Studien zur Lebenswelt der Eisenzeit
Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde Herausgegeben von Heinrich Beck, Dieter Geuenich, Heiko Steuer
Band 53
≥ Walter de Gruyter · Berlin · New York
Studien zur Lebenswelt der Eisenzeit Festschrift für Rosemarie Müller
herausgegeben von Wolf-Rüdiger Teegen, Rosemarie Cordie, Olaf Dörrer, Sabine Rieckhoff und Heiko Steuer
≥ Walter de Gruyter · Berlin · New York
Redaktion: Angelika Abegg
앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier, 앪 das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN-13: 978-3-11-019010-6 ISBN-10: 3-11-019010-9 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© Copyright 2006 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, 10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Christopher Schneider, Berlin Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen
Inhalt
Tabula Gratulatoria
................................................................................
Otto H. Urban Möglichkeiten und Aufgaben einer „Religionsarchäologie“ Andrej Gaspari A possible multiperiod ritual site in the river Ljubljanica
ix
.....................
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........................
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Amei Lang Zur Teilung des Tieropfers an alpinen Brandopferplätzen ........................ 19 Janine Fries-Knoblach Von Kopf bis Fuß. Zu Vorkommen und Deutung von Fundkomplexen mit Schädel und Extremitätenenden von Haustieren ................................ 33 Ronald Heynowski Randbemerkungen zum Hortfund von „Schlöben“
.................................. 49
Heiko Steuer Über anthropomorphe Moorpfähle der vorrömischen Eisenzeit
............. 69
Peter Jud Küche, Kinder – Kult? Die Rolle der Frauen in den Kulten der alpinen und nordalpinen Eisenzeit: Versuch einer kritischen Bestandsaufnahme ............................................... 89 Mitja Guštin Zu einigen Figuralmotiven im Gebiet der Taurisker
................................. 115
Karol Pieta Ein junglatènezeitlicher Stieranhänger aus Udiča/Slowakei
..................... 133
vi
Inhalt
Karl Peschel Frühe germanische Kriegerordnung und keltische militärische Gemeinschaftsformen .................................................................................... 149 Eike Gringmuth-Dallmer Musikarchäologische Quellen aus der Germania libera
............................ 193
Georg Tiefengraber Hallstattzeitlicher Grabbau in Nova tabla bei Murska Sobota (Slowenien) .................................................................... 205 Hans Nortmann Anmerkungen zum frühlatènezeitlichen Prunkgrab 2 von Schwarzenbach ....................................................................................... 235 Rosemarie Cordie Zu den latènezeitlichen Grabgärten von Wederath/Belginum
.................. 251
Angelika Abegg Orte der Toten. Nachbestattungen der Römischen Kaiserzeit in eisenzeitlichen Grabhügeln ...................................................................... 265 Maren Siegmann Mitten im Leben vom Tod umfangen. Zu den Befunden einiger völkerwanderungszeitlicher Frauengräber aus Liebenau (Kr. Nienburg/Weser) ............................................................ 279 Eberhard Bönisch Bronzezeitliche Speicherplätze in der Niederlausitz
................................. 305
Karin Wagner Köpenicker Teller und Spindlersfelder Fibel. Zwei Leitformen der jüngeren Bronzezeit aus dem Berliner Raum Helga van den Boom Häuser und Haushalte der Heuneburg
........ 333
....................................................... 353
Stefan Krabath Eine Gußform der späten Bronzezeit/frühen Eisenzeit vom Gräberfeld „Im Niederen Felde“ bei Holzminden
........................... 369
vii
Inhalt
Olaf Dörrer Späthallstattzeitliche Hahnanhänger am Caput Adriae
............................. 433
Bertram Faensen und Sven Gustavs Germanische Keramik aus einem Grubenhaus in Klein Köris, Ldkr. Dahme-Spreewald ..................................................... 455 Tadeusz Makiewicz Die Entdeckung einer neuen Kategorie von Keramik aus der Völkerwanderungszeit in Großpolen .......................................................... 473 Wolf-Rüdiger Teegen Homo patiens in der Eisenzeit in Nordwest- und Mitteldeutschland Hans-Jürgen Döhle Tierknochen aus eisenzeitlichen Siedlungen in Mitteldeutschland
. .... 485
........... 565
Gisela Wolf Vergleichende Untersuchungen zur Holznutzung in der Oberlausitz basierend auf dem Holzkohlematerial des Gräberfeldes der Lausitzer Kultur bei Bucze (Fundortbezeichnung Klein-Priebus) an der Neiße ................................................................................................... 589 Ulrich Willerding Zur Landnutzung während der Eisenzeit im mittleren Deutschland .......... 601
Schriftenverzeichnis von Rosemarie Müller
.................................... 649
Von Rosemarie Müller betreute Magisterarbeiten und Dissertationen
.................................................................................... 653
Nachwort der Herausgeber
.................................................................... 657
Tabula gratulatoria Personen Dr. Angelika Abegg, Schleswig Prof. Dr. Heinrich Beck, Bonn Dr. Eberhard Bönisch, Calau Ina Boike, Göttingen Dr. Helga van den Boom, Bonn Prof. Dr. Helmut Castritius, Darmstadt Dr. Rosemarie Cordie, Morbach Dr. Hans-Robert Cram, Berlin Dr. Hans-Jürgen Döhle, Halle Dipl.-Prähist. Olaf Dörrer, Marburg Prof. Dr. Klaus Düwel, Göttingen Dr. Wolfgang Ender, Dresden Dipl.-Prähist. Bertram Faensen, Berlin Dipl.-Prähist. Reiner Fenske, Wrechen Felix Fleischer M.A., Leipzig Dr. Janine Fries-Knoblach, München Sonja Funke, Göttingen Dr. Andrej Gaspari, Ljubljana PD Dr. Michael Gebühr, Schleswig Prof. Dr. Dieter Geuenich, Duisburg-Essen Mariana Gisler, Göttingen Prof. Dr. Eike Gringmuth-Dalmer, Berlin Dr. Gertrud Grünkorn, Berlin Sven Gustavs, Potsdam Prof. Dr. Mitja Guštin, Ljubljana Prof. Dr. Alfred Haffner, Kiel Dr. Henning Hassmann, Hannover Freia Hein, Göttingen Dr. Hilke Hennig, Augsburg Dr. Ulrich Hesse, Regensburg PD Dr. Ronald Heynowski, Dresden
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Tabula Gratulatoria
Helge Jarecki M.A., Halle/S. Dr. Elisabeth Jerem, Budapest Lic. phil. Peter Jud, Basel Dr. Stefan Krabath, Dresden Dr. Kerstin Kreutz, Gießen PD Dr. Brigitte Kull, Wiesbaden Prof. Dr. Amei Lang, München Prof. Dr. G. A. Lehmann, Göttingen Prof. Dr. Tadeusz Makiewicz, Pozna¾ Dipl.-Prähist. Jens May, Brieselang Dr. Harald Meller, Halle/S. Dr. Jeannot Metzler, Luxembourg Dr. Detlef W. Müller, Halle/S. Kerstin Müller, Göttingen Johanna Nolte, Göttingen Dr. Hans Nortmann, Trier Dr. Judith Oexle, Dresden Prof. Dr. Otto Gerhard Oexle, Göttingen Dipl.-Biol. Daniela Paetzold, Göttingen Prof. Dr. Hermann Parzinger, Berlin Prof. Dr. Karl Peschel, Jena Dr. Karol Pieta, Nitra Dr. Ursula Quietzsch-Lappe, Dresden Prof. Dr. Sabine Rieckhoff, Leipzig Dipl.-Prähist. Sigrid Schacht, Schwerin Prof. Dr. Siegmar von Schnurbein, Frankfurt Dr. Maren Siegmann, Basel Dr. Susanne Sievers, Frankfurt Dr. Harald Stäuble, Dresden Prof. Dr. Hans-Georg Stephan, Göttingen Prof. Dr. Heiko Steuer, Freiburg Dr. Wolf-Rüdiger Teegen, Leipzig Prof. Dr. Otto H. Urban, Wien Dr. Karin Wagner, Berlin Prof. Dr. Dr. Günter Wegner, Hannover Esther Wesely-Arents, M. A., Göttingen Prof. Dr. Ulrich Willerding, Göttingen Gisela Wolf, Rosdorf Prof. Dr. W. Hajo Zimmermann, Wilhelmshaven
Tabula Gratulatoria
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Institutionen Akademie der Wissenschaften in Göttingen Deutsches Archäologisches Institut, Berlin Eurasien-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts, Berlin Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters, Universität Freiburg Institut für Ur- und Frühgeschichte, Universität Kiel Institut für Ur- und Frühgeschichte, Universität Wien Landesamt für Archäologie Sachsen, Dresden Landesamt für Archäologie Sachsen-Anhalt, Halle/Saale Niedersächsisches Institut für historische Küstenforschung, Wilhelmshaven Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege, Hannover Niedersächsisches Landesmuseum, Urgeschichtsabteilung, Hannover Professur für Ur- und Frühgeschichte, Universität Leipzig Römisch-Germanische Kommission des Deutschen Archäologischen Instituts, Frankfurt Verlag Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin Römisch-Germanische Kommission des Deutschen Archäologischen Instituts, Außenstelle Ingolstadt
Studien zur Lebenswelt der Eisenzeit. RGA-E Band 40 – Seiten 1–5 © Copyright 2006 Walter de Gruyter · Berlin · New York
Möglichkeiten und Aufgaben einer „Religionsarchäologie“1 VON Otto H. Urban „Und heute ist man davon überzeugt, daß die Erschließung einer gemeinindogermanischen Religion auf der Basis des Vergleichs der Religionen der indogermanischen Einzelvölker n i c h t möglich ist, weil die Struktur des Ganzen nicht ausreichend fest gefügt ist.“ (Hervorhebung durch O. U.) Dieses Zitat von R. Schmitt, welches sich in der „zweiten, völlig neu bearbeiteten und stark erweiterten Auflage“ des Reallexikons der Germanischen Altertumskunde von Johannes Hoops, das in der Breite, Meinungsvielfalt und Qualität deutlich die Handschrift der Jubilarin zeigt, und aus dem im Jahre 2000 erschienenen 15. Band im Stichwort Indogermanische Altertumskunde von R. Schmitt stammt, gab den Anlaß für folgenden Beitrag. Schmitt (2000, 394) führt weiters aus, warum die Rekonstruktion einer indogermanischen Religion nicht möglich ist. „Bei den mythologischen Stoffen finden sich zwar zahlreiche motivische Parallelen und Ähnlichkeiten zwischen den Überlieferungen der einzelnen indogermanischen Völker (…). Aber da diese motivischen Parallelen nicht auf den indogermanischen Bereich beschränkt, also nicht ,typisch indogermanisch‘ sind und da sie kaum durch sprachliche Entsprechungen gestützt werden, taugen sie in praxi nicht als Basis für indogermanistische Rekonstruktionen.“ Auch die „Götternamen bei den einzelnen indogermanischen Völkern zeigen nur wenige Übereinstimmungen; die Namen sind in den meisten Fällen offenbar ebenso wie einzelne Aspekte ihrer Träger geneuert. Es hat den Anschein, daß das Pantheon jeweils durch neue Göttergestalten ständig erweitert worden ist“.
Begriffe „Religionsarchäologie“ wird im Sinne von Religionsethnologie als Teil der Religionsgeschichte verstanden, die in erster Linie archäologische Quellen aus1
Manuskriptabschluß: Frühjahr 2002.
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Otto H. Urban
wertet (zur Definition archäologischer Quellen vgl. Frerichs 1981, 96–101). Sie ist per se Teil der Ur- und Frühgeschichte bzw. der Geschichtswissenschaften. „Religion“, lat. religio, ‚Gottesfurcht‘, wird bei Cicero (nat. deor. 2, 72) aus dem Stamm reli-gere, ‚sorgsam beachten‘ und bei Augustinus (De quantitate anumae 36, 80) von religare, ‚verbinden‘ abgeleitet. Für die Römer drückte daher der Begriff religio sowohl die aktive Verpflichtung gegenüber den Göttern wie die passive Verbundenheit des Menschen mit den Göttern aus (Ziegler 1975, 1376f.). Es erscheint sehr schwierig eine allgemein gültige Definition für Religion zu finden, das allen Religionen Gemeinsame zu definieren. Praktikabler erscheint in unserem Zusammenhang die Einschränkung des Begriffes Religion auf die abendländische, jüdisch-christliche Tradition bzw. die heidnischen Religionen (Griechen, Römer, Parsen etc.). Diesen Religionen, ob mono- oder polytheistisch, ist der Glaube an die Existenz einer alles beherrschenden Gottheit oder einer Götterwelt mit übersinnlichen Kräften eigen.
Kult – Ritus Der Glaube an bzw. das Wissen um eine, alle Menschen beherrschende überirdische bzw. jenseitige Macht führte zu spezifischem Verhalten, das sich zu rituell festgelegten Kult(handlung)en entwickelte. Im Rahmen dieser durch mores et leges vorgeschriebenen Zeremonien wurden und werden Verehrungen, Anrufungen, Opferungen, Weihungen etc. durchgeführt. Die „Überreste2 dieser Riten“ (beispielsweise Opfergaben, geweihte Objekte bzw. Weiheinschriften sowie die Plätze bzw. Bauten, wo diese Gegenstände entdeckt worden sind) können, so die Prämisse, archäologisch faßbar sein. Kulte könnten demnach auch in urgeschichtlichen Epochen, in denen per definitionem keine schriftlichen Quellen zur Verfügung stehen, rekonstruierbar sein.
Religion Der nächste Schritt führt zu der Frage, inwieweit allein aus den Überresten von Kulten eine Religion rekonstruiert werden kann. Dies erscheint nur in 2
„Überreste im engeren Sinne (Überbleibsel)“ nach Bernheim 1908, 256, der darunter nicht nur die „Resultate menschlicher Betätigungen“ verstand, wie Frerichs (1981, 71) fälschlich feststellte, sondern auch die „körperlichen Überreste der Menschen“ (a.a.O.) selbst. Bernheim ist im Übrigen nicht der Erste, der archäologische Funde als historische Quelle dezidiert nennt. Bereits v. Rotteck 1846, 16 nennt in seiner elfbändigen Weltgeschichte unter „Eigentliche Denkmale“ neben Grabhügeln, Leichenstätten, Gedächtnissäulen etc. „überhaupt Menschenwerke aller Art. Ein einfach behauener Stein, … .“
Möglichkeiten und Aufgaben einer „Religionsarchäologie“
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Form von Konstrukten (Modellen) möglich, die allerdings nicht, wie Hypothesen, verifizierbar sind, sondern nur durch Analogien begründet werden können3. Diese Analogien führten in der Vergangenheit oftmals zu evolutionistischen Geschichtsbildern, wobei zumeist eine „Religion der Jäger“, eine „Religion der Bauern“ und dann eine „Hirtenreligion“, die erst mit der „indogermanischen Völkerwanderung“ auftreten soll, unterschieden werden (Maringer 1956). Diese Überlegungen basieren in der Regel auf recht alten Vorstellungen einer „Naturreligion“, wie sie seinerzeit von Hegel beschrieben wurde, bzw. dem Bild der Wildheit und Barbarei, wobei vor allem erst in der sogenannten Oberstufe der Barbarei die Religion an Bedeutung bei Morgan (1987, 69f.) gewinnt, davor die „ursprünglichen Religionen grotesk und bis zu einem gewissen Grade unverständlich sind“4. Für M. Hoernes ist es dagegen unvorstellbar, sich einen „Urmenschen … ohne irgendwelche Religion vorzustellen“5. Bei Spengler (1997, 896) findet sich dagegen für die „magische Vorzeit“ die Vorstellung einer „prophetischen Religion“ (interessant dazu die Stellung von Toynbee, vgl. dazu die Ausführung von Cohn 1979, 29–22). Letztendlich hat sich in großer Breite die Vorstellung durchgesetzt, daß Menschen gleicher wirtschaftlicher Grundausrichtung (Jäger, Bauern, Hirten)6 gleiche Religionsformen ausbilden müßten. Diese Vorstellungen können heute natürlich in ihrer Simplizität nicht mehr aufrecht erhalten bleiben. Aus der Sicht des modernen Prähistorikers stellt sich die Frage anders, nämlich warum oder zu welchem Zeitpunkt ist der Archäologe geneigt, einen Fund oder Befund als „kultisch“ zu deuten? Von besonderer Bedeutung ist hier das Arbeiten mit Analogien, der Vergleich mit antiken oder frühgeschichtlichen Befunden oder schriftlichen Aufzeichnungen. Nur beispielhaft können auch ethnographische Quellen und volkskundliche Vergleiche herangezogen 3
Ähnlich, im Detail allerdings doch nicht unwesentlich anders, sehen dies Bertemes/Biehl 2001, 16–20. 4 Morgan 1987, 5. Er bezieht sich dabei u. a. auf Lubbock 1874, 273 „Faßt man jedoch den Begriff Religion in einem höheren Sinne auf, … dann befinden sich viele, ja wir können sagen alle wirklich wilden Völker in dem Zustande der Religionslosigkeit.“ 5 Hoernes 1895, 20. Diesem Satz ist in seiner Allgemeinheit sicher zuzustimmen. Oswald Menghin, ein Schüler von Hoernes und dessen Nachfolger an der Universität Wien, hat dagegen rund 40 Jahre später die Kulturkreislehre Pater W. Schmids als Grundlage seiner „Weltgeschichte der Steinzeit“ gewählt und kommt dann zu den aus heutiger Sicht wenig befriedigenden und nicht nachweisbaren Vorstellungen des „Urmenschen“, wonach dieser „ein einfaches Bild von der Welt [hat], über der ein gütiger Schöpfer und Vater thront, dem ein Stück der Beute als Opfer gebührt“, vgl. Menghin 1931, 610. 6 „Es ist daher höchst wahrscheinlich, daß die großen Epochen menschlichen Fortschritts mehr oder weniger direkt zusammenfallen mit der Ausweitung der Unterhaltsquellen“, schrieb Morgan (1987, 16) und meint damit die „Produktion des Lebensunterhaltes“.
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Otto H. Urban
werden. Ein häufiger Grund für eine kultische Interpretation deutet sich in dem Satz „Was man nicht erklären kann, sieht man gern als kultisch an“ an, überzeugt aber nur wenig. Das Fehlen über die Kenntnis eines plausiblen Verwendungszweckes muß nicht gleichbedeutend sein mit einer uns unerklärlichen sakralen Bedeutung, hat doch gerade der Kult eine klar umschriebene Funktion, die auf den Vorstellungswelten und im Glauben der jeweils handelnden Personen basiert.
Zusammenfassung Aufgabe einer Religionsarchäologie ist die Rekonstruktion von Riten aufgrund archäologisch nachweisbarer Kulthandlungen und -stätten. Nachdem diese Handlungen durch Sitte, Brauch oder Gesetz innerhalb einer Kultur vorgeschrieben waren, wäre ein mehrfaches Auftreten dieser Befunde bzw. Funde im archäologischen Quellenmaterial kennzeichnend. Nachweis von kultischen Handlungen wäre demnach ein positiver Beleg für religiöse Vorstellungen im Rahmen der jeweiligen Kultur. Über die Art und Form der Religion können Analogien aus ethnographischen und/oder (alt)historischen Quellen Vorstellungen geben. Je weiter wir in der Geschichte zurückschreiten, je fremder uns die Kulturen werden und je seltener die exemplarischen Beispiele der Nachbarwissenschaften auf uns kommen, desto geringer wird jedoch die Möglichkeit, die religiösen Vorstellungen zu rekonstruieren. Hier stoßen wir auf ähnliche Probleme, wie sie die Indogermanistik bei der Rekonstruktion der indogermanischen Religion hat. Trotz aller Einwände und Schwierigkeiten kann die Urgeschichte den Nachweis von Riten erbringen, die ein religiöses Bewußtsein der in urgeschichtlichen Epochen lebenden Menschen, zumindest seit dem Jungpaläolithikum, voraussetzen – die Strukturen und Formen dieser ältesten Religionen bleiben uns allerdings weitgehend verborgen, denn sie umfassen, wie es dem Wesen der Religion per se entspricht, nicht nur rational und funktional nachvollziehbare Inhalte (Urban 2003 mit Beispielen von Kulten des Jungpaläolithikums bis zur Eisenzeit).
Möglichkeiten und Aufgaben einer „Religionsarchäologie“
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Literaturverzeichnis Bernheim 1908: E. Bernheim, Lehrbuch der Historischen Methode und der Geschichtsphilosophie (Leipzig6 1908). Bertemes/Biehl 2001: F. Bertemes/P. F. Biehl, The Archaeology of Cult and Religion: An Introduction. Archaeolingua 13 (Budapest 2001) 11–24. Cohn 1979: J. Cohn, Einführung in Toynbees Geschichtslehre. In: A. J. Toynbee, Der Gang der Weltgeschichte (Zürich7 1979) 29–32. Frerichs 1981: K. Frerichs, Begriffsbildung und Begriffsanwendung in der Vor- und Frühgeschichte. Zur logischen Analyse archäologischer Aussagen. Arbeiten zur Urgesch. des Menschen 5 (Frankfurt, Bern 1981). Hoernes 1895: M. Hoernes, Urgeschichte der Menschen (Stuttgart 1895). Lubbock 1874: J. Lubbock, Die vorgeschichtliche Zeit (Jena 1874) (deutsche Übersetzung nach der 3. Aufl. aus dem Englischen). Maringer 1956: J. Maringer, Vorgeschichtliche Religion (Zürich, Köln 1956). Menghin 1931: O. Menghin, Weltgeschichte der Steinzeit (Wien 1931). Morgan 1987: L. H. Morgan, Die Urgesellschaft. Untersuchungen über den Fortschritt der Menschheit aus der Wildheit durch die Barbarei zur Zivilisation. Nachdruck der Ausgabe Stuttgart 1908 (Wien 1987) (Erstausgabe in den USA 1877). v. Rotteck 1846: K. von Rotteck, Allgemeine Geschichte vom Anfang der historischen Kenntnis bis auf unsere Zeiten 1 (Braunschweig8 1846). Schmitt 2000: R. Schmitt, s. v. Indogermanische Altertumskunde. RGA² 15 (Berlin, New York 2000) 384–402. Spengler 1997: O. Spengler, Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte (München13 1997). Urban 2003: O. H. Urban, Religion der Urgeschichte. In: J. Figl, Handbuch Religionswissenschaft (Innsbruck, Wien 2003) 88–102. Ziegler 1975: K. Ziegler, s. v. Religion. In: Der Kleine Pauly 4 (München 1975) Sp. 1376–1377.
Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. Otto H. Urban Institut für Ur- und Frühgeschichte Universität Wien Franz-Klein Gasse 1 A-1190 Wien Email:
[email protected]
Studien zur Lebenswelt der Eisenzeit. RGA-E Band 40 – Seiten 7–17 © Copyright 2006 Walter de Gruyter · Berlin · New York
A possible multiperiod ritual site in the river Ljubljanica1 by Andrej Gaspari Introduction Rich archaeological evidence and specific geomorphologic features classify the upper course of the Ljubljanica River running through the Ljubljana Moor (Slovenia) as one of the most interesting river sections, not only in the southeastern Alpine region, but also on a broader geographical level. Preliminary analysis of the archaeological material and environmental data, collected during investigations by the Group for Underwater Archaeology and activities of amateur divers, revealed distinctly structured distributions of underwater finds on several sites indicating possible sacred places with votive offerings, as well as other concentrations with non-ritual backgrounds. This article presents a short section of the river with numerous finds of valuable metalwork. The partially unpublished archaeological material is preserved in the National Museum of Slovenia and in private collections.
Environment The course of the river that flows into the Sava River, and is thus directly connected with the Danube, was navigable practically from the springs near Nauportus (modern Vrhnika), an important settlement and reloading station (Strabo, 4.6.10 C 207; 7.5.2 C 314). Easy navigation in both directions was enabled by the insignificant difference in the altitude of the water level over a 19 km distance of its upper course, as well as the non-turbulent and slow current rarely presenting such dangerous places as whirlpools or rapids (Fig. 1). The abundance of underwater archaeological heritage is partly a result of exceptionally favourable geomorphologic features. From an informational level, the Ljubljanica could be described as a low-energy lowland river with a narrow and deep bed, cut into clayish and silt sediments. Intensive overbank 1
Manuskriptabschluß: Herbst 2001.
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Andrej Gaspari
deposition during the Holocene caused a stable, non-meandering channel, which presumably has not changed its course markedly from the Eneolithic period onwards; that is, as far may be concluded from the archaeological evidence and the results of aerial prospecting in the western part of the Ljubljana Moor (Gaspari 1998). During the last millennium, presumably only small-scale alternations of the river channel have occurred – an assumption confirmed by at least two deposits, discovered in the immediate vicinity of the riverbed. A hoard of large Norican silver coins dating to the first century BC, was buried in the left bank one kilometre downstream, and discovered in 1980 during child’s play (Kos 1983). The second hoard, consisting of iron weapons and tools and dating to the final phase of the Late La Tène and Augustan periods (Horvat 1990, 174; 238–239 Pl. 27–29), probably originates from an over-bank strata in proximate to Bevke. Preliminary observations show that post-depositional processes were limited to a small scale lateral and downstream transportation of objects; the proper analysis of their spatial distribution was thus enabled.
The Site This presentation focuses on the arbitrarily delimited, 1000 m long section of the riverbed, including the actual find spot of the statuette. A channel, measuring only 15–20 m wide, below the confluence of the Ljubljanica and Bistra Rivers yielded strong evidence for intensive deposition of objects between the Early Bronze Age and the Roman Imperial Period (Fig. 2). The central part of the river section marks a junction with a small tributary – Zrnica – with its course completely regulated during the last two centuries, but most likely the same outflow point. The depth of the Ljubljanica channel always exceeds 3,5 m, and oscillates up to seven metres. The mid-section represents a slight, but nevertheless notable raise in the bottom level, usually overgrown with dense vegetation. In spite of the differences in the channel depth, causing variable sedimentation processes, no significant geo- or hydromorphologic reasons could be established for the concentration of objects located within the specific section, since that kind such oscillations regularly occur along the entire course of the Ljubljanica River. Nonetheless, it is noteworthy that the river bank opposite the Zrnica outflow is subject to a higher rate of erosion, caused by the direction of the stream towards the outer bank of the meander. The removed riverbank material accumulates along the left bank of the channel a few ten metres downstream, where it often forms an elongated sand dune – a rich source of archaeological finds.
A possible multiperiod ritual site in the river Ljubljanica
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Chronological Overview (Fig. 3) The cause for the occurrence of such an abundance of finds of Eneolithic pottery vessels, stone artefacts, horn axes and animal bones in the river is not entirely clear, but most probably they originate from numerous nearby piledwellings. The majority of these settlements was situated at a distance of over 200 m from the channel, mostly in the NW and SE directions; however, underwater survey yielded their wooden substructures along the riverbanks as well. The piles, discovered opposite to the Zrnica outflow, possibly indicate such settlement, although they could also represent the remains of installations from other periods. Despite the abundance of objects attributed to later periods, no contemporary archaeological site is known from the riverbanks or surrounding marsh. Data on Iron Ages and Roman settlements in the broader area is scarce, and such sites are always located on the isolated hills resurging from the marsh, or they lay at the foot of the hills encircling the Ljubljana Moor. The firm overbank sediments along the channel and the navigable watercourse together offered the most appropriate route through the basin. The regularly flooded marsh behind the riverbanks was passable only by boat (mostly dugouts, but also larger barges in the occasional deeper waters) or through narrow paths; both of which are attested archaeologically. Such connections over otherwise hardly accessible marshland are also confirmed by isolated finds of various Iron Age and Roman objects, including an Early Iron Age bronze pin (Vuga 1980, 201 Fig. 2, 5) and an Augustan coin hoard (FMRSL I 204). Both discoveries originate from the remote areas of the marshland and were found deep in the mossy strata, thus suggestive of a votive intent for their deposition. The present state of research offers no evidence to associate the Bronze and Iron Ages or Roman objects from the site with a convenient point of crossing or bridge, since no major traffic routes running in a north-south direction are attested. Crossing the river on foot would be nearly impossible regarding the depth of the channel and steepness of the riverbanks – a characteristic which made ascension even more difficult. The possibility of continuous accidental losses of valuable items occurring as a result of river-crossing, or the simple carelessness of boatmen seems highly unlikely, as does the connection between the presented finds and possible wrecks or lost cargoes, which usually demonstrate entirely different compositions. The former are confirmed by the poorly preserved bottom section of a presumably Roman pram or large river barge discovered in the close vicinity in 1998, while several concentrations incorporating tegulae and amphorae sherds, are indicative of the possible locations of the submerged cargoes.
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Andrej Gaspari
Material finds attributed to the Middle Bronze Age and Urnfield Culture period are represented by bronze swords, daggers, spears, axes, sickles, pins and a metal bowl – classified as the Stillfried-Hostomice type, almost all of which were found in undamaged condition. Peculiar circumstances are attested for the find of the Sauerbrunn type of bronze sword, discovered near the left bank just below the water level (Potoµnik 1988–1989, 390–391 Pl. 5, 30). Since it was stuck in a vertical position up to its shaft in the clayish bankwall, there can be no doubt regarding its intentional deposition. One of the most interesting finds represents a human skeleton with a bronze spear thrust in the chest; it was discovered during low water conditions in approximately 1938. Unfortunately, nothing further is known on the discovery. However, other river finds of human bones, especially skulls (at least four of them), are attested from the area, suggesting burial in the water. The predominance of partly fossilized and dark colored skulls might be indicative of a selective disposition in water; the again, ritual killing might also be considered as an option. The latter possibility applies especially as regards the individual, killed with a spear, while other skulls substantiate no evidence of decapitation or other injuries. The discovery of the two Middle Bronze Age pottery vessels, a pot and a bowl with matching lips (Potoµnik 1988–1989, 390 Pl. 4, 27–28), supports both the possibility of a burial ground situated along the riverbank, which afterwards collapsed, or the deposition of grave-goods directly into the water. The different bronze objects bearing traces of burning suggest that religious rites were performed along the river banks. Archaeological finds dating to the Early Hallstatt period are scarce, a phenomenon characteristic not only for the specific site, but also for the whole course of the Ljubljanica River and most parts of temperate Europe as well. A strong increase in the practice of watery deposition took place during the final phases of the Early Iron Age, the result being different types of spearheads, a number of shaft-hole and single-sided winged axes, characteristic for the south-eastern Alpine area, as well as a variety of personal ornaments. In addition to the representative discoveries of a two handled bronze cyst and a ribbed bracelet, the latter found just below the outflow of the Zrnica and the former another two hundred meters downstream, Late Hallstatt material found dispersed along the channel up- and downstream include numerous examples of serpentine and Certosa fibulae types. The concentration of valuable metalwork objects – mainly weapons, but also objects of daily use – arises again by the end of the Middle and during the Late La Tène periods. It is particularly noteworthy that the majority of finds date to the Lt D1 horizon. The occurrence of a notable number of spears, especially two examples demonstrating ornamented blades, one with a flame-
A possible multiperiod ritual site in the river Ljubljanica
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shaped blade and at least two perfectly preserved long swords in scabbards with the characteristic double S-shaped reinforcement, renders the find spot particular interesting. One of the swords, preserved in the National Museum of Ljubljana, was discovered in two pieces, lying 90 m apart and presenting no traces indicative of intentional damaging (Logar/Blažon 1986). The absence of such signs and the fact that the majority of La Tène swords was found in their scabbards establish a strong argument against the frequent assumption that these items ended in the water during a fight or that they were lost by chance. A late type of curved sword – ƬơƷơƩƱơ – with a richly ornamented hilt, found in the immediate vicinity of the small bronze statuette, represents a typical non-Celtic weapon, used in the hinterland of the northern Adriatic. The morphological features of the curved sword correspond to another example from the Ljubljanica near Ljubljana, discovered as soon as 1884, and the sword from the grave find at Most na Soµi dated to the end of the second or first half of the first century BC. Perhaps the same dating can be applied also for a bronze helmet of the Etrusco-Italic type with missing cheek-pieces, discovered during the underwater survey carried out by the National Museum in 1984 (Logar/Blažon 1986). The rare examples of defense equipment from the Ljubljanica also include a Late La Tène iron helmet of the eastern Celtic type, discovered just below the confluence with the stream Ljubija, some 1,8 km upwards. In view of the considerable number of spears and swords, the complete absence of La Tène shield bosses is noteworthy. It should be stressed that this peculiar circumstance is analogous to the situations documented in other rivers in european mainland. The significance of the site is further indicated by the numismatic discovery consisting of 58 Celtic silver coins and 23 Roman Republican coins, which was brought to light about hundred meters upstream from the confluence of the Ljubljanica and Zrnica (FMRSL IV 110). The distribution of the coins along the left side of the riverbed clearly indicates a hoard, which was most likely deposited directly in the water (occurring after 147 BC). However, we cannot exclude the option, that it perhaps originates from a collapsed riverbank. The latter possibility supports the discovery of a Norican silver coin near the outflow of the Zrnica. Another collective find of Republican and Celtic coins about one kilometre downstream (FMRSL IV 109/2), found in the vicinity of the mentioned hoard on the riverbank, suggest that these deposits, as well as other coin finds from the marshland, form only a part of a far wider phenomenon demonstrating a religious intent. Other important items of Late Republican character, known from this area also include a Gallarate type jug, a ladle with a horizontal handle of
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the Pescate type, pieces of black glazed ware and two small bronze statuettes (Isteniµ 2002; Gaspari/Krempuš 2002). Perhaps it is not a coincidence that both bronzes, discovered within a short stretch of the river, also show similar formal characteristics. The possibility of their chronological overlapping is further suggested by the predominance of Lt D material and by the fact that there are no other bronzes known from the other sites in the Ljubljanica riverbed. Personal ornaments are represented by a variety of fibulae types: an iron fibula, characteristic for the Lt D1 phase and four bronze examples of Picugi, Kastav, Posoµje and Jezerine types, dating to the second half of the first century BC. The most significant finds from the area include two bronze mountings of a drinking horn. Their ornamentation points to the Late La Tène period and indicates they were an offering made by a person of higher social status. The tradition of throwing objects into the water persisted throughout the Roman period and is especially recognizable during the Early Imperial period. Items of military character are less numerous in the specific section than at neighbouring sites, which yielded not only different types of late Republican and Augustan offensive weapons such as gladii, daggers, spearheads and pila, but also a few pieces of military decoration. The weapons were often found in unambiguous circumstances, testifying a sacrificial intent behind their deposition. A strong argument for such an assumption is presented by a dagger of an Early Imperial form, rusted onto the remains of a gladius in its scabbard, discovered some 1800 m upstream. Other remarkable finds from the close vicinity include a Mainz type sword in its scabbard with opus interrasile decoration, dona militaria including a silver torque and phalerae. The presented section yielded also two spears with elongated blades attached to each other by sediment concretion in obviously primary position (Slapšak 1977) and dolabra. An excellently preserved shallow, ribbed bowl made of mosaic glass, terra sigillata and thin walled pottery represent a cross-section through the fund of Early Imperial character. The highly interesting find of eight bronze, cast sauce pans stuck together came to light about 350 m downstream, clearly displaying the mode of their collective deposition. Only one piece – that with a swan’s head terminal on the handle and bearing the stamp of a southern-Italian producer (M. Plinius Diogenes) – has been documented since the discovery, while others ended in now inaccessible private collections. Underwater finds dating to the Middle and Late Imperial periods, are much rarer along the whole river course, displaying no particular spatial distribution or concentrations. With the exception of a few characteristic examples
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of iron axes, the presented area yielded no valuable object, while interesting finds from the close vicinity include two bronze ring fibulae, a collective find of over 130 coins, deposited after 352 AD (FMRSL IV 109/3) and the bronze eight-pointed umbo. The latter item, discovered just above the outflow of the Bistra, has almost identical analogies at Dura-Europos and is attributed to the final third of the third century AD (Gaspari 1999). Finds that could be ascribed to the period of the Great Migration and to Early Medieval Ages are rare.
Conclusion Our assumption is that the majority of presented items did not lie isolated in the river, but rather was a part of larger ritual complex; in many respects, this situation is comparable to those of the cult places on dry land. According to the rare archaeological evidence on the deposition of valuable items from later periods, it may be concluded that the practice of throwing objects into the river lasted from the Middle Bronze Age to the first half of the first century AD, with an interruption in the early phases of the Hallstatt period. The question concerning the particular characteristics of the presented area, which led to the establishment of a multiperiod religious site or a sanctuary, remains unanswered. Preliminary analyses indicate no particular pattern concerning the connection between the archaeological and environmental data, since the modern day geomorphology of the area does not present any characteristic landmark, other than the tributary outflows. Aerial prospection, intensive underwater surveying and small-scale excavation in the area of the established concentration, together form the kernel of planned investigations in the near future.
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Author’s address: Dr. Andrej Gaspari Department of Archaeology Faculty of Arts, University of Ljubljana P.O.B. 580 SL-1001 Ljubljana Slovenia
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Fig. 1. Ljubljanica River running through the western part of the Ljubljana Moor (photo: Ciril Mlinar)
Fig. 2. Infra-red photograph of the broader area with the position of Ljubljana Moor (photo: Miran Eriµ)
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Fig. 3. A list of significant objects, discovered at the presented section. Numbers on the map correspond to the objects at the list (drawing: Miran Eriµ). 1 Bronze belt-hook, Late Iron Age (Lt D1); 2 Bronze umbo, 3rd cent. AD (Gaspari 1999); 3 Bronze fibula with flat bow, Early Iron Age (Ha C/D); 4 Bronze flange-handled sickle, Urnfield Culture Period (Ha B) (Šinkovec 1995, 125 Pl. 144, 8); 5 Iron spearhead with pronounced midrib and polygonal socket, Late Iron Age (Lt D); 6 Bronze serpentine fibula with loop and disk, Early Iron Age (Ha D); 7 Bronze solid-hilted sword, Urnfield Culture Period (Ha A); 8 Iron sword with campaniform hilt-end and rounded point, Late Iron Age (Lt D1); 9 Bronze dagger with a hilt plate, Middle Bronze Age (BA B); 10 Bronze flame-shaped spearhead, Urnfield Culture Period (Potoµnik 1988–1989, 388 Pl. 6, 35); 11 Bronze spearhead with concave shoulder, Urnfield Culture Period; 12 Bronze dagger with a hilt plate and incised decoration, Middle Bronze Age (BA B); 13 Bronze pin, Urnfield Culture Period; 14 Bronze spearhead, Urnfield Culture Period; 15 Iron socketed axe, Early Iron Age (Ha C/D); 16 Iron spearhead, Late Iron Age (Lt D); 17 Bronze willow-leaf shaped spearhead, Urnfield Culture Period (Šinkovec 1995, 89–90 Pl. 26, 168), approximate location; 18 Collective find of two iron spearheads with long blades, 50 BC–50 AD (Slapšak 1977); 19 Bronze ladle of Pescate type, Late Iron Age (Lt D1), approximate location; 20 Iron socketed axe, Early Iron Age (Ha C/D); 21 Bronze one-handled jug of Gallarate type, Late Iron Age (Lt D1) (Brešµak 1992, 15 Fig. 4, 2); 22 Human skeleton with bronze rhomboid spearhead thrust in the chest, Urnfield period (Šinkovec 1995, 85 Pl. 24, 155); 23 Bronze razor, Urnfield Culture Period; 24 Bronze statuette of a donor, 2nd–1st cent. BC; 25 Iron socketed axe, Early Iron Age (Ha C/D); 26 Bronze saucepan with swans’s head terminals, Early Imperial Period; 27 Bronze socketed axe with a loop, Urnfield Culture Period (Ha A/B); 28 Bronze flat axe with a deep notch on the butt, Early Bronze Age (BA A); 29 Iron curved sword-mahaira with decorated hilt, Late Iron Age (Lt C/D); 30 Collective find of Celtic and Roman Republican coins, after 147 BC; 31 Iron pick-axe/dolabra, Early Imperial Period; 32 Bronze fibula of Posoµje type, Late Iron Age (Lt D2); 33 Bronze sword with a hilt plate and incised decoration, Sauerbrunn type, Middle Bronze Age (BA B) (Potoµnik 1988–1989, 390–391 Pl. 5, 30); 34 Iron one-sided winged axe, Late Iron Age; 35 Bronze statuette of a donor with torques, 2nd–1st cent. BC (Isteni 2002); 36 Bronze bowl of Stillfried-Hostomice type, Urnfield Culture Period (Ha B); 37 Bronze ribbed bracelet, Early Iron Age (Ha C/D); 38 Iron shaft-hole axe, Early Imperial Period; 39 Bronze flange-handled sickle, Urnfield Culture Period (Ha A) (Šinkovec 1995, 114 Pl. 34, 225); 40 Bronze flange-handled sickle, Urnfield Culture Period (Ha B); 41 Bronze flange-handled sickle, Urnfield Culture Period (Ha A); 42 Iron sword in scabbard with double S shaped reinforcement, a: upper part, b: lower part, Late Iron Age (Lt D1); 43 Iron shaft-hole axe of South-eastern Alpine type, Late Iron Age; 44 Ribbed bowl of millefiori glass, Early Imperial Period; 45 Iron spearhead with decorated blade, Late Iron Age (Lt D); 46 Bronze flange-handled sickle, Urnfield Culture Period (Ha A); 47 Bronze knife, Urnfield Culture Period (Ha A); 48 Bronze dagger with a tang hilt, Urnfield Culture Period (BA D/Ha A); 49 Iron sword in scabbard with double S shaped reinforcement, Late Iron Age (Lt D1); 50 Bronze socketed axe with a loop, Urnfield Culture Period (Ha B); 51 Bronze flange-handled sickle, Urnfield Culture Period (Ha A); 52Iron socketed axe, Early Iron Age (Ha C/D); 53 Bronze helmet of Etrusco-italic type, 2nd–1st cent. BC (Logar/Blažon 1986); 54 Iron onesided winged axe, Late Iron Age; 55 Bronze spectacle fibula, Urnfield Culture Period; 56 Bronze fibula of Jezerine type, Late Iron Age (Lt D2); 57 Iron socketed axe, Early Iron Age (Ha C/D); 58 Bronze fibula of Picugi type, Late Iron Age (Lt D); 59 Bronze ribbed cist with two movable handles, Early Iron Age (Ha C/D), a: bottom part, b.c: wall with handles; 60 Bronze solid-hilted sword of Erbach type, Urnfield Culture Period (Ha A); 61 Bronze mount of a drinking horn, Late Iron Age (Lt D); 62 Bronze flange-handled sickle, Urnfield Culture Period (BA D/Ha A) (Šinkovec 1995, 125 Pl. 144, 6); 63 Collective find of at least eight bronze saucepans, Augustan Period; 64 Bronze flange-handled sickle, Urnfield Culture Period (Ha B) (Potoµnik 1988–1989, 391 Pl. 7, 37); 65 Gladius in scabbard with opus interrasile decoration, Early Imperial Period (Šemrov 1996, 16); 66 Bronze pin, Urnfield Culture Period (Ha A); 67 Bronze arm-ring, Early Iron Age (Ha C/D); 68 Iron spearhead with flame-shaped blade, Late Iron Age (Lt D), approximate location; 69 Silver torques, Augustan Period; 70 Silver piece of gladius scabbard, Augustan period; 71 Silver button, Augustan Period; 72 Silver phalera; Augustan Period; 73 Silver phalera, Augustan Period; 74 Bronze flange-handled sickle, Urnfield Culture Period; 75 Bronze spear-head, Urnfield Culture Period (Ha A). 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Studien zur Lebenswelt der Eisenzeit. RGA-E Band 40 – Seiten 19–31 © Copyright 2006 Walter de Gruyter · Berlin · New York
Zur Teilung des Tieropfers an alpinen Brandopferplätzen1 von Amei Lang Tieropfer sind eine zeit- und kulturunabhängige Komponente von vielen religiösen Ritualen. In Form von Brandopfern waren sie unter anderem auch im prähistorischen Mitteleuropa üblich. Ihren archäologischen Niederschlag bilden die kalzinierten Tierknochen, die die sogenannten Brandopferplätze definieren, Kultstätten, an denen Tierbrandopfer dargebracht wurden. Brandopferplätze kennt man, forschungsbedingt, vorwiegend aus dem östlichen Alpenraum sowie dessen nördlichem Vorland (Weiss 1997 mit Verbreitungskarte S. 37 Abb. 17; Gleirscher in Gleirscher u. a. 2002, 173ff.); sie werden im folgenden insgesamt als alpine Brandopferplätze bezeichnet. Tierbrandopfer setzten spätestens mit der Mittelbronzezeit ein; bei wechselnder Intensität im Verlauf der Zeit bildeten sie für rund 1700 Jahre bis in die provinzialrömische Zeit einen wichtigen Bestandteil des religiösen Lebens (zu den römerzeitlichen: Maier 1985; Weiss 1997, 192ff.; Zanier 1999). Zum Ritual gehörte neben dem Brandopfer auch eine gemeinsame Mahlzeit der Kultteilnehmer, bei der unter anderem zubereitetes Fleisch der Opfertiere verzehrt wurde, wie die unverbrannten Tierknochen mit den typischen Hack- und Schnittspuren sowie zerschlagene Keramik zeigen. Typisch für die Brandopferplätze, und zwar von Anfang an und unabhängig von ihrer Zeitstellung, ist die Zusammensetzung der Tierknochen: die kalzinierten stammen jeweils von Schädel und Extremitäten der Tiere (Abb. 1), die unverbrannten von den fleischreichen Teilen. Geopfert wurden also die fleischarmen Teile, während die fleischreichen von den Kultteilnehmern verzehrt wurden. Diese Art der Teilung2 verbindet die alpinen Brandopfer mit einer griechischen Opferform, dem sogenannten olympischen Speiseopfer des 7./6. Jahrhunderts v. Chr. einem literarisch wie archäologisch belegten Tierbrandopfer, bei dem das Opfer aus fleischarmen Teilen, insbesondere den blanken Schenkelknochen, bestand, während die Menschen die fleischreichen Teile im gemeinschaftlichen Kultmahl verzehrten 1 2
Manuskriptabschluß: Frühjahr 2003. Zur Selektion von Tierteilen siehe auch den Beitrag von Janine Fries-Knoblach „Von Kopf bis Fuß. Zu Vorkommen und Deutung von Fundkomplexen mit Schädel und Extremitätenenden von Haustieren“ (in diesem Band).
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(Himmelmann 1997). Werner Krämer sah in seinem grundlegenden Aufsatz unter anderem auch deshalb eine Verbindung zwischen den prähistorischen Brandopferplätzen und den griechischen Tierbrandopfern (Krämer 1966). Schon in der Antike hat man sich Gedanken über die Art der Teilung gemacht. Hesiod lieferte dafür im 7. Jahrhundert v. Chr. in seiner Theogonie (535ff.) die Erklärung, daß der Ursprung dieser Teilung des Opfers in einem Betrug liege, den in grauer Vorzeit Prometheus versucht hatte. Prometheus schlachtete ein Opfertier, teilte es in zwei Häufchen, das eine aus Fleisch und Innereien, das andere aus Fett und Knochen, ordnete die beiden Häufchen so an, daß der Fett- und Knochenteil als der bessere erschien und ließ den Göttervater Zeus dann ein Häufchen für ein Opfer an sich selber auswählen. Zeus durchschaute Prometheus’ Vorhaben, den Teil mit dem Fleisch behalten zu können, nahm aber dennoch Knochen und Fett. Seitdem opfern die Menschen den Göttern nur diese Teile (Specht 1995). Eine andersartige Interpretation liest man bei Ovid (Metamorphosen XV, 127ff.). Hier äußert ein Anhänger der Pythagoreer, die das Töten von Tieren und Verzehren von Fleisch ablehnen, die Meinung, daß die Menschen nur gierig auf das Fleisch der Tiere seien, mit dem Knochenopfer die Götter an dem Tötungsdelikt beteiligen und dadurch ihre eigene Schuld mindern wollten. Das sogenannte Opfer hat in Wirklichkeit also nur eine Alibifunktion. Der Basler Altphilologe Karl Meuli hat 1946 eine Herleitung zur Teilung des Opfers veröffentlicht, die zwar immer wieder zitiert wird (z. B. Maier 1969; Gladigow 1984; Green 1992, 44f.; Himmelmann 1997; zuletzt Gleirscher u. a. 2002), aber wegen den zeitlichen und räumlichen Lücken zwischen den Befunden nie ernsthaft diskutiert worden ist. Karl Meuli führt die Art der Opferteilung, fleischarm für Götter, fleischreich für Menschen, auf uralte, letztlich paläolithische Jagdbräuche zurück. Der Kern dieser Bräuche liege darin, daß von einem getöteten Tier soviel deponiert werden müsse, daß es sich regenerieren, also wieder lebendig werden könne. Knochen und Fell seien die dabei besonders wichtigen Bestandteile. Das Knochenopfer an die Götter stelle eine Erinnerung an dieses ursprünglich weit verbreitete, uralte Ritual der Knochendeponierung dar. Die jägerischen Rituale, auf die sich Karl Meuli bezieht, sind aus dem eurasischen Norden, d. h. aus Finnland, Lappland, Sibirien, dann auch aus Nordamerika bekannt. Sie wurden zuerst vereinzelt in der Mitte des 18. Jahrhunderts beschrieben und systematisch dann vor allem in den zwanziger bis vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts gesammelt (Holmberg 1925; Paulson 1961; Paulson u. a. 1962). Auslöser für das jägerische Ritual ist die Vorstellung, daß Tiere eine Seele haben. Sie sind den Menschen in vielfältiger Hinsicht verbunden. Tiere als Jagdbeute erfordern deshalb bestimmte Maßnahmen, Rituale,
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Abb. 1. Tiere an alpinen Brandopferplätzen. Gerastert: verbrannte Körperteile
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um der Beseeltheit der Tiere gerecht zu werden und um Schaden vom Jäger wegen der Tiertötung abzuwenden. „Die größte Gefahr des Lebens liegt darin, daß die Nahrung des Menschen aus lauter Seelen besteht“ mit diesen Worten kommentierte ein Eskimo den Konflikt, töten zu müssen, um leben zu können (nach Paulson 1961). Es bedarf also eines sorgsamen Umgangs mit den Tieren, um die Rache der Jagdbeute abzuwenden. Aus diesem Grunde sind nach dem Schlachten Knochenrituale erforderlich. Diese gibt es für sämtliche Jagdtiere in unterschiedlicher Form, die ich kurz nach Paulson referiere. Die Knochen werden aufgehoben, sie werden wahlweise auf der Erde ausgelegt, sie werden auf einem Baum oder einer Plattform deponiert; sie werden vergraben, sozusagen bestattet, bei Wassertieren werden die Knochen bzw. Gräten ins Wasser geworfen. Eine häufige Aussage zum Grund dieses Knochenrituals ist die, daß die Seele des Tieres heimgeschickt wird und verkünden soll, daß sie vom Menschen gut behandelt wurde. Tiere können sich also als Jagdbeute den Menschen anvertrauen. Die sorgfältig, oft in anatomisch richtiger Lage beispielsweise in Gruben deponierten, also vergrabenen Knochen werden mit der Vorstellung verbunden, daß das jeweilige Tier sich über diese Maßnahme regenerieren könne; es wird wieder lebendig und steht dann auch wieder als Jagdbeute zur Verfügung. Eine Minimalvariante dieses Rituals besteht darin, die Schädel- und Beinknochen sowie das Fell zu deponieren, um eine Wiederbelebung des Tieres zu ermöglichen. Meuli hat die Knochendeponierungen neuzeitlicher nordeurasischer Jäger mit mittelpaläolithischen Befunden in Zusammenhang gebracht, und zwar mit den Anhäufungen von Bärenknochen in einer schweizerischen Höhle, dem Drachenloch. Der Ausgräber, Emil Bächler, hatte die Anordnung der Knochen als anthropogen gesehen; er hat sie für Knochendeponierungen gehalten (Bächler 1940). Meuli schloß daraus, daß bereits im Mittelpaläolithikum die für die nordeurasischen Jäger beschriebene Vorstellung vom beseelten Tier und die daher notwendigen Rituale bei deren Töten ausgebildet waren. Nun hat Hans-Georg Bandi 1966 die angebliche Deponierung als natürlich entstandene Anhäufung einer von Bären bewohnten Höhle klassifiziert (Bandi 1966; dazu neuerdings auch Wunn 1999). Damit ist aber der Verknüpfung der nordeurasischen Rituale mit dem Paläolithikum keineswegs der Boden entzogen. G. Behm-Blancke hat zuerst 1965 und dann wieder in der jüngst erschienenen Publikation zum Heiligtum von Oberdorla in Thüringen eine Reihe von Befunden zusammengestellt, die in diesem Sinne gedeutet werden können (Behm-Blancke 1965; knapp auch 2003, 105). Einige seien kurz vorgestellt. In Malta, einem sibirischen Fundplatz 85 km nordwestlich von Irkutsk, hat sich ein jungpaläolithischer Wohnplatz gefunden, dazu auch ein Kindergrab
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sowie Tierknochendeponierungen in Gruben. Die Deponierungen unterschieden sich deutlich von den an Wohnplätzen üblichen tierischen Speise- und Schlachtabfällen, die es in Malta auch in großen Mengen gab. Fünf Rentierskelette, von denen jeweils nur Vorderbeine, Vorderrumpf, Hals und Kopf in natürlicher Anordnung vorhanden waren – jedem Tier fehlte der hintere Teil des Körpers – lagen nebeneinander gereiht in Gruben. Die Schädel trugen keine Geweihe; die Tiere waren also enthäutet worden. In weiteren Gruben fanden sich Skelette bzw. Skeletteile von Mammut, auch noch Ren, Eisfuchs und Wollnashorn, jeweils sorgfältig bedeckt. Interpretiert werden diese Befunde nicht als Fleischvorräte oder Pelztierlager (das gilt für die Eisfüchse), sondern als Tierdeponierungen mit dem Hintergrund eines Regenerationsrituals. Ein weiterer jungpaläolithischer Fundplatz ist Kostienki am Don; an Wohnplatz I waren mehrfach Skeletteile von Bären, Wölfen, Hasen und Eisfüchsen in ungestörter anatomischer Lagerung deponiert worden. Behm-Blancke nimmt in seinem Aufsatz auch Bezug auf Befunde, die in einen anderen Zusammenhang gestellt werden. Es handelt sich dabei um kreisförmige Anhäufungen meistens von Mammutknochen, insbesondere von Stoßzähnen, Schädeln und Langknochen, an den Fundplätzen Mezin, Mežiri³ und Kostienki in der Ukraine (Verbreitungskarte bei Bosinski 1990, 152). Diese Knochenanhäufungen waren mit Holzkohleteilen, Steinartefakten und anderem durchsetzt. P. Pidopliµko hielt die Knochen für den Baustoff einer Behausung (nach Bosinski 1990, 269). Für die sorgfältig zu einem Kreis arrangierten Mammutschädel am Fundplatz Eliseeviµi (Abb. 2) wird man diese Deutung ausschließen wollen, weil der Kreis einen inneren Durchmesser von rund 1 m hatte und damit kaum als Behausung gedient haben dürfte; hier liegt eine Erklärung als Knochendeponierung im Sinne eines Regenerationsrituals näher. In einen Zusammenhang damit stellt Behm-Blancke auch ein Werk der Kleinkunst, eine geritzte Knochenplatte aus Raymonden in der Dordogne (Frankreich) (Abb. 5,1). Auf ihr ist ein Bisonkopf wiedergegeben, an dem noch ein Stück Rückgrat des Tieres hängt; hinzugruppiert sind zwei Schenkel. Einige Menschen vervollständigen die Szene. Die Auswahl der Tierteile, nämlich Schädel und Extremitäten, bewog Behm-Blancke zu seiner Einschätzung, hier könne eine kultische Handlung gemeint sein. Weitere Kleinkunstwerke könnte man ebenfalls mit einem Regenerationsritual verbinden. Ich denke an den aus Elfenbein geschnitzten Kopf eines Höhlenlöwen aus der Vogelherdhöhle auf der Schwäbischen Alb (Adam 1980 Taf. VI) und an die magdalénienzeitlichen sogenannten Contours découpés in Form von Pferdeköpfen von verschiedenen Fundplätzen in Frankreich (SaintMichel d’Arudy: Vialou 1991, 29 Abb. 26). Überlegungen zur Höhlenmalerei stellte J. Ozols an (Ozols 1978); er hielt für möglich, daß der sogenannte Röntgenstil den Niederschlag eines Regenerationsprozesses bildete.
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Abb. 2. Eliseeviµi bei Brjansk, Brjansk Oblast, Rußland. Deponierung von Mammutknochen (nach Bosinski 1990)
Zieht man ein Fazit für die unterschiedlichen paläolithischen Befunde, kann man sagen, daß vieles für ein jägerisches Ritual spricht, in dessen Rahmen die Deponierung von Knochen eine wichtige Rolle spielte. Insofern ist Meuli gut zu folgen, auch wenn sich der von ihm zitierte Höhlenfundplatz Drachenloch als ungeeignetes Beispiel erwiesen hat. Die jägerischen Rituale im Jungpaläolithikum und die alpinen Brandopfer sowie olympischen Speiseopfer sind durch Jahrtausende voneinander getrennt. In Meulis Betrachtungen zu den griechischen Brandopfern spielt dies keine Rolle; er setzt ein kulturelles Gedächtnis voraus, wobei im Verlauf der Tradierung des Rituals die Kenntnis des religiösen Hintergrundes verlorenging und bei den olympischen Speiseopfern nur noch ein formaler Bestandteil, die Knochenauswahl, übriggeblieben ist. Diese ist begleitet von einem Wandel in der Art der Behandlung der Tierteile: sie werden verbrannt und nicht mehr unbehandelt oder auch entfleischt niedergelegt. An Meulis Hypothese des kulturellen Gedächtnisses schließt sich die Frage an, ob man die Knochenbefunde an den alpinen Brandopferplätzen analog beurteilen kann. Zunächst einmal ist festzustellen, daß bereits für die ältesten, mittelbronzezeitlichen Plätze mit Tierbrandopfern eine Selektion der Kör-
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perteile von Opfertieren belegt ist. Ein modern ergrabenes Beispiel dafür ist die älteste Schicht des Knochen-/Aschendepots der Kultstätte auf dem Pillersattel in Nordtirol; hier fehlen im Knochenspektrum die fleischreichen Teile (Tschurtschenthaler/Wein 2002, 545). Auch aus dem bayrischen Alpenvorland sind einige mittelbronzezeitliche Plätze bekannt, an denen sich ausschließlich kalzinierte Schädel- und Extremitätenknochen gefunden haben (z. B. IckingIrschenberg, Lkr. Bad Tölz-Wolfratshausen: Bayer. Vorgeschbl. 37, 1972, Fundchronik S. 135). Damit ist geklärt, daß die Tierteilauswahl an den alpinen Brandopferplätzen nicht mit den olympischen Speiseopfern zusammenhängen kann, sondern allenfalls ein gleichartiges kulturelles Gedächtnis in Mitteleuropa und Griechenland zum selben Ergebnis geführt hat. Sucht man nach den Spuren dieses vermuteten kulturellen Gedächtnisses in Mitteleuropa, muß man generell Tierdeponierungen in die Überlegungen mit einbeziehen. Für das Neolithikum und die Bronze- sowie auch Eisenzeit gibt es eine Reihe von Befunden, die man als Weiterführung paläolithischer Jägerrituale betrachten könnte. Tierteile sind als Speisebeigaben aus Gräbern bekannt; beigegeben werden auch ganze Tiere, beispielsweise Hunde, wohl im Sinne von Gefährten (Behrens 1964). Diese mit Beigabensitten verknüpften Tierbefunde sind aus der Betrachtung auszuschließen, weil sie für die hier diskutierte Frage nicht relevant sind. Tierdeponierungen in Gruben ohne Bezug zu Gräbern kennt man aus unterschiedlichen neolithischen Kulturen in Mitteleuropa (Behrens 1964; Ganslmeier 2001). Sie sind nicht häufig, streuen auch breit in Zeit und Raum, sind aber eben doch vorhanden. Ihre geringe Anzahl dürfte sicher auch damit zusammenhängen, daß Deponierungen von Tierknochen oder auch ganzen Tieren nur ausnahmsweise überhaupt als archäologisch relevant wahrgenommen werden, nämlich in Zusammenhang mit Siedlungs- oder auch Grabbefunden. Frühneolithisch sind die Deponierungen von einzelnen oder aufeinander getürmten Schädeln: ein Ziegenschädel in einer Grube der Siedlung von Káloz, Kom. Fejér, Ungarn, sowie zwei Rinderschädel in einer Grube der Siedlung in Bicske, Kom. Fejér, Ungarn (Makkay 1986, 171ff.; Ganslmeier 2001, 151) (Abb. 4); sie datieren in die Sopot-Linearbandkeramik. Eine Rinderdeponierung in Dobre, Polen, stammt aus dem 4. Jahrtausend v. Chr. (Abb. 3). Mittelneolithisch ist die Deponierung eines Hasen in einer Grube der Münchshöfener Kultur von Murr im Lkr. Freising (mündl. Mitt. E. Neumair, Freising). Sorgfältig über Kreuz sind die beiden trächtigen Sauen in der jungneolithischen Siedlung von Mamming, Lkr. Dingolfing, Niederbayern, niedergelegt worden (Abb. 5,2) (Kreiner 1993). Bereits kupferzeitlich ist die Deponierung zweier einander zugewandter Rinder in Endröd in Ungarn (Zalai-Gaál 1998, 547 Abb. 1). Neben diesen Ganzkörperdeponierungen kennt man aber auch
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Abb. 3. Dobre, pow. Nieszawa, Polen. Rinderdeponierung (nach Behrens 1964)
Abb. 4. Schädeldeponierungen. Oben: Káloz, Kom. Fejér, Ungarn. Ziegenschädel in einer Grube. Unten: Bicske, Kom. Fejér, Ungarn. Grube mit zwei Stierschädeln (nach Makkay 1986)
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die von Tierteilen bzw. Knochen. R. A. Maier (1969) und R. Ganslmeier (2001) haben entsprechende Befunde zusammengestellt. Es scheint mir überlegenswert, ob nicht derartige Tier- und Knochendeponierungen die Rituale des Paläolithikums mit gewandelter Bedeutung weiterführen. Aus dem Regenerationsritual der Jäger hat sich ein bäuerliches Fruchtbarkeitsritual entwickelt. Die Grundvorstellung aber, das magische Verlebendigen von Tieren – sei es als körperliche Wiederherstellung des Getöteten, sei es in Form von reichlich Nachwuchs für dessen Artgenossen, und zwar als notwendige Folge des Tötens –, ist die gleiche geblieben. Tierdeponierungen und Tierbrandopfer unterscheiden sich in einem wesentlichen Aspekt, der Behandlung des Tieres. Die Verbrennung, von Anfang an das charakteristische Kennzeichen der alpinen Brandopferplätze, hat eine grundsätzlich andere Bedeutung als die Deponierung des unverbrannten Körpers. Im Bestattungsritual für Menschen wird die Seele durch Verbrennen vom Körper befreit. Auf das Tier übertragen heißt dies, daß der Wunsch, es möge sich körperlich regenerieren, mit dem Verbrennen nicht mehr vereinbar ist. Es ist eindeutig, daß an den Brandopferplätzen das Tier als Gabe, als Opfer gemeint ist, auch wenn in der Körperteilauswahl noch die uralte Tradition des Regenerationsrituals nachklingen mag. Dem Brandopfer liegt die Vorstellung zugrunde, daß das Feuer das Opfer reinigt und dieses dann in reiner Substanz zu den höheren Mächten aufsteigt. Das Brandopfer verbindet so die irdische Welt mit der der höheren Mächte. Die Regenerationsrituale spiegeln das Verhältnis Mensch – Tier, die Tierbrandopfer dagegen das von Menschen zu höheren Mächten, in dem den Tieren eine Funktion als Gabe zukommt. An den alpinen Plätzen wurden von Anfang an neben den Tieren wahrscheinlich auch Nahrungsmittel aller Art wie Honig, Milch, Nüsse, Speisen usw. geopfert (Lang 2002; siehe auch Tschurtschenthaler/Wein 2002, 668 Anm. 32), gesichert gehörte auch eine gemeinsame Mahlzeit der Kultteilnehmer zum Geschehen. Nach dem derzeitigen Stand der Forschung sieht es so aus, als ob Brandopfer gleich mit diesem recht differenzierten Ritual einsetzen. Dieser Eindruck kann allerdings mit der bislang geringen Anzahl der frühen Plätze zusammenhängen. Weiterführende Erkenntnisse sind von den Forschungen Gerhard Tomedis auf dem Goldbichl bei Igls, BH Innsbruck, zu erwarten. Auf dieser isoliert liegenden Kuppe war in der Frühbronzezeit (BCcal.: zweite Hälfte 19. Jahrhundert v. Chr.) eine Kultstätte angelegt worden, die jahrhundertelang genutzt und an der im Verlauf der Zeit auch Tierbrandopfer dargebracht wurden, verbunden mit einem Kultmahl (Tomedi 2002). Fragt man nach der Verbreitung von Brandopfern und Kultmahlzeiten, mit denen die alpinen Befunde in Zusammenhang gebracht werden könnten, kommt man wieder in die Alte Welt (vgl. Übersicht zum Vorderen Orient
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2 Abb. 5. 1 Raymonden, Dordogne. Knochenplatte mit Gravierung (nach Bosinski 1990). 2 Mamming, Lkr. Dingolfing-Landau, Niederbayern. Deponierung von zwei Schweinen in der Grube Objekt 21 (nach Kreiner 1993)
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bei Quaegebeur 1994). Dort führen aber, soviel ich weiß, bislang weder die archäologischen noch literarischen Belege für Brandopfer in die Zeit der alpinen Plätze zurück. Hätte man entsprechend alte Belege, könnte man darauf hinweisen, daß gerade die ausgehende Frühbronzezeit eine Epoche ist, in der mannigfaltige Einflüsse aus der ägäischen Welt und aus Vorderasien Mitteleuropa erreichten, darunter vielleicht auch die Idee von Tierbrandopfer und Opfermahl, die die einheimisch-mitteleuropäischen Traditionen des Tierrituals mit neuem Inhalt füllten.
Summary In the Bronze and Iron Ages as well as in early Roman times burnt offerings of animals were common especially in the East Alps and in the Bavarian foothills of the Alps. Connected to the burnt offerings there were always ceremonial consumptions for the ritual’s participants. It is typical for the alpine burnt offering sites that the animals’ parts which bore only a small amount of meat were burnt as an offering, whereas the parts bearing a large amount of meat were eaten in the worship meal. Karl Meuli brought this way of separation in connection to rituals of Northern Eurasian hunters who deposit the bones of their prey in order to make possible a regeneration of the animals. Meuli presumed a root of these rituals in the Palaeolithic. From the Palaeolithic up to the time when burnt offering sites started to appear there are pieces of evidence for different forms of animals’ deposits, which could be interpreted as an archaeological evidence of regeneration rituals for wild animals or fertility rituals for domestic animals. It seems improbable, however, that the way of the separation of the animals serving as offerings at these places of worship is, as far as the meaning is concerned, connected to a regeneration ritual, because the burning makes a regeneration of the animals impossible; in accordance, it could be a meaningless tradition of the form. Burnt offerings of animals, connected with a ceremonial consumption, were also common in the Old World (Greece, Middle East). There has been no proof of their existence up to now, however, for the period in which the alpine burnt offering sites started to appear. Otherwise, an influence of the Old World on this way of offering and on the ritual could be taken into consideration.
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Abbildungsnachweis Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb.
1: Verf. 2: Nach Bosinski 1990 Abb. S. 249. 3: Nach Behrens 1964, 34 Abb. 25. 4: Nach Makkay 1986, 171 Abb. 2; 173 Abb. 4. 5,1: Nach Bosinski 1990 Abb. S. 145. 5,2: Nach Kreiner 1993, 49 Abb. 1.
Anschrift der Verfasserin: Prof. Dr. Amei Lang Ludwig-Maximilians-Universität Institut für Vor- und Frühgeschichte und Provinzialrömische Archäologie Historicum Geschwister Scholl-Platz 1 D-80539 München Email:
[email protected]
Studien zur Lebenswelt der Eisenzeit. RGA-E Band 40 – Seiten 33–48 © Copyright 2006 Walter de Gruyter · Berlin · New York
Von Kopf bis Fuß. Zu Vorkommen und Deutung von Fundkomplexen mit Schädel und Extremitätenenden von Haustieren1 von Janine Fries-Knoblach Einleitung Tierknochen gehören in vielen Ausgrabungen zu den zahlreichsten und besterhaltenen Funden, die Aufschluß zu vielen Fragen der Landwirtschaft (Tierart, Rasse, Geschlecht, Schlachtalter, Fleisch- und Milcherzeugung, Arbeitstiere), der Gesundheit (Versorgung, Wuchs, Krankheiten, Verletzungen), der menschlichen Ernährung (verspeiste Arten, Schlachtung, Zerlegung) und des Handwerks (Bearbeitungsspuren, Abfälle, Halbzeuge, Werkzeuge, Endprodukte) geben. Bei ihrer Untersuchung lohnt nicht nur die Analyse des Vorhandenen, sondern auch die Frage, was nicht erhalten sei. Ein Beispiel dafür sind Befunde, in denen nur bestimmte selektierte Knochen vorkommen. Anhand von Schädeln und Extremitätenenden soll dies gezeigt werden.
Befunde im Kontext von Gerberei Anlaß für die Untersuchung waren frühkaiserzeitliche Salinen in vorrömischer Handwerkstradition im Themsemündungsgebiet in Essex, in denen auffällige Anhäufungen von Schädel-, Hand- und Fußknochen von Haustieren vorkommen. Dies wird damit erklärt, daß das Fleisch an der Küste gehaltener Tiere mit den fehlenden Skeletteilen an Ort und Stelle gepökelt und zu den Märkten des Hinterlandes abtransportiert worden sei (Rodwell 1979, 165; Reader 1908, 187). Dies ist nur eine denkbare Erklärung, gegen die spricht, daß bei der Schlachtung an Ort und Stelle auch fleischarme Skelettpartien, die zum Einsalzen nicht wertvoll genug waren, als Reste angefallen wären. Es müßten sich also z. B. Teile von Wirbeln oder Rippen in angemessener Zahl finden, d. h. wegen ihrer größeren Anzahl im Skelett sogar häufiger als Schä1
Manuskriptabschluß: Herbst 2001.
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del- oder Extremitätenendknochen und nicht seltener wie es der Fall ist. Eine mögliche Ursache wäre auch eine schlechte Erhaltung des Knochenmaterials, was jedoch nicht in Betracht kommt, da in diesem Fall gerade Becken und Oberschenkel als besonders resistente Knochen vorliegen sollten (Jankuhn 1966, 155). Plausibler scheint eine dritte Möglichkeit: Schädel- sowie Hand- und Fußknochen blieben üblicherweise beim traditionellen Schlachten in der abgezogenen Tierhaut zurück2, weil sie schwer zu entfernen, zum Verzehr kaum geeignet waren (Piggott 1962, 112) und die nachfolgende Behandlung der Haut in der Gerberei durch ihr Gewicht erleichterten (Wintergerst 1998, 147). Dies bezeugen mittelalterliche Ausgrabungsbefunde städtischer Gerbereien mit Konzentrationen von Schädel- sowie Hand- und Fußknochen und frühneuzeitliche Bildquellen ganz eindeutig (Wintergerst 1998, 147; 149ff.). Daher wäre auch in Essex der Transport frischer Häute aus Schlachtereien in den Siedlungen des Hinterlandes zum Gerben (Blümner 1920, 2091) zu den im Themsemündungsgebiet gelegenen Salinen denkbar. Dafür spricht, daß für die Gerberei große Mengen Salz nötig waren, sowohl für den eigentlichen Prozeß mineralischer Gerbung, vor allem aber, damit die Häute überhaupt lange genug gelagert werden konnten ohne zu verwesen und zu verfaulen (Bloch 1970, 22; Wintergerst 1998, 146). Nur das fertige Leder hätte danach die Plätze wieder verlassen, die Knochen wären an Ort und Stelle entsorgt worden, wo sie erhalten blieben. Daß die römische Administration bereits bald nach der Eroberung Britanniens ein solches Netzwerk wirtschaftlicher Beziehungen zwischen Schlachtereien und neu angelegten Salinen aufgebaut haben könnte, erscheint nicht abwegig, denn „Gerberei war … eine Rüstungsindustrie“ (Bloch 1970, 22), weil große Ledermengen vom Militär für Schutzund Angriffswaffen, Reitzeug, Kleidung, Schuhe, Zelte, Schiffe etc. benötigt wurden (Schneider 1937, 372). Daß für gutes Leder (fast) kein Aufwand zu groß erschien, beweist auch die Tatsache, über welch weite Strecken es in der Antike transportiert wurde, z. B. im antiken Griechenland vom Schwarzen Meer nach Athen oder in der Römischen Kaiserzeit aus China, Indien und Britannien nach Italien (Gross 1979; Schneider 1937, 369). Stellt man für die zitierten Befunde aus Essex den Bezug zur Gerberei her, hat dies andererseits Relevanz für die Deutung der sog. Schlitzgruben, die vor allem ins Neolithikum und in die Eisenzeit datieren und u. a. im Zusammenhang mit Gerberei gesehen wurden3. Kein bekannter Befund ist bisher mit 2
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Dies sieht man ebenso am legendären Bärenfell als Jagdtrophäe vor dem Kamin. Auch dabei blieben gewöhnlich Schädel und Klauen des Raubtiers am Fell erhalten. Erste Überlegungen durch O. Paret (Fundber. Schwaben 18, 1910, 7). In der Folge Deutungen als Wildfallen (Prähist. Zeitschr. 3, 1911, 21), Schutzwände (Prähist. Zeitschr. 5, 1913, 389f.),
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entsprechenden Konzentrationen von Schädel- oder Extremitätenendknochen einhergegangen, was die Deutung zwar nicht widerlegt, aber auch nicht eben stützt (zweifelnd daher auch Wintergerst 1998, 145f.).
Befunde in religiös-kultischem Zusammenhang Begibt man sich auf die Suche nach Parallelen für die getrennte Handhabung von Schädel/Extremitätenenden/Fell von Tieren, stößt man außer dem praktischen Bezug zur Gerberei auf eine lange Tradition religiös-kultischer und insbesondere funeraler Kontexte.
Biblische Belege In der Bibel findet sich im dritten Buch Mose (7, 8) aus der ersten Hälfte des 1. Jahrtausends v. Chr. der Hinweis, daß das Fell eines als Brandopfer dargebrachten Tieres dem Priester gehöre – ob darin Knochen enthalten waren, führt die Heilige Schrift nicht aus. Bloch (1970, 22f.) geht davon aus, daß später im Tempel von Jerusalem ein großer Teil der Schlachtungen der Gegend in geregelter Weise wie in einem Schlachthof vorgenommen worden sei und die Priester weiterhin die Häute als Bezahlung erhalten hätten. Diese hätten sie dann mit dem in einem eigens vorgesehenen Raum, dem sog. Lishkat-melach, gelagerten Salz zur Konservierung eingesalzen und an Gerber verkauft. Bei großen Opferhandlungen mit einigen hundert Rindern und einigen tausend Schafen (2 Chronik 29, 33ff.) kamen so beträchtliche Hautmengen und wohl auch Erträge zusammen.
Das olympische Opferritual der Griechen Auch im sog. olympischen Opferritual des antiken Griechenland, das auf vorgeschichtliche Zeit zurückgeht und bereits bei Homer (formelhaft gleichlautend: Ilias I, 459ff.; II, 423; passagenweise gleich: Odyssee III, 456ff.) beschrieben wird, verhält es sich ähnlich. Danach und nach der weiteren literarischen Überlieferung bestand das eigentliche Brandopfer aus den mit Fett umwickel-
Kühlgruben (Bonner Jahrb. 124, 1917, 115ff.), Gerbegruben (Buttler/Haberey 1936, 65; Van de Velde 1973), Kultgruben (Slovenská Arch. 16, 1968, 318ff.) und Webgruben (Arch. Korrbl. 19, 1989, 339ff.). Zusammengestellt von Neth 1999, 116ff.
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ten Schenkelknochen sowie gelegentlich Kreuzbeinen und Schwanzwirbeln. Das zugehörige Fleisch wurde in einem nachfolgenden gemeinschaftlichen Festmahl verzehrt, wobei typische nachweisbare Hitze- und Zerlegungsspuren an fleischreichen Knochen entstanden. Das unverbrannte Fell mit Hand-, Fußknochen und Schädel bzw. der Erlös daraus (das sog. Dermatikon) fielen dem Priester oder später auch der Staatskasse zu. Die unverbrannten Schädel wurden im Heiligtum, meist am Altar ausgestellt, worauf letztlich das Bukranion als typischer Altardekor zurückgeht4. Blutige Opfer umfaßten z. T. Hunderte von Rindern und/oder Schafen (sog. Hekatomben), z. B. bei den Panathenaien auf der Athener Akropolis im sommerlichen Opfermonat Hekatombaion. Bloch (1970, 25) geht davon aus, daß im Parthenon bis zu 200 Tiere am Tag hätten geschlachtet und zerlegt werden können, wobei die Abfallverwertung und -abfuhr genau geregelt gewesen sei. Die Gepflogenheit des Zerlegens bestätigen detailliert Grabungsbefunde von Heiligtümern aus verschiedenen Teilen und Zeiten der griechischen Welt (Tab. 1). Nach Erhaltungszustand und Knochenselektion lassen sich die erwähnten drei Fundkomplexarten im Material deutlich unterscheiden, wenn man von Tamassos auf Zypern absieht, wo offenbar abweichende Sitten herrschten (Weiss 1997, 75ff. mit Lit.; Fauth 1979, 310). Tab. 1. Selektierte Tierknochen aus griechischen Heiligtümern Heiligtum (nach Datierung Weiss 1997, 76f.)
Mahlzeitenreste (Schnitt-, Schlagund Hitzespuren)
Opferreste (verbrannt)
Kabiren-Heilig- klassisch bis vorhanden tum, Theben römisch (viele Tali, Astragali)
vorhanden (keine Selektion)
keine Angabe
Astarte-Aphrodite-Heiligtum, Tamassos
7.–4. Jh. v. Chr.
keine Angabe
vorhanden (keine Selektion)
vorhanden (keine Selektion)
Artemisaltar, Ephesos
7.–4. Jh. v. Chr.
fehlt (fast vorhanden keine Fuß-, Hand-, Schädelknochen)
vorhanden (nur Femora)
Didyma
ab 6. Jh. v. Chr., bes. römisch und byzantinisch
fehlt (keine Fuß-, Hand-, Schädelknochen)
fehlen
4
Priesteranteil (unverbrannt)
vorhanden
Auch die Ausstellung des gesamten Fells mit Schädel- und Extremitätenknochen in Bäumen kam vor (Behm-Blancke 1965, 235), was einen an das goldene Vließ der Argonautensage erinnert, das im pontischen Kolchis ebenfalls an einem heiligen Baum hing (Piggott 1962, 114).
Fundkomplexe mit Schädel und Extremitätenenden von Haustieren Heiligtum (nach Datierung Weiss 1997, 76f.)
Priesteranteil (unverbrannt)
Mahlzeitenreste (Schnitt-, Schlagund Hitzespuren)
Opferreste (verbrannt)
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Heraion, Samos
7. Jh. v. Chr. keine Angabe
vorhanden
fehlen (keine Femora, Kreuzbeine, Schwanzwirbel)
ArtemisApollonHeiligtum, Kalapodi
mykenisch bis geometrisch
vorhanden (bes. Schädelund Extremitäten)
keine Angabe
vorhanden (seit 2. H. 9. Jh., keine Kreuzbeine oder Schwanzwirbel, nur Femora)
fehlt (keine Fuß-, Hand-, Schädelknochen)
vorhanden
vorhanden (Femora, Kniescheiben, Schwanzwirbel)
Aphrodite(?)keine AnHeiligtum, gabe Milet-Zaytintepe
Alpine Brandopferplätze Bei den alpinen Brandopferplätzen5 der Bronze-, Eisen- und Römerzeit hingegen liegen regelhaft gerade die kalzinierten Schädel- und Fußknochen von Rind, Schaf/Ziege und selten auch Schwein vor6. Dies ist archäozoologisch nachgewiesen für die vorgeschichtlichen Brandopferplätze von Irschenhausen, Karlstein-Langacker, Unterhausen-Stätteberg, Oberaudorf-Wasserfeldbühel, Christgarten-Weiherberg, Liechtenstein-Schneller, Ganglegg-Großeben und Schlern-Burgstall. An römerzeitlichen Beispielen wären Schongau-Schloßberg, Auerberg, Forggensee-Lechstauanlage, Denklingen-Malfinger und EchingGarchinger Heide zu nennen (Weiss 1997, 67–72 u. Kat.). Für die übrigen Fundplätze dieser Art, die zumeist alt oder erst in jüngster Zeit gegraben sind, fehlen entsprechende Untersuchungen (noch), es wird jedoch angenommen, daß hier dieselben Bräuche befolgt wurden (Weiss 1997, 71).
Bauopfer Standen bei den bisher betrachteten Befunden die fleischliefernden Haustiere im Vordergrund, so findet man in metallzeitlichen Befunden des nördlichen Mitteleuropa und Nordeuropas vor allem immer wieder Pferdereste als Gegenstand selektiver Niederlegungen von Schädel- und Extremitätenendknochen. Dies verwundert keineswegs angesichts der mythischen und kulti5 6
Den Hinweis auf diese Fundgattung verdanke ich G. Kossack, Riedering. Zur Teilung des Tieropfers an alpinen Brandopferplätzen siehe auch den gleichnamigen Beitrag von Amei Lang in diesem Band.
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schen Bedeutung des Pferdes bei Indogermanen, Germanen und Kelten, die sich u. a. um die Vorstellung des Pferdes als „Grenzgänger“ zwischen Kulturland und Wildnis, Diesseits und Jenseits rankt (Busch 2000, 215; Green 1997, 6; Jankuhn 1967, 144). Auch im Volksaberglauben hat sich die Bedeutung des Pferdeopfers bis in jüngste Zeit gehalten (Lipp 1965, 304f.). In eisen- und kaiserzeitlichen Siedlungen finden sich Anhäufungen von Schädel- und Fußknochen eines Pferdes u. a. als Bauopfer. In der Siedlung von Vestervig in Thisted wurde unter dem Boden von Haus 3 ein entsprechendes Bauopfer begleitender Keramik zufolge um Christi Geburt niedergelegt und bis in die jüngere römische Kaiserzeit immer wieder überbaut, aber nicht gestört (Klindt-Jensen 1967; Müller-Wille 1970/71, 182). In der Siedlung von Sorte Muld bei Svaneke auf Bornholm wurde wenige Meter seitlich vor dem Eingang von Haus II, also quasi in einer „Schwellensituation“7 in einer durch Keramik datierten Grube (Klindt-Jensen 1957, Taf. B) eine entsprechende Niederlegung aus der Zeit um 400 n. Chr. angetroffen, von der Klindt-Jensen (1957, 248; 1967, 148) annimmt, daß sie ursprünglich samt der Haut auf einem Pfosten als Opfergabe aufgehängt gewesen sei, während der Rest des Tieres verzehrt worden sei (auch Müller-Wille 1970/71, 182; allgemein Busch 2000, 215). Ein ebenfalls vorhandener Beckenknochen vom Pferd wird mit einigen weiteren Schaf-, Schweine- und Hundeknochen offenbar als unabhängig von besagtem Schädel und Extremitäten angesehen.
Moor- und Seeopfer Auch Moor- und Seeopferplätze der Kaiser- und Völkerwanderungszeit, meist in der Nähe bäuerlicher Siedlungen, ergaben entsprechende Befunde, in denen – abgesehen von sonstigen Gaben – nur die unversehrten Füße, oft mit Schädel und bisweilen mit Schwanzwirbeln (und Haut?) von Pferden niedergelegt wurden, bisweilen zusammen mit weniger regelhaft selektierten Resten von Rind, Schaf, Schwein, selten auch Hund und Mensch (Jankuhn 1967, 124; Müller-Wille 1970/71, 188). Die nicht niedergelegten Teile der Pferde wurden verzehrt, wie gelegentlich Streufunde anzeigen, die als Reste von Opfermahl7
In England kommen ähnliche „Schwellenbefunde“ im großen in Hillforts vor, die jedoch insofern abweichen, als nicht die Extremitätenenden, sondern Langknochen zum Schädel hinzukommen. In Blewburton Hill im oberen Themsetal liegen sie in einer 1967 entdeckten Grube hinter dem Abschnittswall, der das Tor zum Inneren der Anlage hin abriegelte. In Pimperne, Dorset, war die Erneuerung eines Grabensystems nächst dem Südeingang der Befestigung mit einer entsprechenden Teilbeisetzung von Pferd und Rind verbunden, die ebenfalls als Bauopfer gedeutet werden (Harding 1972, 70) und wiederum durch ihre Lage den Charakter von „Torwächtern“ haben.
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zeiten angesehen werden, während das Pferd in Siedlungen bei der Ernährung fast keine Rolle spielte (Jankuhn 1967, 126; 131; Klindt-Jensen 1967, 147). Zu nennen wären insbesondere Moor- und Seeopferfunde aus Oberdorla in Thüringen mit einem Schwerpunkt in den Jahrhunderten um Chr. Geb., Mooropfer aus Bukkerup-Langmoor auf Fünen aus dem 1./2. Jahrhundert n. Chr., Hundstrup auf Seeland aus den ersten Jahrhunderten n. Chr., Barsbeck in Holstein aus der älteren Kaiserzeit, Turup auf Fünen aus der jüngeren Kaiserzeit, Rislev-Valmose im Süden Seelands aus dem 4.–5. Jahrhundert n. Chr. und der Seeopferfund von Skedemosse auf Öland aus der jüngeren Kaiserund der Völkerwanderungszeit (Jankuhn 1967, 126ff.; 138; 140ff.; 144). Gut dokumentiert und publiziert ist der Befund von Rislev, wo auf ca. 60 m² u. a. Teile von elf zu verschiedenen Zeitpunkten deponierten Pferden diversen Alters und Geschlechts gefunden wurden, von denen jeweils nur Schädel-, Hand-, Fuß- und Schwanzendknochen säuberlich abgetrennt und mehr oder minder komplett niedergelegt und erhalten waren. Schnittspuren erweisen, daß zuvor die Zunge aus den Schädeln entfernt worden war8. An einer zwölften Stelle fanden sich zersplitterte Markknochen mehrerer Individuen, offenbar die rituell verzehrten übrigen Teile der Pferde (Ferdinand/Ferdinand 1961, 84f.). Im „Rieth“ bei Oberdorla fanden sich am westlichen Uferstreifen des Sees Befunde der Gruppe 4 nach Behm-Blancke (1965, 234), die aus dem Fell mit nicht ausgelöstem Schädel und Extremitätenknochen von Haustieren bestanden und von denen der Ausgräber annimmt, daß sie auf eine Stange gehängt, nach einiger Zeit abgenommen und vergraben oder im See versenkt worden seien, während das Fleisch der Tiere wiederum als Opfermahl verzehrt worden sei. Auch wurde neben einem Pferdeschädel eine lange Stange gefunden, von der angenommen wird, daß sie aufgerichtet der Befestigung der Pferdehaut mit Schädel, Extremitäten- und Schwanzendknochen gedient habe (Behm-Blancke 1957, 132ff.; 1958; 1960; 1965, 235; Klindt-Jensen 1967, 148). Es wurde darauf hingewiesen, daß derartige Befunde mit kultischen Pferderennen oder -hatzen einhergegangen sein könnten (Klindt-Jensen 1967, 148; Müller-Wille 1970/71, 184). Auf ein mögliches höheres Alter der Selektionssitte im Norden weist eine Pferdeniederlegung von Bokarn im schwedischen Uppland, die pollenanalytisch in die Bronzezeit datiert ist (Jankuhn 1967, 141; Müller-Wille 1970/71, 180). Die Verbindung mit Sehnen und Häuten 8
Dies ist bemerkenswert. Nachdem Pferde im Märchen bisweilen zu Lebzeiten und sogar noch nach ihrem Tode sprechen können (z. B. das Pferd Fallada im Grimmschen Märchen „Die Gänsemagd“), scheint es, daß die Tiere damit „zum Schweigen“ gebracht wurden. Eine profane Erklärung wie die Entnahme der Zunge als Delikatesse dürfte angesichts der rituellen Fundumstände weniger wahrscheinlich sein, obwohl ein ritueller Verzehr nicht auszuschließen wäre.
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bei der Niederlegung geht daraus hervor, daß manche Fuß- und Schwanzknochen noch im anatomischen Verband gefunden wurden, z. B. in Rislev, Bukkerup und Oberdorla (Jankuhn 1967, 124; 129f.; 138; Ferdinand/Ferdinand 1961, 85). Im dänischen Freilichtmuseum Lejre bei Roskilde sind im Ausstellungsbereich „Opfermoor“ mehrere derartige Pferdehäute mit Schädel und Extremitätenenden auf schrägen Stangen über bockartigen Gerüsten als Rekonstruktion aufgestellt (http://www.lejre-center.dk/offermosen.129.0.html). Diese sind wohl u. a. von einer von Klindt-Jensen (1957, 88 Abb. 68) publizierten Darstellung auf einer Schamanentrommel aus dem Altai inspiriert, die eine Pferdehaut mit Schädel, Füßen und Schwanz (oder doch ein ganzes Pferd?) am Ende einer schrägen Stange befestigt zeigt, die hoch auf einem Pfosten in einer Astgabel ruht. Eine andere Befestigungsmöglichkeit deutet ein volkskundlicher Befund eines aufgehängten Pferdeschädels mit -füßen aus dem 19./20. Jahrhundert im österreichischen Mondseegebiet an, der nach dem Glauben der volkstümlichen Tiermedizin krankheitsabwehrend wirkte. Alle Teile waren mit Stricken am Firstbaum des Hauses bzw. einem darunter befindlichen Bretterboden angebunden (Lipp 1965, 299). Anfang des 20. Jahrhunderts wurden an der eponymen Fundstelle von Latène am Neuenburger See ohne Dokumentation Tierknochenreste aufgesammelt, unter denen das Pferd etwa 30 % ausmacht und fast ausschließlich mit Schädeln, Tibien und Phalangen vertreten ist. Trotz der unsicheren Fundumstände betont Jankuhn (1966, 158) sicher zu Recht die Ähnlichkeiten zu den erwähnten mitteldeutschen und nordischen Mooropferfunden, was zugleich die Deutung von Latène als Opferplatz stützt. Wegen der Unsicherheit der Fundumstände wurde Latène in der Untersuchung von Müller-Wille (1970/71, 182 Anm. 234) ausgeschlossen. Läßt man den Befund gelten, verschiebt sich das Alter der Deponierungssitte von Häuten mit Schädel, Handund Fußknochen in Mooren und Gewässern hinauf in die vorrömische Eisenzeit und die Verbreitung hinab ins südliche Mitteleuropa.
Grabfunde Vergleichbare Befunde sind auch in beachtlicher Zahl aus Gräbern bekannt. Schon im 19. Jahrhundert wurden mutmaßliche Belege in englischen Langhügeln der Windmill Hill-Kultur des 4. Jahrtausends v. Chr. in Wessex erwähnt, in denen von Ochsen meistens nur Schädel- und Fußknochen zu finden waren. Von diesen wird wegen ihres Erscheinungsbildes bei der Auffindung angenommen, daß sie in artikuliertem Zustand und wahrscheinlich mit der Haut abgetrennt und niedergelegt wurden (Piggott 1962, 116f. nach Ar-
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chaeology 42, 1868, 182). Im anatolischen und südrussischen Gebiet spielen Rinderschädel und -fußknochen seit dem 3. Jahrtausend eine wichtige Rolle im Bestattungsbrauch, wobei es Anzeichen gibt, daß auch sie samt Fell deponiert wurden. Am bekanntesten sind die 15 frühbronzezeitlichen Königsgräber von Alaca Hüyük ca. 150 km nordöstlich von Ankara, wo um 2400–2200 v. Chr. in 13 Fällen jeweils auf der Balkendecke der Grabkammer Schädelund Beinknochen von ein bis fünf Ochsenpaaren niedergelegt wurden. Dabei lag jeweils der Schädel vorn und die Fußknochen gebündelt dahinter, und zwar so, daß der zweite Schädel auf den ersten Fußknochen zu liegen kam, der dritte auf den zweiten etc. Nur das letzte Tierpaar, das eigentliche Zugpaar an der Deichsel des nicht beigegebenen oder nicht erhaltenen Wagens, war anatomisch „korrekt“ getrennt nach Kopf, Vorder- und Hinterbeinen angeordnet. Es wird angenommen, daß alle Knochen sich im Verband mit der abgezogenen Haut befanden und das Fleisch bei einem Totenmahl verspeist wurde (Piggott 1962, 112; Mansfeld 1984, 12). In Kurganen der Ockergrabkultur vom Gruben- und Katakombengrabtypus am Schwarzen Meer und in Südrußland finden sich von ca. 2500–1900 v. Chr. häufig Deponate von Häuten mit Schädel-, Hand- und Fußknochen, wobei anfangs Schafe, später Rinder überwiegen, die auf oder über dem Grabdach oder im Zugangsschacht zu liegen kamen. Bekannte Beispiele sind Kurgan 7 der Tri Brata-Gruppe, auf dessen Grubengrab Schädel und Extremitätenenden von drei Schafen und drei Rindern dicht beisammen lagen, oder Kurgan 4 der Khutor Kamenka-Gruppe, in dessen Katakombengrab 3 am Schachtboden drei gefaltete Ochsenfelle mit betreffenden Knochen lagen (Piggott 1962, 114f.). Dokumentiert ist auch die meist kreisförmige Anordnung von bis zu sieben Rinderteilbestattungen aus Schädeln und Extremitäten in flachen Opfermulden in der Hügelschüttung (Mansfeld 1984, 17). Diese Traditionen leben fort in den Kammergräbern des 17.–12. Jahrhunderts v. Chr. Bei ihnen liegen die Rinder- und/oder Schafhäute mit Knochen am Boden der hölzernen Grabkammer wie in Kurgan XV bei Beštašen im TrialeËi-Massiv im kleinen Kaukasus, seitlich daneben wie im südrussischen Stratilatovka oder darauf bzw. darüber wie in Kamyshevakha, ebenfalls in Südrußland (Piggott 1962, 116). Jüngste Kurgane mit einschlägigen Befunden aus dem frühen 1. Jahrtausend v. Chr. wurden in Lµašen am Südwestufer des Sewansees im südlichen Kaukasus entdeckt, wo in Steinkammern unter Steinhügeln je zwei Rinder als Teilbestattung von Schädel und Extremitäten beidseits der Deichsel eines vierrädrigen Wagens vorliegen (Mansfeld 1984, 19ff.). Ob Pferdeteilbestattungen der relevanten Art im 17.–14. Jahrhundert v. Chr. auch in hethitischen Gräbern, z. B. in Osmankayası bei Bo¬azköy, vorkamen, ist unsicher, weil dort nicht nur Fuß-, sondern auch obere Beinknochen de-
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poniert wurden (Piggott 1962, 115). Im arktischen Gebiet ist die zu untersuchende Sitte für Rentierknochen bekannt (Klindt-Jensen 1967, 149). KlindtJensen (1957, 148) erschließt aus Herodots Beschreibung (IV, 72) auch bei den Skythen die Aufstellung von Fellen nur mit Schädel, Hand- und Fußknochen. Dies überzeugt nicht, weil es dort um ausgeweidete Pferde geht, die mit Stroh gefüllt, zugenäht und auf Stellagen aus Stangen und Wagenrädern aufgestellt wurden, also offenbar noch ihr Skelett besaßen (so auch Piggott 1962, 116; Sembach 1984, 21). Bei neuen Grabungen am Hügelfuß des ertomlykTumulus konnten erstmals Reste solcher präparierter Pferde verstürzt in situ entdeckt werden (Rolle 2001), die vielleicht genaueren Aufschluß zu der Frage geben werden. Auch in eisenzeitlichen Fundkomplexen Mitteldeutschlands treten gelegentlich vollständige und Teilskelette von Pferden, Rindern und Hunden auf (Karsdorf, Burgenlandkreis: Teegen/Döhle 1999). Die Auffindung von Hundeschädeln auf/neben Knochen des Metapodiums deutet auf Deponierungen von Hundefellen. Da in einer Grube aus Karsdorf (Burgenlandkreis) auch ein Säuglingsskelett in einer Grube mit einem mutmaßlichen „Hundefell“ entdeckt wurde, kann auch ein funeraler Kontext gegeben sein (Teegen i. Dr.). Erst in kaiser-, völkerwanderungs- und selten merowingerzeitlichen Gräbern finden sich wieder analoge Befunde von Pferdeschädeln und -extremitätenenden. Dies ist allerdings im Gegensatz zu zahlreichen ganzen und enthaupteten Pferden in Gräbern nur selten der Fall (Müller-Wille 1970/71, 130). Zu nennen wären z. B. ein Brandgrab der jüngeren Eisenzeit von Ellegård in Südbornholm und eine Grube unweit eines reichen jüngerkaiserzeitlichen Grabes von Varpelev in Südjütland (Klindt-Jensen 1957, 84; 248; Aarb. Nordisk Oldkde. og Hist. 1877, 358; Ferdinand/Ferdinand 1961, 79). Auch in einer Grube neben Männergrab 5 des jüngerkaiserzeitlichen Friedhofs von Leuna, Kr. Merseburg (Anfang 4. Jahrhundert n. Chr.), war ein Pferdeschädel von Fußknochen umgeben. Ähnlich verhielt es sich mit drei Gruben auf dem Gräberfeld von Oberwerschen in Mitteldeutschland (zweite Hälfte 5.–6. Jahrhundert n. Chr.), die ebenfalls Kopf- und Extremitätenteile je eines Pferdes erbrachten, von denen mindestens zwei zudem durch ihr für merowingerzeitliche Pferdebestattungen ungewöhnliches weibliches Geschlecht auffallen. Entsprechende Knochenfunde barg eine Grube neben Frauengrab 191 im langobardisch geprägten Reihengräberfeld von Kranj, Slowenien (6. Jahrhundert). Weiter im Norden gibt es Belege aus dem Baltikum, im Südosten Europas findet sich eine Abfolge von hunnischen Befunden des 4. Jahrhunderts n. Chr. aus Prokovsk und Novogrigorievka in Südrußland, über ein Grab des 6./7. Jahrhunderts mit zwei derartigen Deponaten aus Szentes in Ungarn hin zu Gräbern 1 und 6 aus der Zeit um 1000 von Cluj in Rumänien (Müller-
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Wille 1970/71, 132; 176; Klindt-Jensen 1957, 248; 1967, 148; Oexle 1984, 144). Bemerkenswert ist dabei, daß z. B. in südrussischen Gräberfeldern des 10. Jahrhunderts Voll- und Teilbestattungen von Pferden benachbart vorkommen, wobei die vorhandenen Knochen der Teilbestattung an genau denselben Stellen wie bei den Ganzkörperbestattungen im Grab liegen (Ferdinand/Ferdinand 1961, 80 Abb. 23), was Klindt-Jensen (1967, 148) als Beweis dafür ansieht, daß sich bei der Teilbestattung die Knochen wiederum in der Haut befanden, als sie niedergelegt wurden. Früh- und hochmittelalterliche sowie neuzeitliche Bestattungen mit aufgestellten Pferdehäuten mit erhaltenen Schädeln und Extremitätenendknochen sind bei türkischen, tatarischen und altai-sibirischen Völkerschaften durch Berichte und Ausgrabungsbefunde belegt. So berichtete etwa der reisende Araber Ibn Fadlan als Augenzeuge kurz nach 920 über das Begräbnis eines vornehmen Ogusen nordöstlich des Kaspischen Meeres, daß ein- bis zweihundert seiner Pferde bis auf Kopf, Hufe, Fell und Schwanz verspeist und ihre Reste an Hölzern aufgehängt wurden, damit der Tote auf ihnen ins Paradies reiten könne (Klindt-Jensen 1957, 248; Ferdinand/Ferdinand 1961, 79f.; Müller-Wille 1970/71, 182 Anm. 236–237).
Deutung der Befunde Man fragt sich natürlich, wie es zu dem auffälligen Phänomen der Trennung von Schädel/Extremitätenenden/Fell und dem Rest des Tierskeletts kommt. Einerseits liegen praktische Ursachen zugrunde, zum einen der – zweifellos seit den Uranfängen des Menschen – optimierte Vorgang des Schlachtens von Hand, zum anderen der Gebrauchswert eines Leder- oder Fellstücks als Schutz gegen Nässe und Kälte, als Rohmaterial für unterschiedlichste Alltagsgegenstände und Militaria sowie als Tauschobjekt9. Andererseits gehören die Befunde in den religiös-kultischen Bereich, wo sie ebenso alt zu sein scheinen (paläolithisch nach Klindt-Jensen 1967, 148; Ferdinand/Ferdinand 1961, 88 Anm. 24; Behm-Blancke 1965, 236). Der praktische Aspekt erklärt keineswegs, warum auch kultur- und geistesgeschichtlich bestimmte Folgeerscheinungen, wie der Priester- oder Götteranteil beim Opfer oder Grabfunde, über Räume und Zeiten hinweg ebenfalls von dieser Trennung bestimmt waren und blieben, weil natürlich auch beliebige andere Teilungen denkbar gewesen wären (z. B. Vorder-/Hinterteil, Innereien/Muskelfleisch).
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Diesen zeigen anschaulich die gut 30 kg schweren kupfernen „Ox-hide“-Barren des bronzezeitlichen Mittelmeerraumes, denen ihr Gegenwert bildhaft mitgegeben ist (siehe z. B. Harding 1984, 213f.).
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Der religiös-kultische Bereich bietet eine ganze Palette möglicher Erklärungen, die weit über den reinen Gebrauchswert der Haut hinausgehen. Wie das erwähnte ogusische Beispiel aus dem funeralen Bereich zeigt, erfüllten offenbar Fell, Schädel und Extremitätenendknochen als relativ haltbare „pars pro toto“ Niederlegung die Funktion der „Gesamtheit“ Pferd als Reittier. Ähnliches dürfte für Rinder oder Pferde als Zugtiere in Wagengräbern gelten. Es wäre denkbar, daß bei einem solchen Vorgang unbeschädigte Knochen zugleich Gewähr für die Wiederbelebbarkeit des Tieres durch jenseitige Mächte boten. Dies nahm Behm-Blancke (1965, 236) für Knochendeponate jägerischer Gruppen an, die durch die Schutzgeister des Tieres reanimiert und erneut als Beute zur Verfügung gestellt werden sollten, wofür er Parallelen in nordischen und alpinen Sagen, im Altai und im altindischen Glauben aufzeigen konnte. Mythisch ist die Begründung des olympischen Opferrituals, das der Volksetymologie zufolge seinen Ursprung in der – sei es absichtlich zugelassenen, sei es tatsächlichen – Täuschung des Zeus durch Prometheus hat, der den Göttervater zwischen den geschickt abgedeckten eßbaren und den im ansehnlichen Fell präsentierten nichteßbaren Teilen wählen ließ (Weiss 1997, 75f.; siehe z. B. Hesiod, Theogonie 535ff.). Unter dem Aspekt, daß Nahrungsmitteltabus stets rationale Ursachen haben (Harris 1991, 7ff.), kann man das Ganze jedoch auch als eine weise Einrichtung deuten, die der Gottheit das Ihre zukommen ließ, ohne dem Menschen allzu viel wichtige Proteinnahrung zu entziehen. Apotropäische Wirkung gegen Parasiten und Seuchen wurde dem Aufstellen von Schädel und Schwanz eines Pferdes im Volksaberglauben der Neuzeit zugeschrieben, der Pferdefuß galt als Abwehrzeichen gegen Krankheit, Zauberei und Hexerei (Lipp 1965, 304f.). Im Hinblick auf den Schädel mag seine atavistisch motivierte Stilisierung als Sitz von Stärke, Willen, Seele o. ä. hinzugekommen sein. Man denke nur an den vielbeschriebenen Schädelkult der vorgeschichtlichen Kelten, der, wie das Beispiel von Ribemont-sur-Ancre lehrt, auch die massenweise Sonderbehandlung menschlicher Schädel- und Langknochen einschloß (summarisch Brunaux 1999, 98–103).
Schlußfolgerungen Zusammenfassend kann man festhalten, daß profane und religiöse Ursachen zur Selektion von Schädel- und Extremitätenendknochen durch ihr Belassen in der Tierhaut führten. Während sich Nachweise im Zusammenhang mit Gerberei auf archäologischem Wege derzeit nur für Römerzeit und Mittel-
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alter führen lassen, finden sich kultische Befunde – abgesehen von noch älteren jägerischen Kontexten – eventuell seit dem 4. Jahrtausend, sicher aber seit der Bronzezeit Ende des 3. Jahrtausends v. Chr. und besonders aus der Eisenzeit. Dabei ist auffällig, daß im östlichen Mittelmeerraum das Fell mit den betreffenden Knochen als Priesteranteil gilt. Angesichts offenbar älterer Überlieferungsschichten in Sagen und Mythen, in denen die Gottheit das Fell erhält, bzw. ganze Felle im Heiligtum z. B. in Bäumen aufgehängt wurden, erscheint es denkbar, daß mit der zunehmenden Hierarchisierung und Militarisierung der mediterranen Hochkulturen der steigende Bedarf an und der praktische Wert von Leder dazu führten, daß er als Priesteranteil umgedeutet und so der Nutzung wieder zugänglich gemacht wurde. Im Heiligtum oder am Altar verblieb nur mehr der Schädel, die Gottheit erhielt ein Knochenopfer als Ersatz. Daß Kultpersonal sich solchen Änderungen widersetzt hätte, ist angesichts des zweifellos mit dem Leder verbundenen Zugewinns an Einfluß und Profit kaum zu erwarten. In Mittel-, Nord- und Südosteuropa sowie in Eurasien blieb es hingegen bis ins Mittelalter und sogar die Neuzeit dabei, die altehrwürdige Gabe des Fells mit Schädel- und Extremitätenendknochen aufzustellen, niederzulegen oder im Feuer zu vernichten, sei es im Grab oder am Opferplatz.
Summary Archaeological find complexes of skull and extremity bones are mainly caused by their remaining in the animal skin for profane and religious reasons. While, at present, archaeological evidence for a connection with tannery can only be quoted for the Roman period and the Middle Ages, ritual contexts are attested – apart from even older hunter contexts – perhaps for the 4th millennium, but certainly for the Bronze Age from the late 3rd millennium onwards and particularly for the Iron Age. It is remarkable that, in the Eastern Mediterranean, the skin with the relevant bones is regarded the priest’s share. When it is considered that, in older tradition strands of legends and myths, deities are reported to receive animal skins and whole skins are said to be hung in sanctuaries, for example in trees, it seems thinkable that with an increasingly hierarchical structure and the militarization of the Mediterranean civilizations, the demand for and the practical value of leather were the reason for a re-interpretation of skins as the priest’s share. Thus, it was possible to make them again accessible for practical purposes. In the sanctuary or at the altar, only the skull remained and the deity received a bone sacrifice for compensation. When the gain in influence and profit connected to the leather are considered,
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it seems unlikely that any member of the cult personnel should have protested against such changes. In central, northern, and south-eastern Europe as well as in Eurasia, however, it remained the generally accepted custom until the Middle Ages or even until modern times to display, to deposit or to burn the time-honoured gift of the animal skin with contained skull and extremity bones, be it in or at graves or sanctuaries.
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Anschrift der Verfasserin: Dr. Janine Fries-Knoblach Georgenschwaigstr. 7 D-80807 München Email:
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Studien zur Lebenswelt der Eisenzeit. RGA-E Band 40 – Seiten 49–68 © Copyright 2006 Walter de Gruyter · Berlin · New York
Randbemerkungen zum Hortfund von „Schlöben“1 von Ronald Heynowski Bis heute bilden Grabfunde eine der wichtigsten Quellengattungen zur Rekonstruktion der vorgeschichtlichen Vergangenheit. Es ist eine vielgestaltige und aussagenreiche Quellengruppe, wenn die Gräber mit reicher Beigabenfülle und vielseitigem Zeremoniell aufwarten. Aber es ist eine trügerische Quelle, bleiben die Beigaben aus. Lücken der Quellen sind stets unbefriedigend. Das Fehlen reichhaltiger Beigaben verführt dazu, von armen Gräbern auf arme Menschen zu schließen. Doch erlaubt die Quellengattung diesen Rückschluß nicht. Gerade Gräber als ritueller Ausdruck des Übergangs zu unterschiedlichen Sphären der Existenz unterliegen vielfältigen Ritualen, Sitten und Tabus. Das Bestattungsritual ist ein Ausschnitt aus den Mythen eines Volkes. Es ist die Sequenz eines Übergangs, das Bild eines Volkes vom Abschied aus dem Reich der Lebenden und Weg und Ankunft im Reich der Toten. Die Gräber der älteren Eisenzeit im thüringischen Raum und entlang der Saale sind auffallend beigabenarm. Traditionen der Urnenfelderkultur wirken bis in die Stufe Hallstatt C hinein, die G. Neumann nach seiner kulturhistorischen Analyse als „dritte Stufe der Urnenfelderkultur“ bezeichnet hat (Neumann 1965, 11ff.). Lediglich der obere Saaleraum tritt mit der Dreitzscher Gruppe durch einige Beigabenfunde hervor (Simon 1972; 1978). Unter den im Scheiterhaufenfeuer verschmolzenen Trachtbestandteilen lassen sich bandförmige Armringe, schlichte, rundstabige Beinringe und Nadeln mit Spiral- oder Dreirippenkopf identifizieren. Daneben treten Sonderformen wie Flußperlmuscheln, gelochte Knochen und kleine Steinringe auf, die die Sonderstellung dieses Raumes im weiteren Umfeld betonen (Simon 1978, 232ff.; Müller 1987, 74; Heynowski 1992, 138f.; 151). Es ist fraglich, ob die wenigen durch kleine Fragmente vertretenen Schmuckstücke das Spektrum des früheisenzeitlichen Trachtenschmucks mit hinreichender Breite repräsentieren. Die starken, durch die Bestattungssitte begründeten Eingriffe in den Quellenbestand lassen Zweifel an der Authentizität des durch das Fundmaterial wiedergegebenen Bildes erwachen. 1
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Bei der Durchsicht der weiteren Quellen auf der Suche nach Anhaltspunkten für die Rekonstruktion der früheisenzeitlichen Schmuck- und Trachtenausstattungen erscheint eine kleine Gruppe von Depotfunden erfolgversprechend, die rechts des oberen Saalelaufs auftreten und ein im lokalen Formenspektrum ungewöhnliches Material aufweisen. Es sind dies die nur noch in Resten erhaltenen Depots von Bad Köstritz, Kr. Gera (Auerbach 1930, 110f. Taf. 7, 24–26; Neumann 1952, 189 Abb. 5, 2), und aus der Umgegend von Pößneck (Kaufmann 1963, 95 Abb. 22; Simon 1972, 49 Taf. 33, 3) sowie ein Fund unklarer Zuordnung aus Leipzig-Wahren (Kossinna 1915; 1920; Peschel 1979). In den Mittelpunkt der Untersuchung soll allerdings ein Depotfund gerückt werden, dessen umfangreicher Materialbestand weitgehend erhalten blieb und unter der Ortsbezeichnung „Schlöben“ bekannt geworden ist. Der Depotfund von „Schlöben“ wurde eingehend von E. Amende und K. Simon behandelt (Amende 1928; Simon 1972, 100–103; 1974, 262–273; Werner 2001). Seine Fundgeschichte ist hinreichend belegt. Im Frühjahr 1856 in geringer Tiefe unter einer großen Steinplatte gefunden, gelangte das Ensemble in die Sammlung des Freiherrn von Hardenberg nach Schlöben. Die irrige Fundortangabe „Schlöben“ ergab sich offenbar, als die Stücke 1860 der Geschichts- und Alterthumsforschenden Gesellschaft des Osterlandes in Altenburg geschenkt wurden. Tatsächlich liegt die Fundstelle des Depots im Grenzbereich der Gemarkungen von Rabis und Zöttnitz. Das Fundensemble besteht aus Ringschmuck und Geräten, insgesamt etwa 20 Stücken. Die sorgfältige Absuche der Fundstelle unmittelbar nach der Auffindung ergab keine weiteren Anhaltspunkte oder zusätzliche Fundstücke. Soweit sich dies für Zufallsfunde der vorliegenden Art sagen läßt, scheint das Depot geschlossen und weitgehend vollständig zu sein. Lediglich eine eiserne Pfeilspitze und eine Axt werden erwähnt, scheinen aber wegen ihrer schlechten Erhaltung schon am Fundort verblieben zu sein oder gingen in einer der verschiedenen Sammlungen verloren (Amende 1928, 24f.).
Vierkantige Halsringe mit Knopfenden Von den vier Halsringen des „Schlöbener“ Fundes (Abb. 1, 1–2.4.6) lassen sich die beiden besser erhaltenen Exemplare formenkundlich näher ansprechen. Die beiden Stücke ähneln einander: sie weisen einen rautenförmigen Querschnitt auf und besitzen nach außen weisende, flachkegelförmige Knöpfe an den Endstücken. Unterschiede bestehen vor allem in der Materialwahl Eisen bzw. Bronze. Das bronzene Exemplar ist auf der Schauseite mit einer umlaufenden Reihe schraffierter Dreiecke verziert. Bei dem eisernen Stück
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erlaubt der Erhaltungszustand keine Aussage über eine mögliche Verzierung. Die beiden fragmentierten Ringe – einer aus Bronze, einer aus Eisen – besitzen ebenfalls rhombischen Querschnitt. Das bronzene Stück weist eine Sparrenverzierung auf; sein Ende ist bandförmig ausgezogen. Zu den Halsringen mit Knopfenden hat der Sammelfund aus Leipzig-Wahren einen formverwandten Ring allerdings mit rundem Querschnitt geliefert (Kossinna 1915, 89f.; 1920; Peschel 1979, 35ff.). Das Stück trat dort in Kombination mit einfachen Drahtringlein sowie mit einem doppelpyramidenförmigen Eisenbarren auf. Neben Einzelstücken aus dem hessischen Niedertiefenbach, Kr. Limburg-Weilburg (Kossinna 1915, 89f.; Heynowski 1991, 68f.), und dem norwegischen Hedemark, Kvikne sn. (Johansen 1981 Taf. 20a), stammen die besten Vergleichsstücke zu diesem Ringtyp aus Jütland und wurden von E. Baudou unter der Bezeichnung Halsringe vom „Jütländischen Typ“ zusammengefaßt (Baudou 1960, 58; 253 Liste XVI E; Broholm 1946, 257ff.; Jensen 1997, 61f.). Es handelt sich um rundstabige Bronzeringe mit flachkegelförmigen Endknöpfen. Die überwiegende Anzahl ist massiv gegossen und weist eine unsaubere, gußporige Oberfläche auf. Andere Stücke sind hohl oder besitzen einen bandförmigen Ringkörper. Nur wenige Ringe wie das Exemplar aus Råddenkær, Øster-Snede sn. (Jensen 1969, 181ff.; 1997, 288f. Taf. 98, 1), weisen eine einfache Linienverzierung auf. Soweit datierbar, gehören die jütländischen Ringe in einen jüngeren Abschnitt von Per. VI (Jensen 1997, 61f.). Die deutlich kleineren Endknöpfe des „Schlöbener“ Ringes stehen allerdings einer direkten Herleitung im Sinne eines Importstückes entgegen.
Armbänder mit Ösenenden Zu den bemerkenswertesten Stücken des Hortfundes gehören zwei melonenförmige Armbänder mit Kragenrändern und einer flächigen Verzierung aus schraffierten Dreiecken und Linien umrandeten Feldern (Abb. 1, 3.5). Besonders auffällig sind die Enden, die in Form von zwei bzw. drei Ringösen gestaltet sind. Die beiden Ringe bilden kein Paar. H. Parzinger zählt die beiden Armbänder zu den Melonenarmbändern, einer vor allem in Süddeutschland verbreiteten Form der Stufe Ha D1. Unter ihnen treten die thüringischen Funde zusammen mit einer kleinen Anzahl weiterer Stücke durch ihren Kragenrand hervor, weswegen Parzinger sie zu einem eigenen Typ zusammenfaßt (Parzinger 1995, 26ff. Abb. 10 [insbes. Variante 2c]). Seine Vergleichsbeispiele zeigen aber keinen gemeinschaftlichen Duktus. Unterschiede bestehen in der Herstellungsweise in Schmiede- oder Gußtechnik, in der Verzierung und in der Gestaltung der Enden.
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Abb. 1. Rabis/Zöttnitz, Depotfund (Teil). 1–3.5 Bronze, 4.6 Eisen. – Länge des Balkens 4 cm
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Abb. 2. Rabis/Zöttnitz, Depotfund (Teil). 1–5 Bronze. – Länge des Balkens 4 cm
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Abb. 3. Rabis/Zöttnitz, Depotfund (Teil). 1–5 Eisen, 6 Bronze. – Länge des Balkens 4 cm
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Die Verzierung aus Reihen schraffierter Dreiecke scheint eine Verbindung zum Hallstattraum herzustellen und findet sich auf Ringen der Býµí skála-Höhle und aus Hallstatt (Parzinger 1995, 28; Kromer 1959 Taf. 157, 11; 158, 14). Unter allen Vergleichsfunden fallen die Armringe aus „Schlöben“ wegen ihrer Ösenenden als Sonderfälle heraus. Sie stehen im süddeutsch-österreichisch-schweizerischen Raum ohne Parallelen da. Ein zitiertes Beispiel aus Beilngries (Torbrügge 1965, 46f.; 1979, 103f.; 191f. Anm. 783; Peschel 1979, 46; Wesse 1990, 159f.) weist lediglich gelochte Enden auf. Es steht darin mit einigen Tonnenarmbändern in Zusammenhang, die – wie Belege aus Pleinfeld, Lkr. Weißenburg-Gunzenhausen (Hoppe 1986, 47; 181 Taf. 142, 1), und vom Magdalenenberg bei Villingen (Spindler 1971, 87 Taf. 19, 1–2; 1973, 32 Taf. 18, 1) verdeutlichen – für Niete einer Stoßfugenabdeckung dienten. Ösenenden sind hingegen im norddeutschen Raum hinreichend belegt. Zu den Manschetten mit dachförmigem oder gewelltem Profil, die bereits in Per. IV erstmals auftreten, gehören die mit Ösen versehenen Enden (Baudou 1960, 61f.; Sprockhoff 1956 I, 180). Das Hauptvorkommen dieser Ringform liegt in Per. V. Zu Beginn von Per. VI treten Ringe auf, die ein stark gewölbtes Mittelteil und einen Kragenrand besitzen (vgl. Wesenberg, Kr. Neustrelitz: Sprockhoff 1956 II Taf. 45, 3; Roga, Kr. Neubrandenburg: Hollnagel 1962 Taf. 43c–e; 44e–g; Holzendorf, Kr. Sternberg: Gärtner 1969 Taf. 36l). Ihre Enden bestehen aus schmalen Leisten, an die sich eine dreieckige Öse anschließt. Runde, plastisch hervortretende Ösen können sich beiderseits der Enden befinden und zur Aufnahme weniger Kettenglieder dienen (Sprockhoff 1956 II Taf. 45, 3.4). Die Stücke sind allerdings im Unterschied zu den „Schlöbener“ Ringen mit einer plastischen Leistenverzierung versehen. Darüber hinaus besteht ein wenn auch geringer zeitlicher Hiatus. Im norddeutschen Raum können die Armbänder nur bis in einen älteren Abschnitt der Per. VI nachgewiesen werden, während der „Schlöbener“ Fund nach Ausweis der Halsringe in eine jüngere Phase von Per. VI gehört. So bleibt festzuhalten, daß sich zu den Armbändern des „Schlöbener“ Hortfundes im weiträumigen Vergleich keine Parallelen finden lassen. Einzelmerkmale der Ringe treten in der Oberpfalz oder im Salzburger Raum, aber auch in Mecklenburg auf, ohne die stilistische Herleitung der „Schlöbener“ Ringe hinreichend begründen zu können.
Hohlwulst (Abb. 3, 6) Die formenkundliche Entwicklung der Hohlwulste ist trotz verschiedener Versuche bislang noch nicht hinreichend geklärt. Grund dafür ist vor allem
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die regional und zeitlich geringe Typenbildung. Entwicklungstendenzen werden kaum spürbar. Die ältesten nordischen Stücke stammen aus einer älteren Phase von Per. VI. In Dänemark liegen zwei Depotfunde aus Maribo, Maribo Amt (Jensen 1997, 281 Taf. 63–65), und Bøgebjerg, Svendborg Amt (Jensen 1997, 283 Taf. 76–78), vor, für die Halsringe mit breiten Zierplatten und Spiralenden, späte Hängebecken und Gürtelbuckel zeitbestimmend sind. Ob diese ältesten Hohlwulste in ihrem gestalterischen Ausdruck mit den Turbanringen Böhmens in Zusammenhang stehen, wird kontrovers diskutiert (Müller 1992, 264; Schacht 1982, 22; Verbreitung: Parzinger 1995, 31 Abb. 11). Trotz allgemeiner Übereinstimmungen stehen Herstellungstechnik und Verzierung einer zu engen Verbindung oder gar einer direkten Herleitung entgegen. Ein typologisch frühes Merkmal könnte der ovale Querschnitt der Ringe darstellen, wie ihn der Ring aus Bøgebjerg aufweist (Jensen 1997, 281). Auch die Ringe aus einem Depotfund der späten Per. VI von Holbæk Slots Ladegård (Jensen 1997, 73) sowie die nicht enger datierbaren Stücke aus Ralswiek (Schacht 1982, 73) und Bülstringen (Schacht 1982, 99f.) weisen runde Querschnitte auf. Die meisten Ringe besitzen einen verrundet D-förmigen Querschnitt. Hohlwulste mit ausgeprägt dreieckigem Querschnitt kommen in dem Depot von Magtenbølle vor (Jensen 1997 Taf. 67–68), das aufgrund der späten imitierten Wendelringe in die Stufe Ib der vorrömischen Eisenzeit nach skandinavischer Terminologie gesetzt werden kann (Heynowski 2000, 208f.). Damit ist der zeitliche Rahmen für die Hohlwulste abgesteckt. Aus der Spätphase, der Stufe Ic (Hingst/ Keiling), stammen die Funde von Carpin (Schacht 1982, 93 Nr. 87), Schattin (Schacht 1982, 83 Nr. 56), Menzlin (Schoknecht 1977, 145 Taf. 53), Borkow (Schacht 1982, 85f.; Beltz 1906, 110), Sarmstorf (Heynowski 2000, 231 Taf. 6) und Twietfort (Rennebach 1974). Das dichteste Aufkommen von Wulstringen fällt in den mittleren Abschnitt, der die späte Phase von Per. VI und die frühe vorrömische Eisenzeit, Per. Ia (Becker 1961, 249ff.) bzw. Ib (Hingst 1959, 112ff.; Keiling 1969, 12ff.) umfaßt. Die lokale Produktion der Hohlwulste in Ostthüringen kann durch die Gußformbruchstücke aus Großlöbichau, Rudolstadt-Volkstedt und vom Alten Gleisberg bei Graitschen als gesichert angesehen werden (Simon 1972, 75; 93; 1974, Teil 1, 264; Schacht 1982, 103 Nr. 113). Der Fund von „Schlöben“ bildet zusammen mit einer kleinen Anzahl formähnlicher Stücke aus dem Orlagau und dem mittleren Saaleraum die südlichste Verbreitung dieser Formengruppe fernab von dem Hauptvorkommen auf den Dänischen Inseln sowie Mecklenburg und Pommern. Unter den ostthüringischen Funden muß besonders das Depot von Bad Köstritz hervorgehoben werden, in dem sich mindestens
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vier solcher Hohlwulste befanden (Auerbach 1930, 110f.; Schacht 1982, 103f.). Die daraus gefolgerte Annahme, die Hohlwulste seien im Mittelgebirgsraum gefertigt und nach Norden verhandelt worden (Schacht 1982, 21f.), verliert durch die Funde von Gußformresten im dänischen Flædemose (Thrane 1979; Jensen 1997, 73) an Grundlage. Offenbar wurden die Hohlwulste in großen Teilen der norddeutschen Tiefebene und Südskandinaviens über einen längeren Zeitraum ohne markante regionale und chronologische Differenzierungen hergestellt. Dieser Umstand irritiert, da er der allgemein räumlich und zeitlich stark differenzierten Gestaltung von Schmuckstücken entgegensteht. Es wäre daher zu überlegen, ob die Funktion der Hohlwulste im Trachtenverhalten der einzelnen Gesellschaften den stark traditionellen und überregionalen Charakter der Ringe rechtfertigen könnte.
Füßchenringe Auffallend massiv und grob gearbeitet sind die beiden Füßchenringe (Abb. 2, 1.4) des „Schlöbener“ Depots. Die Stücke besitzen einen D-förmigen, leicht facettierten Querschnitt und grob abgeschrotete Gußansätze. Sie tragen jeweils vier stabartige Füßchen. Mit den Füßchenringen sind die drei ähnlich groben und schweren Deckringe zu verbinden, die in ihrer Machart mit jenen übereinstimmen (Abb. 2, 2–4). Zwei von ihnen weisen auf der Unterseite eine glattgeschliffene Fläche auf, die mit den Schlifffacetten auf den Füßchenköpfen korrespondieren. Offensichtlich bildet jeweils ein Füßchenring und ein Deckring ein Paar. Trotz ihrer groben Machart und ihres hohen Gewichtes von bis zu 1790 g je Ring können die Stücke aufgrund der Abriebspuren und der Trageweise formverwandter Ringe im südhessischen Raum als Schmuckstücke, und zwar als Knöchelringe angesprochen werden (zu ihrer Interpretation als „Barrenringe“: Simon 1974, 270f.). Neben den „Schlöbener“ Exemplaren liegt ein weiterer Deckring – ebenfalls mit Abschliffspuren – aus der Umgebung von Pößneck vor, der dort zusammen mit drei weiteren, heute allerdings verschollenen Exemplaren gefunden wurde (Kaufmann 1963, 95 Abb. 22; Simon 1972, 49 Taf. 33, 3). Gußformteile von Füßchenringen legte K. Simon aus den Siedlungsfunden des Felsenberg bei Pößneck-Öpitz vor (Simon 1972, 46f. Taf. 31, 1–2). Demzufolge handelt es sich bei diesem Ringtyp nachweislich um eine lokale Produktion. Massive, rundstabige und geschlossene Ringe – den Deckringen des „Schlöbener“ Fundes vergleichbar – befinden sich in dem Depot von Calbe/S. (Hoffmann 1959, 223 Taf. 39, 8.9). Auch sie sind mit einem Gewicht von mehr als 500 g auffallend schwer und weisen eine einseitige Abschlifffläche auf.
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Hinsichtlich der Füßchen oder Zinnen sind darüber hinaus einige Beinringe anzuführen, die vor allem aus dem südlichen Hessen vorliegen. Sie lassen sich in zwei Varianten unterteilen, offene Ringe mit wenigen Zinnen und geschlossene schlichte Ringe mit zahlreichen, engstehenden Zinnenstiftchen (Jorns 1941/42, 77; Dielmann 1949, 44ff.; Schumacher 1972, 41; Polenz 1973, 156; 193; Heynowski 1992, 75f.). Mehrfach treten die Ringe in Kombination mit einem Deckring auf. In diesen Fällen zeigen sich charakteristische Abriebspuren an den Zinnenkuppen und auf der Unterseite der Deckringe, wie sie in vergleichbarer Form bei den Ringen aus „Schlöben“ auftreten. Die Trageweise der Zinnenringe als Beinringe ist durch die Fundlage in mehreren Körpergräbern gesichert. Die Ringvariante mit drei oder vier Zinnen weist einen voluminösen Ringstab und eine Verzierung aus Rippen- oder Rillengruppen auf. Die Ringe besitzen aber mit Ausnahme zweier massiver Exemplare aus Niedermockstadt, Wetteraukreis (Kunkel 1926, 143), einen Hohlkörper mit c-förmigem Querschnitt. Der geschlossene Ringstab und die schmucklose, technisch einfache Form verbindet die zweite Variante mit den ostthüringischen Ringen. Offensichtlich war die handwerklich einwandfreie Fertigung nicht erforderlich. Die Gußansätze sind einfach abgeschrotet und nur geringfügig überarbeitet. Markante Unterschiede zu den thüringischen Stücken bestehen allerdings in der dichten Zinnenreihe von ca. 15–50 Zinnenstiftchen oder -kügelchen sowie in dem ungleich schlankeren Ringkörper. Nach Ausweis der Fundkombinationen gehört die erste Variante der Zinnenringe in eine späte Phase von Ha C und den Übergang zu Ha D (Dielmann 1949, 47f.; Heynowski 1992, 75). Etwas jünger ist die Variante mit dichter Zinnenreihe, die in eine frühe und voll ausgeprägte Stufe Ha D datiert werden kann (Dielmann 1949, 45; Polenz 1973, 156). Das Verbreitungsgebiet der Zinnenringe konzentriert sich auf das Untermaingebiet und die Wetterau (Jorns 1941/42, 77 Abb. 4; Dielmann 1949 Karte 3;4; Polenz 1973 Taf. 69). Einzelne Vertreter streuen bis Unter- und Oberfranken (Ettel 1996, 309 Liste 46 Taf. 245) sowie in den Stuttgarter Raum (Zürn 1987 Taf. 402, 3.5).
Ärmchenbeil A. Wesse (Wesse 1990, 79; 185) setzt das Ärmchenbeil aus „Schlöben“ (Abb. 3, 2) in ihre Variante III3C,2. Zu dieser Variante werden schmale, kleine Ärmchenbeile aus Eisen mit Nackenfächer und sehr kurzem Schaftteil zusammengefaßt. Die besten Parallelen zu diesem Stück stammen aus Mittelschlesien
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und treten dort in den mit Beigaben etwas reicher ausgestatteten Brandgräbern auf (Wesse 1990, 158–162; Parzinger 1995, 67 Abb. 23; Derrix 2001, 45–49). Ein Import des Stückes aus diesem Gebiet oder sogar weiter südlich aus dem östlichen Hallstattkreis ist möglich, aber keineswegs zwingend (Simon/Gerlach 1993, 117f.; Gedl 1991, 29ff.). Ärmchenbeile sind eine charakteristische, aber verhältnismäßig seltene Beilform, über deren Funktion als Gerät oder Waffe keine eindeutige Aussage möglich ist (Wesse 1990, 94ff.; Simon/Gerlach 1993, 119f.). Sie konnten sowohl längsschneidend als auch querschneidend (Dechsel) geschäftet sein, so daß ihre Nutzung aus ihrer außergewöhnlichen Form alleine nicht erklärt werden kann (Wesse 1990, 86). Auch dort, wo sie in Grabfunden auftreten, läßt die Bestattungssitte sowohl die Beigabe von Werkzeugen als auch von Waffen zu. Dem „Schlöbener“ Fund am nächsten gelegen ist ein Ärmchenbeil aus Bautzen, das in einem Grab mit Pferdeschirrung auftritt (Simon/Gerlach 1993, 115ff.). Keramikensemble und Metallbeigaben deuten bei diesem Fund auf eine Zeitstellung in ein frühes Billendorf (Billendorf Ia) bzw. die Stufe Hallstatt C hin (Simon/Gerlach 1993, 123; 125; 133).
Tüllenbeil und -meißel Das eiserne Tüllenbeil (Abb. 3, 1) weist einen viereckig bis ovalen Mündungsquerschnitt auf. Die Lappen, die die Beiltülle bilden, wurden auf einer Breitseite übereinandergelegt und verschweißt. Die Schneide ist gerundet. Die Tülle des eisernen Meißels (Abb. 3, 3) zeigt einen runden Querschnitt und weist einen schmalen Spalt auf. An gegenüberliegenden Seiten finden sich Löcher für einen Befestigungsstift. Das Gerät verjüngt sich unterhalb der Tülle zu einem schmalen Vierkant und schließt mit einer geraden Schneide ab. Die hallstattzeitliche Beilbewaffnung des circum-alpinen Raumes hat P. F. Stary (1982) umfassend dargestellt. Er zeigt, daß die Beilbewaffnung eine typische Eigenart des östlichen Hallstattkreises ist, wo das Beil neben Lanzen als vorherrschende Waffe diente. Unter den Formengruppen nennt Stary eiserne Beile mit rechteckiger Tülle, die aus dem Salzkammergut und dem südwestdeutsch-nordfranzösichen Raum vorliegen (Stary 1982, 47 Abb. 10 Liste 10). H. Parzinger erweitert die Zusammenstellung der eisernen Beile mit rechteckiger Tülle um zahlreiche Belege aus Franken und Mittelschlesien (Gedl 1991, 31ff.; Parzinger 1995, 68f. Abb. 23). Eiserne Tüllenbeile liegen darüber hinaus aus Niedersachsen (Sprockhoff 1932, 10–12; Cosack 2000), Pommern (Wesse 1990, 185; Wesołowski 1958, 125; Gardawski 1979, 122 Taf. 31, 5–6; v. Kleist 1955, 15) und Großpolen vor (Wesse 1990, 186; Derrix 2001, 51–55 Abb. 16). Damit zeigen die eisernen Beile der Hallstattzeit eine weite Verbrei-
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tung innerhalb Mitteleuropas. Ob die ostthüringischen Exemplare als Waffe dienten und der Einfluß zu ihrer Nutzung folglich aus dem Osthallstattkreis stammt, ist unklar. Sieht man das Tüllenbeil des „Schlöbener“ Fundes im Zusammenhang mit dem Tüllenmeißel und den beiden Sicheln, so scheint der Werkzeugcharakter in den Vordergrund zu treten. Als Gerät zeigen die Beile eine weitverbreitete Nutzung. Allgemein darf angenommen werden, daß die Existenz bzw. das Fehlen bestimmter Geräteformen weniger ein regionales Phänomen darstellt als einen Ausdruck der Überlieferungsqualität und des Quellenbestandes. Das Gleiche gilt sicherlich auch für den eisernen Tüllenmeißel des „Schlöbener“ Fundes. Die Parallelen liegen weitverstreut aus Bayern (Sievers 1984, 59f.), Mittel- und Niederschlesien (Wesse 1990, 186; 188; 189; Gedl 1991, 33f.; Parzinger 1995, 81; Derrix 2001, 72–75 Abb. 32), der Slowakei (Wesse 1990, 190) oder dem Odermündungsgebiet (Wesołowski 1958, 125 Taf. 4, 7–8) vor, der Gerätetyp ist allerdings insgesamt seltener als die Tüllenbeile.
Sicheln Zum „Schlöbener“ Depotfund gehören zwei eiserne Sichelblätter (Abb. 3, 4.5) mit dünnem, dreieckigem Querschnitt. Der Erhaltungszustand der beiden Stücke erlaubt nur wenige Rückschlüsse. Der Sichelrücken weist eine asymmetrische Rundung auf. Ein Ende der größeren Sichel ist zur Schäftung rechtwinklig abgeknickt. Typologisch stellen diese Stücke keine Fortsetzung der bronzezeitlichen Traditionen dar. Weder in Blattform und Querschnitt, noch in der Größe zeigt sich Übereinstimmung; auch die Form der Schäftung differiert. Die Vergleichsfunde streuen von der Slowakei und Südböhmen (Wesse 1990, 190; Parzinger 1995, 80 Taf. 45, 403–404) über Schlesien und Zentralpolen (Wesse 1990, 185–186; Gedl 1991, 37f.; Derrix 2001, 76–83 Abb. 40) bis nach Nordpolen und Niedersachsen (Gardawski 1979, 134; v. Kleist 1955 Taf. 13; Cosack 2000, 42). Die Stücke lassen sich ab der Stufe Ha C und während Ha D nachweisen.
Auswertung Der Depotfund von „Schlöben“ weist ein beachtenswertes Inventar auf. Ohne auf die Intention der Niederlegung und die Frage nach Sinn und Bedeutung der Deponierungen näher einzugehen (Hundt 1955; Simon 1974, 262; v. Brunn
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1980; Sommerfeld 1994; Hänsel/Hänsel 1997; Maraszek 1998) soll hier versucht werden, sich dem Fund auf rein materialkundlichem Wege zu nähern. Über die zeitliche Einordnung des Fundes besteht in der Literatur weitgehende Übereinstimmung (Peschel 1979, 45; Wesse 1990, 159f.; Müller 1992, 264; Parzinger 1995, 29; abweichend: Simon 1972, 100; 1974, 272; revidiert: Simon/Gerlach 1993, 119 Anm. 40). Die Einzelstücke zeigen ein zeitlich geschlossenes Bild, wobei vor allem die Schmuckstücke feinchronologisch verwertbar sind. Sie weisen übereinstimmend in einen jüngeren Abschnitt der Per. VI skandinavischer Chronologie bzw. in die Stufe Ha D1 süddeutscher Terminologie. Die Zusammensetzung des Depotfundes aus „Schlöben“ weist zu einem Teil ein Materialspektrum auf, das eine weitläufige Verbreitung ohne nennenswerte Formvarianten zeigt. Dazu gehören die Geräte, das Ärmchenbeil und das Tüllenbeil, der Meißel sowie die beiden Sicheln und unter den Schmuckstücken der Hohlwulst. Bei den Geräten scheint die überregionale Gleichartigkeit nicht ungewöhnlich. Werkzeuge finden ihre technische Idealform, die weit stärker auf die Formgebung wirkt als modische Veränderungen. Anders bei dem Hohlwulst. Als Schmuckgegenstand steht er sicherlich in dem Wechselspiel von Tradition und Veränderung. Dort gehört er auffälliger- und unerklärterweise zu einer variantenarmen Schmuckart, die von modischen Veränderungen kaum berührt wird. Zum anderen Teil finden sich im „Schlöbener“ Inventar solche Schmuckgegenstände nahezu singulärer Formgebung, die zwar der allgemeinen Modeströmung und dem Formempfinden der Zeit folgen, wie sich an zahlreichen Parallelen dokumentieren läßt, die aber nicht als Import aus bestimmten Regionen identifiziert werden können, da sich keine treffenden Stücke gleicher Form benennen lassen. Da demzufolge die Frage des Importes nicht positiv beantwortet werden kann, ist das Nächstliegende in Betracht zu ziehen: die Schmuckformen sind heimisch. Für diese Deutung sprechen einerseits eine Reihe von Fabrikationsnachweisen im Saalegebiet, andererseits eine kleine Anzahl von formverwandten Stücken im näheren Umkreis. Nimmt man aufgrund der Indizien an, die Formen sind heimisch und ihr Auftreten ist durch die Überlieferungsqualität mitbestimmt, so darf folgerichtig geschlossen werden, daß sie durchaus typische und häufig auftretende Formen der Stufe Ha D1 im oberen Saaleraum gewesen sein könnten, sich aber nur in stark selektierter Weise überliefert haben. Gegebenenfalls haben wir mit dem Depot von „Schlöben“ einen Querschnitt durch das Schmuck- und Werkzeugspektrum der älteren Eisenzeit in Ostthüringen, der sich durch die Grabfunde so nicht abbildet. Die Ansprache des Fundensembles von „Schlöben“ wurde möglich, weil sich modischen Veränderung unterworfene Details untersuchen und in einen
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Zusammenhang zu Formen der näheren Umgebung und weit abgelegener Regionen bringen ließen. Die Mode selbst ist die kreative Reflexion auf ein sich ständig änderndes Lebensgefühl. Die Ursachen für die Veränderung sind bislang noch schwach erhellt. Permanent verändert sich die Idee, der Mythos, die ordnende und sinngebende Struktur des Lebens. Das Lebensgefühl fordert eine Anpassung. Diese Anpassung erfolgt emotional und intuitiv. Die sich verändernde Grundstruktur des Weltbildes erschafft eine Appetenz, die kreativen Ausdrucksmöglichkeiten diesem Lebensgefühl anzupassen: modische Formen entstehen. Als Faszinosum ist das Lebensgefühl überindividuell, d. h. zahlreiche Mitglieder einer Gemeinschaft empfinden adäquate Muster, die als Bedürfnis nur durch wesensgleiche Ausdrucksformen befriedigt werden können. Mode wird geschaffen und kommt an; wird reflektiert und verbreitet sich weitflächig. Der Impuls kann von außen kommen. Bilder, Formeln, Mythen und deren konkrete Projektion bilden die Anknüpfungs- und Bezugsebenen. Sie wirken inspirierend auf die Formfindung. Der Lebensstil offenbart sich als Gruppenphänomen in einer spezifischen Formgebung. Dabei ist keinesfalls erforderlich, daß alle Gruppenmitglieder dem ästhetischen Rahmen folgen müssen. Den Neuerungen gehen gruppeninterne Auseinandersetzungen zwischen dem aktuellen Wandlungsgrat der Ideen und der traditionellen Bindung an das Althergebrachte voraus. Dabei gelingt es dem mitteldeutschen Raum, die Brücke zwischen den ideellen Einflüssen aus verschiedenen Regionen zu schlagen. Mitteldeutschland wird zur Drehscheibe der sich wandelnden, neuen Ideen. Nimmt man die Formenverwandtschaft des „Schlöbener“ Inventars als Ausdruck der kulturellen Beziehungen Ostthüringens während der Späthallstattzeit, so zeichnen sich darin die Richtungen der Kommunikationskreise ab. Intensive Austauschbeziehungen haben offenbar in Ost-West-Richtung bestanden. Die Füßchenringe, wohl auch die Eisengeräte des „Schlöbener“ Fundes stehen stellvertretend für diese Verbindungen. Unter dem allgemeinen Kulturniederschlag dieser Zeit scheinen verschiedene Keramikformen diesem Kommunikationsraum zu erwachsen, wie beispielsweise die Fußschälchen, die in der Laufelder Gruppe und der Niederrheinischen Grabhügelkultur (Kersten 1948, 36 Abb. 8; v. Uslar 1950, 38; Joachim 1968, 24; 57) auftreten, sich in Nordhessen und in der Thüringischen Kultur wiederfinden (Jorns 1939, 26f.; Toepfer 1961, 808 Abb. 48, 15; Peschel 1990 Taf. 52, 12; 55, 6) und in den Ofenmodellen der Billendorfer Gruppe ihr Pendant zu finden scheinen (Coblenz/Nebelsick 1997, 28ff.). Ähnliches gilt für die Form der flau profilierten Kegelhalsgefäße, auch wenn diese weniger gut abzugrenzen ist. Es ist auch auf
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eine Besonderheit der Bestattungssitte zu verweisen, die sich vom Niederrhein über Nordhessen bis in den Thüringischen Raum findet und sich durch das Auftreten einzelner gut ausgestatteter Körpergräber innerhalb eines allgemeinen Brandgräbermilieus heraushebt. Für die Frühlatènezeit scheint die Verwendung von Tutulusnadeln große Teile dieser Zone zu umschreiben (Jacobi 1969). Es zeichnet sich ein Kommunikationsraum ab, der von Mittelschlesien und Sachsen über Thüringen und Hessen bis in das Rheinische Schiefergebirge reicht. Dieser Kommunikationsraum besitzt eine lange Entwicklung (Dehn 1936; Joachim 1968, 14–43; Neumann 1965; Buck 1982). Er manifestiert sich in den Kulturgruppen in spätbronzezeitlicher Tradition, läßt sich noch in der Frühlatènezeit beobachten und bildet ein traditionelles, bodenständiges Substrat. Ein zweiter großer Kommunikationsraum erstreckt sich nach Norden. Vom „Schlöbener“ Depot weisen die Hohlwulste, die Halsringe mit Knopfenden, vielleicht auch die Armbänder mit Ösenenden formenkundlich in die norddeutsche Tiefebene und nach Südskandinavien. Mit diesem Raum dürfte auch die Verwendung von Nadeln in der Tracht der älteren Eisenzeit in Zusammenhang stehen, während die süddeutsche Fibeltracht nur punktuellen Niederschlag in der Thüringischen Kultur findet. Die enge Bindung an den norddeutschen Raum kommt durch die Übernahme der Wendelringe am markantesten zum Ausdruck. Diese charakteristischen Halsringe treten zu Beginn der Späthallstattzeit erstmals im Fundrepertoire Thüringens in Erscheinung, werden zum dominierenden Schmuck der Thüringischen Kultur und zum Standessymbol der etablierten Schicht (Claus 1942, 11; 39ff.; Heynowski 1992, 176; 2000, 52ff.). In ihnen zeigt sich nachhaltig die enge Beziehung nach Norden und die interessierte, übernahmebereite Aufmerksamkeit der mitteldeutschen Gruppen an den kulturellen Ausdrucksformen des Nordens. Hinter der Inspiration zu Schmuckformen skandinavischen Gepräges steht eine kulturelle Potenz des Nordens, die auf den mitteldeutschen Raum wirkte. Sie zeigt sich auch in der Anlage von Deponierungen, die in der mitteldeutschen Eisenzeit nicht geläufig sind. Diese Wirkung ist nicht allein auf Mitteldeutschland beschränkt. Wir finden die Übernahme nordischen Kulturguts ausgedrückt in der Rezeption von Wendelringen in allen Randbereichen des Nordischen Kreises: in der Niederrheinischen Grabhügelkultur, in der Hunsrück-Eifel-Kultur, in Nordhessen und Nordbayern, in der Thüringischen Kultur, in Niederschlesien und in Pommern. Wir müssen folglich mit einer Ausdehnung der nordischen Einflußsphäre nach Süden und Osten zu Beginn der Späthallstattzeit rechnen. Diese Beobachtung überrascht angesichts der besonderen kulturellen Situation des Nordischen Kreises. Der fragliche Zeitraum trifft mit der Schlußphase der Periode VI und dem Ende der Nor-
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dischen Bronzezeit zusammen. Die nordischen Gesellschaften befinden sich in einem Umstrukturierungsprozeß. J. Jensen (1997, 193ff.) beschreibt diese Phase als einen Wendepunkt, der einhergeht mit grundlegenden Veränderungen in der Siedlungsstruktur und einer durch die Nutzung von heimischem Eisen zunehmenden Auflösung der auf die Bronzeversorgung fokussierten Wirtschaftsbeziehungen. Im nordischen Raum läßt sich eine grundlegende soziale Neuordnung beobachten. Neue gesellschaftliche Beziehungen werden definiert; sie zeigen sich unter anderem in der Aufnahme langfristig belegter Gräberfelder, in denen sich eine besondere Beachtung der Ahnen und der genealogischen Strukturen offenbart. Die Dynamik, die diese Umgestaltungsprozesse begleitet haben muß, scheint ihre Wirkung auch auf die Randbereiche des Nordischen Kreises ausgedehnt zu haben: der nordische Raum wird zu einem progressiven Faktor im europäischen Kulturgefüge. Der dritte Kommunikationsraum, nämlich die Verbindung nach Süden, zeichnet sich in dem „Schlöbener“ Inventar nur in Ansätzen ab. Das Auftreten von Eisengeräten mag auf eine Südverbindung weisen, obwohl es sich problemlos aus der Beziehung mit Mittelschlesien erklären ließe. Daß die Formgebung der Armbänder mit Ösenenden mit südlichen Formempfinden in Zusammenhang steht, ist unbezweifelbar; doch ist dieser Aspekt nicht dominant. Der Kontakt nach Süden scheint demzufolge während der Stufe Ha D1 vergleichsweise gering. Er intensiviert sich für Ostthüringen erst im Laufe der Stufe Ha D2 und tritt dann mit der Aufnahme von astragalierten Armringen, Fibeln und Gürtelblechen in Erscheinung. Ostthüringen übernimmt dabei die Funktion eines Brückenkopfes nach Süden, der durch die Lage an den Transportwegen über den Thüringer Wald begünstigt ist (Kaufmann 1963, 100f.). Besondere Beachtung findet die Körpergrabsitte, die in der Thüringischen Kultur anscheinend nur von Einzelnen aufgegriffen wird, während die Brandbestattung weiterhin vorherrschend bleibt. Noch bildet die Erforschung der Gräberfelder in Umfang und Zusammensetzung für die Thüringische Kultur ein Desiderat, und unsere Kenntnisse der Gräberfeldausschnitte beruhen weitgehend auf dem Zufallsprinzip. Das Aufgreifen der Körperbestattungen setzt aber eine intensive und kritische Konfrontation mit der bestehenden Jenseitsvorstellung voraus. Der Wechsel impliziert einen Wandel im Weltbild, der mit veränderten mythologischen Vorstellungen über das Diesseits einhergehen kann. Das Nebeneinander von Körper- und Brandbestattungen läßt ein duales Prinzip erkennen, bei der die südlich beeinflußte Körpergrabsitte einen exklusiven oder innovativen Charakter annimmt und nur von einer Minderheit geübt wird. Die Intensivierung der Südkontakte des mitteldeutschen Raumes hängt ursächlich mit den Veränderungen des süddeutsch-schweizerischen Hallstatt-
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gebietes zusammen, das mit dem ausgehenden 7. Jahrhundert v. Chr. zunehmend in den Kommunikationsbereich der mediterranen Hochkulturen gelangt und nachhaltig beeinflußt wird. Die Anlage von Fürstensitzen und Prunkgräbern beschreibt diese Veränderungen für die elitäre Führungsschicht. Stilistische Neuerungen in verschiedenen Bereichen des materiellen Kulturgutes repräsentieren die Durchdringung der hallstättischen Gesellschaften von der mediterran inspirierten Geisteswelt. Dieser innovative Prozeß wirkt auch nach außen und bildet sich in dem Aufgreifen hallstättischen Formenverständnisses im Mittelgebirgsraum ab.
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Anschrift des Verfassers: PD Dr. Ronald Heynowski Glasewaldtstraße 47 D-01277 Dresden
Studien zur Lebenswelt der Eisenzeit. RGA-E Band 40 – Seiten 69–87 © Copyright 2006 Walter de Gruyter · Berlin · New York
Über anthropomorphe Moorpfähle der vorrömischen Eisenzeit1 von Heiko Steuer Dieser kleine Beitrag in der Reihe der Studien zur Eisenzeit, einem Schwerpunkt der Forschungen der mit diesem Sammelband zu ehrenden Kollegin, schlägt den Bogen von der mitteleuropäischen Eisenzeit zur modernen arabisch-islamischen Welt Nordafrikas. Er will zeigen, daß ähnlich gestaltete Formen und Denkmäler in unterschiedlichen Kulturen und zu verschiedenen Zeiten einerseits zu sehr verschiedenen Zwecken verwendet wurden, andererseits, daß materialimmanent nur begrenzte Gestaltvariationen realisiert worden sind. Die Absicht, Menschen oder Götter schematisch oder stilisiert darzustellen, begrenzt anscheinend die Spannweite der Möglichkeiten. Anthropomorphe Figuren aus Holz sind in Mitteleuropa und in Nordafrika im Abstand von mehr als 2000 Jahren fast identisch ausgeformt worden, sollten jedoch dem Betrachter eine unterschiedliche Aussage vermitteln.
1. Der mögliche Zweck der Moorpfähle Menschenähnliche Holzskulpturen aus verschiedenen Epochen der Ur- und Frühgeschichte wurden und werden in Mooren gefunden, die jeweils zu weitgefächerter Interpretation Anlaß bieten. Daß bei Forschungen in Mooren und Seen derartige Holzplastiken entdeckt werden, ergibt sich zwangsläufig aus den Erhaltungs- und Überlieferungsbedingungen. Es darf nicht davon ausgegangen werden, daß diese Figuren einst immer nur in der Nähe von Wasser oder im Wasser oder im Moor aufgestellt waren. Die Überlieferung sorgt für das einseitige Bild. Hölzerne Götterbilder wie die Irminsul, sächsisches Kultbild oder Götzenbild (idolum) in einem heiligen Hain, das Karl der Große 772 niederlegen ließ, haben auf trockenem Boden gestanden und wurden dort im Zuge der Mission zerstört (Springer 2000). Die Gestaltung der anthropomorphen Figuren aus Holz ist recht unterschiedlich, ebenso sind die Dimensionen sehr verschieden (Capelle 1995; 1
Manuskriptabschluß: Herbst 2003.
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2000a, 102–108 mit Lit.). Die Holzbildnisse können klein sein, nur so hoch wie Kinder, aber auch übermenschengroß (Dietrich 2002 bes. Abb. 23; van der Sanden/Capelle 2000, 25 Abb. 24–25.). Entweder wurden Stämme oder Astgabeln mit wenigen Axthieben menschenähnlich gestaltet, wobei man den Kopf andeutete und männliche oder weibliche Figuren durch Betonung der Geschlechtsteile kennzeichnete; oder die Figuren sind aus flachen Hölzern, aus Brettern zurechtgebeilt worden, wobei der Kopf scheibenförmig und der Körper durch Profilierung der seitlichen Konturen herausgearbeitet wurden. Jüngste Ausstellungen und damit verbunden neuere Forschungen haben die Vielfalt der Figuren, ihre Auffindungssituation und daraus ihre ehemalige Aufstellung diskutiert und erschlossen (van der Sanden/Capelle 2000; Busch u. a. 2000; Bergen u. a. 2002). Das Spektrum der Deutung umfaßt die Entscheidung sowohl für kultische als auch für profane Funktionen der anthropomorphen Figuren (Capelle 1999). Dargestellt sieht man Götter oder Menschen oder Menschen mit göttlicher Aufgabe; auch rein geometrisch gedachte Bilder können darunter sein, nicht nur stilisierte Menschen. Im Bereich vor den Götterbildern erwartet man Spuren von niedergelegten Opfern, im Umfeld Kennzeichnungen des „heiligen“ Platzes; Statuen können jedoch auch Zeichen oder Marken in der Landschaft und an Wegen gewesen sein. Weshalb man sich für eine der möglichen Interpretationen entscheidet, wird selten begründet. In der Regel werden immer dieselben Erklärungsmuster tradiert, zumeist steht die Deutung als Götterbild an erster Stelle. Dabei stört es nicht, daß diese Bilder für eine derartige Rolle wenig repräsentativ zu sein scheinen und daß zeitgleich in der Kleinkunst wesentlich beachtlichere Bildwerke geschaffen wurden, auch in der vorrömischen und frühen römischen Eisenzeit, aus der die meisten dieser anthropomorphen Bildnisse stammen. Einige der hölzernen Figuren in Menschen- oder Übermenschengröße wurden geschmückt, d. h., man denkt sie als Träger beispielsweise von goldenen Torques oder Halskragen.2 Als Parallelen gibt es in Skandinavien sogar Bilder in Miniaturformat, mehr oder weniger stilisierte Menschenfiguren aus Bronze, ausgestattet mit goldenen Halsringen. Bei den schlichten Holzfiguren sollte bedacht werden, daß aus einer Astgabel oder einem Brett nicht beliebig gestaltete Bildnisse geschaffen werden können, daß vom Material her – das betrifft gerade die brettartigen Figuren – bestimmte Ausformungen vorgegeben sind und daher zwangsweise in verschiedenen Gebieten und zu unterschiedlichen Zeiten wiederkehren. 2
van der Sanden/Capelle 2000, 53 Abb. 56: Die Figur von Rude Eskildstrup (Höhe 42 cm) mit einem dreifachen Halskragen, wie er in Gold ausgeführt um 500 n. Chr. überliefert ist.
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Ein am Ende, nämlich unten, angespitztes Brett, das auf der anderen Seite, nämlich oben, in einer kreisförmigen Scheibe endet, kann entweder als Menschenbild oder als geometrische Grundform erklärt werden. Derartige Bildnisse sind für die urgeschichtliche Epoche belegt, zieren in verschiedenem Maßstab die slawischen Tempel von Groß Raden, Parchim oder Ralswiek aus dem 9. bis 11. Jahrhundert und in der Gegenwart Zäune oder Hausvertäfelungen. Derartige Bildnisse kommen gar mit dem Kopf nach unten vor, so z. B. am Holzhaus, das sich Thomas Mann seinerzeit auf der Kurischen Nehrung hat bauen lassen (Abb. 1).
Abb. 1. Holzvertäfelung an einem restaurierten Haus auf der Kurischen Nehrung, ehemals für Thomas Mann errichtet; Foto September 1998
Der Tempel von Groß Raden3 aus dem 9./10. Jahrhundert hat zwei riesige Bretteridole als Giebelzier des Walmdaches mit scheibenförmigem Kopf und Hals, und diese Form erscheint wiederum als Einzäunung (oder Wand) der gesamten rechteckigen Tempelanlage an den Langseiten, während die Schmalseiten aus oben rhombisch spitz zulaufenden Brettern bestehen. Derartige Bretter sind im Grabungsareal gefunden worden. Ob der Tempel, wie die Rekonstruktion zeigt, einst überdacht war oder ob die aufgereihten anthropomorphen Bretter nur die Einzäunung eines Areals gebildet haben, wie 3
Rekonstruktionszeichnung des Tempels bei Herrmann 1985, 315 Abb. 153; Keiling 1989, 16f. mit Abb. 14–15; Schuldt 1976; 1985, 36 Abb. 32; Keiling 2000, 248 Abb. 1.
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das für den Tempel von Parchim4 rekonstruiert wird, läßt sich vorerst nicht entscheiden. An beiden Plätzen wurden Bohlen mit scheibenförmigem Kopf über einem Hals gefunden. Das anthropomorphe Brett von Ralswiek ist unten angespitzt und oben scheibenförmig zu einem Kopf ausgearbeitet, fast ohne Halszone, wobei das Gesicht aus Augen, Nase und Mund besteht5.
2. Die anthropomorphen Bretterfiguren aus dem Wittemoor in der Wesermarsch In diesem Beitrag gilt die Aufmerksamkeit ausschließlich den beiden nur knapp einen Meter hohen verschieden gestalteten Bretterfiguren am Moorweg im Wittemoor bei Berne, Kr. Wesermarsch, die Hajo Hayen 1965 ausgegraben und veröffentlicht hat, mit der bis heute akzeptierten und auch plausiblen Deutung als Kultfiguren eines Mannes und einer Frau (Abb. 2) (Hayen 1965; 1971). Sie werden ständig wieder abgebildet, oftmals im Fundzusammenhang und auch mit der rekonstruierten Position beiderseits des Bohlenweges und mit fast gleichbleibender Interpretation (Abb. 3–4).
Abb. 2. Die beiden Figuren aus dem Wittemoor. Eichenholz, ca. 1 m hoch
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Keiling 1994, 84–99, Titelbild; 1985, 155 (Kopfstück); Keiling 2000, 255 Abb. 8. Modzioch 2000 Abb. 12e und weitere vergleichbare Bretter; van der Sanden/Capelle 2000, 55 Abb. 58; Capelle 1999, 226 Abb. 4.
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Abb. 3. Wittemoor. Ältere Rekonstruktion
Abb. 4. Wittemoor. Jüngere Rekonstruktion
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Die von H. Hayen entdeckten Figuren 1965/1 und 1965/2 waren einander gegenüber auf beiden Seiten des etwa 3,30 m breiten Bohlenweges in ein und derselben Bohle, die seitlich über den Wegesrand hinausragte, eingezapft gewesen, wurden aber später sorgfältig herausgezogen und im Moor niedergelegt. Der Bohlenweg XLII (Ip) ist rund 3,4 km lang und verband in kürzester gerader Linie die beiden Ränder des Moores, wie eine Brücke zwischen dem trockenen Geestrücken im Süden und der schiffbaren Hunte im Norden. Zur Datierung notierte H. Hayen 1971: Keramikscherben gehören in die Zeitspanne 500 v. Chr. bis Chr. Geb. Eine C-14-Datierung ergab für Holz vom Bohlenweg 250 ± 60 v. Chr. (GrN 4395)6, für Holz von den Zapfenenden der Figuren 470 ± 95 v. Chr. (GrN 5421)7, das aus alten Eichen stammt, was erlaubt, von dieser Angabe rund 200 Jahre abzuziehen; grob zusammengefaßt ergibt sich danach für die Figuren eine Datierung in das 3. Jh. v. Chr. Das kalibrierte Datum des Bohlenweges 5 stimmt mit den neuen Dendrodatierungen recht gut überein: Als Baudatum für den Bohlenweg wurde die Zeit um 135 v. Chr. und eine Nutzungsdauer von etwa 150 Jahren bestimmt8. Trotzdem wird das ältere Datum manchmal weiter zitiert9. Zahlreiche Wagenfahrten haben Spuren auf den Bohlen hinterlassen, die überwiegend Fahrten von Süden nach Norden wiedergeben; die Brettfiguren stehen etwa 555 m vom Südende des Bohlenweges an einer besonders feuchten oder seinerzeit beschädigten Stelle. Auf der Ostseite war die männliche, auf der Westseite gegenüber die weibliche Figur niedergelegt. Beide Figuren sind aus Eichenholz geschnitten; bei der männlichen (32 cm breit, 7 cm dick und 105 cm hoch) wurden die Seiten des Rumpfes mit Kerben versehen, auf der einen Seite sieben, auf der anderen fünf Kerben, am unteren Ende diente ein 4,5 cm langer Zapfen zur Befestigung; bei der anderen Figur (37 cm breit, 2–3 cm dick und 90 cm hoch, insgesamt also dünner als die erste Figur) unterteilten „drei große Einkerbungen (…) die Längsseiten und deuten, stark vereinfacht, die menschlichen Körperabschnitte an, die Schultern oder Brüste, den Leib und die Hüftpartie. Dabei erscheint die breiter gelassene Hüftgegend betont. (…) Die Gesamtform des Stückes gibt deutlich einen abgerundeten, stark vereinfachten, betont weiblichen Körperumriß. Neben ihm erscheint die eckige und robuste Form der Figur 1 als typisch männlich (…). Dieser (…) Eindruck wird bestätigt durch 6
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400–90 calBC (OxCal v3.9 [2003]). Ich danke Dr. W.-R. Teegen, Leipzig, für die Berechnung der kalibrierten Daten. 800–350 calBC (berechnet wie in Anm. 6). Fansa/Schneider 1998, 29; Arch. Denkmäler 2000, 160 Abb. 62; Bergen u. a. 2002, 97. Capelle in: Busch 2000, 204 f., auch mit der älteren Rekonstruktion.
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die in der Mitte der Beckenpartie der Figur 2 eingeschnittene Kerbe (Länge 14 cm, Breite bis zu 2,1 cm, Tiefe 5–6 mm). Sie ist als eindeutiges weibliches Geschlechtsmerkmal zu werten“ (Hayen 1971, 99). Nahe der beiden anthropomorphen Bretter-Figuren wurden bei Grabungen 1970 weitere bearbeitete Bretter freigelegt, an denen verschiedenartig angebrachte Kerben registriert werden konnten. H. Hayen parallelisiert die Figur 1970/1 (ein etwa 1,14 m hohes Brett mit herausgearbeitetem scheibenförmigen Ende als Kopf mit Hals und Schulter) mit derartigen Brettern aus den Mooren von Westerwanna im Elbe-Weser-Dreieck und von Montbouy in England, bei denen durch Einhieb oder Ritzung von Augen bzw. von Augen, Nase und Mund der Eindruck von Gesichtern erreicht wurde. Am Bohlenweg XLII/Grabung 1970 waren die Brett-Figuren in mehr oder weniger regelmäßigem Abstand an der Westseite aufgestellt, auf der Seite der weiblichen Figur der Grabung 1965. H. Hayen bot 1971 als Rekonstruktion an, daß die männliche Figur 1965/1 auf einem Brett, das etwas über den Rand des Bohlenweges hinausreicht, eingezapft war, während Figur 1965/2 neben dem Weg in einen Erdhaufen eingesteckt war. Er erschließt zusätzlich in einer zweiten Stufe der Rekonstruktion einen Kultplatz mit einem torartigen Überbau aus Holzstangen (Abb. 3). Als Gesamtinterpretation bot er an: „Es wird erkennbar, daß das Figurenpaar 1/1965 und 2/1965 zu dem seit der Erbauung des Weges bestehenden Kultplatz an der zu überquerenden Furt gehört. Die übrigen Figuren hat man erst später aufgestellt, sobald gestörte Wegeteile zu ernsthafter Behinderung führten und deshalb kultisch abgesichert werden mußten. (…) Die Nutzung des Weges wurde offenbar recht plötzlich eingestellt. Da damit die kultische Absicherung gestörter Strecken nicht mehr erforderlich war, kam es zur Niederlegung und zum Verbergen der Kultfiguren“ (Hayen 1971, 122). Jüngere Rekonstruktionen sehen die beiden Brett-Figuren eingezapft an den überstehenden Enden derselben Bohle, die etwas über die Breite des Bohlenweges hinausragte (Abb. 4)10. Einige Beispiele sollen folgen, anhand derer deutlich gemacht wird, wie man den Befund übernahm, zitierte, bewertete und dabei neue oder erweiterte Interpretationen beisteuerte: Im Handbuch „Die Germanen“ ist zu lesen11: „Männliche (a) und weibliche (b) Kultfigur – stark stilisiert – aus dem Wittemoor bei Berne, Kr. Weser10
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Fansa/Schneider 1998, 53 f. mit Abb. 29 und 30; van der Sanden/Capelle 2000, 77 Abb. 74; 2002, 91 Abb. 74; Dietrich 2002, 191 Abb. 39 nach Fansa/Schneider 1998, 53 f.; noch die alte Rekonstruktion mit der weiblichen Figur in einem Erdhügelchen neben dem Bohlenweg: Capelle in: Busch u. a. 2000, 205 Abb. Krüger 1976 Taf. 21 a/b und S. 179, S. 372 f. mit Abb. 101–102.
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marsch (BRD). Sie standen zu beiden Seiten eines über eine Furt führenden Bohlenweges, Etwa 1:8. Mus. Oldenburg.“ Im Kapitel VI (S. 179) heißt es etwas ausführlicher: „Dazu fand man verschiedene einfache Holzidole (Taf. 21) an Hohlwegen und auf Mooropferplätzen. An letzteren konnten sowohl Gefäße und Reste davon als auch Tier- und Menschenknochen geborgen werden“ (Th. Voigt in: Krüger 1976). Im Kapitel X (S. 372, Abb. 101) wird von G. Behm-Blancke (in: Krüger 1976) ergänzt: „Kultplatz am Bohlenweg aus dem Wittemoor bei Berne, Kr. Wesermarsch (BRD) (Rekonstruktion nach H. Hayen 1971, Abb. 16); (Abb. 102) Bohlenweg mit vier Kultpfählen aus dem Wittemoor bei Berne, Kr. Wesermarsch (BRD) (Rekonstruktion nach H. Hayen 1971, Abb. 15)“; (a. a. O. 373) „Schutzmächte wirkten auch an Wegen und Furten. Längs eines durch das Wittemoor (Gemeinde Berne, Ldkr. Wesermarsch) führenden, aus dem 3. Jh. v. u. Z. stammenden Bohlenweges, der eine Siedlung mit einem Zufluß der schiffbaren Hunte verband, standen mehrere Idole und Kultobjekte, mit denen man wahrscheinlich die Götter um Schutz für glückliche Überfahrt bat. Anfang und Ende der Überfahrt waren durch Feuerbrände gekennzeichnet. Nach der Überquerung wurde ein flaches Holztor durchfahren, hinter dem links neben dem Bohlenweg ein weibliches und rechts vom Weg ein männliches Idol aufgestellt waren. Nördlich vor dem weiblichen Idol ragten zwei Kultstangen auf, in seinem Umkreis lagen zahlreiche zumeist zerbrochene Erlenstäbe mit bearbeiteten Enden (Abb. 101, 102) (…) Aus dieser Gruppierung der Idole gewinnt man den Eindruck, als seien längs eines Wegesystems zum sakralen Schutz lebenswichtiger Transporte die Symbole einiger verehrter Mächte des Pantheons aufgestellt worden“. In (a. a. O.) Anm. 124 wird ergänzt: „Da Reste sakraler Mahlzeiten und Tierknochenopfer im Wittemoor nicht nachweisbar waren, bezieht sich der sakrale Charakter (…) allein auf die spezialisierte Tätigkeit einer Siedlungsgemeinschaft, wobei eine ‚Grenzsituation’ mitsprechen könnte.“ Im Handbuch wird also die Interpretation weiter ausgeschmückt, teilweise der Befund nicht korrekt eingeordnet; denn die Figuren und das Tor stehen nicht am Ende des Bohlenweges, sondern in einem mittleren Abschnitt. In der „Ur- und Frühgeschichte Niedersachsens“ von 1991 ist zu lesen (Häßler 1991, 388): „Berne, Neuenhuntorf (Wittemoor) BRA – Bohlenweg des 3. Jh. v. Chr. mit Kultfiguren Abb. 118, 119, 208“, und weiter: „1965 und 1970 wurden (…) Teilstrecken eines Bohlenweges freigelegt, an dem man an verschiedenen Stellen insgesamt 6 Holzfiguren fand. Ein Figurenpaar – je eine aus dicken Brettern herausgearbeitete, stark stilisierte weibliche und männliche Gestalt – war an der Stelle aufgestellt worden, an der der Bohlenweg über eine Furt führte. Verschiedene Indizien sprechen dafür, daß es sich um einen Kultplatz handelte, der später zerstört wurde. Die anderen 4 Figuren, darun-
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ter ein beilförmiges Gebilde, waren jeweils an defekten Wegstellen aufgestellt worden, an denen eine sichere Befahrung nicht mehr möglich war – offensichtlich dienten sie zur Markierung gefährlicher Wegstrecken. Allerdings läßt sich nicht eindeutig klären, ob es sich hier um einfache Kennzeichnungen oder um Kultzeichen handelt.“ Im Kapitel „Vorrömische Eisenzeit, Geistesleben“, steht unter Abb. 118 „Die beiden ‚Kultfiguren‘ aus dem Wittemoor (…) stark abstrahierte Darstellung eines Mannes (links, 1,05 m hoch) und einer Frau (rechts, 0,9 m hoch), wurden aus Eichenbohlen geschnitten“; Abb. 119 bietet den Rekonstruktionsversuch der gesamten Anlage nach Hayen (1971). Als Kommentar folgt (a. a. O. 229): „Sicherlich müssen wir von bedeutend mehr Schnitzwerken ausgehen, als sie uns mit den wenigen figuralen Holzdarstellungen aus Mooren überliefert sind. Den beiden stark abstrahierten Figuren eines Mannes und einer Frau aus dem Wittemoor (…), die an einer gefährlichen Stelle eines durchs Moor führenden Bohlenwegs aufgestellt worden waren, dürften ebenso kultische Motive zugrunde liegen wie zwei um die Zeitenwende zu datierenden, aus dicken Ästen grob stilisierten Idolen aus Oberdorla und Possendorf in Thüringen. Stellt man diesen Figuren gleich alte griechische Plastiken aus Marmor oder heller Bronze gegenüber, auf denen eine abgehobene Götterwelt in unwirklicher Schönheit als gleichsam ethisches und künstlerisches Ideal und Abbild einer überheblichen Adelsaristokratie dargestellt wird, meint man noch heute, in den klobigen Holzarbeiten unseres Raumes Einfachheit und Unmittelbarkeit der damaligen Menschen zu den lenkenden Mächten der Natur nachempfinden zu können.“ Ohne zur Bewertung der letzten Äußerung Stellung zu nehmen, sei darauf verwiesen, daß auch diese Wiedergabe der Figuren mit einer Erweiterung der Deutung einhergeht: Der Bohlenweg ist kaum noch passierbar, Figuren müssen für Sicherheit und Schutz sorgen. In seiner Übersicht von 1995 zu den Holzidolen schreibt T. Capelle : „Diese konnten durch einige Tonscherben, Pollenanalyse und C14-Bestimmungen zugehöriger anderer Hölzer in die mittlere vorrömische Eisenzeit datiert werden (…) Die Figur A ist 105 m hoch, am Kopf 32 cm breit, mit Zapfen versehen zur Verankerung in einem Brett, der rechteckige Rumpf mit sieben kleinen winkelförmigen Einkerbungen auf der einen und fünf auf der anderen Seite hat eine Stärke von 6 cm bis 7 cm (…) Diese große und ausgesprochen eckige Figur darf wohl in Ergänzung zu der deutlich weiblich geprägten Figur B als männliches Pendant aufgefaßt werden. Die Figur B ist 90 cm lang, 27 cm breit, der Kopf sitzt über jeweils zwei seitlich herausgearbeiteten Vorsprüngen, die vielleicht Armansätze, Brüste oder Bauchwülste angeben sollen. Nach unten folgt darauf auf jeder Seite ein etwas stärkerer stumpfwinkliger Seitenvorsprung. Die dadurch betonte breitere Hüftpartie sowie eine dazwischen angebrachte deutliche
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senkrechte Kerbe kennzeichnen diese Bohle als weibliches Symbol … Zumindest bei der zweiten Figur ist es sicher, daß sie mit der Vorderseite zum festen Boden weisend neben dem durch eine Furt führenden Bohlenweg gestanden hat (…) also vor dem Beginn der Passage; die anderen Figuren haben alle an der östlichen Wegeseite gestanden; alle Figuren haben einen scheibenförmigen Kopf, bestimmte Figuren sind absichtlich wieder niedergelegt worden.“ Erst neuere Publikationen aus dem Museum Oldenburg bieten seit 1998 dendrochronologisch gewonnene Datierungen und ergänzen die Beschreibungen der Fundumstände (Fansa/Schneider 1998): Die Abb. 3 zeigt den Detailplan zu den Bohlenwegen/Pfahlwegen 22, 42 und 43 (Ip); Abb. 29 die Rekonstruktionszeichnung aus dem Bereich der Kultfiguren mit Wiederherstellung der ursprünglichen Anordnung, mit Blick von Westen nach Osten; Abb. 30 bringt die Rekonstruktion des Bohlenweg-Bereiches mit den stehenden „Brückenheiligen“. Während die älteren Datierungsansätze bei etwa 300 v. Chr. liegen, ist jetzt von einer Zuordnung in die Jahrzehnte um 135 v. Chr. auszugehen. In der Veröffentlichung aus dem Jahr 2000 heißt es dazu (Arch. Denkmäler 2000, 160 Abb. 62): „‚Kultfiguren’ aus dem Bohlenweg/Pfahlweg XLII (Ip 42) Wittemoor. Sie stammen aus der Zeit um 135 v. Chr. Eichenholz (…) Bei der Ausgrabung von Moorwegen fanden sich oft Gegenstände, die auf technische Zusammenhänge verweisen: Zum Beispiel Bohlen mit Einkerbungen. 1965 kamen am Bohlenweg XLII (Ip) bei Wittemoor im Landkreis Wesermarsch neben der Fahrbahn zwei figürlich geformte Hölzer ans Tageslicht. Diese Figuren bestehen aus Eichenholz und symbolisierten vermutlich einen Mann und eine Frau. Sie standen ursprünglich an beiden Seiten des Weges, um auf eine schwer zu überquerende Furt hinzuweisen. Bruchstücke anderer Objekte lassen die Rekonstruktion eines kleinen ‚Kultplatzes’ aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. zu, dessen Mittelpunkt diese Figuren gewesen sind. Er sollte offensichtlich einen bautechnisch gemeisterten Abschnitt des Bohlenweges schützen. Der Bohlenweg ist durch die Dendrochronologie in die Zeit um 135 v. Chr. datiert.“ Die Figuren werden immer wieder bei der Deutung anderer Funde aus Mooren zum Vergleich herangezogen (Modzioch 2000, 180 Abb. 12; 192f.). In der Veröffentlichung von Kultfiguren aus Schlesien bringt seine Abb. 12 Funde von geschnitzten Brettern und dabei auch die „Idole (?)“ aus dem Wittemoor, datiert in die Latènezeit und in die römische Kaiserzeit. Die jüngsten Veröffentlichungen in den Ausstellungskatalogen des Jahres 2000 fassen zusammen (Capelle, 2000, 197–201): „Um ein Figurenpaar handelt es sich auch bei zwei aus Bohlen gefertigten Gestalten – ein 105 cm hoher Mann und eine 95 cm hohe Frau –, die im Wittemoor im nordwestlichen Niedersachsen gefunden wurden. Sie waren nach Erfüllung ihrer Funktion sorg-
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fältig niedergelegt worden, um einer entweihenden Zweckentfremdung vorzubeugen. Beide sind gesichtslos (vielleicht waren sie ursprünglich mit Farben ausgeschmückt) und nur durch wenige Schnitte zu menschenförmigen Stelen geformt. Ehemals standen sie beiderseits des Anfanges eines Bohlenweges der vorrömischen Eisenzeit, der durch eine sicher gefährliche Furt führte. Ähnlich späteren Brückenheiligen werden sie dort zum Schutz des schwierigen Weges und zugunsten einer sicheren Überquerung aufgestellt gewesen sein“ (auch Abb. S. 204 f. Kat. Nr. 8.2 – Datierung: Mittlere vorröm. Eisenzeit [300–200 v. Chr.]. Aus dem Katalogtext sei noch zitiert: Alle Figuren „(…) sind aus 3 bis 7 cm starken Eichenbohlen gefertigt (…). Alle fünf, vorwiegend durch den scheibenförmigen Kopf bestimmten brettartigen Figuren (…) sind absichtlich mit der Auflassung des Weges aus ihren Verankerungen gelöst und niedergelegt worden. Als die gesamte Anlage ihre Funktion verlor (vermutlich weil das Moor zu stark gewachsen war), war demnach auch deren sichernde Aufgabe erfüllt, und sie sollten nicht mehr für eine profane Zweckentfremdung zur Verfügung stehen“. Die Deutung „Brückenheilige“ wird betont, die nach Beendigung ihrer Aufgabe niedergelegt wurden. Im übrigen, wenn das Moor so schnell zugewachsen ist, dann gab es hier keinen besonders gefährlichen Übergang, was jedoch die meisten Interpretationen nach der Erstpublikation aufgreifen. Im Katalog „Der Tempel im Moor“ aus dem Jahr 2002 (C. Bergen in: Bergen u. a. 2002, 97) bringt die Kapitelüberschrift eine eindeutige Aussage: „Mann und Frau im Moor“: „Die beiden hölzernen Figuren aus dem Wittemoor bei Oldenburg können zwar sicher als Mann und Frau interpretiert werden, ihre genaue Funktion ist jedoch nicht bekannt (…) Möglicherweise verkörpern die Figuren auch das männliche und weibliche Prinzip im Sinne eines Fruchtbarkeitskultes.“ Die Publikation von 2002 eines anderen Mooropferplatzes bringt in knapper Form die Abbildungen mit der Unterschrift: „Fig. 24. A figure pair made from 2–3 cm thick oak boards from a plank road in Wittemoor, lower Saxony. Notice the fact that they end in shaped tenons, so that they could be fixed into the road planks“ (Lund 2002). In einer weiteren Publikaton aus dem Jahr 2002 ist zu lesen (Dietrich 2002, 191f.): „Kerben dominieren die Gestaltung des Rumpfes. Das nicht näher markierte Geschlecht der als ‚männlich‘ angesprochenen Figur wurde sozusagen im Ausschlußverfahren über die durch eine Einkerbung in der Mitte der ‚Beckenpartie‘ gekennzeichneten weiblichen Form bestimmt (Hayen 1965, 16). Die Funde des Jahre 1970 lassen diese Differenzierung nicht zu und zeigen einen mehr oder weniger deutlich abgesetzten Kopfbereich (Hayen 1971, 107ff.). Allen Funden gemeinsam ist die gewaltsame Entfernung aus ihren
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Halterungen am Bohlenweg und die Niederlegung neben oder inmitten des Weges.“ In der neuen Publikation zum Opfermoor von Oberdorla, ebenfalls aus dem Jahr 2002, werden die Figuren aus dem Wittemoor im Rahmen der Gliederung aller Idole aus Mooren unter der Gruppierung „Typ V: Brettidol“, A „Idol mit zumeist gesichtslosem Kopf und unprofiliertem Körper“ und B „Idol mit seitlich profiliertem Körper“ eingeordnet und abgebildet (BehmBlancke 2002, 93 ff.).
3. Eine Parallele aus der Gegenwart In der Badischen Zeitung vom Samstag, dem 17. Januar 1998, S. 5, wurde ein Foto abgebildet, dessen Herkunft über dpa nachgewiesen wird. Dieses Foto zeigt einen Algerier mit einem Gewehr in der Hand, wie er neben frischen Gräbern in der Hocke sitzt (Abb. 5). Die Bildunterschrift lautet: „Gräber wie hier im Ort Sehanine sind stille Zeugnisse der jüngsten Massaker in Algerien. Die arabischen Nachbarländer wollen sich in den algerischen Konflikt mit islamistischen Terroristen nicht einmischen.“ Der Artikel des Korrespondenten Ignaz Staub „Schweigen zu Terror in Algerien“ geht nicht näher auf den Inhalt des Bildes ein. Ich werde auf die politischen Hintergründe hier auch nicht weiter zurückkommen. Doch interessiert die Kennzeichnung der Gräber. Ausgerichtet West-Ost (mit Blick des Toten nach Mekka) fassen niedrige Mäuerchen rechteckige Gräber ein, die aneinanderstoßend lange parallele Reihen bilden. Die frische
Abb. 5. Holzbrett-Figuren auf Gräbern in Algerien
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Graberde ist zu einem Hügel aufgewölbt. Am Kopfende des Grabes steht jeweils eine Schrifttafel, am Fußende eine brettförmige anthropomorphe Figur. Diese Figuren haben einen scheibenförmigen Kopf, eine Halszone und einen Körper, dessen Seiten durch fünf eingeschnittene oder eingehauene Kerben profiliert sind. Die Ähnlichkeit zu der männlichen Figur aus dem Wittemoor ist frappierend. Islamische Gräber sind selten gekennzeichnet. Wir kennen zwar Grabstelen der Osmanen aus dem 16. bis 18. Jahrhundert, hochrechteckige beschriftete Steinplatten, die mit Turbanen gekrönt sind (Laqueur 1993). Zeitgenössische Grabstelen zeigen manchmal eine Gesichtsdarstellung, oft schlicht am oberen Ende einer Steinplatte kreis- oder scheibenförmig – wie bei den Holzidolen – ausgemeißelt . Doch die modernen Grabstätten sind schmucklos, weisen höchstens an Kopf und Fußende eine aufgerichtete kleine Steinplatte als Markierung auf. Bei den hier abgebildeten Bestattungen in anscheinend steinfreiem Boden findet sich anstatt der Steinmarkierung eine solche durch die Holzfiguren. Trotz der eigentlich bilderfeindlichen Einstellung des Islam haben sich in allen Ländern als Symbiose mit lokalen älteren Traditionen Grabbräuche entwikkelt, die auch zu unterschiedlicher Kennzeichnung der Gräber geführt haben. Verfremdete, abstrahierte Menschendarstellungen, bei denen das Gesicht fehlt oder aber durch ein rundes Feld über dem Hals mit einfachen Strichzeichnungen Augen, Mund und Nase andeuten, kommen vor. Neben der hochrechteckigen Bretterform gibt es auch im Querschnitt runde oder quadratische Stelen. Der Islam unterscheidet nicht zwischen Bild und Idol, weshalb es seinerzeit zum Bilderverbot kam, da die Anfertigung von Darstellungen bzw. Wiedergaben belebter Dinge als menschliche Anmaßung galt, die den göttlichen Schöpfungsakt nachzuvollziehen schien (Laqueur 1993, 110). Wenn Bestattungen gekennzeichnet wurden, dann wurden an beiden Enden des Grabes Stelen aufgestellt; der Kopfstein trug die Inschrift, war manchmal anthropomorph gestaltet und bei Männern im osmanischen Reich mit einer Kopfbedeckung, einem Turban oder später mit einem Fez, versehen; der Fußstein war in der Regel schmucklos. Die weiß gestrichene Tafel am Kopfende des vorderen Grabes ist auf dem Foto lesbar; sie entspricht sicherlich den Tafeln auf den anderen erkennbaren Gräbern. Verzeichnet sind ein Name verbunden mit dem Hinweis auf ein Kind, das hier bestattet ist. Die an beiden Seiten gekerbte Brettfigur am Fußende des Grabes kann eine anthropomorphe Darstellung sein, eine stilisierte Grabmarkierung in der Tradition osmanischer Bestattungssitten. Da alle Gräber mit gleichartig geformten Brettern gekennzeichnet sind, sollen sie vielleicht das menschliche Prinzip an sich wiedergeben, können jedoch nicht den jeweiligen Toten repräsentieren.
