Selige Zeit der Sehnsucht Jeanne Stephens
Julia Weihnachten
1/4 1993
gescannt von suzi_kay korrigiert von Spacey74
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Selige Zeit der Sehnsucht Jeanne Stephens
Julia Weihnachten
1/4 1993
gescannt von suzi_kay korrigiert von Spacey74
1. KAPITEL Warum habe ich mich nur dazu überreden lassen, fragte sich Nina Duncan, als sie auf dem Krankenhausparkplatz aus ihrem Wagen stieg. Sie schlug den Kragen gegen den scharfen Wind hoch und ging zu der Gruppe von Krankenhausmitarbeitern hinüber, die sich getroffen hatten, um einer bedürftigen Familie einen Erntedankkorb zu überreichen. Im Mittelpunkt der Gruppe stand Lynda Westin und gestikulierte heftig. Wie immer versuchte sie alles zu organisieren und über jeden zu bestimmen. Unter den Mitarbeitern war man sich einig: Wenn der liebe Gott je einen Tag freinehmen wollte, könnte sie ohne weiteres für ihn einspringen. "Okay, Leute, Bob hat den Korb mitgebracht. Er hat ihn selbst geschmückt. Ist das nicht großartig? Wollen wir mal sehen... wir haben Gemüse und frisches Obst, Dressing-Mix, Schinken, Truthahn, Kuchen, Butter, Süßigkeiten... ah, sogar Schokoladenfiguren... und... Wer sollte die Milch mitbringen?" "Hier", rief Nina und hielt die Flasche Milch hoch. Der Mann direkt vor Nina reichte die Flasche an Lynda weiter, die sie dann in den Korb legte. Bevor sie sich wieder der Sache widmete, schenkte sie Nina ein anerkennendes Kopfnicken. Ganz offenbar hatte sie an Ninas Erscheinen gezweifelt.
"Dinner-Brötchen", fuhr Lynda fort. "Wer sollte die Brötchen mitbringen?" "Ich glaube, dafür war Jeff Eberhart zuständig", sagte Sally, die Sekretärin der Krankenha usverwaltung. "Jeff, wo steckst du?" rief Lynda. "Er mußte heute länger arbeiten", erwiderte ein älterer Mann. "Aber er wollte auf jeden Fall kommen." Jeff war einer der Krankenhausanwälte. Während der letzten drei Monate hatte Nina sich häufig mit ihm zum Lunch getroffen, seine Einladungen zum Dinner oder für die Wochenenden hatte sie jedoch strikt abgelehnt. Wenn sie sich mit Jeff in der Cafeteria im Krankenhaus traf oder vielleicht auch in einem nahegelegenen Restaurant, fand sie das nicht bedrohlich. In der Mittagspause stand ihnen nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung, und außerdem war sie nicht mit ihm allein. Aber mit dem großen, gutaussehenden Jeff Eberhart abends auszugehen, nein, darauf wollte sie sich nicht einlassen. "Ich gebe ihm noch genau fünf Minuten", erklärte Lynda kurzerhand. "Wenn er dann nicht hier ist, kaufen wir die Brötchen unterwegs ein." Obwohl sie mindestens noch eine Viertelstunde Zeit hatten, um ihr Ziel pünktlich zu erreichen, widersprach Lynda niemand, denn keiner riß sich um die Verantwortung für diese Wohltätigkeitsprojekte, die Lynda jedes Jahr zuverlässig und präzise durchführte. Wenn man sie kritisierte, würde sie sich vielleicht nicht wieder freiwillig dazu bereit erklären. Lynda hatte sich ohnehin schon bedrängt gefühlt und sich beklagt, sie wolle nicht länger die Krankenhausmärtyrerin spielen. Allerdings war Lynda, die mit Nina zusammen in der Krankenhausverwaltung arbeitete, glänzend für derartige Aufgaben geeignet. Es gelang ihr problemlos, andere Leute einzubeziehen. Vor achtzehn Monaten hatte sie Nina unter ihre Fittiche genommen, wie eine Henne ihr Küken. Sie hatte Nina das Einleben in den neuen Job, die neue Stadt und die neue
Lebenssituation erleichtert. Neu war für Nina vor allem, daß sie allein war und allein für sich sorgen mußte. Unter anderem hatte Lynda sie zur Teilnahme an verschiedenen Lehrgängen überredet und so lange gedrängt und gebohrt, bis Nina eine Trauer-Selbsthilfegruppe besuchte, die sich einmal wöchentlich im Krankenhaus traf. Der Tod von Dan und Candi war sieben Monate her gewesen, als Nina in die Gruppe eintrat, aber sie hatte noch nicht einmal damit begonnen, ihre Trauer zu verarbeiten. Sie hatte sie einfach verdrängt, "weggepackt", wie der Leiter der Gruppe es ausdrückte. In der Selbsthilfegruppe lernte sie, dies zu erkennen. Sechs Monate lang hatte sie sich an die Gruppe geklammert wie an einen Anker in einem grauen Ozean, in dem sie unterzugehen drohte. Ab Februar traf sie sich dann nur noch einmal im Monat mit der Gruppe. Seit April schließlich nahm sie gar nicht mehr an den Treffen teil. Nina fühlte sich nun stark genug, allein mit dem Leben fertig zu werden. Und dies gelang ihr auch. Ihre Arbeit gefiel ihr, und sie mochte ihre Mitarbeiter. Die Tage verliefen in einem befriedigenden, ruhigen Fluß. Immer noch fielen ihr blonde Männer und kleine Mädchen mit langem blonden Haar auf, doch der Schmerz, den sie bei diesem Anblick empfand, wurde immer erträglicher. Vielleicht hatte sie den Punkt noch nicht erreicht, um mit einer Herausforderung, wie der anziehende Jeff Eberhart sie darstellte, umzugehen, aber im großen und ganzen ging es voran. Bis zu dem Wochenende vor dem Erntedankfest, als die Weihnachtsdekorationen in den Schaufenstern und Wohnhäusern von Tulsa auftauchten und die Erinnerungen an Weihnachten vor zwei Jahren Nina überrollten wie ein tobendes schwarzes Meer, dessen Strömung sie auf den Meeresgrund zu ziehen drohte. An jenem Sonntag war sie nicht aus dem Haus gegangen. Ihre Stimmung sank so tief, daß sie nicht einmal in der Lage
war, sich etwas zu essen zu machen. Nach einer mehr oder weniger schlaflos verbrachten Nacht war sie am Montag mit tiefen Rändern unter den Augen zur Arbeit erschienen. Lynda erkannte das Problem sofort. "Ein hartes Wochenende, wie?" "Ich hatte schon bessere." "Fährst du zum Erntedankfest nach Fort Worth?" erkundigte sich Lynda. Nina schüttelte den Kopf. "Dad hat sich gerade zur Ruhe gesetzt. Meine Eltern feiern das mit einer Kreuzfahrt." Sofort verfiel Lynda in ihr Gluckenverhalten und klopfte Nina freundschaftlich auf die Schulter. "Feiertage sind hart für Leute, die nicht mit ihrer Familie feiern können. Ich weiß, daß diese Zeit besonders schwer für dich ist. Aber du wirst es schaffen, das Erntedankfest und Weihnachten auch. Glaub mir. Nächstes Jahr wird es schon einfacher." Wie gern wollte Nina ihr glauben. Sie quälte sich durch den Tag, erledigte alle Aufgaben, die an sie gestellt wurden, innerlich jedoch fühlte sie sich so schwach, daß schon das Durchqueren des Büros eine unerträgliche Anstrengung zu sein schien. Lynda hatte sie dabei mit Habichtsaugen beobachtet. Als Nina es schließlich ablehnte, mit ihren Mitarbeitern zum Lunch zu gehen, mit der Begründung, sie sei nicht hungrig, zog Lynda sie mit sich in den Archivraum und sprach mit ihr wie mit einem widerspenstigen Kind. "Okay, wir wollen die Sache im Keim ersticken, Nina. Du mußt wieder in die DienstagabendGruppe gehen." "Über sechs Monate lang bin ich dorthin gegangen", protestierte Nina. "Was gäbe es noch zu sagen, was nicht schon hundertmal gesagt wurde?" "Du mußt mit Leuten zusammenkommen, die sich in deine Lage versetzen können", beharrte Lynda.
Nina nahm den Kugelschreiber, der auf einem Aktenschrank lag, und umklammerte ihn krampfhaft. "Ich dachte, ich wäre über den Berg." "Das warst du auch, und du wirst es wieder schaffen. Aber im Moment könnte dir die Gruppe sehr gut über die Feiertage helfen." Um Streit zu vermeiden, hatte Nina zugestimmt. Es erschien ihr ohnehin gleichgültig, ob sie sich mit der Selbsthilfegruppe traf oder zu Hause Trübsal blies. An jenem Montag war ihr einfach alles gleichgültig. Doch bei dem Treffen gestern abend hatte sie zumindest die Erfahrung gemacht, daß sie nicht der einzige Mensch in der Stadt war, den die Feiertage in depressive Stimmung versetzten. Nina erzählte in der Gruppe, daß sie sich nicht zutraue, an der Wohltätigkeitsaktion, die für Mittwoch abend bevorstand, teilzunehmen. Leider habe sie schon vor Wochen zugesagt. Die anderen versuchten ihr Mut zu machen. "Nein, ich bin zu deprimiert", erwiderte Nina, "Ich werde den anderen nur die Stimmung verderben." "Ich habe auch lange geglaubt, ich wäre deprimiert", sagte ein älterer Mann. "Aber ich habe mich einfach nur meinem Selbstmitleid hingegeben, von den ersten Monaten einmal abgesehen." "Was soll das heißen? Bei mir ist es kein Selbstmitleid." "Oh, ich habe dich nicht gemeint, Nina", erwiderte der Mann mit einem freundlichen Lächeln. Seine klugen grauen Augen verrieten allerdings, daß es nicht schaden könne, wenn Nina trotzdem darüber nachdachte. "Denk einfach daran, was wir uns immer wieder sagen", warf eine Frau hastig ein. "Wir müssen es imitieren, bis es echt ist." "Du kannst nicht an zwei Dinge gleichzeitig denken", sagte eine andere. "Wenn du mit deinen Arbeitskollegen zu der Familie gehst, brauchst du wenigstens ein paar Stunden lang über nichts anderes nachzugrübeln."
"Du wirst überrascht sein", mischte eine dritte sich ein. "Es könnte dir sogar gefallen. Wäre das nicht wenigstens einen Versuch wert?" Am Ende hatte Nina beschlossen, doch hinzugehen. Allerdings bedauerte sie ihren Entschluß bereits. Es würde ihre ganze Willenskraft erfordern zu lächeln, zu reden und vorzutäuschen, sie wäre in Ferienstimmung. Schon jetzt fühlte sie sich unsagbar erschöpft. Nun, einen Vorteil hatte die Sache vielleicht, sie würde he ute nacht gut schlafen können. "Da kommt ja unser Brotmann", rief Bob. Alle drehten sich um, als Jeff Eberhart über den Parkplatz auf sie zukam, in Jeans und Windjacke, mit einer braunen Einkaufstüte in der Hand. "Du bist nicht gerade pünktlich, Jeff", begrüßte ihn Lynda. "Wir wollten schon ohne dich losfahren." Jeff schenkte Lynda dieses schelmische Jungenlächeln, das Nina jedesmal innerlich schmelzen ließ. Er legte die Tüte zu den anderen Lebensmitteln in den Korb. "Ich habe drei verschiedene Sorten Brötchen besorgt und sogar dänisches Gebäck zum Frühstück am Erntedanktag." Lynda schüttelte verzweifelt den Kopf, obwohl auch sie ein Lächeln nicht unterdrücken konnte. "Wunderbar, Jeff. Okay, hört mal alle zu! Wir nehmen Bobs Wohnmobil. Wenn wir zusammenrücken, müßten wir alle hineinpassen." Auch das noch, dachte Nina. Eigentlich hatte sie mit ihrem eigenen Wagen fahren wollen, damit sie jederzeit wieder gehen konnte, doch wie so oft machte Lynda ihr einen Strich durch die Rechnung. Wenn Nina nicht mit den anderen fuhr, würde Lynda ihr sofort vorwerfen, sie würde sich von der Gruppe ausschließen. Nina hörte schon Lynda sagen: Ich weiß, es ist schwer, Nina, aber du mußt wenigstens versuchen, das Beste daraus zu machen. Zögernd schloß Nina sich den anderen an, die einer nach dem anderen in den Bus einstiegen. Sie hatte Jeff aus den Augen
verloren und erschrak ein wenig, als er plötzlich hinter ihr auftauchte und die Hand auf ihre Schulter legte. "Ich habe dich die ganze Woche über nicht gesehen", sagte er, während er sich zu ihr hinabbeugte. "Heute morgen habe ich bei dir im Büro angerufen. Ich wollte mit dir Mittag essen. Du hast mich nicht zurückgerufen." Der sanfte Druck seiner Hand und sein warmer Atem brachte sie so aus der Fassung, daß sie fast stotterte. "O Jeff, es tut mir leid. Ich wollte dich anrufen, aber... es war so hektisch im Büro, daß ich es vergessen habe." "Du verstehst es, einem Mann zu schmeicheln." "Es tut mir wirklich leid. Ich hätte auch gar nicht mitkommen können. Es gab viel zu tun. Ich mußte sogar in der Mittagspause arbeiten." Die Wahrheit war, daß sie noch nicht den Mut aufbrachte, sich mit einem Mann wie Jeff Eberhart zu treffen, auch wenn sie sich heute schon viel besser fühlte als gestern. Sie stieg in den Bus, gefolgt von Jeff. Als sie sah, daß nur noch ein Platz frei war, drehte sie sich zu ihm um. "Es ist nicht genug Platz für uns beide. Ich nehme meinen Wagen und fahre hinterher." Bevor sie sich an Jeff vorbeidrängen konnte, ergriff er ihren Arm. "Kein Problem." Er zwängte sich in den freien Sitz und zog sie zu sich auf den Schoß. Nina saß sehr steif und aufrecht. Kurzatmig vor Unsicherheit, hielt sie sich an der Rückenlehne ihres Vordermanns so fest geklammert, als säße sie in einer Achterbahn. Dort hätte sie kaum angespannter sein können. "Ich bin zu schwer", sagte sie sehr schwach. "Unsinn! Du wiegst gar nichts." Jeff zog sie näher zu sich heran. Dann startete Bob den Wagen; Die anderen unterhielten sich und lachten, während sich das Auto in Bewegung setzte. Sally, die Sekretärin, erzählte von den neuesten Gerüchten, die im Krankenhaus die Runde machten.
Jeff nahm seine Hände nicht weg. Er hielt Nina umfaßt, gleich unterhalb ihrer Brüste. Als sie den Duft seines Aftershaves einatmete, raubte ihr die plötzliche sexuelle Spannung zwischen ihnen fast den Atem. "Sitzt du bequem?" fragte er. Sie räusperte sich. "Sehr gut", erwiderte sie, während sie angestrengt aus dem Fenster schaute. Aber es gelang ihr nicht, ihren panisch flatternden Puls zu beruhigen. Nina spürte, daß Jeff sie beobacht ete. Nur mit Mühe konnte sie das verrückte Verlangen unterdrücken, ihren Kopf an seine Schulter zu lehnen und zu weinen. "Ich nehme an, du fährst morgen nach Texas." "Nein." "Kommen deine Eltern hierher?" "Nein. Sie machen eine Kreuzfahrt." "Gehst du dann morgen abend aus... mit Freunden?" "Ich koche selbst." Sollte er ruhig glauben, sie würde einen Truthahn braten für... für sonstwen. Was ging es ihn an, daß sie sich vermutlich nur schnell ein Steak in die Pfanne werfen und allein essen würde? Er bewegte seine Hand und berührte dabei flüchtig ihre Brust. "Nina..." "Schau mal", lenkte sie ihn ab, bevor er sie nach weiteren Einzelheiten ausfragen konnte. "Ist das nicht eine hübsche Weihnachtsdekoration?" Verzweifelt versuchte sie, den Kloß in ihrem Hals hinunterzuschlucken. Jeff beugte sich vor, um einen Blick auf das Haus zu werfen, an dem sie vorbeifuhren. "Nett." Dann betrachtete er wieder Ninas Profil. Sie war sich dessen bewußt. Obwohl sie sich alle Mühe gab, unbeteiligt zu wirken, wußte Jeff, daß sie ihm etwas vorzuspielen versuchte. Nina hatte sich etwas zurückgelehnt, so daß ihr Rücken seine Brust berührte, doch sie war alles andere als entspannt. Jeff beobachtete sie, während sie weiter aus dem Fenster starrte.
