Thomas Schneider Benno Wolcke Roman Böhmer
Taschenatlas Notfall & Rettungsmedizin
Thomas Schneider Benno Wolcke Roman Böhmer
Taschenatlas Notfall & Rettungsmedizin Kompendium für den Notarzt 3. Auflage
Mit 83 Abbildungen, 64 tabellarischen Übersichten und 12 Notfallalgorithmen Mit Beiträgen von J. Bengel • M. Böhmer • A. Boos • G. Jäger • P. Hartwig J. Helmerichs • Th. Hess • H. Loup • E. Lubos • J. Müller C. Reuß • S. Scheufens • S. Singer • S. Vettel • St. Vettel
Dr. med. Thomas Schneider Arzt für Anästhesiologie, Notfallmedizin, Mainz
Dr. med. Benno Wolcke Arzt für Anästhesiologie, Notfallmedizin, Klinik für Anästhesiologie der Johannes Gutenberg-Universität, 55131 Mainz
Roman Böhmer cand. med., Lehrrettungsassistent, Mainz ISBN-10 3-540-29565-8 3. Auflage 2006 Springer Medizin Verlag Heidelberg ISBN-13 978-3-540-29565-5 3. Auflage 2006 Springer Medizin Verlag Heidelberg ISBN 3-540-01363-6 2. Auflage 2004 Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer Medizin Verlag. springer.de © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2000, 2004, 2006 Printed in Germany Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Haftung übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Planung: Ulrike Hartmann und Dr. Anna Krätz, Heidelberg Zeichnungen: Roman Böhmer (ausgenommen Abb. auf S. 41 und 42) Design: deblik Berlin Titelbild: Pedro Bargon, Mainz SPIN 1130 6337 Satz: PDF-Daten der Herausgeber (EDV-Unterstützung: Thomas Häfner, Mainz) Gedruckt auf säurefreiem Papier
22/2122 – 5 4 3 2 1 0
Dieses Werk enthält Beiträge von Univ.-Prof. Dr. phil. Dr. med. Jürgen Bengel, Freiburg Matthias Böhmer †, PK, RS, Büttelborn Alexander Boos*, ref. iur., Mainz Gregor Jäger*, stud. B. Rescue-Engineering, RS, Mainz-Kastel Dr. med. Peer-Malte Hartwig, Mainz Dr. disc. pol. Jutta Helmerichs, Göttingen Thorsten Hess*, cand. med., RA, Hamburg Heinz Loup, Oberfeuerwehrmann, RA, Niederzier Edith Lubos, cand. med., RS, Mainz Jens Müller*, LRA, Ingelheim Carsten Reuß*, Zahnarzt, RS, Mainz Sandra Scheufens, Dipl.-Verw.-Betriebswirtin (FH), RS, Mainz Stefan Singer, Dipl.-Psych., RA, Mainz Sabine Vettel*, Ärztin, Ingelheim Stephan Vettel*, RA, Ingelheim * Mitwirkung an der 3. Auflage, 2006
Lektorat und wissenschaftliche Recherche zur 3. Auflage Hans-Udo Endres, Katrin Kirch, Sandra Scheufens (jeweils Mainz) Dank der Herausgeber - Wir danken dem Team der Anker-Apotheke in Mainz für die stets geduldige und freundliche Unterstützung bei einigen pharmakologischen Fragen. - Den Herren Dr. J. Olk und Dr. M. Hillebrandt (jeweils Mainz) sind wir sehr verbunden für das spontane Lektorat einiger Seiten in der Vorauflage (z.B. präklinische Ultraschalldiagnostik). - Für das Lektorat des Abschnittes über Notfälle bei Herzschrittmacher- und ICD-Trägern in einer vorangegangenen Veröffentlichung möchten wir uns recht herzlich bei den Herren Univ.-Prof. Dr. E. Himmrich sowie Herrn Dr. A. Liebrich (jeweils Mainz) bedanken. - Die Notfallalgorithmen auf den Seiten 127-130, 141, 166, 167, 204, 214, 310, 330 und 331 sind dem Titel „Reanimation ’06 kompakt“ (ISBN 3-937244-02-6) entnommen. Abdruck in diesem Werk mit freundlicher Genehmigung des Naseweis Verlages, Mainz. Gestaltung der Algorithmen und Anpassung für dieses Werk: Sarah Dörries, Reinheim.
Geleitwort zur 1. Auflage Der „Taschenatlas Rettungsdienst”, ‚ein ständiger Begleiter für den Rettungsund Notarztdienst’ und ,gestaltet von denen, die den Rettungsdienst wahrnehmen, Notärzten, Rettungsassistenten und Rettungssanitätern‘, hat sich zu einem Taschenatlas Notfall & Rettungsmedizin – jetzt im Springer-Verlag – fortentwickelt. Inhaltlich liegt dieser Neukonzeption die 3. Auflage des „Taschenatlas Rettungsdienst” zugrunde, die auch weiterhin für die Zielgruppe Ärzteschaft und Rettungsdienst erscheinen wird. Der neue Taschenatlas ist „notarztorientierter”, als dies der bisherige Taschenatlas war; das prägt sich bereits in der Ausweitung der Themenkomplexe aus, die Definitionen, notfallmedizinisch relevante diagnostische und therapeutische Maßnahmen, ethische und juristische Überlegungen, Protokolle etc. umfassen. Das macht sich zum Beispiel auch in der schon im “Taschenatlas Rettungsdienst” sehr übersichtlichen und doch komprimierten Ausgestaltung der einzelnen Notfallbilder bemerkbar, die jetzt sowohl nomenklatorisch als auch inhaltlich präzisiert bzw. komplementiert worden sind. Wenn auch der neue Taschenatlas mehr notärztlich ausgelegt ist, so ist er doch ein Kompendium, das nach wie vor dem Anspruch gerecht wird, der ständige Begleiter für die Mitglieder des Notfallteams zu sein, nämlich Notärzte und Rettungsassistenten. Das wird schon daraus deutlich, dass Maßnahmen, die in aller Regel vom Rettungsassistenten wahrgenommen werden, in das Konzept der notärztlichen Therapie bei den Fallbeispielen integriert werden. Die Aufnahme von Leitlinien ist sicher da, wo sie als Orientierungen gedacht sind und nicht als Bevormundung des Notarztes, sinnvoll; für die Tätigkeit des Rettungsassistenten sind sie allerdings als Richtlinien verbindlich. Dem „Taschenatlas Notfall & Rettungsmedizin“ wünsche ich den gleichen Erfolg wie den vorhergehenden Auflagen des “Taschenatlas Rettungsdienst”. Das gelungene Konzept der Praxisnähe, eines nachvollziehbaren didaktischen Aufbaus, einer didaktisch geschickten Darstellung begründet auch jetzt ohne jeden Zweifel wieder die Empfehlung, das ‚Büchlein‘ – wo immer möglich – mit sich zu führen; allerdings wird es nicht mehr in die Kittel- oder Anzugtasche passen, Notfallmedizin ist eben voluminöser geworden.
Mainz, im März 2000
W. Dick
Einleitung der Herausgeber zur 3. Auflage Jeder Notfallpatient im Rettungsdienst stellt aufs Neue eine Herausforderung für den Notarzt und sein Rettungsteam dar. Schnelle Auffassungsgabe und zielgerichtetes Handeln sowie die Fähigkeit zur Zusammenarbeit im Team stellen hierbei wesentliche Grundlagen dar. Solide, praktisch gefestigte Fähigkeiten und Fertigkeiten rettungsdienstlichen Handwerks sind obligatorisch. Eine ebenso wichtige Voraussetzung ist ein fundiertes, aktuelles medizinisches Basiswissen. Wir hatten uns für dieses Werk zum Ziel gesetzt, ein Handbuch für den Notarzt zu erarbeiten, in dem neben Grundlagen rettungsdienstlicher Versorgung und hilfreichen Hintergrundinformationen auch die Neuerungen der letzten Jahre berücksichtigt werden, einen abgerundeten Begleiter für Ausbildung und Alltag. Dieser Anspruch in Verbindung mit erfreulich reger Nachfrage machen nun zum zweiten Mal eine überarbeitete Neuauflage gleichzeitig notwendig und möglich. Die Weiterentwicklung der Notfallmedizin erfordert bei jeder Neuauflage eine kritische Überprüfung der angegebenen Maßnahmen und Hintergrundinformationen. So haben wir auch für diese Neuauflage beispielsweise alle Handlungsstrategien auf die aktuell gültigen Lehraussagen des ERC (2005) abgestimmt. Neu in dieser Auflage sind darüberhinaus z. B. Notfälle bei HerzschrittmacherTrägern (ab S. 150), Tipps für die Behandlung verschiedener Akutsituationen (ab S. 415), detailliertere Informationen zu den Themen Todesfeststellung und MANV sowie bei den Notfallmedikamenten mehrere neue Medikamentensteckbriefe (Clopidogrel, Hydroxocobalamin, Salbutamol und Terlipressin). Es erscheint kaum mehr möglich, die vielen großen und kleinen Helfer zu nennen, die zum Gelingen dieses Büchleins beigetragen haben. Wir haben abermals erfahren dürfen, dass ohne freundschaftliche Unterstützung, fachliche Kritik und unbürokratische Hilfe ein solches Projekt nicht gedeihen kann. Nicht zu vergessen die Anregungen und Verbesserungsvorschläge, die wir von Ihnen, den interessierten Leserinnen und Lesern, erhalten haben und die unsere Arbeit an dieser Auflage stark beeinflussten. Vielen Dank erneut dafür! Wir hoffen sehr, dass wir Ihre konstruktive Kritik bei der Revision in Ihrem Sinne eingebracht haben und wünschen Ihnen von Herzen recht viel Freude und Erfolg mit diesem Büchlein. Sicherlich werden Ihnen auch in Zukunft Verbesserungsvorschläge, Kritik oder Anregungen einfallen, die wir gerne entgegennehmen, nicht zuletzt, um mit den aktuellen Entwicklungen der Notfallmedizin Schritt zu halten, damit der „Taschen atlas Notfall & Rettungsmedizin“ ein Werk bleibt, auf das die Notärztin und der Notarzt gerne vertrauensvoll zurückgreifen.
Mainz, im Februar 2006
Die Herausgeber
Abkürzungsverzeichnis A - DNR A A. Aa. a. M. ACD AED AF AHA ALS a. M. Amp. AMV AP ARDS AV AZV B bes. BLS BTM! BWS C cm H2O CO CO2 COPD CoSTR CPP CPR CT D d d. DD DIVI DMS DNAR DNR
Arteria Arteriae aktive Metabolite active compression decompression (Technik der Wiederbelebung) automatischer externer Defibrillator Atemfrequenz American Heart Association advanced life support aktive Metabolite Ampulle / Ampullen Atemminutenvolumen Angina pectoris adult respiratory distress syndrome atrio-ventrikulär Atemzugvolumen
besonders basic life support das Medikament unterliegt den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes Brustwirbelsäule
Zentimeter Wassersäule Kohlenmonoxid Kohlendioxid chronic obstructive pulmonary disease International Consensus on CPR and ECC Science with Treatment Recommendations cerebral perfusion pressure (zerebraler Perfusionsdruck) cardio-pulmonary resuscitation (kardiopulmonale Reanimation) Computertomographie
dies (Tag) dexter, -tra, -trum (rechts) / der, die, das, des / durch Differenzialdiagnose Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfall medizin Durchblutung, Motorik und Sensibilität (diagnostische Kontrolle) „do not attempt resuscitation“ (keine Wiederbelebung versuchen) „do not resuscitate“ („nicht wiederbeleben“), besser: DNAR
Abkürzungsverzeichnis ECC - kg E ECC EKG EMS enth. entspr. ERC
emergency cardiac care Elektrokardiogramm emergency medical system (Bezeichnung für verschiedene Rettungsdienstsysteme) enthält / enthalten entspricht / entsprechend European Resuscitation Council
F FiO2
Inspiratorische Sauerstofffraktion
G GCS
Glasgow-Coma-Scale
H h HBV HF HI HIV HKS HWS HWZ HZV I i. a. ICR ICU i. d. R. I. E. / IE
hora (Stunde) Hepatitis-B-Virus Herzfrequenz Herzinfarkt human immunodeficiency virus Herz-Kreislaufstillstand Halswirbelsäule dominante Halbwertzeit (i. d. R. terminale Eliminations-Halbwertzeit bei nieren- / lebergesunden Erwachsenen) Herzzeitvolumen
ILCOR i.m. insbes. i.o. i.v.
intraarteriell Intercostalraum intensive care unit (Intensivbehandlungseinheit) in der Regel Abkürzung für stoffspezifisch definierte Mengeneinheit: z. B. Immunitätseinheit (Antitoxin), internationale Einheit (Antibiotikum, Heparin), Insulineinheit International Liaison Committee on Resuscitation intramuskulär insbesondere intraossär intravenös
K KatS kg
Katastrophenschutz Kilogramm
Abkürzungsverzeichnis KG - RA KG KHK KTP KTW
Körpergewicht Koronare Herzkrankheit Krankentransport Kranken(transport)wagen
L lat. LNA LWS
lateinisch Leitender Notarzt Lendenwirbelsäule
M M. Mm. MANV MAP max. MICU min mmHg mval MZF
Musculus / Morbus Musculi Massenanfall von Verletzten mittlerer arterieller Druck maximal / höchstens mobile intensive care unit; Synonym für Rettungswagen (Klasse C) Minute(n) Millimeter Quecksilbersäule Millival Mehrzweckfahrzeug
N N. Nn. NA NAW NEF NK NNR
Nervus Nervi Notarzt Notarztwagen Notarzteinsatzfahrzeug Notkompetenz Nebennierenrinde
O OrgLRettD Organisatorischer Leiter Rettungsdienst O2 Sauerstoff P Pat. PEEP pH pO2/pCO2 p. o. PSR
Patient positive endexpiratory pressure potentia Hydrogenii Sauerstoff-/Kohlendioxidpartialdruck per os Patellarsehnenreflex
R RA
Rettungsassistent
Abkürzungsverzeichnis RD - Vv. RD RH RKI RLS ROSC
RS RTH RTW RW
Rettungsdienst Rettungshelfer Robert-Koch-Institut Rettungsleitstelle restoration of spontaneous circulation (Wiederherstellung eines Spontankreislaufs) arterieller Blutdruck (gemessen mit dem Gerät nach Scipione Riva-Rocci) Rettungssanitäter Rettungs(transport)hubschrauber Rettungs(transport)wagen Rettungswache / Rüstwagen (Feuerwehr)
S s s. S. s.c. s. l. spez. syn. SEG SHT SID(S) SIH SM SpO2 SSD SSW SVES
Sekunde(n) siehe / sinister, -tra, -trum (links) Seite(n) subcutan sublingual spezifisch, -er, -e, -es, -en / speziell synonym Schnelleinsatzgruppe (für Großschadensereignis / MANV) Schädel-Hirn-Trauma sudden infant death (syndrome) (plötzlicher Kindstod) schwangerschaftsinduzierte Hypertonie (Herz-) Schrittmacher partielle Sauerstoffsättigung Schwangerschaftsdrittel Schwangerschaftswoche supraventrikuläre Extrasystole(n)
T TEL
Technische Einsatzleitung (für Großschadensereignis)
V V. v.a. V. a. VEL VES VF vgl. VT Vv.
Vena vor allem Verdacht auf Vollelektrolytlösung (kristalloid) ventrikuläre Extrasystole(n) ventricular fibrillation (Kammerflimmern) vergleiche ventrikuläre Tachykardie Venae
RR
Abkürzungsverzeichnis Wo. - ZVD W Wo. WD WE WM WS
Woche(n) Wirkdauer nach Medikamentengabe Zeitdauer bis zum Wirkungseintritt nach Medikamentengabe Zeitdauer bis zum Wirkungsmaximum nach Medikamentengabe Wirbelsäule
Z z. B. ZNS z. T. ZVD
zum Beispiel zentrales Nervensystem zum Teil zentralvenöser Blutdruck
Kapitelübersicht
1
1
Einsatz, Technik, Taktik 1.1 Notfall- und Rettungswesen ............................................ 2 Notfall versus Notsituation ................................. Rettungsdienststruktur ...................................... Personal und Fahrzeuge .................................... Der Notarzt im Rettungsdienst ..........................
2 3 4 5
1.2 Einsatzablauf ................................................................... 6 Führung im Einsatz ............................................. 6 Verhalten am Einsatzort, Gefahren ................... 7 Rückmeldung / Nachalarmierung ................... 1 3 Retten / Heben / Tragen ................................... 1 4
1.3 1.4 1.5 1.6
Basischeck .................................................................... 16 Basismaßnahmen (Übersicht) ....................................... 17 Monitoring (Übersicht) ................................................. 32 Erweiterte Maßnahmen ................................................. 37 Medikamente / Zugangswege ......................... 3 7 Atemwegssicherung ......................................... 4 5 Thoraxdrainage ................................................. 5 3 Sonstige ............................................................. 5 5
1.7 Spezielle Einsatzsituationen ......................................... 63 Zusammenarbeit mit der Feuerwehr .............. 6 3 Zusammenarbeit mit der Polizei ...................... 6 4 Rettungshubschrauber (RTH) ........................ 6 5 Der tote Patient im Rettungsdienst ................. 6 7 Massenanfall von Verletzten (MANV) .............. 7 2
1.8 Einsatzbeendigung ....................................................... 77 1.9 Qualitätsmanagement .................................................... 78
2
Kapitel 1 · Einsatz, Technik, Taktik
Einsatz, Technik, Taktik
Notfall versus Notsituation • Notfallpatienten (z. B. mit Verdacht eines Herzinfarktes) werden durch den Rettungsdienst (Notarzt, Rettungsassistent) am Notfallort frühestmöglich mit den Mitteln präklinischer Intensivmedizin erstversorgt. Nach der Akutversorgung wird der Notfallpatient in ein geeignetes Krankenhaus zur weiteren Diagnostik und Therapie eingewiesen. Der Transport findet unter fachlicher Begleitung und unter Fortführung der Erstmaßnahmen statt. Für die Versorgung von Notfallpatienten werden die Rettungsmittel Notarzteinsatzfahrzeug (NEF) und Rettungswagen (RTW), der Notarztwagen (NAW) oder der Rettungshubschrauber (RTH) eingesetzt (s. S. 4). • Patienten ohne primäre Vitalbedrohung, bei denen es sich aber um ein „akut entstehendes, lokalisiertes, pathologisches Geschehen“ mit der Gefahr zusätzlicher Schädigungen (z. B. Gallenkoliken, neu aufgetretene Infektion) oder um die akute Verschlimmerung einer chronischen Erkrankung (z. B. Gicht) handelt, werden als Akutfälle (früher: Notsituationen) bezeichnet. Sie werden innerhalb kurzer Zeit von ihrem Hausarzt, seiner Vertretung oder dem hierfür eingerichteten (kassen-) ärztlichen Bereitschaftsdienst (z. B. außerhalb der Sprechzeiten, nachts, an Feiertagen, mancherorts ständig) ärztlich versorgt (Vorstellung in Arztpraxis oder Hausbesuch - je nach Fall). Nach der Versorgung entscheidet der Arzt über eine ggf. notwendige Klinikeinweisung (dringlich oder disponibel); der Transport wird - je nach Fall - mit einem öffentlichen Verkehrsmittel, Taxi, Krankentransportwagen (KTW) oder Rettungswagen durchgeführt. • Andere Krankheitsfälle, die keine akute medizinische Intervention notwendig machen, sollen direkt einem Vertragsarzt zur Diagnostik bzw. Therapie zugewiesen werden. Hier kommen zur (i.d.R. zeitunkritischen) Beförderung - je nach Fall - private oder öffentliche Verkehrsmittel oder der Krankentransport mit Krankentransportwagen (KTW) in Betracht. Ausblick auf die Zukunft • Die oben dargestellten drei Versorgungsstrategien sind in Deutschland noch nicht durchgehend etabliert. Sie gelten für verschiedene Patientengruppen und setzen unterschiedliche Mittel ein, so dass jeder Patient frühzeitig (z. B. bei Anruf) der richtigen Kategorie zugeteilt werden muss, um die adäquate Hilfe zu erhalten. In bestimmten Fällen sind jedoch Überschneidungen möglich. • Eine wesentliche Möglichkeit der Zukunft, die außerklinischen Versorgungssysteme sinnvoll zu verzahnen, besteht in der Einrichtung sogenannter integrierter Leitstellen, die unter einheitlicher Notrufnummer für die Einleitung und Abwicklung aller drei genannten außerklinischen Versorgungsstrategien zuständig sind (Vermeidung von Fehlalarmierungen und initialer Fehlversorgung).
1.1 · Notfall- und Rettungswesen
3
1
Rettungsdienststruktur Allgemeines - Definitionen aus DIN 13050 „Der Rettungsdienst ist eine öffentliche Aufgabe der Gesundheitsvorsorge und der Gefahrenabwehr; er gliedert sich in Notfallrettung und Krankentransport. Notfallrettung ist organisierte Hilfe, die in ärztlicher Verantwortlichkeit erfolgt und die Aufgabe hat, bei Notfallpatienten am Notfallort lebensrettende Maßnahmen durchzuführen, ihre Transportfähigkeit herzustellen und diese Patienten unter Aufrechterhaltung der Transportfähigkeit und Vermeidung weiterer Schäden in eine geeignete Gesundheitseinrichtung / Krankenhaus zu befördern.“
Zuständigkeiten In Deutschland zählt der Rettungsdienst zu den Obliegenheiten der Bundesländer. Er ist in den einzelnen Ländern durch die Landesrettungsdienstgesetze geregelt. Innerhalb der Ländergrenzen wurden Rettungsdienstbereiche festgelegt, deren Landkreise und kreisfreien Städte den Rettungszweckverband bilden. Dieser ist in der Regel kommunalen Behörden zugeordnet. Von diesen wird die Aufgabe des Rettungsdienstes auf gemeinnützige Hilfsorganisationen, Feuerwehr u. a. übertragen oder (seltener) selbst durchgeführt. Unter Beachtung der Wirtschaftlichkeit und der in den Landesrettungsdienstgesetzen vorgeschriebenen Hilfsfristen werden in den Rettungsdienstbereichen Rettungswachen eingerichtet. Die Koordination der Einsätze in einem Rettungsdienstbereich ist Aufgabe der Rettungsleitstelle.
Funktionen der Rettungsleitstelle • Annahme von Notrufen und Entsenden von Rettungsmitteln • Koordination der Rettungseinsätze • Zusammenarbeit mit den Leitstellen von Polizei und Feuerwehr; zukünftig vermehrt integrierte Leitstellen • Telefonischer Kontakt mit Krankenhäusern (Bettennachweis), Vergiftungszentralen u. a. Informationszentren • Koordination bei Großschadensereignissen • Dokumentation aller Vorgänge (Datenpflege), Überwachung der Funkdisziplin • Mancherorts Zusatzdienste, z. B. Hausnotruf, ärztlicher Notdienst
Einsatzkräfte • Rettungshelfer (RH): Helfer des Rettungssanitäters beim Krankentransport und bei der Erstversorgung von Notfallpatienten. Ausbildung: Grundlehrgang wie RS (s. u.), 2 Wo. Klinikpraktikum, 2 Wo. Rettungswachenpraktikum. • Rettungssanitäter (RS): Durchführung von Krankentransport, Erstversorgung von Notfallpatienten und Helfer des Rettungsassistenten bei der Notfallversorgung von Notfallpatienten. 520 Stunden Ausbildung: Lehrgang, 4 Wo. Klinikpraktikum, 4 Wo. Rettungswachenpraktikum, Abschlussprüfung.
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Kapitel 1 · Einsatz, Technik, Taktik
Einsatz, Technik, Taktik
Personal und Fahrzeuge • Rettungsassistent (RA): Assistent des Notarztes; Notfallversorgung von Patienten bis zum Eintreffen des Notarztes (§ 3 RettAssG). 2 Jahre Regelausbildung: 1. Jahr Lehrgang und Praktika (Klinik und Rettungswache), staatliche Abschlussprüfung; 2. Jahr: Ausbildung als RA-Praktikant in einer Lehrrettungswache. In der anstehenden Novellierung des RettAssG wird von den meisten Beteiligten eine dreijährige Ausbildung angestrebt. • Notarzt (NA): Stabilisierung vital bedrohter Patienten vor Ort und auf dem Transport. Anästhesisten, vielerorts auch Unfallchirurgen und Internisten. Die Mindestvoraussetzungen für eine notärztliche Tätigkeit sind die Approbation als Arzt und der Fachkundenachweis Rettungsdienst, bzw. die Zusatz bezeichnung Notfallmedizin (je nach Regelung der Bundesländer). Der Notarztdienst sollte dem erfahrenen Arzt vorbehalten bleiben.
Rettungsmittel • KTW – Krankentransportwagen: für den Transport von Nicht-Notfallpatienten, die aus medizinischen Gründen nicht in der Lage sind, öffentliche Verkehrsmittel, Taxen oder Mietwagen zu benutzen, z. B. liegen müssen, an ansteckenden oder ekelerregenden Krankheiten leiden (auch Verdacht) oder für den Transport fachliche Betreuung benötigen (könnten). Die DIN EN 1789 unterteilt: - Typ A1: KTW, geeignet für den Transport eines einzelnen Patienten, der voraussehbar kein Notfallpatient ist (Bsp. für Kfz: Renault Espace). - Typ A2: KTW, geeignet für den Transport eines oder mehrerer Patienten (auf Krankentrage(n) oder -sessel(n) (Bsp. für Kfz: VW T4): - Typ B: KTW als Notfallkrankenwagen, ausgerüstet für Erstversorgung und Über wachung von Patienten (Bsp. für Kfz: Mercedes „hoch/lang“): • RTW – Rettungswagen: Geeignet für Erstversorgung und Transport von Notfallpatienten, die neben Erste-Hilfe-Maßnahmen zusätzlicher Maßnahmen bedürfen (Wiederherstellung/Aufrechterhaltung der Vitalfunktionen). Diese Fahrzeugart wird in der DIN EN 1789 als Typ C-Krankenkraftwagen oder MICU (Mobile Intensive Care Unit) beschrieben. Einzelheiten s.S. 582 f. • NAW (Notarztwagen = RTW mit festem Notarzt: stationäres Notarztsystem; Vorteile sind ein meist einspieltes Team und bekannte Ausstattung): Rettungsmittel zur Erstversorgung und zum Transport von Notfallpatienten, die vor und/oder während des Transportes lebensrettender und erweiterter lebensrettender Maßnahmen durch einen Arzt bedürfen • NEF (Notarzteinsatzfahrzeug - dieses wird parallel mit einem RTW alarmiert: Rendezvous-Notarztsystem; Vorteile sind Flexibilität und Schnelligkeit, insbesondere im ländlichen Bereich): DIN 75079 • RTH (Rettungshubschrauber: luftgebundenes Notarztsystem; Vorteile: Schnelligkeit bei Langstrecken, Einsatzstellenerkundung aus der Luft, schwer zugängliche Einsatzstellen können angeflogen werden; Nachteile: Geräuschpegel, Enge, Landeplatzauswahl in Wohngebieten erschwert): DIN 13230; s. S. 65 f.
1.1 · Notfall- und Rettungswesen
5
1
Der Notarzt im Rettungsdienst Einsatzindikationen für den Notarzt (in Anlehnung an den Indikationskatalog Rheinland-Pfalz, MdI 1999)
1. Patientenzustandsbezogene Indikationen: Bei einem lebensbedrohlichen Gesundheitszustand des Patienten (Gefährdung oder Einschränkung der Vitalfunktionen): - Bewusstseinsstörung (Pat. reagiert nicht auf Ansprache oder Schütteln) z.B. bei Schädel-Hirn-Trauma, Vergiftung, Apoplex - Atemstörung (ausgeprägte/zunehmende Atemnot, Atemstillstand) z.B. bei Asthmaanfall, Lungenödem, Aspiration - Kreislaufstörung (ausgeprägte/zunehmende Kreislaufinsuffizienz, HKS) z.B. bei Herzinfarkt, Herzrhythmusstörungen, hypertensive Krise, Schock - Schwere Verletzung, schwere Blutung oder starke akute Schmerzen z.B. bei größeren Amputationen, Verbrennungen, stark dislozierten Frakturen 2. Notfallbezogene Indikationen: - Schwerer Verkehrsunfall, Brand und/oder Rauchgasentwicklung, Explosions- oder Starkstromunfälle, thermische oder chemische Unfälle (jeweils mit Hinweis auf Personenschaden), Unfall mit mehreren Verletzten - Wasserunfälle, Ertrinkungsunfälle, Eiseinbruch - Einklemmung, Verschüttung, Sturz aus großer Höhe (ab 3 m) - Schuss-, Stich- und Hiebverletzungen im Kopf-, Hals- oder Rumpfbereich - Geiselnahme und Verbrechen mit Gefährdung von Menschenleben - Unmittelbar einsetzende oder stattgefundene Geburt - Drohender Suizid und/oder zur Indikationsstellung einer Zwangseinweisung bei Eigen- oder Fremdgefährdung unter Einbeziehung der Polizei (vgl. S. 64) - ggf. unklare Situationen, in denen die Entwicklung einer akuten vitalen Gefährdung nicht ausgeschlossen werden kann, z.B. WS-Verletzung, pädiatr. Notfälle Der Leitstellendisponent setzt den NA immer dann ein, wenn - aus dem Notruf eine der o.g. Indikationen hervorgeht - eine Anforderung durch einen Arzt oder Rettungsdienstpersonal vorliegt, wenn hierfür in der Regel medizinische Gründe maßgeblich sind - der Disponent nach eigenem pflichtgemäßen Ermessen eine akute Gefahr für Leben oder Gesundheit eines Menschen vermutet. Ein bereits nachalarmierter NA kann nie ohne Begründung abbestellt werden; nur der NA selbst entscheidet und verantwortet, ob er die Einsatzstelle anfährt. Mit Alarmierung wurde - sofern ein behandlungsbedürftiger Patient vorhanden ist ein Arzt-Patienten-Vertrag geschlossen; dieser kann nur durch den Arzt, den Patienten oder einen anderen geeigneten Arzt (der vor Ort die Behandlung des Patienten übernimmt) gelöst oder ersetzt werden.
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Kapitel 1 · Einsatz, Technik, Taktik
Einsatz, Technik, Taktik
Führung im Einsatz Zweck der Führung in Organisationen ist es, koordinierte Leistung durch viele Andere zu bewirken. Die Gesamtarbeit der Organisation kann bei aufeinander aufbauenden Teilleistungen nur so gut sein wie die Arbeit jedes Beteiligten. Die im Rettungsdienst zu erbringende Leistung hat mehrere Säulen; den Notarzt interessiert vor allem eine optimale Notfalltherapie bei seinen Patienten und mit dieser Zielsetzung muss er nichtärztliche Mitarbeiter führen. Zur erfolgreichen Führung, die dem Notarzt also notwendiges Instrument ist, seine Einsatzziele zu erreichen, gehören primär folgende Aspekte: 1. Delegation In einer akuten Situation muss der NA dem Mitarbeiter klare Handlungsanweisungen geben, die dieser ohne Rückfragen ausführen kann. Die Delegation setzt kompetente Mitarbeiter voraus, die aber auch, wenn die Anweisung offensichtlich falsch ist, den Weg der Remonstration gehen, also auf den Mangel hinweisen und - bei Beharrlichkeit des NA - in der Akutsituation trotzdem handeln (sofern im Rahmen der Legalität), damit die Gesamtsituation nicht eskaliert. 2. Beteiligung von Mitarbeitern Der NA soll dem Mitarbeiter gewisse Freiheiten und Handlungsspielräume belassen. Dies setzt auch hier wieder Kompetenz des Mitarbeiters voraus, die der NA kennen muss. Bsp.: “Bereite doch im NAW alles Nötige für die Magenspülung vor!” Die Beteiligung erhöht die Motivation des Mitarbeiters ungemein! Es muss trotzdem von beiden Seiten ein Über-/Unterordnungsverhältnis akzeptiert werden, damit nicht langwierige (= im Notfall schädliche) Diskussionen entstehen. 3. Transparenz Dem Mitarbeiter (wie natürlich auch dem betroffenen Patienten) werden die nun folgenden Schritte aufgezeigt, damit der Mitarbeiter die Zielrichtung des Notarztes begreift und hinnehmen kann. Bsp.: “Ich werde jetzt das Medikament XYZ verabreichen, damit der Effekt ABC eintritt.” Transparenz dient auch der Selbstkontrolle. Zu einem guten Teamklima im Rettungsdienst, das für erfolgreiche Arbeit unabdingbar ist, gehören seitens des NA auch viele menschliche und charakterliche Eigenschaften wie Verantwortung, Ruhe, Kompetenz, Übersicht, Kritikfähigkeit und Mitarbeiteranerkennung. Der NA muss verstehen, dass die Mitarbeiter des Rettungsdienstes meist viele Jahre Berufserfahrung haben und ihm damit - trotz fehlender Hochschulausbildung - in vielen Einsätzen wertvolle Kollegen sind, auf deren Erfahrung er sich auch einmal stützen kann. Weiterhin muss der NA zwischen den verschiedenen Ausbildungs-, Wissens- und Reifestadien der Mitarbeiter zu differenzieren wissen, da es ganz normal ist, dass z. B. ein Zivildienstleistender nicht den selben Wissensstand haben kann wie ein RA mit 20 Jahren Einsatzpraxis.
1.2 · Einsatzablauf
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1
Verhalten am Einsatzort, Gefahren I 1. Eigenschutz • Ausreichende Sicherheitsabstände bei: Strom-, Strahlen- und Gefahrgutunfall sowie Feuer, Gasgeruch und Gewalttätigkeit (z. B. Schlägerei). • Ggf. Nachalarmieren von Fachdiensten und auf diese warten, anstatt den Eigenschutz zu vernachlässigen ! • Warnkleidung (Reflexstreifen !) tragen. Die im Handel befindliche RD-Bekleidung ist größtenteils nach den UVV als Warnkleidung nicht anerkannt; u. U. ist eine (zusätzliche) Warnweste vonnöten ! • Persönliche und andere Schutzausrüstung einsatzbereit halten / einsetzen, z. B. Helm (Anlegen bei Brandeinsätzen, auf Baustellen usw. obligatorisch!), Feuerlöscher.
2. Übersicht verschaffen • Besonderheiten der Einsatzstelle? • Wieviele Patienten? Vitalbedrohung? • Weiteres Einsatzpersonal (Fachdienste) notwendig? • Wie ist eine sinnvolle Aufgabenteilung möglich?
3. Sofortmaßnahmen a) Absicherung der Einsatzstelle: • Fahrzeug mit Blaulicht und Warnblinker vor der Unfallstelle parken (Schutzbarriere) • Warndreiecke u. Warnleuchten / Sicherungsposten aufstellen • Ggf. Polizei nachfordern (zur Absperrung, Verkehrsregelung usw.) b) Rettung von Lebenden aus Lebensgefahr unter Eigenschutz Rettungsgriffe vgl. S. 15 f. Beim Einsatz von Rettungsgeräten (z. B. Hacke, Klappspaten, Brecheisen) geeignete Schutzkleidung anlegen (z. B. Helm mit Visier, Schutzhandschuhe). Nur, wenn gefahrlos und schnell möglich; sonst erst Rückmeldung an die Leitstelle (s. S. 3 und S. 13) ! c) Passanten bitten, nachrückende Fahrzeuge einzuweisen d) Beruhigung; für Ordnung sorgen; Schaulustige entfernen, Platz schaffen. Abschirmung des / der Patienten von Zuschauern und Lärm. Bei allen (faszinierenden) technischen Tätigkeiten den Patienten nicht vergessen. e) Sinnvolle Kooperation im Team: • Keine Diskussionen (insbes. nicht vor Patienten oder Angehörigen) • Nur nötige Anweisungen geben, qualifizierte Delegation, Sachlichkeit, Deutlichkeit; nichts unterstellen • Kooperation mit anderen Einsatzkräften (z. B. Feuerwehr, Polizei) • Ggf. Einordnen in vorgegebene Hierarchie (z. B. bei kombinierten Einsätzen mit der Feuerwehr liegt die Gesamteinsatzleitung i. d. R. beim Einsatzleiter der Feuerwehr, z. T. in den Landesbrand- und Katastrophenschutzgesetzen gesetzlich festgeschrieben)
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Kapitel 1 · Einsatz, Technik, Taktik
Verhalten am Einsatzort, Gefahren II Einsatz, Technik, Taktik
Brandschutz Rettungsdienstpersonal sollte die akuten Bedrohungen durch Feuer einschätzen können und in der Lage sein, kleine Brände angemessen zu kontrollieren oder zu löschen. Fast jedes Feuer bezieht seine Nahrung aus dem Sauerstoff (O2)der Luft. Mittel, um die Verbindung des brennenden Materials zum O2 zu unterbrechen: • feuerbeständiges Material (z. B. Wolldecken bei kleinen Bränden; zum Löschen von Personen: Die Person zu Boden werfen und rollen; Eigenschutz beachten ! Mit Decken einwickeln. Zusätzlich Wasser und ggf. Löschmittel anwenden, dabei Gesichtsbereich möglichst schonen; s. u. !) • Wasser; Achtung: Nicht bei Stoffen, die mit Wasser heftig reagieren (z. B. Alkalimetalle wie Natrium) und bei Fettbränden (➯ Siedeverzug !!) • Löschmittel aus Feuerlöschern (verdrängt den Sauerstoff; z. B. CO2) Weiterhin muss eine Kühlung der brennenden und gelöschten Stoffe mindestens unter die Zündtemperatur erreicht werden.
Anwendung von Handfeuerlöschern (< 20 kg) • Vor eigenen (unzureichenden) Löschangriffen hat die Nachforderung der Feuerwehr Priorität! Menschenrettung vor Löschangriff! • Anwendungsbereich / Bedienungsanleitung des eingesetzten Feuerlöschers beachten: 1. Höchstspannung (bei Bränden an elektrischen Anlagen: Einsetzbarkeit und ggf. Mindestabstände!) 2. Brandklassen (verkürzt nach DIN EN 2): Klasse Brennendes Material Löschmittel A Feste Stoffe Wasser, Pulver B Flüssige / flüssig werdende Stoffe Schaum, Pulver, CO2 C Gasförmige Stoffe Pulver, CO2 D Metalle Pulver, ggf. auch Sand (trocken) • Lastkraftwagen und Kraftomnibusse sind unter Umständen verpflichtet, Feuerlöscher mitzuführen und diese ggf. herauszugeben (z. B. Kraftomnibusse: 6 kg ABC-Löscher gemäß § 35 g StVZO). • Bedenke, dass die minimale Funktionsdauer zwischen 6 s (< 3 kg-Löscher) und 15 s (> 10 kg-Löscher) liegt ➯ zügig und geplant vorgehen; in bestimmten Situationen ggf. stoßweises Abgeben des Löschmittels. Merke: - Feuer stets in Windrichtung angreifen - Flächenbrände von vorne beginnend ablöschen - Tropf- und Fließbrände von oben nach unten löschen - Genügend Löscher auf einmal einsetzen - nicht nacheinander - Vorsicht vor Wiederentzündung • Feuerlöscher regelmäßig warten (Fristen vorgeschrieben, mindestens alle zwei Jahre, ggf. öfter) und nach Einsatz befüllen lassen.
1.2 · Einsatzablauf
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Verhalten am Einsatzort, Gefahren III Airbag Bei der Behandlung einer verletzten Person in einem verunfallten Pkw an einen evtl. nicht ausgelösten Airbag denken ! Bei den Rettungsarbeiten kann es unter Umständen zu einer Auslösung kommen (Verletzungsgefahr, lauter Knall). Der Fahrer- / Beifahrer-Airbag zündet nicht bei isoliertem Seiten- oder Heckaufprall, Überschlag sowie bei Frontalunfällen mit geringer Unfallschwere. Auf das Vorhandensein eines Airbags wird sowohl auf der Fahrerseite als auch ggf. auf der Beifahrerseite durch einen Schriftzug hingewiesen (meist “SRS”). In Zukunft werden Airbag-Systeme auch für die Rücksitze zu finden sein. Beachte: • Nie (z. B. mit dem Kopf) zwischen Airbag und Patient aufhalten. • Die Auslösung des Airbags wird durch Abklemmen der Batterie / Durchtrennen der Batteriekabel verhindert (Zündung reicht nicht). Allerdings kann nach Unterbrechung der Batterieverbindung noch für einige Zeit die Gefahr der Auslösung bestehen (Kondensatorwirkung, z. T. etwa 20 min). Ggf. kann die Gefahr einer nachträglichen Airbagauslösung durch Anbringen eines speziellen Rückhaltesystems am Lenkrad minimiert werden (z. B. Octopus). • Keine Schneid- / Bohrarbeiten / Erhitzung im Bereich des Airbagsystems ! • Keine Gegenstände über Airbagmodulen ablegen !
Bahnunfall I Notfälle im Gleisbereich der Deutschen Bahn (DB) fordern die Helfer besonders im Hinblick auf Gefahren an der Einsatzstelle: 1. Die Gefahren, die vom Unfallort selbst ausgehen (z. B. Gefahrgut, erschwerte Rettung aus Zügen). Ggf. Fachdienste anfordern (Feuerwehr, THW, Bahn). 2. Die Gefahren, die von Zugfahrten im betroffenen Gleis oder im Nachbargleis ausgehen. Vor Arbeiten im Gleisbereich ist daher grundsätzlich die Strecke sperren zu lassen (d.h. nur, dass keine Züge mehr fahren; Oberleitung bleibt eingeschaltet - kann telefonisch veranlasst werden; Bestätigung abwarten!!!). 3. Die Gefahr, die von der Oberleitung ausgeht, also der Strom (vgl. S. 12). Beachte: Die Oberleitungen der DB führen 15.000 V Wechselspannung. Kontakt oder dichte Annäherung führen obligatorisch zu schweren elektrothermischen und elektrophysiologischen Schäden bis zum Tod. Das Unterschreiten der erforderlichen Mindestabstände ist erst nach Ausschalten und (!) Bahnerden durch Fachpersonal vor Ort möglich. Die Einsatzleitung bei Bahnunfällen beinhaltet den sogenannten Notfallmanager der DB Netz AG mit betrieblicher Weisungsbefugnis (s. nächste Seite unten). Es ist möglich, auf „DB-Schienen“ „DB-fremde Züge“ anzutreffen, da (in Zukunft verstärkt) Trassen an fremde Unternehmen verkauft werden. Polizeiliche Ermittlungsbehörde kann je nach örtlicher Absprache und Fall die Bundespolizei oder das LKA (= Landeskriminalamt) sein. Erstangriff ggf. durch Schutzpolizei.
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Kapitel 1 · Einsatz, Technik, Taktik
Einsatz, Technik, Taktik
Verhalten am Einsatzort - Bahnunfall II Hilfestellung bei jeglichen Einsätzen auf Gleisanlagen der DB gibt der Algorithmus auf der folgenden Seite. Abkürzungen: DB NFLS Fdl RLS
= Deutsche Bahn = Notfallleitstelle der DB-Netz = DB-Fahrdienstleiter/in = Rettungsleitstelle (Rettungsdienst/Feuerwehr)
Fußnoten zum Algorithmus Bahnunfall: 1 “Unfall” im Sinne dieses Algorithmus meint • Erkennen eines gefährlichen Ereignisses im Bahnbetrieb (z. B. große Gegenstände im Gleis, Beschädigung von Oberleitungen), • Unfall mit Zügen oder Fahrzeugen im Gleis, • Gefährdung von im Gleis befindlichen Personen (z. B. Selbsttötungsversuch). 2 Unbedingt Namen und Funktion des Meldenden geben lassen! Wenn Meldender weder Fdl noch Notfallmanager fi Rückfrage bei NFLS der DB-Netz! 3 Die Telefonnummer der regional zuständigen Notfallleitstelle der DB-Netz liegt im Regelfall der RLS vor. Alternativ kann mancherorts eine Alarmierung über sogenannte 3-S-Zentralen der DB Station und Service AG erfolgen. Diese Zentralen verständigen den zuständigen Fdl und veranlassen weitere Maßnahmen! Bei Rückmeldung und Information der NFLS ist anzugeben: • Wo? (Nachbarbahnhöfe, Streckenkilometrierung auf weißen Tafeln mit schwarzer Schrift an Strommasten, evtl. Signale mit Bezeichnung, Straßenangabe, Anfahrtswege) • Was? (Z. B. beteiligte Fahrzeuge / Züge, Reisezug / Güterzug, Gefahrgut, Entgleisung) • Bauliche Besonderheiten? (Damm, Tunnel, Brücke) 4 Oberleitungsschäden sind u.a. erkennbar an • Durchhängen / Riss der Oberleitung • Spannungsknistern • umgeknickten / beschädigten Masten • Funkenbildung, Lichtbogen 5 Regionale Besonderheiten: Je nach Einsatzbezirk können Bundespolizei, Feuerwehren u.a. im Bahnerden unterwiesen und hierfür alarmierbar sein. Informieren Sie sich über die Regelung im eigenen Rettungsdienstbereich! 6 Selbst bei ausgeschalteter Oberleitung sind Stromüberschläge möglich (z. B. über Streckentrenner); daher bringt nur Bahnerden durch eingewiesenes Fachpersonal bei Oberleitungsschäden die erforderliche Sicherheit. 7 Sobald RD-Personal die Räumung des Gleises bestätigt hat, darf das Gleis nicht mehr ohne ausdrückliche Genehmigung des Notfallmanagers betreten werden, da dann möglicherweise die Streckensperrung aufgehoben wurde.
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1.2 · Einsatzablauf
Verhalten am Einsatzort - Bahnunfall III Unfall/Notfall auf Eisenbahngleisen wird an RLS gemeldet Alarmierung von Einsatzkräften
Melder = DB-Mitarbeiter? (i. d. R. Fdl)
Primäre Aufgaben vor Ort: Erkundung und Rückmeldung Einweisen (möglichst DB) ggf. Sofortmaßnahmen (Nicht im Gleisbereich! Mindestabstände einhalten!)*
JA
Gleis gesperrt? (Bestätigung beidseitiger Sperrung an RLS erfolgt?) 2 JA
*
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NEIN
Mindestabstände: • Normaler Mindestabstand zu intakter Oberleitung: 1,50 m (Menschenrettung). • Mindestabstand bei Oberleitungsschäden: 10 - 15 m zu allen potentiell spannungsführenden Teilen. Beachte: Spannungstrichter! • Nur nach ausdrücklicher Genehmigung (nach Bahnerden) durch Fachkraft (Notfallmanager oder anderes autorisiertes DBPersonal) Unterschreiten dieser Abstände! • Nicht auf Wagen oder Masten klettern! (Außer ausdrücklich durch Fachkraft der DB genehmigt.)
RLS: NFLS der DB informieren3
• NFLS informiert zuständigen Fdl und Notfallmanager • Fdl sperrt entsprechenden Streckenabschnitt • Fdl informiert NFLS • NFLS bestätigt RLS die Sperrung • RLS informiert Einsatzkräfte vor Ort
Oberleitung oder zugehörige Teile beschädigt? 4
JA NEIN
• Gleisbereich nicht betreten!
Hat der Notfallmanager (oder u. U. die Bundespolizei, die Feuerwehr, ein autorisierter Techniker) bahngeerdet5 und das Gleis freigegeben?
Muss der Mindestabstand zur Oberleitung von 1,50 m unterschritten werden?
JA
NEIN
(Z. B. Verletzter auf Wagen?)
• Bahnerdung abwarten! • Sicherheitsabstand einhalten!!!6 *
Einsatzkräfte dürfen den Gleisbereich betreten7.
Der Notfallmanager der DB Netz AG ist ab seiner Verständigung der betriebliche Leiter an der Unfallstelle (mit entspr. Weisungsbefugnis) und organisiert ggf. eisenbahnspezifische Rettungsmittel. Er trifft in der Regel etwas später als die ersten Einsatzkräfte vor Ort ein, ist aber jederzeit telefonisch erreichbar.
Fußnoten auf der vorhergehenden Seite beachten!
NEIN
JA
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Kapitel 1 · Einsatz, Technik, Taktik
Verhalten am Einsatzort, Gefahren VI Einsatz, Technik, Taktik
Stromunfall • Zuerst Stromkreis unterbrechen (lassen)! a) Niederspannung (unter 1.000 Volt Wechselspannung mit maximal 500 Hz / 1.500 V Gleichspannung), z. B. im Haushalt. Maßnahmen: Ggf. • Betätigung von “NOT-AUS-Tastern” (wenn vorhanden) • Sicherung entfernen; Netzstecker ziehen • Sich selbst durch Isolierung schützen • Im Zweifelsfall Elektrofachkraft / Feuerwehr hinzuziehen! Sicherheitsabstand bei Erkundung / Rettung: 1 m. b) Hochspannung (über 1.000 Volt Wechselspannung / 1.500 Volt Gleichspannung): Bis zur Feststellung der Spannungsfreiheit grundsätzlich keine Annäherung unter 5 m (DIN VDE 0132), besser 10 m! Maßnahmen nur (!) durch VDE-Fachpersonal (FW, THW, Stadtwerke, Deutsche Bahn) 1. Absperren, Gefahrenkennzeichnung (z. B. Schilder) 2. Freischalten 3. Vor Wiedereinschalten sichern 4. Spannungsfreiheit feststellen 5. Erden und Kurzschließen 6. Benachbarte unter Spannung stehende Teile abdecken und abschranken Hinweise: Für Löscharbeiten an elektrischen Anlagen (Feuerwehr) sind besondere Mindestabstände vorgeschrieben. Einsatzbereiche von Feuerlöschern beachten (Rettungsdienst) ! Die DIN VDE sieht bei Hochspannungsanlagen je nach Nennspannung differenzierte Mindestabstände vor (3 / 4 / 5 m); da diese Differenzierung im Einsatz problematisch ist, sollte als Mindestabstand immer 5 m eingehalten werden. Die Annäherung an intakte (!) Oberleitungen der Deutschen Bahn (15.000 V bei 16 2/3 Hz) ist ausnahmsweise bis auf 1,5 m möglich (beschädigte Oberleitung: mindestens 10 - 15 m!) - vgl. S. 11 f. Wichtig: Die genannten Abstände beziehen sich nicht nur auf die Spannungsquelle selbst, sondern auch auf alle potentiell unter Spannung stehende Teile (ggf. auch Patienten)!
Gefahrgutunfall / Gefahrguttransport 1. Erkennen: • Warnsymbole / orangefarbene Warntafel (s. S. 584 ff.) • Bes. Sicherungsmaßnahmen (z. B. Feuerlöscher am Fahrzeug) 2. Eigenschutz ! Sicherheitsabstand halten ! Schutzausrüstung ! Ggf. das zum Gefahrgut gehörende “Unfallmerkblatt Straße” aus der Fahrerkabine sicherstellen (enthält Angaben zu Eigenschaften und Verhaltensweisen gegenüber der Substanz). 3. Feuerwehr nachfordern. Dieser sind bei der Anforderung - wenn möglich bereits Verdachtsmomente auf Art (z. B. brennbar, ätzend, giftig, radioaktiv) und Menge des Stoffes mitzuteilen. Im Idealfall die auf der orangefarbenen Warntafel angegebenen Zahlen nennen (s. S. 584 ff.) 4. Polizei zur Absperrung des Unfallbereiches nachfordern 5. Eigene Maßnahmen im Gefahrenbereich erst nach Abstimmung mit der Feuerwehr und Information über das Gefahrgut
1.2 · Einsatzablauf
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Rückmeldung / Nachalarmierung Rückmeldung Möglichst frühzeitig sollte ein Fahrzeug im Notfalleinsatz der Rettungsleitstelle eine (erste) Rückmeldung durchgeben. Diese beinhaltet • knappe Schilderung der tatsächlichen Situation (Der Leitstelle liegen in der Regel nur die oft spärlichen / fehlerhaften Informationen des Notrufes vor.) • Anzahl der Verletzten bzw. Erkrankten - wieviele schwer? • ggf. zuviel alarmierte, noch auf der Einsatzfahrt befindliche Kräfte abbestellen oder noch zusätzlich erforderliche Hilfe nachfordern • ggf. wichtige Hinweise zum Anfahrtsweg oder Gefahren der Einsatzstelle. Inhalt einer ggf. notwendigen, präziseren Zweitrückmeldung: • Schadensart • Schadensort (sofern Alarmierungsinformationen ungenau / falsch) • Zu- und Abfahrtswege • Schadensausmaß und voraussichtliche Entwicklung der Gefahren und Schäden (Ereignis abgeschlossen?; bei länger dauernden Ereignissen ist auch an Versorgung / Verpflegung von Personal / Betroffenen zu denken !) • Anzahl der Betroffenen, ggf. Schätzung (Größenordnung) • Anteile (in Prozent der Gesamtzahl) Schwerverletzte / Leichtverletzte / Nichtverletzte / (Tote) • Überwiegende Verletzungsart, z. B. Trauma, Verbrennung, Vergiftung • Anzahl eingeklemmter / verschütteter / schwer zugänglicher Personen • Zusatzgefahren, z. B. Brand, Explosion, chemische Stoffe, Strom • Ggf. Möglichkeiten zur Ordnung des Schadensraumes, z. B. bereits vorhandene Verletztenablagen • Ggf. Zusatzanforderungen (technische Hilfe, Brandbekämpfung, Wasser- / Höhenrettung, Ortung) • Bereits selbst durchgeführte Maßnahmen, geplante Maßnahmen
Nachforderung weiterer Einsatzkräfte über die Rettungsleitstelle • Weitere Rettungsmittel (RTW / KTW - s. S. 5), entsprechend der Anzahl der Verletzten und den Verletzungsmustern • Notarzt s. S. 5 / RTH s. S. 65 f. / OrgL und LNA s. S. 72 f. • Polizei s. S. 64 / Feuerwehr s. S. 63 • DLRG (Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft): Rettungsarbeiten in Gewässerumgebung • Stadtwerke: zum Abschalten und Wiedereinschalten von Strom, Gas, Wasser und Fernwärme • Firmeneigene Einsatzkräfte bei Betriebsunfällen (z. B. Werkfeuerwehr, Deutsche Bahn - vgl. S. 9 f.) • THW (Technisches Hilfswerk): Bergungsarbeiten, Sicherungsarbeiten, Aufräumarbeiten und Instandsetzungsarbeiten (Katastrophenschutz)
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Kapitel 1 · Einsatz, Technik, Taktik
Retten / Heben / Tragen Einsatz, Technik, Taktik
Richtiges Heben und Tragen Die Wirbelsäule des Rettungsdienstpersonals ist im Rahmen des täglichen Hebens und Tragens von Patienten schwer belastet. Richtiges Heben verringert diese Belastung und senkt das Risiko chronischer u. akuter Wirbelsäulenschäden: • Oberkörper aufrecht und Rücken gerade halten, • die Kraft soll aus der Beinarbeit kommen, • keine ruckartigen Bewegungen, • keine Drehbewegungen der Wirbelsäule unter Last, • sofern vorhanden, sollten Umlagerungshilfen genutzt werden, z. B. höhenverstellbare Betten auf Tragenhöhe einrichten (nicht Trage ablassen); Umlagerungsrutsche (Rollboard, in den meisten Kliniken/Pflegeheimen vorh.). Zur Prophylaxe empfiehlt es sich, eine Rückenschule durchzuführen, z. B. als Fortbildung. Beachte: Der akute Bandscheibenvorfall, den sich ein Beschäftigter beim Anheben eines Patienten zuzieht, ist ein Arbeitsunfall ➯ Durchgangsarzt. Dies gilt nicht für chronische Rückenbeschwerden.
Spezielle Rettungsgriffe (Beispiele s. nächste Seite) Beachte: Rettungsgriffe dienen bestimmungsgemäß der Rettung von Patienten aus Gefahrensituationen, sind aber im Krankentransport zu vermeiden (schonendere Alternativen). Zur Haftung bei Schädigung des Patienten durch RautekRettungsgriff vgl. AZ 1058/91, LG Duisburg, 09.02.1993. Transporthandgriffe / Transporthilfsmittel a) genormte Geräte (Auswahl sollte auf jedem Rettungsmittel verfügbar sein) • z.B. Tragetuch, Schaufeltrage / Spineboard, Vakuummatratze • Die Feuerwehr kann dieses Spektrum bei schwierigen Transportbedingungen (z.B. Rettung aus Höhen/Tiefen, schwergewichtige Patienten) i.d.R. um zusätzliche Geräte bereichern (z.B. Schleifkorbtrage). b) improvisiert (wenn andere Mittel versagen / ausnahmsweise nicht verfügbar) • Patient auf stabilen „Küchenstuhl“ setzen (1 o. 2 Helfer heben an den Vorderbeinen des Stuhls an; 1 o. 2 Helfer tragen an der Rückenlehne) • Hakengriff: Zwei Helfer stehen sich zugewandt beidseits des Patienten. Sie reichen sich hinter dem Rücken und unter dem Gesäß des Patienten die Hände und verhaken sie fest. Der Patient legt seine Arme um den Nacken der Helfer. Der Hakengriff unter dem Gesäß kann durch Fassen einen festen Trageringes (aus Dreiecktuchkrawatte) ersetzt oder einen Tragesitz optimiert werden.
Achtung! Vorsicht bei Verdacht auf (Hals-) Wirbelsäulenverletzungen (größte Schonung; HWS-Stützkragen, Schaufeltrage und Vakuummatratze !). Generell Vitalstabilisierung, Frakturruhigstellung und ausreichende Schmerzbekämpfung vor Rettung oder Umlagerung (sofortige Rettung nur bei Lebensgefahr vor Ort, z. B. Feuer, Einsturzgefahr - Eigenschutz beachten!).
1.2 · Einsatzablauf
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Rettung aus dem GefahrenbereichI
Rautek-Rettungsgriff: Zur Rettung Erkrankter und Verletzter aus akuter Gefahr; in der Ebene und aus Kraftfahrzeugen.
Schulter-Tragegriff / Gemsenträger-Griff: Zur Rettung Erkrankter und Verletzter aus akuter Gefahr; aus erhöht sitzender Position.
Rückenschleif-Technik nach Rautek: Zur Rettung Erkrankter und Verletzter aus akuter Gefahr; bei niedriger Deckenhöhe.
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Kapitel 1 · Einsatz, Technik, Taktik
Basischeck Einsatz, Technik, Taktik
Ziel Der Basischeck wird mit dem Ziel durchgeführt, Störungen oder Bedrohungen der Vitalfunktionen frühestmöglich zu erkennen. Dies ist Grundvoraussetzung für eine adäquate Behandlung des Patienten: ➯ Lebensrettende Sofortmaßnahmen / Basismaßnahmen notwendig? ➯ Notärztliche Therapie notwendig / dringlich? ➯ Es empfiehlt sich das Vorgehen nach feststehenden Algorithmen.
Durchführung (Normwerte der Vitalfunktionen s. S. 572 f.) 1. Bewusstsein Fragestellung: normal? / gestört? / Bewusstlosigkeit? • Reaktion auf Ansprechen, Berühren, Schmerzreiz (normal = Patient ist wach, gibt klare Antworten und ist zeitlich, örtlich, räumlich und zur Person und Situation orientiert.) Vorsicht: Missdeutung von Taubheit u. ä. möglich !
• Glasgow-Coma-Scale (GCS s. S. 578) 2. Atmung Fragestellung: normal? / gestört? / Atemstillstand? • Sehen: Atembewegungen (Heben und Senken des Thorax) • Hören: Atemgeräusche (Mund / Nase des Patienten) • Fühlen: Atemstoß (Hauch vor Mund/Nase des Patienten an eigener Wange) • Hautfarbe (Zyanose?) • Pulsoxymetrie (s. S. 33) 3. Herz-Kreislauf Fragestellung: normal? / gestört? / Herz-Kreislaufstillstand? • Puls: Die arteriellen Blutwellen können an folgenden Stellen gut getastet werden (ein oder zwei Finger - nicht Daumen wegen Eigenpuls): a) Hals (A. carotis):
beim Bewusstlosen, bei Zentralisation oder zur Kontrolle der Thoraxkompressionen b) Handgelenk (A. radialis): beim bewusstseinsklaren Patienten (> 1 Jahr) c) Oberarm (A. brachialis): bei Säuglingen (< 1 Jahr) d) Leiste (A. femoralis): wenn andere Lokalisationen nicht möglich sind
• Blutdruck (s. S. 32) • Schockzeichen (Nagelbettprobe? / kalter Schweiß?) • EKG (s. S. 117 ff.) 4. Verletzungen (äußere / innere) Fragestellung: keine ? / möglich ? / offensichtlich ? • Unfallmechanismus (s. S. Kapitel 9) • Schmerzen, Wunde / Blutung, Frakturzeichen (s. S. Kapitel 9) • ggf. (teilweises) Entkleiden, ggf. Bodycheck (“head to toe”) 5. Grobes schnelles, aber umsichtiges Erfassen von Zustand des Patienten, der Leitsymptomatik und Hinweisen auf das zurückliegende Ereignis (Notfallanamnese): Befragen (Hauptbeschwerden, Verlauf, Grunderkrankungen, Medikamente) - s. Kapitel 3
1.4 · Basismaßnahmen
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Basismaßnahmen I - Übersicht Ziel Das primäre Ziel der Basismaßnahmen ist die Aufrechterhaltung der Vitalfunktionen des Patienten. Dazu muss jeder Helfer im Rettungsdienst in der Lage sein, die vorliegende Situation schnell zu erfassen und adäquat zu reagieren. Diese einfachen, aber lebensrettenden Maßnahmen werden von Rettungsassistenten und Rettungssanitätern selbstständig durchgeführt, um die Vitalfunktionen ohne Zeitverzug bis zum Eintreffen des Notarztes zu unterstützen oder zu ersetzen und schwere Sekundärschäden zu verhindern. Die Aufgabe des Notarztes besteht darin, diese Maßnahmen auf Erfolg zu überprüfen und sie korrekt weiterzuführen, bis sie sich spontan oder aufgrund einer sachgerechten notärztlichen Therapie erübrigt haben.
Merke: Basischeck und Basismaßnahmen sind auch und gerade für die notärztliche Versorgung das A und O, da sie im Einzelfall den notwendigen Zeitgewinn verschaffen, um eine suffiziente Notfalltherapie und ihre Wirkung - vor Ort oder manchmal auch erst in der Klinik - mit erweiterten Maßnahmen zu ermöglichen.
Zu den Basismaßnahmen zählen: • Beruhigung und Aufklärung • Sichern der Vitalfunktionen - Blutstillung (S. 18, Kapitel 9) - Helmabnahme, HWS-Ruhigstellung (S. 19) - Lagerung (S. 22 ff.) - Atemwegsmanagement: 1. Freimachen der Atemwege (S. 25) 2. Freihalten der Atemwege (S. 25) 3. Sauerstoffgabe (S. 26) 4. Beatmung (S. 27 ff. ) 5. Algorithmus (S. 204 f.) - Kardiopulmonale Reanimation (CPR) - s. Kapitel 5 - Wärmeerhalt; Wärmen und Kühlen (S. 31) • Ggf. Nachforderung weiterer Rettungsmittel, organisatorischer oder technischer Hilfe (S. 13) • Kontinuierliche Überwachung der Vitalfunktionen (Basismonitoring S. 32 ff.: Bewusstsein, Atmung, Puls, Blutdruck, EKG, Pulsoxymetrie, ggf. Kapnometrie) • Psychische erste Hilfe - s. Kapitel 15 • Dokumentation (S. 77), sie ermöglicht u. a. in der Klinik einen gezielten Zugriff auf wesentliche Informationen zur optimalen weiteren Behandlung. Reihenfolge entsprechend den Erfordernissen der individuellen Situation!
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Kapitel 1 · Einsatz, Technik, Taktik
Blutstillung Einsatz, Technik, Taktik
Blutstillung allgemein Eine Blutung liegt vor, wenn Blutgefäße durch Verletzung oder spontane Zerreissung eröffnet sind und auf diese Weise Blut das Kreislaufsystem verlässt. Die Gefahr größerer Blutverluste ist der Volumenmangelschock (s. Kapitel 8). Weitere Hinweise zu Wundversorgung und Blutstillung s. a. Kapitel 9 (konkrete Notfälle). Mittel zur Blutstillung: 1. Hochlagern vermindert die Blutung an einer verletzten Extremität. 2. Abdrücken: Das zuführende Blutgefäß wird vor der Wunde an einem geeigneten Abdrückpunkt gegen einen Knochen gedrückt (z. B. Oberarm, Kniekehle, s. nächste Seite). Es gelangt kein Blut mehr zur Wunde. Ggf. direkte Wundkompression: Blutstillung durch direktes Aufpressen mit (sterilen) Kompressen, zur Not auch mit den Fingern (Handschuhe!) auf die Wunde. 3. Druckverband Mit einem Polster wird starker Druck auf die Wunde ausgeübt (Vorsicht: keine Abbindung ! Stauung vermeiden !). Ist ein Druckverband unzureichend (starkes Durchbluten), wird über dem ersten ein zweiter angelegt.
Mullbinde oder Dreiecktuch Druckpolster Wunde Knochen Blutgefäße
Wundauflage 2. Umschlag 1. Umschlag Nerv
Druckverband 4. Zur Not Abbindung Nur als letzte verzweifelte Maßnahme (Ultima Ratio) wird eine Extremität mit einem weichen mindestens 4 cm breitem Material so fest umbunden, dass kein Blut mehr hineinfließen kann. Äußerst schmerzhaft, schädigend und fast nie nötig! Durchführung: • Blutdruckmanschette oberhalb der Blutung anlegen (nicht über Gelenken). • Deutlich über den systolischen Blutdruck des Patienten aufpumpen; z. B. 300 mmHg. Beachte: Schmerzen. • Genaue Uhrzeit dokumentieren. • Cave: Wenn der arterielle Blutfluss nicht komplett unterbunden ist, kommt es zu einer venösen Stauung mit Verstärkung der Blutung!
1.4 · Basismaßnahmen
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1
Helmabnahme / HWS-Immobilisation Helmabnahme und Anlegen eines HWS-Stützkragens Der Schutzhelm bei Motorrad- und anderen Zweiradfahrern wird grundsätzlich aber vorsichtig - abgenommen (auch Ersthelfer !), wenn eine Bedrohung der Vitalfunktionen (z. B. Bewusstlosigkeit) besteht oder zu befürchten ist. Aufkleber wie z. B. „Helm nur vom Arzt abzunehmen“ haben weder medizinische noch juristische Relevanz. Ist der Patient bei klarem Bewusstsein (Einsichtsfähigkeit), so obliegt ihm die Entscheidung. Er muss jedoch ggf. darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Helmabnahme für seine Behandlung entscheidend, u. U. sogar lebenswichtig ist. Der Helm wird immer von zwei Helfern abgenommen. Achtung: Vor, während und nach Helmabnahme wird der Kopf solange durch einen Helfer ruhiggestellt (immobilisiert), bis die Halswirbelsäule mittels HWSStützkragen (z. B. Stifneck®, NecLoc®) immobilisiert ist! Für die sogenannte manuelle In-Line-Immobilisation kann ein Helfer auch dann abgestellt werden, wenn keine Zeit zum Anlegen eines HWS-Stützkragens ist, ein solcher nicht vorhanden ist oder Maßnahmen das Abnehmen des HWS-Stützkragens erfordern (z. B. Intubation). Das Ausüben von (leichtem oder stärkerem) Zug während der In-LineImmobilisation wird z. Zt. nicht empfohlen; es gibt mehr Hinweise, die dagegen sprechen als dafür. Das American College of Surgeons empfiehlt bei Verdacht auf HWS-Beteiligung lediglich 1. Immobilisation (HWS-Stützkragen) und 2. Stabilisation (Ruhigstellung der gesamten Wirbelsäule durch kontinuierliche Fixierung und Immobilisation des Patienten auf einer festen Unterlage). Das Anlegen eines HWS-Stützkragens sollte so gut trainiert sein, dass es ohne wesentlichen Zeitverlust vor anderen lebensrettenden Sofortmaßnahmen durchgeführt werden kann. Vorgehensweise bei der Helmabnahme: 1. Helfer 1 (kniet am Kopf des Patienten): Kopf durch Halten an Helm und Unterkiefer achsengerecht immobilisieren. 2. Helfer 2 (kniet an der Seite des Patienten): Visier öffnen; Brille, Schmuck usw. abnehmen; Kinnriemen lösen; Kopf auf beiden Seiten an Kopf / Hals / Nacken umfassen; achsengerechtes, ruhiges Halten. 3. Helfer 1: Helm vorsichtig abziehen (Vorsicht: Nase, Ohrschmuck !) ohne Beugung der HWS; Übernahme der achsengerechten Immobilisierung (von hinten Kopf, Nacken und Unterkiefer fixieren). 4. Helfer 2: Anlegen des HWS-Stützkragens. Die Handgriffe werden laut abgesprochen, damit eine ständige Immobilisierung gewährleistet ist. Jeder Rettungsdienstmitarbeiter sollte über gängige Helmverschlussmechanismen informiert sein.
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Kapitel 1 · Einsatz, Technik, Taktik
Lagerung I Einsatz, Technik, Taktik
Grundsätze 1. Besteht keine unbedingte Indikation für eine bestimmte Lagerung, so ist die dem Patienten angenehmste zu wählen (z. B. Schonhaltung). 2. Vorsicht bei Verdacht auf Verletzung der (Hals-) Wirbelsäule! Ruhigstellen (HWS-Stützkragen s. S. 19 f., Vakuummatratze), vorsichtiges Umlagern (Schaufeltrage s. S. 36 ff.), schonender Transport! Warnzeichen: • Sensibilitätsstörungen, Lähmungen (kontrollieren!) • Schmerzen im Wirbelsäulenbereich • entsprechender Unfallmechanismus 3. Notfallpatienten grundsätzlich nie im Stehen oder instabilen Sitzen (Stuhl) versorgen (Gefahr des Sturzes bei Einsetzen von Bewusstseinsstörungen oder Schwäche). Ausreichend Platz schaffen!
1. Lagerung in der vorgefundenen Position • Indikation: Verdacht auf Wirbelsäulentrauma (bei erhaltenem Bewusstsein). • Hinweise: • Frühzeitige Immobilisation der HWS (In-Line-Immobilisation / Anlegen eines HWS-Stützkragens (s. S. 19)! • Umlagerung mit Schaufeltrage, Rettungskorsett (z. B. K.E.D.® = Kendrick Extrication Device) oder zur Not synchronisiert mit vielen Helfern auf vorgeformte Vakuummatratze. Dabei frakturierte Extremitäten unter Zug halten und wie die HWS achsengerecht stabilisieren. • Kopf nicht überstrecken. • Ggf. den Patienten achsengerecht auf den Rücken drehen. • Wirkungsweise: Vermeiden weiterer Schäden, geringste Schmerzen für den Patienten, Ruhigstellung für den Transport.
2. Stabile Seitenlage • Indikation: Bewusstlosigkeit bei ausreichender Spontanatmung. • Kontraindikation: Patient mit sicherer oder hochwahrscheinlicher Halswirbelsäulenverletzung. Dann: 1. ununterbrochene Mundraumkontrolle (Sehen / Hören) 2. kontinuierliches Freihalten der Atemwege mit Esmarch-Handgriff 3. ständige Absaugbereitschaft (großlumiger Katheter) 4. frühzeitige Lagerung und Fixierung auf Schaufeltrage, um bei Erbrechen / Blutung den Patienten kippen zu können (Bei Erbrechen im Schwall ist Absaugen nicht ausreichend schnell und effektiv, um eine Aspiration zu verhindern !) Bei Patienten mit dringendem V. a. HWS-Verletzung sollte die übliche stabile Seitenlage mit Überstrecken des Kopfes vermieden werden. Die Lagerung dieser Patienten muss jedoch folgende Kriterien gewährleisten (ILCOR / ERC): - Stabilität
1.4 · Basismaßnahmen
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1
Lagerung II - Freier Zugang zur Kontrolle und zum Freihalten / Freimachen der Atemwege - Es muss jederzeit möglich sein, den Patienten einfach und sicher (achsengerecht) auf die Seite zu drehen. - Kein Druck auf den Thorax, durch den die Atmung behindert würde • Wirkungsweise: 1. Freihalten der Atemwege (Mund ist geöffnet; der zurückgefallene Zungengrund wird durch die Lagerung des Kopfes angehoben: Reklination, Vorziehen des Unterkiefers = Esmarch-Handgriff) 2. Aspirationsprophylaxe (Erbrochenes, Blut und Sekret können abfließen, weil der Mund der tiefste Punkt des Körpers ist). Trotzdem: Absaugbereitschaft! • Praxistipps: • Eine Kombination der stabilen Seitenlage mit Oberkörperhochlagerung durch Neigen der Trage verbietet sich, da dann der Kopf nicht mehr der tiefste Punkt ist und somit kein Aspirationsschutz mehr besteht. • Kombination mit Schocklagerung ist durch Neigen der Trage möglich, erschwert jedoch die Atmung (Abdominalorgane drücken auf das Zwerchfell). • Bei Thoraxtrauma: Lagerung auf der verletzten Seite zur Thoraxschienung. • Durchführung: Die dargestellte Variante der stabilen Seitenlage wird vom ERC seit 1992 empfohlen. Bei dieser Verfahrensweise sind evtl. Nervenschäden (Plexus brachialis), Durchblutungsstörungen und Schulterverletzungen seltener als bei anderen. In jedem Falle sollten bei Übungen die „freiwilligen Patienten“ nicht länger als 5 Minuten in der Seitenlage belassen werden. Der unten liegende Arm sollte (gerade beim tatsächlich Bewusstlosen) regelmäßig besonders im Hinblick auf periphere Durchblutung (Pulse) und mögliche Druckstellen kontrolliert werden. Regelmäßige Kontrolle der Atmung nicht vergessen!!!
1. Ggf. Brille abnehmen ! Spitze Gegenstände aus den Taschen entfernen. Seitlich neben dem Patienten knien. Die Beine des Patienten sind ausgestreckt.
2. Den zum Helfer nächstliegenden Arm rechtwinklig auslagern. Der Ellenbogen soll gebeugt sein und die Handfläche nach oben zeigen.
3. Der vom Helfer entfernte Arm wird so über den Brustkorb gelegt, dass der Handrücken die Wange des Patienten berührt. - Fortsetzung: nächste Seite.
22
Kapitel 1 · Einsatz, Technik, Taktik
Einsatz, Technik, Taktik
Lagerung III
4. Mit der anderen Hand greift der Helfer das entfernte Bein oberhalb des Knies und zieht es zu sich, wobei der Fuß auf dem Boden bleibt. Während die Hand des Patienten an die Wange gedrückt wird, ...
5. ... zieht der Helfer am Bein und rollt den Patienten zu sich auf die Seite. Das oben liegende Bein wird gesichert, indem die Hüfte und das Knie im rechten Winkel gebeugt sind. Der Kopf wird überstreckt und der Mund geöffnet, um die Atemwege freizuhalten. Wenn nötig, wird der Kopf durch die untergelegte Hand überstreckt gehalten.
3. Oberkörperhochlagerung A. Oberkörper 45° - 90° erhöht
B. Oberkörper 45° - 90° erhöht zusätzlich herabhängende Beine.
evtl. auch Einsatz der Atemhilfsmuskulatur bei zurückgestützen Armen. C. Oberkörper 45° - 90° erhöht
D. Oberkörper bis 30° erhöht.
Lagerung auf der verletzten Seite. • Indikationen: Atemnot (A.), Lungenödem (B.), Thoraxtrauma (C.), Kardiogener Schock (D.), Hypertensive Krise (D.), Schädel-Hirn-Trauma (D.). • Kontraindikation: Bewusstlosigkeit (➯ stabile Seitenlage). • Wirkungsweise: Zu A.:Erleichterung der Atmung durch Einsatz der Atemhilfsmuskulatur und verminderten Druck der Bauchorgane auf das Zwerchfell Zu B.:Entlastung des Lungenkreislaufes
1.4 · Basismaßnahmen
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1
Lagerung IV Zu C.:Ruhigstellung, Schmerzlinderung, verbesserte Atmung auf der unverletzten Seite Zu D.:Venöser Rückfluss zum Herzen Ø (ZVD Ø; Herzentlastung); venöser Rückfluss aus der Gehirnregion ≠ (Hirndrucksenkung)
4. Schocklagerung A. Schocklage
B. Schocklage
Hochlagern der Beine (45°- 90° je nach Schockstärke) durch Unterlegen eines Gegenstandes
Hochlagern der Beine (45° - 90° je nach Schockstärke) durch Hochklappen des Tragenfußteils
C. Ganzkörperschräglage Flachlagerung oder Lagerung in vorgefundener Position auf der Trage, ggf. Vakuummatratze, Kippen der Trage (15°) - nur wenn Beinhochlagerung (A. / B.) nicht in Frage kommt • Indikationen: Schock, vasovagale Synkope • Kontraindikationen: [Atemnot], plötzliche Schmerzen im Brustkorb, [kardiogener Schock], [Schädel-Hirn-Trauma], [Thoraxtrauma] • Wirkungsweise: Verstärkung des venösen Blutrückflusses aus den Beinen zum Herzen (Autotransfusion) zur Gewährleistung einer ausreichenden Durchblutung lebenswichtiger Organe • Nebenwirkungen: Hirndruckerhöhung und erschwerte Atmung; daher ist die Schocklage bei Schädel-Hirn- und Thoraxtrauma zu vermeiden (stattdessen Flach- oder Oberkörperhochlagerung unter gleichzeitiger Volumentherapie) allerdings müssen gerade beim Schädel-Hirn-Trauma Blutdruckabfälle unbedingt verhindert werden ➯ individuelle Abwägung! • Bei Wirbelsäulen-, Becken- und schweren Beinverletzungen ist die Schocklage sinnvollerweise nur als Ganzkörperschräglage durchzuführen (bei Wirbelsäulenverletzung ➯ Querschnittsgefahr; bei Becken- oder Beintrauma: starke Schmerzen, evtl. weitere Schädigung, Instabilität). Beachte: Behinderung der Atmung durch Druck der Bauchorgane auf das Zwerchfell! • Kombinationsmöglichkeiten: a) Stabile Seitenlage auf geneigter Trage bei Bewusstlosigkeit b) Fritsch-Lagerung auf geneigter Trage c) Knierolle auf geneigter Trage
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Kapitel 1 · Einsatz, Technik, Taktik
Einsatz, Technik, Taktik
Lagerung V 5. Extremitätenhochlagerung
• Indikation: akuter peripherer Venenverschluss, periph. Blutung. • Wirkungsweise: a) Akuter peripherer Venenverschluss: arterieller Zufluss vermindert (Verminderung der venösen Stauung), venöser Blutrückstrom über Kollateralen verstärkt (besserer Abfluss). b) Periphere Blutung: Arterielle Durchblutung vermindert (Verminderung der Blutung)
7. Knierolle
• Indikation: Akutes Abdomen / Abdominaltrauma • Wirkungsweise: Entspannung der Bauchdecke (Verminderung der Bauchfellreizung); Schmerzlinderung
8. Lagerung auf dem Bauch
• Indikation: Gesichtsschädeltrauma • Wirkungsweise: Schonung der verletzten Region, Schmerzvermeidung, freies Ablaufen von Blut und Sekret
6. Extremitätentieflagerung
• Indikation: akuter peripherer Arterienverschluss. • Wirkungsweise: arterielle Durchblutung über Kollateralen verstärkt
9. Linksseitenlagerung
• Indikation: Vena-cava-Kompressionssyndrom (s. Kap. 10); auch prophylaktisch bei Schwangeren im letzten Schwangerschaftsdrittel. • Wirkungsweise: Beseitigung der Behinderung des Blutflusses in der Vena cava, die auf dem Druck der schwangeren Gebärmutter beruht
10. Lagerung nach Fritsch
• Indikation: Nachgeburtsperiode, Blutung aus der Scheide • Durchführung: 1.Gesäßbacken herunterstreichen 2. Sterile Scheidenvorlage 3. Beine übereinanderschlagen • Wirkungsweise: durch Aufsteigen des Blutes in der Vorlage kön nen stärkere Blutungen erkannt werden; evtl. Infektionsschutz
1.4 · Basismaßnahmen
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1
Atemwege freimachen 1. Öffnen des Mundes (Zangengriff) 2. Entfernen von Fremdkörpern aus dem Mund-Rachenraum: a) Manuelle Ausräumung mit Fingern (Handschuhe + Beißschutz!); dabei Kopf zur Seite drehen (bei Verdacht auf HWS-Verletzung s. b) / c) !) b) Absaugen • Absauggerät vorbereiten (Hand- / Fuß- oder elektrische Pumpe) • Kinder / Säuglinge: Sog < 0,2 bar / Orosauger verwenden • Absaugkatheter ohne Sog einführen • Einführtiefe - Mund: Abstand Mundwinkel-Ohrläppchen; - Nase: Abstand Ohrläppchen-Nasenspitze • Unter Sog mit kreisenden Bewegungen herausziehen c) Mit Korn- / Magillzange, ggf. unter laryngoskopischer Sicht 3. Kopf überstrecken (Vorsicht bei Verdacht auf HWS-Verletzung !) 4. Esmarch-Handgriff: Unterkiefer rechts und links fassen (Daumen am Kinn; Zeigefinger unter dem Kieferwinkel), nach oben vorne ziehen, sodass die untere Zahnreihe vor die obere kommt (➯ Anheben der zurückgefallen Zunge). 5. Bei Fremdkörper in den Atemwegen, der durch o. g. Maßnahmen nicht zu entfernen ist (Vgl. Algorithmus S. 204 f.): • Schläge zwischen die Schulterblätter mit der flachen Hand • Thoraxkompressionen (bewusstloser Patient) • Heimlich Manöver (Oberbauchkompressionen - Gefahr ernsthafter Verletzungen innerer Organe möglich!) 6. Rachentuben verhindern eine Atemwegsverlegung durch die zurückfallende Zunge und erleichtern ggf. Sauerstoffinsufflation oder die Maskenbeatmung: • Oropharyngealtubus (Guedel-Tubus, Life-way-Tubus): Der Tubus wird mit der Öffnung zum Gaumen eingeführt, dann um 180° gedreht und vorgeschoben, bis die Abschlussplatte an den Lippen anliegt. Länge des Tubus: vom Mundwinkel bis zum Ohrläppchen • Nasopharyngealtubus (Wendl-Tubus): Vor Einlegen in die Nase mit Gleitgel bestreichen; im 90°-Winkel einführen. Der Tubus wird in der Position belassen, in der das Atemgeräusch am lautesten ist. Beim Einführen des Tubus darf keine Gewalt notwendig sein! Bei SHT / Gesichtsschädeltrauma kontraindiziert! • Gefahren der Pharyngealtuben: - KEIN ASPIRATIONSSCHUTZ! Würge- / Brechreiz (besonders bei Oropharyngealtuben) - Auslösen von Nasenbluten bei Nasopharyngealtuben möglich! - Zu tief vorgeschobene Nasopharyngealtuben können zu einer Magenblähung führen (erhöhtes Aspirationsrisiko). - Bei Verwendung zu großer oder zu kleiner Tuben: Verlegung der Atemwege
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Kapitel 1 · Einsatz, Technik, Taktik
Einsatz, Technik, Taktik
Sauerstoff Sauerstoff (O2) ist lebensnotwendig. O2-Mangel (Hypoxie) führt minutenschnell zu Einschränkungen der Körperfunktion bis hin zum Tod. Fast alle notfallmedizinischen Krankheitsbilder bedrohen in letzter Konsequenz die O2-Versorgung. Besonders gefährdet sind Gehirn und Herz. Die Sauerstoffgabe ist daher eine grundsätzliche Basismaßnahme bei jedem Notfallpatienten (zu Einschränkungen und Details vgl. S. 556). An Insufflationsgeräten Einstellung der Sauerstoffflussrate (Flow) in l / min. • Dem spontan atmenden Patienten wird mit O2 angereicherte Atemluft angeboten: Sauerstoffmaske, Sauerstoffbrille, Nasensonde. • Beim beatmeten Patienten O2-Anschluss an den Beatmungsbeutel. Maximale O2-Gabe mit Reservoir am Beatmungsbeutel und größtmöglichem Flow (alternativ: Demand-Ventil ➯ direkte Beutelfüllung mit 100% O2). • Intubierte Patienten können mit Beatmungsgerät mit 100% O2 beatmet werden. • Sauerstoff ist ein Medikament. Höhere Konzentrationen können auch gefährlich sein ➯ s. S. 556.
Berechnung: Inhalt einer O 2-Flasche Druck in bar (Manometeranzeige) x Flaschenvolumen = O2-Menge in Litern Bsp.: 2-l-Flasche mit 60 bar Restdruck ➯ O2-Menge = 120 l Bekäme der Patient 4 l/min verabreicht, so würde der Rest bei vollständiger Entleerung (sollte vermieden werden, s. u.) für 30 min reichen.
Umgang mit Sauerstoff (O2) Die Kennzeichnung von medizinischen Sauerstoffflaschen ist entweder (noch) blau mit weißer Schulter oder nach der neuen DIN EN 1089-3 ganz weiß mit dem Buchstaben N (für Neue Kennzeichnung) auf der Schulter. 10 Sicherheitsregeln: 1. Kein Fett, Öl, Feuer, Rauchen in der Nähe von O2-Flaschen; Explosionsgefahr! 2. Vor Flaschenwechsel die Hände waschen! 3. O2-Flaschen nie in geschlossenen Räumen entleeren! 4. Flowmeter und Druckminderer stets nach Gebrauch verschließen! 5. O2-Flaschen / -Gerät vor starker Erwärmung schützen! 6. TÜV-Frist und Verfalldatum beachten (erstere auf der Flasche eingeschlagen, letztere als Etikett aufgeklebt)! 7. O2-Flaschen gegen Umfallen sichern. Lose O2-Flaschen dürfen nur mit Schutzkappe (10l / 11l) und in speziellen Behältnissen transportiert werden. 8. Es muss noch ein Restdruck auf der Flasche sein, damit diese nicht vor Füllung gereinigt werden muss (Eindringen von Fremdstoffen; Korrosion)! 9. Ventile nicht mit Gewalt (Werkzeug) anziehen, nur per Hand! Stets langsam öffnen, maximal eine Umdrehung! Nach Gebrauch stets schließen! 10. Wenn O2-Flaschen sich nur mit Gewalt öffnen lassen oder die Ventile ausgeleiert sind, dürfen die Flaschen nicht mehr eingesetzt werden (➯ TÜV).
1.4 · Basismaßnahmen
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1
Beatmung Vor Beginn der Beatmung ➯ Atemwege freimachen (s. S. 25) ! • Ohne Hilfsmittel („Atemspende“): Luft besteht zu 21 % aus Sauerstoff. Die Ausatemluft enthält noch 17 % Sauerstoff. Dieser “Rest” ist geeignet, einen Patienten im Notfall durch Beatmung mit Sauerstoff zu versorgen: - Erwachsene und Kinder: Mund-zu-Mund (Mund-zu-Nase-Beatmung = Alternative in speziellen Situationen: Trismus, mangelnde Abdichtung, Mundverletzungen oder bei der Beatmung von Personen im Wasser) - Säuglinge: Mund-zu-Mund-und-Nase-Beatmung • Mit Hilfsmitteln: a) Manuelle Beatmung: Im Rettungsdienst hat sich die Beatmung mit Beatmungsbeutel und -maske durchgesetzt. Die Maske wird mit dem C-Griff (Daumen und Zeigefinger umschließen die Maske; die 3 restlichen Finger halten den Unterkiefer) über Mund und Nase dichtgehalten und bei überstrecktem Kopf die Luft aus dem Beutel in die Atemwege des Patienten gedrückt. Ggf. kann das Zurückfallen der Zunge auch durch Einlegen eines Guedeltubus verhindert werden (s. S. 25). Der Beatmungsbeutel kann mit Sauerstoffreservoirbeutel und PEEP-Ventil (s. S. 29) ergänzt werden. • Sofern ausreichend Helfer zur Verfügung stehen, sollte die Aspirationsgefahr bei Maskenbeatmung durch Anwendung des Sellick-Handgriffes vermindert werden: ein Helfer verschließt den Ösophagus durch Druck auf den Ringknorpel; die freie Hand umfasst dabei den Nacken als Widerlager. Das Risiko einer Magenblähung wird dadurch vermindert. • Nach längerer Beatmung ohne Intubation sollte nach Intubation der Magen mit einer Magensonde entlastet werden, um eine eventuelle Magenblähung mit entsprechender Regurgitationsgefahr zu beheben. b) Maschinelle Beatmung: Beatmungsgerät, Antrieb und/oder Steuerung über Druck und/oder Elektronik (s. folgende Seiten). Komplikationen:
• Zu hoher Beatmungsdruck ➯ Magenblähung, Rückstrom von Mageninhalt und Aspiration (s. Kap. 7) • Pneumothorax (s. Kap. 9)
Beatmung bei Herz-Kreislauf-Stillstand (nach ERC): • Beatmungsvolumen (AZV) für Erwachsene: 6-7 ml/kgKG (500 - 600 ml) Ziel: deutlich sichtbares Heben des Thorax) - vgl. Bemerkung zum KG auf S. 29 • Atemhub über 1s abgeben • maximale Sauerstoffzufuhr (Sauerstoffkonzentration möglichst 100%) • Mit den derzeit verfügbaren Beatmungsbeuteln wird dieses Volumen durch Kompression des Beutels zwischen Daumen und den übrigen Fingern einer Hand. Dabei darf der Beutel keinesfalls gegen ein Widerlager ausgedrückt werden (z.B. Oberschenkel)! Einstellung von Trainingspuppen beachten ! Größere Volumina erhöhen das Aspirationsrisiko!
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Kapitel 1 · Einsatz, Technik, Taktik
Einsatz, Technik, Taktik
Beatmungsgeräte I Grundsätzlich sollten die meisten Beatmungsgeräte aus Sicherheitsgründen nur beim intubierten Patienten eingesetzt werden. Steuerung (Umschalten von Inspiration auf Exspiration) - Prinzipien: • Drucksteuerung:Umschalten nach Erreichen eines vorgewählten Atemwegsdrucks. Beachte: vorzeitiger Abbruch des Atemzugs bei erhöhtem Atemwegsdruck (z.B. bei Stenosen / Atemwegsverlegung. Diese Steuerungsform vermeidet zwar das Lungengewebe schädigende Spitzendrücke, gleichzeitig besteht jedoch das Risiko der Hypoventilation, wenn durch hohe Atemwegsdrücke kein ausreichendes Atemminutenvolumen gesichert ist. • Volumensteuerung: Umschalten nach Erreichen des vorgewählten Volumens (AZV). Ohne weitere Begrenzung besteht bei konstant verabreichtem Volumen das Risiko, Lungengewebe durch exorbitante Druckspitzen zu schädigen. • Zeitsteuerung: Umschalten nach Ablauf einer festgelegten Zeit. Kontrolle Zum Verabreichen eines Atemhubs wird eine der drei Variablen Druck, Fluss und Volumen vom Gerät beeinflusst und kontrolliert. Die beiden anderen Variablen verändern sich dann abhängig von der Kontrollvariable und dem Atemwegswiderstand. Man unterscheidet folgenden Beatmungsformen: • flusskontrolliert • druckkontrolliert • volumenkontrolliert Begrenzung Zusätzlich kann die Gerätearbeit durch weitere Faktoren begrenzt werden, z.B. bei vielen Beatmungsgeräten durch eine Druckobergrenze. Erreicht der Atemwegsdruck diese Grenze, wird der Atemhub abgebrochen, um eine Schädigung des Lungengewebes zu vermeiden (druckbegrenzte Geräte). Trigger Bei Beatmungsgeräten mit der Möglichkeit der assistierten Beatmung kann der Patient das Gerät antriggern, d.h. mit eigenen minimalen Atemexkursionen einen Atemhub des Gerätes auslösen. Den Grenzwert, ab dem das Gerät die Aktion des Patienten erkennt, nennt man Triggerschwelle. Je nachdem, wie diese Eigenaktion gemessen wird (als Druck-, Fluss- oder Volumenschwankung) bezeichnet man den Trigger als Druck-, Fluss- oder Volumentrigger. Beispiel Ein Beatmungsgerät, welches den Atemhub verabreicht, indem es den Gasfluss beeinflusst, nach Erreichen eines vorgewählten Volumens (AZV) von Inspiration auf Exspiration schaltet, bei Erreichen schädlicher Atemwegsdrucke (z.B. > 30 mbar) den Atemhub abbricht und im Falle einer assistierten Beatmung den vom Patienten aufgebauten Unterdruck als Trigger misst, nennt man: „volumengesteuert, flusskontrolliert, druckbegrenzt u. druckgetriggert“. Geräteantrieb • Geräteantrieb und Steuerung werden vom Flaschendruck angetrieben. • Geräteantrieb durch Flaschendruck; Steuerung elektronisch (Akku) (jeweils Sauerstoffverbrauch für Gerätefunktion - Mindestflaschendruck für ordnungsgemäße Gerätefunktion erforderlich!)
1.4 · Basismaßnahmen
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1
Beatmungsgeräte II Beatmungsformen (sofern für den RD relevant) • Kontrollierte Beatmung: Keine Eigenatmung des Patienten. Bsp.: IPPV (Intermittent Positive Pressure Ventilation): Erzeugung eines Überdrucks in der Einatemphase (Hinweis: Behinderung des Blutrückflusses zum Herzen durch erhöhten intrathorakalen Druck ➯ Blutdruckabfall) mittels Beutel oder Beatmungsgerät; Ausatmung passiv durch die Elastizität des Brustkorbes; Standardbeatmungsmethode beim Notfallpatient ohne Spontanatmung. • Assistierte Beatmung: Die unzureichende Eigenatmung des Patienten muss unterstützt werden. Üblich: SIMV (Synchronized Intermittent Mandatory Ventilation): Sobald der Patient ein wenig Luft zieht (Unterdruck = Trigger), bekommt er einen vollen Atemzug verabreicht; der Schwellenwert für das Antriggern ist bei Beatmung ohne PEEP (s.u.) -2 bis -5 mbar; bei PEEP muß er 2 bis 4 mbar unter dem eingestellten PEEP-Wert liegen; ist die vom Pat. vorgegebene Frequenz zu gering, so werden zusätzliche Atemzüge verabreicht. • PEEP (Positive EndExspiratory Pressure): Mit Hilfe eines aufgesetzten PEEPVentils am Exspirationsauslass von Beatmungsbeutel oder -gerät wird zusätzlich zur kontrollierten oder assistierten Beatmung in der Pause nach der Ausatmung ein über dem Atmosphärendruck liegender Druck aufrechterhalten. Der Druck in den Atemwegen entspricht dann nicht dem Umgebungsluftdruck, sondern es bleibt ein Überdruck (Wirkung: z.B. verminderte Kollapsneigung der Lungenbläschen und vermehrte Diffusion in Richtung der Kapillaren). Ein PEEP beim spontan atmenden Patienten wird CPAP (Continuous Positive Airway Pressure) genannt. PEEP ist vor allem bei Lungenödem, Reizgas- und CO-Vergiftung, Thoraxtrauma sowie Aspiration indiziert. Beachte jedoch die kardiozirkulatorischen Nebenwirkungen (z.B. verminderter venöser Rückstrom, erhöhter Druck im Lungenkreislauf, Gefahr des Baro-/Volumentraumas), weswegen in der präklinischen Notfallmedizin nur selten PEEP-Werte über 5 cm Wassersäule (= (fast) „sicherer PEEP“) angewendet werden. Vorsicht: Es existieren bis 10 und bis 20 mbar stufenlos regulierbare PEEP-Ventile (Verwechslungsgefahr). Beatmungsgrößen (z.T. als Parameter am Gerät einzustellen) • Atemzugvolumen (AZV) = Volumen pro Atemzug = 8-10 ml/kgKG (Idealge wicht - „Fett wird nicht beatmet.“) Totraum = Volumen der oberen Atemwege ohne Gasaustausch = 2 ml/kgKG (+ Tubus + Gänsegurgel) • Atemfrequenz (AF) = Anzahl der Atemzüge pro Minute, Tabelle s. S. 573 • Atemminutenvolumen (AMV = AZV X AF, ca. 80 - 100 ml/kgKG) • Inspiratorischer Sauerstoffgehalt (FiO2) - vgl. S. 556 Notfall-FiO2 100%, Langzeit-FiO2 < 60%, sicherheitshalber immer >/= 0,4 Manche Beatmungsgeräte bieten keine stufenlose Verstellung, sondern nur feste Stufen wie 0,45 / 0,5 / 0,6 („air mix“) oder 1,0 („no air mix“). • Inspirations- / Exspirationsverhältnis, zeitlich (I:E): Physiologisch I:E etwa 1:1,7 (1:1,5 bis 1:2), bei COPD ggf. 1:2 bis 1:2,5.
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Kapitel 1 · Einsatz, Technik, Taktik
Einsatz, Technik, Taktik
Beatmungsgeräte III • Spitzendruck (Pmax) Möglichst < 30 mbar (Kinder < 25 mbar) einstellen. Ausnahme: Bei Intensivpat. mit Atelektasenbildung kann ein sog. Recruitmentmanöver (Eröffnung der Atelektasen) nach Lachmann indiziert sein: kontrolliertes Blähmanöver mit erhöhtem Volumen und Druck bei verlängerter Plateauphase. Ursachen für hohen Spitzendruck: Abgeknickter Beatmungsschlauch o. Tubus, Atemwegsverlegung, Bronchospasmus, Spannungspneumothorax, zu flache Narkose (Husten, Pressen, Würgen), autoregulatorischer PEEP bei COPD- / Asthmapatienten (bis hin zur „silent lung“). Ursachen für Spitzendruckabfall: Leckagen (z.B. Diskonnektion, Cuff-Defekt), Ausfall der Gasversorgung. Beatmungsmonitoring / Ziele der Beatmung 1. Oxygenierung, messbar z.B. über SpO2 (bei normalem Hb) > 90% Bei zu niedrigem SpO2: ggf. FiO2 erhöhen, ggf. PEEP einsetzen, ggf. Sedierung, mgl. Fehlerquellen prüfen (z.B. SpO2, vgl. S. 33, Funktion Beatmungsgerät) 2. Ausreichende CO2-Eliminierung, meßbar z.B. über etCO2 (Ziel: 35 mmHg) Erhöhung von AMV bzw. AZV und/oder AF bewirken etCO2-Abfall u. umgekehrt. Permissive Hyperkapnie ggf. bei COPD und ARDS tolerieren, ggf. Hyperventilation bei resp. Azidose. Cave: AZV-Erhöhung: Volumentrauma / AZV-Erniedrigung: Zunahme der Totraumfraktion (u.U. mangelnde Oxygenierung). Mindestanforderungen an Beatmungsgeräte im RD: Kontrollierte u. assistierte Beatmung / AF u. AZV (o. AMV) getrennt einstellbar / Druckb e g r e n z u n g / PEEP / Messung u. Anzeige des exspirator. Volumens / Alarme für AF, Volumen u. Druck / Einstellung versch. FiO2. Die wenigsten Geräte im RD bieten alle diese Merkmale - von den Herstellern oft mit geringerem Gewicht u. Volumen begründet. Der Anwender muss sich im Klaren sein, dass die Beatmung ohne Kontrolle des tatsächlich verabreichten Volumens o. ohne Druckbegrenzung ein erhöhtes Risiko bedeutet! Einige Notfallbeatmungsgeräte sind für die Beatmung von Säuglingen und/oder Kleinkindern ungeeignet. Spezielle Techniken: • Bei TRIO (Tracheale O2-Insufflation) handelt es sich um eine Variante der apnoischen Oxygenierung. Unter Vernachlässigung der CO2-Abatmung wird zum Erhalt der sauerstoffsensiblen Organe eine minimale O2-Zufuhr ohne Beatmung angeboten. Tierexperimentell konnten damit Apnoezeiten von bis zu 5 h erreicht werden. Normalerweise wird dazu über einen bis kurz vor die Carina (Trachealbifurkation) eingelegten Katheter ein O2-Fluss von 2l/min angelegt. Übertragen auf die Notfallmedizin wäre diese Technik modifiziert bei perkutaner transtrachealer Kanülierung als Ultima Ratio denkbar. • Jet-Ventilation: Hochfrequenzjetbeatmung (HFJV) über Trachealkanüle (z.B. Punktion des Lig. conicum). Ein zeitgesteuertes Ventil (I:E 1:2 - 1:4) führt intermittierend Atemgas mit hoher Frequenz (100-150/min) u. hohem Druck mit resultierend kleinem Hubvolumen (z.B. 2-5ml/kgKG) zu. Technische Grundlage ist das Venturiprinzip (Mitreißen des Umgebungsgases an der Kanülenspitze).
1.4 · Basismaßnahmen
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1
Wärmen / Kühlen Wärmen Indikationen: z. B. Hypothermie, Schock, Angst (psychische Wirkung). Möglichkeiten im Rettungsdienst: - Fahrzeug aufheizen (Türen schließen) - Nasse und kalte Kleidung entfernen, Patienten zudecken - Unter strenger Berücksichtigung von Kontraindikationen (z. B. Bewusstseinsstörungen, bevorstehende OP) Gabe von warmen (gezuckerten) Getränken - KEIN ALKOHOL - Bei technischer Rettung auch Ausleuchtung der Feuerwehr Möglichkeiten in der Klinik: - Warme Atemgase, warme Magen-, Blasen- oder Dickdarmspülung - Wärmematten, Wärmestrahler - Extrakorporale Zirkulation Cave: Beim Wiedererwärmen eines unterkühlten Patienten besteht die Gefahr des Bergungstodes / Wiedererwärmungsschocks. Unterkühlte Patienten sind i. d. R. zentralisiert; im Körperkern herrscht noch eine höhere Temperatur als in den Extremitäten. Durch Erwärmung der Extremitäten werden die dortigen Gefäße dilatiert und kaltes Blut aus den Extremitäten gelangt in den zentralen Kreislauf - Gefahr des Kammerflimmerns / Herz-Kreislaufstillstand! Manipulationen am Körper vermeiden. Bei den äußerlichen Wärmeverfahren immer nur den Rumpf wärmen und die Arme und Beine aussparen. Eine Wiedererwärmung bei manifester Hypothermie ist nicht durch Infusionstherapie möglich.
Kühlen Indikationen: • Lokale Kühlung: z. B. Verbrennung (Laienhelfer), Sportverletzungen, Insektenstich, Sonnenstich, akutes Skrotum. Replantatkühlung s. Kap. 9 • Systemische Kühlung: z. B. Hyperthermie, Fieber, nach erfolgreicher CPR Möglichkeiten: • Anwendung von fließendem kalten Wasser (lokal), kalte Umschläge. • Kältespray, Kältepackungen oder auch Desinfektionsspray zur lokalen Kühlung von Sportverletzungen (NICHT auf Wunden und Schleimhäuten! Vorsicht mit Eisspray - Hautschäden bei intensiver Anwendung möglich. Kein direkter Hautkontakt mit Eis - Gefahr lokaler Erfrierungen!) • Eiswürfel lutschen lassen (z. B. bei Insektenstich im Rachen). • Nach CPR: Ziel: 32°-34° (Temp.-Kontrolle); Kühlpackungen Hals, Leiste, Achselhöhlen; bis zu 30 ml/kgKG 4° kalte Infusionslösung (s. S. 182) Bei ausgiebiger systemischer Kühlung die Gefahren einer Unterkühlung bedenken!
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Kapitel 1 · Einsatz, Technik, Taktik
Monitoring - Übersicht Einsatz, Technik, Taktik
Definition Ununterbrochene Überwachung der Vitalfunktionen bei kritisch Kranken.
Ziel • Beurteilen des aktuellen Patientenzustands • Therapiekontrolle (Wirksamkeit der Maßnahmen, Besserung) • Frühzeitiges Erkennen einer Zustandsverschlechterung bzw. einer Bedrohung der Vitalfunktionen • Erkennen von Komplikationen und Nebenwirkungen
Anforderungen • Simple Handhabung und gute • Hohe Aussagekraft (sicher, valide) Anwendbarkeit (schnell und einfach) • Kontinuierliche Überwachung • Möglichst nicht-invasiv • Nicht störungsanfällig
Basismonitoring im Notarztdienst Neben den nicht zu vernachlässigenden Sinnen des Arztes (Inspektion, Palpation, Auskultation etc.) gehört die folgende apparative Ausstattung zum notärztlichen Basismonitoring (vgl. DIN 75079 für NEF / DIN EN 1789 für RTW): • kontinuierliches Drei-Pol-EKG (Rhythmusstörungen, Rhythmuseinteilung des Herz-Kreislaufstillstandes) • regelmäßige Blutdruckmessung (je nach Fall z. B. alle 3-10 min) • kontinuierliche Pulsoxymetrie (Atmung)
Erweitertes Monitoring / Erweiterte Gerätediagnostik Über das Basismonitoring hinaus gibt es noch zusätzliche Überwachungs- und Diagnostikmöglichkeiten, die bei speziellen Indikationen eingesetzt werden: • 12-Kanal-EKG: Infarktdiagnostik - das präklinische 12-Kanal-EKG ist in den Leitlinien des ERC und der DKG (Deutsche Gesellschaft für Kardiologie) explizit empfohlen. Laut BAND (Bundesarbeitsgemeinschaft der Notärzte in Deutschland) sollen alle notarztbesetzten Rettungsmittel mit einem 12Kanal-EKG ausgestattet sein. • Kapnometrie (Tubuslagekontrolle, Beatmung nach Intubation) - s. S. 34 • Blutgasanalyse (noch nicht in der Präklinik verbreitet - bei Ateminsuffizienz insbes. bei COPD-Patienten, metabolischer Entgleisung u.a.m.) - s. S. 36 • Körpertemperatur (Hypothermie, Hyperthermie, Hyperpyrexie) - s. S. 35 • Ultraschall (z.B. Nachweis intraabdomineller Blutungen) - s. S. 104 f.
Praxishinweise • Neben der medizinischen Indikation für lückenloses Monitoring ist auch die forensische Bedeutung nicht zu unterschätzen. Insbesondere ist - wegen möglicher Beweislastumkehr im Prozessfalle - an ausreichende Dokumentation zu denken (z.B. DIVI-Protokoll u. Ausdrucke diagnostischer Geräte). • Werden therapeutisch invasive Geräte eingesetzt, so gehört die Überwachung der Gerätefunktion selbst mit zum Monitoring (z. B. Manometrie bei maschineller Beatmung; Geräteeinstellung bei Schrittmacherstimulation).
1.5 · Monitoring
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1
Pulsoxymetrie Die Pulsoxymetrie dient der kontinuierlichen nicht-invasiven Messung der arteriellen Sauerstoffsättigung des Blutes (SaO2). Die SaO2 gibt den Anteil des Hämoglobins (%) im arteriellen Blut an, das mit Sauerstoff (O2) beladen ist. Sie ist damit ein Maß für den Gasaustausch in der Lunge. Dieser kann im Rahmen von Gasaustauschstörungen (z. B. Lungenödem, ARDS, Pneumonie) an den Alveolen oder durch verminderten O2-Gehalt der Alveolarluft (z. B. bei Atemstörungen Verlegung der Atemwege) beeinträchtigt sein. Richtwert: Die O2-Versorgung des Gewebes wird durch einen ausreichenden O2-Partialdruck des Blutes (pO2) gewährleistet. Der pO2 ist abhängig von der SaO2. Bei einer SaO2 < 95 % kommt es schon zu deutlichen Abfällen des pO2. Empfehlungen: • O2-Therapie bei einer SaO2 < 95 % (Hypoxie von Gehirn u. Herz möglich). • Bei einer SaO 2 < 75 % ist mit zerebraler und myokardialer Hypoxie obligatorisch zu rechnen ➯ O2-Therapie, ggf. Beatmung. Prinzip der SaO2-Messung: Spektralphotometrie; der spektrale Unterschied in der Lichtabsorption zwischen sauerstoffbeladenem Blut (Hb-O2) und sauerstoffarmem Blut (Hb) ist schon anhand der unterschiedlichen Färbung von arteriellem und venösem Blut sichtbar. Die gängigen Pulsoxymeter messen die unterschiedliche Absorption von Licht zweier Wellenlängen (rot und infrarot), mit dem pulsierendes Kapillarbett „durchleuchtet“ wird. Die Sensoren können an Finger, Zehe, Nase und Ohrläppchen angebracht werden. Auch Reflexionsklebeelektroden für die Stirn sind im Umlauf. (Bei Kindern entsprechend kleinere (Klebe-) Sensoren verwenden.) Gebrauchsanleitung der verschiedenen Geräte beachten! Fehler- und Störquellen: • Bewegungsartefakte: Störungen z. B. durch Patientenbewegung • Mangelnde Durchblutung des Messgewebes, z. B. Zentralisation bei Kälte, Schock oder Herz-Kreislauf-Stillstand • Dysfunktionales Hämoglobin: Kohlenmonoxid-Hb (CO-Hb) und Met-Hb können durch die im Rettungsdienst eingesetzten Pulsoxymeter nicht erfasst werden. Bei Vorliegen entspr. Intoxikationen ist die Pulsoxymetrie nicht verwertbar, da die SaO2 falsch - zu hoch - angezeigt wird. • Störstrahlung: starker Lichteinfall, Höhenstrahlung in Flugzeug oder Hubschrauber ➯ Sensor mit lichtundurchlässigem Material abdecken • Anämie: Trotz hoher SaO2 Gefährdung, da O2-Minderversorgung wegen verminderter Anzahl der O2-Träger möglich. Bei einem Hämoglobinanteil im Blut unter 5 g / l liefert das Pulsoxymeter u. U. keinen SaO2-Wert mehr. • Dunkler Nagellack
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Kapitel 1 · Einsatz, Technik, Taktik
Einsatz, Technik, Taktik
Kapnometrie Definition: Messung des Kohlendioxidgehaltes in der Ausatemluft des Patienten (endexspiratorisches CO2; endtidales CO2 = ETCO2) Normalwert: 5 - 6 Vol% entspr. pCO2 35 - 45 mmHg (1 Vol% entspr. etwa 7 mmHg) Bedeutung des ETCO2: • Der ETCO2 entspricht im Wesentlichen dem CO2-Partialdruck im Blut (paCO2). Ausnahmen bilden schwere Herz-Kreislauf-Störungen (Blutdruckabfall, akuter Blutverlust, Lungenembolie, Herz-Kreislauf-Stillstand). Weitere Fehlerquellen: Tubusfehllage im Ösophagus (ETCO2 = 0 oder initial z.B. durch kohlensäurehaltige Getränke falsch-hoch); großer Totraum; Leck im Beatmungssystem; bei Kreisteil: CO2-Absorber verbraucht. • Der ETCO2 ist abhängig von der Atmung und korreliert mit dem Atemminutenvolumen (hoher ETCO2 = Hypoventilation ➯ AMV zu niedrig und umgekehrt). • Der ET CO 2 ist abhängig von der CO 2 -Produktion des Organismus (Metabolismus). • Der ETCO2 ist abhängig vom Herz-Zeit-Volumen (Transport zur Lunge). • ETCO2 bei Intubation: Kontrolle der Tubuslage (nicht bei CPR). Der Nachweis von CO2 in der Ausatemluft über mehrere Atemzüge zeigt, dass der Tubus tracheal liegt. Bei Fehllage (Ösophagus) kann i.d.R. kein CO2 gemessen werden (andere Ursachen ausschließen). • ETCO2 bei Reanimation: Zum Zeitpunkt des Herz-Kreislauf-Stillstandes sinkt der ETCO2 drastisch. Mit Beginn suffizienter CPR steigt der ETCO2 wieder. Der ETCO2 ist ein Maß für die hämodynamische Effektivität der CPR. • ET CO 2 bei SHT: Der ET CO 2 bietet die Möglichkeit, eine kontrollierte Normoventilation des intubierten und beatmeten Patienten durchzuführen (ETCO2 = 35 mmHg) Ursachen für Veränderungen ETCO2-Anstieg des ETCO2 (Hyperkapnie) Stoffwechsel / Metabolismus Stoffwechselsteigerung (z. B. Fieber, Schmerzen, Maligne Hyperthermie)
CO2-Abfall (Hypokapnie) ET
herabgesetzter Stoffwechsel (z. B. Hypothermie, Sedierung, Analgesie)
Atmung
Hypoventilation Hyperventilation (Atemminutenvolumen Ø; z. B. Atemdepression)
Herz-Kreislauf
—
plötzlicher Abfall: schwere Herz-Kreislauf-Störung: Lungenembolie, Herzstillstand, plötzlicher Blutdruckabfall, plötzlicher Blutverlust
1.5 · Monitoring
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1
Körpertemperatur Ziel: Neben dem Nachweis von Hyperthermie (ursächliches oder begleitendes entzündliches Geschehen) liegt die Hauptbedeutung der Temperaturkontrolle in der Notfallmedizin in der Erkennung von hypothermen Zuständen, ihrer Klassifikation und resultierender Behandlungsstrategien (s. S. 392 f.) sowie der Früherkennung hypothermer Komplikationen bei gefährdeten Patienten: • Kinder (bes. Neugeborene), ältere Menschen mit Verlust der Mobilität • Polytraumatisierte, Ertrinkungsunfall • Patienten, die längere Zeit bei ungünstiger Witterung außerhalb eines Rettungsmittels versorgt werden mussten • Patienten mit ausgefallener Thermoregulation (Bewusstlosigkeit, Narkose; ohne wärmeerhaltende Maßnahmen fällt bei allen narkotisierten Patienten die KKT ab, wenn die Umgebungstemperatur 21°C unterschreitet!) • Verbrennungspatienten (mit oder ohne externe Kaltwasseranwendung), Patienten mit großflächigen Schürf- / Ablederungsverletzungen
Anforderungen an das präklinische Temperaturmonitoring: Umgebungsunabhängige und genaue Messung der Körperkerntemperatur (KKT), hygienisches Verfahren, einfache Handhabung, schnelles Ergebnis, möglichst geringe Gefahren für den Patient (Verletzung). Eine kontinuierliche Messung (und Anzeige) über eine entsprechend platzierte Sonde ist wünschenswert, man kommt aber präklinisch auch mit punktuellen Messungen aus. Herkömmliche Fieberthermometer erscheinen aufgrund ihrer langen Messzeit sowie des eingeschränkten Messbereiches für die Hypothermie-Diagnostik nicht geeignet. In der DIN EN 1789 ist ein Fieberthermometer nach prEN 12470-1 mit einem Messbereich von 28 - 42°C für RTW vorgeschrieben.
Mögliche Verfahren im Rettungsdienst: Die Messung mit elektr. Thermosonde im unteren Ösophagusdrittel erfüllt weitgehend die genannten Anforderungen, ist jedoch technisch relativ aufwendig. Nahezu einziger Störfaktor: Atemgase. Korrekte Lage durch kombiniertes Ösophagusstethoskop verifizierbar. Nicht für wache Patienten geeignet. Die Messung mit Ohrthermometern über Infrarotlicht am Trommelfell ist einfach, schnell und zuverlässig, sofern professionelle Geräte eingesetzt werden und die richtige Technik angewendet wird (an der Ohrmuschel nach hinten oben ziehen, damit der Gehörgang begradigt wird; sonst Messung an der nicht repräsentativen Gehörgangswand); Verfälschung durch Cerumen (Isolator) möglich. Tympanische Sonden bergen die Gefahr einer Trommelfellperforation, daher sollten Ohrthermometer bevorzugt werden). Die rektale Messung entspricht erst bei einer Einführtiefe von mehr als10-15 cm und längerer Meßdauer der KKT; Verfälschung durch Kot (Isolator), verminderte Schleimhautdurchblutung, wärmeproduzierende Darmflora u.a. möglich. Bei Kindern kommt sie ggf. noch zur Anwendung. Messungen an der Haut-/Schleimhautoberflächen (insbesondere axillär, frontal, sublingual, nasopharyngeal) sind für die o. g. Zwecke nicht geeignet.
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Kapitel 1 · Einsatz, Technik, Taktik
Einsatz, Technik, Taktik
Blutgasanalyse Unter Blutgasanalyse versteht man die Feststellung der Partialdrücke von CO2 und O2 im arteriellen (weniger aussagekräftig im arterialisiert-kapillären oder venösen) Blut. Bislang war die Blutgasanalyse der klinischen Diagnostik vorbehalten; mittlerweile sind jedoch für die präklinische Notfallmedizin und den Intensivtransport geeignete Geräte auf dem Markt (z. B. AVL OPTI, Chiron IRMA 2000). Diese Geräte leisten ferner die Bestimmung von Elektrolyten und Hämoglobin. Die arterielle Blutgasanalyse ist das Standardverfahren zur Überprüfung des intrapulmonalen Gasaustausches (die Analyse gemischt-venösen Blutes liefert eine Information über die mittlere Oxygenation der Körpergewebe). Die Gewinnung der Blutprobe erfolgt im Regelfall durch Punktion der A. radialis. Der Allen-Test vor Punktion sollte sicherstellen, dass die Perfusion der Hand über die A. ulnaris und Anastomosen gewährleistet ist. Beurteilung der Oxygenierung (paO2, SaO2): Die Grenzwerte sind individuell verschieden, jedoch muss spätestens ein O2-Partialdruck von 60 mmHg als absolut behandlungsbedürftig angesehen werden. Beurteilung des Säure-Basen-Haushaltes (pH, pCO2, BE): Der pH-Wert entscheidet über Alkalose o. Azidose. Mit dem pCO2kann festgestellt werden, ob es sich um eine Normo-, Hyper- oder Hypoventilation handelt. Die Standard-Bikarbonat-Konzentration bzw. der Base Excess zeigen den metabolischen Einfluss an. •Der Blutgas-Status während einer Reanimation gibt i.d.R. nicht die wahren Verhältnisse im Organismus wieder. •Eine respiratorische Partial-Insuffizienz geht mit Hypoxämie einher. Diese kann auf Diffusions- oder Ventilation-Perfusions-Verteilungsstörungen (z. B. Lungenembolie, Lungenödem, Pneumonie, Emphysem) beruhen. Eine O2-Gabe führt zu einer adäquaten Erhöhung des pO2. Besteht die Ursache der PartialInsuffizienz in anatomischen Shunt-Verbindungen (z. B. Vitien), so führt O2-Gabe i.d.R. nicht zu einer wesentlichen Erhöhung des pO2. •Eine respiratorische Global-Insuffizienz beruht auf Hypoxämie und Hyperkapnie, wobei der pCO2 ein direktes Maß für die alveoläre Ventilation darstellt. Ursachen: Störungen des Atemantriebs (z. B. Apoplex, SHT, Intoxikation) oder bei fortgeschrittenen Lungenerkrankungen bei Ermüdung der Atemmuskulatur. •Beachte, dass bei COPD-Patienten (vgl. S. 212) ein Anstieg des paCO2 auf bis zu 90 mmHg noch mit klarem Bewusstsein einhergehen kann. Normwerte
arteriell
venös
pCO2 pO2 pH aktuelles Bikarbonat Standardbikarbonat BE (Base excess, Basenüberschuss) O2-Sättigung
35 - 45 mmHg 70 - 100 mmHg 7,35 - 7,45 20 - 26 mval / l 21 - 27 mval / l
38 - 54 mmHg 36 - 44 mmHg 7,26 - 7,46 22 - 28 mval / l 19 - 24 mval / l
-3,4 - 2,3 mval / l > 90 - 95 %
-2 - 5 mval / l 60 - 85 %
1.6 · Invasive Maßnahmen
37
1
Medikamente in der Notfallmedizin I (vgl. Kapitel 17) Zugangswege Zweifellos werden die meisten Medikamente - aufgrund schneller Wirksamkeit, hoher Bioverfügbarkeit und guter Steuerbarkeit - in der Notfallmedizin i.v. verabreicht, weswegen die Sicherung eines venösen Zuganges einen hohen Stellenwert besitzt. Ausnahmen, die entweder auf der erschwerten Anlage eines venösen Zuganges oder den Eigenschaften des Medikamentes beruhen, sind: • intraossäre Applikation - vitale Indikation, v.a. bei Kindern - s. S. 41 f. • endobronchiale Applikation - bronchialwirksame Sprays (z.B. Fenoterol, Reproterol, Salbutamol, Beclometason), ggf. Adrenalin bei CPR, evtl. Naloxon • per os - z.B. Medikamente bei oralen Vergiftungen (z.B. Kohle, Simethicon), Nitrendipin, Acetylsalicylsäure bei Akutem Koronarsyndrom (vgl. S. 481) • sublingual - z.B. Glyceroltrinitrat-Spray / -Kapseln • rektal - v.a. bei Kindern (z.B. Diazepam, Chloralhydrat, Paracetamol, Prednison) • subkutane Injektion - Terbutalin, Infiltrationsanästhesie, ggf. Kalzium (HF), ggf. Adrenalin (Umspritzen eines Wespenstiches bei Allergikern) • nasal - z.B. Midazolam bei Kindern • intramuskuläre Injektion - Ketamin (z. B. schwere Verbrennung, eingeklemmter Patient ohne Möglichkeit eines Venenzuganges) Nicht-i.v.-Gabe über die o.g. Anwendungen hinaus i.d.R. kontraindiziert / obsolet! Jeder Notarzt sollte mit den Medikamenten vertraut sein, die auf den Rettungsmitteln seines Rettungsdienstbereiches vorgehalten werden. Die Auswahl des geeigneten Notfallmedikamentes sollte sich neben Indikation und Kontraindikationen auch nach den Erfahrungen des NA richten. Gerade bei Kindern, älteren Patienten und bei Problempatienten sollte der NA verstärkt zu Substanzen greifen, mit deren Umgang er bereits bei seinen Standardpatienten im Klinikalltag (z. B. Anästhesie) geübt ist (keine Experimente / Erstlingswerke im Notfall).
Inkompatibilitäten • Auch vor dem Rettungsdiensteinsatz eingenommene Medikamente müssen berücksichtigt (ggf. gezielt erfragt!) werden. Beispielsweise ist die Gabe von Nitraten innerhalb von 24 Stunden (!) nach Einnahme von Phosphodiesterase5-Hemmern kontraindiziert (z.B. Sildenafil/Viagra - vgl. S. 517). • Bei Mischung bestimmter Medikamente kommt es darüber hinaus zu Ausfällungsund Inaktivierungserscheinungen oder zu chemischen Reaktionen. Um nicht alle speziellen Fälle berücksichtigen zu müssen, gilt daher der Grundsatz: In der Notfallmedizin keine Mischspritzen oder Mischinfusionen verwenden ! Zwischen zwei i.v.-Medikamentengaben ausreichend Infusion einspülen.
Schwangerschaft und Stillzeit Während der Schwangerschaft passieren die meisten Wirkstoffe die Plazenta und gehen in den kindlichen Kreislauf über. Dort werden sie z. T. anders verstoffwechselt als beim Erwachsenen, können zu unerwünschten Reaktionen führen oder die heranwachsende Frucht schädigen, z. B. embryotoxische / teratogene Schäden
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Kapitel 1 · Einsatz, Technik, Taktik
Einsatz, Technik, Taktik
Medikamente in der Notfallmedizin II (1. SSD), fetotoxische Schäden (2. und 3. SSD), mutagenes / karzinogenes Risiko erhöht, Tod der Frucht, perinatale Komplikationen (z. B. Atemstillstand des Neugeborenen bei Opiatgabe (Mutter) vor der Geburt). Daher bei Schwangerschaft immer strenge Indikationsstellung. Gerade in der Notfallmedizin hat dabei der Erhalt der Vitalfunktionen der Mutter Priorität. Gefahren, die von den Wirkstoffen ausgehen, sind vielfältig und oft nicht sicher geklärt. Viele Substanzen gehen in die Muttermilch über und werden (sofern gestillt wird) auf den Säugling übertragen. Lässt sich in Notfallsituationen die Gabe einer entspr. Substanzen nicht vermeiden, muss die Mutter darauf hingewiesen und ggf. die Indikation für eine Stillpause oder das Abstillen gestellt werden.
Sicherheitsregeln für die Vorbereitung von Medikamenten Gerade aufgrund der Einsatzbedingungen im Rettungsdienst (Lautstärke, Schnelligkeit, Aufgabenvielfalt etc.) muss der Notarzt auf qualifizierte Assistenz (RS/RA) Wert legen und zur Sicherheit selbst - mindestens vor der Verabreichung, auch bei Delegation - folgende Informationen überprüfen (Cave: Missverständnisse!): • Richtiges Medikament? (Namensähnlichkeiten! Etikettlesbarkeit!) • Richtiger Patient? (Indikationen und Kontraindikationen!) • Richtige Dosierung? (Körpergewicht!) • Richtige Konzentration und Menge? (Ampulleninhalt und Maßeinheit!) • Richtige Vorbereitung? (Lösung und Mischung! Titration / Bolus?) • Haltbarkeit? Beschädigungen? Klarheit / Farbe der Lösung? Ausflockungen?
Wichtige Notfallmedikationen: Analgesie und Sedierung Die Schmerzbekämpfung gehört zu einer der häufigsten Einsatzindikationen für Notfallmedikamente. Schmerz belastet den Patienten nicht nur als äußerst unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, sondern verstärkt Ängste und physiologische Stressreaktionen (Sympathomimetik), die ihrerseits mit einer Erhöhung des O2-Verbrauches und verstärkter Beanspruchung des Herz-Kreislauf-Systems einhergehen. Der akute, starke Schmerz ist für sich schon eine Notarztindikation. Zur Auswahl des geeigneten Medikaments s. S. 454 f. und S. 418 ff. Bei der medikamentösen Beruhigung des Patienten soll sich dieser von seinen (unangenehmen) Erlebnissen (z. B. Angst) distanzieren und sie so besser ertragen. Auf diese Weise können z. B. auch medizinische Maßnahmen erleichtert werden. Die Sedierung ist kein risikoloses Verfahren und muss sowohl durch medizinische (z. B. Überwachung, ggf. Beatmungsmöglichkeit) wie auch durch rechtliche Überlegungen (z. B. Wegfall der Einsichtsfähigkeit) abgesichert werden. Gebräuchliche Sedativa sind auf S. 455 genannt und werden im Wirkstoffteil ausführlich beschrieben. Bedenke, dass auch sicheres und kompetentes Auftreten sowie eine gute Gesprächsführung in erheblichem Maß zur Beruhigung des Patienten beitragen und medikamentöse Maßnahmen u. U. unterstützen, manchmal sogar ersetzen können.
1.6 · Invasive Maßnahmen
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1
Periphervenöser Zugang I Indikationen: • • • •
Infusionstherapie (z. B. kristalloide Infusionslösungen) Applikation von Medikamenten prophylaktisch bei jedem Notfallpatienten zusätzlich: Blutabnahme
Geeignete Venen: 1. So peripher wie möglich punktieren: Handrücken, ggf. Unterarm 2. Ellenbeuge (wenn 1. nicht möglich - Vorsicht: A. brachialis/N. medianus!) 3. Fußrücken (wenn 1. und 2. nicht möglich - Achtung: Thromboserisiko!) 4. V. jugularis externa (NA, bei Herz-Kreislaufstillstand ggf. 1./2. Wahl!) Die Venenpunktion ist eine invasive Maßnahme; Reizungen / Schäden müssen ggf. später behandelt werden (Phlebitis, Thrombose). Ebenso sollte man sich im RD bewusst sein, dass sich viele Komplikationen der Venenpunktion (z. B. Infektion) erst in der Klinik entwickeln. Vorsicht bei Dialysepatienten (Shunt), Z.n. MammaKarzinom mit Lymphknotenausräumung (an betroffenem Arm Infektionsgefahr erhöht, u.U. Lymphödem bei paravenöser Infusion), best. Hauterkrankungen, Lähmungen/Analgesie (kein warnender Schmerz bei Fehlpunktion/-injektion).
Durchführung 1.Den Patienten über die geplante Venenpunktion situationsangemessen auf klären und - sofern einsichtsfähig - sein Einverständnis einholen (vgl. Kap. 3) 2.Material bereitlegen und venöse Stauung anlegen (Stauband / Blutdruckmanschette: Der Puls muss tastbar bleiben - sonst keine Füllung!) 3.Maßnahmen zur besseren Venenfüllung (Tieflagern der Extremität; Faust öffnen / schließen lassen; Beklopfen der Punktionsstelle; evtl. Aufbringen von Nitrospray auf die Haut). Geeignete Vene auswählen (Tasten). 4.Hautdesinfektion (sattes Benetzen, mind. 30 Sekunden Einwirkdauer; Desinfektionsmittel soll getrocknet sein, nicht nachwischen, kein erneutes Berühren der Punktionsstelle) 5.Spannen der Haut (Vene fixieren); indirekte oder direkte Punktion der Vene. Bei erfolgreicher Punktion: Blut fließt durch den Stahlmandrin in die Kammer. 6.Vorschieben der Kunststoffkanüle über den fixierten Stahlmandrin (Führungskanüle); venöse Stauung lösen und Kanüle fixieren (Pflaster) 7.Vene distal des Kunststoffkanülenendes abdrücken; Stahlmandrin herausziehen und im Spitzabwurf entsorgen; Infusion anschliessen 8.Punktionsstelle keimfrei abdecken und Venenverweilkanüle sicher fixieren (Tupfer und Pflaster / spezieller Wundschnellverband) 9.Zugentlastung durch Fixieren einer Schleife des Infusionsschlauches 10. Korrekte venöse Lage? (Infusion läuft, Rücklaufprobe: beim Tieferhalten der Infusion fließt Blut zurück (Pulsierende Blutsäule ➯ Arterienpunktion!) 15. Ggf. kann die Venenverweilkanüle auch durch Einführen eines passenden Kunststoffstabes (Mandrin) verschlossen werden.