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Für die türkischen uwašen ist überliefert, daß Holzpfähle oder Stöcke am Grab dazu gedient haben, um Teile der getöteten Opfertiere, Felle und Schädel, daran aufzuhängen; eine andere Vorstellung sieht in diesen Pfählen das „Haus des Toten“, das zeitweilig die Seele des Verstorbenen aufnimmt: „Diese Säulen wurden aus Birke, Eiche oder Linde hergestellt, wobei der Grundsatz galt, für die Männer aus Eiche, für die Frauen hingegen aus Linde“ (Tryjarski 2001, 323).
4. Ergebnis Die Deutung der eisenzeitlichen Brettfiguren aus dem Wittemoor als anthropomorphe Idole wird in jeder Publikation ohne weitere Reflektion akzeptiert. Dabei spielt sicherlich die seltene Überlieferung aus frühen Epochen eine Rolle; denn in der Gegenwart – aber auch schon bei den sog. slawischen Tempeln des 9. bis 11. Jahrhunderts – erscheinen Bretter mit kreisförmiger Kopfscheibe in Serie wie bei einem Zaun und können dann kaum wie ein Einzelstück die vermutete Bedeutung gehabt haben. Betrachtet man die wenigen Parallelen unter den Brettidolen, dann fällt eine größere Variationsbreite der realisierten Möglichkeiten auf. Warum sollen die Bretter am Weg im Wittemoor eigentlich Menschen bzw. anthropomorphe Idole sein; stehen auch auf den islamischen Gräbern in Algerien menschengestaltige Idole, oder sind sie geometrische Zeichen mit anderem Inhalt? Seitliche Kerben konnten auch in anderer Weise an brettförmigen Idolen und Zeichen angebracht werden, zum Beispiel zu Paaren und kombiniert mit weiteren Kreisscheiben an beiden Seiten des Brettes, so daß kaum festzustellen ist, wo oben oder unten sein soll12. Die Variationsbreite der Erklärungsmuster für die Wittemoor-Figuren ist beeindruckend; ausgehend vom identischen Befund, der – wenn auch nur leicht – unterschiedlich wahrgenommen wird, erreichen Nuancen in den Formulierungen durchaus auch merkbar unterschiedliche Deutungen. Wiederholt seien einige Thesen: Die Figuren stehen am Bohlenweg – zum Schutz eines bautechnisch gemeisterten schwierigen Übergangs, bieten eine kultische Absicherung der Stelle, – als Kennzeichnung, Warnung und Hinweis auf eine schwer zu überquerende Furt, 12
Laqueur 1993 Taf. 1, 2. Für den Hinweis auf diese Grabsteine danke ich meinem Kollegen Prof. Dr. Ulrich Rebstock, Orientalisches Seminar der Universität Freiburg.
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– als sakraler Schutz lebenswichtiger Transporte, – als Schutzgötter für glückliche Überfahrt, an der gefährlichen Passage, – als Dank für sichere Überquerung des Moores (wobei keine größere Gefahr gelauert hat, sofern man bei normalem Wetter übersetzen wollte), – nur als einfache Kennzeichnungen oder Kultzeichen, – als Markierung eines Kultplatzes am Wege mit einer breiter ausgelegten Bedeutung, – und wurden deshalb niedergelegt zusammen mit den anderen Figuren nach Aufgabe des Weges, weil sich dann ein göttlicher Schutz erübrigt hatte, um eine „Zweckentfremdung“ zu verhindern, – im Sinne von Ahnenfiguren (C. Bergen in: Bergen u. a. 2002, 97), – als allgemein weibliches und männliches Prinzip im Sinne eines Fruchtbarkeitskultes (P. Kehne in: Bergen u. a. 2002, 97). Es ist schon auffällig, daß alle Publikationen ohne einen Zweifel bei den Brettern von einer weiblichen und einer männlichen Figur ausgehen, daß aber bis auf die jüngste Veröffentlichung, keine Überlegungen dazu angestellt werden, warum eigentlich an einem Bohlenweg der vorrömischen Eisenzeit eine weibliche und eine männliche Figur aufgestellt worden sein könnten. Auch zur unterschiedlichen Anzahl der Kerben an den Seiten der männlichen Figur gibt es keine Überlegungen. Ebenso spekulativ wie die bisher vorgelegten Deutungen wäre die Aussage, daß die beiden Bretter dort aufgestellt worden sind, weil hier einst ein Mann und eine Frau oder ein Knabe und ein Mädchen verunglückten und vielleicht den Tod fanden. Die Kerbenanzahl könnte dann weitergehend zudem als Hinweis auf das Alter der Toten interpretiert werden. Somit sei abschließend betont, daß Objekte aus archäologischen Fundzusammenhängen in ihrer Interpretation immer vieldeutig bleiben werden, und das nicht nur, weil sich geistige Faktoren nicht direkt in der Sachkultur spiegeln, sondern auch, weil dieselbe Ausprägung zu verschiedenen Zeiten oder in verschiedenen kulturellen Zusammenhängen auch einen ganz unterschiedlichen Sinn gehabt haben können. So können gleichartig gestaltete Brettidole an Bohlenwegen Streckenweiser, Schutzattribute, Warnmarken, Götterbilder oder Menschenfiguren bedeutet haben, auf Gräbern Bildnisse eines Menschen oder Menschen an sich gewesen sein. Sich dem Sinngehalt einer zeitlich und räumlich individuellen Ausführung und Anwendung von Holzfiguren zu nähern, ist daher nur begrenzt möglich und benötigt zusätzliche Attribute. Wie im Falle der Brettidole vom Wittemoor für derartige Holzidole immer neue Plausibilitätserklärungen zu formulieren, genügt nur auf den ersten Blick, weitere Deutungsmöglichkeiten über
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analoge Befunde aus völlig anderen Zusammenhängen sollten berücksichtigt und abgewogen werden13. Man kann also die Figuren vom Wittemoor auch als Denkmäler für verstorbene Personen deuten, so wie man heute wieder Kreuze für Unfallopfer an den Straßenrändern aufstellt.
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Für freundliche Auskünfte danke ich meinen Kollegen an der Freiburger Universität Prof. Dr. Jens Peter Laut und Prof. Dr. Ulrich Rebstock.
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Nachtrag Da die auffälligen Bretter vom Wittemoor immer wieder in der Literatur abgebildet und zum Vergleich herangezogen werden, sind mir nach Abschluß des Manuskripts 2003 noch einige Beiträge bekannt geworden, die hier wenigstens genannt werden sollen: Erneut werden bei Darstellung der norddeutschen Bohlenwege im Rahmen einer Publikation zu Altstraßen (Fansa 2003, 30 Abb.) die beiden hölzernen Figuren der Zeit um 135 v. Chr. einem Kultplatz zugewiesen, die hier den Moorweg schützen sollten. In ihrer Zusammenschau der eisenzeitlichen Bildwerke betont M. Aldhouse-Green (2004, 92f. mit Fig. 4.3), daß die hölzernen Figuren aus dem Wittemoor einerseits „spirits warning and protecting people“ repräsentierten, andererseits daß sie Surrogate für Menschenopfer gewesen sein könnten. Damit werden die Möglichkeiten der Deutung um einen wichtigen neuen Aspekt erweitert. In einem römerzeitlichen Gehöft von Ellewoutsdijk in den Niederlanden wurden bei Grabungen zahlreiche Holzpfähle gefunden (Ridder 2005, 144 Abb. 2), die am Ende merkwürdig eingekerbt sind. Diese Kerben sollen einen technischen Zweck beim Bau gehabt haben, können aber ebensogut angebracht worden sein, weil schematisierte Köpfe dargestellt werden sollten. Im slawischen Burgwall von Friedrichsruh in Mecklenburg wurden gut erhaltene Hölzer, darunter eine 2,60 m lange Stabbohle mit Kopf, in sekundärer Lage im Wallkörper gefunden. Eine mit dem Tempel von Groß Raden vergleichbare Kultanlage wird vermutet (Messal 2005), was zugleich bedeutet,
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daß derartige Bretteridole im slawischen Gebiet durchaus häufiger und somit allgemein bekannt waren. Aldhouse-Green 2004: M. Aldhouse-Green, An archaeology of images. Iconology and cosmology in Iron Age and Roman Europe (London and New York 2004). Fansa 2003: M. Fansa, Brücken durchs Moor. Archäologie in Deutschland 2003, Heft 4, 26-30. Messal 2005: S. Messal, Zweites Groß Raden entdeckt? Archäologie in Deutschland 2005, Heft 2, 4. Ridder 2005: T. de Ridder, Rezension zu: M. Sier (red., Ellewoudsdijk in den Romeinse tijd, 2003. Westerheem 54, Heft 3, 2005, 143-145.
Abbildungsnachweis Abb. Abb. Abb. Abb. Abb.
1: 2: 3: 4: 5:
H. Steuer, Freiburg. Vielfach abgebildet in der zit. Lit. Nach Hayen 1971. Nach Fansa/Schneider 1998 Abb. 30. Nach Badische Zeitung, 17. Januar 1998 (dpa).
Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. Heiko Steuer Universität Freiburg Institut für Ur- und Frühgeschichte Belfortstr. 22 D-79098 Freiburg Email:
[email protected]
Studien zur Lebenswelt der Eisenzeit. RGA-E Band 40 – Seiten 89–113 © Copyright 2006 Walter de Gruyter · Berlin · New York
Küche, Kinder – Kult? Die Rolle der Frauen in den Kulten der alpinen und nordalpinen Eisenzeit: Versuch einer kritischen Bestandsaufnahme1 von Peter Jud In der mittel- und spätlatènezeitlichen Siedlung Basel-Gasfabrik sind wiederholt rituelle Deponierungen im häuslichen Bereich zum Vorschein gekommen (Jud 2004; in Vorb.). Die über das Funktionale hinausreichende Bedeutung dieser Funde läßt sich nur erkennen und verstehen, wenn wir sie mit den Menschen in Beziehung setzen, die sie deponiert haben. Denn nur durch das Handeln dieser Personen haben die Objekte ihr „contextual meaning“ erhalten (Hodder 1987). Bei den rituellen Deponierungen in Basel-Gasfabrik habe ich mich gefragt, ob sie nicht vielleicht spezifisch von Frauen vorgenommen wurden, wird doch für die Latènezeit das Haus und seine Umgebung als eigentlicher Wirkungsbereich der Frauen angesehen. Um sozusagen das Umfeld dieses Problems auszuleuchten, soll im folgenden untersucht werden, welche Rolle die Frauen im Kultwesen der hiesigen eisenzeitlichen Gesellschaften gespielt haben. Die antiken Schriftquellen zur keltischen Religion berühren das Thema kaum, Frauen im öffentlichen Kult („Priesterinnen“) werden nur anekdotisch erwähnt (de Vries 1961, 217f.), und die in der esoterischen Literatur so beliebten Druidinnen sind offensichtlich Erfindungen der Nachwelt (Osterwalder Maier 1991, 55). Bleiben uns die archäologischen Quellen, die wir durch einen Blick auf die Verhältnisse in Griechenland und Rom (im Sinne einer historischen Analogie) ergänzen möchten.
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Für die kritische Durchsicht des Manuskripts und viele Hinweise möchte ich Brigitte Röder (Zürich) ganz herzlich danken. Besonders danken möchte ich auch Paul Gleirscher (Klagenfurt) für die Möglichkeit, sein Rungger-Egg-Manuskript einzusehen. Hinweise und andere Unterstützung verdanke ich folgenden Kolleginnen und Kollegen: Irmgard Bauer (Zug); Gilbert Kaenel (Lausanne); Katrin Leuch-Bartels (Basel); Geneviève Lüscher (Bern); Felix Müller (Bern); Otto H. Urban (Wien). – Manuskriptabschluß: Anfang 2002.
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Die archäologischen Quellen und ihre Deutung Der archäologische Nachweis geschlechtsspezifischer Opfergaben berührt verschiedene Problemfelder, die in der Archäologie kontrovers diskutiert werden: die Unterscheidung zwischen rituellen und profanen Deponierungen, die archäologische Geschlechtsbestimmung im Grabbereich, die Übertragung dieser Bestimmungen in den Kontext ritueller Deponierungen sowie die Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern in den eisenzeitlichen Gesellschaften. Die Deutung zahlreicher Deponierungen der Eisenzeit als Weihefunde und Zeugnisse ritueller Handlungen wurde in den letzten Jahrzehnten sehr kontrovers diskutiert (z. B. La Tène: Dunning 1991). In jüngster Zeit scheint sich aber in dieser Frage ein gewisser Konsens zu etablieren, wobei die Erarbeitung archäologischer Entscheidungskriterien von entscheidender Bedeutung war (Müller 1993). Es ist im Rahmen dieses Artikels natürlich nicht möglich, den religiösen Hintergrund von allen angesprochenen Deponierungen nachzuweisen. Die archäologische Geschlechtsbestimmung von Grabinventaren geht davon aus, daß die Totenausstattung der Statusdarstellung diente, wobei von den verschiedenen sozialen Kategorien dem Geschlecht die größte Bedeutung zukam. Bei näherem Zusehen zeigt sich allerdings, daß es sich bei dieser „archäologischen Grundwahrheit“ um ein a priori handelt, das letztlich auf recht vagen Vermutungen beruht (Jud 1998, 123). Die Ausstattung der Toten mit ihrer Tracht und weiteren Gegenständen erfolgte aufgrund von religiösen Vorstellungen, die uns nicht bekannt sind. Soziale Kategorien wie das Geschlecht finden dabei zweifellos ihren Widerschein, aber Statusdarstellung war sicher nicht der Hauptzweck der Grabausstattung. Auf keinen Fall wird uns eine bewußt vorgenommene Darstellung des sozialen Status im Maßstab 1:1 geboten. Wichtiger als der oft zur Klassierung der Grabbeigaben benutzte materielle Wert der Beigaben (Hinton 1986, 356) war ihr symbolischer Wert, den wir kaum abschätzen können und der im jeweiligen sozialen Kontext immer aufs neue festgelegt wurde. Man darf auch nicht vergessen, daß sich der „soziale Status“ aus einer ganzen Reihe von Aspekten zusammensetzt, neben dem Geschlecht spielen auch Alter, Herkommen, „Zivilstand“, Besitz usw. eine Rolle. Als Folge all dieser Verschlüsselungen und Verknüpfungen ist die Botschaft der Grabausstattungen (wenn es denn eine gibt) für uns kaum mehr lesbar, und eine archäologische Geschlechtsbestimmung anhand geschlechtsspezifisch interpretierter Grabbeigaben ist denn auch meist nur für einen beschränkten Teil der Gräber möglich. Die geschlechtsspezifische Einordnung einzelner Objektgruppen beruht vielfach auf einer „intuitiven“ Vorgehensweise (Derks 1993, 342) oder auf „common sense“ (Hodson 1990, 92). Dabei werden scheinbar natürliche und
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selbstverständliche Zuordnungen vorgenommen (z. B.: Spiegel = Frau; Handwerksgerät = Mann). Wer würde bei einer Kombination Kamm-Fibel-Spiegel(?) nicht an eine Frau denken? Und doch wurden diese Objekte zusammen mit Lanze, Schild und Schwert auf einer spanischen Steinstele abgebildet (Krämer 1996,138 Abb. 4). Eitler Mann oder kriegerische Frau? Solche und ähnliche Fälle machen uns übrigens darauf aufmerksam, daß es sich bei den Vorstellungen von Geschlecht letztlich immer um soziale Konstrukte handelt, die mit der biologischen und gesellschaftlichen Realität des Einzelnen wohl oft nicht übereinstimmten. Eine umfassende und systematische Untersuchung zur geschlechtsspezifischen Bestimmung von Grabfunden der Eisenzeit fehlt bis heute. Wie für die Hallstattzeit (Kleibscheidel 1997) liegen auch für die Eisenzeit wahrscheinlich zuwenig nicht zur Tracht gehörende Beigaben aus anthropologisch bestimmten Gräbern vor, um zu breit abgestützten Resultaten zu kommen. Bei der traditionellen geschlechtsspezifischen Interpretation von Grabbeigaben wird den Waffen eine überragende Bedeutung beigemessen, und es ist eine weitverbreitete Ansicht, daß sie allein eine eindeutige Geschlechtsbestimmung erlauben. Nur nebenbei sei bemerkt, daß die Männer in dieser Sichtweise auf ihr Kriegertum reduziert werden, während sie doch auch Ackerbauern, Viehzüchter, Handwerker und Familienväter waren. Frauengräber werden in der Folge oft über die Abwesenheit von Waffen definiert (Lorenz 1978, 189f.), was Sibylle Kästner (1997, 18; 26) als „asymmetrische Wahrnehmung“ bezeichnet. „In der archäologischen Konstruktion von Geschlecht ist männlich (d. h. hier der männliche Gegenstand) somit eine primäre Konstruktion“ (Kästner 1997, 25). Quelle (und gleichzeitig auch Resultat) der vermuteten Geschlechterrollen sind meist Gesellschaftsmodelle, die im Verdacht stehen, im wesentlichen aus Vorurteilen zu bestehen, und deshalb zu Recht kritisiert worden sind (Derks 1993). An den patriarchalischen Grundzügen der „keltischen“ Gesellschaften ist zwar kaum zu zweifeln (Brandt 1995), aber damit ist über die konkrete Lebenswirklichkeit der Frauen (und auch der Männer) natürlich noch wenig gesagt. Die sicher richtige Feststellung, daß die keltischen und verwandten Völkerschaften von einer (männlichen) Kriegerelite dominiert wurden, berechtigt keineswegs dazu, die Bedeutung der Frauen in sämtlichen Lebensbereichen auf null abzuschreiben. In den vom Machismo geprägten Gesellschaften Südeuropas spielen die Frauen in den religiösen Gemeinden eine tragende Rolle, obwohl die Chargen der katholischen Kirche ausschließlich mit Männern besetzt sind (Waldren 1995, 34). Daß die Rekonstruktion der Geschlechterverhältnisse anhand von Grabfunden im allgemeinen von den a priori bestehenden Gesellschaftsmodellen
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dominiert wird, läßt sich deutlich an der in den letzten Jahrzehnten geführten Debatte um die reichen eisenzeitlichen Frauengräber erkennen. Während Konrad Spindler noch 1983 (107f.) die „Prinzessin“ von Vix entgegen den anthropologischen Bestimmungen für ein „gestandenes Mannsbild“ hielt, wird die Existenz von sehr reich ausgestatteten Frauengräbern der Eisenzeit heute weitgehend anerkannt (Lorentzen 1993, 49f.). Trotzdem zögern viele Autoren, diesen Frauen den ihnen offenbar gebührenden Platz in den prähistorischen Führungshierarchien einzuräumen (Lüscher 1999). Daß Opfergaben in der Archäologie ähnlich wie Grabbeigaben beurteilt werden, zeigt uns eine Bemerkung von Alfred Haffner (1995, 28): „Überblickt man das Spektrum der Objektopfer, so fällt auf, daß es nahezu identisch mit dem der Totenausstattung in den Gräbern ist. Es ist wertvolles Sachgut, das wesentlich zur Statusdarstellung in der Gemeinschaft geeignet ist.“ Von den Objekten, die in den Gräbern als geschlechtsspezifische Beigaben erkannt wurden, wird angenommen, daß sie auch von den entsprechenden Geschlechtern als Weihegaben verwendet wurden. Dabei wird übersehen, daß wir mit dieser Übertragung von einem Kontext (Grab) in einen anderen (rituelles Depot) das materielle Objekt von seinen Bezugspersonen abtrennen (Kästner 1997, 24). Gegenstände haben aber kein Geschlecht, das ein für alle mal festgelegt ist, und das „contextual meaning“ kann in einem anderen Kontext eben durchaus ein anderes sein. So kommen Münzen zwar ausschließlich in Frauengräbern vor (Polenz 1982; Dunning 2001), aber man würde doch zögern, deswegen sämtliche geweihten Münzen weiblichen Spenderinnen zuzuschreiben, denn zweifellos haben auch Männer im Alltagsleben Münzen benutzt und besessen. Die aus der Gräberanalyse gewonnenen Einsichten, welche Objekte zu welchen Geschlechtern in Beziehung stehen, müssen durch weitere Untersuchungen in verschiedenen Lebensbereichen ergänzt werden, zumal im rituellen Bereich die bei den Gräbern mögliche Kontrolle durch die anthropologische Geschlechtsbestimmung entfällt. Trotz all dieser Probleme soll im folgenden untersucht werden, inwieweit mit archäologischen Mitteln eine Beteiligung der Frauen am Kultwesen nachgewiesen oder zumindest wahrscheinlich gemacht werden kann. Die auf den erwähnten Stereotypen beruhenden Vorstellungen von den Geschlechterrollen in den eisenzeitlichen Gesellschaften müssen dringend hinterfragt werden. Sie können aber nicht durch Kritik allein überwunden werden, sondern nur, wenn es gelingt, sie in jedem einzelnen Teilbereich durch neue, wissenschaftlich besser abgestützte Modelle zu ersetzen. Ich bin der Meinung, daß dabei trotz der geäußerten methodischen Bedenken der aktuell geführte archäologische Diskurs als Ausgangspunkt genommen werden muß, denn Archäologie lebt nicht als abstrakte Wissenschaft, sondern nur als kontroverse Debatte.
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Wir müssen uns zudem bewußt sein, daß die Spärlichkeit unserer Quellen geistige Anleihen aus dem Fonds unserer eigenen Lebenswirklichkeit unentbehrlich macht, die einer hyperkritischen Überprüfung letztlich nicht standhalten können. Die vorliegende Arbeit muß sich allerdings auf den Versuch beschränken, einige grundlegende Aspekte des Problems anzusprechen und nach weiterführenden Wegen für die künftige Forschung zu suchen.
Männer und Waffen Wenden wir uns zunächst den Weihefunden mit Waffen zu, die wie in den Gräbern auch im Kultwesen als eindeutiges und sicher männliches Geschlechtsattribut gelten. Die sensationellen Entdeckungen im Heiligtum von Gournay-sur-Aronde (Dép. Oise, Frankreich) wurden schon vor der Beendigung der Grabungen bekannt gemacht (Brunaux 1978; Brunaux u. a. 1980; Rapin 1982) und haben die Erforschung der keltischen Religion entscheidend beeinflußt. Bis heute ist das Fundmaterial aber noch nicht vollständig publiziert, und auch eine abschließende Beurteilung fehlt noch (Brunaux u. a.1985; Brunaux/Rapin 1988; Lejars 1994). Für Brunaux (1986, 63f.; 120f.) sind Gournay und verwandte Heiligtümer eine neuartige Erscheinung im Kultwesen der Gallier und Ausdruck der ab dem 3. Jahrhundert v. Chr. einsetzenden „Urbanisierung“. Zu dieser Sichtweise hat sicher beigetragen, daß zunächst angenommen wurde, das Heiligtum liege im Innern eines Oppidums (Brunaux u. a. 1985)2. Die im Heiligtum praktizierten Riten hält Brunaux für öffentliche Kulte, die unter der Leitung von Druiden durchgeführt wurden (1986, 63f.; 115f.). Neben den zahlreichen Tierknochen und menschlichen Skelettresten wurde eine große Zahl von Metallobjekten geborgen, v. a. Waffen und Gürtelteile (1200 Fragmente), aber auch 104 Fibeln, 122 Ringe sowie 76 Eisenbarren, Werkzeuge und Geräte (Brunaux u. a. 1985, 71)3. Befunde und Funde erlauben die Rekonstruktion verschiedener Riten (Brunaux 1986, 120f.): – Tieropfer (Rinder, Pferde), die nicht verzehrt werden („le sacrifice chthonien“) 2
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Inzwischen ist von einem Oppidum offenbar nicht mehr die Rede, die beobachteten Wälle sind älter als das Heiligtum (Brunaux 1996, 69). Eine Schätzung der Anzahl „Individuen“ bei Rapin (1982, 58 Tab. 5): Schildbuckel 179–190, Schwertscheiden 148–160, Schwerter 80–90, Lanzenspitzen 70–75, Schaftschuhe 48, Gürtelhaken 21, Gürtelringe 102, Gürtelketten 40–50, Fibeln 70–80.
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– Waffenopfer (Trophäen, Kriegsbeute?) – Tieropfer (Schwein, Schaf), die konsumiert werden (sacrifice destinés aux divinités bénéfiques) – Menschenopfer/Totenkult Brunaux mißt dem Waffenopfer die bei weitem größte Bedeutung zu, während die komplexen Rinder- und Pferdeopfer als bloße Begleiterscheinung gewertet werden, obwohl sie als angeblich „chthonische Riten“ nicht in die Welt des Krieges gehören würden, sondern eher als landwirtschaftliche Kulte anzusprechen wären. Die Deponierungen von Fibeln, Ringen, Münzen und Geräten werden von Brunaux keinem der Riten explizit zugerechnet, und ihre Opferung wird nicht kommentiert4. Alles in allem ist Gournay für Brunaux der adäquate Ausdruck einer äußerst kriegerischen Gesellschaft, die ganz von den Männern dominiert wird5. In seiner Analyse der eisenzeitlichen Gewässerfunde Südenglands bezieht sich Andrew Fitzpatrick (1984) insbesondere auf die Funde aus den Flüssen Themse und Witham. Während in der Themse Fundstellen mit Waffen, Münzen und Fibeln dominieren (Fitzpatrick 1984, 180), stellen die Funde aus dem Witham (Waffen und eine Carnyx) kaum einen repräsentativen Querschnitt durch das ursprüngliche Opfergut dar (Fitzpatrick 1984, 181). Fitzpatrick (1984, 185) hält die Metallobjekte für Symbole „of authority, wealth and of security“ und ist der Meinung, daß es sich nicht um private, sondern öffentliche Deponierungen handle. Fitzpatrick (1984, 186f.) äußert sich explizit zum Thema „Gender Distinction“: Krieg sei aufgrund der literarischen Quellen eindeutig Männersache, und auch die Münzen – insbesondere solche aus Edelmetall – gehören seiner Ansicht nach in die männliche Domäne. Eine Fundgruppe, die sich mit „female activities“ verbinden ließe, sieht er unter den Flußfunden nicht6. Zu den Fibeln äußert er sich in diesem Zusammenhang nicht. Der hohe Anteil an Waffen bestimmt für Fitzpatrick (1984, 187) den männlichen Charakter der in Gewässern deponierten Weihegaben, denn „power and wealth are characteristically masculine attributes“.
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Wie die Waffen zeigen auch die Fibeln und Armringe Spuren von Gewalteinwirkung (Rapin 1982, 56 Abb. 31; 59 Abb. 37). Vgl. etwa Brunaux 1986, 101: „… les Celtes, peuples guerriers par exellence …“. Aber: „It is possible that a corresponding group of female offerings may exist but not be apparent in analyses which concentrate on artefacts associated with male activities“ (Fitzpatrick 1984, 187).
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„Massenfunde mit Waffen“ Felix Müller (1990, 81) rechnet für den „Tiefenau-Massenfund“ (Bern-Enge) mit ursprünglich gegen 700 Metallobjekten, wobei neben sehr zahlreichen Wagenteilen Waffen massiv vertreten sind (80 Schwerter, 30 Lanzen). Weitere namhafte Fundgruppen stellen Eisenbarren (ca. 25), Münzen (30) und Fibeln (sicher über 20)7. Zusätzliche Trachtteile, insbesondere Ringe, fehlen fast ganz. Tier- (und eventuell Menschenknochen) scheinen vorhanden gewesen zu sein, ebenso Keramik, von der aber nur wenige Fragmente aufbewahrt wurden (Müller 1990, 14; 70). Von all diesen Funden sind es nach Müller die Waffen, welche den Charakter des Massenfundes bestimmen. Wagen kämen zwar auch in Frauengräbern vor, müßten aber im Tiefenau-Massenfund wegen der Präsenz der Waffen der Männersphäre zugewiesen werden (1990, 62). Unter dem Oberbegriff „Massenfunde mit Waffen“ faßte er neben dem Komplex aus der Tiefenau eine Reihe weiterer Weihefunde zusammen (Müller 1990, 76f.), wobei die (rituell deformierten) Waffen nicht nur für den Nachweis des sakralen Charakters dieser Fundkomplexe von entscheidender Bedeutung sind, sondern darüber hinaus als Argument für ihren kollektiven, kriegerischen und damit männlichen Charakter dienen. Außer in Gournay und Bern-Tiefenau sind aber auch in weiteren der von Müller angeführten „Massenfunden“ neben den Waffen zahlreiche andere Fundkategorien vorhanden. In Mirebeau (Dép. Côte d’Or, Frankreich) sind Fibeln und Ringschmuck zahlreicher als die Waffen, und Keramik ist massenhaft vorhanden (Brunaux 1985; Müller 1990, 78). Guillaumet und Barral (1991, 195) sehen denn auch einen deutlichen Gegensatz zu den „cultes guerriers et sanglants“ von Gournay: „Les découvertes de Mirebeau évoquent davantage les activités de la vie quotidienne.“ Für das Heiligtum von Hayling Island (Hampshire, Großbritannien) werden in den Vorberichten (Downey u. a. 1980, 293; 301; King/Soffe 1994, 115) neben den Waffen auch viele Funde genannt, die von den Bearbeitern nicht der Kriegerausrüstung zugerechnet werden: Fibeln, Fingerringe, Armringe, Glas- und Bernsteinperlen, Barren, Amphoren und Keramik sowie gegen 170 keltische Münzen. La Tène (Kanton Neuchâtel, Schweiz) ist für die große Vielfalt der Weihegaben geradezu notorisch bekannt, und die gegen 400 Fibeln bilden eine der bedeutendsten Fundgruppen (Vouga 1923, 28; Egloff 1991, 369). Müller (1990, 100) kann sich diese Fibeln aber „gut
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Die Umstände der Grabungen (1849–1851) und der Fundüberlieferung dürften sich stark zu ungunsten der kleinen Objekte (Fibeln, Münzen) ausgewirkt haben (so auch Müller 1990, 32).
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als Verschlüsse von groben (Männer-)Mänteln vorstellen“, als Bestandteil der kriegerischen Männersphäre also8. In Cornaux (Kanton Neuchâtel, Schweiz) schließlich fanden sich bei der latènezeitlichen Brücke neben 18 Waffen auch zehn Fibeln sowie einige Werkzeuge und Trachtbestandteile, eine Potinmünze und viel Keramik (127 Katalognummern) (Schwab 1989, 88f.). Zu beachten sind auch die Tieropfer und Menschenskelette (Schwab 1989, 137ff.; 161ff.). Die „Massenfunde mit Waffen“ sind also alles andere als homogen, und eine ausschließliche Zuschreibung zur Welt der Männer ist nur möglich, wenn man den Waffen zutraut, die von den Grabfunden abgeleitete Geschlechtszuweisung anderer Funde abzuschwächen oder gar umzukehren.
Fibeln und Trachtschmuck: Frauenopfer? Parzinger (1995, 210) teilt die hallstattzeitlichen Depotfunde des Alpenraums in zwei Gruppen: Horte mit ausschließlich oder überwiegend Trachtschmuck und solche mit Waffen und Gerät, allerdings ohne diese Gruppen explizit den beiden Geschlechtern zuzuweisen. Fibeln und Schmuck gelten aber als klassische Weihegaben von Frauen. Wie im Kontext der Gräber aber werden Deponierungen offenbar nur dann als vermutlich „weiblich“ akzeptiert, wenn Fibeln und Schmuck wie in Duchcov (Tschechische Republik) alleine auftreten (Lorentzen 1993, 52)9. Das ist aber relativ selten der Fall. Vielmehr zieht sich das Nadel- und später Fibelopfer von der Bronzezeit bis in die gallorömische Epoche wie ein roter Faden durch die unterschiedlichsten Arten von Votivkomplexen. Die ausführliche Zusammenstellung der prähistorischen Fibelopfer durch Teegen (1999, 259ff.) kann durch einige Neufunde ergänzt werden. Zu den noch immer raren Fibelopfern der Hallstattzeit gesellt sich das Heiligtum von der Quelle der Douix bei Châtillon-sur-Seine (Dép. Côted’Or, Frankreich), wo über 200 Fibeln geborgen wurden (Buvot 1998). Fibeln finden sich auch unter den Opferfunden vom Brandopferplatz Forggensee (Bayern, Deutschland) (Zanier 1999, 34f.). Im Heiligtum von Bennecourt (Dép. Yvelines, Frankreich) bilden die Fibeln die häufigste Fundkategorie unter den Metallobjekten der mittleren Latènezeit (Bourgeois 1999). Den von
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„In dieser Größe und Form sind Eisenfibeln in den Frauengräbern von Münsingen-Rain jedenfalls nicht geläufig.“ Für einige Fibeln aus der Tiefenau (Nr. 1–3) führt er aber vergleichbare Stücke aus den Münsinger Gräbern 168, 171 und 178 an (Müller 1990, 33), bei denen es sich um klassische Frauengräber handelt (Martin-Kilcher 1973, 27 Abb. 2). Kruta (1971, 72) kommt zum Schluß, daß es sich bei der Personengruppe, die hinter der Massenweihung steht, um „des membres d’une importante collectivité“ handle. Zum Geschlecht dieser Gruppe äußert er sich nicht.
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Teegen angeführten Altfunden kann meiner Ansicht nach Sanzeno (Trento, Italien) hinzugefügt werden. Ein großer Teil der Funde, darunter auch große Fibelkomplexe, sind wohl als Weihegaben anzusehen (v. Merhart 1926, 73; Spehr 1983). Obwohl gewöhnliche Fibeln wohl keine besonders wertvollen Gegenstände waren und in der Eisenzeit immer mehr zu einem unscheinbaren Massenprodukt wurden, scheint ihnen eine besondere symbolische Bedeutung zuzukommen, die uns allerdings nicht bekannt ist. Trotz der zu Hunderten in den griechischen Tempeln niedergelegten Fibeln (Kilian 1975, 168; Saponna-Sakellarakis 1978, 2) geben uns die antiken Schriftquellen über die Hintergründe dieser Votive keine Aufschlüsse. Wir sollten uns davor hüten, die Präsenz von Fibeln und anderen Trachtelementen in den „Massenfunden mit Waffen“ zu marginalisieren, auch wenn sie in einigen Fällen zahlenmäßig nicht sehr ins Gewicht fallen. Es scheint mir auch wenig wahrscheinlich, daß es sich dabei um „Plündergut“ handelt, das von den Männern zusammen mit den Waffen geopfert wurde, wie dies Gabriele Kurz (1999, 99) annimmt. Die fraglichen Trachtelemente sind vielmehr Ausdruck eines spezifischen Traditionsstranges, der die „Massenfunde“ mit anders strukturierten Votivkomplexen verschiedener Epochen verbindet. Aber handelt es sich bei den Fibeln tatsächlich um weibliche Gaben? Gabriele Kurz (1999, 95) ist jedenfalls der Meinung, daß diese Ansicht „nur auf den ersten Blick überzeugt“. Wenig überzeugend ist allerdings auch ihr Versuch, das Gegenteil zu beweisen, der sich im wesentlichen darauf beschränkt, den Votivcharakter möglicher Frauenopfer in Frage zu stellen, indem sie erneut diese ominösen und stets etwas schusseligen „Händler“ bemüht, die allenthalben wertvolle Gegenstände verstecken und sie dann nicht mehr finden. Die meisten Trachtbestandteile wurden nach Ausweis der Gräber nicht exklusiv von Frauen getragen, was natürlich kaum den pauschalen Umkehrschluß erlaubt, daß Trachtbestandteile auch von beiden Geschlechtern als Opfergaben dargebracht wurden (so Kubach 1977, 572). Die Ansicht, Nadeln und Fibeln seien in der Regel von Frauen geopfert worden, wird meist ganz beiläufig geäußert (Torbrügge 1972, 99; 119; Pauli 1985 Anm. 58). Torbrügge verweist zur Begründung seiner Ansicht zudem auf einen Aufsatz von Alphons A. Barb (1953) über die Nadeln aus dem Rethia-Heiligtum von Este mit Votiv-Inschriften von Frauen. Bei den von Barb als „Bronzenadeln oder -nägel“ bezeichneten Objekten handelt es sich aber in Wirklichkeit nicht um Gewandnadeln, sondern um Schreibstifte (Stili), die natürlich auch nicht in die späte Bronzezeit, sondern in das 4.–3. Jahrhundert v. Chr. gehören (Chieco Bianchi/Tombolani 1988, 33; 103; Fogolari/Prosdocimi 1988, 173; 386). Immerhin bestätigen auch die modernen Bearbeiter,
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daß die 24 Stili mit lesbaren Inschriften ausnahmslos von Frauen dargebracht wurden. Das paarweise Tragen von Fibeln gilt nach übereinstimmender Ansicht als Merkmal der Frauentracht. Unter der Voraussetzung, daß Votivgaben jeweils aus dem persönlichen Besitz des Spenders oder der Spenderin stammen, dürfen wir für paarweise geopferte Fibeln eine weibliche Urheberschaft annehmen. Im Heiligtum von Mechel (Meclo) am Nonsberg (Trento, Italien) läßt sich das Nadel-/Fibelopfer von der Urnenfelderzeit bis zur späten römischen Kaiserzeit verfolgen (Gleirscher u. a. 2002 Fundstelle Nr. 82). Brigitte Gehring (1976, 163) ist bei der Bearbeitung eines Teils der zu Hunderten deponierten Fibeln aufgefallen, daß viele Fibeln paarweise auftreten und folglich von Frauen getragen wurden. Ludwig Pauli (1986, 829) hat zudem bemerkt, daß die Fibelreihe im 3. Jahrhundert n. Chr. abbricht, während die Münzreihe bis in das 4. Jahrhundert weiterläuft. Das Ende der Fibelgabe erfolgte also zum Zeitpunkt, als die Fibeln aus der Frauentracht verschwanden. Von den von Werner Krämer (1971) zusammengestellten silbernen Fibelpaaren stammen auffallend viele aus wahrscheinlichen Votivfunden. Reste von Kettchen unterstreichen die Zugehörigkeit zur Frauentracht. Die zwei durch ein Kettchen verbundenen Fibeln von Lauterach (Vorarlberg, Österreich) waren von Münzen und je einem Finger- und Armring begleitet (Krämer 1971, 111f.; Rieckhoff-Pauli 1981; Dembski 1992). Eine der zwei ungleichen Silberfibeln von Manching trägt an der Spirale einen Befestigungsring für ein Kettchen. Bei ihrer Auffindung waren die beiden Fibeln ineinandergehängt und mit einem Schlüssel zusammengerostet (Krämer 1971, 117). Eine Silberfibel mit Resten einer Kettchenbefestigung sowie zwei Bronzefibeln stammen aus dem großen Münzschatz von Le Catillon de Haut auf Jersey (Großbritannien) (Krämer 1971, 127). Auch bei den zwei Silberfibelpaaren aus Great Chesterford (Essex, Großbritannien) könnte es sich um einen Weihefund handeln (Krämer 1971, 124). Die Sitte, Fibeln paarweise zu opfern, war aber nicht auf Edelmetallfibeln beschränkt. Zwei identische Bronzefibeln der Stufe Lt C2, offenbar nicht ganz fertiggestellt, fanden sich auf dem Grund einer Zisterne auf der „Stökkenburg“ bei Vellberg (Baden-Württemberg, Deutschland). Den Ausgräbern (Balle/Stork 1996, 119) „scheint der Gedanke an ein bewußtes ‚Opfer‘ nicht abwegig.“ Ein Fibelpaar, mit einer Kette verbunden, stammt aus einem gallo-römischen Fanum von Argentomagus (Saint-Marcel, Dép. Indre, Frankreich) (Albert/Fauduet 1976, 54 Taf. IV20). Zusammen mit zehn Edelmetallmünzen fanden sich in Langenau (Baden-Württemberg, Deutschland) zwei Paare jeweils gleich gearbeiteter Prunkfibeln der Spätlatènezeit (Reim 1980).
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Im Bereich eines kaiserzeitlichen Tempels von Bregenz (Vorarlberg, Österreich) wurden zahlreiche in einem Mörtelklumpen eingeschlossene Fibeln entdeckt. Alle 80 Messingfibeln waren paarweise ineinandergehängt, die 22 bis 24 Eisenfibeln aber lagen einzeln vor. Michaela Konrad (1994, 228) sieht darin wohl zu Recht ein vornehmlich weibliches Bauopfer. Eine ganze Reihe von prachtvollen, emailverzierten Fibeln, jeweils paarweise durch Kettchen verbunden, stammt aus den Fibelmassenfunden von Sanzeno (Trento, Italien) (Bott 1999, 107). Aus erhaltenen Schatzlisten griechischer Tempel geht hervor, daß Schmuck in den meisten Fällen von Frauen geweiht wurde (Philipp 1981, 19). Die Weihung ganzer weiblicher Trachtausstattungen läßt sich auch archäologisch nachweisen (Felsch 1983, 124; Kilian 1975, 166). Auf den griechischen Fibeln wurden leider keine Weiheinschriften angebracht, und Fibeln fehlen folglich auch bei den von Brommer (1985) und Burkert (1977) aufgelisteten Opferfunden. Es lassen sich also durchaus einige Hinweise darauf finden, daß Fibeln tatsächlich von Frauen als Weihegaben dargebracht wurden, und weitere Belege könnten mit Sicherheit durch gezielte Nachforschungen beigebracht werden, wenn den Fibeln in den Opferkomplexen die gleiche Aufmerksamkeit gewidmet würde wie den Waffen. Auf archäologischer Basis kann natürlich nicht ausgeschlossen werden, daß Fibeln auch von Männern geweiht wurden, auch wenn sich dafür keine Belege beibringen lassen. Es scheint mir jedenfalls unzulässig, Fibeln je nach der Präsenz/Absenz von Waffen in den entsprechenden Depots entweder den Männern oder den Frauen zuzuweisen. Auch für den Ringschmuck aus Weihefunden läßt sich wohl in der Mehrzahl eine Zugehörigkeit zur weiblichen Tracht annehmen, auch wenn Finger- und Armringe in Männergräbern gelegentlich vorkommen. Wie bei den Fibeln ließe sich genauso für einen Teil der Ringe die Zugehörigkeit zur weiblichen Tracht durch eine sorgfältige Untersuchung nachweisen. Oft wird diesen Funden aber wesentlich weniger Aufmerksamkeit gewidmet als etwa den Waffen. So sind die Ringe (wie auch die Fibeln) von Gournay noch immer nicht publiziert, und auch von La Tène wurden bisher allein die Schwerter monographisch vorgelegt (De Navarro 1972). Glasarmringe etwa wurden ausschließlich von Frauen getragen, aber offenbar selten als Weihegaben niedergelegt10. Daß sich entsprechende Untersuchungen lohnen, zeigt etwa die Bearbeitung der Gürtelhaken aus dem Heiligtum von Fesques (Dép. Seine Maritime, Frankreich), von denen einige Typen der Frauentracht zugewiesen werden 10
Als typisches Beispiel für Frauenschmuck auch bei Müller (1990, 92).
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konnten. Zu den vielfältigen Weihegaben gehören auch 1314 gallische Münzen, 92 Fibeln, 46 Armringe, aber auch 22 Schwerter (Mantel 1997, 338 Abb. 4). Ein Gürtelhaken der Frauentracht fand sich auch im Fund von La Villeneuve-au-Châtelot (Dép. Aube, Frankreich), zusammen mit anderen Gürtelhaken sowie Waffen und Fibeln. Gérard Bataille (2001, 460) schließt daraus konsequent, daß es sich bei den Deponierungen von La Villeneuve nicht ausschließlich um Kriegerausstattungen handeln kann.
Weitere Hinweise auf Frauenopfer Als erkennbare weibliche Opfergaben kommen neben den Trachtbestandteilen weitere Objekte in Frage, die dem Lebens- und Arbeitsbereich der Frauen zugerechnet werden können. Leider macht sich hier besonders schmerzhaft der mangelhafte Forschungsstand bemerkbar, so daß wir auf mehr oder weniger begründete Vermutungen angewiesen sind. Spiegel kommen, wenn auch selten, in Frauengräbern vor (Bad Dürkheim und Sinsheim-Dühren), und auch in Weihefunden sind sie nur selten vertreten11. In Griechenland lassen sich von Frauen geweihte Spiegel durch Tempelschatzlisten sicher nachweisen (Cole 1998, 37). Die Herstellung von Textilien gilt als klassisches Frauenhandwerk, und entsprechende Geräte kommen denn auch nur ausnahmsweise in Männergräbern vor (Dobiat 1980, 153). Daß es sich bei den webenden und spinnenden Frauen auf der Vase von Sopron und dem Tintinnabulum von Bologna eher um göttliche als menschliche Wesen handeln soll, wie A. Eibner (1997, 133) vermutet, scheint mir nicht überzeugend. Als Weihegaben sind Spinnwirtel12, Fadenspulen13, Webgewichte und Nähnadeln sehr zahlreich vertreten. Im antiken Griechenland ist die Herstellung von Textilien durch die Frauen vielfach belegt – allerdings nur im häuslichen Bereich, während in der gewerblichen Produktion Männer beschäftigt waren (Thompson 1992). Im Artemis-Heiligtum von Brauron (Attika), zu dem Männer keinen Zutritt hatten, 11
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Mandeure (Dép. Doubs, Frankreich): Guillard 1992; Gauting (Bayern, Deutschland): Egger 1985; Este-Baratella (Padova, Italien): Pascucci 1990 Abb. 69–70; Waldenburg-Gerstelflue (Basel-Land, Schweiz): Müller u. a.. 1999, 277; Gutenberg bei Balzers (Fürstentum Liechtenstein): Hild/v. Merhart 1933, 19 Taf. IV; VI; Mirebeau (Dép. Côte-d’Or, Frankreich): Brunaux 1985, 82; Bennecourt (Dép.Yvelines, Frankreich): Bourgeois 1999, 127. Liste (v. a. frühe gallo-römische Zeit): Bourgeois 1999, 185. Fesques: Mantel 1997, 338. Liste bei Parzinger u. a. (1995, 201) mit 14 Fundstellen; Waldenburg-Gerstelfluh (Basel-Land, Schweiz): Berger/Müller 1981, 32. Zu Spinnwirteln als möglichen bronzezeitlichen Gewässerfunden: Müller 1993 Anm. 81.
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sind Spindeln, Spinnwirtel, Webgewichte und auch Kleider als Weihegaben inschriftlich bezeugt (Cole 1998, 36). Auch bei einer Quelle bei Ktouri (Thessalien) wurden Webgewichte und Tonspulen als Weihegaben niedergelegt (Kilian 1975, 5). Die Verfügungsgewalt über die Lebensmittel und die Keramikgefäße, in denen diese aufbewahrt wurden, wird traditionell den Frauen zugesprochen. Als möglicher Beleg für diese Ansicht könnten die überwiegend weiblichen Graffiti angeführt werden, die sich auf der Keramik von Bibracte (Frankreich) finden (Vitali 1998). Wir verzichten hier auf den Versuch, eine Liste der Weihefunde mit Keramik zusammenzustellen. Als Beispiel möge Mirebeau (Frankreich) (Brunaux 1985) genügen, wo zahlreiche Keramikgefäße in situ gefunden wurden. An derselben Fundstelle ließen sich auch Getreidereste nachweisen (Brunaux 1985, 109), die vielleicht wie in den mittelmeerischen Kulten zusammen mit dem Tieropfer dargebracht wurden. Getreide- und Brotopfer wurden ebenso in zahlreichen hallstattzeitlichen Opferhöhlen und -schächten festgestellt (Parzinger u. a. 1995, 199f.). Weiterhin dürfen Reib- und Mühlsteine, die der Zubereitung der Getreidespeisen dienten, wohl als Arbeitsgeräte von Frauen angesprochen werden, und könnten deshalb auch von diesen als Opferfunde niedergelegt worden sein14. Auch Schlüssel werden mit den Frauen – als Hüterinnen des Hauses – in Verbindung gebracht. Darstellungen von Frauen mit Schlüsseln sind auf Votivblechen aus dem venetischen Gebiet zu finden (Este Baratella: Pascucci 1990, 151 Abb. 56, 12–13; Montebelluna [Treviso, Italien]: Mansel 1989, 583). Wie bei den Darstellungen von Frauen bei der Textilarbeit stellt sich aber die Frage, ob hier mythologische Wesen oder reale Frauen dargestellt sind. In Votivfunden sind Schlüssel auch nördlich der Alpen gut vertreten15.
Bildquellen und Inschriften Die bereits erwähnten Stili aus dem Heiligtum von Este Baratella zeigen, daß sich auch ganz überraschende Objekte als weibliche Gaben herausstellen können (Pascucci 1990 bes. 243; Fogolari/Prosdocimi 1988, 173). Die starke weibliche Präsenz in diesem Heiligtum wird zusätzlich durch 333 Spinnwirtel, Garnspulen und Webgewichte unterstrichen (Pascucci 1990 Abb. 69–70).
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Este Baratella: Pascucci 1990 Abb. 69–70, B 10 („Rocchette“). Býµí skála (Tschechische Republik): Parzinger u. a. 1995 Taf. 85; La Tène (Neuchâtel, Schweiz): Vouga 1923 Taf. 26; Rodez (Dép. Aveyron, Frankreich): Boudet 1994, 27.
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Auch Trachtbestandteile sind zahlreich vorhanden. Bemerkenswert ist aber, daß in diesem Heiligtum offenbar genauso Männer opferten, wie etwa die Präsenz von zwei Dutzend Waffen (auch en miniature) nahelegt. Daß auch die Männer sich nicht ausschließlich mit Waffenopfern an die Götter wandten, läßt sich im Heiligtum des Trumusiati/Apollon von Lagole (Trento, Italien) belegen. Unter den einigen hundert Weihegaben des 4. und 3. Jahrhunderts v. Chr. wurden etwa 60 Griffe von Schöpfkellen ausschließlich von Männern signiert. Waffen hingegen sind relativ selten (ca. 25 Exemplare), Fibeln dagegen seien zahlreich („numerose“), während Armringe und Gegenstände des Textilhandwerks vollständig fehlen (Pascucci 1990, 248). In Este Baratella und Lagole handelt es sich bei den inschriftlich gekennzeichneten geschlechtsspezifischen Gaben um Objekte, die von der Archäologie weder aufgrund der angenommenen Rollenverteilung noch aufgrund der Grabfunde als typisch „weiblich“ oder „männlich“ angesehen werden. Wenn es sich bei den zahlreichen Votivstatuetten und den Darstellungen auf den Votivblechen aus den alpinen Weihefunden tatsächlich um Selbstdarstellungen der Opfernden handelt, wie allgemein angenommen wird, könnte sich uns hier eine weitere Informationsquelle erschließen. Frauen werden bei Libationen (Abb. 1) und als Gefäßträgerinnen dargestellt (Parzinger u. a. 1995, 215). Bedeutend häufiger sind aber Darstellungen von Männern als Krieger und Reiter. Das könnte damit zusammenhängen, daß die Betroffenen in einem besonderen Maße darauf angewiesen waren, sich göttlichem Schutz zu empfehlen. Es scheint mir aber auch denkbar, daß besorgte Frauen für ihre Liebsten entsprechende Statuetten weihten, wenn diese in den Krieg zogen. Das könnte die zahlreichen Krieger- und Reiterstatuetten im ansonsten weiblich dominierten Heiligtum von Este Baratella erklären, während im „männlichen“ Lagole weibliche Statuetten fehlen. Daß aber selbst bei scheinbar „eindeutigen“ Figuren Vorsicht geboten ist, zeigt das Beispiel der Statuetten von Balzers (Fürstentum Liechtenstein). Zusätzlich zu dem von Wyss (1978, 155) vermerkten „kräftigen Genitalapparat“ haben einige der Figuren auch weibliche Brüste und müssen folglich als „androgyne Wesen“ bezeichnet werden. Für unsere Fragestellung von besonderer Bedeutung ist natürlich auch der einzigartige Opferzug auf der Certosa-Situla (Abb. 2) (Lucke/Frey 1962, 59 Taf. 64). Frauen sind darauf durchaus vertreten, und zwar, abgesehen von den (männlichen) Dienern, in ähnlicher Zahl wie die Männer. Sie tragen Brennholz, verschiedene Körbe und Behälter sowie Gefäße für Flüssigkeiten, beteiligen sich also am geplanten Tieropfer und bringen wahrscheinlich auch eigene Gaben zum Opferplatz. Auch in der Personengruppe auf dem „Kultwagen“ von Strettweg (Steiermark, Österreich), bei der es sich um die Dar-
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Abb. 1. Frau mit Krug und Schale bei der Libation (Trankopfer). Bronzestatuette aus dem ReitiaHeiligtum von Este, via Deserto (4.–3. Jh. v. Chr.)
stellung einer „Prozession“ handeln könnte, sind Frauen prominent vertreten (Egg 1996; Lüscher 1999). Wenig bekannt ist die Inschrift bei einer abgelegenen Quelle in der Nähe von Steinberg am Achensee (Tirol, Österreich), wo sich mehrere Frauen als Weihende verewigt haben. Leider wurde nicht festgehalten, welche Gaben der Gottheit dargebracht wurden (Pauli 1980, 180).
Die klassische Welt: Die Frauen im Kult Griechenlands und Roms Mediterrane Beispiele wurden häufig zur Deutung eisenzeitlicher Kultrelikte herangezogen (Krämer 1966; Schwarz 1975; Müller 1990, 106f.; Brunaux 1991), zumal die allerdings spärlichen Nachrichten der antiken Autoren über die Religion der nördlichen Barbaren keine prinzipiellen Unterschiede bei der Kultausübung vermerken. Auch wir wollen einen Blick nach Griechenland
Abb. 2. Fries 2 von der Bronze-Situla von Bologna-Certosa, Grab 68 (5. Jahrhundert v. Chr.)
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und Rom werfen, um eine Vorstellung davon zu bekommen, welchen Platz die Frauen im Kultwesen einer patriarchalischen Gesellschaft eingenommen haben könnten. Im antiken Griechenland sind Frauen nicht Bürgerinnen, sondern nur Mütter, Ehefrauen oder Töchter von Bürgern. Sie sind vom aktiven bürgerlichen und politischen Leben ebenso ausgeschlossen wie vom blutigen Tieropfer, das von der traditionellen Forschung als Kern des griechischen Ritus angesehen wird (Burkert 1972; 1977). Die Frauen gehören nicht zur Gruppe der Tischgenossen, aus denen die Verteilung des Fleisches der Opfertiere Gleiche innerhalb der Polis macht (Bruit Zaidman 1993, 376). Mädchen und Frauen spielen aber in vielen Riten eine bedeutende Rolle. In Athen weben und waschen die jungen Mädchen den Peplos der Stadtgöttin. Frauen und Mädchen mahlen das Mehl für die Opferkuchen (Bruit Zaidman 1993, 379). Die Mädchen „reproduzieren im Bereich des Heiligen die profanen Arbeiten, die die erwachsenen Frauen in den Frauengemächern verrichten“ (Brulé 1987, 116). In der Opferprozession tragen sie den Opferkorb mit der heiligen Gerste oder die Wasserbehälter (vgl. Abb. 2) (Bruit Zaidman 1993, 381). Auch die Ehefrauen sind an kultischen Aktivitäten beteiligt, die um das traditionelle weibliche Textilhandwerk kreisen. Die regelmäßige Erneuerung der Kleider von Götterbildern gehört neben Athen auch in vielen anderen Städten zu den bedeutendsten Kulthandlungen (Bruit Zaidman 1993, 390f.). Die Ehefrauen spielen besonders bei den Thesmophorien eine bedeutende Rolle, ein Fest, das im Herbst zu Ehren von Demeter und Persephone gefeiert wird. Aus geweihten Gruben werden die Reste von Ferkeln geholt, die im vorangegangenen Jahr dort hineingeworfen worden waren, um jetzt mit Saatgut vermischt auf dem Altar geweiht zu werden (Bruit Zaidman 1993, 387f.). Während in der älteren Literatur die Beschwörung der Fruchtbarkeit der Frauen und des bestellten Landes als der eigentliche Inhalt des Kultes angesehen wurde, weisen jüngere Interpretationen darauf hin, daß diese geheimen und ausschließlich den Frauen vorbehaltenen Riten den Grundlagen der Zivilisation überhaupt gewidmet sind (Lowe 1998). Daß die weiblichen Riten nicht nur für die Frauen selbst, sondern für die ganze Polis von größter Bedeutung waren, läßt sich besonders an den Artemis-Kulten ablesen (Cole 1998). Ähnliche Aspekte sind auch in den dionysischen Riten erkennbar (Bruit Zaidman 1993, 393f.; Lowe 1998). Epigramme auf Votivgaben und Votivtafeln belegen, daß den Frauen der Weg zum Heiligtum offenstand (Bruit Zaidman 1993, 408f.). Die Weihung von Votiven gehört zwar zumeist in den Bereich des privaten religiösen Alltags, aber ihre Bedeutung darf nicht unterschätzt werden. In vielen Mythen
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wird geschildert, wie das rituelle Verhalten eines (und auch einer) Einzelnen das Wohlergehen der ganzen Gemeinschaft gefährden oder sichern kann (Cole 1998, 30). Louise Bruit Zaidman (1993, 414) kommt zum Schluß, daß sich im antiken Griechenland politische Entrechtung und Beteiligung am Kult nicht ausschließen: „Im Gegensatz zur Welt des Politischen kann man im religiösen Bereich die Frauen nicht übergehen.“ „Die Frauen sind zwar vom politischen Leben und damit auch vom Opferkult a priori ausgeschlossen, dennoch werden sie in das religiöse Leben so weitgehend einbezogen, daß wir von einem ‚kultischen Bürgerrecht‘ sprechen können“ (Bruit Zaidman 1993, 375). Die Religion war das Ausnahmegebiet, wo Frauen aus dem häuslichen Bereich heraustreten und sich am öffentlichen Leben beteiligen konnten (Blundell/ Williamson 1998, 1). Auch in Rom waren die Frauen vom Tieropfer und vielleicht auch der Weinspende ausgeschlossen (Scheid 1993, 417; 447; konträr: Staples 1998, 186 Anm. 93). Trotzdem ist „die Frau nichtsdestoweniger die unerläßliche Partnerin des Mannes auf religiöser Ebene“ (Scheid 1993, 417). Die zentrale Bedeutung der Vestalinnen für das Heil des römischen Staates ist unbestritten. Sie verwahrten nicht nur das palladium und hüteten das heilige Feuer, sondern waren durch die von ihnen zubereitete mola salsa bei allen öffentlichen Opfern zumindest symbolisch präsent (Staples 1998, 155). Die Partnerschaft zwischen Frauen und Männern im Kult wird auch bei einigen hohen Priesterämtern deutlich, so etwa beim flamen Dialis, der sein Amt gemeinsam mit seiner Frau ausübte. Er konnte sich von ihr nicht scheiden lassen (Festus S. 79 L.), und wenn sie starb, mußte er sein Amt aufgeben (Scheid 1993, 425). Auch in Rom stand das allgemeine Wohl im Zentrum der öffentlichen Frauenkulte. Abgesehen vom Kult der Vestalinnen läßt sich dies besonders für die Riten der Bona Dea belegen, von denen Cicero sagt, sie seien pro populo oder pro salute populi Romani (Cicero, Att., 1.12; 13; Dom., 29.77; Har. Resp., 6.12; 17). Auch im häuslichen Kult sind die Frauen präsent. Zwar sollen nach Cato (Agr. 143) die Opfer für die ganze Familie vom Hausherrn dargebracht werden. Aber die Frauen waren bei den häuslichen Kulten „stets anwesend und mit besonderen rituellen Aufgaben betraut“ (Scheid 1993, 444). Wie in Griechenland bilden auch in Rom „die Frauen im Kreislauf des religiösen Lebens ein zwar untergeordnetes, aber doch unerlässliches Element“ (Scheid 1993, 440). „Religious ritual provided the single public space where women played a significant formal role“ (Staples 1998, 3). Frauen und Männer bilden in der antiken Religion Griechenlands und Roms unterschiedliche rituelle Kategorien. Ihre kultischen Aktivitäten komplementieren sich, „they were linked by a relationship of meaning“ (Staples
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1998, 35). Die politische Rechtlosigkeit der Frauen einerseits und ihre unbestreitbare Bedeutung im religiösen Bereich andererseits bilden aus moderner Sicht einen paradoxen Gegensatz. Offenbar wurden in der antiken Gesellschaft die Geschlechterrollen weitgehend im religiösen Bereich fixiert und rituell bekräftigt, da die politische Ebene dafür nicht zur Verfügung stand.
Schlußfolgerungen Trotz der zu Beginn dieses Aufsatzes angesprochenen Probleme scheint es mir durchaus möglich zu sein, eine spezifische Beteiligung der Frauen an den rituellen Deponierungen der Eisenzeit mit archäologischen Mitteln nachzuweisen. Während Brunaux (1986, 91) den Frauen lediglich gewisse Fruchtbarkeitsriten im familiären Rahmen zugesteht, die sich inmitten der Felder abspielten und kaum Spuren hinterließen, sprechen die archäologischen Fakten im Gegenteil für eine Teilnahme der Frauen auch an den öffentlichen, tribalen Kulten. Offensichtlich hatten sie Zugang zu den wichtigsten Kultplätzen und haben dort auch ihre Gaben niedergelegt. Akkumulierte Frauenfunde wie etwa in Duchcov lassen vermuten, daß Frauen auch als Kollektiv handeln konnten. Umgekehrt scheuten sich auch Männer nicht davor, ihre Opfer in einem ausgesprochenen Frauen-Heiligtum wie Este Baratella darzubringen. Waffen treten auch in relativ kleinen Mengen und in Sammelfunden auf, die von „Siedlungsfunden“ – Funden aus dem häuslichen Bereich also – dominiert werden (Mirebeau; Bennecourt). Im großen und ganzen zeichnen sich damit ähnliche Verhältnisse wie in Griechenland und Rom ab, wo der Ausschluß der Frauen vom politischen Leben ihre bedeutende Präsenz im religiösen Bereich nicht verunmöglichte, ja vielleicht sogar begünstigte. Für die künftige Forschung scheint mir vor allem wichtig, daß allen in den Deponierungen vertretenen Fundgruppen die gleiche Aufmerksamkeit zuteil wird. Die einseitige und übertriebene Gewichtung der Waffen und damit des männlichen Elementes verunklärt die historische Realität und verhindert eine Analyse der Geschlechterbeziehungen. Die Identifizierung von frauenspezifischen Opfergaben würde auch wesentlich erleichtert, wenn wir über den alltäglichen Lebens- und Arbeitsbereich der Frauen mehr in Erfahrung bringen könnten. Die sich dafür anbietenden Möglichkeiten der Siedlungsarchäologie wurden bis anhin noch kaum genutzt. Abschließend möchte ich noch darauf hinweisen, daß einige der von mir kritisierten Autoren mit ihren Arbeiten, welche die rituelle Deutung zahlreicher Deponierungen begründeten, die Frage nach dem geschlechtsspezifischen
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Charakter der Weihefunde überhaupt erst ermöglicht haben. Solange die Depots noch als Verstecke von Händlern, Gießern oder Schmieden angesehen wurden, gehörten sie ganz selbstverständlich und ausschließlich in den Lebensbereich der Männer. Der Weg zu neuen, teilweise unerwarteten Einblikken in die eisenzeitlichen Gesellschaften scheint mir nun offen zu sein.
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Abbildungsnachweis Abb. 1: Nach Chieco Bianchi/Tombolani 1988, 45 Abb. 48. Abb. 2: Nach Lucke/Frey 1962 Taf. 64.
Anschrift des Verfassers: Dr. Peter Jud Efringerstr. 24 CH-4057 Basel Schweiz
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Studien zur Lebenswelt der Eisenzeit. RGA-E Band 40 – Seiten 115–131 © Copyright 2006 Walter de Gruyter · Berlin · New York
Zu einigen Figuralmotiven im Gebiet der Taurisker1 von Mitja Guštin In diesem Beitrag werden einige figurale, meist spätlatènezeitliche, antithetisch dargestellte Menschenmasken und Tiermotive an dem Bronzestift von Žerovinšµek (in der älteren Literatur auch Žerunšek) (Abb. 2), an Helmen des Typs Novo mesto (Abb. 1; 3) und an der Schwertscheide aus Mihovo (Abb. 4) wie auch der mit kultischen Szenen verzierte römische Grabstein aus Bela
Abb. 1. Verbreitung der spätlatènezeitlichen ostkeltischen Helme des Typs Novo mesto. 1 Vercelli, 2 Idrija pri Baµi, 3 Ljubljanica-Ljubija, 4 Novo mesto, 5 Šmarjeta-Vinji vrh/Strmec über Bela Cerkev, 6 Mihovo, 7 Siemichow, 8 Boyko-Ponura, 9 Zagreb-Sesvete, 10 Žerovinšµek, 11 Bela Krajina, 12 Weststeiermark (?), 13 ohne Fundort
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Manuskriptabschluß: Anfang 2003.
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Mitja Guštin
Krajina (Abb. 5) detailliert vorgestellt2. Die Funde stammen aus dem mutmaßlichen Gebiet der Taurisker, einem keltischen Stammesverband, der nach Strabo im Südostalpengebiet im Hinterland des Caput Adriae seßhaft war3. Im Kerngebiet der Kelten, aber auch bei anderen gleichzeitigen nichtkeltischen Stämmen setzt sich im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. das Motiv der menschlichen Gesichtsmaske allgemein durch. Auch im Bereich der am Ostalpenrand lebenden Taurisker ist dieses Motiv schon an dem Kantharos aus dem berühmten mittellatènezeitlichen Grab von Novo mesto-Kandija bekannt4. An dem schönen Gefäß ist eine Kombination des Menschen- und Tiermotivs vorhanden. Zwei reich mit Ranken und Schlangen verzierte Henkel und auf der breiten Halspartie zwei sehr einfache Gesichtsmasken sind einander antithetisch gegenübergestellt. Vielleicht können wir bei diesem griechisch beeinflußten Gefäß in der symmetrischen Anordnung beider Masken die zwei Gesichter des Janus-Motivs erkennen. Ähnliches ist z. B. an einem viel älteren Gefäß aus Bologna-Certosa zu sehen, worauf schon Knez und Szabó (1981, 85f. Abb. 12) hingewiesen haben. Die klassische Darstellung zweier Gesichtsmasken in Form des Janusbildes zeigt auch der Neufund eines bronzenen Stiftes aus dem Ringwall Žerovinšµek bei Ulaka. Er wird im Nationalmuseum Sloweniens aufbewahrt (Abb. 2)5. Der Griff mit dem Doppelkopf hat eine identische Parallele in dem Messer aus Zemplin in der Ostslowakei6. Beide Griffe können durchaus hinsichtlich der Janusköpfe mit dem berühmten steinernen Januskopf des 3. Jahrhunderts v. Chr. aus Roquepertuse in der Provence7 verbunden werden. Das Antithetische ist in der Latènezeit seit der Herausbildung der keltischen Kunst ein sehr häufiges, sogar ständiges Motiv. Erinnern wir uns an die symmetrische Bildung und Verzierung der keltischen Halsringe – vom berühmten Goldring der Fürstin von Vix bis zu dem großen Silberring aus Trichtingen8. Auch die zahlreichen durchlochten bronzenen und eisernen Gürtelschnallen zeigen dieses Motiv. Vor allem aber sind einander gegenüberstehende mythi-
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Die Ergebnisse wurden erstmals 1994 in Malé Vozokany (Slowakei) auf der Tagung zur spätlatènezeitlichen Kunst vorgestellt. Für die Bearbeitung der deutschen Fassung danke ich den Herren W.-R. Teegen (Leipzig) und G. Tiefengraber (Graz) sowie für die Überprüfung des Textes Dragan Božiµ (Ljubljana). Guštin 1984, 305ff. Abb. 1; 1996; Haider 1993; Šašel-Kos 1998 Karte auf S. 211. Knez/Szabó 1981; Guštin 1984 Taf. 46. Die Publikationsgenehmigung des Messers aus Žerovinšµek habe ich Drago Svoljšak, dem ehemaligen Leiter der archäologischen Abteilung des Nationalmuseums in Ljubljana (Slowenien), zu verdanken. Filip 1969, 1671; Zahar 1987 Photoabb. 194–196. I Celti 1991, 363. I Celti 1991, 478.
Zu einigen Figuralmotiven im Gebiet der Taurisker
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Abb. 2. Žerovinšµek bei Ulaka
sche Fabelwesen auf den früh- und mittellatènezeitlichen Schwertscheiden eingraviert9. Sogar auf der Keramik, vor allem der der Ostkelten, befinden sich häufig auf Henkeln angebrachte antithetische menschliche Gesichter oder Tierdarstellungen10. Die Taurisker zeigen in der letzten Phase der latènezeitlichen Entwicklung in ihrer materiellen Kultur starke Eigenschaften, die einerseits die autochthone Tradition, anderseits starke Einflüsse der nichtkeltischen Nachbarschaft südlich von Kolpa und Nauportus, wie auch spätrepublikanische Importe widerspiegeln. Man kennt die tauriskische Hinterlassenschaft der Spätlatènezeit durch Gräberfelder mit zahlreichen Bestattungen und auch durch zahlrei9 10
De Navarro 1972; Szabó-Peters 1992. Szabó 1974 Abb. 43; 45; 47; 51; 59.
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Mitja Guštin
che Funde aus den spätlatènezeitlichen Siedlungsschichten in eisenzeitlichen Ringwällen. Verzierungen von metallener Waffenausrüstung oder Keramik sind in dieser Zeit außerordentlich selten. Die Kleinplastik ist kaum vertreten. Die Keramik ist recht spartanisch verziert, höchstens mit einem Wulst oder Kammstrich versehen. In jener Zeit entwickelten die Taurisker einen eigenen Helmtyp, der durch die Erstbearbeitung des Grabes 169 von Novo mesto-Beletov vrt von Ulrich Schaaff als Typ Novo mesto bezeichnet wurde11. Diese eisernen oder bronzenen Helme haben eine eigenartige technische Ausführung und sind meistens im Vergleich zu anderen gleichzeitigen Helmen reich verziert (Abb. 3).
Abb. 3. 1 Der Helm von Mihovo. Verzierte Wangenklappen. 2 Šmarjeta/Strmec über Bela Cerkev, 3 Mihovo und 4 Novo mesto
Sie sind mit sechs Exemplaren in Slowenien folgendermaßen verbreitet12: im Westen in den Alpen im Flußtal des Soµa (ital. Isonzo) bei Ambisonti13 in dem Gräberfeld von Idrija pri Baµi, Grab 5. Ein Flußfund stammt unweit von Nauportus14 aus der Ljubljanica bei Ljubija an einem Zusammenfluß. Vor 11 12 13
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Schaaff 1980, 397ff. Zu den Helmen vom Typ Novo mesto zuletzt Guštin 1990, 121ff.; 1991, 52ff. Zur Frage der Lokalisierung des Stammes der Ambisonti vgl. Šašel 1974; Dobesch 1980; ŠašelKos 1998. Horvat 1990.
Zu einigen Figuralmotiven im Gebiet der Taurisker
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allem sind sie aber in den keltisch-römischen Gräberfeldern der Taurisker an der Krka verbreitet. Sie finden sich in Grab 169 von Novo mesto-Beletov vrt (Abb. 3,4), in den Gräbern 1656/58 und 1656/27 von Mihovo und in Grab 1 (Abb. 3,1.3) von Strmec bei Bela Cerkev15 (in der älteren Lit. Šmarjeta-Vinji vrh genannt). Außerhalb des Südostalpenraumes ist ein als Flußfund zu dem bronzenen Helm von Strmec bei Bela Cerkev identischer bronzener Nackenschutz aus Zagreb-Sesvete ans Licht gekommen16. Eine identische Parallele aus Silber zu dem Helmnackenschutz von Strmec bei Bela Cerkev wurde vor kurzem aus Jaškul im fernen Kaukasus veröffentlicht17. Aus der Gegend von dem Fundort Boyko-Ponura ist ein weiteres komplettes Exemplar, im Aufbau wohl zum Typ Novo mesto gehörend, längst bekannt18. Schaaff hat den Typ Novo mesto zur ostkeltischen Gruppe der spätlatènezeitlichen Helme zugeordnet und zählte dazu auch das Exemplar von Siemichow (Polen) mit glatten Wangenklappen und ein unveröffentlichtes Beispiel aus einem Brandgrab aus Vercelli im Piemont19. Aus der weiten Verbreitung des Helmtyps Novo mesto (Abb. 1) und seiner Varianten kann man folgern, daß dieser Helmtyp nur im Gebiet zwischen den Flüssen Sava und Krka unterhalb des Gorjanci-Gebirges hergestellt wurde. Die relative Konzentration von Helmen diesen Typs müssen wir der traditionellen Beigabe des Helmes ins Grab, die im Südostalpenraum, vor allem in Dolensko, durch die ganze Eisenzeit praktiziert wurde, verdanken. Dieser Brauch wurde auch mit dem Eindringen der keltischen Stämme nicht unterbrochen. Man würde gern annehmen, daß diese Helme ausschließlich mit spätlatènezeitlichen tauriskischen, vielleicht auch latobischen20 Kriegern und deren Waffenausrüstung zu verbinden sind. Doch die Verbreitung einzelner Exemplare im westlichen Slowenien und sogar im Piemont in Nordwestitalien und identische Helme im Kaukasus sprechen dafür, daß es sich um einen weit verbreiteten ostkeltischen Typ handelt und daß er nur mit großer Vorsicht tauriskischen Söldnern zuzuschreiben ist. Die Helme des Typs Novo mesto zeichnen sich durch einen dreiteiligen Aufbau aus. Sie bestehen aus einer glatten Kalotte, die vorne ein angenietetes, gesondert gefertigtes glattes Vorderteil mit Stirnschutz aufweist, hinten aber einen, ebenfalls angenieteten, gesondert gefertigten Nackenschutz. Letz15 16 17 18 19 20
Božiµ 1992, 85 ff. Abb. 1. Sokol 2001 Abb. 2. Für den Nachweis habe ich D. Božiµ zu danken. Treister 1992 Abb. 8; Propenko 2002 Abb. 1,6. Schaaff 1988, 304ff. Karte Abb. 24. Zum Stamm der Latobici vgl. Petru 1971.
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terer ist außer plastischen Wülsten (Šmarjeta, Zagreb-Sesvete, Jaškul) auch mit Tierdekor21 in Kombination mit zwei nebeneinander angesetzten Gesichtsmasken (Boyko-Ponura) versehen, die ihn verstärken und dekorieren. An den Helmen sind auch zahlreiche Zierknöpfe angenietet, die eine typisch spätlatènezeitliche netzartige Emailverzierung aufweisen22. Das fünfteilige Scharnier, mit der die Wangenklappen an den Nackenschutz angehängt sind, gehört auch zu den Eigenarten des Typs Novo mesto. Die zwei Wangenklappen23 sind bei den besser ausgearbeiteten Helmen vom Typ Novo mesto mit einem über die ganze Fläche der Wangenklappe reichenden, gegenüberstehenden Tiermotiv versehen. Es ist aus dem Blech in stark plastischem Relief herausgetrieben. Die Tierverzierungen des Bronzehelms aus Strmec über Bela Cerkev und des Eisenhelms aus Mihovo besteht aus einem Wasservogel mit langen Füßen und langem Schnabel (Abb. 3,1.3) – möglicherweise ein Storch oder Kranich. Das Exemplar von Novo mesto stellt dagegen ein Raubtier dar, das schwer zu bestimmen ist. Es rangiert zwischen Bär und Hund (Abb. 3,4). Die Verzierung der Wangenklappen von Boyko-Panura stellt wohl einen Ochsen dar. Die realistischen, einander symmetrisch gegenüber (antithetisch) dargestellten Motive auf den Wangenklappen aus Mihovo, Strmec bei Bela Cerkev und Novo mesto sind mit antithetisch gestellten stilisierten floralen und vornehmlich zoomorphen Motiven die logische Fortsetzung der keltischen Kunst der Früh- und Mittellatènezeit. Die Verzierung mit symmetrisch angebrachten Tiermotiven sowohl auf der Helmkalotte wie im Gesichtsbereich auf der Wangenpartie ist schon einige Jahrhunderte zuvor bei den Prunkhelmen des Mittelmeerraumes in Mode gewesen: Die schönsten Beispiele von antithetischen Tierdarstellungen auf der Kalotte antiker Helme sind die mittelitalischen Negauerhelme des ausgehenden 6. Jahrhunderts v. Chr. Zu nennen ist der Typ Belmonte aus Rapagnano mit in etruskischer Machart herausgetriebenen Widdern und das Stück gleichen Typs aus Volterra, das eingravierte Löwinnen aufweist24. Zu dieser Art der Kalottenverzierung muß man auch den Helm mit dem Paar großer, geflügelter Pferde aus Axox auf Kreta aus der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts25 und den griechischen Helm mit zwei großen Greifen des
21 22 23
24 25
Die schlechte Zeichnung läßt eine Tierdarstellung (?) an dem Nackenschutz nicht erkennen. Zuletzt Boi 1993, 139. Die Wangenklappen des Helmes aus der Ljubljanica sind nicht erhalten. Die aus Idrija bei Baµi sind anders geformt und unverziert, wie dies auch bei einem Helm von Mihovo, Grab 1656/27, der Fall ist. Egg 1988, 244f. Farbtaf. III Kat. 66; 68. Egg/Waurick 1990 Abb. 12.
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5. Jahrhunderts, der im Archäologischen Museum in Sofia aufbewahrt wird, zählen26. Erinnern wir uns auch an die apulisch-korinthischen Helme des 5. Jahrhunderts v. Chr., die auf dem Helmunterteil, unter den Augen- und Nasenöffnungen, hauptsächlich einander gegenüberstehende Eberpaare eingraviert haben. Gelegentlich steht der Eber anderen Tieren, wie Löwe und Stier, gegenüber. Die Haupttiere in der Mitte sind manchmal von realen oder phantastischen Lebewesen wie Löwe, Adler, Widder, Ketos und Sphinx flankiert. In Einzelfällen finden sich aber auch mythische Szenen27. Wie ganze mythologische Szenen hinter den beiden einander gegenüberstehenden Löwen angebracht wurden, zeigt am besten ein apulisch-korinthischer Helm, der in Brüssel aufbewahrt wird. Über der Nasenöffnung befinden sich zwei Steinböcke und Löwen. Dahinter sind verschiedene Szenen dargestellt, wo u. a. zwei hockende Krieger, Ringkämpfer und Reiter zu sehen sind. Diese Motive kennt man gut aus der griechischen Vasenmalerei des 6. Jahrhunderts v. Chr.28 und später auf der Situlenkunst des 5. und 4. Jahrhunderts bei den Venetern und den Stämmen des Ostalpenraumes29. Mit figuralen Motiven klassisch verzierte Wangenklappen kommen im gesamten Helmfundgut der Antike verhältnismäßig selten vor. An den chalkidischen Helmen der klassischen Zeit finden wir reliefgeschmückte Wangenklappen, die z. B. einen delphinreitenden Eros oder sinnenden Odysseus darstellen. Die Wangenklappen des unteritalisch-chalkidischen Helmes des 4. Jahrhunderts v. Chr. aus Capodignano tragen Pferdeprotome. Ein weiteres Beispiel, das wir auch anführen möchten, ist ein über der Volute des Nackenschutzes sitzender Hund30. In dieser kurzen Übersicht wurden die wichtigsten Tierdarstellungen auf Helmen der klassischen Mittelmeerwelt aufgezählt. Es sind dies alles auch die Tiere, vor allem Greifen und verschiedene Fabelwesen, denen wir dann in der Frühlatènekunst in umgearbeiteter Form wiederbegegnen. Auch der Eber31 spielte in der geistigen Vorstellung der Kelten, wie auch ähnlich bei anderen Mittelmeervölkern oder den Skythen, eine entscheidende Rolle. In der spätlatènezeitlichen Kunst der Kelten stellen die Darstellungen des Wasservogels bzw. Raubtieres an den Wangenklappen des Helmtyps Novo 26 27 28 29 30 31
Gold der Thraker 1979, 98ff. Kat. 187. Bottini 1988, 107ff. Abb. 9–31 Kat. 38–43. Bottini 1988, 107ff. Abb. 24–31 Kat. 38–41. Frey 1969. Pflug 1988, 137ff.; 144–146 Abb. 13,15. Eibner 2001.
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mesto ein eigenartiges Phänomen dar. Zu den wenigen Vogeldarstellungen dieser Zeit müssen wir in der einheimischen Keramik die eingeritzten Kraniche aus Stare Hradisko erwähnen32. Meduna meint, da in Mähren heutzutage Kraniche nicht mehr existieren, daß derjenige, der die Keramik verziert hat, sie doch in irgendeiner Weise gekannt haben könnte. War dies im Südalpenraum oder begegnete der Mann einem tauriskischen Krieger der mit einen Helm vom Typ Novo mesto ausgestattet war? Wangenklappen mit figuraler Verzierung treten in der Latènekultur nur vereinzelt auf. Sie können einerseits das Wiederaufleben der vorkeltischen toreutischen Schöpfung und Künste im Bereich des tauriskischen Hinterlandes unterhalb des Gorjanci-Gebirges widerspiegeln, andererseits aber möglicherweise auch eine Verbindung zur geistigen Vorstellungswelt der Kelten darstellen. Daß im Südostalpenraum mit starkem Einfluß aus dem ostmediterranen Raum zu rechnen ist, zeigt am besten der Depotfund von Ošani³i im Hinterland Dalmatiens. Die Gegenstände weisen schon sehr früh auf das Zusammentreffen zwischen keltischen silbernen Fibeln vom Mittellatèneschema und mediterraner Goldschmiedekunst an zahlreichen Schmuckgegenständen33. In diesem Zusammenhang sollen auch die Gürtelplatten vom Typ Prozor – Ošani³i – Gostilj34 erwähnt werden. Sie zeigen auf ihren Bronze- und Silberblechen Darstellungen, die auf griechischer Mythologie und Umwelt beruhen. Außerdem zeigen sie klar Motiv und Darstellungen der Lebensbaumidee. Die Wangenklappen mit gegenüberstehender Tierdarstellung kann man, falls wir einen geistigen Hintergrund vermuten, der Symmetrie der einander gegenüber gestellten geometrischen, pflanzlichen und zoomorphen Motive der älteren Latènephasen an den schon erwähnten Halsringen, Gürtelschnallen und vor allem an Schwertscheiden gleichstellen. Der Aufbau dieser gegenüberstehenden Tiermotive wird wohl nicht nur ein vereinzeltes künstlerisches Verfahren sein, das auf Symmetrie beruht. Auf geistige Hintergründe weisen die keltischen Holzfiguren aus der Viereckschanze von Fellbach-Schmiden: Hier werden zwei auf ihren Hinterläufen stehende Ziegenböcke von einer zwischen ihnen sitzenden menschlichen Gestalt gehalten35. Diese Darstellung erinnert an das Motiv des Herrn oder der Herrin der Tiere36, wo inmitten der einander gegenüber aufrecht gestellten Tiere oder Fabelwesen eine Gottheit, ein mythischer Held oder letztlich nur ein hervorra32 33 34 35 36
Meduna 1980, 636ff. Abb. 1,1–3. Maric 1978, 23ff. Kossack 1991, 151ff. Planck 1982; Pittioni 1982 Abb. 3–4; Megaw 1989 Abb. 252. Zum Thema des Herrn der Tiere: Teržan 1995.
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gendes Mitglied jener Gesellschaft steht. Bei unseren keltischen Helmen ist natürlich der Raum zwischen den Wangenklappen leer – er bekommt aber einen Inhalt, wenn der Besitzer, der Anführer seiner Sippe (?), seinen Helm aufsetzt. Das besprochene Motiv des Herrn oder der Herrin der Tiere könnte man im Rahmen der spätlatènezeitlichen Kunst noch am besten mit der Symmetrie der Gottheiten auf den sieben Außenplatten des Gundestrupkessels vergleichen37. Die göttlichen Gesichter auf den Außenplatten sind, ähnlich wie bei dem Kessel aus Rynkeby38, durch antithetisch gesetzte menschliche oder tierische Gestalten flankiert. Dies möchten wir auch mit den zoomorph verzierten Wangenklappen der Helme von Mihovo, Novo mesto und Šmarjeta/Strmec bei Bela Cerkev und Boyka-Panura vergleichen. Ob unser Krieger mit dem ins Grab gelegten Helm und durch seine im Leben herausgehobene Rolle im Moment der Bestattung die Grenze zu Legende und Heldentum überschritten haben könnte, ist angesichts des relativ bescheidenen Bestattungsrituals und der Beigaben schwer zu entscheiden. Daß wir doch die keltischen, antithetischen Motive auch mit einem Lebensbaummotiv – Arbre de vie – vergleichen sollten, bestätigt sich auch mit dem eigenartigen, in der Literatur schon oft vorgestellten Verzierungsmotiv der Schwertscheide von Mihovo (Abb. 4)39. Im Jahre 1903 hat Ignac Kušljan nach vier Jahren hunderte von hallstattzeitlichen, latènezeitlichen und frühkaiserzeitliche Gräbern in Mihovo ausgegraben. Grab 1846/5 wird, wie das ganze Gräberfeld von Mihovo, in der Prähistorischen Abteilung des Naturhistorischen Museums Wien aufbewahrt. Es wurde von Helmut Windl (1975) ausführlich in seiner Dissertation besprochen. Neben einem runden eisernen Schildbuckel, einer eisernen Lanze und einem Sigillatateller tiberischer Zeit befindet sich noch ein Schwert aus Eisen unter den Beigaben. Die eiserne Schwertscheide ist mit einem verzierten Bronzeblech versehen40. Die symmetrisch aufgerichteten Stein- oder Ziegenböcke auf der Schwertscheide aus Mihovo erinnern an das Lebensbaummotiv mit den an einer Palme anlehnenden Böcken, auf das René Wyss bei der Aufarbeitung der in das Schwert des KOPICIOC eingeschlagenen Kartusche aufmerksam machte. Wyss leitete dieses Motiv aus orientalischem Kulturgut her, das sich später auch im Zuge des Dionysoskultes oft in Gemmen widerspiegelte41. 37 38 39 40 41
Klindt-Jensen 1979; Kaul 1991. Kaul 1991 Abb. 103–104. Benninger 1935; Reinecke 1950; Windl 1976; Frey 1980, 91; Megaw 1989 Abb. 254–255. Windl 1976. Wyss 1955, 207f.
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Abb. 4. Mihovo. Dekoration der Schwertscheide
Auch Ole Klindt-Jensen hat bei der Aufarbeitung des Gundestrupkessels42 auf die älteren Lebensbaummotive mit angelehnten Tieren hingewiesen, beispielsweise an ein Relief vom Tell Halaf, an die Stele Malvasia in Bologna, die um 600 v. Chr. datiert wird, und an die Schlagmarke aus Port43. Unser Stein- oder Ziegenbockmotiv aus Mihovo kann man auch mit den schon erwähnten zeitgleichen Holzschnitzereien aus Fellbach-Schmiden ver-
42 43
Klindt-Jensen 1979, 44f.; 48. Wyss 1974, 109 Abb. 4,4; Wyss u. a. 2002.
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gleichen. Sie umfassen zwei antithetisch aufgerichtete Ziegenbockfiguren und mittlerweile auch zwei Hirschfiguren des dieu accrupi. Das Lebensbaummotiv und das Motiv des Herrn bzw. der Herrin der Tiere kann man im europäischen vorgeschichtlichen Raum schon seit der Beeinflussung durch die griechisch-orientalisierende Kunst verfolgen. Ihre besten Beispiele findet man in der entwickelten, vor allem ausgehenden Latènezeit an beiden schweizerischen Kartuschen, am Gundestrupkessel, dem Holzaltar von Fellbach-Schmiden und an der Schwertscheide von Mihovo. Auch Richard Pittioni, der versuchte diese Altäre zu rekonstruieren, interpretierte die Tiergestalten von Fellbach-Schmiden als Ziegen- und nicht als Steinböcke. Er machte auf das Verhältnis zu den beiden Kartuschen auf den Schweizer Schwertern aufmerksam. Er stellte das Problem des Vorkommens des Ziegenbocks und des Lebensbaummotivs in Zusammenhang mit der griechischen Mythologie. Doch meinte er, daß die Holzaltäre des dieu accrupi als Gegenstück zu Maponos-Apollo und wohl auch zu dem bekannten Keltengott Cernunnos anzusprechen sind44. Im Jahre 1961 stellte Peter Petru (1961) einen römischen Grabstein aus Bela Krajina (ohne nähere Fundortangaben) vollständig vor (Abb. 5). Denn dessen Seitenreliefs waren bei der Erstveröffentlichung in den Jahren 1933 und 1939 nicht publiziert worden. Im Zusammenhang mit unserer Betrachtung der spätlatènezeitlichen Kunst im Gebiet der Taurisker finden wir es wichtig, wieder auf diesen Grabstein und Petrus Ausführungen hinzuweisen. Die vordere Schauseite des Grabdenkmals stellt ein übliches Motiv der provinzialrömischen frühkaiserzeitlichen Grabdenkmälerkunst dar: In der oberen Reihe sind der Vater, die Mutter und der älteste Sohn, in der unteren Reihe sind zwei weibliche und zwei männliche Porträts von jüngeren Menschen dargestellt. Die rechte Seite des Grabdenkmals zeigt eine männliche Figur in kurzem, enganliegendem Gewand. Auf dem Kopf trägt er ein Hirschgeweih. In der aufrechten rechten Hand soll er einen Ring/Torques halten. Auf der linken Körperseite ist ein Tier abgebildet, das selbständig steht oder von der Figur mit dem linken Arm angefaßt werden könnte. Daß es sich hier um den keltischen Gott Cernunnos handelt, hat schon Petru an den Beispielen von La Chatelet und Val Camonica und vor allem am Gundestrupkessel gezeigt, wo außer der Hirschgeweihkrone auch der Torques in der rechten Hand übereinstimmt. Zu der an den Körper anlehnenden Tierfigur ist auch heute noch die Skulptur des Gottes von Euffigneix der beste Vergleich45. 44 45
Pittioni 1982. Petru 1961, 33ff.
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Abb. 5. Das Grabdenkmal aus Bela Krajina
Die linke Seite trägt zwei Szenen. In der oberen ist ein Jäger zu Pferd mit einem behörnten Tier und einen Eber (?) dargestellt. Die untere zeigt eine Opferszene mit einer Frau, die mit der linken Hand einen Fuß des Opfers hält, mit der rechten aber bereit ist, mit einer Axt (?) zuzuschlagen. Links und rechts stehen männliche Wesen, die bei dieser Opfertat behilflich sind. Auch diese Opferung kann man am bestem mit einer ähnlichen Szene auf dem Gundestrupkessel vergleichen46. Das Grabdenkmal aus Bela Krajina stellt, wie auch ein anderer Stein aus 46
Klindt-Jensen 1979, 11; Kaul 1991 Abb. 17.
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Rogatec47, in der nordslowenischen Steiermark gelegen, eine Menschenopferung im Sinne der Schilderung Strabos IV,I dar. Ausgedehnte gallo-römische Nekropolen sind in den schon öfters erwähnten Orten Mihovo, Novo mestoBeletov, Šmarjeta/Strmec bei Bela Cerkev und Verdun vorhanden. Sie weisen mit den beigelegten, absichtlich zerstörten römischen und keltischen Waffen und keltischen, vor allem keramischen Einzelbeigaben noch bis in tiberische Zeit keltische Grabrituale auf. Dies läßt vermuten, daß im Gebiet zwischen dem Gorjanci-Gebirge und dem Fluß Krka durch relativ langsame Romanisierung eine gewisse Selbständigkeit keltischer Gruppen noch nach der römischen Okkupation vorhanden war48. Der überraschende Fund einer großen Bronzeplatte mit einer gut ausgearbeiteten Gesichtsdarstellung in Form einer Theatermaske mit dem Petschaftendentorques (Abb. 6)49 gehört in die Gruppe der Kessel vom Typ Gundestrup. Falls sie wirklich aus der Weststeiermark stammt, wird die Bedeutung des Oberdrautals in der Mittel- und Spätlatènezeit wieder betont. Den altbekannten Funden dieser Zeit50 hat sich in den 1990er Jahren eine Reihe von Grabfunden mit einem ausgeprägten keltischen Charakter zugesellt. Unter ihnen sind überraschenderweise auch einige Wagengräber der Mittel- und Spätlatènezeit und ein bedeutender Depotfund mit keltischen und spätrepublikanischen Münzen51. Diese zahlreichen Funde ohne nähere Fundangaben aus dem Burgmuseum von Deutschlandsberg mit hochinteressanten Grabinventaren dürfen wir zusammen mit den kärntnerischen Funden von Gurina52, dem Holzer Berg (Teurnia)53, dem Magdalensberg54 und Gracarca55 anhand der vielen typologischen Charakteristika der Metall- und Keramikfunde wie auch wegen des identischen Grabrituals mit der Stammesgruppe der Noriker verbinden, die durch die Altquellen (ferrum noricum etc.) hinlänglich bekannt sind56. Die Noriker sind die nördlichen Nachbarn der Stammesgemeinschaft der Taurisker. Das Stammesgebiet der Taurisker hat sich aufgrund der neueren Ausgrabungen und der materiellen Kultur zwischen der österreichischen 47 48 49 50 51
52 53 54 55 56
Petru 1961 Taf. 4,2. Guštin 1984, 349. Reperti 2002 Abb. I.85. Müller-Karpe 1959. Die Kelten 1998; zu den Wagengräbern aus der Steiermark vgl. auch Schönfelder 2002, 387– 388. Jablonka 2001. Guggl 2001. Piccotini 1984. Gleirscher 1993; 1997. Dobesch 1980.
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Abb. 6. Eine bronzene Kesselplatte aus der Weststeiermark (?)
Südsteiermark mit der außerordentlichen Kultanlage auf dem Frauenberg bei Leibnitz, die man der Münzen wegen zu den Tauriskern zählen muß57, bis nach Zvonimirovo58 in der Podravina im Osten erstreckt. Für diese keltische Stammesgemeinschaft sind neue Ausgrabungen mit zahlreichen Funden vor allem in der Umgebung von Murska Sobota59 in dem slowenischen Murgebiet, in Zentralslowenien in Novo mesto-Kapiteljska njiva und im schon erwähnten Zvonimirovo von außerordentlicher Wichtigkeit. In der Spätlatènezeit treten in diesem Raum aber auch kleinere Stämme in den Vordergrund, wie z. B. die Latobici und Colapiani60.
57 58 59 60
Tiefengraber 1998; Artner 1998; zu den Münzen vgl. Schachinger 1998. Majnari Pandi 2001. Guštin/Tiefengraber 2001; Tiefengraber 2001; 2004 (in diesem Band). Boi 2001.
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Zu einigen Figuralmotiven im Gebiet der Taurisker
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Abbildungsnachweis Abb. Abb. Abb. Abb. Abb.
1; 2: 4: 5: 6:
3: M. Guštin, Ljubljana. Photo Narodni muzej, Ljubljana. Nach Windl 1976 Abb. 3,3. Oben: Umzeichnung nach Petru 1999 Abb. 1; unten: Photo Narodni muzej, Ljubljana. Nach Guštin/Egidi 2002.
Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. Mitja Guštin Univerza na Primorskem Znanstveno-raziskovalno središµe Koper Inštitut za dedišµino Sredozemlja Garibaldijeva 1 SI-6000 Koper Slovenia
[email protected]
Studien zur Lebenswelt der Eisenzeit. RGA-E Band 40 – Seiten 133–147 © Copyright 2006 Walter de Gruyter · Berlin · New York
Ein junglatènezeitlicher Stieranhänger aus Udiµa/Slowakei1 von Karol Pieta Das Gesamtbild der spätlatènezeitlichen Besiedlung des nördlichen Mitteldonauraumes hat sich in den letzten Jahren wesentlich verändert. Viele neue Funde, die leider zum Teil durch die Tätigkeit von Sondengängern zutage gekommen sind, aber auch die Ergebnisse einiger Forschungsprojekte haben dazu beigetragen, daß sich der Umfang der archäologischen Quellen sichtlich erweitert hat. Dabei stellen die Horte eine der charakteristischen und wichtigen Fundkategorien dieses Zeitabschnittes dar. Ein solcher Fund wird mit diesem Beitrag vorgelegt, den ich Rosemarie Müller, einer der kenntnisreichen Erforscherinnen dieser Periode, widme. Der steile und von weitem gut erkennbare Berg Klapy (654 m) im Gemeindekataster Udiµa, Bez. Považská Bystrica, liegt auf dem linksufrigen Teil des mittleren Waagtales in der Nordwestslowakei (Abb. 1). Vom Bergfuß aus gemessen ragt der im Süden und Osten durch Felsgalerien geschützte Gipfel bis in etwa 200 m Höhe. Die gegen Westen gerichteten Hänge sind weniger steil und wurden in der Vorgeschichte besiedelt. So konnten bereits vor Jahren in der kleinen Wallbefestigung auf dem Gipfel und auf den Hangterrassen die Reste einer eisenzeitlichen Siedlung festgestellt werden (Petrovský-Šichman 1965, 67; Pieta 1982, 223; Veliaµik/Moravµík 1992). Auch entlang des Baches am nordwestlichen sowie am östlichen Fuß des Berges kamen deutliche Siedlungsspuren zutage. Mit Hilfe eines Metallsuchgerätes wurde dort ein Hortfund mit Eisengeräten entdeckt, der aus einem Treibhammer sowie Zange, Sichel und drei Äxten bestand. Dieser Fund (Hort 1) gehört eher in die Vorpúchov-Stufe (Frühlatènezeit?) und wird an anderer Stelle veröffentlicht. Leider richtete sich in der Folge das unerwünschte Interesse der Sondengänger zunehmend auch auf diesen Berg. Im Jahre 2000 entdeckten diese auf einer der Siedlungsterrassen einen Hort mit keltischen Münzen. Die meisten der 58 Fundstücke gelangten in Privatsammlungen und nur wenige von ihnen konnten dokumentiert werden. Zu diesen gehörten silberne und goldene
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Manuskriptabschluß: Herbst 2003.
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Schaufel- und Muschelstatere sowie eine Prägung des pannonischen VelemTyps (Kolníková 2001; im Druck). Auch der dritte und im folgenden behandelte Hort ist von einem Laien am östlichen Berghang und seiner Aussage nach dort dicht unter der Oberfläche direkt auf dem Wanderweg herausgeholt worden. Der Fund bestand aus zwei Knotenringen, Teilen einer Ringtrense und einem Stieranhänger. Nach Angaben des Finders lagen die Gegenstände dicht übereinander, wobei sich die Plastik in einem der Ringe befand. Diese Entdeckungen verstärkten die Aufmerksamkeit, die nicht nur die Sammler sondern auch die Fachleute dieser Fundstelle widmeten. Bei wiederholten Begehungen und Sondagen kamen neue Funde ans Tageslicht, die im Bezirksmuseum in Považská Bystrica und im Archäologischen Institut der Slowakischen Akademie der Wissenschaften in Nitra aufbewahrt werden und mit deren Hilfe nun auch die Zeitstellung dieser Fundstelle genauer bestimmt werden kann.
Das Fundprofil des Burgwalles und seines Hinterlandes Nach bisherigen Erkenntnissen gehören die ältesten Funde von Udiµa-Klapy in die frühe Eisenzeit. Es sind Fragmente bronzener quergerippter Arm- und Fußringe (Abb. 2, 1–3.7–8), Bronzeanhänger mit Klapperblechen (Abb. 2, 9), ein Ärmchenbeil und mehrere Tüllenäxte. Nicht ganz gesichert ist die Besiedlung in der Früh- und Mittellatènezeit (Abb. 2, 4.6). Reiche Keramik- und Metallfunde deuten dagegen auf eine intensive Nutzung der Anlage in der spätlatènezeitlichen Phase der Púchov-Kultur. Nach Einzelfunden zu urteilen diente Klapy auch während der Völkerwanderungszeit als Zufluchtsort. Dieser Berg mit Ringwall und Terrassen ist Teil eines größeren dicht besiedelten Gebietes (Abb. 1). Zu diesem gehörten die bereits genannten Siedlungen am Fuß des Berges. Eine weitere befestigte Anlage von Jasenica-Predná hôrka liegt in etwa 1000 m Entfernung auf dem letzten Berg einer Kuppenkette. Diese für die Púchov-Kultur charakteristische Kleinburg mißt nur winzige 50 x 5 m. Während der Grabungen (1978, 1998) fand man hier durch Feuer zerstörte Häuser mit gut erhaltenem keramischen Inventar und gut datierte Metallgegenstände (eiserne Bogen- und Löffelfibeln, Bronzefibel A67, Silbermünze des Nitra-Typs; Abb. 3, 25–26). Das gesamte spätlatènezeitliche Areal besteht also aus Tal- und Terrassensiedlungen sowie zwei befestigten Anlagen, wobei das Gipfelplateau von Klapy als Refugium gedeutet werden darf. Dieser intensiv besiedelte Raum ist Teil einer dichten Konzentration frühgeschichtlicher Burgwälle an strategisch
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Abb. 1. Spätlatènezeitliche Besiedlung in den Gemeindekatastern von Udiµa und Jasenica, Bez. Považská Bystrica. A Burgwall Udiµa-Klapy; B Burgwall Jasenica-Predná hôrka; 1–3 Horte; Rasterflächen: Siedlungen
wichtiger Stelle, denn hier kreuzte sich der in Nord-Süd-Richtung verlaufende Fernweg entlang des Waagflußes mit der Verbindung über den Lyský-Paß durch die Weißen Karpaten nach Mähren und weiter nach Westen. Mehrere der benachbarten gleichzeitigen Fundstellen sind näher bekannt. Der Opferplatz und Burgwall Prosné (heute Udiµa-Prosné) ist in der Luftlinie nur 4 km nordöstlich entfernt gelegen (Pieta/Moravµík 1980). Weitere Befestigungen der Púchov-Kultur sind der Burgberg in Považské Podhradie (3 km südöstlich), die namengebende Fundstelle Púchov (Beninger 1937; Pieta 1982), und der Burgwall Holiš bei Nimnica (4,5 km südwestlich). Diese Konzentration setzt sich am linken Flußufer fort (Burgwall Hradište bei Púchov).
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Abb. 2. Udiµa, Burgwall „Klapy“. 1–11, 13 Bronze; 12, 14–17, 19, 20 Eisen; 18 Gold (Münze aus dem Schatzfund 2)
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Abb. 3. Jasenica, Burgwall Predná hôrka. Auswahl der Funde. 1–24, 27 Eisen; 25 Bronze; 26 Silber
Hortfund 3 In dem Hort fanden sich: Ein Knotenring aus Bronze mit rundem Querschnitt, im Gußverfahren hergestellt. Die erbsenförmigen Verdickungen sind in 18 Dreiergruppen regelmäßig auf der Oberfläche verteilt. An einer Stelle ist die plastische Verzierung beim Guß geschmolzen. Der äußere Durchmesser des Ringes (ohne Verdickungen) beträgt 90 mm, der innere Durchmesser 79 mm (Abb. 4, 1).
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Abb. 4. Udiµa, Burgwall „Klapy“. Hortfund 3
Ein Knotenring aus Bronze, gegossen, mit rundem unregelmäßigem Querschnitt, verziert mit zwölf Erbsenknotengruppen. Er hat einen äußeren Durchmesser (ohne Verdickungen) von 95/98 mm und einen inneren Durchmesser von 82/87 mm (Abb. 4, 2). Von einer bronzenen Ringtrense hat sich das Fragment einer zweiteiligen, gegossenen Gebißstange mit quadratischem leicht abgerundetem Querschnitt erhalten. In der Öffnung am Ende der Stange wurde vermutlich eine eiserne Mittelöse in Überfanggußtechnik befestigt. Auf dem rundstabigen Seitenring sind offensichtliche Abnutzungsspuren zu beobachten. Die Länge des Gebißstangenteils beträgt 50 mm, der Durchmesser des Seitenrings 60 mm (Abb. 4, 3).
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Weiterhin fand sich ein bronzener Stieranhänger. Das Tier ist in gerader Stellung mit leicht gespreizten Beinen dargestellt. Der Kopf mit langen Hörnern, nach unten gerichteten Ohren und plastisch dargestellten runden Augen schaut nach vorn. Der Anhänger und die Trageöse weisen Abnutzungsspuren auf. Er hat eine Länge von 90 mm und eine Höhe (samt der Öse) von 59 mm (Abb. 4, 4). Alle Gegenstände aus dem Hort befinden sich in Privatbesitz.
Knotenringe Die beiden Ringe mit plastischer erbsenförmiger Verzierung gehören zu einem weit verbreiteten jüngerlatènezeitlichen Ringschmuck. Zu Entstehung, Verbreitung und exakter Datierung der Knotenringe fehlen bislang genauere Kenntnisse. Der plastische Dekor der Knotenringe ist vielfältig und zudem reicht ihre Größe von kleinen Anhängern bis zu massiven Armreifen. Genetisch geht diese Fundgruppe wahrscheinlich auf den Pseudofiligranschmuck der Mittellatènezeit zurück, doch stehen für die Datierung nur wenige Fundkomplexe zur Verfügung. In Lt C-Gräbern sind sie noch nicht vorhanden, gehören dagegen zum normalen Inventar der oppidazeitlichen Siedlungen im weiten Gebiet der spätkeltischen Zivilisation und ihrer Randgebiete. Mit einer Konzentration auf den Mitteldonauraum treten sie dort vor allem in der Form kleinerer Anhänger auf (Miske 1907 Taf. 45, 2–3; 46, 4–5; Meduna 1996; Tappert 2000). Vereinzelt gibt es allerdings auch größere, unseren Stücken vergleichbare Formen. So fand sich eine größere Anzahl solcher Ringe in dem erst in den neunziger Jahren entdecktem Oppidum von Trenµianske Bohuslavice, etwa 60 km südlich von Udiµa. Ein vollständiges Exemplar, allerdings ohne Fundumstände, stammt aus der Umgebung von Komárno (Trugly 1996). Große Knotenringe sind ferner aus der Púchov-Kultur (Dolné Pole) sowie aus der Ostslowakei bekannt (Obišovce). Darüber hinaus kommen sie in germanischen Gräbern der Spätlatènezeit und der frühen Kaiserzeit vor, doch war diese Schmuckform noch viel später beliebt (Keiling 1977, 136f.; Keller 1984, 40f.; Droberjar 1999, 97f.). Die Exemplare aus Udiµa sind mit ihrem inneren Durchmesser von 78–85 mm ziemlich groß und massiv. Vermutlich wurden sie längere Zeit benutzt und als Armringe getragen. Allerdings läßt die Fundkombination mit einer Trense auch an andere Nutzungsmöglichkeiten, etwa als Teil eines Zaumzeuges, denken, zumal die gleiche Kombination von Knotenringen und Zaumzeug auch aus Grab 30 von DobÅichov-Piµhora vorliegt (Droberjar 1999, 97f.).
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Ringtrense Nach Angabe des Entdeckers ist nicht ganz klar, ob die Trense im Hort vollständig oder bereits als Fragment deponiert worden ist. Es ist ein ziemlich seltenes Exemplar einer Prunktrense, das in Überfanggußtechnik aus Bronze- und Eisenteilen hergestellt wurde. Die Trensen der Junglatènezeit und Römischen Kaiserzeit waren in der Regel aus Eisen geschmiedet, und nur bei den wenigen dekorativen Stücken ist als Material Bronze verwendet worden. Während der älteren und mittleren Latènezeit hat man daher einen Teil dieser Erzeugnisse mit einem Bronzeüberzug versehen (Zirra 1981, 137–140). Technologisch ähnlich, wenn auch in Details unterschiedlich sind manche der kaiserzeitlichen Exemplare aus dem germanischen Barbaricum und aus dem Limes-Gebiet (Pauli/Wilbers 1985). Ein charakteristisches Detail der Ringtrense aus Udiµa ist der massive Endpuffer der Gebißstange. Eine ähnliche Gestaltung kommt vor allem an den Zwischengliedern von mittellatènezeitlichen Gürtelketten des österreichisch-böhmischen Typs vor (Reitinger 1966, 205–214 Abb. 8, 13–14). Dieses Detail und weitere Belege der Überfanggußtechnik (z. B. die eisernen Nieten mit dem Bronzezierknopf aus Trenµianske Bohuslavice) sind auch aus spätlatènezeitlichen Zusammenhängen belegt (Pieta 1982 Taf. 11, 20–22). Genaue Parallelen zum Exemplar aus Udiµa sind nicht bekannt, doch ist es möglich, daß dieser Fund zur Diskussion über die jungeisenzeitlichen Vorlagen der kaiserzeitlichen Trensen vom Typ Donauwörth/ Nydam beitragen kann (Pauli/Wilbers 1985, 103).
Der Anhänger Die Plastik hat die Gestalt eines stehenden jungen Stieres (Abb. 5). Dem Kopf mit gestreckten Ohren und langen gekrümmten, nach vorn oben gerichteten Hörnern folgt ein kräftiger, muskulöser Nacken. Der Rumpf mit der Hängeöse am Rücken und dem langen Schwanz ist schlank, die Geschlechtsteile sind betont. Den aufmerksamen Ausdruck des Tieres betonen die plastisch gestalteten runden Augen mit ihrem gespannten, mehr neugierigen als aggressiven Ausdruck. Der Anhänger ist ziemlich groß. Wegen seines Gewichts muß dieses Stück daher nicht unbedingt wie andere Bronzeanhänger dieses Typs am Hals getragen worden sein. Als apotropäisches Amulett könnte es auch Teil anderer Garnituren (Pferdegeschirr, Kultgewand) gewesen sein. Stieranhänger aus Metall (Boviden) kommen schon seit dem Äneolithikum, vor allem aber in der Spätbronze- und Eisenzeit vor. Rinder gehören zu den häufig dargestellten Tierarten der Hallstattzeit, die vor allem im Ostalpenraum
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Abb. 5. Udiµa. Burgwall „Klapy“. Die Bronzeplastik aus dem Hort 3
als Stierplastiken und als Protome auf Keramik auftreten. Demgegenüber sind in den nördlicheren Gebieten mit Traditionen der Lausitzer Kultur eher die alten Vogelmotive verbreitet (Parzinger 1995, 121–122; Warnecke 1999, 123– 124; Teržan 1990, 232 Karte 27). Mit der Ausbreitung des Latène-Stils hörte die Beliebtheit des Stierkopf-Motivs im Mitteldonauraum nicht auf. So sind diese Motive im nördlichen Teil des Karpatenbeckens auf der Keramik bis tief in die Latènezeit nachweisbar (Pieta 2000a, 339). Ungeachtet seiner schematischen Ausführung stellt der Bronzeanhänger einen realistischen Stier dar. Das Tier macht den Eindruck eines jungen, eher neugierigen als gefährlichen Tieres und unterscheidet sich damit von manchen der Stierplastiken mit aggressiv drohender Stellung, wie dies z. B. bei der Holzstatue aus den Seine-Quellen, aber auch bei weiteren keltischen Plastiken zu beobachten ist (Duval 1978 Abb. 197; Lillebonne: Cunliffe 1995, 80). In dieser Manier sind auch die mythischen dreihörnigen Stiere gestaltet. Junge Bullenkälber kommen in der keltischen Kunst relativ häufig vor. Als Beispiele sind die Endköpfe auf dem Silberring von Trichtingen oder die bekannte Plastik aus Waltenburg zu nennen (Kimmig 1993 Abb. 138; 139). Unser Fund erinnert teilweise an den allerdings detaillierter ausgeführten Stierkopfbeschlag auf dem Bronzekessel von Brå, der gut in den Latène-„Disney-Stil“ hineinpaßt. Gegenstände in diesem Stil leben sehr lang, auf den Britischen Inseln bis in die Römische Kaiserzeit hinein (Megaw/Megaw 1989, 142–143 Abb. 222–223; 372–373). Natürlich gehört die Plastik von Udiµa zu den vereinfachten Varianten, bei denen sich naturalistische Elemente mit gelungener Stilisierung verbinden. Die übrigen Bronzeanhänger dieser Art aus der Slowakei sind weniger anspruchsvoll gestaltet. Hierher gehört der kleine bronzene Anhänger aus dem
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Abb. 6. 1 Bratislava-Devín; 2 Nitrianske Rudno, Bez. Prievidza; 3 Streženice, Bez. Púchov. Bronze
nahe gelegenen Streženice bei Púchov (Abb. 6, 3), bei dem die nach unten gerichteten Hörner (Ohren?) und der enorm lange Nacken nicht ausschließen, daß es sich hier um eine andere Tierart handeln könnte. Ein Stieranhänger aus Bratislava-Devín (Abb. 6, 1) ist von besserer Qualität. Wiederum handelt es sich um ein junges Tier mit deutlich geformten Hörnern, Hufen und Geschlechtsorganen. Das Stück gehört zum Inventar eines germanischen Urnengrabes aus der beginnenden frühen Kaiserzeit (Kolník 1984 Abb. 115). Die Tieranhänger sind apotropäische, schutzbringende Gegenstände, die zusammen mit anderen Amuletten an einer Halskette getragen wurden. Die Symbolik des Stieres ist trotz scheinbar klarer Deutung (Verkörperung der Kraft, der Fruchtbarkeit – wie z. B. in der irischen Sage Bo Cuilange – oder Jupiter-Attribut) nicht immer verständlich, was ja auch für die Stellung des Stiersymbols in der keltischen Ikonographie und Mythologie gilt (Botheroyd/ Botheroyd 1992, 308–311). Zugleich war das Rind im keltischen wie im nichtkeltischen Milieu das wichtigste Opfertier. So ist die Opferung eines Stieres das Zentralmotiv des Gundestrup-Kessels (Hatt 1980, 73; 75). Rinderknochen dominierten unter den Opfergaben der beiden erforschten Kultplätze der Púchov-Kultur von Prosné und Liptovská Mara (Pieta/Moravµík 1980; Pieta 1996, 88). Das Stieramulett als Bestandteil eines Hortes scheint die Votivfunktion der Deposition in Udiµa zu bekräftigen.
Die Hortfunde Wie bereits eingangs betont, wurden auf dem Burgwall Udiµa-Klapy mindestens zwei spätlatènezeitliche Massenfunde entdeckt. Beide sind leider ohne
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Fundumstände, was deren Interpretation erschwert. Deutungshinweise geben jedoch weitere Funde dieser Art aus dem umgebenden Karpatenland, insbesondere die bei Grabungen entdeckten Horte. Bei diesen sind drei Typen zu unterscheiden: Horte mit Eisengegenständen, mit Bronzeschmuck und Münzschätze. Vor allem durch die Entdeckungen der Sondengänger stieg die Zahl der Münzfunde aus den karpatischen Latène-Burgwällen in letzter Zeit dramatisch. Mindestens acht neue Schätze mit keltischen Gold- und Silbermünzen wurden zutage gefördert, aber nur teilweise dokumentiert. Dank der langjährigen Ausgrabungen stehen uns dagegen aus dem Siedlungsraum Liptovská Mara genauere Informationen zur Verfügung. Auch hier konnten mehrere kleinere und größere Horte freigelegt werden. Im Burgwall Liptovská Mara I fand man ein Depot eiserner Gegenstände (Pieta 2000b) und in einem der niedergebrannten Häuser aus der frührömischen Kaiserzeit lagen unter dem gut erhaltenem Mobiliar zwei Knotenringe mit Bronzeketten (Pieta 1996 Taf. 11, 18–19). An unbekannter Stelle im Burgwallareal entdeckten Schatzsucher einen Massenfund mit acht Bronzefibeln. Aus dem Areal der Kultstätte auf der Ostterrasse stammen mehrere kleine Anhäufungen von unbeschädigtem oder verbranntem Bronzeschmuck, hauptsächlich Armringe, die zuverlässig als Opfergaben bestimmt werden können. In der Siedlung III schließlich kam ein aus einer großen Fibel und zwei Halsringen bestehender Bronzefund zutage (Pieta 1982 Taf. 20). Die Grabung hat bewiesen, daß die Befestigung und das Heiligtum während der Spätlatènestufen D1 und D2 wiederholt zerstört und umgebaut wurden. In den ersten Dezennien der neuen Zeitrechnung wurde die letzte provisorische Befestigung errichtet, die bald danach einer Feuersbrunst zum Opfer fiel. Gleiche Zerstörungshorizonte konnten auf vielen Púchover Befestigungen nachgewiesen werden. Gleiches gilt für eine Reihe von Horten, die vermutlich in diesen kritischen Zeiten akuter Gefahr versteckt wurden. Infolgedessen sind die Burgwälle zu Beginn des ersten nachchristlichen Jahrhunderts für immer verlassen worden und es kam zu wesentlichen Änderungen in der gesamten Siedlungsstruktur. Als Beispiele für solche Horte aus dem Katastrophenhorizont seien zwei Münzschätze aus dem Burgwall Dolný Kubín-VeLdký Bysterec genannt, von dem auch niedergebrannte Siedlungsobjekte mit komplett erhaltenem Inventar belegt sind (Pieta/Kolníková 1986). Vor kurzem begannen Untersuchungen der großen Befestigung mit intensiven Belegen für handwerkliche Tätigkeit und Münzprägung bei Folkušová, Bez. Martin, die bereits mehrere Depotfunde erbracht hat. Ein Schatz mit 80 silbernen keltischen Münzen wurde am extrem steilen Hang außerhalb des Walls entdeckt. In den Schichten der Siedlungsterrassen stieß man auf einige kleine Fundgruppierungen, bestehend aus
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drei Sicheln, aus zwei Bronzefibeln und einem Bronzearmring bzw. aus einer großen Eisenfibel mit drei daran aufgehängten Bronzefibeln. Weitere Münzhorte kamen in den zerstörten Burgwällen Likavka und Skalka nad Váhom zutage. Die Deponierung von Horten ist nicht allein auf das Gebiet der PúchovKultur begrenzt. Auf dem in die Stufe Lt C2 datierten westslowakischen Oppidum Plavecké Podhradie wurden durch die Grabung und teilweise durch Metallsuchgeräte acht Eisendepots entdeckt (Pieta 2000b). Außerdem fand man in der Siedlungsschicht zwei nebeneinander liegende bronzene Knotenringe. Knotenringe, vermutlich Bestandteil einer Halskette, gab es auch in den Massenfunden von Križovany in der Westslowakei und dem mährischen Ptení (Zachar 1987 Abb. 197; Meduna 1996; ižmáÅ 2002). Erinnert sei schließlich an die zahlreichen Münzschätze aus den Oppida Bratislava und Trenµianske Bohuslavice sowie von weiteren spätlatènezeitlichen Burgwällen in der Grenzzone zur Púchov-Kultur.
Interpretation Die beiden Schätze aus Udiµa gehören zu einem Horizont ähnlicher Funde, die für die Untergangszeit der karpatischen Befestigungen am Übergang von der Latènezeit zur Römischen Kaiserzeit charakteristisch sind. Soweit die Metallfunde aus niedergebrannten Häusern stammen, lassen sie sich als verlorengegangenes Eigentum der Hausbewohner betrachten. Andere Horte wurden in extremen Lagen, in Felsen und steilen Hängen vergraben (z. B. die Schätze in Dolný Kubín und Folkušová). In Kombination mit den Zerstörungsspuren in diesen Anlagen dürfen diese Schatzfunde als Tesaurierungen in Zeiten der Gefahr angesehen werden. Auch wenn bei manchen dieser Funde eine Deutung als Votivgaben nicht gänzlich auszuschließen ist (siehe die Deponierungen in der Nähe der Opferstätte von Liptovská Mara), möchten wir die meisten Horte eher im Zusammenhang mit turbulenten machtpolitischen Ereignissen sehen. Die Untergangszeit einzelner Anlagen ist dabei unterschiedlich. Das Oppidum Plavecké Podhradie endete in der Stufe Lt C2 oder zu Beginn von Lt D1, Trenµianske Bohuslavice und weitere Horte liefernde Burgwälle wurden dagegen während Lt D1/D2 verlassen. In der Púchov-Kultur erfolgte die großräumige Zerstörung und Auflassung der Befestigungen eindeutig am Ende der Latènezeit bzw. am Anfang der Kaiserzeit. Viele Beobachtungen sprechen dafür, daß dieses Phänomen als eine Folge feindlicher Angriffe betrachtet werden sollte. Zusätzlich zu den genannten Befunden spricht dafür insbesondere auch die
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ungewöhnlich hohe Zahl an Fernwaffen, wie Schleuderkugeln sowie Pfeilund Speerspitzen. Beispielhaft sei die zum Siedlungskomplex Udiµa gehörende Befestigung Jasenica-Predná hôrka genannt, in der bei der Grabung auf einer befestigten Fläche mit starken Brandspuren von nur 0,025 ha etwa 60 Pfeilspitzen verschiedener Art gefunden wurden (Abb. 3). Auch der durch die Natur gut geschützte Berg Klapy konnte der Bevölkerung aus den umgebenden Siedlungen gute Zufluchtmöglichkeiten bieten. Obgleich die beiden Horte aus dieser Anlage ohne genauere Fundumstände geblieben sind, vermuten wir deshalb, daß auch sie während der turbulenten Ereignisse in den ersten Jahrzehnten des 1. Jahrhunderts n. Chr. in die Erde kamen. In dieser Zeit hat die Spätlatène-Zivilisation im westkarpatischen Bergland ihre Entwicklung in vollem Umfang (wenn auch nur noch kurze Zeit) fortgesetzt und dabei fanden erstaunlich viele Einflüsse und Importgüter aus dem norisch-pannonischem Raum ihren Weg in die Púchov-Kultur. So enthält auch der Bronzehort aus Udiµa-Klapy Spätlatène-Erzeugnisse, die eher nicht einheimischer Provenienz sind und bei denen zumindest bei zwei Stücken von exklusiven Gegenständen gesprochen werden darf. Der Stieranhänger selbst gehört dabei seiner Ausführung nach zu den herausragenden Belegen spätkeltischer Kunst im nordkarpathischen Raum.
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Anschrift des Verfassers: Dr. Karol Pieta, DrSc. Archäologisches Institut Slowakische Akademie der Wissenschaften Akademická 2 SK-94921 Nitra Slowakische Republik Email:
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Studien zur Lebenswelt der Eisenzeit. RGA-E Band 40 – Seiten 149–191 © Copyright 2006 Walter de Gruyter · Berlin · New York
Frühe germanische Kriegerordnung und keltische militärische Gemeinschaftsformen1 von Karl Peschel
Im folgenden werden Anfänge germanischer Kriegerordnung bis um den Beginn unserer Zeitrechnung betrachtet, und zwar nach zwei Richtungen: einmal in der kollektiven Form als Gruppe, zum anderen individuell nach der Stellung der Personen. Beide Seiten – Gruppe wie Personen – verstehen sich, um es in der Sprache der Nachbarn auszudrücken, deren Erzählungen uns einige Stützen bieten werden, als ein Gefüge von coniunctio et ordo, von µĮȡȝȠȞȓĮ țĮҒȚ IJȐȟȚȢ, als ein Gefüge von Verknüpfung und Reihung. Bei aller Einheitlichkeit, begleitet von Übergängen, die dieses Gefüge nur unvollkommen durchschauen lassen, besteht eine Hierarchie, sowohl innerhalb der Gruppe, als auch – und dies vielleicht deutlicher – von Person zu Person. Diese Abstufung ist in einer von physischem Erfolgszwang bestimmten und reichlich Einzelinteressen unterworfenen Gesellschaft indessen nicht unverrückbar, sondern durchaus locker und wandelbar, eine Gewißheit, die fernerhin beständig im Ohr sein sollte. Einer näheren Umreißung bedarf die Gruppe. Darunter verstehe ich hier die Kleingruppe. Nach größeren Einheiten soll nicht gefragt werden, weder nach deren Stärke, noch nach ihrem Aufbau. Antike Angaben zum Heer gefallen sich grundsätzlich in überhöhten Zahlen (Delbrück 1900, 7ff.; 445f.; 478). Wenn einzelne germanische und keltische Beuteopfer für Heeresteile in Vollbewaffnung Stärken von 60 bis 70 Mann nahezulegen scheinen, so ist auch diese Zahl angesichts verschiedener Unwägbarkeiten, denen Opfergaben unterliegen, wenig sicher. Das gilt vor allem, sobald die Frage nach der Vollständigkeit der Niederlegung gestellt wird2. Was die Kampfordnung betrifft, 1
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Der nicht für einen engeren Fachkreis bestimmte Vortrag, den ich zur Geburtstagsfeier von Frau Kollegin Rosemarie Müller am 8. Dezember 2001 in Göttingen gehalten habe, wurde für den Druck hier und da erweitert. Um den Charakter eines Überblicks zu wahren, sind Nachweise über notwendige Quellenbelege hinaus möglichst knapp gehalten, einiges in Anmerkungen ausgeführt worden. – Abbildungen: H. Seim und Verfasser sowie nach Literatur. Aus dem ganz ausgegrabenen kleinen nordischen Moor von Hjortspring auf der Insel Alsen (Rosenberg 1937) wurden, nach Stoßlanzen und Schilden gerechnet, Ausrüstungen von etwa 65 Personen zutage gefördert (Randsborg 1995, 41 Abb. 13); im Heiligtum der Belgen von
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so läßt sich eine Aufstellung nach Abstammungsgemeinschaften wahrscheinlich machen. Eine solche Aufstellung wird, wenn wir in der Zeit bleiben, für die Germanen des Ariovist bezeugt (Caesar, bellum Gallicum I, 51.2) und später durch Tacitus (Germania 7.2) verallgemeinert, da dieser als deren Grundlage familiae et propinquitates hervorhebt. Sie erfolgte in parataktisch angeordneten Gruppen, die eine dichte Front bilden konnten (Caesar, bellum Gallicum I, 52.4), der frühen griechischen Phalanx nicht unähnlich, ohne daß wir wüßten, wie tief die Reihen gestaffelt waren. Ein späterer Bericht des Cassius Dio (XXXVIII, 49.6) ließ die Ariovistgermanen sich vor der drohenden Niederlage zu Abwehrblöcken zusammenrotten. Nach guter griechischer Quelle (Malitz 1983, 227) sollen auch die Kimbern bei Vercellae ein quadratisches Geviert gebildet haben, allerdings von einer durchaus unglaubhaften Ausdehnung (Plutarch, Marius 25.9 nach Poseidonios). Nach traditioneller Auffassung war das Feld einer barbarischen Einheit wenig geordnet. Es bildete einen cuneus oder mehrere cunei (Caesar, bellum Gallicum VIII, 14.5; Tacitus, Germania 6.4, 7.2). Dabei handelt es sich keineswegs um eine „keilförmige Schlachtordnung“, wie Wörterbücher für den Begriff cuneus angeben (vgl. Much 1967, 150f.; 161; Weski 1982, 193; Adler 1993, 250f.), sondern, worauf schon H. Delbrück (1921, 32ff.) hingewiesen hat, um einen „Gevierthaufen“ mit Führungsspitze, zu dem sich in der Not wohl auch einmal römische Truppenteile zusammenschließen konnten (Caesar, bellum Gallicum VI, 40.2). Der Geschichtsschreiber Livius wertete sogar – und zwar wider besseres Wissen – die makedonische Phalanx Philipp V. zum Jahre 198 v. Chr. als cuneus3. Über die Annahme von Merkmalen römischer Truppengliederung wird für das Ende des hier behandelten Zeitraums, das heißt für das zweite Jahrzehnt n. Chr., zwar berichtet, etwa über die Markierung von Einheiten durch Feldzeichen, vielleicht auch durch unterschiedliche Bemalung der Schilde (Tacitus, Germania 6.1; Hamberg 1936, 26f.; Adler 1993, 246 mit Anm. 87), oder über die Bildung von Reserven (Tacitus, annales II, 45.2; Delbrück 1921, 44f.). Im allgemeinen aber sollen die Trupps aus dem Norden die frühen Überraschungserfolge ihrer unberechenbaren Kampfesweise verdanken, hauptsächlich der Wucht des ersten Ansturms (Hamberg 1936,
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Ribemont-sur-Ancre (Somme) mag mit 60 voll bewaffneten Kriegern, die dekapitiert auf einer Plattform von 30 m2, offenbar in dichter Formation, zur Schau gestellt waren (Brunaux 1995, 70f.), womöglich der Teil einer größeren Einheit vorliegen; aus dem viel jüngeren südjütländischen Kultsee von Ejsbøl (Ørsnes 1988), innerhalb dessen die Fundstreuung vollständig erfaßt werden konnte, ließen sich im zeitlich zusammengehörigen nördlichen Feld des 3. Jahrhunderts n. Chr. Ausrüstungen von etwa 60 Schwertträgern zusammenordnen (Ørsnes 1970, 179ff. mit Abb. 4). – Manuskriptabschluß: Frühjahr 2002. Römische Kohorten sollten den cuneum Macedonum – phalangem ipsi vocant – durchbrechen (Livius XXXII, 17.11).
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39f.). Damit konnte man auch den Kelten wie Germanen gleichermaßen zugeschriebenen Mangel an Ausdauer einigermaßen vereinen (Kremer 1994, 31ff.). Die Hintergründe dieses Zusammenhanges lassen sich aufzeigen, wie zuletzt wiederum A. Lund (1990, 36ff.) deutlich gemacht hat. Sie wurzeln in der aus der Natur begründeten Einheit von Klima und Psyche und liegen paradigmatisch schon griechischer Propaganda des 5. Jahrhunderts v. Chr. gegenüber als barbarisch geltenden Aufgeboten zugrunde (Thukydides IV, 126). Denn eben dieses in der griechisch-römischen Literatur wiederholt vorgetragene Schema über das Vorgehen von Heerhaufen des Nordens schöpft aus festen allgemeinen Vorstellungen vom feindlichen Fremden und grenzt damit an einen aus vorgeblicher Unbeherrschtheit des Barbarentums entwikkelten Topos, der den Völkern der kalten Landstriche nach alten ionischen Umweltlehren zugeschrieben wurde (z. B. Aristoteles, politika VII, 7.1327b). Dahinter steht das Schreckbild von ungeordneten Menschenmassen, die sich heranwälzen, von Tollkühnheit, schließlich, was den einzelnen Kämpfer betrifft, von der riesenhaften Gestalt dieser Leute, so die Stichworte der hellenistischen Geschichtsschreibung bei Polybios (XXV, 6.2) zu den Bastarnen: ʌȜȘѺșȠȢ IJȩȜȝȘ ȝȑȖİșȠȢ. Verborgen bleibt hierbei, daß für den Fußkampf in Formation beispielsweise der Gebrauch der Lanze geübt werden muß, der Einsatz von Reitern deren fortwährendes Training erfordert, ja ohne innere Gliederung eine geordnete Truppenbewegung gar nicht zustande kommt. Dieses Kapitel antiken, auch modern nachgesprochenen Pauschalurteils, das eher in den Vorstellungsbereich oberflächlich erfaßter Barbarenmentalität gehört, hat hier selbstverständlich keinen Platz. Eine zivilisatorisch überlegene Gesellschaft neigt dazu, ihr wesensfremde Strukturen, die sie ohnehin nicht für wert hält, als ungeordnet, bestenfalls als urtümlich anzusehen. Ebensowenig werden hier allgemeine Züge verfolgt, die antike Randgesellschaften in einer vorgeblichen Männerwelt scheinbar miteinander verbinden, wie das alltägliche Tragen der Waffe oder der Initiationsritus der Wehrhaftmachung (Adler 1993, 252f.). Auch der oft genannte Treuebund (Kristensen 1983; kritisch Perl 1985) bleibt, wenn er nicht aus der Abstraktion gelöst wird, recht farblos4. Indessen soll versucht werden, den mäßig fließenden und der Lückenhaftigkeit der Überlieferung unterworfenen archäologischen und literarischen Quellen,
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Für alle diese Fragen, die, was Germanisches betrifft, üblicherweise erste Antworten aus der Germania des Tacitus zu gewinnen versuchen, sei grundsätzlich verwiesen auf die Stichworte „Gefolgschaft“, „Germanen“, „Kriegswesen“ in: RGA² 10, 1998, 533ff.; 11, 1998, 181ff.; 17, 2001, 333ff., auch auf Steuer (1992), schließlich als jüngste Zusammenfassung von historischer Seite mit reicher Literatur auf Pohl (2000, 59ff.). Allerdings berührt schon die taciteische Darstellung, zeitlich gesehen – natürlich nicht in jedem Falle auch inhaltlich –, unseren Überblick nur am Rande.
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deren Aussagen im übrigen ganz andere Zwecke verfolgten, als sie moderne Forschung im Auge hat, ein wenig an Spezifik für die Frage der Ordnung von Gruppen und Personen abzugewinnen. In den Jahren 58 und 57 v. Chr. schob der römische Proconsul C. Iulius Caesar mit der Eroberung der Gallia comata die Grenze des imperium Romanum bis zum Rhein vor. Die Bewohner rechts des Rheins, die er unter dem Namen Germani zusammenfaßte, beschrieb er als andersartig (bellum Gallicum I, 1; VI, 11.1, 21.1; Malitz 1983, 205). Hatte er für die keltischen Völker Galliens die politischen und sozialen Parteiungen in den Vordergrund gestellt, so galten für den Außenraum Bilder ursprünglicher Wildheit, etwa die Verehrung von Naturgewalten, die Bevorzugung der Jagd vor dem Feldbau, der Mangel an Seßhaftigkeit und Friedensfähigkeit: im ganzen das Gemälde einer geschlossenen, in ihrer Art heroischen Welt5, die als solche in dem von gesellschaftlichen Spannungen geschüttelten Gallien längst zerbrochen war. Es ist hinlänglich bekannt, daß die Darstellung Caesars Ungereimtheiten enthält, auch aus praktischen Überlegungen auf Gegensätze zugespitzt worden ist (Walser 1956, 37ff.; 87f.; Hachmann 1975, 123ff.; Zeitler 1986, 41ff.; 51f.). Dennoch: für eine Grenze der Germania am Rhein, für deren unbestimmte Weite und die Anlehnung der Bewohner an ein nach Osten streichendes Waldgebirge, für die damit gewonnene ethnische Einkreisung des Germanischen, wobei übrigens das Idiom, die Sprache – anders als für die Gliederung der Gallia Comata −, unmittelbar keine Rolle spielte (Birt 1917, 13; 71; Hachmann 1975, 124), ist dieses Bild fortan bestimmend geworden. Vorwiegend war es die griechische Ethnographie, die länger am Keltentum als dem Oberbegriff und damit an der Wesensverwandtschaft für alle Völker des Nordwestens der alten Oikoumene festgehalten hat. Es wird sich zeigen, daß dabei – so bei dem ereignisnah unterrichteten Strabon (Kremer 1994, 306ff.) – nicht bloß traditionelles Denken oder Mißtrauen gegenüber römischer Festlegung mitgespielt hat, so sehr auch die literarische Unterscheidung nach einem „Mehr an Wildheit, Körpergröße, Blondheit“ (VII, 1.2) praktischer Anschauung, wie sie Caesar gewinnen konnte, fern gestanden haben mag6. 5
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Tatsächlich rückt der Vorläufer der vergleichenden Völkerforschung, Giambattista Vico († 1744), dieses Muster der für ihn mythischen Wahrheit neben das Zeitalter der homerischen Griechen und der römischen Königszeit, so mit den Beispielen Gefolge, Raubzug und Machtausübung, die uns hier ebenfalls beschäftigen sollen (Vico 1924, 236; 270; 273; 276ff.). Daß die Meinung keltischer und germanischer Nähe, die, unverstanden, noch im 5. Jahrhundert n. Chr. Orosius (V, 16.1: Gallorum germanorum gentes, zu Kimbern und Teutonen) nachgeschrieben hat (vgl. Birt 1917, 60ff.; Feist 1927, 16), wirklich „wissenschaftlichen Stillstand der [griechischen] Forschung“ bedeutete, also bloßes Fortschleppen der Völkertafel des alten Erdbildes, in der zwischen Skythen und Kelten im Norden und Westen kein eigener Platz mehr für Germanen war, wie Norden (1923, 102) – eine scharfe Begriffsbildung bereits
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Als besondere Eigenart der Germanen gilt Caesar ihre stete Bereitschaft zu bewaffneter Auseinandersetzung. Zwar wird nach innen Frieden erstrebt und durch Rechtsspruch gesichert. Sonst aber macht das studium belli gerendi (bellum Gallicum VI, 22.3) das eigentliche Wesen germanischer Lebensführung aus. Nach außen gilt das Recht des Stärkeren. Mit dem Blick auf die res militares ist Caesar bemüht, die Gemeinschaft zu erfassen. Dabei findet das Verhältnis des Einzelnen zur Gruppe seine Aufmerksamkeit. Hieran wollen wir anknüpfen. Bei einer vergleichenden Betrachtung fällt nun auf, daß die Schilderungen vom Zusammenwirken in der Gruppe mancherlei Einzelheiten aufweisen, wie sie auch für das Wirken keltischer Heerhaufen Jahrhunderte vorher beschrieben werden, ein offenbar durch vergleichbare Struktur und ähnliches Vorgehen bedingtes Muster. Entsprechende Darstellungen für Kelten fußen in der Zeit der Abwehrkämpfe hellenistischer Mächte, griechischer Bündner und der expandierenden Stadt Rom gegen landsuchende ȀİȜIJȠȚғ oder īĮȜȐIJĮȚ. Gegen Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. waren die keltischen Eindringlinge überall in der Defensive. Es gelang die bedrohlichen Scharen von der Apenninenhalbinsel und aus dem südlichen Balkan zu verdrängen und nach dorthin zurückzutreiben, woher sie gekommen waren, nämlich zur mittleren Donau und in die Zone nördlich der Alpen. Der Rückstrom läßt sich im Sachgut nachzeichnen (Latène B2–C1), und damit wollen wir einsetzen, was die archäologische Unterlegung angeht. Der Blick auf einen Bogen, der von der mittleren Donau zur unteren Seine verläuft, muß hier genügen. An den Flanken liegen einerseits die Ballungsräume der Skordisker zwischen unterer Save und Donau (Guštin 1984, 305ff. Abb. 1–2; Popovi³ 1991, 340f. Abb. 1) und andererseits die der Belgen zwischen Somme und Seine (Kruta 1986, 44ff. Abb. 6–7; Leman-Delerive 1991, 264ff. Abb. 3–4). Einige wenige Beispiele mögen verbindende Züge verdeutlichen. Der Typus des schwerbewaffneten Kriegers zu Fuß – gegenüber Reiter und Wagenkämpfer der Kern der keltischen Streitmacht (Dobesch 1996, 14; 25; 33; 40f.) – wird durch Stoßlanze, Langschwert und Ovalschild gekennzeichnet. durch Caesar voraussetzend –, nicht unwidersprochen (Jacoby 1926, 169f.; Walser 1956, 42f.) behauptete, wird man schon deshalb bezweifeln müssen, weil im rheinnahen Bereich, der antiker vergleichender Betrachtung anfangs allein zugänglich war, äußere Erscheinung (habitus) und Lebensweise (cultus), wie sich archäologisch leicht erweisen läßt, ineinander übergehen, was übrigens Norden (1923, 81f.) – mit dem bemerkenswerten Versuch bereits auch archäologischer Argumentation – selbst eingeräumt hat. Erst militärische Notwendigkeit ließ die Andersartigkeit der Sprachen hervorheben, so Caesar (bellum Gallicum I, 47.4) nur nebenher zur gallischen Sprachkenntnis des Ariovist. Pomponius Mela (III, 30) erschienen im 1. Jahrhundert n. Chr. die örtlichen Namen des Landes vix est eloqui ore Romano. Vgl. auch Anm. 29.
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Abb. 1. Keltischer Krieger des 3. Jahrhunderts v. Chr. Rekonstruktion A. Rapin nach der Ausstattung eines Körpergrabes von Rungis bei Paris (Val-de-Marne)
Ein eindrucksvolles Bild gibt die Rekonstruktion (Abb. 1) nach dem Inhalt eines Körpergrabes von Rungis bei Paris wieder (Kruta/Rapin 1987)7. Zwei Bestandteile der Ausrüstung verfolgen wir weiter. Am Gürtel befindet sich eine Kette, an der das Schwert getragen wird, eine ungewöhnliche Art der Aufhängung, die wohl höhere Beweglichkeit gewährleisten sollte. Technisch gesehen, handelt es sich um eine sogenannte Fuchsschwanzkette, bei der die einzelnen Glieder sprossenartig ineinander gehängt sind (Schönfelder 1998). Am Hals des Mannes hält eine schwere, etwa 10 cm lange eiserne Fibel einen Umhang zusammen. Erhaltene Fransen des Umhangs an der Schwertscheide weisen auf Wollfaser, aus der die Kelten, wie Strabon (IV, 4.3) schreibt, „die dichthaarigen Kriegsmäntel (ıȐȖȠȣȢ) weben, die sie laenae (ȜȐȚȞĮȢ) nennen“. 7
Geradezu bildhaft beschreibt noch im 1. Jahrhundert v. Chr. Poseidonios die mannshohen Schilde, die nur zum Hieb geeigneten „Spathen“ (ıʌȐșĮȢ), rechtsseitig „an eisernen oder bronzenen Ketten aufgehängt“ – mit diesem Detail zugleich weiter zurückreichende Kenntnis verratend –, und die „Lanzen“ (ȜĮȖțȓĮȢ) mit überlangen, auch ausgeschnittenen oder gewellten Spitzen (Perl 1983), vgl. Diodor V, 30.2–4 (Malitz 1983, 193f.), wogegen die knappe, aber durch Hervorhebung von Besonderheiten auffallende Skizzierung keltischer Bewaffnung bei Strabon IV, 4.3 davon erheblich abweicht, so daß nach Kremer (1994, 311f., der Anm. 4 freilich gerade für die Waffenbeschreibung Ähnlichkeit bemerken will) „die pauschale Zuweisung (…) an Poseidonios zumindest als nicht unproblematisch erscheint“.
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Eisenfibeln mit großer Schlußkugel, ähnlich der hier vorliegenden, streuen in einem Streifen von der Savemündung bei Belgrad donauaufwärts, ebenso auf einem nördlichen Wege über die Slowakei, Mähren, den Mittelgebirgsraum und die Ardennen bis in das belgische Kerngebiet an der Marne. Die einzelne übergroße Gewandhafte diente überall dem gleichen Zweck, nämlich einen Überwurf am Hals oder an der Schulter zu fassen. Abbildung 2 zeigt Beispiele der nördlichen Verbindung (Peschel 1992a, 119f.). Seltener ist die Form der Sprossenkette, eine Variante meist eiserner Schwert-
Abb. 2. Große eiserne Fibeln mit Kugelfuß aus Körper- und Brandgräbern des 3. Jahrhunderts v. Chr. im nördlichen Mittelgebirgsraum zwischen Nordböhmen und Pariser Becken
ketten. Die Schwertaufhängung mittels Kette gilt als keltische Besonderheit (Rapin 1991, 352). Allerdings erlangte die Kettenbindung am Ledergurt erst während der keltischen Regression ihre weite Verbreitung und wurde nur kurze Zeit beibehalten, ohne allgemeine Verbreitung zu finden. Um so mehr darf sie auch als chronologisches Indiz gelten. Für die hier zu verfolgende Kette in Fuchsschwanztechnik mit umgeschlagenen und auf unterschiedliche Weise ineinandergehängten Gliedern, die ich Sprossenkette genannt habe,
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Abb. 3. Belgrad-Karaburma, Brandgrab 66. 4 Bronze, 8 Stein, 1 Ton (Töpferscheibe), sonst Eisen. Verschiedene Maßstäbe
konnte M. Schönfelder (1998, 83f.) die Übernahme mediterraner Fertigungsart aufzeigen. Ein Brandgrab aus der Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. von Belgrad-Karaburma (Guštin 1984, 317ff.) enthält die Schwertkette, dort aus Bronzedraht, zudem die eiserne Mantelfibel (Abb. 3). Schwert, Lanze und Schild zeichnen den vollbewaffneten Mann aus, wobei vom Schild, der aus Holz bestand, allein der bandförmige eiserne Buckel überkommen ist, der als solcher in der Schildmitte mit der Wölbung einst über eine Verstärkungsrippe griff (Todorovi³ 1972, 27f. Taf. XXIV).
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Abb. 4. Verbreitung der Schwertkette in Sprossenform (chaîne de ceinturon „en échelle“) aus Eisen oder Bronze und der mit dieser vergesellschafteten eisernen Fibeln8
Die Verbreitung der Schwertketten in Sprossenform weist zwei Bereiche stärkerer Dichte auf, einmal das Marnegebiet, zum anderen den mittleren Donauraum (Abb. 4). Die beiden randlichen Beispiele aus Bronze, von Belgrad und Ensérune, mögen den Anschluß an den Süden verdeutlichen. Wie in Rungis und Belgrad, das heißt an den Flanken der Verbreitung, findet sich im gleichen Grab nicht selten die große Eisenfibel; die Zusammenfunde von Fibel und Sprossenkette sind auf der Karte markiert durch Umrandung der Signatur8. Im übrigen überbrückt die eiserne Fibel – in ihrer Verbreitung als einzelne Mantelspange hier nicht dargestellt – das Zwischengebiet quer durch Mitteleuropa. 8
Die Karte der Gürtelketten von Schönfelder (1998, 85 Abb. 5; Liste S. 87ff.) wurde ergänzt um Ribemont-sur-Ancre (Somme) nach Lejars (1999, 242f. Abb. 59). Gestrichen wurden Nr. 9 („Champagne“), da nach Kruta/Rapin (1987, 15; 27 Abb. 11) womöglich gleicher Fundort wie Nr. 8a (Villevenard) oder Nr. 10 (Suippes), sowie Nr. 16 (Brežice), da Frauengrab, und Nr. 18 (Ruma), da Sonderform. Nr. 11 (Guntramsdorf) wurde reduziert, da nach Urban (u. a. 1985, 31f.; 52) wohl nur ein Stück.
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Abb. 5. Vollbewaffnung in Heiligtümern der Belgae (um/nach 250 v. Chr.) nach Gesamtniederlegungen in Gournay-sur-Aronde (Oise), 2. Viertel 3. Jahrhundert bis Anfang 2. Jahrhundert v. Chr. (1–4, mit Bezeichnung der Planquadrate) und Auswahl der Niederlegungen in Ribemontsur-Ancre (Somme), nach Mitte 3. Jahrhundert v. Chr. (a–e)
An der Nordwestflanke erreichen die Schwertketten zwei Heiligtümer der Belgen an Oise und Somme: Gournay-sur-Aronde und Ribemont-sur-Ancre. Dort sind jetzt und in der Folge Krieger in voller Ausrüstung als Opfer dargebracht worden (Brunaux 1995, 56ff.). Die Beispiele auf Abbildung 5 machen die keltische sogenannte Panoplie im weiteren Verlauf des 3. Jahrhunderts v. Chr. deutlich. Aus Ribemont steht rechts im Bild eine Auswahl der Vollbewaffnung nebst der Mantelfibel, also das Schwert in der Scheide mit der Traglasche, die schwere Lanzenspitze und der Lanzenschuh sowie der bandförmi-
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ge Buckel vom Schild (Lejars 2000, 244 Abb. 60). Die Ausrüstung gehört der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts v. Chr. an (Latène C1b). Links steht aus Gournay eine Folge von vier Niederlegungen dieser keltischen Panoplie aus dem das Heiligtum umfassenden Graben – eine Reihe, die, im Bild von oben nach unten, noch vor 250 v. Chr. einsetzt und bis an den Anfang des 2. Jahrhunderts v. Chr. führt (Latène C1a–C2). Die Schichtung unterschiedlichster Spolien war in Gournay streckenweise so dicht, daß nur an einzelnen Stellen, nämlich dort, wo die Waffenteile lockerer lagen wie in den hier wiedergegebenen Planquadraten, die Zusammengehörigkeit der Ausrüstung mit einiger Sicherheit vermutet werden darf (Brunaux/Rapin 1988, 154). Soviel zu keltischen archäologischen Zusammenhängen am mitteleuropäischen Gebirgsrand. Damit ist der Grund für die nun zu schildernden gemeinsamen Züge im Wirken keltischer und germanischer Kriegergruppen gewonnen. Ich stelle drei Fälle, auf das Ergebnis zugespitzt, einander gegenüber, die germanischen Beispiele aus der Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr., die keltischen jeweils weiter zurückführend. Volle Übereinstimmung darf nicht erwartet werden, und manche Ähnlichkeit mag sich aus verwandter gesellschaftlicher Grundlage erklären. Dessen ungeachtet treten wir einem Verhalten näher, das den Weg zur germanischen Kriegerordnung aus alter Nachbarschaft zum Keltentum zu verstehen hilft. 1. Im Vortreffen der Schlacht des Jahres 58 v. Chr. zwischen Caesar und dem rex Germanorum Ariovist sorgten gemischte germanische Trupps für Unruhe (bellum Gallicum I, 48.5–7). Ein Berittener hatte sich jeweils einen Fußkämpfer zur Seite gestellt, zu dem er sich zurückziehen konnte, der ihm, wenn erforderlich, zu Hilfe kam, der zugleich geübt war, mit dem Pferde Schritt zu halten. – Für die Bastarnen, die ein Jahrhundert früher (168 v. Chr.) an der unteren Donau ihre Dienste gegen Rom anboten, lesen wir bei Livius (XLIV, 26), daß dort jedem Reiter ein Fußsoldat folgte, der mit dem Pferde Schritt hielt und, wenn der Reiter ausfiel, dessen Platz und das Pferd übernahm. Die Bastarnen galten der Quelle des Livius, wahrscheinlich Polybios (vgl. XXV, 6), als Kelten; von den Skordiskern wichen sie, wie man meinte, „weder nach Sprache noch Sitten“ ab (Livius XL, 57). Tatsächlich aber kamen die Bastarnen aus dem Osten Mitteleuropas (Babe 1993, 168ff.). – Wiederum ein Jahrhundert früher ist ein ähnlicher „Mischkampf“ von den um 280 v. Chr. auf das griechische Festland vordringenden keltischen Heerhaufen bekannt. Die Mannschaft wird als Trimarkisia bezeichnet, dem keltischen Namen für eine berittene Dreiergruppe (Pausanias X, 19.9–10). Hinter dem Vorkämpfer hielten sich zwei Knappen in Reserve. Verwundung oder Tod des Anführers (įİıʌȩIJȘȢ) ließ einen der Knappen an dessen Stelle treten, während der zweite sich um den Gefallenen kümmerte. Die Wortwahl der Quelle,
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wohl nach dem Zeitgenossen Hieronymos von Kardia († nach 260; Jacoby 1930, 544f.), die für die Begleiter zwischen „Diener (ȠӍțȑIJȘȢ) und „Knecht“ (į}ȣȜȠȢ) schwankt, bringt die Abstufung gegenüber dem „Herrn“ (įİıʌȩIJȘȢ) zum Ausdruck (Daubigney 1979, 164f.). Auch Caesar betonte den Vorrang des Reiters, wenn „die einzelnen“, wie er schreibt, den Fußsoldaten „zu ihrem eigenen Heil auswählen“. Allerdings lassen die beiden hellenistischen Beispiele den Begleitmann als mit der Führung des Pferdes vertraut gelten, was für die germanischen beweglichen levis armaturae pedites, deren sich Caesar später selbst bedienen sollte (bellum Gallicum VII, 65.4; VIII, 13.2; bellum civile I, 83.5), offenbar nicht der Fall war9. 2. Der rex Germanorum Ariovist war nach seiner Niederlage auf hastiger Flucht zum Rhein von einem ausgewählten Kreis Berittener umgeben. Es handelte sich, wenn man einer Lesart bei Cassius Dio (XXXVIII, 50.4 – Melber) folgt, um eine Elite von wahrscheinlich etwa 50 Personen, vielleicht um den gleichen Kreis, aus dem Ariovist zuvor für die Unterredung mit Caesar seine zehn Begleiter gewählt hatte (bellum Gallicum I, 43.3). Zu denken ist an eine schmale Hausmacht, (įȪȞĮȝȚȢȠȚѴțİȓĮ), wie sie ihm Caesar in provokanter Rede vor seinen Soldaten freilich abgesprochen hatte (Cassius Dio XXXV-II, 45.2). Ähnlich wurde der flüchtende König Ambiorix aus dem cisrhenanischen Germanenstamm der Eburonen durch comites familiaresque geschützt. Mit wenigen Reitern (cum paucis equitibus), seinen Vertrauten, hatte er sich in die Wälder vor dem Nordrand der Ardennen zurückgezogen. Es waren dies keineswegs eine „Familie“ in unserem Sinne oder die Überbleibsel aus einem Schwarm von Abhängigen, wie die familia des Helvetiers Orgetorix (Caesar, bellum Gallicum I, 4.2), sondern ein enges persönliches Gefolge von Vornehmen, das man als Hausgenossenschaft bezeichnen kann10 und das schließlich 9
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Zum „Mischkampf“ mit womöglich balkanischem Bezug zusammenfassend Walser (1956, 35; 62). Ob die früheren böotischen Hamippen (Thukydides V, 57.2; Xenophon, Hellenika VII, 5.23) eine persönliche Bindung zum Reiter besaßen, worauf es für uns ankäme, bleibt angesichts nur knapper Erwähnung offen. – Vom Mann auf Mann bezogenen „Mischkampf“ zu trennen ist die Vorkämpferelite der centeni des Tacitus (Germania 6.3) sowie eine ad hoc gebildete gallische Gruppierung bei Caesar (bellum Gallicum VII, 80). Insoweit sind die Zusammenziehungen durch Much (1967, 148f.) und Adler (1993, 251) anfechtbar. – Eine iberische Kampfesweise, bei der zwei Reiter ein Pferd verwenden, von denen der eine sodann zum Kampf abspringt, ist andersartig und wird zudem als bloßer technischer Vorgang geschildert (Strabon III, 4.18). – Die Vermutung von Dobesch (1980, 450 Anm. 17; 1996, 54; 59 Anm. 292), es handele sich bei dem von Caesar geschilderten Verhalten um die Darstellung der „persönliche[n] Elitearmee“ Ariovists, die ihn „als Gefolgschaft besonders eng mit sich selber verbunden“ „in Gallien zu einer Großmacht aufsteigen“ ließ, findet in den Quellen keine Stütze. Nur annähernd, das heißt genossenschaftlich verstanden, im Sinne von Kuhn (1956, 12). Zur Diskussion im Verhältnis zum allerdings nur locker umrissenen Ordnungsbegriff der „Gefolgschaft“ nach W. Schlesinger (zuerst 1953) vgl. Wenskus (1961, 346 ff.; 1992 mit Lit.). Die
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auf noch vier Berittene zusammengeschmolzen war (Caesar, bellum Gallicum VI, 30.1.3, 33.3, 43.6). Auch den Belgen Commius aus dem Stamm der Atrebaten retteten seine familiares vor einem römischen Anschlag; es liegt nahe, einen diesem Mann nachweislich unmittelbar verpflichteten Reitertrupp damit in Zusammenhang zu bringen (Caesar, bellum Gallicum VIII, 23.5, 47.2, 48.3). – Das ältere keltische Beispiel führt uns über die Alpen. Vor dem Jahre 225 v. Chr. hatten in Norditalien Boier und Insubrer einen bunten Kriegerschwarm, die nordalpinen Gaesaten (Polybios II, 22), herbeigerufen, auf dessen Aufbietung wir gleich noch näher eingehen müssen. Nach der Niederlage gegen Rom legte der erste, wohl übergeordnete (Diodor XXV, 13) der beiden Heerkönige der Gaesaten, namens Aneroestes, Hand an sich selbst; der zweite war in Gefangenschaft geraten. Aneroestes hatte sich zuvor mit wenigen Leuten an einen sicheren Ort geflüchtet, was nur beritten hatte geschehen können. Ebenso wie der König handelte die kleine Begleitmannschaft von Vornehmen seines Hauses (ĮѴȞĮȖțĮȚѺȠȚ, Polybios II, 31.2). Auch nach der keltischen Niederlage vor Delphi im Jahre 278 v. Chr. soll sich der führende König den Tod gegeben haben (Diodor XXII, 9; Pausanias X, 23.10). Die Macht der Heerkönige war begrenzt und vom unmittelbaren Erfolg abhängig11. Besonders auf der Flucht oder in einer Notlage tritt eben jene Umgebung ans Licht, auf die sie sich wirklich stützen konnten und die mit ihnen das Schicksal teilte, den Umständen nach eine erlesene Reiterschar, der Stellung nach ihre vormaligen „Tischgenossen“ (ʌĮȡȐıȚIJȠȚ: Jacoby 1926, Nr. 87, F 17: Poseidonios; Malitz 1983, 179). 3. In seiner Beschreibung germanischen Lebens schildert Caesar (bellum Gallicum VI, 23.6–8), wie die Heerfahrt einer Jungmannschaft zustande kommt. Einer der Oberen, der sich als Vorkämpfer anbietet, ruft zur Teilnahme auf. Wer sich meldet, geht eine Verpflichtung für den beabsichtigten
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durchweg unterlegte idealtypische Schilderung des Komitates bei Tacitus, dazu die auf das Mittelalter gerichtete Sicht der Interpreten können den Blick leicht verstellen. Wohl bilden familiares – necessarii und die gleich zu nennenden ĮѴȞĮȖțĮѺȚȠȚ ein Gefolge, nicht aber einen taciteischen comitatus oder eine polybianische ‘İIJĮȚȡİȓĮ (Norden 1923, 124f.; Walbank 1957, 184) – ihrerseits beide versehen mit dem zwiespältigen Zeichen der Untertänigkeit freier Krieger (Tacitus, Germania 13.2; Polybios II, 17.12) – und schon gar nicht eine Schwurbrüderschaft (ıȣȞȦȝȠıȓĮ), wie die keltischen Söldner des Tyrannen von Kassandreia Apollodoros (Diodor XXII, 5), die aquitanischen soldurii (Caesar, bellum Gallicum III, 22; Jacoby 1926, Nr. 90, F 80: Nikolaos von Damaskos) und diesen nahestehende Keltiberer (Valerius Maximus II, 6.11; Schulten 1914, 206 mit Hinweis auf iberische Parallelen) oder die clientes des häduischen princeps Litaviccus (Caesar, bellum Gallicum VII, 40.7), vgl. zu letzterer insgesamt Wenskus (1961, 358); Much (1967, 230); Dobesch (1980, 419ff.); Peschel (1989, 274f.). Zur erfolgsabhängigen Stellung des Heerkönigs im germanischen Bereich vgl. Schlesinger (1963a, 53; 60; 84), wobei das Ordnungswort „Heerkönigtum“ dort auf Landnahmezüge und die nachfolgende „Abschichtung“ verengt wird.
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Raubzug ein, verbunden mit einem Versprechen gegenüber dessen Anführer, nicht aber mehr. Die Werbung erfolgt mit dem Anreiz auf Beute. Der Kriegerschwarm, der sich so formiert, ist egalitär aufgebaut, ein Zusammenschluß, in dem jeder auf eigene Faust mitzieht, jedenfalls nicht die später von Tacitus beschriebene Gefolgschaft, die Abstufungen kennt und für die der Gefolgsherr den Unterhalt trägt, die folglich eine länger währende Gemeinschaft bedeutet: vielmehr ein Bund auf kürzere Zeit und für einen vorbestimmten nahen Zweck. Älteres historisches Entwicklungsdenken hat jenes temporäre Gefolge als frühen Teil der Gesamtheit des von Tacitus nach allgemeinen Formeln geschilderten comitatus ansehen wollen, etwa so als läge hier eine Grundstufe sich sodann steigernder Qualität vor (Baumstark 1875, 520f.; Weber 1924, 529; 532; Dannenbauer 1958, 134; Thielscher 1962, 22). Vorsichtiger hat man damit eine durchaus weiterwirkende Wurzel der Gefolgschaft zu bestimmen versucht (Kuhn 1956, 4; Wenskus 1961, 347; 349; 361). Wenig beachtet wurde, daß hier nebeneinanderliegende Ebenen beschrieben werden (v. Kienle 1939, 143), wobei allerdings die Absicht der jeweiligen Erzähler verschieden ist: Caesar will die lockere Praxis vorstellen, während Tacitus die ideale Zusammenziehung anstrebt (Kristensen 1983, 76f.). – Mir ist daran gelegen, dem Aufgebot zum Beutemachen eine konkrete ältere keltische Parallele entgegen zu halten, und zwar den Zweckverband der vorhin genannten Gaesaten des späteren 3. Jahrhunderts v. Chr. Schon die Berichterstatter der römischen Keltenkriege wußten, daß der Name īĮȚıȐIJȠȚ auf ein mobiles Kriegertum abzielt und keinen Stammesnamen darstellt. ȖĮȚѺıȠȞ – gaesum geht auf ein keltisches Wort für „Speer“ zurück12, mehr eine Wurfwaffe, von der man auch zwei tragen konnte (Vergil, Aeneis VIII, 661–662), als eine gleichfalls keltisch bezeichnete schwerere ȜĮȖțȓĮ – lancea, die Stoßlanze (Diodor V, 30.4; Adler 1993, 242 Anm. 58). Gaesaten sind Krieger von Rang, ausgewiesen durch Distanzwaffen, Wurfspeer und Stoßlanze. Mit dem Versprechen auf Beute angelockt, sammelte sich ein Schwarm dieser „Speermänner“ aus, wie es heißt, „allen Gegenden Galliens“ (Polybios II, 22.6), um sodann unter dem Geleit zweier Heerkönige die Alpen im Jahre 225 v. Chr. zu überschreiten (Peschel 1984, 449 mit Lit.). Geworben waren die Leute über Jahre hindurch nicht durch die späteren Heerkönige, sondern durch Große aus deren Umgebung. Diese Oberen, ǥȘȖİȝȩȞİȢ, übernahmen damit eine ähnliche Aufgabe wie die 12
Zur Erklärung des Namens der Gaesaten vgl. Walbank (1957, 194); Schmeja (1998, 312f.). Polybios (II, 22.1, 34.2) leitete aus dem für ihn, wie er meinte, offenliegenden Inhalt des Namens die Übertragung auf „Söldner“ oder „Mietlinge“ ab, ebenso wohl schon Q. Fabius Pictor, später Livius, wonach es dann bei Orosius (IV, 13.5) heißt: nomen non gentis, sed mercennariorum Gallorum est. Zum Funktionscharakter des Namens als „Krieger“, die auf Beute aus sind, vgl. Heuberger (1938, 68ff.; 80); Schmeja (1968, 45f.).
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aufrufenden germanischen principes, indem sie zum Feldzug anfeuerten und in dessen Verlauf als duces, eben ǥȘȖİȝȩȞİȢ, auch das Wort führten, während jene Heerkönige, an die sich die Kelten Norditaliens zunächst gewandt hatten, den Zusammenhalt des überstammlichen Haufens wohl verantwortlich, indessen mehr zuredend als befehlend zu sichern hatten, wie aus der Quelle zu erschließen ist. So konnte Aneroestes, ǥȠ ȕĮıȚȜİȪȢ, die Oberen erst über eine Beratung bestimmen, die aufgehäufte Beute, ehe man weiter vorrückte, in Sicherheit zu bringen, einen Ratschlag, den man nach einer Nachtsitzung dann auch zu befolgen versuchte (Polybios II, 26.4–7). Nach dem Blick auf Bindungen innerhalb germanischer und keltischer Kriegergruppen wenden wir uns nun dem Krieger und seinen Waffen selbst zu. Unsere Kenntnis über die Zusammensetzung der Bewaffnung im nachmals germanischen Mitteleuropa beruht bekanntlich fast ausschließlich auf dem Totenteil im Brandgrab. Vor dem 2. Jahrhundert v. Chr. war jedoch die Beigabe der Waffe, wenn wir von einzelnen Lanzen und zugleich als Geräte brauchbaren Messern absehen, im Norden nicht Brauch (Raddatz 1966, 434f.; Adler 1993, 207; Fischer 2001, 420). Will man hier die ältere eisenzeitliche Bewaffnung kennenlernen, so wird man neben ein paar Depots von Lanzenspitzen, unter denen manche Stücke den Anschluß an die nordische Bronzezeit sichern (Petersen 1929, 59; 140 Taf. 10,a–b.d–e; Schoknecht 1973, 157ff.; 164f.; Bemmann 1998, 321ff.; 326), auf den Moorfund von Hjortspring auf der Ostseeinsel Alsen verwiesen (Rosenberg 1937; Kaul 1988; Randsborg 1995, 41 Abb. 13). Hjortspring, viel erörtert, aber nicht erschöpfend veröffentlicht, wird meist als Opfer aus Kriegsbeute erklärt (Brøndsted 1940, 36; 1963, 38; Becker 1948, 165f.; Ørsnes 1970, 172f.). Im Moor erhaltene Holzschilde aus Erle und Linde, die eine spindelförmige Längsrippe tragen, sowie Reste eiserner Kettenhemden folgen keltischem Vorbild. Sie sind versprengte Zeugen der keltischen Rückwärtsbewegung, die im weiteren Verlauf des 3. Jahrhunderts v. Chr., kaum früher, bis nach Jütland ausstrahlte13. Was wir in Hjortspring 13
Zu den Schilden vgl. Krämer (1949/50); Raddatz (1966, 440; 1985, 290; 293); Randsborg (1995, 30f.). Der Zweifel, den Adler (1993, 228, aber S. 230!) ex silentio an der keltischen Vorbildwirkung äußert, wäre zu begründen. Keltische Anregung muß nicht Fertigung in weiter Ferne bedeuten, zumal an den Schilden jegliche Eisenarmierung fehlt. – Für die Überreste der nicht genau dokumentierten Kettenhemden ist mit Randsborg (1995, 26f.) zunächst allein auf das „Fürstengrab“ von Ciumeúti in Siebenbürgen zu verweisen (Rusu 1969, 276ff.; 289f.), das nach den am Panzer angebrachten Rosetten im plastischen Stil (Duval 1978, 105ff.), dem Eisenhelm mit verstärkter Kalotte (Schaaff 1974, 172f.; 190ff.) und nach dem Kontext des ganzen Gräberfeldes (Zirra 1967, 127; 135f.) entgegen der zu hohen Datierung durch Rusu (1969, 295), der schließlich Randsborg folgt, in die Zeit der keltischen balkanischen Unruhen um die Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. gehört (Latène B2/C1), was grundlegend bereits Horedt (1973) festgestellt hat. – Es liegen zwei 14C-Daten aus dem Jahre 1987 vor, zu denen Randsborg (1995, 20) die Einzelheiten mitteilt und auf Grund deren er nachfolgend seinen spekulativen Bau
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Abb. 6. Hjortspring (Insel Alsen), Auswahl von Waffen des Moorfundes. Eisen, Holz, Knochen. Verschiedene Maßstäbe
an genuin einheimischen Waffen vorfinden, sind neben traditionellen Lanzen, darunter solchen mit im Moor erhaltenem Schaft aus Esche und weiteren bloß mit Knochenspitze, zwei Arten von Hiebwaffen, nämlich das Kampfmesser und das aus diesem entwickelte einschneidige Schwert in Holzscheide aus Esche (Abb. 6). Ihnen gemeinsam ist der mittelständige Sitz der Griffzunge mit Platz für zwei schwere Niete, der sie von dem üblichen Griffansatz am Messer unterscheidet (Becker 1948, 162; 168; 174; Raddatz 1966, 437f.; 1985, 291f.). Beide Formen, Kampfmesser und einschneidiges Schwert, gelangten nachfolgend im Bereich südlich der Ostseeküste auch in die Gräber, natürlich in ihren Weiterbildungen. Dorthin wenden wir uns jetzt. errichtet bis hin zu griechischer Heerestaktik in Jütland oder der Verbindung gedrechselter Holzgefäße mit attischen Pyxiden des 4. Jahrhunderts v. Chr.: Planke vom Hjortspring-Boot 370 BC-cal., 290 bc (Standardtoleranz 390–210); Speerschaft: 390 BC-cal., 340 bc (Standardtoleranz 400–260). Vorsichtige Zweifel an einer Datierung in das 4. Jahrhundert v. Chr. äußern Kaul (1988, 91) und Bemmann/Hahne (1992, 63 Anm. 74). – Auch wenn der Nadelschaft aus Bronze mit tiefsitzendem Kropf, der aus Hjortspring überkommen ist (Becker 1948, 179f. Abb. 22), wohl nicht von einer Holsteiner Nadel stammt (Hachmann 1960, 192), so bewährt sich nach der umfassenden Diskussion durch Becker (1948, 160ff.) und Hachmann (1960, 184ff.; 196) am ehesten – die Zusammengehörigkeit der Fundmasse vorausgesetzt – eine Datierung in die „Zeit der Holsteiner Nadeln“ oder in einen Abschnitt am Übergang zur jüngeren vorrömischen Eisenzeit, dessen Ausdehnung den Stufen Eisenzeit Id–IIa im Sinne von Hingst (1959, 113f. mit Abb. 17a) entspricht. Auch auf diesem Wege ist der Vergleich mit dem Zeitstrahl von Latène B2 zu Latène C1 gegeben, und wir sollten nicht vor die Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. zurückgelangen (Peschel 1992a, 114 mit Lit.). – Zu Hjortspring vgl. jetzt Martens (2001, 140ff.) sowie A. Rapin, Germania 79, 2001, 288.
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Die Flußläufe von Oder, Warthe, Weichsel und Narew umreißen jene germanische Region, in der die Waffenbeigabe früh zur Regel wurde. Wenn es richtig ist, daß der Kult als gemeinschaftsfördernde Kraft die Verzweigungen des praktischen Lebens allseits durchdringt, was sich bis tief in geschichtete Gesellschaften zu bewahrheiten scheint (v. Brunn 1952, 27; Hachmann 1956, 7; Schlesinger 1963b, 9f.), so sollten wir für unseren Fall diese Kraft eben dort wirksam sehen, wo die Gesellschaft ihren Mitgliedern ein letztes Mal den fernerhin gültigen Platz zuweist, nämlich beim Totenteil. Den Verstorbenen mit Waffen auszustatten, zeigt über den Wandel des Kultes einen Wandel der Ideologie an, anders ausgedrückt und für das Thema so ausreichend die öffentliche Wertschätzung des Kriegers. Die Veränderung kommt von außerhalb und wirkt nur gebietsweise. Innerhalb des Keltentums, wo, wie wir wissen, der Tod als Mitte eines langen Lebens begriffen wurde (de Vries 1961, 248f.; Peschel 1989, 275), hatte das Brauchtum, den Krieger hervorzuheben, eine alte Wurzel. Deshalb ist es kein Zufall, daß die Waffenbeigabe zuerst in keltischer Nähe allgemein wurde. Oder und Weichsel öffneten den Weg in keltisches Altsiedelgebiet längs der Karpaten. Zudem hatte zur Donau hin und im Karpatenbogen keltische Besiedlung nach den mittelmeerischen Abenteuern den vorhin skizzierten starken Rückhalt. Keltische Nähe kommt aber nicht bloß in der Hervorhebung der Waffe zum Ausdruck. Vielmehr orientiert sich auch die Zusammensetzung der Ausrüstung am keltischen Vorbild, ja die Waffe selbst kann ein keltisches Erzeugnis sein oder schließt an solche Erzeugnisse an. Um diesen keineswegs neuen Satz (Jahn 1916, 22ff.; 212f.; Hachmann 1956, 16f. mit Anm. 92) in den rechten Zusammenhang zu bringen, erinnern wir zunächst an einen keltischen Ausbauraum, der als solcher bis zur mittleren Oder reichte (Jahn 1931; Woniak 1970, 40ff.; 253ff.; 281ff.). Aus dem südlichen Mittelschlesien, einer seit dem 4. Jahrhundert v. Chr. keltisch besiedelten Landschaft, stammt die Körperbestattung von Sobocisko, Grab 7 (Zottwitz, ehem. Kr. Ohlau; Abb. 7). Der Fußkämpfer führte die schwere Stoßlanze und das zweischneidige Langschwert. Der Lanzenschaft war unterhalb der Mitte gebrochen worden, so daß der eiserne Lanzenschuh im Beckenbereich zu liegen kam. Der körperdeckende Schild, das Holz im Boden vergangen, war über die volle Länge von 1,20 m mit einem geraden eisernen Hohlstab beschlagen. Einen Holz-Umbo oder einen Metallbuckel hatte der Schild demnach nicht, indessen auf der Innenseite einen eisernen Griffbeschlag. An der Schulter des Mannes schloß eine Fibel den Umhang (Hoffmann 1940, 12ff.). Das Grab wurde in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts v. Chr. angelegt (Latène B2). Es ist keltisch, und das kommt auch im Zusammenhang des Gräberfeldes zum Ausdruck.
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Um reichlich ein Jahrhundert später fällt eine germanische Ausstattung aus dem nördlichen Mittelschlesien, ein Altfund vom Ostufer der Oder aus Bartodzieje, Grab 7 (Zeippern, ehem. Kr. Guhrau; Abb. 8). Lanzenspitze, Schwert und Scheide sind verbogen. Das entspricht dem hier geübten Verbrennungsritus. Es liegt eine Brandgrube vor, in die alle Beigaben zerstört und mit der Brandasche vermischt eingeschüttet worden sind (Seger 1902, 31ff.). Vom ehemals gleichfalls körperdeckenden Schild stammen aus der Schildmitte die Trümmer eines halbkugelig ausgeschmiedeten Buckels, die Fortbildung der bandförmigen eisernen Schildbewehrung, woran hier noch die ausgezipfelten Beschläge erinnern mögen. Alle Waffen sind keltisch14. Daß wir dennoch ein einheimisches, in seinem Umfeld germanisches Grab vor uns haben, beweist nicht die eigentümliche Bestattungsform, die im keltischen Südosten ebenfalls vorkommt (z. B. Guštin 1984), sondern das wiederhergestellte Tongefäß. Es handelt sich um einen Topf der Przeworsk-Kultur, die sogenannte Krause, mit X-förmigem Henkel und ausgelegtem, kantig verdicktem Rand. Diese Keramik zeigt die bodenständige Grundlage an (D~browska 1988a, 15 Abb. 1a–b; 321). Das gesamte Inventar gilt als Paradigma (Hachmann 1960, 45ff. Abb. 13) für den ersten Abschnitt der Przeworsk-Kultur – ihrer „Frühphase“ –, der als archäologisch voll ausgebildeter Komplex mit dem 2. Jahrhundert v. Chr. (etwa Latène C2) hervortritt (Phase A1: D~browska 1988a, 22 Taf. I; 72 Karte 5; 321; 1988b, 54ff. Abb. 4,8–9; Godłowski 1992, 14f.). Wenigstens mit einer ihrer Wurzeln erwächst die Przeworsk-Kultur aus der Vergangenheit der Region zwischen mittlerer Oder und Weichsel15. Mit Blick auf die Fernbeziehungen (D~browska 1988a, 151ff.; 331ff.; 1988b, 71ff.; Babe 1993, 90ff. Abb. 25; 99ff. Abb. 27; 107f. Abb. 28) und gemessen an ihrer örtlichen Wirksamkeit in lückenloser Folge bis in nachchristliche Zeit (Godłowski 1992, 22ff.), müssen ihre Träger als germanisch gelten. Zugleich führt ein Weg aus der Przeworsk-Kultur zu dem zweideutigen Suebenbild Caesars (Peschel 1978b, 295ff.; 1992a, 123ff.; Godłowski 1992, 19; Seidel 1999, 192ff.).
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Nach der umsichtigen Erörterung zur Frage der Herkunft verschiedener Typen von Rundschildbuckeln durch Bockius (1996, 144ff. Abb. 3; auch Jahrb. RGZM 35, 1988, 738f.) ist auch für den Schild Bartodzieje bzw. Wymysłowo an eine Vermittlung durch „nordbalkanische Latènegruppen“ zu denken, übrigens in Übereinstimmung mit bekannten Verbindungen der Przeworsk-Kultur (D~browska 1988a, 127ff.; 175ff.; 329ff.; 334f.). Einer Ableitung der Variante Zeippern/Bartodzieje von keltischen Schildbändern widerspricht Adler (1993, 202; 231f.) mit dem Hinweis, daß die lange Nietplatte, anders als der Beschlag am Bandbuckel, womöglich in Längsrichtung des Schildes verlaufen sei; doch erreichen auch die quer verlaufenden Bandschildbuckel Längen von bis zu 40 cm, und das Beispiel Bartodzieje wird auf etwa 30 cm Länge rekonstruiert. Vgl. zusammenfassend Peschel (1992a, 124f. mit Karte Abb. 8, die ihrerseits auf den Arbeiten von T. D~browska und Z. Woniak beruht).
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Abb. 7. Sobocisko (Zottwitz, ehem. Kr. Ohlau), Körpergrab 7
Überqueren wir das Verbreitungsgebiet der Przeworsk-Kultur nach Nordosten, so erreichen wir jenseits der Weichsel, in Masowien, das Gräberfeld von Dobrzankowo (Okulicz 1971, 127ff.). Mehrere Bestattungen werden durch Fibeln mit knieförmig geknicktem Bügel in die erste Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr., das heißt in caesarische Zeit und wenig früher, datiert16. Die Brandgrube Grab 32 wirkt alles in allem gut germanisch (Abb. 9). Das bezeugt nicht nur der hier zeichnerisch wiederaufgebaute Gefäßbestand (D~browska/ Okulicz 1968, 122; Okulicz 1971, 148ff. Abb. 40–41).
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Fibel Variante K nach Kostrzewski (1919, 34f.): etwa Latène D1-spät; Abschnitt A2 der Przeworsk-Kultur nach D~browska (1988a, 29ff.; 322); Zeitgruppe 2 der Weichsel-Narew-Gruppe bzw. (frühe) Mittelphase nach Hachmann (1960, 67; 69; 235); Gruppe I nach Völling (1994, 163ff.; 231f.; 234; 248 Nr. 120); Latène D1b nach Rieckhoff (1995, 55; 117; 315 Abb. 52).
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Abb. 8. Bartodzieje (Zeippern, ehem. Kr. Guhrau), Brandgrubengrab 7. 1 Ton, sonst Eisen
Mit einschneidigem Hiebschwert und Kampfmesser treffen wir die Nachfahren jener protogermanischen Waffen an, die wir im zwei Jahrhunderte älteren Kriegsbeuteopfer von Hjortspring kennengelernt haben17. Anders 17
Das schwere Messer ist – auch neben dem Schwert – im Waffengrab so eindeutig belegt (z. B. Peschel 1991, 142 Abb. 5; 144 Abb. 6, in beiden Gräbern mit langem Ortband), daß ich entgegen Adler (1993, 25ff.) und mit Raddatz (1966, 444; 1985, 298) und Weski (1982, 36ff.) an der Funktion als Waffe festhalte, die sich im übrigen auch im Hinblick auf germanische kombinierte Bewaffnung bis zum frühen Mittelalter, so von Spatha und Sax, als offenbar bewährte Zusammenstellung verständlich machen ließe.