Sie ist keine Schönheit, dachte er. Nicht in dem Sinn, daß sie ein perfektes Gesicht hatte, wie man es nur auf der Leinwand sah. Solche Gesichter, vermutete Jeff, verdankten ihre Schönheit dem Können erfahrener Schönheitschirurgen. Aber Ninas Gesicht war aufregend und fesselnd. Ihr weicher, sinnlicher Mund war ein bißchen zu breit, und die braunen Augen ein bißchen zu groß für ihr ovales Gesicht. Wenn sie lächelte, leuchteten sie. Heute abend bemerkte Jeff Schatten über diesen Augen, die das Licht nicht an sie heranließen. Er spürte ihre Rippen unter seinen Händen. Sie war zu dünn. Zerbrechlich. Diese Zerbrechlichkeit war es, die ihn anfangs angezogen hatte, ihre scheinbare Zerbrechlichkeit. Obwohl er wußte, daß hier ein uralter Macho-Instinkt am Werk war, hatte er sich zu ihr hingezogen gefühlt. Sehr bald schon hatte er dann andere Dinge an ihr entdeckt, die ihn faszinierten. Diese großen, empfindsamen Augen. Und die Art, wie sie manchmal lachte, wie eine helle Glocke in einem plötzlichen Windzug. Aber wenn er geglaubt hatte, empfindsame Augen und eine zerbrechliche Erscheinung wären ein Zeichen von Schwäche oder Nachgiebigkeit, so hatte er sich getäuscht. Drei Monate lang hatte Jeff versucht, ihren massiven Widerstand zu brechen, und er war seinem Ziel nicht einen Schritt näher gekommen. Er hatte sie noch nicht einmal geküßt, abgesehen von einigen flüchtigen Küssen, denen sie geschickt ausgewichen war. Jeff wartete auf ein Zeichen von ihr, daß sie geküßt werden wollte. Und er wurde allmählich verdammt ungeduldig. Vielleicht sollte ich es ihr einfach zeigen, dachte er. Eine kleine Demonstration würde ihnen beiden beweisen, daß Nina seine Gefühle erwiderte. Auch er konnte hartnäckig sein. Es war Jahre her, daß er sich so intensiv zu einer Frau hingezogen gefühlt hatte. Ohne Kampf würde er bestimmt nicht aufgeben. Jeff ließ seine Hände seitlich über ihre Brüste gleiten, um sie gleich darauf auf ihren Schultern ruhen zu lassen. Nina hielt den
Atem an. Dann strich er mit den Daumen über ihren Hals. Als er ihren rasenden Pulsschlag spürte, lächelte er. Nina rührte sich nicht. Sie versuchte, seine Berührung zu ignorieren. Warum macht mich seine Nähe immer so konfus, fragte sie sich im stillen. Kurz darauf hielt der Wagen an. "Wir sind da", teilte Lynda mit. Sofort erhob Nina sich von Jeffs Schoß und verließ als eine der ersten den Bus. Mit nachdenklichem Gesicht beobachtete Jeff dieses fluchtartige Verhalten. Dann beeilte er sich, um sie nicht aus den Augen zu verlieren. Die Gruppe bewegte sich auf ein Haus zu, das sich in der Mitte eines Blocks von kleinen baufälligen Häusern befand, in einem ärmeren Viertel vpn Tulsa. Da die Familie von der Wohlfahrt bereits informiert war, wurden sie erwartet. Die Lampe über der Haustür brannte. Gemeinsam mit verschiedenen Kollegen, einschließlich Nina, hatte Lynda diese Familie unter den Bedürftigen ausgewählt. Jerry und Becky Summers waren Anfang dreißig und hatten fünf Kinder. Vier Jungen im Alter zwischen elf und sechs und ein vierjähriges Mädchen namens Penny. Jerry Summers hatte in einer Schlosserwerkstatt gearbeitet. Vor acht Monaten hatte er seinen Job verloren und war seitdem ohne Arbeit. Anfangs hatten sie Arbeitslosengeld erhalten, doch mittlerweile lebte die Familie von einem bescheidenen Scheck der örtlichen Wohlfahrtsorganisation. Diese Unterstützung allerdings wurde höchstens sechs Monate gezahlt. Danach würden die Summers keinerlei finanzielle Hilfe mehr in Anspruch nehmen können. Nachdem Becky Summers, eine zierliche blasse Frau, ihnen die Tür geöffnet hatte, drängten sie sich alle in dem engen Wohnzimmer. Becky schien dankbar zu sein. Zugleich merkte man ihr deutlich an, wie peinlich es ihr war, daß sie Almosen empfangen sollte.
In dem kleinen Raum standen ein zerschlissenes Sofa und ein Sessel, außerdem noch ein Etagenbett. Offenbar schliefen zwei der Kinder hier. An dieses Zimmer schloß sich eine winzige Küche an. Nina war davon überzeugt, daß es in diesem Haus allenfalls noch zwei kleine Schlafzimmer geben konnte. Es lagen weder Teppiche auf dem Holzfußboden, noch hingen Vorhänge vor den Fenstern. Die Ärmlichkeit dieses Hauses ließ beinah Schuldgefühle in Nina aufsteigen, wenn sie es mit ihrem eigenen attraktiven Apartment in Südlage verglich. Die vier Jungen drängten sich voller Erwartung um Bob, der den Korb mit den Lebensmitteln in der Hand hielt. "Dürfen sie einen Schokoladentruthahn essen?" fragte Bob Becky Summers. Als sie zustimmte, stellte er den Korb auf den Boden und legte einen Truthahn in jede der vier gierig ausgestreckten Hände. "Jetzt ist noch einer für eure Schwester übrig", sagte Bob. "Penny ist vor ein paar Minuten eingeschlafen", erklärte Becky Summers. "Ich habe sie zu Bett gebracht." Jerry Summers, ein hagerer Mann mit dichtem Bart, hatte die Szene von der Küchentür aus schweigend beobachtet. Er wird sicher gemischte Gefühle dabei haben, dachte Nina. Natürlich mußte er für die Lebensmittel dankbar sein, schon seiner Familie wegen, aber als Hausherr, als Ernährer der Familie mußte er sich auch gedemütigt fühlen. Nina empfand Mitleid mit ihm. Er schien sich zu sammeln, bevor er zu Bob hinüberging und den Korb in Empfang nahm. "Wir freuen uns sehr darüber", sagte er. "Dank Ihrer Hilfe werden die Kinder am Erntedanktag ein gutes Essen bekommen." "Ich habe etwas Glühwein vorbereitet", sagte Becky Summers. "Er ist schon heiß." Dann schaute sie sich hilflos um. "Ich weiß gar nicht, wo Sie alle sitzen sollen." "Auf dem Fußboden", schlug Jeff vor. Er setzte sich gleich neben der Tür auf den Boden mit dem Rücken an die Wand gelehnt. Sein Haar war vom Wind zerzaust, was Nina
überraschend liebenswert fand. Dann ergriff er ihre Hand und zog sie zu sich herab. "Hier ist genug Platz für dich", sagte er. "Sollen sich die Älteren auf das Sofa setzen." Diese Bemerkung rief reichlich Spott hervor, als die anderen sich einen Platz suchten. Die Summersjungen hockten sich vor das Sofa und aßen still ihre Schokolade. In dem allgemeinen Durcheinander lehnte Jeff sich zu Nina hinüber. "Für wen kochst du morgen?" fragte er leise. Glücklicherweise erschien in diesem Moment Becky Summers mit zwei Bechern, die sie ihnen reichte. "Vielen Dank", sagte Nina mit freundlichem Lächeln. "Das ist jetzt genau das richtige." Als sie sich die Hände an dem Becher wärmte, stiegen unerwartete Gefühle in ihr auf. Mitleid, Bewunderung, sogar Neid mischten sich miteinander. Ja, sie beneidete Becky um ihre große Familie. "Du hast meine Frage nicht beantwortet, Nina", begann Jeff, nachdem er einen Schluck getrunken hatte. "Wegen des Essens morgen?" Ninas Stimme klang unsicher. "Warum willst du das wissen?" Er streckte den Arm aus und strich ihr das Haar aus dem Gesicht. Dann ließ er die Hand auf ihrem Nacken ruhen. "Du weichst mir aus." "Unsinn. Ich wünschte, du würdest das nicht tun." Jeff massierte"sanft ihren Nacken. Als er sie nun forschend ansah, schlug sie die Augen nieder und blickte in ihren Becher. Wie kann ein Mann nur so lange, dichte Wimpern haben, dachte sie verwirrt. Nach einer Weile begann einer der Männer "Shine On, Harvest Moon" zu singen, und die anderen stimmten ein. Danach wollten die Summersjungen ein Erntedanklied singen, das sie in der Schule gelernt hatten. Jeff betrachtete Nina, Sie hatte ihren Becher beiseite gestellt und die Arme um die Knie geschlungen. Das Haar umrahmte in dunklen Locken ihr hübsches Gesicht. Obwohl sie die fröhlichen
Lieder mitsang, wirkte sie traurig, wie schon den ganzen Abend. Jeff konnte nachempfinden, wie schwierig die Feiertage für sie sein mußten. Er hatte von Lynda erfahren, was Nina durchgemacht hatte. Ihr Mann und ihre Tochter waren vor einigen Jahren während der Weihnachtstage verunglückt. Er sehnte sich danach, sie jetzt in die Arme zu nehmen und zu trösten, doch er wußte, daß sie ihm das nicht erlauben würde. Offenbar hatte sie Angst davor, ihm ihre Gefühle zu zeigen. Dies wertete Jeff als ein gutes Zeichen. Nina mußte etwas für ihn empfinden, sonst würde sie sich durch seine Annäherungsversuche nicht so bedroht fühlen. Wenn sie ihm ihre Gefühle zeigte, könnte er vielleicht mehr sehen, als ihr lieb war. Unwillkürlich streckte er die Hand aus, um ihr Haar zu berühren. Doch plötzlich zuckte Nina zusammen. Sie wurde kreidebleich und starrte zu Becky Summers hinüber, die auf der breiten Sessellehne saß. Als Jeff Ninas Blick folgte, sah er, wie Becky Summers dem kleinen Mädchen, das soeben hereingekommen war, die Arme entgegenstreckte. Von dem Gesang mußte Penny aufgewacht sein. Nun nahm Becky ihre Tochter auf den Schoß. Das Kind rieb sich verschlafen die Augen und vergrub das Gesicht schüchtern zwischen den Brüsten ihrer Mutter. "Candi", flüsterte Nina verzweifelt. Dann stand sie auf und lehnte sich gegen die Wand. Jeff fürchtete, sie würde ohnmächtig werden. Schnell erhob er sich und stützte sie. "Nina?" Ihr gequälter Blick erschütterte ihn. "Was ist passiert?" "Bitte nicht..." Sie wich vor ihm zurück. "Du solltest dich lieber hinsetzen." Wortlos schüttelte sie den Kopf. "Nina..." "Ich... ich muß hier sofort weg." Sie wirbelte herum und lief eilig nach draußen.
2. KAPITEL Jeff fand Nina im Bus, zusammengekauert auf einem Sitz. Er setzte sich neben sie und strich über ihr Haar. Nina rührte sich nicht. Als er sie in die Arme nahm, wehrte sie sich nicht, sie zitterte am ganzen Körper. "Es tut mir leid", flüsterte sie. "Ich konnte mich nicht beherrschen. Habe ich mich lächerlich gemacht?" "Ich glaube nicht, daß die anderen es überhaupt bemerkt haben." Er gab ihr einen Kuß auf die Stirn. "Mach dir keine Gedanken darüber." Nach einem kurzen Schweigen begann sie zu erzählen. "Als ich das kleine Mädchen sah... sie stand mit dem Rücken zu mir... dieses blonde Haar." Ihre Stimme zitterte. "Ich dachte, es wäre meine Tochter." "Deine Tochter hieß Candi?" "Candice, ja. Sie war vier Jahre alt, als sie... als ich sie verlor. Ich sah dieses Kind, und plötzlich kam es über mich. Ich war mir sicher, daß Candi irgendwie zurückgekommen war. Ich... ich kann es nicht erklären." Er strich sanft mit den Fingern durch ihr Haar. "Du brauchst es nicht zu erklären." Langsam hob sie den Kopf und sah Jeff an. "Du mußt mich für verrückt halten." "Bestimmt nicht."
"Vor zwei Jahren sind meine Tochter und mein Mann bei einem Brand ums Leben gekommen." Mit beiden Händen umfaßte er ihr Gesicht und wischte ihr die Tränen von den Wangen. "Ich weiß. Lynda hat es mir erzählt," Nina schluckte. "Es war drei Tage vor Weihnachten. Wir wohnten auf dem Land in einem großen alten Farmhaus. Eigentlich hätte es gründlich modernisiert werden müssen, aber wir schoben es auf. Außerdem gefiel es uns, wie es war." Nach einer Pause räusperte sie sich und fuhr fort: "Ich war in die Stadt gefahren, um Weihnachtseinkäufe zu machen. Candi schlief. Sie sagten, Dan, mein Mann, müsse wohl vor dem Fernseher eingeschlafen sein." Wieder hielt sie inne. "Der Gutachter sagte, das Feuer sei durch einen Kabelbrand entstanden. Wir wollten die Kabel erneuern, sobald wir etwas Geld gespart hatten." Wieder traten ihr Tränen in die Augen. Jeff hielt Nina fest und streichelte ihren Rücken, bis sie sich beruhigt hatte. "Seit ein paar Tagen sehe ich überall Weihnachtsdekorationen", sagte sie schließlich. "Das hat mir wieder alles in Erinnerung gebracht. Ich bin mit den Nerven am Ende. Ich hätte heute nicht kommen sollen." Er sah sie eindringlich an. "Doch. Es war richtig, daß du gekommen bist." "Nein..." "Du kannst dich nicht von allem ausschließen", unterbrach er sie. "Du bist nicht diejenige, die gestorben ist, Nina." Nina schob seine Hände weg und wich vor ihm zurück. Seine schonungslosen Worte hatten sie verletzt. "Es gibt nichts Schlimmeres, als die Menschen zu verlieren, die man am meisten liebt. Es ist, als würde man sein eigenes Leben verlieren, schlimmer noch, man wünscht sich, man wäre mit ihnen gestorben." Mit zitternden Händen fuhr sie sich durchs Haar und starrte aus dem Fenster. "Du hast kein Recht, mir Vorhaltungen zu machen, Jeff. Du kannst das nicht verstehen."
