Verhandlungen erfordert. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass sich die Handelsintegration auf ein einziges sehr spezifisches Ziel konzentriert: die Liberalisierung des intra-regionalen Handels. Die regionale Integration im Sicherheitsbereich umfasst hingegen verschiedene Zielsetzungen der menschlichen und militärischen Sicherheit.397 Festzuhalten bleibt, dass es undifferenziert wäre, die Entstehungszeit einzelner Protokolle im Handels- und Sicherheitsbereich gegeneinander aufzurechnen, um so Aussagen über die Geschwindigkeit der Integrationsprozesse zu erhalten. Es bleibt also allein die Feststellung, dass die Verhandlungen in beiden Politikbereichen von eher langwieriger Natur sind. Unter den Verhandlungsprozessen finden sich keine Beispiele für eine schnelle und unkomplizierte Einigung. Welche Rückschlüsse lassen diese Ergebnisse nun in Bezug auf die Hypothese zu? Die befragten Experten vertreten mehrheitlich die Auffassung, dass der Integrationsprozess im Handelsbereich leichter voranschreitet als im Sicherheitsbereich. Ihrer Meinung nach sind sicherheitspolitische Themen kontroverser als handelspolitische Fragen. Doch die Verläufe der Integration im Handels- bzw. Sicherheitsbereich zeigen auch, dass die Handelspolitik keineswegs als unkontroverser Politikbereich eingestuft werden kann. Daher muss die Einteilung in kontroverse und unkontroverse Politikbereiche im Falle des südlichen Afrikas abgewandelt werden. Sinnvoller ist es, eine differenziertere Abstufung vorzunehmen, nach der die Sicherheitspolitik als ‚sehr kontrovers’ einzuschätzen ist, während die Handelspolitik als ‚kontrovers’ bezeichnet werden kann. Doch dieser Unterschied schlägt sich nicht in der Geschwindigkeit des Integrationsverlaufs nieder. Unter Berücksichtigung der genannten Einschränkungen ist also nicht davon auszugehen, dass die Handelsintegration weitaus schneller voranschreitet, nur weil Handelspolitik im Vergleich zur Sicherheitspolitik weniger stark konfliktbehaftet ist. 9.3.3 Impulse für den Integrationsprozess Im Zusammenhang mit dem Verlauf der Integrationsmaßnahmen ist auch von Interesse, ob einer der beiden Politikbereiche eine Art ‚Anschubfunktion’ für den 397
Hierzu zählen so unterschiedliche Ziele wie die Vermeidung und Lösung von inter- und intraregionalen Konflikten mit friedlichen Mitteln, die Entwicklung demokratischer Institutionen, die Zusammenarbeit der Polizeikräfte auf regionaler Ebene und der Aufbau von regionalen Kapazitäten zum Katastrophenmanagement (vgl. Protocol on Politics, Defence and Security CoOperation, Article 2).
320
9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
Integrationsprozess ausübt. Wie in Kapitel 7.3 beschrieben, gilt es zu überprüfen, ob von der Handelsintegration Impulse für andere Bereiche des Integrationsprozesses ausgehen.398 Wenn dies der Fall ist, würde das bedeuten, dass sich handelspolitische Zusammenhänge besonders gut als Basis für einen breiter angelegten Integrationsprogramms eignen. Die im Folgenden vorgestellten Ergebnisse beruhen auf der Auswertung der Experteninterviews. Allerdings wurden die Interviewpartner nicht direkt nach einer möglichen Impulswirkung befragt. Sie kamen vielmehr im Zusammenhang mit der Frage nach kontroversen bzw. unkontroversen Politikbereichen im Integrationsprozess darauf zu sprechen. In einigen Fällen äußerten sich die Experten auch allgemein zur Beziehung zwischen wirtschaftlichen und politischen Integrationsbereichen.399 Auch diese Einschätzungen sollen im Folgenden vorgestellt werden. Anders als in der Hypothese angenommen sind die Experten mehrheitlich der Meinung, dass der eindeutig stärkere Impuls für den Integrationsprozess von politischen und nicht von wirtschaftlichen Interessen ausgehe (vgl. Interviews Nr. 13, 20, 27, 33 und 38). Demnach treiben politische Zielsetzungen den Integrationsprozess voran, während wirtschaftliche Ziele nur von nachrangiger Bedeutung seien. Ein Experte bringt die Zusammenhänge folgendermaßen auf den Punkt: „Ich denke, dass in den frühen Stufen der Integration politische Themen wichtiger sind als die eigentlichen wirtschaftlichen Themen. Die Länder müssen die Notwendigkeit zur Integration zuerst im politischen Bereich sehen und dann können sie die wirtschaftliche Integration auch weiter voranbringen. Der ganze Prozess wird von der Politik vorangetrieben.“ (Johnson Maiketso, Interview Nr. 27)
Nur ein einzelner Experte ist der Ansicht, der Integrationsprozess werde vornehmlich von wirtschaftlichen Interessen vorangetrieben (vgl. Interview Nr. 22). Eine weitere Expertin vertritt eine differenzierte Sichtweise, wenn sie hervorhebt, dass wirtschaftliche Integration möglicherweise eine Basis für weitergehende Integrationsprozesse sein kann (vgl. Interview Nr. 32). Die Experten betonen weiterhin, dass wirtschaftliche und politische Integrationsprozesse durch ein komplexes Beziehungsgeflecht miteinander verwoben sind. So ist ihrer Meinung nach politische Stabilität eine grundlegende Be398
399
In Abgrenzung zu Kapitel 9.1 geht es hier nicht um die Beweggründe, die der Initiierung eines Integrationsprozesses vorausgehen, sondern vielmehr um die Antriebskräfte, die den einmal gestarteten Integrationsprozess weiter vorantreiben. Da sich die Experten in ihren Aussagen nicht dezidiert auf Handels- oder Sicherheitspolitik bezogen, wird der eigentlich engere Fokus der Untersuchung vorübergehend zu Gunsten einer weiteren Perspektive auf wirtschaftliche und politische Integrationsprozesse ersetzt.
9.3 Hypothese zum Verlauf der regionalen Integration
321
dingung für die Handelsintegration (vgl. Interviews Nr. 1, 15, 17, 18 und 33). Andere Experten stellen die wechselseitige Beziehung zwischen politischen und wirtschaftlichen Integrationsprozessen auch in eine zeitliche Perspektive. Demnach könne sich ein Integrationsprozess, der allein auf wirtschaftlichen Interessen basiert, nur begrenzt fortentwickeln. Hat der Integrationsprozess einen gewissen Stand erreicht, müsse die ausschließlich wirtschaftliche Integrationsagenda durch politische Integration ergänzt werden, um weiter an Tiefe gewinnen zu können (vgl. Interviews Nr. 32 und 39). Ein Experte spricht in diesem Zusammenhang auch von einer ‚TandemFunktion’, in dessen Rahmen sich wirtschaftliche und politische Bestandteile des Integrationsprozesses gegenseitig antrieben und gewissermaßen gemeinsam den Integrationsprozess voranbringen (vgl. Interview Nr. 28). Erwähnenswert ist an dieser Stelle auch, dass die Einschätzungen der Experten eine Diskrepanz zwischen Konzeption und Realität des Integrationsprozesses aufzeigen. Der RISDP betrachtet das Handelsprotokoll und die damit verbundene wirtschaftliche Integration als einen Katalysator für weitergehende Integrationsmaßnahmen in anderen Politikbereichen (vgl. SADC 2003: 31, Paragraph 3.2.1).400 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung zeigen, dass diese Zielsetzung bislang nicht verwirklicht werden konnte und die Impulse für den Integrationsprozess vielmehr von politischer Seite kommen. Die Auswertung der Experteninterviews macht deutlich, dass die handelspolitische Integration im südlichen Afrika nicht als ‚Impulsgeber’ für den weiter gefassten Integrationsprozess fungiert. Stattdessen übernehmen diese Funktion die politischen Integrationsprozesse. Während die wirtschaftliche Integration mit zunehmender Integrationstiefe auch durch politische Integration begleitet werden muss, ist dies umgekehrt nicht zwingend erforderlich. Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit den Resultaten, die die Analyse zu den Motiven des Integrationsprozesses erbracht hat. Wie in Kapitel 9.1.1 dargestellt, gaben hauptsächlich politische Motive den Anstoß für die Initiierung des Kooperations- und Integrationsprozesses im südlichen Afrika. Zusammenfassend kann die Bedeutung der politischen Integrationsmaßnahmen für die Entwicklung des gesamten Integrationsprozesses also nur unterstrichen werden.
400
So heißt es wörtlich: „Trade is viewed as catalytic to deeper regional cooperation and integration and can foster growth and poverty reduction.“ (SADC 2003: 31, Paragraph 3.2.1)
322
9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
9.3.4 Zusammenfassende Beurteilung der Hypothese Die Ergebnisse zu den einzelnen Teilaspekten der Hypothese müssen nun zusammengefasst werden, um so ein abschließendes Urteil über die Hypothese zum Verlauf der Integration zu ermöglichen. Der Teilaspekt der Hypothese, wonach die Entwicklungen im Bereich der regionalen Handels- und Sicherheitspolitik auf bewusste Entscheidungen der zuständigen staatlichen Eliten zurückzuführen sind, konnte aufgrund der empirischen Ergebnisse bestätigt werden. Im Verlauf der Handels- bzw. Sicherheitsintegration konnten keine Beispiele für unintendierte spill-over-Prozesse gefunden werden, die den Integrationsverlauf aufgrund ihrer expansiven Logik in eine ungeplante Richtung lenken. Allerdings konnte im handelspolitischen Bereich eine funktionale Logik festgestellt werden, in deren Folge die fortschreitende handelspolitische Integration einen Anpassungsdruck in benachbarten Politikbereichen erzeugt. Doch dieser Handlungsdruck ist nicht stark genug, als dass er die Gestaltungsmacht der staatlichen Eliten einschränken könnte. In Bezug auf den zweiten Teilaspekt der Hypothese bilden die Ergebnisse der Experteninterviews und der Dokumentenanalyse eine wertvolle Ergänzung. Die Interviews zeigten eine vergleichsweise einhellige Expertenmeinung, dass sich der Integrationsprozess im Handelsbereich weniger kontrovers und damit leichter gestaltet als Integrationsmaßnamen im Sicherheitsbereich. Die Dokumentenanalyse konnte die hohe Sensitivität sicherheitspolitischer Fragen bestätigen, zeigte aber auch, dass Handelsfragen sich keinesfalls unkontrovers darstellen. Die zähen Verhandlungen im Handelsbereich haben verdeutlicht, wie umstritten handelspolitische Fragen für die Staaten des südlichen Afrikas sind und welch hohes Konfliktpotenzial sie besitzen. Weiterhin hat die empirische Analyse gezeigt, dass die handelspolitische Integration nicht wesentlich schneller voranschreitet als die Integration im Sicherheitsbereich. In beiden Bereichen gestalten sich die Verhandlungen auf regionaler Ebene als vergleichsweise langwierige Prozesse. Somit kann der zweite Aspekt der Hypothese nur in Teilen bestätigt werden. Die regionale handelspolitische Integration ist zwar weniger kontrovers als die sicherheitspolitische, kann aber trotzdem nicht als ‚unkontrovers’ bezeichnet werden. Zudem schlägt sich die geringe Sensitivität der Handelspolitik nicht in einem deutlich schnelleren Fortschritt der Integrationsbemühungen nieder. Die dritte Annahme der Hypothese, wonach die handelspolitische Integration Impulse für weitere Integrationsbemühungen aussenden kann und sich daher besonders als Basis eines Integrationsprozesses eignet, konnte durch die empirischen Ergebnisse nicht bestätigt werden. Stattdessen hat die Analyse erge-
9.4 Hypothese zu den Akteuren regionaler Integration
323
ben, dass die Funktion des ‚Impulsgebers’ eher den politischen Kooperationsprozessen zukommt. Dieses Resultat deckt sich mit den in Kapitel 9.1.1 vorgestellten Ergebnissen, wonach die Entscheidung, sich an regionalen Integrationsmaßnahmen zu beteiligen, mehrheitlich auf politische und weniger auf wirtschaftliche Motive zurückzuführen ist. Zusammengenommen bedeuten diese Ergebnisse, dass die Hypothese in ihrer bestehenden Form nicht bestätigt werden kann. Zwei von insgesamt drei Teilannahmen der Hypothese haben der empirischen Überprüfung nicht standgehalten. Die Ergebnisse zum Verlauf der regionalen Integration im südlichen Afrika lassen sich vor diesem Hintergrund folgendermaßen zusammenfassen: Entscheidenden Einfluss auf den Verlauf des Integrationsprozesses haben die staatlichen Eliten. Sie sind in der Lage, den Prozess nach ihren Vorstellungen zu gestalten, ohne dabei einer expansiven Integrationslogik, die von vorangegangenen Entscheidungen ausgelöst wurde, gehorchen zu müssen. Bezogen auf die beiden Politikbereiche kann festgehalten werden, dass sowohl im Handelswie auch im Sicherheitsbereich die regionale Integration mit langwierigen Verhandlungen einhergeht. Dabei können handelspolitische Fragen als konfliktreich, sicherheitspolitische Aspekte sogar als sehr konfliktreich eingestuft werden. Dies hat zur Folge, dass im Handelsbereich leichter eine Einigung erzielt werden kann. Daraus ist aber nicht zu schließen, dass sich die Handelspolitik aufgrund ihres weniger stark ausgeprägten Konfliktpotenzials besonders gut als Impulsgeber bzw. als Basis eines breiter angelegten Integrationsprozesses eignet. Diese Funktion wird von den Integrationsprozessen auf politischer Ebene übernommen. 9.4 Hypothese zu den Akteuren regionaler Integration Die Analyse im folgenden Kapitel soll nicht nur Aufschluss darüber liefern, welche verschiedenen Akteursgruppen am Integrationsprozess beteiligt sind, sondern auch die Stärke sowie die Art und Weise der Einflussnahme durch die verschiedenen Akteure spezifizieren. Die Schwierigkeit einer solchen Untersuchung liegt darin, dass die stark ausgeprägten Einflussmöglichkeiten der verschiedenen Akteure nicht quantifiziert werden können. Das Gewicht, das einzelne Akteursgruppen für die regionale Integration besitzen, kann also nur umschrieben, nicht aber in Form von Zahlenangaben ausgedrückt werden. Um die Annahmen der in Kapitel 7.4 formulierten Hypothese zu überprüfen, stehen folgende Akteursgruppen im Mittelpunkt der Untersuchung: Zunächst richtet die Analyse ein besonderes Augenmerk auf die Rolle der staatli-
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9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
chen Eliten im Integrationsprozess. Dabei werden die Staats- und Regierungschefs gesondert betrachtet, um die Bedeutung der einzelnen Führungspersönlichkeiten zu erfassen. Der Einfluss zivilgesellschaftlicher Akteure wird in einem zweiten Unterkapitel untersucht, gefolgt von den Akteuren der Privatwirtschaft im dritten Unterkapitel. An vierter Stelle wird die Relevanz der externen Akteure betrachtet, bevor zusammenfassend eine Beurteilung der Hypothese zu den Akteuren des Integrationsprozesses erfolgt. 9.4.1 Staatliche Eliten und Staatsmänner im regionalen Integrationsprozess Die Akteursgruppe der staatlichen Eliten tritt nicht zum ersten Mal in der vorliegenden Untersuchung in Erscheinung, denn bereits in Kapitel 9.2.1 wurde ihre Bedeutung für den Integrationsprozess thematisiert.401 Um Wiederholungen zu vermeiden, sollen an dieser Stelle lediglich die bereits gewonnenen Erkenntnisse kurz zusammengefasst werden. Die empirische Analyse hat gezeigt, dass den staatlichen Eliten sowohl in der handels- als auch in der sicherheitspolitischen Integration eine überaus wichtige Bedeutung zukommt. Allerdings wurden die staatlichen Akteure bisher nicht im Verhältnis zu anderen Akteursgruppen betrachtet. Eine abschließende Bewertung ihrer Rolle ist aber erst dann möglich, wenn auch die übrigen Akteure in die Analyse einbezogen wurden. Demnach kann ein endgültiges Urteil zur Relevanz der staatlichen Eliten erst nach Abschluss dieses Kapitels erfolgen. Die Frage, ob die Staats- und Regierungschefs der SADC-Mitgliedsstaaten als eigenständige Persönlichkeiten den regionalen Integrationsprozess beeinflussen, soll im folgenden Abschnitt untersucht werden. Der Fokus der Analyse wird nun also stark zugespitzt und richtet sich auf einzelne Personen und ihre Interaktionen. Diese Ausrichtung ist nicht unproblematisch, da die Betrachtung zwischenmenschlicher Beziehungen nicht zum Repertoire der Politikwissenschaft zählt, sondern vielmehr Bestandteil soziologischer und (sozial)psychologischer Untersuchungen ist. Doch die Auseinandersetzung mit den einzelnen Staats- und Regierungschefs erfolgt immer vor dem Hintergrund der Frage, welchen Einfluss ihre Persönlichkeitsstrukturen auf den Integrationsprozess ausüben. Die Experteninterviews liefern für die Analyse keine Anhaltspunkte, da die Bedeutung der Staats- und Regierungschefs in den Interviews nicht thematisiert wurde. Daher basieren die nun folgenden Erkenntnisse auf der Dokumentenanalyse und der Auswertung von wissenschaftlicher Sekundärliteratur. 401
Welche Akteure in der Gruppe der staatlichen Eliten zusammengefasst werden, erläutert das Kapitel 7.4.
9.4 Hypothese zu den Akteuren regionaler Integration
325
Innerhalb der SADC-Region treten die Persönlichkeiten zweier bzw. dreier Staatspräsidenten besonders hervor. Es handelt sich hier um den simbabwischen Präsidenten Robert Mugabe sowie um die ehemaligen südafrikanischen Präsidenten Nelson Mandela und Thabo Mbeki. Die Charaktereigenschaften und persönlichen Beziehungen dieser Akteure beeinflussen insbesondere die regionale Sicherheitspolitik, wie die folgenden Ausführungen belegen.402 Die angespannte Beziehung zwischen den Präsidenten aus Harare und Pretoria trat auf regionaler Ebene erstmals 1996 im Konflikt um die Stellung des OPDS deutlich zutage.403 Mandela, der sich für die Eingliederung des neuen sicherheitspolitischen Organs in die SADC-Strukturen einsetzte, sah sich mit den persönlichen Ambitionen Mugabes konfrontiert. Dieser verfügte als Vorsitzender der OPDS quasi im Alleingang über das Organ – eine für ihn vorteilhafte Situation, die er zu bewahren versuchte. Auch wenn alle Beteiligten bemüht waren, die persönliche Komponente des Konflikts herunterzuspielen und die Auseinandersetzung um die Stellung des Organs als rein strukturelles Problem darzustellen, konnte eines nicht verborgen bleiben: Zwischen Mandela und Mugabe bestanden persönliche Animositäten, die eine Zusammenarbeit der beiden Staatsoberhäupter stark erschwerten (vgl. Panafrican News Agency, 10.08.1998: „Southern Africa: Team Chosen To Draft SADC Reorganisation Plan“). Für den Präsident Simbabwes war der als Held gefeierte Mandela vor allem ein Konkurrent. Mit dem Amtsantritt Mandelas war Mugabe nicht länger der dienstälteste und angesehenste ehemalige Freiheitskämpfer der Region im Präsidentenamt und wurde von seinem südafrikanischen Kollegen in internationalem Ansehen übertroffen (vgl. Schleicher 2006: 50). Wie grundlegend der Konflikt zwischen den beiden Staatsmännern war, beweist auch die Tatsache, dass Mandela sich nicht scheute, Mugabe öffentlich zu kritisieren. Dies geschah beispielsweise im Zusammenhang mit Mugabes Entscheidung, im August 1998, gemeinsam mit Angola und Namibia Truppen in die DRK zu entsenden, um den von Rebellen bedrohten Präsidenten Laurent-Désiré Kabila zu unterstützen. Südafrika hatte vehement für eine Verhandlungslösung plädiert und ein militärisches Eingreifen abgelehnt (vgl. Adelmann 2004: 257).404 Mandelas Nachfolger Mbeki hatte zwar ein anders gelagertes, aber nicht minder kompliziertes Verhältnis zu Mugabe. Der 1999 ins Präsidentenamt gewählte Mbeki begegnete den Problemen im Nachbarland Simbabwe mit dem 402
403 404
Zweifelsohne bietet die Region noch weitere spannende Charaktere, doch kein Beziehungsgeflecht hat die Politik auf regionaler Ebene bislang so stark beeinflusst wie das zwischen Mugabe und den beiden südafrikanischen Präsidenten. Siehe hier zu auch Kapitel 4.4.2. Einen Überblick zur regionalen Dimension des Konflikts in der DRK liefert das Kapitel 4.4.1.
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9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
Ansatz der ‚stillen Diplomatie’. Schon im Rahmen der von Mugabe initiierten Farmbesetzungen in Simbabwe, die im Jahr 2000 begannen, trat der südafrikanische Präsident als Vermittler zwischen Simbabwe und der ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien in Erscheinung. Dieses Amt behielt er auch, nachdem die Gewaltherrschaft Mugabes sowie die damit einhergehende wirtschaftliche und politische Krise in Simbabwe eine Gefahr für die gesamte Region darzustellen begannen. Die Tatsache, dass Mbeki trotz wachsendem nationalen und internationalen Druck nicht härter gegen Mugabe vorging, hatte auch persönliche Gründe. Auf der einen Seite war die Beziehung zwischen Mugabe und Mbeki von einem Konkurrenzdenken geprägt. Dabei wurde Mugabe als berühmter ehemaliger Befreiungskämpfer eindeutig mehr Ehrerbietung zuteil als Mbeki, der nicht an vorderster Front am Kampf gegen die weiße Minderheitsregierung in seinem Heimatland beteiligt gewesen war, sondern den Befreiungskampf aus dem Exil heraus unterstützt hatte (vgl. International Crisis Group 2007: 12, Fußnote 118). Andererseits vergleichen Insider und Kommentatoren die Beziehung zwischen Mugabe und Mbeki oftmals mit einem Vater-Sohn-Verhältnis. Demnach fühle Mbeki eine besondere Verbundenheit mit dem simbabwischen Präsidenten. Der Glaube, als Einziger einen besonderen Zugang zum mittlerweile greisen Mugabe und somit auch gewisse Einflussmöglichkeiten zu besitzen, sei ebenfalls ein wichtiger Grund für seine Haltung in der Simbabwe-Krise (vgl. The New York Times, 27.06.2008: „Complex Ties Lead Ally Not to Condemn Mugabe“).405 Beide Präsidenten besitzen zudem eine gewisse Tendenz zur Verleugnung der Realität, die bei der Analyse ihre Beziehung ebenfalls berücksichtigt werden sollte.406,407 405
406
407
Weitere Erklärungen für das Festhalten an der Strategie der stillen Diplomatie werden in Kapitel 9.1.4 erläutert. So vertrat Mbeki noch im April 2008 die Ansicht, in Simbabwe gäbe es keine Krise. Ähnliche Tendenzen zeigte Mbeki auch in seiner vielfach kritisierten Haltung gegenüber der Pandemie HIV/Aids. Hier vertrat er die Auffassung, die Immunschwächekrankheit werde nicht vom HIVirus, sondern vielmehr durch armutsbedingte Faktoren wie unzureichende Gesundheitsversorgung, verschmutztes Trinkwasser und Mangelernährung verursacht (vgl. Fahamu, 02.05.2008: „Mbeki's Aids Denial - Grace Or Folly? Part III”). Mugabe lieferte weitaus mehr Beispiele für einen verschobenen Realitätssinn, als er beispielsweise der Oppositionsbewegung MDC Wahlbetrug vorwarf, die Schuld für die wirtschaftliche und politische Krise bei den westlichen Mächten, insbesondere den Briten, suchte und das Ausmaß der wirtschaftlichen Krise in seinem Land verharmloste (vgl. The Observer, 23.03.2008: „Face to face with a lonely tyrant bent on vengeance“). Die Charaktere Mbeki und Mugabe bieten zweifelsohne noch genügend Stoff für weiterführende Diskussionen, die allerdings den Rahmen dieser Arbeit sprengen würden. Daher soll an dieser Stelle lediglich auf zwei Publikationen verwiesen werden, die sich ausschließlich den beiden Persönlichkeiten widmen: Zum einen die Biografie Thabo Mbekis von Mark Gevisser („Thabo Mbeki: The Dream Deferred“, erschienen 2007 bei Jonanthan Ball Publishers in Jo-
9.4 Hypothese zu den Akteuren regionaler Integration
327
Ein anderes Beispiel, das die Relevanz persönlicher Beziehungen und ihren Einfluss auf die Politik belegt, liefert ebenfalls die Simbabwe-Krise. Nach Aussagen politischer Beobachter und Analysten liege ein weiterer Grund für Mbekis ausdauernde Unterstützung des Mugabe-Regimes in seinen persönlichen Schwierigkeiten mit der Oppositionsbewegung MDC. Zusätzlich hege Mbeki auch eine persönliche Abneigung gegen den Oppositionsführer Morgan Tsvangirai (vgl. International Crisis Group 2008a: 9, Fußnote 69). Als ein weiteres Indiz für den Einfluss persönlicher Beziehungen ist auch die Tatsache zu werten, dass der Amtsantritt des neuen Präsidenten in Botsuana hoffnungsvoll beobachtet wurde. Politische Kommentatoren sprechen dem im April 2008 ins Amt berufenen Ian Khama die Chance zu, einen neuen Impuls in die Auseinandersetzung mit Mugabe zu bringen. Da Khama noch nicht durch eine persönliche Beziehung zu Mugabe vorbelastet sei, habe er eher die Möglichkeit, kritische Themen anzusprechen (vgl. UN Integrated Regional Information Networks, 11.04.2008: „Mugabe is Losing the Region’s Support“). Außer durch zwischenmenschliche Vorlieben und Abneigungen wird das Verhältnis zweier Staaten auch durch ihre gemeinsame Vergangenheit bestimmt. Sind zwei Länder etwa seit jeher verfeindet, wird auch ein gutes persönliches Verhältnis der jeweiligen Staats- und Regierungschefs an dieser Situation nichts ändern. Das Verhältnis zwischen Südafrika und Simbabwe wird von einer alten Rivalität um wirtschaftliche Stärke und politischen Einfluss im südlichen Afrika bestimmt – eine Konkurrenzsituation, die inzwischen eindeutig zugunsten Südafrikas entschieden wurde. Doch diese Machtkonstellation kann Simbabwe, und allen voran sein Präsident Mugabe, nur schwer akzeptieren und daher begegnet er der südafrikanischen Republik mit großem Misstrauen. Der ehemalige Feind aus den Zeiten der Apartheid ist noch lange nicht zum Freund geworden (vgl. Adelmann 2004: 255).408 Die vorgestellten Beispiele belegen also, dass die Persönlichkeiten der einzelnen Staats- und Regierungschefs die Ausgestaltung der regionalen Politik beeinflussen. Damit wird der regionale Integrationsprozess nicht alleine von nationalen Interessen und strategischen Planungen bestimmt, sondern auch von den Persönlichkeitsstrukturen der Staatsoberhäupter und ihrer Beziehungen untereinander. Allerdings ist diese Feststellung nicht frei von Einschränkungen: So beziehen sich alle aufgeführten Belege ausschließlich auf sicherheitspolitische Zusammenhänge. Für den Bereich der Handelspolitik lassen sich keine derarti-
408
hannesburg) und Heidi Hollands Versuch, die Person Robert Mugabes zu ergründen („Dinner with Mugabe: The untold story of a freedom fighter who became a tyrant“, erschienen 2008 bei Penguin Books, Johannesburg). Nähere Informationen zur Situation Südafrikas innerhalb der Region liefern die Kapitel 9.2.4 und 9.2.5.
