I Zwischen Spätantike und Frühmittelalter
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Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde Herausgegeben von Heinrich Beck, Dieter Geuenich, Heiko Steuer
Band 57
Walter de Gruyter · Berlin · New York
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Zwischen Spätantike und Frühmittelalter Archäologie des 4. bis 7. Jahrhunderts im Westen
Herausgegeben von Sebastian Brather
Walter de Gruyter · Berlin · New York
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Ü Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt
ISBN 978-3-11-020049-2 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
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Inhalt Sebastian Brather Archäologie des 4. bis 7. Jahrhunderts im Westen. Einführung
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1. Geschichte und Archäologie Walter Pohl Spuren, Texte, Identitäten. Methodische Überlegungen zur interdisziplinären Erforschung frühmittelalterlicher Identitätsbildung
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Michael Kulikowski Wie Spanien gotisch wurde. Der Historiker und der archäologische Befund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Philipp von Rummel Ambrosius, Julianus Valens und die „gotische Kleidung“. Eine Schlüsselstelle historisch-archäologischer Interpretation . . . .
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2. Von der Spätantike zum Frühmittelalter Hubert Fehr Germanische Einwanderung oder kulturelle Neuorientierung? Zu den Anfängen des Reihengräberhorizontes . . . . . . . . . . . .
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Guy Halsall Gräberfelduntersuchungen und das Ende des römischen Reichs . . . 103 Bonnie Effros Auf der Suche nach Frankreichs ersten Christen. Camille de la Croix und die Schwierigkeiten eines Klerikers als Archäologe im späten 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
3. Archäologie der gentes Michel Kazanski, Anna Mastykova, Patrick Périn Westgoten in Nordgallien aus Sicht der Archäologie. Zum Stand der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
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Inhalt
Antonel Jepure Interpretationsprobleme der Westgotenarchäologie. Zurück zu den Altgrabungen anhand bisher unausgewerteter Dokumentationen . .
193
Claudia Theune Methodik der ethnischen Deutung. Überlegungen zur Interpretation der Grabfunde aus dem thüringischen Siedlungsgebiet 211
4. Bestattung und Identität Sebastian Brather Kleidung, Bestattung, Ritual. Die Präsentation sozialer Rollen im frühen Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Eva Stauch Alter ist Silber, Jugend ist Gold! Zur altersdifferenzierten Analyse frühgeschichtlicher Bestattungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
275
Karen Høilund Nielsen Stil II als Spiegel einer Elitenidentität? Der Tierstil von der Herkunftsmythologie bis zur Königssymbolik und Kirchenkunst im angelsächsischen Britannien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
297
Lyn Blackmore Schätze eines angelsächsischen Königs von Essex. Die Funde aus einem Prunkgrab von Prittlewell und ihr Kontext . . . . . . . .
323
5. Handwerk und Austausch Hans-Ulrich Voß Fremd – nützlich – machbar. Römische Einflüsse im germanischen Feinschmiedehandwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Jörg Drauschke Zur Herkunft und Vermittlung „byzantinischer Importe“ der Merowingerzeit in Nordwesteuropa . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Sebastian Brather Zwischen Spätantike und Frühmittelalter. Zusammenfassung . . . .
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Anhang Die Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 Orte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476
Zwischen Spätantike und Frühmittelalter – RGA-E Band 57 – Seiten 1–9 Archäologie bis 7. Jahrhunderts im Westen © 2008 Walter de Gruyter · Berlin · des New4.York
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Archäologie des 4. bis 7. Jahrhunderts im Westen Einführung Sebastian Brather Archäologische und historische Untersuchungen zu Gruppen und Identitäten im frühen Mittelalter befinden sich seit einigen Jahren in einem Paradigmenwechsel. Lange Zeit prägten nationale Perspektiven die Ansätze und bohrende Fragen nach „den Ursprüngen“. Der Versuch einer möglichst strikten, idealtypischen Trennung zwischen „Germanen“ und „Romanen“ hat darin seine wesentliche Ursache. Inzwischen beginnt eine andere Perspektive in den Mittelpunkt zu rücken. Statt des Trennenden wird nun die gemeinsame Lebenswelt in Spätantike und frühem Mittelalter analysiert, werden die zeitgenössischen Verhältnisse, ihre Wahrnehmung und ihre Veränderungen untersucht. Wie sich neue politische und soziale Strukturen herausbildeten, auf welche Weise neue Identitäten an die Stelle bisheriger, sich auflösender Zuordnungen traten, ist nun von zentralem Interesse. Nicht Römer oder Germanen, sondern ganze Bevölkerungen unterschiedlicher individueller Herkunft hatten Anteil an einer Entwicklung, die (mit dem Titel eines Forschungsprogramms der European Science Foundation der 1990er Jahre) als „Transformation der römischen Welt“ beschrieben werden kann. Dieser neue Ansatz bezieht seine Anregungen aus veränderten Forschungsinteressen (die wiederum von gegenwärtigen politischen und sozialen Entwicklungen beeinflusst sind). Eingehende historische und soziologische Untersuchungen haben zeigen können, dass ethnische Gruppen weder die grundlegende Form sozialer Organisation noch eine legitimatorische, alle übrigen Zuordnungen überwölbende „Letztinstanz“ darstellten. Sie waren vielmehr flexibel und situationsabhängig, sie wandelten sich ständig und konnten von fremden Beobachtern nur vage beschrieben werden, ohne dass diese ein eingehendes Verständnis für die ihnen fremde Welt gewannen. Zunehmend interessiert sich die aktuelle Forschung für die Bedingungen, die diese Gruppen erst formten, und für deren vielfältige Binnenstrukturen. Es wächst das wissenschaftliche Verständnis dafür, dass sich einerseits die germanischen Barbarengruppen erst in der Konfrontation mit dem Imperium formierten und dass sie andererseits eine Form so-
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Sebastian Brather
zialer Zuordnung neben zahlreichen anderen darstellten. Deshalb werden nun die politischen Veränderungen des 5. und 6. Jahrhunderts als Neuformierungen aufgefasst, die in peripheren Regionen des Imperiums neue soziale Identitäten ausbildeten, da bisherige, auf Rom zielende Zuschreibungen angesichts von dessen „Niedergang“ ihre Bindungskraft eingebüßt hatten. Diese Neuformierungen verwandelten ganze Gesellschaften.1 Diesen inhaltlichen und methodischen Neuerungen stehen zurzeit verschiedene Richtungen archäologischer Forschung gegenüber. Aufgrund unterschiedlicher Konzepte und Traditionen, aber auch aus rein forschungspraktischen Gründen lassen sich drei zentrale Ansätze innerhalb der Frühmittelalterarchäologie unterscheiden: 1. Eine erste, „kulturhistorische“ Richtung konzentriert sich auf die Untersuchung von Bestattungen, der sogenannten „Reihengräberfelder“ des 5. bis 7. Jahrhunderts. Dabei gilt das Interesse den Grabausstattungen und der Grabarchitektur sowie deren Herleitung von unterschiedlichen Vorbildern. Besondere Beachtung finden häufig Reichtumsunterschiede und die Herkunft von Individuen. Damit steht die Unterscheidung von arm und reich sowie von Einheimischen und Fremden im Mittelpunkt.2 2. Eine zweite Richtung beschäftigt sich mit Siedlungsstrukturen, Handwerk und Austausch. Im Mittelpunkt stehen dabei wirtschaftliche Aspekte und das alltägliche Leben. Interpretationen setzen bei strukturellen Zusammenhängen an und betonen die Rolle latenter Beeinflussungen. Daher sind weniger kulturelle Besonderheiten als vielmehr
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Vgl. Sebastian Brather, Ethnische Interpretationen in der frühgeschichtlichen Archäologie. Geschichte, Grundlagen und Alternativen. Reallexikon der germanischen Altertumskunde, Ergänzungsband 42 (Berlin, New York 2004); Bonnie Effros, Merovingian Mortuary Archaeology and the Making of the Early Middle Ages. The transformation of the classical heritage 35 (Berkeley 2003); Hubert Fehr, Germanen und Romanen im Merowingerreich. Frühgeschichtliche Archäologie zwischen Wissenschaft und Zeitgeschichte, phil. Diss. (Freiburg 2003); Guy Halsall, The origins of the Reihengräberzivilisation. Fourty years on. In: Fifth-century Gaul. A crisis of identity?, ed. John F. Drinkwater/Hugh Elton (Cambridge 1992) 196–207; ders., Archaeology and the late Roman frontier in Gaul. The so-called Foederatengräber reconsidered. In: Grenze und Differenz im früheren Mittelalter, hrsg. Walter Pohl/Helmut Reimitz. Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 1 = Österreichische Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl. Denkschrift 287 (Wien 2000) 167–180. Max Martin, Zum archäologischen Aussagewert frühmittelalterlicher Gräber und Gräberfelder. Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 59, 2002, 291–306; Bonnie Effros, Merovingian mortuary archaeology and the making of the early middle ages. The transformation of the classical heritage 35 (Berkeley 2003); Heiko Steuer, Frühgeschichtliche Sozialstrukturen in Mitteleuropa. Eine Analyse der Auswertungsmethoden des archäologischen Quellenmaterials. Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften Göttingen, phil.-hist. Kl., 3. Folge 128 (Göttingen 1982) 474–477, 487–494.
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funktionale Zusammenhänge, d. h. wirtschaftliche Bedingungen und Verhältnisse von Interesse.3 3. Eine dritte Perspektive lässt sich mit der englischsprachigen cognitive archaeology verbinden. Ihr geht es um die Rolle der Sachkultur für den Zusammenhalt und die Abgrenzung sozialer Gruppen. Dieser Aspekt führt zu Fragen nach (materiellen) Symbolen und deren Bedeutung für Identitätskonstruktionen. Das Hauptaugenmerk ist auf Repräsentationen und Rituale gerichtet, von denen auf zeitgenössische Bedeutungen und Absichten geschlossen wird.4 Diese Situation ist in mehrfacher Hinsicht unbefriedigend, weil keine Perspektive für sich genommen zu schlüssigen Resultaten führen kann. Den offensichtlich komplexen historischen Verhältnissen ist nur mit einem möglichst breitgefächerten Ansatz beizukommen, wozu die genannten Perspektiven nicht neben-, sondern miteinander verfolgt werden müssen.5 Hinzu treten neue, bislang vernachlässigte Aspekte: – neben die Unterscheidungen von „arm“ und „reich“ sowie „fremd“ und „einheimisch“ soziale Differenzierungen von Lokalgesellschaften nach Alter und Geschlecht, Religion, Familie und Profession6; – neben die Differenzierung zwischen einheimischer Produkten und „Importen“ Fragen nach wirtschaftlichen Voraussetzungen und Rohstoffverarbeitung, technischem know how und Produktionsorganisation7;
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Vgl. etwa Falko Daim, „Byzantinische“ Gürtelgarnituren des 8. Jahrhunderts. In: Die Awaren am Rand der byzantinischen Welt. Studien zu Diplomatie, Handel und Technologietransfer im Frühmittelalter, hrsg. ders. Monographien zur Frühgeschichte und Mittelalterarchäologie 7 (Innsbruck 2000) 77–204. Vgl. etwa Frans Theuws/Monica Alkemade, A kind of mirror for men. Sword depositions in late antique northern Gaul. In: Rutuals of power. From late antiquity to the early middle ages, ed. Frans Theuws/Janet L. Nelson. Transformation of the Roman world 8 (Leiden, Boston, Köln 2000) 401–476. Frank Siegmund/Andreas Zimmermann, Konfrontation oder Integration? Ein Kommentar zur gegenwärtigen Theoriediskussion in der Archäologie. Germania 78, 2000, 179–191. Steuer, Frühgeschichtliche Sozialstrukturen (Anm. 2) 472–474, 477–487, 498–501; Sebastian Brather, Kleidung und Identität im Grab. Gruppierungen innerhalb der Bevölkerung Pleidelsheims zur Merowingerzeit. Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 32, 2004 (2005) 1–58. Hans-Ulrich Voß/Peter Hammer/Joachim Lutz, Römische und germanische Bunt- und Edelmetallfunde im Vergleich. Archäometallurgische Untersuchungen ausgehend von elbgermanischen Körpergräbern. Bericht der Römisch-Germanischen Kommission 79, 1998 (1999) 107–382; Daim, „Byzantinische“ Gürtelgarnituren (Anm. 3); Jörg Drauschke, Zwischen Handel und Geschenk. Studien zur Distribution von Waren im östlichen Merowingerreich des 6. und 7. Jahrhunderts anhand orientalischer und lokaler Produkte, phil. Diss. (Freiburg 2005).
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– neben die Analyse von Ornamenten und Stilen sowie deren regionaler Herleitung Fragen nach Ritualen und Handlungen im sozialen Kontext sowie deren Überresten in Bestattungen.8 Außerdem bedarf es intensiver methodischer Reflexion und einer detaillierten Wahrnehmung des aktuellen internationalen Forschungsstandes nicht nur innerhalb der Archäologie, sondern auch in benachbarten Fächern – den veränderten, nicht mehr auf „germanische Völker“ und „Staaten“ fixierten Interessen der Geschichtswissenschaft ebenso wie neuen Methoden anthropologischer Alters- und Verwandtschaftsanalyse. Neuansätze und Forschungsstrategien gebündelt zu diskutieren, ist angesichts dessen ein aktuelles Erfordernis – gerade angesichts in der interessierten Öffentlichkeit breit rezipierter Ausstellungen wie „Die Bajuwaren“ in München9, „I Longobardi“ in Cividale und Udine10, „I Goti“ in Mailand11, „Die Ostgoten“ in Bevern12, „Die Franken“ in Mannheim und Berlin13, „Die Alamannen“ in Stuttgart und Zürich14, „Die Vandalen“ in Bevern und Warschau15. Unter diesen Voraussetzungen fand vom 27. bis 29. April 2005 eine internationale Tagung in Freiburg statt.16 Eingeladen hatte das Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters der Albert-Ludwigs-Universität. Die Tagung unter dem Titel „Gräber, Siedlungen und Identitäten. Das 4. bis 7. Jahrhundert im Westen“, deren Beiträge in diesem Band vorgelegt werden, verfolgte drei einander ergänzende Ziele. Sie sollte
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Guy Halsall, Burial writes. Graves, texts and time in early Merovingian northern Gaul. In: Erinnerungskultur im Bestattungsritual. Archäologisch-historisches Forum, hrsg. Jörg Jarnut/Mathias Wemhoff. MittelalterStudien 3 (München 2003) 61–74; Sebastian Brather, Bestattungsrituale zur Merowingerzeit. Frühmittelalterliche Reihengräber und der Umgang mit dem Tod. In: Körperinszenierung, Objektsammlung, Monumentalisierung. Totenritual und Grabkult in frühen Gesellschaften. Archäologische Quellen in kulturwissenschaftlicher Perspektive, hrsg. Christoph Kümmel/Beat Schweizer/Ulrich Veit. Tübinger archäologische Taschenbücher 6 (Münster u. a. 2007) 161–187. Die Bajuwaren. Von Severin bis Tassilo 488–788, hrsg. Hermann Dannheimer/Heinz Dopsch (München 1988). I Longobardi, ed. Gian Carlo Menis (Milano 1990). I Goti (Milano 1994). Schätze der Ostgoten (Stuttgart 1995). Die Franken. Wegbereiter Europas 1–2 (Mainz 1996). Die Alamannen (Stuttgart 1997). Die Vandalen. Die Könige, die Eliten, die Krieger, die Handwerker (Nordstemmen 2003). Tagungsbericht: Michaela Jansen/Raimar W. Kory, Gräber, Siedlungen und Identitäten. Das 4. bis 7. Jahrhundert im Westen. Internationale Tagung vom 27. bis 30. April 2005 an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 34, 2006, 339–343.
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1. die genannten „Richtungen“ der Archäologie zusammenführen: Forschungen zu Bestattungen und Ritual, zu Siedlungen und Technologien, zu Gruppen und Identitäten. Die Diskussion über die „Richtungsgrenzen“ hinweg zeigt, dass gleiche Beobachtungen unterschiedlich interpretiert werden können – und monokausale Erklärungen unzureichend sind. Es ist daher das Verständnis für konkurrierende und dennoch gleichermaßen plausible Interpretationen sowie für die Komplexität historischer Entwicklungen zu stärken. 2. Vertretern der deutsch-, englisch- und französischsprachigen Forschung – angesichts einer bislang unzureichenden gegenseitigen Wahrnehmung – einen intensiven Austausch ermöglichen. Jeweils spezifische Forschungsinteressen und -ansätze gilt es einander näherzubringen, um sowohl die eigenen Defizite als auch die Chancen besser zu erkennen, die andere Ansätze bieten. Der vermeintlich große Abstand zwischen sorgfältiger antiquarischer Analyse auf dem Kontinent und ausgreifen den theoretischen Modellen im englischsprachigen Raum lässt sich dabei überbrücken. 3. die Ergebnisse archäologischer Forschungen einerseits erweitern und andererseits „kontrollieren“, indem Naturwissenschaftler und Historiker in die Diskussion einbezogen waren. Anthropologische Untersuchungen ermöglichen zunehmend Aussagen zu Alter, Verwandtschaft und Herkunft, Materialanalysen geben Aufschluss über Herstellung und Handelsbeziehungen, und althistorische wie mediävistische Studien erhellen das politische Umfeld. Eine methodische Grundsatzdebatte kann dazu beitragen, konzertierte Anstrengungen zur Beantwortung gegenwärtiger Forschungsfragen zu unternehmen. Damit sollte eine übergreifende, international angelegte Diskussion zwischen unterschiedlichen Richtungen innerhalb der frühgeschichtlichen Archäologie weiter angeregt werden, die zugleich unmittelbar beteiligte Nachbardisziplinen und deren aktuelle Interpretationsmodelle einbezieht. Nur so lässt sich bisher Erreichtes bewerten und können inhaltliche wie methodische Perspektiven im internationalen Vergleich formuliert werden. Auf diese Weise lässt sich beurteilen, in wieweit bislang verfolgte Ansätze zusammengeführt werden können und in welchen Fällen nach neuen Interpretationen gesucht werden muss. Um die angestrebte Vernetzung zu erreichen, waren drei Sektionen mit jeweils einem spezifischen Themenschwerpunkt vorgesehen, die „quer“ zu den genannten Forschungsrichtungen und den Zielen der Tagung angelegt waren. Die erste Sektion beschäftigte sich mit Kleidung, Grabausstattung und Bestattungsritual, um die Vielfalt sozialer Faktoren zu beschreiben, die zu einem archäologischen Grabfund führen. Die zweite
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Sektion konzentrierte sich auf strukturelle Zusammenhänge von Siedlung, Produktion und Austausch sowie deren mögliche Rückwirkungen auf bzw. Verbindungen mit regionalen Identitäten. In der dritten Sektion wurden Symbole und Identitäten erörtert sowie unter expliziter Einbeziehung von Geschichtswissenschaft und Anthropologie wechselseitige methodische Berührungen diskutiert. Die Sektionen waren thematisch ausgerichtet, um zunächst intensive Diskussionen über verschiedene Problemkreise (Gräber; Siedlungen; Identitäten) – jedoch unter internationalem Blickwinkel – zu ermöglichen. In jeder Sektion und in der übergreifenden Debatte wurden dann unterschiedliche, bislang oft separierte Ansätze verglichen und auf dieser Grundlage Forschungsperspektiven zu skizzieren versucht. In dem vorliegenden Band sind die Beiträge neu geordnet, wofür es inhaltliche und pragmatische Gründe gibt. Sie bilden nun fünf Gruppen, die inhaltlich eng zusammengehören. Am Beginn stehen sowohl grundsätzliche als auch an Beispielen orientierte Überlegungen zum Verhältnis schriftlicher und archäologischer Quellen und dazu, was dieses Verhältnis für interdisziplinäre Untersuchungen bedeutet (1). Daran schließen sich Studien zum „Übergang“ von der Spätantike zum frühen Mittelalter an, d.h. zur „Transformation“ der römischen Welt und ihrer Erforschung (2). Der nächste Abschnitt thematisiert Aspekte „ethnischer Interpretationen“ in der Archäologie, d.h. die Identifizierung von gentes, und nimmt auf methodische Probleme ebenso wie auf die jeweils vorhandenen Quellen bezug (3). Es folgen Studien zu Fragen der Identität und damit bewusster Selbstzuordnungen und -repräsentationen sozialer Gruppen, wie sie sich anhand von Bestattungen rekonstruieren lassen (4). Damit verbunden sind naturwissenschaftliche Untersuchungen zu Alter und Verwandtschaft und dazu, wie Grabausstattungen darauf bezogen werden können. Am Schluss sind Aufsätze zusammengefasst, die sich mit Fragen von Handwerk und Austausch in der römischen Kaiserzeit und im frühen Mittelalter beschäftigen (5). Alle auf Englisch oder Französisch verfassten Beiträge wurden ins Deutsche übersetzt. Einige wenige in Freiburg vorgetragene Beiträge lagen für diesen Band leider nicht vor. Barbara Theune-Großkopfs Bericht über „Krieger und Apostel. Die Leier des 6. Jahrhunderts aus Trossingen und die frühmittelalterliche Bilderwelt“ ist ebenso bereits an anderer Stelle publiziert17 wie 17
Barbara Theune-Großkopf, Krieger oder Apostel – Bilderwelt im frühen Mittelalter. Eine vollständig erhaltene Leier aus Trossingen. In: Cum grano salis. Beiträge zur europäischen Vor- und Frühgeschichte. Festschrift Volker Bierbrauer, hrsg. Bernd Päffgen/Ernst Pohl/ Michael Schmauder (Friedberg 2005) 303–315; dies., Die vollständig erhaltene Leier des 6. Jahrhunderts aus Grab 58 von Trossingen, Ldkr. Tuttlingen, Baden-Württemberg. Germania 84, 2006, 93–142.
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Reto Martis Studie über „Siedlungsfunde als ‚Gegenprobe‘ zu den Befunden der Gräberarchäologie. Das Beispiel von Reinach in der Nordwestschweiz“.18 In anderer Form hat auch Frans Theuws seine Überlegungen zu „Late Roman weapon graves in northern Gaul and changing claims on land“ schon dargestellt.19 Für den Überblick Hans Ulrich Nubers zum spätantiken „Bevölkerungswechsel am Oberrhein. Geschichte und Archäologie“ sei auf seine Beiträge zum Begleitband der Baden-Württembergischen Landesausstellung 2005 „Imperium Romanum“ verwiesen,20 bezüglich der anthropologischen Übersicht Ursula Wittwer-Backofens zu „Sozialer Infrastruktur und genetischer Verwandtschaft aus anthropologischer Sicht“ auf das von ihr mitverfasste Handbuch der Anthropologie.21 Falko Daims Studien zur Herstellungstechnik awarenzeitlicher Gürtel finden sich zusammen mit Überlegungen, was sich über mögliche Motive der gewählten Produktionsverfahren und Verzierungen aussagen lässt, in einem Band zur Archäologie der Awaren.22 Dass diese Konferenz in Freiburg stattfand, ist kein Zufall. Die am Sonderforschungsbereich 541 „Identitäten und Alteritäten. Die Funktion von Alterität für die Konstitution und Konstruktion von Identität“23 Beteiligten 18
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Reto Marti, „Luteo operi, sine quo tamen non transigetur“. Frühmittelalterliche Keramik im Spiegel gesellschaftlicher und kulturräumlicher Veränderungen in der Nordwestschweiz. In: Hüben und drüben. Räume und Grenzen in der Archäologie des Frühmittelalters. Festschrift Max Martin, hrsg. Gabriele Graenert/Reto Marti/Andreas Motschi/Renata Windler. Archäologie und Museum 48 (Liestal 2004) 191–215. Frans Theuws, Grave goods, ethnicity, and the rhetoric of burial rites in late antique northern Gaul. In: Ethnic Constructs in Antiquity. The Role of Power and Tradition, ed. Ton Derks/Nico Roymans (im Druck). Hans Ulrich Nuber, Das Römische Reich (260–476 n. Chr.). In: Imperium Romanum. Römer, Christen, Alamannen. Die Spätantike am Oberrhein (Stuttgart 2005) 12–25; ders., Staatskrise im 3. Jahrhundert. Die Aufgabe der rechtsrheinischen Gebiete. In: Imperium Romanum. Roms Provinzen an Neckar, Rhein und Donau (Stuttgart 2005) 442–451. Gisela Grupe/Kerrin Christiansen/Inge Schröder/Ursula Wittwer-Backofen, Anthropologie. Ein einführendes Lehrbuch (Berlin, Heidelberg, New York 2005). Falko Daim, „Byzantinische“ Gürtelgarnituren des 8. Jahrhunderts. In: Die Awaren am Rand der byzantinischen Welt. Studien zu Diplomatie, Handel und Technologietransfer im Frühmittelalter, hrsg. ders. Monographien zur Frühgeschichte und Mittelalterarchäologie 7 (Innsbruck 2000) 77–204. Verwiesen sei hier auf folgende Tagungsbände: Grenzgänger zwischen Kulturen, hrsg. Monika Fludernik/Hans-Joachim Gehrke. Identitäten und Alteritäten 1 (Würzburg 1999); Wir, ihr, sie. Identität und Alterität in Theorie und Methode, hrsg. Wolfgang Eßbach. Identitäten und Alteritäten 2 (Würzburg 2000); Geschichtsbilder und Gründungsmythen, hrsg. Hans-Joachim Gehrke. Identitäten und Alteritäten 7 (Würzburg 2001); Zwischen Ausgrenzung und Hybridisierung. Zur Konstruktion von Identitäten aus kulturwissenschaftlicher Perspektive, hrsg. Elisabeth Vogel/Antonia Napp/Wolfram Lutterer. Identitäten und ALteritäten 14 (Würzburg 2003).
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konnten zwischen 1997 und 2003 erfahren, wie fruchtbar und anregend Diskussionen mit interessierten Kollegen anderer geisteswissenschaftlicher Disziplinen sein können – gerade auch mit jenen, auf die man im alltäglichen Geschäft nicht direkt zuginge, weil einem übereinstimmende Interessen nicht gegeben scheinen. Doch auch scheinbar abgelegene Themen vermögen der eigenen Forschung wichtige Anstöße zu vermitteln, weil sie auf mögliche Fragestellungen und alternative Forschungsstrategien aufmerksam machen. Sie lassen die eigenen Probleme nicht selten in neuem Licht erscheinen, und die Freiburger philosophische und philologische Fakultät haben damit besonders gute Erfahrungen. Ein weiterer Grund ist das gleichermaßen aufgeschlossene und diskussionsfreudige Klima am „Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters“ und innerhalb der gesamten Philosophischen Fakultät. Eine ganze Reihe von Freiburger Arbeiten spiegelt in ihren Ansätzen und Ergebnissen diese Atmosphäre deutlich wider und wäre ohne sie mitunter gar nicht entstanden. Heiko Steuer, der kaum vier Wochen vor Beginn der Tagung in den Ruhestand trat, hatte als Direktor des Instituts mehr als 20 Jahre lang für dieses Umfeld gesorgt – insbesondere im Hinblick auf die Archäologie der Merowingerzeit und damit auch auf das Thema dieser Tagung. Für dieses bleibende Verdienst gebührt ihm herzlicher Dank. Viele haben sich um die Tagung verdient gemacht, und deshalb sei Ihnen hier besonders gedankt: – den Referentinnen und Referenten, die sich zur Teilnahme unter vorgegebenen Rahmenbedingungen gewinnen ließen; – Philipp v. Rummel für die tatkräftige Unterstützung bei Planung, Organisation und Durchführung; – Regina Kirsten und den vielen studentischen Helfern, die hinter den Kulissen des „Hauses zur Lieben Hand“ den reibungslosen Ablauf gewährleisteten; – der Gerda-Henkel-Stiftung in Düsseldorf, die sämtliche Reise- und Übernachtungskosten für die Referenten trug; – dem Verband der Freunde der Universität Freiburg und ihrem damaligen Vorsitzenden Volker Maushardt für die Beihilfe zur abschließenden Exkursion zum Zähringer Burgberg, nach Breisach und auf den Odilienberg; – der Stadt Freiburg und ihrem stellvertretenden Kulturamtsleiter Johannes Rühl für den Empfang der Tagungsteilnehmer in der „Gerichtslaube“; – der Archäologischen Sammlung der Albert-Ludwigs-Universität mit ihrem Kustos Martin Flashar für die Gastfreundschaft.
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Abb. 1. Die Referenten vor dem Tagungsort. Von links nach rechts – hintere Reihe: Frans Theuws, Hans Ulrich Nuber, Jörg Drauschke, Ursula Wittwer-Backofen, Hans Ulrich Voß, Antonel Jepure, Falko Daim, Reto Marti, Michel Kazanski; mittlere Reihe: Lyn Blackmore, Michael Kulikowski, Eva Stauch, Hubert Fehr, Philipp v. Rummel, Heiko Steuer; vordere Reihe: Guy Halsall, Walter Pohl, Bonnie Effros, Sebastian Brather, Claudia Theune, Karen Høilund Nielsen
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Zwischen Spätantike und Frühmittelalter – RGA-E Band 57 – Seiten 13–26 Texte, Identitäten © 2008 Walter de Gruyter · Berlin Spuren, · New York
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Spuren, Texte, Identitäten Methodische Überlegungen zur interdisziplinären Erforschung frühmittelalterlicher Identitätsbildung Walter Pohl1
Kurz vor der Freiburger Tagung, auf der dieser Band beruht, fand das „größte Begräbnis aller Zeiten“ statt – so haben es zumindest die Medien genannt. Begraben wurde, am 8. April 2005, Papst Johannes Paul II. Als Einstieg in das komplexe Verhältnis von Spuren, Texten und Identitäten ist das Beispiel gut geeignet. Zahlreiche Texte in Zeitungen haben vom Ereignis erzählt, die Rituale gedeutet, die Objekte beschrieben, obwohl sie dabei keineswegs ganz übereinstimmten. Der Papst wurde in einem einfachen Zypressensarg bestattet, verziert mit dem Buchstaben M für Maria (würden Archäologen der Zukunft das deuten können?). Der Zypressensarg wurde dann von einem Zinksarg umschlossen, auf dem ein Kreuz, der Name und das Wappen des Papstes angebracht sind, und der wieder in einem Eichensarg ruht. Sein Gesicht wurde mit einem Seidentuch bedeckt. An Grabbeigaben erhielt der Papst seine Mitra; einen Beutel mit 27 im Vatikan geprägten Gold- und Silbermünzen, also eine für jedes Pontifikatsjahr; sowie eine in einem Eisenbehälter versiegelte Urkundenrolle, die auf Latein einen kurzen Text über sein Leben enthielt. Darauf erfuhr man, auf die Minute genau, das Sterbedatum sowie dass er der 264. Papst war. „Seine Erinnerung“, so heißt es, „bleibt im Herzen der ganzen Kirche sowie der Menschheit.“ Abweichend sind die Angaben darüber, ob auch ein Behälter mit Erde aus seiner polnischen Heimatstadt mitgegeben wurde, doch die meisten Be-
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Der Artikel entstand im Zusammenhang mit dem vom FWF geförderten WittgensteinPreis-Projekt „Ethnische Identitäten im frühmittelalterlichen Europa“, das am Institut für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften sowie am Institut für Österreichische Geschichtsforschung an der Universität Wien durchgeführt wird.
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richte meinen, die Polen hätten sich mit diesem Wunsch nicht durchgesetzt.2 Begräbnisse von großen Führungsfiguren sind immer außergewöhnlich, aber einige Beobachtungen lassen sich machen. Archäologen würden sich ähnliche Texte über die Bestatteten in frühmittelalterlichen Gräbern wünschen; vielleicht hat die lange Erfahrung der Kirche mit der problematischen Identifizierung der Reliquien von Heiligen zur Beigabe der Kurzbiographie geführt. Die symbolischen Hinweise auf die Identität des Bestatteten sind freilich widersprüchlich. Rangabzeichen fehlen im übrigen, bis auf Ornat und Mitra; der Ring wird bei Päpsten nicht mitgegeben, der Bischofsstab ebenfalls nicht. Auch christliche Symbole fehlen sonst im Sarg. Dafür könnten die Münzen spätere Archäologen zur irrigen Annahme verleiten, hier sollte der irdische Reichtum des Papstes symbolisiert werden, oder gar, das Geld sollte ihm Reise und Aufenthalt im Jenseits erleichtern. Ethnische Marker gab es beim Papst aus Polen keine; auch die Heimaterde wäre das nicht im engeren Sinn gewesen. Sie wäre von den Forschern der Zukunft vielleicht nicht so schwer richtig zu deuten gewesen. Im übrigen kann sie als Beispiel dafür dienen, wie die richtige Grabausstattung im Zentrum kontroverser Diskussionen stehen kann. Selbst nach 2000 Jahren, in denen die Kirche ihre symbolischen Diskurse bis ins letzte Detail zu kodifizieren versucht hat, bleibt noch Spielraum zu Verhandlungen darüber. Das Papstbegräbnis war jedenfalls ein Moment äußerster Aufmerksamkeit, der zur Gemeinschaftsstiftung und zur Selbstvergewisserung genützt wurde. Zeremoniell und Grabausstattung wurden allgemein für höchst berichtenswert gehalten, wobei die Bedeutung der einzelnen Gegenstände mehr oder weniger gut erklärt wurde. Überschießende Sinngebung also, wobei gerade das wenig betont wurde, was nahelag und ohnehin selbstverständlich schien, und scheinbar Fernerliegendes symbolisch hervorgehoben wurde. Berichte von außergewöhnlichen Begräbnissen gibt es vereinzelt auch aus dem Frühmittelalter, etwa die berühmte Bestattung Alarichs I. cum multas opes im Busento und die Attilas.3 Auch Attila lag, glaubt man Jordanes, in drei Särgen: einem eisernen, der die Siege über viele Völker, einem silbernen und einem goldenen, die die Geschenke Ost- und Westroms ver2
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Ausführliche Zeitungsberichte z.B. in: Bild, 9. 4. 2005, 5; Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. 4. 2005, 2; Bayerischer Rundfunk online (8. 4. 2005). Allgemein zu Papstbegräbnissen siehe Agostino Paravicini Bagliani, Der Leib des Papstes. Eine Theologie der Hinfälligkeit (München 1997); ders., Mort du Pape. In: Dictionnaire Historique de la Papauté, ed. Philippe Levillain (Paris 1994) 1143–1146. Ich danke Claudia Rapp und Sebastian Brather für Anregungen zu diesem Beispiel. Ich beschränke mich hier aber bewusst auf eine nicht wissenschaftlich fundierte Perspektive der öffentlichen Wahrnehmung. Alarich I.: Jordanes, Getica XXX, 157–158.
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sinnbildlichen sollten; er erhielt reiche Grabbeigaben, wie sie eines Königs würdig waren, darunter Waffen besiegter Feinde.4 Von Symbolen ethnischer Zugehörigkeit ist hier wie anderswo nicht die Rede, nur von einem standesgemäßen Begräbnis. Die Waffen der Feinde taugen ja gerade nicht als Zeichen der Zugehörigkeit. Für die Grammatik der Grabbeigaben sind die schriftlichen Mitteilungen aus dem Frühmittelalter im übrigen leider wenig aussagekräftig. Doch zeigen Beispiele wie der Bericht vom Begräbnis Attilas zugleich, dass Rituale wie verwendete Objekte bei der Bestattung reiche Bedeutungen aufwiesen. Die archäologische Untersuchung der Grabsitten trägt auch dann zur Sinngeschichte der Zeit bei, wenn der Sinn nicht oder nur hypothetisch gedeutet werden kann. Dass sich im Grabritus sozialer Sinn verdichtet, kann im allgemeinen gerade dort vorausgesetzt werden, wo der Aufwand dafür hoch ist. Und das gilt sicherlich für die meisten frühgeschichtlichen Gräber, die zur Begründung ethnischer Interpretationen überhaupt herangezogen werden können. Die Grundprobleme ethnischer Deutungen brauchen in diesem Band nicht mehr erörtert zu werden.5 Die Diskussion hat einen induktiven Aspekt – was kann tatsächlich aus einem archäologischen Befund geschlossen werden, und welche alternativen Deutungen gibt es dafür? Diese Fragen werden in vielen Beiträgen dieses Bandes sachkundiger angeschnitten als ich es tun kann. Es gibt aber auch einen deduktiven Aspekt: Wonach kann die Archäologie nach unserem gewandelten Verständnis von der Rolle ethnischer Identitäten im Frühmittelalter überhaupt suchen? Nicht zufällig hat Sebastian Brather sein grundlegendes Buch über „Ethnische Interpretationen in der frühgeschichtlichen Archäologie“ mit einer ausführlichen Paradigmen- und Modelldiskussion begonnen.6 In diesem Zusammenhang möchte ich einige Punkte skizzieren, deren methodische Implikationen für die Archäologie weiter diskutiert werden könnten.
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Addunt arma hostium caedibus adquisita, faleras vero gemmarum fulgore praetiosas et diversi generis insignia, quibus colitur aulicum decus; Jordanes, Getica XLIX, 256–58. Zur neueren Diskussion siehe Sebastian Brather, Ethnische Identitäten als Konstrukte der frühgeschichtlichen Archäologie. Germania 78, 2000, 139–177; ders., Ethnische Interpretationen in der frühgeschichtlichen Archäologie. Geschichte, Grundlagen und Alternativen. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Ergänzungsband 42 (Berlin, New York 2004); anders Volker Bierbrauer, Zur ethnischen Interpretation in der frühgeschichtlichen Archäologie. In: Die Suche nach den Ursprüngen. Von der Bedeutung des frühen Mittelalters, hrsg. Walter Pohl (Wien 2004) 45–84. Siehe auch Claus von Carnap-Bornheim, Hans-Jürgen Eggers und der Weg aus der Sackgasse der ethnischen Deutung. In: Eine hervorragend nationale Wissenschaft. Deutsche Prähistoriker zwischen 1900 und 1995, hrsg. Heiko Steuer. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Ergänzungsband 29 (Berlin, New York 2001) 173–198. Brather, Ethnische Interpretationen (Anm. 5) 29–158.
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Der bei weitem wichtigste Identitätsdiskurs der Spätantike und des Frühmittelalters ist der christliche. Diese Beobachtung ist zunächst banal, wird aber gerade deswegen leicht vernachlässigt. Die überwiegende Zahl der aus jener Zeit erhaltenen Texte beschäftigt sich im weitesten Sinn mit der Frage, was es bedeutet, Christ zu sein. Hier steht die Frage der christlichen Identität ständig im Mittelpunkt.7 Wie wird man Christ? Dabei geht es um richtige Belehrung, Taufe und Mission. Wer ist Christ? Die ständige Bemühung um eine immer präzisere Abgrenzung nicht nur gegenüber Heiden, sondern auch gegenüber Häretikern ermöglicht eine klare Zuordnung jedes einzelnen. Warum Christ sein? Viele Textsorten, von Bibelkommentaren bis zu Visionsliteratur, von Predigten bis zu polemischen Traktaten, versuchen die Einzigartigkeit der christlichen Identität zu begründen. Wie Christ sein? Diese Frage ist Gegenstand der reichsten Literatur, von normativen Schriften bis zu Erzählungen von der Vorbildlichkeit der Heiligen. Entscheidend ist dabei der massive Versuch der Verhaltenssteuerung, durch den die personale Identität möglichst nahe an die kollektive gerückt werden soll, bis hin zur spirituellen Selbstaufgabe für Gott und die Gemeinschaft der Gläubigen. Die Christianisierung der Gesellschaft ab dem 4. Jahrhundert war der bis dahin ehrgeizigste Versuch, eine einheitliche Identität durchzusetzen, wo es, wie das vielfach abgewandelte Wort aus dem Paulusbrief an die Kolosser sagt, „weder Heiden noch Juden, […] weder Barbaren noch Skythen“ gibt, sondern eben nur Christen.8 Aus der Sicht der Religionssoziologie kann dieser „Code kollektiver Identität“ mit einiger Berechtigung als „universalistischer Code“ abgehoben werden von den „primordialen“ und den „traditionalen“ Codes, die ethnische Zusammengehörigkeit begründeten.9 Wichtig für unser Thema 7
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Die Frage der christlichen Identität ist noch ungenügend erforscht. Explizit wird die Frage erst gelegentlich aufgeworfen, z. B. in drei Kapiteln der Cambridge History of Early Christian Literature, ed. Frances Young/Lewis Ayres/Andrew Louth (Cambridge 2004), und zwar jeweils unter dem Titel „Articulating identity“ für das 2. Jahrhundert (Richard A. Norris jr., 71–90), das 3. Jahrhundert (Ronald E. Heine, 200–221) und das 4. Jahrhundert (Lewis Ayres, 414–463). Meist werden die mit christlicher Identitätsbildung zusammenhängenden Probleme unter den Begriffen ‚Ausbreitung des Christentums‘, ‚Gemeinschaftsbildung‘, ‚christliches Leben‘ etc. abgehandelt. Reiches Material enthält dazu Arnold Angenendt, Geschichte der Religiosität im Mittelalter (Darmstadt 22000). Wertvolle Beobachtungen auch bei Peter Brown, The Rise of Western Christendom (Oxford 22003), sowie bei Friedhelm Winkelmann, Geschichte des frühen Christentums (München 22001). Ep. Pauli ad Colossenses 3,11. Siehe dazu Walter Pohl, Telling the difference. Signs of ethnic identity. In: Strategies of Distinction. The Construction of Ethnic Communities, 300–800, ed. Walter Pohl, Helmut Reimitz. The Transformation of the Roman World 2 (Leiden, New York, Köln 1998) 17–69, hier 25. Bernhard Giesen, Codes kollektiver Identität. In: Religion und Identität, hrsg. Werner Gephart/Hans Waldenfels (Frankfurt a. M. 1999) 13–43.
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ist die Frage, wie sich in den frühmittelalterlichen Regna christliche mit ethnischen Identitäten verbanden, und vor allem, wie der christliche Identitätsdiskurs wiederum zur ethnischen Integration der Regna dienen konnte.10 An einer ‚Germanisierung des Christentums‘11 kann das kaum liegen, eher an alttestamentarischen Vorbildern, doch die Frage verdient weitere Untersuchung.12 Außer Zweifel steht der christliche Einfluss auf die Grabsitten, auch wenn sich das Verschwinden der Grabbeigaben und die Durchsetzung der Bestattung bei Kirchen keineswegs immer parallel mit der Christianisierung vollzogen.13 Die ethnischen Identitätsdiskurse des Frühmittelalters entsprachen dem christlichen weder in der genauen Definition der Kriterien der Zugehörigkeit, noch in der gezielten Verbreitung von ‚Texten der Identität‘, noch im Versuch der Durchsetzung detaillierter Verhaltensmaßregeln. Während der christliche Diskurs von emphatischer Selbstzuordnung dominiert wurde, beruhen unsere Informationen über ethnische Identität vor allem auf Texten der Fremdzuschreibung. Die Völker waren für die Autoren klassischer Texte zumeist die Anderen, und diese Redeweise hielt sich lange. Noch der Langobarde Paulus Diaconus schreibt von den Langobarden, von ihrer Sprache, Tracht, Geschichte fast ausschließlich in der dritten Person.14 Ethnische Selbstüberhöhung findet sich erstmals in einiger Dichte in fränkischen Texten der Karolingerzeit, zum Beispiel im Langen Prolog der Lex 10
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Zum Verhältnis des christlichen Diskurses zum Imperium siehe Averil Cameron, Christianity and the Rhetoric of Empire. The Development of Christian Discourse (Berkeley 1991). Die Germanisierung des Christentums erfreute sich bis 1945 einiger Beliebtheit in deutschnationalen Zirkeln und wurde zur Freude ultrarechter und neuheidnischer Internetforen wieder aufgegriffen von James C. Russell, The Germanisation of Early Medieval Christianity (Oxford 1994). Ein ganz anderer Ansatz bei Mayke de Jong, Introduction – Rethinking early medieval Christianity. A view from the Netherlands. Early Medieval Europe 7, 1998/3, 261–275. Siehe künftig Walter Pohl, Alienigena Coniugia. Bestrebungen zu einem Verbot auswärtiger Heiraten in der Karolingerzeit. In: Die Bibel als politisches Argument, hrsg. Kai Trampedach (im Druck). Frederick S. Paxton, Christianizing Death. The Creation of a Ritual Process in Early Medieval Europe (Ithaca, London 1990); Bonnie Effros, Caring for Body and Soul. Burial and the Afterlife in the Merovingian World (Pennsylvania 2002); Cristina La Rocca, Segni di distinzione. Dai corredi funerari alle donazioni ‚post obitum‘ nel regno longobardo. In: L’Italia centro-settentrionale in età longobarda, ed. Lidia Paroli (Florenz 1997) 31–54. Walter Pohl, Paulus Diaconus und die ‚Historia Langobardorum‘. Text und Tradition. In: Historiographie im frühen Mittelalter, hrsg. Anton Scharer/Georg Scheibelreiter. Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 32 (Wien 1994) 375–405; ders., Geschichte und Identität im Langobardenreich. In: Die Langobarden. Herrschaft und Identität, hrsg. Walter Pohl/Peter Erhart. Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 8 (Wien 2005) 555–566.
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Salica, und sie benützt eine stark christlich geprägte Rhetorik.15 Spuren eines Wir-Gefühls der Völker finden sich freilich schon früher, nur wurde es nicht so leicht schriftlich niedergelegt. Meist lässt es sich nur aus gemeinsamem Handeln auch in schwierigen Zeiten und dem Funktionieren ethnischer Netzwerke erschließen. Daher knüpften frühmittelalterliche Autoren zunächst am klassifikatorischen Charakter der antiken Ethnographie an, die in einem bestimmten Raum siedelnde oder operierende Verbände nach einem überkommenen Kriterienkatalog ethnisch bestimmte. Freilich hatten schon die antiken Autoren immer die Handlungsfähigkeit oder Handlungsbereitschaft ihrer potentiellen Gegner jenseits der Grenzen mitgedacht, sie waren also daran interessiert, tatsächliche oder mögliche Akteure möglichst adäquat zu benennen. Dabei unterschied die antike Ethnographie aber nicht prinzipiell zwischen Namen, die sehr unterschiedliche Größenordnungen erfassten, von ethnographischen Sammelnamen und Pauschalbezeichnungen wie Skythen oder Germanen bis zu den Namen sehr lokaler Verbände, wie sie etwa Ptolemaios oder im 9. Jahrhundert der Bayerische Geograph nördlich der Donau aufzählen.16 Deutlich wird das etwa bei der angelsächsischen Tribal Hidage, einer Liste von Herrschaften, zu denen jeweils Bevölkerung bzw. Wirtschaftskraft, gemessen in der Anzahl von hides, gesetzt wird. Das geht von den großen Königreichen wie Mercia oder Wessex mit tausenden hides bis hinunter zu ganz kleinen Herrschaften mit einigen Dutzend, ohne dass in irgendeiner Weise unterschieden wird.17 Vor einigen Jahren habe ich auf einem Zwettler Symposion ein grobes Raster von acht Typen ethnischer Zuordnung vorgeschlagen, zwischen denen die Übergänge natürlich fließend sind:18 1. Lokale Siedlungseinheiten oder kleine Verbände, wie etwa bei Ptolemaios;
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Lex Salica, Prologus, ed. Karl August Eckhardt, MGH Leges nationum Germanicarum 4, 2 (Hannover 1969) 2–9. Claudius Ptolemaeus, Opera, ed. J. L. Heilberg (Leipzig 1898–1908); Geographus Bavarus, ed. Erwin Herrmann, Slawisch-germanische Beziehungen im südostdeutschen Raum. Veröffentlichungen des Collegium Carolinum 17 (München 1965) 212–21. David Dumville, The tribal hidage. An introduction to its texts and their history. In: The Origins of Anglo-Saxon Kingdoms, ed. Steven Bassett (London, New York 1989) 225–230. Siehe auch Walter Pohl, Ethnic names and identities in the British Isles. A comparative perspective. In: The Anglosaxons from the Migration Period to the Eighth Century. An Ethnographical Perspective, ed. John Hines (Woodbridge 1997) 7–40. Walter Pohl, Die Namen der Barbaren. Fremdbezeichnung und Identität in Spätantike und Frühmittelalter. In: Zentrum und Peripherie. Gesellschaftliche Phänomene in der Frühgeschichte, hrsg. Herwig Friesinger/Alois Stuppner. Mitteilungen der Prähistorischen Kommission 57 (Wien 2004) 95–104.
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2. Regionale Teil-Stämme oder Siedlungsgemeinschaften; Gentes innerhalb einer Gens, wie etwa die Brisigavi, Lentienses etc. bei den Alemannen; 3. Kleinere Gruppen oder versprengte Teile anderer Völker unter fremder Herrschaft, wie die Rugier im Ostgotenreich, die Bulgaren unter langobardischer Herrschaft, oder die Sachsen von Bayeux im Merowingerreich; 4. Selbständige Völker mit regionaler Ausdehnung und einigermaßen geschlossenem Siedlungsgebiet; etwa zahlreiche Völker der frühen Kaiserzeit in der westlichen Germania; oder im 5. Jahrhundert die Rugier an der Donau; 5. Völker, die aus unterschiedlichen Ursachen verstreut leben, oder Namen, die in mehreren Gebieten auftauchen, im 5./6. Jahrhundert zum Beispiel Sueben, Eruler, Alanen, Goten, im 7. Jahrhundert Bulgaren; 6. Ethnische Verbände mit überregionaler Ausdehnung und fehlender oder schwacher zentraler Organisation, etwa die Sueben der frühen Kaiserzeit oder die Alemannen und Franken bis zum 5. Jahrhundert. Hier ist die Grenze zu ethnographischen Sammelnamen fließend, die Identitätswirksamkeit des Namens oft nur schwer nachzuweisen; 7. Völker, die überregionale Herrschaften aufbauen und Träger eines Reiches werden, in dem viele andere ethnische Gruppen leben, etwa Ostund Westgoten, Vandalen, Franken, Hunnen, Awaren; 8. Ethnographische Sammelnamen, mit denen die Bevölkerung riesiger Gebiete charakterisiert wird: Kelten, Germanen, Skythen, Slawen. Für die Möglichkeit, archäologische Aussagen über die Zugehörigkeit zu solchen Völkern zu treffen, bedeutet das jeweils methodisch ganz unterschiedliche Ausgangspositionen. Dass sich Sammelnamen wie ‚Germanen‘ überhaupt im archäologischen Befund niederschlagen, ist unwahrscheinlich. Lokale oder regionale Siedlungsgemeinschaften können sich eher in ihrer Hinterlassenschaft von anderen abheben, obwohl auch das keineswegs selbstverständlich ist. Volk ist nicht gleich Volk, und die Frage der ethnischen Interpretation ist in jedem Fall methodisch anders gelagert. Zur Beschreibung historischen Geschehens waren ethnische Bezeichnungen in Spätantike und Frühmittelalter jedenfalls unverzichtbar. Das heißt, dass in den uns erhaltenen Texten weniger der Aspekt der Selbstzuordnung und der Identitätssymbole thematisiert wird, sondern derjenige gemeinsamen politischen und militärischen Handelns.19 Für Inhalt und Be-
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Walter Pohl, Zur Bedeutung ethnischer Unterscheidungen in der frühen Karolingerzeit. Studien zur Sachsenforschung 12, 1999, 193–208; ders., Identität und Widerspruch. Gedanken zu einer Sinngeschichte des Frühmittelalters. In: Die Suche nach den Ursprüngen. Von der Bedeutung des frühen Mittelalters, hrsg. Walter Pohl. Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 8 (Wien 2004) 23–36; ders., Geschichte und Identität (Anm. 14).
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deutungsfeld ethnischer Bezeichnungen hat das einige Konsequenzen. Aus dem Blickwinkel vieler Texte hängt der Begriffsumfang von der jeweiligen Handlungsebene ab. ‚Alle Franken‘ oder ‚alle Langobarden‘ können eine kleine Gruppe politisch Einflussreicher sein, wenn sie einen König erheben; eine größere Versammlung von Freien, die an einem Ort zusammenkommen, um an einer großen Inszenierung wie etwa der Promulgation der Leges teilzunehmen; das Heer, das in den Krieg zieht; diejenigen, für die ein Gesetz oder eine Gesetzessammlung gilt; oder alle Bewohner einer bestimmten Landschaft, etwa der Francia. Die Quellen unterscheiden in der Regel nicht zwischen dem Handeln im Namen einer Gemeinschaft und dieser Gemeinschaft insgesamt. Ob der König Krieg führt oder die Gens, ist in der Formulierung meist austauschbar, es sei denn, der Konsens wäre zerbrochen. Das bedeutet, dass nicht die eindeutige Abgrenzung nach außen das Volk definiert, sondern die aktive oder passive Partizipation. Anders wäre die Integration der romanischen Bevölkerungsmehrheit in das Volk der Franken/Franzosen oder der Langobarden/Lombarden kaum so leicht möglich gewesen. Ein Stufenmodell kann manche Aspekte dieser Binnengliederung erfassen: konzentrische Kreise; Zentrum und Peripherie; Traditionskern und angeschlossene Gruppen. Doch kann es ihre Dynamik nicht zureichend beschreiben. Die Großreiche des Frühmittelalters, Franken, Westgoten, bis zu einem gewissen Grad auch Langobarden, erstreckten sich über weitläufige Gebiete; diese ‚Steigerungsformen‘ der ethnischen Identität, wie Assmann das genannt hat, zusammenzuhalten, war sowohl eine politische als auch eine kognitive Leistung.20 Das „regnum Francorum“ gegenüber örtlich wie affektiv näher liegenden Interessen zu integrieren, setzte ein sowohl abstraktes als auch wirksam legitimiertes Konzept von Gens und Regnum der Franken voraus, wofür auch Organisation und Deutungshoheit der Kirche nötig waren. Die Führungsgruppen, auf denen die Macht des Frankenreiches beruhte, zählten vielleicht einige hundert, mit ihrem Anhang einige tausend Menschen. Viele von ihnen kannten einander persönlich und trafen immer wieder in wechselnder Zusammensetzung aufeinander, um die Geschäfte des Reiches zu besorgen. Auf ihrer Zusammenarbeit und Konkurrenz beruhten Erfolg oder Misserfolg der Könige. Nur wenige von diesen Mächtigen verbrachten aber längere Zeit bei Hof; ihre Lebenswelt befand sich vorwiegend dort, wo das Zentrum ihres Amtes und/oder ihrer Besitzungen lag. Dort hatten sie Umgang mit anderen, teils weniger mächtigen Familien der Umgebung, mit den kirchlichen 20
Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen (München 1992) 144–160.
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Autoritäten, vor allem aber mit ihrem bewaffneten Gefolge und ihrer Verwandtschaft. Beide Erfahrungsbereiche wurden wohl problemlos von der Selbstzuordnung Franken, Langobarden usw. abgedeckt. Unter diesen beiden Gruppen sind wohl auch jene zu finden, deren Bestattungen von der Archäologie als Belege für ein fränkisches oder langobardisches Kulturmodell gesammelt wurden. Volker Bierbrauer hat gerade in der jüngsten Diskussion seine Position wieder präzisiert und die Annahme solcher im wesentlichen ethnisch bestimmter Kulturmodelle mit bedenkenswerten Argumenten verteidigt.21 Eine Beobachtung liegt beim bisherigen Forschungsstand nahe: Die Führungsgruppe der Regna auf Reichsboden des 5. bis 7. Jahrhunderts zeichnet sich kaum durch einheitliche und ethnisch distinkte Bestattungsformen und Grabbeigaben ab. Bei den Vandalen in Afrika und bei den Westgoten in Aquitanien fehlen reiche Gräber mit ‚barbarischer‘ Ausstattung fast völlig.22 Bei den Westgoten ebenso wie bei den Franken des 6. Jahrhunderts ist die Verteilung der Beigaben führenden Gräber regional uneinheitlich, sie fehlen weitgehend in den spanische Küstengebieten.23 Im
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Volker Bierbrauer, Archäologie der Langobarden in Italien: ethnische Interpretation und Stand der Forschung. In: Die Langobarden. Herrschaft und Identität, hrsg. Walter Pohl/ Peter Erhart. Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 9 (Wien 2005) 21–66. Zu den Vandalen siehe Christoph Eger, Vandalische Grabfunde aus Karthago. Germania 79, 2001, 347–390; Jörg Kleemann, Quelques réflexions sur linterprétation ethnique des sépultures habilées considérées comme vandales. Antiquité Tardive 10, 2002, 123–129; Philipp von Rummel, Habitus Vandalorum? Zur Frage nach einer gruppenspezifischen Kleidung der Vandalen in Nordafrika. Antiquité tardive 10, 2002, 131–141; ders., Zum Stand der afrikanischen Vandalenforschung. Antiquité Tardive 11, 2003, 13–19; sowie künftig Philipp von Rummel, Where have all the Vandals gone? Archäologie und Vandalen in Nordafrika, und die Beiträge von Brather, Gauss, Eger und Kleemann in: Das Reich der Vandalen und seine Vorgeschichten, hrsg. Guido Berndt/Roland Steinacher. Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 14 (Wien, im Druck). – Westgoten: Gallo-Romains, Wisigoths et Francs en Aquitaine, Septimanie et Espagne. Actes des VIIe Journées internationales d’archéologie mérovingienne, ed. Patrick Périn (Rouen 1991); Michel Kazanski, Les Goths. Ier–VIIe après J.-C. (Paris 1991) 89–95; Volker Bierbrauer, Tracce archeologiche dei Visigoti fra il 376 e il 496–507. In: I Goti (Milano 1994) 298–301: „assenza di una vera e propria evidenza archeologica per i Goti di Tolosa“, 298. Volker Bierbrauer, Frühgeschichtliche Akkulturationsprozesse in germanischen Staaten am Mittelmeer (Westgoten, Ostgoten, Langobarden) aus der Sicht des Archäologen. In: Longobardi e Lombardia. Aspetti di civiltà longobarda, Atti del 6. Congresso internazionale di Studi sull’alto Medioevo (Spoleto 1980) 89–105; Gisela Ripoll López, The arrival of the Visigoths in Hispania. Population problems and the process of acculturation. In: Strategies of Distinction. The Construction of Ethnic Communities, 300–800, ed. Walter Pohl/Helmut Reimitz. The Transformation of the Roman World 2 (Leiden, Boston, Köln 1998) 153–188; Wolfgang Ebel-Zepezauer, Studien zur Archäologie der Westgoten vom 5.–7. Jh. n. Chr. (Mainz 2000).
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italischen Ostgotenreich ist aus den schriftlichen Quellen gut belegt, wie unterschiedlich stark die gotische Führungsschicht an gotischen Traditionen festhielt; besonders nach Theoderichs Tod entstanden deswegen scharfe Konflikte.24 Bereits Theoderich hatte ein Verbot wertvoller Grabbeigaben erlassen, sodass die relativ geringe Anzahl als gotisch geltender Grabfunde aus Italien nicht überrascht.25 Bei den Langobarden wiederum sind Waffen führende Gräber vom Typ Nocera Umbra oder Trezzo d’Adda zwar im ganzen Reichsgebiet verteilt, aber man fragt sich, ob sie bei ihrer relativ geringen Anzahl tatsächlich die ganze langobardische Führungsschicht repräsentieren.26 Die Vermutung liegt nahe, dass viele Angehörige der barbarischen Eliten auf ehemaligem Reichsboden längst einheimische Grabsitten übernommen hatten. An ihrer ethnischen Zugehörigkeit änderte das ebenso wenig wie die Übernahme des christlichen und des katholischen Bekenntnisses, Tracht- und Sprachwechsel.27 Was archäologisch viel eher fassbar wird, sind lokale Verbände, die neben einigen reich ausgestatteten Gräbern mehr oder weniger Waffenbestattungen und Frauengräber mit typischen Trachtbestandteilen hinterlassen haben, wie eben in Nocera Umbra. Dass es sich dabei um Langobarden handelte, liegt nahe. Schwieriger wird es wieder bei ärmeren oder beigabenlosen Gräbern.28 Im Umkehrschluss beigabenlose oder beigabenarme Bestattungen den Romanen
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Prokop, De bello Gothico I, 2, ed. Otto Veh (München 1966). Cassiodor, Variae IV, 34: Aurum enim sepulcris iuste detrahitur, ubi dominus non habetur: immo culpae genus est inutiliter abditis relinquere mortuorum, unde se vita potest sustentare uiuentium. Archäologischer Überblick: Volker Bierbrauer, Die ostgotischen Grab- und Schatzfunde in Italien. Biblioteca degli Studi Medievali 7 (Spoleto 1975). Volker Bierbrauer, Frühe langobardische Siedlung in Italien. Gräberarchäologie und Siedlungsarchäologie – methodische Probleme ihrer Interpretation. In: I Longobardi dei ducati di Spoleto e Benevento. Atti del XVI congresso internazionale di studi sullalto medioevo (Spoleto 2003) 29–78. Siehe auch Lidia Paroli, La necropoli di Castel Trosino. Un laboratorio archeologico per lo studio dell’età longobarda. In: L’Italia centro-settentrionale in età longobarda, ed. Lidia Paroli (Florenz 1997) 91–112. Pohl, Telling the difference (Anm. 8). Siehe z. B. Cornelia Rupp, Langobardische und romanische Grabfunde in Umbrien. In: I Longobardi dei ducati di Spoleto e Benevento, Atti del XVI congresso internazionale di studi sull’alto medioevo (Spoleto 2003) 669–700. Zur Vielfalt regionaler Bestattungsformen im langobardischen Italien siehe u. a. Irene Barbiera, Sixth-century cemeteries in Hungary and Italy. A comparative approach. In: Die Langobarden. Herrschaft und Identität, hrsg. Walter Pohl/Peter Erhart, Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 9 (Wien 2005) 301–320. ‚Langobardische‘ Trachtbestandteile wurden bei den Grabungen der Crypta Balbi in Rom gefunden: Marco Ricci/Federica Luccerini, Oggetti di abbigliamento e ornamento. In: Roma dall’antichità al medioevo. Archeologia e storia nel Museo nazionale romano Crypta Balbi, ed. Maria Stella Arena u. a. (Rom 2001) 351–387, bes. 380–385.
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zuzuweisen, ist fragwürdig;29 könnte es sich bei einem bloß mit Messer oder ohne jede Beigabe Bestatteten nicht auch um einen langobardischen aldius oder porcarius handeln? Daraus würde sich ergeben, dass die Langobarden in Italien archäologisch nicht fassbar sind. Vermutlich folgten nicht alle Langobarden dem ‚langobardischen Kulturmodell‘. Doch ist weiter davon auszugehen, dass Langobarden sich in Italien sehr wohl im archäologischen Befund abzeichnen. Dabei muss im Einzelfall offen bleiben, ob diese ‚Langobarden‘ pannonischer Abstammung waren oder zum Beispiel Nachkommen der Goten oder barbarisierter Romanen. Archäologisch kaum nachweisbar ist auch, wie ihre spezifische Selbstzuordnung aussah; vielleicht waren ja Menschen darunter, die sich als Gepiden verstanden oder als Alemannen wie Dux Droctulf (der allerdings in einer Kirche in Ravenna bestattet wurde).30 Freilich, gerade wenn man die Interpretation archäologischer Befunde von der Aufgabe entlastet, klare Abgrenzungen zu ermöglichen und uns über individuelle oder personale Identitäten eindeutig Auskunft zu geben, kann sie sehr wohl Hinweise liefern, wie ethnische Gemeinschaften aufgebaut waren und ob sie ein gemeinsames kulturelles Profil entwickelt hatten.31 Das ist offenbar in konkreten ethnischen Verbänden sehr unterschiedlich. Die Awaren der Jahrzehnte nach dem Einzug im Karpatenbecken sind im Fundgut eher undeutlich fassbar, und noch um 600 war das Kerngebiet des Awarenreiches von kultureller Vielfalt geprägt, man denke nur an Zamárdi oder Keszthely.32 Im 8. Jahrhundert dagegen ist die materielle Hinterlassenschaft im Awarenreich erstaunlich gleichförmig, von den Bronzebeschlägen mit Greifen- oder Rankenzier bis zu den Beigaben in dörflichen Gräberfeldern.33 Es fällt schwer,
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Zusammenfassend zu den Romanen Volker Bierbrauer, s. v. Romanen. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 25 (Berlin, New York 2003) 210–242. Paulus Diaconus, Historia Langobardorum 3, 18–19, ed. Georg Waitz, MGH SS rer. Lang. (Hannover 1878). Falko Daim, Archaeology, ethnicity and the structures of identification. The example of the Avars, Carantanians and Moravians in the eighth century. In: Strategies of Distinction. The Construction of Ethnic Communities, 300–800, ed. Walter Pohl/Helmut Reimitz. The Transformation of the Roman World 2 (Leiden, Boston, Köln 1998) 71–94. Robert Müller, Neue archäologische Funde der Keszthely-Kultur. In: Awarenforschungen 1, hrsg. Falko Daim (Wien 1992) 251–307; Edith Bárdos, La necropoli avara di Zamárdi. In: L’oro degli Avari. Popolo delle steppe in Europa (Milano 2000) 76–143; Éva Garam, Funde byzantinischer Herkunft in der Awarenzeit vom Ende des 6. bis zum Ende des 7. Jahrhunderts (Budapest 2001). Falko Daim, Avars and Avar archaeology. An introduction. In: Regna et Gentes. The Relationship between Late Antique and Early Medieval Peoples and Kingdoms in the Transformation of the Roman World, ed. Hans-Werner Goetz/Jörg Jarnut/Walter Pohl. The Transformation of the Roman World 13 (Leiden, Boston, Köln 2003) 463–457; Peter
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darin nicht das Ergebnis ethnischer Prozesse zu sehen, ebenso wie später der rasche Niedergang des Awarenreiches mit dem Zerfall dieser gemeinsamen Lebensweise und Symbolsprache einherging. Wie oben gezeigt, sind ethnische Kategorien in frühmittelalterlichen Texten vor allem für Fremdwahrnehmungen und für handlungsfähige politische Identitäten überliefert. Zur Wahrnehmung gehört auch die Wahrnehmbarkeit. Die Texte können die distinktiven Elemente im 4. bis 7. Jahrhundert nur sehr diffus angeben, auch wenn sie allgemein davon ausgehen, dass ethnische Unterscheidbarkeit gegeben war.34 Zumindest in ihrer Ambivalenz entsprechen sie gut dem archäologischen Befund, der ja auch keine eindeutigen Unterscheidungen zwischen Gentes fixieren hilft, sondern allenfalls statistisch relevante Anhaltspunkte liefert. Zwar finden sich zum Beispiel in Kriegergräbern im fränkischen Gebiet überdurchschnittlich viele Beile, und Isidor von Sevilla bezeichnet die francisca genannte Axt als typisch fränkische Waffe. Doch konkrete Beschreibungen dieser Äxte in den Quellen sind sehr unterschiedlich (einfach oder doppelt, Wurf- oder Hiebwaffe). Zudem bleibt immer noch eine Mehrheit ‚fränkischer‘ Kriegergräber ohne die von den Archäologen als Franziska bezeichneten Beile, während sie etwa im Alemannengebiet durchaus auch vorkommen.35 Dennoch lassen sich archäologische Befunde mit historisch belegten ethnischen Einheiten zumindest in Verbindung bringen. Die militärisch herrschende Schicht in gut abgrenzbaren Gebieten Italiens war seit 568 langobardisch und kam zum größeren Teil aus Pannonien. Archäologische Befunde können durchaus das Bild vertiefen, das wir von ihr haben. Bei der genaueren Zuordnung von Siedlungen oder Bestattungen zu Langobarden oder Romanen stößt die Archäologie rasch an methodische Grenzen, denn eine solche klare Abgrenzung würde den schriftlichen Quellen gar nicht entsprechen. Doch kann sie zur Kenntnis ethnischer Prozesse beitragen. Wer im langobardischen Machtbereich in Italien mit Waffen bestattet wurde, erschien als Mitglied der militärischen Elite des Langobardenreiches. Zugleich wurde ein Führungsanspruch in der lokalen Lebenswelt formuliert.36 Diese beiden Identitäten – Mitglied der herrschenden Schicht im
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Stadler, Quantitative Studien zur Archäologie der Awaren 1. Mitteilungen der Prähistorischen Kommission 60 (Wien 2005). Pohl, Telling the difference (Anm. 8). Siehe auch den Beitrag von Philipp von Rummel in diesem Band. Pohl, Telling the difference (Anm. 8) 33–37, mit Isidor, Etymologiae 18, 6, 9, ed. W. M. Lindsay (Oxford 21987). Archäologie: Frank Siegmund, Alemannen und Franken. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Ergänzungsband 23 (Berlin, New York 2000). Guy Halsall, Settlement and Social Organisation. The Merovingian Region of Metz (Cambridge 1995).
Spuren, Texte, Identitäten
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Regnum und eine dominante Stellung im lokalen Siedlungsverband – widersprachen einander meistens nicht, sondern waren komplementär, auch wenn es wichtig ist, sie methodisch auseinander zu halten, denn sie konnten durchaus in Widerspruch zueinander geraten. Einige Generationen später war an die Stelle der Waffengräber die Bestattung in oder bei Kirchen in Verbindung mit post-obitum-Schenkungen getreten.37 Auch dadurch wurde in Anpassung an vorherrschende Verhaltensmuster im christlichen Regnum Status demonstriert. Dieser Wandel repräsentierte vermutlich eine Festigung der langobardischen politischen Identität;38 archäologisch lässt er kaum mehr eine ethnische Differenzierung von ähnlichen Grabbräuchen anderswo zu. Doch sagt er ebenso wie die Waffengräber etwas aus über die ethnische Integration, kulturelle Orientierung und symbolische Politik der Träger des Langobardenreiches. Man kann diese Mehrdeutigkeiten und Widersprüche insgesamt als ausreichende Begründung betrachten, ethnische Verbände in den Bereich des Subjektiven und Symbolischen zu verweisen. Nach archäologischen Befunden dafür zu suchen, wäre dann spekulativ. Sebastian Brathers Buch geht, trotz vielerlei differenzierender Bemerkungen im Verlauf der Argumentation, letztlich diesen Weg.39 Doch wenn das subjektive Bekenntnis ausschlaggebend für die ethnische Identität ist, heißt das nicht, dass diese nur im Kopf stattfindet. Ethnische Identitäten werden erst durch vielfältige ethnische Praxis wirksam. Das umfasst vor allem die gegenüber Rom und Byzanz neuartige Aufrichtung politischer Herrschaft im Namen eines Volkes: regnum Francorum usw. Aber auch die erstaunliche Homogenität des awarischen Fundmaterials im 8. Jahrhundert bis hin zu entlegenen dörflichen Siedlungen ist am leichtesten aus ethnischer Integration zu deuten, die Lebensweise und Kultur in einem politisch einigermaßen stabilen und zunächst außerordentlich vielgestaltigen Herrschaftsraum allmählich vereinheitlichte. Die methodische Schlussfolgerung aus diesen Überlegungen könnte lauten: Ethnische Interpretation in der Frühmittelalter-Archäologie bedeutet nicht, möglichst einheitliche ‚Kulturen‘ zu rekonstruieren oder aus den Schriftquellen abgeleitete Herrschafts- bzw. Siedlungsgebiete mit ethnisch mehr oder weniger signifikanten Befunden zu füllen. Nach Aussage der schriftlichen Quellen gab es gleichzeitig unterschiedliche Muster, dieselbe Zugehörigkeit auszudrücken; solche Binnen-Unterschiede wurden wohl
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La Rocca, Segni di distinzione (Anm. 13). Walter Pohl, Le identità etniche nei ducati di Spoleto e Benevento. In: I Longobardi dei ducati di Spoleto e Benevento. Atti del XVI congresso internazionale di studi sull’alto medioevo (Spoleto 2003) 79–103. Brather, Ethnische Interpretationen (Anm. 5).
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auch im Grabbrauch oft durchaus bewusst hervorgehoben. Es gab zudem Menschen, die in gesteigertem Sinn Franken, Awaren oder Langobarden waren, ‚mehr‘ dazugehörten als andere, die sich ebenfalls als zugehörig empfanden. Und oft waren es gerade diejenigen, deren Zugehörigkeit in Zweifel stand, die besonders deutliche Zeichen ihrer Identität zu setzen versuchten. Vermutlich entspricht dieses differenzierte Modell ethnischer Identität dem archäologischen Befund ohnehin besser als die antiquierte Vorstellung von einheitlicher Tracht und Brauchtum. Aus einem gegliederten Kontinuum lokaler, regionaler und überregionaler Gemeinsamkeiten und Unterschiede und aus deren Veränderung würde sich dann das Bild der komplexen ethnischen Landschaft ergeben, die unsere Schriftquellen nach Völkern zu ordnen versuchen. Die kontrastierende Ergänzung der beiden Quellengattungen (wo verfügbar, auch der philologischen Befunde) könnte dann ein Bild der Spannungsverhältnisse ergeben, in denen frühmittelalterliche Identitätsbildung ablief. Die komplexen Prozesse frühmittelalterlicher Identitätsbildung haben Spuren hinterlassen, auch im archäologischen Befund. Geht man davon ab, diesen Befund als kulturellen Ausdruck einer weitgehend veränderungsresistenten inneren Qualität eines Volkes zu deuten, werden die Ergebnisse um vieles spezifischer und prekärer. Zugleich wird ethnische Identität aber als Teil einer umfassenden sozialen Praxis sichtbar, die ebenso auf Distinktion wie auf Integration abzielte. Methodisch könnte man eine paradoxe Beobachtung machen: Wer nur auf Ethnizität achtet, verfehlt sie; wer sie aus der Betrachtung sozialer Zusammenhänge ausklammert, verfehlt diese ebenso. Als Historiker kann ich nur hoffen, dass ethnische Prozesse bei aller Vorsicht weiterhin Gegenstand der Archäologie bleiben.
Zwischen Spätantike und Frühmittelalter – RGA-E Band 57 – Seiten 27–43 Spanien © 2008 Walter de Gruyter · BerlinWie · New York gotisch wurde
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Wie Spanien gotisch wurde Der Historiker und der archäologische Befund Michael Kulikowski
I. Die Erforschung der Spätantike in Spanien wurde lange Zeit durch die teleologische Sicht behindert, wie sie durch den Titel dieses Beitrags illustriert wird. Wir wissen, dass Spanien im 7. Jahrhundert von reges Visigothorum regiert wurde und dass Isidor von Sevilla, vielleicht der größte Schriftsteller des 7. Jahrhunderts, eine Historia Gothorum verfasste, die das Spanien des 7. Jahrhunderts als den Kulminationspunkt einer Jahrhunderte zurückreichenden gotischen Geschichte präsentiert.1 Moderne Gelehrte folgten Isidors Beispiel und neigten dazu, das 5. und 6. Jahrhundert als die Grundlegung des Königreichs des 7. Jahrhunderts zu betrachten.2 Über die Jahre hat diese Suche nach den Ursprüngen das Verständnis der unmittelbar nachantiken Jahrhunderte erheblich beeinträchtigt und damit das Problem der Retrospektive verschärft, dem sich alle Historiker gegenüber sehen.
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Die beste Edition der Historia Gothorum ist: Las historias de los Godos, Vandalos, y Suevos de Isidoro de Sevilla. Estudio, edición crítica y traducción, ed. Cristóbal Rodríguez Alonso. Collección Fuentes y estudios de historia Leonesa 13 (León 1975), die die kurze und die lange Version des Textes parallel abdruckt, wobei erstere tatsächlich vielleicht das Werk des Maximus von Zaragoza ist, wie Roger Collins, Isidore, Maximus and the Historia Gothorum. In: Historiographie im frühen Mittelalter, hrsg. Anton Scharer/Georg Scheibelreiter. Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 32 (Wien, München 1994) 354–358, argumentiert. Zu Isidors Sicht der Goten vgl. besonders Suzanne Teillet, Des Goths à la nation gothique. Les origines de l’idée de nation en Occident du Ve au VIIe siècle (Paris 1984) 463–502, und allgemein Jacques Fontaine, Isidore de Séville. Genèse et originalité de la culture hispanique au temps des Wisigoths (Turnhout 2000), eine brilliante retractatio eines Lebenswerks. Vgl. besonders Roger Collins, Early Medieval Spain. Unity in diversity, 400–1200 (New York 21995); ders., Visigothic Spain, 409–711 (Oxford 2004). Erheblich mehr spanische Bücher, die hier aufzulisten wären, folgen dieser Perspektive, doch ein wohl besonders repräsentatives Werk ist: Luís A. García Moreno, Historia de España Visigoda (Madrid 1989).
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In der Forschung wie im Alltag sind wir, wenn wir nach etwas suchen, oft davon überzeugt, es gefunden zu haben, ob es nun stimmt oder nicht. Deshalb soll das 5. Jahrhundert das Königreich des 7. Jahrhunderts vorgeprägt haben, und Bücher über das westgotische Spanien umfassen gewöhnlich die Zeit von 409 bis 711 und legen damit nahe, das von den Arabern im Jahr 711 zerstörte Königreich hätte seinen Ursprung im Jahr 409 gehabt, als es in Spanien tatsächlich gar keine Goten gab.3 Es gibt einen besseren Zugang zur Spätantike in Spanien. Statt nach der Vorgeschichte des gotischen Königreichs zu fragen, sollte man mit dem römischen Hispanien des 3. und 4. Jahrhunderts beginnen und untersuchen, wie sich die römischen Provinzen unter dem Eindruck neuer Umstände veränderten. Der methodische Vorteil dieses Ansatzes ist offensichtlich. Er erlaubt es, Fragen an die Quellen des 5. und 6. Jahrhunderts zu stellen, und er stülpt diesen nicht die Perspektive späterer Ereignisse über, die kein Zeitgenosse vorhersehen konnte. Nachdem ich diesen Ansatz einer Monographie über das spätantike Spanien zugrunde gelegt habe, meine ich, dass die gotische Geschichte Spaniens deutlich anders aussehen würde, wenn man sie von der römischen Vergangenheit her betrachtete.4 Das wichtigste Kennzeichen jener römischen Provinz, in der schließlich Goten siedeln sollten, war ihre Verstädterung. Spanien besaß eine prinzipiell städtische administrative Struktur seit dem Beginn der Kaiserzeit. Obwohl Spanien traditionell zusammen mit den anderen westlichen Provinzen in Britannien und Gallien gesehen wird, ist diese Verknüpfung irreführend. Die Struktur der römischen Administration in Britannien und Gallien war im Grunde auf die Stämme und die territorialen Gruppierungen der Zeit vor Cäsar ausgerichtet.5 In Spanien war, z. T. mit Ausnahme des abgelegenen Nordwestens, die Organisation prinzipiell städtisch. Die Administration war durch städtische Zentren und die von ihnen abhängigen Territorien geprägt, und dies ließ Spanien erheblich mehr wie Italien oder das prokonsularische Afrika erscheinen, als dass es Gallien oder Britannien ähnelte. Die coloniae und municipia der frühen Kaiserzeit blieben die grundlegenden Einheiten der Verwaltung, ihre Territorien die grundlegenden Organi3
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Edward Arthur Thompson, The Goths in Spain (Oxford 1969), sah z. B. eine gotische Präsenz in Spanien kontinuierlich seit 415 bestehen. Michael Kulikowski, Late Roman Spain and its cities (Baltimore 2004). Eine erheblich kürzere Version einiger dieser Argumente ist verfügbar in: Michael Kulikowski, The late Roman city in Spain. In: Die spätantike Stadt. Niedergang oder Wandel?, hrsg. Jens-Uwe Krause/Christian Witschel. Historia-Einzelschriften 190 (Stuttgart 2005) 129–149. Grundlegende Einführungen in: John F. Drinkwater, Roman Gaul (London 1983); Peter Salway, Roman Britain (Oxford 1981).
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Abb. 1. Spätantike römische Provinzen auf der Iberischen Halbinsel sowie im Text erwähnte Gräberfelder des 5./6. Jahrhunderts
satoren des Raums, und die Familien ihrer Eliten die grundlegenden Organisatoren von Macht – sowohl während des späten Imperiums als auch in den Jahrzehnten danach. Dies blieb selbst nach der großen Reorganisation des Imperiums so, die Diokletian in den 290er Jahren unternahm. Dieser Kaiser teilte die großen Provinzen der frühen Kaiserzeit in viel kleinere Einheiten auf und fasste diese neuen kleineren Provinzen in Diözesen zusammen, die durch einen zivilen Beamten mit dem Titel vicarius verwaltet wurden. Die diokletianische Reform schuf in Spanien sechs Provinzen (Abb. 1), wo es zuvor nur drei gegeben hatte, und legte darüber eine neue übergreifende Struktur mit einem in Mérida stationierten vicarius. Sie änderte jedoch nichts an der Bedeutung der Stadt als grundlegender Einheit der Pro-
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vinzialorganisation.6 Während des gesamten 4. und bis zur Mitte des 5. Jahrhunderts gibt es denselben Befund für die spanischen curiae, die weiterhin ihre altehrwürdigen Funktionen ausübten, die sie bereits in der frühen Kaiserzeit innehatten. Diese Feststellungen zu den spanischen Städten müssen betont werden, weil sie kaum bemerkt werden und weil sie jene Entwicklung prägten, durch die gotische Könige ihren Einfluss und ihre Macht in Spanien ausüben konnten. Wieder und wieder schickten im 5. und 6. Jahrhundert in Gallien ansässige gotische Könige Heere nach Spanien. Wieder und wieder mussten sie dieselben Städte erobern. Die massive Invasion unter Theoderich II. hatte 456 kein bleibendes Ergebnis.7 Abgesehen von einer berühmten, aber verlorenen Inschrift des gotischen dux Salla aus Mérida existiert kein schriftlicher Beleg für gotische Garnisonen in Spanien nach 458. Jedes gotische Heer in Spanien war nach diesem Jahr ein aus Gallien entsandtes Expeditionskorps.8 Danach war es zunächst Eurich, dann Alarich II., die beide versuchten, Teile Spaniens zu erobern und zu halten. Im Jahr 473 sandte Eurich den comes Gothorum Gauterit auf die Halbinsel via Pamplona und Zaragoza. Zur selben Zeit nahm der dux Hispaniarum Vincentius Tarragona und andere Küstenstädte ein.9 Die genannten Städte lassen vermuten, dass Eurich die Provinz der Tarraconensis einzunehmen und zu halten beabsichtigte, doch die Erfolge blieben kurzlebig. In den 490er Jahren war es für Alarich II. notwendig, Angriffe auf genau dieselbe Region zu unternehmen, die angeblich von seinem Vater erobert worden war. Unsere Informationen sind auf die rätselhafte Notiz aus einem consularia-Text beschränkt, die sich in Randbemerkungen zu den Chroniken des Victor von Tunnuna
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Zu Details vgl. Kulikowski, Late Roman Spain (Anm. 4) 65–84. Bezeugt bei Hydatius 165–179. Hydatius ist nun nach der folgenden Edition zu zitieren, die Theodor Mommsens in den Monumenta Germaniae Historica ersetzt: Richard W. Burgess, The chronicle of Hydatius and the Consularia Constantinopolitana. Two contemporary accounts of the final years of the Roman Empire (Oxford 1993). Die Inschrift des Salla und des Bischofs Zeno, die nunc tempore potentis Getarum Ervigii [recte Euricii] regis lautet, wurde zuerst in emendierter Lesung publiziert von José Vives, Die Inschrift an der Brücke von Merida und der Bischof Zenon. Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde 46, 1938, 57–61. Sie ist jetzt bequem zugänglich in: José Luis Ramírez Sádaba/Pedro Mateos Cruz, Catálogo de las inscripciones cristianas de Mérida. Cuadernos Emeritenses 16 (Mérida 2000) Nr. 10. Aus Gallien nach Spanien entsandte Expeditionstruppen sind belegt bei Hydatius 185, 188, 192, 195–196, 201, 207–208, 239–240, 244. Viele dieser Trupps sind so klein, dass sie kaum als Armeen angesehen werden können. Chronica Gallica a. 511, 78–79; Richard W. Burgess, The Gallic Chronicle of 511. A new critical edition with a brief introduction. In: Society and culture in late antique Gaul. Revisiting the sources, ed. Ralph W. Mathisen/Danuta Shanzer (Aldershot 2002) 85–100.
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und des Johannes von Biclaro erhalten haben. Diese Hinweise lassen ein Muster von gotischen Einfällen, lokalem Widerstand, lokaler Zusammenarbeit und weiterem lokalen Widerstand vermuten.10 Der Zugriff der gotischen Könige auf die Tarraconensis wurde durch die Zerstörung des gallischen Königreichs in der Schlacht von Vouillé 507 intensiviert. Aber in den folgenden Jahrzehnten, zuerst unter Gesalich, dann bis 531 unter Amalarich, gibt es keinen Beleg für gotische Kontrolle außerhalb der Tarraconensis. Statt dessen waren Politik und Interessen Amalarichs und seiner ostgotischen Beamten auf Gallien konzentriert.11 Es gibt keinen Hinweis auf königlich-gotische Autorität anderenorts auf der Halbinsel. Der Kollaps der Dynastie Theoderichs und die Ermordung Amalarichs 531 führten zu einer Situation, in der sich die rivalisierenden Anwärter auf den Königstitel als so ineffektiv erwiesen, dass nach der Ermordung König Athanagilds – wahrscheinlich 568 – überhaupt kein spanischer Gote mehr ausfindig gemacht werden konnte, der den Königstitel hätte beanspruchen können. Zur selben Zeit ist der Nachweis gotischer Kontrolle über spanische Gebiete im Wesentlichen auf jene Städte beschränkt, in denen die Könige selbst präsent waren. Der Beweis dafür liegt in den gewaltsamen Anstrengungen, die dem neuen König Leovigild abverlangt wurden – einem Adligen aus der Narbonensis, der 569 Mitregent seines Bruders Liuva wurde.12 Im Verlauf eines Jahrzehnts brachte Leovigild ein territoriales Königreich auf der Iberischen Habinsel zusammen, aber er tat dies, indem er eine Stadt nach der anderen eroberte. Eine vorläufige Zusammenfassung macht – wenn wir mit einer Sicht aus der römischen Vergangenheit beginnen und weniger nach den Ursprüngen des westgotischen 7. Jahrhunderts suchen – wahrscheinlich, dass es eine beschränkte gotische Anwesenheit gab und eine sehr unsichere königlich-gotische Kontrolle bis zum Ende des 6. Jahrhunderts.
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Consularia Caesaraugustana 71a, 74a, 75a, 85a, 87a; Victoris Tunnunensis Chronicon cum reliquiis ex Consularibus Caesaraugustanis et Iohannis Biclarensis Chronicon, ed. Carmen Cardelle de Hartmann. Corpus Christianorum, Series Latina 173A (Turnhout 2001) 22–27. Diese exzellente neue Edition präsentiert die wichtigen Notizen dieser consularia auf eine Weise, wie sie präsentiert werden sollten – als Annotationen zu den Chroniken von Victor und Johannes von Biclaro und nicht als entleibter und – irreführenderweise unabhängiger – Text, als der sie in den Monumenta Germaniae Historica erscheinen. Kulikowski, Late Roman Spain (Anm. 4) 257–266. Kulikowski, Late Roman Spain (Anm. 4) 271–286.
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II. Diese Interpretation ergibt sich eindeutig aus der literarischen Überlieferung. Aber kann der Historiker die archäologischen Befunde dazu heranziehen, die gotische Anwesenheit in Spanien genauer zu beschreiben? Lange Jahre haben Historiker und Archäologen diese Frage zustimmend beantwortet. Der Ansatz, den der große katalanische Gelehrte Ramon d’Abadal i Vinyals in den späten 1950er Jahren zuerst artikulierte, bleibt die Grundlage allgemeiner Diskussionen über das Problem. D’Abadal ging von zwei rätselhaften Passagen in den Consularia Caesaraugustana aus: Goti in Hispanias ingressi sunt, was er als Beleg für eine Wanderung las, und Gotthi intra Hispanias sedes acceperunt, was er als Beleg für eine Ansiedlung ansah.13 Er fuhr dann fort, indem er diese Passagen mit archäologischen Funden in Verbindung brachte, insbesondere mit einigen bekannten Gräberfeldern der Kastilischen Meseta: Duratón (Segovia), Castiltierra (Segovia), El Carpio de Tajo (Toledo) und Herrera de Pisuerga (Palencia).14 Diese Friedhöfe waren seit den frühesten Ausgrabungen in den 1920er Jahren und der internationalen Veröffentlichung durch Hans Zeiß in seinen grundlegenden „Grabfunden aus dem spanischen Westgotenreich“, die die westgotischen Gräberfelder Spaniens von
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Cons. Caesar. 71a, 75a; Ramon d’Abadal i Vinyals, Del Reino de Tolosa al Reino de Toledo (Madrid 1960), wieder abgedruckt als: L’establiment dels visigots a Hispània. Del Regne de Tolosa al Regne de Toledo. In: Dels visigots als catalans 1. La Hispània visigòtica i la Catalunya carolíngia (Barcelona 1969) 27–56. Auch eine moderne Arbeit wie die von Wolfgang Ebel-Zepezauer, Studien zur Archäologie der Westgoten vom 5.–7. Jh. n. Chr. Iberia Archaeologica 2 (Mainz 2000) 360, bemüht sich, das älteste archäologische Material direkt auf das „historische Datum“ der gotischen Einwanderung zu beziehen. Duratón: Antonio Molinero Pérez, La necrópolis visigoda de Duratón (Segovia). Excavaciones del Plan Nacional de 1942 y 1943. Acta Arqueológica Hispánica 4 (Madrid 1948); Gerd G. Koenig, s. v. Duratón. In: Reallexikon der germanischen Altertumskunde2 6 (Berlin, New York 1985) 284–294; Pablo G. Ciezar, Sériation de la nécropole wisigothique de Duratón (Ségovie, Espagne). Histoire et Mesure 5, 1990, 107–144 (Karten unvollständig). – Castiltierra: Joachim Werner, Die Ausgrabung des westgotischen Gräberfeldes von Castiltierra (Prov. Segovia) im Jahre 1941. Forschungen und Fortschritte 11–12, 1942, 108–109; ders., Las excavaciones del Seminario de Historia Primitiva del Hombre en 1941, en el cementerio visigodo de Castiltierra (Segovia). Cuadernos de Historia Primitiva del Hombre 1, 1946, 46–50 (fast kein einziges Grab dieses Gräberfelds ist bislang publiziert). – El Carpio: Cayetano de Mergelina, La necrópolis de Carpio de Tajo. Notas sobre ajuar en sepulturas visigodas. Boletín del Seminario de Estudios de Arte y Arqueología (Valladolid) 15, 1949, 145–154; Gisela Ripoll, La necrópolis visigoda de El Carpio de Tajo (Toledo). Excavaciones Arqueológicas en España 142 (Madrid 1985); dies., La necrópolis visigoda de El Carpio de Tajo. Una nueva lectura a partir de la topochronología y los adornos personales. Butlletí de la Reial Académia Catalana de Belles Arts de Sant Jordi 7–8, 1993–1994, 187–250. – Herrera de Pisuerga: Julio Martínez Santa-Olalla, Excavaciones en la necrópolis visigoda de Herrera de Pisuerga (Palencia). Memoria (Madrid 1933).
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den römischen zu trennen versuchten15, als archetypisch westgotisch angesehen worden. D’Abadal interpretierte die Bemerkungen in den Consularia als Beleg für die Zuwanderung und Ansiedlung einer umfänglichen Bevölkerung aus freien westgotischen Kriegern, deren Existenz durch die Friedhöfe in der Meseta eindeutig bewiesen sei. Obwohl seit d’Abadal viele Jahrzehnte gelehrter Forschung kamen und gingen, haben seine Grundannahmen sowohl hinsichtlich der historischen wie der archäologischen Quellen stets die Interpretationen bestimmt. Niemand hat bezweifelt, dass westgotische Zuwanderung und Ansiedlung sowohl historisch als auch archäologisch ausdrücklich bestätigt sind. Einerseits ist da die methodologische Frage nach dem Verhältnis von Sachkultur und Ethnizität. Andererseits sind da die Schwachstellen der Texte, die viel tiefer gehen, als Gelehrte, die über andere Regionen des frühmittelalterlichen Europa arbeiten, sich vorstellen mögen. Obwohl einige neuere Studien die eine oder die andere der beiden Schwächen thematisiert haben, hat dennoch keine beide Probleme auf zufrieden stellende Weise behandelt. Beginnen wir mit der methodologischen Frage. Die Schwierigkeit, ob und wie Sachkultur Ethnizität reflektiert, ist in der Archäologie des frühen Mittelalters allgegenwärtig. Es wurde lange und wird oft noch heute vorausgesetzt, dass bestimmte Formen von Artefakten westgotisch seien, andere ostgotisch, und dass überall dort, wo diese Fibeln zu finden sind, Westgoten und Ostgoten zu lokalisieren seien. Dieser Ansatz entstammt Gustaf Kossinnas „Siedlungsarchäologie“, wie sie von Vere Gordon Childe im Englischen modifiziert und popularisiert wurde und die Hans Zeiß und seine Nachfolger viel differenzierter handhabten. Sicherlich würde kein heutiger Archäologe zugestehen, dass noch irgendjemand Archäologie in dieser Weise betriebe, aber es scheint, als ob die Vehemenz, mit der Kossinna zurückgewiesen wird, in direktem Verhältnis zur unbewussten Akzeptanz seiner Ideen zunimmt. Tatsächlich ist die ethnische Interpretation von Artefakten in archäologischen Studien zu den Barbaren allgegenwärtig.16 15
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Hans Zeiß, Die Grabfunde aus dem spanischen Westgotenreich. Germanische Denkmäler der Völkerwanderungszeit 2 (Berlin, Leipzig 1934). Volker Bierbrauer, Archäologie und Geschichte der Goten vom 1.–7. Jahrhundert. Frühmittelalterliche Studien 28, 1994, 51–171, hier 53, spricht sogar von der „Ethnogenese der Wielbark-Kultur“ und setzt dabei voraus, dass eine archäologisch feststellbare, durch verschiedene Elemente der Sachkultur bestimmte Kultur als ethnische Gruppe zu betrachten wäre. Ebel-Zepezauer, Archäologie der Westgoten (Anm. 13) 158 und öfter, setzt – obwohl exzellent in anderer Hinsicht – voraus, dass Grabbeigaben und „Trachtbestandteile“ selbstverständlich ein gotisches ethnos identifizieren. Ebenso jetzt Christoph Eger, Westgotische Gräberfelder auf der Iberischen Halbinsel als historische Quelle. Probleme der ethnischen Deutung. In: Cum grano salis. Beiträge zur europäischen Vor- und Frühgeschichte. Festschrift Volker Bierbrauer, hrsg. Bernd Päffgen/Ernst Pohl/Michael Schmauder (Friedberg 2005) 165–181.
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Man kann z. B. nicht sieben Jahrhunderte gotischer Geschichte mit archäologischen Argumenten verbinden – wie dies ein geschätzter Artikel in den Frühmittelalterlichen Studien tut –, ohne vorauszusetzen, dass bestimmte Artefakte spezifisch gotisch sind und es erlauben, Goten von den Küsten der Ostsee bis zur kastilischen Meseta zu verfolgen.17 Ebenso wenig kann man behaupten, dass unterschiedliche Grabbeigaben auf einem einzelnen Friedhof verschiedene und unterscheidbare ethnische Gruppen festzustellen erlauben, wenn man nicht glaubt, dass einige Ornamente an sich gotisch und andere an sich römisch sind und so die automatische Feststellung der Ethnizität ihrer Träger gestatten.18 Ja, wie eine neuere Studie mit großer theoretischer Deutlichkeit dargelegt hat – die in frühmittelalterlichen Gräbern beigegebenen Artefakte sind nur sehr selten gute Indikatoren für Ethnizität.19 Die Grabbeigaben erzählen viel mehr über vertikale soziale Beziehungen – zwischen unterschiedlichen Ebenen von Status innerhalb einer Gesellschaft – als über horizontale Beziehungen zwischen ethnischen oder Sprachgruppen mit verschiedener Identität. Während es also relativ einfach ist, vertikale Distinktionen innerhalb eines archäologischen Befundes zu charakterisieren, stellt die Definition von Befunden im Kontrast zu anderen einen davon sehr verschiedenen und künstlichen Prozess dar. Er bringt die Auswahl einiger Kennzeichen – z. B. waffenlose Bestattungen und einzelne Fibelformen – mit sich und hält sie, einzeln oder in Kombination, für ausschlaggebend für eine archäologische Kultur.20 Auch wenn die Auswahl der eine archäo17 18
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Bierbrauer, Archäologie und Geschichte (Anm. 16). Unter diesen Annahmen sind Bierbrauers zahlreiche Schriften besonders eindeutig und vereinfachend, und dennoch finden sie sich überall in der Literatur und nicht allein der deutschsprachigen, wie Peter J. Heather, The Goths (Oxford 1996), bezeugt. In spanischem Zusammenhang beruhen alle Arbeiten Gisela Ripolls auf dieser Voraussetzung, wofür El Carpio de Tajo als Beispiel dienen mag, denn dieses Gräberfeld betrachtet sie als gemischte Gemeinschaft von Goten und Römern. Die jüngsten Beispiele für diesen Ansatz leiten sich ab von Wolfgang Hübener, Zur Chronologie der westgotenzeitlichen Grabfunde in Spanien. Madrider Mitteilungen 11, 1970, 187–211; ders., Problemas de las necrópolis visigodas españolas desde el punto de vista centroeuropeo. Miscelánea Arqueológica 1, 1974, 361–378, der stets von der Westgotenzeit sprach, aber nach einer ethnischen Unterscheidung der Westgoten selbst suchte. Dieser Ansatz erreicht seine weiteste Fortsetzung bei Gerd G. Koenig, Archäologische Zeugnisse westgotischer Präsenz im 5. Jahrhundert. Madrider Mitteilungen 21, 1980, 220–247. Für Details vgl. das Kapitel „Forschungsgeschichte“ bei Barbara Sasse, ‚Westgotische‘ Gräberfelder auf der Iberischen Halbinsel am Beispiel der Funde aus El Carpio de Tajo (Torrijos, Toledo). Madrider Beiträge 26 (Mainz 2000) 131–144. Sebastian Brather, Ethnische Interpretationen in der frühgeschichtlichen Archäologie. Geschichte, Grundlagen und Alternativen. Reallexikon der germanischen Altertumskunde, Ergänzungsband 42 (Berlin, New York 2004). Sasse, ‚Westgotische‘ Gräberfelder (Anm. 18) 150, mit hilfreichen Kommentaren zu dem gelehrten Dogma, „waffenlose“ Bestattungen seien stets und überall gotisch.
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logische Kultur definierenden Charakteristika erfolgreich Merkmale isoliert, die tatsächlich nicht besonders weit verbreitet sind, so begegnen wir doch der Annahme, dass die von uns ausgewählten Charakteristika dieselben seien, die die Zeitgenossen als in gewisser Weise Identität oder Alterität ausdrückend betrachteten. Diese Annahme darf niemals allein auf archäologischen Begriffen beruhen – wir brauchen eine menschliche Stimme aus der Vergangenheit, um ein Gefühl von Identität vermittelt zu bekommen. Anderenfalls riskieren wir, ein abstraktes Ensemble von materiellen Merkmalen, die wir selbst ausgewählt haben, auf eine historisch real vorhandene Gruppe von Menschen zu projizieren, der wir dann eine kollektive Identität zuschreiben oder gemeinsame Handlungen attestieren.21 Die Gefahr dieses Ansatzes wird noch deutlich vergrößert, wenn wir aus literarischen Quellen entnommene Namen und Identitäten auf diese Ensembles materieller Merkmale übertragen, die wir selbst ausgewählt haben. Diese beiden methodischen Fallstricke kennzeichnen die Diskussion darüber, wie Spanien gotisch wurde. Die sehr spärlichen literarischen Quellen über gotische Einfälle in die Halbinsel werden mit den Befunden aus den Meseta-Gräberfeldern kombiniert, die als westgotisch gelten, weil die in ihnen gefundenen Kleidungsbestandteile als typisch gotisch definiert werden.22 Seitdem diese Verbindung feststeht, kann die Verbreitung von Artefakten, die in den Meseta-Gräberfeldern gefunden werden, in ganz Spanien dazu herangezogen werden, die Ausbreitung der westgotischen Bevölkerung aus der Meseta heraus und in andere Provinzen zu verfolgen.23 Nur eine Studie – der wichtige status questionis von Wolfgang Ebel-Zepezauer – hat eine gemischte Argumentation mit Hilfe archäologischer und historischer Quellen sorgfältig vermieden und beide absichtlich isoliert betrachtet, bevor sie zur Überlagerung gebracht wurden. Unglücklicherweise setzt dieselbe Untersuchung ohne weitere Begründung voraus, dass die Meseta-Gräberfelder einer gotischen Bevölkerung zuzuschreiben sind, weil die aus ihnen stammenden Artefakte charakteristisch für eine gotische Ethnizität seien.24 21
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Sebastian Brather, Ethnic identities as constructions of archaeology. The case of the Alamanni. In: On Barbarian identity. Critical approaches to ethnicity in the early middle ages, ed. Andrew Gillett. Studies in the early middle ages 4 (Turnhout 2002) 149–176, hier 100: „Archaeological cultures are not realities. They are classifications.“ Z. B. Martín Almagro Basch, La necrópolis hispano-visigoda de Segóbriga, Saelices (Cuenca). Excavaciones arqueológicas en España 84 (Madrid 1973); Francisco Ardanaz Arranz, La necrópolis visigoda de Cacera de las Ranas (Aranjuez, Madrid). Arqueología, paleontología y etnografía 7 (Madrid 2000). Vgl. die in den vorangehenden Anmerkungen aufgeführten Arbeiten von Hübener, Koenig und Ripoll. Ebel-Zepezauer, Archäologie der Westgoten (Anm. 13).
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Diese Annahme lässt sich nicht a priori voraussetzen. Lassen wir jene Fragen beiseite, die Kunsthistoriker zu den stilistischen Vorläufern einiger angeblich „westgotischer“ Fibeln gestellt haben.25 Wir entbehren, und das ist von größerer Bedeutung, der menschlichen Stimme, die es uns erlauben würde, der Sachkultur eine ethnische Interpretation zuzubilligen. Für das Spanien des 5. und 6. Jahrhunderts besitzen wir nicht die Vielfalt einander überlagernder Belege, die wir für die untere Donau und das nordwestliche Schwarzmeergebiet im 4. Jahrhundert haben. Dort kann man eine mehr oder weniger kohärente archäologische Kultur in einer Region definieren, in der – wie zahlreiche, voneinander unabhängige literarische Quellen berichten – Goten lebten.26 Wir können deshalb recht sicher sein, dass Goten politisch dominierende Teilhaber jener archäologischen Kultur waren, die wir Sântana-de-Mures¸-Cˇernjachov-Kultur nennen. Eine vergleichbare Sicherheit ist in Spanien nicht zu erreichen. Die Meseta-Gräberfelder beginnen nach allgemeiner Auffassung im späten 5. oder frühen 6. Jahrhundert. Nicht der Hauch eines historischen Belegs lässt vermuten, dass zu dieser Zeit Goten in der Meseta präsent waren – außer den Gräberfeldern selbst; aber diese als Beleg für eine gotische Präsenz zu akzeptieren, ist das, was erst zu zeigen wäre.
III. Dieser methodologische Mangel ist bezeichnend, aber die Schwierigkeiten mit dem archäologischen Nachweis von Goten in Spanien reichen weiter. Die Quellengrundlage, mit der wir beginnen müssen, ist erstaunlich unsicher – weit mehr, als es für den Großteil Frankreichs, für Deutschland oder Mitteleuropa der Fall ist. Keiner der paradigmatischen spanischen Fundplätze wurde mit modernen Methoden ausgegraben, und keine Ausgrabung ist vollständig publiziert worden. Die meisten unserer topographischen Informationen müssen Vorberichten entnommen werden, die keine oder fehlerhafte Pläne enthalten, die die Funde nur lückenhaft präsentieren, und die es oft unmöglich machen, Grabbeigaben und bestimmte Gräber zueinander in Beziehung zu setzen.27 Noch schlimmer – mit den zur 25 26
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Sasse, ‚Westgotische‘ Gräberfelder (Anm. 18) 151–152, mit Nachweisen. Die Legitimität des Prozesses detailliert in: Michael Kulikowski, Rome’s Gothic Wars from the third century to Alaric (Cambridge 2006), Kap. 3. Das vor kurzem ausgegrabene Gräberfeld von Cacera de las Ranas im Süden der Comunidad de Madrid ist ausführlich publiziert worden durch Ardanaz, Necrópolis visigoda (Anm. 22), doch seine problematische Chronologie stützt sich auf die von Ripoll, Necrópolis visigoda de El Carpio de Tajo (1985; 1993–1994; Anm. 14) entwickelte und in dies.,
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Verfügung stehenden Informationen ist es fast unmöglich herauszufinden, ob irgendein bestimmtes Fundensemble einen „geschlossenen Fund“ darstellt. Es wird oft behauptet, viele Funde aus Duratón, Madrona und El Carpio de Tajo stammten aus gesicherten Kontexten. Aber in Duratón sind nur 291 der etwa 666 Gräber mit vollständigen Inventaren publiziert und auf einem Gräberfeldplan kartiert. Für Madrona und El Carpio de Tajo, beide mit jeweils etwa 300 ausgegrabenen Gräbern, belegt kein Bericht, dass es sich um geschlossene Funde handelt – dem Leser wird lediglich versichert, dies sei der Fall. Neuere Studien zu El Carpio de Tajo stützen sich weithin auf archivalische Unterlagen der 1940er Jahre, und selbst die sehr vertrauenswürdigen – und vollkommen inkompatiblen – Interpretationen dieses Gräberfelds, die Gisela Ripoll und Barbara Sasse publiziert haben, räumen ein, dass einige Funde von diesem Platz nicht mehr mit jenen Gräbern in Verbindung gebracht werden können, aus denen sie tatsächlich stammen.28 Selbst wenn man die publizierten Fundberichte über spanische Gräberfelder beim Wort nimmt, kann man mit Ebel-Zepezauer nur 102 vermutlich geschlossene Kontexte ausmachen – unter mehr als 1000 auf der Halbinsel bekannt gewordenen und in die Zeit zwischen 450 und 711 datierten Gräbern.29 Ebenso wichtig ist, dass für die wichtigsten Gräberfelder in Spanien keine verlässliche Gräbertypologie vorliegt.30 Es ist unmöglich zu sagen, wer in Gräbern bestattet wurde, die direkt in Sandstein gehauen sind, wer in Särgen und wer mit größerem Aufwand beerdigt wurde. Dies schränkt jeden möglichen Einblick in Familienstrukturen und Bestattungsrituale auf den Gräberfeldern ein, auch wenn es ihn nicht unmöglich macht. Untersuchungen an gallischen Verhältnissen haben gezeigt, wie viel
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Toréutica de la Betica (siglos VI y VII d. C.). Reial Acadèmia de Bones Lletres, Series maior 4 (Barcelona 1998), perfektionierte Typologie, deren Grundlage in den 1920er und 1930er Jahren unsachgemäß ausgegrabene Gräberfelder bilden. Ein Plan ist den 21 Tafeln in der kurzen Originalpublikation von de Mergelina, Necrópolis de Carpio de Tajo (Anm. 14), über die Ausgrabung El Carpios im Jahre 1924 nicht beigegeben. De Mergelinas Plan ist von Ripoll, Necrópolis visigoda de El Carpio de Tajo (1985; Anm. 14), nach archivalischen Materialien veröffentlicht worden. Zur Geschichte der Ausgrabung vgl. Sasse, ‚Westgotische‘ Gräberfelder (Anm. 18) 2–4. Antonel Jepure, La necrópolis de época visigoda de Espirdo-Veladiez. Fondos del Museo de Segovia. Estudios y catálogos 13 (Segovia 2004), hat auf hervorragende Weise die Funde von Espirdo-Veladiez und so viel, wie aus 50 Jahre zurückliegenden Ausgrabungen noch zu rekonstruieren ist, veröffentlicht; ein ähnliches Unternehmen für die wichtigeren Meseta-Gräberfelder wäre überaus willkommen. Ebel-Zepezauer, Archäologie der Westgoten (Anm. 13) 94, 319 Liste. El Carpio muss als zu dieser Gruppe gehörend angesehen werden. Sasse, ‚Westgotische‘ Gräberfelder (Anm. 18), ist – unbeabsichtigt – eindeutiger im Hinblick auf Form und Struktur des Gräberfelds als Ripoll in ihren zahlreichen Studien.
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aus Befunden sehr unterschiedlicher Qualität herausgelesen werden kann.31 Größtenteils ist man jedoch darauf angewiesen, Kleidungsbestandteile als wesentliche Grundlage der Interpretation zu benutzen. Diese Tatsache wiederum verweist auf einen weiteren Aspekt der problematischen Beweisgrundlage, dem nur selten genügend Gewicht beigemessen wird. Kaum ein Viertel der Bestattungen auf den anscheinend gotischen Gräberfeldern enthalten überhaupt Grabbeigaben. In El Carpio de Tajo waren ganze 195 der insgesamt 285 Gräber – also fast 70 % – beigabenlos.32 Während bereits die Kombination von Gräbern mit Beigaben einerseits und solchen ohne Ausstattung andererseits selbst der Erklärung bedarf, zeigen die prozentualen Anteile beider Gruppen von Gräbern, dass man sich auch nicht so sicher darin sein sollte, Grabbeigaben als jenen „Normalfall“ anzusehen, von dem die Analyse ausgehen kann. Schließlich ist da noch die Chronologie. Ripolls Typologie der Kleidungsbestandteile von den Meseta-Gräberfeldern scheint recht verlässlich zu sein, und ihre Chronologie stimmt in den meisten Grundzügen mit konkurrierenden Typologien überein.33 Doch die absolute Chronologie ist demgegenüber überhaupt nicht gesichert. Die paradigmatischen MesetaGräberfelder wurden vor dem Aufstieg der modernen Archäologie ausgegraben, und dies bedeutet, dass sowohl horizontale als auch vertikale Stratigraphien nicht existieren. Die Sammlung aus der Baetica, die Ripoll zur Verfeinerung ihrer Typologie für die Meseta heranzog, stammt aus dem Antikenhandel und entbehrt sämtlicher Kontextinformationen.34 Kein einziger Fixpunkt – eine Münze oder Scherben aus einem gesicherten stratigraphischen Zusammenhang – existiert, um die niveles oder „Stufen“ von Gisela Ripolls Typologie zu datieren.35 Komparative Datierungen mit Hilfe merowingerzeitlicher Kontexte oder danubischer Gräberfelder sind nicht mit ausreichender Stringenz unternommen worden, um in sie Vertrauen
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Guy Halsall, Settlement and social organization. The Merovingian region of Metz (Cambridge 1995). In El Carpio enthielten lediglich 90 von 285 ausgegrabenen Gräbern Beigaben; Ripoll, Necrópolis visigoda de El Carpio de Tajo (1993–1994; Anm. 14). Nur vier Gräber (45, 73, 160 und 201) besaßen Grabbeigaben neben und über die Kleidung hinaus, in der die Toten bestattet worden waren. Hübener, Problemas de las necrópolis visigodas (Anm. 18) 365, war sich des Defizits bewusst und erkannte, dass darin erhebliche Interpretationsprobleme begründet liegen. Die Typologien bei Sasse, ‚Westgotische‘ Gräberfelder (Anm. 18), und Bierbrauer, Archäologie und Geschichte (Anm. 16), letztere nicht vollständig, unterscheiden sich in Details, aber nicht grundsätzlich von derjenigen Ripolls. Ripoll, Toréutica (Anm. 27). Beispielsweise enthielten nur zwei Bestattungen von El Carpio Münzen, in beiden Fällen chronologisch „langlebige“ Typen.
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setzen zu können.36 Im Ergebnis sind die den spanischen „Stufen“ zugeschriebenen absoluten Daten den literarischen Quellen entnommen worden, wobei historisch bedeutende Jahre wie 456, 507, 589 usw. als Übergangsmarken für die Typologie der Verzierungen angesehen werden.37 Es gibt natürlich Situationen, in denen historische Ereignisse tatsächlich dramatische und rasche stilistische Veränderungen bewirken – römische Frisuren der Kaiserzeit kommen einem gleich in den Sinn –, aber vorauszusetzen, dass politisch signifikante Daten wie 507 oder 589 automatisch einen Wendepunkt in der Sachkultur markieren, ist methodologisch unbegründet.38 Keine dieser potentiellen Schwierigkeiten ist trivial, und sie illustrieren eine Situation, die in meinen Augen bei jeder sich bietenden Gelegenheit in Erinnerung gerufen werden muss: es gibt eine Menge Dinge, die wir mit dem spanischen Material beim jetzigen Stand der Forschung einfach nicht unternehmen können. Wir können beispielsweise nicht distinkte Bereiche der Sachkultur kartieren und annehmen, daraus historisch verlässliche Informationen abzuleiten, wie es Florin Curta für den frühbyzantinischen Donauraum oder Frank Siegmund für die Alemannia tun konnten.39 Ob man den ethnischen Interpretationen Curtas und Siegmunds, die sie aus ihrem Material ziehen, folgt oder nicht – und viele mögen es nicht tun –, ihre Datengrundlage ist zumindest für jene Fragen ausreichend, die beide daran stellen. Dies trifft für jeden Teil Spaniens zu jeder Zeit zwischen dem 4. und dem 7. Jahrhundert nicht zu. Auch nur ein Stück des Beweises zu verändern, kann das gesamte Interpretationsgebäude zum Einsturz bringen. Man stelle sich nur einmal vor, dass z. B. die absolute Chronologie der an den Objekten aus den Meseta-Gräberfeldern angebrachten Ornamente tatsächlich zwanzig Jahre früher anzusetzen wäre, als gemeinhin angenommen wird. Oder zwanzig Jahre später. Wie sehr würde dies unsere Vorstellungen von der westgotischen Geschichte der Halbinsel verändern? Wäre man dann immer noch bereit, die Gräberfelder mit einer gotischen Eroberung zu verbinden? Oder man stelle sich vor, wir würden unsere Auf36
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Sasse, ‚Westgotische‘ Gräberfelder (Anm. 18), versucht, „gut datierte“ mitteleuropäische Parallelen zur Datierung der spanischen Beispiele heranzuziehen, aber es ist überhaupt nicht klar, dass Ähnlichkeiten über derart große Entfernungen brauchbar sind. Ebel-Zepezauer, Archäologie der Westgoten (Anm. 13) 9, liegt völlig richtig, wenn er betont, dass die Kombination archäologischer und literarischer Quellen in diesem Zusammenhang nur zur Vervielfachung der Fehler führen kann. Sasse, ‚Westgotische‘ Gräberfelder (Anm. 18), erkennt dies und weist deshalb Ripolls auf dieser Grundlage beruhende Chronologie zurück. Florin Curta, The making of the Slavs. History and archaelogy of the Lower Danube Region, c. 500–700. Cambridge studies in medieval life and thought 4,52 (Cambridge 2001); Frank Siegmund, Alemannen und Franken. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Ergänzungsband 23 (Berlin, New York 2000).
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merksamkeit nicht auf Fibeln und Gürtelschnallen, sondern auf andere Gegenstände konzentrieren. In der Meseta enthält eine überraschend große Zahl von Bestattungen mit Grabbeigaben jeweils ein bestimmtes kleines Messer, das mit einheimischen Grabausstattungen assoziiert ist, die man aus den so genannten Duero-Nekropolen des 4. Jahrhunderts kennt.40 Beeinträchtigt diese Tatsache die Annahme einer offensichtlich westgotischen Ethnizität in El Carpio und den anderen Meseta-Gräberfeldern nicht eher? Kann sie nicht ebenso Kontinuität und Entwicklung aus den einheimischen Meseta-Bevölkerungen bedeuten? Zumindest ist nun deutlich geworden, dass man sich bei der Hypothesenbildung auf die verfügbaren Parameter beschränken sollte.
IV. Da sich ein Großteil dieses Beitrags mit den Unzulänglichkeiten unserer Daten und den mit ihrer Analyse verbundenen Problemen beschäftigt hat, ist es angebracht, auf den verbleibenden Seiten etwas mehr als nur eine bloß negative Schlussfolgerung zu bieten. Ich beginne mit einer Feststellung, die auf den vorangehenden Seiten oft in Zweifel gezogen worden ist: eine ethnische Interpretation der Meseta-Gräberfelder ist tatsächlich nicht unmöglich, zumindest wenn sie auf einem genügend hohen Niveau der Generalisierung stattfindet.41 Man kann unmöglich leugnen, dass einige Gräber auf Gräberfeldern wie Duratón oder El Carpio ornamentale Formen enthalten, die sich von jenen deutlich unterscheiden, die in den meisten Teilen des spätantiken Spaniens verbreitet waren. Zumindest ein paar Leute, die auf den Meseta-Gräberfeldern bestattet wurden, bevorzugten eine Mode, die sich auffällig von der zeitlich vorangehenden Norm unterschied. Aufgrund dessen und wenn sich zeigen lässt, dass die vorgeschlagenen Datierungen für diese ornamentalen Formen prinzipiell zutreffen, dann erscheint es logisch, diese Meseta-Gräberfelder einer Bevölkerung zuzuschreiben, die sich von der spanischen Norm unterschied. Da wir aus literarischen Quellen wissen, dass Goten genannte Fremde während des 5. und 6. Jahrhunderts tatsächlich in Spanien siedelten, könnten wir gut an-
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Ángel Fuentes Domínguez, La necrópolis tardorromana de Albalate de las Nogueras (Cuenca) y el problema de las denominadas „necrópolis del Duero“. Serie arqueología conquense 10 (Cuenca 1989); Parallelen zur folgenden Periode benennt Ardanaz, Necrópolis visigoda (Anm. 22). Der Versuch, „mediterrane“ und „germanische“ Knochen zu unterscheiden, ist nicht hilfreich; pace Ardanaz, Necrópolis visigoda (Anm. 22) 288.
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nehmen, die in den Meseta-Gräberfeldern bestatteten Leute würden diese gotischen Zuwanderer repräsentieren. Aber auch eine so minimalistische Deutung des Falls bereitet große Probleme. Es bleiben die Unsicherheiten der Chronologie, die keine Sicherheit gestatten, und es ist daran zu erinnern, dass das westgotische Königreich des 5. Jahrhunderts in Südgallien bekanntermaßen archäologisch unsichtbar ist.42 Weshalb die Bestattung mit Grabbeigaben und Kleidungsbestandteilen, die im gotischen Gallien unbekannt war, plötzlich unter den Goten in der Meseta aufkam, ist eine Frage, die im Rahmen des herrschenden interpretativen Paradigmas von Ethnizität bislang niemand zufrieden stellend beantwortet hat – eine einfache Zuwanderung aus Gallien scheitert am Fehlen ähnlicher Kleidungsbestandteile in der Herkunftsregion, während kein Versuch, die Meseta-Gräberfelder als Produkt balkanischer oder danubischer Goten anzusehen, irgendeinen Beleg zu seiner eigenen Bekräftigung erbrachte.43 Es ist tatsächlich wahrscheinlich, dass man die MesetaGräberfelder einfach als indigene Entwicklung innerhalb der lokalen Bevölkerung Zentralspaniens ansehen könnte, wenn nicht das Paradigma einer ethnischen Deutung so tief verwurzelt wäre. Nachdem eine sehr plausible Alternative zur ethnischen Interpretation der gallischen ReihengräberZivilisation vorgeschlagen und wohl weithin akzeptiert worden ist44, dürfte ein äquivalenter Ansatz für Spanien sehr wahrscheinlich sein.45 Das späte 5. Jahrhundert war eine Zeit großen politischen Stress’ auf der Iberischen Halbinsel. Die Superstruktur der Regierung, die die städtischen
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Edward James, The Merovingian archaeology of South-West Gaul. British Archaeological Reports, International Series 22 (Oxford 1977). Koenig, Archäologische Zeugnisse (Anm. 18); Patrick Périn, L’armée de Vidimer et la question des dépôts funéraires chez les Wisigoths en Gaule et en Espagne (Ve–VIe siècles). In: L’armée romaine et les barbares du IIIe au VIIe siècle, ed. Françoise Vallet/Michel Kazanski (Paris 1993) 411–423; Andreas Schwarcz, The Visigothic settlement in Aquitania. Chronology and archaeology. In: Late antique Gaul (Anm. 9) 15–25; dagegen Ebel-Zepezauer, Archäologie der Westgoten (Anm. 13) 168. Sasse, ‚Westgotische‘ Gräberfelder (Anm. 18) 161–163, akzeptiert die Vorstellung einer mode danubienne in den Meseta-Gräberfeldern, rechnet sie jedoch Söldnern zu, vielleicht diejenigen Eurichs, deren Ursprünge im nordgallischen Königreich des Syagrius lagen. Diese These ist eine nicht erforderliche Interpolation von Michel Kazanski, Les barbares orientaux et la défense de la Gaule aux IVe–Ve siécles. In: L’armée romaine (wie oben) 175–186. Guy Halsall, The origins of the Reihengräberzivilisation. Fourty years on. In: Fifth-century Gaul. A crisis of identity?, ed. John F. Drinkwater/Hugh Elton (Cambridge 1992) 196–207. Wie in einem bislang unpublizierten Beitrag vorgeschlagen von Guy Halsall, Death and identity on the periphery? The so-called Visigothic cemetery revisited (vorgetragen auf dem International Medieval Congress, Leeds 2001), dem meine Argumentation hier viel verdankt.
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territoria und die Provinzregierung sowie die Provinzregierung und das imperiale Zentrum verbunden hatte, löste sich auf – gewaltsam in einigen Bereichen der Halbinsel, unmerklich in anderen.46 Kein Versuch, auf derselben Ebene zu regieren, war erfolgreich. Das Gravitationszentrum der sozusagen westgotischen königlichen Verwaltung lag in der küstennahen Tarraconensis und entlang der Route durch die Pyrenäen, die in Zaragoza endete. Im größten Teil der übrigen Halbinsel fiel die Macht an die lokale Aristokratie zurück, die entweder kirchlich oder senatorisch war, und in weiten Teilen Spaniens war die Stadt das höchste Niveau, auf dem eine Verwaltung funktionierte. Die Gebiete der Meseta, in denen sich die als westgotisch angesehenen Gräberfelder konzentrierten, lagen an der Peripherie solcher Kontrolle und Autorität, wie es sich für die Halbinsel vor der Mitte des 6. Jahrhunderts belegen lässt. Vor diesem Hintergrund scheint es gut möglich zu sein, das plötzliche Auftauchen neuer Bestattungsformen mit einer Bevölkerung in peripheren Regionen zu verbinden, die neue Formen der Statusdemonstration entdeckte, als sie sich relativ plötzlich von den benachbarten Quellen der politischen Macht isoliert sah – sei sie nun hispano-römisch oder gotisch. Manche der Verzierungselemente, die in diesem neuen Stil gefertigt waren, entstammen offenbar barbarischen und militärischen Vorbildern. Barbarische Soldaten waren in Spanien während des gesamten 5. Jahrhunderts aktiv, und es bedurfte nur einer passenden Situation, dass barbarische, an militärische Macht erinnernde Stile an das ornamentale Vokabular einer sich neu formierenden Bevölkerung angepasst wurden und sich nicht mehr auf ein größeres römisches Reich bezogen. Eine ornamentale oder stilistische Einbindung in einen einheimischen Kontext hat genauso viel Sinn wie jede allgemein ethnische Interpretation, und sie hilft dabei, die Parallelen zu den einheimischen Bestattungsformen des Duero-Typs des 4. Jahrhunderts zu verstehen.47 Wenn die Meseta-Gräberfelder des 6. Jahrhunderts keine zweifelsfreien Belege für Goten auf der Halbinsel darstellen, wie verhält es sich dann mit meiner Eingangsfrage – wie wurde Spanien gotisch? Wie jede andere Transformation der Art, ein Land zu regieren, war der Prozess, in dem Spanien gotisch wurde, ein politischer. Die Archäologie kann nicht dazu benutzt werden, in dieser Hinsicht die begrenzten Informationen der schriftlichen Quellen zu ergänzen oder zu erweitern. Es wäre vorschnell, die Möglichkeit einer ethnischen Interpretation der Meseta-Gräberfelder auszuschließen, aber es ist weit gefährlicher, sie weiterhin dogmatisch als Bestätigung unserer spärlichen literarischen Quellen oder als unmittelbaren Beleg für 46 47
Überblick in Kulikowski, Late Roman Spain (Anm. 4) 176–214. Vgl. Fuentes Domínguez, Albalate de las Nogueras (Anm. 40).
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die Ausdehnung gotischer Besiedlung anzusehen. Darüber hinaus hat es keine weiteren Konsequenzen für die Interpretation, wenn man akzeptiert, dass die Meseta-Gräberfelder einer ethnischen Interpretation zugänglich sind. Das Vorkommen einer Fibel in der Baetica, die in einem Meseta-Kontext als „gotisch“ interpretiert werden könnte, bedeutet nicht notwendigerweise, dass ihre Besitzerin in der Baetica eine Gotin war.48 Ebenso bedeutet das Fehlen „gotischer“ Fibeln in einer Region nicht zwangsläufig das Fehlen von Leuten, die von den Zeitgenossen als Goten angesehen wurden. Mit anderen Worten können die spärlichen Streufunde, die den Großteil unseres Materials außerhalb der Meseta-Gräberfelder ausmachen, nicht dazu benutzt werden, eine ethnische Vielfalt Spaniens im 6. Jahrhundert darzustellen. Schließlich war die Schaffung der neuen künstlerischen, architektonischen und liturgischen Kultur des westgotischen Königreichs im 7. Jahrhundert keine Sache einer ethnischen Umwandlung, von ethnischer Migration ganz zu schweigen. Im Gegenteil, sie war das Ergebnis eines politischen Triumphs – des Erfolgs, mit dem sich Leovigilds gotische Monarchie auf nahezu der gesamten Halbinsel etablierte und auf diese Weise eine Umgebung schuf, in der sich eine neue, relativ uniforme Kultur ausbreiten konnte.
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Pace Luís A. García Moreno, En las raíces de Andalucía (ss. V–X). Los destinos de una aristocracia urbana. Anuario de Historia del Derecho Español 65, 1995, 849–878.
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Zwischen Spätantike und Frühmittelalter – RGA-E Band 57 – Seiten 45–64 Ambrosius, Julianus © 2008 Walter de Gruyter · Berlin · NewValens York und die „gotische Kleidung“
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Ambrosius, Julianus Valens und die „gotische Kleidung“ Eine Schlüsselstelle historisch-archäologischer Interpretation Philipp von Rummel
Die Frage, was archäologische Funde über ethnische Identitäten aussagen können, wird in den letzten Jahren auch in der frühgeschichtlichen Archäologie wieder intensiv diskutiert.1 Einer der zentralen Punkte ist dabei, ob, und wenn ja, wie ethnische Identität in Kleidung zum Ausdruck kommt. Um hier Erkenntnisfortschritte zu erlangen, wird viel diskutiert über Fundtypen, ihre Verbreitung und Datierung, aber auch über Gewandformen und die Funktion und Lage einzelner Stücke am Gewand. Es besteht die Hoffnung, so Muster erkennen zu können, in denen sich Eigenheiten frühgeschichtlicher gentes widerspiegeln. Diese könnten auf diese Weise nicht nur identifiziert, sondern in ihrer historischen Entwicklung verfolgt werden. Von archäologischer Seite wird dabei zumeist auf ein aus zwei Teilen bestehendes Fundament aufgebaut. Dessen erster Teil besagt, es habe in der Spätantike und im frühen Mittelalter gentes gegeben. Dies stehe in den Schriftquellen und bedürfe genau wie die Kenntnis ihrer Siedlungsräume keiner archäologischen Begründung. Dieses Wissen könne daher als Basis in die archäologische Forschung einfließen. Die zweite Grundlage ist die Annahme, Kleidung habe in dieser Zeit in erster Linie die ethnische Zugehörigkeit ihres Trägers demonstriert. Obwohl von historischer Seite her schon gezeigt wurde, dass gerade die letzte Prämisse eigentlich verworfen werden müsste, wird jedoch die Forderung vom getrennten Marschieren und vereinten Schlagen der Archäolo1
Vgl. etwa Sebastian Brather, Ethnische Interpretationen in der frühgeschichtlichen Archäologie. Geschichte, Grundlagen und Alternativen. Ergänzungsband zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 42 (Berlin, New York 2004); Volker Bierbrauer, Zur ethnischen Interpretation in der frühgeschichtlichen Archäologie. In: Walter Pohl/Peter Erhart (Hrsg.), Die Suche nach den Ursprüngen. Von der Bedeutung des frühen Mittelalters. Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 8 (Wien 2004) 45–84.
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gen und Historiker in der Archäologie manchmal so ernst genommen, dass es nicht mehr zum vereinten Schlagen kommt. Da Termini wie Vandali, Goti oder Alamanni nie präzise definierte Größen waren, sondern Ausdrücke, die einem ständigen Wandlungsprozess unterlagen und noch immer unterliegen, sind die scheinbar so sicheren Fundamente, auf denen Archäologen ihre Interpretationen gründen, nicht so fest, wie es zuweilen dargestellt wird. Dies soll im folgenden anhand eines Fallbeispieles dargestellt werden. Ausgangspunkt ist eine schriftliche Quelle, da sich der Verf. nicht der kürzlich geäußerten Meinung anschließen will, die Kompetenz, über die ethnische Relevanz von Tracht zu urteilen, verbleibe wegen der Widersprüchlichkeit der Schriftquellen bei den Archäologen.2 Der betreffende Text entstammt dem späten 4. Jahrhundert, also einer Zeit, in der zahlreiche Quellen über barbarische Kleidung berichten: etwa Claudius Claudianus und Synesios von Kyrene mit ihren Tiraden über die Fellkleidung der Goten, die ihren Nachschlag bei Rutilius Namatianus und Sidonius Apollinaris gefunden haben. Oder Monumente wie die Basis des Theodosiusobelisken und die Arkadiussäule in Konstantinopel, die ebenfalls Barbaren in Fellmänteln darstellen. Nicht zu vergessen die Kleidungsgesetze im Codex Theodosianus.3 Thema dieses Beitrages sind jedoch nicht die gotischen Felle, sondern ein Brief des Mailänder Bischofs Ambrosius,4 in dem zwar auch Gotisches, aber nicht Felle, sondern Hals- und Armringe thematisiert werden. Der Text spiegelt die religiösen Konflikte in Oberitalien und Illyricum in den Jahren zwischen 374/375 und 381 wieder,5 in denen Ambrosius viel Energie aufbrachte, um die unterschiedlichen häretischen Gruppierungen in seiner Metropolie zu bekämpfen und die Christen unter homousischen, also nizänisch-katholischem Bekenntnis zu einen. Bedroht wurden diese Bestrebungen besonders von der vor allem in Illyricum starken homöischen (‚arianischen‘) Partei, die in Fragen der Trinitätslehre auf einer subordinatianischen Theologie beharrte, also einer rangmäßigen Unterordnung
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Bierbrauer, Zur ethnischen Interpretation (Anm. 1) 57 Anm. 76. Vgl. Philipp v. Rummel, Habitus barbarus. Kleidung und Repräsentation spätantiker Eliten im 4. und 5. Jahrhundert. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Ergänzungsband 55 (Berlin, New York 2007). Zu Ambrosius: Christoph Markschies, Ambrosius von Mailand und die Trinitätstheologie (Tübingen 1995); Neil B. McLynn, Ambrose of Milan. Church and Court in a Christian Capital (Berkely u. a. 1994); Daniel H. Williams, Ambrose of Milan and the End of the Nicene-Arian Conflicts (Oxford 1995). Markschies, Ambrosius von Mailand (Anm. 4) 134–142.
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des Sohnes unter den Vater.6 Dieser Gefahr entsprechend ging Ambrosius mit Unterstützung Gratians intensiv gegen die Homöer vor, unter anderem mit seiner Schrift De fide und einem im Jahr 381 in Aquileia einberufenem Konzil.7 Maßgebliches Ziel dieser bischöflichen Versammlung war es, die kirchlichen Verhältnisse in Illyricum und in Oberitalien in katholisch-nizänischem Sinn zu bereinigen. Das zentrale Ereignis des Konzils war die Disputation mit den homöischen Bischöfen Palladius von Ratiara (Archar, Bulgarien) und Secundianus von Singidunum (Belgrad, Serbien) und ihre Verurteilung.8 Ambrosius’ Vorgehen gegen einen Bischof namens Julianus Valens,9 der in diesen Jahren an seinem eigenem Bischofsitz Mailand für Unruhe sorgte, ist religionsgeschichtlich dagegen nur von untergeordneter Bedeutung. Über Julianus Valens, dessen Kleidung im folgenden eine bedeutende Rolle spielt, ist nicht viel bekannt. Er kam wohl aus Mailand und gehörte dort zur Partei des römischen Gegenbischofs Ursinus, bevor er Bischof von Poetovio (Pettau/Ptuj) wurde und sich dort homöischem Gedankengut zuwandte. Nach der Zerstörung von Pettau durch die Goten kehrte Valens nach Mailand zurück und schloss sich dort der homöischen Gemeinde an.10 6
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Markschies, Ambrosius von Mailand (Anm. 4); Christoph Markschies, Ambrosius als Trinitätstheologe. In: ders., Alta Trinità Beata. Gesammelte Studien zur altkirchlichen Trinitätstheologie (Tübingen 2000) 265–285. – Vgl. zur homöischen Theologie im Osten: Hanns C. Brennecke, Studien zur Geschichte der Homöer. Der Osten bis zum Ende der homöischen Reichskirche. Beiträge zur historischen Theologie 73 (Tübingen 1988); Knut Schäferdiek, Die Anfänge des Christentums bei den Goten und der sog. gotische Arianismus. Zeitschrift für Kirchengeschichte 112, 2001, 295–310. Zum Konzil: Gunther Gottlieb, Das Konzil von Aquileia (381). Annuarium Historiae Conciliorum 11, 1979, 287–306; McLynn, Ambrose (Anm. 4) 124–137. Gottlieb, Konzil (Anm. 7) 296–306. Zur Identifikation vgl. Markschies, Ambrosius von Mailand (Anm. 4) 135 Anm. 285. Markschies, Ambrosius von Mailand (Anm. 4) 140. Denkbar wäre auch, dass Valens erst Bischof von Pettau wurde und sich nach der Zerstörung dieser Stadt in Mailand der ursinianischen Gemeinde in Mailand anschloss. Da die dargestellte Variante ist nach Markschies jedoch die wahrscheinlichere. – Vgl. auch Rudolf Egger, Die Zerstörung Pettaus durch die Goten. Jahrbuch des Österreichischen Archäologischen Instituts 18, 1915, 253–266; Hans von Campenhausen, Ambrosius von Mailand als Kirchenpolitiker (Berlin, Leipzig 1929) 64–80; Markschies, Ambrosius von Mailand (Anm. 4) 134–142; Alain Chauvaut, Opinions romaines face aux barbares au IVe siècle ap. J.-C. (Paris 1998) 277–281; Ralph W. Mathisen, Barbarian Bishops and the Churches „in barbaricis gentibus“ during Late Antiquity. Speculum 72, 1997, 664–697, hier 678 f. – Zum allgemeinen Kontext vgl.: McLynn, Ambrose (Anm. 4); Williams, Ambrose (Anm. 4); Peter Heather, Goths and Romans, 332–489 (Oxford 1991) 340 f.; John H. W. G. Liebeschuetz, The Collected Letters of Ambrose of Milan: Correspondence with Contemporaries and with the Future. In: Linda Ellis/Frank L. Kidner (Hrsg.), Travel, Communication and Geography in Late Antiquity. Sacred and Profane (Aldershot 2004) 95–107.
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Die aus archäologischer Perspektive interessanten Angaben finden sich in einem Brief, den das Konzil von Aquileia nach dem Abschluss der Verhandlungen am 3. September 381 an die Kaiser Gratian, Valentinian II. und Theodosius (also de facto an Gratian als Kaiser des Westreiches) richtete.11 Über Julianus Valens wird dort ausgeführt, er habe sich dem Konzil, obwohl er sich in der Nähe befände, entzogen12 und auf diese Weise die kaiserliche Einladung und die Gemeinschaft der Bischöfe missachtet. Das Konzil mit seinem spiritus rector Ambrosius war deswegen nicht in der Lage, Valens wie die Bischöfe Palladius und Secundianus auf Grund häretischer Aussagen auf dem Konzil zu verurteilen. Um dennoch kaiserliche Sanktionen gegen Valens erreichen zu können und so der schismatischen Entwicklung in Mailand entgegenzuwirken, der Ambrosius alleine offensichtlich keine wirksamen Mittel entgegensetzen konnte, mussten Vorgänge in der Vergangenheit von Valens aufgegriffen werden. Dort stieß man auf zwei anklagenswerte Vorfälle: Zum einen wurde Valens als gesetzeswidriger Ketzer dargestellt, und zum anderen als Hochverräter. Dieser Verrat, der die Kaiser zum Handeln bewegen sollte, bezog sich auf zwei Vorkommnisse. Erstens, Valens habe seinen Bischofssitz Poetovio an die Goten verraten. Übersetzt lautet der Vorwurf: „Der, der in Pettau nicht sein konnte, der verhöhnt jetzt Mailand nach der Zerstörung seiner Heimatstadt – um nicht zu sagen: nach ihrem Verrat“.13 Und zweitens, die für uns entscheidende Stelle: Valens sei durch die Gottlosigkeit der Goten entweiht – Gothica profanatus impietate –, und habe es gewagt, sich mit einem Halsring und Armreif nach Stammesart gekleidet dem römischen Heer zu präsentieren: Qui etiam torquem ut asseritur et brachiale […] more indutus gentilium ausus sit in conspectu exercitus prodire Romani. Dies sei nicht nur für Priester sondern überhaupt für jeden Christen ein Sakrileg: quod sine dubio non solum in sacerdote sacrilegium sed etiam in quocumque Christiano est – und widerspreche dem römischen Brauch gänzlich: etenim abhorret a more Romano, und zwar um so
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Gesta concilii Aquileiensis, Epistolae 2, 9 (Ambrosius, Epistolae extra collolae 4, 9–10) [Michaela Zelzer, Sancti Ambrosi Opera 10. Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 82 (Wien 1982) 322f.]: Nam quid de eius magistro Iuliano Valente dicamus, qui cum esset proximus declinavit sacerdotale concilium, ne eversae patriae perdiorumque civium praestare causas sacerdotibus cogeretur. Qui etiam torquem ut asseritur et brachiale, Gothica profanatus impietate, more indutus gentilium ausus sit in conspectu exercitus prodire Romani: quod sine dubio non solum in sacerdote sacrilegium sed etiam in quocumque Christiano est; etenim abhorret a more Romano. Nisi forte sic solent idololatrae sacerdotes prodire Gothorum. Gesta concilii Aquileiensis, Epistolae 2, 9: Iuliano Valente […], qui cum esset proximus declinavit sacerdotale concilium. Gesta concilii Aquileiensis, Epistolae 2, 10: qui Petavione esse non potuit, is nunc Mediolani post eversionem patriae ne dicamus proditionem inequitavit.
Ambrosius, Julianus Valens und die „gotische Kleidung“
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mehr, da auf diese Weise Götzenpriester der Goten aufträten: Nisi forte sic solent idololatrae sacerdotes prodire Gothorum.14 Vier Informationen erhalten wir also über die Kleidung von Valens. Erstens, dass zu ihr Armreif und Halsring gehörten, zweitens, dass sie unrömisch sei, drittens heidnisch und viertens charakteristisch für Priester der Goten. Ambrosius scheinen diese Angaben genügt zu haben, um die kaiserliche Verwaltung von der Schwere des Vergehens zu überzeugen. Wir hätten uns dagegen gerne noch mehr konkrete Informationen gewünscht. Der einzige wirklich brauchbare Hinweis sind die beiden Ringe, die wegen ihrer ausdrücklichen Erwähnung wohl ein besonders auffälliges Merkmal an Valens gewesen sind. Waren Hals- und Armringe also Teile einer ‚gotischen Stammestracht‘? Die Archäologie scheint diese Angabe zu bestätigen. Betrachtet man beispielsweise die von Michael Schmauder erstellte Verbreitungskarte völkerwanderungszeitlicher Kolbenarmringe (Abb. 1),15 zeigt sich, dass derartige Funde fast ausschließlich im Barbaricum oder an den nördlichen Grenzen des römischen Reiches ans Licht gekommen sind. Es handelt sich um ein charakteristisch völkerwanderungszeitliches Verbreitungsbild, das genau wie die Schriftquelle auf den unrömischen Charakter der Armringe hindeutet. Verbreitungskarten von völkerwanderungszeitlichen Halsringen ergäben ein ähnliches Bild, wobei für beide Fundgruppen auch in Skandinavien Schwerpunkte zu beobachten sind. Darüber hinaus passen Details aus anderen Quellen in dieses Bild: Etwa Julian, der, wie z. B. Karl Hauck meinte, nach germanischer Sitte mit dem Halsring eines Soldaten gekrönt wurde,16 oder an die bildlichen Darstellungen von Leibgardisten auf Mosaiken oder Silbermissorien, die zusätzlich zu ihren langen Haaren Halsringe tragen und deswegen regelhaft als Germanen angesprochen werden. Als würde dies nicht schon reichen, unterstreicht der berühmte Runenring aus dem Schatzfund von Pietroasa in Rumänien, auf dem mit Sicherheit die Worte gutani und hailag, also „Goten“
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Gesta concilii Aquileiensis, Epistolae 2, 9. – Das Wort profanatus bezieht sich nach der Edition Zelzers nicht, wie es etwa Rudolf Egger oder Karl Hauck verstanden haben, auf die Schmuckstücke, sondern auf die handelnde Person Valens. Michael Schmauder, Oberschichtgräber und Verwahrfunde in Südosteuropa im 4. und 5. Jahrhundert. Zum Verhältnis zwischen dem spätantiken Reich und der barbarischen Oberschicht aufgrund der archäologischen Quellen. Archaeologia Romanica 3,2 (Bukarest 2002) 116 Karte 9. Karl Hauck, Halsring und Ahnenstab als herrscherliche Würdezeichen. In: Percy Ernst Schramm (Hrsg.), Herrschaftszeichen und Staatssymbolik. Beiträge zu ihrer Geschichte vom dritten zum sechsten Jahrhundert. Schriften der Monumenta Germaniae Historica 13, 1 (Stuttgart 1954) 145–212, hier 181–184.
Abb. 1. Verbreitung der goldenen Schlangenkopfarmringe und Kolbenarmringe der jüngeren Kaiserzeit und Völkerwanderungszeit (nach Schmauder, Oberschichtgräber [Anm. 15] Bd. 2, 116 Karte 9)
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Ambrosius, Julianus Valens und die „gotische Kleidung“
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Abb. 2. ‚Runenring‘ von Pietroasa (Pietroasele, Jud. Buzau, Rumänien) (nach Hauck, Halsring [Anm. 17])
und „heilig“ zu lesen sind (Abb. 2),17 den Hinweis des Ambrosiusbriefes, dass Hals- und Armringe in welcher Form auch immer mit gotischen Priestern verbunden waren.18 So scheinen keine Zweifel mehr zu bestehen: Julianus Valens trug Hals- und Armringe als Bestandteile eines typisch gotischen Gewandes. Trotz dieser außerordentlichen Übereinstimmung verschiedener Quellengattungen lohnt sich jedoch noch einmal ein Blick auf den Text. Wenden wir uns zuerst der Frage zu, was hier eigentlich unter ‚Goten‘ zu verstehen ist und vor wem Valens in der unpassenden Kleidung auftrat. Auf Grund der Erwähnung von Goten war vermutet worden, dass es sich bei dem genannten Heer um die Verbände von Alatheus und Safrax handele.
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Mit einer Zusammenfassung der vorgeschlagenen Lesungen: Schmauder, Oberschichtgräber (Anm. 15) Bd. 1, 116 f. Torsten Capelle, Zum Runenring von Pietroasa. Frühmittelalterliche Studien 2, 1968, 228–232; Radu Harhoiu, Die frühe Völkerwanderungszeit in Rumänien. Archaeologia Romanica 1 (Bukarest 1997) 65.
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Diese hätten sich nach der Schlacht von Hadrianopel, spätestens aber seit 380 als Föderaten in Pannonien aufgehalten.19 Eine Ansiedlung der Gruppe in Pannonien scheint jedoch eher unwahrscheinlich zu sein, wobei ein greuthungischer Einfall in Pannonien gesichert zu sein scheint.20 Goten waren demnach um 380 wohl tatsächlich in Pannonien. Da sich die Beschuldigungen gegen Valens aber auf ein Vorkommnis in seinem oberitalienischen Exil beziehen und nicht auf ein Geschehen in Pannonien, kann es sich bei dem exercitus Romanus nur um reguläre Heeresverbände in Oberitalien handeln. Deswegen vermutete Rudolf Egger, die römischen Soldaten hätten wenige Jahre nach der Schlacht von Hadrianopel gereizt auf alles Gotische reagiert und sich an der heidnisch anmutenden Kleidung von Valens gestoßen.21 Anders schätzte dagegen Hans von Campenhausen die Situation ein: Valens habe sich unter dem Eindruck des gotischen Einbruchs dem germanischen Element zugekehrt, sich selbst als Gote gegeben und sei mit Halskette und Armringen geschmückt vor die Truppen Gratians getreten, die ebenfalls schon zum größten Teil aus Germanen bestanden hätten.22 Ähnlich urteilte Ralph Mathisen: „[Valens] could only have been ministering to a band of Goths in imperial service“.23 Während die eine Deutung also von ‚römischen‘ Soldaten ausgeht, die durch ‚gotische‘ Kleidung verärgert worden seien, geht die andere von ‚germanischen‘ Soldaten in römischen Diensten aus, denen sich Valens durch seine ‚gotische‘ Kleidung habe anbiedern wollen. Letztlich bleibt es jedoch der Spekulation überlassen, wie viele Soldaten gotischer Herkunft Julianus Valens tatsächlich in dem römischen Heer gegenüberstanden. Gerade dieser spekulative Schritt ist es allerdings, der die Deutung von torques und brachiales beeinflusst. So geht auch Michael Speidel davon aus, Valens habe mit dieser Ausstattung seine Nähe zu den gotischen Truppen Gratians zeigen wollen.24 Dem ist insofern zu folgen, als Va19
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Herwig Wolfram, Die Goten von den Anfängen bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts: Entwurf einer historischen Ethnographie (3München 1990) 138–145; 250–259; Helmut Castritius, s. v. Safrax (Alatheus-Safrax-Gruppe). In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde2 26 (2004) 91–96 bes. 93. Heather, Goths and Romans (Anm. 10) 334–340. Egger, Die Zerstörung Pettaus (Anm. 10) 259. von Campenhausen, Ambrosius von Mailand (Anm. 10) 65. Mathisen, Barbarian Bishops (Anm. 10) 678. Michael P. Speidel, Late Roman military decorations I. Neck- and wristbands. Antiquité Tardive 4, 1996, 235–243, hier 242. Für Speidel ist für die ‚gotische‘ Deutung die Kombination von Halsringen und Armreifen entscheidend, die für sich jeweils als römische Militärauszeichnungen gewertet werden. Mehrere Stellen der wohl im ausgehenden 4. Jahrhundert entstandenen Historia Augusta legen jedoch eine regelhafte Kombination von
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lens, der sich der symbolischen Wirkung von Kleidung offensichtlich bewusst war, durch sein Äußeres beim Heer sicher nicht in Ungnade fallen, sondern genau das Gegenteil bezwecken wollte. Ausgerechnet Gratian, also der Kaiser, an den Ambrosius seine Beschwerde über Julianus Valens richtete, war in diesen Jahren selbst mit dem Vorwurf konfrontiert, falsche Kleidung getragen zu haben: Die Epitome de Caesaribus überliefern, Gratian habe in anstößigem Ausmaß eine kleine Truppe von Alanen begünstigt, die er gegen unmäßige Goldzahlungen angeworben hatte. Unter anderem sei der Kaiser eine so enge Freundschaft mit der alanischen Leibwache eingegangen, dass er sich in derselben Aufmachung gezeigt und so den Hass des Heeres auf sich gezogen habe.25 Der Vorwurf gegen Valens war demnach durchaus zeittypisch. Gratians Fall zeigt allerdings auch die Tücken dieser Problematik. Der Unwillen des Heeres entsprang nämlich nicht Gratians Fehlgriff in seine Garderobe, sondern Privilegierungen und Geschenken an die alanische Garde, die nach Zosimus mit der Vernachlässigung des restlichen Heeres einhergingen.26 Die Kleidung war also nicht mehr als eine Verbildlichung des eigentlichen Vorfalls – ein bekanntes schriftstellerisches Mittel, das etwa auch in der Historia Augusta vielfach zu beobachten ist. Im Gegensatz zu dem Kaiser hat Valens jedoch nicht das Missfallen des Heeres auf sich gezogen. Sonst hätte er wohl nicht diese Aufregung verursacht, die schließlich zu seiner Anklage auf dem Konzil führte. Unwahrscheinlich ist außerdem, dass Soldaten gotischer Herkunft tonangebend in den Einheiten waren, die mit Julianus Valens in Kontakt standen. Der Anteil an Soldaten fremder Herkunft im römischen Heer war in dieser Zeit zwar beträchtlich, mit etwa einem Viertel aber keineswegs vorherrschend.27 Der Kontext der Quelle zwingt also nicht zu der Annahme, Valens habe sich mittels seiner Kleidung bewusst einem ‚unrömischen Kulturelement‘ im Heer zugewandt.
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Hals- und Armringen nahe. Vgl. Scriptores Historiae Augustae, Claudius 13,8; Scriptores Historiae Augustae, Aurelian. 7,6; Scriptores Historiae Augustae, Probus 5,1; Scriptores Historiae Augustae, Maximinian 2,4. Vgl. auch Themistios, Orationes 2,22; Prokop, Bellum Gothicum 3,1,8; 4,31,9. Ps. Aurelius Victor, Epitome de caesaribus 47, 6: Nam dum exercitum negligeret et paucos Alanis, quos ingenti auro ad se transtulerat, anteferret veteri ac Romano militi, adeoque barbarorum comitatu et prope amicitia capi, ut nonnumquam eodem habitu iter faceret, odia contra se militum excitavit. Zosimos, Historia 4,35,2. Hugh Elton, Warfare in Roman Europe, AD 350–425 (Oxford 1996) 152; Martijn J. Nicasie, Twilight of the Empire. The Roman army from the reign of Diocletian until the battle of Adrianopel (Amsterdam 1998) 97 ff.