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Abb. 9. Dobrzankowo, pow. Przasnysz (Masowien), Brandgrubengrab 32. 10–15 Ton, sonst Eisen
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Abb. 10. Dobrzankowo, pow. Przasnysz (Masowien), Brandgrubengrab 6 (Teil). Ton, Eisen. Verschiedene Maßstäbe
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Abb. 11. Großromstedt, Kr. Weimarer Land, Urnengrab 1908 K 63 (Teil). 1, 4b Bronze und Eisen, 3b Bronze, sonst Eisen
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stellt sich das zufolge der geknickten Fibel gleich alte und gleichfalls als Brandgrube überlieferte Grab 6 dar (Abb. 10). Hier sind die Waffen keltisch (D~browska/Okulicz 1968, 121; Okulicz 1971, 133ff. Abb. 11–13): das zweischneidige Schwert in einer Metallscheide mit gegliederter Randfassung, sodann die breite Stoßlanze, auch der nunmehr runde Eisenbuckel aus der Mitte des Schildes, der mit seinem über dem hohen Kragen gebrochenen Dach und dem breiten Nietrand in einen weiten donauländischen Zusammenhang gehört18. Wiederum aber besteht kein Zweifel, daß eine innerhalb der Region tatsächlich germanische Ausstattung vorliegt. Die Tonware ist einheimisch. Zum x-förmigen Henkel und zum kantigen Rand kommen gefüllte Bänder und Mäander auf der Schulter der Gefäße. Form und Verzierung der Keramik sichern die Zugehörigkeit zur Przeworsk-Kultur für alle Gräber des länger belegten kleinen Bestattungsplatzes. Auch nach der Lage der Gräber im Gelände ergeben sich keine Unterschiede; germanische Bewaffnung findet sich unweit von gleichsam keltischer Ausrüstung. Hier ist der Punkt erreicht, um an einen merkwürdigen Abschnitt in Caesars bellum Gallicum zu erinnern (VI, 24). Caesar schließt die Ethnographie seiner Germani mit einem Ausblick auf die Besiedlung im Bereich des Mittelgebirgszuges, der Hercynia silva. Er will gegenüber griechischen Vorgängern Neues berichten, tritt dabei sogar aus der Rolle des objektiv scheinenden Erzählers und fällt in die sonst von ihm fast gänzlich gemiedene Ich-Form (Berres 1970, 170f.; Dobesch 1982, 87 mit Anm. 92; Zeitler 1986, 47f.). Sinngemäß heißt es: Dort, in der fruchtbarsten Gegend der Germania, haben sich einst die Volcae Tectosages niedergelassen, ein durch seinen Rechtssinn und Kriegsruhm hochangesehener Keltenstamm, der noch immer (ad hoc tempus) da sitze. Unterdessen aber habe sich die gens der Volcae Tectosages in der Art des Nahrungserwerbs und nach ihrer Lebensweise den Germani angepaßt und lebe nun in der gleichen Mittellosigkeit, Dürftigkeit und Anspruchslosigkeit wie jene. Zwar ist diese Stelle, die ich nach der Caesar-Ausgabe von W. Hering (1987), in der auf vermeintliche Textbesserungen verzichtet wird, 18
Es handelt sich augenscheinlich um Form 4 mit breiter Krempe nach Bohnsack (1938, 57ff. Abb. 36). Um nur auf eine südliche Anbindung aufmerksam zu machen, sei auf Rundschildbuckel mit breiter Krempe vom Opferplatz Teurnia in Kärnten verwiesen (Lippert 1992, 289ff. Taf. III). Diese weichen wohl nach Art und Zahl der Nägel ab, reichen aber, wenn die Zusammenfassung als Typ Rondsen durch Lippert (1992, 293f.; 300ff. Abb. 4) trotz erkennbarer Unterschiede zutrifft, in den Raum an der unteren Weichsel. Einen Rundschildbuckel mit unterschnittenem Kragen aus dem völlig übereinstimmend ausgestatteten Brandschüttungsgrab 34 von Dobrzankowo (D~browska/Okulicz 1968, 123; Okulicz 1971, 152f. Abb. 44) konnte Bockius (1996, 150ff. Abb. 4–5) in verwandten Beispielen an Save und Donau wiederfinden. Für eine donauländische Wurzel bei der Ausbildung des Rundschildbuckels sprechen sich Bockius und Lippert übereinstimmend aus.
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paraphrasiert habe, hin und her gedreht worden (Meusel 1920, 191; 527; Seel 1961, 192; Götte 1964, 213), doch erscheint auch im Zusammenhang des Kapitels das schließliche Absinken der Volcae auf die rauhe Selbstgenügsamkeit der Germani sinnvoll19, um den beabsichtigten Gegensatz zum nachfolgenden Bild der Verweichlichung der Gallier, die diese infolge ihrer Nähe zu den römischen Provinzen erleiden, ins rechte Licht zu setzen. Daß weiterhin mit dem noch immer erinnerlichen Ansehen der Volcae keltische Nähe benannt wird und nicht bloß keltische Wandermythen aufgefrischt werden (Norden 1923, 358f.; Götte 1964, 217f.; 273ff.; Dobesch 1989, 45f. Anm. 53), dafür spricht auch der archäologische Sachverhalt. Im Zeithorizont der erwähnten geknickten Fibel, das heißt spätestens während der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr., wurde die Waffenbeigabe auch an der mittleren Elbe und an der Saale im Grabbrauchtum wiederholt angenommen. Die Herkunft der Sitte aus dem Osten ist schon wegen der beigefügten Gefäßkeramik sicher (Hachmann 1957, 57ff.; Peschel 1978a, 55ff.; Seidel 1999, 190ff.; 203f. mit Lit.)20. Bald aber erfolgte, wiederum an der Tonware abzulesen, die Einbettung in das örtliche Gefüge. Ich überspringe einzelne Stationen, übergehe wesentliche innere Veränderungen, die vom protogermanischen Norden ausgingen und zu einer kulturellen Vereinheitlichung entlang der Elbe, etwas später bis hin nach Böhmen führten (Peschel 1978a, 72ff.; Müller 1985, 124ff.), und wende mich abschließend sogenannten elbgermanischen Ausstattungen der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr. zu. Man trifft sie zahlreich an. Die besten Aussagen ermöglichen zwei
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Caesar, bellum Gallicum VI, 24.4 gibt Hering (1987, 100) nach dem (erschlossenen) Archetypus wie folgt wieder: nunc quoniam in eadem inopia egestate patientia, qua Germani, permanent, eodem victu et cultu corporis utuntur. Ich kann den Satz nur im Hinblick auf die vorher genannten Volcae Tectosages und ihre wohl angeglichene, jedoch bisher geachtete gens als Handlungsträger verstehen. Diesen Schluß hat offenbar schon Müllenhoff (1906, 277) aus der Textstelle gezogen, da er der „rechtlichkeit…und tapferkeit“ der Volcae Tectosages nach Caesar die Bemerkung hinzufügt: „wenn auch arm wie die Germanen“, vgl. auch Peschel (1992a, 125f.); anders, bei großzügiger Umgehung der Textschwierigkeiten und im Zusammenhang reichlich unklar, zuletzt Lund (1990, 85f.), der anstelle des obigen: patientia qua Germani mit der Konjektur patientiaque Germani nach Seel (1961, 192, mit erkennbarer Zurückhaltung im beigefügten Apparat) den Satz auf Germanen als Handlungsträger bezieht. So verfahren gewöhnlich auch die Übersetzungen. Wenn Weski (1982, 202f.; 208) „eine direkte Ableitung wenig glaubhaft erscheint“, da eine „deutliche zeitliche Differenz“ zwischen Waffengräbern an der Oder da und an der Elbe hier bestehe, so übersieht er den gleitenden Übergang hin zur mittleren Elbe und zur Saale, beachtet nicht den zeitlichen Vorlauf gegenüber der Niederelbe und läßt auch Przeworsk-Keramik in frühen Waffengräbern des Saalegebietes außer acht; dazu klärend Adler (1993, 207ff.; 215), der seinerseits allerdings in einem anfänglichen Literaturreferat (a.a.O. 23), wo nicht gehörig zwischen der Niederelbe und wiederum älteren Waffengräbern im Ostseebereich getrennt wird, die nach seinen späteren Ausführungen zu erwartende Konsequenz vermissen läßt.
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Urnenfriedhöfe links der mittleren Saale, Großromstedt, Kr. Weimarer Land, mit 579 (Eichhorn 1927; Peschel 1999 mit Lit.) und Schkopau, Kr. Merseburg-Querfurt, mit 289 beobachteten Gräbern dieser Zeit (Schmidt/Nitzschke 1989). Die ursprüngliche Gräberzahl war auf beiden Plätzen weit höher. Denn sowohl in Großromstedt als auch in Schkopau gibt es Verluste, und in Großromstedt kann schon eine Zweitbelegung des 2. bis 3. Jahrhunderts n. Chr. (Mildenberger 1970, 110ff.) zu Beeinträchtigungen der älteren Belegung geführt haben. Beide Plätze konnten zudem nicht vollständig aufgedeckt werden. Die Belegung erstreckte sich über die kurze Spanne von etwa zwei Generationen, absolut von nach 50/40 v. Chr. bis gegen 15/20 n. Chr., innerhalb deren sich eine Untergliederung abzeichnet, auf die ich nicht näher eingehe, da sie für unsere Betrachtung kaum von Belang ist (Peschel 1990, Vorw.; 1991, 134ff.; 1992b, 214; 1999, 92; 94f.; Rieckhoff 1995, 151ff.). Der Anteil der Gräber mit Waffen oder Waffenteilen beträgt – gerechnet im Verhältnis zur Gesamtzahl der hierher gehörigen Ausstattungen – in Großromstedt knapp 30 %, in Schkopau knapp 28 %, beide Male ein vergleichsweise hoher Wert21. In dem Ausschnitt, den ich aus der kelto-germanischen Welt des Ostens gewählt habe, hatte ich Krieger mit Vollbewaffnung hervorgehoben. Wir wollen zunächst bei Schwert-Lanze-Schild-Trägern verbleiben. Vorausgeschickt sei, daß in solchen Fällen Übereinstimmung zwischen militärischem und sozialem Rang erwartet werden darf (Hachmann 1956, 15f.; Frey 1986, 55f.; Adler 1993, 192). Der hohe Rang erscheint bei diesen Beispielen öfters durch die Breite der gesamten Ausstattung hinreichend unterbaut, ohne daß ich damit einer Vorstellung linearen Denkens das Wort reden will, wonach umgekehrt „Reichtum“, sofern er im Männergrab abgespiegelt wird, notwendig Kriegerrang einschließen sollte. „Wohlhabenheit“ und kriegerisch bestimmte gesellschaftliche Stellung sind ungleiche Ebenen, die man, was das Totenteil betrifft, durchaus zu scheiden wußte. Die Ausstattung Grab 1908 K 63 aus Großromstedt (Abb. 11) befand sich mit dem Leichenbrand in einem fast papierdünn ausgetriebenen Bronzekessel, der wenig nach der Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. beigesetzt worden ist (Peschel 1990, 82; 1991, 140ff. Abb. 4). Das hochwertige Metallgefäß stammt 21
Die Zahlen und weitere Einzelheiten für Großromstedt bei Weski (1982, 117f.) und Schultze (1986, 98; 105) beruhen auf den Angaben von Eichhorn (1927) und weichen von den hier unterlegten geringfügig ab. Die Materialaufnahme hat ergeben, daß ein Toleranzbereich eingeräumt werden muß. Ich zähle in Großromstedt insgesamt 614 Inventare, von denen 35 der jüngeren Belegungsphase der römischen Kaiserzeit angehören (Mildenberger 1970, 84 Anm. 6; 110; Peschel 1999, 89; 91). Rechnet man letztere ein, so sinkt der Anteil der älteren Waffengräber auf 28 %. – Die Zahlen und alle weiteren Angaben für Schkopau beruhen auf Schmidt/ Nitzschke (1989).
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Abb. 12. Großromstedt, Kr. Weimarer Land, Urnengrab 1908 K 63. Detail der eisernen Schwertklinge mit Ebermarken
aus einer westrheinischen Werkstatt und ist als Urne an die Stelle des sonst üblichen Tongefäßes getreten (Peschel 1995, 77; 82f. Abb. 2,3 Taf. 3,1–3). Der Tote war kampfbereit, das heißt mit gezückter Blankwaffe, auf den Scheiterhaufen gebettet worden. Das ist sicher, da Schwert und Scheide jeweils für sich verbogen sind. Die Lanze, hier zierlicher, war zu Wurf und Stoß gleichermaßen geeignet. Vom Holzschild liegt der eiserne Mittelbuckel vor, versehen mit einer kurzen Spitze, die den Schild auch zum Angriff tauglich machte (Raddatz 1985, 300f.). Wohl ebenfalls vom Schild stammt der Rest einer Schmuckscheibe aus dünnem Bronzeblech, deren Rand von dichten, radial gesetzten S-Punzen gesäumt wird (Abb. 11,3b). Das zweischneidige Schwert stellt ein Fremderzeugnis dar. Auf der Klingenmitte befinden sich, durch Rost angegriffen, Schlagmarken in Gestalt eines Ebers (Abb. 12). Sie weisen auf einen Werkstattbereich am Alpenrand, jedenfalls in keltisches Siedlungsgebiet (Peschel 1964; 1990, 82 Nr. 5 mit Lit.). Auch in seiner Zusammensetzung wirkt das Inventar ganz keltisch, obwohl die sogenannte mittelgermanische Form der Schwertscheide mit Tragöse (Jahn 1916, 111ff.) in Gräbern an der Niederelbe und nach Jütland hin ihre Gegenstücke hat (Frey 1986, 46; 48 Abb. 2 Anm. 20). Im elbgermanischen Gräberfeld hätte allerdings die Urne, wäre ein Tongefäß verwendet worden, die Übereinstimmung mit dem Norden bekundet. Anscheinend erst in der folgenden Generation, der jüngeren Belegungsphase des Gräberfeldes, treten Kampfmesser und einschneidiges Schwert als tat-
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sächlich nordisch-protogermanische Waffen hier in das Grabbrauchtum ein. Indessen bleibt das keltische zweischneidige Schwert, allerdings in veränderter Form (Peschel 1990, 84 Nr. 11; 1991, 144f. Abb. 6), noch in spätaugusteischer Zeit die bevorzugte Blankwaffe. Schwerter dieser Art, langgestreckt und mit spitzem Klingenende, besitzen eine Scheide mit sporenförmigem Ortband (Jahn 1916, 105ff.; Eichhorn 1927, 139ff.) und wurden nicht an einer Öse, sondern mittels einer Riemenschlaufe getragen, in deren Höhe sich vorderseitig mitunter eine feine Durchbruchverzierung unterhalb des Scheidenmundes abhebt (Werner 1977, 381f. Abb. 11,2). Die Verbreitung solcher und ähnlicher Schwerter beschreibt einen weiten Bogen vom mittleren Donauraum über den Osten Mitteleuropas bis in das westrheinische Gebirge (Frey 1986, 49ff. Abb. 3; 5 Anm. 47; Bockius 1991, 289ff. Abb. 7; auch Schmidt/Nitzschke 1989, 81f. Taf. 57,120). Sie fußt damit auf zwei Randgebieten der in Bedrängnis geratenen keltischen Welt, von wo aus mannigfache Verbindungen zur elbgermanischen Mitte an Saale und Elbe bestanden. Ohne solche Linien hier nachzuzeichnen, verdient in unserem Zusammenhang hervorgehoben zu werden, daß sowohl südöstlich der Alpen, im Einflußbereich der Taurisker, als auch im moselländischen Gebiet der Treverer die inzwischen weithin aufgegebene ältere keltische Sitte, den Krieger in Waffen beizusetzen, überaus lange geübt worden und eigentlich nie erloschen ist. Die Ausstattung Schkopau Grab 50 ist vielleicht höherwertig als die eben vorgestellte aus Großromstedt, da sie einen Reitersporn enthält (Abb. 13). Es handelt sich um einen Dreikreisplattensporn, eine seltene Variante, zu der man verwandte Stücke bei den eben genannten Treverern kennt (Völling 1992, 395ff.). Auch hatte der Mann, wie bei Spornbeigaben wiederholt beobachtet, höheres Alter erreicht22. Im übrigen gleicht die Zusammensetzung aus Schwert, Lanze und Schild dem Beispiel von Großromstedt. Wiederum zeigt ein Metallgefäß als Urne den Rang des Verstorbenen an und verwischt auf den ersten Blick den germanischen Charakter des Grabes. Der Bronzekessel enthielt zwischen der Brandasche eine Anzahl Bärenkrallen. Der Tote war demnach mit gezogenem Schwert und gekennzeichnet als Berittener, eingeschlagen in ein Bärenfell, zur Verbrennung aufgebahrt worden (Schmidt/Nitzschke 1989, 33; 38; 58 Taf. 14–15). 22
Schmidt/Nitzschke (1989, 58): „Leichenbrand (…) wohl matur“. Dazu vgl. Kunst (1978, 91f.) und Weski (1982, 55f.). Wenn dem Sporn dort darüber hinaus generell der Charakter „eines sozialen Zeichens“ zugesprochen wird, so ist demgegenüber darauf hinzuweisen, daß in Schkopau Grab 57 und in Großromstedt die Gräber Vor 1907 0 8 und 1908 K 80 außer dem Reitersporn keine Waffen enthalten und eine Anzahl anderer Sporngräber auf beiden Plätzen keineswegs Vollbewaffnung aufweist.
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Abb. 13. Schkopau, Kr. Merseburg-Querfurt, Urnengrab 50 (Teil). Urne, Schwert mit Scheide, Sporn Bronze und Eisen, Fibel Bronze, sonst Eisen. Verschiedene Maßstäbe
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Abb. 14. Schkopau, Kr. Merseburg-Querfurt, Urnengräber 67 und 217 (jeweils Teil). Urnen Ton, sonst Eisen. Verschiedene Maßstäbe
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Allerdings ist die beschriebene Gesamtbewaffnung, die als solche, wenn überdies ein gallischer Kessel als Urne diente, den einheimischen Zusammenhang verschleiern kann, nirgendwo die Regel. In Schkopau beträgt der Anteil Vollbewaffneter, bezogen auf alle Gräber mit Waffen, nur 6 %, in Großromstedt sind es immerhin 13 %. Unterhalb dieser Gruppe hebt sich eine breitere Mitte von Waffenträgern ab. Es handelt sich zunächst um solche Ausstattungen, die Lanze und Schild enthalten. Jetzt finden wir als Urnen üblicherweise auch die elbgermanischen Tongefäße. Zwei frühe Bestattungen aus Schkopau machen die Regelbewaffnung klar, die Beispiele Grab 67 und 217 (Abb. 14; Schmidt/Nitzschke 1989, 60; 81 Taf. 18,56)23. Schild und Lanze stellen, soweit Gräber dazu aussagen, über einen längeren Zeitraum die gültige Ausrüstung dar (Hamberg 1936, 24f.; Schirnig 1965, 22; Weski 1982, 105; Adler 1993, 158). Diese Grundbewaffnung – scutum et framea –, die später Tacitus in einfacher Verallgemeinerung als Symbol germanischer Wehrhaftigkeit hervorheben wird (Germania 6.1; 13.1), garantiert gewiß den vollen Einsatz. Beim Gebrauch der Stoßlanze ist das Schwert praktisch entbehrlich. Im Treffen zwischen Ariovist und Caesar, als man überraschend schnell Mann gegen Mann aneinander geriet (Caesar, bellum Gallicum I, 52.3), sollen sich die langen Schwerter der Germanen gegenüber den kurzen römischen gladii sogar als hinderlich erwiesen haben. Cassius Dio, dem diese Notiz verdankt wird (XXXVIII, 49.2.4.), galten die zweischneidigen Hiebschwerter richtig als eigentlich „gallisch“. Im Vergleich zu den großen und schweren Hiebwaffen nach keltischem Muster, die schon den Kimbern zugeschrieben werden (Malitz 1983, 227 mit Anm. 208; Kremer 1994, 24 mit Anm. 2), greift die langschäftige Stoßlanze weiter aus, wie allgemein für die hellenistische Zeit das Beispiel der makedonischen Pezhetairen mit ihren Sarissen lehren kann (Delbrück 1900, 143). Daß Lanze und Schild die schlüssige Ausrüstung widerspiegeln, das Schwert darüber hinaus ein Rangzeichen darstellt, damit könnte man sich abfinden24. Dafür spricht auch die eben beschriebene Praxis. Gewiß sollte man sich von der Vorstellung lösen, wir fänden im Grab jeweils die wirkliche Ausrüstung vor. Die bekannte Tacitusstelle, wo es heißt, daß jedem seine Waffen mitgegeben 23
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Zufolge der Fibel gehört Grab 67 zur Zeitgruppe 1 des Gräberfeldes. Der Schildbuckel Form 3 oder 2 nach Bohnsack (1938, 57ff. Abb. 36), wohl mit acht Nägeln (aber: „ursprünglich 11 Nieten“, so Schmidt/Nitzschke 1989, 60), ähnelt im Aufriß dem Stück aus einem der frühesten Gräber von Großromstedt, nämlich 1908 E 23, mit gleichfalls vergleichbarer Fibel, die Nägel dort allerdings in zwei Gruppen (Peschel 1990, 81). Da Leichenbranduntersuchungen für Großromstedt ganz fehlen, für Schkopau allein summarisch vorliegen, bleibt die umstrittene Frage des Lebensalters, insbesondere der Schwertträger (Kunst 1978, 89; Weski 1982, 90ff.; Adler 1993, 155), hier gegenstandslos, vgl. auch Hachmann (1956, 16).
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wurden (sua cuique arma – Germania 27.1), versteht sich im Zusammenhang leicht als eine Wertung nach Kriegerrang. Kommt aber im Grab tatsächlich nicht irgendeine Bewaffnung zum Ausdruck, sondern ein Rang, so muß dies auch für die Mitte des Waffenspektrums erwartet werden. Vorrang hat die Lanze. Sie verkörpert den kriegerischen Erfolg (Tacitus, Germania 14.2) und begegnet im Grab, obwohl oftmals unbrauchbar gemacht, als ein Ganzstück, anders als manche Schwerter und Schwertscheiden. Man sollte zu den Lanze-Schild-Gräbern, von denen wir zwei Beispiele gesehen haben, auch Gräber bloß mit Lanze hinzuzählen und kann sich bei solchem Vorgehen darauf berufen, daß Lanze und Speer in allen frühen Gesellschaften einen hohen auszeichnenden Wert besitzen (Peschel 1991, 152 Anm. 9). Um den vergleichenden Zeitrahmen nicht zu überschreiten, sei hier nur darauf verwiesen, daß Alexander und nachfolgenden hellenistischen Herrschern erobertes Land als „speergewonnenes Land“ (įȠȡȓțIJȘIJȠȢȤȫȡĮ) galt (Arrian, Anabasis VII, 4.2; Rostovtzeff 1955, 207; 376). Die Lanze ist das Zeichen von Macht, Gewalt, von Kraft, Sieg und Selbstbewußtsein. Der Schild als Körperschutz kann diese Rolle nicht beanspruchen25. In germanischen Gräbern der Folgezeit wird die Lanze als bevorzugte Waffe hervortreten (Schirnig 1965, 22 Abb. 1; Weski 1982, 12f.; 136; Adler 1993, 37; 92; 189). Auch ist sie dann alleiniger Träger einer komplexen Heilssymbolik (Adler 1993, 244f.; Hachmann 1993, 331; 388ff.). Nun stellen die Lanzen-Träger und die Lanze-Schild-Träger zusammen wenig mehr als ein Viertel aller Waffensätze in Schkopau (30 %) und in Großromstedt (26 %). Diese einer tragenden Mitte zuzuweisen, erscheint auch dann berechtigt, wenn man von hier auf die Gesamtverteilung der Waffen blickt (Abb. 15)26. Die knappe Hälfte aller entsprechenden Ausstattungen (49 % in Schkopau, 46 % in Großromstedt) enthält nichts weiter als Eisen-
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Der Vorstellung von Weski (1982, 199f.), den „Produktionsaufwand“ beim Herstellen des Schildes gegenüber dem Symbolwert einer Waffe, hier der Lanze, aufzurechnen, womöglich die gleich zu besprechende Beigabe einzelner Schildnägel nach scheinbar naheliegender positivistischer Überlegung zu erklären, kann ich nicht folgen. Wenn nach Tacitus (Germania 6.4) das Zurücklassen des Schildes im Kampfgeschehen praktisch Ehrlosigkeit nach sich zog, so sollte deutlich sein, daß die Abstrafung nicht wegen eines materiellen Verlustes geschah, sondern weil sich der Mann des Schildes als hinderlich auf der Flucht entledigt hatte, vgl. auch Baumstark (1875, 353f.); Much (1967, 152f.). In der Einteilung der Waffengräber von Großromstedt (nach Eichhorn 1927) durch Hachmann (1956, 15 mit Anm. 63–67), der daraus ebenfalls auf die Beigabe von Rangzeichen schließt, die „die ursprüngliche Bewaffnung wenigstens nicht in allen Fällen widerspiegeln“, haben Ausstattungen nur mit Schild (Schild mit eisernem Buckel, siehe unsere Abb. 15,4a) merkwürdigerweise keinen Platz. – Für die Niederelbe vgl. zu Abb. 15 die dort hauptsächlich in der Folgezeit geltende Kombination bei Adler (1993, 141ff.). – Im keltischen Randbereich der Wetterau und hier unseren Beispielen zeitnah gelangt Seidel (1994/95, 142) für das Gräberfeld Bad Nauheim zu ähnlichen, wenn auch nicht gleichen Waffenkombinationen.
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Abb. 15. Verteilung der Waffen auf den Urnenfriedhöfen Großromstedt und Schkopau. Anzahl der jeweiligen Inventare in die Säulen eingeschrieben. Die gegitterten Säulen vereinigen die Kombinationen: Schwert/Lanze/Schild (1), Lanze/Schild und Lanze (3), Schildbuckel/Schildzubehör und Schildnagel/Schildzubehör (4)28
teile vom Schild, oft sogar nur einzelne breitköpfige Nägel, mit denen der Schildbuckel befestigt war. Dieser scheinbare Rest ist zwar eine gut beobachtete Teilbeigabe und keineswegs zufällig27, wie ungestörte und sonst regelgerecht wirkende Inventare dieser Art auf beiden Friedhöfen beweisen (Abb. 15,4b), natürlich aber kein Spiegel einer echten Bewaffnung28. Selbst wenn 27
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Anders Schmidt/Nitzschke (1989, 33), die mit Zufälligkeiten „bei dem Aufsammeln des Leichenbrandes und der Beigaben“ rechnen. Völlig wird man das nicht ausschließen können. Nach gezielter Beifügung von Schildnägeln spricht allerdings auch in Schkopau die Tatsache, daß einzelne Stücke nur in zwei Fällen zusammen mit Lanze begegnen (Grab 80, bloß Lanzenschuh; Grab 269), dagegen mehrfach Schildnägel zusammen mit Fragmenten einzelner Schwertscheiden vorkommen (Gräber 75; 82; 94?; 184). Ähnlich verhält es sich in Großromstedt. Während Adler (1993, 54) nur solche Nägel als Schildzubehör anerkennt, die noch am Buckel
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man mit zerstörten Waffen aus organischem Material rechnen muß, etwa mit knochenbewehrten Lanzen oder Holzkeulen, vor allem auch mit dem bloßen Holzschild (Adler 1993, 101; aber Weski 1994), was sollen ein bis neun einzelne Nägel von Schildbuckel oder Schildfessel im Grab? Zufälligkeit läßt sich, wie gesagt, meist ausschließen, und das nach der Regel noch aus einem besonderen Grund: es gibt auf beiden Plätzen eine Ausstattung, die aus bloßen Fragmenten vom Schwert oder häufiger der Scheide sowie einzelnen Schildnägeln besteht (Abb. 15,2), eine zwar nicht erklärbare (Hachmann 1956, 15; Weski 1982, 46 mit Liste 51), aber jedenfalls beabsichtigte Vereinigung als partes pro toto. Einzelne Nägel sind gerade in diesen Fällen gezielt in die Urne gelangt29. Die Reduzierung der Beigabe auf den Schild, mehr noch auf bloße Beschlagteile, sodann die demgegenüber fallende Zahl der Lanze-Schild-Kombination, schließlich wiederum geringer die Vollbewaffnung: dieses Verhältnis zeigt hinreichend, daß die Waffe im Grab zu jener Zeit hierorts eine Auszeichnung bedeutete. Der Anforderung des Tages konnte bestenfalls die Bewaffnung mit Lanze und Schild und darüber hinaus dem Schwert gerecht werden (Adler 1993, 158). Diese Waffenteile bilden auch, so heißt es, das symbolische Band des Zusammenlebens. Es sind jene drei Attribute des Kriegers von Rang – scutum cum framea gladioque –, die Tacitus als eigenartige Morgengabe selbst der Eheschließung unterlegt wissen will (Germania 18.2; Baumstark 1875, 635). So gesehen, bedeutet der Gegensatz, die oft zu beobachtende Waffenlosigkeit, keinen Mangel an Waffenfähigkeit, schon gar nicht einen Verlust an Besitzstand, vielmehr einen Ausdruck fehlenden Kriegerranges, den zu erlangen freilich auch vorzeitiger Tod verhindert haben kann. Wenn wir eine Verallgemeinerung wagen, wird die Waffe im Grab der germanischen Frühzeit primär als Gradmesser öffentlich anerkannter gesellschaftlicher Stellung zu gelten haben, deren man beim Ausbleiben des Erfolgs ebenso wieder verlustig gehen konnte. Ein Spiegel von Besitzstand ist sie in den Gräbern der von uns betrachteten Jahre nicht. Besitzstand strebt nach Kontinuität und nach Tradition, das Vorzeigen der Waffe steht und fällt mit dem aktuellen Ansehen des
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oder an der Fessel haften, natürlich ohne andere großköpfige Nägel als Schildnägel auszuschließen (a.a.O. 60), zählt Weski (1982, 29f.) als Teile vom Schild auch einzelne als solche bestimmbare Nägel. Ebenso wird hier verfahren. Tatsächlich können innerhalb der Ausstattung einzelne Nägel von Schildbuckel oder Schildfessel im allgemeinen sicher bestimmt werden. Erläuterung zu Abb. 15: 1: Schwert/Lanze/Schild oder Teile von sämtlichen solchen. 2: Schwert oder Scheide, meist als Teil/oft mit Schildnägeln. 3a: Lanze/Schild; 3b: Lanze. 4a: Schild als Buckel oder/und Randfassung oder/ und Fessel; 4b: Schildnagel/selten Fesselnagel. 5: Bolzen oder Speerspitze von 8,7–11 cm Länge. 6: Rest = Einzelsporn und Sonderausstattung Schkopau 175 („Leichenbrandnest“).
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Einzelnen. Was wir als Kriegergrab vor uns sehen, ist symbolische Umsetzung des Tagesgeschehens im Totenkult einer Ranggesellschaft. Da die Bewaffnung der germanischen Frühzeit vielfach dem keltischen Beispiel folgte, auch zum Keltentum eine Klammer über das östliche Mitteleuropa aufgezeigt werden konnte, liegt es nahe, sich auch für die beschriebene Abstufung in der keltischen Gesellschaft umzusehen. Der griechische Geschichtsschreiber Poseidonios, der jedenfalls für das südliche Gallien aus eigener Anschauung berichtet, schildert vor 60 v. Chr. die keltische Tischgemeinschaft so: „Wenn die Oberen essen, sitzen sie im Kreis, mitten darin der mächtigste…, ausgezeichnet vor den anderen durch Kriegsruhm, Abstammung oder Reichtum; neben ihm der Rangnächste und so auf beiden Seiten weiter nach der Würde… Und die Schildträger stehen hinter ihnen. Die Lanzenträger aber sitzen ihnen gegenüber im Kreis und essen mit, was auch immer die Herren essen“ (Jacoby 1926, Nr. 87, F 15; Malitz 1983, 32; 188f.; Peschel 1991, 139). Obwohl eine Gemeinschaft freier Krieger, wird der Rang eingehalten. Man begibt sich abgestuft zu Tisch, schon zu sitzen ist ein Vorzug, noch mehr wenn man, zwar für sich sitzend wie die Lanzenträger, doch die Speisen der Oberschicht zu sich nehmen darf. Der Politiker Caesar hielt es für angeraten, in stiller Polemik gegen den nur wenige Jahre vor ihm schreibenden griechischen Gelehrten Poseidonios die Unterschiede zwischen Kelten und seinen Germanen zu betonen (Norden 1923, 94ff.; 101; Walser 1956, 42ff.; Malitz 1983, 23; Bringmann 1989, 66f.). Die Gegenüberstellung am Beispiel der res militares hat gelehrt, daß sich Kriegergruppen dort wie hier ähnlich darstellen und daß für den Mann, wenn sich dessen Platz im Kreis der Waffenträger an der Zumessung der Waffenteile im Grab widerspiegelt, das keltische Kriegertum manchen Anreiz abgab und vielfach sogar Vorbild war. Für diese Beobachtung bedurfte es allerdings einer Wendung. Es hieß, die Sicht auf Bestandteile der germanischen Verfassung, die üblicherweise von der Folgezeit im Norden und vom Mittelalter her genommen wird, aufzulockern und für die Anfänge den Blick auf das unmittelbar davor und daneben liegende gesellschaftliche Umfeld zu richten. Nach Gruppen und Rängen zu suchen mit dem Ziel, germanische Gesellungsformen aufzuzeigen: dieses Vorhaben führte uns schnell in keltische Nähe. Aus keltischem Nährboden konnte ein zwar nicht geradliniger, aber keineswegs verschlungener Weg verfolgt werden, um Zusammenhänge in den zeitlich nächstliegenden und räumlich anstoßenden germanischen Friedhöfen Großromstedt und Schkopau zu erklären. Daß es Militaria waren, die wir zu bemühen hatten, ist keine bloße Frage der Quellen, sondern folgt gleichermaßen aus dem Selbstverständnis dieser Gemeinschaften und deren latenter Aggressivität. Wenn wir „Keltisches“ und „Germanisches“ in einfachen, vom
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schattenhaften Halbdunkel der Überlieferung geprägten Bildern stehen gelassen haben, so sehen wir uns doch mit antiken Beobachtern, denen die Begriffe und bestimmte Inhalte verdankt werden, auf einer Linie – und das in eben jener Unschärfe, die etwa den Geographen Strabon (VII, 1.2), wohl aus poseidonischer Wurzel, aber mit eigenem Anspruch, „Germanen“ von „Kelten“ als, wie es ihm schien, im römischen Sinne „echte Gallier“ (ȖȞȒıȚȠȚ īĮȜȐIJĮȚ) voneinander trennen ließ, eine Erklärung, die uns heute nur deshalb naiv erscheint, weil sie verwandte Züge auch im Namen begründet sehen wollte (Birt 1917, 38ff.; Norden 1923, 81 mit Anm. 1; Feist 1927, 4f.), nämlich im Völkernamen angeblich aus lateinisch germanus – „echt“30. Die Begegnung beider geschichtlicher Erscheinungsformen, des „Germanischen“ und des „Keltischen“ der vorchristlichen Jahrhunderte, vollzog sich in der Breite des nördlichen Mittelgebirgsraumes. Dort und in diesem inhaltlichen Umfeld haben die Arbeiten von Rosemarie Müller zur Eisenzeit ihre Grundlage; den in der Mitte zusammenlaufenden Kräften aus dem Norden, dem Südosten und dem Osten, mit denen sich Einheimisches verbunden hat und deren Ausläufer gebündelt von hier aus weiterwirkten, gelten ihre Forschungen. Der Titel von 1985 „Die Grabfunde der Jastorf- und Latènezeit an unterer Saale und Mittelelbe“ vereinigt unausgesprochen „Germanisches“ – besser Protogermanisches – und „Keltisches“ in sich. In diesem Bild einer Verbindung archäologischer Kulturen des Nordens und des Südens ist die 30
Es ist hier nicht der Ort, Inhalt und Facetten des Germanennamens, das Wie, Was, Wann und Wo seiner Formung aufzuwerfen. Daß man für die Anfänge vom Rhein auszugehen hat, ist nach den Ersterwähnungen sicher. Entsprechende historische Beiträge zum Germanenbegriff sind in den letzten Jahrzehnten von K. Kraft, R. Hachmann, G. Dobesch und D. Timpe geleistet worden (vgl. Pohl 2000, 51ff.; 122ff.). Da hingegen unser Vorgehen, was den Anteil der Archäologie betrifft, zeitlich, räumlich und sachlich nur einen Ausschnitt erfaßte, nämlich den frühen elbgermanischen Kontext und dessen Vorläufer, erscheint eine Klarstellung erforderlich. Die Beschränkung auf den Raum weiter östlich innerhalb der Germania ist dadurch bedingt, daß wir zwischen Weser und Rhein, nördlich von Mainlinie und Wetterau, allein verstreute, dort von Hause aus fremde elbgermanische Hinterlassenschaften antreffen. Die einheimische Bevölkerung des Nordwestens hält seit der ausgehenden Bronzezeit an einer spärlichen Ausstattung der Toten fest. Der Versuch, über die materielle Substanz dem Ordnungsdenken beizukommen, scheitert jetzt und überwiegend noch in den folgenden Jahrhunderten am rituellen Beharrungsvermögen des „Nordwestblocks“, obwohl die Nähe zu Belgen und cisrhenanischen Germanen, die auch kulturell bestanden hat, ganz ähnliche Gliederungen nahezulegen scheint, wie sie sich in der Mitte und im Osten, dann auch im Norden abzeichnen. Im Grabbrauchtum schlagen sie sich nicht nieder, und das geschilderte keltische Vorbild bleibt im Totenkult gerade dort ohne Wirkung, wo vom Namen her am ehesten ein ursprüngliches Germanentum zu erwarten wäre. Wir stoßen – und das muß klar gesagt werden – an die Grenzen unserer Aussagemöglichkeit. Andererseits ist diese Grenze ebenso an dem Punkt erreicht, wo der Zugriff auf den Germanennamen und dessen Ausweitung durch Caesar thematisiert wird, da der alte Anteil des „Nordwestblocks“ an der Begrifflichkeit des Germanennamens gewiß besteht, nach seiner Tiefe aber nicht abgeschätzt werden kann.
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Klammer zum Keltentum bis in die Epoche der römischen Okkupation zu greifen, bevor sich nördlich der Mittelgebirgsschwelle die germanische Gesellschaft mit durchaus eigenen Zügen darstellt.
Zusammenfassung Die germanische Kriegerordnung der Latènezeit läßt verschiedentlich keltisches Vorbild erkennen. Der Einfluß erfolgt seit der keltischen Regression Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr., wirkt über den Osten Mitteleuropas, berührt den Aufbau der Gruppe und betrifft die Hervorhebung der Person. Zur Darstellung der Kleingruppe gehört der „Mischkampf“ von Reiter und Fußkämpfer, der Reiterkreis um einen Mächtigen und das Gefolge auf Zeit. Die Staffelung der Krieger zeichnet sich seit der Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. in Waffensätzen der elbgermanischen Gräberfelder Großromstedt und Schkopau ab. Die Gliederung in drei Ränge nach Vollbewaffnung, Lanzenträger und Schildträger entspricht dem Aufbau der keltischen Tischgemeinschaft, wie sie der griechische Geschichtsschreiber Poseidonios Anfang des 1. Jahrhunderts v. Chr. schildert.
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Wenskus 1961: R. Wenskus, Stammesbildung und Verfassung. Das Werden der frühmittelalterlichen gentes (Köln/Graz 1961). Wenskus 1992: R. Wenskus, Die neuere Diskussion um Gefolgschaft und Herrschaft in Tacitus’ Germania. In: G. Neumann/H. Seemann (Hrsg.), Beiträge zum Verständnis der Germania des Tacitus II (Göttingen 1992) 311–331. Werner 1977: J. Werner, Spätlatène-Schwerter norischer Herkunft. In: Symposium Ausklang der Latène-Zivilisation und Anfänge der germanischen Besiedlung im mittleren Donaugebiet (Bratislava 1977) 367–401. Weski 1982: T. Weski, Waffen in germanischen Gräbern der älteren römischen Kaiserzeit südlich der Ostsee. BAR Internat. Ser. 147 (Oxford 1982). Weski 1994: T. Weski, Waffen aus organischem Material bei den Germanen und schriftliche Quellen. Ein Beitrag zu einem Zirkelschluß. In: C. Dobiat (Hrsg.), Festschr. O.-H. Frey zum 65. Geburtstag. Marburger Stud. Vor- u. Frühgesch. 16 (Marburg 1994) 691–703. Woniak 1970: Z. Woniak, Osadnictwo celtyckie w Polsce (Wrocław, Warszawa, Kraków 1970). Zeitler 1986: W. M. Zeitler, Zum Germanenbegriff Caesars. Der Germanenexkurs im sechsten Buch von Caesars Bellum Gallicum. In: H. Beck (Hrsg.), Germanenprobleme in heutiger Sicht. RGA² Ergbd. 1 (Berlin, New York 1986) 41–52. Zirra 1967: V. Zirra, Un cimitir celtic în nord-vestul României: Ciumeúti I (Baia Mare 1967).
Abbildungsnachweis Abb. 1: Nach Kruta/Rapin 1987, 21 Abb. 8. Abb. 2: Nach Peschel 1992a, 120 Abb. 5 mit Anm. 6. Abb. 3: Nach Todorovi³ 1972 Taf. XXIV. Abb. 4: Nach Kruta/Rapin 1987, 27 Abb. 11, und Schönfelder 1998, 85 Abb. 5, verändert. Abb. 5: Nach Brunaux/Rapin 1988, 153f. Abb. 7–8, und Lejars 2000, 243ff. Abb. 60. Abb. 6: Nach Brøndsted 1940, 32 Abb. 22b–h. Abb. 7: Nach Hoffmann 1940, 11ff. Abb. 2–4. Abb. 8: Nach Seger 1902, 31ff., und der Umzeichnung Peschel 1978b, 301f. Abb. 3 mit Anm. 187. Abb. 9: Nach D~browska/Okulicz 1968, 122. Abb. 10: Nach D~browska/Okulicz 1968, 121. Abb. 11: Nach Peschel 1991, 140 Abb. 4. Abb. 12: Nach Peschel 1964 Taf. 33b. Abb. 13: Nach Schmidt/Nitzschke 1989, 58 Taf. 14–15. Abb. 14: Nach Schmidt/Nitzschke 1989, 60; 81 Taf. 18,56. Abb. 15: Entwurf: K. Peschel.
Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. Karl Peschel Naumburger Str. 29b 07743 Jena
Studien zur Lebenswelt der Eisenzeit. RGA-E Band 40 – Seiten 193–204 © Copyright 2006 Walter de Gruyter · Berlin · New York
Musikarchäologische Quellen aus der Germania libera1 von Eike Gringmuth-Dallmer Waren die alten Germanen unmusikalisch? Diese Frage drängt sich auf, wenn man das Schweigen der Römer über diesen Lebensbereich bedenkt, der bei ihnen selbst eine große Rolle spielte, zur Herausbildung eines eigenen Musikerstandes führte, den Instrumentenbau zu hoher Blüte führte und Gegenstand theoretischer Reflexionen war (zusammenfassend Fleischhauer 1964). Die ganz vereinzelten Hinweise römischer Autoren auf die bei den Germanen geübten Praktiken beziehen sich ausschließlich auf den Gesang. Zum einen berichtet Tacitus von Heldenliedern als einziger Art geschichtlicher Überlieferung. Sie konnten sowohl Göttern gelten wie dem erdentsprossenen Gott Tuisto (Tacitus, Germania 2, 2 = Quellen II, 81), aber auch historischen Persönlichkeiten. So schreibt Tacitus über Arminius: „Noch heute besingen ihn die Barbarenstämme, während er in den Geschichtswerken der Griechen, die nur ihre eigenen Taten bewundern, unbekannt ist und bei uns Römern auch nicht recht gewürdigt wird, weil wir nur das Altertum preisen und uns um neuere Ereignisse gar nicht kümmern“ (Tacitus, Annalen 2, 88 = Quellen III, 141). Zum anderen wird das Lied als psychologisches Mittel im Kampf eingesetzt, zur eigenen Ermutigung und zur Abschreckung des Gegners. Gleichsam die Brücke zwischen beiden Funktionen bildet folgende Stelle: „Auch bei ihnen sei Herkules2 gewesen, berichtet man, und in der Tat besingen sie ihn als den ersten aller Helden, wenn sie in den Kampf ziehen wollen. – Sie haben aber auch noch solche Lieder, durch deren Anstimmen, barditus genannt, sie ihren Mut entflammen; und außerdem sagen sie durch deren bloßen Klang den Ausgang des bevorstehenden Kampfes voraus; sie verbreiten nämlich Furcht beziehungsweise sind unsicher je nachdem, wie ihre Reihen erklangen, denn das scheinen ihnen nicht so sehr ihre Stimmen als vielmehr ein Zusammenklang der Tapferkeit zu sein. 1
2
Nach Abschluß des Manuskriptes im Herbst 2001 erschienen die Stichworte „Musik“ und „Musikinstrumente“ im Reallexikon der germanischen Altertumskunde (Haas 2001; Koch 2001; 2001a). Mit Herkules ist offensichtlich Donar gemeint: Niemeyer 1955, 1812.
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Eike Gringmuth-Dallmer
Erstrebt wird vor allem ein rauher Klang und ein hallendes Dröhnen, indem sie die Schilde vor den Mund halten, damit die Stimme durch den Widerhall umso voller und tiefer anschwillt“ (Tacitus, Germania 3, 1 = Quellen II, 83). Die vereinzelten anderen Stellen (Tacitus, Hist. 2, 22 = Quellen III, 21; Hist. 4, 18, 3 = Quellen III, 35) sprechen von dieser Funktion ebenso wie einige Schriftquellen aus der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts, die sich auf die Alemannen beziehen und bei denen die Lieder mit Krähengekreisch verglichen werden (Julian, misop. 434 = Quellen III, 429, einige weitere Belege zitiert bei Niemeyer 1955, 1812). Den dürftigen Aussagen der antiken Quellen entspricht die Situation in der wissenschaftlichen Literatur. Als symptomatisch dafür kann die Tatsache gelten, daß der immerhin über 250 Spalten lange Artikel „Germanen, Germania, Germanische Altertumskunde“ (RGA² 11, 181–438) wohl Ausführungen über Dichtung und (bildende) Kunst enthält, aber nicht über Musik. Die Musikenzyklopädie „Musik in Geschichte und Gegenwart“ enthält zwar einen Artikel „Germanische Musik“ (Niemeyer 1955), der jedoch archäologisch von der längst überwundenen Auffassung ausgeht, die nordische Bronzezeit sei germanisch gewesen3 und ansonsten neben einer Auswertung des linguistischen Materials und der jüngeren schriftlichen Überlieferung archäologisch erst wieder auf die damals bekannten Funde merowingerzeitlicher Leiern verweisen kann. Angesichts dieser Tatsache ist zu fragen, ob nicht die Archäologie in der Lage ist, einen Beitrag zur frühen germanischen Musik zu leisten. Entsprechend der Spezifik ihrer Quellen kann das nur in der Erschließung von Musikinstrumenten geschehen, von denen in den schriftlichen Quellen keine Rede ist.
Räumliche und zeitliche Begrenzung der Untersuchung und Quellenlage Im folgenden werden die archäologischen Funde von Musikinstrumenten aus der Germania libera vorgelegt, sofern sie Aussagen zu einer eigenständigen Musikausübung der Germanen versprechen. Zeitlich erstreckt sich die Untersuchung auf die Römische Kaiserzeit, d. h. auf den auch von den römischen Schriftstellern beschriebenen Zeitraum, was bisweilen den Blick auf älteres und jüngeres Material einschließt. 3
Der unveränderte Neudruck von 1989 ist leider nicht dazu angetan, diese Vorstellung in Kreisen der Musikwissenschaft zurechtzurücken.
Musikarchäologische Quellen aus der Germania libera
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Die Materialgrundlage bildet eine Sammlung von Nachweisen archäologischer Musikinstrumente, die Verf. seit seiner Studienzeit angelegt hat, ohne sie bisher – mit Ausnahme eines Artikels über Musikinstrumente in mittelalterlichen Burgen (Gringmuth-Dallmer 1997) auswerten zu können. Da sein Spezialgebiet nicht auf der Kaiserzeitforschung liegt, ist ihm hier sicher manches entgangen, was aber das Gesamtergebnis kaum beeinträchtigen dürfte. Das gilt um so mehr, als es einige zusammenfassende Arbeiten gibt, auf denen aufzubauen ist. Für Polen ist das gesamte bekannte, teilweise noch unpublizierte Material jüngst in der Regel eingehend besprochen oder zumindest erwähnt worden (Malinowski 2000). Den Gesamtbestand ur- und frühgeschichtlicher Musikinstrumente vom Gebiet der ehemaligen DDR hat K.-P. Koch (1992) in Fundlisten vorgelegt, die zwar nicht vollständig sind, aber doch die wesentlichen Funde enthalten. Schließlich hat W. Nowakowski (1988) die Metallglocken aus dem europäischen Barbaricum zusammengestellt und dabei sicherlich einen hohen Grad der Vollständigkeit erreicht. Die in den genannten Artikeln aufgeführten Funde werden im folgenden nicht alle aufgezählt, wohl aber diejenigen, die Verf. außerdem bekannt geworden sind.
Das Material Die einzige zahlenmäßig ins Gewicht fallende Fundgruppe bilden die Glokken (Tab. 1; Abb. 1). Sie sind größtenteils aus Bronze, in einigen Fällen auch aus Eisen oder Silber und dürften – vielleicht mit einer Ausnahme – aus römischer Produktion stammen. Diese Tatsache erschwert zumindest im limesnahen Bereich bisweilen eine sichere Zuordnung der ehemaligen Besitzer. Hinzu kommt, daß einige Exemplare aus Hortfunden stammen, die kaum fein zu datierendes Material (v. a. landwirtschaftliche Geräte) enthalten und deren Einordnung in die Kaiserzeit damit unsicher ist. W. Nowakowski (1988) hat aus dem für unsere Fragestellung relevanten Raum 36 Glocken von 25 Fundplätzen zusammengestellt, wobei die Diskrepanz weitgehend durch die acht Exemplare von Osterburken, Neckar-Odenwaldkreis (Henning 1985), hervorgerufen wird. Außerdem sind Verf. folgende Stücke bekannt geworden (Tab. 1). Bezogen auf die Fundplätze ergeben sich einschließlich des von Nowakowski vorgelegten Materials insgesamt 13 Siedlungs-, neun Grab- und sieben Hortfunde sowie ein Moorfund, als Datierung wird sechsmal die frühe Kaiserzeit, dreimal das 2./3. Jahrhundert und zwölfmal die späte Kaiser-/frühe Völkerwanderungszeit angegeben, 14 Funde sind innerhalb der Zeitspanne
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Eike Gringmuth-Dallmer
nicht näher einzugrenzen4. 24 Exemplare bestehen aus Bronze, 19 aus zehn Fundstellen aus Eisen, darunter alle aus Hortfunden stammenden. Das einzige silberne Stück aus Ragow, Lkr. Dahme-Spreewald (Berger/Fischer 1995, 37 Abb. 2; CRFB D1, IV-05-12/1.4 Taf. 15, 5) stellt leider einen Oberflächenfund dar und ist nicht näher zu datieren. An der römischen Herkunft zumindest der bronzenen Stücke ist nicht zu zweifeln, lediglich die Glocke von Kalisz-Piwonice hält Nowakowski (1988, 96f.) für ein lokales Erzeugnis und den glockenförmigen Anhänger von Pritzier, Kr. Hagenow, für eine einheimische Nachbildung (Nowakowski 1988, 95 Abb. 14). Tab. 1. Nicht bei Nowakowski (1988) aufgeführte Glocken in der Germania libera Fundort
Fundart
Gegenstand
Datierung
Literatur
Kablow LDS
Schmiedehort in Siedlung
Eisenglocke
2./3. Jh.
Hauptmann 1998, 70 Abb. 5c
Ragow LDS
Siedlung
Silberglöckchen
RKZ
Berger/Fischer 1995, 37 Abb. 2
Weißenfels WSF
Grab
Bronzeglöckchen
2./3. Jh.
Wilcke/Mötefindt 1914, 384 Abb. 2, 34
Haarhausen IK
Töpfersiedlung Bronzeglocke
um 300
Dušek 1992, 47 Abb. 22, 4
Henfstädt HBN
Siedlung
Bronzeglocke
frühe RKZ
Dušek 1994, 76 Abb. 20, 2
Straußfurt SÖM
Siedlung
Bronzeglocke
RKZ
Koch 1992, 130
Wangenheim GTH
Siedlung
Bronzeglöckchen
späte RKZ
Schreiner/Schreiner 1990 Abb. 26
Flögeln CUX
Siedlung
Kl. Bronzeglocke RKZ
Zimmermann 1978, 20
Gaukönigshofen WÜ Hort in Siedlung
Viehglocke, wohl Eisen
2. Drittel 5. Jh. Steidl 1997, 133
Mellrichstadt NES
Bronzeglöckchen
RKZ
Siedlung
Gerlach 2000, 281 Abb. 6, 11
Zumindest die großen eisernen Exemplare sind eindeutig als Viehglocken anzusprechen, wofür auch ihr Vorkommen in Hortfunden mit landwirtschaftlichen Geräten spricht (Henning 1985). Jedoch können auch kleinere Stücke die gleiche Funktion ausgefüllt haben. Dafür spricht z. B. die kleine Bronzeglocke von Flögeln, Kr. Cuxhaven, die in einem wohl als Viehtränke genutzten Graben gefunden wurde (Zimmermann 1978, 20). Im westbaltischen Kulturkreis bilden Metallglocken ein Element des reichen Pferdegeschirrs (Nowakowski 1988, 133), und in der Merowingerzeit sind Glocken mehrfach in Pferdegräbern anzutreffen (z. B. Großörner, Lkr. Mansfelder Land, Quedlinburg/Bockshornschanze: Schmidt 1976, 75ff. 117f.; Liebersee, Lkr.
4
Die unterschiedlichen Summen ergeben sich daraus, daß nicht für jeden Fund alle Angaben vorliegen.
Musikarchäologische Quellen aus der Germania libera
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Abb. 1. Glocken. 1 Mellrichstadt, Kr. Rhön-Grabfeld. Bronze, RKZ; 2 Haarhausen, Ilmkreis. Bronze, um 300 n. Chr.; 3 Osterburken, Neckar-Odenwald-Kreis. Eisen, Ende 4./5. Jh. – Länge der Balken 2 cm
Torgau-Oschatz: Kroitzsch 1981, 43). Eine entsprechende Verwendung wird man also auch für das Untersuchungsgebiet in der Kaiserzeit in Betracht ziehen müssen, wo Pferdebestattungen nicht üblich waren. Ansonsten dürften vor allem die kleinen Exemplare Bestandteile der Kleidung dargestellt haben. T. Malinowski (2000, 377) meint, „ihr meistens zarter Klang habe beim Tanzen den Rhythmus hervorheben können“, jedoch gibt es auf solchen keinerlei Hinweise. Wichtiger erscheint, daß Glocken weltweit magische Wirkung zugeschrieben wird (Malinowski 2000, 377). Im Mittelalter fanden Glocken v. a. im gottesdienstlichen Bereich Verwendung, daneben beim Totengedenken, aber auch bei der feierlichen Ausgestaltung von Festen. Schließlich dienten sie der Vertreibung von Krankheit und Unheil, von Dämonen, Teufel und Gewitter (Meinecke u. a. 1998, 215). In diesem Bereich wird am ehesten die Verwendung der Glocken bei den Germanen zu suchen sein, sofern es sich nicht um reine Viehglocken gehandelt hat.
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Eike Gringmuth-Dallmer
Abb. 2. Rasseln. 1 Klein Köris, Lkr. Dahme-Spreewald. 1. H. 5. Jh.; 2 Dvory nad Žitavou. 2./3. Jh. (?); 3 Ł·g Piekarski, Woj. Konin. 1./1. H. 2. Jh.; 4 Joch einer Leier von Bremen-Habenhausen. Holz, 1.–2./3. Jh. – 1–3 Länge des Balkens 2 cm, 4 o. M.
Die am nächsthäufigsten auftretenden Rasseln (Abb. 2), kommen schon erheblich seltener vor. Vom Kastell Zugmantel liegen eine sichere Rassel vor sowie zwei Stücke, die zerscherbt sind und von denen deshalb nicht eindeutig gesagt werden kann, ob sie Steinchen oder Tonkügelchen enthalten haben (v. Uslar 1938, 137f. Taf. 14, 11.12.15). Die sichere Rassel stellt ein mausartiges Tier dar und ist in eine Reihe von Bruchstücken in Tiergestalt zu stellen, die durchweg Eber darstellen (v. Uslar 1938, 137f.). Damit liegt eine Verwendung von Rasseln im Rahmen eines Fruchtbarkeitskultes nahe. Ein kugelförmiges Exemplar aus der Siedlung von Klein Köris, Lkr. Dahme-Spreewald (Abb. 2, 1), gehört in die erste Hälfte des 5. Jahrhunderts (Gustavs 1978, 86 Abb. 4 Taf. 12b). Unter den drei Rasseln eines Gräberfeldes des 2./3. Jahrhunderts von Weißenfels befindet sich eine „eiförmige Kinderklapper“ von 4 cm Länge, von den beiden anderen hat eine einen Stein, die andere eine Glasperle als Inhalt (Götze u. a. 1909, 367; Wilcke/Mötefindt 1914, 386). Auch die fast ausschließlich aus Przeworsk-Zusammenhängen stammenden polnischen Funde sind vielgestaltig: fassförmig (Siedlung der Spätlatène-/frühen Kaiserzeit von Janikowo, Woj. Bydgoszsc), unregelmäßig würfelförmig (Siedlung von Pasieka Otfinowska, Woj. Tarnów), doppelkonisch (Grab von
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Sobocisko, Woj. Wrocław = ehem. Zottwitz, beide 1. Jahrhundert) oder eiförmig (Siedlung von Koszanowo, Woj. Leszno, Mitte 2.–Ende 3. [Mitte 4.?] Jahrhundert; Malinowski 2000, 375). Aus der Slowakei wurde eine kaiserzeitliche Rassel des 2./3. Jahrhunderts (?) von Dvory nad Žitavou (Abb. 2, 2; Toµik 1982 Abb. 154) vorgelegt. Tab. 2. Rasselfunde in der Germania libera Fundort
Fundart
Gegenstand
Datierung
Literatur
Klein Köris LDS
Siedlung
Rassel
1. H. 5. Jh.
Gustavs 1978, 86 Abb. 4 Taf. 12b
Weißenfels WSF
Gräber
3 Rasseln
2./3. Jh.
Götze/Höfer/Zschiesche 1909, 367; Wilcke/ Mötefindt 1914, 386
Zugmantel RÜD
Kastell
Rassel, 2 weitere M. 2.–1. H. 3. Jh. fraglich
v. Uslar 1938, 137 f. Taf. 14, 11.12.15
Janikowo, woj. Bydgoszsc
Siedlung
Rassel
Spätlat./fr. RKZ
Malinowski 2000, 375
Kamie¾czyk, Woj. Ostrot·ka
Grab
Rasselgefäß
1./1. H. 2. Jh.
Malinowski 2000, 375
Koszanowo, woj. Leszno
Siedlung
Rassel
M. 2.–E. 3. (4.?) Jh. Malinowski 2000, 375
Ł·g Piekarski, Woj. Konin
Grab
Rasselgefäß
1./1. H. 2. Jh.
Malinowski 2000, 375
Lekowo, woj. Koszalin
Grab
Rasselgefäß
1./1. H. 2. Jh.
Malinowski 2000, 375
Nadkole, woj. Siedlce
Grab
Rasselgefäß, Urne
1./1. H. 2. Jh.
Malinowski 2000, 375
Niedanowo, woj. Olsztyn
Grab
Rasselgefäß
1./1. H. 2. Jh.
Malinowski 2000, 375
Nosocice, woj. L·gnica
Grab
Rasselgefäß
1./1. H. 2. Jh.
Malinowski 2000, 375
Pasieka Otfinowska, woj. Tarnów
Siedlung
Rassel
1. Jh.
Malinowski 2000, 375
Sobocisko, woj. Wrocław
Grab
Rassel
1. Jh.
Malinowski 2000, 375
Dvory nad Žitavou
Siedlung
Rassel
2./3. Jh. (?)
Toµik 1982 Abb. 154
Neben diesen sozusagen „klassischen“, seit der Bronzezeit üblichen Formen hat Malinowski (2000, 375) auf eine Gruppe von Gefäßen mit Doppelböden hingewiesen, zwischen denen sich Rasselsteine oder -tonklümpchen befanden. Mit Ausnahme eines Grabes des 1./2. Jahrhunderts aus der Wielbark-Kultur von Lekowo, Woj. Koszalin, handelt es sich ausschließlich um Gräber der Przeworsk-Kultur aus dem 1. oder der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts: Kamie¾czyk, Woj. Ostrot·ka, Ł·g Piekarski, Woj. Konin, Nadkole, Woj. Siedlce, Niedanowo, Woj. Olsztyn, und Nosocice, Woj. L·gnica. Der Funktion der Instrumente wäre eventuell näherzukommen, wenn bei den Grabfunden das Alter der Bestatteten bekannt wäre, jedoch trifft das hin-
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Eike Gringmuth-Dallmer
sichtlich der einfachen Rasseln nirgends zu. Die geringe Größe der „Kinderklapper“ von Weißenfels läßt sicher auf Kinderspielzeug schließen. Bei den eiförmigen Stücken liegt eine Beziehung zum Fruchtbarkeitskult nahe. Das gilt insbesondere für das reich verzierte Exemplar von Dvory. Ansonsten wird man eine profane Verwendung nicht ausschließen dürfen, wobei am ehesten an Kinderspielzeug zu denken ist. Anders sieht es bei den Gefäßen aus, von denen das von Nadkole eine Urne darstellt. Der Fund von Kamie¾czyk stammt aus dem Grab einer 18–22jährigen Frau. Auffällig ist die durchweg geringe Größe der anderen Funde, die Höhe schwankt zwischen 5,2 cm und 11,5 cm. Bei ihnen liegt eine wie auch immer geartete Verwendung im rituellen Bereich nahe. Kaum Hinweise gibt es auf die in älteren Zeiten häufigen Klappern. Am ehesten wird hierhin ein Fund aus einem kaiserzeitlichen Grab von Drochlin, pow. Włoszczowo zu stellen sein (Kaczanowski 1971 Abb. 2c), der aus etwa 18 ineinander verschränkten Ringen von etwa einem Zentimeter Durchmesser besteht und damit schon zur Geräuscherzeugung gedient haben kann. Hingegen dürften die Aufreihungen von Miniaturgeräten an einem Ring o. ä., wie sie verschiedentlich vorkommen (zusammenfassend für die Kaiserzeit Godłowski 1985) im Unterschied zu vergleichbaren Funden älterer Zeiten (Capelle 2000) nicht unter die Musikinstrumente gezählt werden, da, schon aus Gründen der Größe, eine intentionelle Geräuscherzeugung ausgeschlossen werden kann. Auch andere Instrumente treten nur vereinzelt auf. Aus einer PrzeworskSiedlung des 1. Jahrhunderts v. Chr. bis drittes Viertel 2. Jahrhundert n. Chr. von Janikowo, Woj. Bydgoszsc, liegt eine 10 cm lange eintonige, randgeblasene Langflöte, hergestellt aus der Speiche einer Gans, vor (Malinowski 2000, 377). Das einzige wohl als Pfeife anzusprechende Stück stammt aus einer Przeworsk-Siedlung von Wrocław-Muchobór Wielki, es ist wohl aus dem Endglied eines Viehfußes gefertigt worden (Malinowski 2000, 377 Abb. 5). Malinowski spricht darüber hinaus einen bestimmten Typ bearbeiteter Geweihspitzen als „Hornpfeifen“ an. Allerdings ließ sich nur bei einem Exemplar von Janikowo ein scharfer, hoher Ton erzeugen. G. Mildenberger hat bereits 1953 diesem Typ eine Untersuchung gewidmet und ist dabei zu einer Ablehnung der „Pfeifenthese“ gelangt, polnische Forscher sind zu dem gleichen Ergebnis gekommen (Malinowski 2000, 377). Deshalb werden die entsprechenden Funde hier nicht berücksichtigt. Gleichfalls zweifelhaft ist der angebliche Fund einer Panflöte aus der „Zeit der römischen Einflüsse“ von Łojewo, woj. Bydgoszsc (Malinowski 2000, 378), der durch die Literatur geistert, aber nicht vorgelegt wurde und deshalb von der Forschung allgemein angezweifelt wird. Daß ihr Auftreten nicht unmöglich ist, zeigt das bekannte Stück aus einem latènezeitlichen Grab von
Musikarchäologische Quellen aus der Germania libera
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Klein Kühnau, Stadtkr. Dessau (Seelmann 1907 Abb. 39), das sicher aus germanischen Fundzusammenhängen stammt. Es handelt sich um das Unterteil eines Instrumentes aus Harz, in dem die Abdrücke von fünf Pfeifen verschiedener Länge erhalten sind. Sie haben vermutlich aus Schilfrohr bestanden. Darauf weist ein Stück Schilfbast in der Urne hin, mit dem wohl die Pfeifen zusätzlich zusammengehalten wurden. Ist hier fremder Einfluß vorauszusetzen, so gilt das ganz und gar für ein vollständig erhaltenes bronzenes Blasinstrument, das in der Nähe von Malbork aus dem Fluß Nogat geborgen wurde. Unter den Spezialisten ist umstritten, ob es sich um eine keltische Karnyx oder einen römischen Lituus handelt, Malinowski (2000, 377 Abb. 6) versucht die zweite Auffassung zu begründen. Für die Frage nach germanischer Musik ist dieses Problem von zweitrangiger Bedeutung. Das Stück ist ein eindeutiger Import, auf einheimische Musikausübung läßt es, selbst wenn es sich im Besitz eines Germanen befunden hat, keinerlei Schluß zu. Angeschlossen sei ein fraglicher Fund aus einem kaiserzeitlichen Grab von Bornitz, Burgenlandkreis, das Th. Voigt (1940, 98) als Mundstück eines Blasinstruments identifiziert zu haben glaubt. Weitreichende Schlüsse sollten daraus nicht gezogen werden, zumal die Ansprache gewisser Stücke vergleichbarer Form durchaus umstritten sein kann (Koch 1987, 120f.). Unter dem Strich würde damit in der Tat der Eindruck entstehen, daß die Germanen der Kaiserzeit kaum eine höherentwickelte Musikkultur gekannt haben, wenn da nicht jüngst ein Fund aufgetaucht wäre, der geeignet ist, vorschnelle Pauschalurteile zu revidieren. In einer Marschensiedlung des 1. bis 2./3. Jahrhunderts in Bremen-Habenhausen wurde im unteren Teil einer Unmengen Keramik enthaltenden Müllschicht das Querjoch einer sechsseitigen Leier geborgen, das erst in einer kurzen Notiz in „Archäologie in Deutschland“ bekannt gemacht wurde (Abb. 2, 4; Bischop 2000). Das zugehörige Instrument soll eine Breite von kaum 20 cm besessen haben. Nach Aussage der niederländischen Musikarchäologin Annemies Tamboer handelt es sich hier um die älteste Leier Nordeuropas (Mitteilung der Bremer Tourismus Zentrale e. V.).5 Damit ist das Instrument, dessen Bedeutung durch Funde wie das sogenannte Sängergrab unter St. Severin in Köln oder das Königsgrab von Sutton Hoo unterstrichen wird, erstmals in der Zeit vor dem Frühmittelalter nachgewiesen. Von den genannten und weiteren jüngeren Funden unterscheidet sich das Bremer Joch darin, daß es annähernd gerade ausgeführt ist, während es bei den jüngeren Instrumenten, bei durchweg ebenfalls sechs Löchern, 5
Ergebnis einer Internetrecherche vom 26.05.2001 unter dem Stichwort „Musikarchäologie“ mit der Suchmaschine www.google.de.
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Eike Gringmuth-Dallmer
gebogen ist. Diesem Merkmal wird große Bedeutung beigemessen (Lawson 1984, 157). In der veränderten Jochgestaltung könnte sich ein chronologischer Unterschied niederschlagen, der sich auch auf den Klang ausgewirkt hat. Die bisher bekannten Leiern, zu denen neben den oben genannten die beiden Exemplare von Oberflacht, Kr. Tuttlingen, sowie eine größere Anzahl von Funden aus England, Frankreich und Skandinavien und einer aus Haithabu gehören (zusammenfassend mit weiterführender Literatur: Lawson 1984; Wanzeck/Betz 1999), sind fast alle einem gehobenen gesellschaftlichen Niveau zuzuschreiben. J. Werner hat ihnen bereits 1954 eine Untersuchung gewidmet und sie, sofern es sich um Bestattungen handelte, als „Sängergräber“ interpretiert, in denen dem Adligen bzw. seinem Sänger das Instrument mitgegeben wurde, das ihn bei seinem Vortrag von Heldenliedern o. ä. begleitete. Ob entsprechendes für ältere Zeiten gilt, ist fraglich, fehlen doch jegliche Hinweise auf einen germanischen Sängerstand in den römischen Schriftquellen der Kaiserzeit. Von sprachwissenschaftlicher Seite wird darüber hinaus auf das Fehlen einer gemeinsamen germanischen Bezeichnung für den Sänger hingewiesen (Niemeyer 1955, 1817). Deshalb kann man für das Bremer Exemplar annehmen, daß es außerhalb eines eigenen „Berufsstandes“ genutzt wurde. Daß gleiches auch später noch der Fall gewesen sein kann, zeigen Funde wie zwei Leierstege des 8. Jahrhunderts von Elisenhof, Kr. Nordfriesland, die interessanterweise ebenfalls in einer Marschensiedlung geborgen wurden (Salmen 1970, 7f. Taf. 3,1 Abb. 1,4). Das unscheinbare Aussehen derartiger Stücke sowie die daraus folgende Tatsache, daß entsprechende Funde sicherlich nicht unbedingt als Teile eines Musikinstrumentes angesprochen werden, lassen vermuten, daß durchaus noch entsprechende Reste unerkannt in archäologischen Magazinen schlummern. Waren nun die alten Germanen unmusikalisch? Natürlich läßt sich diese Frage nicht bindend beantworten. Sicher aber gestattet, vor allem im Blick auf die gleichzeitige hochstehende Musikkultur der Römer, das archäologische Material trotz des Nachweises einer Leier keinen Schluß darauf, daß die Musik im Leben der kaiserzeitlichen Germanen eine größere Rolle gespielt hätte.
Musikarchäologische Quellen aus der Germania libera
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Abbildungsnachweis Abb. 1: 1 Nach Gerlach 2000; 2 nach Dušek 1992; 3 nach Henning 1985. Abb. 2: 1 Nach Gustavs 1978; 2 nach Toµik 1982; 3 nach Malinowski 2000; 4 nach Bischop 2000).
Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. Eike Gringmuth-Dallmer Museum für Vor- und Frühgeschichte Staatliche Museen Berlin Schloß Charlottenburg, Langhansbau D-14059 Berlin
Studien zur Lebenswelt der Eisenzeit. RGA-E Band 40 – Seiten 205–233 © Copyright 2006 Walter de Gruyter · Berlin · New York
Hallstattzeitlicher Grabbau in Nova tabla bei Murska Sobota (Slowenien)1 von Georg Tiefengraber Hallstattzeitlicher Grabbrauch im Südostalpenraum Südostalpine Hallstattgruppen Der sowohl geographisch als auch klimatisch ausgesprochen heterogene Bereich der Südostalpen und derer Ausläufer weist eine Vielzahl lokaler hallstattzeitlicher Gruppen auf, die für gewöhnlich unter dem Begriff „Südostalpine Hallstatt-Gruppe“ subsumiert werden, deren kulturhistorische Zugehörigkeit zum Osthallstattkreis außer Zweifel steht. An diesem rund 300 x 300 Kilometer umfassenden Gebiet (Abb. 1) haben heute die politischen Staaten Österreich (mit den Bundesländern Kärnten, Steiermark und dem Burgenland), Slowenien, Kroatien (bzw. dessen nördliche Landesteile) sowie Ungarn (der Westteil Transdanubiens) Anteil. Obwohl der unterschiedliche nationale Forschungsstand im Detail Fragen offen läßt, so lassen sich insgesamt sowohl für die chronologische Entwicklung als auch für die uns hier beschäftigenden Bestattungsarten und -sitten ausreichend befundetes Material als auch bereits publizierte Arbeiten darüber namhaft machen, um einen Abriß des bislang bekannten zu geben und neue Grabungsergebnisse aus dem slowenischen Prekmurjegebiet, im Bereich des Dreiländereckes Slowenien-Österreich-Ungarn, einzufügen. Bereits 1964 konnte Stane Gabrovec in seiner grundlegenden Arbeit über die Hallstattzeit in Slowenien2 einen Überblick über die verschiedenen hall-
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Für die Möglichkeit zur Behandlung dieser Thematik basierend auf den neuen Ergebnissen der Ausgrabungen auf dem Autobahnteilstück Murska Sobota/Nova tabla sei red. Prof. Dr. Dr. M. Guštin, Universität Ljubljana, herzlich gedankt. Mein Dank gilt auch B. Kerman, Pokrajinski muzeij Murska Sobota, für die Überlassung des Luftbildes Abb. 8. – Manuskriptabschluß: Frühjahr 2002. Gabrovec 1964–65, 21ff.; 1966, 1ff. – Einen umfassenden Konspekt sämtlicher eisenzeitlichen Kulturgruppen und deren materielle Hinterlassenschaften stellt der fünfte Band der Serie „Praistorija Jugoslavenskih Zemalja“ dar (PJZ 1987), der auch die hier erwähnten Gruppen
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Georg Tiefengraber
stattzeitlichen Kreise in Slowenien vorlegen, wobei es ihm möglich war, fünf zum Teil überregionale Gruppen abzugrenzen (Gabrovec 1966, 5ff.). Eine erste zentrale Gruppe definierte Gabrovec im Bereich von Unterkrain/ Dolenjsko mit einer Konzentration der Fundstellen zwischen Save und Krka, mit einem Schwerpunkt im Krkatal (z. B. Novo mesto). Diese Gruppe erstreckte sich im Westen bis nach Ljubljana, im Osten bis zur Mündung der Krka in die Save nahe der slowenisch-kroatischen Grenze, und im Süden schloß sie die Bela Krajina (Weißkrain) mit ein. Wegen des Reichtums ihrer Gräber bedeutende Fundorte wie Stiµna (Wells 1981), Magdalenska gora (Hencken 1978), Libna (Guštin 1976), Novo mesto (Knez 1986; 1993; Križ 1997; 2000) oder Podzemelj (Dular 1978) sind allesamt dieser Unterkrainer Gruppe bzw. Gruppe von Dolenjsko zuzuordnen. Dieser sicherlich umfangreichsten Gruppe ist im Westen Sloweniens die Gruppe von Sveta Lucija gegenüberzustellen, die besonders in ihren beiden Hauptfundplätzen, dem eponymen Gräberfeld von Sveta Lucija/Most na Soµi (Teržan/Trampuž 1973, 416ff.; Teržan u. a. 1984) und Kobarid (Gabrovec 1976, 44ff.), vertreten ist. Sie umfaßt in erster Linie das Gebiet am Oberlauf der Soµa und weiter nördlich das Tal von Bohinj. Zwischen diesen beiden Hauptgruppen liegt Oberkrain (Gorenjsko) mit der LjubljanaGruppe, die deutliche Verbindungen zur Sveta Lucija-Gruppe erkennen läßt. Die vierte Gruppe kann in Innerkrain (Notranjska) und im Norden Istriens lokalisiert werden, wo intensive Einflüsse der benachbarten japodischen Kultur zum Tragen kommen (Drechsler-Biži³ 1987, 391ff.). Der Norden Sloweniens, die Štajerska und Prekmurje, wurden von Gabrovec der steirischen Wies-Gruppe zugerechnet (Gabrovec 1966, 8), für die sich inzwischen nach dem Hauptfundort Kleinklein im weststeirischen Sulmtal die Bezeichnung Sulmtal-Gruppe (Dobiat 1980, 174f.) durchgesetzt hat (vgl. Teržan 1990, 123ff.). Sie erstreckt sich vom Koralmzug im Westen, der Gleinalpe im Norden bis nach Nordkroatien im Osten, wo sie von Z. Vinski und K. Vinski-Gasparini (1962, 263ff.) als lokale Kaptol-Martijanec-Gruppe definiert worden ist3. Nach Süden hin läßt sich die Sulmtalgruppe bis nach Celje und an die mittlere Save verfolgen. Starke Einflüsse übt sie nicht nur nach Westen hin in kärntnerisches Gebiet aus4, wie es beispielsweise im großen
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und deren Verbindungen ausführlicher behandelt. – Zuletzt zusammenfassend Gabrovec 1999, 175ff. Von S. Gabrovec als Gruppe Wies-Martijanec zusammengefaßt (vgl. Gabrovec 1966, 8; Teržan 1990, 122). In seiner Zusammenfassung zur Erforschung der älteren Eisenzeit in Slowenien definierte S. Gabrovec (1999, 150f.) für diesen Bereich eine eigene Kärnten-Gruppe und betonte die enge Verbindung zur von ihm in dieser Arbeit als Steyr-Gruppe (womit wohl die Steirische-Gruppe gemeint ist, mit einem Übersetzungsfehler ist hierbei zu rechnen!) bezeichneten SulmtalGruppe, der ehemaligen Gruppe Wies-Martijanec.
Hallstattzeitlicher Grabbau in Nova tabla bei Murska Sobota (Slowenien)
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Abb. 1. Übersichtskarte mit hallstattzeitlichen Fundorten und Bestattungsarten
Hügelgräberfeld von Frög zu konstatieren ist (Tomedi 1996, 537ff.), sondern auch nach Osten hin in den Bereich der bislang kaum erfaßten südwestpannonischen Hallstattgruppe im Randbereich der ungarischen Tiefebene (Patek 1993, 54ff.). Nördlich an die Sulmtalgruppe, bereits am Übergang zum Alpenhauptkamm, schließt nun ein Bereich an, der bislang hinsichtlich seiner kulturhistorischen Zugehörigkeit kaum beurteilt werden kann und für den sich – gleichsam als Notbehelf – die Bezeichnung „Inneralpine Hallstattgruppe“ eingebürgert hat, doch weist dieser Raum zweifelsohne noch die größten Forschungslücken im Südostalpenraum auf5. Zu dieser Gruppe kann auch das Fürstengrab 5
Die Definition dieser „Inneralpinen“-Gruppe basiert in erster Linie auf den beiden Gräberfeldern von Uttendorf in Salzburg und Leoben-Hinterberg in der Obersteiermark, die immerhin über 200 km auseinanderliegen und darüber hinaus vom Alpenhauptkamm getrennt werden. Dennoch ist diesen Gräberfeldern gemein, daß die Bestattung in Flachgräbern mit Steinkisten vorgenommen wurde. Das zwischen diesen beiden Gräberfeldern liegende Gebiet, welches ebenfalls zu dieser Gruppe gezählt wird, ist mangels aussagekräftiger Funde bislang praktisch nicht beurteilbar (Modrijan 1963, 3ff.; Moosleitner 1981, 205ff.).
Abb. 2. Murska Sobota/Nova tabla. Gesamtplan der Ausgrabungen 1999 bis 2001
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Hallstattzeitlicher Grabbau in Nova tabla bei Murska Sobota (Slowenien)
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von Strettweg gezählt werden, das wegen seines Kultwagens bekannt ist (Egg 1996b). Nordöstlich dieses Bereiches der südostalpinen Hallstattkultur erstreckt sich nun die sog. Kalenderberg-Gruppe, die sich in vielerlei Hinsicht in ihrem Verbreitungsgebiet Niederösterreich und Nordburgenland lokal gut eingrenzen läßt und ebenso zur Osthallstattkultur gerechnet wird (Nebelsick u. a. 1997). Die südostalpine Hallstattkultur als solche grenzt im Westen an die östlichen Ausläufer des oberitalischen Este-Kreis, der seinerseits wiederum in die Sveta Lucija-Gruppe ausstrahlt. Im Südwesten grenzt sie unmittelbar an die Histrer (Gabrovec/Mihovili³ 1987, 293ff.), im Süden an das Gebiet der Japoden (Drechsler-Biži³ 1987, 391ff.), unübersehbare Beziehungen bestehen darüber hinaus nach Südosten zur Glasinac-Gruppe (ovi³ 1987, 575ff.) als auch zur liburnischen in Mitteldalmatien (Batovi³ 1987, 339ff.) und zum Picenum. Die pannonische Dalj-Gruppe stellt schließlich die Grenze nach Osten hin dar (Gabrovec 1966, 8; Vasi³ 1987, 533ff.).
Bestattungsbrauchtum So vielfältig wie die unterschiedlich ausgeprägten lokalen Gruppen präsentieren sich auch die Bestattungssitten bzw. der Grabbrauch6. Grundsätzlich tritt sowohl die Körper- als auch die Brandbestattung auf, beide Formen können sowohl in Flach- als auch in Hügelgräbern beobachtet werden. Hierbei zeichnen sich nun relativ scharf umrissene Bestattungskreise ab, die zum Teil mit den erwähnten Gruppen korrespondieren. In der Gruppe von Dolenjsko/Unterkrain und in der Bela Krajina/Weißkrain läßt sich das Phänomen der Körperbestattung in Riesengrabhügeln feststellen, wobei diese Tumuli in der Regel als Grabstätten größerer sozialer Einheiten in Verwendung standen und wofür nicht von ohne die Bezeichnung als Familien- oder Sippengrabhügel geläufig ist. Zumeist wurden die Toten in derartigen Hügeln kranzförmig am Rand bestattet, ein allfälliges zentrales Grab ist relativ selten und zumeist bereits gestört und geleert. Trotz dieser augenscheinlich kaum ausgeprägten Hierarchie in der Wahl des Bestattungsplatzes innerhalb des Hügels verfügten einzelne Gräber über ausgesprochen reiche Beigaben. In dieser Art der Bestattung spiegeln sich offenkundig Einflüsse aus dem Balkangebiet wieder, die Gabrovec nicht nur mit kulturellen Beziehungen sondern überhaupt mit Zuwanderungen in Verbindung brachte (Gabrovec 1966, 14f.).
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Eine detaillierte Zusammenfassung über die Bestattungsweise in der südostalpinen Hallstattkultur wurde von S. Gabrovec (1999, 151ff.) publiziert, auf den an dieser Stelle verwiesen sei.
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Georg Tiefengraber
Dem Phänomen der Körperbestattung in Sippengrabhügeln steht nun im gesamten Gebiet der südostalpinen Hallstattkultur (bis auf Ausnahmen z. B. Križna gora, Vaµe und Vinica) die Brandbestattung gegenüber, die als ein autochthones Relikt des späturnenfelderzeitlichen Substrates angesehen werden kann, aus welchem sich die diversen Hallstattgruppen entwickelten. Sämtliche hallstattzeitlichen Gruppen im Westteil des behandelten Gebietes (Sveta Lucija-, Notranjska- und Ljubljanska-Gruppe) übten die Kremation aus und bestatten fast ausnahmslos in Flachgräbern, wobei die Nekropole von Most na Soµi eine erstaunliche Belegungszahl mit geringer sozialer Differenzierung aufweist und mehrere tausend Gräber umfaßt. Ebenfalls in Brandgräbern unterschiedlicher Art (Urnen-, Brandschüttungs- oder Brandflächengrab) wird in der weitläufigen Sulmtalgruppe bestattet, wobei die Masse der hallstattzeitlichen Gräber aus unterschiedlich dimensionierten und ausgestatteten Hügeln bekannt ist, während Flachgräber bislang eher selten sind, was allerdings auch nur das Bild des Forschungsstandes widerspiegeln dürfte7. Hügelgräber der Sulmtalgruppe können sowohl einzeln auftreten, in unterschiedlich großen Gruppen als auch als umfangreiche Gräberfelder vorliegen, wofür die eponyme Sulmtalnekropole am Burgstallkogel in Kleinklein mit ursprünglich wohl weit über tausend Hügelgräbern das beste Beispiel liefert. Gerade einzelne Riesengrabhügel liegen zumeist isoliert von den übrigen Gräberfeldern und auch deren reiche Ausstattung weist auf Gräber einer Führungsschicht hin. Es sind auch gerade diese prunkvollen „Fürstengräber“, die mit ein gemeinsames Charakteristikum des sonst eher heterogenen Osthallstattkreises darstellen, lassen sich diese doch von Kärnten, der Steiermark und der slowenischen Štajerska, dem Burgenland, Niederösterreich, der Slowakei, Westungarn (bzw. Transdanubien) bis nach Nordkroatien beobachten8, allerdings mit unterschiedlicher chronologischer Gewichtung. Unterschiedlich präsentiert sich das „Innenleben“ der Hügelgräber: Während die überdurchschnittlich reich ausgestatteten und groß dimensionierten Fürstengräber oftmals über aufwendige Steineinbauten – teilweise mit eigenem Dromos – verfügen, lassen sich sämtliche Abstufungen (z. B. Holzkammern mit oder ohne Steinpackungen, Steinkisten) bis hin zur einfachen Brandflächenbestattung, über die ein Hügel aufgeworfen wurde, antreffen. Neuere anthropologische Leichenbranduntersuchungen weisen zudem vielfach auf Mehrfachbestattungen innerhalb eines Grabes hin, zumeist um Bestattungen von Mann und Frau bzw. von Mann, Frau und Kind.
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Dafür sprechen beispielsweise auch die Ergebnisse der neuen Ausgrabungen in Murska Sobota/Nova tabla. Zusammenfassend zu den Fürstengräber der Osthallstattkultur Egg 1996a, 53ff.
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Obwohl eine beträchtliche Anzahl von alt- oder neuergrabenen Hügelgräbern aus dem Bereich der für uns hier relevanten Sulmtalgruppe vorliegt, so ist über das Hügelgrab bzw. Hügelgräberfeld als Gesamtanlage praktisch nichts bekannt. Dies betrifft beispielsweise die Frage nach einer Umfriedung der Hügel und Bestattungen, nach Materialentnahmegräben, nach Umfassungsgräben, nach den zugehörigen Verbrennungsplätzen (Ustrinae) und auch nach „Kultanlagen“ und „Heiligtümern“, die im Kontext mit den Grabstätten stehen könnten. Auch die Frage nach der Lagebeziehung zwischen Gräberfeldern und zugehörigen Siedlungen ist nur im Falle der Höhensiedlungen abschätzbar. Gerade die Unkenntnis über derartige innere Strukturen der Gräberfelder erschwert nun die Beurteilung von Befunden erheblich, bei denen vom einstmal – möglicherweise – darüber Aufgehendem nichts mehr vorhanden ist, d. h. daß die Entscheidung über ehemaliges, nun eingeebnetes Hügelgrab oder bereits ursprüngliches Flachgrab oft nicht mehr getroffen werden kann. Genau dieser Fall liegt nun aber aufgrund der Luftbildprospektion und der neuesten Grabungsergebnisse auf der projektierten Autobahntrasse im slowenischen Prekmurjegebiet in großer Zahl vor, mit einer ähnlichen Situation ist jedoch auch in den angrenzenden Bereichen (Südsteiermark, Štajerska und Südwestungarn) zu rechnen.
Hallstattzeitlicher Grabbau in Murska Sobota/Nova tabla Das Areal von Nova tabla liegt knapp zwei Kilometer südwestlich von Murska Sobota, der größten Stadt des slowenischen Prekmurjegebietes. Durch intensive landwirtschaftliche Nutzung und Meliorisationsarbeiten der letzten Jahrzehnte bietet sich heute dem Betrachter ein ausgesprochen flaches bis sanft welliges Landschaftsbild, das durch weitläufige und großflächige Äcker geprägt wird. Nach Norden hin wird Nova tabla vom Soboško jezero, einem mehrere Hektar großen Schotterteich, abgegrenzt. Im Süden unterbricht ein Waldstreifen das landwirtschaftlich genutzte Gebiet von Nova tabla. In den Jahren 1999 bis 2001 wurden bei Rettungsgrabungen in Nova tabla im Rahmen des projektierten Autobahnbaues zwischen Maribor und der ungarisch-slowenischen Grenze im Bauabschnitt Beltinci-Vuµja vas knapp 140.000 m² unter der Leitung von M. Guštin, Universität Ljubljana, archäologisch untersucht. Neben der 1,4 km langen und großteils 60 m breiten Autobahntrasse konnte auch rund 45.000 m² vom Schotterabbau gefährdete Fläche ergraben werden. Das überraschende Ergebnis dieser Grabungen waren mehrere hundert Reste von Siedlungsobjekten beginnend vom Äneolithikum über
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Georg Tiefengraber
Abb. 3. Murska Sobota/Nova tabla. Übersichtsplan der hallstattzeitlichen Gräberfelder
die frühe Bronzezeit (Litzenkeramik), die (späte) mittlere Bronzezeit bis in die späte Urnenfelderzeit. Über 100 Gräber der Hallstattzeit lassen sich in die Phase Ha C2/D1 datieren, einige Gräber und Siedlungsstrukturen (Gehöfte) stammen aus der mittleren und späten Latènezeit, mehrere Gehöfte aus der römischen Zeit vom 1.–4. Jahrhundert n. Chr., Siedlungsreste liegen auch aus dem Frühmittelalter (6.–9. Jahrhundert n. Chr.) vor9. Eine der bedeutendsten Entdeckungen der Ausgrabungen im Jahr 2000 in Nova tabla waren vier hallstattzeitliche Gräbergruppen, die teilweise eine in Slowenien bislang kaum bekannte Art einer „Grabarchitektur“ – runde und eckige Umfassungsgräben, Steinkreise10 – aufweisen11. Insgesamt konnten 101 Hallstattgräber freigelegt werden, von denen elf über derartige Gräben ver9
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Dieser Abschnitt stützt sich auf Vorberichte über die gesamten vorgeschichtlichen Befunde (Tiefengraber 2001) und einen Aufsatz über ausgewählte hallstattzeitliche Gräber (Guštin/Tiefengraber 2001). – Vgl. auch Guštin 2000 und Guštin/Tiefengraber 2002. Daß die Sitte, Tumuli mit Steinkreisen zu umgrenzen auch in Slowenien bzw. dem Südostalpenraum nicht gänzlich unbekannt war, demonstriert Tumulus 1 von Stiµna, dessen massive steinerne Einfassung fast schon an eine Mauer erinnert. Siehe dazu Gabrovec 1974, 168f. mit Plan 1. – An den Beginn der Hallstattzeit sind drei unregelmäßig ausgeführte Steinkreise im Hügel 1 von Metlika-Hrib zu stellen, von denen zwei im Zentrum Gräber enthielten, der dritte „Halbkreis“ umfaßte fünf Gräber, wobei es sich ausschließlich um Brandgräber handelte. Vgl. dazu Križ 1991, 5ff. und 11 mit Abb. 2. Die Existenz von Hallstattfunden – abgesehen von den Siedlungsfunden und dem Fürstengrab aus dem benachbarten Gornja Radgona – war eine Überraschung. Vergleicht man noch die Ergebnisse der archäologisch-topographischen Aufnahme des Prekmurjegebietes bei Šavel 1991, so zeigt sich, daß besonders für die Hallstattzeit nur ein völlig unbefriedigendes Bild
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Abb. 4. Murska Sobota/Nova tabla. Hallstattzeitliches Gräberfeld Ost mit zwei Kreisgräben
fügten. Bei fünf weiteren Kreisgräben konnte kein sonst übliches zentrales Grab festgestellt werden, ebenso fehlten zentrale Gräber bei drei Steinkreisen, die sich im Gräberfeldbereich befanden (Abb. 3). Die vier hallstattzeitlichen Gräberfelder seien hier der Einfachheit halber je nach ihrer Lage im Ausgrabungsbereich auf der Autobahntrasse als Gräberfeld Ost, West und Mitte bzw. Mitte-West bezeichnet, wobei im mittleren Grabungsabschnitt in knapp 100 m Entfernung zwei Gräberfelder aufgedeckt werden konnten, eines annähernd komplett, das zweite setzt sich nach Norden hin in unergrabenes Gebiet fort. Das Gräberfeld Ost umfaßte elf Gräber, von denen zwei im Zentrum jeweils eines Kreisgrabens lagen, die einen Durchmesser von 10 m bzw. 8 m hatten (Abb. 4). Es ist denkbar, daß sich dieses kleinere schütter belegte Gräberfeld noch in südlicher Richtung außerhalb der ergrabenen Autobahntrasse fortsetzt. gezeichnet werden konnte, lagen doch bislang an Funden lediglich zwei Bronzearmreifen vor, Befunde fehlten überhaupt.
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Abb. 5. Murska Sobota/Nova tabla. Hallstattzeitliches Gräberfeld West mit zwei Kreisgräben
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Abb. 6. Murska Sobota/Nova tabla. Hallstattzeitliches Gräberfeld Mitte-West
Das Gräberfeld West bestand ebenfalls aus elf Gräbern und zwei Kreisgräben, die allerdings in ihrem Zentrum keine Gräber aufwiesen (Abb. 5). Es war stratigraphisch feststellbar, daß der etwas größere östliche Kreisgraben den kleineren westlichen schnitt und deshalb in Relation jünger sein mußte. Bei den Gräbern selbst ließ sich eine Konzentration von neun Gräbern im Südbereich der Trasse konstatieren, die sich wohl sicher weiter nach Süden hin auf unergrabenes Gebiet erstreckt. Zwischen dieser Gräbergruppe und den beiden Kreisgräben liegen noch zwei weitere einzelne Gräber. Es muß hier erwähnt werden, daß bei Befliegungen und auf Luftbildern, die auch das gesamte umliegende Areal dokumentieren, diese beiden Kreisgräben sowie, nach Norden hin, eine größere Anzahl weiterer Kreise von Branko Kerman, Pokrajinski muzej Murska Sobota, entdeckt werden konnte. Dies bedeutet, daß die Gesamtausdehnung dieses doch weitläufigen Gräberfeldes nur annähernd erahnt werden kann. In der Mitte des Grabungsareals auf der Autobahntrasse konnten zwei Gräberfelder ergraben werden: Das westliche kleinere davon (Gräberfeld
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Georg Tiefengraber
Mitte-West) umfaßte zehn Gräber und setzte sich nach Norden hin auf nicht ausgegrabenes Gebiet fort. Kreisgräben oder ähnliches konnten hier nicht festgestellt werden (Abb. 6). Knapp 100 m östlich von diesem Gräberfeld befand sich das Gräberfeld Mitte, welches 62 Gräber, sechs Kreisgräben, sechs Rechteckgräben und drei Steinkreise umfaßte (Abb. 7). Betrachtet man das Geländerelief in Nova tabla, dann wird trotz landwirtschaftlicher Überprägungen klar, daß man sich hier auf der ehemals höchsten Stelle im umliegenden Gelände befindet. So verwundert es auch nicht weiter, daß im Bereich dieses Gräberfeldes Teile eines mittellatènezeitlichen Gräberfeldes, spätlatènezeitliche Gräber, ein Brandgrab der Römischen Kaiserzeit sowie ein bislang undatierbares Körpergrab ausgegraben werden konnten. Bis auf drei Kreisgräben und die Steinkreise weisen hier alle Kreis- und Rechteckgräben zentrale Gräber auf, teilweise lagen sogar mehrere Gräber innerhalb eines solchen abgegrenzten Bereiches.
Grabtypen Brandgrubengräber stellen den einzigen gebräuchlichen Grabtyp in Nova tabla dar. In der Regel handelt es sich dabei um kleine, eher seichte Gruben mit rundem oder ovalem Grundriß, einige Gräber weisen jedoch auch einen rechteckigen Grundriß auf. Als Brandgrubengräber werden hier sämtliche Brandgräber verstanden, bei denen dann der Leichenbrand – auf welche Art auch immer – in eigenen, zumeist kleinen und eher seichten Grabgruben beigesetzt wird. Diesem Grabtypus wäre beispielsweise das Brandflächengrab oder auch das Körpergrab gegenüberzustellen12. Eine Grabgrubengröße von einem Meter wird praktisch nie überschritten, die Tiefe kann jedoch erheblich variieren, was in erster Linie auf die unterschiedlichen Erhaltungsbedingungen zurückzuführen ist. Aber auch hier ist eine Tiefe von 0,7 m ab Humusunterkante als Maximum anzusehen. Ein Grab konnte aufgrund der Beigaben (Spinnwirtel, Bronzefibelfragmente und Bronzemehrkopfnadel), zweier separater Plätze zur Deponierung des Leichenbrandes sowie der anthropologischen Bestimmung als Dreifachbestattung einer Frau mit Kind und eines Mannes angesprochen werden. Für ein weiteres Grab, das zwei Gefäße mit Leichenbrand enthielt, kann ebenfalls eine Doppelbestattung in Erwägung gezogen werden. Überhaupt erbrachte die anthropologische Analyse der Leichenbrände Hinweise auf eine größere 12
Vgl. dazu die Kleinkleiner Grabtypentafel bei Dobiat 1980, 49 Abb. 4.
Hallstattzeitlicher Grabbau in Nova tabla bei Murska Sobota (Slowenien)
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Abb. 7. Murska Sobota/Nova tabla. Hallstattzeitliches Gräberfeld Mitte mit runden und rechteckigen Umfassungsgräben (OJ) sowie Steinkreisen (KK)
Anzahl von Mehrfachbestattungen, in erster Linie Doppelbestattungen von Mann und Frau, die allein anhand der Grabbeigaben nicht als solche anzusprechen gewesen wären. Grundsätzlich kann bei der Beisetzung des Leichenbrandes zwischen Brandschüttung und Urnenbestattung unterschieden werden, wobei mögliche organische Behälter als Urnen nicht greif- bzw. nachweisbar waren. Die eher selteneren Brandschüttungsgräber enthielten in der Regel keine Ganzgefäße als Beigaben, zerscherbte Partien von Gefäßen – teilweise auch mit sekundären Feuerspuren – ließen sich hingegen oftmals beobachten. Es hat hierbei den Anschein, daß diese Gefäße während der Verbrennung des Toten dem Feuer ausgesetzt waren, zersprangen oder zerschlagen wurden, und dann mit dem Leichenbrand, Scheiterhaufenresten und weiteren Beigaben bzw. Trachtbestandteilen beigesetzt, d. h. in die Grabgrube eingebracht worden sind13. 13
Als weitere Interpretationsvariante wäre eine von der eigentlichen Verbrennung des Toten getrennte Behandlung dieser Gefäße, vermutlich aber wohl eher ihres Inhaltes, in Betracht zu
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Hinsichtlich der weiteren Beigaben – Fibeln, Bronzeringe, Eisenmesser, Spinnwirtel usw. – ließ sich kein gravierender Unterschied zu den Urnengräbern im Ausstattungsmuster erkennen. Es wäre sicher falsch, diese Bestattungsart wegen des Fehlens von Gefäßen a priori als „niedrigstehender“ einstufen zu wollen, hier liegen vielmehr andere Gründe vor. Bezeichnenderweise stellen zwei Brandschüttungsgräber hinsichtlich ihres Inventars die am „reichsten“ ausgestatteten Frauengräber dar. Es handelt sich dabei einmal um eine Bestattung mit zwei Knotenfibeln, zwei Spinnwirteln und vier polierten dreikantigen Steinen, sowie einer Bestattung mit Bronzefibel, Bronzearmreif und einem Satz von dreizehn Spinnwirteln. Auffällig ist, daß kein einziges durch Beigaben gesichertes Männergrab unter den Brandschüttungsgräbern zu finden ist. Überhaupt bedingt das Fehlen von klar als „männlich“ anzusprechender Beigaben (Waffen etc.) – sieht man von wenigen Mehrkopfnadeln ab – Schwierigkeiten bei der Differenzierung der Gräber, doch handelt es sich hierbei um eine generelle Erscheinung innerhalb der bislang kaum untersuchten südwestpannonischen Hallstattgruppe14, deren Einflüsse auch in den Gräberfeldern von Nova tabla spürbar werden, während der Habitus der Keramik und Trachtbestandteile die Zugehörigkeit zur „Sulmtalgruppe“ klar unterstreichen. Die Masse der Gräber enthält Keramikgefäße zur Aufnahme des Leichenbrandes, von Scheiterhaufenresten, von Trachtbestandteilen und von Beigaben, sie können somit klar als Urnengräber definiert werden. Zumeist enthalten die Gräber nur eine Urne, selten tritt noch ein Beigefäß auf, von regelhaften „Geschirrsätzen“ kann keine Rede sein. Mehrmals läßt sich der Brauch beobachten, daß der Urne eine Einzugsrandschale als Deckel aufgesetzt wurde, wobei es offensichtlich keine Rolle spielte, welches Gefäß darunter als Urne verwendet wurde (vgl. Nebelsick 1997, 30). So können diese Deckel sowohl auf Kegelhalsgefäße, auf Kragenrandgefäße als auch auf einfache Einzugsrandschalen aufgelegt sein. Immer wieder lassen sich auch in den Urnengräbern, sowohl in der Grabgruben- als auch in der Urnenverfüllung, einzelne zusätzliche Scherben ausmachen, die teilweise sekundäre Brandspuren aufweisen können (Nebelsick 1997, 30f.). Einzelne Stücke bzw. kleinere Konzentrationen von Leichenbrand können auch außerhalb der Urnen in der Grubenverfüllung ausgemacht werden. Es wird anthropologisch zu überprüfen sein, ob diese Reste zu den je-
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ziehen, wobei diese dann in einem eigenen Funeralritus verbrannt und/oder zerschlagen sowie in das Grab beigegeben worden wären. Dies würde allerdings – ex silentio! – einen hier nicht weiter greif- und nachweisbaren komplexeren Bestattungsprozeß voraussetzen. Hier und im anschließenden ungarischen Gebiet südlich der Raab läßt sich eine deutliche Fundlücke erkennen. Vgl. hierzu Lippert 1999, 347.
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weils in den Urnen bestatteten Individuen gehören, ob sie als eigene Bestattungen zu werten sind oder ob eventuell „tierischer“ Leichenbrand, gleichsam als zusätzliche verbrannte Grabbeigabe15, vorliegt.
Grabbeigaben und Datierung Hinsichtlich der relativen Ärmlichkeit der Grabbeigaben fügen sich alle vier Gräberfelder von Nova tabla in das für die südwestpannonische Hallstattgruppe bekannte Bild. Für eine feinere kulturgeographische Zuordnung bietet sich die Analyse der umfangreichen Gefäßkeramik an. In Summe entsprechen die Formen und Verzierungen der Gefäße aus Nova tabla weitestgehend dem aus der doch großräumigen „Sulmtalgruppe“ bekannten Repertoire, wobei hier explizit die Kegelhals- und Kragenrandgefäße genannt seien (Dobiat 1980; Dular 1982, 139ff.). Als „Kerngebiet“ der Sulmtalgruppe wird hier die zentrale und südliche sowie südöstliche österreichische Steiermark und die slowenische Štajerska verstanden, wobei Ausstrahlungen in den Ostkärntner Raum, nach Südwestungarn und auch nach Nordkroatien (Teržan 1990, 145ff.) feststellbar sind16. Das Formenspektrum umfaßt hierbei sowohl Kegelhalsgefäße und Kragenrandgefäße (oft mit Graphitbemalung), bikonische Schüsseln, Einzugsrandschalen wie auch meist grobgemagerte einfache faßförmige Töpfe, mitunter mit Knubben, Handhaben oder plastischer Leistenverzierung versehen. Als Beigefäße lassen sich mehrmals auch qualitativ anspruchsvollere dünnwandige, feingemagerte, oft oberflächengraphitierte profilierte Henkelschalen ausmachen. Lediglich drei Gräber sind aufgrund der Beigabe von bronzenen Mehrkopfnadeln wohl sicher als Männergräber zu postulieren. Waffen selbst fehlen in Gräbern ausnahmslos, lediglich in einem Objekt, bei dem es sich nicht um ein Grab gehandelt hat, konnte ein eisernes Tüllenbeil gefunden werden17. Wesentlich einfacher ist es nun, Frauengräber anhand ihrer Grabbeigaben bzw. Trachtbestandteile zu identifizieren. Knapp ein Viertel aller Gräber enthält Fibeln (sog. Šmarjetafibeln in mehreren Varianten, Kahnfibeln mit geripptem Bügel, unverzierte Kahnfibeln, [zweischleifige] Bogenfibeln mit klein
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Denkbar wären auch Reste verbrannter Speise- oder Fleischbeigaben, gleichsam als integriertes Opfer im Funeralritus. Etwas eingeschränkter in ihrer Ausdehnung bei Dobiat 1980, 174f. Dieses Objekt ist möglicherweise in Zusammenhang mit einem nicht mehr greifbaren Funeralritus zu sehen. Es handelt sich hierbei um eine unförmige, stark holzkohlenhaltige Grube, die sich inmitten des Gräberfeldes Ost befand. – Ein ähnliches eisernes Tüllenbeil von der Poštela bei Maribor bildet PahIµ 1973 Taf. 4 ab.
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Abb. 8. Murska Sobota/Kotare Krogi. Kreisgrabenkomplex
geknotetem Bügel), die als typisch weibliches Trachtaccessoire zu werten sind. Die Fibeln weisen nur zu einem geringen Teil Schäden oder Deformierungen durch Feuer auf, womit sich die Frage aufdrängt, ob diese Gewandschließen auf dem mitverbrannten Gewand der Toten angebracht waren oder erst danach dem Grabinventar beigefügt worden sind. Zur Datierung der hallstattzeitlichen Gräberfelder bieten sich in erster Linie diese verschiedenen Fibel- und Nadeltypen an: Sämtliche oben erwähnten Exemplare repräsentieren in ihrer jeweiligen Ausprägung charakteristische und im gesamten Südostalpenraum weitverbreitete Formen der mittleren Hallstattzeit, also der Stufen Ha C2/D118.
Grabarchitektur Wenn hier von Grabarchitektur die Rede ist, muß im vorhinein bereits darauf hingewiesen werden, daß lediglich jeweils die letzten Reste – in konkretem Fall verschiedenförmige Umfassungsgräben – faßbar waren. Aufschlüsse auf das vermutlich Darüberliegende – möglicherweise Hügelaufschüttungen – lie18
Vgl. Parzinger 1988, 9ff.; Teržan 1990, 42f.; Štegmann-Rajtar 1992, 87f.; Guštin 1996, 120ff.; Glunz 1997, 101ff.
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Abb. 9. Murska Sobota/Nova tabla. Umfassungsgraben 1 (OJ 1) mit Pfostenlöchern in den Grabenenden
ßen sich an keiner Stelle gewinnen, zu sehr ist das heutige Gelände bereits durch extensive landwirtschaftliche Nutzung überprägt, so daß keine originalen Oberflächen mehr vorhanden waren. Bereits die intensiv durchgeführte jahrelange Luftbildprospektion des Prekmurjegebietes durch Branko Kerman, Pokrajinski muzej Murska Sobota, konnte eine große Anzahl von zumeist runden, teilweise aber auch quadratischen Grabenanlagen unterschiedlicher Größe registrieren (Kerman 1999, 333ff.; 2001, 129ff.). Auch läßt sich auf diesen Luftbildern die Tendenz zur Gruppenbildung bzw. Agglomeration zu unterschiedlichst ausgeführten Komplexen erkennen, mitunter überrascht die erstaunlich lineare Ausrichtung derartiger, oftmals quadratischer Umfassungsgräben bzw. Komplexe, so daß über ihre Lagebeziehung zu Altwegen etc. gemutmaßt werden kann. Nach der Ergrabung einiger derartiger Objekte wird man die luftbildprospektierten Grabenanlagen zum Teil wohl ebenfalls als hallstattzeitliche Grabbauten ansprechen können19. Grundsätzlich ließen sich aufgrund der Ausgrabungen in Nova tabla drei Arten derartiger „Architektur“ unterscheiden (Abb. 7): – Runde Umfassungsgräben bzw. Kreisgräben – Rechteckige oder quadratische Umfassungsgräben – Steinkreise 19
Natürlich muß hier vor der Untersuchung einer größeren Zahl von solchen zumeist als Cropmarks beobachtbaren Kreis- und Rechteckgräben die Möglichkeit der Deutung als Materialentnahmegräben von römisch-kaiserzeitlichen (sog. norisch-pannonischen) oder noch älteren prähistorischen Hügelgräbern ebenfalls ins Kalkül gezogen werden. Ob man hierbei sogar mit frühlatènezeitlichen „Grabgärtchen“ zu rechnen hat, kann mangels entsprechender Funde im Arbeitsgebiet nicht beurteilt werden.
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Abb. 10. Murska Sobota/Nova tabla. Umfassungsgräben 8 und 11
Von den 16 Umfassungsgräben hatten zehn einen runden, fünf einen rechteckigen und ein Graben einen geschlossenen quadratischen Grundriß. Die Durchmesser der Gräben bewegen sich zwischen 8 m und 14 m, sie waren durchgehend rund 1,0 m bis 1,5 m breit, hatten einen leicht wannenförmigen Querschnitt und unterschiedlich erhaltene Tiefen. Diese schwankten je nach Erhaltungszustand zwischen 0,2 m und 0,8 m gemessen ab der Humusunterkante, stellen somit also in keinem Fall absolute Grabentiefen dar. Mitunter ließen sich innerhalb solcher Sohlgräben zusätzliche grubenartige Vertiefungen feststellen, die zumeist auch Keramikfunde enthielten. Überhaupt ließ sich Keramik in sämtlichen Umfassungsgräben feststellen, wobei sich regelmäßig gewisse Konzentrationen in den „Eingangsbereichen“ bzw. den unterbrochenen Bereichen beobachten ließen20. Ein Kreisgraben wies in den beiden, solch einen Eingangsbereich flankierenden Grabenenden, jeweils ein Pfostenloch auf, was die Existenz eines wie auch immer gearteten Tores oder Durchganges – zumindest aber einer Markierung – in Betracht kommen läßt. Bis auf einen Umfassungsgraben verfügten alle über klar definierte Unterbrechungen bzw. Eingänge, wobei diese bei den rechteckigen Gräben relativ genau nach Norden, Süden, Osten und Westen orientiert sind, während die Kreisgräben nach Süden, Osten und Nordwesten hin geöffnet sind. Im Gegensatz zu den runden Gräben, die tendenziell eher isoliert liegen, zeigen die rechteckigen Gräben Vorliebe zur Agglomeration. So läßt sich dies am besten im zentralen größten Gräberfeld ablesen, bei dem vier rechteckige Gräben zu einem größeren „Grabenkomplex“ zusammengehängt wurden21. Hier war es stratigraphisch nachzuvollziehen, daß ausgehend vom 20
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Ein Phänomen, das sich beispielsweise auch in einem derartigen Kreisgraben in Mannersdorf an der March/Niederösterreich nachweisen ließ, wo diese Befunde als „Opfergaben“ gedeutet werden. Dazu Lauermann 1997, 162. Auch im Gräberfeld im burgenländischen Loretto läßt sich diese Beobachtung machen. Neben einzelnliegenden Kreisgräben liegt hier einmal die Situation vor, daß zwei rechteckige
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südwestlichen Rechteckgraben die übrigen drei Gräben sukzessive angebaut worden waren. Während es nicht schwerfällt, sich innerhalb der Kreisgräben Hügelaufschüttungen aus dem Grabenaushubmaterial vorzustellen, so läßt sich dieser Gedanke bei den rechteckigen Umfassungsgräben doch wesentlich schwerer nachvollziehen. Darüber hinaus stellt auch das Fehlen von Gräbern in drei der Kreisgräben – bezeichnenderweise auch in dem am besten und tiefsten erhaltenen – ein interpretatorisches Problem dar. Hier wäre es natürlich durchaus denkbar, daß einstmals vorhandene – höherliegende – Gräber samt dem Hügel wegplaniert worden sind, während andere tieferliegende Gräber derartige landwirtschaftliche Destruktionen überstanden haben22. Theoretisch denkbar wäre auch eine Funktion der Umfassungsgräben als eine Art „Grabgärtchen“, wie sie aus späteren Perioden gut bekannt sind23, wobei dann allerdings für ihre üppigen Dimensionen eine Erklärung gesucht werden müßte. Hierfür könnte jedoch sprechen, daß in keinem einzigen Graben eine mehrschichtige Verfüllstruktur bzw. Sedimentationsstruktur erkennbar war, die man eigentlich bei Aberosion eines innenliegenden Grabhügels erwarten dürfte, vielmehr erscheint das Füllmaterial farblich und von seiner Konsistenz her homogen. Eine weitere Interpretationsvariante schließt die Existenz ehemaliger Hügelaufschüttungen aus. Man hätte es dann vielmehr mit Umfassungsgräben oder Abgrenzungen einer bestimmten kleinen Fläche zu tun, die teilweise zur Bestattung genutzt worden waren, aber möglicherweise auch anderen Zwekken dienten, die jedoch im engsten Umfeld mit dem Funeralwesen gesucht werden müßten. Spekuliert könnte auch darüber werden, ob die „leeren“ Kreisgräben nicht einfach noch nicht belegte oder benutzte „Grabparzellen“ markieren, möchte man nicht überhaupt an Kenotaphe denken.
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bzw. quadratische Umfassungsgräben aneinandergelegt worden sind. Vgl. dazu Nebelsick 1997 Abb. 12. Im direkt westlich anschließenden Autobahngrabungsabschnitt Kotare Krogi, der unter der Leitung von B. Kerman, Pokrajinski muzej Murska Sobota, ergraben wurde, konnte auch ein zusammenhängender Komplex von vier großen Kreisgräben untersucht werden, in deren Inneren ebenfalls keine Gräber gefunden werden konnten. Diesen Kreisgräben kann besonders deshalb erhebliche Relevanz zugemessen werden, da B. Kerman eine Luftaufnahme dieses Bereiches veröffentlichte, auf der im Zentrum der Kreise deutliche Verfärbungen erkennbar sind, die einen Hinweis auf die Existenz ehemaliger Gräber liefern könnten, die der landwirtschaftlichen Nutzung zum Opfer gefallen sind. Vgl. Kerman 2001, 130 mit Fig. 2. Man denke hierbei an die in der Folge noch behandelten frühlatènezeitlichen Grabgärtchen und an die zahllosen römischen kaiserzeitlichen Beispiele. Vgl. dazu z. B. die verschiedenartig konstruierten Grabgärtchen bzw. Umfassungsgräbchen in der ausgedehnten Nekropole von Wederath/Belginum (Haffner 1971; 1989, 80ff.; Cordie [in diesem Band]).
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Abb. 11. Murska Sobota/Nova tabla. Rechteckiger Grabenkomplex (OJ 6, 7, 9 und 10)
Tatsache ist auf jeden Fall, daß sich die Bestattungen im Zentrum der Umfassungsgräben hinsichtlich ihres „Beigabenreichtums“ um nichts von den anderen Gräbern unterscheiden, eine – wie auch immer geartete – soziale Staffelung oder Differenzierung ist aufgrund dessen jedenfalls nicht zu erkennen. Trotzdem muß erwähnt werden, daß sich innerhalb der Gräberfelder rund um diese Umfassungsgräben die einzelnen Gräbergruppen lose gruppieren, ohne das aber zusammengehörige „Einheiten“ erkennbar wären. Im engsten Kontext mit Kreisgräben und Rechteckgräben sind drei teilweise nur mehr rudimentär erhaltene Steinkreise zu sehen24. Der besterhaltene Kreis hatte einen Durchmesser von 7 m, bei den anderen beiden Kreisen fällt die Bestimmung ihrer Größe wegen des schlechten Erhaltungszustandes auf erhebliche Schwierigkeiten (vgl. dazu Abb. 7). Soweit ersichtlich ist der Durchmesser des zweiten Kreises sicher größer anzunehmen, mit 12 m oder 13 m darf auf jeden Fall spekuliert werden. Zur Errichtung des Steinkreises wurden kleine, bis zu faustgroße Schottersteine verwendet und relativ sorgfältig im Kreis gesetzt. Der besterhaltene Kreis scheint in Richtung Norden eine beabsichtigte Öffnung aufzuweisen, die zusätzlich mit einer Steinkonzentration gekennzeichnet war. Einzelne miteingefügte bzw. -eingebrachte hallstattzeitliche Scherben belegen zumindest das gleiche Erbauungsalter wie die übrigen Umfassungsgräben oder auch die Gräber. Der Zweck dieser Anlagen, die ebenfalls keine Gräber im Inneren aufweisen, liegt im dunkeln. Für 24
Steinkreise stellen an und für sich kein Novum in hallstattzeitlichen Gräberfeldern dar, allerdings fallen die Kreissetzungen aus Nova tabla durch ihre „kleinsteinige“ Konstruktion doch aus dem Rahmen des bisher Bekannten. Vgl. dazu die Steinkreise im Gräberfeld von Franzhausen bei Neugebauer 1997, 179ff. Abb. 72/3.
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sie kann nur das schon oben für die anderen Kreis- und Rechteckgräben vermutete angenommen werden. Es bleibt noch zu erwähnen, daß sich diese fast „filigranen“ Steinkreise nur in dem größten zentralen Gräberfeld nachweisen haben lassen25.
Diskussion Während diese Art hallstattzeitlicher „Sepukralarchitektur“ in Slowenien bislang praktisch unbekannt war, konnte sie weiter nördlich im Burgenland26, in Niederösterreich27, in der Slowakei und Süddeutschland (Bittel u. a. 1981, 118ff.) bzw. dem Westhallstattkreis bis hin in die Lausitz28 und nach Mähren29 bereits mehrmals festgestellt werden. So weist beispielsweise das Gräberfeld von Loretto im Burgenland (Österreich) neben einem Kreisgraben fünf rechteckige Grabenanlagen auf, von denen zwei miteinander verbunden waren. Aber auch hier waren nicht in jedem Komplex Gräber vorhanden (Nebelsick 1997 Abb. 12). Kreisgräben, rechteckige Gräben und auch Steinkreise haben die beiden niederösterreichischen Gräberfelder in Franzhausen und Reichersdorf geliefert30. Hier äußert der Ausgräber J.-W. Neugebauer (1997, 187) die Vermutung, daß innerhalb derartiger Konstruktionen kleine – heute weggeackerte oder planierte – Grabhügel angelegt waren. Wesentlich häufiger ist die Sitte, Grabhügel mit Steinkreisen einzufassen, im Westhallstattkreis zu beobachten31, wobei die beachtliche Größe der verwendeten Steine schwerlich mit den kleinen Rollsteinen unserer Steinkreise in Nova tabla vergleichbar ist, die eher den Eindruck einer „symbolischen“ Umfassung vermitteln.
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Allerdings muß hier angemerkt werden, daß diese Steinkreise durch spätere römisch-kaiserzeitliche Überbauung stark in Mitleidenschaft gezogen worden sind. Vereinzelte hallstattzeitliche Funde, die auf die Existenz ehemaliger Gräber innerhalb der Steinkreise hinweisen könnten, liegen aus diesem Bereich vor. Loretto: Ohrenberger 1951–55, 58ff.; 1956–60, 63f.; Nebelsick 1996 Abb. 6; 1997 Abb. 12. Franzhausen: z. B. Neugebauer 1996b, 379ff. – Reichersdorf: Neugebauer u. a. 1994, 300ff. – Hohenau: Neugebauer 1988, 86ff. – Mannersdorf: Neugebauer 1979, 11ff. Griesa 1999, 94 mit Abb. 76: „Neben diesen nicht überhügelten Grabbauten bestanden runde oder ovale Gräber mit Pfostenstellungen sowie solche mit Kreisgräben und Pfostensetzungen (…). Wie diese aufwendige Grabarchitektur obertägig aussah, ist nach den bisherigen Funden nicht zu erschließen.“ Beispielsweise im Gräberfeld im Moraviµani, Bezirk Šumperk, wo mehrere Kammergräber über Umfassungskreisgräben verfügten, die allerdings etwas kleiner dimensioniert waren. Vgl. dazu Nekvasil 1974, 303 mit Abb. 26. Franzhausen: z. B. Neugebauer 1996b, 379ff. – Reichersdorf: Neugebauer u. a. 1994, 300ff. So z. B. Beilingen (Kreis Bitburg), Hügel 18: Haffner 1976, 269ff. Abb. 90.
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Auch das Phänomen von runden und quadratischen Umfassungs- bzw. Materialentnahmegräben ist im Westen nichts unbekanntes. Als Beispiele seien hier die (Hügel-)Gräber von Hoppstädten, Kreis Birkenfeld (Hügel 4; Haffner 1976, 255ff. Abb. 76), Rückweiler, Kreis Birkenfeld (Hügel 8; a.a.O. 260ff. Abb. 87), Bassenheim, Kreis Koblenz (Hügel 11; Joachim 1968, 45), und Peffingen, Kreis Bitburg (Hügel 7; Haffner 1976, 283ff. Abb. 98), mit runden bzw. leicht ovalen Umfassungsgräben erwähnt. Quadratische Gräben liegen uns beispielsweise aus Hügel 1 von Schleidweiler-Rodt, Kreis Trier (a.a.O. 388ff. Abb. 156), und aus Hügel 2 in Wadern-Gehweiler „Preußenkopf“, Kreis Merzig-Wadern32, vor. Von Interesse hierbei ist, daß das quadratische Gräbchen, jeweils ohne Unterbrechung bzw. Durchgang, im Falle von Wadern-Gehweiler den einstigen Hügel umfaßte (Rieckhoff/Biel 2001, 480), während es in Schleidweiler-Rodt deutlich im Zentrum des Hügels lag und somit von der Aufschüttung überdeckt und nicht sichtbar war (Haffner 1976, 390 mit Abb. 156). Anders können im Gegensatz dazu Befunde aus Hohenau (Neugebauer 1988, 86ff.; Lauermann 1997, 158ff.) und Mannersdorf an der March (Niederösterreich) (Neugebauer 1979, 11ff.; Lauermann 1997, 162ff.) gesehen werden. Hier ließen sich im Bereich hallstattzeitlicher Nekropolen größere Kreisgräben feststellen, in deren umfaßtem Bereich Gebäudereste vorhanden waren, die von den Ausgräbern als eine mögliche Art von „Funeralbau“ gedeutet werden, die von dem „in unmittelbaren Umkreis bestattenden Familienverband als „Friedhofsheiligtum“ benützt wurde (Neugebauer 1988, 86ff.; Nebelsick 1997, 63). Vergleichbare Anlagen dazu lassen sich beispielsweise auch in Süddeutschland finden, wo J. Biel bei Heidenheim-Schnaitheim (Baden-Württemberg) im Bereich eines hallstattzeitlichen Gräberfeldes bzw. richtiggehend integriert in Selbiges eine Kreisgrabenanlage ergraben konnte, in deren Innerem sich ein Steinkreis befand (Biel 1977, 39ff.; Bittel u. a. 1981, 127ff. Abb. 58). Auch hier wird von Biel die Möglichkeit einer „Kultanlage“ in Erwägung gezogen, die in engstem Zusammenhang mit den umliegenden Gräbern zu sehen ist. Eine ähnliche Deutung erfährt auch eine Kreisgrabenanlage in Treffensbuch (Baden-Württemberg), bei der im Inneren Pfostenlöcher kreisförmig angeordnet waren (Bittel u. a. 1981, 130 Abb. 59). 32
Rieckhoff/Biel 2001, 481 mit Abb. und 480: „(…) 60 m nördlich wurde bei systematischer Flächenabdeckung eines ebenfalls eingeebneten Grabhügels (Hügel 2) mit aufwendiger Sepukralarchitektur ein weiteres Körpergrab entdeckt. Es lag im Zentrum einer entsprechend den Himmelsrichtungen orientierten, quadratischen Grabenanlage von 8 m Seitenlänge, die einen durch Ackerbau eingeebneten Grabhügel umgab. Etwa 0,70 m außerhalb dieses ca. 1,20 m breiten und noch 0,40 m tiefen Grabens wurden von den Ecken ausgehend rundum in einem regelmäßigen Abstand von 2 m zueinander kleine Gruben festgestellt. Die dienten außerhalb des Grabens als weitere Hügeleinfassung zur Aufnahme von Holzpfosten (…)“.
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Abb. 12. Murska Sobota/Nova tabla. Steinkreis 1 (KK 1) mit Störungen durch römerzeitliche Überbauung
Faßt man die bisherigen Ergebnisse bezüglich dieser hallstattzeitlichen Kreisgräben (und auch Rechteckgräben und Steinkreise) zusammen, so läßt sich sowohl die Interpretationsmöglichkeit als „Funeralkultanlage“ wie auch als Umfassung oder als Materialentnahmegraben ehemaliger Grabhügel in Betracht ziehen. Nach einer scheinbaren Aufgabe am Ende der Hallstattzeit erfährt die Einfassung von Gräbern mit runden oder quadratischen Umfassungsgräben bzw. -gräbchen in der Frühlatènezeit eine erneute Wiederbelebung. Diese „Grabgärtchen“ stellen in kürzester Zeit einen weitverbreiteten Brauch in der Frühlatènezeit dar und lassen sich von Frankreich bis in die Slowakei und nach Ungarn nachweisen. Mehrere neuergrabene Frühlatènegräberfelder mit Kreis- und Rechteckgräben liegen beispielsweise im niederösterreichischen Traisental (Pottenbrunn, Herzogenburg-Kalkofen, Ossarn, Franzhausen und Inzersdorf). Zu diesem Phänomen bemerkt der Ausgräber J.-W. Neugebauer (1994, 29) folgendes: „(…) Dieses erinnert an die im gesamten Latènebereich auftretenden Grabgärten, deren ursprüngliche Funktion rege diskutiert wird. Es steht zwar außer Zweifel, daß in ihrem Zentrum vornehmlich Bestattungen sozial höhergestellter Personen (Waffenträger, Frauen und auch Subadulte mit reichen Schmuckausstattungen etc.) auftreten (…). Ob sie jedoch nur die Fundamentgräbchen
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von Umhegungen der Grabbezirke oder von Holzeinfassungen pyramiden(stumpf)förmiger Hügel (…) gewesen sind, ist nicht zu entscheiden, da beide Möglichkeiten denkbar sind und es für sie auch Anhaltspunkte gibt. Wenngleich man geneigt ist, in den kreisförmigen Anlagen eher Reste von Tumuli zu sehen und auch der Befund von Katzelsdorf für ein Vorhandensein von Schüttungen spricht, so scheinen die Ergebnisse von Pottenbrunn eher das Gegenteil anzudeuten: zusammengewachsene Grabgärten mit Unterbrechungen (Zugänge oder Verbindungswege), doppelte Quadrate mit Pfosten in den Ecken, Vierer- oder Sechserpfostensetzungen (Fundamentgruben der Steher von oberirdischen Bauten, eventuell Totenhäusern; […]). (…) Die bereits ab der Urnenfelderkultur zu beobachtende Sitte, Grabgärten anzulegen (…), wurde über die Hallstatt- und Latènekultur bis in die ältere römische Kaiserzeit weitergeführt (…)“. Besonders prägnant stellt sich die Situation in dem frühlatènezeitlichem Gräberfeld von Inzersdorf ob der Traisen dar, wo fünf quadratische und vier runde „Grabgärten“ untersucht werden konnten, die teilweise zusammengewachsen waren. Auch hier stellt J.-W. Neugebauer (1996a, 130) folgendes fest: „Wenngleich einerseits Hinweise existieren, daß kreisförmige Grabgärten die Fundamentgräben von Einfassungen von erodierten ehemaligen Grabhügeln darstellen könnten (…), scheint diese Interpretationsmöglichkeit bei den vorliegenden achterförmigen Gebilden samt Anhang und gesüdeten Zugängen (…) doch eher nicht in Frage zu kommen. Diese Zweigesichtigkeit ist ebenso bei den Quadraten gegeben. So wurden von R. Christlein und O. Braasch (1982, 93 Abb. 91) die quadratischen Anlagen als Fundamentgräben von Holzeinfassungen pyramiden(stumpf)förmiger Erdschüttungen gedeutet, was bei oftmals zusammengewachsenen, ja sogar doppelten Systemen im Zusammenhang mit Zugängen und Pfostensetzungen wiederum kaum möglich erscheint (…). Was daraus folgt, ist, daß hinter der Sitte, Grabanlagen unterschiedlicher Größe, Zahl und Form um die Gräber auch heilige Bezirke zu errichten, eher eine sehr komplexe Vorstellungswelt steht, die im weitesten Sinne gedankliche Gemeinsamkeiten von umgrenzten Hügelschüttungen und Einhegungen von Grabund Kultbezirken über längere Zeit nicht unmöglich erscheinen läßt (…). Gesichert ist funktional, daß es sich bei den ‚Grabgärten’ um Fundamentgräbchen von Holz- und Steinbegrenzungen oder -einfassungen von Grabhügeln oder Grabarealen handelt. Daß sie sich innerhalb der Nekropolen eher bei Bestattungen sozial Höhergestellter finden, ist weitgehend unbestritten; hinzu kommt eine kultisch-magische Verknüpfung im Sinne einer Abgrenzung von profanem und dem Toten vorbehaltenem Areal (…)“. Im Unterschied zu den vorhergehenden hallstattzeitlichen Umfassungsgräben umgeben die frühlatènezeitlichen „Grabgärtchen“ in der Regel die Gräber
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sozial höherstehender Personen bzw. zeichnen sich durch überdurchschnittlich ausgestattete Grabinventare aus, was sowohl für Männer- als auch für Frauenbestattungen gilt. Unsere hallstattzeitlichen Gräberfelder in Nova tabla stellen hingegen gute Beispiele dafür dar, daß weder eine durch Beigaben greifbare soziale, noch eine geschlechtsspezifische Trennung in dem Brauch, Gräber mit Umfassungsgräben abzusondern bzw. abzugrenzen, integriert ist.
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Abbildungsnachweis Abb. 1: Nach Gabrovec 1966, ergänzt. Abb. 2–7; 9–12: G. Tiefengraber, Graz. Abb. 8: Aufnahme B. Kerman, 9. 6. 1998.
Anschrift des Verfassers: Mag. phil. Georg Tiefengraber Eichenweg 19/E/2 A-8042 Graz-St. Peter Österreich
Studien zur Lebenswelt der Eisenzeit. RGA-E Band 40 – Seiten 235–249 © Copyright 2006 Walter de Gruyter · Berlin · New York
Anmerkungen zum frühlatènezeitlichen Prunkgrab 2 von Schwarzenbach1 von Hans Nortmann Einführung Eine prägende Eigenart der Eisenzeit im südlichen Mitteleuropa ist die Begegnung und Auseinandersetzung mit mediterraner Kultur. Die Verarbeitung dieser Begegnung in den neuartigen Ausdrucksformen des Latènestils gehört sicherlich zu den bemerkenswerten Folgen dieses Prozesses. Das südliche Rheinland und angrenzende Gebiete weisen nun nicht nur hochrangige Zeugnisse dieses Stils auf, sondern kombinieren sie oft auch mit jenen mediterranen Originalen, die als fremdartige Vorbilder die Anregungen zu eigenständigen Schöpfungen gaben (Haffner 1976; 1992; Echt 1999). Zwei solcher Ensembles liegen in der bekannten Prunkgräbergruppe von Schwarzenbach im südwestlichen Hunsrück vor (Haffner 1976, 200ff. Nr. 15; Echt 1999, 303f. Nr. 41– 42). 1849 wurden in „100 Schritt“ Abstand zwei stark verschliffene Großhügel mit reichen Zentralbestattungen von Kriegern geöffnet. Beide Inventare, nur unvollständig überliefert, zeichnen sich durch etruskische Importe und qualitätvolle Goldarbeiten aus. Hier sollen die drei erhaltenen bzw. beurteilbaren Objekte des Grabes 2 noch einmal näher betrachtet werden, die bronzene Siebkelle, die Schnabelkanne und der Goldarmring. Im Kleinen, zumindest teilweise auch in einem lokalen Ablauf, demonstrieren diese Objekte die Spannbreite des kulturellen Geschehens zwischen Begegnung und Reaktion. Im Detail offenbaren sie sich als immer noch unzulänglich erfaßte Altfunde.
Das Sieb Neben den Kannen (zu den etruskischen Schnabelkannen: Jacobsthal/Langsdorff 1929; Vorlauf 1997; technische Aspekte: Born 1992; Eiden 1995; zu keltischen Kannen: Pauli 1978; Kimmig 1988, 87ff.; Megaw/Megaw 1990; Joa1
Manuskriptabschluß: Herbst 2001.
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Abb. 1. Schwarzenbach, Hügel 2. Bronzesiebkelle. Länge des Balkens 2 cm
chim 1995, 38ff.; Frey/Herrmann 1997, 507ff.; Echt 1999, 115ff.) sind Siebe die einzige Gattung etruskischer Bronzegefäße, die im frühlatènezeitlichen Milieu (für die Späthallstattzeit vgl. Krauße 1996) nicht nur importiert, sondern mehrfach nachgeschaffen wurden (dazu kommt als Einzelstück die Feldflasche vom Dürrnberg: Penninger 1972; Nortmann 2001; zur durchgängigen Bestimmung der rheinischen Situlen als Import: Nortmann 1998). Wohl nicht zufällig handelt es sich dabei um auffällige Repräsentanten eines fremden Tafelluxus, die bis dahin zumindest im westlichen Mitteleuropa nicht erkennbar benötigt wurden, jetzt aber die offensichtlich gesuchte Annäherung an den Süden demonstrieren sollten. Bei den Sieben besteht sogar der Eindruck einer reinen Imitationsgeste, war doch das eigentlich zugeordnete Getränk Wein kaum verfügbar, jedenfalls nicht in jener Menge, die eine Kennerschaft und Würdigung ordentlichen Dekantierens2 hervorgebracht haben könnte. Die Herkunft der lange in Privatbesitz befindlichen Siebkelle (Haffner 1976, 15 Taf. 9, 3; 151, 3; Geiß-Dreier 1992 Abb. 5–6) (Abb. 1) aus Hügel 2 ist nicht völlig gesichert. Es könnte sich aber um den im Grabungsbericht erwähnten „Deckel“ der Schnabelkanne handeln. Die hilfsweise zur Klärung herangezogene Patina ist durch eine unsachgemäße elektrolytische Reinigung nicht mehr beurteilbar. Die in einem Stück gefertigte Siebkelle mit flachem Stiel und Aufhängering entspricht im wesentlichen zeitgleichen Pfannen bzw. Paterae (Schumacher 1890, 90f.; 92ff. Taf. 12,1–17; Babelon/Blanchet 1895, 577ff.; 2
Wie sich Verfasser durch Zufall bei einem Frankreichbesuch 2001 überzeugen konnte, sind Siebtrichter aus Zinn dort noch im Handel, offenbar im Umfeld eines gehobenen Lebensstiles zum Dekantieren bestimmt. Welche Funktion diese Siebtrichter erfüllen, konnte die Nachfrage bei einem Besitzer dieses Gerätes nicht klären. Das im Rotwein zuweilen enthaltene Depot wird damit jedenfalls nicht abgefiltert.
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Lamb 1929, 131; Hayes 1984, 31ff. Nr. 36, allerdings zweiteilig). Die Siebschale ist aus einer Scheibe aufgetieft, deren ursprünglicher Rand als verdickte Kante erhalten ist. Der Siebkreis aus 14 annähernd konzentrischen Bohrreihen zeigt eine sparsame Verzierung mit zirkelgeometrisch ausgespartem Blütenstern. Von zwei gravierten, durch Kreispunzen ergänzten Lotusblüten am Griff sitzt die eine Blüte einer Girlande oder Blattkontur aus einer gepunzten Kerbleiste auf. Antithetische Wasservögelköpfe mit Kreisaugen bilden den Abschluß am Aufhängering des Griffes. Es handelt sich um die bislang einzige etruskische Siebkelle aus dem nordalpinen Raum. Aus dem Wagengrab mit italischem Import von Pernant (Aisne) stammt zwar ein durch die einteilige Siebschale entfernt vergleichbares Fragment3. Das flache Bronzebecken mit zentraler Siebzone, umgeschlagenem Rand und angenietetem Blechgriff gehört aber technisch wie gestalterisch in einen anderen Zusammenhang, zumindest zu einem anderen Typ. Die etruskischen Gegenstücke zur Siebkelle von Schwarzenbach4 sind offenbar noch nicht zusammengestellt worden. W. Dehn (1970) hat den drei nordalpin-frühlatènezeitlichen Siebtrichtern heimischer Fertigung von Hallstatt, Hoppstädten (Hunsrück) und aus dem Marnegebiet (Dehn 1970, 74ff. Abb. 2 Taf. 76–77; Haffner 1976 Taf. 3, 2; Megaw u. a. 1992; Jacobsthal 1944 Taf. 202,400; Megaw/Megaw 1989, 121 Abb. 176; zu infundibula vgl. zuletzt Schindler 1998, 80ff.) etruskische infundibula mit Klappvorrichtung und langem Stabgriff (Zuffa 1960) als Vorbilder gegenübergestellt. Das dürfte konkret ebensowenig zutreffen, wie die Schwarzenbacher Siebkelle trotz funktionaler und gestalterischer Ähnlichkeiten Prototyp für die Latèneprodukte ist. Die nordalpinen Siebtrichter sind mit einem separaten, fest eingesetzten Sieb mehrteilig gefertigt, besitzen ein in der Siebzone ausgespartes Muster und eine kurze Handhabe. Das Exemplar aus Hoppstädten zeigt darüber hinaus einen breit ausgelegten Rand und einen gegliederten Körper. All dies über einen weiten Raum verteilt legt doch stark konkrete, importierte Vorlagen nahe, die den Nachbildungen näherstehen, bisher aber
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Joffroy 1963 Abb. 6–7. – Lobjois 1969 Taf. 96. Ob Import oder einheimische Fertigung in Betracht kommt, wäre durch Autopsie zu prüfen. Zum Grabinventar gehört eine lombardischtessinische Situla. Im gleichen Ursprungsgebiet wären angenietete Blechgriffe wie an der Siebschale durchaus zu erwarten (vgl. z. B. Frey 1969 Taf. 20,1; 22,26–27; 25,11; 31,15–16.27–30; 32,5–8; Kellner 1978 Taf. 10,4–5; 25,18; 27,42–43; De Marinis 2000 Abb. 19). Vgl. Schumacher 1890, 92ff. Nr. 498–499 Taf. 12,9–10.13–14; Babelon/Blanchet 1895, 580 Nr. 1431–1432. Die sehr enge Parallele aus Paris unterscheidet sich nur durch eine zusätzliche Kopfdarstellung am Griffansatz. Alle genannten Stücke weisen eine ornamentale Lochung auf (vgl. auch Montelius 1895, 486 Taf. 104, 4; Lucke/Frey 1962, 59 Nr. 3 Taf. 12; vgl. ferner die Pfannengriffe bei Schumacher 1890 Taf. 12,7–8; Montelius 1895, 486 Taf. 104,4; Lucke/Frey 1962, 59 Nr. 3 Taf. 12; Jacobsthal/Langsdorff 1929 Taf. 28c; 30b–c; Baumgärtel 1937 Taf. 30, 3; Hayes 1984, 31ff. Nr. 36).
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mit einer möglichen Ausnahme noch nicht angetroffen wurden. Im Prunkgrab von Rodenbach (Pfalz) (Lindenschmit 1881 Taf. 3,6) liegt der Ringgriff einer etruskischen Patera mit breitem Horizontalrand vor. Nach etwas jüngeren Exemplaren aus Fillotrano (Picenum) könnte es sich aber auch um einen in den Grundzügen gleichartigen Siebtrichter handeln (Hayes 1984, 33ff. Nr. 38–40; Baumgärtel 1937, 256ff. Taf. 24,3–5; Dehn 1970). Gefäßaufbau, eingelegtes Sieb, Horizontalrand, separat eingesetzte Trichtertülle und übrigens auch die reiche Verzierung entsprechen im wesentlichen dem Siebtrichter von Hoppstädten. Die in Fillotrano fehlende Zierlochung wird durch andere etruskische Siebe wie das von Schwarzenbach ausreichend als Regel bezeugt. Daß der mit Einzelniet und zusätzlich durch Lötung fixierte Ringgriff bei der keltischen Nachschöpfung durch genietete Bandhenkelattaschen ersetzt wurde, dürfte dem unterschiedlichen technischen Standard zuzuschreiben sein.
Die Kanne Die etruskischen Bronzeschnabelkannen sind die häufigsten Importobjekte in frühlatènezeitlichen Gräbern Mitteleuropas (Vorlauf 1997). Die Schwarzenbacher Kanne (Haffner 1976 Taf. 9, 2; 147–150; 151, 1; Born 1992, 80ff. Abb. 23; Jacobsthal/Langsdorff 1929, 26; 49; 63 Taf. 11,113; Bouloumié 1973, 188; 249; Vorlauf 1997, 110f. Kat. 26 Nr. 26 Taf. 4; Echt 1999, 303f. Nr. 42) (Abb. 2–3) ist eine Sonderform, da sie aus drei nicht von vorneherein zusammengehörigen Teilen zusammenmontiert wurde: Der aus einem Stück getriebene, achssymmetrische Körper eines henkellosen, stamnosartigen Gefäßes (Shefton 1988, 106 Anm. 10; Hayes 1984, 23ff. Nr. 28) besitzt einen umgeschlagenen Rand mit dreifacher Perlstabverzierung. Die geringe Größe und besonders der relativ hohe Hals sprechen gegen die Zuweisung zu den etruskischen Stamnoi, wie sie mehrfach zum frühlatènezeitlichen Importgut gehören5, oder zu den kleineren Stamnossitulen (De Marinis 1981, 207ff.; Schindler 1998, 69ff.). Der originale Henkel einer etruskischen Epheben- oder Kouroskanne (zu diesem Henkelmotiv Weber 1983, 72ff.; 289ff.; Bouloumié 1973, 249) besitzt ungewöhnlich reichen plastischen Zierat. Vom Henkel in Form eines nackten Jünglings vermitteln auf den Bügelarmen Verbindungsstücke mit beidseitigen 5
Zu den Stamnoi Shefton 1988. Mit einer H. von 25,7 cm liegt Schwarzenbach weit unter dem unteren Grenzwert sowie Durchschnittswert (40 cm) der Stamnoi, mit einer Halshöhe von 20 % der Gesamthöhe deutlich darüber. Mit 56 % des Bauchdm. liegt der Halsdm. noch im Streubereich der Stamnoi. Echt 1999, 303 Nr. 42 denkt an eine Hydria. – Hinweise auf ehemalige Henkel liegen – jedenfalls ohne nähere Untersuchung – nicht vor.
Anmerkungen zum frühlatènezeitlichen Prunkgrab 2 von Schwarzenbach
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Abb. 2. Schwarzenbach, Hügel 2. Bronzeschnabelkanne. Länge des Balkens 2 cm
Zierfriesen nach Art des laufenden Hundes zu hockenden Löwen vor abschließenden Knospen6. Über dem nach unten abschließenden Ranken- und Palmettendekor umgreifen zwei gegenüberstehende Kämpfer mit erhobener Waffe mit der anderen Hand die Hörner eines Rinderkopfes7. Haarschopf und Löwenmähne zeigen eine feinere Überarbeitung mit dem Stichel. Der Henkel wird nur durch zwei Niete in Haarschopf und Palmette gehalten. Die üblichen Nietpositionen in den Henkelarmen sind nicht erkennbar oder wurden bei der sekundären Anbringung jedenfalls nicht wieder genutzt8. Auch die unzulängliche Anpassung der ursprünglich für einen etwas geringeren Mündungsdurchmesser bestimmten Arme am Rand geht auf die Umnutzung zurück. Die relativ seltene figürliche Henkelgestaltung, die eine Paral-
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Eine Knospe ist abgebrochen. Der deutliche abgesetzte Knospenansatz ging nach Fotovergleich bei der Restaurierung verloren. Die abgebrochene Waffe des linken Kämpfers ist auf älteren Fotos noch erhalten und entspricht im Umriß dem Schwert rechts. Nach Babelon/Blanchet 1895, 240f. Nr. 579–580 dürfte es sich bei der Schwertkämpferin im langen Gewand und dem Keulenträger (?) im Schurz um Athene und Herakles handeln. Die wohl beste Parallele des Attaschenmotivs weist der Henkel einer Ephebenkanne in Rom auf. Die Kämpfer flankieren hier allerdings eine liegende Hirschkuh (?) (Martha 1889 Abb. 348). Die Niete saßen wohl in den Knospenenden, die einerseits abgebrochen, andererseits stark überrestauriert sind.
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Abb. 3. Schwarzenbach, Hügel 2. Attasche der Bronzeschnabelkanne. Länge des Balkens 2 cm
lele in ursprünglicher Position an der Schnabelkanne im Prunkgrab von Bad Dürkheim (Pfalz) findet (Lindenschmit 1870 Taf. 2, 13; Jacobsthal/Langsdorff 1929, 22; 49; 63f. Taf. 12; Bouloumié 1973, 177; Weber 1983, 73; 295 IDEtr. D.7; Vorlauf 1997, 110f. Kat. 12 f. Nr. 5 Taf. 1,5), wurde mit einer Werkstatt in Vulci in Verbindung gebracht. Rand und Hals besitzen einen sekundären U-förmigen Ausschnitt. Darauf ist außen ein im Gußverfahren maßgenau vorgefertigter Ausguß aufgesetzt worden. Er wird unten und seitlich durch drei Niete fixiert, von denen der Halsniet jetzt fehlt. Eine mitgegossene Rippe schließt sauber an die abgeschnittene Blechkante an. Abgesehen von dem scharfen Grat am unteren Ansatz bildet der gegossene Einsatz den getriebenen Schnabel einer etruskischen Kanne insgesamt massiver, aber recht genau nach, einschließlich nach unten abwinkelnder Kante. Die Herstellung des Einsatzes über ein angepaßtes Wachsmodell im Ausschmelzverfahren ist leicht nachvollziehbar und wurde in Mitteleuropa zweifellos beherrscht. Dort dürfte diese Zutat auch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entstanden sein. Jedenfalls ist kaum vorstellbar, daß dieses Verfahren zur Umgestaltung des Gefäßkörpers im Produktionsgebiet des Originalgefäßes angewandt wurde, wo man mit toreutischen Techniken bestens vertraut war und Güsse nur für den Stand- und
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Trageapparat von Gefäßen einsetzte. Entgegen Born (1992, 81) darf bezweifelt werden, daß auch eine antike Lötverbindung vorliegt. Die sekundäre Umgestaltung kann nicht als einfache Reparatur aufgefaßt werden, sondern entspringt ganz offensichtlich dem Wunsch, gerade eine Schnabelkanne zu besitzen. Bekanntlich liegt in Weiskirchen, unweit Schwarzenbach, schon eine solche Umwandlung vor (Haffner 1976, 217ff. Nr. 21 Taf. 13, 9; 1985), deren Motive oben bereits genannt wurden und ebenfalls das keltische Importgebiet als „Tatort“ nahelegen. Beide Fälle ergeben aber den eigenartigen Befund, daß für diese Umwandlung eine vorhandene Schnabelkanne ausgeschlachtet werden mußte. Man kann es aber auch anders formulieren und darin vielleicht eine Erklärung finden: Dem Henkelapparat zweier Kannen sind nach Verlust der zugehörigen Gefäße zwei neue Körper angepaßt worden. Wie es zu solch einem Verlust kommen konnte, bleibt freilich offen. Im Gegensatz zu den Situlen (Nortmann 1999, 99ff.) sind Schnabelkannen nämlich sonst anscheinend nicht reparaturbedürftig geworden. Auch würde man dann analog zu den Situlen auch eher intensive Flickversuche erwarten9. Vielleicht ist es kein Zufall, daß es gerade die beiden gestalterisch aufwendigsten Henkel etruskischer Importkannen sind, die durch die Neumontage weiter in Nutzung gehalten werden sollten. Es wäre dann unabhängig von der Wirkungsgeschichte der Importe ein Hinweis, daß über die Gefäßfunktion hinaus gerade jene exotische Gestaltung besondere Wertschätzung genoß. Darüber hinaus scheint es so, daß für die Ersatzlösung ein gewisser Fundus an Toreutikerzeugnissen lokal verfügbar war. Er dürfte gut dem von A. Haffner (1993, 357) bei der Interpretation der Fundeinheit Weiskirchen erschlossenen „Hausschatz“ entsprechen, der nicht nur Materialreserve sondern auch Inspirationsquelle heimischer Kunsthandwerker ist.
Der Ring Das Original des aus Goldblech gearbeiteten Hohlringes ist seit 1945 in Berlin verschollen und heute am besten in einer qualitätvollen Galvanokopie (Abb. 4) beurteilbar (Haffner 1976, 201 Taf. 9, 1; 151, 2; Jacobsthal 1944, 171 Nr. 58 Taf. 46, 58; Lindenschmit 1870 Taf. 1, 4). Als Goldring gehört er zu den Insignien frühlatènezeitlicher Prunkgräber (Echt 1999, 255ff.). Es handelt sich dabei um eine Variante des bekannten frühlatènezeitlichen Typs Dreiknotenring (Joachim 1992). Bei etwa 5 % der Lt A-zeitlichen Exemplare sind die übli9
Solange die Ursache des Verlustes nicht feststeht, kann natürlich auch nicht auf eine verlängerte Nutzungsdauer zwischen Import und Deponierung im Grab spekuliert werden.
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Abb. 4. Schwarzenbach, Hügel 2. Goldarmring mit Detail in abgerollter Darstellung. Länge des Balkens 2 cm
chen gegliederten Ringknoten als gegenständige Masken ausgebildet (Joachim 1992 Abb. 9; Cordie-Hackenberg 1993 Taf. 100,7/1b–c; Maskenmotive sind nicht auf diesen Ringtyp beschränkt, vgl. dazu aus der Region Haffner 1976 Abb. 110,2; 112,2; 113,1–2; 115,2 Taf. 93,3–4; 115,10; Joachim 1968 Taf. 32, B1–3.C1; allgemein Megaw 1967; Echt 1999, 35ff. Abb. 4–5). Während die Bronzeringe jedoch nur stark schematisierte Gesichtsandeutungen bieten, zeigen der Goldring von Schwarzenbach und sein Gegenstück aus Bad Dürkheim (Lindenschmit 1870 Taf. 1, 2; Echt/Thiele 1994, 71ff. Abb. 21, 1; Megaw 1989 Abb. 78) eine differenziertere, in Plastizität und Details, wie der fein gestrichelten Haartracht, um einen gewissen Realismus bemühte Darstellung. Die fratzenhafte Übersteigerung des Ausdrucks und die Zerlegung des Bildes in geometrische Körper ist dabei am Ring von Schwarzenbach deutlich weiter vorangetrieben; die Maske besteht praktisch aus einem Arrangement von Kugelelementen (vgl. die sehr ähnliche Stilisierung am Attaschenkopf der Kleinaspergle-Kanne: Kimmig 1988 Taf. 9). Gemeinsam ist beiden Köpfen aber die unverkennbare Darstellung von Spitzohren. Sie legen es nahe, die Inspiration
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auf das konkrete Vorbild von Silensköpfen zu beziehen10. Die Gründe liegen auf der Hand: Eine zuvor praktisch bildlose Region nimmt im 5. Jahrhundert v. Chr. unter intensiver Bezugnahme auf mediterrane Vorlagen Anteil an der Ausgestaltung eines eigenen, bildführenden Stils. Entsprechende Vorlagen gelangten in größerer Anzahl in die Region. Für Gestaltungen, die sich nicht aus der unmittelbaren Anschauung erklären lassen, ist in einem solchen Umfeld legitimerweise nach einem mediterranen Vorbild zu suchen. Unter den bekannten, meist etruskischen Importen der Frühlatènezeit sind anthropomorphe Motive regelmäßig, aber doch mit einem sehr bescheidenen Spektrum vertreten11. Neben der Mehrzahl wenig markanter Masken an Kannen (Kannen von Armsheim, Kärlich, Siesbach, Sunzing, Urmitz und Weiskirchen 3: Vorlauf 1997, 80; 87f. Kat.-Nr. 3; 17; 27; 168; O12; O56 Taf. 29ff. [Motive 2a, 3b]) und den szenisch-figürlichen Motiven von Bad Dürkheim (Stamnos und Kanne: Lindenschmit 1870 Taf. 2,1.9.13), Borsdorf (Hessen) (Becken: Kimmig 1990), Kleinaspergle (Schwaben) (Keramikschale: Kimmig 1988 Taf. 27–29) und Schwarzenbach 2 (Kanne) ist der Silen das markanteste bzw. häufigste anthropomorphe Motiv. Es tritt in Schwarzenbach, Grab 1, als plastische Ganzkörperfigur auf, wobei hier wie an den Goldringen ein geperlter Grat vom Kopfe ausgeht (Haffner 1976 Taf. 145–146). Das Motiv tritt ansonsten als Silensmaske im gravierten Flachrelief der Stamnosattaschen von Altrier (Luxemburg), Kleinaspergle und Weiskirchen 2 auf (Shefton 1988, 104ff.; 119ff. Nr. II, B4–5; III, 6 Taf. 13; Haffner 1976 Taf. 15,3; Thill 1972 Abb. 5,1–2). Die Hälfte aller „Importsilene“ besitzt damit – wohl nicht zufällig – keltische Gegenstücke am gleichen Fundort. Den beiden Goldringen lassen sich im Bereich der Frühlatènekunst weitere Silene zugesellen. Die Halbfigur auf einem der Goldringe von Erstfeld (Schweiz) (Guggisberg 2000, 182f. Abb. 200a) und die Knaufmaske des Schwertes von Herzogenburg (Niederösterreich) (Megaw/Megaw 1989, 73 Abb. 77; die dort in Betracht gezogenen rudimentären „Satyrohren“ von Horovièky und Rodenbach [Abb. 75; 79] bleiben hier unberücksichtigt) sind 10
11
Jacobsthal (1944, 13) notiert Masken mit „Tierohren“, Megaw (1967, 52) verweist für die Bartdarstellung auf Silene, Megaw/Megaw (1989, 69ff. Abb. 73) beziehen Bärte und Spitzohren auf Silene (vgl. Nortmann 1997, 714 Anm. 27). Guggisberg (2000, 182f. Abb. 200a) spricht zwar von einer „Neuschöpfung“, hat aber mit der Ansprache „satyrhaft“ eben doch einen älteren Bildtyp im Auge. ,Silen‘ und ,Satyr‘ wird hier synonym verwandt. Es versteht sich, daß im Hinblick auf die Auslösung des Frühlatènestils und bei einer intensiveren Betrachtung auch noch die Importe der Späthallstattzeit einbezogen werden müßten. Zur bekannten Silensattasche von der Heuneburg vgl. jetzt: v. Hase 2000. Im Blick auf keltische „Löwenkannen“ wie die von Basse-Yutz, Borsch, Dürrnberg oder Kleinaspergle oder solche mit ausgeprägten Maskenattaschen wären auch solche potentiellen Vorbilder zu beleuchten, die bislang noch nicht in Importen faßbar sind.
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bereits so stark stilisiert, daß nur die Spitzohren registriert werden können. Stirnhaar zwischen besonders großen Ohren kennzeichnet die halbplastische Mündungsmaske der keltischen Schnabelkanne von Borsch (Thüringen) (Storch 1986 Abb. 2). Die im Gegensatz zur Attaschenmaske spitzohrigen Mündungsmasken der keltischen Schnabelkanne vom Glauberg (Hessen) (Frey/Herrmann 1997, 507ff. Abb. 41) sind im Vergleich zum Attaschenkopf und als Schnurrbartträger wohl ebenfalls menschlich angelegt. Der halbplastische Attaschensilen der keltischen Schnabelkanne vom Kleinaspergle (Kimmig 1988 Taf. 9) zeigt deutlich die Bärtigkeit, wie sie auf den Importstamnoi dargestellt ist. Dieses Merkmal besitzt angedeutet auch noch das goldene Preßblechrelief mit bereits stark stilisierter Silensmaske von Ferschweiler (Eifel) (Haffner 1976 Taf. 1,8; 131,1). Die halbplastischen Silensköpfe der Schnabelkanne vom Dürrnberg (Salzburg) (Moosleitner u. a. 1974 Taf. H; Jacobsthal 1944, 14 deutet die im Dreieck zusammengelegten Spitzohrmotive anders, nämlich als Haarschöpfe in „primitiver Perspektive“) und des Gürtelhakens von Schwabsburg (Rheinhessen) (Lindenschmit 1870 Taf. 2, 1; Jacobsthal 1944 Taf. 167, 351; Lenerz-de Wilde 1980, 63f. Abb. 1, 5) sind hingegen wie wohl die Goldringmasken bartlos12. Die Goldringe liefern in ihrer eindeutigen Herleitung gleichzeitig den Beleg, daß Bärtigkeit eben nicht durchweg übernommen wurde. Ein Problem, unter dem frühlatènezeitlichen Maskenbesatz weitere Spitzohrmasken als Silene zu identifizieren, liegt sicher im winzigen Format und minderer Qualität, wird aber auch verdeutlicht durch den oberen Henkelabschluß der Kleinaspergle-, Dürrnberg- und Glauberg-Kannen: Nach Position und Anlage handelt es sich um Tiere; die Masken sind eher menschlich entsprechend der Attaschenmaske. Mit diesen Vorbehalten lassen sich Silensvorbilder noch namhaft machen für etliche Maskenfibeln zwischen Böhmen, Dürrnberg und Südhessen13. Das Spitzohrmotiv ist ein klarer Hinweis darauf, daß bei der Ausgestaltung keltischer Bildphantasien konkrete Vorlagen Pate standen. Abgesehen davon, daß keineswegs nur ein Bildtyp impulsgebend war (vgl. dazu etwa Echt 1999, 35ff.), wurden diese Vorlagen auch nicht immer in gleicher Weise, etwa mit dem charakteristischen Spitzohr, umgesetzt. Es war auch auf ganz anderer 12
13
Bei den Schwarzenbacher Ringmasken stellt den Mund eine doppelte Kerbleiste dar, die man für eine Bartandeutung halten könnte. Allerdings säumen derartige Kerbleisten hier wie beim Dürkheimer Ring die Außenkonturen der Köpfe und den zopfartigen Haarschopf, wobei die eigentlichen Strähnen aber immer durch feine Stichellinien angezeigt sind. Binding 1993 Taf. 2, 4; 3,1.3–4; 4,1–2.7–8. Vgl. auch die ähnlichen Sirenenmotive bei Guggisberg 2000, 176ff. Abb. 195a.c. Ob der Goldarmring von Reinheim noch einbezogen werden kann, bleibt fraglich. Aus betonten Kreisaugen wachsen seitlich der Stirn jeweils spitzohrartige Figuren heraus, die Echt (1999, 39 Taf. 2,1) aber als Wangenklappen eines befiederten Helmes deutet.
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Basis schon plausibel dargelegt worden, daß frühlatènezeitliche Masken auf Silensvorbilder, konkret solche auf Stamnosattaschen, zurückgeführt werden können. Grundlage war insbesondere die übernommene Kopplung mit einer Blatt- oder Spiralrankenbekrönung, die in der Frühlatènekunst zum wohl zeichenhaft mit neuer Bedeutung belegten Schema gerinnt (Haffner 1993, 355; vgl. auch Nortmann 1997, 714 Anm. 27). Bei dieser Umsetzung fehlen – mit der möglichen Ausnahme Ferschweiler – die Spitzohren. Man wird allerdings überlegen dürfen, ob die markant punktierten Brauen- oder Bartabschlüsse keltischer Masken14 nicht ihren Ausgang nehmen von den Punktaugen am Ohransatz der Silensköpfe auf Stamnosattaschen (Haffner 1976 Taf. 15,3; Thill 1972 Abb. 5,1–2; Kimmig 1988 Taf. 13). Andere, bereits in den etruskischen Vorlagen angelegte Züge, etwa der groteske Ausdruck und zuweilen die Barttracht, bleiben erhalten und begründen wohl erst die Attraktivität für eine übersteigernde Nachschöpfung. Die recht realistisch dargestellte Bartpracht der Kannen von Reinheim – mit Menschenohr! – und Waldalgesheim (Megaw/Megaw 1989 Abb. S. 50; Frey 1992 Abb. 2,5), aber auch der schon stark stilisierte Backen- und Schnurrbart der Kanne von Basse-Yutz oder des Goldfingerringes von Rodenbach (Megaw/Megaw 1990; Frey 1992 Abb. 2,4; Guggisberg 2000 Abb. 236c) sind kaum ohne Vorbilder denkbar, wie sie in den Silensattaschen vorliegen.
Schluß Die Vorstellung von Importgegenständen als konkrete Vorbilder für frühkeltische Bildschöpfungen, ob gelegentlich oder regelmäßig lokal wirksam, ist durchaus folgenreich und überlegenswert: Je mehr keltische Bildphantasien auf derartigen Objekten und letztlich ja doch aus ihrem kulturellen Zusammenhang herausgerissenen Zwischenträgern beruhen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß es bei der Übernahme zu Verkürzungen, Mißverständnissen und Umdeutungen mit eigenen Assoziationen kommt. Die sich ausprägende keltische Welt nähert sich dann nicht mediterranen Inhalten an, sondern nimmt nur einige ihrer äußeren Erscheinungsformen als Ferment eigener Entwicklung auf. Das Problem läßt sich nicht an einzelnen Fundeinheiten klären. Einzelne Funde wie Schwarzenbach lassen aber die Prüfung zu, ob 14
Besonders auffällig Haffner 1976 Taf. 14, 5 (Weiskirchen 1) und Guggisberg 2000 Abb. 236c (Rodenbach). Auf dem Ring von Schwarzenbach, der Kanne vom Dürrnberg und der Fibel von Parsberg (Binding 1993 Taf. 4, 2) sind am Ohransatz eindeutige Knotenpunkte markiert. Die ornamentale Verselbständigung des Brauenmotivs läßt eine Rückführung oft nicht mehr zu: z. B. Lenerz-de Wilde 1980 Abb. 4,15–16; Megaw 1990 Taf. 16.
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nach der ersten Durchsetzung des Latènestils lediglich das neue Ausdrucksschema wiederholt und variiert wird oder der Prozeß der Auseinandersetzung mit fremden Vorlagen lokal noch einmal wiederholt und mit eigenständigen Zügen ausgestattet wird. Bei dieser nicht absolut gegensätzlichen Alternative spricht in Schwarzenbach sicher einiges für die zweite Möglichkeit. Die Betrachtung deutete auch an, daß das Importrepertoire etwas breiter war, als es in den überlieferten Beigaben erscheint.
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Abbildungsnachweis Abb. 1–4: M. Diederich, Trier.
Anschrift des Verfassers: Dr. Hans Nortmann Rheinisches Landesmuseum Trier Weimarer Allee 1 D-54290 Trier
Studien zur Lebenswelt der Eisenzeit. RGA-E Band 40 – Seiten 251–263 © Copyright 2006 Walter de Gruyter · Berlin · New York
Zu den latènezeitlichen Grabgärten von Wederath/Belginum1 von Rosemarie Cordie Das keltisch-römische Gräberfeld von Wederath/Belginum, Flur „Hochgerichtsheide“, befindet sich auf einem zur Mosel hin schwach abfallenden Nordwesthang, etwa 560 m über NN. Diese Hochfläche des Hunsrücks ist zugleich die Wasserscheide nach Norden zur Mosel und Dhron und nach Süden zur Nahe. Wederath/Belginum, zu dem außer dem Gräberfeld eine namentlich bekannte römerzeitliche Straßensiedlung (vicus Belginum), mehrere Tempelbezirke und ein frührömisches Lager gehören, liegt in der Einheitsgemeinde Morbach des Kreises Bernkastel-Wittlich in Rheinland-Pfalz. Auf der Hochfläche um Belginum, über die die sogenannte Hunsrückhöhenstraße führt, reihen sich in unregelmäßigen Abständen von Hundheim im Südwesten bis Hochscheid im Nordosten insgesamt neun unterschiedlich große Grabhügelgruppen mit über 150 Hügeln. Zeitlich ordnen sich die Grabanlagen von der Älteren Hunsrück-Eifel-Kultur bis in die römische Epoche ein. Das größte dieser Gräberfelder ist Wederath „Hochgerichtsheide“. Es umschreibt ein Dreieck von etwa 4,5 ha Größe (Abb. 1). Ab dem 1. Jahrhundert n. Chr. wurde das gesamte Friedhofsgelände mit einem bis zu 1,2 m breiten Graben eingefriedet und der Grabenaushub auf der Innenseite als Erdwall aufgeschüttet. Zwischen dem möglichen östlichen Siedlungsende bis zur Südwestspitze des Gräberfeldes liegen ca. 500 m. Von 1954 bis 1985 wurde das Gräberfeld in drei großen mehrjährigen Kampagnen (fast) vollständig untersucht. Dabei wurden 2.500 Grabanlagen aus keltischer und römischer Zeit nachgewiesen. Zu diesen Gräbern kommen etwa 500 Aschegruben und Friedhofsstrukturen wie ca. 300 Grabenanlagen, Wege, Umfassungsgräben und Wälle. Die Gräber sind vollständig publiziert (Wederath 1–5), die Publikation der Aschegruben befindet sich in Druckvorbereitung (Kaiser in Vorb.). Vom 4. Jahrhundert v. Chr. bis zum Ende des 4. Jahrhunderts n. Chr. wurde in kontinuierlicher Folge bestattet. Sieben Hügel und etwa 550 Brandgrä1
Manuskriptabschluß: Anfang 2004.
Abb. 1. Gesamtplan des Gräberfeldes Wederath/Belginum (Kr. Bernkastel-Wittlich)
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ber gehören chronologisch in die Latènezeit (Cordie 2001). Die Belegung des Gräberfeldes beginnt mit einer Körperbestattung (Gründergrab) unter Hügel 2 (Haffner 1989a) (Abb. 2, Quadrat). Die Tumuli 1 und 2 umzieht jeweils am Hügelfuß ein Kreisgraben von 22 m bzw. 20 m Durchmesser. Bereits in Hügel 2 ändert sich die Bestattungssitte. Scheiterhaufen- und Brandgrubengräber lösen die Körperbestattungen ab. Zwar wird Hügel 2 unter Einbeziehung dieser Scheiterhaufenbestattung am südöstlichen Hügelfuß nochmals überhügelt, die zeitlich jüngeren Hügel sind jedoch hinsichtlich Durchmesser und Höhe deutlich geringer dimensioniert. Überhügelungen als obertägig sichtbares Kennzeichen einer Totenstätte verschwinden allmählich in der Mittellatènezeit. Indes bleibt offenbar das Bedürfnis, Gräber und Grabareale für die Lebenden oberirdisch sichtbar zu kennzeichnen. Seit der späten Mittellatènezeit sind in Belginum quadratische Grabenbezirke, sogenannte Grabgärten als Begrenzung von Grabanlagen bekannt. Quadratische oder rechteckige Grabensysteme, die Gräber eingrenzen, sind oftmals aus Nekropolen
Abb. 2. Wederath/Belginum (Kr. Bernkastel-Wittlich). Ausschnitt aus dem Gräberfeldplan (vgl. Abb. 1) mit Lage der latènezeitlichen Gräber. Das Gründergrab der Jüngeren Hunsrück-EifelKultur (HEK) in Hügel 2 ist durch ein Quadrat gekennzeichnet
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spätlatènezeitlicher und römischer Zeitstellung bekannt und in die archäologische Forschung unter der Bezeichnung „Grabgarten“ eingegangen (Wightman 1970, 211). In ihrer Kieler Diplomarbeit konnte S. Becker (1992; 1995 Abb. 1) herausarbeiten, daß während der Latènezeit Grabgärten in Mittel- und Westeuropa ein weit verbreitetes Phänomen darstellen. Im Gräberfeld von Wederath/Belginum zeigt sich das Phänomen, Grabanlagen oder auch Hügel mit einer Einfriedung von anderen Gräbern oberirdisch deutlich sichtbar abzugrenzen, seit dem 4. Jahrhundert v. Chr. Die Form der Einhegung wechselt dabei von kreisförmigen Strukturen um den Hügelfuß in der Jüngeren Hunsrück-Eifel-Kultur zu quadratischen und rechteckigen Grundrissen in der Mittellatènezeit bis zum 2. Jahrhundert n. Chr. (Haffner 1989, 83 f.) Von den insgesamt etwa 300 Grabgärten und Grabenstrukturen im Gräberfeld von Wederath gehören sicher etwa 30 in die spätkeltische Zeit. In dieser kleinen Studie sollen die Größe, die Form und die Anzahl der Grabanlagen innerhalb der Grabgärten vorgestellt und der Frage nachgegangen werden, wer in den Grabgärten überhaupt ein Grab bekam, ob das Geschlecht der Bestatteten eine Rolle spielte oder etwa die Beigabenausstattung in diesen Gräbern reicher ist. Interessant ist weiterhin die Frage, welches Fundmaterial in den Gräben der Grabgärten lag und welche Funktion den Grabgärten zukam. Die mitten durch das Gräberfeld von Belginum führende, ehemals 5–10 m breite antike Wegetrasse blieb während der gesamten Belegungszeit weitestgehend frei von Bestattungen und auch von Grabgärten (Haffner 1989, 44). Etwa seit dem Beginn des 1. Jahrhunderts n. Chr. wird das Gräberfeld durch eine regelmäßige Anlage und Folge von Grabgärten strukturiert, die sich entlang der in Richtung Halster Höhe führenden Straße nebeneinander reihen. Die Grabgärten wurden meistens einzeln und voneinander getrennt angelegt. Doppelanlagen sind weniger häufig zu beobachten. Weitaus seltener sind regelrechte Grabenverbundsysteme zu erkennen. Über welchen Zeitraum die Gräben deutlich sichtbar waren, wie lange sie gepflegt wurden, entzieht sich unserer Kenntnis. Tatsache ist, daß die Gräben innerhalb weniger Jahre verfüllt und nicht mehr erkennbar sind, wird die eingeschwemmte Erde nicht immer wieder regelmäßig entfernt. Dies zeigen Beobachtungen während der Ausgrabungen in den 1980er Jahren und an Rekonstruktionen im Archäologiepark Belginum. In der Älteren und Jüngeren Hunsrück-Eifel-Kultur wurde oftmals der Hügelfuß mit einem Steinkreis (Cordie-Hackenberg 1993, 99 mit Taf. 24 [Bescheid Hügel 86]) oder einem Kreisgraben (Wederath Hügel 1 und 2) umzogen. Seit der Mittellatènezeit sind die Gräber häufiger mit einer quadratischen oder rechteckigen Grabenanlage umgeben.
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Die Sitte, Grabanlagen mit einem Grabensystem zu umhegen, beginnt in Belginum in Latène C2 und endet etwa um die Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr., was mit einem allmählichen Abschluß des sogenannten Romanisierungsprozesses einhergeht. Das bedeutet konkret für die Gräberfeldordnung, daß mit der Aufgabe umfriedeter Grabbezirke auch die bisherige Rücksichtnahme auf bestehende ältere Grabanlagen aufgegeben wird. Daß allerdings bei der Anlage von Grabgärten Bestattungen angeschnitten oder zerstört wurden, zeigt der Befund von Grab 170. Bei der Anlage eines Grabgartens von 5 x 5 m mit sieben Bestattungen der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts wurde die LatèneD2-zeitliche Bestattung 170 gestört (Wederath 1, 41–42 mit Abb. 7). Interessant ist hier auch der Doppelgrabgarten nördlich von Hügel 1. Die Gräber 56–59, allesamt latènezeitlich, werden durch die Anlage des jüngeren Grabgartens zerstört, der westliche Grabgarten ist im Innern fundleer, der östliche beherbergt eine Latène C1-zeitliche Bestattung, Grab 54 ist kein gesichertes Grab, eine einzelne Schüssel ohne Leichenbrand wurde geborgen.
Abb. 3. Wederath/Belginum (Kr. Bernkastel-Wittlich). Die Grabgärten mit Gräbern der Stufen Latène C und Latène D
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Ebenso wird Grab 39 mit wenigen Leichenbrandresten und Asche als unsicherer Grabzusammenhang angesprochen (Wederath 1, 19 mit Abb. 5 Taf. 13, Querschnitte). Betrachtet man die Lage der Grabgärten innerhalb des Gräberfeldes, zeichnen sich fünf Zentren ab (Abb. 3). Recht auffallend ist, daß die Grabgärten mit den ältesten Gräbern östlich der mittellatènezeitlichen Hügel 6 und 7 liegen. Es sind dies nördlich der Gräberfeldstraße die Grabenanlagen mit Latène D1und D2-zeitlichen Bestattungen östlich der Hügel 3 und 5 und um die Hügel 6 und 7. In wenig Abstand folgen Grabgärten mit Latène C- und D-zeitlichen Bestattungen. Der nordöstliche Gräberfeldbezirk zeigt eine dichte Belegung von Gräbern der Stufe Latène C bis D2 mit einem Grabgartenbezirk. Der südlich des Weges gelegene Gräberfeldbereich zeigt weitere Zentren einmal um Hügel 2 und um Hügel 1. Dazwischen liegt ein wenig isoliert der Grabgarten mit den Bestattungen 624 und 627. Der Grundriß der latènezeitlichen Grabgärten ist zumeist quadratisch, gelegentlich rechteckig und von unterschiedlicher Größe (Abb. 3). Etliche Grabgärten sind U-förmig, d. h. nach einer Seite offen, einige haben nachweislich einen Eingang, wobei offensichtlich keine Himmelsrichtung bevorzugt wurde. Die Größe variiert bei den Gevierten zwischen 4 m und 12 m Seitenlänge, die Maße der rechteckigen Anlagen zwischen 4 m x 6,5 m und 7,5 m x 9 m. Die Grundflächen liegen demzufolge zwischen 16 m² und 144 m² bzw. 26 m² und ca. 68 m². Eine Ausnahme bildet der Grabgarten mit Grab 1216. Mit 3 m auf 3,5 m zählt er zu den kleinsten Grabgärten im Gräberfeld. Bereits die Grabkammer mißt 1,6 m x 2 m (Wederath 3 Beil. 7). Die Grabgartengräben sind zwischen 0,6 m und 1,0 m breit, die Tiefe reicht von 0,3 m bis 0,8 m, und der Querschnitt der Gräben ist V- oder U-förmig. Grabungsbefunde belegen, daß die aus dem Graben ausgehobene Erde im Innern der Grabgartenfläche abgelagert wurde. In der Innenfläche des Grabgartens wurden die Gräber eingerichtet. Meist sind es Einzelgräber, die allerdings nicht immer zentral im Grabgarten liegen. Seltener sind zwei oder drei Bestattungen eingebracht. Mehrere Bestattungen kommen nur einmal vor im nordöstlichen Bereich und hier ist der vollständige Grabgarten nicht sicher nachgewiesen. Unabhängig von der Größe des Grabgartens ist die Anzahl der Gräber. Verschiedentlich sind die Gräber innerhalb der Grabgärten mit einer eigenen Grabmarkierung versehen worden. Kleine menhirförmige Quarzitsteine kennzeichnen nochmals einzelne Gräber (Wederath 5, Grab 2063 mit Taf. 559) oder den Grabgarten (Wederath 1 Taf. 132). Welche Personengruppe wurden nun innerhalb solcher Grabgärten bestattet? Noch 1986 charakterisierte A. Miron Grabgärten als „Ausnahmeerschei-
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nung“, die, zumindest in der Latènezeit, einem besonderen Personenkreis vorbehalten und als Grabmarkierung und Familiengrabbezirke zu sehen sind (Miron 1986, 85; 1992). Auch im Gräberfeld von Badenheim, Kr. Mainz-Bingen, sind „ im Zentrum [eines Grabgartes] eine [Bestattung], allerhöchstens zwei mit reichen Beigaben“ (Böhme-Schönberger 2000, 267); ähnlich ist dies in Thür, Kreis Mayen-Koblenz, zu sehen (Bockius 1990; Gleser 2000). Eine anhand des Beigabeninventars vorgenommene geschlechtsspezifische Einteilung der latènezeitlichen Gräber innerhalb der Grabgärten bringt ein einigermaßen überraschendes Ergebnis. Die latènezeitlichen Grabgärten mit den Grabanlagen in Wederath zeigen ein anderes Bild als das bislang vermutete. Die Umhegungen wurden offenbar nicht nur angelegt für herausragende Persönlichkeiten, etwa Krieger (Gräber 776, 809, 1726), es sind ebenso häufig Frauengräber innerhalb von Grabgärten zu beobachten (z. B. Gräber 1205, 1211, 1493). Doppelbestattungen von Mann und Frau sind in Grab 1216 und 1311 zu finden. Bei mehreren Gräbern ist die Kombination von Erwachsenen beider Geschlechter und Kindern nicht ungewöhnlich. Selbst die Mitgabe von Tieren, zumeist Teile vom Schwein, war nicht an einen bestimmten Personenkreis oder an Gräber mit herausragenden Beigaben gebunden (Gerdes 1992). Eine Zusammenstellung der latènezeitlichen Schwertgräber zeigt, daß die meisten dieser Gräber außerhalb von Grabgärten liegen (Abb. 4). Interessant ist hier, daß in dem Areal östlich der Hügel 3–5 und westlich von Hügel 2 auch mehrere Kriegerbestattungen des 1. Jahrhunderts n. Chr. (Schumacher 1989, 262 mit Karte 2) und auch der große Grabgarten liegen (Haffner 1989b, 410f.). Grab 1726, eine Männerbestattung mit Schwertbeigabe, und die Anlage des Grabes in dem größten latènezeitlichen Grabgarten verdient in einem anderen Zusammenhang unsere Aufmerksamkeit. Grab 1726 im Zentrum von Grabgarten 39 (Wederath 4, 103f. Taf. 453–454 Beil. 9) und Grab 1720 A (Wederath 5, 153f. mit Abb.), das südwestlich vor dem Grabgarten liegt. Die Einfüllung der langrechteckigen NW-SO ausgerichteten Grube besteht aus einer braunschwarzen bis tiefschwarzen, mit Holzkohle durchsetzten Erde; außer ein wenig Leichenbrand, wohl von einem menschlichen Individuum, sind Metallteile, möglicherweise von einem Kästchen, ein Stück einer Holzteermasse und Scherben verschiedener Gefäße vorhanden. Von diesen nachgewiesenen sieben Tongefäßen passen Scherben von dreien an Gefäße aus Grab 1726 an, die gleichfalls in der Grubeneinfüllung von Grab 1726 vermischt mit Leichenbrand und Holzkohle lagen. Handelt es sich hier ähnlich wie bei den Gräbern 805 und 809, das im übrigen auch innerhalb des Grabgartens 318 liegt (Haffner 1989, 238), um eine besondere Beziehung der Bestatteten zueinander?
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Abb. 4. Wederath/Belginum (Kr. Bernkastel-Wittlich). Kartierung der latène- und römerzeitlichen Schwertgräber
Latènezeitliche Grabgärten wurden in Belginum sowohl für Einzelpersonen wie für mehrere Personen angelegt. Ob dies bereits eine Interpretation als Familiengrabstätte einschließt, ist noch nicht zu klären. Eine Nutzung der Grabgärten als Bestattungsplatz über Generationen kann nicht nachgewiesen werden. Das Material aus der Einfüllung der Gräben ist zwar wenig spektakulär, jedoch von großem Aussagewert. Auch wenn das Fundmaterial aus den Gräben noch nicht endgültig ausgewertet ist, zeichnen sich doch bereits erste Ergebnisse ab2. In den Gräben waren oftmals kleine Ascheschichten, Holzkohle und verbrannte Erde zu beobachten. Es fanden sich viele Scherben von Tongefäßen. In den römerzeitlichen Grabgärten wurden eine Keramik angetroffen, die vor allem hinsichtlich der Warenart nicht oder selten im Beigabengut der Bestattungen vorkommt. Dies gilt für Terra sigillata- und Goldglimmergefäße. Auffallend sind die vielen verbrannten Mahlsteinfragmente (Böhme-Schönberger 2000, 267), gelegentlich kann die Deponierung von Lebensmitteln in 2
Die Vorlage und Auswertung der Grabgärten befindet sich durch die Verfasserin in Vorbereitung.
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Gefäßen nachgewiesen werden. Eine kursorische Durchsicht der Gräber in Grabgärten zeigt, daß unter den Bestattungen sich viele verbergen, die keinen Leichenbrand haben, d. h., es kann sich ebenso um Opferdepots handeln (z. B. die Gräber 224–226, 225 mit abgedeckter Schüssel ohne Leichenbrand) (Haffner 1989b). Es ist wenig an Metallfunden zu beobachten, etwa von Gefäßen wie Kannen oder Schalen. Hinweise auf die Deponierung zerstückelter Bronzegefäße, wie sie aus den Gräben der Grabgärten aus Bibracte, Croix du Rebout bekannt sind (Teegen in Vorb.), konnten für Wederath-Belginum nicht nachgewiesen werden. Auf eine bedeutende archäologische Quelle im Fundmaterial müssen wir in Belginum verzichten. Die Erhaltungsbedingungen für organische Materialien sind mehr als schlecht. Speisen wie Körner, Früchte und Fleisch können kaum nachwiesen werden (Abegg/Cordie-Hackenberg 1990; Währen 1990; Gerdes 1992). Zwar ist in den Gräbern Geschirr (Speise-, Trink-, Kochgeschirr und Kochutensilien) vorhanden, doch welche immensen Deutungsmöglichkeiten durch das Fehlen der organischen Materialien entzogen sind, wird durch die interdisziplinären Arbeiten und Analysen aus Luxemburg und Frankreich nur allzu deutlich (Metzler u. a. 1991; Méniel in: Metzler-Zens u. a. 1999; Lambot 2000; Metzler 2001; Poux 2002).
Deutung und Interpretation der Grabgärten In den vergangenen Jahren wurde in der archäologischen Forschung die Diskussion um die Deutung der Grabgärten, die Bedeutung im Totenkult und die Beziehung zu den Heiligtümern in der Latènezeit intensiv geführt. Die quadratischen Grabgartenstrukturen sind in Belginum von Latène C1 an nachzuweisen. Es handelt sich demzufolge bei den Grabgärten um eine einheimisch keltische Sitte, entwickelt aus der Kreisgrabensitte der Hügel der Eisenzeit (vgl. auch Haalebos 1993, 399). In den quadratischen oder rechteckigen Einfriedungen sind eine oder bis zu drei Bestattungen eingebracht, teilweise mit aufwendigem Grabbau. Von der Anlage her galt die Umhegung nicht als Schutz, vielmehr als äußeres Zeichen eines besonderen sozialen Status in der Gemeinschaft. Gleichzeitig liefert das Fundmaterial aus den Grabenanlagen auch Zeugnisse von Kult- oder Opferhandlungen am Grab oder im Grabgarten. Es sind möglicherweise Hinweise auf wiederholte Opferhandlungen der Familie am geschlossenen Grab im Zusammenhang mit einem Ahnen- oder Totenkult, Festmahle im Andenken an den Verstorbenen. Nicht nachgewiesen werden kann, wie oft und über welchen Zeitraum nach dem
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Tode die Opfermahle gehalten wurden. Demzufolge könnte der Grabgarten einen geheiligten Bezirk ausweisen, in dem Feiern zu Ehren des bzw. der Toten einer Gemeinschaft stattfanden. M. Poux (2000; 2002; Poux/Feugère 2003) hat versucht, eine Archäologie des Festmahls (archéologie du festin) für das spätlatènezeitliche Gallien herauszuarbeiten. Demnach haben umhegte Plätze eine besondere Funktion im Rahmen eines Banketts. Große Mengen von Amphoren, Kesseln, Tierknochen und Grillbesteck sind dafür ein wichtiges Indiz. Entsprechende Gegenstände werden auch in den Umfassungsgräben von Grabgärten gefunden. Dabei interpretiert Poux (2002, 358) diese als „enclos à banquet“. Möglicherweise sind auch Anlagen in Wederath entsprechend zu deuten. Allerdings haben sich Tierknochen nur in Brandbestattungen erhalten (Gerdes 1992). Zerschlagene Amphoren sind auch erst aus frührömischer Zeit gelegentlich bekannt geworden. S. Rieckhoff vergleicht die quadratischen Grabanlagen mit den zentralen Grabgruben „mit einem Opferschacht in einem Miniaturheiligtum“, deren Gräben Kultplätze sind und nach außen einen geschlossenen Raum darstellen. Die Scherbenhaufen in den Gräben erinnern hier an die Funktion der „unterirdischen Altäre“ (Rieckhoff/Biel 2001, 259f.; vgl. auch Brunaux 2000). Waren die Grabgärten Familiengrabstätten und gehörten damit die Opferhandlungen am Grab und im Grabgarten in den Bereich des privaten Ahnenkults, so sind die Heiligtümer oder Kultplätze Orte, die ausschließlich für die Götter definiert waren und in denen Opferungen an Gottheiten vorgenommen wurden. In Belginum liegt möglicherweise nördlich des zweiten Tempels ein solcher Kultplatz vor.