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9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
gen Beispiele finden. Das bedeutet aber nicht, dass handelspolitische Themen von den Persönlichkeitsstrukturen der Staatsoberhäupter unbeeinflusst bleiben. Stattdessen kann lediglich angenommen werden, dass die persönlichen Beziehungen in der Sicherheitspolitik deutlicher zutage treten als im Handelsbereich. Außerdem ist die Reichweite der Erkenntnisse dieses Kapitels begrenzt. Es kann allein festgestellt werden, dass die Persönlichkeiten der Staatschefs einen Einfluss ausüben. Mutmaßungen darüber, wie die regionale Politik bei alternativen Personenkonstellationen aussehen würde, sind weder möglich noch zulässig. Weiterhin ist zu beachten, dass die Persönlichkeiten der Staatsmänner auch von der Geschichte ihrer jeweiligen Staaten geprägt sind. Somit kann das Verhältnis der Staatsmänner untereinander nicht losgelöst von den historischen Beziehungen ihrer Staaten diskutiert werden. 9.4.2 Zivilgesellschaftliche Akteure im regionalen Integrationsprozess Im Mittelpunkt des folgenden Unterkapitels steht die Frage, inwiefern Akteure der Zivilgesellschaft den Integrationsprozess auf regionaler Ebene beeinflussen und nach ihren Vorstellungen gestalten. Die Einschätzungen der Experten bilden die Grundlage für die Beantwortung dieser Frage. Dabei wurde den Befragten die Möglichkeit gegeben, die ihrer Meinung nach wichtigsten Akteure im Integrationsprozess zu benennen (vgl. Interviewleitfaden, Anhang). Doch bevor die Ergebnisse der Experteninterviews vorgestellt werden, sollen folgende Hintergrundinformationen die bestehenden Kooperationsstrukturen zwischen SADC und zivilgesellschaftlichen Vertretern erläutern. Seit 1998 existiert mit dem SADC Council of Non-Governmental Organisations (SADCCNGO) eine Interessenvertretung der NROs auf regionaler Ebene. Die Mitgliedschaft der SADC-CNGO besteht aus den nationalen Dachorganisationen der Zivilgesellschaft aus vierzehn SADC-Staaten.409 Durch die Gründung des SADC-CNGO wurde für die NROs und andere regionale zivilgesellschaftliche Netzwerke eine gemeinsame Plattform auf regionaler Ebene geschaffen. Sie verfolgt das Anliegen, den Interessen der zivilgesellschaftlichen Akteure eine gemeinsame Stimme auf regionaler Ebene zu verleihen sowie den Austausch zwischen den Institutionen der SADC (insbesondere dem Sekretariat) und der Zivilgesellschaft auszubauen. Im Dezember 2003 unterzeichneten SADC-CNGO und das SADC-Sekretariat ein MoU, um den Dialog weiter zu institutionalisieren und zu konkretisieren. Darüber hinaus plant und implementiert SADC-CNGO das ‚Regional Civil Society Forum’, eine Veranstaltung, die bislang viermal 409
Lediglich die Seychellen sind nach Angaben der Internetseite des SADC-CNGOs nicht durch eine nationale Dachorganisation vertreten (vgl. www.sadccngo.org, (19.01.08)).
9.4 Hypothese zu den Akteuren regionaler Integration
329
(zuletzt im August 2008) parallel zu den SADC-Gipfeltreffen stattfindet. Das Forum soll mit Hilfe von Workshops und Diskussionsrunden den Dialog zwischen SADC und der Zivilgesellschaft fördern. Seit 2004 besitzt SADCCNGO ein kleines ständiges Sekretariat in Gaborone, Botsuana.410 Was die Ergebnisse der empirischen Untersuchung betrifft, vertritt die überwiegende Anzahl der Experten die Auffassung, dass die Akteure der Zivilgesellschaft im Handelsbereich keine relevante Rolle spielen (vgl. Interviews Nr. 2, 7, 10, 13, 15, 20, 21 und 27). Ein Experte umschreibt die Situation folgendermaßen: „Natürlich gibt es noch andere Integrationsbereiche als den Handel, an denen die Zivilgesellschaft beteiligt ist, aber in den grundlegenden Bereichen, wozu auch Handel gehört, wird die Zivilgesellschaft nicht einbezogen.“ (Farai Zizhou, Interview Nr. 10)
Die Befragten liefern auch eine Reihe von Begründungen, warum die zivilgesellschaftlichen Akteure ihrer Meinung nach weder eine relevante Rolle in der Handelsintegration im Speziellen noch in der regionalen Integration im Allgemeinen spielen.411 Einen wichtigen Grund sehen sie in der allgemeinen Schwäche zivilgesellschaftlicher Organisationen in den SADC-Staaten. Demnach litten die zivilgesellschaftlichen Gruppen an organisatorischen Schwächen (vgl. Interviews Nr. 32 und 40) sowie an mangelhaften Kapazitäten und Ressourcen (vgl. Interviews Nr. 1, 2, 15 und 27). Somit seien die zivilgesellschaftlichen Organisationen in ihrer Aktionsfähigkeit stark eingeschränkt und könnten die theoretisch angelegten Kooperationsstrukturen mit der SADC nicht entsprechend ausfüllen (vgl. Interview Nr. 38). Im Handelsbereich würde die Einbindung der Zivilgesellschaft auch durch den Umstand erschwert, dass die Handelspolitik kein typisches Arbeitsfeld zivilgesellschaftlicher Organisationen darstelle und der enge Zusammenhang zwischen Handelspolitik und Armutsbekämpfung oftmals nicht wahrgenommen werde (vgl. Interviews Nr. 15 und 21). Neben diesen Faktoren, die eine spezifische Zusammenarbeit zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Kräften im Handelsbereich erschweren, ergeben sich laut Aussagen der Befragten auch allgemeine Probleme für eine Kooperation, die sowohl für den Sicherheits- als auch für den Handelsbereich relevant sind. So werfen die Ergebnisse der Interviews und der Dokumentenanaly410
411
Weiterführende Hinweise zur SADC-CNGO finden sich auf der Internetseite der Organisation unter www.sadccngo.org. Dabei gelten die im Folgenden genannten Gründe für die Schwäche der Zivilgesellschaft auch für den Sicherheitsbereich.
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9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
se die Frage auf, inwiefern eine Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Akteuren von Seiten der SADC-Staats- und Regierungschefs überhaupt gewünscht wird. Insgesamt heben drei Interviewpartner eine problematische Einstellung der staatlichen Eliten gegenüber den zivilgesellschaftlichen Kräften hervor (vgl. Interview Nr. 16, 20 und 31). Aus seiner Perspektive als Wissenschaftler umschreibt Zibani Maundeni die Situation folgendermaßen: „Was man auch feststellen kann ist, dass das SADC Summit nicht weiß, wie man mit der Zivilgesellschaft umgehen soll. Das Summit besteht nur aus offiziellen Vertretern der Regierung und sie machen alles im Geheimen. Sie möchten gar nicht, dass die Welt außerhalb weiß bzw. versteht, was sie tun. Sie wissen gar nicht, wie sie mit der Zivilgesellschaft umgehen bzw. zusammen arbeiten können. In einigen SADC-Staaten werden die Vertreter der Zivilgesellschaft sogar als Feinde des Staates bezeichnet. Und wenn man sie als Feinde sieht, kann man nicht positiv mit ihnen zusammen arbeiten. Die Situation braucht eine kulturelle Neuorientierung, um das Denken der politischen Führer über Demokratie und ihre Einstellung gegenüber der Zivilgesellschaft zu verändern.“ (Zibani Maundeni, Interview Nr. 16)
Die Einschätzung, dass die Staats- und Regierungschefs die Organisationen der Zivilgesellschaft als „trouble maker“ wahrnehmen (Paul Kalenga, Interview Nr. 20), findet ihre Bestätigung auch an anderer Stelle. Die Staats- und Regierungschefs brachten auf ihrem Summit in Lesotho 1996 die Sorge zum Ausdruck, dass internationale Geber die NROs bewusst benutzen würden, um die Politik der Regierungen zu unterlaufen (vgl. Record of the SADC Summit, 24.08.1996, Maseru, Lesotho). Eine ähnliche Einstellung zeigte auch der tansanische Präsident Benjamin Mkapa, als er regierungskritische Haltungen der zivilgesellschaftlichen Organisationen anprangerte: „My appeal is two-fold. First, that the Civil Society in our countries should not only take the position of critics of our development philosophy and strategies. They should do more. Why do they only echo the negative attitude of our exploiters, and those that authored the rules of the unfair current trade regime and processes of global governance under which we are short-changed?“ (Rede Benjamin Mkapa anlässlich des Abschlusses des SADC Summits, 26.08.2003, Dar Es Salaam, Tansania)
Die bestehenden Schwierigkeiten bei der Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Kräfte in die SADC-Strukturen sollten aber nicht vergessen lassen, dass es sich bei der regionalen Integration im Rahmen der SADC um einen intergouvernementalen Prozess handelt. Die Experten kritisieren, dass die Integration in Form
9.4 Hypothese zu den Akteuren regionaler Integration
331
eines „top down approach“ (Paul Kalenga, Interview Nr. 20) verlaufe, dem die Verankerung innerhalb der Bevölkerung fehle (vgl. Interview Nr. 20).412 Für den Sicherheitsbereich gestaltet sich die Situation nicht anders. Auch hier beklagt eine Reihe von Experten die unzureichende Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteure in die Sicherheitsintegration (vgl. Interviews Nr. 7, 9, 22 und 35).413 Dabei heben zwei Interviewpartner hervor, dass die zivilgesellschaftlichen Kräfte im Sicherheitsbereich mit besonderen Problemen konfrontiert seien, wenn sie ihren Einfluss geltend machen möchten: „Unsere Führer sagen zwar immer, dass sie die Zivilgesellschaft einbinden werden und es auch tun, aber in Wirklichkeit gibt es nur sehr wenig Raum für die Beteiligung der Zivilgesellschaft. Das ist bedenklich. Das Problem der unzureichenden Einbindung der Zivilgesellschaft besteht insbesondere im Sicherheitsbereich. Denn Sicherheitsthemen werden als sehr sensible Themen behandelt und gesehen (…)“ (Balefi Tsie, Interview Nr. 9)414
Man kann aus den Ergebnissen der Experteninterviews schlussfolgern, dass die Akteure der Zivilgesellschaft weder im Handels- noch im Sicherheitsbereich eine relevante Gestaltungsmacht für den Integrationsprozess besitzen. Aufgrund der beschriebenen Defizite, die sowohl auf Seiten der staatlichen Akteure als auch bei den zivilgesellschaftlichen Akteuren selbst bestehen, ist eine aktive Einflussnahme auf die Integration der SADC-Staaten für sie nicht möglich. 9.4.3 Privatwirtschaftliche Akteure im regionalen Integrationsprozess Als eine weitere Akteursgruppe des regionalen Integrationsprozesses werden im folgenden Unterkapitel die Vertreter der Privatwirtschaft näher analysiert. Ausgehend von der konzeptionellen Ebene soll zunächst herausgearbeitet werden, welche Rolle die SADC den privatwirtschaftlichen Akteuren im regionalen In412
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Auf anderen, nicht-formalisierten Ebenen außerhalb der SADC finden sehr wohl regionale Integrationsprozesse der nicht-staatlichen Akteure statt, wie Hussein Solomon hervorhebt (vgl. Interview Nr. 31). Die mangelnde Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Kräfte in die Strukturen der SADC schließt andersartige Kooperationen unter den nicht-staatlichen Akteuren auf regionaler Ebene also keinesfalls aus. Eine Ausnahme stellt hier die Einschätzung des OPDS-Direktors, Tanki Mothae, dar, der die Einbindung zivilgesellschaftlicher Organisationen in die Aktivitäten der SADC positiv hervorhebt. Diese Meinung muss allerdings vor dem Hintergrund der beruflichen Stellung des Befragten gesehen werden (vgl. Kapitel 9.2.1). Die besondere Schwierigkeit zivilgesellschaftlicher Einbindung in Sicherheit- und Verteidigungsfragen führt auch Mpho G. Molomo auf die Monopolstellung des Staates in diesen Politikbereichen zurück (vgl. Interview Nr. 22).
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9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
tegrationsprozess zuspricht. In einem zweiten Schritt soll die Konzeption dann der Realität gegenüber gestellt werden. Können die privatwirtschaftlichen Akteure die ihnen zugedachte Funktion tatsächlich ausführen? Mit welchen Problemen sehen sich die Vertreter der Privatwirtschaft in ihrer Zusammenarbeit mit der SADC konfrontiert? Um diese Fragen zu beantworten, wird nicht nur auf die Experteninterviews, sondern auch auf Dokumente wie dem RISDP, Reden und Pressemitteilungen der SADC zurückgegriffen. Dabei ergibt sich eine Einschränkung: Die folgenden Ausführungen beziehen sich ausschließlich auf den Handelsbereich, da privatwirtschaftliche Akteure hier hauptsächlich aktiv sind. Auch wenn diese ein Interesse an sicherheitspolitischen Aspekten haben, um beispielsweise einen reibungslosen und sicheren Ablauf von Wirtschaftsprozessen zu garantieren, kooperieren die Vertreter der Privatwirtschaft mit der SADC ausschließlich im wirtschaftlichen Bereich. Zunächst sollen die bestehenden Kooperationsstrukturen zwischen Privatwirtschaft und SADC in Form eines kurzen Überblicks erläutert werden. Auf regionaler Ebene existiert mit der Association of SADC Chambers of Commerce and Industry (ASCCI) seit Oktober 1999 eine Dachorganisation der Industrieund Handelskammern. Sie besitzt seit Anfang 2005 ein permanentes ASCCIBüro bei der südafrikanischen Industrie- und Handelskammer in Sandton, nahe Johannesburg. Die ASCCI verfolgt unter anderem das Ziel, die Interessen der Privatwirtschaft gegenüber den SADC-Organen zu vertreten sowie Handel und Investitionen in der Region zu befördern. Zu diesem Zweck wurde die Beziehung zwischen SADC und ASCCI durch ein MoU im August 2000 auf eine formale Ebene gehoben. Im Jahr 2001 veröffentlichte ASCCI ein ‚White Paper on Economic Policy Issues in the SADC Region’, in dem es nicht nur eine Analyse des wirtschaftlichen Integrationsprozesses aus Sicht der privatwirtschaftlichen Akteure präsentierte, sondern darüber hinaus auch Empfehlungen hinsichtlich der weiteren Ausgestaltung der Wirtschaftsintegration und der Einbindung privatwirtschaftlicher Akteure formulierte. Eine Umsetzung des Dokuments steht allerdings bis heute aus. Allgemein werden die Einflussmöglichkeiten der ASCCI auf die Politik der SADC als gering eingestuft. Der Dachverband leidet nicht nur unter den beschränkten Ressourcen seiner nationalen Mitglieder, sondern muss teilweise auch um deren Unterstützung kämpfen. Zudem sind die finanziellen, technischen und personellen Möglichkeiten der ASCCI stark eingeschränkt (vgl. Vogt 2007: 269-271). Neben dem ASCCI existieren regionale Dachverbände für spezifische Sektoren wie dem Bankensektor oder der Transportindustrie. Insgesamt elf dieser Sektororganisationen haben sich im November 2004 zum ‚SADC Business Forum’ zusammengeschlossen. Ihr erklärtes Ziel besteht darin, die Interessen der Privatwirtschaft bei der Umsetzung des RISDP zu vertreten sowie die Implemen-
9.4 Hypothese zu den Akteuren regionaler Integration
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tierung rechtlich bindender regionaler Vereinbarungen, und hier insbesondere das Handelsprotokoll, zu überwachen (vgl. Vogt 2007: 271-272). Auf die Frage, welche Rolle der Privatwirtschaft im Integrationsprozess zugedacht wird, liefern der RISDP und das Handelsprotokoll relevante Hinweise. Im RISPD heißt es beispielsweise: „In the private sector development intervention area, the goal is to integrate the private sector in policy and strategy formulation and programme implementation in SADC in order to accelerate and achieve sustainable regional economic integration and poverty eradication.“ (SADC 2003a: xii)
Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass der RISDP vergleichsweise ‚starke’ Worte verwendet, wenn er von einer ‚Integration’ des Privatsektors und nicht nur von einer ‚Kooperation’ spricht. Wie eine solche Einbindung der Privatwirtschaft erreicht werden kann, wird an anderer Stelle erläutert. Demnach soll der Dialog zwischen SADC und Privatwirtschaft stärker institutionalisiert, die existierenden MoU in ihrer Verbindlichkeit gestärkt und die konkrete Arbeit an der Umsetzung des vom ASCCI verfassten White Papers aufgenommen werden (vgl. SADC 2003a: 76, Paragraph 3.6.4.4). Das Handelsprotokoll geht hingegen nicht auf die Beziehung zwischen SADC und privatwirtschaftlichen Akteuren ein, sondern hebt allein die Rolle der Privatwirtschaft für die Förderung der Handelsaktivitäten innerhalb der Regionalgemeinschaft hervor. Demnach sollen die Mitgliedsstaaten ihre politischen Maßnahmen zur Handelsförderung in enger Kooperation mit der Privatwirtschaft formulieren und die Bildung privatwirtschaftlicher Vereinigungen fördern (vgl. Protocol on Trade, Annex V, Article 2). Doch wie gestaltet sich die Beziehung zwischen Privatwirtschaft und SADC nun in der politischen Praxis? Nach Einschätzung der Experten ist die Einbindung der privatwirtschaftlichen Akteure in die Strukturen und Arbeitsprozesse der SADC bislang nur schwach ausgeprägt (vgl. Interviews Nr. 7, 10, 17, 18, 21, 23, 25, 27, 32, 33, 37 und 41). Für den bislang geringen Einfluss privatwirtschaftlicher Kräfte ist laut Experten eine Reihe verschiedener Faktoren verantwortlich. So betont Gideon Phiri im Gespräch, dass eine Stärkung privatwirtschaftlicher Akteure zunächst auf nationaler Ebene beginnen müsse. Schon dort zeige sich, dass beispielsweise die einzelnen nationalen Industrie- und Handelskammern vergleichsweise schwach sind, da sie weder genügend Mitglieder noch ausreichend finanzielle Mittel besitzen. Diese Schwäche der nationalen Organisationen würde auf den regionalen Zusammenschluss der Industrie- und Handelskammern übertragen (vgl. Interview Nr. 25, außerdem Interview Nr. 2 und 32 und 37).
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9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
Andere Experten attestieren den privatwirtschaftlichen Akteuren außerdem gravierende Informationsdefizite in Bezug auf die regionale Handelsagenda. So berichten drei Befragte, dass nach ihren Erfahrungen die Kenntnisse zur SADC allgemein und zum Handelsprotokoll im Besonderen bei den Vertretern der Privatwirtschaft nicht ausreichend seien (vgl. Interviews Nr. 5, 12 und 27). Hinzu kämen organisatorische Schwächen, die dazu führen, dass Informationen von der regionalen Dachorganisation nicht an die nationalen Industrie- und Handelskammern weitergeleitet werden (vgl. Interview Nr. 25). Durch die unzureichende Informationslage hätten die privatwirtschaftlichen Organisationen, nach Meinung zweier Befragten, die potenziellen Vorteile einer Lobbyarbeit auf regionaler Ebene bzw. einer aktiven Zusammenarbeit mit den SADC-Gremien noch nicht erkannt (vgl. Interviews Nr. 21 und 25). Stattdessen konzentrierten die Vertreter der Privatwirtschaft ihr Engagement auf die nationale Ebene und versuchten hier, ihren Einfluss geltend zu machen. Mit ganz unterschiedlichem Erfolg, wie die weiteren Aussagen der Experten belegen.415 Die Auswertung der Interviews zeigt, dass die Einbindung privatwirtschaftlicher Akteure in die regionalen Verhandlungen von Land zu Land stark variiert. So besetze beispielsweise Mauritius seine Delegation für die Verhandlungen im TNF auch mit Vertretern der Privatwirtschaft416 (vgl. Interview Nr. 10, 12 und 25). Nach Aussage von Farai Zizhou (Interview Nr. 10), der mehrere Jahre für die simbabwische Regierung an den Verhandlungen teilnahm, war es oft schwer zu bestimmen, welche der Teilnehmer aus Mauritius von der Regierung und welche von der Privatwirtschaft entsendet worden waren. Eine vergleichbar starke Position nimmt nach Aussage der Befragten auch der Privatsektor in Südafrika ein (vgl. Interviews Nr. 2, 10, 18, 21, 23, 25 und 36). Die Experten betonen, dass die Beteiligung der Privatwirtschaft hier allerdings ausschließlich auf der nationalen Ebene stattfinde, wo umfangreiche Konsultationen zwischen Regierungs- und Wirtschaftsvertretern sicherstellen sollen, dass eine gemeinsame Position für die späteren Verhandlungen auf regionaler Ebene gefunden wird (vgl. Interview Nr. 25). Am schwächsten sei die Einbindung der Privatwirtschaft nach Einschätzung eines Experten in Angola ausgeprägt, wo sich
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Im Zusammenhang mit der beklagten Schwäche der privatwirtschaftlichen Organisationen hebt Lolette Kritzinger-van Niekerk (Interview Nr. 32) eine wichtige Unterscheidung hervor. Sie betont, dass parallel zu den von der SADC forcierten Integrationsprozessen auch noch eine „de facto“-Integration stattfinde. Diese beruhe nicht auf zwischenstaatlichen Protokollen und Verträgen, sondern sei vielmehr das Resultat der konkreten Wirtschaftsaktivitäten innerhalb der Region. In diesem Bereich spiele die Privatwirtschaft wiederum eine bedeutende Rolle, da sie durch ihren Handel und ihre Investitionen das Zusammenwachsen der Region aktiv befördere (vgl. Interview Nr. 32). Nähere Informationen zum TNF finden sich in Kapitel 4.3.2.