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Wichtig ist weiter die Bedeutung der Worte Gothica profanatus impietate, die gelegentlich auf die Schmuckstücke des Bischofs bezogen wurden. Dies ist grammatikalisch aber nicht möglich. Profanatus bezieht sich vielmehr auf Valens und bezeichnet seinen, aus der Sicht von Ambrosius, ketzerischen Glauben. Angesprochen ist die homöische Häresie – also ein religiöser, kein kultureller Zusammenhang. Dennoch ist der Begriff der impietas Gothica höchst ambivalent. Er stellt nicht-nizänische Glaubensauffassungen in eine Reihe mit barbarischem Unglauben einerseits und mit der politischen Bedrohung durch die Goten andererseits und ist so auf geschickte Weise in höchstem Maß diskreditierend. Ebenso zweideutig ist die Aussage, Valens sei more indutus gentilium vor das Heer getreten. Während ältere Ansätze die Passage gerne als „nach Stammesart bekleidet“ gedeutet haben, kann more gentilium auch religiös interpretiert werden. Das Substantiv gentilis bezeichnete dann entweder ‚Heiden‘ oder, dem ambrosianischen Verständnis der Gleichsetzung von Barbaren, Ketzern und Heiden entsprechend, konservativ-homöische Christen. Angesichts der Tatsache, dass dieser Vorwurf das beherrschende Thema des Briefes wie des ganzen Konzils ist, liegt die religiöse Deutung auf der Hand. More indutus gentilium wäre demnach als ‚nach Art der Heiden gekleidet‘ zu übersetzen. Dies führt schließlich zu der Überlegung, unter den sacerdotes Gothorum nicht gotische Priester zu verstehen, sondern nicht-nizänische, wahrscheinlich homöische Geistliche, die mit dem Goten-Etikett wirkungsvoll diffamiert wurden. Wie ist das nun jedoch mit den Hals- und Armringen in Verbindung zu bringen? Die Antwort auf diese Frage gibt Ambrosius selbst. Wenn er sich an anderer Stelle über junge Männer beklagt, die in militärischer Ausrüstung mit goldenen Halsringen zu einem Gastmahl erscheinen,28 zeigt sich, dass Halsringe von Ambrosius nicht als germanische Trachtbestandteile wahrgenommen wurden, sondern ganz im Gegenteil als Ehrenzeichen des römischen Heeres. So einfach wie eingangs angenommen war das Verständnis der Hals- und Armringe für die kaiserliche Verwaltung demnach nicht. Ihre Bedeutung musste sich aus dem Kontext erschließen, und dieser weist nicht darauf hin, dass hier tatsächlich unrömische Kleidung getragen worden sei. 28
Ambrosius, De helia et ieiunio 13,46 [Sancti Ambrosii Opera Ps. 1. De Iacob; De Ioseph; De patriarchis; De fuga saeculi; De interpellatione Iob et David; De apologia prophetae David; De Helia; De Nabuthae; De Tobia, hrsg. Karl Schenkl. Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 32,2 (Wien 1897)]: Apage igitur hinc adulescentes lubricos, ad convivia proeliatorum venimus. inter arma prandendum est. stipatores hic sunt bellici, qui ministrant succincti auro et Babylonicis lumbos suffulti balteis, aureis torquibus nitent colla, aureis bullis zonam tegunt, aureis thecis cultros includunt suos, quibus dimicent cum epulis dividendis.
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Johannes Chrysostomos erwähnt in der siebten Predigt zum Lob des Apostels Paulus ebenfalls goldene Halsringe als Ehrenzeichen.29 Speidel hat hier diejenigen, die mit Halsringen geehrt werden – ¹
– wörtlich mit „the honored outlanders“ übersetzt.30 Die Quelle wäre somit gegen die vorherigen Überlegungen wiederum ein Hinweis auf den fremden bzw. unrömischen Charakter von Halsringen. Der Kontext des Zitats, in dem es um Paulus als Standartenträger Christi geht, klärt jedoch darüber auf, dass hier keine rekrutierten Barbaren gemeint sind, sondern jene, die in der vergänglichen, diesseitigen Welt die Ehre erworben haben, Fahnenträger der kaiserlichen Garde zu sein und daher prächtige Kleidung und goldene Halsringe tragen dürfen. Dass torques in erster Linie hochrangige römische Ehrenzeichen sind, unterstreicht auch Vegetius. In einer Aufzählung der Titel und Rangstufen schreibt er zu den torquati: „Es gibt doppelte Halsringträger (torquati duplares) und einfache Halsringträger (torquati simplares) für die ein Halsring aus massivem Gold eine Tapferkeitsauszeichnung war. Wer diese erworben hatte, erhielt mit der Belohnung bisweilen auch doppelte Rationen“.31 Dies wird von Zosimus bestätigt, wenn er von gotischen Reitern in kaiserlichem Dienst berichtet, die für ihre Verdienste goldene Halsreifen und damit einhergehend bessere Verpflegung verliehen bekamen.32 Auch Sidonius Apollinaris beschreibt Halsringe als militärische Auszeichnungen.33 Bei Prudentius zeigt sich, dass goldene Halsringe regelhaft zur Ausstattung von draconarii gehörten.34 Der goldene Halsring aus Carnuntum aus der Wende zum 4. Jahrhundert mit der Inschrift Felices Tun[gri] – der einzige archäologische Halsringfund, der mit Sicherheit als römisches Militärabzeichen diente (Abb. 4) – wird von Speidel wegen der Erwähnung der Einheit, wohl den in der Notitia Dignitatum erwähnten Sagittarii Tungri, nicht als Aus-
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Johannes Chrysostomus, De laude S. Pauli apostoli homiliae VII [Patrologia Graeca 50, 509]: O¹ ξ σ « « «, ¹ λ ! , λ " 2 # $. Speidel, Late Roman military decorations I (Anm. 24) 238: „The outlanders honored [with the task of guarding the Labarum] are clad with coats and a golden decoration around the neck“. Vegetius, De re militari 2,7: torquati duplares, torquati simplares: torques aureus solidus virtutis praemium fuit, quem qui meruisset praeter laudem interdum duplas consequebantur annonas. Zosimos, Historia 4, 40, 8: % &ξ » '$ « ()« && μ« . Sidonius Apollinaris, Carmina 7,577 ff.: concurrunt proceres ac milite circumfuso / aggere composito statuunt ac torque coronant / castrensi maestum donantque insignia regni. Prudentius, Peristephanon 1, 64f.: ite, signorum magistri, et vos, tribuni, absiste. / aureos auferte torques, sauciorum praemia.
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Abb. 3. Leibwächter auf dem Theodosiusmissorium (nach Wilfried Seipel [Hrsg.], Barbarenschmuck und Römergold. Der Schatz von Szilágysomlyó [Wien 1999])
zeichnung bzw. Geschenk angesprochen, sondern ebenfalls als Abzeichen eines Standartenträgers.35 Gleichzeitig ist er gemeinsam mit zeitgleichen Bildquellen ein Beleg dafür, dass spätantike torques tatsächlich am Hals getragen werden konnten und nicht, wie in der späten Republik und der frühen Kaiserzeit, als Miniaturen verliehen wurden. Im 6. Jahrhundert kommt ein Bericht Prokops hinzu, Belisar habe verdiente Soldaten mit Armbändern (*$$) und Halsketten () ausgezeichnet.36 So wie die gotischen Föderaten bei Zosimus Halsringe verliehen bekamen, tragen föderierte (ansonsten antiquiert-topisch bekleidete) Alanen und Goten auf der 35 36
Speidel, Late Roman Military Decorations I (Anm. 24) 240. Prokop, Bellum Gothicum 3, 1, 8: + , '$ 9 - +$« ) λ )« (&- *$$ λ /« Θ $ ) .
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Basis des Theodosiusobelisken in Konstantinopel Halsringe,37 genau wie ein hoher Hofbeamter auf dem gleichen Monument.38 Hals- und daneben auch Armringe sind neben ihren originären Rollen sowohl in Bodenfunden als auch in Schriftquellen als bedeutende Bestandteile von Schätzen nachgewiesen.39 Letzte Ungewissheit nimmt uns aber Ambrosius selbst. In der Leichenrede auf Valentinian stellt er ausdrücklich fest, dass Halsringe römische Ehrenzeichen sind. Zitat: „Dass torques Ehrenzeichen des Sieges sind, kann nicht ernsthaft bezweifelt werden, werden doch die, die im Krieg tapfer gestritten haben, mit Halsringen geehrt“.40 Obwohl die sehr deutlich Beteuerung der Zweifellosigkeit – dubitari non potest – ähnlich wie in modernen Texten eher Zweifel wecken als treuen Glauben hervorrufen sollte, kann aus dieser Aussage des Ambrosius wohl geschlossen werden, dass es durchaus Leute gab, die daran zweifelten, ob Mitglieder der Aristokratie zu Recht Halsringe trugen oder nicht. Ambrosius’ Worte weisen durch seine Beteuerung gleichzeitig darauf hin, dass Halsringe nichts per se fremdes waren; sie hätten trotz des jeder Leichenrede eigenen Prinzips des de mortuis nil nisi bene nicht zur Rede gepasst, in der sich Ambrosius auf Grund offensichtlicher Probleme, das von ihm erwartete positive Resumé eines christlichen Lebens zu ziehen, in die Aufzählung eigentlich selbstverständlicher Dinge und Topoi flüchtete.41 Zu diesen gehörten die Halsringe als Ehrenzeichen, die wohl nicht passend waren für einen Kaiser, aber hier nicht als fremd oder gar gotisch wahrgenommen wurden. Geklärt ist nun jedoch noch immer nicht das Problem, warum jemand, der römische Militärauszeichnungen trägt, als more indutus gentilium beschimpft werden kann. Weiterhelfen kann hier möglicherweise die Schrift de corona militis von Tertullian, die Ambrosius mit großer Wahrscheinlich-
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Speidel, Late Roman Military Decorations I (Anm. 24) 237. Gerda Bruns, Der Obelisk und seine Basis auf dem Hippodrom zu Konstantinopel (Istanbul 1935) 57 Abb. 63. Matthias Hardt, Gold und Herrschaft. Die Schätze europäischer Könige und Fürsten im ersten Jahrtausend. Europa im Mittelalter 6 (Berlin 2004) bes. 69–77. Ambrosius, De obitu Valentiniani 68 [Sancti Ambrosii Opera Ps. 7. Explanatio simboli; De sacramentis; De mysteriis; De paenitentia; De excessu fratris; De obitu Valentinani; De obitu Theodosii, hrsg. Otto Faller. Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 73 (Wien 1955)]: torques autem insignia esse victoriae dubitari non potest, cum hi, qui in bello fortiter fecerint, torquibus honorentur. Kirsten Groß-Albenhausen, Imperator christianissimus. Der christliche Kaiser bei Ambrosius und Johannes Chrysostomus. Frankfurter Althistorische Beiträge 3 (Frankfurt a.M. 1999) 129.
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keit kannte.42 In dieser Quelle wird deutlich, dass militärische Auszeichnungen von christlichen Theologen als Teil des heidnischen Erbes betrachtet werden konnten, das in der christlichen Gesellschaft keine Rolle mehr zu spielen hatte. Nach Tertullian sollte ein Soldat, der sich Christus als Krone gewählt hatte, keine weltlichen Auszeichnungen mehr akzeptieren.43 Der wichtigste Grund hierfür war, dass militärische Auszeichnungen idolatria – also Götzenanbetung – symbolisierten. Damit schließt sich der Kreis zum Vorwurf gegen Julianus Valens. Denn idolatria ist exakt der Vorwurf, den Ambrosius gegen Julianus Valens erhebt. Mit Hilfe Tertullians wird so deutlich, dass es sich bei dem Stein des Anstoßes nicht um gotischbarbarische Riten und Kostüme handelt. Valens trug militärische Auszeichnungen, die in den Augen orthodox-homousischer Theologen nicht erwünscht waren, und das erst recht nicht bei Klerikern. Der doppelte Vorwurf gegen Valens, derjenige der Ketzerei und des Hochverrats, wurde durch den geschilderten Vorfall, von dem man auf dem Konzil ut asseritur, also nur gerüchteweise gehört hatte, wirksam illustriert. Der geschickte Rhetor und geschulte Jurist Ambrosius schuf hier ein Vorwurfsbündel gegen Valens, das durch seine Vielschichtigkeit höchst wirksam war. Vor dem Hintergrund, dass die eigentliche Ursache der Anklage die ketzerischen Umtriebe von Valens in Mailand und sein wohl wachsender Einfluss im Heer waren,44 erweist sich ein römisches Militärkostüm mit Ehrenzeichen wie Hals- und Armringen als für die orthodoxe Kirche anstößiges Mittel, Sympathien im soldatischen Publikum zu gewinnen. Über die Frage, warum Valens das tat, kann man nur spekulieren. Vielleicht hatte er tatsächlich eine militärische Position inne.45 Ein Einzelfall war das Tragen von Halsringen jedenfalls nicht; Ambrosius hat diese in seinen Augen falsche Aufmachung von Geistlichen auch an anderer Stelle kritisiert.46 Auf dem Konzil von Aquileia wurde das Vorkommnis zu einer anklagewürdigen Tat aufgebaut, die, so der Brief, nicht nur für Priester, sondern für jeden Christen ein Sakrileg darstelle. Valens’ Handeln wurde auf diese Weise geschickt so dargestellt, dass es nach den Gesetzen Codex Theodosia42 43
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Markschies, Ambrosius von Mailand (Anm. 4) 207 f. Tertullian, De corona (als Gesamtwerk); Jacques Fontaine (ed.), Tertullian, Sur la coronne (Paris 1966) Mathisen, Barbarian Bishops (Anm. 10) 679. Mathisen, Barbarian Bishops (Anm. 10) 679. – Zu Geistlichen in der römischen Armee: Arnold H.M. Jones, Military Chaplains in the Roman Army. Harvard Theological Review 46, 1953, 239–240. Ambrosius, Epistolae 15 (69),7: Quid de aliis dicimus, qui hoc luxuriam dirivandum putant,ut calamistratos et torquatos habeant in ministerio, ipsi promissa barba, illos remissa coma.
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nus 16,1,1 und 16,2,25 den Tatbestand des sacrilegium erfüllte.47 Das Tragen nicht-standesgemäßer Kleidung nach Art der Heiden (more gentilium) war ein überzeugender Aufhänger dieser Anklage. Als Homöer war Valens für Ambrosius und die Nizäner in Oberitalien eine Bedrohung, und ganz besonders war dies homöische Propaganda vor dem Heer. 381 hatte sich die von Ambrosius geförderte nizänische Orthodoxie noch keineswegs endgültig durchgesetzt. Die in Sirmium lebende und homöisch gesinnte Stiefmutter Gratians und leibliche Mutter Valentinians II., Iustina, war noch immer eine wichtige Stütze der homöischen Strömung, genau wie die wachsende Macht der Goten mit ihrem Bischof Wulfila († 383).48 In Ambrosius Verständnis war ein Gegner der orthodox-katholischen Lehre nicht nur ein Feind des Christentums, sondern auch des römischen Reiches an sich und somit barbarenähnlich.49 Die militärischen Auszeichnungen widersprachen den Regeln der orthodoxen Kirche, die sich als die einzig zu duldende ‚römische‘ Partei empfand und diesen Auftritt durchaus zu einem Fall von Hochverrat, zum Abfall a more Romano, stilisieren konnte. Es stellt sich daher mit Christoph Markschies die Frage, ob Ambrosius in seinen Bemühungen, den Kaiser auf eine dogmatisch einwandfreie Leitlinie festzulegen, diese „kleine Szene modischer Inkulturation nicht bewusst völlig überinterpretiert hat“.50 Ambrosius traf jedenfalls genau Ton, auf den die Verwaltung reagierte. Eine Verbindung von Valens mit der drohenden Gotengefahr, nicht zuletzt durch die Kleidung, machte ihn zum Verräter. Missverständlich war die Botschaft keinesfalls, auch wenn das Vergehen des Bischofs lediglich darin bestand, militärische Auszeichnungen getragen zu haben. So schließt der 47
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Codex Theodosianus 16,1,1: Impp. Gr[ati]anus, Val[entini]anus et The[o]d[osius] aaa. edictum ad populum urb[is] Constantinop[olitanae]. Cunctos populos, quos clementiae nostrae regit temperamentum,in tali volumus religione versari, quam divinum Petrum apostolum tradidisse Romanis religio usque ad nunc ab ipso insinuata declarat quamque pontificem Damasum sequi claret et Petrum Alexandriae episcopum virum apostolicae sanctitatis, hoc est, ut secundum apostolicam disciplinam evangelicamque doctrinam patris et filii et spiritus sancti unam deitatem sub parili maiestate et sub pia trinitate credamus. Hanc legem sequentes Christianorum catholicorum nomen iubemus amplecti, reliquos vero dementes vesanosque iudicantes haeretici dogmatis infamiam sustinere nec conciliabula eorum ecclesiarum nomen accipere, divina primum vindicta, post etiam motus nostri, quem ex caelesti arbitrio sumpserimus, ultione plectendos. dat. III kal. mar. Thessal[onicae] Gr[ati]ano a. V et Theod[osio] a. I conss. – Codex Theodosianus 16, 2, 25: Impp. Gr[ati]anus, Val[entini]anus et Theod[osius] aaa. Qui divinae legis sactitatem aut nesciendo confundunt aut neglegendo violant et offendunt, sacrilegium committunt. dat. III. kal. mart. Thessal[onicae] Gr[ati]ano a. V et Theod[osio] a. I conss. Zu Goten als Teil der homöischen Opposition gegen Ambrosius vgl. Heather, Goths and Romans (Anm. 10) 340–341. Hans von Campenhausen, Lateinische Kirchenväter (3Stuttgart u. a. 1960) 89. Markschies, Ambrosius von Mailand (Anm. 4) 137.
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Abb. 4. Fragment eines goldenen Halsrings aus Carnuntum (nach Speidel, Late Roman Military Decorations I [Anm. 25] 239 Abb. 2)
Bericht an die Kaiser auch mit dem Appell, dass sie erst nach der Befriedung der Kirchen mit der Hilfe Gottes ihre vollen Triumphe feiern könnten.51 Die oben dargestellte Zweifellosigkeit der interdisziplinären Indizienkette, die Hals- und Armringe als barbarische Insignien darstellt, muss daher bezweifelt werden. Dies gilt auch für Julians Torqueskrönung, die meiner Meinung nach nichts originär Germanisches an sich hat, genau wie für die Leibwachendarstellungen in der Hofikonographie. Diese Gardisten trugen ihre Halsringe nicht als Anzeiger einer germanischen Herkunft, sondern ihres militärischen Ranges innerhalb der römischen Armee. Noch deutlicher wird das bei den Heiligen Sergius und Bacchus, die als hochrangige Offiziere in der Leibgarde stets mit Halsring dargestellt wurden (Abb. 5). Es gibt in diesem Fall tatsächlich keinen Grund, warum hier in irgendeiner Weise barbarische Identität ausgedrückt werden sollte. Auf Bodenfunde darf diese Aussage jedoch nicht ohne weiteres übertragen werden. Dies liegt vor allem daran, dass wir nicht genau wissen, wie die Hals- und Armringe, die Julianus Valens in Oberitalien trug, ausgesehen haben. Wie in so vielen anderen Fällen war der Autor des Textes auch hier nicht daran interessiert, konkrete Informationen zu der Kleidung zu geben. Zur Mitteilung der entscheidenden Botschaft genügte es offensichtlich, mit torques und brachialis allgemeine Begriffe in den Raum zu stellen. Die die moderne Forschung verständlicherweise sehr bewegende Frage nach dem genauen Aussehen der Stücke war damals nicht von Interesse. So stellt sich die Frage, ob etwa der ungefähr 25 Jahre nach dem Konzil von Aquileia in 51
Vgl. Speidel, Late Roman Military Decorations I (Anm. 24) 242: „Anti-Arian zeal blinded Ambrose to the fact that even emperors stood before the Roman army wearing neck- and wristbands“.
Ambrosius, Julianus Valens und die „gotische Kleidung“
Abb. 5. Thessaloniki, Agios Demetrios, St. Sergius (nach Eutychia Kourkoutidou-Nikolaïdou/Anastasia Tourta, Spaziergänge durch das byzantinische Thessaloniki [Athen 1997] 164 Abb. 192)
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dem oberitalienischen Ort Carpignano bei Pavia mit einem Schatzfund niedergelegte goldene Halsring52 zu jenen torques zu zählen ist oder nicht. In der Forschung wird der Träger dieses Halsringes meist als Reiternomade oder Germane angesprochen, der aus dem mittleren Donauraum stammte. Als Begründung wird auf die bildlichen Darstellungen der angeblich germanischen Leibwächter verwiesen und auf die hier behandelte Ambrosiusstelle. Diese Vergleiche sind jedoch nur bedingt zutreffend, da bei der Interpretation der Schriftquellen wie auch der Bilder auf die germanische Ansprache der archäologischen Bodenfunde hingewiesen wird und vice versa, woraus nicht selten veritable Zirkelschlüsse entstehen. Da sowohl Bild- als auch Schriftquellen jedoch eigentlich keine Argumente liefern, Hals- oder Armringe als etwas Nicht-römisches anzusehen, scheint die Frage durchaus berechtigt, ob ein Halsring wie derjenige von Carpignano nicht zu jenen torques gehört, die in schriftlichen Quellen als Auszeichnungen der spätrömischen Armee überliefert sind. Da die barbarische Ansprache eines derartigen Bodenfundes über einen interdisziplinären Interpretationsweg nur schwer zu begründen ist, bleibt die rein archäologische Interpretation, die sich in diesem Fall vornehmlich auf Verbreitung ähnlicher Typen und die Entstehungsfrage dieser Verbreitungsmuster stützen muss. Jüngere Arbeiten, die neben den Bodenfunden auch die bildlichen Quellen in die Analyse einbezogen haben, konnten jedoch zeigen, dass die im Barbaricum gefundenen Halsringe schon seit der frühen Kaiserzeit so stark vom Römischen Reich beeinflusst waren, dass sie, wenn nicht als römische Originale, zumindest als Nachahmungen römischer Vorbilder angesehen werden müssen.53 Bei Funden im Barbaricum ist dabei im Einzelfall natürlich nicht zu klären, in welcher Funktion Halsringe jeweils getragen wurden. Auf dem Boden des römischen Reiches selbst wäre aber sehr ernsthaft darüber nachzudenken, ob hier eine Verbindung mit den bekannten spätrömischen Kontexten nicht näher liegt als rätselhafte Verbindungen ins Barbaricum. Nachzudenken gilt es dann auch über Funde wie diejenigen von Blucˇina, Apahida, Fürst, Wolfsheim, Pouan und auch über das Childerichgrab. Spiegeln Hals- und Armringe nicht auch hier gemeinsam mit den schon lange als römisch erkannten Stücken eher die Ausrüstung eines römischen 52
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Volker Bierbrauer, Germanen des 5. und 6. Jahrhunderts in Italien. In: Ricardo Francovich/Ghislaine Noyé (Hrsg.), La Storia dell’Alto Medioevo italiano (VI–X secolo) alla luce dell’archeologia. Biblioteca di Archeologia Medievale 11 (Florenz 1994) 33–56, hier 38. – Ein Soldidus aus Ravenna von 404/408 gibt einen terminus post quem zur Datierung. Schmauder, Oberschichtgräber (Anm. 15) Bd. 1, 100–116; Robert Stark, Studien zu den Schatzfunden von Szilágysomlyó. Beiträge zum edelsteinverzierten Goldschmuck in der Selbstdarstellung von Eliten spätantiker Gesellschaften, phil. Diss. (München 2000) 204.
Ambrosius, Julianus Valens und die „gotische Kleidung“
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Offiziers als den Ausdruck barbarischer oder gar ostgermanischer Identität? Diese Frage ist besonders in bezug auf die goldenen Kolbenarmringe von Interesse. Joachim Werner hatte darauf hingewiesen, dass die goldenen Armringe aus römischem Gold hergestellt worden seien. Kyhlberg und Schmauder haben das jüngst bestätigt.54 Wenn damit auch noch nicht bekannt ist, wo diese Ringe produziert wurden, bestätigt es die Vermutung von Birgit Arrhenius, Kolbenarmringe könnten auch auf römischem Reichsgebiet produziert worden sein.55 Die Verbreitung von Kolbenarmringen weist jedenfalls nicht auf eine hohe Bedeutung im römischen Reich. Allerdings kann dieses Fundbild täuschen, da genau die Regionen erfasst werden, in denen Toten viele Gegenstände mit ins Grab gegeben wurden. In der Dumbarton Oaks Collection in Washington befindet sich ein goldener Kolbenarming aus Syrien, der darauf hinweist, dass die Verbreitungskarte wohl kein Abbild der ehemaligen Verbreitung ist, sondern eher Grabriten erfasst.56 Aus dem 6. Jahrhundert stammt ein Schatzfund des 6. Jahrhunderts aus Mersin in Kilikien, der ebenfalls zwei Kolbenarmringe enthielt.57 Es bleibt daher zu hoffen, dass ein verstärktes Interesse an mediterranen Kleinfunden, das in den letzten Jahren vor allem von Michel Kazanski, Max Martin oder Dieter Quast angeregt wurde, zukünftig auch einen besseren Einblick in diesen Teil der Sachkultur erlauben wird. Die beiden mediterranen Funde deuten jedenfalls darauf hin, dass goldene Kolbenarmringe wohl nichts Fremdes in der spätrömischen Welt waren.
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Joachim Werner, Der goldene Armring des Frankenkönigs Childerich und die germanischen Handgelenkringe der jüngeren Kaiserzeit. Frühmittelalterliche Studien 14, 1980, 1–50, hier 6; Ola Kyhlberg, Late Roman and Byzantine Solidi. An archaeological analysis of coins and hoards. In: Excavations at Helgö 10: Coins, Iron and Gold (Stockholm 1986) 13–126, hier 71; Schmauder, Oberschichtgräber (Anm. 15) Bd. 1, 94. – Die Gewichtsklassen der Ringen orientierten sich wohl am römischen Unzialsystem: Max Martin, Redwalds Börse. Gewicht und Gewichtskategorien völkerwanderungszeitlicher Objekte aus Edelmetall. Frühmittelalterliche Studien 21, 1987, 206–238. Birgit Arrhenius, Connections between Scandinavia and the East Roman Empire in the Migration Period. In: David Austin/Leslie Alcock (Hrsg.), From the Baltic to the Black Sea. Studies in Medieval Archaeology = One World Archaeology 18 (London u. a. 1990) 118–137, hier 132. Marvin C. Ross, Jewelry, Enamels and Art of the Migration Period, Catalogue of the Byzantine and Early Mediaeval Antiquities in the Dumbarton Oaks Collection II (Washington DC 1965) 136 Nr. 179 G mit Taf. 96 G; Hubert Fehr, Bemerkungen zum völkerwanderungszeitlichen Grabfund von Fürst. Berichte der Bayerischen Bodendenkmalpflege 43/ 44, 2002/03 (2005) 209–228, hier 225 mit Abb.12. André Grabar, Un medaillon on or provenant de Mersine en Cilicie. Dumbarton Oaks Papers 6, 1951, 27–49, hier Abb. 2.
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Nun aber zusammenfassend noch einmal zurück zu dem Ambrosiusbrief. Wenn es auch unklar bleiben wird, wie Hals- und Armring von Julianus Valens aussahen, ist der Text dennoch wertvoll. Er ist zwar kein Hinweis darauf, dass es eine spezifisch gotische Tracht gegeben hat, aber er zeigt ganz deutlich zwei Dinge: Erstens, die hohe Bedeutung von Kleidung als Ausdrucksmittel persönlicher Identitäten, und zweitens die hier ganz bewusst eingesetzte Vielfalt der Wahrnehmungsmöglichkeiten von Kleidung. Hinzu kommt die Vielfalt in der modernen Rezeption dieses Textes, die jeder Textinterpretation eigen ist.58 Definitive Lösungen kann dieser Beitrag daher nicht präsentieren. Wenn er jedoch die Diskussion über die angeschnittenen Fragen anregt, hat er seine Aufgabe erfüllt.
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Vgl. Umberto Eco, Lector in fabula. Die Mitarbeit der Interpretation in erzählenden Texten (3München 1998).
Ambrosius, Julianus Valens und die „gotische Kleidung“
2. Von der Spätantike zum Frühmittelalter
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Zwischen Spätantike und Frühmittelalter – RGA-E Band 57 – Seiten 67–102 Germanische Einwanderung © 2008 Walter de Gruyter · Berlin · New York oder kulturelle Neuorientierung?
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Germanische Einwanderung oder kulturelle Neuorientierung? Zu den Anfängen des Reihengräberhorizontes1 Hubert Fehr
Einleitung Die sogenannten Reihengräberfelder des frühen Mittelalters sind zweifellos eine der klassischen Quellengattungen der Frühgeschichte Mittel- und Westeuropas. Sie finden sich in einer weiten Zone an der ehemaligen Peripherie des Römischen Reiches vom nördlichen Frankreich über West- und Süddeutschland bis nach Oberösterreich. Auffallend sind vor allem ihre – insgesamt betrachtet – geradezu verschwenderischen Grabausstattungen. Bemerkenswert ist dabei weniger die Fülle der Beigaben in den reichen Prunkgräbern der Epoche, die durchaus in anderen Perioden der europäischen Ur- und Frühgeschichte übertroffen wird, als vielmehr die beträchtliche gesellschaftliche Breite des Phänomens. Durch wertvolle Grabbeigaben zeichnete sich nicht nur eine Elite aus, sondern weite Teile der Bevölkerung betrieben hierfür erheblichen Aufwand. Über acht bis zehn Generationen hinweg waren erstaunlich viele Menschen bereit, für eine standesgemäße Bestattung der Angehörigen bedeutende Werte zu opfern, um auf diese Weise bei der Bestattungsfeier ihrem sozialen Umfeld die eigene gesellschaftliche Stellung vor Augen zu führen. Das typische Ausstattungsmuster der Reihengräberfelder wurde bereits vielfach beschrieben und braucht hier nur angedeutet werden: Es folgt in der Regel einem verhältnismäßig strikten geschlechtsspezifischen Muster. Männer erhielten nicht selten Waffen mit ins Grab. Neben dem zweischneidigen Langschwert, der Spatha, und dem einschneidigen Hiebschwert, dem 1
Beim vorliegenden Beitrag handelt es sich um eine leicht erweiterte und mit Anmerkungen versehene Version des in Freiburg gehaltenen Vortrags. Er fasst thesenhaft einige Ergebnisse der noch unpublizierten Dissertation des Autors zusammen: Hubert Fehr, Germanen und Romanen im Merowingerreich. Frühgeschichtliche Archäologie zwischen Wissenschaft und Zeitgeschichte, phil. Diss. (Freiburg 2003).
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Sax, finden sich Lanzen und Beilwaffen. Abgesehen von Schilden sind weitere Teile der Schutzbewaffnung, besonders Panzer und Helme, selten; etwas häufiger ist Reitzubehör. Unter dem Kleidungsbestandteilen der Männer sind die Gürtel hervorzuheben, die man vor allem in der jüngeren Merowingerzeit mit aufwändigen Beschlägen verzierte. Zur Ausstattung der Frauen gehörte regelmäßig Perlenschmuck, Ohrringe, Gürtelschließen, nicht selten kostbar gearbeitete Fibeln sowie sogenannte Gürtelgehänge und Wadenbinden. Beiden Geschlechtern wurden darüber hinaus in regional unterschiedlicher Häufigkeit Speise- und Trankbeigaben mit ins Grab gegeben, wobei Gefäße aus Glas und Metall wohlhabenden Personengruppen vorbehalten waren. Nur sehr fragmentarisch blieben in der Regel organische Ausstattungsteile erhalten, etwa Textilien, aber auch Möbel, Gefäße und sogar Musikinstrumente aus Holz. Über den relativen Beigabenreichtum hinaus sind zwei weitere Merkmale charakteristisch für die Reihengräberfelder: einerseits die kanonische WestOst-Ausrichtung der Grabgruben sowie die unverbrannte Beisetzung der Toten. Kein notwendiges Kennzeichen stellt dagegen die namengebende Reihung der Gräber dar; der Begriff „Reihengräberfeld“ ist forschungsgeschichtlich bedingt und wird lediglich aus pragmatischen Gründen im Sinne eines Terminus technicus beibehalten.2 Im Hinblick auf die hier behandelte Fragestellung ist ferner daran zu erinnern, dass es sich bei den Reihengräberfeldern um einen Idealtypus (im Sinne Max Webers) handelt und nicht etwa um ein eindeutig abgrenzbares archäologisches Phänomen. Dieser Idealtypus ist zwar hervorragend geeignet, eine große Zahl von Friedhöfen im Gebiet des frühmittelalterlichen Merowingerreichs zu beschreiben, was auch seine große Popularität in der archäologischen Fachsprache erklärt; es ist aber nicht möglich, ihn eindeutig von zeitgleichen ähnlichen Friedhofstypen abzugrenzen, besonders den weiteren Körpergräberfeldern in den ehemaligen römischen Nordwest- und Donauprovinzen. Tatsächlich zeigt sich hier ein Kontinuum von regional, lokal, sozial, alter- und geschlechtsspezifisch variierenden Bestattungsformen mit fließenden Übergängen. Jeder Versuch, in diesem Kontinuum scharfe Trennlinien ziehen zu wollen, hieße den Idealtypus zu überfordern, und muss zwangsläufig weitgehend willkürlich bleiben. Entsprechende Versuche wurden nicht vom archäologischen Befund inspiriert, sondern beruhen in erster Linie auf der historischen Prämisse eines grundlegenden kulturellen Antagonismus zwischen Römern und Germanen. 2
Hermann H. Ament, s. v. Reihengräberfriedhöfe. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde2 24 (Berlin, New York 2003) 362–365, bes. 362; vgl. ders., s. v. Franken § Archäologisches. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde2 9 (Berlin, New York 1995) 387–414, hier 393f.
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Konträre Positionen zu den Anfängen der Reihengräberfelder Während die typologische und chronologische Ordnung des enormen Materials, das aus Zehntausenden von Reihengräbern geborgen wurde, inzwischen weit fortgeschritten ist, scheiden sich bei der Frage, welche Bevölkerungsgruppen sie hinterlassen haben, bereits seit Langem die Geister. Etwas vereinfacht gesprochen, stehen sich hier seit vielen Jahrzehnten zwei konträre Auffassungen gegenüber.3 Aus forschungsgeschichtlicher Perspektive könnte man diese als eine traditionelle mitteleuropäische Position einerseits sowie eine ursprünglich westeuropäische Position andererseits bezeichnen. Die archäologische Forschung des deutschsprachigen Raums in Mitteleuropa interpretierte die Reihengräberfelder lange Zeit ausgehend von der These eines strikten germanisch-römischen Dualismus, der unter anderem sowohl die Sachkultur geprägt habe als auch Bauformen, die Kleidung der Menschen und ihre Bestattungspraktiken. Dieser Position zufolge stellten die Reihengräberfelder mit typischen Grabausstattungen im Wesentlichen ein germanisches Phänomen dar. Durch Männergräber mit Hiebwaffen und Bestattungen von Frauen mit mehrteiliger Fibelausstattung, insbesondere der frühmerowingischen Vierfibelkleidung, würden diese Gräberfelder als „germanisch“ ausgewiesen. Davon zu unterscheiden seien die Bestattungen der Nachfahren der römischen Provinzialbevölkerung, die ungeachtet ihrer kulturellen Heterogenität und unterschiedlichen Herkunft von der deutschsprachigen Forschung traditionell unter der problematischen Bezeichnung Romanen zusammengefasst werden.4 Im archäologischen Befund seien diese vor allem negativ zu fassen, d. h. durch das Fehlen der wichtigsten statusindizierenden Beigabengruppen in den Gräbern. Demnach habe die „romanische“ Bevölkerung ihren Toten niemals Hiebwaffen, besonders Spathas, mitgegeben, wie auch ihre Frauen keine Kleidung mit reichem Fibel-
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Vgl. hierzu bereits Hubert Fehr, Volkstum as Paradigm: Germanic People and Gallo-Romans in Early Medieval Archaeolgy since the 1930s. In: On Barbarian Identity. Critical Approaches to Ethnicity in the Early Middle Ages, ed. Andrew Gillett. Studies in the Early Middle Ages 4 (Turnhout 2002) 177–200, hier 198 f.; ders., Die archäologische Westforschung und das Problem der germanischen Besiedlung Galliens. In: Historische West- und Ostforschung in Zentraleuropa zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg. Verflechtung und Vergleich, hrsg. Matthias Middell/Ulrike Sommer. Geschichtswissenschaft und Geschichtskultur im 20. Jahrhundert 5 (Leipzig 2004) 29–53, bes. 32 f.; 49–53; ausführlich: Fehr, Germanen und Romanen (Anm. 1). Vgl. etwa Volker Bierbrauer, s. v. Romanen. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde2 25 (Berlin, New York 2003) 210–242, bes. 211.
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schmuck, insbesondere Bügelfibeln, trugen.5 Ausgehend von diesem Modell wird, neben den germanischen Hauptakteuren der Geschichte, der fortlebenden römischen Bevölkerung im Hauptverbreitungsgebiet der Reihengräberfelder die Rolle einer „vergessenen Minderheit“ zugewiesen, im gesamten Merowingerreich allenfalls die einer „schweigenden Mehrheit“.6 Seine wichtigste Wurzel hat dieses Modell in den Arbeiten des Münchner Archäologen Hans Zeiß aus den 1930er und frühen 1940er Jahren.7 In jüngerer Zeit wurde zwar versucht, es begrifflich zu modernisieren, indem man die Existenz zweier antagonistischer „Totenrituale“8 bzw. „Kulturmodelle“9 konstatierte; dabei handelt es sich aber im Wesentlichen lediglich um Neubenennungen der von Zeiss aufgestellten Kriterien, ohne diese nochmals unabhängig davon plausibel zu begründen. Hervorzuheben ist vor allem die Tatsache, dass die beiden „Rituale“ bzw. „Modelle“ keineswegs induktiv aus dem archäologischen Befund hergeleitet wurden. Vielmehr setzte man sie in den betreffenden Arbeiten – ausgehend von einem entsprechenden Geschichtsbild – von Anfang an als modellhafte Prämisse voraus. 5
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Vgl. etwa Hermann Ament, Franken und Romanen im Merowingerreich als archäologisches Forschungsproblem. Bonner Jahrbücher 178, 1978, 377–394; ders., Francs et Romans entre Rhin et Seine au 6ème et 7ème siècle. Bulletin de Liaison, Association française d’Archéologie mérovingienne 2, 1980, 59–85; ders., Romanen an Rhein und Mosel. Archäologische Bemühungen um ihren Nachweis. Bonner Jahrbücher 192, 1992, 261–271; Volker Bierbrauer, Romanen im fränkischen Siedelgebiet. In: Die Franken. Wegbereiter Europas (Mainz 1996) 110–120; Alexander Koch, Bügelfibeln der Merowingerzeit im westlichen Frankenreich 1–2. Monographien des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz 41 (Mainz 1998) bes. Band 2, 565–579; Ursula Koch, Stätten der Totenruhe. Grabformen und Bestattungssitten der Franken. In: Die Franken. Wegbereiter Europas (Mainz 1996) 723–737; Frauke Stein, Franken und Romanen in Lothringen. In: Studien zur vor- und frühgeschichtlichen Archäologie. Festschrift Joachim Werner, hrsg. Georg Kossack/Thilo Ulbert (München 1974) 579–589; dies., Die Bevölkerung des Saar-Mosel-Raumes am Übergang von der Antike zum Mittelalter. Überlegungen zum Kontinuitätsproblem aus archäologischer Sicht. Archaeologia Mosellana 1, 1989, 89–195; dies., Kulturelle Ausgleichsprozesse zwischen Franken und Romanen im 7. Jahrhundert. Eine archäologische Untersuchung zu den Verhaltensweisen der Bestattungsgemeinschaft von Rency/Renzig bei Audun-le-Tiche in Lothringen. In: Akkulturation. Probleme einer germanisch-romanischen Kultursynthese in Spätantike und frühem Mittelalter, hrsg. Dieter Hägermann. Reallexikon der germanischen Altertumskunde, Ergänzungsband 41 (Berlin, New York 2004) 274–310, bes. 275f. Arno Rettner, Eine vergessene Minderheit. In: Die Völkerwanderung. Europa zwischen Antike und Mittelalter, hrsg. Matthias Knaut/Dieter Quast. Archäologie in Deutschland, Sonderheft 2005 (Stuttgart 2005) 67–71. Vgl. dazu ausführlich: Hubert Fehr, Hans Zeiss, Joachim Werner und die archäologischen Forschungen zur Merowingerzeit. In: Eine hervorragend nationale Wissenschaft. Deutsche Prähistoriker zwischen 1990 und 1995, hrsg. Heiko Steuer. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Ergänzungsband 29 (Berlin, New York 2001) 311–415, bes. 370–390. Stein, Bevölkerung (Anm. 5) 162 f.; dies., Ausgleichsprozesse (Anm. 5) bes. 274 mit Anm. 1. Bierbrauer, Romanen (Anm. 5) 110–113.
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Überzeugt von ihrem grundsätzlich germanischen Charakter sah die Forschung des deutschsprachigen Raums die typischen beigabenführenden Reihengräberfelder als Hinterlassenschaften bestimmter frühmittelalterlicher gentes an, besonders der Franken, Alemannen und Bajuwaren. Obwohl die schriftlichen Quellen genau genommen bei keiner dieser Gruppen eine Einwanderung in das Reihengräbergebiet überliefern, ging man davon aus, sie hätten sich während der Völkerwanderungszeit auf ehemals römischem Boden niedergelassen, und zwar entweder im Zuge einer sogenannten „Landnahme“10 zu Beginn der Merowingerzeit oder aber durch einen länger andauernden Infiltrationsprozess. In der westeuropäischen Forschung wird diese Sichtweise nun seit vielen Jahrzehnten immer wieder grundsätzlich bestritten, wobei sich die Debatte an der Interpretation der Gräberfelder mit Waffen und Fibeln im heutigen Frankreich und Belgien entzündete. Im Gegensatz zur mitteleuropäischen Reihengräberforschung, die diese Friedhöfe im Wesentlichen Angehörigen einer „germanisch-fränkischen Nationalität“11 zuschreibt, vertraten Gelehrte in Belgien,12 Frankreich13 und in den letzten Jahren verstärkt auch in Großbritannien14 und Nordamerika15 wiederholt die Ansicht, dieses Phä10
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Zu diesem gleichfalls äußerst problematischen Begriff vgl. Richard Corradini, s. v. Landnahme. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde2 17 (Berlin, New York 2004) 602–611. Ament, Franken (Anm. 5) 395. Vgl. Sigfried De Laet/Jan Dhondt/Jacques Nenquin, Les Laeti du Namurois et l’origine de la Civilisation mérovingienne. In: Études d’Histoire et d’Archéologie Namuroise dédiées à Ferdinand Courtoy 1 (Namur 1952) 149–172; Sigfried De Laet, s. v. Belgien § Vorgeschiche, Frühgeschichte. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde2 2 (Berlin, New York 1976) 213–232, bes. 226. Vgl. Patrick Périn, A propos des publications étrangères récentes concernant le peuplement en Gaule à l’époque mérovingienne. La „question franque“. Francia 8, 1980, 537–552; Françoise Vallet, Regards critiques sur les témoins archéologiques des Francs en Gaule du Nord à l’époque de Childeric et de Clovis. Antiquités Nationales 29, 1997, 219–244. Vgl. Edward James, Cemeteries and the Problem of Frankish Settlement in Gaul. In: Names, Words, and Graves. Early Medieval Settlement. Lectures delivered in the University of Leeds, May 1978, ed. Peter Sawyer (Leeds 1979) 55–89; Guy Halsall, The origins of the Reihengräberzivilisation. Forty years on. In: Fifth-century Gaul. A crisis of identity?, ed. John Drinkwater/Hugh Elton (Cambridge 1992) 196–207; ders., Archaeology and the Late Roman Frontier in Northern Gaul. The so-called „Föderatengräber“ reconsidered. In: Grenze und Differenz im frühen Mittelalter, hrsg. Walter Pohl/Helmut Reimitz. Denkschriften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, philosophisch-historische Klasse, 287 (Wien 2000) 167–180. Bailey K. Young, Le problème franc et l’apport des pratiques funéraires (IIIe–Ve siècles). Bulletin de Liaison, Association française d’Archéologie mérovingienne 3, 1980, 4–18; Bonnie Effros, Merovingian Mortuary Archaeology and the Making of the Early Middle Ages (Berkeley 2003) bes. 193–196.
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nomen sei ethnisch nicht gebunden und deshalb nicht als Niederschlag einer Ansiedlung germanischer Gruppen zu erklären. Zur Formulierung eines umfassenden alternativen Modells zur Entstehung des Reihengräberhorizontes kam es bislang jedoch nicht, was sicher ein Hauptgrund war, weshalb sich die teils nur allzu berechtigte Kritik nicht umfassend durchsetzte bzw. die traditionelle „germanische“ Interpretation trotz dürftiger Begründung weiter vertreten wurde. Ungeachtet einiger sehr pointiert vorgetragener Stellungnahmen entwickelte sich aus diesem grundlegenden Dissens über den ethnischen Charakter der Reihengräberfelder bemerkenswerterweise keine Diskussion, die der fachlichen Bedeutung der Problematik angemessen wäre. Vielmehr stehen sich die konträren Positionen seit Langem nahezu unverändert gegenüber. Besonders in der deutschsprachigen Forschung fällt die Tendenz auf, die gegenteilige Meinung zu marginalisieren oder ganz zu verdrängen.16 Eine Ausnahme bildete etwa Hermann Aments Stichwort „Franken“ im Lexikon des Mittelalters, das die gegensätzlichen Standpunkte exemplarisch aufzeigt: Ament argumentiert hier, dass sich anhand des Vorkommens von Waffen und Kleidung mit mehreren Fibeln das fränkische Siedlungsgebiet in Frankreich klar abgrenzen ließe. Dem gegenüber bestreite aber insbesondere die französische Forschung sowohl die ethnische Aussagekraft der genannten Kriterien als auch den daraus folgernden Schluss, die beigabenführenden Reihengräberfelder seien der Niederschlag einer massiven Zuwanderung aus der Germania.17
Bemerkungen zur Forschungsgeschichte Die forschungsgeschichtlichen Wurzeln dieser konträren Positionen reichen bis in das 19. Jahrhundert zurück. Ihre Entstehung und Entwicklung wurde entscheidend von den sich wandelnden politischen Rahmenbedin-
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Eine etwas selektive Auseinandersetzung mit der Argumentation Périns (Périn, Publications [Anm. 13]) findet sich bei Stein, Bevölkerungsverhältnisse (Anm. 5) bes. 161–163, eine ebenfalls selektive Forschungsgeschichte bei Stein, Ausgleichsprozesse (Anm. 5) 277–284. – Positiv hervorzuheben ist allerdings Steins Zurückweisung der problematischen anthropologischen Argumente, die in der Kritik Périns eine große Bedeutung besaßen: Stein, Bevölkerungsverhältnisse (Anm. 5) 161 mit Anm. 455. – Zur Kritik an dieser Argumentationsweise, die in der französischen Forschung während der 1980er Jahre recht verbreitet war, vgl. Effros, Mortuary Archaeology (Anm. 15) 106 f.; 147–149. Hermann Ament, s. v. Franken, Frankenreich. In: Lexikon des Mittelalters 4 (München 1989) 689–693, hier 692.
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gungen geprägt. Vor allem zwei Faktoren spiegeln sich in den archäologischen Interpretationen wider: Einerseits die jeweilige historische Rolle, die den frühmittelalterlichen gentes innerhalb der eigenen Nationalgeschichte zugeschrieben wurde, sowie andererseits das politische Verhältnis zu den Nachbarstaaten. Zumindest mittelbar lassen sich an den verschiedenen Interpretationen des Reihengräberhorizontes die Wandlungen des politischen Verhältnisses zwischen Deutschland und seinen westeuropäischen Nachbarstaaten in den vergangenen 150 Jahren ablesen, und zwar einschließlich der besonders düsteren Kapitel zwischen dem Ausbruch des Ersten und dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die betreffenden Entwicklungen werden an anderer Stelle ausführlich dargestellt,18 weshalb hier einige Kernpunkte genügen, die meines Erachtens den Schlüssel zum Verständnis des geschilderten Dissenses bilden: Im deutschsprachigen Raum entwickelte sich die Frühmittelalterarchäologie nach dem Ende des Ersten Weltkriegs allmählich zu einem Forschungsschwerpunkt, im Gefolge der akademischen Institutionalisierung des Fachs nach 1933 zudem zu einer eigenständigen Subdisziplin der Ur- und Frühgeschichtswissenschaft. In dieser „Gründerzeit“ der neueren Frühmittelalterarchäologie zwischen 1918 und 1945 wurden viele Interpretationen entwickelt, die die Frühmittelalterforschung zum Teil bis heute erheblich beeinflussen.19 Wirkungsmächtig war vor allem die Tatsache, dass der Aufschwung der Frühmittelalterarchäologie in Deutschland nach 1918 geradezu paradigmatisch auf der Überzeugung beruhte, mit den Reihengräberfeldern die spezifischen Hinterlassenschaften der eigenen germanischen Vorfahren zu fassen. Die meisten mitteleuropäischen Archäologen dieser Generation waren deshalb nur wenig geneigt, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass etwaige Zuwanderer aus der Germania und die Nachfahren der römischen Provinzialbevölkerung ihre Toten auf so ähnliche Weise bestatteten, dass sie nicht voneinander zu unterscheiden sind.
Die Notwendigkeit einer erneuten Diskussion Nicht nur diese teils bis heute nicht vollständig bewältigten forschungsgeschichtlichen „Altlasten“ legen nahe, sich erneut mit der Frage zu beschäftigen, ob der Beginn der Reihengräberfelder tatsächlich ursächlich auf eine Einwanderung von Germanen zurückzuführen ist. Auch die Fortschritte 18 19
Fehr, Germanen und Romanen (Anm. 1). Fehr, Zeiss und Werner (Anm. 7); ders., Volkstum (Anm. 3); ders., Germanische Besiedlung (Anm. 3).
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der archäologischen und historischen Forschung in den letzten Jahrzehnten machen dies dringend erforderlich. Nachdenklich sollten etwa die betreffenden Widersprüche zwischen der traditionellen historischen Interpretation und dem eigentlichen archäologischem Befund stimmen. Anlässlich der Entdeckung der Gräberfelder von Bittenbrunn20 und Altenerding21 etwa wurde vor mehreren Jahrzehnten deutlich, dass die Reihengräberfelder in Altbayern bereits in der Mitte des 5. Jahrhunderts, rund 100 Jahre vor der ersten Erwähnung der Bajuwaren, einsetzten,22 d. h. in einem Zeitraum, für den die Schriftquellen hier eine zwar bedrängte, aber durchaus intakte römische Gesellschaft überliefern. Am geographisch anderen Ende des Verbreitungsgebiets der Reihengräberfelder, im Nordwesten Frankreichs, finden sich – wie Françoise Vallet herausarbeitete – die frühesten Reihengräberfunde dagegen in einem Gebiet, das zu dieser Zeit wohl noch zum Herrschaftsbereich des römischen Militärbefehlshabers Syagrius gehörte.23 Ferner zwingt die in den letzten Jahren fortschreitende Dekonstruktion des „Germanischen“ im frühen Mittelalter durch die Geschichtswissenschaft auch die Frühmittelalterarchäologie, ihr Germanen-Konzept grundsätzlich auf den Prüfstand zu stellen. Bereits vor einiger Zeit wies der Historiker Hagen Keller in diesem Zusammenhang darauf hin, dass einerseits das Aufkommen der Reihengräberfelder zweifellos ein großes Potential für die Erkenntnis von Strukturveränderungen während des 5. Jahrhunderts bietet; andererseits sei aber die archäologische Forschung angesichts der sehr weitgehenden Relativierung der älteren Volkstums- und Landnahmekonzepte durch die historische Forschung bislang eine systematische und kritische Rechenschaft über ihre bisherigen Interpretationen schuldig geblieben.24 Vor allem den vermeintlichen germanisch-romanischen Antagonismus im Frühmittelalter, den die mitteleuropäische Forschung bei ihren Interpretationen traditionell zugrunde legte, hat die historische Forschung längst
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Rainer Christlein, Ausgrabung eines Gräberfeldes des 5. bis 7. Jahrhunderts bei Bittenbrunn, Ldkr. Neuburg a. d. Donau. Jahresbericht der Bayerischen Bodendenkmalpflege 8/9, 1967/68, 87–103. Walter Sage, Gräber der älteren Merowingerzeit aus Altenerding, Lkr. Erding (Oberbayern). Bericht der Römisch-Germanischen Kommission 54, 1973 (1974) 212–289. Hubert Fehr, In Reih und Glied? Frühmittelalterliche Gräber und ihre Deutung. In: Archäologie in Bayern. Fenster zur Vergangenheit (Regensburg 2006) 249–257. Vallet (Anm. 13). Hagen Keller, Strukturveränderungen in der westgermanischen Welt am Vorabend der fränkischen Großreichsbildung. Fragen, Suchbilder, Hypothesen. In: Die Franken und die Alemannen bis zur „Schlacht bei Zülpich“ (496/97), hrsg. Dieter Geuenich. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Ergänzungsband 19 (Berlin, New York 1998) 581–607, hier 588.
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hinter sich gelassen.25 Mittlerweile gilt dieser eher als Erkenntnishindernis denn als brauchbare Basis für die weitere Forschung. Wie der Historiker Walter Pohl in diesem Zusammenhang betont, verdecken gerade solche großen Gegensatzpaare viel zu leicht den Blick auf eine vielfältigere Realität.26 Vorläufiger Höhepunkt der kritischen Auseinandersetzung mit dem Germanenbegriff der Frühgeschichtsforschung ist das kürzlich erschienene, wohlbegründete Plädoyer des Historikers Jörg Jarnut, das „Germanische“ als obsoleten Zentralbegriff der Frühmittelalterforschung außerhalb der Sprachwissenschaft ganz abzuschaffen.27 Die Dringlichkeit einer solchen Auseinandersetzung verstärkt sich noch, wenn man berücksichtigt, dass die Argumente, die Jarnut gegen eine weitere Verwendung des Germanenbegriffs in der Frühmittelalterforschung anführt, mindestens in gleichem, wenn nicht sogar in noch stärkerem Maße für die sogenannten „Romanen“ gelten.
Wie germanisch sind die frühmittelalterlichen Reihengräberfelder? Ich kehre zu den Anfängen des Reihengräberhorizontes zurück. Letztlich lässt sich der Kern des eingangs skizzierten Dissenses auf zwei Fragen zuspitzen. 1. Sind die typischen Reihengräberfelder tatsächlich germanischen Ursprungs, d. h. lassen sich ihre Merkmale aus der Germania herleiten? 2. Wenn ja, blieb diese Bestattungsweise während der Merowingerzeit so lange auf Germanen beschränkt, dass die Reihengräberfelder sinnvoll zur Rekonstruktion germanischer Besiedlung herangezogen werden können? Wie die Debatten der letzten Jahre gezeigt haben, sind entsprechende Fragen nicht immer einfach zu diskutieren. Hier spielen Grundüberzeugungen eine Rolle, die weit tiefer verwurzelt sind als übliche fachliche Positionen.28 Im Hinblick auf die zweite Frage etwa schien es in der Vergangenheit vielfach gar nicht notwendig zu begründen, weshalb ursprünglich 25
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Vgl. etwa Giuseppe Albertoni, Germanen und Romanen als geschichtswissenschaftliche Frage. In: Romanen & Germanen im Herzen der Alpen zwischen 5. und 8. Jahrhundert (Bozen 2005) 17–27. Walter Pohl, Die Völkerwanderung. Eroberung und Integration (Stuttgart 2002) 220. Jörg Jarnut, Germanisch. Plädoyer für die Abschaffung eines obsoleten Zentralbegriffes der Frühmittelalterforschung. In: Die Suche nach den Ursprüngen. Von der Bedeutung des frühen Mittelalters, hrsg. Walter Pohl. Denkschriften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, philosophisch-historische Klasse 322 (Wien 2004) 107–113. Vgl. etwa Volker Bierbrauer, Zur ethnischen Interpretation in der Frühgeschichtlichen Archäologie. In: Die Suche nach den Ursprüngen. Von der Bedeutung des frühen Mittelalters, hrsg. Walter Pohl. Denkschriften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, philosophisch-historische Klasse 322 (Wien 2004) 45–84.
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„germanisches“ oder ursprünglich „römisches“ nie oder allenfalls als Endergebnis eines lange andauernden sogenannten „Akkulturationsprozesses“29 von der jeweils anderen Bevölkerungsgruppe übernommen wurde. Hier rührt man an den Kern des ethnischen Paradigmas in der Frühgeschichtlichen Archäologie, nämlich die Überzeugung, dass bestimmte Techniken und Formen, etwa im Hausbau oder bei der Keramikherstellung, bzw. bestimmte archäologisch beobachtbare Verhaltensweisen, wie Bestattungspraktiken oder die Art sich zu kleiden, in erster Linie von ethnischen Traditionen geprägt und deshalb nur langsam veränderlich seien.30 Diese generelle Problematik scheint auch in den weiteren Beiträgen dieses Bandes immer wieder auf und muss hier nicht grundsätzlich diskutiert werden. Statt dessen werde ich mich im Folgenden vor allem mit der ersten Frage auseinandersetzen; denn erst gilt es diese zu beantworten, bevor deutlich wird, ob es notwendig ist, den zweiten Punkt in Bezug auf die hier behandelte Problematik weiter zu diskutieren. Angesichts der bereits skizzierten fortgeschrittenen Dekonstruktion des „Germanischen“ im Frühmittelalter im kulturellen oder ethnischen Sinne31 ist die Frage nach dem germanischen Charakter der Reihengräberfelder lediglich in Bezug auf die Germania als geographische Größe sinnvoll zu diskutieren. Welche charakteristischen Züge der Reihengräberfelder haben ihre Wurzeln in der Germania und sind diese Beziehungen insgesamt so dominant, dass es gerechtfertigt ist, das Gesamtphänomen als „germanisch“ zu bezeichnen? Welche Merkmale hier zu diskutieren sind, ist – wie bereits angedeutet – weitgehend unstrittig. Folgt man der eingangs skizzierten, gängigen Definition,32 so handelt es sich um 1. die Körperbestattung, 2. die Orientierung,
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Volker Bierbrauer, Frühgeschichtliche Akkulturationsprozesse in den germanischen Staaten am Mittelmeer (Westgoten, Ostgoten, Langobarden) aus Sicht des Archäologen. In: Atti del 6° Congresso internazionale di studi sull’alto medioevo (Spoleto 1980) 89–105; Hägermann (Hrsg.), Akkulturation (Anm. 5). – Zur Problematik des für diese Fragestellung letztlich ungeeigneten Akkulturationsbegriffs: Ulrich Gotter, „Akkulturation“ als Methodenproblem der historischen Wissenschaft. In: Wir, ihr, sie. Identität und Alterität in Theorie und Methode, hrsg. Wolfgang Eßbach. Identitäten und Alteritäten 2 (Würzburg 2000) 373–406. Vgl. dazu Sebastian Brather, Ethnische Interpretationen in der frühgeschichtlichen Archäologie. Geschichte, Grundlagen, Alternativen. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Ergänzungsband 42 (Berlin, New York 2004) 159–322. Jarnut, Germanisch (Anm. 27); Matthias Springer, Zu den begrifflichen Grundlagen der Germanenforschung. Abhandlungen und Berichte des Staatlichen Museums für Völkerkunde Dresden 44, 1990, 169–177. Anm. 2.
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Abb. 1. Der Idealtypus „Reihengräberfeld“
3. die Beigabe von Hiebwaffen, besonders Spathas, in den Männergräbern sowie 4. die Beisetzung der Frauen in fibelgeschmückter Kleidung (Abb. 1).
Die Körperbestattung Über die Herkunft der Körperbestattung zeichnet sich in der archäologischen Forschung mittlerweile ein Konsens ab: Ganz überwiegend herrscht gegenwärtig die Auffassung vor, die unverbrannte Bestattungsweise in den Reihengräberfeldern sei ein römisches Erbe.33 Bereits im 2. Jahrhundert breitete sich im Römischen Reich die Körperbestattung aus dem ostmediterranen Gebiet allmählich nach Westen aus. Im Laufe des 3. Jahrhunderts verdrängte sie die hier zuvor üblichen Brandbestattungen. Auch am Rhein wurden nach 300 kaum noch Brandbestattungen durchgeführt.34 Die Hintergründe dieses grundlegenden Wandels im Bestattungswesen, von dem die zeitgenössischen Schriftquellen bemerkenswerterweise keine
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Ebenda, 364. Wolfgang Czysz, Das zivile Leben in der Provinz. In: Die Römer in Bayern, hrsg. ders. u. a. (Stuttgart 1995) 177–308, hier 297; Heinz-Günter Horn, Das Leben im Römischen Rheinland. In: Die Römer in Nordrhein-Westfalen, hrsg. ders. (Stuttgart 1987) 139–317, hier 300; André van Doorselaer, Les nécropoles d’époque romaine en Gaule septentrionale. Dissertationes Archaeologicae Gandenses 10 (Brügge 1967) 59f.
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Notiz nahmen, sind letztlich nicht geklärt.35 Am plausibelsten handelt es sich wohl um einen Teil einer allgemeinen Tendenz der Homogenisierung der Bestattungspraktiken, die während des dritten Jahrhunderts im gesamten Römischen Reich festzustellen ist, und bei der es sich möglicherweise um eine kulturelle Reaktion auf die Krise des Reiches in jener Zeit handelt.36 Am ehesten im römischen Milieu liegen auch die Wurzeln der Körperbestattung der sogenannten „Laeten-“ oder „Foederatengräber“37 des 4. und frühen 5. Jahrhunderts. In den mutmaßlichen Herkunftsgebieten der germanischen Zuwanderer zwischen Rhein und Elbe herrschte dagegen ganz überwiegend die Brandbestattung vor. Körpergräber kommen in den fraglichen Gebieten der Germania nur regional vereinzelt vor. Diese stehen nach gegenwärtigem Forschungsstand gleichfalls im dringenden Verdacht, von römischen Vorbildern angeregt worden zu sein.37a Im Elbe-Weser-Dreieck finden sich auf birituell belegten Gräberfeldern auch Körperbestattungen; diese werden jedoch auf die Adaption römischer Einflüsse zurückgeführt.38 Auch die Körperbestattungen im südlichen Teil des sogenannten „elbgermani-
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Grundlegend zu diesem Phänomen bereits: Arthur D. Nock, Cremation and Burial in the Roman Empire. Harvard Theological Review 25, 1932, 321–359. – Vgl. auch Andrea Faber/Peter Fasold/Manuela Struck/Marion Witteyer, Einleitung. In: Körpergräber des 1.–3. Jahrhunderts in der römischen Welt, hrsg. dies. Schriften des archäologischen Museums Frankfurt/M. 21 (Frankfurt/M. 2007) 11–16. Ian Morris, Death ritual and social structure in Classical Antiquity (Cambridge 1992) 31–69, bes. 33. Auch hierbei handelt es sich um einen forschungsgeschichtlich bedingten terminus technicus für nordgallische Körpergräber mit Waffen und Fibeln. Archäologisch ist ein Zusammenhang mit den historisch überlieferten „Laeten“ bzw. „Foederaten“ nicht zu belegen: Heiko Steuer, s. v. foederati § Archäologisches. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde2 9 (Berlin, New York 1995) 300f., hier 300; Horst Wolfgang Böhme, s. v. Laeten und Laetengräber § 2. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde2 17 (Berlin, New York 2001) 584–588, hier 584 f; aus historischer Sicht wird ein Zusammenhang etwa zu den Laeten mittlerweile geradezu ausgeschlossen: Helmut Castritius, Laeten und Laetengräber § Historisches. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde2 17 (Berlin, New York 2001) 580–584, bes. 584. – Zur Problematik des historischen Foederatenbegriffs: Ralf Scharf, Foederati. Von der völkerrechtlichen Kategorie zur byzantinischen Truppengattung. Tyche, Supplementband 4 (Wien 2001). Jan Bemmann/Hans-Ullrich Voß, Anmerkungen zur Körpergrabsitte in den Regionen zwischen Rhein und Oder vom 1. bis zur Mitte des 5. Jahrhunderts n. Chr. In: Faber u. a., Körpergräber (Anm. 35) 153–183, hier 159–162. Jan Bemmann, Körpergräber der jüngeren Römischen Kaiserzeit und Völkerwanderungszeit aus Schleswig-Holstein. Zum Aufkommen einer neuen Bestattungssitte im überregionalen Vergleich. Studien zur Sachsenforschung 13, 1999, 5–45, bes. 22; Jörg Kleemann, Zum Aufkommen der Körperbestattung in Niedersachsen. Studien zur Sachsenforschung 13, 1999, 253–262, bes. 259; Matthias D. Schön, Gräber und Siedlungen bei Otterndorf-Westerwörden, Landkreis Cuxhaven. Probleme der Küstenforschung im südlichen Nordseegebiet 26, 1999, 123–208.
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schen“ Kreises einschließlich der Prunkgräber des Typs Haßleben-Leuna sind Jan Bemmann zufolge eher von römischen Vorbildern herzuleiten als von den älteren Körpergräbern des Lübsow-Typs.39 Auch die Ausbreitung der Körperbestattung in den Gebieten östlich der unteren Saale und Weißen Elster im 4. Jahrhundert führt Bemmann auf römischen Einfluss zurück.40 Insgesamt sind also für eine Herkunft der Körperbestattung in den frühmittelalterlichen Reihengräberfeldern aus der Germania kaum tragfähige Indizien zu beschaffen, während einer Herkunft aus dem spätrömischen Milieu nichts widerspricht.
Die West-Ost-Ausrichtung Nach dem gerade über die Körperbestattung gesagten versteht sich fast von selbst, dass auch die Herkunft der Orientierung im römischen Bereich zu suchen ist, denn bei Grabgruben für Brandbestattungen, wie sie in der kaiserzeitlichen Germania vorherrschten, besteht keine Notwendigkeit, sie zu orientieren. Bereits in der Spätantike war es auf manchen römischen Friedhöfen üblich, die Gräber entlang einer West-Ost-Achse auszurichten, d. h. die Toten wurden mit dem Kopf im Westen niederlegt, so dass ihr Gesicht nach Osten blickte. Daneben finden sich auf spätantiken Gräberfeldern nicht selten Bestattungen, die entlang einer Nord-Süd-Achse ausgerichtet waren, wie in Krefeld-Gellep, wo in spätrömischer Zeit zunächst überwiegend Süd-Nord-orientierte Gräber angelegt wurden, bevor man in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts mehrheitlich zur West-Ost-Orientierung überging.41 Eine feste Regel zur Ausrichtung der Grabgruben gab es in spätrömischer Zeit nicht. Mitunter weisen selbst gleichzeitig belegte Gräberfelder an einem Ort abweichende Orientierungen auf, wie z. B. die Friedhöfe von Lauriacum zeigen: Während die Gräber von Lauriacum-Ziegelfeld vorwie39
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So Jan Bemmann bei einem Vortrag über „Die späte Kaiserzeit und frühe Völkerwanderungszeit in Mitteldeutschland“ im Januar 2002 am Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters der Universität Freiburg. – Jan Bemmann, Zum Totenritual im 3. Jahrhundert. In: Gold für die Ewigkeit. Das germanische Fürstengrab von Gommern, hrsg. Siegfried Fröhlich (2Halle 2001) 58–73, bes. 60; 62; künftig auch: ders., Mitteldeutschland in der jüngeren Römischen Kaiserzeit und Völkerwanderungszeit. Eine von den Körperbestattungen ausgehende Studie, phil. Habil. (Jena 2000). Bemmann, Totenritual (Anm. 39) 62. Renate Pirling, s. v. Gelduba. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde2 10 (Berlin, New York 1998) 636–646, hier 641; dies., Das römisch-fränkische Gräberfeld von Krefeld-Gellep 1964–1965. Germanische Denkmäler der Völkerwanderungszeit B 10 (Berlin 1979) 158; 178.
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gend von West nach Ost ausgerichtet waren, folgen sie in Lauriacum-Espelmayerfeld keiner einheitlichen Orientierung.42 Erst in der Mitte des 5. Jahrhunderts wurde die West-Ost-Ausrichtung zur allgemeinen Regel. In manchen Fällen lassen die Übersichtspläne von Gräberfeldern, die seit der Spätantike kontinuierlich belegt wurden, einen abrupten Wechsel der Orientierung erkennen, wie bei den Friedhöfen von Bulles (Dép. Oise)43 oder Saint-Martin-de-Fontenay (Dép. Calvados)44. In anderen Fällen wurde gleichzeitig mit dem Orientierungswechsel auch ein neues, unmittelbar benachbartes Bestattungsareal aufgesucht, wie in Frénouville (Dép. Calvados)45 oder Vron (Dép. Somme)46. Auf germanische Traditionen wurde die West-Ost-Ausrichtung der Reihengräber auch in der Vergangenheit eigentlich nie zurückgeführt, sieht man von einer sehr frühen, wenig begründeten Ausnahme ab.47 Lediglich die Nord-Süd-, nicht aber Süd-Nord-Ausrichtung wurde gelegentlich in 42
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Wolfgang Schmidt, Spätantike Gräberfelder in den Nordprovinzen des Römischen Reiches und das Aufkommen christlichen Bestattungsbrauchtums. Tricciana (Ságvár) in der Provinz Valeria. Saalburg-Jahrbuch 50, 2000, 213–441, hier 321. René Legoux, Le cadre chronologique de Picardie. Son application aux autres régions en vue d’une chronologie unifiée et son extension vers le romain tardif. In: La datation des structures et des objets du haut Moyen Âge, ed. Xavier Delestre/Patrick Périn (SaintGermain-en-Laye 1998) 137–188 bes. 187; ders., La nécropole mérovingienne de Bulles (Oise). Caractères généraux et particularismes. Revue archéologique de Picardie 1988, 81–88. La nécropole de Saint-Martin-de-Fontenay (Calvados). Recherches sur le peuplement de la plaine de Caen du Ve siècle avant J.-C. au VIIe siècle après J. C., ed. Christian Pilet (Paris 1994). Christian Pilet, La nécropole de Frénouville. Étude d’une population de la fin du IIIe à la fin du VIIe siècle 1–3. British Archaeological Reports, International Series 83 (Oxford 1980). Claude Seillier, Les tombes de transition du cimetière germanique de Vron (Somme). Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz 36/2, 1989, 599–634. Jules Pilloy, La question franque au Congrès de Charleroy (Belgique). Bulletin Archéologique du Comité des Travaux Historiques et Scientifiques 1891, 3–31, hier 15, führte die West-Ost-Ausrichtung auf einen angeblichen „arischen Sonnenkult“ zurück. In seiner Arbeit zur Entstehung der „Reihengräberzivilisation“ deutet Joachim Werner im Hinblick auf den Orientierungswechsel des Gräberfelds von Marosszentana in Siebenbürgen die Möglichkeit an, dass die West-Ost-Bestattung im Reihengräbergebiet auf donauländischen Einfluss zurückzuführen sein könnte: Joachim Werner, Zur Entstehung der Reihengräberzivilisation. Ein Beitrag zur Methode der frühgeschichtlichen Archäologie. In: Siedlung, Sprache und Bevölkerungsstruktur im Frankenreich, hrsg. Franz Petri. Wege der Forschung 49 (Darmstadt 1973) 285–325, hier 309 (Erstdruck 1950). Einige Jahre später rückte er jedoch von dieser Möglichkeit ab und zitierte den Friedhof von Marosszentana lediglich als Beleg dafür, dass Orientierungswechsel im 4. Jahrhundert keine Besonderheit Nordgalliens waren: ders., Les tombes de Haillot et leur axe Nord-Sud. In: Jacques Breuer/Heli Roosens, Le cimetière franc de Haillot. Archaeologia Belgica 34 (Brüssel 1957) 299–306, hier 300.
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diesem Sinne interpretiert;48 allerdings konnte sich diese Deutung nicht durchsetzen, da bald gezeigt wurde, dass beide Ausrichtungen unterschiedslos auch auf spätrömischen Gräberfeldern vorkommen.49 Die West-Ost-Ausrichtung wurde dagegen meist mit spätrömischen, genauer gesagt christlichen Traditionen in Verbindung gebracht. Wie aus spätantiken Quellen bekannt ist, symbolisiert die Ostung die Hinwendung zur aufgehenden Sonne. Sie spielt in der christlichen Liturgie eine große Rolle, sowohl beim Taufritual als auch beim Individual- und Gemeindegebet sowie, davon abgeleitet, nicht zuletzt im Kirchenbau.50 Auch der Gedanke, eine Bestattung so anzulegen, dass das Antlitz des Verstorbenen der aufgehenden Sonne entgegen blickte, war im spätantiken Christentum durchaus geläufig; zu einer conditio sine qua non einer christlichen Bestattung wurde diese Ausrichtung jedoch nie.51 Entsprechend zögert die archäologische Forschung mittlerweile, die West-Ost-Ausrichtung als Indiz für eine christliche Bestattung zu werten, zumal sich Beigaben christlichen Charakters auch in anders ausgerichteten Bestattungen finden.52 Ferner ist die symbolische Bedeutung der Hinwendung nach Osten, zur aufgehenden Sonne nicht nur in der christlichen Theologie geläufig, sondern auch in anderen religiösen Kontexten der Antike, etwa altorientalischen Sonnenkulten, dem griechisch-römischen Heidentum und dem Judentum.53 Insgesamt zeigt sich, dass auch die Wurzel der West-Ost-Ausrichtung der Reihengräberfelder im spätrömischen Milieu zu suchen ist, und zwar nicht allein im spezifisch-christlichen, sondern auch im allgemein-mediterranen.
Die Waffenbeigabe Während die Merkmale „Körperbestattung“ und „Orientierung“ mittlerweile relativ unbestritten als römisches Erbe angesehen werden, gilt das nächste Element, die Beisetzung mit Hiebwaffen, zumindest in der tradi48 49 50
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Werner, Haillot (Anm. 47) bes. 305. Van Doorselaer, Nécropoles (Anm. 34) 135. Martin Wallraff, Christus verus sol. Sonnenverehrung und Christentum in der Spätantike. Jahrbuch für Antike und Christentum, Ergänzungsband 32 (Münster 2001) 60–89; vgl. ders., Die Ursprünge der christlichen Gebetsostung. Zeitschrift für Kirchengeschichte 111, 2000, 169–184. Wallraff, Christus (Anm. 50) 78 f. Schmidt, Spätantike Gräberfelder (Anm. 42) 321 mit Anm. 661. Wallraff, Christus (Anm. 50) 27–39; Franz Josef Dölger, Sol Salutis. Gebet und Gesang im christlichen Altertum. Mit besonderer Rücksicht auf die Ostung in Gebet und Liturgie. Liturgiegeschichtliche Forschungen 4/5 (2Münster 1925).
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tionellen deutschsprachigen Forschung, häufig als besonders unzweifelhaftes Kennzeichen germanischer Bestattungen. Vor allem in Bezug auf das zweischneidige Langschwert, die Spatha, wird diese Auffassung oft mit Nachdruck vertreten. Die Deutung der Waffenbeigabe als Kennzeichen der Germanen besitzt eine lange Tradition. Bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die waffenführenden Reihengräberfelder in Gallien fränkischen Invasoren zugeschrieben. Hintergrund hierfür war nicht zuletzt der archäologische Befund, entsprach doch der militärisch geprägte Habitus der Reihengräber recht genau dem Bild der wilden, kriegerischen Germanenvölker, das die antiken Schriftsteller gemäß den Motiven der Barbarentopik von ihren nördlichen Nachbarn entworfen hatten. Gleichzeitig unterscheiden sich die frühmittelalterlichen Reihengräber mit Waffenbeigabe sehr deutlich von den typischen römischen Bestattungsformen der Kaiserzeit und Spätantike, in denen Waffen in der Tat nur sehr selten vorkommen. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die bereits im 19. Jahrhundert immer wieder geäußerten Hinweise, dass die Nachfahren der römischen Bevölkerung im Frühmittelalter ebenfalls militärisch aktiv waren und als Träger der Waffenbeigabe im Frühmittelalter nicht von vorneherein ausgeschlossen werden dürften,54 sich lange Zeit nicht durchsetzen konnten. Als Vorläufer der merowingerzeitlichen Waffengräber gelten seit Langem die spätantiken Bestattungen mit Waffen, die sich vor allem im nördlichen Gallien in einiger Zahl finden.55 Umstritten ist jedoch die Frage, von wo diese spätantiken Waffengräber herzuleiten seien. Im mutmaßlichen Herkunftsgebiet der Franken zwischen Rhein und Weser sind Waffengräber nicht geläufig;56 hier finden sich zwar in Brandgräbern vereinzelt Frag54
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Der früheste mir bekannte Beleg für dieses Argument stammt aus dem Jahr 1858, als Arcisse de Caumont, der Nestor der französischen „Archéologie nationale“, bei der 25. Sitzung des nationalen französischen Archäologenkongresses äußerte, es ginge erheblich zu weit, wenn man alle merowingischen Bestattungen germanischen Zuwanderern zuschreiben wolle; schließlich habe die einheimische Bevölkerung ebenso wie die Barbaren Waffen getragen. Vgl. 25e Congrès de Archéologie de la France. Séances generales tenues à Périgueux et Cambrai en 1858 (Paris 1859) 332. Horst Wolfgang Böhme, Germanische Grabfunde des 4. und 5. Jahrhunderts zwischen unterer Elbe und Loire. Münchner Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte 19 (München 1974) 97–114. Erdmute Schultze, Zur Waffenbeigabe bei den germanischen Stämmen in der späten Kaiserzeit und der frühen Völkerwanderungszeit. Jahrbuch der Bodendenkmalpflege in Mecklenburg 37, 1989, 19–36, bes. 21; ähnlich auch Jörg Kleemann in seinem Vortrag „Waffenbeigaben bei den Elbgermanen vom 2. bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts“ am 7. 1. 2002 im Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters an der Universität Freiburg; vgl. künftig: Jörg Kleemann, Waffengräber der jüngeren Kaiserzeit und frühen Merowingerzeit in Nord- und Ostdeutschland, phil. Habil. (Berlin 2001).
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mente von Schutzwaffen und Waffenzubehör, Angriffswaffen im eigentlichen Sinne sind darunter aber kaum vertreten. Eine regelhafte Waffenkombination lässt sich nicht erkennen.57 Der östliche Bereich des Reihengräbergebiets scheidet ebenfalls aus. Abgesehen vom Rhein-Main-Gebiet war die Waffenbeigabe in der spätantiken Alamannia unbekannt; sie kommt dort erst im Laufe des 5. Jahrhunderts auf.58 Im bajuwarischen Gebiet setzte sich die Bestattung mit Hiebwaffen gar erst in der Mitte des 6. Jahrhunderts durch.59 Alerdings besitzen Waffenbeigaben auch im römischen Bereich keine wirkliche Tradition. Zwar wurde im Laufe der 1950er und 1960er Jahre immer wieder auf vereinzelte provinzialrömische Waffengräber der Kaiserzeit hingewiesen;60 allerdings sind diese so selten und hinsichtlich der beigegebenen Waffen so verschieden von den spätantiken Waffengräbern, dass eine „römische“ Wurzel der spätantiken Waffenbeigabe wenig plausibel erscheint. Auch die Waffengräber des Elbe-Weser-Dreiecks scheinen hier nicht in Betracht zu kommen, da sie selbst auf Vorbilder im nordgallischen Raum zurückgeführt werden.61 Angesichts dieser altbekannten Schwierigkeiten bei der Herleitung der spätantiken und frühmittelalterlichen Waffenbeigabe aus den mutmaß-
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Frauke Stein, Waffenteile in Rhein-Weser-germanischen Brandgräbern. Ausnahmen von der Regel oder eine durch das Totenritual verschleierte Waffenbeigabensitte? In: Reliquiae gentium. Festschrift Horst Wolfgang Böhme 1, hrsg. Claus Dobiat. Internationale Archäologie, Studia honoraria 23 (Rahden 2005) 403–417, hier 404. Jakob Leicht, Die spätkaiserzeitlichen Kammergräber. In: Anke Burzler/Markus Höneisen/Jakob Leicht/Beatrice Ruckstuhl, Das frühmittelalterliche Gräberfeld von Schleitheim. Siedlung, Gräberfelder und Kirche. Schaffhauser Archäologie 5 (Schaffhausen 2002) 79–121, hier 106 f. Arno Rettner, Baiuaria romana. Neues zu den Anfängen Bayerns aus archäologischer und namenkundlicher Sicht. In: Hüben und drüben. Räume und Grenzen in der Archäologie des Frühmittelalters. Festschrift Max Martin, hrsg. Gabriele Graenert/Reto Marti/Andreas Motschi/Renata Windler. Archäologie und Museum 48 (Liestal 2004) 255–286, hier 259–261. Hans Schönberger, Provinzialrömische Gräber mit Waffenbeigabe. Saalburg-Jahrbuch 12, 1953, 53–56; Sigfried De Laet/André van Doorselaer, Gräber der römischen Kaiserzeit mit Waffenbeigabe aus Belgien, den Niederlanden und dem Großherzogtum Luxemburg. Saalburg-Jahrbuch 20, 1962, 45–63; André van Doorselaer, Provinzialrömische Gräber mit Waffenbeigabe aus dem Rheinland und Nordfrankreich. Saalburg-Jahrbuch 21, 1963, 26–31; ders., Le problème des mobiliers funéraires avec armes en Gaule septentrionale à l’époque de Haute-Empire romain. Helinium 5, 1965, 118–135. Böhme, Grabfunde (Anm. 55) 165; Kleemann, Körperbestattung (Anm. 56) 259–262; ders., Bemerkungen zur Waffenbeigabe in Föderatengräbern Niedersachsens. In: Römer und Germanen. Nachbarn über Jahrhunderte, hrsg. Clive Bridger/Claus v. Carnap-Bornheim. British Archaeological Reports, International Series 678 (Oxford 1997) 43–48, hier 47.
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lichen Herkunftsgebieten von Franken, Alemannen und Bajuwaren im Westen der Germania wurde in der deutschsprachigen Forschung in den letzten beiden Jahrzehnten häufig für eine „ostgermanische“ Herkunft plädiert, d. h. aus dem Bereich der Germania östlich der Elbe – eine Möglichkeit, die jedoch Joachim Werner bereits 1950 mit guten Argumenten abgelehnt hatte.62 In jüngster Zeit wurde ferner eine „immaterielle Waffenbeigabensitte“ der sogenannten „Rhein-Weser-Germanen“ als mögliche Wurzel ins Spiel gebracht.63 Die These der „ostgermanischen“ Herkunft der Waffenbeigabe beruht maßgeblich auf einer 1985 erschienenen Studie von Mechthild SchulzeDörrlamm über mitteleuropäische Schwertgräber des späten 3. und der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts. Allerdings erscheint diese Theorie bei kritischer Lektüre wenig überzeugend. Vor allem auf zwei Probleme ist in diesem Zusammenhang hinzuweisen: Zum einen beruht Schulze-Dörrlamms Interpretation auf einer Prämisse, die ohne weitere Begründung als zutreffend vorausgesetzt wird, dass nämlich „die Menge und Auswahl der beigegebenen Waffen ebenso an das Brauchtum einer bestimmten Kulturgruppe gebunden waren wie der völlige Verzicht auf die Waffenbeigabe überhaupt“.64 Zum anderen zeigt sich bei näherer Betrachtung, dass die von SchulzeDörrlamm herausgearbeitete Gruppe frühester Schwertgräber im Westen keineswegs so einheitliche Waffenausstattungen aufweisen, dass man sie als „charakteristische Waffenkombination“ und damit in ihrem Sinne als zentrales Indiz für eine östliche Herkunft der Waffenbeigabe werten könnte. In ihrer Studie ging Schulze-Dörrlamm von insgesamt sieben altbekannten Inventaren des späten 3. bzw. der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts aus. Betrachtet man die übrigen Waffenbeigaben in den fraglichen Gräbern – neben dem Schild kommen auch eine Lanze, drei Äxte sowie zweimal Pfeile vor – so zeigt sich, dass keines der Gräber eine identische Waffenkombination aufweist, sondern sie lediglich das der Auswahl zugrunde liegende Kriterium des Schwertes gemeinsam haben (Abb. 2). Gleiches gilt für die zeitgleichen Gräber im Ostbereich der sogenannten „Lebus-Lausitzer-Kultur“, die von Schulze-Dörrlamm als Vorbilder der frühen Schwertgräber am Rhein und in Nordgallien angesehen werden. Als verbindendes Element kann Schulze-Dörrlamm deshalb lediglich eine 62 63 64
Werner, Reihengräberzivilisation (Anm. 47) 297. Stein, Waffenteile (Anm. 57). Mechthild Schulze-Dörrlamm, Germanische Kriegergräber mit Schwertbeigabe in Mitteleuropa aus dem späten 3. Jahrhundert und der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts. Zur Entstehung der Waffenbeigabensitte in Gallien. Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 32, 1985, 509–569, hier 561.
Abb. 2. Bestattungen des späten 3. und der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts mit einem Schwert als Grabbeigabe. y Körperbestattung (nach Schulze-Dörrlamm, Germanische Kriegergräber [Anm. 64] 550 Abb. 32)
x Brandbestattung;
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„ähnliche Vielfalt der Angriffswaffen im Ostbereich der Lebus-LausitzerKultur“ anführen.65 Darüber hinaus gibt es in den fraglichen Inventaren keine weiteren Hinweise auf besondere Beziehungen zum Bereich der Lebus-Lausitzer- oder Przeworsk-Kultur. Schließlich ist daran zu erinnern, dass die Waffenbeigabe im sogenannten „ostgermanischen Bereich“ keineswegs allgemein üblich war, und deshalb auch hier kein charakteristisches „Brauchtum“ der ansässigen Bevölkerung darstellte. Zwar finden sich hier durchaus Waffengräber in einiger Zahl; betrachtet man aber die Masse der Gräber, so zeigt sich, dass die waffenlose Bestattung vorherrschte.66 Im Grunde handelt es sich bei den Waffengräbern im Osten der Germania letztlich ebenso um erklärungsbedürftige Ausnahmen wie bei den frühen Schwertgräbern am Rhein bzw. in Gallien. Gleichfalls nicht zwingend ist die jüngst von Frauke Stein entwickelte These einer „immateriellen Waffenbeigabe“ der „Rhein-Weser-Germanen“ als Wurzel der spätantiken Waffengräber im Westen. Ausgangspunkt für diese Theorie ist die bereits erwähnte, altbekannte Tatsache, dass in den Brandgräbern zwischen Rhein und Weser im Grunde keine Hiebwaffen vorkommen. Ausgehend von den Schwert- bzw. Scheidenfragmenten, die zwar nicht in den Brandgräbern, dafür aber auf den Verbrennungsplätzen (Ustrinen) des Gräberfelds von Liebenau (Kr. Nienburg/Weser) geborgen wurden, wies Stein auf die Möglichkeit hin, dass Schwerter bzw. Schwertzubehör zwar auf dem Scheiterhaufen verbrannt, beim Auslesen der Scheiterhaufenreste aber nicht ausgewählt und nicht mit in die Gräber gegeben wurden. Bei der Bestattung sei somit lediglich die Anwesenheit der Schwerter bzw. nur deren Zubehörs auf dem Scheiterhaufen, nicht aber in der Grabgrube notwendig gewesen, weshalb es sich gewissermaßen um eine „immaterielle“, nicht an die Anwesenheit der realen Objekte im Grab gebundene Waffenbeigabe gehandelt habe. Problematisch an der weiteren Argumentation Steins sind vor allem zwei Punkte: Zwar besitzt das Gräberfeld von Liebenau wegen der andernorts nirgendwo erhaltenen Verbrennungsplätze eine besondere Bedeutung für die Rekonstruktion des regionalen Bestattungswesens, da es exemplarisch ansonsten nicht beobachtbare Abschnitte des Bestattungsvorgangs und Bestandteile der Ausstattungen auf dem Scheiterhaufen erkennen lässt;67 dennoch erscheint es zweifelhaft, ob hier gemachte Beobach-
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Schulze-Dörrlamm, Kriegergräber (Anm. 64) 552. Heiko Steuer, s. v. Germanen, Germania, Germanische Altertumskunde, § Archäologie. In: Die Germanen. Studienausgabe (Berlin, New York 1998) 129–176, hier 162. Hans-Jürgen Häßler, s. v. Liebenau § Archäologisches. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde2 18 (Berlin, New York 2001) 348–353, hier 350f.
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tungen so zu verallgemeinern sind, dass von ihnen auf ein allgemeines „Rhein-Weser-Germanisches Totenritual“68 geschlossen werden kann, zumal es sich bei den „Rhein-Weser-Germanen“ lediglich um eine moderne wissenschaftliche Ordnungskategorie handelt, und nicht etwa um eine zeitgenössische Kulturgruppe mit einheitlichem Brauchtum. Noch gravierender ist diese Verallgemeinerung in chronologischer Hinsicht. Die Bestattungen des Gräberfelds von Liebenau setzen erst am Ende des 4. Jahrhunderts ein, es wurde bis in Karolingerzeit belegt. Die von Stein ins Feld geführten Schwert- bzw. Zubehörfragmente sind bereits merowingerzeitlich.69 Sie belegen daher allenfalls das Aufkommen eine „immateriellen“ Waffenbeigabe gleichzeitig zum Aufkommen im Reihengräbergebiet – möglicherweise angeregt vom westlichen Vorbild der realen Waffenbeigabe –, nicht aber die Existenz eines älteren Vorbilds, auf das das Aufkommen der Waffengräber im Reihengräbergebiet zurückgeführt werden könnte. Insgesamt erscheint weder die Herleitung der spätantiken Waffengräber am Rhein und in Nordgallien aus dem Osten der Germania noch von einer „immateriellen Waffenbeigabe“ im Raum zwischen Rhein und Weser plausibel. Beide Erklärungsmodelle liefern bei näherer Betrachtung auch keine Begründung, weshalb die Waffengräber im Westen nur von „Germanen“ hinterlassen worden sein könnten. Wie ähnliche ältere Theorien, etwa die Entstehung der Waffenbeigabe durch eine angebliche, historisch nicht überlieferte rechtliche Privilegierung der Germanen durch die römischen Kaiser70, setzen sie vielmehr den germanischen Charakter der Waffenbeigabe bereits voraus und versuchen lediglich, im Nachhinein eine Herkunft aus der Germania herzuleiten. Wesentlich weniger gezwungen erscheint dagegen die Möglichkeit, dass es sich bei den spätantiken Waffengräbern um eine Innovation im militärischen Milieu Nordgalliens bzw. des Rheingebiets handelt. Da Waffenbeigaben auch in anderen kulturellen Kontexten bzw. anderen Epochen der Ur- und Frühgeschichte immer wieder vorkommen, ohne dass es in jedem Fall einer Herleitung von älteren Vorbildern bedurft hätte, wäre dies kein ungewöhnlicher Vorgang. Empirisch kaum zu klären ist die Ansicht, dass lediglich Germanen auf spätrömischem Boden die Waffenbeigabe entwickelt und ausgeübt haben sollen – eine Theorie, für die meines Wissens noch nie eine schlüssige Be68 69 70
Stein, Waffenteile (Anm. 57) 413. Stein, Waffenteile (Anm. 57) 412 Anm. 48. Werner, Reihengräberzivilisation (Anm. 47) 297.
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gründung vorgelegt wurde. Als Argument, weshalb hierfür lediglich römische Soldaten barbarischer Herkunft in Betracht kämen, wurde in der Vergangenheit zumeist angeführt, dass die Waffenbeigabe „unrömisch“ sei. Und „unrömisch“ war für viele Autoren gleichbedeutend mit „germanisch“. Betrachtet man die Verbreitung der Waffengräber in der kaiserzeitlichen Germania, so muss man jedoch feststellen, dass die Waffenbeigabe fast ebenso „ungermanisch“ wie „unrömisch“ ist. Ob man in den spätantiken Waffengräbern auf römischem Gebiet in erster Linie Bestattungen von Armeeangehörigen germanischer Herkunft sieht, scheint insgesamt weniger vom archäologischen Befund als vom historischen Kontext abzuhängen, von dem man ausgeht. In der deutschsprachigen Forschung fällt dabei die Tendenz auf, das spätrömische Heer weitgehend für Germanen oder Barbaren vereinnahmen zu wollen. Da das römische Heer aber – soweit sich dies historisch bestimmen lässt – auch in der Spätantike zum überwiegenden Teil aus Nicht-Barbaren bestand,71 ist eine Gleichsetzung von „militärisch“ und „germanisch“ bzw. „barbarisch“ auch in dieser Zeit keineswegs gerechtfertigt. Zudem sind die spätantiken Vorläufer für die Frage nach dem ethnischen Charakter der Waffenbeigabe in den frühmittelalterlichen Reihengräberfeldern letztlich nicht unbedingt entscheidend. Da sich die charakteristische „schwere Waffenbeigabe“ der Merowingerzeit mit Spatha, Sax, Lanze und Schild nicht unwesentlich von den spätantiken Waffengräbern unterscheidet, in denen Beilwaffen vorherrschen,72 ist eine unmittelbare Herleitung der reihengräberzeitlichen Waffenbeigabe von spätantiken Vorbildern nicht zwingend vorauszusetzen.73 Wesentlich plausibler als die germanischen Herleitungen erscheint das funktionale Modell zur Entstehung der frühmerowingerzeitlichen Schwertbeigabe, das Frans Theuws und Monica Alkemade vor wenigen Jahren vorgelegt haben.74 Diese lassen die Prämisse eines vermeintlichen germanisch-römischen Antagonismus in dieser Zeit weit hinter sich. Ausgehend von der Beobachtung, dass die frühen Schwertgräber in Nordgal-
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Hugh Elton, Warfare in Roman Europe, AD 350–425 (Oxford 1996) 135; 137 ff. Böhme, Grabfunde (Anm. 55) 164. Heiko Steuer, Frühgeschichtliche Sozialstrukturen in Mitteleuropa. Eine Analyse der Auswertungsmethoden des archäologischen Quellenmaterials. Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, philosophisch-historische Klasse, 3. Folge 128 (Göttingen 1982) 303f.; Halsall, Föderatengräber (Anm. 14) 177 Anm. 73. Frans Theuws/Monica Alkemade, A Kind of Mirror for Men. Sword Depositions in Late Antique Northern Gaul. In: Rituals of Power. From Late Antiquity to the Early Middle Ages, ed. Frans Theuws/Janet Nelson. Transformation of the Roman World 8 (Leiden, Boston, Köln 2000) 401–476.
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lien und am Rhein die Gebiete mit fortbestehenden römischen Machtstrukturen fast ausnahmslos aussparen, interpretieren sie das Aufkommen der Schwertbeigabe als Versuch von Eliten in machtpolitisch peripheren Gebieten, ihren sozialen Status zu stabilisieren, der während des Kollapses der römischen Gesellschaftsordnung in der Mitte des 5. Jahrhunderts gerade in diesen Randbereichen besonders gefährdet gewesen sein dürfte.
Frauenkleidung mit vier Fibeln Ich komme zum letzten Merkmal des frühen Reihengräberhorizontes, das als typisch germanisch angesehen wird, der Beisetzung von Frauen mit reicher Fibelausstattung. Anhand der Lage der Fibeln im Grab lässt sich für den frühen Reihengräberhorizont ein typischer Kleidungsstil rekonstruieren, die sogenannte „Vierfibeltracht“, auch „westgermanische Fibeltracht“ genannt. Wie eingangs bereits gezeigt, gilt diese vielfach als besonders charakteristisches Merkmal germanischer Frauenbestattungen, im Gegensatz etwa zur jüngermerowingerzeitlichen Einfibelkleidung, deren mediterraner Ursprung seit einiger Zeit allgemein anerkannt wird.75 Wie bereits der Name signalisiert, werden in den betreffenden Frauengräbern regelmäßig vier Fibeln gefunden: Die beiden Kleinfibeln liegen üblicherweise am Hals oder auf der Brust; die beiden Bügelfibeln finden sich dagegen im Becken oder im Bereich der Oberschenkel. Detaillierte Befundbeobachtungen haben in den letzten Jahren zwar gezeigt, dass diese keineswegs so einheitlich ist wie früher angenommen; so findet sich mitunter nur eine Bügelfibel im Becken,76 in anderen Fällen wird die Vierfibelkleidung durch ein Kleinfibel-77 oder selten auch durch ein Scheibenfibelpaar78 ersetzt. Insgesamt hebt sich der Kleidungsstil mit vier Fibeln archäologisch aber verhältnismäßig prägnant ab. 75
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Max Martin, Tradition und Wandel in der fibelgeschmückten frühmittelalterlichen Frauenkleidung. Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 38, 1991 [1995] 629–680, hier 629–633; ders., s. v. Fibel und Fibeltracht § Späte Völkerwanderungszeit und Merowingerzeit auf dem Kontinent. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde2 8 (Berlin, New York 1994) 541–582, hier 561 f. Stefanie Zintl, Das frühmerowingische Gräberfeld von München-Perlach. Bericht der Bayerischen Bodendenkmalpflege 45/46, 2004/2005, 281–370, hier 345f. Susanne Walter, Fibeln – einmal anders. Gedanken zu Kleinfibelpaaren als Ersatz für Bügelfibel. In: Hüben und drüben (Anm. 59) 41–48. Dieter Quast, Mediterrane Scheibenfibeln der Völkerwanderungszeit mit Cloisonnéverzierung. Eine typologische und chronologische Übersicht. Archäologisches Korrespondenzblatt 36, 2006, 259–278, hier 270 f.
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Mit den Wurzeln und der Deutung dieses Phänomens hat sich in den letzten Jahrzehnten vor allem Max Martin beschäftigt. Durch die systematische Analyse gut dokumentierter Grabbefunde konnte er dabei den Einfluss römischer Kleidungsstile auf die Entstehung der Vierfibelkleidung herausarbeiten. Mit den Kleidungsgewohnheiten der kaiserzeitlichen Germania hat sie dagegen nichts zu tun, Martin konstatiert vielmehr einen „völligen Bruch“ zwischen den älteren germanischen Kleidungsgewohnheiten und der „Westgermanischen Frauentracht“.79 In der kaiserzeitlichen Germania trugen die Frauen die sogenannte Peploskleidung, ein Kleidungsstück, das von zwei Nadeln oder Fibeln auf den Schultern zusammengehalten wurde. Bereits dieser Kleidungsstil ist nicht eindeutig als „germanisch“ zu bezeichnen, da er ebenso im römischmediterranen Milieu geläufig war, häufig wohl durch die Fortführung älterer, vorrömischer Kleidungsstile. Das prominenteste Beispiel in diesem Zusammenhang ist die sogenannte „norisch-pannonische Tracht“.80 Auch in Gallien war der Peplos bis ins 3. Jahrhundert in einer regionalen Ausprägung bekannt.81 Aus diesem Grund erscheint es auch nicht gerechtfertigt, Gräber mit zwei Fibeln an den Schultern als typisch „ostgermanische“ Bestattungen zu werten, wie dies in der älteren Forschung weit verbreitet ist.82 Von diesem Peplosgewand unterscheidet sich die typische Frauenkleidung des frühen Reihengräberhorizontes grundlegend. Wie Martin herausarbeitete, ist die Vierfibelkleidung nicht aus der eigentlichen Germania herzuleiten, sondern entstand im „westgermanischen“ Gebiet, d. h. im Verbreitungsgebiet der Reihengräberfelder selbst, und zwar unter „Einfluss der provinzialrömischen Mode“. Bei ihr handle es sich um eine Neuschöpfung des 5. Jahrhunderts, das sich auch im Bereich der Kleidung als eine „experimentierfreudige Übergangszeit“ erweise. Grundsätzlich sei anhand der Frauenkleidung ein „Abbruch und Neubeginn“ am Übergang von der Spätantike bzw. Völkerwanderungszeit zur Merowingerzeit festzustellen.83 Soweit sie sich anhand der metallenen Kleidungsbestandteile rekonstruieren lässt, besteht die charakteristische Frauenkleidung des frühen Reihengräberhorizontes Martin zufolge aus drei Elementen: 1. einem Mantel oder 79 80
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Martin, Tradition (Anm. 76) 659. Astrid Böhme-Schönberger, Kleidung und Schmuck in Rom und den Provinzen. Schriften des Limesmuseums Aalen 50 (Stuttgart 1997) 36f. Martin, Fibeltracht (Anm. 76) 544. Philipp v. Rummel, Habitus barbarus. Kleidung und Repräsentation spätantiker Eliten im 4. und 5. Jahrhundert. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Ergänzungsband 55 (Berlin, New York 2007) hier 323–331. Martin, Tradition (Anm. 76) 674.
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Umhang, der mit Hilfe des Kleinfibelpaares am Hals bzw. auf der Brust verschlossen wurde, 2. dem eigentlichen Leibgewand, einer fibellosen Tunika, sowie 3. einem Gürtel bzw. einer Schärpe, der die Tunika um die Hüften zusammenfasste und in einem breiten Band mündete, das an der Körpervorderseite herabhing. Die Wurzeln des mit einem Kleinfibelpaar verschlossenen Mantels bzw. Umhangs identifizierte Martin im römischen Milieu des 5. Jahrhunderts, am wahrscheinlichsten in Zentral- oder Südgallien, möglicherweise aber auch an anderer Stelle im Mittelmeerraum.84 Auch in formaler Hinsicht lassen die Kleinfibeln römischen Einfluss erkennen. Bei den frühesten in dieser Funktion nachgewiesenen Stücken handelt es sich um stark römisch geprägte Tierfibeln, die Martin zufolge vermutlich sogar von römischen Handwerkern hergestellt wurden.85 Ebenfalls ins römische Milieu weisen die bekannten Vogelfibeln, die nach der Mitte des 5. Jahrhunderts häufig als Kleinfibelpaar getragen wurden. Wie die eingehende Analyse von Ute Haimerl gezeigt hat, handelt es sich auch dabei keineswegs um eine „genuin germanische“ Form, die von den Goten aus Südrussland nach Westen gebracht wurde, wie die ältere Forschung angenommen hatte; vielmehr seien die Vogelfibeln im Reihengräbergebiet selbst entstanden und wurzelten in der „romanischen Fibelwelt“.86 Auch das zweite Element der frühmittelalterlichen Frauenkleidung verweist in das römische Milieu: Die Tunika bestand aus einem einzigen Textil und benötigte keine Fibeln als Verschluss auf den Schultern.87 Seit der späten Kaiserzeit verdrängte sie die Peploskleidung vollständig. Nach 400 finden sich im zentralen Mitteleuropa im Grunde keine Funde von Fibeln in Schulterlage mehr.88 Das dritte hier zu behandelnde Element der frühmerowingerzeitlichen Frauenkleidung ist Martin zufolge ebenfalls stark von römischen Traditionen geprägt. Statt auf den Schultern, wie bei der Peploskleidung, werden die Bügelfibeln in frühmerowingerzeitlichen Frauengräbern in der Regel im Beckenbereich gefunden. Detailliert dokumentierte Befunde lassen erkennen, dass sie zunächst horizontal getragen wurden. Martin zufolge besaßen sie keine Funktion innerhalb der Kleidung, sondern wurden als reine Zier84 85 86
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Martin, Tradition (Anm. 76) 649. Martin, Tradition (Anm. 76) 646–652. Ute Haimerl, Die Vogelfibel der älteren Merowingerzeit. Bemerkungen zur Chronologie und zur Herleitung der Fibelgattung. Acta Praehistorica et Archaeologica 30, 1998, 90–105, bes. 101–103. Martin, Fibeltracht (Anm. 76) 554. Martin, Tradition (Anm. 76) 673.
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Abb. 3. Gehänge am cingulum, Rekonstruktion. 1 Völkerwanderungszeit; 2 zweite Hälfte des 5. Jahrhunderts; 3 6. Jahrhundert (nach Martin, s. v. Fibel und Fibeltracht [Anm. 76] 554 Abb. 139)
objekte an dem bereits erwähnten Gürtel bzw. der Schärpe befestigt. Anfangs trugen die Damen diesen Gürtel noch relativ hoch, später etwas tiefer. In der Mitte des 6. Jahrhunderts wurden die Fibeln schließlich häufig an einem Band bzw. einer Schärpe festgemacht, das vom Gürtel herabhing (Abb. 3).89 Als Vorbild des Gürtels bzw. der Schärpe identifizierte Martin ein Kleidungsstück, das wie kaum ein anderes eine besondere symbolische Bedeutung innerhalb der römischen Welt besaß: das cingulum, der „Amts-“ bzw. „Dienstgürtel“ der römischen Beamten und Militärs, der wie die Zwiebelknopffibel als zentrales Element eines Zeichencodes zum Ausdruck der Hierarchie diente. Bereits in der Spätantike war dieses ursprünglich männliche Ausrüstungsstück in manchen Fällen in die Frauenkleidung übernommen worden, wie der Befund des Frauengrabs 363 von Schleitheim-Hebsack mit einem typischen kerbschnittverzierten Militärgürtel zeigt.90 Als letztes Element der frühmerowingerzeitlichen Frauenkleidung ist schließlich noch auf die Herkunft der Bügelfibeln einzugehen. Angesichts der bereits angedeuteten römischen Wurzeln anderer frühmerowingerzeit89 90
Martin, Tradition (Anm. 76) 652–661; ders., Fibeltracht (Anm. 76) 551–556. Leicht, Kammergräber (Anm. 58) 83–95, bes. 90 f.
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licher Fibeltypen gelten sie etwa Martin als „einzige sicher germanische Fibelform“91. Allerdings stellt sich auch in diesem Fall die Frage nach der Plausibilität dieser germanischen Zuweisung, da entsprechende Vorformen in der Germania nicht sicher zu identifizieren sind, wie eine bemerkenswerte Studie von Mechthild Schulze-Dörrlamm vor einigen Jahren gezeigt hat.92 In ihrer Arbeit über die Entstehung der „protomerowingischen Bügelfibeln“ diskutiert Schulze-Dörrlamm in diesem Zusammenhang mehrere Möglichkeiten. Die „germanischen“ Spiralplattenfibeln Typ Peukendorf, die letztlich auf Sonderformen der spätrömischen Zwiebelknopffibeln zurückgehen, sind nach Schulze-Dörrlamm als Vorbilder auszuschließen. Diese waren gegen Ende des 4. bzw. Anfang des 5. Jahrhunderts nicht mehr gebräuchlich, und kämen deshalb als Vorbilder der Bügelfibeln der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts nicht in Frage.93 Gleiches gelte für die etwas jüngeren Spiralplattenfibeln des Typs Soest-Ardey. Da sie als einfache Objekte in Bronzegusstechnik hergestellt wurden, könnten sie kaum den kostbaren merowingischen Bügelfibeln aus vergoldetem Silber als Vorbilder gedient haben.94 Als letzte verbliebene Möglichkeit plädierte Schulze-Dörrlamm schließlich für Vorbilder im römischen Milieu, nämlich die „romanischen Bügelfibeln“. Wegen der ungünstigen Überlieferungsbedingungen sei es zwar noch schwierig, „romanische“ Bügelfibeln sicher zu identifizieren, nicht zuletzt, weil bislang noch keine sicheren Kriterien für die Produkte römischer Werkstätten herausgearbeitet wurden. „Romanische“ Bügelfibeln habe es jedoch zweifellos gegeben: In diesem Zusammenhang verweist Schulze-Dörrlamm auf die cloisonnierte, vergoldete Bügelfibel von Pistoia (Prov. Florenz). Aufgrund ihrer Verzierung mit Weinrankendekor sowie durch ein technisches Detail, das komplizierte Schraubengewinde der Nadel, sei diese sicher ein Produkt einer römischen Werkstätte (Abb. 4).95 Als Ergebnis ihrer Studie hielt Schulze-Dörrlamm fest, die Vorbilder der typischen frühmerowingischen Bügelfibeln seien am ehesten unter den „romanischen Bügelfibeln zu suchen, die zu Beginn des ‚protomerowingischen Horizonts‘ in provinzialrömischen Werkstätten hergestellt wurden.“96 91 92
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Martin, Fibeltracht (Anm. 76) 576. Mechthild Schulze-Dörrlamm, Germanische Spiralplattenfibeln oder romanische Bügelfibeln? Zu den Vorbildern elbgermanisch-fränkischer Bügelfibeln der protomerowingischen Zeit. Archäologisches Korrespondenzblatt 30, 2000, 599–613. Schulze-Dörrlamm, Spiralplattenfibeln (Anm. 93) 601. Schulze-Dörrlamm, Spiralplattenfibeln (Anm. 93) 604. Schulze-Dörrlamm, Spiralplattenfibeln (Anm. 93) 605. Schulze-Dörrlamm, Spiralplattenfibeln (Anm. 93) 608.
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Abb. 4. Die Fibel von Pistoia/Florenz (nach Die Schraube zwischen Macht und Pracht. Das Gewinde in der Antike [Sigmaringen 1995] 161 Abb 124)
Auch wenn die Diskussion über ihre typologische Wurzeln damit sicher noch nicht abgeschlossen ist, so besteht bereits jetzt ein Konsens, dass die protomerowingischen Bügelfibeln ebenso wie die gesamte „Vierfibeltracht“ das Produkt einer „Experimentier- und Übergangsphase“ in der Mitte des 5. Jahrhunderts sind, in der neben barbarischen sicher auch provinzialrömische Elemente verarbeitet wurden.97 So handelt es sich beim Punzdekor und den Pferdeprotomen beiderseits der rhombischen Fußplatte, die etwa beim Typ Bifrons zu beobachten sind, ebenso um ein spätantikes Erbe, wie bei der Kerbschnittverzierung, die z. B. bei den Typen Krefeld und Heilbronn-Böckingen auftritt. Andere Elemente, wie die quergerillten Fußplatten oder Tierkopfenden, gelten dagegen nach wie vor als „elbgermanisch“.98 Auch bei diesen Merkmalen „barbarischer“ Herkunft ist allerdings zu beachten, dass sie in vielen Fällen wiederum selbst Fortentwicklungen älterer römischer Formen sind. So wird etwa die charakteristische halbrunde 97 98
Koch, Bügelfibeln (wie Anm. 5) 470 f. Martin, s. v. Fibel und Fibeltracht (wie Anm. 76) 557 f.
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Kopfplatte über verschiedene Zwischenformen bereits seit langem letztlich auf eine bestimmte Variante römischer Kniefibeln der mittleren Kaiserzeit zurückgeführt.99 Insgesamt zeigt sich seit dem 3. Jahrhundert ein intensiver Einfluss römischer Vorbilder auf die Fibelentwicklung in der Germania, teilweise meint man sogar eine „Symbiose zwischen provinzialrömischem und germanischem Kunstschaffen“100 zu erkennen. Vor diesem Hintergrund scheint es m. E. wenig wahrscheinlich, dass es noch gelingt wird, einen „sicher germanischen“ Charakter der merowingerzeitlichen Bügelfibeln zu erweisen. Fasst man den gegenwärtigen Forschungsstand zur Herkunft der Kleidung mit vier Fibeln zusammen, so ergibt sich folgendes Bild. Diese Kleidung besteht zum einem aus einem Umhang oder Mantel, der wohl zuerst von gallorömischen Damen im 5. Jahrhundert getragen wurde. Das eigentliche Gewand bildet eine Tunika, wie sie bereits seit sehr langer Zeit im Mittelmeerraum geläufig war. Zusammengehalten wurde sie von einem Gürtel bzw. einer Schärpe, die sich formal an das cingulum anlehnte, d. h. an ein Kleidungsstück, das wie kaum ein anderes eine besondere Zeichenfunktion innerhalb der römischen Kultur erfüllte. Auf dem cingulum waren Bügelfibeln befestigt, die typologisch am ehesten auf römische Bügelfibeln zurückgehen. Gleichzeitig unterschied sich die Tunikakleidung grundlegend von der Peploskleidung, die zuvor in der Germania getragen wurde. Nimmt man all dies zusammen, so drängt sich die Frage auf, weshalb die Vierfibeltracht ausschließlich von Frauen germanischer Herkunft getragen worden sein soll. Alle einzelnen Bestandteile weisen im Grunde eher ins spätrömische Milieu bzw. in die kulturell durchmischte Grenzzone des Imperiums als in die Germania. Für die traditionelle germanische Interpretation dieses Kleidungsstils findet sich dagegen kein wirklich überzeugendes Argument, will man nicht in einen Zirkelschluss verfallen, der auch bei der Begründung des germanischen Charakters der Waffenbeigabe zu beobachten ist: Diese Kleidung bzw. einzelne ihrer Bestandteile seien deshalb germanisch, weil sie nur in germanischen Gräbern gefunden wird; im Gegenzug sind die beigaben führenden Gräber insgesamt vor allem deshalb germanisch, weil in ihnen unzweifelhaft „germanische Trachtbestandteile“ gefunden werden. Wie schon bei der Waffenbei99 100
Klaus Raddatz, Eine Fibel vom Zugmantel. Saalburg-Jahrbuch 13, 1954, 53–59, bes. 54. Astrid Böhme-Schönberger, s. v. Fibel- und Fibeltracht § 32. Provinzialrömisch-germanische Kontakte. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde2 8 (Berlin, New York 1994) 518–523, hier 522.
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gabe erscheint der germanische Charakter weniger als Ergebnis der archäologischen Analyse als vielmehr das der Interpretation zugrunde liegende Axiom. Besonders in Anbetracht des von Max Martin herausgearbeiteten Bruchs mit älteren Kleidungsgewohnheiten in der Germania einerseits sowie den starken Wurzeln im spätrömischen Milieu andererseits ist es wohl nur vor dem Hintergrund einer über Jahrzehnte gewachsenen, fast übermächtigen Tradition zu verstehen, weshalb die ausschließlich germanische Zuweisung dieses Kleidungsstils weiter aufrecht erhalten wird. Löst man sich von dem Modell einer Traditionslinie von der Kleidung der kaiserzeitlichen Germania zur merowingischen Frauenkleidung und zieht statt dessen die Evolution dieses Kleidungsstils aus regionalen provinzialrömischen Wurzeln in Betracht, so erscheint dieser Bruch wesentlich weniger abrupt. Bei der frühmerowingerzeitlichen Vierfibeltracht handelt es sich aus dieser Perspektive um eine weitere Innovation in der Mitte des 5. Jahrhunderts. Sie wurde wohl von einer Gesellschaft im Umbruch hervorgebracht, in der die Kategorien „römisch“ und „germanisch“ keine grundlegende kulturelle Differenz mehr bezeichneten. Meines Erachtens spricht nichts dagegen, dass es sich bei der sogenannten „Vierfibeltracht“ um einen regionalen Kleidungsstil handelt, der in Gallien bzw. an Rhein und Donau aufkam und hier von wohlhabenden Frauen sowohl barbarischer wie einheimischer Herkunft getragen wurde.
Der germanische Charakter der Reihengräberfelder: Fazit Überträgt man die bisherigen Überlegungen auf das eingangs vorgestellte Modell des Idealtypus „Reihengräberfeld“, so ergibt sich folgendes Bild: Zwei seiner wichtigsten Merkmale – die Körperbestattung und die WestOst-Ausrichtung – weisen in das spätrömische Milieu. Die beiden anderen Merkmale lassen sich dagegen nicht eindeutig den Kategorien „römisch“ oder „germanisch“ zuordnen. Keineswegs unzweifelhaft „germanisch“ ist zum einen die Waffenbeigabe im Merowingerreich, bei der es sich am ehesten um eine Innovation der kulturell durchmischten Grenzzone vor allem am Rhein handelte. Gleiches gilt für die frühmerowingische Vierfibelkleidung, die ihre Wurzeln in Gallien bzw. am Rhein und der oberen bis mittleren Donau zu haben scheint. Die Erkenntnis stark römisch geprägter Wurzeln der Reihengräberfelder ist im Übrigen nicht neu, sondern auch in der mitteleuropäischen Forschung im Grunde geläufig. So stellte Jakob Leicht vor einigen Jahren zutreffend fest, dass ausschlaggebend für die Ausbildung der Reihengräberfel-
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der das Vorbild der spätrömischen Körpergräberfelder gewesen sei.101 Allerdings führte diese Erkenntnis in der Regel nicht dazu, ihren vermeintlich germanischen Charakter zu hinterfragen. Insgesamt wird es wohl in Zukunft verstärkt gelten, das Aufkommen der Reihengräberfelder nicht allein durch eine Migration fremder Bevölkerungsgruppe als vielmehr auch durch eine Evolution vor Ort zu erklären – eine Möglichkeit, die bislang oft etwas vorschnell als lediglich „theoretisch“ abgetan wurde.102 Dies gilt umso mehr, als es durchaus plausible Ansätze zu einer alternativen Erklärung in dieser Richtung gibt, auf die ich abschließend hinweisen möchte.
Die frühmittelalterlichen Reihengräberfelder – Ausdruck einer kulturellen Neuorientierung? Eines der Paradoxa der germanischen Interpretation des Reihengräberhorizontes ist seit jeher der Befund, dass es sich bei den Reihengräberfeldern um eine Erscheinung handelt, die ganz überwiegend auf ehemals römischem Boden anzutreffen ist. Bereits Anfang der 1920er Jahre wies der Stuttgarter Prähistoriker Peter Goeßler darauf hin, dass sie „nur innerhalb des einstigen Römischen Reiches und eines schmalen daran angrenzenden Streifens gefunden werden“.103 Kämen sie in den vermuteten Herkunftsgebieten der Franken, Alemannen und Bajuwaren in gleicher Weise vor, so wäre wohl niemand auf die Idee gekommen, den germanischen Charakter der Reihengräberfelder insgesamt anzuzweifeln. Diese weitgehende Beschränkung der Reihengräberfelder auf ehemals römischen Boden bestätigte sich auch in den folgenden Jahrzehnten. Sie zeigte sich eindrücklich auch auf einer – grundsätzlich nicht unproblematischen – Gesamtkartierung der Reihengräberfelder, die auf der Grundlage älterer regionaler Kompilationen Mitte der 1970er Jahre vorgelegt wurde.104 Besonders deutlich ist der Befund im bayerischen Abschnitt des rätischen Limes, der noch im 7. Jahrhundert die nördliche Verbreitungsgrenze der Reihengräberfelder darstellt.105 101 102
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Leicht, Kammergräber (Anm. 58) 119. Vgl. etwa Dieter Quast, Vom Einzelgrab zum Friedhof. Beginn der Reihengräbersitte im 5. Jahrhundert. In: Die Alamannen (Stuttgart 1997) 171–190, hier 171. Peter Goeßler, An der Schwelle von germanischem Altertum zum Mittelalter. Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte 30, 1921, 1–24, hier 22. Bayerischer Schulbuchverlag (Hrsg.), Großer Historischer Weltatlas 2. Mittelalter (2München 1979) 8. Wilfried Menghin, Frühgeschichte Bayerns (Stuttgart 1990) 80 Abb. 65.
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Dennoch galt das Vorkommen der Reihengräberfelder in manchen Gebieten jenseits der spätantiken Reichsgrenze vielfach als zentrales Argument für den germanischen Charakter der Reihengräberfelder insgesamt. Zum einen kommen etwa in Thüringen ähnliche Gräberfelder vor, andererseits gehört vor allem das ehemals römische Südwestdeutschland, aus dem sich die römische Verwaltung um 260 zurückzog, von Anfang an zu den Kernzonen des Reihengräbergebiets. M. E. liegt jedoch der Auffassung, dass dies ein sicherer Beleg für germanischen Charakter des gesamten Reihengräberhorizontes sei, eine bestimmte, nicht unproblematische Vorstellung über den Charakter der römischen Grenze zugrunde. Wie der Historiker Charles Richard Whittaker in einer grundlegenden Studie106 gezeigt hat, bauten zahlreiche Historiker und Archäologen seit dem 19. Jahrhundert ihre Interpretationen auf der Vorstellung linearer Grenzen auf. Grenzen wurden als Scheidelinien angesehen, an denen sich Völker und Staaten feindlich gegenüberstanden, und nur danach trachteten, ihren „Lebensraum“ auf Kosten der Nachbarn zu erweitern. Dieses Konzept der Grenze als einer absoluten ethnischen und kulturellen Scheidelinie ist gegenwärtig sowohl im Allgemeinen als auch in Bezug auf die römische Reichsgrenze im Besonderen überholt. An Stelle dieser linearen Vorstellung von Grenzen trat das Konzept der Grenze als einer Zone, die durchaus ein kulturelles Eigengewicht entfalten kann. Whittaker zufolge prallten an der spätantiken römischen Grenze an Rhein und Donau keineswegs römische und barbarische Kultur unversöhnlich aufeinander. Vielmehr habe sich hier durch besondere historische Bedingungen eine „Grenzgesellschaft“ herausgebildet, die die Menschen auf beiden Seiten der Grenze umfasste. Die römische Herrschaft endete bekanntlich nicht an der befestigten Militärgrenze, sondern umfasste auch eine Vorlimeszone, die zumindest mittelbar von Rom kontrolliert wurde. Diese Zone war z. T. auch wirtschaftlich eng mit den Gebieten hinter der Reichsgrenze verflochten. Die Menschen in diesem Gebiet entwickelten Whittaker zufolge gemeinsame kulturelle Züge, die sich unter anderem in einem gemeinsamen „Grenzraumstil“ manifestierten. Diese Gesellschaft lässt sich mit den Kategorien „römisch“ oder „germanisch“ im kulturellen Sinne nicht mehr adäquat erfassen. Vielmehr verschmolzen hier während der Spätantike römische, provinziale und barbarische, zivile und militärische Elemente zu einem Amalgam, das einen eigenständigen Charakter aufwies.107 106
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Charles R. Whittaker, Frontiers of the Roman Empire. A social and economic study (2Baltimore, London 1997). Whittaker, Frontiers (Anm. 107) bes. 192–278.
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In seiner Studie war Whittaker zwar nicht in der Lage, sein Modell detailliert anhand der archäologischen Quellen zu untermauern, in der Summe kommt sein Ergebnis aber den Erkenntnissen, die in den letzten Jahrzehnten durch zahlreiche archäologische Detailuntersuchungen am Rhein und in Süddeutschland erzielt wurden, erstaunlich nahe. So konstatiert Horst Wolfgang Böhme in einer aktuellen Bilanz des gegenwärtigen Forschungsstands bereits für die Spätantike eine „kulturelle Angleichung der Gebiete östlich und westlich der Rheingrenze“.108 Ungeachtet der Differenzen über den essentiell germanischen Charakter verschiedener Merkmale scheint man also bei der grundsätzlichen Einschätzung des kulturellen Charakters der Grenzregionen im Grunde nicht weit voneinander entfernt zu sein. Legt man Whittakers Modell zugrunde, so gehörte das ehemals römische Gebiet zwischen Limes und spätantiker Grenze an Rhein und Donau zur kulturell gemischten Grenzzone, zumal die archäologische Forschung mittlerweile recht einhellig von einer gewissen Kontinuität der römischen Bevölkerung und Strukturen in diesem Raum ausgeht.109 Hinsichtlich des kulturellen Charakters resümiert Böhme ausgehend von einer ganzen Summe archäologischer Beobachtungen in diesem Zusammenhang, dass sich dieses Gebiet ebenso wie der gesamte westfälische Raum „während der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts zu einer starken wirtschaftlichen Kontaktzone zwischen dem Römischen Reich und den grenzfernen Teilen der Germania magna entwickelt konnte“.110 Jenseits des ehemals römischen Gebiets bilden lediglich Unterfranken und Thüringen gewissermaßen Vorposten des Reihengräbergebiets in der Germania. Hier liegt der Verdacht nahe, dass diese Sonderstellung auf besonders intensive Kontakte zum römischen Bereich zurückzuführen ist, die sich in den betreffenden Gebieten bereits seit der jüngeren Kaiserzeit feststellen lassen. In Unterfranken fällt in der Spätantike besonders die Menge und Qualität römischer Importfunde auf,111 die die Region in dieser Hin108
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Horst Wolfgang Böhme, Germanen im Römischen Reich. Die Spätantike als Epoche des Übergangs. In: Menschen, Zeiten, Räume. Archäologie in Deutschland, hrsg. Wilfried Menghin/Dieter Planck (Stuttgart 2002) 295–305, hier 296. Ebenda, 299. Bernd Steidl, „Römer“ rechts des Rheins nach „260“? Archäologische Beobachtungen zur Frage des Verbleibs von Provinzialbevölkerung im einstigen Limesgebiet. In: Kontinuitätsfragen. Mittlere Kaiserzeit – Spätantike, Spätantike – Frühmittelalter, hrsg. Susanne Biegert/Andrea Hagedorn/Andreas Schaub. British Archaeological Reports, International Series 1468 (Oxford 2006) 77–87. Böhme, Germanen (Anm. 109), 296. Bernd Steidl, Die Siedlungen von Gerolzhofen und Gaukönigshofen und die germanische Besiedlung am mittleren Main vom 1. Jahrhundert v. Chr. bis zum 4. Jahrhundert n. Chr. In: Kelten, Germanen, Römer im Mittelgebirgsraum zwischen Luxemburg und Thüringen, hrsg. Alfred Haffner/Siegmar v. Schnurbein (Bonn 2000) 95–113, bes. 109 f.
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sicht deutlich etwa vom oberpfälzischen Vorfeld von Regensburg112 unterscheiden, obwohl auch diese Landschaft durch Flüsse erschlossen wird und ein Durchgangsgebiet Richtung Böhmen darstellt. Auch verschiedene Baubefunde in Unterfranken deuten in diese Richtung, besonders der steingesetzte Brunnen in der Siedlung von Bad Königshofen (Lkr. Rhön-Grabfeld)113 sowie die Funde von Hypokaustziegeln in der Siedlung von Frankenwinheim (Lkr. Schweinfurt), die belegen, dass hier ein Gebäude in römischer Bautradition errichtet wurde.114 Ferner verdeutlicht auch die vielleicht in Mainfranken produzierte Drehscheibenkeramik römischer Formtradition115 eine besonders intensive römische Beeinflussung dieses Gebiets in der jüngeren Kaiserzeit. Gleiches gilt wohl für den thüringischen Raum, dessen vergleichsweise intensive Kontakte zum Römischen Reich bereits im Rahmen des frühen Aufkommens von Körperbestattungen angesprochen wurden.116 In die gleiche Richtung weist auch die lokal produzierte Drehscheibenkeramik römischer Machart, die in Haarhausen wohl sogar von römischen Handwerkern hergestellt wurde.117 Beim gegenwärtigen Publikationsstand ist die Situation in Böhmen nicht eindeutig zu beurteilen, wo parallel zu den frühesten Reihengräberfeldern die Körpergräber der sogenannten „Vinarˇicer Kulturgruppe“ verbreitet sind. Ein Zusammenhang zwischen beiden bzw. eine Vorbildfunktion wird aber gegenwärtig eher abgelehnt.117a
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Mathias Hensch, Mittelalter. In: Amberg und das Land an Naab und Vils, hrsg. Silvia Codreanu/Uta Kirpal/Gabriele Raßhofer. Führer zu archäologischen Denkmälern in Deutschland 44 (Stuttgart 2004) 55–64, bes. 55; Thomas Fischer, Archäologische Funde der römischen Kaiserzeit und der Völkerwanderungszeit aus der Oberpfalz (nördlich der Donau). Verhandlungen des historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg 121, 1981, 349–388; Günther Moosbauer/Gabriele Sorge, Römische Funde im Barbaricum. Beiträge zur Archäologie in der Oberpfalz und in Regensburg 4, 2000, 301–320, hier 309–320. Kerstin Nausch, Siedlungsbefunde der römischen Kaiserzeit und des frühen Mittelalters aus Bad Königshofen i. Grabfeld, Landkreis Rhön-Grabfeld, Unterfranken. Das Archäologische Jahr in Bayern 1995, 122–124, hier 124. Dirk Rosenstock, Eine prachtvolle römische Emailscheibenfibel und weitere Erzeugnisse römischen Kunstgewerbes aus der germanischen Siedlung von Frankenwinheim, Landkreis Schweinfurt, Unterfranken. Das Archäologische Jahr in Bayern 1983, 120–122, bes. 122; Steidl, Besiedlung (Anm. 112) 110. Bernd Steidl, Lokale Drehscheibenkeramik aus dem germanischen Mainfranken. Bayerische Vorgeschichtsblätter 67, 2002, 87–115. Vgl. oben. Sigrid Dusˇek, Römische Handwerker im germanischen Thüringen. Ergebnisse der Ausgrabungen in Haarhausen, Kreis Arnstadt, 1–2. Weimarer Monographien zur Ur- und Frühgeschichte 27 (Stuttgart 1992). Jaroslav Tejral, s. v. Vinarˇicer Kulturgruppe. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 32 (Berlin, New York 2006) 414–432, hier 421.
Germanische Einwanderung oder kulturelle Neuorientierung?
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Bezieht man nun das Konzept der Grenzkultur in die Überlegungen zu den Anfängen des Reihengräberhorizontes mit ein, so muss in Zukunft von insgesamt drei statt wie bisher nur von zwei (Römer und Germanen) kulturellen Faktoren ausgegegangen werden : 1. dem ursprünglich eher zivil geprägten Milieu des provinzialen Hinterlandes, 2. der stark militarisierten und barbarisierten Grenzzone sowie 3. der eigentlichen Germania jenseits der Grenzzone (Abb. 5). Sucht man nach den Wurzeln des Reihengräberhorizontes, so kommen meines Erachtens vor allem die ersten beiden kulturellen Milieus in Frage. Ein bedeutender Anteil der eigentlichen Germania jenseits der Grenzzone ist dagegen kaum nachzuweisen. Wie ich anhand der einzelnen Merkmale der Reihengräberfelder gezeigt habe, weisen die Wurzeln einerseits deutlich ins römische Milieu; andere Elemente sind neu, ebenso wie es sich bei der gesamten Bestattungsweise letztlich um eine Innovation handelt, die um die Mitte des 5. Jahrhunderts erfolgte.
Abb. 5. Der Ursprung der Reihengräberfelder. Links: traditionelles Modell; rechts: Modell einer „Grenzgesellschaft“
In der Vergangenheit wurden kulturelle Innovationen in diesem Jahrhundert, das mehr als viele andere eine Zeit des Umbruchs darstellte, vor allem den vermeintlich „jugendfrischen“ Germanenvölkern zugeschrieben. Die angeblich unterlegene einheimische Bevölkerung wurde dagegen vielfach als passives und leidendes Element der frühmittelalterlichen Gesellschaft angesehen, das als Motor kultureller Neuerungen nicht in Betracht gezogen wurde. Die Geschichtswissenschaft hat dieses Bild jedoch längst grundlegend revidiert. Für Gallien zeigte der Historiker Bernhard Jussen etwa, dass weniger germanische Migranten die römische Herrschaft auf dem Gebiet des späteren Frankenreichs beendet haben als vielmehr die ein-
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heimische gallorömische Bevölkerung selbst.118 Begleitet wurde dieser Umbruch, wie sich anhand der Schriftquellen gut nachvollziehen lässt, von zahlreichen kulturellen, politischen und rituellen Innovationen. Durch diese versuchte sich eine Gesellschaft zu stabilisieren, deren gesamte traditionelle Matrix kultureller Ordnungen innerhalb weniger Jahrzehnte weitgehend bedeutungslos geworden war. Nicht allein Zuwanderer aus der Germania, sondern vor allem auch die alteingessene Bevölkerung samt ihrer sozialen Eliten hatte allen Grund, eine neue und aufwändige Bestattungsweise zu kreieren bzw. zu übernehmen, durch die eine prekäre soziale Ordnung stabilisiert und gefährdetes soziales Prestige zum Ausdruck gebracht werden konnte. In diesem Sinne könnte das Aufkommen der Reihengräber als Element einer kulturellen Neuorientierung der Bevölkerung in den ehemaligen Grenzgebieten des Römischen Reiches gewertet werden.
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Bernhard Jussen, Über Bischofsherrschaften und die Prozeduren politisch-sozialer Umordnung in Gallien zwischen „Antike“ und „Mittelalter“. Historische Zeitschrift 260, 1995, 673–718; ders., Zwischen Römischem Reich und Merowingern. Herrschaft legitimieren ohne Kaiser und König. In: Mittelalter und Moderne, hrsg. Peter Segl (Sigmaringen 1997) 15–29; ders., Liturgie und Legitimation, oder: Wie die Gallo-Romanen das römische Reich beendeten. In: Institutionen und Ereignis. Über historische Praktiken und Vorstellungen gesellschaftlichen Ordnens, hrsg. ders./Reinhard Blänkner. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 138 (Göttingen 1998) 75–136.
Zwischen Spätantike und Frühmittelalter – RGA-E Band 57 – Seiten 103–117 und das Ende des römischen Reichs © 2008 Walter Gräberfelduntersuchungen de Gruyter · Berlin · New York
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I. Es waren zunächst Untersuchungen von Gräberfeldern, durch die die Archäologie zur Diskussion um das Ende des römischen Reichs und die Errichtung von Nachfolgereichen beitragen konnte – auf dramatische Weise mit der Entdeckung des Childerich-Grabs in Tournai um die Mitte des 17. Jahrhunderts beginnend, einer Bestattung, die auch dreieinhalb Jahrhunderte nach ihrer Ausgrabung Debatten und Kontroversen anregt.1 Sowohl die Studien zum Ende des westlichen Imperiums als auch die archäologischen Gräberfelduntersuchungen haben seitdem wichtige Wandlungen erfahren. Dessen ungeachtet interpretiert die westeuropäische Archäologie frühmittelalterliche Friedhöfe meist noch immer auf eine Weise, die sich seit anderthalb Jahrhunderten nicht grundlegend verändert hat. Dabei werden Artefakte und Rituale dazu benutzt, „barbarische“ Neuankömmlinge auszumachen und verschiedene Typen von Zuwanderern voneinander zu unterscheiden.2
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Zur aktuellen Diskussion vgl. Guy Halsall, Childerics’ grave, Clovis’ succession and the origins of the Merovingian kingdom. In: Society and culture in Late Roman Gaul. Revisiting the Sources, ed. Ralph W. Mathisen/Danuta Shanzer (Aldershot 2001) 116–133; Alain Dierkens/Patrick Périn, The 5th-century advance of the Franks in Belgica II. History and archaeology. In: Essays on the Early Franks, ed. Ernst Taayke/Tineke (Jantina Helena) Looijenga/Otto H. Harsema/Hendrik Reinder Reinders. Groningen Archaeological Studies 1 (Groningen 2003) 165–193; Raymond Brulet, La tombe de Childéric et la topographie funéraire de Tournai à la fin du Ve siècle. In: Clovis. Histoire et Mémoire 1. Clovis, son temps, l’événement, ed. Michel Rouche (Paris 1997) 59–78. – Die Geschichte der Entdeckungen in Tournai ist gut beschrieben in: Patrick Périn, La datation des tombes Mérovingiennes (Paris, Geneva 1980). Zur Geschichte der Gräberfelduntersuchungen vgl. Bonnie Effros, Merovingian mortuary archaeology and the making of the early middle ages. The transformation of the classical heritage 35 (Berkeley 2003). Umfassende und jüngste kritische Erörterung bei Sebastian Brather, Ethnische Interpretationen in der frühgeschichtlichen Archäologie: Geschichte, Grundlagen und Alternativen. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Ergänzungsband 42 (Berlin, New York 2004).
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Dies ist offensichtlich eine – oberflächlich – von historischen Dokumenten bestimmte Agenda, die vom Verlust der Westprovinzen Roms an Invasoren und Einwanderer aus Regionen jenseits der alten Reichsgrenzen und von der Errichtung von Königreichen der Goten, Franken und Sachsen in den früheren Provinzen berichtet. Diese oberflächliche Wahrheit wird noch immer von vielen britischen Archäologen vertreten, wenn sie gegen Historiker polemisieren und laut nach einer archäologischen Agenda rufen – die sie in differenzierter Form zu entwickeln bislang nicht vermocht haben.3 Doch das ist eine oberflächliche Sicht. Die Quellentexte werden von den meisten Historikern nicht mehr auf diese Weise gelesen, und sie belegen nicht notwendigerweise jene Wanderungen und Invasionen durch kulturell, oder gar biologisch, homogene und distinkte Gruppen, die man im frühen 20. Jahrhundert und zuvor beschrieb.4 Historiker bezweifeln aufgrund ihrer Quellen, dass der „Fall von Rom“ ein so traumatisches Ereignis war, wie man einst annahm. Das Fortbestehen von Institutionen und andere Aspekte der Gesellschaften sind in den Vordergrund gerückt worden, und ein langdauernder Prozess der Transformation ist an die Stelle einer kurzen Periode von Invasion und Gemetzel getreten – als Paradigma, mit dessen Hilfe Historiker den Wandel von der antiken zur mittelalterlichen Welt erklären.5 Archäologische Interpretationen, die Kontinuitäten betonen, besitzen eine verlässlichere Grundlage im archäologischen Material als jene, die Invasion und Wanderung hervorheben. Kontinuität stellt, ob sie von Historikern oder Archäologen konstatiert wird, dennoch ein problematisches Konzept dar, und anscheinend gibt es unter Historikern einen Trend, das Ende des römischen Reichs wieder als traumatische, wichtige und (gerade deshalb) relativ kurzfristige Abfolge von Ereignissen zu betrachten.6 Dieser
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Beispielsweise Sam J. Lucy, Housewives, warriors and slaves? Sex and gender in Anglo-Saxon burials. In: Invisible people and processes. Writing gender and childhood into European archaeology, ed. Jenny Moore/Eleanor Scott (London 1997) 150–168; dies., Burial practice in early medieval eastern Britain. Constructing local identities, deconstructing ethnicity. In: Burial in Early Medieval England and Wales, ed. Sam Lucy/Andrew Reynolds. Monograph series of the Society for Medieval Archaeology 17 (London 2002) 72–87. Die Aufsätze in dem zuletzt genannten Band, besonders diejenigen jüngerer Wissenschaftler, repräsentieren die neueren Trends in der britischen Gräberfeldarchäologie. Nützlich ist auch die kritische Übersicht bei Tania M. Dickinson, What’s new in early medieval burial archaeology? Early Medieval Europe 11, 2002, 71–87. Vgl. z. B. Walter Pohl, Die Völkerwanderung. Eroberung und Integration (Stuttgart 2002). Nützliche Erörterung bei Brather, Ethnische Interpretationen (Anm. 2) 29–96, 117–138. Ein Überblick über diese Historiographie bei Guy Halsall, Barbarian Migrations and the Roman West, 376–568 (Cambridge 2007) Kap. 1. Z. B. Peter J. Heather, The Fall of Rome. A New History (London 2005).
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Sicht rechne ich mich selbst zu, nicht zuletzt deshalb, weil die archäologischen Quellen diese Interpretation massiv stützen. Außerdem haben Historiker schon seit langem unser Verständnis von Ethnizität revidiert. Was immer es bedeutete, ein Franke, ein Gote o. ä. zu sein, es war nicht die Zugehörigkeit zu einer rassisch oder kulturell homogenen Gruppe.7 Doch wie Roger Collins jüngst mit Bezug auf die Archäologie des westgotenzeitlichen Spanien schrieb, scheint dies niemand den Archäologen gesagt zu haben.8 Das ist natürlich eine Übertreibung. Viele wertvolle Studien haben diese theoretische Entwicklung berücksichtigt, und von einem längeren und klugen Buch über die Archäologie der Ethnizität aus der Feder von Siân Jones9 lässt sich sagen, dass es mehr als ein Rad neu erfindet, das Historiker etwa ein Jahrzehnt früher entdeckt hatten. Aber es bleibt dennoch eine erhebliche Anzahl archäologischer Studien, die Ethnizität auf althergebrachte Weise thematisieren. Viele neuere Arbeiten, denen eine situative und instrumentalistische Perspektive auf Ethnizität zugrunde liegt, präsentieren tatsächlich lediglich ein „Fotonegativ“ der alten Sicht – weil Ethnizität keine Sache von Genen und geographischer Herkunft ist, war sie unwichtig.10
II. In diesem kurzen Beitrag möchte ich zeigen, dass die Gräberfeldarchäologie eine wichtige Rolle in den Diskussionen um das Ende des römischen Reichs spielen kann. Insbesondere kann sie zu neueren Diskussionen über die Bedeutung des Niedergangs des römischen Reichs beitragen – zum Ausmaß der Kontinuität zwischen spätrömischen und frühmittelalterlichen Verhältnissen und ob die Zeitgenossen den Fall des Imperiums bemerkten. Dichte, kontextuelle Studien zu den Gräberfeldern können darüber hinaus wichtige Beiträge zur Diskussion darüber liefern, ob es tatsächlich richtig ist, hochpolitische Ereignisse, die aus den Textquellen ermittelt worden
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Vgl. oben Anm. 4; grundlegend Walter Pohl, Telling the Difference. Signs of ethnic identity. In: Strategies of Distinction. The Construction of Ethnic Communities, 300–800, ed. Walter Pohl/Helmut Reimitz. The transformation of the Roman world 2 (Leiden, Boston, Köln 1998) 17–69; ders., Conceptions of ethnicity in early medieval studies. In: Debating the Middle Ages. Issues and readings, ed. Lester K. Little/Barbara H. Rosenwein (Oxford 1998) 15–24. Roger J. H. Collins, Visigothic Spain, 409–711 (London 2004) 181. Siân Jones, The archaeology of ethnicity. Constructing identities in the past and present (London, New York 1997). Beispielsweise Lucy, Burial practice (Anm. 3).
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sind, zur Erklärung von Veränderungen im archäologischen Befund heranzuziehen. Um diese Beiträge zu ermöglichen, müssen die archäologischen Quellen auf etwas andere Art und Weise betrachtet werden. Anstatt von der Archäologie Hinweise über Siedler und Immigranten zu erwarten oder über Ethnizität, wenn man sie in der traditionellen Weise versteht, liegt eine vielversprechende Perspektive darin, Friedhöfe kritisch als Quellen zur Ermittlung von Sozialstrukturen zu betrachten – ein von Heiko Steuer gebahnter Weg.11 Im einzelnen werde ich zeigen, dass die Gräberfeldarchäologie einen Blick auf die lokalen und politischen Auseinandersetzungen ermöglicht, die, in vielfacher Hinsicht, die politische Entwicklung prägten, die Europa zwischen dem späten 4. und dem 7. Jahrhundert nahm. Auf diese Weise lässt sich, wie es schriftliche Quellen der Zeit kaum je vermögen, untersuchen, wie die hohe Politik das Leben von Myriaden lokaler Gemeinschaften in Europa beeinflusste und wie jene Leute dieses Niveau politischer Geschichte in ihrem eigenen lokalen Wettbewerb um Dominanz zu ihrem Vorteil nutzten. Dies erlaubt der Archäologie, jene Verhältnisse deutlich zu beschreiben, unter denen der Untergang des weströmischen Reiches erlebt wurde. Der Schlüssel dazu liegt in einer dichten Analyse dessen, was die soziale Bedeutung umfänglich ausgestatteter Gräber ausmachte. Darüber habe ich bereits an anderer Stelle geschrieben, so dass hier ein kurzes Resümee genügen mag.12 Es ist seit langem deutlich, dass an einer umfänglichen Grabausstattung nichts prinzipiell Heidnisches haftet, obgleich die Idee, dass dies dennoch so sei, von manchen noch immer verfochten wird – zumindest unausgesprochen und besonders in der britischen Archäologie.13 Außerdem sind umfängliche Grabausstattungen nichts genuin Germanisches. Ohne das simplifizierende Modell von Wanderungen der Barbaren würden 11
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Vgl. grundlegend Heiko Steuer, Frühgeschichtliche Sozialstrukturen in Mitteleuropa. Eine Analyse der Auswertungsmethoden des Archäologischen Quellensmaterials. Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften Göttingen, phil.-hist. Kl., Dritte Folge 128 (Göttingen 1982). Jüngste Perspektiven bei Guy Halsall, Burial writes. Graves, „texts“ and time in early Merovingian northern Gaul. In: Erinnerungskultur im Bestattungsritual. Archäologisch-Historisches Forum, hrsg. Jörg Jarnut/Matthias Wemhoff. MittelalterStudien 3 (München 2003) 61–74. Die klassische Arbeit war Bailey K. Young, Merovingian Funeral Rites and the Evolution of Christianity. A Study in the Historical Interpretation of Archaeological Material, phil. Diss. University of Pennsylvania (Ann Arbor 1975), teilweise publiziert als: ders., Paganisme, christianisme et rites funéraires mérovingiens. Archéologie Médiévale 7, 1977, 5–81. Obwohl die These, Grabbeigaben seien heidnisch, oft (und zumindest oberflächlich) vertreten wird, findet man weiterhin Bezüge auf das Gegenteil – dass nämlich das fehlen bzw. das verschwinden von Grabbeigaben christlichen Glauben anzeigt. Vgl. verschiedene Beiträge in: Burial in Early Medieval England and Wales (Anm.3).
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Archäologen Bestattungen mit Grabbeigaben nicht einfach Einwanderern zuschreiben – und dabei die Herkunft der in den Gräbern vorhandenen Gegenstände beiseite lassen; letzteres ist ein weiterer Aspekt, auf den ich noch zurückkomme. Bestattungen mit Grabbeigaben – hin und wieder mit Waffen und Artefakttypen, die im Allgemeinen als charakteristisch für barbarische Bestattungen gehalten werden – sind aus verschiedenen Regionen innerhalb des spätrömischen Reichs bekannt: z. B. aus dem Tal des Duero in Spanien und aus Norditalien um den Gardasee.14 Spätrömische Gräber mit Beigaben sind in Britannien gefunden worden.15 Sie werden mitunter barbarischen Siedlern zugeschrieben, doch gibt es dafür keinen plausiblen Grund, abgesehen von der Annahme a priori, dass diese Gräber diejenigen von Barbaren sein sollten. Ian Wood hat Texte angeführt, die von umfänglich ausgestatteten Gräbern in Südgallien berichten.16 Ich selbst habe ausführlich argumentiert, dass die so genannten „Föderatengräber“ in Nordgallien, die seit dem späten 4. Jahrhundert aufkamen, an und für sich nicht als Bestattungen von Einwanderern von jenseits des Rheins angesehen werden können, wenn man lediglich archäologische Argumente geltend macht, konsequent logisch vorgeht und die archäologischen Quellen für sich selbst sprechen lässt.17 Überraschenderweise ist diese These bei Histo-
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Bestattungen im Duero-Tal: Angel Fuentes Domínguez, La necrópolis tardorromana de Albalate de las Nogueras (Cuenca) y el problema de las denominadas „necrópolis del Duero“ (Cuenca 1989). – Bestattungen mit Grabbeigaben in Italien: Guido Gastaldo, I corredi funerari nelle tombe „tardo romane“ in Italia settentrionale. In Sepolture tra IV e VIII secolo, ed. Gian-Pietro Brogiolo/Gisella Cantino Wataghin. Documenti di Archeologia 13 (Mantova 1998) 15–59; Serena Massa, La necropoli del Lugone (Salò). Analisi della struttura sociale. In: La Fine delle Ville Romana. Trasformazioni nelle Campagne tra tarda Antichità e alto Medioevo, ed. Gian-Pietro Brogiolo. Documenti di Archeologia 11 (Mantua 1996) 71–79. Giles N. Clarke, Winchester Studies 3. Pre-Roman and Roman Winchester II. The Roman Cemetery at Lankhills (Oxford 1979); Catherine Hills/Henry R. Hurst, A Goth at Gloucester? Antiquaries Journal 69, 1989, 154–158. Ian Wood, Sépultures ecclésiastiques et sénatoriales dans la vallée du Rhône (400–600). Mediévales 31, 1996, 13–21. Guy R. W. Halsall, The origins of the Reihengräberzivilisation. Forty years on. In: FifthCentury Gaul. A Crisis of Identity? ed. John F. Drinkwater/Hugh Elton (Cambridge 1992) 196–207; ders., Archaeology and the late Roman frontier in northern Gaul. The so-called Föderatengräber reconsidered. In: Grenze und Differenz im früheren Mittelalter, hrsg. Walter Pohl/Helmut Reimitz. Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 1 = Österreichische Akadediem der Wissenschaften, phil.-hist. Kl. Denkschr. 287 (Wien 2000) 167–180. – Die beste Übersicht über die Funde selbst bleibt: Horst-Wolfgang Böhme, Germanische Grabfünde des 4 bis 5 Jahrhunderts zwischen untere Elbe und Loire. Studien zur Chronologie und Bevölkerungsgeschichte. Münchner Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte 19 (München 1974).
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rikern auf größere Akzeptanz als unter Archäologen gestoßen.18 Dies ist deshalb paradox, weil die Argumente rein archäologische sind, während sich ihre Gegner wesentlich auf eine nicht mehr zeitgemäße Interpretation der Schriftquellen stützen. Mir ist bislang kein überzeugender archäologischer Einwand gegen diese These begegnet;19 aber wie auch immer, deren Akzeptanz oder Ablehnung ändert sehr wenig am Gewicht der Argumente, die in diesem Beitrag vorgetragen werden. Selbst wenn man annimmt, dass der Bestattung mit Grabbeigaben etwas genuin „Germanisches“ anhaftet, fällt zweierlei auf. Erstens wurden nur sehr wenige der Germani in ihren Herkunftsgebieten auf diese Weise bestattet, und zweitens begrub man nur eine sehr kleine Minderheit der Siedler von jenseits der alten Reichsgrenzen im nachantiken Westen – z. B. in Spanien und Italien – derart. Selbst wenn es sich also um ein germanisches Ritual gehandelt haben sollte, so müsste mehr zu seinem Vorkommen in den früheren Provinzen geführt haben als das bloße „Germanensein“ der solcherart Bestatteten. Um die Ausbreitung dieser Bestattungsform im 5. Jahrhundert und später über die alte Rheingrenze hinaus zu erklären, bedarf es einer profunderen Interpretation als die Voraussetzung einer angenommenen ethnischen Tradition. Man kann nicht ein „germanisches“ Heidentum annehmen, ohne Wandlungen eines paganen Glaubens in dieser Zeit zu berücksichtigen – oder eines, dem nur gewisse Bevölkerungsanteile zugerechnet werden – etwas, wofür es keine Anhaltspunkte gibt. Man kann nicht eine ethnische Identität voraussetzen, wenn man nicht zugleich glauben will, dass entweder nur recht wenige Menschen diese Ethnizität teilten oder es sich um eine neue ethnische Identität handelte. Letzteres mag sich mit einigen neueren Konzepten von Ethnogenese decken und müsste genauer erläutert werden, aber diese Annahme würde eher die These ins Wanken bringen, dass diese Bestattungsform einen einfachen Indikator für neue Siedler darstellte. Offensichtlich bewirkte etwas diese neue Gewohnheit – entweder der Gebrauch durch mehr Menschen oder auf andere Weise als zuvor.
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Vgl. beispielsweise Michael Schmauder, The relationship between Frankish gens and regnum. A proposal based on the archaeological evidence. In: Regna and Gentes. The Relationship between late Antique and Early Medieval Peoples and Kingdoms in the Transformation of the Roman World, ed. Hans-Werner Goetz/Jörg Jarnut/Walter Pohl. The transformation of the Roman world 13 (Leiden, Boston, Köln 2003) 271–306 (bes. 279 Anm. 31), und Hans-Werner Goetz, Gens, Kings and Kingdoms. The Franks. Ebd., 307–344 (bes. 317–318). Ich halte z. B. die Argumente von Schmauder, The relationship (Anm. 18) 279 Anm. 31, für recht unbefriedigend, obwohl er sich mit diesen Konzepten zumindest auseinandergesetzt hat.
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Als umfänglich ausgestattete Gräber im barbaricum auftauchten, so lagen die ersten Anfänge in der römischen Kaiserzeit. Obgleich die Diskussion gelegentlich diffusionistisch geprägt und nicht übermäßig interessant erscheint, ist die Interpretation meist eine soziale – es habe mit der lokalen Elite zu tun.20 Meines Wissens hat niemand dafür plädiert, dass – während kurzer Zeitabschnitte – regionale Eliten plötzlich begannen, sich germanischer als zuvor zu fühlen, obwohl die allgemeine Schlichtheit des „germanistischen“ Paradigmas das Fehlen einer solchen Argumentation überraschend macht. Eine Neuinterpretation der Bestattungen im nachantiken Westen als „soziale“ Mode sollte daher nicht allzu kontrovers sein.