"Doch, ich verstehe dich." Er berührte ihre Wange. "Das ist leicht gesagt." "Sieh mich an, Nina", bat er sie. Als sie sich zögernd zu ihm wandte, legte er die Hände auf ihre Schultern. "Vor fünfeinhalb Jahren habe ich meine Frau verloren. Sie starb an Leukämie." Als Nina ihm in die Augen schaute, bemerkte sie etwas, das ihr vorher nicht aufgefallen war. Sie war zu sehr in ihrem Selbstmitleid gefangen gewesen, um zu erkennen, daß auch er einen geliebten Menschen verloren hatte. Hatte auch er das Schicksal dafür verflucht, daß es ihn am Leben ließ? Unwillkürlich streckte sie die Hand aus und berührte seine Wange. "Das tut mir leid." Er ergriff ihre Hand. "Wir waren kaum zwei Jahre verheiratet, als die Krankheit entdeckt wurde. Sie starb drei Wochen nach unserem zweiten Hochzeitstag." "O Jeff." Eine kleine Ewigkeit lang schauten sie sich schweigend in die Augen. Jeff sah, daß ihre Lippen zitterten. Seine Gefühle spiegelten sich in seinen Augen. Dann küßte er sie. Es war kein flüchtiger, auch kein zärtlicher Kuß. Jeff küßte sie fordernd und besitzergreifend. Einen Augenblick lang, als Nina noch einen klaren Gedanken fassen konnte, wehrte sie sich. Der Verstand sagte ihr, daß sie ihn abweisen mußte. Wenn sie nicht so aufgewühlt und verletzlich gewesen wäre, hätte sie es nie zu dieser Situation kommen lassen. Doch ihr Körper widersprach ihrem Verstand. Ihr Verlangen war nicht zu leugnen. Nina hörte sich selbst leise stöhnen, als sie ihre Hände unter seine Jacke gleiten ließ. Jeff umarmte sie fester. Die Art, wie er sie küßte, hatte etwas Wildes, Verzweifeltes. Nichts erinnerte an den unbeschwerten Mann mit dem jungenhaften Lächeln, als den sie ihn kennengelernt hatte. Aber sein hintergründiger, intensiver Blick hätte ihr verraten müssen, daß mehr in ihm steckte. Diese Tiefe
hatte sie ignorieren wollen, weil sie Angst davor hatte, darin zu versinken. Als er sie fordernd küßte und mehr von ihr verlangte, spürte Nina, wie ihr eigenes Verlangen über ihren schwachen Widerstand siegte. Unfähig, ihrer Begierde zu widerstehen, schmiegte sie sich an ihn und erwiderte seine n Kuß. Jeff zitterte und hob für einen kurzen Moment den Kopf. Als Nina die Augen öffnete, begegnete sie seinem leidenschaftlichen Blick. Sie versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Doch bevor ihr das gelang, drückte Jeff sie fest an sich und küßte sie noch einmal. Unwillkürlich umarmte sie ihn. Mit einem leisen Stöhnen vertiefte er den Kuß, und forderte Dinge von ihr, die sie gar nicht bereit war zu geben. Dennoch wünschte sie, er würde sie nie wieder loslassen. Ohne jede Unsicherheit ließ Jeff seine Hand unter ihr Sweatshirt gleiten und umfaßte ihre Brust. Nina zitterte vor Verlangen. Es war so überwältigend und zugleich beängstigend, daß sie ihre Finger in seinen Rücken grub. Sexuelle Erregung und leidenschaftliches Verlangen hatte sie schon oft erlebt. Aber dies war mehr. Es war mit nichts zu vergleichen, das sie kannte. Und sie wollte es erleben. Jeff umfaßte ihre Brüste mit beiden Händen. Ihre Haut war unbeschreiblich weich. Als er mit den Daumen über ihre festen Brustspitzen strich, fühlte er sein Blut pulsieren. Er war versucht, auf der Stelle, hier im Wagen mit ihr zu schlafen. Ninas Atem ging schnell. Sie war dabei, auch den letzten Rest Verstand zu verlieren, als irgend etwas sie plötzlich in die Realität zurückbrachte. Stimmen. Die anderen hatten offenbar das Haus der Summers verlassen und verabschiedeten sich fröhlich von der Familie. Nina hob den Kopf und starrte Jeff verwirrt an. Zusammenhanglose Gedanken schossen ihr durch den Kopf, während sie mit ihren Gefühlen kämpfte. Immer noch spürte sie
seine Lippen auf ihrem Mund, und ihre Sinne sehnten sich nach Erfüllung. "Nun", sagte Jeff mit heiserer Stimme. "Es hat lange gedauert, aber nun wissen wir es." Er streichelte zärtlich ihren Hals, was erneut Verlangen in ihr aufsteigen ließ. "Was wissen wir?" Er zog die Augenbrauen hoch. "Du willst mich ebenso, wie ich dich will." Allmählich fing sie an zu begreifen. "Du verstehst das falsch. Ich bin heute nicht ich selbst." Sie befreite sich aus seiner Umarmung und rückte von ihm ab, bis ihre Schultern die Fensterscheiben berührten. Nina starrte auf eine weiße Katze, die über die Straße lief, und versuchte, ihre unerwünschten Gedanken zu unterdrücken. Später, wenn sie allein war, wollte sie darüber nachdenken, was geschehen war. Doch jetzt wollte sie am liebsten an gar nichts denken. Jeff beobachtete sie. Es war ein befriedigendes Gefühl, ihren Widerstand gebrochen zu haben und endlich die leidenschaftliche Frau, für die er sie immer gehalten hatte, berührt zu haben. Doch er empfand weitaus mehr. Nina hatte irgend etwas tief in seinem Inneren berührt. Auf die überwältigenden, intensiven Gefühle, die er in dem Moment gehegt hatte, als sie seinen Kuß erwiderte, war er nicht gefaßt gewesen. Als die anderen in den Bus einstiegen, unternahm Jeff keinen Versuch, Nina auf seinen Schoß zu nehmen. Er wußte, daß sie es nicht zulassen würde. Sollten sich zwei andere einen Sitz teilen. Auf der Rückfahrt lehnte Jeff den Kopf gegen die Rückenlehne und schloß die Augen. Er brauchte etwas Zeit, um sein Gleichgewicht zurückzugewinnen. Vom ersten Augenblick an hatte er Nina begehrt. Es war lange her, daß er mit einer Frau geschlafen hatte, viel zu lange. Aber er wollte nicht einfach irgendeine Frau. Wenn das der Fall
gewesen wäre, hätte er im Krankenhaus genug Gelegenheiten gehabt. Es gab einige Frauen, die entsprechend deutliche Signale gegeben hatten. Er war nicht daran interessiert. Ich will dich, Nina, gestand er sich im stillen ein. Noch nie hatte er eine Frau so sehr begehrt. Und das ist längst nicht alles, fügte er in Gedanken hinzu. Jeff hatte sich in sie verliebt. Am Erntedanktag war es kühl, aber trocken und windstill. Nina war in der letzten Nacht nach unruhigen Stunden erst spät eingeschlafen. Nach einem tiefen, traumlosen Schlaf war sie um halb zehn aufgewacht. Sie duschte, zog sich an und machte dann einen Spaziergang durch die Nachbarschaft. Entschlossen, nicht wieder ihren Depressionen nachzugeben, hatte sie sich vorgenommen, sich den ganzen Tag zu beschäftigen. Normalerweise begegnete sie anderen Spaziergängern auf ihrem Weg. Heute nicht. Alle waren zu Hause mit den Vorbereitungen für das Familienessen beschäftigt, oder sie waren zu Verwandten gereist. Vom heutigen Tag an bis Neujahr kümmerte sich jeder um seine Familie. Alleinstehende waren in dieser Zeit Außenseiter. Nina zwang sich, an etwas anderes zu denken. Man kann nicht an zwei Dinge gleichzeitig denken, rief sie sich ins Gedächtnis. Sie konzentrierte sich auf die Gärten, an denen sie vorbeikam. Da es noch keinen Frost gegeben hatte, blühten die Blumen noch prächtig. Gelbe, weiße und lila Chrysanthemen rahmten Sträucher und Wege. Die Bäume hatten ihre herbstliche Farbenpracht entfaltet. Eines der Dinge, die Nina an Oklahoma am besten gefielen, war der Wechsel der Jahreszeiten. Jede besaß ihre besondere Schönheit. Manchmal überlegte sie, ob sie nicht in ein Haus mit Garten umziehen sollte. Auf der Farm hatte sie einen großen Gemüsegarten. Rund ums Haus hatte sie Blumenbeete angelegt. Als sie die Farm verkaufte und nach Tulsa zog, wollte sie alles vermeiden, was sie an die Vergangenheit hätte erinnern können. Mittlerweile vermißte sie allerdings die Gartenarbeit, die Erde in
ihren Händen zu spüren, wenn sie im Frühling neue Blumen pflanzte. Nina liebte es, Pflanzen zu pflegen und zu beobachten, wie sie gediehen. Nun, es sprach nichts dagegen, daß sie auf ihrem Balkon Töpfe und Blumenkästen aufstellte. Dann konnte sie sich auf einen Liegestuhl legen, umgeben von Pflanzen. Plötzlich konnte sie den Frühling kaum noch erwarten. Diese Vorfreude überraschte sie. Zum ersten Mal seit zwei Jahren freute sie sich auf etwas. Du bist nicht diejenige, die gestorben ist, Nina, hatte Jeff gesagt. Gestern abend hatte sie das nicht gern gehört, aber Jeff hatte gewußt, daß es ihr jemand sagen mußte. Sie mußte diese Tatsache akzeptieren und endlich zugeben, daß sie trotz ihres Kummers froh war zu leben. Wie es schien, waren ihr durch Jeff am Abend zuvor noch andere Dinge klargeworden. Sie war eine junge Frau und zu tiefen Gefühlen in der Lage. Eine Frau mit Appetit und Bedürfnissen, emotionalen und sexuellen Bedürfnissen. Vielleicht fand sie einfach nur die Entdeckung beängstigend, daß Jeff ihr in wenigen Minuten die Wahrheit vor Augen geführt hatte. Sie nahm ihm fast übel, mit welcher Leichtigkeit ihm dies gelungen war. Aber vor allem machte es ihr angst. Nina hatte von Anfang an gewußt, daß sie nicht den Mut aufbringen würde, Jeff Eberhart in ihr Leben spazieren zu lassen. Der gestrige Abend hatte diese Vermutung lediglich bestätigt. Auf dem Rückweg zu ihrem Apartment ging sie an einem Kiosk vorbei, um eine Zeitung zu kaufen. Es war kurz nach elf, als sie ihren Frühstückstisch deckte, mit Waffeln, Schinken, Ahornsirup, Orangensaft und Kaffee. Sie machte es sich am Tisch gemütlich und las die Zeitung, während sie aß. Dann löste sie das Kreuzworträtsel. Den Veranstaltungskalender hob sie sich bis zum Schluß auf. Als sie
sich das Kinoprogramm anschaute, beschloß sie, am Nachmittag einen Film anzusehen und danach zum Dinner in die Cafeteria im Einkaufszentrum um die Ecke zu gehen. Das Minutensteak in ihrer Tiefkühltruhe schien ihr wenig verlockend. In der Cafeteria würde es bestimmt gebratenen Truthahn geben und Kürbiskuchen. Nur weil sie an diesem Tag allein war, brauchte sie doch nicht auf die schöne Tradition zu verzichten. Nach dem Dinner, so überlegte sie weiter, würde sie einen Bummel durch das Einkaufszentrum machen und sich die Schaufenster anschauen. Schließlich mußte sie sich an die Vorboten des Weihnachtsfests gewöhnen. Sie würde ihnen kaum ausweichen können. Also fange ich am besten gleich heute damit an, dachte sie. Die Geschäfte würden zwar geschlossen sein, aber vielleicht entdeckte sie ein paar nette Weihnachtsgeschenke für ihre Eltern und ihre Freunde im Krankenhaus. Nina hatte eine Komödie mit Whoopi Goldberg ausgesucht. Das würde sicher ihre Stimmung heben. Sie zog einen pinkfarbenen Pullover an und dazu einen dunkelblauen Rock. Es war vier Uhr. Sie konnte sich langsam auf den Weg machen. Gerade steckte sie ihre Brieftasche und die Schlüssel in ihre Handtasche, als es an der Tür klingelte. Sie warf die Tasche aufs Sofa und öffnete Tür. Vor ihr stand Jeff Eberhart, der sie mit seinem schelmischen Lächeln begrüßte. Er trug einen weißen Pullover, auf dem eine Band in blauem Design abgebildet war. Es war das gleiche tiefe Blau seiner Augen. Als er ihren erstaunten Blick sah, schlug er sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. "Es funktioniert!" Nina versuchte, ein ernstes Gesicht zu machen. "Was funktioniert?" "ESP. Außersinnliche Wahrnehmung."
An den Türrahmen gelehnt, verschränkte sie die Arme vor der Brust. "Du wirst mir jetzt sicher erklären wollen, was du damit meinst, stimmt's?" "Hey, ich habe den ganzen Tag ESP-Botschaften gesendet." Er musterte sie von Kopf bis Fuß. "Offensichtlich warst du auf meiner Wellenlänge." "Das bezweifle ich. Was war denn der Inhalt dieser Botschaften?" Jeff schloß die Augen und sprach mit der monotonen Stimme eines Hypnotiseurs. "Du wirst zu Hause sein, wenn Jeff Eberhart an deiner Tür klingelt. Du wirst sehen, wie einsam er ist, und Mitleid haben mit diesem armen Kerl. Du wirst mit ihm essen gehen, weil du ein gutes Herz hast und es nicht über dich bringst, ihn wegzuschicken." Nina schüttelte den Kopf. Einen Moment lang war sie sprachlos, einen kurzen Moment jedoch nur. "Tut mir leid, aber ich fürchte, unsere Wellenlängen stimmen nicht überein. Ich gehe ins Kino." Sein Lächeln wurde schwächer. "Hast du schon gegessen?" "Nein. Ich habe spät gefrühstückt." "Wollen wir mal sehen, ob ich dich richtig verstanden habe. Nach dem Kino kommst du hierher zurück, zum Dinner. Du hast doch gestern gesagt, du würdest heute kochen, oder?" "Das stimmt nicht ganz. Ich meine, ich habe es gesagt, aber ich habe meine Meinung über das Kochen geändert." Sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoß. Im selben Moment wußte sie, daß auch Jeff dies bemerken würde. "Es ist wahr. Ich habe einfach nur meine Meinung geändert. Für eine Person ein ganzes Dinner zu kochen ist viel Arbeit. Ich wollte nachher in der Cafeteria etwas essen." "Meine Idee finde ich viel besser. Wir gehen zusammen ins Kino. Und hinterher essen wir im Greenleaf's." Greenleaf's war ein beliebtes Restaurant in einem der elegantesten Hotels der Stadt. Dort würde es heute sehr voll
sein. Eine willkommene Ausrede für Nina. "Dort müßten wir eine Stunde auf einen Tis ch warten... mindestens. Das ist es nicht wert." "Ich habe einen Tisch für zwei Personen reservieren lassen, für sieben Uhr." Sie musterte ihn argwöhnisch. "Du bist dir deiner Sache wohl sehr sicher." Jeff wich ihrem Blick nicht aus. "Ich hatte gehofft, du wurdest mich zum Essen einladen... ich dachte, du würdest etwas kochen. Die Reservierung war Plan B. Ich bin gern auf alles vorbereitet und hoffe auf das Beste." Und was wäre das Beste? fragte sie sich im stillen. Allerdings mußte sie zugeben, daß ein festliches Essen im Greenleaf's weitaus verlockender war als die Cafeteria. Vielleicht würde sie in Schwierigkeiten geraten, wenn sie Jeffs Einladung annahm. Es war verlockend und beunruhigend zugleich. Warum mache ich ihm dann nicht die Tür vor der Nase zu? fragte sie sich. Weil sie Angst davor hatte, am Erntedanktag allein in der Cafeteria zu essen. Und weil mich allein schon sein Anblick aufmuntert, gestand sie sich ein. Ja, sie wollte seine Einladung annehmen. "Magst du Whoopi Goldberg?" fragte Nina schließlich. "Ich bin ein Fan von ihr." "Einverstanden. Kino und Dinner. Aber ich muß früh zu Hause sein." Er schenkte ihr ein verführerisches Lächeln. "Wenn du behauptest, du müßtest dir die Haare waschen, suche ich mir einen Punchingball." Sie lachte. "Ich hole nur meine Jacke."
3. KAPITEL Während des Films hatte Nina sich entspannt. Sie hatte gelacht und immer wieder in die Riesentüte mit Popcorn gegriffen, die Jeff ihr hinhielt. Jeff gefiel es, sie so spontan und hemmungslos lachen zu hören. Sie hatte sich nicht gewehrt, als er den Arm auf ihrer Rückenlehne ausstreckte und die Hand auf ihre Schulter legte. Als sie ihm nun im Greenleaf's gegenübersaß, war sie sehr viel reservierter. Jeff spürte dies, doch er versuchte, seine Enttäuschung zu verbergen. Das festliche Büffet im Restaurant war einzigartig. Es gab mehr Speisen, als irgend jemand essen konnte, und alles schmeckte köstlich. Zumindest fühlte Nina sich so wohl, daß sie mit herzhaftem Appetit aß, was Jeff mit Zufriedenheit registrierte. Die Südseite des Restaurants bestand aus einer Glaswand, die den Blick auf einen Park mit Beeten gelber Chrysanthemen, durchsetzt mit rostroten. Zinnien freigab. Auf einer Parkbank, die von Blumenbeeten umrahmt war, saß eine lebensechte Skulptur, eine junge Frau mit einem Buch in der Hand. Ninas Stimme ließ Jeff den Blick von dieser Aussicht abwenden. Sie fragte ihn nach seiner Familie und nach seiner Kindheit in Oklahoma. "Mein Vater war Weizenfarmer", erzählte er, während er sich ein warmes Brötchen mit Butter bestrich.
"Was ich über Weizenanbau weiß, paßt ungefähr in einen Fingerhut." "Du hast nichts verpaßt. Es ist eine Knochenarbeit, von Tagesanbruch bis zur Dunkelheit in der sengenden Hitze, und unaufhörlich bläst der Wind. Wenn er je aufhörte, würden die Menschen dort wegen der Stille wahnsinnig werden. Und die wenigen Bäume, die es noch gibt, würden sich in zwei Teile spalten." Sie lachte. "Leben deine Eltern noch auf der Farm?" Jeff schüttelte den Kopf. "Sie sind bei einer Überschwemmung ums Leben gekommen. Sie waren gerade in der Stadt zum Einkaufen, als ein plötzliches Unwetter losbrach. Eine wahre Sintflut. Im Westen von Oklahoma regnet es nie genug, aber wenn es regnet, kommt alles auf einmal herunter." Gedankenverloren aß er einen Bissen vom Truthahnbraten. "Die Straße zur Farm stand unter Wasser, als sie zurückfuhren. Ihr Wagen überschlug sich. Beide starben bei dem Unfall." "Das tut mir leid", sagte Nina leise. Sie nahm ihr Weinglas und trank einen Schluck. "Du hast in deinem Leben schon viel verloren." "Das passiert jedem, früher oder später." "Gehört dir die Farm noch?" Er lächelte matt. "Nein. Mein Bruder Kyle und ich haben sie verkauft. Dad und Mom liebten dieses gottverlassene Land, sie liebten das Landleben. Aber nachdem mein Bruder und ich jeden Sommer bei der Ernte helfen mußten, konnten wir es kaum erwarten, endlich auf das College zu gehen. Wir haben beide keine sentimentale Beziehung zu dem Land. Glaub mir, ich könnte bis zum Lebensende glücklich sein, ohne je wieder auch nur einen Blick auf diesen Teil von Oklahoma zu werfen." "Ich weiß, was du meinst. Ich bin dort ein- oder zweimal durchgefahren. Diese Weite ist irgendwie trostlos. Die Hügel und Bäume im Osten Oklahomas sind weitaus reizvoller." Sie stellte ihr Glas ab. "Wo lebt Kyle jetzt?"