Zusammenfassung Im Gräberfeld von Wederath/Belginum sind quadratische oder rechteckige Grabeneinfriedungen seit der Mittellatènezeit bekannt. Es handelt sich zumeist um Einzelanlagen. Die frühen Grabgärten liegen in der Nähe der frühlatènezeitlichen Hügel. Innerhalb der Grabgärten befinden sich ein bis drei Gräber, auffallend sind dabei die Doppelbestattungen in den Gräbern 1216 und 1311. Zwar gibt es einige Grabgärten mit herausragenden Grabanlagen und reichen Beigaben, doch ist dies in Belginum nicht zwingend. Das Fundmaterial aus den Gräben weist auf Opferhandlungen in den Grabgärten hin. Der familiäre Charakter von Grabgärten und den Opfern an den Gräbern der Ahnen ist deutlich.
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Zu den latènezeitlichen Grabgärten von Wederath/Belginum
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Abbildungsnachweis Abb. 1: Nach Wederath 5 Beil. 1. Abb. 2: Umgezeichnet und ergänzt nach Haffner 1989, 44 Abb. 24, Ausführung: M. Diederich, Trier. Abb. 3–4: Entwurf: R. Cordie, Ausführung: M. Diederich, Trier.
Anschrift der Verfasserin: Dr. Rosemarie Cordie Archäologiepark Belginum Wederath, Keltenstr. 2 D-55497 Morbach Email:
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Studien zur Lebenswelt der Eisenzeit. RGA-E Band 40 – Seiten 265–278 © Copyright 2006 Walter de Gruyter · Berlin · New York
Orte der Toten. Nachbestattungen der Römischen Kaiserzeit in eisenzeitlichen Grabhügeln1 von Angelika Abegg Bestattungen in Hügelgräbern erfolgten seit dem Neolithikum in wechselnder Intensität. Ungeachtet der unterschiedlichen Bestattungsarten unter, in oder neben den Hügelanschüttungen, ihrer oberirdischen architektonischen Gestaltung, ob als einzelner monumentaler Hügel oder als Hügelgräbernekropolen sind sie aufgrund ihrer oberirdischen Sichtbarkeit häufig markante Punkte in der Landschaft. Auch aus diesem Grund werden Grabhügel in der neueren Forschung nicht mehr nur als Bestattungsplatz angesehen, sondern als Bestandteil der natürlichen und menschlich veränderten Landschaft (Kulturlandschaft) vor- und frühgeschichtlicher Zeit (z. B. Bernbeck 1997, 269; Esmonde Cleary 2000; Woodward 2000). Dementsprechend steht die Untersuchung topographischer Aspekte, also die Beziehung zu gleichzeitigen, aber auch früheren, Siedlungen, Gräbern, Heiligtümern oder Kultplätzen, Grenzen bzw. Abgrenzungen gleichgewichtig neben der Analyse der eigentlichen Bestattungssitte. Im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen soll das archäologisch belegbare Phänomen von Nachbestattungen der Römischen Kaiserzeit in eisenzeitlichen Grabhügeln stehen. Unter dem Begriff „Nachbestattungen“ werden hier Gräber verstanden, die archäologisch nachweisbar mit zeitlichem Abstand zur ursprünglichen Bestattung (Primärbestattung) angelegt wurden (zur Verwendung des Begriffes „Sekundärbestattung“ siehe Eggert 2001, 62 mit Anm. 23). Als Untersuchungsgebiet wurde der nordöstliche Teil der Provinz Gallia Belgica, also der Hunsrück-Eifel-Raum und angrenzende Gebiete gewählt. In der älteren Eisenzeit (Hallstattzeit) finden sich hier als vorherrschende Grabform Hügelgräber, die dann in der Späthallstatt- und Frühlatènezeit durch ihre Bauweise und Ausstattung (Grabkammern, mächtige Hügelaufschüttungen, aufwendige Grabausstattung) vereinzelt einer sozial höher stehenden Bevölkerungsschicht zuzuweisen sind („Fürstengräber“). In der Mittel- und Spät1
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latènezeit wurden keine monumentalen Grabhügel errichtet, lediglich selten sind Hügelaufschüttungen nachweisbar. Dazu zählen Clemency und Goeblingen-Nospelt in Luxemburg sowie Gransdorf in Rheinland-Pfalz (Metzler u. a. 1991; Metzler 2000; Ebel 1989, 156 A 1). Abgesehen von Goeblingen-Nospelt und Waldesch (Rheinland-Pfalz) fehlen bisher Grabhügel augusteisch-tiberischer Zeitstellung im ländlichen Bereich des Untersuchungsraumes (Metzler 2000; Ebel 1989, 179 A 7). Der auf dem Petrisberg bei Trier, also in unmittelbarer Nähe der colonia Augusta Treverorum, gelegene Grabhügel kann zunächst aufgrund fehlender Funde nicht datiert werden. Seine Bauweise (ringförmige Umfassungsmauer und Entlastungsbögen) könnte aber im Vergleich mit italisch-römischen sog. Tumulusgräbern und einem Neufund von 1999 aus Orange durchaus auf eine Datierung in das frühe 1. Jahrhundert n. Chr. hinweisen (Wigg 1998, 301ff.; Mignon 2000, 54ff.). In der Römischen Kaiserzeit sind Bestattungen unter Grabhügeln von claudisch-neronischer Zeit (ab etwa 40 n. Chr.) bis an den Übergang vom 2. zum 3. Jahrhundert n. Chr. belegt (Ebel 1989; Wigg 1993). Sie befinden sich meist in der Nähe einer villa rustica und können auch unter Berücksichtigung des Forschungsstandes einer einheimischen wohlhabenden romanisierten Bevölkerungsschicht zugewiesen werden. Zusammen mit anderen gleichzeitigen Grabformen und dem Vergleich mit italisch-römischen Grabmonumenten bzw. Vorbildern stellen die römerzeitlichen Grabhügel der nördlichen Gallia Belgica eine charakteristische Grabdenkmalform der gallo-römischen Kultur (oder Provinzkultur) dar (Wigg 1998, 305). Daneben sind römerzeitliche Nachbestattungen in vorgeschichtlichen Grabhügeln zu finden, auf die im folgenden näher eingegangen werden soll. Zunächst sei der Quellenbestand zusammenfassend charakterisiert. Die Vorlage und Bearbeitung der Grabhügel des 1. bis 3. Jahrhunderts n. Chr. in der nordöstlichen Gallia Belgica und angrenzenden Gebieten durch Ebel 1989 und Wigg 1993 erschließt die Befunde, wobei Ebel allerdings im Gegensatz zu Wigg (1993, 59f.) nicht näher auf das Phänomen der Nachbestattungen eingeht. Vorab sei auf den schlechten Dokumentationsstand verwiesen. Nur wenige Grabhügel sind vollständig ausgegraben worden. Teilweise war auch die Hügelaufschüttung weitgehend erodiert, so daß beispielsweise nachträglich in die Hügelaufschüttung eingetiefte Gräber bereits zerstört sein können. Vielfach konnte nicht entschieden werden, ob es sich bei den Befunden überhaupt um Bestattungen handelte. Daher wurden auch sonstige römerzeitliche Funde aufgelistet. Diese eingeschränkte Datengrundlage erlaubt also keine detailliertere Auswertung. Erfaßt wurden 33 eisenzeitliche Grabhügel von 26 Fundorten mit Nachbestattungen des 1. bis 3. Jahrhunderts n. Chr., abzüglich der nur allgemein
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als vorgeschichtlich zu bestimmenden Hügel sind es 29 Grabhügel (Tab. 1). Nicht berücksichtigt wurden Hügel des 1. Jahrhunderts n. Chr., die Nachbestattungen bis in das 3. Jahrhundert n. Chr. aufweisen. Zu nennen sind hier beispielsweise die Grabhügel von Briedel Hügel B 1, Büchel und Gösenroth (Wigg 1993, 208 B 4; 209 B 5; 210 B 9). Die eisenzeitlichen Grabhügel enthalten eine unterschiedliche Anzahl von Nachbestattungen. Sie reicht von einer bis zu elf, wobei in der Regel nur ein nachträglich eingebrachtes Grab zu finden ist. Chronologisch macht sich durchaus ein Unterschied bemerkbar. Überwiegend datieren die Nachbestattungen in das 1. Jahrhundert n. Chr. Insgesamt liegen acht Nachbestattungen und zweimal Funde vor. Für das 2. und 3. Jahrhundert sind fünf Nachbestattungen und ebenso zweimal Funde nachzuweisen. Als nur allgemein römerzeitlich sind zwölf Befunde (Nachbestattungen und Funde) einzuordnen. Hauptsächlich finden sich die Nachbestattungen in Hügeln eisenzeitlicher Grabhügelgruppen. Darunter sind auch Nachbestattungen in „Fürstengrabhügeln“ (Rascheid Hügel D1 und DX). Betrachtet man die Verbreitung, so lassen sich keine Verbreitungsschwerpunkte im Vergleich zu römerzeitlichen Grabhügeln und sonstigen Gräbern erkennen (Wigg 1993, Karte 1–2; anders: Koethe 1939, 116). In ihrer Ausstattung und Anlage unterscheiden sich die Nachbestattungen ebenfalls nicht von zeitgleichen Grabfunden. Es handelt sich um Brandbestattungen. Neben einfachen Urnengräbern sind unter den 24 Nachbestattungen, zu denen nähere Angaben vorliegen, neun von Steinplatten umstellte Gräber und fünf Steinkistengräber (Aschekisten) zu finden. Letztere sind im Arbeitsgebiet häufiger sowohl unter Grabhügeln als auch als „Flachgräber“ anzutreffen (Wigg 1993, 57f.). Die Beigaben umfassen in erster Linie Keramikgefäße. Vereinzelt sind Glas, Lampen und Münzen zu verzeichnen. Unter den (Einzel-) Funden herrscht Gefäßkeramik (Scherben und ganze Gefäße) vor. Eine Bevorzugung eines bestimmten Gefäßtypes läßt sich nicht erkennen. Es kommen Töpfe, Krüge und Teller vor. Nur in einem Fall (Mülheim-Kärlich) wurde ein Metallfund, nämlich eine Fibel, entdeckt. Allerdings sind die Fundumstände nicht gesichert (Ebel 1989, 180). Nach dem archäologischen Überlieferungsbild im Untersuchungsraum stellen die römerzeitlichen Nachbestattungen in vorgeschichtlichen Grabhügeln – geht man von der Grabform und dem Bestattungsritus aus – somit keine besondere Form der Hervorhebung oder/und Separierung des oder der Toten dar. Ausschließlich die Tatsache der Nachbestattung in den vorgeschichtlichen Grabhügeln stellt sie heraus. Hingewiesen sei auf weitere Erscheinungen, die bei einer Beurteilung römerzeitlicher Nachbestattungen in ältereisenzeitlichen Grabhügeln beachtet werden sollten. Mehrfach ist eine räumliche Nähe von vorrömerzeitlichen
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und römerzeitlichen Grabhügeln festzustellen. Eine systematische Zusammenstellung fehlt dazu bisher. Es zeichnen sich Entfernungen bis zu 1,5 km ab (Wigg 1993, 114f.). So liegt der in der Siedlungskammer von Horath im Hunsrück sich befindende und an den Anfang des 2. Jahrhunderts n. Chr. zu datierende Grabhügel „Tönnchen“ 700 bis 1500 m von Grabhügelgruppen der Hunsrück-Eifel-Kultur entfernt (Wigg 1993, 153ff.; Nortmann 2001). In 1,5 km Entfernung zu den Grabhügeln von Wadern-Gehweiler (HunsrückEifel-Kultur) liegen die römerzeitlichen Hügel von Wadern-Oberlöstern (1.– 2. Jahrhundert) (Reinhard 2001; Abegg-Wigg 2000). Im Gräberfeld von Wederath-Belginum, das von der Frühlatènezeit (Jüngere Hunsrück-Eifel-Kultur/HEK II A/B) bis in die zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts n. Chr. kontinuierlich belegt wurde, liegen insgesamt sieben eisenzeitliche Grabhügel (Cordie 2001). Römerzeitliche Gräber ließen sich in den Randbereichen von Hügel 1 nachweisen, der nach A. Haffner (1989, 131) vermutlich in römischer Zeit mit einer Grabstele versehen wurde (anders: Raßhofer 1998, 252f.). Die Hügelmitte bleibt während der römerzeitlichen Belegung des Friedhofes weitgehend frei von Bestattungen. Gleiches läßt sich für Hügel 3 und Hügel 5 beobachten. In den Randbereichen des Hügels 2 wurden ebenfalls seit frührömischer Zeit Bestattungen angelegt. Auch hier ließ sich feststellen, daß immer der zentrale Bereich des Hügels frei von Bestattungen blieb. Eine im Hügelzentrum freigelegte Grube mit Steinsetzung wird von Haffner (1989, 137) wie bei Hügel 1 als Fundament einer in römischer Zeit errichteten Stele interpretiert. Auf dem Gräberfeld von Wederath-Belginum zeichnet sich somit ab dem 1. Jahrhundert n. Chr. eine ganz bewußte Respektierung bzw. Kennzeichnung und Einbindung der vorrömischen Grabhügel ab (Haffner 1989, 140). Im gleichen Sinne sind die Befunde von Enkirch, Bescheid „Bei den Hübeln“ Hügel 8 und Monreal „Juckelsberg“ Hügel 2 zu sehen. Die Nachbestattung in Hügel 1 von Enkirch wurde von einer Ringmauer eingefaßt, in der wiederum ein Kreis von großen Quarzsteinen errichtet wurde (Haffner 1979, 85). Hügel 8, ein Grabhügel der Jüngeren Hunsrück-Eifel-Kultur, der Grabhügelgruppe „Bei den Hübeln“ von Bescheid wurde gleichfalls in römischer Zeit mit einem Steinkranz eingefaßt (Haffner 1979, 90; Wigg 1993, 207 B 2). Eine erneute Überhügelung eines wohl überhügelten Körpergrabes der Älteren Hunsrück-Eifel-Kultur wird für die Zeit um 100 n. Chr. für den in der Flur „Juckelsberg“ bei Monreal gelegen Hügel 2 angenommen (Haffner 1979, 85; vgl. auch Wigg 1993, 211 B 15). Eine Nachbestattung erfolgte dann nochmals etwa 100 Jahre später (Anfang 3. Jahrhundert n. Chr.). Ähnlich stellt sich der Befund in Niederweiler dar, wo in einen Grabhügel der Hallstattzeit zwei Nachbestattungen in der zweiten Hälfte des 2. bzw. der ersten Hälfte des 3.
Nachbestattungen der Römischen Kaiserzeit in eisenzeitlichen Grabhügeln
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Jahrhunderts erfolgten sowie um die Mitte des 3. Jahrhunderts n. Chr. ein Grabdenkmal unmittelbar an der Hügelaufschüttung errichtet wurde Auch aus anderen Gebieten bzw. Provinzen des Römischen Reiches sind römerzeitliche Nachbestattungen in vorgeschichtlichen Hügeln bekannt (Wigg 1993, 219 G; Fasold 1990, 125; Vermeulen/Bourgeois 2000; Williams 1998). Es kann also nicht von einer lokalen Erscheinung ausgegangen werden. Eine flächendeckende Aufnahme dieser Befunde konnte jedoch in diesem Rahmen nicht durchgeführt werden. Ergänzt sei, daß es auch archäologische Nachweise für voreisenzeitliche Gräberfelder gibt, auf denen in römischer Zeit wieder bestattet wurde (z. B. Niedergermanien: Roymans 1995, 7–9 Anhang 1). Roymans (1995, 9) geht von einer Integration dieser älteren Bestattungsplätze in die römerzeitliche Kulturlandschaft aus. Ebenso sind Nachbestattungen in vorgeschichtlichen Grabhügeln nicht nur auf die Römische Kaiserzeit beschränkt, auch für andere Epochen und Räume konnten sie zahlreich nachgewiesen werden (Bradley/Williams 1998; Morrissey 2000; Sopp 1999). Die Kenntnisse zum Totenbrauchtum in den Provinzen des Römischen Reiches haben sich in den letzten 20 Jahren erheblich verbessert (zum Forschungsstand: Hintermann 2000, 13f.; Pearce u. a. 2000), so daß auch eine Beurteilung römerzeitlicher Nachbestattungen in vorgeschichtlichen Grabhügeln bessere Grundlagen hat. Für Nordostgallien ist zwar nach der römischen Okkupation eine Veränderung der Bestattungssitten zu verzeichnen, es lassen sich aber auch viele Gemeinsamkeiten mit vorrömischen Bestattungsbräuchen erkennen. Die Interpretation der Gründe für die Anlage von Nachbestattungen in eisenzeitlichen Grabhügeln und ihre Bedeutung muß die eben genannten Aspekte berücksichtigen. Es liegen unterschiedliche Erklärungsmodelle vor, die im folgenden zusammenfassend dargestellt werden sollen. Neben der eindeutigen Bezugnahme zu vorrömerzeitlichen Bestattungsplätzen muß auch in Betracht gezogen werden, daß es genauso eine bewußte Ablehnung von älteren Gräbern bzw. Friedhöfen gegeben haben könnte oder hat (Bernbeck 1997, 270). Dies soll hier allerdings nicht weiter behandelt werden. Zunächst gibt es die rein praktische oder funktionale Begründung (Williams 1998, 76), in dem auf die Arbeits- und Platzersparnis beim Bau eines Grabmonumentes bzw. einer Bestattung verwiesen wird. Im Falle von Einzelfunden wird häufiger Verlust angeführt, in diesem Zusammenhang werden auch antike Grabräuber genannt, die Gegenstände verloren hätten. Die leichte Auffindbarkeit und Zugänglichkeit der Nachbestattung durch die Wahl eines noch sichtbaren Grabmonumentes, verbunden vielleicht zusätzlich durch die Lage an einer Straße, nennen Vermeulen/Bourgeois (2000, 144). Unter dem Aspekt des Kulturwandels und Fragen nach der Sozialstruktur wurde das archäologische Phänomen des Auftretens von Grabhügeln um
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die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. und damit verbunden römerzeitliche Nachbestattungen in vorrömischen Grabhügeln im Sinne eines Wiederauflebens „ältereisenzeitlicher Traditionen“, eines Erstarken des Traditionsbewußtseins, einer „Renaissance“ interpretiert. Einer der Ausgangspunkte war eine in der archäologischen Überlieferung im Gebiet zwischen Iller und Isar ab spättiberisch/claudischer Zeit zu fassende Bevölkerungsgruppe, die sog. „Gruppe Heimstetten“, benannt nach einem Gräberfeld nördlich von München (Fischer 1995, 108f.). Charakteristisch ist die Körpergrabsitte, teilweise unter Hügeln, reiche Beigabenausstattung und das Fehlen „römischer“ Beigabenelemente (z. B. Balsamarien und Lampen). Nach Ausweis der in den Gräbern gefundenen Fibeln und Gürtelteile stammt diese Kulturgruppe aus dem mittleren Alpenraum und zog in die bzw. wurde in der neu entstandenen Provinz Raetien angesiedelt. Die Hügelbestattung allein ist also nicht das kennzeichnende Element. Für das Wiederaufleben der Körperbestattung bei dieser Gruppe und die Nachbestattung in hallstatt-latènezeitlichen Grabhügeln erwägt Haffner (1988) einen Zusammenhang mit einem „Wiederaufleben keltischer Religion nach einem ersten kräftigen Romanisierungsschub“ etwa zwischen 30 und 60 n. Chr., dasselbe Phänomen sei „archäologisch auch in Ostgallien nachweisbar“ und fände in den Druidenverfolgungen von Claudius seinen überzeugendsten Beweis. D. Krauße geht weiter und bezeichnet die um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. erscheinenden Grabhügel, die von Koethe (1939), Haffner (1988) und Ebel (1989) als bewußt wiederbelebtes Element gesehen werden, als wiederbelebenden Nativismus im Sinne von Linton (Krauße 1996, 269f.). Die Interpretation als „Renaissance keltenzeitlichen Gedankengutes“ äußerte jüngst auch W. Reinhard (2001, 480f.). Deutlich wurde bereits, daß die Verf. eine andere Position vertritt (Wigg 1993; 1998). Der Vergleich zwischen der „Gruppe Heimstetten“ und den in die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. zu datierenden Grabhügeln des Treverergebietes erscheint mir schwierig. Für die „Gruppe Heimstetten“ kann ein Zuzug belegt werden, während es sich in der östlichen Gallia Belgica wohl um autochthone Bevölkerungsteile handelt. Sicherlich mag sich im Grabritus der „Gruppe Heimstetten“ zunächst eine kulturelle Eigenständigkeit zeigen (Fasold/Witteyer 2001, 297), aber ob dies dann gleich als eine bewußte Ablehnung der neu erschlossenen Provinz zu interpretieren ist, scheint fraglich. Die Bereitschaft der autochthonen Bevölkerung, sich in die Provinzialstrukturen einzugliedern, zeigt sich besser in den sich östlich anschließenden Provinzen Norikum und Pannonien, wo die Hügelgräber des 1. bis 3. Jahrhunderts im Gegensatz zu Raetien zahlreicher verbreitet sind („norisch-pannonische Hügelgräberkultur“; Fasold 1993, 102–105). Die vorrömische Hügelgräbersitte endet auch hier, ähnlich wie in der nordöstlichen Gallia Belgica, am Ende
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der Hallstattzeit, es ist somit keine Kontinuität festzustellen. Die Neuanlage von Gräberfeldern in claudischer Zeit fällt mit der Provinzgründung Norikum zusammen und damit auch mit einem verstärkten Zuzug von Italikern. Die autochthone Bevölkerung übernahm italische Grabsitten bzw. ahmte sie nach. In den meist schlichten norisch-pannonischen Grabhügeln gibt sich nach P. Fasold (1993, 104–105) die Romanisierungsbereitschaft der einheimischen Bevölkerung zu erkennen. Gleiche Beispiele sind aus anderen Gebieten des Römischen Reiches anzuführen. So für Obergermanien, wo ein Grabhügel bei Stromberg (zweite Hälfte 1. Jahrhundert n. Chr.) mit Ringmauer und Dromos, „deutlich südlichen Einfluß zeigt und wohl auf eine romanisierte Grundbesitzerschicht hinweist, die sich leicht tat, die altbekannte, ehrwürdige Form des Grabhügels nach italischem Muster aufzugreifen“ (Fasold/Witteyer 2001, 300 Abb. 8). Der Auffassung, nach der die Grabhügelsitte als traditionelles Element, im Sinne von Nativismus bewußt als Element der eigenen Kultur, verstanden wird, sind weitere Argumente entgegenzusetzen. Betrachtet man die Verbreitung der Grabhügelsitte in vorrömischer und römischer Zeit in ihrer Gesamtverbreitung, so ist festzustellen, daß es sich um eine „long term tradition“ handelt (Lohof 1993). Nicht erst seit der Eisenzeit sind Hügelgräber ein Bestandteil der Grabsitten, und sie enden auch nicht in der frührömischen Zeit, sondern reichen bis an den Beginn des 3. Jahrhunderts. Gleiches gilt für die römerzeitlichen Nachbestattungen in Grabhügeln. In diesem Zusammenhang sei auch auf den archäologisch belegbaren Einfluß des mediterranen Raumes auf das Totenbrauchtum des eisenzeitlich-keltischen Galliens verwiesen (Metzler 2001). Weiterhin sind Grabhügel nicht an ein bestimmtes Ethnikum zu binden, sind also nicht allein als gruppenspezifisch anzusprechen (gegen Bestattungsbräuche als gruppenspezifische Indikatoren auch: Kunow 1987, 809). Im Sinne von Nativismus soll es sich um ein Element handeln, daß sich von anderen Kulturen, im besonderen von derjenigen, die die eigene Kultur bedroht, abhebt, somit charakteristisch für die eigene Kultur ist (Krauße 1996, 270). Dem ist entgegenzuhalten, daß sich in Rom, Mittel- und Süditalien ab der Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. bis in das 1. Jahrhundert n. Chr. hinein zahlreiche Grabhügel finden (v. Hesberg 1992, 94ff.). Die religiösen Gründe für das Einbringen von Nachbestattungen in eisenzeitlichen Grabhügeln erfassen mehrere Ebenen. Die Nutzung älterer Bestattungsplätze wird mit dem Ahnenkult erklärt (Vermeulen/Bourgeois 2000, 145; zur Trennung der Begriffe „Totenkult“ und „Ahnenkult“ in der Kulturanthropologie: Veit 1997, 294–295). Nekropolen und Gräber werden zu „Gedächtnislandschaften“ (z. B. für die römische Antike: Egelhaaf-Gaiser 2000, 236; Toynbee 1971, 37; 51; für das 19. Jahrhundert: Tarlow 2000), da-
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durch, daß sie immer wieder aufgesucht werden, sei es um weitere Bestattungen vorzunehmen aber auch zu Totengedenkfeiern, die durch Schriftquellen belegt sind. Archäologisch ist dies durch nachträgliche Deponierungen von Gegenständen, Feuerstellen u. ä. belegt (vgl. Metzler 2000, 42). Anzuschließen sind sicherlich weitere rituelle (religiöse) oder profane Handlungen oder Versammlungen, deren archäologische Nachweisbarkeit schwierig ist, die aber allein durch die Lage der Friedhöfe entlang von Verkehrswegen, und damit sichtbar für alle Bevölkerungsteile, anzunehmen sind (Williams 1999, 101). Andererseits muß auf die zumindestens für den stadtrömischen Bereich geltende rituelle Vorschrift verwiesen werden, wonach Gräber nicht gestört werden dürfen. Vielfach sind Gräberfelder oder Grabdenkmäler durch Mauern, Gräben u. ä. abgegrenzt und werden so zu einem sakralen Ort. Daß der Bestattungsplatz zum „locus religiosus“ wird, wird allgemein für die Provinzen angenommen, durch die Verehrung der Ahnen an diesen Orten der Toten wird dies bekräftigt. Vielleicht ist in diesem Zusammenhang die Tatsache zu sehen, daß bisher nur wenige Heiligtümer bzw. Tempel in der Nähe von Gräbern zu finden sind (Esmonde Cleary 2000, 133; Derks 1998, 26). Ausgehend von theoretisch-methodischen Modellen bzw. ethnoarchäologischen Analogien werden die Bestattungsplätze in ihrem topographischen Kontext betrachtet und ihre symbolische Bedeutung in der Landschaft hervorgehoben (Parker Pearson 1999, 139–141). Obwohl aus anderen Teilen des Römischen Reiches Nachbestattungen vorliegen, fällt mangels übergreifender Arbeiten eine Beurteilung der geographischen und zeitlichen Verteilung schwer. Für das römische Britannien zeichnet sich eine enge geographische Verbreitung im Südosten und ein nicht sehr zahlreiches Auftreten ab (Williams 1998, 76). Für den hier behandelten Raum ist ebenso nur eine geringe Anzahl zu belegen, eine begrenzte geographische Verbreitung konnte allerdings nicht festgestellt werden (siehe oben). Grabhügel wie auch Gräber liegen an Straßen, Grenzen, am Rande bzw. außerhalb der Siedlungen. Dadurch kann Landbesitz markiert und demonstriert werden, was auch durch Schriftquellen belegt wird (Vermeulen/Bourgeois 2000, 144). Vorrömerzeitliche und römerzeitliche Grabhügel liegen in der Regel auf bzw. an Höhenrücken, auf denen wiederum häufig alte Wege entlang liefen (vgl. Parker Pearson 1999, 140). Es ergeben sich Orte, wo einerseits die Toten geehrt wurden, andererseits Gruppen unterschiedlicher Herkunft, Bräuche und Sprache in häufigen Kontakt kamen (Williams 1999, 103). Gerade im Falle der Grabhügel und ihrer Sichtbarkeit wird so eine „landscape of ancestors“ (Esmonde Cleary 2000, 137) geschaffen. Die Verehrung älterer Grabmonumente und die Erinnerung an Ereignisse, die dort stattfanden, sind sicherlich wichtig für eine Gruppenidentität und in
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diesem Sinne wurde das Phänomen der Nachbestattungen im kulturwissenschaftlichen Vergleich auch gewertet. Die Gräber der Vorfahren (Ahnengräber) werden als wichtiges Symbol einer Gemeinschaft gesehen, um Ansprüche auf Landbesitz und die natürlichen Ressourcen zu legitimieren (Bernbeck 1997, 259; Parker Pearson 1999, 141). Ziel dieses Beitrages sollte es sein zu verdeutlichen, wie vielschichtig sich die Interpretation der Nachbestattungssitte für die Römische Kaiserzeit darstellt. Sie muß im Gesamtkontext der provinzialrömischen Bestattungssitten und Kultausübungen gesehen werden. Die römerzeitlichen Nachbestattungen in eisenzeitlichen Grabhügeln sind wohl zunächst im religiösen Sinne zu deuten, geben aber auch zugleich Hinweise auf das Verhältnis der Bevölkerung zu den Toten und Vorfahren. Es zeigt sich nicht allein eine rituelle Kontinuität, sondern auch eine bewußte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Im provinzialrömischen Bestattungsbrauchtum spielten die Gräber und Grabmonumente eine wichtige Rolle im täglichen Leben. Neben den archäologischen Befunden berichten auch die Schriftquellen davon. Es zeichnet sich ab, daß die gallo-römische Bevölkerung durchaus prähistorische Gräber in der Landschaft wahrnahm und ihnen in einem gewissen Umfang eine sakrale Bedeutung zumaß, deren Ausmaß zu bestimmen allerdings nach der archäologischen Überlieferung nicht gelingt.
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Angelika Abegg
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Angelika Abegg
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Anschrift der Verfasserin: Dr. Angelika Abegg Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloß Gottorf Archäologisches Landesmuseum Forschungsprojekt Haithabu D-24837 Schleswig Email:
[email protected]
Nachbestattungen der Römischen Kaiserzeit in eisenzeitlichen Grabhügeln
277
Tab. 1. Römerzeitliche Nachbestattungen in eisenzeitlichen Grabhügeln Fundort
Grabung
Altheim, Hügel IV
Dat./ Hügel
Anz. Brand- Fun- Dat./ Nach- best. de Nachbest. best.
EZ
1 11
Dat./ Funde
Literatur
römerzeitl.
Wigg 1993, 215
2. Jh.
Haffner 1976, 269 ff.; Ebel 1989, 157; Wigg 1993, 204 ff.
x
römerzeitl.
Cordie-Hackenberg 1993, 159
x
römerzeitl.
Cordie-Hackenberg 1993, 207
Beilingen, Hügel 37
1938/39
LTZ
Bescheid, Hügel 5
19761979
Jg. HEK (LT A)1?
Bescheid, Hügel 117
19761979
HEK
Bosen, Hügel 24
Mitte 19. Jh.
EZ
1
1. Jh.
Haffner 1976, 343 ff.; Wigg 1993, 215
Jg. HEK
2
2. H. 2. Jh.
Ebel 1989, 165; Wigg 1993, 207
Brachtendorf, Hügel 20
x
x
Briedel, Hügel A12
1936/ 1937
HEK
x
römerzeitl.
Ebel 1989, 161
Dockendorf
1967
vorgesch.
x
2. Jh.
Ebel 1989, 157
Drees, zwei Hügel
1935
Enkirch, Hügel 1
1974/75
MLT
1
Enkirch, Hügel 2
1974/75
HEK II (FLT)
Ferschweiler
1879
EZ
Gransdorf, Hügel 14
1968
HEK
x
1. Jh.
Haffner 1976, 175 f.; Ebel 1989, 156
Gransdorf, Hügel 15
1968
HEK
x
römerzeitl.
Haffner 1976, 175 f.; Ebel 1989, 156
Gransdorf, Hügel 22
1968
LT D2
1
x
claud.-vespas.
Haffner 1976, 175 f.; Ebel 1989, 156
Hambuch
1941
HEK
1
x
1. Jh.
Ebel 1989, 163
Hennweiler
1950er
HAZ
3
x
flav.
Ebel 1989, 146
Hermeskeil, Hügel 1
1892
HEK
1
2. Jh.
Haffner 1976, 361 ff.; Wigg 1993, 211
Hoppstädten, 1952 Hügel 2 Kell Koblenz
1972?
6
1. Jh.
Ebel 1989, 167; Wigg 1993, 209
x
1. Jh.
Haffner 1979, 63 f.; Ebel 1989, 148
1
x
1. Jh.
Haffner 1979, 63 f.; Ebel 1989, 148
?
x
römerzeitl.
Haffner 1976, 173 f.; Wigg 1993, 210
FLT
x
römerzeitl.
Haffner 1976, 186 ff.; Ebel 1989, 155
HEK
x
römerzeitl.
Ebel 1989, 190
1
Wigg 1993, 211
278
Angelika Abegg
Fundort
Grabung
Dat./ Hügel
Koosbüsch, Hügel 3
1936
HEK?
Langenlonsheim
1939?
EZ
Mannebach
1935
Lauf. Gr./HEK
MülheimKärlich
Anz. Brand- Fun- Dat./ Nach- best. de Nachbest. best. x 1 1?
Dat./ Funde
Literatur
1. Jh.
Wigg 1993, 211
spätantik
Ebel 1989, 147
x
EZ
Ebel 1989, 170 x
römerzeitl.
Wigg 1993, 211
Niederweiler
1926
HEK/ HAZ
2
Niederweis
19261937
UK; Jg. HEK
x
Ommersheim, Hügel 1
1928
späte HAZ/ HEK
x
römerzeitl.
Ebel 1989, 192; Wigg 1993, 215
Rascheid, Hügel D1
18921893
FLT (LT A)
x
2. Jh.
Ebel 1989, 189; Wigg 1993, 212
Rascheid, Hügel D2
18921893
HEK
x
römerzeitl.
Wigg 1993, 212
Rascheid, Hügel DX
1852
FLT (LT A)
x
römerzeitl.
Ebel 1989, 189; Wigg 1993, 212
Womrath
1924
HEK
1
x
2./3. Jh.
Ebel 1989, 187; Wigg 1993, 212
1. Jh.
Ebel 1989, 157; Wigg 1993, 212
römerzeitl.
Ebel 1989, 188; Wigg 1993, 212
Studien zur Lebenswelt der Eisenzeit. RGA-E Band 40 – Seiten 279–304 © Copyright 2006 Walter de Gruyter · Berlin · New York
Mitten im Leben vom Tod umfangen. Zu den Befunden einiger völkerwanderungszeitlicher Frauengräber aus Liebenau (Kr. Nienburg/Weser)1 von Maren Siegmann Häufig ist es so, daß man als Archäologe bei der Bearbeitung seines Fundmateriales leicht den Menschen aus dem Auge verliert, der hinter diesen Funden steht. Dieses trifft in besonderem Maße bei der Auswertung von Grabfunden zu – von Typen ist hier die Rede, von Stufen, von Verfärbungen, Fragmenten und Vergleichsfunden. Der oder die Tote selbst – ein menschliches Wesen, das gelebt und geliebt, gelitten und gehaßt, gelacht und geweint hat – findet sich maximal in der anthropologischen Analyse seiner/ihrer Skelettreste. Natürlich ist es unmöglich, auf archäologischem Weg, den Toten als Persönlichkeit zu fassen. Allerdings ist es in einzelnen Fällen möglich, aufgrund einer besonderen Behandlung der Toten durch die (Über-)Lebenden einer Sonderstellung und auch einem persönlichen Schicksal auf die Spur zu kommen. Grundvoraussetzung hierfür ist, daß – eigentlich selbstverständlich – eine genaue Dokumentation während der Ausgrabung und eine detaillierte Vorlage der Befunde und Funde bei der Publikation erfolgt. Leider sieht dies in der Praxis häufig anders aus! An dieser Stelle möchte ich deshalb eine Lanze brechen für exakte Dokumentation und detaillierte Vorlage von Grabungsbefunden. Am Beispiel einiger Frauen und Mädchen des späten 4. und frühen 5. Jahrhunderts n. Chr. aus Liebenau, Kr. Nienburg/Weser (Niedersachsen), möchte ich dazu anregen, Lagepläne genauer anzuschauen. Es sind vor allem die Metallschmuckstücke mit daran haftenden Textilfragmenten sowie die Perlen2, welche im Folgenden näher betrachtet werden sollen.
1 2
Manuskriptabschluß: Herbst 2001. Detailliert nachzulesen in meiner von Frau Prof. Dr. Rosemarie Müller betreuten Dissertation (Siegmann 2002–2004).
280
Maren Siegmann
Erstes Beispiel: P09/A1 In diesem ersten Beispiel möchte ich ein „unauffälliges“ Grab des frühesten Belegungshorizontes von Liebenau vorstellen. Es handelt sich um eine junge Frau von 18 bis 22 Jahren. Von ihr waren noch Reste des Schädels und der Langknochen sowie ein schwacher Leichenschatten erhalten. Sie lag auf dem Rücken diagonal in einen Sarg gebettet, anscheinend war sie zwischen 1,60 m und 1,70 m groß. Im Bereich der Schultern oder Schlüsselbeine lagen zwei komponierte Scheibenfibeln unterschiedlicher Größe, zwischen diesen wurden die Perlen aufgefunden (Abb. 1). Offensichtlich haben die Fibeln, die beiden Bronzeringe Nr. 3 und 4 sowie die großen Perlen Nr. 12, 7, 6, 8 eine Einheit gebildet: man wird davon aus-
Abb. 1. Süd-Nord-Körpergrab P09/A1
Zu den Befunden einiger völkerwanderungszeitlicher Frauengräber aus Liebenau
281
gehen können, daß die Perlen auf einem Lederband aufgezogen waren (noch 3,6 cm am Bronzering Nr. 3 erhalten), die Bronzeringe wiederum in die Fibeln eingehängt gewesen sind. Es handelt sich also um eine Brust- bzw. Fibelkette. Daß es sich bei Nr. 7 und 8 um zwei Henkel eines großen römischen Glasgefäßes (Parfümflasche?) handelt, sei nur am Rande erwähnt. Möglicherweise hat diese Kette auch Perlen aus organischem Material, z. B. Bernstein, getragen – die Lage der Perle Nr. 12 spricht eher für einen vollständig gefüllten Perlenstrang als für einzelne Perlen auf dem Lederbändchen. Schwieriger sind die kleinen Perlen zu beurteilen: neben den drei auf dem Plan eingetragenen sind noch Fragmente vier weiterer Exemplare erhalten. Dabei handelt es sich um Perlen aus dünnem Bronzeblech, welches einen Kern aus unbestimmbarem Material überzogen hat. Ankorrodierte Blechreste weiterer solcher Perlen zeigen, daß sie gereiht hintereinander und auch noch mindestens zweireihig nebeneinander gesessen haben. Eine Perle birgt sogar noch den Rest des Fadens, welcher sie verbunden hat: ein vierfach gezwirntes Fädchen mit einem Durchmesser von ca. 0,5 mm. Das Stück ist bei der Bearbeitung der Textilfunde übersehen worden, das Material ist dementsprechend unbestimmt. Leider wurde die Lage dieser Blechperlen nicht dokumentiert. Man könnte vermuten, daß sie mit den drei oberhalb der Fibeln liegenden Kleinperlen eine Einheit gebildet haben. Wahrscheinlich haben wir es hier mit einer (aufgenähten) Schmuckborte oder einem (separat zu tragenden) Collier aus dicht an dicht zweireihig aufgefädelten, ursprünglich golden glänzenden Perlen zu tun, in der/dem die kleinen Glasperlen farbliche Akzente gesetzt haben werden. Glücklicherweise gibt es auch Reste von Textilien aus diesem Grab: so wurde am Nadelhalter der Fibel Nr. 1 sowie am Ring Nr. 3 ein sehr feines, reinweißes Leinengewand (Tuchbindung, 16–20 Fäden/cm) aufgefunden. Ein zweites, relativ grobes Gewebe aus Wolle (Köperbindung, 8–10 Fäden/cm) hatte sich an den Fibeln erhalten. Die Tote scheint demnach mit einem Untergewand aus weißem Leinen bekleidet gewesen zu sein, möglicherweise bildete dieses die Unterlage für die Schmuckborte/das Collier. Darüber (ebenfalls durch die Fibeln zusammengehalten?) hat sie ein Kleidungsstück aus Wolle getragen. Die Fibelkette war an dem Leinenkleid befestigt – dies und die Grobheit des Wollgewebes sprechen eigentlich eher für seine Deutung als Mantel und nicht als Überkleid/Peplos.
Zweites Beispiel: P10/A2 Der Grabplan von P10/A2 (Abb. 2–3) zeigt auf den ersten Blick – so einfach zu deuten wie P09/A1 ist dieses Grab nicht. Zahnreste neben und unter Ge-
282
Maren Siegmann
Abb. 2. Nord-Süd-Körpergrab P10/A2
fäß Nr. 26 sowie ein undeutlicher Leichenschatten im Südteil der Grabgrube zeigen, daß die Tote leicht auf der linken Seite liegend in Hockerstellung beigesetzt worden ist. Der Körper war dabei eng an das Südende der sich nach unten auf 1,45 m verkürzenden Grabgrube gerückt, der Kopf kam etwa in der Mitte der Grube zu liegen. Es handelt sich also um eines der seltenen Nord-Süd ausgerichteten Körpergräber. Schon die kurze Grabgrube ist ein Indiz für die Jugend der Toten, die Zähne bestätigen dies: sie war ein junges Mädchen zwischen 12 und 18 Jahren. Eigentümlich ist die Lage der Funde im Grab. Die Fibeln lagen im zu vermutenden Schläfen-/Hinterhauptbereich, die Perlen oberhalb des Kopfes und im nördlichen Teil der Grabgrube fanden sich mit organischen Resten – wohl
Zu den Befunden einiger völkerwanderungszeitlicher Frauengräber aus Liebenau
283
eines Beutels – der Bronzering Nr. 4, zwei Hakenschlüssel und ein Messer. Von einer Trachtlage der Funde kann also nicht die Rede sein – oder? Drehen wir das ganze einmal um, den Detailplan Abbildung 3 nämlich. Stellt man die Fundsituation im wahrsten Sinn des Wortes auf den Kopf, so wirkt das ganze sehr vertraut: zwei Armbrustfibeln in gleicher Höhe und Ausrichtung, dazwischen und etwas tiefer die gleicharmige Kerbschnittfibel, noch tiefer die Perlen. Sie bilden einen geschlossenen Strang3, der genau auf die Spirale der Fibel Nr. 2 zuläuft, die vereinzelt liegenden Perlen 21?, 24, 15? und 11? könnten das andere, an Fibel Nr. 3 befestigte Ende dieses Stranges markieren. Also: Süd-Nord-Ausrichtung, Fibelpaar auf den Schultern, Ein-
Abb. 3. Nord-Süd-Körpergrab P10/A2. Detail des Schädelbereiches (vgl. Markierung in Abb. 2)
3
Die Perlen Nr. 28 und 29 waren von Häßler irrtümlich dem Inventar P10/A1 zugeordnet worden. Die Fragezeichen auf diesem und den folgenden Detailplänen kommen durch eine Neunumerierung der Funde zur Katalogvorlage zustande, leider wurden hierbei keine Konkordanzen zur alten Numerierung laut Grabungsdokumentation erstellt.
284
Maren Siegmann
zelfibel auf der Brust, Fibelkette bis zur Hüfte – und Beutel, Schlüssel und Ring als Gürtelgehänge am Knie. Allein der Leichenschatten zeigt, daß dem so nicht ist. Glücklicherweise konnten aus P10/A2 zahlreiche Textilreste geborgen werden – von den drei Fibeln, einem Klumpen organischen Materials im Bereich der Perlen Nr. 22 bis 25 sowie den Metallfunden im Beutelbereich. Es stehen somit also eine ganze Reihe von Indizien zur Verfügung – tragen wir sie zusammen. Laut Grabungsdokumentation trugen alle drei Fibeln Textilreste; in der Vorlage der Textilfunde durch H.-J. Hundt (1994) ist allerdings von Resten an Fibel Nr. 3 nicht die Rede. Fibel Nr. 1 trug sowohl Reste eines reinweißen Leinengewebes als auch eines schwarzen Wollköpers; letztere kamen anscheinend bereits von der Fibel abgelöst zur Textilanalyse. Fibel Nr. 2 erbrachte Reste von einem braunen Wollköper an der Unterseite der Fibelspirale und einem schwarzbraunen Gleichgratköper aus Wolle mit Seitenkanten aus Brettchenweberei. Dieser Stoff war sowohl am Fibelkopf als auch unter der Fibel in zwei stark vergangenen Lagen nachweisbar, durch eine schmale Falte einer dieser Lagen war die Fibelnadel gestochen. Die über den Perlen Nr. 28 und 29 liegenden rostgetränkten Textilreste sind vermutlich einem der Wollköperreste von den Fibeln zuzuordnen. An beiden Fibeln wurden Fadenreste beobachtet: an der großen Fibel Nr. 1 ein einfaches Wollgarn von 0,7 mm Stärke von der Fibelspirale, um die Sehne der Fibel Nr. 2 war ein 4fach-Zwirn von 2,0 mm Durchmesser geknotet. Keiner der nachgewiesenen Woll- bzw. Leinenstoffe konnte an beiden Fibeln nachgewiesen werden; zumindest macht Hundt keinerlei diesbezügliche Angaben. Die Variationsbreite der an den Fibeln vorgefundenen Textilreste zeigt, daß die Fibeln wohl tatsächlich am jeweils zugehörigen Kleidungsstück befestigt waren; anscheinend waren die verschiedenen Kleidungsstücke sogar in der „richtigen“ Schichtenfolge ineinandergesteckt. So könnte das Leinengewebe von Fibel Nr. 1 der Rest eines weißen Hemdes oder Unterkleides sein, über dem ein Kleidungsstück aus Gleichgratköperstoff getragen wurde. Dieses wurde von der Stützarmfibel Nr. 2 und wohl auch Nr. 3 zusammengehalten. Ob die restlichen Wollköperfragmente eventuell ebenfalls diesem Stoff und damit diesem Kleidungsstück zuzurechnen sind oder Reste weiterer Kleidungsstücke darstellen, kann ich nicht beurteilen. Hundt macht hierzu leider keinerlei Angaben. Der noch erhaltene Perlenstrang liegt (von Norden aus gesehen) fast in gerader Linie unter der Stützarmfibel Nr. 1. Die fast scheibenförmigen Perlen wurden noch senkrecht stehend angetroffen, sie müssen also aufgefädelt und nicht aufgenäht gewesen sein. In diesem Zusammenhang fällt einem der an der
Zu den Befunden einiger völkerwanderungszeitlicher Frauengräber aus Liebenau
285
Sehne der Fibel Nr. 2 angeknotete stabile Zwirn wieder ein, der als Perlenfaden geradezu prädestiniert erscheint. Die auffällige Konzentration der Perlen unterhalb der Fibel Nr. 2 und das weitgehende Fehlen von Perlen unterhalb der Fibel Nr. 3 könnte durch ein Verrutschen der Fibelkette bei der Grablege erklärt werden. Also doch Trachtlage? Ja und nein – anscheinend waren Kleidungsstücke und Schmuck funktional korrekt ineinandergezogen und miteinander verbunden. Diese Kleidungsstücke sind dem Mädchen dann (eventuell zusammengefaltet) als echte Beigabe mit in das Grab gegeben worden – man hatte ihren Kopf auf diese Kleider gebettet.
Drittes Beispiel: N12/A2 Natürlich sind in Liebenau nicht nur Mädchen und junge Frauen verstorben, sondern auch solche mittleren Alters, so wie die 30–49jährige Tote aus
Abb. 4. Südost-Nordwest-Körpergrab N12/A2
286
Maren Siegmann
Abb. 5. Südost-Nordwest-Körpergrab N12/A2. Detail des Oberkörperbereiches; große Raute: Knochenkamm oder genietete Ledertasche
N12/A2. Von ihr waren stark vermoderte Knochenreste des Schädels sowie des Brustkorbes vorhanden, für Liebenauer Verhältnisse eine exzellente Erhaltung. Natürlich ist die Dame nicht „nackt“ beerdigt worden, sondern ihr Grab enthielt zwei Stützarmfibeln (Schultern), eine komponierte Schalenfibel (Brust), einen großen Bronzedraht- und kleinen Silberring – und natürlich Perlen (Abb. 4–5). Auf dem sehr kleinen Lageplan bei Häßler (Abb. 4) wird es nicht deutlich, jedoch auf dem Detailplan Abbildung 5: die Knochenreste liegen nicht im anatomischen Verband. Der Schädel liegt weit abseits – hier kann man sich noch ein sekundäres Verrollen vorstellen, nicht jedoch für die Fragmente anderer, flacher Knochen (Schulterblatt?) neben ihm. Entweder wurden also
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verschiedene Skeletteile sekundär verlagert – oder aber sie sind erst gar nicht im anatomischen Verband in das Grab gekommen. Der Brustbereich der Toten dagegen wirkt ungestört – allerdings liegen hier die Fibeln mit der Schauseite nach unten, die Nadel der Schalenfibel Nr. 3 war geöffnet, Knochenreste überlagerten diese und eine der Stützarmfibeln sowie Ringe und einige Perlen. Zweifellos hat die Tote aus Grab N12/A2 auf dem Bauch gelegen. Die gute Knochenerhaltung ist – der Detailplan (Abb. 5) macht es deutlich – dem Metallschmuck zu verdanken; eigentümlicherweise liegen aber fast keine Textilreste vor. Lediglich vom Bronzering Nr. 4 stammen kleine Reste eines reinweißen, gebleichten Leinenstoffes. Normalerweise wären umfangreiche Textilreste zu erwarten gewesen, ihr Fehlen ist überaus bedauerlich. Von besonderem Interesse sind wiederum die Perlen: diese, der Bronzedrahtring Nr. 4 und der gegossene Silberring Nr. 5 bilden eine Einheit. Die meisten Perlen befanden sich innerhalb des vom Ring Nr. 4 vorgegebenen Rahmens, auch der Silberring. Viele Perlen lagen noch Loch an Loch, es zeigen sich jedoch keine Strangabschnitte wie z. B. in P10/A2. Zwar ist eine Deutung als bei der Grablege „verknuddelte“ Perlenkette nicht gänzlich auszuschließen, ich halte aber eine andere Interpretationsmöglichkeit für wahrscheinlicher. Auffällig ist, daß das Ensemble direkt über der Schalenfibel lag und außerdem einen fast identischen Durchmesser aufweist. Möglicherweise handelt es sich hier um ein aus organischem Material, Perlen, Bronze- und Silberring gearbeitetes Pendant zur Schalenfibel, zum Beispiel in Form eines gestickten/fest applizierten Ornamentes auf einem Kleidungsstück (aus weißem Leinen) oder aber in Form eines Schmuckstückes, welches variabel an der Kleidung angebracht werden konnte.
Viertes Beispiel: P10/A1 Von der Toten aus P10/A1 konnten während der Grabung noch Skelettreste geborgen werden, welche aber inzwischen weitgehend zerfallen sind – eine Altersbestimmung war nicht mehr möglich. Die Länge der Grabgrube (2,00 m) spricht für eine erwachsene Frau. Sie wurde auf dem Rücken liegend beigesetzt, neben einem Beutel samt Inhalt am linken Becken sowie einem Gürtel fanden sich Trachtbestandteile im Hals-Schulter-Brust-Bereich (Abb. 6). Es handelt sich – wenig überraschend – hierbei um Fibeln und Perlen sowie um zwei Bronzegürtelösen (Abb. 7). Laut Grabungsdokumentation fand sich die Stützarmfibel Nr. 1 unterhalb der Schädelreste (rechter Schulterbereich), die Schalenfibel Nr. 2 als Pendant in der linken Schultergegend. Die in der Katalogvorlage genannten Reste einer zweiten Schalenfibeln lassen sich in der
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Abb. 6. Süd-Nord-Körpergrab P10/A1
Grabungsdokumentation nicht nachweisen. Dieses ist nicht die einzige Ungereimtheit – so werden bei Hundt (1994, 104) kleine Beinnadeln genannt, welche im Inventar nach Häßler (1990, 106–108) nicht auftauchen; es gibt Differenzen bei der Lage des Silberringes zwischen Fotos bei Hundt und Angaben
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Abb. 7. Süd-Nord-Körpergrab P10/A1. Detail des Oberkörperbereiches
bei Häßler; weiterhin hat Häßler diesem Inventar zwei Perlen zugeschlagen, welche nachweislich dem Inventar von P10/A2 angehören. Zwischen den Fibeln lagen die beiden Gürtelösen und die Perlen. Bei beiden Gürtelösen wies der Ring zum Kopf, eine (SF 5) lag mit der Schauseite nach oben, die Schauseite der anderen (SF 4) zeigte nach unten. Stützarmfibel und Gürtelösen sind parallel zueinander ausgerichtet, die Gürtelösen liegen exakt zwischen den beiden Fibeln in der Körpermitte, Zufall kann hier ausgeschlossen werden. Die Fibeln lagen nur ca. 10 cm auseinander – keinesfalls hatte ein Hals zwischen ihnen Platz. Man wird also davon ausgehen müssen, daß sie nicht an den Schultern, sondern auf den Schlüsselbeinen gesessen haben. Der Lageplan der Perlen zeigt sehr deutlich, daß es beim Zerfall des Leichnams nicht zu nennenswerten Veränderungen gekommen ist – die Perlen Nr. 23-17-16-19-15 und 20-18 wurden noch in originaler Aufreihung exakt und
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lückenlos Loch an Loch angetroffen, Nr. 13 lag etwas verdreht und zwischen Nr. 15 und 20 scheinen eher Perlen zu fehlen, als daß hier Stücke verrollt sind. Auffallend ist, daß die Gürtelöse SF 5 exakt zwischen zwei Perlen eingepaßt saß – ohne daß sich in dem umfangreichen Textilpaket an diesem Bronzeobjekt weitere Perlen gefunden hätten. Eine funktionale Zusammengehörigkeit von Perlen und Gürtelöse ist also überaus wahrscheinlich. P10/A1 ist ein Beispiel für eine ungewöhnliche Situation: trotz reichem Bestand an textilen Resten und trotz zahlreicher Beispiele für Schichtungen der Gewebe ist eine Rekonstruktion der Kleidung unmöglich. Dies hat seine Ursache in der – es muß gesagt werden – methodisch ungenügenden Vorlage der Reste. Es wird lediglich jeder Rest einzeln beschrieben – welche Fragmente vom gleichen Gewebe stammen könnten, bleibt unklar; es wird häufig nicht einmal genannt, ob die Stücke von der Schau- oder der Rückseite eines Metallobjektes stammen; auch die Reihenfolge zwischen verschiedenen Textilschichten und Metallfund bleibt zumeist im dunkeln. Einzig informativ sind die bei Hundt abgebildeten Fotos, ohne diese wäre keinerlei Aussage zur Kleidung dieser Frau möglich gewesen. Zu den Textilfragmenten aus P10/A1 läßt sich ohne entsprechendes Fachwissen nur feststellen, daß die in mehreren Lagen an der Fibel 1 geborgenen Stoffreste eines Wollgewebes in Leinenbindung von einem anderen Kleidungsstück stammen als die an Fibel 2 beobachteten Reste (drei verschiedene Stoffe). Auf einem Wollgewebe in Leinenbindung, welches wohl mit dem an Fibel Nr. 1 gleichzusetzen ist, lag der Ring der Gürtelöse SF 5 auf. Quer auf der Beschlagplatte der Gürtelöse lag ein Lederriemen von mindestens 0,5 cm Breite. Sowohl unter dem leinenbindigen Wollgewebe als auch auf der Oberseite des Ringes fanden sich Reste eines zweifarbigen Rautenköpers aus Wolle. Über der Gürtelöse schließlich fand sich eine Falte eines zweiten, dichter gewebten, ebenfalls zweifarbigen Woll-Rautenköpers. Das Foto zeigt, daß „oben“ und „auf“ für Hundt keineswegs „Schauseite“ bedeuten muß, hier liegt das Leder eindeutig über der umgeschlagenen Bronzezwinge, also auf der Rückseite des Stückes. Da diese Gürtelöse mit der Schauseite nach oben aufgefunden wurde, ist die relative Stratigraphie nach Hundt demnach umzudrehen; die Schichtenfolge (vom Körper der Toten weg) ist folglich: 2. Wollköper – 1. Wollköper / Lederriemen – Gürtelöse – Wollgewebe Leinenbindung – 1. Wollköper. Die zweite Gürtelöse SF 4 trug erheblich weniger Textilfragmente, welche ausschließlich von einem zweifarbigen Woll-Rautenköper stammen. Die Stratigraphie ist hier Wollköper – Silberring – Gürtelöse / Beinnadeln – Wollköper. Auffallend ist, daß dem Anschein nach keine der beiden Gürtelösen zu Befestigungszwecken gedient hat: weder werden Textil-, Schnur- oder Leder-
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reste zwischen Zwinge und Beschlagplatte erwähnt, noch wurden Bänder oder Riemchen durch die Ringe geschlungen. Keines der Textilfragmente von den Gürtelösen ist mit einem der an der Schalenfibel Nr. 2 nachgewiesenen Stoffe gleichzusetzen. Zuerst verwirrend ist die Tatsache, daß beide Gürtelösen sowohl auf ihrer Schau- als auch Rückseite Reste vom gleichen Gewebe tragen (1. Wollköper von SF 5). Sehr ähnliches zeigt sich allerdings auch auf dem Gürtelbeschlag Nr. 5, hier gehören mehrere Stofflagen sowohl auf als auch unter dem Beschlag sicher zum genannten Wollköper. Wurden hier aus einer einzigen Stoffbahn mehrere Kleidungsstücke angefertigt, wobei eines als Unter-, das andere als Obergewand getragen wurde? In der Schichtenfolge der Stoffe und damit der Kleidungsstücke sind die Fibeln auf sehr unterschiedlichen Niveaus getragen worden, haben also als Verschluß oder Schmuck von zwei verschiedenen Kleidungsstücken gedient! Eine Deutung der Perlen als Fibelkette ist demnach definitiv auszuschließen. Immer unter der Voraussetzung, daß, soweit keine gegenteiligen Indizien vorliegen, „oben“ mit „Schauseite“ gleichgesetzt werden kann, läßt sich die Abfolge von Stoffen und Schmuck wie folgt skizzieren: unterste, am nähesten am Körper getragene Stoffschicht war der dichtgewebte 2. Wollköper. Es handelte sich vermutlich um ein relativ weites, in Falten fallendes Unterhemd oder -kleid. Als nächste Schicht darüber folgt der 1. Wollköper, welcher wohl als Rest eines Obergewandes anzusehen ist. Auf diesem Wollköper lagen die beiden Gürtelösen. Die Öse SF 4 (sowie der Silberring Nr. 10) lag direkt auf dem genannten Wollköper auf und war eventuell auf diesem mit den Beinnadeln festgesteckt, auf der Gürtelöse SF 5 wurde dieser Stoff dagegen nur in kleinen Resten auf dem Ring nachgewiesen. Quer unter der Beschlagplatte der Gürtelöse SF 5 lag der Lederriemen. Ob es sich hierbei um den letzten Rest eines längeren Streifens handelt ist unklar; theoretisch denkbar wäre auch eine Funktion des Leders als Verschlußlasche, durch die die Gürtelöse durchgezogen werden konnte. Die Perlen werden wie die Gürtelösen auf dem Obergewand/Oberkleid aus dem 1. Wollköper aufgelegen haben. Vielleicht war Gürtelöse SF 5 schlicht zusammen mit den Perlen aufgefädelt – ein einfacher Wollfaden könnte im Textilbündel unerkannt geblieben sein. Eine andere Möglichkeit wäre, daß sowohl Perlen als auch Gürtelöse SF 5 auf dem dann lang zu rekonstruierenden Lederriemen befestigt waren. Auf dem Köpergewebe lag das Wollgewebe in Leinenbindung, welches die Stützarmfibel und die Gürtelöse SF 5 bedeckte. Dieses Gewebe scheint nur in einem schmalen Streifen auf Schulterhöhe verarbeitet worden zu sein, da nur der Ring der Gürtelöse SF 5, nicht die Beschlagplatte, Reste dieses Stoffes trug; außerdem fehlt dieses Gewebe an der Gürtelöse SF 4 auf der Brust.
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Möglicherweise ist dieses Gewebe als Schleier oder Kopftuch zu deuten bzw. einer Haube zuzuordnen. Überdeckt wurden Gürtelösen und wohl auch die Perlen von der zweiten Lage des auf den Gürtelösen nachgewiesenen Wollköpers Nr. 1. Die von den übrigen Metallfunden stammenden Textilreste lassen sich in diese Stoff-Stratigraphie nicht einarbeiten. Es ist natürlich sehr unbefriedigend, wenn – nach langer Rede kurzer Sinn – hier nur gesagt werden kann: nichts genaues weiß man nicht. Vor allem, da dies nicht hätte sein müssen – die Qualität der Textilfunde hätte eine eindeutige Klärung aller Fragen zugelassen. Vielleicht läßt sich jemand dazu verlocken, die Textilreste von Liebenau einer neuen Analyse zu unterziehen und hierbei nicht – wie H.-J. Hundt – nach dem ersten Bearbeitungsschritt stehen zu bleiben?4
Auswertung Diese – zugegebenermaßen nicht ganz zufällig herausgegriffenen Beispiele – zeigen, daß gerade der Perlenschmuck anscheinend sehr individuell und vielfältig gestaltet war. Weitere Perlengräber gleicher Zeitstellung wären N11/ A1 (Perlen sekundär umgelagert), O12/A3 (Hals-/Brustbereich, zu schlecht dokumentiert für eine Interpretation), N13/A2 (drei Perlen am Kopf). Vorgestellt wurden hier ausschließlich Körpergrabinventare – über die Hälfte aller Toten dieser Zeitstellung sind aber verbrannt worden. Der Anteil der Brandbestattungen steigt zur Mitte des 5. Jahrhunderts stark an, Körpergräber sind nun und im 6. Jahrhundert die seltene Ausnahme. Eine Besonderheit der Liebenauer Brandbestattungen ist, daß es sich nicht um Urnengräber mit sauber ausgelesenem Leichenbrand, sondern um sogenannte Scheiterhaufenplätze mit zahlreichen Resten der Leichenverbrennung handelt. Allen diesbezüglichen Erwartungen zum Trotz sind auch für Brandbestattungen einige Aussagen zum Perlenschmuck möglich: in einigen Fällen fanden sich Kleinperlen zu großen Klumpen zusammengeschmolzen – diese Perlen müssen mehrreihig sehr nah aneinander gesessen haben. In anderen Gräbern sind Perlen an Fibelspiralen oder in Metallringe geschmolzen, zum Teil sind Perlen Loch an Loch oder mehrreihig verbacken usw. Es lassen sich sogar Textilreste beobachten: Abdrücke an Metall- und Glasobjekten, welche in heißem Zustand mit Textilien in Berührung kamen. Bei der Abkühlung wurden diese Abdrücke dann 4
Dieser Wunsch hat sich seit der Abgabe dieses Manuskriptes im November 2001 tatsächlich erfüllt: Die Textilreste von Liebenau sind zwischenzeitlich von Frau Dr. Susann Möller-Wiering (Schleswig) neu bearbeitet worden. Man kann auf die Ergebnisse dieser Arbeit gespannt sein.
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Abb. 8. Fundlage von Fibeln, Perlen und Nadeln einiger Frauengräber zwischen Elbe und Loire
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Abb. 9. Fibelkette aus Issendorf. Röntgenfoto des eingegipsten Kopf-Brust-Bereiches von Körpergrab 2100. Die Nägel gehören nicht zum Befund
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konserviert. In einigen Fällen lassen sich Gewebeart, ungefähre Feinheit und sogar Brettchengewebe erkennen. Bei der zeichnerischen Rekonstruktion von Perleninventaren einerseits und der Montage für eine Ausstellungspräsentation andererseits werden Perlen – von vereinzelten Ausnahmen abgesehen – normalerweise eher lustlos aufgefädelt und als einfache um den Hals gehängte Perlenschnur dargestellt. Einzig bei der Rekonstruktion völkerwanderungszeitlicher Schmuckinventare gibt es eine Variation: die alternative Rekonstruktion als Fibelkette. Gelegentlich entsteht der Eindruck, daß hier eher durch Wurf einer Münze als durch die tatsächlichen Lagebeobachtungen die Entscheidung zwischen Hals- und Fibelkette getroffen wird. Nur so ist zu erklären, warum selbst bei einer so eindeutigen Fibelkette wie im Grab der „Prinzessin von Zweeloo“ das Lebensbild der Frau von van Es und Ypey (1977 Abb. 13) zwei Perlenschnüre um den Hals trägt. Eine weitere weit verbreitete Unart ist, umfangreiche Miniaturperleninventare automatisch als Perlenstickerei zu deuten – auch wenn Kettenverschlüsse wie S-Haken zwischen den „Stickperlen“ liegen. Ein Überblick über die völkerwanderungszeitliche Frauenkleidung fehlt bislang – nicht nur für Niedersachsen. Zwar hat H. W. Böhme (1974) eine Zusammenstellung der Fundlage des Schmuckes ausgewählter Gräber zusammengestellt (Abb. 8), diese Kartierungen sind aber stark schematisiert. Im Vergleich z. B. mit den Angaben bei Grohne (1953, 173–183) stimmen Böhmes Kartierungen für die Mahndorfer Gräber 208=31, 142=28b, 219=30 und 149=23 nicht – dies ist kein guter Schnitt. So heißt es zu Grab 28b: „In der Halsgegend unter dem Kinn lag eine Kette von kleinen einfarbigen Glasperlen, da wo die linke Schulter zu vermuten war, eine bronzene Bügelfibel mit der Nadelrast nach oben, mehr nach der Brustmitte hin eine zweite Bügelfibel zusammen mit kleinen Glasperlen, etwas tiefer, etwa in der Herzgegend eine Preßblechscheibenfibel.“ (Grohne 1953, 181–182). Weder die unterschiedliche Ausrichtung der Armbrustfibeln noch die zweite Scheibenfibel noch die Rekonstruktion der Perlen als Fibelkette bei Böhme lassen sich aus dieser Beschreibung ableiten (Grabpläne sind bei Grohne nicht abgebildet). Daß nach der Beschreibung bei Grohne keinerlei Aussagen zur Trageweise der Perlen möglich sind, bedarf eigentlich keiner Erwähnung. An der Notwendigkeit von Grab-/Lageplänen sollte heutzutage eigentlich keinerlei Zweifel mehr bestehen; allerdings sollte ihr Format das einer 10-Pfennig-Briefmarke idealerweise deutlich übersteigen! Wie gut der Perlenschmuck in manchen völkerwanderungszeitlichen Gräbern gelegentlich erhalten ist, sollen die nächsten drei Beispiele und Abbildungen 9–11 veranschaulichen. Das Überwiegen von Fibelketten hierbei ist Zufall.
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Abb. 10. Fibelkette aus Mahndorf, Süd-Nord-Grab 31
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Das Röntgenbild (Abb. 9) zeigt einen Befund aus Issendorf, Lkr. Stade. Deutlich erkennbar sind die vier Fibeln: zwei (Nydam?)Fibeln wohl im Schulter-/Schlüsselbeinbereich mit Fuß nach oben und zwei Armbrustfibeln untereinander auf der Brust. Die Perlen zeichnen sich – ebenso wie einige Metallringe – deutlich ab. Zwei Ringösen liegen – mit dem Beschlagteil exakt zu den Spiralen der Nydamfibeln zeigend – ebenfalls in Brusthöhe. Die Perlen laufen in zwei parallelen Strängen exakt auf die Ringe dieser Ringösen zu; die Perlenschnüre werden an ihnen befestigt gewesen sein. Die Ringösen selber waren auf Lederstreifen o. ä. festgenietet, welche mit den Fibeln festgehalten wurden. Zwischen den beiden sicheren Fibelkettensträngen liegen verschiedene kleinere Perlengrüppchen und Metallringe, welche allein anhand des Röntgenbildes nicht interpretiert werden können. Einen Eindruck von der Pracht und aufwendigen Konstruktion solcher Brustgehänge gibt die Abbildung 10 mit einem Befund aus Mahndorf (Grab 31): wiederum finden sich zwei Fibeln im Schulter-/Schlüsselbeinbereich, diesmal handelt es sich um Armbrustfibeln. Das zwischen ihnen liegende Gehänge besteht im oberen Bereich aus einem Strang, welcher sich nach unten hin in vier parallele Stränge aufteilt. Am Scheitelpunkt befinden sich große Bernsteinperlen – hier scheinen die Fäden zumindest einiger Stränge wieder zusammenzufinden. Während der Issendorfer Schmuck die Farben Maigrün, Rot und Gelb zeigt, kommt in Mahndorf noch Blau hinzu. Im Gegensatz zu den beiden anonymen Toten aus Issendorf und Mahndorf beschäftigt sich mein letztes Beispiel mit Prominenz: der sogenannten „Prinzessin“ von Zweeloo (Abb. 11). Natürlich war es ihre reiche Beigabenausstattung, die zur Adelung der Toten aus Zweeloo Grab 87 geführt hat; neben zwei Scheibenfibeln und einer gleicharmigen Kerbschnittfibel sind es die Perlen, welche das Bild bestimmen. Von der Toten selbst waren nur geringe Skelettreste und ein schwacher Leichenschatten erhalten. Insgesamt besteht der Perlenschmuck dieser Frau aus drei Teilen: zwei separate Perlenstränge bildeten ein Brustgehänge (äußerer Strang aus Bernsteinperlen, innerer Strang aus kleinen Glasperlen), sie waren eindeutig an den beiden Schalenfibeln befestigt. Diese beiden Fibelketten kreuzen einen Strang aus z. T. reich verzierten Großperlen und Bronzeringen – schon in der Erstvorlage dieses Befundes wurde dieser Strang völlig richtig als Perlengürtel identifiziert (van Es/Ypey 1977, 123). Dieser Perlengürtel markiert die Taille der Toten, das Brustgehänge hat also mindestens bis zum Bauchnabel gereicht. Die Neubearbeitung des Grabes unter besonderer Berücksichtigung der Textilien (Vons-Comis 1988) ergab, daß die Perlen des Gürtels anscheinend auf ein Lederband aufgezogen gewesen sind (Vons-Comis 1988, 163). Von Perlen bedeckt waren 55 cm, die Perlen haben nach dem Lageplan nicht vollständig
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Abb. 11. Zweeloo Grab 87 („Prinzessin“). Lage der Perlen und Ringe, der Fibeln (A, Ba, Bb), des Anhängers (H, J), des Knochenfragments und Toilettebestecks (G, I) sowie der Schlüssel und des „Armringes“ (F, E).
um den Körper herumgereicht. Der Gürtel hatte immerhin ein Gewicht von über 600 g! An den Nadeln der Schalenfibeln konnten noch Reste eines feinen hellen (weißen?) Leinen-Rautenköpers mit einer Seitenkante aus Brettchenweberei festgestellt werden (Vons-Comis 1988, 157–160) – offensichtlich ein Peplos. An der Unterseite der gleicharmigen Fibel fand sich ein Rautenkö-
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per-Gewebe aus Wolle, welches wohl einem kurzen Mantel/Schal mit Fransen angehörte. Reste dieses Gewebes konnten auch an einigen Bronzeringen der Gürtelkette nachgewiesen werden. Ebenfalls unter der gleicharmigen Fibel fanden sich Fragmente von gleich drei verschiedenen Leinenfäden (ein dikker Zwirn von 1–1,5 mm, ein Faden von 0,6–1 mm sowie ein dünner Faden von 0,3 mm Stärke). Zwei dieser Fäden werden zu den Perlensträngen der Fibelkette gehören. Halb unter der gleicharmigen Fibel, aber mit einem Ende auf ihr verhakt ein kleines Toilettebesteck – mit dem dritten Faden an der linksschultrigen Fibel befestigt? Auf gleicher Höhe, aber unter der rechtsschultrigen Schalenfibel, ein flaches verziertes Stück Knochen. In etwa zentral zwischen den drei Fibeln lag ein Eberzahnanhänger; alle Bearbeiter haben ihn ihrer Rekonstruktionszeichnung an einer separaten Schnur um den Hals gehängt. Eine Zugehörigkeit zum Brustschmuck wäre jedoch möglich. Unter dem Perlengürtel wohl auf der linken Hüfte fanden sich ein Armring und darauf liegend zwei Hakenschlüssel. Die Unterseite des Ringes war vollflächig mit dem Wollköper bedeckt. Die Reste dieses Stoffes sind in eine organische Masse gebettet, welche Vons-Comis als Leder?reste bezeichnet hat. Eher in Spuren haben sich Reste eines zweiten, gröberen Woll-Rautenköpers erhalten; diese Reste könnten von einem Tuch stammen, in das man den Leichnam eingeschlagen hatte. Naturgemäß gibt es Unterschiede in der Kleidungsrekonstruktion bei van Es/Ypey (1977 Abb. 13) und Vons-Comis (1988 Abb. 14, 15). Beide haben ein Peploskleid rekonstruiert, welches auf den Schultern mit den Schalenfibeln geschlossen war. Bei van Es/Ypey ist dieses weit mit einem schößchenartigen Überschlag im Hüftbereich. Statt Fibelkette trägt die Frau zwei um den Hals reichende Perlenketten, der Anhänger hängt separat dazwischen. Der Armring wird am linken Arm getragen, die Schlüssel hängen am Perlengürtel. Die restlichen Fundstücke wurden nicht berücksichtigt. Die Trageweise von Anhänger und Armring wird von Vons-Comis ebenso umgesetzt, am Perlengürtel hängt neben den Schlüsseln auch ein Beutel. Die Perlenschnüre des Brustgehänges sind an den Schalenfibeln befestigt dargestellt, die gleicharmige Fibel dient als Mantelverschluß. Anstatt eines weit fallenden Kleides wird hier allerdings ein enges, fast schon als Schlauchkleid zu bezeichnendes, Kleidungsstück rekonstruiert, welches dementsprechend auch keinen Überschlag haben kann. Aha, jetzt wissen wir Bescheid. Wirklich? Hier haben wir den – unglückseligen – Fall, daß ein sehr gut erhaltener und dokumentierter Grabbefund gleich zweimal gründlich zum Aspekt Kleidung und Schmuck analysiert wurde – und beide Rekonstruktionen sind falsch! Bei van Es/Ypey ist es die Anbringung der Perlenschnüre, welche definitiv nicht stimmt. Bei Vons-Comis muß man etwas genauer hinschauen.
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Zuerst einmal: der Lageplan Abbildung 11 ist mit einem Maßstab versehen – Maße können zur Überprüfung von Rekonstruktionen sehr nützlich sein. So läßt sich erkennen, daß die Schalenfibeln mit ca. 11,5 cm extrem nahe beisammen lagen – also niemals auf den Schultern gesessen haben können! Ich schlage – mal wieder – die Schlüsselbeine vor. Der Abstand dieser Fibeln zur gleicharmigen Fibel beträgt ca. 15 cm, zur vermuteten Taille (Gürtel) 30 cm. Der Selbstversuch zeigt, daß bei einer 1,59 m großen Person die Schalenfibeln auf den Schlüsselbeinen, die gleicharmige Fibel zwischen den Brüsten und der Gürtel in der Taille zu sitzen käme. Van Es/Ypey (1977, 109) geben als geschätzte Körpergröße 1,65–1,70 m an – zumindest keine eklatante Abweichung. Ein enger Peplos, wie von Vons-Comis propagiert, ist ein Widerspruch in sich – damit ein Schlauch überhaupt als Peplos getragen werden kann, braucht er Weite, und zwar pro „Ärmel“ mindestens 1 Spanne zusätzlich. Um bei dem Beispiel der 1,60 m großen Person zu bleiben: 1,40 m ist der geringstmögliche Schlauchdurchmesser, 1,50–1,60 m sorgen dafür, daß frau nun sogar die Arme bewegen kann. Abgesehen davon ist auch das Argument von VonsComis für ein enges Kleid (die schwere Gürtelkette macht bei einem weiten Kleid unansehnliche Knitterfalten im Leinen) (Vons-Comis 1988, 181) nicht wirklich überzeugend. Vielleicht genau andersherum – gerade die schweren Perlen des Gürtels erlauben es, besonders elegante Falten zu fixieren … Ein weiteres, aus dem Lagebefund ablesbares Maß betrifft den Taillenumfang der Toten: die Enden der Gürtelkette knicken deutlich ab und markieren so die Rundung des Körpers. Die „Vorderseite“ des Gürtels beträgt ca. 43 cm, er lag also um eine mindestens 86 cm weite Taille. Entweder die Tote war recht füllig – oder der Gürtel lag auf mehreren bauschigen Schichten von Stoff, zum Beispiel dem Schößen eines Peplos mit Überschlag. In diesem Fall hätte die Weite des Schößchens den Gürtel etwas in Position gehalten, er hätte also relativ locker getragen werden können. Immerhin stellen 600 g Perlen eine beträchtliche Last für ein doch recht dünn zu rekonstruierendes Lederband (Lochgröße!) dar – ein zusätzliches Festzurren um den Bauch bedeutet in so einem Fall, daß man ein erhebliches Risiko eingeht, dieses Band zum Reißen zu bringen. Gleiches gilt natürlich auch für ein am Gürtel befestigtes Gehänge aus Beutel und Schlüssel. Aus Stabilitätsgründen wäre derlei an einem separaten Riemen besser aufgehoben, zudem führt jedes Öffnen des Beutels zu zusätzlichem Zug. Dieses bringt uns nun zum letzten Punkt, dem Armreif. Seine flächige Bedeckung mit einem durchgehenden Textil – ohne daß Knochenreste zwischen Reif und Stoff erhalten gewesen wären – ist bei einer Funktionslage am Arm kaum erklärbar (man hätte den Mantel lückenlos zwischen Arm und Reif ziehen müssen mit exakt aneinanderstoßenden Kanten). Viel wahrscheinlicher ist, daß hier ein in Liebenau ganz typisches Phänomen
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vorliegt: in Liebenau wurde nicht ein einziger der „Armreife“ um den Arm getragen, sondern sie sind allesamt im Zusammenhang mit einer Tasche aufgefunden worden (Verschlußringe, z. T. eventuell auch Tascheninhalt denkbar). Es sei hier an den Befund von P10/A2 erinnert. Meine Rekonstruktion der Kleidung der „Prinzessin“ wäre also: ein weiter Peplos mit kurzem bauschigem Schößchen, die Schalenfibeln an den Schlüsselbeinen mit zwei Fibelketten. Eberzahnanhänger wie gehabt. An der linksschultrigen Fibel hängend das Toilettebesteck, an der rechtsschultrigen Fibel entsprechend das Knochenfragment. Der Perlengürtel als reiner Schaugürtel, ein Funktionsgürtel unter dem Überschlag verborgen mit daran hängendem sichtbaren Beutel und Schlüsseln. Der „Arm“-Ring ist Bestandteil des Beutels, eventuell als Verschlußring unsichtbar in ein Futter/Beuteloberteil aus Wollköper eingenäht. Kurzer Fransenmantel, auf der Brust mit der gleicharmigen Fibel verschlossen.
Schlußfolgerungen Auch wenn die letzten Beispiele eine überregionale Einheitlichkeit von Kleidung und Schmucktracht im späten 4./frühen 5. Jahrhundert suggerieren mögen – die Liebenauer Beispiele zeigen, daß die Variationsbreite sehr viel größer sein könnte als bislang angenommen. 08/15-Kleidungsrekonstruktionen nach Schema F sind, um es umgangssprachlich auszudrücken, überhaupt nicht angesagt. Dies gilt sogar für so selbstverständliche Dinge wie zwei Fibeln auf den Schultern als Peplosverschluß anzusehen – siehe P10/A1! Die Grenzen jeder Interpretationsmöglichkeit werden bestimmt durch die Sorgfalt von Bergung und Dokumentation während der Grabung einerseits sowie durch die Detailfreudigkeit bei der Publikation der Befunde. Ohne detaillierte Lagepläne, bei komplexen Fundsituationen auch mal Detailpläne und ohne exakte Lagebeschreibungen ist eine trachtgeschichtliche Auswertung von Grabbefunden nur eingeschränkt oder gar nicht möglich. Dies gilt auch für Perlen und Gewebereste und nicht nur für die Völkerwanderungszeit. Leider ist es noch heute so – trotzdem Forderungen oben genannten Inhalts seit Jahrzehnten immer wieder geäußert werden – daß Lagepläne gar nicht oder winzig klein beigegeben werden und sich Angaben wie „Im Brustbereich lagen zahlreiche Perlen Punkt“ finden. Nach verschiedenen Abschweifungen kehren wir nun schlußendlich zu unserem Ausgangspunkt zurück – zu den Menschen in den Gräbern und zu ihrem persönlichen Geschick.
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Gleich zwei der Liebenauer Beispiele haben eine auffallende Behandlung der Toten durch die Bestattenden gezeigt. Die ältere Frau aus N12/A2 fällt wegen der Bauchlage und dem umgelagerten Schädel aus dem Rahmen des üblichen. Zumindest die Bauchlage war von den Bestattenden intendiert und zeigt eine Sonderstellung dieser Frau in der Gemeinschaft der Lebenden an. Leider sind die translozierten Knochenreste zerfallen, eine paläopathologische Untersuchung ist nicht möglich. Ein gewaltsamer Tod – ob durch die Gemeinschaft sanktioniert oder nicht – könnte aber die Sonderbehandlung bei der Bestattung erklären. Hier wird es jedoch spekulativ. Greifbarer ist das Schicksal des Mädchens aus P10/A2. Hier wurde eine junge Tote beigesetzt, der man eine vollständige Kleidungsgarnitur – exakt ineinandergezogen und mit Fibeln und Perlen korrekt zusammengesteckt – unter den Kopf gelegt hat. Leider ist es nicht möglich, für die völkerwanderungszeitlichen Gräber Liebenaus herauszuarbeiten, ob und wenn ja wie sich die Kleidung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen unterscheidet. Dies liegt an der insgesamt geringen Zahl von Gräbern allgemein und Kindergräbern insbesondere sowie an der weitgehenden Zersetzung der Skelettreste in den Körpergräbern, was eine Altersbestimmung meist unmöglich macht. Es entsteht trotzdem der Eindruck, daß das Mädchen kurz vor dem Übergang vom Kind zur Erwachsenen stand – und dem normalerweise damit verbundenen Kleidungswechsel. Ihre „Erwachsenengarnitur“ lag schon für sie bereit, doch der Tod war schneller. Sie ist noch als Kind verstorben, die Kleidung, die ihr als Frau zugestanden hätte, wurde ihr mit in das Grab gelegt.
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Abbildungsnachweis Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb.
1: Nach Häßler 1990 Taf. 42. 2: Nach Häßler 1990 Taf. 44. 3; 5; 7: M. Siegmann, Basel, nach der Originalgrabungsdokumentation. 4: Nach Häßler 1990 Taf. 90. 6: Nach Häßler 1990 Taf. 43. 8: Nach Böhme 1974 Abb. 53. 9: Nach Häßler 1994 Abb. 4. 10: Nach Grohne 1953 Taf. A. 11: Nach van Es/Ypey 1977 Abb. 5.
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Maren Siegmann
Anschrift der Verfasserin: Dr. Maren Siegmann Universität Basel Seminar für Ur- und Frühgeschichte Petersgraben 9–11 CH-4051 Basel Schweiz Email:
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Studien zur Lebenswelt der Eisenzeit. RGA-E Band 40 – Seiten 305–332 © Copyright 2006 Walter de Gruyter · Berlin · New York
Bronzezeitliche Speicherplätze in der Niederlausitz1 von Eberhard Bönisch Einleitung – Siedlungsgrabungen Seit der Mitte der 1980er Jahre sind in der Niederlausitz verstärkt Siedlungen der bronze- und früheisenzeitlichen Lausitzer Kultur gegraben worden. Hier hat sich die Quellenlage wesentlich verbessert, seitdem die Archäologie bewußt die Überbaggerung ganzer Landschaftsabschnitte durch den Braunkohlenbergbau beobachtet und für ihre Forschung ausnutzt. Es werden nicht nur mehr Siedlungen untersucht und damit die forschungsgeschichtlich bedingte Dominanz der Lausitzer Gräberfelder gebrochen, sondern darüber hinaus die
Karte 1. Bronzezeitliche Speichergruben und -plätze in der Niederlausitz
1
Manuskriptabschluß: Herbst 2001.
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Eberhard Bönisch
Bestandserfassung ganzer Siedlungsgebiete angestrebt (Bönisch 1996). Erst nach 1990 wurden durch den Einsatz moderner Technik, die bis dahin aus heute kaum noch nachvollziehbaren Gründen nicht verfügbar war, die badendenkmalpflegerischen Rahmenbedingungen geschaffen, in deren Folge gerade die großflächige Freilegung von Siedlungen gelang. Das gilt beispielsweise für den Einsatz von Baggern mit Böschungslöffel zur Herstellung von Grabungsplana. Beispiele solcher Siedlungen sind (Karte 1) Altdöbern 44 (Bönisch 1995), Göritz 4 (Berg-Hobohm 1999) und Pritzen 63 (Schwarzländer im Druck) aus dem Landkreis Oberspreewald-Lausitz, Briesnig 20 (Neutzer 1995), Forst-Eulo (Ungerath 2001), Landkreis Spree-Neiße, und Willmersdorf, Stadt Cottbus (Tichelmann 1998).
Innere Siedlungsstruktur – Häuser Trotzdem steht die Erforschung der inneren Struktur offener Siedlungen noch ganz am Anfang. Die Zahl sicher ermittelter Hausgrundrisse hält sich nach wie vor sehr in Grenzen. Abgesehen von den vielen noch nicht ausgewerteten Grabungen mag das auch durch zeitspezifische Bauweisen begründet sein. Während der jüngsten Bronzezeit (Ha B; waagerecht geriefte Keramik) war der Blockbau üblich. Dafür sprechen Lehmverstrich von Rundholzfugen z. B. von Altdöbern 12, Pritzen 42 und das bei Groß Jauer, Fundplatz 32, freigelegte Feldsteinfundament eines Schwellrahmenbaus (Bönisch 1996, 101; 252 Abb. 162; 1999). Mit diesen Indizien ist bereits lange zuvor für das benachbarte Sachsen das Fehlen von Pfostengrundrissen begründet worden (Coblenz 1986, 110f.). Pfostenbauten der Lausitzer Kultur sind aus der Niederlausitz von Groß Jauer 9 (Fremdgruppenzeit: Bönisch 1996, 234f. mit Abb. 151), Neuendorf 2 (jüngste Bronzezeit: Buck 1975; 1985, 86ff.), Senftenberg-Altes Schloß (Billendorf: Herrmann 1970), Tornow-Lütjchenberg (Jungbronzezeit, Billendorf: Breddin 1973) und Wolkenberg (Soeters/Trier 1995, 97) bekannt. Für die früheisenzeitliche Billendorfer Phase gibt es darüber hinaus vermutliche Pfostenbauten in Pritzen 31. Halbkreisförmige Steinpflaster von Pritzen 17 und Groß Jauer 10 sind als Widerlager schräger Steifen oder Fundament für Ständerblockbauten wie in Biskupin oder Wicina zu deuten, wenngleich damit nur der Standort von Häusern angezeigt ist (Bönisch 1996, 113ff.; 319ff.; 361f.). Bronze- und früheisenzeitliche Siedlungsgebiete der Niederlausitz können also noch immer kaum mit den Gebäuden oder Gehöften selbst, sondern nach wie vor nur in Form der Ausdehnung der Befunde bzw. als Symbol kartiert werden.
Bronzezeitliche Speicherplätze in der Niederlausitz
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Denkmalgattung Speicherplatz Zu den Siedlungsbefunden gehören vor allem diverse Gruben. Ein eigenständiger Grubentyp sind die kegelstumpfförmigen Speichergruben. Mit der Untersuchung des vom Tagebau Greifenhain erfaßten Siedlungsgebietes im Altdöberner Becken wurde deutlich, daß Anhäufungen dieser markanten Gruben neben den Siedlungen an sich und den Gräberfeldern eine eigenständige (Fund)platzgattung darstellen: die Speicherareale oder -plätze (Bönisch 1996, 85–89). Aus diesem Gebiet sind mindestens sechs separate Speicherplätze bekannt: Groß Jauer 8, Klein Jauer 9, Pritzen 23, Pritzen 27, Pritzen 61 sowie Laasow 17 aus dem nördlich benachbarten Tagebau Gräbendorf (Kürbis 1989, 71). Hinzu kommen Siedlungen mit einzelnen oder Gruppen solcher Gruben: Altdöbern 11, 12, 44, Groß Jauer 39, Klein Jauer 21, Pritzen 42, 61, 63. In den Tagebaugebieten östlich Cottbus, wo bei Neuendorf die ersten Gruben dieses Typs für die Niederlausitz überhaupt ausgegraben wurden (Buck 1975, 141f.; 1985, 88f. Abb. 4), sind mindestens fünf Speicherareale dokumentiert: Grießen 1 (Bönisch 2000), Groß Lieskow 203 (Pasda 2002), Heinersbrück 45 (Alves 2001); Horno 32 (Grabung Rösler, unveröffentl.), Merzdorf 33 (Grabung Hirsekorn, unveröffentl.) (Tab. 1).
Beschreibung der Speichergruben (Abb. 1–2) Die Speichergruben sind kreisrund und messen etwa 1 m im Durchmesser. Sie fallen durch ihre meist verhältnismäßig große Tiefe auf, die bis zu 2 m betragen kann. Die größten Grubentiefen unter der Oberfläche betragen bei Altdöbern 12: Grube 107 1,45 m, Grube 60 1,50 m, Grube 207 1,80 m, Pritzen 23:6 2,07 m, Pritzen 27:42 2,00 m, Klein Jauer 9: Grube 1 2,00 m, Neuendorf 2:115B 1,50 m unter Planum und Grießen 1:38 1,90 unter Planum. Die Sohlentiefe ist jedoch abhängig von der Lage der Speicherplätze. So liegen Pritzen 23 und 27 um 9,0 bzw. 5,0 m über dem Niveau des nächsten Fließgewässers. In Lagen mit oberflächennahem Grundwasser (Groß Jauer 8: etwa 1,3 m über dem Bachniveau) sind die Gruben entsprechend flachgründig (15: 1,15 m), aber selbst dann noch an ihrem charakteristischen Profil zu erkennen. Die Speichergruben haben meist senkrechte Seiten bzw. weiten sich nach unten zur ebenen Sohle hin aus. Das ergibt einen sehr markanten rechteckigen bis trapez- oder sogar glockenförmigen (Heinersbrück 45) Querschnitt.
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Eberhard Bönisch
Abb. 1. Profile kegelstumpfförmiger Speichergruben. 1–3 mit Mündungstrichter, 4–6 mit Resten des trichterförmigen Oberteils, 7–10 Mündungstrichter abgetragen, 11–14 durch Ausschürfen sackförmig erweitert, 15–21 flache Variante mit und ohne Mündungstrichter, 16 und 19 nicht tiefer abgetragen, sondern von Sand überdeckt gewesen. 2, 5, 8, 10 mit Randsaum = Spuren der Auskleidung. – Fundorte: 1, 4, 11, 15 Altdöbern 12; 2, 5, 8, 10, 14, 20 Pritzen 27; 3, 6, 7, 13, 16, 19 Pritzen 23; 9 Klein Jauer 9; 12, 21, 18 Groß Jauer 8; 17 Klein Jauer 21, alle Kr. OberspreewaldLausitz
Bronzezeitliche Speicherplätze in der Niederlausitz
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Abb. 2. Speichergruben-Profile. 1–4 seltenere Trichterform, 5–9 sich schneidende (?) Grubenpaare. Position von Steinen: 10 auf der Grube; 11–14, 17 in Höhe des Speicherhalses; 15, 16, 18 in der Setzungsmulde; 19 auf einer grauen Schicht (Abdeckung ?) und 20 dicht über der Sohle. – Fundorte: 1, 2, 5, 6, 7, 11, 13, 19, 20 Altdöbern 12; 3, 8, 12, 14, 15, 18 Pritzen 23; 4, 9, 10, 16, 17 Pritzen 27, alle Kr. Oberspreewald-Lausitz
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Eberhard Bönisch
Tab. 1. Bronzezeitliche Speichergruben und -plätze der Niederlausitz. OSL = Ldkr. Oberspreewald-Lausitz, SPN = Ldkr. Spree-Neiße, EE = Ldkr. Elbe-Elster, CB = Stadt Cottbus, Fr.gr. = Fremdgruppenzeit, Ju = Jungbronzezeit, Jü = Jüngstbronzezeit, G = Grabung mit Ausgräber und Jahr Fundort/-platz
Kreis
Siedlung oder Speicherpl.
Altdöbern 11
OSL
Siedlung
Anzahl Gruben
Feindatierung
Geländelage
Literatur
ca. 10
Ju
Hang
Bönisch 1996
Altdöbern 12
OSL
Siedlung
ca. 35
Fr.gr.
Höhe
Bönisch 1996
Altdöbern 44
OSL
Siedlung
ca. 20
Ju/Jü
Höhe
Bönisch 1996
Drebkau
SPN
Speicherpl.
Hang
Burnier 1995
Grießen 1
SPN
Speicherpl.
42
Ju/Jü
Sporn
Bönisch 2000
Grötsch
SPN
Siedlung
Groß Jauer 8
OSL
Speicherpl.
Groß Jauer 39
OSL
Siedlung
Groß Lieskow 203
SPN
Speicherpl.
204
Düne
Pasda 2002
Heinersbrück 45
SPN
Speicherpl.
40
Düne
Alves 2001/ G Steinmann
Horno 32 (West)
SPN
Speicherpl.
90
Fr.gr.
Tal
G Rösler 2001
Horno 32 (Ost)
SPN
Speicherpl.
111
Fr.gr.
Tal
G Rösler 2001
Kausche, Ortslage
SPN
Siedlung
2
Klein Jauer 9
OSL
Speicherpl.?
3
Klein Jauer 21
OSL
Siedlung
6
Fr.gr.
G Stapel 1995 34
Ju
Hang
Ju
Bönisch 1996 Bönisch/ Wiermann 1998
Jü
G Beran 2001 Hang
Bönisch 1996
Hang
Bönisch 1996
Kolochau
EE
Siedlung
2
Jü
Gramsch 1999
Laasow 17
OSL
Speicherpl.
60
Jü
Kürbis 1989
Merzdorf 33
CB
Speicherpl.
Neuendorf 2
SPN
Siedlung
33
Jü
Düne
Buck 1975
Neuhausen
SPN
Speicherpl.
90
Jü
Hang
Beran 2000
Pritzen 23
OSL
Speicherpl.
45
Ju
Hang
Bönisch 1996
Pritzen 27
OSL
Speicherpl.
121
Ju
Hang
Bönisch 1996
Pritzen 42
OSL
Siedlung
Ju/Jü
Kuppe
Bönisch 1996
Pritzen 61 (Nord)
OSL
Speicherpl.
Kuppe
Bönisch/ Wiermann 1998
Pritzen 61 (Süd)
OSL
Speicherpl.
Pritzen 63
OSL
Siedlung
Schönfeld
OSL
Siedlung
Willmersdorf
CB
Siedlung
Wolkenberg 3
SPN
Siedlung
Düne
67
G Rinne 2000/ Hirsekorn 2001
G Bönisch 1997 Ju/Jü
7
Schwarzländer im Druck
Ju/Jü
Kuppe
Wetzel 1985
Jü
Rücken
Tichelmann 1998
Jü
Nikolaus 1994
Bronzezeitliche Speicherplätze in der Niederlausitz
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Abb. 3. Rekonstruktion einer gefüllten Speichergrube im Anschnitt mit Auskleidung (nach Befunden Grießen 1, Heinersbrück 45, Pritzen 27), Abdeckung (nach Befunden Altdöbern 12:143, 176, Pritzen 27:63), Steindecke (nach Befunden Altdöbern 12:143, 207) und zugeschüttetem Mündungstrichter mit Kennzeichnung (nach Befunden Altdöbern 12:60, Pritzen 23:28, Pritzen 27:55)
Abb. 4. Jüngstbronzezeitliche Vorratsgrube von Zauschwitz. Befund und Rekonstruktion von C. Germer 1951
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Eberhard Bönisch
Abb. 5. Rekonstruktionsversuch eines jungbronze-/früheisenzeitlichen Vorratsturmes zum Schutz eines Getreidespeichers. Unterer Teil nach Befund Rullstorf, Kr. Lüneburg
Der obere Teil ist – wenn noch vorhanden – trichterförmig erweitert (Altdöbern 12:174; Pritzen 27:42, 49, 55, 63; noch ansatzweise erkennbar bei Altdöbern 12:60, 75, 107; Pritzen 23:28, 38; Pritzen 27: 26, 47 und Horno 32). Letzteres führte bei diesen Vorratsgruben in Sachsen (Fundorte Dobeneck, Rötha-Geschwitz, Taltitz und Zauschwitz; Coblenz 1986) zu dem Begriff „Trichtergruben“. Besser und der auffälligen Form entsprechender sind sie als Kegelstumpfgruben zu bezeichnen. Das trichterförmige Oberteil einer Zauschwitzer Grube ist sogar als halb eingetiefte bienenkorbartige Hütte rekonstruiert worden mit der eigentlichen Grube als Keller (Coblenz 1987, Abb. 11, 12; hier Abb. 4). Da im Lößboden die trichterförmigen Oberteile neolithischer Vorratsgruben als Folge des Alterungsprozesses angesehen werden (Hochdorf: Keefer 1988, 22ff. mit Abb. 14), müßte das natürlich im Niederlausitzer Sandboden erst recht zutreffen. Allerdings weist die einzige in Lehm eingetiefte Kegelstumpfgrube von Horno 32 auch diesen Mündungstrichter auf. Wahrscheinlich war dieser beabsichtigt und ermöglichte den Verschluß der Gruben (s. u.).
Bronzezeitliche Speicherplätze in der Niederlausitz
313
Modifikationen der Grubenform – Auskleidung Es gibt Modifikationen der Grundform dieser Kegelstumpfgruben, die aber meist wahrscheinlich sekundär sind. So sind viele im untersten Bereich sackförmig ausgeweitet. Dies ist auf Nutzung und Verfallsprozeß der Gruben zurückzuführen. Die Speichergruben wurden grundsätzlich in den weichen Sand oder Kiesboden gegraben. Besonders deutlich ist das bei dem erst jüngst untersuchten Speicherplatz Horno 32. Innerhalb einer glazialen Erosionskerbe der aus Geschiebelehm bestehenden Grundmoräne Hornoer Hochfläche nahm er ausschließlich einen feinsandigen Schüttkegel ein. Viele Gruben unterschiedlicher Fundorte weisen im Profil und Planum an den Rändern wenige Zentimeter schmale weiße Bleichsand-Säume auf, die zumeist stark durchwurzelt sind (Pritzen 27, Grießen 1, Heinersbrück 45; Abb. 12). Diese Sandränder sind ein indirekter Hinweis auf ursprüngliche derartige Auskleidung der Speicherwände. Möglicherweise hat es sich um korbartiges Geflecht gehandelt, wie dies aus slawischen Vorratsgruben von Tornow-Borchelt (Herrmann 1973 Taf. 6; 7) und Gruben für Viehfutter (Eicheln) von Schönfeld (Wetzel 1985, 66; 79 Taf. 13; 4, 5) bekannt ist. J. Herrmann nennt sie direkt „Flechtwerksilos“ bzw. „Rindensilos“. Holzkohlereste von Pappel/Weide aus Speichergruben von Pritzen 27 und Klein Jauer 9 sprechen für angekohlte Flechtwerkauskleidungen auch der bronzezeitlichen Gruben. Dieses Geflecht ermöglichte wahrscheinlich Wurzeln, zwischen Wand und Verfüllung der bronzezeitlichen Speicher einzudringen. Diese bildeten ihrerseits wiederum den Nährboden für eine Durchwurzelung bis zum heutigen Tage, die außerdem zur Auslaugung und Ausbleichung des besagten Grubensaumes führte. Auffälligerweise ist keine der Gruben mit einem Bleichsandsaum im unteren Teil seitlich ausgehöhlt. Die Auskleidung verhinderte offenbar Versturz und erübrigte bei wiederholter Nutzung erneutes Ausräumen von Sand bzw. die damit verbundene seitliche Ausschürfung des Grubenunterteils, was zu sack- oder birnenförmigen Profilen führt. Eine Auskleidung dieser bronzezeitlichen Gruben wird häufig angenommen: mit Weidengeflecht in Neuendorf (Buck 1985, 88), mit „Flechtwerk oder ähnlichem“ in Berlin-Lichterfelde (v. Müller 1964, 12) oder aber in böhmischen Knovizer Siedlungen eine Ausschalung mit Stroh wie bei den „noch existierenden Getreidegruben bis heute“ (Bouzek/Koutecký 1964, 43). Bezüglich der bereits hier als Parallele herangezogenen neolithischen Gruben von Hochdorf nimmt man unter Berufung auf englische Experimente keine Auskleidung an, sondern wertet die Wandunterschneidung als willkommene Vergrößerung des Lagerraumes (Keefer 1988, 26f. mit Anm. 20). Dies mag für den dortigen Lößboden gelten. Die
314
Eberhard Bönisch
Schwierigkeit, im Sand während der Grabung beispielsweise Grubenprofile über eine längere Zeit zu halten, macht die Notwendigkeit einer Stabilisierung sehr deutlich.
Grubeninhalt Jungbronzezeitliche Vorratsgruben beim niedersächsischen Rullstorf, Kr. Lüneburg (Gebers 1985), die wie bei Horno 32 nur im sandigen Bereich der Siedlung lagen und lehmige Flächen aussparten, enthielten als Folge einer Brandkatastrophe große Mengen verkohlten Getreides. Es handelt sich um fast reinen Saathafer mit geringer Verunreinigung (Gebers 1985, 148). Sohle und Seitenwände waren in diesem Falle scharfkantig von einer dunkler gefärbten Schicht, wohl wiederum der Grubenauskleidung, begrenzt. Eine solche primäre Füllung war bislang in keiner Speichergrube der Niederlausitz vorhanden. Hier enthalten im Gegenteil sehr viele Speicher und sogar ganze Speicherplätze keinen einzigen Fund. So sind die meisten Gruben von Pritzen 23, Heinersbrück 45 oder Horno 32 mit sterilem Sand verfüllt. Die Untersuchung von Proben aus Speichergruben von Altdöbern 12 (107) ergab nicht nur das erwartete Fehlen von Pollen, sondern auch des sonst für Grubeninhalte typischen organischen Materialschleiers, was auf schnelle Verfüllung zurückzuführen ist. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß aufgrund der sich von der Umgebung oft wenig abhebenden sterilen Grubenfüllung gerade bei diesen im allgemeinen tiefen Gruben die Gefahr besteht, sie gar nicht zu erkennen oder daß nur der Setzungstrichter im oberen Grubenbereich erfaßt wird. Dies dürfte beispielsweise auf einige der Gruben des Speicherplatzes von Groß Lieskow 203 zutreffen (Profile bei Pasda 2002). Vergleiche die „unterbrochenen“ Profile (Abb. 1, 1.2.5.11.12 u. a.). Jedoch lassen viele Speichergruben im Schnitt auch Schichtungen erkennen. So gibt es im unteren Bereich über der Sohle öfters dunklere Füllschichten. Desgleichen hebt sich der obere Grubenteil oft etwas ab. Dabei handelt es sich fast immer um die spätere Verfüllung der genannten Setzungsmulden, die insbesondere bei solchen tiefen Gruben entstehen. Aus diesem Grunde finden sich in sonst fundleeren Gruben zur häufigen Verwunderung einige wenige Scherben gerade im oberen Teil. Sie stammen aus der umgebenden Kulturschicht, sind deshalb oft verwittert und abgerollt und nicht unbedingt mit dem Alter der Gruben identisch. In Setzungstrichtern von Pritzen 23 fanden sich beispielsweise Schnurkeramik-Scherben, da das Speicherareal den Bereich einer spätneolithischen Fundstelle einnahm. Im erst jüngst gegrabenen
Bronzezeitliche Speicherplätze in der Niederlausitz
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Speicherplatz Horno 32 wurden fast alle Gruben mit einer durchgehenden Profilsäule beprobt. Hier soll anhand enthaltener Pflanzenpollen oder durch Artenbestimmung von Holzkohle versucht werden, eine Gliederung der Füllung innerhalb der einzelnen Gruben festzustellen und sie miteinander zu vergleichen.
Verschluß, Abdeckung und Kennzeichnung der Gruben Unklar ist bisher, ob es sich bei den sterilen fundfreien Füllungen um schnell zugeschüttete leere oder nicht geöffnete Speicher handelt. Steinschichten (Altdöbern 12:143, 207, Pritzen 27:40) und Großbehälterscherben (Altdöbern 12:180; Abb. 11) sind als eingesunkene Grubenabdeckungen interpretierbar. Besonders klar wird das in Verbindung mit dünnen dunkleren Trennschichten bei Altdöbern 12:143 dicht unter der Steinlage und Grube 176 (Abb. 2, 19; 1, 11). Dieselbe Dreiteilung der Füllung weisen beispielsweise Gruben von Rötha-Geschwitz (Coblenz 1986, 106; 110 Abb. 15) oder Radonice (Bouzek/ Koutecký 1964, 36 Abb. 16: Nr. 56, 80) auf. Die Kegelstumpfgruben besitzen mit dem vergrößerten Speicherraum und der engeren und damit leichter verschließbaren Öffnung die optimale Form als Erdspeicher. Es ist anzunehmen, daß der etwa einen halben Meter tiefe Mündungstrichter dem Zweck des Einstiegs, vor allem aber zur Auflage einer Decke und der gegen Frost und das Eindringen von Feuchtigkeit entsprechend mächtigen Erdüberdeckung gedient hat (Abb. 3). Außerdem war damit ein Schutz vor Tieren gegeben. Liegen die Speicher sehr eng, überschneiden sich die Trichter, weshalb die einzelnen Gruben erst in tieferem Niveau unterscheidbar sind und deshalb dann in den dokumentierten Profilen natürlich fehlen. Mehrfach im oberen Teil der Grubenfüllung befindliche einzelne, z. T. größere Steine (Altdöbern 12:60, 174; Pritzen 23:4, 32, 56) können zur Kennzeichnung gedient haben. Gegebenenfalls müßte es sich bei diesen Beispielen um nicht ausgeleerte Gruben handeln, deren organischer Inhalt mit eingespültem Sand vermengt und vergangen ist. Eine interessante Parallele für die Grubenmarkierung ist das Erdsilo 250 von Tornow-Borchelt aus slawischer Zeit. Ein aufliegender Geschiebeblock reichte der Rekonstruktion zufolge gerade durch den Humus an die Oberfläche, so daß sich der mit der Situation Vertraute an der Steinspitze orientieren konnte (Herrmann 1973, 81; 84 Abb. 44). Für Aufgehendes wie den von W. Gebers (1985, 149 Abb. 7; hier Abb. 5) vermuteten „Vorratsturm“ gibt es keinerlei Anhaltspunkte, und praktische Belange (Feuergefahr, Frost, Diebstahl, Tierfraß) sprechen eher dagegen.
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Sekundärnutzung als Abfallgrube Ganz im Unterschied zu den oben beschriebenen fundleeren Gruben gibt es auch zahlreiche Speichergruben, die große Mengen Fundmaterial enthalten. Zu nennen sind als Beispiele Groß Jauer 8: Gruben 3/3a (Bönisch 1996) sowie geschichtete Füllungen in den Gruben von Rötha-Geschwitz in Sachsen oder dem vogtländischen Dobeneck (Coblenz 1986, 103ff.). Das heterogen zusammengesetzte Inventar aus Scherben, Lehmverstrich, Holzkohle und sogar Briquetagefragmenten und Bronzeresten (Groß Jauer 8:3) ist als Abfall zu bezeichnen. Selbstverständlich gibt es keine primär zur Abfallentsorgung gegrabenen Gruben, wie das u. a. beispielsweise für Zedau (Horst 1985, 28ff.) angenommen wurde. Hier hat sich prinzipiell die Auffassung durchgesetzt, daß aufgelassene Gruben sekundär zu diesem Zweck genutzt wurden (z. B. Bouzek/ Koutecký 1964, 43; Gebers 1985, 148; Keefer 1988, 23). Das erklärt, daß innerhalb von Siedlungen gelegene Speichergruben (Altdöbern 12) sehr viel Material enthalten und die Gruben separater Speicherplätze (besonders Pritzen 23 und 27) fundleer sind. Den Abfall hat man zur Entsorgung nicht extra auf die entfernteren Speicherplätze verbracht. Andersherum läßt sich demzufolge an einem Speicherareal ablesen, ob die zugehörige Siedlung in der Nähe oder weiter entfernt zu erwarten ist. Funde nur in einer der östlichsten Gruben des sonst fundleeren Speicherplatzes von Grießen 1 können als Indiz für die Richtung gelten, in der die Häuser gesucht werden müssen; in diesem Fall am tiefer liegenden Rand der Neißeaue. Durch die Fundarmut und damit fehlenden Oberflächenfund-Niederschlag sind Speicherplätze meist nur mittels Grabung zu entdecken.
Geländeposition der Speicherplätze Außer den vielfach nachgewiesenen Speichergruben innerhalb von Siedlungen der Lausitzer Kultur und benachbarter bronzezeitlicher Kulturbereiche – hier sind mit Rullstorf, Zedau und Berlin-Lichterfelde Beispiele aus dem norddeutschen Raum und die böhmische Knovizer Kultur genannt – wurden in der Niederlausitz abseits der Wohnbauten befindliche separate Speicherplätze festgestellt. Diese Erkenntnis war durch den Vergleich der Befundsituation 80 ausgegrabener Fundstellen eines kleinen durch den Tagebau Greifenhain vorgegebenen Gebietes möglich. Die Speicherplätze liegen auf Kuppen, an Berghängen (im Altdöberner Becken auf Ausläufern des Lausitzer Landrükkens) oder Dünen. Das sind z. T. Stellen, die offenbar nicht anders nutzbar
Bronzezeitliche Speicherplätze in der Niederlausitz
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Abb. 6. Pläne der jungbronzezeitlichen Speicherplätze von Groß Jauer 8, Pritzen 23, Pritzen 27 und Pritzen 61, alle Kr. Oberspreewald-Lausitz
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Eberhard Bönisch
Abb. 7. Pläne der Speicherplätze Grießen 1, Kr. Spree-Neiße und Groß Lieskow 203, Stadt Cottbus
Bronzezeitliche Speicherplätze in der Niederlausitz
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Abb. 8. Plan der Speicherplätze Horno 32 in einer glazialen Erosionskerbe am Rand der GrießenHornoer Hochfläche (Grabung H. Rösler 2001)
Abb. 9. Fremdgruppen- und jungbronzezeitliche Keramik von Speicherplätzen der Niederlausitz. 1 Altdöbern 12:Grube 180 (vgl. Abb. 11); 2 Altdöbern 12:Grube 101; 3 Pritzen 23, neben Grube 37; 4 Pritzen 23: aus unterem Teil Grube 17; 5 Pritzen 27: auf Grube 3; 6 Pritzen 27: Grube 63; 7–12 Horno 32
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waren. Das gilt insbesondere für die stark abfallende Hanglage von Pritzen 23 (ca. 5 % Gefälle). Bislang einmalig ist die Position von Horno 32 am Hang innerhalb einer Erosionskerbe (Abb. 8; 10). Hier hätte man nach einem Speicherplatz weder gesucht noch zeichneten sich die fundleeren Gruben durch Oberflächenfunde ab.
Klimatische Bedingtheit des räumlichen und zeitlichen Vorkommens Für die Platzwahl der tiefen Speichergruben war aus naheliegenden Gründen die Grundwasserferne stark ausschlaggebend. Im Gebiet des Tagebaus Greifenhain konnte für den Nordhang des Niederlausitzer Landrückens die zeitspezifische Höhenlage anhand einer Vielzahl von Fundplätzen studiert werden (Bönisch 1996). Hier war eine Oszillation der Höhengrenze der Besiedlung im Laufe der Zeit feststellbar, die offenbar mit der Änderung der Lage der Quellen, des Grundwasserstandes und Wasserdargebots überhaupt in den einzelnen Siedlungsphasen zusammen hängt. Die Speicherplätze lagen nicht höher als 95 m NN der ungefähr 130 m hohen Endmoräne mit rezenten Quellen bei etwa 110 m. Diese Position spricht für eine relativ trockene Klimaphase, die einerseits die Besiedlung der höheren Lagen wie in der Zeit der Buckelkeramik nicht gestattete, andererseits aber das Anlegen solch tiefer und trotzdem trocken bleibender Gruben ermöglicht hat, wenn zudem noch die beschriebenen Hänge und Kuppen genutzt wurden. Die kegelstumpfförmigen Speichergruben der Lausitzer Kultur sind jungund jüngstbronzezeitlich (Ha A/B), sie gehören den Stufen mit gerillter und waagerecht geriefter Keramik an (Tab. 1). Im Gebiet des Altdöberner Beckens liegt der Schwerpunkt der Grubeninventare in der Stufe der gerillten Keramik (Jungbronzezeit, Ha A). Als Beleg ist Groß Jauer 8 zu nennen, wobei für die grobe zeitliche Einordnung belanglos ist, daß es sich um sekundär eingefülltes Material handelt. Mit Altdöbern 12 ist die sog. Fremdgruppenzeit (Ritzmuster, schräge Schultergrate; Bz D/Ha A) einbezogen. Die Gruben der beiden isolierten Speicherplätze Pritzen 27 und 63 enthielten so gut wie keine Scherben. Die gerillten und umbruchgekerbten Doppelkoni in den Gruben Pritzen 23:17 und Pritzen 27:63 (Abb. 9,3–6) sind markante jungbronzezeitliche Typen, die bereits während der Fremdgruppenstufe vorkommen (vgl. Grünberg 1943, 18f.; Coblenz 1952, 61ff.; Buck 1989). Radiokarbondatierungen für Altdöbern 11 (Grube 16: 867 ± 43 BC) und Pritzen 23 (Grube 56: 958 ± 62 BC) ergaben ein zu junges in die Jüngstbronzezeit passendes Alter. Die Speicherplätze Horno 32 wiesen mehrere vollständige Gefäße (Abb. 9,7–12) in und zwischen den Gruben auf. Unterteilritzung, schräge Schultergratung,
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umrillte Buckel sowie glatte Eitöpfe erweitern hier das zeitliche Spektrum bis in die Stufe der späten Buckelkeramik (Bz D). Für die früheisenzeitliche Billendorfer Phase (Ha C/D) sind bisher solche Grubenanlagen nicht nachweisbar. Das deckt sich mit der Lage der Billendorfer Siedlungen in den teilweise rezent vernäßten Niederungen (Buck 1979, 12ff.; speziell für das Altdöberner Becken: Bönisch 1996, 114ff.), wo derartige Erdspeicher praktisch nicht möglich gewesen wären. Bekanntermaßen ist die Urnenfelderbronzezeit (Ende Bz D bis zum Beginn Ha C) in Mitteleuropa von einem trocken-warmen Klima, dem Subboreal, geprägt (Jäger 1970; Willerding 1977 bes. 367ff.; Maise 1998). Dieses spiegelt sich offensichtlich also in der Höhengrenze der Besiedlung und auch der Nutzung von Erdspeichern wider. Allerdings wird der allgemeine Trend von Schwankungen unterbrochen, die bei diffizilen kleinräumigen Untersuchungen in scheinbaren Unstimmigkeiten sichtbar werden (vgl. auch Gühne/ Simon 1986 bes. 316). Die Klimaabhängigkeit des Vorkommens von Speichergruben ist aus anderen Gebieten bekannt. So hat U. Willerding bereits in den 70er Jahren kegelstumpfförmige und flaschenförmige Vorratsgruben von der Eisenzeit bis zum Mittelalter zusammengestellt. Er konstatiert, daß deren zeitliche Verteilung mit der klimatischen Entwicklung korreliert und diese Form der Vorratsaufbewahrung nur während relativ trockener Klimaphasen gehandhabt worden sein kann (Willerding 1977, 371ff. mit Tab. 6; 380). Weitere Schwerpunkte sind die späte Hallstattzeit (Ha D), die jüngere vorrömische Eisenzeit/Spätlatène und das slawische Mittelalter. Für die Eisenzeit sei hier auf die Liste der Kegelstumpfgruben von D. Rosenstock (1979) verwiesen, in der die Siedlung Schönburg bei Naumburg mit charakteristischen fundleeren Gruben (Müller 1987 bes. 66ff.) zu ergänzen ist. Während heute die Lagerung von Getreide oberirdisch erfolgt, um ein trokkenes Milieu und Belüftung zu gewährleisten, war das jedoch noch im Mittelalter nicht durchgängig üblich. Außer den slawischen Getreidegruben von Tornow und Schönfeld wurden noch im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts im Amt Schlieben, Grenzgebiet zwischen Sachsen und der Lausitz, Korngruben angelegt (Stoy 1970). Zunächst entstanden in der „Kellerstraße“ im Lößboden des Schliebener Martinsberges 30 Erdanlagen, die sich vorzüglich zur Lagerung von Feldfrüchten eigneten. Da um 1500 gute Ernten Überschüsse ergaben, griff man darauf zurück und baute unterirdische Kornspeicher. In den Jahresrechnungen des Amtes Schlieben erscheint zwischen 1506 und 1524 die „Usgabe vor Korngruben“. Daraus geht die Anzahl der Gruben hervor, ihre Bauweise, Lagermethoden sowie Schwierigkeiten der Unterhaltung. Ein Eigentümer erhielt einen Morgen (ca. 0,25 ha) Wiese im Tausch, „darumb, daz
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er zugelassen, uff seyn ackir sechs Grubin zu machen, do man getreydigt inne schutt“. Es wurden tiefe flaschenförmige, sich nach oben verjüngende Erdlöcher ausgehoben und deren Wände mit einem Holzfeuer erhärtet. Es kam vor, daß beim Bau alles zusammenstürzte. Die Grube wurde mit Stroh ausgepolstert und nach dem Einbringen der Körner die Öffnung mit einem Holzspund verschlossen. Der Grubenbauer und sein Knecht waren der Lohnabrechnung zufolge neun Wochen und drei Tage beschäftigt. Regen und Tauwetter erforderten einen „Uffseher“ für die Korngruben. Zum Verständnis der Getreidelagerung in Erdspeichern sind die von F. Stoy (1970, 166) ausgewerteten jährlichen Angaben des Amtsschössers aufschlußreich, aus denen auch hervorgeht, daß das Korn mehrere Jahre lang in den Speichern lag. „1507 lagern in 5 der unterirdischen Speisekammern 2 417 Scheffel, durchschnittlich demnach in einer Grube etwa 500 Scheffel2. 1514 wird eine neue Anlage gegraben, die 447 Scheffel aufnehmen konnte. 1510 besitzt das Amt 12 Erdgruben mit buchmäßig 4 970 Scheffel. 1514 werden 3 Speicher geöffnet, damit der Inhalt untersucht werden kann. Nur ‚einiges Korn‘ war verdorben, konnte aber an der Sonne getrocknet werden. Nur die unterste Schicht auf dem Stroh war ‚verdumpet‘. 1524/25 konnte bei der durch anhaltende Dürre verursachten Mißernte auf die Reserven in den Vorratsgruben zurückgegriffen werden. Die Landesverwaltung ordnete die Öffnung der Korngruben an, aus denen nun verkauft wurde. Insgesamt wurden 1 836 Scheffel veräußert, 320 Scheffel waren verdorben“. Wenn dies auch andere Dimensionen sind, handelt es sich um wertvolle Angaben zur Grubenauskleidung, Aufbewahrungsdauer und Qualität des Speicherguts. Im slowakisch-pannonischen Raum sind noch im 20. Jahrhundert Vorratsgruben in Gebrauch gewesen (Buttler/Haberey 1936, 61f. Taf. 33). Wie die mittelalterlichen Speicher von Schlieben liegen rezente Speicherbauten außerhalb des Dorfes. In der Slowakei säumen Speicher die Straßenränder vor den Ortseingängen (z. B. Dhlá nad Oravou) oder befinden sich am Berghang oberhalb des Ortes (Vikartovce) wie das auch in weiter entfernten Teilen der Erde (Pamir) der Fall ist (Abb. 13). Ein wichtiger Grund dürfte dabei die Sicherung vor Bränden sein. Bronzezeitliche Speicherplätze der Niederlausitz (Grießen, Groß Lieskow, Heinersbrück, Horno, Pritzen u. a.) sind genauso von der Siedlung getrennt an Hängen und auf Anhöhen angelegt worden. Nur jungbronzezeitliche Knovizer Vorratsgruben wurden sowohl zwischen den Häusern als auch „auf ausgedehnten Flächen, die mit
2
Im Amt Schlieben als kursächsischer Verwaltungsbezirk galt der Dresdener Scheffel zu rund 105 l. Damit enthielt ein Speicher 52.500 l. Da ein Scheffel 81 kg Weizen entspricht (F. Bönisch 1967, 67f.; 74 Tab.), faßte einer der Erdspeicher also 40.500 kg.
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Palastmagazinen Klein-Asiens, Kretas und Mykenens sich vergleichen lassen“, beobachtet (Bouzek/Koutecký 1964, 43).
Form und Größe der Speicherplätze Es gibt unabhängig davon auch innerhalb der Siedlungen einzelne und Gruppen von Speichergruben. Beispiele dafür sind Altdöbern 12 oder die zahlreichen Silogruben auf jüngsten Grabungen von Frankfurt/Oder (Hummel/ Soeters 1999) und Rathsdorf, Kr. Märkisch-Oderland (Govedarica 2000). Da hier aber aufgrund der übrigen Siedlungsbefunde das Bild unklarer ist, lassen sich separate Speicherplätze in bezug auf Größe, Anzahl, Anordnung zunächst besser analysieren. Bisher wurden in der Niederlausitz schon drei solche Speichergrubenareale vollständig ausgegraben: Groß Lieskow 203, Horno 32 (West), Horno 32 (Ost). Insbesondere die ersten beiden vermitteln den Eindruck eines festgelegten, vielleicht sogar eingefriedeten Areals, in welchem die Speicher gebaut wurden. Dafür sprechen z. T. ziemlich geradlinige äußere Begrenzungen der mit Lücken durchsetzten Grubenkonzentrationen, wobei jeweils einige Gruben nach außen streuen (Abb. 7–8). Betrachtet man vor diesem Hintergrund die nur teilweise ausgegrabenen oder erhaltenen Speicherplätze, ist dasselbe Bild auch hier noch andeutungsweise erkennbar. Relativ gerade Abgrenzungen der Grubenverteilung zeigen sich sowohl bei dem nur mittels einiger Schnitte erfaßten Platz Groß Jauer 8 als auch bei dem ziemlich vollständig gegrabenen, jedoch von großen Störungen unterbrochenen Speicherareal Pritzen 61 (Abb. 6). Es hat teilweise den Anschein, als seien die Gruben von Groß Lieskow und Horno 32 (West) zunächst entlang der Seiten und dann mehr und mehr ungeordnet in der Innenfläche angelegt worden. Die Speicherareale gleichen sich nicht nur in ihrer Grundform, sondern auch in der Größe. Ihre Ausdehnung beträgt etwa 20 x 25/30 m. Das könnte auch für Pritzen 23, wo südlich der Grabungsfläche nur noch wenige Gruben beobachtet wurden, und den westlichen Abschnitt von Grießen 1 zutreffen, der zumindest Nord-Süd, von ein paar Ausreißern abgesehen, die Ausdehnung von 20 m besitzt. Etwas mehr als 30 m lang ist der besonders dicht mit Gruben besetzte Mittelabschnitt des in Neuhausen mit einer Straßentrasse durchschnittenen Speichergrubenareals (Beran 2000, 168; 170ff. Abb. 2,3). Im Falle von Grießen 1 kann es sich, sofern die östlich in einem Schnitt beobachteten Speicher zum selben Platz gehören, allerdings auch um ein dem Standort auf einem Sporn angepaßtes längliches Speicherareal handeln. Eine solche längliche Form weist Horno 32 (Ost) innerhalb einer kleinen Talkerbe auf. Mit dieser Form vergleichbar sind offenbar der bisher nur in der Längs-
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ausdehnung erfaßte Platz Heinersbrück 45 auf einer Düne und vielleicht auch Pritzen 27. Wenn auch die Quellenlage zur Feststellung einer zweiten Form von Speicherplätzen noch zu dürftig ist, erscheint mir die mit jeweils fast genau 50 m ziemlich gleiche Länge von Horno 32 (Ost) und Heinersbrück 45 bemerkenswert. Hiervon weicht auch Pritzen 27 um nur wenige Meter ab, und auch das eingangs betrachtete Grießen 1 besitzt eine (zumindest bisher) erfaßte Gesamtausdehnung von 50 m in O-W-Richtung. Der Flächeninhalt der Speicherplätze läßt sich in Ermangelung einer genauen Abgrenzung nur äußerst grob bestimmen. Für die vollständigen Speicherplätze Groß Lieskow und Horno 32 (West) errechnen sich Flächen von etwa 420 bzw. 500 m2. Entsprechend der oben geschilderten augenscheinlichen Ähnlichkeit von Form und Größe ergeben sich auch für die zu ergänzenden Speicherareale Flächeninhalte von um 500 m2 (Tab. 2). Die für Neuendorf angegebenen 600 m2 mit Erdsilos (Buck 1985, 88) beziehen sich jedoch wohl auf die Grabungsfläche, zumal es sich dort nur um 33 Gruben handelt. Tab. 2. Anzahl der Gruben und Flächengröße von bronzezeitlichen Speicherplätzen in der Niederlausitz. Vollständig erfaßte Speicherareale hervorgehoben Fundplatz
erfaßter Anteil (%)
erfaßte Anzahl Gruben
hochgerechnete Anzahl Gruben
Fläche (m²)
Grießen 1
33
42
~ 140
1000
Groß Jauer 8
33
34
~ 100
Groß Lieskow 203
100
204
500
Horno 32 (West)
100
90
420
Horno 32 (Ost)
100
111
500
Horno 32
100
201
Pritzen 23
50
45
90
600
?
?
500
920
Pritzen 27
?
121
-
?
Pritzen 61 (Nord)
66
67
~ 110
600
Anzahl der Erdspeicher Die Speicherplätze bestehen aus 90 (Horno 32, Westteil) bis 204 (Groß Lieskow) Gruben. Dabei muß vorerst offenbleiben, ob die in vollständig erfaßten Speicherarealen ausgezählte oder für fragmentarische Plätze über die Flächengröße hochgerechnete Anzahl von um 100 Gruben Zufall ist (Tab. 2). Für Pritzen 23 ist diese Zahl schon zu einem früheren Zeitpunkt errechnet worden (Bönisch 1996, 86), und Groß Lieskow weist fast genau die doppel-
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te Anzahl auf. Man sollte diese Beobachtung aufgrund der doch noch relativ wenigen Plätze dieser Art nicht überbewerten. Wie bei Grabgruppen von Bestattungsplätzen scheinen sich in den Speicherarealen jedoch zugehörige Siedlungen oder Gemeinschaften bestimmter Größe und Zeitspanne zu spiegeln, wahrscheinlich jeweils ein Gehöft. Diesbezügliche Analysen stehen für die bronzezeitlichen Speicherplätze der Niederlausitz noch aus. Ein Ansatzpunkt für solche Untersuchungen ist außer Fläche und Grubenzahl die Anordnung der Gruben. Hier fallen zahlreiche Überschneidungen auf, zu denen es trotz zahlreicher Freiflächen aus noch nicht bekannten Gründen gekommen sein muß. Bei genauer Betrachtung fällt jedoch auf, daß sich die Gruben nur mehr oder weniger stark tangieren (wenn man den Tiefenbereich der Mündungstrichter außer Acht läßt). Häufig sind daher zwei brillenförmig nebeneinander angeordnete Gruben zu beobachten. Auch innerhalb von Siedlungen bilden Speichergruben des öfteren Paare (Altdöbern 11 und 12). Darüber hinaus zeigen die Pläne der Speicherplätze Horno 32 und Groß Lieskow 203 auch kurze Reihen aus jeweils drei, vier, fünf oder mehr Gruben, entweder dicht aneinander oder mit geringen Abständen. Ob es sich hierbei tatsächlich um sukzessive angelegte und aufgrund des wohl im Wortsinne begrenzten Platzes sich überschneidende oder jeweils gleichzeitig gegrabene Erdspeicher handelt, muß vorerst unbeantwortet bleiben. Wenn die 100 Gruben eines Speicherplatzes einer Generation oder Hausphase von etwa 25–30 Jahren entsprächen, dann könnten jährlich drei oder vier Gruben neu eingerichtet worden sein. Diese Berechnung deckt sich mit vorliegenden Analyseergebnissen für bronzezeitliche Siedlungen Böhmens (u. a. Radonice: Turková/Kuna 1987) und die bereits genannten neolithischen Gruben von Hochdorf (Keefer 1988 bes. 35ff.). Hier wurden ebenso einzelne Gruppierungen mit einer entsprechend kleinen Zahl von Speichern ermittelt. Schließlich kann auch noch die Speicherkapazität der Gruben herangezogen werden. Bei einem durchschnittlichen Volumen von 0,80 m³ (Pritzen 27) können etwa 400 kg Spelzgerste in trockenem Zustand (510 kg/m³: Keefer 1988, 27 Anm. 28 nach einer Angabe von H. Küster) gelagert werden. Für Neuendorf 2 wurde ein Fassungsvermögen zwischen 500 und 800 kg Getreide je Grube ermittelt. Zur Aufbewahrung der geschätzten Getreidevorräte der aus drei Gehöften bestehenden Siedlung sind 18 Gruben erforderlich (Buck 1985, 88).
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Abb. 10. Oben: Teil des Speicherplatzes Horno 32. Unten: Heinersbrück 45, Kegelstumpfgrube im Dünenprofil
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Abb. 11. Links: Speicherplatz Pritzen 23. Rechts: Scherbenschicht eines Großbehälters auf der Schräge des Mündungstrichters des Speichers Altdöbern 12:180
Abb. 12. Links: Profilschnitt der Speichergrube Grießen 1:38 mit hellem Saum an der Stelle ehemaliger Auskleidung. Rechts: Brillenförmiges Grubenpaar Grießen 1: 25/26 mit durchwurzeltem hellem Saum im unteren Planum
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Abb. 13. Oben: Speicher von Roschorw, Pamir. Unten: Speichergebäude oberhalb Vikartovce, Slowakei (1984).
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Zusammenfassung Neben den Vorratsgruben innerhalb bronzezeitlicher Siedlungen wurden in der Niederlausitz eigenständige Speichergrubenplätze festgestellt. Sie befinden sich abseits der eigentlichen Siedlung auf Anhöhen, Dünen und an Hängen. Es handelt sich dabei um offenbar begrenzte Areale, wo trotz großer Freiräume sich Gruben tangieren bzw. stets nur leicht überschneiden. Diese auffälligen Grubenpaare und -reihen gehören möglicherweise zu einem Gehöft. Die bis zu 2 m tiefen Kellergruben bestehen aus einem markanten kegelstumpfförmigen Speicherraum von etwa 1 m Durchmesser wahrscheinlich für Getreide. In den Mündungstrichter wurde eine Abdeckung aus organischem Material, Steinen, Gefäßfragmenten und die Sandfüllung gegen Feuchtigkeit, Frost und Tierfraß eingebracht. Im Unterschied zu den sekundär als Abfalldeponie benutzten Gruben in Siedlungen enthalten die Speicherplätze kaum Funde, abgesehen von Material z. B. älterer Nutzungsphasen derselben Fläche. In und zwischen den Speichergruben befinden sich vereinzelt Gefäße. Danach gehören die Speicherplätze in den Zeitraum Fremdgruppen- bis Jüngstbronzezeit (Bz D/Ha A–Ha B). Die tiefen Speichergruben sind eine typische Erscheinung trockener Klimaphasen wie während der Urnenfelderzeit. Mittelalterliche Grubenspeicher und rezente Speicherbauten befinden sich zum Schutz vor Bränden genauso am Rande der Dörfer.
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Anschrift des Verfassers: Dr. E. Bönisch Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege Referat Braunkohle Altnauer Str. 5 D-03205 Calau
Studien zur Lebenswelt der Eisenzeit. RGA-E Band 40 – Seiten 333–351 © Copyright 2006 Walter de Gruyter · Berlin · New York
Köpenicker Teller und Spindlersfelder Fibel. Zwei Leitformen der jüngeren Bronzezeit aus dem Berliner Raum1 von Karin Wagner Wenn in einem Beitrag der Festschrift für Rosemarie Müller zwei Leitformen behandelt werden, wovon eine aus Bronze, die andere aus Keramik besteht, erwartet der Leser eine Erklärung, was dazu geführt hat, beides im Zusammenhang zu betrachten und hier vorzustellen. Frau Müller vermittelte uns während ihrer Assistenzzeit in Halle bronze- und eisenzeitliche Typologien. Mancher ließ irgendwann die Beschäftigung damit fallen, ist es doch mühselig, einer ausgetüftelten Typologie kritisch zu folgen und Neufunde einzupassen. Bodendenkmalpfleger können sich dieser Materie seltener entziehen, denn es dürfte sich um eine der fundreichsten Phasen der Ur- und Frühgeschichte in Mitteleuropa handeln, deren Relikte ihnen häufig begegnen. Klassifizierung des Fundgutes, weniger die Datierung, basiert immer noch auf Typologien, die in der prähistorischen Archäologie Anfang des 20. Jahrhunderts entwikkelt wurden und deren nähere Betrachtung sich auch heute noch lohnt. Grundlage dieser Forschungen waren Funde, die in dieser Zeit oder kurz davor entdeckt, eingeliefert oder als bedeutend erkannt worden sind. Vertreter der Museen und Sammlungen stellten öffentlich diejenigen Funde vor, von deren Bedeutung sie überzeugt waren. Auditorien von Gelehrtengesellschaf-
Abb. 1. 1 Schöneberger „Strohhut“. Erste Abbildung eines Köpenicker Tellers. 2 Köpenicker „Butterform“. Erste Abbildung eines Köpenicker Tellers 1
Manuskriptabschluß: Frühjahr 2002.
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ten beschäftigten sich damit und sorgten gleichzeitig dafür, daß Stücke und Kommentierungen publiziert wurden und somit in der Fachwelt Verbreitung und Beachtung fanden. Dabei kristallisierten sich spätere Leitformen heraus, wobei ein solcher Vorgang folgenreich war, wie es anhand der Beispiele dargelegt werden kann. Ernst Friedel, Direktor des Märkischen Provinzialmuseums, stellte am 17.05.1879 in der Sitzung der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte, die unter der Leitung Koners stand, als Tagesordnungspunkt 8 eine Auswahl von Fundstücken vor, welche dem Museum zugegangen waren. An neunter Position finden sechs „Schalen“ Erwähnung (Friedel 1879). Man kann diese Veranstaltung als Geburtsstunde des Köpenicker Tellers bewerten, obwohl der Terminus noch nicht vergeben wurde, wie F. Horst (1972, 125) irrtümlicherweise behauptete. Friedel stellte drei „ziemlich ähnliche“ Stücke aus dem Berliner Stadtteil Schöneberg vor, die „im Ganzen einer geflochtenen Mütze oder einem Strohhut ähnlich sind“, im Durchmesser 15–17 cm betrugen sowie 4 cm hoch waren (Friedel 1879, 165) (Abb. 1,1). Zum Vergleich wurden weitere drei, aus Köpenick stammende Stücke vorgelegt, die im Königlichen Museum vaterländischer Altertümer Berlin aufbewahrt waren und zuvor für mittelalterliche Butterformen gehalten worden sind (Abb. 1,2). Wegen ihrer Ähnlichkeit zu den Schöneberger Stücken wollte Friedel eine neue Interpretationsmöglichkeit vorlegen, die er wie folgt herleitete: Alle Exemplare bestehen aus unglasiertem, braunen Ton, weisen Verzierungen auf den Innenflächen auf, besitzen zwei Bohrlöcher am Rand, stammen von Urnenfeldern, sind als vorslawisch aufzufassen und lassen Analogien zu westpreußischen und posenschen Mützenurnen erkennen. A. Voss, Assistent von A. Bastian, dem Direktor der ethnologischen Abteilung des Königlichen Museums Berlin, nahm an der Veranstaltung teil, gab keinen Kommentar ab, obwohl er der vorher von Friedel angezeigten schnurkeramischen Urne aus Satzkorn bei Potsdam eine ausführliche Stellungnahme widmete. Ein Jahr zuvor war die bekannte Schrift von Bastian und Voss über europäische Bronzeschwerter erschienen, die im Besitz des Museums waren. Voss’ Zurückhaltung in der Sitzung war folgenreich. Nur ein Teilnehmer äußerte sich zu den Objekten. Oberst Baron v. Korff kam auf die von Friedel erwähnte ältere Deutung der Teller als Butterformen zurück und teilte mit, daß ihm vergleichbare Stücke aus Rußland bekannt sind. Somit endete die Betrachtung der Objekte an diesem Tage in der Annahme, es handele sich um jüngere Butterformen. Diese Sonderform der Turbanrandschalen wurde daraufhin nicht herausgearbeitet und wenig bei kulturgeschichtlichen Studien berücksichtigt, obwohl sie weite Verbindungen aufzeigt. Die Originale aus Schöneberg und Köpenick sind inzwischen verschollen. Aus heutiger Sicht
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erscheint der Name „Schöneberger Teller“ zutreffender, da anhand dieser Funde Friedel erstmals die korrekte Ansprache von Form, Alter, Vorkommen und Verwendung versucht hatte. Anders verhält es sich bei der Spindlersfelder Fibel. Elf Jahre später berichtete M. Weigel (1890), Kustos am Königlichen Museum Berlin, in den Ergänzungsblättern zur Zeitschrift für Ethnologie über Funde vom Hirschgarten bei Köpenick, die der Kunst- und Handelsgärtner P. Krause bei der Bearbeitung seines Gartens im Jahre 1889 ausgrub. Dabei waren eine Anzahl von Urnen und Tonscherben sowie verschiedene kleine Bronzebeigaben zutage getreten und dem Museum angezeigt worden. Weigel nahm die Funde beim Ausgräber in Augenschein und stellte fest, daß auf dem Leichenbrand einer großen, dickwandigen und intakten Urne (Kegelhalsamphore) „zwei sehr schöne Bronzefibeln von seltener Form“ lagen und beschreibt die Stücke danach ausführlicher: „Den Bügel bildet eine breite Platte aus Bronzeblech, die auf beiden Seiten spitz zuläuft und in einen dünnen Bronzedraht endigt, welcher letzterer erst zur Aufnahme des Dorns ösenartig gebogen und dann zu kleinen Scheibenspiralen zusammengerollt ist. Der eine Bügel ist mit fein eingeritzten Linien, der andere mit vielen kleinen eingestanzten Vertiefungen und vier kleinen, nach oben getriebenen Buckeln verziert. Beim letzteren Stück fehlt der Dorn“ (Weigel 1890, 4). Nach Abbildungen aus dieser und einer jüngeren Arbeit ergibt sich, daß die Längen der Fibeln 10 cm bzw. 11 cm betrugen (Abb. 2). Chronologisch ordnete er die Fibeln in den „Ausgang unserer märkischen Bronzezeit ein, (…) vielleicht in das 4. Jahrhundert vor Christus“ (a.a.O. 6). Die Konstruktion der Fibeln erinnere noch deutlich an die Kultur der Hallstattzeit, im Gegensatz dazu ähneln die kleinen, eingestanzten Ornamente und die halbkreisförmigen Einritzungen auf den Fibeln den Formen der älteren Latènezeit. Weigel bemerkte ebenfalls, daß Beigefäße fehlten, eine auf den Gräberfeldern dieser Zeit in der Gegend übliche Erscheinung. Im Museum ist noch die Bügelplatte des kleineren Exemplares erhalten. Die andere Fibel und das Gefäß sind verschollen2. Wenig später wurde der für den Fibeltyp ausschlaggebende Fund entdeckt. Beim Roden einer Kiefer kam im Frühjahr 1892 ein Hort zum Vorschein, der im Köpenicker Ortsteil Spindlersfeld, neben dem Gelände der namengebenden Färberei Spindler, lag. Der Hort befand sich in einer Tiefe von etwa 50 cm ohne besonderen Schutz im Erdreich. Er umfaßte 38 Gegenstände aus Bronze3. Neun davon werden dem Schmiedehandwerk zugewiesen (Metall-
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Inv.-Nr. der Fibelplatte: Museum für Vor- und Frühgeschichte I f 3153 b. Der Hort gehört zum Altbestand des Märkischen Museums und ist im Museum für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin aufbewahrt: Inv.-Nr. MM II 18322–18353.
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Abb. 2. Grabfund vom Köpenicker Hirschgarten. 1–2 Erste Abbildungen zweier Spindlersfelder Fibeln im Grabfund. 3 Amphore. Neuere Abbildungen der Spindlersfelder Fibel. 4 Fibel (verschollen). 5 Fibel (Platte erhalten)
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gußform, Halbfabrikat einer gegossenen Nadel, Meißel, Amboß). Zu den vielfältigen, stark abgenutzten Tracht- und Schmuckelementen gehören neben zwölf Anhängern, drei Armringe, vier Zierscheiben, Bronzeblech- und Spiralröllchen schließlich drei Fibeln (Reich 1991). Die drei Exemplare bilden bereits eine kleine Gruppe unterschiedlicher Typen, wovon zwei den Funden aus dem Köpenicker Hirschgarten ähnlich sind (Abb. 3,1–2). Die dritte Fibel besteht aus einem Drahtbügel, der mit Strichgruppen verziert ist und in Spiralplatten endet (Abb. 3,3). Die Nadel ist am Bügelrand eingehängt, deren Kopf ist als Spiralplatte ausgebildet und trägt das Mittelloch für die Einhängung in den Bügel. Diese Fibel ist mit 7 cm Länge die kleinste von allen, der Durchmesser ihrer Spiralplatten entspricht dem der anderen von etwa 2 cm. Diesmal sollte Friedel nach der Bekanntgabe eines Neuzuganges mehr Erfolg beschieden sein, was die Wertschätzung und weitere Behandlung des Leitwertes der Stücke anbelangt (Friedel 1892/1893). Nachdem Gustaf Kossinna (1917) diese bei der Betrachtung eines neuen Oststammes der Altgerma-
Abb. 3. Hortfund von Spindlersfeld bei Köpenick. 1–2 Spindlersfelder Fibeln mit Sanduhrmustern. 3 Drahtbügelfibel
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nen östlich der Oder während der Periode V einbezog und Nils Åberg (1935) sie in die bronze- und früheisenzeitlichen Chronologie aufgenommen hatte, widmete sich Ernst Sprockhoff (1938) den beiden Spindlersfelder Fibeln mit weidenblattförmigem Bügel. Dabei erlangten die Fibeln besonderen chronologischen und ethnologischen Stellenwert. Er hielt sie für eine „ Zwitterbildung“ und führte aus: „Die ständige Häufung dieser Fibel längs der germanischen Grenze in Verbindung mit ihrer Streuung im mitteleuropäischen Raum darf man sich wohl so erklären, daß sich die fortwährenden Kulturwellen aus dem Urnenfeldergebiet an der germanischen Grenze brachen, hier mußten die Anregungen feste Gestalt annehmen, und diese erhielt unter dem germanischen Sinn für Geometrie und klare Ornamentik auch germanische Form“ (Sprockhoff 1938, 219). Ihm war aufgefallen, daß bei all ihren Abwandlungen die Fibeln immer aus Bronzedraht gefertigt waren, was die Kenntnis und den Einsatz der Drahtziehtechnik voraussetzte, die er auf illyrische Tradition zurückführte. Eine Vielfalt der Ornamentik und das Größenwachstum, vor allem der jüngeren Exemplare, brachte er mit germanischen Handwerkern in Verbindung, deren Bevölkerungsanteil seiner Auffassung nach zunahm. Träger dieses Wandlungsprozesses wäre eine Mischbevölkerung aus nordischgermanischer und lausitzisch-illyrischer Prägung, die eine „Grenzgruppe“ bildete, „als deren Leitform wir die Spindlersfelder Fibel betrachten“ (a.a.O. 219f.). Dieses Zitat benennt erstmalig die Spindlersfelder Gruppe, eine bis heute für den Spree-Havel-Raum in der jüngeren Bronzezeit gängige Gruppenbezeichnung. Sprockhoff kam nochmal auf die Amphore aus dem Grabfund im Hirschgarten (Abb. 3,3) zurück und stellte fest, daß diese keine typisch lausitzische Ware darstelle, sondern auf gemeinsame Vorläufer hinweise, wie auf frühbronzezeitliche aber auch neolithische Amphoren der Baalberger Kultur Mitteldeutschlands (a.a.O. 207). Den Gedanken greift er wieder auf, um die „Gruppe Spindlersfeld mit den unmittelbaren Nachkommen der Träger des brandenburgischen Anteiles der Kugelamphorenkultur“ (a.a.O. 223) in Verbindung zu bringen, weist aber gleichzeitig darauf hin, daß eine genaue Herleitung des Zusammenhanges noch nicht möglich ist. Ernst Sprockhoff versuchte weiterhin, an der Geschichte der Fibel eine Möglichkeit aufzuzeigen, daß sich die Entwicklung der Bronzezeit des Südens mit der des Nordens im Raum Brandenburg parallelisieren läßt: „Die Spindlersfelder Fibel kann man in dieser Zeit also gewiß nicht als germanisch bezeichnen. Die Fibeln im Havelgebiet sind absterbende Überreste einer vergangenen Zeit, nicht aber kräftige Triebe einer starken Weiterentwicklung. Die mitteleuropäischen Fibeln stellen keine Ausfuhrware aus Brandenburg dar, wo die Form erwuchs, sondern Erzeugnisse der jeweiligen Urnenfeldergruppe. Die bereitwillige Aufnahme und Verbreitung durch sie im Zusammenhang
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mit der grundsätzlichen Ablehnung durch den nordisch-germanischen Kreis lassen Zweifel an dem rein germanischen Ursprung der Fibel mit Weidenblattbügel durchaus begründet erscheinen und geben der Vermutung Raum, als handele es sich schon vorher während der III. Periode um eine Gruppe, die damals bereits irgendwie mit den Kräften der späteren Urnenfelderkultur in innerer Beziehung stand“ (Sprockhoff 1938, 215–216). Die Frühdatierung der kleinen Fibeln im Spree-Havel-Raum basierte demnach auf Überlegungen zur Herleitung der Hirschgartener Amphore aus dem neolithischen Formenspektrum und der damals in der Diskussion befindlichen Datierung des Hortfundes. Sprockhoff datierte in Anlehnung an Kossinna (1917, 127) und Åberg (1935, 62) den Hort in die Periode III nach Montelius und äußerte, daß die ältere Urnenfelderkultur früher als bisher vermutet beginne. Damit wird die Fibel ein Bindeglied zwischen der nord- mit der süddeutschen Chronologie. Er schlägt schließlich vor, den Anfang der Stufe D nach Reinecke in die Periode III nach Montelius vorzuverlegen (Sprockhoff 1938, 206 Anm. 4). Otto Kleemann widmete sich dem Musterkanon der Fibeln. Er gliederte sie nach verschiedenen Ausprägungen der Strich- und Liniengruppen, Sanduhrmuster sowie Buckelverzierungen und bildete elf Gruppen für Periode III mit insgesamt 74 Vertretern (unter Auslassung von Bruchstücken) und drei für die Periode IV mit insgesamt 37 Stücken. Die jeweiligen Verbreitungsgebiete ließen sich gut voneinander abgrenzen (1942, 123–131). Das Mengenverhältnis zwischen Periode III- und Periode IV-Fibeln verhält sich bei Kleemann wie 74:37, bei Sprockhoff (1938) wie 36:92. Zur Periode III ist bei Kleemann nachzulesen: „Fibeln mit nur randverziertem, innen leerem Bügel beschränken sich auf den Raum zwischen Ruppin, der Prignitz, Sachsen ostwärts der Elbe und dem nördlichsten Schlesien (…). In demselben nördlichen Gebiet kommen auch die kreuzstrichverzierten Stücke und die mit einer strichelgesäumten Querstrichgruppe vor“ (Kleemann 1942, 127), Mehrfachstrichgruppen und Muster auf dem Bügel fehlen in diesem Raum. „Fibeln mit Sanduhrmuster auf dem Bügel sind dagegen in zwei ganz anderen Gebieten zu finden: Einmal in der Gegend, fast der nächsten Umgegend von Berlin und im mährischen Tiefland (…). Ist das Muster auf den Berliner Stücken und einzelnen mährischen aber noch einfach gestaltet, so entwickelt es sich in dem südlichen Ausbreitungsgebiet zu einer linienreichen Verzierung mit doppelter und dreifacher Wiederholung der Sanduhr auf den unverkennbar, z. T. größer gewordenen aber immer noch spitzovalen Bügeln“ (Kleemann 1942, 128). Daraus schlußfolgerte er auf eine Auswanderung aus der Mark nach Mähren. In der Periode IV weiten sich die jeweiligen Verbreitungsgebiete auf. Querstrichverzierte Formen sind aus der Prignitz, Mittelschlesien und dem Odermündungsraum bekannt, wogegen sanduhrverzierte Beispiele von der
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Weichsel und Ostseeküste, über die Prignitz und Schlesien bis an die Donau auftreten. Bei Periode IV-Fibeln kommen Buckelverzierungen hinzu. Wilhelm Albert von Brunn beschränkte den Typus Spindlersfelder Fibeln auf jene mit Sanduhrmusterzierde. Fehlende Elastizität und das besondere Dekor verleihen den Stücken Symbolgehalt (v. Brunn 1968, 164–165). Andere Stücke ordnete er Draht- oder Blattbügelfibeln zu. So gesehen wäre die Herstellung dieser zweiteiligen Fibeln auf Symbolträchtigkeit ausgerichtet. Regionale Ausprägungen spiegeln sich in zwei Varianten wieder. Ältere Spindlersfelder Fibeln lassen sich in elf Stücke der havelländischen Variante (kleines Format, einfaches querlaufendes Ornamentband, gekerbte Spiralen) und zehn Stück der oderländischen Variante (kleines Format und Sanduhrmuster) (v. Brunn 1968, 267–268 Nr. 18–19; Karte 8) trennen. „Zu diesen regional eng eingrenzbaren Varianten kommen dann die besprochenen Mischformen, die Merkmale mehrerer meist benachbarter Landschaften besitzen. Man kann bei diesen Mischformen über die regionale Zuweisung hinaus auf lokale Herstellung schließen.“ (a.a.O. 165). Seine Kulturprovinz Mittelelbe wird auch durch die Spindlersfelder Fibeln gekennzeichnet. Sie kommen in einer Gegend vor, in der Metallarmut herrschte und ein Formenspektrum erzeugt wurde, das sehr traditionell und zugleich eigenständig wirkt (a.a.O. 254–256). Fritz Horst untersuchte Formenkreise von verschiedenen typischen Metallen und Keramiken im Elb-Havel-Gebiet mit dem Ziel, deckungsgleiche Verbreitungsräume in Kulturgruppen zusammenzufassen. Seine „Spindlersfelder Gruppe der Lausitzer Kultur“ (Horst 1982, 17) umfaßte Fibeln vom Spindlersfelder Typ folgender Varianten: altmärkisch-havelländisch (27), oderländisch (8) und Spiralplattenfibeln mit Doppelspiralkopf (8) (Horst 1972, 105 Abb. 1; 143 Liste A–B)4. Im Abgleich mit den Verbreitungsgebieten anderer Formen kartierte er schließlich diese Gruppe als geschlossenes Gebilde im Spree-Havel-Raum. Deren Zentrum war das Berliner Gebiet. Naturräumliche Grenzen bildeten die Flüsse Elbe und Oder sowie Seen und Waldgebiete des nördlichen und südlichen Landrückens (Horst 1978, 153 Abb. 7). „Es ist geplant, diese Gruppe im Zusammenhang mit der Vorlage und Auswertung des Gräberfeldes von Berlin-Rahnsdorf (H. Seyer und F. Horst) stärker, als es bisher geschehen ist, herauszuarbeiten (Spindlersfelder Fibel, Armringe und Flechtbandornament und ältere gedrehte lausitzische Fußringe, Turbanrandteller, Wannen- und Schachtelgefäße).“ (Horst 1978, 172 Anm. 14)5.
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In Klammern gesetzt die Anzahl der jeweiligen Stücke. Eine derartige Studie kam bis heute nicht zustande. Fritz Horst verstarb 1990 im 54. Lebensjahr.
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Das Gräberfeld auf dem Rahnsdorfer Sprintberg in Köpenick (Jagen 216220) mit über 200 Bestattungen ist eines der größten dieser Art in Berlin, aber nicht vollständig publiziert (Horst u. a. 1987). Nach meiner Durchsicht der Materialzeichnungen können eine Reihe von Bodenscherben in den Gräbern 40, 42, 44 und 175 als mögliche Köpenicker Teller infrage kommen, die auf der Innenseite einen erhöhten Bodennabel aufweisen6. Weitere Teile ließen sich, anscheinend wegen ihrer Dünnwandigkeit und Bruchanfälligkeit des Scherbens, aus dem Material nicht mehr herauslesen. Reste von Fibeln konnten unter den teils stark gebrannten Bronzen nicht mehr identifiziert werden. Während der laufenden Grabungen erfolgte die Datierung in die Periode III b/Periode IV nach Montelius (Seyer 1967, 147–150). Später wurde die Belegung des Gräberfeldes bis „Periode VI (früh)“ verlängert (Horst u. a. 1987, 205). Von Köpenicker Fundplätzen sind viele Teller überliefert, jedoch keine mehr vorhanden. Drei Stücke stammten vom Oettingschen Feld, deren Fundumstände können sowohl auf einen Siedlungs- als auch Grabfund hindeuten. Das betreffende Areal Lindenstraße 24 bis zur Dammbrücke ist fast vollständig überbaut (Schulz/Eckerl 1987, 334–335). Aus dem Jagen 199, am Eichhügel, sind von Grabungen A. Kiekebuschs weitere Teller bekannt, wobei es sich um eine Siedlungsstelle handeln soll (Schulz/Eckerl 1987, 361). Die Siedlung von Berlin-Buch, Wiltbergstraße, bekannt durch die Grabungen A. Kiekebuschs von 1910 bis 1914, befindet sich in Spornlage westlich der Pankeniederung. Eine „Grube y“ war besonders tief und voller schwarzer Füllerde. Ihre Abdeckung bestand aus einem unverhältnismäßig großen Köpenicker Teller, der, durch die Erdlast zerbrochen, mit der Schauseite nach oben lag und so vom Ausgräber fotografiert worden war (Wanzek 2001, 70 Taf. 42,120; 43,121). Kiekebusch ging auf diesen Befund nicht näher ein. Allerdings war ihm eine „große Anzahl gefundener Deckel und deren Mannigfaltigkeit“ im Fundstoff der Siedlung aufgefallen (Kiekebusch 1923, 72 Taf. XVI,b). „Allen gemeinsam ist der gedrehte Rand und doch weichen auch in der Randbildung die einzelnen Stücke voneinander ab, sei es, daß die Hohlkehlen zwischen den Graten mehr oder weniger breit sind, sei es, daß sich die Drehung nur auf den äußersten Rand beschränkt oder einen großen Teil der Oberfläche in Anspruch nimmt. Die zweite bei allen Deckeln vorkommende Verzierung sind die konzentrischen Kreise, die sich um den erhabenen Mittelkegel herumziehen. Der Kegel ist in der Mitte stets grübchenartig vertieft. Alle Deckel weisen am Rand zwei nebeneinander stehende Löcher auf“ (a.a.O. 72).
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Dem Abteilungsleiter der Archäologischen Sammlungen am Märkischen Museum Dr. Eberhard Kirsch sei für die Erlaubnis, in die Unterlagen einsehen zu dürfen, herzlicher Dank ausgesprochen.
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Er weist noch auf zwei Stücke hin, die „im Mittelkegel“ durchlocht sind, was er mit dem Entweichen des Wasserdampfes in Verbindung bringt, da er ja von einer Nutzung als Deckel ausgeht. Von der Siedlung ist die Nadel einer Bronzefibel bekannt, die von einer Spindlersfelder Fibel stammen könnte und unter dem Eindruck der anderen Metalle von E. Sprockhoff nach Periode IV datiert wird (Kiekebusch 1923, 79 Nr. 18; 97 Abb. 36; Sprockhoff 1938, 227). Verschmolzene und verschlackte Reste sowie eine Punze traten vereinzelt auf und wurden von Kiekebusch (1923, 78–80) als Überreste der von den Bewohnern verlassenen Siedlung gedeutet. Das der Siedlung zugeordnete Gräberfeld Buch-Heimstätte befand sich am gegenüberliegenden Pankeufer in Höhenlage und enthielt im „Grab 4“ einen Köpenicker Teller als Deckelgefäß (Kiekebusch 1923, 89). Vom Wittenauer Gottesberg, einem ehemals großen Urnengräberfeld in Berlin-Reineckendorf, wird ein restauriertes Deckgefäß im Bronzezeitsaal des Museums für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin gezeigt, dessen Gestalt den Tellern entspricht. Die Dekorweise weicht allerdings vom üblichen Rahmen ab (Menghin 1999, 99). Anstelle schräger oder konzentrischer Riefen sind flache Ritzlinien auf der Innenseite zu sehen, die eine Rad- oder Sonnendarstellung wiedergeben, was zum Formenkreis der sächsisch-böhmischen Lausitzer Kultur und ihrer Westgruppen gehört. Nach Abgleich mit der Literatur stellte sich heraus, daß die Verzierung auf keinem der Teller vorkommt, obwohl vom Gräberfeld sechs Köpenicker Teller überliefert sind (Kloos 1986, 81 Taf. 14,3; 85 Taf. 18,1; 87 Taf. 20,5; 88 Taf. 21,8; 92 Taf. 25,3; 100 Taf. 33,5). Fibelreste sind im geringen Metallfundus des Gräberfeldes nicht vertreten (Kloos 1986, 29). So bezieht sich Kloos bei der Datierung auf die Keramik: „Der Gottesberg ist ein Gräberfeld der Lausitzer Kultur, das während einer Spätphase der scharfkantigen, gerillten und facettierten Ware und einem älteren Abschnitt der waagerecht gerieften Ware belegt wurde“ (Kloos 1986, 34), was sich mit den Perioden IV und V nach Montelius parallelisieren läßt und damit in die jüngere Urnenfelderzeit gehört. Die nächstliegende Fundstelle mit dem gemeinsamen Vorkommen von Fibel und Teller fand sich auf dem Kienwerder in Lübars. Der Werder erstreckt sich in nördlicher Richtung und befindet sich, wie das Gräberfeld, östlich des Hermsdorfer Fließes in wenigen Kilometern Entfernung. Zwischen Gräberfeld und Siedlung verlaufen verlandete Altwasserarme. Bei Rettungsgrabungen in der Siedlung sind eine Reihe von innenverzierten Deckgefäßen entdeckt worden. Bei zwei Fragmenten handelt es sich um sichere Köpenicker Teller (Paulus 1973, 82 Taf. III,3.7). In einem Hortfund waren, neben dem Bügel und der Nadel zweier (?) Fibel(n), wovon eine als Spindlersfelder zu erkennen war, mehrere Ringe und sowie Ring- und sowie Nadelfragmente vergraben. Wegen
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ihrer kompakten Lagerung sowie ihres Zustandes hielt Paulus (1973, 66–67) den Hort für den Materialbesitz eines Gießers. Horst bezog sich, was die Aussagen über die Turbanrandteller angeht, überwiegend auf Jozef Kostrzewski. Dieser stellte für Pommern die Tonware der Lausitzer Kultur zusammen und nannte die „Schmuckteller“ eine sehr typische Form der Periode V, die von ähnlichen Gefäßen aus Schlesien und Böhmen beeinflußt worden sind (Kostrzewski 1958, 404). Die abgebildeten Beispiele zeigen vom Berliner Raum abweichende Varianten (Kostrzewski 1958, 120 Abb. 87). Die Spätdatierung der Teller nahm F. Horst (1972, 125) anhand einer „Anzahl gesicherter Grabfunde aus dem Odermündungsgebiet“ vor und stellte sie in die Periode V nach Montelius. Später synchronisierte er die Periode V mit den absoluten Daten von Mitte 10. bis Mitte 8. Jahrhundert v. Chr. (Horst 1978, 149). Da er nicht zwischen Turbanrand- und Köpenikker Tellern trennte, sind sowohl die Fundortliste der Turbanrandteller (Horst 1972, 157–159) als auch deren Kartierung und Datierung für unser Anliegen zu ungenau (a.a.O. 129 Abb. 17). So ergibt sich durch die Bucher Funde eine erste Übersicht über das Spektrum dieser keramischen Leitform durch den Berliner Raum (Abb. 4). Es handelt sich um Deckelgefäße der Gattung Turbanrandteller. Ihre Grundform ist immer rund. Sie sind als flache Teller oder schüsselartige Schalen ausgebildet. Am Rand befinden sich ein oder zwei Lochpaare. Der Rand liegt flach oder ist, zur Betonung der Innenansicht, hochgewölbt. Er ist immer gerieft bzw. gedreht („geflochten wie ein Turban“). Der Gefäßdurchmesser schwankt geringfügig zwischen 15–20 cm. Wand- und Bodenstärken unterliegen größeren Schwankungen und weisen Extreme auf. Die Innenverzierung ist konzentrisch angelegt. Es überwiegen kombinierte Muster, bestehend aus Riefen, Dellen und Rillen. Außenverzierung ist nicht vorhanden. Die Teller werden als Urnenabdeckung oder in Siedlungen verwendet, wo ihr Gebrauch noch unbestimmt ist. Mitunter kommen gleichaussehende Stücke auf einer Fundstelle vor. Das stilistische Hauptkriterium befindet sich am Boden, hebt diesen hervor und verleiht dessen Innenansicht einen besonderen Blickpunkt: Ein hochgezogener Nabel, der mit Grübchen oder Loch betont ist. Es scheint, als ob in der Region ein gewisser Musterkanon bei den Tellern üblich war, der sich in den Stücken von Buch, Wittenau und Zepernick widerspiegelt (Abb. 4). Ähnliches gilt für den Odermündungsraum, wo die Dekorweisen Riefen und Ritzlinienbündel aufweisen. An Wänden hängende Schmuckteller, die je nach Region und Tradition gestaltet sind, befanden sich bis in die Moderne in vielen Häusern. Der damit verbundene Brauch des Schützens und Behütens von Gebäude, Hausrat und den darin lebenden Menschen und Tieren dürfte eine der umfassendsten „Versicherungen“ aus
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der Vor- und Frühgeschichte sein. Wer einen solchen Teller nicht hatte (oder nicht haben durfte) war schutzlos. Geriet ein „geschützter Hausrat“ in unabwendbare Gefahren, wie Brand oder Plünderung, und der Teller konnte gerettet werden, fand er im Hort, Grab oder in Form einer Opferung die „letzte Ruhe“7. Die Fibel regte unterschiedliche Variantenbildungen und Datierungen an. Die Zahl der Fundorte sank von Sprockhoff (1938: n=128) über Kleemann (1942: n=111), v. Brunn (1968: n=86) und Horst (1972: n=43) bis Reich (1991: n=24) stetig, was dafür spricht, daß im Verlauf ihrer Erforschung eine Einengung des Typs erfolgt war, die sich nach zeitlichen und funktionalen Kriterien richtete8. In der Reihe Prähistorische Bronzefunde schwindet der Name Spindlersfelder Fibel immer mehr, andere Fundorte wie Gemeinlebarn, Heidesheim, Bohdalice und Drslavice stehen der Fibelform Pate. Für die Aufrechterhaltung des alten Namens sprechen mehrere Tatsachen. Ersterwähnungen und -abbildungen einer ganzen Palette von Fibeln dieser Form beziehen sich auf Fundorte in Köpenick-Spindlersfeld. Wie oben näher ausgeführt, traten im Spindlersfelder Hort von 1892 die kleinen Stücke mit weidenblattförmigem Bügel auf, deren Bügel mit Sanduhr-, Kerben- und Buckelzierden versehen waren sowie Exemplare mit Drahtbügel, deren Nadeln sich am Kopf leicht ausweiten (Abb. 2–3). Ein weiteres Argument ergibt sich aus der Überlegung, daß mit dieser Frühform von Gewandhaften das Tragen einer Kleidung Einzug hielt, die wiederum den Trägern eine bestimmte Würde bzw. besonderes Ansehen verlieh. Nicht immer eigneten sich die Fibeln für den häufigen Gebrauch. Manchmal überwog der „äußere Schein“. Also konnte jeder Anspruch, der an eine bestimmte Fibel gestellt wurde, erfüllt werden. Abnehmer- und Herstellerkreis standen demzufolge in einem engen, stabilen und auf den regionalen Bedarf ausgerichteten Verhältnis über einen Zeitraum von ungefähr zweihundert Jahren. Vereinzelte „Ausflüge“ in den überregionalen Markt sind bezeugt. Bereits unbrauchbar geworden, wurden die alten, zerbrochenen Fibeln zum Brucherz gelegt und gehortet, um sie bei Bedarf neu zu schmieden. Uns interessiert nun, ob es heute möglich ist, einen engeren Zusammenhang zwischen Spindlersfelder Fibeln und Köpenicker Tellern mit Hilfe alter und neuer Fundorte herzustellen. Christine Reich legte eine europaweite Auf7
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Die hier vorgeführte Deutung der Teller ist eine freie Auslegung von Sitten, die unter dem Stichwort „Haussegen“ im HDA 3 (Berlin, Leipzig 1930/1931, Sp. 1575) nachgelesen werden können. In Klammern gesetzt die Jahreszahl der Arbeit und die Anzahl der dem Typus zugeordneten Stücke.
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Abb. 4. Siedlungsfund von Buch, Bezirk Pankow. 1–6 Köpenicker Teller
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listung und Verbreitungskarte der Spindlersfelder Fibel mit Sanduhrmuster von 24 Fundorten vor (Reich 1991, 71 Liste 8; 77 Taf. 6). Zum Vergleich: Bei Kleemann (1942) sind 52 solcher Orte, bei v. Brunn (1968) zehn, bei Horst (1972) acht genannt. Reich (1991, 64) verwies auf zwei Schwerpunkte, einen in Mähren und der Westslowakei mit vier Fundorten, einen zweiten im nördlichen Brandenburg und dem angrenzenden Mecklenburg mit 13 Fundorten. Einzelne Exemplare sind in Siebenbürgen, Niederösterreich, dem Burgenland sowie am mittleren Rhein und auf Rügen vertreten. Sie diskutiert die in der Fundortliste angegebenen Beispiele aus Horten und Gräberfeldern mit Blick auf vergesellschaftete Metalle und liest daraus die „tendenzielle Entwicklung von länglich schmalen Bügeln mit kleinen Spiralen bis zu breiten gedrungenen Bügeln und größeren Spiralen“ (a.a.O. 66) ab. Die Spindlersfelder Exemplare nehmen in dieser typologischen Reihe eine mittlere Stellung ein, weshalb sie nach Hallstatt A1 datiert werden. Daran geknüpft ist auch die Datierung des Zeitpunktes der Niederlegung des Hortes: Ältere Urnenfelderzeit bzw. Hallstatt A 1, d. h. 12. vorchristliches Jahrhundert (a.a.O. 67). Dessen Charakter wird als ein Sammeldepot umschrieben, das über die Dauer von 300 Jahren zusammengetragen wurde und als Brucherz wiederverarbeitet werden sollte. Ein Entstehungsgebiet der Spindlersfelder Fibel mit Sanduhrmuster ließ sich nicht erkennen, da frühe Stücke sowohl im brandenburgischen als auch im böhmischen Raum vorkommen. „Um der Lösung des Problems näher zu kommen, müssten sämtliche Spindlersfelder Fibeln (nicht nur die mit Sanduhrmuster) betrachtet werden“ (a.a.O. 66). Vom Fuße des Susani-Hügels, Gemeinde Train im rumänischen Banat, ist ein großer Mischhort (Werkzeuge, Waffen, Schmuck, Brucherz) bekannt, in dem das Bruchstück einer großen Fibelplatte mit Sanduhrmuster vorkommt und der nach Periode III datiert wurde (Filimon 1924; Parvan 1924; v. Brunn 1968, 291)9. Dieser Hügel liegt an isolierter Stelle in einer Sumpfgegend und ist künstlich geschaffen worden. Nach Einschätzung von Ion Stratan und Alexandru Vulpe (1977) handelte es sich um einen großen Kultplatz, weil Hinweise auf Bestattungen fehlen. Diese Interpretation wird von Vulpe mittlerweile relativiert. Wegen der Bestattungssitte und den Bodenverhältnissen sind keine Gräber erhalten geblieben, aber der Hügel stelle ein „Totenhaus“ dar (Vulpe 1995). Zehn Fundgruppen befanden sich an unterschiedlichen Stellen und waren mit besonderen Metallen und reichhaltigem Keramikgeschirr, teils Geschirrsätzen, ausgestattet. In Gruppe 3, einem gestörten Befund, der am Südostrand des Hügels lag, befanden sich drei zusammensetzbare Deckel und Bruchstücke weiterer sieben gleicher Form. In ihrer hutförmigen Gestalt, 9
Für den Literaturhinweis sei Sabine Pabst-Dörrer und Olaf Dörrer herzlich gedankt.
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mit stark ausladender Krempe und tordiertem Rand, entsprechen sie den Köpenicker Tellern (Stratan/Vulpe 1977 Taf. 5; 7). Die Datierung der Fundgruppen erfolgte anhand der Geschirrformen und Dekore in die Stufe Hallstatt A2 (12.–10. Jahrhundert v. Chr.). Jüngerer Fertigung sind Objekte wie die Teller, deren Dekore aus konzentrischen Kreisen bzw. Kreismustern bestehen und die auf Vorbilder aus dem ägäischen Raum zurückgehen. Die Fibeln markieren den Beginn der jüngeren Bronzezeit in unserem Raum. Im Einzugsbereich des Spindlersfelder Hortes widerspiegelt sich ein Kontaktraum zu dieser Zeit, der, vom Karpatenbecken ausgehend, Süddeutschland, Böhmen und Schlesien einbezieht und in nordöstlicher Richtung Pommern erreicht (Reich 1991, 67). Die Teller, als Vertreter der Spätphase der jüngeren Bronzezeit, sind zumindest in Brandenburg, Böhmen, Schlesien und Pommern sowie dem Karpatenbecken nachgewiesen (Kostrzewski 1958, 404; Stratan/Vulpe 1977, 53; 57). Richtungen kultureller Einflüsse lassen sich, in Ermangelung absoluter Daten, nicht näher bestimmen. Es wird sich um Kontakträume handeln, die in zeitlichen Abständen miteinander und enger kommunizierten als andere Gebiete. Dies setzte an bestimmten Punkten länger ansässige Gemeinschaften voraus, die imstande waren, verhandelbare Werte zu erzeugen und am überregionalen Warenaustausch teilzunehmen. Indizien für eine besondere Bedeutung dieser Gemeinschaften können die Größe und Struktur ihrer Siedlungsgebiete sein, wie auch das Aufkommen an fremden Erzeugnissen und der Grad der Siedlungshierarchie, der sich u. a. im Burgenbau widerspiegelt. Solche Räume vermuten wir um die Orte Buch-LübarsWittenau, Hirschgarten-Spindlersfeld-Köpenick und beziehen in unsere Überlegungen die Zitadelle Spandau und Schloßinsel Köpenick mit ein. Topographisch betrachtet liegen diese Räume nicht an gleicher Position. Buch und Lübars befinden sich außerhalb des breiten Warschauer-Berliner-Urstromtales auf der steil ansetzenden Barnimhochfläche. Köpenick und Spandau bieten zwei der wenigen Bereiche zur Durchquerung des breiten, dicht bewaldeten Urstromtales, dessen Randhöhen nicht ohne weiteres einsehbar waren und „Zwischenstationen“ erforderlich machten. Martin Hentzschel (1991, 101–102) kartierte 31 Hauptsiedlungszonen nach Kartenvorlagen bei Horst. Jener setzte eine Struktur voraus, die aus Arealen bestand. Eines davon umfaßte den Siedlungsplatz, dazugehörige Wirtschaftsflächen sowie das Gräberfeld (Horst 1982, 17ff.; 18 Abb. 14). Ließe sich ein solcher Bereich aus geologisch-topographischen Gründen abgrenzen, dann könnte von Siedlungskammern gesprochen werden. Mehrere davon ergäben Siedlungsgebiete. Ein solches stelle die Spindlersfelder Gruppe dar, die einem Stamm entspräche, wie Horst (1978, 153 Abb. 7) zumindest den zugrundeliegenden Aufsatz betitelte.
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Nicht bei allen Rettungsgrabungen größeren Umfanges in oder nahe an den Hauptsiedlungszonen traten Teller auf10. So wurde vor wenigen Jahren eine weitere an der Bake gelegene Siedlung in Lichterfelde-West (Nähe Zone Nr. 12) ausgegraben, die, wie jene am Klinikum Benjamin Franklin, keine Teller lieferte (v. Müller 1964; Wagner/Benecke 2000). An der Schönerlinder Straße in Buch (Zone Nr. 19) konnten eine Siedlung vollständig und mehrere in Teilen ausgegraben werden (Michas/Vietze 2000). In der aus Gehöftanlagen bestehenden Siedlung fand sich das Fragment eines Köpenicker Tellers, das zerscherbt und rückverfüllt, mit anderem Material vermengt, in einer Abfallgrube lag. Ein weiterer Tellerrest stammt aus einer teilgegrabenen Siedlung11. Von einem bemerkenswert hohen Anteil solcher Teller berichtet Wolfgang Schmiederer aus Zepernick (Zone Nr. 30). Die Siedlung lag am Pankezufluß (Schmiederer 2000, 50). Das Dekor der Teller ist von Dellenreihen gekennzeichnet, welche die konzentrischen Riefen umsäumen. Dieses Motiv tritt auch bei den Neufunden aus Buch auf. Wie die Schloßinsel in Köpenick (keine Zone) eignet sich auch die Zitadelle in Spandau (Zone Nr. 8) aus topographischen Gründen für einen Platz mit Burgenfunktionen. Auf der Schloßinsel in Köpenick konnte unlängst eine solche befestigte Anlage aus der späten Bronzezeit/älteren vorrömischen Eisenzeit nachgewiesen werden. Bei Grabungen in den siebziger Jahren in Spandau wurde die erforderliche Grabungstiefe von wenigstens 2,5 m nicht erreicht. Von 1969 bis 1975 grub Wolfgang Gehrke (1972, 113) in den Kellerräumen des Palas, Haus 2, bis zu durchschnittlichen Tiefen von 1,8 m bei eintretendem Grundwasser. Dabei fand er unter der spätslawischen Schicht eine sandige Zone mit bronzezeitlichen und neolithischen Scherben, den Rest einer Omphalosschale und eines Tonlöffels (Gehrke 1972, 114 Abb. 3). „Durch die Kellerbereiche verlief die geologisch alte Uferzone des einst südlich des Gebäudes entlangziehenden Wasserlaufes. Hier fanden sich spätbronzezeitliche Scherben“ (Gehrke 1980, 87). „Bereits im Neolithikum lässt sich in Spuren eine Siedlung der Kugelamphorenkultur belegen. In der Bronzezeit wählen abermals Menschen den Ort zur Besiedlung“ (a.a.O. 109). In Köpenick wurden die auf der Schloßinsel befindlichen Gebäude in den letzten fünf Jahren einer umfassenden Gründungsinstandsetzung unterzogen. Dabei konnten große Flächen im nicht bebauten Areal des Schloßhofes untersucht werden. Vor dem Galeriegebäude befand sich in 4 m Tiefe eine Bestat10
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Im folgenden Text werden nach M. Hentzschel 1991 die Nummern der dort bezifferten Hauptsiedlungszonen übernommen und an passender Stelle in Klammern gesetzt. Grabungstechniker Hans-Peter Vietze und Magazinwart Manfred Wiemer fanden die Fragmente mit den Inventarnummern 1648/1887/213, 1690/86-45 heraus, nachdem wir über das Aussehen der Teller gesprochen hatten.
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tung aus dem ersten Drittel des 3. vorchristlichen Jahrtausends. Ein Schichtpaket der jüngeren Bronzezeit/älteren vorrömischen Eisenzeit lag darüber und war vom Neolithikum durch einen Sandauftrag getrennt. Bis zu einer Tiefe von 2,5 m enthielt diese Strate zahlreiche Funde und Befunde. Darüber hinaus ließen sich die Konstruktionen und der Verlauf einer Holz-Erde-Befestigung freilegen, die nach Radiokarbondaten von 830–800 v. Chr. errichtet worden war (Nath 2000, 88). Bodendenkmalpflegerische Aktivitäten in Spandau, Köpenick, Buch und Lichterfelde-West sowie die erneute Betrachtung von Altgrabungen, wie der fraglichen Spandauer Burg, der Bucher Siedlung, des Wittenauer und Rahnsdorfer Gräberfeldes, zeigen, daß sich das fest gefügte Bild der Kulturgruppengliederung nach Horst (1978, 153 Abb. 7) im Berliner Raum auflockern läßt. Wir nähern uns aber seinen Andeutungen, daß hier mit Siedlungshierarchien zu rechnen ist (Horst 1972, 102; 1982, 17). Burgen in Spandau (?) und Köpenick hatten zentralörtliche Bedeutung und waren von Siedlungen und Gräberfeldern umgeben, die miteinander eine Gemeinschaft bildeten. Weitere Flächen, die am Wasser lagen oder davon umgeben waren, wie Talsandinseln, Kuppen auf Talsandterrassen, Talsand- und Terrassenhanglagen u. a. m., wurden teilweise analog genutzt (Buch). Eine Vielzahl kleinerer und lockerer organisierter Gemeinschaften siedelte in ähnlicher topographischer Position jedoch ohne zentralörtliche Funktionen (Lichterfelde-West).
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Abbildungsnachweis Abb. Abb. Abb. Abb.
1: 2: 3: 4:
Nach Friedel 1879, 165. 1–3 nach Weigel 1890, 5; 4–5 nach Schulz/Eckerl 1987, 332. Nach Schulz/Eckerl 1987, 354. Nach Wanzek 2001 Taf. 137,2.1; 139,2; 137,3; 138,1; 139,1.