III. Die beiden Ausgangspunkte für jedes Verständnis der mit Beigaben ausgestatteten Gräber sind die Öffentlichkeit und die Vergänglichkeit des Rituals. Was auch immer die Absicht ist – Demonstration sozialen Status’, von Reichtum, sozialer Rolle, Ethnizität oder jeder anderen Dimension sozialer Strukturen –, Grabbeigaben sind offenkundig nicht mehr sichtbar, wenn sie erst einmal in das Grab gelangt sind. Jede Zurschaustellung ist kurzlebig. Diese Form der Präsentation kontrastiert interessanterweise Formen der Erinnerung, die eine permanent überirdische Demonstration verwenden. Da die Situation kurzlebig, vergänglich ist, bedürfen solche Gräber eines „Publikums“ am oder um den Tag der Bestattung. Wenn niemand die Präsentation der Grabbeigaben wahrnimmt, kann mit der Bestattung keine Absicht effektiv verfolgt werden.21 Deshalb müssen wir untersuchen, wer mit Grabbeigaben bestattet wurde und in welchem Kontext. Sind dies Bestattungen von Männern, Frauen und Kindern, oder wurden allein Erwachsene auf diese Weise begraben? Oder wurden (beispielsweise) nur Männer solcherart bestattet, oder nur erwachsene Männer? Kommen diese Gräber in kleinen Gruppen auf größeren Friedhöfen vor, auf denen die meisten Bestattungen ziemlich anders aussehen? Um welche Friedhöfe handelt es sich – städtische, ländliche, bei einer Befestigung, bei (oder in) einer Kirche gelegene? Wie um-
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Vgl. beispielsweise Jan Bemmann, Körpergräber der jüngeren römischen Kaiserzeit und Völkerwanderungszeit aus Schleswig Holstein. Zum Aufkommen einer neuen Bestattungssitte im überregionalen Vergleich. Studien zu Sachsenforschung 13, 1999, 5–45; Jörg Kleemann, Zum Aufkommen der Körperbestattung in Niedersachsen. Studien zur Sachsenforschung 13, 1999, 253–262. Halsall, Burial writes (Anm. 12).
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fänglich ist – im Vergleich – die Investition in die Grabausstattungen? Und welche Form haben die Grabbeigaben? Was wird symbolisiert? Stellt man diese Art von Fragen an das archäologische Material aus den Gräberfeldern, ergibt sich ein erheblich differenzierteres Bild, als wenn schlicht angenommen wird, die auf diese Weise Bestatteten seien die einen oder anderen Barbaren. Zunächst wird offensichtlich, dass im früheren Abschnitt der im vorliegenden Beitrag behandelten Zeitepoche solche Bestattungen nur in kleiner Zahl auf größeren Friedhöfen vorkamen. Das scheint ganz allgemein der Fall gewesen zu sein, und das sollte bedeuten, dass innerhalb der Gesellschaften – wenn überhaupt – nur einige wenige Familien ihre Position durch dieses Ritual präsentierten. Verglichen mit dem allgemein geringen Umfang der Grabausstattungen, sollte das Fehlen von Konkurrenz im Ritual damit zu erklären sein, dass deren lokale Macht relativ gesichert war. Die Familien, die ihre Toten in diesen Gräbern bestatteten, waren in dem einen oder anderen Sinne Anführer. Doch weshalb sollten sie sich für diese vergängliche Präsentation im Angesicht der Gesellschaft entschieden haben, eine Präsentation, die weder im Imperium noch im barbaricum verbreitet war? Dies muss eine gewisse Form von Spannungen in den lokalen Machtverhältnissen bedeuten. Im Fall der nordgallischen Gräber, den zahlreichsten unter den frühen Bestattungen, lässt sich dies recht klar erkennen. Sie tauchten dann auf, als die nordgallischen Villen endgültig aufgegeben wurden und als der archäologische Befund – generell – eine tiefgreifende soziale und wirtschaftliche Krise anzeigt.22 Man kann außerdem auf die symbolische Bedeutung der Objekte hinweisen, die in den Gräbern vorkommen. Ob man sie als diejenigen barbarischer Siedler ansieht oder, wozu ich neige, als die lokaler Anführer gleich welcher Herkunft, der Symbolgehalt der in den Gräbern präsentierten Gegenstände war überwältigend und entschieden römisch. Die Artefakte stammen aus römischer Fertigung, ebenso wie m. E. die Kleidungsbestandteile der Frauen.23 Noch deutlicher: die Gürtel sind klassische Statussymbole, die einen Zusammenhang zu den Machtstrukturen des römischen Reichs demonstrierten, die in dieser Region so wichtig waren. Die Bewaffnung symbolisierte wahrscheinlich militärische Führung (von besonderer Bedeutung in dieser Region des Imperiums). Andere Gegenstände 22
23
Halsall, The origins of the Reihengräberzivilisation (Anm. 17); ders., Archaeology and the late Roman frontier (Anm. 17). Halsall, Archaeology and the late Roman frontier (Anm. 17). Schmauder, The relationship (Anm. 18), scheint dieses Argument zu akzeptieren, meint aber, dass dies für die Bestimmung der Ethnizität der in den Gräbern Bestatteten unwichtig sei. Es ist aber wichtig, weil diese Schmuckgegenstände bislang die letzte Grundlage für eine Charakterisierung dieser Leute als „germanisch“ darstellt.
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repräsentierten auf ähnliche Weise klassische aristokratische Werte wie die Jagd, möglicherweise durch die Waffen und die Verzierung mancher Objekte verdeutlicht,24 und das Vorkommen von Speisen und Getränken bei Feiern. Diese Bestattungen veranschaulichen erstens die Bedeutung, die der Reichsdienst für den Erhalt der lokalen sozialen und politischen Ordnung besaß, und zweitens die Auswirkungen, die der Rückzug einer effektiven kaiserlichen Verwaltung aus Nordgallien um 380 besaß.25 In meinen Augen ist die zentrale Schlussfolgerung aus den archäologischen Gräberfelduntersuchungen im gesamten Westen, dass hochpolitische Entwicklungen von der „normalen“ Bevölkerung nicht unbemerkt blieben.
IV. Die Bestattungen im Duero-Tal, die aus ungefähr derselben Zeit stammen, bedürfen noch einer überzeugenden Interpretation. Der Gedanke, sie stammten von barbarischen Militärs, geht von ihrer oberflächlichen Ähnlichkeit mit den nordgallischen Gräbern aus (deren Zuschreibung an Barbaren selbst zur Diskussion steht).26 Dessen ungeachtet ist darauf hinzuweisen, dass unabhängig von der Herkunft dieser Leute und unabhängig von der Interpretation dieser Bestattungen (wahrscheinlich wiederum mit irgend einer Art von Veränderung oder Krise in lokalen Machtkämpfen verbunden, wenn auch nicht auf genau dieselbe Weise wie in Nordgallien) das Fundmaterial keinen symbolischen Bezug zu irgend etwas Nichtrömischem erkennen lässt. Gürtelgarnituren erscheinen erneut machtbezogen, wahrscheinlich wiederum aufgrund ihrer Bedeutung für die Zurschaustellung imperialer Ämter. So weit ich sehe, trifft das gleiche für spätrömische Bestattungen mit Grabbeigaben in Norditalien zu.27 Darüber hinaus haben die frühesten Gräber mit Beigaben im Tiefland Britanniens, z. B. von Lankhills bei Winchester, Gloucester oder Dorchester-on-Thames (und man beachte die westliche Verbreitung dieser Bestattungen), nichts Unrömisches 24
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Vgl. die Verzierung des Krugs von St.-Rimay: Böhme, Germanische Grabfunde (Anm. 17) 107. Halsall, Barbarian migrations (Anm. 5) Kap. 7. Zu dieser Idee vgl. José M. Blazquez, Der Limes im Spanien des vierten Jahrhunderts. In: Actes du IXe Congrès International d’Études sur les Frontières Romaines, ed. Dionisie M. Pippidi (Bucures¸ti 1974) 485–502; ders., Der Limes Hispaniens im 4. und 5. Jahrhundert. Forschungsstand, Niederlassung der Laeti oder Gentiles am Flusslauf des Duero. In: Roman Frontier Studies 1979. Papers Presented to the 12th International Congress of Roman Frontier Studies, ed. W. S. Hanson/Lawrence J. F. Keppie. British Archaeological Reports, International Series 71 (Oxford 1980) 345–396. Vgl. Anm. 14.
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an sich.28 Was immer in den unterschiedlichen Regionen des Westreichs im 4. und 5. Jahrhundert vor sich ging – im allgemeinen periphere Regionen in verschiedenem Sinne – und woher die dort Bestatteten auch immer stammten, die Familien wollten den während der Bestattung Anwesenden zeigen, dass sie – politisch – Römer waren, mit Beziehungen zu allen etablierten und traditionellen Strukturen römischer Autorität. In einigen Regionen änderte sich dieses Bild recht schnell. Am deutlichsten ist das im Flachland Britanniens der Fall, wo eine Sachkultur erkennbar nichtrömischen Ursprungs als Grabbeigaben nördlich der Themse (wo auch Brandbestattungen neu auftauchen) seit dem zweiten Viertel des 5. Jahrhunderts vorkommt.29 Mir scheint dies das beginnende Begreifen der Bevölkerung widerzuspiegeln, dass das Imperium die Kontrolle über ihre Regionen verloren hatte – ebenso sehr, wenn nicht stärker als Zeichen für die Anwesenheit von Einwanderern aus Norddeutschland. Seit der frühen Kaiserzeit hatte es germanischsprechende Barbaren in Britannien gegeben, doch sie hatten keine Notwendigkeit verspürt, ihre Identität durch eine nichtrömische Sachkultur zu demonstrieren. Vor dem Hintergrund des sozialen und politischen Verhaltens im Imperium ist das kaum überraschend. Das Aufkommen nichtrömischer Sachkultur zeigt, dass in den mittleren Jahrzehnten des Jahrhunderts eine soziale und politische Identität bedeutend geworden war, die sich auf eine tatsächliche oder behauptete Verbindung mit neuen Quellen der Macht, aus dem barbaricum, stützte. Doch dies war nicht überall der Fall. Südlich der Themse lässt sich das Metallhandwerk – der „Quoit Brooch Style“ – auf offizielle imperiale Vorbilder zurückführen.30 Man könnte zwischen beiden Regionen politische Differenzen und Rivalitäten konstatieren, ungefähr nördlich bzw. südlich der Themse. Ob man dies als Opposition von „Sachsen“ und „Angeln“ begreift, sei hier dahingestellt.
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Zusätzlich zu den Nachweisen in Anm.15 vgl. zu ‚Gloucester Goth‘ auch: P. D. C. Brown, A fifth-century burial at Kingsholme. In. Henry R. Hurst et al., Excavations at Gloucester. Third interim report. Kingsholme 1966–75. Antiquaries Journal 55, 1975, 290–294; zu Dorchester: J. P. Kirk/Edward Thurlow Leeds, Three early Saxon graves from Dorchester, Oxon. Oxoniensia 17–18, 1954, 63–76. Gute Beschreibung des Materials bei: Horst-Wolfgang Böhme, Das Ende der Römerherrschaft in Britannien und die angelsächsische Besiedlung Englands im 5. Jahrhundert. Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz 33, 1986, 469–574. Böhme, Das Ende der Römerherrschaft (Anm. 29); Peter Inker, Technology as active material culture. The Quoit Brooch Style. Medieval Archaeology 44, 2000, 25–52; Seiichi Suzuki, The Quoit Brooch Style and Anglo-Saxon Settlement. A casting and recasting of cultural identity symbols (Woodbridge 2000). Es sei darauf hingewiesen, dass dieses Material generell in sekundären Zusammenhängen und damit wiederverwendet gefunden wird, so dass die ursprüngliche Verbreitung verzerrt ist.
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Generell sind größere Veränderungen aber im späten 5. Jahrhundert festzustellen. Der Wandel betrifft zunächst die den Toten beigegebenen Gegenstände. Auch wenn Kleidung, wie z. B. Gürtelgarnituren, auch in der nachrömischen Zeit im Mittelpunkt der Statusdemonstration steht, so änderten sich doch ihre Form und Verzierung. In Britannien und anderenorts erscheint Salins Stil I, und der „subrömische“ Quoit Brooch Style verschwand aus den Funden. Wenngleich Stil I auf römische Metallarbeiten zurückgeht, wie seit langem bekannt ist, so stellte er selbst eine skandinavische Entwicklung dar.31 Ungefähr zur selben Zeit tauchte im nördlichen Gallien ein archäologischer Horizont auf, der mitunter als Flonheim-Gültlingen-Horizont bezeichnet wird und insbesondere durch Objekte wie Gürtelgarnituren im polychromen Stil charakterisiert ist. Während man früher glaubte, dass diese Gegenstände mit dem Attila-Reich an der Donau zu verbinden seien32, scheinen sie nun eher mediterraner Herkunft zu sein. Dessen ungeachtet meint die jüngste und überzeugende Interpretation dieser Kleidung, diese sei im 5. Jahrhundert durch ihren Gebrauch seitens einer militärischen Elite des Imperiums mit „Barbaren“ assoziiert worden.33 Das Vorkommen der Kleidung im Bestattungsritual zu dieser Zeit macht gewiss ein Bestreben deutlich, damit sozialen Status auf eine Weise zu demonstrieren, die sich grundlegend von traditionellen Zeichen der Einbindung in das Römische Reich unterschied. Dass sich diese Entwicklungen auf beiden Seiten des Kanals gleichzeitig vollzogen und genau zu der Zeit, als das weströmische Reich seinen Niedergang erlebte, kann kein Zufall sein. Die Menschen wussten, dass die Quellen politischer Macht nicht mehr länger römisch sein würden, sondern auf nichtrömische Militärs überzugehen schienen. Ich möchte besonders betonen, dass die Veränderungen der Sachkultur nicht einfach mit dem Eintreffen nichtrömischer Gruppen verbunden waren, sondern viel mehr das Ergebnis einer aktiven Auswahl der Menschen in lokalen Gesell-
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Günter Haseloff, Germanische Tierornamentik der Völkerwanderungszeit. Studien zu Salins Stil I, Bd. 1–3. Vorgeschichtliche Forschungen 17 (Berlin 1981); Siv Kristoffersen, Migration period chronology in Norway. In: The Pace of Change. Studies in Early-Medieval Chronology, ed. John Hines/Karen Høilund Nielsen/Frank Siegmund (Oxford 1999) 93–114. Eine Verbindung, die besser zu meiner Argumentation passen würde! Philipp von Rummel, Habitus vandalorum? Zur Frage nach einer gruppenspezifischen Kleidung der Vandalen in Nordafrika. Antiquité Tardive 10, 2002, 131–141; ders., Habitus Barbarus. Kleidung und Repräsentation spätantiker Eliten im 4. und 5. Jahrhundert. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Ergänzungsband 55 (Berlin, New York 2007).
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schaften.34 Die mit diesen Gegenständen Bestatteten waren lokale Einwohner, die ihre Macht auf eine Verbindung mit neuen, barbarischen politischen Autoritäten stützten. Diese Auswahl setzte sich durch; eine Berufung auf das Imperium war keine effektive Strategie mehr, und die Leute wussten das. Oder – alternativ – diese Menschen waren selbst Neuankömmlinge, die die Herkunft ihrer lokalen Macht verdeutlichten. Was man aber nicht tun darf, ist, diese Menschen einfach mit Neuankömmlingen gleichzusetzen und den Zeitpunkt ihrer Machtübernahme dazu zu benutzen, die Sachkultur zu datieren. Es gab Franken in Gallien und Sachsen in Britannien bereits zuvor, doch diese hatten nicht versucht, ihre Identität durch eine auffällige Zurschaustellung nichtrömischen Materials zu präsentieren. Darüber hinaus war das in Nordgallien verwendete Material in keiner Weise traditionell fränkisch. Wichtig war, dass es im traditionellen Verständnis nicht römisch, aber nun von symbolischem Wert war. Außerdem wurde nicht jeder Franke auf diese Weise bestattet. Im späten 5. Jahrhundert war dies wie zuvor ein Ritual, das lokale Eliten ausübten. Im frühen 6. Jahrhundert hatte sich im Tiefland Britanniens und ebenso in Nordgallien die Situation geändert, indem der Ritus von größeren Teilen der Gesellschaften ausgeübt wurde.35 Die Gründe für diesen Wandel müssen in Nordgallien in der inneren sozialen und politischen Dynamik des fränkischen Königreichs liegen – mit einer geringeren Verlässlichkeit lokalen Vorrangs und einer zunehmenden Konkurrenz um lokale Macht. Dies liegt jenseits der zentralen Perspektive dieses Beitrags, auch wenn es die wesentlichen Punkte unterstreicht.
V. Diese Schlussfolgerungen seien durch einen kurzen Blick auf das ostgotische Italien bekräftigt. Es gibt eine Reihe gut bekannter Gräber der ostgotischen Zeit, meist unter unklaren Umständen entdeckt, in denen die Toten mit Grabbeigaben unzweifelhaft donauländischer Herkunft bestattet worden waren.36 Es kann kaum ein Zweifel daran bestehen, dass diese Bei34
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Guy Halsall, Gender and the end of empire. Journal of Medieval and Early Modern Studies 34/1, 2004, 17–39, wo unglücklicherweise die alte Vorstellung eines donauländischen Kontexts des Flonheim-Gültlingen-Materials wiederholt wird. Guy Halsall, Settlement and Social Organisation. The Merovingian Region of Metz (Cambridge 1995), zur Untersuchung des Rituals in einem regionalen Kontext. Eine hilfreiche Einführung in das Material bei: Volker Bierbrauer, Archeologia degli Ostrogoti in Italia. In: I Goti, ed. Volker Bierbrauer/Otto v. Hessen/Edoardo A. Arslan (Milano 1994) 170–213.
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gaben oder die Kleidung, zu der sie gehörten, in gewisser Weise eine gotische Identität symbolisierten. Allerdings mag der Stil dieser Gegenstände, wie bei den nordgallischen Gräbern, von allgemein mediterraner Herkunft sein und die Verbindung mit den Goten das Ergebnis ihres Gebrauchs in einer von Goten dominierten spätrömischen Armee – eher jedenfalls als nur deshalb, weil sie von jenseits der Donau importiert worden waren.37 Wiederum darf die Analyse nicht damit enden, dass das archäologische Material einfach als passiver Reflex dessen angehen wird, dass im späten 5. Jahrhundert einige Gruppen vom Balkan nach Italien einwanderten und dort starben und sie (bzw. eher ihre Kleidung) so aussahen. Auf diese Weise sind die ostgotischen Gräberfelder – verglichen mit den anderen poströmischen Friedhöfen – wohl besonders unzureichend behandelt worden. Dass mit diesem Material – abgesehen von typologischen und chronologischen Analysen – fast nichts Interessantes unternommen wurde, liegt zugegebenermaßen überwiegend an den unklaren Fundumständen und dem völligen Fehlen von Angaben zu Geschlecht und Alter der Toten. Dessen ungeachtet unterstreicht auch das inadäquate ostgotische Material meine Hauptargumente. Erstens bemerkt auch eine minimalistische Interpretation der ostgotischen Besiedlung, dass diese Gräber nur eine Minderheit der Einwanderer in Italien repräsentieren kann; selbst Patrick Amory glaubte, dass es mehr als 50 Goten in Italien gab!38 Nicht alle Goten wurden daher, soviel scheint offensichtlich, auf diese Weise bestattet, und das bedeutet unmittelbar, dass nach einer sozialen Interpretation dieser Bestattungen zu suchen ist – einer, die erklärt, weshalb nur einige Goten auf diese Weise begraben wurden. Daher sind Datierung und politischer Kontext dieser Gräber von zentralem Interesse. In Italien ist die Situation unklar, weil die Ostrogoten 17 Jahre nach der Absetzung des Romulus Augustulus in Italien einwanderten. 17 Jahre ist für Archäologen eine zu kurze Zeitspanne, um verlässliche Aussagen darüber zu machen, ob Bestattungen des späten 5. Jahrhunderts den Truppen Odoakers oder Theoderichs zuzurechen sind; Aussagen müssen daher andere Hinweise auf „ethnische“ Identitäten bemühen, die nicht ausschlaggebend sein können. Was auch immer zutreffen mag, im Interesse einer klaren Argumentation sei angenommen, die Zuschreibung der Gräber wäre korrekt und sie wären als ostgotisch anzusehen. Es fällt auf, dass die zahlreichen barbarischen Truppen im Italien
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Ich danke Philipp v. Rummel für Hinweise zu diesem Thema. Vgl. v. Rummel, Habitus Barbarus (Anm. 33) 258–269. Patrick Amory, People and identity in Ostrogothic Italy, 489–554. Cambridge studies in medieval life and thought 4/33 (Cambridge 1997) – wahrscheinlich die am meisten minimalistische Sicht der barbarischen, gotischen Besiedlung Italiens.
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des 5. Jahrhunderts ihre nichtrömische Identität nicht durch die Sachkultur demonstriert hatten. Der Kontext für diese Demonstration von Gotischsein existierte erst nach 476. Sogar im Herzen des früheren Imperiums bedeutete der Fall Roms einen Unterschied für die lokale Politik und also auch für die Sachkultur. Es ist festzuhalten, dass Angehörige einiger führender Familien die Notwendigkeit verspürten, ihre ‚gotische‘ Identität einem Publikum zu präsentieren, das wahrscheinlich entweder – im Fall der Gräber in Kirchen in den Hauptstädten des Reichs (wie Ravenna, Pavia, Rom und Mailand) – politisch wichtige Personen umfasste oder andere lokale Landbesitzer und vielleicht Leute minderen Rangs. Dies sollte die Spannungen erhellen, die sich innerhalb der Führungsschicht des neuen Regimes ergaben. Es könnte z. B. gut zu neueren Untersuchungen passen, die zeigen, wie Theoderich Herrschaftsideologie dazu benutzte, die verschiedenen Gesellschaften Italiens in seinem Reich zusammenzuhalten. Man könnte z. B. die Entwicklung einer „gotischen“ Sachkultur als Formulierung eines Anspruchs auf Autorität in lokaler Machtkonkurrenz interpretieren. Dieses Material würde dann eine Verbindung zum Königshof demonstrieren. Ein solcher Befund könnte uns eine Menge sagen, und es ist schade, dass das vorhandene Material die detaillierte Beantwortung wichtiger Fragen nicht erlaubt, weil entweder keine Informationen zum Kontext vorliegen oder archäologische Datierungen nicht genau genug sein können, wenn wir wissen wollten, ob diese Grabausstattungen in der späteren Regierungszeit Theoderichs mehr oder weniger verbreitet waren, als dessen Ideologie selbstsicherer geworden war.39
VI. In einem kurzen Beitrag wie diesem ist nicht ausreichend Platz zu zeigen, auf welche Weise zwischen dem späten 4. und dem 6. Jahrhundert im Westen verschiedene Kombinationen von Kontexten und Artefakten, Typen und Verzierungsstilen die Spannungen innerhalb der lokalen Gesellschaften und Politik zeigen und die unterschiedlichen Strategien zu ihrer Bewältigung. Ich hoffe mit diesem kurzen Überblick gezeigt zu haben, dass es – entgegen einer häufig geäußerten Meinung – keine Trennung zwischen überregionalem politischen Wandel und den Belangen der Bevölkerung im Westen gab; Voraussetzung für diese Erkenntnis ist es, über die traditionelle Beschäftigung mit der geographischen Herkunft der Grabbeigaben – 39
Hier folge ich der Erörterung von Theoderichs Vorstellung bei Amory, People and identity (Anm. 38).
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und möglicherweise der Menschen – hinauszugelangen und das Ritual der umfänglichen Grabausstattung – die aktive Wahl der Beteiligten – zu thematisieren. Was uns die Gräberfelder zeigen, ist dramatisch; nach etwa 476 mussten die Menschen neue Identitäten und/oder neue Mittel zur Symbolisierung von Autorität wählen. Das zeigt uns, dass die Zuordnung zu neuen Quellen der Macht ein entscheidendes Mittel war, lokale Autorität zu festigen. Dass Menschen wie jene, die ihre Toten in diesen neuen Formen bestatteten, an die neuen Ideologien der Macht glaubten, hielt die großen politischen Einheiten zusammen. Dass sie oder ihre Rivalen neue, alternative, konkurrierende Identitäten wählten, wenn eine mächtige Gruppe durch eine andere besiegt wurde, rief das Ausbluten politischer Autorität hervor, das so kennzeichnend für den unmittelbar nachrömischen Westen war. Gräberfeldarchäologie erlaubt es, normalen – oder zumindest ziemlich normalen – Menschen und ihren Handlungsmöglichkeiten eine wichtige Rolle in der Geschichte zurückzugeben; sie ermöglicht es, wieder die Geschichte von Menschen zu schreiben. Selbst wenn die Archäologie nur dies zur historischen Analyse Westeuropas im 5. und 6. Jahrhundert beizutragen hätte, selbst dann wären die Gräberfelder eine entscheidende Quelle für die Geschichte des Endes des römischen Reichs.
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Zwischen Spätantike und Frühmittelalter – RGA-E Band 57 – Seiten 119–146 Auf· der Suche nach Frankreichs ersten Christen © 2008 Walter de Gruyter Berlin · New York
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Auf der Suche nach Frankreichs ersten Christen Camille de la Croix und die Schwierigkeiten eines Klerikers als Archäologe im späten 19. Jahrhundert1 Bonnie Effros
Im Oktober 1878 stießen die Arbeiter des Heeresoffiziers Rothmann auf menschliche und archäologische Überreste, als in und um Poitiers auf Anhöhen Artilleriestellungen errichtet wurden.2 Rothmann benachrichtigte Camille de la Croix, einen Jesuiten und archäologischen Enthusiasten, der kurz zuvor Mitglied der Société des Antiquaires de l’Ouest geworden war, um den Platz zu besichtigen (Abb. 1).3 Auch wenn militärische Aktivitäten es ihm unmöglich machten, genau jene Stelle auszugraben, an der die Funde gemacht worden waren, arbeitete Père de la Croix in unmittelbarer Nachbarschaft und stellte rasch die Existenz eines gallorömischen Friedhofs fest. In anschließenden Ausgrabungen deckte er die Reste von 313 Gräbern auf, die seiner Meinung nach in die ersten vier Jahrhunderte zu datieren waren. Diese Nekropole, die de la Croix für heidnisch hielt, lag entlang einer alten römischen Straße und nahe einem riesigen Grabhügel von sieben Metern Höhe, der 1832 zur Aufschüttung eines Damms beseitigt worden war.4 1
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Ich danke Sebastian Brather für die Möglichkeit, diesen Beitrag in Freiburg präsentieren zu können, und für die schöne Übersetzung meines Vortrags. Eine frühere Version habe ich auf der Tagung Studies in Medievalism in Fredericton, New Brunswick, im September 2004 vorgetragen. Dieser Aufsatz ist der unermüdlichen Cécile Treffort gewidmet, die mir ihr umfassendes Wissen über Poitiers, frühmittelalterliche Inschriften, die Altertumskunde und Archäologie in Frankreich zugänglich machte. Der Beitrag hätte ohne ihre hilfreiche Kritik, umfangreiche Bibliothek und herzliche Gastfreundschaft nicht seine jetzige Form gefunden. Die Forschungen für dieses Projekt wurden finanziell durch ein Franklin Grant der American Philosophical Society und durch das Harpur College of Arts and Sciences an der Binghamton University (SUNY) unterstützt. Der Aufsatz gehört zu den Vorarbeiten zu einem demnächst erscheinenden Buch: Uncovering the Germanic Past. Merovingian Archaeology, 1830–1914. Camille de la Croix, Monographie de l’Hypogée-Martyrium de Poitiers (Paris 1883) 3. André Aeberhardt, Trois figures d’archéologues du Centre-Ouest de la France au XIXème siècle. In: Les archéologues et larchéologie. Colloque de Bourg-en-Bresse (Archives). 25, 26 et 27 septembre 1992, Université de Tours. Caesarodunum 27 (Tours 1993) 33–35. De la Croix, Monographie (Anm. 2) 3–6.
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Abb. 1. Père de la Croix um 1896 zum Zeitpunkt seiner Aufnahme in die Ehrenlegion (Poitiers, Archives départementale de la Vienne, Fonds de la Croix, propriété de la Société des Antiquaires de l’Ouest, Biog R2)
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Im Januar 1879 nutzte de la Croix die Gelegenheit, an dieser zweiten Stelle zu graben, und entdeckte seiner Meinung nach christliche Bestattungen des 6. und 7. Jahrhunderts sowie eine unterirdische Anlage, die heute als Hypogée des Dunes bekannt ist (Abb. 2). Das Gebäude, das die Gräber von mindestens 35 Individuen enthielt, bestand zur Zeit der Untersuchungen aus einer hell ausgemalten Kammer voll mit Skulpturen und Inschriften.5 Zur Unterstützung bei der Untersuchung der Skelettreste konsultierte der jesuitische Archäologe Alexandre Jallet, Mediziner und Professor an der École de Médicine de Poitiers, und Jean Jablonski, örtliches Mitglied der Société des Antiquaires de l’Ouest. Interessanterweise zog de la Croix, in einer für Untersuchungen französischer königlicher und heiliger Bestattungsplätze des 17. Jahrhunderts typischen Weise6, auch kirchliche Offizielle hinzu, von denen Abbé Fossin als Vertreter des Bischofs von Poitiers der prominenteste war.7 Gestützt auf seine Interpretation einer gemalten Inschrift, die sich auf Märtyrer bezog, und auf die von ihm hergestellte Verbindung zwischen einem in einer Inschrift in Stein genannten Kleriker namens Mellobaudis und einem von Gregor von Tours in den Wundern des Hl. Martin erwähnten Merobaudis, zog de la Croix den etwas gewagten Schluss, dass der Platz im 6. oder 7. Jahrhundert dazu errichtet worden war, die Reste von 72 spätantiken poitevinischen Märtyrern aufzunehmen (Abb. 3–4).8 Zu dieser Auffassung gelangte er auch deshalb, weil er vermeintliche Nischen für Reliquien vorfand und lokale Traditionen berücksichtigte, die das Areal als „Chemin des Martyrs“ oder „Chiron-Martyrs“ bezeichneten.9 Père de la Croix erwarb später den umgebenden Grundbesitz, um das Hypogäum zu schützen, und übertrug ihn vor seinem Tod an die Société des Antiquaires de l’Ouest.10 Heute interpretiert man das Hypogée des Dunes nicht mehr als Martyrium, sondern als Mausoleum oder Grabkapelle, in dem bzw. in der die Verstorbenen durch eine Bestattung ad sanctos geehrt wurden. Mit Hilfe 5
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Kurze Beschreibung des Platzes bei: Bonnie Effros, Caring for Body and Soul. Burial and the Afterlife in the Merovingian World (University Park 2002) 120–122. Bonnie Effros, Merovingian Mortuary Archaeology and the Making of the Early Middle Ages (Berkeley 2003) 35–40. De la Croix, Monographie (Anm. 2) 120–122. De la Croix, Monographie (Anm. 2) 6–30; 73–126. De la Croix, Monographie (Anm. 2) 6. Xavier Barral I Altet/Noël Duval/Jean-Claude Papinot, Poitiers. Chapelle funéraire dite ‚Hypogée des Dunes‘. In: Les premiers monuments chrétiens de la France 2 (Paris 1996) 302–303. Am 22. Oktober 1947 überließ die Société des antiquaires de l’Ouest ihr Eigentum am Hypogée des Dunes und anderem Besitz der Stadt Poitiers; Robert Favreau, La société des antiquaires de l’Ouest. Défense et illustration du patrimoine de la region. Bulletin de la Société des antiquaires de l’Ouest 5e série 15 (2001) 305.
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Abb. 2. Inneres des Hypogäums und Lage der Gräber im Inneren (Camille de la Croix, Monographie de l’Hypogée-Martyrium de Poitiers [Anm. 2] Taf. II)
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einer ausführlichen Analyse der originalen Ausgrabungsberichte und neuer Ausgrabungen am Ort sind seit der Zeit von Camille de la Croix die wesentlichen Strukturen grundlegend neu bewertet worden.11 Da diese Fortschritte durch die an diesen Bemühungen direkt Beteiligten vor kurzem bzw. demnächst vorgelegt werden, konzentriere ich mich hier auf einen anderen Aspekt der Kontroverse um Père de la Croix’ Interpretation der Anlage, der meines Wissens noch nicht die ihm gebührende Aufmerksamkeit gefunden hat – die unmittelbaren und die fortdauernden Auswirkungen der zeitgenössischen Reaktionen, die Forschungen und Publikationen des Jesuiten hervorriefen. Camille de la Croix ist einzigartig, indem er einer der lautstärksten Anwälte einer gewissermaßen christlichen Archäologie der vorkarolingischen Zeit in Frankreich war. Da die meisten Gräber, die der Merowingerzeit zugerechnet wurden, auf Gräberfeldern gefunden wurden und Grabbeigaben enthielten, wurden sie gewöhnlich von Gelehrten des 19. Jahrhunderts Heiden zugeschrieben. Archäologen und Kunsthistoriker, die sich mit Themen beschäftigten, die mit Frankreichs christlicher Vergangenheit zu tun hatten, konzentrierten sich demgegenüber auf Architekturreste einer späteren Zeit. Das Hypogée des Dunes stellte etwas völlig Anderes dar: einen Bestattungsplatz, an dem Überreste des 6. und 7. Jahrhunderts entdeckt worden waren, in Verbindung mit einer Anlage voller christlicher Inschriften, Bilder und Architektur. Die Ausgrabung bot de la Croix die einzigartige Gelegenheit, seine Ansichten zu entwickeln. Obwohl de la Croix in Frankreich und im Ausland mächtige Unterstützung für seine archäologischen Forschungen erhielt, darunter den vollen Rückhalt des berühmten Giovanni Battista Rossi, der damals die Katakomben Roms ausgrub und dem Vatikanischen Museum vorstand12, stellten sich am Ende des Jahrhunderts viele französische Gelehrte dem unverfrorenen Versuch des Jesuiten entgegen, die Archäologie für das antike Christentum in Gallien in Anspruch zu nehmen. Nach de la Croix wagten es nur wenige französische Kleriker oder Laien, frühmittelalterliche Gräber und Bestattungsplätze so direkt mit einer christlichen Identität zu verbinden. 11
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Dominique Simon-Hiernard, Poitiers (Vienne). Hypogée des Dunes. In: Le Stuc. Visage oublié de l’art médiéval. Musée Sainte-Croix de Poitiers 16 septembre 2004–16 janvier 2005 (Poitiers 2004) 46. Viele vorangehende Studien zu diesem Thema blieben leider ungedruckt: Bénédicte Palazzo-Bertholon et al., L’Hypogée des Dunes à Poitiers. Une lecture archéologique renouvelée; Patrick Périn/Alain Dierkens et al., Autour de l’Hypogée des Dunes à Poitiers; sowie Dominique Simon-Hiernard, La nécropole des Dunes à Poitiers. Données historiques et archéologiques. Unveröffentlichter Brief Edmond le Blants an R. P. de la Croix vom 26 Dezember 1880; Poitiers, Archives départementale de la Vienne, Fonds de la Croix, propriété de la Société des Antiquaires de l’Ouest. Zur Biographie de Rossis vgl.: Eve Gran-Aymerich, Dictionnaire biographique d’archéologie 1798–1945 (Paris 2001) 216–217.
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Abb. 3. Umzeichnung der originalen und unvollständigen Inschrift auf einem Fresko im Hypogäum, die de la Croix für einen Hinweis auf die 72 Märtyrer von Poitiers hielt (Camille de la Croix, Monographie de l’Hypogée-Martyrium de Poitiers [Anm. 2] Taf. 10,1)
Abb. 4. Umzeichnung des letzten Zustands der Inschrift auf dem Fresko, nachdem die oberste Schicht entfernt und wahrscheinlich andere „Ausbesserungen“ vorgenommen worden waren. Diese vollständigere Inschrift bestätigt de la Croix’ Lesung als Martyrium (Camille de la Croix, Monographie de l’Hypogée-Martyrium de Poitiers [Anm. 2] Taf. 10,2)
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Wissenschaftliche Kritik an Père de la Croix’ Interpretation des Hypogée des Dunes Es gab vielfältige Gründe für fundamentale Kritik an diesem Kleriker. Ein Teil der Unentschlossenheit der Gelehrten, de la Croix’ Interpretationen zu akzeptieren, war nicht direkt mit dessen Aktivitäten verknüpft, sondern ging auf jüngste Täuschungsversuche zurück, von denen einige durch Kleriker wie den kämpferischen Kritiker und Konservativen Abbé Auber aus Poitiers begangen worden waren.13 Im Jahre 1854 hatte der Kleriker behauptet, in seinem Garten eine Inschrift gefunden zu haben, die bald darauf als Fälschung entlarvt wurde. Obwohl seine Zeitgenossen zunächst dachten, dass sie in der frühen Neuzeit angefertigt worden wäre14, wurde bald Auber als ihr Schöpfer erkannt.15 Der bemerkenswerteste Fall wissenschaftlichen Fehlverhaltens dieser Zeit war jedoch eine Generation zuvor durch eine Reihe von außerordentlichen, aber unbewiesenen archäologischen Behauptungen durch Charles Lenormant verursacht worden. Im Jahre 1854 publizierte Lenormant, Präsident der Commission des Monuments historiques und prominentes Mitglied der Académie des Inscriptions et Belles Lettres, einen Bericht über einen angeblich merowingerzeitlichen Friedhof samt, Baptisterium und Martyrium, die er auf seinem Besitz in der Normandie gefunden hatte. Obwohl 1855 und 1856 in zwei Berichten einer von der Société libre d’Agriculture, Sciences, Arts et Belles Lettres de l’Eure eingesetzten Kommission bald gezeigt wurde, dass Charles Lenormants geschickte Interpretation der naiven Imitationen merowingerzeitlicher Überreste vollkommen unglaubwürdig war, wagte es niemand, diesen mächtigen Akademiker oder seinen Sohn François stärker zu kritisieren. Letzterer stand im Verdacht, die Fälschungen produziert zu haben, doch dessen ungeachtet konnte er, wie sein Vater, eine sehr erfolgreiche Karriere fortsetzen.16 Tatsächlich erlangte der Skandal außerhalb der Normandie nur wenig Publizität, und dies auch nur 13
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Zum historiographischen Werk Aubers vgl.: Régis Rech, L’abbé Auber, une vision traditionaliste de l’historiographie du Poitou. Bulletin de la Société des antiquaires de l’Ouest 5e série 13 (1999) 243–280. M. de Longuemar, Epigraphie du Haut-Poitou. Mémoires de la Société des antiquaires de l’Ouest 1ère série 28 (1863) 176–177, no 48. Paris, Bibliothèque nationale de France, ms. nouv. acq. fr. 6129 (Collection Guilhermy, vol. 36) fol. 623v. Ich bin Cécile Treffort dafür dankbar, dass sie mich auf die unpublizierten Belege für diese Kontroverse aufmerksam gemacht hat. Zum Teil misslang die Verbreitung der Beschuldigungen deshalb, weil die mächtige Familie Lenormant Druck auf zeitgenössische Gelehrte ausübte. Luce Pietri, Les faux de la Chapelle-Saint-Eloi (Eure). Bulletin de la Société des Antiquaires de la France (1970) 235–237; Lucien Musset, Autour des faux de la Chapelle-Saint-Eloi. Une lettre ineditée. Bulletin de la Société des Antiquaires de la Normandie 57 (1963–64) 658–660.
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mündlich, da die Familie Lenormant die Veröffentlichung der Beschuldigungen in Paris verhindern konnte und ihre Unterstützer sich weigerten, sich gegen sie zu äußern.17 Die schärfsten Kritiken an François Lenormants Betrügereien wurden nicht vor 1884 publik, als Gabriel de Mortillet, Direktor der École d’Anthropologie und früherer Kurator für Prähistorie am Musée des Antiquités nationales, einen ätzenden Nachruf auf den verstorbenen Professor der Archäologie veröffentlichte.18 Während tatsächlich niemand de la Croix als Fälscher beschuldigte, ist es doch wahrscheinlich, dass die Rezeption seiner Funde durch eine kräftige Skepsis unter Akademikern an allen außergewöhnlichen Erklärungen einzigartiger Fundplätze beeinträchtigt wurde. Zurückhaltung bei der Anerkennung der bemerkenswerten Funde de la Croix’ ergab sich aus der Wahrnehmung, dass seine Schlussfolgerungen zu rasch erfolgt und im Kern vorgefasst waren. Bereits vor der umfassenden Dokumentation und Publikation der Ausgrabung im Jahre 1883 verbreitete de la Croix seine Interpretation des sogenannten Hypogée-Martyriums mittels Korrespondenz und formaler Mitteilungen unter seinen gelehrten Kollegen. Le Blant präsentierte beispielsweise de la Croix’ Funde auf eigene Faust bei einem Treffen der gelehrten Gesellschaften der Provinzen an der Sorbonne am 1. April 1880.19 Während diese Gelegenheiten de la Croix mit genügend Vorkenntnissen über die gemischten Reaktionen auf seine Interpretation des Hypogée versorgten, bevor er seine Funde in monographischer Form veröffentlichte, änderte er immer weniger seine Meinungen. Eine Überprüfung von de la Croix’ Arbeit am Hypogée des Dunes zeigt, dass der Jesuit von Beginn an darauf eingestellt gewesen zu sein scheint, die
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Vgl. beispielsweise einen von Abbé Cochet an Ludwig Lindenschmit adressierten Brief, der den aktuellen Skandal um den illustren Lenormant beschreibt: „Audisti me […] famosam deceptionem a domino Carolo Lenormant editam Parisiis in pleno instituto, anno 1854: Découverte dun cimetière mérovingien de la Chapelle-Saint-Eloi (Eure). Ibi erant, ut dicebat, 74 inscriptiones Graecae, Romanae, Runiae, bilinguas et hae inscriptiones proferebant nomina sanctorum Taurini, Turonis, Germani, Parisiorum episcopi, Childeberti regis Francorum etc. et illud erat mendacium. Coemeterium suum erat inscriptionibus plenum et corporibus vacuum; et nostra coemeteria Franciae sunt corporibus plena inscriptionibus vacua. Dicabat ibi esse cryptam, basilicam, baptisterium, et haec erant furnae ad calcem (des fours à chaux). Risum teneatis amice! Scandalum magnum factum estin Gallia et in Anglia et […] in Germania.“ Unveröffentlichter Brief Jean-Benoît-Désiré Cochets an Ludwig Lindenschmit vom 23. März 1856; Mainz, Archiv des Römisch-Germanischen Zentralmuseums. André Vayson de Pradenne, Les fraudes en archéologie préhistorique avec quelques exemples de comparaison en archéologie générale et sciences naturelles, ed. Pierre-Paul Bonenfant (Grenoble [1932] 1993) 282–304. Zu Gabriel de Mortillet vgl.: Gran-Aymerich, Dictionnaire (Anm. 12) 474–476. Unveröffentlichter Brief R. P. de la Croix’ an Edmond le Blant vom 23. Dezember 1880; Poitiers, Archives départementale de la Vienne, Fonds de la Croix, propriété de la Société des Antiquaires de l’Ouest.
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symbolische Bedeutung des Platzes für die Geschichte des Christentums herauszustellen. Er bezog nicht allein kirchliche Beobachter sehr früh in seine Untersuchungen auf dem Areal ein, er bestätigte auch wiederholt, dass seine religiöse Berufung seine Einstellungen als Archäologe prägte. Im Jahre 1880 verkündete er in einem Brief an den prominentesten frühmittelalterlichen Epigraphiker der Zeit, Edmond Le Blant, nicht apologetisch, dass er seine Forschungen zum größeren Ruhme Gottes betreibe.20 Obwohl de la Croix darauf bestand, das Hypogée als Ruhestätte von Märtyrern zu identifizieren, waren einige seiner Zeitgenossen vorsichtiger, wenn es um die Akzeptanz dieser Vorstellung ging. Ungeachtet wiederholter Ratschläge selbst von seinen engsten Unterstützern, er möge keine endgültigen Schlüsse ziehen, bevor nicht das gesamte Material zusammengestellt sei21, lehnte es de la Croix ab, seine frühen Ansichten über das Hypogée zu modifizieren. Verblüffenderweise zeigten viele seiner mächtigen Gönner ausdauernde Loyalität, auch wenn sie persönlich Zweifel hatten.22 Auch wenn Le Blant in seiner Edition der frühchristlichen Inschriften 1892 de la Croix’ Zuschreibung der Reliquien des Hypogée von lokalen poitevinischen Märtyrern zu den gutbekannten Märtyrern Chrysanthus, Daria und ihrer 70 Begleiter änderte23, so veröffentlichte er dennoch das Hypogée als Martyrium, nachdem er die Grundlagen für die Kontroverse um den Platz erläutert hatte.24 Erst nach de la Croix’ Tod 1911 geriet die 20
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Nach der Vertreibung der Jesuiten aus ihren Gebäuden sorgte sich de la Croix um seine zukünftige Unterkunft, setzte aber seine „explorations archéologique ad Majorem Dei gloriam“ fort. Unveröffentlichter Brief R. P. de la Croix’ an Edmond le Blant vom 23. Dezember 1880; Poitiers, Archives départementale de la Vienne, Fonds de la Croix, propriété de la Société des Antiquaires de l’Ouest. „Il est clair comme le jour que vous opérez sur un terrain farci d’antiquités romaines; vous croyez reconnaître aussi les vestiges du premier possesseur ecclésiastique à qui ce domaine fut donné à l’époque mérovingienne: ne vous pressez pas trop de conclure. L’important, pendant qu’on fouille, est de suivre jusqu’au bout les pistes que se présentent, et de tenir exactement registre de ce qu’on trouve. C’est seulement lorsque toutes les données sont recueillies qu’il est temps de chercher la solution du problème.“ Unveröffentlichter Brief Jules Quicherats an R. P. de la Croix vom 20. Januar 1881; Poitiers, Archives départementale de la Vienne, Fonds de la Croix, propriété de la Société des Antiquaires de l’Ouest. Einer, der keine Zweifel hegte, war de Rossi, dessen Loyalität de la Croix’ Werk gegenüber aus denselben Behauptungen herrührte, die sie über die Rolle der frühchristlichen Friedhöfe aufstellten; Éric Rebillard, Religion et sépulture. L’Église, les vivants et les morts dans l’Antiquité tardive (Paris 2003) 12–17. Zu diesen Märtyrern vgl.: Le martyrologe d’Adon. Ses deux familles, ses trois recensions, ed. Jacques Dubois/Geneviève Renaud (Paris 1984) 402–405. „M. l’abbé Duchesne, si versé dans l’étude des antiques martyrologes, et aux démonstrations duquel je me borne à renvoyer, pense qu’il faut voir, dans ces victimes, la célèbre phalanges des saints Chrysanthe, Daria et de leurs soixante-dix compagnons. Tel est également le sentiment de M. de Rossi. Un groupe de même nombre de martyrs locaux n’ay-
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durch Freundschaft motivierte Diskretion ins Wanken. Als Léon Levillain einige Monate nach dem Ableben de la Croix’ einen Beitrag über die Fundstelle schrieb, stellte er – angesichts des Mangels der in diese Richtung weisenden Belege – öffentlich die Ansichten des Jesuiten in Frage, dass der heilige Platz die Überreste zahlreicher Märtyrer enthalten habe.25 De la Croix’ Neigung zu Schlussfolgerungen, die frühe Berühmtheit des christlichen Poitiers zu befördern, schwand nicht mit seiner Arbeit am Hypogée, obwohl ihm die Publikation der Ausgrabung bereits erheblichen Kummer bereitet hatte. Es ist zu betonen, dass sich die meisten Ausgrabungen de la Croix’ nicht auf frühchristliche Überreste bezogen; unter den von ihm aufgedeckten heidnischen Resten, einschließlich der Untersuchungen der römischen Thermen von Poitiers (1878) und des gallorömischen Sanxay (1881–1883), waren letztere für das breitere Publikum zu seinen Lebzeiten wohl seine berühmteste Entdeckung, zu deren Erhaltung er bekanntermaßen erhebliche Summen aufbrachte, die er von seiner Familie geerbt hatte (Abb. 5).26 Dessen ungeachtet suchte de la Croix hartnäckig weiter nach archäologischen Funden mit religiöser Bedeutung für die Geschichte des Christentums. Einer der bedeutendsten war das Baptisterium St.-Jean in Poitiers, dessen Inneres und dessen umgebendes Areal er zwischen 1890 und 1902 ausgrub.27 De la Croix wies bestehende Theorien über den Ursprung des Baptisteriums, es sei zuvor entweder ein Tempel oder ein Mausoleum gewesen und später seiner neuen Bestimmung zugeführt worden, dogmatisch zurück, und schlug statt dessen vor, es repräsentiere eine der frühesten christlichen Stätten in Gallien. Er datierte den Kern von St.-Jean in die Jahre unmittelbar nach Konstantins Erlass des Edikts von
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ant pu être produit par ceux auxquels cette attribution répugne, je me range à l’opinion de mes savants confrères.“ Edmond le Blant, Nouveau recueil des inscriptions chrétiennes de la Gaule antérieures au VIIIe siècle (Paris 1892) 250–273, bes. 254–255. Le Blant vermied darüber hinaus berufliche Kontroversen dadurch, dass er fragwürdige Inschriften publizierte, egal was er von ihrem Wert hielt. Dieser Ansatz war im Vergleich mit respektierten Kollegen wie dem oben erwähnten Charles Lenormant besonders bemerkenswert. Léon Levillain, La ‚Memoria‘ de l’abbé Mellébaude. Bulletin de la Société des antiquaires de l’Ouest, 3e série 2 (1911) 355–357. „La découverte de Sanxay fut un événement européen. Tous les savants, toutes les illustrations du monde s’y rendirent. En trois ans, il y vint plus de 27 000 étrangers. Le gouvernement français finit par acquérir Sanxay. Mais, depuis lors, aucun travail n’a été fait pour conserver cette merveille dont bientôt il ne restera plus de traces.“ Jacques de Biez, R. P. Camille de la Croix. Galerie contemporaine de l’Ouest 3 (Poitiers 1896), 3, no 1. Zu Jacques de Biez, Journalist, Mitbegründer der Ligue nationale antisémitique de France und eine Autorität in Objekte frühmittelalterlicher Kunst vgl.: Laura Morowitz, Anti-Semitism, Medievalism and Art of the Fin-de-Siècle. Oxford Art Journal 20.1 (1997) 37. Michel Rérolle, Histoire des recherches. In: Le baptistère Saint-Jean de Poitiers (Poitiers 2004) 19–33; Aeberhardt, Trois figures (Anm. 3) 33–35.
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Abb. 5. Zeichnung in einem Brief Léon Dumuÿs’ vom 23. Dezember 1882 in Vorbereitung für einen Vortrag Père de la Croix’ über seine gallorömischen Funde, den dieser am 26. Dezember vor der Société archéologique et historique de l’Orléanais hielt. In einem Brief vom 30. Dezember 1882 verdeutlicht Dumuÿs den verblüffenden Erfolg des Ereignisses, an dem 600 Personen teilnahmen (Poitiers, Archives départementale de la Vienne, Fonds de la Croix, propriété de la Société des Antiquaires de l’Ouest)
Mailand28, wodurch es zum ältesten intakten Baptisterium wurde, das in ganz Frankreich entdeckt worden war. Obwohl diese frühe, von de la Croix vorgeschlagene Gründung von St.-Jean inzwischen aus Mangel an Belegen abgelehnt wird – und es gibt auch heute keine Einigkeit darüber, ob das Baptisterium vor dem 5. Jahrhundert existierte29 –, war das Vorgehen recht typisch für de la Croix’ Aus28
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Camille de la Croix, Étude sommaire du baptistère Saint-Jean de Poitiers (2Poitiers 1904) 1–140. Paul-Albert Février/Brigitte Boissavit-Camus, Poitiers. Baptistère Saint-Jean. In: Les premiers monuments 2 (Anm. 10) 290–301. Heute nimmt man an, daß das Baptisterium im späten 5. oder 6. Jahrhundert auf den Resten eines gallorömischen Wohnhauses mit Bad errichtet wurde; Brigitte Boissavit-Camus, Les recherches archéologiques récentes. In: Le baptistère Saint-Jean de Poitiers (Anm. 27) 34–44.
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grabungen in Poitiers und seiner Umgebung. Die Arbeit des Priesters, die sich weithin auf die Stadt beschränkte, war darauf ausgerichtet zu belegen, dass Poitiers einen Teil der frühesten christlichen Aktivitäten in Gallien erlebt hatte. Er bemühte sich ebenso darum, andere Archäologen wie Léon Coutil, einen Archäologen und Gründer der Société normande d’études préhistoriques, zu ermutigen, ähnliche Schlüsse aus ihren eigenen Funden früher christlicher Architekturreste zu ziehen.30 Im Fall von Coutils Arbeit in Les Andelys (Eure) riet de la Croix seinem jüngeren Kollegen, dass es sich um ein primitives Baptisterium handele – eine Identifizierung, die schon zu seiner Zeit in Frage stand und die nicht länger als zutreffend angesehen werden kann.31 Aufgrund seiner Neigung, sich beim Fehlen von archäologischen oder historischen Anhaltspunkten, die seine Behauptungen stützen konnten, auf diese Weise zu irren, erhielt de la Croix von seinen Zeitgenossen beständig Lob für die gut ausgeführten und gründlich dokumentierten Ausgrabungen, sah sich aber harscher Kritik an seiner voreingenommenen Interpretation ihrer Bedeutung ausgesetzt.32 Obgleich die Zurückhaltung gegenüber de la Croix’ Schlussfolgerungen daraus resultierten, dass sie von unzuverlässigen Belegen für seine umstrittenen Hypothesen und seinem Beharren auf der Beibehaltung dieser Ansichten abhingen, erhielten die Reaktionen auf seine Forschungen einen schärferen Ton, als man allein vor diesem Hintergrund erwarten sollte. Die gemischte Reaktion auf de la Croix’ Ausgrabungen hatte nicht nur Auswirkungen auf seine Möglichkeiten, seine Funde an gewünschtem Ort zu veröffentlichen, sie berührte auch seine Mitgliedschaft in prestigeträchtigen gelehrten Gesellschaften und die Auszeichnung mit zumindest einigen akademischen Ehrungen. Tatsächlich ist die Strenge, mit der gelehrte Maßnahmen gegen de la Croix unternommen wurden, nur schwer zu überschauen. 30
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Im Februar 1908 korrespondierten Léon Coutil und Père de la Croix über Coutils laufende Ausgrabung in Les Andely (Eure), wo, wie sie glaubten, Coutil die Reste eines Baptisteriums zum Untertauchen gefunden hatte, daß zum von Königin Chlothilde († 545) gegründeten Kloster gehört habe. Unpublizierte Briefe Léon Coutils und R. P. de la Croix’ vom 2. und 7. Februar 1908; Poitiers, Archives départementale de la Vienne, Fonds de la Croix, propriété de la Société des Antiquaires de l’Ouest. Marcel Baudoin, Léon Coutil (Les Andelys 1934). Guy Verron, Un illustre préhistorien normand de la ‚belle époque‘. In: Préhistoire de l’Eure. Données nouvelles sur l’occupation préhistorique des vallées de l’Eure, de l’Iton et de la Seine. Nouvelles de l’Eure 56 (Evreux 1975) 70–72; Jacques Le Maho, Haute Normandie (Eure, Seine-Maritime). In: Les premiers monuments chrétiens de la France 3 (Paris 1998) 310–314. „Je ne dis pas que je souscrirais sans observation à toutes vos conclusions […]; mais je ne puis que rendre hommage au soin minutieux que vous avez apporté dans la description des moindres particuliarités de votre belle découverte [de l’Hypogée].“ Unveröffentlichter Brief R. de Laysteries an R. P. de la Croix vom 15. Juni 1882; Poitiers, Archives départementale de la Vienne, Fonds de la Croix, propriété de la Société des Antiquaires de l’Ouest.
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Im Oktober 1884 erhielt de la Croix z. B. eine Nachricht von M. Wallon, Sécrétaire perpetuel de l’Académie, der ihn darüber informierte, dass ihm eine Medaille für seine Entdeckungen verweigert würde, weil sich die Commission des Antiquités von seinen Interpretationen distanzieren wolle.33 Als de la Croix im Juli 1896 die Ehre zuteil wurde, in den Orden der Ritter der Ehrenlegion aufgenommen zu werden34, wurde der Triumph durch die darauf folgenden Beleidigungen reduziert. Obwohl er am 30. März 1897 zum korrespondierenden Mitglied des Comité des Travaux historiques et scientifiques ernannt worden war35, wurde Pére de la Croix von dieser prestigeträchtigen Position im Jahre 1902 ohne Begründung entfernt.36 Diese Zurücksetzung traf de la Croix und andere Mitglieder der Kommission offenbar überraschend,37 und die Kränkung schmerzte ihn sehr, obwohl er weiterhin archäologische Aufträge in Poitiers erhielt.38 Im Jahre 1904 kämpfte de la Croix darum, seine Position gegen die mächtigsten archäologischen Gesellschaften in Paris zurückzugewinnen. Ernest Babelon, der damals eine archäologische Vorlesung am Collège de France hielt und kurz zuvor die Société 33
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Unveröffentlichter Brief M. Wallons an R. P. de la Croix vom 6. Oktober 1884; Poitiers, Archives départementale de la Vienne, Fonds de la Croix, propriété de la Société des Antiquaires de l’Ouest, Akte B1. Interessanterweise stammte der Anstoß für de la Croix’ Nominierung für diese Ehrung nicht aus Poitiers, sondern aus dem Außenministerium, und deshalb gibt es unter seinem Namen keine Dokumente unter den Akten, die der Präfekt von Vienne im Juli 1896 an die Archives départementales de la Vienne übergab (Akte M4149). De la Croix’ Dossier zur Ehrenlegion in den Archives Nationales de France wirft kaum weiteres Licht auf diesen Vorgang, denn es enthält nur ein Dokument – eine kurze, nach seinem Tod 1911 angefertigte Notiz. Correspondance archéologique du Père de la Croix, ed. Nadine Dieudonné-Glad (Rom 2001) 3. Unveröffentlichter Brief des Ministre de l’Instruction publique et des Beaux-Arts an R. P. de la Croix vom 28. Mai 1902; Poitiers, Archives départementale de la Vienne, Fonds de la Croix, propriété de la Société des Antiquaires de l’Ouest, Biog. R2. „Votre lettre m’a profondément surpris. Je n’avis jamais entendu parler de votre radiation; je l’ignorais absolument. Soyez assuré que le bureau du Comité n’a pas été consulté à ce sujet et que la mesure qui vous afflige a été prise en dehors de lui. Jamais je n’ai entendu parler de cette affaire: si la mesure avait été proposée en séance tous les membres du Comité, j’en ai la conviction, auraient pris votre défense. Au Comité nous ne nous préoccupons, vous le savez bien, que des services scientifiques. Vous devinez combien je suis affligé peiné d’apprendre cette nouvelle. Les motifs je les ignore; mais, comme moi, vous pensez bien que ce sont des motifs politiques. Vous n’avez jamais démérité de la science.“ Unveröffentlichter Brief Ant. Héron de Villefosses an R. P. de la Croix vom 14. Juni 1902; Poitiers, Archives départementale de la Vienne, Fonds de la Croix, propriété de la Société des Antiquaires de l’Ouest, Biog. R2. „Figurez vous qu’au moment où le Ministre me sépare de notre Comité (ce qui n’est pas connu ici), la Municipalité radicale de Poitiers m’a nommé et à ses frais directeur de fouilles archéologiques dans les terrains avoisinants l’Ecole Supérieure des filles où notre belle Minerve a été exhumée.“ Unveröffentlichter Brief R. P. de la Croix’ an Ant. Héron de Villefosse vom 25. Juli 1902; Poitiers, Archives départementale de la Vienne, Fonds de la Croix, propriété de la Société des Antiquaires de l’Ouest.
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française de fouilles archéologiques gegründet hatte, lud ihn ein, Mitglied seiner Gesellschaft zu werden. Seine freundliche Versicherung, alle Parteien seien willkommen, einschließlich Jesuiten, von denen nicht verlangt würde, dass sie ihre kirchlichen Titel in den Mitgliederlisten anführten, musste in den Ohren eines Mannes hohl klingen, der bereits glaubte, aufgrund seines religiösen Berufs verfolgt zu werden.39
Père de la Croix’ Erfahrungen mit dem Antiklerikalismus Die heftige Reaktion auf de la Croix’ Arbeit ging weit über eine Kritik an mangelhafter Gelehrsamkeit hinaus und spiegelte, zumindest in den Augen de la Croix’ und seiner Unterstützer, ein wachsendes Misstrauen gegenüber Klerikern und insbesondere Jesuiten wider, die einer wissenschaftlichen Beschäftigung nachgingen. Es bleibt zu untersuchen, ob der Widerstand, auf den de la Croix traf, überwiegend mit dem durchdringenden Ausdruck antiklerikaler Stimmungen zusammenhing, die in vielen Kreisen in Frankreich während des 19. Jahrhunderts existierten. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass, als die Archäologie immer mehr als wissenschaftliche Disziplin akzeptiert wurde, man Kleriker zunehmend als weniger objektiv als ihre laikalen Kollegen betrachtete und sie deshalb in steigendem Maße in einem Fach marginalisiert wurden, das traditionell eine Bastion klerikaler Praktiker gewesen war. Im Fall von de la Croix sah der Jesuit – der Möglichkeit beraubt, seine Arbeit in einigen der exklusiveren gelehrten Kreise zu verteidigen –, die im Wege stehenden Hindernisse eher als Diskriminierung denn als Resultat mangelhafter oder kontroverser Gelehrsamkeit. Mit dieser Meinung im Kopf leistete de la Croix anhaltenden Widerstand gegen diese Barrieren.40
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„[C]’est avec le plus grand plaisir que je vous vais présenter comme membre titulaire (20f par an) et je vous remercie cordialement de votre adhésion. Nous ne faisons pas l’ombre de politique et les hommes de tous les parties se coudoient dans nos rangs. Il y a déjà un P. Jésuite, mais qui a demandé qu’on ne l’inscrire pas avec cette qualité (cherchez-le dans notre liste!).“ Unveröffentlichter Brief Ernest Babelons an R. P. de la Croix vom 10. Juli 1904; Poitiers, Archives départementale de la Vienne, Fonds de la Croix, propriété de la Société des Antiquaires de l’Ouest. Eine in den damaligen Zeitschriften oft wiederholte Geschichte von 1896 bezog sich darauf, wie Jules Quicherat, Direktor der École des Chartes, anfänglich den Priester ignoriert hatte, als dieser an einem Treffen an der Sorbonne teilnehmen wollte. Am Ende aber wurde er vom Enthusiasmus des Jesuiten angesteckt, als dieser ihm mit Plänen und Zeichnungen des Hypogée nach Hause gefolgt war. „Quicherat, très fier de son jésuite, le montrait partout. ‚Je l’ai adopté‘ disait-il. Une fois qu’il eut pénétré dans l’intimité du bon Jésuite, Quicherat offrit son amitié à l’homme d’élite qu’il avait rencontré“; De Biez, R. P. de la Croix (Anm. 26) 4–5.
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Doch er beklagte sich Zeitgenossen gegenüber darüber, dass sogar dann, wenn seine Studien von mächtigen Freunden an seiner Statt auf gelehrten Konferenzen und in Zeitschriften präsentiert würden, seine sehr innovativen Schlussfolgerungen oft weggelassen oder gänzlich übergangen würden.41 De la Croix sah seinen persönlichen Kampf als Teil jenes unebenen Spielfelds, das sich Personen mit kirchlicher Zuordnung bot.42 Auf dem Höhepunkt seines Kampfes, Anerkennung für seine Interpretation des Hypogées zu erhalten, sah sich Père de la Croix dem Zorn jener Leute ausgesetzt, die gegen den außerordentlichen Aktivismus der Societas Jesu opponierten. In einem Erlass von 1880, der nicht vom Senat bestätigt worden war, sich aber auf die Gesetzgebung seit der Revolution berief, wurden die Jesuiten als unautorisiert verurteilt und von der Regierung der Republik dazu aufgefordert, sich aufzulösen und ihre Gebäude binnen drei Monaten zu räumen.43 Mit diesem Schlag gegen ihren Einfluss und insbesondere gegen ihre Autorität im Bildungswesen sahen sich Jesuiten wie de la Croix, die in Frankreich geblieben waren, auf unsicherem Boden und ohne Behausung. Sie konnten sich lediglich mit großen Schwierigkeiten gegen die zunehmende Schärfe der antiklerikalen Vertreter unter den Republikanern verteidigen, als im Laufe des Jahrhunderts Anstrengungen unternommen wurden, die zuvor provinziellen Netzwerke der gelehrten Gesellschaften zu zentralisieren.44 Im Jahre 1905 verabschiedete die französische Regierung ein Gesetz, das Kirche und Staat trennte und dabei den Ausschluss der Jesuiten und anderer unautorisierter Kongregationen vom
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„Je vous envoie ci-joint le texte du petit compte-rendu que je consacre à votre lieu dans la Gazette archéologique. Vous verrez que si je fais quelques réserves sur certains points qui ne me paraissent pas absolument hors de doutes, je signale comme il convient l’intérêt exceptionnel de la découverte et ce qui fait pour moi le principal mérite de votre beau livre, c’est-à-dire la précision de vos descriptions, et le soin que vous avez apporté à vos planches.“ Unveröffentlichter Brief R. de Laysteries an R. P. de la Croix vom 14. Februar 1884; Poitiers, Archives départementale de la Vienne, Fonds de la Croix, propriété de la Société des Antiquaires de l’Ouest. „D’une part, on m’a trouvé de trop au Comité des travaux historiques du Ministère. D’autre part, on n’a donné aucun compte dans les dernières fêtes du centenaire des Ant. de France, des nombreuses fouilles archéologiques que j’ai faites depuis 28 ans, et que toutes cependant ont donné de bons résultats; mon nom n’a même été mentionné dans aucune de ces réunions, d’où je conclus qu’il est devenu gênant; c’est ce qui fait que j’hésite à vous prier de me faire admettre dans votre si honorable société.“ Unveröffentlichter Brief Camille de la Croix’ an Ernest Babelon vom 8. Juli 1904; Poitiers, Archives départementale de la Vienne, Fonds de la Croix, propriété de la Société des Antiquaires de l’Ouest. Philip A. Bertocci, Jules Simon. Republican Anticlericalism and Cultural Politics in France, 1848–1886 (Columbia 1978) 24–25, 197–200. Jean-Pierre Chaline, Sociabilité et érudition. Les sociétés savantes en France XIXe et XXe siècles (Paris 1998) 370–373.
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Unterricht formalisierte. Nur weltlichen Priestern war es gestattet, ihre Rolle in der Verbreitung katholischer Bildung fortzusetzen.45 De la Croix sah den Antiklerikalismus nicht allein im Zusammenhang mit seiner Laufbahn und persönlichen Situation, sondern bekam recht deutlich zu spüren, dass Stimmungen gegen die Institution der katholischen Kirche das Leben in viel größerem Maße durchdrangen. In Poitiers, wo der belgische Jesuit von seiner ersten Stelle als Priester bis zu seinem Tod 1911 über 40 Jahre lebte, konnten solche Spannungen rasch außer Kontrolle geraten. Anhand von Zeitungsausschnitten, die er über Jahre sammelte und die heute Teil seines Nachlasses bilden, der von der Société des Antiquaires de l’Ouest verwahrt wird, ist offensichtlich, dass de la Croix jene Ereignisse zur Kenntnis nahm, die symptomatisch für die geteilten religiösen Sympathien in der Stadt waren, und über ihre langfristige Auswirkung auf die religiösen Katholiken in Frankreich betroffen war. Einer dieser Zwischenfälle ereignete sich 1887, als eine Prozession und die Weihe einer Statue der frühmittelalterlichen Heiligen und früheren Königin Radegunde von Poitiers, ein von Leo XIII. sanktionierter Akt, genug waren, um auf dem Platz vor der Kathedrale einen Aufruhr anzufachen.46 Der Ausdruck derart hochgekochter Leidenschaften, die sich auf die frühmittelalterliche Geschichte der Stadt bezogen, mag zu jener Kontroverse beigetragen haben, die sich selbst mit der Karriere de la Croix’ verband. Von diesen Härten abgesehen, lässt sich de la Croix’ Position kaum als ständig angegriffen verstehen. Er konnte ungeachtet der Unsicherheit seiner Situation großen Erfolg erringen. Die Meinungen in zeitgenössischen Zeitungen, die das politische Spektrum breit repräsentierten, waren dem Jesuiten sehr oft gewogen. Nach seiner Auszeichnung als Ritter der Ehrenlegion im Jahre 1896 porträtierten Journalisten ihn als etwas exzentrisch, aber nichtsdestotrotz bemerkenswert aufgrund seiner leidenschaftlichen Beschäftigung mit der poitevinischen Geschichte. Félicien Pascal, der für Le Figaro schrieb, wies darauf hin, dass dieser Jesuit unter denen, die er getroffen hatte, einmalig war, da er sich selbst zu körperlicher Arbeit herabließ und deshalb von der Bevölkerung Poitiers’ geliebt wurde.47 Ein anony45 46
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Émile Faguet, L’anticléricalisme (Paris 1905) 247–255. Zur republikanischen Sicht vgl.: La vérité historique sur Sainte Radegonde et le couvent de Sainte-Croix. L’éclaireur de la Vienne, Journal républicain, 2ème année, no 57bis, 18 août 1887. Zur katholischen Sicht vgl. die beiden folgenden Arbeiten, von denen die erste moderater ausfällt: L. de la Brière, Notre cinquième reine. Le Gaulois, 9. August 1887; Jean Pierre, Le centenaire de sainte Radegonde. Le courrier agricole de la Vienne et des DeuxSèvres, 21. August 1887. „Tout le peuple, à Poitiers, vénère le P. de La Croix. Les ouvriers savent qu’il n’est pas fier. Beaucoup d’entre eux, au moment de mourir, se souviennent de ce Jésuite qui travaille de ses mains, comme eux, et appellent ses consolations sur leurs derniers moments“; Félicien Pascal, Le Père de la Croix. Le Figaro, 27. Juli 1896.
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mer Beitrag über Père de la Croix, der im folgenden Jahr geschrieben war, begann mit der Feststellung, dass nun, da er den Titel eines chevalier bekommen hatte und Mitglied des Comité des Travaux historiques geworden war, „nichts mehr am Ruhm dieses Jesuiten fehlt, dieses Apostels des Obskurantismus, der in diesem Jahrhundert der Aufklärung einen der wichtigsten Plätze in der archäologischen Wissenschaft einnimmt“.48 Der Autor des Beitrags meinte seine Bemerkung wohlwollend, da er anfügte, dass er die Gesellschaft dieses Jesuiten derjenigen der Freimaurer vorzöge.49 Selbst die republikanischen Blätter der Region enthielten gedämpftes Lob für de la Croix, der, wie sie argumentierten, die Anerkennung der Ehrenlegion ungeachtet seines Berufs als Jesuit verdiente, da ihm seine Forschung offenbar diese Auszeichnung eingebracht hatte.50 Am 31. Juli 1896 feierte Le Republicain de la Vienne seinen Sieg mit einem Lobgedicht zu seinen Ehren.51 Dessen ungeachtet sah de la Croix Kritik an seinem wissenschaftlichen Werk weiterhin in dem größeren Zusammenhang mit seinem persönlichen Kampf als Jesuit und Archäologe. In einem Brief z. B., den ihm Léon Dumuÿs im November 1882 kurz vor dem Erscheinen seiner Monographie über das Hypogée geschrieben hatte, wird das Ausmaß der Frustrationen deutlicher. Dumuÿs, der später Kurator des Musée historique und des Musée de Jeanne d’Arc in Orléans werden sollte, war ein Anwalt der klerikalen Sa-
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„Chevalier de la Légion d’Honneur et membre nommé par le ministre, du comité des Travaux historiques de France, rien ne manque à la gloire de ce jésuite, de cet apôtre de l’obscurantisme, qui dans ce siècle de lumière laïque occupe une des places les plus considérables de la science archéologique“; Le Père C. de la Croix S. J. Le Conservateur, 2. Mai 1897. „Les Francs-Maçons peuvent à leur aise nous taxer de crédulité et d’ignorance; avec des jésuites comme celui-là nous sommes en bonne compagnie“; Le Père C. de la Croix S. J. Le Conservateur, 2. Mai 1897. „Pour notre part, nous ratifions pleinement les publics éloges décernés au P. de la Croix. Néanmoins, qu’une remarque au sujet de sa récente nomination dans l’ordre de la Légion d’Honneur nous soit accordée. Nous n’approuvons ni ceux qui avancent que cette distinction n’a été si tardive que parce qu’elle devait honorer un jésuite, non plus que ceux qui affectent maintenant de s’en réjouir parce qu’elle est portée par un jésuite. Nous trouvons, quant à nous, qu’elle est arrivée à son heure – tant pis pour celles qui arrivent trop tôt! – et qu’elle n’a été attribuée qu’au chercheur infatigable, au fin dépisteur, à l’artiste habile que recouvre, au sortir de ses travaux, suivant l’expression même de M. Tornézy, la poussière olympique, pulvis olympicus, et nullement pulvis jesuiticus, qui est d’un tout autre grain et point facile du tout à secouer – si l’on en croit l’histoire“; Le Passant, Une séance publique à la Société des Antiquaires de l’Ouest. Républicain de la Vienne, 15. Januar 1897. Auch wenn hier nicht genügend Platz ist, das Werk in Gänze wiederzugeben, sei eine Strophe zitiert: „Courage donc pionnier! Piocheur infatigable! / Fouille! Creuse le sol, et si coule la sueur: / Un jour au prix de ton labeur / Vivra l’histoire impérissable“; Echos de la Vonne. Au Révérend Père Camille de la Croix. Le Republicain de la Vienne, 31. Juli 1896.
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che und ein standhafter Unterstützer von de la Croix’ Interpretation, der zufolge die poitevinischen Märtyrer im Hypogäum lagen.52 Eine Zeichnung von Hand, die sich in seiner Korrespondenz fand, signalisierte den Ausschluss der Jesuiten – und de la Croix’ im Besonderen – durch die Republikaner in Verbindung mit den Freimaurern (Abb. 6).53 Zusammen mit einem vertonten Gedicht beklagte das Stück das Unglück des klerikalen Archäologen und parodierte jene Offiziellen, die ungerechterweise an diesem beschämendem Akt mitgewirkt hatten.54 De la Croix’ Unterstützer, besonders jene außerhalb von Paris, standen dem Jesuiten in der Not bei. Der Priester fand ein begeistertes Publikum in katholischen Einrichtungen wie der Université catholique de l’Ouest in Angers, von der er 1897 zu einer Vorlesung eingeladen worden war.55 De la Croix’ Korrespondenz zeigt, dass sein beruflicher Kampf für den Rest seines Lebens ein dominierendes Thema blieb. Am 6. April 1909 schrieb der Mediävist und Diplomatiker Léon Levillain aus Paris an seinen Freund und Kollegen, er solle sich von den wiederholten Denunziationen seiner Forschungen in der Société des Antiquaires und ebenso in den Illustrierten nicht entmutigen lassen. Levillain tröstete de la Croix, indem er ihn ermahnte: „Courage, Hochwürden; geben Sie nicht auf; sondern verbreiten Sie weiter den Samen neuer Ideen für die Welt. Einige von ihnen sind bereits aufgegangen und haben Eingang in den Strom zu lehrender Wahrheiten gefunden; andere werden noch keimen und blühen. Auch wenn einige auf sterilen Boden fallen und vom Wind hinweggeweht werden, wird die Ernte ausreichen, um sicherzustellen, dass ein Gelehrter, wie Sie einer sind, einen Ehrenplatz unter den Archäologen erhält.“56 Dieser 52
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Unveröffentlichter Brief Léon Dumuÿs’ an R. P. de la Croix vom 23. (Februar?) 1884; Poitiers, Archives départementale de la Vienne, Fonds de la Croix, propriété de la Société des Antiquaires de l’Ouest. Unveröffentlichte Zeichnung Léon Dumuÿs’ für R. P. de la Croix vom November 1882; Poitiers, Archives départementale de la Vienne, Fonds de la Croix, propriété de la Société des Antiquaires de l’Ouest. Unpubliziertes Gedicht, zum selben Brief wie eben (Anm. 53). Unveröffentlichter Brief M. Delehayes, Secretaire général der Université catholique d’Angers, an R. P. de la Croix vom November 1897, der ihn dazu einlädt, eine archäologische Veranstaltung für die Studenten zu halten; Poitiers, Archives départementale de la Vienne, Fonds de la Croix, propriété de la Société des Antiquaires de l’Ouest. „Du courage, mon R. Père; ne jetez pas le manche après la cogne mais continuez à lancer dans le monde la semence des idées neuves. Quelques-unes ont déjà mûri et sont entrées dans le courant des verités enseignées; d’autres germeront encore et fleuriront. S’il en est qui tombent sur le sol ingrat et qui soient dispersées par le vent, la moisson sera encore assez belle pour assurer au savant que vous êtes un place d’honneur parmi les archéologues.“ Unveröffentlichter Brief Léon Levillains an R. P. de la Croix vom 6. April 1909; Poitiers, Archives départementale de la Vienne, Fonds de la Croix, propriété de la Société des Antiquaires de l’Ouest.
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Abb. 6. Zeichnung Léon Dumuÿs’ vom November 1882 für R. P. de la Croix, wahrscheinlich die Vertreibung des Jesuitenordens aus Frankreich beklagend (Poitiers, Archives départementale de la Vienne, Fonds de la Croix, propriété de la Société des Antiquaires de l’Ouest)
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Brief lässt die Stimmung Ernest Babelons anklingen, der de la Croix vom Collège de France aus schrieb. Indem er den bösen Umgang der Zeitgenossen mit ihm bestätigte, riet ihm Babelon im Juli 1904, die harschen Bemerkungen feiger Funktionäre zu ignorieren. Er behauptete, sie seien nicht der Teufel, aber sie würden deshalb nur so handeln, wie sie es täten, weil sie weiterhin ihre Gehälter von der republikanischen Regierung erhalten wollten.57
Der Fall de la Croix im Kontext der kirchlichen Archäologie des 19. Jahrhunderts Während de la Croix und zumindest einige seiner Unterstützer seine Mühen auf antiklerikale Stimmungen seiner Kollegen zurückführten und sie nicht als Konsequenz einer schludrigen oder ideologisch voreingenommenen Gelehrsamkeit ansahen, bleibt die Frage, ob von anderen klerikalen Archäologen im Frankreich des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts bekannt ist, dass sie ähnlichem Widerstand gegen ihre Arbeit begegneten. Unter den frühchristlichen Stätten, die zu Lebzeiten de la Croix’ von Klerikern untersucht wurden, könnte man beispielsweise die frühmittelalterliche Krypta von Jouarre, die zwischen 1869 und 1871 von Abbé Thiercelin ausgegraben wurde, als in ihrer Bedeutung dem Hypogée vergleichbar ansehen.58 Im Unterschied zu de la Croix scheint jedoch Thiercelin nicht jene Form von Publizität oder Ehrungen begehrt zu haben, die jener erstrebte, und seine Ausgrabung zog nicht jenes Ausmaß von Kontroversen nach sich, wie sie das Hypogée in Poitiers umgaben. Darüber hinaus stand die Interpretation der merowingerzeitlichen Krypta nie in Frage, weil die Begräbniskirche von St.Paul in Jouarre die Gräber ihres Begründers und der Äbtissin des 7. Jahrhunderts, der Heiligen Theodechilde, und ihrer Nachfolgerinnen barg, und weil all diese Personen (wenn auch nicht der Platz selbst) durch zeitgenössische historische und hagiographische Darstellungen belegt werden konnten.59
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„Le monde politique est bien méchant et on a été abominablement injuste à votre égard. Quant aux archéologues, ce ne sont pas de méchantes gens, mais ce sont des poltrons. Ils sont poltrons parce qu’ils sont fonctionnaires pour la plupart, or, un fonctionnaire qui, à la fin de chaque mois, touche régulièrement de l’État sa pâture et celle de sa famille.“ Unveröffentlichter Brief Ernest Babelons an R. P. de la Croix vom 10. Juli 1904; Poitiers, Archives départementale de la Vienne, Fonds de la Croix, propriété de la Société des Antiquaires de l’Ouest. G. Rethoré, Les cryptes de Jouarre: Notice historique (Paris 1889) 15–16; Paul-Albert Février, Naissance d’une archéologie chrétienne. In: Naissance des arts chrétiens. Atlas des monuments paléochretiens de la France (Paris 1991) 344. Gilbert-Robert Delehaye/Patrick Périn, Jouarre. Église funéraire de Saint-Paul. In: Les premiers monuments de la France 3 (Anm. 31) 188–197.
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Die Feindseligkeit, der de la Croix in den 1880er Jahren ausgesetzt war, steht offensichtlich der einflussreichen Rolle von Klerikern während der Entwicklung der frühmittelalterlichen archäologischen Forschungen in der vorangehenden Zeit entgegen. Da die Archäologie im 19. Jahrhundert nicht als selbständiges Fach galt und als solche keinen formalen Platz an den Universitäten besaß60, wurde ein großer Teil der Arbeiten zur Katalogisierung, Ausgrabung und Restaurierung historischer Stätten traditionell von lokalen und regionalen altertumskundlichen und archäologischen Gesellschaften unternommen. Viele von ihnen waren unter der Juli-Monarchie mit der Ermutigung durch den Historiker und Minister für öffentlichen Unterricht, François Guizot, gegründet worden.61 Obwohl diese gelehrten Gesellschaften in ihrer Organisation und ihren Zielen säkular waren62, war die Zusammenarbeit mit lokalen Kirchen und Klerikern zentral für ihre Bemühungen.63 Schätzungen zufolge stellte die Geistlichkeit um die Mitte des Jahrhunderts, je nach Region, zwischen zwei und 26 % der vor allem der Mittelklasse entstammenden Mitglieder der einzelnen gelehrten Gesellschaften, wobei der Durchschnitt 6 % betrug. Kleriker waren auch auf archäologischen Kongressen aktiv: im Jahre 1842 erreichte ihr Anteil beispielsweise 9,2 % an den Delegierten der Jahresversammlung, die der Archäologe Arcisse de Caumont aus der Normandie organisiert hatte.64 Bemühungen um den Schutz von Kirchen waren ebenfalls oft die treibende Kraft hinter der Gründung archäologischer Gesellschaften. Tatsächlich führte eine erfolgreiche Kaufofferte, die 1832 zur Rettung des spätantiken Baptisteriums von Poitiers vor der Zerstörung zusammengebracht worden war, zwei Jahre später zur Formierung von Caumonts Société Française d’archéologie in Caen. Zur Erbauung ihrer Mitglieder und von Antiquaren in ganz Frankreich veranstaltete die Gesellschaft periodische Tagungen und
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Éric Perrin-Saminadayar, Les résistances des institutions scientifiques et universitaires à l’émergence de l’archéologie comme science. In: Rêver l’archéologie au XIXe siècle. De la science à l’imaginaire, ed. Éric Perrin-Saminadayar. Centre Jean Palerne, Mémoires 23 (Saint-Étienne 2001) 47–64. Dominique Poulot, Patrimoine et musées. L’institution de la culture (Paris 2001) 117–119. Rachel Joly, La Commission des antiquités de la Côte-d’Or (C.A.C.O.) 1830–1870. In: Aspects de l’archéologie française au XIXeme siècle. Actes du colloque tenu à la Diana à Montbrison le 14 et 15 octobre 1995, ed. Pierre Jacquet/Robert Périchon. Recueil de mémoires et documents sur Le Forez publiés par la Société la Diana 28 (Montbrison 2000) 90–95. Gilles Platret, Les débuts de la Société d’histoire et d’archéologie de Châlon-sur-Saône. Ambitions locales et convergences politiques (1844–1872). Mémoires de la Société d’histoire et d’archéologie de Châlon-sur-Saône 69 (2001) 93. Stéphane Gerson, The Pride of Place. Local Memories and Political Culture in Nineteenth-Century France (Ithaca 2003) 59–60.
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veröffentlichte Forschungsergebnisse über relevante Themen durch die Publikation einer gelehrten Zeitschrift, die später Bulletin monumental hieß.65 Ihr Erscheinen als eine neue mächtige Stimme brachte die Zentralregierung dazu, sich selbst weiterhin für den Schutz national bedeutender Stätten vor Vandalismus und Verfall einzusetzen. Die Beteiligung von Klerikern an antiquarischen Organisationen reflektiert deren Interesse an der Lokal- und Regionalgeschichte, und sie war Teil allgemeiner Bemühungen der kirchlichen Hierarchie, das Bildungsniveau der Geistlichkeit zu heben.66 Aufgrund ihrer praktischen Verantwortung für Gebäude und Friedhöfe der Pfarreien, Klöster und Kathedralen waren Kleriker regelmäßig gefordert, Entscheidungen über Reparaturen und Modernisierungen für aktuelle Bedürfnisse zu fällen. Da sie oft an der Spitze dieser Initiativen standen und häufig keine Kenntnisse in der Kunstgeschichte oder Archäologie besaßen, wurden Kleriker meist dafür getadelt, dass sie armselige Entscheidungen trafen oder wertvolle und unersetzliche Ressourcen schlecht verwalteten. Bereits 1844 intervenierten – als Antwort darauf, was als eine Serie von furchtbar misslungenen Renovierungen und noch schlimmeren Zerstörungen religiöser Monumente wahrgenommen worden war – Bischöfe auf die Mahnungen von Befürwortern der Konservierung hin und gestatteten in den Priesterseminaren die ersten archäologischen Kurse in Frankreich. Diese Kurse, besser als Vorlesungen über kirchliche Architektur und Kunst zu bezeichnen, dienten dazu, zukünftige Kleriker besser auf ihre Aufsicht über religiöse Bauten vorzubereiten. Auf diese Weise, so hoffte man, sollten unnötige Zerstörungen oder fragwürdige Restaurierungen historischer Gebäude verhindert werden.67 Obwohl es sehr auf die Anstrengungen lokaler antiquarischer Gesellschaften angewiesen war 68, sollte auch das französische Innenministerium historische Monumente konservieren. Diese Unternehmungen blieben bis zur Herrschaft Napoleons III. in ihrem Ausmaß sehr begrenzt, weil die Gebäude und Stätten, die dadurch erhalten werden sollten, subjektiven Kriterien in Bezug auf nationale Bedeutung und ästhetische Vorzüge zu genügen hatten.69 Kirchen und andere religiöse Monumente umfassten einen wichtigen Teil dieser Bemühungen, auch wenn die Verantwortung für ihre Instandhaltung und Erhaltung an das Comité des inspecteurs généraux des Édifices 65 66
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Paul Léon, La vie des monuments français. Destruction, restauration (Paris 1951) 95–97. Pim den Boer, History as Profession. The Study of History in France, 1818–1914, transl. Arnold J. Pomerans (Princeton 1998) 27–32. Xavier Barral I Altet, Les étapes de la recherche au XIXe siècle et les personnalités. In: Naissance des arts chrétiens (Anm. 58) 351–352. Catherine Rigambert, Le droit de l’archéologie française (Paris 1996) 16–21. Léon, La vie des monuments français (Anm. 65) 138–142.
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diocésans übertragen worden war, einer unabhängigen Verwaltungskommission des Amts für weltliche Angelegenheiten. In den 1850er Jahren wurde die Institution außergewöhnlich mächtig, wie die Karriere des überaus einflussreichen Architekten Eugène Viollet-le-Duc zeigen mag, der im 20. Jahrhundert scharfe Kritik an seinen kontroversen Methoden der Restaurierung mittelalterlicher Monumente auf sich zog. Nachdem er in seiner Eigenschaft als Diözesanarchitekt Bedeutung erlangt hatte, erhielt und „verbesserte“ Viollet-le-Duc Kirchenbauten in 26 Diözesen während seiner langen Amtszeit auf diesem Posten. Viele seiner Zeitgenossen missbilligten seine Aktivitäten, die einer Zerstörung gleichkämen.70 Da sich die Interessen weit über allein architektonische Anliegen hinaus erstreckten, waren Kleriker auch in den aufkommenden Feldern der gallorömischen und frühmittelalterlichen Archäologie erfolgreich tätig. Ihr Erfolg scheint sich aus einer Konstellation von Faktoren ergeben zu haben, die sich zu ihren Gunsten auswirkte – einschließlich gelehrter Neigung und Interesses für Details, Begeisterung für die Lokalgeschichte, Kontakte mit den Gemeindegliedern, die sie über von Bauern gemachte Zufallsfunde in der Gegend informieren mochten, und der Freiheit von familiären Verantwortlichkeiten und damit verbundenen finanziellen Lasten, die ihnen in einigen Fällen eine langfristige Abwesenheit während der Grabungssaison erlaubten. Die meisten von denen, die sich archäologisch betätigten, waren provinzielle curés oder weltliche Geistliche; sie stellten deshalb kein solches Ziel für republikanisches Misstrauen und juristische Attacken wie die Jesuiten dar, sofern sie nicht den Fehler begingen und gegen die republikanische Regierung auftraten. Eine solche Haltung führte beispielsweise zum unglücklichen Abbruch der Karriere des sehr fähigen und vorausschauenden Archäologen Abbé Haigneré im Jahre 1870, der als Konsequenz seiner politischen Aktivitäten seinen Posten und seine Haupteinkommensquelle als Archivar von Boulogne verlor.71 Ein Kleriker, der einige der folgenreichsten methodischen Fortschritte in der Ausgrabungstechnik erzielte, war Abbé Jean-Benoît-Désiré Cochet.72 Während seiner Zeit im Priesterseminar mit der Archäologie in Berührung gekommen, empfand er großen Stolz für die einheimischen Errungenschaften der gallorömischen und merowingerzeitlichen Bewohner der Normandie und des übrigen Frankreich. Der Vikar aus der Normandie, der 1849
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Bruno Foucart, Viollet-le-Duc et la restauration. In: Les lieux de mémoire 2.2, ed. Pierre Nora (Paris 1986) 616–620. Claude Seillier. Daniel Haigneré (1824–1893). L’archéologue et son temps. Septentrion 4, 1974, 45–50. Effros, Merovingian Mortuary Archaeology (Anm. 6) 62–65.
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den Titel eines Inspekteurs der historischen Monumente in der Seine-Inférieure erhalten hatte und 1861 vom Erzbischof als Diözesaninspektor für die Kirchen eingesetzt worden war, wurde 1867 Kurator des Musée départemental des antiquités de Rouen.73 Als ein Erneuerer archäologischer Methoden war er einer der ersten Gelehrten, die meinten, dass ausgegrabene Artefakte viel von ihrem Wert aus dem Wissen um den Kontext bezogen, in dem sie gefunden worden waren.74 Um mit den methodischen Entwicklungen Schritt zu halten, korrespondierte Cochet aktiv mit Gelehrten aus ganz Europa und gehörte zahlreichen gelehrten Gesellschaften und Akademien an, einschließlich der Académie des inscriptions et belles lettres seit 1864. Im selben Jahr zum Mitglied des Institut de France ernannt, wurde Abbé Cochet weithin als ein Experte, wenn nicht der Experte, der Archäologie der gallorömischen und Merowingerzeit konsultiert.75 Es gibt kaum einen Hinweis auf irgendwelche Hindernisse, denen er als in der archäologischen Forschung engagierter Kleriker bis zu seinem Tod 1875 begegnet wäre. Die Gegenüberstellung von de la Croix und Cochet ist deshalb nicht ganz fair, weil Cochets Tod den massivsten antiklerikalen Maßnahmen der Dritten Republik voranging. Darüber hinaus waren seine Beobachtungen entscheidend für die Entwicklung einer archäologischen Methodologie, während die Publikationen de la Croix’ keinen gleichwertigen Beitrag leisteten. Obwohl de la Croix sehr fähig war und gewiss bemerkenswertes Glück bei der Auswahl materialreicher Grabungsplätze hatte, machte er wie viele seiner Zeitgenossen weder ausgiebige Beobachtungen auf seinen Ausgrabungen noch führte er ein detailliertes Grabungstagebuch oder erstellte Fundlisten. Außer seinen Publikationen der herausragenden, von ihm unternommenen Grabungen stellen seine Zeichnungen und Briefe die Hauptquelle zum Verständnis seiner Forschungen dar. Père de la Croix war dennoch für seine Zeit recht gewissenhaft, wenn es darum ging, die Arbeiter anzuleiten, welche die eigentliche Ausgrabung bestritten, und Gelder für den Ankauf wichtiger Stätten einzuwerben, um sie auszugraben und später zu konservieren. Er hieß wiederholt Besucher aller Fachgebiete und Bedeu-
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Jean Hubert, L’abbé Cochet et l’avènement d’une science de l’archéologie. In: Centenaire de l’abbé Cochet, 1975. Actes du colloque international d’archéologie, Rouen 3–4–5 juillet 1975 (Rouen 1978) 13–16; Chaline, Sociabilité et erudition (Anm. 44) 248–252. Jean-Benoît-Désiré Cochet, La Normandie souterraine ou notices sur des cimetières romains et des cimetières francs explorés en Normandie (2Paris 1855) 2–3. Laurence Flavigny, L’abbé Cochet, un champion d’archéologie nationale, 1812–1875. In: L’anticomanie. La collection d’antiquités aux 18e et 19e siècles, ed. Annie-France Laurens/ Krzysztof Pomian (Paris 1992), 241–249.
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tung willkommen, um die laufende Feldforschung zu besichtigen.76 Ebenso gab er angehenden Archäologen Ratschläge, sich an die Quellen zu halten und die Phantasie zu meiden – zwei Ratschläge, die er selbst für gewöhnlich ignorierte.77 Der ungleiche Vergleich von de la Croix und Cochet ist dennoch hilfreich, um einen gewissen Einblick in die Unterschiede zu gewinnen, die beide in Bezug auf die Bedeutung des Christentums in ihrer Einschätzung frühmittelalterlicher archäologischer Stätten machten. Cochets Arbeit ragte besonders in der Berücksichtigung einer verlässlicheren absoluten Chronologie merowingerzeitlicher Artefakte heraus und zeigte, dass er zu belegen in der Lage war, wie sowohl Christen als auch heidnische Franken Grabbeigaben im Rahmen ihrer Bestattungssitten kannten.78 Ganz anders als de la Croix, der das Hypogée und später das Baptisterium in Poitiers als Beleg für die fortgeschrittene Entwicklung christlicher Rituale in einem frühen Abschnitt der französischen Geschichte ideologisch interpretierte, zog Cochet aus den Quellen den eher verbreiteten Schluss, dass der Glaubenswechsel der Franken nur ein oberflächlicher gewesen war.79 Diese Sicht und nicht diejenige von de la Croix behielt bis zur Veröffentlichung von Édouard Salins La civilisation mérovingienne die Oberhand, die die Aufmerksamkeit auf das Schweigen der frühmittelalterlichen kirchlichen Autoritäten in Bezug zu Bestattungsformen und Grabbeigaben lenkte.80 Christliche Bestattungsformen mögen ihrem heidnischen Widerpart im Gebrauch von Kleidung und Zubehör, die die Toten in ihr Grab begleiteten, weitgehend geglichen haben.
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Michel Rérolle, L’oeuvre archéologique de Camille de la Croix. Bulletin de la Société des antiquaires de l’Ouest et des Musées de Poitiers 4e série 14 (1977) 321–349. In einem Brief an T. Masserau, einen Landbesitzer in Neuvy-Saint Sépulchre (Indre) und Mitglied der Société académique du Centre, warnte er: „Vous pourriez peut-être remanier votre manuscrit, en vous bornant à de simples descriptions faites d’une façon très claire, en phrases courtes. Méfiez vous en général de votre imagination. C’est un écueil où sombrent beaucoup d’archéologues. Apportez les documents, rien de plus. En vous conformant à ce petit programme, étant donné vos dispositions, votre acquis et votre sagacité, vous réussirez certainement.“ Unveröffentlichter Brief R. P. de la Croix’ an T. Masserau vom 17. April 1876; Poitiers, Archives départementale de la Vienne, Fonds de la Croix, propriété de la Société des Antiquaires de l’Ouest. Transkribiert und übersetzt in: Dieudonné-Glad (ed.), Correspondance archéologique (Anm. 35) 7–8. Annette Laming-Emperaire, Origines de l’archéologie préhistorique en France. Des superstitions médiévales à la découverte de l’homme fossile (Paris 1964) 9–13, 100–101. Jean-Benoît-Désiré Cochet, Le tombeau de Childéric Ier roi des Francs, restitué à l’aide de l’archéologie et des découverts récentes (Brionne 1978) 189. Édouard Salin, La civilisation mérovingienne d’après les sépultures, les textes et le laboratoire 2 (Paris 1952) 233ff.
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Zusammenfassung Welche Relevanz hat der Fall von Camille de la Croix für heutige Untersuchungen zur symbolischen Bedeutung ritueller Handlungen, die die frühmittelalterliche Bestattungspraxis prägten? Tatsächlich besaßen seine Ausgrabungen aus unterschiedlichen Gründen kaum Auswirkungen. In Frankreich war die Anzahl der Anlagen, die mit dem Hypogée verglichen werden konnten, gering, und deshalb haben sich architekturgeschichtliche Studien zu christlichen Stätten der vorkarolingischen Zeit dort nie so verbreitet, wie das in Italien der Fall war. Darüber hinaus blieben die frühmittelalterlichen Inschriften Galliens lange Zeit von ihrem archäologischen Kontext isoliert, wobei zahlreiche Sammlungen von Inschriften im 18. und frühen 19. Jahrhundert zusammentragen wurden. Deshalb waren Forschungen im Hinblick auf diese wichtige Informationsquelle zu heidnischem und christlichem Verhalten zu Tod und Jenseits weitgehend von den Debatten der Archäologen isoliert. Da sich die meisten Studien des 19. Jahrhunderts zu frühmittelalterlichen Resten auf Grabbeigaben konzentrierten und diese mit abergläubischen oder kaum verhülltem heidnischen Verhalten assoziiert wurde, führte dieses Material selbst nicht zu einer Diskussion über das frühmittelalterliche Christentum.81 Diese Fragen fanden deutlich weniger Zuhörer als jene, die sich für die rassische und ethnische Identität der mit den Grabbeigaben Bestatteten interessierten – ein Thema, das nach dem französisch-preußischen Krieg und in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg eine viel größere Bedeutung erlangte.82 Es ist aber nicht möglich, die Arbeiten von Camille de la Croix als isoliertes Beispiel einer Reaktion gegen eine ideologisierte Forschung in Zeiten eines ungezügelten Antiklerikalismus abzutun. Erstens hatte de la Croix zu Lebzeiten aufgrund einer Kombination von sturer Beharrlichkeit und Unterstützung einflussreicher Kollegen (Abb. 7) großen Erfolg, auch 81
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Einer der ersten Antiquare, die in Burgund entdeckte Grabfunde als germanisch ansahen, Henri Baudot, bemerkte: „Cependant, quoique la religion chrétienne fût généralement adoptée au commencement du VIe siècle, le paganisme avait encore des partisans zèlés qui, dans le secret de leurs demeures, conservaient les images de leurs dieux et se livraient clandestinement aux pratiques de l’idolâtrie, dont nous suivons la trace jusque dans leurs tombeaux“; Henri Baudot, Mémoire sur les sépultures barbares de l’époque mérovingienne, découvertes en Bourgogne, et particulièrement à Charnay. Mémoires de la Commission des antiquités du département de la Côte-d’Or 5 (1857–1860) 138. Diskussionen konzentrierten sich nicht immer auf den barbarischen Charakter germanischer Gruppen wie der Franken, konnten aber darauf gerichtet sein, den positiven Einfluss solcher Traditionen für die Entwicklung der Kunst in Frankreich in der nachrömischen Zeit hervorzuheben; C. Barrière-Flavy, Les arts industriels des peuples barbares de la Gaule du Vème au VIIIème siècle 1 (Toulouse 1901).
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Abb. 7. Petition von Studenten der École du Louvre vom 4. März 1891, Dank an Pére de la Croix für seine archäologischen Entdeckungen und seine Leistungen für die gallorömische und merowingische Archäologie. Der Briefkopf stammt von Louis Courajod, Conservateur du Département de la Sculpture du Moyen-âge de la Renaissance et des temps modernes au Musée du Louvre, und diesem Schreiben lag ein Brief Courajods an de la Croix bei (Poitiers, Archives départementale de la Vienne, Fonds de la Croix, propriété de la Société des Antiquaires de l’Ouest)
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wenn Antipathien gegenüber Klerikern sicher die Arbeit der Archäologen bestimmten, jene Parameter festzulegen, innerhalb der ihre Interpretationen formuliert wurden. Ungeachtet von Vorwürfen, wiederholt unrecht gehabt zu haben, blieb de la Croix bemerkenswert einflussreich. Die Stätten, die er ausgrub, waren zu bedeutend, um von seinen Zeitgenossen ignoriert zu werden, und letztlich erlangte er gebührende Ehrungen. Selbst de la Croix’ mächtigste Kollegen befanden sich in der misslichen Situation, seine voreingenommenen Interpretationen zu tadeln und ihn gleichzeitig für seine Verdienste um die Funde zu loben. Zweitens bot das Hypogée am Stadtrand von Poitiers eines der ersten Beispiele einer frühmittelalterlichen archäologischen Fundstelle, die eine multidisziplinäre Methodologie mit ihrem Mix von Inschriften, Skelettresten, Grabbeigaben und Architektur erforderte. Viele zeitgenössische Archäologen wussten einfach nicht, wie mit einem derart exzeptionellen Monument umzugehen ist, das nicht einfach den gebräuchlichen Mustern von Franken oder Gallorömern zugeordnet werden konnte und das sowohl einen Märtyrerkult als auch vermeintlich germanische Bestattungsformen einschloss. Dies mag ein Grund dafür sein, dass Forscher erst in jüngster Zeit mit einer detaillierten Neubewertung des Hypogées begonnen haben. Schließlich enthüllte de la Croix’ mangelnde Vorsicht, zwischen verschiedenen Erklärungen abzuwägen und eine Vision der frühen christlichen Kirche in Gallien zu fördern, seine Voreingenommenheit und stellte die Bedeutung dieser wichtigen Ausgrabung in Frage, die er eigentlich begünstigen wollte. So sehr einige zeitgenössische Gelehrte die Bedeutung des Hypogée anerkannten, so schwer fiel es ihnen, die Aneignung dieses Mausoleums durch einen Jesuiten ernsthaft zu unterstützen – weil es ein Symbol im Kampf der Kleriker um die Anerkennung als Wissenschaftler in gelehrten Gesellschaften, Akademien und schließlich Universitäten geworden war.
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3. Archäologie der gentes
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Zwischen Spätantike und Frühmittelalter – RGA-E Band 57 – Seiten 149–192 Die· Berlin Archäologie der Westgoten in Nordgallien © 2008 Walter de Gruyter · New York
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Die Archäologie der Westgoten in Nordgallien Zum Stand der Forschung Michel Kazanski, Anna Mastykova, Patrick Périn
Zwischen der Mitte des 5. Jahrhunderts und dem ersten Drittel des 6. Jahrhunderts haben sich in Nordgallien Gruppen von Menschen unterschiedlicher Herkunft niedergelassen. Deutlich wird dies bei der Untersuchung von nordgallischen Nekropolen der beginnenden Merowingerzeit, beispielsweise von Arcy-Sainte-Restitue, Chassemy, Breny, Saint-Martin-deFontenay oder Vicq,1 und hierbei besonders bei der Betrachtung der Reste der Frauenkleidung auf diesen Nekropolen. Die Neuankömmlinge haben, obwohl sie zahlenmäßig als eher unbedeutend zu bezeichnen sind, nach Aussage des mit diesen Gruppen zu verbindenden Prunkgräberhorizontes zweifellos eine wichtige Rolle in militärischer und sozialer Hinsicht gespielt. Die genannten Einflüsse umfassen alamannische, thüringische, langobardische, ostgotische, germanisch-donauländische, angelsächsische und westgotische Elemente. Dass sie zeitgleich mit der Entstehung des merowingischen Königreiches auftauchen, ist nicht erstaunlich. Es handelt sich hier um ein Phänomen, das von archäologischer Seite auch aus anderen „barbarischen“ Königreichen wie etwa dem der Burgunder, dem der Ostgoten in Italien oder dem der Kiever Rus’ bekannt ist. Auch in diesen Reichen stützte sich die königliche Macht zum Teil auf militärische Gruppen fremder Herkunft ohne Verbindung zur lokalen Bevölkerung, die dem König ihre Treue zusicherte. Als Teil dieses Phänomens sollen im Folgenden die aus dem westgotischen Spanien kommenden Gruppen behandelt werden, die sich in Nordgallien niedergelassen hatten. 1
Arcy-Sainte-Restitue: Françoise Vallet, Parures féminines étrangères du début de l’époque mérovingienne, trouvées dans le soissonnais. Studien zur Sachsenforschung 8, 1993, 109–121. – Chassemy: Vallet, Parures (Anm. 1). – Breny: Michel Kazanski u. a., La nécropole gallo-romaine et mérovingienne de Breny (Aisne). D’apres les collections et les archives du Musée des Antiquités Nationales (Montagnac 2002). – Saint-Martin-de-Fontenay: Christian Pilet u. a., La nécropole de Saint-Martin-de-Fontenay, Calvados (Paris 1994). – Vicq: Wimm H. Wimmers, Etude sur l’interprétation du cimetière mérovingien de Vicq (Yvelines) (Hooddorp 1993).
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Seit den 1990er Jahren wird die Interpretation der in Nordgallien entdeckten ostgermanischen Elemente lebhaft diskutiert. Während französische Forscher den donauländischen Ursprung dieser Funde vertraten,2 unterstrichen deutsche Archäologen mit wenigen Ausnahmen3 die Argumente für eine westgotische Herkunft der Objekte.4 Neben der Herkunftsfrage ist aber auch die chronologische Ansprache der Funde Anlass einer Kontroverse: nach Volker Bierbrauer und seinen Schülern ist das fragliche Material im Wesentlichen nach 480 zu datieren, also in die Zeit nach der westgotischen Ansiedlung in Spanien.5 Im Gegensatz dazu werden die entsprechenden Funde in Frankreich in der Regel chronologisch älter eingeordnet, nämlich in das dritte Viertel des 5. Jahrhunderts. Antworten auf Fragen der Herkunft und der zeitlichen Ansprache der Funde werden durch zwei Probleme erschwert: erstens die Tatsache, dass sich im Bereich der Männergräber keine Fremden durch signifikante Beigaben von der lokalen Bevölkerung abheben, und zweitens das Problem, dass die spanisch-westgotische Frauenkleidung, so wie sie sich in den archäologischen Funden präsentiert, ebenfalls donauländischen Ursprungs ist. Die spanisch-westgotische Frauenkleidung stellt sich als populäre Nachahmung des prestigeträchtigen donauländischen Frauengewandes dar, das in den mitteleuropäischen Prunkgräbern des Smolín-Horizontes der Stufe D2/D3 der völkerwanderungszeitlichen Chronologie, also dem zweiten Drittel des 5. Jahrhunderts, bezeugt ist.6 Diese Kleidung umfasst insbesondere zwei an den Schultern getragene ‚Silberblechfibeln‘, die häufig von einer großen Gürtelschnalle mit rechteckigem Beschlag begleitet werden (beispielsweise in Szabadbattyán, Maklár, Laa und vermutlich „Esztergom“). Im gallischen Westgotenreich ist diese donauländische Kleidung nicht vor dem letzten Drittel des 5. Jahrhunderts nachzuweisen. Daher 2
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Vgl. z. B. Michel Kazanski, La diffusion de la mode danubienne en Gaule (fin du IVe siècle–début du VIe siècle). Essai d’interprétation historique. Antiquités Nationales 21, 1989, 59–73; ders., La Gaule et le Danube à l’époque des Grandes Migrations. In: Jaroslav Tejral/ Herwig Friesinger/Michel Kazanski (Hrsg.), Neue Beiträge zur Erforschung der Spätantike im mittleren Donauraum (Brno 1997) 285–319; Michel Kazanski/Patrick Périn, Les Barbares „orientaux“ dans l’armée romaine en Gaule. Antiquités Nationales 29, 1997, 201–217; Vallet, Parures (Anm. 1). Barbara Sasse, Die Westgoten in Südfrankreich und Spanien. Zum Problem der archäologischen Identifikation einer wandernden „gens“. Archäologische Informationen 20/1, 1997, 29–48. Vgl. Volker Bierbrauer, Les Wisigoths dans le royaume franc. Antiquités Nationales 29, 1997, 167–200. Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) 169–172. Jaroslav Tejral, Mähren im 5. Jahrhundert (Prag 1973); ders., Zur Chronologie der frühen Völkerwanderungszeit im mittleren Donauraum. Archaeologia Austriaca 72, 1988, 223–304.
Die Archäologie der Westgoten in Nordgallien
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wurde sie dort wahrscheinlich im Zuge der Ankunft der Armee des ostgotischen Prinzen Vidimer eingeführt, die mit einem kurzen Aufenthalt in Italien (472–474) direkt von der Donau nach Gallien gekommen war.7 Vidimer genoss als Mitglied der alten Familie der Amaler großes Prestige bei den Westgoten. Ein vergleichbarer Prozess der Ausbreitung des donauländischen Kostüms ist im pontischen Raum zu beobachten,8 wo die Fundplätze der kaukasischen Tetraxitgoten und der Krimgoten des Landes Dori zahlreiche Beispiele einer breiten Nachahmung des prunkvollen Prestigegewandes aus Mitteleuropa bieten. Volker Bierbrauer legte 1997 eine ausführliche Sammlung der ostgermanischen Funde der beginnenden Merowingerzeit in Nordgallien vor,9 die wir hier mit wenigen Ergänzungen wieder aufgreifen wollen, um die westgotische Ansprache dieses Materials zu überprüfen. Das fragliche Fundmaterial umfasst mehrere Objektkategorien: ‚Silberblechfibeln‘, vogelförmige Fibeln bzw. Adlerfibeln, Bügelfibeln, Armbrustfibeln der Typen Duratón und Estagel sowie große eiserne oder bronzene Gürtelschnallen mit rechteckigem Beschlag und Cloisonné- oder Cabochonverzierung. Alle Fundgruppen haben Parallelen außerhalb des westgotischen Bereiches und sind in anderen Gebieten mit ostgermanischem Einfluss nachgewiesen, insbesondere an der Donau, auf dem Balkan, in Italien, auf der Krim und im nördlichen Kaukasus. Angesichts dieser großen Verbreitung ähnlicher Funde scheint es für eine Zuschreibung der fraglichen nordgallischen Funde an die Westgoten notwendig, überzeugende Parallelen aus Spanien, Septimanien und Aquitanien anzuführen und gleichzeitig ihre Abwesenheit in anderen von Ostgermanen besiedelten Regionen, vor allem im Donaugebiet, aufzuzeigen. Die geringfügige chronologische Differenz zwischen den Objekten gleichen Typs aus dem Donaugebiet und Nordgallien spielt dabei keine wesentliche Rolle, da die hier zur Debatte stehende Epoche sich von der Mitte des 5. bis in das erste Drittel des 6. Jahrhunderts erstreckt und somit etwa 50 bis 80 Jahre oder zwei bis drei Generationen andauert. Die zwischen 500
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Patrick Périn, L’armée de Vidimer et la question des dépôts funéraires chez les wisigoths en Gaule et en Espagne (Ve–VIe siècles). In: Françoise Vallet/Michel Kazanski (Hrsg.), L’armée romaine et les Barbares du IIIe au VIIe siècle (Saint-Germain-en-Laye 1993) 411–423. Michel Kazanski, The Sedentary Elite in the „Empire“ of the Huns and its Impact on Material Civilisation in Southern Russia during the Early Middle Ages (5th–7th Centuries AD). In: John Chapman/Pavel Dolukhanov (Hrsg.), Cultural Transformations in Eastern Europe. (Aldershot 1993) 211–235; ders., Les Germains orientaux au Nord de la mer Noire pendant la seconde moitié du Ve s. et au VIe s. Materialy po Archeologii, Istorii i Etnografii Tavrii 5, 1996, 324–337, 567–581. Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4).
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Michel Kazanski, Anna Mastykova, Patrick Périn
und 530 bestatteten Personen wurden mehrheitlich in den Jahren zwischen 450 und 490 geboren. Gleichzeitig scheinen diese Leute Angehörige von isolierten Gruppen im fremden gallo-römischen und westgermanischen Milieu gewesen zu sein (obwohl ihre Gräber gut in die Gräberfelder der Bevölkerungsmehrheit integriert sind). Deswegen erscheint es möglich, dass ihre Beigaben gewisse archaische Züge bewahrt haben, die in ihren Herkunftsländern schon verschwunden waren. Vergleichbar ist dies mit verschiedenen modernen Gemeinschaften, etwa emigrierten Russen, die im russischen Bürgerkrieg auf der Seite der „weißen“ Truppen standen, Schwarzmeergriechen oder Wolgadeutschen, die weit entfernt von ihren Heimatländern altertümliche Traditionen dieser Regionen bewahrt haben. In diesem Licht können kulturelle Merkmale, die in der Donauregion schon um 480 verschwunden sind, in Gallien bis 500, sogar bis 530 überdauert haben, weil die Eltern ihrer Träger im zweiten Drittel des 5. Jahrhunderts direkt aus dem Donauraum kamen. Die künstliche Schädeldeformation ist in diesem Sinn sehr bezeichnend. In Gallien wie generell in Mittelund Osteuropa sind die Personen, die in ihrer Kindheit diesem Brauch alanisch-sarmatischen Ursprungs10 unterzogen wurden, nach Aussage ihrer Grabbeigaben in der nach-hunnischen Epoche gestorben. Es ist dennoch sicher, dass der Höhepunkt dieser Mode mit dem Geburtszeitpunkt dieser Menschen übereinstimmt, also der Blütezeit des hunnischen Reiches, in dem Gewohnheiten aus der Steppe eine prestigeträchtige Rolle bei den Barbaren innewohnte.11 Es scheint demnach sinnvoll, eine ähnliche Verschiebung im Bereich der Kleidungsmoden auch bei den barbarischen Gruppen aus dem Osten anzunehmen, die isoliert im westlichen Milieu lebten.
‚Blechfibeln‘ Die großen ‚Silberblechfibeln‘ mit halbrunder Kopfplatte und gestrecktrautenförmigem oder zungenförmigem Fuß (Abb. 2; 4) stellen das markanteste Element ostgermanischer Herkunft im Nordgallien der frühen Merowingerzeit dar.12 Ihre entfernten Vorläufer sind in den „fürstlichen“ 10
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Michel Kazanski, A propos de l’apparition de la coutume de la déformation crânienne artificielle chez les tribus germaniques de la Gaule. Bulletin de Liaison. Association Française d’Archéologie Mérovingienne 3, 1980, 85–88. Joachim Werner, Beiträge zur Archäologie des Attila-Reiches (München 1956); Bodo Anke, Studien zur reiternomadischen Kultur des 4. bis 5. Jahrhunderts (Weissbach 1998). Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) 167 f.; Kazanski/Périn, Les barbares (Anm. 2) 205–209; Alexander Koch, Bügelfibeln der Merowingerzeit im westlichen Frankenreich (Mainz 1998) 413–449.
Die Archäologie der Westgoten in Nordgallien
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Schmuckstücken aus hunnischer Zeit zu suchen (genauer in der Periode D2 bzw. zwischen 380/400–440/450 n. Chr.13), die in Gräbern und Schatzfunden wie jenen von Kacˇin in der westlichen Ukraine, Kercˇ oder Phanagoria am kimmerischen Bosporus sowie Sinjavka an der Mündung des Don vorkommen.14 Auf der Grundlage dieser Stücke entstanden im Donauraum während des zweiten Drittels des 5. Jahrhunderts (Horizont von Smolín bzw. Periode D2/D3, 430/440–470/480) die großen ostgermanischen Fibeln vom Typ Smolín (mit Appliken in Palmettenform) (z. B. Abb. 1,1–2), vom Typ Kosino (mit dreieckigen Appliken) oder Bakodpuszta (mit halbkreisförmigen Appliken).15 Charakteristische Kennzeichen dieser Fibeln sind der gestreckt-rautenförmige Fuß, der im mittleren bis unteren Teil verbreitert ist, und ihre Herstellung durch Treiben eines massiven, gegossenen Stückes Silber. Obwohl der Großteil derartiger Fibeln an der mittleren Donau entdeckt wurde, erstreckt sich das Fundgebiet einzelner Exemplare über ein riesiges Gebiet zwischen Spanien und dem nördlichen Kaukasus.16 Das einzige nordgallische Exemplar dieser Fibeln stammt aus Arcy-Sainte-Restitue (Abb. 2,2; 5,2; 8,1).17 Während sich auch hier die für den Horizont von Smolín charakteristische gestreckte Form des Fußes findet, unterscheidet sich die Herstellungstechnik dieses gallischen Exemplars von seinen donauländischen Verwandten: das im Vergleich dünnere Silberblech ist hier auf einen metallischen Träger aufgebracht und zeigt so eine Technik, die in Nordgallien bei den Fibeln des letzten Drittels des 5. Jahrhunderts vorherrschend sein wird. Neu ist diese Herstellungsweise allerdings nicht, sondern schon bei den prunkvollen polychromen Fibeln hunnischer Zeitstellung vom Typ Untersiebenbrunn zu beobachten. Im östlichen Gallien sind diese Fibeln in Straßburg (Abb. 2,3) und im Tal der Saône (Abb. 2,4)18 belegt. Ein Paar stammt zudem aus dem südgallischen Lezoux (Abb. 2,1)19, ein Exemplar aus Südwestspa13
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Vgl. zur „barbarischen“ Chronologie: Jaroslav Tejral, Neue Aspekte der frühvölkerwanderungszeitlichen Chronologie im Mitteldonauraum. In: Jaroslav Tejral/Herwig Friesinger/ Michel Kazanski (Hrsg.), Neue Beiträge zur Erforschung der Spätantike im mittleren Donauraum (Brno 1997) 321–392. Tejral, Mähren (Anm. 6) Abb. 1,8.9; 2,11. Tejral, Chronologie (Anm. 6) Abb. 31,13.14; 32,1.2.12.13; 33; 37 etc. Kazanski/Périn, Les barbares (Anm. 2) Abb. 8. Vallet, Parures (Anm. 1) Abb. 9,1; Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) Taf. 2,3. Kazanski/Périn, Les barbares (Anm. 2) Abb. 2,1–3. Hugues Vertet/Yves Duterne, Tombes mérovingiennes du cimetière Saint-Jean de Lezoux (Puy-de-Dôme). In: Bernadette Fizellier-Sauget (Hrsg.), L’Auvergne de Sidoine Apollinaire à Gregoire de Tours. Histoire et Archéologie (Clermont-Ferrand 1999) 337–349, hier Abb. 7; 8.
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nien20 und schließlich ein Fibelpaar aus Grab 79 von Duratón.21 Die Fibeln von Castiltierra und „aus Spanien“22 nehmen vielleicht eine vermittelnde Position zwischen den Fibeln des Smolín-Horizonts und denjenigen der nachfolgenden Epoche ein. Es ist anzunehmen, dass die ältesten ‚Blechfibeln‘ mit gestrecktem Fuß in Gallien (Saône, Straßburg, Lezoux, Arcy-Sainte-Restitue) entweder direkt aus dem Donauraum importiert wurden oder nach donauländischen Vorbildern in Gallien hergestellt wurden. Ihre chronologische Zuweisung an die Epoche nach 48023 ist nicht überzeugend, da sie wegen ihres fast gänzlichen Fehlens in den großen spanischen Nekropolen vom Typ Duratón einerseits (siehe oben) und ihrer relativen Häufigkeit an der Donau vor 480 andererseits nicht an die spanische Chronologie anzuhängen sind. Um 480 endet die Laufzeit von ‚Silberblechfibeln‘ an der Donau. Die chronologisch jüngste Entdeckung ist der polnische Schatzfund von Radostowo an der Weichselmündung, der Münzen der Jahre 475–477 und das Fragment einer Fibel vom Typ Kosino erbrachte.24 An der Donau wird nun die neue Mode der Bügelfibeln vorherrschend. In Nordgallien erscheinen dagegen, soweit man es anhand der archäologischen Chronologie der Merowingerzeit beurteilen kann, in großer Zahl späte Formen von ‚Silberblechfibeln‘ (Abb. 4,2.5–7; 5,1.3). Gleichzeitig sind diese Fibeln in Spanien gut vertreten, seltener in Ostgallien (Beire-le-Châtel) (Abb. 4,1) und im Rheinland (Rödingen, Köln-Müngersdorf).25 In Südgallien sind aus dieser Epoche nur seltene, recht kleine Nachahmungen bekannt.26 Auch im Schwarzmeergebiet, auf der Krim und an der Küste des nördlichen Kaukasus leben die Fibeln fort.27 Der Hauptunterschied dieser Fibeln zu den älteren Exemplaren besteht in der Form des Fußes, der nun zungenförmig ist und dessen größte Breite am Bügelansatz liegt. In Nordgallien besitzen die Fibeln häufig eine dünne Silberauflage auf einem Kern aus anderem Metall. 20
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Gerd G. Koenig, Archäologische Zeugnisse westgotischer Präsenz im 5. Jahrhundert. Madrider Mitteilungen 21, 1980, 220–247, hier Taf. 61. I Goti (Milano 1994) Abb. IV,18,d. Koenig, Archäologische Zeugnisse (Anm. 20) Taf. 64,a–b; 65,b. Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) 170. Joachim Werner, Studien zu Grabfunden des 5. Jahrhunderts aus der Slowakei und der Karpatenukraine. Slovenská Archeológia 7/2, 1959, 422–438, hier 427. Kazanski/Périn, Les barbares (Anm. 2) Abb. 9. Herpes, Pech, Séviac. – Vgl. Kazanski/Périn, Les barbares (Anm. 2) Abb. 2,11.12. Anatolij K. Ambroz, Fibuly juga evropejskoj cˇasti SSSR. Svod archeologicˇeskich istocˇnikov D1–30 (Moskau 1966) 87–91,73–75; Aleksej V. Dmitriev, Rannesrednevekovye fibuly iz mogil’nika na r. Djurso. In: Drevnosti epochi velikogo pereselenija narodov V–VIII vekov (Moskau 1982) 69–107.
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Das Hauptproblem ist nun die Frage, ob die nordgallischen Fibeln wirklich Importe aus dem westgotischen Spanien darstellen. Lässt man außer acht, dass die spanischen Fibeln häufig spitze, die gallischen Exemplare dagegen meist abgerundete Fußplattenenden besitzen, sind die Formen der gallischen und der spanischen Fibeln ähnlich. Es gilt daher, die dekorativen Details zu untersuchen, um die vermutete Verwandtschaft der gallischen und spanischen Fibeln zu bestätigen oder abzulehnen. Von diesen Merkmalen sind es vor allem zwei Details, die einen Teil der gallischen Fibeln von den spanischen unterscheiden: Erstens die seitlichen, tierkopfförmigen Knöpfe, die nur in Gallien bekannt sind und bei den Fibeln aus Grab 756 von Vicq (Abb. 3,1–2)28 oder denjenigen von Lezoux vorkommen (Abb. 2,1). Die seitlichen Rundeln der gallischen Fibeln von Envermeu (Abb. 4,6), Breny (Abb. 5,1), Marchélepot (Abb. 2,6), Chassemy (Abb. 4,2) oder von Nouvion-en-Ponthieu (Abb. 9,11–12)29 sind offensichtlich von den tierförmigen Köpfen abgeleitet. Derartige Ableitungen sind an spanischen Fibeln unseres Wissens nur einmal belegt, und zwar an dem Fibelpaar aus Grab 63 von Tinto Juan de la Cruz in der Region Madrid (Abb. 4,3).30 Vergleichbarer zoomorpher Dekor hat donauländische Vorläufer, zum Beispiel an den Fibeln von Szabadbattyán 1924,31 Bakodpuszta,32 Balsa,33 Ménföcsanak34 oder Marcianopolis.35
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Edmond Servat, Exemple d’exogamie dans la nécropole de Vicq (Yvelines). Bulletin de Liaison. Association Française d’Archéologie Mérovingienne 1, 1979, 40–44, hier 42 Abb.; I Goti (Milano 1994) Abb. IV,41; Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) Taf. 1,1.2. Kazanski/Périn, Les barbares (Anm. 2) Abb. 2,6. 2,10. 7,11–12; Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) Taf. 2,1; 2,5; 4,11; Claude Lorren, Fibules et plaques-boucles à l’époque mérovingienne en Normandie (Paris 2001) Taf. 1,5; Kazanski, Breny (Anm. 1) Taf. 117; Daniel Piton, La nécropole de Nouvion-en-Ponthieu (Berck-sur-Mer 1985) Taf. 132,12.13. Rafael Barroso Cabrera/Salvador Jaque Ovejero/Manuele Major González/Jorge Morín de Pablos/Eduardo Penedo Cobo/Pablo Oñate Baztán/José Sanguino Vázquez, Los yacimentos de Tinto Juan de la Cruz Pinto, Madrid (ss. I al VI d.C.). Estudios de Prehistoria y Arqueología Madrileñas 12, 2002, 117–174, hier Taf. 125. Attila Kiss, Germanische Funde von Szabadbattyán aus dem 5. Jahrhundert. Alba Regia 18, 1980, 105–132, hier Taf. 2,5. Attila Kiss, Die Skiren im Karpatenbecken, ihre Wohnsitze und ihre materielle Hinterlassenschaft. Acta Archaeologica Academiae Scientiarum Hungaricae 35, 1983, 95–131, hier Abb. 7,3. Constantin C. Giurescu, Das westgotische Grab von Chiojdu in Rumanien. Mannus 29, 1937, 556–566, hier Abb. 3. Germanen, Hunnen und Awaren. Schätze der Völkerwanderungszeit (Nürnberg 1987) IV, 2. Zuletzt: Anna Haralambieva, Marcianopolis als Anziehungspunkt für Ostgermanen (Goten) vom 3. bis zum 5. Jahrhundert. In: Herwig Friesinger/Alois Stuppner (Hrsg.), Zentrum und Peripherie. Gesellschaftliche Phänomene in der Frühgeschichte (Wien 2004) 143–148, hier Abb. 1,2.
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In ihrem Ursprung sind derartige Verzierungen hunnischer Zeitstellung wie etwa in Kercˇ auf der Krim, Grab 165/4.190436, und in Kruglica in Zentralrussland.37 Die Knöpfe der spanischen Fibeln sind dagegen annähernd kugelförmig (Abb. 6,2; 7,1),38 wobei sich dieses Element auch in Nordgallien findet, zum Beispiel in Straßburg (Abb. 2,3), bei einer der Fibeln aus Marchélepot (Abb. 4,6) und einer bisher unveröffentlichten Fibel aus Houdan (Musée de Dreux). In der Donauregion sind ebenfalls kugelförmige Knöpfe an ‚Silberblechfibeln‘ nachgewiesen, zum Beispiel in Szabadbattyán 1909,39 Kisko˝ rös,40 Levice,41 Tiszalök,42 Laa,43 Ilok44 und Székely.45 Zweitens unterscheiden sich die die Kopfplattenappliken einiger gallischer Fibeln in Form zweier sich gegenüberstehender Vogelköpfe von spanischen Fibeln. Derartige Appliken sind an den Fibeln der Gräber 37 oder 53 von Chassemy (Abb. 2,7), von Mouy,46 in Grab 359 von Saint-Martinde-Fontenay (Abb. 2,5), Marchélepot (Abb. 2,6) und von Breny belegt (Abb. 5,1).47 Im dritten Viertel des 5. Jahrhunderts kommen derartige Appliken auf der Fibel von Arcy-Sainte-Restitue vor (Abb. 2,2; 5,2).48 Im Rheinland sind vogelförmige Appliken an den Fibeln aus Rödingen belegt.49 In Gallien südlich der Loire schmücken vergleichbare zoomorphe Appliken das Fibelpaar aus Lezoux (Abb. 2,1) aus der vorangehenden Epoche der Stufe D2/D3.50 Die donauländischen Parallelen aus dem zweiten
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Irina P. Zaseckaja, Materialy Bosporskogo nekropolja vtoroj poloviny IV–pervoj poloviny V vv. n. e· . Materialy po Archeologii, Istorii i Etnografii Tavrii 3, 1993, 23–104, hier Taf. 53,284. Irina P. Zaseckaja, Klassifikacija polychromnych izdelij gunnskoj epochi po stilisticˇeskim dannym. In: Drevnosti epochi velikogo pereselenija narodov V–VIII vekov (Moskau 1982) 14–30, hier Abb. 7. Vgl. z. B. I Goti (Milano 1994) Abb. IV,20. IV,21; Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) Taf. 5,2; 6,1; 12,3; 14,2; 16,4. Kiss, Germanische Funde (Anm. 31) Taf. 1. Kiss, Skiren (Anm. 32) Abb. 10,1. Tejral, Chronologie (Anm. 6) Abb. 46,1.2. Tejral, Chronologie (Anm. 6) Abb. 38,3. Tejral, Chronologie (Anm. 6) Abb. 31,13.14. Germanen (Anm. 34) V,10. Germanen (Anm. 34) V,6a. Unpubliziert, vorgestellt in der Ausstellung „La Picardie, berceau de la France“. Kazanski/Périn, Les barbares (Anm. 2) Abb. 2,8.9; 2,7.8; 6,1.2; Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) Taf. 1,1.2; 2,1.4; für Breny vgl. das Foto: Kazanski, Breny (Anm. 1) Taf. 117. Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) Taf. 2.3; Kazanski/Périn, Les barbares (Anm. 2) Abb. 4,1. Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) Taf. 16.2; Kazanski/Périn, Les barbares (Anm. 2) Abb. 4,1. Kazanski/Périn, Les barbares (Anm. 2) Abb. 3,4.5.
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Drittel des 5. Jahrhunderts – Tiszalök,51 Kosino,52 Balsa53 oder Kolut54 – weisen deutlich auf den Ursprung dieser Appliken. Dabei ist es wichtig zu unterstreichen, dass vergleichbare Appliken im westgotischen Spanien unseres Wissens vollkommen fehlen. Im Gegensatz dazu sind bei den spanischen Fibeln späte Derivate dieser Appliken zu beobachten, jedoch ohne vogelförmige Köpfe (Abb. 4,3.4.8; 7,1.2; 6,1.2).55 Späte Derivate sind auch aus Gallien bekannt, namentlich aus Chassemy (Abb. 4,2.7) und Houdan,56 bei denen man die Vogelköpfe noch erahnen kann, die sich aber deutlich von den spanischen Exemplaren unterscheiden. Da die nordgallischen Fibeln mit vogelkopfförmigen Appliken typologisch demnach früher einzuordnen sind als diejenigen in Spanien, kann ein spanisch-westgotischer Ursprung der angesprochenen gallischen Fibeln wohl ausgeschlossen werden. Der Unterschied zwischen den Verzierungen der gallischen und der spanischen Fibeln weist unseres Erachtens dagegen eher auf gleichartige donauländische Wurzeln, aber offensichtlich auch auf die Entstehung in unterschiedlichen Werkstätten. An den gallischen Fibeln sind zudem archaische Züge zu beobachten, etwa der tier- und vogelförmige Dekor, der bei spanischen Fibeln nur als spätes Derivat existiert. Dieser Unterschied wurde auch von Volker Bierbrauer zur Kenntnis genommen, der daraus jedoch die gegensätzliche Schlussfolgerung gezogen hat, an der Zusammengehörigkeit der Fibeln aus dem fränkischen Reich und aus Spanien zu einer einheitlichen Gruppe könne kein Zweifel bestehen.57 Obwohl die gallischen Fibeln typologisch älter einzuordnen sind als 51
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Ilona Kovrig, A tiszalöki és mádi lelet. Archaeologiai Értesito˝ 78/2, 1951, 112–120, hier Taf. 44. Tejral, Chronologie (Anm. 6) Abb. 38,1.3. Giurescu, Chiojdu (Anm. 33) Abb. 3. Tejral, Chronologie (Anm. 6) Abb. 33,2. Duratón Gräber 166, 190, 516, 525, 553, Aldeanueva de San Bartolome, Termes, El Carpio de Tajo Grab 96, Tinto Juan de la Cruz Grab 63, Villel de Mesa: Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) Taf. 5,1.2; 6,1–4; Antonio Molinero Pérez, La necropólis visigoda de Duratón (Segovia). Excavaciones del Plan Nacional de 1942 y 1943. Acta Arqueológia Hispánica 4 (Madrid 1948) Taf. 15.sep. 190; Taf. 31.sep 166; Antonio Molinero Pérez, Aportaciones de las excavaciones y hallazgos casuales (1941–1959) al Museo Arqueológico de Segovia. Excavaciones Arqueológicas en Espana 72 (Madrid 1971) Taf. 46.sep. 516, sep. 525, Taf. 50.sep.553; Taf. 65.sep. 12; I Goti (Milano 1994) Abb. IV,3; Hans Zeiß, Die Grabfunde aus dem spanische Westgotenreich (Berlin 1934) Taf. 1,5.8; Gisela Ripoll Lopez, La necrópolis visigoda de El Carpio de Tajo (Toledo). Excavaciones Arqueológicas en Espana 142 (Madrid 1985) Abb. 16.sep. 96.4; Barroso u. a., Los yacimentos (Anm. 30) Taf. 125; Ma. V. Martin Rocha/Ana María Elorrieta Lacy, El cementerio visigoda de Villel de Mesa. Cuadernas de Historia Primitiva 2, 1947, 54–56, hier Abb. 1. Kazanski/Périn, Les barbares (Anm. 2) Abb. 2,7. Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) 168: „On ne peut pourtant mettre en doute l’appartenance à un même ensemble des fibules du royaume franc et d’Espagne“.
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die spanischen, postulierte Bierbrauer einen spanischen Ursprung der gallischen Exemplare. Die Datierung der Fibeln mit zungenförmigem Fuß ist nach den Gräbern von Maule 274, Nouvion 140 oder Breny 167 zwischen 470/480 und 520/530 anzusetzen. Diese Gräber enthalten Objekte wie Vogelfibeln oder S-Fibeln, die für die erste Phase der älteren Merowingerzeit (AM I) kennzeichnend sind. Die Vogelfibeln von Maule haben Parallelen in Grab 304 der burgundischen Nekropole von Beaune,58 das anhand einer für die protomerowingische und ältermerowingische Stufe 1 charakteristischen Gürtelschnalle vom Typ 109 nach Legoux, Périn und Vallet datiert wird.59 In Grab 140 von Nouvion fand sich ein S-Fibel-Paar (Abb. 9,3.15) des merowingischen Typs 225,60 ebenfalls typisch für die protomerowingische Epoche und die ältermerowingische Stufe 1. Schließlich enthielt Grab 167 von Breny einen aus der gleichen Epoche stammenden Glasbecher des merowingischen Typs 443.61 Die Fibeln mit zungenförmigem Fuß können nicht von der Donau importiert worden sein, da diese Mode in Zentraleuropa um 470–480 verschwindet (s. o.). Sie können aber auch nicht aus Spanien stammen, weil sie typologisch mitunter früher anzusetzen sind als die spanischwestgotischen Exemplare. Daher ist von einer lokalen, aus älteren donauländischen Traditionen abgeleiteten Herstellung auszugehen, die für eine bestimmte, ostgermanisch dominierte Klientel bestimmt war, bei der er sich entweder um Abkömmlinge von Soldatenfamilien in römischen Diensten handelt62 oder in Nordgallien angesiedelte spanische oder aquitanische Westgoten. Aus Nordgallien sind weitere Belege für eine derartige Produktion bekannt; vor allem die Fibeln des Typs Bretzenheim (Abb. 10,2) und ihre Derivate, die zwar fast ausschließlich in Nordgallien und im Rheinland
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Kazanski/Périn, Les barbares (Anm. 2) Abb. 5,2; vgl. Henri Gaillard de Sémainville/Christian Sapin in Zusammenarbeit mit Didier Maranski, Les découvertes de Beaune (Côted’Or). Des Burgondes en Bourgogne? In: Les Burgondes, apports d’archéologie (Dijon 1995) 143–165, hier Abb. 10,304. René Legoux/Patrick Périn/Françoise Vallet, Chronologie normalisée du mobilier funéraire mérovingien entre Manche et Lorraine (Saint-Germain-en-Laye 2004) Nr. 109. Piton, Nouvion (Anm. 29) Taf. 134,34.35; Kazanski/Périn, Les barbares (Anm. 2) Abb. 7,3.15; vgl. Legoux/Périn/Vallet, Chronologie (Anm. 59) Nr. 225. Kazanski, Breny (Anm. 1) Taf. 2.167.7; Legoux/Périn/Vallet, Chronologie (Anm. 59) Nr. 443. Der nach einem östlichen Brauch verformte Schädel der Verstorbenen von Grab 359 von Saint-Martin-de-Fontenay wäre hierfür ein Beleg: Pilet, Saint-Martin-de-Fontenay (Anm. 1) 101 f.
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vorkommen,63 deren Form aber charakteristisch ostgermanisch ist.64 Es wurde schon darauf hingewiesen, dass eine derartige Interpretation auch für bestimmte Schnallenbeschläge vorzuschlagen ist. Daher halten wir diese Fibeln und die anderen angesprochenen Objekte nicht für Belege für einen direkten Kontakt zwischen dem Donauraum und Gallien, sondern vielmehr für Zeugnisse des Überlebens donauländischer Traditionen der vorangehenden Epoche, die entweder von der barbarisierten römischen Armee oder von aquitanischen Westgoten nach Gallien vermittelt wurden. Tatsächlich bestätigen die schon angesprochenen Fibeln von Lezoux die Existenz derartiger Fibeln südlich der Loire.
Bügelfibeln Eine kleine Serie von als westgotisch bezeichneten Bügelfibeln ist jüngst von Alexander Koch bearbeitet worden.65 Es handelt sich im Wesentlichen um Fibeln der Typen Koch III.3.6.3.2 und III.3.6.3.3 (Abb. 11,1–3),66 die in Arcy-Sainte-Restitue, Grab 1727,67 Creil68 und Envermeu69 belegt sind. Diese Fibeln haben Parallelen in Septimanien70 und in Aquitanien.71 Sie
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Mainz-Bretzenheim, Kärlich, Bassenheim, Marchélepot, Flamincourt, Champs-de-Château-aux-Salines, Saint-Martin-de-Fontenay Grab 300, Lavoye Grab 182, Arcy-Sainte-Restitue Grab 2278; einzige Ausnahme südlich der Loire ist ein Fund aus Herpes: Kazanski/ Périn, Les barbares (Anm. 2) Abb. 11; 12. Vallet, Parures (Anm. 1) 118. Koch, Bügelfibeln (Anm.12) 552–554. Koch, Bügelfibeln (Anm.12) 235–239. Koch, Bügelfibeln (Anm.12) Taf. 35,4. Koch, Bügelfibeln (Anm.12) 618. Laurence Flavigny, L’abbé Cochet et l’archéologie mérovingienne. In: La Normandie souterraine. II. L’abbé Cochet archéologue (Rouen 1975) 135–190, hier Nr. 632; Lorren, Fibules (Anm. 29) Taf. 2,3. Estagel: Raymond Lantier, Le cimetière wisigothique d’Estagel (Fouilles de 1935 et 1936). Gallia 1/1, 1943, 153–188, hier Abb. 3,T,8; Christian Landes/Eric Dally/Véronique Kramérovskis (Hrsg.), Gaule mérovingienne et monde méditerranéen. Les derniers Romains en Septimanie IVe–VIIIe siècles. Actes des IXe journées d’Archéologie Mérovingienne (Lattes 1988) Abb. IV,42. Larroque-Castayrols: René Cubaynes/Françoise Lasserre, Le cimetière wisigothiqe de Larroque-Cestayrols (Tarn). Ogam 18, 1966, 305–310, hier Taf. 98; Monteils: Jacques Lapart/ Julien Neveu, Objets mérovingiens de Monteils près de Caussade (Tarn-et-Garonne). In: Montauban et les anciens pays de Tarn-et-Garonne (1986) Taf. 1; Saint-Affrique: Emile Carthaillac, Le cimetière barbare de Saint-Affrique (Aveyron). Bulletin de la Société Archéologique du Midi de la France 29/IV, 1902, 35–37, hier Taf. 31.2; Toulouse: Casimir Barrière-Flavy, Etude sur les sépultures barbares du Midi et de l’Ouest de la France. Industrie wisigothique (Toulouse 1892) Taf. 3,2.
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sind zudem nicht selten in Spanien.72 Die Datierung dieser Fibeln ist im merowingischen Kontext nicht einfach. Falls die Angaben zum Fund von Envermeu stimmen,73 kam die Fibel aus dem Grab von 1850 mit einem Armring des merowingischen Typs 337 ans Licht, einer Pinzette Typ 320, einer Nadel vom Typ 314, Nieten vom Typ 195 und einer Gürtelschnalle Typ 110,74 die gemeinsam in der Phase AM I der älteren Merowingerzeit vorkommen. Eine andere Bügelfibel aus westgotischem Umfeld kam in Joches ans Licht (Abb. 11,4).75 Sie gehört dem Typ Koch III.3.6.3.4 an;76 ihre nächste Parallele hat sie in einer Fibel aus dem Grab von Routier in Septimanien.77
Adlerfibeln Mit nur zwei Funden aus Lothringen sind Adlerfibeln ebenfalls nicht zahlreich (Abb. 11,6.7). Anzuführen sind die Fibel aus Grab 859 von Cutry78 und ein Einzelfund aus Ville-sur-Cousance (Meuse)79. Unter den spanischwestgotischen Funden sind derartige Fibeln gut vertreten (Abb. 11,5.8),80 fehlen jedoch in Septimanien. In Aquitanien sind sie mit dem Grab von Castelsagrat (Abb. 12)81 dagegen bekannt. Andererseits sind Adlerfibeln in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts bzw. im ersten Drittel des 6. Jahrhunderts auch unter den ostgermanischen Funden in Italien belegt.82 Ihre große Anzahl in Spanien und ihr Vorkommen in Aquitanien sprechen jedoch eher für einen westgotischen Ursprung der Funde aus Nordgallien. 72 73 74 75 76 77
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Z. B. I Goti (Milano 1994) Abb. IV,27. Flavigny, L’abbé Cochet (Anm. 69) 153–154. Typen immer nach Legoux/Périn/Vallet, Chronologie (Anm. 59). Koch, Bügelfibeln (Anm. 12) Taf. 36,1. Koch, Bügelfibeln (Anm. 12) 239–241. Pierre Toulze/Roger Toulze, Recherches archéologiques à Routier (Aude). Bulletin de la Société d’Études Scientifiques de l’Aude 36, 1983, 51–64, hier Abb. 2,1; Koch, Bügelfibeln (Anm. 12) 240. Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) Taf. 9,1; René Legoux, La nécropole mérovingienne de Cutry (Meurte-et-Moselle) (Saint-Germain-en-Laye 2005) Taf. 23,859. Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) Taf. 9,5.6; Joachim Werner, Katalog der Sammlung Diergardt 1. Die Fibeln (Berlin 1961) Taf. 50,D. Z. B. Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) Taf. 9,3.4.7; Zeiß, Grabfunde (Anm. 55) zahlreiche Beispiele; Werner, Sammlung Diergardt (Anm. 79) Taf. 40; I Goti (Milano 1994) Abb. IV,29. I Goti (Milano 1994) Abb. IV,45. Domagnano, Milano, Rom: Volker Bierbrauer, Die ostgotischen Grab- und Schatzfunde in Italien (Spoleto 1975) Taf. 18,1; 19,2; 26,1; 36,2.3.
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Der für die spanischen Fibeln vorgeschlagene Datierungszeitraum umfasst die Jahre von 480/490 bis 525.83 Der Zeitpunkt ihres Auftretens in Spanien ist hierbei jedoch künstlich festgelegt und korrespondiert mit der Ansiedlung der Goten auf der Iberischen Halbinsel. Berücksichtigt man zusätzlich den aquitanischen Fund von Castelsagrat einerseits, der wohl vor der Niederlassung der Goten in Spanien anzusetzen ist, und andererseits die Existenz einer ostgermanischen Kleidung mit zwei Fibeln schon in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts,84 dann ist es folgerichtig anzunehmen, dass die westgotischen Adlerfibeln möglicherweise älter sind und die ganze zweite Hälfte des 5. Jahrhunderts und das erste Drittel des 6. Jahrhunderts umfassen können.
Armbrustfibeln Armbrustfibeln mit langem Fuß und kurzem Nadelhalter sind in Nordgallien in mehreren Exemplaren belegt (Abb. 10,1; 13,1.2.4.5.11.12): St.-Pierrede-Vauvray, Frénouville Grab 529, Mondeville, Armentières, Grand-Verly, Nouvion-en-Ponthieu, Grab 303,85 Vicq, Grab 1923,86 Maule, Grab 13,87 Grigny, Grab 19.88 Von Mechthild Schulze-Dörrlamm werden die Fibeln den westgotischen Typen Duratón und Estagel zugeschrieben.89 Die beiden Typen unterscheiden sich durch einen Knopf am Fußende der Fibeln vom Typ Estagel.
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Gisela Ripoll Lopez, Problèmes de chronologie et de typologie à propos du mobilier funéraire hispano-wisigothique. In: Landes u. a., Gaule mérovingienne (Anm. 70) 101–107. Vgl. z. B. der Schatzfund von Domagnano; zu dessen Datierung vgl.: Michel Kazanski/ Anna Mastykova/Patrick Périn, Byzance et les royaumes barbares d’Occident au début de l’époque mérovingienne. In: Jaroslav Tejral (Hrsg.), Probleme der frühen Merowingerzeit im Mitteldonauraum (Brno 2002) 159–194, hier 160. Mechthild Schulze-Dörrlamm, Romanisch oder Germanisch? Untersuchungen zu den Armbrust- und Bügelknopffibeln des 5. und 6. Jahrhunderts n. Chr. aus dem Gebieten westlich der Rheins und südlich der Donau. Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz 33, 1986, 593–720, Fundlisten 16–17; Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) Taf. 7,1.2; 8,1–5; Lorren, Fibules (Anm. 29) Taf. 1,2.3; Christian Pilet, La nécropole de Frénouville. BAR International Series 83 (Oxford 1980) Bd. 3 Taf. 141,529.1; Piton, Nouvion (Anm. 29) Taf. 131,4.5. Wimmers, Etude (Anm. 1) Abb. 23,3. Jacques Sirat, La nécropole de Maule (France, Yvelines). Essai de chronologie. In: Michel Fleury/Patrick Périn (Hrsg.), Problèmes de chronologie relative et absolue concernant les cimetières mérovingiens entre Loire et Rhin (Paris 1978) 105–107, hier Taf. 16,1. Nadine Berthelier, La nécropole mérovingienne de Grigny (Essonne). Bulletin Archéologique du Vexin Français 27, 1994, 75–80, hier 80. Schulze-Dörrlamm, Romanisch (Anm. 85) 643–650.
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Tatsächlich kann nur für den Typ Estagel mit Fußknopf (Abb. 10,1; 13,1.2.4.5) eine Herkunft aus dem westgotischen Raum postuliert werden. Dabei handelt es sich um Fibeln mit Wulstverzierung90 und ohne derartige Verzierung,91 die Parallelen in Spanien und im südlichen Gallien haben (Abb. 13,7–9).92 In Aquitanien und im Languedoc finden sich sogar ihre direkten Vorläufer.93 Die von Schulze-Dörrlamm vorgeschlagene Datierung der Fibeln vom Typ Estagel umfasst den Zeitraum zwischen dem letzten Viertel des 5. und dem ersten Viertel des 6. Jahrhunderts. In Bezug auf Nordgallien enthielt Grab 19 von Grigny zwei Vogelfibeln des merowingischen Typs 239 (Abb. 10,1), der typisch für die ältere Merowingerzeit ist und so allgemein die Datierung von Schulze-Dörrlamm bestätigt. Gewisse Zweifel an dem westgotischen Ursprung dieser Fibeln sind dennoch nicht vollkommen zu zerstreuen, da ähnliche Fibeln mit Fußknöpfen auch in Zentraleuropa nachgewiesen sind, wo sie von SchulzeDörrlamm dem Typ Miltenberg zugeordnet werden.94 Dies gilt besonders für eine der Fibeln aus Weingarten.95 Zudem steht eine Fibel aus Armentières mit Wulstverzierung am Fuß96 zentraleuropäischen Fibeln vom Typ Schönwarling nahe97 und muss daher nicht zu den westgotischen Fibeln gezählt werden. Dagegen ist es schwierig, für die Fibeln vom Typ Duratón (Abb. 13,11.12) mit oder ohne Wulstverzierung (mit: Saint-Pierre-de-Vauvray, Vicq, Grab1924; ohne: eine der Fibeln aus Grab 303 von Nouvion) „westgotische“ Parallelen aus Nordgallien anzuführen. Die von Schulze-Dörrlamm angeführten spanischen Fibeln,98 darunter auch die Stücke aus Duratón, weisen eine andersartige Form auf (Abb. 13,3.6.10.13). Ihr Fuß zeigt keine spitze, sondern häufig langrechteckige Form, Ritzdekor und zuweilen ver-
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Frenouville Grab 529, Mondeville, Grigny Grab 19, Maule Grab 13. Grand Vely und eine der Fibeln von Nouvion 303. Vgl. z. B. Schulze-Dörrlamm, Romanisch (Anm. 85) Abb. 66,1.2.4.6.9.11–13; Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) Taf. 8,6–8. Michel Kazanski, A propos de quelques types de fibules germaniques de l’époque des Grandes Migrations trouvées en Gaule au Sud de la Loire. Antiquités Nationales 26, 1994, 161–175, hier 163–165; ders., Les Barbares en Gaule du Sud-Ouest durant la première moitié du Ve siècle. In: Jaroslav Tejral/Christian Pilet/Michel Kazanski (Hrsg.), L’Occident romain et l’Europe centrale au début de l’époque des Grandes Migrations (Brno 1999) 15–23, hier 17. Schulze-Dörrlamm, Romanisch (Anm. 85) 609–612. Schulze-Dörrlamm, Romanisch (Anm. 85) Abb. 17,5.6. Schulze-Dörrlamm, Romanisch (Anm. 85) Abb. 66,14. Vgl. Schulze-Dörrlamm, Romanisch (Anm. 85) Abb. 72,1.2. Schulze-Dörrlamm, Romanisch (Anm. 85) Abb. 61,6–8.10.12.13.15–18; Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) Taf. 7,3–7.
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breiterte Enden. Die Fibel aus Güstow99 gehört nach ihrer Verzierung eher dem Typ Schönwarling an. Es entsteht daher der Eindruck einer recht willkürlichen Zusammenstellung von Fibeln unterschiedlicher Form im Typ Duratón. Da einige zentraleuropäische Fibeln, die von Schulze-Dörrlamm den Typen Miltenberg und Schönwarling zugewiesen wurden, wiederum den sogenannten Fibeln vom Typ Duratón aus Nordgallien ähneln,100 waren es wohl die geographischen Verbreitungsmuster, die Schulze-Dörrlamm veranlasst haben, Armbrustfibeln mit langem Fuß und kurzem Nadelhalter unterschiedlichen Typen zuzuweisen.
Große Rechteckbeschläge Max Martins Zuweisung der Gürtel mit großen Rechteckbeschlägen an die römische Frauenkleidung101 erscheint uns unwahrscheinlich, da die Verbreitung dieser Schnallen und Beschläge mit Ausnahme des nördlichen Gallien mit den Hauptgebieten der ostgermanischen Ansiedlung der zweiten Hälfte des 5. und des 6. Jahrhunderts übereinstimmt: Spanien, Norditalien, Südgallien, dem mittleren Donauraum, dem westlichen Balkan und der Krim. In Süditalien, Nordafrika, Griechenland und Kleinasien fehlen diese Beschläge dagegen, genau wie in den römischen Provinzen des Vorderen Orients und in Ägypten,102 wo die griechische, römische oder romanisierte Bevölkerung vorherrschend war und Ostgermanen eine Minderheit darstellten. Da manche der Schnallenbeschläge jedoch Verzierungen aufweisen, die für mediterrane Werkstätten charakteristisch sind,103 ist die Herstellung zumindest eines Teils dieser großen Beschläge in der Tradition römischer Goldschmiedekunst nicht abzustreiten. In Nordgallien, wo die Anzahl derartiger Beschläge zunehmend größer wird,104 waren Ostgermanen offenbar nicht zahlreich. Dennoch gibt es Hinweise auf ihren Einfluss auf die lokale materielle Kultur: die schon erwähnten Fibeln vom Typ Bretzenheim, die eine charakteristisch ostgermanische Form aufweisen, sind nur in Nordgallien nachgewiesen und reprä99 100
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Schulze-Dörrlamm, Romanisch (Anm. 85) Abb. 61,14. Fibeln aus Weingarten, Alzey und Seefeld: Schulze-Dörrlamm, Romanisch (Anm. 85) Abb. 17,5.6.8; 72,3. Max Martin, Zur frühmittelalterlichen Gürteltracht der Frau in der Burgundia, Francia und Aquitania. In: L’Art des invasions en Hongrie et en Wallonie (Mariemont 1991) 31–84. Ausnahme: Martin, Gürteltracht (Anm. 101) Abb. 4. Z. B. Desana, Plaissan: Martin, Gürteltracht (Anm. 101) Abb. 31; 33,1. Zuletzt: Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4).