"In San Diego. Er ist verheiratet und hat zwei Töchter. Er ist Geschäftsführer eines eleganten Hotels in der alten Stadt." Jeff füllte beide Gläser noch einmal nach. "Du sagtest, du hättest mit deinem Mann auf einer Farm gelebt", fuhr er fort, um etwas mehr über sie zu erfahren. "Wo war das?" Unruhig rutschte Nina auf dem Stuhl hin und her, doch sie antwortete mit fester Stimme. "Etwa sechzig Meilen von Fort Worth. Dan hatte das Haus und dreihundert Acre Land von seinen Großeltern geerbt. Das Land war hauptsächlich Weideland. Als Kind hatte Dan seine Großeltern jeden Sommer besucht, und er träumte immer davon, auf dem Land zu leben und Rinder zu züchten. Als er die Farm dann erbte, haben wir den Schritt gewagt. Aber leben konnten wir dort nur, weil wir für das Land und das Haus nichts bezahlen mußten." "Das ist wohl die einzige Möglichkeit, wie man heute noch von einer Farm leben kann." Er drehte sein Weinglas zwischen den Fingern. "Und wie bist du schließlich nach Tulsa gekommen?" Einen Augenblick lang sah sie auf ihren Teller hinab. "Nach dem Tod von Dan und Candi konnte ich die Farm nicht allein bewirtschaften. Das Haus war ohnehin abgebrannt. Aber ich wäre auch sonst nicht geblieben." Er nickte verständnisvoll. "Ich will auch gar nicht nach Fort Worth zurück. Mit meinen Eltern verstehe ich mich sehr gut, solange wir nicht gerade in einem Haus wohnen." Nina lächelte. "Meine Mutter hat sicher die besten Absichten, aber sie ist sehr bestimmend. Als ich jünger war, hatte ich harte Auseinandersetzungen mit ihr." Manchmal fragte sie sich, ob sie Dan auch so jung geheiratet hätte, wenn sie zu Hause glücklicher gewesen wäre. "Na ja. Tulsa kannte ich, und ich fand die Stadt immer sehr nett. Also verkaufte ich die Farm, um mich hier niederzulassen, und suchte mir einen Job." "Hast du es je bereut?"
"Nein. Ich weiß, daß es eigentlich unklug ist, wenn man so weitreichende Entscheidungen so bald nach dem Tod des Ehepartners trifft. Aber mein Leben hatte sich ohnehin für immer verändert. Mir gefällt es in Tulsa. Und ich liebe meinen Job." "Und dein Privatleben?" Nina starrte ihn an. Erinnerungen an den gestrigen Abend stiegen in ihr auf. Plötzlich glaubte sie, seinen Mund auf ihren Lippen zu spüren. Sie räusperte sich. "Ich habe im Krankenhaus ein paar Freundschaften geschlossen." "Genügt dir das? Arbeit und Freunde?" Bis gestern abend war sie davon überzeugt gewesen. "Für den Augenblick sicher." Jeff schaute sie lange forschend an. "Ich glaube dir nicht." Er schob seinen leeren Teller beiseite und stützte die Ellbogen auf den Tisch. '"Du bist eine sehr begehrenswerte Frau. Du solltest nicht allein sein." Nina wurde rot. "Bitte nicht, Jeff", flüsterte sie. "Ich möchte nicht, daß ich unsere Verabredung bereue." "Warum solltest du sie bereuen? Weil du allein sein willst, oder weil du im tiefsten Inneren weißt, daß ich recht habe?" Sie sah ihn eine Weile schweigend an. Dann wandte sie den Blick ab. "Ich bin fertig mit dem Essen. Wenn du auch fertig bist, möchte ich jetzt nach Hause." Geistesabwesend faltete sie ihre Serviette zusammen und legte sie neben ihren Teller. "Vielen Dank für das Dinner." "Du kannst deine Gefühle und deine Bedürfnisse nicht für immer ignorieren, Nina." Er ergriff ihre Hand, drehte sie herum und strich mit dem Zeigefinger über Ninas Lebenslinie. Er spürte, wie sie zitterte. Nina zog ihre Hand weg und lehnte sich zurück. "So einfach ist das nicht."
Auch Jeff setzte sich zurück und betrachtete ihr angespanntes Gesicht. Sie wich seinem Blick aus. "Doch, es ist so einfach, du mußt es nur zulassen." Als sie die Verärgerung in seiner Stimme bemerkte, blickte sie auf. "Ich habe meine Meinung von Anfang an deutlich gemacht. Ich bin nicht bereit zu... zu einer Beziehung." "Seltsam. Gestern abend dachte ich, du wärst durchaus bereit." "Das ist nicht fair", sagte Nina mit fester Stimme. "Gestern abend hatte ich einen Schock." "Nun, ich hatte eine Offenbarung." "Wovon sprichst du? Ich verstehe dich nicht." Ich liebe dich, dachte Jeff. Laut sagte er: "Früher oder später schlafen wir miteinander." Nina wußte, daß es töricht wäre, ihre Gefühle für ihn zu leugnen... nach allem, was gestern geschehen war. Ebenso töricht wäre es aber gewesen, wenn sie diesen Gefühlen wider besseres Wissen nachgegeben hätte. Sie hatte ihren Mann geliebt, aus dieser Liebe war ein Kind entstanden. Nina hatte ein erfülltes, fröhliches Leben geführt. Ihre einzige Sorge war es gewesen, wie sie von dem schmalen Geldbeutel für alle, die sie liebte, Weihnachtsgeschenke kaufen konnte. Und dann war diese Welt für sie ohne jede Vorwarnung zusammengebrochen. Ehemann, Kind, Haus... alles war weg, als hätte es nie existiert. Immer noch litt sie unter diesem Verlust, aber der Schmerz war nicht mehr so unerträglich wie am Anfang. In der Selbsthilfegruppe hatte man ihr versichert, die Zeit würde ihre Wunden heilen. Und sie hatten recht. Die Trauer hätte sie längst umgebracht, wenn es nicht so gewesen wäre. Nina wünschte sich nicht mehr zu sterben, sie wünschte nur noch, daß der Schmerz nachließ. Zugegeben, sie fühlte sich zu Jeff hingezogen. Sehr sogar. Aber sie brachte nicht den Mut auf, sich auf ihn einzulassen. Allzuleicht könnte sie sich in ihn verlieben. Das wußte sie
instinktiv. Und Liebe barg immer das Risiko, verlassen zu werden, in einem Ausmaß verletzt zu werden, das niemand sich ausmalen konnte. Liebe war ein Risiko, das sie nicht bereit war einzugehen. "Vor einer Jury könntest du gut bestehen", bemerkte sie spöttisch. "Du versuchst immer wieder deine Punkte nach Hause zu bringen." "Wenn es Erfolg hat." "Wenn man wirklich eine Entscheidung getroffen hat, redet man nicht um den heißen Brei herum", gab Nina zurück. "Heute ist das erste Mal, daß wir wirklich zusammen ausgegangen sind. Die Mittagspausen im Krankenhaus zählen nicht." "Oh, ich verstehe." Sie legte den Kopf schief. "Du hast beschlossen, daß nun der Moment für einen direkten Angriff gekommen ist. Du hast alles genau überlegt. Warum sagst du mir nicht, was als nächstes passieren soll?" Jeff lächelte sie schelmisch an. "Eine bessere Suggestivfrage habe ich noch nie gehört." "Ich versuche nur herauszufinden, was in deinem Kopf vor sich geht." Er wurde ernst. "Was immer es ist, ich möchte nicht noch drei Monate warten. Natürlich lasse ich dir Zeit, dich an den Gedanken zu gewöhnen, wieder einen Mann in dein Leben zu lassen und deine Ängste zu überwinden. Aber ich möchte mich mit dir treffen, Nina. Ich möchte mehr Zeit mir dir verbringen." Als sie diese erschreckend offenen Worte hörte, wäre sie am liebsten aus dem Restaurant geflüchtet. Andererseits wäre es falsch gewesen, ihm zu zeigen, wie sehr er ihr angst machte. Der Fehler, den sie gestern abend begangen hatte, genügte für den Augenblick. "Ich mache dir einen Vorschlag", sagte sie lächelnd, nachdem sie ihre Gedanken geordnet hatte. "Lynda hat sich darüber beklagt, daß sie die einzige im Krankenhaus ist, die sich um die
Wohltätigkeitsaktionen kümmert. Ich habe beschlossen, das Weihnachtsprojekt zu organisieren. Du kannst mir dabei helfen." "Das klingt aufregend", sagte er mit zurückhaltendem Lächeln. "Allerdings hatte ich mir eigentlich etwas anderes vorgestellt." "Du hast gesagt, du willst mehr Zeit mit mir verbringen", beharrte Nina. "Wenn wir uns zusammen um das Weihnachtsprojekt kümmern, werden wir uns sehr oft treffen müssen. Einverstanden?" Mit halb amüsiertem, halb nachsichtigem Blick sah er sie an. "Einverstanden." "Können wir jetzt gehen?" "Laß mich hereinkommen, Nina", sagte Jeff, als sie vor ihrem Apartment standen. Er küßte sie sanft auf die Stirn. Nina war versucht, ihm nachzugeben. Nur dies eine Mal vielleicht, dachte sie. Als sie Jeff in die Augen schaute, stellte sie sich vor, wie es wäre, wenn sie mit ihm schlafen würde. Sein Kuß hatte ihr gezeigt, daß er ein leidenschaftlicher, fordernder Liebhaber war. Entschieden schob sie diesen Gedanken beiseite. "Besser nicht, Jeff." Er seufzte. Dann strich er mit den Fingern über ihre Augenbrauen. "Ich beiße nicht. Höchstens, wenn du es von mir verlangst." Bleib nur ruhig, ermahnte sie sich. Mühsam versuchte sie, ihre Reaktion auf seine Berührung zu ignorieren. "Gute Nacht, Jeff." Sie durchsuchte ihre Handtasche nach ihrem Schlüssel. "Moment." Jeff nahm ihr den Schlüssel aus der Hand und schloß die Tür auf. Während er die Tür öffnete, umfaßte er mit der anderen Hand ihr Kinn. Dann beugte er sich hinab und küßte sie auf den Mund. Dieser Kuß überraschte Nina. Seine Lippen waren fordernd, wie gestern abend, aber auch behutsamer und zärtlicher. Mit
dem Rücken gegen die Tür gelehnt, gab sie seinem sanften Druck nach. Sie schmiegte sich an ihn und öffnete die Lippen. Was tust du, schoß es ihr durch den Köpf, als sie spürte, daß ihre Knie weich wurden und sie den Boden unter den Füßen zu verlieren drohte. Mit diesen Gefühlen konnte sie nicht umgehen. Vorsichtig zog sie sich von ihm zurück. "Jeff", brachte sie hervor, kaum fähig zu sprechen. Er lächelte sie wissend an, während er zärtlich ihre Schultern streichelte. "Es gefällt dir wohl, mich durcheinanderzubringen." "Ja", gab er zu. "Sehr." Nina schaute zu ihm auf. "Jeff, ich glaube, du hast einen falschen Eindruck bekommen, als ich dich bat, mir beim Weihnacht sprojekt zu helfen." Sie hatte ihre Fassung zurückgewonnen und fuhr in scherzhaftem Ton fort: "Unsere Beratungen werden nicht in meinem Schlafzimmer stattfinden... und auch nicht in deinem." "Du bevorzugst also neutralen Boden. Gute Idee. Wann soll denn unsere erste... unsere erste Beratung stattfinden?" Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht. "Ich sage dir Montag im Krankenhaus Bescheid." "Großartig." Jeff gab ihr einen Kuß auf die Nasenspitze. "Schlaf gut, Nina."
4. KAPITEL Lynda war zwar überrascht, aber doch dankbar, als Nina ihr am Montag von ihrem Entschluß erzählte, das Wohltätigkeitsprojekt für Weihnachten zu organisieren. So erfreut Lynda auch war, blieb doch ein Rest von Skepsis. "Hast du dir das auch gut überlegt?" fragte sie Nina. "Ja. Ich muß mich irgendwie beschäftigen." "Also schön. Großartig. Bis Weihnachten habe ich noch alle Hände voll zu tun. Ich wüßte gar nicht, wie ich das Weihnachtsprojekt auch noch betreuen sollte." Lynda war eine mollige, freundliche Person, die voller Energie steckte. Sie würde immer alle Hände voll zu tun haben. "Aber wenn du meine Hilfe brauchen solltest..." Obwohl sie Nina bereitwillig das Projekt überließ, fühlte sie sich dennoch in der Pflicht. "Ich schaffe das schon. Jeff wird mir helfen." Interessiert zog Lynda die Augenbrauen hoch. "Du hast offenbar schon alles mit ihm besprochen." Nina nickte. "Ja. Am Donnerstag." Als Lynda sie neugierig anschaute, fügte sie hinzu: "Da wir am Erntedanktag beide allein waren, sind wir zusammen essen gegangen." "Aha. Ich verstehe. Also hast du endlich beschlossen, dem Mann eine Chance zu geben Das freut mich für dich. Jeff Eberhart ist ein prima Kerl, Nina."
"O bitte, Lynda..." Nina hatte damit gerechnet, daß ihre Kollegen ihre Schlüsse ziehen würden, wenn sie sich mit Jeff häufiger traf. "Jeff und ich sind allenfalls Freunde." "Na na", erwiderte Lynda zweifelnd. "Wirklich. Wir scheinen einiges gemeinsam zu haben. Jeff war auch verheiratet. Seine Frau ist gestorben. Wußtest du das?" "Sicher. Das wissen alle hier." Nina hatte es nicht gewußt. Wenn sie mit Jeff die Mittagspause in der Cafeteria verbrachte, hatte sie ihm höchstens oberflächliche Fragen gestellt. Sie war zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen. Vielleicht hatte der Mann in der Selbsthilfegruppe recht, und sie ging wirklich in ihrem Selbstmitleid auf. "Ich dachte, wir könnten die Summers für das Projekt aussuchen", sagte Nina. "Selbst wenn Jerry bald einen Job finden sollte, werden sie den Kindern kein besonders schönes Weihnachtsfest bieten können. Was meinst du?" "Das ist eine gute Idee." Lynda preßte sorgenvoll die Lippen zusammen. "Nina, traust du dir das auch wirklich zu? Am Mittwoch abend hast du keinen guten Eindruck auf mich gemacht." Also hat sie bemerkt, wie ich auf Penny Summers reagiert habe, dachte Nina. Und die anderen, hatten sie es vielleicht alle bemerkt? Sie warf den Kopf in den Nacken. "Was willst du eigentlich? Du hast mich immer bedrängt, ich soll etwas tun. Nun will ich deinen Rat befolgen, und es scheint dir auch nicht recht zu sein." Lynda lachte. "Ich gebe zu, es ist mein Problem. Ich gebe eben nicht gern Aufgaben ab, weil ich glaube, ich könnte alles selbst am besten regeln." "Das ist mir schon aufgefallen", sagte Nina scherzhaft. "Meine Mutter hat das gleiche Problem."
Lynda zuckte mit den Schultern. "Okay, es ist dein Projekt. Sollte ich mich vergessen und mich einmischen, darfst du mir auf die Finger klopfen." "Das werde ich bestimmt tun", sagte Nina lächelnd, während sie zum Telefon griff. "Ich rufe Jeff an und verabrede gleich ein Treffen." Die Dezembertage, vor denen Nina sich so sehr gefürchtet hatte, vergingen wie im Flug. Zusätzlich zu ihren eigenen Weinachtseinkäufen war sie mit der Organisation des Weihnachtsprojekts vollständig ausgefüllt. Sie war so beschäftigt, daß ihr für die Selbsthilfegruppe keine Zeit mehr blieb. Ihre Teilnahme an den Treffen hielt sie zur Zeit ohnehin für unnötig. Etliche Abende verbrachte sie damit, einen Korb herzurichten, den sie innen und außen mit rot-grünem Weihnachtsstoff bezog. Um den Rand nähte sie eine Baumwollspitze und fügte große rote Schleifen hinzu. Mit Jeffs Hilfe stellte Nina eine Lebensmittelliste zusammen und verteilte die verschiedenen Aufgaben unter den Mitarbeitern des Krankenhauses. Die Krankenschwestern erklärten sich bereit, für einen Tannenbaum und die Dekoration zu sorgen. Nachdem soweit alles organisiert war, dachte Nina über die Geschenkeliste für die Summers nach. Lynda wollte gemeinsam mit einer Mitarbeiterin aus der Verwaltung die Geschenke für Becky und Jerry kaufen. Seit drei Wochen traf Nina sich fast täglich mit Jeff und fühlte sich zusehends wohler in seiner Gesellschaft. Er schien sich an sein Versprechen zu halten. In der Tat ließ er ihr Zeit, sich an den Gedanken zu gewöhnen, daß sich zwischen ihnen mehr als nur Freundschaft entwickeln könnte. Gelegentlich ertappte sie ihn allerdings dabei, wie er sie so eingehend musterte, daß ihr eine Gänsehaut über den Rücken lief. Nina fragte sich, was er wohl dachte, wenn er sie so anschaute, schob
diesen Gedanken aber schnell beiseite, als fürchte sie sich vor der Entdeckung, daß sie seine Gedanken sehr genau kannte. Am 20. Dezember verabredeten Nina und Jeff sich zu einem Abendessen, bei dem sie noch einmal alle Einzelheiten durchgehen wollten. Eine Stunde vor dem vereinbarten Termin rief Jeff sie an. "Es schneit", sagte er. "Ja, ich habe es schon gesehen", erwiderte Nina, während sie besorgt aus dem Fenster schaute. Dicke weiße Flocken wirbelten um die Straßenlaterne. "Vielleicht sollten wir das Abendessen ausfallen lassen und uns morgen im Krankenhaus treffen." "Mein Wagen hat Vierradantrieb. Es macht mir nichts aus zu fahren. Aber wir müssen ja nicht beide in dieses Unwetter hinaus. Ich könnte zu dir kommen und von unterwegs eine Pizza mitbringen." Drei Wochen lang war sie seinen Vorschlägen, sich in ihrem Apartment oder in seinem Stadthaus zu treffen, erfolgreich ausgewichen. Nina wußte, daß seine Geduld mir ihr allmählich zu Ende sein mußte, obwohl er sie das nicht spüren ließ. Und was sie selbst betraf, so gewann ihr Herz mehr und mehr die Oberhand über ihren Verstand. Und im übrigen fielen ihr auch keine Ausreden mehr ein. "Okay", stimmte sie zu. "Ich mache uns einen Kaffee." Als Jeff am anderen Ende der Leitung erleichtert aufatmete, wurde ihr klar, daß er nicht erwartet hatte, sie so leicht zu überreden. Nachdem sie aufgelegt hatte, setzte sie den Kaffee auf und richtete einen Salat an, den sie auf den Küchentisch stellte. Dann schaltete sie den Wetterbericht im Fernsehen ein. Die Temperaturen sollten noch weiter fallen. Das bedeutete, daß die Schneefälle im Laufe der Nacht nachlassen würden. Nina beschloß, im Wohnzimmerkamin ein Feuer zu machen. In diesem Winter hatte sie den Kamin noch nicht benutzt, obwohl sie die behagliche Wärme eines offenen Feuers liebte. Sie ging hinaus auf die Veranda, wo unter einem breiten Vordach das Kaminholz lagerte.