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Kapitel 1 · Einsatz, Technik, Taktik
Einsatz, Technik, Taktik
Periphervenöser Zugang II Komplikationen / Gefahren der Venenpunktion: • Durchstechen der Vene / sekundäre Perforation der Vene (➯ Dickwerden der Punktionsstelle, Bluterguss). Maßnahmen: Punktionsversuch beenden, Staubinde lösen, Kanüle entfernen, Wundkompression (steriler Tupfer). • Paravenöse (neben der Vene) Lage der Kanüle (➯ Blut fließt nicht zurück (Rücklaufprobe) Einfließenlassen von Infusionslösung führt zu Schwellung, häufig Schmerzen am Injektionsort). Maßnahmen: Beenden des Punktionsversuches, Infusionsstop, Entfernen der fehlgelegten Venenverweilkanüle, Wundversorgung mit kurzzeitigem Druck (3 - 4 min). • Arterielle Punktion / intraarterielle Injektion; häufig: A. brachialis in der Ellenbeuge (➯ Pulsieren der Blutsäule in der Venenverweilkanüle, pulssynchrones Einströmen von hellrotem Blut in den Infusionsschlauch, stärkste Schmerzen nach Injektion oder Infusion, Weißfärbung der betroffenen Extremität peripher der Punktionsstelle). Maßnahmen: sofortiges Beenden von Injektion / Infusion, Verweilkanüle im Gefäß belassen und kennzeichnen! Medikamente des Notarztes: 10 - 20 ml Kochsalzlösung 0,9 %; wasserlösliches Kortisonpräparat; ggf. Verabreichung eines Lokalanästhetikums; ggf. Verabreichung eines α-Sympatholytikums (zur Gefäßerweiterung). Bei sofort erkannter arterieller Punktion ohne Injektion / Infusion reicht u. U. das sofortige Entfernen der Kanüle mit entsprechender Wundversorgung aus; ärztliche Abklärung. Prophylaxe: Sorgfältiges Tasten (Pulsieren? - anatomische Varianten), Schmerzreaktionen beachten; besondere Sorgfalt beim Bewusstlosen/Gelähmten. 4. Nervenschädigung; besonders in der Ellenbeuge - Nervus medianus; direkt mechanisch, durch paravenöse Infusion oder Hämatom (➯ heftiger, anhaltender Sofortschmerz beim Nervenkontakt der Kanüle; evtl. Lähmung, Sensibilitätsstörungen). Maßnahmen: sofortiger Abbruch des Punktionsversuches / der Infusion, neurologische Abklärung. Portsysteme: Portsysteme sind vollständig implantierbare Venenkatheter, die von der Außenatmosphäre durch eine sich wieder verschließende Membran und die Haut getrennt sind. Indikationen: Patienten, bei denen eine regelmäßige intravenöse Medikamentengabe bei meist schlechten Venenverhältnissen notwendig ist (z. B. parenterale Ernährung, Chemotherapie oder wenn eine regelmäßige Notfallmedikamentenapplikation absehbar ist). Die Nutzung eines Ports für Notfallmedikamente ist grundsätzlich mit jeder Nadel möglich. Um einen zu schnellen Verschleiß zu verhindern, sollten aber - wenn möglich - speziell geschliffene Kanülen (z. B. nach Huber / Haindel / Müller) verwendet werden. Ferner gilt es, Katheterinfektionen (durch gründliche Haut und Händedesinfektion) sowie Katheterthrombosen (nach Medikamentengabe / Blutentnahme Spülung mit 20 ml NaCl 0,9% und Füllung mit 100 I.E. Heparin/ml NaCl 0,9%) zu verhindern!
1.6 · Invasive Maßnahmen
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Intraossärer Zugang I Definition Notfallmäßige intramedulläre Medikamentenapplikation mit dem Ziel der systemischen Wirkung, v.a. bei Kindern. Weniger geeignet für Neugeborene.
Indikationen Primärer Zugangsweg bei vitaler Indikation zur Medikamenten- und Flüssigkeitsapplikation bei Kindern (Schock, Polytrauma, schwere Verbrennungen, CPRBedingungen), sofern nicht bereits ein geeigneter venöser Zugang vorhanden ist.
Bewertung der Maßnahme Der i.o.- Zugang ist in Bezug auf Dosierung und Wirkung von Notfallmedikamenten der intravenösen Anwendung ebenbürtig. Mögliche Komplikationen (s. u. - relativ selten) und Schmerzhaftigkeit lassen die Maßnahme jedoch nur bei vitaler Indikation als verhältnismäßig erscheinen. Vorteile: geringer Zeitaufwand (< 60 s), CPR muss nicht unterbrochen werden, Blutgruppenbestimmung ist möglich.
Kontraindikation Beinfrakturen, floride Osteomyelitis, kongenitale/hereditäre Knochenerkrankungen
Komplikationen / Gefahren • Fehllagen der Punktionskanüle: Paravasat (subkutan / subperiostal), Kompartmentsyndrom, Hämatom, Perforation der Gegenseite, Gewebsnekrosen, Verletzung der Epiphysenfuge • Einstichstelle: Lokale Entzündungen (Zellulitis), subkutaner Abszess, Frakturen. Unsteriles Vorgehen: Osteomyelitis (< 1%) • Theoretische Gefahren (Bedeutung unklar): z.B. Fett- / Knochenmarksembolien
Verfügbare Instrumente • Intraossärnadel: 15- bis 18-G-Stahlkanüle, Längen 1,4 - 4,0 cm, (mit / ohne Gewinde und Seitenöffnungen an der Spitze, mit / ohne verstellbare(r) Länge). Beispiele: Modell Diekmann Fa. Cook (s. Abb. rechts), Modell Illinois Fa. Allegiance • Andere Knochenmarkspunktionsnadeln (z.B. nach Jamshedi, Spinalnadeln mit Trokar) • B.I.G. = Bone injection gun (mechanisiertes Instrument; mit einer vorgespannten Feder wird die Kanüle „auf Knopfdruck“ ins Knochenmark „hinein geschossen“. Postulierte Vorteile dieser Methode sind: geringere Verletzungsund Infektionsgefahr, geringer Trainingsaufwand, Schnelligkeit, definierte Eindringtiefe und hohe Dichtigkeit. Es existiert eine 18-G-Version für Kinder und eine 15-G-Version für Erwachsene. • Ungeeignet: Injektions-, Lumbal- oder Venenverweilkanülen. • Bei Nadeln ohne Gewinde oder limitierte Eindringtiefe: Erhöhte Gefahr der Perforation der Gegenseite!
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Kapitel 1 · Einsatz, Technik, Taktik
Intraossärer Zugang II Einsatz, Technik, Taktik
Durchführung 1. Festes Widerlager unter dem Kniegelenk: Knierolle (Frakturgefahr!) Keinesfalls die eigene Hand als Widerlager einsetzen (Verletzungsgefahr!) 2. Ggf. Infiltrationsanästhesie der Haut (wenn möglich des Periosts) 3. Sorgfältige Sprühdesinfektion 4. Kinder bis 6 Jahre: Proximale Tibiainnenfläche (Daumen und Zeigefinger auf vorderer medialer Tibiakante, Punktion in der Mitte, 4-8 cm distal des Gelenkspaltes bzw. 2 cm distal der Tuberositas tibiae. Einstichrichtung: 45° zur Knochenoberfläche, in Richtung kaudal (B.I.G.: 90°) Kinder ab 6 Jahre: Distale Tibiainnenfläche (4-6 cm proximal des Malleolus medialis), Einstichrichtung: 45° zur Knochenoberfläche, in Richtung kranial (B.I.G.: 90°) 5. Einführen unter Drehbewegung mit konstantem Druck (B.I.G.: abschießen). 6. Plötzlicher Widerstandsverlust bei Eintreten in die Markhöhle. Tiefe: Eindringtiefe
0 - 6 Jahre
6 - 12 Jahre
> 12 Jahre
Proximale Tibia (Facies medialis)
1,0 - 1,5 cm
1,5 - 2,0 cm
2,0 - 2,5 cm
Distale Tibia (Facies medialis)
0,75 - 1,0 cm
1,0 - 1,5 cm
1,5 - 2,0 cm
7. Kanüle in einer Hand, mit anderer Trokar aus Schaftgewinde herausdrehen 8. Lagekontrolle: Aspiration von Knochenmark/ Blut in aufgesetzte Spritze (ggf. Blutentnahme zur Diagnostik) 9. Injektionsprobe: Leichte Injizierbarkeit von NaCl 0,9% / ggf. Lokalanästhetikum. 10. Medikamentengabe: Zusätzlich unter Druck einlaufende isotone Trägerlsg. (ca. 10 ml/min ohne bzw. 25-40 ml/min unter 300 mmHg Druck) 11. Fixieren des Infusionsschlauches; sterile Abdeckung der Nadel • Bei Perforation der Gegenseite keine Medikamente applizieren! • Keine Mehrfachpunktion derselben Markhöhle! • Schnellstmöglicher i.v. Zugang (Klinik! - später Röntgenkontrolle) • Hypertone Lösungen sind zu verdünnen!
Punktionstechnik
Intraossäre Infusion
1.6 · Invasive Maßnahmen
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Zentralvenöser Zugang Definition Venenpunktion mit Einbringen eines Katheters, der in die großen Venen vor dem rechten Herz platziert wird.
Indikationen Im Notarztdienst: Notwendiger venöser Zugang bei Unmöglichkeit der Alternativen (periphere Venenpunktion, i.o.-Zugang, u.U. Port), Noradrenalingabe.
Kontraindikationen Gerinnungsstörungen, Vorsicht bei Pneumothorax (gesunde Seite schonen), nach Pneumektomie und bei anatomischen Veränderungen
Gefahren / Komplikationen • Arterielle Punktion (Blutung, arterielle Medikamentenapplikation mit Gefahr von Durchblutungsstörungen und Nekrosebildung) • Pneumothorax (Pleurapunktion) • Verletzung von Nerven (Lähmungen), Gefäßen (Blutung), Herzbinnenstrukturen • Thrombose / Embolie / Luftembolie • Infektionen, Abscheren von Kathetermaterial
Geräte / Material, Vorbereitungen Hautdesinfektionsmittel, sterile Handschuhe, sterile Kompressen, Pflaster, evtl. Lochtuch, evtl. Lokalanästhetikum, ZVK (steril)
Durchführung • ZVK-System a ) ZVK mit Venenverweilkanülensystem: Der Katheter (mit Mandrin) wird über eine Venenverweilkanüle eingeführt. Sterile Katheterumhüllungen ermöglichen auch ohne sterile Handschuhe ein steriles Einbringen des Katheters. Die Venenverweilkanüle wird anschließend zurückgezogen. (präklinisch zu bevorzugende Methode) b ) Seldingertechnik: Nach Punktion wird durch die Kanüle ein Führungsdraht eingeführt. Über diesen wird die Kanüle zurückgezogen und entfernt. Anschließend wird der Katheter über den Führungsdraht eingeführt und der Draht entfernt (der Führungsdraht muß stets digital fixiert werden, damit er nicht ins Gefässsystem rutscht). Die Seldingertechnik ist nicht für die Präklinik geeignet, da absolute Sterilität erforderlich ist.
• Mögliche Zugangsorte: V. basilica, V. subclavia, V. jugularis externa oder V. jugularis interna
Sonstige Hinweise • Auch im Notfall ist die Anlage eines ZVK Sache des in der Technik und der Durchführung erfahrenen und geübten Arztes. • Abgesehen von o. g. Indikation gibt es keinen Grund, präklinisch einen ZVK anzulegen (im Vergleich zum periphervenösen Zugang): höheres Risiko, schwierigere Technik, kleinere Flussraten (Volumentherapie).
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Kapitel 1 · Einsatz, Technik, Taktik
Narkose Einsatz, Technik, Taktik
Definition Durch Arzneimittel herbeigeführter, reversibler Zustand, der im Idealfall folgende Qualitäten aufweist: 1. Bewusstlosigkeit (Hypnose) 2. Schmerzlosigkeit (Analgesie) 3. Verminderung der Reflexaktivität (Hyporeflexie) 4. Muskelrelaxierung Die meisten Narkotika erfüllen nicht alle Qualitäten in gleichem Maße und müssen daher mit entsprechenden Präparaten (z. B. Analgetika, Muskelrelaxanzien) ergänzt werden. Andere Medikamente (z. B. zentralwirksame Analgetika) können wiederum narkotische Wirkung haben. Wirkstoffübersicht s. S. 454 f.
Narkose-Einleitung beim spontan atmenden Patienten • Notfallpatienten gelten immer als nicht nüchtern!! Daher: Monitoring, Absaugbereitschaft, Maßnahmen zur Aspirationsprophylaxe (z. B. SellickHandgriff) • Ein sicherer venöser Zugang ist unabdingbare Voraussetzung für eine Narkose, auch im Rettungsdienst. 1. Präoxygenierung (mehrminütiges Atmen bei hohem FiO2) 2. Ggf. Sedierung (z. B. Midazolam) 3. Präkurarisierung (z. B. Vecuroniumbromid) 4. Verabreichen der Narkosemedikamente, i. d. R. die Kombination eines Analgetikums (z. B. Fentanyl) gefolgt von einem Hypnotikum (z. B. Etomidat). Die Medikamente sind entsprechend ihrer Wirkung, Kontraindikationen und Nebenwirkungen auszuwählen (z. B. Ketamin: analgetische und hypnotische Potenz, Blutdruckanstieg, Herzfrequenzanstieg usw.). 5. Sellick-Handgriff, sobald Patient schläft. 6. Gabe eines kurzwirksamen Muskelrelaxans (z. B. Succinylcholin) (➯ Atemstillstand!) 7. Nach 60 Sekunden (bzw. bei ausreichender Narkosetiefe und Muskelrelaxierung): endotracheale Intubation (s. folgende Seiten)
Narkose-Aufrechterhaltung Im Rettungsdienst wird die Narkose durch Nachinjektion oder kontinuierliche Gabe über eine Spritzenpumpe aufrechterhalten. Narkosegase finden keine Verwendung. Die Nachgabe (z. B. Fentanyl und Midazolam) orientiert sich individuell an der Symptomatik (Blutdruck, Herzfrequenz, Reflexe usw.).
1.6 · Invasive Maßnahmen
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Endotracheale Intubation I Ziele im Rettungsdienst • guter Aspirationsschutz, sichere Beatmung • u.U. Applikation von Medikamenten (Adrenalin, Naloxon) • Anwendung verschiedener Beatmungsformen, auch unter Einsatz eines Beatmungsgerätes • endobronchiales Absaugen
Gefahren • Intubation in die Speiseröhre (Sauerstoffmangel, Tod!) • einseitige Intubation (Tubus zu tief; nur ein Lungenflügel beatmet) • Zahnschäden, Verletzungen im Mund- und Rachenbereich • vagale Reaktion bei vorhandenem Kreislauf • Laryngospasmus, Glottisödem • Stimmbandverletzung, Nekrose der Luftröhrenschleimhaut
Hinweise auf eine schwierige Intubation • kurzer, dicker Hals • fliehendes Kinn • Abstand Kinnspitze - Kehlkopf < 6,5 cm • große Zunge • vorstehende Schneidezähne und Überbiss • Halsunbeweglichkeit • Kiefergelenk: Mundöffnung < 3 cm • Gesichtsschädeltrauma • Missbildungen, Tumoren, Entzündungen, Traumata / Blutungen und Schwellungen im Halsbereich (z. B. Verbrennungspatient mit Inhalationstrauma)
Durchführung 1. Korrekte Lagerung: verbesserte Jackson-Position durch Kopfpolster 2. Kieferöffnung, ggf. künstliches Gebiss entfernen; Intubationshindernisse? 3. Einführen des Laryngoskopspatels in den rechten Mundwinkel und Zunge nach links verdrängen (nicht den Kehldeckel mit aufladen - außer mit entspr. . Spatel, z. B. Kind); Anheben des Zungengrundes (Ziehen - nicht hebeln!) 4. Einstellung der Stimmritze, ggf. Unterstützung durch BURP-Manöver = Druck auf den Kehlkopf (Backwards, Upwards, Rightwards Pressure); Delegation auf zweiten Helfer 5. Einführen des Tubus bis die Tubusmanschette hinter der Stimmritze verschwindet; Tubusmanschette blocken (nach Beatmungsgeräusch) 6. Beatmungsbeutel anschließen, Beatmen - Lagekontrolle (möglichst mehrere Techniken einsetzen - s. nächste Seite); ggf. Lagekorrektur + erneute Kontrolle • Auskultation (beide Axillae - einseitige Intubation? Epigastrium - Magen?) • Beobachtung: Heben und Senken des Thorax, zyklisches Tubusbeschlagen • exspiratorischer Kohlendioxidnachweis (Vorsicht bei Herz-Kreislaufstillstand) • Ösophagusdetektor (Tube-Check®-Ball, Positube®-Spritze) • im Zweifel: Kontroll-Laryngoskopie, wenn vorhanden Fiberoptik 7. Beißschutz einlegen; Tubus und Beißschutz sicher fixieren 8. Regelmäßige Lagekontrolle
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Kapitel 1 · Einsatz, Technik, Taktik
Endotracheale Intubation II Einsatz, Technik, Taktik
Praxishinweise • Dauert der Intubationsversuch länger als 30 s ➯ Intubationsversuch beenden und erneut mit Maske und Beatmungsbeutel beatmen • Im Einzelfall muss der Intubierende erkennen und akzeptieren, dass der Patient nicht zu intubieren ist; weiteres Vorgehen nach Algorithmus auf S. 205 (Atemwegsmanagement) • Grundsätzlich Intubation möglichst unter EKG-Monitoring, um eventuelle vagale Reaktionen (Bradykardie bis Herz-Kreislaufstillstand) erkennen zu können. Bei vagaler Reaktion ggf. sofortiger Abbruch des Intubationsversuches. • Intubation erst beginnen, wenn Gerät und Material bereitliegt. Keine Hektik.
K ontrolle der Tubuslage Eine fehlerhafte Intubation kann - wenn nicht sofort erkannt und behoben - für den Patienten letale Konsequenzen haben. Daher gilt es gerade im Notfalleinsatz, jede nur mögliche Anstrengung zu unternehmen, um die korrekte Tubusplatzierung festzustellen bzw. eine Fehlplatzierung zuverlässig und früh zu entdecken. Beste-
hen Zweifel bei den primären und sekundären Zeichen für eine korrekte Tubuslage: Kontroll-Laryngoskopie - Tubus zwischen den Stimmbändern?
Primäre = klinische Zeichen für eine korrekte Tubuslage (nicht zuverlässig - möglichst mehrere Zeichen prüfen) • Auskultation eines Beatmungsgeräusches über den Lungen (beide Axillae: Fehlintubation? Einseitige Intubation?) und Ausschluss eines Geräusches über dem Magen bei korrekt geblocktem Tubus. • Heben und Senken des Thorax bei Beatmung • Beschlagen des Tubus bei Exspiration
Sekundäre Zeichen für eine korrekte Tubuslage (relativ zuverlässig; jedoch nicht sicher; einseitige Intubation wird nicht identifiziert) • Kapnometrischer Nachweis von CO2 in der Ausatemluft nach mehreren Beatmungen (>6, initial kann bei CO2-haltigen Getränke im Magen auch dort CO2 nachgewiesen werden; dieses wird nach wenigen Beatmungen ausgewaschen). Der CO2-Nachweis setzt einen funktionierenden Kreislauf voraus. Cave: CO2 kann bei Herz-Kreislaufstillstand, Hypothermie und Hyperventilation trotz korrekter Lage negativ sein. Zum qualitativen CO2-Nachweis im Sinne einer korrekten Tubuslage sind kolorimetrische Verfahren akzeptabel (Indikatoraufsatz). • Esophageal Detection Device (z. B. TubeCheck®, Fa. Ambu): Ein elastischer, Kunststoffballon wird komprimiert auf den Tubus gesetzt: füllt er sich schnell, so liegt der Tubus wahrscheinlich tracheal (durch Knorpelspangen offenes Lumen), füllt er sich langsam o. gar nicht, so liegt er wahrscheinlich ösophageal (anliegender Muskelschlauch). Es existiert auch ein Spritzenmodell (Positube®).
1.6 · Invasive Maßnahmen
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Endotracheale Intubation III Sichere Zeichen für eine korrekte Tubuslage • Laryngoskopische Kontrolle der Tubuslage: Kontrolle, dass der Tubus zwischen den Stimmbändern hindurchgeht • Fiberoptische Kontrolle der Tubuslage: Kontrolle mit einer flexiblen Fiberoptik (Bronchoskop) - Nachweis von Knorpelspangen und Sicht auf die Carina. Bei folgenden Zeichen sollte man - auch nach mehreren Tubusbeatmungen - an eine Komplikation (z. B. Dislokation des Tubus, Cuff-Defekt) denken: - Aufblähen der Magengegend, gurgelndes Geräusch bei Beatmung - fehlende Atembewegungen bei Beatmung, erhöhter Atemwiderstand - O2-Sättigungsabfall, Zyanose - Tachykardie / Bradykardie. Wird eine versehentliche Intubation des Ösophagus festgestellt, ist sofort die Beatmung zu beenden. Es bestehen folgende Möglichkeiten: a) Tubus (ggf. nach erster Magenentlastung) unter Absaugbereitschaft herausziehen und ggf. erneuter Intubationsversuch b) Andere Autoren empfehlen, den fehlplazierten Tubus initial zu belassen und zu blocken (Aspirationsschutz) und unter laryngoskopischer Sicht einen zweiten Tubus in die Trachea einzuführen (verhindert jedoch nicht eine erneute Fehlplatzierung, da auch 2 Tuben in den Ösophagus passen). Nach erfolgreicher Intubation (Blocken!) Entlastung des Magens mittels Magensonde.
Techniken / Hilfsmittel zur schwierigen Intubation (Alternative Hilfsmittel zur Atemwegssicherung s.S. 49 f., Algorithmus Atemwegsmanagement s.S. 205) Ohne Anspruch auf Vollständigkeit und abschließende Wertung! Bei der Vielfalt an Hilfsmitteln und Alternativen zur endotrachealen Intubation ist jedoch zu beachten, dass - nur Verfahren, die im Routinebetrieb unter „normalen“ Bedingungen trainiert wurden, auch unter Extrembedingungen sicher eingesetzt werden können - eine große Auswahl nicht dazu (ver-)führen darf, speziell in den Situationen „fehlgeschlagene Intubation“ / „Unmöglichkeit der Beutel-Masken-Beatmung“ (can’t intubate - can’t ventilate) die definitive Atemwegssicherung zu verzögern. - Cave: multiple Versuche mit verschiedenen Verfahren ohne definitive Erfolgsaussicht. In diesen Fällen ist nach Algorithmus vorzugehen (Combitubus, Larynxmaske, chirurgischer Atemweg). • Inverse Intubation beschreibt das umgekehrte Halten des Laryngoskopes, wenn der NA sich zur Intubation nicht hinter den Kopf des Pat. begeben kann, sondern sich z. B. aufgrund einer Einklemmungssituation vor oder über ihn stellen muss; wegen der bildlichen Assoziation wird hier auch von der „Eispickelmethode“ gesprochen. (Fortsetzung s. nächste Seite)
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Kapitel 1 · Einsatz, Technik, Taktik
Einsatz, Technik, Taktik
Endotracheale Intubation IV - Spezielle Techniken II • Der Schröder-Mandrin ist ein preisgünstiger, in der Saggitalachse lenkbarer Führungsstab, der eine Veränderung der Krümmungsstärke v.a. am Tubusende ermöglicht, sodass eine Nachkorrektur während Intubation möglich ist. • Mittlerweile stehen transportable fiberoptische Endoskope mit Batteriebetrieb zur Intubation zur Verfügung (ohne Arbeitskanal). Dies verlangt zwar intensive Ausbildung des Anwenders, kann aber in schwierigen Situationen (z. B. Gesichtsschädeltrauma, anatomische Varianten) eine Intubation erleichtern; als Alternative zur gescheiterten Notfallintubation ist die fiberopt. Intubation jedoch kritisch zu sehen (z.B. starke Beeinträchtigung durch Blut und Sekrete). • Videolaryngoskop: Neben einer verbesserten Überwachung beim Erlernen der Intubation bietet das Videolaryngoskop auch Vorteile bei schwierigen Atemwegen: der zur Spitze hin platzierte Videodetektor bietet einen erweiterten Blick auf den Larynxeingang im Vergleich zur konventionellen Intubation. • Zur retrograden Intubation wird über das Lig. conicum (z.B. mit einer mind. 2mm-Venenverweilkanüle) ein langer Führungsdraht in die Trachea eingeführt und in Richtung Mund vorgeschoben. Mit einer Zange kann man dieses Ende aus dem Rachen durch den Mund herausziehen und mittels SeldingerTechnik einen Endotrachealtubus über den Führungsdraht einführen. Alternativ wird auch berichtet, dass man den Führungsdraht mit einem Knoten im sog. Murphy-Auge eines Endotrachealtubus verbinden kann; wenn man nun den Draht am Lig. conicum wieder zurückzieht, zieht man gleichzeitig den Tubus in die Trachea. Cave: Blutungen, Verletzungen! Es existieren Fertigsets. • Mit dem Trachlight steht eine diaphainoskopische Intubationshilfe (Transilluminationstechnik) zur Verfügung; mit einem Stilett, das an der Spitze intensiv leuchtet, wird die Trachea sondiert; an der ventralen Halshaut kann über die Wahrnehmung des Lichtes auf die Nähe zur Trachea bzw. die Eindringtiefe geschlossen werden. Über das korrekt liegende Stilett wird dann ein Tubus eingeführt. Diese Technik ist bei heller Umgebung nur eingeschränkt nutzbar. • Eine blind-nasale Intubation kann bei einem spontan atmenden Patienten versucht werden, wobei die Tubusspitze zuächst bis knapp vor den Kehlkopf platziert u. genau in der Einatemphase eingeführt wird; verlangt Konzentration, Ruhe und Übung. Es gibt hierzu Hilfsmittel in Form von Pfeifen, die auf den Tubus gesetzt durch Töne In- und Exspiration anzeigen. Cave: Epistaxis! • Ferner existieren spezielle Laryngoskopausführungen bzw. Zubehör (z. B. nach Bullard, McCoy und nach Bumm), die z.B. über eine fiberoptische Einrichtung (bei normaler Mundöffnung!) den Blick auf die Stimmritze ermöglichen.
1.6 · Invasive Maßnahmen
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Doppellumentubus (Combitube) Prinzip Zwei Tuben werden so in einem Gerät untergebracht, dass sie über getrennte Konnektoren für den Beatmungsbeutel verfügen, nach wenigen cm in einem gemeinsamen Kanal verlaufen und patientenseitig folgendermaßen münden: 1. der “weiße Tubus” am Tubusende mit einer Öffnung, 2. der “blaue Tubus” wenige cm davor mit mehreren seitlichen Öffnungen. Je ein Cuff befindet sich zwischen blauem und weißem Mündungsbereich (hypopharyngeal) und distal der weißen Mündungen (pharyngeal). Der Doppellumentubus wird blind eingeführt (bis Markierung Zahnreihe) und kommt meist mit der Spitze ösophageal zu liegen, sodass man den Beatmungsbeutel zunächst an den blauen Konnektor anschließt; über die Öffnungen des blauen Tubus, die nun supraglottisch liegen, kann in die Trachea ventiliert werden, sofern mit dem hypopharyngealen Cuff der Ösophaguseingang und mit dem pharyngealen Cuff der Weg zum Cavum nasi / oris verschlossen wurde. Stellt man bei den ersten Beatmungen fest, dass der weiße Tubus tracheal eingeführt wurde (kein Beatmungsgeräusch über den Lungen; Magenblähung der hypopharyngeale Cuff sitzt in der Trachea), so wird der Beatmungsbeutel auf den weißen Konnektor gesetzt. Bei Beatmungsschwierigkeiten ggf. 1-2 cm herausziehen und erneut versuchen.
Anwendungshinweise • Tubusgröße 37 Ch für Patientengröße 120 - 180 cm; 41 Ch für > 180 cm • Tubus mit Gleitgel lubrifizieren; Lagerung: Reklination des Kopfes! • Ggf. Vorbiegen des Combitube (Lipp-Manöver). Neben dem Tubus müssen je eine 20 ml- und 100 ml- Blockerspritze und ein Stethoskop bereit liegen. • Bei ösophagealer Lage ist kein tracheales Absaugen möglich! • Der Doppellumentubus erzeugt einen PEEP-Effekt der - wenn erwünscht zur Anhebung des Sauerstoffpartialdruckes beitragen kann.
Indikationen Der Doppellumentubus stellt (in Anbetracht seiner prinzipiell einfachen Beherrschbarkeit sowie des gewissen Aspirationsschutzes bei Möglichkeit der blinden Intubation) eine initiale Alternative zum Goldstandard der konventionellen endotrachealen Intubation dar, wenn letztere aus materiellen, personellen oder zeitlichen Gründen bzw. wegen schwieriger Bedingungen ausscheidet (vgl. S. 205). Insbes. bei Herz-Kreislaufstillstand fällt der Vorzug der Schnelligkeit ins Gewicht. Da der Notarzt aber in der endotrachealen Intubation geübt ist, wird er nur in Ausnahmefällen den Umweg über den Combitube gehen.
Kontraindikationen • vorhandene Schutzreflexe, Atemwegsobstruktion (z.B. Fremdkörper) • schweres Pharyngeal- / Ösophagealtrauma, Ösophagusverätzung • kleiner Mund; kleine Anatomie; Kinder [und Jugendliche]
Gefahren / Komplikationen Ösophagusruptur, Cuffbeschädigung durch Zähne des Patienten, Traumen im Pharynx- und Larynxbereich, Verlegung der Öffnungen bei zu tiefem Einführen
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Kapitel 1 · Einsatz, Technik, Taktik
Larynxmaske (LM), Larynxtubus (LT) Einsatz, Technik, Taktik
Prinzip Die LM wurde in den 80er Jahren als einfach zu handhabender Kompromiss zwischen Maskenbeatmung u. Intubation entwickelt (Brain). Der Wirkmechanismus beruht darauf, dass die LM bei korrekter Platzierung den Hypopharynx bedeckt, wodurch die Beatmung direkt in die Trachea erfolgt, was die Gefahr der Magenüberblähung minimiert u. die Beatmung erleichtert. Dabei ist zu beachten, dass konstruktionsbedingt kein Schutz vor Aspiration (ösophageale Luftinsufflation möglich; Regurgitation) besteht.Ein spezielles Modell (LMA-Fasttrach) ermöglicht nachträgliches Einführen eines Trachealtubus über die LM. Die Modifikation ProSeal soll einen verbesserten Aspirationsschutz bieten (optimierter Cuff u. Kanal für Magensonde zur Magenentlastung). Auch Einmallarynxmasken sind im Handel verfügbar.
Kontraindikationen Nicht nüchterner Pat. (= Notfallpatient immer!); vorhandene Schutzreflexe; Adipositas per magna (Aspirationsgefahr erhöht); Thoraxtrauma; Notwendigkeit erhöhter Beatmungsdrücke (> 15 mbar) (z.B. Obstruktion wie Asthma – Leckagegefahr); Pharynxerkrankung / -verletzung (Fehllagen, Blutung)
Anwendung Material: LM in entspr. Größe (I Säugling - 5 ml, V großer Erwachsener - 40 ml), 10- / 20-ml- Spritze zum Blocken, anästhetisches Gleitgel, Mullbinde (Fixation), Absaugpumpe, Stethoskop (Lagekontrolle), Beißkeil (Guedeltubus kann korrekte Lage der LM beeinträchtigen). Der Cuff der LM wird auf Dichtigkeit geprüft, komplett entleert und mit Gleitgel bestrichen. Einlage entlang des harten u. weichen Gaumens (bis Widerstand spürbar); Cuff blocken. Kontinuierl. Lagekontrolle obligat (häufig Fehllagen, auch nach initial korrekter Ventilation).
Bedeutung im Rettungsdienst Wegen der o. g. Kontraind. bietet sich die LM im professionellen RD nicht an. Die LM kann erwogen werden als initiale Alternative zur schnellstmöglichen definitiven Atemwegssicherung durch endotracheale Intubation, wenn letztere aus personellen, materiellen oder zeitl. Gründen oder schwierigen Intubationsbedingungen (überbrückend bei „Can’t ventilate, can’t intubate“) nicht möglich ist (bei HKS).
Larynxtubus Einlumiger Tubus mit zwei Cuffs (oropharyngeal und ösophageal). Wird in den Ösophagus eingeführt, sodass die Beatmungsöffnung (Ende des Lumens zwischen den Cuffs) gegenüber dem Larynxeingang liegt. Während der ösophageale Cuff eine Magenbeatmung und Aspiration verhindern soll, dichtet der größere oropharyngeale Cuff die Atemwege nach oben ab. Auch Kindergrößen verfügbar. Der alternative Stellenwert zur endotrachealen Intubation und zur BeutelMaskenbeatmung wird derzeit evaluiert. In den ERC-Leitlinien 2005 ist der Larynxtubus bereits analog Larynxmaske und Combitubus als Aternative aufgeführt.
1.6 · Invasive Maßnahmen
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Trachealkanülierung / Koniotomie I Definition Herstellung einer luftleitenden Verbindung zwischen der Trachea und der Außenathmosphäre bzw. einer O2-Insufflations-/Beatmungsmöglichkeit
Indikationen Vitalbedrohliche glottische oder supraglottische Verlegung / Veränderung der Atemwege, die - eine suffiziente Eigenatmung des Patienten oder eine notwendige Beatmung verhindert und - nicht durch weniger invasive Maßnahmen (z. B. Fremdkörperentfernung, endotracheale Intubation) behandelt werden kann (vgl. Algorithmus S. 205)
Kontraindikationen Bei Vorliegen der Indikation: keine.
Gefahren / Komplikationen Starke Blutungen mit nachfolgender Aspiration bei Verletzungen der Schilddrüse (z.B. Lobus pyramidalis!) oder bei Gefäßverletzungen (z.B. Ramus cricothyroideus, Aae. thyroideae sup. (oft Anastomose vor dem Lig. conicum!), Hautgefäße), Stimmbandläsionen, Schädigung des N. laryngealis sup. (R. ext.), bei zu tiefer Inzision / Punktion auch Verletzungen der Tracheahinterwand und des Ösophagus; Verletzungen der Knorpel und des Larynx; spätere Trachealstenosen; Durchtrennung des M. cricothyroideus
Geräte / Material, Vorbereitungen Hautdesinfektionsmittel, sterile Handschuhe, sterile Kompressen, Pflaster, Absaugbereitschaft, evtl. Lokalanästhetikum, evtl. Lochtuch, ferner: a) Trachealkanülierung (Nadelcricothyroidotomie): großlumige Venenverweilkanüle(n) (z. B. 2,0 mm), 5ml-Spritze; ggf. zum Anschluss eines oder (mehrerere applizierte Kanülen) mehrerer Beatmungsbeutel: - Variante 1: Konnektor eines 3,5-mm-Endotrachealtubus (I.D.) - Variante 2: Zylinder einer 2-ml-Spritze mit Konnektor eines 8-mmEndotrachealtubus (I.D.) - Variante 3: Zylinder einer 5-ml-Spritze mit darin geblocktem 6,5-mmEndotrachealtubus (Cave: Totraum! Daher besser Variante 1 oder 2) b) Koniotomie mit chirurgischem Besteck (chirurg. Krikothyroideotomie): (evtl. zur vorherigen Probepunktion: 5ml-Spritze mit Kanüle), Skalpell, PräparierSchere (oder Klemme oder Nasenspekulum), Endotrachealtubus (etwas kleiner als “normal”, ca. 5-6 mm I.D. bei Frauen und 6-7 mm I.D. bei Männern), ggf. Mandrin, Blockerspritze (10 ml), Klemme c) Koniotomie mit handelsüblichem Set (Punktionskrikothyroideotomie): 1. Kanülen mit Trokar (z. B. Quicktrach, TracheoQuick) 2. Dolchförmige Dilatatoren (z. B. Nu-Trake) 3. Dilatatoren mit Seldinger-Technik (z. B. Melker-Set, Mini-Trach II Seldinger)
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Kapitel 1 · Einsatz, Technik, Taktik
Trachealkanülierung / Koniotomie II Einsatz, Technik, Taktik
Durchführung 1. Lagerung: Kopf überstrecken (Cave: V.a. HWS-Verletzungen), Widerlager im Nacken 2. Hautdesinfektion, Lochtuch auflegen, sterile Handschuhe anziehen 2. Mit der linken Hand den Kehlkopf von kranial am Schildknorpel fixieren 3. Mit der rechten Hand das Lig. conicum (Sulcus) aufsuchen (tastbare Lücke zwischen Schild- und Ringknorpel) 4. Ggf. Lokalanästhesie (z. B. mit 2 – 4 ml Lidocain 1%) a) Trachealkanülierung 1. Entfernen des Stopfens der Stahlkanüle und Aufsetzen der 5-ml-Spritze 2. Nach Einstich in die Haut über dem Lig. conicum langsames Vorschieben der Kanüle unter ständiger Aspiration nach dorsal-kaudal (nicht zu tangential !) 3. Sobald Luft aspiriert werden kann (evtl. plötzlicher Widerstandsverlust! Cave: Perforation der Hinterwand!), Abflachen der Stichrichtung und weitere 3 – 5 mm vorschieben, bis Plastikkanüle in der Trachea liegt. 4. Stahlmandrin zurückziehen, Plastikkanüle weiter vorschieben, wenn kein Luftstrom feststellbar: mit Spritze erneut Lageprüfung. Bei Atemstillstand (Kinder-) Beatmungsbeutel anschließen und Kanüle fixieren. 5. Ggf. müssen mehrere Kanülen zur suffizienten Ventilation platziert werden; ggf. synchrone Beatmung mit zwei oder drei Beuteln. Nach Möglichkeit wird dann ohne weiteren Zeitdruck wie unter b) verfahren. b) Koniotomie mit chirurgischem Besteck: 1. Ca. 2-3 cm lange saggitale Hautinzision über dem Lig. conicum 2. Erneute Palpation des Lig. conicum in der Längsinzision 3. Querdurchtrennung des Lig. conicum durch eine ca. 1 cm breite Querinzision; Öffnung zur Trachea z. B. mit Nasenspekulum spreizen 4. Einbringen eines Endotrachealtubus (evtl. Seldinger-Technik) 5. Tubus blocken, Tubuslage kontrollieren, Tubus sicher fixieren 6. Endotracheal absaugen. c) Koniotomie mit handelsüblichem Set: Gebrauchsanleitung der Hersteller beachten ! Diese Hilfsmittel können die Koniotomie erleichtern, sofern ihre jeweilige Anwendung bekannt und geübt ist. Auch mit Hilfe dieser Sets ist die Koniotomie nicht ungefährlich. Struma und reiches Unterhautfettgewebe können die Anwendung unmöglich machen.
Keine Tracheotomie im Notfall Die Notfalltracheotomie (i.d.R. Kinder: inferior / Erwachsene superior) ist deutlich schwieriger, längerwieriger und komplikationsreicher als die oben beschriebenen Methoden. I.d.R. gelingt die Koniotomie, sodass die Tracheotomie für die Präklinik als obsolet gilt. Allenfalls bei Kindern (anatom. Enge im Bereich des Ringknorpels) hat die Tracheotomie nach erfolgloser Trachealkanülierung als Ultima Ratio noch ihre Berechtigung (cave: A. thyroidea ima, Karotiden, Thymus, Truncus brachiocephalicus; ferner diverse großlumige Venen - Gefahr: Luftembolie).
1.6 · Invasive Maßnahmen
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Thoraxpunktion, Thoraxdrainage I Definition Herstellung einer luftleitenden Verbindung zwischen dem Pleuraspalt und der Außenatmosphäre mit dem Ziel, einen erhöhten Druck im Pleuraspalt zu senken, der eine Entfaltung der Lunge behindert und / oder eine erhöhte Vorlast des rechten Herzens bedingt und zu einer Mediastinalverschiebung führen kann.
Indikationen Spannungs-Pneumothorax, beidseitiger Pneumothorax, respiratorische oder kardiozirkulatorische Verschlechterung bei V. a. Hämatothorax / Pneumothorax / Serothorax unter adäquater Volumengabe und Beatmung, prophylaktisch bei Risiko eines Spannungs-Pneumothorax (z. B. bei beatmetem Patient mit ThoraxTrauma, insbes. vor Hubschraubertransport)
Kontraindikationen Bei Vorliegen der Indikation: keine
Gefahren / Komplikationen Fehlplatzierung (Drainageöffnung außerhalb der Pleurahöhle ➯ keine wirksame Entlastung), diverse Blutungen und Verletzungen von Interkostal-Nerven (insbes. bei falscher Punktionsstelle / -technik), Abknicken / Verstopfen (dünner) Drainagen, Verletzungen der Pleura visceralis und des Lungenparenchyms bei nicht indizierter Punktion, v. a. bei Zwerchfell-Hochstand / -ruptur oder fehlerhafter Technik (Cave: starrer Mandrin) sind Lazerationen von Zwerchfell, Leber, Magen und Milz möglich
Geräte / Material, Vorbereitungen Hautdesinfektionsmittel, sterile Handschuhe, sterile Kompressen, Pflaster, evtl. Lochtuch, evtl. Lokalanästhetikum, ferner: a) Skalpell, evtl. Präparier-Schere, Klemme, Thorax-Drainage (24 – 32 Ch; Pneumothorax: kleines Lumen; Hämatothorax: großes Lumen) oder Endotracheal-Tubus (I.D. 6 - 8 mm) mit Blockerspritze (10 ml) b) Fertiges Punktionsbesteck mit Thorax-Drainage und Trokar
Punktionsorte 1. Nach Monaldi: bevorzugt zur akuten Entlastungspunktion: 2. (oder 3.) ICR in der MCL (lateral des tastbaren Angulus sterni setzt die zweite Rippe an; die erste ist i.d.R. nicht tastbar - die Punktion bzw. Inzision erfolgt mind. 3 Querfinger lateral des Sternum randes ➯ cave: Verletzung der A. thoracica int.!) 2. Nach Bülau: bei Hämato- oder Pneumothorax, v. a. bei Thoraxtrauma: 4. oder 5. ICR in der MAL (auf jeden Fall supramamillär!)
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Kapitel 1 · Einsatz, Technik, Taktik
Thoraxpunktion, Thoraxdrainage II Einsatz, Technik, Taktik
Durchführung Technik der digitalen Thorakozentese 1. Arm abduzieren und fixieren 2. Punktionsstelle identifizieren 3. Hautdesinfektion, Lochtuch auflegen, sterile Handschuhe anziehen 4. Ggf. Lokalanästhesie (Haut und Periost, z. B. 5 – 10 ml Lidocain 1 %). 5. ½ bis 1 ICR kaudal der geplanten Einlagehöhe 2 cm lange Hautinzision parallel zur Rippe (Kulissentechnik); stumpf auf die Rippe zu und über den Oberrand hinweg präparieren (mit geschlossener Schere / Klemme eingehen; mit geöffneter herausziehen); die Pleura parietalis wird mit dem Finger durchbohrt; digitales Austasten (z. B. Lösen von Pleuraadhäsionen, frakturierte Rippen? Ortsfremde Organe?) 6. Drainage einlegen (mit dem Finger führen; bei Pneumothorax nach ventral, bei Hämatothorax nach dorsal); bei korrekter Lage beschlägt die Drainageinnenwand (Pneumothorax) bzw. es tritt Blut aus (Hämatothorax); Tubus ggf. blocken (Sicherung gegen versehentliches Herausziehen) 7. Keine geschlossenen Auffangbeutel für austretendes Blut verwenden (unkontrollierte Druckerhöhung); bei massiver Blutung ggf. abklemmen. 8. Fixieren der Drainage mit Kompressen, sowie mit Naht oder Pflaster Das Einführen der Thorax-Drainage mittels Trokar wird aufgrund des hohen Verletzungsrisikos von Leber, Milz und Lungengewebe und wegen häufiger Fehllagen nicht mehr empfohlen.
Sonstige Hinweise • Keine Verwendung eines Heimlich-Ventils, da dieses unbemerkt verlegt werden kann (z. B. durch Blutkoagel) ➯ Spannungs-Pneumothorax. Ebenso muss ein Abknicken von Drainagen sicher vermieden werden! • Die Anlage eines Wasserschlosses oder Sogs an die angelegte Thoraxdrainage ist präklinisch nicht unbedingt notwendig; ggf. reicht die kontrollierte Beatmung zur Entfaltung der Lunge aus. • Die Technik der digitalen Thorakozentese ist auch für die Punktion nach Monaldi geeignet; umgekehrt jedoch birgt die Technik mit Trokar generell erhöhte Gefahren (z. B. Perforation des Zwerchfelles, Verletzung der Lunge). • Bei gesichertem perakutem Spannungs-Pneumothorax ist aufgrund der gebotenen Eile die sofortige Pleura-Punktion mit einer großlumigen Kanüle zur primären Entlastung indiziert (Punktionsort unbedingt nach Monaldi). Auf Desinfektionsmaßnahmen kann dann ggf. verzichtet werden. Achtung: Nur so tief einführen, wie nötig! Stahlmandrin rechtzeitig entfernen!
1.6 · Invasive Maßnahmen
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Reponieren von Frakturen Definition Wiederherstellung der ursprünglichen Lage von Knochen- und Gelenkstellungen
Indikationen Frakturen (auch offene) und Luxationen, die mit einem Verlust oder bedrohlicher Minderung der distalen Perfusion, Motorik und / oder Sensibilität einhergehen. Ferner extrem dislozierte Frakturen, deren ungewöhnliche Stellung keinen sicheren Transport ermöglicht und / oder die Vermeidung sekundärer Weichteil-Schäden (Nerven, Gefäße) durch die Reposition erreicht werden soll.
Kontraindikationen / Einschränkungen Bei der Versorgung eines Polytraumatisierten hat die Behandlung vitalbedrohlicher Störungen (z. B. Schädel-Hirn-Trauma, Thoraxtrauma) Priorität. Eine Reposition sollte immer unter adäquater Analgesie durchgeführt werden. Vor der Reposition sollten ferner die Hilfsmittel bereitliegen, die zur Ruhigstellung der betroffenen Gelenke erforderlich sind. Reposition von Schulterluxationen (auch habituell ohne DMS-Einschränkung) erst nach Röntgenkontrolle (Ausschluss von Knochenabsplitterungen).
Technik • Prüfen und Dokumentieren der peripheren Durchblutung (Pulse), Sensibilität und Motorik der frakturierten Extremität. • Bereitstellung und Vorbereitung von geeignetem Schienungs- und Umlagerungsmaterial (Assistenzpersonal). Wirksame Analgesie. • Durch kontinuierlichen Zug beidseits der Fraktur wird Periost-Reiben (schmerzhafte / schädliche Krepitation) vermieden. • Unter Zug wird eine Stellungskorrektur vorgenommen, die der ursprünglichen Lage entspricht, wobei Interposition von Weichteilen oder Knochenfragmenten im Frakturspalt vermieden werden muss. • Kontrolle der des Repositionserfolges, ggf. Korrektur. • Fixieren der Extremität mit geeignetem Schienungsmaterial, welches die beiden angrenzenden Gelenke ruhigstellt.
Material zur Schienung nach erfolgreicher Reposition • Notfall-Extensionsschiene (z. B. Sager-Streckschiene); diese ist zwar relativ aufwändig anzulegen (kommt daher eher bei isoliertem Extremitätentrauma in Betracht), hat aber den Vorteil, dass weitere Krepitation vermieden wird. Geeignet für Frakturen der großen Röhrenknochen. • Vakuumschienen passen sich der gegebenen Form exakt an. • Pneumatische Schienen (synonym: Luftkammerschienen) richten sich durch Füllung mit Luft in einer vorgegebenen Form aus und üben einen - bei Frakturen nicht unbedingt erwünschten - Druck auf die geschiente Extremität aus. Gute Polsterung gegenüber äußeren Einflüssen. • Gepolstertes verformbares Aluminiumblech (z. B. SamSplint) • Gepolsterte verformbare Drahtgitterschienen (Kramer-Schienen - nur noch im Katastrophenschutz gebräuchlich).
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Kapitel 1 · Einsatz, Technik, Taktik
Vagale Manöver Einsatz, Technik, Taktik
Indikationen Regelmäßige Tachykardien mit schmalen QRS-Komplexen (<0,12 s) ohne Instabilitätszeichen; insbesondere paroxysmale supraventrikuläre Tachykardien. Vgl. S. 127
Ätiopathogenese Oft bei jungen Personen ohne Hinweis auf kardiale oder sonstige organische Vorerkrankung. Als häufigste Ursache (60 bis 70%) gilt eine AV-Knoten-ReentryTachykardie mit Kammerfrequenzen bis 200/min. Als weiterer auslösender Faktor ist differentialdiagnostisch ein retrograd leitendes akzessorisches Bündel (concealed accessory pathway) in Betracht zu ziehen (20 bis 30 %). Seltenere Ursachen sind die Sinusknoten-Reentry-Tachykardie sowie eine ektope atriale Tachykardie.
Ziel Rasche reflektorische Re-Rhythmisierung über Stimulation des N. vagus um drohende klinische Zeichen (v.a. bei kardialer Vorerkrankung) wie z.B. Synkopen, Lungenödem, arterielle Hypotonie bis hin zum kardiogenen Schock zu vermeiden.
Methoden a) Karotissinus-Druck bzw. –Massage: einseitig, einige Sekunden (Cave: nicht bei Strömungsgeräuschen über der A.carotis) b) Valsalva-Manöver (mehrere Sekunden starke Bauchpresse und Anspannung der Exspirationsmuskulatur nach maximaler Inspiration), z.B. bei Kindern dazu evtl. einen Luftballon aufblasen lassen oder auffordern, durch festes Einblasen in den Auslasskonus eine Spritze „aufzublasen“, sodass der Kolben zurückweicht (gelingt nicht, aber der Pat. führt das Manöver so korrekt durch) c) eiskaltes, möglichst kohlensäurehaltiges Wasser trinken lassen d) facialer Eispack (Diving-Reflex) für einige Sekunden e) Bulbus-Druck (Aschner-Dagnigni-Reflex)
Komplikationen Generell: Hämodynamisch wirksame bradykarde Herzrhythmusstörungen bis hin zur Asystolie. Je nach Maßnahme (s. o.) zusätzlich: a) Lösen wandständiger arteriosklerotisch bedingter Plaques mit drohendem ischämischen cerebralen Insult (Cave: Karotisstenose!!! - auskultatorisch nur in ca. 50 % der Fälle feststellbar) c) Aspiration e) Unterbindung der arteriellen Versorgung (v.a. A. centralis retinae) bei Arteriosklerose, Linsenluxation bei Pseudophakie, Bulbusverletzung, Brechreiz • Kontraindikation bei V.a. Digitalis-Intoxikation, akuter Ischämie, Vorhofflimmern und -flattern (Gefahr des Kammerflimmerns) • Vagale Manöver nur unter EKG-Monitoring u. CPR-Bereitschaft durchführen!
1.6 · Invasive Maßnahmen
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Elektrotherapie Kardioversion Indikation: Tachykarde Rhythmusstörungen mit Zeichen klinischer Instabilität gemäß dem Algorithmus S. 127 Durchführung: • Reanimationsbereitschaft herstellen - für ausreichend qualifiziertes Personal sorgen - Material bereitlegen (Beatmungsbeutel und -maske, Intubationsset, Medikamente) • Sauerstoffgabe (Präoxygenierung)! • Sedierung: z. B. Etomidat (0,1 - 0,3 mg / kg KG) oder Midazolam (0,05 - 0,1 mg / kg KG), evtl. in Verbindung mit einem Opiat (z. B. Fentanyl) • Synchronisierte Kardioversion; synchronisiert bedeutet, dass der elektrische Schock gleichzeitig mit einer R-Zacke ausgelöst wird. Falls dabei Verzögerungen entstehen oder der Zustand des Patienten sich verschlechtert: sofortiger unsynchronisierter Schock. Energie-Stufen für die erste Kardioversion: • Vorhofflattern und paroxysmale supraventrikuläre Tachykardie 70 - 120 Joule biphasisch oder 100 Joule monophasisch • Vorhofflimmern und Breitkomplextachykardie 120 - 150 Joule biphasisch oder 200 Joule monophasisch • Weitere Kardioversionen mit höheren Energien möglich
Externer transkutaner Herzschrittmacher Indikation: Bradykarde Rhythmusstörungen mit Zeichen klin. Instabilität u./o. Asystolierisiko (AV-Block 2° Typ II oder 3°, anamnest. Asystolie, Pausen >3 s) Durchführung: • Anbringen der Elektroden • Betriebsart wählen (abhängig vom Gerätetyp - die meisten Geräte arbeiten obligat im Demand-Modus): a) Kontinuierliche Stimulation b) Demand-Modus: bei Abfall der Herzfrequenz unter eine festgelegte Grenze setzt die Stimulation ein (Anforderungsschwelle einstellen!) • Stimulationsfrequenz wählen (in der Regel 70 / min) • Stromstärke einstellen: langsam von 0 mA ausgehend steigern, bis eine Antwort des Herzmuskels (Kontraktion fi Pulswelle, EKG-Bild) stattfindet. Allgemein: Die transkutane Stimulation kann für den Patienten unangenehmn und schmerzhaft sein: ggf. Analgesie u. Sedierung: z. B. Morphin (2 - 5 mg i.v.) Gefahr: Gewebeschädigung (Haut, Herzmuskel usw.)
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Kapitel 1 · Einsatz, Technik, Taktik
Magensonde Einsatz, Technik, Taktik
Indikation In der Notfallmedizin hauptsächlich zur Entlastung des geblähten Magens nach Maskenbeatmung im Anschluss an die endotracheale Intubation. Zur Applikation von medizinischer Kohle s. S. 524
Kontraindikationen Die diagnostische Verwendung der Magensonde (Blutnachweis bei gastrointestinaler Blutung) oder zur Entlastung bei Ileus bergen die Gefahr, dass bei Einlegen der Magensonde Erbrechen provoziert wird bzw. die Magensonde als Leitschiene für eine paraluminale Regurgitation mit konsekutiver Aspiration wirkt.
Material Nasensonden verschiedener Größen, 16 oder 18 Ch für Erwachsene, 12 Ch für Kinder, 20- oder 50-ml-Spritze, lokalanästhetisches Gleitmittel, Heftpflaster und Sekretbeutel
Technik • Lagerung des Patienten: ggf. Oberkörperhochlagerung, Kopf nach vorne gebeugt (um den Schluckvorgang zu erleichtern) • Im optimalen Fall ist die Magensonde leicht gekühlt (verstärkte Rigidität). • Befeuchten der Sondenspitze mit Gleitgel. Die Magensonde wird durch den unteren Nasengang in den Oropharynx vorgeschoben, sobald der Patient sie dort bemerkt, wird er zum Schlucken aufgefordert. • Bei Dyspnoe oder Husten Sonde zurückziehen! • Die Sonde befindet sich nach ca. 50 cm Einführtiefe im Magen. • Die korrekte Lage der Sonde wird durch Aspiration von Mageninhalt (ggf. pH-Papier) oder die rasche Insufflation von (10 -) 50 ml Luft (die auskultatorisch nachgewiesen wird) festgestellt. • Fixieren der Sonde mit Heftpflaster an der Nase.
Komplikationen • Würgereiz mit Erbrechen und Aspiration • vagale Stimulation mit Rhythmusstörungen (das Legen einer Magensonde sollte unter EKG-Monitoring erfolgen) • Auslösen nasaler Blutungen • Aufwickeln der Magensonde im Oropharynx • Via falsa (Trachea, Zenker-Divertikel, SHT)
1.6 · Invasive Maßnahmen
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1
Ösophagustamponade Indikation Lebensbedrohliche Ösophagusvarizenblutung (vgl. Kapitel 9 und S. 561)
Kontraindikationen Bei o. g. Indikation keine
Technik • Ballonprüfung, anschließend Luft wieder entfernen • Ballon-Zuleitungen verschließen • Ggf. muss der Sonden-Platzierung die Intubation vorausgehen (Bewusstseinstrübung, Aspirationsgefahr) • Oberkörperhochlagerung • Ggf. Rachenanästhesie (z. B. Xylocain-Spray) • Befeuchten der Sonde mit lokalanästhetischem Gleitgel • Einführen der Sonde über die Nase • Wenn bei Bewusstsein, soll der Patient durch Schlucken den Weg der Sonde in den Ösophagus erleichtern • Lagekontrolle (Aspiration von Mageninhalt, schnelle Luft-Insufflation (>10 ml) unter Auskultation) • Aufblasen der Magenballons: a) Sengstaken-Blakemore-Sonde (2 Ballons, 3 Lumina): Füllung des Magenballons mit ca. 100 – 150 ml Luft (60 – 100 mm Hg Druck). Abklemmen des Zuleitungs-Schlauches. Zurückziehen der Sonde, bis ein federnder Widerstand auftritt. Aufblasen des Ösophagus-KompressionsBallons mit ca. 100 – 150 ml Luft (40 – 60 mmHg Druck). Abklemmen des Zuleitungsschlauches. Fixieren der Sonde außerhalb des Körpers unter leichtem Zug (100 g), Markieren der Sonde auf Höhe der Nasenöffnung. b) Linton-Nachlass-Sonde: Aufblasen des birnenförmigen Ballons (der bei korrekter Lage gleichzeitig die Sonde gegen Herausziehen sichert und den Magenfundus sowie die untere Speiseröhre komprimiert) mit ca. 300 – 450 ml Luft. Fixieren der Sonde unter Zug (0,5 – 1 kg). Damit hat die Linton-Nachlass-Sonde eine geringeres Einsatz-Spektrum als die Sengstaken-Blakemore-Sonde, nämlich nur blutende Fundus-Varizen.
Komplikationen Larynx-Verlegung (Asphyxie, besonders beim nicht-intubierten Patienten durch Herausrutschen der Sonde - Schere zum schnellen Durchtrennen bei Dislokation bereitlegen!), Ösophagus-Ruptur (versehentliches Aufblasen des Magenballons im Ösophagus), ausgedehnte Schleimhautnekrosen (zu hoher Ballondruck).
Weiteres Vorgehen In der Klinik über mehrere Stunden stufenweise Reduktion des ÖsophagusBallon-Druckes und endoskopische Revision. Bei anhaltender Blutung sofortige endoskopische Blutstillung (z. B. Adrenalininfiltration).
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Kapitel 1 · Einsatz, Technik, Taktik
Nasentamponade Einsatz, Technik, Taktik
Indikation Stillung von Nasenbluten, das nicht durch weniger invasive Maßnahmen gestoppt werden kann (z. B. Kompression der Nasenflügel) und den Patienten durch starken Blutverlust oder Aspirationsmöglichkeit vital gefährdet.
Methoden 1. Hintere Tamponade (Belocq), insbesondere bei arteriellen Blutungen aus den hinteren Nasenpartien, ggf. sollte diese Tamponade nach Intubation erfolgen. Material: 2 Blasenkatheter (Foley), etwa 14 Ch, anästhetisches Gleitgel, evtl. Nasenspekulum, Kompressen, Zungenspatel, Blockerspritze. Durchführung: Einführen je eines Blasenkatheters (Spitze des Katheters mit anästhetischem Gleitgel befeuchten) durch die Nase (Einführung des Katheters im unteren Nasengang) und Blocken des Ballons mit Luft (um eine Aspiration bei Leckage zu vermeiden) im Rachen (beide Nasenöffnungen). Zurückziehen der Katheter und Fixieren unter Zug. Dabei sind die Nasenlöcher zu verschließen. Komplikationen: Drucknekrosen, Verlegung der Tuba auditiva, bei Kindern Verlegung der Atemwege, Auslösen von Erbrechen, Induktion weiterer Blutung. 2. Vordere Tamponade. Diese besteht in fortlaufendem oder schichtweisem Einbringen von salbengetränkter Gaze, diese bleibt dem hierin erfahrenen Arzt vorbehalten und bedarf eines kleinen HNO-Instrumentariums. Alternative Techniken der Blutstillung (der Anwender sollte Erfahrung mit dem jeweiligen Verfahren besitzen): • Zur Blutstillung kann unterstützend die vasokonstriktorische Wirkung eines abschwellenden Nasensprays (z. B. Xylomethazolin (Otriven®), Oxymethazolin (Nasivin®)) ausgenutzt werden. • Ist das Nasenbluten hypertoniebedingt, kann eine medikamentöse Blutdrucksenkung erforderlich werden. • Einbringen von Adrenalin-getränktem Verbandmull (s. S. 484). • Verwendung pneumatischer Nasentuben nach Masing (Fa. Rüsch) in passender Größe. • Ferner existiert ein Silikon-Epistaxis-Katheter (Epistad ®, Fa. Xmed – Trease®), mit dem zum einen die Nasen-Haupthöhle, zum anderen der Nasopharynx tamponiert werden kann. • Quelltamponade aus speziellem Material; sie werden in relativ kompakter Form in die Nasen-Haupthöhle eingebracht und quellen dort zu ihrer vollständigen Größe auf. • Außerdem besteht die Möglichkeit, mit passend zugeschnittenden speziellen Schaumstoffstücken eine Tamponade durchzuführen.
Praxistipp Die Ballontamponade (Belocq) sollte in der Notfallmedizin bevorzugt werden, weil sie in der Regel rasch zum Erfolg führt und dem aufnehmenden HNO-Facharzt eine problemlose Revision ermöglicht.
1.6 · Invasive Maßnahmen
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1
Harnblasenkatheter, transurethral I Indikationen • Akuter Harnverhalt mit starken Schmerzen und hochstehendem Blasenfundus • Evtl. bei hochdosierter Diuretikagabe und langen Transportwegen • Evtl. zur Flüssigkeitsbilanzierung bei langen Transportwegen
Kontraindikationen Verletzungen der Harnröhre (z. B. bei Verdacht auf Beckentrauma), Asepsis nicht gewährleistet
Material Haut- und Händedesinfektionsmittel, steriles Katheterset (Handschuhe, Lochtuch, Gaze-Tupfer, Gleitmittelspritze, Blockerspritze mit Kochsalzlösung), Urinbeutel, steriler Ballonkatheter passender Größe (14, 16 oder 18 Ch-Einmalkatheter sollten im RD keine Verwendung finden), ggf. Einmalschürze
Technik a) Bei Männern • Rückenlage, Becken leicht erhöht lagern, Lochtuch um den Penis platzieren • Dominante Hand: Zwei sterile Handschuhe anziehen • Penis mit der anderen Hand fassen (dadurch nicht mehr steril) und Vorhaut zurückziehen. Genaue Beachtung der Sterilität! Harnröhrenmündung und anschließend von der Harnröhre nach proximal desinfizieren, mind. 3 Tupfer! Anschließend äußeren sterilen Handschuh ausziehen (dominante Hand wieder steril!). • 10-15ml Gleitmittel (mit Lokalanästhetikum, z.B. Instillagel®) mit steriler Hand langsam in die Harnröhre injizieren. Mit anderer Hand Harnröhre leicht komprimieren, um einen evtln. Rückfluss zu verhindern. Einwirkzeit: 1 min • Katheter steril anreichen lassen • Katheter mit steriler Hand ca. 5 cm unterhalb des Anschlussstückes fassen und den Urinbeutel verbinden lassen. Urinbeutel unter Blasenniveau aufhängen lassen. • In den aufgerichteten Penis den Katheter ca. 15 - 20 cm einführen (Sphinkter ext. - leichter Widerstand), dann unter Absenken weiter vorschieben, bis Urin fließt. • Nachdem Urin fließt, den Katheter 5 cm weiter vorschieben und vorsichtig blocken (10-15 ml NaCl); zurückziehen bis leichter Widerstand spürbar. Beim ersten Urinablass nicht mehr als 500 ml ablaufen lassen. • Praeputium reponieren (Cave: Paraphimose) und Katheter fixieren.
b) Bei Frauen s. nächste Seite
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Kapitel 1 · Einsatz, Technik, Taktik
Harnblasenkatheter, transurethral II Einsatz, Technik, Taktik
b) Bei Frauen • Rückenlage, Knie leicht angewinkelt nach außen, Lochtuch platzieren • Dominante Hand: Zwei sterile Handschuhe anziehen • Vulva von ventral nach dorsal desinfizieren, mit anderer Hand (Daumen/Zeigefinger) Labien spreizen. Gr. Labien zweimal und kl. Labien dreimal desinfizieren, danach Ostium urethrae. Zuletzt wird ein Tupfer in den Vaginaleingang gelegt. Anschließend äußeren sterilen Handschuh ausziehen (dominante Hand wieder steril!). • Katheter steril anreichen lassen; Spitze des Katheters mit Gleitmittel versehen. • Katheter in die Harnröhre einführen, bis Urin fließt, ca. 5 cm weiter schieben, dann blocken (s. vorherige S.). • Tupfer aus Vaginaleingang entfernen und Katheter fixieren.
Komplikationen • Aufpumpen des Blockerballons in der Urethra, wenn der Katheter nicht genügend weit eingeführt wurde: Ruptur, Blutung. • Via falsa (insbes. bei zu dünnem Katheter). • Ungenügende Gleitmittelapplikation kann zu Schmerzen / Verletzungen führen. • Aufsteigende Harnwegsinfekte.
Merke • Katheter in der präklinischen Phase dienen nur zur Therapie und sollten nie diagnostisch eingesetzt werden. Wegen des hohen Infektionsrisikos müssen - auch präklinisch - strenge sterile Kautelen eingehalten werden! • Keine Gewaltanwendung, bei Widerstand zurückziehen, drehen und vorsichtig nochmals vorschieben; bei Misslingen Vorstellung beim Urologen, dort ggf. suprapubischer Katheter. • Intimsphäre des Patienten wahren! • Wenn keine Katheterisierung möglich (Prostatahyperplasie?), evtl. kleineren Katheter benutzen. Achtung: Wiederholtes „Herumstochern“ führt zu Schwellungen, die bei erneutem Vorschieben des Katheters verletzt werden! Komplette Verlegung. Ggf. Tiemannkatheter verwenden (endständige Krümmung).
1.7 · Spezielle Einsatzsituationen
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1
Feuerwehr Aufgaben „Retten, Löschen, Bergen, Schützen“
Indikationen für die Anforderung der Feuerwehr • Brände; Brandgefahr (z. B. auslaufendes Benzin) • Türöffnung (auch Polizei hinzuziehen - juristische Absicherung) • Rettung eingeklemmter und verschütteter Personen • Wasserrettung (mancherorts auch DLRG) • Gefahrenabwehr (z. B. Sprungkissen bei angedrohtem Dachsprung) • Einsturzgefahr, Absicherung gefährlicher Einsatzstellen, technische Hilfe • Gasaustritt (Gasgeruch); gasverseuchte Räume • je nach Qualifikation und Ausrüstung: Strom-, Strahlen, Chemie- oder Gefahrgutunfall (z. B. Auslaufen eines unbekannten, evtl. gefährlichen Stoffes) • Rettung (instabiler) Patienten bei gefährlichen, ungünstigen baulichen Gegebenheiten (z. B. Drehleiterrettung durch das Fenster, wenn ein Transport durch das Treppenhaus nicht möglich ist)
Praxistipps • Stets exakt Situation, Grund und Zweck der Nachforderung angeben, damit die Einsatzleitung der Feuerwehr frühzeitig das geeignete Mittel einsetzen kann. • Um einen geordneten Einsatzablauf zu gewährleisten, ist d. Kontaktaufnahme zum Einsatzleiter der Feuerwehr vor Ort erforderlich. Mit diesem ist das weitere Vorgehen abzusprechen. Führungspersonen der Feuerwehr sind an einer Kennzeichnung des Helmes mit roten Balken erkennbar (je zahlreicher / dicker / länger die Balken sind, desto höher ist der Führungsrang im Einsatz).
Rechtslage • Die Feuerwehr hat im Rahmen ihrer Hoheitsrechte als Aufgabe der Kommunen (vgl. z. B. FSHG NW) besondere rechtliche Befugnisse, z. B. (Straßen-) Absperrung in Absprache mit der Polizei, Räumung von Gebäuden und Gelände, unbeaufsichtigtes Betreten von Gebäuden. • Auch bei Einsätzen der Feuerwehr wird der Rettungsdienst hinzugerufen. Er dient dabei nicht nur dem Schutz und der Rettung von Zivilisten, sondern auch der Absicherung des Feuerwehrpersonals. Dabei ist der Rettungsdienst u. U. Bestandteil des Feuerwehrzuges (wenn kein eigener Zug-RTW vorhanden ist). Aus diesen Gründen ist ein Entfernen von der Einsatzstelle nur nach Rücksprache mit dem Einsatzleiter der Feuerwehr zulässig. • Je nach Landesrecht und ggf. Einsatzsituation ist der Einsatzleiter der Feuerwehr Gesamteinsatzleiter und dann auch den Kräften des Rettungsdienstes taktisch weisungsbefugt.
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Kapitel 1 · Einsatz, Technik, Taktik
Polizei Einsatz, Technik, Taktik
Aufgaben Strafverfolgung, Auffangbehörde für andere Behörden in Eilfällen rund um die Uhr, präventive Maßnahmen der Gefahrenabwehr.
Indikationen für die Anforderung der Polizei • Absicherung von Unfallstellen (Absperrung, Räumung, Evakuierung) • Platzverweis von Störern bei Einsätzen • Unfallaufnahme (wenn von Beteiligten gewünscht) • Unfall mit Personenschaden (Verletzung/Todesfolge), Verkehrsregelung • Warnung der Bevölkerung • Einweisung weiterer Hilfskräfte, Schutz des Einsatzpersonals (z.B. Schlägerei) • (Verdacht auf) kriminelles Delikt (Beachte: NA als “Anwalt” des Patienten!) • Unklare Todesursache, Überbringen der Todesnachricht; unbekannte Leiche • Wohnungseröffnung, Wohnungsversiegelung • Missbrauch von Notrufeinrichtungen • Zwangseinweisung (Abwesenheit der spez. Ordnungsbehörden)
Verhältnis Notarzt - Polizei Es existiert keine hierarchische Verbindung (und somit keine Weisungsbefugnis) zwischen einem Notarzt und einem Polizeibeamten. Jedoch sind in beide Richtungen Kommunikation und Kooperationen möglich und sinnvoll. So wird der Polizeibeamte auf freundliche Bitte eines NA auch einmal das Halten einer Infusion übernehmen, wie auch der NA auf die Bitte eines Polizisten den Ort eines Kapitalverbrechens möglichst spurenschonend behandelt. Die Rettung von Menschenleben geht der Beweissicherung vor. In dieser Hinsicht arbeiten alle Behörden und Fachdienste zusammen. Jedoch sollte beachtet werden, dass z.B. die Polizei diesem Ziel i.d.R. nicht durch Hilfeleistungen an Patienten nachkommt, sondern z.B. durch Schaffung der Arbeitsbedingungen durch Absicherung (Verkehr, Schaulustige, gewaltbereite Personen). Gemeinsame Fortbildungen sollten dazu beitragen, sich gegenseitig besser kennenzulernen und damit im Sinne der Aufgabenbewältigung zielgerichteter zusammenzuarbeiten. Im Einsatz sollten eventuelle Unstimmigkeiten frühestmöglich durch ein offenes Wort geklärt werden.
Spezielle Fälle • Zwangseinweisung/Zwangsbehandlung s. S. 92 ff. • Grundsätzlich ist der NA verpflichtet, Blutabnahmen bei Patienten für die Polizei als zeitnahe Beweissicherung durchzuführen – sofern es nicht die medizinische Versorgung des Patienten gefährdet (§ 81 a StPO). • Der NA darf grundsätzlich keine ihm vom Pat. anvertrauten oder durch Untersuchung gewonnenen Informationen an die Polizei weitergeben, sofern der Pat. ihn nicht von seiner ärztlichen Schweigepflicht entbindet (z.B. Angaben über Drogenkonsum, aber auch nicht-medizinische persönliche Geheimnisse).
1.7 · Spezielle Einsatzsituationen
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1
Rettungshubschrauber (RTH) I Der RTH ist ein nach DIN 13230 genormtes Luftfahrzeug zum Patiententransport im Rahmen von Primär- und Sekundäreinsätzen mit einer umfangreichen notfallmedizinischen Ausstattung. Die Besatzung besteht mindestens aus Hubschrauberführer, Rettungsassistent und Notarzt. Bei SAR-RTH (s.u.) gehört i.d.R. auch ein Bordtechniker dazu. In der DIN 13230 werden auch Intensivtransporthubschrauber (ITH) und Intensivtransportflugzeuge (ITF) beschrieben.
Sinn und Zweck von RTH • Notarztzubringer (größere Strecken, z.B. Primäreinsatz in ländlichem Gebiet) • Zum Transport von Geräten, Blut, Organen oder medizinischem Personal • Zum schnellen Transport von Notfallpatienten über größere Strecken bis zur Klinik (bes. Wirbelsäulenverletzte und Polytraumatisierte werden sinnvollerweise direkt einer Spezialklinik zugeführt) • Zur schnellen Verlegung von Intensivpatienten (Interhospitaltransfer) RTH werden primär von der RLS eingesetzt, durch Rettungspersonal an der Einsatzstelle nachbestellt oder zur Intensivverlegung aus der Klinik angefordert.
Vorteile von RTH gegenüber RTW/NAW Höhere Geschwindigkeit über größere Entfernungen, keine Verkehrshindernisse, Lageerkundung aus der Vogelperspektive (z. B. Großschadensereignis, Suche nach treibenden Personen in Gewässern), RTH mit Winden können zur Personenrettung in unwegsamem Gelände oder aus Gewässern eingesetzt werden.
Nachteile von RTH gegenüber RTW/NAW Platzmangel, hoher Geräuschpegel (eingeschränkte Diagnose- und Therapiemöglichkeiten). Beachte auch die Belastung des Patienten durch den Flug. • Unbekannte Landeplätze dürfen nur angeflogen werden, wenn Sichtflugbedingungen herrschen: In der Regel 800 m Geradeaussicht und mindestens 150 m Wolkenuntergrenze, rechtzeitig vor der Abenddämmerung. • Kein RTH-Einsatz bei Vereisungsgefahr. • Nachteinsätze nur unter besonderen Auflagen! Sichtflugbedingungen nachts: mind. 2500 m Geradeaussicht und 500 m Wolkenuntergrenze. I.d.R. werden nur bekannte und zugelassene Landeplätze nachts angeflogen. Voraussetzungen für den Einsatz von Hubschraubern des SAR-Dienstes der Bundeswehr („search and rescue“) im Rahmen der „dringenden Nothilfe“: - Einsatz zur Menschenrettung / Vermeidung schwerer Gesundheitsschäden nötig - Geeignete zivile Rettungsmittel nicht (ausreichend/rechtzeitig) verfügbar - Militärische bzw. Luftfahrt-Aufgaben stehen dem Einsatz nicht entgegen - Maximaler Einsatzradius: 80 km Im regulären Rettungsdienst eingebundene, von der zuständigen RLS eingesetzte SAR-RTH (Ausrüstung nach zivilem Standard) müssen von SAR-Hubschraubern mit längeren Reaktionszeiten unterschieden werden, die direkt der zuständigen SAR-Leitstelle (Münster / Glücksburg) unterstehen und routinemäßig keinen NA und eine eher Rettungstechnik an Bord haben (Besatzung: Hubschrauberführer, Bordtechniker, Luftrettungsmeister).
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Kapitel 1 · Einsatz, Technik, Taktik
Rettungshubschrauber (RTH) II Einsatz, Technik, Taktik
Checkliste für RTH-Anforderung 1. Geeigneter Landeplatz in der Nähe? • Größe abhängig vom Hubschraubertyp: tags mind. 2D x 2D, nachts 4D x 2D (D = Rotorkreisdurchmesser). I. A. mind. 30m x 30m (nachts 60m x 30m) freie, ebene Fläche ohne nahe Hindernisse (z. B. Strom oder Telefonleitungen); Sportplätze sind häufig gut geeignet. Freie Zufahrt für Rettungsmittel. • Tragender Untergrund; keine leicht aufzuwirbelnden Bodenauflagen wie Kies oder Sand; niedriger Grasbewuchs ist vorteilhaft. 2. Lokalisation des ausgesuchten Landeplatzes der Rettungsleitstelle mitteilen (die Entscheidung obliegt letztlich aber dem Piloten) 3. Welche Vorbereitungen des Landeplatzes sind notwendig? • Landeflächen müssen für Passanten und Fahrzeuge gesperrt sein (insbesondere öffentliche Straßen; inkl. Zu- und Abfahrtwege) • lose Gegenstände entfernen oder befestigen • Ausleuchtung bei Nacht, Windrichtung Windrichtung optimal nach nebenstehendem Schema (entgegen der Windrichtung, um den Piloten nicht zu blenden) • Wenn vorhanden, Rauchmarkierer (R) zur Orientierung des Piloten einsetzen. • Die Start- und Landevorschrift sieht eine Feuerlöschabsicherung (F) vor. Anflugrichtung 4. Einweisen eines RTH: • Der Pilot erhält (i. d. R. von der Leitstelle) über Funk die Landeplatzkoordinaten. • Er benötigt dann genau einen Ansprechpartner vor Ort (z. B. ein nachgefordertes Einsatzfahrzeug der Polizei, NEF - je nach örtlicher Regelung). Der Pilot gibt diesem Standort und Flugrichtung durch; der Einweiser kann Tipps geben (z. B. markante Geländepunkte beschreiben); Flugrichtungskorrekturen müssen aus Sicht und Flugrichtung des Rettungshubschraubers durch gegeben werden. Dies geschieht mittels Uhrzeiger-Stundenangaben: 12 Uhr heißt geradeaus (= Flugrichtung), 3 Uhr rechts usw. Sobald Sichtkontakt herrscht, muss dies dem Piloten mitgeteilt werden; Blaulicht und ggf. Ausleuchtung des Landeplatzes erleichtern dem Piloten das Auffinden. 5. Nach der Landung • Annäherung an RTH nur von vorne und nach Zustimmung (Blickkontakt) des Piloten ! Beim Heranfahren mit Kfz die weit überstehenden Rotorblätter beachten ! Der Hauptrotor kann sich z. T. unter 1,80 m absenken ! Vorsicht vor drehenden (und dadurch „unsichtbaren“) Heckrotoren ! • Bei der Mitarbeit am Hubschrauber selbst (z. B. beim Einladen des Patienten) unbedingt die Weisungen des Hubschrauberpersonals beachten !
F
R
H
1.7 · Spezielle Einsatzsituationen
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Der tote Patient im Rettungsdienst I Zu Todesdefinitionen, Reanimation und Ethik s. auch Kapitel 5.
Todeszeichen - Definition Zeichen für irreversiblen Zusammenbruch der vitalen Funktionen. Todeszeichen signalisieren den “biologischen Tod”.
a) Sichere Todeszeichen • Totenflecken (Livores): 20 bis 30 min nach Todeseintritt (durch Absinken der Blutkörperchen in Kapillaren und kleine Venen), nach ca. 12 h nicht mehr wegdrückbar; kein Auftreten an Aufliegestellen Achtung: Verwechslung mit Hämatomen o. ä. möglich • Leichenstarre (Rigor mortis): Beginn 2 bis 4 h nach Todeseintritt (durch ATP-Zerfall ohne oxidative Erholung), zunächst im Kopfbereich, insbes. am Kiefergelenk, Lösung nach 2 bis 4 d. Achtung: Fehldeutung von Kältestarre d. Muskulatur, krankhafter Gelenkversteifung u. katatonem Stupor möglich. • Fäulnis u. Verwesung (Bakterien; Selbstzersetzung durch Enzyme): Beginn nach Tagen, abhängig von Umweltfaktoren, bei Hitze früher. Achtung: Falschinterpretation einer Gangrän (z. B. bei Diabetes), parasitären Befalls und Anfraßes eines Hilflosen durch Tiere möglich
b) Unsichere Todeszeichen Unsichere Todeszeichen (“klinischer Tod”) sind nicht zur Todesfeststellung (s. nächste S.) geeignet! Beispiele: Blässe der Haut, Abnahme der Körpertemperatur, Atemstillstand, Pulslosigkeit, fehlende Herztöne, fehlende Pupillenreaktion, Trübung der Cornea, fehlende Reflexe, Muskelatonie
c) Scheintod (Minimale Lebensfunktionen = Vita minima, ohne Nachweis von Atmung, Puls, Körperwärme, Reflexe; sichere Todeszeichen fehlen) Bei folgenden Notfällen sollte an die Möglichkeit des Scheintodes gedacht werden: B adeunfall / Unterkühlung, E lektrizität, A lkoholvergiftung, C oma (diabetic., urämic., hypoglyc. usw.) / CO-Vergiftung, H irnblutung, T rauma, E pilepsie, N arkotika- / Schlafmittelvergiftung (Merkwort: BEACHTEN)
Todesursachen a) Natürliche Todesursachen: krankheits- o. altersbedingt eingetretener Tod b) Unnatürliche Todesursachen (polizeilich anzeigepflichtig!): Tod durch äußere Faktoren wie Unfall, Vergiftung, Gewalt o. Selbsttötung, auch wenn sie im Rahmen einer Kausalkette erst später zum Tode führen bzw. geführt haben.
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Kapitel 1 · Einsatz, Technik, Taktik
Der tote Patient im Rettungsdienst II Einsatz, Technik, Taktik
Todeszeit Zeitpunkt des endgültigen Todes (Hirntod, biologischer Tod). In der Intensivmedizin kann der Todeszeitpunkt vor dem Aufhören der Kreislauffunktion liegen (z. B. isolierter Hirntod bei SHT-Patient), im Rettungsdienst nicht.
Todesfeststellung / Leichenschau • Todesfeststellung / Leichenschau ist Arztsache. • Todesfeststellung / Leichenschau: Beurkundung des Todeseintritts (Dokumentation zweifelsfrei tödlicher Verletzungen und sicherer Todeszeichen). Insbes. Bestimmung von Todesursache, -art u. -zeitpunkt. Sorgfältige Untersuchung der vollständig entkleideten Leiche bei ausreichender Beleuchtung. Anamnese. An bewusste Irreführung u. die Möglichkeit einer Vergiftung denken! Ausstellen des Leichenschauscheines. • In der Landesgesetzgebung ist geregelt, inwieweit Notärzte u. der kassenärztliche Vertretungsdienst zur Leichenschau verpflichtet sind. Im Falle der Befreiung für Notärzte ist z. B. eine vorläufige Todesbescheinigung (Formular) auszustellen (Rheinland-Pfalz) - andere Bundesländer s. S. 70 f. • Liegen Anhaltspunkte für eine unnatürliche Todesursache vor, so muss der Arzt auf jeden Fall die Polizei verständigen. • Sollte der Notarzt (als zuerst eintreffender Arzt) von der Leichenschau befreit sein, so muss der Hausarzt des Pat. (kennt die Vorgeschichte) hinzugezogen oder eine entsprechende Institution (Rechtsmedizinisches Institut) mit der Leichenschau beauftragt werden (Landesgesetz beachten!). • Führt der Notarzt die Leichenschau durch u. kann keine eindeutige natürliche o. unnatürliche Todesursache (ggf. muss Entsprechendes angezeigt werden) feststellen, so ist die Todesbescheinigung / der Leichenschauschein auf ungeklärte Todesursache auszuschreiben u. die Polizei zu informieren. • Alle Vorbehandler des Patienten (nicht nur Ärzte) unterliegen der Auskunftspflicht an den Leichenschauer. • Die Gesetze vieler Bundesländer fordern für die Todesfeststellung / Leichenschau das Vorliegen sicherer Todeszeichen. Diese bilden sich unter Reanimationsbedingungen aber nicht aus. Aus medizinischer Sicht haben 1. der festgestellte Hirntod, 2. nicht mit dem Leben vereinbare Verletzungen und 3. adäquat, suffizient aber erfolglos durchgeführte Reanimationsmaßnahmen von hinreichender Dauer die gleiche Wertigkeit. • Bestattungsunternehmen sollten nicht durch den RD ausgewählt / informiert werden. Dies ist Aufgabe der Angehörigen u. war schon Grund für Prozesse (Vorteilsnahme). Die entsprechenden Dienstanweisungen u. Gesetze sind zu beachten!
1.7 · Spezielle Einsatzsituationen
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Der tote Patient im Rettungsdienst III Vorgehensweise a) Bei klinischem Tod ohne sichere Todeszeichen • Primär Reanimation (zu Kontraindikationen bzw. Unterlassung u. Abbruch einer Reanimation s. Kapitel 5) b) Der Patient ist bereits bei Eintreffen des RD tot (sichere Todeszeichen o. HKS mit Verletzungen, die mit dem Leben nicht vereinbar sind, z. B. Enthauptung): • Sich vom Tod des Patienten überzeugen! • Todesfeststellung durch Arzt • Leichenschau (Arzt) durchführen o. veranlassen • Information der Polizei bei unnatürlicher oder ungeklärter Todesursache • In der Öffentlichkeit: Schaulustige fernhalten, Leichnam zudecken • Ggf. Übernahme des Pat. (z. B. durch die Polizei) abwarten c) Der Patient verstirbt an der Einsatzstelle (z. B. erfolglose Reanimation) • Maßnahmen wie unter 2. • Bei geklärter, natürlicher Todesursache (wahrscheinlich keine Obduktion): Pat. von medizinischem Material (Tubus, venöser Zugang usw.) entledigen; wenn von den Angehörigen gewünscht, den Pat. z. B. auf ein Bett legen u. aufräumen. • Bei ungeklärter o. unnatürlicher Todesursache (wahrscheinlich Obduktion): inkorporiertes medizinisches Material am Pat. belassen (Beweise!), Zustand des Pat. und der Umgebung nicht verändern. d) Der Patient verstirbt im Einsatzfahrzeug • Vorgehen wie unter 3. • Übergabe des Pat. an ein Bestattungsunternehmen. Kein Transport eines Verstorbenen (außer in Bremen) • Reinigung u. Desinfektion des Fahrzeuges Psychologische Aspekte s. Kapitel 15 - Umgang mit Angehörigen und Betroffenen (Todesmitteilung) - Einsatznachbesprechung, Manöverkritik im Sinne einer Qualitätssicherung, aber auch zum Verarbeiten der Situation (bes. bei belastenden Umständen, z. B. Kindstod o. Selbsttötung), ggf. professionelles Defusing/Debriefing
Vorläufige Todesbescheinigung („Todesbescheinigung ohne Ursachenfeststellung“)
Vorläufige Todesbescheinigung (Der NA darf den Patienten vorher nicht behandelt haben und muss die Leichenschau durch einen anderen Arzt sicherstellen)
Baden-Württemberg
Bayern
Gesetz über das Leichen-, Bestattungsund Friedhofswesen (Bestattungsgesetz)
Vorläufige Todesbescheinigung („Wenn der NA an der Wahrnehmung seiner Aufgaben im Notfall- und Rettungsdienst gehindert würde“ / Der NA muss die Leichenschau durch einen anderen Arzt sicherstellen)
Vorläufige Todesbescheinigung
Vorläufige Todesbescheinigung (Der NA darf den Patienten vorher nicht behandelt haben und muss die Leichenschau durch einen anderen Arzt sicherstellen)
Leichenschau
Vorläufige Todesbescheinigung (Der NA darf den Patienten vorher nicht behandelt haben und muss die Leichenschau durch einen anderen Arzt sicherstellen)
Brandenburg
Bremen
Hamburg
Hessen
MecklenburgVorpommern
Gesetz über das Leichen-, Bestattungs und Friedhofswesen (Bestattungsgesetz)
Gesetz über das Friedhofs- und Bestattungswesen, Verordnung über das Leichenwesen
Gesetz über das Leichen-, Bestattungs- und Friedhofswesen (Neufassung 2003)
Gesetz über das Leichenwesen
Gesetz über das Leichen- und Bestattungswesen (Bestattungsgesetz) (Änderung vom 19.5.2004)
Bestattungsgesetz, 2. Bestattungsverordnung
Gesetz über das Friedhofs- und Leichenwesen (Bestattungsgesetz), Bestattungsverordnung
Rechtsgrundlagen jeweiliges Bundesland (Landesgesetzgebung)
Vorläufige Todesbescheinigung (seit 2004)
Berlin
Notarzt im Rettungsdiensteinsatz
Bundesland
Einsatz, Technik, Taktik
70 Kapitel 1 · Einsatz, Technik, Taktik
Aufgaben des Notarztes bei toten Patienten (Landesrecht) I
Sächsisches Gesetz über das Friedhofs-, Leichen- und Bestattungswesen (Sächsisches Bestattungsgesetz) (rechtsbereinigt 1.1.2005) Gesetz über das Leichen-, Bestattungs- und Friedhofswesen (Bestattungsgesetz) Gesetz über das Leichen-, Bestattungs und Friedhofswesen (Bestattungsgesetz) (Neufassung 2005) Thüringer Bestattungsgesetz (Neufassung 2004)
Vorläufige Todesbescheinigung
Vorläufige Todesbescheinigung (bei Sterbefällen in Fahrzeugen des RD ist der diensthabende Arzt des jeweis nächstgelegenen KHs zur Leichenschau verpflichtet)
„Der NA kann sich auf die Feststellung des Todes beschränken“ (NA muss die Leichenschau durch einen anderen Arzt sicherstellen)
Todesfeststellung mit Dokumentation auf dem NA-Protokoll (NA muss die Leichenschau durch einen anderen Arzt sicherstellen)
Vorläufige Todesbescheinigung (NA muss die Leichenschau durch einen anderen Arzt sicherstellen)
Saarland
Sachsen
Sachsen-Anhalt
Schleswig-Holstein
Thüringen
Bestattungsgesetz (Neufassung 2003)
Bestattungsgesetz, Landesverordnung zur Durchführung des Bestattungsgesetzes
Vorläufige Todesbescheinigung
Rheinland-Pfalz
Gesetz über Leichenwesen Gesetz über das Leichen-, Friedhofs- und Bestattungswesen (Neufassung 2003)
Leichenschau
Niedersachsen
Rechtsgrundlagen jeweiliges Bundesland (Landesgesetzgebung)
Nordrhein-Westfalen Nur Todesfeststellung (ohne Bescheinigung) (keine Verpflichtung zur Bescheinigung des Todes oder zur Leichenschau)
Notarzt im Rettungsdiensteinsatz
Bundesland
1.7 · Spezielle Einsatzsituationen 71
1
Aufgaben des Notarztes bei toten Patienten (Landesrecht) II
72
Kapitel 1 · Einsatz, Technik, Taktik
Einsatz, Technik, Taktik
Massenanfall von Verletzten (MANV) I Wenn mehrere Verletzte oder Erkrankte anfallen, entsteht initial ein Missverhältnis zwischen Helfern und Patienten. Es ist Ziel aller Maßnahmen, die bestmögliche Hilfe für die größtmögliche Anzahl von Patienten zu leisten. Ggf. sind außer dem RD andere Dienste notwendig, z. B. Schnelleinsatzgruppen (SEG).
Definitionen • Massenanfall von Verletzten / Betroffenen: Zahl und Qualität der vorhandenen Rettungsmittel reichen nicht aus, um (initial) nach individualmedizinischen Grundsätzen helfen zu können (technisch, medizinisch und psychologisch). • Katastrophe: außergewöhnliches Schadensereignis, bei dem Gesundheit und Leben einer so großen Anzahl von Menschen, erhebliche Sachwerte oder die lebensnotwendige Versorgung der Bevölkerung derart geschädigt oder gefährdet sind, dass die regional verfügbaren Mittel zur Bewältigung des Ereignisses nicht ausreichen und zusätzliche organisierte Hilfe von außen erforderlich ist.
Bewältigungsstrategien • Hauptfehler bei der Bewältigung eines MANV sind ungerichteter Aktionismus, Rückfall in Handlungsstrategien der Individualmedizin, Überforderung mit totaler Handlungsunfähigkeit und Unwilligkeit, sich in Führungsstrukturen einzugliedern. Daher muss von allen Beteiligten der notwendige Weitblick eingebracht werden, der allein das Schadensereignis frühzeitig beherrschbar macht: z. B.: • Frühzeitige Alarmierung von Krankenhäusern • Frühzeitiger Aufbau einer verbindlichen Führungsstruktur • Kommunikation, Koordination, Kooperation • Eine Schlüsselrolle nimmt das erste geeignete Rettungsmittel vor Ort ein (Vorkommando). Die entscheidenden Aufgaben sind korrekte Information der Leitstelle, erste Sichtung der Verletzten, Einteilung von Ersthelfern, Durchführung erster lebensrettender Maßnahmen (z. B. Rettung aus Gefahrenbereichen unter Eigenschutz, Blutstillung), Ansätze für die Ordnung des Schadensraumes, Führung nachrückender Kräfte bis zum Eintreffen der Einsatzleitung (OrgL / LNA - Einsatzleiter Feuerwehr / Technische Einsatzleitung mit Sachgebieten) und Konzentrierung von Unverletzten (Sammelräume) und sicher Toten (Totenablagen). • Die Reihenfolge der Maßnahmen richtet sich nach Schweregrad des Schadens, Zahl der Betroffenen, Art der Verletzungen und Gefahren im Einsatz. • Die Vorbereitungen auf derartige Einsatzsituationen (Alarmpläne, Alarmschwellen, vorgehaltenes Material wie z. B. Materialcontainer usw.) sind regional z. T. sehr unterschiedlich und würden den Rahmen dieses Taschenbuches sprengen. Es empfiehlt sich, sich mit den für den eigenen Dienstbereich getroffenen Vereinbarungen, Alarmplänen usw. vertraut zu machen. • Nach Großschadensereignissen sollte eine konstruktive Einsatznachbesprechung obligatorisch sein (vgl. Kapitel 15).
1.7 · Spezielle Einsatzsituationen
73
1
Massenanfall von Verletzten (MANV) II Die Bewältigung eines MANV wird durch die Unüberschaubarkeit und daraus resultierenden Stress des Einsatzpersonals gefährdet; Einsatzerfahrung mit entsprechenden Fällen haben die Wenigsten. Kompakte Richtlinien schaffen Sicherheit. Th. Uhr (Köln, 1996) hat „10 Gebote für den REMAB (= Rettungsdiensteinsatz mit Massenanfall Betroffener)“ erarbeitet, die übersichtlich und didaktisch das Wesentliche zusammenfassen [veröffentlicht in Maurer K, Peter H (Hg.): “SEGmente 3 - Notarzt und Rettungsassistent beim MANV“, Stumpf & Kossendey, Edewecht 1998 / Die „Hinweise“ wurden von uns ergänzt / modifiziert.]:
1. Gebot: Noch nicht behandeln! Die Versorgung eines Betroffenen verzögert i. d. R. Hilfe für andere Betroffene.
2. Gebot: Kurze Erstrückmeldung (so früh wie möglich)! • Massenanfall durch ... . [Auslöser?] • Ereignis (nicht) abgeschlossen. [Verschlimmerung?] • LNA / OrgL erforderlich. [Kriterien der Alarm-/Ausrückeordnung erfüllt?] • Näheres später. [Keine Spekulationen, die den Funk blockieren!] Damit kann die Leitstelle bereits das Nachrücken notwendiger Kräfte veranlassen, während an der Einsatzstelle Maßnahmen ergriffen werden. Bedenke, dass häufig auch die Leitstelle zunächst personell unterbesetzt und der Funkkanal schnell überlastet ist (ggf. einen eigenen Kanal für das Ereignis einrichten).
3. Gebot: Überblick verschaffen (Lageerkundung)! Medizinische Lage (welche Krankheiten / Verletzungen / Ausmaß) Eigene Lage (Gefahren / zusätzliches Personal und / oder Material erforderlich) Unbedingt beachten: • Mit anderen Einsatzkräften (Einsatzleiter Polizei / Feuerwehr) kooperieren. • Keine Teamtrennung! (Koordination, Kommunikation, Aufgabenteilung!)
4. Gebot: Konkrete Zweitrückmeldung! Inhalt der Zweitrückmeldung s. S. 13. Sie dient der maßvollen, weder unter- noch übertriebenen Feststellung notwendiger Kapazitäten (Polizei, Rettungstechnik, Patientenversorgung, Transport, Klinik).
5. Gebot: Initial-Leitung übernehmen! Hinweis: Bis zum Eintreffen des OrgL bzw. LNA liegt die Führungsaufgabe zunächst in den Händen des zuerst eintreffenden Rettungsteams (diese kommissarische Aufgabe ist in manchen Ländergesetzen festgeschrieben!). Aufgaben: • Ablagestelle bestimmen (zu jeweils etwa 10 Patienten) • Ablagestellen strukturieren (Registrierung / Behandlung / Abtransport) Gründe für die Einrichtung der Ablagestellen: • Personal und Material wird konzentriert, • Patientengut wird überschaubar, Behandlungsdringlichkeit vergleichbar, • Führung des Personals wird einfacher, • die medizinische Versorgung wird optimiert.
74
Kapitel 1 · Einsatz, Technik, Taktik
Massenanfall von Verletzten (MANV) III Einsatz, Technik, Taktik
6. Gebot: Spontanabtransporte verhindern! Hinweis: Die Transport- und Klinikkapazitäten sind zunächst für Schwerstbetroffene freizuhalten. Das Chaos der Einsatzstelle darf nicht in die Kliniken verlagert werden! Durch Abtransport eines Patienten steht ein Team mit Material für längere Zeit nicht mehr zur Verfügung!
7. Gebot: Versorgung nach Prioritäten (Sichtung = Triage)! Hinweis: Sichtung ist der durchgehende Prozess des „Sortierens“ von Patienten nach Prioritäten; Ziele: Feststellung der Behandlungsbedürftigkeit, Behandlung nach vitaler Dringlichkeit, ununterbrochene Kontrolle der Maßnahmen auf Erfolg. Sichtungskategorien s. folgende Seiten! Die Einteilung der Patienten kann und muss sich im Verlaufe des Einsatzes ggf. verändern: a) bei Veränderung des Patientenzustandes b) bei Veränderung der Ressourcen (z.B. Nachschub/Erschöpfung von Einsatzkräften, Medikamenten, Transportmitteln) Sichtung ist ein dynamischer Prozess, der regelmäßig unter Beurteilung der Gesamtlage zu wiederholen ist. Ständige Neubewertung durch den LNA bzw. die sichtenden Ärzte! Örtliche Festlegungen (Anweisungen des LNA) bezüglich der Interpretation von Kategorien beachten! (Cave: Verwendung älterer Systeme!)
8. Gebot: Nachrückendes RD-Personal anweisen! Hinweis: Hierbei ist zu beachten, dass die Aufgaben konkret formuliert und klare Aufträge erteilt werden („einfühlsamer Befehlston“ - keine Überheblichkeit!). Wichtig ist, dass der Einsatzraum geordnet wird und geordnet bleibt: • Schadensbereich: systematisches Aufsuchen, Retten und Erstversorgen von Patienten. Möglichst Registrierung (Verletztenanhängekarten). • Verletztenablagen: Ansammlung von Patienten spontan oder systematisch. • Verbandplatz: Registrierung; Aufnahme und Sichtung (Triage) durch Arzt; Durchführung sanitätsdienstlicher und ärztlicher Maßnahmen mit dem Ziel der Transportfähigkeit der Patienten. Entscheidung durch den Arzt. • Krankenwagenhalteplatz: geordneter und dokumentierter Abtransport in Krankenhäuser (Koordination). • Zu- und Abfahrtswege (➯ Einweiser, Polizei).
9. Gebot: Abtransport planen (möglichst durch OrgL / LNA)! • Transportprioritäten der Patienten? • Transport- und Klinikkapazitäten?
10. Gebot: Übergabe an LNA / OrgL! • Stand der organisatorischen Maßnahmen • Versorgungszustand der Patienten (Anteile der Triagegruppen) • Bisher erfolgte Abtransporte mit Zielkliniken • Notwendigkeiten zur Betreuung Nichtverletzter
rot
gelb
grün
schwarz, grau, blau
I
II
III
IV
VII
I, II
III, IV
V, VI
(als Anhalt)
NACAScore
Farbe
Triagestufe
Tote
Ohne Überlebenschance Schwerstverletzte ohne Überlebenschance
Leicht Verletzte / Erkrankte
Schwer Verletzte / Erkrankte zunächst nicht vital gefährdet; aufgeschobene Behandlungsdringlichkeit
Akute, vitale Bedrohung
Beschreibung
(a) hohe Transportpriorität (b) keine Transportpriorität
Weiter Behandlungspriorität (a) hohe Transportpriorität (b) keine Transportpriorität
Transportdringlichkeit Entscheidung nach Initialtherapie
Kennzeichnung; Aufbahrung Abseits der Verletztenversorgung; (i.d.R. Identifizierungsmaßnahmen durch die Polizei)
Betreuende, abwartende Behand- (b) keine Transportpriorität lung (aber unbedingt: Pflege, Linderung/Analgesie, Seelsorge)
Sammelbehandlung, ggf. spätere (b) keine Transportpriorität (ambulante) Behandlung
nach Möglichkeit Basismaßnahmen – sonst Behandlung erst nach Abschluss Behandlung der Pat. in Triagekategorie I
Dringliche Sofortbehandlung
Maßnahmen
1.7 · Spezielle Einsatzsituationen 75
1
Massenanfall von Verletzten (MANV) IV - Triagekategorien I
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Kapitel 1 · Einsatz, Technik, Taktik
Einsatz, Technik, Taktik
Massenanfall von Verletzten (MANV) V - Triagekategorien II 2003 wurde in einem Expertenkonsens eine einheitliche Nomenklatur der Sichtungskategorien festgelegt und im Deutschen Ärzteblatt publiziert (= Grundlage für die Tabelle auf der vorhergehenden Seite). Darin wurde die frühere, primäre Einteilung nach „Behandlungs-„ und „Transportpriorität“ verlassen. Die Einteilung der Triagekategorien (römische Ziffern I bis IV) wird nun auf die Behandlungsnotwendigkeit der Patienten ausgerichtet. Die Entscheidung über die Transportpriorität (und damit der Transportreihenfolge) wurde damit von der Zuordnung der Behandlungspriorität abgegrenzt und nun in einem getrennten, nachfolgenden Schritt zugeordnet. Die Kennzeichnung der Transportpriorität erfolgt mit den Buchstaben „a“ (hohe Transportpriorität) und „b“ (keine Transportpriorität). Desweiteren wurde die Einordnung von Toten in die Triagegruppe IV aufgehoben. Kategorie IV dient nun ausschließlich für hoffnungslose Fälle und Schwerstverletzte/-erkrankte ohne Überlebenschance, deren Recht auf eine palliative Behandlung deswegen aber keinesfalls gering geschätzt werden darf! Aus ethischer Sicht dürften sich die Gruppen I und IV weniger in Behandlungsdringlichkeit und -intensität als in der jeweiligen Art der Behandlung unterscheiden. Tote werden nach Feststellung des Todes durch den Sichtungsarzt gesondert gekennzeichnet und keiner Kategorie mehr zugeordnet. Ferner erfolgt keine Differenzierung mehr zwischen MANV und Katastrophe (intakte versus zerstörte Infrastruktur). Die Einteilung und daraus abgeleitete Konsequenzen können im Einzelfall jedoch abhängig von den verfügbaren Ressourcen sein (z.B.Reanimation - ja oder nein? Kategorie I oder IV oder Tote?). Abweichend von dem neueren Schema orientierten sich die alten Klassifikationen bei den Kategorien I und II vor allem an der Differenzierung zwischen Behandlungspriorität (I) und Transportpriorität (II). Da noch viele „alte“ Triagesysteme im Umlauf und in Benutzung sind, sei diese Kategorisierung (nach BAZSch, 1997/2001) ebenfalls kurz angeführt (T1=rot; T2=gelb; T3=grün; T4=grau/blau/schwarz): BAZSch 1997
I Erste Dringlichkeit lebensrettende Maßnahmen
BAZSch, 2001
BAZSch, 2001 / (BAND)
Katastrophenschutz
Rettungsdienst
T1 Behandlungspriorität
T1 Vital Bedrohte dringliche Soforttherapie
T2 Transportpriorität T2a - höhere Tr.pr. T2b - niedrigere Tr.pr. T3 Verzögerte Behandlung
T2 Schwerverletzte, (zunächst) nicht vital bedroht T3 Leichtverletzte
(zunächst nicht transportfähig; sobald transportfähig: Tr.pr. I)
II Zweite Dringlichkeit Tr.pr. I (dringlich, OP < 6 h) Tr.pr. II (OP in 6-24 h) III Leichtverletzte ambulante Versorgung/Spät-
Sammelüberwachung
versorgung/Spättransport
IV Hoffnungslose Tr.pr. = Transportpriorität
T4 Abwartende Behandlung T4 Verstorbene (!)
1.8 · Einsatzbeendigung
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1
Einsatzbeendigung Transport In der Regel wird der Patient unter Ausschöpfung der im Rettungsdienst möglichen und jeweils angezeigten (sinnvollen) therapeutischen Maßnahmen stabilisiert (= Herstellen der Transportfähigkeit) und dann unter Fortführung dieser Maßnahmen so schonend wie möglich und so zügig wie nötig in ein geeignetes Krankenhaus verbracht. Ein Transport mit Sondersignal ist sehr selten indiziert (vgl. S. 89). In bestimmten Fällen ist eine vorherige Anmeldung in der Zielklinik notwendig, damit dringend erforderliches Personal und Gerät bei Eintreffen bereitsteht.
Übergabe (z. B. in der Klinik) Bei Notfallpatienten ist eine strukturierte Weitergabe von Informationen an den weiterbehandelnden Arzt Pflicht. Inhalt: • Symptome, Erkrankung, Verletzung, Verdachtsdiagnose, Vorgeschichte • ergriffene Maßnahmen • zeitlicher Ablauf der Ereignisse, Besonderheiten • Übergabe des Durchschlages vom RD- oder NA-Protokoll • Übergabe von persönlichen Gegenständen des Patienten
Wiederherstellen der Einsatzbereitschaft • Reinigen, ggf. Desinfizieren des Fahrzeuges • Tragenbezüge wechseln, Auffüllen von Verbrauchsmaterial • Austauschen / Reinigen / Desinfizieren benutzter Gegenstände
Dokumentation 1. Medizinisch: Mit einer einwandfreien und schlüssigen Dokumentation des Patientenzustandes im Verlauf, sowie der getroffenen Maßnahmen lässt sich der Einsatz zu einem späteren Zeitpunkt für juristische oder auch wissenschaftliche Zwecke rekonstruieren. Dies dient u. a. der Absicherung der einzelnen Mitarbeiter (Beweismittel). Für die Dokumentation gibt es Vordrucke, z. B. das bundeseinheitliche DIVI-Protokoll. Einen Durchschlag erhält der weiterbehandelnde Arzt und einer wird auf der Wache abgelegt (eine private Archivierung ist rechtlich nicht zulässig). 2. Verwaltungstechnisch: Zur Abrechnung des Transportes werden ein Einsatzbericht (Einsatzdaten, Patientendaten und Kostenträger) und eine vom Arzt ausgestellte Transportnotwendigkeitsbescheinigung (Transportschein) benötigt. Die medizinische Transportindikation kann vom einweisenden Arzt (vor Transport), vom begleitenden Arzt oder bei Notfällen auch vom aufnehmenden Arzt (Klinik) festgestellt und bescheinigt werden.
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Kapitel 1 · Einsatz, Technik, Taktik
Einsatz, Technik, Taktik
Qualitätsmanagement Ein Einsatz des RD ist für den Patienten immer mit Emotionen, insbesondere Ängsten, Hoffnungen und Erwartungen, verbunden; jeder Betroffene wünscht sich optimale Betreuung durch höchstqualifiziertes Personal innerhalb kürzester Zeit. Gleichzeitig wird die Forderung erhoben, Kosten zu senken, ohne dabei die Leistungsanforderungen an den RD zu schmälern. In diesem Zusammenhang wurde auch der Begriff „Qualitätsmanagement“ mit der präklinischen Notfallmedizin in Verbindung gebracht. Auf den ersten Blick scheint es sich hierbei ausschließlich um Rationalisierungsaspekte zu handeln. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch erkennbar, dass es hier auch um Arbeitsplatzsicherung geht. Jeder Notfall ist anders; bis vor kurzem existierten nur wenige Möglichkeiten, die Effektivität und Effizienz des in Deutschland organisierten RD zu prüfen und nachvollziehbar zu machen. Die Elemente der Qualität setzen sich zusammen aus (nach Donabedian) • Strukturqualität: räumliche, apparative, personelle und logistische Voraussetzungen (z. B. die Ausrüstung der RD-Fahrzeuge, die Aus- und Fortbildung des RD-Personals usw.) • Prozessqualität: organisatorische Komponente der Einsätze (z. B. Meldewege, Hilfsfristen, richtige oder falsche Bewertung von Notfallmeldungen und Einsatz entsprechender Rettungsmittel (NA angefordert / nicht angefordert); Einsatztaktik und -technik, Therapiestrategien (an dieser Stelle spielt die einheitliche Dokumentation, z. B. mit dem Einsatz-Protokoll der DIVI, eine wesentliche Rolle) • Ergebnisqualität: Qualität der Therapie (z. B. Verbesserung / Verschlechterung des Patientenzustandes während der präklinischen Versorgung; als hierzu ansatzweise geeignetes Instrument sei an dieser Stelle beispielhaft der MEES genannt - s. S. 579 f.; Senkung von Letalität / Morbidität, (langfristige) Steigerung der Lebensqualität des Patienten); die - auch bei hochqualitativer Versorgung notwendige - Kostenminimierung (Ökonomie) fällt ebenfalls unter diesen Punkt. Durch Einführung dieser messbaren Kriterien und vergleichbarer Parameter wird es möglich, die Qualität des RD nachzuweisen und - wo nötig - Verbesserungen zu fordern, die eventuell von Dritten herbeigeführt werden müssen (z. B. Bereitstellung von Geldern für den Aufbau neuer Rettungswachen, um Einsatzzeiten zu verkürzen). Außerdem muss Qualitätsmanagement die Entwicklung von Aus- und Fortbildungs- sowie Therapierichtlinien (z. B. standardisierte Algorithmen) unterstützen, wodurch auch die Handlungssicherheit des RDPersonals gesteigert werden kann.
Kapitelübersicht
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2
Recht 2.1 Grundlagen ................................................................... 80 Einführung ......................................................... 8 0 Medizinische Regelwerke .................................. 8 1 Strafrecht ........................................................... 8 2 Rechtshierarchie im Rettungsteam ................. 8 3
2.2 Invasive Maßnahmen .................................................... 84 2.3 Schweigepflicht ............................................................ 87 2.4 Verkehr ......................................................................... 89 Sonderrechte / Wegerecht ............................... 8 9 Verkehrsunfall .................................................... 9 0
2.5 Behandlungs- / Mitfahrverweigerung ........................... 92 2.6 Medizinproduktegesetz ................................................. 96
80
Kapitel 2 · Recht
Einführung
Recht
Rechtsverständnis „Als Notarzt steht man mit einem Bein im Gefängnis.“ Wer kennt diesen berühmten Satz nicht? Sicherlich wird man bei der notärztlichen Tätigkeit mit überaus vielen Bereichen des Rechts konfrontiert. Verschiedene umfangreiche Rechtsgebiete kollidieren hier quasi miteinander. Von den zahlreichen strafrechtlichen Konsequenzen, die einem ständig vor Augen geführt werden, über arbeitsrechtliche Fragen bis hin zu zivilrechtlichen Haftungsansprüchen, denen man sich möglicherweise aussetzt, ist alles dabei. Die Normen dienen vor allem der Regelung des Umgangs miteinander und dem Schutz des Schwächeren. Es ist nicht Ziel der Normengeber, Menschen, die mit moralisch guten Intentionen ihren Dienst verrichten, mit „einem Fuß ins Gefängnis“ zu stellen. Die Gesetze und die Rechtsprechung sind daher darauf ausgelegt, Menschen, die in gutem Willen handeln, zu schützen. Allerdings sind für diesen Schutz einige wesentliche Regeln und Voraussetzungen zu beachten. Wer mit etwas gesundem Menschenverstand und einem Gefühl der Fairness handelt, braucht sich vor dem eingangs zitierten Leitsatz nicht zu ängstigen und kann ihn getrost vergessen.
Entscheidung im Notfall Es ist – auch dem Juristen – klar, dass im Rettungsdienst häufig nicht viel Zeit zur Verfügung steht, um z.T. folgenreiche Entscheidungen zu treffen. Daher wird der Rettungsdienstmitarbeiter/Notarzt im Streitfalle nicht einfach nur danach beurteilt, ob die Entscheidung im Nachhinein richtig oder falsch war und welche Folgen sie hatte. Sondern es geht vor allem darum, wie eine Entscheidung zustande kam und welche Motivation der Rettungsdienstmitarbeiter/Notarzt hatte. Also: war die Entscheidung brauchbar, vernünftig und vor allem nachvollziehbar begründet? Eine Entscheidung muss sorgfältig und verantwortungsbewusst getroffen werden, nicht „aus dem Bauch heraus“. (Der Bauch kann einen wertvollen Hinweis geben, entscheiden muss der Kopf.)
Kriterien für eine sorgfältige Entscheidung 1. Der Notarzt/Rettungsdienstmitarbeiter stellt vor der Entscheidung – so gut es geht – die Lage in jeder Hinsicht fest. Dazu gehört auch, seinen Auftrag/sein Ziel festzulegen, ggf. auch Prioritäten der Teilziele. 2. Der Notarzt/Rettungsdienstmitarbeiter beurteilt die Lage, d. h. er berücksichtigt alle erkennbaren Sachverhalte in ihrer Wertigkeit für das Einsatzziel. 3. Er überlegt, welche Möglichkeiten zur Verfügung stehen und wählt die beste aus. Nach der Umsetzung kontrolliert er, ob die Maßnahmen erfolgreich waren oder eine Nachbesserung/Korrektur notwendig ist.
2.1 · Grundlagen
81
2
Grundlagen Medizinische Regelwerke (nach BÄK) Richtlinien Regeln des Handelns und Unterlassens, die fast keinen Ermessensspielraum einräumen. Ihre Nichtbeachtung kann Sanktionen nach sich ziehen. Meist von gesetzlich ermächtigten Institutionen erlassen (z. B. RKI, BÄK). Standards Ähnliche Verbindlichkeit wie Richtlinien. Werden als normative Vorgaben bezüglich der Erfüllung von Qualitätsanforderungen verstanden und haben durch ihre exakte Beschreibung einen mehr technisch-imperativen Charakter. Leitlinien (Guidelines) Systematisch entwickelte Entscheidungshilfen über angemessene Vorgehensweisen bei speziellen diagnostischen und therapeutischen Problemstellungen (z. B. ERC-Guidelines). Sie lassen Entscheidungsspielräume und „Handlungskorridore“ zu, von denen in gut begründeten Einzelfällen auch abgewichen werden kann. Empfehlungen und Stellungnahmen Wollen die Aufmerksamkeit auf änderungsbedürftige und beachtenswerte Sachverhalte lenken. Ein Memorandum dient mit seinem Inhalt der umfassenden Information und Aufklärung. Seine Inhalte sollen für die Urteilsbildung über den aktuellen Stand des Wissens, ggf. auch über veraltetes Wissen von Nutzen sein. Sie dienen als Entscheidungshilfe (z. B. Stellungnahme der BÄK zur Notkompetenz).
Von Bedeutung für den RD Strafrecht Das Strafrecht kann im Notarztdienst in zweierlei Hinsicht relevant werden. Einerseits kann das der Notarzt selber einer Straftat verdächtig sein, etwa einer Körperverletzung. Andererseits kann man durch die Tätigkeit Zeuge von Straftaten werden oder die Opfer von Straftaten versorgen. Zivilrecht Das Zivilrecht regelt die rechtlichen Verhältnisse zwischen Privatpersonen, Handels- und Kapitalgesellschaften. Während es auf der strafrechtlichen Ebene um Bestrafung des Täters geht, können sich aus Straftaten zusätzlich auf zivilrechtlicher Ebene Ansprüche auf Schmerzensgeld, Schadensersatz usw. ergeben.
82
Kapitel 2 · Recht
Grundsätze des Strafrechts Die Strafbarkeit eines Deliktes erfordert drei Bedingungen: 1. Tatbestand wie im Gesetz beschrieben (objektiv und subjektiv) 2. Rechtswidrigkeit (keine Rechtfertigungsgründe für die Tat) 3. Schuld (keine Schuldausschließungsgründe für die Tat) Bsp.: Der Tatbestand einer Körperverletzung (§ 223 StGB) wird bei fast jeder medizinischen Maßnahme erfüllt; die Handlung ist aber i. d. R. nicht strafbar, weil die Rechtswidrigkeit entfällt, wenn der Patient vorher eingewilligt hat (§ 228 StGB = Rechtfertigungsgrund). Details s. folgende Seiten.
Recht
Tatbestand • Objektiver Tatbestand: Die Handlung, die verwirklicht sein muss, um zu einer Strafbarkeit des Verhaltens zu gelangen; deckt sich mit dem Wortlaut der entsprechenden Vorschriften des StGB. • Subjektiver Tatbestand: Der Täter muss wissen und wollen, was er tut, also vorsätzlich handeln; ausreichend ist meist schon das „billigende Inkaufnehmen“ der im Gesetz beschriebenen Folgen (sog. bedingter Vorsatz).
Rechtswidrigkeit • Das Verhalten muss von der Rechtsordnung missbilligt sein. • Die Rechtswidrigkeit ist automatisch gegeben, wenn keine Rechtfertigungsgründe eingreifen (z. B. rechtfertigender Notstand § 34 StGB, rechtfertigende Einwilligung § 228 StGB, mutmaßliche Einwilligung, rechtfertigende Pflichtenkollision) - s. S. 84 ff. • Liegen Rechtfertigungsgründe vor, wie es im RD häufg der Fall ist, entfällt die Rechtswidrigkeit und damit die Strafbarkeit, selbst wenn der Tatbestand erfüllt ist. Die Beurteilung, ob Rechtfertigungsgründe wirklich vorliegen, gehört daher zu den wichtigsten juristischen Basiskenntnissen für Notärzte und RD-Personal!
Schuld • Schuld ist die individuelle Vorwerfbarkeit des Verhaltens. • Spezielle Entschuldigungsgründe (§ 35 StGB entschuldigender Notstand) lassen Schuld und damit die Strafbarkeit entfallen. • Wer noch nicht 14 Jahre alt ist, handelt ohne Schuld (§ 19 StGB) • Die absolute und die verminderte Schuldfähigkeit sind in §§ 20, 21 StGB geregelt und spielen insbes. bei Straftaten unter Alkohol-/Drogeneinfluss eine Rolle (Betrinken vor geplanter oder absehbarer Straftat entschuldigt nicht!). Wurde tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft gehandelt, ist die zu beurteilende Tat strafbar, als Rechtsfolge droht die Verurteilung. Bei der Strafzumessung durch das Gericht werden noch weitere Faktoren (z. B. moralische Einstellung des Täters) gewürdigt.
2.1 · Grundlagen
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2
Rechtshierarchie im Rettungsteam Ärztliche Transportbegleitung Im Notfall kann jeder (niedergelassene) Arzt einen Transport (z. B. mit RTW) begleiten und die ärztliche Versorgung sicherstellen. Lehnt ein anwesender Arzt die Begleitung ab, besteht aber auf einem Transport ohne NA, so ist dem durch das nichtärztliche Personal zunächst Folge zu leisten. Ab Übernahme in den KTW/RTW ohne Arztbegleitung liegt die Entscheidung der NA-Nachforderung jedoch wieder beim RS/RA.
Delegation notärztlicher Aufgaben auf RS/RA Der NA kann die Durchführung ärztlicher Leistungen auf Nichtärzte (RS, RA) übertragen. Sowohl Arzt als auch RS/RA übernehmen dabei eine bestimmte Verantwortung und haften für Schäden in ihrem Verantwortungsbereich: • Verantwortung des NA: Indikationsstellung der Maßnahme, Einwilligung des Patienten, Eignung der Maßnahme zur Delegation (Grad der Invasivität, spezielle Ausbildung notwendig), ausreichende Qualifikation des Durchführenden (Kenntnisse, Erfahrung), Überwachung der Durchführung. • Verantwortung des RS/RA: einwandfreie, sorgfältige Durchführung. Der RS/RA muss den NA ggf. auf seine tatsächliche Quali.kation/Erfahrung hinweisen; bei Unsicherheiten oder Zweifeln an der korrekten Ausführbarkeit muss der RS/RA die Durchführung ablehnen! Nicht delegationsfähig sind Diagnosefindung und Therapieentscheidung. Um seiner Delegationsverantwortung gerecht werden zu können, muss der Arzt persönlich anwesend sein! Daher sind Arbeitsaufträge über Funk höchstproblematisch, insbesondere weil der NA den Patienten zu diesem Zeitpunkt meist (noch) nicht kennt.
Weisungsrecht Der RA ist nach § 3 RettAssG Helfer des Arztes. Grundsätzlich hat jeder behandelnde Arzt gegenüber dem RS/RA Weisungsrecht, solange er denselben Patienten behandelt und persönlich anwesend ist – damit also die Verantwortung für die Behandlung des Patienten trägt. Dem RS/RA steht es frei, Vorschläge/Vorbehalte zur Behandlung zu äußern (Vorsicht, wenn Patient oder Dritte anwesend!); ärztlichen Anordnungen ist Folge zu leisten. Mögliche, doch in der Praxis wohl seltene Ausnahmen stellen höchstens Weisungen zur Durchführung offensichtlicher Straftaten, Begehen eines Übernahmeverschuldens oder eine Überforderung des RS/RA dar. Nur dann oder wenn der Patient allein dem RS/RA – z. B. zum Transport – übergeben worden ist, trägt der RS/RA die alleinige Verantwortung für den Patient. Es muss ggf. den Arzt um eine Transportbegleitung bitten (NA-Indikation) und kann bei Ablehnung einen anderen Arzt zur Transportbegleitung rufen.
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Kapitel 2 · Recht
Invasive medizinische Maßnahmen I Maßnahmen, die zweifelsfrei den Tatbestand der Körperverletzung erfüllen, sind beispielsweise Punktionen jeder Art und die Verabreichung von Medikamenten.
Recht
Rechtliche Voraussetzungen für medizinisches Personal und Ärzte: 1. Einwilligung des Patienten (sonst ungerechtfertigte Körperverletzung; ggf. mit Schadensersatzpflicht mgl.) 2. Sorgfältige Durchführung (sonst Schadensersatzpflicht oder unwirksame Einwilligung mgl.) 3. Zeitnahe und sorgfältige Dokumentation (Gefahr der Beweislasterleichterungen oder -umkehr) Wenn nichtärztliches Personal „heilkundliche Maßnahmen“ eigenverantwortlich durchführt (inkl. Indikationsstellung), droht z. B. ein Verstoß gegen Tätigkeitsvorbehalte bestimmter Berufsgruppen (z. B. Ärzte, Heilpraktiker, Hebammen), die sich z. B. aus dem Heilpraktikergesetz, Hebammengesetz oder dem Arzneimittelgesetz herleiten. Ein rechtmäßiger Verstoß gegen diese Gesetze kommt nur in Betracht bei Vorliegen von Notstandsbedingungen (sonst unerlaubte Ausübung der Heilkunde, Verstoß gegen AMG, MPG, HPG, HebG u. a. mgl.).
Einwilligung des Patienten Voraussetzungen: • Einwilligungsfähigkeit des Patienten • Situationsangemessene Aufklärung • Klare Willensäußerung des Patienten Einsichtsfähigkeit/Einwilligungsfähigkeit = Fähigkeit, mit eigenen Rechtsgütern (Leben, Körper) vernünftig umzugehen = natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit (geistige und sittliche Reife) = Fähigkeit, Wesen und Tragweite (Bedeutung) von Handlungen in Bezug auf eigene Rechtsgüter zu erkennen und einzuschätzen (Abwägung des Für und Wider) Davon unabhängig sind Geschäftsfähigkeit (Fähigkeit, langfristig und unwiderruflich vertragliche Beziehungen einzugehen) und Schuldfähigkeit (Fähigkeit, fremde Rechtsgüter schützende Normen zu respektieren). Einwilligungsfähigkeit bei Geschäftsunfähigkeit ist denkbar, umgekehrt sehr fraglich. • Bei Geschäftsunfähigen bei anwesendem Betreuer zur Sicherheit zusätzlich dessen Einwilligung einholen (Kokonsens). • Die Feststellung der Einwilligungsfähigkeit ist eine Einzelfallentscheidung. Kriterien der Einwilligungsfähigkeit s. S. 94 • Das Alter ist dabei allenfalls Hinweis, aber niemals allein entscheidend! Grundsätzlich wird ab einem Alter von 14–16 Jahren die Einwilligungsfähigkeit angenommen.
2.2 · Invasive Maßnahmen
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Invasive medizinische Maßnahmen II Aufklärung Der Patient muss verstehen, in was er einwilligt, sonst ist die Einwilligung nichtig! In Abhängigkeit von Dringlichkeit und Gefährlichkeit der Maßnahme muss der Umfang der Aufklärung gewählt werden. Der Bildungsstand des Patienten muss bei der Formulierung berücksichtigt werden. Eine Einwilligung gilt nur dann als erteilt, wenn der Patient in Kenntnis aller Umstände (s. Checkliste) zugestimmt hätte. Eine nachträgliche Einwilligung gilt nicht.
Checkliste – Inhalt der Aufklärung Patientenzustand: • Untersuchungsbefunde • Ggf. Folgerung: Verdachtsdiagnose(n) (Problem der diagnostische Sicherheit?!) • Mit den Befunden verbundenen Gefahren für den Patient Heileingriff: • Art, Ziel, Notwendigkeit und Dringlichkeit der Maßnahme • Alternativen • Typische Nebenwirkungen, Risiken, Komplikationen und Konsequenzen Durchführende Person: • Name, Funktion (z.B. Rettungsassistent – ausdrücklich: „kein Arzt“) • Qualifkation (auch bzgl. der Maßnahme: die ordnungsgemäße Durchführung muss in dieser Situation gewährleistet sein)
Willensäußerung Die akzeptable Willensäußerung kann auf folgende Weisen erfolgen: • Ausdrücklich („Ja, geben Sie mir jetzt das Medikament XY.“ Es ist am sichersten!) • Konkludent (Der Patient zeigt schlüssig durch sein Verhalten, dass er die Maßnahme wünscht, z. B. in dem er den Arm zur Injektion hinhält. Missverständnisse möglich!) • Generalisiert („Machen Sie alles, was Sie für richtig und nötig halten.“) Merke: • Jede Einwilligung setzt eine Aufklärung voraus, die beim Patienten angekommen ist. Teilnahmsloses Dulden ist keine Einwilligung! • Täuschung, Drohung, Zwang (Willensmängel) oder grobe Fehler machen eine Einwilligung nichtig. • Eine Einwilligung ist widerruflich.
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Kapitel 2 · Recht
Invasive medizinische Maßnahmen III
Recht
Sonderfall: mutmaßliche Einwilligung (die Einwilligungsfähigkeit fehlt aus tatsächlichen Gründen, z. B. Bewusstlosigkeit; entscheidend ist der Zeitpunkt der Rechtsgutsverletzung/des Eingriffs) Voraussetzungen: • Kein Anhaltspunkt für einen entgegenstehenden Willen des Betroffenen bekannt oder erkennbar; der hypothetische Wille des Patienten gilt als mit dem übereinstimmend, was gemeinhin als normal und vernünftig angesehen wird • Die Maßnahme gilt als allgemein vernünftig und entspricht den Interessen eines verständigen Patienten. • Ermittlung des mutmaßlichen Willens (aus individuellen Interessen, Wünschen, Bedürfnissen und Wertvorstellungen des Patienten. Aussagen von Angehörigen dienen lediglich als Indiz, sind aber zu hören) • Der Wille des Patienten geht vor dessen Wohl! Ausnahmen s. S. 92 ff. • Späterer entgegenstehender Wille ist ohne Bedeutung, solange die Prüfung des mutmaßlichen Willens zum Zeitpunkt der Maßnahme korrekt ausgeführt wurde • Bei falschem Urteil: Grundsätze des Verbotsirrtums (§ 17 StGB). Die Unvermeidbarkeit des Irrtums ist entscheidend für Straffreiheit.
Sorgfältige Durchführung Bin ich jetzt Herr der Lage? Beherrsche ich die Maßnahme in Theorie und Praxis: Kann ich die aktuelle Situation in Bezug auf Indikationen und Kontraindikationen der Maßnahme sicher einschätzen? Bin ich jetzt in der Lage, mögliche Komplikationen zu beherrschen? Kann ich meine aktuelle Qualifikation für die Maßnahme nachweisen? • Durchführung nach existierenden Standards • Übergabe an weiterbehandelnden Arzt (sofort, unaufgefordert, vollständig)!