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sentieren daher eine lokale, aber von ostgermanischen Moden beeinflusste Bevölkerung (siehe oben). An großen Rechteckbeschlägen sind in Nordgallien verschiedene Typen zu unterscheiden, von denen wir uns zuerst den Formen zuwenden, die direkte Parallelen in Spanien oder in Gallien südlich der Loire aufweisen. Zu diesen zählen vor allem die cloisonnéverzierten Beschläge des Typs Ripoll A (Abb. 3,5),105 der in Grab 756 von Vicq und in Saint-Denis belegt ist (Abb. 14,6),106 diejenigen des Typs Ripoll Q aus Saint-Martin-de-Fontenay, Grab 741 (Abb. 14,7),107 Baron, Grab 69,108 Flamicourt (Abb. 14,1),109 Verwandte des Typs Ripoll O aus Rouen, sowie diejenigen des Typs Ripoll N aus Versigny110 (Abb. 14,4) und Houdan111 (Abb. 14,5). Zu erwähnen sind auch die Beschläge, die nur schwer in die spanische Typologie einzuordnen sind, wie etwa jene von Grigny, Grab 19 (Abb. 10,1) und Cutry, Grab 859,112 die aber dennoch Parallelen in Spanien aufweisen.113 Gleichzeitig kommen Beschläge mit Cloisonnédekor im burgundischen Gebiet in Ostgallien vor. So wurde ein Beschlag des Typs Ripoll B in Grab 324 von Beaune entdeckt114 (Abb. 14,10) und einer des Typs Ripoll P in Vaux-Donjon.115 Nach Aussage von Grigny, Grab 19, Cutry, Grab 859, Saint-Martin-de-Fontenay, Grab 741, Vicq, Grab 756 tre-
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Vgl. zur Typologie: Ripoll Lopez, Problèmes (Anm. 83) Abb. 2; Gisela Ripoll Lopez, Materiales funararios de la Hispana visigoda. Problemas de chronología y tipología. In: Patrick Périn (Hrsg.), Gallo-Romains, Wisogoths et Francs en Aqitaine, Septimanie et Espagne (Rouen 1991) 111–132, hier Taf. 2. Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) Taf. 1,3; 12,1; I Goti (Milano 1994) Abb. IV,41. Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) Taf. 14,1; Pilet, Saint-Martin-de-Fontenay (Anm. 1) Taf. 93,3. Unpubliziert. Théophile Eck, Exploration d’anciens lieux de sépultures de la Somme et de l’Aisne. Bulletin Archéologique du Comité des Travaux Historiques et Scientifiques 1895, 387–398, hier Taf. 16. Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) Taf. 13.2; La Picardie, berceau de la France (Amiens 1986) Nr. 186, Abb. 225. Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) Taf. 13,1; Hans Zeiß, Die germanischen Grabfunde des frühen Mittelalters zwischen mittlerer Seine und Loiremündung. Bericht der RömischGermanischen Kommission 31/1, 1941, 5–173, hier Abb. 30. Berthelier, Grigny (Anm. 88) 80; Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) Taf. 9,2; Legoux, Cutry (Anm. 78) Taf. 23,859. Vgl. Duratón Gräber 106, 368, 573, Madrona Gräber 32, 164, 174: Molinero Pérez, Duratón (Anm. 55) Taf. 27.sep.106; Molinero Pérez, Aportaciones (Anm. 55) Taf. 32.sep. 368; 51.sep. 573; 67.sep. 32; 76. sep. 164; 77.sep. 174. Gaillard de Sémainville u. a., Beaune (Anm. 58) Abb. 11,324. Françoise Vallet/Michel Kazanski/Dominique de Pirey, Eléments étrangers en Bourgogne dans la deuxième moitié du Ve siècle. In: Les Burgondes, apports de l’archéologie (Dijon 1995), 111–127, hier Abb. 5,3.
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ten diese Beschläge in Nordgallien in der ersten Phase der älteren Merowingerzeit auf (470/480–520/530). Es ist jedoch riskant, diese Beschläge allein den spanischen Westgoten zuzuweisen und sie chronologisch in der Folge dieser Zuweisung erst der Zeit nach 480/90 zuzuordnen, die für die Iberische Halbinsel vorgeschlagen wurde. Tatsächlich sind sehr ähnliche Beschläge südlich der Loire nachgewiesen, so etwa in Ardan/Niort,116 Nérac,117 Brens,118 Estagel,119 Leuc,120 Marseillan,121 Bessan,122 Guzargues,123 Lunel-Viel,124 Nîmes,125 Plaissan126 (Abb. 14,8) oder Pouget/Tressan127 (Abb. 14,3). Dies erlaubt einerseits, die für die nordgallischen Funde vorgeschlagene Chronologie beizubehalten und andererseits, ihre Herkunft aus Südgallien in Betracht zu ziehen. Besonders durch Grab 84 von Lunel-Viel, in dem ein derartiger Beschlag gemeinsam mit einer sogenannten „thüringischen“ Fibel der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts (Typ 256 nach Legoux/Périn/Vallet) gefunden wurde,128 werden die für Nordgallien vorgeschlagenen, etwas älteren Datierungen bestätigt. Die gleiche Beobachtung drängt sich in Bezug auf die Beschläge mit geometrisch verziertem Pressblechbelag der Typen Ripoll G aus Concevreux und Mouy129 (Abb. 17,6) und Ripoll H aus Grab 529 von Frénouville auf 130 (Abb. 17,5). Diese Beschläge haben Parallelen in Spanien,131 aber 116
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Zeiss, Grabfunde (Anm. 111) Abb. 1; Romains et Barbares entre Loire et Gironde IVe–Xe siècles (Poitiers 1989) Nr. 232. Charles de Linas, Les origines d’orfèvrerie cloisonnée, Bd. 3 (Paris 1877–1887) Taf. B2. Michel Labrousse, Circonscription de Midi-Pyrénées. Gallia 32, 1974, 453–500, hier 489, Abb. 31. Gaule mérovingienne 1988, Nr. 17; I Goti (Milano 1994) Abb. IV,42. Barrière-Flavy, Etude (Anm. 71) Taf. 6,4. Landes u. a., Gaule mérovingienne (Anm. 70) Nr. 75. Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) Taf. 13,4. Zeiss, Grabfunde (Anm. 55) Taf. 32,4. Premiers temps chrétiens en Gaule méridionale. Antiquité tardive et Haut Moyen Age IIIe–VIIIe siècles (Lyon 1986) Nr. 237; Landes u. a., Gaule mérovingienne (Anm. 70) Nr. 77. Jean-Pierre Caillet, L’antiquité tardive, le haut moyen âge et Byzance au Musée Cluny (Paris 1985) Nr. 122. Edward James, The Merovingian Archaeology of South-West Gaul. British Archaeological Reports, Supplementary Series 25 (Oxford 1977) Taf. 66; Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) Taf. 12,2. Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) Taf. 13,3. Claude Raynaud, Activités du Groupe Archéologique des cantons de Lunel et Mauguio en 1985. Archéologie en Languedoc. Bulletin Trimestriel de la Fédération Archéologique de l’Hérault 1986/1, 5–11, hier Abb. 5,4.5. Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) Taf. 15,1.4; La Picardie (Anm. 110) Nr. 98, Abb. 126 und Nr. 184, Abb. 223; Martin, Gürteltracht (Anm. 101) Abb. 35,2. Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) Taf. 8,5; Pilet, Frénouville (Anm. 85) Bd. 3 Taf. 141,529.2. Vgl. z. B. Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) Taf. 5,2; 6,2; 15,2.3; 16,4.
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auch im südlichen Gallien – in Estagel,132 Lunel-Viel,133 Giroussens,134 Fiac,135 Toulouse136 oder Herpes137. Die für die vorhergehenden Beschlagtypen erarbeiten Schlussfolgerungen gelten daher auch für diese Beschläge mit Kerbschnittdekor. Als schwierig erweist es sich, die Beschläge der Typen Ripoll D, E und F, die Glascabochons auf einer ansonsten unverzierten Platte aufweisen (Abb. 15), allein den Westgoten zuzuweisen. Nordgallische Exemplare dieser Beschläge stammen aus Ville-en-Tardenoise,138 Arcy-Sainte-Restitue,139 Saint-Martin-de-Fontenay, Gräber 359140 (Abb. 8,5), 385,141 712 (Abb. 15,3),142 Muids (Abb. 15,7),143 La-Villeneuve-au-Châtelot, Grab 4 (Abb. 15,9),144 Envermeu (Abb. 15,10),145 Marchélepot (Abb. 15,6),146 Lavoye, Grab 221,147 Caranda, Grab 1073,148 Choisy,149 Armentières (Abb. 15,1)150 und Gaillon-
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Raymond Lantier, Le cimetière wisigothique d’Estagel (Pyrénées-Orientales). Fouilles en 1946, 1947 et 1948. Gallia 7/1, 1949, 55–80, hier Abb. 13. Premiers temps chrétiens (Anm. 124) Nr. 238; Landes u. a., Gaule mérovingienne (Anm. 70) Nr. 78. Jean-Michel Lassure, La nécropole wisigothique des Martels à Giroussens (Tarn). In: Patrick Périn (Hrsg.), Gallo-Romains, Wisogoths et Francs en Aqitaine, Septimanie et Espagne (Rouen 1991) 205–223, hier Abb. 12,3. Lassure, Martels (Anm. 134) Abb. 21,1. Lassure, Martels (Anm. 134) Abb. 21,2. Cathy Haith, Un nouveau regard sur le cimetière d’Herpes (Charente). Revue Archéologique de Picardie 1988/3–4, 71–80, hier Taf. 5 Charles Poulain, Le mobilier mérovingien dans la collection de Maurice Jorssen. Les sites de Ville-en-Tardenois et de Sept-Saulx (Marne). Bulletin de Liaison. Association Française d’Archéologie Mérovingienne 4, 1981, 80–82, hier 81 mit Abb. Vallet, Parures (Anm. 1) Abb. 9,1. Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) Taf. 3,3; Pilet, Saint-Martin-de-Fontenay (Anm. 1) Taf. 54,2. Pilet, Saint-Martin-de-Fontenay (Anm. 1) Taf. 58,1. Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) Taf. 11,1; Pilet, Saint-Martin-de-Fontenay (Anm. 1) Taf. 89,712.1. Lorren, Fibules (Anm. 29) Taf. 17,5. René Joffroy, Notes sur trois sépultures franques découvertes à la Villeneuve au Châtelot (Aube). Bulletin du Groupe Archéologique du Nogentais 10, 1973–1974 (1976), 19–25, hier Abb. 19. Lorren, Fibules (Anm. 29) Taf. 17,5. Martin, Gürteltracht (Anm. 101) Abb. 36,3; Claude Boulanger, Le cimetière franco-mérovingien et carolingien de Marchélepot (Somme) (Paris 1909) Taf. 31,3. René Joffroy, Le cimetière de Lavoye (Paris 1974) Taf. 24,221.1. Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) Taf. 11,3; Frédéric Moreau, La collection Caranda. Album des principaux objets recueillis dans les sépultures de Caranda (Saint-Quentin 1877–1892) Taf. 9,9.10; La Picardie (Anm. 110) Nr. 187, Abb. 226. Moreau, Caranda (Anm. 148) neue Serie, Taf. 41,3. Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) Taf. 11,2; Moreau, Caranda (Anm. 148) neue Serie, Taf. 19,5.
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sur-Montcient, Grab 28.151 Im östlichen Gallien sind sie in Sézegnin, Grab 276, belegt.152 Nach einem Exemplar in dem Grab von Arcy-Sainte-Restitue, in dem auch die Fibel mit gestreckt-rautenförmigem Fuß gefunden wurde (siehe oben), treten diese Beschläge im dritten Viertel des 5. Jahrhunderts auf. Grab 359 von Saint-Martin-de-Fontanay enthielt einen derartigen Beschlag und eine Fibel mit zungenförmigem Fuß (siehe oben), was zeigt, dass diese Beschläge auch in der ersten Phase der älteren Merowingerzeit (AM I) auftreten. Grab 4 von La Villeneuve-au-Châtelot kann einen größeren Zeitraum abdecken, da die Scheibenfibeln vom Typ 207, die gemeinsam mit dem betreffenden Beschlag entdeckt wurden, sowohl in der Phase AM I als auch in AM II (520/530–560/570) vorkommen. Obwohl derartige Schnallen und Beschläge im westgotischen Spanien sowie im südlichen Gallien bekannt sind,153 besitzen sie Vorläufer im Donauraum des zweiten Drittels des 5. Jahrhunderts, wie etwa den prunkvollen Kleidungselementen aus Laa an der Thaya und Zmajevo (Abb. 1,7).154 Es ist daher schwierig, die Ursprungsregion dieser Beschläge mit Glascabochonverzierung in Nordgallien zu bestimmen. Sie können aus Südgallien oder Spanien kommen, aber auch eine lokale, volkstümliche Ausprägung der prestigeträchtigen donauländischen Kleidung darstellen. Gegen die südgallische bzw. spanische Herkunft spricht jedoch, dass derartige Beschläge mit dem Fund von Arcy-Sainte-Restitue in Nordgallien früher als in Spanien und Südgallien auftreten. Große Rechteckbeschläge vom Typ Ripoll C, die zuweilen mit unverziertem Silberblech belegt sind, stammen aus Cys-la-Commune (Abb. 16,1),155 Breny, Grab 955 (Abb. 16,9),156 Saint-Martin-de-Fontenay, Gräber 388, 389 und 502157 (Abb. 16,2–4), und Vicq, Gräber 862, 1390, 1478 sowie 1924.158 In Grab 955 von Breny fand sich außer dem Gürtelbeschlag ein ausgebesserter Glasbecher des Typs 448; in den Gräbern 862
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Stephane Régnard/Marc Langlois, Gaillon-sur-Montcient (Yvelines). Nécropole mérovingienne de „La Garenne“ (Versailles 1997) 28 Abb. Béatrice Privati, La nécropole de Sézegnin (IVe–VIIIe siècle) (Genf 1983) Taf. 14,1; Martin, Gürteltracht (Anm. 101) Abb. 6,2. Estagel: Landes u. a., Gaule mérovingienne (Anm. 70) Nr. 16; Lunel-Viel: Landes u. a., Gaule mérovingienne (Anm. 70) Nr. 79; Fabrègues: Landes u. a., Gaule mérovingienne (Anm. 70) Nr. 74. Vgl. z. B. Tejral, Chronologie (Anm. 6) Abb. 31,4; 34,14; Martin, Gürteltracht (Anm. 101) Abb. 24,1; Kiss, Skiren (Anm. 32) Abb. 15. Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) Taf. 10,1; Moreau, Caranda (Anm. 148) Taf. 10,3. Kazanski, Breny (Anm. 1) Taf. 43,8. Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) Taf. 10,2.4; Pilet, Saint-Martin-de-Fontenay (Anm. 1) Taf. 59,388; 59,389.1; 71,502.2. Wimmers, Etude (Anm. 1) Abb. 47,4.5; 48,1.3.
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und 1390 von Vicq kamen die Beschläge gemeinsam mit Vogelfibeln der Typen 239, 244 und 248 zu Tage. Dieses Fundmaterial gehört in die Phasen AM I und AM II. Im westgotischen Raum wurde ein Exemplar in einem Grab in Toulouse, Saint-Pierre-des-Cuisines, entdeckt zusammen mit donauländischen Fibeln aus dem letzten Drittel des 5. Jahrhunderts.159 Beschläge dieses Typs haben deutliche donauländische Vorläufer in der Mitte und in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts, wie sie etwa in Szabadbattyán, Zemun oder Soponya nachgewiesen sind (Abb. 1,5).160 Von der Donau sind sie auch nach Italien gelangt, wo man ein Exemplar in Brescia gefunden hat.161 Im Hinblick auf Nordgallien kann also eine Herkunft dieser Beschläge aus Südgallien in Erwägung gezogen werden, oder eine lokale Produktion unter donauländischem Einfluss. Wenn man jedoch das Vorkommen einer beachtlichen Gruppe von großen Rechteckbeschlägen in Nordgallien in Betracht zieht, die weder in Südgallien noch in Spanien Parallelen aufweisen, erscheint die zweite Möglichkeit, also eine lokale Produktion unter donauländischem Einfluss, wahrscheinlicher zu sein. Bei den nordgallischen Funden handelt es sich z. B. um Stücke mit rundem Cloisonnédekor aus Monceau-le-Neuf 162 (Abb. 14,9) oder Arcy-SainteRestitue163 (Abb. 14,3). Außerhalb des westgotischen Raumes sind große Rechteckschnallen mit Cloisonnéverzierung in Italien nachgewiesen,164 wo sie als ostgotische Accessoires angesehen werden. Dies zeigt, dass auch außerhalb des westgotischen Einflussbereiches Werkstätten cloisonnéverzierte Rechteckbeschläge hergestellt haben. Die Beschläge aus Caranda165 (Abb. 17,2) und Hermes166 (Abb. 17,1) tragen kreuzförmig verzierte Pressblechbeschläge. Sie haben keine direkten Parallelen; auf der Krim sind jedoch zahlreiche Beschläge vergleichbarer Form mit einem Kreuz bekannt.167
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Robert Lequément, Circonscription de Midi-Pyrénées. Gallia 44/2, 1986, 309–333, hier 321 Abb. 15. Kiss, Germanische Funde (Anm. 31) Taf. 1; Tejral, Chronologie (Anm. 6) Abb. 32.10; Martin, Gürteltracht (Anm. 101) Abb. 29.3; Jaroslav Tejral, Kostorvé hroby z Mistrˇina, Polkovic, Sˇlapanic a Tasova a jejich postaveni v rámci moravskégo ste˘ hováni národu˚ . Památky Archeologické 64, 1973, 301–339, hier Abb. 2,3. Bierbrauer, Grabfunde (Anm. 82) Taf. 52,4. Claude Boulanger, Le mobilier funéraire gallo-romain et franc en Picardie et en Artois (Paris 1902–1905) Taf. 25,1. Moreau, Caranda (Anm. 148) Taf. L. Bierbrauer, Grabfunde (Anm. 82) Taf. 63,4. Moreau, Caranda (Anm. 148) Taf. 32,4; Martin, Gürteltracht (Anm. 101) Abb. 35,1. Martin, Gürteltracht (Anm. 101) Abb. 6,9. Vgl. z. B. Archéologie de la mer Noire. La Crimée à l’époque des grandes invasons, IVe– VIIIe siècle (Caen 1997) Nr. 63, Abb. auf S. 51.
Die Archäologie der Westgoten in Nordgallien
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Schließlich sind die Beschläge mit geometrisch verziertem Silberblechbelag aus Saint-Martin-de-Fontenay, Grab 504 (Abb. 16,3),168 Aiguisy169 (Abb. 16,7) und Chouy170 (Abb. 16,8) mit großer Wahrscheinlichkeit lokaler Herstellung, da sie außerhalb Nordgalliens keine Parallelen aufweisen.171
Kleidung Das Tragen zweier Fibeln an den Schultern oder der oberen Brusthälfte ist spätestens seit römischer Zeit charakteristisch für das Gewand von Ostgermaninnen.172 Die erste Zusammenstellung derartiger Kombinationen im nordgallischen Raum zu Beginn der Merowingerzeit stammt von Volker Bierbrauer, der sie als spanisch-westgotisch angesprochen hat.173 Zieht man jedoch die unzweifelhafte Präsenz von aus dem Osten, vor allem dem mittleren Donauraum, stammenden Ostgermanen (siehe oben) in Betracht, scheint diese Interpretation zu eng gefasst. Wir ziehen es daher vor, diese Gräber im weiteren Sinne über die in ihnen sichtbar werdenden ostgermanischen Traditionslinien anzusprechen, die sowohl die Westgoten als auch andere ostgermanische Einheiten einschließen. Schon vor geraumer Zeit wurde festgestellt,174 dass in Nordgallien zwei unterschiedliche Trageweisen der „östlichen“ Fibeln zu beobachten sind. Im ersten Fall handelt es sich um ein Kostüm mit einer oder zwei Fibeln an den Schultern oder der Brust, die von einer Gürtelschnalle im Becken begleitet werden175. Gelegentlich treten derartige Fibeln aber auch ohne Gür-
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Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) Taf. 10,3; Pilet, Saint-Martin-de-Fontenay (Anm. 1) Taf. 72,504.1. Moreau, Caranda (Anm. 148) Taf. 54,2. Moreau, Caranda (Anm. 148) Taf. 41,2. Zu erwähnen ist ein Stück vergleichbarer Form und Technik aus dem Schatzfund von Desana in Italien (Bierbrauer, Grabfunde (Anm. 82) Taf. 10,1), das unseres Erachtens aus der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts stammt (vgl. Manfred Menke, Archäologische Befunde zu Ostgoten des 5. Jahrhunderts in der Zone nordwärts der Alpen. In: Peregrinatio Gothica. Archaeologia Baltica VII (Łódz´ 1986) 239–282, hier 262; Kazanski/Mastykova/ Périn, Byzance (Anm. 84) 160). Der Beschlag von Desana trägt jedoch vegetabilen Dekor, der in Nordgallien nicht belegt ist. Magdalena Tempelmann-Maczyn´ska, Das Frauentrachtzubehör des mittel- und osteuropäischen Barbaricums in der römischen Kaiserzeit (Krakau 1989). Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) 168 f. Vgl. zuletzt Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4). Vicq Grab 756: Servat, Exemple (Anm. 28); Frénouville Grab 529 (Abb. 18,3): Pilet, Frénouville (Anm. 85) Bd. 2, 262 f.; Arcy-Sainte-Restitue Grab 1094: Vallet, Parures (Anm. 1) 116 f.; Saint-Martin-de-Fontenay Grab 359 (Abb. 8,13), Grab 502 kombiniert mit einer Fibel, die den italienischen Typen von Typ Gurina oder Altenerding ähnelt: Schulze-Dörr-
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telschnalle auf, wie in Arcy-Sainte-Restitue, Grab 127,176 Breny, Grab 167,177 Nouvion-en-Ponthieu, Grab 303,178 Chassemy, Grab von 1888,179 eventuell Lavoye, Grab 182180 (mit einer vom Typ Bretzenheim abgeleiteten Fibel unterhalb der Brust). Dieses Gewand ist auch in Gallien südlich der Loire belegt,181 und seltener auch im burgundischen, östlichen Gallien.182 Im zweiten Fall wurden die Fibeln in ostgermanischer Tradition, die zuweilen sogar von Gürtelschnallen und -beschlägen gleicher Tradition begleitet werden, nach merowingischer Art getragen, also im Becken oder sogar noch tiefer. Beispiele hierfür stammen aus Cutry, Grab 859 (Abb. 18,2),183 Grigny, Grab 919,184 Saint-Martin-de-Fontenay, Gräber 270 (ostgotische Fibeln vom Typ Udine-Planis), 282 (Bügelfibeln ostgermanischer Tradition) und 300 (Abb. 10,2) (Fibeln vom Typ Bretzenheim),185 Rödingen, Grab 472,186 Köln-Müngersdorf, Grab 118187 und Nouvion, Grab 140188 (Abb. 9). Diese Beispiele spiegeln unseres Erachtens deutlich die Akkulturation der ostgermanischen Gruppen an das gallo-fränkische Milieu wieder. Zahlreiche Gräber, die einen einzelnen Rechteckbeschlag enthielten und nicht von Fibeln begleitet wurden, wurden von Bierbrauer ebenfalls als westgotisch angesprochen.189 Für die Bestattungen mit Typen, die für Spanien oder Südgallien typisch sind (siehe oben), ist diese Ansprache sehr wahrscheinlich, wenn es auch nicht möglich ist, dies zu verallgemeinern.
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lamm, Romanisch (Anm. 85) 661–668, Grab 741 (Abb. 18,1) mit zwei merowingischen Fibeln: Pilet, Saint-Martin-de-Fontenay (Anm. 1) 385, 411, 456; Villeneuve-au-Châtelot Grab 1 mit zwei merowingischen Fibeln und einem Gürtelbeschlag, der jedoch eher zum Männergewand gehört: Joffroy, Notes (Anm. 144) Abb. 1. Etwas älter, vielleicht aus der Periode D2/D3: Vallet, Parures (Anm. 1) 111 f. Kazanski, Breny (Anm. 1) 94. Piton, Nouvion (Anm. 29) 135. Gisela Clauss, Die Tragsitte von Bügelfibeln. Eine Untersuchung zur Frauentracht im frühen Mittelalter. Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz 34, 1987, 491–603, hier 602, XI,4. Joffroy, Lavoye (Anm. 147) 120. Die ältesen Funde sind besonders diejenigen von Saint-Pierre-des-Cuisines in Toulouse und von Lezoux: Lequément, Midi-Pyrénées (Anm. 159); Vertet/Duterne, Tombes (Anm. 19). Beaune Grab 312: Gaillard de Sémainville u. a., Beaune (Anm. 58) 163. Mit westgotischen Fibeln und Beschlag: Legoux, Cutry (Anm. 78) Taf. 93. Berthelier, Grigny (Anm. 88) 80. Pilet, Saint-Martin-de-Fontenay (Anm. 1) 365, 367, 368, 372. Walter Jannsen, Das fränkische Reihengräberfeld von Rödingen, Kr. Düren (Stuttgart 1993) 304f. Clauss, Tragsitte (Anm. 179) 602, XI,3. Piton, Nouvion (Anm. 29) 75. Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) 169.
Die Archäologie der Westgoten in Nordgallien
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Gräber mit einem Schnallenbeschlag in ähnlicher Form sind in der Tat auch am anderen Ende der ostgermanischen Welt bekannt, z. B. auf der süd-westlichen Krim in den Nekropolen vom Typ Suuk-Su-Skalistoe. Es ist aufgrund dessen möglich, einen gemeinsamen donauländischen Vorläufer für diese Gewandform in Betracht zu ziehen, zumal sie auch in diesem Gebiet belegt ist, namentlich in Zmajevo.190
Interpretation Bisher konnte festgestellt werden, dass westgotische Präsenz in Gallien zu Beginn der Merowingerzeit einerseits gut bezeugt ist, dass es andererseits aber schwierig, zuweilen auch unmöglich ist, Elemente westgotischer Kleidung von denen anderer ostgermanischer Gruppen zu unterscheiden, vor allem den Nachkommen barbarischer Soldaten in der Armee des römischen Westreiches. Daher spiegeln die Verbreitungskarten sog. westgotischer Funde in Nordgallien, von denen diejenige von Volker Bierbrauer die vollständigste ist (Abb. 19),191 tatsächlich ein allgemeines Phänomen wieder, in diesem Fall das einer ostgermanischen Präsenz. Die in den merowingerzeitlichen Nekropolen zwischen 470/80 und 520/30 bestattete Generation wurde um die Mitte bzw. im dritten Viertel des 5. Jahrhunderts geboren. Einige dieser Bestatteten, sogar ihre Eltern, könnten im Barbaricum oder im Südwesten Galliens geboren worden sein. Da die spanische Herkunft westgotischer Elemente in Nordgallien ohnehin noch zu beweisen ist, erscheint uns im Hinblick auf die Chronologie der Fundstücke eine Herkunft aus dem südlichen Gallien wahrscheinlicher zu sein. Bezüglich der Chronologie dieser Objekte muss betont werden, dass direkte Kontakte zwischen Nordgallien und dem Donauraum nach 470/480 unwahrscheinlich sind. Hinzu kommt, dass die Entwicklung der weiblichen Mode in den donauländischen Regionen das Verschwinden der ‚Silberblechfibeln‘ zu Gunsten knopfverzierter Bügelfibeln bewirkt. Die nordgallischen Fibeln behalten währenddessen einige ältere, donauländische Elemente bei, die bei den spanischen Fibeln nicht belegt sind. Es ist demnach anzunehmen, dass diese donauländischen Merkmale vor dem Jahr 480 nach Nordgallien gekommen sind, vielleicht aus dem tolosanischen Westgotenreich südlich der Loire, wie es etwa die Funde von Lezoux oder Toulouse nahelegen, und demnach vor dem Modelwechsel im Donauraum und ebenfalls vor dem massiven und dauerhaften Ansiedlung von Westgo190 191
Kiss, Skiren (Anm. 32) 121. Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) Abb. 1.
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ten in Spanien. In Nordgallien haben diese Elemente in einem militärischbarbarischen Umfeld ein oder zwei Generationen überlebt – von 450/460 bis 520/530 – und stehen gleichzeitig am Anfang lokaler Ableitungen, wie den Fibeln vom Typ Bretzenheim oder gewissen Typen von Gürtelbeschlägen. Ein anderes, wichtiges Indiz, auf das bereits Volker Bierbrauer hingewiesen hat,192 spricht für eine frühere Datierung dieser ostgermanischen Funde: ihre Verbreitung stimmt gut mit dem Gebiet überein, das bis 486 unter der römischen Kontrolle von Syagrius und, weiter im Osten, von Arbogast stand. In der Schelderegion und östlich der Somme sind diese Stücke dagegen fast nicht vorhanden. Daher scheint es möglich, die Ansiedlung von Ostgermanen einschließlich der Westgoten in Nordgallien mit römischen Maßnahmen zu verbinden, bevor diese Region nach 486 mit der ersten fränkischen Expansion zu Beginn der Regierung Chlodwigs seine strategische Bedeutung verloren hatte. Diese archäologischen Funde müssen demnach einerseits mit germanischen Soldaten der Armeen von Aegidius, Paulus, Syagrius und Arbogast der Jahre zwischen 460 und 480 in Verbindung gebracht werden, andererseits mit Westgoten, die wahrscheinlich etwas später, um 470, von Alarich entsandt wurden, um seinem Alliierten Syagrius angesichts der fränkischen Bedrohung zur Seite zu stehen. Unseres Erachtens ist daher die These der Anwesenheit kleiner barbarischer Gruppen donauländischer und westgotischer Herkunft in römischen und später fränkischen Diensten vorzuziehen. Dabei ist auch an die Präsenz von Hunnen, Alanen, Herulern, Skiren, Ostgoten oder Rugiern in den „westlichen“ Armeen von Majorian oder Odoaker zu denken.193 In beiden Fällen handelt es sich um Neuankömmlinge sowie um Barbaren der zweiten Generation. Die vor Ort hergestellten Objekte donauländischer Tradition gehören, zumindest in Teilen, der letzteren Gruppe an. Es ist bezeichnend, dass „östliche“ Ausstattung der nach-hunnischen Epoche in den Nekropolen neben archäologischen Funden vorkommt, die für andere barbarische Kulturgruppen charakteristisch sind, zum Beispiel alamannischen Funden in der Nekropole von Arcy-Sainte-Restitue, alamannischen und langobardischen in Breny, oder ostgotischen und angelsächsischen in Saint-Martin-de-Fontenay, und auf diese Weise sehr heterogene Populationen erkennen lässt. Es ist bekannt, dass die merowingischen Könige anlässlich der Konfrontation der Franken mit den „letzten Römern“ westlich der Seine mit Truppen aus Aremorica paktierten und sie als ganze Regimenter, mit ihren Fah192 193
Bierbrauer, Les Wisigoths (Anm. 4) 170. Kazanski, Diffusion (Anm. 2) 63–66.
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nen und „Uniformen“, in die fränkische Armee integrierten.194 Es erscheint in diesem Kontext nicht erstaunlich, dass sich Spuren von in der römischen Armee des Westens tätigen östlichen Barbaren und Westgoten auch unter dem Befehl der Merowinger wiederfinden lassen und in lokale Gemeinschaften integriert waren. Es ist in diesem Licht bedeutsam, dass in einigen Nekropolen „östliche“ Objekte entdeckt wurden, etwa in Arcy-SainteRestitue oder Saint-Martin-de-Fontenay, in denen wahrscheinlich militärischen Gemeinschaften bestatteten, die teilweise aus Fremden bestanden, die vor der fränkischen Eroberung nach Gallien gekommen waren und dort nach der Eroberung Chlodwigs weiter existierten. Ohne jeden Zweifel sind diese „östlichen“ Soldaten von römischen in fränkische Dienste übergegangen. Ihre Spuren verlieren sich im gallo-fränkischen Umfeld während des zweiten Drittels des 6. Jahrhunderts.
194
Prokop, Bellum Goticum I, 12.
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Abb. 1. Donauländische Vorläufer ostgermanischer Mode im Westen. 1–4 Szabadbattyán; 5 Zemun; 6 Region von Esztergom; 7 Zmajevo (1–4 nach Tejral, Zur Chronologie [Anm. 6]; 5–7 nach Martin, Zur frühmittelalterlichen Gürteltracht [Anm. 101])
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Abb. 2. ‚Blechfibeln‘ aus Gallien. 1 Lezoux; 2 Arcy-Sainte-Restitue Grab 1094; 3 Straßburg; 4 Tal der Saône; 5 Saint-Martin-de-Fontenay Grab 359; 6 Marchélepot (nach unterschiedlichen Vorlagen, zitiert bei Kazanski/Périn, Les Barbares [Anm. 2]; Bierbrauer, Les Wisigoths [Anm. 4])
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Abb. 3. Funde des Grabes 756 von Vicq (nach Servat, Example d’exogamie [Anm. 28])
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Abb. 4. ‚Silberblechfibeln‘ aus Gallien und Spanien. 1 Beire-le-Châtel; 2, 7 Chassemy; 3 Tinto Juan de la Cruz; 4 Tiermes; 5 Marchélepot; 6 Envermeu; 8 Aldeanueva de San Bartolomé (1,2,4–8 nach unterschiedlichen Vorlagen, zitiert bei Bierbrauer, Les Wisigoths [Anm. 4]; Kazanski/Périn, Les Barbares [Anm. 2]; 3 nach Barroso u. a., Les yacimentos [Anm. 30])
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Abb. 5. ‚Blechfibeln‘ aus Nordgallien. 1 Breny Grab 167; 2 Arcy-Sainte-Restitue Grab 1094; 3 Chassemy Grab vom 31. 10. 1888 (nach Koch, Bügelfibeln [Anm. 12])
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Abb. 6. Funde aus spanischen Gräber mit Gewandbestandteilen donauländischer Tradition. 1 Duratón Grab 190; 2 Duratón Grab 525 (nach Molinero Pérez, Duratón [Anm. 113]; Molinero Pérez, Apartaciones [Anm. 55]; Bierbrauer, Les Wisigoths [Anm. 4])
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Abb. 7. Funde aus spanischen Gräbern mit Gewandbestandteilen donauländischer Tradition. 1 Duratón Grab 553; 2 Duratón Grab 166 (nach Molinero Pérez, Duratón [Anm. 113]; Molinero Pérez, Apartaciones [Anm. 55]; Bierbrauer, Les Wisigoths [Anm. 4])
Die Archäologie der Westgoten in Nordgallien
Abb. 8. Austattung von Gräbern mit Kleidungsbestandteilen donauländischer Tradition. 1–4 Arcy-Sainte-Restitue Grab 1094; 5–13 Saint-Martin-de-Fontenay Grab 359 (1–4 nach Vallet, Parures [Anm. 1]; 5–13 nach Pilet, Saint-Martin-deFontenay [Anm. 1])
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Abb. 9. Grab 140 von Nouvion-en-Ponthieu (nach Piton, Nouvion [Anm. 29])
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Abb. 10. Gräber mit Gewandbestandteilen in donauländischer Tradition. 1 Grigny Grab 19; 2 Saint-Martin-de-Fontenay Grab 300 (nach Berthelier, Griguy [Anm. 88]; Pilet, Saint-Martin-de-Fontenay [Anm. 1])
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Abb. 11. Fibeln westgotischer Tradition. 1 Frankreich; 2 Envermeu; 3 Arcy-SainteRestitue Grab 1727; 4 Joches; 5 Alovera; 6 Cutry Grab 859; 7 Ville-sur-Cousance; 8 Talavera de la Reina (1–4 nach Koch, Bügelfibeln [Anm. 12]; 5–8 nach Bierbrauer, Les Wisigoths [Anm. 4])
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Abb. 12. Eine der Adlerfibeln von Castelsagrat (nach I Goti [Anm. 21])
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Abb. 13. Armbrustfibeln aus Gallien und Spanien. 1, 12 Nouvion-en-Ponthieu Grab 303; 2 Mondeville; 3, 13 Carpio de Tajo Grab B; 4, 5 Frénouville Grab 526; 6 Duratón Grab 129; 7 Duratón Grab 144; 8 Duratón Grab 341; 9 Duratón Grab 177; 10 Madrona Grab 337; 11 Saint-Pierre-de-Vauvray (nach Bierbrauer, Les Wisigoths [Anm. 4])
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Abb. 14. Cloisonnéverzierte Beschläge. 1 Flamicourt; 2 Tressan; 3 Arcy-Sainte-Restitue; 4 Versigny; 5 Houdan; 6 Saint-Denis; 7 Saint-Martin-de-Fontenay Grab 741; 8 Plaissan; 9 Monceau-le-Neuf; 10 Beaune Grab 324 (1 nach Eck 1895; 2, 4–8 nach unterschiedlichen Autoren, zitiert bei Bierbrauer, Les Wisigoths [Anm. 4]; 3 nach Moreau, Caranda [Anm. 148]; 9 nach Boulanger, Le mobilier funéraire [Anm. 162]; 10 nach Gaillard de Sémainville u. a., Beaune [Anm. 58])
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Abb. 15. Cabochonverzierte Beschläge. 1 Armentières; 2 Duratón Grab 229; 3 Saint-Martinde-Fontenay Grab 712; 4 Duratón Grab 176; 5 Duratón Grab 80; 6 Marchélepot; 7 Muids; 8 Buggingen; 9 La-Villeneuve-au-Châtelot Grab 4; 10 Envermeu (1–6, 8: nach unterschiedlichen Autoren, zitiert bei Martin, zur frühmittelalterlichen Gürteltracht [Anm. 101]; Bierbrauer, Les Wisigoths [Anm. 4]; 7,10 nach Lorren, Fibules [Anm. 29]; 9 nach Joffroy, Notes [Anm. 144])
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Abb. 16. Beschläge mit Blechbelag ohne sichtbare Verzierung. 1 Cys-la-Commune; 2 SaintMartin-de-Fontenay Grab 388; 3 Saint-Martin-de-Fontenay Grab 504; 4 Saint-Martin-deFontenay Grab 389; 5 Duratón Grab 311; 6 Duratón Grab 439; 7 Aiguisy; 8 Chouy; 9 Breny Grab 955 (1–6 nach unterschiedlichen Autoren, zitiert bei Bierbrauer, Les Wisigoths [Anm. 4]; 7,8 nach Moreau, Caranda [Anm. 148]; 9 nach Kazanski, Breny [Anm. 1])
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Abb. 17. Beschläge mit Pressblechauflage. 1 Hermes; 2 Caranda; 3 Duratón Grab 32; 4 Duratón Grab 166; 5 Frénouville Grab 529; 6 Mouy; 7 Carpio de Tajo Grab 116; 8 Carpio de Tajo Grab 119 (nach unterschiedlichen Autoren, zitiert bei Martin, Zur frühmittelalterlichen Gürteltracht [Anm. 101]; Bierbrauer, Les Wisigoths [Anm. 4])
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Abb. 18. Gräber mit donauländischen und spanisch-westgotischen Obkjekten. 1 Saint-Martin-de-Fontenay Grab 741; 2 Cutry Grab 859; 3 Frénouville Grab 529; 4 Duratón Grab 176; 5 Duratón Grab 192 (nach Bierbrauer, Les Wisigoths [Anm. 4])
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Abb. 19. Funde von „westgotischen“ Kleidungsbestandteilen außerhalb Spaniens (nach Bierbrauer, les Wisigoths [Anm. 4])
Zwischen Spätantike und Frühmittelalter – RGA-E Band 57 – Seiten 193–209 Interpretationsprobleme © 2008 Walter de Gruyter · Berlin · New York der Westgotenarchäologie
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Interpretationsprobleme der Westgotenarchäologie Zurück zu den Altgrabungen anhand bisher unausgewerteter Dokumentationen Antonel Jepure
Zum Stand der Forschung Als im Jahre 1858 die Votivkronen und -kreuze westgotischer Könige in Guarrazar bei Toledo entdeckt wurden, entfachte dieser spektakuläre Schatzfund in Spanien eine regelrechte Westgoteneuphorie. Seitdem wird eifrig versucht, die Existenz des historisch überlieferten Westgotenreiches nicht nur über schriftliche Quellen, sondern auch über Bodendenkmäler nachzuweisen. Es waren jedoch zunächst Grabplünderer und Antiquitätenhändler, die damals jahrzehntelang die methodologisch noch völlig unausgereifte Archäologie mit Artefakten versorgten. Mit Ausnahme des „waffenführenden“ und deshalb als fränkisch ausgewiesenen Gräberfeldes von Pamplona1 wurde die erste, zaghaft einsetzende archäologische Grabungstätigkeit noch weitgehend vom kunstbegeisterten Adel angeführt, wie z. B. die Grabungen des Marqués de Cerralbo bezeugen.2 In den 1920er und 1930er Jahren traten endlich auch vermehrt von Archäologen durchgeführte Ausgrabungen hinzu. Allen voran stehen die Nekropolen von ‚Carpio de Tajo‘ (Toledo) und ‚Castiltierra‘ (Segovia), wobei die einzelnen Befunde damals leider unpubliziert geblieben waren.3 Die Monographie 1 2
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Florencio de Ansoleaga, El cementerio franco de Pamplona (Pamplona 1914). Gräberfelder wie z.B. Palazuelos, Fuencaliente und Renales, deren Funde bei Hans Zeiß, Die Grabfunde aus dem spanischen Westgotenreich (Berlin 1934), aufgeführt sind. Zeitgenössische Archäologen gingen davon aus, dass bei solchen Grabungen wie in den genannten Gräberfeldern niemals Funddokumentationen angefertigt wurden (vor dem Ersten Weltkrieg). Carpio de Tajo wurde 1985 erstmals ausführlich vorgelegt: Gisela Ripoll López, La necrópolis visigoda de El Carpio de Tajo (Toledo). Excavaciones Arqueológicas en España 142 (Madrid 1985); Revision: Barbara Sasse, ‚Westgotische‘ Gräberfelder auf der Iberischen Halbinsel am Beispiel der Funde aus El Carpio de Tajo (Torrijos, Toledo). Madrider Beiträge 26, 2000. – Ein Katalog über einen Teil der Funde und Befunde aus Castiltierra befindet sich gegenwärtig in Vorbereitung (Archäologisches Nationalmuseum Madrid).
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über das Gräberfeld von ‚Herrera de Pisuerga‘ (Palencia)4 schien zwar eine befundbezogene Forschungsetappe einzuleiten, doch konnte sich in diesem Sinn von den bedeutenden spanischen Fundplätzen nur die Publikation des ersten Teils des umfangreichen Gräberfeldes von ‚Duratón‘ (Segovia)5 anschließen. Daher beruhten die ersten systematischen Studien auf meist kontextlosen Funden, die verständlicherweise von Beginn an von einem ‚westgotischen‘ Kulturgut ausgingen.6 Allerdings zeichnete sich bald eine Konzentration ‚westgotischer‘ Gräberfelder in Zentralkastilien ab. Das Verbreitungsgebiet wurde von W. Reinhart als „westgotisches Siedlungsdreieck“ bezeichnet7, wobei damals trotzdem noch die Hoffnung darauf bestand, dass solche Gräberfelder mit der Zeit auch im restlichen Gebiet der Iberischen Halbinsel auftauchen würden. Heute scheint sich dieses Verbreitungsbild in gleicher Weise zu bestätigen wie schon vor einem halben Jahrhundert. Insbesondere die rege Bautätigkeit in Spanien während des wirtschaftlichen Aufschwungs der letzten 20 Jahre ließ in sämtlichen Provinzen spätantike und frühmittelalterliche Gräberfelder zutage treten.8 Bestattungsplätze vom sog. ‚westgotischen‘ Typ (je nach Autor „Typ Duratón“, „Typ Castiltierra“ oder „Typ Carpio de Tajo“ genannt) bleiben jedoch weiterhin auf die zentralspanischen Provinzen Segovia, Toledo, Madrid, Guadalajara und Soria beschränkt. Somit steht die Archäologie vor der interessanten Aufgabe, dieses mittlerweile wohl abgesicherte Verbreitungsbild zu erklären. Sämtliche grundlegenden Fragen, die diese zentralkastilische Gräberfeldgruppe betreffen, sind nach wie vor unbeantwortet geblieben, obwohl sich die Westgotenarchäologie einer mittlerweile langen Forschungstradition rühmen mag. Von der ethnischen Bestimmung beeindruckt, wurden über das gesamte 20. Jahrhundert hinweg die Antworten auf die westgotische Ethnizität der dort Bestatteten abgestimmt. Davon betroffen ist etwa die Chronologie dieser Gräberfelder, die stets von den historischen Erwähnungen der gotischen Einwanderung abhängig 4
5
6
7
8
Julio Martínez Santa Olalla, Excavaciones en la necrópolis visigoda de Herrera de Pisuerga (Palencia). Memorias de la Junta Superior de Excavaciones Arqueológicas 125 (Madrid 1933). Antonio Molinero Pérez, La necrópolis visigoda de Duratón (Segovia). Excavaciones del Plan Nacional de 1942 y 1943. Acta Arqueológica Hispánica IV (Madrid 1948). Nils Åberg, Die Franken und Westgoten in der Völkerwanderungszeit (Uppsala 1922); Zeiß, Grabfunde (Anm. 2). Wilhelm Reinhart, Sobre el asentamiento de los visigodos en la Península. Archivo Español de Arqueología XVIII, 1945, 124–139, bes. Abb. 10. Die meisten dieser Notgrabungen sind bislang unpubliziert; bestenfalls liegen kurze Mitteilungen vor.
Interpretationsprobleme der Westgotenarchäologie
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gemacht und nicht aus sich heraus erschlossen wurde. In Wirklichkeit weiß man jedoch kaum etwas über die Struktur dieser Nekropolen, über ihre Belegungsentwicklung oder über die zugehörigen Siedlungen. Dabei sind es gerade diese genannten Aspekte, die in der Auseinandersetzung mit dem Thema weit vor den chronologischen und ethnischen Fragen an erster Stelle stehen sollten. Die absolute Chronologie darf nicht von der postulierten Einwanderung gotischer Bevölkerung auf die Iberische Halbinsel abhängig gemacht werden. Dadurch hat sich letztendlich eine aus dem Fundstoff heraus unbegründete Spätdatierung ergeben. Das völlig unbekannte Siedlungsumfeld wurde aufgrund der „Westgotenthese“ in den ländlichen Bereich gerückt. Dort nämlich sollten die sesshaft gewordenen westgotischen Krieger innerhalb von nur einer Generation die Land- und Viehwirtschaft wiedererlernt haben. Man wollte hiermit einen Unterschied zum westgotischen Stadtadel aufzeigen, um die Konzentration jener „ruralen“ Gräberfelder zu erklären. Die meisten der bekannten ‚westgotischen‘ Nekropolen der Provinz Segovia können aber nicht ohne weiteres dem rein ländlichen Umfeld zugewiesen werden, weil sich darunter auch urbane (Duratón) und suburbane (Madrona, EspirdoVeladiez) Bestattungsplätze befinden. Die ‚westgotische‘ Tracht wurde auf einfache Modelle zugeschnitten, die u. a. auf den Befundskizzen von G. G. Koenig beruhen.9 Tatsächlich weicht etwa die Position der als Peplosfibeln und daher als typisch westgotisch interpretierten Gewandspangen in zahlreichen Gräbern deutlich von der Schulterlage ab. Auch in Bezug auf andere Fundgruppen ergibt sich ein viel breiteres Trachtspektrum, als es bisher vereinfacht dargestellt wurde. Welche Ursachen haben zu den kurz angerissenen Interpretationsproblemen der Westgotenarchäologie geführt? Zunächst ist ein wichtiger Grund im Namen selbst ausfindig zu machen. Daher ist der Begriff der „Westgotenarchäologie“ („Arqueología visigoda“) immer seltener in der Literatur zu finden.10 Man geht nun vermehrt dazu über, den ethnisch neutralen Begriff der „Westgotenzeit“ bzw. „Época visigoda“ zu verwenden. Der alte Begriff impliziert unweigerlich die ethnische Deutung der Forschungsobjekte und versperrt dadurch eine freie Sicht auf kritische Beobachtungen. Das methodologische Gerüst wurde regelrecht vom Dach her
9
10
Gerd G. Koenig, Zur Gliederung der Archäologie Hispaniens vom fünften bis siebten Jahrhundert u. Z., Magisterarbeit (Freiburg 1977). Deutschsprachige Kritik: Barbara Sasse, Die Westgoten in Südfrankreich und Spanien. Zum Problem der archäologischen Identifikation einer wandernden „Gens“. Archäologische Informationen 20/1, 1997, 29–48.
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Antonel Jepure
aufgezogen, und man hatte sofort mit der aus archäologischer Sicht schwierigsten Problematik begonnen: der ethnischen Frage. Deshalb hat die voreingenommene ethnische Bestimmung den gesamten Fragenkatalog der Westgotenarchäologie beeinflusst und den Blick auf die tatsächliche Befundlage verblendet. Politisch-ideologische Einflüsse kamen besonders während der Zeit der Franco-Diktatur auf die spanische Forschertätigkeit noch hinzu. Geprägt durch die extrem germanophile Haltung von J. Martínez Santa-Olalla, der über die gemeinsamen Wurzeln des spanischen und deutschen Volkes eine ideologische Nähe zum nationalsozialistischen Deutschen Reich beschwören wollte, wurde es für jüngere Vertreter der Westgotenarchäologie schwierig, sich von der entwickelten Konstellation zu lösen. So blieben etwa die zweifelnden Überlegungen von P. de Palol weitgehend unberücksichtigt. Die Verbindung zu rechtsnationalem Ideengut war folglich die Ursache, dass der Bereich westgotischer Gräberfelder für viele Jahre von spanischer Seite als archäologisches Forschungsfeld gemieden wurde. Erst seitdem sich G. Ripoll mit der Aufarbeitung von Carpio de Tajo an das Thema gewagt hatte, konnte die ideologische Ebene ausgeblendet werden und mittlerweile sogar in Vergessenheit geraten. Allerdings scheint sich eine schon immer dagewesene emotionale Ebene weiterhin hartnäckig zu halten. Von Seiten spanischer Historiker gab es seit den 1980er Jahren klar formulierte Einwände gegen einige Hauptthesen der Westgotenarchäologie11, zu denen sich bald auch archäologische Zweifel gesellten.12 Um diese Darstellung auszuweiten, möchte ich kurz skizzieren, welche Angaben der Archäologie in Bezug auf die ‚westgotischen‘ Gräberfelder tatsächlich zur Verfügung stehen. Dabei lassen sich die Quellen der Gräberfeldarchäologie in Altgrabungen vor 1960/70 (Tab. 1) und in modernen Ausgrabungen der letzten drei Jahrzehnte aufteilen (Tab. 2). Rein zufälligerweise stammen jedoch die bedeutenden archäologischen Untersuchungen aus der Zeit vor 1960.
11
12
Z. B. über die Glaubwürdigkeit der Westgotenthese und über die beschränkte Aussagemöglichkeit der in chronologischen Fragen vielzitierten Chronik von Saragossa: Luis A. García Moreno, Mérida y el Reino visigodo de Tolosa (418–507). Festschrift für Saez de Buruaga (Madrid 1982) 227–240; Adolfo J. Domínguez Monedero, La „Chronica Caesaraugustana“ y la presunta penetración popular visigoda en Hispania. In: Antigüedad y Cristianismo (Murcia) III. Los Visigodos. Historia y Civilización (Murcia 1986) 61–68. Ángel Fuentes Domínguez, La necrópolis tardorromana de Albalate de las Nogueras (Cuenca) y el problema de las denominadas „Necrópolis del Duero“ (Cuenca 1989) bes. 271 ff.
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Interpretationsprobleme der Westgotenarchäologie Tab. 1. Altgrabungen ‚westgotischer‘ Gräberfelder aus Spanien (Auswahl)
13141516171819202122
Gräberfeld
Ausgrabung
publiziert
geschlossene Problem Funde13
Carpio de Tajo
Mergelina 1924
Ripoll 198514; Sasse 200015
nein
Grabungstagebücher verschollen
Castiltierra
Camps 1932/33 Santa-Olalla 1941
–
unbekannt
(Grabung Camps z. Zt. in Bearbeitung16) Grabungsdokumentation Santa-Olalla verschollen
Herrera de Pisuerga
Santa-Olalla 1932
Santa-Olalla 193317
ja
ohne Plan (insgesamt nur geringe Fläche ausgegraben)
Vega del Mar
Pérez Barradas Pérez Barradas 1930 193417
ja
beigabenarme Gräber; unterschiedlicher Kulturkreis?
Duratón I
Molinero 1942/1943
Molinero 194818
ja
–
Duratón II
Molinero 1944–1948
Molinero 1971; nur Tafeln20
nein
Tafeln als geschlossene Funde gedeutet
Madrona
Molinero 1951–1960
Molinero 1971; nur Tafeln21
nein
Tafeln als geschlossene Funde gedeutet
Espirdo (Veladiez)
Molinero 1944/1950
Molinero 1971; nur Tafeln22
nein
Tafeln als geschlossene Funde gedeutet; wenige Gräber erfasst
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15
16
17 18
19 20
21 22
Den bisher publizierten Befundangaben zufolge. Gisela Ripoll López, La necrópolis visigoda de El Carpio de Tajo (Toledo). Excavaciones Arqueológicas en España 142 (Madrid 1985). Barbara Sasse, ‚Westgotische‘ Gräberfelder auf der Iberischen Halbinsel am Beispiel der Funde aus El Carpio de Tajo (Torrijos, Toledo). Madrider Beiträge 26 (Mainz 2000). Isabel Arias/Luis Balmaseda/Soledad Díaz/Ángela Franco/Concepción Papí/Beatriz Robledo/Paz Ruiz/Gonzalo Trancho, La necrópolis visigoda de Castiltierra. Proyecto para el estudio de sus materiales. Boletín del Museo Arqueológico Nacional 18, 2000, 187–196. Santa-Olalla, Herrera de Pisuerga (Anm. 4). José Pérez de Barradas, Excavaciones en la necrópolis de Vega del Mar (San Pedro de Alcántara). Memorias de la Junta Superior del Tesoro Artístico 128 (Madrid 1934). Molinero, Duratón (Anm. 5). Antonio Molinero Pérez, Aportaciones de las excavaciones y hallazgos casuales (1941–1959) al Museo Arqueológico de Segovia. Excavaciones Arqueológicas en España 72 (Madrid 1971). Ebenda. Ebenda. Meine eigene Revision über Espirdo-Veladiez ist erst wenige Wochen vor diesem Vortrag erschienen und deshalb nicht in der Tabelle aufgeführt, die den bisherigen Kenntnisstand westgotenzeitlicher Gräberfelder wiedergeben soll; vgl. Antonel Jepure, La necrópolis de época visigoda de Espirdo-Veladiez. Fondos del Museo de Segovia, Estudios y Catálogos 13 (Salamanca 2004).
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Antonel Jepure
Tab. 2. Moderne Ausgrabungen westgotenzeitlicher Gräberfelder aus Spanien
2324252627
Gräberfeld
Ausgrabung
publiziert
geschlossene Einschränkungen Funde
Alcalá de Henares (Afligidos)
FernándezGaliano Ruiz 1970/73
Fernándezja Galiano Ruiz 197623; MéndezRascón 198924
kleine Teilbereiche eines großen Gräberfeldes
Aguilafuente
Viñas/Lucas
–
–
nur ein Grab publiziert25 (Silberblechfibelpaar)
Cacera de las Ranas
Ardanaz 1988–1989
Ardanaz 200026
ja
Aldaieta
Azkarate 1988–1993
Azkarate 200027
ja
Waffenbeigabe; unterschiedlicher Kulturkreis?
Der erhebliche Unterschied in Bezug auf den Kenntnisstand zwischen Altgrabungen und modernen Ausgrabungen stellt einen wichtigen Grund für die beschränkten Interpretationsmöglichkeiten der Archäologie der Westgotenzeit dar. Die großen modernen Grabungen sind gut publiziert und bieten bei der Auswertung die erforderlichen Angaben über die archäologische Befundsituation, so dass die Geschlossenheit der Grabinventare im einzelnen erwogen werden kann. Die wichtigsten Funde stammen allerdings überwiegend aus den zuvor genannten Altgrabungen – sofern man von den Waffengräbern aus Aldaieta absieht. Der überwiegende Teil der alt ausgegrabenen Gegenstände kann jedoch nicht den entsprechenden Befunden zugewiesen werden. Besonders schwer wiegt eine allgemein übliche Interpretation der Fundzeichnungen von A. Molinero aus den Gräberfeldern von Duratón II (Gräber 292 bis 666) und Madrona (beide Provinz Segovia), die von der Forschung irrtümlich als Darstellungen von geschlossenen Grabensembles behandelt werden.28 Dabei stellte Molinero lediglich die Funde gemäß ihrer Grabnummer zusammen, weil er damals davon ausge23
24
25
26
27
28
Dumas Fernández-Galiano Ruiz, Excavaciones en la necrópolis hispano-visigoda del Camino de los Afligidos 1975 (Alcalá de Henares). Noticiario Arqueológico Hispánico 4, 1976, 5–90. Antonio Méndez Madariaga/Sebastián Rascón Marqués, Los visigodos en Alcalá de Henares. Cuadernos del Juncal 1 (Alcalá de Henares 1989). Maria Rosario Lucas/Vicente Viñas, Tecnología de la fíbula trilaminar de la necrópolis visigoda de Aguilafuente (Segovia). Trabajos de Prehistoria 34, 1977, 389–404. Francisco Ardanaz Aranz, La necrópolis visigoda de Cacera de las Ranas (Aranjuez, Madrid). Arqueología-Paleontología-Etnografía 7 (Madrid 2000). Agustin Azkarate, Necrópolis tardoantigua de Aldaieta (Nanclares de Gamboa, Alava) I. Memoria de la excavación e inventario de los hallazgos (Vitoria 2000). Molinero Pérez, Aportaciones (Anm. 20).
Interpretationsprobleme der Westgotenarchäologie
199
gangen war, die Befundbeschreibungen der einzelnen Gräberfelder monographisch nachliefern zu können. Somit erscheinen die Fundinventare aus mehrfach belegten Gräbern vermischt. Molinero übersah also den Spielraum für die später eingetretenen Missverständnisse, da er selbst eindeutig zwischen Vor- und Nachbestattungen unterschieden hatte. Wie bedeutend die beiden letztgenannten Nekropolen für das Studium der Westgotenzeit sind, kann aus der Kombinationstabelle von W. Ebel-Zepezauer erschlossen werden.29 Die Hälfte der vom Autor als geschlossene Funde der Westgotenzeit ausgezeichneten Gräber stammen aus Duratón II und Madrona. Allerdings sind eben jene Gräber solange nicht als geschlossen zu bezeichnen, bis die entsprechende Befunddokumentation darüber vorliegt.30 Auch G. Ripoll und V. Bierbrauer haben unabhängig voneinander angekündigt, anhand dieser und anderer zentralkastilischen Gräberfelder eine Seriation durchzuführen, weil ihrer Ansicht nach keine Zweifel über die Geschlossenheit der dortigen Grabkomplexe bestehen.31 Auf gemischte und als solche unerkannte Gräber aus Carpio de Tajo verwies dagegen B. Sasse.32 Ein weiteres Problem betrifft die Gräberfeldpläne der Altgrabungen. In der Publikation zu Herrera de Pisuerga wurde vom Autor der Plan überhaupt nicht beigelegt. Über Castiltierra fügte G. Ripoll ihrer Dissertation eine nicht numerierte Umzeichnung bei.33 Der Gräberfeldplan zu Carpio de Tajo zeigt nur einheitlich eingetragene Gräber, so dass weder Aussagen über den Grabbau getroffen noch Überprüfungen über die Richtigkeit des Planes durchgeführt werden können. Dass nämlich Fehler bei der Erstellung oder Vorlage von Gräberfeldplänen unterlaufen konnten, zeigen die Pläne von Duratón und Madrona. W. Ebel-Zepezauer veröffentlichte eine Umzeichnung G. Koenigs vom Originalplan zum Gräberfeld von Duratón.34 Bei der Übertragung der einzelnen Gräber waren Koenig zahlreiche
29
30
31
32 33
34
Wolfgang Ebel-Zepezauer, Studien zur Archäologie der Westgoten vom 5.–7. Jh. n. Chr., Iberia Archaeologica 2 (Mainz 2000). Einige wenige Gräber sind vorweg sporadisch bekannt: Antonio Molinero, Guarniciones de carteras en sepulturas visigodas segovianas. Actas del X. Congreso Nacional de Arqueología, Mahón 1967 (Zaragoza 1969) 463–475. Bei Koenig, Zur Gliederung (Anm. 9), finden sich Zeichnungen über die Trachtlage einiger Gräber. Volker Bierbrauer, Archäologie und Geschichte der Goten vom 1.–7. Jahrhundert. Versuch einer Bilanz. Frühmittelalterliche Studien 28, 1994, 51–171, hier 158, beruft sich auf G. Koenig, der Teile der Originalunterlagen zumindest flüchtig eingesehen hatte. Sasse, Westgoten (Anm. 10) 38. Gisela Ripoll López, La ocupación visigoda en la época romana a través de sus necrópolis (Hispania). Universität Barcelona, Colecció de Tesis Doctorals Microfitxades 912 (Barcelona 1991). Ebel-Zepezauer, Studien (Anm. 29) 101.
200
Antonel Jepure
Fehler unterlaufen, denn über 30 Gräber aus dem Bereich „Duratón II“ sind doppelt aufgeführt, womit entsprechend viele Gräber fehlen. Im noch unveröffentlichten Gräberfeldplan von Madrona ist irrtümlich sogar die Fläche einer ganzen Grabungskampagne an die falsche Stelle des Gesamtplanes eingefügt worden, was ich über Messpunkte und Grabungsphotos korrigieren konnte. Ohne die vollständige Grabungsdokumentation wäre ein solcher Fehler kaum aufzudecken gewesen. Zu Espirdo-Veladiez lag ein Gesamtplan überhaupt nicht vor, sondern musste erst aus Einzelplänen rekonstruiert werden (siehe unten).
Zurück zu den Altgrabungen Solange spektakuläre Neuentdeckungen sogenannter ‚westgotischer‘ Gräberfelder ausbleiben, führt für die archäologische Forschung kein Weg an den Altgrabungen vorbei, um das Phänomen der zentralkastilischen Nekropolen zu deuten. Allerdings sollten diese Grabungen unter einem anderen Gesichtspunkt betrachtet und bewertet werden als bisher geschehen. Galten sie allgemein als schlecht durchgeführt und unzureichend dokumentiert, so möchte ich im folgenden diese Ansicht umkehren. Im Rahmen meiner Dissertation habe ich die Bearbeitung der Funde aus dem segovianischen Gräberfeld von Madrona übernommen, das von Antonio Molinero in den 1950er Jahren ausgegraben wurde. Ursprünglich sollte lediglich eine Untersuchung der Grabfunde durchgeführt werden, da sich die zugehörigen Grabungsunterlagen auf wenige Grabungsfotos und Bemerkungen des Ausgräbers über einzelne Befunde beschränkten. Allerdings gaben mir die Qualität des Vorhandenen und Hinweise auf ein Tagebuch die Bestätigung, dass mir zunächst nur wenige Teile der somit verschollenen und nicht etwa inexistenten Grabungsdokumentation vorlagen. Nach zweijährigen Recherchen in spanischen Staats- und Privatarchiven konnte ich schließlich die Unterlagen über die Ausgrabungen in Madrona vervollständigen sowie nebenbei die bis dahin ebenso verschollene Dokumentation über die Gräberfelder von Duratón und Espirdo ausfindig machen, die ebenfalls von Molinero ausgegraben wurden. Somit stellt die Aufarbeitung dieser drei Altgrabungen Molineros aus der spanischen Provinz Segovia ein insgesamt längerfristiges Forschungsprojekt dar. Der Katalog über die Funde und insbesondere der Befunde aus der Nekropole von Espirdo liegt seit kurzem bereits vor.35 Dabei handelt es
35
Jepure, Espirdo-Veladiez (Anm. 22).
Interpretationsprobleme der Westgotenarchäologie
201
sich nicht um einen kleinen Bestattungsplatz, wie in der Literatur aufgrund der geringen Gräberzahl angenommen wurde (51 Grabnummern), sondern um eine große Nekropole im unmittelbaren Umkreis der Stadt Segovia. Die ursprünglichen Ausmaße können heute nicht einmal abgeschätzt werden, da das Areal durch eine Kiesgrube großflächig zerstört wurde. Es treten auch gegenwärtig gelegentlich (beigabenarme) Grabgruppen zutage, die entfernt von den Notgrabungsflächen Molineros aus den Jahren 1944 und 1950 liegen. Das Gräberfeld befindet sich im Bereich der alleinstehenden Wallfahrtskirche „Veladiez“, deren Name auf eine mittelalterliche Wüstung zurückgeht. Dies machte auch eine Umbenennung des zuvor unter „Espirdo“ bekannten Fundortes notwendig, der in den Ortsakten ausschließlich unter „Veladiez“ geführt wird. Die neue Benennung „Espirdo-Veladiez“ sollte die Verbindung zum zuvor bekannten westgotenzeitlichen Gräberfeld unter Berücksichtigung der tatsächlichen Lage aufrecht erhalten.36 Der Bestattungsplatz befindet sich im unmittelbaren Einzugsgebiet der Stadt Segovia und ist wenige Kilometer von den mittelalterlichen Vororten der alten Bischofsstadt entfernt. Die Ausdehnung und Struktur der römischen Stadt Segovia sind bislang wenig bekannt, doch die topographischen Gegebenheiten deuten darauf hin, dass sich die westgotenzeitliche Nekropole von Espirdo-Veladiez an der nordöstlichen römischen Ausfallstraße befunden hatte und die zugehörige Siedlung zum suburbanen Milieu Segovias gehört haben könnte. Die Befundlage zum Gräberfeld ist nicht zufriedenstellend, obwohl die Grabungsdokumentation vollständig erhalten zu sein scheint.37 Der Gesamtgräberfeldplan ist eine Rekonstruktion aus den losen Plänen der einzelnen Grabungsschnitte.38 Molinero beschränkte sich nämlich darauf, in dem zerstörten Gelände an der Oberfläche bereits sichtbare Grabgruppen zu dokumentieren, die ansonsten von Grabräubern geplündert worden wären. Damit entfällt dieses Gräberfeld für eine ausführliche Analyse. Eine nennenswerte Überschneidung ergibt sich jedoch im Bereich des Grabes 44, das schon vor der Befundvorlage als geschlossene Bestattung Einzug in chronologische Studien erhalten hat. Im Körpergrab enthalten waren eine Bügelfibel im Bereich der rechten Brusthälfte und eine eiserne Gürtelschnalle mit rechteckiger Beschlagplatte. Die Platte war ebenfalls aus Eisen und ist bald nach der Ausgrabung zerfallen. Davon übrig geblieben ist eine runde Bronzeauflage mit Cloisonné und Kreuzdarstellung. Diese 36 37 38
Das Gräberfeld liegt 1,5 km vom Ort Espirdo entfernt. Tagebuch, Fotos, Pläne und amtliche Schreiben. Jepure, Espirdo-Veladiez (Anm. 22) 87 f.
202
Antonel Jepure
Abb. 1. Lage von Grab 44 in Espirdo-Veladiez
kleine Scheibe war Gegenstand einer Fachdiskussion, denn sie wurde entweder als Scheibenfibel39 oder als Bestandteil des Gürtels40 interpretiert. Das Grabungsfoto belegt schließlich, dass die kleine Scheibe zum Gürtel gehörte.41 In chronologischen Fragen weichen die Forschungsmeinungen ebenfalls deutlich voneinander ab, was die Datierung des Inhalts aus Grab 44 aus Espirdo-Veladiez betrifft. G. Ripoll und P. Ciezar stellen das Grabensemble an den Anfang ihrer jeweiligen Stufeneinteilung.42 W. Ebel-Zepe39
40
41 42
Jörg Kleemann, Rez. zu Ebel-Zepezauer, Studien (Anm. 29). Ethnographisch-Archäologische Zeitschrift 42, 2001, 437–471, hier 449. Ebel-Zepezauer, Studien (Anm. 29) 46 „Typ Cubas“ und 301 (Liste 9G). Der Autor hielt die Schnalle allerdings für aus Bronze bestehend. Jepure, Espirdo-Veladiez (Anm. 22) 116, Taf. V. Gisela Ripoll López, La necrópolis visigoda de Carpio de Tajo. Una nueva lectura a partir de la topocronología y los adornos personales. Butletì de la Reial Acadèmia Catalana de Bellas Arts de Sant Jordi 7–8, 1993–94, 187–250; Pablo G. Ciezar, Sériation de la nécropole wisigothique de Duratón (Ségovie, Espagne). Histoire et Mesure 5, 1–2, 1990, 107–144.
Interpretationsprobleme der Westgotenarchäologie
203
Abb. 2. Blick auf eine Grabungsfläche in Madrona (1954)
zauer sieht das Grab 44 als Bestandteil seiner dritten Stufe (Stufe C)43, ordnet es also als jünger ein. Der stratigraphische Aspekt jedenfalls, der sich aus der Befundlage ergibt, deutet auf eine frühe Zeitstellung hin. Die Bestattung liegt unter Grab 33 und an der Basis des Grabes 38 (Abb. 1). Beide Gräber gehören zu einer Gruppe von wohlgeordneten „Reihengräbern“, die zu den letzten Belegungsphasen des Bestattungsplatzes zählen. Aus dem ihnen benachbarten Grab 37 stammt eine sog. ‚byzantinische‘ Gürtelschnalle. Dadurch ist zwar die Datierung von Grab 44 in die zweite Hälfte des 6. Jahrhunderts nicht widerlegt, doch die klare Überlagerung durch die jüngeren Gräber spricht für einen beachtlichen zeitlichen Abstand. Eine endgültige Klärung in Bezug auf die genaue Datierung kann hier jedoch nicht erbracht werden, so dass dieser Befund bei zukünftigen Fragen dieser Art berücksichtigt werden sollte.
43
Ebel-Zepezauer, Studien (Anm. 29) 96, Phase C (550–570) als letzte Phase der westgotenzeitlichen Bestattungen mit der Beigabe von Fibeln und gotischen Schnallen.
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Das Gräberfeld von Madrona bietet im Gegensatz zu Espirdo-Veladiez die Voraussetzung für eine Rekonstruktion des Grabungsverlaufs. Es befindet sich ebenfalls nur wenige Kilometer vor der Provinzhauptstadt Segovia. Madrona liegt jedoch an der entgegengesetzten Ausfallstraße nach Südwesten. Es handelt sich dabei mit 350 Gräbern nach Duratón um den zweitgrößten Komplex an planmäßig untersuchten Gräbern eines „westgotischen“ Bestattungsplatzes, wobei auch hier – wie in Esprido-Veladiez und Duratón – die tatsächlichen Ausmaße völlig unbekannt sind. Antonio Molinero hatte dort 1951 eine Notgrabung begonnen, die er in vier weiteren Kampagnen bis 1960 in eine für damalige Verhältnisse beispielhafte Plangrabung umwandeln und seine jahrzehntelange archäologische Grabungspraxis einbringen konnte. Diese Erfahrung spiegelt sich in seinen fünf Grabungstagebüchern wider, in denen er die Befundangaben zu jedem Grab niederschrieb und mit qualitätvollen Aufnahmen ergänzte (Abb. 2). Er unterschied bereits während der Eintragung jeweils über die Reihenfolge und Zusammensetzung von Mehrfachbestattungen. Mit der Fundzeichnung beauftragte er später einen Zeichner, der eine solche Unterscheidung nicht treffen konnte und demnach die Funde nach ihrer Grabnummer gruppierte. So entstand bei der Publikation dieser Zeichnungen der Eindruck von geschlossenen Fundkomplexen44, die in vielen Fällen leider nicht als solche gelten dürfen. Ich möchte mich hier lediglich auf zwei ausgewählte Beispiele solcher Vermischungen beschränken, die zugleich die Qualität der Grabungsdokumentation aus Madrona vermitteln sollen. Das Grab 222 bietet eine Doppelbestattung einer Frau und eines Mannes in einem Kalksteinsarkophag. Diese Bestattung stellt ein Bindeglied in der Argumentation jener Autoren dar, die in den geschlechtlich gemischten Doppelbestattungen den Ausdruck eines innigen Verhältnisses des Paares zu Lebzeiten sehen.45 Das Paar aus Madrona lag in einer Umarmung vereint, wobei das Frauenskelett seitlich an das Männerskelett gelehnt war (Abb. 3). Die Aufnahme Molineros zeigt jedoch, dass beide Tote nicht gleichzeitig in den Sarkophag gelegt wurden. Die Positionen der Knochen des Frauenskeletts geben zu erkennen, dass die Frauenleiche bewegt wurde, als sie sich im fortgeschrittenen, aber noch nicht abgeschlossenen Verwesungsprozess befunden hatte. So wurde etwa der rechte Arm von der Schul44 45
Molinero, Aportaciones (Anm. 20). Z. B. Barbara Sasse, Frauengräber im frühmittelalterlichen Alamannien. In: Frauen in Spätantike und Frühmittelalter. Lebensbedingungen, Lebensnormen, Lebensformen, hrsg. Werner Affeldt (Sigmaringen 1990) 45–64; Max Martin, Bemerkungen zur Ausstattung der Frauengräber und zur Interpretation der Doppelgräber und Nachbestattungen im frühen Mittelalter. Ebd., 89–103.
Interpretationsprobleme der Westgotenarchäologie
Abb. 3. Doppelbestattung 222 aus Madrona
205
206
Antonel Jepure
ter getrennt, wobei die einzelnen Sehnenverbindungen dieser Extremität den äußeren Einwirkungen trotzen konnten. Damit haben die Grabausstatter während der Beisetzung des Mannes eine intime Bindung zwischen den beiden Personen inszeniert. Die einzelnen Funde aus dem Sarkophag können anhand der Fotos und der Beschreibungen Molineros der entsprechenden Bestattung zugewiesen werden. Da in diesem Fall kein großer zeitlicher Unterschied zwischen beiden Beisetzungen vorliegen kann, hat eine Vermischung der beiden Inventare auf chronologische Studien keine direkten Auswirkungen. Folgenschwer ist dagegen die Vermischung von Vor- und Nachbestattungen, die keinen weiteren Bezug zueinander aufweisen, als den der Nutzung des gemeinsamen Grabes. Besonders in Fällen, bei denen die Reste der vollständig verwesten Vorbestattung mitsamt den Beigaben an das Fußende der Nachbestattung verschoben wurden, ist die Zeitspanne zwischen den beiden Graböffnungen völlig offen. Ein solches Bild ergibt sich z. B. für Grab 188. Beide Fibeln, die Gürtelschnalle mit rechteckiger Beschlagplatte, der Armreif, die Perlen, ein Ring und die Ohrringe lagen zwischen den Knochenresten der Vorbestattung verstreut, die neben den Beinknochen der intakten Nachbestattung zusammengehäuft wurden (Abb. 4). Das Messer, die Taschenbeschläge, die Schilddornschnalle und der zweite Ring gehörten dagegen zur Nachbestattung.46 Man muss auch externe Faktoren bei der Vermischung von Grabinventaren berücksichtigen, wie etwa die bislang völlig ignorierte antike Grabplünderung. Die Wiederöffnung durch zeitgenössische Grabräuber konnte ebenfalls erheblich auf die Geschlossenheit, die Vermischung oder die Vollständigkeit der Funde einwirken, wie aus mitteleuropäischen Gräberfeldern leidlich bekannt ist.47 Weiterhin erschließen sich aus der Originaldokumentation andere Aspekte, wie etwa der Grabbau und die Bestattungssitte. Als Grundlage für diese Themenbereiche galten bisher die Gräber aus Duratón I und Herrera de Pisuerga, die in Anbetracht der Tragweite der Aussagen im Verhältnis zu der Gesamtzahl westgotenzeitlicher Bestattungen einen zu geringen Anteil 46
47
Die Beschreibung der Nachbestattung wurde vom Ausgräber veröffentlicht: Molinero, Guarniciones (Anm. 30) 469ff. sowie Abb. 3 und 5. Eine eigene Studie über den antiken Grabraub in westgotenzeitlichen Gräberfeldern ist bereits abgeschlossen (in spanischer Sprache). Gerd Koenig hielt die spanischen Gräberfelder für unberaubt; Gisela Ripoll López, Características generales del poblamiento y la arqueología funeraria visigoda de Hispania. Espacio, Tiempo y Forma Serie 1, Prehistoria y Arqueología 2, 1989, 389–418, hier 409ff., und Blanca Gamo Parras, La Antigüedad Tardía en la Provincia de Albacete (Albacete 1999) 276 ff., verweisen zumindest auf westgotische Gesetzestexte, die den Grabraub unter empfindliche Strafen stellten.
Interpretationsprobleme der Westgotenarchäologie
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Abb. 4. Vorbestattung aus Grab 188 in Madrona. Markiert sind (von links) die Fußplatte einer Bügelfibel, ein Ohrring und ein Armring
208
Antonel Jepure
darstellen. Im Gräberfeld von Carpio de Tajo erlaubt die unvollständige Dokumentation nur bedingt eine Vertiefung in die genannten Themen48, und das modern erfasste Gräberfeld von Cacera de las Ranas (Madrid) bietet nicht die gesamte Vielfalt vorhandener Formen.49 Als Folge dessen neigte man insgesamt dazu, Ableitungen aus der merowingerzeitlichen Archäologie zu unternehmen, die zu einer oft unzutreffenden Verallgemeinerung geführt haben.
Ausblick Die Hauptaussagen der Archäologie der Westgotenzeit basieren nach wie vor auf den Altgrabungen. Darin liegt aber zugleich das Hauptpotential noch unbekannter Details. Ich wollte mit dem vorliegenden Beitrag darauf hinweisen, dass dieses Potential überhaupt nicht annähernd ausgeschöpft wurde. Außerdem hat bei der Auswertung dieser Altfunde der geringe Kenntnisstand der Befunde einerseits dazu geführt, dass der Forschungsschwerpunkt in übertriebenem Maße auf die Betrachtung der Funde verschoben wurde (meist ohne Untersuchungen der Originale!), weshalb stets neue Typologien vorgestellt werden, die im Grunde aber keine wesentlichen Neuerkenntnisse liefern. Andererseits sind wichtige Aussagen über bisherige Gräberfeldauswertungen ungenügend durch Befunde abgedeckt. Solche Aussagen betreffen z. B. die Belegungsentwicklung der Bestattungsplätze und die Assimilierungsprozesse eingewanderter mit einheimischen Bevölkerungsgruppen. Dabei ging man bisher viel zu sehr von homogenen Verhältnissen in den westgotenzeitlichen Gräberfeldern aus. Auch die Definition von ‚germanischem‘ und ‚romanischem‘ Fundstoff beruht vermutlich auf zu einfachen Schemen. So kann etwa das ‚Romanische‘ nicht ohne weiteres durch das Fehlen ‚germanischer‘ Merkmale bestimmt sein, die wiederum regional unterschiedlich behandelt werden. Der Ausblick für die Forschung der Westgotenzeit ist m. E. trotzdem positiv, obwohl die Archäologie in den folgenden Jahren genauso wie bisher auf die Altgrabungen zurückgreifen werden muss; allerdings unter veränderten Bedingungen. Durch die Schenkung der Dokumentation von Emilio Camps durch seine Tochter an das Archäologische Nationalmuseum in Madrid und meiner Entdeckung der Grabungsunterlagen von Antonio Molinero werden sich in sehr naher Zukunft ganz neue Möglichkeiten für die Anwendung 48 49
Sasse, Carpio de Tajo (Anm. 15) 9 ff. Ardanaz, Cacera de las Ranas (Anm. 26).
Interpretationsprobleme der Westgotenarchäologie
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von all jenen archäologischen Methoden eröffnen, die etwa in der Archäologie der Merowingerzeit seit Jahrzehnten zur Routine gehören. Das von der Grabungsqualität her zweitrangige Gräberfeld von EspirdoVeladiez liegt mittlerweile bereits vor.50 In den kommenden Jahren werden hoffentlich in der genannten Reihenfolge die Publikationen der Nekropolen von Castiltierra, Madrona und Duratón folgen. Mittlerweile konnte ich Kollegen dazu ermuntern, sich auf die Suche nach verschollenen Unterlagen weiterer Altgrabungen zu begeben. Die Westgotenarchäologie hat sich in einer Sackgasse festgefahren. Einerseits ist der Fragenkatalog seit der Zeit von Antonio Molinero nicht wesentlich erweitert worden. Andererseits ist es kaum noch zu überblicken, welche Aussagen tatsächlich auf archäologischen Befunden und welche auf subjektiven Einschätzungen beruhen. Mit jeder neuen Forschergeneration erschwert sich eine Entflechtung dieser Situation, da auch kritische Ansätze mit dem Verweis auf eine lange Forschungstradition im Keim erstickt werden. Die Vorlage der segovianischen Altgrabungen von Duratón, Madrona, Castiltierra und Espirdo-Veladiez wird vielleicht die Möglichkeit bieten, einen Weg aus dieser Sackgasse zu finden – indem man wieder an den Anfang zurückschreitet. Die unausweichliche Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Umorientierung ist allerdings die vorläufige Aussetzung der ethnischen Frage. Erst wenn die Befunde der zentralkastilischen Bestattungsplätze rein archäologisch – d. h. ohne voreilige Einbeziehung historischer Daten – ausgewertet sein werden, wird eine Überarbeitung der Chronologie und schließlich auch wieder eine allmähliche Annäherung an die ethnische Frage möglich sein. Vielleicht haben bis dahin spanische Archäologen ein weiteres ‚Duratón‘ entdeckt und ausgegraben, das dann real mit den Altgrabungen verglichen werden könnte.
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Jepure, Espirdo-Veladiez (Anm. 22).
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Zwischen Spätantike und Frühmittelalter – RGA-E Band 57 – Seiten 211–233 Methodik © 2008 Walter de Gruyter · Berlin · New der Yorkethnischen Deutung
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Methodik der ethnischen Deutung Überlegungen zur Interpretation der Grabfunde aus dem thüringischen Siedlungsgebiet Claudia Theune
Einleitung Die Diskussion um ethnische Identitäten hat eine lange Tradition und gehört zu den stets aktuellen Themen der frühgeschichtlich-archäologischen Forschung. Die ethnische Bestimmung der materiellen Hinterlassenschaften frühmittelalterlicher gentes geschah traditionell aufgrund der Aussagen von Schriftquellen. Dort werden mehr oder weniger präzise Angaben zu den Siedlungsräumen der gentes gemacht, in der Folge wiesen die Archäologen alle in dieser Region ausgegrabenen Komplexe diesen Stämmen zu. Gehäuft auftretenden Fundkombinationen, bzw. immer wieder kehrende typische Stücke wurden als charakteristisch angesehen. Besonders die Frauentracht des 6. Jahrhunderts mit spezifischen Bügel- und Kleinfibeln gilt bis heute als ethnischer Anzeiger. Verbreitungskarten, die oft nur vermeintlich ein begrenztes Vorkommen der Typen widerspiegeln, bestätigten scheinbar die Annahmen. So lag vielfach bei den Zuweisungen der materiellen Kultur zu einer gens das Hauptaugenmerk auf einzelne Funde, wenig Berücksichtung fanden die weiteren archäologischen Quellen. Diese älteren Ansätze in der Archäologie1 beruhen nicht zuletzt auf der großen Bedeutung des Nationalgefühls und des Nationalismus im 19. Jahrhundert, und sie wurden durch die Schriften Gustaf Kossinnas in der Zeit um 1900 im Fach verwurzelt. Die wegweisende Studie des Mediävisten Reinhard Wenskus2 führte eine differenzierte Sichtweise ein. Neben der gemeinsamen Abstammung und der tragenden Bedeutung des Traditions1
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Zusammenfassend bei Sebastian Brather, Ethnische Interpretationen in der frühgeschichtlichen Archäologie. Geschichte, Grundlagen, Alternativen. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Ergänzungsband 42 (Berlin, New York 2004) 159 ff. Reinhard Wenskus, Stammesbildung und Verfassung. Das Werden der frühmittelalterlichen gentes (Köln, Wien 1961).
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kerns stellte er auch eine gemeinsame Kulturgemeinschaft heraus. Heute werden weitere Aspekte betont;3 dazu gehört auch die Feststellung, dass Gemeinschaften dynamische Gebilde sind, dass sich die Zusammensetzung der Gruppen ändern kann, dass nicht alle Menschen, die in einer Region wohnen, einer gens angehören müssen, und dass Personen die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe wechseln können. Die Genese einer Gemeinschaft ist zudem nur in der Auseinandersetzung und Reflexion mit anderen Gemeinschaften möglich, eine verbindungslose Entstehung und weitere Entwicklung kann nicht erkannt werden.4 Der wissenschaftliche Diskurs um ethnische Identitäten in der Frühgeschichte basiert heute auf neueren sozialanthropologischen, durch die Archäologen rezipierten Theorien.5 Auch wenn die Schlussfolgerungen nicht kongruent sind, herrscht doch Einigkeit darüber, dass nicht mehr die Vorstellungen einer gemeinsamen Abstammung und einer gemeinsamen Kultur für ethnische Identitäten ausschlaggebend sind, wie sie die älteren Forschung propagierte, sondern dass Identitäten sich stets verändernde und sich weiterentwickelnde Wir-Gruppen sind. Das Wir-Bewusstsein und die Abgrenzung nach außen und die dadurch bedingte Selbstzuweisung und Fremdbestimmung sind die zwei maßgeblichen Aspekte. Andere Merkmale wie eine gemeinsame Kultur, Sprache, Religion, Abstammung oder ein einheitliches Territorium sind weitere wichtige, aber letztendlich nicht ausschlaggebende Merkmale. Wenn denn die Archäologie ethnische Bestimmungen vornehmen möchte, muss sie Kriterien heranziehen, die eine hohe Wertigkeit für solche Identitätsmerkmale besitzen. Kriterien aus dem religiösen oder kultischen Bereich sind sicherlich aussagekräftiger als funktionale Aspekte. Bestattungssitten zählen zu den Bräuchen, die das Zusammengehörigkeitsgefühl der Gruppen bestätigen und stärken. Möglicherweise die Identität nach außen sichtbar machende, in den Bestattungssitten und den archäologischen Funden vorkommende Symbole können Archäologen gegebenenfalls für die Identifizierung von Gruppen heranziehen. Nicht nur die in
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Walter Pohl, Franken und Sachsen: Die Bedeutung ethnischer Prozesse im 7. und 8. Jahrhundert. In: Christoph Stiegemann/Matthias Wemhoff (Hrsg.), 799. Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Beiträge zum Katalog der Ausstellung Paderborn 1999 (Mainz 1999) 233–236; ders., Die Germanen. Enzyklopädie deutscher Geschichte 57 (München 2000) 7ff.; ders., die Völkerwanderung. Eroberung und Integration (Stuttgart, Berlin, Köln 2002) 13ff. Brather, Ethnische Interpretationen (Anm.1) 148 f. Frank Siegmund, Alemannen und Franken. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Ergänzungsband 23 (Berlin, New York 2000); Brather, Ethnische Interpretationen (Anm. 1); Claudia Theune, Germanen und Romanen in der Alemannia. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Ergänzungsband 45 (Berlin, New York 2004).
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der Vergangenheit6 stark in Betracht gezogenen Einzelfunde, sondern auch Beigabenkombinationen, der Grabbefund sowie die Gräberfeldstruktur sollten dafür mit in die Analyse einfließen, um einen möglichst umfassenden Einblick in die Bestattungssitten zu erhalten. Zudem sind Überlegungen zu Herstellung und Verteilung von Objekten, einschließlich der Trachtbestandteile, stärker zu berücksichtigen.7 Die Interpretation von weiblichen Trachtbestandteilen als ethnisches Kennzeichnen setzt voraus, dass der Erwerb z.B. bestimmter Bügelfibeln nur bestimmten Frauen vorbehalten war und dass diese Stücke nicht auf einem Markt beliebig zu erhalten waren. Auffällig ist weiterhin, dass die männlichen Mitglieder einer gefolgschaftlich organisierten Stammesgemeinschaft, die zunächst den militärisch bestimmten Namen führten8, anscheinend keine für uns heute noch sichtbaren Kennzeichen und Symbole besaßen. Nur selten werden für bestimmte nur in Männergräbern vorkommende Funde regionale Verbreitungen und damit eventuell ethnisch zu interpretierende Objekte konstatiert. Im Folgenden sollen nach einer forschungsgeschichtlichen Einführung sowohl die Einzelfunde und die Fundkombinationen als auch der Grabbefund und die Gräberfeldstruktur näher beleuchtet werden, um gegebenenfalls Aussagen zu der Gruppenzugehörigkeit der auf den thüringischen Gräberfeldern bestatteten Personen zu erlangen.
Forschungsgeschichte Die archäologischen Forschungen zu den Thüringern setzten schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein.9 Bedeutende Grabfunde aus Weimar10 oder Obermöllern11 führten zu ersten Vorstellungen des Fundmate6 7
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Brather, Ethnische Interpretationen (Anm. 1) 304 ff. Rainer Christlein, Die Alamannen. Archäologie eines lebendigen Volkes (Stuttgart 1978) 105 ff.; Heiko Steuer, Höhensiedlungen des 4. und 5. Jahrhunderts in Südwestdeutschland. In: Hans Ulrich Nuber/Karl Schmid/Heiko Steuer/Thomas Zotz (Hrsg.), Archäologie und Geschichte. Freiburger Forschungen zum ersten Jahrtausend in Südwestdeutschland 1 (Sigmaringen1990) 139–205; Gerard Jentgens, Die Alamannen. Methoden und Begriffe der ethnischen Deutung archäologischer Funde und Befunde. Freiburger Beiträge zur Archäologie und Geschichte des ersten Jahrtausends 4 (Rahden/Westfalen 2001) 121 ff. Brather, Ethnische Interpretationen (Anm. 1) 148. Claudia Theune, s. v. Thüringer, Archäologisch. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 30 (Berlin, New York 2005) 535–544. Alfred Götze, Die merowingischen Altertümer Thüringens. Verhandlungen der Berliner Anthropologischen Gesellschaft 1894, 49–56; ders., Germanische Funde aus der Völkerwanderungszeit. Die altthüringischen Funde von Weimar 5.–7. Jahrhundert n. Chr. (Berlin 1912). Friedrich Holter, Das Gräberfeld bei Obermöllern aus der Zeit des alten Thüringen. Jahresschrift für die Vorgeschichte der sächsisch-thüringischen Länder 12/1 (Halle 1925).
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rials. Frühe zusammenfassende Arbeiten stammen von Walther Schulz und Kurt Ziegel.12 Schulz nannte erstmals die Bügelfibeln mit ausgezackter Kopfplatte als kennzeichnend und führte für diesen Typ den Begriff der „Thüringer Fibel“ ein.13 Spezifisch thüringische Funde aus den Männergräbern wurden nicht herausgestellt. Weiterhin wurde die glättverzierte Drehscheibenkeramik als charakteristisch beschrieben.14 In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war die Archäologie der Thüringer stark mit Berthold Schmidt verbunden.15 Charakteristisch für die Ar12
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Walther Schulz, Merowingerfunde zwischen Ohre und Harz. Jahresschrift für mitteldeutsche Vorgeschichte 12/2, 1925, 80–88; ders., Zur Merowingerzeit Mitteldeutschlands. Neuere Funde und Forschungen. Mannus 18, 1926, 285–297; ders., Das Thüringer Reich in der archäologischen Forschung. Prähistorische Zeitschrift 21, 1930, 312–313; Kurt Ziegel, Die Thüringer der späten Völkerwanderungszeit im Gebiet östlich der Saale. Jahresschrift für die Vorgeschichte der sächsisch-thüringischen Länder 31, 1939, 1–118. Walther Schulz, Edelmetallschmuck der Völkerwanderungszeit in Mitteldeutschland. IPEK (Jahrbuch für prähistorische und ethnographische Kunst) 4, 1928, 57–63, hier 60. Schulz, Edelmetallschmuck (Anm. 13). Berthold Schmidt, Die späte Völkerwanderungszeit in Mitteldeutschland. Veröffentlichungen des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle 18 (Halle/Saale 1961); ders., Die späte Völkerwanderungszeit in Mitteldeutschland, Katalog Südteil. Veröffentlichungen des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle 25 (Berlin 1970); ders., Die späte Völkerwanderungszeit in Mitteldeutschland, Katalog Nord- und Ostteil. Veröffentlichungen des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle 29 (Berlin 1976); ders., Konkordanz und Diskordanz schriftlicher und archäologischer Quellen am Beispiel des Thüringer Reiches. In: Joachim Preuß (Hrsg.), Von der archäologischen Quelle zur historischen Aussage. Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Wissenschaftliche Beiträge L 13 (Berlin 1979) 263–279; ders., Stand und Aufgaben der Frühgeschichtsforschung im Mittelelbe-Saale-Gebiet. Jahresschrift für mitteldeutsche Vorgeschichte 65, 1982, 145–172; ders., Die Thüringer. In: Bruno Krüger (Hrsg.), Die Germanen. Geschichte und Kultur der germanischen Stämme in Mitteleuropa. Ein Handbuch in zwei Bänden, 2. Die Stämme und Stammesverbände in der Zeit vom 3. Jahrhundert bis zur Herausbildung der politischen Vorherrschaft der Franken (Berlin 21986) 502–548; ders., Das Königreich der Thüringer und seine Provinzen. In: Germanen, Hunnen und Awaren. Ausstellungskatalog Nürnberg, Frankfurt/Main (Nürnberg 1988) 471–511; ders., Thüringer, Franken und Sachsen vom 6.–8. Jahrhundert. In: Joachim Herrmann (Hrsg.), Archäologie in der Deutschen Demokratischen Republik 1. Archäologische Kulturen, geschichtliche Perioden und Volksstämme (Leipzig, Jena, Berlin 1989) 220–228; ders., Thüringer, Franken, Sachsen, Slawen. Gesellschaftliche Veränderungen vom 6.–8. Jahrhundert in Mitteldeutschland. Jahresschrift für mitteldeutsche Vorgeschichte 75, 1992, 312–323; ders., Zwischen römischer Eroberung und Königreich. Archäologie in Deutschland 1996/2, 20–25; ders., Das Königreich der Thüringer und seine Eingliederung in das Frankenreich. In: Die Franken. Wegbereiter Europas. Ausstellungskatalog Mannheim (Stuttgart 1996) 285–297; vgl. Günter Behm-Blancke, Zur Sozialstruktur der völkerwanderungszeitlichen Thüringer. Ausgrabungen und Funde 15, 1970, 257–271; ders., Gesellschaft und Kunst der Germanen. Die Thüringer und ihre Welt (Dresden 1973); Karl Peschel, Thüringen in ur- und frühgeschichtlicher Zeit (Wilkau-Haßlau 1994); Matthias Knaut, 500 Jahre Königreich. Archäologie in Deutschland 1996/2, 16–19; Wolfgang Timpel, Die Thüringer. Ein bedeutendes Volk und Reich in Mitteleuropa. In: Sigrid Dusˇek (Hrsg.), Ur- und Frühgeschichte Thüringens. Ergebnisse archäologischer Forschung in Text und Bild (Stuttgart 1999) 143–165; Christina Hansen,
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beiten von Schmidt sind die enge Verknüpfung von Schriftquellen mit den archäologischen Funden und die darauf aufbauende Interpretation der Grabfunde. Grundlage bilden einerseits die durch die Schriftlichkeit überlieferten regionale Abgrenzung der Siedlungsgebiete, andererseits einige besonders in diesem Raum verbreitete Funde, wie Zangenfibeln, Vogelkopffibeln oder die Drehscheibenkeramik mit Glättverzierung. Gerade die Fibeln galten als genuin thüringisch und für die thüringische Frauentracht kennzeichnend. Danach sind die Grabfunde der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts und des 6. Jahrhunderts zwischen Weißer Elster, Saale, Thüringer Wald und Harz den Thüringern zuzuschreiben (Abb. 1). Ausläufer reichen im Westen bis an die hessische Werra16, im Osten bis in den Fläming, der Region um Riesa an der Elbe und im Süden bis nach Böhmen.17 Heute sind über 300 Fundorte in den zentralen Gebieten bekannt, hinzuzufügen sind noch etwa 100 Fundplätze im Böhmen. Die Verbreitung der als thüringisch beschriebenen Funde deckt sich weitgehend mit den Ortschaften, deren Namen mit einem Suffix „-leben“ enden. Folglich werden die „-leben“Orte als thüringische Siedlungen angesehen. Die Berücksichtigung der durch die Schriftquellen überlieferten Aussagen bezog sich nicht nur auf die geographischen Angaben, sondern man versuchte auch, die anonymen archäologischen Funde mit historisch bekannten Persönlichkeiten des thüringischen Könighauses zu verbinden18
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Frauengräber im Thüringerreich: Zur Chronologie des 5. und 6. Jahrhunderts nach Christus. Basler Hefte zur Archäologie 2 (Basel 2004). Klaus Sippel, Die frühmittelalterlichen Grabfunde in Nordhessen. Materialien zur Vorund Frühgeschichte von Hessen 7 (Wiesbaden 1989); ders., Thüringische Grabfunde des frühen Mittelalters in Osthessen. Archäologische Quellen zur Westausdehnung thüringischer Besiedlung in karolingischer Zeit. In: Michael Gockel (Hrsg.), Aspekte thüringischhessischer Geschichte (Marburg/Lahn 1992) 29–48. Bedrˇich Svoboda, Cˇechy v dobé steˇhování národù (Böhmen in der Völkerwanderungszeit). Monumenta Archaeologica 13 (Prag 1965) 309–358; Alena Rybová, Brandgräberfelder des 5. Jahrhunderts in Böhmen. In: Königreich der Thüringer und seine Provinzen. In: Germanen, Hunnen und Awaren. Ausstellungskatalog Nürnberg, Frankfurt/Main (Nürnberg 1988) 528–543; Jirˇí Zeman, Böhmen im 5. und 6. Jahrhundert. In: Germanen, Hunnen und Awaren. Ausstellungskatalog Nürnberg, Frankfurt/Main (Nürnberg 1988) 515–527; ders., Pohrˇebisˇteˇ z doby steˇhování národu˚ (Gräberfelder aus der Völkerwanderungszeit). In: Miroslav Buchvaldek (Hrsg.), Lochenice. Z archeologicky´ch vy´zkumu˚ na katastru obce. Praehistorica 16 (Praha 1990) 69–101. Berthold Schmidt, Thüringische Hochadelsgräber der späten Völkerwanderungszeit. Varia Archaelogica. Festschrift Wilhelm Unverzagt. Schriften der Sektion für Vor- und Frühgeschichte 16 (Berlin 1964) 195–213; vgl. Paul Grimm, Zur Erkenntnismöglichkeit gesellschaftlicher Schichtungen in Thüringen des 6.–9. Jahrhundert. Jahresschrift für mitteldeutsche Vorgeschichte 37, 1953, 312–322; Peter Donat, Die Adelsgräber von Großhörner und Stößen und das Problem der Qualitätsgruppe D merowingerzeitlicher Grabausstattungen. Jahresschrift für mitteldeutsche Vorgeschichte 72, 1989, 185–204.
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Abb. 1. Verbreitung ältermerowingerzeitlicher Fundplätze zwischen Werra, Elbe, Havel und Thüringer Wald (nach Schmidt, Das Königreich der Thüringer [Anm. 15] 287 Abb. 225)
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und nahm des Weiteren Bezug auf die tradierten Ereignisse um den Untergang des Thüringerreiches um 531/534 und die folgende fränkische Oberhoheit in dem beschriebenen Raum, bzw. die Ausbreitung des sächsischen Einflussgebietes von Norden her19 sowie die Einwanderung slawischer Stämme östlich der Elbe.20 Dem zufolge wurden die Grabfunde der Zeit um 600 und vor allem des 7. Jahrhunderts den Franken zugewiesen21 bzw. zumindest ein fränkischer Einfluss postuliert.22 Bestätigung fand diese Sichtweise durch Funde wie fränkische Knickwandtöpfe, Angonen oder westliche Fibeltypen, die beispielsweise aus den Gräberfeldern in Sömmerda23, Alach24, Ammern25 oder Deersheim26 geborgen wurden. Die Tatsache, dass die als fränkisch angesehenen Funde erst rund ein bis zwei Generationen nach dem Niedergang des thüringischen Königreiches in den Boden gelangten, wurde mit der sich nicht sofort durchsetzenden fränkischen Oberhoheit interpretiert. Unklar blieb außerdem der Verbleib der alteingesessenen Bevölkerung, oder er wurde nicht diskutiert.
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Berthold Schmidt, Zur Sachsenfrage im Unstrut-Saale-Gebiet und im Nordharzvorland. Studien zur Sachsenforschung 2, 1980, 423–446; ders., Thüringer, Franken, Sachsen, Slawen (Anm. 15) 318; ders., Zwischen römischer Eroberung und Königreich (Anm. 15); ders., Das Königreich der Thüringer und seine Eingliederung (Anm. 15); ders., Thüringische Einflüsse in Niedersachsen während des 5./6. Jahrhunderts n. Chr. Issendorf, Ldkr. Stade, Grab 3575. Studien zur Sachsenforschung 10, 1997, 241–251; ders., Hermunduren, Angeln, Warnen, Thüringer, Franken, Sachsen. Studien zur Sachsenforschung 13, 1999, 341–366; Ursula Koch, Eine sächsisch-thüringische Familie am Neckar. Vogelfibeln aus Liebenau an der Weser und Pleidelsheim am Neckar. Studien zur Sachsenforschung 13, 1999, 263–271. Hansjürgen Brachmann, Slawische Stämme an Elbe und Saale Zu ihrer Geschichte und Kultur im 6. bis 10. Jh. – auf Grund archäologischer Quellen. Schriften zur Ur- und Frühgeschichte 32 (Berlin 1978). Schmidt, Die späte Völkerwanderungszeit (Anm. 15) 174 f.; ders., Thüringer, Franken, Sachsen, Slawen (Anm. 15) 318. Bruno Krüger, Der östliche Einfluss der Franken im Spiegel der Bodenfunde. Studien zur Sachsenforschung 8, 1993, 69–71; Wolfgang Timpel, Franken. Neue Herren in Thüringen. In: Sigrid Dusˇek (Hrsg.), Ur- und Frühgeschichte Thüringens. Ergebnisse archäologischer Forschung in Text und Bild (Stuttgart 1999) 167–179. Schmidt, Die späte Völkerwanderungszeit. Katalog Südteil (Anm. 15) 70 ff. Wolfgang Timpel, Das fränkische Gräberfeld von Alach, Kr. Erfurt. Alt-Thüringen 25, 1990, 61–155. Peter Sachenbacher, Neue völkerwanderungszeitliche Gräber bei Ammern, Ldkr. Mühlhausen. Vorbericht. Ausgrabungen und Funde 37, 1992, 264–275. Johannes Schneider, Deersheim. Ein völkerwanderungszeitliches Gräberfeld im Nordharzvorland. Jahresschrift für mitteldeutsche Vorgeschichte 66, 1983, 75–358; ders., Grabformen und Beigabensitte auf den völkerwanderungszeitlichen Friedhöfen von Deersheim und Weimar Nord. In: Fritz Horst/Horst Keiling (Hrsg.), Bestattungswesen und Totenkult in ur- und frühgeschichtlicher Zeit. Beiträge zu Grabbrauch, Bestattungssitten, Beigabenausstattung und Totenkult (Berlin 1991) 209–238.
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Parallel zu den Forschungen in den heutigen Bundesländern Thüringen und Sachsen-Anhalt wurden thüringische Grabfunde auch im Mittelrheingebiet27, in Mainfranken28, in Bayern29 und am Niederrhein30 erkannt. Auch hier waren es Thüringer Fibeln und verwandte Formen sowie die Keramik, die für diese ethnische Einordnung die Grundlage bildeten. Diese thüringischen Funde außerhalb des genuinen Siedlungsgebietes galten als Beleg für nach der Niederlage gegen die Franken ausgewanderte Thüringer, wobei man sowohl neutral von Auswanderung sprach, als auch von einer Umsiedlungspolitik31, oder es wurde eine administrative Aussiedlung von Thüringern durch die Franken postuliert32, in Einzelfällen wurde von Exogamie gesprochen.33 Auch bei diesen Interpretationen steht die archäologische Deutung unter dem Einfluss historisch bekannten Ereignisse. Lediglich für Funde im Mittelrheingebiet, die schon in der Zeit um 500 zu datieren sind, würde eine frühere Ansiedlung von Thüringern erwogen.34 Die frü-
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Alfried Wieczorek, Mitteldeutsche Siedler bei der fränkischen Landnahme in Rheinhessen. In: Alois Gerlich (Hrsg.), Das Dorf am Mittelrhein. Fünftes Alzeyer Kolloquium. Geschichtliche Landeskunde 30 (Stuttgart 1989) 11–101; Alexander Koch/Alfried Wieczorek, Spuren in der Fremde. Archäologie in Deutschland 1996/2, 32–35. Arno Rettner, Bevor Franken fränkisch wurde. Thüringer am Main. Befunde aus dem frühmittelalterlichen Gräberfeld von Zeuzleben bei Schweinfurt. Bayernspiegel 3 (München 1992); ders., Das frühmittelalterliche Gräberfeld von Zeuzleben (Gde. Werneck, Lkr. Schweinfurt). Die Grabbeigaben, Gesamtauswertung der Funde und Befunde. Archäologisches Nachrichtenblatt 1/3, 1996, 248–250; ders., Grabhäuser und Grabräuber. Archäologie in Deutschland 1996/2, 26–31; ders., Thüringisches und Fränkisches in Zeuzleben. Acta Praehistorica et Archaeologica 30, 1998, 113–125. Volker Bierbrauer, Das Reihengräberfeld von Altenerding und die bajuwarische Ethnogenese – eine Problemskizze. Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 13, 1985, 7–25, hier 22; Hans Geissler, Das frühbairische Gräberfeld Straubing-Bajuwarenstrasse I. Katalog der archäologischen Befunde und Funde. Internationale Archäologie 30 (Rahden/Westf. 1998); Ursula Koch, Nordeuropäisches Fundmaterial in Gräbern Südwestdeutschlands rechts des Rheins. In: Uta v. Freeden/Ursula Koch/Alfried Wieczorek (Hrsg.), Völker an Nord- und Ostsee und die Franken. Kolloquien zur Vor- und Frühgeschichte 3 (Bonn 1999) 175–194. Horst Wolfgang Böhme, Vom Wandel des Abendlandes. Thüringer im Frankenreich des 5. Jahrhunderts. Jahrbuch des Römisch-germanischen Zentralmuseums Mainz 34, 1987, 736–739; ders., Les Thuringiens dans le Nord du royaume franc. Revue archéologique de Picardie 3/4, 1988, 57–69. Ursula Koch, Das fränkische Gräberfeld von Klepsau im Hohenlohekreis. Forschungen und Berichte zur Vor- und Frühgeschichte in Baden-Württemberg 38 (Stuttgart 1990) 249. Schmidt, Das Königreich der Thüringer und seine Eingliederung (Anm. 15) 293. Vgl. Ursula Koch, Das Reihengräberfeld bei Schretzheim. Germanische Denkmäler der Völkerwanderungszeit A 13 (Berlin 1977); dies., 2001; Schmidt, Thüringer, Franken, Sachsen, Slawen (Anm. 15); Koch/Wieczorek, Spuren in der Fremde (Anm. 27) 32. Wieczorek, Mitteldeutsche Siedler (Anm. 27) 62ff.; Koch/Wieczorek, Spuren in der Fremde (Anm. 27).
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hen Funde des 5. Jahrhunderts in Gallien wurden als Zeugnis von dort anwesenden Angehörigen von Foederaten gedeutet.35
Die Grabfunde Einzeltypen Traditionell spielen spezifische Grabfunde bei der ethnischen Deutung eine herausragende Rolle. Daher sollen sie zuerst betrachtet werden, bevor anschließend die Bestattungssitten und die Gräberfeldstrukturen näher untersucht werden. Accessoires der Frauentracht kommt bei ethnischen Interpretationen eine besondere Bedeutung zu. Insbesondere sind es die Fibeln, die unter diesen Gesichtspunkten betrachtet werden. Der äußere Umriss und die Gestaltung von Kopfplatte und Fibelfuß sowie einige Dekorelemente sind für die Klassifizierung ausschlaggebend. Die Häufung von bestimmten Typen in einer Region gilt als Nachweis für die in diesem Raum übliche, ethnisch zu deutende, Frauentracht. Dies betrifft in erster Linie die Fibeln des 5. und 6. Jahrhunderts; die Fibel- und Nadeltracht des 7. Jahrhunderts wird für diese Analysen weniger herangezogen. Auch andere Trachtbestandteile wie Ringschmuck, Wadenbinden- oder Schuhgarnituren oder auch Perlen finden kaum Berücksichtigung. Ebenso werden die Funde aus den Männergräbern nur selten für ethnische Präsentationen beachtet. Dies betrifft insbesondere die in den Gräbern vielfältig erscheinenden Waffengürtel und Waffen, lediglich einige Formen wie Angonen oder Franzisken gelten als typisch fränkisch. Als charakteristisch thüringisch werden in erster Linie bestimmte Fibeln angesehen, aber auch die glättverzierte Drehscheibenkeramik wird bei der Herausstellung thüringischen Kulturgutes oft herangezogen. Die hier in Rede stehenden Bügelfibeln36 lassen sich in Zangenfibeln, Vogelkopffibeln sowie einigen Miniaturbügelfibeln (Abb. 2) gliedern. Die Zangenfibeln 35
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Böhme, Vom Wandel des Abendlandes (Anm. 30); ders., Les Thuringiens (Anm. 30); Alexander Koch, Fremde Fibeln im Frankenreich. Ein Beitrag zur Frage nichtfränkischer germanischer Ethnien in Nordgallien. Acta Praehistorica et Archaeologica 30, 1998, 69–89. Herbert Kühn, Die germanischen Bügelfibeln der Völkerwanderungszeit in Mitteldeutschland. Die germanischen Bügelfibeln der Völkerwanderungszeit 3 (Graz 1981); Schmidt, Die späte Völkerwanderungszeit (Anm. 15) 117 ff. Zuletzt: Alexander Koch, Bügelfibeln der Merowingerzeit im westlichen Frankenreich. Römisch-germanisches Zentralmuseum Mainz, Monographien 41 (Mainz 1998) 381 ff.; Hansen, Frauengräber im Thüringerreich (Anm. 15).
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Abb. 2. Thüringische Fibeln. 1 Miniaturbügelfibel mit dreiknöpfiger Kopfplatte und Abschlussrundel (Typ Weimar/Arcy-Sainte Restitue) (Naumburg, Grab 21); 2 Miniaturbügelfibel mit almandinverzierter Kopfplatte (Stößen, Grab 59); 3 Dreirundelfibel (Stößen, Grab 43); 4 Miniaturfibel mit halbrunder Kopfplatte und gezackten Knöpfen (Naumburg, Grab 11); 5 gleicharmige Miniaturzangenfibel (Rathewitz, Grab 16); 6 Miniaturzangenfibel mit Abschlußrundel (Stößen, Grab 79); 7 Zangenfibel mit ovaler Fußplatte (Osendorf, Grab 1); 8 Zangenfibel mit dreifach gelappter Kopfplatte (Typ Straß) (Streudorf); 9 Vogelkopffibel mit nach oben weisenden Vogelköpfen (Obermöllern, Grab 23); 10 Vogelkopffibel mit nach unten weisenden Vogelköpfen (Obermöllern, Grab 20); 11 Bügelfibel mit Zonenkranz, halbkreisförmige Kopfplatte und rautenförmigem Fuß (Typ Rositz) (Stößen, Grab 2) (zusammengestellt nach Schmidt, Die späte Völkerwanderungszeit. Katalog Südteil [Anm. 15]; ders., Die späte Völkerwanderungszeit. Katalog Nord- und Ostteil [Anm. 15])
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weisen verschiedene Varianten auf, die Typengliederung basiert auf der Ausgestaltung der Kopfplatte. Formen mit zwei seitlichen Zangen auf der Kopfplatte werden als typologisch älter angesehen (Abb. 2,7), während Exemplare mit mehrfach gelappter Kopfplatte (Typ Straß) (Abb. 2,8) als Weiterentwicklung beschrieben werden. Auch die Gestaltung des Fibelabschlusses bei den Zangenfibeln ist uneinheitlich. Neben einem ovalen oder annähernd geraden Fuß, ist auch ein Tierkopfabschluss geläufig. Die Vogelkopffibeln wiederum unterscheiden sich aufgrund der auf der Kopfplatte randlich dargestellten Raubvögelköpfe. Neben den Typen mit nach oben beißenden Köpfen (Abb. 2,9) sind Formen mit nach unten beißenden Köpfen (Abb. 2,10) zu verzeichnen. Uneinheitlich ist die Fußgestaltung, häufig endet er in einem Tierkopfabschluss. Ergänzt werden muss die Auflistung durch Bügelfibeln mit halbrunder Kopfplatte und Zonenkranz sowie mit rautenförmigen Fuß und Schlussrundel (Typ Rositz) (Abb. 2,11). Weiterhin werden Miniaturfibeln als typisch thüringisch angesehen. Es kommen z. B. gleicharmige Fibeln (Abb. 2,5), Dreirundelfibeln (Abb. 2,3–4) und Dreiknopffibeln (Abb. 2,1–2) vor. Des Weiteren tauchen Miniaturfibeln mit zangenförmiger Kopfplatte und Endrundel auf (Abb. 2,6). Verbindendes Element unter den Fibeln ist neben den Zangenmotiven und Vogeldarstellungen ein vergleichbares Verzierungsschema. Kennzeichnend ist ein geometrischer Dekor; Mäander, Rauten, Dreiecke, getreppte Muster und Swastika sowie Rundeln auf Kopfplatte, Bügel und Fuß, die zum Teil mit Almandinen ausgelegt sind, sind hier zu nennen. Die Zangensymbolik kann auch abgewandelt werden; neben den so gestalteten Kopfplatten werden sie seitlich bei den gleicharmigen Fibeln dargestellt oder bilden die Knöpfe an einer Kopfplatte (Abb. 2,4). Ebenfalls verbreitet und typisch ist die Raubvogelsymbolik. Dabei handelt es sich nicht um vollständige Vogeldarstellungen sondern lediglich um einzelne Körperpartien. Der Vogelkopf mit gekrümmtem Schnabel und die Krallen werden abgebildet. Möglich ist in diesem Zusammenhang, dass auch die „Zangen“ rudimentäre Raubvogelkrallen darstellen sollen, oder von einem anderen Blickwinkel heraus betrachtet, die Silhouette eines fliegenden Vogels. Die Verbreitung der genannten Bügelfibeln hat zwar einen Verbreitungsschwerpunkt im Raum zwischen Harz, Thüringer Wald und Saale, doch muss auch die breite Streuung außerhalb dieser Gebiete berücksichtigt werden. Während die Vogelkopffibeln ihren Schwerpunkt noch vornehmlich im mitteldeutschen Raum haben (Abb. 3), weisen die Zangenfibeln eine weite Verbreitung auf (Abb. 4). Die typologisch jüngste Variante vom Typ Straß mit mehrfach gelappter Kopfplatte streut über weite Teile Mitteleuropas, es gibt nur wenige Belege aus dem thüringischen Sieldungsgebiet. Ähnliches gilt für die Miniaturfibeln. So fällt auf, dass die Miniaturfibeln
Abb. 3. Verbreitung der Vogelkopffibeln. y Vogelkopffibeln mit nach oben beißenden Tierköpfen; Y Vogelkopffibeln mit nach unten beißenden Tierköpfen (nach A. Koch, Bügelfibeln der Merowingerzeit [Anm. 36] Karte 25)
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Abb. 4. Verbreitung der Zangenfibeln. V Zangenfibeln mit trapezoidem Fuß; Y mit ovaler Fußplatte und seitlich gelappter Kopfplatte; mit dreiseitig gelappter Kopfplatte (Typ Straß) (nach A. Koch, Bügelfibeln der Merowingerzeit [Anm. 36] Karte 26)
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häufig in Gallien vorkommen, sogar in typologisch jüngeren Formen als in Thüringen (Abb. 5). Hier sind also Weiterentwicklungen abseits des Herkunftsgebietes festzustellen.37 Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang, dass innerhalb des thüringischen Siedlungsgebietes während des 5. und 6. Jahrhunderts auch andere – nicht genuin thüringische – Fibeln bekannt sind. Die Provenienz der Fibeln wurde in der älteren Forschung ebenfalls für eine ethnische Bestimmung der Toten herangezogen. Als prominentes Beispiel sei lediglich auf das reiche Frauengrab von Oßmannstedt verwiesen. Die Trachtausstattung führte dazu, die Bestattete als ostgotische Adlige zu bezeichnen.38 Auch die Drehscheibenkeramik mit Einglättmustern gilt als typisch thüringisch. Es handelt sich meist um Schalen mit kalottenförmigem Unterteil und scharfem Halsumbruch (Abb. 6,1a). Weitere Formen sind Becher und Flaschen. Die frühen Gefäße besitzen einen Standring, am Übergang von Hals zum Schulter findet sich ein Wulst. Die Gefäße bestehen aus fein geschlämmtem dunkelgrauem Ton, die Oberfläche ist geglättet und poliert. Geläufig sind auch bei der Drehscheibenkeramik wie bei den Bügelfibeln geometrische Muster. Regelhaft treten Gittermuster auf dem oberen Gefäßkörper auf, Streifendekor findet sich eher auf dem Unterteil. Auch Swastiken sind überliefert. Ältere Stücke haben häufig eine Wellenzier.
Das Gesamtinventar Im Folgenden soll auf das Gesamtinventar der Gräber im thüringischen Siedlungsgebiet eingegangen werden. Es werden nicht nur Einzelfunde betrachtet, sondern das gesamte Fundspektrum mit seinen spezifischen Vergesellschaftungen wird berücksichtigt. Im Allgemeinen kann gesagt werden, dass entsprechend der Sitte des Reihengräberhorizontes die Frauen mit Trachtschmuck und die Männer mit Waffen samt Zubehör sowie Gefäßbeigabe bestattet sind. Insgesamt liegen für den betreffenden Raum hohe Beigabenzahlen vor, die Gräber sind reichhaltig ausgestattet, es gibt besonders in der älteren Merowingerzeit nur wenige fundlose Gräber. Bei den Frauengräbern sind Fibelausstattungen recht häufig anzutreffen. Neben den oben erwähnten spezifisch thüringischen Fibeln wie Zangenfibeln, Vogelkopffibeln und Miniaturfibeln kommen weitere Bügelfibeln oder Kleinfibeln vor. Selten ist das Auftreten der vollständigen Vier37 38
Böhme, Vom Wandel des Abendlandes (Anm. 30); ders., Les Thuringiens (Anm. 30). Wolfgang Timpel, s. v. Ossmannstedt. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 22 (Berlin, New York 2003) 328–329.
Abb. 5. Verbreitung der Miniaturfibeln vom Typ Weimar/Arcy-Sainte-Restitute, Miniaturzangenfibeln und Dreirundelfibeln mit knopfloser Kopfplatte. y Miniaturfibel vom Typ Weimar/Arcy-Sainte-Restitue (Grundform); süddeutsche Variante; Y nordfranzösische Variante; v Miniaturfibeln mit zangenförmig gelappter Kopfplatte; x Dreirundelfibel mit halbrunder knopfloser Kopfplatte (nach A. Koch, Bügelfibeln der Merowingerzeit [Anm. 36] Karte 24)
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fibeltracht. Als weitere Accessoires sind Perlenketten und Gürtelschnallen zu verzeichnen. Geräte und Kleinwerkzeuge gehören ebenfalls zum Spektrum, gewöhnlich sind Spinnwirtel, in einigen Fällen sind sogar Spindeln und Webschwerter gefunden worden. Dazu treten häufig Amulette und Spinnwirtel sowie einreihige Kämme, Schlüssel, Messer und Scheren. Ringschmuck und die metallenen Applikationen der Beinkleidung sind nur selten zu belegen. Geläufig sind Keramikgefäße, wobei meist mehr als ein Gefäß niedergelegt wurde.39 Für das 7. Jahrhundert fällt keine Änderung auf, es finden sich entsprechende Objekte, also Fibeln, zahlreiche Amulette, diverse Geräte wie zweizeilige Dreilagenkämme sowie Spinnwirtel und Keramik. Es kann also festgestellt werden, dass die Frauen in Thüringen von der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts bis in das 7. Jahrhundert nach einem Muster bestattet wurden. Über den gesamten Zeitraum hinweg sind die gleichen Objektarten ins Grab gelegt worden, auch wenn man unterschiedliche Einzeltypen verwendete. Westliche Modeerscheinungen werden nun in Thüringen aufgegriffen. Während für die Funde des späten 5. und 6. Jahrhunderts eine thüringische Provenienz angenommen wird, weisen die Funde des 7. Jahrhunderts häufiger auf eine westliche Herkunft, dazu zählen tauschierte Eisenfibeln mit engem Zellenwerk oder Knickwandtöpfe. Allerdings sind auch schon für das 6. Jahrhundert westliche Funde bekannt, zu nennen sind z. B. Fünfknopfbügelfibeln mit gleichbreitem Fuß aus Weimar, Grab 45, oder aus Wernsdorf, Grab 3 (Abb. 6). Das Grab aus Wernsdorf mit einer Fibel, zwei Keramikgefäßen sowie einem bronzenen Kolbenarmring verdeutlicht noch einmal die methodische Schwierigkeit der Zuordnung eines Grabes zu einer ethnischen Gruppe. Die Fünfknopffibel mit halbrunder Kopfplatte mit strichverziertem Kopfplattendekor sowie strich- und kreisaugenverziertem gleichbreitem Fuß wird als fränkische Erscheinung interpretiert.40 Die im Grab mit gefundene Thüringische Drehscheibenschale scheint auf eine thüringische Herkunft zu deuten. Die Ausstattung der Frauengräber im thüringischen Raum mit Fibeln, Amuletten, Geräten und Keramik gleicht etwa dem aus dem langobardischen Bereich bekannten Muster. Auch dort sind reiche Amulettbeigaben zu verzeichnen sowie diverse Objekte, die auf das Textilhandwerk hindeuten. Bei den Männergräbern fällt seit dem Ende des 5. Jahrhunderts und im 6. Jahrhundert eine umfangreiche Waffenbeigabe auf, über 35 % (Stößen) der Männer haben eine Spatha im Grab, teilweise steigt der Prozentsatz auf 39 40
Siegmund, Alemannen und Franken (Anm. 5) 129 ff. Koch, Bügelfibeln der Merowingerzeit (Anm. 36) 85ff., Karte 7.
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Abb. 6. Wernsdorf, Grab 3, Inventar (nach Schmidt, Die späte Völkerwanderungszeit. Katalog Nord- und Ostteil [Anm. 15] 261 Taf. 73,1)
50 % (Weimar-Nordfriedhof: 55 %; Obermöllern: 72 %). Unterrepräsentiert ist dagegen der Sax. Bei weniger als 10 % der Toten fand sich ein einschneidiges Hiebschwert. Geläufig ist dagegen wiederum die Lanze, die in ca. 30 % der Gräber lag. Schilde tauchen nur im 6. Jahrhundert in 20 % der Grablegen auf. Regelhaft ist also eine Ausstattung mit Spatha, Lanze und Schild.41 Als weitere Funde können Gürtel sowie zahlreiche Geräte wie Messer, Schere, Pinzette, Feuerzeuge oder einreihige Kämme genannt werden. Außerdem kommen auch in den Männergräbern zahlreiche Keramikgefäße vor. Auch im späten 6. Jahrhundert und im 7. Jahrhundert ändert sich das Muster nicht. In dieser Zeit werden den Männern zahlreiche Waffen wie Spatha, Lanze und Schild ins Grab gelegt. Selbst im 7. Jahrhundert, als im Allgemeinen die Niederlegung der Spatha stark zurückgeht42, sind noch 10–15 % der Männer mit einem zweischneidigen Schwert im Grab bewehrt. Hinzu treten in seltenen Fällen in der Zeit um 600 bzw. dem frühen 7. Jahrhundert noch der Sax, der Ango und eine Franziska. Dieses reichhaltige Fundspektrum wird erst am Ende des 7. Jahrhunderts reduziert. Reich 41 42
Siegmund, Alemannen und Franken (Anm. 5) 174 ff., 265ff. Theune, Germanen und Romanen (Anm. 5) 358ff.
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ausgestattete Männergräber zeichnen sich zudem durch die Mitgabe von Pferdegeschirr aus. Auch in diesem Ausstattungsmuster sind die Gräber in Thüringen mit denen der dem östlich-merowingischen Reihengräberkreis zuzurechnenden Langobarden zu vergleichen. Die Männer im langobardischen Raum kennzeichnet ebenfalls eine reiche Waffenbeigabe.
Gräberfelder und Bestattungssitten Gräberfelder bilden die Hauptquelle bei der archäologischen Erforschung der Thüringer des Frühmittelalters. Mehrere Hundert Fundplätze sind zwischen unterer Ohre im Norden, dem nördlichen und östlichen Harzvorland im Westen, dem Thüringer Wald im Süden und der unteren Mulde im Osten bekannt. Es handelt sich durchweg um kleinere Bestattungsplätze mit rund 30–50 Gräbern, selten konnten 100 Gräber (Erfurt-Gispersleben43, Weimar-Nordfriedhof44) freigelegt werden. Nicht zuletzt bedingt durch die niedrigen Belegungszahlen, weisen die Plätze auch nur kurze Belegungszeiten auf, dies gilt gerade in den Randbereichen zwischen Harz und Mulde sowie in dem dicht besiedelten Saale-Unstrut-Raum. Zwischen Ohre, Elbe und Thüringer Wald reicht eine Nutzung teilweise bis in das 7. Jahrhundert. Auffällig ist eine weiträumige Streuung der Bestattungen über ein größeres Areal. Die überwiegende Mehrzahl der Bestattungen sind Körpergräber, die, wie überall im Reihengräberkreis, West-Ost ausgerichtet sind. Die Orientierung wird in der Regel eingehalten, es gibt jedoch Abweichungen von dem üblichen Schema. So ist bei einigen Toten eine Nord-Süd-Richtung festzustellen; hierbei handelt es sich aber nur um Einzelfälle. Eine weitere Besonderheit sind Brandbestattungen, die häufiger auftreten und meist an den Belegungsbeginn der Gräberfelder zu datieren sind. Die Größe der Grabgrube kann als normal bezeichnet werden, sie beträgt im Durchschnitt 1,80–2,00 m × 0,70–1,00 m. Einige Körpergräber haben große Grabkammern, die mit Eckpfosten markiert und eventuell von einem Kreisgraben umgeben sind.45 Auch die Eintiefung liegt im Rahmen des Bekannten aus dem Reihengräberhorizont. Ein markanter Unterschied betrifft jedoch die Ausnutzung des gesamten Gräberfeldareals. Die Anlage der Gräber erfolgte nicht in einer dichten Reihung. Die Gräber haben viel Platz zur Ver43
44 45
Wolfgang Timpel, Das altthüringische Wagengrab von Erfurt-Gispersleben. Alt-Thüringen 17, 1980, 181–238; ders., Das fränkische Gräberfeld von Alach (Anm. 24). Schmidt, Die späte Völkerwanderungszeit. Katalog Südteil (Anm. 15) 75 ff. Schneider, Grabformen und Beigabensitte (Anm. 26).
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fügung, meist sind es 30–50 m2, es können aber auch 100 m2 sein, so dass die Einzelbestattungen oft bis zu 10 m voneinander entfernt liegen. Häufig sind einzelne Grabgruppen zu erkennen. Die Gräber innerhalb einer Gruppe nehmen Bezug aufeinander, teilweise ist bei den Gruppen jeweils zusätzlich ein Pferd bestattet. Die Gruppen setzen sich untereinander durch größere freie Räume ab. Es wird sich hierbei um Familien- oder Sippenverbände handeln, die jeweils ein Areal auf dem Gesamtgräberfeld für die Bestattungen innerhalb der Familie zur Verfügung hatten.46 Diese Merkmale sind nicht nur bei Friedhöfen des 6. Jahrhunderts, sondern auch bei Bestattungsplätzen, die erst um 600 oder im 7. Jahrhundert angelegt wurden, festzustellen. Neben den menschlichen Toten wurden auch Pferde und in einigen Fällen auch Hunde mit bestattet. Dies ist eine Erscheinung, die im Gebiet nördlich der deutschen Mittelgebirge häufig zu beobachten ist.47 Die Hunde treten meist als Begleiter der Pferde auf.48 Bei den Pferden handelt es sich meist um 5- bis 10jährige Hengste, selten wurden Stuten in die Gräber gelegt. Die vollständigen Tiere liegen auf der Seite, teilweise waren sie aufgezäumt, wie einige bei den Tieren gefundene Trensen belegen. In der Regel können die Pferde reich ausgestatteten Männergräbern, die zum Teil außerdem noch in großen Kammergräbern bestattet wurden, zugeordnet werden. Die genannten Aspekte zeigen, dass die Gräberfelder im thüringischen Siedlungsgebiet einige Besonderheiten aufweisen, die sie von den Reihengräbern im fränkischen Rheinland deutlich unterscheiden.49 Dort sind enge Belegungen in dichter Reihung ohne Gruppenbindungen die Regel; es gibt keine Ausnahmen von der Orientierung sowie von der Sitte der Körperbestattung. Hinzu kommt eine differierende Waffenausstattung bei den Männern; im Rheinland und in der Francia sind Sax und Lanze vorherrschend, die Spatha ist nur selten zu finden. Solche Merkmale lassen sich nicht in Thüringen ausmachen. Auch nach der durch die Schriftquellen überlieferten Niederlage der Thüringer durch die Franken, bleiben die typischen Muster der Beigabenausstattung und der Gräberfeldstrukturen er46 47
48 49
Zuletzt Hansen, Frauengräber im Thüringerreich (Anm. 15) 168. Michael Müller-Wille, Pferdegrab und Pferdeopfer im frühen Mittelalter. Berichten van de Rijksdienst voor het Oudheidkundig Bodemonderzoek 20/21, 1970/71, 119–248; Judith Oexle, Merowingerzeitliche Pferdebestattungen – Opfer oder Beigaben? Frühmittelalterliche Studien 18, 1984, 122–172; Hanns-Hermann Müller, Frühgeschichtliche Pferdeskelettfunde im Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik. Beiträge zur Archäozoologie 4 = Weimarer Monographien zur Ur- und Frühgeschichte 15 (Weimar 1985). Theune, Thüringer (Anm. 9) 538. Siegmund, Alemannen und Franken (Anm. 5) 253 ff.
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halten. Ein Wechsel ist also nicht zu erkennen. Als Beispiel seien die Bestattungsplätze von Alach (um 600)50 oder Bilzingsleben (7. Jahrhundert)51 erwähnt. Auf dem Gräberfeldplan von Alach (Abb. 7) können die Bestattungen in drei Gruppen unterteilt werden. In der von dem Ausgräber als fränkisch beschriebene Gruppe 1 fanden sich drei reiche Waffengräber mit Franziska und Angonen sowie Gürtelgarnituren, die wohl im Westen hergestellt wurden. Die Gräber sind, wie in diesem Raum üblich, in weitem Abstand voneinander anlegt und werden halbkreisförmig von Pferdegräbern umschlossen. Auch in Bilzingsleben ist die Gruppenbelegung noch deutlich. Die Funde zeigen, dass dieser Platz erst im 7. Jahrhundert angelegt wurde, der traditionelle Ritus blieb bestehen. Lediglich die regionaltypischen Funde selbst sind nicht mehr vertreten, dafür haben die Objekte häufig eine westliche Provenienz. Solche Strukturen können auch in anderen Regionen – etwa in Mainfranken – festgestellt werden. In Zeuzleben52 kommen gleichartige Befunde wie beispielsweise die Gruppenbelegung oder Kammergräber mit Postenstellungen in den Ecken vor. Die Funde selbst sind vielfältig, neben Schilddornschnallen, Almandinscheibenfibeln, mittelrheinischer Keramik, die eher einen westlichen Einfluss anzeigen, weist die gehäufte Mitgabe von Geräten wie Spinnwirtel oder Webschwerter und Amuletten eher in den aus dem thüringischen Raum bekannten Bereich.
Schlussfolgerung Die bis in die 1990er Jahre vorherrschende Forschung zu den Thüringern verband Schriftquellen eng mit den Bodenfunden. Die Analyse der Funde wurde nicht unabhängig und auf der Basis der eigenen archäologischen Quellen und Methoden durchgeführt, sondern man versuchte, die Grabfunde entsprechend der Aussagen aus den schriftlichen Nachrichten zu deuten. Dadurch war der Blick für eine weitergehende Interpretation verstellt. Doch nur eine von den Schriftquellen unabhängige Analyse eröffnet auch andere Erklärungsmuster. Die Deutung der frühmittelalterlichen Grabfunde als Hinterlassenschaften der Thüringer baute im Grunde lediglich auf wenige Einzelfunde auf, wobei besonders die Zangen- und Vogelkopffibeln mit einer einheitlichen Symbolik herangezogen wurden. Damit 50 51 52
Timpel, Das fränkische Gräberfeld von Alach (Anm. 24) Abb. 1. Schmidt, Die späte Völkerwanderungszeit. Katalog Nord- und Ostteil (Anm. 15) 47. Rettner, Bevor Franken Fränkisch wurde (Anm. 28); ders., Das frühmittelalterliche Gräberfeld von Zeuzleben (Anm. 28); ders., Thüringisches und Fränkisches (Anm. 28).
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Abb. 7. Gräberfeldplan von Alach mit Gruppengliederung (nach Timpel, Das fränkische Gräberfeld von Alach [Anm. 24] 123 Abb. 1, mit Ergänzungen)
wird aber lediglich ein Trachtkreis beschrieben, der jedoch, wie die Verbreitungsbilder zeigen, gar nicht so eng an das thüringische Siedlungsgebiet gebunden ist, sondern deutlich weiter streut. Trotzdem ist es möglich, dass die einheitliche Symbolik auf den Fibeln die Trägerinnen als Mitglieder einer Gruppe kennzeichnete. Betont werden muss auch, dass im thüringischen Siedlungsgebiet nicht nur solche vermeintlich genuin thüringischen Fibeln als Trachtkennzeichen verbreitet sind. Dies spricht dafür, dass schon
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im 5. und frühen 6. Jahrhundert unterschiedliche Einflüsse vorhanden waren. Das Auftreten von westlichen Formen seit der Zeit um 600 wurde wiederum mit historisch überlieferten Ereignissen verknüpft. Die Träger der Funde werden als Franken angesprochen, die nach dem militärischen Sieg über die Thüringer die Herrschaft ausübten. Man postuliert einen Bruch in der Kulturentwicklung, der zumindest partiell auch mit einem Bevölkerungswechsel einherging. Eine Untersuchung des gesamten Grabinventars, der Bestattungssitten und der Gräberfeldstrukturen macht aber deutlich, dass es keinen Bruch in der Entwicklung gegeben hat, sondern dass vielmehr bekannte Kulturerscheinungen kontinuierlich weitergeführt werden. Das Inventar der Gräber zeigt sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern einen bestimmten Kanon an Gegenständen, die regelmäßig mit den Toten in den Boden gelangten. Dies gilt für das späte 5. und 6. Jahrhundert genauso wie für die Zeit um 600 und das 7. Jahrhundert, als die Region ihre politische Eigenständigkeit an die Franken verloren hatte. Die Frauen besaßen eine umfassende Trachtausstattung, etliche Amulette und zahlreiche Geräte, wobei insbesondere die Textilverarbeitung im Grab dokumentiert wird. Die Männergräber werden reichhaltig mit Waffen ausgestattet, wobei im Unterschied zu den Verhältnissen im Westen der Sax kaum in Erscheinung tritt. Ebenso wie bei den Frauen ist es auch bei den Männern wichtig, dass für das Leben nach dem Tod ein umfangreicher Satz an Kleingeräten zur Verfügung steht. Damit liegt für die Gemeinschaft im thüringischen Siedlungsgebiet ein recht geschlossener Ausstattungskreis vor, der sich zwar vom Westen absetzt, aber im weiteren östlich-merowingischen Reihengräberkreis durchaus Parallelen hat. Als Sepulkralkreis kann die Art und Weise, einen Friedhof zu strukturieren, gewertet werden. Im thüringischen Raum sind für diesen Aspekt während der älteren und jüngeren Merowingerzeit gleichartige Merkmale zu verzeichnen. Die Menschen legten während der gesamten Zeit Wert darauf, in kleineren Gruppen, die wohl Familienverbände sichtbar machen, bestattet zu werden. Auch die Sitte, Pferde in die Nähe von Männern von gehobenen Status niederzulegen, ist vom 5. bis zum 7. Jahrhundert zu verfolgen. Diese Ergebnisse machen deutlich, dass die alteingesessene Bevölkerung weiterhin tradierte Bestattungsbräuche ausübte und damit ihr Gruppenbewusstsein bestätigte und beibehielt. Die provinziell aus Gallien und der Francia stammenden im thüringischen Siedlungsgebiet gefundenen Gegenstände können damit in Einklang gebracht werden. Sie zeigen zunächst einmal die Kontakte zwischen den unterschiedlichen Gruppen im Rheinland und Raum zwischen Harz, Thü-
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ringer Wald und Saale und die auch dadurch zu beobachtende kulturelle in der kontextuellen Auseinandersetzung mit anderen Gruppen bedingte Entwicklung. Die Forschungen der letzten Jahre konnten zudem zeigen, dass gerade Prunkwaffen als Rangabzeichen an Personen verleihen wurden, die einen politischen oder militärischen Auftrag erhielten.53 Dies gilt in erster Linie für Goldgriffspathen oder Helme, aber auch Rangabzeichen wie Kolbenarmringe wurden genannt. Die Verbreitung der Angonen gerade in Süddeutschland wurde zu Recht in der Weise interpretiert, dass an wichtigen verkehrsgeographischen Punkten Personen, die mit diesen Waffen ausgestattet waren, die fränkische Herrschaft sicherten.54 Ähnliches kann man auch für das thüringische Siedlungsgebiet annehmen. Die fränkische Zentralgewalt stattete z. B. in Alach ansässige Personen mit fränkischen Waffen aus, die hier die fränkischen Interessen vertraten. Doch dies bedeutet nicht, dass diese Personen auch tatsächlich Franken waren, vielmehr legen die dargestellten Verhältnisse auf den Gräberfeldern es nahe, dass die einheimische Bevölkerung selbst diese Waffen erhielt und sie mit ins Grab nahm. Es zeigt sich, dass eine unabhängige, lediglich auf den archäologischen Quellen und Methoden beruhende Analyse der Grabfunde und Bestattungssitten, im Vergleich zu den älteren Ansätzen, zu modifizierten Aussagen führt. Die Gräber und Bestattungsplätze zeigen eine kontinuierliche, sich dynamisch verändernde Gruppe im Raum zwischen Harz, Thüringer Wald und Saale.
53
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Heiko Steuer, Helm und Ringschwert. Prunkbewaffnung und Rangabzeichen germanischer Krieger. Studien zur Sachsenforschung 6, 1987, 189–236; Theune, Germanen und Romanen (Anm. 5) 233ff. Barbara Theune-Großkopf, Die Kontrolle der Verkehrswege. Ein Schlüssel zur fränkischen Herrschaftssicherung. In: Die Alamannen. Katalog Stuttgart (Stuttgart 1997) 237–242.
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4. Bestattung und Identität
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Zwischen Spätantike und Frühmittelalter – RGA-E Band 57 – Seiten 237–273 Kleidung, Bestattung, Identität © 2008 Walter de Gruyter · Berlin · New York
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Kleidung, Bestattung, Identität Die Präsentation sozialer Rollen im frühen Mittelalter Sebastian Brather
Viele zigtausend frühmittelalterliche Reihengräber sind bis heute ausgegraben worden. Sie bilden ein immenses, kaum noch zu überschauendes Quellenmaterial. Erstaunlicherweise beschränken sich die archäologischen Interpretationen oft auf wenige Aspekte; Max Martin hat jüngst die beiden Unterscheidungen zwischen „arm“ und „reich“ sowie zwischen „einheimisch“ und „fremd“ als die zentralen Fragen der Reihengräberarchäologie beschrieben.1 Dass aber die frühmittelalterlichen Gesellschaften darüber hinaus recht komplexe Sozialstrukturen besaßen, hat Heiko Steuer bereits vor längerem gezeigt.2 Deren Vielfalt sei im Folgenden an drei Aspekten erläutert: der anhand von Grabfunden rekonstruierten Kleidung, der Handlungen während der Bestattung eines Toten und der einander überschneidenden Identitäten und Gruppenzugehörigkeiten von Individuen. Diese drei Perspektiven sind eng miteinander verbunden – Identitäten werden oft in der Kleidung demonstriert, deren metallene Bestandteile weit überwiegend aus Grabfunden bekannt sind, und Bestattungen waren eine wesentliche Gelegenheit, performativ Zugehörigkeit und Abgrenzung, d. h. Identitäten, zum Ausdruck zu bringen. Allerdings sind die wechselseitigen Zusammenhänge nicht eineindeutig – weder Kleidung noch Grab geben unmittelbare Hinweise auf Identitäten.3
1
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Max Martin, Zum archäologischen Aussagewert frühmittelalterlicher Gräber und Gräberfelder. Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 59, 2002, 291–306, hier 296–302. Heiko Steuer, Frühgeschichtliche Sozialstrukturen in Mitteleuropa. Eine Analyse der Auswertungsmethoden des archäologischen Quellenmaterials. Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften Göttingen, phil.-hist. Kl., 3. Folge 128 (Göttingen 1982) 309–416, 435–516. Vgl. Howard Williams, Review article. Rethinking early medieval mortuary archaeology. Early medieval Europe 13, 2005, 195–217.
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Sebastian Brather
1. Kleidung Kleidung erfüllt zwei wesentliche Funktionen.4 Sie schützt vor der Witterung, und sie demonstriert Gruppenzugehörigkeiten. Kleidung bietet sich als Mittel zur Statusdemonstration geradezu an5, weil sie von jedermann gesehen wird. Kleidung ist daher ein besonders geeigneter Zeichenträger. An erster Stelle stehen soziale Unterscheidungen innerhalb von Gesellschaften. Im Unterschied zu den zahlreichen spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen „Kleiderordnungen“, die – offensichtlich weithin vergeblich – die sichtbare Einhaltung sozialer Grenzziehungen anstrebten, gibt es keine vergleichbaren Zeugnisse aus dem frühen Mittelalter. Eine Anordnung Karl d. Gr. von 808 bestimmte lediglich die Höchstpreise für einen roccus aus Pelz und ein sagellum.6 Angebliche Regelungen Karls zur Bauernkleidung entstammen erst einer „Kaiserchronik“ des 12. Jahrhunderts und dürften daher die hochmittelalterlichen Verhältnisse reflektieren.7 Statt normativer Quellen liegen aber etliche Hinweise aus erzählenden Quellen und vor allem seitens der Archäologie vor. Mit seinen „Qualitätsgruppen“ hat Rainer Christlein ein Hilfsmittel zur qualitativen Ordnung vorgeschlagen, das neben metallenen Kleidungsbestandteilen und Waffen sowie Reitausrüstungen jedoch die gesamte Grabausstattung einbezieht8 – und in seiner schlichten Interpretation als „Besitzabstufungen“ die Komplexität sozialer Strukturen vernachlässigt.9 Max Martin weist darauf hin, dass die Bügel4
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Wolfgang Reinhard, Lebensformen Europas. Eine historische Kulturanthropologie (München 2004) 114 f., unterscheidet acht Funktionen der Kleidung in der frühen Neuzeit: 1. Bedecken der Nacktheit, 2. Schutz vor der Witterung, 3. Aussenden erotischer Signale, 4. Schmuck, 5. Aussenden sozialer und 6. politischer Signale, 7. Berufskleidung, 8. Medium persönlicher Identität. Auch in frühmittelalterlichen Königsschätzen bedeutete Kleidung Prestige; Matthias Hardt, Gold und Herrschaft. Die Schätze europäischer Könige und Fürsten im ersten Jahrtausend. Europa im Mittelalter 6 (Berlin 2004) 122. Capitula cum primis constituta (808): De emptionibus et venditionibus, ut nullus praesumat aliter vendere et emere sagellum meliorem duplum viginti solidis et simplum cum decem solidis; reliquos vero minus; roccum martrinum et lutrinum meliorem triginta solidis, sismusinum meliorem decem solidis. Et si aliquis amplius vendiderit aut empserit, cogatur exsolvere in bannum solidos quadraginta, et ad illum qui hoc invenerit et eum exinde convicerit solidos viginti; Capitularia regum Francorum 1, hrsg. Alfred Boretius. Monumenta Germaniae Historica, Legum sectio 2,1 (Hannover 1883) 139–140 Nr. 52, hier 140 § 5. Die Kaiserchronik eines Regensburger Geistlichen, hrsg. Edward Schröder. Monumenta Germaniae Historica, Deutsche Chroniken und andere Geschichtsbücher des Mittelalters 1,1 (Hannover 1892) 349, Verse 14789–14802. Rainer Christlein, Besitzabstufungen zur Merowingerzeit im Spiegel reicher Grabfunde aus West- und Süddeutschland. Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 20, 1973 (1975) 147–180. Steuer, Frühgeschichtliche Sozialstrukturen (Anm. 2) 315–329.
Kleidung, Bestattung, Identität
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fibeln der Frauenkleidung des 6. Jahrhunderts fast stets aus Silber bestehen und daher im Material keine „Reichtumsunterschiede“ erkennen lassen; gänzlich anders verhält es sich mit den Scheibenfibeln des 7. Jahrhunderts.10 Für die Kleidungsforschung erweist es sich als großer Nachteil, dass Stoffe und metallene Accessoires praktisch isoliert voneinander untersucht werden.11 Dennoch stammen die meisten Kenntnisse über Textilien von kleinen Resten, die sich an oder in der Korrosionsschicht von Fibeln oder Gürtelteilen erhalten haben.12 Über Schnitt und Aussehen verschiedener Kleidungsstücke lässt sich auf dieser Grundlage fast nichts aussagen. Selbst im Falle günstiger Erhaltungsbedingungen wie in Trossingen bewirkten andere Faktoren eine weitgehende Zerstörung der Kleidung.13 Hat sich ein Kleidungsstück dennoch einmal erhalten, so stammt es wie das so genannte „Hemd der Königin Bathilde“ aus dem 7. Jahrhundert oft nicht (mehr) aus einem Grab.14 Dennoch sind eine Reihe von Kleidungsstücken in Einzelfällen archäologisch nachgewiesen: Kopfbinden15 und Schleier16, Tunika17 und Hemd18, Gürtel19, Beinbinden bei Männern20 und Frauen21 sowie Schuhe22 10 11
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Martin, Zum archäologischen Aussagewert (Anm. 1) 301. Vgl. aber Hajo Vierck, Trachtenkunde und Trachtengeschichte in der Sachsen-Forschung, ihre Quellen, Ziele und Methoden. In: Sachsen und Angelsachsen. Veröffentlichungen des Helms-Museums 32 (Hamburg 1978) 231–243. Iris Bollbuck, Studien zu merowingerzeitlichen Textilien, phil. Diss. (Hamburg 1987). Christina Ebhardt-Beinhorn/Britt Nowak, Untersuchungen an Textilresten aus Grab 58 von Trossingen, Kreis Tuttlingen. Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 2002 (2003) 154–157. Hajo E. F. Vierck, La „chemise“ de Sainte Bathilde à Chelles et l’influence byzantine sur l’art de cour mérovingien au VIIe siècle. In: Centenaire de l’abbé Cochet. Actes du colloque international d’archéologie Rouen 1975 (Rouen 1978) 521–64. Aschheim, Grab 5; Antje Dieke-Fehr/Sigrid Müller-Christensen, Zur golddurchwirkten Vitta aus Grab 5 bei der Pfarrkirche. In: Aschheim im frühen Mittelalter 1. Archäologische Funde und Befunde, hrsg. Hermann Dannheimer (München 1988) 133; Kölner Dom, Frauengrab; Otto Doppelfeld, Das fränkische Frauengrab unter dem Chor des Kölner Domes. Germania 38, 1960, 89–113, hier 94 Abb. 1,5; Straubing St. Peter, Grab 3; Wirbenz, Grab 4; Antja Bartel, s. v. Vitta § 2. Goldene Vitten aus Bayern. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde2 32 (Berlin, New York 2006) 472 f., Taf. 24,a.d. St. Denis, Gräber 13, 38, 41, 47, 49; Michel Fleury/Albert France-Lanord, Les trésors mérovingiens de la basilique de Saint-Denis (Woippy 1998) 82. St. Denis, Gräber 9, 41, 47, 48 und 49; Fleury/France-Lanord (Anm. 16) 83f. St. Denis, Gräber 41 und 49; Fleury/France-Lanord (Anm. 16) 83. St. Denis, Gräber 28A, 28B, 31, 36, 37, 38, 41, 42, 44, 47, 48, 61, A7, A9; Fleury/France-Lanord (Anm. 16) 84f. Bonner Münster, Gräber 22 und 35; Köln, St. Severin, Grab III,100; Päffgen (Anm. 23) 444. St. Denis, Gräber 47, 48 und 49; Fleury/France-Lanord (Anm. 16) 87. Köln, St. Severin, Gräber III,65 und III,100; Päffgen (Anm. 23) 444f. – St. Denis, Gräber 11, 28B, 31, 41, 42, 44, 47, 48, 49, 60, 61, 63 und A9; Fleury/France-Lanord (Anm. 16) 89. – Oberflacht, Grab 80; Siegwalt Schiek, Das Gräberfeld der Merowingerzeit bei Ober-
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und Handschuhe23. Mit den zahlreichen überlieferten Bezeichnungen für Kleidungsstücke24 (Tab. 1), die eine vielfältige Kleidung belegen, lassen sich die Funde nur teilweise verbinden. Dies liegt sowohl an der Fragmentierung der Funde als auch am grundsätzlichen Problem des Zusammenhangs zwischen „Wörtern und Sachen“.25 Dessen ungeachtet kann eine Vielzahl von wichtigen Beobachtungen zur Kleidung auch an diesen bescheidenen archäologischen Resten gemacht werden:26 1. als Stoffe und Materialien sind Leinen, Hanf und Nessel27, Wolle, Seide28 und inzwischen wohl auch Baumwolle29 nachgewiesen; 2. an Bindungen und Gewebetypen sind neben der häufigen Leinwandbindung zahlreiche unterschiedliche Köper nachgewiesen, darüber hinaus auch Brettchengewebe;30 3. Kleidungsstücke konnten durch verschiedene Musterungen, durch Borten und Besätze verziert, bestickt, golddurchwirkt31 oder perlenbestickt sein;
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flacht (Gemeinde Seitingen-Oberflacht, Lkr. Tuttlingen). Forschungen und Berichte zur Vor- und Frühgeschichte in Baden-Württemberg 41,1 (Stuttgart 1992) Taf. 53,1–2. Köln, St. Severin, Grab III,100; Bernd Päffgen, Die Ausgrabungen in St. Severin zu Köln 1. Kölner Forschungen 5,1 (Mainz 1992) 445. Vgl. etwa Mechthild Müller, Die Kleidung nach Quellen des frühen Mittelalters. Textilien und Mode von Karl dem Großen bis Heinrich III. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Ergänzungsband 33 (Berlin, New York 2003), für das 9. und 10. Jahrhundert. Gerhard Jaritz, Mittelalterliche Realienkunde und Fragen von Terminologie und Typologie. Probleme, Bemerkungen und Vorschläge am Beispiel der Kleidung. In: Terminologie und Typologie mittelalterlicher Sachgüter. Das Beispiel der Kleidung. Österreichische Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl. Sitzungsberichte 511 = Veröffentlichungen des Instituts für mittelalterliche Realienkunde Österreichs 10 (Wien 1988) 7–19. Johanna Banck-Burgess, An Webstuhl und Webrahmen. Alamannisches Textilhandwerk. In: Die Alamannen. Ausstellungskat. (Stuttgart 1997) 371–378; dies., s. v. Kleidung § 5. Frühgeschichte bis zum 7. Jahrhundert. In: Reallexikon der germanischen Altertumskunde2 16 (Berlin, New York 2000) 610–614. Flurlingen, Grab 4; Renata Windler/Antoinette Rast-Eicher/Ulla Mannering, Nessel und Flachs. Textilfunde aus einem frühmittelalterlichen Mädchengrab in Flurlingen (Kanton Zürich). Archäologie der Schweiz 18, 1995, 155–161. Lauchheim, Grab 974; Banck-Burgess, An Webstuhl und Webrahmen (Anm. 26) 377. – Köln, Sankt Severin, Grab III,73; Päffgen (Anm. 23) 439. – St. Denis, Gräber 13, 28B, 37, 38, 41, 48 und 49; Fleury/France-Lanord (Anm. 16) 189. Ein Faden (!) aus Lauchheim, Grab 974; Banck-Burgess, An Webstuhl und Webrahmen (Anm. 26) 375. Kirchheim/Teck, Grab 47; Resi Fiedler, Katalog Kirchheim unter Teck. Veröffentlichungen des Staatlichen Amtes für Denkmalpflege Stuttgart A 7 (Stuttgart 1962) 27 Abb. 4. Lauchheim, Grab 795; Christoph J. Raub/H. Weiss, Untersuchungen von Resten der Goldfäden eines Brokatgewebes aus Lauchheim, Ostalbkreis, Gräberfeld „Wasserfurche“, Grab 795. Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 1994, 217–220; Annemarie Stauffer/Felicitas Weise, Ein frühmittelalterliches Goldgewebe aus Lauchheim. Fundberichte aus Baden-Württemberg 22, 1998, 729–736. – Lahr-Burgheim, Grab 10; Gerhard
Kleidung, Bestattung, Identität
241
4. schließlich spielten Farben eine große Rolle, auch wenn diese durch die Bodenlagerung häufig verändert sind.32 Zusammen mit Angaben bei Gregor von Tours können u. a. weiß, purpurfarben, rot, braun, violett, blau belegt werden.33 Tab. 1. In Schriftquellen der Karolinger- und Ottonenzeit häufiger genannte Bezeichnungen für Kleidungsstücke. Über deren tatsächliches Aussehen herrscht mitunter Unklarheit, so dass auch die Bezeichnungsvielfalt wenig über den Variantenreichtum der Kleidung aussagt. Etliche Begriffe verwendete bereits Gregor von Tours (zusammengestellt nach Müller [Anm. 24]; Graenert [Anm. 45] 87) Männer
Frauen
Kopfbedeckung
pileus, cydaris, capellus, caputium
mitra, vitta, discriminalia, velamen, velum, mafors, reticula, pittus
Umhang, Mantel
thorax, pellicium, manthus, mantellum sagum, sagellum, clamis, leena, amiculum, pallium, crusenna roccus
Handschuhe
manus tegimen, manica, wantus
Tunika, Hemd
interula, camisia, tunica, staminia, staminea, trembilus
tunica, camisia, tunica subucula
Gürtel
cingulum, balteus
lymbum, strophium, zona, cingulum
Hosen
femoralia, feminalia*, bracae
–
Beinbinden
fasciolae, ligaturae tubrucus, tibracus, tibiale
periscelides
Schuhe
ocrea, caligae, hosa, tibialia pedules, sweif calcei, calciamenta, caliculae, galliculae, subtalares, socci
calciamenta
palla, pallia, clamis, amictus, amiculum, tegimen, cappa, trabea
* feminalia leiten sich her von femen für Oberschenkel.