Mit einem Armvoll Holz kehrte sie zitternd vor Kälte schnell ins Wohnzimmer zurück. Einen Korb mit Reisig hatte sie immer neben dem Kamin stehen, um jederzeit trockenes Anmachholz zur Verfügung zu haben. Wie ein Pfadfinder arrangierte sie das Holz schulmäßig, so daß die Flammen bald hungrig züngelten. Als Jeff eintraf, war es gemütlich warm in ihrem Apartment, und es duftete angenehm nach Holz. Er klopfte sich vor der Haustür den Schnee von seinen Stief ein und reichte Nina eine große Pizzaschachtel. "Ich habe sie mit allem außer Anchovis belegen lassen." "Sehr gut." Auch Nina mochte keine Anchovis. Während sie in der Küche den Tisch deckte, ging Jeff ins Wohnzimmer und wärmte sich die Hände am Feuer. Es war das erste Mal, daß er Ninas Wohnung sah. Das ist eine Art Meilenstein auf unserem Weg, überlegte er, als er sich im Zimmer umschaute. Der Raum paßte zu Nina, er wirkte weich und warm und attraktiv wie sie selbst. Das Sofa war mit einem grüngelb gemusterten Stoff bezogen. Vor dem Fenster hingen Vorhänge aus dem gleichen Stoff. Der weiche graue Teppich, die violetten Kissen auf dem Sofa, eine Vitrine mit Porzellanfiguren, alles schien eine feminine Ausstrahlung zu besitzen. Der Gesamteindruck war sehr angenehm, besonders für einen Mann, der sich in seinem Haus mit Beige und Braun umgab. Jeff hatte an seinem Haus, das er möbliert gemietet hatte, keinerlei Veränderungen vorgenommen. Nicht einmal Bilder hatte er aufgehängt, die die eintönigen weißen Wände aufgelockert hätten. Sein Stadthaus war für ihn ein Ort, wo er schlief und seine Kleidung aufbewahrte, Nina jedoch hatte aus ihrer Wohnung ein Zuhause gemacht. Sogar ein kleiner geschmückter Weihnachtsbaum stand in einer Ecke des Zimmers.
"Jeff." Nina stand im Türrahmen, als sie ihn zum Essen rief. Plötzlich hatte Jeff das seltsame Gefühl, daß sie dort schon länger gestanden und ihn beobachtet hatte. Er folgte ihr in die helle, geräumige und gemütlich eingerichtete Küche. "Wie ich sehe, hast du dich doch für einen Weihnachtsbaum entschieden", sagte er, während er sich an den Tisch setzte. Vor einigen Tagen hatten sie über die Vor- und Nachteile eines Weihnachtsbaums diskutiert. Jeff wußte, daß sie letztes Jahr keinen Baum aufgestellt hatte. Er fragte sich, ob sie sich wohl darüber im klaren war, daß dies einen riesigen Fortschritt in der Bewältigung ihrer Vergangenheit darstellte. "Ich habe ihn am Samstag gekauft", sagte sie, während sie sich ein Stück Pizza nahm. "Nachdem meine Mutter anrief und mir erzählte, sie würden Weihnachten auf Hawaii verbringen. Sie wollte, daß ich mit ihnen komme. Seit Dad sich zur Ruhe gesetzt hat, sind sie ständig unterwegs. Ich bin froh, daß sie das können. Reisen war schon immer ihr großer Traum." Jeff legte sich ein Stück Pizza auf den Teller. "Da du einen Weihnachtsbaum hast, nehme ich an, du hast die Einladung deiner Eltern abgelehnt." "Stimmt." Er schaute ihr zu, wie sie von der Pizza abbiß und die Fäden von geschmolzenem Käse mit der Zungenspitze auffing. Diesen Anblick fand er äußerst aufregend. Sie ist heute wunderschön, dachte er. Der sanfte Malventon ihres Kleids unterstrich ihren zarten Teint. In ihren Augen entdeckte er ein Funkeln, das er vorher noch nie bemerkt hatte. Als sie sah, daß Jeff sie beobachtete, lachte sie selbstbewußt. "Wenn ich Pizza esse, sieht das immer so aus." Er lächelte. "Anders kann man Pizza ja auch nicht essen." Dann schwiegen sie eine Weile. "Es erstaunt mich eigentlich, daß du das Angebot abgelehnt hast, ein paar Tage in der tropischen Sonne zu baden." "Das war keine schwierige Entscheidung. Hawaii ist bestimmt wunderschön, aber Weihnachten möchte ich dort nicht
verbringen. Es würde mich nicht einmal an Weihnachten erinnern." "Du scheinst tatsächlich in Weihnachtsstimmung zu kommen", bemerkte Jeff, nachdem er einen Schluck Kaffee getrunken hatte. Er sah sie mit diesem eindringlichen, forschenden Blick an, der sie so leicht beunruhigte. "Das stimmt. Es muß damit zu tun haben, daß ich soviel Zeit damit verbracht habe, mir über das Weihnachtsfest der Summers Gedanken zu machen." Und damit, daß ich soviel Zeit mit dir verbracht habe, fügte sie in Gedanken hinzu. Sie hatte zwar versucht, ihre Gespräche mit Jeff möglichst ausschließlich auf das Projekt zu richten, aber seine bloße Gege nwart hatte sie schon in gute Laune versetzt. Einmal hatte sie sich sogar dabei ertappt, wie sie nach einem Abendessen mit Jeff auf der Rückfahrt zu ihrer Wohnung ein Weihnachtslied gesummt hatte. Warum sollte ich seine Gesellschaft nicht genießen, sagte sie sich, solange mir die Dinge nicht außer Kontrolle geraten. "Verbringst du das Fest mit der Familie deines Bruder?" fragte Nina. Er schüttelte den Kopf. "Kyle hat mich eingeladen, aber im Moment kann ich nicht wegfahren. Zu viele schwierige Fälle im Krankenhaus." Da Jeff nun wußte, daß Nina in der Stadt sein würde, hoffte er, Weihnachten mit ihr zu verbringen. Dieses Vorhaben mußte er allerdings vorsichtig angehen. Nina war immer noch verunsichert. Wann immer er sie berührte oder persönliche Dinge ansprach, wurde sie sichtlich nervös. Sie achtete immer darauf, daß genügend Abstand zwischen ihnen blieb, und plauderte gern über mehr oder weniger belanglose Dinge. Doch das Eis schien langsam zu schmelzen. Er hörte es an der Art, wie sie seinen Namen sagte, und er sah es an ihrem verträumten Gesichtsausdruck, wenn sie ihn manchmal anschaute. Nun fragte Jeff sich, ob sie selbst sich dieser Veränderung wohl auch bewußt war.
"Laß uns den Kaffee im Wohnzimmer trinken", schlug Nina vor, als sie mit der Pizza fertig waren. "Wir müssen noch einmal die Planung durchgehen." Sie schenkte beide Tassen noch einmal voll. Jeff ging mit der Tasse in der Hand schon vor. Er blieb vor dem Kamin stehen und blickte ins Feuer. Als er Nina kommen hörte, setzte er sich vor dem Kamin auf den Teppich und stellte seine Tasse auf einem kleinem Tisch ab. Nina reichte ihm eine Handvoll Zettel. Dann stellte sie ihre Tasse neben seine und nahm zwei große Kissen vom Sofa. Eins davon hielt sie Jeff entgegen. "Mit dem Kissen im Rücken ist es bequemer." Sie setzte sich neben ihn, lehnte sich auf ihr Kissen zurück und nahm die Papiere zur Hand. "Also. Wir werden mit Bobs Bus fahren. Er hat auch Schneeketten, falls es schneit." Sie fuhr mit dem Kugelschreiber die Seite hinunter. "Für die Lebensmittel ist gesorgt." Nina nahm das nächste Blatt. "Weihnachtsbaum und Dekoration sind auch geklärt... Lynda und Lou besorgen die Geschenke für Becky und Jerry Summers. Wir brauchen also nur noch jemanden zu finden, der die Geschenke für die Kinder kauft." Er beugte sich zu ihr hinüber und ließ eine Locke durch seine Finger gleiten. "Das übernehme ich." Sie sah ihn streng an. "Alle fünf?" "Sicher." Er strich ihr die Haarsträhne hinters Ohr. "Na ja, also..." "Mache ich dich nervös?" "Nein, natürlich nicht." Sie rückte unwillkürlich ein Stück von ihm ab. Ein ruhiges, sanftes Lächeln umspielte seinen Mund. "Warum lächelst du?" "Weil du eine sehr schlechte Lügnerin bist. Jedesmal, wenn ich dich berühre, wirst du nervös und schreckhaft."
"Jeff..." Sie wandte den Blick ab und begann in ihren Papieren zu blättern. "Wo war ich stehengeblieben... Ach ja, ich helfe dir." "Du hilfst mir, dich unruhig und schreckhaft zu machen? Das klingt interessant." Hastig schaute sie zu ihm auf. "Ich helfe dir, Geschenke für die Kinder zu besorgen. Du weißt genau, was ich meine." Jeff strich mit der Hand über ihren Hals. Als er fühlte, wie ihr Puls zu hämmern begann, spürte er Begierde in sich aufsteigen. "Das ist eine gute Idee. Für die Jungen finde ich alles mögliche, aber für die Mädchen fällt mir nichts ein." "Und was schenkst du deinen Nichten?" "Ich habe Kyle Geld geschickt", murmelte Jeff. "Er soll etwas Sinnvolles für sie aussuchen." Mit einem nervösen Lachen sprang sie auf. "Das ist ja schrecklich. Wo bleibt dein Sinn für Weihnachten?" Nina trat ans Fenster und zog den Vorhang beiseite. Draußen sah man immer noch Schneeflocken durch die Luft treiben. "Ich glaube, der Schnee hat etwas nachgelassen." Jeff folgte ihr ans Fenster und legte den Arm um ihre Taille. Nina rührte sich nicht, sie wehrte sich auch nicht. Wie sehr begehrte er sie! In diesem Moment konnte er sich lebhaft vorstellen, wie sie sich unter ihm bewegen würde. Er wollte sie ausziehen, ihre weiblichen Kurven erforschen und ihre samtweiche Haut spüren. Jeff konnte sich nicht erinnern, eine Frau jemals so sehr begehrt zu haben. "Du duftest nach Gardenien", flüsterte er, während er mit den Händen über ihre Schultern strich. "Es... es ist ein neues Parfüm." Ihre Stimme zitterte ein wenig. "Hast du es für mich aufgelegt?" "Nein", log sie. "Ich lege immer etwas auf."
Er drehte sie sanft zu sich herum, so daß sie ihn anschauen mußte. "Nina, wie lange willst du mich noch im Ungewissen lassen?" Sie schlug die Augen nieder. "Ich habe dir von Anfang an gesagt..." Er nahm ihr Kinn und hob ihren Kopf. Um seinem ehrlichen Blick nicht begegnen zu müssen, schloß Nina die Augen. "Ich will dich, Nina." Zögernd erwiderte sie nun doch seinen Blick. "Ja, das weiß ich, Jeff." "Wir haben herausgefunden, daß du mich auch willst. Wie lange willst du noch dagegen ankämpfen?" Sie schüttelte den Kopf und trat einen Schritt zurück. "Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß ich jetzt nicht... nun, ich kann nicht..." ' "Du kannst nicht mit mir schlafen", half er ihr weiter. "So ist es", sagte sie leise. "Ich kann es einfach nicht." Nina drehte sich um und starrte aus dem Fenster. "Du hast ein schlechtes Gewissen, weil du mich begehrst." Als Antwort zuckte sie nur mit den Schultern. "Siehst du es als eine Art Betrug an deinem Ehemann an, an seinem Andenken?" "Ich glaube, das ist ein Teil des Problems", gestand sie flüsternd ein. "Nina, das ist völlig irrational." "Ich weiß." "Du sagtest, es ist ein Teil des Problems. Was ist es sonst noch?" Daß ich mich hoffnungslos in dich verlieben werde, dachte sie ratlos. Dieses Wissen machte ihr angst. Wenn sie ihre Liebe zuließ und ihn dann eines Tages verlieren würde... Diesen Schmerz würde sie nicht ertragen können. Nicht noch einmal. Als Jeff ihre Schultern berührte, spannten sich ihre Muskeln an. Wie lange noch, fragte sie sich, wie lange noch werde ich die
Kraft aufbringen, ihm zu widerstehen? Mir selbst zu widerstehen? Instinktiv wußte sie, daß sie von Jeff nie wieder loskommen würde, wenn sie erst einmal mit ihm geschlafen hätte. Das durfte nicht geschehen. "Ich glaube nicht, daß du mich verstehen würdest." "Vertrau mir." "Jeff", sagte sie leise. "Ich bin noch dabei, für mich allein wieder leben zu lernen. Es mag nicht sehr aufregend sein, aber es ist befriedigend. Und es ist ruhig. Ich habe die Ruhe schätzengelernt." "Du hast Angst, noch einmal verletzt zu werden?" Sie hörte in seiner Stimme, daß ihn dies offenbar erstaunte. Verzweifelt lehnte sie die Stirn gegen die kalte Fensterscheibe. "Ja, um Himmels willen, ja." Er beugte sich zu ihr hinab und küßte sie auf die Wange. "Das werde ich niemals zulassen." Nina sehnte sich nach ihm. Wie gern hätte sie sich in seinen Armen fallenlassen. "Du kannst es nicht versprechen. Niemand kann das." Ihre Stimme klang belegt. "Das Leben ist launenhaft." Jeff drehte sie zu sich um und nahm sie in die Arme. "Bitte nicht", wehrte sie ab, als sie spürte, daß sie schwächer wurde. Einen Augenblick lang musterte er sie forschend. Dann runzelte er die Stirn. "Also gut, das Leben ist nicht fair. Aber wie sieht denn die Alternative aus? Soll man aufhören zu leben?" Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie immer mehr die Kontrolle über ihre Gefühle verlor. "Verstehst du denn nicht, Jeff, wenn ich mit dir schlafen würde, es wäre mir nicht genug, ich würde mehr wollen." Kinder, ein Zuhause. Nina war kaum in der Lage, sich das auch nur vorzustellen. "Bitte, weine nicht." Zärtlich küßte er ihre Tränen von den Wangen. Dann schaute er sie lange an. "Ich liebe dich, Nina."
Nina sah ihn fassungslos an. O nein, nein... Mit dieser Verantwortung konnte sie nicht umgehen. "Bitte sag das nicht", flüsterte sie. Jeff unterdrückte einen kleinen Fluch. "Wahrscheinlich habe ich mir den schlechtesten Augenblick dafür ausgesucht, stimmt's? Ich habe es nicht gesagt, um dich zu überreden, mit mir ins Bett zu gehen. Meine Liebe verpflichtet dich zu keiner Gegenleistung." "So etwas würde ich dir nie unterstellen. Ich werde nur einfach im Moment nicht damit fertig." Sie atmete tief durch und löste sich, wenn auch widerstrebend von ihm. "Nina?" "Ich glaube, wir sollten heute abend nicht mehr darüber reden." Nur ihr flehender Blick hinderte Jeff daran, sie in die Arme zu nehmen und festzuhalten. Er wollte sie nicht verletzen und auch ihren Widerstand nicht brechen, bevor er ihre Bereitschaft spürte. Andererseits wußte er wirklich nicht, wie lange er seine Sehnsucht nach ihr noch unterdrücken konnte. "Gut." "Danke, Jeff." Es kostete sie einige Überwindung, ihm in die Augen zu schauen. Und noch mehr Kraft kostete es sie, sich von seinem unglücklichen Blick nicht erweichen zu lassen. Jeff zog seinen Mantel an und nahm seine Handschuhe. "Wir kaufen zusammen die Geschenke ein. Wie wäre es morgen abend?" "Ja. In Ordnung." "Soll ich dich um sieben abholen?" Sie nickte und brachte ein Lächeln zustande, bevor sie die Tür hinter ihm schloß.