Zeitnahe sorgfältige Dokumentation • • • • • • • •
Nachvollziehbar für fachkundige Dritte Untersuchungsbefunde vor ergriffenen invasiven Maßnahmen Diagnostische Folgerung(en) Notwendigkeit der Maßnahmen und Ausschluss von Alternativen Einwilligungssituation Sorgfältige Durchführung der Maßnahmen ggf. eingetretene Komplikationen und deren adäquate Behandlung Untersuchungsbefunde nach ergriffenen invasiven Maßnahmen
2.3 · Schweigepflicht
87
2
Schweigepflicht I (Verletzung kann mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr geahndet werden) Die Schweigepflicht hat ihren Grund im Schutz der vertrauensvollen Atmosphäre zwischen Behandler und Patient. Jeder Patient, auch der mit „Dreck am Stecken“, hat das Recht auf eine menschliche und korrekte medizinische Versorgung, die nur möglich ist, wenn zwischen Behandler und Patient keine Geheimnisse stehen! Ein Patient wird sich natürlich nur dann völlig offenbaren, wenn er weiß, dass nichts davon nach außen dringt. Grundsätzlich besteht eine Schweigepflicht für das gesamte medizinische Personal im Rettungsdienst im selben Umfang. NA und RA haben eine berufsmäßige Schweigepflicht (§ 203 I StGB), das übrige Rettungsdienstpersonal (RH, RS, RA i. P. und andere Auszubildende) eine abgeleitete Schweigepflicht als deren berufsmäßig tätige Gehilfen (§ 203 III StGB). Außerdem kann eine Schweigepflicht aus einer Amtsträgerschaft bzw. aus einer besonderen Verpflichtung für den öffentlichen Dienst resultieren, die auch im Rettungsdienst Anwendung findet und auch eine Verschwiegenheit bei nicht-medizinischen Einsätzen/Kontakten bedingt (§ 203 II StGB). Die medizinische Schweigepflicht gilt gegenüber allen, die nicht unmittelbar an der medizinischen Versorgung des Patienten beteiligt sind, also auch Angehörigen des Patienten, eigenen Kollegen (die an der Versorgung des Patienten nicht beteiligt sind), Behörden, Presse und Polizei. Die Schweigepflicht besteht über den Tod des Patienten hinaus! (§ 203 IV StGB)
Die Schweigepflicht umfasst • durch den Patienten Anvertrautes • berufsbedingt Bekanntgewordenes (wäre der Rettungsdienst nicht gerufen worden, wüsste der RS/RA/NA davon nichts!) • durch Dritte Mitgeteiltes (über den Patienten); letztlich jedes Wissen, an dem der Patient ein schutzwürdiges Interesse hat (das entscheidet zunächst er selbst!).
Zeugnisverweigerungsrecht Aus der Schweigepflicht resultiert ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht vor Gericht für Ärzte gemäß § 53 I 3 StPO. Über das Zeugnisverweigerungsrecht für Hilfspersonal entscheidet der behandelnde Arzt (§ 53 a StPO). Eine Entbindung von der Schweigepflicht verpflichtet sowohl Ärzte, als auch das Hilfspersonal zur Aussage (§ 53 II bzw. § 53 a S. 2 StPO). Bei Aussagen vor Gericht entscheidet ggf. auch der Richter über das Vorliegen einer Schweigepflicht. Keine Belastung von Angehörigen und sich selbst gemäß § 55 StPO.
88
Kapitel 2 · Recht
Schweigepflicht II Erlaubtes Brechen der Schweigepflicht Es gibt zwei Instanzen, die die Befugnis zum Brechen der Schweigepflicht erteilen können: 1. der Patient selbst
Recht
2. das Gesetz Zu 1.: Der Patient kann entweder ausdrücklich erklären, dass jemand ein ihn betreffendes Geheimnis offenbaren darf oder es wird aus der Situation offensichtlich, dass der Patient gegenüber Anwesenden keine Geheimnisse hat (konkludentes Verhalten – Vorsicht: im Zweifel vorher ausdrücklich fragen!). Im Sinne des Patienten gilt grundsätzlich, dass ein Informationsaustausch unter den an der Patientenbehandlung beteiligten Personen gestattet ist, sofern es der Behandlung dient. Zu 2.: Erlaubtes, ggf. verpflichtendes Brechen der Schweigepflicht durch Gesetz: 1. Namentliche Meldungen nach Infektionsschutzgesetz, Meldungen nach Medizinproduktegesetz, Personenstandsgesetz, Sozialgesetzbuch VII u.a. 2. Angaben gegenüber dem Leichenschauer nach Landesbestattungsgesetz 3. zur Selbstverteidigung vor Gericht (z. B. § 34 StGB) 4. Anzeigepflicht bestimmter Straftaten: • Grundsätzlich besteht eine Anzeigepflicht (nur) bei geplanten Kapitalverbrechen (§ 138 StGB), z. B. Hochverrat, Terror, Mord, Totschlag, Raub, Erpressung, Schaffung einer Gemeingefahr. • Für abgelaufene Straftaten besteht i. d. R. keine Anzeigepflicht, also bleibt es primär bei der Schweigepflicht!
Besonderheiten für Ärzte Der Arzt kann (z.T. im Rahmen einer Pflichtenkollision) außerdem die Schweigepflicht brechen: • beschränkt - zur Verhinderung krankheitsbedingter strafbarer Handlungen (Güterabwägung) und • sehr beschränkt - zur Aufklärung begangener schwerer Straftaten (ethische Abwägung). Der Arzt (und nur dieser!) ist straffrei, wenn er trotz Kenntnis von geplanten Kapitalverbrechen i. S. d. § 138 StGB keine Anzeige erstattet, jedoch sich ernsthaft bemüht, die Tat zu verhindern, sofern es sich nicht um Mord, Totschlag, erpresserischen Menschenraub, Geiselnahme, Terror, Angriff auf den Luft- oder Seeverkehr handelt (§ 139 III StGB).
2.4 · Straßenverkehrsrecht
89
2
Sonderrechte / Wegerecht I Sonderrechte Nach § 35 Abs. 5 a StVO sind „Fahrzeuge des Rettungsdienstes von den Vorschriften der StVO befreit“, wenn „höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden.“ Die berechtigten Fahrzeuge dürfen also unter den genannten Voraussetzungen gegen die Vorschriften der StVO verstoßen. Es ist aber nicht erlaubt, gegen Vorschriften anderer Gesetze (z. B. StGB, StVG, StVZO) zu verstoßen, die ebenfalls straßenverkehrsrechtliche Regelungen enthalten! (z. B. Gefährdung des Straßenverkehrs, Alkohol am Steuer). Die Inanspruchnahme von Sonderrechten bedarf keiner Kennzeichnung gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern (ist aber sinnvoll, um Gefahren zu minimieren). „Die Sonderrechte dürfen nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden.“ (§ 35 Abs. 8 StVO). Dies bedeutet eine erhöhte Sorgfaltspflicht bei der Inanspruchnahme von Sonderrechten. Bei einem Unfall mit Sonderrechtsgebrauch wird sich der Fahrer immer dem Vorwurf stellen müssen, dass er die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht gebührend beachtet hat, da sonst der Unfall gar nicht hätte passieren können. Der § 35 StVO gibt dem RD kein allgemeines Vorrecht gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern.
Wegerecht Gemäß § 38 Abs. 1 StVO darf der Rettungsdienst blaues Blinklicht zusammen (!) mit dem Einsatzhorn verwenden, „wenn höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden.“ Damit wird allen übrigen Verkehrsteilnehmern angeordnet, sofort freie Bahn zu schaffen. Trotzdem erhöhte Sorgfaltspflicht: Auf Sicht fahren (Vergewissern, dass die übrigen Verkehrsteilnehmer das RDFahrzeug gesehen haben; Überfahren roter Ampeln und vorfahrtnehmender Schilder nur mit Schrittgeschwindigkeit und wenn die anderen Verkehrsteilnehmer zum Stehen gekommen sind, bzw. ihre Geschwindigkeit ausreichend vermindert aben; langsames und umsichtiges Fahren in der Nähe von Kindergärten, Schulen, Altenheimen, bei Fußgängerüberwegen, in Fußgängerzonen, etc.)
Blaues Blinklicht alleine darf laut § 38 Abs. 2 StVO zur Warnung an Unfall-/Einsatzstellen und bei Fahrten im geschlossenen Verband verwendet werden. In verschiedenen Einsatzsituationen ist es übliche Praxis, nur mit blauem Blinklicht alleine zu fahren (z. B. nachts), und dabei Sonderrechte in Anspruch zu nehmen. Wegerecht besteht dabei aber nicht! Trotz evtl. vernünftiger Gründe für dieses Verfahren (z. B. Schonung von Patienten oder Anwohnern) sind im Falle eines Unfalls erhebliche Konsequenzen für den Fahrer möglich, da dieser glaubhaft nachweisen muss, dass seine Vorgehensweise sorgfältig war und der Unfall bei Einsatz der akustischen Warnanlage auch geschehen wäre.
90
Kapitel 2 · Recht
Sonderrechte / Wegerecht II und Unfall Indikationstellung für Sonderrechte/Wegerecht • Leitstelle: bei Alarmierung, wobei sich der Fahrer darauf verlassen muss und darf, dass die Kriterien zur Sondersignalfreigabe tatsächlich vorliegen • Besatzung: Indikationsstellung durch den medizinisch Höchstqualifizierten Abwägung: Medizinischer Nutzen durch Zeitgewinn versus Risiko (statistisch ca. 8-fach erhöhtes Unfallrisiko) und Wirkung auf den Patienten (ggf. Aufklärung).
Recht
Hinweis: Vom Einsatz eines NEF als „Straßenräumer“ für einen RTW, der einen Patienten mit Sonderrechten/Wegerecht zur Klinik transportiert, muss aus versch. Gründen abgeraten werden! Ein NEF darf einem mit Sondersignal zur Klinik fahrenden RTW nur mit Sondersignal folgen, wenn ein neuer Einsatz konkret vorliegt.
Eigenunfall oder Vorbeifahren an Fremdunfall 1. Immer anhalten! Jeder Unfallbeteiligte muss sich nach einem Unfall als solcher den anderen Unfallbeteiligten zu erkennen geben, d.h. seine Personalien, Fahrzeugkennzeichen und die Art seiner Beteiligung angeben (sonst: unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, § 142 StGB). Wichtig: Unfallbeteiligter ist jeder, dessen Verhalten zum Unfall beigetragen haben kann (§ 142 V StGB). Häufig verursacht z. B. Sondersignalgebrauch ein Fehlverhalten Dritter (z. B. Sturz eines Fahrradfahrers oder Auffahrunfall durch Unaufmerksamkeit) . das Rettungsmittel ist dann Unfallbeteiligter im Sinne des Gesetzes und muss auch bei Bagatellschäden immer zunächst anhalten.
2. Erste kurze Meldung an die Leitstelle • Eigenwahrnehmung/Beteiligung an Verkehrsunfall • vorläufig nicht einsatzbereit; ggf. prophylaktisch weiteres Rettungsmittel zum ursprünglichen Einsatzort entsenden
3. Unfallstelle absichern und sorgfältige Erkundung • Sind Personen verletzt? (Schwere der Verletzungen?) • Eigenes Fahrzeug einsatzfähig? (Fahrfähig? Betriebssicher? Verkehrssicher?)
4. Entscheidung • Wenn kein weiterer Unfallbeteiligter vor Ort und dringlicher Einsatz (§ 35 V StVO) den Einsatz fortsetzen (berechtigtes Entfernen) und unverzüglich danach Kontakt mit Polizei aufnehmen (Unfallbeteiligung per Funk an RLS dokumentieren). • Bei nicht dringlichem Einsatz oder Fahrt ohne Auftrag: grundsätzlich zunächst vor Ort bleiben; wenn kein weiterer Unfallbeteiligter vor Ort ist, angemessene Zeit warten; danach Kontakt mit Polizei und ggf. Geschädigten aufnehmen. • Sind Personen verletzt?
2.4 · Straßenverkehrsrecht
2
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Unfall II Mögliche Konstellationen: Verletzte außerhalb Anfahrt zum Pat. Patient an Bord Patient an Bord des Rettungsmittels Notfalleinsatz (vital bedroht) (Patient stabil) definitiv keine nur Leichtverletzte Schwerverletzte
weiterfahren
weiterfahren
weiterfahren
abwägen
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vor Ort bleiben
vor Ort bleiben
vor Ort bleiben
• Vorgehen A: Vor Ort bleiben Grundsatz: Patienten/Verletzte (erst-)versorgen! Keinesfalls von der Unfallstelle entfernen. Anderenfalls droht Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 323 c StGB) oder gar Körperverletzungsdelikten durch Unterlassung (Garantenstellung, § 13 StGB i. V. m. entsprechenden Tatbeständen nach § 223 ff. StGB). Für verletzte Unfallgegner möglichst anderes Rettungsmittel anfordern, um emotionale Spannungen mit juristischen Folgen vorzubeugen (z. B. Vorwurf eines Behandlungsfehlers) • Vorgehen B: Weiterfahren Grundsatz: gerechtfertigtes Entfernen vom Unfallort! Entfernen vom Unfallort ist in Ordnung, wenn den anderen Unfallbeteiligten die eigenen Personalien, das Fahrzeugkennzeichen und die Beteiligung am Unfall angegeben wurden (dauert nicht lange). Ein vorheriges Entfernen kann im Extremfall über § 34 StGB (vgl. S. 83) gerechtfertigt sein. Umstände des Einzellfalles sind entscheidend. Bei Fahrt zu vermutlich kritischem Einsatz oder bei kritischem Patient an Bord und lediglich Sachschaden vor Ort ist eine Weiterfahrt zulässig. Möglichst Polizei (ggf. über Funk) kurz darüber informieren und der Polizei unmittelbar nach Beendigung des Einsatzes zu Verfügung stehen. • Vorgehen C: Abwägen Grundsatz: Sehr genaues Abwägen zwischen Vorgehen A und B. Je geringer der Schaden vor Ort und je größer der Schaden für den Patienten (zu dem gefahren wird bzw. der an Bord ist), desto eher ist eine Weiterfahrt gerechtfertigt! Eine Strafbarkeit entfällt dann (in Extremfällen) aufgrund Rechtfertigung über § 34 StGB (Rechtfertigender Notstand) bzw. aufgrund einer rechtfertigenden Pflichtenkollision. Im Zweifel (z.B. über die Verletzungsschwere beteiligter Personen) vor Ort bleiben!
6. Zweite, konkrete Meldung an die Leitstelle • Schadenslage: Verletzte (schwer/leicht), Sachschäden, Gefahrenlage • Eigene Lage: eigenes Personal/Fahrzeug einsatzbereit/nicht einsatzbereit • Entscheidung: wir bleiben vor Ort / wir führen ursprünglichen Auftrag aus • Nachforderung von Polizei/Feuerwehr/Rettungsdienst
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Kapitel 2 · Recht
Behandlungs- und Mitfahrverweigerung III
Recht
1
öffentliche Sicherheit und Ordnung
Die öffentliche Sicherheit: • Bestand des Staates • ordnungsgemäßes Funktionieren staatlicher Einrichtungen • Schutz der Individualrechtsgüter (Leben, Gesundheit, Vermögen, Eigentum)) • Schutz der gesamten geschriebenen Rechtsordnung Jeder Verstoß gegen Gesetze/Vorschriften gefährdet die öffentliche Sicherheit. Die öffentliche Ordnung: In einem Polizeibezirk herrschende Wertvorstellungen, sofern sie unerlässlich für ein friedliches Zusammenleben sind. Sie müssen mit staatlichen Gesetzen, insb. mit Grundrechten (speziell von Minderheiten!) vereinbar sein. 2
Einwilligungsfähigkeit
Ab ca. 14–16 Jahre, aber Einzelfallentscheidung; hängt von „individueller geistiger und sittlicher Reife“ ab. Verstehen der Bedeutung und Tragweite der Behandlung bzw. Nichtbehandlung. Geschäftsfähigkeit (§§ 104 ff. BGB) hat nur Indizwirkung. Kriterien der Einwilligungsfähigkeit: • Verhalten: - Kongruent (passt zusammen) - Konsistent (beständig, dauerhaft) • Bewusstsein: orientiert bzgl. - Person („Wie heißen Sie?“/„Wie ist ihr Geburtsdatum?“) - Situation („Was ist vorgefallen?“) - Ort („Wo sind wir?“) - Zeit („Welcher Tag ist heute?“) - Raum (gerichteter Bewegungen des Patienten?) • Antizipationsfähigkeit (in die Zukunft planen/denken können) • Keine verzerrte Wahrnehmung (Krankheit/Medikamente/Notfall) • Ausreichende Intelligenz, um die Aufklärung zu verstehen • Erkennen von Erforderlichkeiten unter Berücksichtigung von Alternativen Merke: Ein Patient, der angesichts einer Lebensbedrohung die Behandlung verweigert, sollte im Falle eines Zweifels bezüglich oben genannter Kriterien nicht als einsichtsfähig gelten. 3
Voraussetzung für Zwangsbehandlung/-einweisung
• Vorliegen einer psychischen Störung, • die zu einer Eintrübung der freien Willensbildung führt • und eine Eigen-/Fremdgefahr (auch langfristig) birgt.
2.5 · Behandlungsverweigerung
95
2
Behandlungs- und Mitfahrverweigerung IV 4
Mutmaßliche Einwilligung
Ist ein Patient nicht einwilligungsfähig (Bewusstlosigkeit, Vollrausch etc.), muss gemutmaßt werden, welche Entscheidung er bei klarem Bewusstsein treffen würde. Voraussetzung dafür ist aber immer, dass der Behandelnde sich um eine ernsthafte Erforschung des Patientenwillens bemüht und nicht seine eigenen Ansichten oder allgemeingültige Vorstellungen an dessen Stelle gesetzt hat. Ist z. B. bekannt, dass ein Patient bestimmte Maßnahmen aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen generell ablehnt, kann nicht von einer mutmaßlichen Einwilligung ausgegangen werden. Anwesende bekannte Personen des Patienten oder der Sorgeberechtigten (Lehrer, Gruppenleiter etc.) können hier ein Indiz geben, sind also zu befragen. Bei lebensrettenden Maßnahmen ist eine mutmaßliche Einwilligung im allgemeinen anzunehmen! Gleiches gilt wenn ein Sorgeberechtigter nicht erreichbar ist. Hier ist sein mutmaßlicher Wille ausschlaggebend. Generell gilt: je schwerer und komplikationsträchtiger einer- und je weniger dringlich andererseits der Eingriff ist, desto eher ist davon auszugehen, dass die Einwilligung durch die Eltern als gesetzliche Vertreter erfolgen muss. In dringenden Fällen können die Maßnahmen im Voraus getroffen werden, der Sorgeberechtigte ist aber baldmöglichst zu verständigen. 5
Wenn Nichtbehandlung geboten ist, gilt:
• Behandlung wäre eine Straftat. • Aber: Soziale Notwendigkeiten verantwortungsvoll regeln (z. B. Beaufsichtigung, Hilfe durch Sozialstation organisieren) • ggf. bei Gesundheitsamt/Ordnungsamt/Vormundschaftsgericht melden • Immer Patienten ausführlich aufklären! ggf. Notarzt • Immer gut dokumentieren! Zeugen! 6
Gewaltanwendung
Gewaltanwendung durch RD Personal erfordert unbedingt die Anwesenheit der Polizei! 7
Behandlung trotz Verweigerung eines Sorgeberechtigten
• Bei Lebensgefahr und höchster Eile kann in seltenen Ausnahmefällen auch gegen den Willen der Betreuer behandelt werden. Rechtfertigung (Straffreiheit) über § 34 StGB (Notstand) z. B. Verweigerung aufgrund religiöser Vorbehalte der Sorgeberechtigten gegen die nötige Maßnahme. • Vorsicht! Sehr kritisch prüfen! • (Notarzt!), ggf. Polizei!
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Kapitel 2 · Recht
Medizinproduktegesetz Die Besatzung ist als Anwender im Sinne des Gesetzes (MPG, MPBetreibV) für Sicherheit, Funktionszustand und Vollständigkeit von Material und Fahrzeug verantwortlich. Daher sind zu den auf den eigenen Rettungsmitteln vorgehaltenen Geräten fundierte Kenntnisse erforderlich: Bedienung, Wartung, Pflege (inkl. sachgerechte Desinfektion).
Recht
Für bestimmte Verstöße im Medizinprodukterecht werden Strafen oder Bußgelder angedroht, auch wenn niemand zu Schaden kommt, z. B.: • Anwendung von mängelbehafteten Medizinprodukten ist strafbar (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe) • Unbefugter Anwendung, z. B. wegen ungenügender Ausbildung/Kenntnisse/ praktischer Erfahrung ohne Gewähr einer sachgerechten Handhabung (Ordnungswidrigkeit; Geldbuße bis zu 25 000,- EUR).
Einweisung Jeder Anwender eines Medizinproduktes der Anlage 1 MPBetreibV (De.brillatoren, Beatmungsgeräte, Spritzenpumpen) muss nach § 5 MPBetreibV durch einen Berechtigten (meist MPG-Beauftragter) eingewiesen sein. Es besteht eine Dokumentationsp.icht im Gerätebuch. Manipulationen an Geräten und Gerätemodellen, für die keine Einweisung vorliegt, sind im Regelfall verboten (z. B. Inkubatoren, Beatmungsgeräte oder Spritzenpumpen von Kliniken bei Intensivverlegungen).
Funktionstest Jedes Medizinprodukt ist vor jeder Anwendung einem Funktionstest zu unterziehen. Hierbei reicht bei Geräten der Anlage 1 meist der Selbsttest nicht aus (siehe Bedienungsanleitung). Die Funktionsprüfung ist im Rettungsdienst u. U. nicht möglich – daher: nach dem Einsatz ist vor dem nächsten Einsatz! • Sicherheits- und messtechnische Kontrollen (STK/MTK): Der Betreiber hat bei Medizinprodukten der Anlage 1 nach den Angaben des Herstellers – aber mind. alle 2 Jahre – sicherheitstechnische Kontrollen durchzuführen. Für Medizinprodukte der Anlage 2 gilt bezüglich der messtechnischen Kontrolle gleiches. (Kontrolle der Prüfplakette bei Dienstantritt).
Meldung von (Beinahe-) Vorkommen Der Betreiber und/oder der Anwender ist zur Meldung von sicherheitsrelevanten Vorkommnissen an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte verppflichtet (MPSV). Das Meldedokument ist unter www.bfarm.de zu erhalten!
Zugriff auf Bedienungsanleitungen Nach § 9 MPBetreibV muss von jedem Mitarbeiter jederzeit die Bedienungsanleitung eingesehen werden können. D. h. für Geräte der Anlage 1 sollte mindestens eine Kurzanleitung (des Herstellers) auf dem Rettungsmittel vorgehalten werden.
Kapitelübersicht
97
3
Notfalldiagnostik 3.1 Allgemeine Hinweise .................................................... 98 3.2 Leitsymptomatik ........................................................... 99 Neurologie ......................................................... 9 9 Atmung ............................................................ 100 Herz-Kreislauf .................................................. 101 Abdomen (auch Urologie / Gynäkologie) .... 102 Trauma ............................................................. 103
3.3 Ultraschalldiagnostik im Rettungsdienst ..................... 104 3.4 Differenzialdiagnosen (DD) ......................................... 108 DD DD DD DD DD DD DD DD DD
Thoraxschmerz (retrosternal) ................. 108 Herzklopfen / Herzrasen ........................... 110 Kopfschmerz / Gesichtsschmerz ............ 111 Übelkeit / Erbrechen ................................. 112 Diarrhö ....................................................... 113 Fieber / Schüttelfrost ................................ 114 Husten / Auswurf ...................................... 115 Akuter Verlust der Sehkraft ..................... 116 Schwindel .................................................. 116
Weitere differenzialdiagnostische Übersichten: Akutes Abdomen ......................................... 290 ff. Peripherer Gefäßverschluss ............................ 246 Synkope ....................................................... 190 f. Vaginale Blutung ............................................. 298 Beachte: Diese Differenzialdiagnosen sind für Belange des Rettungsdienstes modifiziert und erheben daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit. EKG-Diagnostik/Herzrhythmusstörungen s. Kapitel 4
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Kapitel 3 · Notfalldiagnostik
Allgemeine Hinweise Die Notfalldiagnostik sollte in jedem Fall den gründlichen Basischeck (s. S. 16), die Rahmenbedingungen, eine leitsymptomorientierten Anamnese und das Allgemeinbefinden des Patienten (z. B. Todesangst) einschließen. Dabei ist stets auch zu hinterfragen ob die Symptome akut neu aufgetreten (Notfall!) oder chronisch unverändert (Notfall?) sind.
Notfalldiagnostik
Ablauf der Notfalluntersuchung im Kontext 1. Lebensrettende Sofortmaßnahmen / Basismaßnahmen 2. Möglichst Stabilisierung des Patienten 3. Aus Anamnese, Rahmenbedingungen und Basischeck ergibt sich die Leitsymptomatik ➯ Erweiterte leitsymptomorientierte Notfalldiagnostik: - Neurologische Leitsymptomatik s. S. 99 - Respiratorische Leitsymptomatik s. S. 100 - Kardiozirkulatorische Leitsymptomatik s. S. 101 - Abdominelle / Gynäkologische / Urologische Leitsymptomatik s. S. 102 - Traumatologische Leitsymptomatik s. S. 103 4. Diese Notfalldiagnostik führt zu einer vorläufigen Arbeitsdiagnose, die entweder offensichtlich ist (z. B. sichere Fraktur), durch den Erfolg der sich anschließenden Notfalltherapie bestätigt wird (z. B. Opioidintoxikation nach Naloxongabe) oder erst in der Klinik überprüft werden kann (z. B. zerebrale Ischämie mittels CT).
Psychologische Faktoren bei der Notfalldiagnostik • Mit Faktoren rechnen, die die Kommunikation mit dem Patienten beeinträchtigen können. Diese müssen schnell erkannt und, wenn möglich, umgangen werden. Bsp.: Sprachbarriere (bewusst langsam, deutlich und dialektfrei sprechen, ggf. dolmetschen lassen (z. B. Familienangehörige), Hörstörungen/ Taubheit, Sehstörungen/Blindheit, Religionszugehörigkeit. • Aktives Zuhören: Positive Wertschätzung, Empathie (Einfühlen), Selbstkongruenz (Ehrlichkeit) • Mögliche Beurteilungsfehler beachten, z. B. Æ Halo-Effekt: Ein besonders augenfälliges Symptom führt zur Unterschätzung eines weniger beeindruckenden, aber bedeutsameren Zeichens. • Es ist darauf zu achten, dass dem Patienten bei Untersuchungsvorgängen und Fragen keine Reaktionen oder Antworten nahegelegt werden (Suggestion). • Scham kann zu unvollständigen oder unrichtigen Äußerungen führen. Ggf. auch von scheinbar nicht störenden Anwesenden Distanz verlangen (z. B. Arbeitskollegen, u. U. sogar Eltern oder Freunde). Patientenwunsch beachten! • Eine gute begleitend durchgeführte psychische erste Hilfe (s. Kapitel 15) fördert in der Regel eine notfallmedizinisch effiziente Kommunikation.
3.2 · Leitsymptome
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3
Leitsymptomatik - Neurologie 1. Retrograde Amnesie; z. B. Commotio cerebri, Schädel-Hirn-Trauma 2. Pupillenzustand (Anisokorie?) a) Miosis: z. B. bei Parasympathomimetika (Physostigmin, E 605 ®), Opiaten, Blutungen und Raumforderungen am Hirnstamm (max. enge Pupillen ohne Lichtreaktion), sonstigen zerebralen Raumforderungen, Horner Syndrom (Miosis, Ptosis, (Pseudo-)Enophtalmus) - bei entzündlichen oder raumfordernden Prozessen am Hals, sowie als Warnzeichen vor Einklemmung des Hirnstammes bei Hirnödem b) Mydriasis: z. B. bei Sympathomimetika, Parasympatholytika, intrakraniellen Raumforderungen (Blutung, Ödem, Tumor), tiefen Komastadien (Bulbärhirnsyndrom, Hirntod), nach Grand-Mal-Anfall, erblindetes Auge, Glasauge, Pupillotonie/AdieSyndrom (parasympatische Innervationsstörung), Augentropfen 3. • Physiologische Reflexe, z. B.: - 1. Prompte direkte Lichtreaktion des beleuchteten Auges (Miosis). 2. Prompte indirekte Lichtreaktion des nicht beleuchteten Auges bei Beleuchtung des anderen (Miosis). - Kornealreflex (Hirnnerven V1 und VII): Lidschluss auf Reiz der Kornea - Würge-, Schluck- und Hustenreflex (Hirnnerven IX und X) - Muskeleigenreflexe: z. B. Patellar-(L3/4) und Bizeps-(C6) Sehnenreflex - Fremdreflex: Bauchhautreflex (Th5-Th12) Fehlende, verzögerte oder nicht seitengleiche Reflexe sind i.d.R. Ausdruck neurologischer Störungen (z. B. SHT, Apoplexie) • Pathologische Reflexe (nur bei zentralen neurologischen Störungen vorhanden, z. B. Pyramidenbahnläsion; z. T. bei Neugeborenen und Säuglingen noch physiologisch!), z. B.: - Babinski- / Gordon- / Oppenheim-Reflex (tonische Dorsalflexion der Großzehe mit Abspreizen der übrigen Zehen bei Bestreichen des lateralen Fußrandes / „Wadenkneten“ / kräftiges Entlangstreichen an der Tibiakante) - Greifreflex (Festhalten des Gegenstandes nach Berühren der Handfläche) 4. Nervendehnungsschmerz, z. B. Lasègue-Zeichen: • normal = problemloses Anheben (Untersucher) des gestreckten Beines • positiv (Schmerzen dabei): Nervenwurzelirritation im Lumbalbereich (z. B. bei Bandscheibenvorfall, Meningitis) 5. Meningismus (nicht testen bei V.a. HWS-Verletzung): möglicher Hinweis auf z. B. Meningitis, Subarachnoidalblutung, Sonnenstich oder HWS-Trauma. 6. Prüfen weiterer wichtiger Hirnnerven (z. B. III u. VI: Augenbewegungen / V: Sensibilität der Gesichtshaut / XII: Zungenmotorik) und der Koordination (u. a. Kleinhirn und Basalganglien; z. B.: Finger zur Nasenspitze führen; Diadochokinese = schnell alternierende gegensätzliche Bewegungen).
100
Kapitel 3 · Notfalldiagnostik
Leitsymptomatik - Atmung
Notfalldiagnostik
Atembewegungen • beschleunigt (Tachypnoe): z. B. bei Gasaustauschstörung der Lunge, Anstrengung,erhöhtem O2-Bedarf • Kussmaulatmung (vertieft und beschleunigt): z. B. bei Azidose • Hinweise auf zentrale Atemstörungen: Cheyne-Stokes-Atmung: Biot-Atmung:
• Schnappatmung (niedrigfrequente Atembewegung des Mundes ohne adäquate Thoraxbewegung): Herz-Kreislaufstillstand! • invers (“Schaukelatmung”; Vorwölbung der Bauchdecke bei Einatmung bei gleichzeitiger Einziehung des Thorax u. umgekehrt): Atemwegsverlegung! • paradox (Thoraxeinziehung bei Ein- und -vorwölbung bei Ausatmung): Rippenserienfraktur, instabiler Thorax Atemgeräusch (ohne Stethoskop) • normal = leises Strömungsgeräusch / fehlend: Atemstillstand • pfeifend (spastisch) bei Ausatmung (verlängert): z. B. bei Asthma • Stridor (ziehend-pfeifend-schnarchendes Geräusch): Atemwegsverlegung - inspiratorisch: Verlegung der oberen Atemwege, z. B. Epiglottitis - exspiratorisch: Verlegung der unteren Atemwege, z. B. Bronchospastik • feines Rasseln: z. B. bei Lungenödem, Lungenentzündung • grobes Rasseln: z. B. bei Flüssigkeit in Rachen / Trachea; Aspiration Qualität des Atemgeräusches (mit Stethoskop; bei Einatmung): • normal = vesikulär - leises Stömungsgeräusch beidseitig und seitengleich • einseitig: z. B. bei Pneumothorax, Spannungspneumothorax, falsche Tubuslage (zu tief ➯ meist rechtsseitiges Atemgeräusch) • trockene Rasselgeräusche (Giemen, Brummen, Pfeifen) bei der Ausatmung: z. B. bei Asthma oder Bronchitis • feuchte Rasselgeräusche: - feinblasig, nicht klingend (= ohrfern): z. B. bei Lungenstauung - feinblasig, klingend (= ohrnah): z. B. bei Lungenentzündung - grobblasig: Flüssigkeit oder Schleim in den Bronchien, Lungenödem Perkussion der Lunge • normal = sonor • hypersonor: z. B. bei Pneumothorax • gedämpft: Pleuraerguss, Lungenentzündung; Hämatothorax Hautknistern • Hals / Thorax: Hautemphysem z. B. bei Lungenverletzung, Pneumothorax • Alle Lokalisationen: Gasansammlung unter Haut, z. B. bei Gasbrand
3.2 · Leitsymptome
101
3
Leitsymptomatik - Herz-Kreislauf Halsvenen • normal = kaum sichtbar • gestaut, prall gefüllt: z. B. bei Herzinsuffizienz, Lungenembolie, kardiogener Schock, Spannungspneumothorax, Perikardtamponade • pulsierend: Trikuspidalklappeninsuffizienz Nagelbettprobe • normal = schnelle Füllung (Rötung) des Nagelkapillarbettes nach Druck auf den Nagel (Weißfärbung) • verzögert (> 2 s): z. B. bei Zentralisation, Schock, Unterkühlung Periphere Pulse tastbar? • normal = ja • nein: z. B. bei Durchblutungsstörungen, Zentralisation (Schock) Haut / Schleimaut • normal = rosig • gerötet: Extremitäten ➯ z. B. bei Entzündung, Thrombose; Kopf ➯ z. B. bei Hypertonus, Sonnenstich; ganzer Körper ➯ z. B. bei Hitzschlag, Fieber, Atropinintoxikation • blass: z. B. bei Schock, Zentralisation, Anämie, Durchblutungsstörung • Ikterus: z. B. bei Leber- u. Gallenwegserkrankungen • Zyanose: z. B. Hypoxie, Pseudozyanose durch Farbstoffe (Toluidinblau) • Quaddeln / Ausschlag: z. B. allergische Reaktion, andere Hautkrankheiten Extremitätentemperatur • normal = warm • heiß: z. B. bei Fieber, Entzündung, Thrombose • kalt: Durchblutungsstörung, Zentralisation, Unterkühlung • kaltschweißig: z. B. bei Herzinfarkt, Schock, Akutem Abdomen Hautturgor • normal = glatt, spannungslos • Ödeme: z. B. bei Herzinsuff., Thrombose, Lymphstau, Entzündung • stehende Hautfalten: Flüssigkeitsmangel, Exsikkose • Schwellung: Verletzung, Tumor, Entzündung, Ödem, Lymphknoten Nykturie z. B. bei Herzinsuffizienz, Prostataadenom Herz - Auskultation Das Abhören und die Beurteilung der Herztöne und Herzgeräusche besitzt kaum Relevanz im akuten präklinischen Notfallgeschehen. Eine Ausnahme bildet lediglich die Überwachung der Herztätigkeit beim Transport von Säuglingen und Kleinkindern (präkordiales Stethoskop). Zur Diagnose Herz-Kreislaufstillstand bzw. zur Todesfeststellung bedient man sich der Pulskontrolle (Karotispuls), ergänzt durch eine EKG-Ableitung und ggf. der Identifikation sicherer Todeszeichen.
102
Kapitel 3 · Notfalldiagnostik
Notfalldiagnostik
Leitsymptomatik - Abdomen Schmerzen (siehe jeweils auch Akutes Abdomen S. 290 ff.) • kontinuierlich zunehmend: Entzündung, z. B. Appendizitis, Peritonitis • Kolik: z. B. Gallenkolik, Nierenkolik • Perforationsschmerz (akute Schmerzzunahme ➯ kurze Besserung ➯ Peritonitisschmerz): Hinweis auf Perforation eines Bauchorganes • längeres schmerzfreies Intervall (akut einsetzender Schmerz ➯ für Stunden Schmerzbesserung ➯ Peritonitisschmerz): z. B. Mesenterialinfarkt oder Darmischämie bei Strangulation einer Schlinge • kontralateraler Loslassschmerz: z. B. bei peritonealer Reizung bei Appendizitis • McBurney-Druckpunkt (Mitte zwischen Nabel und vorderem Darmbeinstachel): V. a. Appendizitis Schmerzausstrahlung • links (auch Schulter): Milzruptur, Angina Pectoris, Herzinfarkt • rechte Schulter: Cholezystitis, Extrauteringravidität • Rücken: Aortenaneurysma, Pankreatitis, Herzinfarkt, Angina Pectoris • Penis, Skrotum, Leiste, Schamlippen: Harnleiterkolik • Nabel: Appendizitis Auskultation des Abdomens • normal = Darmgeräusche vorhanden • metallisch klingende Darmgeräusche: z. B. bei mechanischem Ileus • “Totenstille”: z. B. bei paralytischem Ileus Palpation des Abdomens • normal = weiches Abdomen; keine Abwehrspannung • lokale Abwehrspannung: lokale Reizung des Peritoneums z. B. durch Entzündung dort liegender Organe • generalisierte Abwehrspannung: Peritonitis/Akutes Abdomen • Geschwulst tastbar: z. B. Tumor, Koprostase • pulsierender Tumor: V. a. Aortenaneurysma • walzenförmiger Tumor: Invagination Bei gynäkologischer Leitsymptomatik sollten erfragt werden (vgl. Kapitel 10): - Letzte Regelblutung? (wann, wie stark, Besonderheiten) - Mögliche Schwangerschaft? (wenn möglich: wie weit fortgeschritten) - Medikamente? (z. B. Sterilitätstherapie: kann zu einer z. T. extremen Vergrößerung der Ovarien in bedrohlichem Ausmaße führen (OHSS = Ovarielles Hyperstimulationssyndrom)) Auch Ausscheidungen (Urin, Stuhlgang, Sputum) können Hinweise zu allen Leitsymptomatiken geben, z. B. Blutbeimengungen, Verfärbungen.
3.2 · Leitsymptome
103
3
Leitsymptomatik - Trauma Der Patient wird gemäß seinen Beschwerden (z. B. Schmerzen, Funktionsstörung) und dem anzunehmenden Unfallmechanismus lokal untersucht; in unklaren Fällen (z. B. Polytrauma) erfolgt möglichst ein „Bodycheck“: • Ganzkörperinspektion nach Entkleiden: - Beachten der Körperlage (z. B. Außenrotation und Verkürzung des Beines bei Oberschenkelhalsfraktur) - Prellmarken / Blutergüsse Hinweise auf Verletzung tieferliegender Strukturen! - Wunden / Blutungen Immer Verletzung tiefer liegender Strukturen bedenken! - Liquorausfluss aus Ohr / Mund / Nase (Nachweis mit Blutzuckertest: 2/3 des Blutzuckers): Hinweis auf Schädelbasisfraktur • eine Palpation des zugänglichen Skelettsystems - Schädelkalotte sowie Ober- / Unterkiefer - obere Extremität, inklusive Schultergürtel (Claviculae!) - Brustkorb (Rippen / Brustbein) - Becken - untere Extremität Fraktur- / Luxationszeichen s. Kapitel 9. Ggf. Funktionskontrolle von Gelenken, sofern keine anderen Verletzungszeichen feststellbar. Keine Funktionskontrolle der Wirbelsäule! • eine Palpation des Abdomens (Abwehrspannung ?) • die Kontrolle von Durchblutung, Motorik und Sensibilität an den Extremitäten (= ggf. auch Zeichen für Schädigung der Wirbelsäule!), sofern nicht wegen einer Verletzung kontraindiziert • Auskultation der Lunge • Bei Schockzeichen, Blutverlust, Verdacht auf Herz-Beteiligung, unklarer Sturzursache usw.: s. Leitsymptomatik Herz-Kreislauf S. 101! • Bei Beteiligung des Brustkorbes (Thoraxtrauma) / Atemstörungen usw.: s. Leitsymptomatik Atmung S. 100! • Bei Beteiligung von Kopf und / oder Wirbelsäule bzw. Bewusstseinsstörung oder neurologischen Symptomen usw.: s. Leitsymptomatik Neurologie S. 99! Zum Vorgehen bei Polytrauma s. Kapitel 9.
104
Kapitel 3 · Notfalldiagnostik
Ultraschall-Diagnostik im Notarztdienst I Seit einigen Jahren sind mobile tragbare Ultraschallgeräte mit geringem Gewicht (1-3 kg) auf dem Markt, denen vielfach eine besondere Rolle für die Notfallmedizin zugeschrieben wird (z.B. Pie Medical 50S Tringa, Metrax Primedic HandyScan, Sonosite 180Plus). Wegen der Anschaffungskosten werden diese Geräte voraussichtlich noch für längere Zeit Rettungsmitteln an größeren notfallmedizinischen Zentren vorbehalten bleiben.
Notfalldiagnostik
Klassische Domäne der Sonographie in der klinischen Notfallmedizin ist die Unterstützung der Differentialdiagnose des Akuten Abdomens und der Nachweis freier Flüssigkeit in präformierten Körperhöhlen (z.B. intraabdominelle Blutung, Pleuraerguss, Perikardtamponade). In diesen sowie anderen seltenen Notfällen (z.B. Geburt, Säuglingsnotfälle) kann der Ultraschall die präklinische Diagnostik bereichern, birgt jedoch auch Gefahren (s.u.). Weitere Untersuchungen (Auge, Schilddrüse, Mamma, Hoden, kleinere Gefäße sowie feinere Untersuchung intrathorakaler oder intraabdomineller Organe) könnten im Einzelfall diagnostische Hinweise (z.B. Emboliequellen, Metastasen) liefern, bleiben aber aufgrund der notfallmedizinischen Zielsetzung (fehlende Konsequenzen) sowie den besonderen Anforderungen an Untersucher und Gerät in jedem Fall der Klinik und Spezialpraxen vorbehalten. Der Einsatz der o.g. mobilen Scanner ist limitiert durch - die Ultraschallkompetenz und -erfahrung des Notarztes - die Leistungen des Gerätes (v.a. Schallkopf und Bilddarstellung) - den notfallmedizinischen Zeitfaktor - die meist suboptimalen Einsatzbedingungen - die konkurrierenden diagnostischen und therapeutischen Anforderungen an den Notarzt Die präklinische Ultraschalluntersuchung darf nicht um ihrer selbst Willen durchgeführt werden. Gerade in lebensbedrohlichen Situationen (z.B. intraabdominelle Blutung) darf sie nur eingesetzt werden, wenn eine direkte Konsequenz für den Patienten resultiert. Diese Konsequenz muss beispielsweise in Frage gestellt werden, wenn der Patient aufgrund seines Verletzungsmusters ohnehin an ein Schockraumteam mit standardisiertem Schockraumprotokoll übergeben wird (keine Konsequenz im Sinne eines Zeitgewinns oder Auswahl einer geeigneteren Zielklinik bei gleichzeitiger Zeitverzögerung durch die präklinische Ultraschalluntersuchung unter schlechteren Bedingungen). Bislang liegen noch nicht ausreichend Studien über den Benefit präklinischer Sonographie vor, sodass der Einsatz außerhalb von Studien auf Fälle mit klar nachvollziehbarem Nutzen beschränkt bleiben sollte. - Kein „Notfall-Screening“!
3.3 · Ultraschall
105
3
Ultraschall-Diagnostik im Notarztdienst II Für jede Sonographie im Notarztdienst muss daher gefordert werden: 1.Klare notfallmedizinische Indikation: Diese gründet sich auf - eine Fragestellung, die durch die Untersuchung zuverlässig geklärt werden kann (nicht indizierte Untersuchungen unter problematischen Einsatzbedingungen können durch Zeitverlust, Artefakte, Fehldiagnosen oder unbedeutende, „abklärungsbedürftige“ Nebenbefunde dem Patienten mehr schaden als nützen) und damit verbundene - potenziell rettende Konsequenzen für den Patient; dies ist z.B. der Fall, wenn ein „waiting trauma“ (durch Wartezeiten in Notaufnahmen oder Verlegungen) mittels präklinischer Sonographie vermindert oder verhindert werden kann (über Auswahl und Voranmeldung in einer geeigneten Zielklinik und/oder gezielte präklinische Notfalltherapie und/oder geeignete Transportart). 2.Verhältnismäßig kurze Untersuchungszeit 3.Untersuchung nur bezogen auf die Fragestellung 4.Ausreichend qualifizierter Untersucher 5.Keine Verzögerung lebensrettender Maßnahmen Spezielle Fragestellungen (mögliche Einsatzoptionen s.n.S.) Freie Flüssigkeit: Der fehlende Nachweis freier Flüssigkeit mit präklinischer Ultraschalluntersuchung unter problematischen Bedingungen (s.o.) darf präklinisch nie die klinische Verdachtsdiagnose (z.B. intraabdominelle Blutung) vorzeitig außer Kraft setzen. Bei klinischem Verdacht (z.B. stumpfes Bauchtrauma mit Abwehrspannung oder Schocksymptomatik) ist der Patient stets entsprechend zu behandeln (schnellstmögliches Zuführen zur chirurgischen Versorgungsoption) - ein Ausschluss ist nicht sicher möglich, die Bestätigung allein würde i.d.R. oft wenig an der Strategie ändern und zu Zeitverlust führen. Invagination: Eine Invagination kann durch den Geübten unter guten Bedingungen ausreichend sicher festgestellt werden. Präklinisch-sonographisch ist nicht nach Gallenstau, Portalhypertension, Appendizitis u. Gefäßverschlüssen zu fahnden (fehlende Sensitivität/Spezifität). Bei gynäkolog. Fragestellung ggf. gefüllte Blase als Schallfenster nutzen!
(Stumpfes) Bauchtrauma, Polytrauma, evtl. unklare Schocksymptomatik [s.o.]
Voranmeldung der geeigneten Zielklinik zur Notfall-Laparotomie möglichst unter Spezifikation der Blutungsursache, z.B.: zweizeitige Milz- o. Leberruptur (AC), Aortenaneurysma (HTG-C), Extrauteringravidität (Gyn-C). Schnellstmöglicher Transport unter adäquater Schocktherapie direkt zum Schockraum oder OP-Saal.
„freie Flüssigkeit“ / „echofreier Saum“; charakteristische Lokalisationen:
intrahepatisches oder intralienales Hämatom
s.o. Bei frischem intrahepatischem oder intralienalem Hämatom: Parenchymunterbrechung, unregelmäßig begrenzte Bezirke mit vereinzelten Binnenechos oder subkapsuläre echoarme Bezirke.
s.o. Bei frischem intrahepatischem oder intralienalem Hämatom: Gefahr der zweizeitigen Ruptur. Engmaschige Überwachung und geeignete Klinik anfahren.
s. n. S.
s. n. S.
Differenzierung gynäkologischer Ursachen (s.n.S.)
Freie Intraabdominelle Blutung (s.o.),
Voranmeldung der Zielklinik; schneller und schonender Transport (vor Ruptur primär zum CT).
Zunahme des Aortendurchmessers von kranial nach kaudal; Durchmesser infrarenal > 3 cm (ab etwa 5 cm akute Rupturgefahr); ggf. echofreie Zonen im Retroperitonealraum (gedeckte Ruptur!)
- im Douglas-Raum (cave: gering physiologisch in der Zyklusmitte!) - dorsal der Milz (paralienal) - im Morison-Pouch (subhepatisch) - lateral von Colon asc. und desc. (“paracolic gutter”)
Konsequenzen bei Nachweis und passender Klinik
Sonografische Nachweiskriterien
Akutes (dissezierendes) Aortenaneurysma vor Ruptur
Intraabdominelle Blutung verschiedener Ursachen
Akutes Abdomen
[(2-) 3-4 (-5) MHz, bei Kindern 4-7 MHz; Konvex-Transducer empfohlen, aber auch Linear- und Sektor-Schallköpfe geeignet]
Fragestellung (Nachweis / Ausschluss)
Indikation [Schallfrequenz]
Notfalldiagnostik
106 Kapitel 3 · Notfalldiagnostik
Mögliche präklinische Untersuchungsoptionen (1)
Ultraschall-Diagnostik im Notarztdienst III
Evtl. Entlastungspunktion; ggf. geeignete HTG-C-Klinik mit Voranmeldung anfahren.
Entlastungspunktion. Cave: Diagnoseu. Indikationsstellung i.d.R. primär nach Klinik (Perkussion/Auskultation).
V. cava und rechter Vorhof dilatiert; ein- Je nach vermuteter Ursache (z.B. geschränkte rechtsventrikuläre Funktion Lungenembolie, Rechtsherzinfarkt).
Aufhebung der atemsynchronen Bewegung von Lungenreflexband, Wiederholungsartefakte u. meist zusätzl. „Kometenschweifartefakte“; glatter Reflex. Echoarmer Raum zwischen Epikard u. Perikard, v.a. vor rechtem u. hinter linkem Ventrikel (subkostale Anlotung).
Identifikation anatomischer Strukturen (z.B. Placenta praevia, Embryo in Tube, Lage der Frucht zum Geburtskanal, kindliche Herztätigkeit), evtl. retroplazentares Hämatom oder freie Flüssigkeit im Abdomen (s.vorher.S.) Charakteristisch begrenzter Blutnachweis direkt unterhalb der Kalotte.
Säugling mit V.a. SHT, insbes. Epiduralblutungen (symptomfreies Intervall) evtl. bei unklarer Bewusstlosigkeit [4-7 MHz]
kardiographisch geübter Untersucher)
Klinik mit Neurochirurgie und pädiatrischer Intensivstation anfahren.
Je nach Fall: z.B. geeignete Zielklinik mit OP-Voranmeldung anfahren (ab 24. Woche Sectio-Bereitschaft), Schocktherapie, Nottokolyse. Cave: Bestimmte Diagnose-Entscheidungen sind rein klinisch zu treffen (z.B. Uterusruptur).
Ventrikel-/Septum-/Papillar- Identifikation geschädigter anatomischer Geeignete Zielklinik, u.U. mit OPStrukturen nur unter Idealbedingungen Voranmeldung anfahren (HTG-C). muskel-Ruptur. möglich (Anatomie, Gerät, echo-
Akutes Rechtsherzversagen
Perikarderguss, Perikardtamponade
Konsequenzen bei Nachweis und passender Klinik
Echoarmer Raum zwischen Pleura Ggf. Thoraxdrainage. visceralis und Pleura parietalis (basal).
Sonografische Nachweiskriterien
Extrauteringravidität mit Tubarruptur,stielgedrehte Ovarialzyste, OHSS, Abort, vorzeitige Placentalösung, Geburtskomplikationen
Versch. gynäkologische Notfälle, fortgeschrittene Spontangeburt [(2-) 3-4 (-5) MHz]
[4-7 MHz, Sektor-Transducer empfohlen]
Hämatothorax, Pleuraerguss (Spontan-) Pneumothorax
Thoraxtrauma, unklare Atemnot, kardiogener Schock, V.a. Tumorleiden mit blutender Pleuraoder Perikardarrosion
(sonographischer Nachweis hochsensitiv; aber keine Quantifizierung möglich!)
Fragestellung (Nachweis / Ausschluss)
Indikation [Schallfrequenz]
3.3 · Ultraschall 107
3
Ultraschall-Diagnostik im Notarztdienst IV
Mögliche präklinische Untersuchungsoptionen (2)
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Kapitel 3 · Notfalldiagnostik
DD Thoraxschmerz (retrosternal) I • Herzinfarkt Symptome: Vernichtungsschmerz, Todesangst, Kaltschweißigkeit, Enge- / Druckgefühl in der Herzgegend, Ausstrahlung in linke Schulter, Arme, Hals, Rücken oder Bauch, evtl. ST-Hebung im EKG, Anstieg von CK, CK-MB und Troponin T bzw I (Labor in der Klinik) • Angina pectoris Symptome: wie Herzinfarkt. Mögliche Auslöser: psychische oder physische Belastung, Kälte, ausgiebige Mahlzeiten („Blood-pooling“; verdauungsbedingt vermehrte Durchblutung der Bauchorgane, das Blut „fehlt“ im Kreislauf)
Notfalldiagnostik
• Lungenembolie Symptome: Angst bzw. Todesangst, Schmerzen (vor allem inspiratorisch atemabhängig), trockener Husten, Atemnot, infarktähnliche EKG-Bilder möglich, Anamnese beachten (vor allem: Bettlägerigkeit, Thrombosen, vorausgegangene chirurgische Eingriffe). • Spontanpneumothorax Symptome: altersunabhängig (oft bei jungen Patienten), rasch auftretende Atemnot, oft plötzlich einschießender stechender Schmerz im Rücken als Beginn, hypersonorer Klopfschall über einer Lungenseite kombiniert mit abgeschwächtem Atemgeräusch, Anamnese (oft bekannte Emphysemblasen oder gleiches Ereignis bekannt) • Perforiertes Magen-Ulkus Symptome: abdominelle Abwehrspannung / bretthartes Abdomen (entsprechend der Symptomatik des akuten Abdomens), Anamnese (oft bekanntes Magengeschwür, oftmals Einnahme von ASS oder nichtsteroidalen Antiphlogistika in der Anamnese) • Perikarditis Symptome: Patient vor Schmerz oft nach vorn übergebeugt, evtl. Schmerzzunahme bei Inspiration, flache und schnelle Atmung, ggf. Perikardreibegeräusch auskultierbar • Symptomatisches Aortenaneurysma (thorakal) (Ruptur, Dissektion oder Zustand vor Ruptur!) Symptome: Starke Schmerzen mit Ausstrahlung in Rücken, Beine oder Nacken, je nach Ausprägung der Durchblutungsstörung; oft betroffen: Herz, Gehirn, Nieren, Darm und/oder Extremitäten, evtl. Volumenmangelschock, evtl. bekanntes Aortenaneurysma
3.4 · Differenzialdiagnosen
109
3
DD Thoraxschmerz (retrosternal) II • Pleuritis, Pleuraerguss Symptome: atemabhängige Schmerzen, Luftnot, Pleuritis: ggf. grippale Symptome, evtl. basal gedämpfter Klopfschall über der betroffenen Seite. • Funktionelle Herzbeschwerden (psychogene Herzbeschwerden) Symptome: häufig mit Hyperventilation einhergehend, „Herzrasen“, oft scharf umschriebene kurz andauernde, schneidende Schmerzen in Ruhe, meist über der Herzspitze. Hinweis: Auch bei Verdacht immer erst Ausschluss organischer Ursachen (muss unbedingt erfolgen!), bis dahin wie Herzinfarkt behandeln! • Akute Pankreatitis Symptome: Gürtelförmiger Oberbauchschmerz, ausstrahlend in den Rücken, Übelkeit, Erbrechen, evtl. Gallenwegserkrankungen oder Alkoholabusus in der Vorgeschichte • Sodbrennen Symptome: bei Refluxösophagitis bzw. Zwerchfellhernie; überwiegend nächtliche, im Liegen verstärkte Schmerzen, verursacht durch zurücklaufende Magensäure, Besserung beim Aufsetzen • Ösophagusruptur (Boerhaave-Syndrom; selten, aber bei eingetretener Ruptur: Letalität 20 - 40 %!) Symptome: klassische Trias: reichliches Essen und Alkohol, explosionsartiges Erbrechen, starke Schmerzen in Abdomen und Thorax • Cholelithiasis / Gallenkolik / Nierenkolik Symptome: anfallsweise Kolikschmerzen, evtl. Steinleiden bekannt • Rippenfraktur Symptome: temabhängige Schmerzen, Druckschmerz, evtl. Unfallanamnese • Neuralgie (meist Ausstrahlung entlang eines Nervensegmentes)
110
Kapitel 3 · Notfalldiagnostik
DD Herzklopfen / Herzrasen • Herzklopfen und Herzrasen treten oft gemeinsam auf und können die gleichen Ursachen haben. Beide Begriffe beziehen sich auf das subjektive Gefühl des Patienten. • Herzrasen: • Herzklopfen:
Eine ungewohnt hohe Herzfrequenz wird vom Patienten als „Herzrasen“ empfunden. Vermehrte Arbeit des Herzens, z. B. bei Herzrasen, kann vom Patienten als „Herzklopfen“ wahrgenommen werden. Unabhängig vom Herzrasen tritt das „Herzklopfen“ auch bei deutlicher Erhöhung des Blutdrucks auf.
• Herzklopfen und Herzrasen können durch Medikamente, Adrenalinausschüttung, Herzrhythmusstörungen und kompensatorische Tachykardien (z. B. bei Sauerstoffmangel) ausgelöst werden. Mögliche Ursachen
Notfalldiagnostik
• Extrasystolie • Paroxysmale Tachykardien • Vorhofflimmern, Vorhofflattern mit absoluter Arrhythmie (peripheres Pulsdefizit) • Hyperthyreose (Schweißausbrüche, Hitzewallungen, Blutdruckanstieg, Unruhe, der Patient empfindet Wärme als unangenehm) • Anämie (Blässe, Blutung) • Hypovolämie (Exsikkose-Zeichen, Schocksymptomatik) • Orthostatische Hypotonie (Symptome bei plötzlichem Lagewechsel) • Fieber • Menopause (Schweißausbrüche, Hitzewallungen) • Medikamente, z. B. Schilddrüsenhormone • Genussmittel wie Kaffee, Tabak und Alkohol • Drogen • Angstreaktionen • Hypertonie • Zur weiteren Abklärung sollten mindestens Blutdruck und EKG kontrolliert werden.
3.4 · Differenzialdiagnosen
111
3
DD Kopfschmerz / Gesichtsschmerz Akute Kopfschmerzattacke • Beidseitig, Nackensteifigkeit: ➯ Meningitis / Enzephalitis / Subarachnoidalblutung • Plötzlich einsetzender Vernichtungskopfschmerz: ➯ Subarachnoidalblutung • Einseitig, frontal, bohrend: ➯ evtl. Sinusitis • Außerdem sekundärer Kopfschmerz bei: Hypertonie, Herzinsuffizienz, Fieber, Schlafmangel, nach Alkohol- oder Nikotinabusus oder -entzug, Schädel-Hirn-Trauma und intrakraniellen Blutungen, Wirbelsäulenaffektionen sowie bei verschiedenen Augen- und Zahnerkrankungen
Akute wiederkehrende Kopfschmerzattacken (vasomotorisch bedingt) • Migräne: Streng einseitiger, pulsierender Kopfschmerz mit Übelkeit und Erbrechen; Lichtscheu, Geräuschempfindlichkeit, Lichtblitze oder Flimmern vor den Augen • Cluster-Kopfschmerz (= Bing-Horton-Kopfschmerz): gehäuft auftretende, einseitige Kopfschmerzattacken (drei- bis viermal täglich) mit monatelangen beschwerdefreien Intervallen; Schmerzen im Bereich der Augenhöhle mit Rötung und Tränenfluss sowie „laufender Nase“ • Trigeminusneuralgie: blitzartig einsetzende, brennende, heftige, Sekunden dauernde Schmerzen im Gesicht, evtl. mit Zuckungen der Gesichtsmuskulatur; nachfolgend Rötung der Areale • Arteriitis temporalis: Ein- oder beidseitige, anfallsartige Kopfschmerzen, evtl. Schmerzen beim Kauen, Augenschmerzen, Sehstörungen. Die entzündete Arteria temporalis (Schläfenarterie) ist als verdickter Strang tastbar, evtl. pulslos.
Chronische Kopfschmerzen • Spannungskopfschmerz (konstant, beidseitig) • intrakranielle Raumforderung (morgens am stärksten - über den Tag abnehmend, über Wochen und Monate zunehmend): z. B. Tumor • Halswirbelsäulen-Syndrom: evtl. neurologische Ausfälle an den Händen • Medikamenten- und vergiftungsbedingt: Nitrate, Nifedipin, Methanol, Kohlenmonoxid u. a. m.
112
Kapitel 3 · Notfalldiagnostik
DD Übelkeit / Erbrechen Auslösende Reize allgemein • Nervenimpulse von Verdauungstrakt, Gleichgewichtsorgan usw. • Direkte mechanische Einwirkungen (Trauma, Hirnödem) • Giftstoffe
Notfalldiagnostik
Spezielle Ursachen • zuviel gegessen • Vergiftungen (z. B. Alkohol), Medikamente (z. B. nach Narkose) • Erhöhter Hirndruck und Reizung der Hirnhäute (Meningitis / Enzephalitis, Hydrozephalus, Hirntumor, intrakranielle Blutung, Schädel-Hirn-Trauma); dabei typisch: Erbrechen ohne Übelkeit • Herzinsuffizienz (Stauungsgastritis) • Hormonstörungen in der Frühschwangerschaft (Emesis gravidarum) • Schwangerschaft (vor allem morgens) • Blut im Magen (Hämatemesis; z. B. durch Nasenbluten, gastrointestinale Blutungen) • Magen-Darm-Entzündungen und -Reizungen (Geschwüre, Appendizitis, Gastroenteritis, Lebensmittelvergiftung) • Systemische Infektionen (z. B. Hepatitis, Cholezystitis); dabei typisch: intermittierendes Erbrechen im 12- bis 48-Stunden-Rhythmus • Pylorusstenose, Invagination, Darmtumor • Migräne • Grüner Star / akutes Glaukom • Ménière-Krankheit, Innenohrentzündung, Bewegungskrankheit (z. B. Schifffahrt, Autofahrt - Reisekrankheit) • Addison-Krankheit, Ketoazidose bei Diabetes mellitus, Ketonurie (bei Kindern) • Ekel, emotionale Reaktionen, psychiatrische Erkrankungen (z. B. Anorexia nervosa, Bulimie)
3.4 · Differenzialdiagnosen
113
3
DD Diarrhö Akuter Durchfall • infektiös: viral, bakteriell, protozoenbedingt (z. B. Gastroenteritis oder Salmonellose) • Nach und während Auslandsaufenthalt: Reisediarrhö (zu 80 % bakteriell; Prophylaxe: „Boil it, cook it, peel it or forget it.“) • Lebensmittelvergiftung: Brechdurchfälle wenige Stunden nach Genuss toxinhaltiger Lebensmittel (in der Regel mehrere Personen betroffen) • medikamentös bedingt: vor allem bei Antibiotika • Nahrungsmittelallergie: z. B. Kuhmilchproteinintoleranz bei Säuglingen: bereits in den ersten Tagen nach Gabe von Kuhmilchprodukten heftige wässrige oder blutige Durchfälle bis hin zu Schock und Krämpfen. Therapie: strikt kuhmilchfreie Ernährung • vegetativ: Stress, Angst • desweiteren: ischämische Darmentzündung, Intoxikationen usw.
Blutiger Durchfall • infektiös: z. B. Shigellenruhr, Salmonellose, Amöbenruhr, Campylobacter jejuni. • Invagination (s. Kapitel 11). • stenosierende Karzinome. • Colitis ulcerosa (selten Morbus Crohn) • ischämische Colitis, Mesenterialinfarkt
Chronischer Durchfall • infektiös: Tbc, Shigellen, Amöben usw. • Colitis ulcerosa und Morbus Crohn • Nahrungsmittelallergie • Störungen der Verdauung (Maldigestion und Malabsorption), z. B. Zöliakie • Laktasemangel • medikamentös bedingt Akutes Abdomen s. S. 290 ff.
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Kapitel 3 · Notfalldiagnostik
Notfalldiagnostik
DD Fieber / Schüttelfrost • Infektionen Verschiedene bakterielle, virale, pilz- oder protozoenbedingte Infektionen zeigen als (Leit-) Symptom Fieber. - Husten? Atembeschwerden? Auswurf? ➯ Grippe, Bronchitis, Lungenentzündung. - Starke atemabhängige Pleuraschmerzen? Reibegeräusche auskultierbar? ➯ Rippenfellentzündung („Teufelsgrippe“) - Schluckbeschwerden? ➯ Pharyngitis, Angina - Kopfschmerzen? ➯ Grippe, Meningitis (Nackensteifigkeit!) - Bauchschmerzen? Magenkrämpfe? Durchfall? ➯ Appendizitis (McBurney!), Gastroenteritis, Gastritis, sonstige Entzündungen des Magen-Darm-Traktes - Schmerzen in den Flanken / Leisten? Abnorm häufiges, schmerzhaftes Harnlassen? Rosafarbener oder trüber Urin? ➯ Blasenentzündung, Nierenbeckenentzündung - Wiederkehrende Fieberschübe bei zurückliegendem Auslandsaufenthalt (Tropen)? ➯ Malaria, Rückfallfieber u. a. m. • Andere Erkrankungen Dehydratation (stehende Hautfalten!), Arzneimittelreaktion („Drug fever“), Tumore (v. a. maligne Lymphome), Bindegewebserkrankungen (z. B. systemischer Lupus erythematodes; Rheumatismus, Arthritis), Hyperthyreose, psychogenes Fieber, Leberzirrhose, rezidivierende Lungenembolien, Morbus Crohn, Colitis ulcerosa
3.4 · Differenzialdiagnosen
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3
DD Husten / Auswurf Akuter Husten • Atemnot? ➯ Pneumothorax (atemabhängige Thoraxschmerzen; hypersonorer Klopfschall) ➯ Fremdkörperaspiration, Reizgasinhalation ➯ Lungenembolie ➯ allergische Reaktion • Fieber? ➯ Infektionen, z. B. banale Erkältung, Laryngitis, Pharyngitis, Tracheitis, akute Bronchitis (exspiratorisches Pfeifen), Lungenentzündung, Tbc (Nachtschweiß, Gewichtsverlust) • Bluthusten? ➯ Thoraxtrauma ➯ Bronchialkarzinom, Bronchiektasie, Bronchitis, Lungenentzündung ➯ Tuberkulose (Nachtschweiß, Gewichtsverlust) ➯ Lungeninfarkt, Stauungslunge, Mitralstenose • Heiserkeit oder Stimmverlust? ➯ Überanstrengung der Kehlkopfmuskulatur ➯ psychische Ursache, z. B. Angst ➯ Entzündung und sonstige Veränderungen (Karzinome, Polypen) der Stimmbänder oder des Kehlkopfes ➯ vor allem bei Kindern: Krupp, Pseudokrupp • Trockener Husten, Reizhusten? ➯ hyperreagibles Bronchialsystem / allergische Reaktion ➯ psychogen ➯ Reizung der Atemwege durch Staub, Rauch oder Gase ➯ Rippenfellreizung (Erguss, Entzündung usw.)
Chronischer Husten
➯ chronisch obstruktive Bronchitis (Rauchen) ➯ Bronchiektasien (maulvoller, übelriechender Auswurf, besonders morgens) ➯ Bronchialkarzinom (Rauchen, Gewichtsverlust) ➯ Tuberkulose (Nachtschweiß, Gewichtsverlust) ➯ verschiedene Ursachen des akuten Hustens
Anfallsweiser Husten ➯ Asthma, chronische Bronchitis ➯ allergische Alveolitis ➯ Keuchhusten (stakkatoartige Hustenanfälle)
116
Kapitel 3 · Notfalldiagnostik
DD Verlust der Sehkraft • Verlust der Sehkraft in Sekunden: ➯ Zentralarterienverschluss (akuter Verschluss der Gefäßversorgung des Auges, Absterben der Ganglienzellen, nach 60 Minuten irreversibel; evtl. nur vorübergehender Verschluss = Amaurosis fugax). Andere Durchblutungsstörungen beachten (z. B. Apoplex !). ➯ Trauma; Abscherung des Sehnerven
• Verlust der Sehkraft in Minuten: ➯ Zentralvenenverschluss (akuter Verschluss / Thrombose) ➯ Glaskörpereinblutung, Netzhautriss: Sehen von „schwarzen Flocken“, „Rußregen“ oder „Schwarm von schwarzen Mücken“ bis zur Erblindung. Beachte: Nicht mit Glaskörpertrübungen (sogenannte „Mouches volantes“ = fliegende Mücken) verwechseln, die harmlos sind.
Notfalldiagnostik
• Verlust der Sehkraft in Stunden: ➯ Winkelblockglaukom (Engwinkelglaukom): Akute Verlegung des Kammerwinkels mit Abflussblockierung des Kammerwassers führt zum Glaukomanfall; begünstigt durch Mydriasis. Schmerzen! ➯ Akute Iritis: Schmerzen wie Engwinkelglaukom mgl., aber Bulbus nicht hart.
DD Schwindel • Verminderte Hörkraft? ➯ Durchblutungsstörung des Innenohres ➯ Autoimmunreaktion ➯ Ménière-Krankheit bzw. -Anfall ➯ Labyrinthitis
• Ohrensausen (Tinnitus)? ➯ ➯ ➯ ➯
Hörsturz Ménière-Krankheit bzw. -Anfall Otitis media Schädigung, Veränderung oder Erkrankung des Mittel-/Innenohres ➯ Verlegung des Gehörganges (z. B. Cerumen) ➯ Baro-/Knall-Trauma (Trommelfellperforation) ➯ Schädel-Hirn-Trauma
• Ohrenschmerz? ➯ ➯ ➯ ➯
Otitis media Otitis externa Fremdkörper im Ohr Baro- / Knall-Trauma (Trommelfellperforation) ➯ Zoster ➯ Zahnprobleme
• Drehschwindel? ➯ Ménière-Anfall ➯ Labyrinthitis ➯ Versch. neurolog. Erkrankungen
• Blutung aus dem Ohr? ➯ Fremdkörper im Ohr ➯ Manipulationen, Trauma, Trommelfellperforation ➯ Schädel-Hirn-Trauma
Kapitelübersicht
117
4
EKG-Diagnostik 4.1 Das EKG im Rettungsdienst ........................................ 119 4.2 Störungen der EKG-Diagnostik ................................... 121 4.3 EKG beim pulslosen Patienten .................................... 124 4.4 Periarrestarrhythmien ................................................. 126 4.5 Tachykardien ............................................................... 127 Behandlungsalgorithmus Tachykardie ........................ 127 Breitkomplextachykardien ........................................... 133 Schmalkomplextachykardien ...................................... 134 4.6 Extrasystolem ............................................................. 137 4.7 Bradykardien ............................................................... 141 Behandlungsalgorithmus Bradykardie ........................ 141 4.8 Herz-Schrittmacher / ICD ............................................ 146 Herzschrittmacher ....................................................... 146 Implantierter Defibrillator (ICD) .................................. 157 4.9 12-Kanal-EKG ............................................................. 160 4.10 EKG bei Myokardinfarkt .............................................. 162 4.11 Lagetypen des Herzens / elektrische Herzachse .......... 164
Übersicht Herzrhythmusstörungen .......................... 118
118
Kapitel 4 · EKG-Diagnostik
Übersicht Herz-Rhythmusstörungen Tachykarde Herz-Rhythmusstörungen ......................... 127 Breitkomplextachykardien ...................................... 133 • Ventrikuläre Tachykardien mit Karotispuls ........ 133
Schmalkomplextachykardien (SVT) ........................... 134 • Sinustachykardie ............................................... • Vorhoftachykardie ............................................. • Vorhofflattern ................................................... • Vorhofflimmern mit absoluter Arrhythmie ....... • Paroxysmale supraventrikuläre Tachykardien ...
134 134 135 135 136
Extrasystolen ......................................................... 137 Supraventrikuläre Extrasystolen (SVES) .................... 137 Ventrikuläre Extrasystolen (VES) .............................. 138
EKG-Diagnostik
• Monotope / Uniforme VES ................................ • Polytope / Multiforme VES ................................ • Bigeminus .......................................................... • Couplets ............................................................ • Salven ................................................................ • R-auf-T-Phänomen ........................................... • Lown-Classification ........................................... • Therapie ventrikulärer Extrasystolen .................
138 138 138 139 139 139 140 140
Bradykarde Herz-Rhythmusstörungen ......................... 141 • • • •
Sinusbradykardie ............................................... Knotenbradykardie ............................................ Kammereigenrhythmus ..................................... AV-Überleitungsstörungen ...............................
142 143 143 144
Herz-Schrittmacher ................................................. 146
4.1 · EKG im Rettungsdienst
119
4
Das EKG im Rettungsdienst Aufgaben des EKG im Rettungsdienst • DD Herzrhythmusstörungen und der Formen des Herz-Kreislaufstillstandes • Unterstützung der Herzinfarktdiagnostik • Überwachung der Herzfrequenz
Das EKG ersetzt auf keinen Fall • Puls- und Blutdruckkontrolle: Das EKG gibt keine Auskunft über die Herzauswurfleistung! Ein unauffälliges EKG-Bild ohne (kein Karotispuls tastbar) oder mit zu geringer Auswurfleistung ist möglich • klinische Diagnostik (viele Erkrankungen zeigen keine EKG-Veränderung)
„Behandle den Patienten, nicht den Monitor.“ Der klinische Zustand des Patienten lässt sich in drei Gruppen einteilen. Diese Einteilung ist für die Behandlungsdringlichkeit und bei versch. Rhythmusstörungen für das Festlegen einer adäquaten Therapie von Bedeutung: I.
Pulsloser Patient (kein Karotispuls = Herz-Kreislaufstillstand) ➯ Sofortige Maßnahmen zur CPR erforderlich ! II. Patient in klinisch instabilem Zustand; Zeichen der Instabilität: • Thoraxschmerz • Bewusstseinsstörungen • Akute Herzinsuffizienzzeichen • Blutdruckabfall (systolischer RR < 90 mmHg) ➯ Sofortige Behandlung indiziert. III. Patient in klinisch stabilem Zustand (weder Pulslosigkeit noch Zeichen klinischer Instabilität) ➯ Überwachung, ggf. Therapie. An erster Stelle steht die Sicherung und Aufrechterhaltung der Vitalfunktionen (Basischeck, Basismaßnahmen): • Beruhigung und Aufklärung • Oberkörper-hoch-Lagerung (bei Bewusstlosigkeit Seitenlage) • Patient darf nicht umhergehen (Sauerstoffverbrauch!) • Sauerstoffgabe; ständige HF-, RR-, EKG- und Pulsoxymetrie-Überwachung • Reanimationsbereitschaft, ggf. CPR (Algorithmus s.S. 166 f.) Basisscheck und Basismaßnahmen werden durch die spezifische Therapie nach Algorithmus (ERC-Leitlinien, 2005) ergänzt: • Algorithmus Tachykardie s.S. 127 ff. • Algorithmus Bradykardie s.S. 141 • Algorithmus Akutes Koronarsyndrom s.S. 214 ff.
120
Kapitel 4 · EKG-Diagnostik
Grundlagen der EKG-Ableitung Das EKG misst jeweils zwischen zwei Punkten am menschlichen Körper die elektrische Spannung (Potenzialdifferenz) und macht sie optisch sichtbar. Diese Spannung verändert sich durch den Stromfluss am Herzen. Da jedoch nur elektrische Ströme aufgezeichnet werden, gibt das EKG keine Auskunft über die Herzmuskelkontraktionen (Auswurfleistung). Eine vollständige Beurteilung des Reizleitungssystems erfordert mind. 12 Ableitungen.
1 . Monitorüberwachung/ rechter Dreipolableitung Arm (=3-Kanal-Ableitung) (rot) Schema nach Einthoven: • bipolare Extremitätenableitungen: I, II (= Paddles), III
+
linker - Arm (gelb)
+ + linkes Bein (grün)
2 . Vierpolableitung (= 6-Kanal-Ableitung) • bipolare Extremitätenableitungen: I, II, III • (pseudo-) unipolare Extremitätenableitungen: aVR, aVL, aVF (aV = augmented Voltage); Ableitungstechnik nach Goldberger: Zusätzliche 4. Elektrode (= Masse; schwarz) gegenüber grüner Elektrode
3. Zehnpolableitung (= 12-Kanal-Ableitung) EKG-Diagnostik
• bipolare Extremitätenableitungen: I, II, III (s. o.) • (pseudo-) unipolare Extremitätenableitungen: aVR, aVL, aVF (s.o.) • unipolare Brustwandableitungen: V1 - V6 (= präkordiale Ableitungen) Ableitungstechnik nach Wilson: V1 = 4. rechter Interkostalraum parasternal (rot) V2 = 4. linker Interkostalraum parasternal (gelb) V3 = genau zwischen V2 und V4 (grün) V4 = 5. linker Interkostalraum in Medioklavikularlinie (braun) V5 = Höhe von V4 auf der vorderen Axillarlinie (schwarz) V6 = Höhe von V4 auf der mittleren Axillarlinie (violett)
Die wichtigsten Fragen für die schnelle Rhythmusdiagnose 1. 2. 3. 4. 5.
Klinischer Zustand des Patienten? (Puls? Klinisch stabil? Blutdruck?) Breite QRS-Komplex? (> 0,12 s = breit) Frequenz? (Tachykardie? Bradykardie?) Rhythmus? (Regelmäßig? Unregelmäßig?) P-Welle? (Vorhanden? Bezug zum QRS-Komplex?)
4.2 · EKG-Diagnostik: Störungen
121
4
EKG-Normgrößen / Störungen der EKG-Diagnostik I Wichtige EKG-Normgrößen EKG-Abschnitt P-Welle PQ-Zeit (= Beginn P bis Beginn Q) Q-Zacke QRS-Komplex T-Welle QT-Strecke (= Beginn Q bis Ende T)
Dauer in s 0,05 - 0,10 HF 100: < 0,16 HF 60: < 0,20 < 0,04 0,06-0,10 HF 100: 0,30 HF 60: 0,40
Amplitude in mV 0,1 - 0,3 < 1/4 R R: 0,6-2,6 1/8 - 2/3 R/S -
Berechnung von Zeiten im EKG Bei einer Ablenkgeschwindigkeit von 25 mm / s (Papiervorschub) entspricht 1 mm genau 0,04 s. (Bei 50 mm / s entspricht 1 mm genau 0,02 s.)
Störungen der EKG-Diagnostik I Das EKG bietet eine Reihe von Fehlerquellen, die - nicht als solche erkannt - evtl. zu falscher Diagnose und gefährlicher Therapie führen können:
1. Muskelzittern
Charakteristik: Unregelmäßiges, feines bis grobes Flimmern der EKG-Kurve; in Abhängigkeit von der Amplitude (bzw. Größe der R-Zacken) und der Ableitung sind die R-Zacken erkennbar bzw. nicht erkennbar. Verwechslungsmöglichkeiten mit (Differenzialdiagnose): Vorhofflimmern, Vorhofflattern, bei kleiner R-Zacke auch Kammerflimmern Ursachen: Muskelzittern oder muskuläre Anspannung des Patienten Beseitigung: Patienten beruhigen und zur Entspannung auffordern, Kälteschutz
122
Kapitel 4 · EKG-Diagnostik
Störungen der EKG-Diagnostik II 2. Wechselstrom
Charakteristik: Sogenanntes „Brummen“ der EKG-Linie; feines, regelmäßiges Flimmern der EKG-Linie, das dem normalen Verlauf der EKG-Linie folgt Verwechslungsmöglichkeiten mit (Differenzialdiagnose): Vorhofflimmern, bei niedriger R-Zacke auch Kammerflimmern Ursachen: Nicht abgeschirmte Kabel, Leuchtstoffröhren, leistungsstarke Stromverbraucher in der Nähe Beseitigung: Standortwechsel, Abschalten entsprechender Geräte, Überprüfen von Kabeln und Kontakten, Überprüfung des EKG-Gerätes durch Fachpersonal
EKG-Diagnostik
3. Lockere Elektroden, Wackelkontakt
Charakteristik: „Wandernde“, „springende“ EKG-Kurve (Verschiebung der Grundlinie); keine regelmäßige Wiedergabe der QRS-Komplexe Verwechslungsmöglichkeiten mit (Differentialdiagnose): Extrasystolen, Kammerflimmern und weiteren EKG-Bildern (z. B. ventrikuläre Tachykardie) Ursachen: Mangelhafter Kontakt zwischen EKG-Elektrode und Haut oder Wackelkontakt am EKG-Kabelstecker Beseitigung: Festkleben der EKG-Elektroden, Überprüfen des EKG-Steckers
4.2 · EKG-Diagnostik: Störungen
123
4
Störungen der EKG-Diagnostik III 4. Niedervoltage
Charakteristik: Annähernd Nullinie, je nach Ausprägung sind die R-Zacken (fast) nicht sichtbar Verwechslungsmöglichkeiten mit (Differenzialdiagnose): Herzbeuteltamponade, Lungenemphysem, Kammerasystolie (Pulskontrolle!) (ggf. Eichzacke zur Differenzialdiagnose (ist dann entsprechend der Amplitudeneinstellung klein) Ursachen: Verkleinerung der EKG-Amplitude, ausgetrocknete Gel-EKG-Klebeelektroden Beseitigung: Überprüfen der Amplitudeneinstellung und Korrektur, Überprüfen der Gel-EKG-Klebeelektroden und ggf. Austausch
5. Falsche Ableitungswahl
Charakteristik: Nulllinie oder wie unter 3. Verwechslungsmöglichkeiten mit (Differenzialdiagnose): Asystolie (Pulskontrolle !), Kammerflimmern Ursachen: Ableitungsversuch über Defi-Paddles bei geschalteter Ableitungswahl „I, II oder III“ bzw. Ableitungsversuch über Dreipol-EKG-Kabel bei geschalteter Ableitungswahl „Defi-Paddles“ Beseitigung: Überprüfen der Ableitungseinstellung und ggf. Korrektur
124
Kapitel 4 · EKG-Diagnostik
Das EKG beim pulslosen Patienten I Ausführliche Abhandlung des Herz-Kreislaufstillstandes s. S. 165 ff. Der fehlenden Auswurfleistung des Herzens bei Herz-Kreislaufstillstand können elektrokardiographisch vier EKG-Rhythmen zugeordnet werden:
1. Asystolie
Charakteristik: Nulllinie Erklärung: Keine elektrische Aktivität des Herzens Ursachen: z.B. Hypoxie, Hyper- und Hypokaliämie, Intoxikation, vorbestehende Azidose, Herzinfarkt, vorausgegangene Herzrhythmusstörungen, Vagusreizung, Karotissinussyndrom, Stoffwechselstörungen, Hypothermie
EKG-Diagnostik
2. Kammerflimmern (= ventricular fibrillation, VF)
4.3 · EKG beim pulslosen Patienten
125
4
Das EKG beim pulslosen Patienten II Charakteristik: Grobes bis sehr feines Flimmern der EKG-Linie (Frequenz > 300 - 400 / min); keine QRS-Komplexe erkennbar Erklärung: Unregelmäßige, unkontrollierte elektr. Aktivität des Herzmuskels Ursachen: Herzinfarkt, tachykarde Rhythmusstörungen, Hypothermie u.a.m.
3. Pulslose ventrikuläre Tachykardie (Pulslose VT)
Charakteristik: Meist monoforme, voneinander abgrenzbare Kammerkomplexe; Frequenz meist > 180 / min; kein Puls tastbar (ventrikuläre Tachykardie auch mit Puls möglich, s. S. 129, 133. - in diesem Fall andere Therapie !) Erklärung: Meist einzelnes Erregungsbildungszentrum in der Kammer Ursachen: Herzinfarkt, tachykarde Herzrhythmusstörungen u. a. m. Hinweis: Torsade de pointes als unkoordinierte Kammertachykardie (Kammeranarchie) möglich - s. S. 129, 132.
4. Pulslose elektrische Aktivität (PEA)
Charakteristik: Elektrische Herzaktionen in der EKG-Kurve erkennbar; jedoch kein Puls tastbar; evtl. verbreiterte QRS-Komplexe; meist bradykarder Rhythmus, Tachykardie möglich (Hypovolämie) Erklärung: PEA (pulslose elektrische Aktivität) = elektrische Aktivität am Herzen vorhanden, jedoch keine ausreichende Herzmuskelaktion (keine Auswurfleistung) oder Verlegung der Strombahn oder Volumenmangel Ursachen: Oft bei Hypovolämie, Spannungspneumothorax, Herzbeuteltamponade, Hypoxie, Lungenembolie, Hyperkaliämie, Hypothermie, Intoxikationen Hinweis: Oben genannte Ursachen bedenken und ggf. beheben !
126
Kapitel 4 · EKG-Diagnostik
Periarrest-Arrhythmien Unter Periarrest-Arrhythmien werden Herzrhythmusstörungen verstanden, die z. B. ausgelöst durch Myokardinfarkte über Kammerflimmern in einen HerzKreislaufstillstand übergehen oder einem Herz-Kreislaufstillstand folgend das Risiko eines erneuten Herz-Kreislaufstillstands bergen können. Die dargestellten Algorithmen versetzen auch den Nicht-Spezialisten – bei entsprechender Grundausbildung – in die Lage, diese potenziell lebensbedrohlichen Situationen einzuschätzen und eine erste lebensrettende Therapie einzuleiten. Sie sind so einfach wie möglich gestaltet und gewährleisten trotzdem im Notfall eine effektive und sichere Erstbehandlung. Für nicht lebensbedrohliche Fälle geben die Algorithmen Hilfestellung, wobei im Regelfall Zeit genug bleibt, einen erfahrenen Kardiologen oder anderen geeigneten Facharzt hinzuzuziehen, um ggf. differenziertere Therapiekonzepte anzuwenden.
Grundsätze
EKG-Diagnostik
1. Bei Verdacht auf lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen: • Sauerstoffgabe • venöser Zugang • wenn irgend möglich: 12-Kanal-EKG • Reanimationsbereitschaft herstellen (Monitoring, Personal, Defibrillator) 2. Faktoren für die Festlegung der Strategie: • Ursache der Arrhythmie Die Beseitigung einer bekannten Ursache (z. B. Elektrolytstörung, Tachykardien bei Volumenmangel oder Fieber) kann unmittelbar zur Behebung der Störung führen. Gleichzeitig kann sogar die symptomatische Behandlung eines Herzens, welches nur auf eine extrakardiale Pathophysiologie reagiert, mehr schaden als nützen, da das Herz unter Umständen noch mehr beeinträchtigt wird (z. B. Tachykardie, die einen Volumenverlust oder Sauerstoffmangel kompensiert). • Patientenzustand (stabil oder instabil) Grundsätzlich muss der Behandler/behandelnde Arzt vor jeder Therapie gewissenhaft aber zügig entscheiden, ob der Patient lebensbedroht ist oder nicht. Hierfür werden in den Algorithmen entsprechende Kriterien angeführt. Der instabile Patient ist sofort zu behandeln, und zwar möglichst schnell und wirksam; das bedeutet konkret durch Elektrotherapie (in Form von Kardioversion bei Tachykardien oder Schrittmachertherapie bei Bradykardien). Gerade bei Tachykardien ist die Elektrotherapie (Kardioversion) für den instabilen Patienten zu bevorzugen (schnellerer Wirkungseintritt, zuverlässigere Wirkung, Vermeiden der kardiodepressiven und proarrhythmogenen Wirkung der meisten Antiarrhythmika). Bei stabilen Patienten wird die Herzrhythmusstörung näher klassifiziert (QRSBreite; Rhythmus regelmäßig?).
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4.5 · Tachykardien
131
4
Tachykardie - Ergänzungen zum Algorithmus I Neu in den ERC-Leitlinien 2005 ist, dass alle Tachykardien in einem Algorithmus abgehandelt werden. Dieser ist allerdings so umfangreich, dass er in diesem Werk auf 4 Seiten wiedergegeben werden muss (S. 127-130). Als Tachykardie bezeichnet man eine über die Norm erhöhte Herzfrequenz (z. B. > 100 / min beim Erwachsenen). Dadurch werden die Ruhephasen des Herzens (Diastolen) verkürzt ➯ schlechte Füllung des Herzens in der Diastole ➯ RR Ø ➯ schlechtere O2-Versorgung des Herzmuskels. Nach dem Algorithmus Tachykardien werden die folgenden Merkmale in der vorgegebenen Reihenfolge unterschieden: • Patient stabil? (Instabilitätszeichen ➯ Kardioversion s.S. 57, 128) • Bei stabilen Patienten: Breite QRS-Komplex? • QRS-Komplex > 0,12 s = Breitkomplextachykardie (in der Regel ventrikulärer Ursprung der Erregung = ventrikuläre Tachykardie, aber auch z.B. supraventrikuläre Tachykardie mit Blockbild möglich) •QRS-Komplex < 0,12 s = Schmalkomplextachykardie (in der Regel supraventrikulärer Ursprung der Erregung = supraventrikuläre Tachykardie) • Regelmäßig / unregelmäßig?
Ergänzungen zum Algorithmus Regelmäßige Schmalkomplextachykardien • Instabilitätszeichen: Bei regelmäßigen Schmalkomplextachykardien mit Instabilitätszeichen ist es legitim, während der Vorbereitung der Kardioversion einen Therapieversuch mit Adenosin durchzuführen. Bei Misslingen ist der synchronisierte Schock unverzüglich anzuwenden. • Patient stabil: Vagale Manöver (s. S. 56), ggf. Adenosin; bei Misslingen oder Kontraindikationen ggf. negativ dromotrope Pharmaka (s.n.S.). Durch vagale Manöver und Adenosingabe können Vorhofarrhythmien (z.B. Vorhofflattern) vorübergehend demaskiert werden (Sichtbarwerden der Flatterwellen durch Absenkung der Kammerfrequenz - EKG-Dokumentation!). Wird hingegen durch eine der genannten Massnahmen die Rhythmusstörung schnell beendet, so handelt es sich warscheinlich um eine AV-Knoten-Re-Entry-Tachykardie oder (seltener) um eine atrioventrikuläre Re-Entry-Tachykardie bei Präexzitationssyndrom (z.B. WPW). • Vagale Manöver (s.a.S. 56) Valsalva-Manöver oder Karotissinusmassage. Stets nur einseitig; nicht bei Strömungsgeräuschen über der A. carotis (Gefahr der Plaqueruptur mit Apoplex). Bei akuter Myokardischämie oder toxischer Digitaliswirkung kann eine plötzliche Bradykardie (durch Karotismassage) Kammerflimmern auslösen.
132
Kapitel 4 · EKG-Diagnostik
Tachykardie - Ergänzungen zum Algorithmus II Vagale Manöver und Adenosingabe nur unter CPR-Bereitschaft und EKGMonitoring. Möglichst gesamtes Manövers mit 12-Kanal-EKG dokumentieren. • Adenosin: - Dosis 6mg i.v. als schneller Bolus (große Vene, nachspülen); ggf. zweimalige Wiederholung mit jeweils 12 mg möglich - Patienten über unangenehme Nebenwirkungen (Flush, Kollaps, etc.) aufklären (AV-Blockade für 5-6 Sekunden = ventrikuläre Asystolie!) - Blockade/Hemmung der Adenosinwirkung durch Theophyllin - Prolongierte Wirkung (Asystolie) bei denervierten Herz oder Vormedikation mit Dypiridamol oder Carbamazepin - Nicht bei präexitationsbedingtem Vorhofflimmern oder Vorhofflattern (WPW; Gefahr der Beschleunigung der Präexitation durch die AV-Blockade) • Negativ dromotrope Pharmaka Zur Frequenzkontrolle bei Misserfolg von Adenosin (oder Kontraindikation): z.B. Betablocker, Kalziumantagonisten (Kein Adenosin, Diltiazem, Verapamil oder Digoxin bei präexitationsbedingten Vorhofflimmern oder Vorhofflattern! Beschleunigung der Präexitation möglich - Gefahr von Kammerflimmern)
EKG-Diagnostik
Unregelmäßige Schmalkomplextachykardien • meist Vorhofflimmern mit Überleitung (Arrhythmia absoluta); seltener Vorhof flattern mit unregelmäßiger Überleitung • Instabilitätszeichen: Kardioversion • Patient stabil: - medikamentöse Kontrolle der Herzfrequenz (z.B. Betablocker) - Keine Kardioversion (elektrisch oder medikamentös) ohne Antikoagulation oder TEE-Kontrolle bei Vorhofflimmern > 48h (Gefahr der Thrombenbildung in den Vorhöfen bei länger anhaltendem Vorhofflimmern Emboliegefahr bei Kardioversion!) (< 48h: ggf. medikamentöser Versuch der Rhythmuskonversion mit Amiodaron)
Torsade de pointes (Spezielle Breitkomplextachykardie s.S.129) • Spitzenumkehrtachykardie - Verlängerung des QT-Intervalls • Patient stabil: QT-verlängernde Medikamente stoppen; Magnesiumgabe (2g vgl. S. 531); Elektrolytveränerungen behandeln (Hypokaliämie?); Expertenhilfe für zusätzliche Optionen suchen (z.B. Overdrivepacing) • Instabilitätszeichen: Kardioversion; Pulslosigkeit: CPR + Defibrillation (wie VF)
4.5 · Tachykardien
133
4
Breitkomplextachykardien Ventrikuläre Tachykardien (VT - mit Karotispuls)
Charakteristik: Meist monoforme, voneinander gut abgrenzbare regelmäßige Kammerkomplexe in schneller Folge mit hoher Frequenz; Karotispuls tastbar (pulslose ventrikuläre Tachykardie s. S. 125) Erklärung: Hochfrequente Reizbildung in der Kammer Ursachen: Koronare Herzkrankheit, sonstige organische Herzerkrankungen (Herzklappenfehler), entzündliche Herzerkrankungen (z. B. Myokarditis) Symptomatik: „Herzrasen“, Herzauswurfleistung meist eingeschränkt mit Zeichen klinischer Instabilität Gefahren: Übergang in VF oder pulslose VT ➯ Herz-Kreislauf-Stillstand ! Therapie: Siehe Algorithmus Seite 127 ff.
Torsade de pointes (Spitzenumkehrtachykardie) Siehe Seite 132
134
Kapitel 4 · EKG-Diagnostik
Schmalkomplextachykardien I 1. Sinustachykardie
Charakteristik: Hohe Frequenz (> 100 / min); regelmäßig oder unregelmäßig; jeder P-Welle folgt ein normal geformter QRS-Komplex; je höher die Frequenz, desto schwieriger ist die P-Welle vom QRS-Komplex abgrenzbar Erklärung: Versuch des Körpers, durch Frequenzerhöhung einem gesteigerten Leistungsbedarf gerecht zu werden oder andere Störungen (z. B. Blutverlust) auszugleichen und das Herzzeitvolumen beizubehalten. Ursachen: Anstrengung, Hypovolämie, Schock, Herzinsuffizienz, Aufregung (erhöhter Sympathikotonus), Fieber, Hyperthyreose, Sauerstoffmangel, Katecholaminwirkung, Intoxikation mit Sympathomimetika Therapie: Ursachenbekämpfung
EKG-Diagnostik
2. Vorhoftachykardie
Charakteristik: Vorhoffrequenz bei 100 - 250 / min, P-Wellen meist verformt und schlecht erkennbar (abhängig vom Ort der Erregungsbildung im Vorhof) Erklärung: Tachykarder Vorhofrhythmus bei ektoper Erregungsbildung Ursachen: Gelegentlich bei organischen Herzerkrankungen, Herzinsuffizienz, Myokarditis usw.
4.5 · Tachykardien
135
4
Schmalkomplextachykardien II Sonderform: Vorhoftachykardie mit 2:1-Überleitung (AV-Block II°: evtl. Hinweis auf Digitalisvergiftung (jedoch nicht das typische Bild für Digitalis; sonst eher: AV-Block, Kammertachykardie, bradykarde Rhythmusstörungen); kann auch bei gesunden Patienten auftreten.
3. Vorhofflattern (tachykard)
Charakteristik: Typische Flatterwellen (= Sägezahnmuster) zwischen den Kammerkomplexen, Kammerfrequenz meist tachykard, meist wird nur jede 2. oder 3. Flatterwelle im AV-Knoten übergeleitet (schützende AV-Blockierung), Vorhoffrequenz 200 - 300 / min. Erklärung: Kreisende Erregung auf Vorhofebene Ursachen: Organ. Herzerkrankungen, z. B. KHK, HI, Herzklappenveränderungen Symptomatik: „Herzrasen“; Zeichen der klinischen Instabilität, abhängig von der Herzauswurfleistung und Kammerfrequenz
4. Vorhofflimmern mit absoluter Arrhythmie (tachykard)
Charakteristik: Unregelmäßiges Flimmern der EKG-Kurve zwischen den (arrhythm.) QRS-Komplexen, keine P-Wellen abgrenzbar, meist Tachykardie
136
Kapitel 4 · EKG-Diagnostik
Schmalkomplextachykardien III Vorhofflimmern mit absoluter Arrhythmie (Fortsetzung) Erklärung: Unkontrollierte, unregelmäßige elektrische Aktivität des Vorhofes (fehlende Hämodynamik des Vorhofes ➯ HZV-Reduktion um bis zu 15 - 20 %) Ursachen: Organische Herzerkrankungen, z. B. Herzinfarkt, Hypertonie, Mitralund Aortenklappenfehler, Perikarditis usw. Symptomatik: Peripheres Pulsdefizit; Zeichen klinischer Instabilität, abhängig von der Herzauswurfleistung Gefahren: Thromboembolien (Thrombenbildung im Vorhof durch dort fehlende Muskelkontraktion), Herzinsuffizienz
5. Paroxysmale supraventrikuläre Tachykardie
EKG-Diagnostik
Charakteristik: Schmale, schnelle QRS-Komplexe; P-Wellen kaum abgrenzbar, Frequenz 150 - 220 / min; bei Säuglingen bis zu 300 / min Erklärung: Plötzlich einsetzendes „Herzrasen“ mit supra-ventrikulärer Erregung Ursachen: Vegetative Fehlregulationen (Aufregung, Ermüdung), Wirkung von Genussmitteln und Drogen, vorgeschädigtes Herz (Myokarditis usw.) Symptomatik: „Herzrasen“, „Herzjagen“, ggf. Zeichen klinischer Instabilität Therapie: Erwachsene s. S. 127. Bei Kindern müssen Medikamentendosierungen und Kardioversionsenergien angepasst werden; vagale Manöver müssen bei Säuglingen und Kindern unterbleiben. Bei älteren Kindern empfiehlt sich das Aufblasenlassen eines Luftballons zur Vagusstimulation (vgl. S. 56). Besonderheit Präexzitation: Das Präexzitationssyndrom (z.B. WPW - Wolf-Parkinson-White) ist von der herkömmlichen paroxysmalen supraventrikulären Tachykardie abzugrenzen, da bei Präexzitationssyndrom z.B. eine Therapie mit Verapamil kontraindiziert ist (s.S. 132). Da die Ruhe-EKG-Charakteristika der Präexzitation (z.B. Delta-Welle, PQ-Verkürzung) während tachykarder Phasen nicht nachweisbar sind, muss nach entspr. Ereignissen oder Diagnosen in der Anamnese gefahndet werden.
4.6 · Extrasystolen
137
4
Extrasystolen I Extrasystolen sind außerhalb des regulären Grundrhythmus (i. d. R. früher als erwartet) auftretende Aktionen im EKG. Sie entstehen durch Impulsgebung unterschiedlicher ektoper Herde (vom Sinusknoten unterschiedene, reizbildende Zentren), sodass es zu einer frühzeitigen Depolarisation kommt. Man unterscheidet der Herkunft nach supraventrikuläre und ventrikuläre Extrasystolen; für supraventrikuläre Extrasystolen im Gegensatz zu ventrikulären spricht (wenn vorhanden): • Eine P-Welle geht dem QRS-Komplex voraus. • Der QRS-Komplex ist schmal (< 0,12 s). • Der QRS-Komplex ist wie bei einem Rechtsschenkelblock gezackt.
1. Supraventrikuläre Extrasystolen (SVES)
Charakteristik: Meist normaler (selten deformierter) QRS-Komplex bei deformierter P-Welle (Verkürzung der PQ-Zeit mit näherer Lage des Extrasystolenherdes zum AV-Knoten), nach der Extrasystole ggf. kompensatorische Pause Mögliche Entstehungsorte: Sinusknoten, Vorhof (deformierte P-Welle), AVKnoten(negative, fehlende oder in der ST-Strecke erkennbare P-Welle) Symptomatik: „Herzstolpern“ Gefahren: In der Regel keine Gefahr für den Patienten, der Patientenzustand verändert sich meist nicht Therapie: In der Regel keine Therapie nötig
2. Ventrikuläre Extrasystolen A. Monotope Extrasystolen / Uniforme Extrasystolen Worterklärung: • monotop (unifokal) = von demselben Ort (Erregungsbildung) ausgehend • monomorph (uniform) = von derselben Gestalt
138
Kapitel 4 · EKG-Diagnostik
Extrasystolen II Monotope Extrasystolen (Fortsetzung) (Lown i-II)
Charakteristik: Gleich geformte Extrasystolen (danach oft kompensator. Pause)
B. Polytope / Multiforme Extrasystolen (Lown IIa)
EKG-Diagnostik
Worterklärung: • polytop (multifokal) = verschiedene Erregungsbildungszentren • polymorph (multiform) = von verschiedener Gestalt
Charakteristik: Unterschiedlich geformte Extrasystolen
C. Bigeminus (Lown IIIb)
Charakteristik: Regelmäßiges Abwechseln von normalem QRS-Komplex mit ventrikulärer Extrasystole (monotop).
4.6 · Extrasystolen
139
4
Extrasystolen III D. Couplets (Lown IVa)
Charakteristik: Zwei ventrikuläre Extrasystolen des gleichen Ursprungs direkt hintereinander. Drei Extrasystolen in Serie werden als Triplet bezeichnet.
E. Salven (Lown IVb)
Charakteristik: Mehr als drei ventrikuläre Extrasystolen direkt hintereinander
F. R-auf-T-Phänomen (Lown V)
Charakteristik: Eine früh erscheinende ventrikuläre Extrasystole fällt in die vulnerable Phase von T (Erregungsrückbildungswelle) der vorangehenden Herzaktion; Gefahr des Kammerflimmerns
140
Kapitel 4 · EKG-Diagnostik
Extrasystolen IV Lown-Classification für ventrikuläre Extrasystolen: 0 keine ventrikulären Extrasystolen I weniger als 30 ventrikuläre Extrasystolen pro Stunde II mehr als 30 ventrikuläre Extrasystolen pro Stunde IIIa multiforme ventrikuläre Extrasystolen IIIb Bigeminus IVa Couplet IVb Salve V R-auf-T-Phänomen Ursachen für ventrikuläre Extrasystolen: Organische Herzerkrankungen, z. B. Herzinfarkt, Koronare Herzkrankheit, Myokarditis, Kardiomyopathie, Alkohol, Koffein, Nikotin, Digitalis (vor allem Bigeminus), Katecholaminwirkung, Intoxikation mit Sympathomimetika usw. Symptomatik: „Herzstolpern“, evtl. peripheres Pulsdefizit; abhängig von der Herzauswurfleistung Zeichen klinischer Instabilität
EKG-Diagnostik
Gefahren: Kammerflimmern bei R-auf-T-Phänomen (Lown-Classification V), bei organischen Herzerkrankungen (z. B. Herzinfarkt): ventrikuläre Tachyarrhythmie bis hin zum Kammerflimmern ab Lown-Classification IIIa Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen, Standardtherapie • Ventrikuläre Extrasystolen bei Gesunden bedürfen in der Regel keiner Soforttherapie, sofern keine Zeichen klinischer Instabilität vorhanden sind. • Bei Bigeminus sollte immer an eine Digitalisüberdosierung/-intoxikation gedacht werden. • Beachte: R-auf-T-Phänomen (mit Gefahr des Kammerflimmerns): Hier muss akut interveniert werden. • Ventrikuläre Extrasystolen bei organischen Herzerkrankungen (z. B. Herzinfarkt) sollten spätestens ab Lown-Classification IIIa behandelt werden. • Mögliche Substanzen: Lidocain (0,5 - 1,5 mg/kg KG i.v.), Propafenon (0,5 - 1 mg/kg KG i.v.) • Beachte: Auch bei symptomatischer Extrasystolie sollte die Behandlung mit Antiarrhythmika (insbes. der Klasse I) nicht routinemäßig und nur nach eingehender Prüfung der Kontraindikationen erfolgen. In der Klinik sollten Ursachenforschung und -bekämpfung Priorität haben.
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142
Kapitel 4 · EKG-Diagnostik
Bradykardien I - Ergänzungen zum Algorithmus Von einer Bradykardie spricht man bei einer Herzfrequenz unter 50 / min. Bradykardien können bei sportlich trainierten Menschen normal sein. Beim Normalpatienten können sie aber auch zu einem bedrohlichen Abfall des Herzzeitvolumens führen.
Ergänzungen zum Algorithmus Bradykardie 71 Atropin • paradoxe Bradykardien bei Dosierungen < 0,5 mg möglich • Vorsicht bei ACS (Verstärkung der Ischämie möglich) • nicht bei Herztransplantierten (paradoxer höhergradiger AV-Block oder Sinusarrest möglich) Schrittmachertherapie s.S. 57 (externer Schrittmacher: meist Analgosedierung erforderlich) Adrenalin 2 –10 μg/min i. v., beginnend mit 2 μg/min und aufsteigend bis zur ausreichenden Wirkung verabreichen (Spritzenpumpe!) Mischung: 1 Amp. Adrenalin (Suprarenin® 1 mg/1 ml) + 19 ml NaCl 0,9 % (Förderrate: beginnen mit 2 ml/h, ggf. steigern bis auf 12 ml/h)
Bradykarde Rhythmusstörungen
EKG-Diagnostik
1. Sinusbradykardie
Charakteristik: Normal geformte P-Wellen und QRS-Komplexe mit einwandfreier Koppelung, Frequenz < 50 / min Erklärung: Verlangsamte, vom Sinusknoten ausgehende Erregungsbildung Ursachen: Physiologisch (Sportler und Vagotoniker), Sinusknotensyndrom, hypersensibler Karotissinus, Medikamentenwirkung, Hypothyreose, erhöhter Hirndruck (z. B. bei Schädel-Hirn-Trauma, Apoplex) Gefahren: Synkope / Adams-Stokes-Anfall
4.7 · Bradykardien
143
4
Bradykardien II 2. Knotenbradykardie
Charakteristik: Regulär geformte QRS-Komplexe; 35 - 60 / min; retrograde Erregung der Vorhöfe vom AV-Knoten aus: zum Teil atypische P-Wellen direkt vor oder hinter dem QRS-Komplex, meist fällt die Vorhoferregung mit der Kammererregung zusammen, sodass die P-Welle im QRS-Komplex verborgen bleibt. Erklärung: Ersatzrhythmus vom AV-Knoten ausgehend (sekundäres Erregungsbildungszentrum) mit retrograder Erregung der Vorhöfe Ursachen: Physiologisch (bei Jugendlichen); erhöhter Vagotonus, Intoxikation /Überdosierung (z. B. Digitalis, β-Rezeptorenblocker, Kalziumantagonisten); Elektrolytstörungen; Herzerkrankungen (z. B. Herzinfarkt) Gefahren: Synkope / Adams-Stokes-Anfall
3. Kammereigenrhythmus
Charakteristik: Keine P-Wellen; breiter QRS-Komplex (regelmäßig); 30 - 40 / min Erklärung: Ersatzrhythmus der Kammermuskulatur bei Ausfall übergeordneter Erregungsbildungszentren. Keine retrograde Vorhoferregung Ursachen: Intoxikation / Überdosierung (z. B. Digitalis, Antiarrhythmika, β-Rezeptorenblocker); Herzerkrankungen (Myokarditis, Myokardinfarkt u. a. m.) Gefahren: Synkope / Adams-Stokes-Anfall / Asystolie
144
Kapitel 4 · EKG-Diagnostik
Bradykardien III / 4. AV-Blockierungen AV-Block I°
Charakteristik: Überleitung der Vorhoferregung verlängert, jedoch nicht aufgehoben (PQ-Zeit > 0,2 s)
EKG-Diagnostik
AV-Block II° - Typ I (Wenckebach-Periodik)
Charakteristik: Periodisch zunehmende Zeit der AV-Überleitung (PQ-Zeit) bis zum Ausfall einer AV-Überleitung
AV-Block II° - Typ II (Mobitz-II)
Charakteristik: Nur Weiterleitung jeder 2. oder 3. Vorhofaktion (2:1- bzw. 3:1Block); Risiko der Asystolie!
4.7 · Bradykardien
145
4
Bradykardien IV AV-Block III° (AV-Dissoziation)
Charakteristik: Totaler AV-Block, fehlende Überleitung von Vorhoferregungen auf die Kammer; deswegen Kammereigenrhythmus (Ersatz) mit meist langsamer Frequenz (30 - 40 / min), davon unabhängig regelmäßige P-Wellen; hohes Risiko der Asystolie!! Ursachen für AV-Blockierungen: • Erhöhter Vagotonus (z. B. Sportler) ➯ AV-Block I° • Organische Herzerkrankungen: z. B.: Herzinfarkt (häufigste Ursache) • Medikamentös-toxisch: z. B. Digitalis, Antiarrhythmika, Chinidin, β-Rezeptorenblocker • Posttraumatisch • Hyperkaliämie • Störung im Bereich des AV-Knotens mit Behinderung der Überleitung des Aktionspotentials auf die Kammer Symptomatik: Abhängig von der Herzauswurfleistung Zeichen klinischer Instabilität; längere Asystoliephasen mit Symptomen des Herz-Kreislauf-Stillstandes möglich (bei AV-Block II° Typ II und III°) - Adams-Stokes-Anfall Gefahren: Längerdauernde Asystolie zwischen Beginn eines AV-Blockes III° und dem Einsetzen eines Kammerersatzrhythmus (Adams-Stokes-Anfall), Herzinsuffizienz durch Bradykardie (< 40 / min bei AV-Block II°)
146
Kapitel 4 · EKG-Diagnostik
Herzschrittmacher - Normalfunktion I 1. Schrittmacher mit Vorhofstimulation
EKG-Diagnostik
2. Schrittmacher mit Kammerstimulation
3. Schrittmacher mit Vorhof- und Kammerstimulation
Herz-Schrittmacher wird im Folgenden mit SM abgekürzt.
4.8 · Herzschrittmacher / ICD
147
4
Herzschrittmacher - Normalfunktion II Charakteristik im EKG Unmittelbar vor P-Wellen bzw. QRS-Komplexen finden sich so genannte SM-Spikes (extrem schmale, strichförmige elektrische Impulse). Da die Reizweiterleitung im Herzen meist nicht den physiologischen Weg über das Reizleitungssystem nimmt, erscheinen besonders die QRS-Komplexe nach SM-Spikes i. d. R. deformiert und verbreitert (ähnlich wie ein Linksschenkelblock). Zu beachten ist, dass die SMSpikes in manchen Ableitungen nicht zu erkennen sind (wenn der Stromimpuls senkrecht zur Ableitungsachse erfolgt). Bei manchen EKG-Geräten muss zur korrekten SM-Erkennung ein eigener Modus aktiviert werden. Außerdem können SMImpulse bei bipolarer Stimulation und bei niedriger Reizschwelle klein und schwer erkennbar sein. Daher bei breitem Kammerkomplex in allen EKG-Ableitungen nach SM-Impulsen suchen bzw. den Patienten befragen/untersuchen: Operationsnarbe und unter der Haut tastbarer SM von der Größe einer Streichholzschachtel auf der Brustwand direkt unter dem Schlüsselbein, meist rechts (bei ICD manchmal auch Unterbauch). Die regelgerechte Funktion des SM ruft beim Patient keine Symptome oder nur manchmal leichte Muskelzuckungen hervor. Stärkere, evtl. schmerzhafte Muskelzuckungen oder Schluckauf treten normalerweise nicht auf und sollten im Schrittmacherzentrum abgeklärt werden und können oft erfolgreich durch eine Neuprogrammierung behoben werden.
Gründe und Ziele für Schrittmacherbehandlung Der SM unterstützt die Herzfunktion, indem er regelmäßig und in ausreichender Frequenz elektrische Impulse abgibt, die jeweils einen Herzschlag zur Folge haben. Meist erhöht sich für den Patienten dadurch nicht nur die Überlebenszeit, sondern auch die Lebensqualität. I. d. R. erfolgt eine SM-Implantation wegen bradykarder Herzrhythmusstörungen, die beim Patienten zu belastenden Symptomen (wiederholte Synkopen, Schwindel, mangelnde Belastbarkeit) geführt haben oder ein erhöhtes Risiko für einen plötzlichen Herzstillstand haben. Seltener werden SM zunehmend auch bei wiederkehrenden tachykarden Herzrhythmusstörungen eingesetzt. In den letzten Jahren zunehmend finden SM auch in der Therapie der schweren chronischen Herzinsuffizienz Anwendung (spezielle biventrikuläre Stimulation, Multisite-Pacing). In der Notfallmedizin kommen SM vor allem bei schweren symptomatischen Bradykardien (Zeichen klinischer Instabilität und/oder Risiko der Asystolie) sowie bei der (Kammer-) Asystolie zum Einsatz und ersetzen die z. B. durch Infarkt ausgefallene Reizbildung. Herzschrittmacher werden nach einem festgelegten Code klassifiziert: NBG-Code: NASPE (North American Society of Pacing and Electrophysiology BPEG (British Pacing and Electrophysiology Group) Generic Pacemaker-Code Dieser Code ist auf der folgenden Seite wiedergegeben.
148
Kapitel 4 · EKG-Diagnostik
Herzschrittmacher: NBG-Code (vgl. S. 147) 1. Buchstabe 2. Buchstabe 3. Buchstabe 4. Buchstabe 5. Buchstabe Ort der Impulswahrnehmung (Detektion/ Sensing) V (ventricle) V (ventricle) = (r.) Kammer = (r.) Kammer
Betriebsart/Mo- Programmier- Besondere dus (Reaktion barkeit Funktionen des SM auf Impulswahrnehm.) T = getriggert P = programP (pacing) (Impulsabgabe mierbar (ein= Antitachykarde nach Wahrneh- fach/zweifach) Stimulation A (atrium) A (atrium) I = inhibitiert M = multiproS (shock) = (r.)Vorhof = (r.)Vorhof (keine Impulse, grammierbar = Kardioversion/ wenn WahrnehDefibrillation mung) D (double) D (double) D (double) C = Communica- D (double) = (r.) Vorhof + = (r.) Vorhof + =Vorhof getrig- tion (Telemetrie) = P + S (s.o.) (r.) Kammer (r.) Kammer gert und Kammer inhibiert 0 (none) 0 (none) 0 (none) 0 (none) = diese Funktion = diese Funktion = diese Funktion = diese Funktion nicht vorhanden nicht vorhanden; nicht vorhanden nicht vorhanden asynchrone Stimulation S (single S (single R (reverse) R (rate modula- Multisite-Pacing chamber) = chamber) = = Funktionsum- tion/rate respon- bei Pat. mit schweeine Kammer eine Kammer kehrung; Stimu- se) = Frequenz- rer Herzinsuffizienz lation reagiert adaptation (be- (z. B. dritte Elektroeher auf Tachy- lastungsabhängi- de im Sinus coroarrhythmie als ge Frequenzer- narius zur synauf Bradyarhöhung) chronen Stimularhythmie tion von rechter u. linker Kammer)
EKG-Diagnostik
Ort der Stimulation
In der Praxis: Angabe 4. Buchstabe und 5. Buchstabe nur bei Bedarf Beispiele für die Anwendung des Schrittmacher-Codes AAI • Der SM stimuliert den Vorhof • Der SM nimmt herzeigene Erregungen im Vorhof wahr • Hemmung der SM-Stimulation bei Wahrnehmung von Vorhoferregung • Der relativ seltene AAI-SM wird bei isolierten Störungen des Sinus knotens und bei Long-QT-Syndromen eingesetzt. VVI • Der SM gibt Impulse in der Kammer ab. • Der SM nimmt herzeigene Impulse in der Kammer wahr. • Der SM-Impuls wird unterdrückt, wenn eine ausreichende herzeigene Impulsgebung in der Kammer vorhanden ist. DDD • Der SM gibt Impulse sowohl im Vorhof als auch in der Kammer ab. • Der SM nimmt die Impulse des Herzens in Vorhof und Kammer wahr. • Die Impulsgebung des SM in der Kammer wird durch die herzeigene Vorhoferregung angesteuert (Triggerung), bei herzeigenen Kammerimpulsen wird die Kammerstimulation des SM unterdrückt (Inhibition).
4.8 · Herzschrittmacher / ICD
149
4
Herzschrittmachertypen Interner Schrittmacher Der SM ist meistens unter dem (rechten) Schlüsselbein des Patienten unter die Haut gesetzt, ein Kabel führt über die obere Hohlvene in das rechte Herz und ist dort verankert; es leitet die elektrischen Impulse direkt zum Herzmuskel – das SMGerät ist vorprogrammiert und arbeitet selbstständig; ein Kardiologe überprüft halbjährlich oder jährlich mit einem Programmiergerät den SM und kann neue Programmierungen vornehmen.
Externer Schrittmacher Das SM-Gerät befindet sich außerhalb des Körpers; externe SM kommen überbrückend und notfallmedizinisch zum Einsatz: entweder wird die Stimulationssonde wie eine Magensonde über die Speiseröhre eingeführt, sodass die Spitze hinter dem Herzen liegt (transösophageales Pacing); oder die Sonde wird über eine größere (meist zentrale) Vene bis zum Herzen vorgeschoben (transvenöses Pacing); oder es werden Elektroden wie zur Defibrillation anterior-posterior auf dem Brustkorb des Patienten aufgeklebt, über die der Stromimpuls abgegeben wird (transkutanes Pacing). Das transkutane Pacing bietet sich notfallmäßig im Rettungsdienst an, weil es schnell, sicher und unsteril angewendet werden kann. Zu bedenken ist, dass das transkutane Pacing relativ große Energien benötigt, die zu starken Muskelzuckungen und bei wachem Patienten zu Schmerzen führen können, sodass eine Analgesie und ggf. Sedierung notwendig wird.
Demand-Schrittmacher Der SM erkennt, ob das Patientenherz ausreichend eigene elektrische Impulse abgibt und stimuliert nur, wenn das Herz aussetzt (wenn das Herz arbeitet, ist der SM unterdrückt = inhibiert). Der Schrittmacherimpuls kann auch vom Herzen getriggert, d. h. angefordert werden (z. B. immer, wenn der Vorhof des Patienten schlägt, löst der Schrittmacher zum richtigen Zeitpunkt eine Kammeraktion aus).
Sonderfall: frequenzadaptiver Schrittmacher Wenn das Herz bei höherer Belastung nicht mit einer Zunahme der Herzfrequenz reagiert (chronotrope Inkompetenz), können verschiedene Sensoren dem SM eine höhere Belastung melden, z. B. Sensoren für Beschleunigung (Bewegung des Pat.), Thoraximpedanz (Atmung) und QT-Zeit (Indikator für Herzbelastung). Starrfrequenter Schrittmacher (Permanentschrittmacher): der SM stimuliert kontinuierlich ohne Pause mit voreingestellter Frequenz; dies ist bei den meisten Notfallschrittmachern der Fall (V00-Modus). Manche Patientenschrittmacher können durch Magnetauflage über dem SM-Aggregat auf starrfrequente Stimulation umgeschaltet werden (s. S. 151).
150
Kapitel 4 · EKG-Diagnostik
Notfälle bei Herzschrittmacherpatienten I Merke: Vorhandene oder nicht-vorhandene SM-Impulse sagen alleine nichts über eine ordnungsgemäße Funktion von SM und Patientenherz aus. Es muss stets eine Beurteilung des klinischen Zustandes des Patienten erfolgen und im EKG der Zusammenhang von SM-Impulsen mit herzeigenen Aktionen festgestellt werden.
Beeinflussung des SM durch Notfälle oder RD-Personal 1. Fehlen der „diagnostischen und kompensatorischen Tachykardie“: Bei vielen Notfällen gilt die Tachykardie als charakteristisches (Früh-) Warnzeichen in der Notfalldiagnostik (z. B. Schock, Lungenembolie). Bei SM-Patienten kann dieses Warnzeichen oft nicht ausgebildet werden! Da die Tachykardie bei Notfällen häufig notwendig ist, um ein ausreichendes Herzzeitvolumen aufrecht zu erhalten, kann der Kreislauf bei SM-Patienten deutlich früher dekompensieren! 2. Beeinflussung des SM durch SM-unabhängige Notfälle: Notfälle mit erhöhter Atemfrequenz und/oder starken Muskelzuckungen (z. B. Hyperventilationssyndrom, Krampfanfall) können bei frequenzadaptiven SM zu unangemessenen Tachykardien führen oder bei inhibitierten SM die Stimulation unterdrücken (Oversensing s. S. 153), sodass eine extreme Bradykardie oder ein HerzkreislaufStillstand resultieren kann.
EKG-Diagnostik
3. Die EKG-Interpretation kann bei SM-Patienten erschwert oder unmöglich sein (z. B. Herzinfarkt, Herzkreislauf-Stillstand); so gibt es hochspezifische Zeichen für einen Herzinfarkt im SM-EKG (z. B. Stimulus-qR-Zeichen, Cabrera-Zeichen), deren Beurteilung bleibt jedoch dem Spezialisten vorbehalten. Gelingt es, herzeigene Aktionen mit regulärer Erregungsausbreitung ohne SM-Stimulation im EKG zu dokumentieren, so ist prinzipiell eine Herzinfarkt-Diagnostik möglich. 4. Bei schweren (Thorax-)Traumata oder externen Stromeinwirkungen (z. B. Defibrillation) kann es zu Beschädigung des SM-Systems kommen (z. B. Sondendislokation mit folgender Bradykardie oder Herzkreislaufstillstand). 5. Vergiftungen oder (Notfall-) Medikamente können die Reizschwelle des Herzens erhöhen, sodass es zu ineffektiver SM-Stimulation kommt (Exit-Block, s. S. 152) Merke: An eine SM-Fehlfunktion ist stets zu denken, wenn ein SM-Patient Symptome wie Schwindel, Synkope, Leistungsschwäche, Herzstolpern oder Herzrasen zeigt (SM-Kontrolle!). Aber auch an SM-unabhängige Notfälle denken.
Allgemeine Maßnahmen • Bei allen Notfällen bei SM-Patienten immer den mitgeführten SM-Ausweis einsehen (passt die beobachtete Stimulation zur Voreinstellung laut Ausweis?) • Bei Verdacht auf SM-Fehlfunktion: möglichst immer eine Klinik anfahren, in der ein passendes Programmiergerät für den SM des Patienten verfügbar ist (Überprüfung und ggf. Neueinstellung). Der SM-Typ ist im SM-Ausweis vermerkt; vor Transport die Kliniken z. B. über die Leitstelle abfragen lassen.
4.8 · Herzschrittmacher / ICD
151
4
Notfälle bei Herzschrittmacherpatienten II Allgemeine Maßnahmen (Fortsetzung) • Defibrillation, Kardioversion und externen SM-Therapie bei SM-Patienten und ICD-Trägern (s. S. 157 ff.): Elektrodenposition initial immer anterior-posterior, um eine Beschädigung des Aggregats und einen verbrennungsinduzierten Herzmuskelschaden zu vermeiden sowie eine effektive Stromleistung zu gewährleisten (nach mehreren erfolglosen Versuchen anterior-anterior erwägen). • Eine Kernspintomographie (Magnetresonanztomographie) ist bei SM-Patienten i. d. R. nicht möglich (durch starkes Magnetfeld Betriebsartänderung, evtl. Induktion von elektrischem Strom mit starker lokaler Hitzebildung, evtl. Dislokation bei ferromagnetischer Wirkung); der Beeinflussungsradius kann bis zu 15 m um das Gerät herum betragen! Auch an Begleitpersonen mit SM denken!
Therapeutische Magnetauflage Die Auflage eines speziellen SM-Magnets (Ring- oder Stabmagnet) auf die Haut über dem SM-Aggregat führt bei den meisten SM zur Umschaltung vom DemandModus (Impuls nur bei Bedarf) auf festfrequente Impulsgebung (V00/D00, mit einer vorprogrammierten, meist erhöhten Frequenz, z. B. 100/min). Bei Entfernen des Magneten oder nach einem bestimmten Zeitintervall schaltet der SM zurück. Die Magnetauflage über ICD schaltet die Tachykardieerkennungsfunktion ab. Entsprechende Magnete sollten auf notarztbesetzten Rettungsmitteln vorgehalten werden (Vorsicht: von magnetischen Datenträgern fernhalten!) Wenige ältere SM reagieren bei Magnetauflage mit einer Steigerung der Stimulationsenergie, die evtl. stufenweise wieder abfällt = Reizschwellentest). Manchmal wird die Magnetfunktion durch den Kardiologen bei der Programmierung abgeschaltet. Bei Verdacht auf Batterieerschöpfung keine Magnetauflage, da ein SM-Totalausfall provoziert werden kann. Der Verdacht auf eine Batterieerschöpfung wird erhärtet, wenn der SM-Patient mehrere halbjährliche oder jährliche Kontrollen ausgelassen hat. Umgekehrt ist bei regelmäßigen SM-Kontrollen eine unbemerkte Batterieerschöpfung sehr unwahrscheinlich. Weitere Komplikationen der Magnetauflage: kompetitives Pacing (SM-Syndrom s. S. 155), evtl. Umprogrammierung des SM bei Magnetauflage in Gegenwart von starken Funksignalen (Radiosender, Telemetrie u.a.). Ansonsten gilt vereinfachend bei SM-Fehlfunktionen: zunächst Magnetauflage versuchen (einfach, schnell, risikoarm), bei Erfolg belassen und fixieren, bei Misserfolg entfernen und andere Verfahren erwägen (z. B. externer SM).
Schrittmachertotalausfall Der SM stimuliert trotz unzureichender Herzfunktion gar nicht. Ursachen: • schweres Trauma des SM-Systems • externe Stromeinwirkung auf das SM-System (z. B. Defibrillation, Stromunfall) • Batterieerschöpfung (bei regelmäßiger SM-Kontrolle unwahrscheinlich, da Batterie geprüft wird und der SM zunächst auf eine energiesparende Betriebsart wie A00, V00 oder D00 umschaltet ; wichtigste Frage: Hat der Pat. einen oder mehrere Kontrolltermine verpasst?!) Fortsetzung s. nächste Seite
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Kapitel 4 · EKG-Diagnostik
Notfälle bei Herzschrittmacherpatienten III Schrittmachertotalausfall (Fortsetzung)
EKG: Es tritt i. d. R. die ursprüngliche Herzrhythmusstörung auf, die zur SMImplantation geführt hat, im Extremfall eine schwere Bradykardie bis Asystolie. Überbrückende Maßnahmen NA: Therapie des patienteneigenen Herzrhythmus. I. d. R. überbrückend externer SM mit ausreichend hoher Stimulationsenergie und schnellstmögliche Wiederherstellung der Funktion des implantierten SM (Klinik).
Exit-Block
EKG-Diagnostik
Ausgang von SM-Impulsen blockiert; ineffektive Stimulation: Die elektrisch leitende Verbindung zwischen SM und Herzmuskel ist gestört. Ursachen: Elektrodendislokation (häufigste Ursache: die Elektrodenspitze verliert ihre feste Verankerung im Herzmuskel); Kabelbruch; falsch eingestellte SM-Schwelle; Reizschwellenerhöhung des Herzmuskels (z. B. frischer Herzinfarkt, Medikamente) Oft geht ein Entrance-Block (s. rechte Seite) dem Exit-Block voraus.
EKG: SM-Impulse (Spikes) im EKG sichtbar, die jedoch nicht jedesmal vom Herzmuskel beantwortet werden. Im schlimmsten Fall neben unbeantworteten SMSpikes unabhängiger, bradykarder Kammereigenrhythmus oder Asystolie. Überbrückende Maßnahmen im RD (Notarzt): Eine Magnetauflage kann versucht werden (selten wirksam). Ansonsten Therapie des patienteneigenen Herzrhythmus. I. d. R. überbrückend externer SM mit ausreichend hoher Stimulationsenergie und schnellstmögliche Wiederherstellung der Funktion des implantierten SM (Klinik).
Entrance-Block (Eingang von herzeigenen Impulsen blockiert) 1. Ein Demand-SM erkennt die herzeigenen Impulse nicht mehr: Sensing-Defekt, Undersensing, Wahrnehmungsstörung (Sonde disloziert; elektrische Abschirmung der Sondenspitze - meist Entzündung um die Sondenspitze in den ersten Wochen nach Implantation, seltener durch spätere Fibrosierung oder Störsignale)
4.8 · Herzschrittmacher / ICD
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4
Notfälle bei Herzschrittmacherpatienten IV Entrance-Block (Fortsetzung) 2. Der SM hat wegen Batterieerschöpfung auf einen Strom sparenden festfrequenten Modus umgeschaltet (A00, V00 oder D00).
EKG: Der SM stimuliert – trotz evtl. vorhandener Herzaktionen – unabhängig mit starrer Frequenz (ein VVI-SM wird zum V00, ein AAI zum A00, ein DDD zum DVI oder DAI oder D00) - Ausfall der Inhibition. Evtl. kann ein SM-Impuls in die vulnerable Phase fallen und Kammerflimmern auslösen . Therapieziel: ausschließlich SM-geführter Herzrhythmus. Überbrückende Maßnahmen Notarzt: Bei Verdacht auf Batterieerschöpfung keine Magnetauflage, da durch die energetische Beanspruchung ein Totalausfall mit Reanimationspflichtigkeit provoziert werden kann! Transport in die Klinik unter CPR-Bereitschaft, ggf. überbrückend externer SM mit ausreichend hoher Stimulationsenergie und schnellstmögliche Wiederherstellung der Funktion des implantierten SM (Klinik). Bei Verdacht auf Sensing-Defekt: 1. Magnetauflage (Ziel: SM-Frequenz über Eigenfrequenz des Patienten) 2. Medikamentöse Senkung der Herzfrequenz unter die programmierte SM-Frequenz (z. B. Betablocker) (SM übernimmt dann in beiden Fällen die alleinige Führung)
Oversensing (SM-Überempfindlichkeit) Störsignale wie Muskelkontraktionen, Vibrationen (RTW-Fahrt) oder elektromagnetische Impulse (z. B. transkutane elektrische Nervenstimulation = TENS) werden vom SM als (inhibitierende oder triggernde) Herzaktionen wahrgenommen. Evtl. durch Elektrodenisolationsdefekt oder niedrig programmierte Wahrnnehmungsschwelle des SM bedingt/verstärkt.