9.4 Hypothese zu den Akteuren regionaler Integration
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Regierung und Wirtschaft eher kritisch gegenüberstehen (vgl. Interview Nr. 25).417 In welchem Maße Vertreter der Privatwirtschaft in die Verhandlungen zur Handelsintegration eingebunden würden, hängt nach Auskunft der Experten aber auch vom jeweiligen Verhandlungsthema ab (vgl. Interviews Nr. 2, 12 und 23). Wenn beispielsweise sensible Wirtschaftszweige wie die Zucker- oder Fleischproduktion auf der Verhandlungsagenda stehen, würde die Privatwirtschaft eher eingebunden. Nach Aussage der Experten machen sich in diesem Fall die Regierungen gerne die vorhandene Expertise auf Seiten der Wirtschaftsvertreter zu eigen (vgl. Interview Nr. 23 und 25). Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse der empirischen Untersuchung, dass der Einfluss privatwirtschaftlicher Akteure auf die Handelsintegration der SADC-Staaten sehr differenziert betrachtet werden muss. Je nach Mitgliedsland und je nach Verhandlungsgebiet besitzen die Wirtschaftsvertreter unterschiedlich starke Einflussmöglichkeiten. Allerdings kann verallgemeinert festgehalten werden, dass der vorhandene Einfluss der privatwirtschaftlichen Akteure auf der nationalen Ebene ansetzt, während die direkte Gestaltungsmacht auf regionaler Ebene sehr begrenzt ist. Das bedeutet auch, dass die angelegten Kooperationsstrukturen zwischen der SADC und der Privatwirtschaft bislang nicht genutzt werden (können). So lange es den Vertretern der Privatwirtschaft nicht gelingt, eigene Einflusskanäle auf regionaler Ebene zu etablieren, obliegt es der Entscheidung der einzelnen Mitgliedsstaaten, inwiefern sie eine Mitwirkung der Privatwirtschaft ermöglichen.418 9.4.4 Externe Akteure im regionalen Integrationsprozess Mit den externen Akteuren wird der Untersuchungsfokus nun auf eine Personengruppe gerichtet, die den Integrationsprozess im südlichen Afrika ‚von außen’ mitgestaltet. Dabei soll nicht nur erläutert werden, welche Akteure konkret 417
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Bestätigt werden die Aussagen der Experten auch vom ‚Midterm Review’, der die Umsetzung des Handelsprotokolls 2004 überprüfte. Dort heißt es: „Some studies made on the Mid-Term Review depict a wide variation among the SADC Member States concerning the consultation level between the public and private sector on the implementation of regional policies. For some countries the private sector is the main driving force in all the trade negotiations, while for some Member States the private sector is either oblivious of the Trade Protocol or cannot take full advantage of the Protocol since they do not have a clear understanding of it.“ (SADC Review 2004) Diese Feststellung soll nicht implizieren, dass eine Ausweitung der Beteiligungsmöglichkeiten für privatwirtschaftliche Akteure allein an den Vertretern der Privatwirtschaft scheitert. Bislang zeigt auch die SADC nur ein verhaltenes Engagement, die Privatwirtschaft stärker einzubinden.
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9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
unter dem Sammelbegriff der ‚Externen’ zusammengefasst werden, sondern auch, auf welche Art und Weise und in welchem Ausmaß sie ihren Einfluss geltend machen. Das notwendige Material für die Beantwortung dieser Fragen liefern die Experteninterviews. Befragt nach den ihrer Meinung nach wichtigsten Akteuren der regionalen Integration äußerten sich die Experten vergleichsweise ausführlich zur Rolle der ‚Externen’. Allerdings sind die Aussagen der Interviewpartner sehr allgemein und beinhalten nur schwache Differenzierungen zwischen handelsund sicherheitspolitischen Zusammenhängen. Zunächst hebt eine ganze Reihe von Experten den allgemeinen Einfluss der externen Akteure auf den regionalen Integrationsprozess im südlichen Afrika hervor (vgl. Interviews Nr. 2, 6, 7,12, 13, 14, 15, 20, 21, 23, 33, 34, 37 und 38). Unterzieht man diese Aussagen einer genaueren Analyse, ergibt sich ein deutliches Bild von der Gruppe der ‚externen Akteure’. Die Experten fassen unter dieser Bezeichnung nahezu ausschließlich die Staaten der Gebergemeinschaft zusammen, die im Rahmen der offiziellen Entwicklungszusammenarbeit die SADC unterstützen. Doch eine Reihe von Experten hebt hervor, dass innerhalb dieser Gruppe der EU eine ganz besonders wichtige Rolle zukäme (vgl. Interviews Nr. 2, 5, 11, 15, 20, 38 und 39).419 Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass andere afrikanische Staaten oder andere Entwicklungsländer/regionen von den Experten nicht berücksichtigt werden. Diese üben also ihrer Meinung nach keinen vergleichbaren externen Einfluss auf die SADC aus. Den Antworten der Experten sind auch Informationen darüber zu entnehmen, wie die internationale Gebergemeinschaft und allen voran die EU versucht, ihren Einfluss geltend zu machen. Hier zeigt sich, dass der größte Teil der Unterstützung wohl in Form von finanziellen Hilfen gewährt wird (vgl. Interviews Nr. 2, 5, 12, 15, 21, 23, 33, 37 und 38). Allerdings würde ein Teil dieser Gelder auch im Personalbereich eingesetzt. Verschiedene Stellen innerhalb der SADC würden von einzelnen Gebern direkt finanziert oder Consultants würden auf Kosten der Gebergemeinschaft mit der Erstellung von Gutachten beauftragt (vgl. Interviews Nr. 5, 12, 21 und 38). Darüber hinaus zeigen die Expertenaussagen auch, dass die Staaten der Gebergemeinschaft insbesondere im Handelsbereich noch auf einem anderen, indirekten Weg Einfluss nehmen. Denn von der Handelspolitik der Industriestaaten blieben die Mitglieder der SADC nicht unbeeinflusst. So tangiere beispielsweise die Weigerung der europäischen Staaten, ihre Subventionen im Agrarsektor zu beenden, den regionalen Handel im südlichen Afrika. Und einen ebenso gravierenden Einfluss übten die europäischen Staaten durch die Bedingungen aus, die 419
Weitere Informationen zur Bedeutung der EU als Vorbild für die regionale Integration im südlichen Afrika finden sich in Kapitel 9.5.1.
9.4 Hypothese zu den Akteuren regionaler Integration
337
sie an den Abschluss der EPA-Verhandlungen knüpfen (siehe hier auch Kapitel 9.1.2.3) (vgl. Interviews Nr. 20, 34 und 40). Aber wie ist dieser Einfluss der externen Akteure nun zu bewerten? Leisten die Vertreter der Gebergemeinschaft einen Beitrag zur Stärkung der regionalen Integration oder wirkt sich ihr Einfluss eher negativ aus? Eine eindeutige Antwort auf diese Frage ist leider nicht möglich, da es den Aussagen der Experten in diesem Zusammenhang an Klarheit mangelt. Es kann aber festgehalten werden, dass das Engagement der externen Akteure in seinen Auswirkungen für den Integrationsprozess mehrheitlich neutral bis negativ beurteilt wird.420 Ein wichtiger Faktor, der nach Meinung der Experten die Beziehung zwischen SADC und der Gebergemeinschaft erschwert, ist das bestehende Ungleichgewicht. Das Verhältnis zwischen der afrikanischen Regionalgemeinschaft und seinen westlichen Unterstützern sei in hohem Maße von Abhängigkeit geprägt. Die SADC-Staaten seien auf die Unterstützung der Geber angewiesen, wodurch ihre Handlungsalternativen eingeschränkt würden (vgl. Interviews Nr. 6, 34, 38 und 40).421 Diese Feststellungen sind insbesondere für den Handelsbereich relevant. Laut Expertenaussagen zeigt sich am Beispiel der EPAVerhandlungen, wie die Politik der Geber die SADC schwächen kann (vgl. Interviews 20, 34 und 38). Die externen Akteure forcierten die Stärkung der afrikanischen Regionalorganisation nicht bedingungslos, sondern würden auch eine eigene Agenda verfolgen, die zum Teil mit den Interessen der Staaten des südlichen Afrikas kollidiere (vgl. Interviews Nr. 15 und 33).422 Ein anderes Bild ergibt sich hingegen für den sicherheitspolitischen Bereich, denn hier ist der Einfluss der externen Akteure nach Aussage der Experten weitaus schwächer. Eine Expertin berichtet von der Vorsicht, mit der die SADC den Ratschlägen der externen Akteure begegne, und den Bestrebungen, eigenständige Positionen zu entwickeln, anstatt externe Empfehlungen zu übernehmen (vgl. Interviews Nr. 21). Weiterhin blieben die wichtigsten Entscheidungsgremien der SADC, wie das Gipfeltreffen und der Ministerrat, von externen Einflüssen weitgehend unberührt, da die Akteure der Gebergemeinschaft hier kein Mitspracherecht besäßen (vgl. Interview Nr. 33).
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Lediglich zwei Experten heben die positiven Seiten der Unterstützung durch die externen Akteure hervor (vgl. Interviews Nr. 12 und 23). Ein Experte ist sogar der Auffassung, dass die Einstellung der Hilfeleistungen der externen Akteure den sofortigen Zusammenbruch der SADC bewirken würde (vgl. Interview Nr. 38). Ein Experte erläutert seine Sichtweise folgendermaßen: „Wenn dir jemand hilft, dann möchte er von dieser Hilfe auch selbst profitieren, nicht wahr? Ich glaube, dass die EU ein Interesse daran hat, Freihandel in der Region zu etablieren, und dann können sie vom Freihandel mit der SADC profitieren. Es geschieht nach dem Motto: Wir helfen euch, damit ihr euch selbst helfen könnt und ihr damit auch uns helft.“ (Tebogog Seleka, Interview Nr. 15)
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9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
Weitere Beispiele für die Unabhängigkeit der regionalen Sicherheitspolitik liefert auch die Simbabwe-Krise. Hier blieben beispielsweise vermehrte Appelle der internationalen Staatengemeinschaft, eine wirkungsvolle Alternative zum Verhandlungsansatz der stillen Diplomatie zu finden, ungehört. Den Forderungen westlicher Staatschefs nach einem Rücktritt Mugabes schenken die SADCMitglieder keine Beachtung und halten an ihrer offiziellen Strategie der stillen Diplomatie fest (obwohl auch innerhalb der SADC insbesondere Botsuana für eine härtere Vorgehensweise gegenüber Mugabe plädiert) (vgl. International Crisis Group 2008: 7). Und auch bei der Beobachtung der simbabwischen Wahlen zeigten die von der SADC entsandten Missionen eine Form der Unabhängigkeit, indem sie dem Urteil der westlichen Wahlbeobachter widersprachen (siehe hierzu auch Kapitel 9.1.4). Resümierend kann festgehalten werden, dass die internationale Gebergemeinschaft den Integrationsprozess im südlichen Afrika beeinflusst. Sie stellt somit eine Akteursgruppe dar, die bei der Analyse der SADC nicht vernachlässigt werden darf. Ihren Einfluss machen die Geber einerseits in direkter Weise durch die Vergabe finanzieller Mittel geltend. Andererseits üben sie durch ihre Handelspolitik einen beachtlichen indirekten Einfluss auf die regionale Handelspolitik der SADC aus. Während die SADC-Staaten aufgrund ihrer marginalisierten wirtschaftlichen Stellung dem Einfluss der westlichen Geber in der Handelspolitik weitgehend schutzlos ausgeliefert sind, können sie sich im sicherheitspolitischen Bereich einem ungebetenen Einfluss der Industrienationen erfolgreich widersetzen und selbstbewusst eigenständige Wege gehen. Somit ergibt sich ein differenziertes Bild von der Rolle der externen Akteure je nach Politikbereich. 9.4.5 Zusammenfassende Beurteilung der Hypothese Die gesammelten Erkenntnisse zur Rolle und Bedeutung verschiedener Akteursgruppen im Prozess der regionalen Integration sollen nun in Bezug gesetzt werden zu den Annahmen der entsprechenden Hypothese. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, ob die empirischen Ergebnisse die Bestätigung oder Ablehnung der zuvor aufgestellten Hypothese nahelegen. In einem ersten Abschnitt der Hypothese wurde die Bedeutung der Nationalstaaten, vertreten durch ihre staatlichen Eliten, und ihre jeweiligen Staatsmänner thematisiert. Hier hat die empirische Analyse gezeigt, dass der Integrationsprozess eindeutig von den staatlichen Eliten dominiert wird. Während sie im sicherheitspolitischen Bereich eine große Gestaltungsfreiheit besitzen, sind sie im Handelsbereich mit einer anderen Situation konfrontiert. Aufgrund der mar-
9.4 Hypothese zu den Akteuren regionaler Integration
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ginalisierten wirtschaftlichen Stellung der SADC-Staaten sind die Handlungsoptionen der staatlichen Eliten hier deutlich kleiner. Ähnliches gilt für die Rolle der Staatsmänner. Die grundlegende Annahme, wonach die Persönlichkeiten der Staatsmänner und ihre Beziehungen untereinander die Politik auf regionaler Ebene beeinflussen, ist nur mit der folgenden Spezifizierung gültig: Zum einen beziehen sich die empirischen Ergebnisse allein auf die Sicherheitspolitik. Zum zweiten sind die Staatsmänner trotz ihrer persönlichen Vorlieben und Abneigungen auch untrennbar mit der Geschichte ihrer jeweiligen Staaten verbunden. Die persönliche Beziehung zwischen zwei oder mehreren Staatschefs ist also gleichzeitig auch von den historischen Beziehungen ihrer Staaten beeinflusst. Ein eindeutiges Resultat erbringen hingegen die Untersuchungen zur Rolle der zivilgesellschaftlichen Akteure. So kann die Annahme, wonach die Vertreter der Zivilgesellschaft keine nennenswerte Beeinflussung des Integrationsprozesses ausüben, bestätigt werden. Die Situation der privatwirtschaftlichen Akteure gilt es hingegen wieder differenzierter zu betrachten. Die empirische Analyse hat gezeigt, dass der Einfluss der Privatwirtschaft auf regionaler Ebene sehr begrenzt ist und ihre Gestaltungsmacht nicht losgelöst von der nationalen Ebene betrachtet werden kann. Wollen sich die privatwirtschaftlichen Akteuren in die Politik auf regionaler Ebene einbringen, so müssen sie ihren Einfluss über ihre jeweiligen nationalen Regierungen geltend machen. Die Chancen auf eine wirkungsvolle Beteiligung sind aber nicht in jedem der SADC-Mitgliedsländer und in jedem Wirtschaftssektor gleich. Eine grundlegende Beteiligung an den regionalen Integrationsprozessen üben daher nur ausgewählte Teile der Privatwirtschaft in vereinzelten Mitgliedsländern aus. Da die Hypothese diese spezifische Situation nicht entsprechend berücksichtigt, müssen ihre Annahmen zur Rolle der privatwirtschaftlichen Akteure als widerlegt betrachtet werden. Die grundlegenden Annahmen zur Rolle der externen Akteure konnten durch die empirische Analyse hingegen bestätigt werden. Allerdings hat sich gezeigt, dass sie ihren Einfluss je nach Politikbereich unterschiedlich stark zur Geltung bringen können. Daher sollte folgende Akzentuierung deutlicher hervorgehoben werden: In der Handelspolitik beeinflussen die externen Akteure durch ihre eigene Wirtschaftspolitik und ihre wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den SADC-Staaten die regionale Handelspolitik auf indirektem und direktem Wege. Im sicherheitspolitischen Bereich fehlen ihnen aber entsprechende Einflussmöglichkeiten, sodass ihre Bedeutung hier deutlich geringer ist. Die Untersuchungsergebnisse zu den einzelnen Teilaspekten zeigen, dass sich die Annahmen der Hypothese in überwiegenden Teilen als richtig erwiesen haben. Allerdings hat das empirische Datenmaterial verdeutlicht, dass die hypo-
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9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
thetischen Annahmen zu den Akteuren der regionalen Integration zu allgemein und undifferenziert formuliert waren. Im Kern hat die Hypothese der empirischen Überprüfung standgehalten und kann auf folgende Kernaussagen reduziert werden: Die staatlichen Eliten können als dominante Gruppe des Integrationsprozesses bezeichnet werden. Allein in handelspolitischen Fragen ist ihre Gestaltungsmacht eingeschränkt. Der Einfluss der Staatsmänner äußert sich insbesondere im Zusammenhang mit sicherheitspolitischen Fragen. Während zivilgesellschaftliche Akteure keinen nennenswerten Einfluss auf den Integrationsprozess ausüben, müssen die Vertreter der Privatwirtschaft nationale Kanäle nutzen, um auf die regionale Handelspolitik einzuwirken. Wie ausgeprägt ihre Einflussmöglichkeiten sind, hängt vom jeweiligen Mitgliedsland und vom entsprechenden Wirtschaftssektor ab. Externe Akteure können auf direktem und indirektem Wege die Handelspolitik der regionalen Ebene beeinflussen, während sie im sicherheitspolitischen Bereich deutlich geringere Gestaltungsmacht besitzen. 9.5 Hypothese zu den Möglichkeiten einer allgemeinen Integrationstheorie Die fünfte und somit letzte Hypothese unterscheidet sich grundlegend von den vorangegangenen Hypothesen dieser Untersuchung. Anders als bisher steht nun nicht mehr die relative Erklärungskraft der einzelnen Theorien im Vordergrund, sondern vielmehr der theoretische Rahmen, der die Auseinandersetzung mit Regionalismus in verschiedenen Teilen der Welt leiten soll. Damit bilden die nun folgenden Ausführungen gewissermaßen ein Rahmenwerk, in das die Erkenntnisse der vorangegangenen Kapitel eingebettet werden können. Die vorliegende Hypothese geht davon aus, dass ein theoretischer Ansatz auf hohem Abstraktionsniveau, der im Sinne einer Arbeitsteilung die Stärken verschiedener Theorieansätze vereint, am besten für die vergleichende Analyse von Regionalismusprozessen geeignet ist. Erweist sich diese hypothetische Annahme als richtig, so können die Erkenntnisse aus den vorangegangenen Kapiteln bereits wertvolle Hinweise für die Ausgestaltung eines solchen Theorierahmens liefern. Ganz konkret sollen anhand der Auswertung des empirischen Materials die folgenden Fragen geklärt werden: Sind vergleichende Studien von Regionalismus in verschiedenen Teilen der Welt sinnvoll und erkenntnisreich? Haben sie über die theoretische Beschäftigung hinaus auch einen praktischen Lerneffekt für die Akteure regionaler Integrationsprozesse? Existieren allgemeingültige Prinzipien der regionalen Integration, die in einem theoretischen Analyserahmen berücksichtigt werden müssten?
9.5 Hypothese zu den Möglichkeiten einer allgemeinen Integrationstheorie
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Gleichzeitig muss an dieser Stelle betont werden, dass die Erkenntnisse, die in diesem Kapitel gewonnen werden sollen, begrenzt sind. Auf der Grundlage des vorliegenden empirischen Materials können lediglich erste Anhaltspunkte zu den Möglichkeiten eines allgemeinen theoretischen Rahmens für die Untersuchung von Regionalismus identifiziert werden. Die konkrete Ausarbeitung eines solchen Analyserahmens kann an dieser Stelle nicht stattfinden. Darüber hinaus bringt die theoretische Ausrichtung der fünften Hypothese auch ein ganz praktisches Problem mit sich. Theoretische Sachverhalte lassen sich in einer Interviewsituation nur schwer vermitteln, insbesondere wenn es sich bei den befragten Personen vorwiegend um Experten aus der politischen Praxis und weniger um Wissenschaftler handelt. Die Herausforderung besteht darin, das Erkenntnisinteresse von der theoretischen Ebene herunterzubrechen und in möglichst konkrete Fragestellungen umzuwandeln. Im vorliegenden Fall handelt es sich um zwei Fragen, die diese Aufgabe erfüllen sollen. Erstens wurden die Interviewpartner nach möglichen Lerneffekten befragt, die sich aus den Erfahrungen verschiedener regionaler Integrationsprozesse weltweit ergeben. Zweitens wurden sie um ihre Einschätzung zu möglichen allgemeingültigen Prinzipien der Regionalintegration gebeten. Die Antworten der Experten auf diese Fragen werden im Folgenden erläutert. 9.5.1 Regionalismus weltweit: Lernen von anderen Regionalorganisationen Im Zentrum steht die Frage, inwiefern die Akteure der regionalen Integration im südlichen Afrika von den Erfahrungen anderer Regionalgemeinschaften lernen können und wollen. Dabei sollen nicht nur die Erfahrungen anderer Entwicklungsländer auf dem Gebiet der regionalen Integration betrachtet werden, sondern auch die entsprechenden Erkenntnisse der Industriestaaten, allen voran der EU. Nähere Informationen zu diesen Zusammenhängen können aus den Experteninterviews gewonnen werden. Auf eine entsprechende Frage nach den Lerneffekten, die die SADC-Akteure aus den Erfolgen und Misserfolgen anderer Regionalgemeinschaften ziehen können, gaben die Experten bereitwillig Auskunft. Allerdings sind die Ergebnisse der Experteninterviews auch mit folgenden methodischen Einschränkungen verbunden. Die Experten wurden sehr allgemein nach möglichen Lerneffekten gefragt, sodass sie keine entsprechende Ausdifferenzierung nach handels- und sicherheitspolitischen Themen vornahmen. Des Weiteren wurde der Begriff des ‚Lernens’ in der Interviewsituation nicht näher erläutert oder thematisiert. Dabei hat die Auswertung der Experteninterviews gezeigt, dass sich der Lernprozess auf sehr unterschiedliche Bereiche beziehen
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kann. Er umfasst das Lernen auf konzeptioneller Ebene, in dessen Rahmen Leitmotive übernommen werden können ebenso wie praktische politische Erfahrungen, die beispielsweise die institutionelle Ausgestaltung der Regionalorganisation betreffen. Vor dem Hintergrund dieser methodischen Einschränkungen sollen nun die folgenden Ergebnisse betrachtet werden. Hervorzuheben ist, dass eine große Anzahl von Experten in ihrer Antwort auf die sehr allgemein formulierte Frage nach möglichen Lern- und Nachahmungseffekten einen direkten Zusammenhang zur EU herstellte. Deutlich geringer fiel die Anzahl derjenigen Experten aus, die ihre Antwort allgemein formulierten und vom Lernpotenzial durch ‚andere’ Regionalorganisationen sprachen. Vier Experten gaben an, dass die SADC ihrer Meinung nach von den Erfahrungen anderer regionaler Integrationsprozesse profitieren könne (vgl. Interviews Nr. 28, 29, 31 und 36). Allerdings betonten zwei von diesen vier Experten, dass insbesondere die Erfahrungen anderer Entwicklungsländerregionen für die SADC wertvoll sein könnten (vgl. Interviews Nr. 28 und 29). Skeptischer gaben sich zwei weitere Experten, die ausgehend von der spezifischen Situation der SADC-Region kein Lernpotenzial für die SADC erkennen konnten (vgl. Interviews Nr. 15 und 41). Doch wie bereits erwähnt, äußerte sich die große Mehrheit der Experten zu der sehr speziellen Beziehung zwischen der SADC und der EU.423 Dabei überwog eindeutig die Auffassung, dass die SADC von den Erfahrungen der EU allgemein profitieren könne (vgl. Interviews Nr. 1, 2, 4, 5, 9, 10, 11, 12, 15, 17, 20, 21, 23, 24, 30, 36 und 40). Allerdings zeigten eine ganze Reihe von Befragten ein ausgeprägtes Bewusstsein dafür, dass die Prinzipien und Erfahrungen der EU nicht allgemeingültig, sondern kontextabhängig sind (vgl. Interviews Nr. 1, 5, 10, 11, 17, 20, und 24). Sie betonten, dass im südlichen Afrika sehr spezifische Bedingungen vorhanden seien, die sich von den Gegebenheiten in Westeuropa grundlegend unterscheiden. Diese besondere Situation müsse bei Vergleichen und bei der Suche nach Nachahmungspotenzial berücksichtigt werden. Eine weitere, deutlich kleinere Gruppe von Experten kam vor dem Hintergrund der bestehenden gravierenden Unterschiede zwischen Europa und dem südlichen Afrika zu der Einschätzung, dass die SADC aus den europäischen Erfahrungen keine oder nur sehr begrenzte Lehren ziehen könne (vgl. Interviews Nr. 7, 27, 33, 35, 38 und 41). Exemplarisch kann hier die folgende Einschätzung angeführt werden: 423
Die Tatsache, dass die Experten in so vielen Fällen den Bezug zur EU herstellen, kann als Indiz für die Dominanz der westeuropäischen Integrationserfahrungen gewertet werden. Sie zeigt, dass auch unter afrikanischen Experten die EU den Rang eines prominenten Modells regionaler Integration besitzt.