5. KAPITEL Im Woodland Hills Einkaufszentrum im Süden von Tulsa herrschte am folgenden Abend geschäftige Betriebsamkeit. Überall drängten sich die Leute, um noch die letzten Weihnachtsgeschenke zu kaufen. Die meisten wirkten gehetzt, als ginge ihre Geduld allmählich zu Ende. Nina beobachtete die Kinder, die sich mit dem Weihnachtsmann unterhielten. Einige Mütter waren vollauf damit beschäftigt, die ganz Kleinen zu beruhigen, die sich vor dem Fremden mit dem roten Mantel und dem weißen Bart fürchteten. "Willst du dich nicht mit dem Weihnachtsmann fotografieren lassen?" fragte eine junge Mutter ihren zweijährigen Sohn. Der kleine Junge streckte die Unterlippe vor und stampfte mit dem Fuß auf. "Nein!" Dieses Jahr hat es wohl noch keinen Zweck, dachte Nina amüsiert. Plötzlich wurde sie aus ihren Gedanken gerissen. Jeff ergriff ihren Arm und zog sie beiseite, als eine sehr entschlossen wirkende Frau mit einem ganzen Berg von Paketen im Arm ihren Weg kreuzte. "Sie hätte dich glatt über den Haufen gerannt", erklärte Jeff. Nina lachte. "Ich habe sie gar nicht bemerkt. Ich habe die Kinder beobachtet."
Jeff nahm ihre Hand. "Versuchen wir also unser Glück", sagte er, bevor er sich einen Weg durch die wogende Menge bahnte und Nina hinter sich herzog. Sie war völlig außer Atem, als sie schließlich den überfüllten Spielwarenladen erreichten. "Das haben wir in Rekordzeit geschafft", bemerkte sie. "Bist du immer so aggressiv?" Er lächelte. "Ich habe schon früh erkannt, daß man Gefahr läuft, überrannt zu werden, wenn man hintenan bleibt." Nina warf den Kopf in den Nacken und erwiderte sein Lächeln. "An dir ist ein Hockeyspieler verloren gegangen." "Für Hockey habe ich mich immer interessiert. Leider konnte ich den Sport nie ausüben, es gab keine Vereine in der Nähe." "Und so hast du beschlossen, deine Aggressionen im Gerichtssaal auszuleben." "Richtig. Man kann gar nicht geschickt genug sein..." Sie schlenderten den Gang zwischen den bis zur Decke reichenden Spielzeugregalen weiter hinunter. "Autos sind doch immer ein gutes Geschenk." Jeff blieb vor einem Regal mit Miniaturlastern, Wohnmobilen und Anhängern stehen. Nina schaute sich die Auslagen in den unteren Regalen an. "Sieh mal, diese Feuerwehrautos. Die sind doch phantastisch." Jeff nahm eins der leuchtend roten Autos in die Hand und studierte es genauer. Es wirkte absolut echt, mit Sirene, Leiter und Wasserschlauch. "Den Tank kann man tatsächlich mit Wasser auffüllen. Ich finde, wir sollten sie für die beiden kleinen Jungen mitnehmen. Was meinst du?" "Sie werden begeistert sein." Er nahm zwei Schachteln aus dem Regal und drehte sich zu Nina um. "Und was kaufen wir den älteren Jungen?" "Vielleicht gehen wir mal in die Elekronik-Abteilung." Eine Viertelstunde später hatten sie ein tragbares Radio mit Kopfhörern und ein Weltraumspiel ausgesucht. "Hast du eine
Idee, was wir Penny schenken könnten?" fragte Jeff, inzwischen mit vier Kartons bepackt. "Ich habe dort drüben eine Puppe gesehen", erwiderte Nina. Sie bahnten sich den Weg zu den fast lebensgroßen Babypuppen und entdeckten, daß dazu auch noch ein kleiner Koffer mit Babysachen gehörte. "Die nehmen wir", rief Nina begeistert. Mit einem weiteren Karton bepackt, schlugen sie sich zum Kassenbereich durch, wo sie sich in eine der Schlangen einreihten. Schließlich waren sie an der Reihe. Ein junger Mann tippte,die Preise ein, während eine ältere Frau die Pakete einpackte. "Für wie viele Kinder haben Sie eingekauft?" erkundigte sich die Frau. "Für fünf", erklärte Nina. "Sieht aus, als wären Ihre Kinder alle dicht beieinander." "O nein..." versuchte Nina sie aufzuklären. Jeff unterbrach sie. "Die Zwillinge sind vier und die Drillinge zwei." Die Frau riß erstaunt die Augen auf und sah Nina entsetzt an. "Sie Ärmste, ich hoffe, er hilft Ihnen." Mit einer Kopibewegung deutete sie auf Jeff. "Ja... ja, er ist eine große Hilfe", sagte Nina, während sie Jeff liebevoll anlächelte und ihm das Geld reichte. "Bezahl bitte, Liebling." Jeff nahm die Tüte mit den Geschenken. "Mich hat wohl der Teufel geritten", sagte er, als sie mit ihren Einkäufen den Laden verließen. "Das scheint mir auch so", stimmte Nina zu, während sie sich bei ihm einhakte.. Als sie bei Ninas Wohnung ankamen, bestand Jeff darauf, mit hereinzukommen und beim Einpacken der Geschenke zu helfen. Seine Hilfe bestand im wesentlichen darin, daß er die Namensschilder schrieb und den Finger auf den Knoten hielt, damit Nina die Schleifen binden konnte.
Sie stellte die Weihnachtsgeschenke unter ihren Tannenbaum und hockte sich zufrieden davor, um ihr Werk zu bewundern. "Sie sehen großartig aus, wenn ich mich selbst loben darf." Jeff räusperte sich. "Das darfst du." Nina schaute sich zu ihm um. Sie wurde rot, als sie seinen interessierten Blick auffing. In ihrem Eifer hatte sie gar nicht bemerkt, daß er so dicht hinter ihr stand. "Du bist schön", sagte er leise. Draußen hatte ein kräftiger Wind geweht, und Nina hatte sich nicht einmal die Haare gekämmt. Plötzlich wurde ihr klar, daß ihre Locken ziemlich zerzaust aussehen mußten. Auch ihr Make-up konnte kaum noch in Ordnung sein. Sie kicherte, während sie sich erhob. "Wie kannst du das sagen, ohne rot zu werden." Nina fuhr sich mit der Hand durchs Haar. "Sieh mich doch an." Ihr leises Lachen weckte sein Verlangen um so mehr. Mit beiden Händen umfaßte er ihr Gesicht. "Das tue ich doch. " Er neigte den Kopf und küßte sie auf den Mund. Mit weichen Lippen erwiderte sie seinen Kuß. Unwillkürlich begann Jeff, ihre Schultern zu streicheln, als er ihre Erregung spürte. Die Art, wie sie sich an ihn schmiegte, zeigte ihm mehr, als sie beabsichtigte. Nina fühlte, wie die Begierde in ihr wuchs. Seine Lippen, seine Hände, sein Herzschlag, all dies verriet ihr, daß Jeff ihre Gefühle erwiderte. Es wäre so einfach, ihn auf den Boden zu ziehen, seinen Körper zu spüren und endlich die Spannung zwischen ihnen zu lösen. Es wäre ganz einfach, mit ihm zu schlafen. Obwohl Nina es keinesfalls so weit kommen lassen wollte, konnte sie nicht verhindern, daß sie es sich vorstellte. Zärtlich strich Jeff mit den Lippen über ihre Wange und ihre Schläfe. "Es ist schön, dich zu berühren, Nina. Ich möchte dich überall berühren", sagte er, bevor er sie wieder leidenschaftlich
und fordernd auf den Mund küßte. Nina hörte plötzlich ihren eigenen Herzschlag. Dann hob Jeff den Kopf. Sie stöhnte leise, bevor sie die Augen öffnete und ihn mit verträumtem Blick ansah. Seine Augen spiegelten Sehnsucht und Begierde wider. "Komm ins Bett, Liebling", flüsterte er. Nina war versucht, ja zu sagen. Sekundenlang trug sie einen inneren Kampf mit sich aus. Sie begehrte Jeff so sehr, daß ihre Gefühle sie fast überwältigten. Was geschah mit ihr? Warum wünschte sie sich plötzlich Dinge, die sie noch vor wenigen Wochen für ausgeschlossen gehalten hätte? Warum wünschte sie sich diese Dinge mit einer Intensität, die sie schockierte? Ganz langsam ließ sie ihren Blick auf seine Lippen hinabgleiten. Nein, sie durfte es nicht zulassen. Entschlossen atmete sie tief durch. "Nein... ich bin noch nicht soweit." Er streichelte ihre Wange. "Wann?" Sie starrte ihn an. Du kannst nie mit ihm schlafen, sagte ihr der Verstand. Du willst nicht, daß er mit dir schläft und über deinen Körper und deine Seele Macht erlangt. Laut sagte sie: "Ich... ich weiß es nicht." Mit festem Griff hielt er ihre Schultern umfaßt. Die Sehnsucht in seinen Augen machte ihr angst, weil sie wußte, daß sich diese Begierde in ihren Augen spiegelte. "Du willst mich jetzt, in dieser Minute." Es wäre absurd gewesen, ihre Gefühle zu leugnen. "Ja", gab Nina zu. "Aber es gefällt mir nicht. Es macht mir angst." Wieder atmete sie tief durch. "Ich glaube, es ist besser, wenn du jetzt gehst." Sie sah, wie sich sein Gesichtsausdruck veränderte. "Ich werde nicht ewig warten, Nina", sagte er ruhig, obwohl er Mühe hatte, seinen Zorn zu unterdrücken. Die Hände hatte er in den Hosentaschen vergraben, als wolle er sichergehen, daß er Nina nicht noch einmal berührte.
Nina gefiel es nicht, daß er ihr drohte. "Vielleicht solltest du dir jemand anderen suchen", sagte sie verärgert. Er nahm seine Jacke. "Ich will keine andere Frau. Aber ich will mich auch nicht mehr auf deine Spiele einlassen." "Spiele!" Wütend schaute sie ihn an. "Spiele!" Jeff schlüpfte in seine Jacke. "Dieses Taktieren, obwohl wir doch beide wissen, was am Ende geschehen wird." "Ach, wirklich..." rief sie erbost. Gelassen zog er sich die Handschuhe an. "Wir einigen uns auf Freitag abend, bis dahin hast du Zeit." Freitag war Heiligabend. "Ich hole dich um halb sieben ab. Dann fahren wir zu den Summers." Hinter ihm fiel die Tür ins Schloß, noch bevor sie eine passende Antwort gefunden hatte. Wie konnte er es wagen, ihr zu sagen, was sie tun sollte! Wie konnte er es wagen, in diesem Ton mit ihr zu sprechen! Nach und nach ließ Nina auch andere Gedanken zu. Sie hatte gewußt, daß seine Geduld nicht unerschöpflich war. Sie hatte auch gewußt, daß er sie früher oder später dazu zwingen würde, ihren Gefühlen ins Auge zu blicken. Immer noch starrte sie auf die geschlossene Tür. Nina fürchtete sich schon jetzt vor Freitag abend. Sie konnte sich nicht noch einmal auf einen Mann einlassen. Aber wollte sie wirklich allein bleiben?
6. KAPITEL Jeff unternahm einen Einkaufsbummel, um für Nina ein Geschenk auszusuchen. Vor einem Juwelierladen blieb er stehen und schaute sich lange die Auslagen an. Die Verlobungsringe, besonders ein großer einzelner Diamant, erweckten sein größtes Interesse. Aber für den Augenblick hatte er seinem Glück schon genügend nachgeholfen. Mehr wagte er nicht zu tun. Seit er Ninas Wohnung verlassen hatte, nachdem sie die Geschenke für die Kinder der Summers eingepackt hatten, fragte er sich unentwegt, ob er zu weit gegangen war. Er hatte ihr ein Ultimatum gestellt. Bis Heiligabend sollte sie sich entscheiden. In dem Moment hatte er geglaubt, er müsse ihr nicht mehr Zeit lassen, um sich an eine neue Beziehung zu gewöhnen, doch inzwischen fragte er sich, ob sein Verhalten nicht etwas voreilig gewesen war. Seit jenem Abend benahm sie sich ihm gegenüber kühler, wenn sie sich im Krankenhaus über den Weg liefen. Es gab keinen Hinweis auf die leidenschaftliche Frau, die er in seinem Armen gehalten hatte. Sie war entschlossen, Distanz zu wahren. Aus Enttäuschung über ihre Reaktion hatte er ihr den Abstand eingeräumt, den sie zu brauchen schien. Es war gefährlich, die Beziehung voranzutreiben, das wußte er, aber seine Geduld hatte allmählich ihre Grenzen erreicht.
Ganz gleich, welche Maske sie trägt, sagte Jeff sich, als er sich von den Ringen abwandte, ich bin ihr nicht gleichgültig. So kühl sie sich auch benahm, an ihrer Reaktion auf ihn konnte sie nichts ändern. Sie begehrte ihn, und wenn sie es auch zu leugnen versuchte, in seinen Armen überdeckte dieses Verlangen alle anderen Gefühle in ihr. Vielleicht mußte er sich für den Augenblick damit begnügen. Aber mit ihren Gefühlen würde sie sich auch auseinandersetzen müssen. , Morgen war Heiligabend. "Kann ich Ihnen helfen, Sir?" "Ja." Jeff schüttelte seine Gedanken ab und konzentrierte sich auf die Auswahl eines Geschenks. "Zeigen Sie mir bitte diesen Diamantanhänger." Wie soll ich diesen Tag überleben, fragte sich Nina. Es war Heiligabend. Während sie die überfälligen Rechnungen auf ihrem Computerbildschirm aufrief, dachte sie an die Zeit zurück, bevor sie mit Dan verheiratet gewesen war. Sie hatten sich schon auf der Junior Highschool gekannt. Auf der Highschool waren sie dann unzertrennlich gewesen. Nina hatte sich nie ernsthaft mit anderen Jungen verabredet. Sie war neunzehn gewesen, als sie Dan heiratete. Die Ehe war die logische Konsequenz ihrer Beziehung gewesen, das Natürlichste auf der Welt. Oh, sie hatte ihre Zweifel gehabt, ihre Ausbildung aufzugeben, aber Dan hatte schon einen Job angenommen. Ihm hatte die Schule nie so gut gefallen wie Nina. Allerdings begeisterte ihn sein Job in den darauffolgenden fünf Jahren auch nicht sehr. Beide waren sie sehr glücklich darüber, daß er die Farm erbte und seinen Job aufgeben konnte. Damals war sie schwanger, und sie stimmten darin überein, daß es für eine Familie ideal sei, auf dem Lande zu leben. In der nahegelegenen Stadt gab es ein Junior College. Nina hatte mit dem Gedanken gespielt, dort einige Kurse zu belegen,
es jedoch Dan gegenüber nicht einmal erwähnt. Sie hatten nie genug Geld gehabt. Also hatte sie den Wunsch, ans College zurückzukehren, begraben und sich auf Dan und Candi und die Farm konzentriert. Seltsam, nun, da sie in einer Stadt mit verschiedenen Colleges und Universitäten lebte, hatte sie diesen Wunsch noch nicht verspürt. Im Augenblick ohnehin nicht. Sie war vollauf mit den Herausforderungen ihres Jobs beschäftigt, und mit Jeff. Mach dir nichts vor, sagte sie sich, während sie den Druckbefehl für die Mahnungen eingab, die wirkliche Herausforderung ist Jeff, oder genauer gesagt, meine Gefühle für Jeff. Als der Drucker neben ihrem Schreibtisch zu arbeiten begann, griff sie geistesabwesend zum Bleistift und ging die Arbeitsliste durch, die sie morgens nach ihrer Ankunft im Büro aufgestellt hatte. Sie strich alle Punkte durch, die sie bereits erledigt hatte. Als sie zu dem Punkt kam: "18:30 Uhr, Treffen mit Jeff in der Wohnung", drückte sie den Bleistift so fest auf, daß die Spitze abbrach. Nina hatte daran gedacht, Jeff anzurufen und ihm zu sagen, daß sie sich lieber auf dem Krankenhausplatz mit ihm treffen wolle. Den größten Teil des Vormittags hatte sie einen inneren Kampf mit sich ausgetragen. Ihren Mitarbeitern war dies schon aufgefallen. Sie hatten Bemerkungen darüber gemacht, daß sie heute so abwesend wirkte. Natürlich, hatte Lynda gesagt, es sei Heiligabend, und alle arbeiteten hektisch, damit sie früher nach Hause gehen konnten, aber Nina würde beunruhigt wirken. Ob sie sich wegen des Projekts Sorgen mache. Nein, hatte Nina ihr versichert. Es sei alles bestens organisiert. Dann hatte sie wieder daran gedacht, Jeff anzurufen. Schließlich hatte sie sich eingestanden, daß sie das Unausweichliche nur aufschieben würde, wenn sie Jeff daran hinderte, sie von ihrer Wohnung abzuholen und auch wieder nach Hause zu bringen. Nein, ganz gleich, was sie auch tat, sie
konnte Jeff nicht ausweichen. Er würde sie weiterhin durcheinanderbringen und in ein Wechselbad aus Sehnsüchten und Ängsten stürzen. Selbst wenn er gar nicht der Nähe war. Gestern hatte sie ihm nach langem Überlegen ein Weihnachtsgeschenk gekauft. Eine Brieftasche aus weichem Leder und, ein passendes Reiseetui für Krawatten. Ein nettes, unpersönliches Geschenk, hatte sie sich gesagt. Dennoch mußte sie immer wieder in einer Weise an Jeff denken, die alles andere als unpersönlich war. Wenn sie ihn auf dem Gang oder in der Cafeteria sah oder jemand nur seinen Namen erwähnte, dann erinnerte sie sich unwillkürlich an seinen ersten Kuß und die herausfordernden Worte: Du willst mich ebensosehr, wie ich dich will. Das Essen am Erntedanktag, die Treffen wegen des Weihnachtsprojekts, reden und lachen, Geschenke einkaufen. Mit welcher Leidenschaft er sie danach geküßt hatte. Ich liebe dich, Nina, hatte er gesagt. Wie verzweifelt sie ihn begehrt hatte. Gerade hatte ich mir mein Leben eingerichtet, so, wie es mir gefällt, dachte sie, während sie die ausgedruckten perforierten Seiten trennte und auf dem Schreibtisch sortierte. Dann war Jeff es leid gewesen, nur eine Nebenrolle in ihrem Leben zu spielen. Er war direkt hereingeplatzt und hatte die Ordnung ihres Alltags auf den Kopf gestellt. Ein Ultimatum hatte er ihr gestellt, für Freitag abend. Nina schloß die Augen und seufzte tief. Wie hatte sie es zulassen können, daß er in den Winkeln und Ritzen ihrer Existenz plötzlich so zu Hause war, ja selbst in ihren Gedanken? Sie hatte sich sogar schon dabei ertappt, daß sie über Heirat und Kinder nachdachte, wo sie doch der festen Überzeugung gewesen war, so etwas käme für sie nicht mehr in Frage. Mit so vielen Worten hatte sie ihm ihren Standpunkt erklärt. Was war das eigentlich für ein Mann, der sich weigerte, ihre einfache Erklärung zu akzeptieren, und ihr statt dessen vorwarf, sie würde ein Spiel mit ihm spielen? Ein eigensinniger Mann,
entschied Nina. Dann biß sie sich auf die Unterlippe. Oder ein Mann, der hinter ihren Worten ihr verwirrtes, einsames Herz erkannte. Nina starrte auf den Schreibtisch hinab, aber sie sah Jeff's blaue Augen vor sich. Abrupt erhob sie sich und holte aus dem Nachbarzimmer Briefumschläge und Aufkleber. Die Lösung für dein Dilemma ist ganz einfach, sagte sie sich. Wenn Jeff sie heute abend nach Hause brachte, brauchte sie nichts anderes zu tun, als ihn für immer fortzuschicken. Dann wäre sie allein, ein wirksames Mittel gegen das Risiko, verletzt zu werden. Aber auch gegen die Liebe. Gegen Kinder. Einen Augenblick lang lehnte sie sich gegen einen Aktenschrank. Plötzlich mußte sie an Jerry und Becky Summers denken, denen es an vielen materiellen Dingen mangelte, aber die beiden hatten ihre Liebe und ihre Kinder. Wie sehr sie die Summers um ihre Kinder beneidete. Sie und Dan waren sich einig gewesen, daß sie sich kein zweites Kind leisten konnten, dafür hatte die Farm zu wenig Geld abgeworfen. Jeff jedoch war ein anerkannter Anwalt in sicherer Position als Krankenhausberater. Wenn sie und Jeff heiraten würden, könnten sie mehrere Kinder haben. Hör auf zu phantasieren, ermahnte sie sich streng. Jeff hatte noch nie von Heirat gesprochen. Allerdings wußte sie, daß er sich nicht mit halben Sachen begnügte, und er hatte gesagt, daß er sie liebte. Seufzend strich Nina sich über die Lippen, die Jeff geküßt hatte, mal überwältigend zärtlich, ein anderes Mal begierig und leidenschaftlich. Bei der Erinnerung daran verspürte sie ein warmes Kribbeln im Magen. Sie hatte fest daran geglaubt, daß sie die Situation unter Kontrolle behielt, wenn sie sich davor hütete, mit Jeff zu schlafen. Dann würde sie sich auch nicht in ihn verlieben. Hatte sie sich selbst etwas vorgemacht?