32
33
Fingerlin, Merowingerzeitliche Adelsgräber in der Peterskirche von Lahr-Burgheim. Archäologische Nachrichten aus Baden 35, 1985, 23–35, hier 29 Abb. 6,3. – Trossingen, Grab 47; Banck-Burgess, An Webstuhl und Webrahmen (Anm. 26) 376 Abb. 424. – Köln, St. Severin, Gräber III,73 und III,100; Päffgen (Anm. 23) 439f. – Insgesamt: Johanna Banck-Burgess, s. v. Goldtextilien. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde2 12 (Berlin, New York 1998) 386–392. Vgl. Antja Bartel/Silvia Codreanu-Windauer, Spindel, Wirtel, Topf. Ein besonderer Beigabenkomplex aus Pfakofen, Lkr. Regensburg. Bayerische Vorgeschichtsblätter 60, 1995, 251–272, mit Hinweisen auf die Rotfärbung von Textilien. Margarete Weidemann, Kulturgeschichte der Merowingerzeit nach den Werken Gregors von Tours 2. Monographien des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 3,2 (Mainz 1982) 362–364; vgl. St. Denis, Grab 49; Fleury/France-Lanord (Anm. 16) II-132 f.
242
Sebastian Brather
Qualität und Anzahl dieser Nachweise erlauben allerdings keinen genauen Aufschluss darüber, in welchem Verhältnis zueinander Material und Gewebetypen, Muster und Verzierungen sowie Farben vorkamen. Soziale Differenzierungen und regionales Vorkommen sind abseits von Grundzügen bislang nicht ausreichend zu beurteilen. Selbst Seide fand sich nicht nur im königlichen Umfeld wie in St. Denis und Köln, sondern auch im eindeutig dörflichen Milieu wie in Lauchheim. Wenn angesichts dieser Quellen und Funde die frühmittelalterliche Kleidung vielfältig erscheint, so ist damit nur ein Teil des Erscheinungsbildes der Zeitgenossen erfasst. Zu berücksichtigen sind – so schwierig das im Einzelfall auch ist – Frisuren und Bärte; ein Hinweis auf die merowingischen reges criniti34, die ohne ihre Haare ihre Herrscherwürde verloren, mag hier genügen, denn: „Noch größere Bedeutung als der Kleidung kam der Haartracht für die soziale Differenzierung zu.“35 Doch zurück zur Kleidung: am Gürtel von Frauen und Männern konnten zahlreiche Dinge (Gehänge und Tasche) befestigt sein, wie die Grabfunde belegen.36 Hinzu kommen außerdem Schmuckstücke – von Ohrringen und Perlenketten über Armringe bis hin zu Fingerringen. Schließlich sind auch die Waffen der Männer einschließlich Helm und Panzer zu berücksichtigen, die deren äußere Erscheinung ebenfalls wesentlich bestimmten, auch wenn sie im engeren Sinne nicht zur Kleidung gehören.37 Neben ihrer eingangs nur kurz angesprochenen sozialen Differenzierung wird Kleidung durch einen weiteren Faktor gekennzeichnet – regionale Unterschiede. Gleichen sich Nachbarn in der Kleidung weithin, so
34
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37
Weidemann (Anm. 33) 364f.; Maximilian Diesenberger, Hair, sacrality and symbolic capital in the Frankish kingdoms. In: The construction of communities in the early middle ages. Texts, resources and artefacts, ed. Richard Corradini/Maximilian Diesenberger/Helmut Reimitz. The Transformation of the Roman world 12 (Leiden, Boston, Köln 2003) 173–212. Reinhard Schneider, Das Frankenreich. Oldenbourg Grundriß der Geschichte 5 (München 21990) 63. Birgit Dübner-Manthey, Die Kleingeräte am Gürtelgehänge als Bestandteile eines charakteristischen Elements der weiblichen Tracht. Archäologische Untersuchungen zu einigen Lebensbereichen und Mentalitäten der Frauen in Spätantike und Frühmittelalter. In: Frauen in der Geschichte 7. Interdisziplinäre Studien zur Geschichte der Frauen im Frühmittelalter. Methoden, Probleme, Ergebnisse, hrsg. Werner Affeldt/Anette Kuhn. Geschichtsdidaktik. Studien, Materialien 39 (Düsseldorf 1986) 88–124; Claudia Theune, Nützliches und Unnützliches am langen Band. Bemerkungen zu einer weiblichen Trachtsitte der Merowingerzeit. In: Königin, Klosterfrau, Bäuerin. Frauen im Frühmittelalter, hrsg. Helga Brandt/Julia K. Koch. Frauen, Forschung, Archäologie 2 (Münster 1996) 55–72. Frank Siegmund, Kleidung und Bewaffnung der Männer im östlichen Frankenreich. In: Die Franken. Wegbereiter Europas. Ausstellungskat. Mannheim (Mainz 1996) 691–706.
Kleidung, Bestattung, Identität
243
nehmen die Unterschiede mit der räumlichen Entfernung immer mehr zu. Die Archäologie kann sich bei entsprechenden Analysen bislang nur auf metallene Kleidungsbestandteile stützen, weil textile Reste nicht in ausreichendem Umfang vorliegen. Dass damit wesentliche Aspekte unberücksichtigt bleiben, ist nach dem oben Genannten offensichtlich – man denke nur an verschiedene Stoffe, bunte Farben und auffällige Muster. Der Schnitt der Kleidung scheint dagegen recht ähnlich gewesen zu sein, sofern man aus der Lage von Fibeln im Grab den Verschluss der Kleidung rekonstruieren kann.38 Die Fibeln waren allerdings an der Kleidung nicht „uniform“ angebracht,39 doch scheinen (etwas spätere) Bildquellen dafür zu sprechen, wenngleich sie nicht besonders zahlreich sind. Allerdings ist es primär das Fehlen von Bügelfibeln im Schulterbereich, das auf die dort vernähte Tunika verweisen soll, während deren Lage im Bereich von Brust und Becken ebenfalls überwiegend nichtfunktional interpretiert wird, nämlich als schmückender Bestandteil einer „Schärpe“40 – wenngleich z. B. ein Befund aus dem bayerischen Waging (Grab 105) anscheinend einen Kleidungsverschluss am Unterkörper repräsentiert.41 Klein- und Scheibenfibeln gelten dagegen allgemein als funktionaler Verschluss von Mantel oder Umhang, denn sie werden im Bereich von Brust, Hals und Schulter gefunden (Tab. 2).42
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42
Dass dies nicht immer zutrifft, bemerkt Vierck, Trachtenkunde (Anm. 11) 242. Als Beispiel sei eine in einem „Futteral“ beigegebene Fibel von München-Perlach genannt; Dorit Reimann, Fibel und Futteral. München-Perlach Grab 18. Bericht der Bayerischen Bodendenkmalpflege 41/42, 2001/2002, 187–194. Verwesungsprozesse haben offensichtlich lediglich zu kleinräumigen Verlagerungen im Grab geführt. Allerdings darf die Gleichförmigkeit von Lage und Form der Fibeln nicht als Uniformität der Anbringung und Verwendung missverstanden werden. In einem Basler Frauengrab des späten 5. Jahrhunderts verschlossen eine Bügel- und eine Kleinfibel einen Umhang, eine weitere Bügelfibel das darunter befindliche Kleid; die Funktion einer weiteren Kleinfibel ließ sich nicht bestimmen; vgl. Antoinette Rast-Eicher, Das organische Material aus den Gräbern 3 und 4 der Grabung 1996/6. In: Guido Helmig/Barbara Ihrig/ Liselotte Meyer/Martina Nicca/Antoinette Rast-Eicher/Franziska Schillinger, Frühmittelalterliche Grabfunde im Umkreis des Antikenmuseums in Basel. Jahresbericht der Archäologischen Bodenforschung des Kantons Basel-Stadt 2001 (2003) 129–149, hier 136–143. Max Martin, Tradition und Wandel der fibelgeschmückten frühmittelalterlichen Frauenkleidung. Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 38, 1991 (1995) 629–680, hier 652–661; vgl. Ernst-Günter Strauß, Studien zur Fibeltracht der Merowingerzeit. Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie 13 (Bonn 1992). Antja Bartel/Ronald Knöchlein, Zu einem Frauengrab des 6. Jahrhunderts aus Waging am See, Lkr. Traunstein, Oberbayern. Ein Beitrag zur Kenntnis der Frauentracht der älteren Merowingerzeit. Germania 71, 1993, 419–439, hier 428–438. – Dieser Befund zeigt, dass der Kleidungsverschluss durch Schlaufen, Ösen und Bänder komplex war und nicht allein aus einer Fibel bestand. Martin, Tradition und Wandel (Anm. 40) 643–652.
244
Sebastian Brather
Tab. 2. Lage von Bügelfibeln (5./6. Jahrhundert), gleicharmigen Fibeln (spätes 6. bis frühes 10. Jahrhundert) und zweier Scheibenfibelvarianten (6./7. Jahrhundert) in Bezug zum Körper der bestatteten Frauen in Mittel- und Westeuropa. Angegeben sind die vorhandene Anzahl an Funden und die jeweiligen Anteile (verändert und vereinfacht nach Strauß [Anm. 40] 83–141, 158–169; Graenert [Anm. 45] Taf. 120; Thörle [Anm. 46] 249 Tab. 36) Brust, Hals Schulter
Oberkörper Unterkörper sonstige Lage
Bügelfibeln
63 (12 %)
5 (1 %)
85 (16 %)
Filigranscheibenfibeln
80 (68 %)
14 (12 %)
12 (10 %)
11 (10 %)
Pressblechscheibenfibeln
69 (78 %)
6 (7 %)
4 (4 %)
10 (11 %)
gleicharmige Fibeln
53 (66 %)
12 (15 %)
265
37
383 (71 %)
15 (19 %) 101
383
36
Der Forschung ist nicht entgangen, dass die Fibeln eine immense Variantenvielfalt aufweisen.43 Für die Kleidung war zunächst entscheidend, wo sie angebracht waren – und weniger, wie man ihre ornamentalen Details gestaltet hatte. Mehr als feine stilistische Unterschiede dürften zunächst äußere Form oder Umriss, Farbigkeit sowie Größe der Fibeln von den Zeitgenossen wahrgenommen worden sein. Dafür spricht auch, dass viele Stilvarianten sich in ihrer geographischen Häufigkeit nur diffus unterscheiden.44 Dennoch lassen sich mitunter auffällig differierende Verbreitungen feststellen, wie das Beispiel von filigranem Ranken- und Tierstilornament bei Scheibenfibeln des späten 6. Jahrhunderts zeigen mag (Abb. 1).45 Bevor sich aber stilistische Unterschiede (Tab. 3)46 in ihrer symbolischen Bedeutung beurteilen lassen, müssen sie von herstellungstechnisch bedingten Besonderheiten analytisch getrennt werden. So dürfte es für die zeitgenössi-
43
44
45
46
Gleiches gilt für die Verwendung unterschiedlicher Fibelformen: Susanne Walter, Fibeln – einmal anders. Gedanken zu Kleinfibelpaaren als Ersatz für Bügelfibeln. In: Hüben und drüben. Räume und Grenzen in der Archäologie des Frühmittelalters. Festschrift Max Martin, hrsg. Gabriele Graenert/Reto Marti/Andreas Motschi/Renata Windler. Archäologie und Museum 48 (Liestal 2004) 41–48. Auch für Perlen ist ähnliches festzustellen: Maren Siegmann, Mitten im Leben vom Tod umfangen. Zu den Befunden einiger völkerwanderungszeitlicher Frauengräber aus Liebenau (Kr. Nienburg/Weser). In: Studien zur Lebenswelt der Eisenzeit. Festschrift Rosemarie Müller, hrsg. Wolf-Rüdiger Teegen/Rosemarie Cordie/Olaf Dörrer/Sabine Rieckhoff/Heiko Steuer. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Ergänzungsband 53 (Berlin, New York 2006) 279–304, hier 301 f. Vgl. etwa die Karten bei Alexander Koch, Bügelfibeln der Merowingerzeit im westlichen Frankenreich 1–2. Monographien des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 41 (Mainz 1998). Gabriele Graenert, Merowingerzeitliche Filigranscheibenfibeln, phil. Diss. (München 1998 [2001]) Karte 19. Stefan Thörle, Gleicharmige Bügelfibeln des frühen Mittelalters. Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie 81 (Bonn 2001) 238–240.
Kleidung, Bestattung, Identität
245
Abb. 1. Verbreitung zweier stilistischer Varianten von Scheibenfibeln des späten 6. Jahrhunderts mit Filigranverzierung aus mehrfach gelegten Drähten. x Verzierung in Rankenform; Verzierung im Tierstil (verändert nach Graenert [Anm. 45] Karte 19)
schen Betrachter z. B. recht unwichtig gewesen sein, ob Scheibenfibeln des 6. Jahrhunderts mit Granatbesatz auf einem eisernen oder einem goldenen Gehäuse aufgebaut waren, auch wenn sich auf der Karte zwei deutliche regionale Schwerpunkte abzeichnen (Abb. 2).47 Ein Zeichencharakter lässt sich vor allem dann vermuten, wenn statt Details die ganze Form eines Kleidungsbestandteils geographisch deutlich beschränkt blieb. Dies war bei vielteiligen Gürtelgarnituren ebenso der Fall wie bei Spathagurten des „Typs Civezzano“, die beide fast nur östlich des oberen Rheins bzw. des Schwarzwalds entdeckt wurden (Abb. 3).48 Ob es sich dabei wie bei den 47
48
Kathrin Vielitz, Die Granatscheibenfibeln der Merowingerzeit. Europe médiévale 3 (Montagnac 2003) 97 Abb. 42. Ursula Koch, Der Ritt in die Ferne. Erfolgreiche Kriegszüge im Langobardenreich. In: Die Alamannen. Ausstellungskatalog (Stuttgart 1997) 403–415, hier 411 Abb. 465–466; Siegmund, Kleidung und Bewaffnung (Anm. 37) 698; vgl. Brigitte Gebauer-Hellmann, Studien zu so genannten spiraltauschierten Waffengurten nördlich der Alpen. In: Cum grano salis. Beiträge zur europäischen Vor- und Frühgeschichte. Festschr. Volker Bierbrauer, hrsg. Bernd Päffgen/Ernst Pohl/Michael Schmauder (Friedberg 2005) 183–197.
246
Sebastian Brather
Goldblattkreuzen49 primär um einen Effekt der Bestattungsrituale handelt oder andere Faktoren, d. h. die Lebenswelt, eine Rolle spielten, bedarf dann sorgfältiger Analyse. Tab. 3. Regionales Vorkommen unterschiedlicher Verzierungen an gleicharmigen Fibeln des späten 6. bis frühen 10. Jahrhunderts, bezogen auf die Gesamtzahl der entsprechend verzierten Fibeln. Hervorgehoben sind die vier häufigsten Verzierungen je Region. An 100 % jeweils fehlende Angaben betreffen hier nicht aufgelistete Regionen; die Tabelle erfasst 825 bzw. vier Fünftel der zugrunde liegenden 996 Fibeln (zusammengestellt nach Thörle [Anm. 46] 238 Diagramm 14, 240 Tab. 29) Anzahl Deutschland Frankreich
Benelux
England
Kreisaugen
376
22 (5,8 %)
236 (62,8 %)
43 (11,4 %)
6 (1,6 %)
Querrippen oder -leisten
132
5 (3,8 %)
57 (43,2 %)
40 (30,3 %)
3 (2,3 %)
Strichgruppen
101
6 (5,9 %)
80 (79,2 %)
7 (6,9 %)
Tierdarstellungen
93
7 (7,5 %)
54 (58,1 %)
14 (15,0 %)
1 (1,1 %)
pflanzliche Motive
86
5 (4,6 %)
15 (17,4 %)
46 (53,7 %)
2 (2,3 %)
Punktpunzen
76
13 (17,1 %)
37 (48,5 %)
4 (5,3 %)
plastisch bewegte Oberfläche
75
5 (4,0 %)
12 (16,0 %)
50 (66,7 %)
4 (5,3 %)
Kerbschnitt mit Spitzovalen
57
29 (50,9 %)
19 (33,3 %)
3 (5,3 %)
Summe
996
63 (6,3 %)
520 (52,2 %) 223 (22,4 %) 19 (1,9 %)
Die Unterscheidung dieser drei Aspekte oder Ebenen – Herstellung, Verzierung und Symbolik – birgt methodische Probleme in sich, denn regionale Vorkommen bilden noch kein Argument für eine Interpretation.50 Bevor eine symbolische Bedeutung angenommen werden kann, müssen Fragen nach Produktion und Distribution gestellt und beantwortet werden. Bei
49
50
Ellen Riemer, Zu Vorkommen und Herkunft italischer Folienkreuze. Germania 77, 1999, 609–36. Vgl. Ellen Swift, Regionality in dress accessories in the late Roman West. Monographies Instrumentum 11 (Montagnac 2000). – Walter Janssen, Genetische Siedlungsforschung in der Bundesrepublik Deutschland aus der Sicht der Siedlungsarchäologie. In: Genetische Siedlungsforschung in Mitteleuropa und seinen Nachbarräumen, hrsg. Klaus Fehn/Klaus Brandt/Dietrich Denecke/Franz Irsigler (Bonn 1988) 25–66, hier 28, kritisierte die „relativ sorglos[en]“ Interpretationen: „Man spricht z. B. von gotischen, langobardischen, thüringischen oder angelsächsischen Fibeln, von sächsischer, thüringischer oder fränkischer Keramik usf. Die Hemmschwelle, ethnisch bestimmte Termini in die Beschreibung archäologischer Materialien einzubringen, ist, trotz der schwerwiegenden Bedenken in der älteren Forschung, heute weitgehend abgebaut. Es wird munter und unreflektiert ethnisch interpretiert.“
Kleidung, Bestattung, Identität
247
Abb. 2. Verbreitung zweier technischer Varianten von Scheibenfibeln mit Granatverzierung des 6. Jahrhunderts. x Gehäuse aus Eisen; Gehäuse aus Gold (verändert nach Vielitz [Anm. 47] 97 Abb. 42)
Untersuchungen zu Keramik51 und Glas52 wird auf diese Weise ebenso verfahren53 wie bei Analysen zu römischen Kleidungsbestandteilen.54 Ein Zeichencharakter kann nur dann wahrscheinlich gemacht werden, wenn dafür 51
52
53
54
Mark Redknap, Die römischen und mittelalterlichen Töpfereien in Mayen. In: Berichte zur Archäologie an Mittelrhein und Mosel 6. Trierer Zeitschrift, Beih. 24 (Trier 1999) 11–401. Birgit Maul, Frühmittelalterliche Gläser des 5. bis 7./8. Jahrhunderts n. Chr. Sturzbecher, glockenförmige Becher, Tummler und Glockentummler. Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie 84 (Bonn 2002) 117–120. Frank Siegmund, Alemannen und Franken. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Ergänzungsband 23 (Berlin, New York 2000), sieht in den regional unterschiedlichen Häufigkeiten von Keramik- und Glasgefäßen in merowingerzeitlichen Gräbern Indizien für ethnische Identitäten. Vgl. dazu Sebastian Brather/Hans-Peter Wotzka, Alemannen und Franken? Bestattungsmodi, ethnische Identitäten und wirtschaftliche Verhältnisse zur Merowingerzeit. In: Soziale Gruppen, kulturelle Grenzen. Die Interpretation sozialer Identitäten in der Prähistorischen Archäologie, hrsg. Stefan Burmeister/Nils Müller-Scheeßel. Tübinger Archäologische Taschenbücher 5 (Münster u. a. 2005) 101–186. Swift (Anm. 50) 210, zufolge hängt die Verbreitung auch von Bestandteilen der Frauenkleidung direkt mit Aktivitäten der römischen Armee zusammen.
248
Sebastian Brather
Abb. 3. Kongruente Verbreitung von vielteiligen Gürtelgarnituren und Spathagurten des 7. Jahrhunderts. Westlich des Rheins kommen beide nur selten vor. x Spathagurt vom „Typ Civezzano“ mit bis zu neunteiligen Garnituren aus zwei Schnallen und zwei Riemenzungen, Riemenschiebern, rautenförmigen und rechteckigen Beschlägen; spiraltauschierte vielteilige Gürtelgarnituren (verändert nach Koch [Anm. 48] 411 Abb. 465–466)
zusätzliche Anhaltspunkte beizubringen sind. Im Hinblick auf Stilunterschiede fällt dies besonders schwer55; bei den genannten Gürteln ist die Differenz zu anderen, weniger aufwendigen Formen in Nordgallien dagegen augenfällig.56 Gegenüber den häufig auf bewusste regionale Abgrenzung 55
56
Swift (Anm. 50) 229: „the term ‚regionality‘ rather than ‚ethnicity‘ is preferred, since it is impossible to know to what degree those wearing regional items of dress identified themselves as belonging to a particular ethnic group, and whether this specifically correlated with material culture.“ Eine überzeugende Interpretation dieses Befunds fehlt bislang. Da kein unmittelbarer Zusammenhang zur Waffenbeigabe zu beobachten ist, dürften demonstrative Absichten zu vermuten sein; Hubert Fehr, Zur Deutung der Prunkgürtelsitte der jüngeren Merowingerzeit. Das Verhältnis von Waffenbeigabe und Gürtelbeigabe anhand der Männergräber von Schretzheim und Kirchheim/Ries. In: Archäologie als Sozialgeschichte. Studien zu Sied-
Kleidung, Bestattung, Identität
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zielenden Erklärungen für Verbreitungsbilder ist darauf hinzuweisen, dass Symbole auch integrative, nach innen gerichtete Funktionen besaßen, denn Identitäten bilden sich durch Exklusion und Inklusion. Begriff und Modell der „Tracht“ stellen keine geeigneten Erklärungsmuster dar, schon gar nicht in der simplifizierenden Gegenüberstellung konservativer bäuerlicher „Volkstrachten“ und oberflächlicher städtischer „Moden“. „Die Tracht gleichsam als Regionaluniform existierte wohl nirgendwo und nie, weil auch regionale Materialien und Schnitte immer den wirtschaftlichen wie ästhetischen Einflüssen unterlagen, die aus dem Handel, der handwerklichen Produktion und der überregionalen Mobilität erwuchsen.“57 Tatsächlich „drückte [die Tracht des 19. Jahrhunderts – S. B.] vielmehr die vorhandene dörfliche Sozialordnung aus und befestigte sie im Allgemeinen“;58 sie war also auf die binnengesellschaftlichen Verhältnisse und nicht die äußere Abgrenzung ausgerichtet. Aufgrund der mit dem Begriff „Tracht“ verbundenen Konzepte des 19. Jahrhunderts sollte besser die neutrale, noch keine Interpretation einschließende Bezeichnung „Kleidung“ verwendet werden. Und darüber hinaus deuten bereits die feinen archäologischen Chronologien der Merowingerzeit59 an, dass auch für das ländliche Milieu des frühen Mittelalters mit rasch wechselnden „Moden“ zu rechnen ist.60 Es gab nicht „die“ Kleidung der Merowingerzeit. Sie war – und dies ist ein drittes wesentliches Kennzeichen – vielmehr anlassgebunden, d. h. von der jeweiligen Situation abhängig, in der sie getragen wurde. Bei Gregor von Tours finden sich beispielsweise Angaben zur Kleidung während der Trauer (dunkle Farben) und zur Buße (cilicia).61 Parallel dazu lässt sich annehmen, dass auch freudige Anlässe eine angemessene Kleidung voraussetzten.62 Im Detail sind die Informationen Gregors aber zu spärlich, da die
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lung, Wirtschaft und Gesellschaft im frühgeschichtlichen Mitteleuropa. Festschr. Heiko Steuer, hrsg. Sebastian Brather/Christel Bücker/Michael Hoeper. Studia honoraria 9 (Rahden 1999) 105–111, hier 110 f. Weshalb sich die vielteiligen cingula jedoch hauptsächlich in Süddeutschland und in Oberitalien finden, ist noch zu untersuchen. Wolfgang Kaschuba, Einführung in die Europäische Ethnologie (München 1999) 227. Hermann Bausinger, 4. Identität. In: Hermann Bausinger/Utz Jeggle/Gottfried Korff/ Martin Scharfe, Grundzüge der Volkskunde (Darmstadt 1978) 204–263, hier 230. Vgl. etwa Frank Siegmund, Merowingerzeit am Niederrhein. Die frühmittelalterlichen Funde aus dem Regierungsbezirk Düsseldorf und dem Kreis Heinsberg. Rheinische Ausgrabungen 34 (Köln, Bonn 1998). Vgl. etwa Michel Kazanski, La diffusion de la mode danubienne en Gaule (fin du IVe siècle – début du VIe siècle). Essai d’interpretation historique. Antiquités nationales 21, 1989, 59–73; Mechthild Schulze, Einflüsse byzantinischer Prunkgewänder auf die fränkische Frauentracht. Archäologisches Korrespondenzblatt 6, 1976, 149–161. Weidemann (Anm. 33) 362. Vgl. Müller (Anm. 24) 101–109, zu den wenigen und vagen Angaben zur besonderen Kleidung von Brautleuten, Schwangeren, Säuglingen, Täuflingen, Toten und Trauernden.
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„richtige“ Kleidung selbstverständlich war. Für Karl d. Gr. hat Einhard in seiner Karlsvita die Abhängigkeit der Kleidung des Königs von der jeweiligen Situation beschrieben. Diese Schilderungen seien, obwohl sie erst das späte 8. Jahrhundert betreffen, ihrer Anschaulichkeit wegen hier aufgeführt: 1. Normalerweise trug Karl „ein Leinenhemd, leinene Hosen, außerdem eine Tunika, die mit Seide eingefasst war, und Beinbinden; schließlich umschnürte er die Waden mit Bändern und seine Füße mit Stiefeln, und mit einem aus Otter- oder Marderfell gefertigten Wams schützte er im Winter Schultern und Brust, er hüllte sich in einen blauen Umhang und trug stets ein Schwert, dessen Griff und Gurt aus Gold oder Silber waren.“63 2. Offizielle Anlässe erforderten eine angemessene Kleidung des Königs: „er benutzte ein edelsteinbesetztes Schwert, wenn es hohe Festtage waren oder Gesandte fremder gentes gekommen waren. […] An Festtagen ging er in golddurchwirkter Kleidung und edelsteinbesetzten Schuhen und mit einer goldenen Fibel, die den Umhang zusammenhielt, und mit einem Diadem, das mit Gold und Edelsteinen geschmückt war.“64 3. Begegnungen mit dem Papst in Rom geboten wiederum eine andere Bekleidung Karls: „mit langer Tunika und Chlamys bekleidet, mit nach römischer Art gefertigten Schuhen“ habe der König in seinem Äußeren den dringenden Bitten Papst Hadrians und später seines Nachfolgers Leo entsprochen,65 doch
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Ad corpus camisam lineam, et feminalibus lineis induebatur, deinde tunicam, quae limbo serico ambiebatur, et tibialia; tum fasciolis crura et pedes calciamentis constringebat et ex pellibus lutrinis vel murinis thorace confecto umeros ac pectus hieme muniebat, sago veneto amictus et gladio semper accinctus, cuius capulus ac balteus aut aureus aut argenteus erat; Einhard, Vita Karoli Magni 23 (Einhardi Vita Karoli Magni, hrsg. Georg Heinrich Pertz/Georg Waitz. Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum ex Monumentis Germaniae Historicis separatim editi 25 [Hannover 1911] 20). Aliquoties et gemmato ense utebatur, quod tamen nonnisi in praecipuis festivitatibus vel si quando exterarum gentium legati venissent. […] In festivitatibus veste auro texta et calciamentis gemmatis et fibula aurea sagum adstringente, diademate quoque ex auro et gemmis ornatus incedebat. Aliis autem diebus habitus eius parum a communi ac plebeio abhorrebat; Einhard, Vita Karoli Magni 23 (Einhardi Vita Karoli Magni [Anm. 63] 21). – Ähnlich klingt die Beschreibung der Kleidung Ludwigs des Frommen bei Thegan: Numquam aureo resplenduit vestimento, nisi tantum in summis festivitatibus, sicut patres eius solebant agere. Tunc nihil in illis diebus se induit praeter camisiam et femoralia nisi cum auro texta, lembo aureo, baltheo aureo praecinctus et ense auro fulgente, ocreas aureas et clamidem cum auro textam, et coronam auream in capite gestans, et baculum aureum in manu tenens; Thegan, Gesta Hludowici imperatoris 19 (In: Thegan, Die Taten Kaiser Ludwigs; Astronomus, Das Leben Kaiser Ludwigs, hrsg. Ernst Tremp. Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi 64 [Hannover 1995] 167–278, hier 202–204). Vgl. zu weiteren Quellen Müller (Anm. 24) 167–181. Peregrina vero indumenta, quamvis pulcherrima, respuebat nec umquam eis indui patiebatur, excepto quod Romae semel Hadriano pontifice petente et iterum Leone successore eius supplicante longa tunica et clamide amictus, calceis quoque Romano more formatis induebatur; Einhard, Vita Karoli Magni 23 (Einhardi Vita Karoli Magni [Anm. 63] 20f.).
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dürfte damit zugleich deutlich an die Kleidung der byzantinischen Kaiser erinnert und somit ein klarer Ranganspruch formuliert worden sein. 4. Bestattet wurde Karl den so genannten Einhards-Annalen zufolge in „kaiserlichen Gewändern“;66 aus dieser ungefähren Angabe lässt sich leider keine genauere Vorstellung gewinnen. Von den Anlässen für das Anlegen jeweils angemessener Kleidung weg führt die Frage nach tätigkeitsspezifischer Bekleidung. Für die Gewandung von Klerikern bietet Gregor von Tours vielfältige Angaben: Tonsur, Alba und Gürtel (cingulum oder balteus), Obergewand mit Kapuze (Kasel und Pluviale), Manipel, Pektorale und Bischofsstab, außerdem colobium und Mantel (pallium) als nicht unmittelbar zum Ornat gehörende Kleidungsstücke.67 Für eine bäuerliche, kaum in „Berufe“ gegliederte Bevölkerung fällt es dagegen schwer, eine spezifische „Arbeitskleidung“ auszumachen.68 Die aus den Gräbern bekannten aufwendigen Kleidungsbestandteile wie Fibeln aus Edelmetall und tauschierte Gürtelgarnituren dürften ebenso wie Waffen im „Alltag“ nicht unablässig getragen worden sein. Dass es neben schlichten und statusbetonenden Varianten der Kleidung spezifische Formen gab, ist wohl wenig wahrscheinlich; sie bestand vermutlich aus wenigen Allzweck-Kleidungsstücken. Die Bekleidung der Toten, wie sie aus den Grabfunden bekannt ist, dürfte primär Prestige ausdrücken und keine spezielle Fest- oder gar Hochzeitskleidung gewesen sein, wie gelegentlich vermutet wird.69 Die überdurchschnittlichen Ausstattungen adulter Frauen dürfte weniger mit einer (durch den Tod „verpassten“) Hochzeit zusammenhängen als damit, dass Frauen diesen Alters entscheidende soziale Rollen ausfüllten.70
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Vestitum est corpus eius vestimentis imperialibus; Annales Laurissenses et Einhardi ad a. 814 (Annales Laurissenes et Einhardi. In: Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 1, hrsg. Georg Heinrich Pertz [Hannover 1826] 124–218, hier 201). Weidemann (Anm. 33) 215 f.; Müller (Anm. 24) 109–151. Sie kommt wohl erst in der frühen Neuzeit auf; Diana de Marly, Working dress. A history of occupational clothing (London 1986) 7; Irena Turnau, European occupational dress from the fourteenth to the eighteenth century (Warsaw 1994) 17–24. Vgl. Anton Distelberger, Österreichs Awarinnen. Frauen aus Gräbern des 7. und 8. Jahrhunderts. Archäologische Forschungen in Niederösterreich 3 (St. Pölten 2004) 54–56. Vgl. unten.
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2. Bestattung Die so zahlreich ausgegrabenen Reihengräber stellen lediglich die archäologisch erfassten Überreste komplexer Handlungen dar. Ein Blick auf antike Vorstellungen einer Bestattung71 zeigt, dass sich nur ein Teil der Rituale am Grab selbst abspielte (Tab. 4). Die ritualisierten Handlungen begannen bereits mit der Präparierung des Leichnams, und sie endeten nicht mit der Beerdigung. Für das frühmittelalterliche Gallien zeichnen die Beschreibungen Gregors von Tours sowie Viten und Sakramentare ein ähnliches Bild. Zumindest im elitären Milieu bereitete man sich angemessen auf den Tod vor, sofern man ihn kommen fühlte.72 Die Quellen beschreiben das anschließende Waschen der Leiche und deren würdevolle Bekleidung, Aufbahrung und Klage, die anschließende Leichenprozession, „Totenmesse“ und Grablege.73 Die frühesten, wenngleich immer noch vereinzelten bildlichen Darstellungen im so genannten Warmundus-Sakramentar stammen erst aus der Zeit um 1000, zeigen aber in zehn Miniaturen einen sehr ähnlichen Ablauf einer Bestattung (Abb. 4; Ordo in agenda mortuorum).74 Tab. 4. Ablauf einer Bestattung in der Antike (zusammengestellt nach Engels [Anm. 71] 15, 24–26, 49, 156 f.) griechisch
lateinisch
Handlungen
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collocatio
Aufbahrung und Totenklage
2.
ékphora
pompa funebris
Leichenprozession
3.
taphos
sepultura
Beisetzung
4.
tymbos, sema
monumentum, sepulcrum
Grabanlage
5.
mnéme
rosalia, parentalia, lemuria
Gedenken
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Johannes Engels, Funerum sepulcrorumque magnificentia. Begräbnis- und Grabluxusgesetze in der griechisch-römischen Welt. Mit einigen Ausblicken auf Einschränkungen des funeralen und sepulkralen Luxus im Mittelalter und in der Neuzeit. Hermes-Einzelschriften 78 (Stuttgart 1998) 15, 24–26, 49, 156 f.; vgl. Jocelyn M. C. Toynbee, Death and burial in the Roman world (London 1971) 43–64. Bonnie Effros, Caring for body and soul. Burial and the afterlife in the Merovingian world (University Park 2002) 171–177; Frederick S. Paxton, Christianizing death. The creation of a ritual process in early medieval Europe (Ithaca u. a. 1990) 47–91. Weidemann (Anm. 33) 233–237; Effros, Caring for body and soul (Anm. 72) 177–187; Damien Sicard, La liturgie de la mort dans l’église latine des origines à la reforme carolingienne. Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen 63 (Münster 1978). Sacramentario del vescovo Warmondo di Ivrea. Fine secolo X. Ivrea, Biblioteca capitolare, MS 31 LXXXI, ed. Luigi Bettazzi (Ivrea 1990) fol. 190–206.
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Abb. 4. Sakramentar des Warmundus, um 1000, Anlage des Grabes für einen Verstorbenen. Hi fodiunt tumulum, quo locitent miserum. Fossores, mosoleum (Sacramentario del vescovo Warmondo di Ivrea [Anm. 74] fol. 205r)
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Lediglich das Grab bleibt der Archäologie übrig. Nur sporadisch finden sich einige Hinweise auf Handlungen im Umfeld. Dazu gehören z. B. Reste von Feuerstellen auf manchen Reihengräberfeldern, die auf verschiedene Weise erklärt werden können – als Überreste von Totenmahlen der bestattenden Gemeinschaft, als Relikt reinigender Rituale oder als einfacher Abfall von Speisen.75 Will man aus den Reihengräbern Rückschlüsse auf Kleidung und auf soziale Gruppierungen ziehen, so ist zu berücksichtigen, dass sie nur einen Teil der rituell bestimmten Vorgänge um den Tod widerspiegeln. Die vielfältigen und umfangreichen Grabausstattungen machen die merowingerzeitlichen Bestattungen nichtsdestotrotz zu einer überaus wertvollen sozialgeschichtlichen Quelle. Der jeweils betriebene Aufwand verdeutlicht, dass soziale Zugehörigkeiten im Grab präsentiert wurden. Dies muss keineswegs so sein, sind doch zahlreiche Gesellschaften bekannt, die dies nicht taten. Daraus lässt sich nicht ableiten, dass es in diesen Fällen keine allzu großen sozialen Differenzierungen gab – sie fanden aber offensichtlich keine Widerspiegelung im Grab; sie mögen dennoch während der vorangehenden Bestattungsrituale vorgeführt worden sein, ohne dass sich das auf das Grab selbst auswirkte.76 Seit den Jahrzehnten um 700 waren umfängliche Grabausstattungen nicht mehr üblich. Stiftungen an die Kirche traten an ihre Stelle, und diese wurden pro anima – für das individuelle Seelenheil – verfügt. Dieser Wandel bedeutete den Übergang zu einer neuen Form sozialer Repräsentation, die nun nicht mehr die Bestattung als Medium nutzte.77 Religiöse Motive spielten dabei eine untergeordnete Rolle,78 wie zwei Argumente belegen. Könige und Bischöfe, die in ihrem Selbstverständnis und in den Augen der Zeitgenossen beispielhafte Christen waren, erhielten auch weiterhin auf75
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Bonnie Effros, Creating community with food and drink in Merovingian Gaul (Basingstoke 2002) 89. Vgl. Sebastian Brather, Bestattungsrituale zur Merowingerzeit. Frühmittelalterliche Reihengräber und der Umgang mit dem Tod. In: Körperinszenierung, Objektsammlung, Monumentalisierung. Totenritual und Grabkult in frühen Gesellschaften. Archäologische Quellen in kulturwissenschaftlicher Perspektive, hrsg. Christoph Kümmel/Beat Schweizer/Ulrich Veit. Tübinger archäologische Taschenbücher 6 (Münster u. a. 2007) 161–187. Effros, Caring for body and soul (Anm. 72) 205–208. Vgl. Michael Müller-Wille, Drei Frauengräber der jüngeren Merowingerzeit in den irofränkischen Klöstern von Jouarre, Chelles und Nivelles. Archäologisch-historische Überlieferung und geistiger Hintergrund. Berichte aus den Sitzungen der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften 17, 1999, Heft 3 (Hamburg, Göttingen 1999). Niklot Krohn, Von der Eigenkirche zur Pfarrgemeinschaft. Kirchenbauten und Kirchengräber der frühmittelalterlichen Alamannia als archäologische Zeugnisse für nobilitäre Lebensweise und christliche Institutionalisierung. In: Centre, region, periphery. Medieval Europe Basel 2002. Preprinted papers 2 (Hertingen 2002) 165–78.
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wendige und umfänglich ausgestattete Gräber.79 Und Laien konnten aufwendig in Kirchen bestattet werden – im Verständnis der Zeitgenossen eine betont christliche Art der Totenruhe.80 Wenn das Ende der Reihengräberfelder, die Kirchfriedhöfen Platz machten, auf eine veränderte Form von Statusdemonstration zurückzuführen ist81, dann dürfte gleiches für ihr Aufkommen gelten. Offenbar waren Bestattungen im 5. Jahrhundert eine geeignete „Bühne“ dafür geworden, die sich analytisch weder als „heidnisch“ noch als „germanisch“ kennzeichnen lässt.82 Diese „Bühne“ sah sich der jeweiligen lokalen Gesellschaft (face-to-face society) als Publikum gegenüber. Vor dieser „Trauergemeinde“ wurden Bestattungen „inszeniert“. Dabei lassen sich analytisch drei „Beteiligte“ unterscheiden: 1. die die Bestattung Ausrichtenden, 2. die Lokalgesellschaft als „Zuschauer“, und 3. der oder die Verstorbene.83 Daraus kann in Anlehnung an literaturwissenschaftliche Konzepte ein „Beziehungsdreieck“ konstruiert werden (Abb. 5). Art und Weise der Bestattung nehmen dabei ebenso auf den Toten und dessen vielleicht zuvor geäußerte Wünsche Bezug wie auf die Vorstellungen derjenigen, die die Beerdigung vollziehen, und auf die Erwartungen der Nachbarschaft. Die Rückschau auf die Identitäten und Zugehörigkeiten des Toten werden um prospektive, in die Zukunft der Familie84, der Lokalgesellschaft und der weiteren Nachbarschaft zielende
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Thomas Meier, Die Archäologie des mittelalterlichen Königsgrabes im christlichen Europa. Mittelalter-Forschungen 8 (Stuttgart 2002); Bernd Päffgen, Die Speyerer Bischofsgräber und ihre vergleichende Einordnung. Eine archäologische Studie zu Bischofsgräbern in Deutschland von den frühchristlichen Anfängen bis zum Ende des Ancien Régime, Habilitationsschr. (Bonn 2001). Vgl. entsprechende Schilderungen bei Gregor von Tours; Weidemann (Anm. 33) Bd. 2, 14–18. Eyla Hassenpflug, Das Laienbegräbnis in der Kirche. Historisch-archäologische Studien zu Alemannien im frühen Mittelalter. Freiburger Beiträge zur Archäologie und Geschichte des ersten Jahrtausends 1 (Rahden 1999). Hassenpflug (Anm. 80) 76, führt als (weitere) Gründe für den Übergang zu Kirchfriedhöfen den Wunsch nach Bestattungen ad sanctos und das Zehntgebot unter den Karolingern an. Vgl. die Beiträge von Hubert Fehr und Guy Halsall in diesem Band; Hubert Fehr, Germanen und Romanen im Merowingerreich. Frühgeschichtliche Archäologie zwischen Wissenschaft und Zeitgeschichte, phil. Diss. (Freiburg 2003); Guy Halsall, Social identities and social relationships in early Merovingian Gaul. In: Franks and Alamanni in the Merovingian period. An ethnographic perspective, ed. Ian Wood. Studies in historical archaeoethnology 3 (Woodbridge 1998) 141–165. Frans Theuws, Grave goods, ethnicity, and the rhetoric of burial rites in late antique northern Gaul. In: Ethnic Constructs in Antiquity. The Role of Power and Tradition, ed. Ton Derks/Nico Roymans (Amsterdam) (im Druck). Dabei dürfte es sich im Wesentlichen um „Kernfamilien“ gehandelt haben; vgl. Pierre Guichard/Jean-Pierre Cuvillier, Europa in der Zeit der Völkerwanderungen. In: Geschichte der Familie. Mittelalter, hrsg. André Burguière/Christiane Klapisch-Zuber/Martine Segalen/Françoise Zonabend (Frankfurt/M. 1997) 13–87, hier 75. – Der Auffassung,
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Abb. 5. „Beteiligte“ an einer frühmittelalterlichen Bestattung. Während der rituellen Handlungen, die die Familie durchführt, werden soziale Zugehörigkeiten des Toten und die seiner Angehörigen vor den Augen der anwesenden lokalen Gesellschaft demonstriert und projiziert (nach Brather, Bestattungsrituale [Anm. 76] 164 Abb. 1)
Positionierungen erweitert. Aus dieser Vermengung verschiedener Interessen ergibt sich, dass Bestattungen soziale Verhältnisse nicht unmittelbar abbilden. Statt eines schlierenfreien Spiegels stellen sie eher einen „Zerrspiegel“ des sozialen Lebens dar. Außerdem dürften die tatsächlichen Verhältnisse performativ überdeutlich dargestellt worden sein, um keine Zweifel am jeweiligen Status aufkommen zu lassen. Man kann in dieser gewollten „Idealisierung“ der Beteiligten ein analytisches Problem erblicken, wenn unmittelbar nach tatsächlichen Verhältnissen gefragt wird; zugleich dass „es sich bei den hier [auf dem Reihengräberfeld – S. B.] gemeinsam Begrabenen primär um Beziehungen der Abhängigkeit und nicht der Verwandtschaft gehandelt hat“, wie Michael Mitterauer, Mittelalter. In: Andreas Gestichl/Jens-Uwe Krause/Michael Mitterauer, Geschichte der Familie. Europäische Kulturgeschichte 1 (Stuttgart 2003) 160–363, hier 238, „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ annimmt, steht die Rekonstruktion von Familiengruppen auf manchen Friedhöfen gegenüber; vgl. Steuer, Frühgeschichtliche Sozialstrukturen (Anm. 2) 365–370 Abb. 93–95.1.
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liegen in der absichtlichen „Verzerrung“ aber auch vielversprechende Möglichkeiten der Interpretation, wenn man nach subjektiven Wahrnehmungen und Vorstellungen bzw. Identitäten oder Absichten der Zeitgenossen sucht.85 Die Beteiligten bestimmen über Art und Weise der Bestattung, also auch über die zu präsentierenden Zugehörigkeiten. Es sind damit die Verhältnisse in der Nachbarschaft, die im Zuge von Bestattungen symbolisch verdeutlicht werden. Vor allem Abgrenzungen und Differenzierungen innerhalb der jeweiligen Lokalgesellschaft sind dabei von Bedeutung – Selbstvergewisserungen von Einzelnen und Gruppen. Die Betonung von Unterschieden zu „Fremden“ hat angesichts des beschriebenen Publikums wenig Sinn, zumal diese bei Bestattungen höchstens zufällig anwesend sind. Im elitären Milieu spielten überlokale bzw. regionale Bezüge aber eine Rolle (auch wenn diese von der Lokalbevölkerung nicht [gänzlich] verstanden wurden), ging es doch um Positionierungen innerhalb der Oberschichten. Grabausstattung und Grabbau stellen die entscheidenden archäologischen Kennzeichen dar, und sie müssen zunächst für jedes einzelne Gräberfeld untersucht werden, innerhalb dessen (bzw. innerhalb der lebenden Bevölkerung) sie Unterscheidungen markieren. Die zu erfassenden Differenzen dürften sich damit nicht allein auf eine soziale Hierarchie zwischen „Bauern“ und „Adel“ beziehen, sondern oft Familie, Alter und Geschlecht betreffen, die in der dörflichen Lebenswelt wichtig waren. Fast der gesamte repräsentative Aufwand einer Bestattung war nach deren Abschluss nicht mehr zu sehen.86 Nur mancher Grabhügel stellte im 7. Jahrhundert ein dauerhaftes „Monument“ dar, vielleicht auch die gleichzeitigen Kreisgräben (Abb. 6), indem sie einen Freiraum umschlossen oder einen Hügel umgaben.87 Durch den Ort selbst waren Bestattungen privilegiert, die in Kirchen erfolgten.88 Aufwendige Holzkammern89 blieben den
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Dabei ist hier nicht primär an Jenseitsvorstellungen gedacht, die meist im Mittelpunkt archäologischer Studien stehen; vgl. Reinhard, Lebensformen Europas (Anm. 4) 188. Dazu gehört auch Grabschmuck, wie ihn Gregor von Tours als corona sepulchri und columba aurea sepulchri beschreibt; Weidemann (Anm. 33) Bd. 2, 129. Ingrid Sudhoff, Kreisgräben, Grabhügel und verwandte Sonderformen von Grabanlagen im Merowingerreich, phil. Diss. (Bonn 1999); Edward James, The Merovingian archaeology of south-west Gaul. British Archaeological Reports, Suppl. Ser. 25 (Oxford 1977) 182 Abb. 41. Hassenpflug (Anm. 80); Horst Wolfgang Böhme, Adel und Kirche bei den Alamannen der Merowingerzeit. Germania 74, 1996, 477–507. Frauke Stein, Grabkammern bei Franken und Alamannen. Beobachtungen zur sozialen Gliederung und zu den Verhältnissen nach der Eingliederung der Alamannen in das merowingische Reich. In: Herrschaft, Kirche, Kultur. Beiträge zur Geschichte des Mittelalters. Festschr. Friedrich Prinz, hrsg. Georg Jenal. Monographien zur Geschichte des Mittelalters 37 (Stuttgart 1993) 3–41.
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Abb. 6. Kreisgräben und Grabhügel des 7. Jahrhunderts, Vorkommen anhand archäologischer Befunde. Fragliche Grabhügel sind nicht berücksichtigt, ebenso wenig freie Plätze um einzelne Gräber oder Nachbestattungen in prähistorischen Hügeln. Kreisgraben; v Grabhügel (verändert nach Sudhoff [Anm. 87] 23 Abb. 8; 141 Abb. 51; James [Anm. 87] 182 Abb. 41)
Blicken ebenso entzogen wie prunkvolle und aufwendige Grabausstattungen. Nur während einer recht kurzen Zeitspanne – von der Aufbahrung des Toten bis zum Verschließen des Grabes – konnten die aufgewendeten Mittel gesehen werden und ihre beabsichtigte, beeindruckende Wirkung entfalten. Deshalb kam es darauf an, sie besonders offensichtlich zur Schau zu stellen, damit sie jedermann deutlich wurden – und im Gedächtnis der Gesellschaft die „Gegenwart der Toten“ bewahrten.90 Die häufige Beraubung 90
Otto Gerhard Oexle, Die Gegenwart der Toten. In: Death in the middle ages, ed. Herman Braet/Werner Verbeke. Mediaevalia Lovanensia I,9 (Leuven 1983) 19–77; Patrick J. Geary, Living with the dead in the middle ages (Ithaca u. a. 1991).
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merowingerzeitlicher Gräber91 dürfte mit dieser demonstrativen Inszenierung zusammenhängen – und ihr letztlich gar nicht zuwiderlaufen, weil sie unternommen wurde, als die „Vorführung“ längst ihren Zweck erfüllt hatte.
3. Identitäten Identitäten – subjektive Selbst- und Fremdzuordnungen – kennzeichnen alle sozialen Gruppen. Sie sind sowohl inklusiv wie exklusiv, d.h. sie beziehen bestimmte Personen ein und schließen andere gleichzeitig aus. Dabei konstituieren nicht „objektive“ Kriterien diese Gruppierungen, die in historischer Perspektive als flexibel und rasch veränderlich erscheinen. Es sind vielmehr einige ausgewählte Merkmale, die in den Augen der Beteiligten über Zugehörigkeit und Abgrenzung entscheiden. Dabei kommt es auf „geeignete“, d.h. der jeweiligen Situation angemessene Kennzeichen an, die eine Unterscheidung ermöglichen. Sie sind damit historisch und kulturell spezifisch.92 Die meisten und damit auch die primären Unterscheidungen betreffen Binnenstrukturen von Gesellschaften. Die Lebenswelt war hauptsächlich auf die nähere und weitere Nachbarschaft bezogen; innerhalb dieses sozialen Rahmens galt es, Positionen zu beziehen. Die Reihengräberfelder repräsentieren ein agrarisches Milieu, weshalb es sich 1. um überschaubare Sozialstrukturen handelt und 2. keine gravierenden Unterschiede zwischen Gruppen und Personen zu erwarten sind, solange es sich um benachbarte Bauernfamilien handelt. Kompliziert wird die Rekonstruktion jedoch dadurch, dass jede Person verschiedenen sozialen Gruppen gleichzeitig angehört und damit mehrere Rollen ausfüllt.93 Welche davon jeweils hervorgehoben wird, hängt vom spezifischen Kontext ab. Die situative Betonung der „feinen Unterschiede“ erfolgt dann, wenn sie die Konstitution von Differenz verspricht. „Die Anderen“, von denen man sich abzugrenzen suchte, um die eigene Identität zu stärken, waren Angehörige anderer Familien, anderer Altersgruppen, des anderen Geschlechts, oder sie nahmen eine andere soziale Position ein. 91
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Helmut Roth, Archäologische Beobachtungen zum Grabfrevel im Merowingerreich. In: Zum Grabfrevel in vor- und frühgeschichtlicher Zeit. Untersuchungen zu Grabraub und ‚haugbrot‘ in Mittel- und Nordeuropa, hrsg. Herbert Jankuhn/Hermann Nehlsen/Helmut Roth. Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften Göttingen, phil.-hist. Kl., 3. Folge 113 (Göttingen 1978) 53–84; Edeltraud Aspöck, Graböffnungen im Frühmittelalter und das Fallbeispiel der langobardenzeitlichen Gräber von Brunn am Gebirge, Flur Wolfholz, Niederösterreich. Archaeologia Austriaca 87, 2003 (2005) 225–264. Sebastian Brather, Ethnische Interpretationen in der frühgeschichtlichen Archäologie. Geschichte, Grundlagen und Alternativen. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Ergänzungsband 42 (Berlin, New York 2004) 97–117. Brather, Ethnische Interpretation (Anm. 92) 102 Abb. 15.
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Abb. 7. Zuordnungen und Gruppierungen innerhalb einer Gesellschaft. Dargestellt sind die vertikale Trennung zwischen den Geschlechtern und horizontale Abgrenzungen im Sinne sozialer Hierarchien. Weitere Gruppierungen nach Alter, Familie oder Religion verlaufen gewissermaßen „diagonal“ zu den beiden zuerst genannten Unterscheidungen, hier durch die zweidimensionale Grafik stark vereinfacht (nach Brather, Alter und Geschlecht [Anm. 94] 157 Abb. 1)
Verschiedene soziale Zugehörigkeiten überlagern sich zwangsläufig. Guy Halsall hat dabei drei prinzipielle Grenzziehungen unterschieden: 1. eine vertikale zwischen den Geschlechtern, 2. verschiedene horizontale zwischen „arm“ und „reich“, und 3. eine Reihe „diagonaler“, die analytisch gesehen „quer“ zu den beiden ersten verlaufen und insofern eine weitere Dimension sozialer Unterscheidungen darstellen. Eine zweidimensionale Darstellung dieser „Grenzen“ vereinfacht die Verhältnisse sehr (Abb. 7). Sie macht aber deutlich, wie sehr sich Gruppen und Rollen überschneiden.
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Besonders klar erscheint die Geschlechtertrennung. Die Spezifik der Kleidung erlaubt eine idealtypische Unterscheidung von Männer- und Frauengräbern, auch wenn es eine ganze Anzahl von („neutralen“) Kleidungsbestandteilen und Grabbeigaben gibt, die bei beiden Geschlechtern vorkommen.94 Auf den zweiten Blick wird die Dichotomie uneindeutig, wenn es sich um unterdurchschnittlich ausgestattete Gräber oder um Kinderbestattungen handelt.95 Dann sind Zuweisungen oft unsicher oder nicht möglich, und letztlich kann nur eine DNA-Analyse hinreichenden Aufschluss geben.96 Aufgrund prinzipieller methodischer Probleme gelingt auch dies längst nicht bei allen Bestattungen.97 Um „Besitzabstufungen“ zu ermitteln, entwarf Rainer Christlein seine bereits genannten „Qualitätsgruppen“. Bei dieser Kategorisierung handelt es sich offensichtlich um regional und zeitlich nur beschränkt verwendbare Ordnungen. Außerdem sollten die „Reichtumsunterschiede“ nicht überschätzt werden, handelt es sich bei den Reihengräberfeldern und den zugehörigen, wenn auch selten entdeckten Siedlungen um ein bäuerliches Milieu. Die weitgehende Beschränkung „reicher“ Grabausstattungen auf Erwachsene adulten und maturen Alters hat zu der Vermutung geführt, dass „die Oberschicht“ eine geringere Lebenserwartung als einfache Bauern besaß.98 Dass dies aber eine klare Fehlinterpretation darstellt, zeigen detaillierte Vergleiche der Ergebnisse von Archäologie und Anthropologie. Deshalb empfiehlt sich zunächst ein Blick auf die Altersgruppen, die in der Frühmittelalterarchäologie noch immer sträflich unterschätzt werden.99 94
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Guy Halsall, Female status and power in early Merovingian central Austrasia. The burial evidence. Early medieval Europe 5, 1996, 1–24, hier 9 Abb. 4; vgl. Sebastian Brather, Alter und Geschlecht zur Merowingerzeit. Soziale Strukturen und frühmittelalterliche Reihengräberfelder. In: Alter und Geschlecht in ur- und frühgeschichtlichen Gesellschaften, hrsg. Johannes Müller. Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie 126 (Bonn 2005) 157–178, hier 160 Tab. 1; Heinrich Härke, Die Darstellung von Geschlechtergrenzen im frühmittelalterlichen Bestattungsritual. Normalität oder Problem? In: Grenze und Differenz im frühen Mittelalter, hrsg. Walter Pohl/Helmut Reimitz. Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 1 = Österreichische Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl., Denkschriften 287 (Wien 2000) 181–196. Michael Mitterauer, Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und Geschlechterrollen in ländlichen Gesellschaften Mitteleuropas [1989]. In: ders., Familie und Arbeitsteilung. Historischvergleichende Studien. Kulturstudien 26 (Wien, Köln, Weimar 1992) 58–148. Bonnie Effros, Skeletal sex and gender in Merovingian mortuary archaeology. Antiquity 74, 2000, 632–639. Carsten M. Pusch/Martina Broghammer/Alfred Czarnetzki, Molekulare Paläobiologie. Ancient DNA und Authentizität. Germania 79, 2001, 121–141. Alfred Czarnetzki/Christian Uhlig/Rotraut Wolf, Menschen des Frühen Mittelalters im Spiegel der Anthropologie und Medizin (Stuttgart 1982) 13, 27 (Abb.). Vgl. Klaus Georg Kokkotidis, Von der Wiege bis zur Bahre. Untersuchungen zur Paläodemographie der Alamannen, phil. Diss. (Köln 1999).
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Sebastian Brather
Abb. 8. Grabbeigaben von Kindergräbern in der frühmittelalterlichen Alemannia. Mit dem Lebensalter nahm die Grabausstattung insgesamt kontinuierlich zu (nach Lohrke [Anm. 102] 148 Abb. 45,A–D)
Ihre Analyse hat zunächst den Vorteil, dass von Seiten der Anthropologie unabhängige Daten für die Archäologie zur Verfügung stehen. Zwar differieren biologisches und soziales Alter bekanntermaßen100, doch liegen mit der naturwissenschaftlichen Altersbestimmung mehr als nur erste Anhaltspunkte vor. Dabei gilt es jedoch, über die sehr vereinfachende Unterscheidung zwischen Kindern und Erwachsenen hinauszugelangen. Bereits für das Kindesalter lassen sich altersabhängige Kleidung bzw. Grabausstattung belegen, wie Françoise Vallet – allerdings nicht anhand moderner anthropologischer Analysen – für das Gräberfeld von Lavoye, dép. Meuse, vorgeführt hat; dort zeigt sich eine rasche Zunahme von Kleidungsbestandteilen mit dem Lebensalter.101 Zum gleichen Resultat gelangt Brigitte Lohrkes Studie zu 1000 Kindergräbern in der Alemannia (Abb. 8).102 Die Kleidungsbe100
101
102
Das Alter wird „durch die Stellung in der Geburtsreihenfolge und insbesondere in der Generationenabfolge bestimmt. Kurz, es wird relativ im Verhältnis zu den Nachgeborenen definiert“; Andreas Sagner, Alter und Altern in einfachen Gesellschaften. Ethnologische Perspektiven. In: Am schlimmen Rand des Lebens? Altersbilder in der Antike, hrsg. Andreas Gutsfeld/Winfried Schmitz (Köln, Weimar, Wien 2003) 31–53, hier 35. Françoise Vallet, Die Ausstattung der Kindergräber, in: Die Franken. Wegbereiter Europas (Mainz 1996) 712–715. Die dortigen Angaben erscheinen aufgrund von Widersprüchen zwischen Text und Abbildungen nicht ganz zuverlässig. Brigitte Lohrke, Kinder in der Merowingerzeit. Gräber von Mädchen und Jungen in der Alemannia. Freiburger Beiträge zur Archäologie und Geschichte des ersten Jahrtausends 9 (Rahden 2004) 92 Abb. 29; 99 Abb. 30; 131 Abb. 36; 145–151.
Kleidung, Bestattung, Identität
263
Abb. 9. Innendurchmesser (lichte Weite) von merowingerzeitlichen Armringen aus Gräbern von Kindern und Jugendlichen. Schwarz – infans I; grau – infans II; weiß – juvenil (nach Wührer [Anm. 103] 104 Abb. 103)
standteile besaßen meist eine altersgerechte, d. h. der Körperhöhe angemessene Größe (Abb. 9).103 Die Erwachsenen zeigen eine mindestens ebenso deutliche Unterscheidung nach dem Lebensalter. Um dies aber en détail belegen zu können, benötigt man eine möglichst auf Jahrzehnte genaue Altersbestimmung der Skelette. Bislang ist die Zahl der vorliegenden anthropologischen Bearbeitungen noch nicht besonders groß, und daher liegen detaillierte archäologische Analysen der Altersabhängigkeit von Kleidung und Grabausstattung ebenfalls noch nicht häufig vor. Studien gibt es beispielsweise für Eichstetten am Kaiserstuhl104, Fridingen an der Donau105 und Ennery, dép. Moselle106. Meistens
103
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106
Barbara Wührer, Merowingerzeitlicher Armschmuck aus Metall. Europe médiévale 2 (Montagnac 2000) 104 Abb. 103. Barbara Sasse, Ein frühmittelalterliches Reihengräberfeld bei Eichstetten am Kaiserstuhl. Forschungen und Berichte zur Vor- und Frühgeschichte in Baden-Württemberg 75 (Stuttgart 2001) 113–120. Klaus Georg Kokkotidis, Belegungsablauf und Bevölkerungsstruktur auf dem alamannischen Gräberfeld von Fridingen an der Donau in Südwestdeutschland. Fundberichte aus Baden-Württemberg 20, 1995, 737–801. Guy Halsall, Settlement and social organization. The Merovingian region of Metz (Cambridge 1995) 83–86, 92.
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Sebastian Brather
muss mit interpolierten Daten gearbeitet werden, um zumindest eine ungefähre Vorstellung zu gewinnen. Deshalb sei hier als Beispiel das Reihengräberfeld von Pleidelsheim am Neckar angeführt, das zwar nur teilweise ausgegraben wurde, aber umfassend und mit jahrzehntgenauen anthropologischen Altersbestimmungen publiziert ist.107 Wertvollere Kleidungsbestandteile wie Bügel- und Kleinfibeln, Nadeln sowie Ohrringe waren auf Frauen zwischen etwa 18 und 50 Jahren beschränkt. Perlenketten zeigen keine so deutliche Abhängigkeit vom Lebensalter,108 und dies gilt in ähnlicher Weise für weitere Kleidungsbestandteile (wie Gürtel und Gehänge) und Grabbeigaben. Lässt sich bei Kindern und Jugendlichen erwartungsgemäß eine meist mit dem Alter zunehmend umfänglichere Grabausstattung feststellen, so nimmt diese ab dem sechsten Lebensjahrzehnt wieder deutlich und stetig ab. Bei den Männern zeigen sich parallele Zusammenhänge bei den Waffen, die weit überwiegend bei adulten und maturen Individuen vorkommen.109 Die Gürtelgarnituren zeigen aber einen klaren Unterschied: sie charakterisierten hauptsächlich Männer in einem Alter jenseits der 40.110 Wenngleich letztlich die Grabausstattungen insgesamt heranzuziehen sind (Abb. 10), wird doch bereits anhand der aufgeführten Kleidungsbestandteile ein klarer Bezug zum Lebensalter deutlich. Außerdem zeigen sich geschlechtsspezifische Unterschiede: bei Frauen konzentrierte sich ein größerer Aufwand auf das gebär- und heiratsfähige Alter111,
107
108
109 110 111
Ursula Koch, Das alamannisch-fränkische Gräberfeld bei Pleidelsheim. Forschungen und Berichte zur Vor- und Frühgeschichte in Baden-Württemberg 60 (Stuttgart 2001). Sebastian Brather, Kleidung und Identität im Grab. Gruppierungen innerhalb der Bevölkerung Pleidelsheims zur Merowingerzeit. Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 32, 2004 (2005) 1–58, hier 22 Tab. 8–9. Brather, Kleidung und Identität (Anm. 108) 26 Tab. 12. Brather, Kleidung und Identität (Anm. 108) 16 Tab. 4. Michael Mitterauer, Christentum und Endogamie. In: ders., Historisch-anthropologische Familienforschung. Fragestellungen und Zugangsweisen. Kulturstudien 15 (Wien, Köln 1990) 41–85, weist darauf hin, dass im christlichen Glauben Abstammung und Fortpflanzung aus religiöser Sicht wenig Bedeutung besaßen und damit späte Heiraten möglich wurden – wie es indirekt bereits die genannten Fibelausstattungen in Pleidelsheim andeuten könnten, die erst mit etwa 18 Jahren einsetzten. An die Stelle von Verwandtschaft durch Abstammung traten langfristig religiöse Bindungen in der Gemeinde; ders., Ahnen und Heilige. Namengebung in der europäischen Geschichte (München 1993) 220–293. – Wenn hier vor allem die Mutterrolle betont wird, so sei damit nicht einem biologischen Reduktionismus das Wort geredet, sondern lediglich auf die fragmentarischen Informationen zu Heirat und Ehe in der Merowingerzeit aufmerksam gemacht; Weidemann (Anm. 33) 313–316. Erst seit dem 9. Jahrhundert gab es klare Regelungen; Pierre Toubert, Die karolingischen Einflüsse (8. bis 10. Jahrhundert). In: Geschichte der Familie. Mittelalter, hrsg. André Burguière/Christiane Klapisch-Zuber/Martine Segalen/Françoise Zonabend (Frankfurt/M. 1997) 89–124, hier 112–124.
Kleidung, Bestattung, Identität
265
Abb. 10. Pleidelsheim, Kr. Ludwigsburg. Relativer Anteil der Beigaben in ungestörten Gräbern in Abhängigkeit vom Lebensalter. Oben Mädchen und Frauen (insgesamt 62), unten Jungen und Männer (insgesamt 61). Besonders bei Jungen und alten Männern scheint der Fehler der kleinen Zahl das Bild undeutlich werden zu lassen (verändert nach Brather, Kleidung und Identität [Anm. 108] 21 Abb. 11, 25 Abb. 13)
266
Sebastian Brather
während mature und senile Männer deutlich aufwendiger als ihre Altersgenossinnen bestattet wurden. Tab. 5. Merowingerzeitliche Bestattungen in Mitteleuropa, Abhängigkeit der Fibelausstattungen vom Lebensalter. Deutlich zeigt sich die Bindung an adulte und mature Frauen. Die Aufstellung vermittelt jedoch nur eine ungefähre Vorstellung, da für jede Altersstufe erst das hier vernachlässigte Verhältnis zu den Gräbern ohne Fibeln entscheidenden Aufschluss gibt. Die stets hohe Zahl an Kindergräbern ließe dann die Ausstattung der höchstens 14jährigen Mädchen weit geringer erscheinen (zusammengefasst nach Strauß [Anm. 40] 66–80) eine Fibel infans I–II
zwei Fibeln
drei Fibeln
vier Fibeln
Summe
juvenil adult
56 (32 %) 21 (12 %) 64 (37 %)
21 (17 %) 16 (13 %) 40 (33 %)
3 (10 %) 2 (7 %) 13 (43 %)
2 (6 %) 17 (46 %)
80 (22 %) 41 (11 %) 134 (37 %)
matur senil Summe
24 (14 %) 8 (5 %) 173 (100 %)
32 (26 %) 13 (11 %) 122 (100 %)
10 (33 %) 2 (7 %) 30 (100 %)
12 (32 %) 6 (16 %) 37 (100 %)
78 (22 %) 29 (8 %) 362 (100 %)
Dass es sich bei diesen Beobachtungen nicht um einen singulären Befund handelt, zeigen neben ähnlichen Feststellungen für andere merowingerzeitliche Gräberfelder (Tab. 5)112 auch die Schriftquellen. Frühmittelalterliche Rechtstexte enthalten ganze Kataloge von Bußzahlungen an die Geschädigten bzw. deren Verwandte113, von denen hier die im Tötungsfall zu entrich112
113
Vgl. den Beitrag von Eva Stauch in diesem Band; Gisela Grupe/Thomas Beilner, „Erbarm’ Dich, Herr, unserer elenden Leiber, deren Leben gar kurz ist“. Über alte Menschen in zwei frühmittelalterlichen Bevölkerungen. In: Interdisziplinäre Beiträge zur Siedlungsarchäologie. Gedenkschrift für Walter Jansen, hrsg. Peter Ettel/Reinhard Friedrich/Wolfram Schier. Studia honoraria 17 (Rahden 2002) 145–151; Helga Schach-Dörges, Zur Vierfibeltracht der älteren Merowingerzeit. In: Reliquiae Gentium. Festschrift Horst Wolfgang Böhme 1, hrsg. Claus Dobiat/Klaus Leidorf. Internationale Archäologie. Studia honoraria 23 (Rahden 2005) 349–357; Sebastian Brather u. a., Grabausstattung und Lebensalter im frühen Mittelalter. Soziale Rollen im Spiegel der Bestattungen. Fundberichte aus BadenWürttemberg 30, 2007 (im Druck). Ludger Körntgen, s. v. Kompositionensysteme. In: Reallexikon der germanischen Altertumskunde2 17 (Berlin, New York 2001) 179f.; Karl Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte 1 (bis 1250) (Opladen 111991) 39–41. Als Quellenbeleg für die Empfänger der Bußzahlung seien genannt Pactus Legis Salicae LXVIII: Si quis hominem ingenuum occiderit et ei fuerit adprobatum, parentibus debeat secundum legem componere. Mediam compositionem filius habere debet. Alia medietas exinde matri debet, ut ad quartam de leude illa adveniat. Alia quarta pars parentibus propinquis debet, id est tres de generatione patris et tres de generatione matris; Pactus Legis Salicae, hrsg. Karl August Eckhardt. Monumenta Germaniae Historica, Legum sectio 1. Leges nationum Germanicum 4,1 (Hannover 1962) 239. Gelegentlich wird bestimmt, dass ein fester Anteil der Buße oder ein zusätzlicher Betrag (fredus) an den König zu zahlen sei oder unter bestimmten Voraussetzungen gezahlt werden kann; Hermann Nehlsen, s. v. Buße (weltliches Recht) II. Deutsches Recht. In: Lexikon des Mittelalters 2 (München, Zürich 1983)
Kleidung, Bestattung, Identität
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tenden „Wergelder“ besonders interessant sind. Da sich die – für Pleidelsheim primär zu berücksichtigende – Lex Alamannorum vor allem und in zahllosen Details für Verletzungen interessiert, sind die Lex Salica und die Lex Ribvaria heranzuziehen. Die in ihnen enthaltenen Wergeldsummen besitzen einen deutlichen Bezug zum Lebensalter, während im alemannischen Recht fast nur Geschlecht und sozialer Rang von Bedeutung sind.114 Im fränkischen Recht war für die Höhe der vorgeschriebenen Ausgleichszahlung entscheidend, in welchem Alter jemand getötet wurde. Gegenüber der „durchschnittlichen“ Summe von 200 Schilling erhöhte sich der Satz für gebärfähige Frauen auf das Dreifache. Auffallend sind jedoch die hohen Summen für Kinder.115 Für Jungen galt ein ebenso hoher Satz wie für adulte Frauen; größere Mädchen waren nur den „Normalsatz“ wert116, doch weibliche Säuglinge kamen auf die erstaunliche Summe von 2400 solidi oder das Zwölffache des Durchschnitts.117 Alte Menschen fielen auf den „Normalsatz“ zurück (Abb. 11).118
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117
118
1144–1149, hier 1146; z.B. Lex Salica LXXII: Si quis cuiuscumque pater occisus fuerit, medietatem conpositionis filii recipiant, et aliam medietatem, qui propinquioris sunt tam de patre quam de matre dividant; quod si de una parte, seu paterna seu materna, nullus parens fuerit, illam partionem fiscus adquirat; Lex Salica, hrsg. Karl August Eckhardt. Monumenta Germaniae Historica, Legum sectio 1. Leges nationum Germanicum 4,2 (Hannover 1969) 123. Dem Pactus Legis Alamannorum XIV,6–11 (Anfang des 7. Jahrhunderts), zufolge entfiel auf einen Mann je nach Rang ein Wergeld von 160, 200 bzw. 240 solidi; für eine Frau galt jeweils der doppelte Satz (Leges Alamannorum I. Einführung und Recensio Chlothariana (Pactus), hrsg. Karl August Eckhardt [Göttingen, Berlin, Frankfurt/M. 1958] 112). Ein einziger Hinweis zielt auf das Alter, indem für die Verursachung einer Totgeburt bzw. den Tod eines weniger als neun Tage alten Säuglings 40 solidi zu entrichten waren; Pactus Legis Alamannorum XII (Leges Alamannorum I, 108). – Im burgundischen Liber constitutionum sive lex Gundobada II,2 (In: Leges Burgundionum, hrsg. Ludwig Rudolf v. Salis. Monumenta Germaniae Historica, Legum sectio 1. Leges nationum Germanicum 2,1 [Hannover 1842] 29–116, hier 42), sind allein soziale Unterschiede thematisiert; für Erwachsene galten 150, 200 bzw. 300 solidi. Dies ist der entscheidende Unterschied zu den detaillierten altersabhängigen Sätzen in der Lex Visigothorum VIII,4,16 (zweite Hälfte des 7. Jahrhunderts; Liber iudiciarum sive Lex Visigothorum. In: Leges Visigothorum, hrsg. Karl Zeumer. Monumenta Germaniae Historica, Legum sectio 1. Leges nationum Germanicum 1,1 [Hannover 1902] 33–456, hier 336–338), die vom Einjährigen bis zum Erwachsenen kontinuierlich ansteigende und im Alter wieder abnehmende Summen enthält. Bei den jugendlichen Mädchen kann es sich um eine „fiktive“ und aus den Angaben der Lex interpolierte Gruppe handeln, die in der Realität kaum vorkam, wenn Mädchen dieses Alters bereits als Frauen galten und behandelt wurden. Halsall, Settlement and social organization (Anm. 106) 72 f.; Katherine Fischer Drew, The laws of the Salian Franks (Philadelphia 1991) 45f., fassen die verstreuten Einzelregelungen zusammen; vgl. Pactus Legis Salicae (Anm. 113); Lex Salica (Anm. 113); Lex Ribvaria, hrsg. Franz Beyerle/Rudolf Buchner. Monumenta Germaniae Historica, Legum sectio 1. Leges nationum Germanicum 3,2 (Hannover 1954). Ebenso in der Lex Visigothorum VIII,4,16 (Liber iudiciarum [Anm. 115] 336–338). In diesen Regelungen scheinen sich römische Vorbilder widerzuspiegeln. So bestimmten die au-
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Abb. 11. „Wergeld“ nach der Lex Salica aus dem frühen 6. Jahrhundert und der etwa hundert Jahre jüngeren Lex Ribvaria, angegeben in solidi, gegliedert nach Geschlecht und (schematisiertem) Lebensalter (nach Halsall [Anm. 117] 72 f.; Fischer Drew [Anm. 117] 45f.)
Diese Wergeld-Sätze lassen sich als Indikatoren sozialer Wertschätzung verstehen.119 Während für Männer der soziale Rang bzw. die Königsnähe den Ausschlag gab, war es für die Frauen ihre potentielle Rolle als Mutter und Gattin.120 Die sehr hohen Summen für Kinder machen deutlich, welch großen (und nicht nur emotionalen) Verlust ihr Tod für die Familie bedeutete. Bei den Neugeborenen und Säuglingen war besondere Vorsicht geboten,
119
120
gusteischen Ehegesetze, dass Frauen zwischen 20 und 50 Jahren sowie Männer zwischen 15 und 60 Jahren verheiratet sein mussten; Andreas Gutsfeld, „Das schwache Lebensalter“. Die Alten in den Rechtsquellen der Prinzipatszeit. In: Am schlimmen Rand des Lebens? (Anm. 100) 161–179, hier 161. – Sehr ähnlich sehen noch frühneuzeitliche „Alterstreppen“ aus; Reinhard, Lebensformen Europas (Anm. 4) 176 f. Abb. 14–15. Im bäuerlichen Milieu waren die festgesetzten hohen Wergelder nicht zu begleichen; hier kommt es jedoch allein auf die Relationen an, in denen die Summen zueinander standen. Gemäß der Lex Alamannorum LX,2 (LVIII,2) (Anfang des 8. Jahrhunderts) (Leges Alamannorum II. Recensio Lantfridana, hrsg. Karl August Eckhardt [Witzenhausen 1962] 54), war das Wergeld für Frauen jeweils doppelt so hoch wie das für Männer, selbst bei Fehlgeburten: Lex Alamannorum LXXXVIII,1 (Leges Alamannorum II, 65).
Kleidung, Bestattung, Identität
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nicht wegen möglicherweise häufiger Kindstötungen121, sondern wegen der hohen Säuglingssterblichkeit, derentwegen ein gewaltsamer Tod möglichst ausgeschlossen werden sollte. Der Unterschied, der dabei zwischen Mädchen und Jungen gemacht wurde, hängt mit ihren späteren geschlechtsspezifischen Rollen zusammen, bedarf aber noch weiterer Erklärung. Beim Vergleich von Grabausstattungen und Rechtstexten fallen zunächst die Übereinstimmungen auf – Erwachsene zwischen 20 und 50 Jahren waren überdurchschnittlich gekleidet und ihre Tötung am höchsten sanktioniert. Bei jüngeren und älteren Personen war beides geringer – mit dem Erwachsenwerden nahm die Grabausstattung zu und im höheren Lebensalter wieder ab. Abweichungen zeigen die Kinder, denn Gräber von Säuglingen lassen trotz hoher Wergelder eine Ausstattung meist völlig vermissen. „Reiche“ Kindergräber kommen vor – verwiesen sei hier lediglich auf das bekannte Grab eines höchstens siebenjährigen Jungen unter dem Kölner Dom (erste Hälfe des 6. Jahrhunderts)122 und dasjenige eines etwa fünfjährigen Mädchens unter dem Frankfurter Dom (spätes 7. Jahrhundert)123 – und scheinen ebenso den Wergeldregelungen zuwiderzulaufen; bei diesen abweichenden Kindergräbern handelt es sich meist um höchstens Siebenjährige (oder infans I nach anthropologischer Terminologie). Beides lässt sich aber recht einfach erklären. Die hohe Säuglingssterblichkeit verhinderte „Investitionen“ in die zahlreichen Bestattungen von Kleinkindern; das hätte die Familien bei weitem überfordert. War allerdings ein Kind aus dem Gröbsten heraus, dann konnte der nicht minder große Verlust auch in einer entsprechenden Grabausstattung seinen Ausdruck finden. Allerdings sind nicht allzu viele Kinder „reich“ bestattet worden, und deshalb lässt sich vermuten, dass in diesen Fällen ein weiterer Grund hinzugekommen war: eine spezifische Situation innerhalb der Familie mag eine „vorzeitige“, wenn auch nur nominelle Rollenübernahme erfordert haben, die im Grab demonstriert wurde. Ähnliches lässt sich für andere Abweichungen von der Regel annehmen.124 121 122
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Diese lassen sich archäologisch nicht nachweisen; Lohrke (Anm. 102) 35–37, 174. Otto Doppelfeld, Das fränkische Knabengrab unter dem Chor des Kölner Domes. Germania 42, 1964, 156–188; Georg Hauser, Schichten und Geschichte unter dem Dom. Die Kölner Domgrabung. Meisterwerke des Kölner Domes 7 (Köln 2003) 30–41, mit einer Jahrringdatierung auf 537 ± 10. Andrea Hampel, Der Kaiserdom zu Frankfurt am Main. Ausgrabungen 1991–93. Beiträge zum Denkmalschutz in Frankfurt am Main 8 (Nußloch 1994) 112–171. Halsall, Settlement and social organization (Anm. 106) 256f.; vgl. Gabriele Graenert, Sind die „reichen“ Kindergräber wirklich reich? Die Beigabensitte bei Kindern in der merowingerzeitlichen Burgundia. In: Hüben und Drüben. Räume und Grenzen in der Archäologie des Frühmittelalters. Festschrift Max Martin. Archäologie und Museum 48 (Liestal 2004) 159–188, hier 186 f.
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Die klare Abhängigkeit von Kleidung und Grabausstattung vom Lebensalter weist darauf hin, dass altersspezifische soziale Rollen und damit verbundenes Prestige ausgedrückt wurden. Alte Menschen bestattete man ebenso wie Kinder meist nicht so „reich“ und aufwendig wie adulte und mature Erwachsene. Christleins „Qualitätsgruppen“ können deshalb nur dann berücksichtigt werden, wenn zuvor das Lebensalter untersucht wurde – denn „Besitzabstufungen“ sind altersabhängig und Vergleiche daher nur innerhalb derselben Altersgruppe möglich (Abb. 12). Wenn aber Rollen innerhalb der Familien symbolisiert werden, dann sagt die Grabausstattung nur mittelbar etwas über die Individuen aus – alte Menschen dürften beispielsweise weiterhin soziale Anerkennung genossen haben, auch wenn die entscheidenden Positionen an ihre Kinder übergegangen waren und diese daher im Todesfall besonders „reich“ bestattet wurden.125 Diese Überlegung ist außerdem ein weiteres Argument gegen die ältere rechtsgeschichtliche Auffassung, die Grabausstattungen seien als „Heergewäte“ und „Gerade“ der persönliche Besitz des bzw. der Toten gewesen.126 Allerdings suggerieren die biologisch bestimmten Sterbealter fälschlich recht starre Altersklassen; die Zusammenfassung zu Gruppen von sieben bis zehn Lebensjahre umfassenden Abschnitten vereinfacht die komplexe Lebenswelt erheblich, und schließlich gilt es, zwischen biologischem und kalendarischem Alter einerseits und sozialer Zugehörigkeit andererseits zu differenzieren. Von besonderem Interesse ist aber schließlich auch, welche sozialen Zugehörigkeiten nicht im Grab demonstriert wurden. In archäologischen Begriffen ist also zu fragen, welche Aspekte nicht oder nur selten durch Grabbeigaben symbolisiert wurden. Zwei Bereiche lassen sich nennen – 1. bäuerliche und handwerkliche Tätigkeiten sowie 2. die Religion. Teile eines Pfluges gehören zu den großen Seltenheiten in merowingerzeitlichen Gräbern.127 Auch andere schwere Geräte wie Äxte, die nicht immer Waffen
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Michael Mitterauer, Komplexe Familienformen in sozialhistorischer Sicht [1981]. In: ders., Historisch-anthropologische Familienforschung. Fragestellungen und Zugangsweisen. Kulturstudien 15 (Wien, Köln 1990) 87–130, zufolge setzte sich eine Familie aus Eltern, Kindern und „Altenteilern“ zusammen, was die soziale Anerkennung der letzteren einschließt. – Im antiken Griechenland sah die Situation ähnlich aus; Winfried Schmitz, Nicht ‚altes Eisen‘, sondern Garant der Ordnung. Die Macht der Alten in Sparta. In: Am schlimmen Rand des Lebens? (Anm. 100) 87–112, hier 89f. Im römischen Bereich besaß der pater familias zeitlebens eine sehr starke, wenn auch zunehmend eingeschränkte Stellung; Gutsfeld (Anm. 118) 162 f. Effros, Caring for body and soul (Anm. 72) 25–28, 41–44. Vgl. etwa Gerhard Fingerlin, Bräunlingen. Ein frühmerowingerzeitlicher Adelssitz an der Römerstraße durch den südlichen Schwarzwald. Archäologische Ausgrabungen in BadenWürttemberg 1997 (1998) 146–148, hier 148 Abb. 96.
Kleidung, Bestattung, Identität
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Abb. 12. Schematischer Lebenslauf in einem grundherrschaftlichen Verband der Karolingerzeit. Der grundherrlichen familia untertänige Bauern verbrachten die Phasen des Lebenszyklus an unterschiedlichen Orten des Herrschaftskomplexes: die Kindheit auf dem abhängigen elterlichen Hof, die Jugend ebendort oder als Gesinde auf dem Meierhof, das Erwachsenenalter als Verheirateter auf dem eigenen Hof, und – nach der Ablösung als bäuerlicher Hausherr – das Alter auf dem Bauern- oder Meierhof (nach Mitterauer, Mittelalter [Anm. 84] 283 Abb. 23)
darstellten, finden sich nur in recht geringer Anzahl.128 Schließlich ist auch die Zahl der „Schmiedegräber“ nicht besonders groß.129 Meistens sind diese Gräber zugleich sehr umfänglich ausgestattet, was eine symbolische Bedeutung dieser Grabbeigaben über den reinen Verweis auf eine bestimmte Tätigkeit hinaus andeutet. Häufiger vertreten ist die Sphäre weiblicher Beschäftigung, denn Spinnwirtel kommen sehr häufig130, Webschwerter131 in immerhin beträchtlicher Zahl in Reihengräbern vor. Recht begrenzt an Zahl erscheinen christliche Symbole.132 Ab und zu finden sich Kreuzzeichen an Fibeln und Gürtelbeschlägen, doch oft sind
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Theuws (Anm. 83). Joachim Henning, Schmiedegräber nördlich der Alpen. Germanisches Handwerk zwischen keltischer Tradition und römischem Einfluß. Saalburg-Jahrbuch 46, 1991, 65–82, hier 74–77; 80 f. Im oben erwähnten Beispiel Pleidelsheim fanden sich Spinnwirtel weit überwiegend in umfänglich ausgestatteten Gräbern adulter Frauen. Arno Rettner, Baiuaria romana. Neues zu den Anfängen Bayerns aus archäologischer und namenkundlicher Sicht. In: Hüben und drüben. Räume und Grenzen in der Archäologie des Frühmittelalters. Festschr. Max Martin, hrsg. Gabriele Graenert/Reto Marti/Andreas Motschi/Renata Windler. Archäologie und Museum 48 (Liestal 2004) 255–286, hier 257 Anm. 10. Bernd Päffgen/Sebastian Ristow, Die Religion der Franken im Spiegel archäologischer Zeugnisse. In: Die Franken. Wegbereiter Europas. Ausstellungskatalog (Mainz 1996) 738–744; Ellen Riemer, Im Zeichen des Kreuzes. Goldblattkreuze und andere Funde mit christlichem Symbolgehalt. In: Die Alamannen. Ausstellungskatalog (Stuttgart 1997) 447–454.
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ornamentale und religiöse Bedeutung nicht zu trennen. Regional und auf „reiche“ Gräber beschränkt blieben die bekannten Goldblattkreuze.133 Selten sind szenische christliche Darstellungen auf Kleidungsbestandteilen und Reliquienbehälter. Der Grund für die relative Seltenheit „professioneller“ und religiöser Charakteristika dürfte in ihrer mangelnden Eignung liegen, Differenzen zu markieren. In einer agrarischen Welt hatte es keinen großen Sinn, bäuerliche Tätigkeit zu betonen, und gleiches gilt für die Betonung von Religion in den christlichen Gesellschaften des frühen Mittelalters, denn alle gehörten (zumindest theoretisch) dazu.134 In den Fällen, in denen diese Aspekte dennoch hervorgehoben wurden, sind deshalb andere Gründe zu vermuten. Spinnwirtel dürften nicht die Tätigkeit an sich, sondern die Rolle der Frau herausgestellt haben, und bei den seltenen Werkzeug- und Gerätefunden in „reichen“ Männergräbern ist vielleicht ein symbolischer Verweis auf Verfügung über Land und Leute anzunehmen. Manches christliche Symbol könnte für eine individuelle Erfahrung stehen135 oder spezifische Absichten. Die deutlichen Abhängigkeiten der Kleidung und der Grabausstattungen vom Lebensalter sind wohl der beste Beleg dafür, dass Positionierungen innerhalb der Lokalgesellschaften an erster Stelle standen. Denn hauptsächlich im Angesicht der unmittelbaren Nachbarn hatte es einen konkreten Sinn, derart detailliert soziale Positionen zu verdeutlichen. Analog dürften auch „Reichtumsunterschiede“, die im dörflichen Milieu – ungeachtet des „landgesessenen“ Adels des frühen Mittelalters – nicht überschätzt werden
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Riemer, Zu Vorkommen und Herkunft (Anm. 49). Arnold Angenendt, Das Frühmittelalter. Die abendländische Christenheit von 400 bis 900 (Stuttgart, Berlin, Köln 21995) 173, verweist darauf, „[d]aß der Prozeß der Christianisierung im Merowingerreich kaum greifbar wird“. Dies liegt u. a. daran, dass sie kein explizites Thema der zeitgenössischen Literatur war. Für den aus senatorischer Familie stammenden Gregor von Tours „stand die moralische Ordnung einer Gesellschaft im Vordergrund, die er in erster Linie durch das rechte Funktionieren der von Gott eingesetzten Institutionen König und Episkopat gewährleistet sah“; Martin Heinzelmann, Gregor von Tours (538–594). „Zehn Bücher Geschichte“. Historiographie und Gesellschaftskonzept im 6. Jahrhundert (Darmstadt 1994) 175. Aus „zahlreichen verstreuten Bemerkungen christlicher Autoren“ ist dennoch die angestrengte Suche „der Christen des 6. Jahrhunderts [zu erschließen], gewisse Übereinstimmungen zwischen ihren gegenwärtigen religiösen Kenntnissen und der älteren Weltanschauung zu entdecken“; Peter Brown, Die Entstehung des christlichen Europa (München 1996) 124. Volker Bierbrauer, Fibeln als Zeugnisse persönlich bekannten Christentums südlich und nördlich der Alpen im 5. bis 9. Jahrhundert. Acta praehistorica et archaeologica 34, 2002, 209–224, hier 223f., interpretiert das vermehrte Vorkommen von Kreuzfibeln seit dem 8. Jahrhundert als Indiz für eine kirchliche „Institutionalisierung“ im rechtsrheinischen Raum.
Kleidung, Bestattung, Identität
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sollten, auf die nähere und weitere Nachbarschaft Bezug nehmen.136 Die Interpretation wird dadurch erschwert, dass sich einerseits bei jeder Person mehrere Gruppenzuordnungen und Identitäten überschnitten (Abb. 7) und andererseits singuläre Situationen die strukturellen „Regeln“ überdecken können. Erst im Anschluss an die sorgfältige Analyse einzelner Reihengräber und Lokalgesellschaften lassen sich regionale und überregionale Vergleiche anstellen.137 Je weiter der Vergleich geographisch ausgedehnt wird, desto unschärfer werden die Interpretationen; da man sich dabei immer mehr von – soweit vorhanden – kleinregional geltenden Zeichensystemen entfernt, müssen Erklärungen zunehmend strukturell ausfallen. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass Kleidung, Bestattung und Identität zwar untereinander vielfältig zusammenhängen, das Verhältnis aber bei weitem nicht eindeutig ist.
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Zur Begrenzung mittelalterlicher „Erfahrungsräume“ auf einen Radius von 50 bis 100 km vgl. Dick Harrison, Medieval space. The extent of microspatial knowledge in Western Europe during the middle ages. Lund studies in international history 34 (Lund 1996) 220. Großräumig: Siegmund, Alemannen und Franken (Anm. 53); kleinräumig: Claudia Theune, Germanen und Romanen in der Alamannia. Strukturveränderungen aufgrund der archäologischen Quellen vom 3. bis zum 7. Jahrhundert. Reallexikon der germanischen Altertumskunde, Ergänzungsband 45 (Berlin, New York 2004) 235–367.
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Sebastian Brather
Zwischen Spätantike und Frühmittelalter – RGA-E Band 57 – Seiten 275–295 Alter ist Silber, © 2008 Walter de Gruyter · Berlin · New York Jugend ist Gold!
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Alter ist Silber, Jugend ist Gold! Zur altersdifferenzierten Analyse frühgeschichtlicher Bestattungen Eva Stauch
Analog zur Entwicklung in geschichts- und gesellschaftswissenschaftlichen Nachbardisziplinen erfahren sozialgeschichtliche Fragestellungen in den letzten Jahrzehnten auch in der prähistorischen Archäologie eine verstärkte Aufmerksamkeit.1 Doch noch immer liegt der Schwerpunkt sozialgeschichtlicher Fragestellungen in der Frühgeschichtsforschung auf der vertikalen Schichtung einer Gesellschaft. Die durch biologische Faktoren wie Geschlecht, Lebensalter oder Gesundheitszustand bedingte Zugehörigkeit eines Menschen zu einer Sozialgruppe griff die Forschung dagegen nur in sehr unterschiedlichem Grad auf. So war die geschlechtsdifferenzierte Betrachtungsweise aus der Gräberarchäologie von Anfang an nicht wegzudenken, während eine altersdifferenzierte Betrachtungsweise auch heute noch nur sehr zögerlich Raum gewinnt. Wenn aber nach den Erkenntnissen der Soziologie wie auch der Ethnologie das Alter „neben Geschlecht das wohl grundlegendste Prinzip gesellschaftlicher Differenzierung“2 ist, so bedarf unser Zugang zur frühgeschichtlichen Gesellschaftsstruktur einer verstärkten Auseinandersetzung mit dieser „Ungleichheitsdimension“.3
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Beispielhaft Heiko Steuer, Frühgeschichtliche Sozialstrukturen in Mitteleuropa. Eine Analyse der Auswertungsmethoden des archäologischen Quellenmaterials. Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften Göttingen, phil.-hist. Klasse, Dritte Folge 128 (Göttingen 1982). Andreas Sagner, Alter und Altern in einfachen Gesellschaften. Ethnologische Perspektiven. In: Andreas Gutsfeld/Winfried Schmitz (Hrsg.), Am schlimmen Rand des Lebens? Altersbilder in der Antike (Köln, Weimar, Wien 2003) 31–53, bes. 31. Diesen Begriff prägte Martin Kohli, Altern in soziologischer Perspektive. In: Paul B. Baltes/Jürgen Mittelstraß (Hrsg.), Zukunft des Alterns und gesellschaftliche Entwicklung. Forschungsbericht der Akademie der Wissenschaften Berlin 5 (Berlin, New York 1992) 231–259, bes. 231.
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Eva Stauch
Diesbezügliche archäologische Studien widmeten sich jedoch fast ausschließlich dem Unterschied zwischen Erwachsenen und Kindern.4 Mit einer näheren Differenzierung der Erwachsenengräber beschäftigten sich bislang fast nur Bearbeiter kaiserzeitlicher Brandgräberfelder.5 Die zahlreichen merowingerzeitlichen Gräberfelder, die ja aufgrund der Körperbestattungssitte für derartige Untersuchungen weitaus geeigneter sind, wurden nur in wenigen Ausnahmefällen unter diesem Aspekt betrachtet. Eine Korrelation der anthropologischen Daten mit archäologischen Sachverhalten fand hier in der Regel allein unter dem Gesichtspunkt einer altersabhängigen männlichen Waffenausstattung statt.6 ‚Alter‘ ist jedoch gleichermaßen ein biologischer Zustand wie eine gesellschaftliche Einstufung, wobei keineswegs davon ausgegangen werden darf, dass sich die Grenzziehungen beider Definitionsansätze decken. Die wenigen Schriftquellen des frühen Mittelalters geben uns hierüber nur ausschnitthaft Auskunft7, so dass wir für diesen Zeitraum auf die Untersuchung archäologischer Hinterlassenschaften angewiesen bleiben. Die Frage nach der sozialen Definition des Alters mit archäologischen Mitteln anzu4
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Für das Frühmittelalter: Sally E. E. Crawford, Age Differentiation and Related Social Status. A Study of Early Anglo-Saxon Childhood, diss. phil. thesis (Oxford 1991); Brigitte Lohrke, Kinder in der Merowingerzeit. Gräber von Mädchen und Jungen in der Alemannia. Freiburger Beiträge zur Archäologie und Geschichte des ersten Jahrtausends 9 (Rahden 2004); K. Bergmann, Untersuchungen zu frühmittelalterlichen Kinderbestattungen der Francia und Alamannia, unpublizierte Magisterarbeit (München 1993); Sabine Donié, Soziale Gliederung und Bevölkerungsentwicklung einer frühmittelalterlichen Siedlungsgemeinschaft. Untersuchungen zum Gräberfeld von Schretzheim. Saarbrücker Beiträge zur Altertumskunde 66 (Bonn 1999) 132–136; Nick Stoodley, Post-Migration Age Structures and Age Related Grave Goods in Anglo-Saxon Cemeteries in England. Studien zur Sachsenforschung 11, 1998, 187–197. Die Literatur zu diesen insbesondere von Michael Gebühr und Jürgen Kunow durchgeführten Untersuchungen findet sich zusammengestellt in zwei jüngeren Arbeiten: Michael Gebühr, Alter und Geschlecht. Aussagemöglichkeiten anhand des archäologischen und anthropologischen Befunds. In: Berta Stjernquist, Prehistoric graves as a source of information. Kungl. Vitterhets Historie och Antikvitets Akademien, Konferenser 29 (Stockholm 1994) 73–86; Heidrun Derks, Alter und Geschlecht. Biologische Parameter als Instrument sozialer Differenzierung in der älteren Römischen Kaiserzeit Norddeutschlands. Ethnographisch-Archäologische Zeitschrift 38, 1997, 531–550. Hans-Peter Wotzka, Die Männergräber von Schretzheim: Eine quantitative Studie. Hammaburg Neue Folge 9, 1989, 119–156; Barbara Sasse, Leben am Kaiserstuhl im Frühmittelalter. Ergebnisse einer Ausgrabung bei Eichstetten. Archäologische Informationen aus Baden-Württemberg 10, 1989, 30ff. Abb. 18. 19; Klaus Georg Kokkotidis, Belegungsablauf und Bevölkerungsstruktur auf dem alamannischen Gräberfeld von Fridingen an der Donau in Südwestdeutschland. Fundberichte aus Baden-Württemberg 20, 1995, 737–801, bes. 782–789. Eva Stauch, Alte Menschen im frühen Mittelalter. Soziale Definition durch Alter und Geschlecht (in Druckvorbereitung).
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gehen, war deshalb Ziel eines von mir unternommenen Forschungsprojektes.8 Ausgangspunkt war die Frage, auf welchen Merkmalen die Alterseinschätzung durch die Mitmenschen beruht. Nach allem, was wir über mittelalterliche Zeit- und Zeitraum-Bestimmungen wissen9, können wir davon ausgehen, dass in weiten Kreisen der mitteleuropäischen frühmittelalterlichen Gesellschaft das chronologische, also nach Lebensjahren gezählte Alter einer Person allenfalls eine nachgeordnete Rolle spielte. Vielfach wird es nicht einmal genau bekannt gewesen sein. Wichtiger dürften hingegen relative Altersangaben gewesen sein in der Art wie „x Jahre älter als mein Vater“ oder „nur wenige Jahre nach meiner Mutter geboren“. Von großer Bedeutung für eine Einordnung war vermutlich die Stellung einer Person innerhalb des Generationensystems einer Familie bzw. eines sozialen Gemeinwesens. Ohne genaue Kenntnis dieser relativen Bezüge war man im Frühmittelalter – nicht anders als heute – auf äußerliche Einordnungskriterien angewiesen. Solche äußerliche Kriterien für die Alterseinschätzung eines Menschen können das Aussehen, der Gesundheitszustand, Kleidung, Kenntnisse, Verhaltensweisen und Tätigkeiten sein. Diese Themenbereiche dienen als Leitfaden, nach welchen Phänomenen im archäologischen Datenmaterial zu suchen ist. Während Wissen oder Verhalten dabei für uns heute nicht mehr fassbar sind, können sich Aussehen, Tätigkeiten und körperliche Verfassung durchaus in einer bestimmten archäologischen Befundgattung – den Bestattungen – manifestieren. Da frühmittelalterliche Gräber in enormem Umfang wissenschaftlich vorgelegt wurden, liefern sie gerade auch für sozialgeschichtliche Fragestellungen ein Quellenmaterial, das hinsichtlich Qualität und Quantität in anderen vor- und frühgeschichtlichen Epochen ohne Vergleich bleibt. Die meist etwa 50 bis 400, in Ausnahmefällen auch weit über 1000 Bestattungen dieser zwischen dem 5. und 9. Jahrhundert benutzten Gräberfelder weisen ein breites Spektrum differenzierter Grabanlagen auf und lassen Beigabenausstattungen verschiedenster Qualitätsabstufungen aufscheinen. Zudem hat die chronologische Gliederung des merowingerzeitlichen Fundmaterials einen ausgesprochen hohen Grad der Genauigkeit erreicht.10 Rei-
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Ebd. Philippe Ariès, Le temps de l’histoire (Monaco 1954). Die chronologische Einordnung der Grabinventare fußt auf einem System von 15 zeitlich aufeinander folgenden Phasen. Zum aktuellen Stand der Chronologie und zum verwendeten Phasensystem vgl. Eva Stauch, Wenigumstadt. Ein Bestattungsplatz der Völkerwanderungszeit und des frühen Mittelalters im nördlichen Odenwaldvorland. Universitätsforschungen zur Prähistorischen Archäologie 111 (Bonn 2004) 19–58, bes. 20 Abb. 7.
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hengräber sind daher als Materialbasis für Forschungen zur Altersdifferenzierung vorzüglich geeignet. Unter den zahlreichen frühmittelalterlichen Gräberfeldern wählte ich für die Analyse solche Bestattungsplätze aus, die folgende Anforderungen bestmöglich erfüllen: lange Belegungszeit; hohe Bestattungszahl; möglichst vollständiger Erfassungsgrad des Friedhofs; gute Erhaltung von Funden, Befunden und Skeletten; qualitätvolle Dokumentation der Befunde; ausführliche anthropologische Untersuchung. Diese Kriterien treffen auf die Bestattungsplätze von Marktoberdorf 11 und Weingarten12, das Gräberfeld von Wenigumstadt13 sowie den Bestattungsplatz von Altenerding14 zu. Dass die gewählten Referenzgräberfelder sämtlich in Süddeutschland liegen, hat seinen Grund in der Qualität der anthropologischen Bestimmungen. Auf Gräberfeldern im nördlichen Mitteleuropa sind die Bodenverhältnisse wegen der geomorphologischen Geschichte in der Regel weniger für die Erhaltung von Knochenmaterial geeignet, sodass anthropologische Bestimmungen hier nur selten einen vergleichbaren Grad der Genauigkeit erreichen können. Grundlage, aber auch begrenzender Faktor aller altersdifferenzierten archäologischen Untersuchungen sind die anthropologischen Bestimmungen des Sterbealters. Die einzelnen Methoden der morphologischen Altersbestimmung am Skelett wurden durch eine Arbeitsgruppe europäischer Anthropologen zusammengefasst und als Empfehlung formuliert.15 Zur Diagnose des Sterbealters bei Erwachsenen findet insbesondere die so genannte kombinierte Methode der Altersdiagnose Anwendung.16 Für sämtliche erfassten Bestattungen lag eine morphologische Altersbestimmung nach diesem Standard vor, die in zahlreichen Fällen zudem durch eine histologische Altersbestimmung präzisiert werden konnte. Die in der Anthro-
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Rainer Christlein, Das alamannische Reihengräberfeld von Marktoberdorf im Allgäu. Materialhefte zur Bayerischen Vorgeschichte 21 (Kallmünz 1966). Helmut Roth/Claudia Theune, Das frühmittelalterliche Gräberfeld bei Weingarten (Kr. Ravensburg) 1. Katalog der Grabinventare. Forschungen und Berichte zur Vor- und Frühgeschichte in Baden-Württemberg 44/1 (Stuttgart 1995). Stauch, Wenigumstadt (Anm. 10). Walter Sage, Das Reihengräberfeld von Altenerding in Oberbayern I. Germanische Denkmäler der Völkerwanderungszeit A 14 (Berlin 1984); Hans Losert/Andrej Pleterski, Altenerding in Oberbayern. Struktur des frühmittelalterlichen Gräberfeldes und „Ethnogenese“ der Bajuwaren (Berlin, Bamberg, Ljubljana 2003). Denise Ferembach/Ilse Schwidetzky/Milan Stloukal, Empfehlungen für die Alters- und Geschlechtsdiagnose am Skelett. Homo 30, 1979/2, 1–32. János Nemeskéri/Laszlo Harsányi/György Acsádi, Methoden zur Diagnose des Lebensalters von Skelettfunden. Anthropologischer Anzeiger 24, 1960, 70–95.
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Abb. 1. Anthropologische Unterteilungen des Erwachsenenalters. Die rechts aufgeführten Kürzel werden in den folgenden Abbildungen verwendet
pologie gebräuchliche Klassifikation17 unterteilt das Erwachsenenalter in drei Alterstufen – adult, matur und senil –, die durch je drei Teilabschnitte – früh, mittel und spät – in insgesamt neun Altersabschnitte untergliedert sein können. Die für diese Altersabschnitte in den folgenden Diagrammen verwendeten Kürzel sind Abb. 1 zu entnehmen. Bei ausreichend präziser Altersbestimmung sollten sich in den archäologischen altersdifferenzierten Analysen charakteristische Veränderungen im Lebenslauf herausarbeiten lassen. Dafür musste sich das Sterbealter innerhalb der Erwachsenenphase auf zumindest zwei der anthropologischen Altersstufen eingrenzen lassen. Nach diesem Kriterium standen aus den vier Referenzgräberfeldern insgesamt 1685 altersbestimmte Erwachsenenbestattungen18 als Datenbasis zur Verfügung. Das Geschlechtsverhältnis ist in dieser Datenserie nahezu exakt ausgewogen. Die Sterbealtersverteilung der Gesamtserie (Abb. 2) zeigt nach einem Anstieg der Sterbehäufigkeit bis zum Maximum im mitteladulten Altersabschnitt zunächst ein graduelles
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Johann Szilvássy, Altersdiagnose am Skelett. In: Rainer Knußmann (Hrsg.), Anthropologie. Handbuch der vergleichenden Biologie des Menschen 1. Wesen und Methoden der Anthropologie (Stuttgart, New York 1988) 421–443. Hinsichtlich der Problemstellung des Forschungsprojektes waren anthropologisch nicht bestimmte Gräber dabei ebenso wenig von Bedeutung wie Kinder- oder Jugendlichengräber.
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Abb. 2. Sterbealtersverteilung der Gesamtserie, Anzahl der Individuen
Absinken der Sterbehäufigkeit während der maturen Altersstufe. Deutlich weniger Menschen erreichten die senile Altersstufe, wobei auch innerhalb der senilen Altersstufe ein weiteres graduelles Absinken festzustellen ist. In einer Gegenüberstellung der Altersverteilung männlicher und weiblicher Individuen (Abb. 3) wird die für präindustrielle Gesellschaften charakteristische geschlechtsdifferenzierte Sterbekurve erkennbar: ein erhöhtes Sterberisiko für Frauen im gebärfähigen Alter sowie eine höhere Chance für Männer, erst im maturen Alter zu sterben. Außer den anthropologischen Informationen erhob ich als Basis für eine präzise, möglichst detailreiche archäologische Analyse nach fein aufgeschlüsselten Merkmalen sämtliche Daten zu Eigenheiten der Grabanlage sowie Art, Qualität und Kombination der Beigaben.19 Von den erfassten Erwachsenenbestattungen waren 1359, also fast 81 Prozent, mit insgesamt 7321 Beigaben versehen. Die „Abhängigkeit der Qualität einer Grabausstattung vom Reichtum des Toten bzw. dessen Hinterbliebenen“ wollte Rainer Christlein „als ein Mittel benutzen, um auf den Reichtum und die einstige
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Zur Datenerfassung wurde das relationale Datenbanksystem DEADDY konzipiert und mit Hilfe des Datenbankprogramms ‚Access‘ programmiert. Die Datenanalysen erfolgten mittels der Abfragesprache Structured Query Language (SQL). Für jede Beigabe wurden erfasst: Material, Verzierungstechnik, Verzierungsmotiv, Erhaltungszustand, Maße, Gebrauchsspuren, eventuelle Reparaturen, Paarigkeit, Lage der Beigaben in Beziehung zum Toten sowie Lagebeziehungen der Beigaben untereinander.
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Abb. 3. Sterbealtersverteilung der Gesamtserie, getrennt nach Geschlecht
wirtschaftliche Macht des Bestatteten im Rahmen der ihn umgebenden Gemeinschaft zu schließen“.20 Gerade dieser Zugang zu materiellen Ressourcen ist – neben dem Zugang zur Macht – in den meisten Gesellschaften aber eines der Hauptkriterien vertikaler Schichtung. Insofern könnte die Ausstattung eines Grabes in Zeiten uneingeschränkter Beigabensitte also durchaus den gesellschaftlichen Status innerhalb der vertikalen Schichtung spiegeln, den der oder die Tote zu Lebzeiten innehatte. Was aber heißt ‚zu Lebzeiten‘? Welchen Status quo repräsentiert ein Grab? Jenen eines jungen, reifen oder alten Menschen? In nahezu allen Gesellschaften ist das Alter einer Person neben ihrem Geschlecht eines der wichtigsten Kriterien horizontaler Gliederung.21 Auch das Ansehen eines Menschen ist demnach aufs Engste verknüpft mit seinem Lebensalter. In welchem Grad aber das Lebensalter eines Verstorbenen
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Rainer Christlein, Besitzabstufungen zur Merowingerzeit im Spiegel reicher Grabfunde aus West- und Süddeutschland. Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz 20, 1973 (1975) 147–180, bes. 148. Diese vertikale Schichtung zu umschreiben, war demnach das Ziel Rainer Christleins, als er Qualitätsgruppen der Grabausstattung beschrieb, wobei er sich jedoch ausdrücklich von einer Gleichsetzung dieser Qualitätsgruppen mit einer bestimmten rechtlichen Stellung distanzierte. Zur Bedeutung vertikaler und horizontaler Gliederungssysteme für die sozialgeschichtliche Interpretation archäologischer Befunde vgl. Heiko Steuer, Zur Bewaffnung und Sozialstruktur der Merowingerzeit. Nachrichten aus Niedersachsens Urgeschichte 37, 1968, 18–87, bes. 19 ff.
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seine Grabausstattung beeinflusste, ist bislang ungenügend erforscht. Auch Rainer Christleins Klassifikationsschema unterschied in dieser Hinsicht nur zwischen „dem Mann“ und „der Frau“, nicht aber beispielsweise zwischen jungem, reifem oder altem Mann. Die erste Analyse einer sozialgeschichtlichen Untersuchung sollte aber dem Einfluss von Geschlecht und Alter auf die Grabausstattung gelten. Erst dann kann man sich der vertikalen Schichtung widmen. Nur so können Interdependenzen zwischen vertikaler und horizontaler Schichtung erkannt und der Anteil der unterschiedlichen Faktoren22 abgeschätzt werden. Diese Voraussetzung für eine komplexere, weil Alter und Geschlecht verstärkt einbeziehende sozialgeschichtliche Interpretation wollte meine Arbeit mit einer Analyse der altersabhängigen Veränderung der Grab- und Ausstattungsparameter schaffen. Hierfür widmete sich die Untersuchung der Beigabenausstattung folgenden Fragenkreisen. Zunächst wurde die zeitliche Stellung des jeweiligen Beigabentyps umrissen, sodann sein Anteil an bestimmten Altersgruppen herausgearbeitet. Weitere Teiluntersuchungen galten der Beliebtheit unterschiedlicher Varianten oder Materialien bei bestimmten Altersgruppen sowie eventuellen altersdifferenzierten Trageweisen und Deponierungssitten. Ergänzt wurden diese Analysen von Fall zu Fall durch weitere Detailuntersuchungen. Die statistische Auswertung ergab für nahezu alle Parameter des Grabbaus und der Beigabenausstattung signifikante Abhängigkeiten vom Alter der Verstorbenen.23 Um die Relevanz dieser Ergebnisse für sozialgeschichtliche Interpretationen zu verdeutlichen, sei im Folgenden beispielhaft ein Aspekt herausgegriffen: die altersabhängige Materialauswahl bei Trachtbestandteilen. Ich möchte mich hierbei auf die weibliche Trachtausstattung beschränken, wenngleich sich bei männlichen Bestattungen durchaus vergleichbare Ergebnisse abzeichneten.24 Getrennt nach Altersabschnitten wurde für die verschiedenen Schmucktypen und Trachtbestandteile ermittelt, welchen prozentualen Anteil die aus einem bestimmten Material hergestellten Beigaben an der Gesamtheit des jeweiligen Beigabentyps dieses Altersabschnitts haben. Ich beschränke mich hierbei auf metallene Schmuck- und Trachtbestandteile25, weil gerade 22
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Johanna Sofaer Derevenski, Linking age and gender as social variables. EthnographischArchäologische Zeitschrift 38, 1997, 485–493; Anton Distelberger, Österreichs Awarinnen. Frauen aus Gräbern des 7. und 8. Jahrhunderts. Archäologische Forschungen aus Niederösterreich 3 (St. Pölten 2004) 31. Stauch, Alte Menschen (Anm. 7). Stauch, Alte Menschen (Anm. 7). Perlen, Anhänger etc. werden an dieser Stelle nicht behandelt. Eine ausführliche Analyse findet sich in Stauch, Alte Menschen (Anm. 7).
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deren Vorhandensein, Material und Qualität in einer Grabausstattung unsere bisherigen Vorstellungen von der gesellschaftlichen Zugehörigkeit ihrer Besitzerinnen prägte. Für eine Aufgliederung nach dem Herstellungsmaterial eignen sich zudem nur solche Gegenstände, für deren Fabrikation prinzipiell mehrere Materialen in Frage kamen; solche Gegenstandsgruppen, die regelhaft aus dem selben Material hergestellt wurden – wie z. B. die immer aus Bronze gefertigten Zierscheiben – zog ich für meine Fragestellung daher nicht heran. Die Ergebnisse der statistischen Analysen zeigen die folgenden Diagramme; zur besseren Vergleichbarkeit sind die verschiedenen Materialien jeweils in der gleichen Reihenfolge von unten nach oben angeordnet. Bei dieser Anordnung folgte ich in erster Linie einer Trennung in silber- und goldfarbene Materialien, in zweiter Linie dann einer Abstufung der Wertigkeit. Die in der Tracht stets einzeln verwendeten, etwa 20 cm langen Nadeln aus Metall befestigten nach der Argumentation Max Martins26 einen Schleier. Sie liegen meist an der rechten Kopfseite mit der Spitze nach hinten, im 6. Jahrhundert dann zunehmend auch auf der Brust. Ab dem fortgeschrittenen 6. Jahrhundert sind aus reich ausgestatteten Frauengräbern außerdem deutlich kürzere Nadeln mit großem Kugelkopf belegt; diese kommen in der Regel paarig vor und könnten nach Max Martin eine Haube befestigt oder geschmückt haben.27 In 28 Frauenbestattungen der Referenzgräberfelder fanden sich insgesamt 33 Nadeln, da fünf Frauen frühadulten und maturen Alters ein Nadelpaar besaßen. Nadeln – und damit auch den Schleier – trug man offenbar weitgehend unabhängig vom Lebensalter; der Prozentsatz der Nadelträgerinnen eines Altersabschnitts schwankt zwischen drei und sieben Prozent und sinkt im spätsenilen Alter leicht ab auf zwei Prozent. Dabei scheint sich in den Frauengräbern der adulten und maturen Altersstufe eine altersdifferenzierte Trageweise anzudeuten. Auch beim Fertigungsmaterial der Nadeln (Abb. 4) zeigen sich altersabhängige Vorlieben. Adulte und mature Frauen bevorzugten eindeutig bronzene Nadeln; silbervergoldete Nadeln fanden sich sogar nur bei frühadulten Frauen. Insgesamt gesehen überwiegen bei den jüngeren Frauen also goldfarbene Nadeln. Frauen in senilem Alter trugen dagegen Nadeln aus versilberter Bronze oder aus Eisen und bezeugen damit eine Vorliebe für silberfarbenen Schmuck. 26
27
Max Martin, Schmuck und Tracht des frühen Mittelalters. In: Frühe Baiern im Straubinger Land. Katalog Gäubodenmuseum Straubing (Straubing 1995) 40–58, bes. 50 ff. Max Martin wendet sich mit tragfähigen Argumenten gegen die von Jutta Möller vorgeschlagene Interpretation der Nadeln als Haarschmuck; vgl. Jutta Möller, Zur Funktion der Nadel in der fränkisch-alamannischen Frauentracht. Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz 23–24, 1976/77 (1982) [Festschrift H. J. Hundt, Teil 3] 14–53. Martin, Schmuck und Tracht (Anm. 26) 54 ff.
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Abb. 4. Anteil verschiedener Fertigungsmaterialien je Altersabschnitt, Nadeln (n = 33)
Auch wenn schon im 6. Jahrhundert einige wenige Frauen Ohrringe trugen, kann man von einer regelrechten Ohrringmode erst während der Phasen 8 bis 13, also während des ganzen 7. Jahrhunderts und der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts sprechen. Insgesamt liegen von den Referenzgräberfeldern 115 Ohrringe aus 74 Frauengräbern vor. Prinzipiell scheint es dabei für eine Frau jeden Alters möglich gewesen zu sein, Ohrringe zu tragen. Doch halbiert sich der Anteil ohrringgeschmückter Frauen unter den Beigaben führenden Frauengräbern mit Beginn der senilen Altersstufe. Alte Frauen trugen also merklich seltener Ohrringe als jüngere. Viel stärker noch als das Tragen von Ohrringen allgemein war das Tragen bestimmter Ohrringtypen auf gewisse Altersabschnitte beschränkt. Körbchenohrringe und Polyederkapselohrringe wurden ausschließlich von Frauen bis Anfang vierzig getragen. Prunkvolle Ohrringvarianten scheinen demnach – wie bei den Awarinnen28 – auch im merowingerzeitlichen Mitteleuropa auf jüngere Frauen beschränkt gewesen zu sein. Dieser Befund koinzidiert mit den Ergebnissen meiner Untersuchung der Fertigungsmaterialien (Abb. 5). Auch hier bleiben die kostbarsten, goldenen Ohrringe auf die adulten Altersabschnitte beschränkt. Selbst die goldglänzenden Bronzeohrringe fanden sich in der adulten Altersstufe in weit mehr als der Hälfte der Gräber, während sie in den Gräbern alter Frauen unter 30 Prozent bleiben. Das sicher
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Distelberger, Österreichs Awarinnen (Anm. 22) 49f.
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Abb. 5. Anteil verschiedener Fertigungsmaterialien je Altersabschnitt, Ohrringe (n = 115)
nicht weniger wertvolle, jedoch weniger auffallende Fertigungsmaterial Silber nimmt dagegen mit zunehmendem Alter der Frauen einen immer größeren Anteil ein. Tendenziell scheinen jüngere Frauen demnach goldenen oder zumindest goldglänzenden Ohrschmuck getragen zu haben, ältere Frauen hingegen eher silbernen Ohrschmuck. Armringe kamen sporadisch während des gesamten behandelten Zeitraums vor, doch zeichnen sich Schwerpunkte vor der Mitte des 5. Jahrhunderts, in der ersten Hälfte und der Mitte des 6. Jahrhunderts sowie in den Jahrzehnten um 700 ab. Nur zwölf der auf den Referenzgräberfeldern bestatteten Frauen waren bei der Beisetzung mit einem, seltener zwei metallenen Armringen geschmückt. Sie waren ausschließlich im adulten und maturen Alter verstorben und zwar ganz überwiegend vor dem dreißigsten Lebensjahr, also in den Altersabschnitten frühadult und mitteladult. Dabei scheinen silberne oder vergoldete Armringe den jungen Frauen in den adulten Altersabschnitten vorbehalten gewesen zu sein (Abb. 6). Frauen mittleren Alters trugen wohl – wenn überhaupt – nur Armringe aus Bronze oder Eisen.29 Im Gegensatz zu den Armringen bleiben Fingerringe gänzlich auf die adulten Altersabschnitte beschränkt. Von den 22 Fingerringen der Referenzserie waren 21 aus Bronze gefertigt (Abb. 7). Nur eine ganz junge Frau im frühadulten Altersabschnitt trug ein goldenes Exemplar. 29
Dass in Abb. 6 für den spätmaturen Altersabschnitt ausschließlich Eisen verzeichnet wird, darf nicht überinterpretiert werden – handelt es sich doch nur um einen Beleg.
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Abb. 6. Anteil verschiedener Fertigungsmaterialien je Altersabschnitt, Armringe (n = 13)
Abb. 7. Anteil verschiedener Fertigungsmaterialien je Altersabschnitt, Fingerringe (n = 22)
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Als Hintergrund für die folgende Teiluntersuchung sei knapp die Entwicklung der merowingerzeitlichen Fibeltracht skizziert.30 Vom mittleren Drittel des 5. Jahrhunderts bis in die Zeit um 600 war es für die in Süddeutschland lebenden, besser gestellten Frauen üblich, ein Paar zunächst noch recht kleiner, später aber immer größerer und auffälligerer Bügelfibeln zu tragen. Eine der wesentlichen Funktionen dieser Fibeln war es, das Ziergehänge zu befestigen. Zusätzlich trugen wohlhabende Frauen ab dem späten 5. Jahrhundert ein in der Regel identisches Paar von zwei Kleinfibeln im oberen Brustbereich, meist in einem gewissen Abstand senkrecht übereinander. Dieses Kleinfibelpaar hielt und verschloss wohl einen leichteren Umhang.31 Die aus Bügelfibelpaar und Kleinfibelpaar bestehende so genannte ‚Vierfibeltracht‘ gerät im fortgeschrittenen 6. Jahrhundert dann zunehmend in den Hintergrund. Immer öfter nämlich wird das Kleinfibelpaar „von einer meist größeren, einzelnen Fibel abgelöst, die an der gleichen Stelle im Grab zum Vorschein kommt und aufgrund anderer Indizien eindeutig auch funktionell die Nachfolgerin des Kleinfibelpaares darstellt“32 und daher wohl ebenfalls den Verschluss des Umhangs markierte. Zunehmend verzichtete man aber im Lauf des 7. Jahrhunderts auf die Mitgabe des Umhangs, sodass die großen Scheibenfibeln nur noch vereinzelt ins Grab gelangten. Auch Bügelfibeln finden sich im 7. Jahrhundert nur noch in wenigen, meist überdurchschnittlich reich ausgestatteten Bestattungen. Schon ein Vergleich der Kindergräber mit den Bestattungen erwachsener Frauen deutete eine Altersabhängigkeit der Fibelausstattung an.33 Insbesondere die vollständige Vierfibeltracht sowie Bügelfibelpaare scheinen mit nur sehr wenigen Ausnahmen den erwachsenen Frauen vorbehalten gewesen zu sein. In meiner Untersuchung ließ sich darüber hinaus zeigen,
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Vgl. hierzu auch die zusammenfassenden Darstellungen insbesondere von Martin, Schmuck und Tracht (Anm. 26) 49; ders., Tradition und Wandel der fibelgeschmückten frühmittelalterlichen Frauenkleidung. Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz 38, 1991 (1995) 629–680; ders., s. v. Fibel und Fibeltracht II. Archäologisches K. Späte Völkerwanderungszeit und Merowingerzeit auf dem Kontinent. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (Berlin, New York 1994) 541–582. Martin, Schmuck und Tracht (Anm. 26) 47 f.; Antja Bartel/Ronald Knöchlein, Zu einem Frauengrab des 6. Jahrhunderts aus Waging a. See, Lkr. Traunstein, Oberbayern. Germania 71, 1993, 419–439. Martin, Schmuck und Tracht (Anm. 26) 49; zum Trachtwandel vgl. auch ders., Tradition und Wandel (Anm. 30) 633ff. Martin, Fibel und Fibeltracht (Anm. 30) 557 ff. 574; Lohrke, Kinder in der Merowingerzeit (Anm. 4) 94; Françoise Vallet, Die Ausstattung der Kindergräber. In: Die Franken. Wegbereiter Europas. Katalog-Handbuch zur Ausstellung Reiss-Museum Mannheim 1996/97 (Mannheim, Mainz 1996) 712–715, bes. 713.
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dass auch innerhalb des Erwachsenenalters eine altersdifferenzierte Fibelausstattung existierte. So war die komplette Vierfibeltracht stark vom Alter der Bestatteten abhängig. Betrug unter den ungestörten Fibel führenden Frauengräbern der Anteil der Frauen mit Vierfibeltracht in den adulten Altersabschnitten noch mindestens 37 Prozent, so erreichte er in den maturen und senilen Altersabschnitten kaum zehn Prozent. Neben bedeutsamen altersabhängigen Unterschieden in der Zusammensetzung der Fibeltracht konnten außerdem altersdifferenzierte Trageweisen herausgearbeitet werden. Im Gegensatz hierzu hat das Fertigungsmaterial der Fibeln nur eine eingeschränkte altersspezifische Relevanz. Es scheint vielmehr in enger Abhängigkeit vom jeweiligen Fibeltyp zu stehen (Abb. 8–11). So bestand das Grundmaterial bei Bügel-, Vogel- und S-Fibeln in der weit überwiegenden Zahl der Fälle aus Silber, das man vergoldete. Während aber bei Vogelfibeln und Scheibenfibeln zu einem geringen Prozentsatz auch unvergoldete silberne Exemplare existieren, kommt Silber in seiner unvergoldeten Form bei Bügelfibeln und S-Fibeln so gut wie nicht vor. Hier finden sich hingegen – zu einem ebenso geringem Anteil – bronzene Exemplare. Diese bronzenen Bügelfibeln stammen meist aus dem 7. Jahrhundert und gehören damit zu den jüngeren Vertretern ihres Typs. Die bei Bügelfibeln, Vogelfibeln und S-Fibeln vom Alter der Bestatteten weitgehend unabhängige Materialauswahl spricht m. E. dafür, dass diese Fibelgruppen stärker einem verbindlichen Materialkodex unterworfen waren als sonstige Schmuck- und Trachtaccessoires. Ein solcher Materialkodex wäre vor allem dann sinnvoll, wenn mit seiner Hilfe soziale Informationen wie beispielsweise der gesellschaftliche Status optisch dargestellt werden sollten. Der Gürtel war offenbar ein unverzichtbarer Bestandteil der frühmittelalterlichen weiblichen Tracht. 445 Frauen, also gut 70 Prozent aller Frauen gürteten ihr Gewand in oder knapp unterhalb der Taille. Dieser Prozentsatz ist nahezu unabhängig vom Sterbealter – ein Hinweis auf die für junge wie alte Frauen gleichermaßen wichtige funktionale Bedeutung des Gürtels für die Befestigung der übrigen Kleidungs- und Trachtbestandteile. Die meisten Frauengürtel aus dem östlich des Rheins gelegenen Teil des merowingischen Reiches waren lediglich durch eine einfache Schnalle geschlossen und nicht mit weiteren Beschlägen versehen.34 Aus dem unscheinbaren 34
Max Martin, Zur frühmittelalterlichen Gürteltracht der Frau in der Burgundia, Francia und Aquitania. In: Musée royal de Mariemont (Hrsg.), L’art des invasions en Hongrie et en Wallonie. Actes du colloque tenu au Musée de Mariemont 1979, 6 (Mariemont 1991) 31–84, bes. 50.
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Abb. 8. Anteil verschiedener Fertigungsmaterialien je Altersabschnitt, Bügelfibeln (n = 83)
Abb. 9. Anteil verschiedener Fertigungsmaterialien je Altersabschnitt, Vogelfibeln (n = 46)
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Abb. 10. Anteil verschiedener Fertigungsmaterialien je Altersabschnitt, S-Fibeln (n = 42)
Abb. 11. Anteil verschiedener Fertigungsmaterialien je Altersabschnitt, Scheibenfibeln (n = 74)
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Abb. 12. Anteil verschiedener Fertigungsmaterialien je Altersabschnitt, Gürtelschnallen (n = 445)
und wenig auf äußere Wirkung ausgelegten Fertigungsmaterial der Schnallen schloss man vielfach auf eine nicht sichtbare Trageweise der Gürtel beispielsweise unter einem Gewandbausch.35 Dieser Vermutung widerspricht jedoch die eindeutige Abhängigkeit des Herstellungsmaterials der Gürtelschließen vom Alter der Bestatteten (Abb. 12). Mit zunehmendem Alter sinkt der Anteil bronzener Schnallen stetig. Bis zu einem gewissen Grad werden diese ab dem frühmaturen Alter durch silberfarbene Exemplare aus versilberter Bronze, Silber oder Weißmetall ersetzt. Hätte man den Gürtel unsichtbar getragen, so wäre für diese Veränderung kein Anlass gewesen. Wadenbinden gewährleisteten einen straffen Sitz der Strümpfe oder Beinwickel. Wadenbinden- und Schuhgarnituren waren von der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts fast durchgehend als Trachtbestandteil bekannt. Dabei folgten jedoch auf Zeiten höherer Popularität jeweils ein bis zwei Generationen, die den auffallenden Metallbesätzen der Strumpfbänder eher reserviert gegenüber standen und ihre Garnituren wohl durch Knoten befestigten. Nur relativ wenige der auf den Referenzgräberfeldern bestatteten Frauen waren bei ihrer Beisetzung mit einem Paar metallbesetzter Wadenbinden oder – seltener – einer Schuhgarnitur versehen. Dabei erreichte der Anteil der Frauen mit Wadenbinden35
Renata Windler, Das Gräberfeld von Elgg und die Besiedlung der Nordostschweiz im 5.–7. Jahrhundert. Züricher Denkmalpflege, Archäologische Monographien 13 (Zürich 1994).
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Eva Stauch
Abb. 13. Anteil verschiedener Fertigungsmaterialien je Altersabschnitt, Wadenbinden- oder Schuhgarnituren (n = 83)
oder Schuhgarnitur nur im frühadulten bis frühmaturen Altersabschnitt mehr als fünf Prozent der Beigaben führenden Frauenbestattungen. Mit leicht fallender Tendenz wurden die Garnituren jedoch auch noch von mittel- und spätmaturen Frauen getragen. Unter den Frauen im senilen Alter betrug der Anteil nur noch zwei Prozent. Gewisse altersabhängige Vorlieben zeigen sich beim Fertigungsmaterial der Metallbeschläge dieser Garnituren (Abb. 13). Garnituren aus Silber, vergoldetem Silber oder versilberter Bronze wurden ausschließlich von adulten und maturen Frauen getragen. Ab der maturen Altersstufe werden diese wertvolleren Garnituren zunehmend durch bronzene Wadenbinden ersetzt. Alte Frauen im senilen Sterbealter trugen gleichermaßen eiserne oder bronzene Wadenbinden- oder Schuhgarnituren. Die Vorliebe für silberfarbene Beschläge scheint hier mit steigendem Lebensalter also nicht zuzunehmen. Einen Erklärungsansatz hierfür bietet die Fundlage der Garniturenbestandteile (Abb. 14).36 Sehr markant nämlich zeichnet sich eine altersdifferenzierte Trageweise ab. Lagen die metallenen Besatzstücke und Riemenzungen in den Gräbern adulter Frauen überwiegend in Knie- und Wadenhöhe, so blieben sie bei matu36
Zur Darstellung der Ergebnisse bediente ich mich einer Funktion, die das Maximum eines Vorkommens als Schwarz, das Minimum eines Vorkommens als Weiß darstellt. Dazwischen liegende Werte werden ihrer Höhe entsprechend durch unterschiedliche Grauwerte dargestellt.
Alter ist Silber, Jugend ist Gold!
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Abb. 14. Lage von Wadenbindengarnituren in ungestörten Frauenbestattungen, links adultes Alter und rechts matures Alter
ren Frauen37 auf Knöchelhöhe beschränkt. Der obere Halteriemen war bei älteren Frauen also nur im Ausnahmefall noch mit Beschlägen versehen. Möglicherweise – jedoch nicht zwingend – ist hieraus auf eine kürzere Rocklänge der jungen Frauen zu schließen. Hätte aber ein bodenlanger Rock bei älteren Frauen sowieso die Wadenbinden verdeckt, so hätte kaum Anlass bestanden, das Material der Garnituren dem Alter entsprechend zu modifizieren.
37
Die geringe Anzahl ungestörter Gräber von Frauen senilen Alters erlaubte keine Kartierung.
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Abb. 15. Anteil verschiedener Fertigungsmaterialien je Altersabschnitt, Schmuck und Trachtbestandteile bei Frauen (n = 777)
Die Ergebnisse der Teiluntersuchungen zur altersabhängigen Materialverwendung bei weiblichen Schmuck- und Trachtbestandteilen lassen sich wie folgt zusammenfassen. Mit Ausnahme der Bügel-, Vogel- und S-Fibeln (hierzu s. o.) zeigte sich bei nahezu allen metallenen Schmuckelementen oder Trachtbestandteilen eine ausgeprägte Bevorzugung bestimmter Materialien durch bestimmte Altersgruppen. So bleiben aus Gold gefertigte Accessoires – Ohrringe, Fingerringe und Scheibenfibeln – auf junge Frauen bis maximal Ende dreißig (früh-, mittel-, spätadult) beschränkt. Auch silbervergoldete Nadeln und silberne oder vergoldete Armringe werden ausschließlich von Frauen adulten Alters getragen. Silbervergoldete Scheibenfibeln oder silbervergoldete Wadenbinden und Schuhgarnituren trugen Frauen bis maximal ins mature Alter, also bis etwa zum sechzigsten Lebensjahr, ebenso Silber- oder Bronzenadeln, silberne Wadenbinden- und Schuhgarnituren und Bronzearmringe. Fasst man sämtliche behandelten Schmuck- und Trachtbestandteile mit Ausnahme der Bügel-, Vogel- und S-Fibeln zu einem Diagramm zusammen (Abb. 15)38, so wird augenfällig, in welchem Maße die von jungen Frauen bevorzugte goldene Farbe des Schmucks (Gold/vergoldetes Silber/Bronze) 38
Der Übersichtlichkeit wegen wurden die wenigen Trachtbestandteile aus Weißmetall in diesem Diagramm den silbernen zugeschlagen, jene aus vergoldeter Bronze oder vergoldetem Eisen den silbervergoldeten Funden.
Alter ist Silber, Jugend ist Gold!
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mit zunehmendem Alter einer Vorliebe für silberfarbenen Schmuck weicht (Eisen/Bronze versilbert/Silber). In der Auswahl dieser Trachtaccessoires richtete man sich offenbar stärker nach Schönheits- und Schicklichkeitsvorstellungen als nach der Zugehörigkeit zu einer bestimmten – vertikalen – Gesellschaftsschicht. Immer wieder wurden jedoch gerade die kostbaren oder weniger kostbaren Fertigungsmaterialien dieser Gegenstände als bestimmende Kriterien für die Stellung der Verstorbenen innerhalb der vertikalen gesellschaftlichen Schichtung herangezogen.39 Wenn nun aber eine so enge Abhängigkeit dieser Parameter vom Sterbealter besteht, so bedarf es einer intensiven Auseinandersetzung mit den bisherigen Denkmodellen. Die Ergebnisse der vorliegenden Teilstudie führen deutlich vor Augen, in welchem Maße es sich bei der sozialen Hierarchie um ein mehrdimensionales System handelt, in dem die horizontale Gliederung der Gesellschaft nach Alter, nach Geschlecht, aber auch nach anderen Faktoren die vertikale Hierarchie überlagert. Den vielfältigen Möglichkeiten gegenseitiger Beeinflussung von vertikaler und horizontaler Hierarchie sollte fortan verstärkte Aufmerksamkeit zugewandt werden.
39
Vgl. z. B. Christlein, Besitzabstufungen (Anm. 20) Abb. 11.
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Eva Stauch
Zwischen Spätantike und Frühmittelalter – RGA-E Band 57 – Seiten 297–321 Stil II als Spiegel © 2008 Walter de Gruyter · Berlin · New York einer Elitenidentität?
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Stil II als Spiegel einer Elitenidentität? Der Tierstil von der Herkunftsmythologie bis zur Königssymbolik und Kirchenkunst im angelsächsischen Britannien Karen Høilund Nielsen
Die Erforschung des germanischen Tierstils hat eine rund zweihundert Jahre lange Geschichte. Sie konzentrierte sich zuerst fast ausschließlich auf Typologie und Chronologie1, ohne jedoch eine verlässliche zeitliche Abfolge festlegen zu können. Analysen zur sozialen Einbindung und zum inhaltlichen Hintergrund unternahm man erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts, obwohl sich Kunsthistoriker in Deutschland schon vor 100 Jahren für die geistlichen, psychologischen und sozialen Hintergründe des Tierstils interessierten. So schrieb der Kunsthistoriker August Schmarsow 1911 im Jahrbuch der königlich-preußischen Kunstsammlungen einen Aufsatz über die „Entwicklungsphasen der germanischen Tierornamentik von der Völkerwanderung bis Wikingerzeit (IV.–IX. Jahrhundert)“. In seinen Schlussbemerkungen heißt es: „Salins Studie gibt uns nur die Tatsachen dieses in sich verschiedenartigen Wandels, aber auch beim genauen Verfolg allmählicher Modifikationen keine Erklärung ihres Zusammenhangs, kein psychologisches Verständnis ihrer Bedingungen. Wir sehen die Metamorphose der Köpfe, z. B. den Kopftypus eines Vierfüßers durch den eines Vogels abgelöst, und empfangen keine Auskunft über das Warum, während wir gewiss, auch wohl nach der Meinung nordischer Forscher, damit einen Beitrag zur Geschichte der Religion oder zu dem Umschwung der Mythologie erhalten, in denen die Bedingungen solcher Neuerung des Stils zu suchen wären.“2 Erst im letzten Viertel des 20. Jahrhundert ist man zu der Frage nach 1
2
Karen Høilund Nielsen, Fra antikristne symboler til „ophitisk kunstsmag“. Dyrestil i oldtid og nutid. Hikuin 29, 2002, 7–14; dies./Siv Kristoffersen, Germansk dyrestil (Salins stil I–III). Et historisk perspektiv. Hikuin 29, 2002, 15–74. August Schmarsow, Entwicklungsphasen der germanischen Tierornamentik von der Völkerwanderung bis Wikingerzeit (IV.–IX. Jahrhundert). Jahrbuch der königlich-preußischen Kunstsammlungen 1911, 143–179 hier 179.
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Karen Høilund Nielsen
dem „warum“ vorgestoßen, und es ist allgemein deutlich geworden, dass anhand dieser Ornamentik wichtige Informationen über viele Seiten der Gesellschaft, der Mythologie und der Religion gewonnen werden können. Und im Jahre 2001 wurde von den Norwegern Lindstrøm und Kristoffersen sogar ein Aufsatz über die psychologischen Perspektiven und Interpretationen des völkerwanderungszeitlichen Tierstils publiziert.3 Im Mittelpunkt meiner Forschungen steht die Frage nach der sozialen Bedeutung des Tierstils II – anhand von Untersuchungen des archäologischen und des historischen Kontexts. Dafür spielt die Frage nach der Entstehung eine wichtige Rolle; es ist schon früher wahrscheinlich gemacht worden, dass Tierstil I (Abb. 1,a) vermutlich im (westlichen) Südskandinavien entstand4, und für Stil II (Abb. 1,b) gilt ähnliches.5 Von dort wurden die beiden Tierstile auf den Kontinent und nach Britannien verbreitet. Zu den zentralen Fragen gehören diejenigen, wie und warum diese Stile in welchen Gesellschaften rezipiert wurden. Besonders für die Bevölkerungen in den – nach der Völkerwanderungszeit entstandenen – germanischen Königtümern auf dem Kontinent lässt sich ein gewisser Zusammenhang zwischen Tierstil, Entstehungsmythen und politischer Orientierung erkennen.6 Oberflächlich gesehen lässt sich dieses Modell teilweise auf die Angelsachsen in Britannien übertragen.7 Detaillierte Analysen zeigen aber, dass sich die Situation dort etwas anders entwickelte. Darauf sei unten noch kurz eingegangen.
Das anglische Britannien und die Tierstile In Britannien sind die Tierstile grundsätzlich anders als auf dem Kontinent verbreitet. Stil I scheint im anglischen Britannien erheblich verbreiteter gewesen zu sein, und er wurde dort auch weiterentwickelt. Stil II war im Ver-
3
4
5
6 7
Torill Christine Lindstrøm/Siv Kristoffersen, „Figure it out!“ Psychological perspectives on perception of Migration period animal art. Norwegian Aarchaeological Review 34/2, 2001, 65–84. Günter Haseloff, Die germanische Tierornamentik der Völkerwanderungszeit: Studien zu Salin’s Stil I. Vorgeschichtliche Forschungen 17 (Berlin 1981) 172–173. Karen Høilund Nielsen, Centrum og periferi i 6.–8. årh. Territoriale studier af dyrestil og kvindesmykker i yngre germansk jernalder i Syd-og Østskandinavien. In: Fra Stamme til Stat i Danmark 2. Høvdingesamfund og Kongemagt, ed. Peder Mortensen/Birgit M. Rasmussen. Jysk Arkæologisk Selskabs Skrifter XXII:2 (Højbjerg 1991) 127–154; dies., Animal Style. A Symbol of Might and Myth. Salin’s Style II in a European Context. Acta Archaeologica 69, 1998, 1–52. Høilund Nielsen, Animal Style (Anm. 5). Karen Høilund Nielsen, Style II and the Anglo-Saxon Élite. Anglo-Saxon Studies in Archaeology and History 10, 1999, 185–202.
Stil II als Spiegel einer Elitenidentität?
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Abb. 1. Beispiele von germanischem Tierstil. Links große Bügelfibel von Gummersmark mit Stil-I-Ornamentik; rechts Zaumzeugbeschlag mit Stil-II-Ornamentik aus Dänemark, aber ohne genauen Fundort. – M. 2:3 (nach Bernhard Salin, Die altgermanische Thierornamentik. Typologische Studie über germanische Metallgegenstände aus dem 4. bis 9. Jahrhundert, nebst einer Studie über irische Ornamentik [Stockholm 1904])
gleich viel weniger verbreitet und besaß Häufungen in Kent, wo es sich wahrscheinlich um einen indirekten Einfluss aus dem Frankenreich handelte, und in East Anglia, worin wohl ein direkter skandinavischer Einfluss zu sehen ist.8 Stil II besaß im anglischen Britannien eine recht kurze Lebensdauer; er wurde aber zur Grundlage jenes Stils, der die Handschriften der northumbrischen Skriptorien kennzeichnete.
8
Høilund Nielsen, Style II and the Anglo-Saxon Èlite (Anm. 7).
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Dass Stil II und dessen Weiterentwicklung auf den Britischen Inseln ein elitär waren und eine Elitenidentität widerspiegelten, wird besonders deutlich, wenn man ihn vor dem Hintergrund des vorausgehenden Stils und im Kontext betrachtet. Stil I entstand im angelsächsischen England aus dem skandinavischen Stil I9 und kam wohl durch Einwanderer aus Südskandinavien (und aus unmittelbar südlich davon gelegenen Regionen) in das damalige Britannien. Abgesehen von kentischen Fibeln mit ihren offensichtlichen Verbindungen nach Dänemark, ist Stil I in England relativ wenig untersucht worden. Einige Detailstudien liegen vor,10 und recht viele Gräberfelder dieser Periode, auch mit Gegenständen im Stil I, sind publiziert, so dass einige vorläufige Überlegungen möglich sind.
Stil I Im Allgemeinen kommen auf angelsächsischen Gräberfeldern des 5. bis frühen 7. Jahrhunderts Gegenstände mit Stil I in 2–12 % der Gräber vor.11 Stil I wurde vor allem auf Fibeln, aber auch Ärmelhaken und anderen Schmucksachen der Frau angebracht (Abb. 2). Nur selten sieht man den Stil auf Waffen und Pferdegeschirr.12 Die großen Bügelfibeln und Ärmelhaken bestehen fast ausschließlich aus Bronze – im Gegensatz zum skandinavischen Bestand (besonders Norwegen und Dänemark), wo hauptsächlich Silber benutzt wurde. Vergleicht man das südwestliche Norwegen mit England, so kommen die großen Bügelfibeln in einem gleich großen Gebiet in England mehr als doppelt so oft vor.13 Im Vergleich mit Dänemark ist der Unterschied noch größer. Die großen Bügelfibeln sind also in England viel häufiger, und sie besitzen einen niedrigeren Metallwert als in Skandina9 10
11 12
13
Haseloff, Die germanische Tierornamentik (Anm. 4) 167–170. Etwa Tania M. Dickinson, Translating Animal Art. Salin’s Style I and Anglo-Saxon cast saucer brooches. Hikuin 29, 2002, 163–186; dies., The occurrence of Style I in Anglo-Saxon England. Anglo-Saxon Studies in Archaeology and History (in Vorbereitung). Dickinson, The occurrence of Style I (Anm. 10). Vgl. Ders., Symbols of Protection: The significance of animal-ornamented shields in Early Anglo-Saxon England. Medieval Archaeology 49, 2005, 109–163; Tania M. Dickinson/ Chris Fern/Mark A. Hall, An early Anglo-Saxon bridle fitting from South Leckaway, Forfar, Angus, Scotland. Medieval Archaeology 50, 2006, 249–260; Chris Fern, The archaeological evidence for equestrianism in early Anglo-Saxon England, c. 450–700. In: Aleksander Pluskowski (ed.), Just Skin and Bones? New Perspectives on Human-Animal Relations in the Historic Past. British Archaeological Reports, International Series 1410 (Oxford 2005) 43–71. Die Auszählung stützt sich auf John Hines, A new corpus of Anglo-Saxon great squareheaded brooches. Reports of the Research Committee of the Society of Antiquaries of London 51 (Woodbridge 1997), und Siv Kristoffersen, Sverd og spenne. Dyreornamentikk og sosial kontekst. Studia humanitatis Bergensia 13 (Kristiansand 2000).