Anschrift der Verfasserin: Dr. Karin Wagner Landesdenkmalamt Berlin Klosterstr. 47 D-10179 Berlin Email:
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Studien zur Lebenswelt der Eisenzeit. RGA-E Band 40 – Seiten 353–368 © Copyright 2006 Walter de Gruyter · Berlin · New York
Häuser und Haushalte der Heuneburg1 von Helga van den Boom Die Archäologie von Häusern ist eine Archäologie des Raumes, der Artefakte und der Menschen, die darin leben. Häuser können als eine zentrale praktische wie konzeptuelle Einheit sowohl in Verwandtschaftssystemen wie in der politischen Organisation und der Ökonomie angesehen werden. Sie haben nicht nur als materielle Wirklichkeit existiert, sondern auch als „mentaler Plan“ (Bailey 1990, 22–26; 28; van den Boom 1996b, 196). Es liegt nahe anzunehmen, daß konzeptuelle Grenzen ihre physischen Entsprechungen haben (Dark 1995, 142f.). Eine Analyse, die Aussagen über die räumliche und soziale Organisation der Haushalte machen möchte, sollte zwei Ebenen berücksichtigen: den einzelnen Haushalt und die Gesamtsiedlung. Soziale Beziehungen, u. a. diejenigen zwischen den Geschlechtern, werden durch räumliche Strukturen des Hauses organisiert, wie die räumlichen Strukturen einer Siedlung die Organisation der Aktivitäten der ganzen Gemeinschaft bestimmen (Samson 1990, 6; 14). Die Hausnachbarschaften, d. h. der räumliche Abstand zwischen Häusern, die Art und die Entfernung der Wege zwischen ihnen z. B. sagt auch etwas über die soziale Distanz aus (Dark 1995, 97ff.; Saunders 1990, 183f.). Architektur ist die bewußte Grenzziehung zu anderen, seien es Individuen oder Gruppen. Der Haushalt sollte primär als eine ökonomische, aufgabenorientierte Einheit gesehen werden und erst in zweiter Linie als eine residentielle (Bernbeck 1997, 186; Blanton 1995, 5). Feste Installationen und mobile Funde sind die archäologischen Korrelate produktiver und konsumptiver Tätigkeit. Daß bestimmte Hausteile eine bestimmte symbolische Bedeutung gehabt haben, die das Verhalten der Bewohner strukturierten, können wir nur postulieren, aber nicht mit archäologischen Methoden beweisen (Weiser-Aall 1987, 1552; 1554). Eine Siedlung kann anhand der Architektur in funktionale Einheiten wie z. B. Verkehrszonen und Wohngebiete gegliedert werden oder noch einfacher in bebaute Flächen sowie Wege, öffentliche und halböffentliche Plätze. Aus der Verteilung mobiler Gegenstände kann bei günstigen Überlieferungsbe1
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dingungen auf die Lokalisierung bestimmter Tätigkeiten geschlossen werden (Rainville 2000). Die Rekonstruktion solcher Aktivitätszonen hat natürlich ihre Problematik. Ihre Analyse besteht ja darin, wiederkehrende Aktivitätsmuster zu identifizieren. Im besten Fall markiert eine archäologische Fundsituation den letzten Nutzungszustand verschiedener Gegenstände, Installationen und Gebäude, aber nicht die ganze Nutzungsgeschichte (Bernbeck 1997, 189). Schließlich werden Räumlichkeiten multifunktional genutzt worden sein, abhängig von Tages- und Jahreszeit sowie weiteren Lebensrhythmen der Bewohner. Oft, so auch im Falle der Heuneburg, haben zeitliche Überlagerungen verschiedener Aktivitäten einen Palimpsest ergeben, d. h. ein nicht oder zumindest nicht direkt interpretierbares Muster. Erschwerend wirkt sich eine Besonderheit bei der Anlage von Häusern auf der Heuneburg aus, die diesen Platz – immerhin 14 Bebauungshorizonte innerhalb von etwa 150 Jahren – von anderen mehrphasigen Siedlungen unterscheidet (Gersbach 1989, 45ff. Abb. 19). So wurde dort bei der Errichtung eines Hauses stets eine Planierschicht aufgebracht, auf die dann der Estrich gelegt wurde. Diese Bodenschüttung enthält üblicherweise neben frischem Schüttungsmaterial auch aufgearbeitetes Schichtmaterial, weil dazu Abfall von einer vermutlich zentralen Deponie verwendet worden ist (van den Boom 1995, 226; Gersbach 1995, 177; 1997, 242). Abfallgruben fehlen auf der Heuneburg (Gersbach 1995, 176f.). Daraus folgt, daß Kartierungen von Funden nach Fundflächen, z. B. von Importkeramik, zu falschen Schlüssen führen können. Mit der Gründungsphase, die annähernd mit dem Beginn der Stufe Ha D zusammenfällt, liegt offenbar ein Zusammenschluß von dörflichen Ansiedlungen der Umgebung innerhalb der Befestigung vor, bei denen es sich wohl um selbständige Wirtschaftseinheiten gehandelt hat (vgl. Kas/Schußmann 1998, 98). Die Hofeinheiten sind durch Zäune und Traufgräben voneinander abgesetzt. Eine als protourban angesprochene Entwicklung setzte erst mit der Errichtung der Lehmziegelmauer ein (Gersbach 1997, 243). Sie schloß eine Fläche von 3 ha ein. Die Zahl der Bewohner während des Bestehens der Lehmziegelmauer – wir stellen uns vor, daß sie sich aus lineage-Gruppen zusammengesetzt hat – dürfte unter der Voraussetzung einer ähnlich dichten Bebauung in der noch nicht ausgegrabenen Nordhälfte nicht weniger als 700 bis 800 betragen haben. Dazu kommt noch eine schwer zu schätzende Bewohnerzahl in der Außensiedlung (Kurz 2000; Reim 2001; Rieckhoff/Biel 2001, 367). Die eisenzeitliche Heuneburg brennt dreimal vollständig ab, davon zweimal mit großer Wahrscheinlichkeit durch kriegerische Handlungen. Erwartungsgemäß sind es die Brandhorizonte, die wesentliche Aufschlüsse über häusliche Aktivitäten geliefert haben (van den Boom 1989, 3ff.; 1995, 223; 1996a, 144ff.). In günstigen Fällen wurde eine Fundsituation angetroffen,
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die sich aus dem letzten Nutzungszustand ergab. Dazu gehören größere Mengen von Tierknochen, die in den Brandschichten insbesondere im Bereich der Herde angetroffen wurden (van den Boom 1989, 7; 12; 15 mit Anm. 57a; 23). Für Rekonstruktionen von Aktivitätszonen gab es aber keine hinreichende Grundlage. Eine Zäsur stellt der Zerstörungshorizont der Lehmziegelmauer dar. Nicht nur wird diese durch eine traditionelle Holz-Erde-Mauer ersetzt, auch die Innenbebauung bekommt eine gänzlich andere Struktur, wie der Vergleich der Bebauung der Schlußphase der Lehmziegelmauer mit der nachfolgenden Periode III zeigt (Gersbach 1995 Beil. 11; 1996 Beil. 3). Die einfachste räumliche Differenzierung in einer Siedlung beschränkt sich auf die Unterscheidung von „öffentlichem“ und „nichtöffentlichem“ Raum. Ein Gebäude von explizit öffentlichem Charakter ist in dem bisher ausgegrabenen südlichen Teil der Burg nicht entdeckt worden, auch kein größerer freier Platz, der als Versammlungs- und zu Zeiten als Marktplatz hätte dienen können. Als öffentlich wird man den Bereich der Mauer bezeichnen und auch die öffentlichen Wege. Aber bereits die allem Anschein nach unterschiedliche Nutzung der Türme, die über ihre militärische Funktion hinausgeht, erlaubt keine eindeutige Aussage hinsichtlich der Kategorien öffentlich/nichtöffentlich. Ob die großen, beim Donautor gelegenen Lagerhäuser aus den Schlußphasen der Lehmziegelmauer einen öffentlichen oder privaten Charakter hatten, dürfte von der herrschenden Ideologie abhängig gewesen sein. Die bisher ausgegrabenen Türme zeigen Unterschiede in der Ausstattung. Zwar haben alle eine Feuerstelle, jedoch einen unterschiedlich zusammengesetzten Geschirrbestand, der sich, geschützt durch die Lehmziegelmauern in situ bzw. in Fallage erhalten hat (van den Boom 1989 Taf. 1–8; 83). Die Keramik läßt sich nach Gattung einteilen in einfache Gebrauchsware und symbolisch besetzte Fein- bzw. Repräsentationskeramik, wozu in erster Linie die bemalte weißgrundige und graphitverzierte Ware gehört (van den Boom 1989 Taf. 1; 6; 8). In einem der Türme befand sich neben einem großen Backofen eine Getreidemühle (van den Boom 1989, 7). Die Dimensionen des Backofens lassen vermuten, daß darin Mengen gebacken wurden, die über den Bedarf eines Haushaltes hinausgehen. In einem weiteren Turm lag ein nahezu vollständig erhaltener eiserner Bratspieß (Kohler 2000; Sievers 1984, 67 Kat. Nr. 1977), ein Hinweis auf einen höhergestellten Benutzerkreis und auch auf Vertrautheit mit mediterranen Tafelsitten. Die Tatsache, daß auch in den Brandschichten metallene Funde rar sind, wird auf Beraubung zurückgeführt. Die Häuser wurden ausschließlich aus Holz ohne Steinunterbau errichtet, wodurch ihre Lebensdauer bei den gegebenen Bodenverhältnissen stark begrenzt war. Die Steinbautechnik muß aber prinzipiell bekannt gewesen sein, da sie ja bei der Lehmziegelmauer Anwendung fand. Es sind zwei Bauprin-
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zipien vertreten: der Pfosten- und der sog. Schwellen-Ständerbau. Wände bestehen aus verputztem Flechtwerk oder sind aus Bohlen errichtet (Gersbach 1995, 131; 156 Abb. 78). Die unterschiedliche Textur der Wände wird praktische, z. B. klimatische Gründe gehabt haben, wahrscheinlich aber auch kulturelle. Für Böden wurde in der Regel sandig-feinkiesiger Stampflehm verwendet (Gersbach 1995, 165). In Einzelfällen ist ein Bodenbelag aus dünnen Kalksteinplatten angetroffen worden (Gersbach 1995, 131), in einem Fall hat sich ein Dielenboden erhalten (Gersbach 1995, 165 Abb. 91, 2). Lehmziegelplatten fanden sich im Ofenbereich eines Gebäudes, das als Gießerwerkstatt gedient hat (Gersbach 1995, 123; 136). Ähnliche Befunde, d. h. offene Herde aus Lehmziegeln stammen auch aus der gleichzeitigen Außensiedlung (Kurz 2000, 45f. Abb. 16–17A). Fußbodenreste aus Lehmziegeln lagen in zwei Gebäuden der Periode IVa/2, die an die Mauer angebaut waren (Gersbach 1995 Beil. 10 Nr. 44; 46) und in einem ebenfalls an die Mauer angebauten, nur 20,5 m2 großen und als Wohnhaus angesprochenen Gebäude der nachfolgenden Bauschicht (Gersbach 1995 Beil. 12 Nr. 46). Die sandige Laufschicht in Gebäuden mit offenen Herden wird als besonders dick und dunkel gefärbt durch Holzasche und Holzkohlepartikel beschrieben, jedoch fundarm (van den Boom 1995, 224; Gersbach 1995, 131; 138; 167; 176). Bemerkenswerte Befunde sind in den Häusern mit den Nummern 13, 14 und 15 der Periode Ib/4 aufgetreten (Gersbach 1996 Beil. 7). Unter ungewöhnlich dünnen Estrichen fanden sich bis zu 4 cm starke Lagen aus Tierknochen. Der Ausgräber betont eine intentionelle Auswahl der Knochen durch Menschenhand. Es liegt eine deutliche Bevorzugung flacher Skeletteile von Schwein und Rind, insbesondere Unterkiefer, aber auch Schulterblätter und Beckenteile vor (Gersbach 1989, 37f.; 1996, 83; 107). Dies geschah, so Gersbach, zur Isolierung gegen Bodenfeuchtigkeit. Eine solche technischpragmatische Erklärung greift wahrscheinlich zu kurz, auch symbolische Motive dürften eine Rolle gespielt haben. Die Grundrisse sind rechteckig oder quadratisch, wobei bei den verschiedenen Haustypen wiederkehrende Abmessungen vorkommen (Gersbach 1995, 131; 176). Eine Ausrichtung der Bauten auf eine bestimmte Himmelsrichtung liegt weder während der Zeit der Lehmziegelmauer vor noch in den nachfolgenden Perioden. Dennoch wird man davon ausgehen müssen, daß kosmologische Prinzipien Einfluß auf die Bauweise hatten (Carsten/Hugh-Jones 1995, 120; 124f.). Die Vielfalt der Grundrißtypen ist außerordentlich groß und verweist darauf, daß die Bedürfnisse hinsichtlich Hausgröße und räumlicher Komplexität sehr weit gefächert waren (Gersbach 1995, 132f.; 1996, 104). Die Variablen dürften dabei u. a. Funktion, sozialer Status der Bewohner und ihre Anzahl gewesen sein, wobei kulturelle Normen den Entscheidungen
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der Haushalte zugrunde lagen. In größeren, komplexeren Häusern wohnten sicher Individuen mit extensiveren Verwandtschaftsbeziehungen, wobei verschiedene Verwandtschaftskonfigurationen in Frage kommen. Die Formel „Je größer das Haus, umso höher der Rang seiner Bewohner“ erscheint etwas simpel, dürfte aber zutreffend sein. Das Haus kann als eine Prestigeeinheit gedeutet und damit auch als ein Instrument zur politischen Legitimation der Macht eingesetzt werden. Bis zu 400 m2 große Bauten, wie sie in den Perioden IIIb–IIIa nachgewiesen sind, legen das jedenfalls nahe (Gersbach 1996 Beil. 3 Nr. 6). Die Holzbauweise hat zur Folge, daß über die Raumeinteilung der Häuser nur wenig ausgesagt werden kann. Wir kennen nur in ganz wenigen Fällen die Stellen der Hauseingänge und die Durchgänge zwischen den verschiedenen Hausteilen (Gersbach 1995, 131; 165), daher ist es schwierig, hier mit einer Analyse anzusetzen, die Räume von nichtöffentlichem, sozusagen privatem Charakter von solchen mit einem öffentlichen oder weniger privaten (z. B. durch die Anzahl von Türen, die Durchgänge anzeigen) abzusetzen vermag (Foster 1989). Kommunikationswege sind daher nur sehr schwer zu erschließen. Für das Öffentliche im Haus stehen der offene Zugang, Zentralität, Licht, das Gekochte und Sauberkeit. Das Private wird ethnologischen Forschungen zufolge mit eingeschränktem Zugang, der Peripherie, Dunkelheit, mit Ungekochtem (Rohem) und der Unsauberkeit verbunden. Zum Charakter des privaten Raumes ist Ariès 1962 folgend (nach Preucel/Hodder 1996, 326) zu sagen, daß das Konzept des privaten familiären Raumes vergleichsweise spät entstanden ist, nämlich nicht vor dem 15. Jahrhundert. Und bis ins Mittelalter vermischten städtische Handwerker in ihren Häusern Produktion von Gütern für den Markt und häusliche Aktivitäten mit nur minimalen räumlichen Unterscheidungen. Dasselbe ist auf der Heuneburg auch hinsichtlich der von Gersbach (1995, 175–177) aufgrund der technischen Installationen und Gießereiüberreste als Bronzegußwerkstätten angesprochenen Häuser im Südteil der Burg zu vermuten. Ähnlich wie bei den Ein- und Durchgängen ist die Situation bei den Inneneinbauten. Im wesentlichen haben sich nur Herde und Öfen erhalten, und auch diese keineswegs überall. In einigen Fällen fanden sich noch eingetiefte hölzerne (Wasser-)Tröge (Gersbach 1995, 151; 158; 167). Der Herd als Träger des Feuers ist der faktische und auch symbolische Mittelpunkt der Hausgemeinschaft und gehört damit zu den bedeutsamsten Informationen, die die Nutzung eines Hauses betreffen (van den Boom in Vorb.; Geramb 1987). Um offene Feuerstellen dürften sich die meisten Hausaktivitäten konzentriert haben. Alle Arbeiten, die Präzision erfordern, finden im Licht statt, d. h. entweder bei der Haustür oder beim Feuer. Auf der Heuneburg gibt es offene
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Feuerstellen und Öfen, deren Grundform als U- oder D-förmig beschrieben wird (Gersbach 1995, 116f.; 136; 1996, 118), sowie einzelne große Öfen, die als Back-, vielleicht auch als Darr-Öfen gedient haben. Die Lage der offenen Feuerstellen im Haus variiert (Gersbach 1995, 131; 1996, 112). Sie werden vom Ausgräber als Mehrzweckfeuerstellen bezeichnet (Gersbach 1995, 136). Sie spendeten Licht und Wärme und dienten zur Bereitung der Speisen. Die Position der Feuerstelle im Haus war sicher nicht beliebig, es zeichnen sich jedoch keine Regeln ab, nach denen sie in einem (Wohn-)Haus an dieser und in einem gleichgroßen an anderer Stelle errichtet wurde. Ihre Abmessungen schwanken ebenfalls (Gersbach 1995, 59; 161; 167; 1996, 76; 82f.; 89). Die größte stammt aus der Gründungsperiode der Burg und mißt 1,8 x 1,2 m (Gersbach 1995, 104), die kleinsten sind nur 0,6 x 0,4 m groß (Gersbach 1995, 82; 89; 1996, 112). Der Umriß ist zumeist oval, seltener rund. Beim Aufbau der Feuerstellen lassen sich im wesentlichen zwei Varianten unterscheiden: mit und ohne Steinunterbau. Bei letzterer wird die Lehmplatte unmittelbar auf dem Bodenestrich angelegt, wobei die Ränder gerundet oder abgeschrägt sein können (Gersbach 1996, 98; 100). Bei den Herdstellen mit Steinunterbau kann dieser aus einer Lage Flußkiesel, aus Kalk- und Sandsteinplatten oder -plättchen bestehen (Gersbach 1996, 88; 90; 93). In einem Fall ist eine sorgfältige schuppige Anordnung der kleinen Flußgerölle belegt (Gersbach 1996, 89; 100). Einige Feuerstellen waren mit hochkant gestellten Steinplatten eingefaßt (Gersbach 1996, 89). Die Höhe der Lehmplatte, die während der Hausnutzung meist mehrfach erneuert wurde, beträgt durchschnittlich 10 cm (Gersbach 1986, 88f.; 112). In einigen Fällen war sie nur 7 cm hoch. Die maximale Höhe, die angetroffen wurde, betrug 15 cm. Keine der überlieferten Feuerstellen ist verziert. Einen integrierten Feuerbock besitzt nur die Herdplatte im Südturm (Gersbach 1995 Abb. 49, 2). Ein einziger freistehender tönerner Feuerbock ist aus den Perioden IVb–IVa überliefert (Sievers 1987, 54f.). Die größeren Häuser aus dem Südteil der Burg während des Bestehens der Lehmziegelmauer weisen Flächen zwischen 100 und 125 m2 auf. Noch größer mit einer Grundfläche von 138 m2 (mit Vorbau 168 m2) ist ein Gebäude aus Periode IVa/1 (Gersbach 1995 Beil. 11 Nr. 17). Es handelt sich dabei um den Nachfolgebau eines in der vorhergehenden Periode an gleicher Stelle stehenden Gebäudes, dessen Grundfläche mit Vorbau 193 m2 betrug. In beiden wurden als feste Installationen ein Backofen, ein rund ummantelter Ofen, eine U-förmige Koch-/Heizstelle mit Rauchabführung und ein in den Boden eingelassener Holztrog von 0,30 x 0,70 m angetroffen (Gersbach 1995, 167). Ein wesentlich größeres Haus mit einer Fläche von 340 m2 wurde in der gleichzeitigen Außensiedlung aufgedeckt (Kurz 2000 Abb. 23A). An seinem Platz
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wurde nach der Zerstörung der Siedlung einer der insgesamt vier Tumuli errichtet (Kurz 2002). Nach der Menge der Textilien, die benötigt wurden, und der hohen Qualität der Gewebe, wie sie aus Gräbern bekannt sind (Banck-Burgess 1999), muß das Weben eine große Rolle gespielt haben. Die Weberei dürfte zur Domäne der Frauen gehört haben. Das war sicher auch ein wichtiger Bereich, wo Frauen durch ihre Kunst ihr Ansehen steigern konnten (Spector 1996). Daß es eine gewerbliche Weberei gegeben hat, ist unwahrscheinlich. Es sind keine Webgewichte in situ überliefert, und nur sehr wenige Befunde von der Burgsiedlung lassen sich als Standorte von Webstühlen interpretieren (Gersbach 1995, 110; 138f.; ders. 1996, 62f. 81; 99 mit Abb. 42; 114). Diese fanden sich sowohl in als Wohnbauten angesprochenen Gebäuden wie in sog. Nebengebäuden (Gersbach 1996 Beil. 1 Nr. 10). Hinweise auf Webstühle gibt es auch in der Außensiedlung (Kurz 2000, 153–155). Es gibt auf der Heuneburg zahlreiche Hinweise auf Nahrungsmittelverarbeitung, aber nur wenige auf Nahrungsmittelgewinnung. Die Tierknochen sind Hinweise auf beide Bereiche (Becker 1995; 1998; Gyulai 1998). Hierbei fällt insbesondere die signifikante Verschiebung vom Schwein zum Rind als dem hauptsächlichen Fleischlieferanten in den nachlehmziegelmauerzeitlichen Perioden III bis I auf (von den Driesch/Boessneck 1989, 136). Das Rind muß als ein Wirtschaftsindikator angesehen werden, der die Veränderungen in Viehhaltung und -nutzung anzeigt und damit Phasen ökonomischer und/oder ökologischer Umbrüche. Die Verschiebung des Schwergewichts auf das Rind deutet auf gesunkenen Fleischbedarf sowie eine stärkere Sekundärnutzung, d. h. einen verstärkten Einsatz der Zugkraft des Rindes und die Verarbeitung von Milch. Die bedeutende Rolle des Rindes als Milchlieferant folgt aus dem Überwiegen weiblicher Tiere. In der östlich des Südturmes gelegenen Fläche 14c wurden auffallend große Mengen zerbrochener und aufgespaltener Tierknochen entdeckt. Bemerkenswert war auch der Anteil der Schweineknochen, nämlich 68,7 % (von den Driesch/Boessneck 1989, 137f.). Solche Mengenverhältnisse kommen nicht zufällig zustande. Hierin zeigt sich ein bewußtes Deponierungsverhalten (David/Kramer 2001, 126f.), das Bezug zur Nutzung des Südturmes gehabt haben dürfte. Im Turm selbst fanden sich verkohlte Tierknochen auf und neben dem Herd, offenbar Überreste der letzten dort eingenommenen Mahlzeit, bevor die Burg durch Feuer zerstört wurde. Über die Zusammensetzung dieses Knochenmaterials gibt es bedauerlicherweise keine Information. Was die Überlieferung von Getreide anbetrifft, so ist hervorzuheben, daß Getreidekörner lediglich in der Ascheschicht im Bereich der Backöfen angetroffen wurden, so z. B. Emmer und Spelzgerste im größten Gebäude der Periode IIIa. Haupt-
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quelle für den Nachweis angebauter Nutzpflanzen sind Abdrücke von Samen insbesondere in Grobkeramik (Fuchs 1991, 87ff.). Außer Getreide waren so Hülsenfrüchte (Bohne, Erbse, Linse) sowie der Anbau von Ölpflanzen wie Lein und Leindotter nachzuweisen. Es gibt ein breites Spektrum von Neben- bzw. Wirtschaftsgebäuden unterschiedlicher Bauweise mit Grundflächen zwischen 4 und 30 m2, die keine Rückschlüsse auf ihre Funktion erlauben. Ein alle verbindendes Merkmal ist das Fehlen von Herdstellen. Die erschlossene Funktion zumindest eines Teils von ihnen als Getreidespeicher basiert auf dem Fehlen von Vorratsgruben auf der Heuneburg. Der Grund hierfür dürfte in ungeeigneten, zu feuchten Untergrundverhältnissen liegen (Gersbach 1996, 121). Charakteristisch für die nachlehmziegelmauerzeitliche Bebauung, insbesondere die Perioden III–II, ist der Zusammenschluß von Bauten zu Gebäudekomplexen, also Wohnbauten mit Nebengebäuden, die durch Zäune und Abwassergräben gegeneinander abgegrenzt waren (Gersbach 1996, 102). Befand sich in der Südwestecke der Burg in den Perioden IIIb–IIIa und auch noch in der Periode II ein überdurchschnittlich großes Gebäude, so gibt es dort in den nachfolgenden Bauperioden nur noch kleinere Häuser. Dieser Befund könnte auf eine Verlagerung des herrschaftlichen Wohnens verweisen. Ein möglicher Grund könnte in der Aufgabe des Donautores liegen, dessen Kontrolle vielleicht von den Bewohnern des nahegelegenen Großbaus ausgeübt wurde. Vielleicht hat es in der Spätzeit der Heuneburg keine Großbauten mehr gegeben. Hoher Rang konnte schließlich auch durch Kleidung und persönliche Attribute angezeigt werden. Auf Getreideverarbeitung weisen Mahlsteine. Eine der wenigen überlieferten Handmühlen wurde in Turm 3 angetroffen. Vorratshaltung ist durch Vorratsgefäße aus Ton und Geflecht belegt. Holzgefäße und Holzgerät fehlen in der Siedlung erhaltungsbedingt vollständig. Die Funktion „Vorrat“ ist aus der Gefäßgröße erschlossen – die größten Gefäße konnten bis zu 100 Liter Inhalt aufnehmen (van den Boom 1991). Unter den keramischen Funden sind zahlreiche Deckel, ein Hinweis auf das vorhandene Bedürfnis, Vorräte zu bedecken. Dabei ist eine denkbare Nebenfunktion jener Deckel anzuführen, nämlich Verwendung als Backhauben (van den Boom 1989, 36ff.; Kurz 2000, 134–136). Die Fundklasse „Kochgefäße“ umfaßt nahezu ausschließlich keramisches Kochgeschirr, erschlossen aus schwärzlichen Belägen an den Außenwandungen, die durch Überkochen von Speisen entstanden sind. Die botanischen Analysen auf Makroreste in und auf Gefäßen haben jedoch in keinem Fall ansprechbare pflanzliche Strukturen ergeben. Die durch schwarze Innenbeläge vermutete Funktion „Backplatten“ wird durch die chemische Analyse,
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die Knochenöl nachgewiesen hat, unterstützt (van den Boom 1989, 38ff.; 1991, 70; Kurz 2000, 136f.). Chemische Analysen auf Fette und Cholesterin bei keramischen Gefäßen wurden in über 100 Fällen durchgeführt (van den Boom 1991, 69ff.; Rottländer 1991, 77ff.). Die Analysen deuten auf eine multifunktionale Nutzung von Gefäßen. Metallenes Herd- und Küchengerät fehlt nahezu vollständig (Sievers 1984, 67f.). Kettenteile und Haken weisen aber auf das Vorhandensein von Eisenkesseln. In einem Fall interpretiert Gersbach einen Befund in der Nähe eines Ofens als die Position eines Schwenkarmes für einen Kessel (Gersbach 1995, 136). Die Position „Herde/Backöfen“ umfaßt außer offenen Herdstellen in Gebäuden, fest eingebauten Öfen und eigentlichen Backöfen auch transportable Öfen. Backöfen sind in verschiedenen Wohnbauten nachgewiesen. Wie bereits erwähnt, fand sich auch ein Doppelbackofen in einem der Türme der Lehmziegelmauer (Gersbach 1995, 69f.). Der mit Abstand größte Backofen stand in einem Gebäude der nachlehmziegelmauerzeitlichen Periode IIIa. Es ist mit über 400 m2 das größte bekannte Haus der Heuneburg (Gersbach 1996, Beil. 3 Nr. 6). Im westlichen Anbau des Hauses lag ein U-förmiger Ofen, im NWTeil des Gebäudes eine offene Herdstelle und im SW-Trakt der Doppelbackofen, in dem wegen seiner Größe weit über den Bedarf der Hausbewohner gebacken werden konnte. Die beweglichen Öfen (van den Boom 1989, 73f.) hat Drescher (1995, 315ff.) zwar mit Bronzegußarbeiten in Verbindung gebracht, was aber nicht gegen ihre Funktion auch zum Heizen und Kochen sprechen muß. Bei allen Siedlungsfunden muß die Frage nach den jeweiligen besonderen Überlieferungsbedingungen gestellt werden. Was kann im Falle der Heuneburg zum Plündergut gehört haben? Was wurde regelhaft recycled? Was geschah mit dem Abfall? Die Versuche, über die Funde von den Hausplätzen zu Aktivitäten der Hausbewohner zu gelangen, stießen rasch an ihre Grenzen (van den Boom 1995; 1996). Hauptgrund sind die weitreichenden Umlagerungen im Zusammenhang mit der intensiven Bautätigkeit während der langen, etwa 150 Jahre währenden Siedlungsdauer mit 14 Bauschichten und die Abwesenheit eines breiteren Spektrums von aussagefähigen Funden, also solchen mit Attributcharakter, die sich geschlechtsspezifisch oder schichtspezifisch zuordnen lassen und deren gesicherter Zusammenhang feststeht. Die meisten Informationen, die wir Häusern entnehmen, haben in irgendeiner Weise mit Speisen zu tun, d. h. mit dem Einnehmen von Mahlzeiten, aber auch mit der Produktion von Nahrungsmitteln, mit Speisezubereitung und Bevorratung, und sind dadurch überwiegend mit Frauen verbunden.
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Nach ethnologischen Untersuchungen kochen Frauen überall für die täglichen Mahlzeiten, Männer hingegen bereiten Fleisch bei Festen zu (Gero 1992; Janowski 1995). Hinweise auf zeremonielle, männlich kontrollierte Mahlzeiten gibt es ebenfalls. Dazu gehören die Bratspieße und die oben genannte Deponierung von Schweineknochen beim Südturm sowie die Keramik aus den Türmen, die sich in diesem Sinne interpretieren läßt. Das soziale Geschlecht entsteht innerhalb der Familie durch Arbeitsteilung, unterschiedlichen Zugang zu Gütern, durch Produktion und Reproduktion. Speisen und mit ihnen verbundene Gefäße, Keramik insbesondere, sind daher ein signifikantes Medium für die Bestimmung und Handhabung der Geschlechterbeziehungen (Carsten/Hugh-Jones 1995, 114; 117f.; Hastorf 1996; Yentsch 1996, 318; 324f.). Die große Vielfalt der Gefäßformen und Verzierungen während der Zeit der Lehmziegelmauer spricht für die Bedeutung von Speisen bei Transaktionen, die soziale Positionen markieren (David/Kramer 2001, 163f.; Gero 1992). Stil spielt bekanntlich eine wichtige Rolle bei der Markierung sozialer Grenzen. In diesem Zusammenhang wäre es wichtig zu erfahren, wer auf der Heuneburg getöpfert hat. Waren es Männer oder Frauen oder Männer und Frauen? Die einfache Gebrauchsware töpferten vermutlich Frauen für ihren Haushalt. Was aber ist mit der technisch anspruchsvollen, weißgrundig bemalten Feinkeramik, von der es heißt, daß sie in spezialisierten Werkstätten angefertigt wurde? Ich selbst neige zu der Annahme, daß hierfür ebenfalls Frauen als Töpferinnen in Frage kommen, ohne jedoch stichhaltige Beweise dafür vorbringen zu können. Zur Domäne der Männer wird erst die Drehscheibenkeramik mit ihrem beschränkten Formen- und Dekorationsrepertoire, die in der Periode II aufkommt. Etwa 50 Jahre lang, von ihrem ersten Auftreten bis zum Ende der Heuneburg, wird nur ein ganz geringer Teil der Keramik auf der Drehscheibe hergestellt. Nach meiner Auffassung findet die neue keramische Gattung keine breite Akzeptanz, weil sie zu wenig Möglichkeiten bietet, Botschaften durch Variation von Form und Verzierung zu übermitteln (Meadows 1997). Von einer fortbestehenden zentralörtlichen Funktion der Heuneburg ist auch nach den einschneidenden Veränderungen nach dem Fall der Lehmziegelmauer auszugehen. Die als zerstreut anzusprechende Bebauung der Periode IIIb–IIIa verdeutlicht die Abkehr von der durchorganisierten Bauweise in Zeilen und Reihen während der Zeit der Lehmziegelmauer. Die Rückkehr zu einer Bebauung vom Gehöftcharakter mit Nebengebäuden und Abgrenzung durch Zäune und Gräbchen von anderen Siedlungseinheiten besonders in den Perioden III und II (Gersbach 1996, 102) schuf zwar Bedingungen für Viehhaltung in begrenztem Umfang und hausnahen Anbau von Hülsenfrüchten und Gemüsen. Die zum Anbau verfügbaren Flächen in Burgnähe dürften
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jedoch für die Bevölkerungszahl, die ernährt werden mußte, zu klein gewesen sein. Da ein beträchtlicher Teil der Burgbewohner nicht oder zumindest nicht überwiegend mit der Nahrungsmittelproduktion beschäftigt war, mußten für diese Überschüsse andere herangezogen werden. Es ist davon auszugehen, daß die Hauptversorgung mit Getreide und Schlachtvieh in Form von Tributen aus dem Umland eingefordert wurde. Die großen Speicherbauten für Getreide, aber vermutlich auch andere Güter, darunter das große Lagerhaus der Schlußphase der Lehmziegelmauer am Donautor (Gersbach 1995, 156 Beil. 11 Nr. 1), wird man im Sinne einer Zentralisierung von Vorräten in einem politisch mächtigen Zentrum deuten müssen, das Kontrolle über Ressourcen, entweder in Form von Arbeit oder in Form von Gütern, die andere produziert haben, ausgeübt hat. Der Zugriff auf Überschüsse und damit Freistellung von Subsistenztätigkeiten im engeren Sinne konnte in der Herstellung von Gütern, die nicht unmittelbar zum Überleben relevant waren und deren Produktion auf der Heuneburg belegt ist, umgesetzt werden. Das gilt ebenso für die monumentale Architektur, wie sie die Lehmziegelmauer und die Grabhügel darstellen, die eine enorme Investition an Arbeitskraft erforderten. Im Kontakt mit dem Süden kam es nördlich der Alpen an verschiedenen Punkten zu einer bis dahin nicht dagewesenen Konzentration von Bevölkerung. Diese Entwicklung trägt präurbane, stadtähnliche Züge. Zu den Chancen, die in hohem Maße genutzt wurden, gehört eine differenzierte Arbeitsteilung, die eine weitgehende Spezialisierung in verschiedenen Handwerkszweigen ermöglichte. Es werden Überschüsse in einer hohen Qualität produziert, die diese zu einem begehrten Tauschgut macht. Sie stammen aus den bronzeverarbeitenden Werkstätten, die in größerer Zahl belegt sind (Gersbach 1995). Auch daran, daß die Ausbeutung der nahen Bohnerzlager zum Reichtum der Heuneburg beigetragen hat, wird man schwerlich zweifeln wollen (Gersbach 1996, 98; 1997, 243). Außer dem schlagenden Beispiel der durch mediterrane Vorbilder angeregten Lehmziegelmauer kennen wir aus der frühen Phase der Burg aber nur wenige echte Importfunde aus dem Süden. Zahlreich sind dagegen Hinweise auf bestehende Kontakte, die sich in der Übernahme sowohl fremder Formen und Ziermotive wie auch von verschiedenen handwerklichen Techniken zeigen. Das Ende der Lehmziegelmauer etwa um 550/540 v. Chr. markiert einen Wandel in den gesellschaftlichen Verhältnissen oder zumindest einen bedeutsamen Kontinuitätsbruch. Die neuen Herren gründen auf dem Areal der ehemaligen Außensiedlung eine Nekropole und demonstrieren damit die Inbesitznahme des Platzes. Dies, zusammen mit weiteren Indizien, darunter die Rückkehr zur traditionellen Holz-Erde-Bauweise beim Mauerbau und Veränderungen beim Bebauungsschema der Burgsiedlung, wird als Beweis für einen
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stattgefundenen Wechsel der Herrschaft angesehen. Nach Ausweis der jetzt ankommenden Importe – Weinamphoren und griechischen Vasen – bestehen die Kontakte zum Süden aber weiter oder werden sogar intensiviert (Kimmig 2000). Die Weinamphoren und die Mehrzahl der Vasen gehören in diesen Zeitraum von 540–490 v. Chr. Bedauerlicherweise lassen sich die überlieferten Fragmente aber praktisch in keinem Fall sicher mit dem Ort ihres Gebrauchs verbinden. Daß für den Konsum von Wein in exotischen Gefäßen entsprechende Baulichkeiten als Bühne zur Inszenierung der gesellschaftlichen Repräsentation zur Verfügung standen, zeigen Gebäude mit Nutzflächen bis zu 400 m2 aus den Perioden III und II (Gersbach 1996 Beil. 3; 5). Es unterliegt keinem Zweifel, daß wir bei diesen Großbauten keine nur privat genutzten Wohnhäuser vor uns haben. Bauten dieser Dimension müssen auch öffentlichen Zwecken gedient haben. In den Häusern der Eliten wird ständig ein Strom von Menschen durchgezogen sein, sei es aus professionellen oder „sozialen“ Gründen. Diese Häuser leisteten auch Dienste für die Gemeinschaft, wofür beispielhaft der riesige Backofen im größten Haus der Periode IIIa stehen mag, dessen Grundfläche fast 10 m2 betrug. Auf mehr privat genutzte Bereiche könnte ein im westlichen Anbau eingerichteter Ofen und eine Herdstelle in einem Raum im NW-Teil des Hauses weisen. Von der Heuneburg selbst ist kein Mobiliar überliefert, mit Ausnahme von Regalen, die aus der Fallage der Keramik in den Türmen erschlossen werden können. Das Vorhandensein von Truhen und Bänken wird man ebenfalls annehmen müssen. Daß aber auch exquisite, von weither eingeführte Einzelstükke in den Häusern der Eliten vorhanden waren, darauf weisen Ausstattungen von Grabkammern wie die Bronzeliege aus dem Grab von Hochdorf und griechische Klinen vom Typ Kerameikos (Fischer 1990), wie sie fragmentarisch aus Grafenbühl bei Asperg, Kr. Ludwigsburg (Hügel 1), belegt sind. Die genannten Möbelfunde machen deutlich, bis zu welchem Grad die lokalen hallstattzeitlichen Eliten bestrebt waren, mediterrane Sitten zu übernehmen und sie in die Formen ihrer Selbstdarstellung zu integrieren. Zu der Ausstattung reicher Gräber gehörte auch ihre Ausschmückung mit verschiedenartigen Textilien (Banck-Burgess 1999). Es liegt daher nahe, auch die Wohnräume der Eliten ähnlich ausgestattet zu sehen. Die reichen Textilbeigaben in Gräbern sind praktisch der einzige Hinweis auf die bedeutende Rolle der Weberei, die in den häuslichen Bereich und die Domäne der Frauen gehört (Hägermann/Schneider 1997, 63; 123ff.; Teržan 1996, 513–516). Obwohl sich die materiellen Elemente mancher Produktionsprozesse, insbesondere die Bronze- und Eisenverarbeitung, rekonstruieren lassen, kann die Analyse der Produktionsverhältnisse nur auf einem sehr allgemeinen Niveau erfolgen. Was können wir z. B. über den Status der spezialisierten Bronzegie-
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ßer und Toreuten sagen, die für die Bedeutung der Heuneburg als einem Produktionszentrum maßgeblich waren und deren Häuser mit Werkstätten sich während der Phase der Lehmziegelmauer im Südwestteil der Burg konzentriert haben? Zweifellos wird es größere Unterschiede unter ihnen gegeben haben. Es ist aber Ruiz-Gàlvez Priego zuzustimmen, die sagt: „Damals wie heute verschaffte die Kontrolle des ,know how‘ Herrschaftswissen und dessen Inhaber Prestige und Macht innerhalb der eigenen Gesellschaft“ (Ruiz-Gàlvez Priego 1999, 47). Einige von ihnen gehörten sicher der Oberschicht an (Teržan 1994), denn nur deren Angehörige waren in der Lage, weite Reisen zu unternehmen und dabei besondere Fähigkeiten zu erwerben (Helms 1988). Die Technologien archaischer Gesellschaften können nur dann ganz verstanden werden, wenn wir diese in ein ideologisches Netzwerk eingebettet begreifen (Hosler 1998). Techniken und Artefakten wird eine symbolische Bedeutung gegeben, wodurch sie zu einer essentiellen Komponente der Kommunikation werden. Unser Hauptproblem ist letztlich die Spärlichkeit und Mehrdeutigkeit der materiellen Hinterlassenschaften. Wir erfassen archäologisch Abweichungen von bestehenden Strukturen dort, wo diese durch individuelles oder kollektives Handeln materiell sichtbar abgeändert werden, z. B. wenn Häuser vergrößert oder verkleinert werden oder das bisherige Bebauungsmuster aufgegeben wird. Siedlungsstruktur, Hausbau, Platzkonstanz sind Teil der kulturellen Werte und Normen einer Gemeinschaft. Änderungen bei diesen Strukturen zeigen uns Veränderungen der Normen und Ideologien an. Die tatsächliche Entwicklung des praktischen Alltaghandelns von Frauen, Männern und Kindern in einem Haushalt, die Verwandtschaftssysteme, in denen sie agieren und denen in allen vorstaatlichen Gesellschaften eine zentrale Rolle zukommt, ebenso die Antagonismen zwischen Alters- und Geschlechtsgruppen können nur postuliert, aber nicht bewiesen werden. Hauspläne haben zweifellos etwas mit der sozialen Organisation zu tun. Gestalteter Raum ist ein soziales Produkt; er entsteht durch spezifische soziale Praktiken, die seinen Charakter gestalten und formen und der wiederum auf die in ihm Lebenden zurückwirkt, da er die soziale Aktion strukturiert. Es gibt eine Vielzahl möglicher Beziehungen, da jedoch räumliche Muster historisch spezifisch sind, können daraus letztlich keine universell gültigen Schlüsse gezogen werden. Weitere Erkenntnismöglichkeiten bezüglich der Haushalte bestehen aber dennoch. Ein noch wenig begangenes Terrain bezieht sich auf das Auffinden der Geschlechter. Bestimmte Objekte hatten zweifellos Konnotationen, die sie mit dem jeweiligen Geschlecht verbanden. Wie ethnologische Untersuchungen zeigen, sind in bezug auf Frauen wesentlich mehr Aspekte als Spinnwirtel und Nähnadel in Betracht zu ziehen.
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Anschrift der Verfasserin: Dr. Helga van den Boom Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Institut für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie Regina-Pacis-Weg 7 D-53113 Bonn email:
[email protected]
Studien zur Lebenswelt der Eisenzeit. RGA-E Band 40 – Seiten 369–431 © Copyright 2006 Walter de Gruyter · Berlin · New York
Eine Gußform der späten Bronzezeit/frühen Eisenzeit vom Gräberfeld „Im Niederen Felde“ bei Holzminden Überlegungen zu vorgeschichtlichen Schmelztiegeln, irdenen Gußformen und Metallschmelzöfen in Mittel- und Nordeuropa1
von Stefan Krabath Die Gußform aus Holzminden Im Rahmen einer Notbergung konnte Erich Sommerfeld (Kreisbeauftragter für Bodendenkmalpflege) in den Jahren 1964 und 1965 (Decher 1964; 1965; 1965a) am nordwestlichen Stadtrand von Holzminden 52 Bestattungen eines Brandgräberfeldes (Leiber 2000 Kat.-Nr. 260) untersuchen. Der Bestattungsplatz liegt im Niederen Felde auf der flach nach Nordwesten geneigten hochwasserfreien Niederterrasse des Wesertales in ca. 85 m ü. NN. Das keramische Inventar der Stufe Ha B dieser Nekropole dokumentiert deutlich ein nordwestdeutsches Gepräge mit Anklängen an die Nienburger Gruppe, wobei süddeutsche und mitteldeutsche Einflüsse ebenso zu verzeichnen sind (Leiber 2000).
Abb. 1. Holzminden, Urnengräberfeld im „Niederen Feld“. Gußform aus sandgemagertem Ton, Oberseite, max. B. 62 mm 1
Manuskriptabschluß: Herbst 2001.
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Stefan Krabath
Abb. 2. Holzminden, Urnengräberfeld im „Niederen Feld“. Gußform aus sandgemagertem Ton, Oberseite, B. 62 mm
Abb. 3. Holzminden, Urnengräberfeld im „Niederen Feld“. Gußform aus sandgemagertem Ton, Unterseite, B. 62 mm
Eine Gußform vom Gräberfeld „Im Niederen Felde“ bei Holzminden
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Zu den Streufunden gehört eine keramische Gußform mit einem Durchmesser von maximal 50 mm und einer Höhe von 19 bis 24 mm (Abb. 1–3; Liste 1 Nr. 23)2. Für die Herstellung des runden Gegenstandes mit annähernd planem Boden und einer zum Rand gleichmäßig abgeschrägten Oberseite wurde ein stark sandgemagertes Gemisch lokal anstehenden Bodensubstrates verwendet. Auf der Oberfläche treten deutlich die einzelnen Körner eines leicht eisenhaltigen Quarzsandes hervor. Die Oberseite (Abb. 1) besitzt eine leicht ovale, spiralförmige Gußkammer, die mit einem Model eingedrückt wurde, wobei der ursprünglich plastische, ungebrannte Tonklumpen zu einer Seite leicht abgeflacht wurde. Als Model kann beispielsweise ein fertiger Metallgegenstand (Eisen oder Kupferlegierung) gedient haben. Diese Model wurden mutmaßlich in der Weise hergestellt, daß ein Stab an seinem äußersten Ende festgehalten und dann gewickelt wurde. Unmittelbar hinter dem „Haltepunkt“ knickte das Material bei diesem Vorgang stark ein, wie heute noch an der Gußkammergestalt abgelesen werden kann. Der zweifach gewundenen Kammer wurde im Randbereich der Form durch einen separaten runden Gegenstand ein weiterer Hohlraum hinzugefügt, wobei leichte Grate entstanden, die auch heutzutage noch den zeitlichen Ablauf der Herstellung verdeutlichen, da sie klar die spiralförmige Eintiefung stören. Auf dem Grunde der rundlichen Vertiefung wurde in einem letzten Schritt ein weiterer, etwas kleiner dimensionierter, runder Hohlraum mit gerundetem Boden eingestoßen. Wiederum schoben sich schwache Grate auf. Neben den Indizien der schwachen Grate spricht die außerordentlich glatte Fläche der Spirale für ihre Erstellung durch Abdrücken eines Models. Unmittelbar zum Außenrand schloß sich dort mutmaßlich der Eingußtrichter an. Dieser wurde bei der Entnahme des Rohgußes abgebrochen. Bei der Trocknung der Form entstanden trotz der starken Magerung kleine Risse am Beginn der Gußkammer. Die erhabenen Stege zwischen den Eintiefungen der Kammer sind auf der Oberseite plan abgestrichen, so daß auf die offene Seite der Form während des Gußvorgangs eine Abdeckung gelegt und gegebenenfalls mit einem weiteren Erdmantel befestigt werden konnte. Vor dem Guß mußte die Form gut getrocknet und nach dem alten Gießergrundsatz „die Form so heiß wie möglich – die Speise so kalt wie möglich“ erwärmt werden, damit die Bildung von Gußlunkern minimiert wurde. 2
Für die Bereitstellung der Holzmindener Gußform zur Publikation sei Herrn Dr. Chr. Leiber (Holzminden) gedankt. Unterstützung bei der Übersetzung skandinavischer Texte ließ mir freundlicherweise Herr V. Demuth M.A. (Braunschweig) zukommen. Die Fundzeichnung (Abb. 1) fertigte dankenswerterweise Frau S. König M.A. Herrn Th. Kühtreiber M.A. (Wien) ist für die unkomplizierte Beschaffung von Literatur herzlich zu danken. Frau Prof. Dr. R. Müller (Göttingen) informierte mich freundlicherweise über mitteldeutsche Fundplätze.
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Zusätzlich hätte eine Gasentwicklung durch verdampfende Flüssigkeit, d. h. Restfeuchtigkeit, die Form beim Gußvorgang zerstört. Vor dem Hintergrund der in Mittel- und Nordeuropa erfaßten irdenen Gußformen (vgl. Liste 1) stellt die Holzmindener Form eine Besonderheit dar, da sie zu den wenigen Exemplaren gehört, die nicht durch Abformung in Form einer Lehmummantelung um ein Modell entstanden sind, sondern die durch Eindrücken eines Gegenstandes erstellt wurden. Die Holzmindener Form weist auf ihrer Rückseite (Abb. 2) eine außergewöhnlich starke blasige Verschlackung auf. Die Verschlackung kann beim Ausglühen der Form im Herdfeuer entstanden sein. Die rotbräunliche bis leicht gelbliche Farbgebung läßt keine zuverlässigen Rückschlüsse auf die Zusammensetzung der Schlacke zu. Auffallend erscheint jedoch zusätzlich eine passagenweise Verschlackung der Vorderseite (Abb. 1), die den ursprünglich planen Spiralstegen eine gerundete Oberseite verleiht, so daß die Form nicht mehr für einen Guß geeignet war. Die unebene Oberseite hätte nämlich einen dichten Verschluß des Gußraumes durch eine Platte verhindert. Die Verschlakkung der Oberseite umfaßt nur ca. eine Hälfte der Form. Teilweise ziehen sich Laufstrukturen bis in die Gußkammer. Diese Eigenheiten legen die Vermutung nahe, daß die gebrauchte, auf der Außenseite verschlackte Form nach dem Gußvorgang nochmals gebrannt wurde. Bei dieser zweiten Erhitzung mutmaßlich in Schräglage wurde die Schlacke der Außenseite wieder leicht plastisch und setzte sich auf der Vorderseite der Form und in der Gußkammer ab. Fraglich muß bleiben, ob diese zweite Erwärmung rein zufällig in einer Herdgrube beim Guß eines anderen Gegenstandes ablief, oder ob die Form als Beigabe dem Toten mit auf den Scheiterhaufen folgte. Der Profilquerschnitt des späteren Fertigproduktes aus der Holzmindener Form besaß leicht konvergierende Seiten, die mit einem deutlichen Umbruch in die Schauseite übergingen. Die Rückseite war mutmaßlich plan ausgebildet. Der Form läßt sich weder ein Gegenstand aus dem Gräberfeld noch aus einem anderen nordwestdeutschen Fundzusammenhang zuweisen. Die spärliche Beigabe von Metallgegenständen in den Brandgräbern der vorrömischen Eisenzeit sowie ein deutlicher Rückgang der Deponierungssitte seit der späten Bronzezeit vermitteln ein nur sehr mangelhaftes Bild des Metallhandwerks in Nordwestdeutschland. Erschwerend tritt bei der Untersuchung von Metallgegenständen ein durch sekundären Brand auf dem Scheiterhaufen durchweg schlechter Erhaltungszustand von Metallobjekten hinzu. Zu den wenigen aufschlußreichen Funden gehört die Gießform vom Niederen Feld bei Holzminden. Für einen schlecht durch vergleichbare Funde belegten Horizont indiziert das Objekt eindeutig den Guß nach Modeln. Gegossene Schmuckscheiben mit Spiraldekor, ähnlich der Form aus Holzminden, konnten bislang nicht
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vorgelegt werden. Die Form der Spiralen oder von konzentrischen Kreisen sind in Norddeutschland jedoch nicht fremd. Die mir bekannt gewordenen Exemplare wurden jedoch nicht gegossen, sondern geschmiedet bzw. getrieben. An einem Hängeschmuck der frühen Eisenzeit aus Erichshagen-Wölpe, Ldkr. Nienburg (Potratz 1941 Taf. 17), können runde Scheiben mit konzentrischen Kreisen beobachtet werden, die aus einem geschmiedeten Blech herausgetrieben wurden. In einer Urne der älteren vorrömischen Eisenzeit von Bederkesa, Ldkr. Cuxhaven, Grab 1 (Häßler 1976 Taf. 80, 4e), lag neben zwei Eisennadeln und Fragmenten von Bronzeblechröhrchen eine „gewickelte“ Bronzespirale mit acht Windungen und abgebrochenem Ende.
Formen in Grabfunden der Bronze- und Eisenzeit Aus den Brand- und Körpergräbern der Bronze- und vorrömischen Eisenzeit Norddeutschlands wurden mir keine Gußformen bekannt. Grabfunde mit Erzbruchstücken, Tondüsen, Gußkuchen und Barren sind während der Bronzezeit und der älteren Eisenzeit im Bereich der Nordtiroler Erzlagerstätten, Schlesiens und Südfrankreichs eine Seltenheit (Jockenhövel 1982). Einige Gräber mit Gußformen sollen näher betrachtet werden: In dem Urnenfriedhof von Bojadła, Woj. Zielona Góra (Boyadel, Kr. Grünberg, Schlesien; Liste 1 Nr. 7), wurden 1884 zwei tönerne, zweischalige Gußformen und Fragmente von gekrümmten Blasebalgdüsen in einem Grab der jüngeren Lausitzer Kultur ausgegraben (Seger 1909, 19–23 Abb. 19–22). Daneben standen zwölf bis 15 große und mehrere kleine Gefäße, zwei davon enthielten den Leichenbrand. Eine der Gußformen für ein Tüllenbeil besteht aus fein geschlämmtem Ton. Vier durchgehende Löcher dienten als Paßstifte zur genauen Arretierung der zweiten Formhälfte. Die zweite ähnlich beschaffene Form diente dem Sichelguß. In einer Hälfte wurde ein Hohlraum eingearbeitet, während die zweite Formhälfte plan gestaltet ist. Aus der späten Bronzezeit und der frühen Eisenzeit Polens treten ebenfalls sporadisch Gußformen auf: In der älteren Bronzezeit gelangte die Gußform für eine Lanzenspitze in ein Brandgrab der älteren Bronzezeit (Periode III) bei Mierczyce, pow. L·gnica (Mertschütz, Kreis Liegnitz), in Schlesien (Richthofen 1924, 62 Abb. 1). Neben dem oben erwähnt Beispiel sei das Grab von Piekary, Bez. sroda sl~ska (Stadthof, Neumarkt, Schlesien), aus der Periode V mit einer zweischaligen Form und einem schalenförmigen Tiegel angeführt (Kostrzewski 1953, 193f. Abb. 26). Abschließend sollen noch zwei mitteldeutsche Grabfunde aus Großjena und Giebichenstein genannt werden. Von dem ersten Fund aus dem Jahre 1819 ist seine Bergung aus einer Urne bekannt (Schmidt 1894, 55f.).
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In bronzezeitlichen Bestattungen Skandinaviens zeichnen sich ebenfalls Hinweise auf eine Beigabe von Gußwerkzeugen ab. Bei Löderup in Südostschonen, Schweden (Strömbom 1959), erbrachte ein spätbronzezeitliches Brandgrab als Nachbestattung in einem Hügel acht Fragmente von einem oder mehreren Schmelztiegeln und Bruchstücke aus gebranntem Ton, die möglicherweise zu verlorenen Formen gehören. Daneben kamen neun Gefäßscherben sowie zwei Feuersteinabschläge zutage. Weitere Fragmente tönerner Gußformen stammen aus den schwedischen Brandgräbern von Skälby, Ksp. Vårfrukyrka, in Uppland und von Simris in Südostschonen (Strömbom 1959, 176f.). Nicht als Grabbeigabe, sondern im Aufschüttungsmaterial von Grabhügeln konnten ebenfalls häufiger Gußformfragmente beobachtet werden (z. B. bei Ö. Vemmerslöv, Südostschonen, Schweden [Strömbom 1959, 178]). In einem wikingerzeitlichen Grabhügel bei Morsum auf Sylt lagen neben wannenförmigen Schmelztiegeln Bruchstücke von Schwertgußformen, vermutlich der älteren Bronzezeit (Struve 1979, 140; Aner/Kersten 1979, 109 Nr. 2733 Taf. 53, 2733). Bei der Ausgrabung eines Urnengräberfeldes von Loanhead of Daviat (GB) kamen ebenfalls Gußformfragmente zutage (Hodges 1959, 132). Den Publikationen ist nicht zu entnehmen, ob die Formen im Produktionsprozeß genutzt worden sind oder möglicherweise auf dem Scheiterhaufen sekundär gebrannt wurden. Die vorgestellten Beispiele zeigen, daß Gußformen in weiten Teilen Europas von der älteren Bronzezeit bis zur älteren vorrömischen Eisenzeit mit in die Gräber gelangten. Damit scheint es legitim, die Holzmindener Form als mögliche Grabbeigabe zu interpretieren. Diese Überlegung muß jedoch relativiert werden, da das Werkzeug auch als Produktionsabfall auf das Gräberfeld gelangt sein könnte. Der Zusammenhang mit einem Gießplatz kann für den Fundplatz von Sanskimost in Bosnien (BIH) angenommen werden. „Grab“ 98 des ältereisenzeitlichen Gräberfeldes enthielt eine Gußform aus Sandstein für „einen Stab mit zwei aufgesetzten Scheibchen“ zusammen mit einer Blasebalgdüse und einem Schmelztiegel. Möglicherweise sind auch die beiden, vom Ausgräber als Gußrinnen aus Ton bezeichneten Funde (L. 130 mm bzw. 210 mm, B. 20 mm) als Gußformen für Stabbarren anzusprechen (Fiala 1899, 90 Abb. 103 Grab 98). Die Zugehörigkeit zu einem Grab kann nicht als gesichert gelten, zumal die Funde aus einer kohligen Ascheschicht stammen, die im Gegensatz zu allen anderen Brandgräbern des Friedhofes keinen Leichenbrand enthielt. Zum Fundkomplex gehören außerdem noch eine Blasebalgdüse und ein Schmelztiegel. Nicht auszuschließen ist die Interpretation dieses Befundes als Schmelzplatz innerhalb des nicht unbedingt zeitgleichen Gräberfeldes.
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Rohstoffversorgung Die in der vorrömischen Eisenzeit Nordwestdeutschlands bevorzugte Kupferlegierung Bronze setzt sich aus Kupfer mit 10 % Zinn zusammen. Stephanie Kaufmann unterzog ausgewählte Funde der Bronzezeit Nordwestdeutschland, d. h. im einzelnen Fibeln, Nadeln, Kurzschwerter, Äxte und Beile, einer genauen Untersuchung der Materialzusammensetzung und Gefügestrukturen im Rasterelektronenmikroskop, um zerstörungsfrei Informationen zu der verwendeten Legierung und ihren Eigenschaften, sowie der handwerklichen Bearbeitung zu erlangen (Kaufmann 1998). Resümierend kann konstatiert werden, daß die Metallhandwerker der Bronzezeit als Spezialisten genau über die werkstoffkundlichen Eigenschaften spezifischer Legierungen unterrichtet waren und diese intentionell auf eine Weiterverarbeitung der Werkstücke durch oberflächenveredelnde Techniken abstimmten. Woher bezogen sie jedoch ihre Werkstoffe? Ein Altmetallklumpen aus Grandson, Kanton Waadt (CH), besteht aus zahlreichen zerbrochenen und zusammengeschmolzenen Bronzegegenständen, die das Recycling verdeutlichen. Im einzelnen sind verzierte Armspangen, eine Speerspitze, drei Lappenäxte, davon eine mit zertrümmerter Schneide, eine rippenverzierte Sichel und diverse Ziergegenstände erkennbar (Wyss 1967, 12 Abb. 14–15)3. In erheblichem Maße muß während aller prähistorischer Epochen mit einem Recycling von unbrauchbaren Altstücken und Werkstattabfällen gerechnet werden. Auf der späturnenfelderzeitlichen Siedlung des Hesselberges bei Gerolfingen, Ldkr. Donau-Ries, erbrachte die Ausgrabung eines Werkplatzes für den Bronzeguß eine Reihe von intentionell zerbrochenen Schwertern, Sicheln, Lanzen- und Pfeilspitzen, Nadeln, Messern und blechernen Gefäßen, die der Wiederverwertung dienten (Hornung 1939, 101). Aus älterkaiserzeitlichem Zusammenhang einer Siedlung bei Warburg-Daseburg, Ldkr. Höxter, fanden sich neben diversen Hinweise auf ein ausgeprägtes metallverarbeitendes Handwerk auch Reste von zerbrochenen Bronzegegenständen, die mutmaßlich einem Recycling zugeführt werden sollten (Günther 1990, 42–47). Hiebund Schnittkerben an Fragmenten von Bronzegefäßen aus der kaiserzeitlichen Siedlung von Soest-Ardey weisen auf eine beabsichtigte Zerkleinerung von Gegenständen zum Einschmelzen hin. Teilweise wurden Metallbleche zu kleinen Päckchen zusammengebogen, um ein Schmelzen im Tiegel zu erleichtern (Halpaap 1994, 208f. Taf. 113, 13a/b.16). 3
Vgl. weitere Beispiele aus der Schweiz bei Wyss 1971, 124 Abb. 1 und die Funde von Augsburg und Domahida, Ungarn (Richlý 1899, 207).
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In einem jüngerkaiserzeitlichen Materialkomplex von Geismar bei Fritzlar, Schwalm-Eder-Kreis (Hessen), belegt der in einem Schmelztiegel teilweise eingeschmolzene profilierte Metallstab eindrücklich die Wiederverwendung von Altmetall. Daneben fand sich jedoch ebenfalls ein schalenförmiger Tiegel mit fein zerstoßenem Erz (Roth 1980, 798 Abb. 2). Die chemische Zusammensetzung von Buntmetallfunden der vorrömischen Eisenzeit bildete bislang nur selten einen Gegenstand der Forschung. Christina Zientek untersuchte in ihrer Dissertation vierzig Gegenstände aus dem Bereich um Frankfurt am Main (Zientek/Bollingberg/Urban 1998). Deutlich herrschen in der Zusammensetzung Zinnbronzen mit 64 %, gefolgt von zinnbetonten Mischbronzen vor. Messing war nur einmal vertreten. Im Vergleich mit Legierungen aus dem frühen und hohen Mittelalter zeigte sich in den jüngeren Epochen eine eklatante Zunahme der Spurenelemente, was eine erhöhte Verwendung von Altmetall indiziert. Fraglich bleibt die Provenienz, der im Wesertal zwischen Höxter und Holzminden verarbeiteten Metalle. Ohne nähere Hinweise erbringen zu können darf vermutet werden, daß ein kleines Kupfererzvorkommen am Köterberg bei Höxter zur Deckung des Rohstoffbedarfs herangezogen worden sein könnte. Die nächstgelegenen bedeutenden Erzlagerstätten stellen jedoch die Vorkommen bei Marsberg am Ostrand des Rheinische Schiefergebirges und die Gangerzreviere des Oberharzes sowie das Lager des Rammelsberges bei Goslar dar. Eine Ausbeutung der Harzer Erzlagerstätten im 1. Jahrtausend v. Chr. läßt sich nicht mit Sicherheit feststellen. Allerdings könnten Metallanreicherungen in sedimentären fluviatilen Ablagerungen des nördlichen Harzvorlandes auf eine bronzezeitliche Nutzung der Mineralien hinweisen (Niehoff/ Matschullat/Pörtge 1992). In der Wüstung Düna, Ldkr. Osterode am Harz, konnten bei der Ausgrabung eines frühmittelalterlichen Herrensitzes in den Schichten der ersten Siedlungsphase, d. h. aus dem 3./4. Jahrhundert n. Chr., Eisen-, Schaum- und Buntmetallschlacken sowie verwitterte Erzrelikte geborgen werden. Durch analytisch-chemische und optisch-mikroskopische Untersuchungen ließen sich die Proben dem Rammelsberger Erzlager bzw. den Oberharzer Gangerzvorkommen zuordnen. Somit erscheint der Rammelsberger Bergbau seit ca. dem 4. Jahrhundert n. Chr. und der Gangerzbergbau des Oberharzes seit dem 3. Jahrhundert als gesichert (Brockner/Heimbruch/ Koerfer 1990). Die Betrachtung der Blei-Isotopenverhältnisse vermag generell nur Hinweise auf die Rohstoffprovenienz liefern, da sich die Zusammensetzung einerseits durch Legierung verschiedener Metall verändert, andererseits ähnliche Isotopenverhältnisse in verschiedenen Erzlagerstätten auftreten können. Mit-
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telbronzezeitliche Funde aus einem Grabhügel bei Müllingen, Ldkr. Hannover, deuten eine Herkunft des Kupfers aus dem Rammelsberg oder aus den Bergrevieren Meggen bzw. Ramsbeck im Sauerland an (Brockner et al. 1999, 151). Die Isotopie eines Bronzeringes aus demselben Gräberfeld weist darüber hinaus auf das Oberharzer Gangerzrevier (Brockner u. a. 1999, 151). Die geringe regionale Distanz des Müllinger Fundplatzes legt jedoch am ehesten den Harz als Ursprungsgebiet für den Kupferanteil nahe. Das ebenfalls beprobte älterkaiserzeitliche Fibelfragment des Fundplatzes könnte aus Erzen des Oberharzes, des Taunus- oder des Lahndistrikts stammen. Dasselbe trifft für die bronzenen Bestandteile einer dort gefundenen Eisennadel der vorrömischen Eisenzeit zu (Brockner u. a. 1999, 152f.). Vor diesem Hintergrund mag die Vermutung geäußert werden, daß eine bronzezeitliche Versorgung mit Kupfer in Norddeutschland durch die Ausbeute der großen Lagerstätten am Harz stattgefunden haben könnte. Diese These kann jedoch nur durch weitere naturwissenschaftliche Untersuchungen gestützt werden. Prähistorische Abbauspuren dürften wahrscheinlich vollständig durch mittelalterliche und neuzeitliche Bergbauaktivitäten ausgelöscht worden sein. Für die Deckung des Zinnbedarfs werden mannigfache Möglichkeiten diskutiert (vgl. Waniczek 1986).
Gußform-Funde in Nordwestdeutschland Allgemeines zum Metallguß Da weder vergleichbare Gußformen noch ebensolche Fertigprodukte zu der Form aus Holzminden für eine detaillierte Auswertung herangezogen werden können, mag es gestattet sein, allgemeinere Überlegungen zum vor- und frühgeschichtlichen Metallguß in Nordwestdeutschland und Mitteleuropa anzuschließen. Formen für den Metallguß zählen zu den großen Seltenheiten unter den archäologischen Bodenfunden. In der Regel wurden die Objekte aus ihrem ursprünglichen Funktionszusammenhang gelöst, d. h. außerhalb des Werkplatzes von Metallhandwerkern, in Depots, Gräbern oder im Abfall von Siedlungen gefunden. Im Folgenden soll versucht werden einen Überblick zur prähistorischen Metallgußtechnik in der Bronze- und vorrömischen Eisenzeit zu geben. Im Vordergrund sollen Werkzeuge aus Erden, als auch sogenannte verlorene Formen, Schmelztiegel und Schmelzöfen stehen. Ausgenommen bleiben Blasebalg- und Blasrohrdüsen, da sie schon eine eingehende Untersuchung erfahren haben (Weisgerber/Roden 1986; Roden 1988).
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Abb. 4. Pipinsburg bei Osterode am Harz. Gußform aus Dolomit, H. 98 mm
Anfangs sollen die wenigen eisenzeitlichen Gußformen Nordwestdeutschland vorgestellt werden. Auf der Pipinsburg bei Osterode, Ldkr. Osterode am Harz (Südniedersachsen), wurde eine Form aus Dolomit (Abb. 4) geborgen. Beifunde gestatten eine späthallstatt-/frühlatènezeitliche Datierung des Werkzeugs. Das Rohmaterial steht wenige Kilometer östlich, am Westabhang des Harzes, an. Unweit der Form konnte ein Wetzstein gefunden werden (Schlüter 1975, 121 Abb. 5, 1), der ebenfalls im Bereich des Metallhandwerks eingesetzt worden sein könnte. In der Gußform konnten Schmuckstücke, wahrscheinlich Nadeln, mit spatenförmigem Kopf und Spiraldekor produziert werden. Da keine Paßstifte in dem Formteil zu finden sind, dürfte dieses Werkzeug für den gedeckten Herdguß eingesetzt worden sein. Auf der Befestigungsanlage Babilonie bei Obermehnen, Ldkr. MindenLübecke (Westfalen), barg F. Langewiesche 1905 im Rahmen einer Ausgrabung eine quaderförmige Gießform (Abb. 5) aus Gabbro-Peridotit (77 x 65 x 16 mm) mit Kammern für zwei unterschiedliche Gußstücke (Bérenger 1997, 56 Abb. 2, 8; Wilhelmi 1967 Kat.-Nr. 62 Taf. 1, 27). Keramikscherben von der durch zwei Wälle befestigten Burganlage Babilonie legen eine Datierung der Anlage in den Zeitraum von der Hallstatt- bis zur Mittellatènezeit nahe. Ein kalibriertes 14C-Datum präzisiert diesen Ansatz auf 317 ± 73 v. Chr., wobei die Holzkohleprobe unstratifiziert genommen wurde. Eine spätere Nutzung der Burg kann für das Mittelalter nachgewiesen werden (Bérenger 1997, 54–56 Tab. 1–2).
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Die eine Seite der Form gestattete den Guß von radförmigen Applikationen (?) mit fünf Speichen, die auf einen zentralen konzentrischen Ring stoßen und eine ausgeprägte feingliedrige Profilierung aufweisen. Das Fehlen eines Eingußtrichters deutet entweder daraufhin, daß das Werkzeug nicht bis zum Ende ausgeführt wurde. Andererseits könnte die Formseite für den offenen Herdguß Verwendung gefunden haben. Wobei dann jedoch nur eine Herstellung von Produkten aus Weißmetall (Blei-Zinn-Legierungen) in Betracht gezogen werden kann, da für den Guß von Kupferlegierungen eine zweite Formhälfte unabdingbar notwendig erscheint. In Erwägung gezogen werden muß ebenfalls ein Vorhandensein des Gußtrichters in der zweiten verlorenen Formhälfte. Ein dort befindlicher Einguß würde den Aufwand einer Versäuberung am Abbruch des Gußzapfens deutlich erleichtern, da die Profilierung des Rades im Bereich des Eingusses nicht erneut herausgearbeitet werden müßte. Auf der zweiten Formseite wurden zwei längliche Gußkammern mit rundem Profilquerschnitt und jeweils drei kugelförmigen Verstärkungen herausgearbeitet. Senkrecht zu den Eingußtrichtern durchziehen zwei gerade Hohlräume die Form. In zwei gegenüberliegen Ecken der Form können zwei runde Vertiefungen zur Aufnahme von Paßstiften beobachtet werden, die zur präzisen Arretierung einer zweiten Formhälfte dienten. In die Form könnten leicht konische, mutmaßlich geschmiedete Nadelschäfte eingelegt werden, die dann durch den Überfangguß mit drei kugelförmigen Profilierungen versehen werden konnten. Mutmaßlich stellt die Form von der Babilonie eines der wenigen für den Überfangguß (vgl. allgemein Drescher 1958) bestimmten Exemplare dar, da dieses Gußverfahren in der Regel mit Formen aus gemagerten Erden ausgeführt wurde. Nadeln mit drei kugelförmigen Schaftköpfen finden sich beispielsweise auf dem Gräberfeld von Hallstatt, im Caput Adriae und im Bereich der südostalpinen Hallstattkultur des 7. und 6. Jahrhunderts v. Chr. (Polenz 1986, 219). Zu dem radförmigen Gußstück der zweiten Formseite konnte Hartmut Polenz Parallelen des 7. Jahrhunderts aus Frög bei Rosegg in Kärnten (A) nachweisen (Polenz 1986, 220). Zwei mit der westfälischen Gußform gut vergleichbare Exemplare aus feinkörnigem Sandstein wurden bei Velem (ehemals Velem St. Veilt/VelemSzentvid, Bez. Vas) in Westungarn gefunden (Miske 1929, 87 Abb. 7, 4.5; Foltiny 1958). Die dort in unmittelbarer Nähe einer Erzlagerstätte entstandene urnenfelderzeitliche Höhensiedlung der Vál-Kultur erbrachte zwei Schalengußformen für die Ausstattung mutmaßlich geschmiedeter Nadelschäfte mit Vasenköpfen. In einem Arbeitsgang konnten jeweils zwei bzw. drei Stücke gleichzeitig gegossen werden. Sowohl die ungarischen Stücke als auch die westfälische Form mußten für den Gußformgang noch durch eine plane Plat-
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te aus Holz oder aus Stein ergänzt werden, die die zweischaligen Formen auf ihrer Unterseite verschloß. Es muß jedoch auch in Betracht gezogen werden, daß in derartigen Formen nur Wachsmodelle für Nadelköpfe erstellt wurden. Hans Drescher konnte für die ungarischen Formen aufgrund ihrer starken thermischen Veränderungen in den Gußkammern jedoch den Metallguß nachweisen (Drescher 1958, 39). Die Form von der Babilonie zeigt im Vergleich zu anderen Formen für Kleingerät auffallend große Eingußkanäle, die aufgrund ihrer Dimensionen nur schlecht zu beseitigende Gußzapfen erbringen, da sie eine Kontaktzone von ca. einer Hälfte der Nadelkopf-Außenseiten erbringen, die sich als Bronzeausguß nur mit großem Aufwand entfernen lassen und eine saubere Nachbearbeitung der Kopfoberfläche nach sich ziehen. Ein Wachsausguß würde diese Probleme nicht mit sich bringen, so daß die Hypothese geäußert werden soll, daß es sich bei der Form von der Babilonie um eine Wachsgußform handelt. Sicherheit kann jedoch nur eine Autopsie erbringen. Das Aufgießen von kugelförmigen Köpfen im Überfangguß kann in abgewandelter Form anhand der spätbronzezeitlichen Form von Waldmannshofen, Ldkr. Creglingen, für Süddeutschland nachgewiesen werden (Urbon 1959, 118f.). Die ursprünglich zweischalige Form besitzt in ihrer erhaltenen Hälfte neun halbkugelförmige Vertiefungen mit zentralem Loch im Boden, die jeweils durch einen Gußkanal mit Speise versorgt werden konnten. Eine zweite Hälfte mit entsprechenden Eintiefungen für die oberen Abschnitte der späteren Nagelköpfe läßt sich ergänzen. Für den Gußvorgang mußten die Nadelschäfte in die Löcher gesteckt werden, die Form geschlossen und ausgegossen werden. Bereits während der Bronzezeit wurde der Guß in Schalen bis zur Perfektion entwickelt, wie die vielen sauber gearbeiteten Bronzebeile aus Norddeutschland eindrücklich belegen. Gießformen sind aus diesem Zeitraum nur wenige überliefert. Die mutmaßlichen Reste einer Siedlung bei Schinna in der Nähe von Stolzenau, Ldkr. Nienburg, erbrachten einen spätbronzezeitlichen Hort. Das Depot enthielt u. a. eine zweischalige Form für Tüllenbeile und eine Form für Knopfsicheln (Jacob-Friesen 1940). Eine weitere metallene Gußform für Absatzbeile des Osthannover-Typs wurde in dem Hortfund von Haaßel bei Altenmedingen, Ldkr. Uelzen, geborgen (Laux 1998). Zwei kongruent übereinanderpassende Sandsteinstücke mit sorgfältig geschliffenen planen Seiten aus Neustadt am Rübenberge, Ldkr. Hannover, deutete Hans Gummel als unvollendete Gußschalen (Gummel 1925, 10 Abb. 1). Der früheisenzeitliche Depotfund aus dem Blankenmoor bei Eystrup, Ldkr. Nienburg, enthielt neben Bernsteinschmuck und einem Armring einen gegossenen Wendelring (Gummel 1925a), der antik zerbrach und im Überfangguß
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Abb. 5. Babilonie bei Obermehnen, Ldkr. Minden-Lübecke. Gußform aus Gabbro-Peridotit, H. 65 mm
wieder zusammengefügt wurde. Für die Reparatur wurde wahrscheinlich eine Wachsmanschette um die Bruchstelle gelegt und mit gemagertem Ton ummantelt, nach dem Ausschmelzen des Wachses wurde der Hohlraum mit einer Kupferlegierung ausgegossen. Während dieses Vorgangs kühlte die Speise jedoch zu schnell ab, so daß die Gußkammer nicht vollständig gefüllt wurde und zusätzlich Lunker auf der Oberfläche derselben entstanden. Eine vergleichbar ausgeführte Reparaturstelle (Abb. 6) kann an einem Wendelring aus dem spätbronze-/ältereisenzeitlichen Depot von Barsinghausen, Ldkr. Hannover (Niedersachsen), beobachtet werden (Sprockhoff 1932, 10–12 Taf. 2). Die Lunkerbildung fällt jedoch bei diesem Objekt wesentlich schwächer aus als beim Fund von Eystrup. Sicherlich können die beiden genannten Beispiele nicht als repräsentative Stichprobe für eine Bewertung des bronzezeitlichen Metallhandwerks in Nordwestdeutschland gewertet werden. Jedoch indiziert die Lunkerbildung technische Probleme bei der Ausführung von Reparaturen im Überfangguß. Mutmaßlich umschloß die tönerne Form die Wendelringe nur im unmittelbaren Umfeld der Bruchstelle. Die übrigen – nicht isolierten – Partien förderten durch ihre große Oberfläche und die gute thermische Leitfähigkeit der Kupferlegierung ein zügiges Auskühlen des formummantelten Bereiches, so daß die zu starke Temperaturdifferenz von Speise und Werkstück die Bildung von Lunkern während des Gußvorgangs begünstigte. Eine für den Guß zu kalte Form dürfte auch den Fehlguß eines
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Abb. 6. Barsinghausen, Ldkr. Hannover. Reparaturstelle an einem Wendelring (Foto: S. Krabath)
Armringes aus dem jungbronzezeitlichem Hortfund von Barum, Ldkr. Lüneburg, verursacht haben (Sprockhoff 1932, 13–16 Taf. 3–5). Die Speise füllte den kurzen Eingußtrichter und nur circa zwei Drittel der Form. Die Gestalt des Eingußtrichters wurde geschickt ausgeformt. Der Profilquerschnitt verjüngt sich zum Gußstück relativ stark und bildet eine langschmale Kontaktfläche zum Gußrohling, die ein Abschlagen des Gußüberstandes sowie eine anschließende Versäuberung des Grates mit einfachen Werkzeugen erheblich erleichtert.
Irdene Gußformen Im Vordergrund der folgenden Betrachtung stehen Gußformen aus Ton. Sie werden für den sogenannten Guß in verlorener Form (à cire perdu) benötigt. Derartige Formen werden erstellt, indem ein Modell aus Wachs mit Ton ummantelt wird, welches durch Erwärmen ausgeschmolzen wird, so daß ein Hohlkörper als Formnegativ entsteht. Alternativ kann auch ein Modell, beispielsweise aus Holz oder Blei bzw. ein fertiger Gegenstand mit Hilfe von Ton abgeformt werden. Bei der Verwendung von festen Modellen zur Abformung entstehen zweiteilige Schalenformen, die auch als Klappformen oder Kokillen bezeichnet werden. Im Zuge der Trocknung schwinden die Formen bis zu 12 %, so daß die neuen Güsse erheblich kleiner ausfallen als die Modelle. Über die Herstellung verlorener Gußformen geben die Gußstücke selbst, Reparaturstellen an denselben sowie die Formen Auskunft. Möglicherweise stellen bleierne Tüllenbeile aus England und Frankreich die frühesten Beispiele für Gußmodelle dar (Götze 1925, 26). Seit der Römischen Kaiserzeit und besonders im frühen Mittelalter gewinnen sie eine größere Bedeutung (Wamers 1998) bzw. sind häufiger überliefert. Bleimodelle lassen sich aufgrund des relativ niedrigen Schmelzpunktes von Blei bei ca. 327 °C
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Abb. 7. Tobermore, Co. Derry (IRL). Depot mit hölzernen Modeln der späten irländischen Bronzezeit, max. L. der mittleren Lanzenspitze 70 mm
ohne größeren technischen Aufwand herstellen, und gestatten somit einem Handwerker die zügige Herstellung von Modellen bzw. Mustervorlagen. Modelle aus Weißmetall-Legierungen dürften zusätzlich geringere Materialkosten verursacht haben als solche Stücke aus Kupferlegierungen. Diese Methode konnte Hans Drescher für französische Goldschmiede noch im 15. Jahrhundert nachweisen und wurde ebenso in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von dem Buxtehuder Goldschmied Ludewig Christopher Mügge praktiziert (Behrmann 1985, 37 Abb. 18–19). Die zweischaligen tönernen Gußformen für Schaftlochäxte der südosteuropäischen Kupferzeit am Übergang vom Endneolithikum zur frühen Bronzezeit vom Rainsberg in Salzburg besitzen eine minimale Wandungsstärke von 5 mm. Martin Hell hält diese geringe Ausdehnung als zu gering für den Bronzeguß und versucht die beiden Formen als Werkzeuge für die Herstellung von Wachsmodellen zu interpretieren (Hell 1943, 55–58). Tonformen wurden jedoch für den Guß mit einer zweiten Schicht Lehm ummantelt, um eine größere Stabilität zu erhalten, wie es beispielsweise bei einer Form aus Mörigen, Kanton Bern (Wyss 1967, 10 Abb. 8; vgl. auch Evans 1881, 449), zu beobachten ist. Demzufolge erscheint der Modelguß in den Salzburger Formen nur als eine Möglichkeit der Verwendung.
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Für die Rekonstruktion prähistorischer Gußtechnik erscheint jedoch ein bislang weitgehend unbekannter irischer Hortfund von außerordentlicher Wichtigkeit. Im Jahre 1911 wurde bei Tobermore, Co. Derry (IR), ein Depot mit hölzernen Modeln der späten irländischen Bronzezeit geborgen (Hodges 1954, 67 Abb. 3). Der überlieferte Inhalt umfaßt zwei Lanzenspitzen, zwei Beile und einen Hammerkopf (Abb. 7). Diese Modelle dienten zweifellos zur Herstellung von irdenen Formen. Aus Wetzikon, Robenhausen (CH), stammt ein Model für Flachbeile aus Eschenholz, das in den Horizont Pfyn, Altheim, Mondsee gestellt werden kann (Strahm 1994, 19 Abb. 13). Die hohe Gleichartigkeit der irdenen Formen im Hinblick auf ihre Dimensionen macht die Verwendung eines einziges Modells für mehrere Lanzenpitzen-Gußformen in Zug (Fundstelle „Sumpf“) erschließbar. Das Modell formte sowohl die Spitze als auch den Eingußtrichter aus. Strukturen in einem Einguß legen ein Holzmodell nahe (Weidmann 1982, 72). Negativeindrücke einer kreuzförmig angelegten Umwicklung der inneren Schalen belegen ein Zusammenbinden der inneren Formhälfte, bevor diese mit einer äußeren dikken Lehmschicht umgeben wurden. Die zweischaligen Formen wiesen tönerne „Paßstifte“ in der einen Hälfte auf, die in zugehörige Vertiefungen der zweiten Hälfte greifen konnten. Ein identischer Aufbau kann bei den Formen aus Mörigen (Bernatzky-Goetze 1987, 89) beobachtet werden. Die Ränder der durch Modelle gewonnenen zweischaligen Formen wurden sorgfältig geglättet und wahrscheinlich mit einem Trennmittel, das aus Asche, Staub, Holzkohle oder fetthaltigen Substanzen bestehen konnte, bestrichen (Weidmann 1982, 76). Zur paßgenauen Arretierung beider Formhälften kamen bei einem Fund aus Bojadła (Liste 1 Nr. 7) wahrscheinlich Holzstäbe, die durch vorgefertigte Löcher gesteckt wurden, zum Einsatz. Gußformen aus Irland und von den Britischen Inseln (Coghlan/Raftery 1961; Hodges 1954; 1959; 1960) weisen ebenfalls einen zweischichtigen Aufbau auf, wobei die inneren Formteile immer aus feinem Ton bestanden, die von einem grobem Tonmantel umgeben waren. Die innere Schicht war häufig sandgemagert, während die äußere eine organische Beimengung aufwies. In Fort-Harrouard wurde mit 50 % die stärkste Quarzmagerung in der äußeren Schicht nachgewiesen (Mohen/Bailloud 1987, 126ff.). Der Werkstoff Holz zeigt eine hohe Eignung für die Produktion von Gußmodeln. Als leicht zu gewinnendes Naturprodukt läßt er sich hervorragend auch mit einfachen Werkzeugen bearbeiten, so daß mit relativ geringem Aufwand wohl proportionierte Gegenstände mit glatten Oberflächen, wie sie zum Abformen benötigt werden, geschaffen werden können. Die fertigen Modelle weisen eine ausreichende Stabilität auf, um sie in geeignete Erden zu drükken bzw. mit ihnen zu ummanteln. Die Verwendung von Trennmitteln bei
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der Ausformung von irdenen Formen läßt sich nur vermuten. Tierische Fette, dünn auf hölzerne Modelle aufgetragen, könnten das Ausformen erheblich erleichtert haben. Das relativ niedrige Gewicht des Holzes erleichtert dem wandernden Bronzegießer zusätzlich den Transport seiner Modelle. Der Einsatz von hölzernen Modellen beim Bronzeguß kann indirekt durch in der alten Gußoberfläche erhaltene Abdrücke hölzerner Strukturen nachgewiesen werden. Diese Modelabdrücke haben sich beispielsweise auf einem Schwert im Museum zu Belfast, Irland (Hodges 1954, 64), und auf verlorenen Formen von Jarlshof auf den Orkney Inseln (GB) erhalten (Curle 1933, 115). Die Abformung von Bronzegeräten kann direkt an einem Beil aus Boigneville (Götze 1925, 156 Taf. 76a) erschlossen werden, da dort bei der Herstellung der Form eine Gußnaht abmodelliert wurde, eine zweite Naht entstand beim Guß des neuen Beiles. In Nordeuropa beginnt der Guß nach festen Modellen bereits in der älteren nordischen Bronzezeit wie Funde aus Grimmeton (S) zeigen (Svensson 1940). Als Ausgangsmaterial für verlorene Formen wurde Lehm verwendet. Seine hohe Plastizität macht ihn zum idealen Abformmaterial. Fast immer sind Magerungen aus Quarz bzw. Sand (vgl. Liste 1) erkennbar, die der Form eine ausreichende Porosität für entweichende Gase während des Gußvorgangs verleihen und zusätzlich die Rißbildung während des Trocknungs- und Schrumpfungsprozesses minimieren. Der Quarzanteil beträgt bis zu 50 % wie bei den Schmelzgefäßen von Fort-Harrouard (Mohen/Bailloud 1987, 131). Finnischen Formmaterialien kann auch Talk zugeschlagen worden sein, wie ein Exemplar aus Sillankorva (Liste 1 Nr. 43) beweist (Meinander 1954, 45 Abb. 33). Zusätzlich können Holzkohle, Haare oder Pflanzenteile als organische Magerung konstatiert werden. Die Holzkohle-Magerung kann sich reduzierend auf Oxide an der Metalloberfläche auswirken. Die Qualität des Tons, d. h. eine möglichst feine Korngröße für die innere Schicht der Form, ist von entscheidender Wichtigkeit für eine glatte Gußoberfläche. Bereits in der hochmittelalterlichen technischen Literatur werden Hinweise zur Beschaffenheit des Formlehms gegeben. Theophilus Presbyter empfiehlt in seiner Schedula diversarum Artium für die Zubereitung von Formlehm im frühen 12. Jahrhundert folgende Vorgehensweise (Brepohl 1987, 181): „Nimm mit Pferdemist gemengten gut durchgekneteten Ton, laß ihn in der Sonne trocken, zerkleinere ihn nach dem Trocknen und siebe ihn sorgfältig. Dann versetzte den gesiebten Ton mit Wasser und knete ihn kräftig durch […]“. Die homogene Verteilung von organischer Magerung bzw. Sand in prähistorischen Gußformen setzt eine ebenso sorgfältige Bereitung des Formmaterials voraus. Ein überregionaler Vergleich des Formmaterials wird durch stark variierende Genauigkeit bei den Beschreibungen in der Literatur erschwert. Häu-
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Abb. 8. Håg, Randers Amt (DK). a. Formlehmfragment mit Eindrücken von Fingernägeln auf der Außenseite, H. 37 mm; b. Formlehmfragment mit plastischem Dekor auf der Außenseite, H. 34 mm
fig erfolgt eine Ansprache als Ton. Bei genauerer Betrachtung fällt jedoch ein detaillierter Aufbau aus verschiedenartigen Materialien auf. Formen der Stufe Ha A2 aus Alteglofsheim bei Regensburg (Liste 1 Nr. 1) zeigten einen mehrschichtigen Aufbau: Einer sehr feinen inneren Lehmschicht folgten zwei weitere, gröber gemagerte Auflagen von 1 bis 4 mm Stärke mit organischer Magerung (Reichold 1986). Die feinen auch als Zierlehm bezeichneten Auflagen direkt auf dem Modell gestatten eine Abformung auch feinster Details. Eine spätbronzezeitliche Nagelgußform von der „Wasserburg“ Buchau, Ldkr. Biberach (Liste 1 Nr. 8), zeigt einen wesentlich einfacheren Aufbau. Sie wurde aus stark sandgemagertem Ton modelliert (Jockenhövel 1986, 216 Abb. 4, 4; Urbon 1959, 117f.). Formen der späten Bronzezeit bis frühen Eisenzeit aus Ostdeutschland bestehen häufig aus ungemagertem fein geschlämmten mit Kohlestaub angereichertem Lehm. Ein Exemplar aus Dresden-Coschütz (Liste 1 Nr. 11) ist aus lehmigem Feinsand mit einer Magerung aus Holzkohlestaub und kleinen Sandkörnchen (Pietzsch 1971, 56) gefertigt. Organische Magerungen können ebenfalls beobachtet werden. So beispielsweise bei einer Ringgußform von Pößneck-Öpitz, Saale-Orla-Kreis, mit Pflanzenteilen (Liste 1 Nr. 34; Auerbach 1925, 167). Einen zweischichtigen Aufbau weisen die jüngerbronzezeitlichen Formfragmente aus Håg in Jütland (Liste 1 Nr. 20) auf. Innen konnte eine wenige Millimeter starke, feine Tonschicht beobachtet werden, daran schloß sich eine dicke Schicht aus grobem Ton an. Die Außenseiten wurden teilweise mit Dekoren aus Finger- und Nageleindrücken (Abb. 8) verziert (Brøndsted 1962, 271; Jungmarker 1926; Neergaard 1908). Stellt die grobe Magerung ein deut-
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liches Kennzeichen vieler Gußformen seit der Bronzezeit dar, so kann diese Eigenschaft bei wikingerzeitlichen Exemplaren aus Ribe (DK) nicht mehr beobachtet werden. Wahrscheinlich entwichen die Gase bei den aus feinem Lehm bestehenden Formen durch den Spalt beider Schalen (Brinch Madsen 1984, 35). Meistens sind die Außenseiten geglättet. Sie können aber auch wie ein Beispiel aus Lossow zeigt, nachlässig gearbeitet sein (Geisler 1986). Die beiden Fundstellen „Sumpf“ bei Zug (Weidmann 1982) und Mörigen (Bernatzky-Goetze 1987, 89) erbrachten Formen mit einem zweischichtigen Aufbau: Aus feinem Lehm wurden mit Hilfe von Modellen die Hälften von zweischaligen Formen hergestellt, die mit einer organischen, kreuzweise geführten Bindung zusammengehalten wurden. Vor dem Guß wurden diese Hälften nochmals durch eine grobe Tonschicht umgeben. Hans Drescher konnte an den irdenen Gußformen von der jungbronzezeitlichen Siedlung an der Walkemühle bei Göttingen ein ähnliches Verfahren nachweisen. Die Formen waren aus zwei Schichten von sehr feinem Lehm (vermutlich anstehender hochglazialer Löß) aufgebaut worden, indem anfangs eine zweischalige Form über einem harten Model gefertigt wurde, die anschließend nach Entnahme desselben mit Grashalmen zusammengebunden und mit einer zweiten Erdschicht umgeben wurden (Drescher 1988, 149–151). Selten kann ein dreischichtiger Aufbau beobachtet werden: In Catnoi, Dép. Oise (F), folgte zwei feinen mit Quarz durchsetzten Schichten eine dritte grob gemagerte Auflage (Liste 1 Nr. 10). Spezifische Eigenheiten der Oberfläche an prähistorischen Buntmetallgegenständen liefern charakteristische Indizien für die angewendete Gußmethode. Aus den Funden von Gußzapfen (z. B. aus dem Depot von Stolzenau, Ldkr. Nienburg) kann auch eine Kombination von Metallform mit aufgesetztem Einguß aus Ton erschlossen werden: Der sich nach unten verjüngende konische Gußkopf dieses Fundes verzweigt sich divergierend und endet in einem Abbruch. Kurz vor dem Abbruch erkennt man eine relativ glatte Oberfläche, die mutmaßlich von einer Metallform herrührt, während die übrigen Bereiche durch ein Erstarren in einer Sandform gerauht erscheinen. Die Oberfläche kann als Indiz für das Material der Gußform herangezogen werden (Autopsie des Verfassers). In der Regel fällt die Oberflächenstruktur um so feinkörniger aus, je schneller das Material in der Form abkühlt. Metall- und Steinformen weisen schnelle, Tonformen langsame Abkühlraten auf (Ottaway 1994, 122). Die schnelle Abkühlung sorgt für ein rasches Kristallwachstum und damit für eine feine Oberfläche. Durch nicht entweichende Gasblasen bilden sich jedoch leicht Poren in der Oberfläche. Die poröse Oberfläche von Tonformen ist in der Lage Gase aufzunehmen und abzuführen, dadurch wird die Gefahr des
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Zerbrechens der Form während des Gußvorgangs verringert (Freestone 1989, 160; Kaufmann 1998, 32). Im Vergleich zu steinernen und metallenen Gußformen (Drescher 1957; 1958) haben sich Formen aus irdenem Material aufgrund ihrer weichen Konsistenz nur selten erhalten. Ein eindeutiges Vergleichsstück zur Form vom Niederen Feld bei Holzminden liegt bislang nicht vor. Verlorene Formen finden sich seit der älteren Bronzezeit in ganz Europa (Drescher 1958, passim; Hodges 1954; Wanzek 1989, 52). Für den neolithischen Horizont Altheim, Pfyn und Mondsee kann ihre Existenz nur indirekt durch ein Holzmodell erschlossen werden. Bronzezeitliche verlorene Formen aus Norddeutschland sind bislang meines Wissens nicht bekannt geworden. Sie lassen sich jedoch wenigstens aus Gußzapfen mit relativ welliger, für Stein- und Metallformen ungewöhnlich unebener Oberfläche, indirekt erschließen. Ein solcher Gußabfall stammt beispielsweise aus dem Depotfund von Stolzenau, Ldkr. Nienburg (Sprockhoff 1932 Taf. 13d). Eine formal dazugehörige Eingußform aus irdenem Material wurde bei Jarlshof auf den Orkney Inseln (GB) gefunden (Curle 1933, 118 Abb. 37). Exemplare aus der Werkstatt von Haag in Dänemark (Neergaard 1908, 306 Abb. 8) und aus den Depotfunden von Bäk, Ldkr. Schönberg in Mecklenburg-Vorpommern (Hundt 1997 Kat. 18 Taf. 15, 16), belegen eine weit im Nordischen Kreis verbreitete Technologie. Formen für relativ große Gußstücke wie z. B. Schwerter wurden mit zusätzlich in den Mantel eingelegten Ästen verstärkt, wie dies bei einem Fragment aus Boho, Co. Fermanagh (Irland), zu beobachten ist (Hodges 1954, 65 Abb. 2, 1). Eine vergleichbare Verstärkung einer Schwertgußform kann bei dem Fund von Morsum auf Sylt (Liste 1 Nr. 32; Aner/Kersten 1979, 109 Kat.-Nr. 2733 Taf. 53, 2733), aus der Gießerei von Haag (Neergaard 1908, 306 Abb. 8) und im Fundmaterial von Kirkebjerg (Liste 1 Nr. 26) beobachtet werden. Wahrscheinlich wurde die Form von Morsum mit einer Weidenrute verstärkt (Abb. 9). In großer Zahl kamen bislang Formfragmente der späten Bronzezeit bis frühen Hallstattzeit für den Guß von Wendel- und Armringen bei archäologischen Ausgrabungen zutage (Abb. 10). Zu den am besten erhaltenen Exemplaren zählt die zweischalige Form für Wendelringe aus Ammendorf bei Halle an der Saale (Oldeberg 1943, 180 Abb. 343). Dieses zweiteilige Gußwerkzeug wurde wahrscheinlich durch Abdrücken eines Wendelringes erstellt. Nach dem Abformen mußte die Form wieder geöffnet werden, um das Modell des Ringes zu entnehmen. Um so erstaunlicher erscheint diese Vorgehensweise vor dem Hintergrund, daß ein erneutes Öffnen der Form aufgrund ihrer Zerbrechlichkeit auch im ausgehärteten Zustand, ein großes Risiko für die Erhal-
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Abb. 9. Morsum auf Sylt, Ldkr. Nordschleswig. Irdene Gußform mit Kanal für eine hölzerne Verstärkung, maximale L. 225 mm
tung derselben darstellt. Zahlreiche Fragmente verlorener Formen vom Alten Gleisberg bei Graitschen, Ldkr. Stadtroda, lassen Einzelheiten zu ihrer Herstellung erkennen (Neumann 1940, 148 Abb. 3). Die Gußformen für Ringe besitzen eine ringförmige Gestalt mit D-förmigem Profilquerschnitt mit einer Höhe von 31 mm bei 45 mm Breite. Die plane Seite des Profilquerschnitts bildet die Unterseite. Die Durchmesser der Gußkammern liegen bei vier bis neun Millimetern – in Ausnahmefällen auch bei 20 mm – bei Armringen mit Außendurchmessern von 10 bis 35 cm. Für den Transport mußten die relativ empfindlichen Stücke mit einer planen festen Unterlage stabilisiert werden. Glatte Unterseiten der Formen lassen beispielsweise Steinplatten erschließen (Auerbach 1925, 166), während Abdrücke von Holzstrukturen mit Beilspuren, die Verwendung von gebeilten Holzbohlen erschließbar machen. Eine verlorene Form von der Heidenschanze bei Dresden-Coschütz wurde auf einer Spaltbohle aus Fichte oder Tanne ausgeformt (Pietzsch 1971, 56). Teilweise wurde das Gußmodel mit einem feinen Schlicker umkleidet (Neumann 1940, 149). Die feine Lehmauskleidung verleiht dem fertigen Gußstück eine glatte Oberfläche und verringert somit den Aufwand einer abschließenden Versäuberung. Ein erhaltener Eingußtrichter wurde schräg nach oben weisend am oberen Außenrand der Form angebracht, so daß die Lage der Form während des Gusses erschlossen werden kann: Offenbar blieben die Formen während des Arbeitsprozesses waagerecht auf ihrer planen Unterseite liegen. Dies erscheint um so erstaunlicher, da die Speise sich in einer senkrecht stehenden
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Abb. 10. Großlöbichau, Wüstung Hungerdorf, Saale-Holzland-Kreis. Irdene Gußformen für Ringe, maximaler Dm. 224 mm
Form wesentlich leichter verteilt hätte. Als Voraussetzung für eine ebene Lage der Form erscheint mutmaßlich ihre angemessen hohe Erwärmung, da sich das Gußmetall sonst zu schnell abkühlt und die Form nicht vollständig füllt. Zur Erhöhung der Stabilität könnte die Gußform von Öpitz bei Pößneck mit einem organischen Band, welches in einer leichten Rille auf der Außenseite verlief, zusammengeschnürt worden sein (Auerbach 1925, 166 Abb. 1). Ringförmig gestaltete verlorene Formen bleiben nicht nur auf den mitteldeutschen Bereich beschränkt. Sie finden sich auch unter dem Fundmaterial der Heuneburg (Abb. 11) zur Ausformung von Ringen mit rundem Profilquerschnitt und einem Durchmesser von 70 bis 154 mm, während kleinere Ringe (Durchmesser ca. 60 mm) in runden Tonplatten gefertigt wurden. In einer Form konnten auch mehrere Ringe übereinander angeordnet sein (Drescher 1984, 100 Abb. 3). Diese Ringformen entstanden alle durch Einbettung eines Wachsmodelles, da keine Anzeichen für eine Zweischaligkeit nach Abformung eines festen Modells festgestellt werden konnten. In einem Fall kann jedoch die etwas aufwendigere Einbettung des Wachsmodells an einem Fund aus einem Grabhügel der Stufe Ha D1 (Liste 1 Nr. 24) abgelesen werden: Die zweiteilige Form besteht aus einem flachen zylindrischen Kern, in den umlaufend zwei parallele Riefen eingearbeitet wurden. Nach Auflegen eines Wachsmodells in diese Rillen wurde beides – Kern und Modell – mit weiterem Ton ummantelt (Schiek 1959, 121 Abb. 2). Verlorene Formen sind auch aus den Siedlungen der Römischen Kaiserzeit bekannt geworden. Die aufschlußreichsten Befunde zum Metallguß treten uns in der germanischen Siedlung von Bathmen, Provinz Overijssel, in den Niederlanden entgegen (Groenewoudt/Erdrich 1997). Die stark zerscherbten
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Abb. 11. Heuneburg bei Hundersingen, Ldkr. Sigmaringen. Ringgußformen aus Lehm, maximaler Dm. 240 mm
Lehmformen waren auf der Innenseite während des Gußvorgangs in der Kontaktzone mit der Speise nur schwach gebrannt, der Rest wurde kaum erhitzt und blieb weich. Als Fertigprodukte lassen sich wahrscheinlich Riemendurchzüge der ersten Hälfte oder des ausgehenden 4. Jahrhunderts n. Chr. rekonstruieren (Groenewoudt/Erdrich 1997, 305 Abb. 5). Aus der kaiserzeitlichen Siedlung von Mahlstedt bei Winkelstedt, Ldkr. Oldenburg, stammt eine tönerne Gußform für die Herstellung von Stabbarren (Halpaap 1994, 210 Anm. 1318). Der bislang früheste Nachweis für eine Gußform aus dem Schulp (OssaSepia) der Sepien oder Kuttelfische, dessen Herkunftsgebiet das Mittelmeer und der Atlantik bis südlich der Bretagne darstellt, konnte aufgrund eines Abdruckes an einer Schnalle des fortgeschrittenen 6. Jahrhunderts aus dem alamannischen Gräberfeld „An der Steig“ in Bopfingen, Ostalbkreis, erbracht werden (Blumer/Knaut 1991). Diese auch im hohen und späten Mittelalter4 nachweisbare Formtechnik wird sich höchstwahrscheinlich nach genauer Autopsie auch an bronzezeitlichen Geräten nachweisen lassen. 4
So z. B. an silbernen Applikationen des 13. Jahrhunderts aus dem münzdatierten Schatzfund von Fuchsenhof bei Freistadt in Oberösterreich oder einer gotischen Zinne aus Weißmetall im Salisbury Museum, Wiltshire, GB (Egan 2001 Kat.-Nr. 74 Abb. 33, 73).
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Buntmetallschmelzöfen Bislang bildeten sowohl die Buntmetallschmelzöfen der griechischen Antike (Zimmer 1990) als auch diejenigen des Mittelalters (Krabath im Druck) einen Gegenstand der Forschung. Demgegenüber fehlt jedoch ein Überblick zu den prähistorischen Schmelzanlagen Mitteleuropas. Einer übergreifenden Bearbeitung steht der häufig schlechte Publikationsstand genauso entgegen wie eine unzureichende Dokumentation von Altgrabungen, die beispielsweise auf die Entnahme von aussagefähigem Probenmaterial oder sogar auf eine zeichnerische Dokumentation verzichteten. Für das Schmelzen von Kupferlegierungen sind Temperaturen notwendig, die weit über denen anderer Produktionsprozesse liegen. Besitzt reines Kupfer einen Schmelzpunkt von ca. 1.100 °C, schmilzt es nach Zugabe von 8 % Zinn bei 1.000 °C und bei einen Zinnanteil von 13 % bei 830 °C (Moesta 1986, 41ff.). Ein Holzfeuer erreicht ohne künstliche Luftzuführung Temperaturen von 600 °C bis 700 °C, die zur Ausführung von technischen Verfahren im Metallhandwerk mit Ausnahme dem Guß von Weißmetallen wie Blei-ZinnLegierungen nicht ausreichen. Demgegenüber sind mit Holzkohlefeuern ohne Windzuführung Temperaturen von 800 °C zu erreichen. Durch den Einsatz von Blasebälgen, die eine gleichmäßige Luftzufuhr gewährleisten, lassen sich Temperaturen von bis zu 1.650 °C erreichen (Wolters 1983, 51). Experimentalarchäologische Untersuchungen zeigen5, daß ein blasebalgbelüftetes Holzkohlefeuer in einer nur 20 cm eingetieften Grube mit 30 cm Durchmesser in geschützter Lage als Wärmequelle für den Tiegelguß vollständig ausreicht. Eine etwa 10 cm bis 20 cm hohe senkrechte Ofenwandung verhindert dabei ein Fortführen von Wärme durch den natürlichen Wind und hilft die Luftzufuhr mittels Blasebalg durch eine Düse zu konzentrieren. Gußüberschüsse und -spritzer werden nach dem Gußvorgang sicherlich aufgrund des relativ hohen Materialwertes von Metallen sorgfältig aufgelesen worden sein, so daß eine solche technische Anlage dem Ausgräber wie eine gewöhnliche Feuerstelle entgegentritt. In die folgende Betrachtung werden nur Öfen zum Schmelzen von Metallen in Tiegeln einbezogen. Von den Tiegelschmelzöfen lassen sich Schachtöfen zur Erzverhüttung (Kupfer- und Eisenerz) abgrenzen. Als Kriterien für die Interpretation von Tiegelschmelzöfen sind die Existenz von Tiegeln, Holzkohle bzw. Asche und Metallschmelze in einer thermisch beeinflußten Befundstruktur zu nennen (Liste 3).
5
Freundliche Mitteilung von Hermann Holsten M.A., Hitzacker.
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Bislang sind nur wenige archäologische Befunde wissenschaftlich zufriedenstellend bearbeitet, um Einzelheiten zur technischen Konstruktion zu gewinnen. Erschwerend tritt die in der Regel schlechte Erhaltung der Befunde hinzu, die durch einen erosionsbedingten Verlust der prähistorischen Bodenoberfläche bedingt ist, so daß nur die eingetieften Bereiche der Anlagen beobachtet werden können. Bei künftigen Ausgrabungen sollte eine ausreichende Probenmenge aller Ofenwandungen und des Bodens genommen werden, um durch spätere Untersuchungen Aufschlüsse zu thermischer Beanspruchung einzelner Bereiche zu gewinnen, die für eine Rekonstruktion der aufgehenden Ofenbereiche von unschätzbarem Wert sind, da nur durch sie detaillierte Hinweise auf eine mutmaßlich gesteuerte Feuerführung gewonnen werden können. Ohne qualitative chemische Analysen wird bei den angesprochenen Befunden nur bedingt klar, ob zur Arbeit mit den Metallen und Legierungen Bronze, Messing, Gold, Silber oder auch Glas bzw. Email eingesetzt wurden. Bislang konnten bei archäologischen Untersuchungen nur spärliche Belege für Buntmetallschmelzöfen oder Herdgruben aufgedeckt werden. Dieser Umstand mag darauf zurückzuführen sein, daß die technischen Voraussetzungen für das Schmelzen von Kupferlegierungen nur außergewöhnlich gering ausfallen. Die vorgestellten Befunde vermögen nur Anhaltspunkte für eine Rekonstruktion des prähistorischen Werkplatzes zu liefern. Technologische bzw. regionale Entwicklungen lassen sich aus den überlieferten Anlagen, aufgrund einer zu geringen Anzahl (vgl. Liste 3) aus ganz Mitteleuropa, nur bedingt unter Vorbehalt ableiten. Die ältesten Beispiele im Bereich nördlich der deutschen Mittelgebirgszone sind der älteren Bronzezeit zuzuordnen. Es handelt sich dabei um muldenförmige Gruben mit ovalem bis annähernd rundem Umriß, die in den anstehenden Boden eingetieft wurden oder mit anstehenden Steinen, in der Regel glacialen Geröllen, gepflastert wurden. Steinpflaster mit grubenartigen Eintiefungen, deren Füllung aus Scherben, Holzkohlen und Schlacken bestand, konnten unter einem Grabhügel in Heilshoop, Ldkr. Storman, aufgefunden werden (Struve 1979, 140). Bislang unpubliziert blieb die bronzezeitliche Gießerei von Borgstedt, Ldkr. Eckernförde. Dort konnten Hauskomplexe mit Resten zerschmolzener Bronze, Tiegelfragmenten, Schlacken, Gußzapfen, Herden und Öfen aufgedeckt werden (Struve 1979, 436). Die Größen der Anlagen von Hallunda (Schweden) schwanken zwischen 60 cm und 150 cm im Durchmesser. Die größte erhaltene Tiefe lag bei 70 cm. Die Randbereiche der Öfen waren in den anstehenden Boden eingegraben oder teilweise baulich gefaßt. Unter einem Grabhügel blieben in Grimeton (Broåsen, Schweden) Herdgrubeneinfassungen aus großen geschwärzten
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Abb. 12. Hallunda, Kirchspiel Botkyrka, Södermanland, S. Mutmaßlicher Schmelzofen
Steinen erhalten (Jungmarker 1925, 2; Oldeberg 1974 Kat.-Nr. 1575). In der spätbronzezeitlichen Siedlung an der Walkemühle bei Göttingen fanden sich in Gruben kleine Fragmente von Herdeinfassungen, die eine konische, mit
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fingerdicken Hölzern ausgesteifte Herdgrube erschließbar machen (Drescher 1988, 150 Abb. 2H1–3; 164). Relativ häufig wurden die Schmelzanlagen in einem jungbronzezeitlichen Siedlungszusammenhang aufgedeckt. In Hallunda (Södermanland, Schweden) lagen in einem 20 m langen Haus sechs runde bis leicht ovale Schmelzöfen (Liste 3 Nr. 7). Davor existierten nochmals sechs, die teilweise in den anstehenden Boden eingetieft waren. Ihr Durchmesser schwankt von 120 bis 150 cm, die Gruben waren am Rand mit hochkant gestellten Steinen ausgekleidet (Abb. 12). Daneben existierten kleinere Öfen mit einem Durchmesser von 60 bis 100 cm, die nicht eingegraben waren und keine Steinsetzung aufwiesen. In einem Ofen hatte sich ein „Stützstein“ für einen Blasebalg (?) erhalten. In den Öfen lag eine Brandschicht mit Holzkohle und darauf Teile einer Lehmwandung, die wahrscheinlich von einem Überbau stammen, der auf der Steinwandung gestanden haben könnte. In einem Falle blieb das Loch für den Blasebalg erhalten. Der Randbereich der Öfen wurde bis 1.200° C erwärmt, im Umfeld lagen 40 Tiegel- und 70 Formfragmente. Auf dem Schmelzplatz von Björlanda (Liste 3 Nr. 11) wurde eine Eintiefung mit einem Durchmesser von 30 cm angetroffen. Auf der Sohle befand sich eine Schicht Lehm mit einer dreieckigen, flachen Mulde, die in der Mitte am stärksten und zu den Randbereichen weniger intensiv gebrannt war. Wahrscheinlich bildete die Mulde den Standplatz für einen Schmelztiegel auf den von oben die Luft durch eine Düse geblasen wurde. Eine bronzezeitliche Siedlung bei Ripdorf, Ldkr. Uelzen, erbrachte einen steingepflasterten, ovalen Schmelzofen mit den Ausmaßen von ca. 90 x 60 cm in ca. 6 m Entfernung von einem Hausgrundriß. In der Verfüllung lagen Schmelztiegelfragmente, das Bruchstück einer Blasebalgdüse und ein Schleifstein (Schirnig 1979, 34–38). Eng mit dem Metallguß verbunden sind Gußgruben, die zur standfesten Aufnahme von Formen in einem Sandbett dienten. In einem jungbronzezeitlichen Fundzusammenhang von Jarlshof auf den Orkney Inseln konnte eine ca. 40 x 23 cm große Grube mit einer Füllung aus Sand, Tiegelfragmenten und Schmelzen nachgewiesen werden (Curle 1933, 91f.). Diese Grube diente mutmaßlich als Gußgrube zum Einstellen von Formen während des Gußvorgangs. In Fort-Harrouard wurde in ca. 30 cm Entfernung von einem Ofen eine verbrannte Fläche mit zerbrochenen Gußformen angetroffen (Mohen/ Bailloud 1987, 127f.), die ebenfalls zum Abstellen für Gußformen gedient haben mag. Ein anderes Konstruktionsprinzip lag bei einer jungbronzezeitlichen Schmelzanlage bei Parchim zu Grunde (Abb. 13). Zwei ovale Verfärbungen
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Abb. 13. Parchim, Ldkr. Parchim. Bronzezeitlicher Schmelzofen
stießen im Planum tangential aneinander. Die eine mit Sand gefüllte enthielt keine Funde, während die andere von einer 60 cm starken schwarzen Füllung eingenommen wurde. Zuunterst fanden sich Tiegel in einer Brandschicht mit einem stabförmigem Bronzestück und Keramik sowie Reste von Vorsatzplatten für Düsen. Darüber wurden in einer weiteren Brandschicht Schweineknochen angetroffen. Beide Gruben wurden durch eine 15 cm breite und 10 cm tiefe Rinne verbunden (Becker 1989 Abb. 2; Simon 1992, 66 Abb. 8). Die flache Grube könnte als Schmelzgrube angesprochen werden, während die andere ausgeschürte Abfälle in Form von Holzkohle und Asche aufgenommen haben könnte. Die bronzezeitlichen Schmelzöfen in Süddeutschland weisen ein anderes Konstruktionsprinzip auf. Der hervorragend erhaltene Befund aus Bad Säkkingen, Ldkr. Waldshut (Abb. 14), besteht aus einer 44 x 26 cm großen Wanne mit U-förmigem Profilquerschnitt bei einer erhaltenen Höhe von 18 cm. Die Rückwand wurde aus einer 45 x 22 x 11 cm großen Sandsteinplatte gebildet, daran lehnten sich der Boden und die Seitenwände aus schamottiertem, mit eckigen Quarzitstückchen gemagertem Material an, passagenweise waren sie durch eine 1–2 cm starke Schlackenschicht mit Bronzeschmelzen bedeckt. Spuren starker thermischer Belastung waren auszumachen. Auf dem Boden hatte sich eine starke Ascheschicht abgesetzt. Beigefundene Scherben legen eine Datierung in die mittlere Urnenfelderzeit nahe (Gersbach 1968, 65 Kat.-
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Abb. 14. Bad Säckingen, Ldkr. Waldshut. Schmelzofen, Grundriss (oben) und Aufriß (unten): 1 Rückwand, 2 Seitenwände, 3 steriler Rheinsand, 4 Aschenschicht, 5 flachmuldiger Boden, 6 feiner Sand, 7 Kulturschicht
Nr. 96 Taf. 100). Der Ofen aus Säckingen wurde nach dem Grabungsbefund in einem experimentalarchäologischen Projekt rekonstruiert und gestattete einen unproblematischen Tiegelguß von bronzezeitlichen Werkzeugen (Fasnacht 1994, 242). Öfen der vorrömischen Eisenzeit wurden bislang nur unzureichend publiziert. Auf der befestigten Höhensiedlung Felsenberg bei Pößneck-Öpitz, Saale-Orla-Kreis, konnten beispielsweise „Reste eines Schmelzofens sowie Belege einer Bronzegußstelle“ nachgewiesen werden. Die Funde des Fundplatzes datieren in die Stufen Ha B2/3/Ha C1 bis Ha D1/2 (Simon 1972, 47).
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Abb. 15. Heuneburg bei Hundersingen, Ldkr. Sigmaringen. Rekonstruktion eines tönernen Ofenaufsatzes
Hans Drescher konnte mit den Funden von der Heuneburg bei Hundersingen aus Scherben konische Ofenaufsätze rekonstruieren, die über eine flachmuldige Feuerstelle gesetzt werden konnten. Metallspritzer auf der Innenseite dieser Anlage mit einem Durchmesser von 245 bis 351 mm weisen auf eine Verwendung im Metallhandwerk hin. Durch ein bodennahes rundes Loch konnte mittels eines Blasebalgs der Ofen belüftet werden (Abb. 15). Wesentlich besser sind die Ofenbefunde seit der Römischen Kaiserzeit überliefert. Der Fundkomplex eines Metallhandwerkers konnte in „einem Rest holzkohlehaltiger Erde“ von Altendorf bei Bamberg in Oberfranken geborgen werden (Roth 1980, 800). Leider wurden in dem durch Abschieben planiertem Gelände keine detaillierten Beobachtungen gemacht, doch scheint die Möglichkeit gegeben, daß diese Holzkohleanreicherung den Überrest eines Schmelzofens darstellt. Zu den Funden gehören Schmelztiegel, Bronzebarren, -bleche, Gußzapfen und Schmelzen.
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Abb. 16. Warburg-Daseburg, Ldkr. Höxter. Schmelzofen, maximaler Dm. 96 cm
Gute Erhaltungsbedingungen in der älterkaiserzeitlichen Siedlung von Warburg-Daseburg, Ldkr. Höxter, vermitteln bislang den besten Eindruck von der Gestalt vor- und frühgeschichtlicher Buntmetallschmelzöfen in Norddeutschland (Günther 1990, 28–36). Freigelegt wurden ovale flache Mulden mit Durchmessern von 1,00 bis zu 2,60 m und einer Tiefe von 10 bis 20 cm mit einer Verfüllung aus verziegeltem Lehm, Holzkohle, Bronzeschmelze,
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Abb. 17. Rekonstruktion eines Schmelzofens mit Belüftung von oben
Abb. 18. Rekonstruktion eines Schmelzofens mit Belüftung von unten
Tiegelfragmenten, Tonscherben etc. In einer dieser Vertiefungen hatte sich ein runder Schacht mit 0,5 m Durchmesser und 0,35 m Tiefe erhalten, mit einer Füllung aus reduziert und oxydiert gebranntem Lehm über einer Wanne mit kurzem hochbiegendem Rand und einer Steinsetzung. In einer weiteren Füllung lagen versinterte Wandungsteile mit Abdrücken von Holzruten (Abb. 16). Die einfache Konstruktion der Schmelzöfen änderte sich über mehrere Jahrhunderte kaum, so daß ein Vergleich mit einer besser erhaltenen Anlage aus der Bronzegießersiedlung des 9./10. Jahrhunderts von Kückshausen bei Schwerte statthaft erscheint (Capelle 1974). In den anstehenden Boden war ein unregelmäßiges Rechteck senkrecht in einer Größe von 60 x 75 cm ein-
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getieft, seitlich konnte eine 30 cm breite Erweiterung der Grube beobachtet werden. Darin befanden sich Tiegelbruchstücke und Werkstattabfälle. Auf dem Magdalensberg (Kärnten, Österreich) kann in provinzialrömischem Fundzusammenhang ein anderes Konstruktionsprinzip für Schmelzöfen beobachtet werden. In einem kleinen Werkstattraum fand sich ein rechteckiger Ofen der durch vier einen Fuß lange Fußbodenplatten begrenzt war. Darin standen drei Tiegel. Die Anlage gehört in die Zeit vor ca. 45 n. Chr. (Drescher 1973, 58). Vergleichbar kann daneben ein Ofen aus Augst bei Basel gestellt werden. Seine mit Ziegelstücken und Lehm ausgeschlagene Grube mißt 29 cm im Durchmesser bei einer Tiefe von 20 cm. Auf Holzkohleresten stand ein Schmelztiegel (Martin 1978, 118). Grundsätzlich lassen sich zwei Ofentypen unterscheiden: einerseits solche mit einer Belüftung des schmelzgutgefüllten und mit Holzkohle überhäuften Tiegels von oben (Abb. 17) und anderseits solche mit einer Belüftung von unten (Abb. 18). Die Versorgung des Feuers mit Aufluft wirkt sich schonend auf den erst seit römischer Zeit temperaturbeständigen Tiegel aus. Tiegel für den Einsatz in mit Aufluft versorgten Öfen glühen beim Schmelzvorgang nicht vollständig durch. Ihre Verschlackungen befinden sich bevorzugt auf der Oberseite. Problematisch wirkte sich die eingeschränkte thermische Beständigkeit der Tiegelkeramik aus. Der Gießer mußte versuchen das Metall zu verflüssigen bevor das Schmelzgefäß selbst plastisch verformbar wurde. Mit dem Aufkommen einer Ofenbelüftung von unten ändern sich auch die Ausprägungen der Tiegel, denn die von unten emporkommende Hitze durchwärmt das gesamte Schmelzgefäß einschließlich des Metalls. Die Verschlakkungen finden sich bei diesen Stücken besonders am Gefäßboden. Zusätzlichen Schutz vor dem Zerspringen bietet eine zusätzliche Lehmummantelung des Schmelzgefäßes. Das Auftreten der Ofenbelüftung von unten kann an den Schmelztiegeln aus Vitved in Ostjütland (DK) während der vorrömischen Eisenzeit abgelesen werden (Andersen/Madsen 1984). In Norddeutschland fehlen bislang aussagekräftige Funde. Während der Römischen Kaiserzeit hat sich diese Technik allgemein etabliert. Für Ostdeutschland können in diesem Zusammenhang Schmelztiegel mit Lehmumkleidung (Abb. 19) und Bodenverschlackung von der Höhensiedlung Vaterunserberg bei Nieder-Neundorf, Niederschlesischer Oberlausitzkreis, aus der Stufe Ha C/D angeführt werden (Coblenz 1963 Abb. 40). Aufgrund der charakteristischen Verschlackungen an den Schmelztiegeln kann auch in Süddeutschland eine Änderung des Gußverfahrens seit der frühen Eisenzeit konstatiert werden. Erstmals wurden die Schmelztiegel von unten erhitzt. Beispiele aus Fellbach-Schmiden, Rems-Murr-Kreis, können hier
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angeführt werden (Joachim/Krause 1990 Abb. 54). Diese Technik verlangt eine geregelte Feuerführung bei exakter Kontrolle der Temperatur, die eine Zerstörung des Tiegels durch Überhitzung verhindert. Im Experiment zeigte sich eine Belüftung eines Ofens im unteren Bereich, die ein gleichmäßiges von unten her zunehmendes Heizen des Ofens gestattet. Die optimalen Dimensionen des Ofens betrugen ca. 30 cm bei einer Tiefe von etwas über 20 cm (Fasnacht 1994, 242). In der antiken Bronzegießerei der Phidiaswerkstatt von Olympia wurden schalenförmige Schmelztiegel mit einem Durchmesser von 30–50 cm bei einer Höhe von 15 cm und einer Wandungsstärke von 4 cm geborgen. Diese mit Schmelzgut und Holzkohle gefüllten Gefäße standen in einer Grube, die mutmaßlich mit einem Blasebalg von oben belüftet wurde. Ihr Aufbau bestand aus mehreren Schichten, die stark mit groben eckigen Quarzkörnern gemagert waren. Zur Erhöhung der Stabilität dienten Armierungen aus Eisen. Die Originalscherben wurden auf ihrer Außenseite nicht heißer als 400 °C, da die Tiegel während des Gußvorgangs nicht auf einem Holzkohlebett standen (Schneider/Zimmer 1984). Bei einem Schmelzversuch wurden in 3½ Stunden 11,2 kg Zinnbronze aus Kupfer und Zinn erschmolzen. Die Außenseite erwärmte sich dabei nicht über 300 °C (Zwicker 1984, 67f.). Diese Versuche belegen eindrücklich, daß in Schmelztiegeln auch Speise für Güsse in großem Maßstab bereitgestellt werden konnte. In prähistorischen Fundzusammenhängen Mittel- und Nordeuropas fehlten bislang jedoch große Schmelzgefäße im archäologischen Fundgut. Großgüsse wie die Stader Räder (Kat. Hannover 1996, 437 Kat.-Nr. 22.1 [G. Wegner]) mit einem Gewicht von 11,7 kg konnten demnach mit einer einzigen Tiegelfüllung gegossen werden.
Schmelztiegel Schmelztiegel müssen aus besonders hitzebeständigem Material gefertigt sein, da sie im Schmelzprozeß ausgesprochen hohen thermischen Belastungen standhalten müssen. Die relativ schlechte thermische Leitfähigkeit von irdenen Gefäßen bedingt Temperaturunterschiede zwischen der Tiegelaußenseite und dem Tiegelinneren mit der Schmelze von bis zu einigen hundert Grad Celsius. Die Haltbarkeit kann durch intentionellen Zusatz von geeigneten Magerungsbestandteilen wesentlich verbessert werden. Die Zugabe von Sand (SiO2), wie sie bei den Tiegeln aus Ripdorf (Liste 2 Nr. 48) und Göttingen (Liste 2 Nr. 19) zu beobachten ist, minimiert die Schwindung der Tonmatrix und verleiht dem Scherben eine außerordentliche Temperaturbeständigkeit, bei Zunahme der Sprödigkeit. Die hohe Materialbeanspruchung läßt sich in-
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Abb. 19. Nieder-Neundorf, Niederschlesischer Oberlausitzkreis. Höhensiedlung Vaterunserberg, Schmelztiegel (12–15), Gußformen (1–11)
direkt an dem schlechten Erhaltungszustand prähistorischer Schmelzgefäße in Form von kleinen Fragmenten ablesen. Komplette Stücke werden nur selten gefunden. Bislang liegen nur wenige Untersuchungen zur Zusammensetzung der Schmelztiegel vor. Als Magerung werden Quarz, Holzkohle, Haare und Getreidespelzen verwendet (Freestone 1989, 160). Tiegel aus wikingerzeitlichem Fundzusammenhang von Ribe (DK) enthalten im Vergleich dazu sogar rund 25 % scharfkantige Quarzkörner (Brinch Madsen 1984, 25). Die ältesten mitteleuropäischen Schmelztiegel stammen aus dem Fundmilieu der Trichterbecherkultur in Tschechien (Waldhauser 1986, 202), der Pfyner Kultur in Südwestdeutschland und der Schweiz bzw. aus der Mondseegruppe in Österreich (Liste 2 Nr. 31). Diese frühen Beispiele besitzen eine annähernd runde bis ovale Form (Abb. 20). An eine Langseite wurde eine relativ breite Handhabe mit konkaver Oberseite angarniert. Im rechten Winkel dazu steht eine breit ausgezogene Schneppe an der Schmalseite (Liste 2 Nr. 8; 62). Neben diesen sicherlich der Kupfermetallurgie zuzuordnenden Schmelzgefäßen tritt in der endneolithischen Chamer Gruppe bereits eine runde Form mit rundem Boden auf (Liste 2 Nr. 29).
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Abb. 20. Bodman-Weiler, Ldkr. Konstanz. Schmelztiegel der Pfyner Kultur, L. einschließlich der Handhabe 143 mm
Die Magerung der Pfyner Tiegel wurde näher untersucht. Ein Schmelzgefäß vom Schreckensee, Ldkr. Ravensburg, zeigte eine Magerung aus Spreu von Einkorn (Triticum monococcum) und Emmer (Triticum dicoccum) (Schlichtherle/Rottländer 1982, 67). Daneben konnte in einem Tiegel von BodmanWeiler, Ldkr. Konstanz, auch Gerstenspreu nachgewiesen werden (Schlichtherle/Rottländer 1982, 68). Ein Zuschlag von Holzkohle oder anderen organischen Zuschlägen als Magerungsanteil minimiert die Oxidation der Speise. Jedoch brennt die Kohle schnell aus und der Tiegelscherben wird sehr spröde und brüchig. Schmelztiegel aus Graphitton haben ähnliche Eigenschaften, jedoch besitzen sie eine höhere Dichte bei größerer Stabilität (Freestone 1989, 158). Gras und Stroh brennen als Magerung schnell aus und entwickeln starke Gase (Freestone 1989, 158). Ein Unikat stellen bislang die aus Sandstein sauber gehauenen Schmelztiegel der Urnenfelderzeit aus Bad Säckingen, Ldkr. Waldshut, dar (Abb. 21). Ihre Innenseite war glatt ausgeschliffen, während die Außenseite leicht muschelig und rauh erschien (Liste 2 Nr. 4). Das Schmelzgefäß faßt bis zu 7.200 g Bronze. Seit der späten Urnenfelderzeit wird Graphitton für die Tiegelproduktion eingesetzt (vgl. Liste 2 Nr. 29). Eine hallstatt- und latènezeitliche Verwendung
Abb. 21. Bad Säckingen, Ldkr. Waldshut. Schmelztiegel aus Sandstein, Dm. 238 mm
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dieses Rohstoffs läßt sich dann durch Funde vom Dürrnberg bei Hallein (Liste 2 Nr. 10–12) und vom Oppidum Manching (Liste 2 Nr. 39) belegen. Aus Graphit wurden sowohl schalenförmige als auch zylinderförmige Tiegel mit Rundboden gefertigt. Nach einer Nachweislücke tritt Graphit erst wieder seit dem 12. Jahrhundert n. Chr. als Substrat für technische Keramik in Erscheinung (Stephan 1995, 35; Walcher 1997, 157). Für den süddeutschen Raum lassen sich während der Eisenzeit runde Schalenformen mit weiter Öffnung und Linsenboden (Liste 2 Nr. 38) genauso nachweisen wie runde hohe Formen mir enger Mündung (Liste 2 Nr. 38) und ovale Formen mit lang zu einer Schmalseite ausgezogener Schneppe und zusätzlicher Ummantelung aus Ton (Liste 2 Nr. 14; 39). Die engmundigen runden Formen der Römischen Kaiserzeit sind rund mit spitzem Boden (Liste 2 Nr. 3). Im Zeitraum von der Bronzezeit bis zur Römischen Kaiserzeit wurden die Schmelztiegel in der Regel handgeformt. Im Einflußgebiet des Römischen Reiches kamen bereits erste scheibengedrehte Exemplare auf, die z. T. aus Schamott gefertigt wurden (Freestone 1989, 159). Gußtiegel müssen nicht aus geologischem Substrat gefertigt worden sein. Unter Laborbedingungen läßt sich sogar ein ausgehöhltes Stück Holzkohle als Schmelztiegel nutzen (Blumer/Knaut 1991, 550–551 Abb. 5). In Norddeutschland und Skandinavien herrschen seit der älteren Bronzezeit schalenförmige Schmelzgefäße ovaler bis runder Form mit ausgezogener Schneppe vor (Abb. 22; Liste 2 Nr. 22; 25; 26; 34). Zum Ende der Bronzezeit kann die Schneppe spitz ausgezogen sein (Liste 2 Nr. 15). Zu den wenigen niedersächsischen Tiegelfunden aus vorgeschichtlichem Fundzusammenhang zählt ein stark mit Quarzsand gemagertes Schmelzgefäß
Abb. 22. Håg, Kirchspiel Thorsager, Amt Randers, DK. Schmelztiegel, L. 120 mm
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von der Walkemühle in Göttingen (Abb. 23; Drescher 1988, 154f. mit Abb. 3T1 u. Taf. 2T2). Über einem planen Boden erbebt sich eine gleichmäßig ausschwingende Wandung (Liste 2 Nr. 19).
Abb. 23. Göttingen, Fundstelle Walkemühle. Schmelztiegel, H. 28 mm
Im wesentlichen lassen sich vier Grundtypen unter dem mitteleuropäischen Fundmaterial be-obachten: runde Schalenform, Zylinderform mit Rund- oder Planboden, weitmundige ovale Schalen mit Schneppe, z. T. mit Handhabe, und runde Formen mit divergierender Wandung bei runder oder dreieckiger Mündung. Den variierenden Formen lassen sich spezifische technische Eigenschaften und Verwendungen zuweisen. Schalenförmige Tiegel erleichtern durch ihre große Mündungsöffnung das Wiedereinschmelzen von Schrott im Recycling von Altmaterialien. Eine besondere Eignung zeigen sie darüber hinaus für das oxidierende Schmelzen, da die große Öffnung und das flache Ausbreiten der Schmelze ideale Voraussetzung für einen Oberflächenkontakt der Schmelze mit Luftsauerstoff gewähren. Unter oxydierendem Schmelzen versteht man ein Schmelzen, bei dem mit Absicht ein Oxydieren veranlaßt wird. Durch ein Überangebot von Sauerstoff werden Verunreinigungen in der Schmelze oxidiert, d. h. abgetrieben (Fischer-Katalog 2001, 302). Die weitmundige Schalenform erleichtert aufgrund der großen Oberfläche beim Einsatz von Schmelzöfen mit einer Düsenbelüftung von oben den Austausch von Wärme der Holzkohlen und dem Schmelzgut. Tiegel mit Linsen- oder Rundböden lassen sich standsicher in einem unebenen Holzkohlebett positionieren, während plane Standböden auf einen waagerecht gepflasterten Herdboden schließen lassen, auf dem eine ausreichende Standfestigkeit gewährleistet ist. Indirekt läßt sich aus einem kleinen Tiegelformat die Verwendung im Edelmetallguß erschließen. Die spitzen Böden römischer Tiegel erleichtern ein Einstellen in das Holzkohlebett des Ofens. Die Tiegel aus Augst (CH) bestehen aus einem inneren, dichten Feinbelag und einem äußeren Mantel als Verschleißmaterial, das verschlacken kann und durch mehrmaligen Gebrauch stark in Mitleidenschaft gezogen werden kann (Fasnacht 1995, 243f.).
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Die gedrungenen hohen Tiegel besitzen eine relativ große Oberfläche, die eine rasche Wärmeabgabe der das Schmelzgefäß im Ofen umgebenden Holzkohlen an den Tiegel und damit an das Schmelzgut gestattet. Zu den frühesten technischen Beschreibungen der Tiegelherstellung gehört die Schedula Diversarum Artium des Theophilus Presbyter aus dem frühen 12. Jahrhundert, der als Grundmasse eine Schamott aus zwei Teilen weißem, hitzebeständigem Ton und einem Teil gemahlenem Tiegelscherben empfiehlt (Brepohl 1987, 84). Die Zugabe von gebrannten Tonen konnte bislang bei prähistorischen Tiegeln aus Nordwestdeutschland noch nicht beobachtet werden. Seit der frühen Eisenzeit kommt ein neues Tiegelschmelzverfahren in Mitteleuropa auf, bei dem die Tiegel nicht mehr bevorzugt von oben unter aufgehäufter Holzkohle geheizt werden, sondern vielmehr eine Erwärmung durch Unterhitze erzielt wird. Notwendig erscheint bei diesem Verfahren eine genaue Temperaturregelung, z. B. über die Farbe des Schmelzgefäßes, um die Temperatur unter der Schmelztemperatur des Tiegels zu halten (Fasnacht 1995, 241). Erstmals werden die Tiegel mit einem Tonpfropfen verschlossen (Abb. 24).
Abb. 24. Fellbach-Schmiden, Rems-Murr-Kreis. Schmelztiegel mit verschmierter Mündung, L. maximal 80 mm
Als durchschnittliches Gewicht für bronzezeitliche Geräte aus Norddeutschland wurden folgende Werte ermittelt (Willroth 1996, 80–81): Absatzbeile Griffzungenschwert Griffangelschwerter Sicheln Große Sicheln Lüneburger Schmuckscheibe Armring Beinring
ca. 350 g ca. 350 g ca. 350 g ca. 90 g ca. 150–170 g ca. 100 g ca. 40 g ca. 140 g
= ca. 40 cm³ = ca. 40 cm³ = ca. 40 cm³ = ca. 10 cm³ = 17 cm³–19 cm³ = 11 cm³ = 5 cm³ = 16 cm³
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Die Dichte von Kupfer liegt bei 8,94 g/cm³ und diejenige von Zinn bei 7,28 g/cm³. Daraus ergibt sich für eine zehnprozentige Zinnbronze ein spezifisches Gewicht von 8,774 g/cm³. Die entsprechenden Materialvolumen reichen dementsprechend von Armringen mit ca. 5 cm³ bis hin zu Schwertern und Absatzbeilen von 40 cm³. Der kleinste bronzezeitliche Schmelztiegel von der Siedlung an der Walkemühle aus Göttingen (Liste 2 Nr. 19) faßt nur ca. 3,5 cm³. In der Regel fassen die Tiegel aus dem Bereich der nordischen Bronzezeit 200 bis 500 g Metall bei Dimensionen von 12 x 16 x 6 cm (Jantzen 1991, 306), größere Exemplare wie aus Ganløse Mosevej in Dänemark (Liste 2 Nr. 15) können bis zu 1 kg Schmelze aufgenommen haben. Setzt man die Tiegelgrößen in Korrelation zu den Gewichten der fertigen Gußstücke, so fällt auf, daß alle häufig vertretenen Formen mit einer einzigen Tiegelfüllung gegossen werden konnten. Seit der älteren Bronzezeit sind ovale Schalenformen mit Linsen- oder Flachboden überliefert, die auf ihrer Schmalseite eine ausgezogene Schneppe besitzen (z. B. Liste 2 Nr. 22; 25; 34). Diese Form tritt seit der vorrömischen Eisenzeit mit einer Ummantelung aus Ton und einer z. T. hohlen Handhabe mit rundem Profilquerschnitt an einer Schmalseite auf (Liste 2 Nr. 57). In den Bereich der Edelmetallurgie dürfte der relativ kleine Tiegel von der spätbronzezeitlichen Siedlung an der Walkemühle in Göttingen gehören. Er besitzt einen planen Boden mit scharfem Umbruch zur gleichmäßig konvergierenden Wandung und eine runde Mündung (Liste 2 Nr. 19). Diese Form könnte jedoch auch auf urnenfelderzeitliche Einflüsse zurückgehen (vgl. den Tiegel vom Hesselberg, Liste 2 Nr. 27). Für die vorrömische Eisenzeit in Böhmen und Mähren erstellte J. Waldhauser (1986) eine chronologisch abgesicherte Typologie der Schmelztiegel (Abb. 25), die sich mangels Fundmaterial nicht auf Norddeutschland und Skandinavien übertragen läßt. Tiegelfunde der vorrömischen Eisenzeit fehlen in Norddeutschland weitgehend. Von den Lausitzer Burgwällen im Osten Deutschlands sind Tiegelfunde zu verzeichnen. Die Exemplare vom Vaterunserberg bei Nieder-Neundorf (Abb. 19; Liste 2 Nr. 44) besitzen eine langovale bis runde Form mit Rundboden bei weiter Mündung. An einer Schmalseite wurde eine runde Handhabe mit zentralem Loch angarniert. In die Lochung konnte ein durch Verkohlen gehärtetes Stück Holz oder ein grünes Holz gesteckt werden (Ottaway 1994, 114). Die Mündung wird durch einen sekundären Lehmmantel geschlossen. Daneben finden sich auch Fragmente von engmundigen, hohen Formen mit Rundboden. Die Form tritt uns auch im Fundgut Dänemarks wie z. B. dem Tiegel aus Vitved (Liste 2 Nr. 57) entgegen. Daneben existieren in Dänemark weiterhin schalenförmige Tiegel ohne Handhabe (Liste 2 Nr. 36; 51) bis zum Ende der Römischen Kaiserzeit.
Eine Gußform vom Gräberfeld „Im Niederen Felde“ bei Holzminden
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Abb. 25. Typologie und Chronologie der Schmelztiegel aus Böhmen und Mähren während der vorrömischen Eisenzeit. A birnenförmig, B schiffchenförmig, C schüsselförmig, D fäßchenförmig, E wannenförmig
Seit der Römischen Kaiserzeit treten im Norden erstmals Tiegel mit dreieckiger Mündung auf (Abb. 26; Liste 2 Nr. 41; 55). Diese funktional ergonomische Form wird seither bis in unsere Zeit bei Goldschmieden und Metallgießern eingesetzt. Runde Näpfchen mit Rundboden und dreieckiger Schneppe stellen die einzigen niedersächsischen Tiegel der älteren Römischen Kaiserzeit aus Wolfenbüttel-Fümmelse (Abb. 27; Liste 2 Nr. 60–67) dar. Diese Exemplare wurden handgeformt, wie ein Daumenabdruck auf dem Grund eines der Schmelzgefäße belegt. Hohe, dickwandige Formen mit Rund- oder Spitzboden treten uns aus der spätkaiserzeitlich-völkerwanderungszeitlichen Siedlung am Lütjenberg bei Tornow entgegen (Abb. 28; Liste 2 Nr. 54). Auch diese Exemplare sind handgeformt, indem ein Finger in einen rund gearbeiteten Tonklumpen gedrückt wurde. Etwas dünnwandiger sind die Schmelzgefäße aus Altendorf bei Bamberg (Liste 2 Nr. 1), Bathmen in den Niederlanden
Abb. 26. Misselwarden, Wurt Feddersen Wierde, Ldkr. Cuxhaven. Schmelztiegel, H. 45 mm
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Abb. 28. Tornow, Oberspreewald-Lausitz-Kreis. Siedlung am Lütjenberg, Schmelztiegel, H. 81 mm
Abb. 27. Wolfenbüttel-Fümmelse. Schmelztiegel, H. 40 mm
Abb. 29. Geismar bei Fritzlar, Schwalm-Eder-Kreis. Schmelztiegel, Dm. max. 178 mm
(Liste 2 Nr. 5) und von Geismar bei Fritzlar (Abb. 29; Liste 2 Nr. 16). Runde flache Schalen sind in den Jahrhunderten nach Christi Geburt ebenfalls vertreten (Liste 2 Nr. 16; 59). Als singuläres Stück aus kaiserzeitlichem Fundzusammenhang kann ein runder Tiegel mit extrem einziehendem Rand, enger Mündung und Handhabe von der Feddersen Wierde gelten (Abb. 30; Liste 2 Nr. 42).
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Abb. 30. Misselwarden, Wurt Feddersen Wierde, Ldkr. Cuxhaven. Schmelztiegel, H. 35 mm
Für die Schweiz und Süddeutschland vermutet Walter Fasnacht aufgrund der wenigen erhaltenen Tiegelfragmente und ihrem hohen Grad von Zerscherbung die Verwendung von ausgedienten Tiegelscherben für die Herstellung von schamottierten Gefäßen, u. a. auch Gebrauchskeramik (Fasnacht 1995, 241). Kalkhaltige Tone zerbrechen darüber hinaus aufgrund ihrer Kalktreiber.
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Listen Die Abkürzungen für die Länder entsprechen den internationalen Nationalitätenkennzeichen.
Liste 1: Irdene Gußformen Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vergleiche ergänzend die Zusammenstellungen für Irland (Coghlan/Raftery 1961; Hodges 1954) und England (Hodges 1959; 1960). 1 Alteglofsheim, Ldkr. Regensburg, D Formen mit mehrschichtigem Aufbau: innen eine feine Lehmschicht, danach zwei weitere, gröber gemagerte Schichten von 1–4 mm Stärke, organische Magerung. Dat.: Ha A2. Lit.: Reichold 1986. 2 Ammendorf, Stadt Halle an der Saale, D Gußform, zweischalig für tordierte Ringe, sandgemagert, Eingußtrichter erhalten. Dat.: Ältere vorrömische Eisenzeit. Lit.: Oldeberg 1943, 180f. Abb. 349–350. 3 Bathmen, Provinz Overijssel, NL Gußform für Schnallen. Dat.: Erste Hälfte bis ausgehendes 4. Jh. n. Chr. Lit.: Groenewoudt/Erdrich 1997. 4 Bechcice, Bezirk Łask, PL Ringgußform. Dat.: Jüngere Bronzezeit. Lit.: Kostrzewski 1953, 189 Abb. 19. 5 Biskupin, Pow. |ni¾ski, PL Formen für profilierte Ringe. Dat.: Ältere Eisenzeit. Lit.: Kostrzewski 1953, 197 Abb. 31; Rajewski 1960 Taf. 23, 28. 6 Bnin, Woj. srem, PL Form für Ringe mit rundem Profilquerschnitt, ringförmig mit D-förmigem Profilquerschnitt, z. T. mit zwei kongruent angelegten Gußkammern. Dat.: Ha C. Lit.: Fogel 1960 Abb. 5–6. 7 Bojadła, Woj. Zielona Góra (Boyadel, Kr. Grünberg, Schlesien), PL 1884 wurden zwei tönerne, zweischalige Gußformen und Fragmente von gekrümmten Blasebalgdüsen in einem Grab gefunden. Dat.: Jüngere Lausitzer Kultur. Lit.: Seger 1909, 19–23 Abb. 19–22. 8 Buchau, „Wasserburg“, Ldkr. Biberach, D Form für Nägel, modellierte Tonsäule aus stark sandgemagertem Ton, im Zentrum von einem Stab von 5–6 mm Stärke durchstoßen, senkrecht zu diesem Kanal wurden auf sieben Ebenen Löcher in die Säule gestoßen, danach wurde sie getrocknet, auf jedes Loch wurde eine kleine Kappe aus Wachs modelliert, das ganze wurde zum Abschluß mit einem 10 mm starken Tonmantel umgeben, getrocknet und gebrannt. Dat.: Späte Bronzezeit. Lit.: Jockenhövel 1986, 216 Abb. 4, 4; Urbon 1959, 117f.
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9 ernomorka (ehemals Ljusdorf) bei Odessa, UK Einschalige Lehmform, die mit einem Deckel zum Verschluß für den Guß von Sicheln verwendet werden konnte. Dat.: Bronzezeit (Vorsabatinovka-Stufe). Lit.: Boµkarev/Leskov 1980, 36f.; 28 Kat.-Nr. 111 Taf. 12, 111. 10 Catenoi, Dép. Oise, F Form für einen Schwertgriff, zwei innere Schalen aus mit Quarz durchsetztem Ton und eine äußere, dickere Schale. Dat.: Späte Bronzezeit. Lit.: Mohen 1973, 36 Abb. 1. 11 Coschütz, Stadt Dresden, D Befestigung. Gußform aus lehmigem Feinsand mit Holzkohle gemagert. Lit.: Pietzsch 1971, 56. 12 Fellbach-Schmiden, Rems-Murr-Kreis, D Eingußtrichter, halbkugelförmige Vertiefungen. Dat.: Späte Hallstattzeit/frühe Latènezeit. Lit.: Joachim/Krause 1990 Abb. 55. 13 Fogdarp, Ksp. Bosjö, S Lehm in einer Bronzefigur (Formkern), geformt aus Rohstoffen in der Umgebung des Fundplatzes. Dat.: Späte Bronzezeit. Lit.: Hulthén 1974; Larsson 1974. 14 Fort-Harrouard, Dép. Eure-et-Loire, F Form für Lanzenspitzen, zwei innere Schalen aus mit Quarz durchsetztem Ton und eine äußere, dickere Schale. Dat.: Späte Bronzezeit. Lit.: Mohen 1973, 36 Abb. 2; Mohen/Bailloud 1987, 126–132. 15 Ganløse Mosevej, Frederiksborg Amt auf Seeland, DK Durch Abformung eines Ringes entstandene zweischalige Form aus einer Abfallgrube mit einem Schmelztiegelfragment. Aus demselben Fund stammt auch eine verlorene Form, die durch ein Wachsmodell hergestellt wurde. Dat.: Periode IV/V nach Montelius. Lit.: Petersen 1987, 142. 16 Göttingen, Siedlung an der Walkemühle, D Gußformen für Stäbe mit zweischichtigem Aufbau: innen eine feine Schicht, außen eine wesentlich gröbere. Dat.: Jüngere Bronzezeit. Lit.: Drescher 1988. 17 Graitschen, Alter Gleisberg, Saale-Holzland-Kreis, D Ringförmige Formen mit D-förmigem Profilquerschnitt für runde und tordierte Ringe mit rundem Profilquerschnitt. Dm. 120 mm, H. 104 mm. Dat.: Späte Urnenfelderzeit. Lit.: Neumann 1940, 150; Simon 1984, 56 Abb. 8. 18 Grimeton, Broåsen, Halland, S Siedlungsfund, 200 Gußformfragmente, Außenseite aus grobem, quarzgemagertem Ton, innen aus einer dünnen Schicht fein geschlämmten Tons, u. a. für Lanzenspitzen, Schwerter, Bronzebuckel, Halskragen. Dat.: Ältere Bronzezeit. Lit.: Jungmarker 1926, 2; Oldeberg 1943, 177 Abb. 341; 1974 Kat.-Nr. 1575; Svensson 1940, 103 Abb. 4, 6. 19 Großlöbichau, Wüstung Hungerdorf, Saale-Holzland-Kreis, D Form für Ringe mit rundem, ovalem, D-förmigem und rechteckigem Profilquerschnitt, ringförmig, D-förmiger Profilquerschnitt. Dat.: Ha C1–Ha D2. Lit.: Simon 1972 Kat.-Nr. 69 Taf. 59, 1.8–10.13; 1982 Abb. 6, 1.3. 20 Håg, Kirchspiel Thorsager, Amt Randers, DK In einer Kulturschicht, die den Boden einer Werkstatt gebildet haben könnte, fanden sich 95 Formbruchstücke, zweischichtiger Aufbau, innen wenige Millimeter starker, feiner Ton, außen
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dicke Schicht aus grobem Ton, teilweise Dekor aus Finger- und Nageleindrücken auf der Außenseite; Produkte: Schwerter, Fibeln, Tüllenäxte, Knöpfe. Dat.: Jüngere Bronzezeit. Lit.: Brøndsted 1962, 271; Jungmarker 1926; Neergaard 1908. 21 Halle an der Saale, D Eine Schale einer Gußform aus feinem Ton mit Ummantelung. Dat.: Bronzezeitlich. Lit.: Drescher 1958 Taf. 28. 22 Hohensalza bei Posen, PL Siedlung mit Funden von Gußformen für glatte oder verzierte Halsringe sowie eine Nadel. Dat.: Bronzezeitlich. Lit.: Kalliefe 1914, 113. 23 Holzminden, Ldkr. Holzminden, D Gußform vom Gräberfeld im Niederen Felde. Dat.: Späte Bronzezeit, frühe vorrömische Eisenzeit. Lit.: Leiber 2000. 24 Hundersingen, Ldkr. Sigmaringen, D Unter einem Grabhügel in einem Graben fanden sich Gußformfragmente für Armringe mit rundem Profilquerschnitt, zweiteilige Formen aus einem flachen zylindrischen Kern, in den umlaufend zwei parallele Riefen eingearbeitet wurden, nach Auflegen eines Wachsmodells in diese Rillen wurde beides – Kern und Modell – mit weiterem Ton ummantelt. Dat.: Ha D1. Lit.: Schiek 1959, 121 Abb. 2. 25 Heuneburg bei Hundersingen, Ldkr. Sigmaringen, D Ringförmig, mit D-förmigem Profilquerschnitt. Dat.: Späte Hallstattzeit. Lit.: Drescher 1984, 100. 26 Kirkebjerg bei Voldtofte, Fünen, DK Formen aus der Kulturschicht einer Siedlung, sandgemagert, Magerung aus Sand, Dm. geringer als 1 mm, porös, Stärke der Form 13–17 mm, Röntgenfluoreszenzanalyse: Anwesenheit von Kupfer und Zink. Dat.: Jüngere Bronzezeit. Lit.: Thrane 1993 Abb. 6. 27 Laihia, S. Ostbottnien, FIN Form für Stäbe oder Ringe. Dat.: Bronzezeit. Lit.: Meinander 1954 Abb. 45. 28 Lossow, OT von Frankfurt/Oder, D Zwei Gußformen vom Burgwall Schwedenschanze, nur nachlässig geglättete Außenseiten; Produkt: Knopfsichel, Tüllenbeil. Dat.: Späte Bronzezeit. Lit.: Geisler 1986. 29 Magdalensberg, Kärnten, A Zweischalige Form für eine Bügelfibel, Magerung aus Feinsand und wenig organischem Material. Dat.: Römische Kaiserzeit, vor ca. 45 n. Chr. Lit.: Drescher 1973, 49 Abb. 1, 3. 30 Nieder-Neundorf, Niederschlesischer Oberlausitzkreis, D Höhensiedlung Vaterunserberg, Formen für Ringe mit rundem Profilquerschnitt, ringförmig, Formen für Nadeln. Dat.: Ha C/D. Lit.: Coblenz 1963 Abb. 40. 31 Mörigen, Kanton Bern, CH Tonformen für den Zweischalenguß, innere Schalen wurden durch eine Umwicklung fixiert und anschließend mit einer äußeren, groben Tonschicht umgeben. Dat.: Späte Bronzezeit. Lit.: Bernatzky-Goetze 1987, 89.
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32 Morsum auf Sylt, Landkreis Nordfriesland, D In der Aufschüttung eines wikingerzeitlichen Grabhügels fanden sich ca. 100 Gußformreste für Schwerter, die auf ganzer Länge ein Loch mit Resten eines Holzstabes, vermutlich Weide, aufwiesen, Lanzenspitzen u. a., zweischichtig, innen aus feinem tonhaltigen Sand, außen Ummantelung aus sehr sandigem Ton, zweischaliger Guß. Dat.: Vermutlich ältere Bronzezeit. Lit.: Aner/Kersten 1979 Kat.-Nr. 2733 Taf. 57, 2733; Kalliefe 1918. 33 Obertraubling, Ldkr. Regensburg, D Zweischalige Form für den gleichzeitigen Guß von mehreren Ringen (Außendm. von 10,5– 12,5 mm), aus sandigem Lehm oder Töpferton mit Feinsand- und organischer Magerung. Dat.: Urnenfelderzeit. Lit.: Drescher 1985. 34 Pößneck-Öpitz, Saale-Orla-Kreis, D Höhensiedlung Felsenberg, ringförmige Formfragmente für Ringe mit rundem, ovalem und unregelmäßig rundem bis rechteckigem Profilquerschnitt. Dat.: Ha B2/3–Ha C1, Ha D1/2. Lit.: Simon 1972 Kat.-Nr. 15 Taf. 31, 1–3; Simon 1982 Abb. 6, 2; Auerbach 1925. 35 Pößneck-Schlettwein, Saale-Orla-Kreis, D Ringförmige Formen für ein bis zwei Ringe mit rundem Profilquerschnitt (Hals-, Fuß- und Armringe). Dat.: Jüngste Bronzezeit. Lit.: Simon 1982 Abb. 4. 36 Radislavice, Bez. Vyškov, #: Formen für ein- und mehrmaligen Gebrauch. Dat.: Ha D2. Lit.: Janák 1982 Abb. 5–6. 37 Saltvik, Åland, FIN Form für Stäbe oder Ringe. Dat.: Bronzezeit. Lit.: Meinander 1954 Abb. 43. 38 Salzburg (Rainberg), Land Salzburg, A Zwei Formen für Schaftlochäxte, eine aus Ton, gemagert mit glimmerreichem Sand, geringste Wandstärke 5 mm, die zweite aus Ton spärlich mit Quarzsand gemagert. Dat.: Endneolithikum/ frühe Bronzezeit. Lit.: Hell 1943. 39 Seitenroda, Saale-Holzland-Kreis, D Höhensiedlung Dohlenstein, Form für Ringe, ringförmig mit D-förmigem Profilquerschnitt. Dat.: Ha B3/Ha C1. Lit.: Simon 1972 Kat.-Nr. 81 Taf. 68, 10–11. 40 Sillankorva bei Nimisjärvi, Ksp. Säräisniemi, N. Ostbottnien, FIN Form für mehrmaligen Guß von Beilen, aus „talkgemischtem Ton“. Dat.: Bronzezeit. Lit.: Meinander 1954, 45 Abb. 33. 41 Unseburg, Ldkr. Aschersleben-Staßfurt, D Siedlungsfund, Form für 16 beidseitig plane, runde Scheiben. Dat.: Späte Bronzezeit, frühe vorrömische Eisenzeit. Lit.: Stolle 1988, 191 Taf. 27. 42 Västerås, Valby, Västmanland, S Siedlungsfund, ein Gußformfragment aus Ton für einen Bronzebuckel mit zentralem Dorn. Dat.: Ältere Bronzezeit. Lit.: Oldeberg 1974 Kat.-Nr. 2669. 43 Vindblæs, Kirchspiel Slet, West Himmerland, DK Unter einem Grabhügel fanden sich 173 Formfragmente, für zweischaligen Guß, zweischaliger Aufbau, innen feiner als außen, Produkte: Nadeln, Ringe, Lanzenspitzen. Dat.: Späte Bronzezeit. Lit.: Vestergaard-Nielsen 1956.
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44 Vitved, Østjylland, DK Fragmente von irdenen Gußformen, sandgemagert. Dat.: Vorrömische Eisenzeit. Lit.: Anderssen/ Madsen 1984 Abb. 20–22. 45 Zug, Fundstelle „Sumpf“, Kanton Zug, CH Zweischichtiger Aufbau: zweiteilige dünne innere Schicht, dicke äußere Schicht, Herstellung durch Abformung von einem Modell, dasselbe Modell diente zur Anfertigung mehrerer Formen, das Modell umfaßte einerseits die Lanzenspitze andererseits den kompletten Eingußtrichter, Produkte: Lanzenspitzen, Tüllengeräte. Dat.: Ha A1–Ha B1. Lit.: Weidmann 1982.
Liste 2: Schmelztiegel Die Zusammenstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die bei J. Waldhauser (1986, 202) nachgewiesenen Tiegel aus Frankreich, den Niederlanden, der Schweiz und Tschechien wurden nur berücksichtigt, wenn über seine synoptische Auswertung hinausgehende Erkenntnisse zur Technologie gewonnen werden konnten. Ergänzend treten ebenfalls die Zusammenstellungen bei A. Oldeberg (1942–43) hinzu. 1 Altendorf bei Bamberg, D Werkplatz eines Metallhandwerkers, runde Gefäße mit Rundboden, daneben Schalen mit Flachboden, beide mit senkrechter Wandung. Dat.: Römische Kaiserzeit. Lit.: Roth 1980, 800f. 2 Aske, Brunlanes, N Randstück eines schalenförmigen Tiegels, oval, an einer Schmalseite zu einer Schneppe ausgezogen (?). Dat.: Bronzezeitlich. Lit.: Bøe 1925 Abb. 1. 3 Augst, Kanton Basel-Land, CH Rund, engmundige hohe Formen, handgeformte, sandgemagerte Tiegel, rund, spitzer Boden, Volumen 22–320 cm³. Dat.: Römische Kaiserzeit. Lit.: Martin 1978, 118. 4 Bad Säckingen, Ldkr. Waldshut, D Planer Boden, leicht ausladende Wandung, rund, aus sauber zugehauenem roten Sandstein, Füllgewicht: ca. 7.200 g. Dat.: Urnenfelderzeit. Lit.: Jockenhövel 1986, 227 Abb. 12. 5 Bathmen, Provinz Overijssel, NL Schmelztiegel, hohe Form mit Rundboden, steiler Wandung und runder Mündung. Dat.: Erste Hälfte bis ausgehendes 4. Jh. n. Chr. Lit.: Groenewoudt/Erdrich 1997 Abb. 6. 6 Biskupin, Pow. |ni¾ski, PL Ovale Form, an einer Langseite eine hohle Handhabe mit ovalem Profilquerschnitt. L. 20 mm; B. 11 mm; H. 7 mm. Dat.: Ältere Eisenzeit. Lit.: Kostrzewski 1953, 190 Abb. 34. 7 Bnin, Woj. srem, PL Ovaler Umriß, tüllenförmige Öffnung an einer Schmalseite. Dat.: Ha C. Lit.: Fogel 1960 Abb. 9a.
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8 Bodman-Weiler, Ldkr. Konstanz, D Oval, schalenförmig, breit ausgezogene Schneppe an einer Schmalseite, lappenförmige Handhabe an einer Langseite. Dat.: Neolithisch, Pfyner Kultur. Lit.: Schlichtherle/Rottländer 1982 Abb. 2, 1–2. 9 Bokenäs gamla kyrka, Bohuslän, S Siedlungsfund, Schmelztiegel und Tiegelscherben, ovale Gestalt, auf einer Schmalseite des Randes eine Schneppe, dicke Wandung, leicht gewölbter Boden, Maße: 105 x 75 mm. Dat.: Jüngere Bronzezeit. Lit.: Oldeberg 1943, 127 Abb. 244; 1974 Kat.-Nr. 2577b. 10 Dürrnberg bei Hallein, Land Salzburg, A Rund, Rundboden, Graphit. Dm. 47 mm, errechnetes Volumen 200–220 g (Brand 1995, 55). Dat.: Lt B–C. Lit.: Brand 1995 Taf. 152, 1. 11 Dürrnberg bei Hallein, Land Salzburg, A Rund, senkrechte Wandung, gerundeter Rand, Graphit. Dat.: Lt B–C. Lit.: Brand 1995 Taf. 152, 2; 161, 16–18 (weitere Exemplare). 12 Dürrnberg bei Hallein, Land Salzburg, A Rund, Rundboden, senkrechte Wandung, gerader Rand. Dm. 43 mm, H. 87 mm. Dat.: Lt B–C. Lit.: Brand 1995 Taf. 171, 1. 13 Ehrenbürg bei Kirchehrenbach, Ldkr. Forchheim, D Zylindrisches Gefäß mit Rundboden und steiler Wandung, Dm. 38 mm, H. 65 mm. Dat.: Urnenfelderzeitlich. Lit.: Jockenhövel 1986, 218 Abb. 6F8. 14 Fellbach-Schmiden, Rems-Murr-Kreis, D Aus einer Siedlungsgrube stammen langovale Tiegel mit lang-spitz-ausgezogener Schmalseite, oben mit Lehm abgedeckt. Maße: 52 x 80 mm. Dat.: Späte Hallstattzeit/frühe Latènezeit. Lit.: Joachim/Krause 1990 Abb. 54. 15 Ganløse Mosevej, Frederiksborg Amt, Seeland, DK Tiegelfragment, oval. Fassungsvermögen: bis 1 kg. Dat.: Periode IV/V nach Montelius. Lit.: Petersen 1987, 141. 16 Geismar, Gemeinde Fritzlar, Schwalm-Eder-Kreis, D Runde, hohe, engmundige Gefäße mit Rundboden, daneben weitmundige Schalen. Dat.: Römische Kaiserzeit. Lit.: Roth 1980, 796ff. 17 Giebichenstein, Stadtkr. Halle, Mitteldeutschland, D Grabfund, schalenförmig, eine Langseite als Schneppe ausgezogen. Lit.: Schmidt 1894, 55 Abb. 61. 18 Godøen, Borgund, N Randscherbe eines schalenförmigen Tiegels. Dat.: Bronzezeitlich. Lit.: Bøe 1925 Abb. 1. 19 Göttingen, Siedlung an der Walkemühle, D Rund, Planboden, trichterförmig, waagerecht abgestrichener Rand, stark mit Quarzsand gemagert. Dm. 55,5 mm, H. 28 mm. Dat.: Späte Bronzezeit/Urnenfelderzeit B. Lit.: Drescher 1988 Tab. 1, T1. 20 Göttingen, Siedlung an der Walkemühle, D Schalenförmig. Größe aufgrund zu schlechter Erhaltung nicht abschätzbar. Dat.: Späte BZ/Urnenfelderzeit B. Lit.: Drescher 1988, 155.
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21 Graitschen, Alter Gleisberg, Saale-Holzland-Kreis, D Rund, trichterförmig, Linsenboden, keulenförmiger Rand. Dm. 120 mm, H. 104 mm. Dat.: Späte Urnenfelderzeit. Lit.: Neumann 1940, 150; Simon 1969, 275 Abb. 10, 50. 22 Grimeton, Broåsen, Halland, S Siedlungsfund, 300 Tiegelscherben, quarzgemagert, längliche Schalen mit starken Wänden, Ränder verdickt bis ausschweifend, Boden leicht gerundet. L. 76–132 mm, B. 46–83 mm. Dat.: Ältere Bronzezeit. Lit.: Oldeberg 1943, 127 Abb. 240–241; 1974 Kat.-Nr. 1575; Svensson 1940. 23 Großjena, Burgenlandkreis, D Grabfund aus einer Urne, schalenförmig, langovale Mündung, eine Schmalseite zur Schneppe ausgezogen. L. 105 mm. Lit.: Schmidt 1894, 55 Abb. 60. 24 HabrÆvka in Mähren, Kr. Blansko, CZ Verhüttungsplatz der vorrömischen Eisenzeit, Tiegel wiesen viele Quarzkörner im Scherben auf. Lit.: Wankel 1879, 316. 25 Håg, Kirchspiel Thorsager, Amt Randers, DK In einer Kulturschicht, die den Boden einer Werkstatt gebildet haben könnte, fanden sich 225 Fragmente von ca. 35–40 Tiegeln, oval, schalenförmig mit hohem Rand, spitz ausgezogene Schneppe auf einer Schmalseite, Magerung mit Quarzsand. Maße: L. 122 mm, B. 84 mm, H. 58 mm. Dat.: Jüngere Bronzezeit. Lit.: Brøndsted 1962, 271; Jungmarker 1926; Neergaard 1908, 288 Abb. 3. 26 Hallunda, Kirchspiel Botkyrka, Södermanland, S 30 Tiegelfragmente, flach-schalenförmig, Randfragment und weitere Fragmente. H. 30–45 mm. Dat.: Jüngere Bronzezeit. Lit.: Jaanusson/Vahlne 1975 Abb. 5. 27 Hesselberg bei Gerolfingen, Ldkr. Donau-Ries, D Rund, Planboden, trichterförmig, aus Graphit, nach Arthur Berger handelt es sich bei dem Tiegel um einen Tontrichter. Dat.: Späte Urnenfelderzeit. Lit.: Hornung 1939, 103 Abb. 7; Berger 1994, 63. 28 Kirkebjerg bei Voldtofte, Fünen, DK Oval mit Schneppe an der Schmalseite. Dm. 120 mm, T. (innen): 50 mm. Dat.: Jüngere Bronzezeit. Lit.: Thrane 1993 Abb. 7. 29 Köfering, Ldkr. Regensburg, D Siedlungsfund, rund, trichterförmig, dickwandig, gerundeter Boden für die Schmelzung von Gold (Analyse R. Rottländer), ältester Nachweis für Goldverarbeitung in Mitteleuropa. H. 50 mm. Dat.: Neolithikum, Chamer Gruppe. Lit.: Matuschik 1991 Abb. 5. 30 Lobmachtersen, Stadt Salzgitter, D In einer Siedlung mit der Werkstatt eines Schmiedes und einem Rennfeuerofen wurden Schmelzgefäße gefunden. Dat.: Jüngere Römische Kaiserzeit, um 400. Lit.: Stelzer 1956, 90–92. 31 Mondsee, Land Salzburg, A Ovale Form, eine Schmalseite zur einer Schneppe ausgezogen, an einer Langseite eine massive Handhabe mit annähernd rechteckigem Profilquerschnitt. Dat.: Endneolithikum. Lit.: Götze 1925 Taf. 72d. 32 Parchim, Ldkr. Parchim, D Viereckiger Umriß mit gerundeten Kanten. Größe: 32 x 32 mm, H. 28 mm, Volumen: 2 cm². Dat.: Jüngere Bronzezeit. Lit.: Becker 1989 Abb. 3i.
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33 PÅistupími, Böhmen, 2 Langoval, eine Schmalseite als Tülle ausgezogen. Dat.: Bronzezeitlich. Lit.: Píµ 1899, 161 Abb. 51. 34 Ripdorf, Stadt Uelzen, Ldkr. Uelzen, D Oval mit langer Ausgußschneppe an einer Schmalseite. Dat.: Bronzezeitlich. Lit.: Schirnig 1979, 30 Taf. 8. 35 Heuneburg bei Hundersingen, Ldkr. Sigmaringen, D Schalenförmig, flach. Größe: handgroß. Dat.: Späte Hallstattzeit. Lit.: Drescher 1984, 100. 36 Klattrup, Vejle amt, DK Ovale Form, lang ausgezogene Schneppe an einer Schmalseite, stark mit Quarzsand gemagert. Dat.: 1. Jh. n. Chr. Lit.: Andersen/Madsen 1984 Abb. 18. 37 Klein Köris, Ldkr. Dahme-Spreewald, D Hohe, steilwandige Form, ovale Handhabe. Dm. 48 mm, H. 28 mm, Volumen: 6,3 cm³. Dat.: um 300 n. Chr. Lit.: Gustavs 1989 Abb. 2q. 38 Manching, Ldkr. Pfaffenhofen an der Ilm, D Rund, schalenförmig mit Linsenboden, senkrechte, Ränder gerade/leicht ausbiegend. Ein Exemplar, wahrscheinlich eine Form mit enger Mündung. Dm. 60–120 mm, H. 30–44 mm, Volumen 36,5 cm³. Dat.: 1.–2. Jh. v. Chr. Lit.: Jacobi 1974, 255f. mit Taf. 98, 1799.1802–1804. 39 Manching, Ldkr. Pfaffenhofen an der Ilm, D Eiförmig, fast geschlossen, Graphit, sekundäre Tonumkleidung, Abdruck einer Zange. Dm. 44 mm, H. 72 mm. Dat.: 1.–2. Jh. v. Chr. Lit.: Jacobi 1974, 256 mit Taf. 98, 1800. 40 Misselwarden, Wurt Feddersen Wierde, Ldkr. Cuxhaven, D Länglich nach unten verjüngt, spitz zulaufender, abgerundeter Boden, dreieckige Mündung. H. 55–70 mm. Dat.: 2.–5. Jh. Lit.: Haarnagel 1979, 296 Taf. 72, 4–5. 41 Misselwarden, Wurt Feddersen Wierde, Ldkr. Cuxhaven, D Kurz weitmundig, runder Boden, dreieckige Mündung. H. 40–45 mm. Dat.: 2.–5. Jh. Lit.: Haarnagel 1979, 296 Taf. 72, 7–9. 42 Misselwarden, Wurt Feddersen Wierde, Ldkr. Cuxhaven, D Engmundig, kegelförmig, Ausgußschneppe, Griffansatz. H. 35 mm. Dat.: 2.–5. Jh. Lit.: Haarnagel 1979, 296 Taf. 72, 2–3. 43 Misselwarden, Wurt Feddersen Wierde, Ldkr. Cuxhaven, D Rundbodig mit ausbiegendem Rand. H. 25 mm. Dat.: 2.–5. Jh. Lit.: Haarnagel 1979, 296 Taf. 72, 6. 44 Nieder-Neundorf, Niederschlesischer Oberlausitzkreis, D Höhensiedlung Vaterunserberg, langovale bis runde, weitmundige Tiegel mit gerundetem Boden, dickwandig, dazu ovale Fundstücke mit rundem, gelochtem Zapfen an einer Schmalseite, von W. Coblenz als Blasebalgdüsen angesprochen, möglicherweise auch als Schmelztiegel zu interpretieren. Daneben existieren engmundige runde Formen mit Rundboden. Maße: Dm. 44 mm, Maße der Variante: 100 x 42 x 44 mm. Dat.: Ha C/D. Lit.: Coblenz 1963 Abb. 40.
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45 Nikolausberg bei Golling, Land Salzburg, A Depotfund mit Werkzeugen eines Grobschmieds, darunter ein Schmelztiegel, planer Boden, leicht konvergierende Wandung. H. 163 mm. Dat.: Lt B1. Lit.: Moosleitner/Urbanek 1969, 68 Abb. 5. 46 Radislavice, Bez. Vyškov, 2 Langoval, steil auf einer Schmalseite in einen Ausguß übergehend, Rand gerundet. L. 124 mm, B. 43 mm, Volumen: 20–25 cm³. Dat.: Ha D2. Lit.: Janák 1982 Abb. 1–2. 47 Radovesice, Bez. Teplice, Nordwestböhmen, #: In einem Grubenhaus lagen Tiegel, gerundeter Boden, senkrechte Wandung. H. 65 mm, Dm. 43 mm, ebendort auch schalenförmige runde Tiegel, Dm. 65 mm, H. 38 mm, ebendort schalenförmige Tiegel mit ovalem Umriß, eine Schmalseite als Schneppe ausgezogen, L. 70 mm, B. 45 mm, H. 46 mm. Dat.: Lt C2. Lit.: Waldhauser 1986, 201 Abb. 3, 20.22.; 202 Abb. 4, 1–2. 48 Ripdorf, Stadt Uelzen, Ldkr. Uelzen, D Siedlungsfund, ovale, flache Schale mit spitz ausgezogener Schneppe an einer Schmalseite, Schneppe leicht aufgebogen, starke Sandmagerung. Dat.: Bronzezeitlich. Lit.: Schirnig 1979 Taf. 10. 49 Sanskimost, an der Sana, BIH Runder Tiegel mit planem Boden, zur Mündung leicht geweiteter Wandung und geradem Rand, stielförmige Handhabe mit ovalem Profilquerschnitt, in der Wandung unter dem Rand ein Loch mit kurzer Schneppe. Dm. 162 mm, H. 102 mm. Dat.: Ältere Eisenzeit. Lit.: Fiala 1899, 90 Abb. 103. 50 Skälby, Kirchspiel, Vårfrukyrka, Uppland, S Schalenförmig, langoval, eine Schmalseite zu einer kurzen Schneppe ausgezogen. Dat.: Bronzezeit. Lit.: Oldeberg 1943, 127 Abb. 242–243. 51 Stavad, Hjørring amt, DK Ovale Form, kurz ausgezogene Schneppe an einer Schmalseite, stark mit Quarzsand gemagert. Dat.: 3.–4. Jh. n. Chr. Lit.: Anderssen/Madsen 1984 Abb. 17. 52 Steinkirchen, Ldkr. Deggendorf, D Rund, schalenförmig, Flachboden, senkrechte Wandung, Rand gerade/leicht ausbiegend, Graphit. Lit.: Jacobi 1974, 256. 53 Stradonice, Böhmen, 2 Schalenförmig, oval, kurze Schneppe an einer Schmalseite. Dat.: Ältere Eisenzeit. Lit.: Píµ 1906 Taf. 58, 13. 54 Tornow, Ldkr. Oberspreewald-Lausitz, D Siedlung auf dem Lütjenberg, rund, spitzbodig, handgeformt durch Hineinbohren eines Fingers in einen Tonklumpen (Abdruck eines Fingernagels), organisch gemagert. Dm. 45 mm, H. 60–80 mm. Dat.: Späte Römische Kaiserzeit bis frühe Völkerwanderungszeit. Lit.: Warnke 1973, 139 Abb. 71. 55 Traprain Law, Scotland, GB Dreieckstiegel mit gerundetem Spitzboden. Dat.: Römische Kaiserzeit. Lit.: Oldeberg 1943, 129 Abb. 248–251. 56 Vindblæs, Kirchspiel Slet, West Himmerland, DK Unter einem Grabhügel fanden sich 78 Schmelztiegelfragmente, oval, schalenförmig, eine Schmalseite zur Schneppe ausgezogen. Dm. 60–70 mm, in Ausnahmen bis 120 mm. Dat.: Späte Bronzezeit. Lit.: Vestergaard-Nielsen 1956.
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57 Vitved, Østjylland, DK Siedlung, 8–10 Tiegel, ovale Form, schalenförmig, Ausguß an einer Schmalseite, stark mit Quarzsand gemagert, teilweise an der Schmalseite eine hohle Handhabe mit annähernd rundem Profilquerschnitt, Volumen: 25–40 cm³, Tiegelscherben aus fein geschlämmten Ton mit großer Menge scharfkantiger Sandkörner, Abdeckung aus einer bis zu 7 mm starken Schicht aus sandgemagertem Ton, an der Schalenmündung am dicksten aufgetragen, zur Schneppe dünner werdend, stark gerissen, gegenüber der Schneppe besonders stark gesintert, innen keine Glasurspuren, Schale innen grau reduziert, deshalb wahrscheinlich Schmelzung des Metalls zusammen mit Holzkohle oder anderen organischen Materialien, Spektralanalyse: Anwesenheit von Kupfer, Zinn, Zink und Blei, mehrere Tiegel sind randlich zusammengebacken, so daß von mehreren Exemplaren in einem Ofen ausgegangen werden kann, Magerungsanteile von Tiegel und Mantel aus der Umgebung des Schmelzplatzes, nur ein grober Bestandteil wurde von andernorts bezogen. Dat.: Vorrömische Eisenzeit. Lit.: Andersen/Madsen 1984 Abb. 10–12. 58 Wallersdorf, Ldkr. Landau, D Rund, schalenförmig, Flachboden, senkrechte Wandung, Rand gerade/leicht ausbiegend, Graphit. Lit.: Jacobi 1974, 256. 59 Warburg-Daseburg, Ldkr. Höxter, D Runde Schale, kalottenförmig, gerundeter Rand. Dm. 96 mm, H. 64 mm. Dat.: Ältere Römische Kaiserzeit. Lit.: Günther 1990 Abb. 59, 1. 60 Wolfenbüttel-Fümmelse, Ldkr. Wolfenbüttel, D Aus einer Grube einer Siedlung stammen insgesamt neun Gußtiegel, Tiegel 1: rundbodig mit einseitig ausgezogener Schneppe. Dm. 57 mm, H. 40 mm, Volumen: 4,2 cm³. Dat.: Ältere Römische Kaiserzeit. Lit.: Weski 1988 Abb. 10, 4. 61 Wolfenbüttel-Fümmelse, Ldkr. Wolfenbüttel, D Tiegel 2: rundbodig mit einseitig ausgezogener Schneppe, Spur eines Daumenabdrucks im Inneren. H. 63 mm. Dat.: Ältere Römische Kaiserzeit. Lit.: Weski 1988 Abb. 10, 4. 62 Wolpertswende-Schreckensee, Ldkr. Ravensburg, D Annähernd rund, schalenförmig, kurze ausgezogene Schneppe an einer Schmalseite, lappenförmige Handhabe an einer Langseite. Dat.: Neolithisch, Pfyner Kultur. Lit.: Schlichtherle/Rottländer 1982 Abb. 3. 63 Zug, Fundstelle „Sumpf“, Kanton Zug, CH Tiegelfragmente aus gleichem Material wie die mitgefundenen Gußformen. Dat.: Ha A1–Ha B1. Lit.: Weidmann 1982, 76.
Liste 3: Buntmetallschmelzöfen Vergleiche ergänzend die Zusammenstellung der süddeutschen Ofenbefunde bei A. Jockenhövel (1986). 1 Augst, Kanton Basel-Land, CH Grube mit 29 cm Dm. und 20 cm T., mit Ziegelstücken und Lehm ausgeschlagen, stand auf Holzkohleresten ein Schmelztiegel. Dat.: Römische Kaiserzeit. Lit.: Martin 1978, 118.
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2 Bad Säckingen, Ldkr. Waldshut, D 44 x 26 cm große Wanne mit U-förmigem Profilquerschnitt, 18 cm h. erhalten, Rückwand aus einer 45 x 22 x 11 cm großen Sandsteinplatte, daran lehnten sich der Boden und die Seitenwände aus schamottiertem, mit eckigen Quarzitstückchen gemagertem Material an, passagenweise durch eine 1–2 cm starke Schlackenschicht mit Bronzeschmelzen bedeckt, Spuren starker thermischer Belastung, auf dem Boden eine starke Ascheschicht. Dat.: Mittlere Urnenfelderzeit. Lit.: Gersbach 1968, 65 Kat.-Nr. 96 Taf. 100. 3 Borgstedt, Ldkr. Eckernförde, D Hauskomplexe mit Resten zerschmolzener Bronze, Tiegelfragmenten, Schlacken, Gußzapfen, Herden und Öfen. Lit.: Struve 1979, 436. 4 Fort-Harrouard, Dép. Eure-et-Loire, F Ovale Eintiefung 100 x 50 cm, zu einer Seite eine Steineinfassung, daneben eine Fläche mit zerbrochenen Formfragmenten. Dat.: Späte Bronzezeit. Lit.: Mohen/Bailloud 1987, 126–132. 5 Göttingen, Siedlung an der Walkemühle, D In Gruben lagen kleine Fragmente von Herdeinfassungen, die eine konische mit fingerdicken Hölzern ausgesteifte Herdgrube erschließbar machen. Dat.: Späte Bronzezeit. Lit.: Drescher 1988, 150; 164 Abb. 2H1–3. 6 Grimeton, Broåsen, Halland, S Unter einem Grabhügel erhielt sich eine ovale, muldenförmige Eintiefung, von größeren gebrannten und geschwärzten Steinen gefaßt, darin u. a. Tiegel, Gußformen. Maße: L. 73 cm, B. 65 cm, T. 70 cm. Dat.: Ältere Bronzezeit. Lit.: Jungmarker 1926, 2; Oldeberg 1974 Kat.-Nr. 1575. 7 Hallunda, Kirchspiel Botkyrka, Södermanland, S In einem 20 m langen Haus fanden sich sechs runde bis leicht ovale Schmelzöfen, davor existierten nochmals sechs, die teilweise in den anstehenden Boden eingetieft waren. Ihr Dm. schwankt von 120 bis 150 cm, die Gruben waren am Rand mit hochkant gestellten Steinen ausgekleidet. Daneben existierten kleinere Öfen mit einem Dm. von 60 bis 100 cm, die nicht eingegraben waren und keine Steinsetzung aufwiesen, in einem Ofen hatte sich ein „Stützstein“ erhalten. In den Öfen lag eine Brandschicht mit Holzkohle und darauf Teile einer Lehmwandung, die wahrscheinlich von einem Aufbau stammt, die auf der Steinwandung gestanden haben könnte. In einem Falle blieb das Loch für den Blasebalg erhalten. Der Randbereich der Öfen wurden bis 1.200°C erwärmt, im Umfeld lagen 40 Tiegel- und 70 Formfragmente. Dat.: Jüngere Bronzezeit. Lit.: Jaanusson 1971, 185 ; Jaanusson/Vahlne 1975 passim. 8 Heilshoop, Ldkr. Storman, D Unter einem Grabhügel fand sich eine grubenartige Eintiefung mit Branderde und Bronzeschlakken. Dat.: Bronzezeitlich. Lit.: Hingst 1964, 280; Struve 1979, 140. 9 Magdalensberg, Kärnten, A In einem kleinen Werkstattraum fand sich ein rechteckiger Ofen der durch vier einen Fuß lange Fußbodenplatten begrenzt war. Darin standen drei Tiegel. Dat.: Römische Kaiserzeit, vor ca. 45 n. Chr. Lit.: Drescher 1973, 58. 10 Parchim, Ldkr. Parchim, D Zwei ovale Verfärbungen, tangential aneinanderstoßend, eine fundleer mit Sand gefüllt, die zweite 60 cm tief mit schwarzer Füllung (unten Brandschicht mit Tiegel, stabförmigem Bronzestück und Keramik, Reste von Vorsatzplatten für Düsen, oben Brandschicht mit Schweineknochen, zwischen beiden eine 15 cm b. und 10 cm t. Rinne). Dat.: Jüngere Bronzezeit. Lit.: Becker 1989 Abb. 2; Simon 1992, 66 Abb. 8.
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11 Ripdorf, Stadt Uelzen, Ldkr. Uelzen, D Ovale, steingepflasterte Grube ca. 6 m von einem Haus entfernt. Größe: ca. 90 x 60 cm. Dat.: Bronzezeitlich. Lit.: Schirnig 1979, 38 Abb. 10. 12 Björlanda, Stadt Göteborg, S In einer Siedlung wurde teilweise eine wohl ovale lehmausgekleidete, holzkohlegefüllte Grube mit einer L. von mindestens 400 cm angeschnitten. In der Nähe fand sich eine runde weitere Eintiefung mit einem Dm. von 30 cm. Auf der Sohle eine Schicht Lehm mit einer dreieckigen, flachen Mulde, die in der Mitte am stärksten und zu den Randbereichen weniger intensiv gebrannt war. Dat.: Jüngere Bronzezeit. Lit.: Andersson 1970. 13 Warburg-Daseburg, Ldkr. Höxter, D Innerhalb einer Siedlung mit Spuren von Feinschmiedetätigkeit konnten mehrere Öfen nachgewiesen werden. 1. Befund F201, ovale Mulde (Dm. 50 x 100 cm, T. 5 cm); 2. Befund F4, ovale Mulde (Dm. 260 cm, T. 20 cm) im westlichen Teil ein Schacht (Dm. 50 cm, T. 35 cm), in der Mitte viel verziegelter Lehm, darunter größere, bis 7,8 cm starke Steine; 3. Befund F 77, ovale Grube mit annähernd ebener Sohle (Dm. 220 cm, T. 15 cm). Dat.: Ältere Römische Kaiserzeit. Lit.: Günther 1990, 28.
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Abbildungsnachweis Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb.
1: Zeichnung: S. M. A. König. 2–3; 6: Foto S. Krabath. 4: Nach Schlüter 1975. 5: Nach Polenz 1986. 7: Nach Hodges 1954. 8: Nach Neergaard 1908. 9: Nach Aner/Kersten 1979. 10: Nach Simon 1972. 11: Nach Drescher 1984. 12: Nach Jaanusson/Vahlne 1975. 13: Nach Becker 1989. 14: Nach Gersbach 1968.
Eine Gußform vom Gräberfeld „Im Niederen Felde“ bei Holzminden Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb. Abb.
15: 16: 17: 18: 19: 20: 21: 22: 23: 24: 25: 26: 27: 28: 29: 30:
Nach Nach Nach Nach Nach Nach Nach Nach Nach Nach Nach Nach Nach Nach Nach Nach
Drescher 1984. Günther 1990. Jantzen 1991. Jantzen 1991. Coblenz 1963. Ottaway 1994. Jockenhövel 1986. Neergaard 1908. Drescher 1988. Joachim/Krause 1990 Abb. 54. Waldhauser 1986. Haarnagel 1979. Weski 1988. Warnke 1973. Roth 1980. Haarnagel 1979.