9.5 Hypothese zu den Möglichkeiten einer allgemeinen Integrationstheorie
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„Ich bin mir nicht sicher, ob Europa das richtige Beispiel ist, um von ihm zu lernen. SADC muss von den Erfahrungen anderer Entwicklungsländer lernen. Unsere Region besteht aus Ländern, die hauptsächlich Entwicklungsländer (least developed countries und developing countries) sind. Die Staaten Europas sind alle Industrienationen. Deshalb kann man keine Vergleiche ziehen. Die Erfahrungen und die Notwendigkeiten sind komplett unterschiedlich.“ (Rosalind H. Thomas, Interview Nr. 7)424
Für eine letzte Gruppe von Experten fielen die speziellen Bedingungen des südlichen Afrikas noch einmal besonders stark ins Gewicht. Sie plädierten dafür, dass sich die Staaten des südlichen Afrikas nicht von den Erfahrungen anderer Regionen leiten lassen, sondern einen eigenen ‚afrikanischen Weg’ der regionalen Integration einschlagen sollten (vgl. Interviews Nr. 6, 15, 16 und 34).425 Zusammenfassend liefern die Experteninterviews also folgendes Bild: Eine deutliche Mehrheit der Interviewten ist der Ansicht, dass die SADC unter gewissen Einschränkungen von den Erfahrungen der EU und anderen Regionalorganisationen profitieren und lernen kann (20 Experten). Sieben Experten dieser Gruppe betonen allerdings die spezifischen Bedingungen der regionalen Integration im südlichen Afrika, die bei Vergleichen und der Übertragung von Erkenntnissen des europäischen Integrationsprozesses berücksichtigt werden müssen. Eine deutlich geringere Anzahl von Experten, insgesamt acht Personen, ist der Meinung, dass die Erfahrungen in anderen Regionen kein Lernpotenzial für die SADC bieten. Weitere drei Experten teilen diese Auffassung und gehen noch einen Schritt weiter. Sie lehnen eine Orientierung der SADC an den Erfahrungen anderer Regionalorganisationen ab und fordern stattdessen einen eigenen afrikanischen Weg.426 Doch über die eigentliche Fragestellung dieses Kapitels hinaus liefern die Experteninterviews noch eine weitere interessante Erkenntnis. Auffallend oft 424
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An einer späteren Stelle des Interviews stellt Frau Thomas außerdem eine interessante zeitliche Komponente in den Vordergrund. Wenn überhaupt, so argumentiert sie, könne die SADC aus den sehr frühen Erfahrungen mit der Integration in Europa, „dem Europa der Sechs“, hilfreiche Erfahrungen ziehen (Rosalind Thomas, Interview Nr. 7). Von den fünf Experten, die sich für einen afrikanischen Sonderweg aussprechen, geben vier ihre eigene Auffassung wieder (vgl. Interviews Nr. 5, 11, 15 und 34), während Zibani Maundeni im Interview Nr. 16 lediglich berichtet, dass diese Auffassung innerhalb der Region vorhanden sei. In Einzelfällen sind die Expertenäußerungen nicht ausschließlich einer Kategorie zuzuordnen. Ein Beispiel hierfür bietet das Interview Nr. 15 mit Herrn Tebogog Seleka: „Was ich sagen kann ist nur, dass jede Region zunächst die eigenen Probleme betrachten sollte, um dann zu überlegen, was für sie am besten funktioniert. Das ist besser, als z.B. den Weg der EU zu kopieren (…)“, „Es sollte einen speziellen, afrikanischen Weg geben, aber ich weiß nicht, wie dieser in der Praxis aussehen könnte“, „Was man lernen kann von der EU, sind ihre strikten Regeln. Bei der SADC bestehen solche Regeln wenn, dann nur auf dem Papier und sie werden nicht eingehalten.“
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verweisen die Experten im Zusammenhang mit der europäischen Integration auf den vergleichsweise langen Zeitraum, der benötigt wurde, um den derzeitigen Integrationsstand zu erreichen (vgl. Interviews Nr. 2, 10, 11, 12, 17, 20, 22, 24, 27 und 40). Gleichzeitig warnen sie damit vor überzogenen Erwartungen gegenüber der SADC, die ihre Ziele in einem engen zeitlichen Rahmen umsetzen soll. Besonders prägnant bringt ein Experte die Zusammenhänge auf den Punkt: „Aber auch Rom wurde nicht über Nacht erbaut. Auch die europäischen Staaten haben lange gebraucht, um die EU zu bilden und haben immer noch Probleme. Meiner Meinung nach wird von der SADC erwartet, dass sie rennt, bevor sie überhaupt laufen kann.“ (Mpho G. Molomo, Interview Nr. 22)
Allgemein ist festzuhalten, dass der Zeitfaktor eine nicht zu vernachlässigende Rolle im regionalen Integrationsprozess spielt. In den Antworten der Experten schwingt das Bestreben mit, sich gegen ungerechtfertigte oder auch unrealistische Zeitpläne und Erwartungen zu wehren. Mit dem Verweis auf die langjährige Dauer des Integrationsprozesses in Europa besteht aber auch die Möglichkeit, Verzögerungen im Integrationsprozess der SADC zu rechtfertigen.427 9.5.2 Allgemeingültige Prinzipien des Regionalismus Die Suche nach einem theoretischen Rahmen, der sich für die vergleichende Analyse verschiedener Regionalismusprozesse eignet, ist eine schwierige Gradwanderung: Auf der einen Seite sollte dieser Analyserahmen eine vergleichsweise hohe Abstraktionsebene besitzen, denn nur so kann er trotz der bestehenden Unterschiede zwischen den verschiedenen regionalen Integrationsprozessen ein einheitliches Rahmenwerk für deren Analyse bereitstellen. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass der Theorierahmen zu allgemein gehalten wird und damit Aussage- und Analysekraft einbüßt. Die Herausforderung besteht also darin, einen theoretischen Rahmen zu formulieren, der eine Balance herstellt zwischen den allgemeinen Grundlagen des Regionalismus und den spezifischen Besonderheiten der einzelnen regionalen Integrationsprozesse. Das vorliegende Kapitel soll sich näher mit den allgemeingültigen Prinzipien des Regionalismus beschäftigen und den folgenden Fragen nachgehen: Existieren allgemeine Prinzipien, die für alle regionalen Integrationsprozesse weltweit rele427
Nicht zu vernachlässigen ist der Zusammenhang zu den äußert ambitionierten Plänen im Bereich der Handelsintegration, die unter anderem die Gründung einer Zollunion im Jahre 2010 vorsehen und vielfach als unrealistisch bewertet werden (vgl. Interviews Nr. 6, 14, 18, 39 und 41).
9.5 Hypothese zu den Möglichkeiten einer allgemeinen Integrationstheorie
345
vant sind? Und wenn ja, wie sehen sie konkret aus? Wie kann das diffizile Gleichgewicht zwischen solchen allgemeingültigen Prinzipien und den spezifischen Eigenschaften der einzelnen Regionen am besten umschrieben werden? Auch wenn diese Fragen hier nicht vollständig beantwortet werden können, so liefern die Experteninterviews dennoch interessante Anhaltspunkte, die im Folgenden vorgestellt werden sollen.428 Die Experten wurden gefragt, ob ihrer Meinung nach allgemein gültige Prinzipien oder Regeln für einen erfolgreichen regionalen Integrationsprozess im Handels- oder Sicherheitsbereich existieren. Ihre Antworten lassen sich in insgesamt drei Kategorien zusammenfassen: Die erste zahlenmäßig stärkste Gruppe von vierzehn Experten vertritt die Ansicht, dass allgemeine Prinzipien des Regionalismus existieren (vgl. Interviews Nr. 1, 5, 14, 15, 16, 20, 21, 22, 23, 24, 32, 33, 35 und 36). Innerhalb dieser Gruppe beziehen vier Interviewpartner ihre Aussage ausschließlich auf den Prozess der ökonomischen Regionalintegration (vgl. Interviews Nr. 5, 14, 16 und 33).429 Leider geben die Experten nur in wenigen Fällen konkrete Beispiele für solche allgemeingültigen Prinzipien. Nach Ansicht einer Befragten ist das allgemeine ‚commitment’, also die Unterstützung des Regionalismus durch die involvierten Akteure, ein grundlegendes Prinzip, ohne das eine regionale Integration nicht funktionieren kann (vgl. Interview Nr. 1). Eine andere Expertin vertritt die Ansicht, dass sich die Gründe und Motive der einzelnen Staaten, in verschiedenen Teilen der Welt regionalen Integrationsprojekten beizutreten, nicht unterscheiden würden. Ihrer Meinung nach existierten somit allgemeine Beweggründe, die die Staaten weltweit dazu veranlassen, sich zu regionalen Staatengemeinschaften zusammenzuschließen (vgl. Interview Nr. 35). Im wirtschaftlichen Bereich bilde die Abfolge der ökonomischen Integrationsschritte von der Freihandelszone bis zur Währungsunion ein allgemeingültiges Prinzip, wie ein weiterer Experte hervorhebt (vgl. Interview Nr. 14). Zwar teilen die Experten dieser Gruppe die Auffassung, dass allgemeingültige Prinzipien des Regionalismus existieren, sie legen aber gleichzeitig unterschiedliche Einschätzungen darüber an den Tag, welche Bedeutung den spezifischen Besonderheiten einzelner Regionen beigemessen werden muss. Dabei geht ein Experte besonders weit, wenn er konstatiert: „Ich kenne die Theorien nicht gut genug, aber ich würde vermuten, ja, es gibt allgemeine Prinzipien. Wir tendieren dazu, unsere eigene Region und unser eigenes Land zu oft als eine Ausnahme oder etwas ganz Spezielles zu betrachten. Ich glaube, 428 429
Neben den Experteninterviews wurden keine weiteren Quellen berücksichtigt. Leider kann eine solche Differenzierung für die Sicherheitspolitik nicht vorgenommen werden, da sich keiner der Befragten in seinen Äußerungen dezidiert auf den Sicherheitsbereich bezog.
346
9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung die allgemeinen Erfahrungen gelten auch für SADC.“ (Matthew Stern, Interview Nr. 36)
Andere Experten sind in ihren Einschätzungen weniger rigoros, wenn sie betonen, dass die allgemeinen Grundlagen und Prinzipien des Regionalismus noch Raum für eine spezifische Ausgestaltung des Integrationsprozesses bereitstellen würden. So könnten die Zielsetzungen der regionalen Integration beispielsweise mit Hilfe unterschiedlicher Strategien oder in verschiedenen Zeitspannen umgesetzt werden (vgl. Interviews Nr. 14, 20, 22, 32, 33 und 35). Eine zweite Gruppe von Experten lehnt die Idee von allgemeinen Prinzipien des Regionalismus zwar nicht kategorisch ab, stellt aber deutlich stärker die Besonderheiten und spezifischen Eigenschaften der einzelnen Regionen in den Vordergrund (vgl. Interviews Nr. 2, 12, 13, 15, 17, 24, 28, 31 und 39). Damit verdeutlichen diese Experten in besonderer Weise den schwierigen Balanceakt zwischen allgemeingültigen Prinzipien und der Einzigartigkeit einer jeden Regionalgemeinschaft. Ein Experte bringt diesen Zusammenhang besonders treffend zum Ausdruck: „Was wollen wir erreichen in Afrika? Wir wollen eine afrikanische Erfahrung, wir möchten etwas schaffen, wovon die Menschen profitieren und gleichzeitig möchten wir aber nicht das Rad neu erfinden.“ (Harwy Short, Interview Nr. 39)
Die Interviewpartner betonen, dass jede Region auf der Grundlage ihrer jeweiligen Erfahrungen und Probleme den regionalen Integrationsprozess gestalte und die Strategie der Vergemeinschaftung ebenso wie ihre Geschwindigkeit an diese Gegebenheiten angepasst werden müsse. Eine dritte und gleichzeitig letzte Kategorie bilden diejenigen Experten, die der Ansicht sind, allgemeingültige und anwendbare Prinzipien des Regionalismus seien nicht existent. Die beiden Experten, die diese Auffassung vertreten, betonen gleichzeitig die Gefahr, dass auf der Suche nach allgemeingültigen Prinzipien die Erfahrungen der EU generalisiert und ungeprüft auf andere Regionen übertragen würden (vgl. Interview Nr. 34).430 Resümierend hat die Auswertung der Interviews zu folgenden Ergebnissen geführt: Mehrheitlich sind die Experten der Meinung, dass allgemeine Grundsätze des Regionalismus existieren und diese eine weltweite Gültigkeit beanspruchen können. Allerdings haben die Befragten auch das Spannungsfeld aufgezeigt zwischen der Notwendigkeit, individuellen Eigenschaften der einzelnen Regionen Rechnung zu tragen und gleichzeitig von bereits bestehenden Erkenntnissen 430
In diesem Interview wurden zwei Experten, nämlich Landon MacMillan und Mmatlou Kalaba, gleichzeitig befragt.
9.5 Hypothese zu den Möglichkeiten einer allgemeinen Integrationstheorie
347
zu profitieren bzw. auf allgemeingültigen Prinzipien aufzubauen. Die praktischen Erkenntnisse, die aus den Experteninterviews gewonnen werden können, sind allerdings nur sehr begrenzt, da die Experten zu wenige konkrete Beispiele für allgemeine Prinzipien des Regionalismus liefern. 9.5.3 Zusammenfassende Beurteilung der Hypothese Der abschließenden Betrachtung der fünften Hypothese muss deshalb eine Einschränkung vorangestellt werden. Das empirische Material reicht nicht aus, um alle Annahmen der Hypothese zu überprüfen. Die Erkenntnisse, die aus den Experteninterviews gewonnen werden konnten, beziehen sich lediglich auf zwei Teilaspekte der Hypothese: Erstens stützen die Erkenntnisse der Experteninterviews die Annahme, dass vergleichende Analysen von regionalen Integrationsprozessen durchaus sinnvoll sind. Mit einer deutlichen Mehrheit vertreten die Experten die Meinung, dass die SADC von den Erfahrungen anderer regionaler Zusammenschlüsse profitieren kann. Demnach können die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien, die regionale Integrationsprozesse vergleichend untersuchen, über die Grenzen des Wissenschaftsbetriebs hinaus auch für die praktische Politik von Nutzen sein.431 Zweitens liefert die vorliegende Untersuchung erste Anhaltspunkte dafür, dass allgemeine Prinzipien des Regionalismus existieren. Die wiederum könnten einem theoretischen Analyserahmen für die vergleichende Analyse von regionalen Integrationsprozessen zugrunde gelegt werden. Allerdings erbringen die Experteninterviews keine weiterführenden Erkenntnisse zum konkreten Inhalt dieser allgemeinen Grundsätze des Regionalismus und verbleiben damit auf einem relativ abstrakten Niveau. Zusätzlich haben die Äußerungen der Experten bestätigt, dass zwei zentrale Schwierigkeiten die Entwicklung eines allgemeinen theoretischen Rahmens begleiten. Zum einen darf die Suche nach allgemeingültigen Prinzipien nicht den Blick für die spezifischen Besonderheiten eines jeden regionalen Integrationsprozesses versperren. Verschiedene Regionen besitzen unterschiedliche Integrationserfahrungen, die unter dem Vorbehalt genutzt werden können, dass keiner Region eine Vorbildfunktion zugeschrieben wird, der sich andere Regionen unterordnen müssen. Zusammengenommen sind diese Erkenntnisse interessant, reichen aber bei Weitem nicht aus, um die Annahmen der fünften Hypothese zu bestätigen oder 431
Inwiefern diese ‚Lehren aus anderen Regionen’ dann vor Ort von den politischen Akteuren angenommen und umgesetzt werden, ist eine weiterführende Frage, die ebenfalls analysiert werden müsste.
348
9 Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung
zu verwerfen. Offen bleibt beispielsweise, welche Bestandteile bestehender Theorieansätze in welcher Kombination bzw. Arbeitsteilung geeignet sind, einen sinnvollen Beitrag zu einem allgemeinen Analyserahmen zu leisten. Auch die Rolle der klassischen Integrationstheorien muss in diesem Zusammenhang noch erläutert werden. Weiterer Klärungsbedarf besteht auch hinsichtlich der Frage, ob ein allgemeiner Analyserahmen gleichermaßen für die Untersuchung von regionalen Integrationsprozessen in Industrie- wie Entwicklungsländern geeignet wäre. Auch wenn das Ziel der vorliegenden Untersuchung nicht darin besteht, einen konkreten theoretischen Rahmen für die vergleichende Analyse zu entwickeln, so ist davon auszugehen, dass die Analyse zu einem späteren Zeitpunkt noch weiterführende Erkenntnisse zu diesem Thema erbringt. Wenn im folgenden Kapitel die Rückkoppelung der empirischen Ergebnisse an ihre theoretischen Grundlagen stattfindet, werden einige der oben genannten, bislang offenen Fragen wieder aufgegriffen. Daher wird die Analyse der fünften Hypothese hier nur vorläufig unterbrochen, um sie an späterer Stelle wieder aufzunehmen. Dies geschieht in der Annahme, dass die zentralen Erkenntnisse der vorliegenden Untersuchung auch weiterführende Hinweise zur Prüfung der fünften Hypothese liefern.
10 Fazit
Im folgenden Kapitel werden die theoretischen wie empirischen Erkenntnisse der Analyse zueinander in Beziehung gesetzt. Dieser Arbeitsschritt ist besonders wichtig, denn für sich genommen besitzen sie nur eingeschränkten Nutzen. Aufeinander bezogen können die Erkenntnisse aus Theorie und Empirie aber herangezogen werden, um die zentralen Fragestellungen dieser Arbeit zu beantworten. Diese können in drei verschiedene Kategorien eingeordnet werden, die auch die Grundlage für die Strukturierung des vorliegenden Kapitels bilden. Als Erstes besteht ein grundlegendes theoretisches Erkenntnisinteresse in Bezug auf die Analysekraft der einzelnen integrationstheoretischen Ansätze. Ausgehend von der Annahme, dass eine strikte Trennung zwischen klassischen Integrationstheorien und den Theorien des NR kontraproduktiv ist, soll die Analysekraft der einzelnen Theorieansätze für den Regionalismus im südlichen Afrika untersucht werden. Als Zweites folgt die Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Grenzen einer allgemeinen Integrationstheorie. Basierend auf den Ergebnissen, die die Anwendung der drei Theorieansätze im südlichen Afrika erbracht hat, steht die Frage im Mittelpunkt, inwiefern die spezifischen Eigenschaften verschiedener regionaler Integrationsprozesse maßgeschneiderte Theoriemodelle erfordern. Als Drittes ist anzunehmen, dass der differenzierte theoretische Blickwinkel auf den Regionalismus im südlichen Afrika zu neuen bzw. ergänzenden Einblicken führt. Zusätzlich verspricht die kombinierte Analyse der regionalen Handels- und Sicherheitspolitik interessante Einblicke in zwei sehr gegensätzliche Politikbereiche. 10.1 Erkenntnisse zur Analysekraft der theoretischen Ansätze Die Annahmen der einzelnen theoretischen Ansätze wurden mit Hilfe eines Untersuchungsrasters von vier Analysekriterien strukturiert und vorgestellt. Auf der Grundlage dieser Einteilung wurden Hypothesen formuliert, in denen die Annahmen der einzelnen Theorieansätze auf die regionale Integration im südlichen Afrika bezogen wurden. Diese Hypothesen konnten mit Hilfe des empirischen Datenmaterials dieser Untersuchung getestet werden.
10.1 Erkenntnisse zur Analysekraft der theoretischen Ansätze
350
Nachdem die Hypothesentests abgeschlossen sind, besteht nun die letzte verbleibende Aufgabe darin, die Ergebnisse der Hypothesenüberprüfung wieder auf die theoretische Ebene zu beziehen. Es muss geklärt werden, welche Rückschlüsse aus den Hypothesentests für die Beurteilung der Analysekraft der einzelnen Theorieansätze gezogen werden können. Zunächst muss verdeutlicht werden, welche theoretischen Annahmen den Hypothesen zugrunde liegen bzw. welche Bestandteile der einzelnen Theorieansätze getestet wurden. Dieser Arbeitsschritt erfolgte schon bei der Herleitung der einzelnen Hypothesen in Kapitel 7. Einen schnellen Überblick zur Beziehung zwischen den theoretischen Annahmen und den Annahmen der Hypothese liefern in diesem Kapitel Übersichtstabellen. Gleichzeitig sollen diese Tabellen auch die Ergebnisse der Hypothesentests zusammenfassen und so auf den ersten Blick erkennen lassen, welche Annahmen der einzelnen Theorieansätze sich für das südliche Afrika bestätigt haben und welche widerlegt wurden. Doch zuvor sind die folgenden Erläuterungen angebracht: Es geht bei der Beurteilung der Analysekraft der einzelnen Theorieansätze nicht darum, den ‚besten’ Ansatz herauszufiltern. Dies ist auch gar nicht möglich, da es sich bei der Analysekraft, die die Grundlage für den Vergleich der einzelnen Theorieansätze bildet, um keine quantifizierbare Größe handelt. Vielmehr besteht das Ziel darin, die Stärken und Schwächen, die die einzelnen Ansätze für die Analyse des Regionalismus im südlichen Afrika bereithalten, zu identifizieren. Gleichzeitig ist die beschriebene Vorgehensweise nicht frei von methodischen Problemen. So sind die Annahmen der drei theoretischen Ansätze beispielsweise nicht zu gleichen Teilen in den einzelnen Hypothesen getestet worden. Dieser Umstand ist darauf zurückzuführen, dass die jeweils wichtigsten und prominentesten Annahmen der Theorieansätze ausgewählt und in die Hypothesen übernommen wurden. Da die theoretischen Ansätze verschiedene Schwerpunkte besitzen, entsteht so ein Ungleichgewicht, das aber durch die Gesamtzahl der Hypothesen teilweise kompensiert wird. Zudem muss die Analysekraft der Theorieansätze jeweils für die Handelsund Sicherheitspolitik der SADC getrennt bewertet werden. Diese Differenzierung ist aber nicht in allen Fällen möglich, da einzelne Hypothesen bzw. Teile einzelner Hypothesen allgemein formuliert und keine gesonderten Annahmen für die beiden Politikbereich aufgestellt wurden. Dieser Punkt berührt eine grundlegende methodische Einschränkung der vorliegenden Untersuchung, da die Forschungspraxis gezeigt hat, dass eine durchgängige Differenzierung zwischen Handels- und Sicherheitspolitik nicht möglich ist (vgl. Kapitel 8.5).
10.1 Erkenntnisse zur Analysekraft der theoretischen Ansätze
351
10.1.1 Die Motive und Ziele der regionalen Integration Dieses Kapitel setzt sich mit der Analysekraft der einzelnen Theorieansätze in Bezug auf die Motive und Ziele der regionalen Integration auseinander. Einen ersten Überblick bietet die folgende Tabelle432, die den Zusammenhang zwischen hypothetischen Annahmen, theoretischer Grundlage und empirischem Ergebnis verdeutlicht: Tabelle 8: Theorie und Empirie zu den Gründen und Motiven der regionalen Integration Einzelaspekt der Hypothese
432
Theoretischer Hintergrund
Empirisches Ergebnis
Die Gründung der SADC bzw. ihrer Vorgängerorganisation, der SADCC, ist auf politische Beweggründe zurückzuführen. Wirtschaftliche Interessen sind von nachrangiger Bedeutung.
NF: Nationalstaaten streben regionale Zusammenschlüsse hauptsächlich aus ökonomischen Gründen an, um ihre nationale Wirtschaftskraft zu stärken und ihre inländische Wohlfahrt zu steigern.
Annahme Hypothese:
bestätigt
Annahme Theorieansatz:
widerlegt
Anmerkung:
Darüber hinaus sind es primär nationale Interessen mit dem Ziel, eine Stärkung des Nationalstaates zu erreichen, die die einzelnen Staaten im Handels- wie im Sicherheitsbereich dazu bewegen, sich an regionalen Integrationsmaßnahmen zu beteiligen.
IG: Nationalstaaten beteiligen sich nur an regionalen Zusammenschlüssen, wenn ihre nationalen Interessen dadurch unterstützt werden.
Annahme Hypothese:
Wirtschaftliche und politische Motive sind nicht fix, sondern je nach Land und Zeitpunkt verschieden. Handel: bestätigt Sicherheit: nicht eindeutig bestätigt
Annahme Theorieansatz:
Handel: bestätigt Sicherheit: nicht eindeutig bestätigt
Aus Platzgründen wurden die in den folgenden Tabellen aufgeführten Einzelaspekte der Hypothese nicht im originalen Wortlaut übernommen, sondern paraphrasiert.
352
10 Fazit Anmerkung:
Sicherheit: Überlagerung von nationalen und regionalen Interessen.
Im Handelsbereich wird der regionale Zusammenschluss als Chance gesehen, die wirtschaftliche Bedeutung der Region - bzw. des Nationalstaates auszubauen und einer marginalisierten Stellung innerhalb der Weltwirtschaft zu entkommen.