Im EKG sind häufig die Störsignale erkennbar. a) Bei Inhibition: trotz Bradykardie/Asystolie keine SM-Stimulation; Synkope (häufig entfällt dadurch das Störsignal und der Patient erwacht, bis er bei erneuter Störung wieder kollabiert), evtl. Störsignale erkennbar, Anamnese! b) Bei Triggerung: SM-vermittelte Tachykardie (s. nächste Seite)
154
Kapitel 4 · EKG-Diagnostik
Notfälle bei Herzschrittmacherpatienten V Oversensing (Fortsetzung) Überbrückende Maßnahmen Notarzt: 1. Beseitigung der Störquelle oder Patienten aus dem Störbereich bringen. Wenn erfolglos: 2. Magnetauflage, um die Detektions-/Inhibitions-Funktion abzuschalten (starrfrequente Stimulation - meist erfolgreich). Wenn erfolglos: 3. Therapie des patienteneigenen Herzrhythmus (s. S. 141)
Schrittmacher-Tachykardie endless-loop (ELT) Es findet nach Kammerstimulation und -erregung eine retrograde Vorhoferregung mit erneuter Detektion an der Vorhofelektrode statt (bei einem getriggerten SM älterer Bauart). Nach einem programmierten AV-Intervall erfolgt sofort wieder in eine Kammerstimulation. ELT können wie PMT zu Hypotonie, Schwindel, Angina pectoris und Synkopen führen.
EKG-Diagnostik
EKG: Schnelle ventrikuläre Stimulation mit konstanter Frequenz. Überbrückende Maßnahmen Notarzt: 1. Magnetauflage, um die Detektions-/Inhibitions-Funktion abzuschalten (starrfrequente Stimulation - meist erfolgreich). Wenn erfolglos: 2. Vagale Manöver (s. S. 56), ggf. medikamentöse Blockierung der (retrograden) AV-Überleitung (z. B. Adenosin, Betablocker, Digitalis, Verapamil) 3. Von einer externen Kardioversion ist wegen der Gefahr einer SchrittmacherBeschädigung dringend abzuraten (i. d. R. präklinisch nicht notwendig).
Schrittmachervermittelte Tachykardie (PMT) Eine tachykarde Vorhofarrhythmie führt bei älteren DDD-SM zu erhöhter ventrikulärer Stimulationsfrequenz (bis eingestellte Grenze). Es können bedrohliche Tachykardien mit Hypotonie, Schwindel, Angina pectoris und Synkopen entstehen.
EKG: Tachykarde SM-Spikes gefolgt von QRS-Komplexen.
4.8 · Herzschrittmacher / ICD
155
4
Notfälle bei Herzschrittmacherpatienten VI Schrittmachervermittelte Tachykardie (Fortsetzung) Überbrückende Maßnahmen Notarzt: 1. Magnetauflage, um die Detektions-/Inhibitions-Funktion abzuschalten (starrfrequente Stimulation - meist erfolgreich). Wenn erfolglos: 2. Medikamentöse Senkung der Vorhoffrequenz oder Rhythmuskonversion (z. B. Betablocker, Digitalis, Verapamil) 3. Ultima Ratio: externe Kardioversion (anterior-posterior!) unter Heparinisierung
AV-Crosstalk Die ventrikuläre Sonde nimmt die stimulierte Vorhofaktion fälschlich als Kammerstimulation wahr und wird inhibitiert. Kammer-Bradykardie/-Asystolie!
EKG: Nur Vorhofstimulation gefolgt von P-Wellen; keine Kammeraktionen (kann intermittierend auftreten). Überbrückende Maßnahmen Notarzt: 1. Magnetauflage, um die Detektions-/Inhibitions-Funktion abzuschalten (starrfrequente Stimulation - meist erfolgreich). Wenn erfolglos: 2. Therapie des patienteneigenen Herzrhythmus (s. S. 141)
Schrittmacher-Syndrom Fehlende Koordination zwischen erhaltenem Sinusrhythmus und VVI-SM (retrograde Erregungsleitung von Kammer auf Vorhof): konkurrierende Rhythmen, hin und wieder oder regelmäßig gleichzeitige Vorhof- und Kammerschrittmachersystole: Kontraktion der Vorhöfe gegen die geschlossenen Vorhof-Kammer-Klappen; Folge: atrialer Barorezeptorreflex: Herzklopfen, Schwindel, Angst, evtl. Blutdruckabfall, Synkope
EKG: Konkurrierender SM- und Sinusrhythmus; P-Wellen „laufen in den QRSKomplex hinein“ oder sind evtl. retrograd im Bereich der ST-Strecke erkennbar.
156
Kapitel 4 · EKG-Diagnostik
Notfälle bei Herzschrittmacherpatienten VII Schrittmacher-Syndrom (Fortsetzung) Überbrückende Maßnahmen Notarzt: 1. Medikamentöse Anhebung der Eigenfrequenz des Patienten, um die ventrikuläre Stimulation zu unterdrücken (z. B. Atropin). Wenn erfolglos: 2. Magnetauflage, um die SM-Frequenz deutlich über die Eigenfrequenz des Patienten zu heben und ein ausreichendes Herzzeitvolumen zu erhalten 3. Ultima Ratio: Medikamentöse Absenkung der Eigenfrequenz unter die SM-Frequenz (Vorsicht: Kardiodepression!)
Elektromagnetische Störung von außen (z. B. durch beabsichtigte Magnetauflage oder versehentlicher Aufenthalt in einem Magnetfeld, z. B. Diebstahlsperren in Kaufhäusern) SM sind unter bestimmten Umständen in ihrer Funktion durch (starke) elektromagnetische Felder beeinflussbar. I. d. R. werden SM dabei „nur“ auf eine feste Frequenz umgeschaltet (Verlust der Demandfunktion), was der Patient meist nicht spürt. Nur extrem selten kommt es zu lebensbedrohlichen Situationen, wenn mehrere ungünstige Einflüsse zusammentreffen. EKG: Es treten EKG-Bilder wie bei einem festfrequenten SM, wie bei einem Entrance-Block oder wie bei einem Oversensing auf.
EKG-Diagnostik
Maßnahmen 1. Wenn möglich und erforderlich: Störquelle beseitigen bzw. den Patienten aus dem Magnetfeld bringen (meist erfolgreich). 2. Bei Entrance-Block oder Oversensing s. auch dort beschriebene Maßnahmen.
4.8 · Herzschrittmacher / ICD
157
4
Implantierter Defibrillator (A)ICD steht für (automatischer) implantierter Cardioverter/ Defibrillator Bestimmte Patienten mit hohem Risiko für plötzlich auftretendes Kammerflimmern und/oder gefährliche Kammertachykardien (z. B. Zustand nach erfolgreicher Reanimation bei Kreislaufstillstand durch Kammerflimmern, auch asymptomatische – meist junge – Patienten mit Brugada-Syndrom oder angeborenem Long-QTSyndrom) werden prophylaktisch mit einem implantierten Defibrillator versorgt, der ständig die Herzfunktion des Patienten überwacht und gefährliche Herzrhythmusstörungen mit einem vorprogrammierten Elektroschock beendet (Defibrillation/Kardioversion). Da der Elektroschock extrem schnell nach Einsetzen der Herzrhythmusstörung erfolgt, ist er fast immer erfolgreich. ICD sind meist eine Kombination von SM mit einer antitachykarden SM-Funktion durch Kardioversion bzw. Defibrillation bei Kammerflimmern und -tachykardie. Bei Kammertachykardien erfolgt häufig nicht eine einzelne Elektrostimulation, sondern es wird eine so genannte antitachykarde Überstimulation (OverdrivePacing) angewendet (eine Serie von Stimulationen mit hoher Frequenz, z. B. 200/ min). Auch bei Patienten mit wiederholt auftretenden Tachykardien, die weder durch Medikamente noch durch antiarrhythmische Operationen oder Katheterablation (= Koagulieren rhythmusinduzierenden Herzmuskelgewebes mittels eines eingeführten Herzkatheters) behandelbar sind, werden ICD eingesetzt.
EKG-Beispiel Nach erfolgloser Überstimulation mit 7 Burst-Stimuli wird die Kammertachykardie durch eine automatische intrakardiale De.brillation mit 20 J beendet. Im anschließenden Sinusrhythmus ist eine QT-Verlängerung nachweisbar. Charakteristik Im EKG-Bild ist erkennbar, wie der ICD bei einem Kammerflimmern automatisch einen Elektroschock abgibt und sich danach ein regelmäßiger Herzrhythmus mit schmalen Kammerkomplexen einstellt (erfolgreiche Defibrillation). Selbst bei Kammerflimmern ist der Patient i. d. R. noch nicht bewusstlos, wenn der ICD defibrilliert, sodass der Patient die Elektroschocks des ICD meist als schmerzhaft empfindet. Da das Ereignis selten vorhersehbar ist, wird es meistens nicht in einem MonitorEKG des RD erfasst (Aufzeichnung mit Ereignisrekorder des Pat. mgl., s. nächste Seite). Die ständige Überwachung des ICD bei normalem EKG-Rhythmus kann man im EKG nicht erkennen. Bei Defibrillation/Kardioversion empfindet der Pat. häufig einen kurzzen Schmerz. Je nach Herzrhythmusstörung können auch Schwindel oder Synkopen auftreten; bei Fehlfunktion Herz-Kreislaufstillstand möglich.
158
Kapitel 4 · EKG-Diagnostik
Notfälle bei ICD-Patienten I Zustand nach korrekter ICD-Auslösung Wird der Notarzt, z. B. von Augenzeugen, wegen einer (korrekten) ICD-Auslösung gerufen, ist nicht unbedingt ein Klinik-Transport nötig, sofern • der Patient bei Eintreffen des RD stabil/asymptomatisch ist, • evtl. frühere, erfolgreiche Defibrillationen bekannt sind und • der Patient keinen Transport wünscht (i. d. R. ist der Patient gut aufgeklärt) In diesem Fall sollte aber in jedem Fall der ICD-Pass eingesehen werden und möglichst mit dem betreuenden kardiologischen Zentrum Rücksprache gehalten werden (i. d. R. Notfallrufnummer im ICD-Pass). Ggf. den Patient nach vereinbarten Absprachen für den Fall einer erfolgreichen Defibrillation fragen.
Notfall: Gehäufte ICD-Defibrillationen
EKG-Diagnostik
Kommt es zu gehäuften ICD-Defibrillationen (z. B. > 1/15 min; > 4/1 h; > 7/24 h), ist ein aktuelles Herzproblem mit entsprechenden Herzrhythmusstörungen des Patienten in Betracht zu ziehen! Eine andere Erklärung sind inadäquate Elektroschocks durch Fehlfunktionen (z.B. Fehlinterpretation von Störimpulsen, s. nächste Seite). Maßnahmen: • Monitoring, Basismaßnahmen • Untersuchung (Ursachensuche), Standardtherapie • ggf. Analgosedierung (Angst und Schmerz durch weitere Defibrillationen) • ggf. Therapie der Ursache (Infarkt, Herzinsuffizienz, ventrikuläre Herzrhythmusstörungen, Volumenmangel usw.) • Klinikeinweisung Bei anhaltenden antitachykarden Stimulationen Evtl. Anlegen externer Defibrillationselektroden und Stilllegen des ICD durch Magnetauflage (um einer vorzeitigen Batterieerschöpfung vorzubeugen). Bei den meisten ICD führt die Auflage eines speziellen, medizinischen SM-Magneten (Stab- oder Ringmagnet, Feldstärke um 5–10 mT) auf die Haut über dem ICDAggregat zu einer Abschaltung der Antitachykardie- und Defibrillationsfunktion und das Entfernen des Magneten bewirkt die Reaktivierung (Fixieren des Magneten auf der Haut, wenn längere Stilllegung erwünscht). Bei wenigen älteren ICD führt die Magnetauflage über etwa 30 s zu einer dauerhaften Deaktivierung (pulssynchroner Piepton bei Auf lage, Dauerpiepton bei erfolgter Deaktivierung), sodass der Magnet anschließend entfernt werden kann; die Reaktivierung muss entweder durch erneute Magnetauflage oder mittels Programmiergerät in der Klinik erfolgen.
4.8 · Herzschrittmacher / ICD
159
4
Notfälle bei ICD-Patienten II Ereignisrekorder Viele ICD-Patienten (und übrigens auch bestimmte andere Patienten, z. B. zur Synkopenabklärung, wenn ein Langzeit-EKG erfolglos war) erhalten einen Ereignisrekorder (Loop Recorder, LR) der ein Oberflächen-EKG ableiten kann oder bekommen einen Ereignisrekorder implantiert (Implanted Loop Recorder, ILR) unter die Haut gesetzt, der mit einem externen Aktivierungsgerät gestartet werden muss. Der Patient aktiviert den LR/ILR mit Knopfdruck, wenn er Beschwerden hat, sodass in der Klinik eine genaue Analyse der Arrhythmien zu diesem Zeitpunkt vorgenommen werden kann. Der LR speichert bei Aktivierung z.T. auch das EKG von mehr als 30 min vor Aktivierung ab. Wenn bei Eintreffen des RD noch keine Aktivierung vorgenommen wurde (z. B. Vergessen oder Bewusstlosigkeit des Pat.), sollte das RD-Personal dies nachholen.
Notfall: Geräteversagen/ICD-Fehlfunktion a) Der ICD gibt unangemessen Elektroschocks ab, z. B. bei physiologischer supraventrikulärer Tachykardie infolge von Fieber, Volumenmangel oder durch externe Störimpulse, die dem ICD Kammerflimmern/Tachykardien vortäuschen b) Der ICD reagiert nicht oder nicht erfolgreich auf eine bedrohliche Herzrhythmusstörung (z. B. wegen Kammertachykardie unterhalb der programmierten Wahrnehmungsschwelle, Sondendislokation oder Batterieerschöpfung) Maßnahmen: • Basischeck, Basismaßnahmen (es besteht keine Gefahr für Helfer durch Elektroschocks des ICD, auch wenn evtl. ein leichtes Hautkribbeln bei ICD-Schockauslösung empfunden wird) • Untersuchung (Ursachensuche), Standardtherapie • Therapie von Herzrhythmusstörungen (insbesondere wiederkehrende Kammertachykardien) bei symptomatischen Patienten; ggf. Therapie der Ursache (z. B. Ausgleich eines Volumenmangels) • ggf. medikamentöse Frequenzsenkung unter die Wahrnehmungsschwelle des ICD (z. B. Betablocker, Amiodaron) • ggf. bei erfolglosen oder unangemessenen Elektroschocks den ICD durch Auflage eines SM-Magneten deaktivieren (s. vorangehende Seite) und bei den üblichen Indikationen (z. B. Kammerflimmern) eine externe Defibrillation bzw. Kardioversion mit den Standardenergiedosen durchführen.
160
Kapitel 4 · EKG-Diagnostik
12-Kanal-EKG I
EKG-Diagnostik
Zur Differenzialdiagnose der Herzrhythmusstörungen (z. B. Herz-Kreislaufstillstand, Bradykardien, Tachykardien) reichen in der Regel die Standardableitungen I, II und III nach Einthoven (evtl. nur Monitor) aus. Selbst der Lagetyp kann grob abgeschätzt werden. Um im EKG Zeichen für Herzinfarkt, Myokardhypertrophien, spezielle Leitungsstörungen (z. B. Schenkelblöcke) und Wirkung von Medikamenten bzw. Giften wahrnehmen zu können, benötigt man 1. zusätzliche Ableitungen (aVR - aVF, V1 - V6, ggf. auch V7 - V9, DAI etc.) 2. gute Auflösung bei hoher Vorschubgeschwindigkeit (Beachte: EKG-Filter) 3. Störungsfreiheit (Stromquellen, korrekte Ableitungstechnik etc.) Da die hier angesprochenen Zeichen primär als Formveränderungen merkbar werden, ist die Kenntnis der normalen EKG-Kurvenformen notwendig; als Beispiel einzelne EKG-Zyklen in den wichtigsten Ableitungen eines Patienten mit normalem Lagetyp:
I
aVR
V1
V4
V7
II
aVL
V2
V5
V8
III
aVF
V3
V6
V9
Da die Form des EKG-Zyklus z. T. von der Musterableitung II abweicht, sind bei der Benennung der QRS-Komplexe folgende Regeln zu beachten: 1. Jeder nach oben gerichtete Ausschlag heißt R. 2. Treten mehrere positive Ausschläge auf, so heißt der erste R und der zweite R. 3. Der erste negative Ausschlag nach einer P-Welle heißt Q. 4. Jeder negative Ausschlag nach einem R heißt S. 5. Kleine Ausschläge (< 0,5 mV) werden mit kleinem, große mit großem Buchstaben bezeichnet. 6. Ein nur negativer Ausschlag wird als QS-Komplex bezeichnet. Beispiel für die Anwendung der Regeln in verschiedenen Zyklen:
1
q
2
R
P
T
s
3
R
P
T
q s
4
r R’
P
T
S
5
r
P
T
Q
P
T
QS
4.9 · 12-Kanal-EKG
4
161
12-Kanal-EKG II Anhand der folgenden Beispiele werden Möglichkeiten der EKG-Diagnostik über die Rhythmusanalyse hinaus aufgezeigt. Zur korrekten Interpretation (Beachte: Differenzialdiagnosen! - Fehldeutungen möglich) sind umfangreiche und spezielle Kenntnisse erforderlich.
1. Infarktzeichen s. folgende Seiten • Die Infarkt-Zeichen sind in den Ableitungen nach Einthoven (I, II, III) und bei schlechter Auflösung der EKG-Monitore oft nicht nachweisbar. • Schenkelblöcke und Herzschrittmacher können eine EKG-Infarktdiagnostik erschweren bis unmöglich machen (vgl. S. 150).
2. Blockbilder Durch eine Leitungsverzögerung in einem oder beiden Tawara-Schenkeln (z. B. durch Hypoxie) werden die Kammern nicht synchron erregt, sodass es zu einer Verbreiterung des QRS-Komplexes kommt (> 0,12s). Ferner können zwei R-Zakken auftreten, bei Rechtsschenkel-Block (RSB) typischerweise in V1 und V2 (rechtspräkordial), bei Linksschenkel-Block (LSB) typischerweise in V5 und V6 (linkspräkordial). Der linke Schenkel, der sich in einen anterioren und einen posterioren Faszikel teilt, kann auch nur teilweise in seiner Funktion gestört sein (sogenannter Hemiblock). Bildbeispiele: RSB V1
RSB V2
LSB V5
LSB V6
3. Hypertrophie-Zeichen/Belastungszeichen Hypertrophie äußert sich in einer Verstärkung des entsprechenden EKG-Ausschlages, z. T. mit Formveränderungen (vor allem V1). Vereinfachte Übersicht verschiedener Hypertrophie-Zeichen: Vorhof, rechts: Biphasische P-Welle in V1 und / oder V2 mit initialer Überhöhung (P dextroatriale): Außerdem: P in II, III und aVF > 0,25 mV Vorhof, links: Biphasische P-Welle in V1 und / oder V2 mit terminaler Überhohung (P sinistroatriale): P in I, II und aVF breit und doppelgipflig Kammer, rechts: Große R-Zacke in V1. Kammer, links: tiefe S-Zacke in V1, hohe R-Zacke in V5 Bei kombinierten Hypertrophien sind die entsprechenden Zeichen ebenfalls kombiniert.
162
Kapitel 4 · EKG-Diagnostik
Myokardinfarkt-EKG I
EKG-Diagnostik
Das 12-Kanal-EKG stellt beim Myokardinfarkt (s. S. 214 ff.) ein wichtiges diagnostisches Mittel schon während der rettungsdienstlichen Versorgung dar; es ermöglicht einen für den Patienten u. U. lebensrettenden Zeitgewinn durch • zielgerichtetes Vorgehen von RA und NA, • Auswahl einer geeigneten Klinik (im Idealfall: Herzkatheterlabor), • präzise Vorinformation der Klinik: Transportzeit für Vorbereitungen nutzen; Verkürzung des Zeitintervalles bis zur PTCA bzw. Lyse (➯ anzustrebende doorto-needle-time < 20 min!), • Indikationsstellung zur präklinschen Lyse, s. S. 214 ff.! Die drei wichtigsten Zeichen für hypoxische Prozesse am Herzmuskel sind: • Veränderung der T-Welle (negatives/überhöhtes „Erstickungs-T“) ➯ Ischämie • Veränderung der ST-Strecke (Hebung) ➯ Läsion (ggf. frischer Infarkt) • Veränderung der Q-Zacke (Verbreiterung und Vertiefung) ➯ Infarkt Die Zeichen bilden sich in den Ableitungen aus, in der die positive Elektrode der betroffenen Herzregion am nächsten liegt (bei umgekehrter Polung: Spiegelbild, z. B. statt ST-Hebung ➯ ST-Senkung); dadurch wird der Infarkt unter Kenntnis der Herz-Anatomie bereits im EKG grob lokalisierbar: Herzwand
Bereich
Regel-Versorgung
EKG-Ableitung
Vorderwand
Spitze; anteroapikal
A. coronaria sinistra, R. interventricularis ant.
(V3),V4,V5,(V6) I, aVL
Vorderwand
Scheidewand; anteroseptal / supraapikal
A. coronaria sinistra, R. interventricularis ant.
(V1), V2, V3
Seitenwand
lateral
A. coronaria sinistra, R. circumflexus
(V4), V5, V6, I, (II), (III), aVL
Hinterwand
inferolateral
A. coronaria dextra / A. coronaria sinistra, R. circumflexus
V4, V5, (V6), (II), (III), (aVF)
Hinterwand
posteroinferior/ A. coronaria dextra, II, III, aVF, diaphragmal R. interventricularis post. (V3), (V4)
Hinterwand
posterior/ posterobasal
A. coronaria sinistra, R. circumflexus
(III), aVF Spiegel: V1 - V3
Hinterwand
posterolateral
A. coronaria sinistra, R. circumflexus
V4, V5, V6 II, III, aVF
Beim Vorderwand-Infarkt finden sich auch gelegentlich ST-Senkungen in II, III und aVF. ST-Senkungen können auch Hinweis auf Myokardischämien sein.
4.10 · EKG bei Myokardinfarkt
163
4
Myokardinfarkt-EKG II
Frühstadium mit Erstickungs-T Charakteristik: im Frühstadium findet man ein großes, positives, spitzes, deutlich überhöhtes T, bezeichnet als Erstickungs-T (Zeichen für den Sauerstoffmangel am Herzmuskel).
Stadium I (akutes Stadium) mit ST-Hebung Charakteristik: Hebung der ST-Strecke bei akutem (frischem) Herzinfarkt (> 0,1 mV in Extremitätenbzw. > 0,2 mV in Brustwandableitungen; jeweils in mind. zwei benachbarten Ableitungen)
Stadium II (Folgestadium) mit ST-Hebung, großem Q und spitznegativem T Charakteristik: weiterhin Hebung der ST-Strecke (evtl. Rückbildung), tiefe Q-Zacke (breiter als 0,04 s /höher als 1/4 der R-Zacke, nicht in aVR !), spitznegatives T, normalerweise 2 - 3 Wochen nach dem Herzinfarkt (Achtung: bei ST-Hebung über einen Zeitraum von mehr als 6 Wochen an ein Aneurysma denken !)
Stadium III (Endstadium) mit isoelektrischer ST-Strecke und großem Q (T anfangs negativ) Charakteristik: isoelektrische ST-Strecke (keine Hebung mehr), R-Zacke wieder normal groß, pathologische Q-Zacke (großes Q), (gelegentlich noch negatives T, meist aber wieder normal positiv), ab 3.- 5. Monat nach dem Ereignis, Zeichen für Infarktnarbe (Narbenstadium)
Cave: Bei den meisten der herkömmlichen EKG-Geräte zur Notfallableitung mit Dreipolkabel (nicht 12-Kanal-EKG) werden die EKG-Kurven durch spezielle Filter optimiert; diese vorgeschalteten EKG-Filter können unter anderem die ST-Strecken verändern. Eine Infarktdiagnostik ist mit diesen Geräten daher nicht möglich (bzw. nicht verwertbar), es sei denn, dass über Veränderung dieser Filter ein sogenannter „diagnostischer Modus“ aktiviert werden kann. Bedienungsanleitung beachten!
164
Kapitel 4 · EKG-Diagnostik
Lagetypen des Herzens / elektrische Herzachse Cabrera-Kreis -90° ÜLT
-150° aVR
-30° aVL LT ±0° I LT
ÜRT IT RT +120° III
+30° -aVR
ST +60° II
+90° aVF
EKG-Diagnostik
Bedeutung der Lagetypen des Herzens - elektrische Herzachse Lagetyp
Einthoven-Ableitung
Mögliche Ursachen
Überdrehter Linkstyp (ÜLT)
I > II und größter Ausschlag KHK, Herzklappenin II negativ veränderungen mit Linksherzhypertrophie
Linkstyp (LT)
I > II (wenn größter Ausschlag in II negativ ⇒ überdrehter Linkstyp)
Linksherzbelastung (z. B. Hypertonus), Adipositas, Alter > 45 Jahre
Indifferenztyp (IT)
II > I > III
normal
Steiltyp (ST)
II > III > I
normal bei Jugendl., (bei Älteren, bei denen mit Linkstyp gerechnet wird, evtl. Hinweis auf Rechtsherzbelastung)
Rechtstyp (RT)
III > II (wenn in I keine R-Zacke ⇒ überdrehter Rechtstyp)
normal bei Kindern, Erw.: Cor pulmonale, Rechtsherzbelastung
Überdrehter Rechtstyp III > II und in I (ÜRT) keine R-Zacke
Sagittaltyp
SI-SII-SIII-Typ SI-QIII-Typ
immer pathologisch; Rechtsher zhypertrophie bei Herzfehler, Adipositas, Cor pulmonale, Lungenembolie Rechtsherzbelastung; Jugendliche
Kapitelübersicht
165
5
Herz-Kreislaufstillstand 5.1 Algorithmus Basic Life Support (BLS) ....................... 166 5.2 Algorithmus Advanced Life Support (ALS) ................ 167 5.3 Erläuterungen zum BLS-Algorithmus ........................ 168 5.4 Erläuterungen zum ALS-Algorithmus ........................ 170 5.5 Kardiopulmonale Reanimation (CPR) ........................ 174 Kardiopulmonale Reanimation allgemein ... 174 Defibrillation ................................................... 177 Medikamente ................................................. 180 Postreanimationsphase ................................ 181 Alternative Reanimationsverfahren ............. 183
5.6 Ethische Aspekte ......................................................... 184
Zur EKG-Differenzialdiagnose des Herz-Kreislaufstillstandes s. S. 124 ff. Zur Reanimation bei Kindern s. S. 329 ff.
Aussagen zur CPR in diesem Werk stützen sich überwiegend auf folgende Quellen: ILCOR:
ERC:
International Consensus on CPR and ECC Science with treatment recommendations; Resuscitation 67 (2005) 1.e1 – 1.e30 und 157 – 341 European Resuscitation Council Guidelines for Resuscitation 2005; Resuscitation 67 (2005) (Suppl. 1) S1 – S189
Die aktuellen Empfehlungen zur Wiederbelebung sind abrufbar unter www.erc.edu
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168
Kapitel 5 · Herz-Kreislaufstillstand
Erläuterungen zum Algorithmus Basismaßnahmen (BLS) I Ansprechbarkeit 1. Laut fragen: „Geht es Ihnen gut?“/„Sind Sie in Ordnung?“ 2. Den Betroffenen vorsichtig an den Schultern rütteln. Atemwege freimachen Kopf überstrecken, ggf. Esmarch-Handgriff Atemkontrolle - „normale Atmung“? (max. 10 s) • Sehen (Thoraxbewegungen?) • Hören (Atemgeräusche am Mund des Betroffenen?) • Fühlen (Luftbewegung an der Wange des Helfers?) Laien beginnen nach Feststellung der Bewusstlosigkeit und fehlender normaler Atmung mit der Reanimation. Professionelle Helfer dürfen parallel zur Atemkontrolle ergänzend eine Karotispulskontrolle durchführen. Dies darf den Beginn der Reanimation aber nicht verzögern! Das maximale Zeitfenster für die Kontrolle von Atmung und Kreislauf zusammen darf 10 s nicht überschreiten!
Herz-Kreislaufstillstand
Notrufzeitpunkt Die meisten Erwachsenen, die bewusstlos sind und keine „normale Atmung“ aufweisen, haben ein Herzproblem mit Kammerflimmern. Die Prognose für diese Patienten hängt von der sofortigen Rettungsdienst-Alarmierung ab: sofortiger Notruf = „call first“. Bei Kindern (eher Atemproblem) sollen zuerst 5 Beatmungen und dann ggf. für 1 min weitere lebensrettende Maßnahmen (Thoraxkompressionen und Beatmung s. u.) durchgeführt werden, bevor der Notruf abgesetzt wird = „call fast“. Das Gleiche gilt beim Erwachsenen für „Ertrinken“ (5 Beatmungen, anschließend 1 min. Wiederbelebung, dann Notruf). Allerdings soll dies nur Helfern beigebracht werden, die speziell für die Rettung Ertrinkender ausgebildet werden. Trauma und Vergiftungen sind im Gegensatz zu Ertrinkungsunfällen für den Laien schwer zu erkennen und sollen deshalb nach dem Standardvorgehen („call first“) behandelt werden. CPR (kardiopulmonale Reanimation) Direkt nach Feststellen „keine normalen Atmung“/ kein Karotispuls (bzw. nach Rückkehr vom Notruf) werden 30 Thoraxkompressionen durchgeführt (ohne vorherige Beatmung, da initial noch genug Sauerstoff in der Lunge ist). Technik der Thoraxkompressionen • An der Seite des Betroffenen knien • Druckpunkt: „Setze einen Handballen auf den Mittelpunkt des Brustkorbes des Patienten“ (neue, einfachere und schneller umsetzbare Regelung für Laien und Fachpersonal). Ziel: Druckpunkt auf unterer Sternumhälfte. • Den Ballen der zweiten Hand auf den Rücken der ersten Hand setzen. • Die Finger beider Hände sind zu verschränken. Es soll beachtet werden, dass Druck weder auf die Rippen, noch auf den Oberbauch oder das untere Brustbeinende ausgeübt wird.
5.3 · Erläuterungen BLS
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Erläuterungen zum Algorithmus Basismaßnahmen (BLS) II • Schultern und durchgedrückte Arme des Helfers sollten eine gerade, senkrechte Linie zum Boden bzw. zum Brustkorb des Patienten bilden. • Sternum bei jeder Thoraxkompression unbedingt 4–5 cm tief eindrücken. • Nach jeder Kompression ist der Druck vom Brustkorb zu nehmen (komplette Entlastung), ohne jedoch den Kontakt zwischen Hand und Brustwand zu lösen. • Frequenz der Thoraxkompressionen: 100/min (bei Unterbrechungen, z. B. durch Beatmung, werden weniger als 100 Kompressionen pro Minute erreicht, auch wenn die Kompressionsfrequenz korrekt bei 100/min liegt. • Kompression und Entlastung sollen gleich lang dauern. • Unterbrechungen der Thoraxkompressionen auf ein Minimum reduzieren! • Es soll keine Karotis- oder Femoralispulskontrolle zur Effektivitätsbeurteilung durchgeführt werden. Beatmungen Nach 30 Thoraxkompressionen werden 2 Beatmungen durchgeführt: • Mund-zu-Mund-Beatmung (Laie, bzw. wenn keine Hilfsmittel verfügbar sind); Mund-zu-Nase-Beatmung kann in speziellen Fällen als Alternative erwogen werden (schwere Mundverletzung, Mundöffnung erschwert, Beatmung im Wasser, Schwierigkeit ausreichender Abdichtung bei der Mund-zu-MundBeatmung); ggf. Mund-zu-Tracheostoma-Beatmung. Wegen Gefahr der Hyperventilation für den Helfer wird kein tiefes Einatmen (früher vor jeder Beatmung) mehr empfohlen! • Die Beatmung mit Maske und Beatmungsbeutel setzt Erfahrung und Training voraus und wird für Ersthelfer nur in einem besonderen Umfeld (z.B. Zyanid- oder Organophosphat-Vergiftung) empfohlen. Für das medizinische Fachpersonal ist die Beatmung mit Maske und Beutel nach wie vor Mittel der Wahl. • Atemhub über 1 Sekunde abgeben; Ziel: Heben des Brustkorbs • Wenn die erste Beatmung nicht gelingt, also kein normales Heben des Brustkorbes bewirkt, ist vor der zweiten Beatmung eine Mundraumkontrolle durchzuführen und jegliche Verlegung zu beseitigen. Wenn die zweite Beatmung ebenfalls nicht gelingt wird kein dritter Beatmungsversuch unternommen! Ohne Zeitverzug werden nach der zweiten Beatmung (bzw. nach dem zweiten Beatmungsversuch) in jedem Fall erneut 30 Thoraxkompressionen durchgeführt. Bei Atemwegsverlegung s. S. 204 f. Verhältnis Thoraxkompressionen zu Beatmung Thoraxkompressionen und Beatmungen erfolgen, bis der Atemweg gesichert ist, immer im Verhältnis 30 : 2. Unter den verschiedenen an tierexperimentellen und mathematischen Modellen getesteten Verhältnissen scheint 30 : 2 den besten Kompromiss zwischen Blutfluss und Sauerstoffangebot darzustellen. Wenn mehr als ein Helfer zur Verfügung stehen, sollte der reanimierende Hel fer alle 1 bis 2 min – möglichst ohne Verzögerung oder Unterbrechung der Maßnahmen ausgewechselt werden, um Erschöpfung und damit Effektivitätsverlust der Thoraxkompressionen vorzubeugen. Helferwechsel alle 2 min!
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Kapitel 5 · Herz-Kreislaufstillstand
Erläuterungen zum ALS-Algorithmus II Auch im ALS-Algorithmus haben einfache lebensrettende Maßnahmen und Defibrillation Priorität. Es sind frühestmöglich und möglichst ununterbrochen Thoraxkompressionen und Beatmungen (Verhältnis 30 : 2) durchzuführen, bis ein Defibrillator angelegt ist. Dann und nach jeweils 2 Minuten CPR wird die CPR so kurz wie möglich für die Herzrhythmusanalyse und ggf. einen Elektroschock unterbrochen. Nur für die Basismaßnahmen (Thoraxkompresionen/Beatmung) und Defibrillation ist eine Steigerung von Überlebensraten und Lebensqualität unzweifelhaft nachgewiesen. Maßnahmen zur Atemwegssicherung und pharmakologische Strategien konnten derartige Effekte bislang nicht aufzeigen. Daher müssen sich alle anderen Maßnahmen diesem Rahmenschema aus effektiver kontinuierlicher CPR, frühestmöglicher Rhythmusanalyse und Defibrillation bei VF/pulsloser VT unterordnen. Präkordialer Faustschlag Nicht mehr explizit zu Beginn des Algorithmus; kann aber im Fall eines beobachteten Kollapses und gesichertem Herz-Kreislaufstillstand erwogen werden, wenn kein Defibrillator unmittelbar verfügbar ist (einmal kräftig mit der Handkante einer Faust aus etwa 20 cm Höhe auf die untere Sternumhälfte schlagen); ein präkordialer Faustschlag kann eine VT in einen Sinusrhythmus konvertieren; bei VF ist er dagegen selten erfolgreich (berichtete erfolgreiche Anwendungen wurden alle innerhalb von 10 s nach Beginn VF erzielt). In Einzelfällen kann ein präkordialer Faustschlag einen Herz-Kreislaufstillstand auslösen.
Herz-Kreislaufstillstand
Zeitpunkt Rhythmusanalyse/Defibrillation • Bessere Überlebensraten bei CPR vor Defibrillation (Wik et al, JAMA 2003) • Auf jeden Fall CPR 30 : 2 bis Defibrillator angeschlossen und bereit • Bei Eintreffzeiten > 5 min: CPR 30 : 2 für zwei Minuten (5 Zyklen) vor der ersten Rhythmusanalyse/Defibrillation • Im Rettungsdienst: keine Einzelfallentscheidung von Fall zu Fall, sondern grundsätzliche Festlegung des Vorgehens (< 5 min Eintreffzeit: CPR bis Defibrillator fertig / > 5 min: volle 2 min CPR) einheitlich für den gesamten Einsatzbereich durch ärztlichen Leiter (basierend auf den typischen Eintreffzeiten).
Rhythmusanalyse/Defibrillation (s.a.S. 177!) Im Falle von Kammerflimmern (VF) oder pulsloser Kammertachykardie (VT) sofortige Defibrillation: 1 Schock (keine Serie von 3 Schocks mehr) Energie erster Schock: 150 – 200 J biphasisch oder 360 J monophasisch Energie weitere Schocks: 150 – 360 J biphasisch oder 360 J monophasisch Nach dem Schock sofort mit Thoraxkompressionen fortfahren (keine Kontrolle von EKG, Puls, Atmung o. ä.): 2 min CPR (30 : 2). Dann erneute Rhythmusanalyse (eine direkte Wiederkehr des Kreislaufes ist unwahrscheinlich und entsprechende Kontrollen würden nur die Zeit ohne O2-Versorgung verlängern.)
5.4 · Erläuterungen ALS
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Erläuterungen zum ALS-Algorithmus II Ergibt die Rhythmusanalyse eine pulslose elektrische Aktivität (PEA) oder Asystolie, dann ist keine Defibrillation indiziert. Sofort mit CPR (30 : 2) fortfahren. Nach 2 min erneute Rhythmusanalyse. Cross-Check/feines Kammerflimmern Um Unterbrechungen der Basisreanimation zu vermeiden, ist die früher verlangte Verifikation der Asystolie (Suche von feinem Kammerflimmern) durch Cross-Check und Amplitudenkontrolle abgeschafft worden: feines, schwer zu erkennendes Kammerflimmern hat sich als kaum defibrillierbar erwiesen. Fortgesetzte CPR kann Amplitude und Frequenz des Kammerflimmerns verbessern und die Defibrillationswahrscheinlichkeit erhöhen. Feines Kammerflimmern zu „übersehen“, schadet also nicht.
Zweiter Durchlauf/Weitere Durchläufe des ALS-Algorithmus Nach jeweils 2 Minuten CPR (30 : 2) kurze Prüfung des EKG-Rhythmus: a) VF/VT: Defibrillationsversuch mit einem Schock: b) Asystolie oder keine Rhythmusänderung im Vergleich zur letzten Rhythmusanalyse: sofort CPR (keine Pulskontrolle) c) Organisierter Rhythmus: Puls? (kein Puls/Unsicherheit: sofort CPR!) Treten während der CPR Lebenszeichen auf (normale Atmung, Husten, Bewegungen): Rhythmusanalyse und Pulskontrolle. Ansonsten soll die CPR nicht unterbrochen werden.
Vorgehen für initial bestehende und anhaltende VF/VT 1. Rhythmus-Analyse (ergibt VF/VT) 1. Defibrillationsversuch (150 – 200 J biph. oder 360 J monoph.) 2 Minuten CPR (30 : 2) – währenddessen venösen Zugang legen 2. Rhythmus-Analyse (weiter VF/VT) 2. Defibrillationsversuch (150 – 360 J biph. oder 360 J monoph.) 2 Minuten CPR (30 : 2) – währenddessen Adrenalin vorbereiten 3. Rhythmus-Analyse wenn VF/VT: Adrenalingabe (direkt vor oder nach dem 3. Schock) 3. Defibrillationsversuch (150 – 360 J biph. oder 360 J monoph.) 2 Minuten CPR (30 : 2) – währenddessen Amiodaron vorbereiten 4. Rhythmus-Analyse wenn VF/VT: 300 mg Amiodaron i. v. (direkt vor oder nach 4. Schock) 4. Defibrillationsversuch (150 – 360 J biph. oder 360 J monoph.) Kommentar siehe nächste Seite!
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Kapitel 5 · Herz-Kreislaufstillstand
Erläuterungen zum ALS-Algorithmus III Kommentar VF/VT Das ERC propagiert eine Analyse-Medikament-Schock-CPR-Analyse-Sequenz, wobei die Unterbrechung der CPR für Analyse, Medikamentengabe und Schock so kurz wie möglich zu halten ist. Sinn dieser Reihenfolge ist die Kreislaufverteilung (und Wirkung) des Medikamentes in der CPR-Phase nach dem Schock. Insofern wäre auch eine Medikamentengabe direkt nach Defibrillation denkbar, da eine Medikamentengabe zwischen Analyse und Schock zu Problemen führen kann: Konflikt zwischen Schockabgabe und Medikamentenapplikation Sicherheitsprobleme oder Verlängerung der CPR-Pause.
Vorgehen initial bestehende und anhaltende Asystolie/PEA 1. Rhythmus-Analyse (ergibt Asystolie/PEA) 2 Minuten CPR (30 : 2) – währenddessen: • Venösen Zugang sichern und Adrenalingabe (1 mg i. v.) • Wenn auf dem Monitor (unter CPR!) weiter Aystolie: Ableitung prüfen! • Atropingabe bei Asystolie oder PEA < 60/min: (3 mg einmalig i. v.) • Atemwegssicherung 2. Rhythmus-Analyse (weiter Asystolie/PEA) 2 Minuten CPR (30 : 2) wenn noch nicht geschehen: während dessen Atemwegssicherung 3. Rhythmus-Analyse (weiter Asystolie/PEA) 2 Minuten CPR (30 : 2) – währenddessen 2. Adrenalingabe (1 mg i. v.) 4. Rhythmus-Analyse (weiter Asystolie/PEA) 2 Minuten CPR (30 : 2)
Herz-Kreislaufstillstand
Sonderfall: Kammerasystolie mit P-Wellen Wenn bei der Rhythmuskontrolle eine Asystolie festgestellt wird, in der PWellen vorkommen, ist der Einsatz eines externen Herzschrittmachers erfolgversprechend und indiziert; nicht hingegen bei reiner Asystolie.
Potenziell reversible Ursachen Für einige Ursachen des Herz-Kreislaufstillstands gibt es kausale Therapieansätze, die in bestimmten Fällen evtl. die einzige Chance auf Rettung des Patienten darstellen. Daher sind diese Ursachen während jeder Reanimation frühestmöglich zu bedenken und systematisch auszuschließen. Dabei geht es vorrangig um eine gedankliche Abwägung von Wahrscheinlichkeiten und Risikofaktoren (Situation, Umgebung, Vorerkrankungen, Anamnese, Untersuchungsbefunde): • Hypoxie • Thorax - Spannungspneumothorax • Hypovolämie • Tamponade - Herzbeutel • Hypo-/Hyperkaliämie • Toxine (Vergiftungen) • Hypothermie • Thromboembolie (koronar oder pulmonal)
5.4 · Erläuterungen ALS
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Erläuterungen zum ALS-Algorithmus IV Reihenfolge und Prioritäten Die verschiedenen Reanimationsmaßnahmen unterscheiden sich in ihrem Einfluss auf die Prognose – sie sind daher folgendermaßen anzuordnen: Maßnahmen mit hoher (übergeordneter) Priorität: 1 a) Effektive ununterbrochene Thoraxkompressionen, (mit Beatmung im Verhältnis 30 : 2; Beatmung mit Sauerstoffzufuhr) 1 b) Effektive Defibrillation, wenn indiziert Maßnahmen mit niedriger (nachrangiger) Priorität: 2. Erkennen und Behandlung reversibler Ursachen (s. vorherige Seite) 3. Venenzugang und Adrenalingabe (möglichst i. v.) 4. Atemwegssicherung (wichtigstes Ziel der Atemwegssicherung: ununterbrochene Thoraxkompressionen ohne Pause zur Beatmung; die Durchführung der Atemwegssicherung selbst darf die Thoraxkompressionen aber nur für einzelne Sekunden unterbrechen) 5. Weitere Medikamente (erwäge: Amiodaron, Atropin, Magnesium)
Medikamentengabe - Applikationswege • Venöser Zugang: Ein bereits liegender zentralvenöser Zugang ist einem periphervenösen Zugang zur Medikamentengabe unter Reanimation vorzuziehen (höhere Plasmaspiegelmaxima und schnelleres Erreichen der Zielorgane). Die Anlage eines zentralvenösen Katheters unter Reanimationsbedingungen ist aber nicht empfohlen (Komplikationen, erforderliche CPRPause)! Die periphere Venenpunktion ist schneller, einfacher und sicherer. Nach Medikamentengabe über einen periphervenösen Zugang soll jeweils mit mindestens 20 ml Infusion nachgespült und die Extremität für 10 – 20 s hochgehalten werden (schnellere Einschwemmung). • Intraossärer Zugang: Wenn sich die Anlage eines periphervenösen Zuganges schwierig oder unmöglich gestaltet, ist – auch bei Erwachsenen – ein intraossärer Zugang als Alternative zu erwägen. Dabei sind geeignete Intraossärnadeln zu verwenden, keinesfalls Venenverweilkanülen. • Tracheale Applikation: Die tracheale Medikamentenapplikation (Adrenalin) ist nach den Leitlinien 2005 der intravenösen und intraossären Verabreichung nachgeordnet und ist nur indiziert, wenn letztere nicht möglich sind. Hintergrund sind nicht vorhersehbare Plasmaspiegel nach endotrachealer Gabe. Inwieweit der Notarzt bei bereits liegendem Tubus (endotracheale Applikationsoption, aber noch kein i.v.-Zugang) diesen zur Medikamentengabe nutzt oder erst eine verzögerte i.v.-Gabe durchführt, liegt in seinem Ermessen. Es soll die 3-fache Dosis der i. v.-Medikation appliziert werden. Für Adrenalin ist die Gabe von 3 mg ad 10 ml empfohlen. Bei der Verdünnung ist Aqua einer NaCl-Lösung vorzuziehen (bessere Resorption).
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Kapitel 5 · Herz-Kreislaufstillstand
Herz-Kreislaufstillstand / Kardiopulmonale Reanimation I Wiederbelebbarkeit verschiedener Organe (Widerstandsfähigkeit gegen Sauerstoffmangel = Hypoxietoleranz): • I. d. R. dauerhafte Schädigung des Gehirns bei einem HKS über mehr als 5 - 8 min. Diese Zeitspanne kann durch Auskühlung, Barbituratvergiftung u. a. m. verlängert sein (verminderter Sauerstoffverbrauch im Gewebe). Bei Überschreiten dieser Zeitspanne wird das Überleben bzw. die Lebensqualität limitiert. • Das Herzmuskelgewebe erholt sich meist nach einer fehlenden Sauerstoffversorgung über 20 - 25 min nicht mehr.
Verlauf des typischen Herz-Kreislaufstillstandes 1. Kammerflimmern - Aussetzen der Herztätigkeit ➯ sofortige Pulslosigkeit 2. Nach 10 - 20 Sekunden: Bewusstlosigkeit, evtl. Muskeltonusverlust 3. Nach 30 - 60 Sekunden: Atemstillstand (wenn nicht die Ursache) bzw. terminale Schnappatmung. Generalisierte Krämpfe möglich 4. Nach 60 - 90 Sekunden: Weite, lichtstarre, evtl. entrundete Pupillen Hinweis: Die Erweiterung bzw. Lichtstarre als Folge eines HKS ist behutsam zu deuten. Sie tritt oft erst Minuten danach auf, kann aber auch generell fehlen oder aus anderen Gründen (Medikamente wie Adrenalin, Augenerkrankungen u. a.) vorhanden sein. Bei effektiver Herstellung eines Minimalkreislaufes durch CPR können sich Pupillenweite und Lichtreaktion wieder verbessern, dies ist jedoch nicht obligat. Auch eine langsame Rückentwicklung im KH möglich. Bis zum Eintreten des Hirntodes (Absterben der Gehirnzellen durch Sauerstoffmangel) oder sogenannter sicherer Todeszeichen bezeichnet man diesen Zustand als klinischen Tod. Dieser ist u. U. reversibel.
Kontraindikationen für die CPR
Herz-Kreislaufstillstand
• Erforderlicher Eigenschutz ist nicht gewährleistet • Lebenszeichen/Karotispuls ist bei ausreichender Frequenz gut tastbar • Verletzungen des Patienten, die mit dem Leben nicht mehr vereinbar sind (z. B. Dekapitation) • Sichere Todeszeichen (Totenstarre, Verwesung usw.)
Unterlassung/Abbruch von Reanimationsmaßnahmen Die Unterlassung bzw. der Abbruch von Reanimationsmaßnahmen kann durch den Arzt - und nur durch diesen - weiterhin erwogen werden • nach ausreichend langen, ordnungsgemäß durchgeführten aber erfolglosen Reanimationsbemühungen (30 min; kein Kammerflimmern, bzw. keine VT zu diesem Zeitpunkt) • bei bekanntem unheilbarem Grundleiden im Endstadium • bei Hirntod (Feststellung in der Klinik)
5.5 · Kardiopulmonale Reanimation
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Kardiopulmonale Reanimation II Unterlassung/Abbruch von Reanimationsmaßnahmen (Fortsetzung) Hierzu können keine allgemein verbindlichen Richtlinien gegeben werden! In die Entscheidung der Unterlassung von Reanimationsmaßnahmen können auch die folgenden Punkte einfließen: • Dauer des Hypoxieintervalles Laienhilfe/BLS? Lange Anfahrtsdauer? Aber: Kollapszeitpunkt muss Zeitpunkt des Herz-Kreislaufstillstandes bedeuten!! Evtl. war noch einige Zeit ein (Minimal-) Kreislauf vorhanden. • Initialer Herzrhythmus bei Eintreffen des Rettungsdienstes VF hat eine bessere Prognose als Asystolie oder EMD. • In bestimmten Situationen sind längere Reanimationszeiten notwendig (z. B. bei Hypothermie), ggf. ist eine erfolgreiche Therapie in der Klinik möglich (dann unverzüglicher Transport unter Reanimationsbedingungen und mit Voranmeldung z. B. bei Schwangeren im letzten Trimenon). • Zu ethischen und juristischen Überlegungen vgl. S. 184.
Mögliche Komplikationen der CPR a) durch Thoraxkompressionen Brustbein- und Rippenfrakturen, Pneumo- und Hämatothorax, Leber- und Milzverletzungen, Schädigung der abdominellen Hohlorgane und Lungen b) Schädigungen durch andere CPR-Maßnahmen z.B. durch Venenpunktion (Paravasat, unerkannte arterielle Vasokonstriktorinjektion), Medikamentengabe (s. jeweils Nebenwirkungen und Toxizität), Intubation (s. S. 45 ff.), Defibrillation (s. S. 177 ff.)
Prognoseabschätzung bei Reanimation A. Rahmenbedingungen • Laienhilfe (effektive Laienhilfe verbessert die Prognose entscheidend) • Rettungskette und Rettungsdienstsystem (z. B. Frühdefibrillation ➯ bessere Langzeitaussicht; beste Prognose beim beobachteten HKS) • Reanimationsdauer ≠ ➯ Langzeitüberlebensrate Ø (Ausnahme Hypothermie!) B. Patientenbezogene Faktoren • Grund- und Begleiterkrankungen (schlechte Prognosen z.B. für Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen und schlechtem Allgemeinzustand) • Notfallgeschehen • Schlechte Prognose für Polytraumatisierte (Überlebensrate < 1 %) • Bessere Prognose bei Kammerflimmern als bei Asystolie (initialer Rhythmus)
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Kapitel 5 · Herz-Kreislaufstillstand
Kardiopulmonale Reanimation III Wirkung der Thoraxkompressionen • Kardialer Kompressions-Mechanismus “Auspressen” des Blutes aus den Herzkammern, vor allem durch die indirekt auf das Herz wirkenden thorakalen Druckverhältnisse, wobei die Ventilebene (Herzklappen) die Flussrichtung des Blutes bestimmt (die frühere Vorstellung des Auspressens zwischen Brustbein (Sternum) und Wirbelsäule = direktkardialer Kompressions-Mechanismus ist wie der Begriff “Herzdruckmassage” überholt). • Thorakaler Pump-Mechanismus Dabei wird während des Druckanstieges im Thorax (sauerstoffreiches) Blut aus den Lungenvenen durch das linke Herz in die Richtung der peripheren Gefäße gedrückt. (d. h. Lunge = Pumpkammer; Herz = Durchflussorgan, welches wegen des Ventilmechanismus diesen Vorgang allenfalls unterstützt.) Während der Entlastungsphase füllen sich die Lungengefäße wieder.
Herz-Kreislaufstillstand
Unterstützung der Thoraxkompressionen mit Hilfsmitteln: Versuche, die Thoraxkompressionen z. B. mit Schockhosen (MAST = military/ medical anti-schock trousers), direkter abdomineller Kompression oder aortaler Ballon-Gegenpulsation zu verbessern, zeigten zwar während der Reanimation z. B. höhere Perfusionsdrücke, jedoch konnte bisher noch keine Erhöhung der Überlebensrate nachgewiesen werden. Zur ACD-Technik s.u. Einflussfaktoren auf die Thoraxkompressionen • Störungen im Herz-Thorax-Bereich können eine Auswirkung auf den Wirkungsgrad der Thoraxkompressionen haben, z.B. Spannungspneumothorax (Störung der thorakalen Druckverhältnisse). Dies macht den Aufbau eines Minimalkreislaufes nicht unmöglich, kann ihn jedoch stark einschränken. ➯ ggf. Ursachenbehebung (z. B. Punktion eines Spannungspneumothorax). • Druck-Saug-Pumpe (ACD = active compression - decompression) Ziel der ACD-CPR ist es, auch die Dekompression (über die elastischen Kräfte des Brustkorbes hinaus) aktiv auszuführen und so den venösen Rückstrom (und damit auch Auswurfvolumen und Durchblutung) zu erhöhen. Untersuchungen mit derartigen Thorax-Saugglocken (z.B. Cardio-Pump®) haben dies bestätigt. Nachdem in mehreren Studien keine Steigerung der Überlebensraten durch ACD-CPR erreicht wurde, konnte in Paris die Langzeitüberlebensrate (1 Jahr) signifikant gesteigert (verdoppelt) werden. Die aktuelle Metaanalyse aller Studien zeigt jedoch keine Steigerung der Überlebensraten mit ACD-CPR im Vergleich zu Standard-CPR. Ein möglicher Einflussfaktor scheint ein gutes Training der Methode zu sein. Abgesehen von Hautschäden ist die Komplikationsrate bei ACD-CPR nicht höher als bei Standard-CPR.
5.5 · Kardiopulmonale Reanimation
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Kardiopulmonale Reanimation - Defibrillation I Indikation: Kammerflimmern (VF) und pulslose ventrikuläre Tachykardie.
Wirkung Zeitgleiche Erregung (Depolarisation) der unkoordiniert flimmernden Myokardzellen). Folge ist die gemeinsame Erregungsrückbildung (Repolarisation) aller Zellen und damit die Möglichkeit, dass nun die Zellen wieder unter Führung des Sinusknotens regelmäßig erregt werden können.
Defibrillations-Energie (s.S. 170) Bei biphasischen Geräten Herstellerangaben beachten! Ist die optimale Defibrillationsenergie für das jeweils benutzte biphasische Gerät nicht vom Hersteller angegeben bzw. dem Anwender nicht bekannt gilt: Erster Schock: 200 J. Zweiter und weitere Schocks: mindestens 200 J
Einflüsse auf den Defibrillationserfolg • Zunehmende Dauer des Kammerflimmerns ➯ Defibrillationserfolg Ø. • Stromwiderstand (Impedanz) des Thorax (unerwünschte Erhöhung, z. B. durch fehlendes Elektrodengel, Thorax in Inspirationsstellung - daher auf ausreichenden Anpressdruck der Paddles achten) • Stromenergie und Kurvenform (monophasisch - biphasisch) • Medikamente und Elektrolytverhältnisse
Sauerstoff und Defibrillation Bei Defibrillationsversuchen kann es zu kleinen Funken kommen. Bei sauerstoffangereicherter Atmosphäre können sonst kaum brennbare Materialien Feuer fangen und Verbrennungen bei Helfern und Patient verursachen: laufende Sauerstoffquellen (Masken, Nasensonde) vor Defibrillation mindestens 1 Meter vom Brustkorb des Patienten entfernen
Elektrodenposition Standard (anterior-apikal/„anterior-anterior“) • rechte Elektrode („Sternum“): rechts neben Sternum, unterhalb der Clavicula • linke Elektrode („Apex“): mittlere Axillarlinie auf Höhe der EKG-Elektrode V6 Alternativen • biaxillär (links Standard; rechts spiegelbildlich rechte Brustwand) • apikal-posterior (links Standard; rechts obere Rückenregion rechts oder links) • anterior-posterior (linke Elektrode vor dem linken Herzen, rechte Elektrode unterhalb der linken Scapula)
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Kapitel 5 · Herz-Kreislaufstillstand
Kardiopulmonale Reanimation - Defibrillation II Kein körperfremdes Material zwischen Paddles und Herz! • transdermale Medikamentensysteme entfernen (z. B. Nitropflaster) • schnelle Rasur der Elektrodenposition, wenn nötig • Mindestens 10 cm Abstand zu Aggregaten von permanenten Herzschrittmachern (SM) oder automatischen implantierten Defibrillatoren (AICD) halten (meist unterhalb einer Clavicula). Dafür ggf. eine der Alternativ-Elektroden positionen wählen (s. vorherige Seite).
Durchführung 1. 2. 3. 4. 5. 6.
EKG-Defibrillatoren-Einheit einschalten. Elektrodengel auf die Paddles oder auf die Elektrodenposition auftragen. Paddles anlegen; Anpressdruck ca. 10 kg ! Rhythmus-Diagnose (Indikation stellen: VF/ pVT). Energie einstellen. Aufladen. Schreiber ein. Sicherheitsabstand zum Patienten! Auf Sicherheitsabstand der Umstehenden achten (Rundumblick). Defibrillation ankündigen (Warnung) u. auslösen.
Defi-Klebeelektroden (Pads) oder Hand-Paddles? Grundsätzlich sind beide Formen akzeptable Alternativen. Defi-Klebeelektroden sind etwas schneller in der Anwendung und bieten dem Anwender höhere Sicherheit (Abstand). Sie sind daher die bevorzugte Alternative.
Leitmedium für Hand-Paddles verwenden Gel-Pads (selbsthaftende Auflage auf Wasserbasis) empfohlen (Verschmiertes Leitgel aus der Tube kann zwischen den Paddles Gelbrücken bilden, die zu gefährlichen Spannungsbögen und ineffektiver Defibrillation führen können.)
Herz-Kreislaufstillstand
Schäden durch die Defibrillation • Die Zellen des Herzmuskels können durch die Defibrillation geschädigt werden. Folge sind z. B. anschließende Herz-Rhythmus-Störungen, ST-Strecken-Veränderungen und fehlende elektrische Aktivität der erregungsbildenden Zellen. Die Schädigung der Herzmuskelzellen durch die Defibrillation ist u. a. abhängig von der Energie (Energie ≠ ➯ Schäden ≠) und von der verwendeten Stromkurven form (biphasische Kurven - geringere Schäden) • Verbrennung der Haut (zu wenig Elektrodengel) • Schäden an Dritten (z. B. bei Nässe; Umstehende mit Patientenkontakt)
Geräte zur Defibrillation Man unterscheidet entspr. ihrer Funktion verschiedene Typen von Defibrillatoren: • Manuelle Defibrillatoren: Rhythmusdiagnose, Aktivierung des Ladevorganges und Schockauslösung durch den Anwender. • Ähnlich wie z.B. beim Autofahren (Entwicklung von ABS statt Stotterbremse) gibt es auch hier automatische Systeme, die die Anwendung der Geräte verein-
5.5 · Kardiopulmonale Reanimation
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Kardiopulmonale Reanimation - Defibrillation III fachen sollen - sogenannte automatische Defibrillatoren. Untersuchungen aus den USA zeigen, dass Rettungsdienstpersonal mit automatischen Defibrillatoren schneller und zuverlässiger (weniger Fehlentscheidungen bei der Indikationsstellung - höhere Sensitivität und Spezifität) defibrilliert. Es werden halbautomatische (Rhythmusdiagnose und Aktivierung des Ladevorgangs durch das Gerät; Schockauslösung durch den Anwender) und vollautomatische Defibrillatoren (Rhythmusdiagnose, Aktivierung des Ladevorganges und Schockauslösung durch das Gerät) unterschieden.
Biphasische Defibrillation Biphasische Defibrillation bedeutet, dass der Strom nach einem vorgegebenen Zeitintervall die Richtung wechselt. In tierexperimentellen und klinischen Studien zeigten biphasische Stromkurven höhere Erfolgsraten und geringere Herzmuskelschäden bei der Defibrillation. Zwei kontrollierte und randomisierte Studien für die Anwedung im Rettungsdienst zeigten eine signifikant bessere Effektivität biphasischer Stromkurven im Vergleich zur monophasischen Defibrillation (ORCA-Studie, Mainz: 150 J bipasisch versus 200-200-360 J monophasisch; Van Alem: 200-200-360 biphasisch versus 200-200-360 monophasisch). Bei länger anhaltender VF/VT ist die Erfolgsrate biphasischer Schocks höher als diejenige monophasischer; daher wird empfohlen – wenn möglich – biphasisch zu defibrillieren. Da die Energien der bipasischen Geräte nicht mehr einheitlich sind, sondern von Gerätetyp zu Gerätetyp variieren (verschiedenes Energieoptimum der unterschiedlichen Kurven) empfehlen die Leitlinien 2005, dass alle Hersteller biphasischer Geräte die anzuwendende Energie deutlich sichtbar auf die Frontseite der Geräte aufdrucken.
Frühdefibrillationsprogramme Bedingungen und Richtlinien für die Durchführung eines Frühdefibrillationsprogrammes (halbautomatische Defibrillatoren, Ausbildung, Überprüfung usw.) wurden von der Arbeitsgemeinschaft Frühdefibrillation Deutschland erarbeitet. Frühdefibrillation in diesem Sinne unterscheidet sich (auch juristisch) von Frühdefibrillation im Rahmen der Notkompetenz.
Public Access Defibrillation (PAD) Die PAD unterscheidet verschiedene Zielgruppen: Level 1: Qualifizierte Laien (z.B. Polizei, Sicherheitskräfte, Flugbegleiter) Ausbildung in BLS und AED (Level 1 = in Leitlinien empfohlen) Level 2: Ersthelfer – Ausbildung in BLS UND AED Level 3: Angehörige von Risikopatienten
Defibrillation im Rettungsdienst Jeder „HealthcareProvider with a duty to perform CPR“ (= Rettungshelfer, Rettungssanitäter, Rettungsassistent) muss ausgebildet, ausgestattet und autorisiert sein, die Defibrillation durchführen zu können (z.B. mit AED).
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Kapitel 5 · Herz-Kreislaufstillstand
Kardiopulmonale Reanimation - Medikamente
Herz-Kreislaufstillstand
Drugs (Medikamente) bei CPR • Adrenalin [Medikamentenbeschreibung s. S. 483 f.]: - Hauptmechanismus ist die α-sympathomimetisch bedingte periphere Vasokonstriktion (Gefäßverengung) mit Steigerung des arteriellen Druckes. Daraus resultiert eine Verbesserung der Koronar- und Zerebralperfusion. Die beta-mimetischen Wirkungen wie z.B. positive Chronotropie sind eher unerwünscht. - Adrenalin wird bei allen Formen des HKS verwendet. - Dosierung i.v.: 1 mg unverdünnt (mit 20 ml Infusionslösung nachspülen) - Dosierung endotracheal: 3 mg ad 10 ml NaCl 0,9% - Dosierung intraossär: wie 1 mg • Amiodaron [Medikamentenbeschreibung s. S. 487 f.]: Amiodaron ist Antiarrhythmikum der Wahl bei therapieresistentem Kammerflimmern • Atropin [Medikamentenbeschreibung s. S. 490]: Wirkung: Parasympatholyse und damit Vagusblockade. Atropin kann bei Asystolie erwogen werden. • Lidocain [Medikamentenbeschreibung s. S. 529]: Ein Nutzen von Lidocain bei CPR ist nicht belegt. Gleichzeitig wird diskutiert, ob es die Defibrillationsschwelle erhöht, also die erfolgreiche Therapie des Kammerflimmerns erschwert. Es gibt derzeit keine Empfehlung für den Einsatz von Lidocain bei Reanimation. • Natriumhydrogencarbonat (NaHCO3) [Medikamentenbeschreibung s. S. 439]: - Wirkung: Pufferung saurer Valenzen. - Nebenwirkungen: CO2-Anstieg, intrazelluläre Azidose (paradoxe Azidose), Myokarddepression (verminderte kardiale Reanimierbarkeit möglich), Hirnödem (Zerstörung der Blut-Hirn-Schranke möglich), Alkalose. - Während der Reanimation sollte es keine Verwendung mehr finden. Nach erfolgreicher Reanimation kann NaHCO3 nach Blutgasanalyse gezielt verabreicht werden (CO2-Elimination bei Spontanzirkulation und adäquater Beatmung gegeben). Aussagen, dass bei metabolischer Azidose die Adrenalinwirkung fehle, sind nicht belegt. - Spezielle Indikationen unter CPR: Hyperkaliämie und Intoxikation mit trizyklischen Antidepressiva • Vasopressin [Medikamentenbeschreibung s. S. 489]: Vasopressin ist ein potenter Vasokonstriktor ohne die kritische rhythmogene Wirkung des Adrenalins. Eine große, europäische, randomisierte Doppelblindstudie zeigte allerdings keinen Benefit beim Überleben der Patienten im Vergleich zum Adrenalin. Daher bleibt Adrenalin nach dem „Großvater-Prinzip“ weiterhin Medikament der Wahl und Vasopressin wird derzeit nicht mehr empfohlen. • Magnesium: [Medikamentenbeschreibung s. S. 531]: Die Magnesiumgabe kann bei therapierefraktärem VF/VT in Kombination mit V.a. Hypomagnesiämie erwogen werden.
5.5 · Kardiopulmonale Reanimation
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Postreanimationsphase I Kriterien / Zeichen erfolgreicher Reanimation • Anstieg der endexspiratorischen Kohlendioxidkonzentration • Wiederkehr von zentralen und ggf. peripheren Pulsen (und Blutdruck) • Ggf. Anstieg der arteriellen Sauerstoffsättigung - sofern messbar • Evtl. Wiederkehr von Reflexen (Würgen), Spontanatmung und Bewusstsein
Vorgehen nach erfolgreicher Reanimation a. Erstmaßnahmen • Wenn HF und RR ausreichend: Beenden der Thoraxkompressionen Bis zur Wiederkehr der Spontanatmung: kontrollierte Beatmung (100% O2, 5 cm PEEP, physiologisches AZV und normale AF) • Bei Wiederkehr der Spontanatmung: assistierte Beatmung (PEEP), ggf. Sedierung und kontrollierte Beatmung • Bei Husten / Würgen / Wiedererlangen des Bewusstseins: da eine Extubation wegen der Gefahr einer Hypoxie mit erneutem HKS nicht in Frage kommt: Analgosedierung (z. B. Fentanyl / Midazolam) b. Diagnostik • Engmaschige Kontrolle der Vitalparameter • Sicherung / Überprüfung bisheriger Maßnahmen (z. B. Tubuskontrolle) • 12-Kanal-EKG-Interpretation • Hinweise auf Ursachen / Grunderkrankungen suchen; körperl. Untersuchung • Geeignete Zielklinik (Herzkatheter?) auswählen und vorinformieren c. Weitere Maßnahmen (individuell an der Situation orientiert) • Behandlung relevanter Rhythmusstörungen • Einstellung des RR (RRsyst > 80 mmHg): z. B. Katecholamine (Spritzenpumpe) • Ggf. Ursache des HKS behandeln d. Dokumentation und Übergabe in der Zielklinik (Einheitliche Dokumentation nach Utstein-Style empfohlen) • Zeitpunkte (Leitstelle, Tonbanddokumentation etc.): - Kollaps (ggf. Schätzung nach Zeugenaussagen; beobachteter Kollaps ?) - Notrufeingang - Fahrzeugstatus (1. RTW / NA; Ausrücken, Ankunft beim Patienten) - Beginn der Laienreanimation (wenn stattgefunden) - Beginn der professionellen Reanimation - 1. Defibrillation, Intubation, i.v.-Zugang, erste Adrenalingabe - Wiedererlangen der Spontanzirkulation (ROSC - Restoration of Spontaneous Circulation) • Primärer EKG-Rhythmus bei Eintreffen des Rettungsdienstes • Maßnahmen (Anzahl der Defibrillationen, Medikamente, Komplikationen) • Verdachtsdiagnose mit Begründung
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Kapitel 5 · Herz-Kreislaufstillstand
Postreanimationsphase II Grundprinzipien • Hypothermie (bewusstlose Patienten nach ROSC - s.u.) • Hyperthermie vermeiden (Fieber senken) • Normokapnie (keine Hyper- oder Hypoventilation) • Normotonie • Normoglykämie
Hypothermie Bewusstlose erwachsene Patienten mit Spontankreislauf nach präklinischem HerzKreislaufstillstand mit initialem Kammerflimmern sollen so schnell wie möglich auf 32–34 °C Körpertemperatur gekühlt werden (ILCOR-Empfehlung seit 2003). Diese moderate Hypothermie soll für (12 bis) 24 h aufrecht erhalten werden. Mögliche Kühlungsverfahren • Infusion von 4 °C kalter kristalloider Infusionslösung (30 ml/kg), die Körpertemparatur fällt dabei regelhaft um etwa 1,5 °C ab. • Kühlpackungen (an Hals, Leisten und in den Achselhöhlen), Kühldecken Auch andere komatöse Patienten nach außerklinischem Herz-Kreislaufstillstand können von dieser Strategie profitieren (Patienten mit Asystolie und PEA). Kältezittern ggf. durch ausreichende Sedierung und ggf. durch Muskelrelaxierung unterdrücken. Die spätere Wiedererwärmung sollte langsam erfolgen (0,25 –0,5 °C/h); dabei sind anschließende Hyperthermien zu vermeiden bzw. zu behandeln.
Herz-Kreislaufstillstand
Der Wert dieses Vorgehens wurde in 2 unabhängigen randomisierten MulticenterStudien (trotz relativ kleiner Fallzahlen (273 und 77 Patienten) und nicht möglicher Verblindung) signifikant und klinisch relevant belegt (unabhängige Lebensführung, Arbeitsfähigkeit und Mortalität). Verglichen mit anderen therapeutischen Interventionen, zeigte die Kühlung sehr niedrige „numbers needed to treat“Zahlen (nur 6 bis 7 Patienten müssen im Durchschnitt behandelt werden, damit der Effekt bei einem Patienten auftritt). Bei den gekühlten Patienten waren aber Komplikationen wie Pneumonie, Blutungen und Sepsis häufiger.
Goldstandard (Reanimation) Nach aktuellem Stand der Notfallmedizin sollte in einem funktionierenden Rettungsdienstsystem (z.B. Frühdefibrillationsprogramm) bei beobachtetem Kollaps und Kammerflimmern eine Überlebensrate (Krankenhausentlassung) von mindestens 30% erreicht werden.
5.5 · Kardiopulmonale Reanimation
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Alternative Reanimationsverfahren / spez. Medikamente Impedanzventil Synonyme: ITD=Impedance Treshold Device, ITV=Impedance Threshold Valve, Reanimationsventil, ResQ-Pod™ Das Impedanzventil verbessert den venösen Rückstrom zum Thorax in der Relaxationsphase bei externen Thoraxkompressionen (Standard-CPR) bzw. in der Dekompressionsphase bei ACD-CPR (Cardiopump™). Das ITV blockiert in dieser Phase der CPR den passiven inspiratorischen Gasfluss, welcher den für den venösen Rückstrom förderlichen negativen intrathorakalen Druck ausgleichen würde. Dadurch wird der intrathorakale Druck vermindert und – als Resultat – der venöse Rückstrom und daraus resultierend der Blutfluss in den lebenswichtigen Organen erhöht. Beatmung und Ausatmung sind jederzeit ungehindert möglich. In mehreren randomiserten Studien an Reanimationspatienten im RD wurde eine Verbesserung der 24 h-Überlebensraten gegenüber Standard-CPR festgestellt. Das ITV ist in den AHA-Leitlinien als Methode der Wahl empfohlen (IIa).
Autopulse™ – Vest-CPR Die Reanimation mit dem automatischen Gurtband (Autopulse™) ist die Nachfolge der Vest-CPR (Westen-Reanimation). Die tierexperimentellen Untersuchungen sind vielversprechend. Kleine Fallserien mit Patienten liegen vor. Größere randomisierte Untersuchungen stehen noch aus.
LUCAS (Lund University Cardiac Arrest System) Lucas ist eine Kombination aus mechanischem, kolbenbetriebenen Reanimationsgerät und der ACD-CPR (aktive Kompressions-Dekompressions-CPR). Es liegen bislang nur wenige tierexperimentelle Daten und keine randomisierten Patientenuntersuchungen zu LUCAS vor. Vasopressin und Adrenalin Eine Subgruppenanalyse der multizentrischen Vasopressinstudie zeigte signifikant gesteigerte Überlebensraten für Patienten, die Vasopressin und Adrenalin (bei > 2 Medikamentengaben) erhielten, verglichen mit denen, die nur Adrenalin erhielten. Weitere Untersuchungen zu Dosis und Mischungsverhältnis sind erforderlich.
Hochdosiertes Adrenalin In multizentrischen, randomisierten Studien konnte keine signifikante Verbesserung der Überlebensraten mit hochdosierter Adrenalingabe erzielt werden. Für die Anwendung alternativer CPR-Verfahren (z. B. ACD) geben aktuelle Studien Hinweise auf einen ungünstigen Einfluss auf die Überlebensraten. Die aktuellen Leitlinien sehen generell keine hochdosierte Adrenalingabe vor.
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Kapitel 5 · Herz-Kreislaufstillstand
Ethische Aspekte der Reanimation I Die Leitlinien des ERC beschränken sich nicht nur auf die Wiedergabe evidenzbasierter Therapieschemata (Algorithmen), sondern integrieren auch wichtige Aspekte zu ethischen und moralischen Fragen bei der Reanimation. Dieses Kapitel soll nicht nur Antworten und Tipps zu ethischen Aspekten geben, sondern auch bewusst Fragen aufwerfen, die eben nicht einfach mit einer Handlungsanweisung beantwortet werden können. Die hier aufgezeigten Probleme werden nur bezüglich ihres ethischen Stellenwerts beleuchtet. Inwieweit dies auch juristisch relevant ist, kann in manchem Fall eine andere Frage sein. Zweifellos verdanken viele Patienten und Angehörige der Entwicklung der Reanimation wertvolle gemeinsame Lebenszeit. Der Möglichkeit, einen Patienten erfolgreich wiederzubeleben, sodass er später das Krankenhaus wieder zu Fuß und bei klarem Verstand verlassen kann, steht aber auch die Verlängerung des Leidens bzw. des Sterbeprozesses, entgegen. Im schlimmsten Fall bleibt der Patient nach der Wiederbelebung apallisch. Die ethischen Abwägungen im Zusammenhang mit Reanimationsmaßnahmen werden durch individuelle, internationale wie lokale, kulturelle, religiöse, traditionelle, soziale sowie ökonomische und rechtliche Faktoren beeinflusst.
Herz-Kreislaufstillstand
Allgemein anerkannte Grundprinzipien • Nutzen (beneficience) für den Patienten durch die Behandlung bei ausgeglichener Risiko-Nutzen-Analyse; so einfach das klingt: das Wohlergehen des Patienten kann in unterschiedlichen Zielen bestehen, die gegeneinander gerichtet seinkönnen: - Erhaltung des Lebens/Wiederherstellung der Gesundheit - Linderung des Leidens • Nicht Schaden (non-maleficience): Keine sinnlosen oder schädigenden Maßnahmen durchführen (z. B. Reanimation bei sicheren Todeszeichen): - Keine zusätzlichen Leiden und keine bloße Verlängerung des Leidens • Gerechtigkeit: Der „Nutzen“ der Behandlung muss allen in der Gesellschaft gleichermaßen zur Verfügung stehen. Problem der Ressourcenverteilung (Behandlung aller Patienten nach gleichen Standards) • Patientenautonomie: Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten ist generell respektiert und auch in der „Deklaration von Helsinki“ (Menschenrechte) manifestiert. Eine entsprechende Willensäußerung des Patienten ist jedoch beim Herz-Kreislaufstillstand nicht mehr möglich und auch in hinterlegter Form oft nicht direkt feststellbar.
5.6 · Ethische Aspekte
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5
Ethische Aspekte der Reanimation II Patientenverfügung /Patientenwille Jede medizinische Behandlung muss den Willen des Patienten berücksichtigen. Dieser ist in einer Reanimationssituation schwierig zu ermitteln. Manche Patienten haben ihren Willen und ihre Wünsche in einem Patiententestament oder in einer Patientenverfügung hinterlegt. Die schriftliche Form ist dafür nicht zwingend. Aus ethischer Sicht macht es keinen Unterschied, wie der Patient seinen Willen zum Ausdruck bringt, sei es als Patientenverfügung, als Patiententestament oder auch mündlich (z.B. in der Wiedergabe durch Angehörige; Gefahr der Beeinflussung durch eigene Ansichten, eigene Interessen und Fehlinterpretationen der Angehörigen). Grundsätzlich muss hinterfragt werden, ob die Verfügung noch aktuell ist. Die Einstellung des Patienten kann sich mit Wechsel der Lebensumstände ändern; mit zunehmenden Erkrankungen wird beispielsweise eine niedrigerere Lebensqualität vom Patienten als akzeptabel eingestuft! Entsprechende Willensäußerungen sind in einer akuten Notfallsituation oft nicht direkt auffindbar oder beziehen sich oft auf andere Situationen (Maßnahmen im Rahmen der Intensivtherapie) als auf die Frage, ob beispielsweise initial beim plötzlichen Herztod ein Wiederbelebungsversuch unternommen werden soll. Eine Verfügung, keine Reanimation durchzuführen, ist eher selten. Aus diesen Gründen und weil es sich beim Herz-Kreislaufstillstand um ein zeitkritisches Ereignis handelt, soll immer zuerst mit der Reanimation begonnen werden, um dann während der laufenden Reanimation alle wichtigen Informationen für eine verantwortungsvolle Entscheidung (Fortführen oder Abbruch der Reanimationsmaßnahmen) zu sammeln. Helfer unterschätzen oft den Überlebenswillen (-wunsch) des Patienten!
Kein Reanimationsversuch/vorzeitiger Reanimationsabbruch • Futility = Sinnlosigkeit = keine Aussicht auf eine Lebensverlängerung mit akzeptabler Lebensqualität • Sichere Todeszeichen • Endstadium eines Multiorganversagens ohne behandelbare Ursache • Andere Faktoren zur Vorhersage einer fehlenden Aussicht auf Reanimationserfolg sind im Individualfall nicht zuverlässig (z. B. Hypoxiezeit). • Alter ist nur ein schwacher Vorhersagefaktor für das Outcome. Das höhere Alter ist zwar mit einer zunehmenden Komorbidität (Begleiterkrankungen) verbunden, welche die Prognose verschlechtern können, bei fehlenden Begleiterkrankungen hat das Alter jedoch keinen Aussagewert. • Vorliegende, valide Patientenverfügung (s. o.)
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Kapitel 5 · Herz-Kreislaufstillstand
Ethische Aspekte der Reanimation III DNAR-Anweisung (do not attempt resuscitation) (keinen Reanimationsversuch durchführen) • Die DNAR-Anweisung ist keine Form der Willensäußerung des Patienten, sondern der Ausdruck einer Therapieentscheidung, die – wenn möglich – zusammen mit dem Patienten getroffen wurde. • Es ist die Anweisung, dass kein Reanimationsversuch durchgeführt werden soll. • Information von Patient, Angehörigen und an alle, die mit dem Patienten zu tun haben (Schwestern, Ärzte usw.). Vermerk in den Patientenakten! • Entscheidung zu einer DNAR obliegt dem leitenden Arzt nach Konsultation des Patienten (z. B. bei KH-Aufnahme) und der Angehörigen.
Regelgerechter Abbruch von Reanimationsmaßnahmen • Nach 20 min ununterbrochener Asystolie trotz vollständiger Reanimationsmaßnahmen und Fehlen behandelbarer Ursachen (Ausnahme z. B. Hypothermie) • Bei persistierendem Kammerflimmern soll die Reanimation fortgeführt werden. • Zwischenzeitliches Feststellen der Futility • Faktoren, die die Entscheidung beeinflussen können: Krankengeschichte, Prognose, Hypoxiezeit usw. • Entscheidung obliegt dem Team-Leiter nach Rücksprache mit dem Team.
Entscheidungen von Nicht-Ärzten Vorzeitiger Abbruch oder Verzicht auf Reanimationsmaßnahmen durch nichtärztliches Fachpersonal: • Vorliegen einer gültigen und anwendbaren Patientenverfügung, keine Reanimation zu beginnen • Kopfabtrennung, Durchtrennung des Oberkörpers, Leichenstarre, prolongierte Verschüttung, Verkohlung, Totenflecken Andere Faktoren (z. B. 20 min Asystolie) sind von den jeweiligen nationalen Vorgaben (ethisch, moralisch und rechtlich) abhängig.
Herz-Kreislaufstillstand
Anwesenheit von Angehörigen bei der Reanimation • Mittlerweile akzeptierte Praxis in Europa und von der Mehrzahl der Angehörigen gewünscht (besonders bei Kindern). 90 % würden es – nachträglich befragt – wieder wünschen. Die Angehörigen profitieren von ihrer Anwesenheit. • Möglichst Briefing der Angehörigen; Betreuung durch ein Teammitglied • Kompetentes und ruhiges Arbeiten vermitteln; Maßnahmen erklären • Bei Tod des Patienten Angehörige zum Entfernen von Tubus und Kanülen (wenn sie nicht für rechtsmedizinische Untersuchung in situ bleiben sollen) kurz nach draußen bitten (Maßnahme erklären!)
Kapitelübersicht
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Bewusstseinsstörungen 6.1 Synkope ...................................................................... 188 Synkope ........................................................................ 188 Differenzialdiagnostisches Hilfsschema ....................... 190
6.2 Diabetes mellitus - Zuckerentgleisung ........................ 192 Hypoglykämie ............................................................... 192 Hyperglykämie ............................................................... 194
6.3 Krampfanfall / Epilepsie .............................................. 196 6.4 Schlaganfall (Apoplex) ............................................... 198 6.5 Stroke Unit .................................................................. 202
188
Kapitel 6 · Bewusstseinsstörungen
Bewusstseinsstörungen
Synkope Definition Unter Synkope versteht man eine plötzliche „Ohnmacht“; meist kurzdauernde Bewusstseinsstörung mit oder ohne Hinstürzen (durch Blutverteilungsstörung). Häufige Formen • Vasovagale Synkope Starke Emotionen (Blutsehen, Ekel, Schreck, Angst, Schmerz), Hitze oder Kälte sowie eine akute Vagusreizung (Pleurapunktion, Kolik) können innerhalb von Sekunden zu einem akuten Blutdruck- und Herzfrequenzabfall führen. Betroffen: i. d. R. junge Patienten und Frauen. • Orthostatische Dysregulation Unvermögen des Organismus, sofort und anhaltend durch Anpassen des peripheren Gefäßwiderstandes (Blutgefäßtonus) auf eine Lageänderung (z. B. Aufstehen) des Körpers so zu reagieren, dass ein Abfall des Blutdrucks vermieden wird. Betroffen: vor allem Jugendliche in der Pubertät. • Pressorische Synkope Reizung der Druckrezeptoren mit reflektorischem Blutdruck- und Herzfrequenzabfall bei Stuhl oder Harnpressen oder Valsalva-Pressversuch. • Desweiteren ist stets an andere Auslöser einer Synkope und die damit verbundenen Erkrankungen zu denken (Synkope als Warnzeichen!): • Kardiale Synkope: Adams-Stokes-Anfall (AV-Block, Karotis-SinusSyndrom, ventrikuläre Tachykardie und andere) • Metabolische Synkope: Hypoglykämie, Hypokapnie bei Hyperventilationssyndrom (Engstellung der Hirnarterien ➯ kurze Bewusstlosigkeit - s. S. 208 f.) • Zerebrale Synkope: Epilepsie, TIA, PRIND, Apoplex, intrakranielle Blutung, Schädel-Hirn-Trauma. • Vena-cava-Kompressionssyndrom s. Kapitel 10 • Hitzekollaps / Hitzeohnmacht s. S. Kapitel 13 Therapieprinzipien Zur Behandlung der klassischen Formen der Synkope genügt meist eine Basistherapie mit Schocklage, Beruhigung und Aufklärung sowie Überwachung der Vitalfunktionen. Trotzdem sollte - selbst bei zügiger Besserung - jeder Patient sicherheitshalber ärztlich untersucht werden, um akut behandlungsbedürftige Ursachen auszuschließen.
6.1 · Synkope
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Synkope Symptomatik (Differenzierung s. folgende Seiten) • Blässe, Schwarzwerden vor den Augen • (kurzzeitige) Bewusstlosigkeit / Ohnmacht, evtl. Krampfgeschehen • Tonusverlust der Muskulatur, Zusammensinken • gelegentlich: Schwitzen, Bradykardie, kurzer klonischer Krampfanfanfall, Blutdruckabfall, häufig rasche Erholung
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen • Abklärung der Ursache der Synkope (z. B. Blutzuckertest, Hilfsschema s. folgende Seiten) und Durchführung entsprechender spezifischer Maßnahmen • Achtung: Im Zweifelsfall immer kompletten Basischeck durchführen. Mögliche Verletzungen durch Sturz bedenken ! • Untersuchung, Standardtherapie • in schweren Fällen: venöser Zugang, Infundieren von Vollelektrolytlösung • Medikamente: • Sympathomimetika, z. B. - Etilefrin (Erwachsene: 1 - 10 mg i.v.; 1 Ampulle mit NaCl 0,9% auf 10 ml verdünnen und in 1-ml-Schritten langsam bis zum ausreichenden Wirkungseintritt dosieren) oder - Theodrenalin und Cafedrin [Akrinor ®] (Erwachsene: 0,2 - 2 ml i.v.; 1 Ampulle mit NaCl 0,9 % auf 10 ml verdünnen und in 1-ml-Schritten langsam bis zum ausreichenden Wirkungseintritt dosieren) • ggf. Therapie der zugrunde liegenden Störung
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Kapitel 6 · Bewusstseinsstörungen
Bewusstseinsstörungen
Synkope - Differenzialdiagnostisches Hilfsschema 1. Ist eine Herzerkrankung bekannt? Hat der Pat. vor der Synkope Herzstolpern oder Herzrasen bemerkt? Sind Herz-Rhythmusstörungen im EKG sichtbar? ja ➯ Verdacht auf kardiale Synkope s. Herz-Rhythmusstörungen (Kapitel 4) 2. Hat der Patient eines der folgenden Symptome gespürt ? Lähmungserscheinungen oder Gefühlsausfälle in den Gliedern, Sehstörungen, Verwirrtheit, Sprachschwierigkeiten, plötzliche starke Kopfschmerzen ja ➯ Verdacht auf Schlaganfall (TIA, PRIND, Apoplexie - s. S. 198 ff.) ➯ Klinikeinweisung 3. Ist bei dem Patienten eine diabetische Erkrankung bekannt ? Hat der Patient Heißhunger? Hat der Patient schon länger keine Nahrung mehr zu sich genommen? ja ➯ Verdacht auf Hypoglykämie (s. S. 192 f.) ➯ Blutzuckerbestimmung ! 4. Fühlt der Patient ein Kribbeln in den Händen? Hat der Patient eine Pfötchenstellung bei bestehender Hyperventilation? ja ➯ Hyperventilationstetanie bzw. -syndrom ➯ s. S. 208 f. 5. Hat der Patient in letzter Zeit ein Schädeltrauma erlitten (z. B. sich den Kopf gestoßen)? ja ➯ Verdacht auf epi- oder subdurales Hämatom ➯ s. Kapitel 9 6. Ist die Patientin schwanger oder besteht die Möglichkeit? ja ➯ Schwäche und Ohnmacht sind häufige Schwangerschaftsphänomene; in Rückenlage mögliches Vena-cava-Kompressionssyndrom (Schwangerschaft im letzten Drittel - s. Kapitel 10) ➯ durch Facharzt (Gynäkologen) abklären; im Zweifel: Linksseitenlagerung 7. Hat die Patientin zur Zeit ihre Regelblutung oder steht sie kurz davor ? Hat die (meist junge) Patientin Unterbauchschmerzen? ja ➯ Verdacht auf Praemenstruelles Syndrom ➯ durch Facharzt (Gynäkologen) abklären (Beachte: gynäkologische Blutung, s. Kapitel 10)
6.1 · Synkope
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8. Ist die Regel ausgeblieben (Frauen im gebärfähigen Alter)? ja ➯ Verdacht auf Schwangerschaft / Extrauteringravidität (s. Kapitel 10) ➯ Abklärung durch (Haus-) Arzt / Gynäkologen (Beachte: Schock bei Extrauteringravidität / Tubarruptur ➯ Klinik: Not-OP) 9. Hatte der Patient ein seelisches Schockerlebnis (z. B. Aufregung, Schreck)? ja ➯ Verdacht auf vasovagale Synkope ➯ Beruhigung, Ausschluss anderer Möglichkeiten, Vorstellung beim Arzt 10.Ist der Patient hastig aufgestanden, bevor er „umkippte“ ? ja ➯ Verdacht auf orthostatische Fehlregulation ➯ Abklärung durch (Haus-) Arzt 11.Hat der Patient sich lange in warmer oder enger Umgebung aufgehalten? ja ➯ Verdacht auf Hitzekollaps (s. Kapitel 13) 12.Nimmt der Patient Antihypertonika? ja ➯ Verdacht auf Überdosierung oder verstärkte Wirkung ➯ ggf. durch (Haus-) Arzt abklären 13.Hat der Patient (starke) Schmerzen? ja ➯ Verdacht auf vasovagale Reaktion ➯ unbedingt Ursache der Schmerzen abklären 14.Gibt es Hinweise auf akuten Blutverlust? (z. B. zurückliegendes Bluterbrechen, Teerstuhl, starkes Nasenbluten, Akutes Abdomen, starke Menstruation, Schocksymptomatik usw.) ja ➯ Verdacht auf Volumenmangel (s. Kapitel 8) / Exsikkose 15.Leidet der Patient unter heftigem, evtl. länger anhaltendem Erbrechen oder Durchfällen? ja ➯ Verdacht auf Exsikkose / Elektrolytstörungen (s. Kapitel 14)
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Kapitel 6 · Bewusstseinsstörungen
Akute Hypoglykämie
Bewusstseinsstörungen
Definition Absinken des Blutzuckers unter 50 mg/dl (< 2,8 mmol/l). Erste Symptome oft schon unter 70 mg/dl (< 3,9 mmol/l); schwerere Symptome (Bewusstseinsstörungen) bereits unter 60 mg/dl (< 3,3 mmol/l) mgl. (bei Gesunden bis zur Nahrungsaufnahme i. d. R. ausreichend hormonell kompensiert). Da aber im RD Messtoleranzen um 20 % vorkommen und eine Hypoglykämie bei Diabetikern rasch zunehmen kann, sollte ab Messwerten unter 60 mg/dl (< 3,3 mmol/l) mit entsprechender Symptomatik gehandelt werden (Glukosezufuhr bei Ansprechbarkeit möglichst oral).
Ursachen • (Relative) Überdosierung von Insulin (Verwechslung, Versehen, Suizidabsicht); zu geringe/zu späte Nahrungsaufnahme bzw. Erbrechen; Insulinüberhang nachts (unbemerkte Hypoglykämie im Schlaf) • Erniedrigung des Insulinbedarfes (z. B. bei starker körperlicher Belastung; nach Erholung von einer Infektion, nach Gewichtsreduktion, nach Entbindung) • Überdosierung von Sulfonylharnstoffen (Glinide) • Alkoholintoxikation (bei Diabetikern ab 20 g; sonst insbesondere bei fehlender Nahrungsaufnahme > 48 Stunden oder bei Lebererkrankungen) • Hypothyreose und Nebennierenrindeninsuffizienz • bei Nicht-Diabetikern: evtl. durch insulinproduzierenden Tumor (Insulinom)
Symptomatik • Entwicklung plötzlich (Minuten bis Stunden). • Symptome der adrenergen Gegenregulation (können z. B. bei Betablockereinnahme fehlen): - Unruhe, Zittern, Schwitzen; evtl. akuter Erregungszustand (evtl. Aggressivität) - Heißhunger, Herzklopfen, Bauch-, Kopfschmerzen, Schwächegefühl - normal tiefe, schnelle Atmung; Tachykardie, Blutdruck normal bis erhöht • Symptome des Glukosemangels auf das Nervensystem: - Somnolenz/Bewusstlosigkeit - unkontrolliertes Verhalten, Sprach- und Sehstörungen; evtl. Krämpfe • Blutzuckertest: Werte niedrig, i.d.R. unter 60 mg/dl (< 3,3 mmol/l) Blutzuckermessstreifen und elektrosensorische Messgeräte sind nur zur groben Akutdiagnostik und zur Selbstkontrolle geeignet und nicht für die Diagnosestellung des Diabetes mellitus! Die Messgeräte dürfen (trotz der im Rettungsdienst regelmäßig vorgeschriebenen Funktionskontrollen nach § 4 EichO/ MPBetreibV i. V. m. BÄK-Richtlinie) Abweichungen bis zu +/- 16 % aufweisen.
6.2 · Diabetes mellitus
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Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen (ggf.Seitenlage), Standardtherapie • Patient bei Bewusstsein ➯ orale Zuckerzufuhr, am besten Traubenzucker: - hypoglykämische Symptome, BZ 60–70 mg/dl (3,3–3,9 mmol/l) ➯ 8 g p. o. - < 60 mg/dl (< 3,3 mmol/l) ➯ 16 g p. o.; z. B. als Dextroenergen®-Täfelchen (1 Täfelchen = 4 g) ggf. alternativ zuckerhaltige Lösungen (Cola/Limonade; keine „Light-Getränke“, die sich häufig bei Diabetikern finden ➯ wirkungslos!; bei Acarbose- oder Miglitoltherapie ist nur Glukose wirksam, nicht z. B. Rohrzucker = Saccharose; nur echte Fruchtsäfte und glukosehaltige Getränke wirken!) • Medikamente (sofern keine orale Traubenzuckergabe möglich): - Glukose 40 % (je nach Bedarf 20–40 ml unter laufender (!) Infusion, evtl. wiederholen), cave: gefäßschädigende Wirkung! (Langsam injizieren!) - Bei Bewusstlosigkeit und schwierigen Venenverhältnissen: Glukagon s.c./i.m. erwägen (ggf. z. B. im Kühlschrank des Pat. nachsehen!) – vgl. S. 515) • Bei Insulinpumpenträgern ggf. s.c.-Nadel herausziehen, Display-Informationen notieren, Batterie nicht entfernen
Praxistipps
• Gefahr von Hirnschädigungen durch längerdauernde Hypoglykämie ➯ frühestmöglich Glukose zuführen. Bei längerdauerndem hypoglykämischen Koma (verzögertes Erwachen nach Glukosezufuhr) sollte eine Schädel-CT zur Hirnödemfeststellung durchgeführt werden (Auswahl der Zielklinik). • Auch bei guter Erholung des Patienten vor Ort i.d.R. klinische Abklärung (v. a. bei Nichtdiabetikern)! Von einer Klinikeinweisung kann bei einem kurzen Einzelereignis abgesehen werden, wenn die Ursache klar identifiziert ist, die der aufgeklärte und verständige Patient im Anschluss vermeiden kann, und ein zuverlässiger Beobachter mit Messmöglichkeit noch für einige Zeit vor Ort bleibt. • Faustregel: 10 g Glukose (= 25 ml Glukose 40 %) steigern den Serumblutzucker um 100 mg/dl. Aber anschließend rascher BZ-Abfall durch Auffüllung der Speicher und Verstoffwechselung. Prophylaxe einer erneuten Hypoglykämie durch orale Gabe langwirksamer Kohlenhydrate (1–2 BE, z. B. in Form von Brot) oder langsame Glukoseinfusion (5–10%). • Patienten mit Unterzuckerung sind gelegentlich verwirrt und aggressiv. Sie können enorme Kräfte mobilisieren ➯ Eigenschutz! • Häufig wird der Rettungsdienst bei Hypoglykämien wegen Verhaltensauffälligkeiten hinzugezogen (z. B. Aggression, Verwirrtheit, lallende Sprache), die in dieser Form z. B. auch bei Alkoholintoxikation, Schlaganfall und psychiatrischen Notfällen vorkommen. Nie leichtfertig Diagnosen stellen; immer Blut zuckertest! Trotz evtl. Alkoholkonsum ➯ nie alles auf den Alkohol schieben! • Beachte, dass unterwiesene Laienhelfer oder der Patient selbst als Notfallmaßnahme eine Glukagon-Injektion vorgenommen haben können, deren Wirkung etwa mit 10 min Verzögerung einsetzt und bei der weiteren Versorgung berücksichtigt werden sollte (vgl. S. 515).
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Bewusstseinsstörungen
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Kapitel 6 · Bewusstseinsstörungen
Ernste Hyperglykämie (Coma diabeticum) Definition Langsam einsetzende Bewusstseinstrübung durch starken BZ-Anstieg bei a) bekannter Zuckerkrankheit (am häufigsten): z. B. durch Infektionen ausgelöst, durch Insulinunterdosierung (Patient selbst oder Pflegepersonal) schwere Erkrankungen, hyperglykämische Medikamente b) noch nicht diagnostizierter Zuckerkrankheit (Erstmanifestation) Der relative oder absolute Insulinmangel bewirkt eine Gegenregulation durch Stresshormone (Glukagon, Kortisol, Adrenalin, Wachstumshormon). Die extreme Hyperglykämie führt zu Veränderungen im Kohlenhydrat-, Eiweiß- und Fettstoffwechsel mit verschiedenen Folgen in zwei Formen (etwa 30 % der Patienten weisen beide Komponenten in unterschiedlichen Verhältnissen auf): • Diabetische Ketoazidose: Hyperglykämie (> 250 mg/dl; > 13,9 mmol/l), Ketonsubstanzen in Blut und Urin erhöht nachweisbar und Azidose (arterieller pH < 7,3). Ca. 10 Fälle/100.000 Einwohner/Jahr; ca. 25% Erstmanifestation und 75% bei bekanntem Diabetes (häufiger Typ-1- als Typ-2-Diabetes). • Hyperosmolares hyperglykämisches Syndrom (etwa dreimal höhere Letalitä und zehnmal seltener als diabet. Ketoazidose): schwere Hyperglykämie (> 600 mg/dl; > 33,3 mmol/l). Hyperosmolarität des Blutes ➯ gesteigerte Urinproduktion (osmotische Diurese ➯ Dehydratation). Eine Insulinrestsekretion hemmt die Lipolyse und Ketogenese, kann aber die Hyperglykämie nicht verhindern (langsamere, aber letztlich schwerere Hyperglykämie und Dehydratation als bei Ketoazidose; Verstärkung durch vermindertes Durstgefühl älterer Menschen, Diuretika-Therapie und Niereninsuffizienz).
Symptomatik • Somnolenz bis Koma (auch Fälle ohne Bewusstseinstrübung kommen vor) • Durst, vermehrtes Trinken und Wasserlassen • Zeichen der Exsikkose: Gewichtsverlust, herabgesetzter Hautturgor (stehende Hautfalten), trockene Haut und Schleimhäute (Zunge), eingesunkene Augen • Tachykardie, Blutdruck normal/erniedrigt; schlaffer Muskeltonus, Kraftlosigkeit • häufig Infektion vorangehend, Körpertemperatur meist aber normal/erniedrigt Zusätzliche Zeichen der diabetischen Ketoazidose (meist Typ-1-Diabetes): • langsame Entwicklung (über Stunden bis Tage) • häufig Abgeschlagenheit, Übelkeit, z. T. schwere Bauchschmerzen. • Tiefe Atmung (Kussmaul-Atmung wegen metabolischer Azidose). • Azetongeruch (wie Nagellackentferner) in der Ausatemluft. • Blutzuckertest: Werte hoch, meist über 250 mg/dl (> 14 mmol/l), selten über 350 mg/dl (> 20 mmol/l).
6.2 · Diabetes mellitus
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Symptomatik (Fortsetzung) Zusätzliche Zeichen des hyperosmolaren hyperglykämischen Syndroms (meist Typ-2-Diabetes): • sehr langsame Entwicklung (über Tage bis Wochen) • Häufig neurologische Ausfälle (Aphasien, Lähmungen, Sehstörungen mit Gesichtsfeldausfällen), evtl. Krampfanfälle • Blutzuckertest: Werte sehr hoch, meist über 600 mg/dl (> 33 mmol/l).
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen (Blutzuckertest! Seitenlage bei Bewusstlosigkeit) • Untersuchung, Standardtherapie • Ausgleich des Flüssigkeitsdefizites ist die wichtigste Maßnahme bei hyperglykämischen Notfällen; durch ausreichende Flüssigkeitszufuhr lässt sich der Blutzucker um bis zu 25 % senken (Verdünnung und Ausscheidung über die Niere, sofern keine Niereninsuffizienz besteht): zügiges Infundieren von VEL (ca. 1000–1500 ml in der ersten Stunde; Vorsicht bei Herz-/Niereninsuffizienz) • bei Schocksymptomatik: kolloidaler Volumenersatz + VEL
Praxistipps • Bei diabetischer Ketoazidose besteht grundsätzlich ein erhebliches Kaliumdefizit (aber nicht unbedingt initial eine Hypokaliämie), das durch Insulingabe verstärkt wird ➯ schwere kardiale Nebenwirkungen (letale Arrhythmien) möglich ➯ keine präklinische (= unkontrollierte) Insulingabe (in der Klinik vorher Elektrolytbestimmung und ggf. -substitution). • Wegen der Gefahr einer Überkorrektur und Elektrolytstörung keine unkontrollierte Azidosekorrektur (z. B. mit NaHCO3). • Bei Typ-2-Diabetes-Patienten mit Biguanid-Therapie (Metformin, z. B. Glukophage®) ist bei ketoazidotischer Symptomatik mit normalem oder nur leicht erhöhtem Blutzucker (< 300 mg/dl; < 17 mmol/l) immer an die seltene, aber in 50–80 % letale Metformin-assoziierte Laktatazidose (MALA) zu denken. Meist nur geringe Exsikkose und kein Azetongeruch, dafür ausgeprägte Hypotonie und Kussmaulatmung. Eine MALA muss umgehend intensivmedizinisch versorgt werden (Diagnosesicherung; frühzeitige Intubation/Beatmung; Elimination des Metformins; ggf. Azidosekorrektur und Schocktherapie). • Eine Verschlimmerung einer Überzuckerung ist notfallmedizinisch im allgemeinen weniger folgenschwer als eine fortdauernde Unterzuckerung ➯ steht (ausnahmsweise) keine Blutzuckertestmöglichkeit zur Verfügung, so können zur Diagnostik 20 (–40) ml Glukose 40 % gegeben werden.
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Kapitel 6 · Bewusstseinsstörungen
Krampfanfall (Grand-mal-Anfall)
Bewusstseinsstörungen
Symptomatik • Evtl. Ankündigung durch sog. Prodromalsymptome (Aura: Der Pat. empfindet z. B. ein „komisches Gefühl“, Magenbeschwerden, Übelkeit, Angst, Wachträume, abnorme Geruchs-/Geschmacks-/Seh-/Hörwahrnehmungen) • evtl. Beginn mit fokalem Krampfgeschehen • Tonische Phase (ca. 10-30 Sekunden): Plötzliches Hinstürzen, evtl. Initialschrei, Bewusstlosigkeit; weit geöffnete und „verdrehte“ Augen; evtl. weite, lichtstarre Pupillen; meist zuerst Starrwerden der Muskulatur (tonischer Krampf) • Übergang in klonische Phase (ca. 1–5 Minuten): Rhythmisches Zucken oder Vibrieren der Muskulatur (Kloni); generalisierter Krampf, Schaum vor dem Mund (ggf. blutig bei Zungenbiss); Zyanose, evtl. Atemstillstand; Tachykardie, Hypertonie; Schwitzen • Nach dem Anfall: röchelndes Einsetzen der Atmung, Erschlaffen der Muskulatur; postiktaler Dämmerzustand (Benommenheit, Verwirrtheit), Gedächtnisverlust für die Anfallszeit und kurz danach (retrograde Amnesie), evtl. Sprachstörung, meist Nachschlafphase von einigen Minuten (auf jeden Fall kurz wecken zwecks Bewusstseinsüberprüfung, ansonsten ausschlafen lassen!), Muskelkater • Da bei Eintreffen des RD der Anfall meist vorüber ist, müssen zur Abklärung von Differenzialdiagnosen (z. B. Synkopen) Augenzeugen nach den o.g. Symptomen befragt werden (die Symptome, deren Dauer und Ablauf sowie ihr eventuelles Fehlen sind für die neurologische Abklärung in der Klinik sorgfältig zu dokumentieren!). Außerdem muss nach weiteren charakteristischen, aber nicht immer auftretenden Hinweisen auf einen Grand-mal-Anfall gesucht werden: Zungenbissverletzung, Einnässen, seltener Einkoten, Forellenphänomen (punktförmige Einblutungen in die Augenlider) • An Verletzungen durch Sturz und extreme Muskelkräfte denken (häufig übersehen), z. B. hintere Schulterluxation, Wirbelkörperkompressionsfrakturen • Status epilepticus: Krampfanfall über mehr als 5 min bei generalisiert-tonischklonischen Anfällen und von 20–30 min bei fokalen Anfällen und Absencen oder „andauernder Krampfzustand“ mit Serie von Anfällen, die sich in kurzen Abständen wiederholen, sodass der Patient über mehr als 30 min das Bewusstsein nicht wiedererlangt. Ein generalisierter tonisch-klonischer Status epilepticus ist lebensbedrohlich (Letalität 10 %, bei Eklampsie noch höher, s. Kapitel 10); todesursächlich können Atemstillstand, Hirnödem, Lungenödem, Hyperthermie und sekundäre Aspirationspneumonien sein.
Erstmaßnahmen • Basischeck, Basismaßnahmen (Freihalten der Atemwege! Sauerstoffgabe insbes. bei Zyanose, vgl. S. 556; Blutzuckerbestimmung) • Schutz vor Verletzungen: Platz schaffen, nicht festhalten, Kleidung lockern, Polsterung (v.a. des Kopfes), so früh wie möglich Zahnprothesen entfernen; keine Gegenstände in den Mundraum einlegen (kein Beißkeil!) • Untersuchung (Anamnese! Anfallsbeobachtung!), Standardtherapie
6.3 · Krampfanfall / Epilepsie
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6 !
Notfalltherapie • Medikamente - Benzodiazepine, z. B.: Lorazepam (0,1 mg/kgKG (1–2 mg) verdünnt langsam i.v.) ggf. wdh., max. 10 mg oder Clonazepam (0,5–2 mg langsam i.v.), ggf. wdh., max. 6 mg oder Diazepam (0,25 mg/kgKG (10–20 mg) langsam i. v.) ggf. wdh., max. 30 mg; (bei fehlendem venösen Zugang 10–20 mg rektal mgl.) Bei initialer Gabe von Clonazepam oder Diazepam sollte ggf. schon innerhalb von 10 min eine Aufsättigung mit Phenytoin erfolgen (getrennter Zugang) - Bei Eklampsie: Magnesium (s. S. 531) - Bei Alkoholentzugsdelir: Clomethiazol (i.d.R. erst in der Klinik) - Bei Status epilepticus ohne Ansprechen auf Benzodiazepine: Phenytoin über separaten Zugang (15–20 mg/kgKG langsam i. v.: 50 mg/min über 5 min; ggf. Rest über 20–30 min, max. 30 mg/kgKG) unter EKG- und RR-Monitoring - Ultima Ratio: Barbiturat-Narkose-Einleitung, z. B. Thiopental-Natrium (4–7 mg/kgKG i. v.), ggf. Kombination mit Opiat zur Analgesie, danach i. d. R. Intubation und Beatmung. Alternativen zu Thiopental: Propofol, Midazolam, Valproat. Nach Narkoseeinleitung mit Thiopental, Propofol oder Midazolam möglichst EEG-gesteuerte Aufrechterhaltung (Klinik). • Keine routinemäßige Medikation nach Ablauf eines Krampfanfalls. • Bei schwer zu schaffendem venösem Zugang an die Möglichkeit eines implantierten Port-Systems denken (s. S. 40)! Ggf. auch bei Erwachsenen rektale Gabe von Diazepam (10–20 mg). • Klinikeinweisung auf jeden Fall bei 1. Anfall, Anfall mit Verletzungen, Schwangerschaft, Anfallsserien, Hinweise auf eine behandlungsbedürftige Ursache (s. u.). In diesen Fällen sollte die Zielklinik über ein CCT verfügen. • Überprüfen, welche Ursache dem Krampfanfall zu Grunde liegt, z. B.: a) Epilepsie (angeboren oder erworben); häufig bei Unterbrechung oder Dosisreduktion einer antiepileptischen Therapie, auch in der Schwangerschaft b) Gelegenheitsanfall (einmaliger Krampf als Reaktion auf einen definierten Reiz), z. B. Stoffwechsel- und Elektrolytstörungen (insbes. Unter- und Überzuckerung, Urämie, Hypokalzämie, Hypomagnesämie), Hypoxie, Schwangerschaftserkrankungen (Eklampsie), Entzugsdelir (insbes. Alkoholentzug, Opiatentzug), Stromunfall, Vergiftungen, Drogen und Medikamente (z. B. Antibiotika), Fieber (meist Alter 6 Monate – 5 Jahre), Flüssigkeitsmangel (z. B. Dehydratation bei Kindern). Häufige Auslöser (z.T. in Kombination mit o. g. Ursachen): Übermüdung, Flackerlicht, Alkoholabusus, Stress c) (Akute) zerebrale Schädigung (Krampfanfall als Herdzeichen!), z. B. Enzephalitis, Meningitis, SHT, Hirntumor, Apoplexie (Krampfanfälle häufiger bei intrakranieller Blutung als bei ischämischem Insult), Sinusthrombose
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Kapitel 6 · Bewusstseinsstörungen
Bewusstseinsstörungen
Schlaganfall (Apoplex) Ein Apoplektischer Insult (Schlaganfall, Apoplex) bezeichnet den Funktionsausfall einer umschriebenen Hirnregion, der sich typischerweise in einem fokalneurologischen Defizit äußert, d. h., dass z. B. Muskelfunktionen und Wahrnehmungen im zugehörigen Körpergebiet ausgefallen sind. Ein Schlaganfall kann in jedem (!) Alter auftreten, > 50 % der Fälle ereignen sich aber bei Patienten über 70 Jahre. Schlaganfall ist die dritthäufigste Todesursache in Deutschland (nach Herzerkrankungen und Krebs).
Ursachen 1. Ca. 80 % zerebrale Ischämie embolisch oder thrombotisch bedingte Minderdurchblutung, selten auch zerebrale Hypoperfusion bei akutem Schock oder Hypoxämie • Auftreten oft nachts (Patient wacht damit auf) • 1–3 Tage nach einem Initialereignis können sich stark raumfordernde Mediainfarkte entwickeln (schwerste Symptomatik, zunehmende Bewusstseinseintrübung, Cheyne-Stokes-Atmung, gleichseitige (zum Infarkt) Mydriasis, evtl. Streckkrämpfe) 2. Ca. 15 % Blutung (vgl. auch Kapitel 9) a) Intrazerebrale Blutung (10 %) – Ursachen: Hypertone Massenblutung, Aneurysmaruptur, Gerinnungsstörungen (z. B. bei Marcumar®-Behandlung) b) Subarachnoidalblutung (SAB, < 5 %) – Ursache: Aneurysmaruptur (meist an den Hirnbasisarterien) – Letalität: Erstruptur 20 %, Zweitruptur 70 % (jeweils bis zu 50 % davon vor Transportbeginn). Etwa die Hälfte der Rupturen tritt bei körperlicher Belastung auf. • Plötzliche, stärkste Kopfschmerzen und frühe Bewusstseinstrübung • Schweißausbruch, Übelkeit, Erbrechen • Häufig tagsüber und von Krampfanfällen begleitet • Bei SAB häufig sog. Vernichtungskopfschmerz und Meningismus 3. Zerebrale venöse Abflussstörung (Hirnvenen- oder Sinusthrombose) • Schleichende, oft langsame Entwicklung der Apoplexsymptomatik über Tage bis Wochen bei schon frühzeitig bestehenden Kopfschmerzen • Häufig Krampfanfälle und Hirndruckzeichen • Vorkommen während Schwangerschaft und nach Entbindung, nach neurochirurgischen Eingriffen, bei allgemeiner Thromboseneigung (Risikofaktoren erfragen!) und Hirntumoren 4. Selten Dissektion (Aneurysma) oder Stenose der Arteria carotis • Symptomatik und Vorgehen wie bei ischämischem Schlaganfall • Z. T. Horner-Syndrom durch Sympathikusschädigung (Miosis, hängendes Augenlid, scheinbar zurückgesunkener Augapfel auf betroffener Seite) Eine Differenzierung des Insultes nach seinen Ursachen ist im Rettungsdienst i. d. R. nicht möglich. Einzige Ausnahme bildet die SAB (plötzlich einschießender Vernichtungskopfschmerz und Meningismus als zusätzliche Symptome).
6.4 · Schlaganfall (Apoplex)
199
6
Einteilung der zerebralen Durchblutungsstörungen I asymptomatische Stenose (Gefäßverengung) IIa TIA = Transitorische ischämische Attacke: maximal 24 h anhaltende (fokale) neurologische Funktionsstörungen (meist < 10 min), z. B. Amaurosis fugax (flüchtige Blindheit). Eine TIA ist nicht immer harmlos, sondern z.T. Warnsymptom einer drohenden Apoplexie! IIb PRIND = Prolongiertes reversibles ischämisches neurologisches Defizit: neurologische Ausfälle durch ischämische zerebrovaskuläre Störungen, die sich nach 1 Tag bis 3 Wochen folgenlos zurückbilden III PS = Progressive Stroke: über Stunden bis Tage zunehmendes oder wechselndes neurologisches Defizit (Besserung möglich) IV CS = Complete Stroke = Apoplexie: Dauerhafte neurologische Ausfälle
Stroke-Units Stroke-Units (= engl. „Schlaganfall-Einheiten“) sind spezialisierte Versorgungseinrichtungen, die auf die standardisierte klinische Erstversorgung und Frührehabilitation von Schlaganfallpatienten ausgelegt sind, wobei eine besonders zügige Diagnostik (< 30–60 min) und kompetente Versorgung rund um die Uhr gewährleistet werden muss, z. B.: sofortige Verfügbarkeit einer Schädel-CT/ Magnetresonanztomografie/Angiografie, schnelle interdisziplinäre fachärztliche Diagnostik und Therapie (Neurologie, Neuroradiologie, Anästhesie/Intensivmedizin, Neurochirurgie und innere Disziplinen), spezielle therapeutische Optionen (z. B. Thrombolyse, interventionelle Radiologie, Neurochirurgie, Gefäßchirurgie), speziell ausgebildetes Pflege- und Rehabilitationspersonal.
Zielsetzung Nach einem akuten ischämischen Schlaganfall verstirbt jeder 10. Patient innerhalb von 30 Tagen. Etwa die Hälfte der Überlebenden weist nach einem halben Jahr eine körperliche und/oder geistige Behinderung auf. Die Behandlung bestimmter Patienten mit frischen Schlaganfällen in Stroke-Units führt nachweislich zur Senkung der Sterblichkeit und zu einer Verminderung der Behinderungen. Obwohl es nach Schlaganfällen innerhalb kürzester Zeit (ca. 3-4 min) zu irreversiblem Gewebsuntergang (Nekrosen) in nicht mehr durchbluteten Bereichen (Infarktzone) kommt, ist es möglich, durch Maßnahmen innerhalb weniger Stunden das bedrohte Randgebiet um die Infarktzone herum (Penumbra) zu retten; in diesem Gebiet ist die Durchblutung vermindert, ohne dass die Infarktschwelle schon erreicht ist, d.h. eine Erholung und damit eine Rückbildung der Symptome ist noch bei rechtzeitiger Wiederherstellung der Durchblutung möglich (z. B. Thrombolysetherapie). Eine andere Funktion der Stroke-Units ist es, Patienten mit operablen Hirnblutungen schnellstmöglich zu erkennen, um sie der neurochirurgischen oder interventionell-radiologischen Versorgung zuzuführen.
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Kapitel 6 · Bewusstseinsstörungen
Akuter Schlaganfall
Bewusstseinsstörungen
Symptomatik Zur neurologischen Diagnostik vgl. a. S. 99. Immer abklären: Neu aufgetretene oder alte Symptome? a) Karotisstromgebiet - Halbseitenstörung: Meist plötzliche sensible und/oder motorische Ausfälle (Lähmung, Taubheit, Kribbeln) in einer Körperhälfte • arm- und gesichtsbetont (Versorgungsgebiet der A. cerebri media), evtl. nur „hängender Mundwinkel“ mit ungehindertem Speichelfluss, ggf. Sprachstörung (Aphasie, z. B. Wortfindungsstörung) • beinbetont (Versorgungsgebiet der A. cerebri anterior) • komplette Halbseitenlähmung (Hemiplegie); evtl. auch nur einseitig „schwere Gliedmaßen“, evtl. Herdblick Diagnostik: Händedruckprobe (evtl. einseitig vermindert oder aufgehoben), den Patienten die Zunge herausstrecken/die Stirne runzeln lassen. b) Vertebralisstromgebiet (Kleinhirn/Stammhirn) • Übelkeit, (Dreh-) Schwindel, Störungen von Gleichgewicht und Bewegungsabläufen (Ataxie), Tinnitus, Bewusstseinsstörungen • Schluckstörung, Sprechstörung (Dysarthrie) • Sehstörung: Doppelbilder, Gesichtsfeldausfälle bis zur Halbseitenblindheit (homonyme Hemianopsie, Versorgungsgebiet der A. cerebri posterior) • Gekreuzte Lähmung (Hirnnerven/periphere Nerven) oder Tetraplegie/-parese Weitere Symptome: Kopfschmerzen, plötzlicher Vernichtungskopfschmerz (Verdacht auf SAB), Bewusstseinsstörung/Krampfanfall (häufiger bei Blutungen), Pupillendifferenz, evtl. Cheyne-Stokes-Atmung, Urin-/Stuhlabgang, pathologische Reflexe (Babinski), evtl. Bradykardie und Arrhythmie (Hirndruckzeichen!) Risikofaktoren: Marcumar®-Behandlung, Embolieneigung (Diabetes mellitus, Vorhofflimmern, Herzklappenerkrankungen), Hypertonie
Notfalltherapie • Basischeck (RR- und EKG-Monitoring! Blutzuckertest!) • Basismaßnahmen (Atemwege freihalten, großzügige Sauerstoffgabe!) • Bei Lähmungen und Sensibilitätsstörungen Lagerung/venöser Zugang auf gesunder Körperseite! • Untersuchung, Standardtherapie • Indikation für die Aufnahme in einer Stroke-Unit überprüfen (s. S. 202) – ggf. direkte Anfrage bei der Stroke-Unit. Das aufnehmende Krankenhaus sollte mindestens über eine Möglichkeit der unmittelbaren CT-Diagnostik verfügen! Voranmeldung! (CT-Gerät einsatzbereit?)
6.4 · Schlaganfall (Apoplex)
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Notfalltherapie (Fortsetzung) • Medikamente: Die medikamentösen Maßnahmen des Notarztes bezüglich des Blutdrucks sollten zurückhaltend sein. Nur anhaltende, exzessiv hohe Werte (z. B. > 220 mmHg systolisch bzw. > 120 mmHg diastolisch über mehr als 15 min) sollten vorsichtig korrigiert werden (< 15 %). Durch die gestörte Selbstregulation der Hirndurchblutung kann eine Blutdrucksenkung zu einer Zunahme der Schädigung führen. Insbesondere sind gefäßerweiternde Maßnahmen wegen des Steal-Effektes zu unterlassen (Medikamente wirken zuerst in gut durchbluteten Bereichen; dort Gefäßerweiterung; dies führt zu weiterer Abnahme der Durchblutung im geschädigten Bereich.). Ggf. vorsichtige Senkung; jedoch nicht unter 180/90 mmHg; vgl. auch Kapitel 8 (Hypertensive Krise, akute Herzinsuffizienz). - Eine arterielle Hypotonie (< 120 mmHg systolisch) sollte korrigiert werden (z. B. mit Etilefrin) - Bei Flüssigkeitsdefizit: VEL nach Bedarf i.v. - Bei Krampfanfällen s. S. 196 f. - Der Blutzuckerspiegel sollte zwischen 70 und 140 mg/dl liegen (BZ-Werte unter 60 mg/dl und über 300 mg/dl sollten kurzfristig korrigiert werden – s. S. 192 ff.) - Bei Fieber (erhöht Risiko eines Hirnödems und Einblutung): Antipyretika, z. B. 1000 mg Paracetamol rektal - Auf Hirndruckzeichen achten! Ggf. Osmotherapie (z.B. Mannitol, s. S. 532) • Auch bei TIA unbedingt Klinikeinweisung (Kriterien für Stroke-Unit prüfen, s. folgende S.), da sich bei 10–20 % der Patienten ein Schlaganfall ankündigt (50 % permanente Ischämie innerhalb von 3 Tagen). • Zeitverluste vermeiden: Zeitfenster Lyse nur 3 Stunden (systemisch) vom Symptombeginn an!
Differenzialdiagnosen Bei frischen neurologischen Ausfällen auch immer an folgende Ursachen denken: • Unterzuckerung (s. S. 192 f.) • Z. n. Krampfanfall anderer Ursache (s. S. 196 f.) • Schädel-Hirn-Trauma (s. Kapitel 9) • Bluthochdruckkrise (s. Kapitel 8) • Hypoxie verschiedener Ursache • Migräne
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Kapitel 6 · Bewusstseinsstörungen
Stroke Unit Bewusstseinsstörungen
Zu Stroke-Units allgemein s. S. 199
Aufnahmekriterien für Stroke-Units Regional verschieden existieren Kriterien für Aufnahme, Screening und Selektion für spezielle Therapieverfahren (z. B. Thrombolyse). Den Rettungsdienstmitarbeitern oder der Rettungsleitstelle sollten die aktuellen Kriterien für die Aufnahme in die nächstgelegene Stroke-Unit des Rettungsdienstbereiches vorliegen!
Thrombolyse Eine Thrombolyse bei frischem ischämischem Schlaganfall senkt die Rate an Langzeittodesfällen und den Behinderungsgrad der Überlebenden, jedoch erhöht sie das Risiko, in den ersten Tagen an einer intrakraniellen Blutung zu versterben, sodass strenge Einschlusskriterien und eine intensive Überwachung nach Thrombolyse notwendig sind, um den Nutzen gegenüber dem Risiko aufzuwiegen.
Allgemeine Aufnahmekriterien für die Stroke-Unit • Symptomatik < 24 h • Alter 18–70 Jahre (< 80 Jahre) • Erhaltenes Bewusstsein bei Eintreffen des Rettungsdienstes (Ausnahme V. a. Hirnstammischämie; hier ist eine Aufnahme trotz früher Bewusstseinsstörung erfolgversprechend) • Patienten mit Erstereignis, V. a. TIA, Patienten < 45 Jahre mit Herd-Symptomatik; Patienten mit wechselnder oder zunehmender Symptomatik • Ausgeprägte Symptomatik, z.B. Hemiparese, Aphasie (Unfähigkeit zu sprechen), 5–25 Punkte im NIHSS-Score (National Institute of Heath Stroke Scale), den auch der geübte Notarzt anwenden kann • Kriterien für mögliche Thrombolyse: - Symptombeginn zeitlich klar definierbar (Problem: aus dem Schlaf heraus, Zeitpunkt des Einschlafens als Maß) - Symptombeginn < 3 Stunden (selten < 6 Stunden) - Einwilligung des Patienten zur Lysetherapie (ggf. mutmaßlicher Wille) - Keine Lyse-Kontraindikationen (wie bei Myokardinfarkt, vgl. S. Kapitel 8)
I.d.R. keine Aufnahme (Ausschlusskriterien) • stabile Symptomatik > 24 h • eingeschränkte Lebenserwartung oder Pflegebedürftigkeit schon vor (!) dem Ereignis (< 6–12 Monate) • Multimorbidität, welche eine aggressive Therapie nicht rechtfertigt • Koma mit Beatmungspflichtigkeit (Intensivstation!) • Krampfanfälle bei Symptombeginn • ggf. Kontraindikationen der Lysetherapie (wie bei Myokardinfarkt)
Kapitelübersicht
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Respiratorische Notfälle 7.1 Algorithmus Atemwegsverlegung (BLS) .................... 204 7.2 Sicherung der Atemwege (Advanced Airway Management nach ERC) ................ 205 7.3 Asthma (bronchiale) ................................................... 206 7.4 Hyperventilation(ssyndrom) ....................................... 208 7.5 Aspiration / Bolusgeschehen ...................................... 210 7.6 Der COPD-Patient als Notfallpatient ............................ 212
Aus Gründen der Ätiologie bzw. Pathogenese werden folgende Notfälle und Erkrankungen in anderen Kapiteln besprochen:
Lungenödem, Lungenembolie ...................... Kardiozirkulatorische Notfälle (213) Thoraxtrauma/Rippenfraktur, Pneumothorax/Hämatothorax ........... Chirurgische Notfälle (247) Fruchtwasserembolie ..................... Gynäkologische Notfälle (295) Epiglottitis, Pseudokrupp ................................ Kindernotfälle (323) Intoxikationen (Alkylphosphate, Reizgas-/Rauchgas, Kohlenmonoxid, Kohlendioxid, Zyanid) .................... Intoxikationen (347) Strangulation, Ertrinken, Tauchunfall ....... Sonstige Notfälle (395)
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7.2 · Airwaymanagement
7
205
Algorithmus Atemwegsmanagement Advanced Airway Management modifiziert nach ERC 2000 / 2005 Atemstillstand bzw. ungeschützte Atemwege Anatomisches Ausrichten des Kopfes (Cave: HWS-Verletzungen!) Sellick-Handgriff Initiale Oxygenierung sicherstellen Sicherung der Atemwege abhängig von Ausbildung und Ausrüstung:
Larynxmaske / -tubus
Endotracheale Intubation1
Combitube
Scheitern • der Atemwegssicherung • der adäquaten Beatmung Beutel-Masken-Beatmung (ggf. Guedel-Tubus usw.) Unmöglichkeit der Beatmung mit einfachen Hilfsmitteln Chirurgische Atemwegssicherung erwägen (Notarzt!) Koniotomie / chirurg. Krikothyre!oidotomie (evtl. Nadelkrikothyreoidotomie)
Beatmung 1 Die endotracheale Intubation stellt die beste Variante dar (z. B. wegen des Aspirationsschutzes). Larynxmaske und Combitube sind im RD initiale Alternativen. Verweise: Intubation S. 45, Combitube S. 49, Larynxmaske S. 50, Koniotomie S. 51
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Kapitel 7 · Respiratorische Notfälle
Asthma (bronchiale)
Respiratorische Notfälle
Einteilung • Das allergische (extrinsic) Asthma bronchiale findet sich bei Pat. mit entspr. genetischer Disposition (hyperreaktives Bronchialsystem / Atopiker). Die Reaktion (Soforttyp) kann auf unterschiedliche Allergene erfolgen. • Das nicht-allergische (intrinsic) Asthma bronchiale kann durch Infektionen, chemisch-physikalische Reize (Staub, kalte Luft), Anstrengung und Aufregung/ Stress (psychogenes Asthma; vor allem bei Kindern und Jugendlichen) und durch Analgetika (z. B. ASS; pseudoallergische Reaktion) ausgelöst werden. Auch β-Rezeptorenlocker können asthmatische Beschwerden verursachen.
Die drei Hauptmechanismen • Bronchospasmus • Entzündliches Bronchialschleimhautödem • Hypersekretion eines zähen Schleims (Dyskrinie) Dies bedingt einen erhöhten Strömungswiderstand mit Behinderung der Ausatmung (Symptome s. rechts) bis hin zum Bronchialkollaps; dadurch kommt es zu einem erhöhten Lungenvolumen (Volumen pulmonum auctum). Chronisch kann eine derart verstärkte Blähung der Lunge auch zum irreversiblen Emphysem (Druckatrophie, Schwund der Alveolarsepten) führen. Der daraus resultierende Druckanstieg im kleinen Kreislauf führt wiederum zu einer Rechtsherzhypertrophie (chronisches Cor pulmonale). Auch während eines Asthmaanfalles sind Rechtsherzbelastungszeichen nachweisbar. Ein schwerer Asthmaanfall über Stunden oder Tage wird als Status asthmaticus bezeichnet. Ähnliche Symptome treten auch bei einem Asthma cardiale auf (nächtlicher Husten, anfallsweise Atemnot - cave: andere Therapie!)
Notfalltherapie • Kooperativen Patienten kann (sofern sie es nicht selbst schon wissen) zur Unterstützung die sogenannte Lippenbremse (Ausatmung gegen die gespitzten Lippen) beigebracht werden, die durch den vorgeschalteten Atemwiderstand einen exspiratorischen Kollaps der Bronchien vermindert. • Entgegen früheren Empfehlungen sollte auf eine medikamentöse Sedierung, vor allem bei beginnender Hyperkapnie, verzichtet werden (Atemdepression!). • Bei muskulärer Erschöpfung des Patienten und bei Bewusstseinstrübung ist die Intubation als Ultima Ratio indiziert (Narkoseeinleitung). • Folgende Medikamente sollen im Asthmaanfall nicht gegeben werden: Antitussiva, β-Blocker, ASS, Sedativa, Parasympathomimetika, Digitalis.