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Abb. 2. Beispiele des angelsächsischen Stils I. Oben kreuzförmige Fibel aus Sleaford, Lincolnshire; unten Ärmelhaken aus Cambridgeshire. – M. 1:1 (nach Reginald A. Smith, British Museum guide to Anglo-Saxon antiquities [London 1923])
302
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vien. Das könnte bedeuten, dass Stil I im angelsächsischen Britannien weit verbreitet ist, geographisch wie sozial. Die folgenden Erörterungen stützen sich hauptsächlich auf Körpergräberfelder.14 Die Brandgräberfelder werden weiter unten kurz berücksichtigt. 14
Folgende Gräberfelder wurden in den Analysen berücksichtigt: Abingdon – Edward Thurlow Leeds/Donald B. Harden, The Anglo-Saxon cemetery at Abingdon, Berkshire (Oxford 1936); Andover – Allison M. Cook/Maxwell W. Dacre, Excavations at Portway, Andover 1973–1975. Oxford University Committee for Archaeology Monograph 4 (Oxford 1985); Alton – Vera I. Evison, An Anglo-Saxon Cemetery at Alton, Hampshire. Hampshire Field Club and Archaeological Society 4 (Winchester 1988); Apple Down – Alec Down/Martin Welch, Chichester Excavations 7. Apple Down and The Mardens (Chichester 1990); Barrington A – Tim Malim/John Hines, The Anglo-Saxon Cemetery at Edix Hill (Barrington A), Cambridgeshire. Council for British Archaeology, Research Report 112 (York 1998); Beckford B – Vera I. Evison/Prue Hill, Two Anglo-Saxon Cemeteries at Beckford, Hereford and Worcester. Council for British Archaeology, Research Report 103 (York 1996); Bergh Apton – Barbara Green/Andrew Rogerson, The Anglo-Saxon Cemetery at Bergh Apton, Norfolk. East Anglian Archaeology 7 (Gressenhall 1978); Berinsfield – Angela Boyle/Anne Dodd/David Miles/Andrew Mudd, Two Oxfordshire Anglo-Saxon Cemeteries. Berinsfield and Didcot. Thames Valley Landscapes Monograph 8 (Oxford 1995); Buckland Dover – Vera I. Evison, Dover. Buckland Anglo-Saxon Cemetery. Historic Buildings and Monuments Commission for England, Archaeological Report 3 (London 1987); Buckland Dover – Keith Parfitt/Trevor Anderson, Buckland Anglo-Saxon Cemetery, Dover. Excavations 1994. Canterbury Archaeological Trust/British Museum (in Vorbereitung); Empingham II – Jane R. Timby, The Anglo-Saxon Cemetery at Empingham II, Rutland. Oxbow Monograph 70 (Oxford 1996); Great Chesterford – Vera I. Evison, An Anglo-Saxon cemetery at Great Chesterford, Essex. Council for British Archaeology, Research Report 91 (York 1994); Lechlade – Angela Boyle/David Jennings/David Miles/Simon Palmer, The Anglo-Saxon Cemetery at Butler’s Field, Lechlade, Gloucestershire 1. Prehistoric and Roman Activity, and Grave Catalogue. Thames Valley Landscapes Monograph 10 (Oxford 1998); Mill Hill, Deal – Keith Parfitt/Birte Brugmann, The Anglo-Saxon Cemetery on Mill Hill, Deal, Kent. The Society for Medieval Archaeology, Monograph Series 14 (London 1997); Morning Thorpe – Barbara Green/Andrew Rogerson/Susan G. White, The Anglo-Saxon Cemetery at Morning Thorpe, Norfolk. East Anglian Archaeology 36 (Gressenhall 1987); Norton – Stephen J. Sherlock/Martin G. Welch, An Anglo-Saxon Cemetery at Norton, Cleveland. Council for British Archaeology, Research Report 82 (London 1992); Sewerby – Susan M. Hirst, An Anglo-Saxon Inhumation Cemetery at Sewerby, East Yorkshire. York University Archaeological Publications 4 (York 1985); Snape – William Filmer-Sankey/Tim Pestell, Snape Anglo-Saxon Cemetery. Excavations and Surveys 1824–1992. East Anglian Archaeology 95 (Ipswich 2001); Spong Hill – Catherine Hills/Kenneth Penn/Robert Rickett, The Anglo-Saxon Cemetery at Spong Hill, North Elmham III. Catalogue of Inhumations. East Anglian Archaeology 21 (Gressenhall 1984); Westgarth Gardens – Stanley E. West, The Anglo-Saxon Cemetery at Westgarth Gardens, Bury St Edmunds, Suffolk. East Anglian Archaeology 38 (Bury St. Edmunds 1988); West Heslerton – Christine Haughton/Dominic Powlesland, West Heslerton. The Anglian cemetery (Yeddingham 1999); Worthy Park – Sonia Chadwick Hawkes/Guy Grainger, The Anglo-Saxon Cemetery in Worthy Park, Kingsworthy, near Winchester. Oxford University School of Archaeology, Monograph 59 (Oxford 2003). – Für die chronologischen Verhältnisse wurde hauptsächlich benutzt: Birte Brugmann, Glass beads from Anglo-Saxon graves. A study on the provenance and chronology of glass beads from Anglo-Saxon graves based on visual examination (Oxford 2004).
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Typen und Datierung Im anglischen Gebiet (Abb. 3) kommt Stil I vor allem auf kreuzförmigen Fibeln, großen Bügelfibeln und Ärmelhaken vor. Gestützt auf Perlendatierungen nach Birte Brugmann,15 lässt sich Stil I in die Stufen A1–B2 setzen und damit in die zweite Hälfte 5. bis zum zweiten Viertel des 7. Jahrhunderts datieren. Die größte Anzahl gehört aber in die Stufen A1–A2. In der Stufe A dominieren verschiedene Varianten von kreuzförmigen Fibeln, wogegen in Stufe B eher die großen Bügelfibeln vorherrschen. Im Vergleich dazu kommt Stil I in Kent auf Bügelfibeln verschiedener Größen in Stufe A vor, während Scheibenfibeln die Stufe B charakterisieren. In den sächsischen Gebieten kommt Stil I auf Schalenfibeln in beiden Stufen (A und B) vor. Zusätzlich kommen in beiden Regionen in Stufe A Knopffibeln vor; sie besitzen zwar keine Tiere, aber eine Maske, die ebenfalls ein Element von Stil I bildet. Im Allgemeinen kommt Stil I also überwiegend in der Stufe A vor, obwohl er zum Teil in Stufe B weiter existiert.
Frauen, Fibeln und Bauernhöfe Bei Berücksichtigung des Lebensalters zeigt sich, dass Stil I fast nie in Kindergräbern gefunden wurde. Die meisten Stil-I-Gegenstände gibt es in Bestattungen von Frauen, die mit 25 Jahren oder in höherem Alter gestorben waren (Abb. 4). Es ist zu erwarten, dass Frauen dieses Alters meist verheiratet und oft schon Mütter waren. Es ist möglich, den Umfang der Bevölkerung für einzelne Gräberfelder zu berechnen und damit auch die Zahl der Haushalte bzw. Bauernhöfe zu schätzen, alles natürlich ungefähr und mit Vorsicht.16 Dennoch lässt sich damit eine Vorstellung von den lokalen Verhältnissen gewinnen. Die meisten Friedhöfe repräsentieren wahrscheinlich relativ kleine Siedlungen mit nur wenigen Bauernhöfen; anhand der vollständig ausgegrabenen Friedhöfe sind zwei bis sieben Bauernhöfe zu erwarten. Nur einige der Brandgräberfelder könnten eine etwas andere Situation andeuten, wenn etwa für Spong Hill rund fünfzig Bauernhöfe angenommen werden. Diese vergleichsweise große Zahl muss aber nicht die Größe einer Siedlung be15 16
Brugmann, Glass beads (Anm. 14). Die Berechnungen wurden auf der Basis von Formeln und Überlegungen in Høilund Nielsen, Centrum og periferi i 6.–8. årh (Anm. 5) und in einer unveröffentlichten Arbeit der Verf. durchgeführt.
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Abb. 3. Karte der Britischen Inseln mit wichtigen Regionen und Fundorten. 1 Buckland Dover; 2 Buckland Dover 1994; 3 Mill Hill, Deal; 4 Apple Down; 5 Alton; 6 Andover; 7 Worthy Park; 8 Abingdon; 9 Berinsfield; 10 Lechlade; 11 Beckford B; 12 Barrington A; 13 Great Chesterford; 14 Westgarth Gardens; 15 Snape; 16 Morning Thorpe; 17 Bergh Apton; 18 Spong Hill; 19 Empingham II; 20 Sewerby; 21 West Heslerton; 22 Norton
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Abb. 4. Stil I in Gräbern mit Altersbestimmung der Skelette, Verteilung auf die Altersgruppen in den drei Hauptregionen (vgl. Anm. 1)
zeichnen, können die Höfe doch auch zu verschiedenen Siedlungen gehört haben. Weitere Berechnungen ergeben ein ungefähres Bild von der Häufigkeit von Stil I. Stil I im weiteren Sinne kommt im anglischen Gebiet auf ungefähr jedem zweiten Bauernhof vor, in Kent ist er etwas häufiger. Er ist damit in sozialer Hinsicht sehr weit verbreitet. Auf der anderen Seite sieht es so aus, als ob es selten mehr als ein bis vier Höfe mit Stil I in einer Siedlung gab – auch dann, wenn die Siedlung etwas größer war. Ein Vergleich mit der Häufigkeit von Fibeln insgesamt zeigt, dass es im anglischen Gebiet durchschnittlich mehr als zwei Fibeln pro Haushalt oder
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Bauernhof gab, aber in Kent weniger. Zusammen mit dem Vorkommen von Stil I insgesamt bedeutet dies, dass bei den Angeln etwa jede vierte fibeltragende Person Fibeln mit Stil-I-Ornamentik besaß. Im Vergleich dazu besaßen fast drei Viertel der Fibelträger in Kent Fibeln mit Stil-I-Ornamentik. In Empingham II, das ein gutes Beispiel darstellt, bestatteten wahrscheinlich etwa vier Bauernhöfe. Die Gräber mit Stil I verteilen sich – von einer Ausnahme abgesehen – auf zwei getrennte Gruppen (Abb. 5). In jeder der beiden Gruppen gibt es einige Gräber mit Stil I, die während einer etwas längeren Zeit beerdigt wurden. In einem Grab ist eine Frau mit relativ reichen Beigaben, unter anderem auch mit Stil I, zusammen mit einem halbwüchsigen Mädchen (ihrer Tochter?) beerdigt worden. Das Mädchen besaß ebenfalls umfangreiche Beigaben, aber die Schmucksachen waren nicht im Stil I verziert. In einem separierten, wohl relativ späten Frauengrab mit Stil I ist eine junge Frau zusammen mit einem Kleinkind beerdigt worden; die Fibel im Stil I lag zusammen mit anderen Schmucksachen in einem Beutel. Das bestätigt Vermutungen, dass Stil I auf bestimmte Familien und fast ausschließlich auf erwachsene Frauen beschränkt war, die bereits Kinder geboren hatten. Das Vorkommen eines Schildbuckels mit frühem Stil I in einer Gruppe lässt es wahrscheinlich werden, dass Stil I – wenngleich selten – auch Männern derselben Familien zukam. Generell gab es im anglischen Gebiet in jedem Bauernhof bzw. Haushalt mehrere Frauen mit Fibeln. Einige Haushalte, im Durchschnitt höchstens vier Höfe pro Siedlung, besaßen Gegenstände im Stil I – meistens auf Fibeln, aber auch auf Ärmelhaken oder seltener auf Waffen. Die Fibeltypen sind sämtlich Weiterentwicklungen „skandinavischer“ Fibeltypen. Stil I war vermutlich erwachsenen, verheirateten Frauen, die vielleicht auch Mütter waren, vorbehalten. In Kent gab es im Vergleich dazu relativ wenige Frauen mit Fibeln – oft nur eine pro Haushalt oder Bauernhof, dann aber oft im Stil I. Das könnte bedeuten, dass in den Haushalten in Kent die „erste“ Frau des Hofes die Besitzerin sowohl von Fibeln als auch von Stil I war. Die Fibeltypen wurden mit der Zeit immer mehr vom Kontinent angeregt. Damit waren sozusagen Fibeln und Stil I die Symbole der Frau des pater familias in den Bauernhöfen Kents. Im anglischen Gebiet bezeichneten die Fibeln dagegen eine größere Anzahl von Frauen, nicht nur die Frau des pater familias. Und Stil I kam in Kent zwar seltener vor, aber oft auf mehreren Bauernhöfen pro Siedlung, wo Stil I dann wohl die Frau des pater familias charakterisierte. Wie Stil I bei Männern zu interpretieren ist, ist weniger klar. Am häufigsten sieht man Stil I auf Schilden, obwohl – hauptsächlich im südlichen und südöstlichen Britannien – auch eine Reihe von Schwertern Stil I trug.
Abb. 5. Empingham II, Rutland, Lage der Gräber mit Stil I. Die Objekte sind alle in gleichem Maßstab dargestellt (nach Timby, Empingham II [Anm. 14] mit Ergänzungen)
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Schilde mit Stil I sind im anglischen Gebiet am häufigsten,17 und sie wurden meist in Gräbern „reifer“ Männer (über 30 Jahren) gefunden. Bisher gibt es höchstens ein Exemplar pro Gräberfeld. Auch wenn die Gräber nicht besonders reich ausgestattet sind, gibt es trotzdem Grund zu der Annahme, dass diese Gräber in der lokalen Gesellschaft auffielen.18 Sowohl in Kent als auch im anglischen Gebiet findet sich, bei allem Vorbehalt gegenüber den hier angestellten Berechnungen, Stil I bei einem großen Teil der Bevölkerung, und wahrscheinlich handelt es sich dabei oft um die Frauen der patres familiae – jedenfalls um Frauen, die ein gewisses Alter erreicht und wohl zumindest die erste Geburt überlebt hatten. Die Frauen wurde sozusagen zu „Traditionsträgerinnen“: in Kent war es allein die Frau des pater familias, wenn sie sowohl Fibeln als auch solche im Stil I besaß, und für das anglische Gebiet erscheint es möglich, dass nicht nur Frauen mit Objekten im Stil I, sondern auch die übrigen fibeltragenden Frauen dazu zählten, weil die Fibelformen dort konservativer ausfielen. Der Unterschied zwischen Kent und dem anglischen Gebiet mag andeuten, dass in Kent die Familienstrukturen wahrscheinlich etwas hierarchischer waren; die Fibeltypen weisen darauf hin, dass Kent im allgemeinen sehr viel mehr Kontakte zum Kontinent unterhielt. Die relativ lange Entwicklungsgeschichte von Stil I stimmt mit der Rolle des Tierstils I in den Familienhaushalten im angelsächsischen Gebiet überein. Stil I repräsentiert nicht einen Horizont in der politischen Geschichte, er symbolisiert eher die Frauen der patres familiae, der Häupter der Abstammungsgruppen oder Sippen. Und damit symbolisiert Stil I wohl die „genealogische“ Linie über die Frauen als Traditionsträgerinnen zurück zu den Herkunftsregionen.
Brandgräber Die oben genannte Diskussion bezieht sich allein auf die Körpergräber. Besonders im anglischen Gebiet gibt es eine große Zahl von Brandgräbern, die auf diese Weise nicht berücksichtigt sind und bereits eine gänzlich andere Welt kennzeichnen. An dieser Stelle mögen einige wenige Kommentare genügen. Generell sind Beigaben auf Brandgräberfeldern unterrepräsentiert, aber unter Berücksichtigung von Spong Hill19 ist es wahrscheinlich, 17 18 19
Dickinson, Symbols of Protection (Anm. 12) 113 Fig. 1, 144. Dickinson, Symbols of Protection (Anm. 12) 144–145. Catherine Hills, The Anglo-Saxon cemetery at Spong Hill, North Elmham I. Catalogue of cremations, nos. 20–64 and 1000–1690. East Anglian Archaeology 6 (Gressenhall 1977);
309
Stil II als Spiegel einer Elitenidentität?
dass auch diese Bevölkerungsgruppe dieselben Symbole benutzte, da man auch dort beispielsweise Ärmelhaken und Fibeln mit Stil I findet. Tab. 1. Relative Verteilung von Glas, Stil I und Fibeln in Kent, Cambridgeshire/Suffolk, Norfolk und auf dem Brandgräberfeld Spong Hill (vgl. Anm. 1; Hills et al., Spong Hill I, II, IV, V [Anm. 14 und 19]) Anzahl der Bestattungen
Gläser (%)
Stil I (%)
Fibeln (%)
Kent
492
5
9
14
Cambridgeshire/Suffolk
431
1,4
5
18
Norfolk
485
0,2
5
28
Spong Hill, Brandgräberfeld
2465
8
0,6
5
Zu Vergleichszwecken sind hier dieselben Berechnungen für die (rund 2500) Brandgräber von Spong Hill durchgeführt worden (Tab. 1). Fibeln kommen nur in 5 % der Gräber vor. Funde im Stil I stammen aus lediglich 0,6 % der Gräber und damit nur aus etwa 5 % der Bauernhöfe. Stil I ist dort also sehr selten. Gläser dagegen sind viel häufiger. In Kent, wo die meisten angelsächsischen Gläser gefunden wurden, kommen Glasgefäße in etwa 5 % der Gräber vor, während sie im Brandgräberfeld von Spong Hill in 8 % der Gräber gefunden wurden. Zum Vergleich sei angeführt, dass in Cambridgeshire und Suffolk nur 1,4 % sowie in Norfolk, wozu auch Spong Hill gehört, nur 0,2 % der Gräber Glasbeigaben besaßen. Oft wird der Unterschied zwischen Brand- und Körpergräbern in Spong Hill als soziale Differenz interpretiert:20 die Körperbestattungen seien einer Elite zuzuschreiben, die sich im Laufe der Zeit entwickelte und auf bestimmte Art und Weise Abstand zu alten Tradition demonstrieren wollte. Diese Interpretation wäre allerdings zu überdenken. Es sieht eher so aus, als ob es unterschiedliche rituelle Traditionen in der anglischen Gesellschaft, aber davon abgesehen wahrscheinlich dieselbe materielle Kultur und Reichtum gab –
20
dies./Kenneth Penn, The Anglo-Saxon cemetery at Spong Hill, North Elmham II. Catalogue of cremations, nos. 22, 41 and 1691–2285. East Anglian Archaeology 11 (Gressenhall 1981); dies./Kenneth Penn/Robert Rickett, The Anglo-Saxon cemetery at Spong Hill, North Elmham IV. Catalogue of cremations, nos 30–2, 42, 44A, 46, 65–6, 2286–799, 2224 and 3325. East Anglian Archaeology 34 (Gressenhall 1987); dies./Kenneth Penn/Robert Rickett, The Anglo-Saxon cemetery at Spong Hill, North Elmham V. Catalogue of cremations (nos. 2800–3334). East Anglian Archaeology 67 (Gressenhall 1994). Mads Ravn, Death ritual and Germanic social structure (c. AD 200–600). British Archaeological Reports, International Series 1164 (Oxford 2003) 127–128; Christopher Scull, Archaeology, early Anglo-Saxon Society and the Origins of Anglo-Saxon Kingdoms. Anglo-Saxon Studies in Archaeology and History 6, 1993, 65–82, hier 75–76.
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wenn nicht sogar, wie die Glasbeigaben andeuten könnten, der Reichtum auf den Brandgräberfeldern größer war als bei den Körperbestattungen.
Stil II Im anglischen Gebiet fand Stil I sein Ende im frühen 7. Jahrhundert. Bereits im letzten Drittel des 6. Jahrhunderts tauchte Stil II auf, nun aber in einem völlig anderen Kontext und nur in geringer Anzahl. Stil II spiegelt dort wahrscheinlich direkte Kontakte nach Skandinavien wider, was bereits in verschiedenen Studien als Interpretation vorgeschlagen worden ist.21 Von zentraler Bedeutung für diese Ansicht sind selbstverständlich die reichen Funde von Sutton Hoo. Bereits früher wurden für Kent und das anglische Gebiet zwei verschiedene Wege der Einführung und Weiterentwicklung von Stil II belegt.22
East Anglia Von den oben im Hinblick auf Stil I diskutierten Gebieten sind Suffolk und Cambrigeshire von besonderer Bedeutung für die Untersuchung von Stil II. Obwohl dieser Raum den Südostteil des anglischen Gebiets im weiteren Sinne darstellt, ähnelt er in einer Reihe von Merkmalen eher den Verhältnissen in Kent. Wie in Kent gibt es relativ viele Gläser und wenig Fibeln. Objekte im Stil I sind etwas seltener, dafür gibt es häufiger Pferdegeschirr.23 Im Vergleich zum übrigen anglischen Gebiet scheinen Suffolk und Cambridgeshire damit ungewöhnlich zu sein. Die Qualität von Stil I auf großen Bügelfibeln und Ärmelhaken ist – wenn auch lediglich subjektiv gesehen24 –
21
22 23
24
Rupert Bruce-Mitford, The Sutton Hoo Ship-burial. Comments and general interpretation. In: ders. (ed.), Aspects of Anglo Saxon Archaeology. Sutton Hoo and other discoveries (London 1974) 1–72; Høilund Nielsen, Style II and the Anglo-Saxon Élite (Anm. 7) 187–188; George Speake, Anglo-Saxon Art and its Germanic Background (Oxford 1980) 94–95. Høilund Nielsen, Style II and the Anglo-Saxon Élite (Anm. 7) 186–192. Dickinson et al., An early Anglo-Saxon bridle fitting (Anm. 12); Fern, The archaeological evidence for equestrianism (Anm. 12); Steven Plunkett, Suffolk in Anglo-Saxon times (Stroud 2005) 51–52. Vgl. die Abb. bei John Hines, Clasps, hektespenner, agraffen. Anglo-Scandinavian clasps of classes A–C of the 3rd to 6th centuries A.D. Typology, diffusion and function. Kungl. Vitterhets Historie och Antikvitets Akademien (Stockholm 1993); ders., A new corpus (Anm. 13).
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oft sehr hoch, und es gibt dort auch große Bügelfibeln aus Silber.25 Bügelfibeln verwendete man dort wohl auch länger als in Kent. Es ist bereits oben darauf hingewiesen worden, dass Stil I nur ausnahmsweise auf Waffen vorkommt. Wenn dies der Fall ist, dann gehört vor allem das anglische Gebiet dazu. Besonders zu erwähnen sind einige Schildbeschläge von Tranmer,26 nur 500 m von Sutton Hoo entfernt27, die am Übergang zu Stil II stehen und etwas früher als die Gräber von Sutton Hoo zu datieren sind.28 Funde wie Pakefield29 und Snape30 bezeugen, dass es schon früh Familien mit herausragender Position oder Reichtum gab. Auf dem Gräberfeld von Snape gab es einerseits ein beraubtes Bootsgrab mit einzelnen sehr reichen Beigaben (Goldring mit Gemme wie in Krefeld-Gellep, Grab 1782), andererseits auch einige Gräber mit Fibeln und Ärmelhaken im Stil I. In Suffolk und Cambridgeshire existierte offenbar bereits ein hoher Standard des Kunsthandwerkes und von dessen Symbolsprache; man stand im Tierstil verzierten Waffen und Pferdegeschirren nicht fremd gegenüber. Obwohl die Auswahl der materiellen, symbolisch aufgeladenen Kultur in dieser Gegend sehr anglisch war, scheint die soziale Struktur eher von Kent beeinflusst gewesen zu sein. Die lange Existenz von Stil I – ohne oder nur mit wenig „Degeneration“ –, das Festhalten an skandinavischen Schmuckformen und Stilen, das Vorkommen von Bootsgräbern und Pferde(-geschirr) lassen darauf schließen, dass man an einem skandinavischen Hintergrund festhielt und vielleicht auch kontinuierliche Kontakte unterhielt. Vor diesem Hintergrund ist das Auftauchen des skandinavischen Stils II zu sehen. Stil II verteilt sich im anglischen Gebiet auf drei Gruppen31: 1. gibt es einige skandinavische Importstücke, die alle aus Sutton Hoo stammen; 2. existiert eine Reihe von Funden, die offensichtlich auf der Basis des skandinavischen Stils II weiterentwickelt worden sind (in zwei Stufen zu untertei-
25 26 27
28 29
30
31
Plunkett, Suffolk in Anglo-Saxon times (Anm. 23) 45. Die Funde wurden auch in Current Archaeology 180, 2002, 498–505, vorgelegt. Martin O. H. Carver, Sutton Hoo. A seventh-century princely burial ground and its context. Reports of the Research Committee of the Society of Antiquaries of London 69 (London 2005) 483–487. Dickinson, Symbols of Protection (Anm. 12) 119 Abb. 4c–e. Scull, Archaeology (Anm. 20) 76; Helen Geake, The Use of Grave-Goods in ConversionPeriod England c.600–850. British Archaeological Reports, British Series, 261 (Oxford 1997) 179. William Filmer-Sankey, Snape Anglo-Saxon Cemetery. The Current State of Knowledge. In: Martin O. H. Carver (ed.), The Age of Sutton Hoo. The Seventh Century in northwestern Europe (Woodbridge 1992) 39–51, hier 50; Filmer-Sankey/Pestell, Snape AngloSaxon cemetery (Anm. 14); Geake, Use of Grave-Goods (Anm. 29) 180. Vgl. Høilund Nielsen, Style II and the Anglo-Saxon elite (Anm. 7).
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len) und die sich deutlich von Stil II in Kent unterscheiden; 3. lässt sich schließlich eine spätere Weiterentwicklung feststellen, die sowohl auf Metallobjekten wie in den Evangeliaren der klösterlichen Skriptorien vorkommt.
Sutton Hoo Den Mittelpunkt des anglischen Stils II stellen die Funde von Sutton Hoo in Suffolk dar.32 Dieses Gräberfeld wurde wahrscheinlich erst am Ende des 6. Jahrhunderts angelegt; damit gab es keine Kontinuität zurück in die Vergangenheit und auch nicht zurück zum alten Stil I oder den damit verknüpften Fibeln, Ärmelhaken, Waffen oder Pferdegeschirren. Außerdem handelt es sich um ein Hügelgräberfeld, das auch wegen seiner Monumentalität außergewöhnlich ist. Mindestens drei Gräber enthielten Beigaben, die im Stil II verziert sind. Hügelgrab 2 und Hügelgrab 17 datiert man „um 600“ und Hügelgrab 1 „um 625“. Hügelgrab 1 enthielt sowohl Objekte im ältesten, skandinavischen Stil II als auch Gegenstände, die in der sehr späten, mit den Evangeliaren verknüpften Version des anglischen Stils II verziert sind. Hügelgrab 2 und Hügelgrab 17 enthalten beide Gegenstände im anglischen Stil II. Bei neuen Untersuchungen von Hügelgrab 2 sind jedoch Fragmente von Trinkhornbeschlägen mit denselben Ornamenten wie die von Hügelgrab 1 entdeckt worden.33 Damit kamen wohl auch in diesem Grab skandinavische Gegenstände vor, zusammen mit zwei scheibenförmigen Beschlägen im anglischen Stil II. Hügelgrab 17 enthielt vor allem ein Pferdegeschirr im anglischen Stil II. Die skandinavischen „Importe“, der Schild (Hügelgrab 1) (Abb. 6) und die Trinkhörner (Hügelgräber 1 und 2), gehören wohl in die frühe zweite Hälfte des 6. Jahrhunderts. Die Gegenstände sind jedoch später repariert oder einige Teile hinzugefügt worden. Es ist möglich, dass die Gegenstände als Geschenke eines skandinavischen Königs angesehen werden können. Bei der großen Goldschnalle ist es aber eine offene Frage, wo sie hergestellt worden war. Stilistisch besitzen die Ornamente auf dem Beschlag nur Parallelen in Skandinavien – abgesehen von einem kleinen Tierornament, das 32
33
Rupert Bruce-Mitford, The Sutton Hoo Ship-Burial 1. Excavation, background, the ship, dating and inventory (London 1975); ders., The Suttton Hoo Ship-Burial 2. Arms, armour and regalia (London 1978); ders., The Sutton Hoo Ship-Burial 3. Late Roman and Byzantine silver, hanging-bowls, drinking vessels, cauldrons and other containers, textiles, the lyre, pottery bottle and other items (London 1983); Carver, Sutton Hoo (Anm. 27). Angela Evans, Seventh-century assemblages. In: Martin O. H. Carver, Sutton Hoo. A seventh-century princely burial ground and its context. Reports of the Research Committee of the Society of Antiquaries of London 69 (London 2005) 201–282, hier 256–258.
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Abb. 6. Schildbuckelbeschläge aus dem Hügelgrab I von Sutton Hoo, Details des Tierstil II. – M. 1:1 (nach Bruce-Mitford, Sutton Hoo 2 [Anm. 32])
aus England bekannt ist. Reliquiarschnallen sind in Skandinavien unbekannt, und die Ornamente auf dem Bügel sind in Kombination mit den Ornamenten auf dem Beschlag auch nicht typisch skandinavisch. Die Frage ist also, ob man hier von einem skandinavischen Handwerker ausgehen kann, der nach Suffolk geschickt wurde. Die anglische Weiterentwicklung von Stil II würde für die Anwesenheit eines oder mehrerer skandinavischer Handwerker sprechen. Diese Entwicklung dürfte im königsnahen Milieu East Anglias stattgefunden haben. In den verschiedenen Fundgruppen von Hügelgrab 1 kann man Verbindungen nach Skandinavien an den Waffen (Schild und Helm und wohl auch die große Goldschnalle) und am Trinkgeschirr (Trinkhörner) erkennen. Schwert und Schwertgurt sowie die Münzen zeigen Verbindungen
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zum Frankenreich oder eine Beeinflussung von dort, obwohl fränkische Schwerter auch in Skandinavien verbreitet sind. Silberschalen und Löffel zeigen einen recht diskreten christlichen Zusammenhang,34 die Silbertabletts sind etwas älter und stammen aus dem östlichen Mittelmeerraum. Die großen Steinbarren, der eiserne Ständer, die eiserne Lampe, einige der hölzernen Kleingefäße und das Hängegefäß sind Beispiele angelsächsischen Kulturguts. Die Schulterbeschläge sind vom Typ her eigentlich römisch, aber stilistisch gesehen bilden sie mit der Tasche, der Leier und einigen der hölzernen Kleingefäße ein Ensemble, in dem man anglische Weiterentwicklungen des Stils II sieht. Generell spiegeln die dem Verstorbenen beigegebenen Gegenstände mit Symbolwert einen Bezug nach Skandinavien wider, sei er nun tatsächlich vorhanden oder lediglich vorgeschützt worden. Die Hauptgefäße des Trinkgeschirrs stellen skandinavische Trinkhörner dar, obwohl Trinkhörner und die damit verbundenen Trinkgebräuche auch in den angelsächsischen Gesellschaften zu Hause waren. Die nicht vorhandene Kontinuität des Gräberfeldes in die Vergangenheit, die Errichtung von Grabhügeln, die neue, symbolisch aufgeladene materielle Kultur und die skandinavischen Verbindungen machen deutlich, dass man hier mit einer Abstammungsgruppe zu rechnen hat, die sich gleichzeitig mit der Anlage des Gräberfelds wohl auch politisch manifestiert und als königliche Familie etabliert hatte – und die sich durch skandinavische Symbole legitimierte. Die Bevölkerung hatte zuvor meist am skandinavischen Stil I und entsprechendem Schmuck festgehalten; es könnte sein, dass diese noch so auf ihre „skandinavische“ Heimat bezogen war, dass eine neue Führungsschicht einfach eine „skandinavische“ Entstehung – eine „skandinavische“ Genealogie – mit Hilfe eines skandinavischen Symbolguts behauptet hat (sei sie tatsächlich vorhanden oder lediglich vorgeschützt gewesen), um Position und Macht zu erwerben bzw. ihren Anspruch auf soziale Spitzenpositionen zu legitimieren.
Das anglische Gebiet im allgemeinen Von Sutton Hoo abgesehen, gibt es bisher keine anderen Import-Funde im skandinavischen Stil II. Die anglische Weiterentwicklung von Stil II verbreitete sich aber in der anglischen Umgebung. Das Hügelgrab von Caenby, Lincolnshire, wurde 1850 gefunden und enthält eine Reihe von runden und axtförmigen Beschlägen im Stil II (Abb. 7) für ein Kästchen, 34
Joachim Werner, A Review of The Sutton Hoo Ship Burial 3. Some remarks, thoughts and proposals. Anglo-Saxon Studies in Archaeology and History 5, 1992, 1–24, hier 2–8, 21.
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Abb. 7. Caenby, Lincolnshire, Kästchenbeschläge in Stil II. – M. 1:1 (nach Smith, British Museum guide [Abb. 2])
Fragmente eines Helms mit Pressblechornamentik vom selben Typ wie in Sutton Hoo sowie Mündungsbeschläge für ein Trinkhorn oder ähnliches.35 Funde aus anderen Orten stellen meistens axtförmige Beschläge, oft für Pferdegeschirre, und Modelle für Pressbleche dar. Sie sind in Suffolk, Cambridgeshire, Norfolk und Lincolnshire verbreitet. Bei den meisten handelt es sich um Einzelfunde, aber Beschläge für das Pferdegeschirr deuten aus sich heraus auf eine gewisse Ranghöhe hin.36 Stil II verbreitete sich im anglischen Gebiet kaum auf alttäglicheren Gegenständen – die wenige Ausnahmen sind zeitlich spät anzusetzen. Auf lange bestehenden Gräberfeldern, die in das 6. Jahrhundert zurückreichen, ist bisher nichts im Stil II gefunden worden. Stil II scheint daher fast ausschließlich einer kleinen Gruppe hochrangiger Männer zuzuweisen zu sein. Die soziale Zuordnung unterscheidet sich also grundlegend von der des Stils I. Das mit Sutton Hoo zeitgleiche Fundmaterial ist begrenzt und die Anzahl der Gräber relativ klein. Frauengräber sind oft nur durch Perlen zu datieren; die Zahl der Fibeln geht zurück, und die Typen stellen oft entwickelte Spätversionen früherer Formen dar. Dazu kommen vereinzelt 35 36
Geake, Use of grave-goods (Anm. 29) 167. Fern, Archaeological evidence for equestrianism (Anm. 12) 67.
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Scheibenfibeln. Ähnlich verhält es sich mit Männergräbern. Die vorhandenen Typen wurden weiterentwickelt, die Anzahl der Gräber ging immer weiter zurück. Umfängliche, eine breite Bevölkerung kennzeichnende Grabausstattungen kamen allmählich aus der Mode, während sich die Sachkultur im Allgemeinen nur wenig änderte. Wohl in den Jahrzehnten nach der Anlage des Grabes 1 von Sutton Hoo änderte sich die Sachkultur grundlegend. Nur wenige Gräber wurden überhaupt ausgestattet, und die Gräberfelder besaßen vergleichsweise wenige Bestattungen. Die Ausstattung der Frauen besteht oft aus Nadeln, die durch eine Kette miteinander verbunden waren, Anhängern, Kolliers von Drahtringen und einigen Perlen besonderer Typen, alles oft aus Gold, Silber und Edelsteinen – und meist in einem antik-klassisch-byzantinischen Stil.37 Vereinzelte, große und kompliziert gefertigte Scheibenfibeln tauchen gelegentlich auf. Männergräber enthalten sehr hohe Schildbuckel von Typen, die man auch auf dem Kontinent kennt, relativ große Lanzen und Speere sowie Saxe und Schwerter. Manche der Breitsaxe stammen vom Kontinent; ab und zu wurden auch Scheide und Gürtel von dort bezogen. Sie wurden bislang oft in der Nähe gleichzeitiger Handelszentren wie Ipswich gefunden.38 Das bedeutet, dass die säkulare anglische Gesellschaft in der Mitte und der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts ihre Anregungen nicht mehr in Skandinavien suchte, sondern in der klassisch-byzantinischen Welt und bei ihrem nächsten Nachbarn auf dem Kontinent – den Franken –, auch wenn der klassische Stil zumindest teilweise auf Altmaterial aus der römische Vergangenheit Britanniens zurückgehen sollte.39 Diese Entwicklung fand überall im angelsächsischen Britannien statt. Dieses Bild verstärkt den Eindruck, dass Stil II kurzfristig als elitärer Stil benutzt wurde, um die Machtverhältnisse im anglischen Gebiet zu verändern. Er wurde nur solange benutzt, bis sich entweder die Macht stabilisiert hatte oder bis die Symbole keinen Anklang mehr in der Bevölkerung fanden. Man muss dabei berücksichtigen, dass gerade zu dieser Zeit die Gegend christianisiert wurde und die Könige deshalb ihre Machtpositionen wohl vor allem durch christliche Symbole zum Ausdruck brachten. 37
38
39
Geake, Use of grave-goods (Anm. 29); ders., Invisible kingdoms. The use of grave-goods in seventh-century England. Anglo-Saxon Studies in Archaeology and History 10, 1999, 203–215. Christopher Scull/Alex Bayliss, Radiocarbon dating and Anglo-Saxon graves. In: Uta v. Freeden/Ursula Koch/Alfried Wieczorek (Hrsg.), Völker an Nord und Ostsee und die Franken. Kolloquien zur Vor- und Frühgeschichte 3 = Mannheimer Geschichtsblätter NF, Beiheft 2 (Bonn 1999) 39–50, hier 41. Geake, Use of grave-goods (Anm. 29) 121–122.
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Abb. 8. Taplow, Buckinghamshire, im Tierstil II verzierte Pressblechbeschläge eines Holzgefäßes. – M. 1:1 (nach Smith, British Museum guide [Abb. 2])
Vergleich mit den südöstlichen Gebieten Britanniens Außerhalb des anglischen Gebiets besaß nur Kent einen größeren Anteil an Stil II. Stilistisch ähnelt dort Stil II sehr viel mehr jenem Stil II, den man bei Franken und Alemannen findet40, und oft wurde der Stil auf kontinentalen Typen verwendet – zum Beispiel an Gürtelschnallen mit dreieckigem Beschlag. Der kentische Stil II degenerierte schnell, und es sieht so aus, als ob die Form der Gegenstände wichtiger als der jeweils auf ihnen applizierte Stil gewesen wäre. In Kent blieb Stil II nicht auf Objekte einer Männerwelt beschränkt, sondern findet sich auch auf von Frauen getragenen Fibeln und Anhängern. Auf den Fibeln übernahm Stil II lediglich die Rolle von Stil I – es handelte sich also eigentlich um einen Modewechsel. Es gibt eine Reihe reicher Gräber, von denen mehrere Objekte des kentischen Stils II enthalten und die eine Gruppe elitärer Gräber bilden. Sie liegen sämtlich im „Grenzgebiet“ zwischen kentischen und anglischen Interessensphären – in Taplow, Broomfield, Prittlewell.41 Alle drei sind Kammergräber unter Hügeln und gehören in die Zeit um 600 oder kurz danach. Keines der drei Gräber erreicht das Ausstattungsniveau von Grab 1 in Sutton Hoo, aber sie gehören dennoch gewissermaßen „zur Familie“. Die Bestattung von Broomfield erscheint nicht ganz so reich wie die beiden anderen Gräber, und sie enthält anscheinend kein im Tierstil verziertes Objekt. Der Stil II auf den Trinkhörnern und den hölzernen Gefäßen aus Prittlewell und Taplow gehört zur kentischen Version (Abb. 8). Bei den Trinkhörnern von Taplow sind die Originalbeschläge im Stil I verziert und die Beschläge im Stil II erst später sekundär hinzugefügt worden. Die übri-
40 41
Høilund Nielsen, Style II and the Anglo-Saxon Elite (Anm. 7) 199. Geake, Use of grave-goods (Anm. 29) 146 und 151 mit weiteren Hinweisen; Sue Hirst, Prittlewell Prince. The discovery of a rich Anglo-Saxon burial in Essex. Museum of London Archaeology Service (London 2004). Vgl. Den Beitrag von Lyn Blackmore in diesem Band.
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gen Grabbeigaben sind entweder lokale Typen, von einer kontinentalen Form oder stammen aus dem östlichen Mittelmeerraum. Obwohl die drei genannten Gräber zum königsnahen Umfeld in Kent, Buckinghamshire und Essex gehören, liegen sie an der Peripherie von Kent, und dort wurden anscheinend keine skandinavischen „Wurzeln“ zur symbolischen Legitimation der Macht instrumentalisiert.
Der historische Rahmen Der Stil-II-Horizont ist ungefähr gleichzeitig mit dem Erscheinen angelsächsischer Könige auf der historischen Bühne und der „Bekehrung“ der Angelsachsen. Diese Entwicklung begann zuerst in Kent mit seinen engen Kontakten zum Kontinent. Æthelbert war König bis seinem Tod im Jahre 616 und ab 592 auch Oberkönig.42 Die Schwester Æthelberts war mit Sledd in Essex verheiratet, und Æthelbert versuchte wahrscheinlich, eine kentische Expansion nach Essex zu unternehmen; er hatte dort wohl Sledd zur Macht geholfen, aber erst Sledds Sohn Sabert wurde von Æthelbert bekehrt.43 Auch über East Anglia hatte Æthelbert die Oberhoheit gefordert; er versuchte, Rædwald, einen der Wuffinge, zu bekehren, aber Rædwald besaß trotzdem den Oberbefehl über seine Streitkräfte und folgte später Æthelbert als Oberkönig nach.44 Das sogenannte Tribal Hidage deutet an, dass East Anglia im 7. Jahrhundert eine politische Einheit bildete45, und spätere Quellen berichten, dass die Wuffinge ab 571 East Anglia regierten46 und dass eine dauerhafte überregionale Königsherrschaft in East Anglia erst mit den Wuffingen entstand.47 Möglicherweise spielt auch das Beowulf-Epos eine Rolle. Man hat vorgeschlagen, die dort präsentierte Genealogie mit der Genealogie der Wuffinge in East Anglia zu verknüpfen und damit den Wuffingen eine mythologische Herkunft aus Südskandinavien zu verschaffen.48 Dabei haben die Wuffinge sowohl genealogisch als auch symbolisch an das südskandinavische Königshaus angeknüpft – stilistisch und mythologisch. 42 43 44 45
46 47 48
Barbara Yorke, Kings and kingdoms of early Anglo-Saxon England (London 1990) 28. Yorke, Kings and Kingdoms (Anm. 42) 28, 46–47. Yorke, Kings and Kingdoms (Anm. 42) 62. Christopher Scull, Before Sutton Hoo. Structures of Power and Society in Early East Anglia. In: Martin O. H. Carver (ed). The Age of Sutton Hoo. The Seventh Century in northwestern Europe (Woodbridge 1992) 3–23, hier 3; ders., Archaeology (Anm. 20) 67. Scull, Before Sutton Hoo (Anm. 45) 5. Scull, Archaeology (Anm. 20) 79. Sam Newton, The Origins of Beowulf and the Pre-Viking Kingdom of East Anglia (Cambridge 1993) 77, 81–82, 133.
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Abb. 9. Schwertknauf von Crundale, Kent, Beispiel der MS-Stufe von Tierstil II. – M. 1:1 (nach Smith, British Museum guide [Abb. 2])
Nachfolger von Stil II Da Stil II keine breite Anerkennung erhielt, würde man erwarten, dass diese Symbolsprache nur kurze Zeit überlebte – nämlich nur so lange, wie es notwendig war, um das anglische Königshaus zu etablieren. Es verhielt sich aber anders. Schon vor der Errichtung von Grab 1 in Sutton Hoo wurde Stil II zu einer Version weiterentwickelt, die man auf den Schulterbeschlägen und zum Teil auch auf der Tasche von Grab 1 sieht – „Manuskript-Stil“ II (MS) genannt.49 Aus diesem entwickelten sich später jene Tierstile, wie man sie z. B. vom Lindisfarne-Evangeliar kennt. Zur MS-Stufe von Stil II (Abb. 9) gehört nur eine kleine Anzahl von Metallobjekten, die aber erheblich weiter verbreitet waren als der anglische Stil II – von Kent bis ins heutige Schottland.50 Relativ oft findet man aber diesen Stil auf der Rückseite von Objekten, die auf der Schauseite in einem ganz anderen Stil verziert sind. Außerdem gehört der Tierstil des DurrowEvangeliars und einiger verwandter Evangeliare ebenso zu dieser Stilstufe. Die kleine Goldtafel von Bamburgh, dem Kloster Lindisfarne direkt gegenüber, und das ein wenig weiter westlich gelegene Yeavering, ein anglo-britischer Zentralort51, gehören ebenfalls zu dieser Stufe. Zusammen mit den Evangeliaren reflektiert sie gewissermaßen die Zukunft des Tierstils – den Wechsel vom säkularen hin zum sakralen Bereich.52
49 50 51
52
vgl. Høilund Nielsen, Style II and the Anglo-Saxon Elite (Anm. 7). Høilund Nielsen, Style II and the Anglo-Saxon Élite (Anm. 7) 188–189, 195. Brian Hope-Taylor, Yeavering. An Anglo-British centre of early Northumbria. Department of the Environment, Archaeological Reports 7 (London 1977). Vgl. Geake, Use of Grave-Goods (Anm. 29) 124–125.
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Abb. 10. Gussform vom Klosterareal in Hartlepool, Beispiel der Weiterentwicklung der MS-Phase von Tierstil II. – M. 1:1 (nach Robin Daniels, The Anglo-Saxon monastery at Hartlepool, England. In: Jane Hawkes/Susan Mills [ed.], Northumbria’s golden age [Stroud 1999] 105–112)
Diese MS-Stufe und ihre Weiterentwicklung (Abb. 10) fanden hauptsächlich in Northumbrien statt, wo Edwin im Jahre 616 mit Hilfe Rædwalds das Regiment übernahm und nach dessen Tod auch sein Nachfolger als Oberkönig wurde.53 Northumbrien stand unter dem Einfluss der irischen und der römischen Kirche. Im Jahre 635 wurde Kloster Lindisfarne von dem bedeutenden irischen Mutterkloster Iona in Dalriada gegründet. Auf der königlichen Burg Dunadd in Dalriada, nicht weit von Iona entfernt, hat man Werkstätten ausgegraben, die anglische und irische Gegenstände produziert hatten.54 Es gab also eine handwerkliche und künstlerische Wechselwirkung zwischen Iren und Angeln in Dalriada, und aufgrund der intensiven Kontakte zwischen beiden Klöstern sowie politischer Beziehungen wurden Northumbrien und seine nördlichen Nachbarn ein Schmelztiegel für das anglo-irische Kunsthandwerk – besonders in den Klöstern, aber mit Ausläufern im irischen Schmuckhandwerk.55 Die Evangeliare von Durrow, Durham, Köln und, etwas später, Lindisfarne sind Beispiele klösterlicher Produkte in dieser frühen Blütezeit anglo-irischer Kunst.
Zusammenfassung Der anglische Stil II existierte nur kurze Zeit, und er schmückte nur eine relativ kleine Anzahl von Objekten einer „Männerwelt“. Trotzdem besaß er große Bedeutung für die Etablierung der anglischen Könige. Stil II spiegelte eine skandinavische Elitenidentität wider, die offensichtlich benötigt wurde, um die Machtposition der Wuffinge zu legitimieren, so wie diese ihre Posi53 54
55
Yorke, Kings and Kingdoms (Anm. 42) 77–78. Ewan Campbell/Alan Lane, Celtic and Germanic interaction in Dalriada. The seventhcentury metalworking site at Dunadd. In: R. Michael Spearman/John Higgitt (ed.), The Age of Migrating Ideas. Early Medieval Art in Northern Britain and Ireland (Stroud 1993) 52–63, hier 54–60. Campbell/Lane, Celtic and Germanic interaction (Anm. 54) 61–62.
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tion auch genealogisch untermauerten. In dieser Weise kontrastieren Stil I und Stil II. Stil I entwickelte sich in Britannien zum Symbol einer skandinavischen Herkunft für einen großen Teil der eingewanderten angelsächsischen Bauernfamilien – und mit Frauen als den Traditionsträgerinnen. Der Bericht Bedas über die Einwanderung von Angeln, Sachsen und Jüten zeigt wohl, dass man sich – vielleicht besonders unter den Angeln – der fremden Herkunft bewusst war; dadurch lässt sich auch die bewusste Wahl eines skandinavischen Stils zur Legitimation neuer Machthaber erklären. Von außen gesehen, gehörte der angelsächsische Stil I, der hauptsächlich mit der weiblichen Sphäre verbunden war und die Herkunft der Bevölkerung symbolisierte, zu einer Gesellschaft mit relativ wenig sozialer Hierarchie, während Stil II auf Waffen und Trinkgeschirr einer „Männerwelt“ eine hierarchischere Gesellschaft widerspiegelte und auf eine Elite bezogen war. Der Stil symbolisierte jetzt nur mehr die „Herkunft“ des Königs. In Kent gab es diesen Kontrast zwischen Stil I und Stil II nicht. Der eine trat einfach in die Fußspuren des anderen. Überall folgte danach der klassisch-byzantinisch inspirierte Stil, und er reflektierte wahrscheinlich die Christianisierung und die Gründung von Königtümern, die zunehmend christlich begründet wurden.56 Man muss sich fragen, ob diese Entwicklung nicht auch ohne Tierstil II und die Machtübernahme der Wuffinge stattgefunden hätte. Was die anglo-irische Kunst betrifft, kam dem anglischen Stil II aber sicher eine fördernde Rolle zu.
Dank Für ständige Inspiration und Hilfsbereitschaft immer dann, wenn mein Wissen sich als allzu unzulänglich erwies, danke ich Tania Dickinson sowie Birte Brugmann, Nancy Edwards, John Hines, Chris Loveluck und Keith Parfitt herzlich.
56
Geake, Invisible kingdoms (Anm. 37) 209–214.
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Zwischen Spätantike und Frühmittelalter – RGA-E Band 57 – Seiten 323–340 Schätze eines angelsächsischen Königs von Essex © 2008 Walter de Gruyter · Berlin · New York
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Schätze eines angelsächsischen Königs von Essex Die Funde aus einem Prunkgrab von Prittlewell und ihr Kontext Lyn Blackmore
Einführung Kleidung, Grab, Ritual, Siedlung, Handwerk, Austausch, Geschichte, Chronologie und Identität – Prittlewell betrifft alle diese Themen der Freiburger Tagung, und noch einige mehr. Während der Schwerpunkt des folgenden Beitrages auf den Artefakten aus der Grabkammer von Prittlewell liegt, werden Fragen an Bestattungsriten, Siedlung und Identität auch im Zentrum der zukünftigen Forschungen an diesem Platz stehen.1 Entdeckt wurde die Fundstelle in Prittlewell während einer archäologischen Untersuchung des Geländes, die von W. S. Atkins im Namen der Gemeinde Southend-on-Sea in Auftrag gegeben und zwischen Oktober und Dezember 2003 vom Museum of London Archaeology Service (MoLAS) durchgeführt wurde. Nach der Ausgrabung wurden bisher nur die für die Erhaltung der Funde nötigen Konservierungsmaßnahmen unternommen, die großzügigerweise von English Heritage finanziert wurden. Da gegenwärtig keine Mittel für die weitere Analyse des Grabfundes zur Verfügung stehen und wir nicht der Endpublikation vorgreifen wollen, handelt es sich bei den folgenden Zeilen um einen sehr knappen Vorbericht mit wenigen Verweisen. Nach der Aufgabe Britanniens durch das Römische Reich im frühen 5. Jahrhundert kehrten große Teile der Bevölkerung wieder zu paganen Kulten zurück. Um das Jahr 596 sandte Papst Gregor jedoch, so berichten übereinstimmend die Angelsächsische Chronik und Beda Venerabilis, Missionare unter Führung des Benediktiners Augustinus (von Canterbury) nach 1
Der Freiburger Vortrag wurde im Namen des Museum of London Archaeology Service (MoLAS) gehalten und verdankt vieles der gemeinsamen Arbeit der Projektgruppe, darunter besonders Ian Blair (Grabungsleiter), Dave Lakin (Projektmanager), Liz Barham und Liz Goodman (Konservatorinnen) sowie Sue Hirst (Redakteurin und Spezialistin für angelsächsische Archäologie) und Andy Chapping (Fotograf).
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England.2 Die Missionare erreichten England 596/597 und trafen sich mit Æthelbert I., dem König von Kent und Herrscher über alle Engländer südlich des Humber.3 Æthelbert, der schon mit einer christlichen fränkischen Prinzessin verheiratet war,4 konvertierte daraufhin zum Christentum und überzeugte seinen Neffen Sabert,5 König der Ostsachsen (Essex), seinem Beispiel zu folgen.6 Im Jahr 604 erbaute Æthelbert in London eine dem Heiligen Paul geweihte Kirche für Bischof Mellitus, der von Augustinus eingesetzt worden war, um bei den Ostsachsen zu predigen.7 616 starb Æthelbert und wurde in Canterbury bestattet. Sabert verstarb ebenfalls um diese Zeit. Über ihn oder seine letzte Ruhestätte ist jedoch fast nichts bekannt,8 und Saberts Platz in der englischen Geschichte ist daher nicht sonderlich prominent. Genau 1400 Jahre nach der Errichtung von St. Paul wurde der MoLAS im Rahmen eines geplanten Straßenbauprojektes mit der archäologischen Untersuchung eines schon bekannten angelsächsischen Gräberfeldes in Prittlewell beauftragt. Prittlewell liegt auf der südöstlichen Seite eines flachen Tales im Norden Southends, wo der Bach Prittle nach Norden abbiegt, um nicht in die Themse, sondern in den Fluss Roach zu münden (Abb. 1). Die ersten Hinweise auf eine angelsächsische Belegung dieses Platzes fanden sich während des Baus der London-Southend-Bahn im Jahr 1887 mit der Entdeckung eines Speeres und anderer Objekte.9 Die Existenz eines angelsächsischen Friedhofes wurde im Laufe von Straßenbauarbeiten im Jahr 1923 erkannt, als weitere frühmittelalterliche Gräber zusammen mit römischen Brandgräbern, einem römischen Bleisarkophag und anderen Hinweisen auf eine römische Belegung des Platzes ans Licht kamen.10 2
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Bertram Colgrave/Roger A. B. Mynors (ed.), Bede’s ecclesiastical history of the English people (1969) 68f.; The Anglo-Saxon Chronicle, ed. Dorothy Whitelock (London 1961) 14. Colgrave/Mynors, Bede’s (Anm. 2) 562f. Barbara Yorke, Kings and kingdoms of early Anglo-Saxon England (London 1990) 28f., 47f. In der Literatur auch Saberht, Saebert, Saeberht und Saebryht genannt. Colgrave/Mynors, Bede’s (Anm. 2) 562f.; The Anglo-Saxon Chronicle (Anm. 2) 15. Colgrave/Mynors, Bede’s (Anm. 2) 142 f. Obwohl vermutet wurde, dass er mit seiner Frau in der Abtei von Thorney Island in Westminster bestattet worden sei (Thomas Wright, The history and topography of Essex [London 1836]), wird dies nicht von Beda erwähnt, und es gibt keine anderen Belege für eine so frühe Kirche am Ort. Susan Tyler, The Anglo-Saxon cemetery at Prittlewell, Essex: an analysis of the grave goods. Essex Archaeology and History 19, 1988, 91–116, hier 91; Helen Geake, The use of grave goods in Conversion-period England c.600–c.850. British Archaeological Reports, British Series 261 (Oxford 1997) 152. William Pollitt, The Roman and Saxon settlements at Southend-on-Sea. Transactions of the Southend-on-Sea District Archaeological Society 12, 1923, 93–141; Tyler, Anglo-Saxon cemetery (Anm. 9) 91.
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Abb. 1. Lage des Fundplatzes (© MoLAS)
Ein auffälliges Merkmal des angelsächsischen Gräberfeldes ist das Vorherrschen männlicher „Kriegergräber“, insgesamt 18 Bestattungen mit Waffen, Schildbuckeln und Schwertern. Weibliche Grabgruppen wurden dagegen nicht gefunden, obwohl vereinzelte Frauengräber während des Eisenbahnbaus im Jahr 1930 im östlichen Abschnitt des Fundplatzes angeschnitten wurden.11 Dies legt die Möglichkeit abgegrenzter Bestattungsareale nahe. Eines der Frauengräber enthielt eine Halskette und zwei Scheibenfibeln
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Pollitt, Settlements (Anm. 10).
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mit zentralen Granateinlagen.12 In zwei weiteren Gräbern fanden sich Anhänger des 6./7. Jahrhunderts in kentischem Stil.13 Verbindungen nach Kent und zum Kontinent sind außerdem durch zwei bikonische Becken fränkischer Herkunft belegt.14 Gemeinsam lassen diese Gräber auf Hochzeiten hochrangiger Frauen aus Kent mit Männern aus Essex schließen und/oder auf kommerzielle Kontakte zwischen diesen beiden Regionen und darüber hinaus.15 Aufgrund dieser Vorkenntnisse war damit zu rechnen, dass während der Untersuchung des MoLAS weitere Gräber auftauchen würden. Dass allerdings ein so außergewöhnliches Grab entdeckt wurde, war eine große Überraschung. In Essex ist mit derjenigen von Broomfield nur eine andere Begräbnisstätte von überdurchschnittlichem Status bekannt;16 eine weitere lag möglicherweise in Rainham.17 Andere vergleichbare und im Folgenden angesprochene Plätze sind Sutton Hoo, Taplow und Cuddesdon, Oxfordshire.18
Das Grab Die MoLAS-Ausgrabung unter der Leitung von Ian Blair begann im späten Oktober 2003 mit der Anlage dreier Schnitte. Die beiden Schnitte im Norden und im Zentrum des Fundplatzes erbrachten die Überreste einiger Grä12
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Die Verzierung ist von Formen aus Kent beeinflusst, kommt aber dennoch nicht in Kent, sondern in East Anglia vor. – Vgl. Vera I. Evison, Anglo-Saxon finds near Rainham, Essex, with a study of glass drinking horns. Archaeologia 96, 1955, 159–96, hier 194; Richard Avent, Anglo-Saxon garnet inlaid disc and composite brooches. British Archaeological Reports 11 (Oxford 1974); Geake, Grave goods (Anm. 9) 152. Evison, Anglo-Saxon finds (Anm. 12) 194; Tyler, Anglo-Saxon cemetery (Anm. 9) 113. Evison, Anglo-Saxon finds (Anm. 12) 194; dies., A corpus of wheel-thrown pottery in Anglo-Saxon graves (Leicester 1979) 16 Abb. 16a, 16b, 26a; Tyler, Anglo-Saxon cemetery (Anm. 9) 114. Tyler, Anglo-Saxon cemetery (Anm. 9) 118; John Wymer/Nigel R. Brown, Excavations at North Shoebury. Settlement and economy in south-east Essex 1500 BC–AD 1500. East Anglian Archaeology 75 (Gressenhall 1995) 163. Charles Read, The exploration of a Saxon grave at Broomfield, Essex. Proceedings of the Society of Antiquaries London 15, 1893–1895; Reginald A. Smith, Anglo-Saxon remains. In: H. Arthur Doubelday/William Page (ed.), Victoria County History of the County of Essex 1 (London 1903) 315–31. Evison, Anglo-Saxon finds (Anm. 12). Sutton Hoo: Rupert L.S. Bruce-Mitford, The Sutton Hoo Ship burial I (London 1975); ders., The Sutton Hoo Ship burial II (London 1978); ders., The Sutton Hoo Ship burial III,1–2 (London 1983). – Taplow: J. Stevens, On the remains found in an Anglo-Saxon tumulus at Taplow, Bucks. Journal of the British Archaeological Association 40, 1884, 61–71. – Cuddesdon: Tania M. Dickinson, Cuddesdon and Dorchester-on-Thames. Two early Saxon „princely“ sites in Wessex. British Archaeologial Reports 1 (Oxford 1974).
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ber, aber nichts Bemerkenswertes. Im südlichen Schnitt tauchte in einem von späteren Eingriffen ungestörten Areal jedoch bald ein angelsächsisches Hängebecken auf (Abb. 2; 3).19 Wenig später wiesen feine dunkle Spuren darauf hin, dass man auf eine ungewöhnlich große, rechteckige Grabgrube gestoßen war, in der sich das Hängebecken noch in situ am Platz seiner ursprünglichen Aufhängung an einem eisernen Haken an der Wand einer abgesenkten Kammer befand. Schnell kamen weitere Gefäße hinzu, die ebenfalls an der Wand der Kammer aufgehängt worden waren, oder auf dem Boden stehend gegen die Wände gelehnt waren (Abb. 4; 5). Die Kammer misst vier Meter im Quadrat, ist 1,4 m tief, und besitzt Boden und Wände aus Holz. Am nördlichen Ende der Kammer war der Leichnam in einem hölzernen Sarg niedergelegt. Vierzehn eiserne Winkelstützen verstärkten den Sarg an den Ecken und fixierten den Deckel; am Boden fanden sich keine derartigen Verstärkungen.20 Wegen des hohen Säuregehaltes des Bodens haben sich weder organische Reste noch menschliche Knochen erhalten. Zwei bronzene ‚Schuhschnallen‘ ließen vermuten, dass die Füße des Toten im Osten lagen. Bestätigt wurde dies durch Reste menschlichen Zahnschmelzes im Erdmaterial am westlichen Ende des Sarges. Nach der Begräbniszeremonie wurde die Kammer durch ein Dach aus Holzplanken verschlossen und über dem Grab ein Hügel von 10 m Durchmesser aufgeschüttet.21 Anschließend füllte sich die Kammer allmählich mit sandigem Material, das die Gegenstände am Platz ihrer originalen Aufstellung und Anbringung fixierte. Die Grabbeigaben innerhalb des Sarges sind im Vergleich mit der Pracht der Funde in der Kammer als maßvoll zu bezeichnen. Neben den erwähnten ‚Schuhschnallen‘ enthielt der Sarg zwei kleine Goldblechkreuze, die im Bereich des Kopfes gefunden wurden (Abb. 6),22 zwei Goldmünzen, beides Tre19
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Vgl. zu den Becken: Bruce-Mitford, Sutton Hoo III (Anm. 18) 202–315); Jane Brenan, Hanging bowls and their contexts. British Archaeological Reports, British Series 220 (Oxford 1991); Geake, Grave goods (Anm. 9) 85–87; dies., When were hanging bowls deposited in Anglo-Saxon graves? Medieval Archaeology 43, 1999, 1–18. Solche Verstärkungen sind sehr selten in angelsächsischen Bestattungen in England, sind aber möglicherweise in Broomfield vorhanden gewesen (Smith, Anglo-Saxon remains [Anm. 16] 324). Der Hügel wurde durch den Pflug vollständig abgetragen, war aber in Resten noch während der Grabung zu erkennen. Der Brauch der Mitgabe von goldenen Folienkreuzen stammt ursprünglich aus dem langobardischen Italien und entstand wohl unter romanischem Einfluss. Folienkreuze sind aber vom 6. bis zum 8. Jahrhundert auch im alamannischen Gebiet bekannt, dabei aber auf die Gräber mit höchstem sozialen Status beschränkt. – Vgl. hierzu neben anderen Arbeiten; Rainer Christlein, Die Alamannen, Archäologie eines lebendigen Volkes (Stuttgart 1979); Ellen Riemer, Zu Vorkommen und Herkunft italischer Folienkreuze. Germania 77, 1999, 609–36.
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Abb. 2. Das Hängebecken in situ (© MoLAS)
Abb. 3. Die Unterseite des Hängebeckens nach ihrer Konservierung (© MoLAS)
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Abb. 4. Ansicht der ausgegrabenen Grabkammer, Blick nach Osten
misses aus dem merowingischen Frankenreich,23 goldene Brokatreste aus der Gegend des Halses und eine goldene Gürtelschnalle, die wohl englischer Herkunft ist und in sich in sehr gutem Erhaltungszustand befand (Abb. 7).24 Die Kreuze, die wahrscheinlich über den Augen lagen, sind die ersten beiden in England gefundenen Exemplare ihres Typs und unterscheiden sich von den meisten kontinentalen Exemplaren durch ihre Gestalt in Form eines lateinischen Kreuzes, die flache, unverzierte Oberfläche und das Fehlen von Befestigungslöchern. Möglicherweise wurden die Kreuze und die Schnalle in England eigens für die Bestattung hergestellt. Ein weiterer persönlicher Gegenstand ist ein byzantinischer Silberlöffel, der wahrscheinlich im 6. Jahrhundert hergestellt wurde. Wohl im 7. Jahrhundert wurde die Laffe des Löffels 23
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Die Münzen wurden von Anna Gannon und Gareth Williams vom British Museum bestimmt. Eine Münze wurde in Paris geprägt, die Herkunft der anderen Münze ist bisher unbekannt. Prittlewell ist erst der dritte Fundort einer goldenen Gürtelschnalle in England. Die beiden anderen Schnallen von Sutton Hoo und Taplow sind reich verziert, während diejenige aus Prittlewell durch ihre unverzierte Oberfläche einzigartig ist. Die Tatsache, dass die Schnalle innen hohl ist und die Bodenplatte über die Seiten hinausreicht, mag ein Indiz dafür sein, dass es sich um eine Reliquiarschnalle handelt.
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Abb. 4. Ansicht der ausgegrabenen Grabkammer, Blick nach Osten
Abb. 5. Rekonstruktion der Grabkammer von Faith Vardy (© MoLAS)
mit einem Kreuz und einer zweizeiligen lateinischen Inschrift versehen (Abb. 8). Der Löffel wurde außerhalb des Sarges gefunden, gemeinsam mit einer Anzahl weiterer persönlicher Gegenstände, die wohl in einem bemalten hölzernen Kasten in der Südwestecke der Kammer deponiert worden waren. An der Ostwand der Kammer wurden zwei Trinkhörner und fünf hölzerne Gefäße aufgestellt, die mit bronzenen und goldenen Pressblechen mit Verzierung in Tierstil II beschlagen waren,25 sowie zwei korrespondierende Krüge 25
Die Holzgefäße sind den Exemplaren aus Broomfield (Smith, Anglo-Saxon remains [Anm. 16] 322) und Sutton Hoo sehr ähnlich. Nach Aussage der Funde in Sutton Hoo waren die Tassen wohl aus Wurzelnuss-Holz und die Krüge aus Ahorn. – Vgl. Rupert L. S. Bruce-Mitford/Katherine East, Drinking horns, maplewood bottles and burrwood cups. In: Bruce-Mitford, Sutton Hoo III (Anm. 18) 316–395.
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Abb. 6. Die beiden Goldblattkreuze in Form lateinischer Kreuze (Länge 30 mm) mit eingeritzten Linien, die die Schnittlinien der Goldfolie anzeigen (© MoLAS)
Abb. 7. Goldene Schilddornschnalle mit dreieckigem Beschlag und drei halbkugelförmigen Nieten (© MoLAS)
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Abb. 8. Detail des silbernen Löffels und einer zweizeiligen Inschrift mit den Buchstaben ‚FAB‘ und ‚RONAM‘ in der zweiten Zeile neben einem Kreuz; die zweite Zeile ist unlesbar (© MoLAS)
aus blauem und grünen Glas (Abb. 9; 10).26 Zwei weitere Holzgefäße fanden sich zwischen dem Sarg und der nördlichen Kammerwand, nahe einer Gruppe von 57 beinernen Spielsteinen und zwei großen Würfelspielen aus Geweih.27 Gemeinsam mit zwei Eimern und einer großen Wanne, die eine Sense und ein bronzenes Becken enthielt, zeigen die Funde die Rolle des Verstorbenen als Ernährer, als einen Mann mit Geschmack und als Strategen. Internationale Kontakte belegen ein byzantinischer Henkelkrug (Abb. 11) und ein Becken aus dem östlichen Mittelmeerraum.28 26
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Die Glasgefäße wurden wahrscheinlich in Kent hergestellt. Vergleichbare Krüge aus blauem Glas kamen unter anderem in Broomfield, Aylesford (Kent) und Cuddesdon (Oxfordshire) zu Tage (John Y. Akerman, Remains of Pagan Saxondom [London 1855] Taf. 6; Read, Exploration [Anm. 16] 252f.; Donald B. Harden, Catalogue of Greek and Roman glass in the British Museum [London 1956] 141 f. mit Abb. 25; Dickinson, Cuddesdon [Anm. 18] Taf. 1; 2). Die Erhaltung dieser Funde im Grab, in dem sich ansonsten gar keine organischen Überreste erhalten haben, lässt vermuten, dass sie in einem Beutel deponiert wurden und durch ein besonderes Mikroklima zwischen dem Sarg und der Kammerwand geschützt waren. Henkelkrüge dieses Typs wurden zwischen dem 6. und dem 9. Jahrhundert hergestellt und weit über des östlichen Mittelmeerraum und den Nahen Osten verbreitet; eine Anzahl verwandter Formen wurde in Korinth (Griechenland) und Sardis (Türkei) entdeckt (vgl. Arne Effenberger, in: Christoph Stiegemann [Hrsg.], Byzanz. Das Licht aus dem Osten. Kult und Alltag im Byzantinischen Reich vom 4. bis zum 15. Jahrhundert [Mainz 2001] 352 f.). Fünf Exemplare stammen aus wikingischem Kontext in Schweden (Peter Paulsen, Alamannische Adelsgräber von Niederstotzingen, Kreis Heidenheim. Veröffentlichungen des Staatlichen Amtes für Denkmalpflege 12 [Stuttgart 1967] 29). Der Fund von Prittlewell ist bisher jedoch der einzige seiner Art aus einem archäologischen Befund in Nordwesteuropa. Becken sind generell in Südengland etwas häufiger, obwohl das Exemplar aus Prittlewell bisher jedoch das einzige aus Essex ist. Ostmediterrane Gefäße sind auch aus Sutton Hoo, Taplow und Cuddesdon bekannt (Geake, Grave goods [Anm. 9] 85; 87 f.).
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Abb. 9. Glasgefäße, hölzerne Gefäße und Trinkhörner in situ (© MoLAS)
Königtum des Verstorbenen, zumindest aber aristokratischer Status, zeichnen sich in einer Anzahl von Objekten ab. So lag am Kopfende des Grabes ein eiserner Klappstuhl, der das erste nachrömische Exemplar seiner Art in England darstellt.29 In der entgegengesetzten Ecke stand eine bis zu
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Klappstühle waren in der römischen Zeit beliebt und blieben in romanisierten Regionen bis über das 4. Jahrhundert hinaus in Benutzung (David Wilson, An Inlaid Folding Stool in the British Museum, Medieval Archaeology 1, 1957, 39–56). Ihr Auftreten in Gräbern ist zweifellos ein Zeichen für Reichtum und Macht (vgl. Michael Kazanski, La nécropole gallo-romaine et mérovingienne de Breny [Aisne] [Montagnac 2002]).
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Abb. 10. Die Glasgefäße nach der Konservierung
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Abb. 11. Byzantinischer Henkelkrug mit drei identischen Medaillons mit Abbildungen eines Reiterheiligen auf einem um den Hals gelegten Band, das in um den Griff gewickelten Drähten endet (© MoLAS)
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einer Höhe von 1,33 m erhaltene, eiserne Standarte.30 Die Waffen umfassen ein Schwert mit goldenen Beschlägen auf beiden Seiten des Griffs in einer mit Wolle gefütterten hölzernen Scheide,31 einen Schildbuckel mit einer silbernen Spitze und zwei Speere, die ursprünglich an der Wand aufgehängt waren. Die anderen Grabfunde in Prittlewell machen es wahrscheinlich, dass das Schwert eine damaszierte Klinge besaß und dass die Speerspitzen blattförmig waren.32 Eine Leier, das mit Abstand besterhaltene Exemplar aus einem englischen Grab,33 symbolisierte Muße, Kultur und stellte den Toten als Förderer der Kunst dar. Sie wurde mit der Oberseite auf dem Boden liegend gefunden und stand daher entweder zwischen den Speeren an der Wand oder hing, vielleicht an einem Haken, an der Kammerwand. Die Leier wurde mehrfach repariert und besaß ein hohes Alter, als sie ins Grab gelegt wurde.34 Seit April 2005 an der Leier ausgeführte Arbeiten haben an beiden Seiten des Jochs kleine, vergoldete Rundbeschläge ans Licht gebracht, die mit Flechtbändern um einen zentralen Granat verziert waren, und Befestigungen für den Gurt, der vermutlich aus Leder war. Was zuerst für den Steg gehalten wurde, ist wahrscheinlich Teil des Saitenhalters. Zahlreiche andere Teile der Leier haben sich in situ erhalten und werden helfen, die Leier zu rekonstruieren. Zusammen wurden mehr als 140 Objekte aus Bronze, Gold, Silber und Eisen dort gefunden, wo sie ungefähr 1400 Jahre zuvor niedergelegt worden waren. Etliche Stücke, darunter das Schwert, der Schildbuckel, die Speere, die Eimer, die Wanne, der Kessel, die Standarte, der Klappstuhl, der Kasten mit dem Löffel sowie eine Ständerlampe,35 die derjenigen von Broomfield gleicht,36 wurden im Block geborgen und im Labor des Museum of London ausgegraben. 30
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Die Standarte hat vier Füße und einen aus dekorativen Gründen in Intervallen gedrehten Schaft; Teile des oberen Teils fehlen wohl, doch sind zwei kurze Ansätze erhalten die vertikal vom Schaft abgehen. Das Oberteil war mutmaßlich einfacher gestaltet als der korbförmige Aufsatz der Standarte von Sutton Hoo, die mit 1,72 m Höhe auch deutlich größer ist (Bruce-Mitford, Sutton Hoo III [Anm. 18] 403–431). Das Schwert aus Broomfield befand sich ebenfalls in einer hölzernen Scheide (Smith, Anglo-Saxon remains [Anm. 16] 320). Tyler, Anglo-Saxon cemetery (Anm. 9) 108–110. Die Leier besitzt exakt die gleiche Größe wie die vermutete des weniger vollständigen Exemplars aus Sutton Hoo (Myrthe Bruce-Mitford/Rupert L. S. Bruce-Mitford, The musical instrument. In: Bruce-Mitford, Sutton Hoo III [Anm. 18] 611–731). Sowohl das Schwert als auch die Leier wurden in einem Computertomographen des Paul Strickland Scanner Centre untersucht, um 3D-Bilder der Objekte zu erlangen. Im Inneren hat sich in der Lampe ein dickes gelbliches Material erhalten, bei dem es in Analogie zu einem ähnlichen Fund in Sutton Hoo um Bienenwachs handeln kann (Mike Pitts, New light on Prittlewell ‚prince‘ grave. British Archaeology 83, July–August 2005, 9). Read, Exploration (Anm. 16) 254; Smith, Anglo-Saxon remains (Anm. 16) 323.
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Diskussion Die Ausgrabung, die während der Arbeiten aus Angst vor Schatzsuchern geheim gehalten wurde, konnte am 24. Dezember 2003 abgeschlossen werden. Seit die Entdeckung schließlich im Februar 2004 in der Presse veröffentlicht wurde, ist sie in zahlreichen Vorträgen und Artikeln bekannt gemacht worden.37 Der Fund gehört offensichtlich zu einer Gruppe von Prunkgräbern des 7. Jahrhunderts in England und auf dem Kontinent, die als Anzeiger einer sozialen Strafizierung der Gesellschaft und der Entwicklung von Königreichen gewertet werden.38 Gemeinsam stellen Hügel und Grabkammer einen enormen Kraftaufwand dar, wobei die vermutete Größe des Grabhügels (10 m Durchmesser) Prittlewell jedoch eher an das untere Ende der Reihe vergleichbarer Monumente stellt. Im Gegensatz dazu ist die Kammer jedoch auch im europäischen Maßstab außergewöhnlich groß.39 In ihrer Größe von ungefähr vier Metern im Quadrat wird sie alleine von der Kammer im Schiffsgrab von Sutton Hoo (Hügel 1), die ca. 5,6 × 4,5 m misst, übertroffen. Reichtum und hoher Status können auch anhand der Anzahl der im Grab vorhandenen Gefäße bemessen werden. Mit einer Anzahl von insgesamt 22 Gefäßen (inklusive der Eimer und Kessel) erscheint Prittlewell als das zweitreichste Grab in England nach Sutton Hoo (Hügel 1) mit 43, aber vor Taplow mit 18 bis 29 Gefäßen; für Broomfield ist die Gesamtzahl wegen der Beraubung des Grabes unbekannt, vorhanden waren aber zumindest elf Gefäße. Daher ist heute allgemein anerkannt, dass es sich bei dem Grab von Prittlewell um den bedeutendsten
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Prittlewell. Treasures of a Saxon king of Essex. Current Archaeology 190, 2004, 430–436; The Prittlewell discovery. Saxon, The Newsletter of the Sutton Hoo Society 40, 2004, 1–3; Ian Blair, The Prittlewell discovery. A resumé of the Spring Lecture. Saxon. The Newsletter of the Sutton Hoo Society 43, 2005, 1–2; ders., The Anglo-Saxon prince. Archaeology 58/5, September/October 2005, 24–29; Ian Blair/Liz Barham/Lyn Blackmore, My lord Essex. British Archaeology no. 76, May 2004, 10–17; Jennifer S. Holland, Crossing over, a Saxon tomb set for a Christian king. National Geographic 207/3, 2005 (unnummerierte Seiten); Pitts, New light (Anm. 35). Horst Wolfgang Böhme, Adelsgräber im Frankenreich. Archäologische Zeugnisse zur Herausbildung einer Herrenschicht unter den merowingischen Königen. Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz 40, 1993, 397–534; Ursula Koch, Stätten des Totenruhe – Grabformen und Bestattungssitten der Franken. In: Die Franken. Wegbereiter Europas (Mainz 1996) 723–737; Martin O. H. Carver, Sutton Hoo. A seventh-century princely burial ground and its context. Reports of the Research Committee of the Society of Antiquaries of London 69 (London 2005) 284, 292–306, 497–502. Sie ist tiefer und geräumiger als hochrangige Gräber von Köln und Morken in Deutschland (Otto Doppelfeld/Renate Pirling, Fränkische Fürsten im Rheinland [Düsseldorf 1966]) oder Basel-Bernerring in der Schweiz (Régine Lejan, Austrasien. Versuch einer Begriffsdefinition. In: Die Franken. Wegbereiter Europas [Mainz 1996] 222–226).
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Grabfund angelsächsischer Zeitstellung in England seit der Entdeckung des berühmten Schiffsgrabes von Sutton Hoo im Jahr 1939 (in Hügel 1) handelt. Herausgehoben wird der Fund außerdem dadurch, dass er eines der wenigen entsprechenden Gräber darstellt, die mit modernen Methoden ergraben wurden, dass er besser erhalten ist als das Grab in Hügel 1 von Sutton Hoo, und dass er Gegenstände ans Licht brachte, die in England zuvor noch niemals in archäologischem Kontext, seien es Grabfunde oder andere, bekannt geworden sind. Dennoch hat das Grab viele Fragen zu seiner Datierung, zur Identität des Bestatteten und zum Fundplatz hervorgerufen. Die erste dieser Fragen lautet: warum an diesem Platz? Prittlewell liegt in der Nähe der Themse. Das Grab hätte daher in Richtung von Kent blicken können und so die in den Beigaben sichtbaren Beziehungen nach Kent auch räumlich ausdrücken können. Statt dessen orientiert sich das Grab aber nordwärts entlang des Prittle-Tales in Richtung der Mündung des Roach, und somit in das Herz von Essex. Bei den anderen hier angesprochenen englischen Prunkgräbern handelt es sich bei Sutton Hoo um einen separierten, elitären Hügelgräberfriedhof, bei Taplow und Broomfield um isolierte Einzelgräber. Das Prunkgrab von Prittlewell scheint dagegen auf oder bei einem gleichzeitigen angelsächsischen Friedhof angelegt worden zu sein; ob es sich dabei um eine hervorgehobenes Areal des Friedhofes handelt, muss noch untersucht werden. Die Präsenz zweier Prunkgräber in Essex, dem einen in Prittlewell, dem anderen in Broomfield, impliziert das Vorhandensein von Königsbesitz. Ein möglicher weiterer Fundplatz eines Prunkgrabes, das, zumindest kulturell, eher nach Essex als nach Kent orientiert war, liegt näher an London in Rainham.40 Abgesehen von London gibt es keine anderen Orte des 7. Jahrhunderts im ostsächsischen Königreich, deren Name bekannt wäre, aber den historischen Nachweis zweier Königshöfe: 41 einer davon in Writtle (nahe der römischen Stadt Camulodunum/Colchester), in der Nähe von Broomfield, der andere in North Benfleet, etwa 11 km westlich von Prittlewell. Ob der hier bestattete „Fürst“ in Benfleet lebte, ist jedoch unsicher, da auch Belege für eine nahegelegene sächsische Siedlung im Prittle-Tal existieren.42 40 41
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Evison, Anglo-Saxon finds (Anm. 12) 192 f. Stephen Rippon, Essex c. 700–1066. In: Owen Bedwin (ed.) The archaeology of Essex. Proceedings of the Writtle conference (Chelmsford 1996) 117–128, hier 117–120. Tyler, Anglo-Saxon cemetery (Anm. 9) 91; Wymer/Brown, Excavations (Anm. 15) 163 mit Abb. 100. – Die bekannten Befunde umfassen ein Grubenhaus und frühsächsische Keramik, Glas, Knochen und Teile eines Schmelztiegels in Temple Farm, 1 km nordöstlich des Fundplatzes von Prittlewell. Tönerne Webgewichte wurden an zwei anderen Plätzen in der Region gefunden. Bedeutsamer sind die Überreste eines Bogens aus dem 7. Jahrhundert in der Kirche, die sich 750 m südlich der Fundstelle befindet. Es wurde auch vermutet, dass
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Die zweite sich stellende Frage ist: wann wurde die Bestattung vorgenommen? Die zeitliche Stellung der Gräber in Prittlewell und Broomfield zum größeren Grab von Sutton Hoo, bei dem es sich vielleicht um die Bestattung des um 630 verstorbenen Königs Rædwald handelt,43 ist zur Zeit noch eine offene Frage. Obwohl dort und an anderen Plätzen vergleichbare Objekte gefunden wurden, zeigt jede Bestattung ihren eigenen, einzigartigen Charakter, der die Erstellung sicherer chronologischer Sequenzen erschwert. Bei den in Prittlewell gefundenen Artefakten handelt es sich größtenteils um gut datierbare Funde, die es nahelegen, die Bestattung zwischen 600 und 650 n. Chr. anzusetzen. Mit Hilfe der Ergebnisse der Analysen nach der Ausgrabung wird sich diese Datierungsspanne hoffentlich noch genauer eingrenzen lassen. Drittens: Wer war der Verstorbene? Die Anlage des Grabes – ein Kammergrab mit reichen Beigaben unter einem Grabhügel – deutet auf die Bestattung eines sehr hochstehenden Heiden. Einige der Grabbeigaben, wie etwa das koptische Becken, der Henkelkrug und der silberne Löffel, standen vielleicht im Zusammenhang mit christlichen Riten und weisen auf einen Kontakt, wenn nicht sogar auf eine Konversion mit oder zu dem christlichen Glauben. Diese Annahme wird gestützt durch die Ost-WestOrientierung des Sarges und die beiden Goldblattkreuze auf dem Gesicht, die darauf schließen lassen, dass der Mann zum Zeitpunkt seines Todes tatsächlich ein Christ war. Dabei ist natürlich nicht auszuschließen, dass hier lediglich eine romanische bzw. fränkische Mode nachgeahmt wurde und die christliche Symbolik bei ihrer Übernahme durch die Aristokratie in Essex nicht vollständig in ihrem ursprünglichen Glaubenskontext verstanden wurde. Bemerkenswert ist außerdem der Gegensatz zwischen der relativen Sparsamkeit der Gegenstände, die an oder bei dem Toten in den Sarg gegeben wurden, und dem Reichtum der umgebenden Kammer. Er legt zwei unterschiedliche Rituale nahe, erstens ein einfaches und privates Bestattungsritual in dem Sarg, und zweitens einen prächtigen Begräbnisakt, der von und für diejenigen arrangiert wurde, die um einen bedeutenden Mann trauerten. Fassen wir alle Anhaltspunkte zusammen und versuchen, einen christlichen König vom Essex in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts zu finden, der starke Verbindungen nach Kent hatte, dann ist Sabert, der Neffe von Æthelbert I., der im Jahr 604 zum Christentum konvertierte,44 der einzige
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dort eine Kirche für die Umgebung von Prittlewell existierte (Wymer/Brown, Excavations (Anm. 15) 165). Bruce-Mitford, Sutton Hoo I–III (Anm. 18). Yorke, Kings and kingdoms (Anm. 4) 47.
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naheliegende Kandidat. Möglich wäre auch sein Bruder Seaxa, über den jedoch nichts bekannt ist. Die Umstände von Saberts Tod und seines Begräbnisses um das Jahr 616 sind unbekannt. Beda berichtet lediglich, dass nach Saberts Tod seine drei Söhne wieder zu paganen Kulten zurückkehrten und Bischof Mellitus sowie Missionare Gregors aus London verbannten.45 Erst im Jahr 653 wurde Saberts Enkel Sigebert ‚Sanctus‘ von Missionaren aus Northumbria unter dem Hl. Cedd überzeugt, zum Christentum überzutreten. Dies erscheint jedoch zu spät für den ‚Fürsten von Prittlewell‘, weshalb der wahrscheinlichste Kandidat der ostsächsische König Sabert ist. Die Identität des Toten wird dennoch wahrscheinlich immer ein Rätsel bleiben. Weitere Informationen zum Fund von Prittlewell und Bilder ausgewählter Funde sind im Internet zu finden: www.molas.org.uk. Das Straßenbauprojekt wurde bewilligt, weitere Grabungen und die Nacharbeit an den Funden hängen jedoch von der Genehmigung der notwendigen Mittel ab.
Dank MoLAS ist Herrn W. S. Atkins zu Dank verpflichtet, der die Untersuchung im Namen der Gemeinde Southend-on-Sea in Auftrag gab, sowie English Heritage für die großzügige Unterstützung der bisher ausgeführten Konservierungsmaßnahmen. Dank gilt auch allen Institutionen und Personen, die dem Projekt mit Rat und Informationen zum Fundplatz und zu Funden zur Seite standen, und Ian Blair für seine Durchsicht dieses Textes.
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Zwischen Spätantike und Frühmittelalter – RGA-E Band 57 – Seiten 343–365 nützlich – machbar © 2008 Walter de Gruyter · BerlinFremd · New –York
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Fremd – nützlich – machbar Römische Einflüsse im germanischen Feinschmiedehandwerk Hans-Ulrich Voß
„Römer und Germanen – Nachbarn über Jahrhunderte“ lautet der Titel eines Sammelbandes mit Studien zu verschiedenen Aspekten römisch-germanischer Beziehungen, darunter auch der römischen Einflüsse auf germanisches Buntmetallhandwerk als Teil des sogenannten „Technologietransfers“ in verschiedenen Bereichen handwerklicher Produktion.1 Derartige Fragestellungen gerieten seit den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts verstärkt in den Blick der Forschung, ausgehend von den Edel- und Buntmetallfunden in mitteldeutschen Körpergräbern des 3. und frühen 4. Jahrhunderts waren sie Gegenstand eines von der Stiftung Volkswagenwerk in den Jahren 1994–1997 geförderten Projektes der Römisch-Germanischen Kommission des Deutschen Archäologischen Instituts.2 Die Problematik war der Forschung angesichts vielfältiger typologischer Ähnlichkeiten im archäologischen Fundstoff allerdings schon im 19. Jahrhundert bewusst und ist zugespitzt mit der Frage „römisch oder germanisch?“ umschrieben. Wie diffizil die Beantwortung sein kann, führt der Fund von über 200 Augenfibeln der sogenannten preußischen Nebenserie Almgren Gruppe III, Figur 57/58–60 aus Augusta Vindelicorum/Augsburg 1
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Clive Bridger/Claus v. Carnap-Bornheim (Hrsg.), Römer und Germanen. Nachbarn über Jahrhunderte. British Archaeological Reports, International Series 678 (Oxford 1997). – Siehe Reinhard Stupperich, Export oder Technologietransfer? Beobachtungen zu römischen Metallarbeiten in Germanien. Ebd., 19–24; Peter Hammer/Hans-Ulrich Voß, Metallkundliche Untersuchungen an römischen und germanischen Funden des Elbegebietes. Ebd., 25–28; Wolf-Rüdiger Teegen, Zur Metallversorgung germanischer Buntmetallschmiede am Beispiel des Pyrmonter Brunnenfundes und des Moorfundes von Strückhausen. Ebd., 29–35. Hans-Ulrich Voß/Peter Hammer/Joachim Lutz, Römische und germanische Bunt- und Edelmetallfunde im Vergleich. Archäometallurgische Untersuchungen ausgehend von elbgermanischen Körpergräbern. Bericht der Römisch-Germanischen Kommission 79, 1998 (1999) 107–382.
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beispielhaft vor Augen. In verschiedenen Teilen des Stadtgebietes fanden sich neben vollständig erhaltenen Fibeln auch zahlreiche Halbfabrikate, jedoch bislang keinerlei anderen Hinweise auf die Anwesenheit germanischer Produzenten.3 Das Verbreitungsbild derartiger Fibeln aus der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr. zeigt den Schwerpunkt im nordostmitteleuropäischen Barbaricum östlich der Oder und Warthe, also weitab von der rätischen Provinzhauptstadt (Abb. 1). Sollten provinzialrömische Handwerker eine spezifische Fibelform des Barbaricums für den Export an die „Bernsteinküste“ angefertigt haben? Darf man als Schlussfolgerung mit einer Form des Handels, besser Produktenaustausches rechnen, wie aus der frühen europäischen Kolonialzeit in Afrika und anderswo überliefert, einschließlich der in diesem Zusammenhang immer wieder genannten Glasperlen? Weitere Beispiele für die Produktion germanischer Fibelformen in den Grenzprovinzen des Imperiums lassen sich anführen, jedoch in der Regel, etwa im Falle der Kastelle Saalburg und Zugmantel, verbunden mit der Anwesenheit von germanischen Söldnern im römischen Heer.4 Im Gegensatz dazu gaben technologische Details wie die Verwendung von Zentrumsbohrern und Punzstempelbändern an sogenannten böhmischen Augenfibeln Almgren III, 45/46 Anlass, die „Beteiligung provinzial-römischer Handwerker an der Herstellung dieses Fibeltyps“ im Barbaricum, konkret im Marbodreich, anzunehmen.5
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Lothar Bakker, Zeugnisse des Handels. Neues aus der rätischen Hauptstadt AELIA AVGVSTA (Augsburg). In: Wilfried Menghin/Dieter Planck (Hrsg.), Menschen, Zeiten, Räume. Archäologie in Deutschland (Berlin 2002) 262–264 Abb. 3. – Für weiterführende Auskünfte danke ich Herrn Lothar Bakker, Augsburg. – Fibeltypologie nach Oscar Almgren, Studien über nordeuropäische Fibelformen der ersten nachchristlichen Jahrhunderte mit Berücksichtigung der provinzialrömischen und südrussischen Formen. MannusBibliothek 32 (2Leipzig 1923). Astrid Böhme, s. v. Fibel und Fibeltracht, I. Römische Kaiserzeit im Provinzialrömischen Gebiet und Beziehungen zur Germania Magna. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (Berlin, New York 1994) 511–523; dies., Die Fibeln Almgren 101. In: Jürgen Kunow (Hrsg.), 100 Jahre Fibelformen nach Oscar Almgren. Forschungen zur Archäologie im Land Brandenburg 5 (Wünsdorf 1998 [2002]) 175–185; dies., Die provinzialrömischen Fibeln bei Almgren. Ebd., 351–366, besonders 361. Erhard Cosack, Die Fibeln der Älteren Römischen Kaiserzeit in der Germania libera. Göttinger Schriften zur Vor- und Frühgeschichte 19 (Neumünster 1979) 61; Jürgen Kunow, Die Hauptserie der Augenfibeln: Gruppe III, Fig. 45–54. In: ders., 100 Jahre Fibelformen (Anm. 4) 93–118; besonders 101; 107. – Zum augusteischen Typ Haltern der Augenfibeln als Fibel für Angehörige germanischer Hilfstruppen siehe Thomas Völling, Bemerkungen zu einem frühgermanischen Grab aus Eggolsheim, Lkr. Forchheim. In: Birgitt Berthold/ Elmar Kahler et al. (Hrsg.), Zeitenblicke. Ehrengabe für Walter Janssen (Rahden/Westf. 1998) 125–132.
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Abb. 1. Verbreitung der Augenfibeln der preußischen Nebenserie Almgren Gruppe III, Figur 57–61 nach Pfeiffer-Frohnert und die Augenfibeln aus Augusta Vindelicorum/Augsburg
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Die Augenfibeln sowie zeitlich spätere Beispiele etwa aus dem Bereich militärischer Ausrüstung verdeutlichen,6 dass schon die vermeintlich einfache Frage „römisch oder germanisch“ nicht immer eindeutig, sondern häufig mit „sowohl als auch“ beantwortet werden muss. Römischer Einfluss im germanischen Feinschmiedehandwerk ist daher nicht mittels formenkundlicher Übereinstimmungen im Sachgut, sondern nur anhand der verwendeten Materialien in Verbindung mit der Herstellungs- und Verzierungstechnik zu erschließen. Wenn hier dennoch von „römischen“ und „germanischen“ Erzeugnissen die Rede ist, wird dem im Fach gängigen, nicht ganz unbegründeten Sprachgebrauch gefolgt. Der damit einhergehenden, gelegentlich problematischen Verallgemeinerung sind wir uns wohl bewusst.
Zur Verwendung von Bunt- und Edelmetallen Bis in die zweite Hälfte des 1. Jahrtausends n. Chr. hinein waren germanische Stämme zwischen Rhein und Weichsel auf den Import von Kupfer und Kupferlegierungen, Blei und Zinn sowie Gold und Silber angewiesen, nennenswerte Nachweise für die Ausbeutung einheimischer Lagerstätten etwa im Harz, dem Mansfeld oder Erzgebirge zur Gewinnung solcher Metalle gibt es im Unterschied zur reichlich bezeugten Eisenerzverhüttung bislang nicht. Die nachhaltige Erschließung der reichen Silbererzvorkommen des Rammelsbergs im Westharz z. B. begann den vorgelegten Funden und Befunden zufolge erst in karolingischer Zeit.7 Der Zugang zu fremden Quellen für Metalle und andere Rohstoffe wie Glas oder Schmucksteine war somit eine entscheidende Voraussetzung für
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Claus v. Carnap-Bornheim, Römische Militaria aus dem Thorsberger Moor. Fundzusammensetzung, Kontext, Interpretation. In: Michael Erdrich/Claus v. Carnap-Bornheim, Corpus der Römischen Funde im europäischen Barbaricum, Deutschland 5. Freie und Hansestadt Hamburg und Land Schleswig-Holstein (Bonn 2004) 15–24. Vgl. Lothar Klappauf/Friedrich Albert Linke, Montanarchäologie im westlichen Harz. Nachrichten aus Niedersachsens Urgeschichte 66, 1997, 21–53. – Hingegen zur Bleigewinnung im Gefolge der römischen Okkupation bei Brilon, Lkr. Hochsauerlandkreis, in Westfalen und die damit vermutlich zu verbindende Verarbeitung von Blei und Buntmetallen auf einer germanischen Siedlung des 1. Jahrhunderts n. Chr. bei Soest, Lkr. Soest, siehe Norbert Hanel/Peter Rothenhöfer, Germanisches Blei für Rom. Zur Rolle des römischen Bergbaus im rechtsrheinischen Germanien im frühen Prinzipat. Germania 83, 2005, 53–65; Walter Melzer/Ingo Pfeffer, Römerzeitliche Bleiverarbeitung in Soest. In: Günter Horn/Hansgerd Hellenkemper/Gabriele Isenberg/Jürgen Kunow (Hrsg.), Von Anfang an. Archäologie in Nordrhein-Westfalen. Schriften zur Bodendenkmalpflege in NordrheinWestfalen 8 (Mainz 2005) 373–375.
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die Entfaltung des germanischen Feinschmiedehandwerks. Seit spätrepublikanischer Zeit dienten provinzialrömische Bronzegefäße im mitteleuropäischen Barbaricum als Leichenbrandbehälter oder Grabbeigabe. Eine Vielzahl germanischer Siedlungen mit nach derzeitigem Kenntnisstand Fundspektren des späten 2. und 3. Jahrhunderts in Mitteldeutschland – Thüringen und Sachsen-Anhalt – belegt inzwischen die Verwertung römischen Metallgeschirrs, darunter Silbergefäßfragmente, ferner Münzen und anderer Gegenstände für die Herstellung einheimischer Erzeugnisse.8 Hortfunde wie die „Alamannenbeute“ aus dem Rhein bei Neupotz mit 10 kg Silber, 197 kg Buntmetall, 1,5 kg Zinn und mehr als 220 kg Eisen sowie wesentlich kleinere Funde wie der aus der Elbe bei Grieben geborgene Hortfund mit Metallgefäßen ebenfalls des 3. Jahrhunderts veranschaulichen die Bedeutung dieser „Rohstoffquelle“ nachdrücklich.9 Dasselbe gilt für die Buntmetall-Sammelfunde von spätantiken Höhensiedlungen Südwestdeutschlands.10 Vergleichende Materialanalysen römischer und germanischer Gegenstände des 3. Jahrhunderts im Rahmen des zu Anfang genannten Projektes bestätigten die Übereinstimmungen bei der Verwendung der Legierungstypen nach deren Verarbeitungseigenschaften, mit denen auch germanische Handwerker bestens vertraut waren (Tab. 1). Gießen und Schmieden, Verformbarkeit und Elastizität, niedriger Schmelzpunkt und
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Übersicht in Voß/Hammer/Lutz (Anm. 2) 350 ff. (Fundliste 2); Hans-Ulrich Voß, Alltäglicher Luxus? Bemerkungen zum Fundspektrum römischer Sachgüter zwischen Ostsee und Thüringer Wald. In: Michael Meyer (Hrsg.), „ … trans Albim fluvium“. Forschungen zur vorrömischen, kaiserzeitlichen und mittelalterlichen Archäologie [Festschrift Achim Leube]. Studia honoria 10 (Rahden/Westf. 2001), 441–452; Matthias Becker, Klasse und Masse. Überlegungen zu römischem Sachgut im germanischen Milieu. Germania 81, 2003, 277–288; siehe ferner Corpus der Römischen Funde im europäischen Barbaricum, Deutschland 6. Land Sachsen-Anhalt (Bonn 2006). Ernst Künzl, Die Alamannenbeute aus dem Rhein bei Neupotz. Römisch-Germanisches Zentralmuseum, Monographien 34,1–3 (Mainz 1993); Karl-Heinz Otto, Ein provinzialrömisches Bronzegeschirrdepot aus dem Elbetal bei Grieben, Kr. Stendal. In: Klaus Schwarz (Hrsg.), Strena Praehistorica [Festschrift Martin Jahn] (Halle 1948) 217–238. Heiko Steuer, Handwerk auf spätantiken Höhensiedlungen des 4./5. Jahrhunderts in Südwestdeutschland. In: Poul Otto Nielsen/Klaus Randsborg/Henrik Thrane (ed.), The Archaeology of Gudme and Lundeborg. Arkæologiske Studier 10 (København 1994) 128–144; Michael Hoeper/Heiko Steuer, Eine völkerwanderungszeitliche Höhenstation am Oberrhein. Der Geißkopf bei Berghaupten, Ortenaukreis. Germania 77, 1999, 185–246; besonders 216 ff. Abb. 21–23. – Zur Wiederverwendung von Metall jetzt Martin Baumeister, Metallrecycling in der Frühgeschichte. Untersuchungen zur technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rolle sekundärer Metallverwertung im 1. Jahrtausend n. Chr. Würzburger Arbeiten zur Prähistorischen Archäologie 3 (Rahden/Westf. 2004).
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Formfüllungsvermögen gaben die technischen Parameter für die Materialauswahl und den Materialeinsatz vor.11 Wegen seiner optimalen Eigenschaften und Farbe wurde Messing, das antike aurichalcum, besonders gern verwendet; Bronze mit um 10 % Zinngehalt war daneben eine weitere „Standardlegierung“ diesseits und jenseits des Limes. Dabei deutet sich an, dass nicht überall und zu allen Zeitabschnitten germanischen Handwerkern entsprechendes Metall zur Verfügung stand. So lässt das Gewicht von Fibeln zumindest für das Elbegebiet Phasen mit offenkundig sparsamem Einsatz von Buntmetall erkennen (Abb. 2). Auch beim Silber kann, wie in der Merowingerzeit, schon an Gegenständen des 3. bis frühen 5. Jahrhunderts die Verwendung von Silberlegierungen mit Feingehalten unter 90 % beobachtet werden.12 Neben dem geschilderten „Basiswissen“ erforderten Techniken der Oberflächenveredlung wie etwa die verschiedenen Arten der Vergoldung, das Plattieren oder Tauschieren mit Silber oder anderen Metallen und das Verzinnen, aber auch Verfahren zum Verbinden von Metallen durch Löten und Schweißen spezielle Kenntnisse über Materialeigenschaften und daraus resultierende, präzise einzuhaltende Verarbeitungstemperaturen. Während eine riesige Menge an Funden verschiedenster Art – Bestandteile von Tracht und Schmuck, Bewaffnung und Ausrüstung, aber auch Gerätschaften – die erfolgreiche, gelegentlich auch misslungene Anwendung dieser Kenntnisse vor Augen führt, sind Zeugnisse für die Tätigkeit des
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Peter Hammer in Voß/Hammer/Lutz (Anm. 2) 179 ff.; 277 ff. Tab. 30. Voß/Hammer/Lutz (Anm. 2) 286 ff.; Holger Schnarr/Manfred Füting/Matthias Becker, Mikroskopische und mikroanalytische Untersuchungen an Fundstücken aus dem Fürstengrab Gommern. Jahresschrift Mitteldeutsche Vorgeschichte 76, 1994, 249–262; Josef Riederer, Metallanalysen der Silberobjekte. In: Hans Geisler, Das frühbaierische Gräberfeld Straubing-Bajuwarenstraße I. Textband. Internationale Archäologie 30 (Rahden/Westf. 1998) 348–355. – Inzwischen werden Metallanalysen der Beigaben frühgeschichtlicher Grabfunde zahlreich publiziert, jedoch meist ohne Informationen zur Herstellungstechnik. Vgl. z. B. Jaroslav Frána in: Eduard Droberjar, Dobrˇichov-Picˇhora. Ein Brandgräberfeld der älteren römischen Kaiserzeit in Böhmen (Ein Beitrag zur Kenntnis des MarbodReichs). Fontes Archaeologici Pragenses 22 (Prag 1999), 185 ff.; Eduard Droberjar/Jaroslav Frána, Antická mosaz (aurichalcum) v Cˇesky´ch nálezech cˇasné doby rˇímské. (Das römerzeitliche Messing [Aurichalcum] in böhmischen Funden der frühen römischen Kaiserzeit). Archeologie ve Strˇedních Cˇechách 8, 2004, 441–462; Jacek Andrzejowski, Nadkole 2. A cemetery of the Przeworsk Culture in eastern Poland. Monumenta Archaeologica Barbarica 5 (Kraków 1998) 125 ff. und weitere Bände der Publikationsreihe Monumenta Archaeologica Barbarica. – Metallzusammensetzung und Herstellungstechnik von rund 3500 Fibeln behandelt die Untersuchung von Justine Bayley/Sarnia Butcher, Roman Brooches in Britain. A Technological and Typological Study based on the Richborough Collection. Reports of the Research Committee of the Society of Antiquaries of London 68 (London 2004).
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Abb. 2. Vergleich des Gewichtes vollständig erhaltener germanischer Fibeln (Gewichtsverlust durch Beschädigung oder Abnutzung geschätzt max. 1 g) mit dem römischen Gewichtssystem (uncia 27,287 g; semiuncia 13,644 g; vierteluncia 6,822 g)
Handwerkers um vieles seltener. Werkzeuge, Gusstiegel und -formen, Halbfabrikate, Werkabfälle und Rohmaterial aus Siedlungen, Gräbern, Horten sowie südskandinavischen Heeresbeuteopfern vermitteln einen Eindruck vom – im Wortsinne – „Handwerkszeug“ und der Arbeitsweise germanischer Feinschmiede.13 Die Kulturen der Antike und des Mittelalters bieten demgegenüber zusätzlich schriftliche Informationen, z.B. Plinius, Naturalis
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Voß in Voß/Hammer/Lutz (Anm. 2) 129 ff.; 350ff. Abb. 3–5.
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historia, Theophilus Presbyter, Schedula diversarum artium, und bildliche Darstellungen zum Fein- bzw. Goldschmiedehandwerk.14 Ein wesentlicher Grund für die eingeschränkte archäologische Überlieferung germanischen Feinschmiedehandwerks ist darin zu sehen, dass die erforderlichen zumeist eisernen Gerätschaften nicht übermäßig massiv waren, nur bei guten Erhaltungsbedingungen eindeutig erkennbar sind und sich angesichts des Werkstoffes nahezu beliebig „recyceln“ ließen. Beanspruchte das Werkzeug schon vergleichsweise wenig Platz, so fehlen in der Regel Hinweise auf die Werkplätze etwa anhand archäologisch nachweisbarer Schmelzöfen.15
Die Herstellungstechnik Gießen und Schmieden sind die Ur- und Umformtechniken, deren Beherrschung Grundlage jeglichen Feinschmiedehandwerks ist. In den römischen Provinzen war die Gusstechnik als effektives Verfahren insbesondere zur Serienfertigung von Massengütern in verschiedenen Variationen perfektioniert worden. Dazu gehörte die Verwendung von Mehrfach- und Dauerformen ebenso wie die Herstellung von Objekten mit komplizierten Durchbruchmustern im sogenannten „Feinguss“, während germanische Handwerker erst gegen Ende des 3. Jahrhunderts, vor allem jedoch ab dem 4. Jahrhundert, den Guss zur vollständigen Formgebung anwendeten. Bei komplexen Gegenständen wie zum Beispiel Fibeln brauchte dann der Nadelhalter nicht mehr umgebogen bzw. ausgeschmiedet werden, oder Verzierungen werden vollständig mitgegossen, wie dies für den Kerbschnitt typisch ist (Abb. 3). Ebenfalls erst gegen Ende des 4. Jahrhunderts begegnen Weichlötungen für beanspruchte Verbindungen wie Nadelhalter von Fibeln.
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Zusammenstellung bei Kilian Anheuser, Im Feuer vergoldet. Geschichte und Technik der Feuervergoldung und der Amalgamversilberung. Schriftenreihe zur Restaurierung und Grabungstechnik 4 (Stuttgart 1999), 17 ff.; ferner Projektgruppe Plinius (Hrsg.), Gold und Vergoldung bei Plinius dem Älteren. Attempto Werkhefte Naturwissenschaften 13 (Tübingen 1993). Hans-Ulrich Voß, s. v. Werkstatt und Werkzeug; Bunt- und Edelmetallverarbeitung. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde33 (Berlin, New York 2006) 463–465.
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Abb. 3. Gussrohling einer Armbrustfibel Almgren Gruppe VI,2 vom Runden Berg bei Urach, Kr. Reutlingen/Baden-Württemberg, mit Gussnähten und ausgeformtem Nadelhalter. – M. 1:1
Verzierung und Oberflächenveredelung Wesentlich klarer manifestieren Techniken der Verzierung und Oberflächenveredlung römischen Einfluss und die Möglichkeiten germanischer Handwerker, entsprechende Anregungen aufzunehmen und umzusetzen. Die Kenntnis römischer Metallgegenstände und ihrer Verarbeitung wurde maßgeblich durch das Militär vermittelt. Neben den Waffen waren es die Ausrüstungsgegenstände der Soldaten, mit denen Germanen auf die eine oder andere Weise konfrontiert wurden. Ein mit Silbertauschierung, Niello und Emaileinlagen versehener Dolch aus dem augusteischen Lager Haltern, Kr. Recklinghausen, vereint beispielhaft charakteristische frühkaiserzeitliche Ziertechniken, die zweifellos das Interesse germanischer Betrachter hervorriefen (Abb. 5,1).16 Wie Fundkarten zeigen, fanden mehr noch als nielloverzierte Militaria insbesondere emaillierte Fibeln großen Anklang bei den Germanen.17 Während die im Römischen Reich vor allem in augusteisch-claudischer und spätrömischer Zeit an Militaria beliebte Nielloverzierung ab der Völkerwande-
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Herbert Westphal, Ein römischer Prunkdolch aus Haltern. Untersuchungen zur Schmiedetechnik und Konstruktion. Ausgrabungen und Funde in Westfalen-Lippe 9B (Mainz 1995) 95–109. Eckhard Deschler-Erb, Niellierung auf Buntmetall. Ein Phänomen der frühen Römischen Kaiserzeit. Kölner Jahrbuch 33, 2000, 383–396; Karen Stemann Petersen, Danish niello inlays from the Iron Age. Journal of Danish Archaeology 12, 1994–1995, 133–149; Astrid Böhme, Die provinzialrömischen Fibeln (Anm. 4) 363ff. Abb. 10.
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Abb. 4. 1 Römischer Dolch augusteischer Zeit, verziert mit Email-, Niello- und Silbereinlagen (Tauschierung) aus Haltern, Lkr. Recklinghausen, Westfalen; 2 Silberner Stuhlsporn, partiell vergoldet, mit eisernem, silbertauschiertem Dorn aus Hagenow, Lkr. Ludwigslust, Mecklenburg-Vorpommern, Grab I/1899, erste Hälfte des 2. Jahrhunderts; 3 Birnenförmiger Goldberlock mit Filigrandrahtzier und Granulation aus Plöwen, Lkr. Ücker-Randow, MecklenburgVorpommern, Grab 6 (Brandschüttungsgrab), erste Hälfte/Mitte des 2. Jahrhunderts. – 1a M. 1:4; 1b.2 M. 1:2; 3 M. 1:1
rungszeit auch an germanischen Gegenständen regelhaft begegnet, wurde die ebenso komplexe Technik des Emaillierens nicht übernommen. Ganz anders die Tauschierung insbesondere mit Silber, die hauptsächlich vom späten 1. bis zum 2. Jahrhundert und dann wieder während der Völkerwanderungs-/ Merowingerzeit besonders geschätzt worden ist (Abb. 4,2).18 Die weite Ver18
Wilhelm Holmqvist, Tauschierte Metallarbeiten des Nordens aus Römerzeit und Völkerwanderung. Kungl. Vitterhets Historie och Antikvitets Akademiens Handlingar 70:2 (Stockholm 1951); Wilfried Menghin (Hrsg.) Tauschierarbeiten der Merowingerzeit. Museum für Vor- und Frühgeschichte, Bestandskataloge 2 (Berlin 1994); Jaroslav Tejral, Die Völkerwanderungen des 2. und 3. Jh.s und ihr Niederschlag im archäologischen Befund des Mitteldonauraumes. In: Ders. (Hrsg.), Das mitteleuropäische Barbaricum und die Krise des römischen Weltreiches im 3. Jahrhundert. Spisy Archeologického ústavu CR Brno 12 (Brno 1999) 137–213; besonders 147 ff.; Helmut Roth, The Silver-Inlaid Iron Belt Fittings in the Morgan Collection. In: Katharine Reynolds-Brown/David Kidd/Charles T.
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breitung derart verzierter Sachgüter legt nahe, dass zahlreiche Werkstätten im mitteleuropäischen Barbaricum, so im unteren Elbegebiet und in Südskandinavien, diese Technik ebenso perfekt beherrschten, wie dies in den Provinzen der Fall war. Sowohl im militärischen wie auch im zivilen Kontext begegnen germanische Gegenstände mit Filigran und Granulation. Bekannt sind die zumeist reich verzierten birnenförmigen Goldberlocken des 1. und 2. Jahrhunderts, deren Herstellung mit Impulsen späthellenistischer Goldarbeiten aus dem östlichen Mittelmeer und pontischen Raum in Verbindung gebracht wird (Abb. 4,3).19 Auch in der Folgezeit bleibt Granulation, gelegentlich kombiniert mit der Verwendung von Schmucksteinen, exklusiven Schmuckstücken wie den Goldfibeln aus dem spätkaiserzeitlichen Grab der „Fürstin“ von Haßleben bei Erfurt in Thüringen vorbehalten.20 Aufschlussreicher sind daher die an einem breiteren Sachspektrum anzutreffenden Arten der Vergoldung, die bei unterschiedlich großem Aufwand spezifische Anwendungsmöglichkeiten bieten. Als einfachstes Verfahren kann die Plattierung mit Goldblech oder -folie (Stärke je nach Definition unter 0,1/0,05 mm) angesehen werden, die schon an frühkaiserzeitlichen Funden wie Zierbeschlägen aus Hagenow, Grab I/1899, nachgewiesen ist (Abb. 5,1). Nachteilig ist die in Abhängigkeit von der Oberfläche geringe Haftfestigkeit und Anfälligkeit gegen Abrieb sowie Korrosion des Trägermaterials.21 Sehr aufwendig wegen des hochreinen Ausgangsmaterials, der komplizierten Herstellung sowie den Arbeitsschritten beim Aufbringen ist die Blattvergoldung, mit der allerdings bei minimalem Goldverbrauch große Flächen beschichtet werden können. So reicht 1 g Gold für eine Oberfläche von 500 cm2. Wegen der erforderlichen Glättung und Politur ist dieses Verfahren nicht für stark reliefierte Oberflächen geeignet. Sicher nachgewiesen ist die in den antiken Hochkulturen bekannte Blattvergoldung bislang erst an dem Prachtgürtel aus dem Körpergrab von Gommern bei Magdeburg aus dem zweiten Drittel des 3. Jahrhunderts. Ein silberner Schildbuckel aus dem gleichen Grab trägt vergoldete Silberpressbleche, während der Aufsatz
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Little (Ed.), From Attila to Charlemagne. The Metropolitan Museum of Art Symposia 1 (New York 2000) 292–307. Kent Andersson, Romartida guldsmide i Norden III. Övriga smycken, teknisk analys och verkstadsgrupper. AUN 21 (Uppsala 1995) 21 ff. Walther Schulz, Das Fürstengrab von Haßleben. Römisch-Germanische Forschungen 7 (Berlin 1933) Taf. 1; 4–6; 22; Günter Behm-Blancke, Kunst und Gesellschaft der Germanen. Die Thüringer und ihre Welt (Dresden 1973), Abb. 1; 3; 5; 10; Claus v. Carnap-Bornheim, Granrat, Karneol, Onyx und Bernstein. Zu schmucksteinverzierten Gegenständen der Römischen Kaiserzeit in Nord-, West- und Ostmitteleuropa. In: Voß/Hammer/Lutz (Anm. 2) 242–275; 374–380. Voß/Hammer/Lutz (Anm. 2) 190 ff.; 302 Abb. 24; Tab. 16; Taf. 51,1.
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feuervergoldet ist (Abb. 5,2).22 Die Herstellung vergoldeter Pressbleche basiert auf dem Verfahren der Diffusionsbindung, bei der im Kontakt metallischer Oberflächen von Gold- und Silberblech unter Hitzeeinwirkung eine Diffusion der Metallatome stattfindet. Die beiden Metalle sind dann so fest verbunden, dass eine Weiterverarbeitung durch Schmieden und Prägen möglich ist. Der Nachteil dieses seit Ende der Markomannenkriege 180 n. Chr. in großen Mengen an Militaria aus den südskandinavischen Heeresbeuteopfern nachgewiesenen Verfahrens besteht in der Notwendigkeit, die Pressbleche stets mit einem Träger zu kombinieren. Vom Ende des 2. bis zum 4. Jahrhundert sind derartige Pressbleche an vielfältigen Schmuckund Ausrüstungsgegenständen appliziert worden.23 Mit der im letzten Drittel des 4. Jahrhunderts aufkommenden Kerbschnittverzierung wurde die Anwendung der Feuervergoldung unumgänglich. Das wie die Blattvergoldung aufwendige, zudem an die Verfügbarkeit von Quecksilber gebundene Verfahren wird bereits bei Plinius, Naturalis historia (33,64–65.100) beschrieben.24 Nachteilig ist unter anderem der vergleichsweise hohe Goldverbrauch, vorteilhaft die Eignung für detailliert ausgeformte Oberflächen. Aus dem 1. und 2. Jahrhundert sind noch keine feuervergoldeten Gegenstände bekannt, deren Herstellung germanischen Handwerkern zugeschrieben werden kann. Die Untersuchung eines Prunksporns und zugehöriger Schuhbeschläge aus einem Grab der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts von Hagenow bei Schwerin in Mecklenburg, bestätigte 22
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Matthias Becker/Manfred Füting/Holger Schnarr, Metallkundliche und analytische Untersuchungen am Fundmaterial aus dem „Fürstengrab“ von Gommern, Lkr. Jerichower Land. In: Voß/Hammer/Lutz (Anm. 2) 204–216; Matthias Becker, Bekleidung – Schmuck – Ausrüstung. In: Siegfried Fröhlich (Hrsg.), Gold für die Ewigkeit. Das germanische Fürstengrab von Gommern (Halle(Saale) 2000) 136 ff. Abb. S. 136; 143; 144; 197; Heiko Breuer/Hans-Joachim Naumann, Restaurieren – Faktensammeln zum Objekt. Ebd., 182–189. – Zum Gürtel siehe auch Marzena J. Przybyła, Ein Prachtgürtel aus dem Grab 1 von Wrocław-Zakrzów (Sakrau). Archäologisches Korrespondenzblatt 35, 2005, 105–122. Siehe Claus v. Carnap-Bornheim/Jørgen Ilkjær, Illerup Ådal 5. Die Prachtausrüstungen. Textband. Jutland Archaeological Society Publications 25,5 (Aarhus 1996) 389ff.; dies., Illerup Ådal 7. Die Prachtausrüstungen. Tafeln (Aarhus 1996). – Zur Technik: Unn Plahter/ Evabeth A. Astrup/Eldrid S. Straume, Norwegian rosette-brooches of the 3rd century AD: their construction, materials and technique. The Journal of the Historical Metallurgy Society 29, 1995, 12–24; Voß/Hammer/Lutz (Anm. 2) 192; 303f. Taf. 46–49; 60–62; Becker/ Füting/Schnarr (Anm. 22) 207 ff.; Matthias Becker/Manfred Füting/Peter Hammer, Reine Diffusionsbindung. Rekonstruktion einer antiken Vergoldungstechnik und ihrer Anwendungsbereiche im damaligen Metallhandwerk. Jahresschrift Mitteldeutsche Vorgeschichte 86, 2003, 167–190. Dazu u. a. Projektgruppe Plinius (Anm. 14), 65ff.; Anheuser (Anm. 14) 17 ff.; Unn Plahter/ Christian J. Simensen, Some characteristic features of gilded jewellery from the 3rd, 5th, and 8th centuries found in Norway. Germania 80, 2002, 547–570; besonders 564ff.
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Abb. 5. 1 Silberne Zierscheibe mit Perldraht und Plattierung aus Goldfolie von Hagenow, Lkr. Ludwigslust, Grab I/1899, erste Hälfte des 2. Jahrhunderts (die Beschädigung der Goldfolie durch Abrieb ist deutlich zu erkennen); 2 Silberner Schildbuckel mit vergoldetem Pressblechbesatz, Glasflusseinlagen und partiell feuervergoldetem Aufsatz (Pfeile) aus Gommern, Lkr. Jerichower Land, Körpergrab, zweites Drittel des 3. Jahrhunderts; 3 Silberne Blechfibel Typ „Wiesbaden“, partiell vergoldet und nielloverziert, Wiesbaden, Hessen, Körpergrab, erste Hälfte des 5. Jahrhunderts. – 1a M. 2:1; 3 M. 1:2; übrige ohne M.
die vermutete Feuervergoldung nicht.25 Somit ist der bereits erwähnte Schildbuckelaufsatz aus Gommern der bislang einzige sichere Beleg vor der Völkerwanderungszeit, ab der die Feuervergoldung als gängiges Verfahren der Oberflächenveredelung, des öfteren in Kombination mit Nielloverzierung, zum Einsatz kam (Abb. 5,3).
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Zu Hagenow vgl. Friedrich Lüth/Hans-Ulrich Voß et al., Neue ‚Römergräber‘ aus Hagenow. Ein Vorbericht. Bodendenkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern. Jahrbuch 48, 2000, 149–214; Hans-Ulrich Voß, Hagenow in Mecklenburg. Ein frühkaiserzeitlicher Bestattungsplatz und Aspekte der römisch-germanischen Beziehungen. Bericht der Römisch-Germanischen Kommission 86, 2005 (2006) 19–59. – Für die Untersuchung danke ich Herrn W. R. Aniol, Schleswig.
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Die an römischen Erzeugnissen geläufige Verzinnung und Silberplattierung ist bei zeitgleichen germanischen Gegenständen des 1. bis. 4. Jahrhunderts mit regionalen und zeitlichen Schwerpunkten zu beobachten.26
Schlussfolgerungen Als Fazit ist festzuhalten, dass im Verlaufe des 1. Jahrhunderts vor allem anhand der Tauschierung, nach den Markomannenkriegen Ausgangs des 2. Jahrhunderts mit der Anwendung der Diffusionsbindung zur Herstellung vergoldeter Pressbleche, insbesondere jedoch in der Spätantike mit der Anwendung von Feuervergoldung, der Nielloverzierung, aber auch dem Feinguss und der Lötung römische Feinschmiedetechnik übernommen worden ist, die eine gewisse „Breitenwirkung“ im einheimischen Sachgut des mitteleuropäischen Barbaricums entfalten konnte. Andere Techniken wie Granulation oder Goldplattierung blieben ebenso wie die Verwendung von Schmucksteinen auf „Prestigegüter“ beschränkt (Tab. 2). Damit ergeben sich Kriterien, die neben den individuellen Fähigkeiten des jeweiligen Handwerkers ein qualifiziertes germanisches Feinschmiedehandwerk erschließen lassen, das über Spezialwissen und Zugriff auch auf seltenes oder aber wertvolles Material wie Edelmetall verfügte und den Ansprüchen der Vertreter eines gehobenen sozialen Milieus Rechnung tragen konnte. Die Entwicklung dieses qualifizierten Handwerks lässt sich seit dem 1. Jahrhundert n. Chr. recht kontinuierlich verfolgen, die Spezialisten selbst treten jedoch erst in völkerwanderungs- und merowingerzeitlichen Grabfunden häufiger in Erscheinung.27 Als „Nachbarn über Jahrhunderte“ waren Römer und Germanen mit einem Kulturgefälle konfrontiert, das nahezu alle Bereiche handwerklicher Produktion umfasste.28 Neben Rohstoffen, vor allem Metall, war auch 26 27
28
Voß/Hammer/Lutz (Anm. 2) 304 ff. Tab. 39. Voß/Hammer/Lutz 307 ff. – Zur Spezialisierung des Feinschmiedehandwerks Cosack (Anm. 5), 82; Claus v. Carnap-Bornheim, The Social Position of the Germanic Goldsmith A.D. 0–500. In: Bente Magnus (ed.), Roman Gold and the Development of the Early Germanic Kingdoms. Kungl. Vitterhets Historie och Antikvitets Akademie Konferenser 51 (Stockholm 2001) 263–278; kritisch bzw. ablehnend Torsten Capelle, Zu den Arbeitsbedingungen von Feinschmieden im Barbaricum. In: Daniel Bérenger (Hrsg.), Archäologische Beiträge zur Geschichte Westfalens [Festschrift Klaus Günther]. Studia honoria 2 (Rahden/Westf. 1997) 195–198; Timm Weski, Zum Problem der spezialisierten Handwerker in der römischen Kaiserzeit. Archäologisches Korrespondenzblatt 13, 1983, 111–114. Z. B. in der Keramikherstellung, die römische Verfahren der Massenproduktion zunächst nur ansatzweise und kurzzeitig übernahm, vgl. Sigrid Dusˇek, Römische Handwerker im germanischen Thüringen. Ergebnisse der Ausgrabungen in Haarhausen, Kr. Arnstadt.
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handwerkliches Spezialwissen bei den Germanen begehrt und geschätzt, wie Nachrichten antiker Autoren wiederholt bestätigen. Die vielfältigen Kontakte mit dem Römischen Reich boten aber auch Möglichkeiten, etwa im Rahmen des Militärdienstes handwerkliche Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben.29 Obwohl die Untersuchungen zum römischen Einfluss im Feinschmiedehandwerk erst am Anfang stehen und die reichlich vorhandenen Sachgüter bislang nur stichprobenartig untersucht worden sind, erweist sich der sogenannte „Technologietransfer“ bei näherer Betrachtung vielgestaltiger, als zunächst angenommen. Nicht bloße Nachahmung oder Kopie fremder Vorbilder aus der Hochkultur, wie bei Fibeln u. a. durch Nachahmung von Gewinde oder bei der Ikonographie früher Goldbrakteaten besonders eindrucksvoll zu veranschaulichen (Abb. 6),30 sondern die bewusste Auswahl und Übernahme von Sachgütern, Formen, Materialien und Techniken beginnt sich derzeit abzuzeichnen. Das als nützlich, praktisch oder nur „schön“ und technisch machbar erkannte wurde den eigenen Bedürfnissen angepasst und umgesetzt. Bestimmend für die Materialauswahl und Verwendung von Verzierungstechnik wie Filigran, Granulation oder Vergoldung war das Modeströmungen unterworfene Stilempfinden germanischer Eliten. Der Zugang zu den Rohstoffen, weniger wohl zu technischem „Know how“, setzte dabei Grenzen. Neben der Verwendung kostbarer Materialien wie Edelmetalle oder Schmucksteine, war auch die nicht zwangsläufig sofort ins Auge fallende, dem Kundigen jedoch erkennbare besondere Herstellungs- und Verzierungstechnik von Gegenständen statusmarkierend. Auch auf diese Weise konnten offenbar „Rangunterschiede“ sichtbar gemacht werden (Tab. 3). So weisen im Grab 9/1995 aus Hagenow, Lkr. Ludwigslust, unter anderem silberne, filigranbesetzte Teile eines cingulumartigen Leibriemens und
29
30
Weimarer Monographien zur Ur- und Frühgeschichte 27 (Stuttgart 1999); Bernd Steidl, Lokale Drehscheibenkeramik römischer Formgebung aus dem germanischen Mainfranken. Zeugnis für die Verschleppung römischer Reichsbewohner nach Germanien? Bayerische Vorgeschichtsblätter 67, 2002, 87–112. – Andererseits warnen Befunde etwa der Textilherstellung oder Holzverarbeitung vor allzu einseitigen Schlüssen; siehe Lise Bender-Jørgensen, North European Textiles until AD 1000 (Århus 1992); Martin D. Schön, Der Thron aus der Marsch. Ausgrabungen an der Fallward bei Wremen im Landkreis Cuxhaven I. Museum Burg Bederkesa, Begleithefte zu Ausstellungen 1 (Bremerhaven 1995). Siehe Horst-Wolfgang Böhme, Germanische Grabfunde des 4. bis 5. Jahrhunderts zwischen unterer Elbe und Loire. Münchner Beiträge Vor- und Frühgeschichte 19 (München 1974) 17; ders., Sächsische Söldner im römischen Heer. In: Frank Both/Heike Aouni (Red.), Über allen Fronten. Nordwestdeutschland zwischen Augustus und Karl dem Großen (Oldenburg 1999) 49–73; besonders 64; Stupperich (Anm. 1) 22. Rüdiger Krause, Das Gewinde in der Antike. In: Reinhold Würth/Dieter Planck (Hrsg.), Die Schraube zwischen Macht und Pracht (Sigmaringen 1995) 23–54; 196 Nr. D 3.
358
Hans-Ulrich Voß
Abb. 6. Beispiele für die Umsetzung römischer Vorbilder im germanischen Milieu. 1 Scharnierarm- und 2 Bügelknopffibel sowie 3 Variante der Zwiebelknopffibel mit Nielloverzierung und Armbrustkonstruktion des Nadelapparates; 4 Schraubverschluss der goldenen Zwiebelknopffibel des Childerichgrabes und 5. Nachahmung an gegossener kreuzförmiger Fibel aus Bordesholm, Kr. Rendsburg-Eckernförde; 6 Goldmedaillon Constantius II. (348–349); 7 Goldbrakteat von Tjurkö. – 1–3 M. 1:2; 6 M. 1:1; übrige ohne M.
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359
mit teilweise goldplattierten figürlichen Darstellungen versehene Silberplatten eines Prunkgürtels auf die besondere Stellung des dort zu Beginn des 2. Jahrhunderts n. Chr. begrabenen Kriegers hin.31 Im Königsgrab von Musˇov, Bez. Brˇeclav (Mähren), aus der Zeit der Markomannenkriege (166–180 n. Chr.), charakterisieren Ausrüstungsgegenstände mit goldplattiertem Silberfiligran die Stellung des oder der Bestatteten, im eine Generation jüngeren Heeresbeuteopfer A von Illerup in Jütland Prunkausrüstungen mit vergoldetem Silberpressblech und Schmucksteineinlagen den Rang der militärischen Anführer.32 Auf die Herstellung von Email musste und konnte ganz verzichtet werden, andere aufwendige Verfahren fanden erst unter den veränderten Bedingungen zu Ende des 4. Jahrhunderts und vermutlich aktiver Beteiligung provinzialrömischer Handwerker Eingang in die germanische Sachkultur (Tab. 2). Bereits seit dem Ende des 2. Jahrhundert ist im militärischen Milieu Südskandinaviens und des nördlichen Mitteleuropa die Entstehung einer „Mischkultur“ zu beobachten, die mit den beiden Thorsberger Zierscheiben augenfällig in Erscheinung tritt (Abb. 7). Hier waren versierte Spezialisten zwar nicht mit dem Sinngehalt römischer Bildkunst, wohl aber mit dem nötigen herstellungstechnischen „Know how“ bestens vertraut.33 In anderen Fällen kann nicht ausgeschlossen werden, dass seit dieser Zeit provinzialrömische Werkstätten oder dort ausgebildete Handwerker hin und wieder Schmuck und Ausrüstungsgegenstände nach dem Geschmack germanischer Verbündeter anfertigten. In Betracht kämen der Schildbuckel (Abb. 5,2) und der Prunkgürtel aus dem Grab von Gommern, die, wie geschildert, mit Feuervergoldung und Blattvergoldung in ihrer Zeit bislang beispiellos sind.34 Gut 100 Jahre später, seit der zweiten Hälfte des 31 32
33
34
Vgl. Anm. 25. Claus v. Carnap-Bornheim, Der Trachtschmuck, die Gürtel und das Gürtelzubehör. In: Jaroslav Pesˇka/Jaroslav Tejral, Das germanische Königsgrab von Musˇov in Mähren. Römisch-Germanisches Zentralmuseum, Monographien 55,1 (Mainz 2002), 189–305, besonders 247 ff.; v. Carnap-Bornheim/Ilkjær (Anm. 23); Claus v. Carnap-Bornheim, Kaiserzeitliche germanische Traditionen im Fundgut des Grabes des „Chef militaire“ in Vermand und im Childerich-Grab in Tournai. In: Thomas Fischer/Gundolf Precht/Jaroslav Tejral, Germanen beiderseits des spätantiken Limes. Spisy Archeologického ústavu AV CˇR Brno 14 (Köln, Brno 1999) 47–61. v. Carnap-Bornheim (Anm. 6); ders., Neue Forschungen zu den beiden Zierscheiben aus dem Thorsberger Moorfund. Germania 75, 1997, 69–99. Matthias Becker, Halle, danke ich für die anregende Diskussion und Kritik zu dieser Problematik. – Vgl. dazu z. B. auch ausgehend von Tauschierarbeiten in awarischem Kontext die Überlegungen von Orsolya Heinrich-Tamaska, Studien zu den awarenzeitlichen Tauschierarbeiten. Monographien zur Frühgeschichte und Mittelalterarchäologie 11 (Innsbruck 2005) 134 Anm. 167, sowie in gleichem Zusammenhang zum Import Jörg Drauschke in diesem Band.
360
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Abb. 7. Die Zierscheiben des Thorsberger Moorfundes (Süderbrarup, Lkr. Schleswig-Flensburg, Schleswig-Holstein). – M. 2:3
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4. Jahrhundert, trugen provinzialrömische Werkstätten germanischem Stilempfinden bereits wie selbstverständlich Rechnung. Stellvertretend für viele andere Beispiele mag dies eine silberne Bügelfibel mit Nielloverzierung, Armbrustkonstruktion und polyedrischen Knöpfen – Elementen der Zwiebelknopffibeln einerseits, Bügelknopffibeln andererseits – aus dem Fürstengrab der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts von Blucˇina-Cezavy, Bez. Brno-venkov/Mähren, illustrieren (Abb. 6,3).35 So gesehen erfolgte noch einmal ein „Schub“ aus der mediterranen Kultur, als der Frankenkönig Childerich I. († 482) neben römischen Insignien der Macht cloisonnéverzierte Waffen und Ausrüstungsgegenstände erhielt, die stilbildend für eine ganze Epoche wurden.36 Abbildungsnachweis Abb. 1: Ute Pfeiffer-Frohnert, „Mit Augen am Fuß und mit Wulst statt Scheibe“. Verbreitung und Zeitstellung der preußischen Nebenserie und ihrer Varianten. In: Kunow (Anm. 4), 125–134 Abb. 1; Bakker (Anm. 3) Abb. 3; Legende: Tomasz Skorupka, Kowalewko 12. Archeologiczne badania ratownicze wzdłuz˙ trasy gazociagu tranzytowego 2,3 (Poznan´ 2001) Taf. 48:162,1; Taf. 152:485,3 Abb. 2: Überarbeitet nach Voß in Voß/Hammer/Lutz (Anm. 2) Abb. 49; Fibeln aus Kunow (Anm. 4) Tafeln nach Almgren Abb. 3: Reiner Christlein, Anzeichen von Fibelproduktion in der völkerwanderungszeitlichen Siedlung Runder Berg bei Urach. Archäologisches Korrespondenzblatt 1, 1971, 47–49 Abb. 1,1 Abb. 4: 1 Westphal (Anm. 16) Abb. 8a; 10b; 2 J. Seele (Schwerin); 3 Hartmut Stange, Ein Gräberfeld der frührömischen Kaiserzeit von Plöwen, Kr. Pasewalk. Bodendenkmalpflege in Mecklenburg. Jahrbuch 1978, 133–192 Abb. 4 Abb. 5: 1 Archäologisches Landesmuseum Mecklenburg-Vorpommern, Wiligrad; 2 Becker (Anm. 22) Abb. S. 143; 3 Joachim Werner, Zu einer elbgermanischen Fibel des 5. Jahrhunderts aus Gaukönigshofen, Ldkr. Würzburg. Bayerische Vorgeschichtsblätter 46, 1981, 225–254 Beilage 2,1 Abb. 6: 1a Joachim Werner, Zu den römischen Mantelfibeln zweier Kriegergräber von Leuna. Jahresschrift für mitteldeutsche Vorgeschichte 72, 1989, 121–134 Abb. 2,1 (Leuna, Lkr. Merseburg-Querfurt, Grab 2/1917); 2 Hans-Ulrich Voß, Die Bügelknopffibeln. Almgren Gruppe VI, 2, Fig. 185 und 186. In: Kunow 35
36
Mechthild Schulze-Dörrlamm, Germanische Spiralplattenfibeln oder romanische Bügelfibeln? Zu den Vorbildern elbgermanisch-fränkischer Bügelfibeln der protomerowingischen Zeit. Archäologisches Korrespondenzblatt 30, 2000, 599–613, Abb. 8,2 („westliche Variante byzantinischer Zwiebelknopffibeln vom Typ Jerusalem“). Horst Wolfgang Böhme, Der Frankenkönig Childerich zwischen Attila und Aëtius. Zu den Goldgriffspathen der Merowingerzeit. In: Festschrift für Otto-Herman Frey zum 65. Geburtstag. Marburger Studien zur Vor- und Frühgeschichte 16 (Marburg 1994) 69–110, besonders 105 ff.; Birgit Arrhenius, Garnet Jewelry of the Fith and Sixth Centuries. In: Reynolds-Brown/Kidd/Little (Anm. 18) 214–225; dies., Beliefs behind the Use of Polychrome Jewellery in the Germanic Area. In: Magnus (Anm. 27) 297–310.
362
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(Anm. 4) 271–282 Abb. 3,3 (Pritzier, Lkr. Ludwigslust, Grab 532); 3 SchulzeDörrlamm (Anm. 35); 4 Patrick Périn/Michel Kazanski, Das Grab Childerichs I. In: Alfried Wieczorek/Patrick Périn (Hrsg.), Die Franken, Wegbereiter Europas (Mainz 1996) 173–182 Abb. 119; 5 Krause (Anm. 30); 6 Aleksander Bursche, Złote medaliony rzymskie w Barbaricum. S´wiatowit Supplement Series A2 (Warszawa 1998) Taf. S,22; 7 Brakteat von Tjurkö (Lund). Karl Hauck, s. v. Brakteatenikonologie. Reallexikon der germanischen Altertumskunde2 3 (Berlin, New York 1978) Taf. 21a Abb. 7: Erdrich/v. Carnap-Bornheim (Anm. 6) Taf. 40; 41
über 14 % Zinn, bis 5 % (Pb, Zn)
Blei mehr als 5 %, Zn bis 3 %, Sn beliebig
hochlegierte Zinnbronze
Gußbronze
aurichalcum, antikes Messing
Mischbronze, Sekundärlegierung
3
4
5
6
je mehr als 3 % Sn, Pb, Zn
5 bis 30 % Zink, Pb bis 5 %, Sn bis Zn-Sn-Gleichheit
1084–1040
1050–950
954–327
950–750
gut bis sehr gut 1000–327
gut
sehr gut
sehr gut
50–20
10–0
gegen 0
40–10
mittel bis schlecht, 30–0 nur kalt
gut
schlecht bis nicht möglich
nicht möglich
gut bis mittel mit steigendem Zinngehalt, nur kalt
mittel bis gut
gut
gut
nur Schleifen möglich
mittel
schlecht
50–150
80–150
30–200
200–400
100–250
40–120
Verschiedenes, z. B. einzelne Fibeln
Hemmoorer Eimer
Statuetten, Griffe, Henkel
Spiegel, Glocken
Kelle-/Siebgarnituren
Östlandeimer
Dehnung in % Spanende Härte HV 5 Beispiele Formänderung in kp/mm2
gut, kalt und warm 60–40
SchmelzSpanlose bereich in °C Formänderung
mittel bis gut 1040–950 mit steigendem Zinngehalt
Schmiedebronze
2
5 bis 14 % Zinn, bis 5 % (Pb, Zn)
bis 5 % (Sn, Pb, Zn) schlecht
Kupfer
1
Vergießbarkeit
Chemische Zusammensetzung
Bezeichnung
Legierungsgruppe
Tab. 1. Klassifizierung von Bronzelegierungen (aes und aurichalcum) nach Legierungsgruppen und Verarbeitungseigenschaften (nach P. Hammer in Voß/Hammer/Lutz [Anm. 2] Tab. 30)
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363
364
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Tab. 2. Vergleich ausgewählter Herstellungs-, Verzierungs- und Veredlungstechnik an Buntund Edelmetallarbeiten im Römischen Reich und im elbgermanischen Teil des Barbaricums (überarbeitet nach H.-U. Voß in Voß/Hammer/Lutz [Anm. 2] Tab. 39) Herstellungs-, Veredlungsund Verzierungstechnik
Römisches Reich frühe
mittlere
Germania späte
frühe
Kaiserzeit
späte
Römische Kaiserzeit
Völkerwanderungszeit
1. Guß ?X
Xx
?
?
yy
?
Schleuderguß
?
x
?
–
–
–
f. Durchbrucharbeiten
yyyy
yyyyyy yyyy v?
?
?
yyyy
yyyyyy yyyy –
–
?
Drücken
yyyy
yyyyyy yyyy –
–
?
Schmieden im Gesenk
yyyy
yyyyyy yyyy XxXx XxXx ?
Kokillenguß(Metallform)
2. Spanende Formänderung Drehen 3. Spanlose Formänderung
Prägen (Preßbleche)
yyyy
yyyyyy yyyy yy
Ziehen (Draht) (1)
YXY
YXYXY
YXY
y y
YYYY YXY
yyyyy YYYYy
4. Verbindungstechnik Löten (2)
yyyy
yyyyyy yyyy ?
y
y y y
Schweißen
yyyy
yyyyyy yyyy –
–
?
Plattieren/(Folien)
yyyy
y y
y y
y y
yyyyy
Verzinnen
yyyy
ny y
yyyy ?
y y
yyyyy yyy
5. Veredlungs- und Verzierungstechnik y y
– " – „incoctilia“
PLINIUS y y y y
yyyy ?
?
„Weißsieden“ (Ag)
y y
yyyy –
?
?
Blattvergoldung
PLINIUS y y y y y y y y y y ! x? !
y
yyyyy
Feuervergoldung
PLINIUS y y y
yyyy !–!
yxY
yyyyy
Diffusionsbindung (3)
x?x
x?x
x?x
y y x x x
Emaillieren
yyyy
yyyyyy yyyy –
–
–
Niellieren
yyyy
yyyyyy yyyy –
–
yyyyy
Tauschieren (auch Fe)
yyyy
yyyyyy yyyy yyy
yy
yyyyy
Kerbschnitt
–
–
Filigran
yyyy
Granulation
yyyy
y y y
! x? !
yyyy –
–
yyyyy
yyyyyy yyyy yyy
yy
yyyyy
yyyyyy yyyy yyy
yy
?y
y Belege (Literatur) Belege durch eigene Untersuchungen Y Umstritten (Literatur) x Vermutet (eigene Untersuchungen) X Vermutet (Literatur) – Bislang kein Nachweis bekannt oder ungebräuchlich ! ! Für den Nachweis der Übernahme römischer Technik von besonderem Interesse. (1) Zur Verlängerung durch Querschnittsverringerung. – (2) Lötverbindung belastbarer Teile wie Gefäßattachen, Nadelhalter von Fibeln etc. (Festigkeitsverbindung). Incoctilia: PLINIUS, Naturalis Historia 34,162. Vgl. Projektgruppe Plinius (Hrsg.), Plinius der Ältere über Blei und Zinn. Attempto-Werkheft(e) 10 (Tübingen 1989). – Blattvergoldung: PLINIUS, Naturalis Historia 33,61; 33,64. – Feuervergoldung: PLINIUS, Naturalis Historia 33,58–68; 33,80–94; 33,99–100; 123; 125. Vgl. Projektgruppe Plinius (Anm. 14). – (3) Für Vergoldung auf Silber (Preßbleche).
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y y y y y
Analyse
Filigran / Perldraht
Sonstiges
Tauschierung
Plattierung
Material
Grab/ Gegenstand/ Objektnummer
Vergoldung
Tab. 3. Hagenow, Lkr. Ludwigslust, Mecklenburg-Vorpommern (Urnengrab 9/1995), und Musˇov, Bez. Brˇeclav, Körpergrab (Mehrfachbestattung). Vergleich verwendeter Materialien und ausgewählter Verzierungs- und Oberflächenveredelungstechniken
Hagenow, Grab 9/1995 Schildniete (5/1) Schildfessel (5/2) Stuhlsporenpaar A (7/) Stuhlsporenpaar B (8/) Stuhlsporenpaar C (9/) Schnalle (11/1) Nietscheiben (11/7.8) Scharnierbeschlag/Zwingen (11/9) Zwingenpaare (11/11.12) Zwinge mit Ring (11/3) Ösenverschlüsse (32/) Scharniergürtel (12/) Messer (13/) Feuerstahl (14/) Anhängespitze (15/) Kniefibel Almgr. V, Ser.9 (22/)
x x x x x y y y y y y x v v v x
y Y? v v v x x x
y y y y
y y x x
Silberauflage?
RFA
Durchbruchmuster Durchbruchmuster Durchbruchmuster Scharnier Randhülsen*)
y y Y?
br. Endknopf eis. Endknopf Lot, Preßblech(?); Silberauflage
CZ Musˇov, „Königsgrab“ Lanzenspitze A 3 Schildrandbeschläge A 22.23 Stuhlsporenpaar B 1.2 Scheiben von Stuhlsporn B2c-d Stuhlsporenpaar B 3.4 Stuhlsporenpaar B 5.6 Stuhlsporn B 7 Schnallen C 3.4 Riemenzungen C 6.7 Riemenendbeschlag(?) C 12 Rosettenbeschläge C 13.14 Triskelenbeschläge C 15.16 Sternförm. Beschläge C 17–20 Zierscheiben C 21–29 Riemenbeschläge C 31–37 Riemenbeschläge C 39.40 Riemenhalter C 45 Blechfragment C 55 Rechteckbeschlag C 44 Riemenbeschlag C 64 Feuerstahl C 52
Gold Goldtauschierung
v x x y v v v y y v y y y y y x y y x x v
y y v y y
y y y y y x
¥ ¥
¥ ¥ ¥ ¥ Durchbruchmuster ¥ Durchbruchmuster ¥ ¥ zweinietig ¥ ¥
y
verzinnt, Silberniete verzinnt, Silberniete, Silbergranalien Knauf aus Zinn
y Y Silber ¥ goldplattiertes Silberfiligran Silbertauschierung Niet/Zierniet in Perldrahtring
x Bronze (aes und aurichalcum) v V Eisen
*) Trägerplatten mit verschränkten Längsseiten, Silberplattierung von bronzenen Randhülsen gefasst
366
Hans-Ulrich Voß
Zwischen Spätantike und Frühmittelalter – RGA-E Band 57 – Seiten 367–423 Herkunft und· Vermittlung © 2008 Walter de Gruyter · Berlin New York „byzantinischer Importe“
367
Zur Herkunft und Vermittlung „byzantinischer Importe“ der Merowingerzeit in Nordwesteuropa Jörg Drauschke
„Byzantinische“ Funde – Eine Forschungsaufgabe In den letzten Jahren hat sich das Forschungsinteresse an „byzantinischen“ beziehungsweise mediterranen Funden merklich gesteigert, wobei der Themenkomplex von Seiten verschiedener Disziplinen aufgegriffen wurde: Die Frühgeschichtliche Archäologie betrachtet das infrage kommende Fundmaterial vornehmlich aus der Perspektive der an der Peripherie des Byzantinischen Imperiums liegenden Herrschaftsgebiete der germanischen Reiche von Franken, Langobarden usw. oder der reiternomadischen Kulturen von Hunnen, Awaren oder Bulgaren. Im Mittelpunkt stehen die „byzantinischen“ Kleinfunde, die ein Spektrum abdecken, zu dem unter anderem kostbare Helme und Prunkschwerter, Gürtelschnallen und Münzen sowie Metall- und Glasgefäße gehören.1 Zum Forschungsfeld der Christlichen Ar1
Literaturauswahl neuerer Titel: Attila Kiss, Frühmittelalterliche byzantinische Schwerter im Karpatenbecken. Acta Archaeologica Academiae Scientiarum Hungaricae 39, 1987, 194–210; Joachim Werner, Neues zur Herkunft der frühmittelalterlichen Spangenhelme vom Baldenheimer Typus. Germania 66,2, 1988, 521–528; Horst Wolfgang Böhme, Der Frankenkönig Childerich zwischen Attila und Aëtius. Zu den Goldgriffspathen der Merowingerzeit. In: Claus Dobiat (Hrsg.), Festschrift für Otto-Herman Frey zum 65. Geburtstag. Marburger Studien zur Vor- und Frühgeschichte 16 (Marburg 1994) 69–110; Carl Pause, Die Franken und der Orient. Rheinisches Landesmuseum Bonn 1996,2, 41–49; Dieter Quast, Ein byzantinischer Gürtelbeschlag der Zeit um 500 aus Weingarten (Lkr. Ravensburg) Grab 189. Fundberichte aus Baden-Württemberg 21, 1996, 527–539; Péter Somogyi, Byzantinische Fundmünzen der Awarenzeit. Monographien zur Frühgeschichte und Mittelalterarchäologie 5 (Innsbruck 1997); Falko Daim (Hrsg.), Die Awaren am Rand der byzantinischen Welt. Monographien zur Frühgeschichte und Mittelalterarchäologie 7 (Innsbruck 2000); Adrien Pásztor/Tivadar Vida, Eine frühbyzantinische Bronzekanne aus dem awarenzeitlichen Gräberfeld von Budakalász. In: Csanád Bálint (Hrsg.), Kontakte zwischen Iran, Byzanz und der Steppe im 6.–7. Jahrhundert. Varia Archaeologica Hungarica 10 (Budapest, Napoli, Roma 2000) 303–311; Éva Garam, Funde byzantinischer Herkunft in der Awarenzeit vom Ende des 6. bis zum Ende des 7. Jahrhunderts. Monumenta Avarorum Archaeologica 5 (Budapest 2001); Dieter Quast, Byzantinisch-gepidische Kontakte nach 454 im Spiegel der Kleinfunde. In: Eszter Istvánovits/Valéria Kulcsár (Hrsg.),
368
Jörg Drauschke
chäologie und Byzantinischen Kunstgeschichte gehören traditionell die architektonischen und ikonografischen Denkmäler profaner und sakraler Natur sowie die Kleinfunde frühchristlichen Charakters. Zusammen mit der Klassischen und Provinzialrömischen Archäologie des Mittelmeerraumes wurde seit den 1970er Jahren verstärkt die mediterrane Keramik – Transportamphoren sowie Feinwaren – als Schwerpunkt entdeckt. Das stimulierte im Zusammenspiel mit den historischen Fächern interessante und bis heute andauernde Diskussionen über den Charakter des Warenaustausches und der spätantiken Wirtschaft im Mediterraneum seit der Spätantike.2 Die Entdeckung von Produktionszentren insbesondere der Amphoren und die mögliche Zuordnung von Gefäßen zu bestimmten Herkunftsregionen mittels naturwissenschaftlicher Analysen lassen die Rekonstruktion von Warenströmen und Rückschlüsse auf die Intensität der Teilnahme einzelner Plätze am mittelmeerweiten Güterverkehr zu.3 Festzustellen ist nicht nur eine Ausweitung der Forschungen auf diese wirtschaftsgeschichtlichen Fragestellungen, sondern schließlich auch auf den gesamten Bereich der materiellen Kultur des Byzantinischen Reiches sowie auf siedlungsgeschichtliche Zusammenhänge einzelner Orte und ganzer Teilregionen.4
2
3
4
International Connections of the Barbarians of the Carpathian Basin in the 1st–5th centuries A.D. Konferenz Aszód, Nyíregyháza 1999 (Aszód, Nyíregyháza 2001) 431–452; Jörg Drauschke, Funde ostmediterraner/byzantinischer Herkunft im merowingerzeitlichen Südwestdeutschland. Archäologische Informationen 25, 2002, 151–156; Anthea Harris, Byzantium, Britain and the West. The Archaeology of cultural identity AD 400–650 (Stroud 2003). Ein Überblick zu den divergierenden Modellen bei: Jean-Michel Carrié, Les échanges commerciaux et l’État antique tardif. In: Économie antique. Les échanges dans l’Antiquité. Le rôle de l’État. Entretiens d’Archéologie et d’Histoire 1 (Balma, Fonsegrives 1994) 175–211 bes. 175 f. Paul Reynolds, Trade in the Western Mediterranean, AD 400–700: The ceramic evidence. British Archaeological Reports, International Series 604 (Oxford 1995); Jean-Pierre Sodini, Production et échanges dans le monde protobyzantin (IVe–VIIe s.). Le cas de céramique. In: Klaus Belke u. a. (Hrsg.), Byzanz als Raum. Zu Methoden und Inhalten der Historischen Geographie des östlichen Mittelmeerraumes. Österreichische Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl., Denkschriften 283 = Veröffentlichungen der Kommission für die Tabula Imperii Byzantini 7 (Wien 2000) 181–208; Joseph M. Gurt i Esparraguera u. a. (Hrsg.), LRCW I. Late Roman coarse wares, cooking wares and amphorae in the Mediterranean. Archaeology and Archaeometry. British Archaeological Reports, International Series 1340 (Oxford 2005). Zusammenfassend: Jean-Pierre Sodini, La contribution de l’archéologie à la connaissance du monde byzantin (IVe–VIIe siècles). Dumbarton Oaks Papers 47, 1993, 139–184; Angeliki E. Laiou (Hrsg.), The economic history of Byzantium. From the seventh to the fifteenth century. Dumbarton Oaks Studies 39 (Washington D. C. 2002); Jaques Lefort u. a. (Hrsg.), Les villages dans l’Empire Byzantin, IVe–XVe siècle. Réalités byzantines 11 (Paris 2005); Ken Dark (Hrsg.), Secular buildings and the archaeology of everyday life in the Byzantine Empire (Oxford 2004).