NRA: Enger Zusammenhang und gegenseitige Beeinflussung zwischen Globalisierung und Regionalismus. Regionale Integration hat sogar das Potenzial, den negativen Konsequenzen der Globalisierung Einhalt zu bieten.
Annahme Hypothese:
bestätigt
Annahme Theorieansatz:
Nicht eindeutig: Zusammenhang Globalisierung und Regionalismus bestätigt. Funktion von regionaler Integration als Schutzmechanismus vor der Globalisierung widerlegt.
Im Sicherheitsbereich spielen Solidaritätsgedanken, die ihren Ursprung in der Geschichte der Region haben, als Beweggründe für den regionalen Zusammenschluss eine weitaus wichtigere Rolle als im Handelsbereich.
IG: Ideologische oder idealistische Antriebskräfte sind für Nationalstaaten keine ausschlaggebenden Beweggründe, sich an regionalen Zusammenschlüssen zu beteiligen.
Annahme Hypothese:
bestätigt
Annahme Theorieansatz:
Handel: bestätigt
Anmerkung:
Sicherheit: widerlegt Methodische Einschränkung: Hypothese deckt Annahme der Theorie nicht vollständig ab.
Quelle: Empirische Analyse, eigene Darstellung Der erste Aspekt der Hypothese, in dem die Bedeutung von wirtschaftlichen und politischen Motiven für die regionale Integration thematisiert wird, hat sich in
10.1 Erkenntnisse zur Analysekraft der theoretischen Ansätze
353
der empirischen Untersuchung bestätigt. Dies hat wiederum zur Folge, dass die Annahme des NF, wonach wirtschaftliche Beweggründe eine größere Rolle für die Beteiligung am Regionalismus spielen als politische, widerlegt ist. Ob nun politische oder wirtschaftliche Motive den Ausschlag für den regionalen Zusammenschluss geben, ist in hohem Maße vom jeweiligen Kontext abhängig und kann nicht pauschal bestimmt werden.433 Diese Kontextabhängigkeit besteht nicht nur auf empirischer Ebene, sondern betrifft auch die Theorieansätze. Die starke Betonung der wirtschaftlichen Motive durch den NF ist auch auf seine eigene Entstehungsgeschichte zurückzuführen. In seiner ursprünglichen Formulierung durch Ernst B. Haas sollte der NF den frühen Integrationsprozess in Westeuropa erklären, der mit der regionalen Zusammenarbeit in der Kohle- und Stahlproduktion begann. Ohne die politischen Beweggründe hinter dieser Vergemeinschaftung zu vernachlässigen, waren im europäischen Fall die wirtschaftlichen Beweggründe von großer Bedeutung und wurden entsprechend vom NF berücksichtigt. In einem zweiten Aspekt der Hypothese wurde die starke Betonung des IG auf die Rolle der Nationalstaaten im Prozess der regionalen Integration aufgegriffen. Im IG wird die Auffassung vertreten, dass aus dieser Dominanz der Nationalstaaten eine zentrale Bedeutung des nationalen Interesses für die Integrationsentscheidung resultiere. Aber die Annahme, dass ein regionaler Integrationsprozess allein auf der Grundlage nationaler Interessen angestrebt wird, hat sich für den afrikanischen Fall nicht bestätigt. Während in der regionalen Handelspolitik die Dominanz nationaler Interessen an den Verhandlungen zur Einführung der SADC-Freihandelszone belegt werden kann, offenbaren sich in der regionalen Sicherheitspolitik sowohl nationale als auch regionale Interessen. Die empirische Analyse hat gezeigt, dass in der Sicherheitspolitik regionale und nationale Interessen in weiten Teilen übereinstimmen und damit eine Interessenkonstellation vorherrscht, die im IG so nicht berücksichtigt wird. Nationale und regionale Interessen müssen keinen Gegensatz bilden, sondern können auch in weiten Teilen übereinstimmen. Allerdings darf dieses Ergebnis nicht ungeprüft auf andere Politikbereiche übertragen werden. Die Sicherheitspolitik (insbesondere im südlichen Afrika) wird von Sicherheitsbedrohungen bestimmt, die einen vorwiegend grenzüberschreitenden Charakter besitzen und somit gemeinsame Lösungen auf regionaler Ebene erfordern. Die Annahme des IG von einer alleinigen Dominanz nationaler Interessen hat sich für das südliche Afrika als zu undifferenziert erwiesen. Gleichzeitig verdeutlicht dieser Aspekt der Hypothese, wie wertvoll eine pa433
Gleichzeitig hat die empirische Analyse gezeigt, wie eng politische und wirtschaftliche Motivationen miteinander verknüpft sind, sodass eine Differenzierung oftmals nicht mehr möglich ist.
354
10 Fazit
rallele Analyse der Handels- und Sicherheitspolitik ist, da sie den Blickwinkel der Analyse enorm erweitert und zu sehr differenzierten Ergebnissen führt. In einem weiteren Aspekt der Hypothese wurde die Beziehung zwischen Regionalismus und Globalisierung, wie sie vom NRA hervorgehoben wird, untersucht. Mit der Bestätigung, dass die SADC-Akteure die Handelspolitik auf regionaler Ebene als Chance für eine bessere wirtschaftliche Stellung in der Weltwirtschaft sehen, haben Teile der Annahmen des NRA ihre Relevanz für das südliche Afrika unter Beweis gestellt. Die Akzentsetzung des NRA, den Regionalismus aus der Perspektive der globalisierten Welt heraus zu betrachten, hat sich bewährt. Allerdings wird die vom NRA aufgezeigte Möglichkeit, wonach der regionale Integrationsprozess eingesetzt werden kann, um den Globalisierungsprozessen Einhalt zu gebieten, im südlichen Afrika nicht wahrgenommen. Hier muss auch berücksichtigt werden, dass der NRA aufgrund seines vergleichsweise jungen Alters einen gewichtigen Vorteil gegenüber den beiden klassischen Theorieansätzen besitzt. Der NRA ist in den späten 90er Jahren zu einer Zeit entstanden, als die Auswirkungen der wirtschaftlichen Globalisierungsprozesse in Wissenschaft und Praxis deutlich zutage traten. Die beiden klassischen Ansätze wurden in den 50er und 60er Jahren unter völlig anderen weltpolitischen Voraussetzungen entwickelt und können daher die Globalisierungsprozesse gar nicht angemessen berücksichtigen.434 Einschränkend muss außerdem betont werden, dass die empirische Untersuchung nur bestätigt, dass die regionale Integration im südlichen Afrika als Chance für eine verbesserte Teilhabe an den globalen Wirtschaftsprozessen gesehen wird. Ob diese Chance auch tatsächlich genutzt und in praktische politische Maßnahmen umgesetzt wird, ist eine andere Frage, die hier nicht beantwortet werden kann. Im vierten Aspekt der Hypothese bezieht sich das Erkenntnisinteresse auf einen Vergleich der beiden Politikbereiche. Hier wird die Annahme überprüft, dass Solidaritätsbewusstsein unter den afrikanischen Staaten für die regionale Sicherheitspolitik mehr Gewicht besitzt als für die Handelspolitik. Diese Annahme hat sich in der empirischen Analyse bestätigt. Allerdings deckt sich die Mutmaßung des IG nicht eindeutig mit der formulierten Hypothese. Die hypothetischen Annahmen gehen allein auf die unterschiedlich hohe Relevanz, die idealistische Motive in der Handels- und Sicherheitspolitik besitzen, ein. Sie beziehen sich nicht auf die Bedeutung die idealistische Motive losgelöst von der vergleichenden Betrachtung, in den einzelnen Politikbereichen besitzen. Zusammenfassend haben sich die Annahmen des IG nur für die Handelspolitik bestätigt, da dem regionalen Integrationsprozess hier keinerlei idealistische 434
Allerdings können neuere theoretische Ansätze, die die Annahmen der klassischen Ansätze weiterentwickeln, sehr wohl auf die Gegebenheiten der globalisierten Weltwirtschaft eingehen.
10.1 Erkenntnisse zur Analysekraft der theoretischen Ansätze
355
Motive zugrunde liegen, während die regionale Sicherheitspolitik auch von regionalen Solidaritätsmotiven bestimmt wird. Nach der eingehenden Betrachtung der einzelnen Aspekte der Hypothese und ihrer jeweiligen theoretischen Fundierung sollen nun die Erkenntnisse für die einzelnen Theorieansätze erläutert werden. Für den IG hat sich gezeigt, dass seine Fokussierung auf rein nationale, machtpolitische Interessen die Realität des Regionalismus im südlichen Afrika nicht vollständig erklären kann. Die Rolle gemeinsamer regionaler Interessen oder die Bedeutung idealistischer Motivationen können mit dieser Ausrichtung nicht erfasst werden. Außerdem hat die Analyse deutlich gemacht, wie stark die einzelnen Theorieansätze vom Kontext ihrer jeweiligen Entstehungszeit geprägt sind. So spielten wirtschaftliche Motive, die der NF hervorhebt, im europäischen Integrationsprozess eine wichtige Rolle, während sie im südlichen Afrika nur von zweitrangiger Bedeutung sind. Gleichzeitig sind dem NF und dem IG für die Analyse der SADC Grenzen gesetzt, weil sie die bestehenden Interdependenzen des 21. Jhd. nicht in gleichem Maße berücksichtigen können wie der NRA als vergleichsweise junger Ansatz, der im ‚Zeitalter der Globalisierung’ entwickelt wurde. Hier besitzen die klassischen Theorieansätze einen klaren Nachteil gegenüber dem NRA. Einen weiteren Vorteil hat der NRA aufgrund seines breiten Blickwinkels, der nicht nur auf die Region ausgerichtet ist, sondern auch die globale Ebene einbezieht. Diese Perspektive hat sich für die Analyse des afrikanischen Regionalismus als überaus wertvoll erwiesen. 10.1.2 Die förderlichen Bedingungen für regionale Integration Die einzelnen förderlichen Bedingungen, die von den theoretischen Ansätzen als Voraussetzungen für ein Gelingen der regionalen Integration angeführt werden, stehen nunmehr im Mittelpunkt des folgenden Kapitels. Die Überprüfung der Relevanz der einzelnen Bedingungen besitzt gleich zwei Analyseschwerpunkte: Zum einen ist von Interesse, ob die einzelnen förderlichen Bedingungen im südlichen Afrika gegeben sind. Zum Zweiten muss geklärt werden, ob die einzelnen Bedingungen im afrikanischen Kontext tatsächlich relevant sind bzw. ob ihr Vorhandensein oder Fehlen Auswirkungen auf die Erfolgsaussichten der regionalen Integration hat. Einen ersten Überblick zu den Erkenntnissen der empirischen Überprüfung der einzelnen Theorieannahmen liefert die folgende Tabelle.
356
10 Fazit
Tabelle 9: Theorie und Empirie zu den förderlichen Bedingungen der regionalen Integration Einzelaspekt der Hypothese Regionale Integration wird im Handels- wie auch im Sicherheitsbereich ohne die Mitwirkung gesellschaftlicher Gruppen allein von staatlichen Eliten getragen.
Die staatlichen Eliten zeigen nur begrenzten politischen Willen, die Integration voranzubringen.
Die Sicherheitsintegration hat aufgrund bestehender Austauschprozesse der Nationalstaaten bessere Erfolgsaussichten als die Handelsintegration.
Theoretischer Hintergrund IG + NF: Sind neben den politischen Entscheidungsträgern weitere gesellschaftliche Akteure in den Integrationsprozess involviert, bestehen gute Erfolgsaussichten.
IG + NF: Erfolgsaussichten der Integration sind besonders gut, wenn die nationalen Eliten die Integration unterstützen. NF: Eine förderliche Bedingung ist dann erfüllt, wenn zwischen den Staaten, die eine Regionalintegration anstreben, bereits umfassende Transaktionen stattfinden.
Empirisches Ergebnis Annahme Hypothese:
Handel: Bestätigt Sicherheit: bestätigt
Annahme Theorieansatz:
bestätigt
Relevanz der Bedingung:
gegeben
Annahme Hypothese:
bestätigt
Annahme Theorieansatz:
bestätigt
Relevanz der Bedingung: Annahme Hypothese:
gegeben
Annahme Theorieansatz:
nicht eindeutig
Relevanz der Bedingung:
nicht eindeutig
nicht eindeutig
10.1 Erkenntnisse zur Analysekraft der theoretischen Ansätze Ein Gemeinschaftsgefühl nehmen die SADC-Staaten weder im handelsnoch im sicherheitspolitischen Bereich wahr, da die Vormachtstellung Südafrikas zu einem großen wirtschaftlichen und politischen Ungleichgewicht führt.435 Zusätzlich wird die Regionalintegration durch die fehlende Homogenität der beteiligten Staaten im wirtschaftlichen wie politischen Bereich erschwert.
IG: Subjektiv wahrgenommene Gemeinsamkeiten unter den beteiligten Staaten wirken sich positiv auf die Integrationsentwicklung aus.
NRA: Regionale Integration wird durch wirtschaftliche, politische, sicherheitspolitische und kulturelle Homogenität der beteiligten Staaten erleichtert.
357
Annahme Hypothese:
bestätigt
Annahme Theorieansatz:
bestätigt
Relevanz der Bedingung:
gegeben
Annahme Hypothese:
bestätigt
Annahme Theorieansatz:
bestätigt
Relevanz der Bedingung:
gegeben
Quelle: Empirische Analyse, eigene Darstellung In einem ersten Aspekt der Hypothese wurde die Rolle der staatlichen Eliten im regionalen Integrationsprozess untersucht. Damit steht die Annahme des NF und des IG zur Disposition, wonach der regionale Integrationsprozess gute Erfolgsaussichten besitzt, wenn er außer durch die staatlichen Eliten auch von anderen gesellschaftlichen Gruppen unterstützt und getragen wird. Die empirische Analyse belegt, dass die staatlichen Eliten die mit Abstand wichtigsten Akteure in den handels- und sicherheitspolitischen Integrationsmaßnahmen darstellen und die Einbindung weiterer gesellschaftlicher Akteure mangelhaft ist. Damit ist eine erste förderliche Bedingung im südlichen Afrika also nicht erfüllt. Dass diese Bedingung im südlichen Afrika aber durchaus Relevanz besitzt, zeigen die negativen Konsequenzen, die mit der Vormachtstellung der staatlichen Eliten einhergehen. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse konnte der erste Aspekt der Hypothese für beide Politikbereiche bestätigt werden. Gleichzeitig belegt die empiri435
Es handelt sich hier um die überarbeitete Hypothese (vgl. Kapitel 9.2.7).
358
10 Fazit
sche Analyse, dass die Annahmen der Theorie im südlichen Afrika zutreffend und relevant sind. Demnach ist das Vorhandensein pluralistischer Gesellschaftsstrukturen in den SADC-Staaten keine notwendige, wohl aber eine förderliche Bedingung, die den Integrationsprozess entscheidend voranbringen könnte. In einem zweiten Aspekt haben NF und IG hervorgehoben, dass ein regionaler Integrationsprozess weitaus bessere Erfolgsaussichten besitzt, wenn die nationalen Eliten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft den Prozess unterstützen. Wie bereits gezeigt, üben im südlichen Afrika ausschließlich die staatlichen Eliten einen entscheidenden Einfluss auf die regionale Integration aus. Die empirische Untersuchung zeigte allerdings, dass die staatlichen Eliten der SADC-Staaten dieser großen Bedeutung nicht gerecht werden, da sie die regionale Vergemeinschaftung eben nicht angemessen unterstützen. Damit hat sich die Annahme der Hypothese bestätigt. Die Annahmen des NF und des IG haben sich ebenfalls als richtig und relevant erwiesen, denn der mangelnde Wille der staatlichen Eliten, die Vergemeinschaftung auf regionaler Ebene zu unterstützen, stellt ein zentrales Hindernis für die Fortentwicklung der SADC dar. Weniger eindeutig präsentieren sich die Ergebnisse zum dritten Aspekt der Hypothese. Welche Bedeutung die Transaktionen zwischen den Nationalstaaten für den Erfolg einer Regionalgemeinschaft haben, konnte für das südliche Afrika nicht geklärt werden. Im Sicherheitsbereich sind zwar ausführliche Transaktionen in Form von Konsultationen und Verhandlungen vorhanden. Diese führten im konkreten Fall der Simbabwe-Krise aber eher zu einer Spaltung innerhalb der SADC als zu vertiefter sicherheitspolitischer Integration. Auch die konkreten Ergebnisse der Verhandlungen müssen sich in der politischen Realität noch beweisen. Anders im Handelsbereich, wo die Bedingung aufgrund dürftiger wirtschaftlicher Transaktionen zwar nicht gegeben ist, die Integration aber Fortschritte verzeichnet. Das hat zur Folge, dass der dritte Aspekt der Hypothese weder bestätigt noch verworfen werden kann, da eine vergleichende Beurteilung der Relevanz von Transaktionen in der regionalen Handels- und Sicherheitspolitik nicht möglich ist. Die subjektive Wahrnehmung von Gemeinsamkeiten unter den Staaten einer Regionalgemeinschaft ist eine weitere förderliche Bedingung, die der IG hervorhebt und die auf ihre Relevanz im südlichen Afrika hin untersucht wurde. Die empirischen Ergebnisse bestätigen die Annahme, dass ein subjektives Gemeinschaftsgefühl unter den SADC-Staaten weder im wirtschaftlichen noch im politischen Bereich existiert. Als zentrale Ursache für das mangelnde Gemeinschaftsgefühl konnte die Vormachtstellung der Republik Südafrika innerhalb der Region identifiziert werden. Damit hat sich gezeigt, dass diese förderliche Bedingung im südlichen Afrika nicht gegeben ist, wobei sich gleichwohl ihre Rele-
10.1 Erkenntnisse zur Analysekraft der theoretischen Ansätze
359
vanz bestätigt hat. Der mangelnde Gemeinschaftssinn unter den SADC-Staaten hat negative Auswirkungen auf den Verlauf der regionalen Integration, was sich wiederum beispielhaft am Umgang mit der wirtschaftlichen und politischen Dominanz Südafrikas zeigt. Die Betonung der subjektiven Wahrnehmung der einzelnen Nationalstaaten durch den IG hat sich in diesem Zusammenhang als besonders wertvoll erwiesen. Die empirischen Erkenntnisse, insbesondere diejenigen aus den Experteninterviews, zeigen, dass die subjektiven Vorurteile, Ängste sowie die jeweiligen historischen Erfahrungen der beteiligten Staaten eine wichtige Rolle spielen. Allerdings besitzen diese Ergebnisse zum vierten Aspekt der Hypothese auch eine Einschränkung. Sie beziehen sich nicht explizit auf die Handels- und Sicherheitspolitik, sondern differenzieren nur allgemeiner zwischen wirtschaftlichen und politischen Aspekten. Diese Einschränkung gilt ebenso für den fünften und damit letzten Aspekt der Hypothese, denn auch hier wird allein zwischen wirtschaftlichen und politischen Aspekten der regionalen Integration unterschieden. Dabei steht die Annahme des NRA zur Diskussion, wonach die Aussichten der Regionalintegration besonders gut seien, wenn sich die beteiligten Staaten durch wirtschaftliche, politische, kulturelle und sicherheitspolitische Homogenität auszeichnen. Anders als in der Annahme des IG geht es hier also um objektiv vorhandene Gemeinsamkeiten und nicht um deren subjektive Wahrnehmung. Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung können den fünften Aspekt der Hypothese und somit auch die Annahme des NRA bestätigen. Gleichzeitig kann die Relevanz der Homogenitätsbedingung bewiesen werden, da von den ökonomischen Entwicklungsunterschieden zwischen den SADC-Staaten und ihrer unterschiedlichen Einhaltung politischer Werte wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit eine hemmende Wirkung auf den regionalen Integrationsprozess ausgeht. Zusammenfassend führen die Ergebnisse der Einzelaspekte der Hypothese zu nachstehenden Schlussfolgerungen für die Analysekraft der einzelnen Theorieansätze: In der überwiegenden Mehrheit sind die getesteten förderlichen Bedingungen der Theorieansätze auch für die regionale Integration im südlichen Afrika relevant.436 Damit ist die Analysekraft der untersuchten theoretischen Ansätze in Bezug auf die förderlichen Bedingungen einer erfolgreichen Regionalintegration überraschend hoch. Gleichzeitig hat die empirische Analyse auch erste Anhaltspunkte zum Gewicht der einzelnen Bedingungen geliefert. Die Tatsache, dass die SADC-Staaten zwar keine der ausgeführten förderlichen Bedingungen erfüllen, der Integrationsprozess aber dennoch – wenn auch unter erschwerten Bedingungen – fortgeführt wird, ist aufschlussreich. Die Bedingun436
Lediglich den Transaktionen unter den Mitgliedsländern konnte keine weit reichende Bedeutung für die Erfolgsaussichten der Regionalintegration im südlichen Afrika attestiert werden.
360
10 Fazit
gen sind demnach nicht absolut notwendig, um den Integrationsprozess aufrechtzuerhalten, sondern erleichtern und fördern vielmehr die regionale Vergemeinschaftung. Die förderlichen Bedingungen, die die einzelnen Theorien in den Vordergrund stellen, sind von vergleichsweise allgemeiner Natur. Die grundlegende Bedeutung dieser Bedingungen wird auch durch ihre verifizierte Bedeutung im afrikanischen Kontext unterstrichen. Und auch die Tatsache, dass NF und IG in Bezug auf zwei Erfolgsbedingungen die gleiche Auffassung vertreten, unterstreicht den fundamentalen Charakter dieser Bedingungen. Als besonders wertvoll hat sich in diesem Zusammenhang auch die Perspektive des IG erwiesen, der die subjektive Wahrnehmung der beteiligten Staaten in den Vordergrund rückt. Diese Sichtweise ist für das südliche Afrika besonders nützlich, da die Region auf eine bewegte Geschichte zurückblickt, die die Einstellungen und Sichtweisen der einzelnen Staaten nachhaltig und individuell verschieden prägte. 10.1.3 Der Verlauf der regionalen Integration Eine erste Gegenüberstellung der empirischen Untersuchungsergebnisse mit den theoretischen Annahmen erfolgt in tabellarischer Form: Tabelle 10: Theorie und Empirie zum Verlauf der regionalen Integration Einzelaspekt der Hypothese Der Verlauf der regionalen Integration im südlichen Afrika ist das ausschließliche Resultat bewusster Entscheidungen der beteiligten Nationalstaaten bzw. ihrer staatlichen Eliten.
Theoretischer Hintergrund IG: Ein Fortschreiten des Integrationsprozesses ist allein auf die bewussten Handlungen der politischen Entscheidungsträger zurückzuführen. NF: Die Integration in einem funktional abgegrenzten, vergleichsweise unkontroversen
Empirisches Ergebnis Annahme Hypothese:
Annahme Theorieansatz IG:
Handel: bestätigt Sicherheit: bestätigt Handel: mit Einschränkung bestätigt
Sicherheit: mit Einschränkung bestätigt
10.1 Erkenntnisse zur Analysekraft der theoretischen Ansätze
In der vergleichsweise unkontroversen Handelspolitik schreitet die Regionalintegration schneller bzw. leichter voran als in der höchst sensiblen Sicherheitspolitik.
Die Handelspolitik eignet sich besonders als Ausgangspunkt für regionale Integration und kann die Funktion eines Impulsgebers für weitergehende Integrationsbemühungen übernehmen.
Sektors setzt eine expansive Logik in Gang, wodurch die Notwendigkeit zur Integration weiterer, angrenzender Sektoren geschaffen wird (spillover).
Annahme Theorieansatz NF:
IG: Eine Einteilung in kontroverse bzw. unkontroverse Politikbereiche ist sinnvoll, da die regionale Integration in unkontroversen Politikbereichen leichter voranschreitet als in kontroversen Politikbereichen. NF: Da die Handelspolitik einen vergleichsweise technischen, unkontroversen Charakter besitzt und funktional gut abgrenzbar ist, eignet sie sich besonders gut als Basis der Integration bzw. als Impulsgeber für weitere Integrationsschritte.437
Annahme Hypothese:
361 Handel: widerlegt, funktionale Logik im Handelsbereich Sicherheit: widerlegt, in Teilen bestätigt
Annahme Theorieansatz:
in Teilen bestätigt
Annahme Hypothese:
widerlegt
Annahme Theorieansatz:
widerlegt
Quelle: Empirische Analyse, eigene Darstellung Der erste Aspekt der Hypothese wurde vor dem Hintergrund der konkurrierenden Annahmen von NF und IG formuliert. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, inwieweit die staatlichen Eliten die regionale Integration lenken können und ob ihnen eventuell durch die expansive Logik der spill-over-Prozesse ein Stück ihrer Gestaltungsmacht genommen wird. 437
Der Unterschied zu den Annahmen bezüglich der Motive der regionalen Integration wird in Fußnote 245 erläutert.