7.3 · Asthma
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Akuter Asthmaanfall Definition Anfallsweise Atemnot durch reversible Bronchialobstruktion (kein Fremdkörper)
Symptomatik • Dyspnoe bis Orthopnoe, Zyanose; Sprechen durch Kurzatmigkeit erschwert • Unruhe, Angst, Schwitzen • aufrechter Oberkörper, Einsatz der Atemhilfsmuskulatur, Einziehungen • Verlängertes Exspirium, Verschleimung, prallgefüllte Halsvenen • Exspiratorisch: Pfeifen hörbar, Giemen und Brummen auskultierbar; Husten • im Status asthmat. evtl. kein Atemgeräusch mehr auskultierbar („silent lung“) • Tachykardie, Hypertonie, später Kreislaufversagen • Akutanamnese: Asthma bronchiale meistens bekannt, evtl. Auslöser identifizierbar (Infekt, ASS-Medikation, Allergenexposition, psychische Erregung)
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen: Beruhigung, Oberkörperhochlagerung, Sauerstoffgabe 2 - 4 l / min über Nasensonde (an möglichen Atemstillstand denken; ggf. Atemkommandos !) • Untersuchung, Standardtherapie: venöser Zugang, zur Minderung der Dyskrinie / Dehydratation auf ausreichende Hydratation achten (VEL!) • Medikamente: z. B.Salbutamol-Inhalation s.S. 555 - β2-Sympathomimetika, z. B.Reproterol (0,09 mg i.v. - langsam „frequenzneutral“ spritzen) - ggf. additiv Broncholytika, z. B.Theophyllin (bei Vormedikation: 2-3 mg/kg KG als Kurzinfusion i.v.) - Kortikoide, z. B.Prednisolon (250 mg i.v.) Kontraindiziert: Benzodiazepine, Volumengabe (Rechtsherzstauung), β-Blocker, Barbituratnarkose (relative Kontraindikation; besser Ketamin (0,5 - 2 mg / kg KG i.v.) zur Narkoseeinleitung benutzen) • Intubation und Beatmung bei Therapieresistenz (muskuläre Erschöpfung, hypoxischer / hyperkapnischer Bewusstseinsverlust, Bradykardie).
Achtung • Bei chronisch-obstruktiven Atemwegserkrankungen kann die Atmung (statt pCO2-Steuerung) primär über die Sauerstoffspannung des Blutes geregelt sein (pO2-Steuerung). pO2 ≠ ➯ Verminderung des Atemantriebs. Bei O2-Gabe auf mögliche Atemdepression / Atemstillstand achten (Atemkommandos)! • Bei medikamentöser Therapie Eigenmedikation des Patienten und Kontraindikationen beachten (z. B. geringe therapeutische Breite des Theophyllins.)
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Kapitel 7 · Respiratorische Notfälle
Hyperventilation(ssyndrom) Unter Hyperventilation versteht man eine übermäßige Steigerung der Atmung.
Pathomechanismen des Hyperventilationssyndroms
Respiratorische Notfälle
Durch eine psychogen ausgelöste Hyperventilation wird vermehrt Kohlendioxid abgeatmet (Hypokapnie); H+-Ionen werden eliminiert; der pH-Wert steigt; es entsteht eine respiratorische Alkalose: H+ + HCO3- (Standardbikarbonat) ➯ H2CO3 ➯ H2O + CO2≠ (wird abgeatmet) Das im Blut befindliche Kalzium (Ca2+) ist teilweise an Albumin gebunden. Wirksam ist es jedoch nur in der „freien“, ungebundenen Form. Je alkalischer das Blut ist, desto höher ist der an Albumin gebundene Anteil des Kalziums. Es kommt somit durch die respiratorische Alkalose zu einem relativen Kalziummangel (bei regelgerechtem Serum-Kalziumspiegel), was zu (peripheren) Krämpfen (normokalzämische Tetanie) führt, außerdem Parästhesien, Pfötchenstellung der Hände und Karpfenmund zur Folge hat. Durch Beseitigung der Störung erhöht sich die CO2-Konzentration im Blut wieder (und der pH-Wert sinkt), damit steigt auch der Anteil des wirksamen Kalziums. Daher ist z. B. eine Kalziumgabe nicht indiziert. Als Gegenmittel kann neben Aufklärung und Beruhigung die sogenannte Rückatmung eingesetzt werden, dabei wird dem Patienten durch Aus- und Einatmen in einen Beutel eine mit CO2 angereicherte Atemluft angeboten, deren O2-Gehalt aber immer noch ausreichend sein muss (z.B. Zwischenatmen von Raumluft). Ein weiterer Effekt des niedrigen CO2-Gehaltes im Blut kann eine Synkope sein: Die Hirndurchblutung wird unter anderem über den CO2-Gehalt des Blutes geregelt. Bei niedrigen Werten kann es zu einer Engstellung der Hirngefäße mit kurzer Bewusstlosigkeit kommen.
Differenzialdiagnosen Somatogene Ursachen einer Hyperventilation müssen ausgeschlossen werden. Solche können sein: metabolische Azidose, Hypoxie, Schädel-Hirn-Trauma, Enzephalitis, Salizylatintoxikation, hohes Fieber. Auch Verwechslung mit Tachypnoe bei Lungenembolie möglich! (Besonders bei jungen Frauen mit Risikofaktoren daran denken!)
7.4 · Hyperventilation
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Akutes Hyperventilationssyndrom Definition Tetanie (Spannungs- / Krampfzustand der Muskulatur) und / oder Synkope durch Hyperventilation, meist bei psych. Belastung (z. B. Aufregung, seelische Konflikte). Oft jüngere Frauen betroffen.
Symptomatik • Unruhe, schnelle tiefe Atmung, vom Patient subjektiv empfundene Atemnot • Kribbeln / Taubheitsgefühl in Händen / Füßen (von peripher aufsteigend) • sogenannte Pfötchenstellung der Hände, evtl. Karpfenmund • evtl. Synkope, evtl. funktionelle Herzbeschwerden • Blässe, Schwitzen, Reflexüberaktivität • Tachykardie, Blutdruck normal bis erhöht • Chvostek-Zeichen positiv: mimische Antwort auf Reizung des Nervus facialis (Hauptstamm hinter der Ohrspeicheldrüse) durch Beklopfen desselben zwischen Kieferwinkel und Ohr (erhöhte neuromuskuläre Erregbarkeit) • Akutanamnese: Psych. Stresssituation (vorsichtig ansprechen).
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen • beruhigender Zuspruch, evtl. Vorgeschichte (Streit o. ä.) abklären, Aufklärung des Patienten über die Art und Harmlosigkeit der Störung (körperliche Ursachen für eine Hyperventilation ausschließen!) • Atemkommandos (langsam und ruhig atmen lassen) • wenn nötig: Rückatmung mit Plastiktüte oder speziellem Beutel (z. B. Beatmungsmaske mit Adapter auf den Sauerstoffreservoirbeutel gesteckt); unbedingt vorher die Maßnahme erklären, da der Patient ohnehin schon glaubt zu ersticken, evtl. Sauerstoff zugeben, um Hypoxie zu vermeiden • Untersuchung, Standardtherapie • Medikamente (nur in schweren Fällen, sonst Fixierung auf Spritze möglich): Benzodiazepine, z. B. Diazepam (5 - 10 mg i.v.)
Tipps • Keine Kalziumgabe! • Keine Versuche einer Konfliktlösung („Krisengespräch“) wegen Gefahr der Verschlimmerung bzw. erneuten Hyperventilation • Ausschluss körperlicher Hyperventilationsursachen; ggf. entsprechende Behandlung. Differenzialdiagnosen des Leitsymptoms „Dyspnoe“ überprüfen!
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Kapitel 7 · Respiratorische Notfälle
Aspiration / Bolusgeschehen
Respiratorische Notfälle
Als Aspiration bezeichnet man das Eindringen von Flüssigkeiten oder festen Stoffen (z. B. Blut, Fremdkörper) in die Atemwege (spontan oder bei Beatmung). Ursachen • Erloschene Schutzreflexe, vor allem bei Bewusstlosigkeit, oft in Verbindung mit Regurgitation von Mageninhalt (Daher kommt der Seitenlage auch im RD große Bedeutung zu!) • Unsachgemäß ausgeführte Maskenbeatmung oder Atemspende mit zu hohem Beatmungsdruck (über 15 cm Wassersäule) • Auch bei der Kombination von Maskenbeatmung und Thoraxkompressionen kommt es oft zu einem Rückstrom von Mageninhalt. Einen guten Aspirationsschutz bietet die endotracheale Intubation. Hierbei wird die Luftröhre durch eine Blockermanschette (Cuff) gegen das Eindringen von Fremdmaterial geschützt; trotzdem kann auch neben dem geblockten Cuff Flüssigkeit herunterlaufen. Deshalb ist bei jedem intubierten Pat. im RD eine Magensonde zur Entlastung des Magens angezeigt (Mageninhalt, Luftansammlung durch Maskenbeatmung / Atemspende). Gefürchtete Folge einer Magensaftaspiration ist das sogenannte Mendelsonsyndrom - eine fulminante (sehr schwere) Lungenentzündung mit der Gefahr des ARDS (Adult Respiratory Distress Syndrom). Bei Verlegung der oberen Luftwege durch größere Fremdkörper spricht man von einem Bolusgeschehen. Durch Steckenbleiben eines Speisebrockens im Rachen kann auch ein reflektorischer Herz-Kreislaufstillstand ausgelöst werden: Bolustod. Ein Bolusgeschehen findet man vorwiegend bei älteren Menschen. Mangelnde Kaufähigkeit (Gebiss) bei zu großen Nahrungsstücken (Fleisch) können zu einer akuten Verlegung der oberen Luftwege führen (s. Bilder unten). Auch ein Gebiss oder andere Fremdkörper können Ursache sein. Ein Bolusgeschehen kann sich auch in der Speiseröhre abspielen: Zu große Nahrungsstücke werden nicht weitertransportiert - stecken fest; die hintere Luftröhrenwand ist nicht mit Knorpel verstärkt und kann deshalb komprimiert werden.
Bolusgeschehen: Fremdkörper in der Speiseröhre
Bolusgeschehen: Fremdkörper verschließt den Luftröhreneingang
7.5 · Aspiration
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Aspiration / Bolusgeschehen Definitionen • Aspiration: Anatmen von Flüssigkeiten oder festen Stoffen. • Bolusgeschehen: Verlegung d. oberen Luftwege durch größere Fremdkörper
Symptomatik • Atemnot, Zyanose, (Blut-) Husten • grob rasselndes oder pfeifendes Atemgeräusch (inspiratorischer Stridor) • evtl. inverse Atmung oder Atemstillstand • Tachykardie, Blutdruckanstieg (initial) oder -abfall (terminal) • Akutanamnese: Häufig während Mahlzeiten und bei spielenden Kindern (s.a. Kapitel pädiatrische Notfälle), seltener psychiatrische Erkrankungen und bizarre Suizidversuche, sonstige Manipulationen im Mundraum (z. B. verschluckter abgebrochener Bohrer / aspirierte Zähne beim Zahnarzt)
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen; insbes. Freimachen / Freihalten der Atemwege (Absaugen / mehrere feste Schläge mit der flachen Hand zwischen die Schulterblätter / Heimlich-Manöver (bei vitalbedrohlichem Bolusgeschehen) / ggf. Ausräumen des Pharynx- / Larynxbereiches mit Magillzange unter laryngoskopischer Sicht) • bei Bewusstsein: Oberkörper-Hochlagerung / sonst: stabile Seitenlage • großzügige Sauerstoffgabe, ggf. Beatmung • Untersuchung, Standardtherapie, Atemwegsmanagement s. S. 204 f. • ggf. Intubation und Beatmung (100 % O2, PEEP) • Medikamente: Kortikoide, z. B. Prednisolon (250 - 1000 mg i.v.) ggf. Broncholytika, z. B. Theophyllin (5 mg / kg KG als Kurzinfusion i.v.) • Magensonde (Magenentlastung; Verhindern weiterer Aspiration) • nicht zu beseitigende Verlegung ➯ Koniotomie (Ultima Ratio)
Hinweise • Freimachen der Atemwege: Kontrolle und Ausräumen vor Kopf überstrecken • Die Bronchiallavage ist derzeit umstritten und kann daher nicht empfohlen werden (Weiterverteilung von Aspirationsgut in die kleinen Atemwege), • Bei entsprechenden Verdachtssymptomen ist auf die Umgebung des Patienten zu achten (Essgeschirr usw.). Oft erholen sich die Patienten nach Beseitigung des Bolus erstaunlich schnell. Wegen der Gefahr einer anschließenden Lungenentzündung ➯ auf jeden Fall Klinikeinweisung (je nach Situation HNOAbteilung, besonders bei starre Fremdkörpern, oder internistische Aufnahme). • Bei nicht entfernbarem, tief sitzendem Fremdkörper kann mit Intubation versucht werden, den Fremdkörper in den rechten Hauptbronchus vorzuschieben, um so wenigstens die Beatmung der linken Lunge zu gewährleisten.
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Kapitel 7 · Respiratorische Notfälle
Der COPD-Patient als Notfallpatient
Respiratorische Notfälle
Synonyme und Definition COPD (chronic-obstructive pulmonary disease) = COLD (chronic-obstructive lung disease) = COLE (Chronisch-obstruktive Lungen-Erkrankung) • Chronische Bronchitis: Erkrankung, die in einem Zeitraum von mind. 2 Jahren wenigstens innerhalb von 3 Monaten jährlich mit Husten und Auswurf einhergeht (WHO) • Lungenemphysem: irreversible Erweiterung und Destruktion der Lufträume distal der Bronchioli terminales Obwohl es sich bei der COPD um chronische Erkrankungen handelt, treten im langjährigen Verlauf häufig akute Notfallsituationen auf. Diese entstehen oft auf dem Boden einer bakteriellen oder viralen Atemwegsinfektion oder kündigen das terminale Krankheitsstadium an. Bei dieser akuten Exazerbation, die sich meist über mehrere Tage progredient entwickelt, stehen zwei Probleme im Vordergrund: • das Auftreten einer respiratorischen Insuffizienz (Dys- / Orthopnoe) und • eine akute Rechtsherzinsuffizienz (massiv gestaute Halsvenen, Beinödeme) bei chronischem Cor pulmonale (druckschmerzhaft gestaute Leber, Appetitlosigkeit, Übelkeit und Erbrechen als Zeichen der Stauungsgastritis)
Hinweise zur Notfalltherapie • Die Notfalldiagnostik umfasst insbesondere EKG, Blutdruck, Auskultation von Herz und Lunge. • Die Diagnose einer respiratorischen Partial- oder Globalinsuffizienz kann allein mit der Blutgasanalyse gesichert werden (s. S. 36). • Eine unkritische und unkontrollierte Sauerstoffzufuhr kann zur Abnahme des Atemantriebes und damit zur Verstärkung der respiratorischen Insuffizienz führen (hyperkapnisches Koma, Apnoe) – oft mit fatalem Ausgang trotz Intensivtherapie. Dennoch hat die Behandlung der Hypoxämie Priorität (auf eine Hemmung des Atemantriebs ist dabei zu achten und ggf. mit Atemkommandos entgegenzuwirken; bei Bewusstseinstrübung Reduktion der Sauerstoffzufuhr erwägen). Mit engmaschigen Blutgasanalysen ist der Erfolg der Therapie zu kontrollieren; es sollten Blut-Sauerstoff-Partialdrücke zwischen 60 und 65 mmHg (arteriell) erreicht werden. Im Rettungsdienst kann ersatzweise eine Sättigung von mind.85–90 % angestrebt werden (hierzu genügt meist eine Gabe von 2–4 l/min O2 über Nasensonde). • Die medikamentöse Notfall-Behandlung entspricht der des schweren Asthmaanfalls (s. S. 207). • Bei gleichzeitig dekompensiertem Cor pulmonale sind ggf. Nitrate, Diuretika und Inotropika einzusetzen.
Kapitelübersicht
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Kardiozirkulatorische Notfälle 8.1 Akutes Koronarsyndrom (ACS): Angina pectoris (AP), Akuter Myokardinfarkt (AMI) Algorithmus ..................................................... 214 Erläuterungen zum Algorithmus ................... 215 Präklinische Lysetherapie ............................... 217
8.2 Herzinsuffizienz .......................................................... 218 8.3 (Kardiales) Lungenödem ............................................ 220 8.4 Hypertonie / Hypertensive Krise .................................. 222 8.5 Schock ........................................................................ 224 Definition, Formen, Ursachen ....................... 224 Pathophysiologie ............................................. 225 Kardiogener Schock ....................................... 226 Volumenmangelschock .................................. 228 Anaphylaktischer Schock ............................... 232 Neurogener Schock ........................................ 234 Spinaler Schock ............................................... 235 Septischer Schock .......................................... 236
8.6 Herzbeuteltamponade ................................................. 237 8.7 Aortenaneurysma-Ruptur ........................................... 238 8.8 Lungenembolie ........................................................... 240 8.9 Gefäßverschlüsse ........................................................ 242 Akuter venöser Verschluss ............................ 242 Akuter arterieller Verschluss .......................... 244 DD venöser / arterieller Verschluss ............... 246
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8.1 · Akutes Koronarsyndrom
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Akutes Koronarsyndrom - Erläuterungen zum Algorithmus Akutes Koronarsyndrom = acute coronary syndrome (ACS) Symptomatik des ACS Akutes Engegefühl des Brustkorbs oder akuter Thoraxschmerz
oder oder
+ besonders, wenn dies in Ruhe oder bei geringer Belastung auftritt und länger als 20 Minuten anhält + zunehmende, schwere AP (CCS III/IV) bei bisher stabiler AP + innerhalb der letzten 6 Wochen neu aufgetretene, schwere AP
Vorsicht: Häufig untypische Beschwerden bei Diabetikern, Frauen, Herztransplantierten, Jüngeren (< 40 Jahre), Älteren (> 75 Jahre): Übelkeit, Erbrechen, Oberbauch- oder Rückenschmerzen, zunehmende Luftnot, stechende Schmerzen. Auch bei hämodynamischer Verschlechterung beatmeter Patienten an die Möglichkeit eines Myokardinfarktes denken!
Wichtige Begriffe Der Begriff des ACS wurde geschaffen, da sich hinter der ACS-Symptomatik – rein klinisch nicht sicher unterscheidbar – drei verschiedene Erscheinungsformen der koronaren Herzerkrankung verbergen können: • STEMI: ST-elevation myocardial infarction = Herzinfarkt mit ST-Hebung (EKG) Diagnose STEMI: typische ACS-Symptomatik + EKG-Befund: - ST-Hebung > 0,1 mV in mind. zwei benachbarten Extremitätenableitungen und/oder > 0,2 mV in mind. zwei benachbarten Brustwandableitungen - oder (wahrscheinlich) neu aufgetretener Linksschenkelblock • NSTEMI: non-ST-elevation myocardial infarction = Herzinfarkt ohne STHebung im EKG (Diagnose NSTEMI: typische ACS-Symptomatik + positive Herzenzyme, z. B. kardiales Troponin I/T) • UAP: unstable angina pectoris = instabile Angina pectoris (Diagnose UAP: typische ACS-Symptomatik + Anamnese kardiovaskulärer Risikofaktoren bei normalen Werten der Herzenzyme – z. B. kardiales Troponin I/T) Eine bereits präklinische Differenzierung des ACS mittels 12-Kanal-EKG und klinischen Parametern ist anzustreben, um die geeignete Reperfusionsstrategie zu bahnen (Zielklinikauswahl und Voranmeldung für PCI). Die Lysetherapie im Rettungsdienst bringt im Mittel einen Zeitgewinn von 60 min gegenüber klinischer Lyse und ist der PCI bei Symptombeginn < 3 Stunden in der initialen Wiedereröffnungsrate ebenbürtig. Die präklinische Lysetherapie ist bei Anwendung standardisierter Protokolle sicher.
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Kapitel 8 · Kardiozirkulatorische Notfälle
Erläuterungen Algorithmus Akutes Koronarsyndrom II Medikamentöse Frühtherapie bei ACS Merkwort für die Basistherapie bei ACS „MONA“: • Morphin • Oxygen (Sauerstoff) • Nitroglycerin (Glyceroltrinitrat) • Acetylsalicylsäure (ASS)
Kardiozirkulatorische Notfälle
(Kein Glyceroltrinitrat bei Einnahme von PDE-5-Inhibitoren innerhalb der letzten 24 h (z. B. Sildenafil=Viagra®, Tadalafil=Cialis®, Vardenafil=Levitra®) – bedrohliche, therapierefraktäre Blutdruckabfälle möglich. Immer nachfragen - taktvoll.)
Clopidogrel (z. B. Iscover®, Plavix®) Neues Standardmedikament (schon in der Frühphase) zur Thrombozytenaggregationshemmung. Im Gegensatz zum Algorithmus allerdings gemäß Leitlinientext und ILCOR-Empfehlung nur für folgende Patienten empfohlen: • STEMI (bis 75 Jahre), die mit Fibrinolyse, ASS und Heparin behandelt werden. • Pat. ohne STEMI, die erhöhte Herzenzyme oder neue aufgetretene Ischämiezeichen im EKG haben. • Pat. mit ACS, die aufgrund einer echten Allergie kein ASS erhalten dürfen.
Akut-PCI (akute perkutane Koronarintervention) Akut-PCI = Akut-PTCA = perkutane transluminale Koronarangioplastie: über eine Femoralarterie wird ein Linksherzkatheter gelegt - Dilatation von verengten Herzkranzgefäßen, z. B. mit eingeführtem Ballonkatheter; häufig wird bei der Akut-PCI ein sog. Stent („Gefäßstütze“) zur Verhinderung eines Wiederverschlusses eingelegt. Verfahren der Wahl, aber wegen hoher personeller Kompetenz und technischer Ausstattung nur an spezialisierten Zentren verfügbar.
Thrombolyse/Fibrinolyse (kurz „Lyse-“Therapie) Medikamentöser Eingriff in das menschliche Blut-Gerinnungssystem zur Auflösung von frischen Blutgerinnseln; auch im RD möglich. Durchführung: Intravenöse Gabe von Fibrinolytika, z.B.: • Alteplas(e) (rt-PA) s. S. 486 • Reteplas(e) (rt-PA) s. S. 554 • Anistreplase (APSAC) s. S. 488 • Tenecteplase s. S. 559 (Streptokinase und Urokinase werden aufgrund aufwändigerer Applikation und der Sensibilisierungsproblematik in der Präklinik nicht mehr eingesetzt.) • Keine initiale Heparinisierung vor Lyse mit Anistreplase (erhöhte Blutungsgefahr); keine GPIIb/IIIa-Antagonisten vor Lyse mit Alteplase • Zulassung beachten: Urokinase ist für AMI nicht ausdrücklich zugelassen; Anistreplase, Reteplase u. Tenecteplase sind nicht für Lungenembolie zugelassen!
8.1 · Akutes Koronarsyndrom
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Präklinische Lysetherapie Lyse-Indikationen im Rettungsdienst • AMI (STEMI) mit folgenden Kriterien: - Sichere Diagnose: typische Symptomatik (ACS s. S. 215) + typische EKG-Veränderungen (ST-Hebung s. S. 162 f.) + erfahrener Untersucher - Beginn der Beschwerden < 4–6 h (nicht länger zurück, sonst kein Vorteil gegenüber der Therapie in der Klinik) - Deutlicher Zeitvorteil gegenüber der Akut-PCI (s. Algorithmus S. 214) - Ausschluss von Kontraindikationen (s. u.); der potenzielle Nutzen (Rettung von ischämischem Gewebe) überwiegt hinsichtlich Ausprägung und Wahrscheinlichkeit das Risiko der Lysekomplikationen (v. a. Blutungen, insbes. schwere Hirnblutungen in ca. 1%) - Möglichkeiten zur Behandlung von Komplikationen vorhanden • Für andere Anwendungen der Lysetherapie im RD (z. B. Lungenembolie, therapierefraktäre CPR) sind die mangelnde diagnostische Sicherheit und die hohen Risiken einer Lysetherapie zu bedenken. Eine präklinische Lyse kommt in den genannten Fällen als Ultima Ratio in Betracht. Andere Lyse-Anwendungsgebiete und -Verfahren bleiben aber spezialisierten Kliniken vorbehalten (z. B. Apoplex; Stroke-Unit s. S. 202).
Kontraindikationen (nach DKG 2004) - jemals Hirnblutung - innerhalb der letzten 6 Monate: Schlaganfall - innerhalb der letzten 4 Wochen: Magen-Darm-Blutung - innerhalb der letzten 3 Wochen: Unfall (insbes. Kopfverletzung) oder Operation (z. B. auch Liquorpunktion, arterielle Punktion, Organbiopsie) - (fortgeschrittenes) Tumorleiden oder neurologische ZNS-Erkrankung - aktive innere Blutung (außer Regelblutung) oder Blutungsneigung - Dissezierendes Aortenaneurysma Relative Kontraindikationen TIA in den letzten 6 Monaten / orale Antikoagulanzientherapie (z. B. bei Marcumar®Behandlung – INR > 2; > 1,3 bei Tenecteplase) / Schwangerschaft / nicht komprimierbare Gefäßpunktionen (z. B. zentral venöser Subklaviakatheter) / schwere Hypertonie trotz Behandlung RRdiast > 110 mmHg und/oder RRsyst > 180 mmHg / aktives Magen-/Zwölffingerdarmgeschwür / floride Endokarditis/ fortgeschrittene Lebererkrankung / längere (> 10 min) oder traumatische CPR Zusätzlich zur DGK-Liste sollte der Notarzt – je nach Thrombolytikum - folgende mögliche Einschränkungen/Kontraindikationen in seiner Entscheidung bedenken: Entbindung in den letzten 2–12 Wochen; frische i.m.-Injektion; unklare Kopfschmerzen innerhalb der letzten 6–12 Monate, Verdacht auf Entzündung der Bauchspeicheldrüse, frühere allergische Reaktion auf ein Thrombolytikum, intrakranielles Aneurysma, Sepsis, Dialysepatient.
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Kapitel 8 · Kardiozirkulatorische Notfälle
Herzinsuffizienz
Kardiozirkulatorische Notfälle
Definition: Akute Leistungsminderung des Herzens mit drohendem Vorwärtsversagen (Blutdruckabfall, Schockzeichen) und / oder drohendem Rückwärtsversagen (venöse Stauung, Ödeme, Lungenödem). Nach der jeweils betroffenen Kammer unterscheidet man Linksherz-, Rechtsherz- und Globalherzinsuffizienz (links und rechts). Entsprechend dem zeitlichen Verlauf wird die chronische Herzinsuffizienz von der akuten Herzinsuffizienz abgetrennt. Die akute Linksherzinsuffizienz kann z. B. durch Myokardinfarkt und Bluthochdruckkrise bedingt werden. Die akute Rechtsherzinsuffizienz findet sich z. B. bei einer Lungenembolie. Weitere Ursachen einer Herzinsuffizienz können sein: Herzklappenfehler, Kardiomyopathien, pulmonale Hypertonie (z. B. bei Asthma), Herzrhythmusstörungen, Überwässerung (z. B. Infusionstherapie) usw. Die chronische kompensierte Herzinsuffizienz ist im Rettungsdienst nur sekundär von Belang. Notfallmedizinisch relevant ist die akut dekompensierte Form der chronischen Herzinsuffizienz bzw. die akute Herzinsuffizienz. Stadieneinteilung der Herzinsuffizienz gemäß der New-York-HeartAssociation (NYHA): I Beschwerdefreiheit, normale körperliche Belastungsfähigkeit II Beschwerden bei stärkerer körperlicher Belastung III Beschwerden schon bei leichter körperlicher Belastung (Alltagsbelastung) IV Beschwerden in Ruhe Die Therapie besteht zum einen in kausalen Maßnahmen, d. h. Beseitigung der Ursache (z. B. Therapie einer arteriellen Hypertonie, KHK usw.) und zum anderen in medikamentösen Maßnahmen zur Herzentlastung und Verbesserung des Wirkungsgrades der Herzarbeit. In kardiochirurgischen Zentren besteht die Möglichkeit, bei Versagen der konservativen Therapie des kardiogenen Schocks eine intraaortale Ballonpumpe einzusetzen. (vgl. S. 226 f.) Die weitere Therapie der akuten Herzinsuffizienz siehe nächste Seite. Behandlung der chronischen Herzinsuffizienz außerhalb der Notfallmedizin - Langzeittherapie: Allgemeine Maßnahmen wie körperliche und seelische Entlastung, Gewichtsnormalisierung, Stuhlregulierung, Thromboseprophylaxe, medikamentöse Therapie (Diuretika, Digitalis, ACE-Hemmer, Glyceroltrinitrat, Calciumantagonisten, Phosphodiesterasehemmer (Enoximon) [Perfan®])
8.2 · Herzinsuffizienz
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Akute Herzinsuffizienz Symptomatik • Dyspnoe (auch in Ruhe), schnelle Atmung, evtl. Zyanose • Unruhe, Angst, Schwächegefühl • Blässe, kühle, evtl. feuchte Extremitäten • evtl. Bewusstseinsstörung, niedrige Sauerstoffsättigung • Puls evtl. tachykard, bradykard, arrhythmisch • Blutdruckabfall / kardiogener Schock • spezielle Zeichen der Rechtsherzinsuffizienz: • gestaute Halsvenen, Ödeme, Bauchwasser (Aszites) • chronisch: evtl. Oberbauchsymptomatik (Stauungsgastritis) • spezielle Zeichen der Linksherzinsuffizienz: • Lungenstauung / Lungenödem (Auskultation: feine Rasselgeräusche) • Husten, Asthma cardiale • Nykturie
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen (Oberkörperhochlagerung) • evtl. unblutiger Aderlass bei Lungenödem • Untersuchung, Standardtherapie (venöser Zugang: Offenhalten mit VEL oder Mandrin - keine Volumengabe) • Medikamente: - Vasodilatatoren, z. B. Glyceroltrinitrat [Nitrolingual®-Spray] (1–2 Hübe) oder [Perlinganit®] (0,03–0,18 mg/kgKG/h über exaktes Dosiersystem unter RRMonitoring - der systolische RR sollte 90 mmHg nicht unterschreiten) - (Schleifen-)Diuretika, z. B. Furosemid (20–40 mg i. v.) - bei Low-Output-Syndrom: Katecholamine, z. B. - bei überwiegender pulmonaler Stauung: Dobutamin (2–10 μg/kgKG/min i. v. – auf Tachykardie achten; Beginn mit 2 μg/kgKG/min. Dosissteigerung ggf. jeweils nach 5–10 min Achtung: eingenommene Betablocker können die vermittelte Vasodilatation antagonisieren) - bei niedrigem systolischen RR (< 80–90 mmHg) a) zusätzlich zu Dobutamin: Noradrenalin (0,9–6 μg/kg KG/h) oder b) bes. bei Bradykardien ohne Atropinwirkung: nur Adrenalin (ohne Dobutamin – sonst Konkurrenz um den Rezeptor - Dobutamin mindert durch schwächere Aktivität die Adrenalinwirkung (Betablocker mit ISA)) - Dopamin (s. S. 504) alleine; Probleme: Wirkung kann bei chronischer Herzinsuffizienz mit entleerten Noradrenalinspeichern geringer sein; in hohen Dosen stärkere Herzfrequenzsteigerung als Adrenalin) Verabreichung der Katecholamine nur über Spritzenpumpe
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Kapitel 8 · Kardiozirkulatorische Notfälle
Kardiozirkulatorische Notfälle
(Kardiales) Lungenödem Formen des Lungenödems und Ursachen • Kardiales Lungenödem (am häufigsten) Ursachen: Linksherzinsuffizienz mit Druckanstieg im Lungenkreislauf vor allem bei hypertensiver Krise, Herzinfarkt, Herzklappenerkrankung (z. B. Mitralstenose) usw. ➯ Rückwärtsversagen. Durch die Lungenstauung kommt es zu einem erhöhten Druck in den Lungenkapillaren mit Übertritt von Flüssigkeit aus der Lungenstrombahn in den Zwischenzellraum und den Alveolarraum. • Toxisches und allergisches Lungenödem (vgl. S. 374 f.) Ursachen: Durch die Einwirkung toxischer Stoffe (z. B. bei Reizgas- und Rauchgasvergiftungen), sowie im Zuge einer anaphylaktischen Reaktion kann es zu einer Permeabilitätssteigerung (höhere Durchlässigkeit) der Lungenkapillarmembranen mit Übertritt von Flüssigkeit in den Zwischenzellraum und den Alveolarraum kommen. • Weitere Ursachen Herabgesetzter onkotischer Druck des Blutes bei Überwässerung (z. B. Dialyse), Aufenthalt in größerer Höhe (Höhenlungenödem) durch geringeren (Gegen-) Druck in den Alveolen gegen das Gefäßsystem. Stadien des Lungenödems 1. Ödem des Lungengewebes (Flüssigkeitsübertritt in den Zwischenzellraum; interstitielles Lungenödem). Meistens unsymptomatisch, gelegentlich findet sich ein leichtes Giemen bei der Exspiration, es kann jedoch radiologisch nachgewiesen werden. Bei fraglich gefährdeten Patienten sollte deswegen schon in der Frühphase ein Röntgenbild des Thorax angefertigt werden, so z. B. bei Rauchgasvergiftungen, akuten Herzerkrankungen usw. Ggf. kann dann auch eine entsprechende Therapie frühzeitig eingeleitet werden. 2. Übertritt von seröser Flüssigkeit in die Alveolen (alveoläres Lungenödem) 3. Schaumbildung 4. Asphyxie (Erstickung) Differenzialdiagnose Kardiales Lungenödem • kardiale Anamnese • feuchte Haut • oft Hypertonie • feuchte Rasselgeräusche
Asthma bronchiale • pulmonale Anamnese • trockene Haut • normaler Blutdruck • trockene Rasselgeräusche (Giemen)
8.3 · Lungenödem
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Akutes kardiales Lungenödem Definition Lungenödem: Austritt von Flüssigkeit aus den Lungenkapillaren in den Zwischenzell- und Alveolarraum. Die Diffusionsstrecke für Sauerstoff und Kohlendioxid ist verlängert ➯ Hypoxie.
Symptomatik • Angst, Unruhe, Dyspnoe / Orthopnoe (auch in Ruhe), evtl. Zyanose • aufrechter Oberkörper, evtl. Einsatz der Atemhilfsmuskulatur • evtl. Austritt von fleischwasserfarbenem Schaum aus dem Mund (schwerste Form) • Brodeln und feuchte Rasselgeräusche bei Ein- und Ausatmung • evtl. spastische Atemgeräusche • feuchte und kühle Haut (Kaltschweißigkeit), Blässe • Puls tachykard, evtl. arrhythmisch • Blutdruck unterschiedlich je nach Begleiterscheinungen, z. B. hoch bei gleichzeitiger hypertensiver Krise; niedrig bei Herzinsuffizienz mit kardiogenem Schock
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen (Lagerung: sitzend mit Oberkörper hoch, Beine herabhängen lassen ➯ Senken der Vorlast) • evtl. unblutiger Aderlass • Untersuchung, Standardtherapie (venöser Zugang: Offenhalten mit VEL oder Mandrin - keine Volumengabe !) • bei anhaltend niedriger (SpO2 < 90 %) trotz Therapie - wenn vorhanden: MaskenCPAP (bei steigender SpO2 senken, da sonst bei Hyperkapnie verminderter Atemantrieb möglich) • ggf. Intubation und PEEP-Beatmung (5 - 10 cm H2O) • Medikamente • (Schleifen-)Diuretika, z. B. Furosemid (40 - 80 mg i.v.) • Vasodilatatoren, z. B. Glyceroltrinitrat [Nitrolingual®-Spray] (1 - 2 Hübe) oder [perlinganit®] (0,03 - 0,18 mg / kg KG / h i.v. über exaktes Dosiersystem) Beachte: Nicht, wenn der individuelle Normalblutdruck deutlich unterschritten ist! • ggf. Analgetika, z. B. Morphin (2 - 5 mg i.v.) • falls erforderlich: Benzodiazepine, z. B. Diazepam (5 - 10 mg i.v.)
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Kapitel 8 · Kardiozirkulatorische Notfälle
Hypertonie / Hypertensive Krise Definition der Hypertonie gemäß WHO Dauernde Erhöhung des Blutdrucks auf systolisch > 140 mmHg und diastolisch > 90 mmHg
Einteilung
Kardiozirkulatorische Notfälle
1. Primäre Hypertonie: Essenzielle Hypertonie (ungefähr 90 % der Bluthochdruckpatienten) – multifaktoriell bedingte Störung der Blutdruckregulation unbekannter Ursache 2. Sekundäre Hypertonien: • Renale Hypertonie (bei Nierenerkrankungen, z. B. Nierenarterienstenosen) • Endokrine Hypertonie (z. B. Phäochromozytom, Cushing-Syndrom usw.) • Medikamentös (z. B. Ovulationshemmer)/ernährungsbedingt (z. B. Lakritze) • Kardiovaskulär (z. B. Aortenisthmusstenose) • Schwangerschaftshypertonie (SIH – vgl. S. 302 f.)
Hypertensiver Notfall („hypertensive emergency“) Akut und stark (über den individuellen Normaldruck) erhöhter Blutdruck und Hinweise auf gefährliche Folgeerkrankungen, z. B.: • ZNS: Hochdruckenzephalopathie (Hirndruckanstieg mit Folgen wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Sehstörungen/Augenflimmern, Schwindel, Bewusstseinsstörungen, neurologische Ausfälle, Sprachstörungen, Krämpfe). Komplikationen: Apoplex (akute Minderdurchblutung/Ischämien) oder Blutungen, z. B. rupturierendes Aneurysma im Gehirn) • Herz-Kreislauf: Ischämie am Herzen, Angina pectoris. Komplikationen Herzinsuffizienz (s. S. 218 f.); Lungenödem (s. S. 220 f.), Herzinfarkt (s. S. 214 ff.); Aortendissektion (s. S. 238 f.) Ziel der Erstbehandlung ist die Vermeidung der genannten Komplikationen! Hypertensive Krise („hypertensive urgency“) „Krise“ ist insofern irreführend, dass im Regelfall nicht feststellbar ist, ob es sich bei der festgestellten Blutdruckerhöhung a) wirklich um einen plötzlichen Blutdruckanstieg im Sinne einer anfallsweisen Krise handelt oder b) ob eine chronische, bislang nicht erkannte Bluthochdruckerkrankung vorliegt, die (rasch) fortschreitend zu stark erhöhten RR-Werten geführt hat.
Notfallversorgung • Hypertensiver Notfall: Sofortige Maßnahmen zur Blutdrucksenkung erforder lich (s. rechte S.) • Hypertensive Krise: Der Patient wird im RD – auch bei hohen Blutdruckwerten (bis etwa 200/110 je nach Patient) – nur überwacht und zur unmittelbaren Blutdruckeinstellung mit oralen Medikamenten in eine Klinik eingewiesen.
8.4 · Hypertonie
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Hypertensiver Notfall Symptomatik • rasche und symptomatische Blutdruckerhöhung weit über den individuellen Normalblutdruck • Bewusstseinsstörungen, Herzklopfen, Unruhe • Kopfschmerzen, Kopf gerötet, Schwitzen, Sehstörungen, Sprachstörungen • Schwindelanfälle, Ohrensausen • Übelkeit, Erbrechen, evtl. Krämpfe • evtl. Angina pectoris, Herzinfarkt • evtl. Apoplektischer Insult • evtl. Rasselgeräusche (Lungenödem - s. S. 221), Atemnot • evtl. Nasenbluten • Akutanamnese: Bekannter Hypertonus, u.U. vernachlässigte Medikation oder Rebound nach (eigenwilligem) Absetzen, seltener Schwangerschaftshypertonie (vgl. S. 303 f.) oder sympathomimetische Drogen (z.B. Kokain).
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen (Oberkörperhochlagerung) • Untersuchung, Standardtherapie (venöser Zugang: Offenhalten mit VEL oder Mandrin - keine Volumengabe) • Antihypertonika (Ziel: notfallmedizinisch möglichst nur eine Substanz), z. B. - Urapidil (10–50 mg i. v.; langsam bis zum ausreichenden Wirkungseintritt titrieren, Wirkung tritt mit wenigen Minuten Verzögerung ein) - Schnell resorbierbare Kalziumantagonisten: z. B. Nitrendipin (5 mg p. o.), nicht bei instabiler AP/Herzinfarkt < 4 Wochen! - Glyceroltrinitrat-Spray (1–2 Hübe zu 0,4 mg s. l., ggf. wdh., ggf. Fortführung über Spritzenpumpe), Mittel der Wahl bei Lungenödem, AP/ACS - Spezielle Antihypertensiva bei speziellen Ursachen/Folgen (wenn mgl. auch die Ursache selbst behandeln!): ggf. Clonidin (bei Entzugsdelir), bei Kokainintoxikation s. Kapitel 12, ggf. Magnesium/Dihydralazin (Schwangerschaft . SIH/Eklampsie, s. S. 303), Phäochromozytom (initial Urapidil, anschließend Beta-Blocker) - Sicherung der Nierenfunktion: ggf. Furosemid (20–40 mg i. v.) und VEL i. v. • Vorgehen bei Schlaganfall s. S. 200 ff. Ziel: Initiale Senkung der Blutdruckwerte ca. 15 bis max. 25 % (in den ersten 60 min). Bei Linksherzinsuffizienz (s. S. 218) und Aortendissektion (s. S. 238 f.) ggf. stärkere Blutdrucksenkung erforderlich!
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Kapitel 8 · Kardiozirkulatorische Notfälle
Schock / Definition, Formen, Ursachen Definition Multifaktorielle Störung des Blutkreislaufes mit lebensbedrohlicher Hypoperfusion der Organe und / oder Hypoxie der Gewebe. Es entsteht ein Missverhältnis zwischen Sauerstoffbedarf und Sauerstoffangebot.
Kardiozirkulatorische Notfälle
Formen und Ursachen • Volumenmangelschock (S. 228 ff.) Kreislaufinsuffizienz durch Verminderung der zirkulierenden Blutmenge (Volumen). Ursachen: Volumenverluste (Blut-, Plasma- und andere Körperflüssigkeitsverluste durch z. B. Blutung, Exsikkose, Durchfälle, Erbrechen usw.). Man spricht von einem absoluten Volumenmangel (Hypovolämie). (Eine kurzzeitige Blutverteilungsstörung, bei der eine größere Blutmenge nicht am Kreislauf teilnimmt - z. B. durch periphere Weitstellung der Gefäße bei vasovagaler Synkope mit „Versacken“ des Blutes vor allem in den Beinen; s. S. 188 f. - nennt man relativen Volumenmangel. Man spricht hier nicht von einem Volumenmangelschock.) • Kardiogener Schock (S. 226 f.) Kreislaufinsuffizienz durch Pumpversagen des Herzens (z. B. bei Herzinfarkt, Herzinsuffizienz, Herzrhythmusstörungen usw.) • Anaphylaktischer Schock (S. 232 f.) Kreislaufinsuffizienz durch allergische Reaktion vom Sofort-Typ durch histaminvermittelte Weitstellung der peripheren Gefäße und Bronchospasmus • Septischer Schock (S. 236) Kreislaufinsuffizienz, verursacht durch freiwerdende Bakterientoxine (Eröffnung physiologischer arteriovenöser Fisteln und Vasodilatation), führt zu Hyperzirkulation des Blutes mit Minderversorgung der Organe (hyperdyname Phase); später Übergang in hypodyname Phase mit Symptomen des Volumenmangelschocks. • Neurogener Schock (S. 234) ZNS-Störung mit Einfluss auf die Gefäßenervation bedingt eine periphere Gefäßerweiterung (z. B. bei Schädel-Hirn-Trauma, starken Schmerzen usw.). • Spinaler Schock (S. 235) Eine akute Querschnittslähmung führt über eine Sympathikusblockade der betroffenen Region zu einer Vasodilatation mit nachfolgender Schocksymptomatik.
8.5 · Schock
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Schock / Pathophysiologie Einleitung der Schockkaskade durch Abfall des Herzzeitvolumens (➯ RR Ø) Kompensatorische Gegenregulation (u. a. katecholaminvermittelt (Sympathikusaktivierung / Stressreaktion): Herzfrequenzanstieg; periphere Vasokonstriktion = Zentralisation zur Gewährleistung der Perfusion von Herz und Gehirn; Einstrom von Flüssigkeit aus dem Interzellulärraum in den Intravasalraum. Bei Versagen der Gegenregulation ➯ verminderte Organperfusion: Störung der Makro- und Mikrozirkulation: • Minderperfusion • Stase (➯ Sludge = „Verklumpung“), • Gefäßatonie (präkapillär > postkapillär), • Kapillarschaden (Endotheldefekt), • Mikrothrombenbildung ➯ Gewebshypoxie (O2-Mangel) ➯ Anaerober Stoffwechsel ➯ Metabolische Azidose
➯ Intravasale Gerinnung (s. u.)
➯ Verstärkung des Volumenmangels durch Wanderung von Flüssigkeit aus dem Gefäßsystem in den Zwischenzellraum (interstitielles Ödem) ➯ Dekompensation des Kreislaufes ➯ (Multi-) Organversagen: • Niere: Minderdurchblutung der Nierenrinde ➯ Versiegen der Primärharnbildung (Oligurie / Anurie) ➯ akutes Nierenversagen (Schockniere). • Herz: Minderdurchblutung der Herzkranzgefäße ➯ Herzinsuffizienz. • Lunge: ARDS (Adult Respiratory Distress Syndrome; Schocklunge) GewebsHypoxie, Gewebs-Azidose ➯ Schädigung der alveolokapillären Membran ➯ Permeabilitätsstörungen (erhöhte Permeabilität) ➯ interstitielles / intraalveoläres Lungenödem ➯ Ausbildung hyaliner Membranen, Mikroatelektasen und Thromben und nachfolgend unzureichende Bildung von Surfactant; Lungenödem; Mikroembolien • Leber: Minderdurchblutung ➯ verminderte Leberfunktion (Schockleber). ➯ Verbrauchskoagulopathie / DIC (Disseminierte intravasale Gerinnung): Störung der Mikrozirkulation (präkapilläre Dilatation (metabolisch bedingt) bei postkapillärer Gefäßverengung ➯ Blut versackt im Kapillarbett, Stase usw.) ➯ Mikrothrombenbildung ➯ gesteigerter Umsatz von Gerinnungsfaktoren = DIC (Ausbreitung der Gerinnungsaktivität über den gesamten Organismus). Bei Erschöpfung des Potentials an Gerinnungsfaktoren: Verbrauchskoagulopathie (erhöhte Blutungsneigung). ➯➯ Tod.
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Kapitel 8 · Kardiozirkulatorische Notfälle
Kardiogener Schock Definition Vermindertes Herz-Zeit-Volumen (systolische Blutdruckwerte unter 80 - 90 mmHg) durch verminderte Auswurfleistung des Herzens (Pumpversagen) bei gleichzeitig erhöhtem Druck vor dem Herzen
Kardiozirkulatorische Notfälle
Ursachen • Herzinsuffizienz (dekompensiert) • Ausfall funktionsfähigen Herzmuskelgewebes (Herzinfarkt): Sind mehr als 40 % des linken Ventrikels betroffen, kommt es meistens zu einem kardiogenen Schock. Die Letalität liegt dann bei 90 %. • Herz-Rhythmusstörungen. • Einnahme negativ inotroper Medikamente (β-Rezeptorenblocker) • Seltene Ursachen: • Volumenbelastung (mit Erhöhung des Preloads): Klappeninsuffizienzen, Shuntvitien • Druckbelastung (mit Erhöhung des Afterloads): Klappenstenosen, Lungenembolie • Füllungsbehinderung des Herzens: Herzbeuteltamponade
Differenzialdiagnose zu anderen Schockformen Wichtigster differenzialdiagnostischer Hinweis ist der im Vergleich zu anderen Schockformen erhöhte zentralvenöse Druck, erkennbar z. B. an den gestauten Halsvenen des Patienten.
Besondere therapeutische Optionen Wesentlicher Punkt ist die Stauung vor dem Herzen bei verminderter Herzauswurfleistung. Daher sind Schocklage und Volumengabe kontraindiziert. Hierdurch würde das Herz noch zusätzlich belastet. Auch bei gleichzeitig bestehendem Volumenmangel sollte zuerst höchstens eine vorsichtige Volumengabe erfolgen (Testinfusion mit max. 200 ml). Eine Blutdrucksteigerung mit Medikamenten, welche die peripheren Gefäße verengen, darf nur unter Vorsicht erfolgen, da hierdurch gleichzeitig die Nachlast erhöht wird und somit für das ohnehin insuffiziente Herz mehr Arbeit anfällt. In kardiochirurgischen Zentren besteht zur Überbrückung der Zeit bis zur Erholung des Herzens beim Versagen der konservativen Therapie die Möglichkeit des Einsatzes einer intraaortalen Ballonpumpe zur Ballongegenpulsation. Diese wird während der Diastole EKG-gesteuert aufgeblasen und kollabiert während der Systole. Damit ermöglicht sie eine bessere Koronarperfusion.
8.5 · Schock
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Kardiogener Schock Symptomatik • Atemnot, Blässe bis Zyanose, evtl. Lungenödem • Bewusstseinsstörung bis Bewusstlosigkeit • gestaute Halsvenen • evtl. Ödeme, vor allem in den Beinen • Puls evtl. tachykard, bradykard, arrhythmisch, kaum tastbar (zentralisiert) • Kaltschweißigkeit, Angst • Nagelbettprobe/ Nagelbettfüllung verlangsamt • Blutdruck erniedrigt bis nicht mehr messbar
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen • Oberkörperhochlagerung (trotz Schocksymptomatik!) • Untersuchung, Standardtherapie venöser Zugang: Offenhalten mit VEL oder Mandrin - keine Volumengabe) • ggf. kausale Therapie (Ursache behandeln, z. B. Herzinfarkt) • Medikamente: • Katecholamine, z. B. Adrenalin (1 - 12 μg / kg KG / h i.v.) oder z. B. Dobutamin (2 - 10 μg / kg KG / min i.v.) Hinweis: Verabreichung der Katecholamine nur über Spritzenpumpe • ggf. α- und β-Sympathomimetika, z. B. Adrenalin (0,05 - 0,1 mg i.v.) • (Schleifen-) Diuretika, z. B. Furosemid (20 - 40 mg i.v.) • bei Herz-Rhythmusstörungen: siehe Kapitel EKG-Diagnostik (S. 132 ff.) • bei starken Schmerzen: Analgetika, z. B. Morphin (2 - 5 mg i.v.)
Praxistipps • Bei kardiogenem Schock keine Schocklage (Verschlechterung) • Bei systolischen Blutdruckwerten unter 90 mmHg sollte bei der Behandlung mit Katecholaminen Dobutamin nicht allein eingesetzt werden, sondern mit vasokonstriktorischen Katecholaminen kombiniert werden (Gefahr des Blutdruckabfalls durch periphere Vasodilatation bei Dobutamin). • Pulsoxymetrische Überwachung des Patienten bei Zentralisation nicht aussagekräftig • Sonderfall: akuter rechtsventrikulärer Infarkt - klassische Symptomtrias: Hypotension, fehlende Lungenstauung und erhöhter Halsvenendruck. In diesem Fall sollten Vasodilatatoren vermieden werden (z. B. Nitrate). Stattdessen ist – wie bei akutem Rechtsherzversagen durch ausgedehnte Lungenembolie – zur Aufrechterhaltung eines ausreichenden rechtsventrikulären Druckes (Preload) eine sofortige Flüssigkeitszufuhr (Volumengabe) unter engmaschigem Kreislauf-Monitoring erforderlich, ggf. Testinfusion mit 200 ml Kolloid.
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Kapitel 8 · Kardiozirkulatorische Notfälle
Volumenmangelschock I Ursachen: Blutverlust, Plasmaverlust (z. B. Verbrennung), schwere Durchfälle, heftiges Erbrechen.
Kardiozirkulatorische Notfälle
Das Blutvolumen bei Erwachsenen beträgt ungefähr 70 - 80 ml / kg KG. Der Volumenmangelschock durch Blutverlust wird als sogenannter hämorrhagischer Schock bezeichnet. Die Hypovolämie führt zu einer Verminderung des Herzzeitvolumens. Einteilung nach ATLS-Schema Stadium I (Blutverlust bis zu 15 % des Blutvolumens): • minimale Tachykardie • Blutdruck, kapilläre Füllungszeit (Nagelbettprobe < 2 s) und Atemfrequenz normal • Druckamplitude des Pulses bleibt konstant Stadium II (Blutverlust von 15 - 30 % des Blutvolumens): • Tachykardie • Druckamplitude des Pulses nimmt ab (durch kompensatorischen Anstieg des diastolischen Blutdrucks) • kapilläre Füllungszeit nimmt zu • kein oder minimaler systolischer Blutdruckabfall Stadium III (Blutverlust von 30 - 40 % des Blutvolumens): • Tachykardie • Abfall des systolischen Blutdrucks • Tachypnoe (schnelle Atmung) Stadium IV (Blutverlust über 40 % des Blutvolumens): • Tachykardie • deutlicher Blutdruckabfall • Tachypnoe • kalte, blasse Haut (Erst) bei Blutverlust über 50 % des Blutvolumens: Bewusstseinsverlust, fehlender Puls und Blutdruck! Folgerung: wichtige Indizien für das Vorliegen eines Volumenmangelschocks bei entsprechender Verletzung / Erkrankung sind die Nagelbettprobe und die Tachykardie. Bei einer Symptomatik mit Blutdruckabfall ist bereits von einem massiven Blutverlust (30 - 40 % des Blutvolumens) auszugehen. Neben den sichtbaren Blutungen müssen auch immer innere Blutungen (z. B. Bauchraum) und Einblutungen an Frakturstellen bedacht werden!
8.5 · Schock
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Volumenmangelschock II Aktuelle Konzepte zur Volumentherapie Physiologische Grundlagen Ein Hämoglobingehalt von > 10 g/dl bzw. ein Hämatokrit von > 30% indiziert normalerweise eine ausreichende Sauerstofftransportkapazität. Dies ist i.d.R. bei Blutverlusten < 30 % des Gesamtblutvolumens der Fall, wenn das verlorene Blut (Erwachsene ca. 1,5 l) durch andere Flüssigkeiten ersetzt wird. Solange ist klinisch auch noch kein starker Blutdruckabfall zu erwarten, die Volumentherapie aber unbedingt indiziert, um ein adäquates Herzzeitvolumen zu erhalten. Bei Blutverlusten über 30 - 40 % (> 1,5 l) bzw. resultierendem Hb von < 8 - 10 g/dl wird in kürzerer Zeit eine Transfusion humaner Blutbestandteile (auch Gerinnungsfaktoren) nötig (abh. von Alter und Vorerkrankungen). Künstliche O2-Träger (z.B. DCL-Hb) konnten bislang keine Alternative zu „echten Erythrozyten“ darstellen. Möglichkeiten des Flüssigkeit- und Volumenersatzes a) Kristalloide: Vollelektrolytlösungen (VEL) enthalten Kationen und Anionen in der im Plasma vorkommenden Konzentration (Isotonie). Die VEL ersetzt extrazelluläre Flüssigkeitsverluste. Nachteil: geringer Volumeneffekt (Intravasalraum) - 50 %. Vorteil: keine allergischen Reaktionen b) Kolloide: im RD werden Lösungen künstlicher Kolloide (Hydroxyethylstärke = HES/HAES, seltener Dextrane u. Gelatine) verwendet, die eine höhere intravasale Verweildauer als VEL aufweisen: volumenwirksame HWZ z.B. 2-3 h (HES 40.000)/ 6-8 h (HES 450.000). Wenn der kolloidosmotische (= onkotische) Volumen effekt das Infusionsvolumen übertrifft, spricht man von Plasmaexpandern (z.B. HES 10% 200.000). Außerdem Verbesserung der Mikroperfusion • Maximale Dosis HES (seit 1998 erhöht): 2g/kg KG/24 h = 33 ml/kg KG/24 h • Dextrane sollten notfallmedizinisch wegen höheren allergischen Potentials verlassen werden (zur Prophylaxe ggf. Vorgabe von Dextran 1 [Promit]). Small-Volume-Resuscitation Bei schwerem, akuten Volumenmangelschock kann die Bolusgabe geringer Mengen (ca. 4 ml/kgKG) hyperosmolarer NaCl-Lsg. (7,2-7,5%) in kürzester Zeit enorme Flüssigkeitsmengen aus dem Interstitium nach intravasal verschieben (entspr. einer Volumengabe von ca. 40 bis zu 80 ml/kgKG). Dadurch schnelle Stabilisierung mgl. Näheres s. S. 568.
Konzept der permissiven Hypotension (schwerer Blutverlust) Bei unstillbarer innerer Blutung ist eine massenhafte Flüssigkeitsinfusion nicht immer erfolgversprechend, da der Gehalt an Trägern im Blut durch „Verdünnung“ ständig sinkt (Hypoxie). Eine massive Volumengabe erhöht den Blutdruck und kann dadurch die Blutung sogar verstärken! Daher wird für die möglichst kurze Versorgung im RD bei penetrierender Verletzung und unstillbaren Blutungen ein niedriger systolischer Blutdruck (80–100 mmHg) akzeptiert (sofern kein SHT/ WS-Trauma, junger Patient ohne Begleiterkrankungen).
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Kapitel 8 · Kardiozirkulatorische Notfälle
Volumenmangelschock I Definition Kreislaufinsuffizienz infolge Verminderung der zirkulierenden Blutmenge durch Blut- und Plasmaverluste, Erbrechen, Durchfall, Verbrennung usw.
Kardiozirkulatorische Notfälle
Symptomatik Blutverlust
Pulsfrequenz
Nagelbettprobe
Blutdruck
< 15 % 15 - 30 % 30 - 40 %
normal - erhöht stark erhöht stark erhöht
normal verlängert verlängert
> 40 %
stark erhöht oder kein Puls
verlängert
normal normal erniedrigt (syst. RR) stark erniedrigt
Atemfrequenz normal normal erhöht erhöht
• Unruhe, Bewusstseinsstörung bis Bewusstlosigkeit • Blässe (bis Zyanose) • kalter Schweiß (feuchte, kühle Haut), Durst, Oligurie • Halsvenen kollabiert (nicht sichtbar), verminderte Venenfüllung (Punktion erschwert!), Nagelbettprobe verlangsamt (> 2 s), Zentralisation (Hinweis: pulsoxymetrische Überwachung des Patienten bei Zentralisation nicht aussagekräftig!) • zunehmende Tachykardie, Puls kaum tastbar (in der Terminalphase kann der Übergang zur Bradykardie als Zeichen des drohenden Todes gewertet werden) • Blutdruckabfall, Blutdruckamplitude vermindert • evtl. schnelle, flache Atmung • Hinweise auf starken Flüssigkeits- bzw. insbesondere Blutverlust (auch an innere Blutung denken! Z. B. bei Fraktur, akutem Abdomen usw.)
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen • ggf. Blutung stillen! Schocklage! • Lagerung: 1. bei klarem Bewusstsein oder bei intubiertem Patient: auf dem Rücken; Beine hochlagern (Schocklage) 2. bei (V. a.) (H)WS-Trauma: den Patienten auf der Trage komplett kippen 3. bei Bewusstlosigkeit (wenn nicht intubiert): stabile Seitenlage Hinweis: Die Ganzkörperschräglage (im Vergleich zum Anheben der Beine) soll nur im begründeten Ausnahmefall (2.) und dann nur bis zu einem Winkel von ca. 15° durchgeführt werden, weil sie • zum einen die Herzvorlast und den zentralvenösen Druck erhöht, • aber die Hirndurchblutung vermindert und • die Atmung durch erhöhten Druck auf das Zwerchfell beeinträchtigt.
8.5 · Schock
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Volumenmangelschock II • Untersuchung, Standardtherapie • Schaffung großlumiger peripherer venöser Zugänge • Zügiges Infundieren von Volumenersatz (ggf. als Druckinfusion): • Vollelektrolytlösung (initial 20 ml / kg KG i.v., wenn nicht schon durch RS / RA gegeben); • kolloidales Volumenersatzmittel (z. B. Hydroxyethylstärke, initial bis 15 ml/ kg KG i.v.) • Achtung: Vorsicht bei Herzerkrankungen und Ödemen! • bei schwerer, akuter (hämorrhagischer) Hypovolämie (z.B. geschätzter Blutverlust > 30%, ATLS-Stadium III) ggf. Small-Volume-Resuscitation (möglichst initial): z.B. HyperHAES, 4 ml / kg KG als Druckinfusion über 2-5 min i.v. unter engmaschiger Kreislaufkontrolle (s.a.S. 568) Aufrechterhaltung des Volumeneffektes durch konsequente Anschlussbehandlung mit kolloidalen und kristalloiden Lösungen nach Bedarf • ggf. Intubation und Beatmung (100 % Sauerstoff !) • Kreuzblutabnahme (bei gebotener Eile schon zur Blutbank schicken, z. B. mit NEF oder Polizei) • Medikamente: • ggf. Analgetika, z. B. Ketamin (0,2 - 0,5 mg / kg KG i.v.) • ggf. Benzodiazepine, z. B. Diazepam (5 - 10 mg i.v.) Cave: Blutdruckabfall, Atemdepression! • ggf. Narkoseeinleitung: z. B. Ketamin (1 - 2 mg / kg KG i.v.; halbe Initialdosis im Allgemeinen nach 10 - 15 min; Beachte: Kombination mit Sedativa empfohlen!)
Praxistipps • Wenn nach schneller Infusion von 1000 ml Vollelektrolytlösung und 500 ml kolloidalem Volumenersatzmittel (Erwachsener) bzw. Small-VolumeResuscitation (s.o.) keine deutliche Verbesserung der Kreislaufsituation erfolgt ➯ schneller Transport in die Klinik (Sondersignal). (Ggf. weitere Infusionstherapie während des Transportes.) Vgl. S. 229 • Bei Polytrauma (s. Kapitel 9) generell die Zeit im Auge behalten; die präklinischen Maßnahmen sollten innerhalb von 30 Minuten durchgeführt worden sein. Nur in der Klinik bestehen Möglichkeiten operativer Blutstillung, einer Bluttransfusion, differenzierter Volumentherapie anhand von Laborwerten usw. Vgl. S. 229. • Bei penetrierender Verletzung, insbesondere des Thorax, schnellstmöglicher Transport (Sondersignal) in die Klinik mit Notarztbegleitung. Alle anderen Maßnahmen müssen sozusagen nebenbei bewältigt werden.
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Kapitel 8 · Kardiozirkulatorische Notfälle
Kardiozirkulatorische Notfälle
Anaphylaktischer Schock Pathophysiologie Typ-1-Reaktion (Sofort-Reaktion) des Immunsystems; bei Antigen-Kontakt mit Immunglobulin E (= Antikörper, gebunden an Mastzellen und basophile Granulozyten) kommt es zur Freisetzung verschiedener Mediatorstoffe, z. B. • biogene Amine aus Speichergranula (sofortige Freisetzung): Histamin a) Wirkung an H1-Rezeptoren: rasche Dilatation aller kleinen Arteriolen (➯ RR Ø, Schock, Hautrötung, Kopfschmerz), Permeabilitätsstörung im Bereich der kleinen Venolen (➯ Quaddeln), Bronchospasmus, Verzögerung der AV-Überleitung (negativ dromotrop) b) H2-Rezeptoren: verzögerte u. langandauernde Dilatation aller kleinen Arteriolen, Zunahme von Herzkraft (positiv inotrop) u. Magensaftsekretion c) Allgemeine Wirkung: Juckreiz und Schmerz an sensiblen Nervenenden • Arachidonsäuremetabolite (werden verzögert gebildet): Leukotriene und Prostaglandine Auch ein schneller Atem- / Herz-Kreislaufstillstand ohne Vorankündigung (z. B. Hautsymptome) ist möglich. Eine Spätreaktion mit o. g. Symptomen ist noch nach Stunden möglich. Ein Blutdruckabfall oder eine Tachykardie kombiniert mit Symptomen wie Urtikaria (Quaddelbildung), Quincke-Ödem (allergisches Gesichtsödem) bzw. beginnender Bronchospastik sind immer hochgradig verdächtig auf eine allergische Reaktion, auch wenn momentan kein direkter Zusammenhang zu einem Allergen gefunden werden kann. Allergenen, die häufiger eine Anaphylaxie auslösen • Röntgenkontrastmittel • kolloidale Volumenersatzmittel (Dextrane, Gelatine, HAES) • Blutpräparate, eiweißhaltige Präparate, Nahrungsmittel (z.B. Nüsse) • Fremdeiweiße (Schlangen- und Insektengifte) • (Lokal-) Anästhetika, Impfstoffe, Latex Stellenwert von Adrenalin bei Anaphylaxie (nach ERC) Adrenalin ist allgemein als das wichtigste Medikament bei schwerer Anaphylaxie akzeptiert; manche Risikopat. erhalten es als Bedarfsmedikation zur Autoinjektion. Als alpha-Agonist wirkt es gegen periphere Vasodilatation und Ödeme; seine betamimetische Wirkung bewirkt Bronchodilatation, positive Inotropie u. Unterdrükkung der Mediatorfreisetzung. Adrenalin ist um so effektiver, je früher es gegeben wird. Dennoch birgt bes. die i.v.-Gabe Risiken (und ist daher der ausgeprägten Schocksymptomatik vorbehalten), während die i.m.-Injektion als sicher gilt und bereits bei ersten Schockzeichen angewendet werden sollte (z.B. verminderte Kapillarfüllungszeit, inspirator. Stridor, Tachykardie). Die Adrenalinwirkung kann durch Betablocker-Medikation vermindert sein; in derartigen Fällen kommt der sonst ebenfalls wichtigen Volumengabe (> 1-2 l VEL) besondere Bedeutung zu.
8.5 · Schock
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Anaphylaktischer Schock Definition Kreislaufinsuffizienz durch allergische Reaktion vom Sofort-Typ mit histaminvermittelter Weitstellung der peripheren Gefäße und Bronchospasmus
Symptomatik Stadium I
• Kopfschmerzen, Schwindel • Flush (durchblutungsbedingte Hautrötung mit Hitzegefühl) • Hautreaktionen: • Juckreiz (Pruritus) • Nesselsucht / Quaddeln (Urtikaria) • Ödeme (z. B. Quincke-Ödem = Gesichts-Hals-Ödem) Stadium II • Tachykardie, Blutdruckabfall, Nagelbettprobe > 2 s • Übelkeit, Erbrechen • Bronchospasmus Stadium III • Manifester Schock • Bronchospasmus, Atemnot Stadium IV • Atemstillstand / Herz-Kreislaufstillstand
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen, Peak-flow-Messungen zur Verlaufskontrolle • wenn möglich: Ursache beseitigen (z. B. Infusion stoppen; einen bereits liegenden venösen Zugang zur weiteren Therapie unbedingt belassen!) • Untersuchung, Standardtherapie - ab Stadium I Großzügige Sauerstoffgabe Kühlung von Schwellungen (z. B. Insektenstich am Hals / im Mundraum) - ab Stadium II zusätzlich Schocklagerung 1000 ml VEL als Druckinfusion, ggf. Wiederholung - Stadium III zusätzlich ggf. Beatmung - Stadium IV Beatmung, rechtzeitige Intubation (Ödem!), ggf. CPR • Medikamente: - ab Stadium I Antihistaminika, z. B. Dimetinden (0,1 mg / kg KG i.v.) und Cimetidin (2 - 5 mg / kg KG i.v.) Immer H1- und H2-Blockade! Kortikosteroide, z. B. Prednisolon (250 mg i.v.; Dämpfung einer Spätreaktion durch Leukotriene). Ggf. Inhalation: Adrenalin (s.S. 484) o. Betamimetika (z.B. Fenoterol) - Stadium II Adrenalin: 0,5 mg (0,5 ml 1:1000) i.m.; Erfahrene ggf. schon wie Stadium III - Stadium III Adrenalin, fraktioniert zu je 0,1 mg i.v. (je 0,1 ml 1:10000) (1 ml auf 10 ml NaCl 0,9 % verdünnen: 1 ml enth. 0,1 mg) - Stadium IV ggf. Reanimation (CPR / ALS)
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Kapitel 8 · Kardiozirkulatorische Notfälle
Neurogener Schock Definition ZNS-Störung mit Einfluss auf die Regulation der Gefäßenervation (vegetative Reaktion) bedingt eine periphere Gefäßerweiterung. S. a. Synkope (S. 188 ff.)
Ursachen • Schädel-Hirn-Trauma • starke Schmerzen • Sonnenstich • u. a. m.
Kardiozirkulatorische Notfälle
Symptomatik • Bewusstseinsstörungen bis Bewusstlosigkeit, Synkope • Unruhe • Blutdruckabfall • meist Tachykardie (aber auch normaler Puls oder Bradykardie möglich) • oft verminderte Venenfüllung
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen (Schocklage) • Untersuchung, Standardtherapie • Medikamente: • α-Sympathomimetika, z. B. Etilefrin (1 - 10 mg i.v.; 1 Ampulle auf 10 ml verdünnen (NaCl 0,9%); in 1-ml-Schritten langsam bis zum ausreichenden Wirkungseintritt titrieren) oder • Antihypotonika, z. B. Cafedrin und Theodrenalin [Akrinor®] (0,2 - 2 ml i.v.; 1 Ampulle auf 10 ml verdünnen (NaCl 0,9%); in 1-ml-Schritten langsam bis zum ausreichenden Wirkungseintritt titrieren.)
8.5 · Schock
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Spinaler Schock Definition Durch Weitstellung der Gefäße (Vasodilatation) bedingter Blutdruckabfall aufgrund einer Sympathikusblockade (Ausfall der sympathischen Innervation der Gefäße) bei Verletzungen des Rückenmarkes (akute Querschnittssymptomatik)
Symptomatik • Bewusstseinsstörungen bis Bewusstlosigkeit, Synkope • Blutdruckabfall • Querschnittssymptomatik (vgl. Wirbelsäulentrauma, Kapitel 9) • meist Tachykardie (aber auch normaler Puls oder Bradykardie möglich) • oft verminderte Venenfüllung • Unruhe
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen (Schocklage) • Untersuchung, Standardtherapie • Medikamente: • α-Sympathomimetika, z. B. Etilefrin (1 - 10 mg i.v.; 1 Ampulle auf 10 ml verdünnen (NaCl 0,9%); in 1-ml-Schritten langsam bis zum ausreichenden Wirkungseintritt titrieren) oder • Antihypotonika, z. B. Cafedrin und Theodrenalin [Akrinor®] (0,2 - 2 ml i.v.; 1 Ampulle auf 10 ml verdünnen (NaCl 0,9%); in 1-ml-Schritten langsam bis zum ausreichenden Wirkungseintritt titrieren) • ggf. Noradrenalin (0,9 - 6 μg / kg KG / h über Spritzenpumpe i.v.)
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Kapitel 8 · Kardiozirkulatorische Notfälle
Septischer Schock Definition Kreislaufinsuffizienz, verursacht durch frei werdende Bakterientoxine (Eröffnung physiologischer arteriovenöser Fisteln und Vasodilatation), führt zu Hyperzirkulation des Blutes mit Minderversorgung der Organe (hyperdyname Phase); später Übergang in hypodyname Phase mit Symptomen des Volumenmangelschocks
Symptomatik
Kardiozirkulatorische Notfälle
• Hyperventilation, Tachykardie, Blutdruck erniedrigt • warme, gerötete Haut • evtl. Zyanose der Hände und Finger • Fieber, Schüttelfrost, Unruhe • evtl. Petechien (punktförmige Hautblutungen) • Im fortgeschrittenen Stadium auch blasse kalte Haut mit Zyanose und Hypotonie möglich (hypodyname Form)
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen • Untersuchung, Standardtherapie • Volumentherapie (primär VEL, bei V. a. erniedrigten kolloidosmotischen Druck < 15 mmHg auch Kolloide) • Medikamente: - in der hypodynamen Phase und nach ausreichender Volumentherapie: Katecholamine, vorzugsweise Noradrenalin (0,9–6 μg/kgKG/h i. v.); bei längerer Katecholamintherapie Kombination mit einer positiv inotropen Substanz - Bei der akuten Meningokokkensepsis (ggf. auch Pneumokokken, H. influenzae) erhält die Antibiose den Stellenwert einer Notfalltherapie. Bei vitaler Indikation (Schockzeichen, Petechien, Dyspnoe) und Transportzeit > 30 min, wenn vorhanden: Ceftriaxon oder Cefotaxim (50 mg/kgKG über 10 min i. v.; ggf. Vorgabe eines Kortikoids); in diesem Fall kann auf vorherige Lumbalpunktion verzichtet werden; die wichtigsten Meningitiserreger werden erfasst. Der Verdacht muss bei unklarem Fieber mit Bewusstseinsstörungen u. ggf. Meningismus entstehen. Hinweise • Verabreichung der Katecholamine nur über eine Spritzenpumpe • In der Klinik chirurgische Sanierung der Sepsisherde und Antibiotika-Therapie • Der septische Schock ist ein in der präklinischen Notfallmedizin rares Krankheitsbild.
8.6 · Herzbeuteltamponade
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Herzbeuteltamponade Definition Flüssigkeitsansammlung bzw. Einblutung zwischen den Perikardblättern (zwischen Epikard und Perikard); dadurch Behinderung der Blutfüllung des Herzens in der Diastole mit entsprechender Minderung des Schlagvolumens (Auswurfleistung). Das Ausmaß der Pumpinsuffizienz ist abhängig von Menge und Geschwindigkeit der Flüssigkeitsansammlung (bei langsamem Flüssigkeitseinströmen kann eine Menge von bis zu 500 ml verkraftet werden, bei plötzlichem Auftreten können schon 100 - 200 ml tödlich sein).
Ursachen • penetrierende Thoraxverletzung mit Herztrauma, insbesondere dünne Stichkanäle • Myokardruptur (z. B. bei Herzwandaneurysma nach Herzinfarkt) • Perikardergüsse (z. B. bei Perikarditis) • nach operativen Eingriffen am Herzen
Symptomatik • Thoraxschmerz, Druckgefühl, Atemnot, seufzende Atmung • Blutdruckabfall (Beachte: der arterielle Blutdruck kann bis zur Dekompensation unauffällig sein!) • Synkope, Bewusstseinsstörungen bis Bewusslosigkeit, Unruhe • Herztöne leise und dumpf • EKG: Niedervoltage • Zeichen der Rechtsherzinsuffizienz (Ödeme, gestaute Halsvenen usw.; diese Zeichen können bei gleichzeitigem Volumenmangel, z. B. bei Thoraxtrauma, fehlen)
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen • Untersuchung, Standardtherapie • je nach Symptomatik Behandlung wie kardiogener Schock / Herzinsuffizienz • Perikardpunktion bei weitgehend gesicherter Diagnose (präklinisch schwierig zu diagnostizieren!) bzw. als Ultima Ratio in verzweifelten Fällen: Technik: Lagerung des Patienten: Oberkörper ca. 30° hochgelagert. Punktionsstelle: xyphoido-sternaler Winkel (linksseitig!). Stichrichtung: kranial-dorsal-lateral im 45°-Winkel auf Zentrum der Scapula sinistra zu. Unter Aspiration Perikardpunktionsnadel vorschieben bis Flüssigkeit aspiriert wird. Komplikationen: Verletzung von Leber, Magen, Lunge (z.B. Pneumothorax), der A. thoracica interna oder einer Koronararterie. Herz-Rhythmusstörungen (evtl. Kammerflimmern), Ventrikelpunktion, Perikarditis. Cave: Punktion nur unter EKG-Monitoring und Defibrillationsbereitschaft durchführen!
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238
Kapitel 8 · Kardiozirkulatorische Notfälle
Aortenaneurysma-Ruptur Definition: Ruptur einer Aussackung der Aorta oder Ausbildung eines dissezierenden Aneurysmas im Thorax Thorakales Aortenaneurysma Meist Aortendissektion (Ruptur der inneren Gefäßwand mit Einströmen von Blut zwischen die Gefäßwandschichten). Symptomatik mit akutem Thoraxschmerz ähnlich dem Herzinfarkt (bzw. ACS)
Kardiozirkulatorische Notfälle
Abdominelles Aortenaneurysma Aussackung der kompletten Gefäßwand (80 % infrarenal - unterhalb des Abganges der Nierenarterie; wesentlich häufiger als thorakales Aortenaneurysma). In 2/3 der Fälle zuerst gedeckte Ruptur (Blutung in den Retroperitonealraum mit Eigentamponade), in 1/3 der Fälle freie Perforation mit Einblutung in den Bauchraum / in die freie Bauchhöhle Symptomatik: • Gedeckte Perforation: plötzlich einschießende Bauch- und Rückenschmerzen (evtl. wie Harnleiterkolik), starker Blutverlust, Schmerzausstrahlung in Flanke und Leiste. Achtung: Jederzeit Übergang in freie Ruptur möglich! • Freie Ruptur: Perforation mit Blutverlust in die freie Bauchhöhle: Akuter (Unter-)Bauchschmerz, massiver Schock, sekundenschnelles Verbluten möglich
Aneurysma verum: Aussackung der Gefäßwand (Erweiterung aller Schichten: Intima, Media und Adventitia)
Aneurysma dissecans: Blut wühlt sich zwischen die Gefäßwandschichten und dehnt die äußere Wand auf.
Aneurysma spuricum (oder falsum): Durch ein Gefäßleck tritt Blut aus; das Hämatom wird von einer bindegewebigen Kapsel umgeben.
8.7 · Aortenaneurysma
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8
Akute Aortendissektion / Aortenaneurysma-Ruptur Symptomatik Thorakales Aortenaneurysma (meist Aortendissektion): • akuter Thoraxschmerz • zuerst oft keine Schocksymptomatik, später Blutdruckabfall usw. • häufig Verwechslung mit Myokardinfarkt oder Angina pectoris • evtl. Blutdruckdifferenz zwischen rechtem und linkem Arm Abdominelles Aortenaneurysma (Ruptur; häufiger): • plötzlicher Bauchschmerz, Ausstrahlung (Rücken, Flanken oder Leisten) • häufig Verwechslung mit Harnleiterkoliken • evtl. pulsierender „Tumor“ im Abdomen tastbar • evtl. Blutdruckabfall und Schocksymptomatik
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen • Achtung: Volumentherapie nur bei Blutdruckabfall/Schocksymptomatik! • Untersuchung, Standardtherapie (venöser Zugang; Anlegen von Vollelektrolytlösung) • Volumentherapie vor Schocksymptomatik kontraindiziert! • Sichern mehrerer großlumiger venöser Zugänge! • Bei Schock: aggressive Volumentherapie mit Vollelektrolytlösung und kolloidalem Volumenersatzmittel! • Versuch des Abdrückens der Aorta ist kontraindiziert! (Gefahr der freien Perforation mit sofortigem Verbluten) • Indikationsstellung zum Transport mit Sondersignal • Abnahme von Kreuzblut (➯ Bluttransfusion)
Praxistipps • Generell ist bei allen Formen aufgrund der Rupturgefahr höchste Eile geboten. Eine Volumentherapie sollte vorbereitet werden, darf aber nur bei einsetzender Schocksymptomatik verordnet werden, da vorher durch Blutdruckerhöhung die Rupturgefahr vergrößert wird. Auch haben Manipulationen im Bauchraum zu unterbleiben, weil auch hierdurch eine (freie) Ruptur ausgelöst werden kann. • Klinik mit Möglichkeit einer entsprechenden gefäßchirurgischen Operation anfahren. • Sofern es der Patientenzustand erlaubt, sollte eine Narkoseeinleitung erst in der Klinik auf dem OP-Tisch mit bereitem Chirurgen erfolgen (Wegfall der Eigentamponade durch die Bauchdeckenspannung nach Gabe von Narkotika und Relaxanzien).
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Kapitel 8 · Kardiozirkulatorische Notfälle
Lungenembolie Verschluss der Lungenarterien oder ihrer Äste - Folgen:
Kardiozirkulatorische Notfälle
Mechanische Verlegung der Lungenstrohmbahn ➯ Druckanstieg im kleinen Kreislauf (akute Rechtsherzbelastung = akutes „Cor pulmonale“) ➯ Verminderung der rechtsventrikulären Koronarperfusion ➯ Verminderung des Rückstromes zum linken Herzen, Blutdruckabfall ➯ Verschlechterung des Ventilations-Perfusions-Verhältnisses mit Zunahme des funktionellen Totraumes ➯ Hypoxämie, Schock Ursachen • Verschleppung von Thromben aus Bein-/Beckenvenen (90 % der Fälle) • Fettembolien (selten !) meist 2 - 3 Tage (!) nach Frakturen von Becken- oder langen Röhrenknochen oder im Verlauf eines protrahierten Schocks (Bildung von Fettaggregaten aus den Blutfetten). Verdacht bei: Z.n. entspr. Verletzung o. Operation und Tachykardie, Fieber und akuter Atemnot, petechialen Hautblutungen oder zentralnervösen Symptomen (Somnolenz, Verwirrtheit, Koma) • Fruchtwasserembolie (s. S. 319) • Luftembolie nach Eindringen von ungefähr 50 - 100 ml Luft in den venösen Kreislauf bei Thoraxtrauma oder Eingriffen an herznahen Venen (Beachte: niedriger ZVD) oder in krimineller / suizidaler Absicht zugeführtes Luftvolumen oder als Komplikation bei einer Abtreibung Einteilung in Schweregrade (nach Grosser) • Schweregrad I: kleine Embolie, geringe klinische Symptomatik, normaler Blutdruck, normale Sauerstoffsättigung (Verschluss weniger peripherer Äste) • Schweregrad II: submassive Lungenembolie (ungefähr 25 % der Lungenstrombahn verlegt), anhaltende schwache klinische Symptomatik, eventuell leicht erniedrigter Blutdruck, Sauerstoffsättigung normal, evtl. Hypokapnie • Schweregrad III: massive Lungenembolie (z. B. Verlegung eines Pulmonalarterienastes), anhaltende schwere klinische Symptomatik, erniedrigter Blutdruck, Sauerstoffsättigung erniedrigt, Hypokapnie - Letalität > 25 % • Schweregrad IV: fulminante Lungenembolie (z. B. Verschluß des Pulmonalarterienhauptstammes oder mehrerer Lappenarterien), anhaltende schwerste klinische Symptomatik, mit Schock, stark erniedrigter Blutdruck, stark erniedrigte Sauerstoffsättigung - Letalität > 50 % Bei ausgeprägter Zyanose, die sich trotz einwandfreier Beatmung (100 % O2) nicht bessert, muss immer der Verdacht auf Lungenembolie entstehen! Hauptziele der präklinischen Therapie • Oxygenierung (Ausnutzung des Euler-Liljestrand-Reflexes) • Analgesie und Anxiolyse (auch um den O2-Verbrauch zu senken) • Verhinderung appositionellen Thrombuswachstums (Heparin)
8.8 · Lungenembolie
241
8
Akute Lungenembolie Symptomatik • Evtl. initialer Kollaps, Synkopen (15%) • Plötzliche Atemnot (80%), Tachypnoe (80%), oft Zyanose (20-25%) • Meist anamnestische Hinweise (nach Risikofaktoren fragen; vgl. S. 228) • Puls tachykard (50%), Blutdruckabfall (bis hin zum Schock) • Sauerstoffsättigung niedrig entsprechend den Ausmaßen der Embolie • Unruhe, Angst (60 %), Schwindel, Hustenreiz (50%), evtl. Bluthusten (25%) • atemabhängige Thoraxschmerzen (retrosternal, evtl. auch ausstrahlend - 70%) • Bewusstseinsstörung bis Bewusstlosigkeit, zentralnervöse Symptome wie Verwirrtheit, Koma usw. bei gleichzeitiger Fettembolie oder zerebraler Hypoxie) • Zeichen der Rechtsherzbelastung (80%), z.B.: - gestaute Halsvenen (akute Rechtsherzinsuffizienz) - EKG: in mind. 10% der Fälle aussagekräftige Veränderungen, z.B.: S IQ III -Typ (Mc-Ginn-White-Syndrom), RSB, Q und ST-Hebung in III und aVF, ST-Hebung und terminalnegatives T in den rechtspräkordialen Ableitungen (V1, V2, Vr3), Sinustachykardie (aber auch andere, z.B. Vorhofflimmern)
• feuchte, kühle Extremitäten; Schweißausbruch; bei massiver Embolie: auch Bradykardie, Schocksymptomatik oder abrupter Herz-Kreislaufstillstand mgl.!
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen, insbesondere maximale O2-Gabe (100%) ! • Untersuchung, Standardtherapie (keine i.m.-Injektionen: Verfälschung der Enzymdiagnostik; Kontraindikation für eventuell bevorstehende Lysebehandlung) • Schweregrad I / II: - ggf. Analgetika, z. B. Morphin (2 - 5 mg i.v.) - Cave: Atemdepression! - Antikoagulanzien, z. B. Heparin (10.000 I. E. initial i.v.; dann 7,5 - 24 I. E. / kg KG / h i.v. über ein exaktes Dosiersystem) - ggf. Benzodiazepine, z. B. Diazepam (5 - 10 mg i.v.) - Cave: Atemdepression! • Schweregrad III / IV: - ggf. Intubation u. Beatmung (100% O2!) - Cave: Möglichst lange darauf verzichten (aber 100% O2 per Maske!); nach Intubation häufig Verschlechterung (stärkere Rechtsherzbelastung; positiver Beatmungsdruck)! CPR-Bereitschaft! - bei akutem Rechtsherzversagen: - Blutdruck stabil halten (RCA-Perfusion!); z.B. Noradrenalin einsetzen - Volumengabe! (im Gegensatz zur Herzinsuffizienz, s. a. S. 226) - Bei dringendem V. a. Lungenembolie Grad IV (mit rechtsventr. Dekompensation/ CPR-Bedingungen) ist auch ohne apparative Diagnostik die präklinische Lysetherapie als Ultima Ratio (vgl. S. 216 f.) zu erwägen.
Zielklinik • Die Zielklinik sollte auch bei hämodynamisch stabilen Pat. über die baldige Möglichkeit zur Pulmonalis-Angiographie oder Spiral-CT verfügen; bei schwerer Lungenembolie auch über eine Herz-Thorax-Gefäß-Chirurgie.
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242
Kapitel 8 · Kardiozirkulatorische Notfälle
Akuter venöser Verschluss Verschluss einer Vene (komplett oder inkomplett) durch einen Thrombus; meist sind die Extremitätenvenen (vor allem die Beinvenen) betroffen. Ursachen (Virchowtrias)
Kardiozirkulatorische Notfälle
1.Verletzung oder Veränderungen an der Gefäßinnenschicht 2.Veränderte Blutzusammensetzung (Viskositätserhöhung bei Hämatokritanstieg) 3.Verminderte Strömungsgeschwindigkeit des Blutes (Stase, z.B. bei Immobilisation durch Bettlägerigkeit) Auslöser / begünstigende Faktoren • Bettlägerigkeit (Immobilisation) • Frakturbehandlung, Trauma • Schwangerschaft • Nikotingenuss • Einnahme von Kontrazeptiva / Ovulationshemmern („Pille“) • lokale Kompression von Venen, vor allem Beckenvenen, z. B. durch Tumor Lokalisation • meist Bein- oder Beckenvenenthrombosen • V. cava (Hohlvene) • V. subclavia / V. axillaris (Paget-von-Schroetter-Syndrom) • Hirnvenen Gefahr: Es besteht (vor allem bei der tiefen Bein- bzw. Beckenvenenthrombose) die Gefahr der Thrombenverschleppung. Der losgelöste Thrombus wandert als Embolus in die Lungenstrombahn (➯ akute Lungenembolie). Daher ist jede aktive Bewegung des Patienten kontraindiziert. Der Patient darf auf keinen Fall aufstehen oder zu Fuß zum Krankenwagen / Rettungswagen gehen ! Sonderform: Phlegmasia coerulea dolens; komplette Thrombosierung der gesamten Venen einer Extremität: Rasches Anschwellen der Extremität, zyanotische Verfärbung, stärkste Schmerzen, arterielle Pulse nicht mehr tastbar (Rückstau mit Behinderung des kapillären und arteriellen Blutflusses). Ausbildung von Nekrosen innerhalb von Stunden ! Klinische Therapie: Strenge Bettruhe, Antikoagulation (Heparin), ggf. Lysetherapie, ggf. operative Thrombektomie
8.9 · Gefäßverschluss
243
8
Akuter venöser Verschluss Symptomatik (periphervenöser Verschluss / Extremität) • Schmerzen, Druckgefühl, Druckschmerz • Schmerzlinderung bei Hochlagerung • zunehmendes Schweregefühl der Extremität • Rötung oder Zyanose • warme Haut, evtl. Fieber • Schwellung, Ödem (Differenz der Extremitätenumfänge) • pralle Venenfüllung • Fußsohlendruckschmerz, Wadenschmerz bei Dorsalreflexion des Fußes
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen • Lagerung: liegend; betroffene Extremität hochgelagert • Ruhigstellung / strenge Bettruhe / Patient nicht aufstehen lassen ! • Untersuchung, Standardtherapie • Medikamente: • Antikoagulanzien, z. B. Heparin (initial 5.000 I.E. i.v.) • ggf. Analgetika, z. B. ein Opiat wie Piritramid (0,1 - 0,2 mg / kg KG i.v.)
Vorsichtsmaßnahmen • Während der Verschluss einer oberflächlichen Vene meist folgenlos bleibt, droht bei Thrombosen tiefer venöser Gefäße eine Thrombusverschleppung mit der Folge einer Lungenembolie. Daher ist die betroffene Extremität unbedingt ruhigzustellen. Strenge Bettruhe! Bewegung und Aufstehen sind zunächst kontraindiziert. • Kein venöser Zugang an der betroffenen Extremität
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Kapitel 8 · Kardiozirkulatorische Notfälle
Akuter arterieller Verschluss Ursachen • Embolien (Verschleppung von Thromben, z. B. aus dem linken Herzvorhof (bei Vorhofflimmern, Mitralklappenfehler usw.) oder von thrombotischen Auflagen an den Arterienwänden bzw. an Herzwandaneurysmen) • Akute arterielle Thrombose: arteriosklerotische Thrombenbildung, Endarteriitis obliterans, Gefäßprothesen usw. • Aneurysma dissecans mit Verlegung des Gefäßlumens • Arterienspasmus (z. B. bei intraarterieller Injektion oder Arterienverletzung; versehentliche Punktion; s. S. 40)
Kardiozirkulatorische Notfälle
Merke: Ein akuter Gefäßverschluss bei gering ausgebildeten Kolateralkreisläufen führt zu ischämischen Beschwerden am betroffenen Gewebe: Hypoxie, Azidose, Nekrose. Klinisches Bild • Extremitäten: Ein akuter peripherer arterieller Verschluss führt zu der auf der folgenden Seite dargestellten Symptomatik. • Aorta: Mit plötzlichen Schmerzen in beiden Beinen und beidseits fehlenden Leisten- und peripheren Fußpulsen mit entsprechenden neurologischen Ausfällen wird Leriche-Syndrom genannt (schnelles gefäßchirurgisches Eingreifen notwendig !). • Mesenterialinfarkt: Angina abdominalis, Sofortschmerz, vor allem nach Nahrungsaufnahme, mit anschließendem schmerzfreien Intervall und danach beginnender Peritonitis-Symptomatik (s. Akutes Abdomen S. 290 ff.) • Hirnarterien: s. TIA, PRIND, Apoplex (S. 198 ff.) • Herzkranzarterien: s. Herzinfarkt (S. 214 ff.) • Nierenarterien: Akutes Nierenversagen Klinische Therapie Antikoagulation mit Heparin, Fibrinolysetherapie, operative Embolektomie (mechanische Entfernung des Thrombus) mittels Katheter oder direkter Thrombendarteriektomie; Hinweis: Auch Ausschalten der Emboliequelle !) Die Zeitgrenze für ein Einschreiten bei kompletten Ischämiesymptomen an den Extremitäten beträgt ungefähr 6 Stunden. Danach muss mit irreversiblen Schäden am betroffenen Gewebe gerechnet werden.
8.9 · Gefäßverschluss
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8
Akuter arterieller Verschluss Definition Verschluss einer Arterie / Arteriole durch einen Embolus (z. B. aus dem Herzen, bei Vorhofflimmern) oder durch Thrombenbildung. Im Extremitätenbereich findet sich das Bild des akuten peripheren arteriellen Verschlusses.
Symptomatik „6 x P“ nach Pratt (jeweils an der betroffenen Extremität): • pain • paleness • paraesthesia • paralysis • pulselessness • prostration
- Schmerzen (plötzlich, evtl. peitschenschlagartig einsetzend) - Blässe, kühle Haut - Gefühls- und Bewegungsstörungen - Lähmungserscheinungen - Fehlen des peripheren Pulses - evtl. Schocksymptomatik
• evtl. Schmerzlinderung bei Tieflagerung der Extremität • Tachykardie
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen • Lagerung: liegend in Abhängigkeit von der Kreislaufsituation; die betroffene Extremität herunterhängen lassen (Förderung der Durchblutung) • Ruhigstellung (jede Bewegung verursacht Schmerzen und schadet wegen Sauerstoffverbrauch; keine Wärmeanwendung (Steigerung des O2-Bedarfes) • Extremität umpolstern (wegen mangelnder Durchblutung entstehen eher Druckschäden) • Untersuchung, Standardtherapie • Medikamente: • Analgetika, z. B. ein Opiat wie Piritramid (0,1 - 0,2 mg / kg KG i.v.) • Antikoagulanzien, z. B. Heparin (initial 5.000 I. E. i.v.) • ggf. Benzodiazepine, z. B. Diazepam (5 - 10 mg i.v.)
Achtung • Kein venöser Zugang an der betroffenen Extremität!
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Kapitel 8 · Kardiozirkulatorische Notfälle
DD Akuter periphervenöser / peripherarterieller Verschluss
Kardiozirkulatorische Notfälle
Akuter peripherarterieller Verschluss
Akuter periphervenöser Verschluss
blass
Hautfarbe der Extremität
gerötet bis zyanotisch
kalt
Hauttemperatur der Extremität
warm
nicht tastbar
peripherer Puls an der Extremität
tastbar
schlecht
Venenfüllung an der Extremität
gut
tief
Lagerung der Extremität
hoch
keine
Ödeme an der Extremität
meist vorhanden
plötzlich einsetzend, oft peitschenschlagartiger Beginn
Schmerzen in der Extremität
Druckschmerz
Kapitelübersicht
247
9
Chirurgische und traumatologische Notfälle 9.1 Verletzbare Strukturen ................................................ 248 Knochen: Frakturen ........................................ 248 Gelenke: Luxationen ....................................... 249 Weichteile / Gefäße: Wunde, Blutung ............ 250 Wundversorgung ........................................... 251
9.2 Schädel-Hirn-Trauma (SHT) ....................................... 252 9.3 Intrakranielle Blutung ................................................. 256 9.4 Gesichtsschädeltrauma / Nasenbluten ......................... 258 9.5 Zahn-, Mund-, Kiefernotfälle ....................................... 260 9.6 Bandscheibenvorfall (NPP) ........................................ 264 9.7 Wirbelsäulentrauma .................................................... 266 9.8 Thoraxtrauma ............................................................. 268 9.9 Pneumothorax / Hämatothorax ................................... 270 9.10 Abdominaltrauma ....................................................... 272 9.11 Amputationsverletzung ............................................... 274 9.12 Extremitätentrauma / Sportverletzungen ..................... 276 9.13 Polytrauma ................................................................. 278 Grundlagen ...................................................... 278 Unfallmechanismus ........................................ 279 Management .................................................... 280 Technische Rettung ........................................ 284 Algorithmus ..................................................... 287
9.14 Akute Magen-Darm-Blutung ....................................... 288 9.15 Akutes Abdomen ........................................................ 290 Traumatologische Diagnostik im Rettungsdienst s. S. 103.
248
Kapitel 9 · Chirurgische Notfälle
Knochen: Frakturen Frakturzeichen
Chirurgische Notfälle
Sichere Frakturzeichen: • abnorme Beweglichkeit • Fehlstellung (Dislokation) • Knochenreibegeräusche (Krepitation; Prüfung obsolet!) • sichtbare freie Knochenenden (bei offener Fraktur) Unsichere Frakturzeichen: • Schmerz • Schwellung / Hämatom (Bluterguss) • Funktionsstörungen Cave: Erst das Röntgen bietet sicheren Frakturausschluss Einteilung der Frakturen • Nach der Bruchform: Inkomplett: Unvollständige Durchtrennung, z. B.: • Fissuren: Bildung von Rissen oder Spalten • Grünholzfraktur: vor allem bei Kindern und Jugendlichen bleibt das Periost oft wegen der Biegsamkeit (Periost / Kortikalis) unversehrt. Dadurch tritt keine Dislokation auf (s. u.) Komplett: Der Knochen ist vollständig in mindestens zwei Teile getrennt. • Disloziert: Knochenfragmente verschoben • Nicht disloziert: Knochenfragmente in regelgerechter Stellung • Nach der Gesamtverletzung: Geschlossen: Die Haut ist unversehrt. Der Knochen hat keine Verbindung nach außen. Offen: • Grad I (Durchspießung): Ein spitzes Knochenstück tritt durch die Haut (punktförmige Verletzung); Verletzung von innen nach außen • Grad II: Ausgedehnte Gewebskontusion und Weichteilverletzung. Meist Verletzung von außen • Grad III: Ausgedehnte Weichteilzerstörung mit Verletzung tieferer Strukturen (Muskeln, Gefäße, Nerven) • Grad IV: Subtotale oder totale Amputation Blutverluste bei geschlossenen Frakturen (Erwachsene) Unterarm: Oberarm:
bis zu 500 ml bis zu 1000 ml
Unterschenkel: Oberschenkel: Becken:
bis zu 1000 ml bis zu 2000 ml bis zu 5000 ml
9.1 · Verletzbare Strukturen
249
9
Gelenke: Luxationen Luxationszeichen Sichere Zeichen: • federnde Fixation • leere Gelenkpfanne tastbar • Gelenkkopf außerhalb der Gelenkpfanne tastbar Unsichere Zeichen (wie unsichere Zeichen einer Fraktur): • Schmerz • Schwellung / Hämatom • Funktionsstörungen Cave: Erst das Röntgen bietet sicheren Frakturausschluss Vorkommen (Ordnung nach abnehmender Häufigkeit) Schultergelenk > Ellenbogen > Hand > Hüfte > Sprunggelenk Ursachen • Traumatisch (Kapsel- und Bandruptur; evtl. Knochen-, Knorpel-, Gefäß- und Nervenschäden) • Gelenkdysplasie (angeboren) • Angeborene oder erworbene (posttraumatische) Gelenkinstabilität führt schon bei minimaler Benutzung zur Luxation (sog. habituelle Luxation) • Bestimmte chronische Gelenkleiden (z. B. Gelenkentzündung, gelenknahe Muskellähmung) begünstigen das Auftreten (sog. pathologische Luxation) • Auch Luxationen von Endoprothesen (bes. Hüfte, z.B. bei Hinsetzen auf niedrige Sitzgelegenheit oder bei Bücken) Diagnostik und Therapie bei Frakturen und Luxationen (vgl. S. 55) • Kein differenzialdiagnostisches Austesten der verschiedenen Verletzungen (z. B. mittels vorderer / hinterer Schublade und Steinmannzeichen am Kniegelenk) im Rettungsdienst. Schmerzhafte Tests dem aufnehmenden Unfallchirurgen überlassen. Ein mehrmaliges Durchführen dieser Maßnahmen bringt dem Patienten keinen Vorteil sondern nur unnötige Schmerzen. • Eine Kälteanwendung ist bei verschiedenen Sportverletzungen (z. B. Bänderriss - s. S. 276 f.) indiziert, um Schwellungen zu vermindern und eine Schmerzlinderung (Kälteanalgesie) zu erreichen. Achtung: Ein Ausschluss von Verletzungen tieferer Strukturen (Bänder, Knochen usw.) ist vor Ort in der Regel nicht möglich. Deswegen darf eine Kälteanwendung nicht dazu führen, dass der Sporttreibende seine Betätigung fortsetzt (Gefahr weiterer Schäden). Aufklären. ➯ Weitere diagnostische Abklärung in der Klinik.
250
Kapitel 9 · Chirurgische Notfälle
Weichteile / Gefäße: Wunde, Blutung Wundarten Die Form einer Wunde lässt auf ihren Entstehungsmechanismus schließen (rechtsmedizinische Plausibilitätsprüfung / Verdacht auf Schädigung tiefergelegener Strukturen). Das wundverursachende Werkzeug zeichnet sich häufig in Größe und Beschaffenheit direkt ab (z. B. Durchmesser eines Projektiles, Strangmarke, Autoreifen nach Überrolltrauma). Die Form einer Wunde hat ferner Relevanz für den aufnehmenden Chirurgen in Bezug auf die Versorgung (z. B. Desinfektionsbehandlung, Ausschneidung, Naht). Man unterscheidet: • Schürfwunde: Oberflächlicher Hautabrieb (Epidermis) durch Entlangscheuern an Flächen oder Kanten. Die Wunde ist von einem serösen Film bedeckt. Evtl. Zeichen von Verbrennungen (Blasen) bei Wärmeentwicklung. • Stich- und Schnittwunde: Glatte Wundränder. Je nach Lokalisation u. U. lebensbedrohlich! Bei Schnitt- und Stichwunden wird oft die Frage nach Selbstoder Fremdbeibringung (Suizidalität, kriminelles Delikt, Vortäuschung einer Straftat, Unfall, Versicherungsbetrug) aufgeworfen. Folgende Indizien können Hinweise geben (mit Vorsicht zu deuten - wertungsfreie Behandlung!):
Chirurgische Notfälle
Anzahl
Spricht für (absichtl.) Selbstbeibringung - einzelne / wenige
Spricht für (absichtl.) Fremdbeibringung - viele
Region - vorher entblößte Haut - Hände (Unfall) - Herz (Suizid) - Unterarm (Suizid; häufig parallele Probierschnitte)
- alle (Kleiderschnitte) - Hände (typische Abwehrverletzungen an der Innenseite) - Brust, Rücken
Tiefe
- eher tief
- eher gering
Schnitt- - parallel richtung
- unterschiedlich
• Risswunde: Zerfetzte Wundränder. • Bisswunde: Stich- oder Quetschwunde, durch Tiere oder Menschen verursacht. Stets ärztliche Abklärung (Tollwut und andere Infektionskrankheiten). In der Literatur finden sich bei Tollwutverdacht Anweisungen zum sofortigen Reinigen / Spülen der Wunde mit medizinischer Seifenlösung (20 %). • Platzwunde: Stumpfe Gewalteinwirkung auf Haut, die direkt einen Knochen bedeckt, führt zu einer Riss-Quetschwunde, die häufig wegen darunterliegenden Strukturen auseinandergezogen wird und klafft. Meist stärkere Blutung, die oft primär durch Verband gestillt werden muss. Häufig sieht man zum Beispiel Kopfplatzwunden (Aufschlagen auf den Boden bei Sturz).
9.1 · Verletzbare Strukturen
251
9
Wundversorgung Grundsätze Die Gefahren einer Wunde liegen in einer Verletzung wichtiger Gewebestrukturen (Organe), einer ggf. starken Blutung (Volumenmangelschock, s. S. 228 ff.!), u. U. starken Schmerzen (➯ ggf. Analgesie) und dem Eintritt von Krankheitserregern. Jede Wunde sollte einem Arzt vorgestellt werden - allein schon, damit dieser verifizieren kann, ob ausreichender Tetanusschutz besteht. (Eine Impfung muss alle 10 Jahre aufgefrischt werden. Bei schweren Verletzungen schon früher, z. B. nach 5 Jahren.)
Vorgehen bei der Wundversorgung • Bei leichter Blutung keimfreies Abdecken • Bei starker Blutung: Externe Blutstillung (s. S. 18) - Besonderheiten: • A. carotis: Blutung sowohl aus proximalen als auch aus distalem Schenkel des verletzten Gefäßes (Zusammenfluss aller Hirnarterien am Hirnstamm Abdrücken beider Schenkel!) • Aorta abdominalis: Ultima Ratio bei Abriss eines Beines in Höhe des Hüftgelenkes bei Unmöglichkeit oder Versagen der direkten digitalen Kompression (Abdrücken der Bauchaorta in Nabelhöhe gegen die Wirbelsäule). • Kann eine starke arterielle Blutung einer Extremität nicht mittels Abdrücken oder Druckverband gestillt werden, besteht als ultima ratio - wenn alle anderen Maßnahmen versagt haben - die Möglichkeit der Abbindung (z. B. Blutdruckmanschette anlegen, weit über systolischen Wert aufpumpen; Abschnüren durch einschneidendes Material vermeiden! Keine Abbindung am Gelenk!), Zeit notieren (setzt die Durchblutung in einem für längere Zeit nicht versorgten Körperteil wieder ein, kommt es zum sog. TourniquetSyndrom = Reperfusionssyndrom: systemische Krankheitserscheinungen, z. B. durch Azidose, Kaliumanstieg mit Gefahr des Herz-Stillstandes und Freisetzung toxischer Zerfallsprodukte mit Gefahr der Crush-Niere. Daher muss nach längerer Abbindung in enger Zusammenarbeit zwischen Anästhesisten und Chirurgen eingegriffen werden). Auch bei massiven Blutungen bei reanimationspflichtigem Patient ➯ Abbindung aus Zeitgründen erwägen. • Der Versuch des direkten Abklemmens einzelner Gefäße mit Gefäßklemmen ist obsolet! • Pfählende Gegenstände sind in der Wunde zu belassen, da sie evtl. die Blutungs quelle, z. B. ein durchtrenntes Gefäß, tamponieren und somit die Blutung stillen. Außerdem Schmerzbelastung, Verschleierung des Wundkanals, zusätzliche Verletzungen und Abbrechen möglich. ➯ Keine Manipulation ! Abpolstern! Fixieren! Große Gegenstände ggf. abschneiden lassen (Feuerwehr). • Im RD ist eine Wundreinigung (Fremdkörperentfernung) - außer bei Verätzung (s. S. 356 f.) und ggf. Tollwutbiss (s. vorherige Seite) - nicht indiziert. Jedoch unbedingt keimfreie Abdeckung, um vor weiterer Kontamination zu schützen.
252
Kapitel 9 · Chirurgische Notfälle
Schädel-Hirn-Trauma (SHT) I Einteilung • offen/geschlossen - offenes SHT: SHT mit Verletzung der Dura mater; Verbindung des Liquor raumes nach außen ➯ Infektionsgefahr (Meningitis, Enzephalitis) - geschlossenes SHT: SHT ohne Eröffnung der Dura mater • nach Schwere von Pathomechanismus und Symptomatik I. Commotio cerebri = Gehirnerschütterung: Bewusstlosigkeit (bis zu 10 - 15 min), retrograde Amnesie, vegetative Symptome wie Übelkeit und Erbrechen II. Contusio cerebri = Gehirnprellung: Bewusstseinsstörungen bis zu 24 h, vegetative und neurologische Symptomatik bis zu 2 - 3 Wochen III. Compressio cerebri = Gehirnquetschung: Bewusstlosigkeit über mehr als 24 Stunden, neurolog. Ausfallerscheinungen über mehr als 3 Wochen
Chirurgische Notfälle
Sonderfälle • Schädelbasisfraktur: geht meist mit Zerreißung der Dura mater (➯ offenes SHT) einher ➯ Monokel- bzw. Brillenhämatom und Liquorausfluss aus Nase, Ohr (Rhinoliquorrhö, Otoliquorrhö) oder Mund. • Kalottenfraktur: Fraktur im Bereich des Schädeldaches; erhöhte Gefahr intrakranieller Blutungen (auch postakut). Pathophysiologie und Gefahren des SHT (Akutphase): Initiales direktes oder indirektes Akzelerations- / Dezelerationstrauma führt zu Schädigung von Calvaria, Meningen, Hirngewebe und Gefäßen. Posttraumatisch katecholaminvermittelter Anstieg von HF, RR und ICP (s.n.S.). Kompensatorische Verschiebung von Liquor in das spinale Spatium subarachnoideum. Zusätzlicher hypoventilationsbedingter Anstieg von pCO2 und Laktat (Hirngefäße), daraufhin autoregulative Vasodilatation mit erheblichem Anstieg des zerebralen Blutvolumens (CBV). Folge ist ein weiterer Anstieg des ICP, welcher über Absinken des zerebralen Perfusionsdrucks (CPP) eine zerebrale Oligämie (Anämie) erzeugt. Bei exzessivem Anstieg des ICP kommt es u.U. zum sog. Cushing-Reflex (als zentrale Reaktion auf die beeinträchtigte zerebrale Perfusion - s. S. 254). Eine starke ICP-Erhöhung führt zu Verschiebung und ggf. Einklemmung von Hirnteilen. Die Verdrängung der mediobasalen Anteile der Lobb. temporales in den Tentoriumsschlitz verursacht das Mittelhirnsyndrom (Koma, Anisokorie, zirkulatorische/respiratorische Störungen) und führt zur Einklemmung der Kleinhirntonsillen in das Foramen magnum. Die Kompression der Medulla oblongata löst das Bulbärhirnsyndrom aus: Ausfall der Pupillomotorik, Arreflexie, Schädigung von Regulationszentren (z.B. Atem- / Herz-Kreislauf-Zentrum): u.U. Atemstillstand, Herz-Kreislauf-Stillstand. Direkt einsetzende, multifaktoriell bedingte, ständige Abnahme des CBF (Ursachen: Aufhebung der Autoregulation, Freisetzung von Arachidonsäuremetaboliten, Schädigung der zerebr. Gefäße, hypoxievermittelte Verschlechterung der Blutviskosität, zerebrale Azidose, Vasospasmus). Vasogenes Permeabilitätsödem
9.2 · Schädel-Hirn-Trauma
253
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Schädel-Hirn-Trauma (SHT) II durch mikrovaskuläre Schädigung, Zusammenbruch der Blut-Hirn-Schranke mit Zunahme der Gefäßpermeabilität. Zusätzliche Ausbildung eines zytotoxisch-intrazellulären Ödems bei Zusammenbruch der Ionenpumpen der Zellmembranen. • Pathophysiologie des intrakraniellen Druckes (ICP): Kompression des Gehirns durch Blutung, Hirnschwellung / Ödem. Eine Steigerung des ICP führt zu zerebraler Hypoperfusion mit Ischämie, da der zerebrale Perfusionsdruck (CPP) sinkt. Dieser ist direkt vom (mittleren) arteriellen Blutdruck (MAP) abhängig, wie folgende Beziehung zeigt: CPP = MAP - ICP. Rechenbeispiele: a) Normal: MAP = 90, ICP = 5 ➯ CPP = 85 (Einheit jeweils mmHg) b) SHT: MAP = 90, ICP = 30 ➯ CPP = 60 (Einheit jeweils mmHg) c) SHT + RR Ø: MAP = 40, ICP = 30 ➯ CPP = 10 (Einheit jeweils mmHg) Fällt der CPP unter 60 mmHg ab, kommt es zur zerebralen Ischämie! Der Extremfall CPP = 0 bedeutet Perfusionsstillstand ➯ Hirntod. [Der MAP ergibt sich näherungsweise zu: RRdiast + 1/3 x (RRsyst - RRdiast). Die direkte Abhängigkeit des CPP von MAP und ICP gilt bei gestörter bzw. ausgefallener Autoregulation der zerebralen Durchblutung, wie sie z. B. bei SHT auftritt. - Der zerebrale Blutfluss (CBF) folgt passiv den Druckveränderungen.]
Maßnahmen bei SHT • Der wichtigste Grundsatz bei der Behandlung des SHT lautet daher: Blutdruckabfälle vermeiden! Adäquate Behandlung von Hypovolämie / Hypotonie, ggf. auch hochdosiertes Dopamin o. Noradrenalin (nach RR). • Bei steigendem ICP kann ein ausreichender CPP nur über Regulierung des MAP gewährleistet werden. Husten u. Pressen, z.B. bei Intubation u. Beatmung steigern den ICP! Ausreichende Sedierung, Analgesie und ggf. Relaxierung verhindern diese krisenhafte Steigerung des ICP. • Weitere wesentliche Ursache für sekundäre Hirnschädigungen ist die Hypoxämie: Daher reichliche O2-Gabe, frühzeitige Intubation und Beatmung. • Ggf. Behandlung eines gesteigerten ICP: - Die bislang propagierte Hyperventilation führt über Hypokapnie (➯ Konstriktion der Arterien) zu einer unkontrollierten Senkung der Hirnperfusion, sodass grundsätzlich eine kapnometrisch kontrollierte Normoventilation (bei pCO2 = 35 mmHg) anzustreben ist. - Die um 30° erhöhte Lagerung des Oberkörpers begünstigt den venösen Rückstrom aus dem Schädel und stellt somit eine wirkungsvolle Methode zur Behandlung erhöhten Hirndruckes dar. Beachte aber: Blutdruckabfälle! - Der Kortikoid-Einsatz bei SHT gilt mittlerweile als kontraindiziert. (CRASH-Studie, 2004, erhöhte Mortalität bei Kortikoidgabe) - Eine blinde Diurese- bzw. Osmotherapie (z.B. mit hyperosmolarer NaCl-Lsg. o. Mannitol) im RD sollte wegen potenzieller Gefahren unterlassen werden: RR-Abfall (folgende Ischämie), Hirnblutung. Allenfalls als kurzfristig wirksame Notfallmaßnahme bei drohender Einklemmung.
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Kapitel 9 · Chirurgische Notfälle
Schädel-Hirn-Trauma (SHT) I
Chirurgische Notfälle
Symptomatik • Unfallmechanismus, Prellmarken, Hämatome beachten • ggf. Stufenbildung im knöchernen Schädel • Bewußtseinsstörungen bis Bewusstlosigkeit, (evtl. erneutes) Eintrüben nach symptomlosem Intervall ➯ an Blutung denken!) • Kopfschmerz, Schwindel, Erinnerungslücke, Übelkeit, Erbrechen • Unruhe • Atemstörungen (zentral) bis Apnoe • evtl. Anisokorie, Mydriasis („Aufblenden“ - die Entwicklung weiter lichtstarrer Pupillen ist als Warnsignal für eine akute Einklemmung bzw. ICP-Erhöhung zu werten) • evtl. Streck- oder Beugekrämpfe • bei offener Schädel-Hirn-Verletzung evtl. Hirnsubstanz sichtbar, Liquoraustritt • bei Neugeborenen und Säuglingen kann eine vorgewölbte Fontanelle auf erhöhten Hirndruck hinweisen • Sprachstörungen / Sehstörungen • evtl. Lähmungen und / oder Gefühlsstörungen • bei Schädelbasisfraktur: Blutung oder Liquorausfluss aus Nase, Ohren und / oder Mund; Monokel- / Brillenhämatom (Liquor kann von sonstigen Körperflüssigkeiten (Sekreten) wegen seines Glucosegehaltes (2/3 der Blutzuckerkonzentration) mit Blutzuckertest unterschieden werden.) • Puls tachykard, evtl. arrhythmisch; • Cushing-Reflex: bradykarder Puls mit Blutdruckanstieg (“Druckpuls”) als Hinweis auf (langsame) Entwicklung eines Hirnödems • Blutdruck normal, erniedrigt oder erhöht • evtl. neurogenes Lungenödem
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen • frühestmögliche HWS-Immobilisation (inline / HWS-Stützkragen; jedes SHT ist verdächtig auf Verletzungen der Hals-Wirbelsäule!) • Oberkörperhochlagerung (30°) / bei Bewusstlosigkeit: stabile Seitenlage (freie Atemwege!) • kein Zurückdrücken von Hirnsubstanz, sondern steriles Abdecken und ggf. (Ring-) Polster • bei der Überwachung vor allem: Atemkontrolle und Pupillenkontrolle
9.2 · Schädel-Hirn-Trauma
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Schädel-Hirn-Trauma (SHT) II Notfalltherapie II • Untersuchung, Standardtherapie • Blutdruck stabil halten! (Blutdruckabfälle vermeiden) • Großzügige Indikation zur Narkose, Intubation und Beatmung (kapnometrisch kontrollierte Normoventilation; pCO2 bei 35 - 38 mmHg; vgl. S. 239). Auf ausreichende Narkosetiefe achten! • Medikamente: - ggf. Analgetika, z. B. ein Opiat wie Piritramid (0,1 - 0,2 mg / kg KG i.v.) - ggf. Benzodiazepine, z. B. Midazolam (0,05 - 0,1 mg / kg KG i.v.) - bei Krampfanfall ggf. Diazepam (10 - 20 mg i.v.) - ggf. Narkotika, z. B. Etomidat (0,1 - 0,2 mg / kg KG i.v.) - Bei isoliertem SHT auch Thiopental möglich (3 - 5 mg / kg KG i.v.; Vorsicht: Blutdruckabfall möglich) - bei Einklemmungszeichen (z. B. Mydriasis, Streckkrämpfe) ggf. Osmotherapeutika, z. B. Mannitol (0,4 mg / kg KG über 15 - 30 min i.v.) erwägen
Praxistipps • Blutdruckabfälle vermeiden! • Bei Auftreten des Cushing-Reflexes (RRsyst > 300 mmHg möglich) darf der RR nicht gesenkt werden, da es sonst zu einem Perfusionsstillstand im Gehirn kommt (➯ Hirntod). Der hohe Blutdruck ist zur Überwindung des intrakraniellen Druckes notwendig („Bedarfshypertonus“). Schnelle neurochirurgische Versorgung geboten! • Kein Zurückdrücken ausgetretener oder vorfallender Hirnsubstanz! • Bei Hinweisen auf ein isoliertes Schädel-Hirn-Trauma: Neurochirurgische Klinik (CCT- / NMR-Möglichkeit) anfahren oder Sekundärverlegung nach primärer Notfallversorgung, sofern kein Krankenhaus mit neurochirurgischer Abteilung im Umkreis; ggf. Hubschraubertransport ! • Wichtig: kontinuierliche Überwachung des Bewusstseinszustandes, um Veränderungen (z. B. Eintrüben des Patienten) sofort zu erkennen. Entscheidend ist nicht das einmalige Feststellen des Patientenzustandes, sondern die zeitliche Entwicklung von Störungen. Dokumentation des Bewußtseinszustandes nach der Glasgow-Coma-Scale (s. S. 578). - Motorik aller Extremitäten prüfen! • Im RD ist bei Schädelfraktur immer von einer Hirnbeteiligung auszugehen. • An Kombination mit weiteren Verletzungen denken. • Bei der Deutung mydriatischer Pupillen im Sinne eines Hirndruckanstieges ist Vorsicht geboten (Cave: Andere mögliche Ursachen wie Bulbustrauma oder kürzliche Augen-OP in Betracht ziehen und ausschließen)! Verlaufskontrolle! • Wesentliche Senkung der Häufigkeit von SHT durch Anschnall- und Helmpflicht. Hier ist auch der RD in seiner Vorbildfunktion gefragt!
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Kapitel 9 · Chirurgische Notfälle
Intrakranielle Blutung Anatomie der Hirnhäute Lokalisation der intrakraniellen Blutungen [A] Haut [B] Unterhautbindegewebe [C] Schädelknochen (Kalotte) [D] Dura mater (harte Hirnhaut) [E] Arachnoidea (Spinnengewebshaut) [F] Pia mater (weiche Hirnhaut) [G] Gehirn (Cerebrum, Enzephalon)
[1]
[G]
[A] [B] [C] [D] [E] [F] [2] [3] [4]
• Epidurale Blutung [1] : in der Mehrzahl arterielle Blutungen, vor allem, wenn Schädelfrakturen die Meningealarterien kreuzen; Letalität < 50 % (abhängig von der Lokalisation). • Subdurale Blutung [2] : arterielle oder venöse Blutungen im Bereich der Hirnrinde; hohe Letalität (> 50 %). • Subarachnoidale Blutung (SAB) [3]: s. S. 198 ff. • Intrazerebrale Blutung [4] : Auftreten im Rahmen von Hirnkontusionen; Letalität > 50 %.
Chirurgische Notfälle
Hauptsymptome der intrakraniellen Blutungen • • • •
primäre Bewusstlosigkeit Anisokorie motorische Ausfälle (evtl. Halbseitensymptomatik - s. S. 178 f.) evtl. symptomfreies Intervall und erneutes Eintrüben (Vorsicht bei Mitfahrverweigerung!) • neurologische Verschlechterung Praxistipps • Es besteht die große Gefahr, intrakranielle Blutungen bei alkoholisierten und Schädel-Hirn-traumatisierten Patienten zu übersehen, da jeweils die Symptomatik verdeckt ist. Jegliche Bewusstseinsstörung darf erst dann als alkoholbedingt gelten, wenn alle anderen möglichen Ursachen sicher ausgeschlossen sind. • Die intrakranielle Blutung gefährdet das Leben des Patienten durch ihre raumfordernde Wirkung (zu Hirndruckanstieg s. SHT S. 252 ff.). • Epidurale Blutungen sind im Kindesalter häufig, da die Dura mater noch nicht am Schädelknochen angewachsen ist (z. B. Sturz vom Wickeltisch, Kindesmisshandlung).
9.3 · Intrakranielle Blutung
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Intrakranielle Blutung Symptomatik • zunehmende Bewusstseinsstörung bis Bewusstlosigkeit (evtl. anfänglicher Bewußtseinsverlust mit anschließendem Aufklaren und Wiedereintrüben nach symptomfreiem Intervall) • Atemstörungen bis Apnoe • Pupillenveränderungen (weit, Seitenunterschied, keine Lichtreaktion) • Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Unruhe, Wesensveränderung • evtl. (Streck-)Krämpfe, evtl. Einnässen • evtl. motorische Ausfälle (auch Gesichtsmuskel- und Lidhebeschwäche durch den Ausfall entsprechender Nervenfunktion) • Puls tachykard, evtl. arrhythmisch • Blutdruck normal, erniedrigt oder erhöht • bei Vernichtungskopfschmerz mit Meningismus auch an Subarachnoidalblutung denken (s. S. 198 ff.). • Cushing-Reflex: bradykarder Puls mit Blutdruckanstieg (“Druckpuls”) als Hinweis auf Entwicklung eines Hirnödems (kann bei schnellem Hirndruckanstieg fehlen)
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen • Oberkörperhochlagerung (30°), bei Bewußtseinsstörung Seitenlage • Bei der Überwachung besonders: Atem-, Bewusstseins- und Pupillenkontrolle • Untersuchung, Standardtherapie • bei Beatmung und Intubation: kontrollierte Normoventilation anstreben (pCO2 = 35 - 38 mmHg), vgl. S. 253. • Medikamente: - ggf. Analgetika, z. B. ein Opiat wie Piritramid (0,1 - 0,2 mg / kg KG i.v.) - ggf. Benzodiazepine, z. B. Midazolam (0,05 - 0,1 mg / kg KG i.v.) bzw. Diazepam (10 - 20 mg i.v.) [Krampfdurchbrechung] - ggf. Narkotika, z. B. Etomidat (0,1 - 0,2 mg / kg KG i.v.)
Praxistipps • Blutdruckabfälle vermeiden (vgl. S. 253 ff.) • Bei Auftreten den Cushing-Reflexes (RR > 300 mmHg möglich) darf der RR nicht gesenkt werden, da es sonst zu einem Perfusionsstillstand im Gehirn kommt (➯ Hirntod). Der hohe Blutdruck ist zur Überwindung des intrakraniellen Druckes notwendig. Schnelle neurochirurgische Versorgung notwendig. • Bei Neugeborenen und Säuglingen kann eine vorgewölbte Fontanelle auf erhöhten Hirndruck hinweisen. Säuglinge und Kleinkinder können durch eine intrakranielle Blutung verbluten!
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Kapitel 9 · Chirurgische Notfälle
Gesichtsschädeltrauma / Nasenbluten Mittelgesichtsfrakturen Stufenbildung, eingedrücktes Mittelgesicht, evtl. Liquorausfluss aus der Nase / aus dem Ohr (Liquor enthält Glucose; 2/3 des Blutzuckergehaltes; Nachweis mit Blutzuckertest). Typische Frakturlinien nach LeFort:
normal LeFort I LeFort II LeFort III LeFortI: basale Absprengung des Oberkiefers LeFortII: Absprengung von Oberkiefer und knöcherner Nase LeFortIII: Absprengung des gesamten Mittelgesichts
Chirurgische Notfälle
Frakturen sonstiger knöcherner Strukturen • Nasenbeinfraktur: Formveränderungen der Nase und Nasenwurzel, Nasenbluten, behinderte Nasenatmung, Störungen des Riechvermögens. • Kieferfrakturen: Stufenbildung des Knochens, Frakturzeichen; vgl. S. 248). • Kiefergelenkfrakturen: Störungen der Beweglichkeit, Kiefersperre, evtl. Blutung aus dem Gehörgang. • Jochbeinfrakturen: evtl. Stufenbildung am unteren Orbitarand. Orbitaboden-Fraktur (Blow-out-Fraktur) • Stufenbildung der Orbitaränder, Doppelbilder. Epistaxis • Blutung im Bereich der Nasenschleimhäute, bevorzugt durch Zerreißen kleiner Arterien, vor allem im sogenannten Locus Kiesselbachi (kaudales Septumende). Gehäuft in Wintermonaten, bei trockener Luft und bestimmten Gruppen (Kinder, Jugendliche, Schwangere, Ältere) sowie im Rahmen der Menstruation. • Ursachen (Auswahl): a) lokal: Trauma (Schädelbasisfraktur; Manipulationen im Bereich der Nasenschleimhäute, z.B. “Nasenbohren” oder iatrogen), Fremdkörper, Rhinolithen, Entzündung, Polypen / Tumoren, Aneurysma der A. carotis int. b) systemisch: Hypertonie, Infektionskrankheiten (z.B. Influenza, Masern, Typhus), hämorrhagische Diathese (z.B. kongenitale Koagulopathie, Einnahme von Kumarinen oder ASS) u. a. m. Achtung: Bei Gesichtsverletzungen keine(n) Magensonde / Absaugkatheter / Wendltubus durch die Nase einführen u. keine Versuche einer nasotrachealen Intubation. (➯ Abgleiten auf falschen Weg in das Schädelinnere möglich!!)
9.4 · Gesichtsschädeltrauma
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Gesichtsschädeltrauma / Nasenbluten Symptomatik a) Gesichtsschädeltrauma (auch an Schädel-Hirn-Trauma denken! S. 252 ff.) • sichtbare Verletzungen, Blutung aus Mund/Nase/Ohr • Prellmarken, Hämatome, Knochensplitter • abnorme Beweglichkeit von Gesichtsknochen, Stufenbildung, eingedrücktes Gesicht, Reibegeräusche (Krepitation; nicht testen!) • Schmerzen, evtl. Gefühlsstörungen, Schwellungen • lockere oder ausgebrochene Zähne, Kiefersperre (s. a. S. 260 ff.) • evtl. Doppelbilder (Orbitabeteiligung) • Bewusstseinsstörungen bis Bewusstlosigkeit b) Nasenbluten • Blut sickert, rinnt oder spritzt aus der Nase (nicht obligat) • Bluterbrechen (verschlucktes Blut !) • Atemstörungen, evtl. Atemnebengeräusch • bei länger dauerndem Nasenbluten auch Schocksymptomatik möglich
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen (Oberkörperhochlagerung) • Untersuchung, Standardtherapie • bei Nasenbluten: - Lagerung möglichst sitzend, nach vorne gebeugt (Blut läuft nach vorne ab), ggf. auch Bauch-/Seitenlage, - Nasenflügel für mehrere Minuten komprimieren (lassen) - wirksam bei Blutungen im Locus Kiesselbachi, - nasse, kalte Wickel / Eisbeutel im Nacken und auf der Stirn anlegen - Blut nie schlucken lassen! (wirkt emetisch; erhöhtes Aspirationsrisiko) - Blutdruckkontrolle (Hypertonie auslösend oder fördernd? Schock?) • bei isoliertem, anhaltend starken Nasenbluten: Nasen-Tamponade erwägen (vorher abschwellende Nasentropfen lokal anwenden, z. B. Xylometazolin [Otriven®] oder Oxymetazolin [Nasivin®]); im Notfall Ballontamponade mit Blasenkatheter (Bellocq-Tamponade) - s. S. 60. • bei Gesichtsschädeltrauma: großzügige Indikation zur Intubation und Beatmung (Aspirationsprophylaxe) • Medikamente: - Analgetika, z. B. ein Opiat wie Piritramid (0,1 - 0,2 mg / kg KG i.v.) - ggf. Benzodiazepine, z. B. Midazolam (0,05 - 0,1 mg / kg KG i.v.) - ggf. Narkotika, z. B. Etomidat (0,1 - 0,2 mg / kg KG i.v.) - ggf. Behandlung einer Hypertonie (s. S. 208 f.) - ggf. Volumenersatz (s. S. 228 ff.) • Bei Kieferfraktur oder V.a. Schäden von Gesichtsnerven (N. facialis): Klinikeinweisung in mund-kiefer-gesichtschirurgische Fachabteilung.
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Kapitel 9 · Chirurgische Notfälle
Zahn-, Mund-, Kiefernotfälle Grundlagen (im Hinblick auf die Dokumentation von Zahntraumata) Das Milchgebiss besteht aus 20, das bleibende Gebiss aus 32 Zähnen. Jeder Zahn gliedert sich in - eine sichtbare Zahnkrone - einen den Übergang zwischen Zahnkrone und Zahnwurzel begrenzenden, gerade noch sichtbaren Zahnhals und - eine im Alveolarknochen durch das Desmodont (Wurzelhaut) federnd aufgehängte Zahnwurzel. Im Innern jedes Zahns befindet sich die Zahnpulpa (Zahnmark mit Bindegewebe, Gefäßen und Nerven), die vom Dentin (Zahnbein) umschlossen wird. Im Bereich der Zahnkrone wiederum wird das Dentin vom Zahnschmelz, im Bereich der Zahnwurzel vom Wurzelzement ummantelt. Wurzelzement, Desmodont, Alveolarknochen und Gingiva (Zahnfleisch) werden zusammen Parodontium (Zahnhalteapparat, Zahnbett) genannt. Der Zahnarzt benutzt bei der Benennung der einzelnen Zähne eine Gebissformel (Zahnformel) und ein Zahnschema (Gebissschema).