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Der daraus resultierende Erkenntniszuwachs spiegelt sich merklich in der zunehmenden Anzahl von in Mittel- und Westeuropa identifizierten Funden und Objektgruppen, deren Ursprung im Mittelmeerraum beziehungsweise im Byzantinischen Reich gesucht wird und die daher als „byzantinisch“ bezeichnet werden. Für das Merowingerreich dienten vor allem die gewandelten Vorstellungen zur Provenienz der frühmerowingerzeitlichen Goldgriffspathen, Gürtelschnallen und -beschläge sowie der Spangenhelme vom Baldenheimer Typ als neuerlicher Forschungsschub5, nachdem bereits bis in die 1970er Jahre hinein eine erste Phase mit zahlreichen Veröffentlichungen zu diesem Thema zu verzeichnen war6. Es ist an dieser Stelle nicht das Ziel, den in Westeuropa nachgewiesenen „byzantinischen“ Funden eine weitere Gattung hinzuzufügen oder die älteren Verbreitungskarten um Neufunde zu ergänzen – wobei auch das in Einzelfällen geschehen wird. Vielmehr soll der Versuch unternommen werden, eine kritische Zwischenbilanz der mittlerweile enorm angewachsenen Menge des als „byzantinisch“ bezeichneten Kleinfundmaterials zu ziehen. In dem hier ausgebreiteten, angesichts der Fülle infrage kommender Objektgruppen lediglich ausschnitthaften Überblick, der sich auf die archäologischen Hinterlassenschaften des östlichen und nördlichen Merowingerreiches mit Ausblicken auf die Britischen Inseln stützt, wird der Fokus
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Werner, Spangenhelme (Anm. 1); Dieter Quast, Die merowingerzeitlichen Grabfunde aus Gültlingen (Stadt Wildberg, Kreis Calw). Forschungen und Berichte zur Vor- und Frühgeschichte in Baden-Württemberg 52 (Stuttgart 1993); Böhme, Goldgriffspathen (Anm. 1). Literatur (in Auswahl): Joachim Werner, Die byzantinische Scheibenfibel von Capua und ihre germanischen Verwandten. Acta Archaeologica (København) 7, 1936, 57–67; Gyula László, Die byzantinischen Goldbleche des Fundes von Kunágota. Archaeologiai Értesito˝ 51, 1938, 55–86; 131–148; Joachim Werner, Italisches und koptisches Bronzegeschirr des 6. und 7. Jahrhunderts nordwärts der Alpen. In: Johann F. Crome u. a. (Hrsg.), Mnemosynon Theodor Wiegand (München 1938) 74–86; Hans Zeiß, Die frühbyzantinische Fibel von Mengen, Ldkr. Freiburg i. Br. Germania 23, 1939, 269–273; Joachim Werner, Hallazgos de origen byzantino en España. Cuadernos de Historia Primitiva 3, 1948, 107–112; Dezso˝ Csallány, Les monuments de l’industrie byzantine de métaux I. Acta Antiqua Academiae Scientiarum Hungaricae 2, 1954, 340 ff.; Joachim Werner, Zwei gegossene koptische Bronzeflaschen aus Salona. Zbornik Radova Posvec´enik Michael Abramic´u 1. Vjesnik za Arheologiju i Historiju Dalmatinsku 56/59, 1954/57, 115–128; ders., Byzantinische Gürtelschnallen des 6. und 7. Jahrhunderts aus der Sammlung Diergardt. Kölner Jahrbuch für Vor- und Frühgeschichte 1, 1955, 36–48; Dezso˝ Csallány, Byzantinische Schnallen und Gürtelbeschläge mit Maskenmuster. Acta Antiqua Academiae Scientiarum Hungaricae 10, 1962, 55–77; Syna Uenze, Die Schnallen mit Riemenschlaufe aus dem 6. und 7. Jahrhundert. Bayerische Vorgeschichtsblätter 31, 1966, 142–181; Gerhard Fingerlin, Eine Schnalle mediterraner Form aus dem Reihengräberfeld Güttingen, Ldkrs. Konstanz. Badische Fundberichte 23, 1967, 159–184; ders., Imitationsformen byzantinischer Körbchen-Ohrringe nördlich der Alpen. Fundberichte aus Baden-Württemberg 1, 1974, 597–627.
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daher auf die Frage gerichtet, welche Formen überhaupt verlässlich aus dem Mittelmeerraum und – wenn möglich – aus welchen Regionen dort hergeleitet werden können. Gleichsam als Vorbemerkung wird diskutiert, ob der Begriff „byzantinisch“ nicht einer stärkeren inhaltlichen Definition bedarf und alternative Benennungen für eine Reihe der bekannten Materialgattungen nicht sinnvoller wären. Diese Frage stellt sich zwangsläufig nach einer kritischen Sichtung der möglichen Herkunftsregionen. An das Resumé des Formenspektrums schließen sich Bemerkungen zu den Wegen und Formen an, die die Überführung der Objekte nach Nordwesteuropa betreffen. Der häufige Gebrauch der Bezeichnungen „Import“ und „Fernhandelsgüter“ in Bezug auf mediterrane Funde zeigt, dass hauptsächlich handelstechnische Modalitäten für deren Transport in den Westen und Norden verantwortlich gemacht werden. Dies ist anhand der zur Verfügung stehenden schriftlichen wie archäologischen Quellen zu überprüfen. Während der Merowingerzeit sind vielfältige von Byzanz ausgehende Einflüsse auf verschiedenen Ebenen belegbar, welche den Hintergrund für jeden nachweisbaren Kontakt liefern. Die Vorbildfunktion des kaiserlichen Hofes in Konstantinopel und des gesamten staatlichen Hofzeremoniells für die barbarischen Königreiche steht außer Zweifel. Durch deren Imitation sollte der Herrschaftsanspruch legitimiert werden.7 Dieser ideologisch motivierte Vorgang lässt sich als imitatio imperii im geistig-ideellen Bereich bezeichnen.8 Eine imitatio im profaneren Kontext, die auch in der materiellen Kultur fassbar ist, hat erst jüngst H. Schach-Dörges im Zusammenhang mit gedrechselten Liegemöbeln in Gräbern des 6. Jahrhunderts nachweisen können.9 Auf dieser Ebene bewegt sich auch die von H. Vierck und M. Schulze-Dörrlamm herausgearbeitete Aneignung mediterran-byzantini-
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Helmut Buschhausen, Byzantinische Repräsentationskultur. Gold, Silber, Seide, Elfenbein. In: Falko Daim (Hrsg.), Hunnen und Awaren. Reitervölker aus dem Osten (Eisenstadt 1996) 238–240. Besonders deutlich anlässlich der Ereignisse in Tours im Jahre 508, als Chlodwig die Verleihung der Insignien königlicher Würde durch den Kaiser von Konstantinopel und damit seine staatsrechtliche Anerkennung feiert und eindeutig an spätantik-frühbyzantinische Hofzeremonielle anknüpft; Karl Hauck, Von einer spätantiken Randkultur zum karolingischen Europa. Frühmittelalterliche Studien 1, 1967, 3–93, hier 30–37; Michael McCormick, Clovis at Tours, Byzantine public ritual and the origins of medieval ruler symbolism. In: Evangelos K. Chrysos/Andreas Schwarcz (Hrsg.), Das Reich und die Barbaren. Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 29 (Wien, Köln 1989) 155–180, hier 163–171. Helga Schach-Dörges, Imitatio imperii im Bestattungsbrauch? Germania 83,1, 2005, 127–150.
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scher Vorbilder und Moden.10 Die Übernahme gewisser Modeerscheinungen – man denke beispielsweise an die in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts aufkommende Mode, den Umhang der Frau mit einer anstatt mit zwei Fibeln zu verschließen11 – bedingte zwangsläufig die Nachahmung mittelmeerischer Objekte selbst, wie M. Schulze-Dörrlamm zuletzt an Knebelverschlüssen und gleicharmigen Bügelfibeln aufgezeigt hat.12 Wertvolle Nachrichten zu den nach Mittel- und Westeuropa vermittelten Waren kann man den schriftlichen Quellen entnehmen, die bereits mehrfach im Hinblick auf mediterrane Handelsgüter untersucht worden sind.13 Bis auf wenige Ausnahmen (zum Beispiel Gewürze und Textilien) überschneiden sich die von Archäologie und historischer Überlieferung nachgewiesenen mediterranen Produkte nicht. Um das Bild zu vervollständigen, sei außerdem auf indirekt erschließbare Rohstoffe verwiesen, die zur Produktion bestimmter Waren nördlich der Alpen vorausgesetzt werden müssen. Dazu zählen unter anderem das zur Feuervergoldung nötige Quecksilber und das in der Glasherstellung bis in das 8. Jahrhundert hinein verwendete mineralische Soda.14 Gegenstand dieses Beitrags sind aber die 10
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Hayo Vierck, Werke des Eligius. In: Georg Kossack/Günter Ulbert (Hrsg.), Studien zur vorund frühgeschichtlichen Archäologie. Festschrift J. Werner. Münchner Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte, Ergänzungsband 1,II (München 1974) 309–380; Mechthild Schulze, Einflüsse byzantinischer Prunkgewänder auf die fränkische Frauentracht. Archäologisches Korrespondenzblatt 6, 1976, 149–161; Hayo Vierck, La „Chemise de Sainte Bathilde“ à Chelles et l’influence byzantine sur l’art de cour Mérovingien au VIIe siècle. In: Centenaire de l’Abbé Cochet (Rouen 1978) 521–570 bes. 522ff.; ders., Imitatio imperii und interpretatio Germanica vor der Wikingerzeit. In: Rudolf Zeitler (Hrsg.), Les pays du nord et Byzance (Scandinavie et Byzance). Figura N. S. 19 (Uppsala 1981) 64–113 bes. 90ff. Max Martin, Tradition und Wandel der fibelgeschmückten frühmittelalterlichen Frauenkleidung. Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz 38, 1991, 629–680 bes. 649. Mechthild Schulze-Dörrlamm, Byzantinische Knebelverschlüsse des frühen Mittelalters. Germania 80, 2002, 571–594 bes. 585f.; dies., Gleicharmige Bügelfibeln der Zeit um 600 aus dem byzantinischen Reich. Archäologisches Korrespondenzblatt 33, 2003, 437–444 bes. 440. Adriaan Verhulst, Der Handel im Merowingerreich: Gesamtdarstellung nach schriftlichen Quellen. Antikvarisk Arkiv 39 = Early Medieval Studies 2, 1970, 2–54, hier 24; Dagmar Schwärzel, Handel und Verkehr des Merowingerreiches nach den schriftlichen Quellen. Kleine Schriften aus dem Vorgeschichtlichen Seminar Marburg 14 (Marburg 1983) 2–6; Dietrich Claude, Der Handel im westlichen Mittelmeer während des Frühmittelalters. Untersuchungen zu Handel und Verkehr der vor- und frühgeschichtlichen Zeit in Mittelund Nordeuropa II. Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften Göttingen, phil.hist. Kl., 3. Folge 144 (Göttingen 1985) 83–95. Helmut Roth, Handel und Gewerbe vom 6. bis 8. Jh. östlich des Rheins. Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 58, 1971, 323–358, hier 356; Pause, Orient (Anm. 1) 48–49. – Karl Hans Wedepohl, Mittelalterliches Glas in Mitteleuropa. Zusammensetzung, Herstellung, Rohstoffe. Nachrichten der Akademie der Wissenschaften Göttingen II. Mathematisch-Physikalische Klasse, 1998,1 (Göttingen 1998) 10–13; 34f.
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tatsächlich aus dem Mittelmeerraum beziehungsweise aus dem Byzantinischen Reich nach Nordwesteuropa gelangten Objekte. Die Überlieferung dieser Objekte ist fast ausschließlich an die Beigabenausstattung der Reihengräber gebunden, so dass man sich des ausschnitthaften Charakters des Materials bewusst sein sollte.
Der „byzantinische“ Charakter der mediterranen Funde Wie in den folgenden Ausführungen deutlich werden wird, sind vom ausgehenden 5. Jahrhundert bis in die Zeit um 700 Beziehungen zwischen dem byzantinisch beherrschten östlichen Mittelmeerraum und Nordwesteuropa stärker über Objekte fassbar, die man kaum unter dem Begriff „byzantinisch“ subsumieren kann, weswegen „orientalisch“ als Sammelbezeichnung gewählt wurde.15 Außerdem lagen die Produktionsstätten einiger ganz typischer „byzantinischer“ Artefakte während des hier betrachteten Zeitraums mit hoher Wahrscheinlichkeit im westmediterran-italischen Raum oder dem nordwestlichen Balkangebiet. Zu dieser Gruppe zählen einige frühmerowingerzeitliche Schnallen sowie Spangenhelme, die meisten Silberlöffel, alle Körbchenohrringe und Stengelgläser, einige Schnallentypen des 6. und 7. Jahrhunderts sowie diverse Gewichte und eine Anzahl von byzantinischen Münzen, vielleicht auch einige Prunkspathen. Bei den Fibeln handelt es sich im Kern höchstwahrscheinlich um ostmediterrane Objekte, die aber erst sekundär als Gewandschließen verwendet wurden. Daneben lassen sich einige Objektgruppen – zum Beispiel im Bereich der Gürtelschnallen – anführen, die häufig als „byzantinisch“ eingestuft werden, bei denen es sich jedoch letztendlich um lokale Produkte handelt, die mediterrane Elemente aufnehmen. Um den recht unterschiedlichen Bezügen der einzelnen Objektgruppen gerecht zu werden, ist eine stärkere begriffliche Differenzierung mediterraner Erzeugnisse hilfreich. Allzuoft wird mit dem zentralen Begriff „byzantinisch“ in erster Linie der Kernraum des Reiches im Osten und die Hauptstadt Konstantinopel selbst verbunden – eine Herkunftsbezeichnung, die für viele der hier besprochenen Materialgruppen nicht zutreffend ist und den Blick auf die wahren Bezugssysteme verstellt, auch wenn damit die stilistisch-typologischen Beziehungen der einzelnen Artefakte korrekt angegeben sind. 15
Roth, Handel (Anm. 14) 350; Jörg Drauschke, Zwischen Handel und Geschenk. Studien zur Distribution von Waren im östlichen Merowingerreich des 6. und 7. Jahrhunderts anhand orientalischer und lokaler Produkte, phil. Diss. (Freiburg 2005).
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Bei der Analyse der tatsächlich aus dem Mittelmeerraum eingeführten Objekte ist die stilistisch-typologische Klassifizierung von der Lokalisierung von Produktionsstätten der jeweiligen Objekte zu unterscheiden – wobei die inhaltliche Definition von „byzantinisch“ als typologischem Werkzeug je nach Materialgattung sehr unterschiedlich ausfallen kann. Grundlagen dafür legte u.a. um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert A. Riegl, der in der spätrömischen Kunst ein „fernsichtig-koloristisches Kunstwollen“ identifizierte, dessen „reifste Ausdrucksform“ die Granateinlage sei, welche sich an den spätvölkerwanderungs- und frühmerowingerzeitlichen Schnallen mit cloisonnierten Beschlägen – als Vorlage diente ihm eine Schnalle aus Apahida – wiederfinden ließ.16 Als weitere typische Merkmale galten ihm die Durchbruchsornamentik, die das Aussehen der späteren Schnallen – Typ Balgota beziehungsweise D 9 – und der Körbchenohrringe bestimmte, und stilistische Details wie die Pflanzenornamentik, die in anderen, eindeutig zeitgleichen Zusammenhängen wie der Architektur bekannt waren.17 Seines Erachtens war die Kleinkunst im „östlichen Binnenlande“ von einem gemeinsamen Grundcharakter geprägt und eine „in den Hauptzügen uniforme und normative Kunst“.18 Bereits kurze Zeit später erschienen bei N. Åberg einige der von A. Riegl behandelten Schnallen unter den Funden „byzantinischen Charakters“, wobei er darunter den materiellen Teil der nicht-germanischen Kultur verstand, auf die die Ostgoten und Langobarden in Italien stießen.19 Damit war für die frühgeschichtliche Archäologie der Begriff von „byzantinischen“ Kleinaltertümern definiert, typologisch-stilistische Merkmale wurden im Anschluss für die einzelnen Objektgruppen weiter entwickelt und verfeinert. Diese Entwicklung verlief nahezu ohne Verbindung zur Diskussion um den „byzantinischen“ Kunstbegriff in der Christlichen Archäologie und Byzantinischen Kunstgeschichte, die sich wiederum kaum auf archäologische Kleinfunde bezieht.20
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Alois Riegl, Spätrömische Kunstindustrie (Wien 1901 [unveränderter Nachdruck 1927]) 339 f. Riegl, Kunstindustrie (Anm. 16) 289–291; ders., Oströmische Beiträge. In: ders. (Hrsg.), Beiträge zur Kunstgeschichte. Festschrift F. Wickhoff (Wien 1903) 1–11, hier 3. Riegl, Beiträge (Anm. 17) 11. – Im Gegensatz dazu steht die Kunstauffassung E. Kitzingers, der die frühbyzantinische Kunst keinesfalls als einheitlich ansieht, sondern als bisweilen zusammenhanglose Abfolge und gegebenenfalls Gleichzeitigkeit gewisser „Strömungen“ in den verschiedenen Bereichen des Mittelmeeres; Ernst Kitzinger, Byzantinische Kunst im Werden. Stilentwicklungen in der Mittelmeerkunst vom 3. bis 7. Jahrhundert (Köln 1984) 11 ff. Nils Åberg, Die Goten und Langobarden in Italien. Arbeiten utgifna med understöd af Vilhelm Ekmans Universitetsfond 29 (Uppsala u. a. 1923) VI; 12 f.; 122 ff. Vgl. hierzu Kitzinger, Kunst (Anm. 18); Rainer Warland, s. v. Byzantinische Kunst. In: Lexikon für Theologie und Kirche 2 (Freiburg 1994) 863–867; Cyril Mango, Introduction.
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Zur Lokalisierung von Produktionsstätten kommt der Verbreitung der Funde weiterhin eine große Bedeutung zu, zumal der Forschungsstand erhebliche Fortschritte gemacht hat und nun auf einer je nach Objektgattung mehr oder weniger repräsentativen Materialbasis verlässliche Aussagen zur Verteilung auch im Bereich des Mittelmeeres gemacht werden können.21 Dagegen führt eine alleinige Fixierung auf vermeintlich typisch byzantinische Charakteristika unter Umständen dazu, Fundgruppen ohne derartige spezifische Merkmale, aber tatsächlich östlicher Provenienz nicht wahrzunehmen. Nur über eine Kombination von Merkmalen und Fundverteilungen gelangt man zu exakteren und abgesicherteren Aussagen bezüglich der vermeintlichen Herkunft der jeweiligen Objekte. Allerdings sind die stilistische Ausprägung eines Typs, die immer auch ein Spiegel der Vorstellungen einer Gesellschaft vom „richtigen“ Aussehen des betreffenden Gegenstandes ist und daher Aussagen über dahinter stehende kulturelle Traditionen zulässt, und die Verbreitung des Typs sich ergänzende, aber nicht immer kongruente Größen. Vielfach sind typologisch eindeutig „byzantinische“ Funde außerhalb der Reichsgrenzen wesentlich häufiger aufgefunden worden, was in den unterschiedlichen Überlieferungsbedingungen, vor allem in der bei den Barbaren extensiv ausgeübten Beigabensitte begründet liegt. Allerdings ist damit zu rechnen, dass typisch „byzantinische“ Objekte auch jenseits der Grenzen produziert worden sind. Wie F. Daim betont hat, kann mit einer byzantinischen Gussform auch tief im Barbaricum nur ein byzantinisches Produkt hergestellt worden sein. Die Frage der Produktionsorte ist daher mit einer stilistisch-typologischen Methodik allein nicht zu beantworten, denn es stellt sich die Frage, was noch als „byzantinisch“ und was schon als „barbarische, lokale Nachschöpfung“ zu gelten hat.22 Dieses Problem ist in den direkten Kontaktzonen zwischen Barbaren und Römern/Byzantinern, zum Beispiel im lan-
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In: ders. (Hrsg.), The Oxford history of Byzantium (Oxford 2002) 3f. (am Beispiel des Justiniansmosaiks von San Vitale, Ravenna); 13 ff. (zum Wesen der byzantinischen Kultur). – Teilweise wird der Begriff „byzantinisch“ auch nur auf das Kunstschaffen des östlichen Mittelmeerraumes bezogen. Zum Beispiel in Bezug auf die Gürtelschnallen; vgl. den Katalog von Mechthild SchulzeDörrlamm, Byzantinische Gürtelschnallen und Gürtelbeschläge im Römisch-Germanischen Zentralmuseum I. Kataloge vor- und frühgeschichtlicher Altertümer 30,I (Mainz 2002). – Die Verbreitung als Kriterium betonen auch Michel Kazanski u.a., Byzance et les royaumes barbares d’Occident au début de l’époque mérovingienne. In: Jaroslav Tejral (Hrsg.), Probleme der frühen Merowingerzeit im Mitteldonauraum. Spisy Archeologického Ústavu AV CR Brno 19 (Brno 2002) 159–193, hier 159, die den Begriff „byzantinisch“ nur für Objekte gelten lassen, die über Parallelfunde im Mittelmeerraum nachgewiesen sind. Falko Daim, „Byzantinische“ Gürtelgarnituren des 8. Jahrhunderts. In: ders., Awaren (Anm. 1) 77–204, hier 81.
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gobardenzeitlichen Italien, noch schwerwiegender. Gerade im weiterhin zum Byzantinischen Reich gehörenden Rom hat sich durch die Funde aus der Crypta Balbi gezeigt, dass bislang als „byzantinisch“ und als „germanisch“ klassifizierte Funde durchaus in derselben Werkstatt gefertigt worden sind.23 Ergänzt werden sollte der Kriterienkanon daher durch technischnaturwissenschaftliche Untersuchungen, die einerseits Auskunft über die verwendeten Rohstoffe und deren Provenienz geben und andererseits handwerkliche Verfahrensweisen offen legen können, deren Traditionen wiederum auf das Entstehungsmilieu rückschließen lassen. So hat zum Beispiel hat F. Daim anhand eines scharf definierten Kriterienkatalogs, in dem die technischen Analysen einen zentralen Platz einnehmen, einige Gürteltypen byzantinischer Produktion unter den vielteiligen Gürteln des 8. Jahrhunderts im Awarenreich identifizieren können.24 Angesichts der möglichen Unschärfen bei der Lokalisierung von Produktionsorten im Mittelmeerraum scheint es angebracht, dem Beispiel einiger Studien zu folgen25 und die infrage kommenden Fundtypen zunächst als „mediterran“ zu bezeichnen, was gegebenenfalls noch um „ost-“ oder „west-“ zu ergänzen ist. Lassen sich darüber hinaus noch engere Bezüge zu bestimmten Regionen oder Provinzen herstellen, könnte eine weitere Unterteilung in italisch-byzantinisch und afrikanisch-byzantinisch oder balkanisch-byzantinisch erfolgen.26 Im Osten des Mittelmeeres ist der Kern des Byzantinischen Reiches um Konstantinopel herum zu unterschieden vom nördlichen Schwarzmeergebiet und von den Provinzen im Nahen Osten und in Ägypten. Die Erforschung der materiellen Kultur im Mittelmeerraum des 5. bis 7. Jahrhunderts ist soweit fortgeschritten, dass derartige Zuweisungen für einige Objektgruppen bereits möglich sind. Es ist gleichzeitig eine Voraussetzung dafür, die unterschiedliche Provenienz der mediterranen und
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Marco Ricci, Relazioni culturali e scambi commerciali nell’Italia centrale romano-longobarda alla luce della Crypta Balbi in Roma. In: Lidia Paroli (Hrsg.), L’Italia centro-settentrionale in età longobarda (Firenze 1997) 239–273; Maria S. Arena u. a. (Hrsg.), Roma dall’Antichità al Medioevo. Archeologia e Storia. Nel Museo Nazionale Romano Crypta Balbi (Roma, Milano 2001) 266 ff. Daim, Gürtelgarnituren (Anm. 22) 86ff., zum „Dreisäulenmodell der Archäologie“, das es ermöglichen soll, Fundobjekte scharf zu definieren, mögliche Imitate auszuschließen und in einer erweiterten Form auch die Geschwindigkeit der Vermittlung beziehungsweise Rezeption einzubeziehen. Fingerlin, Schnalle (Anm. 6); Michel Kazanski, Les plaques-boucles méditerranéennes des Ve–VIe siècles. Archéologie Médiévale (Paris) 24, 1994, 137–198; Dieter Quast, Garnitures des ceintures méditerranéennes à plaques cloisonnées des Ve et début VIe siècles. Antiquités Nationales 31, 1999, 233–250. Zur Möglichkeit einer derartigen Differenzierung siehe auch Garam, Funde (Anm. 1) 12 f.
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orientalischen Funde im nordwestlichen Europa zu bestimmen und darüber Bezüge zu den verschiedenen Regionen des Mittelmeeres herzustellen.
Die mediterranen Funde der frühesten Merowingerzeit Schon mit dem Beginn des eigentlichen „Reihengräberhorizontes“ in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts fassen wir im Fundstoff Mittel- und Westeuropas verstärkt Objekte, die mit großer Wahrscheinlichkeit einen mediterranen Ursprung besitzen. Einen Schwerpunkt bilden hierbei die Goldgriff- und andere Prunkspathen (Abb. 1). Ausgehend von den Schwertern des Childerichgrabes – zu dem einige sicher spätrömisch/frühbyzantinische Objekte zählen, wie die Zwiebelknopffibel der Form Keller 627 – und ihrer cloisonnierten Bestandteile waren die möglichen Herstellungsorte schon im 19. Jahrhundert Anlass zu kontroversen Diskussionen. So wurde ihr Ursprung bei byzantinischen Handwerkern und deren „fränkischen“ Schülern, die die Stücke an einem fränkischen Königshof produziert haben sollen, aber auch bei Ostgoten und Hunnen in Südrussland beziehungsweise Ungarn gesucht.28 Die stilistischen Verbindungen dorthin wurden auch in der Folgezeit betont, eine Fertigung aber vornehmlich in Mitteleuropa angenommen29, was gerade die Gliederung der Goldgriffspathen in fränkische und alamannische Typen deutlich macht30. 27
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Patrick Périn/Michel Kazanski, Das Grab Childerichs I. In: Alfried Wieczorek u. a. (Hrsg.), Die Franken. Wegbereiter Europas (Mainz 1996) 173–182. Holger Arbmann, Les épées du tombeau de Childéric. Årsberättelse (Lund) 1947/48, 97–137, hier 124 ff., mit älterer Literatur. Kurt Böhner, s. v. Childerich von Tournai III. Archäologisches. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 4 (Berlin, New York 1981) 441–460 bes. 442ff.; 455ff.; Irina P. Zaseckaja, Klassifikacija polichrommnych izdelij gunnskoj epochi po stilisticˇeskim dannym. In: Drevnosti epochi velikogo pereselenija narodov V–VIII vekov (Moskva 1982) 14–30; 246–248. Hermann Ament, Fränkische Adelsgräber von Flonheim in Rheinhessen. Germanische Denkmäler der Völkerwanderungszeit B 5 (Berlin 1970) 51ff. Abb. 4f.; Wilfried Menghin, Das Schwert im frühen Mittelalter. Wissenschaftliche Beibände zum Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums 1 (Stuttgart 1983) 155ff.; 162 (Typen IIIa und b sowie IVa, b und c); Kurt Böhner, Germanische Schwerter des 5./6. Jahrhunderts. Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz 34, 1987, 411–490, hier 421ff. (Typen B sowie C2–6); Max Martin, Bemerkungen zur chronologischen Gliederung der frühen Merowingerzeit. Germania 67, 1989, 121–141 bes. 125ff. (Typen B1–3). – Die hauptsächlich auf dem Cloisonné-Besatz basierende ethnische Ansprache der Spathen wurde nicht zuletzt durch die Neufunde aus Villingendorf, Kr. Rottweil (C. Sebastian Sommer, Ein neues alamannisches Gräberfeld in Villingendorf, Kreis Rottweil. Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 1996, 221–223) und Bräunlingen, Schwarzwald-Baar-Kreis (Gerhard Fingerlin, Bräunlingen. Ein frühmerowingerzeitlicher Adelssitz an der Römerstraße durch den südlichen Schwarzwald. Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 1997, 146–148) infrage gestellt.
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Abb. 1. Verbreitung der Goldgriffspathen und anderer Prunkschwerter (nach Böhme, Goldgriffspathen [Anm. 1] 81, Abb. 7 mit Ergänzungen)
Erst B. Arrhenius hielt in ihrer Studie zum merowingerzeitlichen Granatschmuck eine Herstellung der Schwerter des Childerichgrabes in Konstantinopel selbst für möglich. Ihre Beurteilung fußte auf der Identifizierung von gipshaltigem Zement als Klebstoff der Cloisonné-Verzierungen, der ihrer Meinung nach nur in einem zentralen Atelier in Konstantinopel verwendet worden sein konnte.31 H. W. Böhme erweiterte diesen Ansatz und postulierte schließlich eine mediterrane Herkunft für die meisten Schwerter dieses Typs. Aufgrund des Inventars aus dem Childerichgrab vermutete er eine häufige Vergabe von Amtsfibeln, Prunkgewändern, Subsidienzahlungen und Waffenausrüstungen vom oströmischen Kaiser an gepidische und germanische 31
Birgit Arrhenius, Merovingian Garnet Jewellery. Emergence and social implications (Stockholm 1985) bes. 98 ff.
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Anführer. Dies soll ein 476/477 durch die Vermittlung von Odoaker zwischen Childerich und dem byzantinischen Kaiser geschlossener Vertrag ermöglicht haben. Er leitete gleichzeitig einen Zustrom mediterraner Güter nach Mitteleuropa ein, den es vorher nicht gegeben hatte, da bislang nur Verträge mit Machthabern in Gallien geschlossen worden waren.32 Ein wichtiger Aspekt hinsichtlich der Herkunft der Prunkspathen war ihre Vergesellschaftung mit mediterranen Schnallen. Die Literatur gerade zur Materialgattung der frühmerowingerzeitlichen Gürtelschnallen und -beschläge mediterraner Herkunft ist in den letzten Jahren enorm angewachsen.33 Durch die Vorlage der Sammlung des Römisch-Germanischen Zentralmuseums in Mainz durch M. Schulze-Dörrlamm erfuhren sie darüber hinaus eine neue typologische Klassifikation.34 Somit sind wir über das Spektrum mediterraner Schnallen von der zweiten Hälfte des 5. bis zur ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts mittlerweile sehr gut unterrrichtet; Vergleich und Einordnung der nördlich der Alpen gefundenen Exemplare ist weitestgehend möglich. Es handelt sich in erster Linie um Schnallen aus Gold oder vergoldeter Bronze mit cloisonnierten, rechteckigen, D- oder nierenförmigen Beschlägen, Schnallen aus Meerschaum bzw. Magnesit, Kristallschnallen (Abb. 2) und herzförmige Schnallen sowie wenige andere Sonderformen.35 32 33
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Böhme, Goldgriffspathen (Anm. 1) bes. 100 f. Eine mediterrane Herkunft der Goldschnalle mit nierenförmigem, cloisonniertem Beschlag aus Apahida vermutete bereits Riegl, Kunstindustrie (Anm. 16) 339f. – Weitere Literatur zu den frühmerowingerzeitlichen, mediterranen Schnallen (in Auswahl): Joachim Werner, Zu den donauländischen Beziehungen des alamannischen Gräberfeldes am alten Gotterbarmweg in Basel. In: Rudolf Degen u. a. (Hrsg.), Helvetia Antiqua. Festschrift E. Vogt (Zürich 1966) 283–292; Ament, Flonheim (Anm. 30) 30f.; Joachim Werner, Archäologische Bemerkungen zu den dendrochronologischen Befunden von Oberflacht. Fundberichte aus Baden-Württemberg 1, 1974, 650–657, hier 654; Volker Bierbrauer, Die ostgotischen Grab- und Schatzfunde in Italien. Biblioteca degli Studi Medievali 7 (Spoleto 1975) 160; Quast, Gültlingen (Anm. 5) 54; 133 Liste 3; Böhme, Goldgriffspathen (Anm. 1) bes. 82; 98ff. u. Fundliste 1; Kazanski, Plaques-boucles (Anm. 25); Dieter Quast, Schmuckstein- und Glasschnallen des 5. und frühen 6. Jahrhunderts aus dem östlichen Mittelmeergebiet und dem Sasanidenreich. Archäologisches Korrespondenzblatt 26, 1996, 333–345; Karl von der Lohe, Die Gürtelgarnitur aus Grab SN–19b von BremenMahndorf. Byzantinische Mode an der Weser. In: Über allen Fronten. Nordwestdeutschland zwischen Augustus und Karl dem Großen. Archäologische Mitteilungen aus Nordwestdeutschland, Beiheft 26 (Oldenburg 1999) 135–140; Quast, Garnitures (Anm. 25); Michael Herdick, Vom Mineral zum Prestigeobjekt. Überlegungen zur Fertigung und kulturhistorischen Bedeutung der Meerschaum- und Magnesitschnallen. Concilium medii aevi 3, 2000, 327–347; Quast, Kontakte (Anm. 1) 444–446 Listen 1–3, Abb. 3–6. Schulze-Dörrlamm, Gürtelschnallen (Anm. 21). Vgl. Anm. 33–34; Werner, Bemerkungen (Anm. 33) 650–657. – D. Quast wies auf eine Gruppe von runden, cloisonnierten Gürtelbeschlägen ostmediterraner Provenienz hin, die nördlich der Alpen in sekundärer Verwendung als Fibeln getragen wurden (Schwenningen Grab 4/1938; Weingarten Grab 189); Quast, Gürtelbeschlag (Anm. 1).
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Abb. 2. Verbreitung der Kristallschnallen (nach Quast, Kontakte [Anm. 1] 436 Abb. 4)
Um den Bereich der Waffen und Waffengürtel abzuschließen, muss außerdem auf die schmalen Langsaxe verwiesen werden, die in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts dicht von der unteren Donau bis nach Ostfrankreich verbreitet sind (Abb. 3). Ihre Entwicklung im reiternomadischen Milieu steht wohl außer Frage, und ein Teil der heute bekannten Schwerter wird über die Hunnen in diesen Raum vermittelt worden sein.36 Ein Parallelfund aus Sardis in Kleinasien, also dem byzantinischen Kerngebiet, und die Vermutung einer Fertigung der Waffen des Childerich in Konstantinopel lassen die Herkunft auch der Exemplare jenseits der Reichsgrenzen aus dem Oströmischen Reich durchaus möglich erscheinen. Eine Vorausset36
Helga Schach-Dörges, Das frühmittelalterliche Gräberfeld bei Aldingen am mittleren Neckar. Materialhefte zur Archäologie in Baden-Württemberg 74 (Stuttgart 2004) 68.
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Abb. 3. Grab 7 von Aldingen mit schmalem Langsax (nach Schach-Dörges, Aldingen [Anm. 36] 96f. Abb. 35 f.). – M 1:3, außer * M. 1:1 bzw. 1:4
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zung wäre, dass der schmale Langsax Eingang in die Bewaffnung des byzantinischen Heeres gefunden hat.37 Stammen die bislang besprochenen Funde fast ausschließlich aus reich ausgestatteten Männergräbern, so sind byzantinische Silberlöffel (cochlearia) auch in Frauengräbern zu finden. Ihre Erforschung wurde fast vollständig von der Frage bestimmt, ob sie eine Funktion innerhalb des christlichen Kultes erfüllten und somit über das Glaubensbekenntnis der Toten, zu deren Ausstattung ein solcher Löffel gehörte, Aussagen treffen können. Während in der älteren Forschung eine christliche und/oder liturgische Interpretation der Löffel dominierte38, wird in den jüngeren Studien für die nördlich der Alpen gefundenen Exemplare eine profane Deutung favorisiert39. Die Silberlöffel der nördlich und westlich der Alpen gefundenen Typen – es handelt sich bei den Exemplaren im Westen hauptsächlich um die Formgruppen Isola Rizza, Desana, Barbing-Irlmauth und Lampsakos C (Abb. 4) nach S. Hauser40 – stammen, soweit ein Fundkontext überliefert 37
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Dieter Quast, Auf der Suche nach fremden Männern. Die Herleitung schmaler Langsaxe vor dem Hintergrund der alamannisch-donauländischen Kontakte der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts. In: Thomas Fischer u. a. (Hrsg.), Germanen beiderseits des spätantiken Limes. Spisy Archeologického Ústavu AV CR Brno 14 (Köln 1999) 115–128. – Zur Verbreitung siehe auch: Ursula Koch, Das alamannisch-fränkische Gräberfeld bei Pleidelsheim. Forschungen und Berichte zur Vor- und Frühgeschichte in Baden-Württemberg 60 (Stuttgart 2001) 279; Abb. 113 mit Liste 31. Ernst Kitzinger, The Sutton Hoo ship-burial. The silver. Antiquity 14, 53, 1940, 40–63, hier 59ff.; Hermann Dannheimer, Silberlöffel aus Reihengräbern. Bayerische Vorgeschichtsblätter 30, 1965, 278; Harald v. Petrikovits, Frühchristliche Silberlöffel. In: Corolla memoriae Erich Swoboda dedicata. Römische Forschungen in Niederösterreich 5 (Graz, Köln 1966) 173–182; Vladimir Milojcˇic´, Zu den spätkaiserzeitlichen und merowingischen Silberlöffeln. Mit einem Beitrag von Hermann Vetters. Bericht der Römisch-Germanischen Kommission 49, 1968, 111–152 bes. 122 f. Horst Wolfgang Böhme, Löffelbeigabe in spätrömischen Gräbern nördlich der Alpen. Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz 17, 1970, 172–200 bes. 189f.; Bierbrauer, Grab- und Schatzfunde (Anm. 33) 184ff.; Max Martin, Esslöffel/Weinsiebchen und Toilettgerät. In: Herbert A. Cahn/Annemarie Kaufmann-Heinimann (Hrsg.), Der spätrömische Silberschatz von Kaiseraugst. Basler Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte 9 (Derendingen 1984) 55–132 bes. 92; Stefan R. Hauser, Spätantike und frühbyzantinische Silberlöffel. Jahrbuch für Antike und Christentum, Ergänzungsband 19 (Münster 1992) 82ff. Hauser, Silberlöffel (Anm. 39). Der Fundliste sind mittlerweile hinzuzufügen: Grab 268 aus Eltville a. Rhein, Erbacher Straße, Rheingau-Taunus-Kreis, Gruppe „Desana“ 2.1 (ca. 470/480–510/520); Markus C. Blaich, Das frühmittelalterliche Gräberfeld von Eltville, Rheingau-Taunus-Kreis. Fundberichte aus Hessen, Beiheft 2 = Hessische Forschungen zur geschichtlichen Landes- und Volkskunde 44 (Kassel, Wiesbaden 2006) 452 Taf. 117,1. – Frauengrab 180 aus Hechtsheim, Stadt Mainz, Gruppe „Lampsakos C“ mit Monogramm IOHANNIS (erstes Drittel des 6. Jahrhunderts); Wieczorek, Franken (Anm. 27) 1025 Abb. – Grab 33 aus Niedernai „Kirchbuehl“, Dép. Bas-Rhin, Vorform Gruppe „Desana“ aus dem 4. bis frühen 5. Jahrhundert (Grablege um 500); Marianne Zehnacker, Niedernai. Une necropole du Ve et VIe siècle après J. C. Fouilles recentes 4. In: Bernadette
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Abb. 4. Frühbyzantinische Silberlöffel. 1 Krefeld-Gellep Grab 1782 (Typ Isola Rizza); 2 Lausanne, Bois de Vaux Frauengrab (Typ Desana); 3 Barbing-Irlmauth Grab 19 (Typ Barbing-Irlmauth); 4 Sutton Hoo, Schiffsgrab (Typ Lampsakos C Var. 1); 5 Erfurt-Gispersleben, Frauengrab (Typ Lampsakos C Var. 2). (1–3.5 nach Hauser, Silberlöffel [Anm. 39], Taf. 4a; 8a; 14a; 22c; 4 nach Kitzinger, Silver [Anm. 38] 55 Fig. 5)
ist, aus durchweg sehr reich ausgestatten Gräbern von Männern und Frauen, die bis auf wenige Ausnahmen der Stufe AM I nach H. Ament angehören.41 Aus dem Mittelmeerraum sind vor allem als Bestandteile von Schatzfunden bzw. Kirchenschätzen bekannt.
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Schnitzler (Hrsg.), À l’aube du Moyen Age. L’Alsace mérovingienne. Les collections du Musée Archéologique 5 (Strasbourg 1997) 89–137, hier 114–118 Abb. 9 f. – Prunkgrab von Prittlewell, Essex (Grablege erste Hälfte des 7. Jahrhunderts). The Prittlewell Prince. The discovery of a rich Anglo-Saxon burial in Essex (London 2004) 28f. Abb. S. 29, 40; vgl. außerdem den Beitrag von Lyn Blackmore in diesem Band. Der Löffel aus Grab 1/1958 von Speyer-Germansberg gelangte dem Befund entsprechend erst im zweiten Drittel des 6. Jahrhunderts in den Boden. In die erste Hälfte des 7. Jahrhunderts gehören die Löffel aus Sutton Hoo und Prittlewell.
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Mit den folgenden Objektgruppen verlassen wir nun den engeren Rahmen der frühesten Merowingerzeit, da sie – besonders auch außerhalb des Reihengräberkreises – durchaus in jüngeren Fundkontexten zutage kamen. Dabei handelt es sich zum Beispiel um die Spangenhelme vom Typ Baldenheim, die gelegentlich mit den bereits vorgestellten Prunkschwertern und Gürtelschnallen sowie anderen mediterranen Gegenständen in denselben Gräbern vergesellschaftet sind.42 Die Forschungsgeschichte dieser Helme ist – ähnlich wie die der Childerichwaffen – durch unterschiedlichste Herkunftszuweisungen gekennzeichnet: vorderasiatische, „koptische“, italisch-ostgotische und rein fränkische Zuweisungen dominierten die Diskussion43, bis J. Werner die bekannten Exemplare angesichts von Neufunden aus den Zerstörungsschichten frühbyzantinischer Städte auf dem Balkan als byzantinische Offiziershelme ansprach und für die Mehrzahl eine Herstellung im östlichen Byzantinischen Reich, vielleicht sogar in zentralen fabricae der Hauptstadt, favorisierte44. D. Quast bestätigte wenig später diesen Ansatz und kam aufgrund verschiedener Indizien zu dem Schluss, dass alle Helme vom Typ Baldenheim aus oströmischen Werkstätten stammen würden.45 Im archäologischen Befund aus naheliegenden Gründen sehr selten sind Nachweise von exotischen Textilien. Für eine „byzantinische“ Herkunft kommen insbesondere Seidenstoffe infrage. Da sich die Manufakturen im Byzantinischen Reich jedoch hinsichtlich der Muster und Farben an sasanidischen Webereien orientierten, ist es heute nur schwer möglich, die frühen Produkte der beiden Reiche zu unterscheiden.46 Dabei ist anhand ver-
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Helmgrab von Gültlingen (Schnalle, Spatha); Helmgrab von Entringen (Spatha); Helmgrab von Planig (Spatha, Schwertanhänger aus Meerschaum, Seidentextilien [?], Solidus Leon I. [Con.?]); Prunkgrab von Morken (Schwertanhänger aus Meerschaum, Seidentextilien, Solidus Tiberios I. [Con.]); Krefeld-Gellep Grab 1782 (Silberlöffel). Weiterführende Literatur bei: Quast, Gültlingen (Anm. 5) 131 f. Liste 2; Kurt Böhner, Die frühmittelalterlichen Spangenhelme und die nordischen Helme der Vendelzeit. Jahrbuch des RömischGermanischen Zentralmuseums Mainz 41, 1994, 471–549. In Rechnung zu stellen ist die geringe Zahl von Helmen, die aus geschlossenen Grabkontexten stammen. Zur frühen Forschungsgeschichte siehe Quast, Gültlingen (Anm. 5) 30. Werner, Spangenhelme (Anm. 1) 523 ff. Quast, Gültlingen (Anm. 5) 36 ff. So fanden sich die besten ornamentalen Entsprechungen für die Verzierungen der Stirnbänder im östlichen Mittelmeerraum, und eine Analyse der Merkmalskombinationen ließ keine weiteren Rückschlüsse auf geografisch abgrenzbare Gruppen zu. Helmut Roth, Seidenstoffe des 4. bis 9. Jh. in Westeuropa. In: Geld aus China. Kunst und Altertum am Rhein 108 (Köln, Bonn 1982) 110–115; Xinru Liu, Silk and religion. An exploration of material life and the thought of people, AD 600–1200 (Delhi et al. 1996) 21.
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schiedener Gründe die Aufnahme der Seidenweberei im Byzantinischen Reich bereits vor dem legendären Datum von 552 anzunehmen.47 Bislang liegen in Mitteleuropa als sicherer Nachweis der frühen Merowingerzeit Reste eines blauen Seidenkleids aus Grab 974 von Lauchheim „Wasserfurche“ vor, außerdem konnte im Grab ein Baumwollfaden nachgewiesen werden.48 Botanische Reste exotischer Pflanzen sind bereits aus der Zeit um 500 in Schleitheim in Form von Weihrauchspuren nachgewiesen.49 Byzantinische Glasgefäße bleiben in der frühen Merowingerzeit äußerst selten. Ein herausragendes Einzelstück ist die Glasflasche aus Grab 51 von Bräunlingen, Schwarzwald-Baar-Kreis, das in das dritte Viertel des 5. Jahrhunderts datiert werden kann.50 Die knapp 40 cm hohe, schmale Glasflasche mit geriefelter Oberfläche lässt sich recht überzeugend mit syrischen Glasgefäßen parallelisieren, zum Beispiel einer Flasche aus Palmyra.51 Ver-
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Die Legende, nach der zwei Mönche die Seidenverarbeitung in China ergründeten und Raupeneier des Maulbeerseidenspinners (bombyx mori) in den Westen schmuggelten, ist anzuzweifeln, da die Seidentechnologie gemäß chinesischer Quellen gar kein Geheimnis war; Liu, Silk (Anm. 46) 74 Anm. 1. Aufgrund der hohen Komplexität der Seidenproduktion ist ihre Anwendung quasi „über Nacht“ außerdem nahezu ausgeschlossen. Schließlich liegen mittlerweile aus Syrien Nachweise von Seidenraupen vor, die bereits in das 5. Jahrhundert gehören; Anna Muthesius, Essential processes, looms, and technical aspects of the production of silk textiles. In: Laiou, History (Anm. 4) 147–168, hier 150. Ingo Stork, Lauchheim, Ostalbkreis 1994 – frühe Phasen des großen Gräberfelds der Merowingerzeit. Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 1994, 212–216, hier 216; Johanna Banck-Burgess, An Webstuhl und Webrahmen. Alamannisches Textilhandwerk. In: Die Alamannen (Stuttgart 1997) 371–378 bes. 375; 377; dies., Ein merowingerzeitlicher Baumsarg aus Lauchheim/Ostalbkreis – Zur Bergung und Dokumentation der Textilfunde. In: Lise Bender Jørgensen (Hrsg.), Textiles in Europaean archaeology. 6th NESAT Symposium Borås 1996. GOTARC Ser. A 1 (Göteborg 1998) 115–124; Ingo Stork, Fürst und Bauer, Heide und Christ. 10 Jahre archäologische Forschungen in Lauchheim/ Ostalbkreis. Archäologische Informationen aus Baden-Württemberg 292 = Schriften des Alamannenmuseums Ellwangen 1 (Ellwangen 2001) II. – Die Identifizierung von Seide im Helmgrab von Planig (Gudula Zeller, Die fränkischen Altertümer des nördlichen Rheinhessen. Germanische Denkmäler der Völkerwanderungszeit B 15 [Stuttgart 1992] 181 ff.) bedarf einer Überprüfung mittels moderner Methoden. Gräber 626, 752 und 789. Anke Burzler u. a., Das frühmittelalterliche Schleitheim. Siedlung, Gräberfeld und Kirche. Schaffhauser Archäologie 5 (Schaffhausen 2002) 175–176; 197; 205 Taf. 76; 93; 100. Zur Herkunft siehe Anm. 151. Gerhard Fingerlin, Ein alamannischer Adelshof im Tal der Breg. Schriften des Vereins für Geschichte und Naturgeschichte der Baar 44, 2001, 19–29, hier 26 Abb. 13; Alfried Wieczorek/Patrick Périn (Hrsg.), Das Gold der Barbarenfürsten. Publikationen des Reiss-Museums 3 (Stuttgart 2001) 170 Nr. 4.15 m. Abb. Erwin M Ruprechtsberger (Hrsg.), Syrien. Von den Aposteln zu den Kalifen. Linzer Archäologische Forschungen 21 (Linz 1993) 399 Nr. 12 m. Abb.
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gleichbar sind auch die Exemplare aus Grab 259 von Djurso und aus Grab 11 von Sopino im nördlichen Kaukasus.52 Schließlich müssen in diesem Zusammenhang auch die Fundmünzen des Byzantinischen Reiches einbezogen werden. Betrachtet man die Anzahl der Prägungen aus mediterranen Münzstätten in diachroner Perspektive, wobei zur besseren Vergleichbarkeit der unterschiedlich langen Regierungsjahre und damit Prägezeiträume der Quotient Münzanzahl/Regierungszeit und damit die durchschnittliche Anzahl von Fundmünzen pro Regierungsjahr dargestellt ist (Abb. 5), so fällt der recht hohe Anteil von Goldmünzen unter den Regierungszeiten Leons I. (457–474) und Zenons (474–491) auf. Nach dem endgültigen Zusammenbruch des Weströmischen Reiches nimmt der Zustrom von byzantinischen Goldmünzen stark ab, zumal die ostgotenzeitliche Münzprägung Italiens hier nicht zur byzantinischen Reichsprägung hinzugerechnet wird.53 Dagegen ist die unter Anastasios I. wieder aufgenommene Prägung von Kupfermünzen deutlich fassbar. Trotz der überlieferungsbedingten Unschärfen – ein Gutteil der Münzen sind durch ihre Verwendung als Obolus oder in sekundärer Nutzung als Schmuck über die Grabfunde auf uns gekommen – sind somit die allgemeinen Tendenzen byzantinischer Münzprägung am Befundbild ablesbar.54 In Großbritannien ist eine erstaunliche, möglicherweise überlieferungsbedingte Zweiteilung hinsichtlich der mediterranen beziehungsweise byzantinischen Importe festzuhalten. Die frühen Einfuhrgüter der zweiten Hälfte des 5. und beginnenden 6. Jahrhunderts bestehen fast ausschließlich aus Keramik (Abb. 6). Dabei handelt es sich in erster Linie um Amphoren der Typen LR1 und LR2 sowie um Sigillaten, hauptsächlich der Phocaean Red Slip Ware (PRSW) und – weniger häufig – der African Red Slip Ware
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Michel Kazanski/Anna Mastykova, Le Caucase du Nord et la région méditerranéenne aux Ve–VIe siècles. Eurasia Antiqua 5, 1999, 523–573, hier 560 Abb. 22,5; 563 Abb. 24,11. Für weitere Hinweise danke ich M. Kazanski herzlich. Zur ostgotischen Münzprägung jetzt Michael A. Metlich, The coinage of Ostrogothic Italy (London 2004). – An dieser Stelle bedanke ich mich herzlich bei J. Fischer, der mir Einsicht in die Einträge byzantinischer Münzen aus dem Katalog seiner Doktorarbeit gewährte; Josef F. Fischer, Der Münzumlauf und Münzvorrat im Merowingerreich, phil. Diss. (Freiburg 2001) Hauptreferenzwerk: Wolfgang Hahn, Moneta Imperii Byzantini 1–3. Österreichische Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl., Denkschriften 109; 119; 148 = Veröffentlichungen der Numismatischen Kommission 1; 4; 10 (Wien 1973; 1975; 1981). – Gesamtdarstellungen: Philip Grierson, Byzantine coins (Berkeley, Los Angeles 1982); Michael F. Hendy; Studies in the byzantine monetary economy c. 300–1450 (Cambridge u. a. 1985); Cécile Morrisson, Byzantine money. Its production and circulation. In: Laiou, History (Anm. 4) 909–966.
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Abb. 5. Diagramm zur Häufigkeit imperialer byzantinischer Fundmünzen auf dem Gebiet des Merowingerreiches (Territorium der Zeit um 600, einschließlich dem thüringischen, alemanischen und bayerischen Gebiet), aufgeteilt nach Münzmetallen und Prägestätten im Westen und Osten des Reiches. Münzen des Childerich-Grabes und Hortfunde nicht berücksichtigt (vgl. Anm 53)
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Abb. 6. Fundplätze mit byzantinischer Keramik in Britannien (Harris, Byzantium [Anm. 1] 148 Abb. 44)
(ARSW).55 Auf dem Festland streuen diese Warenarten mit nur wenigen Nachweisen noch nördlich von Lyon.56 Zu den wenigen übrigen byzantinischen Funden dieser frühen Periode auf den Britischen Inseln zählen außerdem Nachweise von mediterranen Gürtelschnallen.57 Byzantinische Münzen bleiben selten, sogar im west55 56
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Harris, Byzantium (Anm. 1) 143 ff. mit Abb. 44. Michel Bonifay/Françoise Villedieu, Importations d’amphores orientales en Gaule (Ve–VIIe siècles). In: Vincent Déroche/Jean-Michel Spieser (Hrsg.), Recherches sur la céramique byzantine. Bulletin de correspondance hellénique, Suppl. 18 (Athen 1989) 17–46; Carlo Citter u. a., Commerci nel Mediterraneo occidentale nell’Alto Medioevo. In: Gian Pietro Brogiolo (Hrsg.), Early Medieval towns in the Western Mediterranean. Documenti di archeologia 10 (Mantova 1996) 121–137. Böhme, Goldgriffspathen (Anm. 1) Abb. 23. – Sonja Marzinzik, Early Anglo-Saxon beltbuckles (late 5th to early 8th centuries A.D.). British Archaeological Reports, British Series
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lichen Landesteil.58 Silberlöffel sind lediglich aus den angelsächsischen Prunkgräbern von Sutton Hoo und Prittlewell bekannt geworden, die in die erste Hälfte des 7. Jahrhunderts zu datieren sind.59 Somit fand die Niederlegung der Löffel wesentlich später statt als die der Exemplare auf dem Festland. Die Zusammensetzung der aus dem Byzantinischen Reich stammenden Funde ist in Großbritannien also teilweise ähnlich, allerdings ist ihre Anzahl geringer. Völlig abweichend ist der hohe Fundniederschlag von mediterraner Keramik. Angesichts der aufgezählten „byzantinischen Importe“ der frühesten Merowingerzeit in Nordwesteuropa scheint es somit einen beträchtlichen Zustrom mediterraner Erzeugnisse gegeben zu haben, unter denen viele einen direkten Kontakt zwischen Byzanz beziehungsweise Konstantinopel und den barbarischen Königreichen vermuten lassen. Bei eingehender Analyse der Fundstücke wird jedoch deutlich, dass einige der genannten Objektgruppen bezüglich ihrer Provenienz alles andere als zweifelsfrei aus dem Mittelmeerraum oder dem Byzantinischen Reich herzuleiten sind. Um wiederum bei den frühmerowingerzeitlichen Prunkschwertern zu beginnen, so sind die bekannten Exemplare stärker zu differenzieren. Die mediterrane Provenienz der klassischen Goldgriffspathen hängt vor allem an der Zuweisung des Cloisonnés der Childerichwaffen an ein Atelier aus Konstantinopel, doch ist dessen Lokalisierung reine Spekulation, da eine Gips-Zement verarbeitende Werkstatt durchaus auch woanders, zum Beispiel in Italien oder Karthago, gelegen haben kann. Auch die alleinige Fertigung der Cloisonné-Besatzstücke im mediterranen Raum ist eine Möglichkeit. Darüber hinaus bestehen berechtigte Zweifel an der Existenz des vermuteten Abkommens zwischen Childerich und dem oströmischen Kaiser.60 Für eine explizit westmediterrrane Herkunft haben sich P. Périn und M. Kazanski mehrfach ausgesprochen. Die Interpretation des Münzschatzes aus dem Childerichgrab als Subsidienzahlung zurückweisend, sehen sie in der Zellendekormode der Waffen und übrigen cloisonnierten Gegenstände eine Mode der „barbarisierten Militäraristokratie“ des Weströmi-
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357 (Oxford 2003) Taf. 81,4; 82,2–4 (Lyminge, Gräber 17, 32 und 36; Petersfinger, Grab 21; Mill Hill, Grab 61; Abingdon, Grab 119). Harris, Byzantium (Anm. 1) 152 ff.; 163 f. Prittlewell Prince (Anm. 40); Rupert Bruce-Mitford, The Sutton Hoo Ship-Burial III,1, hrsg. Angela Care Evans (London 1983) 125 ff. Nach einer alternativen Lesart der Quelle, die einen Kontakt zwischen Childerich und Odoaker belegen soll, könnte eher ein sächsischer Adliger namens Adovacrius gemeint sein; Dieter Quast, Les Francs et l’Empire Byzantin. L’horizon des épées à poignée en or. Les Dossiers de l’Archéologie 223, 1997, 56–63, hier 63 Anm. 3.
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schen Reiches der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts. Vorbilder dafür seien zwar das Ansehen der donauländischen, barbarischen Könige und der Prunk des byzantinischen Hofes, der Ursprung dieser speziellen Ausprägung sei aber im westlichen Mittelmeeraum zu suchen, wo sich als Vorläufer aus der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts die Funde aus Beja und Capraia anführen ließen.61 Die Werkstätten im Westen dürfen sicherlich nicht unterschätzt werden, doch lassen sich gerade an den Objekten des Childerichgrabes Elemente anführen, zum Beispiel die Verzierung mit Almandinrundeln, welche unter anderem auch in den Fundkomplexen von Apahida, Olbia und Kercˇ zu finden sind, die eher für eine östliche Herkunft sprechen.62 Beim gegenwärtigen Bearbeitungsstand ist festzuhalten, dass eine mediterrane Provenienz für einige Prunkspathen durchaus plausibel erscheint, eine Fertigung in Werkstätten der östlichen Reichshälfte jedoch keinesfalls abgesichert ist.63 M. Kazanski lenkte die Aufmerksamkeit außerdem stärker auf eine Gruppe von Schwertern, die im Westen aus Befunden der ersten Hälfte des 5. Jahrunderts bekannt geworden sind (Beja, Altlußheim) und deren Hauptverbreitung im nordpontischen Raum liegt. Verbreitung und die Details der polychrom verzierten Parierstangen der Schwerter sprechen für eine Zuweisung an eine mediterrane oder auch pontische Werkstätte.64 Auch die schmalen Langsaxe sind stärker zu differenzieren. So stellt die Waffe des Childerich den Typ eines klassischen Scramasax dar, der im 4. und 5. Jahrhundert nach M. Kazanski u. a. außer in Mitteleuropa vor allem im Transkaukasus und in Mittelasien vorkommt. Zu diesem Typ zählt auch das Exemplar aus Sardis in Kleinasien, woraus auf einen Ursprung dieser Waffe in Mittelasien und eine Vermittlung nach Westeuropa über das Byzantinische Reich geschlossen werden kann. Davon zu unterscheiden sind längere einschneidige Schwerter („Säbel“), die häufiger aus reiternomadischen Grabkontexten der eurasischen Steppen bekannt geworden sind und
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Périn/Kazanski, Childerich (Anm. 27) bes. 180 ff.; Kazanski/Mastykova, Caucase (Anm. 52) 539; Kazanski u. a., Byzance (Anm. 21) bes. 160. Claus v. Carnap-Bornheim, Eine cloisonnierte Schnalle mit wabenförmigem Zellenwerk und Almandinrundeln aus Olbia. Germania 73,1, 1995, 151–155. – Entgegnung zu Périn/ Kazanski, Childerich (Anm. 27): Michael Schmauder, Die Oberschichtgräber und Verwahrfunde Südosteuropas und das Childerichgrab von Tournai. Anmerkungen zu den spätantiken Randkulturen. Acta Praehistorica et Archaeologica 30, 1998, 55–68 bes. 59 ff. Kazanski u. a., Byzance (Anm. 21) 162 ff. bes. 166. Michel Kazanski, Les épées „orientales“ à garde cloisonnée du Ve–VIe siècle. In: Eszter Istvánovits/Valéria Kulcsár (Hrsg.), International Connections of the Barbarians of the Carpathian Basin in the 1st–5th centuries A. D. (Aszód, Nyíregyháza 2001) 389–418.
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deren Fertigung in byzantinischen Werkstätten gegenwärtig nicht belegt werden kann.65 Eine westliche Komponente innerhalb des Cloisonné-Stils wurde unter anderem auch durch die zusammenfassende Bearbeitung der mediterranen Schnallen der frühen Merowingerzeit durch M. Kazanski deutlich. Den für diese Produkte verantwortlichen Ateliers, wobei deren genaue Lokalisierung innerhalb des westmediterranen Raums freilich spekulativ bleibt, sind eine ganze Reihe der mediterranen Gürtelschnallen im Westen des Kontinents zuzuordnen, zum Beispiel die Gürtelschnallen mit rechteckigem, cloisonniertem Bronzebeschlag aus Gondorf und La-Villeneuve-au-Châtelot Grab 1.66 Andere Schnallen und Beschläge aus dem Nordwesten sind dagegen ganz von den mediterranen Originalen auszuschließen und als Imitationen aufzufassen, da sie typologisch nicht den aus den Ursprungsgebieten vorliegenden Referenz-Exemplaren entsprechen und/oder aus Eisen bestehen, das bei der Fertigung im Mittelmeerraum keine Rolle spielte.67 Unerheblich ist dagegen, ob die Einlagen der cloisonnierten Stücke aus Edelsteinen – hauptsächlich rotem Granat – oder verschieden farbigen Glaseinlagen bestehen, denn auch letztere sind aus dem Mittelmeerraum gut bekannt. Die große Bedeutung westmediterraner beziehungsweise italischer Werkstätten lässt sich an weiteren Materialgattungen aufzeigen. So ist zwar die Funktion der Spangenhelme vom Baldenheimer Typ als byzantinische Offiziershelme weitgehend akzeptiert, ihre Produktionsstätte aber weiterhin in der Diskussion. Nachdem bereits K. Böhner aufgrund verschiedener Kriterien die Unterscheidung eines westlichen und östlichen Helmtyps vorgenommen hatte68, unterteilte kürzlich F. Stein anhand einer Merkmalsanalyse die bekannten Vertreter in fünf verschiedene Gruppen (Abb. 7), wobei die ersten drei Gruppen, zu denen auch die Helme aus Gammertingen und Gültlingen gehören, mit oströmischen Werkstätten in Verbindung gebracht werden. Gruppe 5, die unter anderem die Exemplare aus Baldenheim, Planig, Pfeffingen und Stößen umfasst, könnte dagegen in Italien ge-
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Kazanski u. a., Byzance (Anm. 21) 172 ff. bes. 175 f. Kazanski, Plaques-boucles (Anm. 25) 150 f. Typ I.3.K, Taf. 11,18; 23,5. Weitere Werkstattkreise sind außer im östlichen Mittelmeerraum im Bereich des Schwarzen Meeres, an der unteren Donau und im donau-balkanischen Gebiet zu vermuten; ebd. 167. Drauschke, Funde (Anm. 1) 152; ebenso Schulze-Dörrlamm, Gürtelschnallen (Anm. 21) 2 Anm. 47 u. bes. 142; vgl. auch die Materialsammlung bei Kazanski, Plaques-boucles (Anm. 25). Böhner, Spangenhelme (Anm. 42) 527 f.
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Abb. 7. Verteilung der Gruppen von Spangenhelmen des Typs Baldenheim (nach Stein, Spangenhelme [Anm. 69] 52 Abb. 11)
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fertigt worden sein.69 M. Vogt hält sich dagegen bei Zuweisungen einzelner Helme zu bestimmten Werkstätten bedeckt, lokalisiert deren Produktion aber ebenfalls „sowohl in Italien als auch im byzantinischen Gebiet“.70 Die Frage nach den Werkstätten ist in Bezug auf die frühbyzantinischen Silberlöffel eindeutiger zu beantworten. Neben wenigen spätantiken Altstücken, deren Herstellung auch in einer provinzialen Manufaktur geschehen sein kann, und Exemplaren unklarer Herkunft dürften gemäß der sorgfältigen Analyse durch St. Hauser fast alle nördlich und westlich der Alpen gefundenen cochlearia italischen oder westbalkanischen Ursprungs sein (Abb. 8); lediglich die Vertreter aus dem Schiffsgrab von Sutton Hoo stammen wohl aus Werkstätten im östlichen Mittelmeerraum.71 Fasst man die Beobachtungen am Material zusammen, so ist zunächst die Zahl der tatsächlich im mediterranen Bereich gefertigten und in den Norden und Westen vermittelten Objekte erheblich kleiner, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Außerdem stammt, dem gegenwärtigen Forschungsstand folgend, von den verbleibenden mittelmeerischen Objekten wiederum ein Gutteil aus dem westmediterranen, d. h. italischen und/oder westbalkanischen Gebiet. Eine Annahme direkter Kontakte der germanischen Anführer im Westen mit dem Kaiserhof in Konstantinopel erhält durch die archäologische Befundlage somit wenig Unterstützung und ist auch anhand der Schriftquellen nicht erkennbar.72 Letztendlich sind derartige Beziehungen aber keine zwingende Voraussetzung für den Fundnieder69
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Frauke Stein, Die Spangenhelme von Pfeffingen und Gammertingen. Überlegungen zur Bestimmung ihrer Herstellungsräume. Acta Praehistorica et Archaeologica 35, 2003, 41–61 bes. 45 ff.; wiederholt in dies., Der Helm von Steinbrunn – ein ostgotisches Ehrengeschenk? In: Walter Pohl/Peter Erhart (Hrsg.), Die Langobarden. Herrschaft und Identität. Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 9 = Österreichische Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl., Denkschriften 329 (Wien 2005) 225–246 bes. 230ff. Mahand Vogt, Die frühmittelalterlichen Spangenhelme. Ein Überblick zu archäologischen, kunsthistorischen und herstellungstechnischen Problemen. Acta Praehistorica et Archaeologica 35, 2003, 9–29 bes. 25; aktualisierter Katalog ebd. 26 ff. – Siehe auch Quast, Kontakte (Anm. 1) 446 Liste 4 (Ergänzungen) u. Abb. 7. – Zu ergänzen ist nun das Fragment eines Stirnbandes aus Nordwestbulgarien (aus Privatsammlung); N. Markov, A decorative fragment from a late antique helmet from northwestern Bulgaria. Arheologija (Sofija) 43, 2002, 42–47 Abb. 1. – Aus Caricˇin Grad (Serbien) liegen mittlerweile über ein Dutzend Fragmente vor; Bernard Bavant/Vujadin Ivanisˇevic´, Caricˇin Grad (Yougoslavie). La campagne de fouille de 2002. Mélanges de l’École Français de Rome 114,2, 2002, 1095–1102, hier 1100 mit Abb. 6; dies., Caricˇin Grad (Yougoslavie). La campagne de fouille de 2002. Ebd. 115,2, 2003, 1021–1027, hier 1025. Vgl. die Ausführungen zu den verschiedenen Typen bei Hauser, Silberlöffel (Anm. 39). Zu den diplomatischen Kontakten zwischen den merowingischen Königshäusern und dem byzantinischen Hof: Gunther Wolf, Fränkisch-byzantinische Gesandtschaften vom 5. bis 8. Jahrhundert und die Rolle des Papsttums im 8. Jahrhundert. Archiv für Diplomatik 37, 1991, 1–13.
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Abb. 8. Verteilung der um 500 im Westen verbreiteten Silberlöffel (Typen vgl. Abb. 4) italischer oder westbalkanischer (x), unklarer () und ostmediterraner (y) Herkunft, () spätantike Altstücke (zusammengestellt nach Hauser, Silberlöffel [Anm. 39] 145 f. Verbreitungskarte 2f. mit Ergänzungen)
schlag mediterraner „byzantinischer“ Objekte in der frühen Merowingerzeit, andere Faktoren sind ebenso verantwortlich zu machen (s. u.).
Die „byzantinischen“ Funde des 6. und 7. Jahrhunderts Gegen Ende der frühesten Merowingerzeit (ca. 510/30) verändert sich das Spektrum „byzantinischer“ Funde ganz erheblich. Zu den zahlenmäßig weiterhin gut vertretenen Objektgruppen zählen die byzantinischen Münzen (Abb. 5), deren Menge allerdings ab einem absoluten Höhepunkt unter Justinian I. – besonders ablesbar an den Siliquen italischer Prägestätten, die
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fast ausschließlich aus der austrasischen Teilregion des Merowingerreiches stammen – nahezu linear bis zu den letzten Prägungen Justinians II. (685–695/705–711) abnimmt.73 Der auch im Byzantinischen Reich selbst fassbare, enorme Ausstoß von Münzen unter Justinian I. ist deutlich zu erkennen, die nachlassende Überlieferung im 7. Jahrhundert lässt sich aber kaum anhand der allgemeinen byzantinischen Münzgeschichte erklären. Im 6. und 7. Jahrhundert sind außerdem weitere „byzantinische“ Schnallen in den Nordwesten des Kontinents gelangt. Deren exakte Analyse erbringt, analog zu den frühmerowingerzeitlichen Schnallen, ein recht differenziertes Bild, da sich darunter Exemplare befinden, die mit hoher Wahrscheinlichkeit aus dem östlichen Mittelmeerraum stammen, die entweder mit pannonischen, balkanischen oder italischen beziehungsweise westmediterranen Fabrikaten in Verbindung zu bringen sind oder aber lokale Imitationen darstellen. An dieser Stelle kann freilich nur eine Auswahl davon besprochen werden. Schon vor einigen Jahren machte G. Fingerlin auf eine Gruppe von Gürtelschnallen mit festem, teilweise durchbrochenem Beschlag aufmerksam, deren Zeitstellung heute in erster Linie mit dem zweiten Drittel des 6. Jahrhunderts mit wenigen jüngeren Ausläufern angegeben werden kann.74 Außer für die Formgruppe D ließen sich für alle Typen Parallelen im Mittelmeerraum anführen, die hauptsächlich aus Italien und/oder Spanien stammten, während weiter östlich Fundorte in Slowenien und Ungarn namhaft gemacht werden konnten. An dieser Fundsituation hat sich grundsätzlich nichts geändert, vielmehr wurde die eher westmediterrane Ausrichtung durch Neufunde noch unterstützt.75 Darüber hinaus konnte anhand der Schnallen aus den Gräbern 84 und 195 aus Bopfingen, die den Formen C und D („Maastricht“) entsprechen, die mediterrane Herkunft der nörd73
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Eine Aufschlüsselung der exakten Prägezeiträume der Münzen macht deutlich, dass gerade im 7. Jahrhundert deutliche Lücken in der Münzüberlieferung existieren, wobei der Hiatus innerhalb der Herakleischen Prägungen ab ca. 626/630 besonders stark ausgeprägt ist. Eine überzeugende Deutung dieses Befundes, der nicht durch die nachlassende Münzbeigabensitte und nur annähernd durch die großflächige Schließung der Prägestätten im östlichen Mittelmeerraum zu erklären ist, steht noch aus; Drauschke, Handel (Anm. 15) 117. – Ähnlich ist die Befundlage bei den Awaren: Somogyi, Fundmünzen (Anm. 1). Form A mit Mittelrippe, Form B ohne Mittelrippe, Form C mit (meist) durchbrochenem Beschlag und mediterranen Tiermotiven und Schnallen mit durchbrochenem Beschlag der Formen D („Maastricht“) und E („Krainburg/Mindelheim“); Fingerlin, Schnalle (Anm. 6) 176–182 Fundlisten A bis E, Taf. 67–71. Schnalle der Form E (Krainburg) aus Badis (Marokko). Jean Boube, Eléments de ceinturon wisigothiques et byzantins trouvés au Maroc. Bulletin d’Archéologie Marocaine 15, 1983/84, 281–296, hier 284–288, Taf. I,1–2; Ellen Riemer, Byzantinische Gürtelschnallen aus der Sammlung Diergardt im Römisch-Germanischen Museum Köln. Kölner Jahrbuch für Vor- und Frühgeschichte 28, 1995, 777–809, hier 791 f.
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lich der Alpen gefundenen Exemplare weiter erhärtet werden, da Experimente als Gussformen Ossia-Sepia-Schalen wahrscheinlich gemacht haben.76 Die Herkunft der meisten Schnallen muss im mediterranen Raum gesucht werden, wo die wenigen Parallelfunde eindeutig nach Spanien, Italien bzw. in den Adria-Raum verweisen77. Ähnlich gelagert ist der Fall mit den schildförmigen Schnallenbeschlägen aus Weißenburg78 und aus Bayern, heute im Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz79, die dem Typ Hippo angehören80. Bis auf wenige Exemplare fehlt er im östlichen Mittelmeerraum, ist aber in Nordafrika und Italien sehr häufig.81 Die momentane Verbreitung rechtfertigt es, die Exemplare nördlich der Alpen einer westmediterranen, vielleicht italischen Werkstatt zuzuordnen; zumindest ist mittlerweile ein lokal produzierter Beschlag aus der Crypta Balbi in Rom bekannt geworden,82 der mit dem Weißenburger Stück nahezu identisch ist. In das 6. Jahrhundert gehören außerdem die Schnallen des Typs Sucidava nach J. Werner bzw. D1 nach Schulze-Dörrlamm.83 Grundsätzlich hat sich das Verbreitungsgebiet dieser Schnallen seit der ersten Kartierung durch J. Werner nicht verändert. Einzelne Funde sind nun auch in Südfrankreich, Norditalien und Kleinasien fassbar, während das Hauptverbreitungsgebiet südlich der unteren Donau durch zahlreiche Neufunde besonders stark hervortritt. Im Westen sind nach der Fundaufnahme durch M. Schulze-Dörrlamm nur von acht Fundorten Exemplare zutage gekommen.84 Als Produk76
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Rolf-Dieter Blumer/Matthias Knaut, Zum Edelmetallguß in Ossia-Sepia-Formen im Frühmittelalter. Fundberichte aus Baden-Württemberg 16, 1991, 545–553. Fingerlin, Schnalle (Anm. 6) Taf. 69, Karte. Für die Form B liegen momentan zu wenige Parallelen vor, um für eine derartige Provenienz argumentieren zu können. Hermann Dannheimer, Die germanischen Funde der späten Kaiserzeit und des frühen Mittelalters in Mittelfranken. Germanische Denkmäler der Völkerwanderungszeit A 7 (Berlin 1962) 222 Nr. 3, Abb. 49. Riemer, Gürtelschnallen (Anm. 75) 808 Anhang 4, Nr. 27. Werner, Gürtelschnallen (Anm. 6) Abb. 4,1–2; Taf. 6,1–3.5; Riemer, Gürtelschnallen (Anm. 75) 790–791; 796–797 Nr. 13–15, Abb. 10; 25–27. Der Fundort der vier Schnallen aus der Sammlung Diergardt in Köln ist unbekannt. Vgl. Riemer, Gürtelschnallen (Anm. 75) 807–808, Liste IV; Christoph Eger, Boucles de ceinture de la région de Carthage datant des VIe et VIIe siècles. Centre de Documentation Archéologique de la Conservation de Carthage (CÉDAC) 19, 1999, 12–15 Abb. 7–9; 12 (Karthago); ders., Gürtelschnallen des 6. bis 8. Jahrhunderts aus der Sammlung des Studium Biblicum Franciscanum. Liber Annuus 51, 2001, 337–350, hier 345. Ricci, Relazioni (Anm. 23) Abb. 1,13. Werner, Gürtelschnallen (Anm. 6) 37 Abb. 6; Schulze-Dörrlamm, Gürtelschnallen (Anm. 21) 146–151, Nr. 109–116. Vgl. Werner, Gürtelschnallen (Anm. 6) 46 Karte 1; Schulze-Dörrlamm, Gürtelschnallen (Anm. 21) 150 Abb. 54. Die Schnalle aus Südfrankreich (Nr. 72 Haute Savoie) ist nicht mitgezählt.
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tionsort der Schnallen kommen sowohl der nordöstliche Mittelmeerraum als auch das untere Donaugebiet infrage. Die Schnallen vom Typ Syrakus nach J. Werner bzw. D12 nach M. Schulze-Dörrlamm besitzen einen deutlich anderen Verbeitungsschwerpunkt.85 Sie kommen in Frankreich gar nicht und an der unteren Donau nur vereinzelt vor. Eine stärkere Fundstreuung der vom späten 6. bis zur Mitte bzw. dem dritten Viertel des 7. Jahrhunderts zu datierenden Schnallen ist von Südostengland über Spanien bis nach Nordafrika und zwischen Ägypten, Byblos oder Tyros und Anemurium, eine dichte Verbreitung schließlich von Griechenland bis Kleinasien, an der nördlichen Adriaküste, in Italien und auf der Krim festzustellen.86 Auch die Schnallen vom Typ Syrakus können nicht alle ostmediterranen Werkstätten zugeschrieben werden, vielmehr werden einige Varianten aufgrund ihres westmediterranen Verbreitungsschwerpunktes eher dort produziert worden sein.87 Stärker in den nordwestlichen Balkanraum verweisen einige andere Schnallenformen, die ebenfalls als „byzantinisch“ gelten,88 aber treffender als Vertreter der pannonischen Typen Pécs, Nagyharsány und Boly-Zˇelovce, wie sie von V. Varsik und U. Ibler definiert wurden89, zu charakterisieren sind. Dabei ist unerheblich, ob grenznahe balkanische Werkstätten
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Werner, Gürtelschnallen (Anm. 6) 36 Abb. 2, Karte 1; Schulze-Dörrlamm, Gürtelschnallen (Anm. 21) 171–179 Nr. 142–154, Abb. 62. Neueste Zusammenstellung der Schnallen bei Musa Kadıo˘glu/Philipp v. Rummel, Frühbyzantinische Bronzefunde aus dem Theater von Nysa am Mäander. Anadolu/Anatolia 24, 2003, 103–114, hier 110–113 Liste 1, Abb. 13. Schnallen im Nordwesten: Streufunde aus Stockstadt und Hahnheim (ebd., Nr. 68, 70), Grab 68 aus Salzburghofen, Grab V/7 aus Regensburg St. Emmeram, Grab 447 aus Langenlonsheim (ebd., Nr. 66, 67, 69), Belvaux (ebd., Nr. 71) sowie die britischen Funde aus Broyle, Colchester, „Kent“ und „Essex“ (ebd., Nr. 72–75). – Hinzuzuzählen sind mittlerweile eine Schnalle aus Kalavasos-Kopetra (Zypern), erste Hälfte des 7. Jahrhunderts (Marcus Rautmann, A Cypriot village of Late Antiquity. Kalavasos-Kopetra in the Vasiliskos Valley. Journal of Roman Archaeology, Suppl. Ser. 52 [Portsmouth 2003] 108 Nr. II–19–1, Abb. 3.41) und eine Schnalle aus Polen ohne nähere Fundortangabe im Archäologischen Museum Gdan´sk (Marcin Wołoszyn, Die byzantinischen Fundstücke in Polen. Ausgewählte Probleme. In: Günter Prinzing/ Maciej Salamon, Byzantium and East Central Europe. Byzantina et Slavica Cracoviensia 3 [Kraków 2001] 49–59, hier 52f. mit Abb. 2). Zu Varianten des Typs Syrakus/D 12: Christoph Eger, Eine byzantinische Gürtelschnalle von der Krim in der Sammlung des Hamburger Museums für Archäologie. In: Materiali po archeologii, istorii i e· tnografii Taurii V (Simferopol’ 1996) 343–348. Dezso˝ Csallány, Les monuments de l’industrie byzantine des métaux II. Acta Antiqua Academiae Scientiarum Hungaricae 4, 1956, 261–291. Vladimir Varsik, Byzantinische Gürtelschnallen im mittleren und unteren Donauraum im 6. und 7. Jahrhundert. Slovenská Archeológia 40,1, 1992, 77–108; Ursula Ibler, Pannonische Gürtelschnallen des späten 6. und 7. Jahrhunderts. Arheolosˇki Vestnik 43, 1992, 135–148.
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Abb. 9. Pannonisch-byzantinische Schnallen aus dem baiuvarischen Gebiet. 1 Linz-Zizlau Grab 151 (Ladenbauer-Orel, Linz-Zizlau [Anm. 95] Taf. 29); 2 Feldkirchen Grab 35; 3 Salzburghofen Grab 178 (Knöchlein, Rupertiwinkel [Anm. 97] Taf. 20A,2; 36A,2); 4 Weihmörting Grab 91 (Zeiß, Weihmörting [Anm. 100] Taf. 4,16). – M. ca. 1:1
für deren Herstellung verantwortlich waren (É. Garam)90 oder in Pannonien verbliebene und unter awarischer Herrschaft weiterarbeitende Romanen (U. Ibler)91. Dem Typ Boly-Zˇelovce ist die Bronzeschnalle aus Grab 114B von Harting92 zuzuordnen, deren Durchbruchsmuster den Exemplaren von 90 91 92
Garam, Funde (Anm. 1) 108. Ibler, Gürtelschnallen (Anm. 89) 138. Eleonore Wintergerst, Neue reihengräberzeitliche Funde aus der Umgebung von Regensburg, phil. Diss. (Bamberg 1996) 69–70 Taf. 34,3.
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Pécs-Gyárváros und Keszthely93 an die Seite zu stellen ist. Zum recht heterogenen Typ Pécs94 gehören die bronzene Gürtelschnalle mit festem, durchbrochenem und profiliertem Beschlag aus Grab 151 von Linz-Zizlau95 (Abb. 9,1) und eine Schnalle aus Salzburg-Liefering96. Wegen des Durchbruchsmusters und der halbplastischen Rippen ist auch eine Bronzeschnalle mit festem Beschlag aus Grab 35 von Feldkirchen97 (Abb. 9,2) eng an den Typ Pécs anzuschließen.98 Die Schnalle aus Grab 1 von Feldkirchen99 kann ebenfalls eher mit pannonischen Typen verbunden werden, wenn es sich nicht gar um eine lokale Eigenschöpfung handelt. Eng verwandt mit dem Stück aus Grab 35 ist die Schnalle aus Grab 91 von Weihmörting (Abb. 9,4).100 Die besten Entsprechungen für die Bronzeschnalle mit festem, durchbrochenem Beschlag aus Grab 178 von Salzburghofen101 (Abb. 9,3) liegen meines Erachtens aus dem Bereich des Typs Nagyharsány vor, zum Beispiel aus Kruje102 oder Gyód103. Eine im Umriss und Durchbruchsmuster sehr ähnliche Schnalle stammt als Neufund aus Grab 205 von StraubingAlburg.104 Insgesamt scheinen sich somit pannonische Schnallen stärker in der südöstlichsten Region des Merowingerreiches zu konzentrieren, was angesichts der Nähe zum Herstellungsgebiet nicht verwunderlich ist. Verwiesen sei nicht zuletzt auf die vielfältigen Imitationsformen aus dem Raum nördlich der Alpen. Dazu zählen zum Beispiel die von ihren Vorbildern (Syrakus/D12) ornamental stark abweichenden Exemplare von
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Ibler, Gürtelschnallen (Anm. 89) Abb. 3,3.16. Ebd., 145 Nr. 12; 136 Abb. 1,6. Hertha Ladenbauer-Orel, Linz-Zizlau. Das baierische Gräberfeld an der Traunmündung (Wien, München 1960) 60 Taf. 15. Hermann Dannheimer/Heinz Dopsch (Hrsg.), Die Bajuwaren. Von Severin bis Tassilo 488–788 (München, Salzburg 1988) 390 Nr. MV,12a (ohne Abb.); Ibler, Gürtelschnallen (Anm. 89) 145 Nr. 13 (ohne Abb.). Ronald Knöchlein, Studien zur Archäologie der Merowingerzeit im Rupertiwinkel, phil. Diss. (München [1991] 1997) 57 f. Taf. 36A,2. Überhaupt ist die Rippenverzierung eher als typisches Merkmal pannonischer Schnallen aufzufassen und nicht als Merkmal „byzantinischer“ Schnallen allgemein; so Knöchlein, Rupertiwinkel (Anm. 97) 57 f. Knöchlein, Rupertiwinkel (Anm. 97) 57 f. Taf. 32A,1. Hans Zeiß, Das Reihengräberfeld von Weihmörting, B.-A. Passau. Bayerische Vorgeschichtsblätter 12, 1934, 21–41, hier 32 Taf. 4,16. Knöchlein, Rupertiwinkel (Anm. 97) 57 Taf. 20A,2. Varsik, Gürtelschnallen (Anm. 89) 103 Taf. 5,3. Schulze-Dörrlamm, Gürtelschnallen (Anm. 21) 228, Abb. 84,8. Stephan Möslein, Ein weiteres frühmittelalterliches Gräberfeld von Alburg. Das Archäologische Jahr in Bayern 2000, 99–102 Abb. 100.
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Dietersheim und München-Aubing Grab 167.105 Nicht als mediterrane Erzeugnisse, sondern als Nachahmungen des Typs D34106 sind die Schnallen mit länglichem Beschlag, zwei runden Durchbrüchen, palmettenartigem Abschluss und knopfartigem Fortsatz anzusprechen, die aus Grab 226 von Kirchheim am Ries107, aus Grab „3/1883“ von Pfahlheim108 und vom Gräberfeld in Singen109 vorliegen. Als Nachahmungen des Typs Balgota beziehungsweise D9110 sind Schnallen mit festen, länglich-herzförmigen Beschlägen aufzufassen, die durchbrochen gearbeitet sind und einen ausgeprägten oder sogar fächerförmig erweiterten Endknopf besitzen. Derartige Schnallen stammen aus Grab 9 von Augsburg (St. Ulrich und Afra)111, Grab „3/1883“ von Pfahlheim112, Grab 11 von Kirchheim am Ries113 und Grab 25 von Lauchheim „Mittelhofen“114, die alle in das dritte bzw. letzte Viertel des 7. Jahrhundert datiert werden können115. Das gilt auch für die zwei einander sehr ähnlichen, aber von den übrigen genannten Schnallen abzusetzenden Gürtelschnallen aus Hügel 13, Grab 3 und 7 von Heidenheim-Schnaitheim.116
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Zeller, Rheinhessen (Anm. 48) Taf. 69,5; Hermann Dannheimer, Das baiuwarische Reihengräberfeld von Aubing, Stadt München. Monographien der Prähistorischen Staatssammlung München 1 (Stuttgart 1998) 102 Taf. 19B,6. Uenze, Schnallen (Anm. 6) 166 Abb. 14; Schulze-Dörrlamm, Gürtelschnallen (Anm. 21) 219–224. Christiane Neuffer-Müller, Der alamannische Adelsbestattungsplatz und die Reihengräberfriedhöfe von Kirchheim am Ries (Ostalbkreis). Forschungen und Berichte zur Vorund Frühgeschichte in Baden-Württemberg 15 (Stuttgart 1983) 156 Taf. 41. Manfred Nawroth, Das Gräberfeld von Pfahlheim und das Reitzubehör der Merowingerzeit. Wissenschaftliche Beibände zum Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums 19 (Nürnberg 2001) 234–235 Taf. 5,27. Singen, Bahnhofsvorplatz, Gräber 22 und 75a. Für den Hinweis auf diese Schnallen und für das zur Verfügung gestellte Bildmaterial sei Prof. Dr. G. Fingerlin herzlich gedankt. Werner, Gürtelschnallen (Anm. 6) 37; Riemer, Gürtelschnallen (Anm. 75) 781–784 Abb. 19–21; Schulze-Dörrlamm, Gürtelschnallen (Anm. 21) 164–166 Nr. 134–137. Joachim Werner, Die Ausgrabungen in St. Ulrich und Afra in Augsburg 1961–1968. Münchner Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte 23 (München 1977) 173–180 Abb. 13–15. Nawroth, Pfahlheim (Anm. 108) 234–235 Taf. 5,26. Neuffer-Müller, Kirchheim (Anm. 107) 122–123 Taf. 2B; 140,1. Zum Grab: Ingo Stork, Zum Fortgang der Untersuchungen im frühmittelalterlichen Gräberfeld, Adelshof und Hofgrablege bei Lauchheim, Ostalbkreis. Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 1992, 231–239, hier 235–236 Abb. 167; ders., Zeugnisse des Christentums in Fürstengräbern aus Lauchheim. Archäologie in Deutschland 1993,4, 28–30; ders., Fürst (Anm. 48) 21; 28; 55 Abb. 16; 28; 62–63. Riemer, Gürtelschnallen (Anm. 75) 783. Beate Leinthaler, Eine ländliche Siedlung des frühen Mittelalters bei Schnaitheim, Lkr. Heidenheim. Materialhefte zur Archäologie in Baden-Württemberg 70 (Stuttgart 2003) 30–37; 41–43 Abb. 26, Taf. 5,7x; 9A,3; 41.
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Auf die Imitation von quadratischen Doppelschnallen nördlich der Alpen hat M. Schulze-Dörrlamm hingewiesen.117 An einer anderen Schnallenform lassen sich exemplarisch die sich allmählich ausbreitende Kenntnis byzantinischer Formen und deren schrittweise Umsetzung bis nach Mittel- und Westeuropa nachvollziehen. So enthielt der Schatzfund von Mytilene auf Lesbos eine durchbrochen gearbeitete Goldschnalle (Abb. 10,1).118 Von awarischen Fundplätzen liegen nahezu identische Exemplare vor, die zum Teil aufwändiger gestaltet sind119 und zum Teil einfache Bronzeschnallen (Abb. 10,2) darstellen120. Sie können dem Typ Nagyharsány zugerechnet werden. Weiter im Westen finden sich schließlich Schnallen, die G. Zeller unter ihrem Typ „Schwabsburg“ subsumierte.121 Darunter befinden sich Exemplare, die enger zu einem Typ zusammengeschlossen werden können und wiederum als Imitation des pannonischen Typs Nagyharsány zu gelten haben. Zu dieser Gruppe gehören unter anderem die Gürtelschnallen aus einem Kriegergrab von Dillingen122, aus Grab 8 von Odenheim bei Östringen123 und aus Grab 657 aus München-Aubing124 (Abb. 10,3). Weitere Funde lassen sich anschließen.125 Die Aufzählung von Schnallen mediterraner (östlich oder westlich), italischer oder balkanischer Herkunft sowie deren Imitationen und Weiterentwicklungen ließe sich fortsetzen,126 doch anhand der genannten Beispiele wird bereits deutlich, dass sich an den „byzantinischen“ Schnallen Bezüge zu ganz unterschiedlichen Territorien herstellen lassen. Andererseits bleibt die Zahl der tatsächlich aus dem Mittelmeerraum eingeführten Stücke überschaubar. 117 118
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Schulze-Dörrlamm, Gürtelschnallen (Anm. 21) 31–33, Abb. 12. Aimilia Yeroulanou, Jewellery in the Byzantine World. In: Elektra Georgoula (Hrsg.), Greek Jewellery. From the Benaki Museum Collections (Athen 1999) 280–295, hier 290 Abb. 207. Garam, Funde (Anm. 1) Taf. 64,1–4. Ebd., Taf. 64,6–8; 65,1–4. Gudula Zeller, Das fränkische Gräberfeld von Hahnheim. Mainzer Zeitschrift 67/68, 1972/73, 330–367, hier 341 f. Anm. 77. Thomas Kersting, Besiedlungsgeschichte des frühen Mittelalters im nördlichen BayerischSchwaben. Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mitteleuropas 24 (Weissbach 2000) 37–38 Taf. 17A,6. Badische Fundberichte 17, 1941–47, Taf. 89,9. Dannheimer, Aubing (Anm. 105) 166 Taf. 67. Grab 84 von Mannheim-Straßenheim (für die Möglichkeit der Einsichtnahme in das Manuskript über Straßenheim danke ich Dr. Ursula Koch herzlich). – Grab 558 von Eltville (Blaich, Eltville [Anm. 40] 527, Taf. 246,1a. – Edingen, Gde. Edingen-Neckarhausen, Rhein-Neckar-Kr. (den Hinweis und eine Abbildung der Schnalle verdanke ich Prof. Dr. G. Fingerlin). – Umgebung von Gießen (Hans Zeiß, Hessische Brandbestattungen der jüngeren Merowingerzeit. Germania 18, 1934, 279–284, hier Grab 4, 281 Abb. 1,4). – Schwabsburg (Zeller, Rheinhessen [Anm. 48] Taf. 69,12). Detaillierte Auseinandersetzung bei: Drauschke, Handel (Anm. 15) 133 ff.
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Abb. 10,1 Goldschnalle aus dem Schatzfund von Mytilene (Lesbos) (Greek Jewellery. From the Benaki Museum Collections [Athens 1999] 290 Fig. 207); 2 Bronzeschnalle aus Pécs, Grab 7 (Garam, Funde [Anm. 1] Taf. 64,6); 3 Bronzeschnalle aus Aubing, Stadt München, Grab 657 (Dannheimer, Aubing [Anm. 105] Taf. 67,I5). – M. 1:1
Eine Diskussion von Ursprung und Verbreitung vielteiliger Gürtelgarnituren würde hier zu weit führen,127 doch sei zumindest auf die Fundkomplexe 127
Grundlegend: Joachim Werner, Nomadische Gürtel bei Persern, Byzantinern und Langobarden. In: Enrico Cerulli u. a. (Hrsg.), La Civiltà dei Longobardi in Europa. Problemi attuali di Scienza e di Cultura 189 (Roma 1974) 109–139. – Jüngste Arbeiten dazu: Csanád Bálint, Byzantinisches zur Herkunftsfrage des vielteiligen Gürtels. In: ders. (Hrsg.), Kontakte zwischen Iran, Byzanz und der Steppe im 6.–7. Jahrhundert. Varia Archaeologica Hungarica 10 (Budapest, Napoli, Roma 2000) 99–162; Michael Schmauder, Vielteilige Gürtelgarnituren des 6.–7. Jahrhunderts: Herkunft, Aufkommen und Trägerkreis. In: Daim, Awaren (Anm. 1) 15–44.
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aus dem östlichen Merowingerreich verwiesen, die deutliche Verbindungen in den mediterranen und byzantinischen Raum besitzen.128 Die Zahl der allein zur Frauenkleidung gehörenden Bestandteile hält sich ebenfalls in Grenzen. Dazu zählen die Paare und Einzelstücke von typisch „byzantinischen“ Körbchenohrringen129 sowie vier Paare von halbmondförmigen Ohrringen aus Gräbern im bajuwarischen Gebiet130. Die Aufnahme der aus dem Mittelmeer- und dem Balkanraum bekannten Parallelfunde131 sowie der Sammlungsbestände aus Museen zeigt schnell, dass Körbchenohrringe mit durchbrochen gearbeitetem Körbchen lediglich von Italien über das Gebiet des ehemaligen Jugoslawien bis in das Karpatenbecken hinein streuen und Exemplare mit tütenförmig geschlossenem Körbchen auch noch in Bulgarien132 in Fundkomplexen des 5. und in Mazedo-
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Grab 97 von Linz-Zizlau (Ladenbauer-Orel, Linz-Zizlau [Anm. 95] Taf. 9; 46 unten); Grab 9 von Herrsching a. Ammersee (Anke Burzler, Bemerkungen zur vielteiligen Gürtelgarnitur aus Grab 9 von Herrsching a. Ammersee. Bericht der Bayerischen Bodendenkmalpflege 32/33, 1991/92, 69–78); Grab 450 von Lauchheim „Wasserfurche“ (Stork, Fürst [Anm. 48] 8–19 Abb. 13). Grundlegend immer noch: Fingerlin, Imitationsformen (Anm. 6). – Ergänzend: Ellen Riemer, Byzantinische Körbchen- und Halbmondohrringe im Römisch-Germanischen Museum Köln (Sammlung Diergardt). Kölner Jahrbuch für Vor- und Frühgeschichte 25, 1992, 121–136. – Zusammenstellung der „byzantinischen“ Körbchenohrringe im östlichen Merowingerreich: Drauschke, Handel (Anm. 15) 170 ff. u. Liste 13, Taf. 11 f. Zu ergänzen mittlerweile: Körbchenohrringpaar aus Grab 31 von Bruckmühl, Kr. Rosenheim. Martin Pietsch, Reiche Gräber des 7. Jahrhunderts n. Chr. aus Bruckmühl. Das archäologische Jahr in Bayern 2003, 104–106 Abb. 120. Paar aus Grab 79 von Feldkirchen (Knöchlein, Rupertiwinkel [Anm. 97] 176 Taf. 38F,3–4). – Paar aus Grab 83 von Linz-Zizlau (Ladenbauer-Orel, Linz-Zizlau [Anm. 95] 46–47 Taf. 7,9; 22; 44). – Paar aus Grab 99 von Petting mit einem mediterranen Original und einer Kopie (Dorit Reimann, Byzantinisches aus dem Rupertiwinkel – zum Ohrringpaar von Petting. Das Archäologische Jahr in Bayern 1991, 143–145 Abb. 113; dies., Byzantinisches aus dem Rupertiwinkel – zum Ohrringpaar von Petting, Ldkr. Traunstein, Oberbayern. Archäologie in Deutschland 1992,3, 41 f. m. Abb.). – Paar aus Grab 11 von Steinhöring (Susanne Arnold, Das bajuwarische Reihengräberfeld von Steinhöring, Landkreis Ebersberg. Charybdis 5 [Hamburg 1992] 154 f. Abb. 1; Taf. 4,2–3). Italien: Elisa Possenti, Gli orecchini a cestello altomedievali in Italia. Ricerche Archeologia Altomedievale e Medievale 21 (Firenze 1994); Ellen Riemer, Romanische Grabfunde des 5.–8. Jahrhunderts in Italien. Internationale Archäologie 57 (Rahden/Westf. 2000) 45 ff. – Ehemaliges Jugoslawien: Jozˇe Kastelicˇ, Les boucles d’oreilles à corbeille en Slovenie. Archaeologia Iugoslavica 2, 1956, 119–129; Zdenko Vinski, Körbchenohrringe aus Kroatien. In: Josef Haekel u. a. (Hrsg.), Die Wiener Schule der Völkerkunde. Festschrift des Instituts für Völkerkunde Wien 1929–1954 (Horn, Wien 1956) 564–568; Ursula Ibler, Studien zum Kontinuitätsproblem am Übergang von der Antike zum Mittelalter in Nordund Westjugoslawien, phil. Diss. (Bonn [1990] 1991) 44ff., bes. 50. – Karpatenbecken: Garam, Funde (Anm. 1) 15–18 Taf. 1–2. Ratiaria (Bulgarien): Riemer, Grabfunde (Anm. 131) 61 Abb. 9c.
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Abb. 11. Körbchenohrringe des östlichen Mittelmeerraumes. 1–2.4 Benaki Museum Athen (Segall, Katalog [Anm. 134] Taf. 50,234.235.237); 3 Ägyptisches Museum Kairo; 5 British Museum London (Yeroulanou, Diatrita [Anm 135] 278 Nr. 463 u. 464 m. Abb.). – M. ca. 1:1
nien133 im 6. Jahrhundert vorkommen. Im Kernraum des Byzantinischen Reiches fehlen die typisch „byzantinischen“ Körbchenohrringe allerdings. Dafür liegen formal abweichende Typen von Körbchenohrringen vor, deren Zeitstellung das 3. bis 11. Jahrhundert umfasst (Abb. 11). Auf der Grundlage der wenigen Exemplare aus geschlossenen Fundkomplexen scheinen die aus einem zentralen Kubus aufgebauten Ohrringe mit vier bis sechs daran befestigten, halbkugeligen Schalen beziehungsweise Körbchen134 teilweise arabisch beeinflusst und mittelbyzantinischer Zeitstellung und damit
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Mazedonien: Ivan Mikulcˇic´, Spätantike und frühbyzantinische Befestigungen in Nordmakedonien. Städte, Vici, Refugien, Kastelle. Veröffentlichungen der Kommission zur vergleichenden Archäologie römischer Alpen- und Donauländer = Münchner Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte 54 (München 2002) Abb. 193; 280,1–3. Exemplare stammen aus Istanbul/Saraçhane (R. Martin Harrison, Excavations at Saraçhane in Istanbul I [Princeton 1986] 267 Nr. 597) und Ephesos (?) (Collection H. Stathatos III. Objets antiques et byzantins [Strasbourg 1963] 287 Nr. 220, Abb. 178) sowie aus Sammlungsbeständen (Archäologische Staatssammlung München: Ludwig Wamser/Gisela Zahlhaas [Hrsg.], Rom und Byzanz. Archäologische Kostbarkeiten aus Bayern. Ausstellungskatalog München 1998–99 [München 1998] 192 f. Nr. 268 m. Abb. – Benaki Museum Athen: Berta Segall, Katalog der Goldschmiede-Arbeiten. Benaki Museum Athen [Athen 1938] 152 f. Nr. 234 f., Taf. 50).
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jünger zu sein als die aus drei, meist durchbrochen gearbeiteten, halbkugeligen Schalen/Körbchen bestehenden Ohrringe135. Halbmondförmige Ohrringe sind dagegen in einiger Zahl auch aus dem östlichen Mittelmeerraum bekannt,136 allerdings lassen sich nicht für alle Exemplare aus dem Raum nördlich der Alpen Parallelen namhaft machen; eine mediterrane Herstellung ist gerade für die Ohrringe aus Feldkirchen und Linz-Zizlau nicht zwingend. Fibeln original byzantinischer Provenienz sind im Prinzip im Nordwesten unbekannt (zu den gleicharmigen Bügelfibeln siehe oben). Unter den wenigen Exemplaren, die im Kern aus dem Mittelmeerraum stammen, befinden sich die „Cäsarenscheibe“ und die „Reiterfibel“ aus Grab 38 von Güttingen sowie die quadratische Edelsteinfibel aus Grab 403 von Mengen.137 Sie sind (vielleicht nördlich der Alpen) erst zu Gewandschließen umgearbeitet worden. Ganz vereinzelt steht schließlich das silberne Pektoralkreuz aus Grab 15 von Friedberg138 aus dem dritten Viertel des 7. Jahrhunderts, das in zahlreichen, aus dem Mittelmeerraum bekannten Stücken des 6. bis frühen 7. Jahrhunderts139 Parallelen besitzt. Die übrigen, recht einfach
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Kleinasien (?): Elizabeth Hoogendijk, Byzantine earrings from the Collection of the Rijksmuseum van Oudheiden in Leiden. Oudheidkunde Mededelingen 1994, 139–151, hier 141 f. Abb. 3. Weitere Ohrringe aus Sammlungen (Museum Kairo: Émile Vernier, Bijoux et orfèvreries. Catalogue général des antiquités Égyptiennes du Musée du Caire 38 [Leipzig 1907 ff.] 173 Nr. 52532, Taf. 34. – Benaki Museum Athen: Segall, Katalog [Anm. 134] 153 Nr. 237; 160 Nr. 252, Taf. 50. – British Museum London: Aimilia Yeroulanou, Diatrita. Gold pierced-work jewellery from the 3rd to the 7th century [Athen 1999] 278 Nr. 464 m. Abb.). Zusammenfassend: Isabella Baldini, Gli orecchini a corpo semilunato. Classificazione tipologica. Corso di Cultura sull’Arte Ravennate e Bizantina 18, 1991, 67–101; Isabella Baldini Lippolis, L’oreficeria nell’Impero di Constantinopoli tra IV e VII secolo. Bibliotheca Archaeologica 7 (Bari 1999) 103 ff. Nr. 2.II.7 ff. m. Abb.; Yeroulanou, Diatrita (Anm. 135) 279 ff. Nr. 475 ff. m. Abb.; Riemer, Grabfunde (Anm. 131) 67, Liste 1. Gerhard Fingerlin, Grab einer adligen Frau aus Güttingen (Ldkrs. Konstanz). Badische Fundberichte, Sonderheft 4 (Freiburg 1964) 20f.; 39 Taf. 2,1–2; Taf. 10,1.3; ders., Die alamannischen Gräberfelder von Güttingen und Merdingen in Südbaden. Germanische Denkmäler der Völkerwanderungszeit A 12 (Berlin 1971) 55–56; 138–139 Taf. 18, 3–4. – Zeiß, Fibel (Anm. 6); Michael Egger, Das alamannische Gräberfeld von Mengen („HohleMerzengraben“). In: FundMengen. Mengen im frühen Mittelalter. Archäologische Informationen aus Baden-Württemberg 25 (Stuttgart 1994) 55–69, hier 63–65, Abb. 41 u. Umschlagbild; für weitere Informationen danke ich herzlich Dr. Susanne Walter. Marcus Trier, Die frühmittelalterliche Besiedlung des unteren und mittleren Lechtals nach archäologischen Quellen. Materialhefte zur Bayerischen Vorgeschichte A 84 (Kallmünz/ Opf. 2002) 325f. Taf. 25. Vgl. Helmut Roth, Almandinhandel und -verarbeitung im Bereich des Mittelmeeres. Beiträge zur Allgemeinen und Vergleichenden Archäologie 2, 1980, 309–334, hier 332 Abb. 8; Trier, Lechtal (Anm. 138) 62 Anm. 491 (Vergleichsstücke).
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gestalteten Pektoralkreuze des 7. Jahrhunderts140 sind als mediterrane Importe wohl auszuschließen. Im Nordwesteuropa des 6. und 7. Jahrhunderts weitestgehend ohne Parallele sind die beiden Fragmente mediterraner Elfenbeinkämme, die zum Grabinventar der Frauengräber 150 von Fridingen und 285 von Griesheim gehörten.141 Es handelt sich vermutlich um (ost?)mediterrane Erzeugnisse des 5. bis beginnenden 6. Jahrhunderts.142 Die zahlenmäßig größte Gruppe unter den mediterranen Gefäßen im Nordwesten stellt das gegossene, vormals als „koptisch“ bezeichnete Buntmetallgeschirr dar. Dessen Ursprung in den an das östliche Mittelmeer angrenzenden Regionen hat sich mittlerweile als Forschungsmeinung durchgesetzt143, auch wenn eine Produktion im westmediterranen Raum für spezielle Typen nicht definitiv ausgeschlossen werden kann144. Die Verbrei140
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Matthias Knaut, Goldblattkreuze und andere Kreuzzeichen. Gedanken zu einer süddeutsch-italischen Beigabensitte. In: Claus Dobiat (Hrsg.), Festschrift für Otto-Herman Frey zum 65. Geburtstag. Marburger Studien zur Vor- und Frühgeschichte 16 (Marburg 1994) 317–330 bes. 327 f.; Barbara Theune-Großkopf, Ein merowingerzeitlicher Kreuzanhänger von Neudingen, Schwarzwald-Baar-Kreis. In: Christel Bücker u. a. (Hrsg.), Regio Archaeologica. Archäologie und Geschichte an Ober- und Hochrhein. Festschrift Gerhard Fingerlin. Studia honoraria 18 (Rahden/Westf. 2002) 257–268. Alexandra v. Schnurbein, Der alamannische Friedhof bei Fridingen an der Donau (Kreis Tuttlingen). Forschungen und Berichte zur Vor- und Frühgeschichte in Baden-Württemberg 21 (Stuttgart 1987) 79 (Expertise von K. Weitzmann); 136–137 Taf. 32–34A. – Jörg Meiner, Die Hochzeit zu Kana und der Hauptmann von Kafarnaum. Ein frühchristlicher Elfenbeinkamm aus Griesheim (Hessen). Antike Welt 27,5, 1996, 387–396; Holger Göldner/Volker Hilberg, Griesheim, Kreis Darmstadt-Dieburg, Gräberfeld des 6. bis 8. Jahrhunderts. Ausgrabungen in dem merowinger- bis karolingerzeitlichen Reihengräberfriedhof „An der Rückgasse“. Archäologische Denkmäler in Hessen 12 (Wiesbaden 2000) 12 m. Abb. Vergleichsstücke: Wolfgang F. Volbach, Elfenbeinarbeiten der Spätantike und des frühen Mittelalters. Kataloge vor- und frühgeschichtlicher Altertümer 73 (Mainz 1976) 122 f. Nr. 202–205, Taf. 98 f. Grundlegend: Werner, Bronzegeschirr (Anm. 6) 74f.; Werner, Bronzeflaschen (Anm. 6) 116–118. – Zur Diskussion der Produktionsplätze: Hermann Dannheimer, Zur Herkunft der „koptischen“ Bronzegefäße der Merowingerzeit. Bayerische Vorgeschichtsblätter 44, 1979, 123–147; Helmut Roth, Urcei alexandrini. Zur Herkunft gegossenen „koptischen“ Buntmetallgeräts aufgrund von Schriftquellen. Germania 58, 1980, 156–161. – Auch neuere Studien (Marcus Trier, Ein frühbyzantinisches Bronzebecken der Sammlung des Freiherrn von Diergardt im Römisch-Germanischen Museum Köln. Kölner Museums-Bulletin 2002,2, 45–57, hier 51f.; Drauschke, Handel [Anm. 15] 120ff., Kirsten Werz, „Sogenanntes koptisches“ Buntmetallgeschirr, phil. Diss. [Frankfurt 2000; Online-Publikation Konstanz 2005] 65f.) kommen über eine allgemeine Zuweisung von Produktionsplätzen nicht hinaus. Dafür plädierte nachhaltig: Maria C. Carretta, Il catalogo del vasellame bronzeo Italiano Altomedievale. Ricerche di Archeologia altomedievale e medievale 4 (Firenze 1982) 11 f. – Eine Produktion aller Gefäße im Westen postuliert jetzt: Patrick Périn, La vaisselle de bronze dite „copte“ dans les royaumes romano-germaniques d’Occident. Ètat des la question. Antiquité Tardive 13, 2005, 85–97.
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Abb. 12. Fundplätze mit Buntmetallgeschirr der Typengruppe B (nach Harris, Byzantium [Anm. 1] 67, Fig. 14)
tung der Gefäße im Westen hat sich seit der Kartierung von P. Périn145 weiter verdichtet, aber nicht grundsätzlich verändert (Abb. 12). Fundpunkte liegen nun z.B. auch aus dem awarisch beherrschten Gebiet in Ungarn vor.146 145
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Patrick Périn, A propos des vases de bronze „coptes“ du VIIe siècle en Europe de l’ouest. Le pichet de Bardouville (Seine-Maritime). Cahiers Archéologiques 40, 1992, 35–50. Edith Bárdos, „Kopt“ bronzedény a Zamárdi avar temetöböl. Somogyi Múzeumok Közleményei 9, 1992, 3–40; Garam, Funde (Anm. 1) 174 Taf. 131,2. – Vgl. auch die Zusammenstellung aller aus der Literatur bekannten Gefäße bei Drauschke, Handel (Anm. 15) 440 ff. Liste 8.
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Wesentlich seltener sind byzantinische Glasgefäße, wobei es sich ausnahmlos um Stängelgläser handelt, deren Verbreitung nördlich der Alpen zuletzt F. Damminger festgehalten hat.147 Ihr Vorkommen beschränkt sich weitestgehend auf die Reihengräber Süddeutschlands und des Rheinlandes, ihre Produktionsstätten sind vermutlich in Italien zu suchen, wo in Invillino-Ibligo, Torcello und Rom Glasmanufakturen nachgewiesen werden konnten.148 Eine Gefäßgattung mit einem völlig anderen Hintergrund stellen die Pilgerflaschen (ampullae) dar, die als Pilgerandenken im günstigsten Fall die Anwesenheit von Personen aus dem Westen im östlichen Mittelmeerraum widerspiegeln und somit unmittelbare Einsichten in Kontakte und Fernbeziehungen erlauben. Zu unterscheiden sind drei Typen, die vornehmlich dem 4. bis 7. Jahrhundert angehören: Pilgerflaschen aus dem Menas-Heiligtum in der Nähe von Alexandria, Exemplare aus dem Heiligen Land und solche von anderen, kleineren Heiligtümern aus dem Vorderen Orient. Aus Nordwesteuropa sind zwar in einiger Zahl ampullae bekannt, sie stammen jedoch fast alle aus Museumssammlungen und kaum aus gesicherten archäologischen Fundkontexten.149 Der einzige Befund aus dem hier betrachteten Gebiet, in dem byzantinisches Silbergeschirr gefunden wurde, ist schließlich das Schiffsgrab von Sutton Hoo.150 Es ist durchaus anzunehmen, dass Silbergefäße weitaus häufiger bei den germanischen Anführern anzutreffen waren, ihre Verbrei-
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Folke Damminger, Die Merowingerzeit im südlichen Kraichgau und in den angrenzenden Landschaften. Materialhefte zur Archäologie in Baden-Württemberg 61 (Stuttgart 2002) 114–118, Abb. 36, Liste 5; siehe auch Anke Burzler, Die frühmittelalterlichen Gräber aus der Kirche Burg. In: Markus Höneisen (Hrsg.), Frühgeschichte der Region Stein am Rhein. Antiqua 26 = Schaffhauser Archäologie 1 (Basel 1993) 191–232, hier 215 Abb. 182. Volker Bierbrauer, Invillino-Ibligo in Friaul I. Die römische Siedlung und das spätantikfrühmittelalterliche Castrum. Münchner Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte 33 (München 1987) bes. 285 f.; Lech Leciejewicz u. a., Torcello. Scavi 1961–62. Istituto Nazionale d’Archeologia e Storia dell’Arte Monografie 3 (Roma 1977) 114 ff., Abb. 108–111; Arena, Roma (Anm. 23) 308–310 Nr. II.3.303–342 Abb. Chiara Lambert/Paola Pedemonte Demeglio, Ampolle devozionali ed itinerari di pellegrinaggio tra IV e VII secolo. Antiquité Tardive 2, 1994, 205–231; Petra Linscheid, Untersuchungen zur Verbreitung von Menasampullen nördlich der Alpen. In: Ernst Dassmann/ Josef Engemann (Hrsg.), Akten des XII. Internationalen Kongresses für Christliche Archäologie, Bonn 1991. Jahrbuch für Antike und Christentum, Ergänzungsband 20 (Münster 1995) 982–986. Bruce-Mitford, Sutton Hoo (Anm. 59) 1–201 (Kap. 1). – Allgemein zu byzantinischen Silbergefäßen zuletzt: Marlia Mundell Mango, Silver plate among the Romans and among the Barbarians. In: Françoise Vallet/Michel Kazanski (Hrsg.), La noblesse romain et les chefs barbares du IIIe au VIIe siècle. Mémoires publiées par l’Association Française d’Archéologie Mérovingienne 9 (Condé-sur-Noireau 1995) 77–88.
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tung aber durch die Beigabensitte und/oder das verstärkte Einschmelzen der Gefäße zur Schmuckherstellung unklar bleibt. Nicht vergessen werden sollen botanische Reste exotischer Pflanzen wie Nelken oder Weihrauch, deren Überlieferung im archäologischen Kontext aber sehr schütter ist.151 Dasselbe gilt für Textilien, allen voran Seide, die in einigen wenigen archäologischen Befunden nachweisbar ist, so zum Beispiel in Form eines Seidenkreuz aus Grab 62 von Oberflacht und durch die Seidenstickereien auf der Tunika der Heiligen Balthilde von Chelles.152 Wie bei anderen Stoffen möglicher mediterran-östlicher Herkunft, nämlich
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Weihrauch und Gewürznelken: Grab 4/1884 von Horbourg (Frankreich); Korrespondenzblatt der Westdeutschen Zeitschrift für Geschichte und Kunst 4,1, 1885, Nr. 2, Sp. 1–3, hier 2; Anke Burzler, Archäologische Beiträge zum Nobilifizierungsprozeß in der jüngeren Merowingerzeit. Materialhefte zur Bayerischen Vorgeschichte A 77 (Kallmünz/Opf. 2000) 206f. Nr. 42. – Grab 217 von St. Severin in Köln; Otto Doppelfeld, Das fränkische Frauengrab unter dem Chor des Kölner Domes. Germania 38, 1960, 89–113, hier 111. – Grab 637 von Schleitheim (Schweiz); Burzler, Schleitheim (Anm. 49). – Zu älteren Befunden s. o. – Zur Herkunft von Gewürznelken und Weihrauch: Joachim Werner, Das alamannische Fürstengrab von Wittislingen. Münchner Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte 2 (München 1950) 45; James I. Miller, The spice trade of the Roman Empire 29 B.C. to A. D. 641 (Oxford 1969) 48; 102–104; Walter W. Müller, s. v. Weihrauch. In: Paulys Real-Encyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, hrsg. Georg Wissowa. Supplementband 15 (München 1978) Sp. 700–777; Hansjörg Küster, Kleine Kulturgeschichte der Gewürze (München 1997) 168–170; Werner H. Schoch, Bemerkungen zu den Weihrauchfunden. In: Burzler, Schleitheim (Anm. 49) 285–288. – Baumwollkapseln: Grab 2 von St. Ulrich und Afra in Augsburg; Werner, St. Ulrich (Anm. 111) 159–173 Abb. 7–12. – Grab 20 von Monet-la-Ville, Dép. Jura, und Grab 33 von Wahlern-Elisried, Kt. Bern; Dagmar v. Reitzenstein, Privatreliquiare des frühen Mittelalters. Kleine Schriften aus dem Vorgeschichtlichen Seminar Marburg 35 (Marburg 1991) 66–68 Nr. 17; 72–74 Nr. 20. Hans-Jürgen Hundt, Anhang 1. Die Textilreste von Oberflacht. In: Siegwalt Schiek, Das Gräberfeld der Merowingerzeit bei Oberflacht. Forschungen und Berichte zur Vor- und Frühgeschichte in Baden-Württemberg 41,I (Stuttgart 1992) 105–120, hier 105–107; 118 f. Abb. 25–27; Anneliese Streiter/Erika Weiland, Das seidene Aufnähkreuz aus Oberflacht. Gewebeanalyse und Musterrekonstruktion. In: Lise Bender Jørgensen u. a. (Hrsg.), Textilien aus Archäologie und Geschichte. Festschrift Klaus Tidow (Neumünster 2003) 142–147. – Jean-Pierre Laporte/Raymond Boyer (Hrsg.), Trésors de Chelles. Sépultures et Reliques de la Reine Bathilde et de l’Abesse Bertille. Ausstellungskatalog (Chelles 1991) bes. 22–37. – Weitere Seidenreste liegen aus Grab 8 von Mömlingen (Kr. Miltenberg/ BRD), dem Helmgrab von Morken (Erftkreis/BRD) und vielleicht aus dem Frauengrab von Bülach St. Laurentius (Kt. Zürich/Schweiz) vor; Robert Koch, Bodenfunde der Völkerwanderungszeit aus dem Main-Tauber-Gebiet. Germanische Denkmäler der Völkerwanderungszeit A 8 (Berlin 1967) 142; Kurt Böhner, Das Grab eines fränkischen Herren aus Morken im Rheinland. In: Neue Ausgrabungen in Deutschland (Berlin 1958) 432–468, hier 449–451 Abb. 15,4.5; Heidi Amrein u. a., Neue Untersuchungen zum Frauengrab des 7. Jahrhunderts in der reformierten Kirche von Bülach (Kanton Zürich). Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 56, 1999, 73–114, hier 99. – Zur Verbreitung von Seidenfunden siehe auch Harris, Byzantium (Anm. 1) 89 Abb. 20.
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Baumwolle153 und Goldtextilien154, so ist auch hier die Zahl überlieferter Nachweise äußerst gering. Dank der Fortschritte der Textilarchäologie ist es aber in den letzten Jahren gelungen, einige mit Seide kombinierte Goldtextilien zu identifizieren.155 Gegenwärtig ist jedoch noch ungeklärt, ob die mit gesponnenem Goldlahn verzierten Borten beziehungsweise Bänder als „Fertigprodukte“ aus dem östlichen Mittelmeerraum in den Westen gelangten, oder nicht etwa auch in Italien oder im Merowingerreich Seidenstoffe weiter verarbeitet worden sind. Zukünftige Analysen werden zeigen, welche der aus einigen reichen Bestattungen bekannten Goldtextilien, deren Zahl gerade in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts im austrasischen Teil des Frankenreiches stark zunimmt, als ostmediterrane Produkte gelten können. Zu den typischen Kleinfunden zählen nicht zuletzt „byzantinische“ Waagen und Gewichte, deren Fundaufkommen im Nordwesten jedoch gering ist.156 Feinwaagen mediterraner Herkunft fanden sich in Belgien und in England.157 Außer den Gewichten aus Grab 75 von Singen und Grab 6 von Klepsau158, die in das 6. Jahrhundert gehören, stammen die meisten Exem153
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Frauengrab von Bülach St. Laurentius (Kt. Zürich/Schweiz); Amrein, Bülach (Anm. 152) 95 f. Abb. 32–33. Grab 795 Lauchheim „Wasserfurche“ (Ostalbkreis/BRD); Stork, Lauchheim (Anm. 48) 213–214; Christoph Raub/H. Weiss, Untersuchung von Resten der Goldfäden eines Brokatgewebes aus Lauchheim, Ostalbkreis, Gräberfeld „Wasserfurche“, Grab 795. Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 1994, 217–220; Annemarie Stauffer/Felicitas Weisse, Ein frühmittelalterliches Goldgewebe aus Lauchheim. Fundberichte aus BadenWürttemberg 22,1, 1998, 729–736; Stork, Fürst (Anm. 48) II; 20 Abb. 15. Großhöbing Grab 143, Bestattung V (Borte aus Goldlahn und Seide); Antja Bartel u. a., Der Prachtmantel des Fürsten von Höbing. Textilarchäologische Untersuchungen zum Fürstengrab 143 von Großhöbing. Bericht der Bayerischen Bodendenkmalpflege 43/44, 2002/03, 229–249, hier 238ff. – Straubing-Alburg Grab 493, Bestattung 3 (Bänder der Beinriemen aus Goldlahn und Seide); Antja Bartel, Die Goldbänder des Herrn aus Straubing-Alburg. Untersuchungen einer Beinbekleidung aus dem frühen Mittelalter. Ebd. 261–272. Heiko Steuer, Gewichtsgeldwirtschaften im frühgeschichtlichen Europa. In: Klaus Düwel u. a. (Hrsg.), Untersuchungen zu Handel und Verkehr der vor- und frühgeschichtlichen Zeit in Mittel- und Nordeuropa IV. Der Handel der Karolinger- und Wikingerzeit. Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften Göttingen, phil.-hist. Kl., 3. Folge 156 (Göttingen 1987) 405–527, hier 432 Anm. 105; 433f. Anm. 106; Ergänzung: Heiko Steuer, Spätrömische und byzantinische Gewichte in Südwestdeutschland. Archäologische Nachrichten aus Baden 43, 1990, 43–59. Jaques Breuer/J. Alenus-Lecerf, La boite a poids monetaires de Lutlommel. Archaeologia Belgica 86, 1965, 103–116; Dumitru Tudor, Sucidava. Une cité daco-romaine et byzantine en Dacie. Collection Latomus 80 (Bruxelles-Berchem 1965) 123, Abb. 34,5. Siehe v.a. die Zusammenstellung bei: Steuer, Gewichtsgeldwirtschaften (Anm. 156) 440 Anm. 129. Ursula Koch, Das fränkische Gräberfeld von Klepsau im Hohenlohekreis. Forschungen und Berichte zur Vor- und Frühgeschichte in Baden-Württemberg 38 (Stuttgart 1990) 28–35, Taf. 7,32; Friedrich Garscha, Die Alamannen in Südbaden. Katalog der Grabfunde. Germanische Denkmäler der Völkerwanderungszeit A 11 (Berlin 1970) 262 Abb. 20,4.
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plare bereits aus völkerwanderungszeitlichen Zusammenhängen oder stellen lokale Nachahmungen dar159.
Orientalische Funde des 6. und 7. Jahrhunderts Im Gegensatz zu den „byzantinischen“ Funden der frühen Merowingerzeit scheint das Material des weiteren 6. und 7. Jahrhunderts mengenmäßig geringer auszufallen. Das zeigt sich besonders, wenn man es ins Verhältnis zum übrigen aus den Reihengräbern überlieferten Fundmaterial setzt und die im Vergleich zur frühen Merowingerzeit wesentlich längere Zeitspanne berücksichtigt. Wie die ausführlichere Diskussion der Schnallen und Beschläge sowie der Körbchenohrringe gezeigt hat, spielt der westmediterrane Raum inklusive dem nordwestlichen Balkangebiet weiterhin eine wichtige Rolle bezüglich der Produktionsorte. Der Schluss auf sehr sporadische oder zufällige Kontakte in den mediterranen Raum und speziell in dessen östlichen Teil liegt daher nahe. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Eine recht große Gruppe von Artefakten, die nicht unter die typisch „byzantinischen“ Funde fallen, aber aufgrund ihres Ursprungs über den ostmediterranen Raum bzw. das Byzantinische Reich in den Westen gelangt sein müssen, belegt sehr intensive Beziehungen Nordwesteuropas mit diesen Gebieten bis in die Zeit um 700. Ihre Provenienz ist anhand der Rohstoffvorkommen und naturwissenschaftlicher Analysen relativ sicher im Orient zu verorten. Zu diesen Waren zählt in erster Linie der als Schmuckstein für Fibeln in großer Zahl verwendete rote Granat, dessen Herkunft im 5. und 6. Jahrhundert aus Südostindien und Sri Lanka mittlerweile mehrfach bestätigt werden konnte.160 Wie großflächig dieser Edelstein in der Schmuckherstellung 159 160
Vgl. die Liste bei Steuer, Gewichte (Anm. 156). Susanne Greiff, Naturwissenschaftliche Untersuchungen zur Frage der Rohsteinquellen für frühmittelalterlichen Almandingranatschmuck rheinfränkischer Provenienz. Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz 45, 1998, 599–646; Dieter Quast/Ulrich Schüssler, Mineralogische Untersuchungen zur Herkunft der Granate merowingerzeitlicher Cloisonnéarbeiten. Germania 78,1, 2000, 75–96; Patrick Périn, Die Herkunft der im merowingischen Gallien gefundenen Granate. Neue chemische und mineralogische Analysen. In: Joachim Henning (Hrsg.), Post-roman towns and trade in Europe, Byzantium and the Near-East. Konferenz Bad Homburg 2004. Abstracts (Frankfurt a. M. 2004) 76–78. – Weitere Analysen: Staf Van Roy/Lisa Vanhaeke, L’origine des grenats à l’époque mérovingienne. Vie Archéologique 48, 1997, 124–137; Thomas Calligaro u. a., Estudio por acelerador de las gemas del Museo Nacional de la Edad Media, Cluny. In: Alicia Perea (Hrsg.), El tesoro visigodo de Guarrazar (Madrid 2001) 275–286. – Abweichende Ergebnisse für das 5. und 6. Jahrhundert bei: François Farges, Mineralogy of the Louvres merovingian garnet cloisonné jewellery. Origins of the gems of the first kings of France. The American Mineralogist 83, 1998, 323–330, bes. 328f.
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Abb. 13. Fundplätze des 6. und 7. Jahrhunderts mit Kaurischnecken (nach Banghard, Kaurischnecke [Anm. 162] 346 Abb. 32)
verarbeitet worden ist, verdeutlicht annähernd die Aufnahme der nordwesteuropäischen Granatscheibenfibeln durch K. Vielitz.161 Freilich fand der rote Granat noch in vielen anderen Fibeltypen und Artefakten Verwendung, die das Fundbild weiter verdichten. Der Ursprung der als Amulette getragenen Kaurischnecken der Art Cypraea pantherina lag im Roten Meer, die Art Cypraea tigris stammt aus dem Indischen Ozean. Sie zeigen im Merowingerreich und in den angelsächsichen Königreichen eine ähnlich weite Verbreitung wie der rote Granat (Abb. 13).162 161
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Kathrin Vielitz, Die Granatscheibenfibeln der Merowingerzeit. Europe médiévale 3 (Montagnac 2003). Angela v. d. Driesch, Tierartliche Bestimmung von Fundstücken. In: Hans Geisler, Das frühbairische Gräberfeld Straubing-Bajuwarenstraße I. Katalog der archäologischen Befunde und Funde. Internationale Archäologie 30 (Rahden/Westf. 1998) 372–374, hier 373 (Cypraea tigris). – Die Bestimmungen durch Karl Banghard ergaben durchweg die Kauri-Art Cypraea pantherina. Karl Banghard, s. v. Kaurischnecke. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde2 16 (Berlin, New York 2000) 344–347 Abb. 32; ders., Kauris im merowingerzeitlichen Europa. Ein Beitrag zur frühmittelalterlichen Fernhandelsgeschichte. Münstersche Beiträge zur antiken Handelsgeschichte 20,1, 2001, 15–21. Abb 1; ders., Zeugnisse des Fernhandels. Die Cypraea aus Grab 334. In: Burzler, Schleitheim (Anm. 49) 270–272. Abb. 180.
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Abb. 14. Bronzezierscheibe mit Umfassungsring aus Elfenbein aus Alburg, Stadt Straubing, Grab 500 (nach Geisler, Straubing [Anm. 162] Taf. 182,13.14). – M. 2:3
Elfenbein kommt in Nordwesteuropa weitaus häufiger vor als man vermuten würde und zwar in Form von Ringen, die auf dem Kontinent als Umfassungsringe von Zierscheiben dienten (Abb. 14) und im angelsächsischen England offensichtlich ohne Zierscheiben oder ähnliches getragen wurden.163 Wie Analysen des Materials nun bestätigen konnten, wurde dafür das Elfenbein afrikanischer Elefanten, wahrscheinlich der Savannenelefanten verwendet.164 Allein die Aufnahme von elfenbeinernen Ringen in 163
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Letzte Zusammenstellung bei: Dorothee Renner, Die durchbrochenen Zierscheiben der Merowingerzeit. Kataloge vor- und frühgeschichtlicher Altertümer 18 (Mainz 1970). – Für Großbritannien: Vera I. Evison, Dover: The Buckland Anglo-Saxon cemetery. Archaeological Report 3 (London 1987) 118 f., Abb. 118; Jeremy W. Huggett, Imported grave goods and the early Anglo-Saxon economy. Medieval Archaeology 32, 1988, 63–96, hier 69 Abb. 3; Harris, Byzantium (Anm. 1) 174 Abb. 61; Catherine Hills, From Isidore to isotopes. Ivory rings in Early Medieval graves. In: Helena Hamerow/Arthur MacGregor (Hrsg.), Image and power in the archaeology of Early Medieval Britain. Festschrift Rosemary Cramp (Oxford 2001) 131–146. Jörg Drauschke/Arun Banerjee, Zur Identifikation, Herkunft und Verarbeitung von Elfenbein in der Merowingerzeit. Archäologisches Korrespondenzblatt 37, 2007, 109–128.
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Süddeutschland und den angrenzenden Regionen erbrachte eine enorm hohe Funddichte, die nur durch einen nachhaltigen Zustrom des Materials erklärt werden kann.165 Von den Küsten Ostafrikas, des Roten Meeres oder des östlichen Mittelmeeres stammen die Muscheln und Schnecken, aus denen man die flachen Muschelscheibchenperlen fertigte, welche aus Grabfunden des 7. bis beginnenden 8. Jahrhunderts bekannt sind.166 Die Lokalisierung der Amethystlagerstätten, in denen der Rohstoff für die zahlreichen Amethystperlen des 6. und 7. Jahrhunderts gewonnen wurde, ist nicht mit wünschenswerter Sicherheit möglich, infrage kommen Südasien oder der nordostafrikanische Raum bzw. Regionen am östlichen Mittelmeer. Aufgrund der zahlreichen, nahezu identischen Parallelfunde von Perlen im östlichen Mittelmeerraum, die in erster Linie von Halsketten stammen, ist eine Vermittlung über das ostmediterrane Gebiet in den Westen eher anzunehmen als eine Ausbeutung alpiner Lagerstätten.167 Auch die Fundzahl der Ame-
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Drauschke, Handel (Anm. 15) 76 ff. Grundlegend zur Herkunft: Frank Siegmund/Michael Weiß, Perlen aus Muschelscheibchen im merowingerzeitlichen Mitteleuropa. Archäologisches Korrespondenzblatt 19, 1989, 297–307; Christian Pescheck, Das fränkische Reihengräberfeld von Kleinlangheim, Lkr. Kitzingen/Nordbayern. Germanische Denkmäler der Völkerwanderungszeit A 17 (Mainz 1996) 38 Anm. 352; U. Jux in: Frank Siegmund, Merowingerzeit am Niederrhein. Die frühmittelalterlichen Funde aus dem Regierungsbezirk Düsseldorf und dem Kreis Heinsberg. Rheinische Ausgrabungen 34 (Köln, Bonn 1998) 78–80. – Relativierend bezüglich der Perlenbezeichnung und der Rohstoffe sowie mit neuer Verbreitungskarte: Annette Lennartz, Muschelperlen – Perlmuttperlen – Schneckenperlen. Drei Namen für ein Phänomen? In: Christoph Keller u. a. (Hrsg.), Certamina Archaeologica. Festschrift Heinrich Schnitzler. Bonner Beiträge zur vor- und frühgeschichtlichen Archäologie 1 (Bonn 2000) 191–202 bes. Abb. 2. – Parallelfunde des frühen 8. Jahrhunderts von der ostafrikanischen Küste bei: Mark Horton, Shanga. The archaeology of a Muslim trading community on the coast of East Africa. Memoirs of the British Institute in Eastern Africa 14 (London 1996) 323, Abb. 246,a–b. – Wichtig ist die Differenzierung der Muschelscheibchenperlen von den bereits im 6. Jahrhundert sehr häufigen „Perlmuttperlen“, deren mediterrane oder orientalische Herkunft fraglich ist. Dazu gehören die meisten der aufgezählten Exemplare bei: Koch, Klepsau (Anm. 158) 123 Anm. 42. Eine detaillierte Diskussion kann hier nicht geleistet werden. Zur mediterranen (italischen) Herkunft der Amethystperlen: Joachim Werner, Münzdatierte austrasische Grabfunde. Germanische Denkmäler der Völkerwanderungszeit 3 (Berlin, Leipzig 1935) 75; Rainer Christlein, Das alamannische Reihengräberfeld von Marktoberdorf im Allgäu. Materialhefte zur Bayerischen Vorgeschichte 21 (Kallmünz/Opf. 1966) 74 Anm. 206; Ursula Koch, Das Reihengräberfeld bei Schretzheim. Germanische Denkmäler der Völkerwanderungszeit A 13 (Berlin 1977) 73 f.; dies., Klepsau (Anm. 158) 124 Anm. 44. – Zu den mediterranen Parallelen siehe u. a.: Baldini Lippolis, Oreficeria (Anm. 136) 134 ff. Nr. 1.c. – Allein in der Nekropole von Nocera Umbra fanden sich in 18 Frauengräbern Halsketten mit Amethystperlen; Angelo Pasqui/Roberto Paribeni, Necropoli barbarica di Nocera Umbra. Monumenti Antichi 25, 1918, 137–532.
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thystperlen in Nordwesteuropa ist in den letzten Jahren beträchtlich angestiegen.168 Das gleiche gilt für die zylindrischen Meerschaumperlen, die von der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts bis in die Zeit um 600 in den Frauengräbern zu finden sind.169 Der Werkstoff ist bereits bei den frühmerowingerzeitlichen Gürtelschnallen mediterranen Ursprungs begegnet (siehe oben) und wurde außerdem – ebenfalls in zylindrischer Form – für Schwertperlen verwendet.170 Ihr Ursprung ist vermutlich im östlichen Mittelmeerraum zu suchen, zumindest der Ursprung des Rohstoffs Meerschaum beziehungsweise Sepiolith.171 Einige weitere Materialgruppen, deren mediterrane beziehungsweise „byzantinische“ Herkunft allerdings nicht abgesichert und immer wieder Gegenstand von Diskussionen ist, ließen sich anschließen.172 Aber bereits das 168
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Südöstliches Merowingerreich: Drauschke, Handel (Anm. 15) Karte 6. – Für England: Huggett, Grave goods (Anm. 163) 66–68, Abb. 2; Harris, Byzantium (Anm. 1) 173 Abb. 60. Fundlisten ohne genaue Materialdifferenzierung: Andreas Heege, Grabfunde der Merowingerzeit aus Heidenheim-Großkuchen. Materialhefte zur Vor- und Frühgeschichte in Baden-Württemberg 9 (Stuttgart 1987) 138 f. Anm. 460; Christoph Grünewald, Das alamannische Gräberfeld von Unterthürheim, Bayerisch-Schwaben. Materialhefte zur Bayerischen Vorgeschichte A 59 (Kallmünz/Opf. 1988) 118 Anm. 90; Robert Reiß, Der merowingerzeitliche Reihengräberfriedhof von Westheim (Kreis Weißenburg-Gunzenhausen). Wissenschaftliche Beibände zum Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums 10 (Nürnberg 1994) 105 Anm. 170. Fundlisten ohne genaue Materialdifferenzierung: Joachim Werner, Beiträge zur Archäologie des Attila-Reiches. Abhandlungen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl. N. F. 38 A (München 1956) 120–128 Fundliste IV, Taf. 75, Karte 11; Menghin, Schwert (Anm. 30) 356–357 Liste C1.d, Karte 19; János Cseh u. a., Gepidische Gräberfelder im Theissgebiet II. Monumenta Germanorum Archaeologica Hungariae 2, Monumenta Gepidica (Budapest 2005) 174 Abb. 33. Zum Werkstoff Meerschaum und zu möglichen Lagerstätten: Michael Herdick, Meerschaum – ein fast vergessener Rohstoff in der Archäologie. Anschnitt 48,1, 1996, 35–36; Herdick, Mineral (Anm. 33). Das betrifft zum Beispiel die Millefioriperlen (Ursula Koch, Mediterrane und fränkische Glasperlen des 6. und 7. Jahrhunderts aus Finnland. In: Georg Kossack/Günter Ulbert [Hrsg.], Studien zur vor- und frühgeschichtlichen Archäologie. Festschr. Joachim Werner. Münchner Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte, Ergänzungsband I,2 [München 1974] 495–520; Armin Volkmann/Claudia Theune, Merowingerzeitliche Millefioriperlen in Mitteleuropa. Ethnographisch-Archäologische Zeitschrift 42, 2001, 521–553) oder auch bestimmte Verteidungs- und Angriffswaffen wie Stoßlanzen, dreiflügelige Pfeilspitzen, Ketten- und Lamellenpanzer (Uta v. Freeden, Awarische Funde in Süddeutschland? Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz 38, 1991, 593–627; Ursula Koch, Der Ritt in die Ferne. Erfolgreiche Kriegszüge im Langobardenreich. In: Die Alamannen. Austellungskatalog [Stuttgart 1997] 403–415; Raimar Kory, s. v. Schuppen- und Lamellenpanzer. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde2 26 [Berlin, New York 2004] 375–403).
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hier vorgestellte Fundmaterial lässt darauf schließen, dass der Umfang des im 6. und 7. Jahrhundert aus dem östlichen Mittelmeerraum nach Nordwesteuropa transportierten Materials beträchtliche Ausmaße angenommen hat und wesentlich größer ist als das der vorherigen Epoche. Somit sind enge und fortbestehende Beziehungen des Merowingerreiches und der angelsächischen Königreiche in den Mittelmeerraum anzunehmen. Der Zugang erfolgte über Südfrankreich und über Italien beziehungsweise im Falle der englischen Funde über den Atlantik, direkte Verbindungen mit Konstantinopel sind dagegen nicht zwingend. Es ist außerdem wichtig festzustellen, dass der Zustrom von Funden und die Kontakte mindestens bis in die Zeit um 700 angedauert haben. Zwar geht das Fundaufkommen in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts stark zurück, doch können die mediterranen Güter dieser Zeit wohl kaum alle als Altstücke klassifiziert werden. Gleichzeitig verändert sich die Struktur der eingeführten Materialien. In der frühen Merowingerzeit handelte es sich um weniger, aber wertvolle und sehr prestigeträchtige Objekte, die darüber hinaus an herausragende Bestattungen gebunden waren. Der Charakter der meisten exotischen Funde der jüngeren Phase kann kaum noch als derart prunkvoll bezeichnet werden, außerdem ist eine deutliche Ausweitung der Objekte auf weniger aufwändig bis teilweise gering ausgestattete Gräber festzustellen. Zweifellos werden Amethystperlen oder Ringe aus afrikanischem Elefantenelfenbein einen nicht unbeträchtlichen Wert gehabt haben, doch nach Aussage der Fundkontexte – soweit man über diese den wirtschaftlichen Hintergund der bestatteten Toten und bestattenden Familie eruieren kann – waren die exotischen Objekte keinesfalls nur an die Personen der höchsten sozialen Ränge im Sinne von „Luxusartikel“ gebunden. Der Wechsel im Importspektrum ist nicht unbeeinflusst von den allgemeinen Modeerscheinungen der Zeit. So fällt die Häufigkeit und Gesamtlaufzeit von Elfenbeinringen mit der Sitte zusammen, Zierscheiben als Amulette an einem Gürtelgehänge zu tragen. Trotzdem sind meines Erachtens Veränderungen zu erkennen, die unabhängig von Modetrends abliefen. So wurden auch in der frühen Merowingerzeit Amulettgehänge und Perlen getragen, aber Kaurischnecken und Elfenbeinringe, Muschelscheibchen- und Amethystperlen sind erst nach 510/530 im Fundspektrum belegt. In einigen Regionen wurde die Beigabe von Bronzegefäßen über die gesamte Merowingerzeit hinweg ausgeübt – das gegossene Buntmetallgeschirr erscheint allerdings gehäuft nur um 600 und wieder in der Mitte des 7. Jahrhunderts in den Gräbern. Diese Beobachtungen können plausibel mit tatsächlichen Veränderungen erklärt werden, die neue Verbindungen in den Mittelmeerraum und damit erschlossene Einfuhrmöglichkeiten von Gütern betreffen.
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Viele Wege führen nach Norden. Die Frage nach den Mechanismen Wie H. Roth bereits vor einigen Jahren feststellte, zeigt das Studium der einschlägigen archäologischen Literatur, dass für die Distribution von archäologischen Objekten vielfach die gleichen Erklärungsansätze wiederholt werden. Darunter dominieren „Handel“ – wobei Struktur und Bedingungen dieses Handels so gut wie nie näher erläutert werden – und die Migration von Personen, die auf diesem Weg die „fremden“ Güter mitbrachten.173 Artefakte an sich enthalten keine Informationen darüber, welchen Verteilungsmechanismen sie vor ihrer Niederlegung unterworfen waren. Beschreibungen des Warenverkehrs sind deswegen zunächst der zeitgenössischen schriftlichen Quellen zu entnehmen. Sie liefern durch ihre Informationen erste Interpretationshilfen, doch muss man sich darüber im Klaren sein, dass sie – genauso wie die archäologischen Quellen – lückenhaft sind und so gut wie keine Nachrichten über nicht von ihnen abgedeckte Gebiete, zum Beispiel den Regionen östlich des Rheins, beinhalten. Trotz dieser Einschränkungen eröffnet der Rückgriff auf die schriftlichen Quellen ein breites Spektrum von Verteilungsmöglichkeiten im Merowingerreich, wie bereits D. Claude herausstellen konnte.174 Mit dem Versprechen Theudebert I. an seine Anhänger, sie könnten auf einem von ihm organisierten Kriegszug in die Auvergne viel Gold, Silber, Vieh, Sklaven und Kleidung erbeuten, lässt sich der Mechanismus von Raub- und Kriegsbeute besonders augenfällig belegen.175 Bekannt ist außerdem das gegenseitige Schenken zwischen hohen Geistlichen, was für Freie beziehungsweise Adlige ebenfalls zu vermuten ist, außerdem sind Schenkungen seitens der byzantinischen Kaiser an die merowingischen Könige überliefert.176 Dage-
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Helmut Roth, Zum Handel der Merowingerzeit auf Grund ausgewählter archäologischer Quellen. In: Klaus Düwel u. a. (Hrsg.), Untersuchungen zu Handel und Verkehr der vorund frühgeschichtlichen Zeit in Mittel- und Nordeuropa III. Der Handel des frühen Mittelalters. Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften Göttingen, phil.-hist. Kl., 3. Folge 150 (Göttingen 1985) 161–192, hier 164–171 Tab. 1. Dietrich Claude, Aspekte des Binnenhandels im Merowingerreich auf Grund der Schriftquellen. In: Klaus Düwel u. a. (Hrsg.), Untersuchungen zu Handel und Verkehr der vorund frühgeschichtlichen Zeit in Mittel- und Nordeuropa III. Der Handel des frühen Mittelalters. Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften Göttingen, phil.-hist. Kl., 3. Folge 150 (Göttingen 1985) 9–99, hier 10–14. Gregor v. Tours, Historiae III,11: Gregorii Episcopi Turonensis Libri Historiarum X, hrsg. Bruno Krusch/Wilhelm Levison. Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Merovingicarum 1,1 (Hannover 1951) 108. Epistulae S. Desiderii Cadurcensis II,11, hrsg. Dag Norberg. Studia Latina Stockhomiensia 8 (Stockholm 1961) 59 (Wein als Geschenk zwischen den Bischöfen von Cahors und
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gen ist die Freigiebigkeit der Kirchen als eine individuelle Vergabe von Gütern zu klassifizieren.177 Geschenke seitens des Königs oder anderer Adliger an ihnen untergeordnete Menschen finden innerhalb von Personenverbänden, also gefolgschaftlich und/oder grundherrschaftlich organisierten Gruppen statt.178 Innerhalb von Grundherrschaften muss mit einer verstärkten Zirkulation von Gütern gerechnet werden.179 Nicht zuletzt führen die Besteuerung und Erhebung von Zöllen zu einem erzwungenen Austausch.180 Schließlich sind durch schriftliche Quellen auch Kaufleute nachgewiesen, die ihren Lebensunterhalt durch Kauf und Verkauf von Gütern bestritten und einen Handel im engeren Sinn belegen.181 Die aufgezeigten Mechanismen können ohne Schwierigkeiten in ein in der Ethnologie weithin angewandtes Modell (Abb. 15) eingebunden und den Kategorien von Redistribution, Reziprozität und Marktaustausch (darunter auch Handel) zugeordnet werden.182 Diese Klassifizierung soll helfen, einheitlich definierte Begrifflichkeiten zu verwenden und zum Beispiel den Mechanismus des „Handels“, der für die Verbreitung vieler Materialgruppen gerne als Erklärung herangezogen wird, überprüfbar zu machen. Demzufolge kann der „Handel“ natural- (Tauschhandel) oder geldwirtschaftlich organisiert sein. Über Besuche bei den Handelspartnern oder auf regelrechten Marktplätzen werden zwischen gleichberechtigten Partnern
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Verdun). – Gregor v. Tours, Historiae VI,2: hrsg. Krusch/Levison, 266f. (Chilperich I. erhält im Jahre 581 kostbare Geschenke von Kaiser Tiberios). Vitae patrum Emeretensium V,3,7; The Vitas sanctorum patrum Emeretensium, ed. Joseph N. Garvin. Studies in Medieval and Renaissance Latin language and literature 19 (Washington D. C. 1946) 194 (Verteilung von Öl in Merida). Gregor v. Tours, Historiae II,42: hrsg. Krusch/Levison, 92 (Verschenken von Waffen und Gegenständen aus Edelmetall [Wehrgehänge, Armreifen] durch den König an seine Getreuen). Actus pontificum Cenomannis in urbe degentium, hrsg. G. Busson/Ambroise Ledru. Archives historiques du Maine 2 (Le Mans 1901) 120 (Testament Berthrams v. Le Mans). Gregor v. Tours, Historiae V,28: hrsg. Krusch/Levison, 233f. (Steuerforderungen Chilperichs). Verhulst, Handel (Anm. 13). Ulrich Köhler, Formen des Handels aus ethnologischer Sicht. In: Klaus Düwel u. a. (Hrsg.), Untersuchungen zu Handel und Verkehr der vor- und frühgeschichtlichen Zeit in Mittel- und Nordeuropa I. Methodische Grundlagen und Darstellungen zum Handel in vorgeschichtlicher Zeit und in der Antike. Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften Göttingen, phil.-hist. Kl., 3. Folge 143 (Göttingen 1985) 13–55, hier 16–22; Jürgen Jensen, Wirtschaftsethnologie. In: Hans Fischer (Hrsg.), Ethnologie. Einführung und Überblick (3Berlin, Hamburg 1992) 119–147, hier 134–143; Klaus Hesse, Handel, Tausch und Prestigegüterwirtschaft in außereuropäischer Zivilisation. In: Bernhard Hänsel (Hrsg.), Handel, Tausch und Verkehr im bronze- und früheisenzeitlichen Südosteuropa. Südosteuropa-Schriften 17 = Prähistorische Archäologie in Südosteuropa 11 (München, Berlin 1995) 31–38, hier 31–33.
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Abb. 15. Formen der Distribution nach ethnologischen Modellen mit Ergänzungen (vgl. Anm. 182) (Grafik: M. Ober, RGZM)
oder Institutionen als äquivalent angesehene Güter oder Leistungen aus jeweiliger (Über-)Produktion im profanen Rahmen ausgetauscht. Die soziale Bedeutung des Austausches tritt beim Handel gegenüber einer auf den eigenen Vorteil bedachten Einstellung der agierenden Personen zurück. Professionelle Händler oder Fernhändler sind keine zwingende Voraussetzung für die Existenz von Handel.183 Den ethnologischen Modellen zur Distribution ist noch ein wichtiger Faktor hinzuzufügen, da sie lediglich den Warenverkehr berücksichtigen, dessen Motivation die aktive Verteilung von Gütern gewesen ist. Gerade archäologisch fassbare Objekte können jedoch – ohne dass es denn damals agierenden Menschen bewusst war – durch die individuelle Mobilität von Personen über weite Strecken transportiert worden sein, vor allem bei Migrationen oder exogamen Vorgängen oder durch die so genannten Wanderhandwerker. Die Analyse des Warenverkehrs auf dem Mittelmeer in spätantiker Zeit bestätigt die stark zu differenzierenden Formen der Distribution. In klassischer Sicht wird der Güteraustausch als Ausdruck eines preisbildenden, von Angebot und Nachfrage gesteuerten Marktes aufgefasst. Die Neubewertung 183
Köhler, Formen (Anm. 182) 21 f.; Jensen, Wirtschaftsethnologie (Anm. 182) 141. – Die Definitionen sind allerdings auch innerhalb der Ethnologie nicht einheitlich. So bestimmt Hesse, Handel (Anm. 182) 33, als Voraussetzung des „Handels“ die Existenz von professionellen Händlern, Geldwirtschaft und einen preisbildenden Markt. Bei Anwendung dieser modernistischen Kriterien hätte „Handel“ in der mittel- und westeuropäischen Ur- und Frühgeschichte wohl weitaus seltener existiert als bislang angenommen.
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archäologischer wie schriftlicher Quellen zu diesem Thema führte in den letzten Jahrzehnten zu einer oben bereits erwähnten Neubewertung des Warenverkehrs, die in ihrer extremsten Form sogar ein gänzlich „entkommerzialisiertes“ Wirtschaftsmodell entworfen hat.184 Gerade in komplex organisierten Gesellschaften werden allerdings mehrere Austauschmechanismen nebeneinander existiert haben. Zu unterscheiden sind einerseits die Fernverbindungen über das Mittelmeer und andererseits die regionalen Märkte, auf denen ein von Angebot und Nachfrage abhängiger und geldwirtschaftlich organisierter Handel weiterhin bestanden haben kann. Der damit beschreibbare Warenverkehr lief im Übrigen trotz aller kriegerischer Auseinandersetzungen der Zeit nach 600 im eingeschränkten Maße weiter, wie nicht zuletzt die Amphorenzusammensetzung der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts aus der Crypta Balbi in Rom gezeigt hat.185 Zur Identifizierung der Überführungsmechanismen mediterraner Funde nach Nordwesteuropa sind einerseits die Verhältnisse im Mittelmeerraum, andererseits die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen innerhalb des Merowingerreiches zu berücksichtigen, wobei die Wirtschaftsräume rechts und links des Rheins durchaus unterschiedlich strukturiert waren.186 Ausgehend von den Objektgruppen, ihren Fundkontexten und ihrer chronologischen Einordnung lassen sich den zwei oben bereits differenzierten Phasen auch unterschiedliche Überführungsmechanismen zuordnen. Unter den Funden der frühesten Merowingerzeit dominieren – unabhängig von ihrer Herkunft aus dem östlichen oder westlichen Mittelmeerraum – Objekte mit einem hohen materiellen und ideellen Wert, die, soweit es sich nicht um Einzelfunde handelt, vor allem in ansonsten reich ausgestatteten Gräbern gefunden wurden. Das Vorbild der mediterranen Schnallen regte stark zu Imitationen an. Angesichts dieser Befundlage und der sonstigen, an den Inventaren erkennbaren Beziehungen scheint die individuelle Mobilität
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Grundlegend: Charles R. Whittaker, Late Roman trade and traders. In: P. Garnsey u. a. (Hrsg.), Trade in the ancient economy (London 1983) 163–180. – Ähnlich noch: Paul Arthur, Eastern Mediterranean amphorae between 500 and 700. A view from Italy. In: Lucia Saguì (Hrsg.), Ceramica in Italia. VI–VII secolo (Firenze 1998) 157–183. In diesem Wirtschaftsmodell wird der Warentransport maßgeblich von den Versorgungslieferungen des Staates (annona), von den Verbindungen zwischen kirchlichen Gütern und von den Bedürfnissen der wohlhabenden Eliten, also Adligen und Großgrundbesitzern abhängig gemacht; Händler sind im Prinzip nur noch als Agenten der Eliten tätig. Lucia Saguì, Roma, i centri privilegiati e la luna durata della tarda antichità. Dati archeologici dal deposito di VII secolo nell’esedra della Crypta Balbi. Archeologia Medievale 29, 2002, 7–42. Roth, Handel (Anm. 173) 161 f.; ders., Produktion und Erwerb von Edelmetallerzeugnissen. In: Claus Dobiat (Hrsg.), Festschrift für Otto-Herman Frey zum 65. Geburtstag. Marburger Studien zur Vor- und Frühgeschichte 16 (Marburg 1994) 517–522, hier 518.