Anschrift des Verfassers: Dr. Stefan Krabath Landesamt für Archäologie mit Landesmuseum für Vorgeschichte Zur Wetterwarte 7 D-01109 Dresden Email:
[email protected]
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Studien zur Lebenswelt der Eisenzeit. RGA-E Band 40 – Seiten 433–454 © Copyright 2006 Walter de Gruyter · Berlin · New York
Späthallstattzeitliche Hahnanhänger am Caput Adriae von Olaf Dörrer Prähistorisches Symbolgut gehört in der Archäologie der vorrömischen Metallzeiten zu den bevorzugten Untersuchungsobjekten (grundlegend: Kossack 1954; Müller-Karpe 1968; 1980). Auch im Schaffen der Jubilarin finden sich Beiträge zu diesem Themenkreis (Müller 1991; 1993 bes. 433; RGA² XIV [1999] 85–89 s. v. Hausurnen). Spätestens seit der Untersuchung L. Paulis über eisenzeitliche Amulette Mitteleuropas sind figürliche, aber auch nicht-figürliche Anhänger als Zeugnisse für Volksglauben stärker in das Bewußtsein der Forschung getreten (Pauli 1975; teilweise überkritisch: Warneke 1999 bes. 195; 202–203). Im Folgenden soll die Aufmerksamkeit auf eine Gruppe theriomorpher Anhänger vom Hinterland des Caput Adriae gelenkt werden, die bisher wenig Beachtung gefunden hat (nur kursorisch behandelt von Warneke 1999, 123–124). Die Tierfiguren dieser Anhängergruppe sind unschwer als Vögel zu identifizieren. Mittels Kamm und vertikal gestelltem Schwanz sind sie darüber hinaus als Hähne gekennzeichnet. Da sie eine gesonderte Aufhängevorrichtung besitzen, müssen sie dem Kreis der „Anhänger“ zugerechnet werden. Ausführung in Bronzeblech gilt als fertigungstechnisches Charakteristikum dieser Anhängergruppe (Warneke 1999, 123), gegebenenfalls werden durch Ritzlinien und Würfelaugen anatomische Details angedeutet sowie eine Binnengliederung der Tierkörper erreicht. In feintypologischer Hinsicht lassen sich mehrere Formen scheiden. Hahnanhänger vom Typ „Pozzuolo“ (Abb. 1,1) weisen einen schlanken Körper auf, der Schwanz ist gegabelt. Zur Aufhängung dient eine
Abb. 1. Hahnanhänger des Caput Adriae. 1 Typ „Pozzuolo“. 2 Typ „Stiµna“. 3 Typ „Sveta Lucija“. – Länge des Balkens 2 cm
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Olaf Dörrer
Abb. 2. Verbreitung der Hahnanhänger des Caput Adriae (Liste im Anhang). Typ „Pozzuolo“ (Kreis). Typ „Stiµna“ (Rechteck). Typ „Sveta Lucija“ (Dreieck)
Durchlochung am hinteren Ende des Kammes. Von ihnen unterscheiden sich die Hähne des Typs „Stiµna“ (Abb. 1,2) durch ihre gestielte Rückenöse; außerdem werden die Beine in Schrittstellung dargestellt und der gegabelte Schwanz ist ausgesprochen betont. Gegenüber den beiden genannten Typen besitzen die Anhänger des Typs „Sveta Lucija“ (Abb. 1,3) einen deutlich dickeren Körper, auch ist der Schwanz nicht gegabelt. Als Aufhängevorrichtung fungiert – wie beim Typ „Stiµna“ – eine gestielte Rückenöse. Die Ausbildung der Standbeine teilt der Typ „Sveta Lucija“ dagegen mit Hähnen des Typs „Pozzuolo“. Bei den Anhängern des Typs „Sveta Lucija“ ist die Bestimmung der Vögel als Hähne zwar nicht hinreichend abgesichert, doch bieten sich auch keine gut begründeten alternativen Zuweisungen an1. Daher wird an der Zuordnung dieses Typs zur Gruppe der Hahnanhänger festzuhalten sein, was durch die stilistischen Verknüpfungen zu den beiden anderen Hahntypen untermauert wird. Die drei beschriebenen Typen von Hahnanhängern weisen ein eng begrenztes Verbreitungsgebiet auf (Abb. 2; Liste im Anhang). Vermehrte Belege finden sich im ehemaligen österreichischen Küstenland (Posoµje bis Istrien), in Dolenjsko/Unterkrain und im Friuli/Friaul. Das Exemplar aus der japodischen Nekropole von Kompolje in der Lika liegt schon außerhalb des enge1
Aus fehlendem oder nur kryptisch wiedergegebenem Kamm kann nicht zwingend auf Hennen geschlossen werden (z. B. bei Hahnanhängern des Glasinac: Kilian-Dirlmeier 1979, 138). – Manuskriptabschluß: Herbst 2001.
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ren Verbreitungsraumes2. Die fraglichen Hahnanhänger erweisen sich somit als typisch für den östlichen Bereich des Caput Adriae und dessen weiteren Hinterlandes. Neben der klar umrissenen Typenausprägung und dem engen chorologischen Bezugsfeld weisen die Hahnanhänger des Caput Adriae auch eine begrenzte Laufzeit auf. Zur Datierung stehen neben den geschlossenen Inventaren auch Einzelfunde ohne Grabzusammenhang zur Verfügung, sofern die betreffenden Anhänger an einem weiteren, chronologisch bestimmbaren Fundstück eingehängt überliefert wurden. So können sowohl der Hahnanhänger von Kobarid/Caporetto als auch einer der Hähne von Sveta Lucija, die beide an einer Raupenfibel vom Typ „Santa Lucia“ eingehängt waren, in ihrer Zeitstellung auf die Stufen „Sveta Lucija IIa–b“ (nach Teržan/Trampuž) festgelegt werden (Teržan/Trampuž 1973, 428–429; 432 bzw. 438–439 mit Beil. 1 [Kartierung der Santa Lucia-Raupenfibeln auf Abb. 4, 1]). Dieselbe Datierung gilt für die Stücke von Vinkov vrh, die sich an anthropomorphen Blechanhängern der Form C (nach Warneke) finden3. Zeitlich näher eingrenzen lassen sich die Hahnanhänger aus den geschlossenen Grabfunden des Südostalpenraumes. Das Grab 2375 von Sveta Lucija kann auf Grund der Kombination von Santa Lucia-Raupenfibel, Schlangenfibel mit Kopfscheibe ohne Bügelzier (der Grundform S2 nach Mansfeld) und Schlangenfibel mit beweglicher Bügelzier in die Stufe „Sveta Lucija IIa“ datiert werden, wobei der letztgenannte Gewandhaftentyp einen jüngeren Abschnitt dieser Stufe anzudeuten scheint (Teržan/Trampuž 1973, 428–429 bzw. 439). Das Grab XIII/6 von Brezje wurde von H. Parzinger in seine Stufe „Brezje V“ (= Horizont 7) eingeordnet (Parzinger 1989, 34 mit Taf. 160,1 [Kombinationstabelle]). Die „südalpine“ Bandfibel dieses Inventars kommt auf dem Gräberfeld von Sveta Lucija am Übergang von Stufe IIa zu IIb auf und gehört dann zu den Leitformen der Stufe IIb (Teržan/Trampuž 1973, 432 bzw. 439 mit Beil. 1). Der offenbar nur spärlich ausgestattete Grabfund 2/81 von Pozzuolo del Friuli wurde von P. Cassola Guida und S. Vitri in die Stufe „Este III-Mitte“ datiert (Cassola Guida/Vitri 1982, 487 mit Fig. 18, 9–10) – ein Zeitansatz, der durchaus zu den vergesellschafteten anthropomorphen Blechanhängern der Form C paßt4. 2
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Im japodischen Bereich finden sich eigene Formen von Vogelanhängern (siehe unten Anm. 18). Nach Th. F. Warneke (1999, 114–115 mit Kartierung auf Abb. 57) datieren die anthropomorphen Blechanhänger seiner Form C in die Stufen „Sveta Lucija IIa–b“ bzw. „Este III-Mitte“. – In diesen zeitlichen Rahmen fügen sich auch die bei ihm nicht berücksichtigten Exemplare von Padova-Via Tiepolo, Grab 3 (Ruta Serafini 1990, 47–60 bes. 52 u. Fig. 26, 9) und Sveta Lucija, Grab 3227 (Preistoria del Caput Adriae. Mostra Trieste 1983 [Udine 1983] 184 mit Fig. 49 oben links) ein. Siehe oben Anm. 3.
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Der geperlte Armring hingegen findet in Este schon in früheren Stufen gute Gegenstücke5. Von daher wäre eine Datierung an den Beginn der genannten Stufe oder gar an den Übergang von Stufe „Este III-früh“ zu „Este III-Mitte“ erwägenswert. Auf Grund einer Certosafibel des Typs V (nach Teržan) kann der Grabfund 2 von Bitnje in die Stufe „Sveta Lucija IIb“ eingeordnet werden6.
Abb. 3. Gräko-makedonische Hahnanhänger mit Rückenöse. 1 Typ „Tegea“. 2 Typ „Perachora“. 3 „Thessalischer Hahnanhänger“. 4 Typ „Megara Hyblaia“. 5 „Makedonischer Hahnanhänger/ Typ A“. 6 „Makedonischer Hahnanhänger/Typ B“. Länge des Balkens 6 cm
Demnach können unsere Hahnanhänger auf die relativchronologischen Stufen „Sveta Lucija IIa–b“ sowie „Este III-Mitte“ eingegrenzt werden, wobei die bisher vorliegenden geschlossenen Inventare einen Beginn erst in einem fortgeschrittenen Abschnitt von „Sveta Lucija IIa“ belegen7. 5
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Benvenuti, Grab 26: Frey 1969, 96 mit Taf. 16–19 oben; bes. Taf. 17, 4 (Stufe „Este II–III“). – Padova-Ognissanti, Grab 46: Padova Preromana. Catalogo della mostra di Padova 1976, 275–279 mit Taf. 66–68 (Stufe „Este III-früh“). St. Gabrovec, Arh. Vestnik 25, 1974, 307 sowie 289 mit Taf. 1–2; B. Teržan, Arh. Vestnik 27, 1976, 352–353 bzw. 428–429. Das Grab VI/7 von Stiµna kann nicht für eine Datierung der Hahnanhänger herangezogen werden. Die Anhänger sind im Protokoll nicht erwähnt und G. Goldberg, der Sekretär der Großherzogin von Mecklenburg, verzeichnete neben den von ihm genannten Beigaben explizit „no other objects“, weshalb er den Grabfund für beraubt hielt. Konsequenterweise separierte auch P. S. Wells (1981, 73) die fraglichen Anhänger von diesem Grabfund.
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Abb. 4. Verbreitung der gräko-makedonischen Hahnanhänger mit Rückenöse (nach I. KilianDirlmeier 1979, 128–138 Taf. 103A; leicht modifiziert; Nachweise siehe Anhang). Typ „Tegea“ (hängendes Dreieck). Typ „Perachora“ (liegender Halbkreis). Typ „Megara Hyblaia“ (Stern). „Thessalische Hahnanhänger“ (Quadrat). „Makedonische Hahnanhänger“ (stehendes Dreieck). Sonstige Hahnanhänger mit Rückenöse (Kreis)
Absolute Zeitangaben sind für die Stufen „Sveta Lucija IIb“ und „Este IIIMitte“ unmittelbar durch vergesellschaftete griechische Importkeramik zu gewinnen, die in das späte 6. Jahrhundert v. Chr. datiert. Da die folgende Stufe „Este III-spät“ Importkeramik der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts führt, wurden die beiden hier interessierenden Stufen dem Zeitabschnitt vom letzten Viertel des 6. bis zur Mitte des 5. Jahrhunderts zugewiesen8. Der Hahnanhänger aus dem Grab 2375 von Sveta Lucija, das noch der Stufe IIa angehört, muß vor das letzte Viertel des 6. Jahrhunderts datieren. Die Einordnung in einen jüngeren Abschnitt dieser Stufe wurde schon von B. Teržan und N. Trampuž
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Frey 1969, 25–26 mit Taf. 36, 3; 37, 1 (für „Este III-Mitte“); 1971, 364 mit Abb. 11, 5–15 u. Taf. 2, 1; Peroni u. a. 1975, 167–168 mit Fig. 116 (Stufe „Este III D1“ = „Este III-Mitte“); Teržan/Trampuž 1973, 432 mit Abb. 5. – Ferner kann auf importdatierte Fundverbände anderer Kulturräume zurückgegriffen werden, die mit den relativchronologischen Stufenabfolgen der oberen Adria verknüpft sind: zusammenfassend Parzinger 1989, 123–125; für die Stufe „Piceno IV B“ siehe D. Lollini, La civiltà picena. In: Popoli e civiltà dell’Italia antica 5 (Roma 1976) bes. 148–154; siehe hier besonders Grab 22 von Numana-Quagliotti (Die Picener. Ein Volk Europas. Katalog der Ausstellung Frankfurt/M. 1999–2000 [Roma 1999] Kat.-Nr. 532– 533) und Grab 225 von Numana-Davanzali (M. Landolfi in: La civiltà picena nelle Marche. Festschr. G. Annibaldi [Ripatransone 1992] 304–312).
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(1973, 428–429 bzw. 439) begründet. Ein absolutchronologischer Datierungsansatz kann auf indirektem Wege gewonnen werden, sofern das Fußfragment einer attischen Kleinmeisterschale (um 540 v. Chr.) aus Periode IVa/2 der Heuneburg nicht als umgelagert angesehen wird. Mittels dieses frühesten attischen Keramikimportes der Heuneburg wird sowohl das Ende der Lehmziegelmauer als auch der Übergang von Ha D1 zu Ha D2 in die Zeit um 540 v. Chr. datiert (Heuneburgstudien XI, 14 Kat.-Nr. 8 [E. Böhr]; 140–145 mit Abb. 32 [J. Pape]). Dieser zeitliche Ansatz kann aber auch für die Datierung der Stufe „Sveta Lucija IIa“ nutzbar gemacht werden, und zwar mittels einer Fünfknopffibel, die sich ebenfalls in der Heuneburg-Periode IVa einfand (Sievers 1984, 23–24 mit Abb. 11 sowie 220 Nr. 2189 [alt: 722] mit Taf. 212, 2189. – Vgl. in Sveta Lucija: Teržan/Trampuž 1973, 428 bzw. 439 mit Beil. 1; Parzinger 1989, 12 u. 16 mit Taf. 9, 100.114). Das gewonnene Datum in der Mitte des 6. Jahrhunderts bezeichnet sicher nicht den Beginn der Stufe „Sveta Lucija IIa“, der in der ersten Hälfte dieses Säkulums zu suchen sein wird (Teržan/Trampuž 1973 Fig. 5). Der in einen jüngeren Abschnitt dieser Stufe zu datierende Grabfund 2375 von Sveta Lucija kann aber auf diesem Wege in die Mitte oder das dritte Viertel des 6. Jahrhunderts datiert werden. In der Gesamtheit ergibt sich für die Hahnanhänger des Caput Adriae eine Laufzeit von der Mitte bis zum Ende des 6. Jahrhunderts v. Chr., wobei einstweilen offenbleibt, inwieweit von einem Weiterlaufen in das 5. Jahrhundert ausgegangen werden muß. Um die Charakterisierung unserer Hahnanhänger zu komplettieren, sei noch ein kurzer Blick auf deren Funktion im Rahmen des Trachtgefüges sowie auf den Personenkreis der Träger dieser Anhänger geworfen (siehe Liste im Anhang). Mangels anthropologischer Daten läßt sich der Trägerkreis der Hahnanhänger nur über den Charakter der Inventare erschließen. So kann die Kombination der Trachtbestandteile aus Grab XIII/6 von Brezje (Kromer 1959, 29–30 mit Taf. 35) mit paarigen Ohrringen, zwei Armringen und zwei Fußringen als eine „vollständige“ Frauentracht des Dolenjsko-Kreises gelten (Teržan 1985, 101 mit Tab. auf Abb. 8–9; ferner: Teržan 1995, 95 mit Abb. 4). Auf jeweils eine Frauentracht dürften weiterhin die Ohrringe in den Gräbern 2 von Bitnje und 2375 von Sveta Lucija hinweisen. Auch die Raupenfibel des letztgenannten Inventares kann als Element der regionalspezifischen Frauentracht angesprochen werden. Demnach kann für zwei weitere Hahnanhänger, die zwar ohne Grabzusammenhang überliefert sind, aber an einer Raupenfibel eingehängt waren, eine Zuordnung zu einem weibliche Trägerkreis postuliert werden. In der Gesamtheit ergibt sich eine eindeutige Bindung der Hahnanhänger des Caput Adriae an einen weiblichen Trägerkreis. Weitergehende Differenzierungen (z. B. nach Sterbealter) sind derzeit allerdings nicht möglich.
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Für die Tragweise unserer Anhänger liegen zwar keine authentischen Angaben vor, doch in etlichen Fällen ist überliefert, an welchen Objekten sie eingehängt waren. Sowohl im Dolenjsko-Kreis als auch im Friuli finden sich die Hahnanhänger an sog. anthropomorphen Blechanhängern der Form C, die ihrerseits an weiteren Anhängerformen befestigt waren. Die so entstehenden Kompositgehänge erreichen beträchtliche Längen, so daß auch ohne exakte Befundbeobachtung auf eine Verwendung als Brust- oder Gürtelschmuck geschlossen werden kann. In der Sveta Lucija-Gruppe finden die Hahnanhänger hingegen als Anhängsel an Raupenfibeln Verwendung, häufig zusammen mit weiteren Kleinanhängern. Eine Positionierung im Bereich des Oberkörpers ist also auch in diesen Fällen möglich, wenn auch nicht erwiesen9. Sucht man nach Vorlagen für die unvermutet in der Mitte des 6. Jahrhunderts v. Chr. am Caput Adriae erscheinenden Hahnanhänger, so wird man auf die Gruppe der gräko-makedonischen Vogelanhänger mit Rückenöse verwiesen. Basierend auf einer umfangreichen Materialvorlage konnte I. KilianDirlmeier verschiedene regionalspezifische Typen von Hahnanhängern aus dem Gesamtbestand ausgliedern (Kilian-Dirlmeier 1979, 128–138; für ältere, nur teilweise kompatible Gliederungen des Materials siehe Bouzek 1973/74, 13–23; Kilian 1975, 113–114; 134–135 mit Taf. 95 [Karte]). So können Hähne vom Typ „Tegea“ (Abb. 3,1) auf Grund ihrer Verbreitung und fertigungstechnischer Details peloponnesischen (lakonischen und/oder arkadischen) Werkstätten zugeschrieben werden (Kilian-Dirlmeier 1979, 128–129 Kat.-Nr. 712– 719; relativ nahe stehen die beiden Hähne Kat.-Nr. 726 u. 727, die ebenfalls peloponnesischen Werkstätten zugewiesen wurden [ebd. 132]). „Thessalische Hähne“ (Abb. 3,3) liegen bisher nur aus Pherai vor und dürften in Thessalien gefertigt worden sein (Kilian-Dirlmeier 1979, 134–135 Kat.-Nr. 731–739). Die Gruppe der „Makedonischen Hähne“, die in zwei Typen ausgeführt ist (Abb. 3, 5–6), kann auf Grund des Fundanfalles als Erzeugnis südmakedonischer Werkstätten (wohl auf der Chalkidike) gelten; darüber hinaus finden sie sich vereinzelt als Fremdstücke (?) auf den ägäischen Inseln (Kilian-Dirlmeier 1979, 136–137 Kat.-Nr. 745–746; 748–750; 752–757 sowie S. 137 Anm. 42–44). Nur durch wenige Exemplare repräsentiert wird der Typ „Perachora“ (Abb. 3, 2), der indes eine markante stilistische Ausprägung zeigt; die Zuweisung an eine peloponnesische Werkstatt kann vermutet werden10. Von den verbliebenen
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Der in der Sveta Lucija-Gruppe ausnahmslos praktizierte Brandbestattungsritus bedingt eine weitgehende Unkenntnis der Regeln für die Positionierung von Trachtbestandteilen. Kilian-Dirlmeier 1979, 129–130 Kat.-Nr. 720–722. Die Fundortangabe „Olynth“ bei Nr. 721– 722 ist ausgesprochen fraglich und fand daher auf der Verbreitungskarte Abb. 4 keine Berücksichtigung.
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Stücken gruppieren sich einzelne Hähne von Lindos und Kalydon einerseits11 sowie von Delphi, Megara Hyblaia und aus der Sammlung Schimmel (New York) andererseits12 zu stilistischen Gruppen. Die letztgenannte Gruppe, die als Typ „Megara Hyblaia“ (Abb. 3, 4) bezeichnet werden soll, kann hypothetisch einer korinthischen oder megarischen Werkstatt zugewiesen werden13. Die beschriebenen Hahnanhänger stellen mithin eine Eigenart der griechischen Frühzeit dar, die besonders gut auf dem griechischen Festland, einschließlich Makedoniens, dokumentiert ist. Die Gliederung nach stilistischen und fertigungstechnischen Kriterien ergibt regionale bzw. lokale Typen, deren Werkstätten im gesamten Verbreitungsraum von der Peloponnes bis Makedonien zu belegen sind (Abb. 4; nach Kilian-Dirlmeier 1979, Taf. 103 A [leicht modifiziert; siehe Anhang]). Daher kann die zuletzt von V. Pingel favorisierte Bewertung unserer Formengruppe als „balkanische Bronzen“ (Pingel 1980 [unter Rückgriff auf die Differenzierung der Deponierungskontexte: ebd. Abb. 2]) zurückgewiesen werden. Für die Bestimmung eines möglichen Abhängigkeitsverhältnisses zwischen den Hahnanhängern des Caput Adriae und jenen des griechisch-makedonischen Bereichs kommt der Frage nach der Datierung der letzteren eine entscheidende Bedeutung zu. Bei Vernachlässigung pauschaler Einordnungen für die Exemplare aus den Heiligtümern von Sparta, Perachora und Tegea (Kili11
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Lindos: Chr. Blinkenberg, Lindos – Fouilles de l’acropole 1902–1914. I Les petits objets (Berlin 1931) Taf. 11, 235. – Kalydon: Kilian-Dirlmeier 1979, Kat.-Nr. 725. – Als Charakteristika dieser Gruppe können der voluminöse Körper mit der gleichmäßig gerundeten Bauchunterseite, der leicht gelängte, steil verlaufende Hals, der flache, ohne einen besonderen Übergang ansetzende Schwanz sowie die quergestellte Rückenöse gelten. Für das Exemplar von Kalydon vermutet I. Kilian-Dirlmeier (ebd. 132) eine Entstehung „im Umkreis der Werkstätten Korinths“. Delphi: Kilian-Dirlmeier 1979, Kat.-Nr. 723. – Megara Hyblaia: Kilian 1975 Taf. 1 Mitte. – Ohne Fundortangabe/Sammlung Schimmel: Kilian-Dirlmeier 1979, Kat.-Nr. 728. – Hähne dieser Gruppe haben einen gleichmäßig gerundeten, dicklichen Körper, aus dem ein ausgesprochen langgezogener, steil geführter Hals aufsteigt, der durch Wulstringe bzw. Knoten gegliedert ist. Der schmale, mit Würfelaugen oder Strichgruppen verzierte Schwanz wird durch entsprechende Wulstringe oder Knoten vom Körper abgesetzt. Weiterhin weisen alle drei Exemplare zwei Beine und eine quergestellte Rückenöse auf. Die beiden Fundorte Delphi und Megara Hyblaia würden durchaus zur Fertigung in einer korinthischen, mehr noch einer megarischen Werkstatt passen (für die korinthische Option vgl. die Argumentation von Kilian-Dirlmeier 1979, 132 [bezüglich Nr. 725]). – In diesem Zusammenhang ist ein weiterer Hahnanhänger von Interesse, der aus Siebenbürgen stammen soll, dessen Fundort allerdings nicht verbürgt ist (Foltiny 1971, 65 mit Abb. 1a). Das fragliche Stück weicht zwar stilistisch von unserem Typ „Megara Hyblaia“ ab, folgt ihm aber in der morphologischen Grundkonzeption. Zutreffende Angabe zur Provenienz vorausgesetzt könnte dieser Hahnanhänger in einer der beiden Apoikiai von Megara am Pontos Euxeinos, in Kallatis oder Mesembria, gefertigt worden sein, wo Werkstattbeziehungen zur Mutterstadt denkbar wären.
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Abb. 5. Vogelanhänger mit Rückenöse. 1 Vogelanhänger der nordmakedonischen Gruppe. 2 Vogelanhänger der makedonisch-ostalbanischen Gruppe. 3–4 Vogelanhänger des Glasinac. 5 Vogelanhänger Typ „Cumae“. 6 „Thessalische Henne/Grundform 1“. 7–8 Japodische Vogelanhänger. 9 „Thessalische Henne/Grundform 2“. Länge des Balkens 6 cm
an 1975, 100; Kilian-Dirlmeier 1979, 3) stehen nur drei datierende Kontexte zur Verfügung, die aber immerhin die Zeitspanne von der zweiten Hälfte des 8. bis an den Beginn des 6. Jahrhunderts v. Chr. umfassen14. Wie weit dieser zeitliche Rahmen nach oben und/oder unten verlängert werden muß, bleibt angesichts der großen Anzahl chronologisch nicht näher bestimmbarer Stücke im dunkeln. In jedem Falle ist der zeitliche Vorlauf der gräko-makedonischen Hahnanhänger vor denen des Caput Adriae gegeben, wodurch die Richtung einer möglichen Ableitung vorgezeichnet wäre. Doch bevor ein derartiger Zusammenhang postuliert werden kann, muß die kulturgeschichtliche Stellung nordwestbalkanischer Vogelanhänger mit Rückenöse bestimmt werden. Auf dem Nordwestbalkan finden sich Vogelanhänger mit Rückenöse im japodischen Kulturraum und in der Glasinac-Kultur. Die Vogelanhänger des Glasinac sind ausnahmslos kleinformatig und besitzen eine gestielte Rückenöse. Der kaum gegliederte Körper ist eher dünn geformt, wobei die Rückenlinie nur flach gebogen verläuft. Ferner weisen die Exemplare dieser Gruppe nur einen Fuß auf. Während Kämme grundsätzlich nicht angegeben werden, scheinen flache vertikal gestellte Schwänze Hähne zu kennzeichnen. Im Kontrast dazu könnte ein quergestellter Fächerschwanz Hennen bezeichnen (Abb. 5,3–4)15. Die Vogelanhänger der Glasinac-Gruppe können zwar grundsätzlich
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Kilian-Dirlmeier 1979, 130–131 (Nr. 723: spätgeometrisch); 137 (Nr. 753: „Mazedonische Eisenzeit II A“ = 1. Hälfte 7. Jh. v. Chr.); Kilian 1975, 100 mit Taf. 1–2 (Megara Hyblaia/Grab 660: „um 600 v. Chr. oder in das erste Drittel des 6. Jahrhunderts zu datieren“). Zusammenfassend zur Gruppe der Glasinac-Vogelanhänger: Kilian-Dirlmeier 1979, 138 mit Taf. 109,1–16 (folgende Fundorte: Osovo; Gosinja planina; Bandino brdo; Borovsko; Podlaze).
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in Bezug zu den schon besprochenen gräko-makedonischen Hahnanhängern gesetzt werden, stilistisch stehen ihnen aber die schlichteren Vögel der nordmakedonischen und makedonisch-ostalbanischen Gruppen näher (Abb. 5,1–2)16. Es erscheint durchaus sinnvoll, die Vogelanhänger des Glasinac, die erst in das 6. Jahrhundert v. Chr. zu datieren sind (Kilian 1975, 114; KilianDirlmeier 1979, 138), auf diese Vorlagen zurückzuführen. Sie wären somit Teil einer Kette unmittelbarer, von Zentralmakedonien bzw. der Chalkidike über den südlichen Zentralbalkan verlaufender Kontakte, in deren Rahmen es (teilweise zeitlich versetzt) zur Rezeption ornitomorpher griechischer Anhänger kam. Grundsätzlich ist aber die alternative Möglichkeit nicht auszuschließen, wonach eine Vermittlung von Anhängerschmuck im Rahmen des frühen griechischen Adriahandels an der albanischen und dalmatinischen Küste erfolgt sein könnte. Entsprechende merkantile Verbindungen geben sich ab dem fortgeschrittenen 7. Jahrhundert nämlich im archäologischen Fundbild sowohl der mittel- und südadriatischen Küste als auch des inneren West- und Nordwestbalkans sowie des anschließenden südpannonischen Raumes zu erkennen17. Die Vogelanhänger des japodischen Kulturraumes18 unterscheiden sich grundlegend von jenen des Glasinac. Es handelt sich hierbei um dickbauchige Vögel mit steil nach oben geführtem Hals, ein oder zwei Beinen und Horizontalschwanz. Hähne werden durch einen zusätzlichen Kamm markiert (Abb. 5,7-8; zusammenfassend Kilian-Dirlmeier 1979, 138). Neben der dieser Gruppe eigenen stilistischen Ausprägung weist die Anbringung von zwei (!)
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Ergänzend: N. Lucentini, Sulla cronologia delle necropoli di Glasinac nell’età del ferro. In: R. Peroni u. a., Studi di protostoria adriatica 1 (Roma 1981) 116 mit Tav. 3, 1 (Brankovi³i). Kilian-Dirlmeier 1979, 147. – Nordmakedonische Vogelanhänger mit Rückenöse: ebd. 145 Kat.-Nr. 815–824 (folgende Fundorte: Chauchitsa; Axiochori; Olynth; Rapeš bei Bitola; nahestehend: Kat.-Nr. 836–837; ergänzend ein Stück von Samos: Bouzek 1973/74 Fig. 1, 6). – Makedonisch-ostalbanische Gruppe: Kilian-Dirlmeier 1979, 147 Kat.-Nr. 833–834 (Kuç i Zi), nahestehend Kat.-Nr. 827 (Kumanovo). Zuletzt Frey 1991, 199–201; Teržan 1995, 87–88 mit Abb. 6–8; 11; 13. – Dabei kann dahingestellt bleiben, ob allein Korinth und Korkyra mit ihren Kolonien Epidamnos (gegründet 626/625 v. Chr.) und Apollonia (gegründet am Anfang des 6. Jh. v. Chr.) oder auch unteritalische Griechenstädte für die Verbreitung der fraglichen Rüstungsteile auf dem Nordwestbalkan zuständig waren. Eine Zusammenstellung der spärlichen Angaben der griechischen Schriftquellen bei O.-H. Frey, Jugoslawien unter dem Einfluß der griechischen Kolonisation. In: Jugoslawien. Integrationsprobleme in Geschichte und Gegenwart. V. Südosteuropa-Kongreß Belgrad 1984 (Göttingen 1984) 29–48 bes. 30–31. – Zur Diskussion ostgriechischer Aktivitäten im Adriaraum siehe unten Anm. 31. Aus der Nekropole von Prozor: F. Lo Schiavo, Il gruppo liburnico-japodico. Atti Accad. Naz. Lincei 1970, Mem. 8° XIV/6, 1970, 465 Nr. 13–14 mit Tav. 11, 10–11; 15, 16–17; siehe auch Praistorija jugoslavenskih zemalja V (Sarajevo 1987) Taf. 45, 2–3. Nahestehend ein Exemplar aus der istrischen Nekropole von Picugi/Pizzughi: J. Mladin, Diadora 9, 1980, 190 Nr. 9 mit Abb. 2, 8.
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längsgestellten Rückenösen auf lokale Fertigung19. Eine Ableitung dieser Anhänger von der Glasinac-Gruppe ist ausgeschlossen20. Demgegenüber ist ihre Formgebung ohne die Vorbildwirkung griechischer Hennenanhänger mit Rückenöse nur schwer erklärbar. Insbesondere für die Hahnanhänger der Lika, die einen nach vorn verschobenen Schwerpunkt an der Bauchunterseite besitzen, ist eine morphologische Abhängigkeit von der ersten Grundform der sogenannten „Thessalischen Hennen“21 offenkundig (Abb. 5,6). Die japodischen Hennenanhänger weisen eher eine gleichmäßig gerundete Bauchlinie auf; dadurch erreichen sie Ähnlichkeit zu den entsprechenden Stücken der zweiten Grundform „Thessalischer Hennen“ (Abb. 5,9)22. Für beide Grundformen wird eine Fertigung in thessalischen Werkstätten angenommen (Kilian-Dirlmeier 1979, 141). Nach der Fundhäufung in Pherai zu urteilen, dürfte dies auch zutreffen. Da nur wenige weitere Fundortangaben zu den griechischen Hennenanhängern bekannt sind (abgesehen von der nordmakedonischen Gruppe der „Hennen mit runden Öffnungen im Körper“) (KilianDirlmeier 1979, 142–144 Kat.-Nr. 796–804; 806–807 u. Anm. 67), muß mit großen Lücken im Fundbild gerechnet werden. Für diese Annahme ließen sich weitere Argumente anführen23. Die Vogelanhänger der Lika können so19
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Hier auch an weiteren theriomorphen Anhängern belegt: Lo Schiavo (Anm. 18) Taf. 3, 4; 11, 6; 15, 15; S. Kukoµ, Diadora 16/17, 1994/95, 57 Abb. 4, 4; R. Drechsler-Biži³, Vjesnik Arh. Muz. Zagreb 3°, 6/7, 1972/73, Taf. 8, 6; 10, 5; 11, 5. Dies trifft auch auf die schon zitierte (Anm. 16) nordmakedonische Gruppe schlichter Vogelanhänger zu. Zu den „Thessalischen Hennenanhängern“: Kilian-Dirlmeier 1979, 139–141 Kat.-Nr. 760–786; wohl auch 787–788 (folgende Fundorte: Pherai; Delphi; Philia); ergänzend werden je ein Exemplar von Kamiros/Rhodos (G. Jacopi, Clara Rhodos 6/7, 1932/33, Abb. 80, IX-13) und von Samos (Kilian-Dirlmeier 1979, 141 Anm. 63) zitiert. Zu der als Vergleich herangezogenen ersten Grundform siehe ebd. 139 Kat.-Nr. 760–775. Kilian-Dirlmeier 1979, 139 Kat.-Nr. 776–785; hierzu müßte auch das Stück von Kamiros (Anm. 21) gerechnet werden. So zeichnet sich Dank eines Neufundes eine bisher nicht erkannte Gruppe von Hennenanhängern ab, die durch einen bauchigen, wenig abgesetzten Körper und relativ flach geführten Hals sowie eine große Rückenöse ausgezeichnet ist (im Folgenden: Typ „Pithekoussai“). Belegt sind je ein Exemplar von Perachora (Kilian-Dirlmeier 1979 Kat.-Nr. 789) und Pithekoussai (G. Buchner/D. Ridgway, Pithekoussai I. Mon. Ant., Ser. Monogr. IV [Roma 1993] Tav. 126, 4); die Fundorte könnten eine Zuweisung an eine korinthische Werkstatt rechtfertigen. Nahestehend ist ein weiterer Neufund von Ägina (I. Margreiter, Die Kleinfunde aus dem Apollon-Heiligtum. Alt-Ägina II/3 [Mainz 1988] Kat.-Nr. 38), der sich aber durch seine kleine Rückenöse von den beiden angeführten Stücken unterscheidet. – Unter den Hennenanhängern ohne verbürgten Fundort können ferner drei Exemplare (Kilian-Dirlmeier 1979, Kat.-Nr. 790–791A) auf Grund ihrer ausgeprägt kugelbauchigen Gestalt zu einer Gruppe zusammengefaßt werden, ohne daß derzeit eine Lokalisierung ihrer Werkstatt möglich wäre. – In diesem Zusammenhang sind auch jene Hennenanhänger von Interesse, die nach ihren wulstumrandeten Körperöffnungen zwar der nordmakedonischen Gruppe nahestehen, aber – wie I. Kilian-Dirlmeier (1979, 144) zeigte – aus stilistischen Gründen nicht zugehören können. Bemer-
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mit auf griechische Prototypen zurückgeführt werden, wobei die entsprechenden Vorbilder nicht unbedingt überliefert sein müssen. Selbst bei einer unmittelbaren Ableitung von den „Thessalischen Hennenanhängern“ ist die Möglichkeit gegeben, daß weitere Werkstätten außerhalb Thessaliens an der Produktion dieses oder eines eng verwandten Typus’ Anteil hatten. Im Ergebnis kann festgehalten werden, daß die nordwestbalkanischen Vogelanhänger mit Rückenöse auf gräko-makedonische Vorbilder zurückgeführt werden müssen. Während für die Exemplare der Glasinac-Kultur eine Vermittlung sowohl über die Adria als auch indirekt über die südbalkanischen Kommunikationsachsen entlang der Flußläufe diskutabel erscheint, setzen die Vogelanhänger der japodischen Kulturgruppe unmittelbare Kontakte voraus, die nur im Zusammenhang mit dem griechischen Adriahandel gegeben wären24. Analog zu diesem Befund kann nunmehr auch die favorisierte direkte Ableitung der Hahnanhänger des Caput Adriae von den schon besprochenen griechischen Vorlagen postuliert werden25. Ein weiteres Beispiel der Ausbildung eines lokalen Vogelanhängertyps nach griechischem Vorbild ist im tyrrhenischen Unteritalien zu verzeichnen. Hier fanden griechische Vogelanhänger mit Rückenöse in der Magna Grecia Verwendung, wie vereinzelte Belege aus den Nekropolen von Pithekoussai und Megara Hyblaia bezeugen26. Am
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kenswerterweise stammen diese Anhänger aus Olympia und von Samos (ebd. Kat.-Nr. 809 u. Anm. 69). Zusammen mit einem weiteren, extrem kugelbauchigen Stück ohne Fundortangabe (ebd. Kat.-Nr. 808) verdeutlichen sie, daß verschiedenste Formen von Hennenanhängern mit wulstumrandeten Körperöffnungen in diversen griechischen und makedonischen Werkstätten produziert worden sein müssen. Daß sich außerdem fertigungstechnische und stilistische Merkmale bei den Werkstattzusammenhängen überschneiden, wird durch den Vergleich der nordmakedonischen Hennen mit Körperöffnungen einerseits und der oben definierten Gruppe korinthischer (?) Hennenanhänger des Typs „Pithekoussai“ andererseits deutlich. Bedauerlicherweise sind zum gegenwärtigen Moment weder die Vogelanhänger der Lika noch deren mutmaßliche Vorbilder näher zu datieren; für die Stücke aus der Nekropole von Prozor, zu denen allerdings keine Grabzusammenhänge überliefert sind, wird pauschal von einer Datierung im 6. Jh. v. Chr. ausgegangen (Kilian-Dirlmeier 1979, 138). Das Fehlen griechischer Prototypen im weiten Umkreis der Adria spricht nicht gegen diese Interpretation, sondern dürfte einerseits auf die Filterwirkung restriktiver Deponierungssitten zurückzuführen sein (entsprechend dem Befund in Mittel- und Südgriechenland sowie der Magna Grecia, wo Vogelanhänger nur äußerst selten in die Gräber gelangten), andererseits auch durch Forschungslücken sowie generellen Fundausfall bedingt sein. Pithekoussai/Grab 329 mit Hennenanhänger Typ „Pithekoussai“ (siehe oben Anm. 23). – Megara Hyblaia/Grab 660: Hahnanhänger Typ „Megara Hyblaia“ (siehe oben Anm. 12). – Ferner zwei einfache Vogelanhänger mit Rückenöse aus Megara Hyblaia (Grab 660: ebd. oben rechts; als Einzelfund: P. Orsi, Mon. Ant. 1, 1892, 910 Abb.). Entgegen bisherigen Bewertungen (Kilian 1975, 114; Kilian-Dirlmeier 1979, 147 Anm. 76) lassen sich die beiden zuletzt genannten Stücke auf Grund ihres markanten zylindrischen Stempelfußes nicht den Serien des griechischen Mutterlandes einschließlich Makedoniens zuschlagen, daher ist eine lokale Fertigung in einer großgriechischen Werkstatt zu vermuten.
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Golf von Napoli bzw. in dessen Hinterland kommt ferner ein nichtgriechischer Typ von Vogelanhängern mit Rückenöse vor (Typ „Cumae“: Abb. 5, 5)27. Sowohl die kanonische Ausbildung dieses Typs im indigenen Milieu als auch dessen prinzipielle Abhängigkeit von griechischen Vorbildern steht außer Frage28. In diesem geographischen Rahmen dürften auch die für die Übernahme dieser fremden Anhängerform zu erwartenden engen Beziehungen zwischen Griechen und Indigenen gegeben sein29. Als Ergebnis der Betrachtung können historischer Rahmen und Modalitäten der Rezeption einer gräko-makedonischen Anhängerform umrissen werden. Auf griechische Anregung hin kommt es an Adria und tyrrhenischem Meer bzw. in deren Hinterland sowie auf der Balkanhalbinsel zur Übernahme des ornithomorphen, insbesondere auch hahnenförmigen Anhängerschmuckes (mit Rückenöse). Dieser Vorgang gibt sich durch die Ausbildung stilistischer und fertigungstechnischer Eigenformen zu erkennen, die mehr oder weniger eng an die griechischen Prototypen angelehnt sind (Abb. 6). Die Rezeption figürlichen Anhängerschmuckes, die nicht nur auf vogelgestaltige Formen beschränkt ist30, muß als ein Akkulturationsphänomen bewertet werden. Am Caput Adriae kann der griechische Einfluß vor allem mittels des Keramikimports festgemacht werden. Der kontinuierliche Importstrom beginnt hier in den ersten Jahrzehnten des 6. Jahrhunderts v. Chr., wobei die Belege für die Zeit vor der Jahrhundertmitte noch spärlich ausfallen, danach aber massiv zunehmen31. Aus dem Synchronismus von griechischem Keramikimport 27
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Wichtigstes differenzierendes Stilmerkmal sind die in Schrittstellung wiedergegebenen Beine. Folgende Belege: Cumae (E. Gàbrici, Mon. Ant. 22, 1913, 74 Nr. 74 mit Fig. 21); Buccino/ Grab 207 (W. Johannowsky, Ann. Dip. Stud. Mondo Class. e Mediterraneo Ant. 7, 1985, Fig. 33, 6); Avellino-Mus. Irpino (Slg. Zigarelli, unpubliziert, zwei Exemplare). Für das Material aus der Sammlung Zigarelli ist eine Herkunft aus dem oberen Ofanto-Tal zu vermuten (B. D’Agostino, La civiltà del ferro nell’Italia meridionale e nella Sicilia. In: Popoli e Civiltà dell’Italia antica 2 [Roma 1974] 38). Der griechische Vogelanhänger aus Grab 329 von Pithekoussai wurde zusammen mit frühprotokorinthischer Keramik gefunden (G. Buchner/D. Ridgway [Anm. 23] 386–387 mit Taf. 126) und datiert daher in das letzte Viertel des 8. Jh. v. Chr. bzw. um die Jahrhundertwende (L. Hannestad, Acta Arch. København 67, Suppl. V/I, 1996, 44; 48; I. Morris ebd. 51–59). Von den Stücken des Typs „Cumae“ ist lediglich das Exemplar aus Grab 207 von Buccino zu datieren; der Fundverband gehört dem letzten Drittel des 7. Jh. v. Chr. an (W. Johannowsky, Ann. Dip. Stud. Mondo Class. e Mediterraneo Ant. 7, 1985, 115–121). Das leider ohne Kontext überlieferte Stück von Cumae unterstreicht schon durch seinen Fundort den skizzierten Zusammenhang. Es sei hier nur auf die Gruppe der Gefäßanhänger verwiesen: Kilian 1975, 111–112 mit Taf. 93 sowie Taf. 2, 2b; Kilian-Dirlmeier 1979, 216–228 mit Taf. 103B; 105B; 109, 17–26. Zusammenfassend: J. Pape, Die attische Keramik der Heuneburg und der keramische Südimport in der Zone nördlich der Alpen während der Hallstattzeit. Heuneburgstudien XI = Röm.-Germ. Forsch. 59 (Mainz 2000) 71–175 bes. Abb. 5; 8–9; 14–17; 24–26; vgl. besonders die diachron geordnete, nähere Aufschlüsselung der attischen Keramik: ebd. Abb. 6. – Für
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Abb. 6. Verbreitung der gräko-makedonischen Vogelanhänger mit Rückenöse (Dreieck) und der nichtgriechischen Derivate (Kreis). Nach Kilian-Dirlmeier 1979; ergänzt; Nachweise siehe Anhang
und Rezeption der Hahnanhänger erwächst ein zusätzliches Argument für den postulierten Zusammenhang. Die Rezeption hahnenförmiger Anhänger ist hierbei nicht das einzige Beispiel für eine Übernahme ikonographischer Vorlagen aus dem griechischen Repertoire in das einheimische Kunstschaffen dieser Zeit. So konnte O.-H. Frey den zur Frontalansicht gewendeten Kopf eines der Pferde auf dem Spiegel von Castelvetro auf Vorbilder in der griechischen Vasenmalerei zurückführen (Frey 1992, 99 mit Abb. 4). Auch die gegeneinanderspringenden Pferde einer estensischen Gürtelschließe32 lassen sich mit entsprechenden Vorlagen verbinden, wobei in diesem Falle Werke des
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Adria: G. Fogolari/B. M. Scarfì, Adria antica (Venezia 1970) bes. 33–36; M. De Min, Il museo archeologico nazionale di Adria (Padova 1988) 27–32. – Vgl. den Befund an der mitteladriatischen Westküste: zusammenfassend M. Landolfi, Die griechische Importkeramik. In: Die Picener. Ein Volk Europas, Katalog der Ausstellung Frankfurt/M. 1999–2000 (Roma 1999) 147–150. – Umstritten bleibt die These eines von Ostgriechen getragenen Adriahandels in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts v. Chr., für den es zwar eine historische Überlieferung (Herodot I, 163; RE VI [1999] 754 s. v. Korkyra Melaina [D. Strauch]) gibt, der bisher aber kaum archäologischen Niederschlag gefunden hat (M. Landolfi a.a.O. 148; siehe auch Frey [Anm. 17, 1984] 30–31 mit Anm. 8). Este-Casa Muletti Prosdocimi, Grab 257: A. M. Chieco Bianchi/L. Calzavara Capuis, Este I. Le necropoli Casa di Ricovero, Casa Muletti Prosdocimi e Casa Alfonsi. Mon. Ant. Monogr. 2 (Roma 1985) Taf. 244, 6. – Da sich bei dieser Bildkomposition die Vorderbeine der Tiere überschneiden, ist die Abgrenzung gegenüber älteren, wesentlich starreren antithetischen Darstellungen mit zentraler Lotosblüte resp. Punktrosette gegeben (vgl. z. B. ebd. Taf. 44, 39–41; 62, 38).
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Schaukelmalers (540–520 v. Chr.) in Betracht zu ziehen sind33. Im Vergleich zu diesen Beispielen aus dem Umkreis der Situlenkunst dürfte die Rezeption einer Anhängerform eine stärkere Motivation voraussetzen. Die archäologische Forschung ist sich über die Zugehörigkeit unserer Anhänger zur Kategorie der Amulette einig34. Schwieriger ist es dagegen, den konkreten Verwendungszweck zu eruieren35. Ein Blick auf die Fundkontexte erweist sich hier als hilfreich, da die unterschiedlichen Deponierungsarten einen einseitigen, explizit kontextbezogenen Verwendungszweck ausschließen. Die regelhafte Integration der Hahnanhänger in die regionalspezifischen Trachten36 und deren Überlieferung in Grabfunden bezeugt einerseits, daß es sich bei dieser Anhängergruppe (speziell bei den griechischen Exemplaren) nicht um reine Votive aus Devotionalienwerkstätten handelt (so schon Kilian-Dirlmeier 1979, 262). Andererseits verdeutlicht die Weihung von Hahnanhängern in den griechischen Heiligtümern, daß die Beigabe der gleichen Anhängergruppe in den Grabfunden nicht vordergründig durch Furcht vor Wiedergängern motiviert sein dürfte37. Der Gesamtbefund scheint mithin darauf hinzuweisen, daß die Hahnanhänger grundsätzlich zu Lebzeiten als Amulette getragen wurden38. Dementsprechend dürften die apotropäische und wohl auch die sakramentale Wirkung im Vordergrund gestanden haben. In diesem Zusammenhang wirft die schriftliche Überlieferung des antiken Griechenland überraschenderweise einiges Licht auf die Bedeutung des Hahnes. Als seine markanteste Eigenschaft wird der Kampfesmut, der sich in Aggressivität und Siegeswillen äußert, hervorgehoben. Außerdem verkündet sein Krähen, vor dem sich Löwen und Dämonen fürchten, den neuen Morgen. So verwundert es nicht, daß Hähnen und Hahnenbildern apotropäische Eigenschaften zuge33
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E. Böhr, Der Schaukelmaler. Kerameus 4 (Mainz 1982) 48–49 mit Taf. 49B; 59A; 61A; 193. – Die vorgeschlagene Abhängigkeit der Darstellung auf der Gürtelschließe von Este von den zitierten Vasenbildern des Schaukelmalers bezieht sich auf das Schema der Bildkomposition; die stilistische Ausführung (einschließlich der „inflationären“ Applikation von Flügeln) ist dagegen in der paläovenetischen Ikonographie verwurzelt. Pauli 1975, 117–119; Warneke 1999, 203. – Im Schema Paulis sind die Hahnanhänger der Kategorie „Amulette von äußerer, sinnfälliger Form“ zuzurechnen, die moderne Zeichentheorie würde von einem rhematisch-ikonischen Sinnzeichen sprechen: U. Eco, Zeichen. Einführung in einen Begriff und seine Geschichte (Frankfurt a. M. 1977) 35; 58–60; 75–76. Verwendungszwecke von Amuletten: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens I (Berlin, Leipzig 1927) 375 s. v. Amulett (F. Pfister); siehe auch Warneke 1999, 195. In der Sveta Lucija-Gruppe als Gehänge an Fibeln; im Dolenjsko-Kreis (und im Friaul) an Kompositgehängen mit sog. anthropomorphen Blechanhängern der Form C; in Makedonien an einem Halsgehänge (siehe unten Anm. 42). Die Ansprache von Amuletten in Grabfunden als Bannmittel gegen gefährliche Tote und zu früh Verstorbene favorisierte L. Pauli (1975 bes. 181–183). Diesbezüglich wäre auch auf Abnutzungsspuren zu achten, wie sie z. B. bei Hennenanhängern der nordmakedonischen Gruppe bezeugt sind: Kilian-Dirlmeier 1979, 143 (Nr. 804.808).
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schrieben wurden39. Im mitteleuropäischen Bereich muß die Bedeutung des Hahnes aus anderen Quellen erschlossen werden. Wie die späthallstattzeitlichen Tierknochenfunde von der Heuneburg zeigen (von den Driesch/Boessneck 1989, 150), kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, daß den Bewohnern des Caput Adriae das Haushuhn, und damit auch Hähne, im fraglichen Zeitraum bekannt waren. Darüber hinaus läßt der archäozoologische Befund auf eine Sonderstellung der Hühner im eisenzeitlichen Mitteleuropa schließen, die sich im geringen Anteil der Haushuhnknochen spiegelt40; Hühner dienten offensichtlich nicht als Nutztiere41. Der geschilderte Befund bietet zwar keine schlagkräftigen Beweise, eröffnet aber immerhin für die Hahnanhänger Griechenlands und des Caput Adriae die Möglichkeit einer ähnlichen semantischen Position, deren Umrisse sich in Schriftquellen und archäozoologischem Befund zu erkennen geben. Weitere Aussagen zur Verwendung unserer Hahnanhänger können vielleicht über eine Bestimmung der Trägergruppen erzielt werden. Bei der Analyse der Hahnanhänger des Caput Adriae zeigte sich deren Bindung an einen weiblichen Trägerkreis. Dieser Befund ordnet sich der im eisenzeitlichen Mitteleuropa zu konstatierenden Tendenz bei der Amulettbeigabe unter, wonach „unzweifelhaft die Kinder- und Frauengräber den überwiegenden Teil mit Amulettbeigabe“ stellen (so Warneke [1999, 196 mit Anm. 572] nach kritischer Prüfung der diesbezüglichen These Paulis [1975 bes. 152]). Dies kann auf eine erhöhte Schutzbedürftigkeit von Kindern, Jugendlichen sowie Frauen (besonders unter bestimmten Bedingungen) zurückgeführt werden (Pauli 1975, 160–161). Für die Verhältnisse bei den gräko-makedonischen Hahnanhängern stehen lediglich wenige Gräber aus Makedonien zur Verfügung, die ebenfalls einen weiblichen Personenkreis bezeugen42. Trotz dürftiger Quellenlage kann demnach neben einer semantischen (siehe oben) auch eine zei39
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RE V (1998) 750 s. v. Huhn (Chr. Hünemörder); RE V (1998) 78–79 s. v. Hahnenkampf (St. Müller); siehe auch Foltiny 1971, 68–69. von den Driesch/Boessneck 1989, 151; Pucher 1999, 60. Ein analoger Befund ist in Südwesteuropa zu konstatieren: J. Neumaier, Arch. Korrbl. 26, 1996, 167–172. A. von den Driesch und J. Boessneck weisen insbesondere auch auf ein Überwiegen von Hähnen unter den Haushuhnresten hin. In diesem Sinne ist wohl auch die verheilte Fraktur an einem der Hühnerknochen des Dürrnberg zu bewerten (Pucher 1999, 65). – Die Forschung sieht in der zahlenmäßig geringen Repräsentanz des Haushuhns Widerspiegelung einer Menagerie, wie sie durchaus an einem „Fürstenhof“ (z. B. Heuneburg) zu erwarten wäre: Neumaier (Anm. 40) 170. Aus Nordostspanien ist aber auch die Verwendung des Haushuhns als Bauopfer belegt (ebd.). Zugleich kann die regelhafte Tragweise an einem Halsgehänge erschlossen werden: KilianDirlmeier 1979, 133 (Nr. 729); 137 (Nr. 753); das Bild bestätigt sich bei der Einbeziehung weiterer gräko-makedonischer Vogelanhänger mit Rückenöse: ebd. 143 (Nr. 799); 145 (Nr. 818; 824); 146 (Nr. 825–826); 147 (Nr. 832).
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chenpragmatische43 Äquivalenz zwischen griechischem Vorbild und lokalen Derivaten vermutet werden. Dies wirft ein bezeichnendes Licht auf den Modus der Übernahme und damit auch auf den Charakter und die Intensität der griechisch-indigenen Kontakte im Hinterland des Caput Adriae. Abschließend sollen die Hahnanhänger des Caput Adriae in den Gesamtbefund der späthallstatt- und frühlatènezeitlichen Amulett- bzw. Anhängerverwendung eingebunden werden. An Hand seiner Untersuchungen stellte L. Pauli für diesen Zeitraum (Stufen Ha D2/3 und Lt A) eine verstärkte Amulettbeigabe heraus, an die er weiterreichende Interpretationen knüpfte (Pauli 1975 bes. 181; 197–201). Dem widersprach Th. F. Warneke, der sich auf eine Analyse der circumalpinen Metallanhänger des 8. bis 5. Jahrhunderts v. Chr. stützte, obwohl er sich der abweichenden Materialbasis durchaus bewußt war44. Lediglich drei der insgesamt 29 von ihm untersuchten Anhängerformen seien auf die hier interessierenden Zeitstufen beschränkt, weshalb das von Pauli gezeichnete Bild zurückzuweisen sei (Warneke 1999, 192–194). Der Großteil der späthallstatt- und frühlatènezeitlichen Anhängerformen (mehr als 20 Formengruppen) soll nach Warneke schon früher einsetzen (Warneke 1999 Abb. 94). Die Statistik Warnekes ist allerdings mit Problemen behaftet. So ist die Definition von Anhängerformen bisweilen zu weit gefaßt; etwa bei den zoomorphen Anhängern (Warneke Form-Nr. 19), die nicht nach ihrer unterschiedlichen Ikonographie getrennt erfaßt wurden, oder bei den sog. Miniaturgeräteanhängern (Warneke Form-Nr. 25), die verschiedene Funktionsgruppen umfassen. Infolgedessen wird die Datierung konkreter Anhängergruppen (Beile mit langem Schaft; Hahnanhänger) verzerrt45. Unverständlich bleibt auch, warum die klar umrissene Gruppe der handförmigen Anhänger unter die „Sonderformen“ subsumiert wurde und somit keinen Eingang in die Statistik gefunden hat (Warneke 1999, 169). Ferner können sowohl Schuh- als auch Körbchenanhänger nicht kommentarlos als Ha D1-Formen klassifiziert werden46. Wenn gerade noch jeweils ein Exemplar der Körbchenanhänger von
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„Zeichenpragmatik“ soll hier im behavioristischen Sinne verstanden werden: Ch. W. Morris, Grundlagen der Zeichentheorie. Ästhetik der Zeichentheorie (Frankfurt a. M. 1988) 52–63 bes. 54–56. Warneke 1999, 193. Beispielsweise finden Amulette aus organischen Materialien, wie z. B. Eberhauer (die auch als Anhänger getragen wurden), bei der Untersuchung Warnekes keine Berücksichtigung. Beile mit langem Schaft (Warneke 1999 Kat.-Nr. 157–158) sind nämlich auf die Frühlatènezeit beschränkt (ebd. 147). – Für die Hahnanhänger siehe oben (Anm. 3–7). So aber Warneke 1999 Abb. 94. – Es muß wohl einstweilen dahingestellt bleiben, ob die ansonsten ausschließlich in die späteste Hallstatt- und Frühlatènezeit zu datierende Gruppe der Schuhanhänger auf Grund des unpublizierten Fundensembles von Este-Benvenuti/Grab 79 schon wesentlich früher, nämlich um 600 v. Chr. belegt ist. Zumindest im verbalen Katalog des
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Padova, Este, Sveta Lucija und aus der Golaseccakultur (Albate) vor die Stufen „Este III-Mitte/Sveta Lucija IIb/Golasecca IIB“ datiert werden kann (nach der Zusammenstellung von Pabst-Dörrer 2000 Anm. 173), so verdeutlicht dieser Befund, daß die hier gut belegte Serie der Körbchenanhänger (Warneke 1999, 126–134 [Fundort Dürrnberg auf Karte Abb. 63 irrig kartiert]) nur wenig vor dem entsprechenden Stufenumbruch eingesetzt hat. Man wird sie daher kaum vor der Mitte des 6. Jahrhunderts v. Chr. ansetzen können (analog zu den Hahnanhängern; zur Chronologie siehe oben). Insgesamt bezeugt der Befund der Anhängerverwendung im Raum zwischen Caput Adriae und Mittelrhein eine verstärkte Hinwendung zu figürlichen Anhängern mit einer expliziten Ikonographie ab der 2. Hälfte des 6. Jahrhunderts. Dabei sind neben Eigenschöpfungen (massive anthropomorphe Anhänger mit Ringöse; Warneke 1999, 119–122 [abzüglich der Figur von Palazzolo Vercellese]) auch Übernahmen fremder Formen zu verzeichnen. Anhänger in Form einer Hand (Warneke 1999, 169) oder eines Beiles mit langem Schaft47 können auf italische Vorlagen zurückgeführt werden48, Hahnanhänger dagegen auf griechische. In den geschilderten Zusammenhang gehören auch die Schuhanhänger (Warneke 1999, 135–139 [Fundort Dürrnberg irrig kartiert auf Verbreitungskarte Abb. 68, außerdem Legende vertauscht]), die auf Grund von – freilich seltenen – Funden aus griechischen Heiligtümern49 möglicherweise auch auf griechische Anregungen zurückzuführen sind. Nicht zuletzt sind die schon zitierten Körbchenanhänger anzuführen, wobei vorerst offenbleibt, ob sie in einer Beziehung zu griechischen Eimeranhängern mit Korbhenkeln stehen (vgl. Kilian-Dirlmeier 1979, 241–242). Zusammenfassend können die hier untersuchten Hahnanhänger des Caput Adriae als lokale Umsetzung griechischer Vorbilder charakterisiert werden. Das Aufgreifen der hahnengestaltigen Anhängerform steht hierbei im weiteren Kontext einer verstärkten Hinwendung zu figürlichen Anhängern ab der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts v. Chr. Im Falle der Hahnanhänger dürften die Rezeptionsmodalitäten durch eine ähnliche Semantik bei Vorlage und
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Vorberichtes ist kein Schuhanhänger erwähnt (G. Ghirardini, Mon. Ant. 7, 1897, 13–140 [hier: Grab 26/1879–1880]). Siehe Anm. 45. Handanhänger: K. W. Beinhauer, Untersuchungen zu den eisenzeitlichen Bestattungsplätzen von Novilara (Frankfurt a. M. 1985) 474 mit Anm. 1295. – Beilanhänger mit langem Schaft: L. Drago, Arch. Classica 33, 1981, 70 mit Anm. 89–92; siehe auch Pauli 1975, 204 mit Anm. 472. Psychro-Diktäische Höhle: D. G. Hogarth, Annu. British School Athens 6, 1899–1900, 112 Fig. 46 (Eisen). – Ephesos-Artemision: ders., Excavations at Ephesos. The archaic Artemisia (London 1908) 118 mit Pl. 12, 11 (Silber).
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Nachbildung gekennzeichnet sein. Auch die Einbindung in den soziopsychologischen Rahmen (Trägergruppe) scheint identisch. Die auf griechische Stimulation zurückzuführende Übernahme der ursprünglich fremden Anhängerform läßt daher enge Kontakte zwischen Griechen und Indigenen vermuten. Diese Schlußfolgerung erscheint insofern bemerkenswert, da – im Unterschied zur Padana – am östlichen Caput Adriae bzw. dessen Hinterland kaum griechisches Importgut dieser Zeit belegt ist50. Die Betrachtung der Hahnanhänger kontrastiert somit einen defizitären archäologischen Befund51.
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K. Kromer, Jahrb. RGZM 33, 1986, 5–6 mit Abb. 2, 1–2; M. Egg, Das hallstattzeitliche Fürstengrab von Strettweg bei Judenburg in der Obersteiermark. Monogr. RGZM 37 (Mainz 1996) 269–272 mit Abb. 149, 1–4.6; F. W. v. Hase, Einige Überlegungen zum Fernhandel und Kulturtransfer in der jüngeren Hallstattzeit: Altitalien und Mitteleuropa. Tagung Regensburg 1994 (1998) 285–319 bes. 303–306; K. Mihovili³, Reichtum durch Handel in der Hallstattzeit Istriens. In: Handel, Tausch und Verkehr im bronze- und früheisenzeitlichen Südosteuropa. Tagung Berlin 1992 (München, Berlin 1995) 283–329 bes. 295–296 mit Abb. 15. Für eingehende Diskussion der Thematik danke ich Herrn Prof. Dr. A. Müller-Karpe, Universität Marburg.
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Anhang (Listen für Abb. 2; 4; 6) Abb. 2: Hahnanhänger des Caput Adriae. Typ „Pozzuolo“: Bitnje: St. Gabrovec, Arh. Vestnik 25, 1974, 289 mit Taf. 2, 6. – Brezje: Kromer 1959, 30 mit Taf. 35, 7. – Picugi/Pizzughi: J. Mladin, Diadora 9, 1980, 189 (Nr. 8) mit Abb. 2, 7 sowie unpubl. im Mus. Poreµ. – Pozzuolo del Friuli: P. Cassola Guidi/S. Vitri, Stud. Etruschi 50, 1982 (1984) 487 mit Fig. 18, 10. – Sv. Andrej mali (Istrien): F. Starè, Vjesnik Arh. Muz. Zagreb 4, 1970, 23 mit Taf. 2, 6. - Sveta Lucija: Teržan u. a. 1984/85, Taf. 253D8. – Vinkov vrh: V. Starè, Arh. Vestnik 24, 1973, 733 mit Taf. 4, 7. Typ „Sveta Lucija“: Sveta Lucija: C. Marchesetti, Scavi nella necropoli di S. Lucia presso Tolmino 1885–1892 (Trieste 1893) Taf. 24, 37; Teržan u. a. 1984/85, Taf. 277, 3. – Vinkov vrh: V. Starè, Arh. Vestnik 24, 1973, 733 mit Taf. 4, 6. Typ „Stiµna“: Kobarid/Caporetto/Karfreit: unpubl. Mus. Trieste. – Kompolje: G. Hiller 1991, Zur japodischen und liburnischen Früheisenzeit Nordwestjugoslawiens (Ungedr. Diss. Heidelberg 1991) 173 Abb. 54C. - Stiµna: Wells 1981 Fig. 137d.g.i. Abb. 4: Gräko-makedonische Hahnanhänger mit Rückenöse (nach Kilian-Dirlmeier 1979, 128–138 Taf. 103A; leicht modifiziert): Typ „Tegea“; „Thessalische Hähne“; „Makedonische Hähne“; Typ „Perachora“ (Anm. 10); Typ „Megara Hyblaia“ (Anm. 12); weitere Exemplare: Lindos, Kalydon (Anm. 11), Gevgelija (Kilian-Dirlmeier 1979 Kat.-Nr. 729), Rhetine (ebd. Kat.-Nr. 730). Abb. 6: Gräko-makedonische Vogelanhänger mit Rückenöse und nichtgriechische Derivate (nach Kilian-Dirlmeier 1979, 128–148; ergänzt). Gräko-makedonische Vogelanhänger mit Rückenöse: Hahnanhänger (siehe Liste zu Abb. 4); „Thessalische Hennen“ (Anm. 21); „Hennen mit runden Öffnungen im Körper“; Hennen vom Typ „Pithekoussai“ (Anm. 23); weitere Hennen: Olympia, Samos (Anm. 23), Pherai (Kilian-Dirlmeier 1979 Kat.-Nr. 793); nordmakedonische Vogelanhänger (Anm. 16); makedonisch-ostalbanische Vogelanhänger (Anm. 16); „Chalkidikische Gruppe“ (Kilian-Dirlmeier 1979 Kat.-Nr. 811–814); weitere Vogelanhänger: Megara Hyblaia (Anm. 26); Chauchitsa (Kilian-Dirlmeier 1979 Kat.-Nr. 825–826.832). Nichtgriechische Derivate: Vogelanhänger des Glasinac (Anm. 15); japodische Vogelanhänger (Anm. 18); Vogelanhänger Typ „Cumae“ (Anm. 27); Hahnanhänger des Caput Adriae (Liste zu Abb. 2).
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Nachtrag (23.09.2003) Thermi, Zentralmakedonien: E. Skarlatidou, Arch. Deltion Chronika 51, 1996 (2001) 437 mit Taf. 116a („Makedonischer Hahn“, Typ B nach Kilian-Dirlmeier); Toumba Paionias bei Polykastro, nördliches Zentralmakedonien: Arch. Reports 45, 1998–1999 (1999) 81 mit Fig. 95 (Hennenanhänger, dem nordmakedonischen Typ „Henne mit runden Öffnungen im Körper“ nahestehend); Belluno-Caverzano: A. Nascimbene, Caverzano di Belluno, Soc. Preist. e Protostor. Regione Friuli-Venezia Giulia Quad. 7 (Trieste 1999) Fig. 23, 253 (Hahnanhänger Typ „Sveta Lucija“) u. Fig. 23, 259–260 (Hahnanhänger Typ „Pozzuolo“) [ebd. 213 zwei unpublizierte Hahnanhänger von Quers d’Alpago, prov. Belluno, und Borso del Grappa, prov. Treviso, genannt]; Oppeano-Le Franchine: L. Salzani, Preistoria e Protostoria nella media pianura veronese (Oppeano 1985) 79 Fig. 108 (Hahnanhänger Typ „Pozzuolo”). Die Hahnanhänger der venetischen Fundstellen erweitern das Verbreitungsbild der betreffenden Anhängerformen gen Westen. Die Rezeption hahnengestaltiger Amulette ist dadurch auch für den paläovenetischen Kulturraum evident.
Abbildungsnachweis Abb. 1: 1 P. Cassola Guidi/S. Vitri, Stud. Etruschi 50, 1982 (1984) 485 Fig. 18, 10; 2 Wells 1981 Fig. 137i; 3 Teržan u. a. 1984/85 Taf. 277, 3. Abb. 3: 1 Kilian-Dirlmeier 1979 Taf. 37, 712; 2 ebd. Taf. 38, 721; 3 ebd. Taf. 39, 731; 4 ebd. Taf. 39, 728; 5 ebd. Taf. 40, 746; 6 ebd. Taf. 41, 748. Abb. 5: 1 ebd. Taf. 46, 815; 2 ebd. Taf. 47, 833; 3 ebd. Taf. 109, 2; 4 ebd. Taf. 109, 10; 5 E. Gàbrici, Mon. Ant. 22, 1913, 74 Fig. 21; 6 Kilian-Dirlmeier 1979 Taf. 41, 760; 7 F. Lo Schiavo, Il gruppo liburnico-japodico. Atti Accad. Naz. Lincei 1970, Mem. 8° XIV/6, 1970, Taf. 11,11; 8 ebd. Taf. 15, 17; 9 Kilian-Dirlmeier 1979 Taf. 43, 779. Abb. 6: Nach Kilian-Dirlmeier 1979, 128–148; ergänzt.
Anschrift des Verfassers: Olaf Dörrer Reitgasse 13–15 D-35037 Marburg
Studien zur Lebenswelt der Eisenzeit. RGA-E Band 40 – Seiten 455–472 © Copyright 2006 Walter de Gruyter · Berlin · New York
Germanische Keramik aus einem Grubenhaus in Klein Köris, Ldkr. Dahme-Spreewald von Bertram Faensen und Sven Gustavs Während der langjährigen Siedlungsgrabung in Klein Köris, Ldkr. DahmeSpreewald (ehemals Kr. Königs Wusterhausen), Fpl. 3 (Gustavs 1998) untersuchten die Verfasser 1989 einen Grubenhauskomplex1, der interessante Keramik enthielt und eine dendrochronologische Datierungsmöglichkeit zu eröffnen schien. Es zeigte sich aber, daß die beiden beprobbaren Kiefernpfostenbasen zum älteren Grubenhaus 31a gehören, das teilweise durch das Grubenhaus 31b überlagert wird, und daß, nach freundlicher Auskunft durch Herrn Dr. K.-U. Heußner (DAI Berlin), wegen zu kurzer Kurve bzw. zu unregelmäßigen Wuchses der Bauhölzer kein Dendrodatum ermittelt werden kann2. Dennoch halten wir es für lohnend, das Material in dieser Festschrift gesondert vorzulegen.
Das Grubenhaus 31b Der zunächst als Einheit erscheinende Befund Grubenhaus 31 auf dem Quadrat 452 maß im ersten klar begrenzten Umriß (Planum III bei lokaler Tiefe -5,25 m) 6,60 x 4,60/3,30 m. Nach weiterem Abtrag setzte sich in den Plana IV und V (Tiefe -5,40 m) besonders der schmalere östliche Teil durch dunklere Grubenfüllung und teils strukturierte Holzkohle im nördlichen Wandbereich z. T. sehr klar ab. Damit war zwischen einem abgebrannten älteren Grubenhaus (GH) 31a (Abb. 1, Signaturen 1 und, unsicher, 2), einer Variante des Typs D3, Zehnpfosten-GH, nach A. Leube (1992a, 140f.) und dem stratigraphisch jüngeren GH 31b (Abb. 1, Signaturen 3, 4 und, unsicher, 2) zu unterscheiden. Das GH 31b gehört zum Typ C1, Sechspfostengrubenhaus mit vorgestellten Firstpfosten, nach A. Leube. Sein nutzbarer Innenraum liegt zwischen 1
2
Beteiligt waren ferner Chr. Bogen, A. Lange, E. Otto, St. Pratsch. – Manuskriptabschluß: Herbst 2001. Zum Problem vgl. Hofmann 1997, 210ff. mit mehrfachem Bezug auf kaiserzeitliche Kiefernproben von Klein Köris.
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mindestens ca. 7,7 m2 (Maß an den Pfostenaußenkanten) und, eher(?), ca. 11,7 m2 (Maß nahe der Grubenkontur). Die Firstpfosten sind deutlich geringer eingetieft als die vier übrigen Pfosten (Abb. 1–2). Im nördlichen Viertel des Grundrisses können im Gegensatz zum Überschneidungsbereich mit GH 31a einige ergänzende Pfosten- und Stangenspuren (vgl. Gustavs 1998, 47ff.; Berg-Hobohm in Vorb.) dem Bau sicher zugeordnet werden. Durch ihren rechteckigen Umriß im Planum erweist sich die Stange 36 als Spaltstange entsprechender Zurichtung. Die meisten derartigen Spuren im Überschneidungsbereich (Abb. 1, Signatur 2; Abb. 2, ungefüllte Zeichen) lassen sich auch dem Grundriß des GH 31a einfügen; ihre Zuordnung bleibt daher unsicher. Bemerkenswert an dem leicht parallelverschobenen Grundriß ist erstens besonders die im Norden mit 0,3 m gering, im Süden mit 1,2 m dagegen sehr stark nach außen gelegte Position der Firstpfosten, die ähnlich z. B. bei den GH 6 und 19 in Waltersdorf, Ldkr. Dahme-Spreewald, auftritt (Krüger 1987, Abb. 10; 23), und zweitens die starke Verlagerung der Firstlinie aus der Mittelachse des Gebäudes nach Westen um 0,25 m im Norden und 0,48 m im Süden3. Bezieht man die Messung auf den gut auch in der Nähe der Grubenbegrenzung vermutbaren Wandverlauf, so ergeben sich fast die gleichen Werte. Wegen dieser starken Übereinstimmung ist der vermutete Wandverlauf wahrscheinlich richtig und die vorliegende asymmetrische Bauform so beabsichtigt gewesen, was auch andere Befunde nahelegen. Auf sechs brandenburgische Beispiele solcher Firstverlagerungen von Wolzig (ein GH), Waltersdorf (GH 6, 25, 30, 35), beide Ldkr. Dahme-Spreewald, und vom ehemaligen Tornow, Kr. Calau (GH 61), konnte bereits hingewiesen werden (Fischer/Gustavs 1993, 116f. Anm. 6). Weitere, ebenfalls kaiser-/völkerwanderungszeitlich datierte Analogien lassen sich auch in anderen Gegenden finden, z. B. in Walków, woj. Sieradz, Polen, Haus 23 (Abramek 1998, 213f. Abb. 14), West Stow, Großbritannien, SFB 55 und 63 (West 1985, 113ff.; 147; 149 Tab. 63–65 Fig. 184; 206) oder Flögeln, die Zweipfosten-GH 78 und 116 (Zimmermann 1992, 158ff. Abb. 123; 127) sowie das Sechspfosten-GH 93 (Zimmermann 1992 Abb. 133). Da GH-Grundrisse mit so ausgeprägt unterschiedlich stark vorgestellten und/oder erheblich aus der Gebäudeachse seitlich verlagerten Firstpfosten auch auf großflächig untersuchten Fundplätzen offenbar nur Einzelerscheinungen darstellen, die aber u. E. nicht generell zufälliger Natur sein können, werden sie von den zitierten Autoren weder gesondert benannt noch einem Deutungsversuch unterzogen. Den bei der Vorlage des Befundes von Wolzig, Ldkr. Dahme-Spreewald, zu diesem Punkt angestellten Überlegungen (Fischer/Gustavs 1993, 116ff.) kann daher z. Z. nichts Neues hinzugefügt 3
Maße auf Pfostenmitte bezogen.
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Abb. 1. Oben: Klein Köris, Ldkr. Dahme-Spreewald, Fpl. 3, Qu. 452. Grubenhaus (GH) 31b (alle Befunde dargestellt) überlagert GH 31a (nur wesentliche Befunde). Planum. 1 GH 31a, Umriß und Pfosten; 2 GH 31a?/GH 31b?; 3 GH 31b, sicherer Befund, Umriß und Pfostenloch mit Standspur; 4 GH 31b, zweitrangiger/fraglicher (?) Befund, erschlossener Umriß; 5 Holzkohle; 6 Steine; 7 gebrannter Lehm; 8 Lehm; 9 gelber Sand; 10 grau-braun, humos; 11 dunkelgraubraun, stark humos; Pfeil in Pfostenloch = Neigungsrichtung des Pf.; Schalenrand; Drehscheibenscherbe. Unten: Grubenhaus (GH) 31b überlagert GH 31a. Profile. Legende s. o.
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Abb. 2. Klein Köris, Ldkr. Dahme-Spreewald, Fpl. 3, Qu. 452. Bereich von Grubenhaus 31b. Befundtiefen, schematisch. Gefüllte Zeichen: Zugehörigkeit sicher (Lage); offene Zeichen: Zugehörigkeit fraglich, aber teilweise möglich (vgl. Text)
Abb. 3. Klein Köris, Ldkr. Dahme-Spreewald, Fpl. 3, Qu. 452. Grubenhaus 31b. Vereinfachter Grundriß. 1 Befund gesichert; 2 Zugehörigkeit gut möglich (Position im Grundriß und im Gefüge); 3 Zugehörigkeit noch möglich (Position zum Gefüge, vgl. Text)
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werden. Auch in Göritz, Ldkr. Oberspreewald-Lausitz, sind GH mit einseitig verlagerten Firstpfosten aufgetreten (Berg-Hobohm 1995, 88 Abb. 1; in Vorb.)4. S. G.
Katalog der Funde Vermischtes Fundmaterial aus den GH 31a und 31b (oberer Teil der Verfüllung, Planum II und III): Abb. 4,1: 1 RS einer Schale mit eingezogener Mündung, innen Abdruck eines Halmes; außen ocker, innen schwarzgrau; grob gemagert (452/2/1/1). Abb. 4,2: 1 BS; außen ziegelrot, innen schwarz mit Spuren von Verkohlung; mittelgrob gemagert (452/2/1/1). Abb. 4,3: 1 BS; ocker; grob gemagert (452/2/1/1). Abb. 4,4: 1 BS; dunkelgrau; fein gemagert (452/2/1/1). 1 BS (Teil einer Bodenplatte); Bdm. 6 cm; grau; grob gemagert (452/3/1/1). Abb. 4,8: 1 BS; Bdm. 5 cm; dunkelgrau; grob gemagert (452/3/1/1). Abb. 4,9: 1 BS; graubraun; mittelgrob gemagert (452/3/1/1). Abb. 4,14: 1 BS eines steilwandigen Gefäßes; Bdm. 8 cm; dunkelgrau; mittelgrob gemagert; mäßig glatt (452/3/1/1). 6 WS; ocker, rötlich, grau; fein bis mittelgrob gemagert (452/2/1/1). 16 WS; ocker, rotbraun, grau; grob bis sehr grob gemagert (452/3/1/1). Außerdem: einige Knochen (452/2/1/3; 452/3/1/3); etwas gebrannter Lehm (452/2/1/2; 452/3/1/2).
Fundmaterial, das vorzugsweise GH 31b zugeordnet werden kann (Westteil, mittlerer Teil der Verfüllung, Planum IV): Abb. 4,5: 1 BS; Bdm. 8 cm, ocker; grob gemagert (452/4/1/2). Abb. 4,12: 1 BS; Bdm. 10 cm; grau, innen dunkelgrau; grob gemagert; mäßig glatt (452/5/1/2). Abb. 4,10: 1 WS (Schulter), unterhalb des Randes feine waagerechte Linie; dunkelgrau; fein gemagert; glatt (452/4/1/2). 7 WS; hellrotbraun; mittelgrob gemagert (452/4/1/2). Außerdem: 1 Fragment eines Sandsteins, glatt, ohne erkennbare Bearbeitungsspuren (452/4/1/4); einige Knochen (452/4/1/3).
Fundmaterial, das mit Bestimmtheit GH 31b zugeordnet werden kann (unterer Teil der Verfüllung, Planum V–VI): Abb. 4,15: 1 Oberteilfragment eines scheibengedrehten Gefäßes mit gerundeter Schulter, kurzem Hals und T-förmig verbreitertem Rand mit leichter Kehlung, auf der Schulter schwach eingetiefte Verzierung: horizontal umlaufende Furchen, dazwischen einzeilige zickzackförmige Wellenlinien; den Halsabsatz markiert ein kleines schwach gezogenes Kannelurenband; Mdm. ca. 28 cm; Wst. 0,55–0,75 cm; graue Farbe; Bruch ebenfalls einfarbig grau; leicht rauhe Oberfläche; sehr fein gemagert; hart gebrannt (452/4/1/1).
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Frau Dr. Berg-Hobohm danke ich für die Erlaubnis zur Einsichtnahme in das Manuskript.
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Abb. 4,16: 1 Oberteilfragment einer kleinen Schale mit scharfen Bauchumbruch, leicht einwärts geschweifter Schulter und Randlippe; unter dem Umbruch Punktrosetten, alternierend mit strichgefüllten senkrechten Kehlen; Mdm. 8,5 cm; grau; mittelgrob gemagert; mäßig glatt (452/6/1/2). Abb. 4,7: 1 RS eines Topfes mit umgebogenem Rand; Mdm. 17 cm; dunkelgrau; fein gemagert; glatt; hart (452/5/1/2). Abb. 4,6: 1 RS eines Kumpfes, Wischspuren; Mdm. 20,5 cm; schwarzgrau; mittelgrob gemagert; mäßig glatt (452/6/1/1). 1 kleine RS eines Kumpfes; ocker; mittelgrob gemagert (452/6/1/1). 1 BS (Teil einer Bodenplatte); Bdm: 5,5 cm; braungrau; sehr grob gemagert (452/5/1/2). Abb. 4,13: 1 BS; Bdm. 7 cm; grau; fein gemagert; glatt (452/6/1/1). Abb. 4,11: 1 WS eines Siebgefäßes; Lochdm. 0,55 cm; dunkelgrau-rötlich gefleckt, innen rötlich; mittelgrob gemagert (452/5/1/2). 10 WS; ocker, dunkelgrau; fein bis grob gemagert (452/5/1/2). 5 WS (1 sekundär gebrannt); ocker, ziegelrot, dunkelgrau; sehr fein-grob gemagert (452/6/1/1). Außerdem: 2 mittelalterliche WS aus einer Störung (452/5/1/2); etwas Schlacke (452/5/2/2); einige Knochen (452/5/1/5; 452/6/1/4; 452/6/2/5); Knochenbrand (452/5/2/1); etwas gebrannter Lehm (452/5/1/3; 452/6/2/4).
Die große, weitgehend homogen erscheinende dunkle Verfärbung im Quadrat 452 zeichnete sich erst im unteren Bereich als Verfüllung von zwei Grubenhäusern aus. Der Fundstoff aus dieser Verfüllung wurde zwar nach Ost- und Westteil getrennt; dennoch dürfte es gerade in den oberen Plana und im Überschneidungsbereich zur Vermischung von Funden gekommen sein. Nicht alle Stücke können deshalb sicher einem der beiden Grubenhäuser zugewiesen werden. Allgemein gilt: Funde aus der Verfüllung im östlichen Teil sind vornehmlich dem älteren Grubenhaus 31a zuzuweisen; Funde aus dem westlichen Teil dürften vor allem aus dem jüngeren Grubenhaus 31b stammen. Die Keramik beider Häuser läßt von der Machart her keine Unterschiede erkennen. Es handelt sich in erster Linie um einfach gearbeitete Siedlungsware, die im allgemeinen oxidierend gebrannt und von mäßiger Härte ist. Die Magerung ist meist grob, die Oberflächenbehandlung nachlässig. Aus der Verfüllung kamen auch kleinere Fragmente von Drehscheibenkeramik zum Vorschein. Auch an anderen Stellen der Siedlung fand sich vereinzelt jene scheibengetöpferte Ware (Müller 1984, 45), die Klein Köris mit anderen spätkaiserzeitlich-frühvölkerwanderungszeitlichen Fundplätzen der Luboszyce-Kultur im Spree-Dahme-Gebiet verbindet. Allein im Raum von Berlin und südlich davon sind dank intensiver bodendenkmalpflegerischer Begehungen mittlerweile über 100 Fundstellen mit „grauer“ Keramik registriert, die zumeist auf Siedlungsplätzen entdeckt wurde (Fischer 1989, 19 Abb. 1; Schuster 1998, 209 Verbreitungskarte). Die Scherben gehören im allgemeinen zu Formen, die im östlichen Brandenburg und Sachsen verbreitet waren. Diese Drehscheibenkeramik taucht unvermittelt zu Beginn des 3. Jahrhunderts auf. Frühe Beispiele können in
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die Stufe C1a und C1b datiert werden und stellen oft wellenverzierte Schalen dar, die unverkennbar von Gefäßen der Przeworsk-Kultur beeinflußt worden sind. J. Schuster (1998, 204f.) bezeichnet deshalb den Zeitraum des Auftretens dieser Schalen als „Importhorizont“. Mögen in dieser frühen Phase der späten Kaiserzeit die Gefäße noch teilweise importiert worden sein, so sehen die meisten Forscher in der Ware der folgenden Zeit seit etwa ab Mitte des 3. Jahrhunderts ein bodenständiges Spektrum und schließen die Fertigung in lokalen Werkstätten nicht aus (Krüger 1987, 93; Schuster 1998, 205). Von einer massenhaften Produktion kann aber zumindest im östlichen Brandenburg nicht die Rede sein; der Anteil der scheibengedrehten Keramik an der Gesamtkeramik auf gründlich untersuchten Fundplätzen in diesem Gebiet ist zu gering. So erbrachte die Ausgrabung der germanischen Siedlung im ca. 20 km von Klein Köris entfernten Waltersdorf lediglich 69 Scherben (Krüger 1987, 83). Im Verhältnis zu Waltersdorf ist die gedrehte Keramik in Klein Köris zwar etwas häufiger vertreten, doch ist ihr Anteil noch immer minimal. Insgesamt kamen aus GH 31a und GH 31b neben über 150 Scherben handgearbeiteter Keramik vier scheibengedrehte Fragmente zum Vorschein. Drei dieser Scherben, die alle offenbar aus der Verfüllung des älteren Grubenhauses 31a stammen, dürfen trotz starker Fragmentierung den bekannten Formen ostbrandenburgischer Drehscheibenkeramik des 3./4. Jahrhunderts zugeordnet werden. Hierzu zählen in erster Linie unverzierte Schalengefäße mit betontem Umbruch und breiten Kanneluren im Oberteil. Eine Zusammenstellung der Typen übernahm J. Schuster (1998, 205f.). Die Scherben dieser Schalen sind dünnwandig, von grauer oder schwarzer z. T. glänzender Färbung, im Bruch grau oder rötlich (siehe auch Müller 1984, 45f.). Eine Zusammenstellung des Formenbestandes scheibengedrehter Keramik und ihrer Datierung in der Luboszyce-Kultur fehlt bisher, doch hat es den Anschein, als würden von o. g. Schalen abweichende Formen nur sehr selten vorkommen; die Drehscheibenkeramik ist doch ziemlich homogen und typenarm, sieht man von Gefäßen aus dem „Przeworsker Importhorizont“ einmal ab. Um so bemerkenswerter und sehr ungewöhnlich ist deshalb die reich verzierte Scherbe aus Grubenhaus 31b (Abb. 1,; 4,15). Das verhältnismäßig dickwandige Gefäß mit dem prägnanten T-förmig verbreiterten Rand und einem Mündungsdurchmesser von etwa 28 cm stellt vielleicht einen Vorratsbehälter dar. Solche Gefäße sind für die ostbrandenburgisch-ostsächsische Drehscheibenkeramik untypisch und bisher unbekannt. Ähnlichkeiten in den Merkmalen Gefäßform, Randform und Verzierung gibt es hingegen in der Keramik ost- und südosteuropäischer Kulturen. Die nächsten Analogien finden sich in der Siedlungskeramik der schlesischen Przeworsk-Kultur. Die Verbindungen dorthin werden vornehmlich über
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die Verzierung an Großgefäßen offenkundig, für die M. Jahn (1925, 150) den Begriff „Krausen“ eingeführt hat. Jahn wies erstmals auf die Zugehörigkeit dieser Behältnisse zur wandalischen Kultur und ihre völkerwanderungszeitliche Datierung hin; zuvor waren sie auf Grund der Verzierung und der harten Brennweise als slawisch angesehen worden (vgl. auch Richthofen 1928, 85). Eine erste Übersicht zum Bestand oberschlesischer Krausen gab Freiherr von Richthofen (1928, 73ff.), der in den bis zu einem Meter hohen Gefäßen große Vorratsbehälter erkannte (vgl. auch Godłowski 1977, 182). Die schlesischen Krausen sind in vielen Fällen an Rand- und Schulterpartie, z. T. auch auf dem Unterteil reich verziert. Als häufigste Motive nennt von Richthofen (1928, 86) „die einzeilige oder mehrfache Wellenlinie und die umlaufende Furche“, die wie auf dem Klein Köriser Gefäß oft nur schwach eingetieft sind. Seiner Datierung der oberschlesischen Gefäße in das 4. Jahrhundert ist die Forschung weitgehend gefolgt. Gibt es auch bezüglich der Ornamentik starke Übereinstimmungen, so hat die Form des Klein Köriser Gefäßes mit der herkömmlichen Vorstellung von Krausen, die nach Definition von Richthofens (1928, 74) eine „kugelig gewölbte Schulter, einen engen Hals und ausladenden verdickten, meist oben abgeplatteten Rand“ besitzen, nur wenig gemein. Die Krausen in Schlesien und die in Randgestaltung und Verzierung davon zu unterscheidenden Krausen der Przeworsk-Kultur in Kleinpolen weisen zwar eine große Typenvielfalt auf, doch gibt es kein wirklich ähnliches Vergleichstück zu unserem Gefäß. Es fehlt ihnen vor allem der hier so charakteristische T-förmige Rand, doch gibt es auch hinsichtlich der Größe und Technologie Unterschiede. Die schlesischen Krausen sind dickwandiger, vor allem im Randbereich. Sie wurden unter Verwendung eines groben Tons gedreht, manchmal auch nur manuell zusammengeleimt (Richthofen 1928, 86; Trudzik 1971, 190), haben eine rauhe Oberfläche und nehmen deshalb innerhalb der Przeworsker Drehscheibenkeramik eine Sonderstellung ein. Lediglich in der Keramik der Siedlung Toporow, pow. Wielu¾ (Kaszewska 1966, 184 Taf. V 6), die aber nur noch sehr begrenzt Einflüsse der Przeworsk-Kultur erkennen läßt, zeigt ein einzelner Vorratsbehälter formenkundliche Merkmale unseres Gefäßes (Abb. 5,1). Den nach beiden Seiten hin verbreiterten Rand weisen in Schlesien hingegen weite Schüsseln der Variante 5 nach Godłowski (1977, 171) auf. Im Rahmen einer zusammenhängenden Arbeit über die Drehscheibenkeramik der Przeworsk-Kultur hat H. Dobrza¾ska (1980, 98ff.) solche Gefäße ihrer Gruppe VIII zugeordnet. Die Verbreitungskarte (Dobrza¾ska 1980, 101) zeigt allerdings, daß diese Keramik in Schlesien eher selten auftritt, sich in Kleinpolen hingegen einer großen Beliebtheit erfreute. Dort sind es vor allem die Schüsseln mit eingeglätteten Motiven des Typs VIII/4, die durch ihre Rand-
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form unserem Gefäß nahestehen (Abb. 5, 2). Im Töpfereizentrum Igołomia, Woj. Kraków, wurden der Gruppe VIII/4 entsprechende Schüsseln von Typ 15 offenbar palettenweise hergestellt. Einige weisen T-förmige Ränder mit leichter Kehlung auf, die beinahe identisch mit dem des Klein Köriser Gefäßes sind (Dobrza¾ska 1990a, 152 Taf. LXXII 8.14). Ihre Randbreiten schwanken zwischen 2,0 und 3,5 cm (Dobrza¾ska 1990b, 36f.). Zum Vergleich: unser Exemplar würde sich mit einer Breite von 2,3 cm gut einfügen. Auch von anderen großen Fundstellen in Kleinpolen, wie z. B. in Jakuszowice, woj. Kielce, oder Nowa Huta, woj. Kraków, wurde eine ganze Anzahl weiterer Gefäße dieses Typs mit stark verbreitertem Rand bekannt (Rodzi¾ska-Nowak 1992, 209 Abb. 2; Ganc-Kwany 1997, 45 Abb. 8, 12). Sie werden ebenso wie die Krausen als Vorratsbehältnisse interpretiert (Dobrza¾ska 1990b, 36f.). Hinsichtlich der Datierung lieferten vor allem die Ausgrabungen in Igołomia Ergebnisse. Dort wurde der Nachweis für eine frühe Produktion in den Stufen C1b und C2 erbracht (Dobrza¾ska 1990b, 36f.). Eine Verwendung der Schüsseln bis in die frühe Völkerwanderungszeit ist von anderen Fundplätzen belegt (Rodzi¾ska-Nowak 1992, 208). Allgemein wird mit einer weiten Verbreitung der Keramikgruppe in den Stufen C2–D gerechnet (Dobrza¾ska 1980, 100; Ganc-Kwany 1997, 63). Was den Vergleich mit unserem Gefäß betrifft, so lassen Randform und Größe dieser Schüsseln – ihr Durchmesser beträgt zwischen 20 cm und 36 cm (Dobrza¾ska 1990b, 36f.) – gute Entsprechungen erkennen, doch fehlt es an Übereinstimmungen in den Merkmalen Gefäßprofil (Przeworsker Schüsseln meist mit scharfem Umbruch) und Verzierung (dort Glättmuster). Ein Blick über die Grenzen der Przeworsk-Kultur hinaus zeigt, daß sich auch in der Keramik benachbarter Kulturen einige interessante Vergleichsbeispiele zu unserem Gefäß finden lassen. Nicht nur in der polnischen, auch in der slowakischen, russischen, ungarischen und rumänischen Forschung steht dabei die „Krause“ als terminus technicus allgemein für ein meist scheibengedrehtes, häufig wellenverziertes Großgefäß mit stark bauchiger Schulter und verdicktem Rand. In dieser weitverbreiteten Gruppe treten sporadisch auch weniger gebauchte Gefäße mit kurzer Halszone und T-förmigem Rand auf. Diese jungkaiserzeitlichen Krausengefäße gehen auf Formen zurück, die in west- und ostkeltischen Gebieten seit der späten Latène-Periode im Gebrauch waren (Lamiová-Schmiedlova 1969, 476). Für ein Weiterleben in ehemals keltischen oder keltisch beeinflußten Gebieten bis in die ältere römische Kaiserzeit hinein gibt es hingegen nur wenige Anhaltspunkte. Bemerkenswerte Exemplare von Krausen mit einem T-förmigen Rand gibt es im älterkaiserzeitlichen Zusammenhang in der Siedlung Šebastovce-Barca, Bez. Košice, in der Südostslowakei (Lamiová-Schmiedlova 1969, 462 Abb. 41).
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Das häufige Auftreten von krausenartigen Gefäßen seit dem 3. Jahrhundert in Siedlungen ost- und südosteuropäischer Kulturen geht offenbar auf Einflüsse aus dem dakischen Kulturkreis, z. T. vielleicht auch der sarmatischen oder ukrainischen Lipica-Kultur zurück, wo die Herstellung von Drehscheibenkeramik während des 1. und 2. Jahrhunderts nicht in Vergessenheit geraten war (Lamiová-Schmiedlova 1969, 476; Trudzik 1971, 182). Von Interesse mag die Produktion solcher Vorratsgefäße in der karpatischen Kurgan-Kultur der Südukraine sein. In der Siedlung Peµenižin, Bez. Kolomyja, konnten aus Töpferöfen große Fragmente geborgen werden (Vakulenko 1977, 28 Taf. XV), deren Ähnlichkeit betreffs der Gefäßform mit abgesetztem Hals und der Randbildung verblüffend ist (Abb. 5,3). Krausengefäße mit T-förmigem Rand sind auch aus Siedlungen der gotischen ernjachov-Kultur (Levada/Dudek 1999, 151) und der der rumänischen Schwesterkultur von Sîntana de Mure bekannt (Abb. 5,4), wo verschiedentlich auch die Abfolge von ein- oder mehrreihiger Welle bzw. Zickzack-Verzierung mit Furche beobachtet werden kann (IoniË° 1966, 207 Abb. 14,1). Auch im Milieu der geto-dakischen Kultur sind solche Krausen nicht unbekannt, stehen aber offenbar im Zusammenhang mit der Ausbreitung der Sîntana de Mure-Kultur (Bichir 1984, 35). In der Siedlung Udeni in der Walachei wurde ein Fragment eines riesigen Gefäßes aus dem 4. Jahrhundert ausgegraben, das in der Proportion und vor allem in der Verzierung eine gewisse Ähnlichkeit zu unserm Gefäß aufweisen kann (Bichir 1984 Taf. XXVII Nr. 2). Die Beispiele zeigen, daß die seltene Form der Krause mit Halszone und T-förmigem Rand eine weite Verbreitung in den osteuropäischen Kulturen des Karpatenraums gefunden hat. Ihre chronologische Stellung zu bestimmen bereitet allerdings Schwierigkeiten, da die ausgegrabenen Siedlungen kaum Anhaltspunkte für eine genaue Datierung boten. Die Töpferöfen der Siedlung der karpatischen Kurgan-Kultur in Peµenižin konnten mit Hilfe der archäomagnetischen Methode in die Mitte des 3. Jahrhunderts datiert werden (Vakulenko 1977, 69). Die Gefäße der ernjachovSîntana de Mure-Kultur können entsprechend dem Auftreten dieser Kulturen allgemein der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts und dem 4. Jahrhundert zugeordnet werden. Neben den Krausengefäßen gibt es noch eine weitere Keramikgruppe, die ebenfalls Merkmale unseres Klein Köriser Gefäßes aufweist. Es handelt sich um Dreihenkelgefäße der ernjachov-Sîntana de Mure-Kultur, wie sie vor allem von Fundplätzen in den schwarzmeernahen Gebieten der Ukraine, Moldawiens und Rumäniens bekannt wurden, wohingegen sie in der ernjachovKultur an Dnjestr und Bug eher selten sind (Levada/Dudek 1999, 149f.). Sowohl die Gefäß- als auch die Randform zeigen bei einigen Exemplaren eine bemerkenswerte Verwandtschaft zu unserem Gefäß (Abb. 5,5–6). Bei den
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Dreihenkelgefäßen gilt es zwischen zwei Typen zu unterscheiden: hohe vasenförmige Gefäße, wie z. B. aus der Nekropole von Kamenka-Dneprovskaja (Grab 38; Symonoviµ 1955, 285 Abb. 2, 9; vgl. auch Bažan/Gej 1992, 156 Indikator Nr. 61) und niedrigere Schüsseln wie z. B. aus Tîrgor bei Ploieti (Grab 66; Diaconu 1965 Taf. XLI; vgl. auch Bažan/Gej 1992, 156 Indikator Nr. 57). Nach B. Magomedov (1997, 40) kommen die hohen Gefäße im südwestlichen Verbreitungsgebiet der ernjachov-Kultur vor und lassen sich am ehesten auf geto-dakische bzw. dako-thrakische Vorbilder zurückführen. Die Prototypen der niedrigen Dreihenkelschüsseln sieht Magomedov (1997, 39) hingegen in handgetöpferten Formen, die im östlichen Verbreitungsgebiet der PrzeworskKultur zum Ende der frührömischen Kaiserzeit auftraten. Im Kontaktgebiet zur ernjachov-Kultur gaben sie in der frühen Phase der Herausbildung die Anregung für eine im folgenden selbständig verlaufende Entwicklung der Stücke, die später mit Hilfe der Töpferscheibe hergestellt wurden. Auf eine scheinbare zeitliche Diskrepanz ist bereits verwiesen worden (Levada/Dudek 1999, 150). Die Dreihenkelgefäße müßten demnach charakteristisch für die früheste Phase der ernjachov-Kultur sein, fehlen jedoch gerade in dieser Zeit in genauer datierbaren Komplexen. Die Typologie und Chronologie dieser Gefäße, wie überhaupt der Keramik der ernjachov-Kultur ist aber noch wenig geklärt. Forschungen zur relativen Chronologie ausgewählter Fundstellen zeigen allerdings, daß sowohl die hohen vasenförmigen Dreihenkelgefäße als auch Schüsseln mit T-förmigem Rand bisher nicht als chronologische Indikatoren für die früheste Phase dieser Kultur angesehen werden. Die hohen Gefäße sind für die dritte Phase der ernjachov-Kultur bezeichnend, die mit der Stufe C2a verbunden werden kann, wobei es allerdings auch schon Belege in der Stufe C1b gibt (Gräberfeld in Oselivka; Bažan/Gej 1992, 153). Die Dreihenkelschüsseln wiederum lassen sich der vierten Phase der ernjachovKultur zuordnen, die der Stufe C2b und teilweise C3 angehört (Bažan/Gej 1992, 153). Es muß weiteren Untersuchungen vorbehalten bleiben, die genaue Entwicklung dieser Gefäßgruppe zu untersuchen und die Arbeitshypothese Magomedovs zu überprüfen. Insgesamt kann festgehalten werden: 1.) Gefäß- und Randform des Klein Köriser Stücks zeigen eine Affinität zu Dreihenkelgefäßen der ernjachovSîntana de Mure-Kultur; 2.) Die Randform begegnet außerdem bei glättverzierten Schüsseln der Przeworsk-Kultur in Kleinpolen; 3.) Die Verzierung ist charakteristisch für schlesische Krausengefäße bzw. Vorratsbehälter ostund südosteuropäischer Kulturen, teilweise auch der ausgeprägte T-förmige Rand. Eine Einordnung unseres Gefäßes fällt schwer; es kann keiner dieser Gruppen wirklich zugewiesen werden. Vielmehr hat es den Anschein, als wären
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Abb. 4. Klein Köris, Ldkr. Dahme-Spreewald, Fpl. 3, Qu. 452. Fundmaterial aus Grubenhaus 31b (vgl. Katalog). – Länge des Balkens 2 cm
Ausprägungsmerkmale von verschiedenen Keramikgruppen, die einerseits in der Przeworsk-Kultur, andererseits in der ernjachov-Sîntana de Mure-Kultur auftreten, in unserem Gefäß kombiniert. Daraus resultiert die Frage, ob es sich um ein echtes Importstück oder eine lokale Nachbildung handelt, bei der der Hersteller unterschiedliche ihm aus der östlichen Drehscheibenkeramik vertraute Elemente in einem Gefäß verband. Die Außergewöhnlichkeit des Stücks im Kontext der ostbrandenburgischen Drehscheibenkeramik spricht m. E. eher für ein Importstück. Das relativ dickwandige Gefäß, vielleicht ein Speichergefäß, war für Transportzwecke gut geeignet und dürfte den Weg aus dem östlichen Europa über die Flüsse Oder, Spree und Dahme nach Klein Köris gefunden haben. In diesem Zusammenhang mag es von Interesse sein, daß
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Abb. 5. Gefäße mit T-förmigem Rand. 1 Toporow; 2 Igołomia; 3 Peµenižin; 4 Botoani; 5 Kamenka-Dneprovskaja; 6 Tîrgor. – Verschiedene Maßstäbe
Krausen vom schlesischen Typ entfernt von ihrem eigentlichen Verbreitungsgebiet auch im nördlichen Großpolen angetroffen wurden. In der Siedlung Giecz wurden mehrere Wandungsscherben dieser dort fremdartigen Gefäße entdeckt, die die bereits bekannte Dekorabfolge von Welle mit Furche zeigen (|ychli¾ski 1999, 194f.; 199 Taf. 2, 2–4). Die importierten Gefäße werden als Transportbehälter interpretiert und ihre Zeitstellung in die Stufen C2 bzw. C3 gesetzt (|ychli¾ski 1999, 193). Damit kommen wir zur Frage der Datierung unseres Gefäßes, die nicht einfach zu beantworten ist. Der Rand bildet zwar ein auffälliges stilistisches Merkmal, taugt aber nur bedingt als chronologisches Indiz. Der gleichmäßig auf beiden Seiten verbreiterte Rand mit leichter Kehlung tritt in der Drehscheibenkeramik der Przeworsk- und ernjachov-Kultur nicht vor der Stufe C1b auf und ist vor allem bezeichnend für die darauffolgende Stufe C2, kann allerdings auch noch in der frühen Völkerwanderungszeit vorkommen. Die abwechselnde Furchen- und Wellenverzierung des Drehscheibengefäßes spricht aber gegen eine allzu frühe Zeitstellung. Krausen vom schlesischen Typ werden traditionell spät eingestuft, d. h., sie werden nicht vor der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts datiert (Trudzik 1971, 182; Ganc-Kwany 1997, 63) und vielmehr dem 4. und frühen 5. Jahrhundert zugeordnet. So bietet sich für unser Gefäß wohl am ehesten ein Ansatz für die Zeit um 300 n. Chr. oder die erste Hälfte des 4. Jahrhunderts an, doch ist auch eine etwas jüngere Zeitstellung nicht auszuschließen. Ein Blick auf die handgearbeitete Keramik des Grubenhauses sei noch gestattet. Aus der Verfüllung kamen vornehmlich Scherben von Töpfen (Abb. 4,7) und Gefäßen mit eingezogenem Rand (Abb. 4,1.6) zum Vorschein. Diese repräsentieren das allseits bekannte einheitliche Spektrum spätkaiser-
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zeitlicher Siedlungskeramik, erlauben aber keine zuverlässige Datierung. Einzig die große Scherbe eines rosettenverzierten Schälchens mit der seltenen Anordnung des Ornaments auf dem Gefäßunterteil (Abb. 1,; 4,16) ist herauszuheben. Die Rosettenzier weist die Bindung des Schälchens zum elbgermanischen Kulturkreis aus. Die Verbreitung dieser Verzierung, jüngst von M. Hegewisch (2001, 289 Abb. 3) untersucht, zeigt, daß sie weiter östlich, in der Keramik der Luboszyce-Kultur und der Przeworsk-Kultur, keine Aufnahme gefunden hat. Lediglich aus den großflächigen Siedlungsgrabungen von Waltersdorf (Krüger 1987, 78 Abb. 64a Nr. 9) und Tornow-Lütjenberg (Warnke 1973, 131 Abb. 66, 195) konnte jeweils eine einzelne Schalenscherbe mit Punktrosetten gefunden werden, die dem Klein Köriser Schälchen zur Seite gestellt werden können. Der zeitliche Schwerpunkt der Gefäße mit Rosettenzier liegt im gesamten 3. Jahrhundert (Gaedtke-Eckardt 1991, 39; Hegewisch 2001, 290), doch auch in das 4. und 5. Jahrhundert läßt sich noch eine Vielzahl derart dekorierter Gefäße datieren. Das Miniaturgefäß selbst ahmt wohl eine jungkaiserzeitliche „Schalenurne“ nach. Zu den Formen mit gewölbter Wandung, scharfem Umbruch, eingezogener Schulter und ausgebogenem oder geradem Rand gibt es nur wenige direkte Vergleichsstücke. Sie kommen im Bereich der Luboszyce-Kultur vor (Leube 1970, 48f. Abb. 2b), daneben vor allem im nördlichen Elbegebiet. Einige Schalen aus der Prignitz und den großen westmecklenburgischen Urnenfeldern in Perdöhl und Pritzier (Schuldt 1976, 24f.) oder dem Gräberfeld auf dem Pfingstberg bei Helmstedt in der Altmark (Gaedtke-Eckardt 1991, 159 Taf. 2 Grab 15; 149 Taf. 8 Grab 59) verkörpern diesen Typ. Diese Schalen werden als typologisch jünger angesehen und können einem fortgeschrittenen Abschnitt der Jungkaiserzeit, dem 4. Jahrhundert, zugeordnet werden (Schuldt 1976, 25; Gaedtke-Eckardt 1991, 67). Es zeigt sich, daß die kleine Schale den für das Drehscheibengefäß gefundenen zeitlichen Ansatz in etwa unterstützt. Die starken östlichen und westlichen Einflüsse, die während der späten Kaiserzeit im germanischen Material ostbrandenburgischer Fundplätze nachweisbar sind, haben ihre Spuren auch in der Keramik von Klein Köris hinterlassen. Die kulturellen Verbindungen werden in dem kleinen Fundkomplex von GH 31b in einzigartiger Weise sichtbar. Impulse aus dem (Nord?)Westen zum elbgermanischen Kulturkreis manifestieren sich in einem kleinen rosettenverzierten Schälchen. Das Drehscheibengefäß wiederum ist ein direktes Zeugnis für enge Handelsbeziehungen, die sich bis über das Gebiet der Przeworsk-Kultur hinaus erstreckt haben können. Einzelne Importfunde aus der ernjachov-Kultur, darunter auch ein glättverziertes Zweihenkelgefäß mit ausladendem Rand, das in der Siedlung Herzsprung, Kr. Angermünde, gefunden wurde und das die Ausgräber in das frühe 5. Jahrhundert setzen, spiegeln
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jedenfalls Kontakte der Germanen im östlichen Brandenburg mit den Goten während der ausgehenden Kaiserzeit und frühen Völkerwanderungszeit wider. Vielleicht gab ja die Einführung und Kenntnis solcher Drehscheibengefäße, wie sie in Klein Köris oder in Herzsprung gefunden wurden, Anregungen bei der Herstellung der eigenen Keramik. Solche Impulse können in bestimmten Merkmalen der handgearbeiteten und scheibengetöpferten Keramik des 4./frühen 5. Jahrhunderts vermutet werden, wie z. B. breit umgelegten teilweise plattenförmigen Rändern (Leube 1992b, 124 Abb. 8, 16). Namentlich ein verziertes Schalengefäß aus Fern-Neuendorf, Ldkr. Teltow-Fläming, mit leicht T-förmigem Rand sei erwähnt (Leube 1970, 148f. Abb. 2a). Das Klein Köriser Gefäß erweitert unsere Kenntnis über die Drehscheibenkeramik im östlichen Brandenburg und belegt, daß Austauschbeziehungen und Verbindungen zu Kulturen des Ostens, die auch im Feinschmiedefund von Klein Köris nachgewiesen wurden (Gustavs 1989, 174f.), über die Anfangsphase der Luboszyce-Kultur hinaus aufrechterhalten blieben. B. F.
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Abbildungsnachweis Abb. 1–3: Entwurf S. Gustavs, Potsdam, computertechnische Bearbeitung I. Tauber, Rostock. Abb. 4: B. Faensen, Berlin. Abb. 5: 1 nach Kaszewska 1966 Taf. V, 6; 2 nach Dobrza¾ska 1990a Taf. LXXII 8; 3 nach Vakulenko 1977 Taf. XV 2; 4 nach IoniË° 1966 Abb. 14, 1; 5 nach Symonoviµ 1955 Abb. 2, 9; 6 nach Diaconu 1965 Taf. XLI.
Anschriften der Verfasser: Dipl.-Prähist. Bertram Faensen Veteranenstr. 23 D-10119 Berlin Sven Gustavs Lindenstr. 27 D-14467 Potsdam
Studien zur Lebenswelt der Eisenzeit. RGA-E Band 40 – Seiten 473–485 © Copyright 2006 Walter de Gruyter · Berlin · New York
Die Entdeckung einer neuen Kategorie von Keramik aus der Völkerwanderungszeit in Großpolen1 von Tadeusz Makiewicz Die seit 1997 in Großpolen durchgeführten baubegleitenden Grabungen bei der Errichtung der Autobahn A2 haben zu zahlreichen aufschlußreichen Entdeckungen geführt und neue Fundstellen von weitreichender Bedeutung freigelegt. So wurden bei diesem Projekt ausschließlich Fundstellen der jüngeren vorrömischen Eisenzeit, der späten Römischen Kaiserzeit sowie der Völkerwanderungszeit bekannt, was auf ein Fehlen von Siedlungen der frühen Römischen Kaiserzeit schließen ließ. Diese Vermutung wurde durch weitere Befunde im Verlauf der Grabungstätigkeit bestätigt. Von höchstem Interesse waren dagegen andere Beobachtungen, denen die nachfolgenden Ausführungen gelten. Bei der Durchsicht des Fundgutes aus zwei beim Autobahnbau entdeckten Fundstellen, den beiden Siedlungen Fst. 5 Konarzewo, Kr. Pozna¾, und Fst. 9 Beznazwa, Kr. Koło, konnten Fragmente einer für Großpolen bisher unbekannten Ausprägung scheibengedrehter Keramik identifiziert werden. Seit der ersten Autopsie bestand kein Zweifel daran, daß es sich dabei um eine unbekannte Tonware innerhalb der Przeworsk Kultur Großpolens handelt. Innerhalb dieser Kultur waren bisher neben der überwiegend freihandgeformten Ware zwei andere Varietäten von gedrehter Keramik bekannt: a) Die sogenannte graue Keramik, gekennzeichnet durch sehr gute Tonbehandlung ohne Magerung und durch eine geglättete Oberfläche. Innerhalb der Fülle von Formen dominieren vasenförmige Gefäße verschiedener Art. Nachweisbar ist diese Keramik zu Beginn der spätrömischen Kaiserzeit; wobei ihr Anteil im Fundgut Großpolens sehr gering ausfällt und nur ausnahmsweise einen Anteil von 0,5–1,5 % übersteigt2.
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Manuskriptabschluß: Herbst 2001. Für das Gebiet Großpolens: Makiewicz 2001; hier Forschungsstand und weitere Literaturangaben.
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b) Sehr große, dickwandige Vorratsgefäße, sogenannte Krausengefäße, mit verdickten Rändern (2–6 cm), bei denen nur das Oberteil abgedreht ist, das oft mit einem Band aus Wellenlinien und umlaufenden Furchen verziert ist3. Die als neu herausgestellte Keramik weicht in ihrem Duktus vor allem in technologischer Hinsicht stark von beiden bisher bekannten Arten der Drehscheibenkeramik ab. Manchmal ist sie sogar früh- oder spätmittelalterlicher Keramik ähnlich, andererseits bestehen im Tonmaterial deutliche Übereinstimmungen zu den Krausengefäßen.
Keramikfunde Bisher lassen sich für die hier vorgestellte Keramik Beispiele aus sechs Siedlungen nachweisen (Abb. 3), von denen wir in unserem Beitrag vier berücksichtigen und die Beispiele aus den beiden anderen noch unbearbeiteten Plätzen vorerst zurückstellen. Diese Keramik ist für sich genommen sehr heterogen. Sie unterscheidet sich deutlich von der „grauen“ Keramik, steht andererseits in bezug auf Oberflächenbehandlung und Tonzusammensetzung den großen Vorratsgefäßen – Krausengefäßen – nahe. Hervorzuheben ist, daß die nachfolgend vorgestellten Beispiele aus allen vier Fundstellen aus geschlossenen Komplexen (Wohngruben oder Brunnen) stammen und daß keine der betreffenden Fundstellen Sachgut frühmittelalterlicher Zeitstellung enthielt, was die Möglichkeit einer sekundären Vermischung ausschließt. Zudem besteht innerhalb der Tonbeschaffenheit ein deutlicher Unterschied zu slawischer Keramik.
Beznazwa, Fst. 9, Kr. Koło Die Wohngrube, Befund 380, enthielt u. a. das Fragment eines mit Hilfe einer Schablone auf der Töpferscheibe geformten Gefäßes (Abb. 1,6), drei Randscherben von abgedrehten Töpfen (Abb. 1,1–2.4) und vier Wandungsscherben mit Abdrehspuren. Weiterhin gefunden wurden ein Randfragment eines eiförmigen, am Rand abgedrehten Topfes (Abb. 1,3) und zwei handgeformte Böden mit Achsabdrücken der Drehscheibe (Abb. 1,7–8). Andere Gruben enthielten auch Scherben von Krausengefäßen, eine sehr große Menge von
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Es steht keine zusammenfassende Bearbeitung dieser Kategorie der Keramik zur Verfügung. Eine umfassende Charakteristik für Oberschlesien: Godłowski 1977, 182ff.; siehe auch: v. Richthofen 1928.
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Abb. 1. Scheibengedrehte („spätantike“) Keramik aus Großpolen. 1–8 Beznazwa, Kr. Koło, Fst. 9; 9–10 Konarzewo, Kr. Pozna¾, Fst. 5
Scherben handgemachter Keramik sowie eine Glasperle und wahrscheinlich einen Spinnwirtel.
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Borzejewo, Fst. 22, Kr. sroda Wielkopolska Fragment einer kleinen, halbkugelförmigen Schüssel mit schräg abgeschnittenem Rand, auf der Schulter mit stark eingetieften, umlaufenden Furchen verziert (Abb. 2,1). Das Bruchstück ist dunkelgrau und hat eine rauhe Oberfläche, im oberen Teil sind deutlich Abdrehspuren erkennbar. Auf dieser Fundstelle wurden keine anderen Befunde der Przeworsk Kultur freigelegt.
Dziernica, Fst. 35, Kr. sroda Aus einer Wohngrube (Befund 128) stammen zwei Fragmente von abgedrehter Keramik sowie Scherben von handgemachter Keramik.
Konarzewo, Fst. 5, Kr. Pozna¾ Eine Wohngrube (Befund 440) und das Fundgut aus drei Brunnen (Befunde 500, 930 und 1450) enthielten die Fragmente nachfolgend beschriebener drehscheibengefertigter Gefäße: a) Großes Gefäßoberteil eines eiförmigen Topfes mit deutlich erkennbaren Abdrehspuren unter dem abgeschrägten Rand, im unteren Teil handgefertigt. Die Schulter ist verziert mit zwei Bändern, darin Einzelwellenlinien, die Oberfläche ist ziegelfarbig und infolge der Magerung rauh bis feinkörnig ausgebildet (Abb. 1,9) (im Material aus anderen Befunden wurden später Fragmente von gleichartigen Gefäßen gefunden). b) Oberteil eines großen Topfes mit rauher Oberfläche und Ornament in Form einer plastischen, umlaufenden Leiste, Farbe dunkelgrau, feine bis mittelkörnige Magerung. c) Randfragment mit einem Deckeleinschnitt und Abdrehspuren. d) Fragmente eines ziegelfarbigen Gefäßoberteiles, mit Ähnlichkeit zur Tonware aus den frühmittelalterlichen Phasen D und E. e) Fünf Fragmente von unterschiedlichen Gefäßumbrüchen, verziert mit umlaufenden Furchen, graubraune Farbe. f) Zwei Wandscherben mit umlaufenden Furchen, dunkelgraue Farbe, deutliche Abdrehspuren (Abb. 1,10). g) Bauchfragment mit sorgfältig geglätteter Oberfläche, mit breiten Furchen verziert. Auf den Furchen deutliche Abdrehspuren, braune Farbe. h) Wandscherbe eines dünnwandigen Gefäßes mit geglätteter Oberfläche, verziert mit schmalen Furchen, deutlich erkennbare Abdrehspuren.
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Die Auswahl der scheibengedrehten Keramik aus vier Befunden ist zahlenmäßig noch gering, sie wird sich in Zukunft nach Bearbeitung weiterer Belege aus Dziernica und Konarzewo noch vergrößern. Technologische Übereinstimmungen bestehen in der Gestaltung der Oberfläche, die bis auf zwei Ausnahmen gerauht wurde, die Farbgebung der Keramik wechselt zwischen ziegelfarbig, braun, dunkelgrau und graubraun. Typisch ist die fein- und mittelkörnige Magerung. Trotz des stark fragmentierten Erhaltungszustandes der Keramik repräsentiert sie offenbar nur zwei Gefäßtypen: a) Eine halbkugelförmige Schüssel mit breiten Furchen und einer Leiste ist nur durch ein Gefäß aus Borzejewo vertreten; b) Alle übrigen Fragmente stammen von eiförmigen Töpfen mit unterschiedlicher Randgestaltung. Die Gefäßabdrehung kann das Gefäßoberteil einnehmen oder sich nur auf den Randbereich beziehen, mehrere handgeformte Böden weisen Achsabdrücke auf, verschiedene Scherben enthalten umlaufende Furchen. Ihre beiden unterschiedlichen Arten ähneln früh- und spätmittelalterlichen Furchen.
Funde aus anderen Regionen der Przeworsk Kultur Die Präsentation einer neuen Keramikkategorie für Großpolen zieht zwangsläufig die Frage nach deren Provenienz und erkennbaren Kulturzusammenhängen nach sich. Bereits seit langem ist Keramik vom gleichen Typus aus Ober- und Niederschlesiens sowie Kleinpolen bekannt. Die folgende Auflistung enthält einschlägige Beispiele in der Reihenfolge ihrer Freilegung und Veröffentlichung.
Oberschlesien Für Oberschlesien hat als erster Bolko Freiherr von Richthofen solche Keramik erkannt und publiziert (v. Richthofen 1926, 193ff.; 1928, 80ff.), wobei er auch Krausengefäße erfaßt hat. Aus dem Fundbestand von Siedlungen und Gräberfeldern wie heute Ligota, Chorula und Tarnów hat er entsprechendes Keramikmaterial als pseudomittelalterlich ausgesondert. Nach den Abbildungen bei von Richthofen zu urteilen, haben sich darunter Scherben von Rändern mit Einschnitten, ähnlich den Fragmenten aus Konarzewo, und Bauchfragmente mit umlaufenden Linien sowie eine Scherbe mit Wellenlinienornament befunden, wie sie jetzt aus Großpolen bekannt wurden. K. Godłowski äußerte sich seinerzeit skeptisch zur Annahme einheimischer gedrehter Ke-
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Abb. 2. Scheibengedrehte („spätantike“) Keramikschalen aus Großpolen und Niederschlesien. 1 Borzejewo, Kr. sroda; 2–3 Niedwiednik; 4 Rosocznica, beide Kr. Z~bkowice sl~skie
ramik der Völkerwanderungszeit und schloß nicht aus, daß es sich dabei um eine spätere Vermischung von Fundkomplexen handele. Andererseits hielt er es durchaus für möglich, für Schlesien mit der Existenz einer bis dahin unbekannten, provinzialrömischen Keramik zu rechnen (Godłowski 1977, 190). In späterer Zeit wurden aus diesem Gebiet keine vergleichbaren Funde mehr veröffentlicht.
Niederschlesien Im Jahre 1938 hat W. Boege keramisches Material aus einigen Siedlungen Niederschlesiens vorgestellt (Boege 1938). Als charakteristisch hob er eiförmige Töpfe mit Wellenlinien, oft mit umlaufenden Furchen, und ausbiegenden oder abgerundeten Rändern und deutlich erkennbaren Abdrehspuren hervor. Diese Gefäße waren braun, braungrau oder ziegelfarbig, besaßen rauhe Oberfläche, und der Ton war fein bis körnig gemagert. Obwohl datierende Metallgegenstände in diesen Siedlungen fehlten (Boege 1938, 53), datierte Boege die
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Abb. 3. Fundstellen mit scheibengedrehter („spätantiker“) Keramik aus Großpolen. 1 Beznazwa, Kr. Koło; 2 Borzejewo, Kr. sroda; 3 Dziernica, Kr. sroda; 4 Konarzewo, Kr. Pozna¾; 5 Pawłowo, Kr. Gniezno; 6 Sowinki, Kr. Pozna¾
Keramik in die zweite Hälfte des 4. und in das 5. Jahrhundert, wobei ihm eine Ähnlichkeit zu slawischer Keramik auffiel (Boege 1938, 54ff.). Dieser Problematik widmete sich auch S. Pazda, indem er für Drehscheibenware technologische Unterschiede auf Grund ihrer Fertigung beobachtete. Er stellte fest, daß unter den gedrehten Gefäßen, der sogenannten rauhen „grauen“ Keramik, Töpfe mit verdickten Rändern überwiegen, die häufig mit Wellenlinien aus Kammstichen sowie umlaufenden Furchen verziert sind. Die Gefäßoberfläche ist rauh, mit deutlich sichtbarer, fein- und mittelkörniger Magerung. Die sogenannte III. Gruppe nach Pazda umfaßt Tonware, die der rauhen Keramik sehr ähnelt, doch weniger stark abgedreht ist. Sehr typisch sind tiefe eingeritzte, breite Furchen. Neben Töpfen umfaßt das Formenspektrum auch kleine, konische oder halbkugelförmige Schüsseln, jeweils mit Furchen und Leisten auf dem Oberteil. Demnach repräsentieren diese Keramik ebenfalls zwei unterschiedliche Gefäßarten, eiförmige Töpfe und Schüsseln (Abb. 2,2–4). S. Pazda nennt zahlreiche Siedlungen mit solcher Tonware (Pazda 1980, 193ff.), denen er später noch weitere Nachweise aus der Umgebung von Brzeg (Brieg) anschließt (Pazda 1994, 124). Er geht davon aus, daß in der Endphase der Prze-
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worsk Kultur in Niederschlesien nach einem Niedergang der leistungsfähigen Produktion als Zeugnis eines eigenständigen Handwerkes nun kleine verstreut angelegte Werkstätten auf niedrigerem technischen Niveau produzierten (Pazda 1980, 205ff.). Inzwischen sind zahlreiche Siedlungen mit solcher Keramik bekannt geworden und in Vorberichten publiziert, auf die hier nicht eingegangen werden soll.
Kleinpolen Von Richthofen nennt in der bereits zitierten Arbeit für Kleinpolen auch Beispiele von sogenannter pseudomittelalterlicher Keramik aus der Siedlung in Skawina bei Kraków (v. Richthofen 1928, 90). Ähnliches Keramikmaterial hat J. Marciniak aus der Siedlung in Złota, Kr. Sandomierz, vorgelegt (Marciniak 1948, 249ff.). Mit diesem vergleichbar sind Scherben aus dem Töpferofen von Jakuszowice, unter denen sich auch ein Bodenfragment mit Bodenzeichen befindet (Rodzi¾ska-Nowak 2001, 319 Abb. 8, 3–5).
Die Chronologie und Herkunft der abgedrehten Keramik Die Literaturübersicht hat gezeigt, daß sich der Nachweis der hier vorgestellten Keramikkategorie nicht auf Großpolen beschränkt, sondern daß sie innerhalb von Siedlungen der Przeworsk Kultur auch aus Nieder- und Oberschlesien sowie Kleinpolen vorliegt. Darüber hinaus dürfte auch in Mehrkulturfundstellen mit dieser Keramik zu rechnen sein, wenn sie auch aus solchem Zusammenhang weniger deutlich zugeordnet werden kann. Einschlägige Nachweise aus Siedlungen in Niederschlesien bieten zumindest einen Anhaltspunkt für diese Annahme. S. Pazda datiert diese Keramik in die Phase D, vor allem in die zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts und vermutet eine Nutzung noch im 5. Jahrhundert (Pazda 1980, 108ff.). Das wurde von K. Godłowski mit den Worten kritisiert, daß „die Kriterien der Datierung der spätrömischen Keramik nicht so stark begründet sind, daß man sich darauf als auf einer völlig sicheren Grundlage der präzisen Bestimmung der Fundstellenchronologie stützen kann“ (Godłowski 1985, 120). Auf Grund eigener intensiver Studien an einschlägigem Material ist jedoch von ausreichend Analogien für diese Keramikkategorie der Przeworsk Kultur auszugehen. Gleiche Gefäße treten im ostalpinen Kreis, in Kärnten, Tirol, Slowenien und Friaul auf. Aus dem Kastell Boiotro in Passau hat R. Christlein
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eine Variante dieser Keramik identifiziert und in die Literatur als „Horreumkeramik“ eingeführt (Christlein 1979). Von großer Bedeutung für die Kenntnis und Bewertung der Drehscheibenkeramik waren die Keramikstudien für das Kastell Invillino in Italien (Bierbrauer 1987). Die hier als ostalpine, spätantike Grob- bzw. Hauskeramik bezeichnete Ware wurde umfassend von V. Bierbrauer analysiert. Inzwischen liegen neuere Untersuchungen mit Keramik von weiteren Plätzen vor wie aus Duell, Hemmaberg, Kathreinkogel, Teurnia, Innsbruck, aber auch von zahlreichen Fundstellen in Slowenien4. Für die spätantike Grobkeramik unterscheidet V. Bierbrauer stilistisch zwei Gruppen, nämlich „Schüssel/Schale“ und „Topf/Becher“, wobei wegen der starken Fragmentierung der Siedlungsware eine Gefäßzuordnung vor allem mit Hilfe der Ränder erfolgt (Bierbrauer 1987, 189ff.). Andererseits bestehen Anzeichen darauf, Keramik nach einzelnen Fundstellen zu unterscheiden, das wäre eine Vorgehensweise, die hier ausgeklammert werden kann. Vielmehr ist hervorzuheben, daß im Fundgut der spätantiken Ware grundsätzlich nur zwei unterschiedliche Gefäßgruppen vorkommen, nämlich eiförmige Töpfe und Schüsseln, analog zur Przeworsk Kultur. Für die Verzierung von Töpfen sind einfache Wellenlinien oder Kammstichbänder typisch, üblich sind auch umlaufende Furchen und Kammornamente (oft auch an der Innenwandung). Kleine Schüsseln sind vor allem mit Furchen und Leisten unter dem Rand verziert, seltener mit Wellenmotiven. Hervorzuheben ist, daß diese spätantike Keramik präzise Analogien für die Schüsseln aus Borzejowo und Niederschlesien enthält. Auch in bezug auf Farbe, Tonbeschaffenheit mit rauher Oberfläche und Magerung besteht Übereinstimmung mit der ostalpinen Keramik. Im Ostalpenraum ist diese Keramik ausschließlich im Gebrauch der römischen Bevölkerung, die in gefährlichen und unruhigen Zeiten in kleine Kastelle flüchtete, und kann auch optisch von der gleichzeitigen germanischen Keramik des Umlandes unterschieden werden. Für die Chronologie sind die Resultate aus den Untersuchungen von Invillino verbindlich, wo in einer 1. Phase mit geringen Besiedlungsspuren nur Ränder vom Typ IIIa vorliegen. Massenhaft von hier bezeugt ist spätantike Drehscheibenkeramik aus dem Zeitraum vom Ende des 4. bis zum Beginn des 7. Jahrhunderts. Gleiches Alter, d. h. 5.–6. Jahrhundert, wird unter Bezug auf historische Daten für die Keramik der Plätze Duell, Hemmaberg oder Lavanter Kirchbühl angenommen. Übereinstimmend wird für die Tonware aus diesen Orten von ihrer Fertigung in kleinen, lokalen Werkstätten nach örtlichem Bedarf ausgegangen, was geringfügige Abweichungen in der kera4
Wichtigste Veröffentlichungen zu diesem Thema: Bierbrauer 1987; Cigleneµki 1984, 2000; Ladstätter 2000, 130ff.; Rodriguez 1988; 1992; 1997; Steinklauber 1990; Sydow 1997.
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mischen Fertigung von Werkstatt zu Werkstatt einschließt (Bierbrauer 1987, 209ff.; Ladstätter 2000, 157ff.).
Ausblick Der Nachweis einer neuen Drehscheibenkeramik aus Großpolen, die sich deutlich von der Produktionstradition der sogenannten „grauen“ Keramik unterscheidet, doch Ähnlichkeit mit den Krausengefäßen aufweist (ähnliche Rohstoffart, Oberflächenbearbeitung und teilweise Verzierung), gab Anlaß zur Suche nach weiteren Analogien. Es konnte nachgewiesen werden, daß gleiche Keramik auch auf dem Gebiet Oberschlesiens und Kleinpolens und sehr zahlreich in Niederschlesien vorkommt. Weitere Forschungen führten zu ostalpinen Analogien von überraschend später Zeitstellung. Materialvergleiche konnten nachweisen, daß die betreffende Keramik aus Großpolen sowohl hinsichtlich Gestalt, Verzierung und Ausführungstechnik als auch in bezug auf den Toncharakter mit der ostalpinen, spätantiken Hauskeramik identisch ist. Sie ist sehr spät und wird in den Zeitraum vom Ende des 4. Jahrhunderts bis zum Ende des 6. Jahrhunderts n. Chr. datiert. Inzwischen liegen für die Siedlung in Konarzewo drei dendrochronologische Daten für das Holz aus den Brunnen (Eiche) vor. Die Bäume für den Bau der Brunnen wurden in den Jahren 348, 350 und 351 gefällt5. Die Siedlung bestand demnach um das Jahr 350 n. Chr., in einer Zeit, für die nach gegenwärtigem Kenntnisstand für Großpolen von intensiver Entvölkerung ausgegangen wird. Die entsprechende Drehscheibenkeramik gelangte demnach in der letzten Nutzungsphase in die Brunnen und verbindet sich vielleicht mit Opfern, die in der Brunnenumgebung vor der Verschüttung vollzogen wurden. Die Keramik ist auf jeden Fall jünger als die Brunnen, wenn auch deren Nutzungsdauer nicht eindeutig zu bestimmen ist. Der Sachstand der Siedlung enthielt auch die barbarische Nachahmung einer Münze (Siliqua) Constantinus II. aus der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts n. Chr., ein Zeitansatz, der ausgezeichnet mit den dendrochronologischen Daten übereinstimmt. Das Ende der Siedlung ist derzeit nicht genau anzugeben. Eine unweit entfernte Siedlung in Podłoziny, Kr. Pozna¾ MIT EINEM Ösenring hunnischer Herkunft hat demnach noch in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts n. Chr. bestanden. Obwohl die hier vorgestellte Keramik erst seit kurzem bekannt ist, ist ihre Zahl aus sechs Fundstellen nicht als gering einzuschätzen. Ihre Datierung und 5
Die Proben wurden von Dr. M. Kr~piec bearbeitet.
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ihr Vorkommen ausschließlich in Siedlungen unterstützt die Annahme eines späten Siedlungshorizontes der Przeworsk Kultur, in der zweiten Hälfte des 4. und im 5. Jahrhundert, dessen Ende derzeit nicht zu bestimmen ist. Die Beschäftigung mit dieser Keramik zieht Anregungen und neue Aufgaben nach sich. Vordringlich ist dabei die Erfassung aller einschlägigen Nachweise sowie deren technologische und typologische Untersuchung. Weiterhin gilt es zu klären, auf welche Art und Weise die Kenntnisse über die Produktion dieser Keramik während einer ausgesprochen unruhigen Zeit in das Gebiet der Przeworsk Kultur gelangt sind. Wahrscheinlich ist nicht von Importen auszugehen, sondern vermutlich haben Handwerker, die Kenntnis der langsamdrehenden Töpferscheibe besaßen, die Produktion dieser Keramik eingeführt. Dafür sprechen Fundnachweise aus Niederschlesien und sehr große technologische Unterschiede der einzelnen Erzeugnisse. Auch wenn typisch ostalpine Zierelemente fehlen, entsprechen die Gefäßformen denen des Herkunftsgebietes. Derzeit ist es noch zu früh, um über den Mechanismus der Übertragung Genaueres ausführen zu können. Dazu müssen auch Datierungslücken erklärt werden. Sie äußern sich etwa darin, daß die betreffenden keramischen Erzeugnisse in Polen, für deren Fertigung die Technologie im weitesten Sinne des Wortes importiert wurde, um wenigstens 50 Jahre früher auftreten als im ostalpinen Gebiet. Der hier verfolgte Zusammenhang hebt einen Anteil der einschlägigen Drehscheibenkeramik aus Schlesien hervor, der lange nicht richtig eingeschätzt und kaum zur Kenntnis genommen worden ist, insbesondere bezüglich der von B. v. Richthofen, W. Boege und S. Pazda vorgeschlagenen Chronologie, die – wie es sich erneut erwies – richtig erkannt wurde.
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Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. Tadeusz Makiewicz Os. Jana III Sobieskiego 6/68 PL-60-688 Pozna¾ Polen
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Studien zur Lebenswelt der Eisenzeit. RGA-E Band 40 – Seiten 487–564 © Copyright 2006 Walter de Gruyter · Berlin · New York
Homo patiens in der Eisenzeit in Nordwest- und Mitteldeutschland Eine Zusammenstellung paläopathologischer Befunde1 von Wolf-Rüdiger Teegen Der Titel Homo patiens ist dem gleichnamigen Buch des Heidelberger Medizinhistorikers Heinrich Schipperges (1985) entnommen. Ihm hat er den Homo compatiens gegenübergestellt. Beide betreffen die Kernaussage des vorliegenden Beitrages: Der leidende und geduldige Mensch der Eisenzeit, der einer Vielzahl von Krankheiten ausgesetzt war, steht im Mittelpunkt der Betrachtungen. Auf der anderen Seite darf der mitleidende, pflegende Mensch nicht vergessen werden. Letzterer ist in der Regel nur indirekt durch den versorgten Menschen faßbar. Nur selten wird der pflegende Mensch im archäologischen Befund greifbar. Für die Eisenzeit (Künzl 1991) und Römerzeit (u. a. Como 1925; Grimm 1936; Künzl 1983; 1989) sind dies Ärzte bzw. Heilkunde, die durch die sogenannten Ärztegräber (s. u.) aus dem Dunkel der Geschichte auftauchen. Ihre Namen wissen wir in der Regel jedoch nicht. Nach der grundlegenden Definition von R. L. Moodie (1923) wird die Wissenschaft, die sich mit dem Studium von Verletzungen und Krankheiten der prähistorischen und historischen Menschen und Tiere befaßt, Paläopathologie genannt. Es handelt sich um einen interdisziplinären Wissenschaftszweig, der sich der Methoden und Erkenntnisse der Medizin, Anthropologie und Archäologie bedient. Archäologische Skelettfunde repräsentieren wichtiges primäres Quellenmaterial, das im Sinne von Ä. Kloiber (1957) als „biohistorische Urkunde“ bezeichnet werden kann. Vielen Fachkollegen und auch der interessierten Öffentlichkeit ist kaum bekannt, daß sich außer Krankheiten der Zähne, Knochen und Gelenke auch Spuren einer Reihe innerer Erkrankungen diagnostizieren lassen (vgl. Schultz 2001 Tab. 2). Eine neuere Einführung in die Paläopathologie fehlt bislang im deutschsprachigen Raum. Einen Überblick zu Krankheit und Umwelt in der Alten und Neuen Welt gab M. Schultz (1982) in Kindlers Enzyklopädie des Menschen. Die Stuttgarter Ausstellung „Skelette erzählen“ von 1982 (Czarnetzki u. a. 1
Der vorliegende Beitrag wurde im Dezember 2001 eingereicht und im Herbst 2003 ergänzt. Eine umfangreichere Studie zu diesem Themenkomplex ist in Vorbereitung.
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Wolf-Rüdiger Teegen
1982) brachte die Paläopathologie einem größeren Publikum näher, wie auch die Ausstellungen „Kloster tom Roden“ (Isenberg 1982), „Krankheit und Heilung“ in Villingen (Buhmann/Fuchs 1983) oder die von A. Czarnetzki (1996) zusammen mit Tübinger Studierenden organisierte Exposition „Stumme Zeugen ihrer Leiden“. Zu allen Ausstellungen sind Begleitschriften erschienen. Diese Arbeiten befassen sich überwiegend mit früh- und hochmittelalterlichen oder neuzeitlichen Skelettfunden. Arbeiten zur Eisenzeit sind dagegen eher selten. Für das Gebiet der ehemaligen DDR hat Hans Grimm, der Nestor der mittel- und ostdeutschen Anthropologie und Paläopathologie, einen nach Zeiten gegliederten Überblick erstellt. Die kurzen, aber inhaltsreichen Beiträge erschienen zwischen 1978 und 1986 in der Zeitschrift „Ausgrabungen und Funde“. Im Rahmen jener Artikelserie publizierte Grimm 1978 und 1979 auch Aufsätze zur Paläopathologie der vorrömischen Eisenzeit und Römischen Kaiserzeit/Völkerwanderungszeit. In dem vorliegenden Beitrag sollen die von H. Grimm vorgelegten Befunde ergänzt und in einen größeren Kontext eingeordnet werden. Teilweise kann sich der Verfasser auf eigene, z. T. unpublizierte, Untersuchungen stützen. Anspruch auf Vollständigkeit wird nicht erhoben. Ziel ist es, einen möglichst repräsentativen Überblick über Krankheit und Gesundheit in der vorrömischen Eisenzeit und Römischen Kaiserzeit zu geben. In der vorrömischen Eisenzeit und der Römischen Kaiserzeit herrschte die Brandbestattungsweise vor. Am Leichenbrand lassen sich Krankheiten oftmals bedeutend schwerer diagnostizieren als an der unverbrannten Körperbestattung. Die Forschungslage ist daher für die Eisenzeit im allgemeinen erheblich schlechter als beispielsweise für die Jungsteinzeit oder das frühe Mittelalter. Diese Beobachtung gilt übrigens für ganz Europa. Allerdings sind vor allem aus Mitteldeutschland, aber auch aus anderen Gebieten, immer wieder eisenzeitliche und kaiserzeitliche Körperbestattungen nachgewiesen. In der Spätantike beginnt sich die Körperbestattungssitte durchzusetzen. Im uns hier interessierenden Zeitraum wurden allerdings nicht alle Angehörigen der verschiedenen Altersgruppen regelhaft verbrannt. Säuglinge unter 6 Monaten sind in vielen Fällen – wenn nicht gar in überwiegender Zahl – körperbestattet worden (vgl. für Nord- und Mitteldeutschland: Jarecki u. a. 1999; Teegen/ Schultz 1999; Reichenberger u. a. 2001; Teegen 2002). Vermutlich galt auch für sie die aus dem Römischen überlieferte Aussage Hominem priusquam genito dente cremari mos gentium non est (Plin. nat. hist. VII,15,72)2. 2
Der erste Zahn bricht ungefähr mit einem halben Jahr durch. In der Regel ist es der erste Schneidezahn (Durchbruch mit 6–9 Monaten; Ubelaker 1989).
Homo patiens in der Eisenzeit in Nordwest- und Mitteldeutschland
489
Der Bearbeitungsstand von Leichenbränden aus paläopathologischer Sicht ist bislang noch ungenügend (Grimm 1978; 1979). Dabei lassen sich am Leichenbrand in vielen Fällen auch die Spuren krankhafter Veränderungen erkennen, die an Körperbestattungen routinemäßig erfaßt werden (Burkhardt 1999; Wolf u. a. 2001). Allerdings ist die Aussagekraft aus paläopathologischer Sicht von Körperbestattungen weitaus besser als die von Brandbestattungen. Aus den geschilderten Gründen ist unser Wissen um Krankheit und Gesundheit eisenzeitlicher Populationen erheblich schlechter als beispielsweise für die Frühbronzezeit oder das frühe bis späte Mittelalter. Daher liegen für den hier interessierenden Zeitraum aus Nord- und Mitteldeutschland kaum vollständige Serien vor, die speziell paläopathologisch bearbeitet wurden. Zu nennen sind v. a. die Körperbestattungen und Einzelfunde von der Wurt Feddersen Wierde (Kr. Cuxhaven) (Teegen u. a. 1997). Diese Serie kann als kleine Bevölkerungsstichprobe gewertet werden. Insgesamt muß sich die vorliegende Arbeit hauptsächlich auf Fallbeschreibungen stützen. Die Beschreibung und Interpretation der Krankheitsbilder erfolgt einerseits nach Körperregionen, andererseits nach bestimmten Befundgruppen.
Quellenbasis Für diese Arbeit wurden v. a. Daten aus der Literatur, aber auch eigene Untersuchungen herangezogen und ausgewertet. Eine wichtige Datenbasis bilden die Leichenbranduntersuchungen verschiedener Bearbeiter an den in Tabelle 1 aufgeführten Gräberfeldern. Dabei kommt dem DFG-Projekt „Leichenbrandanalysen aus Urnenfriedhöfen aus Schleswig-Holstein“ (Hingst u. a. 1990; Schutkowski/Hummel 1992) eine besondere Bedeutung zu. In jenem Projekt wurden insgesamt 1668 Leichenbrände aus 13 Urnenfriedhöfen von der Bronze- bis zur Völkerwanderungszeit bearbeitet. Die Lebensaltersbestimmung erfolgte zu großen Teilen histomorphometrisch am Knochendünnschliff, wodurch recht genaue Altersangaben vorliegen. Entsprechend wurde bei weiteren umfangreichen Serien aus Schleswig-Holstein vorgegangen (Bearbeiterinnen B. Ehlken/ B. Großkopf, Univ. Göttingen), die jedoch noch nicht publiziert sind. Dies gilt auch für ein Gemeinschaftsprojekt der Universitäten Leipzig und Göttingen, in dem eine Population der Spätbronze-/Früheisenzeit aus der Niederlausitz bearbeitet wird (Großkopf/Gramsch 2003; Großkopf in Vorb.). Vergleichbare Techniken wurden auch bei der Bearbeitung des kaiserzeitlichen Gräberfeldes Porta Westfalica-Costedt angewandt (Hummel 1996). Morphognostisch sind alle übrigen Gräberfelder bearbeitet worden, insbesondere die großen Serien aus Süderbrarup (Wahl 1988) und Loitsche (Schafberg 1998).
490
Wolf-Rüdiger Teegen
Tab. 1. In der vorliegenden Arbeit aus paläopathologischer Sicht ausgewertete eisenzeitliche bis kaiserzeitliche Populationen, vorwiegend aus Nordwest- und Mitteldeutschland3 Population
Datierung
n
M
F
n.b.
Path. Autor
Körperbestattungen: Boomborg-Hatzum, Kr. Leer
Ha/LT
5
Karsdorf 9, Burgenlandkreis
Ha/LT
22
2
3 22
1
2 diese Arbeit >1 Teegen, in Vorb.
Wetzendorf 4, Burgenlandkreis
LT
Feddersen Wierde3, Kr. Cuxhaven
Eggers A–D1
16
Zauschwitz, Kr. Leipziger Land
Eggers C1–2
1
Häven 1, Kr. Parchim
Eggers C2
9
6
3
1
3 Ullrich 1970
Häven 2, Kr. Parchim
Eggers C2
5
2
2
1
2 Ullrich 1977
Haßleben, Kr. Sömmerda
Eggers C2
7
3
3
1
Leuna, Kr. Merseburg-Querfurt
Eggers C2
7
7
6 Grimm 1953
Gommern, Kr. Jerichower Land
Eggers C2
1
1
1 Teegen 2000
Ha A–D
291
44
Bordesholm-Brautberg, Kr. Rends- 1100–500 burg-Eckernförde
2
5
6
1
1 Teegen in Jarecki 1999
5
6 Teegen u. a. 1997
1
1 Grimm 1969
2 Weidenreich 1933
Brandbestattungen: Vollmarshausen, Kr. Kassel
3
32
225 2 4
>59 Czarnetzki 1982 2 Kühl 1992
Kläden, Kr. Parchim
Per. V
6
2
Stendell, Kr. Uckermarck
Per. V–VI
76
20
19
37
11 Müller/Sikora 1964
2 Müller 1963
Düne Wissing, Kr. Wesel
Ha B–D
56
13
12
31
17 Kühl 1994, 163
Kupheide, Kr. Wesel
LT A–B
7
3
2
2
2 Kühl 1994, 210
Düne Tebbe NW, Kr. Wesel
LT B–D
14
3
2
9
2 Kühl 1994, 227
Düne Tebbe SO, Kr. Wesel
LT B–D
12
4
4
Schwissel, Kr. Ostholstein
LT
5
Düne Bohland, Kr. Wesel
LT
6
4
4 Kühl 1994, 240
5
5 Kühl 1992
1
5
1 Kühl 1994, 250
Sommersberg, Kr. Wesel
LT C–D
34
8
9
17
Gräfenhainichen, Kr. Wittenberg
LT C–D
128
45
42
41
Remplin, Kr. Demmin
9 Kühl 1994, 292 25 Müller 1974
LT D
21
3
5
13
Jevenstedt, Kr. Rendsburg-Eckern- VEZ förde
229
30
52
147
24 Schutkowski/Hummel 1992, 146ff.
1 Müller 1969
Neumünster-Oberjörn II, Kr. Neumünster
VEZ
187
10
37
140
17 Schutkowski/Hummel 1992, 150ff.
Timmendorf I, Kr. Ostholstein
VEZ
318
37
85
196
49 Schutkowski/Hummel 1992, 153ff.
Erst im Sommer 2003 wurden von meinem Mitarbeiter H.-J. Frisch im Magazin der Archäologisch-Zoologischen Arbeitsgruppe Kiel-Schleswig, im Archäologischen Landesmuseum Schleswig, zwei Fundkisten der Feddersen Wierde mit zahlreichen menschlichen Einzelknochen sowie mehreren Neonatenskeletten und der verschollenen Brandbestattung wieder entdeckt. Ihre anthropologisch-paläopathologische Bearbeitung ist noch nicht abgeschlossen.
Homo patiens in der Eisenzeit in Nordwest- und Mitteldeutschland n
M
F
n.b.
491
Population
Datierung
Timmendorf II, Kr. Ostholstein
VEZ
102
11
26
65
9 Schutkowski/Hummel 1992, 159ff.
Owschlag-Ramsdorf, Kr. Rendsburg-Eckernförde
VEZ
109
16
13
80
7 Schutkowski/Hummel 1992,161f.
Nettelsee, Kr. Plön
VEZ
174
57
36
81
34 Schutkowski/Hummel 1992, 162ff.
Bösdorf-Kleinmühlen, Kr. Plön
VEZ
50
10
12
28
2 Schutkowski/Hummel 1992, 167f.
Mehrhoog, Kr. Wesel
Eggers A
18
3
1
14
Feddersen Wierde, Kr. Cuxhaven
Eggers A–D1
Neubrandenburg, Kr. Neubrandenburg
Eggers B
154
42
75
37
Kemnitz, Kr. Potsdam-Mittelmark
Eggers B
678
166
180
332
58 Müller/Westphal 1976
Quarnbek, Kr. RendsburgEckernförde
RKZ/VWZ
43
12
8
23
8 Schutkowski/Hummel 1992, 169f.
Gettorf, Kr. Rendsburg-Eckernförde
RKZ/VWZ
76
6
10
60
8 Schutkowski/Hummel 1992, 170ff.
Porta Westfalica-Costedt, Kr. Minden-Lübbecke
EggersB2–C2
45
11
10
24
3 Hummel 1996, 17f.
Zauschwitz, Kr. Leipziger Land
Eggers C1–2
39
66
20
23
– Grimm 1969 31
Loitsche, Kr. Ohrekreis
Eggers C
563
121
100
372
Süderbrarup, Kr. Schleswig-Flensburg
RKZ/VWZ
780
305
63
428 >200 Wahl 1988
Schmalstede, Kr. RendsburgEckernförde
RKZ/VWZ
312
49
85
178
1
Path. Autor
1
5 Kühl 1994, 320 1 unpubl. 65 Müller 1978
80 Schafberg 1998
28 Schutkowski/Hummel 1992
Provinzialrömische Befunde (Körperbestattungen): Mainz
spätrömisch
1
Trier
spätrömisch
12
5
1
Trier-Reichertsberg
spätrömisch
9
4
3
4632
1132
Summe
1
1 Zipp 2003 10 Teegen 2002; 2003; unpubl.
2
960 2661
8 Meyer 2002
782
Insgesamt wiesen 782 von 4632 Leichenbränden oder Körperbestattungen mindestens eine, oft aber mehrere krankhafte Veränderungen auf. Dies macht 16.9 % der Gesamtstichprobe aus. Dieses relativ geringe Verhältnis entspricht in etwa dem, was H. Schutkowski und S. Hummel (1992, 182) bei der Analyse prähistorischer Leichenbrände aus Schleswig-Holstein beobachteten. Es entspricht ihrer Meinung nach nicht repräsentativ erhaltenen Leichenbränden. In besser erhaltenen Stichproben konnten sie Frequenzen zwischen 25 % und 45 % nachweisen. Dies bedeutet allerdings nicht, daß alle anderen Individuen gesund gewesen wären.
492
Wolf-Rüdiger Teegen
Die Gräber der mitteldeutschen Skelettgräbergruppe sind – mit Ausnahme der Gräber von Leuna und Gommern – paläopathologisch noch weitgehend unbearbeitet. Sie werden für zukünftige Forschungen eine wichtige Quellengruppe bilden. Allerdings ist der Erhaltungszustand – wie in den Fällen Gommern (Teegen 2000) und Liebersee (Schierl/Bruchhaus 2003) – oftmals ungenügend.
Epidemiologie Aussagen zur Häufigkeit verschiedener Krankheiten (Epidemiologie) sind für das Arbeitsgebiet und den uns interessierenden Zeitraum nur extrem beschränkt möglich. Dies ist überwiegend ein Artefakt, das in der Publikationsweise von Leichenbränden begründet ist. Zwar wird in der Regel das Leichenbrandgewicht von Schädel und Postcranium angegeben. Aber nur selten sind Mitteilungen darüber vorhanden, welche Körperpartien überhaupt im Leichenbrand vorhanden sind, wieviele davon gesund, krank oder nicht beurteilbar sind. Die Aussagen, die H. Schutkowski und S. Hummel (1992) gemacht haben, sind dazu in der Regel nicht ausreichend. Nur bei I. Kühl (1994) finden sich gelegentlich Graphiken, die erkennen lassen, bei welchen Knochenpartien der Schädel vorhanden war. J. Wahl (1988 Tab. 23) führt zwar die relative Häufigkeit sämtlicher Skelettbereiche bzw. Skelettelemente auf, gibt allerdings keine Bezugsgröße an. Bei Heranziehung der Originalpublikationen und der Gräberfeldpublikationen lassen sich aber in der Regel Mindestfrequenzen ermitteln, die Eingang in viele Tabellen dieser Arbeit gefunden haben. Prinzipiell lassen sich Leichenbrände genauso epidemiologisch auswerten wie Körperbestattungen. Zwischen schlecht erhaltenen Körperbestattungen und Leichenbränden besteht in der Aussage oft kein (großer) Unterschied. Oftmals lassen sogar die Leichenbrände weitergehende Aussagen zu. Aussagen zur Morbidität bestimmter Altersgruppen, der Männer und Frauen, Armen und Reichen sucht man in der Literatur zur Eisenzeit bislang meist genauso vergeblich wie die Verteilung bestimmter Krankheiten oder Symptome in den Gräberfeldern (Ausnahme: Kühl 1992; allgemein: Teegen u. a. 1994).
Erkrankungen des Schädels Am archäologischen Skelettmaterial lassen sich eine Vielzahl von Erkrankungen des Schädels (ohne Zähne und Traumata) diagnostizieren (Schultz 1993;
Homo patiens in der Eisenzeit in Nordwest- und Mitteldeutschland
493
2001 Tab. 1). Sorgfältige Befundung (vgl. Schultz 1986; 1993; Kühl 1994; Burkhardt 1999; Wolf u. a. 2001) ermöglicht auch den Nachweis verschiedener derartiger Erkrankungen an Leichenbränden.
Blutungen im Schädelbereich Bei Kindern aus der Wurt Feddersen Wierde konnten Blutungen im Schädelbereich nachgewiesen werden. Bei einem Neugeborenen waren diese Blutungen stark ausgeprägt (Teegen u. a. 1997). Tab. 2. Blutungen auf der Innenseite des Schädeldachs (Lamina interna) in eisenzeitlichen Populationen Nordwestdeutschlands und angrenzender Gebiete4 Population
Datierung
Frequenz Alter
Ausprägung
Autor
Karsdorf 9
HaC-SLT
>1/22
Neugeboren Lam.Int., Naht
schwach
Teegen, in Vorb.
Schwissel
LT
1
20–35
stark, Schrum- Schultz 1993, 23 pfungsrisse
1/1
Neugeboren Lam. Int., Naht schwach
Wetzendorf 4 LT
Lage
Lam. Int.
Teegen in: Jarecki 1999
Feddersen W. Eggers A–D1 1/14
Neugeboren Lam. Int., Naht stark
Teegen u. a. 1997
Veerßer Wald Eggers C
12 Mon.
Burkhardt 1999 Abb. 2
1
Lam. Int.
stark
Bei den Neugeborenen aus den eisenzeitlichen Siedlungen Wetzendorf 4 und Karsdorf 9 (Burgenlandkreis) konnten nur diskrete Hinweise auf eine Blutung gefunden werden (Jarecki u. a. 1999; Teegen, in Vorb.). In allen Fällen konnten auch Blutungen im Nahtbereich wahrscheinlich gemacht werden. Aufgrund ihres Alters sind diese Blutungen vermutlich auf Geburtsfolgen zurückzuführen. Auffällig ist die Tatsache, daß derartige Veränderungen im Küstengebiet besonders stark ausgeprägt waren. Möglicherweise wurden diese Blutungen durch andere Faktoren begünstigt, beispielsweise durch einen Vitamin C-Mangel der Mutter (s. u.).
Erkrankungen der Hirnhäute Eine ausgeprägte Hirnhautentzündung zeigt ein spätrömisches Kind vom Domfreihof in Trier (Tab. 3). Dabei ist sowohl die Schädelbasis wie das Schädeldach betroffen. Im Bereich der venösen Hirnblutleiter gibt es ebenfalls entzündliche 4
Ohne die Neufunde (vgl. Anm. 1).
494
Wolf-Rüdiger Teegen
Veränderungen. Die Reihenfolge der Erkrankung läßt sich nicht feststellen. Das Kind aus der eisenzeitlich/kaiserzeitlichen Siedlung Boomborg/Hatzum zeigt einen in Organisation befindlichen perisinuösen Prozeß (Abb. 1,1; Tab. 3). Möglicherweise ist es an den Folgen dieser Erkrankung verstorben. Bei einem 6–7jährigen Kind von der Feddersen Wierde (Grab 7; Tab. 3) wurden ausgedehnte Blutungen im Sinne einer Pachymeningiosis haemorrhagica interna nachgewiesen (Teegen u. a. 1997). Tab. 3. Erkrankungen der Hirnhäute in eisenzeitlichen Populationen Nordwestdeutschlands und angrenzender Gebiete Population
Datierung
Boomborg-Hatzum
Frequenz Alter
Lage
Ausprägung
Autor
1/2
9–10 J.
Os occipitale
in Organisation
diese Arbeit
6–7 J.
Os parietale
Teegen u. a. 1997
Os parietale
Wolf u. a. 2001
Schädelbasis
unpubl.
Feddersen W.
Eggers A-D1 1
Bremen-Mahndorf
RKZ/VWZ
1
Provinzialrömische Befunde: Trier-Domfreihof
spätrömisch
1/4
inf.
Veränderungen der Hirnblutleiter Der sinuöse/perisinuöse Prozeß des 9–10jährigen Kindes aus BoomborgHatzum (Abb. 1,1) dürfte maximal im letzten halben Lebensjahr entstanden sein. Daher ist es möglich, die Wachstumsstillstände im Bereich der Langkno-
Abb. 1. Boomborg-Hatzum, eisenzeitlich-kaiserzeitliche Flachsiedlung. Kind (M=W), 9–10 Jahre. links: Hinterhauptschuppe (Squama occipitalis) mit schlangenförmigen Knochenneubildungen im Bereich des Verlaufs des Sinus sagittalis superior und des Sinus transversus (große Pfeile) sowie des rechten Hinterhauptpols (kleine Pfeile). rechts: Harris-Linien im Anbruch des distalen Femurs (Pfeile). Länge des weißen Balkens 1 cm
495
Homo patiens in der Eisenzeit in Nordwest- und Mitteldeutschland
chen (Abb. 1,2), die im letzten halben Lebensjahr entstanden sind, mit diesem Prozeß in Verbindung zu bringen. In bezug auf die zahlreichen Schmelzdefekte ist dies nicht so einfach, da viele Zähne noch in ihren Alveolen stecken und noch nicht durchgebrochen sind und daher nicht zu befunden waren. Vermutlich lassen sich auch die basalen Linien am Caninus und am M2 mit dem Ereignis in Verbindung bringen. Möglicherweise sind die entzündlichen Veränderungen im Bereich der venösen Hirnblutleiter mit einer sog. Sinusthrombose in Verbindung zu bringen. Diese könnte beispielsweise Folge eines Furunkels im Gesichtsbereich gewesen sein. Aber auch Kieferabszesse oder Entzündungen der Nasennebenhöhlen oder des Mittelohres können zu derartigen Erkrankungen führen. Über die Häufigkeit und Epidemiologie der Sinusthrombosen im rezenten Patientengut ist heute wenig bekannt. Die Überlebensraten und die nach einer Heilung mögliche Lebensqualität sind sehr unterschiedlich (Busse u. a. 2003). Dies gilt um so mehr für die Eisenzeit. Vorkommen und Ausprägung dieser Veränderungen im archäologischen Knochenmaterial deuten darauf hin, daß diese Erkrankung meist (?) tödlich endete – oftmals nach einer längeren Krankheitsdauer. Die betroffenen Individuen waren vermutlich stark pflegebedürftig. Tab. 4. Erkrankungen der venösen Hirnblutleiter in eisenzeitlichen Populationen Nordwestdeutschlands und angrenzender Gebiete Population
Datierung
Alter
Lage
Sinus
Ausprägung
Autor
Germanische Befunde: Boomborg-Hatzum VEZ Feddersen W.
Eggers A–D1
Häven 2
Eggers C2
Bremen-Mahndorf
RKZ/VWZ
M=W , 9–10 J. Squama Sin. sag. sup., in Organisa- diese Arbeit occipitalis Sin. transv. tion Teegen u. a. 1997 M=W, 13–14 J. Os parietale
Sin. sag. sup.
Ullrich 1976 Abb. 6,M Wolf u. a. 2001
Provinzialrömischer Befund: Trier-Domfreihof
spätrömisch
unpubl.
Der 13–14jährige Junge aus Häven 2, Grab 2/75, zeigt im Bereich des Abschnittes S2 der Pfeilnaht im Bereich des Verlaufs des Canalis Sinus sagittalis superior eine leichte Aussackung des Sinus mit einer reliefierten Oberfläche. Dies ist der Bilddokumentation des Falles zu entnehmen (Ullrich 1976, 135 Abb. 6 Mitte). Hier ist eine Neubearbeitung des Individuums notwendig. Möglicherweise war dieser Prozeß verantwortlich dafür, daß es zu einem vorzeitigen Verschluß der Pfeilnaht kam. Dieser führte zur Ausbildung eines
496
Wolf-Rüdiger Teegen
leichten Kahnschädels (Scaphocephalus) (Ullrich 1976, 134). Nach rezenten klinischen Untersuchungen können mit einem vorzeitigen Nahtverschluß auch neurologische Schädigungen verbunden sein.
Hirndrucksymptomatik und Hydrocephalus Auch unter eisenzeitlichen Skelettresten sind gelegentlich Individuen mit einer Hirndrucksymptomatik und einem Wasserkopf vorhanden (Tab. 5). Dabei ließen sich sowohl interne wie externe Hydrocephali nachweisen. Über die Ursache dieser Veränderungen ist in diesen Fällen – von Ausnahmen abgesehen – meist wenig bekannt. Vermutlich handelt es sich dabei um erworbene, nicht jedoch um angeborene Wasserköpfe. Kinder mit derartigen Leiden dürften in der Vorzeit nicht lange gelebt haben. In dem latènezeitlichen Gräberfeld Sommersberg (Kr. Wesel) ist ein Leichenbrand mit Anzeichen für einen internen Wasserkopf vorhanden (Kühl 1994, 379; Diagnose M. Schultz). Auch das bereits oben genannte Kind aus Grab 7 der Feddersen Wierde wies über die Norm verstärkte Abdrücke der Großhirnwindungen (sog. Impressiones digitatae) auf, die auf eine Hirndrucksymptomatik deuten. Vermutlich stehen diese Veränderungen im Zusammenhang mit den Blutungen im Schädelbereich (s. o.). Die Veränderungen waren wahrscheinlich so gravierend, daß sich Schmelzhypoplasien und Harris-Linien entwickelten. Eine Hirndrucksymptomatik ist auch bei zwei adulten und einem maturen Individuum von der Feddersen Wierde zu vermuten (Tab. 5). Unter den Bestattungen aus der spätrömischen Grabkammer vom Reichertsberg in Trier (Meyer 2002) befindet sich möglicherweise auch ein Kind mit einem externen Wasserkopf (Teegen unpubl.). Darauf weisen die überproportional schwach ausgebildeten Abdrücke der Hirnwindungen und die Form der Schädelfragmente. Wie M. Schultz (1993) sowie K. Kreutz und M. Schultz (1994) an vorwiegend frühmittelalterlichen Befunden zeigen konnte, war wohl oftmals eine Entzündung der Hirnhäute Ursache für die Ausbildung von Wasserköpfen. Man wird bei den meisten archäologisch nachgewiesenen Wasserköpfen vermuten können, daß die betroffenen Individuen mehr oder weniger aufwendig gepflegt wurden. Bevor aber 1908 E. Payr in Greifswald die ventrikulo-venöse Drainage entwickelt hatte, war keine Therapie möglich. Das Vorkommen des Hydrocephalus war den antiken und mittelalterlichen Ärzten sowohl durch eigene Anschauung wie durch die Hippokratischen Schriften bekannt (Voth/Henn 1983, 168). Außer bei Kindern konnte eine Hirndrucksystematik auch bei adulten oder gar maturen Individuen nachgewiesen werden (Tab. 5). Ein Kind mit einem
497
Homo patiens in der Eisenzeit in Nordwest- und Mitteldeutschland
Wasserkopf, das in dem germanischen Gräberfeld von Minsleben (Kr. Wernigerode) freigelegt worden ist, wurde von A. Friedrich bereits 1865 beschrieben (Grimm 1979). Es handelt sich dabei wohl um einen völkerwanderungszeitlichen Befund. Tab. 5. Hirndrucksymptomatik (HDI) und Hydrocephalus (Hy) in eisenzeitlichen Populationen Nordwestdeutschlands und angrenzender Gebiete Population
Datierung
Frequenz
%
Ausprägung
Geschlecht/Alter
Autor
Sommersberg
LT
1/34
2.9
Hy internus
W, ad
Kühl 1994, 379
Feddersen Wierde
Eggers A–D1 4/10
40
Leichte HDI
M=W, inf. I; W, ad; Teegen/Schultz M, ad.; M, mat. 1995
Minsleben
VWZ?
1/?
n.b.
?
Kind
Friedrich 1865; Grimm 1979
1/8
12.5
Hy externus
M=W, inf.
Teegen unpubl.
Provinzialrömische Befunde: Trier-Reichertsberg
spätrömisch
H. Grimm (1953, 74 Taf. 37,3–4) beschrieb eine von der Norm abweichende Struktur der Hirnwindungen (Gyri) des jungen Mannes aus Leuna, Grab 3/1926. Ihre Abdrücke wirken auf der publizierten Abbildung leicht verstärkt, doch könnte dies nur eine Autopsie des Schädels klären.
Erkrankungen der Nase und der Nasennebenhöhlen Erkrankungen der Nase und der Nasennebenhöhlen lassen sich – wenn gezielt darauf untersucht wird – geradezu regelhaft an prähistorischen und historischen Schädeln nachweisen (Schultz 1993). Aus dem näheren Arbeitsgebiet seien die Fundorte Feddersen Wierde und Gommern genannt, aus dem provinzialrömischen Gebiet verschiedene Fälle aus Trier (Teegen 2003). Erkrankungen des Nasenraums und der Nasennebenhöhlen sind eine häufige Erscheinung, wie die Untersuchung der Skelette der kaiserzeitlichen Wurt Feddersen Wierde gezeigt hat. Die Kieferhöhlen sind am häufigsten betroffen, gefolgt von den Stirnhöhlen. Dies wird auch dadurch bedingt, daß Entzündungen im Oberkiefer leicht die benachbarte Kieferhöhle affektieren können. Der Fürst von Gommern litt sowohl an einer chronischen Entzündung der Stirn- wie der Kieferhöhle. Wie wir aus rezenten klinischen Untersuchungen wissen, können Entzündungen der Nebenhöhlen auf den Gehirnschädel übergreifen und beispielsweise zur Gehirnhautentzündung führen. Entsprechendes gilt für Mittelohrentzündungen, die auch in der Römischen Kaiserzeit verbreitet waren. Bei günstigen Erhaltungsbedingungen lassen sich diese Veränderungen auch an Leichenbränden nachweisen, darunter auch bei Fällen aus Schleswig-
498
Wolf-Rüdiger Teegen
Holstein5. Aus Nettelsee stammt ein Oberkieferfragment eines spätadultenfrühmaturen Mannes, wo ein apikaler Prozeß in die Kieferhöhle durchgebrochen ist (Tab. 6). Tab. 6. Erkrankungen der Nase und Nasennebenhöhlen in eisenzeitlichen Populationen Nordwestdeutschlands und angrenzender Gebiete Population
Datierung
Frequenz
Nettelsee
VEZ
1
Feddersen W.
Eggers A–D1 zahlreich
Autor
Bemerkung
Schutkowski/Hummel 1992, 164
dentogen
Nord- und Mitteldeutschland³:
Teegen u. a. 1997
Gommern
Eggers C2
1/1
Teegen 2000
Süderbrarup
Eggers C–D
1
Wahl 1988, 91
Trier-Reichertsberg
spätrömisch
1/8
unpubl.
Trier-Domfreihof
spätrömisch
1/4
Teegen unpubl.
Trier-St. Matthias
spätrömisch
2/7
Teegen 2003
Trier-Medertstr.
spätrömisch
1/35
Schröder u. a. 1998
dentogen
Provinzialrömische Befunde:
Osteome oder Fibroossäre Tumore der Nasennebenhöhlen? Bemerkenswert ist das Vorkommen von einigen „Enostosen“ in Stirnhöhlen, die I. Kühl (1994) an zwei Leichenbränden aus dem Kr. Wesel nachweisen konnte (Tab. 7). Die mehrere Millimeter großen, gestielten, pilzförmigen Knochenneubildungen in den Nasennebenhöhlen der Männer aus Wissing und Mehrhoog (Tab. 7) können aufgrund ihres Aussehens als Osteome oder Fibroossäre Tumore der Stirnhöhle interpretiert werden. Beides sind gutartige Knochentumore, die langsam wachsen und selten bösartig entarten (Dominok/Knoch 1977). Eine genauere Diagnose wäre nur histologisch möglich. Fibroossäre Tumore der Nasennebenhöhlen können das Ergebnis chronischer Entzündungen sein. Sie wurden bereits gelegentlich im archäologischen Skelettmaterial nachgewiesen (Teegen u. a. 1999). Tab. 7. „Enostosen“ in Nasennebenhöhlen eisenzeitlicher Menschen aus Nordwestdeutschland
5
Population
Datierung
Frequenz
Grab
Größe
Geschlecht
Alter
Wissing, Kr. Wesel
Ha B–D
1/29
44
3.8 x 5.3
M
mittel-spätadult Kühl 1994, 146
Autor
Mehrhoog, Kr. Wesel
Eggers A
1/15
3
2.0 x 3.7
M
matur
Kühl 1994, 302
Frau I. Kühl, Schleswig, danke ich für die Möglichkeit, einige Stücke durchsehen zu können.
Homo patiens in der Eisenzeit in Nordwest- und Mitteldeutschland
499
Mittelohrerkrankungen Der Forschungsstand für Mittelohrerkrankungen in der Eisenzeit ist bislang – im Vergleich mit dem Frühmittelalter (Schultz 1978) schlecht. Aus dem eisenzeitlichen Gräberfeld Nettelsee, Grab 100, ist ein eburnierter, stark sklerosierter Warzenfortsatz bekannt, der eine sehr unzureichende Pneumatisation anzeigt. Vermutlich war dies das Resultat einer Entzündung, einer sog. Mastoiditis. Diese kann eine Folge einer Mittelohrentzündung sein. Mastoitiden werden in frühmittelalterlichen Gräberfeldern bei etwa einem Drittel der Individuen nachgewiesen. Wie dieser Fall zeigt, kann möglicherweise ein Zusammenhang zwischen einer Otitis/Mastoiditis und Gehörgangsexostosen bestehen (Tab. 8). Bei dieser adulten Frau muß eine schwere Mastoiditis vorgelegen haben. Tab. 8. Mittelohrerkrankungen und Mastoitiden in eisen- und römerzeitlichen Populationen Population
Datierung
Frequenz
Nettelsee, Grab 100 VEZ Feddersen Wierde
%
1
Lage Geschlecht
Alter Autor
li.
ad.
W
Eggers A–D1 vorhanden
Schutkowski/Hummel 1992, 165 Teegen u. a. 1997
Gehörgangsexostosen Bei der Bearbeitung der Leichenbrände aus mittel- und ostholsteinischen Urnengräberfeldern stellten H. Schutkowski und S. Hummel bei mehreren Individuen Exostosen im äußeren Gehörgang fest (Tab. 9). Betroffen waren überwiegend frühadulte Individuen mit einem leichten Überwiegen der Frauen. Sie zeigten die Veränderung ausschließlich auf der linken Schädelseite. Dies dürfte allerdings ein Artefakt darstellen. Tab. 9. Gehörgangsexostosen in eisenzeitlichen und römerzeitlichen Populationen Population
Lage
Geschlecht Alter
Jevenstedt, Grab 49, VEZ 77, 315
Datierung Frequenz % 3/229
1.3
li. li. li.
W M=W M
sad Schutkowski/Hummel fad 1992, 149 fad-mad
Nettelsee, Grab 100
1/174
0.5
li., re.
W
ad.
Schutkowski/Hummel 1992, 165
1/43
2.3
re.=li.
W
fad.
Schutkowski/Hummel 1992, 170
3/8
37.5
VEZ
Quarmbek, Grab 34 RKZ
Autor
(Provinzial-) Römische Befunde: Trier-Reichertsberg Ostia
spätrömisch
1/1
Meyer 2002 li., re.
M
Ascenzi/Balistreri 1975
500
Wolf-Rüdiger Teegen
Diese Veränderungen werden aufgrund rezenter Beobachtungen mit dem Baden oder Tauchen in kaltem Wasser in Verbindung gebracht. An einem Schädel aus den Terme del Nuotatore in Ostia wurden sehr stark ausgeprägte Gehörgangsexostosen nachgewiesen (Ascenzi/Balistreri 1975). C. Meyer (2002) brachte analog die hohen Frequenzen bei den Bestattungen aus der Grabkammer einer vornehmen Familie aus Trier-Reichertsberg mit ausgedehntem Thermenbesuch in Verbindung6. Das Auftreten bei binnenländischen Individuen, die auch keinen Thermenzugang hatten, verwundert daher. Auffällig ist das überwiegende Auftreten bei Frauen. Möglich wäre es daher, daß sich die Frauen als Muschelsammlerinnen oder Taucherinnen (?) verdingten, wie dies in Lateinamerika oder Ostasien heute noch der Fall ist. Bemerkenswert ist die Tatsache, daß derartige Veränderungen bislang noch nicht bei Wurtenbewohnern nachgewiesen werden konnten. Im Fall von Nettelsee, Grab 100, besteht die Möglichkeit, daß die Gehörgangsexostosen mit einer chronischen Mittelohr- und Warzenfortsatzentzündung in ursächlichem Zusammenhang gestanden haben könnten7.
Erkrankungen der Zähne und des Zahnhalteapparates Zahnerkrankungen und andere Veränderungen der Zähne sind an Leichenbränden oftmals nur schwer nachzuweisen. Im Regelfall finden sich nur intravitale Zahnverluste oder schwere Formen der Parodontopathien.
Abb. 2. Neubrandenburg: Altersabhängigkeit der Zahnerkrankungen
6 7
Die Veränderungen sind in der Regel nicht besonders stark ausgeprägt. Hier wären computertomographische und mikroskopische Untersuchungen notwendig.
Homo patiens in der Eisenzeit in Nordwest- und Mitteldeutschland
501
Erkrankungen der Zähne und des Zahnhalteapparates sind neben den Verletzungen (s. u.) die am häufigsten im antiken Skelettmaterial beobachteten pathologischen Veränderungen. Sie fanden auch schon relativ früh Beachtung bei der Untersuchung von Leichenbränden. Dementsprechend häufig wurden sie bei Bestattungen der vorrömischen Eisenzeit und der Römischen Kaiserzeit nachgewiesen, darunter auch bei den germanischen Fürsten. Abbildung 2 zeigt die Altersabhängigkeit sämtlicher Zahnerkrankungen im frühkaiserzeitlichen Gräberfeld Neubrandenburg.
Karies Belegt sind Karies (Zahnfäule; z. B. Leuna, Grab 4–5/1926, 7/1926), apikale Prozesse (Vereiterungen im Bereich der Zahnwurzeln, z. T. mit Fistelbildungen wie bei Grab 20 aus Haßleben). Tab. 10. Individuen mit Zahnkaries in eisenzeitlichen Populationen Nordwestdeutschlands und angrenzender Gebiete Population
Datierung
Frequenz
M
Stendell
Per. V–VI
1/76
1
Kläden
PV
1
W
M=W
Bemerkung
Autor
Molar, Zahnhals
Müller/Sikora 1964, 97 Müller 1963
Düne Wissing
HaC–D
1
Timmendorf I
VEZ
1
Kühl 1994, 389
Feddersen W.
Eggers A–D1 vorhanden
Teegen u. a. 1997
Süderbrarup
Eggers C–D
Wahl 1988
Häven
Eggers C2
Ullrich
1
Schneidezahn
Schutkowski/Hummel 1992, 155
Haßleben
Eggers C2
1/7
1
Weidenreich 1933
Leuna
Eggers C2
3/6
3
Grimm 1953
Süderbrarup
Eggers C–D
19 (6.2 %)
Wurzelhalskaries; Wahl 1988, 89f. Grabnr. n.a.
Zahnstein Zahnstein kann nur bei Körperbestattungen nachgewiesen werden, da beim Verbrennungsprozeß der Zahnstein in der Regel abplatzt (Kühl 1994, 389). Zahnsteinbeläge waren allgemein verbreitet (z. B. Haßleben, Fürstinnengrab 8, verschiedene Individuen der Feddersen Wierde). Sie konnten teilweise große Ausmaße annehmen und den betroffenen Zahn panzerartig umschließen. Als
502
Wolf-Rüdiger Teegen
Folge verursachten sie oftmals entzündliche Veränderungen des Zahnhalteapparates (Parodontitis), teilweise mit Bildung von Knochentaschen. Sie sind ein extremer Hinweis auf mangelhafte Zahnhygiene.
Tab. 11. Individuen mit Zahnstein in eisenzeitlichen Populationen Nordwestdeutschlands und angrenzender Gebiete Population
Datierung
Frequenz
Bornitz
Eggers A–B
1
Feddersen W.
Eggers A–D1 verbreitet
Haßleben, Gr. 8
Eggers C2
M W
M=W
Bemerkung
Autor Müller 1975 Teegen u. a. 1997
1/7
1
Weidenreich 1933
Gommern
Eggers C2
1/1
1
Teegen 2000
Leuna
Eggers C2
1/6
1
Grimm 1953
Süderbrarup
Eggers C–D
18 %
Grabnr. n.a.
Wahl 1988, 89f.
Die Befunde an frühmittelalterlichen Bestattungen haben ergeben, daß der Zahnsteinbefall in der Regel von den Kindern bis zu den Jungerwachsenen stark zunimmt und praktisch ab 30 Jahren jedes Individuum mehr oder weniger starke Zahnsteinbeläge aufweist (Schultz/Teegen im Druck). Da Vergleichbares auch an zahlreichen Schädeln aus den römischen Provinzen beobachtet wurde, dürften die Verhältnisse in Germanien entsprechend gewesen sein.
Parodontopathien Einfacher sind dagegen an Brandknochen Parodontopathien, also krankhafte Veränderungen des Zahnhalteapparates, zu erkennen. Oftmals liegen entzündliche Veränderungen vor (Parodontitis). Die Veränderungen können so stark sein, daß die Zahnwurzeln kaum noch Halt im Zahnfach finden. Die Zähne können daher leicht noch zu Lebzeiten ausfallen. In vielen Fällen haben ausgeprägte Zahnsteinbeläge, die bis tief in den Wurzelbereich reichen können, die Ausprägung von Entzündungen des Zahnhalteapparates gefördert. Dies läßt sich an Leichenbränden allerdings meist nicht darstellen. In Süderbrarup konnte J. Wahl (1988, 89) an 55.2 % der erhaltenen Kieferfragmente Parodontopathien nachweisen. Dies entspricht fast den Verhältnissen am unverbrannten Knochen (Schultz/Teegen im Druck).
Homo patiens in der Eisenzeit in Nordwest- und Mitteldeutschland
503
Tab. 12. Individuen mit Parodontopathien in eisenzeitlichen Populationen Nordwestdeutschlands und angrenzender Gebiete Population
Datierung
Frequenz
Timmendorf I
VEZ
2
M W M=W Bemerkung 1
1
Nettelsee
VEZ
8
4
2
Gräfenhainichen
LT
1/94
1
Autor Schutkowski/Hummel 1992
2
Schutkowski/Hummel 1992, 164 Müller 1974
Feddersen W.
Eggers A–D1
zahlreich
Teegen u. a. 1997
Neubrandenburg
Eggers B
16
Müller 1978
Kemnitz
Eggers B
1/678
Müller/Westphal 1976, 138f.
Haßleben
Eggers C2
1/7
Leuna
Eggers C2
2/6
2
Grimm 1953
Gommern
Eggers C2
1/1
1
Teegen 2000
Süderbrarup
Eggers C–D
55.2 %
Schmalstede
Eggers C–D
2
1
Weidenreich 1933
nur Erw. 2
Wahl 1988, 89 Schutkowski/Hummel 1992
Tab. 13. Individuen mit Zysten im Kieferbereich in eisenzeitlichen Populationen Nordwestdeutschlands und angrenzender Gebiete8 Population
Datierung
Frequenz
Stendell
Per. V–VI
1/76
Jevenstedt
VEZ
3
1
NeumünsterOberjörn
VEZ
2
1
1
Timmendorf I
VEZ
7
4
3
Timmendorf II VEZ
2
1
Quarnbek
RKZ
1
Schmalstede
Eggers (C–)D 2
Summe:
16
M W M=W Bemerkung Autor 1 juv.
Müller/Sikora 1964, 97
2 Folge: i.v. Verlust
Schutkowski/Hummel 1992, 148 Schutkowski/Hummel 1992, 152
Folge: i.v. Verlust8 1
1
6
Schutkowski/Hummel 1992, 160 Schutkowski/Hummel 1992, 170
2 7
Schutkowski/Hummel 1992, 155
Schutkowski/Hummel 1992,175 3
Zahnabszesse Im Gegensatz zu vielen anderen Zahnerkrankungen lassen sich Zahnabszesse und Zahnfachentzündungen recht gut an Leichenbränden nachweisen.
8
In einem Fall (Grab 146) Ursache für intravitalen Verlust (a.a.O. 155)
504
Wolf-Rüdiger Teegen
Tab. 14. Individuen mit Wurzelabszessen und Zahnfachentzündungen in eisenzeitlichen Populationen Nordwestdeutschlands und angrenzender Gebiete9 Population
Datierung
Frequenz
Düne Wissing
HaC–D
2
M
Timmendorf I
VEZ
1
1
Nettelsee
VEZ
3
3
Gräfenhainichen
LT
9/94
6
W M=W Bemerkung
Autor Kühl 1994, 388f. Schutkowski/Hummel 1992, 155
M sad-fmat.: in Kieferhöhle durchgebrochen 3
Schutkowski/Hummel 1992, 164 Müller 1974
Düne Tebbe SO
SLT
1
Kühl 1994, 388
Kemnitz
Eggers B
11/678
Müller/Westphal 1976, 138f.
Loitsche9
Eggers C
16/563
Süderbrarup
Eggers C–D 9.4 %
8
5
3
Schafberg 1998, 102f. Grabnr. n.a.