Chirurgische Notfälle
Die Gebissformel ist eine schematische Darstellung der artspezifischen Anatomie des Gebisses, wobei die vier verschiedenen Zahnarten - Schneidezähne (Incisivi [I]) - Eckzähne (Canini [C]), - Backenzähne (Praemolares [P]) und - Mahlzähne (Molares [M]) abgekürzt werden. Für Milchzähne werden Kleinbuchstaben verwendet. Das Zahnschema ist eine vom Betrachter aus gesehene, schematische Darstellung eines individuellen, aktuellen Gebisszustandes, wobei die Zahlen einzeln gesprochen werden. Das heute meist verwendete Gebissschema ist das FDI-System der Fédération dentaire internationale von 1970 nach DIN 13920. 1. Quadrant (Oberkiefer, rechts) Gebissformel M3 M2 M1 P2 P1 C
2. Quadrant (Oberkiefer, links)
I2 I1 I1 I2 C
P1 P2 M1 M2 M3
Zahnschema bleibendes 18 17 16 15 14 13 12 11 21 22 23 24 25 26 27 28 Gebiss 55 54 53 52 51 61 62 63 64 65 Zahnschema Milchgebiss 85 84 83 82 81 71 72 73 74 75 Zahnschema bleibendes 48 47 46 45 44 43 42 41 31 32 33 34 35 36 37 38 Gebiss Gebissformel M3 M2 M1 P2 P1 C I 2 I 1 I 1 I 2 C P1 P2 M1 M2 M3 4. Quadrant (Unterkiefer, rechts) 3. Quadrant (Unterkiefer, links)
9.5 · Zahn-, Mund-, Kiefernotfälle
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Zahn-, Mund-, Kiefernotfälle Einteilung von Zahn-, Mund-, Kiefernotfällen a) Fachfremde Notfälle bzw. Komplikationen in der Zahnarztpraxis (z. B. Kreislaufdysregulation, Anästhesiezwischenfall), siehe entspr. Kapitel b) Zahnmedizinischen Notfälle, die während der Behandlung in der Zahnarztpraxis auftreten (z. B. Blutungen im Zahn-Mund-Kieferbereich), geringe Relevanz im Notarztdienst; ggf. Transport in Spezialklinik. c) Zahnmedizinische Notfälle außerhalb der zahnärztl. Behandlung, die einer zahnärztlichen (-chirurgischen) bzw. mund-kiefer-gesichtschirurgischen Abklärung bedürfen (z. B. Zahnavulsion). Meist traumatisch bedingt (Sturz, Rohheitsdelikte, Sport-/Spielunfälle) - diese werden im folgenden behandelt.
Allgemeine Maßnahmen/Therapie bei Zahnverletzungen 1. Schädigung der Zahnhartsubstanz (Zahnfragmente jeweils asservieren!) • Schmelzfraktur ➯ Überweisung an Zahnarzt • Schmelz-Dentin-Fraktur ➯ Überweisung an Zahnarzt • Eröffnung der Zahnpulpa ➯ sofortige Überweisung an Zahnarzt • Wurzelfraktur ➯ sofortige Überweisung an Zahnarzt 2. Schädigung des Parodontiums (s.u. und folgende S.) • Zahnluxation ➯ sofortige Überweisung an Zahnarzt oder Klinikeinweisung in zahnärztlich-chirurgische Fachabteilung • Zahnavulsion ➯ sofortige Überweisung an Zahnarzt oder Klinikeinweisung in zahnärztlich-chirurgische Fachabteilung Grundsätze • Bei Bewusstlosigkeit, Amnesie, vegetat. Symptomen (z. B. Kopfschmerzen, Erbrechen) o. extraoralen Weichteilverletzungen immer Klinikeinweisung! • Ausschluss Kieferfraktur (s.n.S.) und Kindesmisshandlung (s.S. 344 f.)! • Aus versicherungsrechtlichen Gründen Anamnese konsequent und ausführlich erheben (Zeitpunkt Unfall, Unfallort, Unfallhergang, eigenes Erinnerungsvermögen an Unfall, evtl. Zeugen usw.) sowie gut dokumentieren.
Zahnavulsion (ausgeschlagener Zahn) (Exartikulation, totale Luxation, Eluxation, vollständige Luxation nach peripher) Maßnahmen/Therapie • Zahnfragmente u. avulsierte Zähne aus Mund entfernen (Aspirationsgefahr!) • Zahnfragmente und avulsierter Zähne spätestens nach 30 - 60 min, ohne Alveolenwand und Desmodont zu berühren sowie ohne Desinfektion, in geeignete Aufbewahrungsflüssigkeit einbringen (z. B. Zahnrettungsbox [Medice Dentosafe®, Iserlohn], kalte H-Milch, physiologische Kochsalzlösung [Zellen überleben bis zu 24 bzw. 6 bzw. 2-3 Stunden]). • Sofortige Überweisung an Zahnarzt oder Klinikeinweisung in zahnärztlich-chirurgische Fachabteilung. Ggf. Analgesie. • Zahnfragmente und avulsierte Zähne weder in Wasser aufbewahren (da Desmodontalzellen durch veränderten osmotischen Druck unweigerlich platzen) noch unter die Zunge legen (Aspirationsgefahr! Warmer Speichel führt zu Stoff-
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Kapitel 9 · Chirurgische Notfälle
Zahn-, Mund-, Kiefernotfälle • • •
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wechselerhöhung in Desmodont und schnellem Zelltod (Zahnpulpa stirbt auch bei regelrechter Aufbewahrung ab)) Milchzähne sollten aufgrund möglicher Schädigung des Zahnkeims nicht replantiert werden. Bei bleibenden Zähnen Replantation anstreben! Grundsätzlich müssen unter forensischen Aspekten aber alle avulsierten Zähne und möglichst auch Zahnfragmente asserviert werden! Altersverteilung: Häufigkeitsgipfel zwischen 2 u. 5 sowie 8 u. 12 Jahren, Geschlechtsverteilung: Jungen : Mädchen = 2 : 1 Häufigste Lokalisation (bleibendes Gebiss): ca. 80 % OK I1 Bei Zahnavulsionen sollte das Zeitintervall bis zur Replantation (z.B. durch direkte Einweisung in zahnärztlich-chirurgische Fachabteilung) minimiert werden, sofern nicht andere Verletzungen Priorität haben.
Oberkieferfraktur s. Gesichtsschädeltrauma (S. 258 f.)
Chirurgische Notfälle
Unterkieferfraktur (Unterkiefer = UK) Ursachen: traumatisch (z. B. Sturz auf das Kinn, Schlag auf den UK); iatrogen Symptomatik: • palpierbare Dislokation und abnorme Beweglichkeit der UK-Fragmente • Okklusionsstörungen (evtl. offener Biss) • (reflektorische) Kieferklemme (behinderte Mundöffnung) • evtl. Sensibilitätsstörungen in Bereich des N. mentalis (Kinnbereich) • evtl. Blutungen aus äußerem Gehörgang (➯ Ausschluss Gehörgangverletzung und Schädelbasisfraktur!) • speziell: Gelenkfortsatzfraktur (Kondylusfraktur, 30% der UK-Frakturen): • Prellmarken/Platzwunde am Kinn • Stauchungsschmerz (Druck auf das Kinn ➯ Schmerzen im Kiefergelenk) • UK-Abweichen zur Frakturseite bei Mundöffnung (bei einseitiger Fraktur) Maßnahmen/Therapie: • provisorische Fixation (Frakturruhigstellung, Schmerzminderung) mittels Kopf-Kinn-Kappe (zwei sich im Schläfenbereich überkreuzende elastische Binden in vertikaler u. horizontaler Richtung in normaler Okklusion anlegen, aufgrund Stauungsgefahr im Gesicht nicht zu straff fixieren), Analgesie. • Klinikeinweisung in mund-kiefer-gesichtschirurgische Fachabteilung, sofern nicht andere Verletzungen Priorität haben (z.B. Polytrauma, SHT). • Bei Absprengung des UK mit konsekutivem Zurückfallen des Kinns besteht Erstickungsgefahr! Dann Esmarch-Handgriff! (Kinn nach vorne ziehen, dazu Zeigefinger unter die Zunge schieben u. mit dem Daumen unter Kinn fassen)
Kiefergelenkluxation (Kondylusluxation) Definition: meist doppelseitige Verlagerung des Gelenkköpfchens (Capitulum mandibulae) aus Gelenkgrube (Fossa mandibularis) mit (meniskotemporale Luxation) oder ohne Diskus (meniskokondyläre Luxation) vor Gelenkhöcker (Tuberculum articulare); selten dahinter, zur Mitte oder zur Seite; immer ohne Kapselriss.
9.5 · Zahn-, Mund-, Kiefernotfälle
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Zahn-, Mund-, Kiefernotfälle Ursachen: extreme Mundöffnung (v. a. durch Gähnen; Erbrechen, heftiges Schreien), Trauma, durch Einnahme von Medikamenten gegen M. Parkinson und Metoclopramid bedingte Störungen des extrapyramidalen Systems. Symptomatik: • extreme Schmerzen der Kiefergelenke und der Kaumuskulatur • Kiefersperre (behinderter Mundschluss) • protrudierte UK-Position in federnder Fixation bei doppelseitiger Kiefergelenkluxation (v. a. bei extremer Mundöffnung) • Abweichen des UK zu gesunder Seite bei Mundöffnung bei einseitiger Kiefergelenkluxation (v. a. bei Trauma) • oft deutliche Delle vor dem Tragus (Ohrknorpel) Maßnahmen/Therapie: • Sofortige bimanuelle Reposition durch den Versierten (außer bei sicheren Frakturzeichen, auch Versuch vor Ort statthaft): Hippokrates-Handgriff zunächst auf einer, dann ggf. auf der anderen Seite. Vorgehen: beide mit Mullbinden umwickelte Daumen auf seitliche Zahnreihen des UK legen, während übrige Finger den UK von außen umfassen, anschließend kräftigen intermittierenden Druck nach unten und geringen Schub nach hinten ausüben. Wenig Druck nach hinten ausüben, da ansonsten eine Gelenkfortsatzfraktur (s. linke Seite) provoziert werden könnte! Vorsicht wegen reflektorischer Anspannung der Kaumuskulatur beim Einrenken, da Kräfte in der Größenordnung eines Zentners auftreten können! Ggf. Analgesie o. Narkose (Klinik). • Ruhigstellung mittels Kinnschleuder (Funda maxillae). • Auch nach Erfolg Überweisung möglichst in zahnärztl.-chirurgische bzw. mundkiefer-gesichtschirurgische Fachabteilung zum Ausschluss einer UK-Fraktur (radiolog. Frakturausschluss ggf. auch in unfallchirurgischer Klinik mgl.) u. ggf. zur definitiven Versorgung. Cave: Auch Kiefergelenkluxation nach oben als zentrale Kiefergelenkluxation mit Schädelbasis- und meist Gelenkfortsatzfraktur (s. linke S.) möglich!
Blutungen im Mundbereich Ursachen: • verschiedene Traumata • Frühblutung: ca. 3 Stunden nach chirurgischem Eingriff aufgrund reaktiver Hyperämie bei Nachlassen Vasokonstriktor-Wirkung des Lokalanästhetikums sowie kaffee- und alkoholbedingter Vasodilatation • Spätblutung: ca. 3 Tage nach chirurgischem Eingriff durch Wundheilungsstörung aufgrund erhöhter t-PA-Konzentration, vermindertem Speichelfluss, verminderter IgA-Konzentration im Speichel sowie lokaler Wundinfektion Maßnahmen/Therapie: • Kompression durch 20-minütiges Aufbeißenlassen auf sterilen Gazetupfer (falls Blutung persistiert: direkte digitale Kompression) • Bei starkem Blutverlust Schocktherapie s. S. 216 f. Ggf. Analgesie. • Bei Trauma Klinikeinweisung (möglichst zahnärztlich-chirurgische bzw. mundkiefer-gesichtschirurgische Fachabteilung), sonst Überweisung an Zahnarzt.
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Kapitel 9 · Chirurgische Notfälle
Bandscheibenvorfall (NPP) Grundlagen Die Wirbelsäule besteht aus 32 - 34 Wirbeln, die sich aus einem Wirbelkörper, einem Wirbelbogen und mehreren dornartigen Fortsätzen zusammensetzen. Die einzelnen Wirbel sind voneinander durch die Bandscheiben (Disci intervertebrales) getrennt. Bandscheiben bestehen aus einem zentralen gallertigen Kern (Nucleus pulposus) und einer Hülle aus faserigem Bindegewebe (Anulus fibrosus). Aufgaben der Bandscheiben: Stoßdämpfung des Gehirns, Gelenkfunktion zwischen den einzelnen Wirbelkörpern Beweglichkeit der Wirbelsäule). In dem durch die Wirbelbögen gebildeten Raum liegt, gut geschützt, das Rückenmark als Schaltstelle zwischen dem ZNS und dem PNS. Aus dem Rückenmark treten aus den Zwischenwirbellöchern jeweils paarig 31 Spinalnerven aus, über die alle Informationen (sensible und motorische) über das Rückenmark zum Gehirn bzw. umgekehrt geleitet werden. Dadurch erklären sich auch die neurologischen Ausfälle durch z. B. ein Wirbelsäulentrauma.
Bandscheibenvorfall Der gallertige Kern der Bandscheibe tritt entweder aus der Bindegewebshülle aus (Nucleus pulposus prolaps / NPP/ “Pulposushernie”) oder er beult sie dergestalt aus (Protrusion), dass der Kern den Spinalkanal einengt bzw. auf eine der Spinalnervenwurzeln drückt und dadurch zu Schmerzen oder neurologischen Ausfällen führen kann. Typ. Lokalisationen: LWS (L5/S1, L5/L4), HWS (C6/C7).
Chirurgische Notfälle
Hexenschuss (Lumbago / “Ischias”) Intensiver Schmerz im Lendenbereich mit Ausstrahlung in Gesäß, Oberschenkel, Knie usw. sowie schmerzbedingte Bewegungseinschränkung ➯ Schonhaltung (Reizung der Nervenwurzel ➯ Anspannung und Verkrampfung der Rückenmuskulatur - sogenannter “Hartspann”(Myogelose) ➯ weitere Reizung der Nervenwurzel ➯ verstärkte Verkrampfung = Teufelskreis). (DD: Arthritische Veränderungen können eine ähnliche Symptomatik hervorrufen.) Ursachen: Bandscheibenvorfall, Zwischenwirbelluxation u. a. m. Akuttherapie bei typischer Symptomatik: Bettruhe (zu Hause), Wärmeanwendung, periphere Analgetika (z.B. Diclofenac 3 x 25-50 mg p.o. oder Ibuprofen 3 x 400-800 mg p.o.), Benzodiazepine mit muskelrelaxierender Komponente (z. B. Tetrazepam 25-50 mg/d), ggf. zusätzl. Myotonolytika (z.B. Methocarbamol 3 x 1,5 g/d oder Baclofen 15 mg/d). In manchen Fällen („Blockade“) ist auch eine chiropraktische Therapie (Einrenken) durch einen erfahrenen Behandler möglich. Nach (i.m.-/i.v.-) Injektion Überwachung sicherstellen (mind. 1 h). Beachte: Bei bestehender neurolog. Beeinträchtigung (z.T. erst nach Schmerztherapie feststellbar!) ist immer die Akutbehandlungsbedürftigkeit eines Bandscheibenvorfalles zu prüfen (Klinikeinweisung, MRT-Diagnostik anstreben). Diagnose- und Therapiekontrolle durch Hausarzt sicherstellen (< 24-48 h).
9.6 · Bandscheibenvorfall
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265
Bandscheibenvorfall (NPP)
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Symptomatik • Unfallmechanismus (z. B. Verheben) / Vorerkrankung (z. B. Tumor) • Schmerzen (LWS: in der Lendengegend; HWS: im Nacken) • Schonhaltung, Bewegungsunfähigkeit, verspannte Rückenmuskulatur • Sensibilitätsstörungen, motorische Ausfälle, Reflexabschwächungen / -verluste. Versorgungsgebiete betroffener Spinalnervenwurzeln: Nervenwurzel
Motorik (Ausfälle)
C6 C7
C8
L4
Heben des Beines
L5
Hackengang, Stehen auf betroffenem Bein Stehen auf den Zehenspitzen
S1
Sensibilität (Ausfälle)
Reflexe (Fehlen / Abschwächung)
Außenseite der Oberund Unterarme, den Daumen zugewandte Seiten der Unterarme bis zum Zeige-, Mittel- und Ringfinger Kleinfingerseite der Unterarme bis zum Kleinund Ringfinger Außenseite der Oberschenkel, Innenseite der Unterschenkel Fußrücken, Außenseite der Unterschenkel Fußkante, Seiten der Unterschenkel
Bizepssehnenreflex Trizepssehnenreflex
Patellarsehnenreflex
Achillessehnenreflex
• Lasègue-Zeichen positiv • Alarmzeichen: beginnende Lähmungen, plötzliches Verschwinden des Schmerzes (Hinweis auf beginnendes Absterben der Nervenwurzel), „Reithosenanästhesie“, Blasen- / Mastdarmstörungen (V.a. Kaudasyndrom); in diesen Fällen ist eine zügige Klinikeinweisung unumgänglich!
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen, HWS-Stützkragen bei zervikalem NPP • Umlagerung mit Schaufeltrage und Vakuummatratze, • bei der Lagerung Patientenwunsch beachten (z. B. bei lumbalem NPP Stufenlagerung: Beugung in Knie u. Hüfte, je ca. 90°) • schonender Transport • Untersuchung, Standardtherapie • Medikamente: Analgetika, z. B. ein Opiat wie Piritramid (0,1 - 0,2 mg / kg KG i.v.)
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Kapitel 9 · Chirurgische Notfälle
Wirbelsäulentrauma Ursachen für Wirbelsäulenverletzungen • Direktes Trauma (z. B. Stich, Schuss) • Indirektes Trauma durch Einwirkung von Zug- und Scherkräften (z. B. bei Verkehrsunfällen: HWS-Schleuder-Trauma; Wirbelsäulenkompressions- / -stauchungsfrakturen (z. B. Sturz aus großer Höhe auf die gestreckten Beine ➯ meist Höhe Th 12 und L 1). • Pathologische Frakturen (z.B. bei Tumor, Metastasen).
HWS-Schleuder-Trauma (posttraumatisches HWS-Syndrom) Durch ein sogenanntes Peitschenschlagphänomen bei Auffahrunfall kommt es zu einer Dehnung des Band- und Kapselapparates der Halswirbelsäule sowie Reizung von Nervenwurzeln und vegetativen Nervengeflechten. Die Beschwerden treten bei leichteren Schweregraden oft erst über eine Stunde nach dem Ereignis ausgeprägt auf (fehlt das symptomfreie Intervall, so ist von einem schwereren Trauma auszugehen). Einteilung: Grad I: Nacken- und Bewegungsschmerz (Nicht testen!). Grad II: Zusätzlich in den Hinterkopf ausstrahlende Schmerzen. Grad III: Unfähigkeit, den Kopf, in einer Position zu halten. Sensibilitätsstörungen an Armen und Händen, evtl. Schluckstörungen bei retropharyngealen Einblutungen.
Chirurgische Notfälle
Schema zur segmentalen Nervenversorgung der Haut (Dermatome)
C2
C3 C5 Th1 Th4 Th6 Th10 Th12 L1 L2 S2 S3 L3 L4 L5
C8 Th1 Th6 Th12 L1 L5 S1 S2 C8 S3 S1 S2 L5
L4
S1
9.7 · Wirbelsäulentrauma
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Wirbelsäulentrauma Symptomatik • Unfallmechanismus • Schmerzen (insbes. Druck- und / oder Klopfschmerz über der Wirbelsäule) • Nackenschmerz / Nackensteifigkeit (HWS !) • ggf. Querschnittssymptomatik: meist beidseitige motorische und sensorische Ausfälle bis zur Höhe des verletzten Rückenmarksegments • Bewusstseinsstörungen bis Bewusstlosigkeit • unwillkürlicher Harn- und Stuhlabgang • Blutdruckabfall, Puls tachykard, evtl. bradykard (spinaler Schock, s. S. 235) • Atemstörungen bei hohem Querschnitt (HWS - N. phrenicus: C3 - C5)
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen • keine unnötige Umlagerung; frühestmögliche Ruhigstellung der HWS mit passendem HWS-Stützkragen oder In-Line-Immobilisation (s. S. 19) • Umlagerung mit Schaufeltrage oder mindestens 5 Helfern auf vorgeformte Vakuummatratze; sofern vorhanden und geübt, sollte bei der Rettung aus Kraftfahrzeugen oder entsprechenden Situationen immer ein Rettungskorsett benutzt werden (z. B. K.E.D. ®) • keine Kopfreklination, zur stabilen Seitenlage bei HWS-Trauma s. S. 19 • besonders schonender Transport • Untersuchung, Standardtherapie; ggf. Intubation und Beatmung • ggf. Volumenersatz Medikamente: - Methyl-Prednisolon (hochdosiert; 30 mg / kg KG über 15 min i.v.) Die Kortikoidtherapie bei Wirbelsäulentrauma wird derzeit wieder kritisch diskutiert. Bis zum Abschluss der Meinungsbildung sollte sie Bestandteil der Akutversorgung bleiben. Bei SHT gilt die Kortikoidgabe nun als obsolet. - Analgetika, z. B. ein Opiat wie Piritramid (0,1 - 0,2 mg / kg KG i.v.) - ggf. Benzodiazepine, z. B. Midazolam (0,05 - 0,1 mg / kg KG i.v.)
Praxistipps • Jegliche Funktionsprüfung der Wirbelsäule, speziell der Halswirbelsäule, hat bis zum Ausschluss einer Fraktur (Röntgen, in der Klinik) zu unterbleiben (Gefahr der Querschnittslähmung). • Jeder Bewusstlose (Unfallverletzte) muss so behandelt und transportiert werden, als ob ein Wirbelsäulentrauma vorläge. (HWS-Stützkragen; Schaufeltrage, Vakuummatratze - vgl. S. 20 ff.) • Jedes Schädel-Hirn-Trauma ist bis zum Beweis des Gegenteils verdächtig auf ein Trauma der Halswirbelsäule.
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Kapitel 9 · Chirurgische Notfälle
Thoraxtrauma Definition: Stumpfe (geschlossene) oder offene Verletzung des Brustkorbes (Thorax) und seiner Organe. Bei einem Thoraxtrauma können sich ereignen: • Rippen(serien)frakturen • Lungenkontusion, Lungenriss (Einblutung in das luftführende System möglich; Gefahr der inneren Aspiration, Symptome ähnlich wie Lungenödem) • Pneumothorax, Spannungspneumothorax, Hämatothorax (s. S. 270 f.) • Herzkontusion (Symptome: Herzschmerzen, Symptome eines Herzinfarktes) • Herzbeuteltamponade (s. S. 237), Ruptur großer Gefäße, z. B. der Aorta • Tracheal- oder Bronchusabriss, erhebliche Lungenverletzungen
Versorgungsstrategien bei Thoraxtrauma • Bei intrathorakaler Blutung kann eine Stabilisierung des Patienten u.U. nur operativ herbeigeführt werden. Der Patient wird vor Ort mit venösen Zugängen versorgt und bei vorliegender Indikation intubiert. Spätestens bei fehlender Stabilisierung (RRsyst > 80 mmHg) nach Druckinfusion von 1000 ml VEL und 500 ml kolloidalem Volumenersatzmittel oder alternativ Small-VolumeResuscitation (s.S. 229) ist ein schnellstmöglicher Transport in eine geeignete Klinik mit Voranmeldung indiziert. • Bei Brustkorbverletzungen locker und steril abdecken (nicht luftdicht, sonst Gefahr eines Spannungspneumothorax). • Fremdkörper in der Wunde belassen (Blutstillung durch Eigentamponade).
Chirurgische Notfälle
MCL
MAL
• [A] • • • [D]
Lokalisation der Punktionsstellen
A Zur Entlastung eines Spannungspneumothoraxes (2. ICR-MCL), B/Czur Entlastung eines Hämatothoraxes (4. / 5. ICR-MAL), D zur Herzbeutelpunktion (xyphoido-sternocostaler Winkel) - Durchführung: [B] • Punktion unter EKG-Monitoring und Defibrillationsbereitschaft vorausgesetzt [C] •• Pneumothorax-Ausschluß Stichrichtung: 45° zur Frontalebene auf das Zentrum des linken Schulterblattes zu • unter Aspiration vorschieben bis Flüssigkeit aspiriert wird • EKG-Veränderungen beachten • Durchführung im RD als ultima ratio bei Herzbeuteltamponade
MCL = Medioclavicularlinie, MAL = Mittlere Axillarlinie
9.8 · Thoraxtrauma
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Thoraxtrauma Symptomatik • Unfallmechanismus, Prellmarken, äußerlich sichtbare Verletzungen • Druckschmerz beim Palpieren des Thorax • Blasenbildung im Wundbereich: Hinweis auf offenes penetrierendes Trauma • Atemnot, atemabhängiger Schmerz, schnelle, flache Atmung (Schonatmung) • zunehmende Atemnot ➯ V. a. Spannungspneumothorax • zunehmend erschwerte Beatmung ➯ dringender V. a. Spannungspneumothorax • asymmetrische Atembewegungen • evtl. paradoxe Atmung (instabiler Thorax): bei Rippenserienfraktur • aufgehobenes Atemgeräusch (oft nur einseitig): - bei Pneumothorax (hypersonorer Klopfschall) und - bei Hämatothorax (gedämpfter Klopfschall) • prallgefüllte Halsvenen (fehlt u. U. bei gleichzeitiger Schocksymptomatik): bei Spannungspneumothorax und bei Herzbeuteltamponade • Hautknistern (Hautemphysem = subkutane Luftansammlung): bei Tracheal- / Bronchusabriß oder Platzen einer Emphysemblase • (Blut-) Husten • Blässe bis Zyanose • Puls evtl. tachykard, kaum tastbar; Blutdruckabfall, Volumenmangelschock
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen; Wundversorgung s. vorhergehende Seite • Lagerung auf der verletzten Seite (Schienung des Thorax), Oberkörper hoch - nicht erzwingen! Nur, wenn der Patient es toleriert. • Untersuchung, Standardtherapie • großzügige Indikation zu Intubation und Beatmung (100 % O2) (Narkoseeinleitung, s. S. 65) Solange ein Spannungspneumothorax nicht ausgeschlossen ist, ist ein PEEP kontraindiziert! • bei V. a. Spannungspneumothorax: Sofortige Entlastung (s. S. 53 f.) • ggf. Schocktherapie (s. S. 228 ff.) • bei schwerer, akuter (hämorrhagischer) Hypovolämie (z.B. geschätzter Blutverlust > 30%, ATLS-Stadium III) ggf. Small-Volume-Resuscitation (möglichst initial): s.S. 229 • bei V. a. Herzbeuteltamponade (präklinisch schwer zu diagnostizieren!): ggf. Herzbeutelpunktion durch den in dieser Technik Geübten (s. S. 237) • Medikamente: • Analgetika, z. B. ein Opiat wie Piritramid (0,1 - 0,2 mg / kg KG i.v.) oder Ketamin (0,2 - 0,5 mg / kg KG i.v.)
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Kapitel 9 · Chirurgische Notfälle
Pneumothorax / Hämatothorax Definitionen • Pneumothorax: Kollabieren eines Lungenflügels durch Eigenelastizität nach Verletzung der Lunge und / oder Brustwand (z. B. Thoraxtrauma, Alveolarruptur), durch Eintreten von Luft in den Pleuraspalt von innen oder außen. Ein Pneumothorax kann auch ohne äußere Gewalteinwirkung auftreten; man spricht in diesem Fall von einem Spontanpneumothorax. • Spannungspneumothorax: Pneumothorax, bei dem die eintretende Luft den Pleuraspalt nicht mehr verlassen kann (Ventilmechanismus). Bei Inspiration strömt Luft nach ➯ Kompression der Restlunge u. Mediastinalverlagerung. • Hämatothorax: Eindringen von Blut in den Pleuraspalt. (Auch im Rahmen von Entzündungen können sich größere Mengen seröser Flüssigkeit (über 2l) im Pleuraspalt bilden und sammeln (Serothorax) und ähnliche Symptome wie ein Hämatothorax hervorrufen. Die Entwicklung ist i.d.R. deutlich langsamer.)
Chirurgische Notfälle
Wichtige Hinweise zur Versorgung im Rettungsdienst • Bei offenem Pneumothorax kein luftdichter Verband, da insbesondere beim beatmeten Patient dann ein Spannungspneumothorax entstehen kann. • Fremdkörper in der Wunde belassen (Fixieren). • Bei intrathorakaler Blutung kann eine Stabilisierung des Patienten u.U. nur operativ herbeigeführt werden. Der Patient wird vor Ort mit venösen Zugängen versorgt und bei vorliegender Indikation intubiert. Spätestens bei fehlender Stabilisierung (RRsyst > 80 mmHg) nach Druckinfusion von 1000 ml VEL und 500 ml kolloidalem Volumenersatzmittel oder alternativ Small-VolumeResuscitation ist ein schnellstmöglicher Transport in eine geeignete Klinik mit Voranmeldung indiziert. Differenzialdiagnose Atemnot / Schmerzen? Besserung einer Zyanose bei O2-Gabe (100 %) / Beatmung? Blutdruckabfall? Einflussstauung? (gestaute Halsvenen) Maßnahmen
Pneumothorax gleichbleibend ja
keiner bis leicht gering bis gar nicht Lagerung, Punktion
Spannungspneumothorax zunehmend wenig oder gar nicht; i. d. R. sogar Zunahme des Spannungspneumothoraxes bei Beatmung stark vorhanden
Lagerung, Punktion, ggf. Wundspreizung Beim Hämatothorax treten im Gegensatz zum (Spannungs-) Pneumothorax ein aufgehobenes Atemgeräuschsowie ein gedämpfter (nicht hypersonorer) Klopfschall auf.
9.9 · Pneumothorax/Hämatothorax
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Pneumothorax / Hämatothorax Symptomatik • atemabhängige, einseitige Thoraxschmerzen • zunehmende Dyspnoe ➯ V. a. Spannungspneumothorax • zunehmend erschwerte Beatmung ➯ dringender V. a. Spannungspneumothorax • veränderte Atembewegungen (Seitendifferenz) • (meist einseitig) fehlendes Atemgeräusch und Klopfschalldifferenz bei Pneumothorax (hypersonorer Klopfschall) und bei Hämatothorax (gedämpfter Klopfschall) • prallgefüllte Halsvenen (fehlt u. U. bei gleichzeitiger Schocksymptomatik): bei Spannungspneumothorax und bei Herzbeuteltamponade • Blutdruckabfall und Kaltschweißigkeit bei Spannungspneumothorax • Blässe bis Zyanose • häufig Prellmarken / Druckschmerz (bei stumpfem Trauma) • Husten, evtl. Abhusten von blutig-schaumigem Sekret • evtl. Hautknistern (Hautemphysem) • Puls tachykard
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen • Oberkörperhochlagerung, dabei auf die verletzte Seite drehen (Schienung des Thorax); bei Bewusstlosigkeit Seitenlage • Thoraxwunden locker und steril abdecken • Untersuchung, Standardtherapie • bei offenem Thorax: offenlassen - Intubation und Beatmung (100 % O2) (Narkoseeinleitung s. S. 44) Solange ein Spannungspneumothorax nicht ausgeschlossen ist, ist ein PEEP kontraindiziert ! • bei Verdacht auf Spannungspneumothorax: Sofortige Entlastung durch Punktion mit großlumiger Venenverweilkanüle (im 2. ICR nach Monaldi, Medioclavicularlinie, am Oberrand der Rippe) • bei Verdacht auf akuten Hämatothorax: Erwägen einer Thorax-Drainage (im 5. ICR nach Bülau, mittlere Axillarlinie; Sog ca. 20 cm H2O - s. S. 53 f.) • ggf. Schocktherapie (s.S. 230 f.) bei schwerer, akuter (hämorrhagischer) Hypovolämie (z.B. geschätzter Blutverlust > 30%, ATLS-Stadium III) ggf. Small-Volume-Resuscitation (möglichst initial): s.S. 229 • Medikamente: • Analgetika, z. B. ein Opiat wie Piritramid (0,1 - 0,2 mg / kg KG i.v.) oder Ketamin (0,2 - 0,5 mg / kg KG i.v.)
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Kapitel 9 · Chirurgische Notfälle
Abdominaltrauma Definition Verletzung von Organen oder Weichteilen des Bauchraumes durch äußere Gewalteinwirkung. Vgl. a. Akutes Abdomen.
Ursachen • Stumpfes (geschlossenes) Bauchtrauma: z. B. Schlag, Stoß, Auto- /Fahrradunfall, dabei häufig: Milz- und Leberverletzungen. • Perforierendes (offenes) Bauchtrauma: z. B. Schuss-, Stich- und Pfählungsverletzungen.
Pathogenese • Einriss / Perforation / Zerreißung eines Bauchorgans (z. B. Leber, Milz, Zwerchfell usw.) ➯ Blutung, Peritonitis. • Gefäßverletzung oder Verletzung des Mesenteriums ➯ intraabdominelle Blutung. • Prellung eines Organs (Kontusion).
Chirurgische Notfälle
Milztrauma • Ätiologie: meist stumpf (z. B. Thoraxtrauma links mit Rippenfraktur), seltener perforierend (z. B. Messerstich) oder Spontanruptur (Vorerkrankung mit Milzvergrößerung - Bagatelltrauma reicht dann für eine Ruptur). • Wichtige Besonderheit: • Einzeitige Ruptur: Parenchym- und Kapselruptur gleichzeitig • Zweizeitige Ruptur: 1. Nur Parenchymruptur mit subkapsulärem Hämatom. ➯ Symptomfreies Intervall. 2. Nach Stunden bis Wochen Kapselruptur. ➯ Lebensbedrohliche Blutung. • Symptome: Schmerzen im linken Oberbauch, Ausstrahlung in die linke Schulter (= Kehr-Zeichen). Volumenmangelschock.
Lebertrauma • Ätiologie: meist stumpf (z. B. Lenkradaufprall, Sicherheitsgurtkompression), seltener perforierend (z. B. Messerstich). • Symptomatik: • Druckschmerz im rechten Oberbauch • Volumenmangelschock • Hinweise: • An Blutverlust denken! • Subkapsuläres Hämatom mit späterem Kapselriss möglich. • Häufigkeit: Bei etwa 20 % der Patienten mit stumpfem Bauchtrauma ist die Leber beteiligt.
9.10 · Abdominaltrauma
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Abdominaltrauma Symptomatik • Unfallmechanismus, Prellmarken • Schmerzen, Übelkeit • Bild des Akuten Abdomens mit Abwehrspannung, Schocksymptomatik usw. • ggf. offene Verletzung (evtl. mit Austreten von Darmschlingen) • Abdominalwunde mit Blasenbildung bei Husten als Zeichen einer Eröffnung des Peritoneums
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen, ggf. Schocklage, Schonhaltung des Patienten ermöglichen (z. B. Beine anziehen / Knierolle), (bei Bewusstlosigkeit Seitenlage!) • Wundabdeckung und ggf. zusätzlich Ringpolster • pfählende und sonstige Fremdkörper in der Wunde belassen (abpolstern; ggf. abschneiden / absägen lassen, z. B. durch Feuerwehr) • ausgetretene Darmschlingen belassen (kein Reponieren!); abpolstern mit feuchten Kompressen (sterile NaCl 0,9 %) • Untersuchung, Standardtherapie • Schocktherapie (s. S. 215 ff.) • ggf. Kreuzblutabnahme • ggf. Magensonde (zur Entlastung des Magens) • Medikamente: - Analgetika, z. B. ein Opiat wie Piritramid (0,1 - 0,2 mg / kg KG i.v.) oder Ketamin (0,2 - 0,5 mg / kg KG i.v.) - Benzodiazepine, z. B. Midazolam (0,05 - 0,1 mg / kg KG i.v.) - ggf. Narkotika, z. B. Ketamin (0,5 - 2 mg / kg KG i.v.)
Praxistipps • Bei Milz- oder Leberverletzung immer auch an Verletzung weiterer Organe denken. Ein Zweitbefund ist häufig vorhanden. • Bei intraabdominellen Blutungen kann eine Stabilisierung des Patienten u.U. nur operativ herbeigeführt werden. Der Patient wird vor Ort mit venösen Zugängen versorgt und bei vorliegender Indikation intubiert. Spätestens bei fehlender Stabilisierung (RR syst > 80 mmHg) nach Druckinfusion von 1000 ml VEL und 500 ml kolloidalem Volumenersatzmittel oder alternativ nach Small-Volume-Resuscitation (s. S. 229) ist ein schnellstmöglicher Transport in eine geeignete Klinik mit Voranmeldung indiziert.
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Kapitel 9 · Chirurgische Notfälle
Amputationsverletzung Definitionen Amputation: Kompletter bzw. inkompletter (= subtotale A.) Abriss bzw. Abtrennung (von Teilen) einer Extremität oder eines anderen Körperteiles so, daß deren Durchblutung ganz oder teilweise aufgehoben ist. Den abgetrennten Körperteil nennt man Amputat. Das Amputat wird auch als Replantat bezeichnet, wenn es mit dem Ziel, wieder an den Körper anzuwachsen, behandelt wird. Differenzierung • glatte Amputationsverletzung (z. B. Schnittverletzungen) • zerfetzende Amputation (z. B. Kreissägenverletzung) • Ausrissamputation (z. B. Motorradunfall) • Quetschamputation (z. B. mechanische Presse) • Sonderfall: dentale Amputation (exartikulierte / luxierte Zähne)
Chirurgische Notfälle
Therapieziel Replantation 1. knöcherne Versorgung 2. Sehnennaht 3. Versorgung von Venen, Arterien und Nerven 4. Weichteile und Haut (Nasenspitze, Ohrläppchen, Lippe, Zungenspitze und Fingerkuppe können ohne Gefäßnaht replantiert werden) Asservierung (Sicherstellung und Versorgung) des Replantats: Lagerung und Transport in doppelwandigem Replantatbeutel bei trockener Kälte (4°C). Keine Reinigung oder sonstige Behandlung des Replantats! Einwickeln des Replantats in steriles Verbandmaterial. Wichtig: Generell ist jedes abgetrennte Körperteil korrekt asserviert in die Klinik mitzunehmen - unabhängig von Unfallmechanismus, Funktion am Körper, Zustand und Größe! Hierfür gibt es medizinische und forensische Gründe. Hinweise: • Für den Fall, dass kein Eis verfügbar ist, gibt es die Möglichkeit, spezielle Kältepackungen (“Künstliches Eis” - nicht: Trockeneis!) zu bevorraten (laut DIN EN 1789 für RTW und Notfall-KTW vorgeschrieben), die im Bedarfsfall mit Wasser (z.B. Infusion) vermengt ihre kühlende Wirkung entfalten. • Das Replantat darf auf keinen Fall gefroren werden oder direkten Kontakt zur kühlenden Substanz haben (in Verbandtuch einwickeln). • Zur Replantation exartikulierter Zähne s. S. 261 f.
9.11 · Amputationsverletzung
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Amputationsverletzung Symptomatik • Schmerzen • Wunde mit evtl. fehlendem Körperteil • evtl. vorliegendes Amputat • evtl. (spritzende arterielle) Blutung; fehlende Durchblutung des Amputats • ggf. Schocksymptomatik (Tachykardie, Blutdruckabfall, Kaltschweißigkeit)
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen • Blutstillung mit sterilem Druckverband, keine Reinigung, keine Gefäßklemmen, möglichst keine Abbindung • Versorgung des Amputats mit Replantatbeutel, bei subtotaler Amputat ion lediglich steriler Verband (ohne Kühlung) • falls das Amputat nicht auffindbar, z. B. Polizei oder Feuerwehr mit der Suche beauftragen • Untersuchung, Standardtherapie • ggf. Schocktherapie (s. S. 228 ff.) • Medikamente: - Analgetika, z. B. ein Opiat wie Piritramid (0,1 - 0,2 mg / kg KG i.v.) oder Ketamin (0,25 - 0,5 mg / kg KG i.v.); keine Lokalanästhesie! - ggf. Benzodiazepine, z. B. Midazolam (0,05 - 0,1 mg / kg KG i.v.) - ggf. Narkotika, z. B. Ketamin (0,5 -2 mg / kg KG i.v.)
Praxistipps • Geeignetes Transportziel auswählen (z. B. bei Fingeramputation Klinik mit Möglichkeit der mikrochirurgischen Versorgung). • Replantationsentscheidung wird in der Klinik getroffen. Das Amputat ist ausnahmslos sicherzustellen (ggf. suchen lassen) und adäquat zu asservieren. Juristische Verpflichtung! (Eine Vernachlässigung dieser Pflicht könnte gemäß §226 StGB in Verbindung mit §13 StGB (Garantenstellung) als “Schwere Körperverletzung durch Unterlassen” geahndet werden. Außerdem könnte das Amputat für forensische Gutachten eine wichtige Rolle spielen.)
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Kapitel 9 · Chirurgische Notfälle
Extremitätentrauma / Sportverletzungen 1. Frakturen 2. Luxationen 3. Blutung und Wunde
s. S. 247 s. S. 248 s. S. 249 f.
Allg. Erstmaßnahmen bei Sportverletzungen nach dem PECH-Schema • Pause, Ruhigstellung • Eis im Wasserbeutel, Kühlung (s. S. 31, S. 248!) • Compressionsverband • Hochlagerung der betroffenen Extremität
Chirurgische Notfälle
nach: Schmidt / Engelhardt / Ziesché / Gesenhues (Hrsg.); „Praxisleitfaden Allgemeinmedizin“; Gustav Fischer Verlag 1996
Spezielle Symptome und ggf. Maßnahmen • Muskelkrampf: Muskel zieht sich zusammen, verhärtet sich; dumpfer ziehender Schmerz bei Belastung. - Maßnahmen: Sofern Muskelschäden ausgeschlossen sind (Zerrung, Faserriss), Vorsichtige passive Dehnung des betroffenen Muskels bzw. Anspannung der entsprechenden Gegenspieler, Lockerungsmassage. • Muskelzerrung: Spannungsgefühl, zunehmender krampfartiger Schmerz, insbesondere bei Druck, Dehnung, Anspannung und Widerstand. • Muskelfaserriss: Nadel- oder messerstichartiger Schmerz bei Belastung (Anspannung), evtl. Hämatom. • Muskelriss: wie Muskelfaserriss, zusätzlich Bildung eines Muskelwulstes und einer Muskellücke bei Anspannung, teilweiser bis völliger Funktionsverlust. • Bänderriss / Bänderdehnung: “Umknicken mit dem Fuß”; instabiler Bandapparat, starkes Anschwellen, Hämatom, Bewegungs- und Belastungsschmerz, evtl. Bewegungseinschränkung, evtl. abnorme Gelenkbeweglichkeit, evtl. hat der Patient die Zerreißung akustisch wahrgenommen; (“Gelenkverstauchung” = Bänderdehnung). • Achillessehnenruptur: evtl. peitschenknallartiges Geräusch, Zehenstand nicht möglich, Delle in der Sehne (bei starker Belastung oder Tritt in die Ferse). • Meniskusschaden: Schmerz, Bewegungseinschränkung des Kniegelenks, evtl. Blockade. Praxistipps • Blutverlust bei geschl. Frakturen nicht unterschätzen (s. S. 247) ! • Offene Frakturen stellen eine Indikation zur OP dar; daher muss der Patient nüchtern bleiben (Narkose). • Regelmäßige Kontrolle und Dokumentation von peripheren Pulsen (Durchblutung), peripherer Sensibilität und peripherer Motorik.
9.12 · Extremitätentrauma
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Extremitätentrauma Symptomatik • Schmerzen, Bewegungs- und Gefühlsstörungen, Unfallmechanismus • Schwellung, Prellmarken • Wunde, Blutung, Knochensplitter sichtbar / tastbar • abnorme Lage und / oder Beweglichkeit • evtl. Knochenreibegeräusch (nicht testen!) • evtl. Störungen der Durchblutung oder Sensibilität unterhalb der Frakturstelle (Prüfen, da ggf. Repositionsindikation vor Ort durch NA!) • evtl. fehlende Belastbarkeit der Extremität • evtl. kalte, blasse Extremitäten • Puls tachykard, evtl. Schocksymptomatik Oberschenkelhalsfraktur (meist ältere Menschen betroffen): • Druckschmerz in der Hüfte; Stauchungsschmerz • Bein nach außen rotiert und verkürzt • vorausgehend meist Sturz (pathologische Fraktur auch ohne Sturz möglich)
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen • Erstversorgung (leichter Sportverletzungen) nach dem PECH-Schema s. S. 276 • verletzte Extremität schonend entkleiden (z. B. Kleidung aufschneiden), soweit möglich: Schmuck entfernen und sicher verwahren (Dokumentation!) • Ruhigstellung inklusive angrenzender Gelenke, Schienen bei Oberschenkel- und Oberschenkelhalsfraktur: Umlagerung mit Schaufeltrage auf Vakuummatratze! • bei Wunden: Fremdkörper belassen, steriler Verband • Fraktur: beim Umlagern die Extremität achsengerecht unter leichtem Zug halten (Verhindern von Knochenreiben am Frakturspalt = Schmerzen / Schäden) • Untersuchung, Standardtherapie, ggf. Schocktherapie (s. S. 228 ff.) • bei Sensibilitäts- und / oder motorischen Störungen (Nervenversorgungsgebiet) oder fehlenden peripheren Pulsen: Reposition vor Ort (Analgesie !) • Medikamente (ggf. auch prophylaktisch bei Umlagerung / Reposition): - Analgetika, z. B. ein Opiat wie Piritramid (0,1 - 0,2 mg / kg KG i.v.) oder Ketamin (0,2 - 0,5 mg / kg KG i.v.) - ggf. Narkotika, (z. B. bei Einklemmung oder Reposition, Narkoseeinleitung zur Befreiung), z. B. Ketamin (0,5 - 2 mg / kg KG i. v.) Zu Reposition s. S. 55.
!
278
Kapitel 9 · Chirurgische Notfälle
Polytrauma / Grundlagen Definition Unter Polytrauma versteht man gleichzeitig entstandene Verletzungen mehrerer Körperregionen (Organsysteme), von denen wenigstens eine oder ihre Gesamtheit lebensbedrohlich ist. [nach Tscherne et al.]
Ursachen Verkehrsunfälle (ca. 80 %), Arbeitsunfälle (ca. 10 %), häusliche Unfälle (4 %), Suizid und Tötung (4 %), Spiel und Sport (3 %).
Häufigkeit verletzter Körperregionen bei Polytrauma Schädel-Hirn: Extremitäten: Thorax:
60% 45 % 25 %
Abdomen und Becken: Wirbelsäule:
10 % 5%
Chirurgische Notfälle
Notfallstrategie Die Problematik für den Rettungsdienst gründet vor allem darin, daß 1. das Polytrauma ein seltener Einsatzgrund geworden ist (< 2 - 5 % der NAW- / NEF-Einsätze), 2. das Polytrauma das Rettungsteam durch die Vielfalt der Aufgaben und den Zeitdruck herausfordert, 3. ein Polytrauma oft nicht allein kommt (häufig mehrere Verletzte). Die Mortalität bei polytraumatisierten Patienten ist mit 20 - 50 % hoch, kann aber durch suffiziente Versorgung (standardisierte Versorgungsstrategie) gesenkt werden. Dazu gehören unbedingt: 1. Zügige und effektive Bekämpfung der „5 tödlichen Hypotheken” [nach Dinkel]: - HYPOXIE (Sauerstoff, Intubation, Beatmung, ggf. Pleurapunktion) - HYPOVOLÄMIE (Schocklage, Infusion, vgl. S. 228 ff.) - HYPOPERFUSION (Lagerung, Blutdruck, Medikamente) - HYPOTHERMIE (Wärmeerhaltung; Decke, Fahrzeug, warme Infusion) - HYPOTHERAPIE [NA] (Analgesie, Narkose, chirurgische Intervention) 2. Ein standardisiertes, algorithmisches Vorgehen am Unfallort, um - frühzeitig die Arbeitsdiagnose Polytrauma zu stellen und den Patienten als Polytrauma zu behandeln - korrekt die Prioritäten zu beachten und nichts zu vergessen - Zeit zu gewinnen und - den Patient in eine geeignete Klinik zu bringen Die vermeidbaren Fehler sind: 1. Unterbewertung. - 2. Zu wenig. - 3. Zu spät. - 4. Zu langsam. 3. Eine saubere Klinikübergabe und ein ebenfalls standardisiertes Schockraummanagement der Zielklinik.
9.13 · Polytrauma
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9
Unfallmechanismus Der Unfallmechanismus gibt wertvolle Hinweise auf wahrscheinliche / mögliche Verletzungen des Patienten, z. B.:
• Pkw-Frontaufprall Alarmzeichen für schwere Verletzungen (Thoraxtrauma mit Herzkontusion und Pneumothorax, HWS-Trauma, Leber- und Milzruptur, Beckenfraktur) sind z. B. Knieanstoß am Amaturenbrett, “Bullaugenwindschutzscheibe” (Eindrücken der Windschutzscheibe durch Anstoß mit dem Kopf), sichtbare Veränderungen des Radstandes (z. B. Rad zur Seite geknickt / Achsenverschiebung (> 30 cm) am Unfallfahrzeug), Fahrzeug-Deformierung um mehr als 50 cm.
• Pkw-Seitenaufprall Typische schwere Verletzungen: HWS-Verrenkung, Thoraxtrauma, Akzelerationstrauma der Aorta, seitenabhängig Leber- o. Milzruptur, Frakturen des Beckens.
• Pkw-Heckaufprall - An HWS-Trauma (z. B. Schleudertrauma) denken! - Frontalaufprallkomponente miteinbeziehen! Insasse wird nach vorne geworfen ➯ Lenkradkontusion!
• Pkw-Unfälle allgemein - Die Gewalteinwirkung auf den Patienten entspricht in ihrer Richtung in der Regel der Einwirkung auf das Fahrzeug. - Wird ein Insasse aus dem Fahrzeug geschleudert, steigert sich das Risiko schwerer Verletzungen (SHT, WS, Thorax, Abdomen usw.) um 300 %. Auch bei den im Auto verbliebenen Insassen ist mit schweren Verletzungen zu rechnen! - Auch wenn ein Insasse getötet oder eingeklemmt wird, ist bei weiteren Insassen das Risiko schwerer Verletzungen erhöht. - Knieverletzungen bei einem Autounfall können Hinweise auf Oberschenkelund Beckenfrakturen sowie Hüftgelenksluxationen sein.
• Fußgänger wird von Kraftfahrzeug (frontal) erfasst Generell mit schweren Verletzungen (vor allem SHT / WS) rechnen. Zur besseren Einschätzung bei Pkw: - bis 50 km / h: Aufschlagen des Kopfes auf die Kühlerhaube. - bis 70 km / h: Aufschlagen des Kopfes auf die Windschutzscheibe. - mehr als 70 km / h: Der Fußgänger wird über das Dach geworfen. Lebensbedrohliche Verletzungen sind bereits möglich, wenn Radfahrer oder Fußgänger mit mehr als 30 km/h durch ein Fahrzeug erfaßt werden (der Verdacht muß bei Bremsspuren > 10 - 20 m bei trockener Fahrbahn entstehen). Ebenso ist bei Überrolltraumen von schweren Verletzungen auszugehen.
• Sturz aus der Höhe (z. B. Leiter) Stets an HWS- / WS- und SHT denken; bei Sturz auf die gestreckten Beine typischerweise Fraktur der Fersenbeine, Stauchungsfraktur der WS (BWK 12 / LWK 1), sowie Schienbeinplateau-Frakturen. Spätestens ab einer Sturzhöhe von 6 m ist von einer Polytraumatisierung auszugehen.
280
Kapitel 9 · Chirurgische Notfälle
Polytrauma-Management I A. Allgemeine Maßnahmen an der Einsatzstelle / Primärversorgung 1. Überblick verschaffen • Eigenschutz! (s. S. 7 ff.). ! Arbeitsdiagnose Polytrauma, wenn der Unfallmechanismus darauf schließen läßt (z. B. s. S. 279; die dort aufgeführten Kriterien sind als Anhaltspunkte zu verstehen; ggf. können Polytraumen bei geringeren Schäden auftreten oder bei größeren fehlen). Im Zweifel wie Polytrauma behandeln, bis das Gegenteil feststeht! • Bei Massenanfall von Verletzten s. S. 72 ff. • Absichern der Unfallstelle (s. S. 7 ff., 285). • Kurze Sichtung aller potenziellen Patienten: - Ansprechbar? Puls tastbar? Atmung sichtbar? Eingeklemmt?
Chirurgische Notfälle
2. Sofortmaßnahmen • Bei sichtbarer arterieller Blutung: Schnelle Blutstillung (Kompression). • Bei Bewusstlosigkeit: Seitenlage (vgl. S. 20 f.). • Ggf. kurze Anweisungen an Ersthelfer. • Rückmeldung / Nachalarmierung (s. S. 13): - Unfallereignis - X Verletzte, davon Y Schwerverletzte - Z eingeklemmte Patienten - Gefahren an der Einsatzstelle Notarzt, Feuerwehr (Gefahr / eingeklemmte Person), Polizei. • Ggf. Einweisen und Koordinieren nachrückender Kräfte. • - Bei Gefahr im Verzug (z.B. Feuer): Ggf. (Crash-) Rettung des Pat. aus dem Gefahrenbereich (Dabei an Wirbelsäulen-Trauma denken - wenn möglich HWS-Immobilisation (s. 4.) und Schaufeltrage / Vakuummatratze!) - Sonst: Zügige Versorgung, dann gezielt schonende u. rasche Rettung!! • Möglichst frühzeitig: 1. Immobilisation der Hals-Wirbelsäule: a) In-Line-Immobilisation (1 Helfer immobilisiert die HWS durch achsengerechtes Halten des Kopfes) oder b) HWS-Stützkragen. 2. Sauerstoffinsufflation 10 l / min 3. Wärmeerhaltung
3. Basischeck am Patienten • Vitalparameter: GCS, kapilläre Füllungszeit, Puls, RR, EKG, AF, SaO2 • Verletzungsmuster: Bodycheck („head to toe“) ! Arbeitsdiagnose Polytrauma, wenn die Vitalparameter und das Verletzungsmuster den Verdacht begründen. Im Zweifel wie Polytrauma behandeln, bis das Gegenteil feststeht!
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Polytrauma-Management II B. Stabilisierung der Vitalfunktionen / Initiale Schocktherapie 1. Atmung • Freimachen / Freihalten der Atemwege, O2-Gabe (100 % !) • ggf. (assistierte) Beatmung (100 % O2 !) • ggf. endotracheale Intubation (ggf. Narkoseeinleitung); Indikationen: GCS < 9, Hypoxie, schwerer Schockzustand, instabiler Thorax, paradoxe Atmung, offene Thoraxverletzung, Aspiration • V. a. Spannungspneumothorax ➯ frühzeitig Entlastungspunktion.
2. Herz-Kreislauf • Stillung von massiven Blutungen nach außen. • Wärmeerhaltung / ggf. Schocklage (vgl. unten) • Venöse Zugänge: Infundieren von VEL; ggf. Druckinfusion • Ggf. Volumentherapie (s.S. 228 ff!). Anlegen weiterer großlumiger peripherer venöser Zugänge (mind. 2). Ggf. Kreuzblutabnahme. Wenn nach schneller Infusion von 1000 ml VEL und 500 ml Kolloid oder alternativ Small-Volume-resuscitation (s.S. 229) keine Stabilisierung der Kreislaufsituation eintritt (RR syst > 80 mmHg) ➯ schnellstmögl. Transport in geeignete Klinik (Sondersignal + Voranmeldung !). • Bei Herz-Kreislauf-Stillstand ➯ CPR (s. Kapitel 5).
3. Lagerung Entsprechend den Verletzungen und Herz-Kreislauf-Verhältnissen. Vakuummatratze! - Prioritäten: 1. Atem- und oder Herz-Kreislauf-Stillstand ➯ Rückenlage 2. Bewusstlosigkeit, nicht intubiert ➯ Seitenlage (vgl. S. 20 ff.) a) bei Thorax- / Extremitätentrauma: auf verletzte Seite b) bei Fremdkörper / sonst: auf unverletzte Seite 3. a) Erschwerte Atmung ➯ Oberkörper hoch (z.B. 45°) bei Thoraxtrauma [ggf. Patientenwunsch] b) Abdominaltrauma ➯ Schonhaltung, Knierolle [ggf. Patientenwunsch] c) Schädel-Hirntrauma ➯ Oberkörper hoch (30°) d) Wirbelsäulentrauma ➯ Flachlagerung auf Vakuummatratze 4. Extremitätentrauma ➯ Extremität mit Schienen stabilisieren u. fixieren 5. Schocklage a) kombinierbar mit 1. und 2. b) als Ganzkörperschräglage immer kombinierbar, außer 3. a)/c) Wenn eine in der Rangliste zahlenmäßig höher stehende Lagerung zutrifft, haben weiter unten stehende Angaben keine Bedeutung, es sei denn, sie ließen sich problemlos kombinieren. Stehen Lagerungen der Gruppe 3. untereinander oder mit 5. im Widerspruch, ist eine Flachlagerung anzustreben.
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Kapitel 9 · Chirurgische Notfälle
Polytrauma-Management III C. Weitere Notfallmaßnahmen (Fortführung Schockbehandlung!) 1. Analgesie (s. S. 454) 2. Narkoseeinleitung, Intubation, Beatmung (s. S. 44 ff.) • Großzügige Indikationsstellung - sofern noch nicht initial geschehen.
3. Monitoring • Lückenlose Überwachung der Vitalfunktionen.
4. Genaues Verletzungsmuster bestimmen (s. S. 103) • Vollständiges Entkleiden, damit keine Verletzungen übersehen werden. • Wärmeerhaltung beachten - wenn möglich im geheizten Fahrzeug. • Ausgangsbefunde dokumentieren!
5. Wunden steril abdecken 6. Ggf. Magensonde legen (intubierter Patient; nicht bei Gesichtsschädeltrauma).
7. Vorbereiten des Transports • Auswahl der Zielklinik; ggf. Spezialklinik (Verbrennung, SHT). • Anmeldung in der Klinik über Rettungsleitstelle. • Ggf. Transport mit Hubschrauber (langer Transportweg, WirbelsäulenTrauma, Spezialklinik).
Chirurgische Notfälle
8. Dokumentation • Unfallhergang. • Untersuchungsdaten, die später evtl. nicht mehr erhoben werden können (z. B. Unfallmechanismus, Beweglichkeit der Extremitäten (aktiv / passiv), Schmerzen, Sensibilitätsstörungen).
D. Spezielle Maßnahmen - Versorgung einzelner Verletzungen (Überprüfen, ob bereits abgearbeitet !)
1. Thoraxtrauma (s. S. 268 ff.) 1. Lagerung 2. Intubation und Beatmung bei instabilem Thorax 3. Entlastungspunktion bei Spannungspneumothorax; Ggf. Thoraxdrainage (z. B. bei anstehendem Hubschrauber-Transport). 4. Ggf. Punktion einer Herzbeuteltamponade durch den Geübten 5. Bei intrathorakaler Blutung kann eine Stabilisierung des Patienten u.U. nur operativ herbeigeführt werden. Der Patient wird vor Ort mit venösen Zugängen versorgt und bei vorliegender Indikation intubiert. Spätestens bei fehlender Stabilisierung (RRsyst > 80 mmHg) nach Druckinfusion von 1000 ml VEL und 500 ml kolloidalem Volumenersatzmittel ist ein schnellstmöglicher Transport in eine geeignete Klinik mit Voranmeldung indiziert.
9.13 · Polytrauma
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Polytrauma-Management IV 2. Abdominaltrauma (s. S. 272 f.) 1. Lagerung. 2. Volumenersatz! 3. Steril-feuchtes Abdecken bei offenem Trauma / kein Reponieren ausgetretener Bauchorgane! 4. Bei intraabdomineller Blutung kann eine Stabilisierung des Patienten u.U. nur operativ herbeigeführt werden. Der Patient wird vor Ort mit venösen Zugängen versorgt und bei vorliegender Indikation intubiert. Spätestens bei fehlender Stabilisierung (RRsyst > 80 mmHg) nach Druckinfusion von 1000 ml VEL und 500 ml kolloidalem Volumenersatzmittel ist ein schnellstmöglicher Transport in eine geeignete Klinik mit Voranmeldung indiziert.
3. Schädel-Hirn-Trauma (s. S. 252 ff.) 1. Auf ausreichenden Blutdruck achten! 2. 30° Oberkörperhochlagerung (Seitenlage bei Bewusstlosigkeit) 3. Kontrollierte (Kapnometrie) Normoventilation anstreben (pCO2 = 35 - 38 mm Hg)
4. Wirbelsäulentrauma (s. S. 252 f.) 1. Lagerung 2. Ruhigstellung (HWS-Krause, Vakuummatratze) 3. Ggf. Kortikoidgabe (Methylprednisolon, hochdosiert)
5. Extremitätentrauma (s. S. 266 f.) 1. Lagern, Reponieren (NA) und Ruhigstellen 2. Blutstillung, Verband 3. ggf. Amputatversorgung
E. Transport unter Fortführung von Schockbehandlung, Narkose, Beatmung, Monitoring, Dokumentation
Praxistipps • Zeit im Auge behalten! Bei Patienten ohne erschwerte Rettung sollten die Stabilisierungsmaßnahmen bis zum Beginn des Transportes nicht mehr als 30 min in Anspruch nehmen! (Dies setzt trainierte Strategien voraus.) • Schock, Alkoholanamnese und Alkoholgeruch gelten bis zum Beweis des Gegenteils nicht als Erklärung für Bewusstseinsstörungen! • Vorrang vor der Versorgung einzelner Verletzungen hat in jedem Falle die Sicherung und Aufrechterhaltung der Vitalfunktionen! • Insgesamt haben Thoraxverletzungen (Atemstörungen) und Abdominalverletzungen (nicht abschätzbarer Blutverlust) Therapiepriorität (z.B. vor SHT). • Schmerzen und Hilflosigkeit des Patienten ➯ Stress, Angst ➯ psychische Betreuung nicht vergessen (vgl. S. 430 f.). • Voranmeldung in aufnehmender Klinik: z.B. über RLS Verletzungsmuster, Patientenzustand, Alter, Geschlecht, benötigtes Personal usw. mitteilen lassen.
Erster orientierender Blick, erste Parametererhebung (Basischeck), Erstbeurteilung, lebensrettende Sofortmaßnahmen (z. B. Blutstillung, Sauerstoffgabe – Vorsicht: Brandgefahr!), psychische Betreuung. Ist die Feuerwehr noch nicht vor Ort und keine Öffnung (z. B. unbeschädigte Tür) vorhanden: am besten über Heckfenster / Seitenfenster (nicht direkt am Patienten) z. B. mit Blechaufreißer; Schutz des Patienten vor Feuerwehr-Gerät, Splitterflug (z. B. mit Decke oder Spezialfolie, Helm mit Visier) – Patienten über alle Maßnahmen informieren!
Ziel: Erstzugang zum Patienten, möglichst schnell muß ein Helfer (NA/RA) zum Patienten. Primär notwendig: freies Gesicht für Airway-Management, Arm / Bein für Pulskontrolle und Venenzugang; wenn möglich, erfolgt der Zugang ohne aufwendige technische Maßnahmen (z. B. durch ein PkwHeckfenster); grobe Sicherung des Fahrzeuges gegen Lageveränderung und zusätzliche Gefahren.
I.
II.
Ziel: Schaffung eines Arbeitsraumes am Patienten, der die medizinische Notfallbehandlung ermöglicht. Z. B. Stabilisierung des Fahrzeuges, Dachentfernung, Abpolsterung gefährlicher Blechteile, ggf. mechanische Entlastung eines eingeklemmten Thorax.
Intensivierte Maßnahmen der medizinischen Rettung (Sicherstellung der Atmung, Schockbehandlung, Analgesie, Monitoring, ggf. Narkoseeinleitung).
Anmerkung: Eine derart optimierte Versorgungsöffnung Zusammenarbeit kann nur funktionieren, wenn sich •Ggf. Etappen zwischen die beiden Einsatzleiter Medizin und Technik! (Feuerwehr und Rettungsdienst [in der Regel der Stabilisierung (z. B. weiterführende Notarzt]) untereinander Ziel: Befreiung aller eingeklemmten KörperIII. Schockbehandlung) und partien (z. B. Beinraumöffnung - Beachte: absprechen. Es muß dabei Befreiungsöffnung Immobilisierung (z.B. Rettungserhöhte perakute Schockgefahr bei Wegnahbeachtet werden, daß korsett), Lagerung und Transport me der Last !), Raum schaffen für Rettungsnicht immer die einfachzum Rettungsmittel. •Technische Möglichkeiten? geräte (z. B. Schaufeltrage, Rettungskorsett, sten oder die komplizierte•Crash-Rettung notwendig? Wirbelsäulenbrett), Freimachen des Weges sten Möglichkeiten ergrifzum Rettungsmittel (z. B. Leitplanken trenfen werden müssen, nen). sondern die sinnvollsten. Hinweis: Die technischen Maßnahmen und Geräte werden auf den folgenden Seiten erläutert.
•Bester Erstzugang aus medizinischer und technischer Sicht!
Erstöffnung
2. Maßnahmen des Rettungsdienstes
1. Maßnahmen der Feuerwehr
Rettungs-Phase
Die technische Rettung selbst sollte sich – aus didaktischen und praktischen Gründen – soweit möglich in drei Phasen gliedern:
Chirurgische Notfälle
284 Kapitel 9 · Chirurgische Notfälle
Eingeklemmter Patient / Technische Rettung I
9.13 · Polytrauma
285
9
Eingeklemmter Patient / Technische Rettung II Da es für den Rettungsdienst keine Möglichkeit gibt, Patienten unter Einsatz von schwerem technischen Gerät schonend aus ungünstigen Lagen zu befreien, ist in solchen Fällen an eine frühzeitige Nachalarmierung der Feuerwehr zu denken. Es sollte keine Zeit mit dem Versuch verschwendet werden, Patienten aus Lagen zu retten, denen man offensichtlich - ohne Gerät oder Fachkenntnis - nicht gewachsen ist. Die Feuerwehr sorgt bei guter Koordination schnell und effektiv für einen sicheren und ausreichend großen Zugang zum Patienten. Vor jeder qualifizierten technischen Rettung ist die Beachtung des Eigenschutzes, eine angemessene Lageerkundung und eine fachgerechte Rückmeldung (Nachalarmierung) an die Leitstelle zwingend notwendig (vgl. S. 21). Bei Unfällen mit Kraftfahrzeugen beachte bes. folgende Punkte:
• Schutzausrüstung (Gefahren durch Einsatzstelle, Verkehr und Rettungsarbeiten): z. B. Schutzhelm mit Visier und Nackenschutz (nach DIN EN 443), Warnkleidung oder Warnweste (nach DIN EN 471, Klasse 2), Feuerwehrhandschuhe (nach DIN EN 659), Sicherheitsschuhe (z. B. nach DIN EN 345, Kategorie S2 / Bewertungsgruppe R1 nach DIN 4843). • Sichern der E-Stelle, z. B. durch entspr. Aufstellung der Fahrzeuge, Blaues Blinklicht, Warndreiecke, Leitkegel. • Zündung der Unfallfahrzeuge abstellen / Batterie abklemmen (Minuspol zuerst) / Feuerlöscher positionieren. • An Gefahren durch (nicht ausgelösten) Airbag denken (s. S. 9), bei ausgelöstem Airbag evtl. noch heiße Zündkapsel. Zu den Erstmaßnahmen der Feuerwehr am Einsatzort gehören • die Sicherung des Fahrzeugs gegen Wegrollen, Umkippen bzw. Abstürzen (soweit notwendig - z. B. Böschung / Abhang), • die Sicherung der Brandgefahr (Bereitstellen von Feuerlöschern, ggf. Vornahme eines Schnellangriffes: fertigangeschlossener Schlauch mit Strahlrohr, mindestens Wasser bis zum Strahlrohr; ggf. Schaumteppich), • Beseitigung von gefährlichen Gegenständen, Scherben und Splittern. Sollte der Rettungsdienst vor der Feuerwehr eintreffen, muss der Eigenschutz im Hinblick auf diese Gefahren höchste Priorität genießen! Kleine Werkzeugkunde Zur patientengerechten technischen Rettung stehen seitens der Feuerwehr technische Spezialgeräte zur Verfügung, die auch dem Notarzt (zumindest vom Prinzip und in ihren Auswirkungen auf den Einsatz) bekannt sein sollten: Hydraulisches Spreizgerät (Rettungsspreizer) Er kommt zum Einsatz zum Auseinanderspreizen bzw. Zusammendrücken von Blechteilen und zum Anheben kleiner Lasten. Er wird über eine Hydraulik-Pumpe angetrieben, die meist eines Verbrennungsmotors in näherer Umgebung bedarf, der – wie auch die unten genannten Hydraulikgeräte - über zwei Hochdruckschläuche mit dem Gerät in Verbindung steht. So können z. B. Türen ohne Funkenbildung aufgesprengt und mit Hilfe von Zubehör (z. B. Ketten, die den Weg verlängern) auch Bauteile (z. B. früher: Lenksäulen) verzogen werden. Spreizweg bis zu ca. 80 cm, Spreizkraft an der Spitze ca. 45 - 80 kN; Spezialgeräte bis zu ca. 200 kN (selten anzutreffen). Hydraulisches Schneidegerät (Rettungsschere) Technisch mit Spreizer vergleichbar, wird zum Durchtrennen von Blechen und Holmen genutzt (z. B. A- und B-Säule mit dem Ziel des Wegklappens des Autodaches nach hinten). Auch andere Metallteile, z. B. Torpfosten und Scharniere können abgeschnitten werden. Achtung: gehärtete Metallteile (z. B. Achsen, Lenksäulen) können nicht durchtrennt werden. Unter
286
Kapitel 9 · Chirurgische Notfälle
Eingeklemmter Patient / Technische Rettung III
Chirurgische Notfälle
Spannung stehende Teile und freie Metallstangenenden dürfen nicht geschnitten werden. Schnittkraft je nach Öffnungsweite und Ansatz zwischen ca. 80 und 100 kN; Spezialgeräte bis ca. 300 kN. Größte Öffnung ca. 8–20 cm. Vollmaterial bis zu ca. 2 cm schneidbar.
Anmerkung zu Schere und Spreizer Der Einsatz von Spreizer und Schere läuft nicht immer ohne Funkenbildung ab (z.B. noch unter Spannung stehende Elektrokabel - ggf. Batterie abklemmen!). Schneid- und Spreizgeräte gibt es auch als Kombinationsgeräte. Lenksäulen werden heute nicht mehr mit dem Spreizer vorgezogen, heute klappt man das ganze Fahrzeugvorderteil nach vorne weg. Dazu sind zwei Einschnitte im unteren Teil der A-Säulen notwendig; dann wird mit einem Rettungszylinder, der in eine der beiden vorderen Türöffnungen positioniert wird, das Fahrzeugvorderteil weggedrückt. Diese Maßnahme ist sicherer und schafft auch mehr Platz. Hydraulikstempel (Rettungszylinder) Teleskopartig sich verlängernden Kolben zum Auseinandergedrücken von Lasten (z. B. KfzTüren). Spreizweg zwischen ca. 30 und 70 cm (hinzu kommt die Eigenlänge von ca. 50 - 100 cm). Die Spreizkraft gängiger Modelle beträgt ca. 130 kN, seltener bis zu 200 kN. Hydraulischer Pedalschneider Sehr kompaktes Gerät mit geringerer Leistung zum Trennen von Pedalsträngen und Lenkradkranz. Eine gute Alternative besteht in einer Fangleine, die man am Pedal befestigt und dann nach außen wegzieht. Wenn hierzu der Platz nicht ausreicht, kommt man mit dem Pedalschneider i.d.R. auch nicht weiter. Trennschleifer Entspricht einem handelsüblichen Gerät (elektrisch oder mit Verbrennungsmotor). Seltener Einsatz wegen Funkenfluges, starker Lärmbelastung, Verletzungsgefahr und Erschütterungen. Schneidbrenner Schweißgerät, das mit thermischer Wirkung auch stabile Metallteile trennen kann. Er kommt zum Einsatz, wenn hydraulische Rettungsgeräte versagt haben. Aber: Brandgefahr bedenken ! Hebegeräte Zum Heben von Lasten, z. B. unter denen eine Person eingeklemmt ist (Lasten über 10 t bei entsprechend großer Auflagefläche), kommen Luftheber (Niederdruckkissen) und (Mini- / Hochdruck-) Hebekissen zum Einsatz. Technische Daten: Niederdruckkissen: Hochdruckkissen: Arbeitsdruck: 0,1 bar / 0,5 bar / 1 bar 6 bar / 8 bar / 10 bar Hubkraft: 58 - 226 kN 10 - 677 kN Hubhöhe: bis 110 cm 1 Kissen bis 52 cm / 2 Kissen bis 104 cm Einschubhöhe: 3 cm 2,5 cm
Fußnoten zum Algorithmus auf der folgenden Seite 1 2
3
Der Algorithmus wird verlassen, wenn der ursprüngliche Verdacht aufgrund von Tatsachen widerlegt worden ist. Crash-Rettung bedeutet, den Patienten schnellstmöglich vom Auffindeort an einen geeigneten Platz zur Erstversorgung oder direkt in das bereitgestellte Rettungsmittel zu verbringen. Dabei steht die Schnelligkeit aufgrund einer vitalen Gefährdung gegenüber der schonenden Rettung (Prophylaxe von Sekundärschäden) im Vordergrund. Gründe, z.B. ohne die sonst gebotene Vorsicht zu retten oder umzulagern können sein: • Es besteht eine äußere akute, nicht abschirmbare Lebensgefahr für den Pat. (z.B. Fahrzeugbrand, Feuerwehr nicht vor Ort, Feuerlöscher leer...). • Das Leben des Patienten kann nur gerettet werden, wenn er eiligst der operativen Versorgung (Klinik) zugeführt wird (z.B. intraabdominelle Blutung). • Die Versorgung des Pat. ist durch ungünstige Arbeitsbedingungen für den RD gefährdet (z.B. Gewitter, gestörte Logistik in unwegsamem Gelände). Algorithmus zum Advanced Airway-Management nach ERC siehe S. 205.
9.13 · Polytrauma
9
287
Vorgehen bei Verdacht auf Polytrauma
1
(Verdacht durch Meldung, Unfallmechanismus, Verletzungsmuster oder Vitalparameter)
NEIN
Entspricht die Lage der Meldung?
Pat. in Lebensgefahr (z. B. Feuer): CrashRettung unter Beachtung des Eigenschutzes2
JA
Mehr Patienten als Rettungsmittel? NEIN
Eigengefährdung?
NEIN
Person eingeklemmt?
JA
MANV (S. 72 ff.)
JA
Eigenschutz (S. 7 ff.)
JA
Techn. Rettung (S. 284)
NEIN JA
NEIN
* Patient ansprechbar?
JA
Sichtbare Massenblutung? NEIN HWS-Immobilisation (Inline / Stützkragen) Atmung suffizient? JA
Blutstillung (Druckverband / manuelle Kompression) NEIN
Insufflation 10-15 l/min
(1000ml VEL + 500ml Kolloid oder Small-Volume-Resuscitation s.S.229!)
• Wärmeerhalt (z. B. Decke) • Analgesie, ggf. Sedierung, Monitoring • ggf. Narkose / Intubation • Volumentherapie nach Bedarf • Kreuzblutabnahme • Schonende Rettung, Entkleiden • Lagerung (Vakuummatratze) • Verletzungsmuster bestimmen • Notfalltherapie spezieller Verletzungs muster (z.B.SHT);ggf.Thoraxdrainage • Transport mit Voranmeldung
CPR (BLS / ALS) (S.166 ff.) HWS kontinuierlich stabilisieren Airway-Management 3 ; Intubation bei GCS<9, schwerem Schock, Hypoxie (SaO2 < 90%), Aspiration, schwerem Thoraxtrauma (z.B.instabil)
ggf. Entlastung eines Spannungspneumothorax
Sauerstoff über Maske
Initiale Schockbekämpfung (max. 5 min: 2 großlumige venöse Zugänge; schnelle Volumengabe:
Rückmeldung an RLS! (s. S. 13) - Weiter bei *
Basis-Check (s. S. 16) • GCS, RR, Puls, SaO2, EKG • Bodycheck („head to toe“) Zeichen klinischer Instabilität? (z. B. RRsyst < 80 mmHg) Arbeitsdiagnose: NEIN JA - Polytrauma • • • • •
Angepasste Volumentherapie Analgesie, Narkose, Intubation Monitoring; ggf. Thoraxdrainage ggf. Crash-Rettung schnellstmöglicher SondersignalTransport in die nächste geeignete Klinik (OP) • Voranmeldung in der Klinik • ggf. Kreuzblut mit NEF oder Polizei vorausschicken
Bei Transportzeiten > 15 min rechtzeitig Hubschraubertransport erwägen!
!
288
Kapitel 9 · Chirurgische Notfälle
Akute Magen-Darm-Blutung Synonym: Gastrointestinale Blutung (im folgenden mit GIB abgekürzt).
Einteilung • Obere GIB: Alle Blutungen von der Speiseröhre bis zum Ende des Zwölffingerdarmes. 90 % aller GIB (davon 50 % Magen-Darm-Ulkus, 30 % entzündliche Veränderungen der Schleimhäute, 10 % Ösophagusvarizen, 5 % Karzinome, 5 % Mallory-Weiss-Syndrom (s. nächste Seite)). • Untere GIB: Alle Blutungen im Bereich des Dünndarmes (außerhalb des Zwölffingerdarmes) und des Dickdarmes, des Sigmoid- und des Enddarmes, des Rektums. 10 % aller GIB (davon 80 % Hämorrhoidalblutungen).
Kollateralen / Anastomosen des Pfortaderkreislaufs Das venöse Blut aus den unpaarigen Bauchorganen gelangt über die Pfortader zur Leber. Wenn die Leber krankheitsbedingt, z. B. durch Leberzirrhose (Alkoholkonsum, Hepatitis), eine herabgesetzte Durchblutungsrate hat, kommt es zu einer Stauung im Pfortaderkreislauf. Dieser kann umgangen werden über
Chirurgische Notfälle
• Ösophagusvarizen (Umgehung über Venen des Magens und der Speiseröhre in die obere Hohlvene), • Hämorrhoiden (Plexus hämorrhoidalis / Umgehung über Venen des Enddarmes und Rektalvenen), • Caput medusae (Umgehung über Venen unter der Bauchhaut, um den Nabel herum). Diese Gefäße (portocavale Anastomosen) werden bei immer stärkerer Durchblutung aufgeweitet (Varizen) und können zu Blutungen führen. Ösophagusvarizenblutungen beginnen oft akut. Schwallartiges Bluterbrechen. Oft kombiniert mit massiven Teerstühlen. Volumenmangelschock!
Wichtige Symptome bei GIB / DD • Bluterbrechen (Hämatemesis): frisches rotes Blut, welches der Patient ausspuckt, stammt entweder aus - Ösophagusvarizen, die schwallartig in die Speiseröhre bluten, - dem Mund- oder Nasen- (Rachen-) Raum (z. B. Gefäßruptur) oder - dem Atmungstrakt (Lunge, z. B. Tumorblutung / Bronchusabriss). • Kaffeesatzerbrechen: Blut, welches im Magen angedaut wurde, ist braun bis schwarz. Ursachen: z. B. obere GIB, Nasenbluten. • Teerstuhl (Melaena): Blut aus oberen bis mittleren Darmabschnitten, welches den Verdauungskanal passiert und ausgeschieden wird, färbt den Stuhl dunkel bis schwarz. Kleine Blutmengen müssen, obwohl sie ebenfalls zu gefährlicher Anämie führen können (über Tage bis Wochen), nicht augenfällig sein. Dunkler Stuhl auch durch Nahrungsmittel (Spinat) oder Medikamente (Eisen, Kohle). • Blutauflagerungen: Findet sich frisches rotes Blut im Stuhl, so ist die Quelle im letzten Darmabschnitt zu suchen (z. B. durch Hämorrhoiden).
9.14 · Gastrointestinale Blutung
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9
Akute Magen-Darm-Blutung Definition Einblutung in Speiseröhre, Magen oder Darm. Häufige Ursachen: Blutung aus Ösophagus- / Magenfundusvarizen, Magen- und Darmgeschwüren, Tumoren in Magen und Darm; Mallory-Weiss-Syndrom (Längseinrisse der ÖsophagusSchleimhaut nach starkem Erbrechen, vornehmlich bei Alkoholikern).
Symptomatik • Übelkeit, Schwächegefühl, Schwindel, evtl. Atemnot • ggf. Schocksymptomatik • Akut-Anamnese (evtl. bekannt: Ulkus, Tumor, Colitis ulcerosa, Varizen): Seit wann Beschwerden? “Reizmagen”? Geschwür bekannt? Stress? häufigere Aspirin®- Einnahme? Schmerz- / Kortisontherapie? Starker Kaffee und / oder Zigarettenkonsum? U. a. m. • Bluterbrechen (hellrot oder kaffeesatzartig) • evtl. Bluthusten (Hustenreiz durch zurücklaufendes hochgewürgtes Blut) • evtl. Teerstuhl / frisches Blut im Stuhl Achtung: Zuweilen sind diese eindeutigen Hinweise am Notfallort nicht zu übersehen; gelegentlich werden sie aber auch aus verständlicher Scham heraus nicht genannt bzw. beseitigt. Immer (selbstverständlich rücksichtsvoll) nachfragen! • bei Begleiterkrankungen: z. B. Ikterus, Aszites
Notfalltherapie • Untersuchung, Standardtherapie, Schocktherapie (s. S. 228 ff.) • ggf. Magensonde (nicht bei V.a. auf Ösophagusvarizenblutung!) • ggf. Sengstaken-Blakemore / Linton-Nachlas-Sonde (bei Ösophagusvarizenblutung - s. S. 59) • Medikamente: - ggf. Benzodiazepine, z. B. Midazolam (0,05 - 0,1 mg / kg KG i.v.) - bei V.a. Ösophagusvarizenblutung ggf. Terlipressin (1-2 mg i.v.) - ggf. Blutdrucksenkung (bei Hypertonie durch Terlipressin z.B. Clonidin)
Praxistipps • Der tatsächliche Blutverlust ist nur schwer abschätzbar. Daher rechtzeitig Schocktherapie und ggf. Kreuzblutabnahme. • Etwa 5 % der akuten gastrointestinalen Blutungen verlaufen tödlich! Bei Ösophagusvarizenblutungen bis zu 30 %. • Blut nicht schlucken lassen! (Stark emetisch, Aspirationsgefahr!)
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Kapitel 9 · Chirurgische Notfälle
Akutes Abdomen I [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9] [10] [11] [12] [13] [14] [15] [16] [17] [18] [19]
Chirurgische Notfälle
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Gallenblase (Vesica fellea; OR) rechte Nebenniere (Glandula suprarenalis d.; OR) Zwölffingerdarm (Duodenum; OR) [22] rechte Niere (Ren d.; OR) Colon transversum (Quercolon; O) [2] Colon ascendens (aufsteigendes [1] Colon; UR) [4] Blinddarm (Caecum; UR) [3] Wurmfortsatz (Appendix vermif.; UR) rechter Harnleiter (Ureter d. ; UR) Harnblase (Vesica urinaria; U) [5] Mastdarm (Rectum) und Analkanal [6] Ileum (Krummdarm) Colon sigmoideum linker Harnleiter (Ureter s.; UL) Colon descendens (absteigendes [12] Colon; UL) [7] Leerdarm (Jejunum) [8] [9] Bauchspeicheldrüse (Pankreas; O) [10] linke Niere (Ren s.; OL) linke Nebenniere (Glandula O = Oberbauch suprarenalis s.; OL) U = Unterbauch Milz (Splen; OL) L = Links Magen (Gaster; O) R = Rechts Leber (Hepar; OR)
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Anatomie des Abdomens
Definition: Unter dem Begriff des Akuten Abdomens fasst man plötzlich auftretende heftige Beschwerden zusammen, die durch potenziell lebensbedrohliche Verletzung oder Erkrankung von Bauchorganen hervorgerufen werden (können). Leitsymptome (typisch, aber nicht obligatorisch): • Abdominelle Schmerzen, • brettharte Bauchdecke (Abwehrspannung ➯ Peritonitis s.u.), • Druckschmerzhaftigkeit, • Schocksymptomatik (s. S. 214, 216 f.), • Übelkeit und Erbrechen, • flache, schnelle Atmung • Angst, verfallener Gesichtsausdruck • ggf. auch Fieber Pathophysiologie der Peritonitis: Keimbesiedlung (Infektion), Entzündungen, Perforationen, Blutungen, Traumata, Tumoren usw. führen zu einer Reizung des Peritoneums - je nach Ausmaß lokal oder generalisiert. Folgen: ➯ Ödematöse Entzündung mit Fibrinausschwitzungen ➯ Flüssigkeitsverlust / Hypovolämie ➯ Schock
9.15 · Akutes Abdomen
291
9
Akutes Abdomen / Differenzialdiagnose I In der Regel ist das Akute Abdomen notfallmedizinisch einheitlich zu behandeln. Die diagnostischen Möglichkeiten sind im RD beschränkt. Trotzdem sollte der Notarzt versuchen, seine Verdachtsdiagnose im Hinblick auf die Wahl eines Analgetikums, das Ausmaß einer möglichen Volumentherapie aber vor allem auch die korrekte Wahl der Zielklinik zu optimieren (Allgemeinchirurgie, Innere Medizin, Gynäkologie, Urologie; Spezialdisziplinen, z.B. Gastroenterologie, Hämatologie, Gefäßchirurgie, Dialysezentrum). Dadurch kann die Leidensdauer des Pat. verkürzt und die Prognose im Einzelfall deutlich verbessert werden.
Essentiell für die Verdachtsdiagnose im Rettungsdienst sind: 1. Schmerz (Ort, Art, Dauer, Ausstrahlung, Wirkung äußerer Einflüsse), 2. Begleitsymptomatik (z.B. Fieber, Ikterus, Schock, Erbrechen) und 3. Anamnese (z.B. Steinleiden, Unfall, Z.n. Appendektomie als Ausschluss) Der Schmerzcharakter kann die möglichen Ursachen eingrenzen helfen: • „somatischer Bauchschmerz“ (gut lokalisierbar, aber nicht immer über dem betroffenen Organ; lang anhaltend; i.d.R. dumpf stechend / schneidend; brettharter Bauch) tritt auf bei Organentzündungen, Abszess, Perforation, Peritonitis, Obstruktion (Darm / Gefäße), Blutung, Verätzung. Extraabdominell auch retroperitoneale Blutung, Aortenaneurysma, Wirbelfraktur, Hodentorsion, Harnverhaltung. Bedarf meist chirurgischer Therapie! • „viszeraler Bauchschmerz“ (diffus; schmerzfreie oder -verminderte Intervalle; früh vegetative Symptomatik) tritt auf bei Hepatitis, Ulcus ventriculi / duodeni, Cholecystitis / Gallenkolik, Pankreatitis, Milzinfarkt, Enteritis, Colitis, Pneumokokkenperitonitis, Intoxikationen. Extraabdominell auch Herz-, Lungen-, Gefäß-, Blut-, Nieren-, Stoffwechsel-, Nerven- und endokrine Erkrankungen. Bedarf meist konservativer Therapie. Die Bezeichnungen UL, OL usw. (s. Schaubild vorhergehende Seite) werden im folgenden für die Hauptschmerzlokalisationen bei den differentialdiagnostischen Hinweisen verwendet.
A. Intraabdominelle Ursachen des Akuten Abdomens 1. Entzündung Sämtliche Entzündungen im Bereich des Abdomens können zu lokaler oder generalisierter Peritonitis führen. Der dabei auftretende Entzündungsschmerz ist meist kontinuierlich zunehmend. Komplikationen der Entzündung können Abszess- und Fistelbildung, Perforation, Blutung und Ileus sein. Auswahl: • Appendizitis (UR): McBurney-Drucktest positiv, kontralateraler Loslaßschmerz. • Pankreatitis (O): akuter Beginn, gürtelförmige Schmerzen. • Cholezystitis (OR): evtl. mit Gallenkolik (s.u.); Übelkeit, Erbrechen. • Divertikulitis (U): Schmerzen suprapubisch oder iliakal, Subileus, Tenesmen. • Enteritiden, z.B. Ent. regionalis Crohn: Diarrhö, ggf. blutig, Erythema nod. • Colitiden, z. B. Col. ulcerosa: Diarrhö, ggf. blutig, Tenesmen, evtl. Fieber. • Lymphknotenentzündung, z.B. Lymphadenitis mesenterica (U). • Abszesse, z.B. Psoasabszeß (UR/UL): aktives Beugen der Hüfte schmerzt. • Salmonellose: Brechdurchfall nach Latenz von 20 - 24 Stunden.
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Kapitel 9 · Chirurgische Notfälle
Akutes Abdomen / Differenzialdiagnose II 2. Kolik Starke, krampfartige Leibschmerzen infolge spastischer Kontraktion eines abdominellen Hohlorgans (glatte Muskulatur); schmerzfreie Intervalle. Häufig vegetative Symptomatik: Schweißausbrüche, Erbrechen, Übelkeit, Kreislaufkollaps. Beispiele: Gallenkolik (OR; meist nach fetthaltigen Mahlzeiten oder Alkoholgenuss, evtl. Cholezystolithiasis bekannt), Nierenkolik (s. nächste Seite), evtl. Ileus (s.u.). 3. Ileus • Mechanischer Ileus: Kolikartige Schmerzen; verstärkte, metallisch klingende Darmgeräusche (“Pressstrahlgeräusch”); kein Stuhlgang (Obstipation); evtl. Stuhlerbrechen (Miserere). • Paralytischer Ileus: Keine Darmgeräusche auskultierbar, aufgetriebener Leib, kein Stuhlgang (Obstipation), evtl. Stuhlerbrechen (Miserere); oft Folge einer generalisierten Peritonitis. • Invagination (UR - s. S. 337): Schmerzhafter, walzenförmiger Tumor tastbar, bei rektalem Austasten Blut am Finger, sonst wie mechanischer Ileus. • Volvulus: Eine Stiel- bzw. Achsendrehung z.B. des Magens oder des Duodenums (meist Säuglinge oder Kleinkinder betroffen) kann zu einem Strangulationsileus führen.
Chirurgische Notfälle
4. Tumorerkrankungen (z.B. Rektum-Karzinom, Magen-Karzinom) können über Entzündungsreaktionen oder Infiltrationen des Peritoneums oder Perforationen zur Symptomatik des Akuten Abdomens führen. 5. Perforationen, z.B. Ulcusperforation (OM, Ausstrahlung: rechte Schulter), Tubarruptur (s. nächste S.): zunehmende Schmerzen bis zum Rupturschmerz, dann evtl. schmerzfreies Intervall bis zur Entwicklung des Peritonitisschmerzes. 6. Verschluss von Abdominalgefäßen, z.B. Mesenterialinfarkt (UM): akute Schmerzen mit Schmerzbesserung für Stunden (schmerzfreies Intervall) danach Entwicklung von Peritonitiszeichen mit Schmerzsymptomatik (mit Einsetzen der Peritonitiszeichen sinkt die Überlebensrate rapide ab!) Cave: Fehldeutung des freien Intervalles ! Anamnestisch evtl. bekannte Angina abdominalis (bei Anstrengung oder postprandial) oder Vorhofflimmern (Auslöser: Embolie). 7. Verletzung bzw. Ruptur von Organen und Gefäßen des Abdomens (s.a. Abdominaltrauma S. 272 f.): 1. Leber (OR): massiver Blutverlust ! 2. Milz (OL): an zweizeitige Milzruptur denken! Blutverlust! 3. Aneurysmen (UM - s.S. 238 f.). 8. Hernien, z.B. Leistenbruch, Zwerchfellbruch, Nabelbruch: Einklemmung einer Darmschlinge in offener Bruchpforte mit Unterbindung der Blutversorgung des Darmes (Ischämie; arterielle Versorgung gestört) und Einblutung (Stauung des venösen Rückflusses.
9.15 · Akutes Abdomen
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Akutes Abdomen / Differenzialdiagnose III B. Extraabdominelle Ursachen des Akuten Abdomens 1. Angina pectoris / Herzinfarkt (OM / OL): Linksseitige Schmerzen, evtl. Ausstrahlung in Rücken, Arm oder Hals bzw. Abdomen. Spezifische Behandlung unbedingt erforderlich! S. S. 214 ff. 2. Pleuritis (OR / OM / OL): Atemabhängige Schmerzen. 3. Urologische Erkrankungen (vgl. S. 410 f.): a. Akutes Skrotum (UR / UL): Hodentorsion, Orchitis, Epididymitis. Schmerzen im Hoden, Ausstrahlung in die Leiste. b. Akuter Harnverhalt (U): Prallgefüllte Blase mit Unfähigkeit zum Wasserlassen, meist durch Prostataadenom bei Männern. c. Nierenkolik durch Urolithiasis: Nieren-, Nierenbecken-, Harnleiter-, Blasen steine. (OR/OL/UR/UL). Ausstrahlung in die Leisten, Kolik, evtl. Nierenklopfschmerz. d. Pyelonephritis (OR / OL): evtl. Ausstrahlung in die Flanken, Nierenklopfschmerz. e. Nierentrauma (Blutung, Hämatom) 4. Gynäkologische Erkrankungen: a. Extrauteringravidität (UR / UL; vgl. S. 322): Fehlende Regelblutung oder Genitalblutungen bei vorher ausgebliebener Regel (6. Woche), zunehmende Schmerzen, Rupturgefahr (➯ Blutverlust !). b. Tubentorsion bzw. stielgedrehte Ovarialzyste (UR / UL): Plötzl. Schmerzbeginn, oft nach Drehbewegungen (Tanzen). V. a. bei bestehenden Zysten. c. Entzündung / Tumorerkrankungen von Uterus, Ovarien, Tuben, Vagina, z. B. Adnexitis (UR / UL). 5. Malaria tropica: initiale Symptome sind Bauchschmerzen, Durchfälle, Fieber, Schüttelfrost, Verwirrtheit und Sklerenikterus. Anamnese: Tropenaufenthalt. Mikroskopischer Nachweis in jeder Klinik möglich. 6. Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule bzw. Wirbelsäulentrauma 7. Herpes Zoster: Bei Befall entsprechender Nerven Ausschlag und Schmerzsymptomatik im betreffenden Hautsegment; hier: im Bereich des Abdomens, keine Peritonitis. 8. Diabetische Ketoazidose (Hyperglykämie): Im Rahmen dieser Erkrankung kann es zu einer Pseudoperitonitis mit Oberbauchkrämpfen, Erbrechen und Acetongeruch kommen. Auch andere metabolische Erkrankungen (z. B. Urämie, Porphyrien) können das Bild des Akuten Abdomens hervorrufen. Vgl. S. 194. 9. Intoxikationen (s. Kapitel 12) 10. Akutes Engwinkelglaukom (s. S. 412 f.)
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Kapitel 9 · Chirurgische Notfälle
Akutes Abdomen Symptomatik • Bauchschmerzen, gekrümmte (Schon-) Haltung • brettharte Bauchdecke (Abwehrspannung), Druckschmerzhaftigkeit • evtl. Schocksymptomatik • evtl. Übelkeit und Erbrechen • evtl. Trauma in den letzten Tagen (➯ zweizeitige Milz- / Leberruptur?!)
Chirurgische Notfälle
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen; hier speziell: Sauerstoff, ggf. Schocklage (Vorsicht: Nicht bei kardiogenem Schock), den Patienten Schonhaltung einnehmen lassen (z. B. Knierolle, Beine anziehen) • Ess-, Trink- und Rauchverbot (➯ evtl. OP !) • insbesondere bei starken Schmerzen, Schockzeichen (innere Blutung?!) und Verdacht auf Herzinfarkt: EKG-Diagnostik! Vgl. S. 162 f. und S. 214 ff. • Untersuchung, Standardtherapie, ggf. Schocktherapie (s. S. 228 ff.) • ggf. Magensonde; evtl. Blasenkatheter (nicht bei Beckenfraktur) • Medikamente: ggf. Spasmolytika, z. B. Butylscopolaminiumbromid (20-40 mg langsam i.v.), evtl. Benzodiazepine, z. B. Midazolam (0,05 - 0,1 mg / kg KG i.v.). Analgesie sollte heutzutage keinem Patienten mit akutem Abdomen mehr vorenthalten werden, z. B. Metamizol (10 - 30 mg / kg KG als Kurzinf. i.v.). - Aber: Der Notarzt sollte vorher gezielt die relevanten Untersuchungen (insbesondere Palpation des Abdomens, Loslass-Schmerz) durchführen, die Ergebnisse (Schmerzsymptomatik) dokumentieren und an den klinischen Kollegen weitergeben, um somit die Möglichkeiten der klinischen Diagnostik (z. B. Ultraschall, Labor) zu unterstützen. - Im Zweifel möglichst kurzwirksame Substanzen verabreichen. - Vorsicht bei der Gabe von Opiaten; sie führen unter Umständen zum Spasmus der glatten Muskulatur und können bei alleiniger Gabe dadurch die Symptomatik des Akuten Abdomens verstärken. Ggf. z.B. Pethidin.
Praxistipps • Extraabdominelle Differentialdiagnosen in Betracht ziehen (z.B. Myokardinfarkt, Pneumonie, diabetisches Koma, Engwinkelglaukom). Ggf. spezifische Behandlung. • Zielklinik mit Bedacht auswählen, um Verlegungen und ggf. Zeitverlust zu vermeiden (Fachabteilung). • Wenn keine Vitalstabilisierung möglich ➯ zügiger Transport (ggf. Sondersignal). Bei Verdacht auf intraabdominelle Blutung ggf. direkt OP anfahren, Voranmeldung (ggf. Not-Laparotomie)! • Bei Nierenkolik ist Metamizol das Analgetikum der Wahl (vgl. a. S. 533).
Kapitelübersicht
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Gynäkologische Notfälle 10.1 Allgemeine Hinweise .................................................. 296 10.2 Mutterpass: Abkürzungen, wichtige Angaben ............ 297 10.3 Vaginale Blutung (Differenzialdiagnose) .................... 298 10.4 Sexualdelikte ............................................................... 299 10.5 Schwangerschaft und Schwangerschaftskomplikationen .............................. 301 Schwangerschaft ............................................. 301 SIH / Eklampsie ............................................... 302 Vena-cava-Kompressionssyndrom .............. 304
10.6 Geburt und Geburtskomplikationen ............................ 305 Geburt .............................................................. 305 Erstversorgung des Neugeborenen ............. 310 Risikogeburten ................................................ 313 Nabelschnurvorfall .......................................... 314 Vorzeitige Plazentalösung ............................... 315 Placenta praevia ............................................... 316 Postpartale Blutung ........................................ 317 Uterusruptur .................................................... 318 Fruchtwasserembolie ...................................... 319
10.7 Abort .......................................................................... 320 10.8 Extrauteringravidität (EU) ........................................... 322
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Kapitel 10 · Gynäkologische Notfälle
Allgemeine Hinweise Im Rettungsdienst ist der Anteil an männlichen Mitarbeitern sehr hoch; daher steht zur Behandlung weiblicher Patienten selten eine Frau zur Verfügung. Hierbei mag der § 81 d StPO als Anhaltspunkt dienen: „(1) Kann die körperliche Untersuchung einer Frau das Schamgefühl verletzen, so wird sie einer Frau oder einem Arzt übertragen. Auf Verlangen der zu untersuchenden Frau soll eine andere Frau oder ein Angehöriger zugelassen werden. (2) Diese Vorschrift gilt auch dann, wenn die zu untersuchende Frau in die Untersuchung einwilligt.“ Sowohl Takt und gute Sitte wie auch der juristische Eigenschutz gebietet die umsichtige Auswahl und Durchführung der Maßnahmen. Die Anwesenheit einer Frau (auch Laie) ist - mit Einverständnis der Patientin - immer anzuraten (Zeuge!). Maßnahmen zur Beseitigung vitalbedrohlicher Zustände haben selbstverständlich ohne Rücksicht auf das Geschlecht des Patienten zu erfolgen (§323 c StGB / §13 StGB).
Gynäkologische Notfälle
Nach Unfällen oder akuten Erkrankungen in der Schwangerschaft: • Vorrangig geburtshilfliche Abklärung (wenn keine vitale Bedrohung der Mutter besteht, Transport in eine gynäkologisch-geburtshilfliche Abteilung, um eine etwaige Schädigung des Kindes auszuschließen.) • Ein Blick in den Mutterpass ist immer sinnvoll. (Aus diesem gehen u. a. hervor: Erst- oder Mehrgebärende, voraussichtlicher Geburtstermin, Schwangerschaftsverlauf, betreuender Arzt und Klinik, Blutwerte und weitere Befunde, zu erwartende Komplikationen. Achtung: Der Mutterpass bietet Raum für mehrere Schwangerschaftsbeschreibungen; deswegen prüfen, ob die gefundenen Angaben zur aktuellen Schwangerschaft gehören!) Herz-Kreislaufstillstand bei einer Schwangeren: Spezielle Ursachen: schwangerschaftsbedingte Lungenembolien und Herzrhythmusstörungen (z. B. durch Tokolyse), SIH/Eklampsie, Suizid, Sepsis, Blutverluste (ektobe Schwangerschaft, Plazenta praevia). Die Reanimation wird wie bei Nicht-Schwangeren durchgeführt (BLS/ALS); bei fortgeschrittener Schwangerschaft (> 20 Wochen) den Uterus unter CPR nach links verlagern oder Reanimation in 15° Linksseitenlage (venöser Rückstrom!). Bei Hochschwangeren erhöhte Aspirationsgefahr (Krikoiddruck, frühe Intubation), höhere Atemwegsdrücke, erschwerte Intubation (Schleimhautödem; ggf. 0,5-1,0 mm kleineren Tubus als üblich verwenden). Wenn die Schwangerschaftsdauer über 20. Wochen beträgt, ist sofort nach Einsetzen der CPR eine Notfallhysterektomie bzw. eine perimortale Sectio zu erwägen (Durchführung jeweils nur in der Klinik). Bei schneller Durchführung steigt die Überlebenschance der Mutter. Insbesondere ab der 24. Woche und bei Nachweis kindlicher Lebenszeichen steigen auch die Überlebenschancen für das Kind (dann eher Sectio).
10.2 · Mutterpass
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Wichtige Abkürzungen und Angaben im Mutterpass EGT EUG CTG MM PROM SSL SSW ZT
Errechneter Geburtstermin (s. S. 301) Extra-Uterin-Gravidität Cardio-Toko-Graphie Muttermund premature rupture of membranes (vorzeitiger Blasensprung) Scheitel-Steiß-Länge; Rückschluss auf Schwangerschaftswoche! Schwangerschaftswoche Zyklustag
Positionsmöglichkeiten des Kindes in der Gebärmutter 1. Lage (Längsachse des Kindes bezogen auf Längsachse des Uterus) Längslage – Schräglage - Querlage 2. Stellung (Kindsrücken bezogen auf Uteruswand) I Rücken links seitlich Ia Rücken links vorne Ib Rücken links hinten II Rücken rechts seitlich IIa Rücken rechts vorne IIb Rücken rechts hinten 3. Einstellung (Beziehung des vorangehenden Kindsteils zum Geburtskanal) a) Schädellagen (SL, 94-96%): HHL hintere Hinterhauptslage (kleine Fontanelle - regelgerecht) VHHL vordere Hinterhauptslage (kleine Fontanelle) VHL Vorderhauptslage (große Fontanelle; ungünstig; häufig Episiotomie nötig) Stirnlage (sehr ungünstig; primäre Sectio!! Nur selten ist bei kleinem Kind eine spontane Entbindung möglich) Gesichtslage (Gesicht tastbar; primäre Sectio (mento-post.)) Einstellungsanomalien: Hoher Gradstand, tiefer Querstand, dorso-posteriore Einstellung, hintere Scheitelbeineinstellung (selten). b) Beckenendlage (BEL, 3-5% - erhöhtes Mortalitäts- und Morbiditätsrisiko, Notfälle, schlechte Dehnung, Geburtstraumen. Beachte: Bei Kopfdurchtritt Nabelschnurkompression; Entwicklung möglichst < 1 min ! Wehen fördern, großzügige Indikation zur Episiotomie, erhöhte CPRBereitschaft (Kind), Analgesie, Zurückhalten des Steißes, bis Kind in einer Wehe entwickelt werden kann (ohne Ziehen/Drücken), Entwicklung nach Bracht, ggf. Kristeller-Handgriff, ggf. Armlösung, ggf. Veit-Smellie-Handgriff (vgl. 393 ff.). c) Querlage (QL, 0,5-1%) Nach Blasensprung: verschleppte QL möglich (z. B. Armvorfall) – dann Wendung kontraindiziert; im RD Tokolyse und Sectio-Voranmeldung! 4. Haltung (Beziehung der Kindsteile zueinander) a) regelgerecht: Kopf gebeugt, Kinn auf der Brust b) regelwidrig: z. B. Streckung / Deflektion
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Kapitel 10 · Gynäkologische Notfälle
Vaginale Blutung Blutungen während der Schwangerschaft • Unterbauchschmerzen bei fehlender Regelblutung bzw. bestehender Schwangerschaft (2 - 3. Monat); oft Blutung; kein Abgang von Gewebsteilen; evtl. mit Symptomatik des Akuten Abdomens: ➯ V. a. Extrauteringravidität (s. S. 322) ➯ Auch an möglichen Abort (s. S. 320 f.) denken! • Bestehende (Früh-) Schwangerschaft (bis ca. 5 - 6. Monat) - mit Gewebsteilabgang ➯ V. a. Fehlgeburt / Abort (s. S. 322 f.) - ohne Gewebsteilabgang ➯ Auch an Extrauteringravidität (s. S. 322) denken! • Blutungen gegen Ende der Schwangerschaft: - kein Fruchtwasserabgang; keine Schmerzen: ➯ V. a. Placenta praevia (s. S. 316) - Achtung: Verblutungsgefahr! - Schmerzen; Schocksymptomatik; Dauerkontraktion des Uterus (vom Geübten durch Tasten als harte Masse feststellbar), keine Wehen: ➯ V. a. vorzeitige Plazentalösung (s. S. 315)- Achtung: Verblutungsgefahr! • Blutungen während der Geburt: - bei Wehentätigkeit ➯ Physiologisch, solange keine starke Blutung (< 500 ml) - evtl. Aufhören der Wehen; symptomarm bis Vernichtungsschmerz: ➯ V. a. Uterusruptur (s. S. 318) • Blutung nach der Geburt (s. S. 317): ➯ Uterusatonie (Achtung: Verblutungsgefahr!), Plazentaaustoßung, Dammriss, Verletzung des Geburtskanales, Gerinnungsstörung.
Gynäkologische Notfälle
Blutungen außerhalb von Schwangerschaft und Geburt • Normale Monatsblutung (1. Periode etwa im 13. Lebensjahr) • Blutungsunregelmäßigkeiten (v. a. bei jungen Frauen und Mädchen) • Tumoren • Verletzungen: - Kohabitationsverletzungen: Defloration (auch spontan möglich). Trotz behutsamen Beischlafes Blutung in jedem Alter möglich! - Unfall, besondere sexuelle Praktiken - Kriminelles Delikt (Vergewaltigung / illegale Abtreibung). - Fremdkörper im Vaginalbereich (z. B. bei Selbstbefriedigung).
10.3 · Blutung / 10.4 · Sexualdelikte
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Vaginale Blutung Aus jeder gynäkologischen Blutung kann sich ein Volumenmangelschock entwickeln! Die äußerlich sichtbare Blutung stellt u. U. nur einen Bruchteil des tatsächlichen Blutverlustes dar (Vorhandensein größerer Blutmengen im Uterus).
Allgemeine Maßnahmen bei vaginaler Blutung / Verletzung • Beruhigung und Gespräch, störende Personen wegschicken (Peinlichkeit! ➯ auf Takt und Distanz achten; bei Vergewaltigung s. u.). Bei Betreuung und Untersuchung (NA) möglichst eine Frau einbeziehen (auch Laie); dabei auch immer an Zeugen für das eigene Handeln denken. • Basischeck, Basismaßnahmen. Fritsch-Lagerung. Ggf. Schocklage. • Inspektion des äußeren Genitales nur, wenn die Umstände es zulassen und es notfallmedizinisch indiziert ist. Ansonsten: Körperbedeckung! • Keine Entfernung von pfählenden Gegenständen. • Bei Vulvahämatom ggf. Kühlung. • Evtl. ausgestoßene Teile mit in die Klinik bringen. • Ggf. Schocktherapie (s. Kapitel 8). • Ggf. Auskultieren der kindlichen Herztöne. • Ggf. Sedativa / Analgetika. • An Tetanusprophylaxe denken (Klinik).
Sexualdelikte Im folgenden werden einige Hinweise für den Fall gegeben, dass ein Mädchen / eine Frau widerrechtlich / entgegen ihrem Willen zu sexuellen Handlungen gezwungen wurde (sexueller Missbrauch; jurist. Definition der Vergewaltigung = Eindringen des Penis in den Scheidenvorhof, auch ohne Ejakulation): • Generell hat die Behandlung vitaler Bedrohungen Priorität! • Behutsame psychische Betreuung (vgl. Kap. 15). Abschirmen. Ruhe. Zeit. Körperkontakt nur bei Notwendigkeit und mit äußerster Vorsicht. Jede Maßnahme (v. a. Körperkontakt) vorher ankündigen! Die Patientin befindet sich in einer Ausnahmesituation (Demütigung; Gefühle von Ohnmacht, Beschmutzung, Hilflosigkeit, Angst, Wut). Ihr tatsächlicher psychischer Zustand mag z. B. angesichts der Fassungslosigkeit, primären Beherrschtheit oder scheinbaren Teilnahmslosigkeit nicht augenfällig sein. Patientin nicht alleine lassen (u. a. mögliche Suizidgefahr)! • Möglichst Betreuung durch Frau (Rettungsassistentin, Notärztin). Wenn vorhanden, Fachdienst (Psychologin) hinzuziehen (Schweigepflicht beachten / Einverständnis der Patientin). [Fortsetzung auf der nächsten Seite]
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Kapitel 10 · Gynäkologische Notfälle
Notfall: Sexualdelikte II • Zur sofortigen Anzeige raten (frühzeitige Täterfahndung). Die eigenständige Anforderung der Polizei gegen den Willen der Patientin ist nicht zulässig (Schweigepflicht!). Ausnahmen: fehlende Geschäftsfähigkeit, konkrete Gefährdung weiterer Personen. • Kurze sachliche Anamneseerhebung. Keine vaginale Untersuchung, wenn nicht wegen Vitalbedrohung erforderlich. • Patientin stets über Maßnahmen, Folgeschritte und deren Sinn informieren. • Wenn erwünscht/erforderlich, Sedierung und/oder Analgesie • Sorgfältige Dokumentation des Vorgangs (Befunde, Anamnese, Schilderungen, rettungsdienstliche Maßnahmen usw.). • Die Patientin sollte sich - so schwer es fallen kann - wenn möglich nicht duschen/waschen (Zerstörung von Spuren, z. B. Körpermaterial des Täters). • Ggf. Asservierung von Beweisen (z. B. Bettwäsche) ➯ Polizei. • Der Patientin den Transport in eine gynäkologische Praxis / Klinik nahebringen. (Wenn machbar: Praxis ihres Vertrauens. - Achtung: Evtl. erster gynäkologischer Besuch überhaupt!) Dort erfolgen möglichst ohne Wartezeit (Voranmeldung!) und ohne Behandlungszeitdruck und unter Absprache mit der Spurensicherung und / oder einem rechtsmedizinischen Institut die weiteren Schritte: - Behutsame und vollständige Befund- und Beweiserhebung. - Sorgfältige Dokumentation! (Dies erspart der Patientin u. U. später erneute peinliche Berfragungen, z. B. vor Gericht.) - Absprache weiteren Vorgehens: medizinische Behandlung, psychische Betreuung, regionale Selbsthilfegruppen, Bezugspersonen usw.
Gynäkologische Notfälle
Praxistipps • Im Rettungsdienst die Gefahr einer sekundären Traumatisierung durch falsche Vorgehensweise bedenken! • Grundsätzlich alle Verletzungen dokumentieren, da der Täter später oft vor Gericht nicht den Beischlaf bestreitet, sondern eine Freiwilligkeit des Opfers behauptet! Cave: Belastung einer anderen Person mit selbstbeigebrachten Verletzungen (haufig charakteristische Form und Lokalisation; wertungsfreie Dokumentation - Beurteilung später durch Spezialisten!). • Trotz Vergewaltigung müssen nicht zwingend Verletzungen wie Hämatome oder Kratzspuren auftreten, da das Opfer u. U. zu Gegenwehr gar nicht in der Lage ist (z. B. aufgrund massiver Gewaltandrohung/psychische Gewalt). • Diskrete Einsatzabwicklung (z. B. bei nicht einsatztaktisch relevanten Informationen Telefon statt Funk benutzen - aber: Dokumentation!). • Für Aussagen gegenüber der Polizei muss ein behandelnder Arzt vorher durch die Patientin von seiner Schweigepflicht entbunden werden!
10.5 · Schwangerschaft
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Schwangerschaft Eine Schwangerschaft beginnt mit der Einnistung einer befruchteten Eizelle in die Gebärmutterschleimhaut. Entwicklungsstufen: • Zygote: Befruchtete Eizelle • Blastozyste: 1 - 2 SSW • Embryo: 3. - 12. SSW • Fetus: 13. SSW bis zum Ende der Schwangerschaft • Frühgeburt: Beendigung der Schwangerschaft vor der vollend. 37. SSW Eine normale Schwangerschaft dauert ungefähr 40 Wochen (9 Monate = 10 Mondmonate = 280 Tage). Zwischen der 39. und 42. SSW werden rund 80 % aller Kinder geboren. Errechnung des mittleren Geburtstermins nach der Naegele-Regel: Geburtstermin = 1. Tag der letzten Regelblutung + 7 Tage - 3 Monate + 1 Jahr (An diesem Termin kommen etwa 4 % aller Kinder zur Welt.) Physiologische Veränderungen der Vital-Parameter während der Schwangerschaft - Werte am Ende der Schwangerschaft: Atmung
Kreislauf
• AMV 50 % ≠ • AZV 40 % ≠ • AF 15 % ≠ • O2-Verbrauch 20 % ≠ • Residualvolumen 20 % Ø • Exspiratorisches Reservevolumen 20 % Ø
• • • • • •
Blutvolumen 20 - 40 % ≠ Herzschlagvolumen 30 % ≠ HF + 15 / min HZV 50 % ≠ peripherer Gefäßwiderstand 15 % Ø verminderte Empfindlichkeit der Arterien für Angiotensin II • erhöhter Venendruck in den unteren Extremitäten (Kompression der V. cava inf.) ➯ Varizen (Vulva, Analbereich)
Blutdruck: Blutdruckabfall in der Frühschwangerschaft (systolisch 4 mmHg Ø / diastolisch 5 - 15 mmHg Ø); im Verlauf der Schwangerschaft wieder Annahme der Ausgangswerte. Bei etwa 8 % der Schwangeren besteht eine Hypotonie (RR mehrmals < 100 / 60 mmHg) ➯ u. U. Minderdurchblutung der Placenta; ab der 13. SSW subjektive Beschwerden (Schwindel, Ohrensausen) (Therapie mit Ergotaminpräparaten möglich). Hypertonie (RR > 140 / 90 mmHg; Gestose) ist behandlungsbedürftig - s. folgende Seiten. Häufige Schwangerschaftsbeschwerden: (Morgendliche) Übelkeit, Erbrechen, Sodbrennen, Verstopfung, Krampfadern, Hämorrhoiden, Kurzatmigkeit, Schlaflosigkeit, seelische Verstimmung, Schwindel- und Ohnmachtsanfälle.
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Kapitel 10 · Gynäkologische Notfälle
Schwangerschaftsinduzierte Hypertonie (SIH, Spätgestose)
Gynäkologische Notfälle
Als Spät-Gestose wird eine im Verlauf der Schwangerschaft (ca. ab 20. SSW) auftretende hypertensive Schwangerschaftserkrankung (schwangerschaftsinduzierte Hypertonie = SIH) bezeichnet (erhöhter Blutdruck > 140/90 mmHg). Die SIH wurde früher nach den Symptomen als EPH-Gestose bezeichnet (E dema = Ödeme; P roteinurie = Eiweißausscheidung im Urin (Schäumen, evtl. Flockenbildung); H ypertonie = Bluthochdruck). Da Ödeme häufig während der Schwangerschaft auftreten und keinen Einfluss auf den Krankheitsverlauf einer SIH haben, wird der Begriff EPH-Gestose nicht mehr benutzt. SIH ist eine Multiorganerkrankung, die nur während oder kurz nach der Schwangerschaft auftritt. Wahrscheinlich führt eine Minderdurchblutung (des Trophoblasten) über Toxine in verschiedenen Organen zu einer Funktionsstörung Endothels (wichtiges Organ u.a. für Blutdruckregulation). Akute Bedrohung: • Ab Blutdruckwerten > 180/110 besteht eine erhöhte Gefahr von gefäßbedingten Komplikationen. • Bei SIH können tonisch-klonische Krampfanfälle auftreten (= Eklampsie; Vitalbedrohung für Mutter und Kind! Tod des Kindes in etwa 50 % der Fälle, Tod der Mutter in bis zu 5%). • Bei SIH mit Proteinurie ist das Risiko für einen eklamptischen Anfall stark erhöht (= Präeklampsie). Prophylaxe: Reizabschirmung! • Als besonders schwere Form der SIH kann sich im letzten SSD – z. T. innerhalb von Stunden – das HELLP-Syndrom entwickeln (hemolysis, elevated liver enzymes, low platelets): Hämolyse, Anstieg der Transaminasen, Thrombozytopenie. - Symptomatik: Gastrointestinale Beschwerden (Schmerzen im rechten Oberbauch, Leberschwellung, Übelkeit, Erbrechen). - Oft letale Komplikationen: Hirnblutung, subkapsuläre Leberblutung, Leberruptur, schwere Gerinnungsstörungen. • Bei Eklampsie und HELLP-Syndrom ist die umgehende Entbindung die einzige wirksame Maßnahme zur Rettung von Mutter und Kind. • Notärztliche Transportbegleitung zum Kreißsaal/zur Intensivstation. Besonders SIH-gefährdete Patientinnen • junge Erstgebärende unter 18 Jahre • Hypertonie oder Diabetes mellitus bekannt • Mehrlingsschwangerschaft • Alter über 35 Jahre
Häufigkeit SIH: ungefähr 10 % aller aller Schwangeren Präeklampsie: ca. 5 % Eklampsie: bis 0,1 %
Akutkomplikationen der SIH Intrauteriner Fruchttod, vorzeitige Plazentalösung; Eklampsie (s. o.), akutes Nierenversagen, Lungenödem, Schock
10.5 · Schwangerschaft
303
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Eklampsie Symptomatik • evtl. Zeichen/Anamnese der SIH: Hypertonie, Proteinurie (schaumig/flockig) • Präeklampsie: Folgende Symptome können als Vorboten eines eklamptischen Anfalls gewertet werden: Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, Ohrensausen, Sehstörungen (Augenflimmern, Gesichtsfeldausfälle: Fingerperimetrie), Bewusstseinstrübung, Unruhe, Tachykardie, Reflexüberempfindlichkeit (Patientin ist licht- und lärmempfindlich), evtl. Übelkeit/Erbrechen (Hirnödem!), evtl. Bauchschmerzen (V. a. im rechten Oberbauch; DD: HELLP-Syndrom!) • Eklampsie: klonisch-tonischer Krampfanfall (ca. 1 min, Auslösung durch Licht/Lärm möglich); Zungenbiss, Atemstillstand, Zyanose, Bewusstlosigkeit Blutdruck meist über 160/110 mmHg
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen (RR-Monitoring), Linksseitenlagerung • Schutz vor Verletzungen, Versorgen eventueller Verletzungen • ruhige Atmosphäre schaffen (Abschirmen von Reizen: Lärm, helles Licht, Schmerzen); schonender Transport ohne Sondersignal • Untersuchung, Standardtherapie • Medikamente: - Magnesiumsulfat (im Anfall 1–2 g über 2 min langsam i. v.; ggf. wdh.; anschließend 1–2 g/h als 10 %-ige Lösung i. v.); die AF sollte weiterhin über 14–16/min liegen der PSR sollte noch auslösbar bleiben (zeigt Mg-Konzentration i. d. R. noch unter 5 mmol/l an – auf Atemdepression achten! Nicht bei Anurie!) - wenn Magnesiumtherapie nicht ausreichend wirksam: Antikonvulsiva/ Benzodiazepine, z. B. Diazepam (10 mg i. v.; ggf. wdh.) oder Phenytoin - Antihypertonika nur bei exzessiv hohen Blutdruckwerten (> 200/100 mmHg); z. B. Dihydralazin (6,25–12,5 mg langsam (über 2 Minuten) i. v.; Wiederholungsgabe nach 20–30 min möglich; ständige Puls- und RRKontrolle!) Der Blutdruck darf nur äußerst langsam gesenkt werden und keinesfalls unter den individuellen Normalblutdruck bzw. unter 150/100 mm Hg absinken (Gefahr plazentarer Minderdurchblutung mit Schädigung des Feten, daher vorher/begleitend VEL-/Volumengabe wegen vermindertem Plasmavolumen durch Proteinurie). Andere Antihypertonika nur unter strengster Beachtung der Zulassung und Kontraindikationen! Infrage kommt z. B. Urapidil. Kalziumantagonisten wegen potenziell gefährlicher Interaktion mit Magnesium eher vermeiden! • Auch an andere Ursachen für Krampfanfälle denken (z. B. Epilepsie – Reduktion/Absetzen einer Antikonvulsiva-Therapie während der Schwangerschaft).
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304
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Kapitel 10 · Gynäkologische Notfälle
Vena-cava-Kompressionssyndrom Definition Vena-cava-Kompressionssyndrom: Synkope einer Schwangeren im letzten Schwangerschaftsdrittel durch relativen Volumenmangelschock wegen Verminderung des venösen Blutrückstromes zum Herzen (die schwangere Gebärmutter drückt die V. cava inferior ab).
Symptomatik • Schwindel, Schwächegefühl, Übelkeit • Bewusstseinsstörungen bis Bewusstlosigkeit (Synkope) • Blässe, Zyanose, kalter Schweiß, kühle Extremitäten • keine Halsvenenstauung • Puls tachykard und kaum tastbar, Blutdruckabfall • Nagelbettprobe verzögert
Notfalltherapie: • Basischeck, Basismaßnahmen (Sauerstoffgabe!) • Lagerung auf der linken Seite. • Schonender Transport. • Untersuchung, Standardtherapie In der Regel ist Volumenersatz wegen des relativen Volumenmangels nicht indiziert; tritt jedoch keine Besserung des Zustandes der Patientin ein (Verdacht auf Blutung), ggf. Volumensubstitution (z.B. VEL).
Gynäkologische Notfälle
Praxistipps • Bei jeder Spätschwangeren mit Schocksymptomatik besteht der Verdacht auf ein Vena-cava-Kompressionssyndrom. Dennoch dürfen andere Ursachen (z. B. innere Blutung) nicht vorzeitig ausgeschlossen werden; bei jeder Frau (in der Frühschwangerschaft) mit obiger Symptomatik muss an eine Extrauteringravidität gedacht werden (vgl. S. 322). • Auch bei Besserung des Zustandes der Patientin nach Vena-cavaKompressionssyndrom durch Linksseitenlagerung sollte eine geburtshilfliche Abklärung (Schädigung des Feten durch Sauerstoffmangel) unbedingt erfolgen.
10.6 · Geburt
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Geburt I Zeichen der bevorstehenden Geburt • Fortgeschrittene Schwangerschaft (ab 6. Monat), • Abgang eines blutig gefärbten Schleimpfropfes, Schleim, Blut, • Blasensprung (Fruchtwasserabgang, beachte: Jeder Flüssigkeitsabgang bei einer Schwangeren ist primär als Blasensprung zu werten. • Einsetzen regelmäßiger Wehen alle 5 - 10 Minuten, Wehenabstände werden kürzer, die Wehen selbst evtl. stärker. Eröffnung des Muttermundes. • Dauer der Eröffnungsphase ca. 9-12h bei Erst-, 7-8h bei Mehrgebärenden Kurz vor Geburt: • Austreibungsphase (Dauer ca. 2-3 h bei Erstgebärenden / 0,5-1 h bei Mehrgebärenden; Pressphase bei beiden < 0,5 h): Pressdrang, Presswehen, mind. alle 2 min Wehen (Dauer ca. 1 min), evtl. kindl. Kopf in der Scheide sichtbar.
Vorgehen bei bevorstehender Geburt • Basischeck, Basismaßnahmen • Patientin darf nicht umherlaufen (Gefahr von Geburtskomplikationen wie z. B. Nabelschnurvorfall), es sei denn eine Hebamme oder ein Gynäkologe hat das Festsitzen des kindlichen Köpfchens zweifelsfrei festgestellt • Linksseitenlagerung (Prophylaxe eines V.-cava-Kompressionssyndroms) • Einsehen des Mutterpasses (vgl. S. 283), kurze Befragung (s. nächste S.) • ggf. vorsichtige Inspektion des äußeren Genitales (weibl. Zeugen!) • Voranmeldung in der Klinik, schonender Transport Vor Transportbeginn sollten Notgeburtenbesteck sowie die für die Neugeborenenreanimation nötigen Gegenstände griffbereit sein. • Kein Transport, wenn der kindliche Kopf in der Scheide sichtbar ist bzw. wenn der Wehenabstand kürzer als 3 min ist (➯ Geburtsleitung s. ab S. 307). • Untersuchung, Standardtherapie, Auskultieren der kindlichen Herztöne • Tokolyse in bestimmten Fällen - Indikation: befürchtete/unmittelbar bevorstehende, schwerwiegende Geburtskomplikation (z. B. entspr. Angaben im Mutterpass), drohende Frühgeburt (< 38. Schwangerschaftswoche) - „Der Uterus ist der beste TransportInkubator.“ Kontraindikationen: z.B. Austreibungsphase (Durchschnei den des Kopfes). Zur Indikation s. die verschiedenen Komplikationen ab S. 314 - Tokolytika: z. B. Fenoterol (0,8 - 4 μg/min i.v. über eine Spritzenpumpe unter EKG-Monitoring); ergänzend/alternativ auch Magnesium (s. S. 531) - Inhalatives Fenoterol (Berotec-Dosieraerosol) ist nicht zur Tokolyse geeignet. Bei broncholytisch-therapeutischer Dosis eine tokolytische Wirkung unwahrscheinlich. Um notfallmedizinisch zeitnah uteruswirksame Blutspiegel zu erreichen, müssten Vielfache davon inhaliert/oral nachresorbiert werden. Verzögert käme es zu überhöhten Blutkonzentrationen mit möglicherweise schweren (kardio-)toxischen Nebenwirkungen (unkalkulierbares Risiko wegen unvorhersehbarer Resorption und Wirkung; nicht steuerbar).
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Kapitel 10 · Gynäkologische Notfälle
Geburt II - Notfallanamnese/Kurzuntersuchung So früh wie möglich sollten die folgenden Informationen im Hinblick auf mögliche Komplikationen sowie die Übergabe in der Klinik erhoben werden: 1. Allgemeines • Name, Alter? • Wievielt-Gebärende? 2. Bisheriger Geburtsverlauf • Berechneter Termin? (Ggf. Mutterpass!) • Blasensprung: Wann und wie? • Wehenverlauf? 3. Gesundheitszustand / Risikofaktoren • z.B. Diabetes, SIH-Zeichen (vgl. S. 302 f.) (Informationen möglichst durch Fragen nach Symptomen bzw. durch Nachschlagen im Mutterpass ermitteln, um keine (zusätzliche) Angst durch Nennen furchterzeugender Diagnosen zu provozieren!) 4. Frühere Geburten: • Probleme, Aborte? • Schnittentbindungen (Cave: Risiko Narbenruptur)? 5. Mutterpass (vgl. S. 297) • Beckengröße - Kindsgröße? • Kindslagen? • Risikofaktoren?
Gynäkologische Notfälle
6. Wünsche der Schwangeren • Geburtsort, Geburtsstellung, Geburtshilfe/Anästhesie? • Anwesenheit des Vaters oder anderer Angehöriger? (Die Berücksichtigung dieser und anderer Wünsche sollte - sofern keine wesentlichen Abweichungen von einer normalen Spontangeburt zu befürchten sind selbstverständlich sein!) 7. Untersuchung • Basischeck (s. S. 16) • Körpertemperatur (Infektzeichen)? ˇ Kopf in Vulva sichtbar? • Vorwölbung des Anus bei Wehe? • Nur für den versierten NA: - Beurteilung der kindlichen Herztöne - Weite des Muttermundes - Stellung des Kindes (z. B. Leopold-Handgriffe) Fragen kurz und klar auf das Wesentliche beschränken. Möglichst nur in den Wehenpausen befragen; kein Verhörstil!