362
10 Fazit
Die Überprüfung der theoretischen Annahmen war mit einer Reihe methodischer Herausforderungen verknüpft, die zur Folge haben, dass die Ergebnisse mit Einschränkungen zu betrachten sind und nicht so eindeutig ausfallen wie erwartet (vgl. Kapitel 9.3.1). Ein erstes allgemein formuliertes Resultat besteht aber darin, dass die Annahmen des IG im afrikanischen Kontext mehr Relevanz besitzen als die des NF. Die staatlichen Eliten konstruieren und kontrollieren den Integrationsprozess im südlichen Afrika, ohne dabei in ihrer Gestaltungsmacht von der expansiven spill-over-Logik eingeschränkt zu werden. Dieses Ergebnis bedeutet aber nicht, dass die Relevanz neofunktionalistischer Annahmen zum Integrationsverlauf gänzlich widerlegt wurde. Die zentrale Vorstellung, wonach ein Fortschritt der Integration in einem Politikbereich einen erhöhten Integrationsdruck in angrenzenden Bereichen herbeiführt, konnte für den Handelsbereich bestätigt werden. Allerdings besitzen die staatlichen Eliten im südlichen Afrika die Entscheidungsgewalt darüber, ob sie dem Integrationsdruck nachgeben oder nicht. Somit entwickelt sich kein quasiautomatischer Fortschritt im Integrationsprozess, wie er von Ernst B. Haas in seinen frühen Arbeiten beschrieben wurde. Stattdessen ergibt sich für die staatlichen Eliten eine Reihe von Handlungsalternativen, die unter anderem auch einen Stillstand oder einen Rückschritt des Integrationsprozesses beinhalten. Demnach hat sich die funktionale Logik des NF also für den Handelsbereich als tragfähig erwiesen, wenn auch keine spill-over-Prozesse festgestellt werden konnten. Vor diesem Hintergrund besitzen die Annahmen des IG eine höhere Erklärungskraft für den Verlauf der Integration im südlichen Afrika. So konnte die Analyse für beide Politikbereiche zeigen, dass die staatlichen Eliten die Regionalintegration nach eigenem Ermessen steuern und gestalten. Zwar sind sie in ihrer Gestaltungsmacht durch die Rahmenbedingungen, die ihnen die globalisierte Welt bietet, eingegrenzt, aber dennoch gelingt es ihnen, die zur Verfügung stehenden Spielräume optimal zu nutzen. Im zweiten Aspekt der Hypothese bestätigt sich eine zentrale Annahme des IG: Die untersuchten Politikbereiche besitzen eine unterschiedliche Eignung für den regionalen Integrationsprozess. Das bedeutet, dass in einigen Politikbereichen mit größeren Blockaden für einen reibungslosen Integrationsverlauf zu rechnen ist als in anderen. Während der Integrationsverlauf in der Handelspolitik zwar mit Problemen behaftet ist, aber dennoch voranschreitet, sind die Aussichten auf Fortschritte in der sicherheitspolitischen Integration weitaus schlechter. Allerdings hat die Realität der SADC-Integration gezeigt, dass die ursprüngliche Terminologie des IG an die spezifischen Gegebenheiten angepasst werden muss. Im Kontext der SADC kann die Handelspolitik nicht als unkontrovers bezeichnet werden. Da sie aber dennoch weniger Blockadepotenzial für den Integrationsprozess bereithält als die Sicherheitspolitik, erscheint eine Einteilung
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in ‚kontroverse’ und ‚sehr kontroverse’ Politikbereiche treffender. Außerdem konnte anhand der empirischen Ergebnisse gezeigt werden, dass sich die unterschiedlich ausgeprägte Eignung, die Handels- und Sicherheitspolitik für die Regionalintegration besitzen, nicht auf die Geschwindigkeit der Vergemeinschaftung in diesen Bereichen überträgt. Allerdings stößt die empirische Analyse hier auch an ihre Grenzen, da die Handels- und Sicherheitspolitik der SADC nur eingeschränkt miteinander verglichen werden können (vgl. Kapitel 9.3.2). Zusammenfassend hat sich die Perspektive des IG für die SADC also nur in Teilen als hilfreich erwiesen und musste zudem in ihrer Terminologie angepasst werden. Ein dritter und gleichzeitig letzter Aspekt der Hypothese setzt sich mit der Annahme auseinander, die regionale Integration im Handelsbereich eigne sich als Impulsgeber bzw. Basis für die Ausweitung der Vergemeinschaftung auf weitere Politikbereiche. Die empirische Untersuchung zeigt, dass diese Vorstellung für die regionalen Integrationsprozesse im südlichen Afrika nicht zutreffend ist.438 Die zugrunde liegende Annahme des NF, wonach der Integrationsprozess idealerweise in funktional abgegrenzten, vergleichsweise unkontroversen Bereichen seinen Ausgang nimmt, um sich dann auf angrenzende Politikbereiche auszudehnen, hat sich im afrikanischen Kontext also nicht bestätigt. Die regionale Handelspolitik erfüllt die Funktion eines Impulsgebers nicht, weil ihr eine grundlegende Eigenschaft fehlt, die der NF hervorhebt: Wie die oben vorgestellten Ergebnisse zum zweiten Einzelaspekt der Hypothese belegen, erweist sich die Handelspolitik der SADC keinesfalls als unkontroverser Politikbereich. Stattdessen zeigen die empirischen Ergebnisse, dass die Impulse für eine Weiterentwicklung der regionalen Integration im südlichen Afrika eher von politischer Seite kommen und politische Interessen und Motive dafür sorgen, dass regionale Vergemeinschaftung weiter vorangetrieben wird. Nach den Erkenntnissen der empirischen Untersuchung besitzen die Theorieansätze in Bezug auf den Verlauf der regionalen Integration folgende Analysekraft. Zunächst konnte die systematische Vorstellung der Theorieansätze nach dem vorgegebenen Raster der vier Analysekriterien in Kapitel 6 bereits zeigen, dass die Fortentwicklung des Integrationsprozesses im Theoriegebäude der einzelnen Ansätze einen unterschiedlichen Stellenwert einnimmt. Besonders auffallend ist hier der Gegensatz zwischen NF und NRA. Während der NF den Integrationsprozess auf regionaler Ebene in den Mittelpunkt seiner Analyse stellt und sich ausgiebig mit seinen Antriebskräften und Hemmnissen auseinandersetzt, fehlt dem NRA eine solche Schwerpunktsetzung. Letzterer präsentiert 438
Damit haben sich auch die Annahmen von Joseph S. Nye bestätigt (vgl. Kapitel 6.1.7).
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10 Fazit
allein ein Verlaufsmodell, das unterschiedliche Stufen in der Fortentwicklung des Regionalismus aufzeigt, ohne jedoch weitere Angaben zu den konkreten Mechanismen zu machen, die den Prozess vorantreiben. Entsprechend dieser unterschiedlichen Ausrichtung werden mit der dritten Hypothese keine Annahmen des NRA überprüft, während je zwei Erklärungen des NF und des IG zur Diskussion stehen. Vor dem Hintergrund dieser Schwerpunktsetzung der theoretischen Ansätze ist die Widerlegung neofunktionalistischer Annahmen in gleich zwei Fällen gravierend. Die zentrale Vorstellung des NF, wonach sich der Integrationsprozess im Rahmen einer expansiven spill-over-Logik auf andere, angrenzende Politikbereiche ausbreitet, hat sich für den afrikanischen Fall nicht bestätigt. Damit ist ein zentraler Bestandteil des NF in seiner Relevanz für das südliche Afrika widerlegt. Dieses Urteil wird lediglich dadurch abgemildert, dass eine funktionale Logik, wie sie der NF beschreibt, in der handelspolitischen Integration der SADC-Staaten nachgewiesen werden konnte. Die empirischen Ergebnisse zeigen zudem, dass auch die Annahmen des IG für die Analyse des afrikanischen Regionalismus modifiziert werden müssen. Im Gegensatz zum NF aber haben sich die wesentlichen Annahmen des IG von der zentralen Gestaltungsmacht der staatlichen Eliten und der grundlegenden Unterscheidung zwischen Politikbereichen, die mehr oder weniger für regionale Integrationsmaßnahmen geeignet sind, bestätigt. Im Vergleich der drei Theorieansätze besitzt der IG somit die größte Aussagekraft für die Verlaufsanalyse der regionalen Integration im südlichen Afrika. 10.1.4 Die Akteure der regionalen Integration Die zentralen Ergebnisse zur Analysekraft der Theorieansätze in Bezug auf die Akteure der Regionalintegration sind in der folgenden Tabelle zusammengefasst:
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Tabelle 11: Theorie und Empirie zu den Akteuren der regionalen Integration Einzelaspekt der Hypothese Die Regionalintegration wird im Handels- wie im Sicherheitsbereich von den Nationalstaaten bzw. ihren staatlichen Eliten als einflussreichste Akteursgruppe angeführt. Die Charaktere und die persönlichen Beziehungen der nationalen Staatsund Regierungschefs beeinflussen den regionalen Integrationsprozess.
Trotz ihrer Bedeutung für den Integrationsprozess verfügen zivilgesellschaftliche Akteure im Rahmen der SADC weder im Handels- noch im Sicherheitsbereich über eine nennenswerte Beteiligung. Die Vertreter der Privatwirtschaft spielen in der Handelsintegration eine
Theoretischer Hintergrund IG: Die Nationalstaaten besitzen im regionalen Integrationsprozess eine herausragende Dominanz.
IG + NF: Eine besondere Rolle kommt den nationalen Staatsmännern und ihren jeweiligen Persönlichkeiten zu, da sie den Integrationsprozess behindern oder auch voranbringen können. NRA: Einbindung zivilgesellschaftlicher Kräfte in den Integrationsprozess ist wichtig.
Empirisches Ergebnis Annahme Hypothese:
Annahme Theorieansatz: Annahme Hypothese:
Annahme Theorieansatz:
Annahme Hypothese:
Annahme Theorieansatz:
NRA: Privatwirtschaftliche Akteure als Partner der Nationalstaaten.
Annahme Hypothese:
Handel: bestätigt Sicherheit: bestätigt bestätigt
Handel: offen Sicherheit: bestätigt Handel: offen Sicherheit: bestätigt Handel: bestätigt Sicherheit: bestätigt bestätigt
widerlegt
366 grundlegende (wenn auch noch ausbaufähige) Rolle.
10 Fazit Sie werden an der regionalen Integration beteiligt und sind auch Adressaten dieses Prozesses. IG: Einbindung der Privatwirtschaft allein über Nationalstaaten. NRA: Bei der Analyse von regionalen Integrationsprozessen muss die Rolle externer Akteure berücksichtigt werden.
Externe Akteure üben einen substantiellen Einfluss auf die Handelsintegration aus, während sie im sicherheitspolitischen Bereich keinen entsprechenden Einfluss besitzen. Quelle: Empirische Analyse, eigene Darstellung
Annahme Theorieansatz NRA:
teilweise bestätigt
Annahme Theorieansatz IG:
teilweise bestätigt
Annahme Hypothese:
bestätigt
Annahme Theorieansatz:
bestätigt
Als erste Akteursgruppe wurden die Nationalstaaten, personifiziert durch ihre staatlichen Eliten, auf ihre Rolle und Funktion im regionalen Integrationsprozess hin analysiert. Bereits im Zusammenhang mit den förderlichen Bedingungen der regionalen Integration ist ihre Bedeutung diskutiert worden. Daher sollen an dieser Stelle der Verweis auf das Kapitel 10.1.2 und eine kurze Erläuterung genügen. Die empirischen Ergebnisse zeigen, dass die Annahme des IG von der absoluten Dominanz der Nationalstaaten bzw. der staatlichen Eliten auch im Kontext der SADC zutreffend ist. Sowohl im Handels- wie im Sicherheitsbereich üben sie eine weitreichende Kontrolle über den Integrationsprozess aus und bestimmen die Gestaltungsmöglichkeiten weiterer Akteursgruppen. Laut Annahmen des NF und des IG haben die nationalen Staats- und Regierungschefs einen nicht zu vernachlässigen Einfluss auf den Integrationsprozess. Demnach werden die Erfolgsaussichten der regionalen Integration in entscheidendem Maße durch die Haltung sowie die persönlichen Beziehungen der Staatsmänner beeinflusst. Die empirischen Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung zeigen, dass diese Vorstellungen auch im Kontext des südlichen Afrikas Relevanz besitzen. Die Annahmen von NF und IG haben sich also in der empiri-
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367
schen Überprüfung bestätigt, müssen aber im Falle der SADC von zwei Anmerkungen begleitet werden. Die Auseinandersetzung mit der Rolle der nationalen Präsidenten in der SADC-Region hat gezeigt, dass die Persönlichkeiten der Staatsmänner sowie ihre Beziehungsgeflechte nicht isoliert von der Geschichte ihrer jeweiligen Staaten betrachtet werden können. Schließlich wurden diese von der Geschichte ihrer Länder geprägt. Beispielsweise kann die komplizierte Beziehung zwischen den Präsidenten Simbabwes und Südafrikas nur dann erschlossen werden, wenn die Geschichte der beiden Staaten und ihre gewachsenen Konflikt- und Kooperationsstrukturen berücksichtigt werden. Auf dieser Grundlage sollten die Annahmen der beiden Theorieansätze für den afrikanischen Kontext entsprechend ergänzt werden. Weiterhin können die Vorstellungen des NF und des IG nur für die regionale Sicherheitspolitik bestätigt werden, während für die Handelspolitik entsprechende Belege fehlen. Die Tatsache, dass es im Bereich der sicherheitspolitischen Integration genug Beispiele für die Bedeutung der Persönlichkeiten der Staatsmänner gibt, während selbige im Handelsbereich fehlen, ist allerdings interessant. Damit wird die Vermutung gestärkt, dass die Staatsmänner ihre persönlichen Beziehungen in den beiden Politikbereichen unterschiedlich stark auszuspielen. Während im Handelsbereich die konkreten Verhandlungen eher an Experten delegiert werden, wird die Sicherheitspolitik als ‚Chefsache’ betrachtet, in der sich einzelne Präsidenten profilieren können. Ein weiterer Aspekt der Hypothese ist auf die Bedeutung der zivilgesellschaftlichen Akteure ausgerichtet, die der NRA in dieser Form als einziger theoretischer Ansatz umfassend hervorhebt. Die klassischen Theorieansätze berücksichtigen nur einen sehr kleinen Teil der zivilgesellschaftlichen Kräfte in Gestalt der gesellschaftlichen Eliten. Doch die Überprüfung der theoretischen Annahmen ist mit einem Problem verbunden. Die Aussagen des NRA verbleiben auf einem sehr allgemeinen Niveau, wenn seine Vertreter lediglich die allgemeine Bedeutung der Zivilgesellschaft im Prozess der Regionalintegration hervorheben und die bisherige Vernachlässigung dieser Akteursgruppe in sozialwissenschaftlichen Studien kritisieren.439 Daher muss die empirische Analyse nicht nur klären, inwiefern die zivilgesellschaftlichen Akteure an den regionalen Integrationsprozessen beteiligt sind, sondern sie muss auch auf ihre spezifische Rolle im Integrationsprozess eingehen. Konkret bedeutet dies, dass die empirische Analyse nicht nur zeigen muss, dass die Regionalintegration im südlichen Afrika eine nennenswerte Einbindung der Zivilgesellschaft vermissen lässt, sondern
439
Einen weiteren Wirkungsbereich zivilgesellschaftlicher Akteure sieht der NRA in den informellen Strukturen der Regionalisierung, doch diese gehören nicht zum Untersuchungsfokus dieser Arbeit.
368
10 Fazit
auch, dass daraus negative Auswirkungen für die regionale Integration erwachsen. Die empirische Untersuchung konnte belegen, dass die Zivilgesellschaft an der Regionalintegration im südlichen Afrika nicht nennenswert beteiligt ist. Daraus ergeben sich negative Konsequenzen für den Integrationsprozess, da die Mitwirkung und Unterstützung einer wichtigen Akteursgruppe fehlt. Demnach hat sich die Annahme des NRA, wonach zivilgesellschaftliche Akteure zur Stärkung des regionalen Integrationsprozesses beitragen können, bestätigt. Allerdings zeigt die empirische Analyse auch, dass die Beteiligung zivilgesellschaftlicher Akteure im Falle der Integration im südlichen Afrika keine notwendige Bedingung darstellt. Sie ist vielmehr in die Gruppe der ‚förderlichen Bedingungen’ einzuordnen, da ein – wenn auch mit Problemen behafteter – Integrationsprozess trotz der fehlenden zivilgesellschaftlichen Beteiligung vorhanden ist. Dennoch hat sich die Betonung des NRA auf die Rolle der Zivilgesellschaft im Kontext des südlichen Afrikas demnach als richtig erwiesen, da von dieser Akteursgruppe ein wichtiger Einfluss ausgehen kann. In einem vierten Aspekt der Hypothese wird die Bedeutung der Privatwirtschaft im regionalen Integrationsprozess thematisiert. Die empirischen Ergebnisse zeigen, dass sowohl die Annahmen der Theorieansätze als auch die Hypothese zu allgemein formuliert sind, um der Realität der SADC-Handelsintegration gerecht zu werden. In ihren Annahmen zur Bedeutung der privatwirtschaftlichen Akteure widersprechen sich IG und NRA nicht, beide räumen dieser Akteursgruppe wichtige Einflussmöglichkeiten ein. Allerdings weisen sie eine unterschiedliche Fokussierung auf: Der NRA betont, dass die Nationalstaaten die privatwirtschaftlichen Akteure zunehmend als Partner betrachten. Die regionalen Integrationsprozesse sollen die wirtschaftliche Entwicklung der Nationalstaaten und somit auch die Privatwirtschaft befördern. In diesem Sinne richten die Nationalstaaten den Integrationsprozess zunehmend auf die Privatwirtschaft aus und versuchen ihn zu Gunsten der privatwirtschaftlichen Akteure zu gestalten. Der IG hingegen betont sehr viel deutlicher die Dominanz der Nationalstaaten, die den Zugang der privatwirtschaftlichen Akteure zur regionalen Ebene kontrollieren und restriktiv gestalten können. Gleichzeitig stimmen die Theorieansätze darin überein, dass die Einbindung der Privatwirtschaft in die regionale Handelspolitik allein über die nationale Ebene erfolgt. Ein unabhängiger und direkter Zugang zur regionalen Ebene existiert nicht. Die empirische Studie bestätigt diese gemeinsame Perspektive der Theorieansätze in ihrer Bedeutung. Die Vertreter der Privatwirtschaft machen ihren Einfluss tatsächlich über die Nationalstaaten geltend. Über die Rolle der privatwirtschaftlichen Akteure in der Handelsintegration kann kein pauschales Urteil gefällt werden. Stattdessen muss eine individuelle Betrachtung je nach SADC-
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Mitgliedsland und Wirtschaftszweig erfolgen. Das bedeutet, dass die Theorieansätze die Realität der SADC-Handelsintegration nicht angemessen erfassen können, da ihre Sichtweise nicht differenziert genug ist. Aus diesem Grund gelten die Annahmen der Theorien nur als teilweise bestätigt. Die hypothetische Annahme ist hingegen klar widerlegt, da sie hinsichtlich der Einflussmöglichkeiten der Privatwirtschaft eindeutig zu optimistisch formuliert ist. Der letzte Teilaspekt der Hypothese geht auf die Rolle der externen Akteure in den beiden Politikbereichen ein und wird durch die empirischen Ergebnisse bestätigt. Gleichzeitig hat sich auch die Annahme des NRA von der allgemeinen Relevanz externer Akteure in regionalen Integrationsprozessen als richtig erwiesen. Die regionale Integration im südlichen Afrika hat gezeigt, dass die externen Akteure eine einflussreiche Akteursgruppe darstellen, die im Rahmen einer Analyse nicht vernachlässigt werden darf. Allerdings verbleibt der NRA auf einem sehr allgemeinen Aussageniveau, wenn er die allgemeine Bedeutung externer Akteure hervorhebt, ohne dezidiert auf die Art ihres Einflusses einzugehen oder ihr unterschiedlich starkes Gewicht in verschiedenen Politikbereichen zu berücksichtigen. Gerade im letzteren Punkt zeigt die empirische Analyse, dass die Bedeutung externer Akteure nicht pauschal bewertet werden kann und ihr Einfluss je nach Politikbereich sehr unterschiedlich ausfällt. Resümierend kann die Analysekraft der untersuchten Theorieansätze in Bezug auf die Akteure der Regionalintegration folgendermaßen bewertet werden: In der Auseinandersetzung mit den Akteuren treten deutliche Unterschiede zwischen den beiden klassischen Ansätzen und dem NRA zutage. Letzterer wählt eine völlig andere Herangehensweise an den Untersuchungsgegenstand, da er keine festgelegte Vorstellung vom Machtgefüge einzelner Akteure im regionalen Integrationsprozess besitzt. Er verweist allein auf diejenigen Akteursgruppen, die bei der Untersuchung von regionaler Integration eingehender analysiert werden sollen, geht aber nicht genauer auf deren Rolle ein. Je unspezifischer die theoretischen Annahmen sind, desto geringer sind aber auch die Hürden für ihre empirische Bestätigung. Mit anderen Worten: Die Voraussetzungen für eine Bestätigung der NRA-Annahmen sind weitaus geringer als im Falle der klassischen Ansätze, die detaillierter auf die Rolle einzelner Akteure eingehen. Die Vertreter des NRA präsentieren in ihren Bemühungen, einen einseitigen Analyseschwerpunkt zu vermeiden, ein Alternativmodell, mit dem sie die vielschichtigen und komplexen Akteurskonstellationen analysieren möchten. Sie wenden das Konzept von ‚regional governance’ an, das die Akteure ausgehend von ihren Interaktionen betrachtet, anstatt sie vor dem Hintergrund ihrer Bestimmung als staatlicher bzw. nicht-staatlicher Akteur zu analysieren. Gleichzeitig beschränkt sich ‚regional governance’ nicht auf formale, sondern umfasst ebenso informelle Prozesse (vgl. Kapitel 6.3.6). Aber wie ist diese Herange-
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10 Fazit
hensweise zu bewerten? Besitzt die Perspektive des NRA Vorteile gegenüber den Annahmen der klassischen Ansätze? Die Antwort auf diese Frage muss differenziert ausfallen. Für das Untersuchungsobjekt, die Integrationsprozesse im südlichen Afrika, ist das GovernanceKonzept insbesondere deshalb geeignet, weil auch informelle Prozesse der Regionalisierung berücksichtigt werden. Die gleichzeitige Berücksichtigung von formaler und informeller Ebene stellt eine sehr umfassende und zugleich erkenntnisreiche Perspektive dar. Allerdings bereitet das Governance-Konzept für die Untersuchungsfrage der vorliegenden Arbeit Probleme. Mit der Einbeziehung der informellen Ebene der Regionalisierung würde die vergleichende Analyse der drei Theorieansätze unter ungleiche Vorzeichen gestellt. Da NF und IG ihre Analyse allein auf formale Prozesse ausrichten, können sie in ihrer Analysekraft nur schwer mit einem Theorieansatz verglichen werden, der im gleichen Maße informelle Prozesse berücksichtigt. Das bedeutet, dass das Konzept von ‚regional governance’ und die damit verbundene Einbeziehung informeller Strukturen mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand sinnvoll erscheint, für die vorliegende Untersuchungsfrage aber allein schon aus arbeitstechnischen Gründen nicht berücksichtigt werden kann. Darüber hinaus stützen die empirischen Ergebnisse insbesondere die Annahmen des IG. Dieser besitzt mit seiner Betonung der zentralen Rolle der Nationalstaaten und seiner staatlichen Eliten eine sehr gewinnbringende Perspektive für die Untersuchung der regionalen Integration im südlichen Afrika. Die Vorstellungen des NF, wonach der Nationalstaat allein im Besitz einer nominellen Souveränität ist und nationale Gruppen unabhängigen Einfluss auf regionaler Ebene geltend machen können, entspricht nicht der Realität der afrikanischen Regionalintegration. Hier bewachen die Nationalstaaten als eine Art Gatekeeper den Zugang zur regionalen Ebene. 10.1.5 Zusammenfassung: Die Stärken und Schwächen der Theorieansätze im Vergleich Ein resümierendes Urteil zur Analysekraft der drei untersuchten Theorieansätze soll im folgenden Kapitel präsentiert werden. Vorweg sei angemerkt, dass sich die gewählte Vorgehensweise, die Theorieansätze mit Hilfe eines Rasters von Analysekriterien auf ihre Aussagekraft im südlichen Afrika hin zu untersuchen, bewährt hat. Die Gegenüberstellung der Theorieansätze mit Hilfe der Analysekriterien offenbarte nicht nur ihre Stärken und Schwächen in Bezug auf den Untersuchungsgegenstand, sondern rückte auch noch einmal ihre Besonderheiten in den Vordergrund. Letzterer Punkt stellt eine wertvolle Ergänzung für die Un-
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tersuchung dar, da die Beurteilung der Theorieansätze letztendlich nur vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen Eigenschaften und Zielsetzungen möglich ist. Dementsprechend sollen die folgenden Ausführungen die Stärken und Schwächen der drei untersuchten Theorieansätze resümierend und vergleichend vorstellen. Der NF besitzt zwei Schwerpunkte, die seine Analyse von regionaler Integration in besonderer Weise bestimmen. Er betrachtet die Integration als Prozess und bringt den Mechanismen, die ein Fortschreiten, eine Stagnation oder auch einen Rückschritt der Integration bewirken, besonderes Interesse entgegen. Darüber hinaus setzt er sich ausführlich mit den Bedingungen einer erfolgreichen Regionalintegration auseinander. In Bezug auf seinen ersten Schwerpunkt, den Integrationsverlauf, kann der NF im afrikanischen Kontext nur bedingt überzeugen. Die Vorstellung einer expansiven Sektorlogik, die in Form eines spill-over-Prozesses die Integration vorantreibt, hat sich für den SADC-Raum nicht bestätigt. Zwar konnte die empirische Analyse zeigen, dass im Handelsbereich eine funktionale Logik vorhanden ist, diese ist aber nicht stark genug, um eine Ausweitung bzw. Vertiefung der Integration zu erzwingen. Da der NF als prozessorientierter Ansatz ein besonderes Gewicht auf die Erklärung des Integrationsverlaufs legt, wiegt seine stark eingeschränkte Erklärungskraft in diesen Punkten besonders schwer. Anders fällt die Analysekraft des NF in Bezug auf die förderlichen Bedingungen eines erfolgreichen Integrationsprozesses aus, seinem zweiten Analyseschwerpunkt. Hier besitzt der NF eine deutliche Stärke, da seine förderlichen Bedingungen der Integration auch im Kontext des südlichen Afrikas in ihrer Relevanz bestätigt werden konnten. Allerdings muss bei diesem Ergebnis berücksichtigt werden, dass die vom NF formulierten förderlichen Bedingungen von sehr grundlegender Natur sind. Ihre Bestätigung ist damit einfacher zu erreichen als im Falle von sehr spezifischen und detailliert ausformulierten Bedingungen. Weiterhin hat die Überprüfung im afrikanischen Kontext ergeben, dass regionale Integration auch dann stattfinden kann, wenn bestimmte förderliche Bedingungen nicht gegeben sind. Damit wird die Bedeutung dieser Bedingungen geschmälert. Weiterhin konnte der NF mit seiner Annahme von der Bedeutung wirtschaftlicher Motive für die Initiierung von regionalen Integrationsprozessen nicht überzeugen. Dieser Punkt ist ein Beispiel für die begrenzte Erklärungskraft des NF im afrikanischen Kontext und ist hauptsächlich auf seine Kontextabhängigkeit zurückzuführen. Mit diesem Begriff soll ein Phänomen umschrieben werden, dass für die beiden klassischen Ansätze, NF und IG, gleichermaßen relevant ist und ihre Analysekraft im südlichen Afrika einschränkt. Die Kontextabhängigkeit der beiden Theorieansätze bezieht sich auf eine räumliche und eine zeitliche Dimension.