Wahl 1988, 90
Daher werden sie in eisenzeitlichen Populationen relativ häufig beobachtet (Tab. 14). Sie können u. a. eine Folge von Zahnstein und Parodontopathien, Karies, zu starker Zahnabrasion mit Eröffnung der Pulpahöhle sein. Sie führten oft zu intravitalem Zahnverlust. Insbesondere bei Leichenbränden ist nicht immer sicher zu beurteilen, ob der Zahn bereits ausgefallen war, denn Zahn- bzw. Wurzelreste sind häufig nicht erhalten. Hyperzementose (Tab. 15) Hyperzementose ist das Resultat einer überschießenden Zahnzementbildung. Der Zement lagert sich auf der Zahnwurzel ab. Sie sieht daher unregelmäßig verdickt aus. Eine Hyperzementose stellt in der Regel eine Reaktion des Zahnes auf ein krankhaft verändertes Zahnfach dar. Da, wie in den vorangegangenen Abschnitten gezeigt wurde, Erkrankungen des Zahnhalteapparates häufig waren, ist das Auftreten von Hyperzementosen zu erwarten gewesen. Ein Zahn aus Grab 94 des Gräberfeldes Bislich zeigt einen Aspekt des Bildungsmechanismus deutlich (Kühl 1994 Taf. 7,8.14): Die Pulpahöhle war bereits eröffnet, so daß sich vermutlich ein Wurzelabszeß bildete (Zahnfach nicht erhalten) und im Anschluß es zu einer Überschußproduktion von Zahnzement im Sinne einer Reparaturmaßnahme kam.
9
R. Schafberg (1998, 102f.) interpretiert das Vorkommen von entzündlich veränderten Alveolen als Anzeichen für Karies. Dies ist nicht zulässig, da auch Parodontopathien im weitesten Sinne zu Entzündungen des Zahnhalteapparates und letztlich zu Zahnverlusten führen können.
Homo patiens in der Eisenzeit in Nordwest- und Mitteldeutschland
505
Tab. 15. Individuen mit Hyperzementose in eisenzeitlichen Populationen Nordwestdeutschlands und angrenzender Gebiete10 Population
Datierung
Bislich
Frequenz
%
2
Autor Kühl 1994 Taf. 7,8.14
Gräfenhainichen
LT
3/128
Kemnitz10
Eggers B
vorhanden
2.3
Müller 1974, 292f. Müller/Westphal 1976, 138f.
Süderbrarup
Eggers C–D
5
Wahl 1988, 92
In dem spätlatènezeitlichen Gräberfeld Gräfenhainichen wiesen mindestens drei Individuen eine Hyperzementose der Zahnwurzel auf (Müller 1974, 292f.). Es waren ausschließlich Molaren betroffen. Vier weitere Individuen zeigten eine Wurzelverdickung infolge Entzündung (a.a.O.), so daß hier eine Hyperzementose wahrscheinlich erscheint. Auch unter den Toten der Feddersen Wierde sind entsprechende Veränderungen zu beobachten. Hyperzementose kann die Altersbestimmung mit Hilfe der Zementanulation verfälschen. Daher müssen entsprechend veränderte Zähne von diesem Verfahren ausgeschlossen werden. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß z. T. ausgeprägte Hyperzementosen auch bei Tieren beobachtet werden (Nachweise im eisenzeitlichen Gommern und auf der Feddersen Wierde; unpubl. Beobachtungen des Verf.). Tab. 16. Individuen mit intravitalen Zahnverlusten in eisenzeitlichen Populationen Nordwestdeutschlands und angrenzender Gebiete11 Population
Datierung
Frequenz
M
W M=W Autor
Jevenstedt
VEZ
7
2
3
2
Schutkowski/Hummel 1992, 148
Neumünster-Oberjörn
VEZ
6
3
3
Schutkowski/Hummel 1992, 152
Nettelsee
VEZ
8
7
1
Schutkowski/Hummel 1992
Timmendorf I
VEZ
13
4
6
3
3
Schutkowski/Hummel 1992, 155
2
Schutkowski/Hummel 1992, 160
2
Schutkowski/Hummel 1992,162
Timmendorf II
VEZ
5
Owschlag
VEZ
2
Gräfenhainichen
LT
8/94
Bösdorf-Kleinmühlen
Eggers A/B
1
Neubrandenburg
Eggers B
19
Kemnitz
Eggers B
12+2411/678
Müller/Westphal 1976, 138f.
Hamfelde
Eggers B
vorhanden
Aner 1971
10
11
3
5
Müller 1974, 292f.
1 9
8
Schutkowski/Hummel 1992 2
Müller 1978
Die von Müller/Westphal (1976, 138f.) als Wurzelhautentzündungen der Zahnwurzeln angesprochenen Veränderungen wurden im Sinne einer Hyperzementose interpretiert. Bei 24 Individuen wird von stenosierten Wurzelkanälen berichtet. Es könnte sich dabei um sich schließende Alveolen nach Zahnausfall handeln.
506 Population
Wolf-Rüdiger Teegen Datierung
Frequenz
M
W M=W Autor
Quarnbek
RKZ
3
2
1
Schutkowski/Hummel 1992
Loitsche
Eggers C
23/563
8
10 5
Schafberg 1998
Häven
Eggers C2
Haßleben
Eggers C2–3
Leuna
Eggers C2–3
2/6
Süderbrarup
Eggers C–D
27 %
Schmalstede
Eggers (C–)D 10
Ullrich 1970 Weidenreich 1933 2
Grimm 1953 Wahl 1988, 90f.
5
4
1
Schutkowski/Hummel 1992
Provinzialrömische Befunde: Wederath-Belginum
LT/RKZ
1/19
Trier
spätrömisch
zahlreich vorhanden
Summe:
1
Kunter 1989 Meyer 2002; Teegen unpubl.
46
37 17
Intravitale Zahnverluste Intravitale Zahnverluste kommen relativ häufig vor. Sie lassen sich sowohl bei Brand- wie bei Körperbestattungen gut nachweisen. Intravitale Zahnverluste betreffen alle Bevölkerungskreise, auch Angehörige des Fürstengräberhorizontes Haßleben-Leuna (z. B. Leuna, Grab 4/1926; 5/1926). Die Verluste können sowohl durch Entzündungen als Folge von Karies oder zu schneller Zahnabkauung, als auch Folge einer Parodontitis sein. Teilweise sind auch mehrere Faktoren daran beteiligt. Bei alten Individuen sind oftmals kaum noch bzw. keine Zähne mehr vorhanden. So war die senile Frau aus Häven, Grab 1/1975, vollkommen zahnlos (Ullrich 1976). Eine genaue Diagnose der Ursache, die zu intravitalem Zahnverlust geführt hat, ist am archäologischen Knochen oftmals nicht mehr möglich. Dies betrifft sowohl Körper- wie Brandbestattungen. Bei dem 25–30jährigen Mann aus Leuna, Grab 4/1926, wird eine Kronenfraktur nicht ausgeschlossen. H. Grimm (1978, 262f.) vermutet, daß die Schrägstellung eines Schneidezahns bei dem Individuum aus Lanz, Grab 313, durch ein Trauma im Jugendalter verursacht sein könnte. Weiterhin ist daran zu denken, daß auch Traumata zu intravitalen Zahnverlusten führen können. Die Häufigkeit von intravitalem Zahnverlust nimmt mit zunehmenden Alter stark zu. Geschlechtsunterschiede sind in Tabelle 16 deutlich erkennbar (ohne Süderbrarup). Durch Zahnverluste kommt es oftmals zu Fehlstellungen und -belastungen der verbleibenden Zähne. Dies ist v. a. bei Körperbestattungen gut erkennbar (z. B. Leuna, Grab 4/1926; Grimm 1953 Taf. 38,1–2). Außer verstärkter bzw. irregulärer Abrasion mit entsprechenden Folgen kann es zu verstärkten degenerativen Veränderungen im Kiefergelenk kommen.
Homo patiens in der Eisenzeit in Nordwest- und Mitteldeutschland
507
Zahnpflege Hinweise auf Zahnpflege finden sich daher selten. Unter den Grabbeigaben aus römischer Zeit sind gelegentlich Zahnstocher vorhanden (Martin 1976). Unter der persönlichen Ausrüstung aus dem jütländischen Opfermoor Illerup Ådal (DK) fanden sich auch zahlreiche Holzstäbchen, die als Zahnstocher interpretiert werden (Mus. Moesgard, DK). Bei längerer Nutzung, d. h. über Jahre hinweg, lassen sich deren Spuren auch an Zähnen nachweisen. Bislang gelang dies allerdings erst bei Menschen aus dem Frühmittelalter (Teegen/ Schultz 2002). Bei dem Individuum aus Leuna, Grab 4/1926, wird von zahnärztlicher Seite eine Zahnextraktion nicht ausgeschlossen (Grimm 1953, 75ff.). Im gallorömischen Bereich (Wederath-Belginum) wurden bereits Zahnextraktionszangen in Gräbern nachgewiesen (Künzl 1989). Ob derartige Instrumente auch außerhalb des Reiches benutzt wurden, ist allerdings unbekannt; sie wurden dort jedenfalls bislang noch nicht gefunden. Arthrose des Kiefergelenkes Gelegentlich kann auch an Leichenbränden eine Arthrose des Kiefergelenkes beobachtet werden (Tab. 17), die bei Körperbestattungen relativ häufig vorkommt. Kiefergelenkarthrose deutet auf starke Beanspruchung des Kauapparates. Ursache sind in der Regel Fehlbelastungen des Kausystems, die altersbedingt (degenerativ) sein können, aber auch Folge von Entzündungen und Verletzungen. Weitere Möglichkeiten sind u. U. harte Nahrungsbestandteile, Nutzung der Zähne als Werkzeuge wie auch individuelles Verhalten (Knirschen). Tab. 17. Häufigkeiten der Arthrose des Kiefergelenkes Population
Datierung
Frequenz
Bislich
HaC–D
1
Kühl 1994 Taf. 8,4
Düne Wissing
HaC–D
1
Kühl 1994 Taf. 8,3
Jevenstedt
VEZ
2
Gräfenhainichen
LT
1/94
Malchin
SLT
1/21
Mehrhoog
SLT
1
Loitsche
Eggers C
7/563
Gettorf
RKZ
1
Süderbrarup
Eggers C–D 5
Summe:
14
M
W M=W
2
Bemerkung
Autor
nur re.
Schutkowski/Hummel 1992,149
1
nur re., mat.
Müller 1974, 292
1
li., M mat.
Müller 1969, 239 Kühl 1994 Taf. 8,5
5
1
1
1 4 11
Schutkowski/Hummel 1992, 172 1
5
Schafberg 1998
2
Wahl 1988, 91
508
Wolf-Rüdiger Teegen
Insgesamt war die Zahngesundheit bei den eisenzeitlichen Germanen Nordund Mitteldeutschlands nicht besonders ausgeprägt. Dies entspricht dem Bild gleichzeitiger Populationen außerhalb und innerhalb des Römischen Reiches. Zahnstein, Parodontopathien, Karies, Abszesse und intravitale Zahnverluste lassen sich oft beobachten. Zahnverluste führten zu Fehlstellungen der Zähne, Fehlbelastungen des Kiefergelenks und im Extremfall zu Schiefstellungen im Gesicht. Mehr oder weniger ausgeprägte Zahnschmerzen müssen häufig gewesen sein. Am archäologischen Kieferknochen werden oftmals nicht ausgeheilte Entzündungen und Abszesse festgestellt. Daher erscheint es nicht abwegig, in einer Reihe von Fällen eine Sepsis als Todesursache zu vermuten, ohne daß sich dies aber endgültig beweisen läßt. Zahnhygiene wurde vermutlich ansatzweise betrieben, läßt sich an den Gebissen allerdings bislang nicht sicher nachweisen.
Wachstumsstörungen und Streßmarker Am Skelett des Menschen und der Wirbeltiere lassen sich v. a. zwei Arten von Wachstumsstörungen nachweisen: Harris-Linien und transversale Schmelzhypoplasien. Beide werden auch als Streßmarker bezeichnet.
Schmelzhypoplasien Unter den Streßmarkern stehen transversale Schmelzhypoplasien an erster Stelle. Dies ist sicher auch dadurch bedingt, daß sie sich bereits mit unbewaffnetem Auge dem Untersucher erschließen und in der Regel keine aufwendigen Untersuchungen benötigen. Licht- und rasterelektronische Untersuchungen erhöhen die Aussagekraft (Witzel u. a. 2003). Sie lassen sich übrigens auch bei Tieren nachweisen, z. B. an Schweinen (Lopodunum/Ladenburg: Teegen/ Wussow 2001; Bibracte: Teegen 2003). Tab. 18. Individuen mit transversalen Schmelzhypoplasien und Wurzelhypoplasien in eisenzeitlichen Populationen Nordwestdeutschlands und angrenzender Gebiete Population
Datierung
FreGeschlecht Alter quenz
Bemerkung
Autor
auch HL
Kühl 1992, 240–242
Brandbestattungen: Tornow 1–3
HaB–D
4
BordesholmBrautberg
1100–500
2
Grimm 1978, 262 M=W
5–6, 9–10 J.
Homo patiens in der Eisenzeit in Nordwest- und Mitteldeutschland Bemerkung
509
Population
Datierung
FreGeschlecht Alter quenz
Autor
Schwissel
6.–2. Jh.
5
M=W
2x 4-5, 5, 2x 7-8 J. auch HL
Kühl 1992, 242ff.
M=W
9–10 J.
auch HL
diese Arbeit
auch HL
Teegen u. a. 1997
schwach, grenzwertig
Teegen 2000
auch HL
unpubl.
Körperbestattungen: BoomborgHatzum
HaD/Eggers C
1
Feddersen W.
Eggers A–D1
2/10
Gommern
Eggers C2
1/1
M
1/1
M=W
25–30 J.
Wurzelhypoplasien: HeiligenhafenRKZ Burmanns Kamp
Auch an Zähnen aus Leichenbränden lassen sich bei sorgfältiger Durchsicht des Materials gelegentlich transversale und punktförmige Schmelzhypoplasien feststellen (Tab. 18). In den spätbronze- bis früheisenzeitlichen Gräberfeldern von Tornow wurden insgesamt drei Fälle beobachtet (Grimm 1978, 262). I. Kühl (1992) hat bei der Bearbeitung ausgewählter Leichenbrände aus Schwissel und Hornbek insgesamt sechs Individuen mit Schmelzhypoplasien festgestellt. Da in Leichenbränden die Zahnkronen unterrepräsentiert sind, ist die Feststellung von Schmelzhypoplasien eher ein Zufallsbefund. Bei den im Material besser erhaltenen Wurzeln könnten zumindest Wurzelhypoplasien beobachtet werden, die sich bei Mensch und Tier gelegentlich nachweisen lassen (Teegen/Schultz 1997; Teegen 2003c). Der Fürst von Gommern weist an seinen Schneidezähnen geringgradige Schmelzhypoplasien auf, die auf Störungen während des Zahnwachstums weisen können. Im Fall des Fürsten war dies etwa mit 2 Jahren der Fall.
Abb. 3. Prozentuale Verteilung der Entstehungsalter der transversalen Schmelzhypoplasien. 1 Kinder der Bronzezeit (n=2) und vorrömischen Eisenzeit (n=5) der Gräberfelder BordesholmBrautberg und Schwissel (Daten nach Kühl 1992). 2 Kinder und Erwachsene der Wurt Feddersen Wierde (Daten nach Teegen u. a. 1997)
510
Wolf-Rüdiger Teegen
An den Zähnen der Bewohner der kaiserzeitlichen Wurt Feddersen Wierde (Kr. Cuxhaven) konnten ebenfalls transversale Schmelzhypoplasien nachgewiesen werden. Das Maximum ihres Entstehungsalters lag bei 3–4 Jahren (Abb. 3). Diese Wachstumsstörungen können durch Krankheiten oder durch Mangelernährung verursacht sein. Aus rezenten Studien weiß man, daß beispielsweise beim Abstillen und den danach oft regelhaft auftretenden Durchfallerkrankungen (sog. weaning diarrhaea) es zu Wachstumsstillständen kommen kann. Das gehäufte Auftreten dieser Veränderungen bei den Zähnen der Bewohner der Feddersen Wierde im Alter von 3–4 Jahren könnte, zusammen mit anderen Merkmalen, auf ein durchschnittliches Abstillen zu diesem Zeitpunkt weisen. Das Vorkommen dieser Veränderungen bei sozial hochstehenden Personen ist nicht ungewöhnlich, wie eine Studie an frühmittelalterlichen slawischen Fürsten zeigen konnte (Schultz/Teegen im Druck). Oft liegt bei diesen eine stärkere Morbidität, jedoch geringere Mortalität vor. Dies kann mit besserer Pflege und besserer Versorgung sozial herausragender Personen interpretiert werden. Ein bislang wenig beachtetes Merkmal sind Wurzelhypoplasien. Sie weisen ebenfalls auf Wachstumsstörungen hin, nachdem die Bildung der Zahnkrone abgeschlossen ist. Am Beispiel eines 12jährigen Kindes aus der kaiserzeitlichen Siedlung Heiligenhafen-Burmanns Kamp (Grabung 1935) läßt sich dies gut nachweisen. An den etwa gleichzeitig entstehenden Zähnen 34 und 38 konnten entsprechende Veränderungen nachgewiesen werden (unpubl.).
Harris-Linien Außer an Zähnen lassen sich auch an Langknochen Wachstumsstörungen nachweisen. Es handelt sich um die sog. Harris-Linien. Sie sind im Sägeschnitt, im Anbruch und v. a. im Röntgenbild als strahlendichte Linien sichtbar. In Wirklichkeit handelt es sich aber um plattenartige Gebilde, die die Lage der ehemaligen Metaphysenplatte anzeigen. Gelegentlich finden sich auch bei den Knochen aus Körperbestattungen Anbrüche, die das Vorhandensein von Harris-Linien erkennen lassen. Dies ist bei einem Kind aus der eisenzeitlich-kaiserzeitlichen Siedlung Boomborg/Hatzum sehr gut zu erkennen (Abb. 1,2). Da die durchschnittliche Geschwindigkeit des Knochenwachstums ungefähr bekannt ist, läßt sich auch ihr Entstehungszeitpunkt ungefähr bestimmen12. Für das Kind aus Boomborg/Hatzum bedeutet 12
Die verschiedenen Knochen des menschlichen Skeletts haben ein unterschiedliches Längenwachstumsverhalten. Beim Oberarmbein macht das Wachstum des körperzugewandten, pro-
Homo patiens in der Eisenzeit in Nordwest- und Mitteldeutschland
511
dies, daß die Wachstumsstillstände möglicherweise in den letzten 6 und 3 Lebensmonaten stattgefunden haben. I. Kühl hat bei der Untersuchung verschiedener metallzeitlicher Leichenbrandserien Norddeutschlands immer wieder Harris-Linien beobachtet und auch in einer eigenen Arbeit zusammengefaßt (1979). Da der Leichenbrand meist kleinstückig und im Anbruch vorliegt, lassen sich in Leichenbränden Harris-Linien relativ einfach erkennen. Auch im Leichenbrandprojekt des Schleswig-Holsteinischen Landesamtes für Vorgeschichte und des Anthropologischen Instituts der Universität Göttingen wurden bei einem Kind der Altersgruppe infans II aus Timmendorf I Harris-Linien beobachtet (Tab. 19; Schutkowski/Hummel 1992 Abb. 27). Tab. 19. Individuen mit Harris-Linien in eisenzeitlichen Populationen Nordwestdeutschlands und angrenzender Gebiete Population
Datierung
Frequenz Geschlecht Alter
Bemerkung
Autor
Bordesholm-Brautb.
1100–500
2
M=W
5–6, 9–10 J. auch TSH
Kühl 1992, 240–242
Timmendorf I, Grab 223
VEZ
1/196
M=W
inf. II
Schutkowski/ Hummel 1992, 157
Loitsche, Gr. 186, 144, 157
Eggers C
3/563
M=W M=W M=W
inf. I inf.-juv. juv.
Schafberg 1998, 99f.
1
M=W
6–7
Wahl 1988 , 98
1/2
M=W
inf. II
diese Arbeit; Abb. 1,2
Inf. II erw.
Teegen u. a. 1997; 2003
Brandbestattungen:
Süderbrarup, Gr. 872 Eggers C–D Körperbestattungen: Boomborg-Hatzum Feddersen W.
Eggers A–D1
mind. 2
Moorleichen: Dröbnitz
RKZ
1
Jankuhn u. a. 1958
Windeby
RKZ
1/2
Jankuhn u. a. 1958
ximalen Endes 82 % des Gesamtwachstums aus, beim Oberschenkelbein sind es dagegen nur 30 %, beim Schienbein 55 % (Heuck/Bast 1994, 9). Das jährliche Wachstum der Oberschenkeldiaphyse bei 9–10jährigen Kindern kann aufgrund der Daten von Stloukal und Hanakova (1978) mit etwa 15 mm veranschlagt werden, das des Schienbeins mit 11 mm und des Oberarms mit 10 mm.
512
Wolf-Rüdiger Teegen
Transversale Schmelzhypoplasien und Harris-Linien Nur selten läßt sich ein vergleichbares Auftreten von transversalen Schmelzhypoplasien und Harris-Linien ermitteln. Meist sind keine oder nur geringe Übereinstimmungen vorhanden (Kreutz 1997; Teegen/Schultz 1996). Zwei der wenigen Fälle, wo beides zusammen beobachtet werden konnte, stammen von der kaiserzeitlichen Wurt Feddersen Wierde (Teegen u. a. 1997) und der eisenzeitlichen Flachsiedlung Boomborg-Hatzum (Abb. 1): In beiden Fällen sind krankhafte Prozesse im Bereich der harten Hirnhaut die wahrscheinlichste Ursache (s.o.). Bei dem Kind aus der kaiserzeitlichen Siedlung Heiligenhafen-Burmanns Kamp konnten Wurzelhypoplasien und Harris-Linien nachgewiesen werden, die relativ kurz vor seinem Tode entstanden sind. Eine mögliche Ursache hierfür konnte jedoch nicht gefunden werden.
Mangelkrankheiten Vitamin C-Mangel An mehreren Skeletten der Wurt Feddersen Wierde wurden großflächige Spuren von Blutungen auf den Langknochen, aber auch auf dem Darmbein nachgewiesen (Teegen u. a. 1997 Abb. 4). Sie lassen sich mit einem ausgeprägten Vitamin C-Mangel (Skorbut) in Verbindung bringen. Betroffen waren insgesamt vier von 24 Individuen (16.6 %). Tab. 20. Individuen mit Hämatomen auf Langknochendiaphysen in eisenzeitlichen Populationen Nordwest- und Mitteldeutschlands Population
Datierung
Frequenz
%
Lage
Bemerkung
Autor
Körperbestattungen: Feddersen W.
Eggers A–D1
4/24
16.6 Langknochen, Becken
V. a. Skorbut
Teegen u. a. 1997
2/563
0.4
W, juv. (V. a. Skorbut); M=W, erw
Schafberg 1998 Abb. 33
Brandbestattungen: Loitsche
Eggers C
Süderbrarup
Eggers C-D
Langknochen
Wahl 1988
Organisierte Prozesse auf den Innenseiten der Rippen weisen auf Rippenfellentzündungen (Pleuritis) hin (s. u.). Teilweise sind beide Prozesse mitein-
Homo patiens in der Eisenzeit in Nordwest- und Mitteldeutschland
513
ander verbunden. Dies zeigt, daß eine infolge Skorbut geschwächte Abwehrlage die Ausbreitung von anderen Krankheiten begünstigte. Gerade in der Winterzeit muß die Versorgung mit antiskorbutisch wirkenden Lebensmitteln erschwert gewesen sein. Gemüse und Obst konnten auf den Wurten nur selten nachgewiesen werden. Gelegentlich werden auch bei Leichenbranduntersuchungen Hämatome beobachtet, deren Form und Ursache in der Regel nicht weiter untersucht wurde. Eine Auswahl ist in Tabelle 20 aufgeführt. Hier kann nicht ausgeschlossen werden, daß es sich um Folgen eines Vitamin C-Mangels handelt.
Vitamin D-Mangel Vitamin D-Mangel (Rachitis und Osteomalazie) wurden bislang vergleichsweise selten bei eisenzeitlichen Skeletten nachgewiesen (vgl. Tab. 21). H. Bach berichtet über einen Verdachtsfall der Erwachsenenrachitis, der sog. Osteomalazie, bei einem 40–50jährigen Mann aus dem frühlatènezeitlichen Gräberfeld Harras (Grab I 3). Er schreibt: „Das linke Femur ist im distalen Drittel stark nach dorsal gebogen, offenbar handelt es sich um einen rachitischen Defekt“ (zit. n. Grimm 1978). Tab. 21. Individuen mit Vitamin D-Mangel in eisenzeitlichen Populationen Nordwestdeutschlands und angrenzender Gebiete Population
Datierung
Frequenz
Alter
Lage
Bemerkung
Autor
Harras
FLT
1
M, 40–50 J.
Femur
?
Grimm 1978
Wetzendorf
SLT
1/1
0–3 Mon.
Schädel/Orbita
schwach
Teegen 1999
Feddersen W.
Eggers A–D1 2/10
0–3 Mon.
Schädel/Orbita
schwach
Teegen u. a. 1997
6–12 Mon.
Langkn., Thorax
sehr stark
Zipp 2003
Provinzialrömischer Befund: Mainz
spätrömisch
1/1
Unter den Kindern der Wurt Feddersen Wierde gibt es einen Hinweis auf Säuglingsrachitis (Teegen u. a. 1997), ein Phänomen, das unter den Säuglingen aus dem Küstengebiet öfter beobachtet wird (Elisenhof: Teegen/Schultz 1999; Starigard/Oldenburg: Teegen/Schultz 1998), im Binnenland jedoch deutlich weniger vertreten zu sein scheint (Teegen 1999). Ein bemerkenswerter Fall starker Rachitis wurde bei einem 6–12monatigen Kind aus einer spätrömischen Mainzer Sarkophagbestattung festgestellt (Zipp 2003). Der Befund ist ein relativ sicherer Hinweis auf das Vorkommen von Rachitis bei Kindern aus wohlhabendem Elternhaus. Vergleichbares ist aus
514
Wolf-Rüdiger Teegen
der neuzeitlichen medizinischen Literatur (Peiper 1992) und rezenten klinischen Befunden aus Vorderasien bekannt (Alagol u. a. 2000). Bei einem geschlechtsunbestimmbaren, spätmaturen Individuum konnten Schutkowski und Hummel (1992 Abb. 36) histologisch Mineralisationsstörungen bei der Knochenneubildung feststellen. Die genaue Ursache für diese Mikroveränderungen ist unklar.
Cribra orbitalia Auflockerungen des Augenhöhlendaches, sog. Cribra orbitalia, können – wie die sog. Porotische Hyperostose – ein Anzeiger für Blutarmut (Anämie) sein, müssen es jedoch nicht! Sie können auch durch Entzündungen, Tumore oder postmortale Einwirkungen verursacht sein. Nur eine mikroskopische Untersuchung der Knochenfeinstruktur kann hier eine genaue Diagnose bringen (Schultz 1987; 2001; Götz 1988). Tab. 22. Individuen mit Cribra orbitalia in eisenzeitlichen Populationen Nordwest- und Mitteldeutschlands und angrenzender Gebiete. Die Angaben für Vollmarshausen betreffen Cribra orbitalia et cranii gleichermaßen (vgl. Tab. 23) Population
Datierung
Frequenz
%
Vollmarshausen
HaA–D
45/260
17.3
Ringenberg
HaC–D
1
M=W
Juv.
Kühl 1994, 379
Bislich
HaC–D
2
M M=W
ad, sad
Kühl 1994, 379
Jevenstedt 457
VEZ
1/229
0.44 M=W
Inf. I
Schutkowski/Hummel 1992, 149
Neumünster-Oberjörn II 258 VEZ
1/187
0.53 M=W
Inf.
Schutkowski/Hummel 1992, 152
Timmendorf I 271
VEZ
1/318
0.31 M=W
Inf. 2
Schutkowski/Hummel 1992, 157
Timmendorf II 100, 172
VEZ
2/102
1.96 M=W M=W
Inf. 2 Inf. 1
Schutkowski/Hummel 1992, 160
Sommersberg
LT
1
ad
Kühl 1994, 380
Loitsche 335, 409, 544, 564
jRKZ
4/554
Süderbrarup
Eggers C–D 13/780
1.67
Schmalstede 34
Eggers (C–) D
0.32 M=W
1/312
Geschlecht Alter
Autor Czarnetzki 1982, 425
W 0.72 M=W, W (juv)
2x Inf. I, Schafberg 1998, 2x Juv. 100ff. Wahl 1988 Inf.
Schutkowski/Hummel 1992, 175
Homo patiens in der Eisenzeit in Nordwest- und Mitteldeutschland
515
In eisenzeitlichen und kaiserzeitlichen Leichenbränden findet sich Cribra orbitalia immer wieder, so u. a. in Jevenstedt, Neumünster-Oberjörn II und Timmendorf I (Tab. 22). Auffällig dabei ist, daß in den schleswig-holsteinischen Gräberfeldern fast ausschließlich Kinder der Altersstufen infans I und II betroffen sind. Bemerkenswert ist die Feststellung, daß unter den Bestattungen auf der Wurt Feddersen Wierde kein Individuum mit Cribra orbitalia nachgewiesen werden konnte (Teegen/Schultz 2003). Bei der vermutlich hohen Durchseuchungsrate mit Eingeweideparasiten (s. u.) wäre eine Eisenmangelanämie, die sich in Cribra orbitalia et cranii hätte manifestieren können, zu erwarten gewesen.
Porotische Hyperostose Die porotische Hyperostose des Schädeldaches ist in eisenzeitlichen Populationen Nordwest- und Mitteldeutschlands relativ selten nachgewiesen (Tab. 23). Dieser Befund steht in deutlichem Gegensatz zu den Cribra orbitalia (Tab. 22). Daher wird man wohl eher von einem Artefakt ausgehen und die ursprüngliche Frequenz deutlich höher ansetzen müssen. Tab. 23. Individuen mit porotischer Hyperostose des Schädeldaches in eisenzeitlichen Populationen Nordwest- und Mitteldeutschlands und angrenzender Gebiete. Die Angaben für Vollmarshausen betreffen Cribra orbitalia et cranii gleichermaßen (vgl. Tab. 22) Population
Datierung
Frequenz
%
Autor
Vollmarshausen
HaA–D
45/260
17.3
Czarnetzki 1982, 425
Loitsche
Eggers C
1/563
0.18
Schafberg 1998, 100ff.
Bemerkenswert ist das gehäufte Auftreten im spätbronze-/früheisenzeitlichen Gräberfeld von Vollmarshausen (Kr. Kassel). Die Ursache dafür ist unbekannt und erfordert weitere Untersuchungen.
Erkrankungen des Bewegungsapparates Die häufigste Erkrankung des Bewegungsapparates im antiken Skelettmaterial sind degenerative Gelenkerkrankungen (Arthrose). Sie sind sowohl an den großen Körpergelenken (Schulter-, Ellenbogen-, Hüft- und Kniegelenk) als auch den kleinen Gelenken (z. B. der Hände und Füße) und der Wirbelsäule zu beobachten.
516
Wolf-Rüdiger Teegen
Tab. 24. Degenerative Veränderungen der großen Körpergelenke in eisenzeitlichen Populationen Nordwestdeutschlands und angrenzender Gebiete Population
Datierung
Frequenz
M
Feddersen W.
Eggers A–D1
verbreitet
Leuna, Gr. 4/1926
C2
1
Vollmarshausen
HaA–D
4/298
Stendell
Per. V–VI
1/76
Neumünster-Oberjörn II
VEZ
1
Timmendorf I
VEZ
2
Timmendorf II
VEZ
1
Nettelsee
VEZ
Gräfenhainichen
LT
1
Quarnbek
Eggers B
1
1
Neubrandenburg
Eggers B
3/154
1
Loitsche
Eggers C
13/633
4
Süderbrarup
Eggers C–D 32
Schmalstede
Eggers (C–)D
W M=W Bemerkung
Autor
Körperbestattungen Teegen u. a. 1997 1
Calcaneus
Grimm 1953
Brandbestattungen
Summe:
Czarnetzki 1982 1
Rad., M 35–45
Müller/Sikora 1964, 97
Acetabulum
Schutkowski/Hummel 1992, 152
2
Humeri, mat.; mad.
Schutkowski/Hummel 1992, 156
1
Rad., W sjuv.-fad.
Schutkowski/Hummel 1992, 160
1
1 1
2 5
4
Rad., W mat.
Müller 1974
Hum., M mad.sad.
Schutkowski/ Hummel 1992, 170
Fem., Acetabulum, Rad.
Müller 1978 Schafberg 1998 Wahl 1988, 95
1/ >
Schutkowski/Hummel 1992, 164f.
1 7
Ellenbogen, W fad. Schutkowski/ Hummel 1992
11 5
Erkrankungen der Gelenke Vergleichende Untersuchungen zur Arthrosebelastung kaiserzeitlicher Skelette sind bislang noch die Ausnahme. Eines der wenigen Beispiele ist die Untersuchung der Skelette der Wurt Feddersen Wierde (Kr. Cuxhaven). Degenerative Veränderungen der Extremitätengelenke werden regelhaft an prähistorischen Leichenbränden nachgewiesen (vgl. u. a. Schutkowski/Hummel 1992; Hummel 1996; Schafberg 1998). Die in Tabelle 24 nach Geschlechtern getrennte Aufnahme täuscht eine besondere Belastung der Frauen vor. Dies ist aber ein Artefakt durch die Überlieferung des Leichenbrandes.
Homo patiens in der Eisenzeit in Nordwest- und Mitteldeutschland
517
Bei den 21 mit mindestens einem beurteilbaren Gelenkabschnitt vertretenen Individuen der Feddersen Wierde ist das Hüftgelenk am stärksten belastet, gefolgt vom Femoro-Tibialgelenk (Knie) (Abb. 4,1). Schulter- und Ellenbogengelenk sind deutlich weniger stark erkrankt. Somit ist die untere Extremität stärker degenerativ belastet als die obere Extremität. In der Tendenz folgt diese Verteilung derjenigen, die an anderen prähistorischen und historischen Populationen beobachtet werden konnte. Sie scheint typisch für alteuropäische Bauernpopulationen zu sein. Die Arthrosebelastung des Hüft- und Kniegelenks weist deutliche Seitendifferenzen auf. Die Hüfte ist auf der linken Seite stärker erkrankt. Hier spiegelt sich womöglich die besondere Belastung des Standbeins der Rechtshänder
Abb. 4. Siedlungsbestattungen der Wurt Feddersen Wierde (1. Jh. v. Chr. bis 4. Jh. n. Chr.). Degenerative Gelenkerkrankungen (Arthrosebelastung) (n=21); links: Gesamtverteilung nach Körperseiten getrennt; rechts: Verteilung nach Geschlechtern
Abb. 5. Loitsche, jüngerkaiserzeitliches Gräberfeld. Geschlechtsabhängige Arthroseverteilung im Bereich der großen und kleinen Körpergelenke (Grunddaten nach Schafberg 1998)
518
Wolf-Rüdiger Teegen
wider. Betrachtet man die Geschlechtsverteilung, so läßt sich feststellen, daß die großen Körpergelenke der Männer in der Regel durchschnittlich stärker arthrotisch belastet sind als die der Frauen (Abb. 4,2). Besonders ausgeprägt ist dies beim Hüftgelenk. Bei allen übrigen Gelenken sind die Unterschiede geringer. Weitere Aufschlüsse ermöglicht eine Untersuchung der Arthrosebelastung der kleinen Gelenke von Fuß und Hand: Diese können Aufschlüsse über Arbeitsbelastungen geben. Bislang fanden diese Gelenke nur vergleichsweise selten Beachtung, obgleich sie unter den arthrotisch veränderten Gelenken im Leichenbrand relativ häufig auftreten. Daher sind entsprechende Fälle in der Tabelle 25 gesondert aufgeführt.
Tab. 25. Degenerative Veränderungen der kleinen Körpergelenke in eisenzeitlichen Populationen Nordwestdeutschlands und angrenzender Gebiete. Kursiv = Entzündung Population
Datierung Frequenz
M
W
M=W
Bemerkung
Autor
Körperbestattungen Feddersen W.
Eggers A–D1
vorhanden
Teegen u. a. 1997
Brandbestattungen Jevenstedt
VEZ
1
1
Schutkowski/Hummel 1992, 149
NeumünsterOberjörn II
VEZ
2
2
kl. Gk., Mt I Schutkowski/Hummel 1992, 152
Nettelsee
VEZ
2
Gräfenhainichen LT Süderbrarup
Eggers C–D
2
Mt. I, Ph.
1
M mad.
häufig
Schutkowski/Hummel 1992, 164f. Müller 1974 Wahl 1988
Tab. 26. Randleistenbildung der Phalangen in eisenzeitlichen Populationen Nordwestdeutschlands und angrenzender Gebiete Population
Datierung Frequenz M
Jevenstedt
VEZ
1
Nettelsee
VEZ
4
1
4/
1
Schmalstede Eggers C–D
W M=W
Bemerkung
Autor
1
M=W m-sad.
Schutkowski/Hummel 1992, 148
1
2 (1 ad.)
fast alle matur
Schutkowski/Hummel 1992, 165
2
1
alle matur
Schutkowski/Hummel 1992, 175
Homo patiens in der Eisenzeit in Nordwest- und Mitteldeutschland
519
Für vorwiegend ältere Individuen wurde von Schutkowski und Hummel (1992) eine verstärkte Randleistenbildung der Phalangen beschrieben (Tab. 26)13. Zystenbildung Eine ausgeprägte Arthrose geht mit der Bildung von sog. subchondralen, d. h. unter dem Knorpel und der knöchernen Gelenkoberfläche befindlichen Zysten einher (Mohr 2000). Sie lassen sich teilweise recht gut an Leichenbränden nachweisen (Schutkowski/Hummel 1992 Abb. 6). Tab. 27. Zystenbildung in Gelenkköpfen eisenzeitlicher Populationen Nordwestdeutschlands und angrenzender Gebiete Population
Datierung
Frequenz M W M=W Bemerkung
Autor
NeumünsterOberjörn II
VEZ
1
Timmendorf I
VEZ
4
2
Nettelsee
VEZ
1
1
Bösdorf-Kleinmühlen
Eggers A–B 1
Hamfelde
Eggers B
Schmalstede
Eggers (C–)D
Summe:
1
1
Femur, juv. Mt, M. mad.
Schutkowski/Hummel 1992, 152
2
prox. Tib., ad.; Os triquetum, W ad., W sad.,M=W ad.
Schutkowski/Hummel 1992, 156f.
Mt., W mat.
Schutkowski/Hummel 1992, 165
Os triquetum, M mad.-sad.
Schutkowski/Hummel 1992
1
Aner 1971 2
1
9
2
1
3
Os lunatum, M mmat.- Schutkowski/Humsmat. mel 1992, 175 Phalangen, M=W mat.
4
Auffällig sind die von Schutkowski und Hummel (1992) beschriebenen zystischen Strukturauslöschungen, die sich v. a. auf die Handwurzelknochen beschränken: Von acht Fällen sind viermal das Os triquetum und einmal das Os lunatum betroffen. Die Geschlechtsverteilung ist fast ausgeglichen (Tab. 27). Gelenkankylosen Die knöcherne Verbindung der Gelenkflächen eines Gelenks wird als Ankylose bezeichnet. Sie tritt insbesondere bei entzündlichen Gelenkerkrankungen 13
Da sie unter den degenerativen Veränderungen aufgeführt werden, handelt es sich dabei vermutlich um Anzeichen einer starken Arthrose. Differentialdiagnostisch könnten auch verstärkte Muskelleisten auf der Palmarseite der Phalangen gemeint sein.
520
Wolf-Rüdiger Teegen
auf. In Süderbrarup sind bei zwei Individuen Ankylosen der Fingerglieder belegt (Grab 199 [M=W, ad.-mat.] und 388 [M, mat.]), in ersterem Fall in etwa rechtwinkliger Anordnung, vielleicht Folge eines Sturzes. Bei dem spätadulten Mann aus Grab 1091 ist ein Mittelfußknochen mit einem Sesambein verknöchert (Wahl 1988, 95). Eine Ankylose von Kleinzehengelenken haben Schutkowski und Hummel (1992, 157) in Timmendorf I, Grab 149, bei einem mittel- bis spätadulten Individuum nachweisen können. I. Kühl (1992) hat Ankylosen der Großzehenphalangen unter den Leichenbränden des eisenzeitlichen Gräberfeldes Schwissel beobachtet. Aufgrund neuerer Untersuchungen sind diese Ankylosen wahrscheinlich eher als epigenetisches Merkmal im Sinne des Symphalangismus zu interpretieren (Teegen/Schultz 1999 mit Lit.).
Wirbelsäule Unter den Erkrankungen der Wirbelsäule stehen die degenerativen Veränderungen an erster Stelle. Entzündliche Erkrankungen sind im Fundmaterial, aber auch heute, deutlich seltener. Bei der Wirbelsäule sind vor allem die Lendenwirbel betroffen, wie Grab 1/1967 aus Häven deutlich macht. Dies alles belegt nachdrücklich, daß der kaiserzeitliche Mensch schwer körperlich arbeiten mußte. Das betraf nicht nur die „armen“ Leute, sondern genauso die „Reichen“. Entsprechendes ist an Skelettpopulationen bis in die (frühe) Neuzeit zu verfolgen. Auch bei Leichenbranduntersuchungen werden immer wieder Hinweise auf degenerative Gelenkveränderungen gefunden. Aufschlußreich ist die Verteilung der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte: In Jevenstedt und Timmendorf I sind v. a. die Halswirbel betroffen (4/218 bzw. 12/318), während Brustwirbel deutlich weniger mit arthrotisch bedingten Randlippenbildungen u. ä. gefunden wurden (2/218 zu 5/318; Auszählung der Rohdaten bei Schutkowski/Hummel 1992). Da besonders oft der recht stabile Dens axis in den Leichenbränden gefunden wurde, ist dieses Bild möglicherweise eher erhaltungsbedingt, denn ein tatsächliches Abbild der krankhaften Belastung der Wirbelsäule. Dies zeigt, daß bei der Interpretation dieser Daten strenge Quellenkritik geübt werden muß. Tabelle 28 gibt eine Zusammenstellung einschlägiger Befunde. Da oftmals aus den Publikationen nicht hervorgeht, welche anatomischen Bereiche erhalten sind, geben die Werte die Mindestzahl an. Die degenerativen Veränderungen sind auf die Gesamtzahl der befundbaren Erwachsenen bezogen.
Homo patiens in der Eisenzeit in Nordwest- und Mitteldeutschland
521
Tab. 28. Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule in eisenzeitlichen Populationen Nordwestdeutschlands und angrenzender Gebiete. Mindestwerte Population
Datierung
Frequenz
Stendell
Per. V–VI
5/76
%
M
W
3
2
Jevenstedt
VEZ
7
NeumünsterOberjörn II
VEZ
1
1
Timmendorf I
VEZ
17
5
OwschlagRamsdorf
VEZ
2
Nettelsee
VEZ
4
4
Gräfenhainichen
LT
5/128
5
BWS, LWS
Müller 1974
WederathBelginum
LT/RKZ
2/19
2
BWS, LWS
Kunter 1989
Feddersen W.
Eggers A–D1 verbreitet
Quarnbek
Eggers B
4
10
Bemerkung
Autor Müller/Sikora 1964, 97
3
Schutkowski/Hummel 1992 LWS
Schutkowski/Hummel 1992
12
2
Schutkowski/Hummel 1992
1
1
Schutkowski/Hummel 1992, 162 Schutkowski/Hummel 1992, 164f.
Teegen u. a. 1997
2
Neubrandenburg Eggers B
17/154
Gettorf
RKZ
1
Loitsche
Eggers C
82/563
Costedt
Eggers B2–C2
1/5 (1/45) 20
Süderbrarup
Eggers C–D
11
Schmalstede
Eggers C–D
1
1
5
7
W fad., Schutkowski/ HumM sad.-fmat. mel 1992, 170 5
1 14.6
Müller 1978 M sad.-fmat. Schutkowski/Hummel 1992, 172
35 24
23 1
50.8% 4
M=W
Schafberg 1998 HWS
Hummel 1996, 17 Wahl 1988
3
1
Schutkowski/Hummel 1992, 175
Gelegentlich lassen sich den Leichenbrandbearbeitungen auch Angaben über die Verteilung der degenerativ veränderten Wirbelsäulenabschnitte entnehmen. Im kaiserzeitlich-frühvölkerwanderungszeitlichen Gräberfeld von Süderbrarup (Wahl 1988 Tab. 26) wird die Altersabhängigkeit dieser degenerativen Veränderungen deutlich (Abb. 6). Aufgrund der geschlechtsdifferenzierten Vorlage der Wirbelveränderungen in dem spätkaiserzeitlichen Gräberfeld von Loitsche (Ohrekreis; Schafberg 1998) lassen sich tatsächlich besondere Belastungsmuster herausarbeiten: Bei den Frauen überwiegt die Belastung der Halswirbelsäule. Bei den Männern ist dagegen v. a. die Lendenwirbelsäule belastet (Abb. 6). Vergleichbares zeigt sich bei einer Sammelserie eisenzeitlicher Gräberfelder aus Schleswig-Hol-
522
Wolf-Rüdiger Teegen
stein (Grunddaten nach Schutkowski/Hummel 1992). Dies weist darauf hin, daß die Menschen vermutlich schwere Lasten getragen haben. Der 2. Halswirbel ist besonders am Dens axis häufig betroffen. Er erhält sich wegen seiner massiven Struktur auch bei Leichenbränden recht gut (Schutkowski/Hummel 1992 Abb. 25), so auch in der einzigen, erst im Sommer 2003 wiederentdeckten Brandbestattung aus der Wurtensiedlung Feddersen Wierde (unpubl.).
Abb. 6. Süderbrarup (Kr. Schleswig-Flensburg). Altersabhängige Verteilung der degenerativen Veränderungen der Wirbelkörpergelenke, unterteilt nach den Hauptabschnitten der Wirbelsäule. Legende: HWS = Hals-, BWS = Brust-, LWS = Lendenwirbelsäule. Angegeben ist der Anteil kranker Wirbelkörper an der Gesamtzahl erhaltener pro Wirbelsäulenabschnitt (Grunddaten nach Wahl 1988)
Abb. 7. Geschlechtsabhängige Verteilung der degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule. Anteil der krankhaft veränderten Fragmente nach Geschlecht. Legende: HWS = Hals-, BWS = Brust-, LWS = Lendenwirbelsäule, SW = Sacralwirbel. 1 Neun eisenzeitliche Gräberfelder Schleswig-Holsteins (Grunddaten nach Hummel/Schutkowski 1992). 2 Loitsche, jüngerkaiserzeitliches Gräberfeld. Anteil der krankhaft veränderten Fragmente nach Geschlecht. Männer (M): n = 35, Frauen (W): n = 24, geschlechtsunbestimmbare Fragmente (M=W): n = 23
Homo patiens in der Eisenzeit in Nordwest- und Mitteldeutschland
523
Wertet man die Leichenbrandanalyse eisenzeitlich-kaiserzeitlicher Serien aus Schleswig-Holstein (Grunddaten nach Schutkowski/Hummel 1992 Tab. 15ff.) entsprechend aus, so findet sich ebenfalls dieses Muster (Abb. 6,1): Arthrose der Lendenwirbel tritt fast ausschließlich bei Männern auf. Bei den Frauen sind hauptsächlich Hals- und Brustwirbelsäule betroffen. Eine besondere Belastung der Halswirbelsäule bei Frauen wurde auch in anderen prähistorischen und mittelalterlichen Populationen nachgewiesen: Dies könnte mit dem Tragen von Lasten auf dem Kopf (z. B. beim Wasserholen) in Verbindung zu bringen sein. J. Wahl (1988) sowie H. Schutkowski und S. Hummel (1992) konnten für Schleswig-Holstein belegen, daß bereits jüngere Individuen vergleichsweise starke degenerative Veränderungen aufweisen. Dies wird besonders deutlich, wenn die frühadulten Individuen gesondert betrachtet werden. Das frühe Auftreten dieser Veränderungen belegt einen hohen körperlichen Streß und erklärt auch, warum bereits bei einer Reihe von jungen Menschen Schmorlsche Knorpelknötchen beobachtet werden können. Sehr schön illustriert eine mögliche Ursache dieser Veränderungen ein Foto von der Hallig Hooge um 1900 (Lengsfeld 1998 Abb. S. 73): Schon Kinder mußten schwere Heuballen tragen, vorwiegend auf Kopf und Schulter.
Schmorlsche Knorpelknötchen Wie bei Körperbestattungen, so lassen sich auch an den Wirbelkörpern von Leichenbränden charakteristische grubenförmige Impressionen nachweisen. Es handelt sich dabei um Ausstülpungen der Bandscheiben, die sog. Schmorlschen Knorpelknötchen. Treten sie im jugendlichen Alter auf, so spricht man von der Scheuermannschen Erkrankung. Diese Jugenderkrankung wurde von Schutkowski und Hummel (1992) in verschiedenen eisenzeitlichen Gräberfeldern beobachtet (vgl. auch Tab. 29). Da nicht bekannt ist, ob bei den betroffenen Individuen auch andere Wirbel erhalten waren, läßt sich dieser Befund nicht sicher epidemiologisch auswerten. Die Häufigkeiten betragen 3 % bis 28 % (Tab. 29). Von den geschlechtsbestimmbaren Individuen sind v. a. Männer betroffen. Auch heute weisen Jungen und junge Männer häufiger die Scheuermannsche Erkrankung auf als junge Frauen. Diese Veränderungen sind ein guter Hinweis auf eine geschlechtsdifferenzierte Arbeitsverteilung, die sich auch in den übrigen Gelenkveränderungen sowie in der Ausprägung der Muskelmarken (Tab. 32) zeigt.
524
Wolf-Rüdiger Teegen
Tab. 29. Individuen mit Schmorlschen Knorpelknoten in eisenzeitlichen Populationen Nordwestdeutschlands und angrenzender Gebiete. Mindestwerte Population
Datierung
Frequenz
Bislich
HaC–D
5
%
M
W M=W
Bemerkung
Autor Kühl 1994, 390
Düne Wissing
HaC–D
1
Jevenstedt
VEZ
1
NeumünsterOberjörn II
VEZ
2
1
Timmendorf I
VEZ
4
3
OwschlagRamsdorf
VEZ
3
2
1
fad., 2x sad.-fmat.
Schutkowski/Hummel 1992, 162
Nettelsee
VEZ
2
1
1
M sad.fmat., erw.
Schutkowski/Hummel 1992, 164f.
Kupheide
LT
1/
Kühl 1994, 390
Sommersberg
LT
1/34
Kühl 1994, 390
Mehrhoog
SLT
2
Feddersen W.
Eggers A–D1
4/14
29.6
Loitsche
Eggers C
16/563
2.8
Süderbrarup
Eggers C–D
Schmalstede
Eggers (C–) D 1
Kühl 1994, 390 1
juvenil, BW
Schutkowski/Hummel 1992
1
M=W, sjuvfad, BW
Schutkowski/Hummel 1992
1
Schutkowski/Hummel 1992
Kühl 1994, 390 Teegen/Schultz 1995 11
1
4
Schafberg 1998, 98
16.6
Wahl 1988, 94f. 1
juvenil, BW
Schutkowski/Hummel 1992
Arthritis Im Gegensatz zur weit verbreiteten degenerativen Arthrose, die nur gelegentlich entzündlich entartet, ist der arthritische Krankheitskomplex auch in den ur- und frühgeschichtlichen Perioden vergleichsweise selten: In dem slawischen Fürstengräberfeld von Starigard beträgt ihre Häufigkeit etwa 5 %, wobei Frauen stärker betroffen sind als Männer (Schultz/Teegen im Druck). Dieser Wert entspricht etwa den heutigen Frequenzen (Mohr 1984; 2000). Radiologisch konnte beim Grauballemann eine leichte rheumatoide Arthritis der Brustwirbelsäule festgestellt werden.
Diffuse idiopathische skelettale Hyperostose (DISH) Die diffuse idiopathische skelettale Hyperostose (DISH) wird überwiegend bei älteren Männern (45+ J.) beobachtet. Charakteristisches Merkmal dieser Erkrankung ist eine einseitige, d. h. links- oder rechtsseitige, Verknöcherung
525
Homo patiens in der Eisenzeit in Nordwest- und Mitteldeutschland
des vorderen Längsbandes über mindestens zwei, meistens mehr, Intervertebralräume hinweg. Die Neubildung erscheint als kerzenwachsartige Struktur. Mit einer DISH ist in ca. 20–40 % der Fälle ein Diabetes mellitus verbunden. Die Zusammenhänge sind allerdings nicht signifikant (Daragon u. a. 1995). Die Veränderungen bei dem (mindestens) 45–50jährigen Mann aus Häven 1, Grab 2/1967, könnten nach der publizierten Abbildung auf das Vorliegen einer diffusen idiopathischen skelettale Hyperostose (DISH) weisen. Der Bearbeiter vermutet einen „Hormonstoffwechselschaden“ (Ullrich 1970). Bemerkenswert ist das mutmaßliche römische Familienbegräbnis vom Reichertsberg in Trier, wo dieses Krankheitsbild gehäuft auftrat (Meyer 2002). Auch wenn die bislang aus der Eisenzeit bekannten Befunde noch vereinzelt stehen (Tab. 30), so deuten sie doch an, daß dieses Krankheitsbild vorwiegend bei wohlhabenden älteren Männern aufzutreten scheint. Tab. 30. Individuen mit DISH in eisenzeitlichen Populationen Nordwestdeutschlands und angrenzender Gebiete Population
Datierung Frequenz Geschlecht, Sozialstatus Alter
Bemerkung
Autor
Germanien: Häven 1, 2/1967 Eggers Häven 1, 1/1967?? C2
1(2)/9
M, 45–50 M, 30–35
„Fürst“ nicht als DISH wohlhabend erkannt fraglich, beginnend?
Ullrich 1970 Abb. 197a,b
2/8
M
wohlhabend
Meyer 2002
Römische Provinzen: Trier
Spätrömisch
Blockwirbel Blockwirbelbildungen werden gelegentlich sowohl in Leichenbränden wie auch in Körperbestattungen nachgewiesen (Tab. 31). Man unterscheidet zwischen Verwachsungen der Wirbelkörper oder der Wirbelbögen; gelegentlich liegen auch Kombinationen vor. Ihre Ursache läßt sich oftmals nicht fassen. Möglich ist, daß Blockwirbel angeboren sind (Barnes 1994) oder durch Verletzungen, Entzündungen und degenerative Veränderungen erworben wurden. H. Duday (u. a. 1995) konnten eine angeborene Ankylose der Wirbelbögen bei einem Neugeborenen (Grab 9) aus der gallo-römischen Siedlung Sallèles d’Aude (F) nachweisen. Der spätmature Mann aus Loitsche Grab 126 weist eine Ankylose der Halswirbelbögen auf (Schafberg 1998 Abb. 27). Aus Grab 1 des Hügels I von Kläden (ehem. Kr. Lübz) ist ein solcher Fall bekannt, wo zwei Wirbelkörper miteinander verwachsen sind (Müller 1963).
526
Wolf-Rüdiger Teegen
Eine mature Frau aus einer Siedlungsbestattung in Zehmitz (Kr. Köthen) besitzt zwei ankylosierte Halswirbel (Teegen 2004). Bemerkenswerterweise weist die einzige Körperbestattung aus dem spätkaiserzeitlichen Gräberfeld Zauschwitz, eine ältere Frau mit einer Eberfibel ausgestattet, ebenfalls eine Blockwirbelbildung auf. Die Verknöcherung der Wirbelkörper der Lendenwirbel 3–5 wird eher mit einer Stauchungsfraktur oder Wirbelentzündung denn mit einer angeborenen Blockwirbelbildung in Verbindung gebracht (Grimm 1969, 212). Ein Block von drei Halswirbeln (3–5) aus Süderbrarup, Grab 1123, ist durch Verknöcherung der Längsbänder bedingt (Wahl 1988 Taf. 4,1–3). Tab. 31. Blockwirbelbildung in eisenzeitlichen Populationen Nordwestdeutschlands und angrenzender Gebiete Population
Datierung
Frequenz
Kläden, Hügel I, Gr. 1
Per. V
1/6
Loitsche
Eggers C
1
Zauschwitz
Eggers C
1/66
Süderbrarup
Eggers C–D
1
Lage 16.6 BWS, Wirbelkörper
GeAlter schlecht M
40-55 Müller 1963, 85
HWS, Wirbelbogen 1.5
Autor
Schafberg 1998, 96 Abb. 27
LWS, Wirbelkörper
W
mat.
Grimm 1969
HWS
N
sen.
Wahl 1988
Verknöcherungen der Muskelansätze Anrisse der Sehnen- und Muskelansätze am Knochen führen zu Mikrotraumen und sind oftmals mit Einblutungen unterschiedlichen Schweregrades verbunden. Dabei können durch die Abhebungen des Periostes (Knochenhaut) subperiostale Blutungen entstehen, die über ein bindegewebiges Umbaustadium verknöchern können. Außerdem kann eine zu starke Beanspruchung der Ansatzstellen zu einer primären Verknöcherung der Sehnen führen. Diese Veränderungen lassen sich am Skelett nachweisen (Hawkey/Merbs 1995; Capasso u. a. 1998) – auch an Leichenbränden (Tab. 32). Diese Anzeiger von muskulärem Streß sind neben den Gelenkveränderungen eine wichtige Quelle zur körperlichen Belastung. Aus der Eisenzeit und Römischen Kaiserzeit sind nur wenige Fälle publiziert worden, die hier erwähnt seien (Tab. 32). Ch. Müller und H. Westphal (1976, 138f.) stellten bei drei maturen Männern aus dem älterkaiserzeitlichen Urnengräberfeld Kemnitz (Kr. PotsdamMittelmark) verknöcherte Muskelansätze fest, in zwei Fällen betraf dies die
527
Homo patiens in der Eisenzeit in Nordwest- und Mitteldeutschland
Kniescheibe. Ähnliches wurde auch in Neubrandenburg beobachtet (Müller 1978, 142). Tab. 32. Verknöcherte Muskelansätze in eisenzeitlichen Populationen Nordwestdeutschlands und angrenzender Gebiete Population
Datierung
Frequenz Geschlecht Alter
Lage
Stendell
Per. V–VI
2/76
M M
35–45 Patella 35–45 Calcaneus
Gräfenhainichen
LT
1
M
35–45 Patella
Bemerkung Autor Müller/Sikora 1964, 97 schwach
Müller 1974, 203
Neubrandenburg
Eggers B
7/154
Kemnitz
Eggers B
3
M M M
45–55 ? 40–50 Patella 50–60 Patella
Müller/Westphal 1976, 138f.
Müller 1978
Sörup I, Gr. 760
Eggers B/C
1
M
mat.
Kühl 1985
Süderbrarup
Eggers C–D 12/780
Femur: L. asp.
Wahl 1988, 96
I. Kühl (1985, Taf. III,8) stellte bei dem maturen Mann aus Sörup I, Grab 760, deutliche Randwulstbildungen an der Linea aspera des Femurs fest. Die hier dargestellten Veränderungen (Tab. 32) spiegeln eine deutliche Überbeanspruchung der Beinmuskulatur wieder. Betroffen sind ausschließlich Männer in fortgeschrittenem Alter.
Berufsbedingte Erkrankungen? Auch am Skelett lassen sich – mit gebotener Vorsicht – Hinweise auf mögliche bevorzugte Tätigkeiten des Toten nachweisen. K. A. R. Kennedy und Mitarbeiter (1998) haben die Merkmale in einem Atlas zusammengefaßt. Wie bereits oben erwähnt, deutet die Verteilung der Arthrosegrade der Feddersen Wierde auf typische Verhältnisse prähistorischer Bauern. Wegen der geringen Stichprobengröße lassen sich weitergehende Fragen an diesem Material kaum beantworten. Geschlechtsspezifische Differenzen lassen unterschiedliche Tätigkeiten von Männern und Frauen vermuten. Eine erhöhte Arthrosefrequenz im rechten Handgelenk der Frauen läßt sich vielleicht mit der Textilherstellung in Verbindung bringen. Die Beigabe eines Spinnwirtels in dem Grab des 6jährigen Mädchens aus Grab 7 der Feddersen Wierde deutet darauf hin, daß Mädchen möglicherweise bereits am Ende der Altersgruppe Infans I zum Spinnen herangezogen wurden.
528
Wolf-Rüdiger Teegen
Metallverarbeitung läßt sich u. a. mit erhöhter Schwermetallbelastung oder durch Rhinolithen wahrscheinlich machen. Für beides fehlt bislang noch ein eisenzeitlicher Nachweis. Schmiedegräber wie sie aus der vorrömischen Eisenzeit und der Römischen Kaiserzeit gelegentlich bekannt sind, bilden jedoch ein vorzügliches Potential, arbeitsmedizinischen Fragen gezielt nachzugehen, auch an Leichenbränden. Spurenelementanalysen wären hier die Methode der Wahl.
Tumore Der häufigste Knochentumor des menschlichen Skeletts ist das Osteom. Dabei handelt es sich um einen langsam wachsenden gutartigen Tumor. In seiner Ausprägung als sog. Knopfosteom läßt er sich an Schädeln relativ häufig nachweisen. Im Frühmittelalter sind Frequenzen von bis zu 30 % bekannt (Starigard/Oldenburg: Schultz/Teegen im Druck). Zwei Fälle stammen aus einer kleinen spätrömischen Serie aus Trier-St. Matthias (unpubl.). Ein intrakranielles Osteom konnte bei einer spätrömischen Bestattung vom Trierer Domfreihof nachgewiesen werden. Im eisenzeitlich-kaiserzeitlichen Gräberfeld von Badow (Kr. Nordwestmecklenburg) wurde ein Osteom am Schädel und eines an einem unbestimmbaren Fingerglied nachgewiesen; in beiden Fällen waren Männer fortgeschrittenen Lebensalters betroffen (Blume 1999, 266 Tab. 11)14. Eisenzeitliche bösartige Tumoren sind im Arbeitsgebiet sehr selten. I. Kühl und W. Remagen (1990) berichten von einem Fall aus Schleswig-Holstein. Zu den Neoplasien wird inzwischen die Histiozytose X gerechnet (Lee u. a. 2000). Sie tritt gehäuft bei Kindern zwischen 5–10 Jahren auf, betrifft aber auch ältere Kinder und Erwachsene (Dominok/Knoch 1977). Insgesamt handelt es sich um eine seltene Erkrankung. Sie ist seit dem Paläolithikum belegt. Insgesamt sind weltweit knapp 15 Fälle aus der paläopathologischen Literatur bekannt, dabei stammt die Hälfte aus dem Mittelalter oder jüngeren Epochen (Auflistung bei Teegen/Henke 2002 Tab. 1). Aus der Römerzeit sind bislang zwei Fälle bekannt, die allesamt aus den Provinzen stammen (Neuburg/Donau: Nerlich/Zink1996; Augusta Treverorum/Trier: Teegen/ Henke 2002). Möglicherweise stammt ein weiterer Fall aus dem spätkaiserzeitlichen Gräberfeld von Häven in Mecklenburg. Der Schädel eines etwa 20jährigen
14
Da bei den Pathologica keine Grabnummern angegeben wurden und diese im Katalog nicht identifizierbar sind, waren keine weiterführenden Untersuchungen möglich.
Homo patiens in der Eisenzeit in Nordwest- und Mitteldeutschland
529
Mannes weist einen ausgedehnten landkartenförmigen Defekt auf der linken Seite auf (Ullrich 1970 Abb. 194).
Spuren sonstiger krankhafter Veränderungen am postcranialen Skelett Gefäßerkrankungen Bereits in der Eisenzeit litten die Menschen an Krampfadern: Im 5. Jahrhundert v. Chr. empfahl Hippocrates das therapeutische Anstechen von Varizen, was auch heute noch zur Therapie gehört. Krampfadern finden sich sogar auf einem attischen Relief dargestellt (Körte 1893; Holländer 1913). Celsus beschrieb in tiberischer Zeit das Entfernen von Varizen. Plinius der Ältere berichtet, daß in Rom Männer deutlich häufiger als Frauen an Unterschenkelvarizen litten. Aber auch in Norddeutschland waren Menschen von dieser degenerativ bedingten Erkrankung betroffen, wie die Untersuchung von Knochenresten ergab (Teegen/Schultz 1997). Am Schien- und Wadenbein lassen sich charakteristische, zu Lebzeiten entstandene Furchen nachweisen. Setzt man ihr Vorhandensein zu dem Alter des jeweils betroffenen Individuums in Bezug, so erhält man folgendes Bild: Wie die Körperbestattungen der Feddersen Wierde zeigen, nimmt ihre Häufigkeit mit steigendem Alter deutlich zu. Entsprechendes ist auch aus rezenten Untersuchungen bekannt. Aus dem Frühmittelalter sind vergleichbare Fälle von der Wurt Elisenhof (Teegen/Schultz 1999 Taf. 59,4) und aus dem sog. Fürstengräberfeld Starigard/Oldenburg bekannt (Teegen/Schultz 1997; Schultz/Teegen im Druck). Hinweise auf Gefäßverkalkungen im Sinne der Arteriosklerose ließen sich bislang noch nicht an eisenzeitlichen Menschen aus dem nördlichen Mitteleuropa nachweisen. Sie sind an mumifizierten Körpern nachweisbar (Herrmann u. a. 1990), u. U. sogar bei Körperbestattungen bei guten Erhaltungsbedingungen und sorgfältigster Ausgrabung (pers. Mitt. M. Schultz).
Steinleiden In der klassischen Antike wurden die Menschen anscheinend von zahlreichen Steinerkrankungen geplagt. Dies zeigen zumindest die relativ zahlreich überlieferten medizinischen Schriften, in denen die Lithotomie – also die Steinschneidekunst – einen recht großen Raum einnimmt. Außerdem sind
530
Wolf-Rüdiger Teegen
auch eine ganze Reihe von Instrumenten gefunden worden, die E. Künzl zusammen mit den wichtigsten schriftlichen Quellen vorgestellt hat (Künzl 1983b). Gallen-, Nieren- und Blasensteine wurden auch in archäologischem Material nachgewiesen, allerdings nur relativ selten. Ein Grund für die Seltenheit von Gallen-, Nieren- und Blasensteinen in archäologisch geborgenem Material (außer Mumien, Permafrost- und Moorleichen) dürfte auf der mangelhaften Sensibilisierung von Archäologen und Grabungsmitarbeitern für diese eher ungewöhnlichen Funde bestehen. Ein Großteil der Steine wird sicherlich im Laufe der Liegezeit vergangen sein. Im Gegensatz zur Eisenzeit sind bislang mehr bronzezeitliche Steine nachgewiesen worden (Wells 1975, 758). Bemerkenswert ist ein Blasensteinfund aus dem eisenzeitlichen Gräberfeld Jevenstedt, Grab 302 (Kr. Rendsburg-Eckernförde) (Schutkowski/Hummel 1992 Abb. 20). Betroffen von diesem Stein mit einem Durchmesser von etwa 1 cm war ein mittel- bis spätadulter Mann.
Infektionskrankheiten Auch Infektionskrankheiten lassen sich am Skelett nachweisen. Zu diesen gehören u. a.: Meningitis, Entzündungen der Nasennebenhöhlen, Rippenfellentzündung und Tuberkulose, Syphilis. Hinweise auf das mögliche Vorhandensein von nicht-venerischer Syphilis finden sich in Süd- und Westeuropa gelegentlich seit der Eisenzeit (z. B. Metapont). Für den Westen der Germania magna gibt es bislang noch keine Hinweise. Tab. 33. Infektionskrankheiten in eisenzeitlichen Populationen Nordwestdeutschlands und angrenzender Gebiete Population
Datierung
Frequenz Lage
Geschlecht Alter
Autor
Pleuritis: Feddersen W.
Eggers A–D1 2/10
Rippen
Teegen u. a. 1997
Unspezifische Periostitis: Nettelsee 3, 28 VEZ
2/174
Tibia n.b.
M M=W
Mad.-sad. Sad-fmat.
Schutkowski/Hummel 1992, 165
Kemnitz
Eggers B
1/678
Costedt 6, 20
B2–C2
2/45
Femur
W
20–40
Müller/Westphal 1976, 138
n.b. n.b.
M=W W>M
Smatsen ad
Hummel 1996, 18
Loitsche 241
Eggers C
1
u. a. Tibia M=W
Erw.
Schafberg 1998
Süderbrarup
Eggers C–D
1
Humerus
mat.
Wahl 1988 Taf. 5,6
M
Homo patiens in der Eisenzeit in Nordwest- und Mitteldeutschland
531
Unspezifische Periostitis Mehrere eisenzeitliche Individuen weisen eine unspezifische Periostitis der Langknochendiaphysen auf (Tab. 33). Die Ursachen für diese Veränderungen können vielfältig sein. Möglich ist Skorbut (vgl. Tab. 20), Blutungen und Entzündungen unterschiedlicher Genese, Syphilis, Tumore und vieles mehr. Eine genaue Diagnose ist nur mittels mikroskopischer Verfahren möglich (Schultz 2001).
Molekulare Paläopathologie Die molekulare Paläopathologie ist derzeit der neueste Trend in der Erforschung antiker Krankheiten (Greenblatt/Spigelman 2003). Untersuchungen zur molekularen Paläopathologie an eisenzeitlichem Skelettmaterial aus Norddeutschland sind bislang kaum durchgeführt worden. Zu nennen ist der morphognostische und molekularbiologische Nachweis von Tuberkulose an einer Rinderrippe von der Wurt Feddersen Wierde (Teegen u. a. 2002). Schnittspuren belegen, daß das erkrankte Tier geschlachtet worden ist. Die Rippe ist, wie tausende anderer Exemplare von der Feddersen Wierde in handliche Portionen zerlegt worden, die gut in kaiserzeitliche Gefäße passen.
Unspezifische Veränderungen: Auflockerungen der Diploe H. Schutkowski und S. Hummel (1992) konnten an insgesamt drei Individuen Auflockerungen der Diploe feststellen (Tab. 34). Betroffen waren überwiegend Männer. Derartige Veränderungen können vielfältige Ursachen haben, z. B. Anämie oder eine Schädeldachosteomyelitis. Eine genaue Diagnose kann nur eine mikroskopische Untersuchung bringen (Schultz 2001). Tab. 34. Auflockerungen der Diploe in eisenzeitlichen Populationen Nordwestdeutschlands Population
Datierung
Frequenz Lage
Geschlecht Alter
Autor
NeumünsterOberjörn II 50b
VEZ
1/187
frontal
M=W
mad.
Schutkowski/Hummel 1992, 152
Quarnbek 36
RKZ
1
n.b.
M
sjuv.-fad. Schutkowski/Hummel 1992, 170
frontal
M=W
smat.
Schmalstede 45–47 jRKZ/VWZ 1
Schutkowski/Hummel 1992, 175
532
Wolf-Rüdiger Teegen
Osteoporose Auch aus prähistorischer Zeit ist das Vorhandensein der Osteoporose bekannt. Es handelt sich um einen altersbedingten Prozeß, der bei Frauen eher, bei Männern später einsetzt (Aufderheide/Rodríguez Martín 1998). Sie läßt sich auch am Leichenbrand nachweisen, wie der Fall einer senilen Frau aus dem eisenzeitlichen Gräberfeld Timmendorf II (Kr. Ostholstein) belegt (Schutkowski/Hummel 1992, 160). J. Wahl (1988, 96) stellte acht Fälle im Gräberfeld Süderbrarup fest, unter denen auch senile Männer waren.
Angeborene Defekte Unter angeborenen Defekten werden hier nicht anatomische Varianten oder epigenetische Merkmale verstanden sondern „Erbkrankheiten“. Ihr archäologischer Nachweis ist generell ein großes Problem. Auffällige Menschen wurden in der Vorzeit oftmals auch bildnerisch dargestellt, so daß Statuetten, Reliefs und Malereien eine wichtige Quelle sind, v. a. für die antiken Hochkulturen (Grmek/Gourevitch 1998). Menschen mit angeborenen Defekten sind nur selten in eisenzeitlichen Bevölkerungen nachgewiesen. Dies liegt sicherlich einmal an dem vergleichsweise schlechten Forschungsstand bei der anthropologischen Analyse, andererseits an der vorherrschenden Brandbestattungssitte. Einer dieser seltenen Fälle ist eine mögliche Trisomie 21 (Down-Syndrom) bei einem körperbestatteten Individuum der späten Hallstattzeit aus Südwestdeutschland (Czarnetzki 1980).
Parasitäre Erkrankungen Wie sich durch parasitologische Untersuchungen an Magen-/Darminhalten von Moorleichen, Koprolithen, Latrineninhalten und Mistfunden andeutet, war der Befall mit Eingeweidewürmern bei Mensch und Tier in der Eisenzeit weit verbreitet (Tab. 35). Die Untersuchung von Mistproben der Wurt Feddersen Wierde ergab Nachweise für mehrere Arten von Eingeweidewürmern, die die Bewohner dieser Wurt belastet haben (Over/Jansen 1962). Nachgewiesen sind u. a. der Peitschenwurm (Trichuris trichuria), der Spulwurm (Ascaris lumbricoides) und der große Leberegel (Fasciola hepatica). Eisenzeitliche Moorleichen ergaben vergleichbare Nachweise (Tab. 30). Außer Erkrankungen, die durch die Würmer selbst verursacht werden, z. B. Darmverschluß oder Leberschäden, sind indirekte Folgen wie Blutarmut (Anämie) zu vermuten.
Homo patiens in der Eisenzeit in Nordwest- und Mitteldeutschland
533
Die Übertragung vom Tier auf den Menschen (und umgekehrt) erfolgte vermutlich u. a. durch die Verarbeitung von Dung zu Heiz- und Kochzwecken. Bei kürzlich durchgeführten Untersuchungen an Erdproben aus einem Abfallschacht aus dem römischen vicus Belginum wurden Eier des Spulwurms (Ascaris sp.), des Bandwurms (Taenia sp.) und einer Fadenwurmart (Capillaria sp.) nachgewiesen (Dittmar u. a. 2002). Allerdings ließ sich bislang nicht feststellen, ob Menschen und/oder Schweine befallen waren. Der Befall des Menschen mit Finnen des Schweinebandwurms ist besonders gefährlich. Diese können in ihrer Entwicklung u. a. in das Gehirn und die Muskulatur des Herzens oder der Atemwege gelangen und dort schwere Entzündungen hervorrufen. Sie können bis zum Tod des betroffenen Individuums führen. Auch an Körperbestattungen läßt sich inzwischen Parasitenbefall nachweisen: So wurden Eingeweideparasiteneier in Erdproben aus dem Darmbereich einer becherzeitlichen Körperbestattung und einer neolithischen Rinderbestattung (Dittmar/Teegen 2003) aus Karsdorf 9 (Burgenlandkreis) gefunden. Dies ermöglicht die Klärung der Frage, ob der Befall mit Eingeweidewürmern mit anämiebedingten Cribra orbitalia in Verbindung steht oder nicht. In dem Fall des Schnurkeramikers aus Karsdorf fand sich dafür kein Anhalt. Tab. 35. Nachweis von Eingeweideparasiteneiern in Moorleichen, Koprolithen, Abfallgruben und Mistschichten der Eisenzeit. Tt = Trichuris sp., Al = Ascaris sp., Fh = Fasciola hepatica, T = Taenia sp., Dl = Diphyllobotrium latum, Dd = Dicrocoelium dentriticum. X = vorherrschend, x = weniger häufig Population
Datierung
Tt Al
Fh T
Feddersen Wierde
Eggers A–D1
X
x
X
Dl
Dd Sonstige
x
Autor Over/Jansen 1962
Provinzialrömische Befunde: Lopodunum
2./3. Jh.
Belginum
2./3. Jh.
X
x
Strongyloides sp.
Goppelsröder/Sommer 1996
Capillaria
Dittmar u. a. 2002
Bergwerke: Hallstatt
HaB–D
X
X
Hallein
LT
X
X
Aspöck u. a. 1974 x
x
x
Aspöck u. a. 1974; 2002
Moorleichen: Grauballe
x
Helbæk 1959
Tollund
x
Dröbnitz
x
x
Karwinden
x
x
Zweeloo
x
x
van der Sanden 1996
Lindow II
x
x
van der Sanden 1996
Lindow III
x
Helbæk 1951 Szidat 1944 x
Anguilla terrestris
Szidat 1944
van der Sanden 1996
534
Wolf-Rüdiger Teegen
Der Befall mit Ektoparasiten, wie er für die Eisenzeit aufgrund von Textilresten mit Läusenissen aus den Bergwerken von Hallstatt und Hallein (Österreich) nachgewiesen wurde (Hundt 1960, 141; neuere unpubl. Unters. durch H. Aspöck, Wien [pers. Mitt. K. Zeller, Mus. Hallein]), ist zu vermuten, jedoch noch nicht belegt. Denn bei der Bearbeitung vorrömischer und kaiserzeitlicher Textilien aus Nordwestdeutschland wurde darauf bislang nicht geachtet, beim Studium zeitgleicher Haarreste aus Gräbern (Feddersen Wierde, Grab 7) und von Moorleichen (Hunteburg I) entsprechendes noch nicht entdeckt (unpubl. Unters. des Verf.)15.
Traumata Frakturen, also Zusammenhangstrennungen des Knochens (Lauche u. a. 1937/1970), sind ein sehr altes Phänomen und lassen sich zeitlich bis zu frühen Wirbeltieren zurückverfolgen (Moodie 1923; Rothschild/Martin 1993). Sie sind z. B. auch bei Neandertalern gut belegt. Eine umfangreiche Zusammenstellung vom Paläolithikum bis zum Mittelalter verdanken wir A. MohrSiedentopf (1969; 1971), die von H. Grimm ausgewertet und noch erweitert wurde (1982; 1992). Wegen der vorherrschenden Brandbestattungsweise in der vorrömischen Eisenzeit und der Römischen Kaiserzeit und der oftmals unzureichenden paläopathologischen Bearbeitung von Leichenbränden lassen sich Knochenbrüche bedeutend schwerer diagnostizieren als an der unverbrannten Körperbestattung. Daher ist die Forschungslage für jene Zeiten erheblich schlechter als für die Völkerwanderungszeit und das frühe Mittelalter. Vor allem auf Grundlage der relativ wenigen Körperbestattungen lassen sich einige Aussagen über das Vorkommen von Frakturen bei germanischen Populationen treffen. Sehr selten werden bei der Bearbeitung von Leichenbränden Knochenbrüche entdeckt. Dies gelang u. a. M. Wolf und M. Schultz (2001) für Bremen-Mahndorf, wo sie eine verheilte Fraktur des II. Mittelfußknochens feststellten. Insgesamt sind traumatische Ereignisse im kaiserzeitlichen Skelettmaterial unterrepräsentiert. Die nach schriftlichen und auch archäologischen Zeugnissen unruhigen Zeiten lassen sich paläopathologisch vorerst nur selten fassen, und wenn dann oft nur als germanische Aggression (z. B. Massaker von Regensburg-Harting [Schröter 1985] oder einige spätrömische Bestattungen aus Trier [Teegen 2002]). 15
Es sei angemerkt, daß zwischen den Zinken frühmittelalterlicher Kämme Läusenissen gefunden wurden (pers. Mitt. W. H. Zimmermann, Wilhelmshaven).
535
Homo patiens in der Eisenzeit in Nordwest- und Mitteldeutschland
J. Wahls (1988) Untersuchung der Leichenbrände des Gräberfeldes Süderbrarup ergab allerdings Spuren von je acht Traumata des Schädels und des Postcraniums (Tab. 36–37). Dies belegt die Häufigkeit derartiger Veränderungen auch im Leichenbrand. Dennoch steht die relative Seltenheit derartiger traumatischer Befunde im deutlichen Gegensatz zum Frühmittelalter. Daher spiegelt sich in den eisenzeitlichen Funden kein tatsächlicher Befund, sondern eher ein – wie auch immer geartetes – Überlieferungsproblem. Tab. 36. Traumatische Einwirkungen an Schädeln eisenzeitlicher Populationen Nordwestdeutschlands und angrenzender Gebiete Population
Datierung
Frequenz
Geschlecht, Alter
Lage
Bemerkung
Autor
Gatersleben SBZ/FEZ
1
Frankenhausen
SBZ/FEZ
3
M=W, erw.
Os parietale re. nicht überlebt
Grimm 1978, 263
Häven, Gr. 7
Eggers C2
1/9
W, smat-sen.
Jochbein
verheilt
Ullrich 1970
Leuna
Eggers C2
1/5
M, 25–30
Zahn
fraglich
Grimm 1953
Süderbrarup
Eggers C–D 8
320: M=W, ad. 969: M, sad. 994: M, fmat. 703: M, sad. H4: M=W, mat. 244: M, smat.-sen. 925: M, fmat. 140: M, sad.-mat.
Oberkiefer Os frontale Os parietale Os frontale Augenrand Kinn Augenrand Kinn
Trier, St. Matthias
spätrömisch 5
Grimm 1978, 263
M
Impressionsfraktur
Wahl 1988, 96f.
Hieb, kurz überlebt unverheilt verheilt verheilt
Teegen 2002
Schädeltraumata betreffen hauptsächlich Männer im waffenfähigen Alter. Es sind oftmals Kampfverletzungen, teilweise Folgen von Schwerthieben. Die überlebten, z. T. multiplen Traumata deuten auf Erfahrungen im Umgang mit derartigen Verletzungen im Sinne wundärztlicher Tätigkeit und auf eine intensive Pflege. In Eisen- und Römerzeit überwiegen Frakturen bei Männern bei weitem (Tab. 36–37; vgl. auch Mohr 1969; Grimm 1982). Gelegentlich sind aber auch Frauen betroffen: So weist die spätmatur bis senile Frau aus Häven, Grab 7, eine verheilte Jochbeinfraktur auf (Ullrich 1970). Möglicherweise wurde diese Frau heftig geschlagen.
536
Wolf-Rüdiger Teegen
Tab. 37. Traumatische Einwirkungen am Postcranium eisenzeitlicher Populationen Nordwestdeutschlands und angrenzender Gebiete Population
Datierung
Frequenz
HaA–D
vorhanden
Geschlecht, Alter
Lage
Bemerkung
Autor
Brandbestattungen Vollmarshausen
Czarnetzki 1982
Gräfenhainichen
LT
W, 20–30
LW
Pfeilschuß???
Müller 1974
Loitsche
Eggers C
1
M=W, ad.
Fibula
verh. Fraktur
Schafberg 1998
Süderbrarup
Eggers C–D
8
574: M. ad. 994: M, fmat. 508: M, smat.-sen. 481: M, mat. 48: M, 17–18 116: M=W, um 40 403: M, ad. 858: M=W, erw.
Langkn. Femur Clavicula Femur Humerus Langkn. Humerus Langkn.
Trümmerfraktur Schenkelhalsfraktur verh. disloziert verh. verh.
Wahl 1988, 96f.
Erw.
Metatarsus 2
verh. Fraktur
Wolf u. a. 2001
HW
Beilhiebe? postmortale (?) Enthauptung
Grimm 1978
Bremen-Mahndorf
VWZ
1/8
Parierfraktur? unverh., Amputation, Hieb? unverh.
Körperbestattungen Bad Frankenhausen
Späte BZ/VEZ
mehrere Ind.
Häven 1
Eggers C2
1/9
M
Tibia li.
Fraktur mit Pseudarthrose
Ullrich 1970
Leuna, Gr. 6/1926
Eggers C2
1/5
M, 25–30
Humerus li.
disloziert verh. Fraktur
Grimm 1953
Der 25–30 Jahre alte Mann aus Grab 6/1926 des Fürstengräberfeldes von Leuna (Kr. Merseburg-Querfurt) weist am linken Oberarmbein eine unregelmäßig und nicht axial verheilte Fraktur auf (Grimm 1953). Der Mann aus Häven, Grab 5, besitzt eine Pseudarthrose des linken Schienbeins (Ullrich 1970, Abb. 197c,d). Dieser Mann konnte ohne Hilfsmittel nicht mehr gehen. Die Frakturen des Postcraniums sind vermutlich oftmals das Resultat von Unfällen. Allerdings gibt es auch Anzeichen für Parierfrakturen und Hiebverletzungen (vgl. Tab. 32). Teilweise heilten die Frakturen bemerkenswert gut aus. Es ist zu vermuten, daß diese zumindest teilweise behandelt, d. h. geschient wurden. Unbehandelte Frakturen führten z. T. zu deutlich verkürzten Extremitäten, was in der Regel zu Folgeschäden (Haltungsschäden, Arthrosen) führte. Als Komplikationen treten wie bei den Schädeldachtraumata und Trepanationen oftmals Entzündungen auf, die tödlich sein konnten. Bemerkenswert ist die Beobachtung, daß bislang Traumata bei Kindern relativ wenig nachgewiesen wurden. Möglicherweise hängt dies auch mit der Tatsache zusammen, daß sie auf den Gräberfeldern unterrepräsentiert sind.
Homo patiens in der Eisenzeit in Nordwest- und Mitteldeutschland
537
Medizinische Versorgung Hinwiese auf medizinische Versorgung finden sich nicht nur in Form von mehr oder weniger gut verheilten Frakturen (s. o.), sondern auch in Eingriffen am menschlichen Schädel, den sogenannten Trepanationen. Beigaben deuten darauf hin, daß sowohl reicher ausgestattete Individuen als auch aus ärmeren Bestattungen zu Lebzeiten in den Genuß von chirurgischen Maßnahmen (wie Schädeltrepanationen und Amputationen) gekommen sind.
Trepanationen Der 25–30 Jahre alte Mann aus Grab 6/1926 des Fürstengräberfeldes von Leuna (Kr. Merseburg-Querfurt) weist am linken Oberarmbein eine unregelmäßig und nicht axial verheilte Fraktur auf. Im spätantiken Gräberfeld Merseburg-Süd wurde in Grab 39 ein 15–18jähriges Mädchen gefunden, das eine Trepanation im Bereich der Pfeilnaht aufweist. Aufgrund der von B. Schmidt (1982, 189 Taf. 12,2) publizierten Abbildung wurde der Vorgang vermutlich mehrere Jahre überlebt. Trepanationen bei Kindern und Jugendlichen sind in der Vorzeit gelegentlich nachgewiesen (Schultz 1995). Diese Operationen am Schädel, nicht am Gehirn, wie immer wieder verwechselt wird, die vorwiegend aus medizinischen Gründen ausgeführt wurden, wurden oftmals (durchschnittlich ca. 50 %) überlebt. Dabei zeigen sich zwischen verschiedenen Operationstechniken Unterschiede in der Überlebensrate (Schultz 1995). Das modernste damalige Gerät, der sog. Kronentrepan, wie er aus dem römischen Ärztegrab von Bingen (Como 1925) überliefert ist, führte oftmals zu Verletzungen an der harten Hirnhaut und damit zu einer Blutvergiftung und dem Tod des Patienten. Sowohl in der Römischen Kaiserzeit wie in Völkerwanderungszeit und Frühmittelalter sind Eröffnungen des Schädeldachs (Trepanationen) üblich (Schultz 1993; 1995; Teegen/Henke 2002). Besonders hohe Überlebensraten hatten altertümliche Verfahren (Schabe- und Schnittechnik), während Operationen mit dem damals hochmodernen Kronentrepan (Ärztegrab von Bingen; Como 1925) weniger häufig überlebt wurden (Urban u. a. 1985). In den meisten Fällen lag einer Trepanation ein Schädeldachtrauma zugrunde (Schultz 1995). Magische Gründe sind zu vernachlässigen. Aus der vorrömischen Eisenzeit stammt ein von H. Grimm (1978) publizierter Befund: Der Schädel eines erwachsenen Individuums aus Bad Frankenhausen, Kyffhäuserkreis, zeigt einen lochförmigen
538
Wolf-Rüdiger Teegen
Defekt auf dem rechten Scheitelbein. Die Ränder sind abgeschrägt, was auf eine Schabetrepanation hinweisen könnte. Tab. 38. Trepanationen in Eisenzeit und Römerzeit/Völkerwanderungszeit in Mitteldeutschland Population
Datierung
Geschlecht Alter
Lage
Bemerkung
Autor
Bad Frankenhausen
VEZ
M=W
Os parietale re.
Befund fragl., nach Fraktur, DD posthum?
Grimm 1978
Ranis
MLT?
?
Erw.
2fach Trepanation
Grimm 1978, 265
MerseburgSüd
3.–5. Jh.
W
15–18 Sut. sag.
überlebt
Schmidt 1982
25
Trep. n. Schwerthieb
Teegen/Henke 2002a
Erw.
Provinzialrömische Befunde: Trier-St. Maximin
spätrömisch M
Os par./temp. li
Im spätantiken Gräberfeld Merseburg-Süd wurde in Grab 39 ein 15–18jähriges Mädchen gefunden, das eine Trepanation im Bereich der Pfeilnaht aufweist (Schmidt 1982). Das Ereignis wurde vermutlich mehrere Jahre überlebt. Sichere Hinweise auf die Verwendung eines Kronentrepans, wie er vornehmlich in der jüngeren vorrömischen Eisenzeit (Urban u. a. 1985), im Imperium Romanum (vgl. das Ärztegrab aus dem sog. Ärztegrab von Bingen: Como 1925; Künzl 1983a) und der frühen Neuzeit (v. Gerssdorff 1528; Schultz 1995) verwendet wurde, fehlen. Vermutlich wird man nicht fehlgehen, wenn man die Verwendung von Messern oder einfachen Trepanen annimmt, wie sie H.-G. Stephan (1993) für das hochmittelalterliche Corvey (um/vor 1265) auch archäologisch nachweisen konnte. Für das Römische Reich läßt sich belegen, daß Trepanationen auch als Wundversorgung nach Schädeltrauma durchgeführt wurden. Ein schönes Beispiel aus dem spätrömischen Trier (Tab. 38) belegt dies eindrucksvoll (Teegen/ Henke 2002a).
Postmortale Trepanationen und die sogenannten „Schädelrondelle/-amulette“ (Tab. 39) Hinweise auf postmortale Trepanationen finden sich im Fundmaterial gelegentlich. Ein wichtiger Hinweis darauf sind die sog. Schädelrondelle oder Schädelamulette. Einer aus einem menschlichen Schädel gefertigten Knochenscheibe sieht man nicht ohne weiteres an, ob sie intravital entnommen (als Folge einer Trepanation) wurde oder postmortal. Erst wenn Schnittspuren auf
Homo patiens in der Eisenzeit in Nordwest- und Mitteldeutschland
539
der Schädelinnenseite vorhanden sind, kann die Hypothese geäußert werden, daß diese Scheibe vermutlich postmortal aus einem – maszerierten – Schädel entnommen wurde. Dies zeigt sehr schön ein entsprechender Fund von dem mehrperiodigen Fundplatz Karsdorf 9, Burgenlandkreis. Dort konnte der Verf. in einer eisenzeitlichen Grube eine solche Scheibe ausgraben (Teegen 1999a). Sie war Hitze bzw. Feuer ausgesetzt. Vorher war sie sicherlich über mehrere Jahre getragen worden, da die Kanten stark abgerundet sind. Das Stück besitzt eine zentrale größere und zwei kleinere Durchlochungen. Schabespuren sind nicht vorhanden, so daß fraglich ist, ob das Stück an einem Band getragen wurde. Möglicherweise war es aufgenäht, auch wenn dafür sichere Belege fehlen. Das Interessante an dem Karsdorfer Exemplar ist neben der Abnutzung die Tatsache, daß auf der Lamina interna verschiedene Schnittspuren vorhanden sind, die als Probierschnitte interpretiert werden dürften. Da sie in der Kante verlaufen, ist es recht wahrscheinlich, daß sie im Zuge des Herauspräparierens entstanden sind. Die anatomisch-spurenkundliche Untersuchung dieses Untersuchung dieses Stückes ergab, daß es eindeutig postmortal gewonnen wurde. Aus Mitteldeutschland sind Schädelrondelle vermutlich bereits aus dem Neolithikum bekannt. Durchlochte und undurchlochte Rondelle sind aus Einzelfunden wie aus Gräberfeldern bekannt (z. B. Schönermark, Kr. Angermünde; Wetzel 1974, 118 Abb. 1; „Schädelamulett“: Berlin-Rahnsdorf, Grab 211; Horst u. a. 1987, 214–215 Abb. 4). Das Vorkommen (teil-)verbrannter Schädelrondelle wie im Fall Karsdorf ist auch von anderen Fundstellen bekannt. Sie sind dann in der Regel mit Gräbern verbunden, wie drei Exemplare aus urnenfelderzeitlichen Brandbestattungen aus Künzing-Ost, Grab 102A und 193 (Ldkr. Deggendorf) sowie Wallersdorf (Ldkr. Dingolfing-Landau) zeigen (Röhrer-Ertl 1994, 270ff.). Tab. 39. Das Vorkommen von Schädelrondellen in Spätbronze- und Eisenzeit Population
Datierung
Frequenz Lage
Fundort
Osterode
HaB
1
Kulthöhle
Flindt 1996
Bayern
HaB
3
Gräber
Röhrer-Ertl 1994
Schönermark
Sp.BZ/VEZ
1
Grab
Wetzel 1974
Berlin-Rahnsdorf
Sp.BZ/VEZ
1
Grab
Horst u. a. 1987
Karsdorf
Ha-LT
1
Franken
FLT
2
Parietale
Siedlung
hitzeverändert
Siedlung
Jüchsen-Widderstatt LT
1
Siedlung
Walpersdorf
1
Siedlung
LT
Bemerkung
Autor
Teegen 1999a; in Vorb. Abels 1988 Grasselt 1994
Halbfabrikat?
Ramsl 1994
540
Wolf-Rüdiger Teegen
Aus der latènezeitlichen Siedlung Jüchsen-Widderstatt stammt ein Schädelrondell mit vier Durchlochungen. Es wird als „Trepanationsscheibe“ bezeichnet (Grasselt 1994, 57 Taf. 17,22). Inwieweit tönerne Scheiben als „Imitationen“ der knöchernen Scheiben angesehen werden können (Abels 1988, 78; Grasselt 1994, 57) erscheint wegen ihrer allgemeinen Verbreitung eher unwahrscheinlich. Sie sind wohl eher mit den „Jetons” keltischer Siedlungen in Verbindung zu bringen. Die Schädelrondelle aus Karsdorf und Jüchsen sowie von anderen Fundorten in Mittel- und Süddeutschland deuten möglicherweise auf das Vorhandensein wie auch immer gearteter medizinisch-anatomischer Kenntnisse. Ob sie in Mitteldeutschland auf Trepanationen deuten, ist dagegen ungewiß.
Amputationen (Tab. 40) Amputationen sind – im Gegensatz zu Belegen aus dem Früh- und Spätmittelalter – nur selten aus der Römischen Kaiserzeit überliefert. Für die vorrömische Eisenzeit und Römische Kaiserzeit ist dies vermutlich ein Artefakt aufgrund der Brandbestattungsweise. Aus Stadtrom ist eine Amputation aus Ostia zu nennen (Weaver u. a. 1999). Für die nördlichen Provinzen ist nur ein Fall aus Köln bekannt (Haidle 1997). Der einzige bisher bekannt gewordene, allerdings fragliche Beleg aus dem Barbaricum stammt aus Süderbrarup, Grab 48, und ist einem 17–18jährigen Mann zuzuordnen16 (Wahl 1988 Taf. 5,13). Tab. 40. Das Vorkommen von Amputationen in Eisenzeit und Römerzeit Fundort
Datierung
Süderbrarup Gr. 48 RKZ Ostia-Isola Sacra
2. Jh. n. Chr.
Köln
RKZ
Knochen
Autor
Langknochen Wahl 1988 Weaver u. a. 1999 Humerus
Haidle 1997
Betrachtet man die archäologischen Amputationsbefunde generell, so betreffen sie überwiegend die obere Extremität. Die Ursache ist meist unbekannt, eine Häufung im Bereich des linken Unterarms deutet auf Folgen von Kampfverletzungen i. S. von Parierfrakturen. Zu einem geringeren Teil dürften sie das Ergebnis von Strafen sein, wie sie für das Frühmittelalter in Norddeutschland aus dem Sachsenspiegel (Ldr. III) bekannt sind. Die sel16
Von der Form her ist auch eine Pseudarthrose (vgl. Häven 1, Grab 5) nicht auszuschließen.
Homo patiens in der Eisenzeit in Nordwest- und Mitteldeutschland
541
tenen eisenzeitlich-kaiserzeitlichen Befunde widersprechen der literarischen Überlieferung, wie im nächsten Abschnitt dargelegt wird. Ein unpublizierter Fall aus der frühmittelalterlichen Wurt Niens weist auf ein anderes Problem. Amputate, wie in jenem Fall ein distaler Humerus, lassen sich nicht von solchen Stücken unterscheiden, die zur Gewinnung von Knochenstücken für Artefakte zersägt wurden.
Prothesenversorgung Besonders markant ist der Fund von Prothesen. Bislang sind derartige Funde weder aus dem römischen Germanien noch der Germania magna bekannt geworden. Sie treten erst im Frühmittelalter in den Gebieten nördlich der Alpen auf (Bonaduz und Griesheim). Befunde republikanischer Zeit stammen aus Capua, kaiserzeitliche möglicherweise aus Gallien (Teegen 2001).
Pharmakologische Therapie? Aus zahlreichen Fundorten links und rechts des Rheins wurden eisen- und römerzeitliche Pflanzenreste geborgen und paläoethnobotanisch untersucht (Studien u. a. von Knörzer, Kroll, Willerding). Teilweise enthielten diese Fundkomplexe auch Reste von Pflanzen, die pharmakologisch nutzbar waren. Daß auch römische Arzneimittel nach Germanien gelangten deutet ein bronzener Amphoriskos aus Uitgeest (Niederlande) an, der 40 km nördlich des Limes gefunden wurde und mit Samen von Rettich, Sellerie, wildem Majoran sowie Malven gefüllt war. Dies wird mit einer Arznei gegen Krankheiten der Atemwege in Verbindung gebracht (Buurmann 1988, 350). Pestwurzblätter, wie sie in den Salzbergwerken von Hallstatt und Hallein gefunden wurden, linderten den durch Eingeweidewürmer hervorgerufenen Juckreiz (Aspöck u. a. 1973). Auch verschiedene Brassicaceen haben entzündungshemmende Wirkung und scheinen auch genutzt worden zu sein. Gleichzeitig spielen diese Pflanzen eine wichtige Rolle in der Übertragung des Leberegels Fasciola hepatica (Dittmar/Teegen 2003).
Heilkundliches Wissen aus dem Mittelmeerraum? Hinweise auf medizinische Versorgung in der vorrömischen Eisenzeit und der Römischen Kaiserzeit geben nicht nur die menschlichen Skelettfunde selbst,
542
Wolf-Rüdiger Teegen
sondern auch medizinische Geräte, die innerhalb und außerhalb des Römischen Reiches gefunden wurden. Bereits während der Latènezeit treten gelegentlich in verschiedenen Siedlungen im bzw. nördlich des Mittelgebirgsraumes medizinische Geräte auf. Ein Beispiel dafür ist die Siedlung Jüchsen-Widderstatt (Kr. Meiningen), wo ein eisernes Skalpell und eine Spatelsonde gefunden wurden (Grasselt 1994 Taf. 13,16.18). Für die ältere römische Kaiserzeit ist der Fund einer Starnadel, eines augenärztlichen Instruments, auf der Wurt Feddersen Wierde (Schuster 1996) zu nennen. Die Präsenz römischer Schiffsärzte ist nicht auszuschließen, da spätestens seit augusteischer Zeit Schiffskontakte zwischen dem Imperium und den germanischen Küstenbewohnern im südlichen Nordseegebiet bestanden. Das Starstechen war in der römischen Medizin weit verbreitet (Künzl 2002). Für die jüngere Kaiserzeit belegt das sog. Ärztegrab von Emersleben (Grimm 1936) mit Sicherheit einen Import medizinischer Geräte nach Germanien. Man wird sicher nicht fehlgehen, wenn mit diesen Instrumenten vermutlich auch des entsprechende Wissen nach Norden gelangte.
Abb. 8. Mindestheilungsdauer von Frakturen des Schädels und des Postcraniums (nach Kuner/ Schlosser 1988)
Homo patiens in der Eisenzeit in Nordwest- und Mitteldeutschland
543
Die genannten Befunde könnten weiterhin andeuten, daß römisches Gerät und möglicherweise damit verbundenes Wissen sowohl über den See- (Feddersen Wierde) wie den Landweg (Emersleben) nach Germanien gelangte. Unsere Kenntnisse über diese Art von Technologietransfer sind allerdings noch mehr als lückenhaft.
Pflege? Weniger spektakulär als beispielsweise die Trepanationen, aber in der Summe sicher ungleich wichtiger, ist die Feststellung, daß bereits in der Vorzeit Menschen pflegerisch versorgt wurden. Auffällig ist dies schon früh bei den Frakturen geworden. Wie Abbildung 8 zeigt, beträgt die Mindestheilungsdauer der verschiedenen Skelettknochen zwischen 3 und 14 Wochen. Bei der schweren Oberarmfraktur, die einer der Fürsten von Leuna erlitten hat, ist zu vermuten, daß er mindestens 6–8 Wochen ausgefallen ist, möglicherweise auch bettlägerig war. Da diese Fraktur nicht regelgerecht verheilt ist und Hinweise auf eine Osteomyelitis bestehen (Grimm 1953), ist von einer längeren Krankheitsdauer – und Pflege (?) – auszugehen. Das Kind mit dem Verdacht auf Sinusthrombose (Abb. 1,1) litt vermutlich an Kopfschmerzen, hatte motorische Defizite und wurde möglicherweise auch von epileptischen Anfällen geschüttelt. Vielleicht hatte es auch andere neurologische Ausfälle. Es war mit großer Wahrscheinlichkeit bettlägerig und
Abb. 9. Rekonstruktion der eisenzeitlichen Siedlung Boomborg-Hatzum von Fl. Bau. Die genaue Lage des Grabes des 9–10jährigen Kindes (vgl. Abb. 1,1) ist nicht bekannt
544
Wolf-Rüdiger Teegen
stark pflegebedürftig. Nach Wochen oder Monaten schwerer Krankheit ist es dann verstorben. In einer bäuerlichen Siedlung wie Boomborg-Hatzum (Abb. 9) oder der Feddersen Wierde dürften, wie oben bereits am Beispiel des Textilhandwerks angedeutet wurde, jedes Kind der Altersstufe II in die Landwirtschaft eingebunden gewesen sein. Gerade in den den Gezeiten ausgelieferten Siedlungen dürfte jedes Fehlen einer mithelfenden Hand ein Verlust gewesen sein. Dennoch wurden die Kranken gepflegt, teilweise über längere Zeiträume. Dies belegt eine besondere soziale Verantwortung, auch unter Extrembedingungen.
Wer war krank? Ein bislang von der Forschung stark vernachlässigtes Gebiet ist die Frage „Wer war krank?“. Diese Frage beschränkt sich nicht nur auf die verschiedenen Geschlechter (vgl. Grauer/Stuart Macadam 1998) und Altersgruppen, sondern auch auf den sozialen Status. Abbildung 10 zeigt die Verteilung sämtlicher pathologischen Veränderungen auf die verschiedenen Altersgruppen im Vergleich mit der Gesamtaltersverteilung am Beispiel des älterkaiserzeitliches Gräberfeldes Kemnitz. Dabei sind die Kranken unter den adulten und besonders den maturen Individuen deutlich überrepräsentiert. Diese Verteilung belegt die Zunahme von Erkrankungen unterschiedlichster Genese mit steigendem Lebensalter.
Abb. 10. Kemnitz (Kr. Potsdam-Mittelmark), älterkaiserzeitliches Gräberfeld. Altersverteilung sämtlicher pathologischen Veränderungen (Grunddaten nach Müller/Westphal 1976)
Homo patiens in der Eisenzeit in Nordwest- und Mitteldeutschland
545
Ist die Krankheitsbelastung der verschiedenen Geschlechter immer noch relativ schlecht erforscht, so trifft noch mehr auf die soziale Dimension zu. Mögliche Bezüge zwischen Krankheit und sozialem Status können durch Verknüpfung paläopathologischer Daten und Grabausstattungen hergestellt werden. Bereits in den vorangegangenen Abschnitten wurde hin und wieder auf die Krankheiten der germanischen Fürsten aus Haßleben, Leuna und Gommern hingewiesen. Sie belegen, daß auch sozial hochstehende Persönlichkeiten einer Vielzahl von Krankheiten, Streß und Mangel ausgesetzt waren. Dies begann bereits in der (frühen?) Kindheit. Das Vorkommen bestimmter Krankheiten wie der oben beschriebenen DISH läßt sich ansatzweise mit sozial herausragenden Personen in Verbindung bringen. Auch unterhalb der Gruppe der Fürsten ist eine soziale Differenzierung möglich, wie die Grabfunde (vgl. Schlüter 1970; Gebühr u. a. 1989) und Opferfunde andeuten (Ørsnes 1970; Teegen 1999). Am archäologischen Fundgut läßt sich dies ansatzweise mit einer Analyse der Grabbeigaben und des Grabbaus durchführen. Erste Studien hat M. Schultz (1978) für das merowingerzeitliche Gräberfeld Kleinlangheim durchgeführt. M. Gebühr (u. a. 1989, 107) untersuchte den Anteil von Parodontopathien und postcranialen Veränderungen in Bezug zum Lebensalter am Gräberfeld Neubrandenburg. Ein erster Versuch für einen diachronen Vergleich norddeutscher Populationen wird hier an ausgewählten Beispielen gemacht (Tab. 41). Zeitlich reichen die untersuchten Beispiele von der vorrömischen Eisenzeit bis zur frühen Völkerwanderungszeit. Tab. 41. Für die soziale Einordnung ausgewählter paläopathologischer Befunde herangezogene Gräberfelder17 Gräberfeld
Datierung
Gräber Leichenbrände Beigaben
Anthropologie
Archäologie
Nettelsee
VEZ
194
174
61
Schutkowski/ Hummel 1992
Hingst 1986
Timmendorf I
VEZ
474
318
173
Schutkowski/ Hummel 1992
Hingst 1989
Neubrandenburg
Ältere RKZ
174
154
137
Müller 1978
Leube 1978
Loitsche
Jüngere RKZ
633
554
433
Schafberg 1998 Anm. 17
642
Wahl 1988
Bantelmann 1988
199
Schutkowski/ Hummel 1992
Bode 1998
Süderbrarup
RKZ-VWZ
1234
Schmalstede
(RKZ) VWZ
288
17
312
Verwendet wurden die Angaben über die Beigaben im Katalog von R. Schafberg (1998).
546
Wolf-Rüdiger Teegen
Die Zahl der beigabenführenden Gräber der Nekropolen ist Tabelle 42 zu entnehmen. Die Gräber sind in der Regel in der vorrömischen Eisenzeit und der jüngeren Kaiserzeit/Völkerwanderungszeit relativ bescheiden ausgestattet. Nur in der älteren Römischen Kaiserzeit sind die Beigaben etwas reicher. Die sog. Fürstengräber spielen hier keine Rolle. Die in Tabelle 42 aufgeführten Daten bildeten die Grundlage für die Auswertungsgraphiken, von denen zwei hier wiedergegeben sind (Abb. 11–12). Für die vorliegende Studie wurde nach einem vereinfachten Verfahren vorgegangen: Es wurde ausschließlich die Zahl der Beigaben berücksichtigt18. Verf. ist sich bewußt, daß dieses Vorgehen nur sehr approximativ sein kann (ausführlich zur Problematik u. a. Siegmund 1996). Die Auswahl der hier berücksichtigten Gräberfelder erfolgte nach archäologischen und anthropologischen Gesichtspunkten19. Als Arbeitshypothese wurde davon ausgegangen, daß degenerative Veränderungen besonders bei Individuen ohne bzw. mit wenigen Beigaben besonders häufig sein könnten.
Ergebnisse Die intravitalen Zahnverluste sind in den eisenzeitlichen wie den kaiserzeitlichen-völkerwanderungszeitlichen Nekropolen sowohl bei den armen wie den reicher ausgestatteten Gräbern vorhanden. In Schmalstede gibt es bei fünf Beigaben noch einmal ein zweites Maximum (Abb. 11,2). Möglicherweise lassen sich hier zwei Phänomene fassen: Zahnverluste durch die kohlehydratrei18
19
Beim Gräberfeld Loitsche ging in die Beigabenzahl auch das Vorhandensein von Tierknochen ein, da diese im Katalog von R. Schafberg (1998) aufgeführt sind. Für die meisten anderen Gräberfelder liegen keine Angaben zu Tierknochen vor. Daher wurden für Loitsche in Abbildung 12 Gräber mit keiner und einer Beigabe zusammen gefaßt. Nach H. Hingst (1989, 15) gehört Timmendorf I zu den „reich ausgestatteten Nekropolen“ der vorrömischen Eisenzeit. Dort enthalten 36.5 % der Gräber eine oder mehrere Beigaben, wobei die Frauengräber die größte Beigabenzahl aufweisen (Hingst 1989, Tab. 5). Aus diesem Grund bietet sich dieses Gräberfeld an, paläopathologische Befunde in Bezug zur Grabausstattung zu setzen. Außerdem sind hier neben intravitalen Zahnverlusten und degenerativen Veränderungen auch Cribra orbitalia und Harris-Linien nachgewiesen. Die Untersuchungen von Schutkowski und Hummel (1992, 182) ergaben, daß das eisenzeitliche Gräberfeld Nettelsee zu den aus anthropologischer Sicht am repräsentativsten erhaltenen zählt. Daher wurde es ebenfalls in die Untersuchung einbezogen. Nach Hingst (1989 15) ist es eines der am ärmsten ausgestatteten Gräberfelder. Nur 13.3 % der Gräber enthielten Metallbeigaben. Bei der Berücksichtigung aller Beigaben ergibt sich jedoch eine Häufigkeit von 26.3 % (Tab. 42). Die Gräberfelder Neubrandenburg, Loitsche und Schmalstede wurden aufgrund des Forschungsstandes und ihrer zeitlichen Stellung ausgewählt. Für Süderbrarup bot es sich aufgrund des größeren Vorkommens von Cribra orbitalia (n=13) an, die Beigabenverteilung zu untersuchen (vgl. Abb. 13).
547
Homo patiens in der Eisenzeit in Nordwest- und Mitteldeutschland
chen Breie oder Brote als Grundnahrungsmittel, wie sie durch entsprechende Funde in bronze- und eisenzeitlichen (Währen 1987) sowie römerzeitlichen Grabkontexten nachgewiesen wurden (Cordie-Hackenberg u. a. 1992; Währen 2000). Bei den reicheren Bestattungen könnte auch die verstärkte Nutzung von Honig u. a. Süßspeisen vermutet werden. Tab. 42. Verteilung der Beigabenzahl in ausgewählten Gräberfeldern der vorrömischen Eisenzeit bis frühen Völkerwanderungszeit aus Mittel- und Norddeutschland Beigabenzahl
Gräfenhainichen
Timmendorf I Nettelsee
Neubrandenburg
Loitsche Süderbrarup Schmalstede
0
16
301
143
37
200
592
89
1
42
99
40
11
197
192
85
2
24
43
8
15
102
153
55
3
12
17
2
17
78
109
36
4
15
10
13
38
92
13
5
2
1
9
10
45
5
6 7
1
1
8
1
9
1
10 >10
1
18
3
29
1
12
3
13
1
12
2
4
1
6
3
1
10
1
1
16
1
Gesamt
128
474
194
174
633
1234
288
Beigabenführende Gräber in %
86,5
36.5
26.3
78,8
68,4
52.1
69.1
Sowohl die degenerativen Veränderungen der Wirbel wie der großen und kleinen Körpergelenke sind in der untersuchten Stichprobe in der Regel bei Individuen ohne Beigaben unterdurchschnittlich und bei solchen mit drei und mehr überdurchschnittlich häufig vorhanden (Abb. 11–12). Dieses Bild entspricht nicht den Erwartungen. In Loitsche (Tab. 43) zeigen dagegen die arm ausgestatteten Männer und die nicht geschlechtsbestimmbaren Individuen eine doppelt so hohe Erkrankungsrate wie die etwas besser ausgestatteten. Bei den Frauen ist das Verhältnis fast ausgeglichen. Abbildung 12 faßt die Werte aus Tabelle 38 zusammen und zeigt die Verteilung der Männer, Frauen und nicht geschlechtsbestimmbaren Individuen auf die Beigabenklassen im Vergleich mit den Gräbern. Gräber mit keiner bzw. einer Beigabe nehmen in allen Fällen den größten Anteil ein. Dabei zeigt die Gesamtverteilung der Gräber, der Männer und nicht geschlechtsbestimm-
548
Wolf-Rüdiger Teegen
Abb. 11. Beigabenzahl und intravitale Zahnverluste, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule und der Körpergelenke sowie Schmorlsche Knorpelknoten. Oben: Loitsche (Ohrekreis), jüngerkaiserzeitliches Urnengräberfeld (Grunddaten nach Schafberg 1998). Unten: Schmalstede (Kr. Rendsburg-Eckernförde) kaiserzeitlich-völkerwanderungszeitliches Urnengräberfeld (Grunddaten nach Bode 1998 und Schutkowski/Hummel 1992)
549
Homo patiens in der Eisenzeit in Nordwest- und Mitteldeutschland
baren Individuen einen ähnlichen Kurvenverlauf. Nur bei den Frauen ist ein deutlich abweichender festzustellen. Sie zeigen einen überproportional hohen Anteil mittelreich ausgestatteter Gräber. Aussagen zur Arthrosebelastung der reichen Bestattungen (>4 Beigaben, n=18) lassen sich nicht treffen. Tab. 43. Loitsche, Kr. Oschersleben. Zahl der arthrotisch veränderten Körpergelenke und Beigabenzahl M
F
Beigabenzahl
0
1
Kiefergelenk
1
2
Schulter
1
Ellenbogen
1
2
3
4
0
M=F 1
2
1
3
Summe
4
0
1
1
1
1
1
2
2
3
4 7
1
5 1
Hand Hüfte
1
2
Knie
1
4
1
1
Fuß
1
Phalangen
1
gr. Gelenke
1
Summe
2
6
1
1
1
1
1
1
1
5
2
3
1
2
1
2
6
1
1
6
7
2
31
Aus dieser Verteilung läßt sich folgern: Von Arthrose der großen Gelenke sind v. a. ärmer ausgestattete Männer betroffen. Bei Frauen zeigen überproportional viel mittel ausgestattete Bestattungen eine höhere Arthrosebelastung. Dies weist auch aus Sicht der Beigabenausstattung auf eine deutlich geschlechtsdifferenzierte Arthrosebelastung und damit möglicherweise auch auf eine geschlechtsdifferenzierte Arbeitsteilung. Dieses Bild wird durch die bereits oben beschriebene geschlechtsabhängige Belastung der verschiedenen Wirbelsäulenabschnitte (Abb. 4) untermauert. Auffällig ist bei den Cribra orbitalia aus Süderbrarup, daß sie nur bei Individuen in Gräbern mit Beigaben vorkommen. Allerdings sind dies nur arm bzw. mittel ausgestattete Gräber (Abb. 13). Der Anteil nimmt – wie bei der Gesamtverteilung der Beigaben führenden Gräber – bis zu vier Beigaben ab, um bei fünf Beigaben ein relatives Maximum zu erlangen. Die größte Gräbergruppe aus Süderbrarup (48 %) ist beigabenlos und weist auch keine Cribra orbitalia auf. Möglicherweise handelt es sich bei dieser Verteilung um ein Artefakt: Da beigabenlose Gräber oftmals nur eine geringere Leichenbrandmenge aufweisen, könnte dies auf eine verminderte Erhaltungswahrscheinlichkeit der Überaugenregion hinweisen, ohne die eine Cribra orbitalia nicht diagnostiziert werden kann.
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Räumliche Verteilung von Krankheitsbildern im Gräberfeld Im spätbronze-/früheisenzeitlichen Gräberfeld Vollmarshausen, Kr. Kassel, konnte der Ausgräber J. Bergmann (1982) sechs räumlich getrennte Grabbezirke wahrscheinlich machen. Die anthropologische Analyse ergab unterschiedliche Altersverteilungen (Czarnetziki 1982), Wobei in den Bereichen Ost I und Nord I Subadulte überwiegen (Tab. 44). Darüber hinaus scheinen sich auch die Gelenkveränderungen in bestimmten Bereichen zu konzentrieren. Die Gelenkveränderungen von Wirbelsäule und Körpergelenken konzentrieren sich auf den mittleren Gräberfeldbereich West bis Ost II. Vielleicht wurden hier die Angehörigen besonders hart arbeitender Familien beigesetzt. Allerdings sind die Zahlen viel zu gering, um weiterführende Aussagen zu erlauben. Tab. 44. Vollmarshausen, Kr. Kassel, spätbronze-/früheisenzeitliches Gräberfeld (Grunddaten nach Czarnetzki 1982). Angegeben sind die Erwachsenen/Subadulten je Grabbezirk Veränderung
West, n=24/19
Süd, n=10/9
Ost I, n=16/32
„Arthritis der Gelenke“
2
1
„Diszitis der WS“
3
3
Cribra orbitalia et cranii Karies
insgesamt 34
Ost II, n=21/22
Nord I, n=12/17
Nord II, n=14/14
1 2 11 1
In Bereich Nord II weisen 11 von 28 Individuen (39.3 %) Cribra orbitalia et cranii auf. Das latènezeitliche Gräberfeld Gräfenhainichen zeigt eine gleichmäßige Verteilung der Individuen mit starken degenerativen Wirbelveränderungen und intravitalen Zahnverlusten (Abb. 16 unten). Die Verteilung der Kranken auf die Beigabenklassen (Abb. 14,1) zeigt einen weitgehenden Gleichlauf. Auffällig bei den intravitalen Zahnverlusten ist, daß sie überwiegend bei den besser ausgestatteten Individuen vorkommen (Abb. 14,2). Das oben schon mehrfach erwähnte spätkaiserzeitliche Gräberfeld von Häven 1 deutet eine krankheitsbedingte Separierung von Bestattungen an20. Der junge Mann mit der möglichen Histiocytose X (Grab 4/1869) liegt von allen anderen Gräbern deutlich separiert (Abb. 15). Eine kleine Gruppe bilden die beiden Männer, von denen der eine sicher (2/1967), der andere möglicherweise an DISH (s. o.) litt. Auch die Frau mit Jochbeinfraktur (7/1872) wurde an-
20
Auch wenn die meisten Gräber zwischen 1868 und 1875 zutage traten und kein genauer Lageplan existiert, so lassen doch die Lagebeschreibungen (vgl. Schach-Dörges 1970, 204f.) relative Zuordnungen erkennen.
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Abb. 14. Gräfenhainichen, latènezeitliches Gräberfeld. 1 Beigabenverteilung insgesamt und der kranken Individuen. 2 Beigabenverteilung der Individuen mit intravitalem Zahnausfall. 3 Altersund Geschlechtsverteilung der Individuen mit intravitalem Zahnausfall. 4 Altersverteilung der Individuen (nur Männer) mit degenerativen Wirbelveränderungen
Abb. 15. Häven, Kr. Sternberg, spätkaiserzeitliche Körpergräberfelder 1 und 2. Legende: Quadrat = Mann, Kreis = Frau. 1 Häven 1. Schwarzes Quadrat = V. a. Histiocytose X (Grab 4/1869), dunkelgraues Quadrat = DISH (Grab 1/1967??, 2/1967), mittelgraues Quadrat = Tibiafraktur (Grab 5/1869), schwarzer Kreis = Jochbeinfraktur (Grab 7/1872). 2 Häven 2. Hellgraues Quadrat = prämaturer Nahtschluß/Scaphocephalus (Grab 2) (Plangrundlage nach Schuldt 1977)
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Abb. 16. Gräfenhainichen; oben: Verteilung der Beigaben; unten: Verteilung ausgewählter pathologischer Veränderungen. Kreis = Frau; Quadrat = Mann; schwarz = Pfeilschußverletzung; dunkelgrau = degenerative Wirbelveränderungen; hellgrau = intravitale Zahnverluste (Plangrundlage nach Gustavs/Gustavs 1975, verändert)
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scheinend räumlich getrennt begraben. Wie Ullrich (1970) nachweisen konnte, waren alle Toten dieses reichen Sonderfriedhofs mit einiger Sicherheit miteinander verwandt, auch der beigabenlose Mann aus Grab 4/1869. Er könnte als „armer/kranker Verwandter“ interpretiert werden.
Zusammenfassung Wegen der vorherrschenden Brandbestattungsweise ist unser Wissen um den Gesundheitszustand eisenzeitlicher Populationen des nördlichen Mitteleuropa vergleichsweise gering. Dies gilt im übrigen auch für alle anderen gleichzeitigen Bevölkerungen. Besonders gravierend wird dies für die Römerzeit. Daher sind kaum Aussagen auf dem Populationsniveau möglich, sondern meist nur Fallbeschreibungen (Kasuistiken). Eine der wenigen Ausnahmen stellen die Körperbestattungen der Wurt Feddersen Wierde dar sowie kleinere Säuglings-populationen. Die Gräber der mitteldeutschen Skelettgräbergruppe sind paläopathologisch noch weitgehend unbearbeitet. Die Menschen der Eisenzeit waren einer Vielzahl von Krankheiten ausgesetzt. Dies traf für alle sozialen Gruppen zu. Schwere körperliche Arbeit läßt sich bei Männern und Frauen gleichermaßen nachweisen. Allerdings scheinen durchaus geschlechtsbedingte Unterschiede in der Belastung vorhanden gewesen zu sein. So war bei Frauen des spätkaiserzeitlichen Gräberfeldes Loitsche die Halswirbelsäule stärker arthrotisch verändert. Bei den Männern des gleichen Gräberfeldes war dies die Lendenwirbelsäule – ein sicheres Indiz für schwere Hebetätigkeiten. Ähnliche Beobachtungen konnten bei mehreren Urnenfriedhöfen Schleswig-Holsteins gemacht werden. Beide Geschlechter mußten bereits seit dem Jugendalter hart arbeiten, was durch das Vorkommen der Scheuermannschen Erkrankung und degenerativer Veränderungen bei Jugendlichen und Jungerwachsenen belegt wird. In der Römischen Kaiserzeit sind v. a. traumatische Ereignisse im Material aus Körpergräbern unterrepräsentiert. Die nach schriftlichen und auch archäologischen Zeugnissen unruhigen Zeiten (Einfälle in das Römische Reich, beginnende Völkerwanderungen) lassen sich im Skelettmaterial vorerst nicht fassen. Dies steht beispielsweise im deutlichen Gegensatz zu spätantiken Körperbestattungen im Römischen Reich sowie im Frühmittelalter. Hier spiegelt sich kein tatsächlicher Befund, sondern ein Überlieferungsproblem. In den ländlichen Siedlungen Germaniens – außerhalb und innerhalb des Römischen Reiches – waren Wurmerkrankungen ein gewohntes Bild. Sie sind ein wichtiger Hinweis auf Erkrankungen, die sowohl bei Menschen wie bei Tieren verbreitet sind (sog. Zoonosen).
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Das einheimische medizinische Wissen war vermutlich beschränkt. Wundbehandlung und Pflege waren bekannt. Ob die sehr selten nachgewiesenen Trepanationen eine autochthone Tradition widerspiegeln oder südliche Einflüsse, ist derzeit aufgrund der schlechten Materialbasis noch unklar. Römische bzw. mediterrane Einflüsse auf das Gesundheitswesen lassen sich indirekt durch medizinische Geräte nachweisen, die seit der Latènezeit nach Norden gelangten. Der Fund besonderer Instrumente, z. B. einer Starnadel von der Feddersen Wierde, läßt einen Technologietransfer nicht unwahrscheinlich erscheinen. Heilkundige lassen sich in seltenen Fällen durch sog. Ärztegräber nachweisen. Insgesamt bleibt der Einfluß keltisch-römischer Medizin punktuell und läßt sich in seinen Auswirkungen (noch) nicht fassen.
Homo patiens in the Iron Age of Northwest and Central Germany. A compilation of paleopathological finds (Abstract)21 Our knowledge of the health situation of Iron Age populations in North-central Europe is comparatively limited due to cremation burials. This accounts for all other contemporary populations. One of the very few exceptions are the inhumations at Feddersen Wierde. Hard physical work can be demonstrated at same levels for women and men. However, there seem to have been gender specific differences in stress. Similar observations have been made at several urn cemeteries of SchleswigHolstein. Roman and mediterranean influences on the health system can be demonstrated indirectly by medical tools which came north since the Latene period. The find of specific tools like the star needle from Feddersen Wierde makes a technological transfer appear to have been possible.
Danksagungen Für die Möglichkeit, Originalfunde studieren zu können, danke ich herzlich dem Niedersächsischen Institut für historische Küstenforschung Wilhelmshaven (Dr. W. H. Zimmermann), dem Archäologischen Landesmuseum Schleswig (Prof. Dr. Cl. v. Carnap-Bornheim), dem Landesamt für Archäologie Sachsen-Anhalt Halle/S. (Dr. H. Meller, Dr. M. Becker), dem Bischöflichen Dom- und Diözesanmuseum Trier (Prof. Dr. W. Weber, Dr. H. Merten), 21
Für die Übersetzung danke ich Dr. Ch. V. Steinmann, Dresden.
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dem Rheinischen Landesmuseum Trier (Dr. K. Goethert, Dr. S. Faust, Prof. Dr. L. Clemens, L. Schwinden) und dem Zentrum Anatomie der Universität Göttingen (Prof. Dr. Dr. M. Schultz). I. Kühl (Schleswig) verdanke ich die Möglichkeit, einige von ihr bereits anthropologisch bearbeitete Leichenbrände durchsehen zu können. H.-J. Frisch (Schleswig) danke ich für bewährte technische Assistenz.
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Wolf-Rüdiger Teegen
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Abbildungsnachweis Abb. 1–6; 9–12: W.-R. Teegen, Leipzig. Abb. 7: Verändert nach Kuner/Schlosser 1988. Abb. 8: Nach F. Kaul in: v. Schnurbein/Sievers 2002. Abb. 13: Verändert nach Gustavs/Gustavs 1975. Abb. 14–15: Verändert nach Schuldt 1977 Abb. 2; 6.
Anschrift des Verfassers: Dr. Wolf-Rüdiger Teegen Universität Leipzig Historisches Seminar/Professur für Ur- und Frühgeschichte Ritterstraße 14 D-04109 Leipzig Email:
[email protected]
Studien zur Lebenswelt der Eisenzeit. RGA-E Band 40 – Seiten 565–590 © Copyright 2006 Walter de Gruyter · Berlin · New York
Tierknochen aus eisenzeitlichen Siedlungen in Mitteldeutschland von Hans-Jürgen Döhle Ihren Aufsatz über die spätlatènezeitliche Siedlung von Kleinkayna leitet Rosemarie Müller mit der folgenden Feststellung ein: „Die Kenntnis jener eisenzeitlichen Epoche, die der Prähistoriker mit dem Namen Latènezeit umreißt, gründet sich im Saale-Elbe-Gebiet im wesentlichen auf Grabfunde“. Demgegenüber „treten die unscheinbaren und deshalb als weniger aussagekräftig angesehenen Belege der Siedlungstätigkeit in den Hintergrund, obwohl der Fundanfall aus Siedlungen naturgemäß wesentlich umfangreicher als der aus Bestattungen ist“ (Müller 1983, 51). Sie betont die Notwendigkeit, jegliches Siedlungsmaterial zu sichten und vorzulegen, auch und gerade deshalb, weil – zumindest bis zu damaliger Zeit – keine Siedlung vollständig ergraben und publiziert worden war (ebd.). Diese Einschränkung gilt wohl auch noch heute für fast alle der untersuchten Siedlungen. Zu diesem Siedlungsmaterial gehören meist auch Tierknochen, und das Bestreben, sie zusammen mit den anderen Funden sowie den Grabungsbefunden in einer Publikation vorzulegen, ist verständlich. Einem solchen Ansinnen sind jedoch in aller Regel enge Grenzen gesetzt, denn entsprechendes Fachpersonal für die Aufarbeitung der Tierreste steht nur selten zur Verfügung. Dennoch sind in den letzten Jahrzehnten auch im mitteldeutschen Raum eine Reihe archäozoologischer Arbeiten entstanden, die sich eisenzeitlichen Funden widmen (Tab. 1), so daß es sinnvoll erscheint, den derzeitigen Kenntnisstand auf diesem Gebiet im Überblick darzustellen. Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Zusammensetzung der jeweiligen Fundkomplexe sollen dabei nach Möglichkeit herausgearbeitet werden. Die Aussagekraft der bisher untersuchten Fundkomplexe mag je nach Grabungsbefund und Fundzusammenhang im einzelnen recht unterschiedlich sein. Da es sich bei dem in Rede stehenden Material jedoch durchweg um Siedlungs- bzw. Küchenabfall handelt, erwartet man von der zoologischen Analyse in erster Linie Auskunft über die Ernährungsgewohnheiten eisenzeitlicher Siedler und deren Wirtschaftsweise. Naturgemäß sind all diese Funde stark fragmentiert. Dennoch sind in den einzelnen Fundkomplexen meist auch einige vollständige Knochen enthalten, mittels derer der Habitus der betreffenden Tierarten veranschau-
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Hans-Jürgen Döhle
Tab. 1. Eisenzeitliche Siedlungen in Mitteldeutschland und angrenzenden Gebieten, aus denen Tierreste untersucht wurden (Lage: Abb. 1) Nr.
Fundort
Datierung
Autor/Jahr
1
Tangermünde
Jastorf
Teichert 1970
2
Groß Ammensleben1
Jastorf
Prilloff im Druck
3
Gommern
Hallstatt C/D
Döhle 1984
4
Werlaburgdorf
700 v. Chr.–200 n. Chr.
Boessneck/Wiedemann 1972
5
Gielde
Spätlatène
von den Driesch 1970
6
Pipinsburg bei Osterode2
Späthallstatt–Beginn Spätlatène
Hoppe 1976
7
Nörten-Hardenberg
jüngere Eisenzeit
Reichstein 1989
8
Göttingen
Spätlatène
Amberger 1982
9
Wipperdorf
Latène
Prilloff 2003
10
Helfta
Latène
Müller 1996
11
Wetzendorf
späte Bronzezeit–frühe RKZ
Döhle unpubl.
12
Kleinkayna
Spätlatène
Teichert 1983
13
Schönburg
Spätlatène
Teichert 1964
14
Boyneburg
Späthallstatt und Latène
Becker 1999
15
Oberdorla
Latène
Teichert/Müller 1992
16
Großfahner
Latène
Barthel 1982
17
Gotha
Spätlatène
Prilloff/Huck 2002
18
Erfurt
Spätlatène
Prilloff 2002
19
Remda
Spätlatène
Müller 1965
20
Jüchsen
Späthallstatt – Latène
Barthel 1994
licht werden kann und im Falle der Haustiere Rückschlüsse auf die Praxis der Tierhaltung gezogen werden können. Vollständige Skelette von Haustieren, wie sie beispielsweise aus Opfergruben und Grabzusammenhängen bekannt sind und Einblicke in die Geisteshaltung der damaligen Menschen gewähren, werden in Siedlungsmaterial nur ausnahmsweise angetroffen3. Solche Funde 12
1
2
3
Herrn Dr. R.-J. Prilloff (Farsleben) sei herzlich dafür gedankt, daß ich vor der Drucklegung Einsicht in das Manuskript nehmen und die entsprechenden Angaben verwenden durfte. – Manuskriptabschluß: Anfang 2004. Herrn Dr. W.-R. Teegen (Universität Leipzig) danke ich herzlich dafür, daß er mich auf diese unveröffentlichte Arbeit hingewiesen hat. Herr Priv.-Doz. Dr. D. Heinrich (Universität Kiel) stellte mir die Arbeit in Auszügen zur Verfügung. Auch ihm sei herzlich gedankt. So z. B. Karsdorf 9 (Burgenlandkreis): Teegen/Döhle 1999.
Tierknochen aus eisenzeitlichen Siedlungen in Mitteldeutschland
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Abb. 1. Eisenzeitliche Fundplätze, von denen archäozoologische Untersuchungen vorliegen (Auflistung der Fundplätze in Tab. 1)
568
Hans-Jürgen Döhle
sind darüber hinaus für die vergleichende und historische Haustierkunde von großem Wert. Welche Informationen den bisher vorliegenden Untersuchungen an eisenzeitlichen Siedlungskomplexen aus dem mitteldeutschen Raum und angrenzenden Gebieten zu entnehmen sind, soll nachfolgend in knapper Form dargelegt werden.
Das Fundmaterial Für eine solche Auswertung steht aus dem Arbeitsgebiet bisher Material von insgesamt 20 Fundplätzen zur Verfügung, zum größten Teil publiziert. Sieben Fundstellen befinden sich in Sachsen-Anhalt, ebenso viele in Thüringen, fünf in Niedersachsen und eine in Hessen. Ihre geographische Lage veranschaulicht Abbildung 1. Die jeweiligen Fundmengen sind unterschiedlich (Tab. 2). Sie liegen zwischen gut 100 und etwas über 1500 bestimmbaren Einzelstücken. Nur in zwei Fällen (Pipinsburg bei Osterode, Widderstatt bei Jüchsen) fußen die Analysen auf mehreren Tausend Funden. Es liegt auf der Hand, daß Aussagen, die auf der zoologischen Analyse nur einiger Hundert bestimmbarer Fundstücke beruhen, statistisch gesehen, mehr Unsicherheiten in sich bergen als solche, die sich auf hohe Fundzahlen stützen können. Allerdings bedeutet dies nicht, daß kleinere Fundkomplexe für wirtschaftsgeschichtliche Betrachtungen wertlos sind. Manche Sachverhalte werden erst deutlich, nachdem entsprechende Befunde von mehreren Fundplätzen untereinander verglichen wurden. Für alle bislang archäozoologisch untersuchten eisenzeitlichen Siedlungen zeichnet sich eine überragende Bedeutung der Haustiere gegenüber den Wildtieren ab, die ihnen für die Nahrungswirtschaft, soweit dies die tierische Komponente betrifft, zukam. Dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn man berücksichtigt, daß Haustiere nicht nur als Fleischlieferanten genutzt wurden, sondern auch als lebende Tiere. Rinder und die kleinen Hauswiederkäuer lieferten Milch, Schafe außerdem Wolle. Rinder und Pferde standen für vielfältige Transportaufgaben zur Verfügung. Die erlegten Wildtiere lieferten vor allem Fleisch. Knochen, Häute, Felle und Geweihe dienten als Rohstoff zur Herstellung von Geräten, Kleidung und Schmuck. Anders als Haustiere konnten lebende Wildtiere nicht genutzt werden. In fast allen Fundkomplexen liegt der Wildsäugetieranteil unter 5 % (Abb. 2). Lediglich in Tangermünde erreicht er gut 12 %, in Remda etwas über 8 %. Angesichts der in beiden Fällen sehr kleinen Fundkomplexe wird man diesen „Ausnahmen“ keine große Bedeutung beimessen können. Die beiden fundreichsten Materialien (Pipinsburg und Jüchsen) ergaben Wildanteile von 0,4 % bzw. 2,2 %. Angesichts des bedeuten-
Tierknochen aus eisenzeitlichen Siedlungen in Mitteldeutschland
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Abb. 2. Haustier-Wildtier-Anteile in eisenzeitlichen Siedlungen Mitteldeutschlands und angrenzender Gebiete (Grundlage: Anzahl der Säugetierknochen; Fundorte siehe Tab. 1). Kleinnager und nicht schädelechte Geweihfragmente blieben unberücksichtigt
Abb. 3. Fundanteile der wichtigsten Haussäugetiere in eisenzeitlichen Siedlungen Mitteldeutschlands und angrenzender Gebiete (Grundlage: Knochenanzahl, ohne Pferd und Hund; Fundorte siehe Tab. 1)
den Materialumfanges dürften diese Fundanteile die tatsächliche Situation zur damaligen Zeit verläßlich wiedergeben. Die Fundrelationen der meisten sehr viel kleineren Fundkomplexe stimmen mit diesen Werten praktisch überein, so daß anzunehmen ist, daß auch diese bezüglich der Haustier-Wildtier-Relationen zuverlässige Ergebnisse liefern. Insgesamt sind zwischen den einzelnen
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Hans-Jürgen Döhle
Siedlungen keine Unterschiede in den Wildtieranteilen zu erkennen, so daß die Jagd zur Deckung des Fleischbedarfs durchweg keine Rolle gespielt hat. Dies steht im Einklang mit großräumigen Befunden zur Nahrungswirtschaft eisenzeitlicher Siedler in ganz Mitteleuropa (Benecke 1994, 122). Größere Unterschiede zeigen sich in den Fundanteilen der wirtschaftlich bedeutendsten Haustiere Rind, Schaf/Ziege und Schwein (Abb. 3). Gemessen am Fundaufkommen, dominiert jedoch fast überall das Rind, in der Regel mit über 40 %. Ihm kam, was die Fleischkomponente der menschlichen Ernährung anbelangt, die größte Bedeutung zu, zumal es sich hierbei um ein vergleichsweise großes Tier mit entsprechend hohem Fleischertrag handelt. Es ist sicher kein Zufall, daß gerade sehr kleine Fundkomplexe (Gielde, Boyneburg) hiervon stark abweichende Ergebnisse erbrachten, die wohl vor allem dem „Fehler der kleinen Zahl“ geschuldet sind. Nicht ohne Grund berücksichtigte Benecke (1994 Abb. 76; 86) bei der Darstellung der relativen Häufigkeiten nur Fundkomplexe mit mindestens 200 bestimmbaren Funden. Das Pferd blieb bei den bisherigen Betrachtungen zur (ernährungs)wirtschaftlichen Bedeutung der Haustiere unberücksichtigt. Es nimmt unter den Haustieren insofern eine Sonderstellung ein, als es sicher nicht vordergründig zur Erlangung von Fleisch gehalten wurde. Die meisten Pferdeknochen sind dennoch fragmentiert (z. B. Reichstein 1989, 147; Müller 1996, 168), auch lassen sich vielfach Hieb- und Schnittspuren an den Knochen nachweisen (z. B. Teichert 1992, 85; Barthel 1994, 138). Zwar sind sie daher ebenfalls als Schlachtabfall anzusehen, die eigentliche Bedeutung des Pferdes lag aber sicher darin, dem Menschen als Fortbewegungs- und Transportmittel zu dienen. Eine gesonderte Betrachtung verlangen auch die Hundereste, denn der Hund spielte für die Ernährung des Menschen keine Rolle, allein schon aufgrund des geringen Fundaufkommens. Damit soll nicht gesagt sein, daß Hundefleisch grundsätzlich verschmäht wurde. Allerdings ist es nicht leicht, anhand der Knochenfunde den Nachweis zu erbringen, daß Hunde tatsächlich verzehrt wurden. Der bloße Hinweis auf zertrümmerte Knochen reicht nicht aus. Weisen dagegen die Knochen Zerlegungsspuren auf und stammen sie vor allem von Jungtieren, liegt eine andere Situation vor. In einem solchen Fall konnte z. B. für die latènezeitliche Salzsieder-Siedlung im hessischen Bad Nauheim glaubhaft gemacht werden, daß Hunde dem Menschen regelmäßig als Nahrung gedient haben (Weyrauch 1970, 5ff.; 97f.; Benecke 2000, 244). Ähnlich äußern sich Boessneck u. a. (1971, 92) im Hinblick auf die Hunde aus dem keltischen Oppidum von Manching. Auch von mitteldeutschen Fundplätzen liegen deutliche Hinweise auf den Verzehr von Hundefleisch vor, so aus Oberdorla (Teichert/Müller 1992, 86), wenngleich hier aufgrund der wenigen Knochen vom Hund nichts über dessen Altersstruktur gesagt werden kann.
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Tierknochen aus eisenzeitlichen Siedlungen in Mitteldeutschland
Es gibt aber auch Befunde, die darauf hindeuten, daß Hunde nur gelegentlich verspeist wurden, so im Falle der Heuneburg, einem frühkeltischen Herrensitz an der oberen Donau. Hier fanden sich lediglich an 15 von insgesamt 524 Hundeknochen Zerlegungsspuren. Zudem überwogen Knochen älterer (mindestens 3jähriger) Tiere mit mindestens 70 % (von den Driesch/Boessneck 1989, 144f.). Bei all dem darf jedoch nicht übersehen werden, daß Hunde auch in der Eisenzeit sicher in erster Linie ihres natürlichen Schutztriebes wegen als Wach- und Hütehunde gehalten wurden und als Abfallvertilger in den Siedlungen gern gesehen waren. Der überraschend hohe Fundanteil von Hundeknochen in Großfahner (vgl. Tab. 2) erklärt sich aus dem Vorliegen eines nahezu vollständigen Skelettes (Barthel 1982, 48). Tab. 2. Anzahl bestimmbarer Säugetierknochen (n SK) und Haustierknochen aus eisenzeitlichen Siedlungen Mitteldeutschlands und angrenzender Gebiete (S/Z = Schaf/Ziege, Schw = Schwein) Nr. Fundort
n SK
Rind
S/Z
1
Tangermünde
146
81
2
Groß Ammensleben
212
97
3
Gommern
408
191
4
Werlaburgdorf
621
325
5
Gielde
200
6
Pipinsburg
7
Nörten-Hardenberg
8
10
Schw
Pferd Hund Huhn
Gans
13
23
1
–
1
91
6
17
1
–
–
133
55
15
4
–
–
103
137
38
7
–
–
53
43
80
23
–
–
–
9030
4624
2195
877
1270
29
3
–
680
310
161
141
31
8
–
–
Göttingen
466
229
115
64
34
15
2
1
9
Wipperdorf
309
153
44
82
10
6
–
–
10
Helfta
730
340
161
152
34
20
12
–
11
Wetzendorf
849
476
151
136
50
25
7
1?
12
Kleinkayna
286
102
108
57
16
3
2
2?
13
Schönburg
680
309
99
217
44
5
–
–
14
Boyneburg
137
9
65
62
–
1
7
–
15
Oberdorla
808
400
117
147
98
27
1
–
16
Großfahner
1278
549
260
143
180
109
3
–
17
Gotha
1565
540
301
533
148
34
17
1?
18
Erfurt
665
219
199
227
7
7
8
2
19
Remda
121
52
22
24
11
2
2
–
20
Jüchsen
11930
6189
2472
2113
743
153
12
8
572
Hans-Jürgen Döhle
Hauskatzenfunde sind nur von zwei Fundplätzen bekannt geworden: Werlaburgdorf/Liet und Helfta. Im ersten Fall datiert der Fund jedoch in die Römische Kaiserzeit (Boessneck/Wiedemann 1972, 398). Die fünf Hauskatzenknochen von Helfta stammen aus unsicher datierten Fundzusammenhängen und könnten mittelalterlicher Herkunft sein (Müller 1996, 170). So müssen auch diese für unsere Betrachtungen ausscheiden. Sichere Nachweise der Hauskatze liegen demnach erwartungsgemäß aus keinem der mitteldeutschen Fundkomplexe vor. Bei allen bisherigen Katzenfunden handelt es sich zweifellos um solche der Wildkatze (Tab. 3). Nach Untersuchungen von Benecke (1994, 146) kann in unserem Gebiet frühestens ab der Zeitenwende mit der Hauskatze gerechnet werden, die vor allem durch die Römer nach hier gelangte. Nur vereinzelt tritt die Hauskatze nördlich der Alpen bereits in der Spätlatènezeit auf, wie Funde aus dem Berchtesgadener Land und aus Polen zeigen (ebd.). Doch selbst unter den fast 400.000 Tierknochen aus dem spätlatènezeitlichen keltischen Oppidum von Manching befand sich lediglich ein einziger Katzenknochen – eine Tibia, deren Zuordnung zur Haus- oder Wildkatze zunächst problematisch schien (Boessneck u. a. 1971). Ihre geringe Größe sprach eher für eine Hauskatze. Später stellte sich heraus, daß die Datierung dieses Knochens nicht gesichert ist. So kann davon ausgegangen werden, daß die Hauskatze zu jener Zeit hier tatsächlich fehlte. Überdies ist es angesichts der überwältigenden Gesamtfundmenge an Tierknochen mehr als unwahrscheinlich, daß es sich bei diesem Einzelfund um einen Haustierknochen handelt. Von den Haustieren sind noch Huhn und Gans anzuführen, die aus vielen Siedlungen belegt sind (Tab. 2), angesichts ihres geringen Fundniederschlags in nahrungswirtschaftlicher Hinsicht aber kaum von Bedeutung gewesen sein können. Das gleiche gilt für sämtliche in den Funden belegten Wildtiere (Tab. 3), auf die weiter unten eingegangen wird.
Altersstruktur der geschlachteten Haustiere Mit Ausnahme des Schweines wurden Haustiere auch in der Eisenzeit nicht nur ihres Fleisches wegen gehalten. Sie brachten dem Menschen auch lebend vielfältigen Nutzen, so als Milch- und Wollelieferanten sowie als Trag-, Zug- und Reittiere. Während die meisten Schweine bereits mit Erreichen der Schlachtreife getötet worden waren, wurde ein Großteil der Rinder, Schafe und Ziegen erst zu einem späteren Zeitpunkt geschlachtet. Dieser Sachverhalt schlägt sich in der Altersstruktur der Haustiere nieder. Grundlage hierfür sind die einzelnen Befunde zum Zahnstatus, Abkauungsgrad der Zähne und
Tierknochen aus eisenzeitlichen Siedlungen in Mitteldeutschland
573
Zustand der Epiphysenfugen der Extremitätenknochen. Doch reichen diese Befunde nur in wenigen Fällen aus, sich einen Eindruck von der Alterszusammensetzung der geschlachteten Haustiere zu verschaffen. Inwieweit das vorliegende Material in dieser Hinsicht aussagefähig ist, soll nachfolgend dargelegt werden. In Jüchsen stammen 46 von 56 auswertbaren Unterkieferfragmenten und isolierten 3. Molaren des Schweines, d. h. 82 %, von Tieren im Alter zwischen 1 und knapp 2 Jahren. Neun belegen ein Alter von 2 bis 3 Jahren, und lediglich ein Tier war älter als 5 Jahre geworden (Barthel 1994, 144). Eine ganz ähnliche Situation liegt in Oberdorla vor, wo knapp 80 % der insgesamt 19 Befunde an Unterkiefer-Molaren ein Alter zwischen ½ und 2 Jahren ergaben (Teichert/Müller 1990 Tab. 4). Eine etwas ausgewogenere Alterszusammensetzung fand sich in Helfta, denn dort erreichten gut 40 % der Schweine das Erwachsenenalter, während knapp 60 % im Alter bis zu 2 Jahren geschlachtet wurden (Müller 1996, 167). Ähnlich zu bewerten sind die Altersbefunde an den Schweinen von Nörten-Hardenberg. Lediglich acht von 26 Unterkiefern stammen von juvenilen bis subadulten, d. h. unter 2jährigen Tieren. Neun belegen ein Alter von mindestens 3 Jahren und weitere neun eines von mindestens 1½ bis 2 Jahren (Reichstein 1989, 146). Insgesamt zeigt sich, daß die eisenzeitlichen Siedler wohl darauf bedacht waren, die für den Verzehr vorgesehenen Schweine nach Möglichkeit nicht länger als nötig zu halten und nur so viele Tiere zu belassen, wie zur Reproduktion des Bestandes unbedingt benötigt wurden. Geht man davon aus, daß die tatsächliche Alterszusammensetzung der geschlachteten Schweine von den Befunden an den Gebissen und Zähnen richtig wiedergegeben wird, so liegt jedoch im Falle von Helfta und Nörten-Hardenberg der Verdacht nahe, daß es in diesen Siedlungen zu Engpässen in der Versorgung mit Schweinefleisch gekommen sein könnte. Anderenfalls hätte der Anteil älterer Tiere an den Knochenfunden wohl niedriger ausfallen müssen. Eine andere Altersstruktur erwartet man beim Rind, das vor allem im erwachsenen Zustand vielfältig genutzt werden konnte. So verwundert nicht, daß Funde von juvenilen, d. h. unter 1½ Jahre alten Tieren nur in geringen Anteilen vertreten sind oder mitunter sogar völlig fehlen. Dies ist beispielsweise in Oberdorla der Fall. Von 16 Unterkiefern stammten sechs von subadulten, d. h. 1½ bis 2½ jährigen Tieren. Zehn waren älter als 3 Jahre, davon fünf zwischen 5 und 10 Jahren und zwei sogar noch älter (Teichert/Müller 1992 Tab. 2). Ähnliche Verhältnisse sind aus Nörten-Hardenberg bekannt, wo sieben von neun Unterkiefern ein vollständiges Ersatzgebiß mit geschobenem M3 aufwiesen, so daß sie sämtlich als adult einzustufen sind (Reichstein 1989, 141). Obwohl auch hier keine Hinweise auf sehr junge, d. h. unter 1 Jahr
574
Hans-Jürgen Döhle
alte Tiere vorliegen, lassen Befunde an den Langknochen auf einen relativ hohen Anteil subadulter Rinder im Alter zwischen 1½ und 2½ Jahren schließen (ebd. 141f.). In Helfta betrug der Anteil juveniler Rinder 22 %, der subadulter 15 %, mit 63 % überwogen auch hier adulte Rinder (Müller 1996, 166). Auch in Gotha scheinen adulte Rinder deutlich zu überwiegen (11 von insgesamt 14 Altersbefunden, Prilloff/Huck 2002 Tab. 7). Dagegen sind in Gommern von 14 Rindern lediglich sechs älter als 2 Jahre, die übrigen maximal 2 Jahre, davon drei höchstens 3 Monate (Döhle 1984, 199). Obwohl sich in der Altersstruktur der Rinder zwischen den einzelnen Siedlungen gewisse Unterschiede abzeichnen, zeigt sich insgesamt, daß die Nutzung des lebenden Rindes eine große Bedeutung hatte, vor allem als Milchlieferant und Helfer beim Ackerbau sowie zur Erledigung der verschiedensten Transportaufgaben. Die Altersbefunde an den Skelettresten der kleinen Hauswiederkäuer Schaf und/oder Ziege ergaben ähnliche Resultate wie beim Rind. Soweit eine Trennung beider Gattungen anhand der Funde möglich war, erbrachten alle Siedlungen sehr viel mehr Reste vom Schaf als von der Ziege. Die nachfolgenden Angaben zur Altersstruktur beziehen sich demnach überwiegend, wenn nicht sogar ausschließlich, auf das Schaf. In nahezu allen Siedlungen, aus denen entsprechendes Fundmaterial zur Verfügung stand, beträgt der Anteil adulter, d. h. mindestens 2jähriger Schafe (und/oder Ziegen) knapp 50 % oder mehr. Grundlage waren die Erhebungen zum Zahnstatus und Abkauungsgrad der 3. Molaren. In Oberdorla stammen 47 % von adulten Tieren (Teichert/Müller 1992 Tab. 6), in Helfta 60 % (Müller 1996, 168), in Jüchsen 69 % (Barthel 1994, 141). An den Funden aus der Pipinsburg wurde festgestellt, daß 55 % der Unterkiefer von über 3 Jahre alten Tieren herrühren (Hoppe 1976, 81). Auch in Schönburg „war die Masse der Schafe und Ziegen über 2 Jahre alt“ (Teichert 1964, 846). Lediglich Gommern fällt mit 40 % etwas ab. Angesichts des vergleichsweise geringen Materials, auf dem all diese Berechnungen fußen, muss man die jeweiligen Altersanteile sicher großzügig auslegen. Zu sehr können Zufälligkeiten im Spiel sein, die den einen oder anderen Prozentwert nach oben oder unten „drücken“, so daß er die tatsächliche Situation mitunter nur sehr vage wiedergeben kann. Dennoch ist erwähnenswert, daß in Gommern, abweichend von den anderen hier untersuchten Siedlungen, nicht nur der Erwachsenenanteil der kleinen Hauswiederkäuer Schaf/Ziege, sondern auch der der Rinder niedriger als anderenorts ausfällt. Vielleicht deuten diese Befunde an, daß Fleisch knapp war und man deshalb Schafe und Rinder vorzeitig geschlachtet hat. Auch ist Futterknappheit zu erwägen, die es als zweckmäßig erscheinen ließ, sich beizeiten von einigen Schafen und Rindern zu trennen. Schließlich war ein kleinerer Viehbestand leichter durch den Winter zu bringen.
Tierknochen aus eisenzeitlichen Siedlungen in Mitteldeutschland
575
Körpergröße der Haustiere Angaben zur Körpergröße der Tiere setzen voraus, daß genügend meßbare Knochen zur Verfügung stehen. Schließlich soll aus den Knochenmaßen auf die Größe der Tiere geschlossen werden. Angesichts der zumeist nicht sehr umfangreichen Fundensembles ist es nicht möglich, die tatsächliche Größenvariabilität der einzelnen Haustierformen an jedem Fundplatz zu erfassen. Mitunter liegen nur einzelne Knochenmaße vor, die die Körpergröße der betreffenden Tierart lediglich schlaglichtartig wiedergeben. Selbst für die fundreicheren Siedlungskomplexe erhält man nur eine annähernde Vorstellung von der Körpergröße der betreffenden Haustiere. So ist man meist gezwungen, die Daten von mehreren Fundplätzen zusammenzufassen. Aus den Längenmaßen der langen Extremitätenknochen, teilweise auch der Fußwurzelknochen, lassen sich entsprechende Widerristhöhen (WRH) errechnen. Damit erhält man ein anschaulicheres Maß, durch das sich die Körpergröße besser charakterisieren läßt als anhand direkter Knochenmaße. Da in diese Berechnungen die Längenmaße mehrerer Skelettelemente eingehen, steht somit ein insgesamt größeres Datenmaterial zur Verfügung, das die tatsächliche Größenvariabilität besser wiederzugeben vermag als die Längenmaße nur eines Skelettelementes. Vom Rind liegen aufgrund des höheren Fundanfalls in fast allen hier betrachteten Siedlungen die meisten Maßangaben vor. Die entsprechenden Längenmaße wurden nach den Faktoren von Matolcsi (1970) in WRH-Werte umgerechnet. In Jüchsen variiert die WRH der Kühe zwischen 99 cm und 112 cm, die der Bullen zwischen 98 cm und 119 cm (Barthel 1994, 139f.). Der Mittelwert (Mw) beträgt 104,4 ± 0,9 cm (n = 14) bzw. 111,7 ± 2,0 cm (n = 13),
Abb. 4. Variation der Widerristhöhe von Rindern aus eisenzeitlichen Siedlungen Mitteldeutschlands
576
Hans-Jürgen Döhle
insgesamt 108,0 ± 1,3 cm (n = 27)4. Letzterer liegt ziemlich genau in der Mitte zwischen Kühen und Bullen, was angesichts des ausgeglichenen Geschlechterverhältnisses nicht überrascht. Nicht in die Berechnungen einbezogen wurde der Metatarsus eines jungen Ochsen, der eine WRH von 139 cm ergab, sowie ein Radius unbekannter Geschlechtszugehörigkeit, der 128 cm erbrachte. Der auch für einen Kastraten sehr große Metatarsus dürfte nicht von einem heimischen Rind stammen, ebensowenig wie vermutlich ein weiterer Metatarsus aus Gotha, der von einem Ochsen mit einer WRH von 135 cm herrührt (Prilloff/Huck 2002, 106). Die übrigen Metapodien-Funde von Ochsen aus mitteldeutschen Siedlungen deuten jedenfalls auf kleinere Tiere: Oberdorla 113 cm (Teichert/Müller 1992 Tab. 3), Helfta 122 cm (Müller 1996), Schönburg 123 und 124 cm (Teichert 1964, 848). In Großfahner (Barthel 1982) erreichten die Kühe WRH zwischen 104 cm und 112 cm (Mw 108,0 ± 1,4 cm; n = 6), die Bullen zwischen 103 cm und 119 cm (Mw 111,0 ± 3,0 cm; n = 5). Die mittlere WRH beträgt insgesamt 109,4 ± 1,5 cm (n = 11). Ganz ähnliche Werte wurden für die männlichen Rinder (ohne Kastraten) von Oberdorla (Teichert/Müller 1992) errechnet: 106 cm bis 115 cm (Mw 110,8 ± 1,4 cm; n = 6). Von den Kühen liegen nur zwei Angaben vor: 103 cm und 107 cm. Insgesamt ergab sich eine mittlere WRH von 109,4 ± 1,5 cm (n = 8). Die Rinder aus Schönburg (Teichert 1964) waren offensichtlich etwas kleiner – die Kühe zwischen 101 cm und 107 cm (Mw 104,0 ± 0,8 cm; n = 6), die Bullen zwischen 102 cm und 116 cm (Mw 108,0 ± 3,2 cm; n = 4). Die mittlere WRH wurde mit 105,6 ± 1,4 cm (n = 10) berechnet. Wenngleich von den Hausrindern aus Nörten-Hardenberg nur wenige Knochenmaße vorliegen, beurteilt Reichstein (1989, 143), in Übereinstimmung mit den Befunden aus anderen Siedlungen, diese Tiere als „Zwergrinder“. In Anbetracht der sehr kleinen Werteserien wird man den hier ermittelten Größenunterschieden zwischen den Rindern einzelner Fundplätze keine große Bedeutung beimessen können. Wichtiger ist in diesem Zusammenhang ein Blick auf die Gesamtsituation. Aus der Gesamtheit der geschlechtsbestimmten Rinder-Metapodien ergab sich für die Kühe eine WRH-Variation von 99 cm bis 112 cm (Mw 105,5 ± 0,7 cm; n = 34) und für die Bullen eine von 98 cm bis 119 cm (Mw 111,5 ± 1,1 cm). Die Verteilung der Werte veranschaulicht Abbildung 4. Die mittlere WRH wurde insgesamt mit 108,4 ± 0,7 cm (n = 65) berechnet. Demnach handelt es sich bei den Rindern aus eisenzeitlichen Siedlungen Mitteldeutschlands durchweg um kleinwüchsige Tiere, wie sie bereits von anderen germanischen Siedlungen bekannt sind. In Einzelfällen (Jüchsen, Gotha) sind durch Knochenfunde auch Rinder belegt (s. o.), die deutlich größer als die 4
Mittelwert ± Fehler des Mittelwertes (Vertrauensbereich).
Tierknochen aus eisenzeitlichen Siedlungen in Mitteldeutschland
577
bodenständigen Rinder waren. Vielleicht stammen diese großen Rinder aus provinzialrömischen Gebieten und sind durch frühe Handelsbeziehungen, wie sie (allerdings erst später!) für die ersten Jahrhunderte n. Chr. gut belegt sind (Teichert 1990), in den mitteldeutschen Raum gelangt. Der Metatarsus wie das gesamte Jüchsener Knochenmaterial ist mit „späthallstatt-/latènezeitlich“ leider nur sehr ungenau datiert. Jener aus Gotha ist spätlatènezeitlicher Herkunft, so daß dieser Knochen tatsächlich von einem importierten Rind stammen könnte. Unterstellt man, daß der Fund von Jüchsen ebenfalls spätlatènezeitlich datiert, wäre dies auch hier denkbar, zumal es sich ebenfalls um einen Ochsen handelt, der vor den Wagen gespannt werden konnte. Auch für das Schaf konnten aus einer Reihe von Längenmaßen der Extremitätenknochen mit Hilfe der Faktoren von Teichert (1975) die entsprechenden WRH berechnet werden. Nur von Jüchsen (Barthel 1994, Tab. 16) liegen genügend Daten vor, um die Größenvariabilität an einem einzelnen Fundplatz darstellen zu können. Die WRH variiert hier zwischen 56 cm und 69 cm und erreicht in einem Fall 75 cm (Mw 62,2 ± 0,8 cm; n = 28). Damit wird die am Gesamtmaterial festgestellte Variationsbreite der WRH (Abb. 5) nahezu erreicht: Sie liegt zwischen 54 cm und 75 cm (Mw 61,8 ± 0,6 cm; n = 53). Diese Werte decken sich mit Angaben für Schafe aus den bronzezeitlichen Kulthöhlen des Kyffhäusergebirges bei Bad Frankenhausen (Teichert 1985a, 9 Tab. 43). Die mitteldeutschen Schafe der Bronze- und Eisenzeit sind als relativ kleinwüchsig zu charakterisieren (vgl. Zusammenstellung bei Benecke 1994 Tab. 35). Anders als beim Schaf, zeichnen sich für das Schwein von der Bronze- zur Eisenzeit Größenveränderungen ab, wiederum dargestellt anhand der WRH (errechnet nach Teichert 1969). So erreichten die Hausschweine der bron-
Abb. 5. Variation der Widerristhöhe von Schafen aus eisenzeitlichen Siedlungen Mitteldeutschlands
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Hans-Jürgen Döhle
Abb. 6. Variation der Widerristhöhe von Schweinen aus eisenzeitlichen Siedlungen Mitteldeutschlands
zezeitlichen Kulthöhlen bei Bad Frankenhausen eine mittlere WRH von 77,3 cm, bei einer Variation zwischen 65 cm und 86 cm (Teichert 1985b, 49). Die eisenzeitlichen Schweine aus mitteldeutschen Siedlungen waren dagegen nur noch zwischen 63 cm und 82 cm (Mw 72,7 ± 0,8 cm; n = 39) groß (Abb. 6). Sie folgen insofern dem allgemeinen Trend zur Größenabnahme, wie er von Benecke (1994, 136f.) aufgezeigt wird. Während früheisenzeitliche Hausschweine in ihrer Körpergröße noch weitgehend bronzezeitlichen Tieren entsprachen, kam es im Übergang zur Spätlatènezeit zu einer spürbaren Größenabnahme. Da die meisten mitteldeutschen Fundkomplexe chronologisch nicht weiter untergliedert werden konnten, sind anhand dieses Materials hierzu keine Aussagen möglich. In der Verteilung der WRH-Werte von Jüchsen erkannte Barthel (1985, 143) zwei Größengruppen und vermutete, daß darin geschlechtsbedingte Größenunterschiede zum Ausdruck kommen. Unter Berücksichtigung weiterer Funde aus Mitteldeutschland zeigt sich jedoch eine annähernde Normalverteilung der Körpergröße (Abb. 6). Etwaige Größenunterschiede zwischen weiblichen und männlichen Schweinen werden hierbei überdeckt, da die Körpergröße insgesamt offenbar sehr variabel ist und zwischen den einzelnen Fundplätzen teilweise erhebliche Differenzen auftreten. Anhand der Jüchsener Funde wird deutlich, daß es zwischen Haus- und Wildschweinen zu keinen Größenüberschneidungen gekommen ist (Barthel 1985 Tab. 19–21). Die Pferde erreichten eine WRH (errechnet nach Vitt 1952) zwischen 114 cm und 138 cm (Mw 126,5 ± 1,0 cm; n = 32). Die Größenspanne kann selbst an einer einzigen Fundstelle beträchtlich sein, wie das Beispiel von Schönburg zeigt. Sie liegt hier zwischen 114 cm und 136 cm (Teichert 1964 Tab. 37) und erreicht damit fast die Variationsbreite, die am Gesamtmaterial
Tierknochen aus eisenzeitlichen Siedlungen in Mitteldeutschland
579
Abb. 7. Variation der Widerristhöhe von Pferden aus eisenzeitlichen Siedlungen Mitteldeutschlands
festgestellt wurde (Abb. 7). Demnach handelt es sich hierbei um kleinwüchsige bis mittelgroße Pferde. Die eisenzeitlichen Pferde aus dem mitteldeutschen Raum sind zwar im Durchschnitt ebenso groß wie die von Müller (1993, 134ff.) beschriebenen bronzezeitlichen Pferde, in ihrer Körpergröße jedoch insgesamt variabler. Sie stimmen darin mit anderen eisenzeitlichen Populationen in Deutschland überein (Benecke 1994 Tab. 36). Nur die Pferde von der frühkeltischen Heuneburg an der oberen Donau sind deutlich größer (BraunSchmidt 1983, 51ff., die die WRH nach den Faktoren nach Kiesewalter (1888) berechnete; nach den Faktoren von Vitt (1952), die auch Benecke (1994) zugrunde legte, ergeben sich geringfügig höhere Werte). Vom Hund liegen nur wenige Knochen in ganzer Länge vor. So konnte die WRH, errechnet nach den Faktoren von Harcourt (1974), nur in sechs Fällen ermittelt werden: Werlaburgdorf 56,6 cm; Helfta 64,7 cm (errechnet aus 2 Langknochen eines Teilskelettes); Schönburg 57,0 cm; Jüchsen 53,5 und 57,3 cm; Großfahner 60,5 cm (Mw errechnet aus den einzelnen Langknochen eines fast vollständigen Skelettes). Darüber hinaus deuten die meisten Hundeknochen von Helfta auf Tiere in der Größe von Schäferhunden (Müller 1996, 169), die von Oberdorla liegen im „Größenspektrum zwischen Schäferhund und Setter“ (Teichert/Müller 1992, 85f.). Die tatsächliche Größenvariabilität mitteldeutscher Hunde jener Zeit wird durch diese Angaben sicher nicht erfaßt. Nach Benekke (1994, 142) variiert die WRH für bronze- und eisenzeitliche Hunde Mitteleuropas zwischen 37 und 70 cm, die meisten waren zwischen 45 und 60 cm groß. Danach müssen die mitteldeutschen Hunde durchweg als großwüchsig bezeichnet werden, zumindest nach den bisher vorliegenden Daten. Hunde dieser Größe waren vielseitig einsetzbar. Aus heutiger Sicht kommt eine Verwendung als Wach-, Hüte- und Schutzhund ebenso in Betracht wie jagdlicher Einsatz.
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Hausgeflügel Haushuhn und Hausgans sind von einer Reihe der hier berücksichtigten Siedlungen belegt, wobei Hühner in den Funden regelmäßiger vertreten sind als Gänse (Tab. 2). Bei den Gänseknochen besteht grundsätzlich das Problem, Funde der Hausgans von solchen größerer Wildgänse (Grau-, Saat- und Bläßgans) zu unterscheiden. Wo dies nicht möglich war oder der Bearbeiter sich nicht festlegen wollte, steht hinter der betreffenden Fundzahl in Tabelle 2 ein Fragezeichen. Aufgrund dieser methodischen Probleme (Näheres hierzu bei Benecke 1994, 116f.; außerdem Bacher 1967) und der zumeist recht allgemein gehaltenen archäologischen Datierung der betreffenden Funde ist nicht zu entscheiden, welcher der bisherigen Hausgans-Belege als „der älteste“ für Mitteldeutschland gelten kann. Beim Haushuhn existieren derartige Bestimmungsprobleme nicht, da es in Europa keine Wildvorfahren besitzt und sich von anderen hier vorkommenden Hühnervögeln osteologisch meist unterscheiden läßt (Erbersdobler 1968). Sofern das Huhn aus den einzelnen Siedlungen belegt ist, handelt es sich jeweils nur um wenige Fundstücke. Aufgrund dieser Tatsache und wegen der meist kleinen Fundkomplexe kann einer Fehlmeldung keine allzu große Bedeutung beigemessen werden. Man muß demnach damit rechnen, daß Hühner auch in Siedlungen gehalten wurden, aus denen keine Nachweise vorliegen. Die – zunächst als nicht unwesentlich anzusehende – Beobachtung, daß das Huhn nach Ausweis der Funde in allen Siedlungen nördlich des Harzes fehlt (vgl. Tab. 2; Abb. 1), ist insofern nicht zu kommentieren. Andernfalls läge der Gedanke nahe, daß es in diesen Siedlungen tatsächlich noch unbekannt war. Nach Mitteleuropa gelangte das Haushuhn schließlich aus Süd- und Südosteuropa (Benecke 1994, 116 sowie Abb. 70 in Verbindung mit Tab. 30), so daß anzunehmen ist, daß der südliche Teil Mitteldeutschlands eher besiedelt wurde als der Norden. Belegen läßt sich dies aufgrund der dargelegten Materiallage, vor allem wegen der meist zu kleinen und nur sehr grob datierten Fundkomplexe, derzeit freilich nicht.
Wildtiere Nur drei der hier berücksichtigten 20 Siedlungen enthalten keine Wildtierreste: Groß Ammensleben, Kleinkayna, Boyneburg. Ob diese Fehlmeldungen der Realität entsprechen, sei in Anbetracht der sehr kleinen Fundkomplexe (vgl. Tab. 2) dahingestellt. Alle Funde von Wildsäugetieren sind in Tabelle 3 summarisch erfaßt. Ihr Fundanteil ist zwar, wie bereits erwähnt, durchweg
Tierknochen aus eisenzeitlichen Siedlungen in Mitteldeutschland
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gering, dennoch erweist sich das Artenspektrum der Wildsäugetiere demgegenüber als recht groß. Zumindest gewinnt man den Eindruck, daß nahezu alle – nach heutigem Ermessen – jagdlich relevanten Arten vertreten sind. Statistisch gesehen, hängen die erreichten Artenzahlen in erster Linie vom jeweiligen Materialumfang ab. Dessen ungeachtet gilt auch hier, daß letzten Endes die Tätigkeit des damaligen Menschen darüber entschieden hat, welche Tierart heute in den Funden vertreten ist und welche nicht. Voraussetzung ist in jedem Falle, daß die betreffende Tierart in dem Gebiet vorkam. Dieser Hinweis erscheint banal, ist aber notwendig, um deutlich zu machen, daß jede Tierart bestimmte Ansprüche an ihre natürliche Umgebung stellt und daher nur dort vertreten sein kann, wo sie diese Ansprüche erfüllt findet. Der Nachweis einer bestimmten Tierart sollte demnach Rückschlüsse auf das damalige Landschaftsbild zulassen. Dabei geht man von der Kenntnis ihrer heutigen Lebensraumansprüche aus und setzt voraus, daß damalige und heutige Ansprüche der betreffenden Tierart an ihren Lebensraum im wesentlichen übereinstimmen. Selbstverständlich eignen sich nicht alle im Fundmaterial nachgewiesenen wildlebenden Tierarten gleichermaßen als „Umweltindikatoren“. Im allgemeinen sind Arten mit spezifischen Ansprüchen an ihren Lebensraum besser geeignet als solche, die fast überall vorkommen und an ihre Umgebung keine besonderen Ansprüche zu stellen scheinen. Nachgewiesen sind sowohl Arten, die mehr oder weniger geschlossene Wälder bevorzugen als auch Bewohner offener Landschaften und von Feuchtgebieten. Rothirsch, Reh, Wildschwein und Feldhase erreichen im Fundmaterial von allen Wildtieren die höchsten Präsenzen. Dafür sind wohl weniger ökologische als wirtschaftliche Gesichtspunkte maßgebend, handelt es sich hierbei doch um „klassisches“ Jagdwild, d. h. um Arten, die sicher auch schon damals bevorzugt bejagt wurden. Von den genannten Arten ist das Wildschwein noch am ehesten als Waldbewohner zu bezeichnen. Der Rothirsch bevorzugt natürlicherweise lichtere Wälder, das Reh die Waldrandzone. Der geschlossene Wald wird vom Reh im allgemeinen gemieden. Deutlichere Hinweise auf offene Landschaftsteile geben jedoch die Funde des Feldhasen. Er liebt trocken-warme Lebensräume, ohne den Wald völlig zu meiden und gilt als Kulturfolger des Menschen. Sein relativ regelmäßiges Auftreten in eisenzeitlichen Funden spricht dafür, daß das Umfeld der Siedlungen in damaliger Zeit zu großen Teilen bereits waldfrei war.
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Tab. 3. Nachweise wildlebender Säugetiere aus eisenzeitlichen Siedlungen Mitteldeutschlands und angrenzender Gebiete. Dargestellt sind die jeweiligen Fundzahlen Fundort Tangermünde
Rothirsch Reh Elch Wildschwein Ur/Wisent
Wolf Rotfuchs Braunbär Marder
13
–
–
2
Gommern
3
2
–
1
–
1
–
–
–
Werlaburgdorf
7
–
–
1
–
–
–
–
–
1
–
–
–
–
–
–
–
Pipinsburg
16
6
–
9
–
–
–
–
–
NörtenHardenberg
2
4
–
–
–
–
–
–
–
4
–
–
3
–
–
–
–
–
10
1
–
–
1
–
–
–
–
Gielde
Göttingen Wipperdorf
2 Ure
–
–
–
–
Helfta
3
3
1
–
4 Ure ?
–
1
–
–
Wetzendorf
7
1
–
–
–
–
1
–
–
Schönburg
5
–
–
–
–
–
–
–
–
Oberdorla
9
2
–
2
1 Wisent
2
–
–
–
Großfahner
3
2
–
6
21 Ure
2
1
–
1
Gotha
4
–
–
1
–
–
2
–
–
Erfurt
1
1
–
–
–
–
1
–
–
Remda
3
1
–
6
–
–
–
–
–
190
11
–
vorh. (n?)
–
1
20
2
–
Jüchsen
Arten, die geschlossene Wälder zu bevorzugen scheinen, so z. B. Wolf, Braunbär und Wildkatze, finden sich nur in wenigen Fundkomplexen. Ursprünglich kamen diese Raubsäuger zeitweise auch außerhalb von Wäldern vor. Da diese Tiere die Nähe des Menschen meiden, wurden sie durch die zunehmende Siedeltätigkeit in den geschlossenen Wald zurückgedrängt. Der Luchs fehlt in den untersuchten Siedlungen völlig. Allerdings wäre es verfehlt, daraus zu schließen, daß diese Arten nur deshalb so spärlich vertreten sind bzw. ganz fehlen, weil ihnen keine geeigneten Lebensräume zur Verfügung standen. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß es sich um Arten handelt, die nicht nur als Einzelgänger, sondern auch im Familienverband sehr große Aktionsräume bzw. Reviere beanspruchen. Das gilt auch für den überwiegend in Rudeln lebenden Wolf. Ihre Populationsdichten müssen demnach auch zu jener Zeit vergleichsweise niedrig gewesen sein, so daß die Chancen, ein solches Tier zu erlegen, außerordentlich gering waren. Die geringe Präsenz der Marderartigen (Dachs, Marder, Hermelin, Mauswiesel) in den Funden läßt sich mit diesem Argument nicht erklären, denn die-
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Tierknochen aus eisenzeitlichen Siedlungen in Mitteldeutschland Tab. 3. Fortsetzung Fundort
Hermelin
Mauswiesel
Waldiltis
Dachs Fischotter Wildkatze Biber
Feldhase
Tangermünde
–
–
–
–
–
–
1
–
Gommern
–
–
–
–
–
1
–
2
Werlaburgdorf
–
–
–
1
–
–
1
–
Gielde
–
–
–
–
–
–
–
–
Pipinsburg
–
–
–
–
–
–
1
3
Nörten-Hardenberg
1
–
1
1
2
–
–
1
Göttingen
–
–
–
–
–
–
–
2
Wipperdorf
–
–
1
–
–
–
–
1
Helfta
–
–
–
–
–
–
–
1
Wetzendorf
–
–
–
–
–
–
1
1
Schönburg
–
–
–
–
–
–
1
–
Oberdorla
–
–
–
–
–
–
3
–
Großfahner
–
–
–
–
–
–
–
1
Gotha
–
2
–
–
–
–
–
–
Erfurt
–
–
–
–
–
1
–
2
Remda
–
–
–
–
–
–
–
–
Jüchsen
3
–
–
3
–
9
6
15
se Arten dürften auch in der Eisenzeit aufgrund ihrer Lebensweise in weitaus höheren Populationsdichten als die oben genannten Arten vorgekommen sein (für Einzelheiten dazu sowie zum Sozialverhalten und zur Ökologie aller hier erwähnten Raubsäuger siehe die jeweiligen Artkapitel in Niethammer/Krapp 1993a bzw. 1993b). Möglicherweise existieren hier Überlieferungslücken, oder es wurde diesen Arten tatsächlich in geringerem Umfang nachgestellt als allgemein anzunehmen wäre. Dies wäre jedenfalls keine Besonderheit eisenzeitlicher Funde, denn diese Pelztiere sind in ur- und frühgeschichtlichen Tierknochenkomplexen generell, wenn überhaupt, stets mit nur wenigen Fundstücken vertreten. Bezüglich des einen Mardernachweises von Großfahner ist anzumerken, daß sich Baum- und Steinmarder osteologisch kaum unterscheiden lassen, weshalb man in einschlägigen Publikationen meist nur „Marder“ oder „Martes spec.“ findet. Da der Steinmarder heute als ausgesprochener Kulturfolger gilt (Stubbe 1993, 457), ist mit ur- und frühgeschichtlichem Vorkommen weniger zu rechnen, so daß es sich bei unbestimmbaren Marder-Funden fast immer um solche des Baum- oder Edelmarders (Martes martes) handeln dürfte. Ließen sich Marderknochen sicher bestimmen, so erwiesen sie sich fast immer als solche vom Baummarder.
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Belege des Fischotters und Bibers zeigen an, daß sich in der Nähe der betreffenden Siedlungen fließende oder stehende Gewässer befunden haben. Beide Arten dürften insofern auch im mitteldeutschen Raum zu jener Zeit flächendeckend verbreitet gewesen sein, was jedoch angesichts der geringen Präsenz des Fischotters nicht zum Ausdruck kommt. Der Fischotter tritt wohl vor allem deshalb in den Funden, nicht nur solchen der Eisenzeit, so selten in Erscheinung, weil er aufgrund seiner Lebensweise (vgl. Reuther 1993, 940ff.) schwierig zu bejagen ist. Funde von Wildvögeln sind allgemein rar, so daß die Artenliste kurz ist. Folgende Arten sind von folgenden Fundorten belegt: (vermutlich) Bläßgans: Nörten-Hardenberg Ente (wohl Stockente): Gommern Seeadler: Wetzendorf Steinadler: Helfta Birkhuhn: Kleinkayna, Jüchsen Elster: Gotha Dohle: Nörten-Hardenberg, Helfta Aaskrähe: Gotha. Für das seltene Auftreten von Vogelknochen kann es unterschiedliche Gründe geben. Möglicherweise spielte die Jagd auf Vögel generell keine Rolle. Andererseits läßt sich leicht vorstellen, daß aufgrund der Kleinheit und Zerbrechlichkeit von Vogelknochen mancher Fund sich nicht bis heute erhalten hat. Das Artenspektrum zeigt keinerlei Regelhaftigkeit, lediglich einen mehr oder weniger zufälligen Ausschnitt einer in Wirklichkeit um ein Vielfaches artenreicheren Vogelwelt. Erwähnenswert ist, daß es sich bei allen nachgewiesenen Arten um Bewohner offener Landschaften handelt. Mit Seeadler, Steinadler und Birkhuhn befinden sich darunter Arten, die heute in ganz Mitteleuropa äußerst selten geworden sind. Der Steinadler starb im Flachland und in den Mittelgebirgen Deutschlands Ende des 19. Jahrhunderts als Brutvogel aus und erscheint heute z. B. im Mittelelbegebiet nur noch als sehr seltener Durchzügler und Wintergast (Weber u. a. 2003, 150). Der Seeadler konnte in den letzten Jahren infolge Bestandszunahme in den Verbreitungsschwerpunkten im norddeutschen Tiefland das Elbegebiet in Sachsen-Anhalt zwischen Havelmündung und Annaburger Heide allmählich wiederbesiedeln (ebd. 130ff.). Das Birkhuhn hat heute in Mitteldeutschland nur noch wenige isolierte Vorkommen (ebd. 13). Die drei genannten Arten besiedelten auch in der Eisenzeit den mitteldeutschen Raum sicher durchgehend, wo immer geeignete Lebensräume zur Verfügung standen. Allerdings dürften auch zu damaliger Zeit die Chancen gering gewe-
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sen sein, See- und Steinadler zu erlegen, handelt es sich bei diesen Arten doch um Nahrungskettenendglieder, die – naturgemäß – nirgendwo und zu keiner Zeit hohe Brutdichten erreicht haben und auch außerhalb der Brutzeit in keinen großen Individuenzahlen vorkamen. Die Bestimmung des einen Bläßgansknochens aus Nörten-Hardenberg gilt als nicht ganz sicher (Reichstein 1989, 154). Sollte sie aber zutreffen, so handelt es sich bei dieser Gans um einen Durchzügler oder Wintergast. Bläßgänse haben, zumindest im Holozän, in Mitteleuropa nie gebrütet. Noch heute überwintern alljährlich Zehntausende nordischer Bläß- und Saatgänse in Mitteldeutschland. Die Sumpfschildkröte ist die einzige Reptilienart, die sich in den 20 Fundkomplexen fand. Der einzige Fund, ein Bauchpanzer- (Plastron-) Fragment, stammt aus Jüchsen (Barthel 1994 Tab. 2). Die Art gilt als Klimazeiger (Degerbøl 1951), da sie nur in Gebieten vorkommt, deren mittlere Juli-Temperatur 20°C nicht unterschreitet (Willms 1986). Betrachtet man das Fundaufkommen an Wildtierknochen insgesamt, so kommt man zu dem Schluß, daß all diese Arten für die Ernährung der eisenzeitlichen Siedler kaum von Bedeutung gewesen sein können, selbst dann nicht, wenn man gegenüber den Haustieren von einem höheren Knochenschwund ausgeht. So handelt es sich hierbei vielleicht nur um Gelegenheitsbeute. Auch ist denkbar, daß diese Tiere vor allem ihrer Felle (Raubsäuger) oder Federn (Adler) wegen bejagt wurden. Da Knochen von Wildtieren gegenüber jenen von Haustieren eine höhere Festigkeit besitzen, waren sie als Rohstoff zur Herstellung verschiedenster Geräte sicher sehr begehrt. Die nachgewiesenen Wildtiere lassen auf ein abwechslungsreiches Landschaftsbild schließen. Große zusammenhängende Wälder dürfte es, zumindest in der Nähe der hier berücksichtigten Siedlungen, kaum noch gegeben haben. Vielmehr deuten die in den Funden vertretenen Arten auf offene Lebensräume, aufgelockerte, lichte Wälder und Waldränder sowie Gewässernähe.