10.6 · Geburt
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Geburt III - Vorgehen bei Spontangeburt I Vorgehen bei Spontangeburt • Teamwork zwischen Notarzt, Rettungsassistent und ggf. der anwesenden Hebamme (der Versuch, eine Hebamme nachzufordern, sollte allein aus forensischen Gründen immer unternommen werden), Kollegialität! • Basischeck, Basismaßnahmen • Beruhigung aller Anwesenden, für Patientin angenehme Atmosphäre schaffen (Wünsche und ggf. Vorbereitungen für Hausgeburt beachten). • Blase leeren lassen (volle Blase bewirkt reflektorische Wehenschwäche), evtl. Darm leeren lassen (sonst Stuhlabgang während der Geburt) • Sinnvolle Lagerung: a) im RTW / NAW oder bei Komplikationen Rückenlage: Beine in Fahrtrichtung, Oberkörper leicht erhöht, Beine angewinkelt; (für Helfer insbesondere bei Notfallmaßnahmen am besten geeignet; geringere Verletzungsgefahr für Mutter und Neugeborenes). b) zu Hause (vorausgesetzt: Platz, keine Rutsch- / Sturzgefahr) nach Wunsch: Vierfüßlerstellung oder Hockstellung (Vorteile: Ausnutzung der Schwerkraft, geringerer Druck auf V. cava und Aorta, bessere Atemtechnik) • Notgeburtenbesteck bereitlegen, sterile Handschuhe anziehen: sterile Unterlage, sterile Handschuhe, sterile Kompressen, sterile Schere, sterile Nabelklemmen, dünne Einmalsauger, Handtücher, Wärmeschutzfolie • Dammschutz (Ziel: Kopfbremse) 1. Warten, bis der Muttermund vollständig eröffnet ist und der Kopf in der Wehenpause nicht mehr zurückweicht. (Die Mutter darf - auch wenn der Pressdrang schon da ist - nicht pressen ! ➯ Wehe verhecheln lassen.) 2. Pressen lassen, wenn der Kopf auf dem Beckenboden steht (Anus klafft) und die Pfeilnaht gerade steht; zur Unterstützung Kopf anheben und Kinn auf die Brust, Beine auseinander. In der Wehenpause die Entspannung unterstützen: durchatmen lassen, Kopf zurücklegen usw. Entwicklung des Kindes: • Bei Hinterhauptslage (HHL): Dammschutz, den Kopf langsam durchschneiden lassen (sanfter Gegendruck mit einer Handfläche), erst obere und dann untere Schulter entwickeln. (Abb. s. nächste S.) Nie am Kopf ziehen. Bei geborenem Kopf muss die Geburt unmittelbar zu Ende geführt werden! (Gefahren: Nabelschnurkompression und O2-Unterversorgung des Kindes.) • Bei Beckenendlage (BEL): Nach Geburt des Steißes muss die Geburt des Kopfes schnell folgen (< 60 s; sonst Hypoxie)! Erst wenn die Schulterblätter sichtbar sind: den Steiß gürtelförmig fassen und um die Symphyse der Mutter in Richtung Unterbauch führen (Handgriff nach Bracht). Nie ziehen! Ein zweiter versierter Helfer erleichtert ggf. durch gezielten kaudalwärts gerichteten Druck auf den Bauch der Mutter den Durchtritt des Kopfes (Handgriff nach Kristeller).
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Kapitel 10 · Gynäkologische Notfälle
Geburt IV - Vorgehen bei Spontangeburt II Wegen des grundsätzlich höheren Risikos nicht im RD beherrschbarer Komplikationen bei BEL: Kliniktransport unter Voranmeldung anstreben; venöser Zugang ist Pflicht. NA: Bereitschaft zur Episiotomie, Wehenförderung, Analgesie, Intubationsnarkose (sekundäre Sectio ggf. auch in der Austreibungsphase), Blasenkatheter. Klinik rechtzeitig informieren, auch prophylaktisch. • Abnabeln und Erstversorgung des Kindes - s. folgende Seiten! (310 ff.) • Erstversorgung der Mutter: • Zuspruch, Anwesenheit. Frühestmöglichen Kontakt zum Kind ermöglichen. • Über Untersuchungsergebnisse und Maßnahmen informieren. • Überwachung der Mutter während der Nachgeburtsphase (Kreislauf!) • Nachgeburt abwarten, steril einpacken und mit in die Klinik nehmen. Wenn möglich: schon vor Ort durch Hebamme prüfen lassen (Augenschein). (Bei Dauer der Nachgeburt > 20 min: Hebamme/Arzt in der Klinik zwecks schnellstmöglicher manueller Lösung informieren; Uterusatonie!) Nie an der Nabelschnur ziehen! • Anlegen des Kindes an die Brust ist möglich (je nach Verfassung von Mutter und Kind ca. 20 - 30 min nach Geburt) und fördert die Uteruskontraktion. • Fritsch-Lagerung. Kontinuierliche Kreislaufüberwachung. • Den Eltern gratulieren und Zeit für die Begrüßung ihres Kindes lassen! • Geburtszeitpunkt und -ort festhalten! In seltenen Fällen von forensischer Bedeutung! • ggf. Schocktherapie; ggf. manuelle Placentalösung (möglichst Hebamme/ Gynäkologe); ggf. Bekämpfung atonischer Nachblutungen (s. S. 317) • Versorgung von Geburtstraumen / Episiotomiewunde (steriles Abdecken)
Gynäkologische Notfälle
Komplikationen/spezielle Maßnahmen • Ggf. Dammschnitt (Episiotomie). Indikationen: schnelle Geburtsbeendigung, z. B. bei Asphyxie des Kindes, drohender Dammriss, Schonung bei Frühgeburt. Möglichst vorher Lokalanästhesie - vgl. folgende Seite). • Dauert die Pressphase (auch bei Erstgebärender) länger als 15 - 30 min (V.a. Geburtsstillstand), ist nach Ausschluss einer Wehenschwäche (ggf. Gabe eines Wehenmittels) der dringliche Transport in die Klinik zu erwägen, da fetale Hypoxie droht und evtl. aufgrund eines Missverhältnisses zwischen Kindsgröße und Geburtskanal oder Fehllage eine Schnittentbindung oder bes. geburtshilfliche Technik notwendig ist (ggf. an Tokolyse denken!). Bei langer Pressphase grundsätzlich großzügige O2-Gabe an die Mutter! Wenn möglich: kindliche Herztöne überwachen (Bradykardie = Hypoxie!). • Bei unüberwindlichem Geburtshindernis (z. B. verschleppte QL): erhöhte Gefahr der Uterusruptur (s. S. 318).
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Geburt V Kindslagen
Schädellage (SL) (ca. 94 - 96%, davon ca. 2% regelwidrig)
Beckenendlage (BEL) (ca. 3 - 5%)
Querlage (QL) (ca. 0,5 - 1%)
Geburtshandgriffe
Dammschutz
Dammschnitt Der Dammschnitt (rechtes Bild) wird mediolateral und ggf. in Lokalanästhesie durchgeführt (keine Routinemaßnahme; NA). Indikationen: Blasswerden des Dammes, verzögerter Kopfdurchtritt, drohender Einriss, Geburtsanomalien
Geburt der Schulter I Die vordere Schulter unter Senkung des Kopfes entwickeln, bis die Oberarmmitte sichtbar ist.
Geburt der Schulter II Kopf ohne Zug anheben und hintere Schultere entwickeln (auf den Damm achten!).
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10.6 · Geburt
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Erstversorgung/Reanimation des Neugeborenen II • Wärmeerhalt! Neugeborene verlieren auch bei Temperaturen, die Erwachsene als warm empfinden, schnell Wärme (pathophysiologisch ungünstig). Daher in war men Tüchern aufnehmen; Abtrocknen (sog. Käseschmiere belasssen) und - sofern in gutem Zustand - der Mutter auf den Bauch/an die Brust legen (möglichst Hautkontakt und beide warm einpacken (Gesicht frei); Bauchlage und Kopf zur Seite). Bei Hausgeburt auch warmes Bad möglich (nur unter Anleitung einer Hebamme). - Auch bei Reanimation Wärmeerhalt! • Abnabeln: a) sofort: bei Rhesusinkompatibilität (nicht ausstreichen!) oder wenn Mutter und Kind zwingend (z. B. CPR) sehr schnell getrennt werden müssen b) früh (nach Abtrocknen, 1-2 min): bei gesundem Kind (reif, lebensfrisch) c) spät (sobald die Nabelschnur aufgehört hat zu pulsieren, spätestens nach ca. 5 min bzw. nach gründlichem Ausstreichen d. Nabelschnur in Richtung Kind): bei anämischem Kind (anäm. Mutter), Frühgeborenen, Zwillingen. Durchführung der Abnabelung: 2 sterile Klemmen etwa 10 - 20 cm vom Nabel des Kindes entfernt (nicht zu nah am Scheideneingang) ansetzen, dazwischen mit steriler Schere oder Skalpell durchschneiden (letzteres kann z. B. der Vater übernehmen), die Enden steril abdecken (Klemmen belassen). Evtl. Blutabnahme aus Nabelvene u. -arterie (kennzeichnen) für die Klinik zur BGA (heparinisiert). Cave: Hochlagerung des Kindes bei fehlender Abnabelung (z. B. Bauch der Mutter) kann zu Blutverlusten in Richtung Plazenta führen! • Absaugen: nicht routinemäßig, da schädlich! Sollte das Neugeborene – i. d. R. hypoxie-/stressbedingt – intrauterin dickflüssiges Mekonium ausgeschieden und durch erste Atemversuche pränatal aspiriert haben, besteht – ausnahmsweise – eine Indikation zum Absaugen (möglichst unter Sicht, Pharynx mit Zungenspatel darstellen, später evtl. Nase). Nicht mit vollem Sog; Baby-Schleimabsauger verwenden (Cave: Schleimhautläsionen; reflektorische Bradykardien und Apnoe mgl.) • Vitalparameter des Neugeborenen: - Spontanatmung spätestens 1 min nach der Geburt (kräftiges Schreien). - AF 30 - 40 / min, AZV 15 - 20 ml, HF 130 - 140 / min. Die Beurteilung nach dem APGAR-Schema (s. S. 577) ist weit verbreitet und möglicherweise forensisch sinnvoll, aber zur Ableitung von konkreten (Reanimations-) Maßnahmen nur bedingt geeignet (hierfür war es auch nie gedacht). Es hat sich als recht subjektiv herausgestellt. Maßnahmen nach Algorithmus (s. linke Seite)! Zyanose, Bradykardie (< 100/ min), schlaffer Tonus und jegliche Atemstörung zwingen zum Handeln: 1. Taktile Stimulation (keine gewaltsamen Methoden, keine Zeit verschwenden!); 2. Sauerstoffgabe, ggf. Beatmung (bei Misserfolg optimieren); 3. ggf. Thoraxkompressionen; 4. u. U. Intubation, Medikamente (Näheres s. nächste Seite!)
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Kapitel 10 · Gynäkologische Notfälle
Gynäkologische Notfälle
Reanimation des Neugeborenen III • Priorität Nr. 1 = Atmung! Unregelmäßigkeiten oder Fehlen der Atmung sind prinzipiell mit qualitativ guter Maskenbeatmung zu behandeln (Neutralposition z. B. durch 2 cm dickes Handtuch unter dem Kopf herstellen). Bei Erreichen ausreichender Sauerstoffpartialdrücke normalisieren sich Herzfrequenz, Muskeltonus, Hautfarbe und die Atmung schnell von selbst (< 30 Sekunden). • Die ersten Atemzüge = Blähbeatmungen In den Lungen befinden sich zunächst noch Flüssigkeitsmengen, die die Diffusion der Atemgase behindern, aber normalerweise zügig durch die ersten Schreie (höherer Druck in der Lunge unter Exspiration als bei normaler Atmung) zur Resorption gebracht werden. Um dies auch bei Atemstillstand zu gewährleisten, sollen die ersten Beatmungen als sog. Blähbeatmungen/Entfaltungsbeatmungen ausgeführt werden: initialen Beatmungsdruck für 2 – 3 Sekunden aufrecht erhalten. Der erforderliche Druck ist variabel und sollte den Brustkorb sichtbar wie bei normaler Atmung heben und senken (20 cm H2O können effektiv sein, es können aber auch Drücke von 30 – 40 cm H2O erforderlich werden). • Thoraxkompressionen Im Gegensatz zur CPR bei Erwachsenen dienen Thoraxkompressionen bei Neugeborenen nicht der Überbrückung der Perfusion vitaler Organe. Vielmehr soll v.a. oxygeniertes Blut aus der Lunge in die Koronararterien gelangen (kurzer Weg; oft schnelles Ansprechen des Herzens auf wenige Kompressionen; daher kurzes Intervall bis zur nächsten Kontrolle: 30 s). Thoraxkompressionen können daher ein Defizit in der Beatmung nicht ausgleichen! • Intubation nicht zwingend Bedeutet Unterbrechung der Beatmung! Kann in bestimmten Situationen zu unterschiedlichen Zeitpunkten erwogen werden (z.B. V.a. Verlegung der Trachea mit Mekonium; ineffektive Beatmung trotz optimierter Technik; Thoraxkompressionen; Zwerchfellhernie, Geburtsgewicht < 1000 g; jeweils abhängig von Übung und Erfahrung des Durchführenden) • Medikamente nur sehr selten indiziert (vorzugsweise Nabelvenenkatheter) Indikation: unzureichende Herzfunktion trotz adäquater Basisreanimation (schlechte Prognose); in Frage kommen Adrenalin (0,01-0,03 mg/kg i.v.), Natriumhydrogencarbonat (1-2 mmol/kg KG i.v.); Flüssigkeitssubstitution • Beendigung von Reanimationsbemühungen Möglichst im Dialog mit den Eltern. Nach 10 Minuten kontinuierlicher und adäquat durchgeführter Reanimationsmaßnahmen ohne Lebenszeichen kann ein Abbruch erwogen werden. Wenn die Umstände fast sicher mit einem frühen Tod des Kindes und hoher Morbidität unter den wenigen Überlebenden verbunden ist, sind Reanimationsversuche nicht indiziert (z. B. gesicherte Schwangerschaftsdauer < 23 Wochen, Geburtsgewicht < 400 g, Anenzephalie, nachgewiesene Trisomie 13 oder 18).
10.6 · Geburt
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Risikogeburten/Besonderheiten Besonderheit Zwillingsgeburt: Liegen beide Kinder in SL (in etwa 45% der Fälle) ist die Geburt i.d.R. unproblematisch. Auch wenn eines der beiden in BEL liegt (35%), aber nicht zu groß ist, ist eine vaginale Entbindung möglich. Beide Kinder in BEL (ca. 10 %) werfen massive Probleme auf. Kombinationen von SL mit QL, BEL mit QL sowie QL mit QL haben fast keine Chance, normal geboren zu werden. Insbesondere bei Verdacht auf Vorfälle (kindlicher Extremitäten) sollte zügig die Sectio angestrebt werden! Nach Geburt des ersten Zwillings sollte die des zweiten innerhalb von < 15 min von statten gehen! (Gefahr: z. B. vorzeitige Plazentalösung.)
Anmerkungen zur Tokolyse (Wehenhemmung): Zur Nottokolyse (Arzt !) steht das Fenoterolpräparat Partusisten®intrapartal zur Verfügung (i.-v.-Applikation). Von zahlreichen Autoren wird zur Wehenhemmung die Anwendung des Fenoterolpräparates Berotec® 100 (DosierAerosol) propagiert. Diese Aussage ist jedoch nicht einwandfrei, da diese Indikation nicht in den Herstellerangaben (Beipackzettel) genannt wird (keine Zulassung) und laut Fachinformation eine tokolytische Wirkung unwahrscheinlich ist. Beachte aber: Gefahren durch Auftreten von Nebenwirkungen! Generell sollte eine Wehenhemmung - von bestimmten Indikationen abgesehen - nur im klinischen Bereich durchgeführt werden. Indikationsstellung - wenn möglich - durch erfahrenen Gynäkologen. Vgl. S. 305.
Gründe für primäre Sectio (schwerwiegende Geburtshindernisse /Risiken): Beckenanomalie / Beckenverengung, Nabelschnurvorfall (früh), Placenta praevia (früh), Kindliche Hypertrophie > 3500 g, Fußlage, QL (häufig rechtzeitige Klinikeinweisung durch behandelnden Arzt), BEL mit weiterer Komplikation, Hyperextension des Kopfes, > 2 Kinder.
Gründe für eine primäre Einweisung in ein Perinatalzentrum (i.d.R. Klinik der Maximalversorgung) unabhängig von eventueller Wunschklinik: • Komplikationen bei Mutter und Kind werden beherrschbar • sekundäre Verlegung (= Trennung + Transportrisiko) wird vermieden • neonatologische Intensivtherapie, Diagnostik, ggf. Neugeborenenchirurgie Beispiele für solche Risikoschwangerschaften: Alkohol-/Drogenabhängigkeit der Mutter, insulinabhängiger Diabetes mellitus, höhergradige Mehrlingsschwangerschaft, Wehen vor der 33. – 35. SSW, intrauterine Infektion, Blutungen nach der 28. SSW, schwere mütterliche Erkrankungen (z. B. EPH-Gestose / HELLP-Syndrom), chronische Erkrankungen der Mutter mit Bedrohung des Kindes (z. B. HIV, Hyperthyreose), Morbus haemolyticus neonatorum, fetale Komplikationen (z. B. Arrhythmien, Mangelentwicklung < 5. Perzentile, schwere Fehlbildungen).
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Kapitel 10 · Gynäkologische Notfälle
Nabelschnurvorfall Definition Nach Blasensprung (Abgang von Fruchtwasser) Vorfall der Nabelschnur, welche zwischen tiefertretendem Kopf und Beckenring eingeklemmt und abgedrückt werden kann. Dadurch akute Unterversorgung des Kindes. Schlimmstenfalls Umschlingung des kindlichen Halses mit der Nabelschnur. ➯ Das Kind wird beim Tiefertreten stranguliert. Der Nabelschnurvorfall ist sehr selten (ungefähr 3 % aller Geburtskomplikationen). Prädisponierende Faktoren: Mehrlingsschwangerschaften, Querlage, Beckenendlage, Mehrgebärende, viel Fruchtwasser.
Symptomatik • beginnende Geburt, Zustand nach Blasensprung • evtl. tritt die Nabelschnur vor dem oder am Kopf des Kindes aus dem Muttermund • evtl. um den Hals des Kindes liegende Nabelschnur (Umschlingung)
Gynäkologische Notfälle
Notfalltherapie (Notarzt/Hebamme) • Basischeck, Basismaßnahmen (Sauerstoffgabe!) • Flachlagerung mit Beckenhochlagerung • zügiger Transport und Voranmeldung in der aufnehmenden Klinik (Vorbereiten der Schnittentbindung) • Untersuchung (auch vaginal - pulsierende Nabelschnur tastbar?) • Standardtherapie • vorsichtiges vaginales Zurückdrücken des Kindskopfes (auch während des Transportes; ggf. Versuch der manuellen Lösung der Nabelschnur) • ggf. Abnabelung direkt nach Durchtritt des Kopfes und zügige Entbindung • Medikamente: ggf. Tokolytika, z. B. Fenoterol (0,8 - 4 μg / min i.v. über eine Spritzenpumpe)
Praxistipp Die Gefahr des Nabelschnurvorfalles besteht besonders bei herumlaufenden Patientinnen nach erfolgtem Blasensprung; daher Schwangere stets liegend (und in Linksseitenlagerung zur Prophylaxe eines Vena-cava-Kompressionssyndromes) transportieren.
10.6 · Geburtskomplikationen
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10
Vorzeitige Plazentalösung Definition Vorzeitige (unvollständige oder vollständige) Ablösung der normal sitzenden Plazenta (Synonym: retroplazentares Hämatom) nach der 28. Schwangerschaftswoche ➯ arterielle Blutung ➯ Unterbrechung des Stoffwechsels zwischen mütterlichem und kindlichem Kreislauf ➯ Gefahr der Schädigung des Kindes durch Unterversorgung. Durch Blutung mit anschließendem Schock wird auch die Mutter akut bedroht, wobei nicht nur der Volumenmangel, sondern oft auch Gerinnungsstörungen eine Rolle spielen. Ursachen: Extreme Blutdruckschwankungen, Fruchtwasserpunktion, Geburt des ersten Zwillings, mechanische Gewalteinwirkung (Stoß, Sturz, Trauma). Häufigkeit: 0,5 - 1 % aller Schwangerschaften. Mortalität der Feten: 20 - 35 %, davon sterben etwa 50 % noch im Uterus.
Symptomatik • Plötzlich auftretende Schmerzen, schmerzhafte Dauerkontraktion des brettharten und druckempfindlichen Uterus („Holzuterus“) • Schockzeichen • Nicht immer tritt die Blutung auch nach außen auf (selbst dann nur minimale Menge im Vergleich zur tatsächlichen Blutmenge im Uterus).
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen, Schocklage (auf der linken Seite) - Beachte: Atembehinderung durch Druck des Kindes! • Voranmeldung in der aufnehmenden Klinik • zügiger Transport mit Sondersignal • Untersuchung, Standardtherapie • Auskultieren der kindlichen Herztöne • Vaginale Untersuchung ist kontraindiziert! (DD: Placenta praevia.) • Volumensubstitution (Schocktherapie), ggf. Kreuzblutabnahme • Achtung: Tokolyse (Wehenhemmung) ist kontraindiziert!
Praxistipp • Bei Schocksymptomatik besteht akute Lebensgefahr für Mutter und Kind. Das erste Ziel aller therapeutischen Maßnahmen ist die Entbindung auf schnellstem und sicherstem Wege ➯ Sondersignaltransport in die Klinik (➯ i. d. R. Kaiserschnitt bei lebensfähigem Kind) unter Volumentherapie.
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Kapitel 10 · Gynäkologische Notfälle
Placenta praevia Definition Tiefer Sitz der Plazenta, evtl. vollständig vor dem inneren Muttermund; bei Dehnung des unteren Uterinsegmentes im letzten SSD kommt es zu einem Abscheren der Plazenta von der Uteruswand und starken Blutungen (25 % der Blutungen vor und während der Geburt.) Prädisponierende Faktoren: Mehrlingsschwangerschaften, Mehrgebärende, höheres Alter der Schwangeren (über 39 Jahre ist das Risiko um das Dreifache erhöht), frühere gynäkol. Ope- Placenta praevia totalis rationen. Häufigkeit: 0,5 % aller Schwangerschaften.
Symptomatik • schmerzlose (!), rezidivierende oder anhaltend starke Blutung im letzten Schwangerschaftsdrittel (vor Blasensprung); Schockzeichen • weiches Abdomen, weicher Uterus
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen, Schocklage (auf der linken Seite / Ganzkörperschräglage - Beachte: Atembehinderung durch Druck des Kindes) • schonender und zügiger Transport • Voranmeldung in der Klinik • Untersuchung, Standardtherapie • Vor der 36. Schwangerschaftswoche Tokolyse mit Fenoterol (0,8 - 4 μg / min i.v. über eine Spritzenpumpe) zur Hinauszögerung der Geburt möglich; später Geburtsverzögerung eher vermeiden (Dauer einer möglichen Unterversorgung des Kindes bzw. einer Blutung verlängert). • Schocktherapie (s. Kapitel 8)
Gynäkologische Notfälle
Praxistipps • Placenta praevia meist im Mutterpass vermerkt! (Aufgrund der anatomischen Anlage i.d.R. bei einer der ersten Ultraschalluntersuchungen entdeckt, weit bevor es in der Spätschwangerschaft zu Komplikationen kommt.) • Es muss in Betracht gezogen werden, dass im Uterus größere Blutmengen vorhanden sein können, die äußerlich sichtbare Blutung also nur einen Bruchteil des tatsächlichen Blutverlustes darstellt. Die Blutung nährt sich meist nur aus dem mütterlichen Kreislauf; Verblutungsgefahr! • Unter keinen Umständen vaginale oder rektale Tastuntersuchung! (Auslösung massiver Blutungen möglich!)
10.6 · Geburtskomplikationen
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Postpartale Blutung Definition Nachgeburtliche Blutungen (Blutverlust > 500 ml ➯ pathologisch).
Ursachen • Dammriss / Zervixriss (Geburtstrauma). • Fehlende Plazentalösung: keine komplette Lösung des Zusammenhalts zwischen Plazenta und Uterus oder Retention der gelösten Plazenta durch zervikalen Spasmus (Blutungen in unterschiedlicher Intensität). • Uterusatonie: atonische („schlaffe“) Uterusmuskulatur; nach Ausstoßung der Plazenta wird die Blutung nicht durch Kontraktion des Uterus gestillt - starke Blutung.
Symptomatik • vaginale Blutung nach Geburt • evtl. Schocksymptomatik
Notfalltherapie (Notarzt/Hebamme) • Untersuchung, Standardtherapie, Schocktherapie (s. Kapitel 8) • Bei Zervix- und Vaginaleinrissen (Geburtstraumen) keine unkontrollierte Tamponade! • Bei fehlender Plazentalösung Credé-Handgriff: Uterusfundus wird durch die Bauchwand gefasst, massiert („Wehe anreiben“) und mit gleichmäßiger Kraft in Richtung Scheidenausgang ausgedrückt und gehalten (ggf. Kurznarkose). • Bei Uterusatonie Zweifel-Handgriff: bimanuelle Uteruskompression; ➯ Abdrücken der A. uterina; auch während des Transportes beibehalten; siehe nebenstehende Abbildung. • Bei Misslingen des Credé-Handgriffs oder starkem vaginalem Blutabgang manuelle Plazentalösung. Ultima Ratio: Kompression der Aorta abdominalis. Zweifel-Handgriff • Medikamente: Bei Uterusatonie (ggf.) Wehenmittel, z. B. Oxytocin (Infusion mit 10 I. E. auf 500 ml Vollelektrolytlösung). Keine Tokolytika!
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Kapitel 10 · Gynäkologische Notfälle
Uterusruptur Definition Missverhältnis zwischen Belastbarkeit der Gebärmutterwand und Belastung (Größe des Feten, äußere Einwirkungen, Oxytocin-Überdosierungen, Geburtshindernisse, Vorschädigungen durch Operationen - Gebärmutternarben). ➯ Ruptur der Gebärmutter (Uterus).
Symptomatik 1. Drohende Ruptur: • Einsetzen verstärkter Wehentätigkeit (Wehensturm), ungewöhnlich schmerzhafte Wehen, Geburtsstillstand • Druckschmerzhaftigkeit des unteren Uterusbereichs • Aufsteigen der Bandl-Furche • Unruhe und Todesangst der Kreißenden durch zunehmende Wehenfrequenz, unerträglichen Wehenschmerz und beginnenden Schock (Verschleierung der Symptome durch Anästhesie !) 2. Eingetretene Ruptur: • Akuter abdominaler, auch in die Schulter ausstrahlender Schmerz, evtl. aber sogar spontanes, kurzzeitiges Erleichterungsgefühl • schwerer Schock, zunehmende Atemnot • evtl. kindliche Körperteile durch die Bauchdecke tastbar, abdominelle Abwehrspannung, Aufhören kindlicher Bewegungen und Herztöne • evtl. vaginale Blutung (25 % der Fälle)
Gynäkologische Notfälle
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen • Voranmeldung in der Klinik (Schnittentbindung) • zügiger Transport • Untersuchung, Standardtherapie, Schocktherapie (s. Kapitel 8) • Auskultieren der kindlichen Herztöne • Indikationsstellung für den Transport mit Sondersignal • Medikamente: Tokolytika, z. B. Fenoterol (0,8 - 4 μg / min über eine Spritzenpumpe) Bei vorausgegangenen Schnittentbindungen der Patientin (➯ Mutterpass) wird bei einer neuerlichen Geburt oft vom behandelnden Arzt eine erneute Schnittentbindung propagiert bzw. geplant (Gefahr einer Narbenruptur).
10.6 · Geburtskomplikationen
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Fruchtwasserembolie Definition Verlegung von Lungenkapillaren durch thromboplastisch aktives Fruchtwasser (d. h. nicht Fruchtwasser ist Thrombus, sondern führt zur Thrombenbildung) mit anschließender pulmonalen Hochdruck- und Rechtsherzbelastung Verbrauchskoagulopathie; evtl. anaphylaktische Reaktion.
Ursachen Eindringen einer größeren Menge Fruchtwassers in den mütterlichen venösen Kreislauf durch Verletzung (z. B. Scheideneinriss, Uterusruptur, vorzeitige Plazentalösung, Schnittentbindung).
Symptomatik • evtl. Zustand während oder nach einer Geburt • Atemnot, Zyanose, Schockzeichen • Angst, Unruhe, Übelkeit, Erbrechen • evtl. Urtikaria, Quincke-Ödem
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen • Untersuchung, Standardtherapie • symptomatische Therapie • endotracheale Intubation, Beatmung mit 100 % Sauerstoff • Medikamente: • Analgetika, z. B. Morphin (2 - 5 mg i.v.) • ggf. Benzodiazepine, z. B. Diazepam (5 - 10 mg i.v.)
Hinweise • Jede akut einsetzende Atemnot bei oder nach der Geburt ist verdächtig auf eine Fruchtwasserembolie! • Differenzialdiagnostisch auch an Spontanpneumothorax und akutes Herzversagen anderer Genese denken. • Zur Lungenembolie s. auch Kapitel 8.
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Kapitel 10 · Gynäkologische Notfälle
Abort Definitionen (nach der 13. AusführungsVO zum Personenstandsgesetz) Lebendgeburt Neugeborenes, bei dem einwandfrei entweder Lungenatmung, Herzschlag, die Nabelschnurpulsation oder deutlich erkennbare Bewegungen der Muskulatur vorgelegen haben (unabhängig von Geburtsgewicht/Schwangerschaftsdauer).
Gynäkologische Notfälle
Frühgeburt Beendigung einer Schwangerschaft vor Vollendung der SSW (p. m.; WHO) bzw. Tragzeit < 259 Tage (p. m.). Per definitionem fällt unter Frühgeburt auch • die Totgeburt (totgeborenes Kind, mind. 500 g (früher 1 kg) Geburtsgewicht) • die Lebendgeburt mit weniger als 500 g Geburtsgewicht, bei der nach der Scheidung vom Mutterleib entweder Herzschlag, Nabelschnurpulsation oder natürliche Lungenatmung vorgelegen hat, auch wenn es im Verlauf verstirbt. Frühgeburten (inkl. Totgeburten) müssen beim Standesamt gemeldet und im Todesfall wie jeder Erwachsene beerdigt werden. Der Mutter steht der Mutterschutz in voller Länge zu (8 Wochen). Fehlgeburt (Abort) Totgeborenes Kind unter 500 g (früher 1000 g) Geburtsgewicht. Fehlgeburten sind „Erkrankungen“, die nicht an das Standesamt gemeldet werden dürfen“ (keine Behandlung der Leibesfrucht als Todesfall; Krankschreibung der Mutter für 8–14 Tage). Die allgemeine Definition einer Fehlgeburt „Beendigung einer Schwangerschaft, bevor die Frucht selbst extrauterin lebensfähig ist“ ist sehr problematisch, da sich die Grenze der Überlebensfähigkeit in Bezug auf Schwangerschaftsdauer und Geburtsgewicht durch Entwicklungen der neonatologischen Intensivmedizin in den letzten Jahren deutlich nach unten bewegt hat. Sie kann nicht für alle Kinder absolut festgelegt werden. I. d. R. wird heute eine Überlebensfähigkeit erst ab der vollendeten (22. bis) 24. SSW (KG um 500 g) angenommen (Bildung der Alveolen in den Lungen). Mittlerweile werden häufig unreife Frühgeborene unter 1000 g erfolgreich versorgt („Rekord“: 244 g, SSL 25 cm, Sept. 2004, Loyola University, Chicago, USA). 5–10 % aller Geburten sind Frühgeburten (davon ca. 30 % spontan, bevorzugt bei Teenagern und bei niedrigem sozioökonomischen Status; weitere 30 % bei Mehrlingsschwangerschaften). Formen der Fehlgeburt • Frühabort: Abbruch der Schwangerschaft bis zur 16. Woche. • Spätabort: Abbruch der Schwangerschaft zwischen der 17. und 27. Woche. • Spontanabort: (ohne erkennbare äußere Ursache: häufigste Ursache (50 %) bei Frühaborten: chromosomale Anomalie des Kindes; Spontanaborte sind häufig: mindestens 15 % der Schwangerschaften enden vor der 10. SSW!
10.7 · Abort
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Abort Symptomatik • mäßige bis starke Blutung aus der Scheide • Unruhe, ggf. Schmerzen, ggf. Schockzeichen • evtl. ausgestoßene Frucht bzw. Fruchtteile (z. B. in der Toilette)
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen, psychische Betreuung! • Fritsch-Lagerung • Untersuchung, Standardtherapie, ggf. Schocktherapie (s. Kapitel 8) • Medikamente: - ggf. Benzodiazepine, z. B. Diazepam (5–10 mg i. v.) - ggf. Analgesie - ggf. bei lebensbedrohlicher Blutung in Erwägung ziehen: Kontraktionsmittel, z. B. Oxytocin (z. B. Infusion mit 50 I. E. auf 500 ml Vollelektrolytlösung; wenn noch nicht geschehen: Verlust des Kindes!)
Praxistipps • Abort mit Fieber über 38,5 °C oder Schüttelfrost bei der Patientin weist auf septischen Schock hin. • Manipulationen am Uterus vermeiden; Gefahr des Eindringens von thromboplastischem Material der Plazenta in den venösen Blutkreislauf der Mutter. • Komplikationen/Gefahren bei der Abtreibung durch Laien: mechanische Verletzung mit Blutung, septischer Schock, Luftembolie, Vergiftung. • Es ist stets zu prüfen, ob das Kind noch lebensfähig sein könnte (ab ca. 23.– 24. SSW bei KG > 500 g); ggf. Wiederbelebung einleiten (s. S. 310 ff.)! Umgekehrt sollte nicht lebensfähigen Kindern (wie auch bei Erwachsenen) – trotz evtl. initialer Lebenszeichen – die Möglichkeit eines würdigen Sterbens eingeräumt werden (Einbeziehung und ehrliche Information der Familie). Diese Entscheidung setzt eine hohe neonatale Kompetenz des Notarztes voraus und wird durch den notfallmedizinischen Zeitdruck sowie schwere Objektivierbarkeit (Schwangerschaftsdauer, KG) erschwert. Im Zweifel sei daher – auch aus juristischen Gründen – zum Wiederbelebungsversuch angeraten. • Bei vorzeitigem Blasensprung ggf. Nottokolyse (s. S. 291).
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Kapitel 10 · Gynäkologische Notfälle
Extrauteringravidität (EU) Definition Schwangerschaft (Einnistung einer befruchteten Eizelle) außerhalb der Gebärmutter (Eileiterschwangerschaft = Tubargravidität oder selten auch in der freien Bauchhöhle = echte Bauchhöhlenschwangerschaft). Mögliche Folgen: Tubarabort (Abgang der Frucht in die Bauchhöhle), Tubarruptur bei Größenzunahme der Frucht - Achtung: Bei einer Tubarruptur können in kurzer Zeit 1 - 2 l Blut in die Bauchhöhle verlorengehen!
Differenzialdiagnose • Tubentorsion (Eileiterverdrehung mit Abschnüren der Blutversorgung) • Adnexitis (Entzündung der Eierstöcke und Eileiter) • andere Ursachen für Akutes Abdomen (s. S. 290 ff.)
Symptomatik
Gynäkologische Notfälle
a) Symptomarmes Stadium: • weitgehende Beschwerdefreiheit • allgemeine Schwangerschaftssymptome (Übelkeit, Spannung in der Brust) • Ausbleiben der Regel > 5 - 9 Wochen (27 %), Schmierblutungen (50 %) oder regelstarke Blutung (20 %) b) Symptomreiches Stadium (Notfall!): • zunehmender (einseitiger) Unterbauchschmerz • plötzlicher vernichtender Rupturschmerz auf der gleichen Seite • Nach eingetretener Ruptur schmerzfreies Intervall möglich. • Druckempfindlichkeit des Unterbauches, Zwerchfell- und Schulterschmerz • Akutes Abdomen, Schock c) Tubarabort: kaum symptomatisch; evtl. wehen- oder krampfartige Bauchschmerzen d) Tubarruptur: • stechender Zerreißungsschmerz im Unterbauch, Akutes Abdomen, Angst • Kollaps, Schockzeichen
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen • Voranmelden der Klinik (Vorbereiten einer Notoperation) • zügiger Transport mit NA und Sondersignal (bei Verdacht auf Tubarruptur) • Untersuchung, Standardtherapie • bei Verdacht auf Tubenruptur: ggf. Schocktherapie (s. S. 216 f.) • Indikationsstellung für Sondersignaltransport
Kapitelübersicht
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11
Pädiatrische Notfälle 11.1 Allgemeine Hinweise ................................................ 324 11.2 Reanimation bei Kindern .......................................... 329 11.3 Aspiration / Bolusgeschehen .................................... 332 11.4 Epiglottitis / Pseudokrupp ........................................ 334 11.5 Invagination .............................................................. 337 11.6 Krampfanfall ............................................................. 338 11.7 Dehydratation ............................................................ 340 11.8 Plötzlicher Säuglingstod (SID) ................................. 342 11.9 Kindesmisshandlung ................................................ 344 11.10 Hypoxämischer Anfall ............................................... 346
324
Kapitel 11 · Pädiatrische Notfälle
Allgemeines Pädiatrische Notfälle
A. Altersstufen des Menschen Neugeborenes • Mangelgeburt • Frühgeborenes • Spätgeborenes
0 - 28 Tage Geburtsgewicht < 2500 g Entbindung vor der 38. Schwangerschaftswoche Entbindung nach der 42. Schwangerschaftswoche
Säugling Kleinkind
28 Tage - 12 Monate 1 - 3 Jahre
Vorschulkind Schulkind
3 - 6 Jahre 6 - 15 Jahre
Jugendlicher Erwachsener Senex
15 - 18 Jahre > 18 Jahre > 65 Jahre
B. Physiologische Besonderheiten bei Säuglingen / Kleinkindern 1. Das gesunde Kind nach der Geburt • Beginn der Eigenatmung 5 - 30 Sekunden (erster Schrei bis 40 Sekunden) nach der Geburt durch verschiedene Reize (Kälte, Berührung, Kohlendioxidanreicherung im Blut). Regelmäßige Atmung nach 1 - 2 Minuten. • Umstellung des Kreislaufes: Druckabfall in der Lungenstrombahn und darauf folgende Trennung von Körper- und Lungenkreislauf. Innerhalb der ersten Wochen verschließen sich die Kurzschlussverbindungen des kleinen Kreislaufes, Ductus arteriosus (Botalli) und Vorhofseptum. • Blutzuckerspiegel - als Hypoglykämie gelten folgende Blutzucker-Werte: Früh-/Neugeborene < 2500 g Neugeborene > 2500 g nach Geburt Neugeborene, 1. Lebenstag Neugeborene, 2. Lebenstag Neugeborene, ab 3. Lebenstag Säugling
< 25 mg / dl < 30 mg / dl < 35 mg / dl < 40 mg / dl < 45 mg / dl < 50 mg / dl
Hinweis: Entnahme des Bluttropfens bei Säuglingen an der Ferse. 2. Wichtige anatomische Besonderheiten der Atmung: • Die Zunge ist größer (bei Intubation beachten) und fällt leichter zurück. Der Rippenstand ist gegenüber dem Erwachsenen eher horizontal; daher
11.1 · Allgemeines
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11
sind Säuglinge obligate Bauchatmer (kaum Kompensationsmöglichkeit bei Behinderung der Zwerchfellatmung!) • Der Kehlkopf liegt bei C3 / C4 (etwa 2 Wirbelkörper höher als beim Erwachsenen) und ist nach ventral verkippt ➯ kein Überstrecken des Kopfes, sondern: Unterkiefer anheben, Esmarch-Handgriff! - Schnüffelstellung). • Der subglottische Raum ist die engste Stelle (beim Erwachsenen: Stimmritze) ➯ Tubengröße beachten und Tuben bei Kindern unter acht Jahren nicht blocken (Abdichtung subglottisch). • Die Trachea ist vergleichsweise kurz (einseitige Fehlintubation häufig; Verrutschen der Tubuslage trotz Fixation bei Säuglingen bei Kopfbewegungen möglich! - Regelmäßige Lagekontrolle / Auskultation). 3. Wichtige physiologische Besonderheiten der Atmung: • Säuglinge sind obligate „Nasenatmer“ (Gefährdung z. B. durch Zuschwellen der Nase!). • Achtung! Säuglinge lassen Atemnot nicht so deutlich erkennen wie Erwachsene; auf Dyspnoezeichen achten: Nasenflügeln, Stöhnen, Einziehungen des Thorax beim Atmen. • Die Schleimhaut (Nase, Epiglottis, Trachea) neigt viel stärker zur Ödembildung ➯ Obstruktion durch Zuschwellen, Hindernisse bei Intubation. • Lunge: Compliance niedriger und Resistance höher als beim Erwachsenen. • Physiologischer Totraum Früh- / Neugeborener: ca 40% des AZV (Erwachsener nur ca. 30 % des AZV und besser kompensierbar). • Sauerstoffbedarf (und daher das AMV) etwa dreimal höher als beim Erwachsenen, dies wird durch eine höhere Atemfrequenz bewirkt; das AZV liegt mit 7 - 9 ml / kg KG im gleichen Bereich wie beim Erwachsenen.
C. Maßnahmen bei Kindernotfällen • Absaugen: Sog vorher kontrollieren; dieser darf nicht über 0,2 bar betragen (Gefahr der Schleimhautverletzung / bei endotrachealem Absaugen Gefahr der Atelektasenbildung! ➯ immer kurz „nachbeuteln“). • Beatmung: Ohne Hilfsmittel ist die Technik Mund-zu-Mund-und-Nase (Säuglinge, Kleinkinder) anzuwenden. Bei Neugeborenen und Säuglingen sollte bei Beatmung über Endotrachealtubus die Atemluft angefeuchtet werden. • Herzfrequenzüberwachung durch Abhören der Herztöne mit Stethoskop.
Pädiatrische Notfälle
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Kapitel 11 · Pädiatrische Notfälle
• Wärmeerhalt: Dem Wärmeerhalt kommt im Säuglings- und Kindesalter besondere Bedeutung zu! Gründe: - Zitterfreie Wärmebildung im braunen Fettgewebe (Frieren bei Säuglingen bleibt unerkannt). - Geringes Körpervolumen ➯ wenig Isolierschicht ➯ schnelle Auskühlung. - Ein Neugeborenes muss bereits unter 30 bis 32°C Außentemperatur (Umgebungsluft ohne Kleidung) Energie für die Aufrechterhaltung der Körpertemperatur aufwenden (thermische Neutralzone: 32-34°C - zum Vergleich der Erwachsene: 27-29°C). Unter 23°C (Raumtemperatur!) versagt die Regulation und es kommt zur Unterkühlung (körperlich aktiver Erwachsener: < 0-5°C). Daher auch bei Reanimationsmaßnahmen die passive Wärmeerhaltung nicht vernachlässigen und ggf. rechtzeitig an die Nachforderung eines Inkubators denken. Bei Inkubatortransporten kontinuierlich die Temperatur kontrollieren: 35 - 37 °C (Kontrolle durch Innenraumthermometer). • Trauma, Blutverlust, Schock: Bei Kindern muss auch ein kleiner Blutverlust ernstgenommen werden (kleines absolutes Blutvolumen, z. B. 300 ml beim Neugeborenen; die typischen Schockzeichen treten wegen ausgeprägter Fähigkeit zur Zentralisation später als bei Erwachsenen auf). Wichtige Symptome sind verlängerte kapilläre Füllungszeit (> 2 s) und schlecht tastbare periphere Pulse. Frühzeitige Sauerstoff- und Volumentherapie (10-20 ml / kg KG initial, dann bis zu 20 ml / kg KG / h während des Transportes; bei fortlaufenden Volumen- / Flüssigkeitsverlust ggf. weitere Gabe erforderlich), um die Aktivierung der Schockkaskade zu verhindern (s. S. 225). Ernstzunehmende Blutverluste bei Säuglingen durch Kopfschwartenhämatome und intrazerebrale Blutungen. Innere Blutungen werden häufig unterschätzt. • Zur präklinischen Volumentherapie sind Vollelektrolytlösungen (und ggf. kolloidale Volumenersatzmittel) einzusetzen (pädiatrische Infusionslösungen oder verdünnte Glukoselösungen eignen sich nicht). • Wegen notwendiger Genauigkeit und kleiner Volumina Infusion geregelt über Spritzenpumpe geben (Bolusgaben manuell mit großer Spritze, ggf. Dreiwegehahnsystem zum Nachfüllen der Spritze anschließen), Tropfinfusionen sind unzuverlässig und bergen ggf. das Risiko einer Überinfusion; Volumengaben exakt protokollieren. • Wenn möglich: Bei Medikation den rektalen Zugangsweg in Betracht ziehen, vor allem bei Diazepam, Chloralhydrat, Kortikoiden (Schonung des Kindes). Zur Sedierung kann auch die intranasale Gabe von Midazolam erwogen wer-
11.1 · Allgemeines
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den (beachte aber: Dosierung anpassen, Wirkungseintritt kann verzögert werden; der Anwender sollte Erfahrung mit diesem Verfahren und seinen Komplikationen besitzen; intranasale Gabe kann schmerzhaft sein). Dosierung: • intranasal (z. B. per Tuberkulin-Spritze ohne Nadel): 0,3 - 0,4 mg / kg KG • Venöser / intraossärer Zugang bei Säuglingen und Kleinkindern: Wenn ein dringend benötigter venöser Zugang nicht geschaffen werden kann, bestehen alternativ die Möglichkeiten der Medikamenten- und Volumengabe a) bei Neugeborenen in die Nabelvene und b) bei Säuglingen und Kleinkindern in das Knochenmark (intraossärer Zugang - s. S. 41 f.) • Für Verbrennungen gelten gegenüber Erwachsenen andere Regeln zur Ermittlung verbrannter Oberflächen (s. S. Kapitel13). • Zur Beurteilung einer Bewusstseinsstörung beim kindlichen Patienten ist die Glasgow-Coma-Scale modifiziert anzuwenden (s. S. 578) • Entsprechendes Gerät (z. B. Babybeutel, Blutdruckmessgerät, Tuben) verwenden. (s. Tabelle S. 574) • Beatmungsdruck, -volumen, -frequenz, Kreislaufgrößen (s. S. 572 f.).
D. Umgang mit Eltern und Kindern • Die Einbeziehung der Eltern kann bei der Betreuung und medizinischen Versorgung des Kindes von Vorteil sein: a) Die Eltern fühlen sich gebraucht und sind beschäftigt. Oft ist es - auch und gerade im Notfall - sinnvoll, das Kind zu untersuchen und zu behandeln, während es sich auf dem Arm bzw. Schoß der Mutter / des Vaters befindet. b) Das Kind verhält sich in der Regel ruhiger, wenn die Eltern anwesend sind. Zur Beruhigung von Kindern empfiehlt es sich auch, auf Rettungsmitteln ein Stofftier („Teddy“) mitzuführen. (Aber: Hygiene beachten.) c) Angst und Stress bei den Eltern übertragen sich auf das Kind; deren Beruhigung und Respekt vor der elterlichen Verantwortlichkeit sind ebenso wichtig wie die einfühlsame Betreuung des Kindes (Aufklärung über Erkrankung / Verletzung sowie ergriffene Maßnahmen). • Umgang mit dem Kind: kindgerechte Sprache, ab entsprechendem Alter auch dem Kind alles erläutern und es Verantwortung übernehmen lassen (therapeutisches Bündnis), Spiele (z. B. mit medizinischen Untersuchungsgeräten) zulassen. Kinder bedürfen einer Vertrauensperson: wenn Eltern nicht anwesend sind, z. B. auch Begleitung durch Freund, Lehrer o. ä. (Beachte jedoch die Schweigepflicht!). Auf schmerzhafte Maßnahmen (z. B. Venenpunktion) vorher ehrlich hinweisen; diese ggf. begründen.
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Kapitel 11 · Pädiatrische Notfälle
Pädiatrische Notfälle
E. Rechtliche und sicherheitstechnische Aspekte • Mitfahr- / Behandlungsverweigerung beim Kind: Auch bei Kindern und Jugendlichen müssen therapeutische Maßnahmen durch ausdrückliche, stillschweigende oder mutmaßliche Einwilligung abgesichert sein. Bis zum 14. Lebensjahr wird eine Einwilligungsfähigkeit in der Regel nicht angenommen (Einwilligung der Eltern bzw. Sorgeberechtigten). Bei gegebener Einsichts- und Urteilsfähigkeit (Beurteilung im Einzelfall) können verständige Jugendliche in eine notwendige Therapie selbst einwilligen; bei schwerwiegenden Eingriffen ist die Einwilligung der Eltern / Sorgeberechtigten erforderlich. Medizinisch gebotene, nicht aufschiebbare Maßnahmen sind sofort und ggf. auch ohne Einwilligung von Patient / Sorgeberechtigtem zu ergreifen. Ansonsten ist ggf. die Einwilligung des Vormundschaftsgerichtes einzuholen (§ 1666 I BGB). Grundsätzlich sind Selbsttötungsversuche von Kindern und Jugendlichen uneingeschränkt zu verhindern ! (Nichtverhinderung gilt bei bestehender Garantenstellung juristisch als Totschlag durch Unterlassen; vgl. OLG München, NJW, 2940, 2942). • Bestimmte Geräte, wie z. B. Gurte auf Fahrtragen, sind primär auf Erwachsene ausgelegt und müssen zum Einsatz bei Kindern ggf. modifiziert werden. So existieren z. B. verstellbare Rückhaltesysteme für Kinder (z. B. c.a.t.®).
F. Vergiftungen bei Kindern: • Kinder nehmen „alles“ in den Mund (z. B. Haushaltschemikalien, Pflanzenteile). • Für Kinder haben Antihistaminika eine hohe Toxizität! • Bei Kindern ist das Auslösen von Erbrechen mit Salzwasser (Gefahr der Hypernatriämie) oder Apomorphin kontraindiziert! • Nur wenige der akzidentellen Substanzaufnahmen durch Kleinkinder sind lebensbedrohlich. Demgegenüber stehen Gefährdungspotentiale durch fehlerhafte Erste Hilfe (z. B. Kochsalzgabe; nachfragen !) und invasive therapeutische Maßnahmen. Daher ist eine sorgfältige Indikationsstellung und eine Abklärung mit einer Vergiftungszentrale dringend zu empfehlen. Vgl. Kapitel 12. • Zur Magenspülung physiologische, gewärmte Kochsalzlösung verwenden ! (Etwa 4 - 10 ml / kg KG pro Spülphase.)
G. DD Atemstörungen / Atemnot bei Kindern: • allergische Reaktion / Anaphylaxie (s. S. 232 f.) • Asthma bronchiale (s. S. 306 f.) • verschluckter / aspirierter Fremdkörper (s. S. 332 f.) • Pseudokrupp oder Epiglottitis (s. S. 334 ff.) • entzündliche Erkrankungen der Bronchien • ggf. auch an Thoraxtrauma oder Intoxikation denken • Insbesondere bei wiederkehrender Atemnot/Zyanose, an das Vorliegen eines Herzfehlers (z. B. Rechts-Links-Shunt) denken (s. S. 346).
11.2 · Reanimation bei Kindern
11
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Reanimation bei Kindern I Zur Reanimation allgemein s. Kapitel 5
Indikationen für die CPR, Durchführung der Thoraxkompressionen Altersstufe des Kindes
Ort der Pulskontrolle
Indikation für CPR
Arbeitsfrequenz - Beatmung - Thoraxkompr.
Neugeborenes (s. S. 310 ff.!)
A. umbilicalis/ Auskultation
HF < 60 / min
30 / min* 100 / min
... trotz suffizienter Beatmung Druckpunkt
Rippenbogen entlangfahren (proc. xiphoideus) 1 Querfinger Richtung Kopf anlegen, daneben aufsetzen Drucktechnik 2 Finger aufsetzen (1 Helfer) oder Brustkorb umgreifen (mit beiden Daumen komprimieren; 2 Helfer) Verhältnis Thoraxkompressionen : Beatmungen 3:1 Säugling
A. brachialis HF < 60 / min (Auskultation) Druckpunkt/-technik siehe Neugeborene Drucktechnik siehe Neugeborene Verhältnis Thoraxkompressionen : Beatmungen (Ersthelfer allein sowie Laien wie bei Erwachsenen:
Kind, 1 Jahr bis Pubertät
A. carotis
20 / min* 100 / min
15:2 30:2)
fehlende Zeichen... 12-20 / min* ... der Zirkulation 100 / min
Druckpunkt/-technik siehe Neugeborene; statt Finger: 1-2 Handballen Verhältnis Thoraxkompressionen : Beatmungen 15:2 (Ersthelfer allein sowie Laien wie bei Erwachsenen: 30:2) Jugendlicher, A. carotis fehlende Zeichen... 10 / min* ab Pubertät ... der Zirkulation 100 / min Druckpunkt Mitte des Thorax; untere Brustbeinhälfte Drucktechnik dort beide Handballen übereinanderlegen Verhältnis Thoraxkompressionen : Beatmungen 30:2 (gilt für Ein- und Zweihelfer-Methode) * Beatmungsfrequenz nach Intubation / ohne Thoraxkompressionen.
Drucktiefe: Der Brustkorb soll jeweils zu einem Drittel eingedrückt werden (entspr. beim Säugling 2 cm, beim Kind 3 - 4 cm, beim Jugendlichen 4 - 5 cm).
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Kapitel 11 · Pädiatrische Notfälle
Aspiration / Bolusgeschehen Pädiatrische Notfälle
Zur Pathophysiologie vgl. auch S. 210 f. Definition: Als Aspiration bezeichnet man das Anatmen verschiedener Materialien / Gegenstände / Flüssigkeiten, die dann durch Verbleiben in den Atemwegen (Luftröhre, Bronchialsystem) die Atmung behindern und evtl. die Lunge schädigen. Auch durch Verschlucken von Fremdkörpern, die dann durch ihren Sitz in der Speiseröhre von hinten die Luftröhre abdrücken (dort ist die Luftröhre nicht mit Knorpel stabilisiert), kann die Atmung gestört werden. Ursachen a) Bei der Geburt: Mekoniumaspiration (Mekonium = „Kindspech“; erste Darmentleerung des Neugeborenen). Vor allem bei übertragenen Neugeborenen. b) Postnatale Phase (nach der Geburt): Aspiration von Nahrungsmitteln (z. B. Milch; häufig bei Erbrechen in Rückenlage), Puder (gefährlich, weil dieser tief in die Atemwege eindringt). c) Säuglinge und Kleinkinder: Aspiration fester Nahrungsbestandteile (z. B. Erdnüsse) und anderer kleiner fester Gegenstände verschiedenen Materials (z. B. Spielzeug). Pathophysiologie Bei festen Körpern kommt es meist durch den aspirierten Gegenstand zu einem Ventilmechanismus (Inspirationsluft kann einströmen - Exspirationsluft jedoch nicht entweichen). Folge ist eine Überblähung der betroffenen Lungenabschnitte, evtl. mit Verlagerung des Herzens und Zwerchfelltiefstand. Bei Aspiration von Flüssigkeiten können neben Bronchospasmen durch Reizung der Bronchien Schädigungen der Alveolen und schwere Pneumonien die Folge sein. In der Klinik: Versuch der endoskopischen Entfernung des Fremdkörpers.
Praxistipps • Jeder Verdacht auf eine Fremdkörperaspiration ist umgehend einer endoskopischen Untersuchung (vorher Röntgen) zuzuführen, auch wenn sonstige klinische oder radiologische Hinweise fehlen. • Vorsicht bei Racheninspektion: reflektorischer Herzstillstand möglich! • Es muss nicht immer ein akutes Ereignis zugrundeliegen. Z.B. kann eine zurückliegende Aspiration mit Ventilmechanismus (Lungenüberblähung) oder Lungenentzündung (Pneumonie) zu einer ähnlichen Symptomatik führen. • DD: (Pseudo-) Krupp-Syndrom, Epiglottitis, Laryngitis, Bronchitis, Asthma. • Wenn nach anamnestisch mitgeteilter Fremdkörperaspiration keine Atemnot / Hypoxiezeichen vorliegen: Keine präklinischen Maßnahmen der Fremdkörperentfernung (z. B. Laryngoskopie, Heimlich-Manöver), da der Fremdkörper durch Lageveränderung eine bedrohlichere Situation verursachen kann (z. B. Hängenbleiben im subglottischen Raum)!
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Kapitel 11 · Pädiatrische Notfälle
Pädiatrische Notfälle
Epiglottitis / Pseudokrupp Allgemeines: Der Luftwiderstand einer Röhre ist umgekehrt proportional zur vierten Potenz des Durchmessers (Hagen-Poiseuille). Das bedeutet, dass schon eine geringe Abnahme des Durchmessers (Stenosierung, Bronchokonstriktion, Verlegung), z. B. der Luftröhre, eine starke Erhöhung des Atemwiderstandes zur Folge hat. Die Atemarbeit wird somit erschwert. Pseudokrupp (Infektkrupp, akute obstruktive subglottische Laryngitis / stenosierende Laryngotracheitis): • Ätiologie / Pathogenese: Virusinfektion; Schwellung und Borkenbildung im Bereich unterhalb des Kehldeckels (unterer Kehlkopfausgang und obere Trachea - subglottische Lokalisation); hohe Luftverschmutzung wirkt sich begünstigend aus, ebenso eine hohe Belastung der Innenraumluft, z. B. durch Tabakrauch. • Verlauf: Meist leichter Verlauf, der durch medikamentöse Therapie (s. rechts), vor allem frühzeitige Kortisongabe, im Allgemeinen gut beherrschbar ist. Jedoch kann sich bei nicht ausreichender oder ausbleibender Therapie ein schweres Krankheitsbild bis hin zum Tod entwickeln. Bei Zyanose besteht Lebensgefahr. Todesangst (bei Eltern und Kind) und körperliche Unruhe steigern den Sauerstoffbedarf. Laryngoskopie (wegen nicht auszuschließender Möglichkeit der Epiglottitis) kontraindiziert. Akute Epiglottitis (akute obstruktive supraglottische Laryngitis): • Ätiologie / Pathogenese: Bakterielle Entzündung; betroffen meist Rachenraum und Kehlkopfeingang (supraglottisch); Erreger meist Hämophilus influenzae B (seit Einführung der H. influenzae-Impfung ist die akute Epiglottitis sehr selten geworden). Der Altersgipfel liegt zwischen dem 2. und 3. Lebensjahr. Etwa 400mal seltener als Pseudokrupp. Im Rahmen einer Entzündungsreaktion kann der Kehldeckel auf ein Vielfaches seiner normalen Größe anschwellen und zu einer lebensbedrohlichen Verlegung der Atemwege führen. Jegliche Manipulation im Rachenbereich kann den Prozess des Anschwellens drastisch beschleunigen. • Laryngoskopie oder andere Formen der Racheninspektion sind absolut kontraindiziert! Wenn das Laryngoskop in die Hand genommen wird, dann nur zur sicheren Intubation. Auch andere Manipulationen am Kind vermeiden. • Verlauf: Hochakutes Krankheitsbild, das zur stationären (Intensiv-)Therapie häufig die endotracheale Intubation (meist ohne maschinelle Beatmung) erforderlich macht; bei ausreichender Behandlung meist Extubation nach wenigen Tagen. Bei unzureichender oder zu spät einsetzender Therapie ist die Letalität (Sterblichkeit) hoch. • Beachte: Bei Epiglottitis Lungenödem nach Intubation ! • Vorsicht bei Racheninspektion: Reflektorischer Herzstillstand möglich !
11.4 · Epiglottitis/Pseudokrupp
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11
Epiglottitis / Pseudokrupp I
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Symptomatik / Differenzialdiagnose: nächste Seite Einfache Therapie-Maßnahmen, ggf. durch Eltern Pseudokrupp
Epiglottitis
• Basischeck, Basismaßnahmen • Beruhigung von Kind und Eltern • lückenlose, sichere Überwachung • Anfeuchten der Atemluft (z. B. im • immer Klinikeinweisung (NA!), Badezimmer warme Dusche • bequeme Sitzposition laufen lassen) • wenig Manipulationen am Kind! • ausreichende Flüssigkeitszufuhr • ggf. Sauerstoffgabe, Freimachen / Freihalten der Atemwege (Vorsicht!), ggf. Beatmung
Notfalltherapie
• Evtl. Notfallantibiose
• Jegliche Manipulationen im Rachen- / Kehlkopfbereich generell vermeiden! Endotracheale Intubation bei... [Intubation selten • ...Ermüdung des Kindes [Bei Ateminsuffizienz erforderlich • ...Zyanose kann eine Überbrückung (<1 % der Fälle!)] • ...Bewußtseinsstörung mit (assist.) Masken-Beutel• ...stark reduzierter Beatmung versucht Lungenbelüftung werden. • ...ausgeprägtem Stridor Zur Intubation s.u.] Sollte die endotracheale Intubation dennoch notfallmedizinisch erforderlich werden, dann ist diese in einem Versuch durch den Erfahrenen durchzuführen (Beachte: Sofortiges Zuschwellen der Atemwege durch Manipulationen!) Intubation im Sitzen (Kind)! Danach ist ein zweiter Intubationsversuch oft nicht mehr möglich! Als Ultima Ratio bleibt dann die Trachealkanülierung. Das Anlegen eines venösen Zugangs vor einer notwendigen Intubation ist abzuwägen: Zeitverlust und Forcierung des Zuschwellens (Aufregung und Schreien) bedenken. Vor Intubation ggf.: • Gabe von Sedativa, z. B. Diazepam rektal (Kind < 15 kg KG: 5 mg Rectiole / Kind > 15 kg KG: 10 mg Rectiole) • Atropin (0,01 mg / kg KG i.v.; ggf. auch s.c. möglich) Nur bei Pseudokrupp: Kortikoide (z. B. Prednisolon rektal), Antipyretika (z. B. Paracetamol rektal) Ggf. inhalative Anwendung eines Adrenalin-Sprays (bei Auftreten von Dyspnoe und Einziehungen - s. S. 484).
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Kapitel 11 · Pädiatrische Notfälle
Notfall: Epiglottitis / Pseudokrupp II
Pädiatrische Notfälle
Pseudokrupp Viren 6 Monate - 3 Jahre (selten älter - bis 7 Jahre) allmählich befriedigend jede Position, oft liegend bei schwerer Symptomatik sitzend geschlossen, Nasenflügeln (normaler Speichelfluss) heiser bis aphonisch inspiratorischer Stridor mit Einziehen trocken, bellend keine (zumindest werden Getränke noch akzeptiert) mäßig bei schwerer Symptomatik stark unterschiedlich (meist mäßig)
eventuell entzündliche Schwellung der Schleimhaut unterhalb des Kehlkopfes
Epiglottitis Ursache
Bakterien (meist Hämophilus influenzae)
Alter
2 - 6 Jahre (selten jünger / bis 15 Jahre)
Beginn, Verlauf Allgemeinzustand Körperhaltung Mund
Stimme Atemgeräusch
Husten
rasch fortschreitend schwer krank sitzend, nach vorne gebeugt offen, Speichelfluss verstärkt kloßig, nicht heiser inspiratorischer Stridor mit Einziehen keiner
Schluckbeschwerden stark (außerdem starke Halsschmerzen und Nahrungsverweigerung) Atemnot Fieber
Zyanose Lokalbefund
zunehmend / deutlich / stark hoch (39° - 40°) schneller Anstieg eventuell Schwellung des Kehldeckels (wie eine Kirsche aufgetrieben), evtl. des ganzen Halses
Differenzialdiagnostisch können gleiche oder ähnliche Symptome auch durch eine Kehlkopfdiphterie (echter Krupp; sehr selten) hervorgerufen werden. Der Beginn ist jedoch langsamer und im Rachenraum finden sich typische grau-weiße Membran- / Schleimhautbeläge. Ggf. auch an Fremdkörperaspiration denken. Alarmzeichen für eine Lebensbedrohung sind: periorale Blässe, Zyanose, Tachypnoe, Tachykardie (präfinal: Bradykardie!).
11.5 · Invagination
11
337
Invagination
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Definition Einstülpung des Dünndarms (meist im Bereich des Übergangs vom Dünndarm in den Dickdarm = Ileozökalbereich). Durch die Darmperistaltik wird diese Einstülpung dann weiter vorangeschoben.
proximal Æ (Magen)
Æ
distal (After)
Invagination allgemein
normaler Ileozökalbereich
Invagination im Ileozökalbereich
Ursachen: Z. B. Entzündungen, Organ-Adhäsionen, Polypen. Gefahr: Da das Mesenterium mit den versorgenden Blutgefäßen mit eingestülpt wird, kommt es im betroffenen Darmabschnitt zu Minderdurchblutung (Ischämie; arterielle Gefäße abgedrückt) und Schleimhautblutungen bzw. Blutaustritt in das Darmlumen (venöse Stauung). Verlauf: Bei Ausbleiben entsprechender Behandlung kommt es zum Bild des Akuten Abdomens mit Ileus und Peritonitis bis hin zum Tod. In der Klinik: Devagination wird oft mittels Kontrastmitteleinlauf erreicht. Ggf. muss operativ eingegriffen werden.
Symptomatik • Alter meist zwischen 3. und 36. Monat, meist Buben • Beginn aus voller Gesundheit heraus oder bei Durchfallerkrankungen: Plötzliches Auftreten der Symptomatik des Akuten Abdomens mit schwersten krampfartigen Bauchschmerzen, die anfallsweise auftreten • Aufschreien und Zusammenkrümmen, Angst, Kaltschweißigkeit, Erbrechen • Zwischen den Schmerzattacken evtl. beschwerdefrei • Blutiger Stuhl, Blut und Schleim am rektal untersuchenden Finger • Evtl. walzenförmige Masse im Bauch tastbar
Notfalltherapie • Vorgehen wie bei Akutem Abdomen (s. S. 290 ff.) • Bei Verdacht auf Invagination: Einweisung in eine Kinderklinik. • Orale Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme sind wegen evtl. bevorstehender Operation kontraindiziert.
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Kapitel 11 · Pädiatrische Notfälle
Krampfanfall Pädiatrische Notfälle
Differentialdiagnose des kindlichen Krampfanfalles Bei Kindern treten Krampfanfälle vor allem in folgenden Formen auf: a) Zerebraler Krampfanfall Chronische Disposition: • Epileptischer Anfall: angeborene / erworbene Epilepsie (Blitz-NickSalaam, Absencen, Pyknolepsie, Grand-Mal usw.; vgl. S. 196 f.) Gelegenheitskrampf: • Fieberkrampf: Alter des Kindes meist zwischen 6 Monaten und 5 Jahren. Hinweis: Ab einer Krampfdauer über 10 min spricht man auch von einem komplizierten Fieberkrampf. • Infekt-Krampf: z. B. durch Meningitis (Symptom: Nackensteifigkeit). • Exsikkotischer Krampf: Flüssigkeitsmangel (erkennbar z. B. an stehenden Hautfalten), z. B. bei Dehydratation durch Infektion. • Hitze-Krampf: Hitzschlag (z. B. Kind im heißen Auto gelassen), Sonnenstich (Sonneneinstrahlung auf ungeschützten Kopf ➯ Symptom: hochroter Kopf) (s. Kapitel 13). • Toxischer Krampfanfall: Vergiftung (daran denken!! ➯ Ursache behandeln.) • Posttraumatischer Krampfanfall: nach Schädel-Hirn-Trauma (Commotio cerebri, Blutung u. ä.) b) Primär nicht zerebraler Krampfanfall / Bewusstseinsstörung • Affekt-Krampf: Angst, Wut, Schmerz, Tadel, Schreck, Sturz können bei Säuglingen und Kleinkindern oft als Trotzreaktion (meist Alter 6 - 18 Monate) Schreikrämpfe auslösen. Davon sind ungefähr 4 % aller Kinder unter 5 Jahren betroffen. Der Mechanismus verläuft entsprechend einer Hyperventilationstetanie (Hypokapnie ➯ Engstellung der Hirngefäße ➯ Synkope, Atemstillstand bis hin zu Zyanose und Krampfanfall). Ein Affektkrampf dauert in der Regel nicht länger als 1 Minute, ist aber notfallmäßig von einer anderen Anfallsform nicht abgrenzbar (höchstens Verdacht). Abklärung in der Klinik wie bei jedem anderen Krampfanfall. • Synkope: (s. 188 ff.): Vor allem bei älteren Kindern. • Hypoxämischer Anfall: durch kardial bedingten Sauerstoffmangel (s. S. 346). c) Ansonsten können einem kindlichen Krampfanfall ebenfalls Ursachen wie beim Erwachsenen zugrunde liegen (außer Eklampsie): Stoffwechselstörungen (z. B. Unterzuckerung ➯ Blutzuckertest!), Tumor, Schädel-HirnTrauma (an sub- / epidurale Blutung denken), Stromunfall.
11.6 · Krampfanfall
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Krampfanfall Symptomatik • Zunächst tonische, später klonische Krämpfe (Sekunden bis zu einer Stunde) • Bewusstseinsstörungen bis Bewusstlosigkeit (evtl. bereits Nachschlaf) • evtl. Atemstillstand, Blässe, evtl. Zyanose, evtl. Pressatmung • evtl. Seitensymptomatik oder nur eine Extremität betroffen (fokaler Anfall) • Amnesie (Gedächtnislücke), Urin- / Stuhlabgang • weite lichtstarre Pupillen • Puls tachykard, evtl. Herzgeräusche (➯ Hypoxämischer Anfall) • evtl. Hautturgor herabgesetzt / stehende Hautfalten (➯ Exsikkose) • evtl. Fieber, Schwitzen (➯ Infektion) • evtl. Hypoglykämie • evtl. Erbrechen, andere unklare, plötzlich aufgetretene Symptome (➯ Vergiftung, Infektion, Exsikkose, Hitzschlag) • evtl. Geschehnisse, die vor dem Anfall vorgefallen sind (➯ Unfall)
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen • Schutz vor Verletzung: Platz schaffen, Kleidung lockern, evtl. Beißschutz (nicht erzwingen!) • Blutzuckertest (bei Säuglingen Entnahme des Bluttropfens aus der Ferse) • bei Fieberkrampf: kalte Umschläge, Wadenwickel • Untersuchung, Standardtherapie (auf jeden Fall venöser Zugang!) • Bei Krampfanfall immer Klinikeinweisung. Medikamente: • Benzodiazepine, z. B. Diazepam rektal (<15 kg KG: 5 mg rektal; >15 kg KG: 10 mg rektal)/ z. B. Diazepam i.v. (0,3 - 0,5 mg / kg KG i.v.) • bei Status epilepticus als Ultima Ratio: Barbiturate, z. B. Thiopental-Natrium (3 - 5 mg / kg KG i.v.) Beachte: Intubation, Beatmung ! • bei Hypoglykämie: Glukosegabe nach Bedarf (10-20%ige Lösung) • bei Fieber über 38,5° zusätzlich zur Diazepamtherapie: Antipyretika, z. B. Paracetamol-Supp. (Säuglinge: 125 mg rektal / Kleinkinder: 250 mg rektal) • bei Exsikkose: Volumensubstitution (VEL: 10 - 20 ml / kg KG i.v.)
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Kapitel 11 · Pädiatrische Notfälle
Dehydratation Pädiatrische Notfälle
Definition: Wasser- und Elektrolytverlust mit folgender Teilnahmslosigkeit (Apathie) und Bewusstseinsstörungen. Ursachen • Vor allem Darminfektionen und -erkrankungen, Erbrechen. • Grundsätzlich kann jede Infektionserkrankung (viral / bakteriell) durch mangelnde Flüssigkeitsaufnahme, starke Flüssigkeitsausscheidung und Störungen im Wasser-Elektrolyt-Haushalt zu einer Dehydratation führen, z. B. Pneumonie, Meningitis. • Blutverluste, Verbrennung. • Diabetes mellitus / insipidus (selten), Adrenogenitales Syndrom (selten). • Unzureichende Flüssigkeitsaufnahme (Nahrung). Der tägliche Wasserbedarf eines Säuglings beträgt 100 - 140 ml / kg KG im Gegensatz zum Erwachsenen, der mit 50 - 70 ml / kg KG / d auskommt. Schweregrade der Dehydratation nach klinischen Zeichen (bei isotoner und hypertoner Dehydratation) Schweregrad Körpergewichtsverlust Schleimhäute
I 1-5% trocken
Hautspannung (Turgor)
normal
II 5 - 10 % trocken bis spröde vermindert
Puls
normal
schnell, flach
Blutdruck Flüssigkeitskorrektur (ml VEL / kg KG / 24 h)
normal 25 - 50
normal 50 - 75
III > 10 % trocken, spröde, rissig stehende Hautfalten schnell, flach, evtl. nicht tastbar erniedrigt 75 - 120
Besonders zu beachten: Meningokokkensepsis (sogenanntes WaterhouseFriedrichsen-Syndrom; selten): Akute Entstehung eines Endotoxinschocks mit massiven Gerinnungsstörungen im Rahmen einer Meningokokken-Meningitis. Symptomatik: Rasche Entwicklung von Haut- und Schleimhautblutungen (stecknadelkopfgroße Petechien am ganzen Körper infolge einer Verbrauchskoagulopathie), klinische Zeichen eines septischen Schocks (s. S. 236), Fieber bis 40 °C oder darüber, oftmals vorausgehender Infekt der oberen Luftwege. Neben der üblichen Notfalltherapie bei Infektion / Fieber(krampf) usw. ist eine sofortige Einweisung unter Notarztbegleitung in eine Kinderklinik notwendig. Hohe Letalität. Ggf. Notfallantibiose (vgl. S. 236).
11.7 · Dehydratation
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11
Dehydratation Symptomatik • Erbrechen, Durchfall, Oligurie • allgemeine Schwäche, Lethargie, Trinkunlust / Durst, Unruhe, Erregung, evtl. Krämpfe • Vorerkrankungen (evtl. Infektion bekannt), Fieber • Risiko-Alter: vor allem 1. und 2. Lebensjahr • Bewusstseinstrübung bis Bewusstlosigkeit • schnelle, flache Atmung • schneller, flacher Puls, evtl. Blutdruckabfall, Blässe, evtl. Zyanose • tiefliegende / eingesunkene / weit offene / umränderte (halonierte) Augen • eingesunkene Fontanelle (Säugling) • herabgesetzter Hautturgor, stehende Hautfalten, trockene Schleimhäute • Zentralisation: kalte Extremitäten (grau-blass) / bei Sepsis bzw. septischem Schock evtl. auch warme / heiße Haut (gerötet) • punktförmige (petechiale) Blutungen (bei Meningokokkensepsis), evtl. Nackensteifigkeit (Meningismus)
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen • Wärmeerhaltung / bei Fieber: z. B. kalte Wadenwickel (nicht wirksam bei Zentralisation), Infusion vorbereiten • evtl. bei leichter Form: Versuch der oralen Rehydratation durch Gabe einer Glukose-Elektrolytlösung (teelöffelweise) (Voraussetzungen: Alter > 6 Monate und kein Erbrechen; keine Bewusstseinstrübung) • Klinikeinweisung oder Vorstellen beim Kinderarzt (leichte Form) • Untersuchung (Blutzuckertest), Standardtherapie • venöser Zugang; Infundieren von VEL (10 - 20 ml / kg KG / h) Medikamente: • bei Fieber: Antipyretika, z. B. Paracetamol (125 - 250 mg rektal)
Praxistipps • Wegen Gefahr der Auslösung / Verstärkung eines Hirnödems keine elektrolytfreien Infusionslösungen (wie Glucose 5 %) verwenden! • Bei Gewichts- (= Flüssigkeits-)verlust über 10 % (Säugling) bzw. 6 % (älteres Kind) des ursprünglichen Körpergewichtes: akute Schockgefahr!
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Pädiatrische Notfälle
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Kapitel 11 · Pädiatrische Notfälle
Plötzlicher Säuglingstod (SID) Definition: Als „Plötzlicher Säuglingstod“ - SID = Sudden Infant Death - („Plötzlicher Kindstod“, „Krippentod“) wird der plötzliche und unerwartete Tod eines zuvor normal und gesund erscheinenden Säuglings bezeichnet. Die Diagnose SID ist nur durch eine Obduktion möglich. Basisinformationen zu SID • Todeseintritt fast ausschließlich im Schlaf • Oft begleitet von banalen Atemwegsinfekten • Inzidenz: 1 / 1500 Lebendgeborene; bedeutenster Anteil der postneonatalen (7. Lebenstag bis Ende 1. Lebensjahr) Säuglingssterblichkeit • Häufigkeitsmaximum: 2. - 4. Lebensmonat • Der SID tritt weltweit auf und kommt in allen sozialen Schichten vor. Ätiologie und Pathogenese sind noch nicht geklärt. Bisher sind lediglich Risikofaktoren bekannt; deshalb ist der SID für das einzelne Kind nicht vorhersagbar. Hochrisikogruppe (max. 20 % aller SID-Fälle) • Frühgeborene (vor der 33. SSW) • Kinder mit Geburtsgewicht unter 2 kg • Kinder drogenabhängiger Mütter • Nachfolgende Geschwisterkinder eines SID-Opfers • Zustand nach ALTE (s. u.) Weitere Risiken • Schlafen in Bauchlage (vor allem auf zu weicher Unterlage; kein erhöhtes Aspirationsrisiko in Rücken- oder Seitenlage!) • Rauchen (Mutter während Schwangerschaft / in der Umgebung des Kindes) • Nichtstillen oder frühes Abstillen • Überwärmung des Kindes (Kleidung, Raumtemperatur) Differenzialdiagnose ALTE (Apparently Life-Threatening Event) bzw. ALE Anscheinend Lebensbedrohliches Ereignis (früher Near-SID): Plötzliches Auftreten von • Apnoe • schlaffer Muskulatur • Zyanose / Blässe • Bradykardie Gezieltes Eingreifen (Basismaßnahmen) kann den Zustand beseitigen. Nach ALTE ist das SID-Risiko deutlich erhöht.
11.8 · Plötzlicher Säuglingstod/SID
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Plötzlicher Säuglingstod (SID) SID-Symptomatik • Zeichen von ALTE (s. vorherige Seite) • Herz-Kreislaufstillstand
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen • Einsetzen bzw. Fortführen von Reanimationsmaßnahmen (s. S. 329 ff.), sofern keine sicheren Todeszeichen vorliegen (Starre, Totenflecken) • Stabilisierung der Vitalparameter - Klinikeinweisung
Tipps • Zum Umgang mit Angehörigen bei SID s. Kapitel 15 • Obduktion anstreben (Ausschluss anderer Todesursachen / Entlastung der Familie v. a. vom Vorwurf Kindstötung / Gewinnung von Erkenntnissen über SID). • Keine Reanimation bei offensichtlichem Vorliegen sicherer Todeszeichen. (Diese mag zwar den RS / RA / NA gefühlsmäßig entlasten - schadet aber den Eltern!)
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Kapitel 11 · Pädiatrische Notfälle
Pädiatrische Notfälle
Kindesmisshandlung Die Komplexität des Themengebietes „Kindesmisshandlung“ erlaubt an dieser Stelle keinen Anspruch auf umfassende Beleuchtung aller Aspekte. Die folgenden Ausführungen verstehen sich als Gedankenanstoß und Anregung, sich mit dieser Thematik eingehender auseinanderzusetzen. Unter Kindesmisshandlung fasst man längst nicht mehr nur körperliche Übergriffe auf Kinder. Auch seelisch kränkende Behandlung, Vernachlässigung und Unterlassung körperlicher wie seelischer Pflege zählen dazu. Mit der Verdachtsdiagnose Kindesmisshandlung ist äußerst vorsichtig umzugehen. Für das rettungsdienstliche Vorgehen ist es primär nicht von Belang, ob eine Kindesmißhandlung tatsächlich vorliegt oder nicht, da der Beweis in der Regel nicht in der knappen Zeit vor Ort anzutreten ist. Wichtig ist es zwar, Dinge, die auf eine Kindesmißhandlung hinweisen können, unbedingt ernstzunehmen und nicht zu übersehen, doch sollte man sich auch davor hüten, vorschnell einen Verdacht zu äußern. Beachte: Indizien wie die folgenden (und auf der Notfallseite genannten) sind in jedem Falle im Kontext vor Ort zu beurteilen, da viele von ihnen auch im Rahmen einer ungestörten, normalen Kindesentwicklung vorkommen oder Folgen einer Erkrankung bzw. Verletzung sein können, die dem Kind nicht „misshandelnderweise“ beigebracht worden sind! Um falsche Interpretationen dieser unspezifischen Hinweise zu vermeiden, sollte man sich also die Frage stellen, ob diese nicht auch anders entstanden sein können (Plausibilität). • Auf Vernachlässigung hinweisende Symptome Mangelnde Körperhygiene, verwahrloste Kleidung, fehlende Aufsicht, Gedeihstörungen, schlechtes Wachstum. • Auf sexuelle Misshandlung hinweisende Symptome Zerrissene / blutige Unterwäsche, Juckreiz und Schmerzen im Genitalbereich, Weichteilverletzungen oder Blutungen im Genitoanalbereich, Schmerzen beim Sitzen oder Laufen (Differenzialdiagnose: Hodentorsion, akutes Abdomen usw.). • Auf seelische Misshandlung hinweisende Symptome Essstörungen, Schlafstörungen, Sprachstörungen, Verhaltensstörungen, fehlendes Selbstvertrauen, aggressives bzw. überangepasstes Verhalten, ängstlicher, wachsamer Blick des Kindes, Angst vor den Eltern, häufiges Schreien und Schreckhaftigkeit des Kindes, Entwicklungsrückstände.
11.9 · Kindesmisshandlung
345
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Kindesmisshandlung Symptome / Verdachtsmoment • Verschiedenste Verletzungen (z. B. multiple Blutergüsse in verschiedenen Abheilungsphasen; (Doppel-) Striemen; Bisswunden, ausgerissene Haare, zerissenes Frenulum der Oberlippe; Verbrennungen und Verbrühungen (z. B. durch Zigaretten, heißes Wasser, Herdplatte - besonders am Gesäß) • Schütteltrauma bei Säuglingen ➯ Hirnblutung • auch „normale“ oder „unfallartige“ Todesursachen können einer Kindesmisshandlung folgen (Vertuschen), z. B. Vergiftungen, Ertrinkungsunfall
Allgemeine Verdachtsmomente • hinausgeschobenes Rufen des Rettungsdienstes / des Arztes • häufiger Arztwechsel • inadäquate oder fehlende Erklärungen für Verletzungen • Verletzungen verschiedenen Alters und frühere Verletzungen • Differenzen bei der Schilderung des Unfallherganges (Vater - Mutter - Kind)
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen / Untersuchung, Standardtherapie • ggf. Behandlung vitaler Bedrohungen und der vorliegenden Verletzungsmuster / Erkrankungen • Beruhigung des Kindes; Ruhe, Sicherheit und Schutz ausstrahlen. • Weiteres Verhalten der Einsatzkräfte: 1. Immer stationäre Einweisung anstreben (Ziele: Behandlung der körperlichen Folgen der Misshandlung; Schutz vor weiteren Misshandlungen). 2. Verständnisvolles Abwickeln des Notfallereignisses und vertrauensvolle Abklärung als Voraussetzung für eine wirksame Langzeithilfe (z. B. Ernstnehmen der Eltern). 3. Bei Verweigerung der Hilfe / Mitfahrt und gleichzeitig bestehender Gefahr für das Kind (z. B. behandlungsbedürftige Verletzungen): Empfehlung: Arzt, Jugendamt, Vertrauensperson usw. einschalten; (Rechtsgüterabwägung Schädigung des Kindes - Schweigepflicht gegenüber Polizei u.a.!) Eine rechtlich unbedenkliche Weitergabe der Informationen ist nur an einen Arzt möglich, der mit der Weiterbehandlung des Kindes befasst ist, z. B. Äußerung der Verdachtsmomente gegenüber hinzugezogenem Arzt / aufnehmendem Klinikarzt ➯ dieser leitet ggf. weitere Schritte ein). 4. Bei einem Todesfall mit unsicherer Kausalität immer Autopsie anstreben! 5. Keine vorschnellen Schlüsse und emotionalen Überreaktionen!
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Kapitel 11 · Pädiatrische Notfälle
Hypoxämischer Anfall
Pädiatrische Notfälle
Definition: Akute Zyanose und Hypoxämie bei vorliegenden, meist angeborenen Herzfehlern mit Möglichkeit zu einem Rechts-Links-Shunt (s. u.). Häufigster entsprechender Herzfehler: Fallot-Tetralogie (Ventrikelseptumdefekt, Hypertrophie des rechten Ventrikels, Pulmonalstenose, reitende Aorta (nach rechts verlagerte Aorta „reitet“ über Ventrikelseptumdefekt, erhält daher Blut aus rechter und linker Kammer). Meist bei Säuglingen und Kleinkindern im Alter zwischen 3 und 18 Monaten mit angeborenem Herzfehler im Sinne eines großen Ventrikelseptumdefektes mit einer zusätzlichen Pulmonalstenose. Davon können auch Kinder betroffen sein, die ohne Anfall nicht zyanotisch sind !
Erklärung: Bei einem Rechts-Links-Shunt fließt venöses Blut unter Umgehung der Lungenstrombahn durch ein Loch in der Herzscheidewand direkt in den großen Kreislauf (Körperkreislauf); ➯ sauerstoffresistente Zyanose. Auslösung des Rechts-LinksShunts durch Aufregung, plötzliche Angst oder akute Anstrengungen.
Symptomatik: • zunächst kurzzeitige Blässe, Unruhe, Schwitzen • Hyperpnoe, akute Zyanose, Tachykardie • Muskelerschlaffung, Bewußtseinsverlust, Krampfanfall • evtl. Tod
Notfalltherapie: • Basischeck, Basismaßnahmen (insbes. Sauerstoffgabe mit hohem Flow !) • Passive Einnahme einer Knie-Brust-Haltung des Kindes. (Bei gebeugten Kniegelenken werden die Beine angewinkelt; dies entspricht der von diesen Kindern gelegentlich spontan eingenommenen Hockstellung. Wirkung der Hockstellung: durch die Hockstellung Erhöhung des systemischen Widerstandes, damit Erhöhung des Druckes im linken Ventrikel und Abnahme des Rechts-Links-Shunts.) • Untersuchung, Standardtherapie • Ggf. Intubation und Beatmung (Achtung: Beatmung erhöht den Druck im Lungenkreislauf und verstärkt den Rechts-Links-Shunt!) • Medikamente: - Ggf. Morphin zur Sedierung (0,05 - 0,1 mg / kg KG) - Achtung: kein Digitalispräparat verabreichen! - Achtung: Medikamente mit Senkung des peripheren Widerstands (z.B. βMimetika) vermeiden! Gefahr der Zunahme des Rechts-Links-Shunts. - Ggf. β-Blocker (z. B. Esmolol) zur Erweiterung des Infundibulums (Ausflussbahn der rechten Herzkammer), Vormedikation beachten! • Einweisung in eine Kinderklinik
Kapitelübersicht
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12
Intoxikationen 12.1 Vorgehen bei Vergiftungen, Grundsätze ..................... 348 12.2 Giftinformation/Giftnotruf - Telefonnummern ............. 351 12.3 Antidota ...................................................................... 352 Spezielle Intoxikationen: 12.4 Alkylphosphate / Pflanzenschutzmittel ....................... 354 12.5 Verätzung ................................................................... 356 12.6 Psychopharmaka / Schlafmittel ................................... 358 12.7 Rauschdrogen ............................................................ 360 Ethanol ............................................................. 360 Methanol .......................................................... 362 Coffein / Nicotin ............................................... 363 Cannabis .......................................................... 364 Kokain ............................................................... 366 LSD ............................................................... 368 Opiate ............................................................... 370 Synthetische Rauschmittel ............................. 372
12.8 Toxische Gase ............................................................. 374 Reizgas / Rauchgas ........................................ 374 Kohlenmonoxid (CO) ...................................... 376 Kohlendioxid (CO2) .......................................... 377
11.9 Zyanid ......................................................................... 378 12.10 Paracetamol ............................................................. 380 • Zu Atropinvergiftung (z. B. Tollkirsche) vgl. S. 490. • Zu Digitalisvergiftung (z. B. Fingerhut) vgl. S. 499.
348
Kapitel 12 · Intoxikationen
Vorgehen bei Vergiftungen I
Intoxikationen
Sofortmaßnahmen 1. • Übersicht gewinnen - Übersicht behalten! • Rechtzeitig an die Möglichkeit einer Vergiftung denken. (Wenn Menschen plötzlich mit rasch zunehmenden Erscheinungen erkranken oder bewusstlos aufgefunden werden, muß der Verdacht auf eine Vergiftung entstehen.) • Nach Hinweisen suchen! Befragen (Patient, Angehörige etc.)! 2. Feststellen der Giftart und wenn möglich des Giftstoffes! (Wenn nicht zu ermitteln ➯ Probe sicherstellen.) 3. Eigenschutz in jeder Hinsicht beachten! (z. B. Kontamination mit Gift, Aggressivität des Patienten) 4. Ggf. weitere Einsatzkräfte anfordern! (z. B. Polizei, Feuerwehr, LNA) 5. Begleitumstände (Ursache der Vergiftung) abklären! Beantwortung der 7 kriminalistischen „W“-Fragen zur Klärung der Situation: Was liegt vor? Wie wurde das Gift aufgenommen? • Nahrungsmittelvergiftung • oral / Inhalation / Injektion (Mitvergiftete?!) Warum kam es zur Vergiftung? • Überdosierung • Selbsttötungsversuch • Allergie (Anaphylaxie!) • Medikamentensucht Womit entstand die Vergiftung? • Verwechslung / spielende Kinder • Giftart und -menge • kriminelles Delikt • Kombination von Giften Wo ereignete sich die Vergiftung? • Trägersubstanz Welche (evtl. schädlichen!) Wann wurde das Gift Maßnahmen haben Laien/ (mutmaßlich) aufgenommen? Ersthelfer bereits unternommen? (Z. B. Salzwasser, Milch, Erbrechen bei Lampenöl.)
Therapie 1. 2. 3. 4.
Unterbrechen der Giftaufnahme bzw. des Kontaktes zum Gift Ggf. Rettung. (Beachte den Eigenschutz!) Basischeck, Basismaßnahmen Möglichst frühzeitig Informationen zur vorliegenden Vergiftung einholen und weitere Vorgehensweise abklären: • Giftwirkung? • Wie kann es entfernt werden? • Ist eine Antidottherapie möglich / nötig? • Kontraindikationen für die Giftentfernung? • Spezielle Anforderungen an die Zielklinik (z. B. Hämodialyse)?
12.1 · Grundsätze
349
12
Vorgehen bei Vergiftungen II ➯ beispielsweise eine Vergiftungszentrale (Liste s. S. 351) konsultieren (dabei mitteilen: Giftstoff (genauer Name), Patient (Alter, Gewicht, Geschlecht), Aufnahmeweg, möglichst genaue Giftmenge, Aufnahmezeit, Symptomatik, telefonische Erreichbarkeit vor Ort). Grundsatz: Erst informieren, dann handeln! Übereiltes oder falsches Handeln kann gefährlicher sein, als die eigentliche Vergiftung! 5. Spezifische Maßnahmen: • Antidottherapie angezeigt und möglich ? Wenn ja ➯ Durchführen (s. Tabelle S. 352 f.) • Je nach Aufnahmeweg: - Ggf. Verdünnung des Giftstoffes; z. B. kohlensäurefreies Wassertrinken lassen (nicht bei ätzenden Giftstoffen in größerer Menge! ➯ Druckerhöhung, exotherme Reaktion, Perforation.) a) Nicht orale Aufnahme • Entfernung des Giftes vom / aus dem Körper; z. B. - Verbringung an die frische Luft - Entkleiden / Hautreinigung / Augenspülung - Bei Schlangenbiss: Informationen über die Schlange bei einer Vergiftungszentrale einholen; unter bestimmten Umständen müssen Giftschlangenbesitzer ein Serum bevorraten (z. B. Schlangenfarmen) bzw. Informationen über ein Gegengiftdepot bereithalten. • Beschleunigung der Giftausscheidung / Steigerung der körpereigenen Giftentfernung; - Forcierte Ventilation (bei Gasvergiftung): Abatmen - Forcierte Diurese (Klinik): Ausscheidung mit dem Urin b) Orale Aufnahme Auch eine länger zurückliegende Vergiftung spricht nicht unbedingt gegen eine Anwendung der Aktivkohlegabe, des induzierten Erbrechens und der Magenspülung (z. B. enterohepatischer Kreislauf, anticholinerge Wirkung). I. Medizinische Kohle ist bei leichten bis mittelschweren Vergiftungen in vielen Fällen als alleinige Therapie ausreichend (Giftbindung / Resorptionshemmung)! • Aber: Hohe Dosierung: Etwa 0,5 - 1 g / kg KG p. o.! (Vgl. S. 524.) • Vorsicht: Aspirationsgefahr bei Gegenwehr / Bewusstseinsstörung! Ggf. Gabe über Magensonde (außerdem ggf. Gift absaugen). • Kontraindiziert wegen fehlender Wirkung / zusätzlicher Gefahren bei: Methanol, Ethanol, Glykol, den meisten Schwermetallen, Lithium, Ätzstoffen (nur bei gegebener Indikation verabreichen) • Bei gegebener Indikation soll die Kohlegabe durch keine der folgenden Maßnahmen verzögert werden!
350
Kapitel 12 · Intoxikationen
Intoxikationen
Vorgehen bei Vergiftungen III II. Wenn Aktivkohlegabe - bei leichter / mittelschwerer Vergiftung durch den Patienten verweigert wird - oder eine schwere bis lebensbedrohliche Vergiftung zu erwarten ist: Erbrechen auslösen (insbesondere bei Kindern: medikamentös). Kontraindikationen: Säuglinge, [Kleinkinder], vorhandene oder durch die Vergiftung bald zu erwartende Bewusstseinsstörung, Verätzung (z.B. Säuren/ Laugen), Lampenöl, organische Lösungsmittel (z. B. Benzin), schäumende Substanzen (z. B. Spülmittel). Entferntes Gift aufbewahren! ➯ z. B. Diagnostik, Beweismittel. III.In Ausnahmefällen Magenspülung. Indikation: Zu erwartende schwere bis lebensbedrohliche Vergiftung mit Kontraindikation gegen Erbrechen. Spezielle Beispiele: Alkylphosphate (z. B. E 605 ®), Zyanide und halogenierte Kohlenwasserstoffe. Außerdem bei trizyklischen Antidepressiva erwägen. Längere Anfahrtswege bis zur Klinik (sonst ggf. dort Erbrechen / Spülung) können auch eine Indikation sein. Vorgehen: • Bei bewusstseinsgetrübten Patienten und (Klein-) Kindern nur unter endotrachealer Intubation (Aspirationsschutz)! • Einlegen eines großlumigen Magenschlauches • Spülung mit Einzelportionen von max. 100 - 200 ml (Erwachsene: lauwarmes Wasser) / 5 ml / kg KG (Kinder: warme NaCl 0,9 %) • Erste Spülung asservieren! • Die Beendigung der Spülung darf sich nicht unbedingt an der Klarheit der zurückfließenden Lösung orientieren (oft nach wenigen Litern beim Erwachsenen), da auch in klaren Lösungen noch relevante Giftmengen enthalten sein können. Beim Erwachsenen sollten durchaus Spülungen mit mehr als 20 - 40 Litern in Betracht gezogen werden. Daher, und weil die Spülung auch einen Teil des Mageninhalts darmwärts verlagert, ist auch gegen eine Kohlegabe vor Magenspülung nichts einzuwenden. • Abschließend (erneut) medizinische Kohle über Magenschlauch geben. 6. Lückenlose Überwachung des Vergifteten. Rechtzeitige Dokumentation. 7. Der bequeme Rat, zu einem späteren Zeitpunkt einen Arzt aufzusuchen, kann zum letalen Ausgang einer Vergiftung führen und ist daher nie angebracht; sofortige stationäre Einweisung. 8. Asservierung (Giftsicherstellung und -nachweis); z. B. Urin, Venenblut, Erbrochenes, Stuhl, Giftreste. Dabei alle Proben mit Inhalt und Uhrzeit beschriften. 8. Rechtliche Probleme bei akuten Vergiftungen beachten. Dokumentation ! Schweigepflicht! Behandlungs- / Mitfahrverweigerung s. S. 92 ff. 9. In der Klinik: Je nach Fall: Magenspülung, Peritonealdialyse, Hämodialyse, Hämoperfusion, Ultrafiltration, Blutaustausch, forcierte Diurese, Einlauf etc.
12.2 · Giftinformation
351
12
Giftnotruf - Telefonnummern
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Aus der Vielzahl der verschiedenen chemischen Substanzen mit toxischer Wirkung für den menschlichen Organismus, die sich als Gebrauchsstoffe, Arzneimittel usw. im Umlauf befinden (hunderttausende), ergibt sich, dass es im Rahmen eines Taschenbuches nicht möglich ist, zu allen denkbaren Vergiftungen die notwendigen Informationen bereitzustellen. Wir empfehlen bei Bedarf die Nachfrage bei einer Vergiftungszentrale vom Einsatzort aus: Der Sachkundige kann flexibel auf das Notfallgeschehen eingehen, hat Zugriff auf große Datenmengen und kann so selbst in ausgefallenen Situationen schnell die Fragen z. B. nach Art und Wirkung des Giftes, Eigenschutz, Sinn einer Magenspülung, möglicher Antidottherapie und Anforderungen an das Zielkrankenhaus beantworten. Ggf. kann auch die Rettungsleitstelle die Informationen bei einem Vergiftungszentrum für das Team vor Ort besorgen.
Telefonische Erreichbarkeit überregional arbeitender Informations- und Behandlungszentren für Vergiftungen: BERLIN (PLZ 14050) (Berlin, Brandenburg)
(0 30) 1 92 40 BERLIN (PLZ 13353) (0 30) 45 05 35 55 BONN (PLZ 53113) (GIZ Nordrhein-Westfalen)
(02 28) 2 87 32 11 ERFURT (PLZ 99089) (GIZ Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen)
(03 61) 730 730 FREIBURG (PLZ 79106) (Baden-Württemberg)
(07 61) 1 92 40
GÖTTINGEN (PLZ 37075) (GIZ-Nord: Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein)
(05 51) 1 92 40 HOMBURG/SAAR (PLZ 66424) (Saarland)
(0 68 41) 1 92 40 MAINZ (PLZ 55131) (Hessen, Rheinland-Pfalz)
(0 61 31) 1 92 40 (0 61 31) 23 24 66 MÜNCHEN (PLZ 81675) (Bayern)
(0 89) 1 92 40 NÜRNBERG (PLZ 90419) (09 11) 3 98 24 51
Bundeseinheitlich soll in Zukunft ausschließlich die Rufnummer 19240 für die in der Bundesrepublik Deutschland regional primär zuständigen (s. Postleitzahl / Bundesland) Giftnotrufzentren gelten (zuzüglich Ortsnetz-Vorwahl), z. Zt. ist das System noch nicht flächendeckend. Andere Rufnummern verlieren nach einer Übergangsfrist ihre Gültigkeit.
Bei besonderen toxikologischen Fragestellungen, die sich bei Gefahrgutunfällen oder Unfällen mit definierten Chemikalien in Haushalt und Gewerbe ergeben, bietet TUIS (Transport-Unfall-Informations- und Hilfeleistungssystem des Verbandes der chemischen Industrie) für autorisierte Behörden (Einsatzleiter) ggf. auch dem Rettungsdienst einen kompetenten Ansprechpartner. (Sollte im Einsatz die Feuerwehr beteiligt sein, wird der Kontakt i. d. R. durch diese hergestellt.) Z. B. können Angaben zur Hautresorption, Dekontamination und Antidottherapie erhalten werden. Über die Leitstellen verschiedener angeschlossener Werkfeuerwehren kann rund um die Uhr sachkundige telefonische Beratung vermittelt werden (Stufe 1 des Hilfsangebotes), z. B.:
BASF AG, Ludwigshafen Bayer AG, Leverkusen Hoechst AG, Frankfurt am Main
Tel.: (06 21) 6 04 33 33 Tel.: (02 14) 30 30 30 Tel.: (0 69) 3 05 64 18
352
Kapitel 12 · Intoxikationen
Wichtige Antidota I Diese Tabelle liefert nur einen groben Überblick; die wichtigsten Antidota sind in den Medikamentenbeschreibungen ab S. 479 ausführlicher dargestellt (Wirkstoffe alphabetisch geordnet). Einige Antidota, die im Rettungsdienst selten zum Einsatz kommen, sind kurz im Index der Notfallmedikamente (ab S. 460) beschrieben.
Intoxikationen
Antidot
Gift
Dosierung
Acetylcystein (ACC) Paracetamol (vgl. S. 380, 543) Fluimucil® (vgl. S. 480)
150 mg / kg KG über 15 min i.v.
Atropin (vgl. S. 490) Atropinsulfat Braun Atropinum sulfuricum „Eifelfango“
• Phosphorsäureester • Carbamate • andere Parasympathomimetika (z. B. Physostigmin) (vgl. S. 354 f.)
initial 10-15 mg in 15 min i.v., danach gerade so viel, dass die Bronchien nicht verschleimen und die HF im physiologischen Bereich ist! (ca. 0,5-2 mg / h i.v.)
Biperiden (vgl. S. 491) Akineton®
• Medikamente, die extrapyramidale Symptome hervorrufen (z. B. Neuroleptika) • Nikotin (z. B. Zigaretten) • org. Phosphorverbindungen
Erwachsene: 2,5 - 5 mg i.v. Kinder (6 - 10 J.): 3 mg i.v. Kinder (1 - 6 J.): 2 mg i.v. Säuglinge: 1 mg i.v.
Beclomethason (AeroBec®, Junik®, Ventolair®)
Rauchgas-/Reizstoffinhalation
initial 4 Hübe zu je 0,1 mg (alternativ: evtl. i.v.-Gabe) vgl. S. 525 ff.
Calcium(gluconat)
• Calciumantagonisten (z. B. Nifedipin)
fraktionierte Gabe von 10 - 40 ml einer 10 %igen Lösung
• Flusssäureverätzung
betroffenes Gebiet waschen, ggf. infiltrieren/intraarteriell
Calcedon® Calciretard ® Calcitrans®
4-Dimethyl-aminophenol-HCl (DMAP) [4-DMAP] s. S. 464 Dimercaptopropansulfonsäure (DMPS) [DMPS-Heyl®] s. S. 464 Ethanol (vgl. S. 507) Alkohol-Konzentrat 95 % Braun
Methanol (wenn Inkorporation > 100 mg / kg KG)
initial 600 mg / kg KG i.v., anschl. 100 mg / kg KG / h über ein exaktes Dosier system
Nennung weiterer Antidota auf S. 458! Dort Verweis auf weitere Erläuterungen.
12.3 · Antidota
353
12
Wichtige Antidota II Antidot Flumazenil (vgl. S. 513) Anexate® 0,5 / 1,0
Gift Dosierung Benzodiazepine initial 0,2 mg i.v. (keine Routineanwendung; nach 1 min je nach Bewussthäufig Mischintoxikation seinsgrad 0,1 mg i.v., weitere mit nicht antagonisierGaben bis zu einer Gesamtdosis baren Substanzen) von 1 mg möglich
Ipecacuanha-Sirup Sirupus Ipecacuanhae SR 90 (Orpec®) vgl. S. 522
verschiedene orale Vergiftungen (Emetikum)
• Kleinkinder (1-3 J.): 20 ml p.o. • Kinder > 3 J. /(Erw.): 30 ml p.o. anschl. min. 100-200 ml Wasser p.o. Latenz von bis zu 20 min beachten!
Medizinalkohle Kohle-Compretten® Kohle-Pulvis Ultracarbon® (vgl. S. 524)
verschiedene orale Vergiftungen (Giftbindung)
Anzustreben: 0,5 - 1 g / kg KG p.o.: • Pulver: 10 g in 40 - 80 ml Wasser oder Tee, ggf. wdh. • Compretten: bis zu 50 Stück in Wasser, ggf. wdh.
Naloxon (vgl. S. 538) Narcanti®
Opiate
Erwachsene: initial 0,1 mg i.v. Säuglinge und Kinder: initial 0,01 mg i.v. (Verdünnen, Titrieren !)
Natriumthiosulfat [S-Hydril®] s. S. 470 Obidoximchlorid (vgl. S. 471) Toxogonin® Paraffinöl Physostigmin (vgl. S. 546) Anticholium®
Phosphorsäureester, erst Atropin, dann Thiophosphorsäureester • Erwachsene: 250 mg i.v. • Kinder: 4 - 8 mg / kg KG i.v. S. Bemerkung auf S. 472 • Atropin • Phenothiazine • tri- und tetrazyklische Antidepressiva
• Erwachsene: 2 mg i.v. • Kinder: 0,5 - 1 mg i.v.,
Pyridostigminbromid (vgl. S. 551) Kalymin® Mestinon®
nicht depolarisierende Muskelrelaxanzien
erst Atropin, dann 0,05 - 0,15 mg / kg KG i.v. (vorsichtig titrieren), maximal 10 mg
Simethicon dremisan ® Espumisan® sab simplex®
schaumbildende Substanzen (Tenside)
mind. 1 Teelöffel sab simplex® p.o. (1-2 ml entspr. 25-50 Tr./70-140 mg) Bei anderen Präparaten Wirkstoff mengen beachten (vgl. S. 557).
Toloniumchlorid Toluidinblau (vgl. S. 476)
• Nitrate, Nitrite • aromatische Amine • 4-DMAP
2 - 4 mg / kg KG i.v., ggf. Wiederholgungsgabe nach 30 min
354
Kapitel 12 · Intoxikationen
Alkylphosphate (Organophosphate)/Pflanzenschutzmittel
Intoxikationen
Alkylphosphate (Phosphorsäureester, organische Phosphorverbindungen) werden vor allem als insektizide Pflanzenschutzmittel und Kampfstoffe eingesetzt). Beispiele für Alkylphosphat-Pflanzenschutzmittel: Parathion [E 605® forte, Ecombi®, Folidol®-Öl], Phosalon [Rubitox® Flüssig / Spritzpulver], Phosphamidon [Dimecron® 20], Oxydemeton-methyl [Dipterex®, Ecombi®, Metasystox® R / R spezial], Methidathion [Ultracid® 40]. Wirkung: Alkylphosphate blockieren die Acetylcholinesterase, sie sind Acetylcholinesterase-Hemmer. Damit wird das ständig an der Nervenendplatte ausgeschüttete Acetylcholin nicht mehr gespalten; es kommt zu einem „Acetylcholin-Überschuss“ mit Übererregung des Parasympathikus (N. vagus). Reversible Acetylcholinesterase-Hemmer werden als Medikamente benutzt, z. B. als Antidot bei Atropinvergiftung (Physostigmin). Folgen: 1. Muskarinartige Wirkung (an parasympathischen Nervenendigungen): Pupillenverengung, gesteigerter Tränen- und Speichelfluss, Augenzwinkern, vermehrte Bronchialsekretion, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, bronchiale und intestinale Spasmen, Bradykardie. Hinweis: Die muskarinartige Wirkung der Alkylphosphate kann durch die Gabe von Atropin aufgehoben werden. 2. Nikotinartige Wirkung (an vegetativen Ganglien / motorischen Endplatten): Muskelschwäche, fibrilläre Muskelzuckungen, Myoklonie, evtl. tonisch-klonische Krämpfe. 3. Zentralnervöse Wirkung: Kopfschmerzen, Angstgefühl, Ataxie, Koma, Krämpfe, Atemlähmung. Eine besondere Erwähnung verdient an dieser Stelle das Unkrautbekämpfungsmittel Paraquat, welches sich in seiner Wirkung jedoch von den Alkylphosphaten unterscheidet: • Symptomatik der Vergiftung: Bauchschmerzen, Erbrechen, allgemeines Unbehagen und Schwäche. Reizung von Mund, Rachen und Speiseröhre. • Letale Dosis: 30 mg. Der Tod kündigt sich erst nach 1 - 2 Wo. Latenz (!) durch Dyspnoe und Lungenödem an und tritt durch massive Lungenfibrosierung (Ateminsuffizienz) ein. Daher frühzeitig bei entspr. Verdacht Erbrechen lassen, ggf. Magenspülung, Giftbindung (Medizinalkohle), Intensivüberwachung und -therapie!! Bei hohen Dosen können begleitend Leber- und Nierenschäden sowie Krämpfe auftreten. • Handelsnamen: Frankol-prompt ®, Diuron ®, Gramixel B ®, Gramoxone ®, Terraklene®, Simazin®. • Keine Sauerstoffgabe (in der Frühphase); Sauerstoff erhöht die toxische Wirkung des Paraquates im Lungengewebe) - initial i.d.R. keine Hypoxie.
12.4 · Alkylphosphate
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Alkylphosphate/Pflanzenschutzmittel Symptomatik • Miosis • gesteigert: Tränenfluss, Schwitzen, Speichelbildung (evtl. blauer Schaum vor dem Mund), Bronchialschleimabsonderung (Pseudolungenödem, Bronchorrhö) • Sehstörungen, Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, Übelkeit • Atemstörungen bis Atemstillstand, Bronchospasmus, Atemnot, Zyanose • Bewusstseinsstörungen bis Bewusstlosigkeit, Krämpfe • Blauverfärbung von Erbrochenem und Speichel (Färbung des Giftes) • Bradykardie, evtl. Tachykardie (bei hoher endogener Katecholaminkonzentration) • Hypotonie, evtl. Hypertonie (bei hoher endogener Katecholaminkonzentration) • Muskelzuckungen (v. a. im Wadenbereich sichtbar), später Lähmungen
Notfalltherapie • Eigenschutz: Kein direkter Hautkontakt! • Basischeck, Basismaßnahmen • kontaminierte Kleidung des Patienten entfernen; kontaminierte Haut abwaschen (weitere Resorption verhindern) • Untersuchung, Standardtherapie großzügige Indikation zu Intubation, Beatmung u. Magenspülung (vor Ort! > 100 l H2O ! Danach (erneute) Kohlegabe: 0,5 - 1 g / kg KG p. o. !) • Medikamente: Atropin (bei schwersten Vergiftungen initial 10 - 15 mg über 15 min i. v.; danach so wenig wie möglich, aber gerade soviel, dass die Bronchien nicht verschleimen und die Herzfrequenz im physiologischen Bereich ist) und Obidoximchlorid (ggf. nach Rücksprache mit einer Giftinformationszentrale sofort nach der ersten Atropingabe: Erw.: 250 mg / Kinder: 4 - 8 mg / kg KG i. v.) Achtung: Nicht bei Carbamaten (reversible Acetylcholinesterasehemmer)! (Bsp.: Pirimicarb [Pirimor®-Granulat])
Praxistipps • Unter keinen Umständen direkte Atemspende (Mund zu Mund oder zu Nase)! (Kontaktgift!) • Ziel der Atropingabe ist nicht das Wiederherstellen der Eigenatmung. Es soll lediglich die cholinerge Wirkung antagonisieren (guter Parameter: Herzfrequenz). Obidoximchlorid wirkt als Cholinesterasereaktivator.
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356
Kapitel 12 · Intoxikationen
Verätzung
Intoxikationen
Unter Verätzung (Korrosion) versteht man die Veränderung der Oberfläche von Haut oder Schleimhaut und deren fortschreitende Zerstörung durch Einwirkung chemisch reaktiver Substanzen (z. B. Säuren, Laugen, zugehörige Anhydride, bestimmte Salze). Mechanismen 1. Schnelle Erschöpfung der Pufferreserven des Gewebes. 2. In Abhängigkeit von Art, Konzentration, Menge, Ort der Einwirkung und Einwirkdauer (Unterbrechung durch suffiziente Erste Hilfe) kommt es durch Veränderung des pH-Wertes zur Strukturveränderung (Denaturierung) von Eiweißen: Gewebsnekrotisierung, Zelltod. 3. a) Bei Säuren entsteht eine Koagulationsnekrose: Die Gewebseiweiße gerinnen und flocken aus; es bildet sich eine säurebeständige Schicht. Dieser geschlossene Ätzschorf vermindert eine weitere Einwirkung der Säure. b) Die Einwirkung von Laugen (= Alkalien, Basen) führt zu einer Kolliquationsnekrose: Mit der Gewebszerstörung geht eine „Verflüssigung“ des Gewebes einher ➯ schnell fortschreitende Gewebszerstörung. Damit ist eine Laugenverätzung gefährlicher als eine Säurenverätzung. 4. Viele Ätzstoffe haben neben der Ätzwirkung weitere Eigenschaften, z. B. a) Oxidationswirkung (z. B. Salpetersäure) b) Hygroskopie (➯ Wärmebildung! Z. B. konzentrierte Schwefelsäure) c) Toxizität (z. B. Oxalsäure). Vorkommen und Eigenschaften spezieller Ätzstoffe (Auswahl) • Laugen: Spülmaschinenpulver, Fotoentwickler; Rohr- und Ofenreiniger; Anmerkung: tödliche Dosis bei Lithium-, Natrium- und Kaliumhydroxid 10 ml 15 %iger Lösung. • Säuren a) anorganische Säuren: • Flusssäure / Fluorwasserstoff: dringt tief ins Gewebe ein; fortschreitende Zerstörung; spezifische Maßnahmen: Unter- / Umspritzen mit 10 ml Calcium 10 %, intraarterielle Injektion oder orale Gabe von Calciumgluconat • Salzsäure / Chlorwasserstoff: tödliche Dosis 5 - 20 ml 33 %ig; weißer Ätzschorf • Schwefelsäure: tödliche Dosis 1 - 5 ml 98 %ig; bei konzentrierter Schwefelsäure schwarzer Ätzschorf; Vorkommen z. B. als Batteriesäure (Autobatterie: 30 %) • Salpetersäure: tödliche Dosis 5 - 10 ml; gelber Ätzschorf b) organische Säuren: Fleckenentferner, Entroster, unreife Früchte (häufig nicht sehr aggressiv; z.B. Zitronensäure, Milchsäure, Äpfelsäure, Essigsäure - cave: konzentrierte Essigsäure/Eisessig auch ätzend!)
12.5 · Verätzung
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Verätzung Symptomatik • Schmerzen • Hautveränderungen (weißer, gelbbrauner oder schwarzer Ätzschorf, Schwellung, Rötung) • bei Verätzung des oberen Verdauungstraktes: Speichelfluss, Heiserkeit, Übelkeit, Magenkrämpfe, blutiges Erbrechen, blutige Durchfälle • evtl. Schock, Krämpfe, Ateminsuffizienz
Notfalltherapie • Eigenschutz beachten (Umgebung absichern; Vorsicht bei Hautkontakt) • Basischeck, Basismaßnahmen, kontaminierte Kleidung entfernen • Haut / Schleimhaut: gröbere Partikel entfernen, kontaminierte Stellen ausgiebig (mindestens 30 Minuten) mit Wasser spülen. • Kein Erbrechen induzieren. Gefahr der erneuten Verätzung des Ösophagus bzw. Perforation desselben. Keine Gabe von „Hausmitteln“ wie z. B. Milch (diese erweicht die Zwischenzellverbindungen und fördert das Eindringen ätzender Substanz ins Gewebe!). • Untersuchung, Standardtherapie, ggf. Schocktherapie (s. S. 230 f.) • Medikamente: - Analgetika, z. B. Morphin (2 - 5 mg i.v.) - ggf. Benzodiazepine zur Sedierung, z. B. Diazepam (5 - 10 mg i.v.) - bei inhalativer Verätzung: Kortikoidinhaltation erwägen, z. B. BeclometasonDosier-Aerosol [z.B. Junik®] (inital 4 Hübe, wdh. nach Klinikaufnahme mgl. vgl. S. 525 ff.) - bei (per-)oraler Verätzung: evtl. i.v.-Kortikoide, z. B. Prednisolon (250 - 1000 mg i.v.)
Hinweise • Bei oraler Vergiftung immer an die Möglichkeit einer Aspiration oder eines Glottis-/Larynxödemes denken! • Fehlende Ätzspuren im Mundraum sprechen bei entsprechender Anamnese nicht gegen eine Verätzung von Speiseröhre oder Magen. • Bei hygroskopischen bzw. mit Wasser reagierenden Stoffen (z. B. ungelöschter Kalk): Vorsicht bei der Spülung; möglichst erst trocken abtupfen, dann zügig und reichlich spülen (Gefahr der forcierten Verätzung / Erhitzung). • Kliniktransport nicht durch Maßnahmen mit fraglicher Effektivität verzögern! (Voranmeldung, ggf. Endoskopie, Chirurgie)
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358
Kapitel 12 · Intoxikationen
Psychopharmaka / Schlafmittel
Intoxikationen
Psychopharmaka: Arzneimittel mit Wirkung auf Psyche und Bewusstsein. Nach ihrer Wirkung werden sie in verschiedene Gruppen eingeteilt: 1. Psychopharmaka allgemein a) Hypnotika (Schlafmittel): Barbiturate (z. B. Evipan ®), hypnotische Benzodiazepine (z. B. Midazolam [Dormicum ® ], Flunitrazepam [Rohypnol®], Oxazepam [Adumbran®]), Methaqualon, Bromide, Chloralhydrat [Chloraldurat®] b) Sedativa (Beruhigungsmittel): Benzodiazepine (in entsprechender Dosierung auch hypnotische Wirkung - s. o.) (z. B. Diazepam [Valium ®]), verschiedene Neuroleptika (s. u.) haben auch sedierende Wirkung (z. B. Haloperidol [Haldol ®], Droperidol [Dehydrobenzperidol ® ]), Clomethiazol [Distraneurin®] c) Antiepileptika (Medikamente mit antikonvulsiver = krampflösender Wirkung): Verschiedene Benzodiazepine (z. B. Clonazepam [Rivotril®], Diazepam [Valium®]), Phenobarbital [Luminal®], Carbamazepin [Tegretal®]; Valproinsäure [Convulex®], Phenytoin [Phenhydan®, Zentropil®] d) Psychostimulantien: Antidepressiva (s. u.), Coffein (s. S. 363), Nicotin (s. S. 363), Amphetamin (s. S. 372), Kokain (s. S. 366 f.) 2. Spezielle Psychopharmaka a) Neuroleptika: Hypnotikafreie Beruhigungsmittel (Sedativa) mit antipsychotischer Wirkung. Z. T. auch anticholinerge Wirkung Beispiele: Promethazin [Atosil ®], Haloperidol [Haldol ®], Droperidol [Dehydrobenzperidol ®], Levomepromazin [Neurocil ®], Triflupromazin [Psyquil®], Pipamperon [Dipiperon®] b) Tranquilizer: Hypnotikafreie Beruhigungsmittel (Sedativa) ohne antipsychotische Wirkung Beispiele: Bromazepam [Lexotanil®], Dikalium-Chlorazepat [Tranxilium®], Lorazepam [Tavor®], Chlordiazepoxid [Librium®] c) Antidepressiva: Psychopharmaka zur Therapie von Depressionen. Sie können stimmungsaufhellend (Thymoleptika) und hemmungslösend (Thymeretika) sein. Beispiele: Lithiumsalze [Quilonum®], tri- und tetracyclische Antidepressiva: Fluvoxamin [Fevarin ®], Amitryptilin [Saroten ®], Doxepin [Aponal ®], Maprotilin [Aneural®, Deprilept®], Trimipramin [Stangyl®] Gefahren der Schlafmittelvergiftung • Bewusstlosigkeit mit Erlöschen der Schutzreflexe (Aspiration) • Verlegung der Atemwege durch Zurücksinken des Zungengrundes • Atemlähmung (Atemdepression bis Atemstillstand) • Schock / Kreislaufdepression / Hypothermie
12.6 · Psychopharmaka
359
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Psychopharmaka / Schlafmittel Definition Überdosierung von Psychopharmaka akzidentieller (Unfall) oder suizidaler Art (vgl. Kapitel 15). Häufig mit Alkoholabusus kombiniert oder Mischintoxikation!
Symptomatik • Bewusstseinsstörungen, Atemstörung • verlangsamte / fehlende Reflexe; Hypotonie, Bradykardie, Schock • evtl. Hypothermie, Krämpfe, typ. Barbituratblasen an den Hautaufliegestellen
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen (Atmung!!) • bei initial voll erhaltenem Bewusstsein: den Patienten erbrechen lassen • Gift/Ausscheidungen sicherstellen; Untersuchung, Standardtherapie • Medikamente: • V. a. Benzodiazepinintoxikation: ggf. Flumazenil zur DD (initial 0,2 mg; weitere Gaben entsprechend Bewusstseinslage) - vgl. S. 513 • weitere spezifische Maßnahmen nach Kontakt mit der Giftnotrufzentrale (s. S. 351), z.B. Natriumbicarbonat i.v. bei Intoxikation mit trizyklischen Antidepressiva (vgl. S. 539).
Praxistipps • Patienten mit Schlafmittelvergiftung sollten generell wegen verzögertem Wirkungseintritt / Selbsttötungsgefahr als vitalbedroht eingestuft werden (klinische Überwachung, keine Mitfahrverweigerung akzeptieren). • Besonderheiten: Hypnotika: Jede Hypnotikaintoxikation muss der stationären Behandlung zugeführt werden. • Lithium: spezielle Symptome: Magen-Darm-Beschwerden (Übelkeit, Erbrechen, Durchfälle), starker Tremor (Fingerzittern - geringgradig bei Lithium normal), Krämpfe, neurologische Ausfälle, keine Diuretika (hemmen die Lithiumausscheidung) • tricyclische und tetracyclische Antidepressiva: spezielle Symptome: anticholinerge Symptome, Krämpfe, Herzrhythmusstörungen bei anticholinerger Symptomatik: Physostigmin als Antidot (s. S. 546). Frühzeitige Magenspülung (ggf. präklinisch), ggf. Behandlung von Herzrhythmusstörungen • Neuroleptika (häufig auch auch Metoclopramid = Paspertin®! z.T. bei Überempfindlichkeit, z.T. bei Überdosierung): hyperkinetisch-dystones Syndrom; Antidot Biperiden (s. S. 491). • Möglichkeit des Scheintodes (Vita reducta): Zustand tiefer Bewusstlosigkeit mit klinisch unsicheren Todeszeichen (fehlende / kaum nachweisbare Atmung, Puls, Pupillenreaktion, EKG-Aktivität; Auskühlung). Minimalventilation und -perfusion genügen, um Mindeststrukturumsatz in Ganglien aufrechtzuerhalten.
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Kapitel 12 · Intoxikationen
Ethanol Ethanolkonzentrationen handelsüblicher Getränke (diese muss auf der Flasche abgedruckt sein): Bier: 2 - 7 Vol% Wein: 6 - 22 Vol% Schnäpse und Liköre: 30 - 60 Vol%. Gelegentlich treten Vergiftungen mit Kosmetika (Kölnisch Wasser, Rasierund Haarwasser), Franzbranntwein (70 %) und Lösungsmittelgemischen auf, die zwischen 50 und 80 % Ethanol enthalten können. Hierbei ist auch an andere toxische Begleitstoffe zu denken! Formel für die Berechnung der Ethanolkonzentration im Blut nach Widmark:
Intoxikationen
(Menge des reinen Ethanols in Gramm*) x 0,9**
‰=
- Abbau**** (Körpergewicht in kg) x (Reduktionsfaktor***)
*
Menge des reinen Ethanols in Gramm = [aufgenommene Getränkemenge in ml] x [Ethanolgehalt in Vol%] x 0,8 (Dichte des Ethanols) ** Etwa 10% des Ethanols kommen nicht zum Ansatz (Resorptionsdefizit) *** Werte für den Reduktionsfaktor (berücksichtigt Körperfett): Adipositas 0,6; Frauen 0,6-0,7; Männer 0,7-0,8; Sportler bis 0,85 **** Abbau: (durchschnittlich: 0,1 g Ethanol/kgKG/h bzw. 0,15 ‰/h bei Erw.); hauptsächlich durch Enzyme (Alkoholdehydrogenase, Aldehyddehydrogenase) in der Leber zu Kohlendioxid, Wasser und Essigsäure. Resorption: Nach 15 Minuten ist ungefähr die Hälfte der aufgenommenen Menge ins Blut resorbiert worden, nach 40 Minuten tritt das Wirkmaximum ein (beide Angaben für leeren Magen). Nach 1 Stunde ist (wenn keine erneute Einnahme erfolgt) die Resorption abgeschlossen. (Hochprozentiger Ethanol wird schneller als niedrigprozentiger aufgenommen.) Um bei Alkoholgutachten von der Blutprobe auf den Alkoholgehalt zum Zeitpunkt der Tat zurückzuschließen, wird folgendermaßen vorgegangen: Bei der versicherungsrechtlichen und straßenverkehrsrechtlichen Begutachtung wird dem Delinquenten i.d.R. eine Resorptionszeit von 2 h und eine Abbau von 0,1 ‰/h „zugute“ gerechnet. Umgekehrt wird bei der strafrechtlichen Schuldfrage ein Abbau von 0,2 ‰/h zugrundegelegt sowie ein „Diffusionssturz“ von 0,2 ‰ nach Beendigung der Resorptionszeit einkalkuliert. Die Problematik des rechtmedizinisch teilweise beweisbaren Nachtrunks bzw. der Mehrfacheinnahme kann hier nicht eingegangen werden. Die notfallmedizinische Bedeutung der Berechnung liegt im Denkansatz und in der Plausibilitätsprüfung der Symptomatik/Veranschaulichung. Es muss betont werden, dass die Angaben auf Durchschnittswerten beruhen, von Unsicherheitsfaktoren belastet sind und daher bestenfalls als Faustregeln zu betrachten sind.
12.7 · Rauschmittel
361
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Ethanol („Alkohol“) Symptomatik • Bis 0,5 ‰: meist zunächst keine auffälligen Veränderungen; ab 0,3 ‰ u. U. Einschränkung des Reaktionsvermögens, allgemeine Enthemmung, Überheblichkeit, evtl. Kritikschwäche, Euphorie, Aggression. • Über 0,5 ‰: zunehmende Abnahme von Reaktionsgeschwindigkeit, Konzentrationsfähigkeit und Reflexen; Störungen der Muskelkoordination, des Raum- und Gleichgewichtssinnes (schwankendes Stehen und Gehen). • Mit zunehmender Ethanolkonzentration Übergang vom Rausch in das narkotische Stadium (Bewusstlosigkeit, fehlende Schutzreflexe, Atemlähmung). Die toxische Grenze ist abhängig von der Ethanolgewöhnung. Für Ungewöhnte können schon 1,5 - 2 ‰ lebensgefährlich sein. Wirkung auf die Gefäße: periphere Vasodilatation mit Gefahr der Unterkühlung. Entgegen der Volksmeinung keine verbesserte Hirndurchblutung! • Weitere Symptome: Rötung der Augenbindehaut und des Gesichtes; verwaschene, lallende, abgehackte Sprache (Achtung: kann auch bei neurologischen Erkrankungen auftreten!); Foetor („Fahne“, Alkoholgeruch der Ausatemluft; fehlt manchmal!); Tachykardie, evtl. Arrhythmie, Blutdruckabfall; Blutzucker erniedrigt (besonders bei Kindern); evtl. Übelkeit, Erbrechen, Krämpfe, kalter Schweiß.
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen (Blutzuckertest!) • bei voll erhaltenem Bewusstsein ggf. erbrechen lassen • Abschätzen der Blutethanolkonzentration (‰) und der Lebensbedrohung • Untersuchung, Standardtherapie, bei Hypoglykämie Glukose nach Bedarf
Praxistipps • Jegliche Bewusstseinsstörung darf erst dann als alkoholbedingt gelten, wenn alle anderen möglichen Ursachen (z. B. Hypoglykämie, subdurales Hämatom) sicher ausgeschlossen sind. An eventuell zusätzliche Schädigungen (z.B. Unterkühlung, Sturz) denken! • Besonders Kinder sind schon durch kleine Ethanolmengen gefährdet: z. B. können bei Sechsjährigen schon 30 g tödlich wirken! • Stark alkoholisierte Personen sollten besonders, wenn sie nicht unter Aufsicht nüchterner Personen sind, in eine Klinik gebracht werden, um sie vor weiteren Schäden zu bewahren. • Einer Selbst- oder Fremdgefährdung ohne Einsicht muss u.U. mit Eingreifen der Polizei begegnet werden (Schutzgewahrsam zur Ausnüchterung nach ärztlicher Feststellung der Haftfähigkeit oder Zwangseinweisung; vgl. S. 92 ff.). • Vergiftungen mit Propylalkohol (Propanol), Isopropylalkohol (Butylalkohol, Butanol) und Amylalkohol (Pentanol) werden wie Ethanolvergiftungen behandelt. Die Wirkung ist ähnlich, die Toxizität deutlich höher.
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362
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Kapitel 12 · Intoxikationen
Methanol Vorkommen Vergällungsmittel für Ethanol (nicht Getränke), Lösungsmittel, Abbeizmittel, Brennstoff, Rohstoff für chemische Prozesse.
Aufnahme Oral (geschmacklich und vom Geruch her kann Methanol nicht von Ethanol unterschieden werden), Einatmen (z. B. Chemieunfall).
Intoxikationen
Wirkung Methanol wird im Körper zum giftigen Methanal (Formaldehyd) und Methansäure (Ameisensäure) oxidiert. Dieser Stoffwechselvorgang kann durch Ethanolgabe blockiert werden, was therapeutisch ausgenutzt werden kann.
Letale Dosis 5 - 200 ml. Erblindung bereits nach 4 - 15 ml.