Als Nina am Nachmittag über den Parkplatz zu ihrem Wagen ging, begann es gerade zu schneien. Auf der kurzen Fahrt zu ihrer Wohnung verwandelten sich die kleinen weißen Flocken in ergiebige Schneefälle. Zum Glück hatte Nina schon alle Einkäufe für das Weihnachtsessen erledigt, so daß sie ihren Wagen heute nicht mehr benutzen mußte. Sie hatte einen kleinen Truthahn gekauft und mit dem Gedanken gespielt, Jeff einzuladen. Bisher hatte sie jedoch noch nicht mit ihm gesprochen. So konnte sie erst einmal abwarten, wie der Abend sich entwickelte. Vielleicht würde er sie nie wiedersehen wollen, wenn sie ihn fortschickte. Wenn! Denk an etwas anderes, sagte sie sich, während sie den Heizungsthermostat aufdrehte. Sie rieb sich mit beiden Händen die Arme. Ein heißes Bad wäre jetzt genau das richtige, dachte sie. Nina ging ins Badezimmer, ließ das Wasser einlaufen und fügte einen großzügigen Schuß Badeöl hinzu. Dann zog sie sich aus und ließ sich mit einem Seufzer in die Wanne gleiten. Sie lehnte den Kopf gegen den Wannenrand, schloß die Augen und genoß die entspannende Wärme. Erst als das Wasser sich allmählich abkühlte, stieg sie aus der Wanne. Sie trocknete sich ab, schlüpfte in eine Jeans und zog einen warmen roten Pullover an. Eine Stunde blieb ihr noch, bis Jeff sie abholen würde. Genug Zeit, um noch einen Kaffee zu kochen. Mit dem Kaffeebecher in der einen und zwei Tüten in der anderen Hand ging sie ins Wohnzimmer. Dann packte sie die Geschenke für die Summers zusammen und stellte die Tüten neben die Wohnungstür. Um den Präsentkorb brauchte sie sich glücklicherweise nicht mehr zu kümmern. Sie hatte ihn schon vor Tagen den Kollegen übergeben, die sich zur Verfügung gestellt hatten, die Lebensmittel einzukaufen.
Als sie wieder ins Wohnzimmer kam, fiel ihr Blick auf den Kamin. Für ein Feuer war bereits alles vorbereitet. Sie brauchte es nur noch anzuzünden. Nina stellte sich vor, wie sie es sich später, wenn sie von den Summers zurückkam, vor dem Feuer gemütlich machen würde. Mit Jeff? Diese Frage schob sie schnell beiseite. Sie ging zum Schrank, nahm ihre dicke Daunenjacke heraus und warf sie aufs Sofa. Dann begann sie mit dem Kaffeebecher in der Hand unruhig durch ihre Wohnung zu laufen. Wie sollte sie Jeff begrüßen? Wie würde er sich verhalten, nachdem sie ihm in den letzten Tagen ausgewichen war? Zu ihrer größten Erleichterung machte Jeff ihr die ersten Momente leicht. "Ich liebe weiße Weihnachten", sagte er, während er sich lächelnd die Schuhe abklopfte. Als er eintrat, strich er flüchtig mit der Hand über ihren Arm. Diese Berührung war so freundschaftlich, daß sie sofort die Kluft schloß, die Nina mit ihrer Zurückhaltung in den letzten Tagen zwischen ihnen aufgebaut hatte. "Ich auch", erwiderte Nina, die dem Abend nun doch zuversichtlich entgegensah. "Und ich bin froh, daß ich nicht auf Hawaii bin." "Das freut mich auch." Jeff war zum Sofa gegangen und hatte Ninas Jacke geholt, die er ihr nun entgegenhielt. Als sie hineinschlüpfte, ließ er seine Hände einen Moment lang auf ihren Schultern ruhen. "Fertig?" "Ja." Sie nahm eine der beiden Einkaufstüten. "Nimmst du bitte die andere?" Wortlos nahm er die Tüte und öffnete Nina die Tür. Durch den inzwischen knöcheltiefen Schnee gingen sie zu seinem Wagen. Die Tüten verstauten sie auf dem Rücksitz. Als Jeff sich hinter das Steuerrad setzte, schaute er Nina an. "Du hast Schnee im Haar", sagte er, während er über ihre Locken strich.
Lachend schüttelte Nina sich die Flocken aus dem Haar. "Das wird nicht das letzte Mal heute sein. Es sieht nicht danach aus, als würde es aufhören zu schneien." "Auf keinen Fall." Jeff startete den Motor und setzte den Wagen langsamen Bewegung. "Ich habe vorhin noch ein Geschenk für die Kinder besorgt. Es ist im Kofferraum." "Was ist es denn?" . "Ein Schlitten." Nina schlug vor Freude die Hände zusammen. "O Jeff. Das ist wundervoll. Ich glaube, sie haben sogar einen Hügel in der Nähe. Wahrscheinlich können sie vor Aufregung über den Schlitten gar nicht schlafen." "Weihnachten sind alle Kinder aufgeregt." Sie lehnte sich zurück und seufzte zufrieden. "Ja, ich erinnere mich noch daran. Ich lag wach im Bett und lauschte auf jedes Geräusch im Haus, weil ich unbedingt den Weihnachtsmann sehen wollte. Irgendwie bin ich dann doch jedesmal eingeschlafen. Dann sind meine Eltern aufgestanden und haben die Geschenke hingestellt." "Wie alt warst du, als du entdeckt hast, daß nicht der Weihnachtsmann die Geschenke bringt?" Nina lächelte. "Das weiß ich nicht mehr genau. Aber als ich es wußte, habe ich es meinen Eltern nicht gleich gesagt. Damit habe ich mindestens zwei Jahre gewartet. Ich fand es so schön, Kekse für ihn auf einen Teller zu legen und am nächsten Morgen zu entdecken, daß die Kekse fort waren und meine Geschenke unter dem Baum lagen. Dieses Ritual wollte ich nicht ändern. Später habe ich die Geschenke natürlich von meinen Eltern bekommen, aber es war nicht dasselbe." "Kyle ist vier Jahre älter als ich." Jeff lachte leise. "Als wir Kinder waren, hat er mich zu gern geärgert. Typisch älterer Bruder. Als ich vier war, hat er mit teuflischem Vergnügen meinen Glauben an den Weihnachtsmann erschüttert."
"Mit vier sollte man aber eigentlich noch Illusionen haben", erwiderte Nina mitfühlend. "Das fand ich auch. Es hat Jahre gedauert, bis ich ihm verziehen habe." "Aber wenigstens hattest du einen Bruder. Ich habe es immer bedauert, daß ich keine Geschwister hatte. Und ich habe mir vier Kinder gewünscht." Er sah zu ihr hinüber. "Und jetzt wünschst du das nicht mehr?" "Darüber denke ich heute nicht mehr nach", entgegnete sie vorsichtig. Jeff glaubte ihr nicht, doch er hielt es für ratsam, ihr nicht zu widersprechen. Es war nicht der geeignete Moment für ein so ernstes Thema. "Immer wenn ich bei Kyle bin, beneide ich ihn um seine Familie", sagte er ohne Umschweife. "Eines Tages werde ich ein Haus voller Kinder haben." Nina schaute ihn forschend an. "Du glaubst wirklich daran" , bemerkte sie schließlich. "Natürlich." Er ergriff ihre Hand. "Um die Weihnachtszeit ist alles möglich." Sie schwieg. Im Augenblick war sie nicht in der Lage, dieses beunruhigende Gespräch fortzusetzen. "Fahren wir nicht mit den anderen?" fragte sie, als Jeff an der Krankenhauseinfahrt vorbeifuhr. "Wir passen nicht alle in das Wohnmobil. Diesmal sind wir noch mehr Personen als beim letztenmal. Ich habe Bob Bescheid gesagt, daß wir mit meinem Wagen fahren. Die Schwestern fahren auch nicht mit den anderen. Sie wollten schon vor uns bei den Summers sein, um den Tannenbaum aufzustellen." "Hoffentlich passen wir alle in das Wohnzimmer." "Irgendwie wird es schon klappen." Als sie das Haus der Summers erreichten, stellten sie fest, daß sie offenbar die letzten waren. Das Wohnmobil und ein PKW parkten schon dort. Nina nahm die eine Tüte mit den
Geschenken, Jeff die andere und den Schlitten, den er vor dem Haus auf der Veranda abstellte. Becky Summers begrüßte die beiden herzlich und drängte sie ins Haus zu den anderen. Wie immer konnte Lynda sich nicht beherrschen. "Noch fünf Minuten, und wir hätten einen Unfallwagen losgeschickt", sagte sie, die Hände auf die Hüften gestemmt. Nina lachte, als sie Lyndas vorwurfsvolle Geste sah. "Gluck, Gluck, spricht die Henne." "Ich habe dir doch gesagt, daß wir bis sieben Uhr hier sind. Ich glaube, es ist noch nicht einmal sieben", bemerkte Jeff, während er seine Jacke auszog. "Lynda meint, zu einer Verabredung müssen alle zu früh erscheinen, nur weil sie immer zu früh kommt", erklärte Bob. "So etwas nennt man zwanghaftes Verhalten", klärte eine der Schwestern ihn auf. "Vielen Dank für die kostenlose Analyse", beendete Lynda das Gespräch leicht beleidigt. Doch gleich darauf stimmte sie in das allgemeine Lachen ein. Die fünf Kinder der Familie kauerten über einem Karton mit Tannenbaumdekoration. Mit einem schüchternen Lächeln schaute Penny zu Nina auf. Als Nina sich daraufhin neben das kleine Mädchen kniete, stellte sie mit Erleichterung fest, daß sie Candi, abgesehen von den blonden Haaren, in keiner Weise ähnelte. "Ich wette, du kannst es kaum abwarten, den Baum zu schmücken", sagte Nina lächelnd. Penny nickte. Ihre Augen glänzten vor Aufregung. "Mom hat gesagt, wir müssen warten, bis alle da sind", erklärte einer ihrer Brüder. "Wir sind jetzt vollzählig. Also, fangen wir an", schlug Nina vor. "Dürfen wir?" vergewisserte Penny sich bei ihrer Mutter. Becky kniete sich neben Nina auf den Boden. "Aber sicher. Ich mache uns gleich eine heiße Schokolade."
Es fiel Nina auf, daß Becky viel selbstsicherer wirkte als bei ihrem ersten Besuch. "Wie geht es Ihnen?" erkundigte sich Nina. "Sehr gut", erwiderte Becky. "Jerry... warten Sie. Er soll es lieber selbst erzählen." Sie winkte ihrem Mann zu, der soeben aus der Küche hereinkam. "Alle mal zuhören!" sagte Becky laut und deutlich. "Jerry hat euch etwas mitzuteilen... nicht wahr, Liebling?" Jerry kratzte sich am Bart. Ein glückliches Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. "Am zweiten Januar trete ich eine neue Stellung an." Diese Neuigkeit wurde von allen mit spontanem Beifall aufgenommen. Als es wieder ruhig wurde, fügte Becky hinzu: "Er wird in Woodland Hills arbeiten." "Im Einkaufszentrum?" fragte Bob. Jerry nickte. "Ja, als Wachmann." "Er bekommt eine Uniform und so", sagte sein ältester Sohn voller Stolz. "Und wir können ihn sogar manchmal besuchen", fügte einer der Jungen hinzu. Nina umarmte Becky. "Ich freue mich sehr für Sie." "Danke", sagte Becky mit Tränen in den Augen. "Wir werden nie vergessen, was Sie für uns getan haben." "Wir müssen uns bei Ihnen bedanken", erwiderte Nina. "Es macht sehr viel Freude, anderen etwas zu geben." Becky nickte. "Bevor Jerry arbeitslos wurde, habe ich nie darüber nachgedacht. Aber nach diesem Weihnachten werde ich wohl nie wieder an einem Baum der Heilsarmee vorbeigehen, ohne ein Kärtchen zu ziehen und ein Geschenk für denjenigen zu kaufen, der auf der Karte steht." Sie erhob sich. "Ich koche uns jetzt Schokolade." Während die Kinder den Baum schmückten, spähte einer der Jungen in die Tüten, die Nina und Jeff mitgebracht hatten. "Auf diesem Paket steht mein Name." '
"Sicher", sagte Nina. ,,Für jeden von euch ist ein Päckchen da. Wir legen sie unter den Baum, wenn ihr ihn fertig geschmückt habt." Penny hatte in dem Karton einen großen silbernen Stern entdeckt. Auf diesem Stern thronte ein kleiner Engel in einem weißen langen Kleid mit Flügeln. Penny lachte vor Entzücken. "Schau mal." Sie hielt Nina den Stern entgegen. "Der gehört auf die Spitze. Soll ich dich hochheben? Dann kannst du ihn aufstecken." "O ja." Nina hob Penny hoch und wartete geduldig, bis sie fertig war. Fast widerwillig setzte sie das kleine Mädchen wieder ab. "Es sieht sehr schön aus." Penny drehte sich zu ihr um. "Wie heißt du?" fragte sie. "Nina." "Das ist hübsch", sagte Penny. "Penny ist auch ein hübscher Name." Nina gab ihr einen Kuß auf die Nasenspitze. Im nächsten Moment war Penny schon wieder mit der Dekoration beschäftigt. Als Nina sich zu den anderen umschaute, bemerkte sie, daß Jeff sie beobachtet hatte. In seinem Gesicht spiegelten sich tiefe Gefühle, als er ihr nun zulächelte. Sie erwiderte sein Lächeln, bevor sie sich wieder um Penny kümmerte, die mit einer Tüte roter Christbaumkugeln zu ihr kam. Aus dem Augenwinkel sah sie, daß Jeff zu Jerry Summers hinüberging. Schließlich war der Karton mit der Dekoration leer und die Geschenke unter dem Baum arrangiert. "Aufgepaßt", sagte Bob. "Ich schließe jetzt die Lichter an. Lynda, mach; bitte das Deckenlicht aus." Als die roten, grünen, blauen und gelben Lichter aufflackerten, kam Jeff zu Nina und legte den Arm um ihre Schulter. Sie lehnte sich an ihn, während Penny ihre Hand ergriff.