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In räumlicher Hinsicht wurden beide theoretischen Ansätze am Beispiel eines bestimmten geografischen Raums (Westeuropa) entwickelt. Entsprechend dieser Ausrichtung tragen die Ansätze auch den spezifischen Gegebenheiten der Integrationsprozesse im westlichen Europa Rechnung. So sieht der NF in wirtschaftlichen Motiven beispielsweise ein zentrales Antriebsmoment für Integrationsbestrebungen, weil diese im westeuropäischen Fall eine besondere Rolle spielten. Diese Ausrichtung auf einen spezifischen Raum begrenzt die allgemeine Anwendbarkeit der Theorieansätze und kann nur in einzelnen Punkten, wie z.B. in der Auseinandersetzung mit den Bedingungen der Integration, aufgebrochen werden. Aber auch in zeitlicher Hinsicht sind die klassischen Theorieansätze kontextabhängig. Sie spiegeln die Gegebenheiten ihrer jeweiligen Entstehungszeit wider. Konkret bedeutet dies, dass NF und IG die regionalen Integrationsprozesse nicht in den Kontext der Globalisierung einbetten und damit einen Nachteil für die Analyse aktueller Integrationsprozesse besitzen. Die Kontextabhängigkeit wurde für die klassischen Ansätze in beiden Fällen belegt. Zentral sind nun die Schussfolgerungen, die aus dieser Feststellung gezogen werden: Die Theorieansätze können nicht losgelöst vom räumlichen und zeitlichen Kontext, auf den sie sich beziehen, beurteilt werden. Keiner der beiden theoretischen Ansätze vertritt den Anspruch allgemeiner Gültigkeit und kann daher auch nicht für seine Kontextabhängigkeit kritisiert werden. Konkret hat die vorliegende Untersuchung gezeigt, dass die Kontextabhängigkeit von NF und IG für ihre Anwendung im afrikanischen Raum ein Hindernis darstellt. Für den NF fällt die abschließende Beurteilung seiner Analysekraft im südlichen Afrika eher verhalten aus. In denjenigen Punkten, die charakteristisch für den NF sind, wie seine Vorstellung vom Verlauf der regionalen Integration, konnte er nicht überzeugen. Insbesondere in Bezug auf die förderlichen Bedingungen für Integration besitzt er Analysekraft, allerdings handelt es sich hier um Annahmen, die er mit dem IG teilt. Die besonderen Einsichten, die eine Analyse von regionaler Integration aus dem Blickwinkel des NF heraus erbringen kann, sind begrenzt. Im Vergleich zum konkurrierenden IG besitzt der NF deutlich weniger Analysekraft. Doch auch der IG besitzt Schwächen, wie die empirische Überprüfung seiner theoretischen Annahmen zeigt. Ebenso wie im Falle des NF wird die Kontextabhängigkeit des IG zum Nachteil. Außerdem konnte die Annahme von der überragenden und alleinigen Dominanz nationaler Interessen im Falle der SADC-Sicherheitspolitik nicht bestätigt werden. Ebenso zeigte sich, dass, anders als vom IG angenommen, idealistische bzw. solidarische Antriebsmomente in der regionalen Sicherheitspolitik sehr wohl eine Rolle spielen. Damit stößt der
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IG im afrikanischen Kontext insbesondere im sicherheitspolitischen Bereich an die Grenzen seiner Erklärungskraft.440 In der Gesamtbetrachtung überwiegen aber eindeutig die Stärken des IG. Seine Annahmen in Bezug auf die förderlichen Bedingungen der regionalen Integration haben sich bestätigt. Auch die Betonung der subjektiven Wahrnehmung der beteiligten Nationalstaaten im Kontext des südlichen Afrikas hat sich als wertvoll erwiesen. Gewinnbringend für die Analyse der regionalen Integration im südlichen Afrika ist auch die Konzentration des IG auf die Nationalstaaten bzw. staatlichen Eliten als wichtigste Akteursgruppe. Diese bestimmen den Verlauf der Integration, ohne von einer expansiven Logik der Sektorintegration beeinflusst zu werden. Damit besitzt der IG auch für die Verlaufsanalyse der SADC-Integration eindeutig bessere Voraussetzungen als der NF. Die vom IG vorgenommene Unterteilung in Politikbereiche, die sich mehr bzw. weniger für eine regionale Integration eignen, und in denen der Integrationsprozess dementsprechend leichter oder schwerer vonstatten geht, erweist sich auch für die Analyse der SADC als hilfreich.441 Somit stellt der IG für die Analyse der regionalen Integration im südlichen Afrika ein hilfreiches Instrumentarium zur Verfügung. Seine Betonung des intergouvernementalen Charakters des Integrationsprozesses erweist sich im Kontext der SADC als angemessen. Der NRA setzt sich in mehrfacher Hinsicht von den klassischen Theorieansätzen ab. Dabei fällt insbesondere der Status des NRA als vergleichsweise loser Analyserahmen ohne ausformulierte Wirkungs- und Kausalmechanismen ins Gewicht. Die Analyse konnte zeigen, dass mit diesem Status sowohl Vor- als auch Nachteile verbunden sind. Anders als die beiden klassischen Theorieansätze kämpft der NRA nicht mit Problemen der Kontextabhängigkeit. Gemäß den Annahmen seiner Verfechter hat der NRA seine postulierte breite Anwendbarkeit unter Beweis gestellt. Weder in thematischer (in Bezug auf die beiden untersuchen Politikbereiche) noch in geografischer Perspektive (in Bezug auf den Analyseraum) liefert die Untersuchung Hinweise auf eine eingeschränkte Anwendbarkeit des NRA.442 Doch diese breite Anwendbarkeit des NRA, die eindeutig als Vorteil bezeichnet werden kann, stellt sich andererseits auch als Nachteil heraus, weil sie eindeutig zu Lasten seiner Erklärungskraft geht. So beinhaltet der NRA beispielsweise keine konkreten Vorstellungen zum Verlauf der regionalen Integration. Zu den Mechanismen, die den Integrationsprozess voran440
441
442
Zusätzlich zeigt sich hier auch ein Vorteil der vergleichenden Betrachtung von Handels- und Sicherheitspolitik. Allerdings müssen die Annahmen des IG in diesem Zusammenhang leicht modifiziert werden (vgl. Kapitel 10.1.3). Damit entspricht der NRA den Anforderungen Fredrik Söderbaums, der an der Entwicklung des Ansatzes beteiligt war (vgl. Kapitel 6.3.2).
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bringen oder auch bremsen, macht der NRA ebenso wenige Angaben wie zu den Strategien oder Einflusskanälen der unterschiedlichen Akteursgruppen. Der hohe Abstraktionsgrad des NRA hat aber nicht nur Auswirkungen auf seine Erklärungskraft, sondern schränkt auch seine Vergleichbarkeit mit den klassischen Theorieansätzen ein. Die sehr allgemein gehaltenen Annahmen des NRA können eher bestätigt werden als entsprechende Annahmen der klassischen Theorieansätze, da es für Erstere weniger Voraussetzungen zu erfüllen gilt. Damit der Vergleich der drei Theorieansätze nicht unter ungleichen Voraussetzungen stattfindet, müssen diese Unterschiede berücksichtigt werden. Eine eindeutige Stärke besitzt der NRA durch seine Einbeziehung der globalen Ebene in die Untersuchung von regionalen Integrationsprozessen. Die Sichtweise der ‚Region als Bestandteil einer globalen Transformation’ (vgl. Hettne/Söderbaum 2008) hat sich im afrikanischen Fall als höchst aufschlussreich erwiesen. Unter anderem auch, weil sie den Blick für weitere ‚externe’ Akteursgruppen öffnet. Gleichermaßen kann der NRA mit seinem Akteurskonzept überzeugen. Ohne einer bestimmten Gruppe a priori eine dominante Position zuzuweisen, berücksichtigt er auch die Rolle der nicht-staatlichen Akteure aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Resümierend ist der NRA insbesondere als analytisches Raster geeignet, das die Untersuchung von regionalen Integrationsprozessen vorstrukturiert und den Untersuchungsfokus in bestimmte Richtungen lenkt (etwa durch die Einbeziehung globaler Zusammenhänge oder vielfältiger Akteurskonstellationen). Damit liefert der NRA eine interessante Perspektive, die aber durch weitere Theorieelemente ergänzt werden muss, wenn weitergehende Erkenntnisse zu Wirkungszusammenhängen der Regionalintegration gewünscht sind. 10.2 Erkenntnisse für die theoretische Betrachtung von Regionalismus Die Diskussion um die Möglichkeiten und Grenzen einer allgemeinen Integrationstheorie, wie sie bereits in Kapitel 9.5 geführt wurde, soll nun zu einem Ende gebracht werden. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse aus dem vorangegangenen Kapitel wird auf den folgenden Seiten eine abschließende Position formuliert. Die Rückkoppelung zwischen empirischen Untersuchungsergebnissen und theoretischen Annahmen hat deutlich gemacht, dass der Auseinandersetzung mit einer allgemeinen Integrationstheorie zwei grundlegende Überlegungen vorausgehen. Als Erstes steht der Erklärungsanspruch der Theorie zur Diskussion. Sollen die theoretischen Instrumente, die zur Analyse von regionaler Integration eingesetzt werden, die Fähigkeit besitzen, Erklärungen über Wirkungszusammen-
10.2 Erkenntnisse für die theoretische Betrachtung von Regionalismus
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hänge und eventuell sogar Prognosen zu generieren? Oder steht vielmehr ihre Qualität als Analyseraster im Vordergrund? Zweitens muss das Verständnis von Regionalismus offen gelegt werden. Denn dem jeweiligen Konzept des Untersuchungsgegenstandes muss auch die Theorie angepasst werden. Liegt etwa ein offenes, wenig ausdifferenziertes Verständnis von Regionalismus vor, muss das theoretische Instrumentarium auf diese Vorgabe mit einer entsprechenden Flexibilität reagieren. Auf beide Punkte – die Erwartungen an die Theorie und das Verständnis von Regionalismus – soll im Folgenden näher eingegangen werden. Die Erwartungen an das theoretische Instrumentarium erzwingen eine Entscheidung. Ein hohes Maß an theoretischer Erklärungskraft bzw. Prognosefähigkeit scheint in den Sozialwissenschaften nicht gleichzeitig mit einer allgemeinen Gültigkeit einherzugehen.443 Auch wenn in der wissenschaftstheoretischen Auseinandersetzung die Vereinbarkeit beider Ansprüche als wünschenswert angesehen wird, zeigt die empirische Überprüfung ein anderes Resultat: Soll die Theorie allgemein anwendbar sein, muss sie Abstriche bei ihrer theoretischen Tiefe machen und vergleichsweise abstrakt bleiben. In diesem Fall würde man eher von einem theoretischen Analyseraster als von einer Theorie sprechen. Wird hingegen theoretische Tiefe bzw. hohe Erklärungskraft und Prognosefähigkeit bevorzugt, geht dies zu Lasten der allgemeinen Anwendbarkeit. In der Schlussfolgerung bedeutet dies, dass es eine allgemeingültige Integrationstheorie nicht geben kann. Die Wahl besteht also zwischen einem Analyserahmen zur Untersuchung von Regionalismus weltweit oder einer Theorie, die sich auf die Analyse eines konkreten regionalen Zusammenschlusses bezieht. Im letzteren Fall könnte es sich um eine allgemeine Theorie handeln, die so abgeändert wird, dass sie allein den vorherrschenden Gegebenheiten eines konkreten Integrationsprojekts entspricht. Doch welche Variante ist nun zu bevorzugen? Vor dem Hintergrund der Ergebnisse dieser Untersuchung fällt die Wahl auf den Analyserahmen, der im Ausgleich für seine begrenzte theoretische Erklärungskraft den Vorteil der allgemeinen Anwendbarkeit bietet. Dadurch kann ein Analyserahmen auch für die vergleichende Untersuchung von Regionalismus eingesetzt werden.444 Mit der Entscheidung für einen Analyserahmen verliert das Bestreben, eine allgemeine Integrationstheorie zu entwickeln, an Bedeutung. Damit kann der Einschätzung Anne Fabers beigepflichtet werden, die die Suche nach einer überlegenen Theorie zur Erklärung von regionalen Integrationsprozessen als nicht mehr vertretbar bezeichnet. Ihrer Meinung nach könne aus den konkurrierenden Annahmen bestehender Theorien kein optimaler Nutzen gezogen werden, wenn 443 444
Dieses Problem wurde auch schon ansatzweise in Kapitel 9.5.2 formuliert. Auf die Vorteile dieser Herangehensweise wurde bereits an anderer Stelle hingewiesen (vgl. Kapitel 7.5 und Kapitel 9.5.3).
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der Anspruch auf Überlegenheit einzelner Theorien den theoretischen wie konzeptionellen Austausch behindert (vgl. Faber 2005: 255).445 Außerdem besteht die Gefahr, dass die Suche nach einer allgemeinen Integrationstheorie zum Selbstzweck wird und das eigentliche Erkenntnisinteresse aus dem Blickwinkel gerät. Schließlich sollte der Stellenwert der Theorien nicht überschätzt werden. Sie stellen ‚lediglich’ ein Mittel dar, mit dessen Hilfe ein bestimmter Zweck – nämlich ein verbessertes Verständnis des Regionalismus – erreicht werden soll. Zudem sollte berücksichtigt werden, dass im Zuge der weltweiten Ausbreitung von regionalen Integrationsprozessen der Untersuchungsgegenstand in seiner Ausgestaltung vielfältiger und komplexer wird. Dieser Realität müssen sich auch die theoretischen Analyseinstrumente stellen, indem sie Flexibilität und Anpassungsfähigkeit beweisen. Dieser Herausforderung ist ein theoretischer Analyserahmen eher gewachsenen als eine ausdifferenzierte Theorie des Regionalismus. Ein zweiter Fragenkomplex, der im Zusammenhang mit der Diskussion um eine allgemeine Integrationstheorie steht, betrifft das Verständnis von Regionalismus, das dem theoretischen Modell zugrunde liegt. Anders als in den 1950er und 1960er Jahren, als die klassischen Integrationstheorien ihre Blütezeit erlebten, konzentriert sich die derzeitige wissenschaftliche Debatte nicht mehr allein auf Regionalismus, sondern umfasst auch verschiedene Formen von Regionalisierung (vgl. Hettne/Söderbaum 2008: 65). Damit sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass eine einzelne Theorie in der Lage ist, ein Instrumentarium zur Verfügung zu stellen, das für die Analyse dieser vielfältigen Prozesse gleichermaßen geeignet ist. Die aufgeführten Argumente legen den Schluss nahe, dass die Suche nach einer ‚allgemeinen’ Integrationstheorie abgelöst werden sollte von der Suche nach einem allgemeinen Analyserahmen. Doch wie könnte ein solcher Analyserahmen aussehen? Können die Erkenntnisse der vorliegenden Untersuchung eventuell erste Anhaltspunkte für dessen Gestaltung liefern?446 Wichtig ist in jedem Fall, dass die regionalen Integrationsprojekte mit einem angemessenen, zugleich aber auch offenen Analyserahmen untersucht werden. Um eine breite Anwendung zu gewährleisten, sollte keine bestimmte Dimension des Regionalismus herausgehoben werden. In der vorliegenden Un445
446
Allerdings muss hier berücksichtigt werden, dass sich Faber allein auf den europäischen Integrationsprozess und die Vielfalt an Theoriemodellen, die zu seiner Analyse entwickelt wurden, bezieht. Vorweg muss betont werden, dass die Zielsetzung dieser Untersuchung nicht darin besteht, ein solches Analyseinstrument zu entwickeln. Allerdings sollen diejenigen Ergebnisse der Arbeit, die hierzu interessante Anhaltspunkte liefern, auch aufgegriffen werden.
10.2 Erkenntnisse für die theoretische Betrachtung von Regionalismus
377
tersuchung hat sich das Analyseraster aus insgesamt vier Kriterien (Motive/Zielsetzungen, förderliche Bedingungen, Verlauf, Akteure) gut bewährt. Es hat sich gezeigt, dass diese Analysekriterien zentrale Inhalte der klassischen Ansätze und des NRA berücksichtigen. Die Analyse der SADC-Handels- und Sicherheitspolitik anhand dieser Kriterien lieferte interessante Einblicke und Erkenntnisse. Deshalb konnten diese Analysekriterien auch als Elemente eines allgemeinen Analyserahmens diskutiert werden. Darüber hinaus belegt die Untersuchung, dass durchaus allgemeine Prinzipien des Regionalismus existieren.447 So konnte beispielsweise gezeigt werden, dass allgemeine förderliche Bedingungen für regionale Integrationsprozesse vorhanden sind, die in den sehr unterschiedlichen Kontexten der europäischen Integration und der Regionalintegration im südlichen Afrika Relevanz besitzen. Allerdings handelt es sich hier um sehr allgemeine und grundlegende Bedingungen und keinesfalls um spezifische Annahmen über Wirkungszusammenhänge. Auch in Bezug auf die Akteure der regionalen Integration liefert die Untersuchung Erkenntnisse, die für die Konzeption eines Analyserahmens interessant sind. Die Vorgehensweise des NRA, insgesamt drei Akteursgruppen (Nationalstaaten, nicht-staatliche Akteure, externe Akteure) in den Blickpunkt der Analyse zu rücken, ohne jedoch fest gefügte Annahmen zu deren Rollen und Einflussmöglichkeiten zu vertreten, hat sich zweifelsohne bewährt. Würde ein Analyserahmen diesen Ansatz übernehmen, könnte er die Bedeutung der Akteure in verschiedenen regionalen Integrationsprozessen vergleichend untersuchen. Leider gehen die Erkenntnisse der vorliegenden Untersuchung in Bezug auf einen möglichen allgemeinen Analyserahmen nicht über diese ersten Anhaltspunkte hinaus. Abschließend soll auch ein Rückbezug zur fünften Hypothese dieser Arbeit hergestellt werden, die in Kapitel 9.5 noch nicht abschließend bewertet werden konnte.448 Während die Vorteile einer vergleichenden Untersuchung bereits in Kapitel 9.5.1 untermauert wurden, sind die ausschlaggebenden Argumente für den Vorzug eines allgemeinen Analyserahmens gegenüber einer ausdifferenzierten Theorie erst im vorliegenden Kapitel präsentiert worden. Allein auf der Grundlage der vorliegenden empirischen Untersuchungsergebnisse können die Annahmen der Hypothese aber nicht als bestätigt gelten. Einen solchen Rückschluss lässt das empirische Datenmaterial nicht zu. Statt447 448
Siehe hierzu Kapitel 9.5.2 und Kapitel 10.1.2. In der Hypothese wird die Annahme vertreten, dass eine vergleichende Analyse von regionalen Integrationsprozessen sinnvoll und erkenntnisreich sei. Für eine solche vergleichende Betrachtung müsse allerdings ein flexibler Analyserahmen mit einer vergleichsweise hohen Abstraktionsebene entwickelt werden (vgl. Kapitel 7.5).
378
10 Fazit
dessen wurden diese Bestandteile der Hypothese lediglich argumentativ untermauert. Mit dem Vorteil vergleichender Analysen und dem Vorzug des Analyserahmens gegenüber der ausgefeilten Theorie konnten die zwei zentralen Bestandteile der Hypothese gestützt werden. 10.3 Erkenntnisse für die politische Praxis der Regionalintegration Die Ergebnisse der empirischen Analyse sollen in der vorliegenden Arbeit nicht allein auf die theoretischen Fragestellungen bezogen werden, sondern auch einen praktischen Bezug erhalten. Die Prüfung der Hypothesen anhand des empirischen Datenmaterials hat interessante Einblicke in die Praxis der regionalen Integration im südlichen Afrika geliefert, die hier zusammenfassend dargestellt werden sollen. Dies geschieht in Abgrenzung zu den Kapiteln 3.3 und 9, indem bislang unerwähnte Einsichten präsentiert und die einzelnen empirischen Ergebnisse zueinander in Beziehung gesetzt werden. Dabei werden die Ergebnisse getrennt für die Handels- und Sicherheitspolitik vorgestellt. Ein nächster Abschnitt präsentiert weitere Ergebnisse, die für die regionale Integration im südlichen Afrika von allgemeiner Bedeutung sind.449 Die empirische Analyse kann für den Handelsbereich beispielsweise die besondere Bedeutung der EPA-Verhandlungen hervorheben und somit ein anschauliches Beispiel für die erhebliche externe Beeinflussung der Handelsintegration im südlichen Afrika liefern. Die EPA-Aushandlungsprozesse haben gezeigt, dass sowohl die SADC-Mitglieder als auch die EU in ihrer praktischen Politik nicht unbedingt diejenigen Ziele verfolgen, die sie propagieren. Entgegen der Zielsetzung, einen liberalisierten Wirtschaftsraum im südlichen Afrika aufzubauen, verhandeln die SADC-Staaten nicht gemeinsam mit der EU. Stattdessen versucht jedes SADC-Mitglied, eine Verhandlungskonstellation zu finden, die für die Durchsetzung seiner nationalen Interessen die besten Erfolgsaussichten bietet. Die Aufspaltung in unterschiedliche Verhandlungsgruppen zeigt nicht nur den Interessenpluralismus unter den Staaten, sondern auch, dass die nationale Wirtschaftsziele gegenüber den regionalen Vorrang haben.450 Auf der 449
450
In der empirischen Untersuchung wird die Bedeutung einer Reihe von Faktoren bestätigt, die zuvor bereits in Kapitel 3.3 diskutiert wurden. Um Wiederholungen zu vermeiden, werden sie an dieser Stelle nicht erneut aufgegriffen. Zusammenfassend sei allerdings der Hinweis erlaubt, dass auf Grund der empirischen Ergebnisse die Bedeutung des mangelnden politischen Willens zur regionalen Integration, der Rolle Südafrikas in der regionalen Gemeinschaft sowie die negativen Konsequenzen der überlappenden Mitgliedschaften nur unterstrichen werden kann. Ein weiteres Indiz für die Priorität nationaler Wirtschaftsziele liefert auch die Tatsache, dass sich die SADC-Staaten verstärkt um bilaterale Handelsabkommen, insbesondere mit Industriestaaten bemühen (vgl. Kapitel 3.3).