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der Personen und der persönliche Kontakte in den Mittelmeerraum entscheidend für die Vermittlung gewesen zu sein. Die Krieger können die Schnallen, Langsaxe und Helme als Ausrüstung im Byzantinischen Heer erworben haben, wie die nicht seltene Vergesellschaftung dieser Objekte in einem Grab nahelegt. Exzeptionelle Stücke, wie die Prunkspathen, das syrische Glasgefäß aus Bräunlingen oder die zahlreichen Silberlöffel, machen dagegen den Eindruck hochwertiger Auszeichnungen oder Geschenke, wobei fraglich bleibt, ob auch die niedrigeren Anführer der germanischen Einheiten als so wichtig erachtet wurden, dass sie tatsächlich seitens des byzantinischen Herrscherhauses derartige Zuwendungen erhielten. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass aus Italien stammende, aber nach der ostgotischen Eroberung angefertigte Objekte wohl eher als Ehrengeschenke des ostgotischen Herrscherhauses zu gelten haben. Angesichts der zahlreichen Schatzfunde mit Silberlöffeln in Italien ist es außerdem nicht abwegig, Raub- und Kriegsbeute als „Vermittlungsfaktor“ hinzuzurechnen. Gerade im alamannischen Siedlungsbereich Südwestdeutschlands lassen sich darüber hinaus Bezüge in den mittleren Donauraum erkennen, die teilweise als Indizien eines Zuzugs „fremder“ Personen interpretiert worden sind.187 Auch wenn der dadurch in den Nordwesten gelangte Anteil am gesamten mediterranen Fundmaterial mengenmäßig kaum zu bestimmen ist, darf die Migration von Personen als Mechanismus nicht ausgeblendet werden. Kontakte, die als direkte Handelsbeziehungen zu deuten sind, lassen sich bei Franken und Alamannen dagegen kaum bestimmen beziehungsweise allenfalls aus den frühen Meerschaumperlen und dem für die Verzierung von Fibeln und Gürtelbeschlägen notwendigen roten Granat, falls es sich nicht gleichzeitig mit Geschenken in den Norden gelangte Akzessorien handelt. Ganz unterschiedlich ist die Situation in Westbritannien zu deuten, wo der intensive Fundniederschlag mediterraner Keramik für fortlaufende Handelsbeziehungen spricht.188 Die Veränderung des Spektrums mediterraner Funde ab ca. 510/530 ist deutlich ausgeprägt. Wirklich kostbare, prestigeträchtige Objekte sind die Ausnahme, vielmehr lassen sich die nunmehr in größeren Mengen auftretenden orientalischen Güter wie Kaurischnecken, Elfenbeinringe, Amethystperlen oder Muschelscheibchen zumindest in den Zeitstufen AM III bis JM II auch in nur mittelmäßig bis gering ausgestatteten Frauengräbern
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Dazu: Dieter Quast, Vom Einzelgrab zum Friedhof. Beginn der Reihengräbersitte im 5. Jahrhundert. In: Die Alamannen. Austellungskatalog (Stuttgart 1997) 171–190; Quast, Suche (Anm. 37). Harris, Byzantium (Anm. 1) 144 ff.
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nachweisen, obschon sie einen gewissen Wert gehabt haben müssen. Auch die weitgestreute geografische Verbreitung ist beachtenswert. Außerdem handelt es sich um Objektgruppen, die gar nicht oder nicht in der speziellen Form in Nordwesteuropa als Ressource vorhanden waren. Die Verhältnisse lassen folglich einen Bedarf nach diesen Gütern vermuten, der zu mehr oder weniger stark ausgeprägten Handelsbeziehungen im oben definierten Sinn geführt hat. Das Fundmaterial ist jedoch zu differenzieren: Seidenstoffe und andere exotische Textilien, Goldohrringe und das Pektoralkreuz sowie ein Teil der mediterranen Buntmetallgefäße werden als kostbare Geschenke oder aufgrund anderer persönlicher Beziehungen in den Norden gelangt sein. Einige der byzantinischen Goldmünzen, deren Fundumstände zeigen, dass hauptsächlich ihr Schmuck- beziehungsweise ihr Metallwert geschätzt wurde, könnten ein Widerhall der aus den Schriftquellen erschließbaren Subsidienzahlungen seitens des Byzantinischen Reiches sein.189 Auch fällt es schwer, die nicht sehr zahlreichen und wenig wertvollen Gürtelschnallen als Handelsware einzustufen. Im westfränkischen Teilreich sind daneben die Auswirkungen eines „privilegierten Warenverkehrs“ zu beachten, in dessen Rahmen – man beachte die Parallelen zur Diskussion des Warenaustausches im Mittelmeerraum – Güter über weite Strecken transportiert worden sind, ohne dass kaufmännische Aktivitäten im engeren Sinn dafür verantwortlich waren.190 Zu berücksichtigen ist außerdem Beute als Auswirkung von Raub- und Kriegszügen, da fränkisch-alamannische Einheiten während des 6. Jahrhunderts mehrere Male in Italien weilten.191 Insgesamt beziehen sich die zuletzt genannten Möglichkeiten jedoch nur auf zahlenmäßig unbedeutende Ob-
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Bündnisse des Byzantinischen Reiches mit den Franken, die wahrscheinlich Geldzahlungen zur Folge hatten, sind für den Beginn des Gotenkrieges 535 und gegen die Langobarden 571 und 578 überliefert. Eugen Ewig, Die Merowinger und das Frankenreich (Stuttgart, Berlin, Köln 19973) 37; 43–45. Den Hintergund des im Verlauf der Merowingerzeit an Bedeutung zunehmenden „privilegierten Warenverkehrs“ bildet der Wunsch merowingischer Klöster und Bischofskirchen nach einer preisgünstigen Eigenversorgung, weswegen Privilegien wie die für St. Denis und Corbie bei den merowingischen Herrschern erwirkt wurden. So genannte missi führten die Geschäfte durch und transportierten die Waren von den Mittelmeerhäfen zu den klösterlichen Besitzungen. Claude, Aspekte (Anm. 174) 78 ff. – Ein Rückgang von Berufskaufleuten im Warengeschäft ist nicht von der Hand zu weisen; Stéphane Lebecq, Les echanges dans la Gaule du Nord au VIe siècle. Une histoire en miettes. In: Richard Hodges/William Bowden (Hrsg.), The sixth century. Production, distribution and demand. The Transformation of the Roman World 3 (Leiden, Bosten, Köln 1998) 185–202 bes. 190. Ursula Koch, Mediterranes und langobardisches Kulturgut in Gräbern der älteren Merowingerzeit zwischen Main, Neckar und Rhein. In: Atti del 6° Congresso Internationale di Studi sull’Alto Medioevo I. Mailand 1978 (Spoleto 1980) 107–121.
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jektgruppen oder auf punktuelle Ereignisse, die den chronologisch wie geografisch recht gleichmäßigen Fundniederschlag mediterraner Sachgüter im Merowingerreich nicht in seiner Gesamtheit erklären können. Wenig plausibel erscheint es daher, die orientalischen Waren als Produkte wandernder Handwerker, nur als Geschenke seitens des Byzantinischen Reiches oder als in Naturalien geleistete Tributzahlungen des langobardischen Königreiches zu deuten.192 Eine weitere Vermittlungsmöglichkeit, deren Größenordnung allerdings kaum abschätzbar ist, besteht darin, Teile des Fundniederschlags im 6. Jahrhundert als Folge der Migration ethnisch fremder Gruppen aufzufassen.193 Zweifellos sind dadurch mediterrrane Objekte gerade in das östliche Merowingerreich gelangt, doch fällt es schwer, den Anteil der auf diese Weise überführten orientalischen Güter zu bestimmen, da meines Erachtens die Identifizierung von „Fremden“ im archäologischen Fundbild keinesfalls so eindeutig möglich ist, wie häufig propagiert.194
Ausblick Letztlich kann für das 6. und 7. Jahrhundert ein vielfältiges Spektrum von Austauschmechanismen bestimmt werden, unter denen jedoch Handelskontakte weiterhin als wichtigster Faktor erscheinen. Das legt auch der Vergleich mit den Verhältnissen in Großbritannien nahe, wo im selben Zeitraum fortbestehende Handelsbeziehungen für den Fundniederschlag
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Koch, Ritt (Anm. 172) 410 f., zu den zwischen 591 und 618/19 von den Langobarden an die Franken geleisteten Tributzahlungen, wobei es sich um jährliche Summen von 12 000 Solidi und eine Abschlusszahlung von 36 000 Solidi gehandelt haben soll. Zu Recht geht Ursula Koch davon aus, dass die Zahlungen auch in Naturalien geleistet worden sein können. Sie erwähnt nicht explizit mediterrane/„byzantinische“ Objekte, aber Bronzegefäße. Zuletzt: Gabriele Graenert, Langobardinnen in Alamannien. Zur Interpretation mediterranen Sachgutes in südwestdeutschen Frauengräbern des ausgehenden 6. Jahrhunderts. Germania 78,2, 2000, 417–447 (Versuch eines bewussten Gegenentwurfes zu den gängigen Erklärungen für die mediterranen Objekte [Handel, Raub- und Kriegsbeute]). Auf die kontroverse Diskussion um die „ethnische Deutung“ im frühen Mittelalter soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Die unterschiedlichen Positionen sind dargelegt in: Sebastian Brather, Ethnische Interpretationen in der frühgeschichtlichen Archäologie. Geschichte, Grundlagen, Alternativen. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Ergänzungsband 42 (Berlin, New York 2004); Volker Bierbrauer, Zur ethnischen Interpretation in der frühgeschichtlichen Archäologie. In: Walter Pohl (Hrsg.), Die Suche nach den Ursprüngen. Von der Bedeutung des frühen Mittelalters. Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 8 = Österreichische Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl., Denkschriften 322 (Wien 2004) 45–84.
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verantwortlich gemacht werden, der auch hier hauptsächlich aus den orientalischen Materialgruppen besteht.195 Bezogen auf das nördliche und östliche Fränkische Reich kann letztlich nicht entschieden werden, welche der schon seit jeher wichtigen Transportwege in den Süden über Südfrankreich und die Rhône oder die Alpenpässe und den Rhein von größerer Bedeutung gewesen ist. Auf beiden Routen werden die Regionen im Nordwesten versorgt worden sein. Das Transportvolumen dieses Handels kann allerdings nicht sehr umfangreich veranschlagt werden, da die angesprochenen Güter auch in ihrer Gesamtheit bei weitem nicht zu den häufigsten merowingerzeitlichen Materialgruppen zählen und bis auf das Buntmetallgeschirr sehr kleinteilig sind. Unterstellt man ihnen darüber hinaus einen gewissen Wert, so ist es meines Erachtens sehr unwahrscheinlich, dass ständig Händler unterwegs waren und im Merowingerreich im Sinne eines „Tröpfelhandels“ von Dorf zu Dorf zogen, um dort Edelsteine für Ketten und Fibeleinlagen oder Kaurischnecken und Elfenbeinringe anzubieten und gegen Güter aus der bäuerlichen Überschussproduktion einzutauschen. Eine plausiblere Erklärung besteht darin, zwischen den Händlerbesuchen längere Pausen einzukalkulieren und ihre Ziele in den Herrschaftszentren, den alten antiken Städten und den besonders seit dem 7. Jahrhundert im westfränkischen Reich eigens eingerichteten Marktplätzen zu suchen, wo für eine bestimmte Menge mediterraner Güter auch ein äquivalenter und wenig voluminöser Gegenwert zu erwarten war.196
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Harris, Byzantium (Anm. 1) 175 ff. postuliert zwei unterschiedliche Handelsrouten (Rheinroute, Atlantikroute), auf denen mediterrane Produkte nach Britannien gelangten. Das analoge Vorkommen von Kauris, Elfenbeinringen, Amethystperlen und Buntmetallgefäßen in angelsächsischen Gräbern des 6. und 7. Jahrhunderts, das wohl kaum durch eine nachhaltige Einwanderung erklärt werden kann, ist ein weiteres starkes Indiz dafür, als Hauptmechanismus für die Überführung dieser Objekte in das nördliche und östliche Merowingerreich ebenfalls Handelsbeziehungen anzunehmen. Wie die Verteilung von diesen zentralen Plätzen ausgehend weiter verlief und die Güter schließlich in die Gräber gelangten, ist eine Thematik, die hier nicht weiter vertieft werden kann.
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Zwischen Spätantike und Frühmittelalter – RGA-E Band 57 – Seiten 425–465 Spätantike © 2008 Walter de Gruyter Zwischen · Berlin · New York und Frühmittelalter
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Zwischen Spätantike und Frühmittelalter Zusammenfassung Sebastian Brather
Die Entwicklungen, die sich vom 4. bis zum 7. Jahrhundert vollzogen, stellten grundlegende historische Weichen. An die Stelle des den gesamten Mittelmeerraum umfassenden römischen Imperiums traten regionale Herrschaften. Aus ihnen entstanden schließlich die mittelalterlichen Reiche und die modernen Staaten. Gingen ältere Forschungen von einem wirtschaftlichen und kulturellen „Niedergang“ aus, von dem sich das „Abendland“ erst langsam wieder erholte, beschreibt man heute die Verhältnisse komplexer. Neben offensichtlichen Diskontinuitäten werden fortwirkende Traditionen sichtbar, und bestehende Strukturen wurden nicht nur beseitigt, sondern zugleich durch Veränderungen an die sich wandelnden Zustände angepasst. Eine Chiffre, um diese differenzierte Sicht und die komplexen Entwicklungen zu beschreiben, stellte das „The transformation of the Roman World“ betitelte Projekt der European Science Foundation dar.1
1
The transformation of the Roman world (Leiden, Boston, Köln) 1. Kingsdoms of the empire. The integration of barbarians in late antiquity, ed. Walter Pohl (1997); 2. Strategies of distinction. The construction of ethnic communities, 300–800, ed. Walter Pohl/Helmut Reimitz (1998); 3. The sixth century. Production, distribution and demand, ed. Richard Hodges/William Bowden (1998); 4. The idea and ideal of the town between late antiquity and the early middle ages, ed. Gian Pietro Borgiolo/Brian Ward-Perkins (1999); 5. East and west. Modes of communication, ed. Evangelos Chrysos/Ian Wood (1999); 6. Topographies of power in the early middle ages, ed. Mayke de Jong/Frans Theuws (2001); 8. Rituals of power. from late antiquity to the early middle ages, ed. Frans Theuws/Janet L. Nelson (2000); 9. Towns and their territories between late antiquity and the early middle ages, ed. Gian Pietro Brogiolo/Nancy Gauthier/Neil Christie (2000); 10. The transformation of frontiers. From late antiquity to the carolingians, ed. Walter Pohl/Ian Wood/Helmut Reimitz (2001); 11. Inge Lyse Hansen/Chris Wickham, The long eigth century (2000); 12. The construction of communities in the early middle ages. Texts, resources and artefacts, ed. Richard Corradini/Max Diesenberg/Helmut Reimitz (2003); 13. Regna and gentes. The relationship between late antique and arly medieval peoples and kingdoms in the transformation of the Roman world, ed. Hans-Werner Goetz/Jörg Jarnut/Walter Pohl (2003); 14. The making of feudal agricultures?, ed. Miquel Barceló (2004).
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Handelte es sich bei diesem Projekt überwiegend um historische Forschungen, auch wenn die Archäologie eine wichtige Rolle spielte, standen im Mittelpunkt der Freiburger Tagung archäologische Aspekte jener Prozesse, die sich am „Übergang“ von der Spätantike zum Frühmittelalter vollzogen. Sie waren zu drei thematischen Sektionen gebündelt: 1. „Kleidung, Bestattung und Ritual“; 2. „Siedlung, Handwerk und Austausch“; 3. „Geschichte, Chronologie und Identität“. Damit sollte sich die Diskussion auf zentrale Aspekte dieser Entwicklungen konzentrieren können. Für den hier vorgelegten Band schien eine geänderte Reihenfolge der Beiträge sinnvoll. Ausschlaggebend war die Erwartung, durch eine straffere und etwas feinere Gliederung in fünf Abschnitte – „Geschichte und Archäologie“, „Von der Spätantike zum Frühmittelalter“, „Archäologie der gentes“, „Bestattung und Identität“, „Handwerk und Austausch“ – die entscheidenden Gesichtspunkte deutlicher werden zu lassen. Im folgenden seien die aus der Sicht des Herausgebers wichtigen Aspekte hervorgehoben und eingeordnet. Dabei werden sowohl die in diesen Band aufgenommenen als auch die noch nicht oder anderenorts publizierten Beiträge berücksichtigt.
1. Geschichte und Archäologie Über die Zusammenarbeit von Geschichtswissenschaft und Archäologie ist schon viel geschrieben worden.2 Die Charakterisierung der Archäologie als eine historische Wissenschaft steht dabei nicht zur Diskussion, auch nicht bei unterschiedlichen Ansichten hinsichtlich der Grenzen ethnischer Interpretationen der Sachkultur. Im Kern geht es darum, die aufgrund der Auswertungen schriftlicher bzw. archäologischer Quellen gewonnenen Aussagen miteinander zu vergleichen und daraus ein überzeugendes, vielschichtiges Bild der Vergangenheit zu entwerfen. Methoden- und Interpretationsfortschritte, aber auch neue Fragestellungen und Forschungsstrategien führen zu veränderten Perspektiven der Fächer. In der intensiven und kontinuierlichen, interdisziplinären Diskussion kann man verhindern, dass solche Fortschritte in den Nachbarwissenschaften übersehen werden. So lässt sich beobachten, wie sehr in letzter Zeit veränderte Perspektiven der historischen Forschung zum „Übergang“
2
Geschichtswissenschaft und Archäologie. Untersuchungen zur Siedlungs-, Wirtschaftsund Kirchengeschichte, hrsg. Herbert Jankuhn/Reinhard Wenskus. Vorträge und Forschungen 22 (Sigmaringen 1979); Archäologie als Geschichtswissenschaft. Studien und Untersuchungen (Festschrift Karl-Heinz Otto), hrsg. Joachim Herrmann. Schriften zur Ur- und Frühgeschichte 30 (Berlin 1977).
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von der Spätantike zum Frühmittelalter die Archäologie beeinflusst haben. Die lebhaften Debatten um die Aussagemöglichkeiten der Bodenfunde besitzen in unterschiedlichen historiographischen Modellen eine entscheidende Ursache. Die drei Beiträge von Walter Pohl, Michael Kulikowski und Philipp v. Rummel thematisieren diese Fragen sowohl aus einer grundlegenden methodischen Perspektive als auch am historischen Beispiel. Walter Pohl benutzt das Begräbnis Papst Johannes Pauls II. und dessen komplexes Zeremoniell, um zu zeigen, wie beides nur aus seinem Kontext heraus verstanden werden kann. Denn allein Ornat und Mitra verwiesen im Grab auf das Amt des Papstes, der „Fischerring“ wurde zuvor ebenso wie das Bleisiegel unbrauchbar gemacht. Eher Nebensächliches hob man hervor – 27 Münzen symbolisierten die langen Jahre des Pontifikats Karol Wojtyłas. Nur Pius IX. (1846–1878) hatte zuvor noch länger amtiert, und die „25 Jahre des Petrus“ galten dem Mittelalter als unerreichbar für einen Papst.3 Wegen der Individualität – erstaunlich angesichts der zahlreichen, detaillierten Bestimmungen zur Bestattung des Kirchenoberhaupts4 – bleibt vieles unverständlich, wenn man nicht Texte zu seiner Erklärung zur Verfügung hat. Dies dürfte ebenso für viele spätantike, völkerwanderungszeitliche und frühmittelalterliche „Prunkgräber“ gelten. Wonach kann eine „Archäologie der Identität“5 mit Aussicht auf Erfolg fragen? Christ zu sein, war die wichtigste Zuordnung im frühen Mittelalter. Die regna waren christlich und bezogen daraus eine erhebliche Integrationskraft. Ethnische Zuordnungen blieben weiterhin meist Fremdzuschreibungen, und wie flexibel sie ausfielen, zeigt Pohls Unterscheidung von acht „Typen“ ethnischer Zuordnung. Nicht nur die Größenordnungen und damit die Reichweiten entsprechender Gruppierungen waren „gestuft“, auch ihre Struktur und Bindewirkung unterschied sich erheblich. Wenn historisches Geschehen von den Zeitgenossen mit ethnischen Begriffen beschrieben wurde, dann zeigt das deren politische Relevanz. Sie entwickelte ihre zusammenhaltende oder bindende Wirkung aus der Behauptung des Zusammengehörens, nicht aus der Existenz einer vermeintlich homogenen Bevölkerung. Gerade das Frankenreich bezog aus seiner „überethnischen“ Integrationskraft seine langfristige Existenz. Stellen also schriftliche und ar3
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5
Agostino Paravicini Bagliani, Der Leib des Papstes. Eine Theologie der Hinfälligkeit (München 1997) 27–34. Ordo Exsequiarum Romani Pontificis, ed. Officium de Liturgicis Celebrationibus Summi Pontificis (Civitas Vaticana 2005). Vgl. Archäologie der Identität. Zur Methodik der Frühmittelalterforschung, hrsg. Matthias Mehofer/Walter Pohl. Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 16 (im Druck).
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chäologische Quellen zwei divergierende Perspektiven auf die Vergangenheit dar, so lässt sich daraus ein kohärenteres Bild gewinnen: je mehr die Archäologie die kulturelle Heterogenität und Unterschiedlichkeit Westeuropas beschreiben kann, desto deutlicher wird die politische Leistung der Könige. Die Goten, die Vandalen oder die Langobarden lassen sich viel eher als politisch agierende, offene Gruppen begreifen denn als homogene Bevölkerungen. In diesem Sinne ist das Interessante die längerfristige Integration – und nicht die kurzfristige Konfrontation. Und da die Wahrnehmungen der Zeitgenossen auch die „Wahrnehmbarkeit“ voraussetzten, dürften ethnische Interpretationen auch keine Unmöglichkeit für die archäologische Forschung sein. Allerdings: sie reflektieren wohl kaum eine primordialistische, mit der Geburt „erworbene“ Zugehörigkeit, sondern eine situationsabhängige, flexible Zurechnung zu sozialen und politischen Gruppen. „Ethnisch“ gewinnt als Bezeichnung damit eine andere Färbung oder Bedeutung, als man sie seit dem 19. Jahrhundert gern verwendete und konzeptualisierte – Ethnien waren in ihrem eigenen Selbstverständnis keine homogenen Bevölkerungen, sondern bestimmte, politisch handelnde Teile von diesen. „Wie Spanien gotisch wurde“, ist ein hochinteressantes und deshalb umstrittenes Thema der historischen wie der archäologischen Forschung. Aber ist die Frage so richtig gestellt? Betrachtet man die Entwicklung von ihrem Endpunkt aus, erscheint sie rasch als folgerichtige und konsequente, sich aus ihren Anfängen notwendig ergebende Geschichte. Tatsächlich ist Geschichte offen, und auch wenn manche Entwicklungen in ihr angelegt sind, kann es doch anders kommen. Die Zeitgenossen hatten nicht eine „unvorstellbare“ Zukunft vor Augen, sondern die römische Vergangenheit. Es gab eine gewisse Anzahl von Goten auf der Iberischen Halbinsel im 5. und 6. Jahrhundert, aber die Macht gotischer Könige blieb in dieser Zeit unsicher und beschränkt, wie Michael Kulikowski betont. Die dürren Angaben der Schriftquellen haben Erwartungen an die archäologische Forschung hervorgerufen, die sie kaum erfüllen kann. Wenn zwei unklare Passagen in den Consularia Caesaraugustana vielleicht eine „Einwanderung“ und eine „Ansiedlung“ von Goten auf der Iberischen Halbinsel erwähnen, dann können bestimmte Kleidungsbestandteile und Gräberfelder nicht ohne weitere Begründung als „westgotisch“ angesehen und durch eine solche Interpretation auch noch datiert werden. Damit sind zwei fundamentale methodische Fragen beschrieben, auf die es bislang keine befriedigenden Antworten gibt. Da aber eine Reihe von Studien unbefangen auf diesen Prämissen beruht, bleibt die archäologisch-historische Rekonstruktion der Verhältnisse im 5. und 6. Jahrhundert unsicher. Die
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Probleme reichen aber noch tiefer. Typologie und Chronologie der Grabfunde in Spanien sind noch immer nicht in wünschenswertem Maße abgesichert, in vielen Fällen bleiben die Kontexte ungesichert, und es bleiben zahlreiche Gräber ohne Grabbeigaben in das Modell einzuordnen.6 Für den Augenblick bedeutet diese Situation, dass anhand des archäologischen Materials viele Fragen einfach nicht beantwortet werden können, die man gern beantwortet hätte. Es steht außer Frage, dass die in Bestattungen der Meseta-Gräberfelder häufig gefundenen Kleidungsbestandteile (Fibeln und Gürtelschnallen) auf der spätantiken Iberischen Halbinsel etwas zuvor Unbekanntes darstellten. Dennoch kann man sie nicht einfach als Sachkultur „westgotischer“ Einwanderer ansehen, sind sie doch im südgallischen „Herkunftsraum“ unbekannt.7 Es ist daher naheliegender, diese Bestattungen lokalen Bevölkerungen der Halbinsel zuzuschreiben, die unter sich verändernden sozialen und politischen Rahmenbedingungen neue Formen sozialer Repräsentation fanden. Dabei griffen sie – an der westlichen Peripherie westgotisch-königlicher Herrschaft – auf Elemente zurück, die allgemein in einen barbarischmilitärischen Kontext eingeordnet werden. Spanien wurde, so die Schlussfolgerung, politisch und nicht ethnisch gotisch. Wie sieht es aber mit einer „gotischen Kleidung aus“? Kleidung ist ein wichtiges, allgegenwärtiges Medium, Selbstverständnis und Zuordnungen von Individuen zu demonstrieren.8 Griechische und lateinische Texte des 4. und 5. Jahrhunderts enthalten nicht selten Bemerkungen zur Kleidung der Zeitgenossen; meist wurden sie durch die Wissenschaft als Kritik an einem „barbarischen“ Äußeren gelesen und dies als Hinweis auf eine auffällig nichtrömische Kleidung verstanden. Die sorgfältige Lektüre der betreffenden Texte verweist auf recht komplexe Verhältnisse und Assoziationen, wie Philipp v. Rummel am Beispiel der Kritik an Julianus Valens erläutert. Julianus’ Kleidung sei unrömisch, heidnisch und charakteristisch für einen gotischen Priester – zu ihr gehörten Arm- und Halsring. Die literarische Kritik am „ketzerischen“ Bischof ist jedoch schillernd und operiert mit vieldeutigen Anspielungen, um den wohl nicht-nizänischen Christen als Heiden zu diskreditieren. Arm- und Halsring galten nur insofern als „barbarisch“, als sie – als militärische Ehrenzeichen der römischen Armee – 6 7
8
Vgl. den Beitrag von Antonel Jepure in diesem Band. Das Fehlen „westgotischer“ Funde im Bereich des tolosanischen Reichs ist für Volker Bierbrauer, Archäologie und Geschichte der Goten vom 1.–7. Jahrhundert. Versuch einer Bilanz. Frühmittelalterliche Studien 28, 1994, 51–171, hier 155, „nicht erklärbar“ und „gerät vollends zum archäologischen Miraculum“. Vgl. meinen Beitrag in diesem Band.
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Prunk in der diesseitigen Welt symbolisierten. Wenn diese zu tragen, sich für einen Christen nicht ziemen sollte, wie Ambrosius meinte, dann ergab sich daraus unmittelbar der Vorwurf der Idolatrie. „Die Goten“ sind dafür nur eine Chiffre. Vor diesem Hintergrund kann die Archäologie Funde von Hals- und Armringen nicht unbesehen als „barbarisch“ und „nichtrömisch“ einordnen; sie kann ebenso wenig von einer spezifisch „barbarischen“ („gotischen“) Kleidung ausgehen. Vielmehr zeichnet sich ab, dass innerhalb der spätantiken Elite Angehörige traditioneller senatorischer Familien mit „neureichen“ Vertretern militärischer Ämter konkurrierten und erstere mit dem Barbarenvorwurf die Emporkömmlinge zu diskreditieren trachteten (Abb. 1).9 Unterschiedliche Quellen verlangen nach verschiedenen methodischen Zugängen. Weder schriftliche noch archäologische Quellen „reden“ von sich aus. An sie müssen jeweils spezifische Fragen gestellt werden, die methodisch begründet und quellenadäquat zu beantworten sind. Beide Quellengruppen sind nicht objektiv, sondern auf unterschiedliche Weise „tendenziös“ – sowohl durch Absichten ihrer Urheber als auch durch ihre Erhaltung. Dass aus ihnen somit keine direkt übereinstimmenden Aussagen gewonnen werden können, scheint offensichtlich – und es würde außerdem die eine oder die andere Disziplin überflüssig machen, wenn es sich so verhielte. Es kommt vielmehr darauf an, beide Quellengruppen so umfassend auszuwerten, dass ein Maximum an Informationen gewonnen wird. Statt nach unmittelbaren Übereinstimmungen zu suchen, empfiehlt sich die Kombination unterschiedlicher, quellenabhängiger Perspektiven unter gemeinsamen, übergreifenden Fragestellungen. Dann wird die wechselseitige Ergänzung durch unterschiedliche Informationen und ihren Vergleich möglich, und damit gewinnt die historische Rekonstruktion an Tiefenschärfe und an Farbe, an geschichtlicher Komplexität und „Realitätsnähe“. Solch interdisziplinäre Forschung setzt voraus, dass beide Seiten nicht nur getrennt marschieren, um vereint zu schlagen10, sondern zugleich um die Möglichkeiten und Grenzen der Nachbarwissenschaft wissen. So können manch Irr9
10
Philipp v. Rummel, Habitus barbarus. Kleidung und Repräsentation spätantiker Eliten im 4. und 5. Jahrhundert. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Ergänzungsband 55 (Berlin, New York 2007); Rainer Warland, Status und Formular in der Repräsentation der spätantiken Führungsschicht. Römische Mitteilungen 101, 1994, 175–202. In Abwandlung des Mottos des Generals Helmuth v. Moltke 1866. – Allerdings läßt sich diese Vorstellung mit Reinhard Wenskus, Randbemerkungen zum Verhältnis von Historie und Archäologie, insbesondere mittelalterlicher Geschichte und Mittelalterarchäologie. In: Geschichtswissenschaft und Archäologie (Anm. 2) 637–657, hier 637, „einerseits als zu grob, andererseits als undurchführbar und daher nutzlos“ bezeichnen.
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Abb. 1. Diptychon aus dem Domschatz von Monza. Dargestellt sind ein Militär zusammen mit einer Frau und einem Jungen. Die traditionelle Zuschreibung an Stilicho, seine Frau Serena und den gemeinsamen Sohn Eucherius wird mit guten Gründen bestritten, da es sich nicht um eine einmalige, sondern häufiger verbreitete Darstellung handelt. Die Kleidung des Mannes ist nicht die eines „Barbaren“ sondern die eines spätantiken Militärs (nach Die Schraube zwischen Macht und Pracht. Das Gewinde in der Antike [Sigmaringen 1995] 191)
weg vermieden und zugleich neue Fragen an das „eigene“ Material gestellt werden. Wenn Historiker inzwischen ethnische Begriffe eher mit politisch Handelnden (Elitengruppen) als mit Bevölkerungen verbinden, dann bieten sich neue, interessante Fragen an die Archäologie und ihre Untersuchungsergebnisse zu Siedlungen und Friedhöfen bestimmter Regionen. Im Vergleich lässt sich analysieren, ob und wie sich Politik und Besiedlung, Sachkultur und Identitäten zueinander verhielten und einander beeinflussten.
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2. Von der Spätantike zum Frühmittelalter Das 4. bis 7. Jahrhundert waren eine Zeit tiefgreifender Veränderungen. An die Stelle des Imperiums, das die gesamte Mittelmeerwelt beherrscht hatte, traten regionale „Reiche“. Diese Entwicklung lässt sich nicht allein als Katastrophe, Niedergang und Zerfall beschreiben, auch wenn entsprechende Prozesse nicht zu übersehen sind.11 Die neuere Forschung tendiert eher zu einem Konzept von Transformationen, von gleichzeitigen Diskontinuitäten und Kontinuitäten, um die Veränderungen jener Zeit zu betonen. Denn auch wenn sich bestehende Strukturen auflösten, so traten doch neue an ihre Stelle. Die Bevölkerungen des Römerreichs verschwanden nicht, sie existierten unter sich ändernden politischen und kulturellen Bedingungen fort. Allerdings änderten sich nicht nur die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse, auch kulturelle Ausdrucksformen unterlagen entscheidenden Wandlungen und ebenso das Selbstverständnis der Zeitgenossen. Eine dichotomische Gegenüberstellung von Römern einerseits und Germanen andererseits vereinfacht daher die historischen Bedingungen über Gebühr – zumal es aus spätantiker Sicht Germanen gar nicht mehr gab, sondern verschiedene neue „Völker“ wie Franken, Alemannen, Goten, Vandalen oder Langobarden. Die Römer waren tatsächlich unterschiedliche Regionalbevölkerungen, und die Germanen setzten sich aus heterogenen Stammes- und Militärverbänden zusammen. Auf Reichsgebiet siedelten Barbaren als Militärs und Föderaten, römische Eliten „militarisierten“ sich in Teilen. Die Neuformierungen dieser Zeit stellen das historisch interessante Thema dar. Die „Wurzeln“ der Entwicklungen lagen in den Jahrhunderten zuvor, doch entscheidend war die zeitgenössische aktuelle Situation. Das allmähliche „Aufkommen der Reihengräberfelder“ seit dem 4. Jahrhundert erscheint aus dieser Sicht weniger als eine „germanische Sitte“ in Regionen „barbarischer“ Besiedlung als vielmehr als die Reflexion von Identitäten und Repräsentation in einer sich wandelnden Welt an den Peripherien des spätantiken Imperiums. Doch ist der „Ursprung“ der Reihengräberfelder in der archäologischen Forschung umstritten. Hubert Fehr konfrontiert zwei seit längerem existierende Auffassungen: eine ‚mitteleuropäische‘ und eine ‚westeuropäische‘. Ausgangspunkt der ersteren ist eine Gegenüberstellung römischer und germanischer Bevölkerungen, die sich „ursprünglich“ kulturell grundlegend unterschieden hätten. Diese Annahme a priori erlaubt es, Fibeln in Frauen-
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Brian Ward-Perkins, The fall of Rome and the end of civilisation (Oxford 2005).
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gräbern und Waffen in Männergräbern als „germanisch“ anzusehen; „romanisch“ sei dagegen die weithin „beigabenlose“ Bestattung. Die westeuropäische Vorstellung setzt dagegen, die Grabbeigaben seien nicht „ethnisch“ spezifisch und deshalb nicht unmittelbar als „germanisch“ zu betrachten.12 Entwicklungen in den Geschichts- und Sprachwissenschaften, denen die Voraussetzungen für eine Unterscheidung zwischen Germanisch- und Romanisch-Sprechenden entstammen, zeigen einen aktuellen Bedarf an intensiven Diskussionen in der archäologischen Forschung auf. Im Hinblick auf mögliche „Wurzeln“ der Reihengräberfelder sind vier Charakteristika dieser Friedhöfe zu untersuchen: Bestattung der unverbrannten Leichname, West-Ost-Ausrichtung der Gräber, Frauengräber mit fibelgeschmückter Kleidung und Männergräber mit Hiebwaffen. Für die beiden ersten Kennzeichen lassen sich römische bzw. mediterrane „Vorbilder“ anführen, so dass eine Herleitung aus der Germania nicht wahrscheinlich ist. Für die Waffenbeigaben gibt es nur wenige mutmaßliche „ostgermanische“ und zudem formale Parallelen im Sinne Schulze-Dörrlamms13, so dass auch mit einer nordgallischen Innovation gerechnet werden kann (Abb. 2). Hinsichtlich der Frauenkleidung ist schließlich ebenso wenig zu übersehen, wie sehr die Mode (Umhang, Tunika, cingulum – Schärpe) der römischen Welt verhaftet war. Schließlich deutet auch die Verbreitung der Reihengräberfelder nicht auf einen „rein germanischen“ Ursprung hin, finden sich doch die meisten Friedhöfe innerhalb des ehemaligen Reichsgebiets, und zwar entlang der Peripherie des Imperiums. Es scheinen daher die „Grenzgesellschaften“ und ihre Nachbarn gewesen zu sein, die überwiegend diesseits des limes begannen, ihre Toten auf diese neue Weise zu bestatten. Dass es Reihengräberfelder in größerer Zahl auch in Südwestdeutschland und in Thüringen gibt, ließe sich Fehr zufolge mit einem in diese Regionen reichenden römischen Einfluss erklären, der zumindest in der späten Kaiserzeit nicht zu bestreiten ist.14 12
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Hubert Fehr, Germanen und Romanen im Merowingerreich. Frühgeschichtliche Archäologie zwischen Wissenschaft und Zeitgeschichte, phil. Diss. (Freiburg 2003). – Vgl. den Beitrag von Guy Halsall in diesem Band. Mechthild Schulze-Dörrlamm, Germanische Kriegergräber mit Schwertbeigabe in Mitteleuropa aus dem späten 3. Jahrhundert und der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts. Zur Entstehung der Waffenbeigabensitte in Gallien. Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 32, 1985, 509–569. Vgl. Imperium Romanum. Roms Provinzen an Neckar, Rhein und Donau (Stuttgart 2005); Imperium Romanum. Römer, Christen, Alamannen. Die Spätantike am Oberrhein (Stuttgart 2005); Sigrid Dusˇek, Römische Handwerker im germanischen Thüringen. Ergebnisse der Ausgrabungen in Haarhausen, Kr. Arnstadt. Weimarer Monographien zur Ur- und Frühgeschichte 27 (Stuttgart 1992).
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Abb. 2. Bestattungen des 4. und 5. Jahrhunderts mit der Beigabe von Axt, Lanze oder Schwert. Der traditionellen Interpretation als „germanische“ Gräber steht die Auffassung entgegen, in den Grabbeigaben eine nordgallische „Innovation“ zu sehen (nach Horst Wolfgang Böhme, Söldner und Siedler im spätantiken Nordgallien. In: Die Franken. Wegbereiter Europas [Mainz 1996] 91–101, hier 95 Abb. 69)
Was vermag die Untersuchung spätantiker und frühmittelalterlicher Gräberfelder an historischen Ergebnissen zu liefern, wenn die traditionelle Gegenüberstellung von „Germanen“ und „Romanen“ (Römern) nicht mehr trägt?15 Guy Halsall sieht den Ansatzpunkt in der Verschränkung einer politisch-ethnisch-historischen Perspektive mit einer sozialgeschichtlichen. 15
Vgl. den Beitrag von Hubert Fehr in diesem Band. – Anders Volker Bierbrauer, Zum Stand archäologischer Siedlungsforschung in Oberitalien in Spätantike und frühem Mittelalter (5.–7. Jahrhundert). Quellenkunde, Methode, Perspektiven. In: Genetische Siedlungsforschung in Mitteleuropa und seinen Nachbarräumen, hrsg. Klaus Fehn/Klaus Brandt/Dietrich Denecke/Franz Irsigler (Bonn 1988) 637–659, hier 637 f., wonach „[e]ntscheidende Voraussetzung für eine sinnvolle Teilhabe der frühgeschichtlichen Archäologie an siedlungskundlichen Forschungen […] natürlich die zweifelsfreie Trennung zwischen germanischen und einheimisch-romanischen Hinterlassenschaften in den beiden entscheidenden Quellengattungen, in der Gräberkunde und im Siedlungswesen selbst“, ist.
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„Reich“ ausgestattete Gräber sind nicht einfach „fremd“ in einer römischen Welt, sie kennzeichnen zugleich Eliten; und umgekehrt verweist das weitgehende Fehlen von Grabbeigaben wohl zunächst auf einen geringen sozialen Status. Die Anzahl der „reichen“ Gräber ist – von Nordgallien16 über Oberitalien17 bis nach Spanien18 und Nordafrika19 – zu gering, um alle fremden Siedler und Militärs zu repräsentieren. Offensichtlich bestattete nur eine Minderheit ihre Toten auf diese Weise. Warum tat sie das? Die Anhäufung von Gegenständen im Grab hatte nur dann einen sozialen Sinn, wenn sie zur Schau gestellt wurde. Wenn die „Reichtümer“ erst einmal ins Grab gelangten, waren sie den Blicken für immer entzogen. Bestattungen benötigten also ein Publikum, das die Grabausstattung zu „würdigen“ wusste. Aufwendige Grabbeigaben kamen in der Spätantike allmählich auf und damit in einer Zeit einschneidender politischer und sozialer Veränderungen. Zuvor gab es derartig ausgestattete Gräber und so zahlreiche weder im römischen noch im germanischen Milieu, so dass ihr Aufkommen diese Veränderungen zu reflektieren scheint. Das dürfte nicht nur auf die nordgallischen Regionen zutreffen, sondern auch für vergleichbare Bestattungen in Britannien, auf der Iberischen Halbinsel und in Italien gelten. Neu sind auch die stilistischen Formen der auffälligen Kleidungsbestandteile (Fibeln und Gürtel) des 5. Jahrhunderts. Da die Formen der Sachkultur und der Bestattungen neu waren und offensichtlich demonstrativ eingesetzt wurden, sollten sie etwas zeigen. Wenn man sich „nicht-römisch“ präsentierte, verdeutlichte man damit eine Zuordnung zu neuen Formen politischer Herrschaft. Die Berufung auf das Imperium versprach für die nähere Zukunft keinen Erfolg mehr, und deshalb suchte man nach neuen Bezügen. Darum mussten sich alle bemühen, die Einfluss gewinnen oder bewahren wollten, und deshalb dürften „Barbaren“ und „Römer“, sofern man sie in dieser Zeit noch auseinanderhalten konnte, bzw. „Fremde“ und „Einheimische“ gleichermaßen danach ge16
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Horst Wolfgang Böhme, Germanische Grabfunde des 4. und. 5. Jahrhunderts zwischen unterer Elbe und Loire. Studien zur Chronologie und Bevölkerungsgeschichte. Münchner Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte 19 (München 1974); ders., Franken und Romanen im Spiegel spätrömischer Grabfunde im nördlichen Gallien. In: Die Franken und die Alemannen bis zur „Schlacht bei Zülpich“ (496/97), hrsg. Dieter Geuenich. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Ergänzungsband 19 (Berlin, New York 1998) 31–58. Irene Barbiera, Changing lands in changing memories. Migration and identity during the Lombard invasions. Biblioteca di Archeologia medievale 19 (Firenze 2005). Barbara Sasse, ‚Westgotische‘ Gräberfelder auf der Iberischen Halbinsel am Beispiel der Funde aus El Carpio de Tajo (Torrijos, Toledo). Madrider Beiträge 26 (Mainz 2000); Wolfgang Ebel-Zepezauer, Studien zur Archäologie der Westgoten vom 5.–7. Jh. n. Chr. Iberia Archaeologica 2 (Mainz 2000). Christoph Eger, Vandalische Grabfunde aus Karthago. Germania 79, 2001, 347–390.
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trachtet haben. Im 6. Jahrhundert übernahmen breite Teile der Bevölkerungen rasch diese neuen Formen. Guy Halsall sieht im Aufkommen der „Reihengräber“ eine aktive, zielstrebige Instrumentalisierung der Sachkultur durch die Zeitgenossen und gleichzeitig einen Reflex auf die politische Situation. Mit dieser Interpretation gewinnt die archäologische Forschung erheblich an historischer Aussagekraft. Nordgallische Bestattungen des 4. und 5. Jahrhunderts sind für die Thesen von Halsall und Fehr von zentralem Interesse. Wenn sie nicht allein als Gräber germanischer Militärs und ihrer Angehörigen gelten können, sondern Teilen einer peripheren Provinzbevölkerung germanischer und römischer „Herkunft“ zuzuschreiben sind, dann bedeutet dies ein weiteres Argument für das genannte Modell. Frans Theuws zufolge bieten die Männergräber mit Waffen ein recht heterogenes Bild. Die weitaus meisten „Waffen“ sind Äxte, bei denen oft – und vor allem ohne Kombination mit anderen Waffen – nicht eindeutig ist, ob es sich eher um Geräte oder Werkzeuge handelte. In diesen Fällen ließe sich statt eines militärischen Kontexts an ein agrarisches Umfeld denken, in dem Rodung und Urbarmachung von Fluren durch entsprechende Werkzeuge symbolisiert wurden. Lanzen rangieren mit Abstand erst an zweiter Stelle, während Schwerter und Schilde selten sind. Der militärische Charakter der „Waffengräber“ ist damit wohl zu relativieren, wenngleich diese neue Form der Bestattung erhebliche Relevanz besessen haben dürfte.20 Noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts liegen die Anfänge der Frühmittelalterarchäologie, die Bonnie Effros seit einiger Zeit untersucht.21 In den 1870er Jahren spielte Abbé Camille de la Croix eine wichtige Rolle in der französischen Archäologie, allerdings nicht ohne heftige Kritik auf sich zu ziehen. Eine heftige Kontroverse entspann sich um die Interpretation des 20
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Frans Theuws, Grave goods, ethnicity, and the rhetoric of burial rites in late antique northern Gaul. In: Ethnic Constructs in Antiquity. The Role of Power and Tradition, ed. Ton Derks/Nico Roymans (im Druck). Vgl. Böhme, Germanische Grabfunde (Anm. 16). Bonnie Effros, Merovingian Mortuary Archaeology and the Making of the Early Middle Ages. The transformation of the classical heritage 35 (Berkeley 2003); ead., Memories of the Early Medieval Past. Grave Artefacts in Nineteenth-Century France and Early Twentieth-Century America. In: Archaeologies of Remembrance. Death and Memory in Past Societies, ed. Howard Williams (New York 2002) 255–280; ead., A Century of Remembrance and Amnesia in the Excavation, Display, and Interpretation of Early Medieval Burial Artifacts. In: Erinnerungskultur im Bestattungsritual. Archäologisch-Historisches Forum, hrsg. Jörg Jarnut/Matthias Wemhoff (Paderborn 2003) 75–96; ead., Art of the ‚Dark Ages‘. Showing Merovingian Artefacts in North American Public and Private Collections. Journal of the History of Collections 17, 2005, 85–113.
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Hypogée des Dunes in Poitiers, das de la Croix 1879 anerkanntermaßen sorgfältig ausgegraben hatte. Er interpretierte den Bau fälschlich als Memorialbau für 72 spätantike Märtyrer, während er heute als Grabkapelle der Merowingerzeit gilt. De la Croix war nur zum Teil schuld an den Auseinandersetzungen; verschiedene dreiste Fälschungen hatten die Wissenschaftler skeptisch gemacht. Doch seine vorschnelle Interpretation und sein stures Beharren auf der einmal gefassten Meinung boten bereits genügend Angriffsfläche. Daneben gab es noch eine zweite Seite der Medaille. Der Jesuit bemühte sich um die besondere Betonung der christlichen Anfänge. Dazu fühlte er sich durch seinen Glauben berufen und motiviert. Manche daraus gespeiste Interpretation konnte wissenschaftlicher Kritik nicht standhalten, aber die Schärfe der Polemik erklärt sich damit nicht. Es waren vor allem „antiklerikale“ Haltungen in der französischen Öffentlichkeit und Politik, die dahinterstanden und de la Croix sein Leben als Kampf dagegen verstehen ließen. Vor 1870 war die Situation noch grundverschieden – Kleriker wie Abbé Cochet hatten zu den Begründern und führenden Vertretern der Mittelalterarchäologie gehört. Und dennoch blieb auch de la Croix bemerkenswert anerkannt und einflussreich. Die Geschichte der Archäologie zur Merowingerzeit dauert inzwischen über 150 Jahre.22 Während dieser Zeit gab es eine Reihe von wissenschaftlichen Auseinandersetzungen, zu denen auch die Frage nach den Entwicklungen zwischen Spätantike und Frühmittelalter gehörte. Im Grunde waren die beiden Gegenpositionen bereits zu Beginn festgelegt: während die einen meinten, „germanische Reichsbildungen“ hätten die „römische Antike“ beendet, plädierten die anderen für einen „Transformationsprozess“ unter Beteiligung von „Germanen“ und „Römern“.23 Die Möglichkeiten, die sich für eine national(istisch)e Inanspruchnahme boten, seien hier nicht weiter erläutert. Hinzuweisen ist allerdings auf den engen Zusammenhang zwischen historischer und archäologischer Forschung. Solange die moderne Historiographie „Völker“ als zentrale Subjekte der Geschichte betrachtete, solange konnte sich die Archäologie nicht davon lösen, Regionalgruppen der Sachkultur zu rekonstruieren und als Identitätsäußerungen von Ethnien zu interpretieren. Nachdem sich die Geschichtswissenschaft inzwischen „Kontinuitätsfragen“ in einer differenzierteren Weise zuwendet und das Verhältnis von Kontinuitäten und Diskontinuitäten untersucht, treten auch die angenommenen Dichotomien von beteiligten Bevölkerungen und Kulturen allmählich zurück. In den Mittelpunkt des archäologischen For22 23
Effros, Merovingian Mortuary Archaeology (Anm. 21) 55–70. Fehr, Germanen und Romanen (Anm. 12).
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schungsinteresses rücken nun die kulturellen Neuorientierungen unter veränderten und sich verändernden Rahmenbedingungen in der spätantikfrühmittelalterlichen Welt.
3. Archäologie der gentes Schriftliche Quellen erzählen eindeutig von gentes, von Heeren und deren Anführern, mit denen es römische Administration und römisches Militär zu tun hatten und deren Namen im frühen Mittelalter zu Bezeichnungen von Herrschaften und Reichen wurden. Daran konnte die Archäologie anknüpfen und ihr Fundmaterial entsprechend zu interpretieren versuchen, indem regionale Varianten der Sachkultur als spezifische Hinterlassenschaften von „Stämmen“ und „Stammesverbänden“ gedeutet wurden.24 Es sind aber wohl mindestens drei Aspekte analytisch voneinander zu trennen: 1. moderne „ethnische Interpretationen“ regionaler Formen der damaligen Sachkultur, 2. das komplexe Verhältnis von politisch handelnden Gruppen einerseits und Bevölkerungen andererseits, und schließlich 3. die Zusammenhänge von kulturellen Traditionen der Vergangenheit und veränderten Verhältnissen in der zeitgenössischen Gegenwart. Alle drei Aspekte bedürfen sorgfältiger Analyse. Wenn Eliten in den Schriftquellen „ethnisch“ bezeichnet werden, bedeutet dies weder, dass sich die Bevölkerungen insgesamt als Ethnien verstanden noch dass sie ihre ethnischen Identitäten durch die Sachkultur ausdrückten. Kulturelle Traditionen konnten zur (ethnischen) Abgrenzung und Integration benutzt werden, entscheidend war aber ihre jeweils aktuelle Verwendung in spezifischen Kontexten. Wie schillernd Symbolik und Konnotation ausfallen konnten, macht der spätantike Barbarendiskurs deutlich. Das Verhältnis zu Germanen (oder Barbaren allgemein) war Gegenstand zweier römischer Diskurse – der Ethnographie zur Beschreibung der gentes einerseits und der prinzipielle Gegensatz zwischen Zivilisation und Barbarei andererseits. Beides hat die provinzialrömische Archäologie zu berücksichtigen, wenn es um die Situation in der Spätantike und die Verhältnisse bei Römern und Germanen geht.25 Sind die prinzipiellen Unterschiede 24
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Sebastian Brather, Ethnische Interpretationen in der frühgeschichtlichen Archäologie. Geschichte, Grundlagen und Alternativen. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Ergänzungsband 42 (Berlin, New York 2004). Hans Ulrich Nuber, Das Römische Reich (260–476 n. Chr.). In: Imperium Romanum. Römer, Christen, Alamannen. Die Spätantike am Oberrhein (Stuttgart 2005) 12–25; ders., Staatskrise im 3. Jahrhundert. Die Aufgabe der rechtsrheinischen Gebiete. In: Imperium Romanum. Roms Provinzen an Neckar, Rhein und Donau (Stuttgart 2005) 442–451.
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deutlich, so liegen die Interpretationsprobleme im Detail. Da beide Seiten ständig miteinander zu tun hatten, verwischen sich die Unterschiede gerade in den interessanten Grenzbereichen. Es sei nur an die Diskussion um die Bewertung der römischen Münzfunde östlich des Rheins nach der Mitte des 3. Jahrhunderts erinnert oder an die Interpretation der spätantiken Höhensiedlungen. Waren dies römische Vorposten im Vorfeld der Grenzsicherung oder germanische Herrschaftszentren und Heerlager – oder waren sie entlang des limes beides in rascher Folge abwechselnd, je nach aktueller politischer Situation und militärischen Machtverhältnissen? Ist eine strikt dichotomische Unterscheidung am Ende zu einfach, um die komplexen Entwicklungen angemessen erfassen zu können? Aus Nordgallien stammen nicht wenige Bestandteile der Frauenkleidung, die mit Westgotinnen in Verbindung gebracht werden. Michel Kazanski, Anna Mastykova und Patrick Périn beschäftigen sich hier – in Auseinandersetzung mit Volker Bierbrauers Auffassung26 – nicht zum ersten Mal mit einer Fundgruppe, die unter Archäologen weiterhin kontrovers diskutiert wird. Sowohl die Herkunft der Kleidungsbestandteile (und ihrer Besitzerinnen?) als auch ihre Datierung sind umstritten. Weisen die Beziehungen auf die Iberische Halbinsel oder in den Donauraum? Sind die Stücke vor oder nach der vermeintlichen „westgotischen Ansiedlung“ in Spanien zu datieren? Für die „Blechfibeln“ wird anhand von Verzierungsdetails und von Datierungsdifferenzen für eine Unterscheidung „spanischer“ und nordgallischer Formen plädiert. Die seltenen Bügel- und Adlerfibeln sind dagegen nicht weiter zu beurteilen, bei den Armbrustfibeln sind typologische Zuweisungen umstritten. Bei den großen rechteckigen Gürtelbeschlägen scheinen chronologische Ansätze und ethnische Interpretationen nicht ganz unabhängig voneinander zu sein. Nachdenklich stimmen Beobachtungen, denen zufolge die „donauländischen“ Fibeln in Nordgallien nicht an der Schulter, sondern nach westlichem Vorbild im Beckenbereich im Grab lagen. Daraus wird man nicht allein auf die „Akkulturation“ von „fremden Frauen“ im fränkischen Milieu schließen können. Hier stellt sich sehr grundsätzlich die Frage, ob mit diesen fremden Formen auch fremde Personen identifiziert werden können – oder eine allgemeine mode danubienne bzw. sogenannte „Donauprovinzkriterien“ zu fassen sind (Abb. 3).27 26
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Volker Bierbrauer, Les Wisigoths dans le royaume franc. Antiquités Nationales 29, 1997, 167–200. Barbara Sasse, Die Westgoten in Südfrankreich und Spanien. Zum Problem der archäologischen Identifikation einer wandernden „gens“. Archäologische Informationen 20/1, 1997, 29–48; Florian Gauß, Völkerwanderungszeitliche „Blechfibeln“. Typologie, Chronologie, Interpretation, phil. Diss. (Freiburg 2007).
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Abb. 3. Verbreitung von Silberblechfibeln des 5. Jahrhunderts. Das weiträumige Vorkommen ist zunächst als verbreitete Mode (mode danubienne) in hauptsächlich peripheren Regionen des spätantiken Imperiums zu interpretieren. Ob damit auch die „gotischen Wanderungen“ erfasst werden, scheint unsicher. Denn diese Fibeln fehlen beispielsweise im Gebiet des Tolosanischen Westgotenreiches, während sie in Nordgallien auftreten. Auch die Häufung in Pannonien passt nicht recht zur Gotenwanderung. Silberblechfibeln sind fast ausnahmslos in Gräbern gefunden worden, so dass die Karte außerdem vor allem die Mitgabe in das Grab widerspiegelt (nach Brather, Ethnische Interpretationen [Anm. 24] 266 Abb. 34)
Denn es lassen sich zwar kleinere oder größere Gruppen „germanischer“ Militärs in römischen Diensten belegen, doch bei den diskutierten Funden handelt es sich eben um Bestandteile der Frauenkleidung. Waren diese Militärs also mit „Mann und Maus“ oder besser mit „Kind und Kegel“ unterwegs? Die Schriftquellen sind leider in den wenigsten Fällen eindeutig und lassen eine Unterscheidung zwischen „Heer“ und „Bevölkerung“ oft nicht zu.28 Neben dem häufig und mitunter extensiv untersuchten Fundmaterial selbst spielen die Fundumstände eine entscheidende Rolle. Ohne deren Berücksichtigung und Analyse bleiben die Funde ein bloß antiquarisches Material, das aus sich heraus nur begrenzte Interpretationen erlaubt. Denn 28
Vgl. Michael Kulikowski, Nation versus army. A necessary contrast? In: On barbarian identity. Critical approaches to ethnicity in the early middle ages, ed. Andrew Gillett. Studies in the Early Middle Ages 4 (Turnhout 2002) 69–84.
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Kombinationen und Veränderungen sind dann nur durch Form- und Stilvergleiche möglich, aber nicht weiter zu verifizieren. Antonel Jepure geht auf zwei wichtige methodische Aspekte ein, die die moderne Analyse der sogenannten „westgotischen“ Gräberfelder Kastiliens betreffen.29 Die Archäologie des frühen Mittelalters auf der Iberischen Halbinsel ist, wie man in Anlehnung an Csanád Bálints Kritik an der „Steppenfixierung“ der archäologischen Forschung zu Südosteuropa formulieren könnte,30 auf „die Westgoten“ fixiert. Und bei vielen Grabfunden bleibt zum jetzigen Zeitpunkt unklar, ob es sich tatsächlich um geschlossene Grabfunde handelt; die Forschung ist offensichtlich zu unbefangen und vertrauenswürdig davon ausgegangen, das publizierte Material als zweifelsfreie, vollständige und unvermischte Grabinventare ansehen zu können. Dass die „unrömisch“ erscheinenden Gräberfelder von ihren ersten Ausgräbern mit den Westgoten in Verbindung gebracht wurden, ist wie in ähnlichen Fällen anderswo wenig überraschend. Die ungeprüfte Verfestigung dieser These bedeutet aber eine fortwirkende Hypothek. Denn wenn es sich bei den dort Bestatteten um die Westgoten handelte, dann bedeutet dies zugleich eine Festlegung auf weitere grundlegende Zuordnungen. Die frühesten Gräber könnte man erst dann ansetzen, wenn aufgrund schriftlicher Quellen (so interpretationsfähig diese wiederum im einzelnen sein mögen31) von Westgoten auf der Iberischen Halbinsel auszugehen ist. Ein solches Datierungsverfahren zäumt aber das Pferd vom Schwanz her auf, denn einer historischen Interpretation archäologischen Materials muss dessen chronologische Einordnung vorausgehen. Anderenfalls dreht sich die Archäologie rasch im Kreise, denn auf diese Weise datierte Gräber sind dann nahezu zwangsläufig als „westgotisch“ anzusehen, weil sie – fälschlich – allein in die „Westgotenzeit“ eingeordnet werden.32 Neben dem zeitlichen Kontext ist auch das geographische Umfeld detaillierter als bislang zu berücksichtigen. Es ist nämlich keineswegs so, dass es sich bei den Friedhöfen in der Meseta nur um ländliche Bestattungsplätze handelt, wozu der Verweis auf die Fundorte Madrona, Espirdo-Veladiez und Duratón genügen mag. Da entscheidende Funde bei „Altgrabungen“ vor 1950 gemacht worden waren, können sie nicht unberücksichtigt bleiben. Allerdings dürfen sie nur 29 30
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Vgl. den Beitrag von Michael Kulikowski in diesem Band. Csanád Bálint, Zwischen Orient und Europa. Die „Steppenfixierung“ in der Frühmittelalterarchäologie. In: Zwischen Byzanz und Abendland. Pliska, der östliche Balkanraum und Europa im Spiegel der Frühmittelalterarchäologie, hrsg. Joachim Henning (Frankfurt/M. 1999) 13–16. Vgl. Michael Kulikowski, Late Roman Spain and its cities (Baltimore 2004). Gleiches gilt für das ostgotische und das langobardische Italien sowie das vandalische Nordafrika.
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dann die Basis heutiger Untersuchungen und Schlussfolgerungen sein, wenn ihre präzise Ein- und Zuordnung verlässlich möglich ist. Oft ist dies (noch) nicht gelungen, und darauf bauende bzw. davon abhängige Interpretationen müssen unzuverlässig bleiben. Jedoch kann eine sorgfältige Recherche in den Archiven dazu führen, dass detaillierte Grabungsunterlagen (wieder) entdeckt werden und die Auswertung der Funde durch die Berücksichtigung der Befunde auf eine neue Grundlage zu stellen vermögen. Für Espirdo-Veladiez hat Jepure dies bereits vorgeführt33, und für Madrona und Duratón berichtet er von der Auffindung bzw. Vervollständigung der Unterlagen. Diese Archivalien liefern eine Fülle von „neuen“ Informationen, die nicht nur ein differenzierteres Bild als bisher zu zeichnen erlauben, sondern deren Berücksichtigung auch manche sicher scheinende relativ- und absolutchronologische Einordnung in Frage stellen. Die Berücksichtigung aller noch verfügbaren Unterlagen, die kritische Revision bisheriger Klassifizierungen und Konzepte sowie das Eingehen auf veränderte Blickwinkel der historischen Forschung dürften die Archäologie der „Westgotenzeit“ in deutlich verändertem Licht erscheinen lassen. Ähnliches könnte auch für Thüringen gelten. Dort hat die Orientierung an den wenigen bekannten, historischen Daten ebenfalls zu nicht ausreichend begründeten Vorstellungen beigetragen. So lässt sich mit Recht fragen, ob die zwar in Thüringen bzw. Mitteldeutschland besonders häufigen Fibeln – Zangen-, Vogelkopf- und Dreirundelfibeln – tatsächlich „typisch“ für Thüringerinnen waren, wenn sie fast immer häufiger außerhalb dieses Gebiets vorkommen;34 für die erste Hälfte des 6. Jahrhundert lässt sich von einer „thüringischen Mode“ ausgehen.35 Auch die Verknüpfung der Chronologie des 5. und 6. Jahrhunderts mit wenigen historischen Ereignissen, die Gregor von Tours berichtete, ist nichts weniger als unproblematisch. Angesichts dieser Situation unternimmt Claudia Theune einen tour d’horizon über archäologische Funde und Befunde aus dem „thüringischen Siedlungsgebiet“. Bei den Funden handelt es sich hauptsächlich um verschiedene „thüringische“ Fibeltypen, die häufig außerhalb des historischen 33
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Antonel Jepure, La necrópolis de época visigoda de Espirdo-Veladiez. Fondos del Museo de Segovia, Estudios y Catálogos 13 (Salamanca 2004). Brather, Ethnische Interpretationen (Anm. 24) 285 Abb. 38; Christina Hansen, Frauengräber im Thüringerreich. Zur Chronologie des 5. und 6. Jahrhunderts n. Chr. Basler Hefte zur Archäologie 2 (Basel 2004) 39 Abb. 25. Frank Siegmund, Die Alemannia aus archäologischer Sicht und ihre Kontakte zum Norden. In: Alemannien und der Norden, hrsg. Hans-Peter Naumann. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Ergänzungsband 43 (Berlin, New York 2004) 142–164, hier 153, unter Verweis auf Hansen (Anm. 34).
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Thüringens vorkommen, aber auch um bestimmte Formen der Drehscheibenkeramik. Im Hinblick auf die Zusammensetzung der Grabbeigaben fallen die zahlreichen Waffen des 5. und 6. Jahrhunderts und die Häufigkeit westlicher Formen des 7. Jahrhunderts auf. Betrachtet man die Bestattungsplätze selbst, so zeigen sich vergleichsweise oft Pferde- und Hundegräber sowie eine lockere Anordnung der Bestattungen, die sich von den dicht belegten westlichen Reihengräberfeldern unterscheiden. Was lässt sich aus diesen Beobachtungen ableiten? Wie im Falle Spaniens hat sich die archäologische Forschung zu sehr darauf verlassen, kulturelle Entwicklungen mit historischen Ereignissen verbinden zu können. Ohne die Kenntnis der Schriftquellen sähe die archäologische Interpretation anders aus, denn die „Niederlage“ der Thüringer gegen die Frankenkönige hat sich nicht erkennbar auf die Gräber und ihre Ausstattungen ausgewirkt. Damit ist noch einmal das Verhältnis von schriftlichen und archäologischen Quellen angesprochen. Wenn sich Texte auf handelnde Gruppen und Bodenfunde auf regionale Bevölkerungen beziehen, dann sind aus ihnen divergierende Perspektiven zu gewinnen. Es kann daher nicht darum gehen, beide zur Deckung bringen zu wollen. Besonderes Interesse darf statt dessen die darin liegende Spannung beanspruchen. Was lässt sich über das gegenseitige Verhältnis von überregional agierenden Eliten und breiten, lokal und regional orientierten Bevölkerungskreisen aussagen? Wie wurden „große“ politische Veränderungen in der „normalen“ Sachkultur reflektiert? Unter welchen Bedingungen entwickelte man neue Formen der Statusdemonstration, und warum wurden die zunächst „elitären“ Formen der Spätantike in der Merowingerzeit von breiten Schichten übernommen? Eine Archäologie der spätantiken und frühmittelalterlichen gentes hat sich mit einer Reihe weiterer Fragen zu beschäftigen, ohne dabei den antiken Barbarendiskurs mit seiner Römer-Germanen-Dichotomie wörtlich zu nehmen und ohne die ethnischen Gruppen als beständige und homogene Verbände misszuverstehen.36
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Das Interessante an den „Prunkgräbern“ des 5. Jahrhunderts sind z. B. gerade nicht die „ethnischen Besonderheiten“, sondern ihre Prägung durch Rom und ihre Lage an der Peripherie des Imperiums; vgl. Das Gold der Barbarenfürsten. Schätze aus Prunkgräbern des 5. Jahrhunderts n. Chr. zwischen Kaukasus und Gallien. Ausstellungskatalog Mannheim, hrsg. Alfried Wieczorek/Patrick Périn (Stuttgart 2001).
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4. Bestattung und Identität Vom späten 5. bis zum frühen 8. Jahrhundert waren Gräber auffällig umfangreich ausgestattet worden. Am Beginn standen neueren Überlegungen zufolge wohl sich verändernde Gesellschaften und damit einhergehend neue Formen sozialer Repräsentation. Nicht zufällig stand das Grab des Childerich in Tournai am Beginn der merowingerzeitlichen „Reihengräberfelder“, nachdem bereits seit dem 4. Jahrhundert im nördlichen Gallien Grabbeigaben allmählich zunehmende Beliebtheit erfuhren.37 Das „Verschwinden“ der Grabbeigaben im 7. und 8. Jahrhundert hatte wahrscheinlich wiederum mit sich ändernden Repräsentationsformen zu tun. Seit dieser Zeit bürgerte es sich ein, für das eigene Seelenheil Stiftungen an die Kirche zu veranlassen.38 Damit war nicht eine durchgreifende Christianisierung die Ursache für die nun deutlich geringer ausgestatteten Gräber, sondern eine zunehmende Institutionalisierung der Kirche und ihr Einfluss auf die Bestattungen.39 Gräber sind ein ergiebiges Quellenmaterial, auch wenn das große Ansehen der Siedlungsarchäologie und ein oft antiquarisch-chronologischer Ansatz von Gräberfelduntersuchungen dies mitunter etwas in den Hintergrund haben treten lassen. Die inzwischen zu Zigtausenden ausgegrabenen und publizierten Reihengräber der Merowingerzeit ermöglichen eine Fülle von Aussagen zu den sozialen Strukturen im weitesten Sinne.40 Sie stellten jedoch keinen „Spiegel des Lebens“ dar, wie man gelegentlich lesen kann. Denn es handelt sich bei Bestattungen stets um geschönte und interessengeleitete Repräsentationen im Angesicht von Lokalgesellschaften. Den Toten oder die Tote beerdigte man nicht einfach – die Angehörigen und die Nachbarschaft verbanden mit einer angemessenen Bestattung eigene „Ab37
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Guy Halsall, The origins of the Reihengräberzivilisation. Fourty years on. In: Fifth-century Gaul. A crisis of identity?, ed. John F. Drinkwater/Hugh Elton (Cambridge 1992) 196–207; ders., Archaeology and the late Roman frontier in Gaul. The so-called Foederatengräber reconsidered. In: Grenze und Differenz im früheren Mittelalter, hrsg. Walter Pohl/Helmut Reimitz. Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 1 = Österreichische Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl. Denkschrift 287 (Wien 2000) 167–180. Bonnie Effros, Caring for body and soul. Burial and the afterlife in the Merovingian world (University Park, Pa. 2002). Niklot Krohn, Von der Eigenkirche zur Pfarrgemeinschaft. Kirchenbauten und Kirchengräber der frühmittelalterlichen Alamannia als archäologische Zeugnisse für nobilitäre Lebensweise und christliche Institutionalisierung. In: Centre, region, periphery. Medieval Europe Basel 2002. Preprinted papers 2 (Hertingen 2002) 165–178. Heiko Steuer, Frühgeschichtliche Sozialstrukturen in Mitteleuropa. Eine Analyse der Auswertungsmethoden des archäologischen Quellenmaterials. Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften Göttingen, phil.-hist. Kl., 3. Folge 128 (Göttingen 1982) 309–416, 435–516.
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sichten“. Archäologische Untersuchungen können daher anhand von Grabfunden nicht die einstige soziale Realität unmittelbar rekonstruieren, sie vermögen vielmehr den einstigen Vorstellungen über diese Verhältnisse näherzukommen. Besonderes Interesse mag dann die Gegenüberstellung mit dem aus Siedlungsuntersuchungen gewonnenen Bild des „Alltags“ und der Lebenswelten beanspruchen.41 Vergleicht man beispielsweise die Keramikfunde, so zeigt sich für die Nordwestschweiz, wie wenig sich Bevölkerungsbewegungen im Material widerspiegelten und wie deutlich sich wohl die Organisationsstrukturen geistlicher und weltlicher Grundherrschaften in der zentralisierten Gefäßproduktion niederschlugen.42 In meinem Beitrag geht es um drei wesentliche Aspekte, die sich anhand archäologischer Funde und Befunde untersuchen lassen: die Kleidung jener Zeit, die Bestattungsrituale sowie die vielen Zugehörigkeiten und Zuordnungen der Einzelnen. Die Kleidungsforschung bedarf einer engeren Verbindung von Studien zu metallenen Kleidungsbestandteilen und Untersuchungen von Textilresten. Denn nur dann lässt sich genaueres über die frühmittelalterliche Kleidung aussagen, etwa wie sehr Fibeln und Gürtelbeschläge oder eher Schnitt, Farben und Muster der Stoffe und deren Qualität den äußeren Eindruck bestimmten. Auch wenn vollständige Kleidungsstücke nur sehr selten erhalten sind und deren Rekonstruktion kaum gelingen kann, stecken in unscheinbaren Textilresten vielfältige Informationen. Zahlreiche grundlegende Fragen sind noch unbeantwortet: lassen sich funktionale Verwendung und reiner Schmuckgebrauch bei Kleidungsverschlüssen unterscheiden? Wozu dienten verschiedene „Verpackungen“ von Fibeln, und was hat es mit den komplizierten Schlaufen und Fadenumwicklungen an Fibeln auf sich? Können, auch unter Hinzuziehung schriftlicher Quellen, verschiedene anlassgebundene Kleidungen unterschieden werden? In wieweit bestimmte lokale und regionale Produktion das Aussehen der Kleidung und nicht das Bemühen um eine regional „typische“, „ethnisch ge41
42
Vgl. etwa Settlement and landscape. Conference Århus 1998, hrsg. Charlotte Fabech/Jytte Ringtved (Højbjerg 1999); Ruralia I–III, ed. Jan Fridrich/Jan Klápsˇteˇ/Zdeneˇk Smetánka/ Petr Sommer. Památky Archeologické, Supplement 5, 11, 14 (Praha 1996, 1998, 2000); Ruralia IV. The rural house. From the migration period to the oldest still standing buildings, ed. Jan Klápsˇte. Památky Archeologické, Supplement 15 (Praha 2002); Ruralia V. Water management in medieval rural economy, ed. Jan Klápsˇte. Památky Archeologické, Supplement 17 (Praha 2005). Reto Marti, „Luteo operi, sine quo tamen non transigetur“. Frühmittelalterliche Keramik im Spiegel gesellschaftlicher und kulturräumlicher Veränderungen in der Nordwestschweiz. In: Hüben und drüben. Räume und Grenzen in der Archäologie des Frühmittelalters. Festschrift Max Martin, hrsg. Gabriele Graenert/Reto Marti/Andreas Motschi/Renata Windler. Archäologie und Museum 48 (Liestal 2004) 191–215.
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bundene“ Kleidung? Dass der Begriff „Tracht“, der für bestimmte, regional gebundene Kleidungen des 19. Jahrhunderts zutrifft, für ältere Zeiten unbrauchbar ist, weil er bereits eine Interpretation enthält und außerdem auf eine konkrete historische Situation bezogen ist, sei hier betont.43 Auch muss der Begriff weiter gefasst werden: das Erscheinungsbild der Zeitgenossen war durch zahlreiche Accessoires (z.B. Gürtelgehänge) und durch die Bewaffnung der Männer, aber ebenso durch Frisuren und Bärte geprägt. Gräber sind das, was von komplexen Bestattungsritualen übrigbleibt. In antiker Tradition gingen der Beerdigung die Aufbahrung und Totenklage sowie die Leichenprozession voraus; der Beisetzung konnten noch längere Zeit Gedenkfeiern folgen. Auch wenn vieles davon nicht mehr zu rekonstruieren sein wird, so finden sich doch manche Reste, die mit Bestattungsfeierlichkeiten in Zusammenhang gebracht werden können. Aus den aufwendigen Bestattungen der Merowingerzeit lässt sich zweierlei schließen: die Grabbeigaben müssen demonstrativ „zur Schau gestellt“ worden sein, wenn sie der Repräsentation dienen sollten, und die Beisetzungen müssen aus demselben Grund vor „Publikum“ stattgefunden haben.44 Eine dauerhafte „Wirkung“ konnte der Aufwand bei der Bestattung nur im kommunikativen Gedächtnis der Beteiligten entfalten, so dass die häufige „Beraubung“ merowingerzeitlicher Gräber auch darauf zurückzuführen sein kann. Wenn auf diese Weise sozialer Status vorgeführt und behauptet wurde, dann handelte es sich zunächst um Binnendifferenzierungen der Gesellschaften. Nur Eliten führten ihre Stellung auch regional und überregional vor, und „Fremdgüter“ fungierten dabei als Mittel, Fernbeziehungen zu demonstrieren. Grabausstattungen dienten der sozialen Repräsentation und bezogen sich insofern kaum auf Glaubens- und Jenseitsvorstellungen. Wenn Gräber Realitäten nicht direkt widerspiegeln, dann sind die Sozialstrukturen am besten über den Begriff der Identitäten zu erfassen – der subjektiven Zuschreibung und Zuordnung von Individuen zu sozialen Gruppen. Die archäologische Forschung hat sich, vor allem bei Gräberfeldpublikationen, bisher oft auf die beiden Unterscheidungen zwischen „Einheimischen“ und „Fremden“ (ethnische Differenz)45 sowie zwischen „Armen“ und „Reichen“ (soziale Differenz) beschränkt.46 Am deutlichsten 43
44 45 46
Sebastian Brather, Von der „Tracht“ zur „Kleidung“. Neue Fragestellungen und Konzepte in der Archäologie des Mittelalters. Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 35, 2007, 185–206. Vgl. den Beitrag von Guy Halsall in diesem Band. Vgl. den Beitrag von Philipp v. Rummel in diesem Band. Max Martin, Zum archäologischen Aussagewert frühmittelalterlicher Gräber und Gräberfelder. Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 59, 2002, 291–306, hier 296–302.
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erscheint die Geschlechtertrennung, doch eine große Anzahl von Grabbeigaben kommt – orts- und zeitspezifisch – bei Frauen und Männern vor. „Reichtumsunterschiede“ lassen sich nur innerhalb von Altersgruppen erkennen, denn die Grabausstattungen (Kleidung, Beigaben, Grabbau) hingen sehr vom Lebensalter ab, was bislang von der Forschung nicht ausreichend berücksichtigt worden ist.47 Es sind wohl die unterschiedlichen sozialen Rollen, die hierin ausgedrückt wurden und die im Laufe eines individuellen Lebens wechselten; die Grabausstattungen reflektieren also eher soziale Rollen als individuelle Wertschätzungen. Manche Zuordnungen scheinen in den Bestattungen kaum oder gar nicht auf. Auf Tätigkeiten verweisen zwar Grabbeigaben vor allem bei Frauen, wenn Spinnwirtel und Webschwerter auf Textilherstellung bezogen werden. Schmiedewerkzeug und Pflugteile findet sich nur sehr selten in Männergräbern. Auch religiöse Zeichen wie Kreuze kommen nur selten in Gräbern vor.48 In beiden Fällen ist eine denkbare Erklärung, dass in bäuerlichen und christlichen Gesellschaften keine soziale Differenz zu betonen war, wenn alle pflügten und Christen waren. Eva Stauch widmet sich einem in meinem Beitrag angesprochenen Aspekt ganz besonders.49 Wenn hinsichtlich des Lebensalters meist allein zwischen Kindern50 und Erwachsenen unterschieden wird, so geraten weitere Differenzierungen sozialer Rollen, die im Laufe eines individuellen Lebens wechseln, aus dem Blick. Nicht nur bei Kindern und Jugendlichen sind Unterschiede in Grabausstattung und Grabbau festzustellen, auch bei den Erwachsenen ist es nicht anders. Die Bestattungen alter Menschen daraufhin zu untersuchen, hat bislang noch niemand unternommen.51 Dass es „reiche“ Gräber seniler Frauen und Männer so gut wie gar nicht gibt, ist gelegentlich mit der – aufgrund eines vermeintlich besonders aufreibenden und gefährlichen Lebens – geringeren Lebenserwartung der Oberschichten 47 48
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Vgl. den Beitrag von Eva Stauch in diesem Band. Sebastian Ristow, Frühes Christentum im Rheinland. Die Zeugnisse der archäologischen und historischen Quellen an Rhein, Maas und Mosel (Münster 2007) 317–442. Vgl. meinen Beitrag in diesem Band. Brigitte Lohrke, Kinder in der Merowingerzeit. Gräber von Mädchen und Jungen in der Alemannia. Freiburger Beiträge zur Archäologie und Geschichte des ersten Jahrtausends 9 (Rahden 2004). Für die römische Kaiserzeit liegen einige wenige Studien vor: Heidrun Derks, Alter und Geschlecht. Biologische Parameter als Instrument sozialer Differenzierung in der älteren Römischen Kaiserzeit Norddeutschlands? Ethnographisch-archäologische Zeitschrift 38, 1997, 531–550. – Vgl. den Tagungsband: Alter und Geschlecht in ur- und frühgeschichtlichen Gesellschaften, hrsg. Johannes Müller. Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie 126 (Bonn 2005).
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erklärt worden.52 Doch dabei ist übersehen worden, wie sehr die Grabbeigaben vom Lebensalter abhingen. Elitenangehörige wurden alt, aber nicht mehr „reich“ bzw. aufwendig begraben. Mit dem Alter sind vielfältige Assoziationen verbunden53; in ihrem Beitrag, der einen Ausschnitt aus einer größeren Studie und Habilitationsschrift darstellt, konzentriert sich Eva Stauch auf die metallenen Bestandteile der Frauenkleidung. Aber fast aller Aufwand bei Grabbeigaben und Grabbauten zeigt einen Zusammenhang zum Alter. Grundlage der Untersuchung bilden etwa 1700 Gräber von Erwachsenen, die auf vier süddeutschen Friedhöfen beerdigt worden waren. Die Analyse der Grabbeigaben von Nadeln, Ohrringen, Armringen, Fibeln, Gürteln und Wadenbinden in Bezug auf das Alter der gestorbenen Frauen zeigt, wie sehr beides miteinander korrelierte. Interessant erscheint der Hinweis auf die „Farbe“ des Metalls: je älter die Frauen waren, desto mehr verschob sich der Anteil zugunsten „silberfarbener“ (Silber und Eisen) und zuungunsten „goldfarbener“ Accessoires (aus Gold und Bronze). Grabausstattungen alter Frauen erscheinen gegenüber denen jüngerer Geschlechtsgenossinnen deutlich „reduziert“, doch lässt sich daran nicht eine „Geringschätzung“ des Alters ablesen, sondern lassen sich eher altersabhängige soziale Rollen erkennen. Ohne anthropologische Analysen sind moderne Gräberfelduntersuchungen nicht denkbar. Bereits das aktuelle Interesse an Zusammenhängen zwischen Lebensalter und Grabausstattung macht deutlich, welche Möglichkeiten sich einer integrierenden Auswertung bieten. Dass anthropologische Daten nicht unbesehen von der Archäologie verwendet werden können, machen bereits divergierende Methoden der Sterbealtersbestimmung deutlich54; sie reichen von berücksichtigten Einzelmerkmalen über Merkmalskombinationen bis hin zur „jahrgenauen“ Zahnzementuntersuchung. Aber auch paläodemographische Ansätze können nur dann weiterhelfen, wenn die zugrunde liegenden Prämissen – angefangen mit der Interpolation eines „Kleinkinderdefizits“ – offen gelegt sind. Verwandtschaftsanalysen stützen sich, nachdem zwischenzeitlich epigenetische Verfahren favorisiert worden sind, inzwischen meistens auf aDNA-Analysen, haben aber mit methodischen Problemen der Erhaltung und Isolierung des Probenmaterials zu
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Alfred Czarnetzki/Christian Uhlig/Rotraud Wolf, Menschen des Frühen Mittelalters im Spiegel der Anthropologie und Medizin (Stuttgart 1982) 13, 27 (Abb.). Hartwin Brandt, Wird auch silbern mein Haar. Eine Geschichte des Alters in der Antike (München 2002) 155–242. Vgl. meinen Beitrag in diesem Band.
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kämpfen. Schließlich hat sich die physische Anthropologie endgültig von „typologischen Verfahren“ verabschiedet, die Schädelindices und Skelettmaße zur idealtypischen Gruppenbildung anhand scharf getrennter und unveränderlicher Typen verwendeten; statt dessen stehen nun statistisch analysierte und als variabel angesehene Bevölkerungen im Mittelpunkt der Forschung, was von den Nachbardisziplinen gelegentlich noch nicht ausreichend zur Kenntnis genommen wird.55 Die frühmittelalterliche „Tierornamentik“ ist seit langem Gegenstand der Forschung. Nach anfänglich vor allem stilistischen und zugleich chronologischen Untersuchungen wendet man sich in letzter Zeit verstärkt den möglichen Bedeutungen der Darstellungen zu. Für Mitteleuropa plädiert Karen Høilund Nielsen für Zusammenhänge zwischen Tierdarstellungen hauptsächlich auf Kleidungsbestandteilen, mythischen Herkunftserzählungen und politischer Herrschaft. Hier geht es ihr um die Verhältnisse im frühmittelalterlichen Britannien, wo Stil I deutlich häufiger verbreitet war und Stil II eher eine kleinere soziale Elite kennzeichnete. In Stil I verzierte Bestandteile der Frauenkleidung, im Grab wiederum vor allem bei adulten Frauen besonders zahlreich, waren in Kent dreimal so häufig wie im anglischen Gebiet. Bei den Männern wurden Schilde und Schwerter entsprechend verziert, die – wie andere Waffen auch – in etwas höherem Lebensalter besonders häufig beigegeben wurden. Auch wenn Brandbestattungen schwieriger zu analysieren sind, dürften sie bei aller interpretatorischen Vorsicht ein ähnliches Bild ergeben. Stil II setzte sich in den Jahrzehnten um 600 durch. Skandinavische „Importe“ mit und ohne Verzierung in diesem Stil liegen aus Sutton Hoo vor und zeigen, wie sich die dort bestattende Gruppe „symbolisch“ auf Skandinavien bezog (Abb. 4). Im anglischen Bereich scheinen Gegenstände im Stil II auf eine kleine Gruppe hochrangiger Männer beschränkt geblieben zu sein, während sie in Kent eine allgemeine, zum Kontinent hin orientierte Mode repräsentiert haben dürften. Stil II blieb nicht allein auf das Umfeld der frühen anglischen Könige bezogen, zu deren Etablierung er möglicherweise beitrug, sondern wurde im sakralen Bereich zum „Manuskriptstil“ der Klöster und Handschriften weiterentwickelt. Eine wichtige Neuentdeckung stellt das Prunkgrab von Prittlewell dar, das Ende 2003 nördlich der Themse-Mündung entdeckt und ausgegraben wurde. Bislang liegen lediglich einige Vorberichte vor, doch bereits diese 55
Vgl. Gisela Grupe/Kerrin Christiansen/Inge Schröder/Ursula Wittwer-Backofen, Anthropologie. Ein einführendes Lehrbuch (Berlin, Heidelberg, New York 2005) 64–138.
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Abb. 4. Sutton Hoo, aus den Grabbeigaben zu erschließende Fernbeziehungen. Bei manchen Gegenständen wie den mediterranen Metallgefäßen handelt es sich um „Importe“, bei anderen wie Schwert, Schild und Helm ist die Herkunft unklar. Die 37 Goldmünzen (tremisses) sollten offensichtlich Beziehungen zu „ganz Gallien“ demonstrieren (nach Martin O. H. Carver, Sutton Hoo. Burial ground of kings? [London 1998] 39 Abb. 22)
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lassen die Bedeutung des Fundes erkennen. Es reicht in Anlage und Ausstattung zwar nicht an Grab 1 von Sutton Hoo heran, aber es ragt unter den gleichzeitigen Gräbern besonders hervor, wie die Präsentation und Diskussion der Funde durch Lyn Blackmore zeigt. Die Grabbeigaben waren in der hölzernen Kammer aufgebaut und hatten sich dank rascher Sedimentbildung im Innern der Kammer sämtlich an Ort und Stelle erhalten. In der Nordhälfte der Kammer stand der Sarg mit dem bekleideten Toten. Entlang der Ostwand und der Nordwand war das umfängliche Trinkgeschirr arrangiert, südlich bzw. rechts des Sarges lagen Bewaffnung und Leier. Zur Westwand hin standen ein Faltstuhl und verschiedene Behältnisse, u. a. mit persönlichen Gegenständen. Zwischen Sarg und nördlicher Kammerwand waren weitere Holzgefäße sowie Brett- und Würfelspiele drapiert. Wer dort bestattet wurde, wird sich – wie in anderen Fällen auch – kaum endgültig klären lassen. Vom Leichnam selbst haben sich nur geringe Reste des Zahnschmelzes erhalten, die keine weitere Analyse zulassen. Die Augen des Toten waren mit zwei kleinen Goldblechkreuzen bedeckt, den Gürtel verschloss eine goldene, unverzierte Schnalle. Die Datierung lässt sich auf die erste Hälfte des 7. Jahrhunderts festlegen. Schriftquellen lokalisieren in der Gegend Königsbesitz, und zusammen mit der reichen Ausstattung des „Prunkgrabes“ kann dies auf ein königliches Begräbnis verweisen. Allerdings bleibt zu bedenken, dass nicht allein vom Toten und dessen Leben und Ansehen abhing, was in das Grab gelegt wurde. Für das Childerich-Grab ist darauf hingewiesen worden, wie sehr der Sohn und Nachfolger Chlodwig und dessen Umfeld politisches Interesse an einem machtvollen und demonstrativen Begräbnis seines Vaters hatten.56 Einen ähnlich verblüffenden Fund bildet das von Barbara TheuneGroßkopf vorgeführte Grab 58 von Trossingen (Kr. Tuttlingen), das mit dem Grab von Prittlewell außerdem die Grabbeigabe einer Leier gemeinsam hat. Die Bestattung ist dendrochronologisch auf die Zeit um 600 datiert und zeichnet sich im Unterschied zu Prittlewell durch die (weitgehende, aber selektive) Erhaltung organischer Substanz aus. Den Toten hatte man in einer hölzernen Kammer auf einem dachförmig abgedeckten Bett bestattet. Neben Waffen und Mobiliar war das Musikinstrument ein 56
Guy Halsall, Childeric’s grave, Clovis’ succession and the origins of the Merovingian kingdom. In: Society and culture in Late Roman Gaul. Revisiting the Sources, ed. Ralph W. Mathisen/Danuta Shanzer (Aldershot 2001) 116–133; Patrick Périn, Les tombes des „chefs“ de l’époque de Childéric et de Clovis et leur interprétation historique. In: La noblesse romaine et les chefs barbares, ed. Françoise Vallet/Michel Kazanski. Association française d’Archéologie Mérovingienne, Mémoires 9 (Condé-sur-Noireau 1995) 247–301.
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bedeutender Fund, handelt es sich doch um die bislang einzige (bis auf die Saiten) vollständig erhaltene Leier aus dem frühen Mittelalter. Auffallend sind die Ritzverzierungen: auf der Vorderseite zwei Gruppen von je sechs, sich „heraldisch“ gegenüberstehenden Kriegern mit einer aufgepflanzten Lanze in der Mitte, auf der Rückseite flächendeckend Flechtbandmuster.57 Dieser Befund macht – ungeachtet seiner Außergewöhnlichkeit – ebenso wie die Entdeckungen im benachbarten Oberflacht58 exemplarisch deutlich, wie sehr die Erhaltungsbedingungen die Aussagemöglichkeiten der Archäologie beschränken können. Manches Möbelstück dürfte als Grabbeigabe gar nicht so selten und damit exquisit gewesen sein, wie es aufgrund der seltenen Erhaltung den Anschein hat. Gräber und Friedhöfe erlauben der Archäologie überaus vielfältige Aussagemöglichkeiten. Grundlage dafür sind jedoch einige Voraussetzungen: eine verlässliche Dokumentation der Befunde, detaillierte anthropologische Analysen der Skelette, eine weite Spanne von Forschungsfragen und die Einsicht, statt sozialer Realitäten geschönte Repräsentationen vor sich zu haben. Auf diese Weise können die komplexen Binnenstrukturen frühmittelalterlicher Gesellschaften sichtbar gemacht und analysiert werden. Zu beachten bleibt, wie sehr sich Zugehörigkeiten zu verschiedenen sozialen Gruppen zur selben Zeit überschnitten; wenn sie alle bei einer Bestattung demonstriert wurden, sind sie analytisch nur schwer auseinanderzuhalten. So hat der Blick auf „Qualitätsgruppen“ und „Reichtumsunterschiede“ lange verdeckt, dass das Lebensalter einen entscheidenden Einfluss auf den Aufwand bei der Bestattung besaß und Reichtum nur innerhalb einer Alterskohorte verglichen werden kann. Das biologische Alter stellt dabei lediglich einen Hinweis auf die sozialen Rollen dar, die im Laufe eines individuellen Lebens wechselten. Ähnlich schwierig zu trennen sind weitere Aspekte. Goldblattkreuze als christliche Symbole kommen nur in „reichen“ Gräbern vor; waren also nur Elitenangehörige Christen – oder verweist nicht vielmehr das Gold der Kreuze auf eine lediglich elitäre Form religiösen Bekenntnisses? Auch für 57
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Barbara Theune-Großkopf, Krieger oder Apostel – Bilderwelt im frühen Mittelalter. Eine vollständig erhaltene Leier aus Trossingen. In: Cum grano salis. Beiträge zur europäischen Vor- und Frühgeschichte. Festschrift Volker Bierbrauer, hrsg. Bernd Päffgen/Ernst Pohl/ Michael Schmauder (Friedberg 2005) 303–315; dies., Die vollständig erhaltene Leier des 6. Jahrhunderts aus Grab 58 von Trossingen, Ldkr. Tuttlingen, Baden-Württemberg. Germania 84, 2006, 93–142. Peter Paulsen, Die Holzfunde aus dem Gräberfeld bei Oberflacht und ihre kulturhistorische Bedeutung. Forschungen und Berichte zur Vor- und Frühgeschichte in Baden-Württemberg 41,2 (Stuttgart 1992).
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Werkzeuge als Hinweis auf ausgeübte Tätigkeiten sind einander überlagernde Bedeutungen zu vermuten. Wird bei Schmiedegeräten in einem Grab meist direkt auf einen bestatteten Schmied geschlossen, erscheint dies bei Pflugteilen und anderen landwirtschaftlichen Geräten weniger eindeutig. Denn warum wurden nicht alle „Bauern“ mit Symbolen ihrer agrarischen Tätigkeit beerdigt? Stecken dahinter „Reichtumsunterschiede“ oder mehr wie beispielsweise die Verfügung über Land und Leute? Analog müsste dann außerdem überlegt werden, ob nicht ähnliches auch für die „Schmiedegräber“ zu vermuten ist. Ornamente erlauben schließlich bei sorgfältiger Untersuchung, auch in der Kombination mit Texten, Aussagen zu Identitäten und Vorstellungen. Nicht vergessen werden dürfen Trauer und Emotionen als Elemente von Ritual und persönlicher Betroffenheit. Manch individuelle, nur schwer einzuordnende Besonderheit des archäologischen Befunds mag damit zu verbinden sein; hier werden zurzeit neue methodische Wege der Interpretation erprobt.59 Vielversprechend dürften sich anschließende Vergleiche mit Siedlungsbefunden sein. In welchem Verhältnis standen einmalige Repräsentation auf dem Gräberfeld und alltägliche Lebenswelt in der Siedlung zueinander? Dies lässt sich nur in seltenen Fällen detailliert untersuchen, wenn nämlich Siedlung und zugehöriges Gräberfeld entdeckt, verlässlich einander zuzuordnen und ausgegraben sind. Lauchheim östlich von Aalen (Ostalbkr.) mag dafür nach seiner endgültigen Publikation einen Idealfall darstellen.60 Anderenorts gestatten „Hofgrablegen“ für das späte 7. Jahrhundert den Vergleich beider Befundgattungen zumindest für eine Generation.61 In diesen Fragen liegen noch ungenutzte Forschungspotentiale, die allein durch die Archäologie erschlossen werden können.
5. Handwerk und Austausch Untersuchungen von Produktion und Austausch werden häufig unabhängig von Studien zu Bestattungen betrieben. Dies hat forschungspraktische Gründe. Doch die meisten Funde – sieht man einmal von den Befunden 59
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Archaeologies of remembrance (Anm. 21); Howard Williams, Death and memory in early medieval Britain (Cambridge 2006). Ingo Stork, Fürst und Bauer, Heide und Christ. 10 Jahre archäologische Forschungen in Lauchheim/Ostalbkreis. Schriften des Alamannenmuseums Ellwangen 1 (2Ellwangen 2001). Vgl. Michael Hoeper, Alamannische Besiedlungsgeschichte im Breisgau. Zur Entwicklung von Besiedlungsstrukturen im frühen Mittelalter. Freiburger Beiträge zur Archäologie und Geschichte des ersten Jahrtausends 6 (Rahden 2001) 89–104.
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zur Produktion selbst ab – stammen aus Gräbern. Insofern ist ein enger methodischer Zusammenhang gegeben, doch auch inhaltlich gibt es mehr Beziehungen als oft bemerkt. Wenn nämlich bestimmte Elemente der Sachkultur zur Selbstdarstellung verwendet wurden, musste man sie auch zur Verfügung haben. Dies wiederum hing davon ab, wo und wie sie (z. B. Glasgefäße oder Drehscheibenkeramik) produziert und ausgetauscht wurden. Erst wenn dies untersucht worden ist, vermag man zu beurteilen, ob lediglich Produktion und Austausch oder aber bewusste Abgrenzung das archäologische Verbreitungsbild hervorgerufen haben – und ob eine „ethnische Interpretation“ zu begründen ist.62 Daher kommt Materialanalysen mehr Bedeutung zu, als wenn man allein nach Herstellungstechniken und know how fragte. Nicht nur die verfügbaren Rohstoffe und die Techniken zu ihrer Be- und Verarbeitung waren von Belang. Elaborierte Verfahren setzten gewiss lang erlernte Kenntnisse und Fertigkeiten voraus, aber ob die Produkte weit verhandelt wurden oder durch „Wanderhandwerker“ oder Know-how-Vermittlung in der Nähe des Fundorts hergestellt worden waren, wird sich ohne Entdeckung der Werkstätten kaum entscheiden lassen. Für Keramik trifft meist letzteres zu.63 Interessant erscheinen aber das kulturelle Umfeld und das Interesse an diesen Gütern. Diese Aspekte können zwar nicht der Migration von Personen64 als simples Alternativmodell zur Seite gestellt werden. Sie verweisen aber auf komplexe Prozesse der Interaktion, die sich nicht eindeutig auseinanderhalten lassen. Typologisch lassen sich „römische“ und „germanische“ Produkte mitunter nicht unterscheiden. So erscheint z.B. bislang „rätselhaft“, dass Augenfibeln der „preußischen Nebenserie“ nach Oskar Almgren im Ostseeraum verbreitet sind, aber auch in Augsburg – isoliert, aber zahlreich – vorkommen. Weitere Beispiele ließen sich anführen. Die daraus abgeleitete Schlussfolgerung ist, durch Materialanalysen „typologieunabhängige“ Merkmale aus-
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Vgl. Frank Siegmund, Alemannen und Franken. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Ergänzungsband 23 (Berlin, New York 2000); Sebastian Brather/Hans-Peter Wotzka, Alemannen und Franken? Bestattungsmodi, ethnische Identitäten und wirtschaftliche Verhältnisse zur Merowingerzeit. In: Soziale Gruppen, kulturelle Grenzen. Die Interpretation sozialer Identitäten in der Prähistorischen Archäologie, hrsg. Stefan Burmeister/Nils Müller-Scheeßel. Tübinger Archäologische Taschenbücher 5 (Münster u. a. 2006) 139–224. Vgl. Dusˇek, Römische Handwerker (Anm. 14). Joachim Werner, Zur Verbreitung frühgeschichtlicher Metallarbeiten (Werkstatt, Wanderhandwerk, Handel, Familienverbindung). Antikvarisk Arkiv 38, 1970, 65–81.
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findig zu machen. Für die römische Kaiserzeit jenseits des limes hat sich Hans-Ulrich Voß dieses Themas in besonderer Weise angenommen. Es gibt allerdings nur selten Funde von Handwerkszeug und Werkstätten. Rückschlüsse lassen daher hauptsächlich die Produkte der Feinschmiede zu. Da das verwendete Metall – Bronze, Messing, Silber – aber weithin römischer Herkunft war, sind es die Techniken der Verarbeitung, die näheren Aufschluss über das Metallhandwerk im „Barbaricum“ versprechen. Zu ihnen zählen Gießen, Schmieden und Löten. Bei Verzierungen und Oberflächenveredelungen zeigen sich deutlicher als bei der Verarbeitung römische Einflüsse: Silbertauschierung, Niello, Granulation und Filigran, Vergoldung und Silberplattierung. In der jüngeren Kaiserzeit wurden verstärkt römische, d. h. entwickelte Feinschmiedetechniken in der Germania übernommen, die die Existenz qualifizierter Handwerker voraussetzten. Deutlich wird aber auch, wie sehr die Übernahmen von Gegenständen, Formen und Verzierungen, Materialien und Techniken einer bewussten Auswahl und damit spezifischen Vorstellungen und Repräsentationsbedürfnissen einer Elite folgten.65 Grenzen setzten dabei eher die verfügbaren Materialien als das know how. Ob die Handwerker Römer oder Germanen waren, ist angesichts des engen Austauschs im Einzelfall nicht mehr auszumachen. Für die Merowingerzeit spielen „byzantinische Importe“ in der archäologischen Forschung eine wichtige Rolle. Ebenso wie beim „römischen Import“ in Regionen jenseits des limes handelt es sich um Fundgruppen, die als qualitätvolle „Fremdgüter“ im übrigen Fundmaterial auffallen. Dies stellt zunächst eine beschreibende Einordnung dar, der eine historische Interpretation erst noch folgen muss. Die Beschreibung setzt voraus, dass sich Gegenstände „byzantinischer Produktion“ klar erkennen und zuordnen lassen, wie Jörg Drauschke ausführt. Erscheint die Bezeichnung auf den ersten Blick sehr unscharf, so verbergen sich dahinter erstens eine wahrscheinliche Herstellung im östlichen Mittelmeerraum (einschließlich Italiens?) und zweitens eine Datierung in frühbyzantinische Zeit bzw. das frühe Mittelalter (insbesondere die Merowingerzeit). Zwei Aspekte der Identifizierung geraten oft durcheinander; sie sind jedenfalls analytisch zu trennen: einerseits die typologische und stilistische Zuordnung und andererseits die Lage der Produktionsstätten. Die Verbreitung der Funde vermag hier nur bedingt Anhaltspunkte zu liefern, weil die meisten Funde aus Gräbern abseits der Herstellungsregionen stammen. 65
Matthias Becker, Klasse und Masse. Überlegungen zu römischem Sachgut im germanischen Milieu. Germania 81, 2003, 277–288.
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Auch sind eindeutig östliche Formen nicht unbedingt in ostmediterranen Regionen hergestellt worden, und schließlich belegen metallanalytische Untersuchungen zunächst das technische know how der Handwerker. Studien zu „byzantinischen“ Objekten müssen also zunächst ihre Fragestellung präzise fassen, um erfolgversprechende Untersuchungsstrategien auswählen und verlässliche Antworten finden zu können. „Mediterran“ scheint angesichts dieser methodischen Probleme eine geeignete Chiffre für die östlichen „Fremdgüter“ zu sein, die vorschnelle Festlegungen vermeidet.66 Den Jahrzehnten um 500 lässt sich eine Reihe „mediterraner“ Objekte zuweisen – von den Goldgriffspathas und schmalen Langsaxen über mediterrane Schnallen, silberne Löffel und Spangenhelme bis hin zu exotischen Textilien, Gewürzen und Münzen. Ihre Herkunft unterscheidet sich im Einzelnen deutlich und reicht vom Orient über Ostrom und Italien bis zu „Nachahmungen“ in Europa. Für das 6. und 7. Jahrhundert lassen sich Münzen, verschiedene Formen von Gürtelschnallen, vielteilige Gürtel(garnituren), mehrere Ohrringformen, „koptisches“ Bronzegeschirr, Gläser, Gewürze und Textilien sowie schließlich Waagen und Gewichte als „byzantinische Importe“ anführen, doch insgesamt ist der Umfang geringer als zuvor. Aus dem Orient stammen Granate, Kaurischnecken und Elfenbein, Muschelscheibchen-, Meerschaum- und Amethystperlen, die über „Byzanz“ vermittelt wurden und die anhaltenden Beziehungen Westeuropas nach Südosten verdeutlichen. Die „Mechanismen“ der Zufuhr und Verbreitung der „byzantinischen“ Fremdgüter waren vielfältig; zahlreiche Angaben der Schriftquellen und ethnologische Parallelen verweisen auf ein komplexes Netz von Redistribution, Reziprozität und Marktaustausch. Dabei sind zeitliche Unterschiede wichtig: auf luxuriöse, prestigeträchtige Objekte in den Jahrzehnten um 500 folgte eine weite Verbreitung zahlreicher minder „wertvoller“, durch Handel bezogener Güter. Was herstellungstechnische Untersuchungen zu leisten vermögen, zeigen die von Falko Daim vorangetriebenen Analysen awarenzeitlicher Gürtelbeschläge. Ungeachtet aller Diskussionen um die mutmaßlichen „steppennomadischen“ oder byzantinischen Vorbilder lassen sich auffällige Unterschiede in Verzierung und Herstellung ausmachen. Bei der Ornamentik fällt auf, dass mediterrane Vögel oft durch Vierfüßer ersetzt sind, 66
Vgl. Jörg Drauschke, Rezension zu: Éva Garam, Funde byzantinischer Herkunft in der Awarenzeit vom Ende des 6. bis zum Ende des 7. Jahrhunderts. Monumenta Avarorum Archaeologica 5 (Budapest 2001). Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 34, 2006, 316–320.
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auch wenn Form und Rahmenornamente übernommen wurden (Abb. 5).67 Doch nicht nur darin lassen sich Absichten und Vorstellungen der Handwerker und Abnehmer vermuten. Denn auffällig ist, dass die pannonischen Produkte aus Bronze gegossen und aus nur wenigen Einzelteilen bestanden. Nur in der Form gleichen sie mediterranen Riemenzungen, die aus Messing bestanden und aus nahezu zahllosen Einzelteilen zusammengelötet wurden. Den Besitzern dürfte nicht nur aus der bloßen Zurschaustellung zusätzliches Prestige erwachsen sein, sondern auch aus dem Wissen um die qualitätvolle und aufwendige Fertigung. Daran schließen sich Fragen nach damit verbundenen Vorstellungen der Zeitgenossen an.68 Eine „Wirtschaftsarchäologie“ fragt auch nach den Rahmenbedingungen, unter denen sich Produktion und Distribution abspielten. Für die Nordwestschweiz lässt sich Reto Marti zufolge seit dem mittleren 5. Jahrhundert eine nur noch lokale Keramikproduktion feststellen; „Importe“ fehlen weitgehend. Dies kann mit der Auflösung großräumiger administrativer Strukturen und der regionalen Beschränkung von Wirtschaft und Gesellschaft in dieser Zeit erklärt werden. Die folgende Zeit erscheint als Übergangsphase. Seit dem frühen 7. Jahrhundert lässt sich dann eine Phase der „Konsolidierung“ beobachten. Ausgedehnte Verbreitungsgebiete bestimmter Warenarten zeigen, dass „zentrale“ Töpfereien ihre scheibengedrehten Gefäße weiträumig „absetzen“ konnten. Dazu gehören u.a. gelbtonige Drehscheibenware aus der Gegend von Soufflenheim und glimmergemagerte Ware aus dem Münstertal, sandige Drehscheibenware aus der Basler Gegend, die sogenannte Donzdorfer Keramik und die Mayener Ware.69 Die weite Verbreitung der Töpfereiprodukte lässt auf eine durchorganisierte Großproduktion schließen. Es erscheint daher plausibel, die sich seit der Merowingerzeit herausbildenden Grundherrschaften als Rahmenbedingungen zu vermuten.70 67
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Falko Daim, Byzantine belts and Avar birds. Diplomacy, trade and cultural transfer in the eighth century. In: The transformation of frontiers. From late antiquity to the Carolingians, ed. Walter Pohl/Ian Wood/Helmut Reimitz. The transformation of the Roman world 10 (Leiden, Boston, Köln 2001) 143–188. Falko Daim, „Byzantinische“ Gürtelgarnituren des 8. Jahrhunderts. In: Die Awaren am Rand der byzantinischen Welt. Studien zu Diplomatie, Handel und Technologietransfer im Frühmittelalter, hrsg. ders. Monographien zur Frühgeschichte und Mittelalterarchäologie 7 (Innsbruck 2000) 77–204. Mark Redknapp, Die römischen und mittelalterlichen Töpfereien in Mayen, Kreis Koblenz. In: Berichte zur Archäologie an Mittelrhein und Mosel 6. Trierer Zeitschrift, Beiheft 24 (Trier 1999) 11–401. Marti (Anm. 42); Heiko Steuer, Archäologie und germanische Sozialgeschichte. Forschungstendenzen in den 1990er Jahren. In: Runische Schriftkultur in kontinental-skandinavischer und -angelsächsischer Wechselbeziehung, hrsg. Klaus Düwel. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Ergänzungsband 10 (Berlin, New York 1994) 10–55, hier 35.
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Abb. 5. Gegenüberstellung zweier Riemenzungen. 1 angeblich aus Aleppo in Syrien, „byzantinisch“; 2 unbekannter Fundort, „awarisch“. Die awarische Nachahmung unterscheidet, bei offensichtlich angestrebter Formähnlichkeit, einerseits die Ersetzung der Vögel durch Vierfüßer und andererseits die Fertigung aus wenigen gegossenen Stücken anstelle einer komplexen Montage aus Dutzenden Einzelteilen. – M. 2:1 (nach Daim, „Byzantinische“ Gürtelgarnituren [Anm. 68] 113 Abb. 30,b; 117 Abb. 36,b)
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Für technikarchäologische Untersuchungen bietet sich ein weites Forschungsfeld. Dazu gehören zunächst Materialanalysen, um Aufschluss über Rohstoffgewinnung und Herstellungsverfahren zu erhalten. Deren Kenntnis ist nicht nur von wirtschaftsarchäologischem Interesse, sondern auch für kulturgeschichtliche Fragestellungen von erheblicher Bedeutung. Erstens geht es darum, die Herkunft von Gegenständen anhand der Materialzusammensetzung zu ermitteln, um Zufuhr und Eigenproduktion voneinander unterscheiden zu können; dies gelingt selbstverständlich nicht immer eindeutig. Zweitens stoßen Einordnungen vermutlich „(provinzial)römischer“, „byzantinischer“, „koptischer“, „orientalischer“ und anderer Fremdgüter an ihre typologischen Grenzen, denn diese hängen von Vorannahmen ab. Die Chance der Materialanalyse liegt darin, davon unabhängige Kriterien der Unterscheidung und Einordnung zu liefern. Drittens war die Herstellung nicht nur eine Sache der Technik und des Könnens, sondern auch des Wissens. Mit ihr konnten, abstrakt formuliert, auch Wertsysteme und Vorstellungswelten verbunden sein, wie z. B. der Vergleich byzantinischer und awarischer Gürtelbeschläge und -schnallen andeuten dürfte.71 Von entsprechenden Untersuchungen sind deutliche Fortschritte und manche Korrekturen liebgewonnener Vorstellungen zu erwarten. Dies beruht nicht unwesentlich darauf, dass eine kulturgeschichtliche Archäologie materialanalytische Studien bislang nicht ausreichend angeregt oder zur Kenntnis genommen hat. Doch nur in der wechselseitigen und interdisziplinären Kooperation, wie sie sich die moderne Archäologie auf die Fahnen geschrieben hat, lassen sich verlässliche Ergebnisse erzielen.
6. Perspektiven Historische Entwicklungen erscheinen der Forschung heute als komplexe Prozesse. Ihre Analyse bedarf deshalb eines umfassenden Ansatzes. Für die hier behandelten Jahrhunderte erlauben die verschiedenen Quellen – Texte, Bilder und die Sachkultur – nicht allein verschiedene Perspektiven. Sie gestatten in ihrer Kombination und im Vergleich eine differenzierte
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Vgl. Falko Daim, Der awarische Greif und die byzantinische Antike. In: Typen der Ethnogenese am Beispiel der Bayern 2, hrsg. Herwig Friesinger/Falko Daim. Veröffentlichungen der Kommission für Frühmittelalterforschung 13 = Denkschriften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl. 204 (Wien 1990) 273–304; ders., Byzantine belts and Avar birds. Diplomacy, trade and cultural transfer in the eighth century. In: The transformation of frontiers (Anm. 1) 143–188.
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Sicht auf die Verhältnisse. Dabei kann es nicht darum gehen, „Übereinstimmung“ in den Aussagen zu erzielen; stattdessen ist es wichtig, divergierende Ergebnisse aufeinander zu beziehen und daraus zusätzliche Erkenntnisse zu gewinnen. Einerseits präsentiert beispielsweise der „ethnische Diskurs“ in den zeitgenössischen Texten gentes und ihre Anführer – und d. h. Eliten – als politisch Handelnde, andererseits steht die archäologisch zu rekonstruierende Sachkultur primär in grundlegenden kulturgeschichtlichen und „lebensweltlichen“ Zusammenhängen lokaler und regionaler Bevölkerungen. Allein nach „ethnisch“ interpretierten, regionalen Verbreitungsmustern zu suchen, verpasst die Chance, die Spannung zwischen wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Entwicklungen zu analysieren. Und gerade darin liegen der Reiz und die Kompetenz einer Analyse. Ethnische Interpretationen selbst erklären nicht viel, sondern bestätigen zunächst lediglich das aus den Schriftquellen gewonnene Bild. Ethnische Identitäten in die historische Situation einzuordnen, ermöglicht es, Bedingungen und Wirksamkeit subjektiver Zuschreibungen von Einzelnen und von Gruppen zu untersuchen. Ähnliches gilt für materialanalytische Fragestellungen; sie liefern nicht nur Aufschlüsse hinsichtlich von Rohmaterialien, technischem know how und Werkstätten, sondern ebenso zu manchen Vorstellungen, die bestimmte Herstellungsverfahren bzw. Stile und Motive bevorzugten. Aus diesen Beobachtungen lässt sich mit Guy Halsall der Schluss ziehen, dass sich hochpolitische Entwicklungen durchaus auf regionaler oder gar lokaler Ebene in kulturellen Veränderungen widerspiegelten, weil sie von den Bevölkerungen wahrgenommen wurden und sie zum Handeln zwangen. Auf diese Weise erscheint die Sachkultur nicht allein passiv Veränderungen unterworfen, sondern von den Zeitgenossen auch aktiv und bewusst eingesetzt worden zu sein.72 Oder anders, soziologisch formuliert: die der Archäologie als Quelle zur Verfügung stehende Sachkultur entstand durch das Handeln der Menschen, und dieses war durch Strukturen einerseits und durch Vorstellungen andererseits bestimmt (Abb. 6).73 Zwar ist die Rekonstruktion von Vorstellungen anhand archäologischer Quellen nicht einfach, denn sie bieten keinen direkten Zugang. Doch können der jeweilige historische Kontext ebenso wie zusätzliche Anhaltspunkte anderer Quellen Annäherungen ermöglichen. Wenn Gräber wie seit
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Guy Halsall, Burial Writes. Graves, Texts and Time in Early Merovingian Northern Gaul. In: Erinnerungskultur im Bestattungsritual. Archäologisch-historisches Forum, hrsg. Jörg Jarnut/Mathias Wemhoff. MittelalterStudien 3 (München 2003) 61–74. Andreas Reckwitz, Struktur. Zur sozialwissenschaftlichen Analyse von Regeln und Regelmäßigkeiten (Opladen 1997).
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Abb. 6. Das Handeln wird von Strukturen in doppelter Weise beeinflusst – von Regeln und von Regelmäßigkeiten. Sowohl Normen und Wissen als auch Ressourcen und Verhältnisse eröffnen Möglichkeiten und ziehen Grenzen. Auf beide wirken wiederum die Handlungen zurück, so dass wechselseitige Abhängigkeiten bestehen. Untersuchungen aus einer Systemperspektive konzentrieren sich auf die strukturellen Rahmenbedingungen, während aus einer Handlungsperspektive die Auswirkungen der Handlungen von zentraler Bedeutung sind (verändert nach Reckwitz [Anm. 73] 173 Abb. 14,b)
dem 5. Jahrhundert umfänglich ausgestattet wurden und nicht primär mit Jenseitsvorstellungen erklärt werden können, dann müssen sie der sozialen Repräsentation „vor aller Augen“ gedient haben. In diesem Fall spiegeln sie „idealisierte“ Bilder in den Köpfen der Beteiligten wider und nicht die bestehenden Realitäten. Das Konzept der Identität ermöglicht hier einen lohnenden und weiterführenden Ansatz. Es kann den analytischen Nachteil, keinen direkten Zugang zu den tatsächlichen Verhältnissen gewinnen zu können, in einen Vorteil verwandeln: in einen mittelbaren Zugang zu den zeitgenössischen Vorstellungen über diese Strukturen. In dieser Perspektive spielt es keine große Rolle, wie „realistisch“ diese Vorstellungen ausfielen. Mit Siedlungen verhält es sich ähnlich, auch wenn Haus und Hof in Form und Struktur vor allem wirtschaftlich bedingt waren. Aber sie folgten außerdem kulturellen Mustern, und deshalb können auch an ihren Veränderungen neben wirtschaftlichen Abhängigkeiten auch kulturelle (Neu-)Ori-
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entierungen abgelesen werden.74 Auf entsprechende „identitätsrelevante“ Interpretationen von Kleidungsbestandteilen und Waffen ist bereits hingewiesen worden. Bei allen kulturellen Charakteristika, dies zeigt vielleicht der Dissens über Methoden und Möglichkeiten der „ethnischen Deutung“ innerhalb der frühgeschichtlichen Archäologie am deutlichsten, handelt es sich einerseits um großräumige Unterschiede von kulturellen Traditionen und wirtschaftlichen Möglichkeiten sowie andererseits um Binnendifferenzierungen von regionalen und lokalen Gesellschaften. Es ist daher zu fragen, ob ethnische Abgrenzungen sowohl recht flexibel als auch elitär waren, wie es die Schriftquellen suggerieren, und sich deshalb nur schwer im Fundmaterial ausmachen lassen (Tab. 1). Tab. 1. Gruppen und Identitäten. Möglichkeiten und Grenzen von Archäologie, Anthropologie und Geschichtswissenschaft. In Klammern stehen eingeschränkte, unsichere und fragliche Anhaltspunkte Identitäten
Archäologie
Anthropologie
Geschichtswissenschaft
Geschlecht
(geschlechtsspezifische Grabbeigaben)
geschlechtsspezifische Skelettmerkmale und aDNA
Geschlechterrollen
Alter
(Grabgrubengröße)
Zahndurchbruch und Verknöcherungen
soziale Rollen im familiären Kontext
Familie
(Grabgruppen)
(epigenetische Merkmale und aDNA)
familiäres Selbstverständnis
Hierarchie
Aufwand bei Grabausstattung und -architektur
(Ernährungszustand und Heiratsgrenzen)
soziale Repräsentation und Identität
Herkunft
(geographische Verbreitung)
(Strontium-IsotopenVerhältnis in Zähnen und Knochen)
ethnische Identitäten (und ihre Symbole)
„Beruf “
(Werkzeuge und Geräte)
(tätigkeitsspezifische Körperbelastungen)
arbeitsteilige Wirtschaftsstrukturen
Religion
(christliche Symbole und magische Amulette)
–
Glaubensvorstellungen und kirchliche Organisation
Rechtsstatus
–
–
rechtliche Regelungen
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Wolf Haio Zimmermann, Pfosten, Ständer und Schwelle und der Übergang vom Pfostenzum Ständerbau. Eine Studie zu Innovation und Beharrung im Hausbau. Zu Konstruktion und Haltbarkeit prähistorischer bis neuzeitlicher Holzbauten von den Nord- und Ostseeländern bis zu den Alpen. Probleme der Küstenforschung im südlichen Nordseegebiet 25, 1998, 9–241; ders., Why was cattle-stalling introduced in prehistory? The significance of byre and stable and of outwintering. In: Settlement and landscape, ed. Charlotte Fabech/Jytte Ringtved (Højbjerg 1999) 301–318.
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Als besonders interessant erweisen sich „Kontaktsituationen“ und Beziehungsmuster, aus denen sich vielfältige kulturelle Beeinflussungen und Ausgleichsprozesse entwickeln; die Verhältnisse an der Peripherie des spätantiken Imperiums stellen ein eindrucksvolles Beispiel dar. „Akkulturation“ hat sich als eine wissenschaftliche Bezeichnung dafür durchgesetzt, doch bietet sie lediglich eine beschreibende und noch keine erklärende Kategorie. Es gibt sowohl inhaltliche als auch methodische Gründe, nicht a priori von homogenen Ausgangsgruppen auszugehen und alle Veränderungen auf wechselseitige „Übernahmen“ oder „Anpassungen“ zurückzuführen. Inhaltlich muss davon ausgegangen werden, dass es historisch wohl kaum eine idealtypische Ausgangssituation gegeben hat, die einen klar zu definierenden Zeitpunkt darstellte, ab dem Begegnungen einsetzten; langwährende Nachbarschaft und Kontakt haben dies fast immer verhindert.75 Methodisch gesehen lässt sich die häufige Uneindeutigkeit, wie sich „Akkulturations-“ und Veränderungsprozesse vollzogen, nicht mit Hilfe einer simplen Anpassung und Übernahme durch die eine oder die andere Seite erklären. Denn diese Sicht übersieht alle kulturellen Neuformierungen. Wenn man das Aufkommen der „Reihengräberfelder“ als eine solche Neuformierung ansieht, dann lässt sich das auch in ethnische Begriffe fassen: diese Bestattungsplätze waren in Nordgallien fränkisch, aber nicht im Sinne einer Abstammung, sondern im Sinne einer bewussten Selbstzuordnung zur neuen, fränkischen Elite. Damit handelt es sich aber letztlich um soziale Strukturen, die auf diesen Friedhöfen „abgebildet“ wurden. Aus der Perspektive der römischen Welt des 3. und 4. Jahrhunderts gesehen, waren es gravierende Veränderungen von Wirtschaft, Kultur und Politik, die sich seit der Spätantike vollzogen und die Zeitgenossen beschäftigten. Folgt man dagegen einer retrospektiven Sicht, fallen die Kontinuitäten ins Auge und damit, in welchem Maße frühmittelalterliche Verhältnisse durch die Spätantike bestimmt wurden. Historische und archäologische Studien müssen beides berücksichtigen und das jeweilige Verhältnis von Diskontinuität und Tradition zu ermitteln versuchen.76 Im Hinblick auf Symbole sozialer Repräsentation bieten sich vergleichende Untersuchungen besonders an. In wieweit lassen sich beispielsweise Faltstühle in mero-
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Ulrich Gotter, „Akkulturation“ als Methodenproblem der historischen Wissenschaften. In: Wir, ihr, sie. Identität und Alterität in Theorie und Methode, hrsg. Wolfgang Eßbach. Identitäten und Alteritäten 2 (Würzburg 2000) 373–406. Aus dieser Sicht erschein auch das immer wieder diskutierte Verhältnis von „Romanen“ und „Germanen“ nicht mehr dichotomisch; vgl. zuletzt: Romanen & Germanen im Herzen der Alpen zwischen 5. und 8. Jahrhundert, hrsg. Walter Landi (Bozen 2005).
Zwischen Spätantike und Frühmittelalter
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wingerzeitlichen Bestattungen77 mit antiken Vorbildern (etwa der sella curulis) in Beziehung setzen und auf diese Weise Ansätze zur Erklärung ihrer Beigabe ausmachen? Wie hängen die auffälligen vielteiligen Gürtel(garnituren) des 7. Jahrhunderts78 mit dem antiken cingulum zusammen, das zu einem zivilen oder militärischen Amt gehörte? Man wird darin nicht das „Fortleben“ antiker Ämter und eines damit verbundenen Amtsverständnisses sehen dürfen, aber doch mit dem veränderten Gebrauch von Zeichen rechnen können. Die tiefgreifenden und dynamischen Veränderungen des 4. bis 7. Jahrhunderts lassen sich nur interdisziplinär untersuchen. Wie sehr die Auswertungen schriftlicher und archäologischer Quellen einander ergänzen können und auf diese Weise zusätzliche Präzision erlangen, zeigen aktuelle Studien. Dies setzt ein geschärftes Bewusstsein für die methodischen Probleme der Quelleninterpretation in verschiedenen Disziplinen voraus. Die hier vorgelegten Untersuchungen zeigen, dass sich parallel zu bislang verfolgten Fragestellungen neue Ansätze abzeichnen. Sie erweitern das Spektrum der Themen und Interpretationen beträchtlich. Außerdem verdeutlichen sie, dass meist mehrere Ursachen zur Interpretation heranzuziehen sind – und scheinbar eindeutige Erklärungen oft zu kurz greifen. Dem zu entgehen, gelingt vor allem dann, wenn verschiedene Perspektiven – wie die fünf in diesem Band versammelten – miteinander verbunden und ineinander verschränkt werden können. Der Blick fällt dann mehr auf die jeweilige historische Situation als auf vermeintliche Ursprünge.
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Cornelia Rupp, Die Beweglichkeit des Sitzens. Ein byzantinischer Faltstuhl aus dem Kunsthandel. In: Cum grano salis. Beiträge zur europäischen Vor- und Frühgeschichte. Festschrift Volker Bierbrauer, hrsg. Bernd Päffgen/Ernst Pohl/Michael Schmauder (Friedberg 2005) 283–292. Hubert Fehr, Zur Deutung der Prunkgürtelsitte der jüngeren Merowingerzeit. Das Verhältnis von Waffenbeigabe und Gürtelbeigabe anhand der Männergräber von Schretzheim und Kirchheim/Ries. In: Archäologie als Sozialgeschichte. Studien zu Siedlung, Wirtschaft und Gesellschaft im frühgeschichtlichen Mitteleuropa. Festschr. Heiko Steuer, hrsg. Sebastian Brather/Christel Bücker/Michael Hoeper. Studia honoraria 9 (Rahden 1999) 105–111.
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Anhang
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Die Autoren Blackmore, Dr. Lyn, Museum of London, London Wall, London EC2Y 5HN (
[email protected]). Brather, Prof. Dr. Sebastian, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Institut für Urund Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters, Belfortstraße 22, D-79085 Freiburg (
[email protected]). Drauschke, Dr. Jörg, Römisch-Germanisches Zentralmuseum. Forschungsinstitut für Vor- und Frühgeschichte, Ernst-Ludwig-Platz 2, 55116 Mainz (drauschke@ rgzm.de). Effros, Prof. Dr. Bonnie, The State University of New York at Binghampton, Department of History, PO-Box 6000, Binghamton, NY 13902–6000, USA (
[email protected]). Fehr, Dr. Hubert, Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, Hofgraben 4, D-80539 München (
[email protected]). Halsall, Prof. Dr. Guy, University of York, Department of History, Heslington, York YO1 5DD, Großbritannien (
[email protected]). Høilund Nielsen, Dr. Karen, Århus Universitet, Institut for Antropologi, Arkæologi og Lingvistik, Moesgård, DK-8270 Højbjerg (
[email protected]). Jepure, Dr. Antonel, c. Dr. Fleming 44, E-28036 Madrid (
[email protected]). Kazanski, Prof. Dr. Michel, Centre d’Histoire et Civilisation de Byzance, 52 rue du Cardinal Lemoine, F-75005 Paris (
[email protected]). Kulikowski, Prof. Dr. Michael, University of Tennessee, Department of History, Dunford Hall, Knoxville, TN 37996–4065 (
[email protected]). Mastykova, Dr. Anna, c/o Michel Kazanski. Périn, Prof. Dr. Patrick, Musée des Antiquités nationales, Château de Saint-Germain, Place De Gaulle, F-78100 Saint-Germain-en-Laye (patrick.perin@culture. gouv.fr). Pohl, Prof. Dr. Walter, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Institut für Mittelalterforschung, Prinz-Eugen-Straße 8, A-1040 Wien (walter.pohl@ oeaw.ac.at). von Rummel, Dr. Philipp, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters, Belfortstraße 22, D-79085 Freiburg (
[email protected]). Stauch, Prof. Dr. Eva, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Historisches Seminar, Abteilung für Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie, Robert-KochStraße 29, D-48149 Münster (
[email protected]). Theune, Prof. Dr. Claudia, Universität Wien, Institut für Ur- und Frühgeschichte, Franz-Klein-Gasse 1, A-1190 Wien (
[email protected]). Voß, Dr. Hans-Ulrich, Güstrower Straße 5, D-19055 Schwerin (hans-ulrich.voss@ t-online.de).
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Orts- und Sachregister
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Register Erfasst wurden alle im fortlaufenden Text vorkommenden Orts- und Personennamen. Kursive Seitenzahlen verweisen auf Abbildungen.
Orte Abingdon, Oxfordshire 304 Aguilafuente, prov. Segovia 198 Aiguisy, dép. Aisne 169, 189 Alach, Kr. Erfurt 217, 230, 231, 233 Alcalá de Henares (Afligidos), prov. Madrid 198 Aldaieta, prov. Alava 198 Aldeanueva de San Bartolomé, prov. Toledo 177 Aldingen, Kr. Ludwigsburg 380 Aleppo 458 Alexandria 407 Alovera, prov. Guadalajara 184 Altenerding, Kr. Erding 74, 278 Altlußheim, Rhein-Neckar-Kr. 389 Alton, Hampshire 304 Ammern, Unstrut-Hainich-Kr. 217 Andover, Hampshire 304 Anemurium 396 Angers, dép. Maine-et-Loire 136 Apahida, Bez. Cluj 62, 373, 389 Apple Down 304 Aquileia 47–48, 58, 60 Arcy-Sainte-Restitue, dép. Aisne 149, 153–154, 156, 159, 166–168, 170, 172–173, 175, 178, 181, 184, 187 Ardan/Niort, dép. Deux-Sèvres 165 Armentières, dép. Nord 161–162, 166, 188 Augsburg 343, 345, 399, 454
Bad Königshofen, Kr. Rhön-Grabfeld 100 Bakodpuszta, kom. Bács-Kiskun 155 Baldenheim, dép. Bas-Rhin 390 Balsa, kom. Szabolcs-Szatmár-Bereg 155, 157 Bamburgh, Northumberland 319 Barbing-Irlmauth, Kr. Regensburg 381, 382 Baron 164 Barrington 304 Basel 457 Bayeux, dép. Calvados 19 Beaune, dép. Côte-d’Or 158, 164, 187 Beckford, Worcestershire 304 Beire-le-Châtel, dép. Côte-d’Or 154, 177 Beja 389 Bergh Apton, Norfolk 304 Berinsfield, Oxfordshire 304 Berlin 4 Bessan, dép. Herault 165 Bevern, Kr. Holzminden 4 Bilzingsleben, Kr. Sömmerda 230 Bittenbrunn, Kr. Neuburg-Schrobenhausen 74 Blucˇina, okr. Brno-venkov 62, 361 Bopfingen, Ostalbkr. 394 Bordesholm, Kr. Rendsburg-Eckernförde 358
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Register
Boulogne, dép. Pas-de-Calais 141 Bräunlingen, Kr. Villingen-Schwenningen 384 Brens, dép. Ain 165 Breny, dép. Aisne 149, 155–156, 158, 167, 170, 172, 178, 189 Bretzenheim, Kr. Bad Kreuznach 158 Broomfield 317, 326, 336–339 Buckland Dover, Kent 304 Buggingen, Kr. Breisgau-Hochschwarzwald 188 Bulles, dép. Oise 80 Byblos 396 Byzanz 25, 370, 388, s. a. Konstantinopel Cacera de las Ranas, prov. Madrid 29, 198 Cadbury 387 Caen 139 Caenby, Lincolnshire 314 Canterbury 324 Capraia, prov. Livorno 389 Caranda 166, 168, 190 Carnuntum 55, 60 Carpignano 62 El Carpio de Tajo, prov. Toledo 29, 32, 37, 38, 40, 186, 190, 193–194, 196–197, 199, 208 Castelsagrat, dép. Tarn-et-Garonne 160–161, 185 Castiltierra, prov. Segovia 29, 32, 154, 193–194, 197, 199, 209 Chassemy, dép. Aisne 149, 155–157, 170, 177–178 Chelles, dép. Oise 408 Choisy, dép. Haute-Savoie 166 Chouy, dép. Aisne 169, 189 Cividale 4 Colchester, Essex 338 Concevreux, dép. Aisne 165 Congresbury, Somerset 387 Creil, dép. Oise 159 Crundale, Kent 319 Crypta Balbi (Rom) 375, 395, 419 Cuddesdon, Oxfordshire 326
Cutry, dép. Meurthe-et-Moselle 160, 164, 170, 184, 191 Cys-la-Commune, dép. Aisne 167, 189 Deersheim, Kr. Halberstadt 217 Desana, prov. Vercelli 381 Dietersheim 399 Dillingen a. d. Donau 400 Djurso, raj. Krasnodar 385 Dorchester-on-Thames, Oxfordshire 111 Dumbarton, Schottland 387 Dunadd, Schottland 320 Duratón, prov. Segovia 29, 32, 37, 40, 151, 154, 161–162, 179–180, 186, 188–191, 194–195, 197–200, 204, 206, 209, 441–442 Durham 320 Durrow, Irland 319–320 Eichstetten, Kr. Breisgau-Hochschwarzwald 263 Empingham, East Midlands 304, 306, 307 Ennery, dép. Moselle 263 Envermeu, dép. Seine-Maritime 155, 159, 166, 177, 184, 188 Erfurt-Gispersleben 228, 382 Espirdo-Veladiez, prov. Segovia 29, 195, 197, 200–201, 202, 204, 209, 441–442 Estagel, dép. Pyrénées-Orientales 151, 161, 165–166 Esztergom 150, 174 Feldkirchen 397, 398, 404 Fiac, dép. Tarn 166 Flamicourt, dép. Somme 164, 187 Frankenwinheim, Kr. Schweinfurt 100 Frankfurt/Main 269 Freiburg im Breisgau 4, 6–8, 323, 426 Frénouville, dép. Calvados 80, 161, 165, 186, 190–191 Fridingen, Kr. Tuttlingen 263, 405 Friedberg 404 Fürst, Kr. Traunstein 62
Orte
Gaillon-sur-Montcient, dép. Yvelines 166–167 Gammertingen, Kr. Sigmaringen 390 Giroussens, dép. Tarn 166 Gloucester 111 Gommern, Kr. Jerichower Land 353, 355, 359 Gondorf, Kr. Bitburg-Prüm 390 Grand-Verly, dép. Aisne 161 Great Chesterford, Essex 304 Grieben, Kr. Stendal 347 Griesheim, Kr. Darmstadt-Dieburg 405 Grigny, dép. Pas-de-Calais 161–162, 164, 170, 183 Guadalajara 194 Guarrazar, prov. Toledo 193 Gültlingen, Kr. Calw 390 Gummersmark 299 Güstow, Kr. Uckermark 163 Güttingen, Kr. Konstanz 404 Gutargues 165 Gyód 398 Haarhausen, Kr. Erfurt 100 Hadrianopel 52 Hagenow, Kr. Ludwigslust 352, 353–354, 355, 357, 365 Haltern, Kr. Recklinghausen 351, 352 Harting, West Sussex 397 Hartlepool, county Durham 320 Haßleben, Kr. Sömmerda 353 Heidenheim-Schnaitheim 399 Hermes, dép. Oise 168, 190 Herpes, dép. Charentes 166 Herrera de Pisuerga, prov. Palencia 29, 30, 194, 197, 199, 206 Houdan, dép. Yvelines 156–157, 164, 187 Illerup 359 Ilok, zˇup. Vukovar-Srijem 156 Invillino-Ibligo 407 Iona, Inner Hebrides 320, 387 Ipswich, Suffolk 316 Isola Rizza 381 Joches, dép. Marne 160, 184 Jouarre, dép. Seine-et-Marne 138
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Kacˇin, volynska obl. 153 Karthago 388 Kercˇ 153, 156, 389 Keszthely, kom. Zala 23, 398 Kiev 149 Kirchheim am Ries, Ostalbkr. 399 Kisko˝ rös, kom. Bács-Kiskun 156 Klepsau, Hohenlohekr. 409 Köln 242, 269, 320 Köln-Müngersdorf 154, 170 Kolut, Vojvodina 157 Konstantinopel 46, 57, 375, 377, 388, 392, s. a. Byzanz Kosino 157 Krefeld-Gellep 79, 382 Kruglica 156 Kruje 398 Laa a. d. Thaya 150, 156, 167 Lampsakos 381 Lankhills, Hampshire 111 Lauchheim, Ostalbkr. 242, 384, 399, 453 Lauriacum-Espelmayerfeld 80 Lauriacum-Ziegelfeld 79 Lausanne 382 La-Villeneuve-au-Châtelot, dép. Aube 166–167, 188, 390 Lavoye, dép. Meuse 166, 170, 262 Lechlade, Gloucestershire 304 Les Andelys, dép. Eure 130 Leuc, dép. Aude 165 Levice, kr. Nitra 156 Lezoux, dép. Puy-de-Dôme 153–156, 159, 171, 175 Liebenau, Kr. Nienburg/Weser 86–87 Lindisfarne, Northumberland 319–320 Linz-Zizlau 397, 398, 404 London 323–324, 336, 338, 340 Lunel-Viel, dép. Hérault 165–166 Lyon 387 Madrid 29, 194, 208 Madrona, prov. Segovia 29, 37, 186, 195, 197–200, 203, 204, 205, 207, 209, 441–442 Mailand 4, 46–48, 58, 116, 129
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Register
Mainz 395 Maklár, kom. Heves 150 Mannheim 4 Marchélepot, dép. Somme 155–156, 166, 175, 177, 188 Marcianopolis, reg. Varna 155 Marktoberdorf, Kr. Ostallgäu 278 Marseillan, dép. Hérault 165 Maule, dép. Yvelines 158, 161 Ménföcsanak, kom. Gyo˝r-MosonSopron 155 Mengen, Kr. Breisgau-Hochschwarzwald 404 Mérida 29, 30 Mersin 63 Mill Hill, Kent 304 Monceau-le-Neuf, dép. Aisne 168, 187 Mondeville, dép. Calvados 161, 186 Monza 431 Morning Thorpe, Norfolk 304 Mouy, dép. Oise 156, 165, 190 Muids, dép. Eure 166, 188 München 4 München-Aubing 399–400, 401 Musˇov 359, 365 Mytilene 400, 401
Pakefield, Suffolk 311 Palmyra 384 Pamplona 30 Paris 131, 136 Pavia 116 Pécs-Gyárváros 398, 401 Pfahlheim, Ostalbkr. 399 Pfeffingen, Zollernalbkr. 390 Phanagoria 153 Pietroasa, jud. Buza˘ u 51 Pistoia 93, 94 Plaissan, dép. Hérault 165, 187 Planig, Stadt Bad Kreuznach 390 Pleidelsheim, Kr. Ludwigsburg 264, 265, 267 Plöwen, Kr. Uecker-Randow 352 Poetovio 48 Poitiers 119, 121, 124, 128, 130–131, 134, 138–139, 143, 146, 437 Pouan, dép. Aube 62 Pouget/Tressan, dép. Hérault 165 Prittlewell 317, 323–324, 336–340, 388, 449, 451
Nagyharsány 400 Naumburg 220 Nérac, dép. Lot-et-Garonne 165 Neupotz, Kr. Germersheim 347 Nîmes 165 Nocera Umbra 22 North Benfleet, Essex 338 Norton 304 Nouvion-en-Ponthieu, dép. Somme 155, 158, 161–162, 170, 182, 186
Radostowo, woj. pomorskie 154 Rainham, Kent 326, 338 Rathewitz, Burgenlandkr. 220 Ravenna 116 Regensburg 100 Riesa 215 Rödingen, Kr. Düren 154, 156, 170 Rom 2, 25, 104, 117, 123, 250, 407 Rouen 142, 164 Routier, dép. Aude 160 Runder Berg bei Urach, Kr. Reutlingen 351
Oberflacht, Kr. Tuttlingen 408, 452 Obermöllern, Kr. Naumburg 213, 220, 227 Odenheim, Kr. Karlsruhe 400 Olbia 389 Orléans 135 Osendorf, Saalkr. 220 Oßmannstedt, Kr. Weimarer Land 224
Saalburg, Hochtaunuskr. 344 Saint-Denis, dép. Seine-Saint-Denis 164, 187, 242 Saint-Martin-de-Fontenay, dép. Calvados 80, 149, 156, 164, 166–167, 169–170, 172–173, 175, 181, 183, 187–188–189, 191 Saint-Pierre-de-Vauvray, dép. Eure 161–162, 186
Orte
Saint-Pierre-des-Cuisines (Toulouse) 168 Salzburg-Liefering 398 Salzburghofen 397, 398 Sanxay, dép. Vienne 128 Sardis, Kleinasien 379, 389 Schleitheim-Hebsack, Kt. Schaffhausen 92, 384 Segóbriga 29 Segovia 194, 201, 204 Sewerby 304 Sézegnin, Kt. Genf 167 Singen, Kr. Konstanz 399, 409 Sinjavka, obl. Rostov 153 Sleaford, Hampshire 301 Snape, Suffolk 304, 311 Sömmerda 217 Sopino 385 Soponya 168 Soria 194 Soufflenheim, dép. Bas-Rhin 457 Southend-on-Sea 323–324 Spong Hill 303, 304, 308–309 Stößen, Kr. Weißenfels 220, 226, 390 Straßburg 154, 156, 175 Straubing-Alburg 398, 412 Streudorf, Kr. Weißenburg-Gunzenhausen 220 Stuttgart 4 Sutton Hoo, Suffolk 310–312, 313, 314–317, 326, 337–339, 382, 388, 392, 407, 449, 450, 451 Syrakus 398 Szabadbattyán, kom. Székesfehérvár 150, 155–156, 168, 174 Székely, kom. Szabolcs-Szatmár-Bereg 156 Talavera de la Reina, prov. Toledo 184 Taplow, Buckinghamshire 317, 326, 337–338 Tarragona 30 Thessaloniki 61 Thorsberg 359, 360 Tiermes, prov. Soria 177
475
Tintagel, Cornwall 387 Tinto Juan de la Cruz, prov. Madrid 155, 177 Tiszalök 156–157 Tjurkö 358 Toledo 194 Torcello 407 Toulouse 166, 168, 171 Tournai, prov. Hainault 103, 444 Tranmer, Suffolk 311 Tressan, dép. Hérault 187 Trezzo d’Adda 22 Trossingen, Kr. Tuttlingen 239, 451 Tyros 396 Udine 4 Vaux-Donjon 164 Vega del Mar 197 Versigny, dép. Aisne 164, 187 Vicq, dép. Yvelines 149, 155, 161–162, 164, 167–168, 176 Ville-en-Tardenoise, dép. Marne 166 Ville-sur-Cousance, dép. Meuse 160, 184 Vouillé 31 Vron, dép. Somme 80 Waging, Kr. Traunstein 243 Warschau 4 Washington DC 63 Weihmörting, Kr. Passau 397, 398 Weimar 213, 226–228 Weingarten, Kr. Ravensburg 162, 278 Weißenburg, Kr. Weißenburg-Gunzenhausen 395 Wenigumstadt, Kr. Aschaffenburg 278 Wernsdorf, Kr. Weißenfels 226, 227 Westgarth Gardens 304 West Heslerton, Yorkshire 304 Whithorn, Schottland 387 Wiesbaden 355 Wolfsheim, Kr. Alzey-Worms 62 Worthy Park, Hampshire 304 Writtle, Essex 338 Wroxeter, Shropshire 387
476 Yeavering, Northumberland 319 Zamárdi 23 Zaragoza 30, 42 Zemun, Vojvodina 168, 174
Register
Zeuzleben, Kr. Schweinfurt 230 Zmajewo 167, 171, 174 Zugmantel, Rheingau-Taunus-Kr. 343 Zürich 4 Zwettl 18
Personen
477
Personen Bf. Bischof; Hl. Heilige(r); Kg. König; Kgn. Königin; Ks. Kaiser; P. Papst
Åberg, Nils 373 d’Abadal i Vinyals, Ramon 32–33 Aegidius, Heermeister 172 Alarich I., Kg. 14, 172 Alarich II., Kg. 30 Alatheus 52 Alkemade, Monica 88 Almgren, Oskar 454 Amalarich, Kg. 31 Ambrosius, Bf. von Mailand 45–49, 53–54, 57–59, 430 Ament, Hermann 72, 382 Amory, Patrick 115 Anastasios I., Ks. 385 Arbogast, Heermeister 172 Arrhenius, Birgit 63, 377 Athanagild, Kg. 31 Æthelbert I., Kg. 318, 324, 339 Atkins, W. S. 323 Attila 14, 113 Auber, Abbé Charles Auguste 125 Augustinus, Erzbf. von Canterbury 323–324 Babelon, Ernest 131, 136, 138 Bachus, Hl. 60 Bálint, Csanád 441 Bathilde, Kgn. 239, 408 Bayerischer Geograph 18 Beda Venerabilis 323, 340 Belisar 56 Bemmann, Jan 78–79 Beowulf 318 Bierbrauer, Volker 21, 150–151, 157–158, 169–172, 199, 439 Blackmore, Lyn 9, 451 Blair, Ian 326 Böhme, Horst Wolfgang 99, 377 Böhner, Kurt 390 Brather, Sebastian 9, 15, 25
v. Campenhausen, Hans 52 Camps, Emilio 208 Cäsar 28 de Caumont, Arcisse 139 Cedd, Hl. 340 de Cerralbo, Marqués 193 Childe, Vere Gordon 33 Childerich I., Kg. 62, 103, 358, 361, 377–379, 383, 386, 388–389, 444, 451 Chlodwig I., Kg. 172–173, 451 Christlein, Rainer 238, 261, 270, 280, 282 Christus 55, 58 Chrysanthus, Hl. 127 Ciezar, Pablo G. 202 Claude, Dietrich 416 Claudius Claudianus 46 Cochet, Abbé Jean-Benoît-Désiré 141–143, 437 Collins, Roger 105 Constantius II., Ks. 358 Courajod, Louis 145 Coutil, Léon 130 de la Croix, Abbé Camille 119, 120, 121, 123, 125, 127–128, 129, 130–136, 137, 138–139, 142–144, 145, 146, 436–437 Curta, Florin 39 Daim, Falko 7, 9, 374–375, 456 Damminger, Folke 407 Daria, Hl. 127 Diokletian, Ks. 29 Drauschke, Jörg 9, 455 Droctulf, dux 23 Dumuÿs, Léon 129, 135, 137 Ebel-Zepezauer, Wolfgang 35, 37, 199, 202–203
478 Edwin, Kg. 320 Effros, Bonnie 9, 436 Egger, Rudolf 52 Einhard 250–251 Eucherius, Sohn des Stilicho 431 Eurich, Kg. 30 Fehr, Hubert 9, 432–433, 436 Fingerlin, Gerhard 394 Fossin, Abbé François-Paul 121 Franco, Francisco 196 Garam, Éva 397 Gauterit, comes 30 Gesalich, Kg. 31 Goeßler, Peter 97 Gratian, Ks. 47, 48, 52, 53, 59 Gregor I., P. 323, 340 Gregor von Tours 121, 241, 249, 251–252 Guizot, François 139 Hadrian I., P. 250 Haigneré, Abbé Daniel 141 Haimerl, Ute 91 Halsall, Guy 9, 260, 434, 436, 461 Hauck, Karl 49 Hauser, Stefan R. 381, 392 Høilund Nielsen, Karen 9, 449 Ibler, Ursula 396–397 Isidor von Sevilla 24, 27 Iustina, Mutter Valentinians II. 59 Jablonski, Jean 121 Jallet, Alexandre 121 Jarnut, Jörg 75 Jepure, Antonel 9, 441–442 Johannes von Biclaro 31 Johannes Chrysostomus 55 Johannes Paul II., P. 13, 427 Jones, Siân 105 Jordanes 14 Julianus Valens, Bf. von Poetovio 45, 47–49, 51–54, 58–60, 64, 429
Register
Jussen, Bernhard 101 Justinian I., Ks. 393–394 Justinian II., Ks. 394 Karl d. Gr., Ks. 238, 250–251 Kazanski, Michel 9, 63, 388–390, 439 Keller, Hagen 74 Koch, Alexander 159 Koenig, Gerd G. 195, 199 Konstantin I., Ks. 128 Kossinna, Gustaf 33, 211 Kristoffersen, Siv 298 Kulikowski, Michael 9, 427–428 Kyhlberg, Ola 63 Le Blant, Edmond 126–127 Legoux, René 158, 165 Leicht, Jakob 96 Lenormant, Charles 125 Lenormant, François 125–126 Leo I., Ks. 385 Leo III., P. 250 Leo XIII., P. 134 Leovigild, Kg. 31, 43 Levillain, Léon 128, 136 Lindström, Torill Christine 298 Liuva, Kg. 31 Lohrke, Brigitte 262 Majorian, Ks. 172 Marbod, Kg. 344 Maria, Muttergottes 13 Markschies, Christoph 59 Marti, Reto 7, 9, 457 Martin, Hl. 121 Martin, Max 63, 90–93, 96, 163, 237–238, 283 Martínez Santa-Olalla, Julio 196 Mastykova, Anna 439 Mathisen, Ralph 52 Mellitus, Bf. von London 324, 340 Mellobaudis, Kleriker 121 Merobaudis 121 Molinero Pérez, Antonio 198–201, 204, 206, 208–209 de Mortillet, Gabriel 126
Personen
Napoleon III. 140 Nuber, Hans Ulrich 7, 9 Odoaker 115, 172, 378 Palladius, Bf. von Ratiara 47, 48 de Palol, Pedro 196 Pascal, Félicien 134 Paulus, Apostel 55, 324 Paulus, comes 172 Périn, Patrick 158, 165, 388, 406, 439 Pius IX., P. 427 Plinius 349, 354, 364 Pohl, Walter 9, 75, 427 Prokop v. Caesarea 56 Prudentius 55 Ptolemaios, Claudios 18 Quast, Dieter 63, 383 Radegunde, Kgn. 134 Rædwald, Kg. 318, 320, 339 Reinhart, Wilhelm 194 Riegl, Alois 373 Ripoll López, Gisela 37–38, 196, 199, 202 Romulus Augustulus, Ks. 115 Rossi, Giovanni Battista 123 Roth, Helmut 416 Rothmann, Offizier 119 v. Rummel, Philipp 9, 427, 429 Rutilius Namatianus 46 Sabert 318, 324, 339–340 Safrax 52 Salin, Bernhard 297 Salin, Édouard 143 Salla, dux 30 Sasse, Barbara 37, 199 Schach-Dörges, Helga 370 Schmarsow, August 297 Schmauder, Michael 49, 63 Schmidt, Berthold 214 Schulz, Walther 214 Schulze-Dörrlamm, Mechthild 84, 93, 161–163, 370–371, 378, 395–396, 400, 433
479
Seaxa 340 Secundianus, Bf. von Singidunum 47–48 Serena, Frau des Stilicho 431 Sergius, Hl. 60, 61 Sidonius Apollinaris 46, 55 Siegmund, Frank 39 Sigebert, Hl. 340 Sledd 318 Speidel, Michael P. 55 Stauch, Eva 9, 447–448 Stein, Frauke 86–87, 390 Steuer, Heiko 8, 9, 106, 237 Stilicho 431 Syagrius 74, 172 Synesios von Kyrene 46 Tertullian 57–58 Theodechilde, Hl. 138 Theoderich I., Kg. 22, 31, 115–116 Theoderich II., Kg. 30 Theodosius I., Ks. 48 Theophylus Presbyter 350 Theudebert I., Kg. 416 Theune, Claudia 9, 442 Theune-Großkopf, Barbara 6, 451 Theuws, Frans 7, 9, 88, 436 Thiercelin, Abbé Henri 138 Ursinus, Gegenp. 47 Valentinian II., Ks. 48, 57, 59 Vallet, Françoise 74, 158, 165, 262 Varsik, Vladimir 396 Vegetius 55 Victor von Tunnuna 30 Vidimer 151 Vielitz, Kathrin 411 Vierck, Hajo 370 Vincentius, dux 30 Viollet-le-Duc, Eugène 141 Vogt, Mahand 392 Voß, Hans-Ulrich 9, 455 Wallon, M. 131 Warmundus, Bf. von Ivrea 252, 253 Weber, Max 68
480
Register
Wenskus, Reinhard 211 Werner, Joachim 63, 84, 383,395–396 Whittacker, Charles Richard 98–99 Wittwer-Backofen, Ursula 7, 9 Wood, Ian 107 Wulfila, Bf. 59
Zeiß, Hans 32, 70 Zeller, Gudula 400 Zeno, Ks. 385 Ziegel, Kurt 214 Zosimus 53, 55–56