"Oh, ist das schön", flüsterte das kleine Mädchen.
"Wunderschön", sagte Nina leise.
Jeff nahm sie fester in den Arm.
7.KAPITEL Im bunten Lichtschein des Weihnachtsbaums suchten sich alle ein Plätzchen, wo sie sich hinsetzen konnten. Sie tranken heiße Schokolade und sangen Weihnachtslieder. Jeff und Nina teilten sich die Sofalehne. Nach einer Weile kam Penny wieder zu ihnen. "Ich will bei dir sitzen", sagte sie zu Nina. Nina nahm das Mädchen auf den Schoß. Als sie das Kind in die Arme schloß, mischte sich in ihre frohe Weihnachtsstimmung ein Anflug von Wehmut. Wie sehr sehnte sie sich nach einem eigenen Kind. Als hätte Jeff ihre Gedanken erraten, legte er den Arm um ihre Schulter und zog sie zu sich heran. Plötzlich drehte Penny sich zu Nina um. "Weißt du, was in meinem Päckchen ist?" flüsterte sie ihr ins Ohr. "Ja." "Was denn?" "Das darf ich nicht verraten." "Oh." Penny seufzte. "Dann muß ich wohl bis morgen warten." "Das glaube ich auch." Als irgend jemand "Stille Nacht" anstimmte, kuschelte Penny sich auf Ninas Schoß zusammen. "Weißt du was?" "Was denn?" fragte Nina. "Das ist das schönste Weihnachten von allen."
Jeff lächelte. Er beugte sich vor und küßte Nina flüchtig auf die Wange. Sie erwiderte sein Lächeln herzlich. Insgeheim war sie nur froh darüber, daß der Raum so dunkel war. So konnte sie wenigstens vor den anderen ihre Gefühle halbwegs verbergen. "Ich habe Jerry wegen des Schlittens Bescheid gesagt. Wenn die Kinder eingeschlafen sind, will er ihn unter den Baum stellen, als Geschenk vom Weihnachtsmann", sagte Jeff auf der Heimfahrt. "Ich wünschte, ich könnte Pennys Gesicht sehen, wenn sie die Puppe auspackt", murmelte Nina. Jeff ergriff ihre Hand. "Penny hat dich heute abend richtig in Anspruch genommen." "Und ich habe jede Minute genossen", gab Nina zu. "Das ist dein Mutterinstinkt. Du wirst eine großartige Mutter." "War", verbesserte sie ihn. Er drückte ihre Hand. "Glaub mir, du wirst wieder Kinder haben." Wortlos zog sie ihre Jacke fester zusammen. Dennoch zitterte sie. Beide schwiegen für den Rest der Fahrt. Schließlich lenkte Jeff den Wagen in die Einfahrt zu ihrem Apartment. Der Schnee lag inzwischen so hoch, daß er von oben in Ninas Stiefel drang. "Es tut gut, wieder zu Hause zu sein", sagte Nina, als sie die Wohnungstür öffnete. Sie ging sofort zum Kamin und zündete das Feuer an. Dann setzte sie sich auf den Boden und zog die Stiefel und ihre nassen Socken aus. Während sie die Füße ans Feuer hielt, zog sie ihre Jacke aus. "Ach, das ist herrlich." Jeff hatte sie beobachtet. Bevor er seine Jacke auszog, nahm er ein kleines Päckchen, in goldrotem Papier eingewickelt, aus der Jackentasche. Dann ging er zu Nina und setzte sich neben sie vor den Kamin. "Das ist für dich." Nina nahm das Geschenk überrascht entgegen. "O Jeff..." "Pack es aus."
"Warte! Ich habe auch etwas für dich." Sie stand auf und holte das Geschenk für Jeff, das sie unter ihren Weihnachtsbaum gelegt hatte. Gespannt packten sie beide ihre Geschenke aus. Mit einem erstickten Aufschrei entnahm Nina der Schachtel einen ovalen Diamantanhänger an einer goldenen Kette. "Oh, der ist ja wunderschön. O Jeff, das hättest du nicht tun sollen. Es ist zuviel." "Eigentlich wollte ich dir noch mehr geben", erwiderte er leise, während er sein Geschenk von allen Seiten betrachtete. "Aber dein Geschenk ist soviel mehr als meines. Ich weiß gar nicht..." Sie hielt inne, als sie seinen eindringlichen Blick auffing. "Das Geschenk ist mir nicht so wichtig", sagte er ernst. "Für mich zählt nur, daß es von dir kommt. Nicht, daß es mir nicht gefällt. Es ist sehr schön. Vielen Dank." Verwirrt reichte sie ihm die Kette. Dann drehte sie sich um und hielt ihre Haare hoch. "Leg sie mir bitte an." Als Jeff den Verschluß vorsichtig wieder geschlossen hatte, umfaßte er ihre Schultern. "Du zitterst ja", sagte er leise, bevor er sie zu sich umdrehte. "Ist alles in Ordnung?" "Ich habe Angst", gestand sie ehrlich. "Vor mir?" "Ja, und auch vor mir. Vor meinen Gefühlen. Es ist alles so verwirrend." Zärtlich strich er über ihr Gesicht. "Ich habe versucht, dich zu einer Entscheidung zu drängen, aber wenn du mehr Zeit brauchst..." Ihr promptes Nein überraschte sie selbst. "Ich glaube nicht, daß es etwas nützen würde", fuhr Nina fort. Zögernd und sehr vorsichtig versuchte sie, die richtigen Worte zu finden. "Ich dachte nur... Ich meine, nach dem Tod von Dan und Candi wollte ich nie wieder..." Sie atmete tief durch. "Nun, ich habe nicht daran geglaubt, daß ich je wieder einen Menschen brauchen würde,"
"Ich habe lange Zeit sehr ähnlich empfunden. Aber dann habe ich dich kennengelernt." Seine Lippen berührten ihren Mund. "Sie sind fort, Liebling, und ich bin hier. Wir beide sind hier. Ich liebe dich. Ich..." Nina erstickte seine Worte mit einem Kuß, einem tiefen, fast verzweifelten Kuß. Sie konnte sich nicht länger gegen Jeff wehren und sich vor ihren eigenen Gefühlen verschließen. In diesem Moment wurde ihr klar, daß sie Jeff liebte. Er hob den Kopf und schaute sie verliebt an. "Bist du sicher, Nina?" "Sch..." Mit den Fingerspitzen verschloß sie seine Lippen. "Bitte, Jeff, küß mich einfach." Während sie sich leidenschaftlich und voller Hingabe küßten, umarmte Nina ihn und schmiegte sich an ihn. Ihre Erregung steigerte sich so schnell, daß sie beide darüber erschraken. Jeff ging behutsam mit diesen Gefühlen um. Er beherrschte sein Verlangen. Endlich, endlich wies sie ihn nicht mehr zurück. Jede Sekunde wollte er auskosten, nichts übereilen. Selbst als ihr Atem schneller ging und sie ihre Hände in seinem Hemd vergrub, berührte er nur ihre Lippen. Mit einem leisen Stöhnen hob Nina den Kopf, um ihn anzuschauen. So viele Stunden hatte sie über Jeff nachgedacht, und jede Einzelheit seines Gesichts hatte sich ihr eingeprägt, die Fältchen in seinen Augenwinkeln, sein Lächeln, sein festes Kinn. Dieses Gesicht würde sie nie mehr vergessen können. Noch nach Jahren würde sie es vor Augen sehen, so wie an diesem Abend. Sie ließ die Hände in seinen Kragen gleiten und begann, sein Hemd aufzuknöpfen. Dann schob sie es beiseite und streichelte zärtlich seine Schultern, bevor sie seinen Hals mit Küssen bedeckte. Schließlich strich sie mit beiden Händen über seine behaarte Brust. Als sie spürte, wie Jeff unter dieser Berührung zitterte,
küßte sie ihn begierig auf den Mund, während ihre Hände seinen Körper weiter erforschten. Nun konnte Jeff sein Verlangen nicht länger unterdrücken. Er wollte sie berühren, überall, und er wollte ihre warme Haut auf seiner spüren. Langsam ließ er sich auf den Teppich zurückfallen und zog sie mit sich. Als sie nun auf ihm lag, umfaßte er ihren Kopf und vergrub sein Gesicht für einen Augenblick an ihrem Hals. Dann drehte er sie auf den Rücken und schaute sie an. In ihren Augen spiegelte sich die Begierde, als sie seinen Namen flüsterte. Mit zitternden Händen zog er ihr den Pullover aus. Das Zittern verstärkte sich, als er versuchte, ihren BH zu öffnen. Nina lächelte ihn an, während sie ihm half, den BH zu lösen. Sie stöhnte, als er zärtlich mit den Fingerspitzen über ihre Brüste strich. Unter der Berührung seiner Daumen versteiften sich ihre Brustspitzen augenblicklich. Irgendwie gelang es ihnen, den Rest ihrer Kleidung abzustreifen. Nina streckte die Hände aus und zog Jeff zu sich heran. Als er auf ihr lag und sie küßte, streichelte sie unablässig seinen Rücken und seine Hüften. Nur mühsam konnte Jeff seine Erregung beherrschen. Ihre fordernden Hände verlangten nach Befriedigung. Schließlich hob er den Kopf und legte sich neben sie auf die Seite. Er spürte die Wärme des Kaminfeuers im Rücken, als er seine Lippen auf ihren Mund preßte und die Hand zwischen ihre Beine gleiten ließ, um das warme, feuchte Zentrum ihrer Begierde zu finden. Nina bäumte sich ihm entge gen, atemlos, von seiner Berührung über alle Maßen erregt. Mit einer unbeschreiblichen Leichtigkeit steigerte er ihre Lust. Dann legte er sich auf sie und drang in sie ein. Er nahm sie schnell, äußerst erregt. Nina gab sich ihm ohne Vorbehalte hin. Sie gehörte ihm. Ihr Körper wußte dies, auch wenn ihr Verstand es noch nicht akzeptiert hatte.
Lange Zeit später schlug Nina die Augen auf und setzte sich auf. Lächelnd strich sie mit den Fingerspitzen über seine Augenbrauen. Jeff umfaßte ihre Hand, ohne die Auge n zu öffnen. "Jetzt wird es wohl Zeit für mich, nach Hause zu gehen." "Ich glaube, wir sind eingeschneit." Er lächelte. "Sehr gut." "Wir sollten es uns bequemer machen, was meinst du? Komm mit." Sie führte ihn in ihr Schlafzimmer. Eingehüllt in die behaglichen Decken, zog Jeff sie zu sich heran. Diesmal liebten sie sich langsam, ruhig und mit unsagbarer Zärtlichkeit. Danach blieb Nina lange wach. Um Jeff nicht zu wecken, lag sie ganz still. Nachdem sie so viele Nächte allein in ihrem Bett geschlafen hatte, wunderte sie sich darüber, wie selbstverständlich sie es nun mit ihm teilte. Und sie hatte ihm noch nicht einmal gesagt, daß sie ihn liebte. Morgen, dachte sie, bevor sie langsam einschlief.
8. KAPITEL Durchs Schlafzimmerfenster sah Jeff die wie in eine weiße Decke gehüllte Landschaft. Geblendet von der Helligkeit, schloß er die Augen wieder und streckte seinen Arm nach Nina aus. Doch er fühlte nichts als zerwühlte Decken. Langsam drehte er sich auf den Rücken, streckte sich und schaute noch einmal hinaus in die Winterlandschaft. Aus der Küche drangen Geräusche und der Duft von frischem Kaffee zu ihm. Einen Augenblick lang blieb er noch liegen, um das seltene Glücksgefühl, das ihn erfüllte, zu genießen. Doch dann wurde der Kaffeeduft zu verlockend, als daß er ihm noch länger hätte widerstehen können. Als er aufgestanden war, entdeckte er seine Kleidung ordentlich zusammengelegt auf einem Tisch vor dem Fenster. Er ging ins Badezimmer, wo er ausgiebig duschte. Dann zog er sich rasch an und ließ sich von seiner Nase zur Kaffeekanne leiten. Nina war damit beschäftigt, einen rohen Truthahn in eine braune Lebensmitteltüte zu stecken. Sie ging so in dieser Aufgabe auf, daß sie Jeff nicht kommen hörte. "Ich bin sicher, daß es eine ganz einfache Erklärung dafür gibt", sagte er mit einem Blick auf den Truthahn. Sie lachte. "Das ist ein Trick, den ich von meiner Großmutter gelernt habe. Truthahn muß man in einer Lebensmitteltüte backen, damit er schön braun wird."
Etwas verlegen erwiderte sie seinen Blick. Jeff gab ihr einen Kuß auf den Mund. "Frohe Weihnachten." "Frohe Weihnachten." Er schenkte sich eine Tasse Kaffee ein, lehnte sich gegen den Schrank und schaute Nina zu, wie sie den Truthahn in den Backofen schob. "Ich hoffe, ich bin zum Essen eingeladen", sagte er. "Natürlich. Es könnte zwei Tage dauern, bis man wieder mit dem Wagen fahren kann." "Ich glaube, das nehme ich auf mich", erwiderte er mit einem schelmischen Lächeln. Nina trank ihren Kaffee aus und wusch sich dann die Hände. Fast hatte sie den Eindruck, daß diese morgendliche Szene in ihrer Küche noch intimer war als die Nacht, die sie miteinander verbracht hatten. Ja, sie würde sich leicht daran gewöhnen können, ihr Leben mit Jeff zu teilen. Mit dem Kaffeebecher in der Hand trat sie ans Küchenfenster. "Oh, ich liebe Schnee", sagte sie verträumt. Jeff trat hinter sie und nahm sie in die Arme. "Ich liebe dich", sagte er. Zufrieden seufzend wandte sie sich zu ihm um. "Ich liebe dich auch", flüsterte sie. Nun hatte sie es gesagt, und es war ihr nicht schwergefallen. "Wochenlang habe ich versucht, mir einzureden, daß ich mich nicht in dich verlieben würde, wenn ich nur genügend Abstand halte. Aber gestern abend bei den Summers habe ich erkannt, daß ich dich liebe." Mit zärtlichem Blick schaute er sie an. "Danke. Das ist das schönste Weihnachtsgeschenk, das du mir machen konntest." Er umfaßte ihr Gesicht und küßte sie zärtlich. "Ich weiß gar nicht, wie du es all die Wochen mit mir aushalten konntest, aber ich bin froh, daß du es getan hast." Nina löste sich aus seiner Umarmung und begann mit ihrer Halskette zu spielen. "Gestern abend hast du gesagt, du wolltest mir mehr als dies schenken. Wie hast du das gemeint?"
"Ich hätte dir am liebsten einen Verlobungsring geschenkt", gestand er leise. "Aber ich hatte Angst, daß ich mein Glück zu sehr erzwinge." Wieder küßte er sie auf den Mund. Dann umfaßte er ihren Kopf und schaute ihr in die Augen. "Willst du mich heiraten, Nina?" Sie sah ihn mit verträumtem Blick an. "O Jeff." "Es muß nicht sofort sein", fuhr er fort. "Wahrscheinlich hast du das Gefühl, die Dinge überschlagen sich im Moment. Sag einfach ja. Danach kannst du dir Zeit lassen, dich an den Gedanken zu gewöhnen." "Ja", erwiderte sie. "O ja." Sein erstauntes Gesicht ließ sie auflachen. Dann umarmte Jeff sie und küßte sie leidenschaftlich. "Liebling", begann er, als sie sich nach einer Weile voneinander lösten. "Ich will dich nicht unter Druck setzen, aber was meinst du, wann könnten wir deinen Ring aussuchen?" Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, während sie mit den Fingerspitzen über seine Lippen strich. "Morgen wäre mir recht, vorausgesetzt, wir bekommen deinen Wagen aus der Einfahrt." "Großartig", sagte Jeff begeistert. "Und wenn du soweit bist, reden wir über den Hochzeitstermin." Nina seufzte vor Glück. "Ich finde, der Valentinstag ist doch ein sehr romantischer Termin, was meinst du?" , Lachend warf Jeff den Kopf in den Nacken. "Der Valentinstag ist ideal." Dann schloß er sie fest in seine Arme, als fürchte er, sie sonst zu verlieren. Überglücklich le hnte Nina den Kopf an seine Schulter. "Penny Summers hatte recht." "Womit?" "Dies ist das schönste Weihnachten, das es je gab."
-ENDE