10.3 Erkenntnisse für die politische Praxis der Regionalintegration
379
anderen Seite kann die EU ihrem proklamierten Anspruch einer Förderung der Regionalintegration im südlichen Afrika nicht gerecht werden. Diese Zielsetzung hat nur so lange Priorität, wie keine sensitiven Interessen der EU betroffen sind. Die Bereitschaft, wirtschaftliche Zugeständnisse zu Lasten der europäischen Staaten, dafür aber zum Nutzen der SADC zu machen, ist nicht vorhanden. Die empirischen Ergebnisse der Studie betonen den erheblichen direkten wie indirekten Einfluss externer Akteure auf die regionale Handelspolitik. Dies hat zur Folge, dass eine Analyse der Handelsintegration im südlichen Afrika nicht ohne die Einbeziehung externer Wirtschaftskräfte und globaler Wirtschaftsprozesse durchgeführt werden kann. Die Auseinandersetzung mit der Sicherheitspolitik der SADC hat gezeigt, wie stark die Politik in diesem Bereich personalisiert ist. Die Persönlichkeiten der einzelnen Staatschefs der SADC-Mitglieder müssen in sicherheitspolitischen Zusammenhängen ebenso berücksichtigt werden wie ihre Beziehungen untereinander. Damit hängen die politischen Beziehungen der einzelnen SADCStaaten in hohem Maße von einzelnen Personen ab. Die ohnehin schwierigen Verhandlungen im sensiblen Sicherheitsbereich werden dadurch zusätzlich erschwert. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Persönlichkeiten der Staatschefs im Handelsbereich keine vergleichbare Rolle spielen. Es liegt die Vermutung nahe, dass die Handelspolitik den Staats- und Regierungschefs nicht die entsprechenden Möglichkeiten zur Selbstdarstellung und -verwirklichung bietet, wie dies bei sicherheitspolitischen Themen der Fall ist. Weitere Erkenntnisse der empirischen Analyse, die an dieser Stelle erwähnt werden sollten, sind eher von allgemeiner Natur, beziehen sich also nicht dezidiert auf den Handels- oder den Sicherheitsbereich. Hier kann zunächst auf die breite Agenda der SADC verwiesen werden, die nicht nur besondere konzeptionelle, personelle und finanzielle Ressourcen voraussetzt, sondern auch entsprechend breit angelegte Integrationsziele der Mitglieder. Diese Bedingungen sind im Falle der SADC-Staaten aber nicht vorhanden. Die Staaten akzeptieren mit ihrer Mitgliedschaft in der SADC ein Gesamtpaket. Da nicht alle Bestandteile des Paketes bei den Mitgliedern die gleiche Priorität besitzen, setzen die SADC-Staaten unterschiedliche Schwerpunkte und engagieren sich in einigen Bereichen mehr, in anderen weniger.451 Daraus kann sich eine Bremswirkung für den gesamten Vergemeinschaftungsprozess entwi451
Theoretisch können sich durch eine solche Situation auch produktive Kräfte entfalten, indem die Mitglieder so genannte Paketlösungen schnüren. Land A kann in einem für ihn wichtigen Politikbereich X die Unterstützung eines Landes B ‚erkaufen’, indem es im Gegenzug seine Unterstützung in einem Politikbereich Y zusagt, der für Land B von vitaler Bedeutung ist. Auch wenn die empirische Untersuchung keine Anhaltspunkte für eine solche taktische Vorgehensweise innerhalb der SADC liefert, kann nicht ausgeschlossen werden, dass solche Überlegungen dennoch eine Rolle spielen.
380
10 Fazit
ckeln, wenn Entscheidungen auf der Grundlage des kleinsten gemeinsamen Nenners getroffen werden. Einen möglichen Ausweg bietet das Prinzip der variablen Geometrie, das auch in Expertenkreisen diskutiert wird (vgl. Interviews Nr. 1, 2, 5, 35, 37 und 39).452 Dieser Ansatz kann integrationsfreudigen SADC-Mitgliedern erlauben, weitergehende Integrationsschritte zu vollziehen, ohne auf die Mitwirkung der übrigen Staaten angewiesen zu sein. Damit könnten die SADC-Staaten ihre Integrationsziele in unterschiedlichem Tempo verwirklichen. Die Vorteile der variablen Geometrie wurden auch von der SADC bereits erkannt und konzeptionell eingesetzt. So ist im RISDP beispielsweise vorgesehen, dass die Implementierung des Entwicklungsplans nach dem Prinzip der variablen Geometrie verläuft (vgl. SADC 2003: 120, Paragraph 6.2.6).453 De facto kommt der Ansatz der variablen Geometrie auch in der regionalen Handelspolitik bereits zum Tragen. Seit August 2008 besteht die Freihandelszone innerhalb der SADC. Ausgenommen sind allein Angola und die DRK, die aufgrund ihrer bestehenden nationalen Probleme erst zu einem späteren Zeitpunkt beitreten werden. Eine weitere abschließende Erkenntnis der empirischen Untersuchung betrifft die Rolle der nicht-staatlichen Akteure. Nach der Konzeption dieser Arbeit umfasst diese Gruppe sowohl die privatwirtschaftlichen als auch die zivilgesellschaftlichen Akteure. Keine der beiden Gruppen ist zu einer wirkungsvollen Partizipation an den regionalen Integrationsprozessen in der Lage.454 Der Beteiligung nicht-staatlicher Kräfte stehen nicht nur organisatorische Defizite auf Seiten der SADC und der betroffenen Akteursgruppen selbst entgegen, sondern ebenso mangelndes Bewusstsein. Während es den nicht-staatlichen Akteuren an Kenntnissen über die SADC und ihre potenzielle Bedeutung fehlt, haben die Staats- und Regierungschefs der SADC-Region bislang nicht erkannt, wie wichtig die gesellschaftliche und wirtschaftliche Untermauerung der Regionalintegration ist. Von einem Verhältnis des konstruktiven Austauschs, von dem beide Seiten profitieren könnten, sind staatliche und nicht-staatliche Akteure im südlichen Afrika weit entfernt.
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Auch in der politischen Praxis liegen Erfahrungen mit dem Ansatz der variablen Geometrie vor. In der EU wurde er beispielsweise im Rahmen der Währungsunion praktiziert, der nur 16 der insgesamt 27 Mitglieder der EU angehören. Der RISDP hebt auch vor dem Hintergrund des ungleichen Entwicklungsstandes der einzelnen SADC-Mitglieder die besondere Eignung der variablen Geometrie hervor (vgl. SADC 2003: 120, Paragraph 6.2.6). Wenn überhaupt können die nicht-staatlichen Akteure eine Beteiligung am regionalen Integrationsprozess nur über die nationale Ebene geltend machen. So konnte die empirische Untersuchung zeigen, dass in einzelnen Nationalstaaten die Vertreter privatwirtschaftlicher Vereinigungen an den Verhandlungen zum SADC-Handelsprotokoll beteiligt wurden.
11 Ausblick
Die zentralen Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung wurden bereits im vorangegangenen Kapitel detailliert vorgestellt. Daher erfolgt an dieser Stelle lediglich ein sehr knapper Verweis auf die wichtigsten Erkenntnisse, um darauf aufbauend den weiterführenden Forschungsbedarf zu diskutieren. Die Stärken und Schwächen der Theorieansätze, die für die Analyse des Regionalismus im südlichen Afrika herangezogen wurden, stellen sich wie folgt dar455: Der NF besitzt hinsichtlich des Verlaufs und der förderlichen Bedingungen der regionalen Integration nur eine eingeschränkte Analysekraft. So konnte zwar eine funktionale Logik in der handelspolitischen Integration festgestellt werden, diese ist aber nicht stark genug, um spill-over-Prozesse zu erzeugen. Die Bedingungen für einen erfolgreichen Integrationsprozess, die der NF hervorhebt, sind auch im Kontext des südlichen Afrikas relevant. Aber es handelt sich hier nicht um notwendige, sondern lediglich um förderliche Bedingungen. Der IG konnte mit seiner Betonung auf den intergouvernementalen Charakter regionaler Integrationsprozesse auch im südlichen Afrika überzeugen. Seine Fokussierung auf die Rolle der Nationalstaaten bzw. ihre staatlichen Eliten hat sich für den Kontext der SADC-Integration ebenfalls als sinnvoll erwiesen. Seine Annahme der alleinigen Dominanz nationaler Interessen konnte allerdings im sicherheitspolitischen Bereich nicht bestätigt werden. Darüber hinaus wird die Analysekraft beider klassischen Ansätze für die SADC-Region durch ihre Kontextabhängigkeit, also ihre zeitliche wie räumliche Fokussierung auf den europäischen Integrationsprozess, eingeschränkt. Der NRA konnte die Vorzüge eines vergleichsweise offenen Analyserahmens für die Untersuchung des Regionalismus im südlichen Afrika unter Beweis stellen. Darüber hinaus erwies sich sein Akteurskonzept ebenso als Stärke wie die Einbeziehung der globalen Ebene in die Untersuchung der SADCIntegration. Die Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten einer allgemeinen Integrationstheorie führte zu einem eindeutigen Ergebnis. Den Anforderungen einer vergleichenden Untersuchung von Regionalismus in verschiedenen Teilen 455
Eine ausführliche Darstellung der Untersuchungsergebnisse, die auch die Differenzierung in Handels- und Sicherheitspolitik berücksichtigt, findet sich in Kapitel 10.1.
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der Welt kann ein einzelner Theorieansatz nicht genügen. Stattdessen sollte ein vergleichsweise offener Analyserahmen bevorzugt werden. Für dessen Entwicklung liefern die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung bereits erste Anhaltspunkte. Darüber hinaus wurde für diese Studie eine Vorgehensweise gewählt, die in zweifacher Hinsicht bestehende Trennlinien aufbricht, und sich damit als sehr gewinnbringend erwiesen hat. Erstens wurde der Regionalismus im südlichen Afrika aus einer umfassenden theoretischen Perspektive betrachtet, da sowohl klassische integrationstheoretische Ansätze als auch ein Theorieansatz des neuen Regionalismus für die Analyse herangezogen wurden. Dadurch konnte nicht nur gezeigt werden, dass sich die verschiedenen theoretischen Ansätze gewinnbringend ergänzen. Ebenso wurde die Annahme widerlegt, die klassischen Ansätze wie NF und IG seien für die Analyse aktueller regionaler Integrationsprozesse im Allgemeinen, und erst recht für solche unter Entwicklungsländern, nicht geeignet. Die bisherige Trennung zwischen Theorieansätzen des ‚neuen’ und ‚alten’ Regionalismus sollte auch in weiterführenden Analysen regionaler Integrationsprozesse durch eine ergänzende theoretische Sichtweise ersetzt werden. Zweitens konnte die Studie auch zeigen, dass die vergleichende Untersuchung des Regionalismus in zwei Politikbereichen nicht nur durchführbar, sondern auch sehr erkenntnisreich ist. Erst die Gegenüberstellung der regionalen Handels- und Sicherheitspolitik konnte die grundlegenden Unterschiede der Integrationsprozesse in den beiden Politikbereichen identifizieren. Im Hinblick auf dieses Ergebnis könnten auch weitere Forschungsarbeiten zu regionalen Integrationsprozessen von einer vergleichenden Analyse verschiedener Politikbereiche profitieren. Darüber hinaus können die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit auch für Studien anderer regionaler Integrationsprozesse relevant sein. So hat sich beispielsweise das entwickelte Analyseraster bewährt, das die Regionalintegration nach den Kriterien der Motive/Ziele, der förderlichen Bedingungen, dem Verlauf und den beteiligten Akteuren untersucht. Andere afrikanische Regionalorganisationen wie die COMESA oder die ECOWAS könnten nach dem gleichen Raster untersucht und mit der SADC verglichen werden. Besonders interessant wäre es auch, den Analyserahmen in einem anderen geografischen Kontext zu testen, beispielsweise in Lateinamerika oder Asien. Eine solche Untersuchung würde nicht nur die Erkenntnis von der Überlegenheit des offenen theoretischen Ansatzes für die vergleichende Untersuchung von regionalen Integrationsprozessen auf die Probe stellen. Zusätzlich würden auch weitere Erkenntnisse zu den spezifischen Merkmalen des Regionalismus unter Entwicklungsländern gesammelt. Die Frage, ob eine spezielle ‚afrikanische’,
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‚lateinamerikanische’ oder ‚asiatische’ Form des Regionalismus existiert, würde somit in den Fokus genommen. Doch der weitergehende Forschungsbedarf bezieht sich auch auf das südliche Afrika selbst. Hier sind die vorhandenen regionalen Integrationsprojekte noch keinesfalls umfassend erforscht, und die vorliegende Untersuchung berücksichtigt nur einen kleinen Ausschnitt der sehr komplexen Prozesse. Von besonderer Bedeutung wäre beispielsweise ein verbessertes Verständnis von der Beziehung zwischen Regionalismus und Regionalisierung bzw. zwischen formalen und informellen Prozessen der regionalen Integration. Wie bereits in Kapitel 3.2 erläutert, besitzen formale und informelle Integrationsprozesse im Kontext des südlichen Afrikas eine besondere Bedeutung, da sie miteinander in Beziehung stehen, sich gegenseitig ergänzen und nicht unabhängig voneinander existieren können. Allerdings sind die theoretischen Grundlagen für eine solche Studie anspruchsvoll. Es muss ein theoretisches Modell entwickelt werden, das den Gegebenheiten der sehr unterschiedlichen Prozesse der Regionalisierung und des Regionalismus gleichermaßen entspricht. Weiterführende Forschungsarbeiten zum Regionalismus im südlichen Afrika sollten auch das Verhältnis von regionalen Integrationsprozessen auf der Mikro- und Makroebene in den Blick nehmen. Grundsätzlich können mit dieser Perspektive sowohl formale wie informelle Prozesse beider Ebenen berücksichtigt werden. Solche Analysen, zum Beziehungsgeflecht der Mikro- und Makroprozesse dürften sich für beide Ebenen als sehr aufschlussreich erweisen.
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Verträge und offizielle Dokumente Kommuniqués der Gipfeltreffen457 Communiqué of the Extraordinary SADC Summit, 28.06.1996, Gaborone, Botswana Communiqué of the SADC Summit, 12.-14.08.2001, Blantyre, Malawi Communiqué of the SADC Summit, 17.08.2006, Maseru, Lesotho Communiqué of the SADC Summit, 10.-18.08. 2007, Lusaka, Zambia Communiqué of the COMESA-EAC-SADC Tripartite Summit of Heads of States and Government, 22.10.2008, Kampala, Uganda Protokolle der SADC-Gipfeltreffen458 Record of the SADC Summit, 24.08.1996, Maseru, Lesotho Record of the SADC Summit, 08.09.1997, Blantyre, Malawi Record of the SADC Summit, 13.-14.09.1998, Grand Bay, Mauritius Record of the SADC Summit, 06.-07.08.2000, Windhoek, Namibia; Record of the SADC Summit, 09.03.2001, Windhoek, Namibia; Record of the SADC Summit, 12.-14.08. 2001, Blantyre, Malawi Record of the SADC Summit, 02.-03.10.2002, Luanda, Angola
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Offizielle Reden464 Rede Prega Ramsamy zur Eröffnung des SADC Summits, 12.08.2001, Blantyre, Malawi Rede Benjamin Mkapa zur Eröffnung des SADC Summits, 25.-26.08.2003, Dar Es Salaam, Tansania Rede Benjamin Mkapa zum Abschluss des SADC Summits, 26.08.2003, Dar Es Salaam, Tansania Rede Benjamin Mkapa zur Verabschiedung des RISDP, 12.03.2004, Arusha, Tansania Rede Festus G. Mogae zur Eröffnung des SADC Summits, 17.08.2006, Maseru, Lesotho
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460 461 462 463 464
Falls nicht anders angegeben, sind die Dokumente auf den Internetseiten der Regionalorganisationen zugänglich. Online unter: http://www.bilaterals.org/IMG/pdf/531-03-07.pdf (20.05.2008) Online unter: http://www.sadcreview.com/directorate_reports06/frreports.htm, (18.10.2007) Online nicht verfügbar Alle Ausgaben von SADC Today sind online verfügbar unter: http://www.sardc.net Die Reden sind auf der Internetseite der SADC verfügbar. Teilweise sind sie Bestandteil der Berichte der Gipfeltreffen. Sie sind in alphabetischer Reihenfolge der Redner aufgeführt.
Literatur- und Quellenverzeichnis
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Rede Prega Ramsamy zur Eröffnung des SADC Summit, 16.08.2004, Grand Baie, Mauritius
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Verzeichnis der Interviewpartner Alle Interviews fanden im Zeitraum 10.04.2007 bis 16.05.2007 statt und werden hier in chronologischer Reihenfolge unter Angabe ihres thematischen Schwerpunktes aufgeführt. Interviewpartner Botsuana 1) Katrina Morris, Delegation of the European Commission to Botswana, Head of Section Gaborone, (Handel) 2) Gina van Schalkwyk, Southern Africa Global Competitiveness Hub, Information and Communications Coordinator Trade Policy Development, (Handel) 3) Dr. Nick Charalambides, Sustainable Commerce Consulting, Consultant, (Handel) 4) Dr. Helmut Orbon, GTZ, Coordinator SADC Peace and Security Programme, (Sicherheit) 5) Dr. Sonja Kurz und Herr Helmut Müller-Glodde, GTZ Trade and Economic Policy Advisor bzw. GTZ Coordinator, SADC Governance and Reform Programme, (Handel) 6) Anonym, Vertreter der deutschen Botschaft, (regionale Integration allgemein) 7) Rosalind H. Thomas, SADC-DFRC, Chief Executive Officer, (Handel) 8) Willem Goiemann, SADC, TIFI, Senior Programme Manager Macroeconomic Convergence, (Handel) 9) Prof. Balefi Tsie, University of Botswana, Dean Department of Social Sciences, (Regionale Integration allgemein) 10) Farai Zizhou, FOPRISA/ BIDPA, Research Fellow, (Handel) 11) B. Gofomadimo, SADC, EPA Coordinating Unit, (Handel) 12) Paulina Elago, Southern Africa Global Competitiveness Hub Deputy Director – Trade Policy Development, (Handel) 13) Dr. Marc Meinardus, Friedrich Ebert Stiftung Botsuana, Resident Representative, (Handel) 14) Dr. Keith Jefferis, e-consult, Managing Director, (Handel) 15) Dr. Tebogog Seleka, BIDPA, Senior Research Fellow, (Handel) 16) Dr. Zibani Maundeni, University of Botswana, (Handel) 17) Thomas Feige, Delegation of the European Commission to Botsuana, Acting Head, (Handel) 18) Dr. Joel Sentsho und Vioctoria Ndzinge-Anderson, BIDPA, Senior Research Fellow bzw. Research Fellow, (Handel)
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19) Herr Moses T. Kachima, SATUCC, Executive Secretary, regionale Integration allgemein 20) Paul Kalenga, SADC-TIFI, Trade Policy Advisor, (Handel) 21) Yvonne Ruf, GTZ, Associate Expert, Governance and Reform Programme SADC Secretariat, (Handel) 22) Prof. Dr. Mpho G. Molomo, University of Botswana, Associate Professor, Political Science, Centre for Strategic Studies, (Sicherheit) 23) Jabulani T. Mthethwa, SADC-TIFI, Senior Programme Manager Regional and Multilateral Policies, (Handel) 24) Abie Ditlhake, SADC-CNGO, Secretary General, (regionale Integration allgemein) 25) Gideon Phiri, former SADC–Private Sector Desk Officer, Consultant, (regionale Integration allgemein) 26) Noko Murangi, SADC-TIFI, Director, (Handel) 27) Johnson Tsoro Maiketso, BIDPA, Research Fellow, (Handel) 28) Tanki J. Mothae, SADC-OPDS, Director, (Sicherheit) 29) Brig. Gen. M. Nakanduungileh, PLANELM, Chief of Staff SADCBRIG, (Sicherheit) 30) Mavis Matenge, SADC-OPDS, (Sicherheit)
Interviewpartner Südafrika 31) Prof. Hussein Solomon, University of Pretoria, Head: Unit for African Studies, Centre for International Political Studies, (Sicherheit) 32) Lolette Kritzinger-van Niekerk, The Worldbank, Senior Economist, (Handel) 33) Dr. Themba Mhlongo, SADC, Ex-Chief Director, (regionale Integration allgemein) 34) Landon MacMillan und Herr Mmatlou Kalaba, TIPS, Programme Manager bzw. Senior Economist, (Handel) 35) Dr. Cheryl Hendricks, Institute for Security Studies, Programme Head, Southern Africa Human Security, (Sicherheit) 36) Dr. Matthew Stern, SEGA II, Project Director, (Handel) 37) Stella Mushiri, Regional Trade Facilitation Programme, Programme Manager, (Handel) 38) Peter Draper, The South African Institute of International Affairs, Research Fellow, (regionale Integration allgemein) 39) Harwy Short, Department of Foreign Affairs, (regionale Integration allgemein) 40) Dr. Garth Le Pere, Institute for Global Dialogue, Executive Director, (regionale Integration allgemein) 41) Hennie Erasmus, Department of Trade and Industry, Republic of South Africa, Director: SADC International Trade and Economic Development, (Handel)
Verzeichnis weiterer Gesprächspartner Persönliches Gespräch mit Fredrik Söderbaum am 26.04.2004, in Nicosia, Zypern. Persönliches Gespräch mit Stanley Hoffmann am 07.11.2006, in Cambridge, USA Persönliches Gespräch mit Joseph Nye am 13.12.2006, in Cambridge, USA
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Interviewleitfaden 1. The state of regionalism / Challenges for regional integration What are the greatest challenges for trade/security integration in SADC at the moment? In your opinion: What are the most important / most controversial issues and the greatest challenges with regard to trade / security in SADC at the moment? In the scientific debate there are different concepts to describe what is currently going on in the SADC region. What is your point of view? Is it a process of regional integration or is it more an example of regional cooperation or is it anything else? (Security only) 2. The meaning and conceptualization of security What is your understanding of security in Southern Africa? (What are the greatest security threats?) What conditions must be given to speak of the SADC region as a ‘secure’ region 3. The reasons for participation in regionalism What are the most important motives for the SADC states to get involved or to stay involved in regionalist security / trade activities? How do you assess the influence of the national interests of the different states on their regional policy in the field of trade / security? (Is the regional policy of the different states in line with their national interests?) How would you describe the relationship between the national interests of the member states and the common interests of the regional community? (Do these interests conflict with each other at any time? Is it also possible that national interests are in line with regional interests?) Can you see any relationship between processes of globalisation and process of regionalism in Southern Africa? Do you have the impression that regionalism in Southern Africa in the field of trade /security is used as a protective action against the processes of globalisation? 4. Conditions for successful regional integration From your point of view, what conditions are necessary to ensure a successful regionalism in the field of trade / security in Southern Africa? Are these conditions currently given in the SADC region? Homogeneity In your opinion, how relevant is homogeneity (similarity) among the participating states for the success of an integration process in the field of trade / security? If homogeneity is important: What is your impression, in which areas is homogeneity of crucial importance? (Examples: economics, culture, social) Is the SADC region a homogeneous region?
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How do you assess the role of the Republic of South Africa for the regional process? 5. The process of regional integration In which area (trade or security) is it more difficult to pursue regional integration? (Can you please give reasons for your answer?) From your own experience: Is there a kind of hierarchy which divides policies that are highly disposed to regionalism from policies that are more adverse to regionalism? If yes, what are the reasons for these differences? Spill-Over From your experience: Could you discover at any time that the regionalist process in the field of trade/security also had (unintended) consequences in other, neighbouring policy areas? 6. Actors of regional integration Can you classify the most important and influential actors who are participating in the trade / security negotiations of SADC treaties and protocols? Can you describe their way of influencing the regional process? (What channels do they use? Can they exert pressure? What kind of means do they have to influence the process?) Who are the political elites in the SADC region? Which groups form the so called political elite? Do these elites have a big influence on the regionalist trade / security process and how do they exert this influence? 7. Perspectives of regionalism Regionalism also takes place on the sub-national level. In the Southern African region there are initiatives of the so called micro-regionalism like the Spatial Development Initiatives. Do you see any influence between regionalism on the SADC level in the field of trade / security and these regional initiatives on the micro-level? Can actors of SADC / regionalism in Southern Africa learn form the successes and failures of regionalism in other parts of the world (developed as well as developing countries)? Are there any relevant principals or rules for successful regional integration in the field of trade / security that are significant all over the world? One very last question: Are there any important aspects concerning the process of regionalism in Southern Africa which were not mentioned yet?