Zusammenfassung Grundlage der vorliegenden Übersicht sind Tierknochenkomplexe aus 20 eisenzeitlichen Siedlungen Mitteldeutschlands und angrenzender Gebiete. Haustiere (Rind, Schaf/Ziege, Schwein, Pferd, Hund) dominieren nach der Knochenanzahl in allen Fundkomplexen. Der Fundanteil von Wildsäugetierknochen liegt in fast allen Siedlungen unter 5 %. Knochen vom Rind dominieren in der Regel mit über 40 % der Funde. Das Fleisch von Pferden und Hunden wurde zwar gelegentlich auch verzehrt, gehalten wurden diese Tiere
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jedoch aus anderen Gründen. Hauskatzenfunde, die sicher in die Eisenzeit zu datieren sind, liegen nicht vor. Haushuhn und Hausgans sind für viele Siedlungen belegt. Rinder und Schafe wurden überwiegend erst im erwachsenen Alter geschlachtet, ihre Nutzung zu Lebzeiten stand im Vordergrund. Die Rinder erreichten insgesamt eine mittlere Widerristhöhe (WRH) von 108,4 ± 0,7 cm, bei einer Variation von 98 cm bis 119 cm (Kühe 105,5 ± 0,7 cm; Bullen 111,5 ± 1,1 cm). Für das Schaf wurde insgesamt eine mittlere WRH von 61,8 ± 0,6 cm errechnet, sie variiert zwischen 54 cm und 75 cm. Hausschweine waren deutlich kleiner als Wildschweine und erreichten eine durchschnittliche WRH von 72,7 ± 0,8 cm (min. 63, max. 82 cm). Die Pferde waren kleinwüchsig bis mittelgroß bei einer mittleren WRH von 126,5 ± 1,0 cm; die Größenspanne reicht von 114 cm bis 138 cm und kann selbst unter Tieren desselben Fundplatzes beträchtlich sein. Die wenigen Größenangaben von Hundeknochen lassen durchweg auf großwüchsige Tiere schließen. Folgende Wildtiere sind belegt: Rothirsch (Cervus elaphus), Reh (Capreolus capreolus), Elch (Alces alces), Wildschwein (Sus scrofa), Ur (Bos primigenius), Wisent (Bison bonasus), Wolf (Canis lupus), Rotfuchs (Vulpes vulpes), Braunbär (Ursus arctos), Marder (Martes spec.), Hermelin (Mustela erminea), Mauswiesel (Mustela nivalis), Waldiltis (Mustela putorius), Dachs (Meles meles), Fischotter (Lutra lutra), Wildkatze (Felis silvestris), Biber (Castor fiber), Feldhase (Lepus europaeus), ferner wohl Bläßgans (Anser cf. albifrons), wohl Stockente (Anas cf. platyrhynchos), Seeadler (Haliaeëtus albicilla), Steinadler (Aquila chrysaëtos), Birkhuhn (Tetrao tetrix), Elster (Pica pica), Dohle (Corvus monedula), Aaskrähe (Corvus corone), außerdem Sumpfschildkröte (Emys orbicularis). Rothirsch, Reh, Wildschwein und Feldhase erreichen unter allen Wildtieren die höchste Präsenz. In Anbetracht des insgesamt geringen Fundaufkommens von Wildtieren können sie für die Ernährung kaum von Bedeutung gewesen sein.
Animal bones from Iron Age settlements in Central Germany (Summary) Faunal assemblages from 20 Iron Age settlements in Central Germany and surrounding areas were studied. Bones from domestic animals, such as cattle, sheep/goat, pig, horse, and dog, predominate on a large scale amounting to more than 95 % in almost all assemblages. Cattle is the most frequent domestic species. Horse and dog were not reared for food supply, however they were slaughtered occasionally. Domestic cat that can be dated into Iron Age without any doubt is not present. Poultry is represented by domestic fowl and geese. Cattle and sheep were mainly slaughtered as adults. Cattle
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was small sized reaching a mean withers height of 108,4 ± 0,7 cm. The average withers height of sheep was 61,8 ± 0,6 cm, pig 72,7 ± 0,8 cm, horse 126,5 ± 1,0 cm. Dogs were of a large size in general. The following wild animals were found: red deer (Cervus elaphus), roe deer (Capreolus capreolus), elk (Alces alces), wild boar (Sus scrofa), aurochs (Bos primigenius), European bison (Bison bonasus), wolf (Canis lupus), red fox (Vulpes vulpes), brown bear (Ursus arctos), marten (Martes spec.), stoat (Mustela erminea), weasel (Mustela nivalis), polecat (Mustela putorius), badger (Meles meles), otter (Lutra lutra), wild cat (Felis silvestris), beaver (Castor fiber), hare (Lepus europaeus), furthermore white-fronted (?) goose (Anser cf. albifrons), mallard (?) (Anas cf. platyrhynchos), white-tailed eagle (Haliaeëtus albicilla), golden eagle (Aquila chrysaëtos), black grouse (Tetrao tetrix), magpie (Pica pica), jackdaw (Corvus monedula), crow (Corvus corone) as well as fresh-water turtle (Emys orbicularis). Red deer, roe deer, wild boar, and hare are the most frequent species among wild mammals. As a whole wild animals were not very important for food supply.
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Hans-Jürgen Döhle
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Abbildungsnachweis Abb. 1: N. Seeländer, LDA Sachsen-Anhalt. Abb. 2–7: H.-J. Döhle, LDA Sachsen-Anhalt.
Anschrift des Verfassers: Dr. Hans-Jürgen Döhle Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt Richard-Wagner-Str. 9–10 D-06114 Halle Email:
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Studien zur Lebenswelt der Eisenzeit. RGA-E Band 40 – Seiten 591–599 © Copyright 2006 Walter de Gruyter · Berlin · New York
Vergleichende Untersuchungen zur Holznutzung in der Oberlausitz basierend auf dem Holzkohlematerial des Gräberfeldes der Lausitzer Kultur bei Bucze (Fundortbezeichnung Klein-Priebus) an der Neiße1 von Gisela Wolf Im Spätsommer des Jahres 2001 übergab mir Professor Rosemarie Müller Holzkohlen aus dem Gräberfeld der Lausitzer Kultur von Klein-Priebus zur Begutachtung. Obwohl die Grabungen bereits in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts durchgeführt worden waren, zeigte eine Durchsicht der verkohlten Fragmente, daß sie sich in einem relativ guten Erhaltungszustand befanden und eine weitgehende Erfassung der Holzarten erreichbar schien. Der Entschluß, die Bearbeitung als Beitrag zu dieser Festschrift durchzuführen, sollte durch die jüngsten paläoökologischen und archäobotanischen Arbeiten an Pollen und Holzkohlen aus der Oberlausitz bestärkt werden. Das deutsche Klein-Priebus und das polnische Przewoz liegen nordöstlich von Bautzen in der Muskauer Heide. Das Gräberfeld von Klein-Priebus bzw. Przewoz befindet sich am Rande der östlichen Talaue der Oberlausitzer Neiße, südöstlich von Buchwalde, dem heutigen Bucze in der Polnischen Republik in der Wojwodschaft Zielona Góra, dem ehemaligen Grünberg. In den Talauen der Oberlausitz dominieren Auelehme, auf den Terrassen durchlässige Dünen aus saale- und weichselzeitlichen Talsanden. Die Region ist durch trockene, nährstoffarme Böden gekennzeichnet. Kiefernwälder prägen weitgehend das Landschaftsbild. Die erste planmäßige Grabung auf dem Gräberfeld von Klein-Priebus wurde 1934 von G. Hoffmann im Auftrag der Städtischen Kunstsammlungen, Görlitz, geleitet. Insgesamt wurden 19 Gräber dokumentiert und die Funde im Magazin der Ur- und Frühgeschichtlichen Sammlungen in Görlitz archiviert (EK 78:34). Eine zweite Grabung unter H. A. Schultz folgte 1935. Das Fundmaterial wurde wiederum in Görlitz eingelagert (EK 92:35). 1939 leitete G. Hoffmann die letzte, nur wenige Tage dauernde Grabung. Die Funde aus 1
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insgesamt 14 Fundkomplexen kamen nach Görlitz (EK 54:39). Während der Wirren des 2. Weltkrieges ging ein Teil der Funde verloren und blieb verschollen. Im Rahmen der Vorbereitungen für die wissenschaftliche Bearbeitung der Befunde und Funde durch Esther Wesely wurden auch die noch vorhandenen Holzkohlen aufgenommen. Es zeigte sich, daß während der von Schultz 1935 geleiteten Grabung die Holzkohlen entweder nicht geborgen wurden oder verschollen sind. Kurz vor Abschluß der von E. Wesely (2001) vorgelegten Magisterarbeit erfolgte meinerseits eine erste Bestandsaufnahme des verkohlten Materials. Die weitere Analyse wurde von mir auf ehrenamtlicher Basis 2002 durchgeführt und die vorläufigen Ergebnisse präzisiert. Insgesamt wurden 24 Holzkohleproben aus mindestens 18 Gräbern und aus einer Brandstelle untersucht. Die einzelnen Proben, zwischen 5 ml und 350 ml, ergaben ein Gesamtvolumen von ca. 800 ml. Aus ökonomischen Gründen wurden, bis auf wenige Ausnahmen, die Holzkohlenfragmente nicht gezählt, sondern ihr Volumen angegeben. Dies erschien auch deshalb sinnvoll, weil die vollständige Bergung aller ehemals vorhandenen Bruchstücke nicht dokumentiert ist und darüber hinaus einige Fragmente rezente Brüche aufweisen. Anhand des von Wesely aufgestellten Kataloges konnten die Proben den einzelnen Fundkomplexen zugeordnet und in den archäologischen Kontext gestellt werden (Anhang 1). Für die Beschreibung des pflanzlichen Fundgutes wurde die Kurzbeschreibung der Fundkomplexe sowie die anthropologische Ansprache des Leichenbrandes aus dem Fundkatalog der Magisterarbeit (Wesely 2001) übernommen. Offensichtlich stammen die Holzkohlen sowohl aus Leichenbrandgruben als auch aus Urnengräbern mit Einzel-, Doppel- und Mehrfachbestattungen. Auch in der geschlechtlichen, altersspezifischen oder sozialen Differenzierung, die in den einzelnen Komplexen von eher feminin oder eher maskulin vom neonatus bis zu matur angegeben wurde, ist keine klare Dominanz erkennbar. Auffallend ist jedoch die Häufigkeit der Kinderund Jugendlichensterblichkeit. Wesely weist jedoch darauf hin, daß nur ein geringer Teil des ursprünglichen Gräberfeldes ergraben ist und somit Rückschlüsse auf die Gesamtpopulation nicht repräsentativ seien, sondern lediglich eine Tendenz anzeigten (Wesely 2001, 105–105). Eine Leichenbrandgrube (12/78:34) enthielt ausschließlich Überreste von Tieren, bei einer weiteren Grube (10/78:34) ist die Ansprache als reine Tierbestattung nicht gesichert (Wesely 2001, 103). Die Brandstelle (Gräberfeld Befund 94-96/78:34), die in der ersten Schicht verbrannte Steine aufwies, wird als Ort für kultische Handlungen interpretiert (Wesely 2001, 34). Die Baumartenbestimmung der Holzkohlen zeigte mit 715 ml aus einem Gesamtvolumen von ca. 800 ml eine deutliche Dominanz der Kiefer, Pinus
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silvestris. Für die Scheiterhaufen wurden vorwiegend dünne Äste und Zweige, bzw. Reisig verwendet. Eine Vielzahl der Holzkohlenfragmente weist verharzte Bereiche und Rinde auf. Vereinzelt finden sich auch Fragmente von Zapfenspindeln und Knospenschuppen von Kiefernzapfen. Nachweise von Kiefernadeln sind, wohl auf Grund der starken Sauerstoffzufuhr und den daraus resultierenden hohen Temperaturen, nicht erhalten. In neun Proben sind einzelne Belege der Eiche, Quercus sp., enthalten. Die erste Probe aus der Brandstelle (Bef. 94/78:34) weist einen Eichenanteil von etwa 40 % auf. Etwa das gleiche Verhältnis von Kiefer : Eiche liegt in dem Urnengrab 2/54:39 (anthropologische Ansprache: matur, eher männlich) vor. Lediglich ein Gefäß des Urnengrabes 8/54:39 (infans II) enthielt ausschließlich Holzkohlenfragmente von Eiche. In einigen Befunden liegen winzige Holzkohlenbruchstücke, die weder die Merkmale von Kiefer noch von Eiche aufweisen, und mit Vorbehalt der Birke, Betula sp., zuzuordnen sind, vor. Weder chronologisch noch geschlechts- oder altersbezogen lassen sich die Nachweise von Eiche statistisch auswerten, und dies erscheint auch hinsichtlich der Repräsentanz der archäologisch untersuchten Bereiche des Gräberfeldes für die ursprüngliche Belegung wenig sinnvoll. Ein ähnliches Bild der Nutzung der Kiefer lieferte die Holzkohlenbestimmung aus den bronzezeitlichen Lausitzer Gräberfeldern von Tornow (Breddin 1989). Die Artenbestimmung der Holzkohlen aus 58 Gräbern ergab, daß in 50 Grabkomplexen vorwiegend Kiefernholz, Pinus silvestris, davon nur in einem Stammholz und in 12 Gräbern Astholz verwendet wurde. Als weitere Holzart wurde ebenfalls Eiche, Quercus sp., festgestellt (Breddin 1989, 113; 116). Über eine Bestimmung der Holzkohlen, falls vorhanden, der vergleichbaren Gräberfelder von Liebersee und Niederkaina liegen meines Wissens noch keine Ergebnisse vor. B. Herrmann (1990) weist darauf hin, daß überraschend wenig über die bei der Leichenverbrennung genutzten Holzarten bekannt sei und eine systematische Bestimmung und zusammenhängende paläo-ethnobotanische Beurteilung bis zu diesem Zeitpunkt unterblieben sei. Dabei sei dieser Ansatz aus zwei Gründen naheliegend: zum einen weisen Hölzer unterschiedlicher Baumarten eine unterschiedliche Spaltbarkeit, Wärmeentwicklung und Veraschung auf. So sei die Eiche, Quercus sp., schwer, ihre Rinde brenne mit stark rußender Flamme und gäbe viel Aschestaub. Das Holz brenne mit kurzer Flamme, gäbe aber anhaltende Kohlenglut2. Die Kiefer, Pinus silvestris, dagegen sei wegen ihrer harzreichen Teile besonders zum Anfeuern beliebt und sie erzeuge schnelle ausdauernde Hitze. Nach meinen langjährigen Verkohlungsversuchen mit un2
Nach der Heizwerttabelle von Gayer (1966) steht die Eiche an erster Stelle.
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terschiedlichen Holzarten kann ich diese Beurteilung nur bedingt bestätigen. Einerseits brennt die Eiche mit geringer Sauerstoffzufuhr wie oben beschrieben, mit vermehrter Sauerstoffzufuhr ist die Hitzeentwicklung so stark, daß das Holz sehr schnell und nahezu ohne verbleibende Holzkohlenfragmente verascht. Dagegen finden sich in mit Kiefernreisig oder Kienspänen entfachten Feuern besonders in deren Peripherie häufig Reste dieser Holzart, während die wenig später aufgelegten Hölzer mit einem hohen Heizwert, wie Eiche und Buche, in nicht mehr bestimmbare Asche verbrannt sind. Dieses Phänomen ist besonders beim Feuern mit Birke, Betulus sp., zu beobachten. Daher muß die von U. Willerding (1971) aufgeworfene Frage nach der Präsenz und dem Repräsentanzwert archäologisch erfaßter pflanzlicher Makroreste auch bei der Interpretation prä- bzw. historischer Holzkohlen berücksichtigt werden. Eine weitere Frage, die Herrmann (1990, 92) stellte, ist die, „ob der stark emotionalisierte und ritualisierte Vorgang einer Leichenverbrennung den rationalen Aspekten von Brennkraft und Brennbarkeit folge“. Die Ergebnisse der Holzkohleuntersuchungen an bronzezeitlichen bzw. früheisenzeitlichen Gräberfeldern zeigen, daß das ausschlaggebende Kriterium für die Wahl der Brennhölzer ihre unmittelbare Verfügbarkeit ist. Die Holzkohlefunde spiegeln weitgehend die natürliche Vegetationsentwicklung im Umkreis der Siedlungen. Beispielsweise finden sich im Material aus Schleswig-Holstein ausnahmslos Laubhölzer wie Rotbuche, Eiche und Erle (Kühl 1966, 130–140), während auf dem früheisenzeitlichen Gräberfeld von Berlin-Lübars Kiefer und Hasel (Kernd’l 1971, 70–77) genutzt wurden. Auf dem Lausitzer Gräberfeld von Tornow dominiert die Kiefer mit einer Beimengung von Eiche. Das gleiche Ergebnis zeigen die Untersuchungen an dem Material aus dem Gräberfeld von Klein-Priebus. Im Rahmen des Projektes „Archäometallurgie in der Oberlausitz“ wurden palynologische Untersuchungen an Pollenprofilen aus Klein Oelsa bei Klitten und Altliebel bei Reichwalde (Küster/Warmbrunn 2000, 250–267) vorgenommen. Das Gräberfeld Klein-Priebus, das Luftlinie etwa 25 km entfernt ist, liegt damit noch im möglichen Bereich des erfaßten Pollenniederschlages. Die Ergebnisse der Pollenanalyse zeigen die regionale Vegetationsentwicklung und die darauf einwirkenden anthropogenen Einflüsse seit der letzten Eiszeit auf. Demnach hat sich im Untersuchungsgebiet die Kiefer neben Birke und Erle relativ früh ausgebreitet. Auch nach zeitweiligen Phasen des Rückganges, der erste zeichnet sich etwa in der Mitte des 1. Jahrtausends ab, dominierte die Kiefer die Gehölzbestände. Die Regressionen konnten durch Waldbrand oder intensive Nutzung bedingt sein. Untersuchungen an Holzkohlen aus verschiedenen Verhüttungsplätzen, bzw. Meilern der Oberlausitz, die überwiegend in die Römische Kaiserzeit
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datiert werden (Tegtmeier 2000, 269–285), ergab, daß hauptsächlich die Kiefer in dieser Zeit als Energielieferant Verwendung fand. Tegtmeier stellte fest, daß die Holzkohlen aus insgesamt 13 Eisenverhüttungsplätzen sehr gut die unmittelbaren topographischen Verhältnisse widerspiegeln „nämlich das enge räumliche Nebeneinander von flugsandbedeckten Kuppen und Terrassen, vermoorten Senken und feuchten, zeitweilig überschwemmten Flußufern: Kiefer, Birke, Eiche, Buche, Hainbuche, Ahorn, Erle und Ulme belegen dies mit ihren unterschiedlichen Standortansprüchen“ (Tegtmeier 2000, 280). Zum Aufbau der Scheiterhaufen auf dem Gräberfeld Klein-Priebus wurde neben der Kiefer auch Eichenholz genutzt. Die vereinzelten Belege von Birke zeigen zumindest ihre Verwendung an. Sowohl bei der Eiche als auch bei der Kiefer stammen die Holzkohlefragmente überwiegend von Astholz. Die Verwendung von harzreichen Kieferspänen, Kieferzweigen und Kieferzapfen zeigen, daß auch das Kriterium der guten Brennbarkeit durchaus im Vordergrund stand. Die Kombination beider Hölzer, der energiereichen Eiche und der schnell entflammbaren Kiefer, ergab ein optimales Feuer. Es kann nicht völlig ausgeschlossen werden, daß die Baumarten darüber hinaus Träger kultischer Symbolik waren. Dennoch war die Verfügbarkeit der natürlichen Ressourcen und deren Qualität ausschlaggebend für die Auswahl der Holzarten zur Leichenverbrennung.
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Anschrift der Verfasserin: Gisela Wolf Hinter den Wiesen 1 D-37124 Rosdorf
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Anhang: Katalog der analysierten Holzkohleproben aus Klein-Priebus Grab 2/ 78:34 Urnengrab mit drei Beigefäßen, Mehrfachbestattung Leichenbrand aus der Urne: infans I, infans I, infans II Holzkohle 40 ml Astholz, z. T. mit Rinde und harzigen Bereichen, Pinus silvestris, Kiefer, 38 ml Astholz von Quercus sp., Eiche 1,5 ml Astholz von Birke, Betula sp. 2 Fragmente. Grab 5/ 78:34 Urnengrab mit Steinkiste und zwei Beigefäßen Leichenbrand aus der Urne: adult, eher weiblich Holzkohle 10 ml Zweigholz, Durchmesser z. T. < 1 cm, Pinus silvestris, Kiefer 10 ml. Grab 10/78:34 Leichenbrandgrube mit Bronzeschmelzstück Leichenbrand aus der Grube: nur Tierleichenbrand Holzkohle 50 ml Ast- Zweigholz, z. T. mit Rinde, Pinus silvestris, Kiefer 50 ml. Grab 11/78:34 Leichenbrandgrube Leichenbrand aus der Grube: infans I Holzkohle 10 ml Astholz, z. T. mit Rinde, Pinus silvestris, Kiefer 10 ml Astholz, Quercus sp., Eiche 1 Fragment. Grab 12/78:34 Leichenbrandgrube Leichenbrand aus der Grube: tierische Überreste, Rind, Schwein, Schaf/Ziege Holzkohle 90 ml Zweigholz z. T. mit Rinde und sehr harzigen Bereichen, Durchmesser z. T. < 5 cm, Pinus silvestris, Kiefer 90 ml 1 Fruchtschuppe von Pinus silvestris, Kiefer. Grab 15/78:34 Leichenbrandgrube, Doppelbestattung Leichenbrand aus der Grube: infans I, matur, eher weiblich Holzkohle 350 ml Zweig- und Astholz, z. T. mit Rinde, Pinus silvestris, Kiefer 330 ml Verholzte Wurzelbereiche, Art unbestimmt 5 ml Harz von Pinus silvestris oder Teer von Betula sp. – noch zu analysieren – 5 ml Holzkohlesplitter unbestimmt, 10 ml. Grab 17/78:34 Leichenbrandgrube Leichenbrand aus der Grube: adult, eher weiblich Holzkohle 60 ml Ast- und Zweigholz, z. T. mit Rinde und harzigen Bereichen, Pinus silvestris, Kiefer, 54 ml
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Astholz, Quercus sp., Eiche 2 ml Verholzte Wurzelbereiche, Art nicht bestimmt, 2 ml Holzkohlesplitter, Art nicht bestimmt, 2 ml. Grab 18/78:34 Leichenbrandgrube Leichenbrand aus der Grube: adult Holzkohle, 10 ml Zweigholz, sehr harzig, Durchmesser z. T. < 2 cm, Pinus silvestris, Kiefer 9,5 ml 2 Zapfenspindelfragmente, 1 Knospenschuppenfragment, Pinus silvestris, Kiefer Astholz Quercus sp., Eiche, 1 Fragment. Gräberfeld Befund Nr. 94/78:34 Holzkohle 100 ml Astholz Pinus silvestris, Kiefer 60 ml Astholz Quercus sp., Eiche 40 ml Zweigholz Betula sp., Birke 2 Fragmente. Gräberfeld Befund Nr. 95/78:34 Holzkohle 20 ml Ast- und Zweigholz Pinus silvestris, Kiefer 20 ml Astholz Quercus sp., Eiche 1 Fragment. Gräberfeld Befund Nr. 96/78:34 Holzkohle 10 ml Ast- und Zweigholz Pinus silvestris, Kiefer 9 ml 1 Fruchtschuppenfragment, Pinus silvestris, Kiefer Astholz Quercus sp., Eiche 4 Fragmente. Grab 2/ 54:39 Urnengrab mit mindestens 6 Beigefäßen Leichenbrand und Zähne: matur, eher männlich Holzkohle 10 ml Ast- und Zweigholz Pinus silvestris, Kiefer 10 ml Astholz Quercus sp., Eiche, 1 Fragment. Grab 2/ 54:39 Urnengrab mit mindestens 6 Beigefäßen Leichenbrand und Zähne: matur, eher männlich Holzkohle 20 ml Ast- und Zweigholz, z. T. Durchmesser < 2 cm, Pinus silvestris, Kiefer 20 ml Holzkohle, 10 ml Astholz, Pinus silvestris, Kiefer 10 ml Holzkohle aus Gefäß 3, 10 ml Ast- und Zweigholz, Pinus silvestris, Kiefer 5,5 ml Astholz Quercus sp., Eiche 4 ml Holzkohlefragmente unbestimmt 0,5 ml. Grab 5/54:39, Gefäß 2+1 Urnengrab mit vermutlich 5 Beigefäßen Leichenbrand aus Gefäß 5: infans I Holzkohle 4 ml Astholz, Pinus silvestris, Kiefer 3,5 ml 2 Zapfenfragmente, Pinus silvestris, Kiefer.
Untersuchungen zur Holznutzung in der Oberlausitz Grab 6/54:39 Urnengrab mit 12 Beigefäßen, Doppelbestattung Leichenbrand und Zähne: infans II + adult, eher männlich Holzkohle 5 ml Astholz, z. T. mit Rinde, sehr harzig, Pinus silvestris, Kiefer 5 ml. Grab 7/54:39 Urnengrab, Doppelbestattung Leichenbrand (Streuleichenbrand): infans I + adult Holzkohle 10 ml Ast- und Zweigholz, Pinus silvestris, Kiefer 10 ml 1 Holzkohlefragment cf. Betula sp., vielleicht Birke. Grab 8/54:39 Urnengrab mit 2 Beigefäßen Leichenbrand aus Urne: infans II Holzkohle 3 ml Zweigholz, Pinus silvestris, Kiefer 2,8 ml Astholz, Quercus sp., Eiche, 1 Fragment Holzkohle aus Gefäß 1, 5 ml Astholz Quercus sp., Eiche 5 ml. Grab 9/54:39 und Grab 10/54:39 Urnengrab mit 2 Beigefäßen und Urnengrab mit Deckschale Leichenbrand und Zähne in Grab 9: infans I Leichenbrand in Grab 10: neonatus Holzkohle 10 ml Astholz Pinus silvestris, Kiefer 9,5 ml Astholz Quercus sp., Eiche 0,5 ml. Grab 11/54:39 Urnengrab mit mindestens 10 Beigefäßen, Doppelbestattung Leichenbrand aus doppelkonischem Topf Nr. 4: matur, eher weiblich Leichenbrand aus Gefäß Nr. 3: adult, eher männlich Holzkohle 5 ml Zweigholz, Pinus silvestris, Kiefer 5 ml Holzkohle aus Gefäß 7, 5 ml Zweigholz Pinus silvestris, Kiefer 5 ml 1 Zapfenfragment, Pinus silvestris, Kiefer. Grab 13/54:39 Urnengrab mit 11 Beigefäßen Leichenbrand aus der Urne: matur, eher weiblich Holzkohle 4 ml Ast- und Zweigholz, Pinus silvestris, Kiefer 4 ml. Grab 14/54:39 Urnengrab mit mindestens 36 Beigefäßen, Mehrfachbestattung Leichenbrand aus Gefäß Nr. 19: neonatus, Nr. 27: infans II, Nr. 31: adult Holzkohle aus Gefäß Nr. 28, 10 ml Ast- und Zweigholz, z. T. mit Rinde und sehr harzig, Pinus silvestris, Kiefer, 10 ml.
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Studien zur Lebenswelt der Eisenzeit. RGA-E Band 40 – Seiten 601–647 © Copyright 2006 Walter de Gruyter · Berlin · New York
Zur Landnutzung während der Eisenzeit im mittleren Deutschland1 von Ulrich Willerding 1. Einführung Bei archäologischen Ausgrabungen werden neben Resten der materiellen Kultur häufig auch Pflanzenreste festgestellt. Seit geraumer Zeit finden sie – wie das restliche archäologische Fundgut – die Beachtung der Ausgräber und werden sorgfältig geborgen. Es handelt sich dabei vor allem um Früchte und Samen, die zusammenfassend als Diasporen bezeichnet werden, sowie um Holz bzw. Holzkohle. Die Analyse und Auswertung solcher, als Makroreste bezeichneten Belege erfolgt von botanischer Seite (u. a. Willerding 1969; 1971b). Zur Bestimmung der Pflanzenreste sind gute morphologische und anatomische Kenntnisse erforderlich. Eine vielseitige und kritische Auswertung des Fundgutes setzt die Fähigkeit voraus, vegetationskundliche und landwirtschaftliche Befunde sachgerecht auszuwerten. Der Vielfalt möglicher Aussagebereiche entsprechend sollten auch Grundkenntnisse in manchen anderen Bereichen abrufbereit sein. Zu nennen sind außer der Ur- und Frühgeschichte z. B. der Hausbau und das Holzhandwerk. Die Ergebnisse derartiger paläo-ethnobotanischer Untersuchungen führen zu Einsichten über die Lebens-, Produktionsund Umweltverhältnisse in der betreffenden Siedlung. Das ergibt sich daraus, daß Pflanzen grundlegende Ressourcen des Menschen und zugleich wichtige Indikatoren der natürlichen und der anthropogenen Vegetation sind. Die paläo-ethnobotanische Untersuchung archäologisch erschlossener Pflanzenreste kann daher zu Einsichten über den Einfluß des frühen Menschen auf die Vegetation und besonders über seinen Umgang mit den ihm zur Verfügung stehenden pflanzlichen Ressourcen führen. Allerdings betreffen die durch Makrorest-Analysen erreichbaren Erkenntnisse in der Regel nur die mehr oder minder nähere Umgebung der jeweils untersuchten Siedlung. Auf dieser Grundlage lassen sich die Lebensbedingungen der Menschen und
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die Produktionsverhältnisse in der näheren Umwelt der untersuchten Siedlung rekonstruieren. Stehen Ablagerungen zur Verfügung, in denen Pollenkörner über längere Zeit erhalten geblieben sind, so ist es häufig möglich, die ehemaligen Vegetationsverhältnisse für eine größere Region und einen längeren Zeitraum zu rekonstruieren. Das betrifft vor allem Feuchtsedimente wie Torfe und See-Ablagerungen. Dort können Mikroorganismen, die organisches Material abbauen, nicht existieren. Solche Ablagerungen gibt es im Bereich früher Siedlungen aber nur selten. Eine Ausnahme davon bieten die Feuchtboden-Siedlungen im Bereich der Fluß- und Seemarschen sowie an Seeufern und in Mooren. Soll der Einfluß des Menschen auf die Vegetation für einen längeren Zeitraum erfaßt werden, so ist das auch durch die paläo-ethnobotanische Untersuchung mehrerer mehr oder minder zeitgleicher Siedlungen in einer Landschaft möglich. Auf der Grundlage solcher zunächst nur punktuell orientierten Analysen kann dann die Entwicklung der Landnutzung und damit auch der Landschaft in größeren Bereichen erfaßt werden.
2. Die Fundstellen Die vorliegende Arbeit stützt sich auf paläo-ethnobotanische Untersuchungen von ca. 60 Fundstellen aus der Vorrömischen Eisenzeit bzw. der Römischen Kaiserzeit. Dabei sind die Befunde aus der jüngeren Vorrömischen Eisenzeit besonders häufig (Tab. 1). Tab. 1. Fundorte untersuchter Pflanzenreste aus der Zeit um Chr. Geb. im mittleren Deutschland Fundort
Befundart
Fundgut
Zeit
Autoren
Alteburg bei Niedenstein
Siedlungsgruben
verkohlte Pfl.reste
Spätlatène
Kreuz 1995
Altenritte/Baunatal
Siedlungsgruben
Abdrücke v. Pfl.re- Mittel-Spätlatène sten in Hüttenlehm, Holzkohle
Jordan 1938; Hahner 1982 Best. U. Willerding
Apolda/Thüringen
Siedlungsgruben
verkohlte Pfl.reste
Latènezeit
Schultze-Motel/Gall 1994
Bad Nauheim/Hessen
trockene Schichten
verkohlte Pfl.reste
Frühlatène
Kreuz/Hopf 2001
Bad Nauheim/Hessen
trockene Schichten
verkohlte Pfl.reste
römisch
Hopf 1982; Kreuz 1995
Bösenburg/Eisleben
Siedlungsgrube
verkohlte Pfl.reste
Ältere Vorröm. Eisenzeit
Schultze-Motel/Kruse 1965
Butzbach/Hessen
Brunnen
unverkohlte Pfl. reste
2. Jh. n. Chr.
Knörzer 1973; Kreuz 1995
Butzbach/Hessen
Kloake
unverkohlte Pfl. reste
römisch, 2. Jh. n. Chr.
Baas 1979; Kreuz 1995
Zur Landnutzung während der Eisenzeit im mittleren Deutschland
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Fundort
Befundart
Fundgut
Zeit
Autoren
Büdesheim/Hessen
trockene Schichten
verkohlte Pfl.reste
Früh- bis Mittellatène
Kreuz 1994; 1995
Büdesheim/Hessen
trockene Schichten
verkohlte Pfl.reste
Mittel- bis Spätlatène
Kreuz/Hopf 2001
Christenberg bei Marburg
Brandschicht
verkohlte Pfl.reste
Latènezeit A bis B2
Kreuz 1993; Kreuz/ Hopf 2001
Düna/Osterode, Harz
Feuchtsediment
unverkohlte u. verkohlte Pfl.reste
Röm. Kaiserzeit
Andrae 1990
Dünsberg
trockene Schichten
verkohlte Pfl.reste
Latènezeit
Hopf 1982; Kreuz 1995; Kreuz/Hopf 2001
Echzell-Lindenstraße/ Hessen
vicus, Grube u. Keller
verkohlte Pfl.reste
1. Jh. n. Chr.
Kreuz 1995
Echzell-Mühlbach/Hessen
trockene Schichten
verkohlte Pfl.reste
Ältere Vorröm. Eisenzeit
Kreuz/Hopf 2001
Erfurt-Andreastor/Thüringen
trockene Schichten
verkohlte Pfl.reste
frühe Latènezeit
Schultze-Motel/Gall 1994
Erfurt-Marbacher Gasse/ Thüringen
Siedlungsgrube
verkohlte Pfl.reste
Latènezeit
Schultze-Motel/Gall 1994
Eschborn
röm. Brunnen einer villa rustica
viele unverkohlte, einige verkohlte Pfl.reste
Röm. Kaiserzeit
Kreuz 1997
Fulda/Hessen
Siedlungsgrube
verkohlte Pfl.reste
Röm. Kaiserzeit, 1. Jh. n. Chr.
Kreuz 1995
Goddelau/Hessen
Siedlungsgruben, trockene Schichten
verkohlte Pfl.reste
Frühlatène
Kreuz 1995; Kreuz/ Hopf 2001
Göttingen-Geismar
trockene Füllung von Siedlungsgruben
verkohlte Pfl.reste
jüngere Vorröm. Eisenzeit
Willerding 1974; Rosenstock 1979
Göttingen-Kiesgrube
Feuchtsedimente
zahlreiche unverkohlte, einige verkohlte Pfl.reste
um Chr. Geb.,
Willerding 1960
14C-Datierungen:
331 v. Chr. u. 24 n. Chr.
Göttingen-Kreuzbergring
trockene Siedlungsschichten
Holzkohle
jüngere Vorröm. Meyer/Willerding Eisenzeit; 14C1961 Datierung 28 ± 85 v. Chr.
Göttingen-Schillerwiese
trockene Schichten in Siedlungsgruben
verkohlte Diasporen u. Holzkohle
jüngere Vorröm. Eisenzeit
Willerding 1966b
Graitschen bei Bürgel/ Thüringen
Siedlungsgrube
verkohlte Pfl.reste
Latènezeit
Schultze-Motel/Gall 1994
Großfahner/Thüringen
Siedlungsgrube
verkohlte Pfl.reste
Latène D
Schultze-Motel/Gall 1994
Groß Gerau/Hessen
Brunnen eines vicus
verkohlte u. unverkohlte Pfl.reste
ca. 1. Jh. n. Chr.
Kreuz 1995
Friedberg-Kaiserstraße/ Hessen
Bodeneintiefung
verkohlte Pfl.reste
Röm. Kaiserzeit, 2./3. Jh. n. Chr.
Kreuz 1995
Hanau-Mittelbuchen/ Hessen
Grubenhaus
verkohlte Pfl.reste
Spätlatène
Kreuz 1998
604
Ulrich Willerding
Fundort
Befundart
Fundgut
Zeit
Autoren
Hanau-Salisweg/Hessen
Brunnen
unverkohlte u. verkohlte Pfl.reste
2. Jh. n. Chr.
Kreuz 1995
Helfta, Kr. Eisleben/ Sachsen-Anhalt
Siedlung, trockene Schichten
verkohlte Pfl.reste
Spätlatène
Schoknecht 1986
Hetzdorf/Kr. Strasburg
trockene Schichten
verkohlte Pfl.reste
ca. 50 v. Chr. – 50 n. Chr.
Lange 1972
Kleine Jettenhöhle/Düna, Kr. Osterode/Harz
Gips-Höhle, trockene Ablagerungen
verkohlte Pfl.reste
Mittel- bis Spätlatène
Willerding 1975
Jüchsen
trockene Schichten
verkohlte Pfl.reste
Latènezeit
Schultze-Motel/Gall 1994
Kablow/Königs Wusterhausen/ Brandenburg
Speicher
verkohlte Pfl.reste
späte Röm. Kaiserzeit
Schiemann 1957
Kakerbeck/Altmarkkreis Salzwedel
Siedlungsgruben
Abdrücke in Hüttenlehm
Röm. Kaiserzeit
Leineweber 1997
Kalbach/Hessen
trockene Schichten
verkohlte Pfl.reste
Spätlatène
Kreuz/Hopf 2001
Kassel-Oberzweren
Siedlungsgruben
verkohlte Pfl.reste
Latènezeit
Hopf 1982; Kreuz 1995
Klötze/Altmark
kaiserzeitlicher Brunnen: feuchte Ablagerungen
zahlreiche unverkohlte u. einige verkohlte Pfl.reste
Röm. Kaiserzeit
Leineweber/Willerding 2000
Langenhain/ Hessen
vicus, Keller
verkohlte Pfl.reste
Röm. Kaiserzeit, 3. Jh.
Küster 1992; Kreuz 1995
Lenglern, Kr. Göttingen
Siedlungsgrube
trockene Schichten: Holzkohle
Eisenzeit
Knörzer in: Firbas 1954
Meseberg/Lkr. Stendal
Siedlungsgruben
Abdrücke in Hüttenlehm
Röm. Kaiserzeit
Leineweber 1997
Münzenberg-Gambach/ Hessen
Gruben
verkohlte Pfl.reste
2. Jh. n. Chr.
Kreuz 1995
Neudietendorf/Thüringen
Siedlungsgruben
verkohlte Pfl.reste
Latènezeit
Schultze-Motel/Gall 1994
Niederursel/Hessen
villa rustica: Keller
verkohlte Pfl.reste
2. Jh. n. Chr.
Kreuz 1995
Öchsen bei Völkershausen/ trockene Schichten Thüringen
verkohlte Pfl.reste
frühe Latènezeit
Schultze-Motel/Gall 1994
Petersmark/Lkr. Stendal
Siedlungsgruben
Abdrücke in Hüttenlehm
Röm. Kaiserzeit
Leineweber 1997
Fundort
Befundart
Fundgut
Zeit
Autoren
Pipinsburg, Kr. Osterode/Harz
trockene Bodenschichten
Streufunde u. Konzentrationen verkohlter Pfl.reste
jüngere Vorröm. Eisenzeit
Schlüter 1974; Willerding 1974
Plesse bei Bovenden, Kr. Göttingen
Spätere Burgkapelle: trockene Bodenschichten
Holzkohle
ältere Vorröm. Eisenzeit
Willerding 1984
Rosdorf, Kr. Göttingen
Siedlungsgruben: trockene Schichten
verkohlte Pfl.reste
jüngere Vorröm. Eisenzeit
Willerding 1969
Saalburg/Bad Homburg
Röm. Kastell, Brunnen
unverkohlte u. verkohlte Pfl.reste
Röm. Kaiserzeit
Kreuz 1995
Zur Landnutzung während der Eisenzeit im mittleren Deutschland Fundort
605
Befundart
Fundgut
Zeit
Autoren
Schwalheim/Hessen
trockene Schichten
verkohlte Pfl.reste
Vorröm. Eisenzeit
Kreuz/Hopf 2001
Steinbach/Hessen
trockene Schichten
verkohlte Pfl.reste
Spätlatène
Kreuz/Hopf 2001
Steinbühl bei Nörten-Hardenberg, Kr. Northeim
trockene Füllung von Siedlungsgruben
verkohlte Pfl.reste
jüngere Vorröm. Eisenzeit
Willerding/Wolf 1990
Steinsburg bei Römhild/ Thüringen
trockene Ablagerungen
verkohlte Pfl.reste
Hallstatt-/Latènezeit
Schultze-Motel/Gall 1994
Verden/Aller
Siedlungsgrube: trockene Schichten
einige verkohlte Pfl.reste
Eisenzeit
Willerding unpubl.
Vogelbeck bei Einbeck, Kr. Northeim
trockene Füllschichten einiger Siedlungsgruben
verkohlte Pfl.reste
Vorröm. Eisenzeit
Willerding unpubl.
Wehren bei Fritzlar
trockene Ablagerungen in Siedlungsgruben
einige verkohlte Pfl.reste
Spätlatène
Hahner 1982 (Bestimmung: Willerding)
Westgreußen/Thüringen
Siedlungsgruben
verkohlte Pfl.reste
späte Latènezeit
Schultze-Motel/Gall 1994
Wolfenbüttel-Fümmelse
Feuchte Sedimente eines Gewässers
unverkohlte u. wenige verkohlte Pfl.reste
Röm. Kaiserzeit, ca. 2. Jh. n. Chr.
Willerding 1983
verkohlte Pfl.reste
2. Jh. v. Chr.
Lange 1975
Zedau/Osterburg, Sachsen- Grubenhaus mit Anhalt trockenen Schichten
Als Grundlage für die Auswertung dienen die Ergebnisse, die am pflanzlichen Fundgut von ca. 30 Fundstellen abgeleitet werden konnten (Tab. 2). Sie liegen in den Lößlandschaften Südniedersachsens. Zum Vergleich werden Befunde aus einigen angrenzenden Gebieten herangezogen. Sie ermöglichen schließlich die Ableitung von Erkenntnissen über die Landnutzung in weiten Teilen des mittleren Deutschlands während der Zeit um Christi Geburt. Die Datierungen beruhen – sofern keine Radiokarbon-Daten vorliegen – auf der Auswertung des archäologischen Fundgutes. Das stammt aus den Zeiträumen der Latènezeit und der Römischen Kaiserzeit, wobei eine exakte Trennung beider Abschnitte nicht immer möglich war. Die berücksichtigten Fundstellen, Fundmengen und Fundqualitäten sind allerdings recht unterschiedlich. Sie reichen von einigen Getreidekorn-Abdrücken im Hüttenlehm über verkohltes Fundgut aus Siedlungsgruben und Vorratslagern bis zu Funden unverkohlter Belege in Brunnen und anderen Feuchtablagerungen (Tab. 1). Die Ergebnisse der Analysen solchen Materials scheinen daher kaum vergleichbar zu sein. Dennoch ist festzustellen, daß bei kritischer Würdigung der verschiedenen Befunde deren Aussagewert recht beträchtlich sein kann. Allerdings müssen grundlegende methodische Probleme berücksichtigt werden. Das betrifft insbesondere die Voraussetzungen für die Präsenz der Belege und deren Repräsentanz. Dann sind auch manche Funde auswertbar, die zunächst kaum
606
Ulrich Willerding
vergleichbar zu sein scheinen. Die Ergebnisse zeigen, daß sie oft nicht nur einen lediglich ergänzenden bzw. bestätigenden Wert haben. Bei dem pflanzlichen Fundgut aus der Eisenzeit in Südniedersachsen handelt es sich mehrheitlich um verkohlte Pflanzenreste. Sie lagen zerstreut in der Füllung alter Siedlungsgruben, die wenigstens zum Teil Reste ehemaliger Vorratsgruben sind. Sie fallen durch ihre kreisrunde und im Schnittprofil kegelstumpfförmige Gestalt auf (Abb. 1) (Willerding/Wolf 1990) und werden wenigstens zum Teil in die späte Latènezeit datiert. Gelegentlich werden sie – dem Schnittbild entsprechend – auch als Trapezgruben bezeichnet. Häufig waren sie so stark eingetieft, daß ihre Reste noch jetzt mehr als zwei Meter in den Lößboden reichen.
Abb. 1. Kegelstumpf-Grube in der eisenzeitlichen Siedlung am Steinbühl (jüngere Vorrömische Eisenzeit) bei Nörten-Hardenberg, Kr. Northeim: Die feinstratigraphische Untersuchung der Grubenfüllung zeigt die Vielfalt des in die Grube geratenen Materials und läßt auf den Vorgang der Einlagerung schließen. Probennummer und Tiefenverhältnisse sind rechts vermerkt. Einzelne, aus der Profilwand entnommene Proben wurden entsprechend eingetragen. Legende: 1 Löß, AlHorizont. 2 Löß, Bt-Horizont. 3 Kies. 4 Schotter. 5 Rotsand. 6 Holzkohle. 7 Grubenverfüllung. 8 Steine. 9 Keramik. 10 Knochen. 11 Hüttenlehm. 12 Grabungsgrenze
Zur Landnutzung während der Eisenzeit im mittleren Deutschland
607
Bei den Ausgrabungen wurde deutlich, daß die in den Löß eingetieften Grubenwände eine außerordentliche Standfestigkeit besitzen. Daher konnten viele Gruben wiederholt zur Speicherung von Getreidevorräten benutzt werden (Willerding 1998). Darauf weisen auch gelegentlich vorhandene Ansammlungen sehr gut erhaltener verkohlter Getreidekörner hin, die sich im Bereich der ehemaligen Grubensohle befanden. Wahrscheinlich sind das Überreste des zuvor in der betreffenden Grube gespeicherten Vorrates. Vor der Einfüllung neuer Vorräte wurde die Grube vermutlich gereinigt. Das geschah mit Hilfe eines Feuers, das auf der Grubensohle entfacht wurde. Auf diese Weise kam es zur Vernichtung möglicherweise vorhandener Vorratsschädlinge. Zugleich verbrannten Reste von Vorräten, die auf der Grubensohle verblieben waren. Entstand dabei ein Mangel an Sauerstoff, so führte dies nur zur Verkohlung der Vorratsreste bzw. zur Entstehung von Holzkohle. Bei der Beseitigung der Verbrennungsrückstände waren einige der so entstandenen verkohlten Pflanzenreste im Bereich der Grubensohle verblieben. Für die verkohlten Pflanzenreste, die sich oberhalb der Grubensohle im Füllmaterial der Grube befanden, ist eine andere Entstehungsweise anzunehmen. Ihre unregelmäßige Lagerung und z. T. nesterartige Verteilung sind vermutlich darauf zurückzuführen, daß sie nach der Aufgabe der Siedlung bzw. Grube zusammen mit Bodenmaterial und Keramikscherben in die Eintiefung geraten waren. Demnach ist damit zu rechnen, daß es sich bei dem Füllmaterial dieser Gruben um Teile des alten Oberbodens handelt. Dies erklärt auch die Tatsache, daß die Füllung sich farblich von dem Boden, in den die Gruben eingetieft sind, unterscheidet. Die Dunkelfärbung der Grubenfüllung beruht somit nicht in erster Linie auf einer Humusbildung in den Abfällen, die in die sekundär als Abfallgruben genutzte Bodeneintiefung gelangt waren. Demnach kann es sich um Teile des alten Oberbodens handeln, der auf diese Weise erhalten geblieben ist. Die verkohlten Pflanzenreste dürften dementsprechend Abfälle sein, die zusammen mit anderen Abfällen in der Siedlung auf dem Boden herumgelegen hatten. Sie waren dann zusammen mit Teilen des Siedlungsbodens in die nicht mehr genutzten Gruben gelangt und dadurch erhalten geblieben. Dementsprechend handelt es sich bei diesen verkohlten Belegen um Reste von Abfällen, die wahrscheinlich innerhalb eines etwas längeren Zeitraumes angefallen waren. Während bei Funden von Vorräten häufig die Überreste einer einmaligen, konkreten Paläo-Situation erfaßt werden, ist das bei solchen Abfallfunden anders: Sie spiegeln – ihrer Genese entsprechend – die Landnutzungsverhältnisse wider, die früher für längere Zeit in der betreffenden Region verbreitet gewesen waren. Solche Streufunde von verkohlten Diasporen sind daher in der Regel repräsentativer für die früheren Landnutzungsverhältnisse als einzelne Vorratsfunde.
608
Ulrich Willerding
Das gilt entsprechend auch für das Füllmaterial von Gruben und andere Streufunde aus dem Bereich anderer eisenzeitlicher Siedlungen sowie von Burganlagen. Liegen von dort aber größere Mengen verkohlter Diasporen von Kulturpflanzen vor, die mehr oder minder ebenerdig gelagert waren, so sind das vermutlich Überreste größerer Vorräte. Diese waren für die Versorgung einer größeren Anzahl von Menschen mit Getreide erforderlich. Die vergleichsweise kleinen, kegelstumpfförmigen Silogruben waren dafür weniger geeignet. Das trug dazu bei, daß sich die oberirdischen Vorratsspeicher während der Eisenzeit dort durchsetzten, wo eine größere Menge von Menschen mit Getreide versorgt werden mußte. Das zeigen auch die Granarien römischer Niederlassungen ebenso wie Burgen im Gebiet der Germania libera (Willerding 1998). Im hier näher untersuchten mitteldeutschen Arbeitsgebiet wurden Pflanzenreste bislang leider erst in den Überresten zweier eisenzeitlicher Burganlagen festgestellt. Es handelt sich um Horizonte der Hallstattzeit auf der Plesse bei Göttingen (Willerding 1984) und um solche der Latènezeit von der Pipinsburg bei Osterode/Harz (Willerding 1974). Von beiden Fundstellen liegt Holzkohle vor, vom zweitgenannten jedoch vor allem verkohltes Getreide. Bei der stellenweise mehrere Zentimeter mächtigen Schicht verkohlten Getreides muß es sich in erster Linie um Reste von Getreidevorräten handeln, die oberirdisch gelagert worden waren. Im anderen Fall liegt Holzkohle vor, die offenbar aus dem Siedlungsmüll stammt. Dementsprechend bieten sich mit dem Material aus den beiden Burgen mehrere unterschiedliche Auswertungsbereiche an. Im Untersuchungsgebiet Südniedersachsen gibt es aber auch feuchte Ablagerungen aus der Eisenzeit, in denen unverkohlte Pflanzenreste erhalten geblieben sind. Es handelt sich dabei einerseits um die Überreste natürlicher Feuchtbiotope, die sich in der Leineaue aus Altwässern entwickelt hatten. Besonders reichlich waren sie im Bereich der damaligen Göttinger Kiesgrube vorhanden und angeschnitten (in den Jahren um 1956; Willerding 1960). Solche Torfe, Mudden und andere fluviatile Ablagerungen wurden im Zeitraum zwischen 1955 und 2003 mehrfach im Bereich der Leineaue bei Göttingen, Bovenden, Nörten-Hardenberg und Northeim angetroffen. Die Aufschlüsse waren meistens im Zusammenhang mit Baumaßnahmen, Begradigung des Flußbettes und dem Abbau von Kies entstanden. Feuchtsedimente, in denen unverkohlte Pflanzenreste enthalten waren, wurden auch bei Wolfenbüttel-Fümmelse erschlossen. Dabei handelte es sich um siedlungsnahe Abfallschichten. Rein anthropogen waren die Ablagerungen im langobardischen Brunnen von Klötze/Altmarkkreis Salzwedel (Leineweber/Willerding 2000). Dort wurden zahlreiche Pflanzenarten nachgewiesen, die in der durch verkohlte Belege erfaßten Flora von der gleichen Fundstelle nicht vertreten waren.
609
Zur Landnutzung während der Eisenzeit im mittleren Deutschland
Altenritte/Baunatal
Fulda
+
Göttingen-Geismar
+
+
+
+
+
+
Göttingen-Schillerwiese
+
Goddelau
+
+
+
+
+ +
Göttingen-Kiesgrube
+
+
+
+
+
+
Hanau
+
+
Helfta
+
+
Hetzdorf
+
Jüchsen
+
+
+
+
+
Kl. Jettenhöhle/Düna
+ +
+
+
+
+
+
Klötze/Altmark + +
+
Camelina sativa
Lens culinaris
Lens culinaris
Vicia faba
+
+ +
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+ +
+
+
Küsten/Lüchow
+
+ +
+ +
+
+
+ +
+
+
+
+
Groß-Gerau
+
+
+ +
+
+
+
+
+
+
+
+ +
+
+
Merseburg
+
Pipinsburg/Osterode
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
Rosdorf/GÖ
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
Steinbühl/NOM
+
+
Steinsburg/Römhild
+
+
Sünninghausen/Beckum
+
+
+
+
Vogelbeck/EIN
+
+
+
+
+
Wehren/Fritzlar
+
Wolfenbüttel-Fümmelse
+ +
+
+ +
+
+
Verden/Aller
Zedau/Osterburg
Pisum sativum
Panicum vulgare
+
Christenberg/Marburg
Langenhain
Secale cereale
Avena sativa
Hordeum vulgare
Triticum compactum
Triticum aestivum
Triticum spelta
Triticum dicoccon
Fundplätze
Triticum monococcum
Tab. 2. Fundorte von Pflanzenresten aus der Vorrömischen Eisenzeit und der Römischen Kaiserzeit im mittleren Deutschland und angrenzenden Gebieten. Nach Angaben verschiedener Autoren, Auswahl
+
+
+
610
Ulrich Willerding
In solchen natürlichen oder auch anthropogenen Feuchtablagerungen bleiben in der Regel unverkohlte Reste vieler Arten erhalten. Daher lassen sich mit Hilfe von Feuchtsedimenten wesentlich mehr Arten aus der damaligen Flora nachweisen, als das allein mit Hilfe verkohlter Belege möglich ist (s. o.). Das erlaubt einen besseren Einblick in die damals vorhandene Flora. Darunter befinden sich auch Arten, deren Teile vermutlich als Nahrung genutzt wurden. Das Untersuchungsgebiet um Göttingen erfaßt in erster Linie das breite, tektonisch angelegte Leinetal zwischen Göttingen und Einbeck sowie das angrenzende Hügel- und Bergland. Letzteres wird aus Ablagerungen der Trias gebildet, vornehmlich aus den Gesteinen des Muschelkalkes. Die von dort kommenden Bäche streben zur Leine und führen daher kalkreiches Wasser. Das hat dort, wo die Bäche ins Leinetal münden, oftmals zur Bildung von Kalktuff-Fächern geführt. Heute sind die Kalktuff-Flächen von Auen- bzw. Decklehm bedeckt, sofern der Tuff nicht zur Gewinnung von Mergel oder als Baumaterial abgebaut worden ist. Da die Bedeckung mit Lehm häufig erst im Mittelalter stattgefunden hat, dürften die Kalksumpfflächen während der Eisenzeit und der Römischen Kaiserzeit noch weitgehend freigelegen haben und für die Mündung der Bachtäler ins breite Leinetal charakteristisch gewesen sein.
3. Der Naturraum Die bei Leinefelde im Eichsfeld/Thüringen entspringende Leine fließt zunächst in mehr oder weniger westlicher, etwa ab Eichenberg in nördlicher Richtung. Sie nutzt dabei das breite Tal, das im Tertiär durch Grabenbrüche entstanden war. Ein vom Fluß während des Pleistozäns geschaffenes deutliches Terrassen-System fehlt daher. Zum Mäandrieren bot die breite Talsohle dem Fluß genügend Platz, zumal sein Gefälle im Oberlaufbereich sehr gering ist. Auf die geomorphologischen Verhältnisse im Göttinger Leinetal wirken sich daher vor allem die Folgen der genannten Grabenbrüche aus: westlich und östlich der Bruchlinien sind die Gesteine in ähnlicher Weise angeordnet. Das gilt entsprechend für die Verbreitung der Biotop-Typen und der Böden. Daher kann davon ausgegangen werden, daß die Zonen jeweils ähnlicher Vegetation während des hier interessierenden Zeitraumes dem Flußverlauf beiderseits nahezu parallel verlaufend folgten. Diese sich in Nord-Süd-Richtung erstreckenden Zonen ähnlicher Gehölz-Vegetation wurden allerdings durch Biotope unterbrochen, die sich in den von den Seiten kommenden Tälchen
Zur Landnutzung während der Eisenzeit im mittleren Deutschland
611
entwickelt hatten. Da die Quellen dieser Bäche im Bereich des Muschelkalkes liegen, ist ihr Wasser sehr kalkhaltig. Das hat – beginnend im frühen Holozän – zur Bildung von Kalktuff, Kalkmergel und auch Seekreide geführt. Zu ihrer großflächigen Überdeckung mit Hang-, Deck- bzw. Auenlehm ist es infolge ausgedehnter Rodungen erst während des Mittelalters gekommen. Auch die verschiedenen Landschaftsteile, die zwischen dem Fluß und den landeinwärts folgenden, von Löß bedeckten Höhen liegen, dürften in ähnlicher Weise gegliedert gewesen sein. Das galt für die naturräumlichen Verhältnisse ebenso wie für die Nutzlandschaft. Dementsprechend standen den frühen Siedlern im südlichen Leinetal mehrere unterschiedliche Landschaftsbzw. Biotoptypen zur Verfügung. Das dürfte sich entsprechend auf die Form der Landnutzung ausgewirkt haben. Es ist deshalb interessant zu erfahren, in welcher Weise die Nutzung pflanzlicher Ressourcen hier in der Zeit um Christi Geburt erfolgt ist. Dies bezieht sich gleichermaßen auf Kultur- und genutzte Wildpflanzen. Während der Eisenzeit und der Römischen Kaiserzeit dürfte diesen vorwiegend aus Kalkablagerungen bestehenden kleinen Erhebungen die Decke aus dem durch Bodenerosion verlagerten Lößmaterial noch weitgehend gefehlt haben. Je nach Intensität der Wasserführung konnten sich längs der Bäche in deren Mündungsgebiet Schwemmfächer bzw. Kalktuff-Terrassen entwickeln. Da deren Oberfläche allmählich in die Höhe – und damit aus dem Grundwasserbereich – herauswuchs, eigneten sich diese Plätze für die Anlage von Siedlungen nahe am Fluß und an den Bächen. Das Vorhandensein von Seekreide – beispielsweise in Göttingen-Grone – zeigt, daß es im Nahbereich solcher Siedlungen auch offene Wasserflächen gegeben hat. Die Böden waren dort reich an Nährsalzen, insbesondere an Kalk. Dementsprechend waren sie locker oder konnten durch Bearbeitung leicht gelockert werden, so daß eine günstige Bodenstruktur entstand. Auch der Wasserhaushalt auf diesen Flächen dürfte für die landwirtschaftliche Nutzung günstig gewesen sein. Zugleich boten sich diese über das angrenzende Gebiet hochgewachsenen Geländebereiche zur Anlage von Siedlungen und Brückenköpfen an. Die Gebiete hinter den die Bäche begleitenden Kalktuffwällen waren hingegen häufig eher feuchter und eigneten sich daher weniger für Ackerbau als für Weide oder Holznutzung. Die Ackerflächen müssen sich daher hauptsächlich auf den angrenzenden, etwas höher gelegenen Lößflächen befunden haben. Die in diesem Naturraum vorhanden gewesenen Biotop-Typen hat es vermutlich auch in anderen, ähnlich strukturierten Löß-Landschaften Zentraleuropas gegeben. Das gilt für ihre Beschaffenheit ebenso wie für ihre Verteilung im Gelände. Die hier für das südliche Niedersachsen abgeleiteten Ergebnisse können daher wohl als weitgehend exemplarisch für andere, ähnlich struktu-
612
Ulrich Willerding
rierte Landschaften Zentraleuropas angesehen werden. In welchem Umfang das zutrifft, sollte allerdings noch durch planmäßige Ausgrabungen und paläo-ethnobotanische Untersuchungen überprüft werden. Die hier vorgelegten Erkenntnisse können dabei hilfreich sein, Strategien für diese Forschungen zu entwickeln. Über die in der Zeit um Christi Geburt im südlichen Niedersachsen vorhanden gewesene Vegetation geben die an verschiedenen Fundplätzen geborgenen Pflanzenreste Auskunft. Allerdings ist es nicht möglich, die Vegetation aller Biotope gleichmäßig gut zu erfassen. Vielmehr ist davon auszugehen, daß die Belege der betreffenden Pflanzen auch die Chance hatten, in eine der verschiedenen Ablagerungsplätze zu gelangen und dann auch noch die dafür geeignete („richtige“) Erhaltungsform zu haben. Daraus ergibt sich, daß an den Fundstellen vor allem Belege der Arten vorhanden sind, die in engeren Kontakt mit dem Menschen geraten waren. Das sind vor allem die vom Menschen genutzten Arten. Dabei ist es gleich, ob es sich um angebaute Kulturpflanzen und deren Unkräuter oder um gesammelte Wildpflanzen handelt, die ebenfalls als Nahrungspflanzen genutzt wurden. Hinzu kommen Arten, deren Diasporen von Mensch oder Tier vertragen wurden. Eine besondere Bedeutung dürfte schließlich die Holzkohle haben, die in oder nahe der Siedlung entstanden ist. Ihre Funde aus Siedlungen der Zeit um Christi Geburt ermöglichen die Rekonstruktion der damaligen natürlichen Waldverhältnisse im südlichen Leinetal bei Göttingen. Diese Belege können auch über die bevorzugte Verwendung einzelner Holzarten zu bestimmten Aufgaben informieren, beispielsweise als Bau- oder Feuerholz. Schließlich sind die Veränderungen der Wälder durch den Eingriff des eisenzeitlichen Menschen zu fassen. Erkenntnisse über die Waldverhältnisse, die es in der Zeit um Christi Geburt im Untersuchungsgebiet gegeben hat, lassen sich aus den zahlreichen Funden von Holz und Holzkohle ableiten. Die in den Ablagerungen der Leine-Aue vorhandenen unverkohlten Hölzer informieren über die Gehölz-Bestände im Bereich der Alluvionen. Es handelte sich dabei vor allem um eine Weiden-Aue, in der schmalblättrige Weidenarten vorherrschten. Mit Hilfe gut erhaltener Blattreste ließen sich folgende Arten nachweisen: Salix Salix Salix Salix
alba fragilis triandra viminalis
Silber-Weide Bruch-Weide Mandel-Weide Korb-Weide.
Diese Arten charakterisieren auch heute noch die für Weidengebüsche bzw. -wälder an Fließgewässern bezeichnenden Pflanzengesellschaften der
Zur Landnutzung während der Eisenzeit im mittleren Deutschland
613
Weiden-Aue (Salicetum albae, Salicetum fragilis und Salicetum triandraeWeiden-Auen; Oberdorfer 1979; Ellenberg 1996). Auf den Schlick- und Schotterflächen der Alluvionen gab es bereits damals Bestände, die – der starken Morphodynamik dieser Biotope entsprechend – aus vorwiegend kurzlebigen Arten bestanden. Unter diesen waren vor allem Arten vertreten, die charakteristisch für Bestände aus den pflanzensoziologischen Verbänden der Zweizahn- und Fluß-Melden-Fluren sind (Bidention tripartitae- und Chenopodion rubri-Gesellschaften; Oberdorfer 1979; Ellenberg 1996). In diesen Pflanzengesellschaften machen sich vor allem einjährige Arten aus folgenden Gattungen breit: Atriplex Chenopodium Polygonum
Melde Gänsefuß Knöterich.
Anschließend an die breite Weiden-Aue (Abb. 2) folgten an beiden Seiten des Flusses Erlen-Wälder, die auf häufig mächtigen humosen Mineralböden stockten. Wie die Diasporen zeigen, handelte es sich erwartungsgemäß um Bestände der Schwarz-Erle. Unverkohltes Erlen-Holz, das ebenso wie das der Weiden in den Ablagerungen der Aue lag, weist darauf hin, daß kleinere Erlen-Gehölze auch in der Weichholz-Aue vorgekommen sind.
Abb. 2. Funde von Holz und Holzkohle aus den Auen-Ablagerungen der Leine und von Holzkohle aus Siedlungen der Zeit um Christi Geburt ermöglichen die Rekonstruktion der damaligen Waldverhältnisse im südlichen Leinetal bei Göttingen
614
Ulrich Willerding
Dafür sprechen die Massen von Kätzchen, Früchtchen und Fruchtzapfen der Schwarz-Erle, die in den Ablagerungen der Flußaue enthalten waren. Zeugnisse für das Vorhandensein einer typischen Hartaue wurden in keinem der zahlreichen Aufschlüsse im Auenbereich gefunden. Es ist unklar, ob es auf den etwas höher gelegenen und daher nicht so häufig überschwemmten Auen-Standorten Südniedersachsens überhaupt jemals solche Ulmen-Auenwälder gegeben hat. Denkbar ist allerdings auch, daß diese Hart-Auenwälder in der Zeit um Christi Geburt bereits gerodet waren und von den nahe der Aue wohnenden Siedlern ackerbaulich genutzt wurden. Dies konnte von Behre (1970; 1988) entsprechend für den Unterlauf der Ems nachgewiesen werden. In der älteren Vorrömischen Eisenzeit waren dort noch Wälder der Hartholz-Aue mit Ulme vorhanden. In der Zeit um Christi Geburt waren diese Gebiete aber weitgehend gerodet und wurden als Ackerland genutzt. In der sich an die Erlenwälder landeinwärts anschließenden Zone stockten Mischwälder, in denen die Eiche vorherrschte. Bei den Böden dürfte es sich weitgehend um Löß-Parabraunerden gehandelt haben. Die Anwesenheit von Belegen mehrerer Lichtholzarten in den Proben aus den Siedlungen dieser Landschaftsteile weist auf die Auflichtung dieser Eichenmischwälder hin. Arten wie Hainbuche (Carpinus betulus), Hasel (Corylus avellana), Eiche (Quercus sp.) und Linde (Tilia sp.) sind dafür bezeichnend. Diese Arten kommen allerdings nicht nur in aufgelichteten Wäldern vor. Sie besitzen zugleich ein besonders gut entwickeltes Regenerationsvermögen. Daher ist anzunehmen, daß die Wälder im näheren Umland der Siedlungen charakterisiert waren durch Gehölze mit Stockausschlag bzw. Kopfholzbildung. Die dabei entstehenden, reich verzweigten Wuchsformen trugen dazu bei, daß die siedlungsnahen Bereiche der Wälder häufig mehr oder weniger undurchdringlich waren. Im Fundgut aus der randlichen Hügelzone waren die Belege der Rotbuche (Fagus sylvatica) besonders reichlich vertreten. Daher ist mit dem Vorhandensein typischer Rotbuchenwälder aus dem Verband der Fagion-Wälder zu rechnen. Soweit diese Wälder auf Löß oder Solifluktionsschutt wuchsen, dürfte es sich bei den Böden wiederum vorwiegend um Löß-Parabraunerden gehandelt haben. Löß, Hangschutt und anstehender Muschelkalk bildeten das Substrat im Bereich der kalkreichen Hangzone. Hier hatten sich mehr oder minder tiefgründige Rendsina-Böden entwickelt. Auf ihnen wuchsen Rotbuchenwälder basenreicher bis kalkreicher Böden. Die Wälder hätten wohl – je nach Tiefgründigkeit und Wasserführung zum Waldmeister-Buchenwald (Galio odorati-Fagion) oder bei skelettreichem und eher flachgründigem Boden zum Orchideen-Buchenwald (Cephalanthero-Fagion) gehört. Wälder dieser Art gibt es noch heute auf diesen Standorten.
Zur Landnutzung während der Eisenzeit im mittleren Deutschland
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Wie die große Zahl von Belegen der Rotbuche (Fagus sylvatica) im Fundgut vom Rand des Leinetals zeigt, waren in der randlichen Hügelzone Rotbuchen-Wälder verbreitet. Bei den Böden handelte es sich dort ebenfalls um Löß-Parabraunerden und zum Teil auch um Kalk-Humusböden. Solche Rendsinen haben sich vor allem auf dem Solifluktionsschutt entwickelt. Auf den zum Teil recht steilen Hängen, die zur Muschelkalk-Hochfläche führen, standen Rotbuchenwälder. Beigemischt waren die Edellaubhölzer Ahorn (Acer sp.) und Ulme (Ulmus sp.). Dem entspricht auch ein höherer Anteil dieser Arten unter den Holzkohle-Funden. Kalkbuchenwälder – vermutlich mit einer artenreichen Krautschicht versehen – waren ebenso auf der Kalk-Hochfläche verbreitet wie die kennzeichnenden Waldmeister-Buchenwälder. Letztere gediehen vor allem auf den eingestreuten Löß-Inseln. Damit entsprechen die eisenzeitlichen Waldverhältnisse weitgehend den aktuellen.
4. Der Kulturraum Bei der Schilderung der natürlichen Waldverhältnisse, die es in der Zeit um Christi Geburt im südlichen Niedersachsen gegeben hat, wurde bereits verschiedentlich auf die Formen und Folgen der eisenzeitlichen Waldnutzung hingewiesen. Sie beruhte auf dem unterschiedlichen natürlichen Regenerationsvermögen der einzelnen Gehölzarten. Regenerationsfreudige Arten wie Birke, Eiche, Esche, Hainbuche, Hasel und Linde wurden dadurch relativ gefördert. Anders erging es den weniger zur Regeneration fähigen Arten, z. B. der Rotbuche. Deren hohe Anteile in den verkohlten Resten lassen vermuten, daß zu dieser Zeit die Wälder noch ziemlich natürlich gewesen sind und daher eine relativ starke Entnahme von Rotbuchenholz verkraftet haben. Dennoch gab es wenigstens lokale Auflichtungen der Buchenwälder, wie die Holzkohlen der entsprechenden Lichtholz-Arten anzeigen. Beim Thema Landnutzung wird in der Regel zunächst an die Agrikultur gedacht. Das ist verständlich, weil es die Folgen des Ackerbaus sind, die einen besonders starken Einfluß auf die ökonomischen und ökologischen Strukturen früher Siedlungen hatten. Zugleich wurden die Methoden der landwirtschaftlichen Produktion und die Lebensweise des Menschen grundlegend verändert. Das kommt nicht zuletzt in der Wandlung des Landschaftsbildes zum Ausdruck. Mit der Anlage und Nutzung von Ackerflächen hat der Mensch in Mitteleuropa bereits um 5500 v. Chr. den Übergang von der entnehmenden zur produzierenden Wirtschaftsform vollzogen. In der Holznutzung behielt er allerdings die traditionelle, entnehmende Wirtschaftsweise noch lange bei. Er
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nutzte dabei das natürliche Regenerationsvermögen der Holzarten, die auf die Entnahme von Holz mit dem Austrieb neuer Zweige reagieren. Dafür bezeichnend sind die besonderen Wuchsformen des Stockausschlages und der Kopfholzbildung. Diese waren für die altertümliche Waldnutzung charakteristisch und daher in den Wäldern rings um die frühen Siedlungen verbreitet (Willerding 1990). Das ist auch für das mittlere Deutschland während der Eisenzeit und der Römischen Kaiserzeit anzunehmen. Dementsprechend waren die Formen der Holz-Regeneration mehr oder weniger häufig im Umland der eisenzeitlichen Siedlungen verbreitet und kamen selbst noch in jüngerer Zeit in den bäuerlichen Wäldern Mitteleuropas vor. Im Wald suchten auch die pflanzenfressenden Haustiere Rind, Schaf, Ziege, Schwein und Pferd ihr Futter. Durch den Verzehr von Blättern und Zweigen kam es ebenso wie durch die vom Menschen betriebene Holzentnahme zu typischen Baumumrissen. Besonders bezeichnend war die Fraßkante, wodurch die Unterseite der Baumkrone wie „abrasiert“ aussieht. Oberhalb dieser Linie kommt das weidende Vieh auf Grund seiner Körpergröße nicht mehr an die Blätter heran. Um doch noch an das Futter zu gelangen, stellen sich die Tiere häufig auf ihre Hinterbeine. Ziegen klettern sogar auf die unteren Zweige und weiden sie ab. Gehölze mit einer solchen Fraßkante waren sicher auch im Umland eisenzeitlicher Siedlungen vorhanden. In den beweideten Wäldern konnten durch die vom Weidevieh hervorgerufenen Schäden allmählich Lichtungen entstehen. Das waren zunächst aber noch keine Weideflächen im Sinne von gehölzfreiem Offenland, das mit Gräsern und Kräutern bedeckt war. Die Funde eiserner Sensen aus der Latènezeit (Neumann 1966; Penack 1993) zeigen allerdings, daß mindestens von dieser Zeit an mit der Gewinnung von Heu zu rechnen ist. Zuvor wurde schon Laubheu gesammelt. Reste davon sind bereits aus neolithischen Seerandsiedlungen des Voralpenlandes bekannt geworden. Außerdem liegen Funde von Holzknollen vor, die dort entstehen, wo immer wieder Zweige entnommen werden (Willerding 1999). Vermutlich haben die Menschen schon recht bald die Zusammenhänge erkannt und durch Schneiteln die Entstehung dieser Holzknollen absichtlich herbeigeführt, denn aus den Holzknollen konnten besondere Gefäße geschnitzt werden. Dafür geeignete Eisenmesser sind mehrfach aus der Eisenzeit nachgewiesen (Benecke u. a. 2003). Möglicherweise wurden die Bronzesicheln ebenfalls zur Gewinnung von Laubheu verwendet. Zunächst hatte der Mensch der Natur als Jäger und Sammler nur das entnommen, was sie von selbst – ohne Zutun des Menschen – anbot. Es mußte seinen Bedürfnissen entsprechen und für ihn erreichbar sein. Das änderte sich
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grundsätzlich mit dem Übergang zum Ackerbau; der Mensch stellte die Natur durch die planmäßige Erzeugung und Nutzung pflanzlicher Ressourcen in Dienst. Dazu brauchte er Kulturpflanzen und Kulturflächen. Beides war seit dem Neolithikum durch seinen Eingriff in die Natur entstanden und brachte manche Veränderung gegenüber dem natürlichen Ausgangszustand. Diese betrafen ebenso die Pflanzen wie den Wuchsort und dessen Standortseigenschaften. Der Übergang zum Ackerbau war im allgemeinen mit dem zur Seßhaftigkeit verbunden. Dadurch waren die vom Menschen genutzten Ackerflächen für längere Zeit der Ausbeutung durch die Kulturpflanzen ausgesetzt. Durch den Stoffentzug führte das allmählich zu einer Verarmung des Bodens. Mit dieser neuartigen, längere Zeit andauernden Flächennutzung war daher das Problem der ausreichenden Versorgung der Kulturpflanzen mit Mineralsalzen verbunden. Gleichzeitig mit der Verarmung der Produktionsflächen begann eine Eutrophierung im Nahbereich der Siedlung, wo es zur Anhäufung des Mülls kam. Zur Lösung der sich dadurch ergebenden Probleme mußten neue Strategien im Umgang mit dem Boden entwickelt werden. Gegen die Verarmung des Bodens wurden im Laufe der Zeit verschiedene Formen der Meliorierung geschaffen. Dazu gehörten neben der Düngung mit kalkhaltigem Material (Mergel) oder Mist auch der Fruchtwechsel, der Auftrag unverbrauchten Bodens, die regelmäßige Verlegung der Äcker und schließlich auch Brachwirtschaft und Dreifelderwirtschaft. Wann diese Reaktionen auf die anthropogene Bodenverschlechterung eingesetzt haben und mit welchem agrartechnologischen Stand sie verknüpft waren, ist derzeit noch recht wenig geklärt. Der Übergang zur bodennahen Ernteweise verstärkte diese Probleme jedenfalls erheblich. Sie waren verbunden mit einer Änderung in der Wertschätzung des Getreidestrohs. Diese Entwicklung wurde begünstigt durch den bevorzugten Anbau des Roggens (Secale cereale), der besonders langes Stroh hat. Das gilt in ähnlicher Weise auch für den Dinkel (Triticum spelta). Diese Änderung in der Wertschätzung des Getreide-Strohs hing möglicherweise zusammen mit dem Ausbau der Pferdehaltung. Die meisten Haustier-Arten sind herbivor. Da Mitteleuropa von Natur aus bewaldet ist, mußten ihre Wildformen das Futter selbst im Wald suchen. Das war während der Vegetationszeit möglich und wurde von den wilden Tiere auch so gemacht. Probleme mit der Futterversorgung der Haustiere ergaben sich aber im Winter. Dem begegnete man vom Frühjahr bis zum Herbst mit dem Sammeln von Futtervorräten. Dazu nahm man die gleichen Pflanzenteile, die von den noch nicht domestizierten Tieren im Wald gefressen wurden. Das
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waren neben Blättern (Laub) und jungen Zweigen auch Knospen und Blütenkätzchen. Dies hatte wiederum die Anreicherung organischer Substanz und damit auch die Eutrophierung in Siedlungsnähe zur Folge. Erst die Viehhaltung auf einer begrenzten Fläche und über längere Zeit hindurch führten zu Problemen in der Futterversorgung. Diese wurden lösbar durch Sammeln und Speichern von dafür geeigneten Pflanzenteilen. Die Versorgung der Haustiere mit Futter fand daher zunächst weiterhin im Wald bzw. mit Hilfe des Waldes statt. Erst die längere Zeit andauernde Waldweide und die Schneitelung des Laubfutters führten zu einer erheblichen Zerstörung des Primärwaldes. So entwickelte sich aus solchen Waldweide-Flächen allmählich sekundäres Offenland, in dem sich eine weitgehend neue Kollektion von Pflanzen durchsetzte. Die Gehölze fielen dem Tierfraß weitgehend zum Opfer. Den verbleibenden Holzarten verhalf ihre Bewehrung zum Überleben. Dazu gehören Heckenrose (Rosa sp.), Schlehe (Prunus spinosa), Wacholder (Juniperus communis) und Weißdorn (Crataegus sp.). Die typischen Kräuter auf den Weideflächen besaßen ebenfalls eine Bewehrung, wie z. B. die Disteln. Auch andere Eigenschaften ermöglichten ihnen das Überleben auf der zum Offenland gewordenen Weidefläche. Dazu gehörten Verbißresistenz und Trittfestigkeit. Auf diese Weise entwickelte sich aus dem beweideten Wald (Hudewald) allmählich eine Weidefläche, die von Gehölzen weitgehend frei war. Diese Vorgänge konnten unabhängig vom Vorhandensein einer bestimmten Kultur stattfinden, ausschlaggebend waren in erster Linie Art und Menge der Tiere, die im Umland der betreffenden Siedlung gehalten wurden. Daher konnte in verschiedenen Teilen einer Landschaft die Entwicklung unterschiedlich verlaufen. Das bezieht sich ebenso auf den Beginn dieser Entwicklung wie auf deren Geschwindigkeit und Intensität. Die Aufgabe einer Siedlung konnte entsprechend eine Entwicklung in umgekehrter Richtung auslösen. Dies waren Gründe dafür, daß auch während der Eisenzeit und der Römischen Kaiserzeit verschiedenartige Entwicklungsstadien der Viehhaltung nebeneinander existieren konnten. Das lag einerseits an dem jeweiligen naturräumlichen Potential und der unterschiedlichen Nutzung der vorhandenen Ressourcen durch den Menschen. An diesem multifaktoriell gesteuerten Bedingungsgefüge waren nicht zuletzt auch technologische und gesellschaftliche Faktoren beteiligt. Dies sorgte letztlich dafür, daß es in vielen Regionen Mitteleuropas doch eine gewisse Gleichartigkeit und Gleichzeitigkeit in der Entwicklung der Landnutzung gegeben hat. In deren Folge dürfte der Zustand des Landschaftsbildes in vielen Teilen des mitteleuropäischen Löß-Hügel- und Berglandes dem hier dargestellten recht ähnlich gewesen sein.
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5. Die landwirtschaftliche Nutzung Aus den Darlegungen in Kapitel 4 geht hervor, daß es in Landschaften wie dem südlichen Leinetal unterschiedliche Biotop-Typen gibt. Daher ist davon auszugehen, daß diese während der Eisenzeit und der Römischen Kaiserzeit unterschiedlich genutzt worden sind. Die stratigraphischen und botanischen Untersuchungen in der Göttinger Kiesgrube (Willerding 1960) haben ergeben, daß in der Leineaue während des hier interessierenden Zeitraumes Altwasser-, Schlick- und Schotterflächen vorhanden waren. Die dort geborgenen Pflanzenreste zeigen, daß sich in diesem Biotop eine artenreiche Pioniervegetation entwickelt hatte. Wahrscheinlich wurde dort eine extensive Weidewirtschaft betrieben, sofern der jahreszeitlich wechselnde Wasserstand das zuließ. Diese Vorstellung paßt recht gut zu den archäologischen Befunden, die Raddatz (1970) diskutierte. Die durchweg grobe und dickwandige Keramik stammt aus der jüngeren Vorrömischen Eisenzeit und könnte aus saisonal in der Aue bestehenden Siedlungen kommen. Für die landeinwärts folgenden Bereiche der Schwarz-Erlenwälder ist ebenfalls Waldweidebetrieb anzunehmen. Diese Bestände wurden wohl nur bei extremem Hochwasser überflutet. Daher konnte dort der Weidebetrieb nahezu über das ganze Jahr erfolgen. Zur Weide gelangten hier vor allem Rinder und Schweine. Die Holznutzung fand vermutlich wie im Niederwald statt. Der frische Austrieb der Gehölze lieferte dem Weidevieh kontinuierlich ausreichende Mengen von Futter. Die Erlen-Kätzchen sind besonders reich an Nährstoffen. Vermutlich wurden sie zusammen mit knospentragenden jungen Zweigen als Laubfutter gesammelt und eingesetzt. Für die Nutzung als Ackerland waren die meist schwarz gefärbten und vergleyten Böden in der Regel zu naß. Auf den etwas höher gelegenen Lößflächen führten die Wege parallel zur Flußaue entlang und verbanden die dort liegenden Siedlungen. Wie die archäologischen Funde zeigen, haben sich aus mehreren dieser zunächst wohl nur kleinen Ansiedlungen Dörfer entwickelt, die bis heute bestehen. Die ursprünglich dort stockenden Eichen-Mischwälder waren inzwischen weitgehend gerodet und ihre Böden zum Ackerbau genutzt. Der Bedarf an Holz wurde aus den auennahen Erlenwäldern und den hangwärts folgenden Rotbuchenwäldern gedeckt. Nach den Holzkohlen-Funden wurde Eichenholz als Bauholz bevorzugt. Die Jahresringe dieser Holzkohlen sind nur schwach gebogen, was auf ihre Herkunft aus dickeren Stämmen hinweist. Diese Siedlungen lagen meistens im Kontaktbereich zweier Biotop-Typen. Damit war die Grundlage für zwei unterschiedliche Formen der Landnutzung gegeben: die Auen-orientierte Weide auf den feuchten Böden, wo vermutlich die Schwei-
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ne hingetrieben wurden, und die Nutzung der benachbarten Lößböden als Ackerland. Am Fuß des angrenzenden Trias-Berglandes folgte eine weitere Zone bevorzugter Siedlungslage. Auch diese Siedlungen befanden sich an der Grenze zwischen zwei natürlichen Biotop-Typen. Auf den tiefgründigen Löß-Parabraunerde-Böden unterhalb der Siedlungen wurde Ackerbau betrieben. Die Böden waren reich an Nährsalzen und hinreichend frisch. Sie eigneten sich daher gut für den Anbau von Kulturpflanzen. Vermutlich waren diese Siedlungen durch einen Weg miteinander verbunden, der etwa im Bereich der schon erwähnten Biotop-Grenze verlief. Oberhalb davon begann recht bald der Wald, der hier von der Rotbuche beherrscht war. Je nach der Mächtigkeit des Bodens und dem Ausmaß des Wasserangebots handelte es sich um einen Waldmeister-Rotbuchenwald oder auch um einen Orchideen-Rotbuchenwald, sofern die Böden flachgründig waren. Für den Ackerbau waren die Muschelkalkhänge zum Teil zu steil und bei Südexposition wohl auch zu trocken. Dort wurde wiederum Waldweide betrieben. Außer Rindern kamen wahrscheinlich besonders Schafe und Ziegen zur Weide. Vor allem die Ziegen sorgten für die weitgehende Zerstörung der Wälder. Auf tiefgründigeren Humuskarbonat-Böden gediehen auch hier Rotbuchen. Denen waren in den stärker eingetieften, zum Teil schluchtartigen und nach Westen offenen Tälern die Edellaubhölzer Ahorn, Esche und Ulme beigemischt. Wie die HolzkohlenAnalysen zeigen, fanden diese Arten ebenso wie die dominierende Rotbuche in der Siedlung Verwendung. Auf den flachgründigen trockenen Muschkalkböden kam es zur Auflichtung der Wälder und schließlich zu ihrer Zerstörung. An ihrer Stelle entwickelten sich Kalkmagerrasen. Dort fand eine Reihe von sonst selteneren Arten Platz, die möglicherweise zuvor an einigen von Natur aus lichteren Stellen im Buchenwald gediehen waren. Es ist aber auch denkbar, daß diese Pflanzen durch wandernde Herden verbreitet wurden. Die Trockenrasen sind zum großen Teil erst im 19. Jahrhundert wieder bewaldet worden. Sie waren wohl während der Eisenzeit entstanden und hatten etwa 2000 Jahre Zeit für ihre Entwicklung gehabt. Letzte Reste dieser anthropozoogenen Pflanzengesellschaft stehen heute unter Naturschutz (Willerding 2001). Auch außerhalb der genannten und offensichtlich für die Ansiedlungen bevorzugten Bereiche an den Biotopgrenzen hat es während der Eisen- und Kaiserzeit einige Siedlungen gegeben (Schmidt 2002). Das war vor allem dort der Fall, wo das Flußtal besonders breit war und es einen aus dem Muschelkalk-Bergland kommenden Bach gab. Heute sind diese Bäche zum Teil nicht mehr vorhanden oder begradigt. Daher fällt bei einer Kartierung der eisenund kaiserzeitlichen Siedlungen (Schmidt 2002) die ehemals in Südnieder-
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sachsen vorhandene Siedlungsstruktur zunächst kaum auf. Dazu trägt auch die Verbindung der ehemaligen Siedlungen durch ein Wegenetz bei. Auf der häufig vom Muschelkalk gebildeten Hochfläche gab es oberhalb des Steilanstieges nahe der Abbruchkante des Gesteins einige Burgen, von denen heute noch Wallanlagen und Gräben zeugen. Die Ergebnisse der archäologischen Ausgrabungen zeigen, daß es sich dabei in der Regel nicht um kontinuierlich benutzte Anlagen handelt, sondern um Fluchtburgen (Peters 1970). Lediglich die Befunde von der Pipinsburg bei Osterode sprechen für eine längere Nutzung dieser Burg (Schlüter 1974). Ein in diese Richtung gehender Hinweis ist auch der Fund eines großen Getreidevorrats (Willerding 1974). Er stammt vermutlich von einem abgebrannten Getreide-Lager bzw. einer Scheune. Entsprechende Befunde sind aus den verschiedenen kleinen Siedlungen bislang nicht bekannt geworden. Das gilt umgekehrt auch für die Kegelstumpfgruben (s.o.), die aus der Pipinsburg nicht erfaßt wurden. Möglicherweise kann das Vorhandensein bzw. Fehlen der genannten Vorrats-Einrichtungen Auskunft über Größe und Funktion der Ansiedlung geben. In der Feldflur zwischen den Siedlungen gab es hin und wieder Gehölzinseln. Sie dienten der Waldweide und halfen bei der Deckung des Holzbedarfs. Wegen dieser Nutzungen ist es unwahrscheinlich, daß es sich dabei um Reste der ursprünglichen Hochwälder gehandelt hat. Vielmehr ist in der Nähe der Siedlungen eine nieder- bzw. mittelwaldartige Nutzung anzunehmen. Entsprechend ist mit dem Vorhandensein von Stockausschlagbeständen und Kopfholznutzung zu rechnen. Vermutlich war das Leinetal bei Göttingen in der Zeit um Christi Geburt also noch nicht völlig waldfrei. Jedoch gingen wohl einige der sich um die Siedlungen erstreckenden Offenlandflächen ineinander über. Somit ist an eine mehr oder minder gekammerte Landschaft zu denken, die infolge der unterschiedlichen Nutzung in den verschiedenen Biotop-Typen einen recht gegliederten, abwechslungsreichen Eindruck machte. Dazu trugen auch Zäune, Hecken und Geländestufen bei, die dafür sorgen sollten, daß die jeweils in der Ackernutzung befindlichen Flächen vor dem Weidevieh geschützt werden konnten. Das gelangte vermutlich auch auf den Brachflächen zur Weide. Die Grundstrukturen der Landnutzung im Göttinger Leinetal während der Zeit um Christi Geburt lassen sich also aus den Ergebnissen interdisziplinärer Untersuchungen ableiten. Die Grundlage dafür bilden die Ergebnisse der botanischen Analysen einzelner Fundplätze. Leider liegen jedoch nicht von allen archäologisch erfaßten Siedlungen dieser Zeitstellung auch Funde von Pflanzenresten vor bzw. wurden beachtet. In dem so entstandenen Bild (Abb. 3) werden wohl dennoch die Grundzüge damaliger Landschaftsnutzung einigermaßen richtig erfaßt. Vermutlich hat das vorgelegte Landschaftsprofil einen
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Abb. 3. Die Auswertung der bisher vorliegenden paläo-ethnobotanischen und siedlungsarchäologischen Befunde aus dem südlichen Leinetal bei Göttingen führt zur Rekonstruktion des Landschaftszustandes in der Zeit um Christi Geburt: Die eisenzeitliche Kulturlandschaft wird durch die Mischung verschiedener Nutzungsformen geprägt, wobei die geomorphologischen und die bodenkundlichen Verhältnisse eine wichtige Rolle spielen
heuristischen Wert und kann bei der Analyse weiterer Beispiele für eine eisenzeitliche Landschaftsnutzung behilflich sein. Da die hier erfaßten Faktoren für die Nutzung einer Tallandschaft in Mitteleuropa recht verbreitet sind, hat die hier vorgelegte Studie darüber hinaus auch exemplarischen Wert. Auf dieser Basis aufbauend können die Erkenntnisse paläo-ethnobotanischer Untersuchungen weit über die Bestimmung von Pflanzenresten hinausführen. Diese Analysen liefern zudem auch wichtige Beiträge zur Umweltgeschichte und zur Geschichte der Kulturlandschaftsentwicklung in Mitteleuropa. In die Eichenmischwaldzone westlich der Leine gehören die Holzkohlen und Getreidefunde von Rosdorf (Willerding 1966a). Dazu zu zählen ist auch der Holzkohlenfund aus Lenglern (Knörzer 1954). Oberhalb des Wasserspiegels bei Hochwasser lag nahe an der Weiden-Aue die Siedlung am Ascherberg (Jankuhn/Peters 1961), aus der leider keine Pflanzenreste geborgen wurden. Einen sehr guten Einblick in die Vegetationsverhältnisse der Schotter- und Schlickflächen ermöglichen die reichen Funde von Pflanzenresten aus der Leine-Aue (Willerding 1960). Holzkohlen-Funde von Göttingen-Kreuzbergring vermitteln einen Einblick in die Gehölz-Vegetation im Bereich der Hügelzone, wo der Anteil der Rotbuche verhältnismäßig groß gewesen ist (Meyer/ Willerding 1961). Direkt oberhalb einer Geländestufe liegt nördlich von Göttingen bei Nörten-Hardenberg der archäologisch untersuchte Fundplatz am Steinbühl (Raddatz 1981; Heege 1987). Auch in dieser Siedlung sind – wie in der Schillerwiese und in Geismar – Kegelstumpf-Gruben vorhanden (Willerding/Wolf 1990).
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Das gilt entsprechend auch für die Grabung der eisenzeitlichen Siedlung bei Vogelbeck nahe Einbeck. Zu den unterhalb des Steilanstieges gelegenen hangnahen Siedlungen gehört auch die von Göttingen-Schillerwiese. Hier treffen die Zonen des Ackerbaus auf Löß zusammen mit der des Hangbuchenwaldes auf unterschiedlich tiefgründigen Humuskarbonat-Böden. Südlich von Göttingen ist die von Löß bedeckte Hügelzone besonders breit. Dort befinden sich die Reste der archäologisch untersuchten Siedlung Göttingen-Geismar. Die noch heute für dieses Gebiet verwendete Bezeichnung trägt den Namen „Am Kalten Born“ (Rosenstock 1979). Das ist ein Hinweis auf die Lage dieser Siedlung an einem Bach. Ähnlich sind die Lageverhältnisse bei Vogelbeck, das südlich von Einbeck in der Hügelzone oberhalb der Leine liegt (Schön/Werben 1986). Auf den sich östlich anschließenden Hochflächen des südlichen Leineberglandes gibt es Reste eisenzeitlicher Höhenburgen (Peters 1970). Sie liegen durchweg direkt oberhalb des bereits früher beschriebenen Steilanstieges. Verkohlte Pflanzenreste wurden nur in eisenzeitlichen Schichten auf der Plesse bei Bovenden geborgen. Sie stammen überwiegend von der Rotbuche, die damals in den Wäldern des Gebietes vorgeherrscht hat. Das ist auch aus den pollenanalytischen Untersuchungen zu ersehen, die an Proben aus dem nahen Untereichsfeld durchgeführt worden sind (Beug 1992). Bei den archäologischen Untersuchungen der anderen eisenzeitlichen Höhenburgen wurden keine Pflanzenreste festgestellt. Es handelt sich um die Wittenburg, die Ratsburg und den Hünstollen im Göttinger Wald sowie um die Vogelsburg bei Vogelbeck. Auf die reichen Funde verkohlten Getreides von der Pipinsburg bei Osterode wurde bereits oben hingewiesen. Das Fundgut aus der ebenfalls im Bereich des Zechstein-Gips gelegenen Kleinen Jettenhöhle bei Düna, Kr. Osterode enthält hingegen nur recht wenige verkohlte Belege. Zum Vergleich wurden die etwa gleich alten Feucht-Fundstellen von Wolfenbüttel-Fümmelse (Willerding 1983) und Klötze/Altmark herangezogen (Leineweber/Willerding 2000). In beiden Fundstellen waren nur wenige verkohlte Belege vorhanden. Daher sind hier nur wenige Aussagen über die Kulturpflanzen möglich. In der großen Zahl von unverkohlten Diasporen befinden sich hingegen zahlreiche, die von eßbaren Wildpflanzen stammen.
6. Die Kulturpflanzen In manchen der hier interessierenden Siedlungsresten waren nur wenige verkohlte Belege vorhanden. Unter solchen Bedingungen kann die Auswertung des Fundgutes schwierig sein. Das gilt vor allem, wenn Pflanzenreste nur von
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einem Fundpunkt vorliegen. Sofern das in einer Landschaft mehrfach der Fall ist, können derartige Befunde dennoch zu begründeten Aussagen über die ehemaligen Vegetations- und Nutzungsverhältnisse führen (Willerding 1971a). Das trifft auch im vorliegenden Fall zu. Pflanzenreste werden dann wie Streufunde gewertet. Die Aussagen geben Aufschluß über die in dieser Landschaft ehedem vorhandenen Durchschnittsverhältnisse des Anbaus und der Nutzung von Kulturpflanzen. Aus der Kombination der Holzkohlen kann entsprechend auf die Zusammensetzung der Wälder geschlossen werden. Das gilt ebenso für Funde von Diasporen. Sie ermöglichen den Einblick in die damalige Unkraut- und Ruderalvegetation und die mögliche Nutzung einzelner Arten als Wildgemüse und wilde Gewürzpflanzen. Die aus dem Arbeitsgebiet geborgenen Diasporen-Funde sind in Tabelle 2 zusammengestellt. Aus Tabelle 2 ist zu ersehen, welche Kulturpflanzen des Ackerlandes im mittleren Deutschland und den angrenzenden Regionen in der Zeit um Christi Geburt vorhanden gewesen sind. Es wurden Belege von fast allen damals in Mitteleuropa bekannten Kulturpflanzen gefunden. Allerdings sind nicht alle Arten gleich häufig belegt. Das kann auf verschiedenen Gründen beruhen. So ist z. B. die aus dem Mediterrangebiet stammende Kolbenhirse (Setaria italica) nur aus den klimatisch begünstigten Regionen des Rheinlandes und der Wetterau nachgewiesen. Beide Gebiete waren zudem von den Römern besetzt. Daher bleibt es derzeit noch unklar, ob es sich bei diesem Fundgut um Reste importierter Früchte handelt, oder ob es Zeugnisse des Anbaus in den beiden Regionen sind (Benecke u. a. 2003). Hier entspricht das Fundbild wohl weitgehend der damaligen Verbreitung. Anders sieht es mit dem Nachweis des Mohns aus. Experimentelle Untersuchungen zeigen, daß Mohnsamen beim Erhitzen bzw. Verkohlen zum großen Teil aufplatzen und dann kaum noch bestimmbare Reste übrig bleiben. Das Fehlen bzw. die Seltenheit von Mohn-Belegen muß also nicht die tatsächliche Situation hinsichtlich Bedeutung und Verbreitung dieser Kulturpflanze im Untersuchungsgebiet widerspiegeln. Aus einer eisenzeitlichen Siedlungsgrube (Latène D) in Rosdorf/Kr. Göttingen wurden einige verkohlte Getreidekörner geborgen. Sie stammen von Gerste und Rispenhirse (Willerding 1966a). In den Feuchtsedimenten der ehemaligen Kiesgrube Göttingen sind neben sehr vielen unverkohlten Diasporen auch einige verkohlte festgestellt worden. Nach Radiokarbon-Datierungen stammen sie aus der Zeit zwischen 331 v. Chr. und 24 n. Chr. Sie gehören zu Gerste, Emmer, Saat-Weizen, Roggen, Hafer und Einkorn (Willerding 1960) und passen somit gut in die Kulturpflanzen-Flora jener Zeiten.
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Am südlichen Ortsrand von Göttingen-Geismar wurden „Am Kalten Born“ Reste einer eisenzeitlichen Siedlung ausgegraben (Rosenstock 1979). Sie stammt, wie zahlreiche weitere eisenzeitliche Siedlungen des Untersuchungsgebietes, aus der jüngeren Latènezeit bzw. der älteren Römischen Kaiserzeit (Schmidt 2002). Unter den Siedlungsgruben befanden sich einige vom Typ der Kegelstumpfgruben. In der Füllung dieser Gruben waren ebenso wie in den anderen Gruben verkohlte Getreidekörner und Holzkohlen enthalten. Die Körner stammen vor allem von Gerste, Emmer, Saatweizen und Rispenhirse. Am Anbau dieser Arten ist nicht zu zweifeln. Im oberen Bereich der Schillerwiese in Göttingen wurden Reste mehrerer Siedlungsgruben (3.–1. Jahrhundert v. Chr.) festgestellt, darunter auch Kegelstumpf-Gruben. Die verkohlten Pflanzenreste stammen von Gerste, Emmer, Rispenhirse und Einkorn (Willerding 1966b). Über die Häufigkeit der einzelnen Arten läßt sich auf Grund der geringen Anzahl von Getreidekörnern nichts Definitives aussagen. Im Fundgut aus den Resten von zwei Kegelstumpfgruben und einem Grubenhaus der im Leinetal bei Nörten-Hardenberg gelegenen Siedlung am Steinbühl dominiert die Rispenhirse mit einem Anteil von nahezu 50 % der verkohlten Körner. In der Häufigkeit der Belege folgen Saatweizen mit ca. 20 % sowie Dinkel und Emmer mit jeweils ca. 10 %. Vermutlich sind diese Getreidearten angebaut worden. Das kann auch bei den anderen der Fall sein, besonders bei der Gerste. Sie hat allerdings einen Anteil von nur ca. 3 %. Die restlichen Getreidearten (Einkorn und Roggen) sind mit jeweils weniger als 1 % vertreten. Diese Körner können von Pflanzen stammen, die dem angebauten Getreide als Unkräuter beigemischt waren. Das Einkorn wuchs als ehemalige, nicht so produktive Kulturpflanze noch gelegentlich auf den Getreidefeldern, war im Anbau aber von den leistungsfähigeren Weizenarten Dinkel und Saatweizen verdrängt. Der Roggen war in dieser Zeit noch auf dem Wege, auch hier eine Kulturpflanze zu werden. Die Leguminosen Ackerbohne, Erbse und Linse sind am Steinbühl wie ebenfalls der Lein mit sehr geringen Anteilen (unter 1 %) vertreten. Aus methodischen Gründen ist dennoch mit dem Anbau dieser Arten zu rechnen. Einige Belege von Kulturpflanzen wurden in der eisenzeitlichen Siedlung von Vogelbeck festgestellt. Es handelt sich um Emmer, Gerste, Rispenhirse, Erbse und Lein. Die Anwesenheit von Resten dieser Arten zeigt, daß sie hier kultiviert wurden. Mit dem Anbau weiterer Arten ist zu rechnen. Auf der Pipinsburg bei Osterode wurden verkohlte Reste von Kulturpflanzen – wie bei den Ausgrabungen in anderen eisenzeitlichen Siedlungen – in der Füllung von Siedlungsgruben gefunden. Außerdem wurde eine mehrere Zentimeter mächtige Schicht verkohlten Getreides festgestellt. Vermutlich
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handelt es sich dabei um die Überreste eines abgebrannten Speichers bzw. einer Scheune. Unter den verkohlten Pflanzenresten sind vor allem Emmer, Dinkel, Saatweizen und Hirse mit größeren Mengen vertreten. Neben den beiden Spelzweizenarten kommt auch der freidreschende Saatweizen vor, häufig in der Form aestivo-compactum, die durch ihre kurze, fast kugelige Gestalt auffällt. Von den Leguminosen sind, wie schon zuvor, Erbse, Ackerbohne und Linse kultiviert worden. Mohn, Leindotter, Lein und Hanf konnten zur Gewinnung von Öl eingesetzt werden. Damit sind die im mittleren Deutschland für die Latènezeit typischen Kulturpflanzen nahezu vollständig vertreten, z. T. in größeren Mengen (Willerding 1974). Anders verläuft die Entwicklung während der Römischen Kaiserzeit in den germanischen Siedlungen. Während alle Weizenarten noch fehlen, dominiert die Gerste und mit gleicher Anteilshäufigkeit die Rispenhirse. Von den Ölfrüchten sind Lein und Leindotter vertreten. Wie Tacitus berichtet, wurde bei den Germanen die Leinfaser auch zur Herstellung von Textilien verwendet. Das ist inzwischen in Norddeutschland durch entsprechende Funde von Leinenfäden mehrfach bestätigt (Schlabow 1976). Vermutlich gilt es entsprechend auch für das mittlere Deutschland. In der nahe der Pipinsburg bei Düna/Kr. Osterode gelegenen Kleinen Jettenhöhle wurden wiederum verkohlte Pflanzenreste geborgen. Die Höhle liegt ebenfalls im Zechstein-Gipsgebiet. Folgende Kulturpflanzen sind nachgewiesen: Gerste, Rispenhirse und Lein (Willerding 1975). Es handelt sich um typische Kulturpflanzen der Eisenzeit. Sehr interessant sind die Befunde aus den Grenzbereichen dieser Untersuchung in Niedersachsen (Behre 2001), Sachsen-Anhalt (Schultze-Motel/Kruse 1965) und Thüringen (Schultze-Motel/Gall 1994). Das gilt insbesondere für Hessen (Kreuz 1995). Dort bietet sich die Möglichkeit, eisenzeitliches Fundgut mit römischem zu vergleichen. In den Fundstellen aus der Römischen Kaiserzeit ist in Hessen der Dinkel das häufigste Getreide und liegt somit noch vor Gerste, freidreschendem Weizen, Roggen, Rispenhirse, Einkorn und Emmer (Kreuz 1995). Vermutlich wurden – bis auf das Einkorn – alle genannten Getreidearten angebaut. Im Füllmaterial einer Siedlungsgrube der Spätlatènezeit von Eisleben-Helfta wurden verkohlte Pflanzenreste festgestellt. Ihre Analyse ergab, daß die Sechszeil-Gerste mit ca. 1300 Körnern vorherrscht. An zweiter Stelle steht die Rispenhirse mit ca. 125 Belegen, es folgen Hafer, Emmer, Zwergweizen und Lein. Ob auch Dinkel vorhanden war, konnte nicht mit Sicherheit entschieden werden (Schoknecht 1986). Auf der Bösenburg bei Eisleben wurden in einer Siedlungsgrube der frühen Vorrömischen Eisenzeit verkohlte Kulturpflanzenreste gefunden. Sie stammen
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von Einkorn, Emmer, Dinkel, Gerste, Rispenhirse, Ackerbohne und Mohn sowie Lein (Schultze-Motel/Kruse 1965). Aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. stammt verkohltes Getreide von Groß Meckelsen/Lkr. Rotenburg. Hauptgetreide-Arten sind Roggen und Spelzgerste; die zuvor häufig gewesene Nacktgerste ist hier bedeutungslos geworden (Behre 2001). – Über den Fund verkohlter Kulturpflanzenreste aus abgebrannten Speichern der späten Römischen Kaiserzeit in Kablow/Königs Wusterhausen/Brandenburg berichtet Schiemann (1957). Nachgewiesen wurden Emmer, Gerste, Roggen, Rispenhirse und Erbse. Aus der jüngeren Vorrömischen Eisenzeit stammt ein Fund verkohlter Kulturpflanzen von Hetzdorf/Kr. Strasburg. Obgleich dieser Fundort weiter entfernt liegt, wird er hier herangezogen, da es sich um einen sehr reichen Fundkomplex handelt. Es dominiert die Gerste mit rund 90 % des Fundgutes, Emmer ist mit ca. 5 % vertreten, Hafer mit ca. 2 %. Sodann sind die Ölfrüchte Lein und Leindotter mit wenigen Belegen nachgewiesen. Von der Ackerbohne ist ein Samen vorhanden. Besonders interessant sind die Befunde aus dem südlichen Grenzbereich dieser Untersuchung in Hessen (Kreuz 1995; Kreuz/Hopf 2001). Dort bietet sich die Möglichkeit, eisenzeitliches Fundgut mit römischem zu vergleichen. Aus der Römischen Kaiserzeit (1. Jahrhundert n. Chr.) gibt es zudem einige Siedlungen, die als „germanisch“ bezeichnet werden. Die Gerste ist in den eisenzeitlichen Fundkomplexen regelmäßig und mit höheren Anteilen vertreten. Das weist darauf hin, daß sie auch hier in Anbau und Ernährung eine besonders wichtige Rolle gespielt hat. An zweiter Stelle steht der Emmer. Er ist zunächst noch etwas häufiger als der freidreschende Weizen. Das ändert sich erst in den römischen Gebieten. Im eisenzeitlichen Fundgut vom Kleinen Gleichberg bei Römhild/Lkr. Hildburghausen ist durchweg Gerste vorhanden. Sie ist etwas zahlreicher als der ebenfalls häufige Emmer. Außerdem kommen Zwergweizen und Rispenhirse vor. Diese Kombination von Getreidearten ist für die Eisenzeit in Thüringen bezeichnend. Vom Roggen gibt es 116 Körner. Ob auch Dinkel dabei war, konnte nicht einwandfrei geklärt werden. Die Leguminosen sind durch Ackerbohne, Erbse, Linse und Linsen-Wicke vertreten (Schultze-Motel/Gall 1994). Zum Vergleich wurden die Befunde herangezogen, die aus den Bereichen dreier Fundplätze mit Feuchtsedimenten etwa gleicher Zeitstellung stammen: – Aus Feuchtsedimenten von der Basis einer Siedlung der jüngeren Römischen Kaiserzeit (Phase Ia) von Düna/Kr. Osterode am Harz stammen unverkohlte Belege mehrerer Nahrungspflanzen. Es handelt sich um die
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Wildobstarten Haselnuß, Himbeere, Schlehe und Schwarzer Holunder. Sie sind vermutlich in der Nähe der Siedlung gewachsen. – In siedlungsnahen kaiserzeitlichen Feuchtsedimenten von WolfenbüttelFümmelse wurden Körner der Gerste festgestellt (Willerding 1983). Dies macht deutlich, daß selbst bei weniger günstigen Bedingungen verkohlte Belege bezeichnender Arten erhalten bleiben können. Außerdem waren Samen vom Lein vorhanden. Sie sind möglicherweise beim Rösten der Leinstengel in das Gewässer und dann in das Gewässer-Sediment gelangt. – Im kaiserzeitlichen Brunnen von Klötze/Altmark waren ebenfalls nur sehr wenige Reste von Kulturpflanzen enthalten. Es sind verkohlte Belege von Rispenhirse und Roggen sowie unverkohlte von Lein und Koriander. Beim Koriander handelt es sich um den ersten Fund eines aus dem Mittelmeergebiet stammenden Gewürzes im Bereich der Germania libera. Dieser Fund weist auf das Bestehen von Kontakten der Germanen mit der römischen Welt hin. Wie dieser Kontakt zustande gekommen ist, bleibt aber noch unklar. Möglich ist z. B. ein Transport durch römische Händler wie durch germanische Söldner.
7. Ernährung Mit Hilfe der nachgewiesenen Kulturpflanzen ergibt sich ein erster Einblick in die Ernährungsverhältnisse im mittleren Deutschland im Zeitraum um Christi Geburt. Der Bedarf der Bevölkerung an Kohlenhydraten wurde durch den Verzehr der Körner mehrerer Getreidearten gedeckt. Dabei gab es aber manche historisch oder auch geographisch bedingten Unterschiede bzw. Entwicklungen. So herrschten bei den Völkerschaften, die nördlich des Limes zu Hause waren, während der ganzen Zeit Gerste, Emmer und Rispenhirse vor. Bei den Römern wurde jedoch der Dinkel bevorzugt, Emmer und Gerste dienten ebenfalls der Ernährung. Pflanzliches Eiweiß lieferten die Leguminosen Ackerbohne, Erbse und Linse. Die Ölfrüchte Lein, Leindotter, Mohn und Hanf sind allerdings nur durch wenige Belege vertreten. Das ist jedoch nicht als Hinweis auf eine geringe Bedeutung dieser pflanzlichen Nahrungsquellen zu verstehen. Die Ursache für diesen Befund liegt vielmehr darin, daß die Samen der Leguminosen und der Ölfrüchte ganz andere Voraussetzungen für ihre Verkohlung benötigen als die Getreidearten. Letztere haben bei ihrer Verwendung und Speicherung wesentlich mehr Chancen in den erhaltungsgünstigen Zustand zu kommen als die Leguminosen und Ölfrüchte (Willerding 1998).
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Diese drei Gruppen von Nährstoffen bilden die grundlegenden Bestandteile der Nahrung. Für die Gesundheit des Menschen sind aber auch noch andere Stoffe wichtig. Dazu gehören Vitamine, Spurenelemente, Ballaststoffe und die erst in jüngerer Zeit in ihrer Wichtigkeit erschlossenen Sekundären Pflanzenstoffe. Manche Stoffe aus diesen Stoffgruppen sind auch in den Cerealien enthalten. Ihre Hauptquelle sind heute jedoch Gemüse-, Gewürz- und Obstarten. Arten dieser Pflanzengruppen fehlten jedoch damals weitgehend oder sogar vollständig. Das gilt jedenfalls für die germanischen Gebiete nördlich des Limes. Die Ursache ist wohl in dem weitgehenden bzw. vollständigen Fehlen von Gärten zu sehen. Es fehlten offensichtlich abgeschlossene Bereiche, in denen die häufig aus dem Mittelmeergebiet stammenden Pflanzen geschützt und gepflegt heranwachsen konnten (Willerding 1992; Küster 1999; Rösch 1999). Als Lieferanten dieser lebenswichtigen Inhaltsstoffe kamen daher nur Arten aus der einheimischen Wildflora in Betracht. Sie stellten sich auf den gestörten und eutrophierten Böden im Umland der frühen Siedlungen von selbst ein. Zahlreiche Arten wuchsen als Unkräuter oder Ruderalpflanzen dort, wo durch des Menschen Tätigkeit die natürlichen Konkurrenzverhältnisse in der Vegetation gestört waren. Das betrifft ganz ähnlich auch zahlreiche Wildobstarten. Deren Diasporen gelangten endo- oder epizoochor an die Ränder der von Gehölzen umgebenen Siedlungsinseln (Willerding 2002a). Der Verzehr von Unkräutern, Ruderalpflanzen und Wildobst sorgte für ausreichende Mengen der bereits genannten lebenswichtigen Stoffe in der Ernährung der Menschen. Dabei war es offenbar einerlei, ob Diasporen, Stengel, Blätter oder Wurzeln verzehrt wurden. Der Gehalt an lebenswichtigen Stoffen, den die Wildpflanzen lieferten, war offensichtlich ausreichend für den Bedarf. Im Bereich der römischen Besatzungsgebiete Germaniens ging man bereits während der Römischen Kaiserzeit zum Gartenbau mit Kulturen von Gemüse, Gewürzen und Kulturobst über. Im Bereich der Germania libera wurden die meist im Mediterrangebiet beheimateten bzw. kultivierten Pflanzen während des frühen Mittelalters übernommen. Das geschah mit Förderung seitens weltlicher und geistlicher Macht. Zunächst war der Orden der BenediktinerMönche führend bei der Ausbreitung des Christentums und der Erschließung des Landes. Später übernahmen die Zisterzienser diese Rolle. Mit dem Begriff „Landnutzung“ ist häufig nur die landwirtschaftliche Nutzung des Landes gemeint. Das liegt u. a. daran, daß mit Hilfe der bei Ausgrabungen erschlossenen Pflanzenreste oftmals allein die der Kulturpflanzen beachtet, erfaßt bzw. gemeint werden. An dieser Art der Betrachtung mag auch ursächlich beteiligt sein, daß die Belege der Kulturpflanzen zahlenmäßig überschaubar, die der Wildpflanzen aber in großer Zahl möglich sind. Selbst
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Ulrich Willerding
die heute verbreitete Vorstellung, pflanzliche Nahrungsmittel hätten aus Kulturpflanzen zu bestehen, mag an dieser Vorstellung beteiligt sein. Ob die in Betracht kommenden Wildpflanzen tatsächlich in der Ernährung verwendet worden sind, läßt sich kaum mit absoluter Sicherheit aussagen. Ohne diese Stoffe in der Nahrung ist aber eine einigermaßen ausreichende Ernährung der Bevölkerung nicht möglich. Da andere Quellen für diese Stoffe nicht zur Verfügung standen, ist davon auszugehen, daß die geeigneten Wildpflanzen auch tatsächlich als Lieferanten der lebenswichtigen Sekundären Pflanzenstoffe genutzt worden sind. In den kultivierten Formen von Obst und Gemüse sind diese Stoffe ebenfalls enthalten, allerdings meist in geringerer Menge als das bei den wilden Vorfahren der Fall ist. Tab. 3. Wildobstarten, die aus der Zeit um Christi Geburt im mittleren Deutschland nachgewiesen und vermutlich genutzt worden sind. Legende: Kl: Klötze, Fü: Fümmelse/Wolfenbüttel, St: Steinbühl, Vo: Vogelbeck, Ha: Hanau-Salisweg Wildobst
Kl
Fü
St
Vo
Ha
+
+
+
+
+
Corylus avellana
Hasel
Prunus spinosa
Schlehe
Rubus caesius
Kratzbeere
+
Rubus fruticosus
Brombeere
+
+
+
Rubus idaeus
Himbeere
+
+
+
Sambucus nigra
Schwarzer Holunder
+
+ +
In Tabelle 3 sind die aus fünf Grabungen der Eisenzeit bzw. der Römischen Kaiserzeit im mittleren Deutschland durch Funde von Makroresten nachgewiesenen Wildobst-Arten zusammengestellt. Offenbar sind feucht gelagerte Proben aus Brunnenfüllungen gut geeignet für die Erhaltung unverkohlter Belege von Wildobst. Das zeigen die Brunnenfunde aus dem langobardischen Klötze und dem römischen Hanau. Im letzteren waren allerdings zusätzlich noch Reste von einigen Kulturobstarten vorhanden. Die Rubus-Arten wurden vermutlich wegen ihres Gehaltes an Zucker und aromatischen Inhaltsstoffen verzehrt bzw. bei der Zubereitung der Speisen verwendet. Zugleich wird deutlich, daß auch die Germanen die Früchte von Wildobstarten gesammelt haben. Die Hasel war offensichtlich besonders beliebt. Sie ist hier wie in vielen anderen zeitgleichen Fundstellen vorhanden. Ihre Funde als Toten-Beigabe sowie an der Basis von Brunnen weisen auf die hohe Wertschätzung dieser Pflanze hin. Der Haselstrauch stellt keine hohen Ansprüche an den Wuchsort. Er stand daher nahezu überall zur Verfügung. Das Öl der Hasel ist allerdings nicht sehr haltbar und wird schnell ranzig (Bickel-Sandkötter 2001).
Zur Landnutzung während der Eisenzeit im mittleren Deutschland
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Tab. 4. Pflanzenarten, die aus der Zeit um Christi Geburt im mittleren Deutschland nachgewiesen und vermutlich als Wildgemüse genutzt worden sind. Legende: Kl: Klötze, Fü: Fümmelse/Wolfenbüttel, St: Steinbühl, Vo: Vogelbeck, Ha: Hanau-Salisweg Als Wildgemüse nutzbar
Kl
Fü
Capsella bursa-pastoris
Hirtentäschel
+
Chenopodium album
Weißer Gänsefuß
+
Chenopodium bonus-henricus
Guter Heinrich
+
Daucus carota
Wilde Möhre
+
St
Vo
+
+
+
Glechoma hederacea
Gundermannn
+
Weiße Taubnessel
+
Lapsana communis
Rainkohl
Plantago lanceolata
Spitz-Wegerich
Polygonum aviculare
Vogel-Knöterich
+
Prunella vulgaris
Brunelle
+
Raphanus raphanistrum
Hederich
+
Sonchus oleraceus
Kohl-Gänsedistel
Stellaria media
Vogel-Miere
+
+
+
+
Thlaspi arvense
Acker-Hellerkraut
+
+
+
+
Urtica dioica
Große Brennessel
+
+
+
Valerianella dentata
Gezähnter Feldsalat
+
+
+
+
+
+
Lamium album
+
Ha +
+
+
+
+
+
+ +
+
+
+
+
+
+ +
+ +
+ +
Tabelle 4 enthält eine Zusammenstellung von Wildpflanzenarten, deren Diasporen aus der Eisen- bzw. Römischen Kaiserzeit im mittleren Deutschland belegt sind und die als Wildgemüse nutzbar waren. Auffällig ist die Präsenz einiger Arten in allen hier berücksichtigten Proben. Arten wie Chenopodium album, Lapsana communis und Stellaria media sind auch sonst in vielen Fundkomplexen vorhanden, meist mit größerer Stückzahl. Solche Arten gelten als Unkräuter und waren bereits vor ca. 2000 Jahren in Mitteleuropa weit verbreitet (Willerding 1986). Bei den genannten Arten handelt es sich um wintergrüne Pflanzen, die sicher schon sehr früh die Aufmerksamkeit des nach Nahrung suchenden Menschen gefunden hatten. Sie konnten als musartiger Brei, als Gemüsesuppe oder Salat zubereitet werden. Der Versuch, derartige Speisen nachzukochen, zeigt, daß die so hergestellten Gemüsezubereitungen nach unseren heutigen Geschmacksvorstellungen etwas fade schmecken. So liegt es nahe, die Wildgemüse-Speisen zu würzen. Auf der Suche nach würzenden Wildpflanzen dürfte der Mensch bald erfolgreich gewesen sein. Unverkohlte Diasporen solcher Arten waren in den Brunnenproben aus Klötze in größerer Zahl vorhanden (Tab. 5). So sind die Brassicaceen (Cruciferen) durch fünf Arten vertreten. Sie besitzen den etwas scharfen, an
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Ulrich Willerding
Senf, Rettich oder Kohl erinnernden Geschmack, der durch Glucosinolate hervorgerufen wird. Von den Lamiaceen (Labiaten) sind drei Arten vorhanden, darunter der würzkräftige Dost. Hier sind insbesondere etherische Öle aromawirksam. Solche Würzkräuter sind weit über ihre den Geschmack beeinflussenden Qualitäten hinaus von großer gesundheitlicher Relevanz, da die Sekundären Pflanzenstoffe mehrheitlich eine hohe Bioaktivität besitzen. Sie stärken das menschliche Immunsystem, regulieren den Blutdruck und wirken entzündungshemmend sowie verdauungsfördernd (Elmadfa/Leitzmann 1998; Bickel-Sandkötter 2001; Herrmann 2001). Tab. 5. Pflanzenarten, die aus der Zeit um Christi Geburt im mittleren Deutschland nachgewiesen und vermutlich zum Würzen genutzt worden sind. Legende: Kl: Klötze, Fü: Fümmelse/Wolfenbüttel, St: Steinbühl, Vo: Vogelbeck, Ha: Hanau-Salisweg Zum Würzen verwendbar
Kl
Barbarea sp.
Winterkresse
+
Capsella bursa-pastoris
Hirtentäschel
+
Hypericum perforatum
Tüpfel-Johanniskraut
+
Mentha arvensis
Acker-Minze
+
Nasturtium officinale
Brunnenkresse
+
Nepeta catharia
Katzenminze
+
Origanum vulgare
Dost
Polygonum hydropiper
Scharfer Knöterich
+
Raphanus raphanistrum
Hederich
+
Rumex acetosa
Sauer-Ampfer
+
Thlaspi arvense
Acker-Hellerkraut
+
Fü
+
St
Vo
Ha
+
+
+
8. Weitere Verwendungsmöglichkeiten nachgewiesener Pflanzen Manche Gewürze können demnach auch als Heilpflanzen verwendet werden. Dementsprechend kommt es in den Tabellen 5 und 6 auch zu Doppelnennungen. Auffällig ist, daß die Samen des sehr giftigen Bilsenkrautes nahezu in allen Fundstellen vorhanden waren. Diese heute eher seltene Art (Oberdorfer 1979) muß damals recht verbreitet gewesen sein. Dementsprechend nimmt die Anzahl der Nachweise seit der Eisenzeit erheblich zu (Willerding 1986). Ob das mit der Verwendung der sehr giftigen Pflanze in der Heilkunde zusammenhängt, ist noch unklar. Ein Vorratsfund im abgebrannten Lazarett des Römerlagers in Neuss (Knörzer 1970) zeigt jedoch, daß diese Art dort eingesetzt worden ist. Vermutlich wurde – bei der richtigen Dosis – die beruhigende und dämpfende Wirkung der Alkaloide Hyoscyamin und Hyoscin genutzt. Bei
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stärkerer Konzentration dieser Stoffe kommt es leicht zu Vergiftungserscheinungen, insbesondere zu Halluzinationen (Roth u. a. 1994). Daher wurde Bilsenkraut im Mittelalter zur Herstellung von Hexensalben verwendet. Tab. 6. Pflanzenarten, die aus der Zeit um Christi Geburt im mittleren Deutschland nachgewiesen und vermutlich als Heilpflanzen genutzt worden sind. Legende: Kl: Klötze, Fü: Fümmelse/Wolfenbüttel, St: Steinbühl, Vo: Vogelbeck, Ha: Hanau-Salisweg Als Heilpflanze verwendbar
Kl
Fü
Agrimonia eupatoria
Odermennig
+
Hyoscyamus niger
Bilsenkraut
+
+
Hypericum perforatum
Tüpfel-Johanniskraut
+
+
Lamium album
Weiße Taubnessel
+
+
Leonurus cardiaca
Echter Löwenschwanz
Linum catharticum
Purgier-Lein
St
Vo
Ha
+
+ +
+ +
Origanum vulgare
Dost
Plantago lanceolata
Spitz-Wegerich
Verbena officinalis
Eisenkraut
+
Viola arvensis
Acker-Stiefmütterchen
+
+
+ +
+
+
+
Möglicherweise wurde auch der Mutterkornpilz (Claviceps purpurea), der seit der vorrömischen Eisenzeit häufiger nachgewiesen wird (Willerding 2002c, Tab.), medizinisch genutzt. Vermutlich ist aber eher seine toxische Wirkung aufgefallen (Teegen 2002). Auch bei den Heilpflanzen bleibt die Frage offen, welche Arten ihren heilsamen Inhaltsstoffen entsprechend tatsächlich eingesetzt worden waren. Zur Klärung kann eventuell die genaue Erfassung der Stratigraphie an der Fundstelle helfen. Allerdings muß man davon ausgehen, daß die Verwendung von Heilpflanzen in der Regel auf alten Traditionen beruht. Einige der im Untersuchungsgebiet durch Funde nachgewiesenen Arten können nach den Angaben verschiedener Autoren auch zum Färben von Textilien verwendet werden (Tab. 7) (Opitz 1975; Ploss 1989; Roth u. a. 1992; Schweppe 1993; Berger 1998). Hier ergibt sich erneut die Frage, ob das in der Zeit um Christi Geburt tatsächlich der Fall gewesen ist. Daß in diesem Zeitraum die Technik der Textilfärberei in der Germania magna bereits bekannt war, ist am Beispiel des Thorsberger Prachtmantels zu sehen. Die im Thorsberger Moor/Schleswig-Holstein gefundenen Reste des aus Wolle gefertigten Mantels waren mit dem blauen Farbstoff (Waid-Indigo) gefärbt, der aus den Blättern des Färber-Waid (Isatis tinctoria) gewonnen werden kann. Auch aus den Schriften antiker Autoren ist ersichtlich, daß Germanen und Kelten durchaus in der Lage waren, Farbstoffe zu gewinnen und einzusetzen.
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Ulrich Willerding
So wurden z. B. die Früchte vom Schwarzen Holunder oder von Blaubeeren zum Färben von Wolle verwendet. Dabei erhielt das Färbegut einen violetten Farbton (Schweppe 1993). Durch den Einsatz zahlreicher Pflanzenarten kann jedoch eine gelbe bis braune Färbung von Geweben hervorgerufen werden (Tab. 7). Die bei Moorleichen oder in Baumsärgen feststellbare Braunfärbung von Geweben ist allerdings durch die Lagerungsverhältnisse bedingt und geht offenbar nicht auf die Anwendung eines bestimmten Färbeverfahrens zurück. Die Vielzahl der durch den Einsatz von Pflanzen erreichbaren erdfarbenen Färbungen dürfte dennoch dafür gesorgt haben, daß die Farbe der Kleidungsstücke eher gedämpft als leuchtend gewesen ist. Tab. 7. Zum Färben von Textilien geeignete Wildpflanzen, deren Vorkommen im mittleren Deutschland während der Eisenzeit bzw. der Römischen Kaiserzeit durch Funde pflanzlicher Makroreste belegt ist. Nach Angaben verschiedener Autoren, Auswahl Farbe
Wissenschaftl. Name
Deutscher Name
blau
Polygonum aviculare
Vogel-Knöterich
Kraut
Sambucus nigra
Holunder
Beeren
Agrimonia eupatoria
Odermennig
Pflanze
Daucus carota
Wilde Möhre
Kraut
Polygonum persicaria
Floh-Knöterich
Kraut
Rubus fruticosus
Brombeere
Blätter
Rumex acetosa
Sauerampfer
Kraut
Sambucus nigra
Holunder
Beeren
Urtica dioica
Große Brennessel
Kraut
Chenopodium album
Weißer Gänsefuß
Kraut
Sambucus nigra
Holunder
Beeren
gelb-braun
rot
Verwendbare Teile
9. Produktionsbedingungen Die Formen und Erträge der Landwirtschaft werden durch das naturräumliche Potential und die Art seiner Nutzung durch den Menschen bestimmt. Diese Faktoren können in ganz unterschiedlicher Ausbildung und Kombination auftreten. Dadurch ergeben sich viele Kombinationsmöglichkeiten hinsichtlich Qualität und Quantität der einzelnen Faktoren, die von den übergeordneten Kategorien Raum und Zeit stark beeinflußt werden. Die Land(schafts)nutzung hat im Bereich der entnehmenden Wirtschaftsformen im Laufe der Zeit kaum wesentliche Veränderungen durchmacht. Sie baut vor allem auf den Formen der natürlichen Regeneration auf, z. B. bei Kopfholz- und Stockausschlagsnutzung. Im Bereich der Landwirtschaft ist das ganz anders. Die Landwirt-
Zur Landnutzung während der Eisenzeit im mittleren Deutschland
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schaft gehört in den Bereich der produzierenden Wirtschaftsformen und setzt das Eingreifen des Menschen voraus. Dazu gehören u. a. Saat und Ernte in ihren verschiedenen Formen, desgleichen Düngung und Tierhaltung. Diese Mitwirkung des Menschen hat Änderungen und Entwicklungen hinsichtlich der Bereiche Raum und Zeit zur Folge. Davon betroffen sind vor allem die folgenden drei Faktorenkomplexe: – Die Kulturpflanze, ihre Auswahl und ihr Züchtungsstand. – Das naturräumliche Potential, seine Nutzung und seine Veränderung durch den Menschen. – Der Stand der Agrartechnologie und ihre Nutzung durch den Menschen. Dabei wird deutlich, daß im Zusammenhang mit der agrarischen Landnutzung ein hochkompliziertes multifaktorielles Wirkgefüge abgerufen wird. Die Erfassung der jeweiligen Zusammenhänge ist schon bei der rezenten Landwirtschaft manchmal nicht leicht. Um so schwieriger ist die Klärung der Zusammenhänge, die in der Ur- und Frühgeschichte der Landnutzung aktuell gewesen sind. Daher müssen möglichst viele Faktoren in ihrer jeweiligen Bedingtheit erfaßt und ihre Bedeutung im betreffenden Wirkgefüge aufgezeigt werden. Dabei ist es erforderlich, den Indikatorwert der einzelnen Befunde bzw. Fakten zu klären (Willerding 1991; Benecke u. a. 2003). Der Zustand der Landschaft und ihr Bild wird dementsprechend mehr oder minder stark von den wirksamen Faktorenkomplexen beeinflußt und ändert sich daher im Lauf der Zeit. Das Ergebnis ist, daß jede Zeit bzw. Kulturgruppe oder mehrere von ihnen ihr eigenes Landschaftsbild gehabt haben. Dies hatte auch Auswirkungen auf die ökologischen Verhältnisse, beispielsweise auf Wasserversickerung, Grundwasser-Entwicklung und Ausmaß der Bodenerosion oder Bodenerschöpfung in den anthropogenen Offenlandbereichen. Bei der Klärung solcher Fragen können auch Untersuchungen in der heutigen Landschaft hilfreich sein, indem die Ergebnisse modellartigen Wert besitzen. Bei der Suche nach den Fakten, die als Indikatoren für den Zustand und die Formen früher Landwirtschaft geeignet sind, ergibt sich die Einsicht, daß neben den Funden der Kulturpflanzen auch die der Wildpflanzen und speziell der Unkräuter zu beachten sind (Willerding 1986). Diese sind nach dem Ende des zweiten Weltkrieges in Mitteleuropa zunehmend berücksichtigt worden (Willerding 1988). Seit dieser Zeit nahmen die Aussagen über die ökologischen und ökonomischen Verhältnisse ständig zu. Dabei waren die Eingriffe des Ackerbau betreibenden Menschen im Zentrum des Interesses. Die Nutzung der einheimischen Wildpflanzenflora sowie der Unkräuter gehört in den natürlichen Aussagebereich dieser Untersuchungen. Allerdings
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Ulrich Willerding
wurden diese Zusammenhänge häufig übersehen. Das liegt vermutlich auch daran, daß die Funde solcher Wildpflanzen und Unkräuter meistens keine eindeutigen bzw. zwingenden Aussagen darüber machen, ob und wie die betreffenden Pflanzen ehedem verwendet wurden. Die aus dem archäologischen Fundgut stammenden Reste von Wildpflanzen und Unkräutern zeigen meistens nur, daß die betreffenden Belege in die frühe Siedlung gelangt sind. Über die Rolle, die sie damals gespielt haben, sind aber in der Regel kaum zwingende Aussagen möglich. Deshalb ist es notwendig, sich bei der Rekonstruktion ehemaliger Zustände auf alle erreichbaren Aussagen zu stützen. Besonders wertvoll sind in diesem Zusammenhang ethnobotanische Kenntnisse über die Verwendung der fraglichen Pflanzenarten. Das erscheint auch insofern berechtigt, weil die traditionellen Verwendungsformen von Pflanzen in der Regel eine lange Vorgeschichte haben. Aber auch bestimmte Merkmale der betreffenden Pflanzen können die Grundlage für weiterführende Aussagen sein. Das betrifft beispielsweise die durchschnittliche Wuchshöhe, die Entwicklungsrhythmik oder bestimmte Standortsanforderungen von Unkräutern. Das Problem, welche Aussagen sich für die Beschaffenheit der frühen Kulturpflanzen und die Nutzung des Ackerlandes ableiten lassen, wird inzwischen in den meisten paläo-ethnobotanischen Untersuchungen berücksichtigt. Eine zuammenfassende Darstellung zu diesem Thema hat der Verfasser bereits vorgelegt (Willerding 1980; Benecke u. a. 2003). Daher wird hier auf eine ausführliche Erörterung dieser Fragenkreise verzichtet. Soweit möglich, werden die für das mittlere Deutschland ableitbaren Ergebnisse zusammengestellt. Da der Forschungsstand in den verschiedenen Bereichen des Gebietes z. T. noch sehr unterschiedlich ist, kann durch neuere Untersuchungen manche Ergänzung oder Änderung erforderlich werden. Hinsichtlich der in den einzelnen Teilen des Untersuchungsgebietes angebauten Kulturpflanzen gibt es manche Übereinstimmung (Tab. 2): Die Gerste war praktisch überall vorhanden und spielte unter den Cerealien eine wichtige Rolle. An zweiter Stelle folgt die Rispenhirse, die vermutlich als Breifrucht verwendet wurde. Der seit dem frühen Neolithikum angebaute Emmer wird immer noch angebaut und nimmt den dritten Platz in der Häufigkeit ein. Schließlich folgen die hexaploiden Weizen-Arten: der freidreschende SaatWeizen und der auch Spelt genannte Dinkel. Diese gegenüber dem Emmer produktiveren Weizenarten wurden besonders in den unter römischem Einfluß stehenden Gebieten angebaut. So gewinnen beide Weizenarten auch im römisch besetzten Gebiet Hessens an Bedeutung. Neben dem Einfluß der Besatzungstruppen spielte hierbei wohl auch die klimatische Gunst der Wetterau eine wesentliche Rolle. Die hexaploiden Weizenarten waren aber keineswegs,
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wie gelegentlich angenommen wird, den Kelten und Germanen fremd. Das zeigen u. a. die Funde von Göttingen-Geismar, vom Steinbühl und von der Pipinsburg. Ob auch die anderen nachgewiesenen Getreidearten in größerem Umfang angebaut wurden, ist noch unklar. Ein Teil der Belege dürfte von Pflanzen stammen, die noch als Unkräuter im Getreide vorkamen. Vegetabilisches Eiweiß lieferten die Leguminosen Ackerbohne, Erbse und Linse. Während die erstgenannte Art sich seit der Urnenfelderzeit ausbreitete, wurden die beiden anderen bereits seit dem Neolithikum im Gebiet angebaut, vermutlich als Feldfrucht. In diesem Zusammenhang sei kurz auf die Versorgung mit tierischem Eiweiß und Fett hingewiesen. Während mehrere antike Autoren darüber berichten, daß die Germanen als Jäger des Wildes wesentlich zur Versorgung mit Fleisch beigetragen hätten, wird das durch die Knochenfunde auch aus dem mittleren Deutschland nicht bestätigt. Vielmehr herrschen die Knochen von Rind und Ovicapriden derartig vor, daß diese Haustiere eine größere Bedeutung in der Versorgung mit Fleisch gehabt haben dürften als Schwein und Wild (Teichert 1973; Amberger 1982; Döhle 2004; Schoon unpubl.2). Lein diente sowohl als Ölfrucht wie als Faserlieferant. Haselnüsse, Leindotter und Mohn trugen ebenfalls zur Versorgung der Bevölkerung mit pflanzlichen Fetten bei. Für den Züchtungsstand der einzelnen Kulturpflanzen ergeben sich bislang kaum deutliche Unterschiede. Die Größenverhältnisse der Belege haben eine vergleichsweise weite Amplitude. Dies weist darauf hin, daß eine an der Größe der Getreidekörner ablesbare Selektion wohl noch nicht stattgefunden hatte. Einzelne Vorratsfunde von Getreide zeigen, daß der Anbau der Getreidearten in der Regel separat erfolgte. Gibt es Beimischungen einer zweiten oder dritten Art, so kann das auf einer sekundären Vermischung beruhen oder auch Folge eines Fruchtwechsels sein. Die mit wenigen Belegen vertretene Art wäre dann die, die im Vorjahr auf dem gleichen Acker angebaut worden war. Sie wuchs dann gemeinsam mit der Frucht des Folgejahres auf und informiert uns über die Anfänge einer Fruchtwechselwirtschaft (Benecke u. a. 2003). Von der Vorfrucht waren einige Körner vor oder bei der Ernte aus den Ähren gefallen und wuchsen dann zusammen mit der Hauptfrucht. Dies Phänomen ist auch noch heute auf den Feldern zu sehen. Hinweise auf eine Fruchtwechselwirtschaft können sich auch auf andere Weise ergeben: Die verschiedenen Getreidearten stellen unterschiedliche An2
Auch an dieser Stelle danke ich Herrn Dr. Schoon für die Informationen über eisenzeitliche Haustierreste in Süd-Niedersachsen.
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sprüche an ihren Standort. Wenn die Anbaufolge mit dem anspruchsvollen Weizen beginnt und dann die weniger Ansprüche stellenden Arten Gerste, Roggen oder Rispenhirse im Anbau folgten, so deutet das auf eine entsprechende Fruchtfolge hin. Bislang liegt allerdings noch kein entsprechender Befund aus dem südlichen Niedersachsen vor, wohl aber aus den Niederlanden von der Vorrömischen Eisenzeit und der Römischen Kaiserzeit (van Zeist 1970). Mit Hilfe von Unkräutern, die in jüngerer Zeit charakteristisch für den Anbau von Sommergetreide oder Wintergetreide waren, läßt sich bei günstigen Bedingungen ableiten, ob das Getreide als Sommer- oder Winterfrucht angebaut wurde. Schmalblättrige Unkräuter wie Kornblume (Centaurea cyanus) und Kornrade (Agrostemma githago) sind der starken Konkurrenz des wüchsigen Wintergetreides gewachsen, die eher breitblättrigen und erst spät im Frühjahr keimenden Arten aus den Gattungen Gänsefuß (Chenopodium), Knöterich (Polygonum) und Melde (Atriplex) schaffen das aber kaum. In der Zeit um Christi Geburt treten zunehmend die Wintergetreide-Unkräuter auf. Das hängt sicher mit der zunehmenden Förderung des ertragreicheren Anbaus von Winterfrüchten zusammen. Allerdings können die sogenannten Sommerfrucht-Unkräuter auch so lange im Wintergetreide gedeihen, wie dieses hinreichend lückig wächst (Willerding 1986). Daher ist es erforderlich, diese Zusammenhänge sorgfältig zu prüfen. Die Leguminosen und Ölfrüchte wurden ohnehin als Sommerfrucht angebaut. So können manche der Sommerfrucht-Unkräuter auch aus den Feldern dieser Pflanzengruppen stammen. Funde aus dem Bereich der Küstenmarschen an der Nordsee geben zudem Auskunft über die Erntemethoden, die bei einzelnen Arten angewendet wurden: Von Ackerbohne und Lein wurde die ganze Pflanze aus dem Boden gezogen (Körber-Grohne 1967). Vermutlich erfolgte die Ernte dieser Arten auch im Binnenland nach dem gleichen Prinzip, zumal die Pflanzen als Futter oder zur Fasergewinnung Verwendung fanden. Daher muß es auf den Feldern dieser Arten zu einer Verarmung des Bodens gekommen sein, trotz der Stickstoff-Lieferung, die bei den Leguminosen mit Hilfe der Knöllchenbakterien geschieht. Im Bereich der Seemarschen sorgten außerdem Ebbe und Flut durch die ständige Zufuhr von Schlick für ausreichende Nährsalzvorräte im Boden. Dieser natürliche Vorgang fiel im Binnenland weg, daher wurde dort die künstliche Düngung erforderlich. Dazu wurde kalkreicher Mergel verwendet, wie es aus den Befunden der Mergelgruben im Gehege Außelbeck hervorgeht (Jankuhn 1958). Der Scherbenschleier, der im Umland früher Siedlungen gelegentlich zu finden ist, zeigt außerdem, daß auch mit Mist gedüngt wurde. Mit dem Mist gelangten auch Haushaltsabfälle auf die Äcker. Darunter befanden sich Scherben, die heute
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als Indikatoren für die früher stattgefundene Düngung mit Mist von Wert sind (Willerding 2002b). Äcker vom Typ der celtic fields sind in den nahe der Nordsee-Küste gelegenen Altpleistozän-Gebieten gefunden worden (Klamm 1993). Offenbar hing die Entstehung dieser durch niedrige Wallsysteme gekennzeichneten Ackerfluren mit der Armut der Böden zusammen. Aus der Nutzung genommen wurden diese Äcker während der Römischen Kaiserzeit. Die Wälle sind aber in Heide und Wald vielfach bis heute erkennbar. Eindeutige Reste solcher Altäcker sind aus dem mittleren Deutschland bislang nicht bekannt geworden. Die Funde von Unkraut-Diasporen in Getreidevorräten können zu Aussagen über die jeweilige Erntehöhe führen, wenn dazu die Wuchshöhe der nachgewiesenen Ackerunkräuter herangezogen wird. Die jeweils gefundenen Unkraut-Diasporen müssen zwar nicht von Pflanzen stammen, die selbst auf dem Acker gewachsen sind. Ihre Anwesenheit bezeugt aber, daß diese Arten auch auf den Feldern vergangener Zeiten gewachsen sein dürften. Dafür sprechen mehrere charakteristische Eigenschaften der Unkräuter. Dazu gehört u. a. die sehr große Zahl der jeweils gebildeten Diasporen mit ihrer endo- oder epizoischen Verbreitung. Auf dieser Grundlage werden innerhalb kurzer Zeiträume nahezu alle geeigneten Standorte erreicht, also auch die im Ackerland. Die durchschnittliche Wuchshöhe der nachgewiesenen Ackerunkräuter nimmt im Laufe des hier interessierenden Zeitraumes ab. Das heißt, es lassen sich neben hochwüchsigen zunehmend auch niedrig bleibende Unkräuter nachweisen. Dazu gehören u. a. Acker-Hellerkraut (Thlaspi arvense), Acker-Knäuel (Aphanes arvensis), Vogel-Knöterich (Polygonum aviculare) und Vogelmiere (Stellaria media). Das vermehrte Auftreten niedrigwüchsiger Unkräuter kann als Folge einer bodennahen Ernteweise erklärt werden (Willerding 1986). Dafür spricht ebenso das Vorhandensein verkohlter Stengelknoten im Fundgut. Der Übergang von einer bodenfernen zur bodennahen Ernteweise hat im Zeitraum um Christi Geburt offensichtlich auch im mittleren Deutschland stattgefunden. Vermutlich hing das zusammen mit einer geänderten Wertschätzung des Strohs. Insbesondere die Halme von Dinkel und Roggen sind stabil und ziemlich lang. Diese Änderung in der Erntehöhe muß verbunden gewesen sein mit Veränderungen in der Nutzung des Strohs. Hier ist insbesondere an Ausmaß und Formen der Stallhaltung zu denken, die zu einem größeren Bedarf an Stroh geführt haben. Möglicherweise war auch eine vermehrte Haltung von Pferden oder die Verwendung von Stroh als Dachdeck-Material verantwortlich. Besonders wichtig sind die Unkräuter für die Rekonstruktion der Standortsbedingungen auf den Feldern. Sie können als Indikatoren für die natürlichen wie auch für die anthropogenen Faktoren angesehen werden. Wenn
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auch bei einigen Arten im Lauf von 2000 Jahren eine gewisse Verschiebung in den Ansprüchen nicht auszuschließen ist, so haben sich die von Ellenberg (1996) entwickelten ökologischen Zeigerwerte doch als sehr hilfreich bei der Rekonstruktion der ökologischen Verhältnisse auf den Feldern erwiesen (u. a. Willerding 1978, 1983). Das gilt ähnlich auch für die Zuordnung der Arten zu den einzelnen Pflanzengesellschaften. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, daß es gerade bei den Ackerunkrautgesellschaften zu manchen Verschiebungen gekommen ist, da die Konkurrenzverhältnisse durch Änderungen agrartechnologischer Art beeinflußt worden sind. Zur Kenntnis der Standortsverhältnisse im Bereich des Ackerlandes sind vor allem die Zeigerwerte für Eigenschaften des Bodens von Interesse. Sie geben Aufschluß über Bodenfeuchte und Säuregehalt sowie über das StickstoffAngebot des Bodens. Für die Standortsverhältnisse auf den Feldern im mittleren Deutschland ergibt sich, daß die Böden hinreichend frisch waren, d. h., mit der Wasserversorgung der angebauten Kulturpflanzen gab es keine Probleme. Die meisten Böden waren neutral bis mäßig sauer, also für den Ackerbau durchaus geeignet. Im Laufe der Eisenzeit und der Römischen Kaiserzeit wurden allerdings die Unkräuter, die einen höheren Säuregehalt anzeigen, etwas häufiger. Davon sind gerade mehrere niedrigwüchsige Arten betroffen. Vermutlich hängt das mit dem stärkeren Stoffentzug durch die zunehmend bodennahe Ernteweise zusammen. Beim Stickstoffangebot ist wiederum mit einer hinreichenden Versorgung zu rechnen. Allerdings zeigt sich auch hier im Lauf der Zeit eine gewisse Abnahme im Anteil der ausgesprochenen Stickstoffzeiger. Für den hier interessierenden Zeitraum ist also insgesamt eine gewisse, aber doch recht geringe Verschlechterung der Bodenqualität festzustellen. Die Nutzung stärker saurer oder ausgesprochen kalkhaltiger Böden hat im Arbeitsgebiet offensichtlich erst während des Mittelalters begonnen. Dann werden Belege der charakteristischen Säure- oder Basenzeiger häufiger. Das dürfte mit der nun stärker gewordenen landwirtschaftlichen Nutzung von Buntsandstein- bzw. Muschelkalkböden zusammenhängen. Zuvor waren vor allem die im Gebiet verbreiteten, ursprünglich kalkhaltigen Lößböden für den Ackerbau genutzt worden. Der Nachweis einiger Gräser und anderer Arten des Grünlandes in Vorratsfunden deutet darauf hin, daß diese Arten auch im Ackerland gewachsen sind. Vermutlich breiteten sie sich während der Brachezeiten so stark aus, daß sie sich dann während der Nutzung als Acker in diesem behaupten konnten. Diese Wirtschaftsform wird häufig – nicht ganz zutreffend – als Feld-GrasWirtschaft bezeichnet. Der z. T. hohe Anteil von Ackerunkräutern in den Proben der Kulturpflanzen kann als Indikator für eine Form der Fruchtwechsel-Wirtschaft mit Brache betrachtet werden.
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10. Zusammenfassung und Ausblick Im Gebiet des mittleren Deutschland liegen paläo-ethnobotanische Untersuchungen von ca. 60 Fundstellen der Vorrömischen Eisenzeit und der Römischen Kaiserzeit vor. Gerste, Emmer und Rispenhirse sind die vorherrschenden Getreidearten. Roggen und Hafer erreichen in diesem Zeitraum den Status von Kulturpflanzen, sie werden im Gebiet der Germania libera zunehmend angebaut. Die Leguminosen Ackerbohne, Erbse und Linse tragen zur Versorgung mit Eiweiß bei, Lein und Leindotter dienen als Ölfrüchte, Mohn wurde weniger häufig nachgewiesen. Das Sortiment der Kulturpflanzen ist anfangs also noch recht groß. In den römischen Besatzungsgebieten spielt der freidreschende hexaploide Saat-Weizen die Hauptrolle. Entgegen der verbreiteten Vorstellung werden Dinkel und Saat-Weizen aber auch im Gebiet nördlich des Limes angebaut. Funde von Holz und Holzkohle liefern die Grundlage für die Rekonstruktion der natürlichen wie auch der anthropogenen Waldverhältnisse. In Landschaften wie dem Göttinger Leinetal herrschte an den meisten Standorten die Rotbuche vor. In den Funden aus der älteren Vorrömischen Eisenzeit kommen allerdings Gehölze wie die Hasel vor. Dies läßt bereits auf eine gewisse Öffnung der Wälder schließen. Schmalblättrige Weidenarten wuchsen auf den Schotter- und Schlickflächen der Leineaue. Benachbart waren Erlenwälder verbreitet. Zahlreiche Siedlungen existierten ebenso in der Vorrömischen Eisenzeit wie während der Römischen Kaiserzeit. Sie lagen bevorzugt nahe der Flußaue, aber oberhalb der damaligen Hochwasser-Zone und nahe der Einmündung von Bächen in den Fluß. Die Wälder der Leineaue wurden wohl ebenso wie die auf dem Steilanstieg zu den angrenzen Hochflächen als Hudewälder genutzt. Lange Zeit andauernde Waldweide führte schließlich zur Entstehung von Grünlandflächen: Im Bereich der feuchten Fluß- und Bachauen waren dies letztlich die Talfettwiesen. Während der Eisenzeit und der Römischen Kaiserzeit handelte es sich aber zunächst noch um wenig produktive Feuchtwiesen, wie sie aus dem Mittelalter durch den Nachweis entsprechender Feuchtwiesenarten faßbar geworden sind (Willerding 1978). An den steilen, zur Hochfläche führenden Hängen sorgten Ziegen und Schafe für die Entwicklung wenig produktiver Offenland-Gesellschaften. Im Muschelkalk-Gebiet handelte es sich dabei um artenreiche Kalk-Magerrasen, im Buntsandstein-Gebiet um Heideflächen mit Besenheide. Diese anthropozoogenen Vegetationsformen haben im mittleren Deutschland demnach mindestens 2000 Jahre Zeit für ihre Entwicklung gehabt.
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Außer den angebauten Kulturpflanzen wurden auch Wildpflanzen als Nahrung genutzt. Obgleich das nicht durch entsprechende Funde abzusichern ist, kann es aus ernährungsphysiologischen Gründen angenommen werden. Später wurden die einheimischen Wildgemüsearten und die wilden Gewürzarten durch Arten ersetzt, die im Mittelmeergebiet heimisch waren und dort kultiviert wurden. In den römisch besetzten Gebieten erfolgte dies bereits während der Römischen Kaiserzeit. Im Bereich der Germania libera wurden die mediterranen Nutzpflanzen erst seit dem frühen Mittelalter angebaut. Dies erfolgte zugleich mit der Ausbreitung der klösterlichen Gartenkultur. Recht ähnlich verlief die Geschichte der Heilpflanzen; sie wurden bis in die jüngere Zeit in der Umgebung der Siedlungen gesammelt, obgleich sie auch in den Kloster- und Apotheker-Gärten wuchsen. Zahlreiche Wildpflanzen konnten zudem auch zum Färben von Textilien verwendet werden. In welchem Umfang das auch tatsächlich gemacht worden ist, bleibt derzeit noch offen. Die Anzahl der paläo-ethnobotanisch untersuchten Fundplätze aus der Vorrömischen Eisenzeit und der Römischen Kaiserzeit ist sehr gering im Verhältnis zu den archäologischen Fundstellen dieses Zeitraumes. Dennoch ist es bereits jetzt möglich, eine Fülle von Erkenntnissen über Lebensweise, landwirtschaftliche Produktion und Umweltverhältnisse in jenen Zeiträumen abzuleiten. Zugleich wird deutlich, wie lückenhaft viele Vorstellungen noch sind. Das betrifft ebenso die zeitliche und räumliche Differenzierung wie einzelne Sachgebiete, z. B. die Handhabung der verschiedenen Agrargeräte oder den frühen Hausbau in unterschiedlichen Naturräumen. Das Erreichen solcher Ziele erscheint als besonders dringlich, um die Lebensumstände auch der Bevölkerungsmehrheit Mitteleuropas zu erfassen. Das bedeutet, daß verstärkt die frühen Lebens- und Arbeitsbedingungen im Bereich der Lößlandschaften sowie des Hügel- und Berglandes im mittleren Europa zu erforschen sind.
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Abbildungsnachweis Abb. 1: Nach Willerding/Wolf 1990; verändert nach Heege 1987. Abb. 2: Nach Willerding 1992. Abb. 3: Nach Willerding 1992.
Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. Ulrich Willerding Calsowstr. 60 D-37085 Göttingen
Schriftenverzeichnis von Rosemarie Müller Monographien Die bronze- und spätlatènezeitlichen Funde von der Alteburg, Kreis Arnstadt, Bez. Erfurt, (Forschungsstand 1966). Ungedr. Dipl. Arb. (Jena 1966). Die Latènezeit im Mittelelbe-Saale-Gebiet auf Grund der Grabfunde (Diss. Halle 1980). Autorreferat: Ethnogr.-Arch. Zeitschr. 24, 1983, 707–711. Die Grabfunde der Jastorf- und Latènezeit an unterer Saale und Mittelelbe. Veröff. Landesmus. Vorgesch. Halle 38 (Berlin 1985). Latènezeitliche Siedlungen im Saale-Elbe-Gebiet. 1. Schönburg, Kreis Naumburg. Eine mehrperiodige Siedlung an der Mittelsaale. Martin-Luther-Univ. Halle-Wittenberg. Wiss. Beitr. 1987/68 (L 20) (Halle [Saale] 1987). Grabfunde der älteren vorrömischen Eisenzeit aus der Südzone der Jastorfkultur. Inv. Arch. DDR 7 (Berlin 1988). Zur Besiedlung Mitteldeutschlands im ersten Jahrtausend v. Chr. – vor dem Zeugnis historischer Namen. Habilschr. Martin-Luther-Univ. Halle-Wittenberg (Halle [Saale] 1991).
Herausgeberschaft Fibel und Fibeltracht. Studienausgabe (Berlin, New York 2000) (mit H. Steuer). W.-R. Teegen, Studien zu dem kaiserzeitlichen Quellopferfund von Bad Pyrmont (Berlin, New York 1999) RGA² Ergbd. 20. M. Müller, Die Kleidung nach Quellen des frühen Mittelalters. Textilien und Mode von Karl dem Großen bis Heinrich III. (Berlin, New York 2003) RGA² Ergbd. 33.
Aufsätze Die bronze- und spätlatènezeitliche Besiedlung der Alteburg bei Arnstadt. Alt- Thüringen 10, 1968/69 (1969), 97–142. Hallstatt- und Latènezeit. In: Wege zur Datierung und Chronologie der Urgeschichte (Berlin 1975) 141–170. mit D. W. Müller, Stempelverzierte Keramik aus einem Randgebiet der Keltiké. Alt-Thüringen 14, 1977, 194–243. Ein latènezeitliches Brandgrab mit bemerkenswertem Haarschmuck aus Dammendorf, Gem. Schwerz, Saalkreis. Ausgr. u. Funde 24, 1979, 179–183. Eine spätlatènezeitliche Siedlung von Kleinkayna, Gem. Großkayna, Kr. Merseburg. Jahresschr. Mitteldt. Vorgesch. 66, 1983, 51–68. Die Chronologie der älteren vorrömischen Eisenzeit im norddeutschen Tiefland. Ein Überblick. In: F. Horst/F. Schlette (Hrsg.), Frühe Völker in Mitteleuropa. Historiker Gesellschaft der DDR. XII. Tagung der Fachgruppe Ur- und Frühgeschichte vom 8. bis 10. November 1983 in Meiningen (Berlin 1988) 45–54.
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Eine kultische Ritzzeichnung der frühen Eisenzeit aus der Altmark. Ausgr. u. Funde 36, 1991, 180–185. Zur Besiedlung Mitteldeutschlands im ersten Jahrtausend v. Chr. – vor dem Zeugnis historischer Namen (Habilschr. Univ. Halle/Saale, 1991). Jahresschr. Mitteldt. Vorgesch. 75, 1992, 255– 275. Kultowy ryt z wczesnej epoki elaza z Altmarku. A cult engraving of the Early Iron Age from Altmark. Folia Arch. 16, 1992, 121–126. mit H. Parzinger, Einleitung. In: Die ältere Eisenzeit im Mittelgebirgsraum. Internationale Arbeitstagung in Allrode/Harz vom 2.–5.11.1992. Ber. RGK 74, 1993 (1994) 197–198. Das Gräberfeld von Trotha und die „hallesche Kultur der frühen Eisenzeit“. In: Die ältere Eisenzeit im Mittelgebirgsraum. Internationale Arbeitstagung in Allrode/Harz vom 2.-5.11.1992. Ber. RGK 74, 1993 (1994) 413–443. „… Fröschebein und Krebs und Fisch, hurtig Kinder, kommt zu Tisch“. Zur kulturgeschichtlichen Bedeutung von Frosch und Fisch. Arch. Sachsen-Anhalt 5, 1995, 18–21. Zur Besiedlung Mitteldeutschlands im ersten Jahrhundert v. Chr. Problemy osadnictwa Niemiec ródkowych w I w. przed Chr. In: Kontakte längs der Bernsteinstrasse (Kraków 1996) 281– 291. Der latènezeitliche Fundplatz von Waltershausen im Kreis Rhön-Grabfeld und seine kulturhistorische Stellung. In: Vorzeit (Bad Königshofen 1998) 123–130. Archäologische Zeugnisse im Przeworskstil aus Aken an der Elbe. Arbeits- u. Forschber. Sächs. Bodendenkmalpfl. 41, 1999 (Festschr. K. Peschel) 145–150. Vorwort der Herausgeberin. In: W.-R. Teegen, Studien zu dem kaiserzeitlichen Quellopferfund von Bad Pyrmont. RGA2 Ergbd. 20 (Berlin, New York 1999) V–VI. mit H. Steuer, Vorwort. In: Fibel und Fibeltracht. Studienausgabe (Berlin, New York 2000) III. Gotthard Neumann und das Problem der Kelten und Germanen in Thüringen. In: H. Steuer unter Mitarbeit von D. Hakelberg (Hrsg.), Eine hervorragend nationale Wissenschaft. Deutsche Prähistoriker zwischen 1900 und 1995. RGA2 Ergbd. 29 (Berlin, New York 2001) 89–107. Die Nachbarn der Kelten. Die Eisenzeit nördlich der Mittelgebirge. In: W. Menghin/D. Planck (Hrsg.), Menschen, Zeiten, Räume – Archäologie in Deutschland (Stuttgart 2002) 220–221. Vom Balkan bis nach Skandinavien. – Fernkontakte bei Haus- und Gesichtsurnen? In: A. Lang/ V. Salaµ (Hrsg.), Fernkontakte in der Eisenzeit. Konferenz – Konfernce Liblice 2000 (Prag 2002) 230–238. Die Bedeutung von Waffen aus der vorrömischen Eisenzeit im Einzugsbereich der Elbe für die Archäologie der Germanen. In: Bewaffnung der Germanen und ihrer Nachbarn in den letzten Jahrhunderten vor Christi Geburt (Lublin 2002) 211–217. Reaktionen auf die Gleichung „germanisch-deutsch“ im östlichen Mitteleuropa. In: H. Beck/ D. Geuenich/H. Steuer/D. Hakelberg (Hrsg.), Zur Geschichte der Gleichung „germanischdeutsch“. Sprache und Namen, Geschichte und Institutionen. RGA2 Ergbd. 34 (Berlin, New York 2004) 265–283.
Lexikonbeiträge im RGA2 Band 8, 1994: Felsbilder (Allgemeines); Fibel und Fibeltracht (Archäologisches. Altertumskundliche Bedeutung [zusammen mit H. Steuer] – Latènezeit. Allgemeines. – Vorrömische Eisenzeit in Norddeutschland und Skandinavien. Allgemeines – F.-Typen in N-Deutschland. LatèneF.n. Allgemeines – Tragweise und Herstellung – F.n in Skandinavien – Ält. RKZ. Allgemeines Band 9, 1995: Fische (Archäologisches. Allgemeines); Flasche (Archäologisches. Allgemeines); Flint und Flintgeräte (Archäologisches. Forschungsgeschichtl. Bedeutung) Band 10, 1998: Frosch (Altertumskundliche Bedeutung); Fundrecht (Altertumskundliche Bedeutung); Fußboden (Archäologisches)
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Band 11, 1998: Germanen, Germania, Germanische Altertumskunde (Archäologie. Sachkultur. Die Bewertung von Realien für die Gesch. der Germ.); Gesichtsurnenkultur Band 12, 1998: Gleichberge Band 13, 1999: Greußen; Grøntoft (zusammen mit H. Steuer); Gürtel (Archäologisches. Ältere Epoche); Hahne, Hans Band 14, 1999: Hasenburg; Hausurnen Band 16, 2000: Jahn, Martin; Jastorf-Kultur; Jungfernhöhle; Kiekebusch, Albert Band 17, 2000: Kleinklein; Kronenhalsringe; La Tène Band 18, 2001: Latènekultur und Latènezeit; Lausitzer Kultur; Lauterach; Leubingen Band 19, 2001: Matzhausen Band 20, 2001: Milseburg; Muscheln (Archäologisches [zusammen mit D. Heinrich]); Nadeln (Allgemeines. Ältere Perioden) Band 21, 2002: Neerharen-Rekem; Neuhäusel Band 22, 2003: Orange; Passentin; Perlberg; Pestruper Gräberfeld Band 23, 2003: Pinguente Band 24, 2003: Quirl (Archäologisch-Kulturgeschichtliches); Reinecke, Paul Heinrich Adalbert (zusammen mit H.-J. Keller); Reinheim; Rhein-Weser-Germanen (Archäologisches) Band 25, 2003: Rodenbach; Römerschanze Band 27, 2004: Schuchhardt, Carl; Schuhe (Archäologisches); Schweinert; Schwissel Band 28, 2005: Sieb (Archäologisches) Band 29, 2005: Sörup; Somme-Bionne; Staré Hradisko; Steinkisten (Allgemein; Jüngere Epoche); Steinkreise (Jüngere Epoche); Stempel (S. und S.-Ornamentik auf Töpfereierzeugnissen) Band 30, 2005: SüttÂ; Tischler, Otto Band 31, 2006: Töpferei und Töpferscheibe; Totenhaus; Trauer (Altertumskundlich [zusammen mit P. Ernst]); Urnenfelderkultur Band 32, 2006: Vilsingen (Archäologisch); Vörrömische Eisenzeit Band 35, im Druck: Toilettenbesteck (Ältere Epochen); Trinkgefäße und Trinkgeschirr (Ältere Epochen); Vesontio; Weser (Archäologisch); ZáhoÅice
Besprechungen und Annotationen Rez. zu: H. Schirnig, „Die Keramik der Siedlung Böhme, Kreis Fallingbostel, aus der römischen Kaiserzeit (Neumünster 1969)“. Jahresschr. Mitteldt. Vorgesch. 56, 1972, 282–284. Rez. zu: „H. Keiling, Kolbow, ein Urnenfriedhof der vorrömischen Eisenzeit im Kreis Ludwigslust (Berlin 1974)“. Ethnogr.-Arch. Zeitschr. 19, 1978, 372–373. Rez. zu: „W. Schlüter, Die vorgeschichtlichen Funde der Pipinsburg bei Osterode/Harz (Neumünster 1975)“. Jahresschr. Mitteldt. Vorgesch. 63, 1981, 253–256. Rez. zu: „H.-W. Dämmer, Die bemalte Keramik der Heuneburg (Mainz 1976)“. Jahresschr. Mitteldt. Vorgesch. 66, 1983, 416–422. Rez. zu: „J. Nothdurfter, Die Eisenfunde von Sanzeno im Nonsberg (Mainz 1979)“. Jahresschr. Mitteldt. Vorgesch. 66, 1983, 422–423. Rez. zu: „K. Günther, Beiträge zur vorrömischen Eisenzeit in Ostwestfalen (Münster 1981)“. Jahresschr. Mitteldt. Vorgesch. 68, 1985, 421–423. Rez. zu: „H. Seyer, Siedlung und archäologische Kultur der Germanen im Havel-Spree-Gebiet in den Jahrhunderten vor Beginn unserer Zeitrechnung (Berlin 1982)“. Ethnogr.-Arch. Zeitschr. 27, 1986, 553–557. Rez. zu: „H. Nortmann, Die vorrömische Eisenzeit zwischen unterer Weser und Ems (Mainz 1983)“. Jahresschr. Mitteldt. Vorgesch. 70, 1987, 285–291. Rez. zu: „H. Hingst, Die Urnenfriedhöfe der vorrömische Eisenzeit aus Südholstein (Neumünster 1989)“. Germania 69, 1991, 466–469.
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Rez. zu: „S. Sievers, Die Kleinfunde der Heuneburg (Mainz 1984)“. Jahresschr. Mitteldt. Vorgesch. 74, 1991, 342–344. Rez. zu: „H. H. Wegner, Die latènezeitlichen Funde vom Christenberg bei Münchhausen, Kreis Marburg-Biedenkopf (Wiesbaden 1989)“. Bonner Jahrb. 191, 1991, 727–730. Rez. zu: „D. Gaedke-Eckhardt, Der Pfingstberg bei Helmstedt. Studien zu einem Gräberfeld der römischen Kaiserzeit bis Völkerwanderungszeit (Braunschweig 1991)“. Nachr. Niedersachsen Urgesch. 62, 1993, 357–359. Rez. zu: „W. H. Zimmermann, Die Siedlungen des 1. bis 6. Jahrhunderts nach Christus von Flögeln-Eekhöltjen, Niedersachsen: die Bauformen und ihre Funktionen (Oldenburg 1992)“. Nachr. Niedersachsen Urgesch. 63, 1994, 151–153. Rez. zu: „Beiträge zur keltisch-germanischen Besiedlung im Mittelgebirgsraum. Internationales Kolloquium, 15. –17. Mai 1990 in Weimar (Stuttgart 1992)“. Germania 73, 1995, 208–211. Rez. zu: „C. Dobiat (Hrsg.), Festschrift für Otto-Herman Frey zum 65. Geburtstag (Marburg 1994)“. Nachr. Niedersachsen Urgesch. 65 (1), 1996, 196–200. Rez. zu: „W. Adler, Studien zur germanischen Bewaffnung. Waffenmitgabe und Kampfesweise im Niederelbegebiet und im übrigen Freien Germanien um Christi Geburt (Bonn 1993)“. Nachr. Niedersachsen Urgesch. 66 (1), 1997, 323–324. Rez. zu: „E. Patek, Westungarn in der Hallstattzeit (Weinheim 1993)“. Acta Praehist. et Arch. 29, 1997, 174–175. Rez. zu: „R. Cordie-Hackenberg/A. Haffner, Das keltisch-römische Gräberfeld von WederathBelginum. 5. Gräber 1818–2472, ausgegraben 1978, 1981–1985. Mit Nachträgen zu Bd. 1–4 (Mainz 1997)“. Trierer Zeitschr. 61, 1998, 438–440. Rez. zu: „R. Woł~giewicz, Lubowidz. Ein birituelles Gräberfeld der Wielbark-Kultur aus der Zeit vom Ende des 1. Jhs. v. Chr. bis zum Anfang des 3. Jhs. n. Chr. (Kraków 1995)“. Germania 77, 1999, 814–822. Rez. zu: „J. Jaskanis, Cecele. Ein Gräberfeld der Wielbark-Kultur in Ostpolen (Kraków 1996)“. Germania 77, 1999, 814–822. Rez. zu: „T. D~browska, Kamie¾czyk. Ein Gräberfeld der Przeworsk-Kultur in Ostmasowien (Kraków 1997)“. Germania 77, 1999, 814–822. Rez. zu: „M. Pietrzak, Pruszcz Gda¾ski. Fundstelle 10. Ein Gräberfeld der Oksywie- und Wielbark-Kultur in Ostpommern (Kraków 1997)“. Germania 77, 1999, 814–822.
Von Rosemarie Müller betreute Magisterarbeiten und Dissertationen Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Abgeschlossene Diplomarbeiten Sigrid Schacht, Die Nordischen Hohlwulste der frühen Eisenzeit 1977. Publiziert als: Die Nordischen Hohlwulste der frühen Eisenzeit. Wiss. Beitr. Martin-Luther-Univ. Halle-Wittenberg, 1982/68 (L18) (Halle[Saale] 1982). Eberhard Bönisch, Die jüngstbronzezeitliche Gräbergruppe auf dem Gräberfeld II der Lausitzer Kultur von Saalhausen, Kr. Senftenberg. 1983. Reiner Fenske, Ein Gräberfeld der vorrömischen Eisenzeit von Cosa, Kr. Neubrandenburg. 1983. Publiziert als: Cosa. Ein Gräberfeld der vorrömischen Eisenzeit im Kreis Neubrandenburg. Beitr. Ur- u. Frühgesch. Bez. Rostock, Schwerin u. Neubrandenburg 19 (Berlin 1986). Thomas Stolle, Die Besiedlung des unteren Wippertales im Zeitraum vom Neolithikum bis zur Völkerwanderungszeit. 1983. Publiziert als: Zur bodendenkmalpflegerischen Betreuung der Gemarkung Bilzingsleben, Kr. Artern. Jahresschr. mitteldt. Vorgesch. 69, 1986, 169–203. K. Beck, Archäologisch-historische Untersuchungen zur Stellung des Elbe-Havel-Mündungsgebietes während der frühen Römischen Kaiserzeit. 1986. Rüdiger Voss, Studien zur Technologie der Teer- und Pechherstellung anhand der slawischen Keramik mit Teer- und Pechverkrustungen vom 7.–12. Jh. in Mecklenburg. 1986. Frank Wietrzichowski, Die Sukower Gruppe in ihrer Verbreitung und Entwicklung zwischen unterer Elbe und unterer Oder. 1986. Jens May, Studien zu Riemenschnallen der späten Römischen Kaiserzeit. 1989. Günther Seier, Beobachtungen an bronzezeitlichen Hortfunden unter besonderer Berücksichtigung von Horten der Periode VI (Montelius) zwischen Elbe und Oder. 1992. Johannes Wien, Die Ur- und Frühgeschichtsforschung in der DDR. 1992. Bertram Faensen, Die germanische Keramik einer Lehmgrube der Siedlung Mahlstedt, Landkreis Oldenburg. 1993.
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Von Rosemarie Müller betreute Magisterarbeiten und Dissertationen
Georg-August-Universität Göttingen Abgeschlossene Examensarbeiten Dissertationen Wolf-Rüdiger Teegen, Der Pyrmonter Brunnenfund. WS 1995/96. Publiziert als: Studien zu dem kaiserzeitlichen Quellopferfund von Bad Pyrmont. RGA2 Ergbd. 20 (Berlin, New York 1999). Maren Siegmann, Bunte Pracht. Die Perlen der frühmittelalterlichen Gräberfelder von Liebenau und Dörverden. WS 1999/2000. Publiziert als: Bunte Pracht – Die Perlen der frühmittelalterlichen Gräberfelder von Liebenau, Kreis Nienburg/Weser und Dörverden, Kr. Verden/Aller. Chronologie der Gräber, Entwicklung und Trageweise des Perlenschmucks, Technik der Perlen. Beitr. Ur- u. Frühgesch. Mitteleuropa 28,1–5 (Weissbach 2002–2006). Helge Jarecki, Zur Siedlungsgeschichte des unteren Unstruttales. Ein Beitrag zur Erforschung großflächiger Fundlandschaften am Beispiel der ICE-Trasse Erfurt-Halle/Leipzig. WS 2005/06. Unpubl. Diss. Göttingen 2006.
Magisterarbeiten Ina Boike, Hirschdarstellungen der Latène- und Römischen Kaiserzeit in Mittel- und Nordeuropa. SS 2003. In Vorb. für: Arbeits- u. Forschber. Sächs. Bodendenkmalpfl. Freia Hein, Die Bewertung von Pfahlbausiedlungen im Bereich des Federsees – eine forschungsgeschichtliche Bestandsaufnahme und Analyse. SS 2003. Johanna Nolte, Die ehemalige Königsberger Bernsteinsammlung in der Universität Göttingen – Archäologisches Fundmaterial – Bestandsaufnahme und Interpretation. SS 2003. In Vorb. für: Arbeits- u. Forschber. Sächs. Bodendenkmalpfl. 46, 2004, S. 63–113. Esther Wesely, Das Gräberfeld der Lausitzer Kultur von Klein-Priebus. SS 2002. Publiziert als: E. M. Wesely-Arents, Das Gräberfeld der Lausitzer Kultur bei Bucze (Fundortbezeichnung Klein-Priebus) an der Neiße. Arbeits- u. Forschungsber. Sächs. Bodendenkmalpfl. 45, 2003, 135–196. Christian Friedrich, Die augusteische Siedlung von Zachow, Kr. Havellandkreis. WS 2003/04. Kai-Uwe Reck, Siedlungen der Römischen Kaiserzeit im Braunschweiger Land. SS 2004. Mariana Gisler-Bottaro, Hausurnen in Skandinavien. WS 2005/06. Caroline Bleckmann, Burnhaupt-le Bas und Eguisheim- zwei schnurkeramische Siedlungen im Elsaß und ihre Stellung im Endneolithikum der südlichen Oberrheinebene. WS 2005/06. Stefanie Thews, Runeninschriften auf Grabbeigaben der Merowingerzeit in Südwestdeutschland. WS 2006.
Von Rosemarie Müller betreute Magisterarbeiten und Dissertationen
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David Bergemann, Römischer Metallimport (1.–3. Jh.) in germanischen Siedlungen aus Niedersachsen und Bremen. WS 2006. Katrin Guderian, Das Gräberfeld der Lausitzer Kultur von Liebersee, Kr. Torgau in Sachsen, nach Grabungsergebnissen aus den Jahren 1978 bis 1984. SS 2006. Judith Stauch, Die Lichtensteinhöhle im Harz- Archäologisch-anthropologische Untersuchungen anhand isolierter Skelettreste eines Individuums mit Trepanation aus einem bronzezeitlichen Skelettkollektiv. SS 2006.
In Vorbereitung befindliche Dissertationen Sonja Funke, Altenwalde, Ldkr. Cuxhaven. Die zeitliche und kulturelle Stellung des Gräberfeldes im Umfeld des Nordseeküstenbereiches während der späten römischen Kaiserzeit und der frühen Völkerwanderungszeit. Gisela Wolf, Magdalensberg – Zur Nutzung pflanzlicher Ressourcen und zur Ernährung in einer ostalpinen Zentralsiedlung am Übergang vom Regnum Noricum zum Imperium Romanum (Arbeitstitel). Esther Wesely-Arents, Studien zu Chronologie und Besiedlung der Lausitzer Kultur in Sachsen auf der Grundlage des Gräberfeldes von Liebersee (Arbeitstitel).
Nachwort der Herausgeber Am 6.12.2001 hat Rosemarie Müller ihren 60. Geburtstag gefeiert. Die Herausgeber möchten mit dieser Festschrift die Verbundenheit mit der Kollegin, Lehrerin und Freundin zum Ausdruck bringen. Rosemarie Müller stammt aus Halle a. d. Saale, wo sie 1960 Abitur gemacht und mit dem Studium an der Martin-Luther-Universität begonnen hat. Zunächst studierte sie Geschichte, ab 1962 dann Ur- und Frühgeschichte bei Friedrich Schlette, bis sie wegen „faschistisch-klerikaler Einstellung“ zwangsexmatrikuliert und zu einem Jahr Fabrikarbeit verpflichtet wurde. Erst im Sommersemester 1964 konnte sie das Studium der Vor- und Frühgeschichte am Institut für Prähistorische Archäologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena bei Gotthard Neumann wieder fortsetzen. Dessen umfassende Sicht und weit gespannte Interessen, die sich in Publikationen zu nahezu allen Epochen niedergeschlagen haben, müssen die wißbegierige junge Studentin tief beeindruckt haben. Aber da zu dieser Zeit die deutsch-deutsche Grenze den Blick auf die europäische Vorgeschichte bereits spürbar eingeschränkt hatte, wurde Jena zusehends zu einem Schwerpunkt der Eisenzeitforschung. Mit dieser sind zwei Fundorte verbunden, die bis heute „Kultstatus“ haben: Großromstedt und die Steinsburg. Großromstedt, das mit über 600 Inventaren bis heute größte spätlatènezeitliche Gräberfeld Mitteldeutschlands befand sich seit seiner Entdeckung zum allergrößten Teil in der ur- und frühgeschichtlichen Universitätssammlung, die damit über ein einmaliges Anschauungsmaterial verfügte. Die Steinsburg auf dem Kleinen Gleichberg, das einzige „Oppidum“ auf dem Boden der ehemaligen DDR, unterstand nicht nur der denkmalpflegerischen Aufsicht von G. Neumann, sondern war auch integraler Kern seiner Siedlungsforschungen in Thüringen. Dieser genius loci weckte bei Rosemarie Müller das Interesse an der mitteldeutschen Eisenzeit und deren spezieller Problematik, der keltisch-germanischen Ethnizität des sogenannten „Kontaktgebietes“ der Mittelgebirgszone, ein Interesse, in dem sie auch vom damaligen Assistenten Karl Peschel unterstützt wurde. Zunächst entstand jedoch im Rahmen von G. Neumanns Siedlungsforschungen ihre Diplomarbeit über „Die bronze- und spätlatènezeitlichen Funde von der Alteburg bei Arnstadt, Bez. Erfurt“, die sie 1966 abschloß und die 1969 in der Zeitschrift Alt-Thüringen erschien. Nach einem sozialen Jahr
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1966–67 folgte eine kurze Anstellung ab Juli 1967 im Schloßmuseum Zeitz, bis Rosemarie Müller im WS 1968/69 als Assistentin wieder an das Institut für Vor- und Frühgeschichte der Universität Halle zurückkehrte, wo sie, zunächst unter Friedrich Schlette, ab 1980 unter Joachim Preuß bis zum Sommersemester 1992 tätig blieb. Das Hallenser Institut mit seinem Sitz im Landesmuseum für Vorgeschichte mit dessen reichen Beständen bot der jungen Wissenschaftlerin den besten Einblick in die Eisenzeit im „Mittelelbe-Saalegebiet“, in etwa dem heutigen Sachsen-Anhalt. Es bot sich an, Material aus diesem Kulturkomplex zum Thema einer Dissertation zu machen, die Verteidigung der Dissertation zu den latènezeitlichen Grabfunden fand 1980 statt. Diese Arbeit wurde 1985 in erweiterter und völlig überarbeiteter Form unter dem Titel „Die Grabfunde der Jastorf- und Latènezeit an unterer Saale und Mittelelbe“ in den Veröffentlichungen des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle publiziert. Bereits Anfang der 1980er Jahre begann Rosemarie Müller mit der Aufarbeitung von eisenzeitlichem Siedlungsmaterial – einem weiteren Desiderat der mitteldeutschen prähistorischen Archäologie. Im Mittelpunkt ihres Interesses standen die latènezeitlichen Siedlungen, deren Forschungsstand im Unterschied zu demjenigen der älteren Eisenzeit weit schlechter war, obwohl gerade dieses Material unerläßlich war für die Beurteilung der ethnischen Problematik der Mittelgebirgszone. Den Anfang machte die Vorlage der Funde und Befunde der spätlatènezeitlichen Siedlung von Kleinkayna, Kr. Merseburg 1983. Wie der Titel „Latènezeitliche Siedlungen im Saale Elbe Gebiet. 1. Schönburg, Kreis Naumburg“ einer 1987 erschienenen Monographie andeutete, hatte Rosemarie Müller geplant, das gesamte latènezeitliche Siedlungsmaterial des Mittelelbe-Saalegebietes katalogmäßig vorzulegen. Durch die deutsche Wiedervereinigung ist es dazu nicht mehr gekommen. Den vorläufigen Abschluß dieser Forschungen bildete die von Rosemarie Müller und Hermann Parzinger 1992 organisierte internationale Arbeitstagung „Die ältere Eisenzeit im Mittelgebirgsraum“, deren Ergebnisse in den Berichten der Römisch-Germanischen Kommission vorgelegt wurden. Sie selbst steuerte dazu einen Beitrag zum Gräberfeld von Halle-Trotha und der „halleschen Kultur der frühen Eisenzeit“ bei. In jüngerer Zeit verlagerte sich ihr Interesse u. a. auf den kulturellen Austausch anhand der Haus- und Gesichtsurnen, auf die germanische Bewaffnung sowie auf forschungsgeschichtlichen Fragen. In ihren Beiträgen zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde nahm sie zu zahlreichen Aspekten der vorrömischen Eisenzeit Stellung. Genannt seien nur die umfangreichen Stichworte „Fibel“, „JastorfKultur“ und „Nadel“. Ein wichtiges Anliegen waren und sind ihr seit Jahrzehnten die Kontakte nach Osten, insbesondere nach Polen, den Baltischen
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Staaten und Tschechien. Um den wissenschaftlichen Austausch zu fördern, verfaßte sie eine Reihe von Rezensionen polnischer Veröffentlichungen und bearbeitet seit einigen Jahren ins Deutsche übertragene polnische und baltische Monographien. Nachdem Rosemarie Müller, die sich 1991 in Halle mit der Arbeit „Zur Besiedlung Mitteldeutschlands im ersten Jahrtausend v. Chr. – vor dem Zeugnis historischer Namen“ habilitiert hatte, am 15. Juli 1992 in Göttingen ihre Stelle an der Akademie der Wissenschaften als Leiterin der Arbeitsstelle zur Herausgabe des Reallexikons der Germanischen Altertumskunde antrat, setzte sie auch ihre Lehrtätigkeit am Seminar für Ur- und Frühgeschichte an der Georg-August-Universität Göttingen fort. 1995 ist sie an die Philosophische Fakultät der Georgia Augusta umhabilitiert worden. Rosemarie Müller ist korrespondierendes Mitglied der Römisch-Germanischen Kommission, Mitglied in der Archäologischen Kommission für Niedersachsen und in der Kommission zur Erforschung von Sammlungen Archäologischer Funde und Unterlagen aus dem nordöstlichen Mitteleuropa (KAFU/SMPK Berlin). In jedem dieser Aufgabenbereiche versucht Rosemarie Müller, einen ganzheitlichen Blick auf die Ur- und Frühgeschichte zu werfen bzw. zu vermitteln. Diese Intention haben die Herausgeber versucht sich zu eigen und durch den Titel Studien zur Lebenswelt der Eisenzeit kenntlich zu machen. Der vorliegende Band möchte sich dieser Lebenswelt von einem kulturwissenschaftlichen Ansatzpunkt aus nähern. Freilich können diese Versuche nur ausgewählte Aspekte abdecken. Wir danken allen Autorinnen und Autoren für die Mitarbeit an diesem Band und dem Herausgeberkollegium des Reallexikons der germanischen Altertumskunde für die Aufnahme als Ergänzungsband. Ebenso gilt unser Dank dem Verlag Walter de Gruyter für die Aufnahme des Bandes in das Verlagsprogramm.
Sabine Rieckhoff, Wolf-Rüdiger Teegen und Heiko Steuer