Vergiftungsbild Die Symptome treten evtl. erst bis zu 24 Stunden nach Aufnahme auf: Schwindel, Schwächegefühl, Zittern, Kopfschmerzen, evtl. Rauschzustände, Übelkeit, Bauchschmerzen, Sehstörungen (Nebelsehen, evtl. Störungen des Farbensehens) bis zur Erblindung, Hirn- und Lungenödem. Schließlich weite reaktionslose Pupillen, Krämpfe, Kreislaufstörungen, Atemlähmung.
Notfalltherapie: Basistherapie wie bei Ethanolintoxikation (s. S. 361) Spezifische Therapie: • Fomepizol (Antizol® - auch wirksam bei Diethylenglykol, Ethylenglykol): 15 mg/ kg KG initial i.v. (in 250 ml 0,9%iger NaCl über 45 min) • Ggf. Ethanolgabe, wenn mehr als 100 mg / kg KG Methanol aufgenommen wor den sind (Ziel: therapeutische Blutethanolkonzentration von 1 ‰, um den Anfall toxischer Stoffwechselprodukte zu Verringern; Abbau/Ausscheidung des Methanols langsam, z.B. über mehrere Tage): a) bei Erwachsenen (70 kg KG) mit ungetrübtem Bewusstsein: orale Gabe von ungefähr 100 ml hochprozentigem Trinkethanol (Whisky, Wodka, Schnaps) mit ungefähr 50 Vol% Ethanolgehalt; b) sonst initial: 600 mg / kg KG Ethanol (kein Schnaps!) verdünnt i.v. (bei Lösungen über 5 % Ethanol besteht Nekrosegefahr!); anschließend: 100 mg / kg KG / h i.v. über ein exaktes Dosiersystem. Wenn die Aufnahme nur kurz zurückliegt: Magenspülung (sinnvollerweise vor oraler Ethanolgabe). Erbrechen lassen, wenn Patient bei klarem Bewusstsein.
12.7 · Rauschmittel
363
12
Coffein / Nicotin Coffein • Ähnlich: Thein, Guaranin. • Vorkommen: Kaffee, Tee, „Wachmacher“, Reinsubstanz (in Laboratorien). • Wirkung: In geringen Dosen Anregung von Herztätigkeit, Stoffwechsel und Atmung, Blutdrucksteigerung, Durchblutungssteigerung im Gehirn, Verminderung des Schlafbedürfnisses. • Vergiftungsbild: Unruhe, Harndrang, zentrale Erregung, rauschartige Zustände mit schreckhafter Ängstlichkeit, Händezittern, Tachykardie, Blutdruckanstieg, Extrasystolie, Herzklopfen, Schlaflosigkeit, Fieber, optische und akustische Halluzinationen, Krämpfe, Kreislaufkollaps, Atemlähmung. • Spezifische Soforttherapie: Ruhe! Ggf. Sedierung mit Diazepam, sonst symptomatische Therapie. • Hinweise: Bei chronischen Vergiftungen (z. B. übermäßiger Kaffeegenuss) kann es zu paranoid-psychotischem Verhalten mit Wahnideen kommen. • Letale Dosis: 60 mg / kg KG i.v.; ab 1 g oral. • Ähnliche Wirkung: Theophyllin [Euphyllin®], Theobromin.
Nicotin • Vorkommen: Tabak (z. B. Zigaretten), Reinform (z. B. Schädlingsbekämpfungsmittel). • Wirkung: In kleinen Dosen inhalativ Anregung des vegetativen Nervensystems. Bei höheren Dosen oder oraler Aufnahme Blockade vegetativer Ganglien. Die Wirkung ist vor allem abhängig von Aufnahmeweg (Lunge, Haut, oral - starke Wirkung) und Gewöhnung. • Vergiftungsbild: a) Leichte Vergiftung: Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Tachykardie, Hypertonie, Kopfschmerzen, Speichelfluss, Zittern. b) Mittelschwere Vergiftung: Kreislauf-Kollaps, Tachykardie, Blutdruckabfall, kalter Schweiß, Zuckungen, Bauchschmerzen, Durchfall. c) Schwere Vergiftung: Bewusstseinsverlust, Krämpfe, Atemlähmung, Herzstillstand. Der Übergang zw. den einzelnen Vergiftungsstadien ist fließend. • Spezifische Soforttherapie: Erbrechen lassen bei oraler Aufnahme und klarem Bewußtsein. Bei Krämpfen Benzodiazepine. Ggf. Biperiden (s. S. 491) Kleinkind: 1/4 Zigarette: Basismaßnahmen; 1/3 Zigarette: Erbrechen lassen; 3/4 Zigarette: Magenspülung erforderlich • Orale letale Dosis: Erwachsene: 40 - 50 mg (4 Zigaretten; 1/2 Zigarre). Für Kinder kann bereits der „Genuss“ einer Zigarette tödlich sein (jeweils der „komplette“ Nikotingehalt der Zigaretten/Zigarren gemeint - erfordert intestinale Aufnahme).
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Kapitel 12 · Intoxikationen
Cannabis
Intoxikationen
Herkunft: Der hauptsächliche Wirkstoff von Cannabis, den die weibliche Pflanze des indischen Hanfes als Bestandteil eines harzigen Sekretes produziert, ist Tetrahydrocannabiol (THC). (Gemäß Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG nicht verkehrsfähiges Betäubungsmittel.) Darreichungsformen: Die zermahlenen Blüten und Deckblätter werden im Allgemeinen mit Tabak geraucht („joint“), aber auch gegessen oder als Aufguss (Tee) getrunken und als Marihuana (mexikanisch) bezeichnet. Das reine Harz enthält THC in einer höheren Konzentration (ungefähr fünfmal stärker) und heißt Haschisch (arabisch). Es wird getrocknet und gepreßt in Form von erdfarbenen Klumpen und Tafeln angeboten. Anwendung: durch Hitze zerkleinert und mit Tabak vermischt als Haschisch-Zigarette („joint“) oder in besonderen Pfeifen zu rauchen; auch in Gebäck und anderen Speisen sowie als Tee. Cannabis-Konzentrate (Haschisch-Öl) sind in Deutschland selten anzutreffen. In ihnen ist das THC auf chemischem Weg angereichert (ungefähr zehnmal höher konzentriert als Haschisch). Szenenbezeichnungen: • Marihuana: Gras, mary jane, Heu, Kif, weed, pot • Haschisch: shit, Hasch, dope, piece(s), Schokolade, hemp; die verschiedenen Farben der Haschisch-Brocken (grün, rot bis braun, schwarz) sowie deren Herkunft geben weitere Namen, z. B.: Brauner Marokkaner, Grüner Türke, Roter Libanese, Schwarzer Afghane • Haschisch-Zigarette: joint, Lolly, Tüte Wirkungsweise: Beruhigung, (inhaltslose) Glückszustände und Halluzinationen durch Einfluss auf den Serotonin-Noradrenalin-Stoffwechsel über spezifische Rezeptoren, gleichzeitiger Erregung des limbischen Systemes und Verlangsamung zentralnervöser Vorgänge, Verstärkung der bestehenden Stimmungslage, Einengung der Wahrnehmungsfähigkeit. Wirkungseintritt nach wenigen Minuten, Wirkdauer 1 - 4 Stunden. Noch bis zu drei Monaten nach Einnahme in Stuhl und Urin nachweisbar. Gefahr: Abrutschen der Stimmung in Depressionen und Angstzustände, Realitätsverkennung, Entfremdung. Abhängigkeit: Eine mäßige bis deutliche psychische Abhängigkeit kommt vor, die Entwicklung einer körperlichen Abhängigkeit ist bisher nicht erwiesen. Nach Entzug keine akut behandlungsbedürftigen Symptome. Stark vereinzelt Nachrausch („flash back“); der plötzlich bis zu Monate nach einem Cannabis-Konsum mit Selbst- und Fremdaggression auftreten kann.
12.7 · Rauschmittel
365
12
Cannabis Symptomatik • Hinweise auf Cannabis-Konsum (Begriffe, Haschisch-Zigaretten in Kegelform, meist mit Papierfiltern, besondere Pfeifen (Wasserpfeifen („bong“), Shillum u. a.); meist in Alufolie eingewickelte Haschischbrocken, süßlicher Geruch im Zigarettenrauch. • Verhalten / Stimmung: in der Regel stark beruhigt und beglückt oder heiter (Lachsalven) bis euphorisch, gegenüber anderen Personen friedfertig, Gefühl des Schwebens, herabgesetzte Hemmschwelle; Abrutschen der Stimmung in Depression (Autoaggression, Selbstmordneigung, Tränenausbrüche), Angstzustände, Entfremdung und Verwirrtheit möglich, selten Fremdaggression; gelegentlich: Fehlhandlungen durch Sinnestäuschungen, Realitätsverkennung, Selbstüberschätzung und verändertes Wahrnehmungsvermögen (gestörtes Raum- und Zeitgefühl; Wahrnehmung nur noch auf ein Detail beschränkt) • Körperliche Symptome: gerötete Augen, evtl. Pupillenerweiterung (Mydriasis), Tränenfluss, vermehrtes Hunger- und Durstgefühl, Mundtrockenheit, Übelkeit, Tachykardie, Hypertonie, evtl. Muskelzuckungen, motorische Koordinationsstörungen, Zittern, Reizhusten, auch Atemdepression und Schocksymptomatik möglich. • Bei chronischem Gebrauch: Bronchitis, Halsentzündung, Koliken, Migräne, Herzrhythmusstörungen, Sensibilitätsstörungen
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen • Ein venöser Zugang ist nur selten notwendig - Achtung: nur unter strenger Indikationsstellung! Psychische Wirkung: u. U. wird das Glücksgefühl auf die Spritze projiziert ➯ Bahnung einer Spritzensucht mgl. • Untersuchung, Standardtherapie • psychische Betreuung („talk down“) • symptomatische Behandlung Der Cannabiskonsument wird selten zum Notfallpatient, höchstens dann, wenn Selbst- und / oder Fremdgefährdung vorliegt oder nach intravenöser Injektion (äußerst ungewöhnlich) oder massivem Konsum.
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366
Kapitel 12 · Intoxikationen
Intoxikationen
Kokain • Herkunft: Aus den Blättern des Kokastrauches (Erythroxylon coca); früher Verwendung als Lokalanästhetikum; Kokain ist ein verkehrsfähiges und verschreibungsfähiges Betäubungsmittel gemäß Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG. • Darreichungsform: Kokain ist ein weißes, flockiges, kristallines und geruchloses Pulver. Es kommt in der Regel gestreckt auf den Markt (meistens ein Reinanteil von maximal 40 %). Dabei u. a. finden folgende Streckmittel Verwendung: Stimulanzien, z. B.: Amphetamine (penetranter, ekelerregender, „künstlicher“ Geruch), Strychnin, Coffein, Lokalanästhetika(➯ „Zahnarztkoks“), Zucker, sonstige weiße (z. T. giftige !) Substanzen. • Anwendung: Schnupfen („sniefen von lines“), in normale Zigaretten einziehen, orale / genitale (vaginale) Schleimhaut, intravenöse Injektion (bes. gefährlich). • Regelmäßiger Konsum führt zur Entwicklung einer äußerst starken psychischen (bei fehlender/geringer körperlicher) Abhängigkeit; Tendenz zur Dosissteigerung. • Kokain in basischer Form („Crack“) wird meist geraucht bzw. inhaliert und zeichnet sich durch eine besonders große Gefährlichkeit aus: • verstärktes Auftreten von Komplikationen, • maximales Abhängigkeitspotential (körperliche und psychische Abhängigkeit nach einmaliger Anwendung häufig), • großes Risiko der Manifestation einer Sucht, unterstützt durch einfaches Handling (kein Spritzen!) bei starker Wirkung, kombiniert mit (trügerisch) günstigerem Preis einer Einzeldosis gegenüber „normalem“ Kokain und Heroin; deswegen oft in niedrigerem sozialen Milieu anzutreffen. In der „Szene“ gebräuchliche Begriffe: • Kokain: Schnee, Koks, Koka, coke, gold dust, rich men’s drug, white stuff • Kokainbase: Crack • Mischungen („Cocktails“): Kokain und Heroin: speed ball • Kokain, Heroin und LSD: Frisco speed ball Eigenschaften: Anhebung der Leistungsfähigkeit, Erregung, Libido, Verdrängung schlechter Stimmung, Euphorie, Überheblichkeit, optische Halluzinationen (Tierchen), Bewegungsdrang, Redeschwall, evtl. Aggression. Mit Abklingen der Wirkung (nach ungefähr einer Stunde) kommt es oft zu depressiver Verstimmung, (verstärkter) Wiederkehr von Ängsten, Suizidüberlegungen und „Lust auf mehr“. Diesen typischen Ablauf von initialer Stimulations- und anschließender Depressionsphase insbes. bei Überdosierung bezeichnet man als „caine reaction“. Wirkungsweise: Kokain setzt verstärkt Noradrenalin frei und blockiert die Wiederaufnahme von Katecholaminen an adrenergen Nervenendigungen. Erhöhte Muskelaktivität und Sympathikotonus (z. B. periphere Vasokonstriktion), Stimulation des Temperaturzentrums. Ausschalten von Kälte-, Hunger-, Durst- und Müdigkeitsgefühlen. Schneller Wirkungseintritt (bei „Crack“ und intravenöser Injektion unter 30 Sekunden). Wirkdauer: bis zu einer Stunde.
12.7 · Rauschmittel
367
12
Kokain Symptomatik • Hinweise auf Kokainkonsum (z. B. verdächtiges weißes Pulver, Hilfsmittel zum Schnupfen wie Spiegel, Rasierklingen, Röhrchen) • Verhalten / Stimmung: Euphorie, „gutes feeling“, Aufputschung, gesteigerter (Sexual-) Trieb, gesteigerter Rede- und Bewegungsdrang, Verlangen nach mehr Droge; v.a. bei Abklingen der Wirkung: depressive Verstimmung, Schuldgefühle, Niedergeschlagenheit, Angstzustände, evtl. suizidale Tendenzen. • Körperliche Symptome (vor allem bei Überdosierung): Blässe, Unruhe, schnelle Atmung, Mydriasis, Hyperreflexie, Zittern, maligne tachykarde Herzrhythmusstörungen und hypertensive Krise, Hyperthermie, Schwitzen; später: Hyporeflexie, Lähmungserscheinungen, Krämpfe, evtl. Koma, Kreislaufund Atemdepression, Schock - evtl. Anaphylaxie • Myokardischämien (Herzinfarkt/Angina pectoris) durch kokaininduzierten Koronararterienspasmus sowie intrakranielle Blutungen durch Hypertension kommen auch bei jungen Patienten mit gesundem Herz-Kreislaufsystem vor, u.U. auch Wochen nach einmaligem Konsum.
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen • Untersuchung, Standardtherapie, ggf. externe Kühlung, ggf. VEL i.v. • großzügige Indikation zu Intubation und kontrollierter Beatmung • Medikamente: - Medikation 1. Wahl: ggf. Benzodiazepine, z. B. Diazepam (5 - 10 mg i.v.) - Insbesondere bei Hypertonie/pektanginösen Beschwerden: zur „Antagonisierung der kokaininduzierten Vasokonstriktion“ Nitrate, z.B. Glyceroltrinitrat-Spray, 1 - 2 Hübe zu je 0,4 mg s.l., bei Nichtansprechen innerhalb von 2 - 3 Minuten noch einmal 1 Hub; Aufrechterhaltung: 0,03 - 0,18 mg / kg KG / h i.v. (in Abhängigkeit vom Blutdruck) grundsätzlich über ein exaktes Dosiersystem, z. B. eine Spritzenpumpe - In der Literatur wird oft die Gabe von β-Blockern empfohlen; neuere Erkenntnisse sprechen für einige Substanzen (z. B. Propranolol) dagegen (Ver stärkung des Koronarspasmus mit Verschlechterung der O2-Versorgung des Herzmuskels). Labetalol (ein alpha- und beta-Blocker) ist zur Therapie lediglich der Tachykardie und Hypertonie geeignet. - ggf. Behandlung von Arrhythmien (s. S. 127 ff.) - Cave: oft als Beimischung zu Kokain! (Lidocain senkt die Krampfschwelle) - Bei Kokainschock (oft Anaphylaxie): ggf. Katecholamine (vgl. s. 232 f.). Bei der Dosierung die sympathomimetische Wirkung des Kokains bedenken. Bei regelmäßig Kokain konsumierenden Patienten finden sich Myokarditis, Kardiomyopathie, akute Herzinsuffizienz und plötzlicher Herztod, bedingt durch die herzmuskeltoxische Wirkung des Kokains.
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368
Kapitel 12 · Intoxikationen
Intoxikationen
LSD • Herkunft: Alkaloid aus dem Mutterkorn. Heutzutage synthetische Herstellung üblich. LSD (Lysergsäurediethylamid, Lysergid) ist ein α-Rezeptorenblocker (uteruskontrahierende und halluzinogene Wirkung). (Gemäß Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG ist LSD ein nicht verkehrsfähiges Betäubungsmittel.) • Darreichungsformen: Wegen äußerst potenter Wirkung (ab 30 μg) wird es meist als Lösung auf Träger (z. B. Zuckerstücke, bedrucktes Löschpapier, Filz) aufgebracht. Seltener in Tabletten oder in kleinen Bröckchen („Microtrips“). LSD wird fast ausschließlich oral eingenommen. • Szenenbezeichnungen: Acid, Trips, Ticket (schickt auf die Reise), Fahrkarte, sowie Benennung nach den Löschpapieraufdrucken: z. B. blue cops, pink wedge, mikes, yellow sunshine, Erdbeeren, Pinguine, Drachen. • Wirkungsweise: LSD führt vermutlich über Veränderungen im Serotoninstoffwechsel zu starken (Pseudo-) Halluzinationen, Wahrnehmungsverschiebungen (Synästhesien), Orientierungsveränderungen und Gefühlsintensivierung. Verlauf des LSD-Rausches: 1. Ungefähr 20 - 60 Minuten nach oraler Aufnahme tritt die Wirkung ein, z. B.: Dinge werden belebt, bewegen sich und beginnen zu sprechen; „Bewusstseinserweiterung“: „Fühlen“ von Tönen, „Schmecken“ von Farben; Positive wie negative Gefühle werden verstärkt erlebt. Dabei fühlt sich der Konsument „klar im Kopf“. Verwunderung, Faszination. Dann zwei Möglichkeiten: 2. a) „Glücks-Trip“: reaktionsloses positives Genießen der Erlebnisse; (meist) Gleichgültigkeit gegenüber irrealen Wahrnehmungen im Handeln, d. h. bewusst keine Umsetzung in die Realität, gelegentlich spielerisch. b) „Horror-Trip“: Die Wahrnehmungen werden als (angstmachende) Realitäten empfunden. ➯ Aufregung, Panik, Überreaktionen, „komplettes Ausrasten“. Phantasien werden umgesetzt: z. B. fliegen wollen ➯ fliegen können ➯ Fenstersprung. Ein „Trip“ („Glücks- und Horror-Trip“) kann über 12 h anhalten bzw. für diese Zeit Schlaflosigkeit bewirken (starke Unruhe). • Der Verlauf wird maßgeblich aktiv durch den Gemütszustand, Erwartungen, Persönlichkeit/Intelligenz des Konsumenten beeinflusst. Eine Manipulation von außen ist möglich; verbale / körperliche Bedrängung ➯ u. U. Auslösung eines „Horror-Trips“. Aus panischer Angst heraus kann der Patient gewalttätig werden und extreme Kräfte mobilisieren! ➯ Eigenschutz, geduldiger, vorsichtiger Zuspruch, Verständnis bekunden. • Oft sehr starke psychische Abhängigkeit mit Persönlichkeitsveränderungen. Realitätsferne, Wahnvorstellungen und Selbsttötungsneigungen. • Verwandte Stoffe: Tryptamine (z. B. DMT, DET), Mescalin (Rauschdauer: 2 - 8 Stunden; Ursprung: mexikanischer Peyote-Kaktus), Psilocybe mexicana („Magic Mushroms“ = Zauberpilze), Stechapfelextrakt dient als LSD-Ersatz (sogenannte K.-O.-Tropfen; enthält Alkaloide und Atropin).
12.7 · Rauschmittel
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LSD Symptomatik • Hinweise auf LSD-Konsum (z. B. verdächtige Papierschnitzel) • Aktivität; realitätsfremde, phantasievolle Aussagen des Patienten, Fehlhandlungen; Zeichen von Entfremdung (Depersonalisation) und Befremdung (Derealisation) • psychotische und paranoide Symptome • Angst- oder Glückszustand (Dysphorie / Euphorie) • Unruhe, Zittern, Schlaflosigkeit • Mydriasis, Tachykardie, Hypertonie, Hyperthermie, Schweißausbrüche, Tränenfluss. Bei Überdosierung: Atemlähmung, Bradykardie, Hypotonie, Koma; bleibende psychische Störungen. • „Horror-Trip“: Panik, Aggression, evtl. suizidales Verhalten.
Notfalltherapie • Basischeck (Vorsicht! Behutsam durchführen!), Basismaßnahmen • „talk down“ bei „Horror-Trip“ und prophylaktisch (!) Ziel: Angstlösung, Wahnvorstellungen entkräften, Aggressionen abbauen. 1. Ruhiges Zugehen auf den Patienten, Verständnis, Zuspruch, Schutz anbieten, Geduld. Trotzdem: Eigenschutz beachten! 2. Abschirmen von Lärm und Hektik; wenn möglich (vorerst) auf Anwesenheit der Polizei verzichten. 3. Der Konsument ist in der Lage, sich bewusst zu machen, dass seine realitätsfremden Vorstellungen und Wahrnehmungen der Droge zuzuschreiben sind. Er muss beständig und nachdrücklich (aber vorsichtig!) daran erinnert werden, was real ist (z. B. er selbst!) und was nicht. Zu diesem Zweck kann man ihm seinen Namen nennen, die Umgebung beschreiben usw. • Untersuchung (Vorsicht!), Standardtherapie • Fortführung des „Talk down“ • Medikamente: Neuroleptika, z. B. Haloperidol (5 - 10 mg i.v.) (Medizinische Maßnahmen verstärken u. U. Angst u. Widerstand ➯ ggf. Zwangseinweisung notwendig; der Talk-down ist zwar zeitaufwendiger, aber weniger invasiv und effektiver). Bis zu Monate nach einem LSD-Konsum kann es unvermittelt zu einem sogenannten „Flash-back“ kommen (wiederkehrender Rauschzustand).
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370
Kapitel 12 · Intoxikationen
Intoxikationen
Opiate • Herkunft: Seit über 2500 Jahren werden Opiate therapeutisch (zur Narkose, Analgesie, Hustenstillung sowie gegen Durchfall) und als Rauschmittel benutzt. Ihr Ursprung ist die Schlafmohnpflanze (Papaver somniferum). Natürlich vorkommende Substanzen: Opium, Morphin, Codein (Hustensäfte!). Heute sind außerdem künstlich erzeugte Opiate im Umlauf (halbsynthetische Substanzen: verschiedene Heroinvarianten, Hydromorphon, Oxycodon, Oxymorphon; vollsynthetische Produkte: Fentanyl, Alfentanil, Pethidin, Piritramid, Methadon, Pentazocin, Levorphanol). • Darreichungsformen: Die auf dem Markt befindlichen Substanzen werden meist intravenös verabreicht, aber auch durch Rauchen, Schnupfen, Schlukken, subkutane und intramuskuläre Injektion konsumiert. • Heroin (Diacetylmorphin), eines der gefährlichsten und verbreitetsten Opiumalkaloide, kommt in den versch. Herstellungsstufen auf den Markt: Heroin I: Rohmorphinbase (kaffeebraunes Pulver), Heroin II: Diacetylmorphinbase (beige-braune Farbe, wasserunlöslich, muss vor dem Gebrauch mit einer Säure (z.B. Vitamin C) vermischt und erhitzt werden, derzeit in Deutschland am gebräuchlichsten), Heroin III: Diacetylmorphinhydrochlorid, Reinheit ab Labor 30 - 60 % (graubräunliches, granulatartiges und wasserlösliches Salz), Heroin IV: Diacetylmorphinhydrochlorid, Reinheit ab Labor bis zu 90 % (weißes, sehr gut wasserlösliches Pulver). • Szenenbezeichnungen für die verschiedenen Heroinvarianten sind: H (englisch ausgesprochen), brown sugar, Braunes, Weißes, boy, junk, rocks, jack (in der Regel Tabletten), black heroin (Kombinationspräparat mit Coffein). • Fast immer ist das konsumierte Heroin gestreckt (z. B. Zucker, aber auch z. T. Giftstoffe). Andere Zusatzstoffe sollen das Rauscherlebnis steigern oder durch anregende Wirkung (der Konsument soll nicht einschlafen) verbessern: z. B. Strychnin, Koffein, auch Kokain. • Wirkungsweise: Bindung an spezielle Opiatrezeptoren (s. S. 454) im Körper, die eigentlich für das Anlagern körpereigener, analgetisch wirkender Opiate (endogen) vorgesehen sind. Sie werden z. B. in Stresssituationen vermehrt ausgeschüttet. Es entwickelt sich bei Opiatkonsum schnell starke körperliche und psychische Abhängigkeit. • Methadon (s. o.) wird in einigen Ländern Heroinabhängigen als Ersatzdroge verabreicht. Durch verminderte Rauschwirkung bei gleichzeitigem Verhindern einer Entzugssymptomatik ist es möglich, dem Abhängigen zu einem geregelten Leben zurück zu verhelfen (z. B. einer Arbeit nachzugehen). Trotzdem muss dann noch eine Entwöhnung / Entziehung von Methadon erfolgen. Einer Hortung von Methadon durch Patienten (Vorrat, ggf. i.v.-Injektion) wird durch Einnahme zu vereinbarten Zeitpunkten unter Aufsicht begegnet. Dennoch gab es bereits schwere Methadonvergiftungen.
12.7 · Rauschmittel
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12
Opiate Symptomatik • Hinweise auf Opiatkonsum, z. B. Injektionsmaterial (oft behelfsmäßig), berußte Löffel, Vitamin-C-Pulver. Opiatüberdosierung auch mit therapeutisch eingesetzten Opioiden möglich (iatrogen, suizidal, akzidentell - Kinder!) • Trias: Bewusstseinstrübung bis Koma, Atemdepression bis Atemstillstand, Miosis (bei Pethidin: Mydriasis); Übergang in Mydriasis im Finalstadium mgl. • Hypotonie, evtl. Herzrhythmusstörungen, Bradykardie • Ödeme, Lungenödem (sofort oder bis zu 24 Stunden danach; auch nach Naloxon) • evtl. Krampfanfälle, evtl. Hypoglykämie, Darmatonie • evtl. Hypoxie mit Zyanose, Schock, Erlöschen von Reflexen (Schutzreflexe!) • Stimmung: Analgesie, Glückszustände, Stimmung meist friedfertig.
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen (Atmung!!, ggf. Atembefehle) • Untersuchung, Standardtherapie • Medikamente: Morphinantagonisten, z. B. Naloxon (initial 0,4 mg auf 10 ml NaCl 0,9% verdünnt; in 1-ml-Schritten vorsichtig bis zu einer Dosis titrieren, bei der sich eine suffiziente Spontanatmung einstellt (bis dahin ggf. Beatmung/ Airwaymanagement! Vgl. S. 538). - Buprenorphin [Temgesic®] ist nicht durch Naloxon antagonisierbar! Problematik bei Aufhebung der Bewusstlosigkeit: 1. Die Wirkdauer von Naloxon ist i.d.R. kürzer als die der gängigen Opioide ➯ Rückkehr der Vergiftungssymptomatik (Atemstillstand, Koma), ohne rechtzeitige Hilfe. Fazit: Überwachung auch nach Opioidantagonisierung! 2. Unabhängig von möglichen Entzugssymptomen durch Antagonisierung, können Opiatabhängige nach Naloxongabe sehr aggressiv werden, wenn sie erkennen, dass Ihnen das (teure) Rauscherlebnis zunichte gemacht wurde (Eigenschutz!). Damit verbunden: fehlende Kooperation für anschließende Überwachung möglich: ggf. Zwangseinweisung nötig (s. S. 92 ff.). Angesichts dieser Problematik entscheiden sich manche Notärzte, nur die Atemdepression zu antagonisieren (s.o. - gelingt nicht immer) oder den Patienten rein symptomatisch zu behandeln (ggf. protektive Intubation und Beatmung), um das Abklingen der Opiatwirkung abzuwarten. Bei letzterer Entscheidung muss der Notarzt vor allem das Aspirationsrisiko, Aufwand und Kosten (ggf. Intensivbett!) sowie die fehlende diagnostische Komponente der Naloxongabe (Ursache der Bewusstlosigkeit: Hat der Patient wirklich „nur“ eine Opiatintoxikation? DD: anderes Gift, Schädel-Hirn-Trauma, intrakranielle Blutung) rechtfertigen. Eine längerwirksame, zusätzliche i.m.-Dosis ohne weitere Überwachung ist in Bezug auf nicht vorhersehbare Kinetik (Wirkungseintritt, Wirkungsdauer, Über- oder Unterdosierung) keine optimale Strategie. • bei Krampfanfall: Benzodiazepine, z.B. Diazepam (10 - 20 mg i.v.) • ggf. Antihypotensiva (Vasopressoren), z. B. Thoedrenalin / Cafedrin [Akrinor®] • ggf. Hypoglykämieausgleich mit Glucose, ggf. Therapie eines Lungenödems!
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Kapitel 12 · Intoxikationen
Synthetische Rauschmittel Die Vielfalt der im Umlauf befindlichen synthetischen Drogen ist mittlerweile fast unüberschaubar. Das Spektrum reicht von selbst gebrauten Wundermixturen bis zum Missbrauch potentester Arzneimittel.
Intoxikationen
Designer-Drugs • Bekannte Substanzen (z. B. Amphetamin, Fentanyl, Pethidin, Phencyclidin) werden in ihrer Struktur abgewandelt. Auch experimentelle Synthese „neuer Stoffe“. Gefahr: unberechenbare Wirkungen und Nebenwirkungen. • Kombinationen mit anderen Rauschmitteln („Cocktails“) sind häufig. • Szenebezeichnungen sind: EXTASY, XTC, E, (gelbe, weiße) Linsen, Techno-Schnitzel, Eva’s, Adam und Eve. • Bei Intoxikation wegen unbekannten Wirkstoffs nur symptomatische Therapie möglich. Ggf. Giftbestimmung durch Blutanalyse in der Klinik. • Mögliche letale Dosis ≥ 2 Extasy-Tabletten à 100 mg Wirkstoff (Durchschnitt). Meist werden Designer-Drugs mit Aufputschmitteln kombiniert: 1. Abkömmlinge des Amphetamins (Phenylethylamin), Weckamine, werden als Medikamente therapeutisch eingesetzt, aber auch missbräuchlich verwen det, um die eigene Leistungsfähigkeit anzuheben. 2. Ebenso werden allgemein zugängliche Medikamente missbraucht: Kreis laufanaleptika, Appetitzügler, Dopingmittel. • Bezeichnungen (Reinform) im Szenejargon: speed, bennies, wake-ups. • Wirkung: indirekte Sympathomimetika; gesteigerte Freisetzung von Katecholaminen an zentralen und peripheren Nervenendigungen bei verlangsamter Wiederaufnahme; Wachheit ohne Rausch (vermindertes Schlafbedürfnis = „run“); 1 - 2 Tage können ohne Weiteres „durchgemacht“ werden; euphorische Stimmungslage bis Selbstüberschätzung; Hyperaktivität; nach Abklingen der Wirkung ist der Konsument in der Regel „knatschig, angestresst, genervt, nervös, sauer, aggressiv“. • Symptome: Unruhe, Zittern, Kopfschmerzen, Augenzittern (Nystagmus), Rede- und Bewegungsdrang, gesteigerter Sexualtrieb, Hypertonie, Tachykardie, Mydriasis. • Gefahren / Komplikationen: Hypertensive Krisen, Tachyarrhythmien, zerebrale Krampfanfälle, gesteigerte Diurese bei vermindertem Durstgefühl (➯ Exsikkose); paranoide Psychosen (Verfolgungswahn), Halluzinationen, Schock, zentrale Ateminsuffizienz, Koma, extreme Hyperthermie, Tod. • Therapie: Basismaßnahmen, Kühlung bei Hyperthermie, Sedierung (Benzodiazepine), Volumengabe (VEL), Behandlung supraventrikulärer und ventrikulärer Arrhythmien (s. S. 127 ff.).
12.7 · Rauschmittel
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Synthetische Rauschmittel PCP (Phenylcyclohexylpiperidin) • Nicht verkehrsfähiges (gemäß Anlage 1 zu § 1 Abs. 1 BtMG), synthetisch hergestelltes Betäubungsmittel. Früher Verwendung als Beruhigungsmittel für Schlachtvieh. • Szenenjargon: Angel Dust, Elefantenkiller. • PCP wird vorwiegend geraucht, aber auch geschnupft, geschluckt, inhaliert oder gespritzt. • Wirkung: Anästhesie, Sedierung, Euphorie und Rausch, aber auch Angst, Wahnvorstellungen und Verwirrtheit. Bei hohen Dosen: Aggressivität, Fehleinschätzung realer Gegebenheiten (➯ Eigen- und Fremdgefährdung), Krampfanfälle, Hyperthermie, Atemstillstand, Herz-Kreislaufstillstand. Weitere körperliche Symptpome: Hypertonie, Tachykardie, Tränen- und Speichelfluss, starrer Blick, weit aufgerissene Augen, Muskelversteifung. • Therapie: Basismaßnahmen, symptomatische Therapie, Abschirmung von Umweltreizen • Ein Talk-down kann zu Steigerung von Unruhe und Aggressivität führen. • Mit PCP kontaminierte Gegenstände nicht berühren (Aufnahme über Haut). Inhalanzien (Schnüffelstoffe) • Vorwiegend unter Kindern und Jugendlichen niedrigen sozialen Milieus werden leicht verfügbare organische Lösungsmittel mit dem Ziel eines Rauscherlebnisses inhaliert: Azeton, Benzine, Butylacetat, Dichlormethan, Fluor-ChlorKohlenwasserstoffe, Isopropylalkohol, Kampfer, Perchlorethylen, Tetrachlorkohlenstoff, Trichlorethylen, Toluol, Xylol, Anilinderivate, Nitrobenzol. • Durchführung: meist in Plastiktüten, die über Mund und Nase gezogen werden, aber auch mit Lappen u. ä. • Wirkungsweise / Symptomatik: reversibles hirnorganisches Psychosyndrom; Euphorie, Erregung, Erbrechen, Durchfall, akustische / optische Halluzinationen, Reizung der Atemwege, Gleichgewichts- und Muskelkoordinationsstörungen, Rausch. • Gefahren des fortgesetzten Inhalierens: Bewusstlosigkeit, Erstickungstod. • Bei chronischem Abusus: Leberkoma, Anämie, Hämaturie. • Therapie: Basismaßnahmen (Sicherung der Atmung - Sauerstoffgabe!), symptomatische Therapie. Vorsicht mit Katecholaminen (sensibilisiertes Herz !).
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Kapitel 12 · Intoxikationen
Intoxikationen
Reizgas / Rauchgas Wichtige Reizgase • Rauch(gas), Brandgase: Kohlenmonoxid (s. S. 374), Zyanidgase (s. S. 376). • Zyanidgase (als Brandgas bei Kunststoffbränden, beim Verdampfen von Blausäure;in der Industrie; in Bittermandeln (Geruch!) Näheres s. S. 376 f.) • Reizgase (CS- und CN-Gas, Tränengase, chemische Kampfstoffe) • Ammoniak (Haushaltsreiniger, Laboratorien, Verbrennung von Wolle, Kunstharz, Düngemitteln) • Saure Gase (z. B. Schwefeldioxid, Chlorwasserstoff) entstehen beim Verdampfen der zugehörigen Säuren (z. B. Schweflige Säure, Salzsäure) • Nitrosegase (Stickoxide - bei Reinigung von Metallen mit Salpetersäure, Zelluloidverbrennung, Düngemittel) • Halogene (Fluor, Chlor, Brom, Iod), Phosphorwasserstoff, Ozon • Schwefelwasserstoff (riecht in geringer Konzentration intensiv nach faulen Eiern; in hoher Konzentration nicht mehr wahrnehmbar! Beeinträchtigung der inneren Atmung.) • Phosgen (bei Verbrennung von PVC, riecht schwach nach (faulem) Heu) Wirkungen der Inhalation von Reizgasen: • „Oberes Syndrom“; verursacht durch wasserlösliche Gase wie Chlorwasserstoff, Schwefeldioxid oder Ammoniak. Diese Substanzen lösen sich vorwiegend im Flüssigkeitsfilm der oberen Luftwege und der Augen und verursachen dort starke lokale Reizung bishin zu Verätzungen. Symptome: Brennen, starker Tränenfluss, heftiger Reizhusten, Atemnot. Eine Spülung von Augen, Mund und Rachen (bei Bewusstsein) ist angezeigt. I. d. R. sind trotz dramatischer und behandlungsbedürftiger Symptomatik die unteren Atemwege nicht betroffen; außer der Patient hatte z. B. aufgrund von Einklemmung oder Bewusstlosigkeit die Gase tief inhalieren müssen. • „Unteres Syndrom“; verursacht durch wasserunlösliche Gase wie Zinkrauch oder Nitrosegase; diese gelangen bis in die Alveolen und schädigen die umgebenden Gewebe. Typischerweise kann sich nach einer Latenzzeit ein vitalbedrohliches interstitielles und alveoläres toxisches Lungenödem entwickeln. Während der Latenzzeit können die Patienten beschwerdefrei sein oder nur leichte Initialsymptome wie Kopfschmerzen oder Hustenreiz zeigen. Wegen des verzögerten Auftretens müssen diese Patienten schon bei Verdacht in eine Klinik aufgenommen und überwacht werden! • Allgemeine Schleimhautschädigung (Atemwege) • Ggf. Bildung von Met- oder CO-Hämoglobin; dadurch Erstickung, da diese beiden Hämoglobinformen keinen Sauerstoff transportieren können. • Ggf. toxische Wirkung auf den übrigen Organismus.
12.8 · Toxische Gase
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Reizgas / Rauchgas Symptomatik • Atemnot, Husten- und Würgereiz, evtl. (reflektorischer) Atemstillstand • Schwächegefühl, Schwindel • Thoraxschmerz, evtl. Zyanose • Brodel- und Rasselgeräusche (Lungenödem, i.d.R. nicht initial) • evtl. Bronchospastik („mittleres Syndrom“, meist nach Minuten bis Stunden) • Schwellung der Mund-Rachen-Schleimhaut • Reizung der Augen (Rötung der Bindehaut, Tränenfluss, Brennen) • Tachykardie, Arrhythmie, evtl. erhöhter Blutdruck oder Blutdruckabfall • Bei Bewusstseinsstörungen an primär toxische Gase wie CO (s. S. 376) und HCN (s. S. 378) sowie Hypoxie (Verdrängung/Verbrauch von O 2; z.B. CO2 - s. S. 377) und Trauma (Pneumothorax?) denken!
Notfalltherapie • Ggf. Rettung. Eigenschutz beachten; ggf. durch Fachpersonal, z.B. Feuerwehr (ggf. Bestimmung von Art und Konzentration der Stoffe mit Spürröhrchen) • Basischeck - Basismaßnahmen (Frische Luft! Sauerstoffgabe! Zu ruhigem und tiefem Durchatmen anhalten.) • ggf. Augenspülung, ggf. Mundspülung (bei Bewusstsein) , ggf. Hautreinigung • Untersuchung, Standardtherapie (ggf. Intubation u. Beatmung mit PEEP!) • evtl. Bronchiallavage (umstritten, evtl. substanzabhängig) • Medikamente: • Analgetika, z. B. Morphin (2 - 5 mg i.v.) • Ggf. Bronchospasmolytika, z.B. Reproterol (0,09 mg mindestens über 1 min i.v. - so langsam spritzen, dass die Herzfrequenz nicht ansteigt; hierzu am besten auf 10 ml verdünnen) • Der Notarzt kann zur Prophylaxe eines toxischen Lungenödems ggf. die systemische Gabe von Kortikoiden oder - sofern ein thermisches Inhalationstrauma ausgeschlossen ist, die Anwendung inhalativer Kortikoide erwägen. Für diese Indikation sind Beclometason-Dosieraerosole zugelassen [z.B. AeroBec®, Junik®, Ventolair®]. Dosierung: initial 4 Hübe zu je 0,1 mg (Wiederholung in der Klinik nach Aufnahme und bei anhaltenden Symptomen alle weiteren 1-2 Stunden. Die Routineanwendung wird von verschiedenen Experten abgelehnt. Der Wirksamkeitsnachweis der prophylaktischen Kortikoidgabe nach Rauchgasinhalation kann aus ethischen Gründen nicht in kontrollierten Humanstudien geführt werden. Die Risiken einer Anwendung sind überschaubar (vgl. S. 525 ff.). Ärztliche Abwägung im Einzelfall! • Bei CO (Kohlenmonoxid): s. S. 376 • Bei Zyanidgasen (Blausäure): s. S. 378 • Bei Schwefeldioxid (SO2), Chlor, Nitrosegas, Phosgen und Ozon ist wegen verzögerter Wirkung eine Langzeitbeobachtung (2 - 3 Tage) notwendig.
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Kapitel 12 · Intoxikationen
Kohlenmonoxid (CO) Ursachen Aufnahme über die Atemwege z. B. bei Bränden (unvollständige Verbrennung) oder als Motorabgas (Suizid). Eigenschaften: Farb- und geruchlos, leichter als Luft (daher meist in geschlossenen Räumen).
Wirkung Blockiert das Hämoglobin (Hb) für den Sauerstofftransport; es ist ungefähr 300 mal stärker an das Hb gebunden als Sauerstoff (Carboxy-Hämoglobin; CO-Hb).
Intoxikationen
Symptomatik 10 - 20 % CO-Hb: Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel, Abgeschlagenheit 20 - 40 % CO-Hb: Schwindel, Mattigkeit, Willenlosigkeit, Fehleinschätzungen 40 - 50 % CO-Hb: Rausch, Unruhe, Tobsuchtsanfälle, Tod (entweder sofort oder erst nach Wochen durch Organhypoxie) Weitere Symptome • Bewusstseinsstörung bis Bewusstlosigkeit, neurologische Ausfälle • Atemnot, Atemstörungen bis Atemstillstand • Tachykardie, evtl. Arrhythmie, Blutdruckabfall, AP-Symptomatik • Keine typische Zyanose (eher rosige Gesichtsfarbe) • Herzklopfen, Ohrensausen, Augenflimmern, Krämpfe
Notfalltherapie • Rettung unter Beachtung des Eigenschutzes! (Lüften/Feuerwehr!) • Basischeck, Basismaßnahmen • Maximale Sauerstoffgabe! wenn Beatmung erforderlich: PEEP • Untersuchung, Standardtherapie • Intubation und Beatmung, PEEP, 100% O2!
Hinweise • Atemschutzmasken / -filter sind unwirksam! Umluftunabhängiges Atemschutzgerät notwendig (Feuerwehr!) CO diffundiert durch Wände! • Vergiftung schon bei geringer Konzentration der Umluft. • Achtung: In geschlossenen Räumen Explosionsgefahr! • Pulsoxymetriewerte sind nicht aussagekräftig! (Verkennung von CO-Hb). • Eine CO-Vergiftung stellt in bestimmten Fällen (> 20 - 40 % CO-Hb / Hypoxiezeichen wie z. B. Bewusstseinsverlust) eine absolute Indikation für eine HBO-Therapie dar (Druckkammer mit Beatmungsmöglichkeit). Elimination des CO bei Beatmung (trotz FiO2 = 100%) unter Atmosphärendruck in ca. 1-2 h (Luftatmung ca. 5-7 h); unter HBO-Therapie in ca. 20-30 min möglich; außerdem sofortige Oxygenierung: O2-Transport durch physikalische Lösung!)
12.8 · Toxische Gase
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12
Kohlendioxid (CO2) Ursache: Aufnahme über die Atemwege in Silos, Weinkellern, Jauchegruben, Höhlen (Lagerfeuer in geschlossenen Räumen; ggf. auch CO - s. linke Seite), Brunnenschächten oder bei Bränden und Explosionen. Eigenschaften: Schwerer als Luft; daher sammelt es sich oft in Kellern. Geruchlos, farblos, nicht explosiv. Wirkung: 1. Erhöhung des arteriellen CO2-Partialdruckes: Hyperkapnie, „CO2-Narkose“ ca. ab pCO2>70 mmHg; respiratorische Azidose (letztere i.d.R. ohne akute Relevanz) 2. Verdrängung der übrigen Luft und damit des Sauerstoffs: Hypoxie! Diese Wirkung haben auch andere inerte Gase (z.B. N2)
Symptomatik: • Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel, Atemnot • Bewusstseinsstörung/Bewusstlosigkeit („CO2-Narkose“) • Atemstörungen bis Atemstillstand • Tachykardie, evtl. Arrhythmie • bei fehlendem Sauerstoff auch Zyanose • Mydriasis • Blutdruckanstieg, später Blutdruckabfall • bei hoher Konzentration: toxisches Lungenödem • evtl. Krämpfe
Notfalltherapie: • Rettung unter Beachtung des Eigenschutzes! (Feuerwehr mit Atemschutz!) • Basischeck, Basismaßnahmen, maximale Sauerstoffgabe! • Untersuchung, Standardtherapie • Intubation und Beatmung, PEEP, 100% O2.
Praxistipps • Nie in CO2-verseuchte Keller o. ä. nachsteigen! CO2 ist schwerer als Luft und sammelt sich dort ➯ Tod bei der Rettung. Umluftunabhängiges Atemschutzgerät notwendig (Feuerwehr)! • Oft mehrere Patienten infolge unsachgemäßer Rettungsversuche. • Während bei der CO-Vergiftung vor allem eine hohe Sauerstoffkonzentration in der Atemluft anzustreben ist (Entfernen der CO- von den Hb-Molekülen), ist bei der CO2-Erstickung therapeutisch ein hohes Atemminutenvolumen von Bedeutung (Abatmen, ggf. kapnometrisch kontrollieren). Im Gegensatz zu CO ist - sofern Hypoxie bestand - die Reoxygenierung bereits nach wenigen Atemzügen/Beatmungen mit normaler Luft gewährleistet (sicherheitshalber trotz dem 100% Sauerstoff geben).
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Kapitel 12 · Intoxikationen
Zyanid Vorkommen
Intoxikationen
Blausäure (HCN=Zyanwasserstoff) wird industriell in metallverarbeitenden Betrieben eingesetzt. Die Salze der Blausäure (Zyanide), hauptsächlich in der chemischen Industrie, sowie in der Schädlingsbekämpfung. Bittermandeln enthalten Zyanverbindungen, aus denen HCN freigesetzt werden kann; für Erwachsene sind ca. 60–80, für Kinder 5–10 Stück tödlich. Vergiftungen mit Zyaniden treten vor allem inhalativ auf: Blausäuredämpfe bei Chemieunfällen, als Bestandteile von Rauchgasen (besonders schwelende Kunststoffbränden). In suizidaler Absicht werden Zyanidverbindungen direkt aufgenommen. Selten auch perkutane Aufnahme.
Wirkung HCN wird nach der Aufnahme sehr schnell resorbiert. Angriffspunkt des toxischen Zyanidions (CN-) ist der sog. Zytochromoxidase-Komplex: Das dreiwertige Eisen der Mitochondrien wird blockiert, sodass der am Hämoglobin gebundene Sauerstoff nicht mehr aufgenommen werden kann. „Inneres Ersticken“ ist die Folge. Während bei der Inhalation HCN sehr schnell verfügbar ist, werden die Salze der Blausäure (z.B. Zyankali = Kaliumcyanid = HCN) im sauren Milieu des Magens (HCl) zu Zyanwasserstoff umgewandelt. Letale Dosis: 1 mg/kg/KG.
Antidotbehandlung Die Standardantidottherapie besteht in der sequenziellen Gabe von DMAP (S. 464 f.) und Natriumthiosulfat (S. 470). DMAP bewirkt eine Umwandlung von Hämoglobin zu Methämoglobin welches die Zyanidionen binden kann. Die Zyanidionen werden dann durch Nattriumthiosulfat in eine ungiftige Verbindung (Rhodanid) umgewandelt. Beachte, dass durch DMAP erine bestimmte Hämoglobinmenge für den Sauerstofftransport ausfällt (Therapieziel ca. 30 %; daraus resultiert eine „funktionelle Sauerstoffsättigung“ nur 70 %!). Bei der Behandlung von Zyanid-Vergiftungen (z. B. nach Brandgasinhalation) ist unbedingt zu bedenken, dass beispielsweise schon durch eine begleitende COIntoxikation (s. S. 376) eine größere Menge Hämoglobin nicht mehr für den Sauerstofftransport zur Verfügung stehen könnte. Durch die DMAP-Gabe kann die Transportkapazität kritisch herabsetzt und der Patient erheblich gefährdet werden. Einzelfallbeobachtungen zeigen, dass Patienten, die bei Rettung noch leben (keine weitere Exposition), unter adäquater Basistherapie (Sauerstoffgabe, ggf. Beatmung und Intubation) ohne weitere Schäden die Klinik erreichen. Es sollte überlegt werden, die Antidotgabe der Klinik (anhand der Laborwerte und unter Berücksichtigung der Gasmessdaten der Feuerwehr vor Ort) zu überlassen. Alternativ steht mittlerweile ein relativ gefahrloses Antidot (hochdosiertes Hydroxocobalamin = Vitamin B 12 a; s. n. S. und S. 521) zur Verfügung. Der sicheren Anwendung mit großer therapeutischer Breite stehen leider hohe Kosten dieses Präparates gegenüber.
12.9 · Zyanid/Blausäure
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Zyanid Symptome: Die klinischen Zeichen sind Folge des zellulären Sauerstoffmangels: • Leichte Intoxikation: Schwindel, Übelkeit, thorakales Engegefühl, Kopfschmerzen. Bei Inhalation zusätzlich Reizerscheinungen an Augen (Konjunktivitis) und oberen Atemwegen • Mittelschwere Intoxikation: Atemnot, Erbrechen und starke Angstgefühle • Schwere Intoxikation: zunehmend zentrale Symptomatik – zerebrale Krampfanfälle, Bewusstlosigkeit, Atem- und Herz-Kreislaufstillstand • meist rosige Hautfarbe (keine Zyanose!) Achtung: Der typische Bittermandelgeruch kann genetisch bedingt nur von ca. 50 % der Menschen wahrgenommen werden!
Notfalltherapie • Eigenschutz! Kein direkter Hautkontakt! • Umgebung gesichert (freies HCN)? Ggf. Feuerwehrnachforderung! • Basischeck, Basismaßnahmen (maximale Sauerstoffgabe) • Untersuchung (Blutentnahme zur späteren Diagnosesicherung), Standardtherapie, Kohlegabe bei oraler Giftaufnahme und erhaltenem Bewusstsein (sonst i. d. R. wegen schneller Resorption des Zyanids nicht sehr aussichtsreich) • großzügige Indikationsstellung zur Intubation und Beatmung (100% O2) • Antidottherapie: a) Einmalig 3–4 mg 4-Dimethylaminophenol-HCl (DMAP)/kg KG i.v., direkt im Anschluss 50–100 mg Natriumthiosulfat/kg KG i.v. Vorsicht bei begleitender CO-Vergiftung oder Anämie (Erläuterung s. vorangehende S.)! b) Hydroxocobalamin 2,5–5 g über 10–30 min i.v. (vgl. S. 521)
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Intoxikationen
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Kapitel 12 · Intoxikationen
Paracetamol Paracetamol (PCM) ist ein gebräuchliches, nicht verschreibungspflichtiges Schmerzmittel aus der Gruppe der NSAID (s. S. 455, 543). Die letale Dosis für Erwachsene beträgt 15–25 g als Einzeldosis. Vergiftungen kommen relativ häufig in suizidaler Absicht vor, gelegentlich auch bei massiver Überdosierung wegen unerträglicher Schmerzen sowie selten bei „neugierigen“ Kindern. Die toxische Wirkung des Paracetamols (ab 120–140 mg/kg KG) beruht v. a. auf der Bildung des leberzelltoxischen Metaboliten NABQUI bei gleichzeitiger Überlastung körpereigener Entgiftungsmechanismen (z. B. Erschöpfung des Glutathionvorrates). Folge: Leberschaden bis zum tödlichen Leberzerfallkoma (bei fulminantem Leberversagen kann nur noch eine Transplantation helfen). Wichtig ist zu wissen, dass unmittelbar nach Einnahme keine gravierenden Symptome bestehen; wenn Symptome nach zwei bis drei Tagen auftreten, ist es für eine Antidotgabe zu spät. Häufig werden Vergiftungen aber früh von Angehörigen entdeckt oder der Patient meldet sich selbst.
Symptomatik 1. Tag: 2. Tag: 3. Tag:
Übelkeit, Erbrechen, Schwitzen, Bewusstseinsstörungen. Besserung des subjektiven Befindens, Leibschmerzen, Lebervergrößerung. Gelbsucht (Ikterus), Hypoglykämie, Leberzerfallkoma, Tod möglich.
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen, ggf. Rücksprache mit einer Vergiftungszentrale (Antidotverfügbarkeit, Zielklinik, Notarztindikation) • Untersuchung, Standardtherapie • Medizinische Kohle, 0,5–1g/kg KG p. o. (bis etwa 1 Stunde nach Einnahme wirksam) • Antidot: Acetylcystein (ACC), hochdosiert (unabhängig von der Kohlegabe): 150 mg/kg KG in 3 ml/kg KG Glukose 5 % mit Elektrolytzusatz über 15 min als Kurzinfusion i. v. Fortsetzung der Antidotgabe i. d. R. in der Klinik (vgl. S. 480) Die ACC-Therapie bei Paracetamolvergiftung sollte innerhalb der ersten 10 h nach Giftaufnahme beginnen; u. U. sind erfolgreiche Behandlungen noch bis 24 h möglich.
Kapitelübersicht
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Thermische Notfälle 13.1 Verbrennung / Verbrühung ........................................ 382 13.2 Hitze-Schäden ............................................................ 386 Übersicht .......................................................... 386 Sonnenstich ..................................................... 387 Hitzekollaps ...................................................... 388 Hitzeerschöpfung / Hitzekrämpfe .................. 389 Hitzschlag ......................................................... 390
13.3 Kälte-Schäden ............................................................ 392 Unterkühlung .................................................. 392 Erfrierung ......................................................... 394
382
Kapitel 13 · Thermische Notfälle
Verbrennung / Verbrühung I Direkte Hitzeeinwirkung auf Gewebe (Haut) - z.B. durch Flamme, Strahlung, Reibung, Strom (Verbrennung), heiße Flüssigkeiten oder Dämpfe (Verbrühung) führt in Abhängigkeit von Temperatur, Einwirkdauer und Wärmeart zu Schäden.
Einteilung (Verbrennungstiefe/Gewebeschädigung) • Grad I (epidermale Schädigung) Betroffen ist nur die Oberhaut, eine Regeneration ist vollständig möglich (heilt in der Regel von selbst aus). Bsp.: typischer Sonnenbrand Symptomatik: Rötung, Schwellung, Schmerz • Grad II (dermale Schädigung) Tiefere Hautschichten (Oberhaut + Lederhaut) geschädigt oder teilzerstört, Regeneration möglich (längere Heilung, je nach Tiefe Narbenbildung). Symptomatik: Rötung, Schwellung, Schmerz und Blasenbildung Grad II a:
Thermische Notfälle
Grad II b:
roter Untergrund (Rötung wegdrückbar*) oberflächliche Dermisschädigung: i.d.R. konservative Behandlung heller Untergrund/weiße Areale (Rötungen nicht wegdrückbar*) tiefe Dermisschädigung: i.d.R. OP (Nekrektomie, Spalthautdeckung)
• Grad III (subdermale Schädigung) Völlige Zerstörung des Hautgewebes ohne Regenerationsmöglichkeit. Später ist eine Hauttransplantation notwendig. Symptomatik: Grau-weiße Nekrosen, evtl. tiefrote lederartige Verhärtung der Haut, ausgebrannte oder verkohlte Haut, fehlendes Schmerzempfinden**. • Grad IV: Zusätzlich Schädigung / Zerstörung tieferliegender Strukturen (Muskeln, Bänder usw.). Besonders bei elektrischen Verbrennungen (Hochspannung). * Glasspateltest
** Nadelstichtest
Anteil der verbrannten / verbrühten Körperoberfläche Faustregel: In allen Altersstufen entspricht eine Handfläche des Patienten ungefähr einem Prozent seiner Körperoberfläche.
Mechanismen bei Verbrennungen und Verbrühungen • Ab 45 °C: Die in den Zellen befindlichen Eiweiße gerinnen und zerfallen. (Proteindenaturierung, z. T. reversibel.) Reizung der Schmerzrezeptoren. • Ab 55 °C: Blasenbildung. • Ab 65 °C: irreversibler Zelltod (Hitzekoagulation). • Verdampfung des Gewebswassers (Austrocknung). • Bei hohen Temperaturen: Chemische Zersetzung und Verbrennung der organischen Zellsubstanzen, Verkohlung.
13.1 · Verbrennung/Verbrühung
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13
Verbrennung / Verbrühung II Weitere Verbrennungsfolgen 1. Verbrennungskrankheit: Pathophysiologie: Direkte Schädigung der Kapillaren ➯ erhöhte Durchlässigkeit, starker Proteinverlust, Störungen der Mikrozirkulation durch Eindickung des Blutes (die festen Blutbestandteile werden zurückgehalten), Freiwerden von Verbrennungstoxinen ➯ weitere Kapillarschäden, Hämolyse von Erythrozyten. Folgen: Volumenverlust, Ödembildung, Hämokonzentration, Mikrozirkulationsstörungen, Sauerstoffmangel im Gewebe, metabolische Azidose ➯ Verbrennungsschock, Akutes Nierenversagen, ARDS. 2. After burn: Hypovolämie und Viskositätsanstieg des Blutes können zu schlechterer Versorgung und damit zu sekundären Nekrosen führen. 3. Lungenschäden (Lungenödem, ARDS nach Rauchgas- oder Flammeninhalation). 4. Infektionen (Sepsis).
Wirkung der frühzeitigen Kaltwasserbehandlung • Temperatursenkung im Gewebe (weniger Nachbrand) • weniger biochemische Veränderungen • bessere Hämodynamik • Schmerzstillung Eine Kaltwasserbehandlung mit 15-20 °C kühlem Wasser (nicht kälter!) macht nur in den ersten 15-20 min nach dem Ereignis als analgetische Maßnahme der Ersten Hilfe Sinn! Schon nach 2 - 3 min Kühlung ist die kritische Gewebstemperatur unterschritten und es besteht - bei ausgedehnten Verbrennungen bzw. deren Kühlung - die nicht zu unterschätzende Gefahr der Unterkühlung. Ferner nimmt durch Kühlung vasokonstriktionsbedingt die Perfusion ab, was insbes. in grenzwertig perfundierten Bereichen schädlich sein kann (Abtiefung, After burn). Die analgetische Wirkung der Kaltwasserbehandlung sollte frühestmöglich durch eine adäquate medikamentöse Analgesie ersetzt werden. Bei kleinen und geringgradigen Verbrenungen (I, IIa) kann ausnahmsweise eine fortgesetzte Kühlung (z. B. mit feuchter Kompresse oder speziellem Verbandmaterial) durchgeführt werden.
384
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Kapitel 13 · Thermische Notfälle
Verbrennung / Verbrühung I Symptomatik • Unfallmechanismus, Schmerzen • sichtbare Hautschädigung (Rötung / Blasenbildung / Nekrose / Verkohlung) • ggf. Schocksymptomatik (Plasmaverlust)
Thermische Notfälle
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen • Gefahrenquellen berücksichtigen! Ggf. Löschen, Rettung. Eigenschutz! • insbesondere bei Verbrühungen Kleidung entfernen (verklebte oder verschmolzene Fremdkörper in der Wunde belassen) • Lagerung auf Verbrennungstüchern (metallbedampft), ggf. Schocklage • Ggf. initiale Kühlung mit reichlich fließendem, kühlem Wasser (15-20°C), so dass Schmerz gestillt ist, ohne unangenehm zu werden; bis potente Analgesie verfügbar ist) Vorsicht bei Kindern und / oder ausgedehnten Verbrennungen, Polytrauma, Schock: wenn überhaupt maximal wenige Minuten (< 3 min) kühlen: Gefahr der Unterkühlung! (In der Praxis werden - auch heute noch - zu viele Patienten mit manifester iatrogener Unterkühlung in entspr. Kliniken eingeliefert. Dadurch verschlechtert sich die Prognose nachweisbar.) • Zum Transport: sterile Wundabdeckung mit speziellen Verbandstoffen; kein direkter Kontakt verbrannter Haut mit Flüssigkeit („feuchte Tücher“). Geeignet ist z. B. Metaline® oder Aluderm® oder speziellem Verbandmaterial aus Vliesstoff (Wundauflage) mit Schaumstoffpolsterund Wärmeschutzhülle (initial auch Kühlungsmöglichkeit mit Flüssigkeit): z. B. Burn Pac® • Wärmeerhalt (z. B. Tunnel, Rettungsdecke)! Ggf. Temperaturmonitoring. • Untersuchung, Standardtherapie • großzügige Indikation für Narkoseeinleitung, Intubation und Beatmung • zur Intubation bei V.a. Inhalationstrauma nach Möglichkeit Tubus mit Lowpressure-Cuff benutzen • Flüssigkeitstherapie: primär Vollelektrolytlösung; kein kolloidales Volumenersatzmittel. Volumentherapie spätestens ab 10% verbrannter Körperoberfläche. Gemäß Parkland-Formel / Baxter-Regel: Volumengabe in den ersten 24 Stunden = 4 ml VEL x kg KG x % verbrannter Körperoberfläche (verbr. KOF) Davon wird die Hälfte in den ersten 8 Stunden und 1/4 in den ersten 4 Stunden (1 ml / kg KG und % verbrannter Körperoberfläche) verabreicht. • Medikamente: Analgetika, z. B. ein Opiat wie Piritramid (0,1 - 0,2 mg / kg KG i.v.) oder Ketamin (0,25 - 0,5 mg / kg KG i.v.; zur Not: 2 - 4 mg / kg KG i.m.) ggf. Benzodiazepine, z. B. Diazepam (5 - 10 mg i.v.)
13.1 · Verbrennung/Verbrühung
385
13
Verbrennung / Verbrühung II
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• Die Anlage venöser Zugänge in betroffenen Hautarealen ist zulässig. (Fixierung ggf. durch Naht.) - Schonung gesunder Areale für Transplantation. • Sowohl präklinisch als auch klinisch müssen initial - trotz der augenfälligen Verbrennungen - zunächst die Vitalfunktionen adäquat stabilisiert und (häufig unterschätzte oder nicht erkannte) schwere Begleitverletzungen (z. B. Polytraumatisierung, CO-Intoxikation, Inhalationstrauma) erkannt (Bodycheck!) und versorgt werden, die die Prognose entscheidend beeinflussen. Eine sekundäre Verlegung in ein Verbrennungszentrum ist zu erwägen bei - mehr als 15- 20 % II° verbr. KOF oder mehr als 5-10 % III.° verbr. KOF oder - Gesichts-, Hand-, Fuß-, Gelenk- oder Genitalbeteiligung, elektrischen Verletzungen, zirkulären Verbrennungen, Begleitkomplikationen oder - Kindern unter 8 Jahren bzw. höherem Patientenhalter (> 55-60 Jahre). • Primär sollten Verbrennungszentren nur angefahren / angeflogen werden, wenn der Patient isoliert Verbrennungen ohne Begleitverletzungen und Komplikationen aufweist oder das Zentrum zu den nächsterreichbaren Kliniken gehört und auch eine adäquate Primärversorgung (z. B. Schockraummanagement / Intensivmedizin) gewährleisten kann. • Bei gleichzeitiger Rauchgasinhalation s. auch S. 374 f. Beachte aber, dass bei einigen dieser Patienten ein thermisches Inhalationstrauma vorliegt. Ggf. an rechtzeitige Intubation denken (Cave: Ödembildung nach Inhalationstrauma)!
9%
Abschätzen der Flächenausdehnung einer Verbrennung beim Erwachsenen und beim Kind mit der Neuner-Regel (nach Wallace).
vorne 18% [hinten 9% 9 18 18% % 18 18% [18] 18% 9
9 13,5 13,5
• Die Neunerregel ist zwar zahlenmäßig nicht exakt, aber zur Notfalleinschätzung geeignet. • Mit zunehmendem Alter verringert sich der Oberflächenanteil des Kopfes, wobei der der Beine zunimmt. • Die Handfläche des Patienten (ohne Finger) entspricht etwa 1 % seiner Körperoberfläche. • Die Genitalregion wird in allen Altersstufen mit 1 % der Körperoberfläche angesetzt.
386
Kapitel 13 · Thermische Notfälle
Hitzeschäden - Übersicht Man kann folgende Überhitzungssyndrome voneinander unterscheiden:
Thermische Notfälle
Hitzekollaps (Hitzeohnmacht, Hitzesynkope) - s. S. 388 Definition: Kurzzeitiger Bewusstseinsverlust durch körperliche Anstrengung in heißer Umgebung bei unzureichender Anpassung des Körpers an die Umgebungstemperatur. Ursachen: • Vasodilatation durch Hitze, Muskelarbeit und/oder Alkohol. ➯ Relativer Volumenmangel • Dehydratation mit absolutem Volumenmangel (Hypovolämie) • Vagusreizung mit Blutdruckabfall und Bradykardie Hitzekrämpfe - s. S. 389 Definition: Muskelkrämpfe durch hitzebedingte Flüssigkeits- und Elektrolytverluste (Schwitzen). Hypotone Dehydratation Ursache: Längeres, starkes Schwitzen (bis zu 3 l pro Stunde möglich) bei körperlicher Arbeit unter Hitzeeinwirkung ohne entspr. Ausgleich Hitzeerschöpfung - s. S. 389 Definition: Hypotone Dehydratation bei unzureichender Kreislaufkompensation. Vorstufe des Hitzschlages Ursachen: Hitzeeinwirkung mit Flüssigkeits- und Elektrolytverlusten, mangelnde Kreislaufkompensation, evtl. vorbestehende Dehydratation (z. B. bei Diuretikatherapie) Hitzschlag - s. S. 390 Definition: Starke Hyperthermie durch Störung der Temperaturregulation mit früher Beteiligung des Zentralnervensystems Ursachen: Hohe Umgebungstemperatur und Luftfeuchtigkeit, körperliche Anstrengung mit starkem Schwitzen bei unzureichender Flüssigkeitsaufnahme. Prädisponierende Faktoren: Höheres Alter, Herz- und Gefäßerkrankungen, Diabetes mellitus, Alkoholkonsum, Einnahme von Diuretika oder Anticholinergika, auch gesunde, aber nicht hitzegewöhnte Personen unter körperlicher Anstrengung bei großer Hitze (z. B. Sportler). [Sonnenstich: nur lokale Sonneneinwirkung, s. folgende S.]
13.2 · Hitze-Schäden
387
13
Sonnenstich (Insolation) Definition Unmittelbare Sonneneinstrahlung (UV-Strahlung) auf den unbedeckten Kopf und Nacken, die zu Reizung der Hirnhäute und Hirnödem führt. Bevorzugt erleiden Glatzenträger und Kinder ohne Kopfbedeckung einen Sonnenstich.
Symptomatik • heftige Kopfschmerzen, hochroter Kopf • Nackensteifigkeit (Meningismus) • Bewusstseinsstörungen bis Bewusstlosigkeit • evtl. Krämpfe • Übelkeit, Schwindel, Ohrensausen, Unruhe • Tachykardie
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen • den Patienten in kühle Umgebung bringen (Schatten) • Oberkörperhochlagerung, ggf. stabile Seitenlage • Kühlen des Kopfes (kalte, feuchte Tücher) • Untersuchung, Standardtherapie • Medikamente: ggf. Benzodiazepine, z. B. Diazepam (5 - 10 mg i.v. zur Sedierung bzw. 10 - 20 mg i.v. zur Krampfdurchbrechung) • Die Gabe von Kortikoiden zur Hirnödemprophylaxe bei Sonnenstich ist umstritten.
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388
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Kapitel 13 · Thermische Notfälle
Hitzekollaps Definition Durch Wärmeeinwirkung kommt es zu einer Weitstellung der peripheren Gefäße und relativem Volumenmangel (s. vasovagale Synkope / orthostatischer Bewusstseinsverlust S. 184 ff.). Synonyme: Hitzeohnmacht, Hitzesynkope.
Symptomatik • längerer Aufenthalt (meist Stehen) in warmen Räumen oder Sonneneinwirkung • Schwindel, Schwäche, „Schwarzwerden vor den Augen“ • Übelkeit, Schwitzen, Blässe • Bewusstseinsstörungen bis Bewusstlosigkeit • Puls tachykard und kaum tastbar, Blutdruckabfall • meist rasches Erholen in kühler Umgebung
Thermische Notfälle
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen • den Patienten in kühle Umgebung bringen, Fenster öffnen, beengende und warme Kleidung öffnen • andere Ursachen für die Synkope ausschließen (Blutzuckertest, EKG usw.) • beim bewusstseinsklaren Patienten: orale Flüssigkeitszufuhr • Untersuchung, Standardtherapie • Medikamente: ggf. Etilefrin (2 - 10 mg i.v.) oder Theodrenalin und Cafedrin [Akrinor ®] (0,2 - 1 ml i.v.; 1 Ampulle auf 10 ml verdünnen (NaCl 0,9%) und in 1-ml-Schritten langsam bis zum ausreichenden Wirkungseintritt dosieren) • Auch bei wahrscheinlich klarer Ursache sollte eine differenzialdiagnostische Abklärung der Synkope in der Klinik erfolgen.
13.2 · Hitze-Schäden
389
13
Hitzeerschöpfung / Hitzekrämpfe Definition Nach starken Schweißverlusten (Anstrengung bei Hitze) ohne ausreichende Flüssigkeitsaufnahme kann der Körper die einwirkende Wärme nicht mehr kompensieren. Hypotone Dehydratation. Bei einem Defizit von 2 - 4 l extrazellulärer Flüssigkeit und Elektrolytmangel kann es zu Muskelzuckungen (Faszikulationen) und Krämpfen (Konvulsionen) kommen.
Symptomatik a) Hitzeerschöpfung: • oft ältere Personen betroffen • Kopfschmerzen, Schwächegefühl, Schwindel, Verwirrtheit • Bewusstseinsstörungen bis Bewusstlosigkeit • Übelkeit, Erbrechen, Durst, kalter Schweiß • Puls tachykard und kaum tastbar, Blutdruckabfall / Schock • schlechte Venenfüllung, schnelle flache Atmung b) Hitzekrämpfe: • Muskelzuckungen oder Krämpfe (Symptomatik des Akuten Abdomens möglich) • starke Schweißproduktion, keine Hyperthermie • keine sonstigen neurologischen Symptome
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen • Patienten in kühle Umgebung bringen, beengende Kleidung öffnen • Flachlagerung oder Schocklage (bes. bei Hitzeerschöpfung) • Patient bewusstseinsklar: orale Flüssigkeitszufuhr; wenn möglich bilanziertes Elektrolytgetränk oder Wasser / Tee + 2 Teelöffel Kochsalz pro Liter (Gabe von 1 - 2 Litern in der ersten Stunde) • Untersuchung, Standardtherapie • Flüssigkeits- und Elektrolytersatz mit Vollelektrolytlösung • Der Therapieeffekt einer Elektrolytsubstitution (orale Rehydratation / Vollelektrolytlösung i.v.) ist i. d. R. beeindruckend, sodass auf weitere medikamentöse Maßnahmen verzichtet werden kann.
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normal
Tachypnoe; flache Atmung
Tachypnoe; flache Atmung
insuffizient (Atemstillstand)
36,0 - 37,5 °C
37,5 - 40,0 °C
40,0 - 41,0 °C
41,0 - 43,5 °C
normal
Sopor
KreislaufzuKoma sammenbruch bis Herz-KreislaufStillstand
Tachykardie; Blutdruckabfall
erfolgreiche Kompensation der Wärmeeinwirkung
Stadien-Einteilung
fahl-graue Haut
warme trockene Haut (Schweißabsonderung eingestellt)
Graues Stadium / Tod
Rotes Stadium II (Übergangsstadium)
Rotes Stadium I Kopfschmerz / Schwindel / Übelkeit (Cave: Hirnödem!); (Abwehrstadium) Hautrötung, Schwitzen; warme Extremitäten
normal
Bewusstsein übrigen Körper
Tachykardie; Unruhe; Blutdruckanstieg; Somnolenz verstärkte periphere Durchblutung
normal
Auswirkungen auf... Atmung Herz-Kreislauf
Körperkerntemperatur
Pathophysiologische Auswirkungen einer Hyperthermie:
Thermische Notfälle
390 Kapitel 13 · Thermische Notfälle
Hitzschlag
13.2 · Hitze-Schäden
391
13
Hitzschlag (temperaturbedingte Hyperpyrexie) Definition Störung und Insuffizienz der körpereigenen Wärmeregulationsmechanismen durch längere Einwirkung hoher Temperaturen (z. B. Sonneneinstrahlung, Sauna); der Körper ist nicht mehr in der Lage, den Anstieg der Körpertemperatur (Überhitzung) zu verhindern (> 40 °C). Akute Lebensbedrohung! Gefahren: Irreversible ZNS-Schäden, Schock, Multiorganversagen, Herzinfarkt. Pathophysiologische Auswirkungen der Hyperthermie (Fieber, Hitzschlag usw.): siehe linke Seite!
Symptomatik • Begleitumstände (hohe Umgebungstemperatur, hohe Luftfeuchtigkeit, vorangegangene körperliche Anstrengung mit starkem Schwitzen bei unzureichender Flüssigkeitszufuhr) • evtl. vorangegangene Hitzeerschöpfung • Lähmungen, Pupillenstörungen • weitere körperliche Symptome s. Tabelle auf der vorhergehenden S.
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen • Patienten in kühle Umgebung bringen, Kleidung öffnen • Oberflächenkühlung!: kaltes Wasser (Umschläge / Besprengen) / Eisbeutel an Leisten oder Achselhöhlen (Achtung: Kein direkter Hautkontakt des Eises!), Fortführen der Kühlung, bis die Temperatur unter 38,5 °C sinkt. • Untersuchung, Standardtherapie • Flüssigkeits- und Elektrolytersatz mit Vollelektrolytlösung; • Medikamente: bei Kühlung ggf. medikamentöses Unterdrücken von Muskelzittern (Wärmebildung) und Zentralisation (periphere Vasokonstriktion durch Kühlung), z. B. mit Promethazin (50 mg i.v.)
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normal
Atemfrequenz Herzfrequenz Unruhe; normal bis erhöht; erhöht; periphere Erregung vertiefte Atmung Durchblutung vermindert
unregelmäßig und flach
sporadisch
insuffizient (Atemstillstand)
36,0 - 37,5 °C
34,0 - 36,0 °C
30,0 - 34,0 °C
27,0 - 30,0 °C
22,0 - 27,0 °C
Steigerung des Energiestoffwechsels; Muskelzittern; Schmerzen in den Extremitäten
normal
tiefe Bewusstlosigkeit
schlaffe Lähmung der Muskulatur; weite und lichtstarre Pupillen
Erweiterung der Pupillen; keine Reaktion auf Schmerzreize
Teilnahms- Muskelstarre; losigkeit; Nachlassen der Somnolenz Schmerzen in den Extremitäten
kein Puls tastbar Koma; (Herz-Kreislaufkeine Stillstand); evtl. Reflexe Kammerflimmern
Arrhythmien starker Blutdruckabfall
Bradykardie bis Bradyarrhythmie
normal
normal
Atmung
temperatur
Herz-Kreislauf
Auswirkungen auf...
KörperkernBewusstsein übrigen Körper
Pathophysiologische Auswirkungen einer Hypothermie:
Thermische Notfälle
• passive WEW • aktive externe WEW
⇒
siehe Erschöpfungsstadium II
Scheintod oder Tod
Erschöpfungsstadium II (Paralyse-Stadium) ⇒ Nur in der Klinik möglich: • aktive innere WEW *
Erschöpfungsstadium I (Adynamie-Stadium) ⇒ • passive WEW • aktive externe WEW nur des Körperstammes (z.B. Hibler)
⇒
Abwehrstadium (Exzitationsstadium)
erfolgreiche Kompensation der Kälteeinwirkung
Einteilung Þ Therapeutische Möglichkeiten
392 Kapitel 13 · Thermische Notfälle
Unterkühlung
WEW (= Wiedererwärmung) * Möglichkeiten der aktiven inneren WEW sind z. B.: Atemgaserwärmung, 40°Cwarme Spülungen (Magen, Peritoneum, Pleura, Blase), venovenöse Hämodialyse, kardiopulmonaler Bypass (Herz-Lungen-Maschine; extrakorporale Zirkulation). Auch im Rahmen der Wiedererwärmung kann es zur Gefäßweitstellung mit Einstrom kalten Blutes aus der Peripherie kommen („Bergungstod“).
13.3 · Kälte-Schäden
393
13
Unterkühlung (akzidentelle Hypothermie) Definition Schädigung des gesamten Organismus durch Kälteeinwirkung in der Form, dass sich die Körperkerntemperatur (KKT) und die Temperaturen in Blut und Organen gleichmäßig unter 36° C erniedrigen. Vgl. auch S. 35!
Symptomatik • Umstände, ausgekühlter Körper, kalte, blass-zyanotische Haut • erniedrigte Körperkerntemperatur (tympanale, ösophageale oder rektale Mes sung mit Spezialthermometer - besondere Skala mit niedrigeren Werten!) • abnorme Müdigkeit; paradoxe Reaktion im fortgeschrittenen Stadium: dem Patienten ist es zu warm, er will sich entkleiden • weitere körperliche Symptome s. Tabelle auf der vorhergehenden S.
Notfalltherapie (abhängig von KKT s. linke S.) • Basischeck, Basismaßnahmen • Möglichst keine Manipulationen am Pat. (z.B. Umlagern, Warmreiben), Pat. nicht bewegen lassen (Bergungstod!) ➯ Schonung bei Rettung u. Transport! Kalte Extremitäten rumpffern lagern (sonst zentrale Auskühlung). • Schutz vor weiterem Wärmeverlust (z.B. Folie / Decke) in warmer Umgebung (z.B. Fahrzeug, ca. 25° C): Patient entkleiden und zudecken (= passive Erwärmung, bei milder Hypothermie > 34° C i.d.R. ausreichend). Aktive Erwärmung s. linke S. • Bei klarem Bewusstsein Verabreichung warmer, gezuckerter Getränke (Kein Alkohol! Alkohol verstärkt durch periphere Vasodilatation eine Unterkühlung!) • Untersuchung (an Blutzuckertest denken), Standardtherapie, ggf. Glukose i.v.
Praxistipps • Reanimationsmaßnahmen sind bis zur Normalisierung der Körpertemperatur fortzusetzen. (Körpertemperatur Ø ➯ O2-Bedarf Ø ➯ erhöhte Toleranz.). „No child is dead until it is warm and dead“. Bei CPR - wenn möglich - Klinik mit der Möglichkeit der extrakorporalen Zirkulation (ECMO) anfahren (unter Basis-CPR). • Eine Wiedererwärmung läßt sich nicht durch Infundieren warmer Flüssig keiten erreichen. Infusionslösungen zum Flüssigkeitsausgleich (cave: Vasodilatation bei Wiedererwärmung) sollten aber vorgewärmt sein (Wärmefach). • Bei Körperkerntemperatur unter 30° C können bereits minimale mechanische Manipulationen Kammerflimmern auslösen. Kammerflimmern spricht bei Körperkerntemperaturen < 30° C nur schlecht auf Defibrillationen an ➯ max. 1 Schock; weitere Defibrillationen erst nach Wiedererwärmung über 30° C. Andere Arrhythmien bedürfen bis zur Wiedererwärmung keiner Therapie (Tendenz zur spontanen Rerhythmisierung). • Viele Medikamente zeigen bei schwerer Hypothermie keine Wirkung und akkumulieren bei Wiederholungsdosen bis zu toxischen Spiegeln (fehlende Metabolisierung / Elimination). Zurückhaltung < 30° C KKT. Ggf. Dosisreduktion.
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394
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Kapitel 13 · Thermische Notfälle
Erfrierung Definition Lokale Gewebeschädigung durch direkte Einwirkung von Kälte, meist an wenig durchbluteten und vom Körper abstehenden Gliedern (Akren: Finger, Zehen, Nasenspitze usw.). Ursachen: Mangelnder Kälteschutz (Kleidung), Einwirkung extrem kalter Stoffe (z. B. flüssiger Stickstoff).
Symptomatik
Thermische Notfälle
• an der betroffenen Stelle: blasse, kalte, evtl. gefrorene Haut, Bewegungsunfähigkeit, starke Schmerzen (später Nachlassen / Aufhören), Gefühlsstörungen • 1. Grad: Blässe oder Rötung, Schwellung, Schmerzen • 2. Grad: blau-rote Haut, Blasenbildung, heftige Schmerzen • 3. Grad: irreversible Gewebszerstörung; Nekrosen, blutige Blasen, Schmerzfreiheit, Mumifikation • (Als 4. Grad wird in Amerika und Skandinavien die Gangrän oder die Totalvereisung einer ganzen Extremität bezeichnet.)
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen (den Patienten in warme Umgebung bringen) • betroffene Stelle steril abdecken und polstern • Untersuchung, Standardtherapie • Medikamente: Analgetika, z. B. ein Opiat wie Piritramid (0,1 - 0,2 mg / kg KG i.v.) • Bei langen Transportwegen (z. B. alpines Gelände) und frischer Erfrierung Wiedererwärmung durch kontinuierliches Eintauchen in 37–40 °C warmes Wasser, ggf. mit antiseptischer Seife, bis nach 10–45 Minuten eine distale Rötung auftritt, der Patient soll die betroffene Extremität bewegen. Da nach Einsetzen der Durchblutung i. d. R. heftige Schmerzen auftreten, ist eine großzügige Analgesie notwendig! Das vorzeitige Beenden des Auftauens (z. B. wegen Schmerzen) ist ein häufiger Fehler!
Besonderheiten • Eine vital bedrohliche Unterkühlung (s. S. 392 f.) hat Behandlungspriorität! • Eine Sonderform der Erfrierung ist der Immersionsschaden: Auch bei Temperaturen oberhalb des Gefrierpunktes können bei längerer Exposition Schädigungen der Akren und Extremitäten entstehen, z. B. Stehen in kaltem Wasser (Angler): „trench foot“ (engl. trench = (Schützen-) Graben). Mechanismen: Vasokonstriktion, Blutstase und Schäden an der Gefäßinnenwand. Ein Immersionsschaden kann sich auch noch nach Tagen entwickeln.
Kapitelübersicht
395
14
Sonstige Notfälle 14.1 Strangulation .............................................................. 396 14.2 Notfälle in Gewässern ................................................. 398 Ertrinken .......................................................... 398 Tauchunfall ....................................................... 400
14.3 Stromunfall ................................................................. 402 14.4 Störungen der Homöostase ........................................ 404 Störungen im Wasser-Elektrolyt-Haushalt ... 404 Störungen im Säure-Basen-Haushalt ........... 405 Störungen im Hormonhaushalt/Stoffw. ....... 406 Thyreotoxische Krise ...................................... 408
14.5 Akute Höhenkrankheit ................................................. 409 14.6 Urologische Notfälle ................................................... 410 • Harnleiterkolik • Priapismus • Akutes Skrotum
• Harnverhalt • Paraphimose
14.7 Notfälle der Sinnesorgane .......................................... 412 Augennotfälle ................................................... 412 Ohrennotfälle ................................................... 414
14.8 Akutfälle ...................................................................... 415 Entscheidungshilfen über Klinikeinweisung und Initialtherapie durch den Notarzt ........... 415 Akute Schmerzsyndrome ............................... 417 • Akuter Tumorschmerz • Akuter Gichtanfall
• Akute Zahnschmerzen • Akute Migräneattacke
Notfallantibiose ................................................ 421
396
Kapitel 14 · Sonstige Notfälle
Strangulation
Sonstige Notfälle
Erhängen Befestigung einer Schlinge um den Hals, die sich z. B. nach Stoßen oder Fallenlassen durch das Körpergewicht zuzieht. ➯ Plötzliches Zuschnüren des Halses ➯ Kompression der Halsarterien (Hauptmechanismus) ➯ Ischämie im Gehirn (Bewusstlosigkeit innerhalb von Sekunden). Die Herztätigkeit kann noch bis zu 15 Minuten anhalten. Ein sofortiger Herzstillstand durch Reizung des Nervus vagus ist ebenfalls möglich (auch bei initialem Zerreißen des Stricks). Andere Mechanismen haben bezüglich der Tötung des Patienten untergeordnete Bedeutung. So ist z. B. der oft zitierte „Genickbruch“ (Fraktur des Dens axis, HWK 2) selten Todesursache. (Ausnahme: Exekution durch den Strang wegen stärkerer HWS-Belastung und speziellen Knotens.) Trotzdem muss bis zum radiologischen Ausschluss von einem HWS-Trauma ausgegangen werden! Beachte: Das Erhängen ist auch wirksam, wenn das Opfer nicht komplett am Strang hängt, sondern z. B. steht oder kniet. Erwürgen Umfassen des Halses mit den Händen und Zudrücken. Selbsterwürgen ist nahezu ausgeschlossen. Es kommt schon bei relativ leichtem Druck zum Verschlussder Atemwege (Kehlkopf). ➯ Erhöhung der Kohlendioxid-Konzentration im Blut ➯ Atemnot, Todesangst, schließlich Erstickung (Asphyxie). Gleichzeitig werden die Halsvenen gedrosselt. ➯ Blutstauung im Kopf mit typischer Blaufärbung des Gesichtes, Aufdunsung und petechialen Blutungen. Da der Druck jedoch meist nicht ausreicht, die Halsarterien zu verschließen, bleibt das Bewusstsein in der Regel bis zum Eintritt des Erstickungstodes erhalten. ➯ Oft zunächst noch heftige Gegenwehr (u. U. ist der Täter entsprechend verletzt). Gelegentlich tritt der Tod auch schon durch einen Karotissinus- oder NervusVagus-Reflex ein. Beachte: Selbst in einer freundschaftlichen Rangelei kann ein solcher Reflex unbeabsichtigt eintreten! Erdrosseln Umschlingen des Halses mit einem Gegenstand, der durch Muskelkraft zugezogen wird. Ein Selbsterdrosseln ist möglich. Wie beim Erwürgen tritt der Tod i. d. R. durch Ersticken ein. Die Kompressionswirkung auf den Hals ist jedoch größer, weil das Drosselwerkzeug die Kraft stärker wirksam werden lässt. Daher kann eine Kombination von asphyktischem Ersticken und Störung der Gehirndurchblutung (Abdrücken der A. carotis) vorliegen. Die Form des Drosselwerkzeugs zeichnet sich meist exakt ringförmig um den Hals ab.
14.1 · Strangulation
397
14
Strangulation Definition Als Strangulation bezeichnet man den Tod durch Ersticken, der durch eine Kompression des Halses erreicht worden ist. I. d. R. tritt der Tod durch Abdrücken der Halsschlagadern (Erhängen) ein und nur selten durch eine Fraktur der HWS („Genickbruch“) oder Kompression der Atemwege (Erwürgen, Erdrosseln).
Symptomatik • entsprechende Verletzungen und Hämatome am Hals: evtl. Kratzspuren, Würgemale (Erwürgen; Beachte: Nicht mit Totenflecken zu verwechseln !), gleichmäßiger, zirkulärer Striemen um den Hals (Drosselmarke), tiefe Einschnürung (Strangmarke bei Erhängen), rekonstruierbarer Tathergang (sichtbare Stricke, Gürtel, Knebel o.ä.) • Zyanose • punktförmige Blutungen in den Augenbindehäuten oder im Gesicht (Stauungszeichen), aufgedunsenes Gesicht • Stuhl- / Urinabgang, evtl. Zungenbiss, evtl. Ejakulation • insbesondere bei Überleben: Angst, Verwirrtheit, Euphorie, massive Schluckbeschwerden, geschwollene Zunge, Luftnot, Heiserkeit, evtl. Zungenbeinfraktur mit Hämatom und Zuschwellen der Atemwege (!)
Notfalltherapie Basischeck, Basismaßnahmen (HWS-Immobilisation! O2!) • Untersuchung, Standardtherapie • ggf. Sedierung/Anxiolyse, z.B. Benzodiazepine (Diazepam: 5-10 mg langsam i.v. - Cave: Atemdepression; vorher neurologischen Status erheben und dokumentieren! • ggf. Narkose, Intubation und Beatmung • ggf. Todesfeststellung
Praxistipps • Findet man am Einsatzort einen Toten mit V.a. Strangulation auf, sollte man sich (nach Feststellung sicherer Todeszeichen) bemühen, keine Spuren zu verwischen. Polizei informieren! • Bei Überlebenden kann die Erinnerung an das Geschehen durch zerebralhypoxische Zustände gestört sein. Dies hat oft auch unverständliches, euphorisches oder verwirrtes Verhalten zur Folge, welches nicht der eigentlichen Persönlichkeit entspricht. DD: Psychische Traumatisierung (vgl. Kapitel 15). Fingerspitzengefühl! Verständnis! Ruhe ausstrahlen! • Zum Umgang mit Suizidalabsicht s. Kapitel 15.
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Kapitel 14 · Sonstige Notfälle
Ertrinken Ursachen Nichtschwimmer, Ermüdung und Krämpfe; Selbstüberschätzung und unbekannte Gewässerbedingungen (Strömung, Strudel); Vagusreizung (reflektorische Synkope bis Herzstillstand durch plötzliches Eintauchen in sehr kaltes Wasser, ggf. nach reichhaltigem Essen = Badetod); Vergiftung (z. B. Drogen, Alkohol), Selbsttötungsversuch; Verletzung (z. B. Bewußtseinsverlust nach Kopfsprung in flaches Wasser); vom Schwimmen unabhängige Ereignisse (z. B. Tauchunfälle, Schiffunglücke, Eiseinbrüche, Überschwemmungen, Einsinken in Moor) und Erkrankungen (Versinken, z. B. nach Krampfanfall, Herzinfarkt). Beachte: Kleinkinder ertrinken auch schon in sehr flachem Wasser (Badewanne).
Sonstige Notfälle
Pathomechanismen - Phasenablauf des Erstickens beim Ertrinken 1. Luftschnappen vor dem Untertauchen. Panik, wildes Umsichschlagen, gelegentliches Wiederauftauchen. 2. Atemanhalten nach dem Untertauchen. 3. Atemnot mit krampfhaftem Atmen (Reizung des Atemzentrums durch den mittlerweile erhöhten CO2-Partialdruck im Blut). Dabei Anatmen (Aspiration; nicht bei „trockenem Ertrinken“: s. u.) und Schlucken von Wasser ➯ Hypoxie, Erschöpfung und Bewußtlosigkeit. 4. Tonisch-klonische Krämpfe durch zerebrale Hypoxie / Asphyxie. 5. Präterminale Lähmung, Schnappatmung. Formen des Ertrinkens • „Trockenes Ertrinken“: Reflektorischer Stimmritzenkrampf (Laryngospasmus) bei Eindringen von Wasser in den Nasenrachenraum ➯ Hypoxie ➯ Ertrinken ohne Wassereintritt i. d. Lungen. • „Nasses Ertrinken“: Ertrinken mit Aspiration von Wasser. • „Süßwasseraspiration“ / „Süßwasserertrinken“: Süßwasser hat einen niedrigeren osmotischen Druck als das menschliche Blut. Infolgedessen diffundiert es durch die Alveolarwände in den Lungenkreislauf ➯ Hypervolämie mit relativer Verminderung der Elektrolytkonzentrationen (aber: ➯ Hämolyse ➯ Kaliumanstieg! ➯ Gefahr des Kammerflimmerns). Außerdem wird der Surfactant-Faktor (verhindert das Kollabieren der Alveolen) in seiner Funktion gestört. ➯ Lungenödem, Hypoxie, Hyperkapnie. • „Salzwasseraspiration“ / „Salzwasserertrinken“: Der hohe osmotische Druck des Salzwassers gegenüber But führt zu einer Diffusion von Wasser aus dem Lungenkreislauf in die Lungen ➯ Lungenödem, Hypovolämie, Hämokonzentration, Hypotension. Besondere Gefahrensituation: Apnoisches Streckentauchen. Die vor dem Tauchen durchgeführte Hyperventilation (Ziel: bessere Oxygenierung) führt zur Abnahme des CO2 Partialdruckes im Blut. Im hypoxischen Grenzbereich fehlt dem Taucher dann der Atemantrieb und der eintretende Sauerstoffmangel führt zu Bewusstlosigkeit unter Wasser mit der Folge des Ertrinkens.
14.2 · Notfälle in Gewässern
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14
Ertrinken Symptomatik • Anamnese, Unfallhergang (an Begleitverletzungen, insbes. der (Hals-) Wirbelsäule, denken! - Flaches Wasser?) • Bewusstseinsstörungen bis Bewusstlosigkeit • Atemstörungen bis Atemstillstand, evtl. Atemwegsverlegung, evtl. Rasselgeräusche auskultierbar (Lungenödem) • Zyanose, kalte Haut, Unterkühlung; evtl. Herz-Kreislaufstillstand (oft VF)
Notfalltherapie • Rettung: Eigenschutz beachten! Ggf. Rettungsring zuwerfen, Abschleppen durch Rettungsschwimmer, Anwendung eines Rettungsbrettes usw.; frühzeitig Fachdienste (Feuerwehr, DLRG) zur Rettung nachalarmieren. • Ggf. HWS-Immobilisierung (i.d.R. noch nicht im Wasser, sofern nicht von einem schweren Trauma ausgegangen werden muss - Zeitverlust) • Basischeck, Basismaßnahmen: Versuche der Entfernung von Wasser aus den (tieferen) Atemwegen sind nicht effektiv, erhöhen z.T. die Aspirations gefahr und kosten Zeit (kein „Ausschütteln“, „Ausdrücken“, endobronchiales Absaugen). Wasser in den Lungen wird resorbiert. Viel Wasser im Mund kurz ablaufenlassen/absaugen; größere Fremdkörper entfernen. Bei Atemstillstand so schnell wie möglich beatmen! (Durch Geübte ggf. auch schon im Wasser für 1-2 min bei größerer Entfernung zum Ufer/Boot.) • Untersuchung, Standardtherapie (ggf. Reanimation; Thoraxkompressionen erst an Land/an Bord!), nasse Kleidung ausziehen • großzügige Indikation zu Intubation und Beatmung mit PEEP • Magensonde (wegen Aspirationsgefahr durch vollen Magen)
Praxistipps • Aufgrund der meist bestehenden Hypothermie vergrößert sich die Hypoxietoleranz der Organe. Reanimation, bis die normale Körpertemperatur erreicht ist. Ggf. Transport in die Klinik unter Reanimationsbedingungen (vgl. S. 392 f.). • Beachte die hohe Aspirationsgefahr wegen der evtl. großen Mengen an verschlucktem Wasser (voller Magen)! • Bis zu 48 Stunden nach einem Ertrinkungsunfall kann aufgrund von Membranschädigungen der Alveolen ein sekundäres Lungenödem entstehen ! („Sekundäres Ertrinken“) Ein Beinaheertrunkener ist wegen dieser Gefahr - auch bei gutem Zustand - immer einer angemessenen medizinischen Überwachung zuzuführen (möglichst Intensivstation). • Die Unterscheidung Süß- / Salzwasserertrinken (s. l.inke S.) hat keine Auswirkung auf die präklinische Notfalltherapie, wird aber (leider) in der Ausbildung häufig hervorgehoben und abgeprüft; daher hier dargestellt. Die wesentliche Pathophysiologie besteht in Hypoxämie durch Surfactantauswaschung/-inaktivierung, Atelektasen, intrapulmonalen Shunts.
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Kapitel 14 · Sonstige Notfälle
Tauchunfall
Sonstige Notfälle
Mechanismen des Barotraumas • Verschiedene gasgefüllte Körperhöhlen können durch folgenden Mechanismus geschädigt werden: Die durch Druckeinwirkung (z. B. Tauchen) komprimierten Gase nehmen bei schnell fallendem Druck ein Vielfaches ihres Volumens an und üben damit Kräfte aus, die zu Reizungen und Verletzungen von Organen führen können (Boyle-Mariotte-Gesetz: Druck x Volumen = konstant). Besonders die Lunge ist bei zu schnellem Auftauchen gefährdet: Hält ein Taucher während des (schnellen) Auftauchens die (komprimierte) Luft an (Panik), dehnt sich diese in den Lungen aus und kann zu lebensgefährlichen Rupturen führen: Lungenrisse, Ausbildung eines beidseitigen Spannungspneumothorax, Lungenembolie. Weiterhin können solche Barotraumen in den Nasennebenhöhlen, Magen und Darm (Blähungen) auftreten. • Die Paukenhöhlen (Mittelohr) sind durch die Trommelfelle von außen getrennt. Über die Eustachischen Röhren besteht die Möglichkeit des Druckausgleichs. Dieser Druckausgleich kann - z. B. beim Fliegen - durch Öffnen des Mundes, Schlucken und Valsalva-Pressmanöver verbessert werden; er erfolgt meist unter leichtem Knacken (plötzliche Änderung der Trommelfellspannung durch Druckausgleich). Ist die Eustachische Röhre je doch blockiert oder erfolgt die Druckveränderung plötzlich und heftig (z. B. Druckwelle bei Explosion; Knalltrauma), so kann das gespannte Trommelfell dem einseitigen Druck nicht mehr standhalten u. zerreißt (Trommelfellruptur). Mechanismen der Caisson-Krankheit (Dekompressionskrankheit, DCS) In den Körperflüssigkeiten sind immer bestimmte Mengen an Gasen (z. B. Stickstoff, Sauerstoff, Kohlendioxid) physikalisch gelöst. Nach dem HenryDalton-Gesetz sinkt die Löslichkeit dieser Gase mit fallendem Druck und steigt mit zunehmendem Druck. Wenn ein Mensch einer Druckerhöhung ausgesetzt wird (z. B. beim Tieftauchen), werden über die Atmung vermehrt Gase ins Blut gelöst. Bei langsamer Drucksenkung werden die Gase genau umgekehrt wieder frei und abgeatmet. Tritt der Druckabfall jedoch schnell ein, so perlen die Gase aus den Körperflüssigkeiten im Gewebe, im Gefäßsystem, in den Knochen usw. aus ➯ Gefäßverschlüsse (Gasembolien), Rupturen, Nervenirritationen („Taucherflöhe“), Knochen- und Gelenkschmerzen usw.. Dieser Effekt ist vergleichbar mit dem Öffnen einer Sprudelflasche; die unter Druck gelöste Kohlensäure entweicht, wenn man den Druck wegnimmt. Die Therapie besteht in möglichst frühzeitiger Überdruckbehandlung (Rekompression) mit kontrollierter Dekompression. Die Symptome der Caisson-Krankheit können langsam, auch bis zu 24 Stunden nach dem Ereignis auftreten; daher auch bei Verdacht immer Klinikeinweisung. Als Notfallmaßnahme ist - unabhängig von der Oxygenierung (!) - ein möglichst hoher FiO2 (1,0 = N2-frei !) notwendig, um ein großes Konzentrationsgefälle (Diffusionsgradient) zur Abatmung von Inertgasen (N2) zu erreichen (1. Ficksches Diffusionsgesetz)! Bewusstlosigkeit bei apnoischem Streckentauchen s. S. 398.
14.2 · Notfälle in Gewässern
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Tauchunfall Symptomatik Anamnese: Tauchen; auch Druckabfall in Flugzeugkabine bei großer Höhe Barotrauma (schon bei geringer Tauchtiefe möglich, > 3-5 m): • Tauchgang mit Gerät (unterschiedliche Dauer) • Nasennebenhöhlenschmerz, evtl. Nasenbluten • Ohrschmerzen, Gehörverlust, Ohrensausen (Tinnitus) • Atemnot, atemabhängige Schmerzen • kolikartige Bauchschmerzen, Völlegefühl • Pneumothorax, Spannungspneumothorax (ein- oder beidseitig) • verschiedene Emphyseme (Haut, Mediastinum) • Luftembolie (v. a. ZNS mit Apoplexsymptomatik) Caisson-Krankheit (erst bei größerer Tauchtiefe möglich, > 20 - 30 m): • Tauchgang (längere Tauchzeiten oder Wiederholungsgänge) • Knochen-, Muskel- und Gelenkschmerzen („Bends“) • neurologische Ausfälle: Lähmungen und Gefühlsstörungen, evtl. spinaler Schock, Inkontinenz, Krämpfe, positive Pyramidenbahnzeichen • Schwindel, Übelkeit, Erbrechen, Bewusstseinsstörungen • Euphorie oder andere psychische Störungen • Herz-Kreislauf- und Atembeschwerden • Hautjucken („Taucherflöhe“) und Hautknistern
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen, Flachlagerung • bei Verdacht auf Caisson-Krankheit in jedem Fall Gabe von 100 % O2 ! • Zügigen Transport mit NA-Begleitung anstreben, um den Patienten bei Caisson-Krankheit frühzeitig einer Überdruckbehandlung mit kontrollierter Dekompression in einer Druckkammer zuzuführen (Verzeichnis der Kliniken mit Druckkammern liegt der RLS vor. Beachte: Nicht alle Druckkammern haben Beatmungsmöglichkeit !). Ggf. (z. B. längerer Transport) den Einsatz einer mobilen Druckkammer erwägen; Anforderung über Feuerwehr / DLRG. • Untersuchung (auch an Ertrinken denken!), Standardtherapie • Ggf. Entlastung eines Spannungspneumothorax • Medikamente: • Analgetika, z. B. Morphin (5 - 10 mg i.v.) • ggf. Benzodiazepine, z. B. Diazepam (5 - 10 mg i.v.) • ggf. Flüssigkeitsersatz mit VEL (Hypovolämie durch „Taucherdiurese“; weiteres Ziel: vermehrte Gaslösung bei Caissonkrankheit)
Praxistipps • Bei Hubschraubertransport sollte mit der niedrigstmöglichen sicherheitstechnisch vertretbaren Flughöhe geflogen werden. • Möglichst Sicherstellung des Tauchgerätes zur Atemgasuntersuchung; Aufbewahrung des Tauchcomputers.
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Kapitel 14 · Sonstige Notfälle
Stromunfall
Sonstige Notfälle
Pathomechanismen / Symptome: Elektrischer Strom, der den menschlichen Körper durchfließt (der Mensch ist ein Leiter), ruft folgende Schäden hervor: 1. Er stört die körpereigenen Stromflüsse in Nerven und Muskeln (elektrophysiologische Wirkung): • Herzrhythmusstörungen, Kammerflimmern (Haupttodesursache bei Wechselstrom), auch primäre Asystolie (Hochspannungs-Gleichstrom). • Verkrampfung der Atemmuskulatur mit Atemstörungen u. Atemstillstand. • Bewusstseinsstörungen bei Stromfluss durch das Gehirn. • Wenn Strom den menschlichen Körper durchfließt, wird ein Kribbeln (Nervenreiz) verspürt. • Erregung der Muskulatur mit Luxationen, Muskeleinrissen u. Frakturen. Typisch: Krampfartiges Festhalten der Stromquelle. 2. Die stromflussbedingte Wärmewirkung (elektrothermische Wirkung) verursacht Gewebeschäden (z. B. in Muskeln, Gehirn). Dabei Bildung von toxischen Eiweißzerfallprodukten ➯ Nierenschädigung, Vergiftungserscheinungen. Starke Ströme verursachen, vor allem an den Ein- und Austrittsstellen, durch Hitzebildung Verbrennungen der Haut (Strommarken): Grau-weiße bis verkohlte unregelmäßige Einsenkungen in die Haut mit wallartigem Rand. 3. Elektrochemische Wirkung: Elektrolyte leiten den elektrischen Strom unter chemischer Reaktion (Elektrolyse); es tritt eine Zersetzung von Körpersubstanz ein, vor allem von Blutbestandteilen (Vergiftungssymptomatik). 4. Ggf. kann durch die photoelektrische Wirkung (Lichtbogen, Blitz, Funken) eine Netzhautschädigung im Auge eintreten. Die Gefährdung eines Menschen durch Stromeinwirkung ist abhängig von: • Stromstärke (abhängig von Spannung und Widerstand). • Einwirkdauer (Kontaktzeit). • Stromweg durch den Körper (Ein- und Austrittsstellen; Hand-Hand ist gefährlicher als Hand-Fuß oder Fuß-Fuß). • Stromform (Gleich- oder Wechselstrom); bei Wechselstrom von der Frequenz (hochfrequente Ströme nehmen ihren Weg eher über die Körperoberfläche). • Elektrischer Widerstand (beim Menschen schwankt dieser erheblich durch Körpergröße, Ein- und Austrittsstelle des Stromes, Haut-, Luft- und Erdfeuchtigkeit, Kontaktdruck und Berührungsfläche - zwischen 500 und 5000 Ohm.) Bei geringem Widerstand können schon kleine Spannungen (z. B. Autobatterie; 12 V) gefährlich werden.
14.3 · Stromunfall
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Stromunfall Symptomatik • Unfallmechanismus; weitere Symptome s. vorhergehende S. • Hinweise auf Stromunfall: nicht isolierte Leiter (z. B. Stromkabel, auseinandergebautes und angeschlossenes Elektrogerät, Ober- und Überlandleitungen, Trafohaus, nicht geerdetes Elektrogerät). • Charakteristische Strommarken (Verbrennungen, Verkohlungen). • bei Blitzschlag: Zerfetzung und Verbrennung von Kleidern, Schmelzen von Metallteilen (z. B. Knöpfe), farnkrautartig verzweigte Blitzfiguren auf der Haut, Verbrennungen 1. - 4. Grades, z. T. schwere Frakturen und Luxationen, u.U. Lähmung der Atemmuskulatur mit Atemstillstand und sekundärem HKS
Notfalltherapie • Stromquelle abschalten bzw. abschalten lassen. Bei Niederspannung: ggf. Rettung; Eigenschutz nicht vernachlässigen! Bei Hochspannung: Rettung nur durch Feuerwehr oder anderes VDE-Fachpersonal (mindestens 5 m Abstand halten!) - Sicherheitshinweise s. S. 12 • Basischeck, Basismaßnahmen, ggf. Reanimation (s. Kap. 5), EKG-Monitoring • Untersuchung (vollständige Inspektion), Standardtherapie, • Behandlung von Herzrhythmusstörungen, Verbrennungen usw. • Medikamente: • Analgetika, z. B. Morphin (5 - 10 mg i.v.) • ggf. Benzodiazepine, z. B. Diazepam (5 - 10 mg i.v.)
Praxistipps • Zum Verhalten bei Stromunfällen und auf Bahnstrecken s. S. 9 ff. • Auch bei primär überlebtem Stromunfall zunächst Klinikeinweisung an streben; in Klinik Tetanusschutz und Risikostratifizierung: Stationäre Überwachung - wegen potenziell eingetretener Schäden und deren Auswirkungen (z.B. Elektrolytveränderungen) - ist Pflicht bei: -
pathologischem 12-Kanal-EKG pathologischen Blutwerten (z.B. Blutbild, Elektrolyte, Herzenzyme) Unfall mit einer Spannung größer als 500 V Risikofaktoren: (Stromfluss Hand-zu-Hand oder über nasse Haut; tetanische Kontraktionen, Verbrennungen, jegliche Bewusstseinsstörungen oder neurologische Auffälligkeiten (Amnesie, Seh-/Hörstörungen, Schwindel, vegetative Symptome, Paresen/ Parästhesien), Gefäßverschlüsse/Thrombosen, kardiale Warnsymptome (Thoraxschmerz, Palpitationen, Dyspnoe), schwere (kardiopulmonale Grunderkrankungen)
Sonst ambulante Behandlung möglich (Alles-oder-Nichts-Gesetz; keine nachträglichen Pathologien „aus dem Nichts“ zu erwarten). • Stromstärken über 30-50 mA sind lebensgefährlich! Zum Vergleich: Defibrillation 20 - 40 A (allerdings kurze Einwirkzeit). • Niederspannung (< 1000 V): Vor allem Störungen der Elektrophysiologie (Herz !). I. d. R. nur direktes Berühren stromführender Leiter gefährlich. • Hochspannung (> 1000 V): Vor allem Verletzungen durch elektrothermische Wirkung (Verbrennung) und Muskellähmung (bis zu 30 min, dadurch Atemstillstand). Der Strom kann auch nicht leitende Strecken überbrücken!
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Kapitel 14 · Sonstige Notfälle
Wasser-Elektrolyt-Haushalt Der menschliche Körper besteht zu 50 % (Frauen) bis 60 % (Männer) aus Wasser. Verteilung: Gefäßsystem (Intravasalraum – IVR – Blutplasma; 10 %), Zwischenzell-raum (Interstitium – IS; 30 %), Zellen (Intrazellularräume – IZR; 60 %). IS und IVR werden als Extrazellularraum (EZR) bezeichnet.
Dehydratation (Wassermenge verringert, Flüssigkeitsverlust; Exsikkose, Schock) • Isoton (Elektrolytverlust = Wasserverlust; Verlust isotoner Körperflüssigkeiten; osmotischer Druck normal): Ursachen: Erbrechen, Durchfall, forcierte Diurese, Blutverlust, Verbrennung, ungenügende Flüssigkeits- und Elektrolytaufnahme, Nebenniereninsuffizienz usw. • Hypoton (Elektrolytverlust > Wasserverlust: Dehydratation im EZR bei Ödembildung im IZR; osmotischer Druck erniedrigt): Ursachen: wie bei isotoner Dehydratation, jedoch meist im Zustand der Kompensation oder bei Infusionen, die viel „freies“ Wasser enthalten (z. B. Glucose 5 %). • Hyperton (Wasserdefizit: IZR und EZR betroffen; osmotischer Druck erhöht): Ursachen: mangelhafte Wasserzufuhr (Verdursten), Wasserverluste durch Schwitzen, Erbrechen, Durchfall, Hyperglykämie (diabetisches Koma) und Diabetes insipidus, Salzwasserertrinken. Bei allen Dehydratationen ist das Infundieren von Vollelektrolytlösung und ggf. Volumenersatz die Therapie der Wahl. Ausgleich der Elektrolytverhältnisse in der Klinik.
Sonstige Notfälle
Hyperhydratation („Überwässerung“, zu große Flüssigkeitsaufnahme) • Isoton (isotone Flüssigkeitszunahme im EZR; osmotischer Druck normal): Ursachen: Herzinsuf.zienz, nephrotisches Syndrom, dekompensierte Leberzirrhose, Infusion großer Mengen isotoner Lösungen, Niereninsuffizienz, Hyperaldosteronismus. • Hypoton (Wasserzufuhr > Elektrolytzufuhr; Verdünnung; EZR und IZR betroffen; osmotischer Druck erniedrigt): Ursachen: Süßwasserertrinken, Trinken von destilliertem Wasser („Wasserintoxikation“; Hämolyse!), intensive Magenspülung. • Hyperton (Elektrolytzufuhr > Wasserzufuhr: Hyperhydratation im EZR bei Dehydratation im IZR; osmotischer Druck steigt). Ursachen: Salzwasserertrinken, Conn-Syndrom (= primärer Hyperaldosteronismus), Infusion hypertoner Lösungen. Die Notfalltherapie bei Hyperhydratation besteht in der Regel in der Gabe von Diuretika (Furosemid). Ansonsten: kausale Therapie. Bei hypotonen Hydratationsstörungen liegt die Gefahr im Hirnödem. Bei hypertonen Hydratationsstörungen kommt es zu einem Flüssigkeitsentzug aus den Gehirnzellen: geistige Verwirrtheit und neurologische Ausfälle.
14.4 · Störungen der Homöostase
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Säure-Basen-Haushalt Säuren Stoffe, die Protonen (= H+ = Wasserstoff-Ionen) abgeben können (ProtonenDonatoren). Eine saure Lösung heißt auch azidotisch.
Basen (Laugen) Stoffe, die Protonen aufnehmen können (Protonen-Akzeptoren). Eine basische Lösung heißt auch alkalisch.
pH-Wert Kenngröße, die aussagt, ob eine Lösung sauer (pH < 7), neutral (pH = 7) oder basisch (pH > 7) ist. Bei einem Blut-pH-Wert über 7,45 spricht man von einer Alkalose, unter 7,35 von einer Azidose. Um Verschiebungen von pH-Werten in Körperflüssigkeiten zu vermeiden, besitzt der Körper Puffersysteme (z. B. Kohlendioxid-Hydrogencarbonat-Puffer, Hämog-lobin-Puffer, Eiweiß-Puffer im Plasma, Phosphat-Puffer intrazellulär und bei der Harnpufferung). Diese haben die Aufgabe, überschüssige H+-Ionen zu binden bzw. bei zu geringer H+-Ionen-Konzentration solche freizusetzen. Eine Pufferlösung enthält eine schwache Säure und ihre konjugierte Base. Kann der erhöhte bzw. verminderte Anfall von Säuren oder Basen nicht durch die oben genannten Regulationsmechanismen ausgeglichen (kompensiert) werden, entsteht eine Azidose bzw. eine Alkalose.
Respiratorische Ursachen (= atmungsbedingt) a) Azidose: erhöhte Kohlendioxidkonzentration im Blut durch Atem insuffizienz mit alveolärer Hypoventilation b) Alkalose: verminderte Kohlendioxidkonzentration im Blut durch verstärkte Abatmung (Hyperventilation; vgl. S. 208 f.)
Metabolische Ursachen (stoffwechselbedingt) a) Azidose: •„Additionsazidose“ – Keto-/Laktat-Azidose: Minderversorgung des Gewebes mit Sauerstoff, z. B. durch Schock oder Herzkreislauf-Stillstand; vermehrte Bildung von Kohlendioxid und Säuren, z. B. beim diabetischen Koma oder bei längerem Hungern (Umstellung des Stoffwechsels) • „Retentionsazidose“ – Niereninsuffizienz/ -versagen • „Subtraktionsazidose“ – enteraler/renaler HCO3--Verlust: Durchfall, Gallenund Bauchspeicheldrüsenfisteln; Hyperkaliämie; Vergiftungen. b) Alkalose: Magensaftverlust (Erbrechen); Mineralkortikoid-Exzess; Hyperaldosteronismus; Vergiftungen oder iatrogen, z. B. Diuretika-Therapie (Hypokaliämie) oder Überdosierung von Natriumhydrogencarbonat, Laktat und Zitrat.
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Kapitel 14 · Sonstige Notfälle
Hormonhaushalt und Stoffwechsel I Metabolisches Koma - Definition: Bewusstseinsgestörter bis komatöser Zustand eines Patienten, der aus einer Stoffwechsel-Entgleisung oder endokrinen Erkrankung resultiert.
Allgemeinsymptomatik • Anamnese! (Keine akuten äußeren Einflüsse auf den Patienten erkennbar.) • Bewusstseinsstörungen (bis Koma), Krämpfe, Unruhe, Übelkeit, Erbrechen.
Notfalltherapie Symptomatisch - Die im folgenden genannten Ursachen endokrin-metaboli scher Komata werden i. d. R. außerhalb der Klinik nicht spezifisch behandelt. Ausnahmen:Hypoglykämie (Glukose), Morbus Addison (Kortikoide). • Entgleisung bei Diabetes mellitus (Hyper- / Hypoglykämie) s. S. 192 ff.
Sonstige Notfälle
• Hyperthyreose / Thyreotoxischer Krise s. S. 408. • Hypothyreose - Myxödem-Koma Unzureichende Versorgung des Körpers mit Schilddrüsenhormonen (Hypothyreose), z. B. bei Entzündung der Schilddrüse (Thyreoditis), Iodmangel, Schilddrüsenoperation, Radioiodtherapie oder Altershypothyreose. Die krisenhafte Entwicklung einer Schilddrüsenunterfunktion wird durch zurückliegende chirurgische Eingriffe, Infektionen, Stress, Verletzungen oder starke Unterkühlung ausgelöst; schwere Verlaufsform: Myxödem-Koma. Hohe Letalität. Symptomatik: Stoffwechselverlangsamung (Hypothermie, Bradykardie, Ateminsuffizienz, Reflexverlangsamungen), Blässe, Hypoglykämie, Ödeme (Myxödem: teigige Ödeme; typische Dellen bei Druck fehlen). • Nebennierenrindeninsuffizienz (Morbus Addison) - Addison-Krise Produktion von NNR-Hormonen vermindert (Mineralo- und Glukokortikoide). Ursachen: Autoimmunreaktion, Entzündung, NNR-Infarkt (bei Schock oder Meningokokkensepsis), Tumore, Hypophysenvorderlappeninsuffizienz, plötzlicher Abbruch einer Glucocorticoidtherapie. Addison-Krise: akut aufgetretene NNR-Insuffizienz, durch Streßfaktoren (OP, Trauma usw.) ausgelöst. Symptomatik: Schock (hypotone Dehydratation, Exsikkose), Hypotonie, Muskelschwäche, Hyperpigmentierung (Bräunung nicht sonnenbeschienener Körperteile), Hypoglykämie, Pseudoperitonitis, verschiedene Magen-Darm-Störungen (Durchfall, Erbrechen). Therapie: Schockbehandlung (Volumenersatz), spezifische Therapie (Glukokortikoidsubstitution und Elektrolytkorrektur) in der Klinik. Hinweis: Patienten mit bekannter NNR-Insuffizienz ➯ Kortikoid-Ausweis, Notportion Kortison.
14.4 · Störungen der Homöostase
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Hormonhaushalt und Stoffwechsel II • Erkrankungen der Leber - Hepatisches Koma Lebererkrankungen (Hepatopathien) können zur Folge haben: 1. Lebensbedrohliches akutes Leberversagen (Leberzerfallkoma) mit aku ter Zerstörung des Lebergewebes bzw. dessen Funktion. Ursachen: akute Virushepatitis, Vergiftungen (z. B. Knollenblätterpilz oder Paracetamol), akute Alkoholhepatitis, Arzneimittelschäden. 2. Chronisches Leberversagen (Leberausfallskoma) mit Umbau des Lebergewebes (z. B. Zirrhose) und Funktionsausfall; akute Verschlechterung einer bestehenden Leberschädigung, meist Leberzirrhose. Symptomatik: neurologische Ausfälle, Psychosyndrom, Flapping Tremor (Fingerzittern), evtl. Gelbsucht (Ikterus), Bauchwasseransammlung (Aszites), spezifischer Mundgeruch (Foetor hepaticus; riecht nach frischer Leber o. Lehmerde), evtl. psychische Veränderungen (chron. Hepatopathie). • Niereninsuffizienz - Urämisches Koma Dekompensierte, chronische Niereninsuffizienz oder akute Niereninsuffizienz: ➯ Ansammlung von Stoffwechselendprodukten im Blut (Urämie = „Harn im Blut“) ➯ Schädigung des Gehirns (es kommt analog dem hepatischen Koma zu einer Enzephalopathie). Mögliche Gründe für ein akutes Nierenversagen: - Prärenal: Hypovolämie, Schock, Verbrennung, Hämolyse, Gifteinwirkung. - Renal: Nierenarterienstenose, entzündliche Nierenerkrankungen, EPHGestose, Glomerulonephritis. - Postrenal: Abflußstörungen, z. B. durch Nierensteine, Tumore, Hämatome. - Chronische Niereninsuffizienz: verschiedene Nierenerkrankungen. Symptomatik: Teilnahmslosigkeit (Apathie), Übelkeit, Erbrechen, evtl. KussmaulAtmung, evtl. spezifischer Mundgeruch (Foetor uraemicus; riecht nach Urin). Beachte: Hyperkaliämie möglich (Gefahr: Kammerflimmern)! • Akuter Hypoparathyreoidismus Tetanische Krise (vgl. auch Hyperventilationssyndrom) durch echten Kalziummangel bei Unterfunktion der Nebenschilddrüse (Hypoparathyreodismus) Ursachen: Schilddrüsen-OP, Metastasen, Entzündungen usw. Symptome: tetanischer Anfall (Muskelverkrampfungen, Karpfenmund und Pfötchenstellung), Krampfanfälle, Psychosyndrom. • Kritischer Diabetes insipidus Massive hypotone Urinausscheidung durch Mangel an bzw. Resistenz gegen das Antidiuretische Hormon, das die Harnproduktion drosselt. Ursachen: Infektionen, Tumore, Trauma, Operation des ZNS, Nierenerkrankungen. Symptome (typische Trias): Harnausscheidung ≠ (Polyurie), massiver Durst (Polydipsie), fehlende Harnkonzentrationsfähigkeit (Asthenurie).
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Kapitel 14 · Sonstige Notfälle
Thyreotoxische Krise Definition Akute, lebensbedrohliche Reaktion bei Überfunktion der Schilddrüse (Hyperthyreose) infolge Adenom, Tumor, Morbus Basedow oder Schilddrüsenhormontherapie.
Symptomatik • Bewusstseinsstörungen bis Koma • Unruhe, delirante Zustände, Angst • hochgradige Tachykardie • Schweißausbrüche, Exsikkose • Muskelschwäche, evtl. Krampfanfälle • feuchtwarme Extremitäten, hohes Fieber (> 40 °C) • evtl. Hyperthyreose bekannt: Augensymptome (z. B. Glanzauge, Exophtalmus), Kropf (Struma), warme Umgebung wird stark als unangenehm empfunden (Wärmeintoleranz), Gewichtsabnahme trotz Heißhunger (erhöhter Grundumsatz), Ruhetachykardie, Hypertonie, psychomotorische Unruhe, Durchfall.
Sonstige Notfälle
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen (Kühlung bei Fieber: warme Kleidung ausziehen; frische, kühle Luft (Fenster öffnen); evtl. kalte Wadenwickel) • Untersuchung, Standardtherapie • ggf. Volumentherapie (Vollelektrolytlösung) • Medikamente: • ggf. β-Rezeptorenblocker; z. B. Esmolol (initialer Bolus von 0,5 mg / kg KG i.v.) • ggf. Benzodiazepine, z. B. Diazepam (5 - 10 mg i.v.)
Achtung Auf jeden Fall Klinikeinweisung; Intensivbehandlung ist Pflicht. Akute Lebensgefahr! Insbesondere bei zurückliegendem Kontakt mit iodhaltigen Präparaten treten thyreotoxische Krisen mit hoher Letalität auf (Latenzzeit: Wochen bis Monate). Vorsicht bei Katecholamingabe!
14.5 · Akute Höhenkrankheit
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Akute Höhenkrankheit Definition Hypoxiebedingtes Syndrom, welches durch niedrige Gaspartialdrücke (insbesondere Sauerstoff) der Einatemluft ausgelöst wird, die nicht mehr durch die Sauerstofftransportkapazität des Blutes ausgeglichen werden können. Ursachen: • Bergwanderung / Bergsteigen in große Höhe bei nicht höhenangepaßten und / oder herzkreislaufkranken Personen; auch bei schnellem Aufstieg in Höhen über 2000 m mit Bergbahnen. • Druckabfall in Flugzeugkabinen in großer Höhe, wenn die für diesen Notfall vorgesehenen Sauerstoffmasken nicht eingesetzt werden.
Symptomatik • Anamnese; Atemnot, Tachypnoe, Abfall der Sauerstoffsättigung • Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Unruhe, Bewußtseinsstörungen • Blässe oder Zyanose, feuchte und kühle Haut • Schock, evtl. initial Hypertonus • Tachyarrhythmie (durch Blutdruckabfall und Hypoxie), Herzklopfen • erhöhter Vagotonus: Bradykardie, Hypotonie, evtl. Kollaps • Willensschwäche, Schlafbedürfnis, Apathie / Euphorie („Höhenrausch“) • HAPE (High Altitude Pulmonary Edema): Husten, Lungenödem, im Extremfall schaumiger und blutiger Auswurf • HACE (High Altitude Cerebral Edema): Hirnödem möglich
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen (Sauerstoffgabe!) • ggf. Transport in geringere Höhenlage • Untersuchung, Standardtherapie • symptomatische Therapie (Lungenödem, Hirnödem, Dehydratation) • Medikamente: • ggf. Benzodiazepine, z. B. Diazepam (5 - 10 mg i.v.) • ggf. Analgetika, z. B. Morphin (2 - 5 mg i.v.)
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Kapitel 14 · Sonstige Notfälle
Urologische Notfälle I • Peinlichkeit für den Patienten bedenken! Auf Takt und Distanz achten. • Bereits bei Verdacht den Patienten immer rasch (insbesondere bei Verdacht auf Hodentorsion) einer urologischen Behandlung zuführen. In vielen Fällen verhütet nur die frühzeitige urologische Therapie Komplikationen und bleibende Schäden (z.B. Zeugungsunfähigkeit). • Ess-, Trink-, Rauchverbot (➯ Operation)! • Ggf. Schmerzbekämpfung, z.B. mit einem Opiat wie Piritramid.
• Harnleiterkolik Kolikartige Schmerzen bei Harnaufstau infolge Verlegung des Harnleiterlumens. Ursache: Harnleiterstein. Symptomatik: Kolikartige Schmerzen im Rücken- / Flankenbereich, Ausstrahlung in die Leistenregion bis zum Skrotum / zu den Labien möglich, Nierenlagerklopfschmerz, ggf. Zeichen des Akuten Abdomens. Therapie: Basismaßnahmen, Standardtherapie, Analgetikum (z. B. Metamizol i.v.), Spasmolytikum (z.B. N-Butylscopolaminiumbromid i.v.), Einweisung in eine urologische Fachabteilung. Hinweis: Bei Vorliegen der Symptomatik eines Akuten Abdomens mit der differenzialdiagnost. Erwägung „Harnleiterkolik“ steht die allgemeinchirurg. Abklärung vorerst im Vordergrund.
Sonstige Notfälle
• Akuter Harnverhalt Unvermögen, die gefüllte Harnblase zu entleeren. Ursachen: Prostatahyperplasie, Tumor, Trauma, Operation u.a.m. Komplikationen: Harnstau, Nierenversagen. Symptomatik: Harndrang bei Unfähigkeit zum Wasserlassen, in den Genitalbereich ausstrahlende Schmerzen, evtl. Abwehrspannung, prallgefüllte Harnblase tastbar. (Beim Tasten schmerzhaft ! Vorsicht: behutsam vorgehen.) Therapie: Blasenkatheter, urologische Abklärung der Ursache.
• Priapismus Akute, schmerzhafte Dauererrektion des Penis ohne sexuelle Erregung. Ursachen: idiopathisch, Veränderung der Blutzusammensetzung, verschiedene Medikamente, Schwellkörper-Autoinjektionstherapie (SKAT) u.a.m. Komplikationen: Impotenz, Schwellkörperfibrose, Gangrän. Therapie: Akut: Analgesie, Sedierung, Blutverdünnung, Kühlen der Leisten. - Fachbehandlung (Urologie): intrakavernöse Injektion von α-Sympathomimetika, OP (Punktion).
• Paraphimose (Spanischer Kragen) Vorhautenge mit Abschnürung des Penis hinter der Eichelwulst. Ursache: zurückgestreifte, enger Vorhaut bei Erektion/nach Blasenkatheteranlage nicht reponiert. Symptomatik: Schmerz. Die Glans liegt frei, ist geschwollen und blaurot verfärbt. Ödem. Oft im Rahmen sexueller Handlungen (Selbstbefriedigung, Beischlaf usw.); oft junge Patienten, äußerst befangen / hinausgezögerter Arztbesuch. Komplikationen: Entzündung, Nekrosen und Gangrän. Therapie: Manuelle Reposition der Vorhaut (Kompression der Eichel - Auspressen über 5 min u. - Vorhaut zurückstreifen). Bei Misslingen der Reposition sofort, bei Gelingen später (zur Prophylaxe) Zirkumzision.
14.6 · Urologische Notfälle
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Urologische Notfälle II • Akutes Skrotum Symptomkomplex, dem verschiedene Erkrankungen im männlichen Genitalbereich zu Grundeliegen können, die schneller Diagnostik und ggf. sofortiger Therapie bedürfen: Rasch zunehmende, in Unterbauch und Leiste ausstrahlende, dumpfe, z.T. starke Schmerzen, Druckschmerzhaftigkeit, Rötung der Skrotalhaut, einseitige Schwellung (Seitendifferenz) des Hodensackes, evtl. Übelkeit und Erbrechen sowie Kollapsneigung. Mögliche Erkrankungen: 1. Hodentorsion (häufigste Ursache für das Akute Skrotum im Kindesalter): Verdrehung von Hoden und Funiculus spermaticus. ➯ I.d.R. zunächst venöser, später arterieller Blutfluss unterbrochen (hämorrhagische Infarzierung). Tritt meist bei Jugendlichen auf (12-20 Jahre), aber auch schon Säuglinge sowie Ältere betroffen. Diagnose: Akutes Skrotum, evtl. PrehnZeichen negativ: Schmerzverstärkung beim Anheben des Hodens (nicht zuverlässig). Anamnese: plötzlich, sowohl bei Bewegung als auch während der Nachtruhe, ohne direktes Trauma. Gefahr: Akuter Verschluß der Arteria spermatica ➯ Hypoperfusion des Hodengewebes ➯ Absterben der Keimzellen nach 2-6 h. Unbedingt sofort urolog. Behandlung (Voranmeldung; i.d.R. OP)! Akutmaßnahme: Da die Drehrichtung des Hodens nach medial weist, ist der Versuch einer Detorquierung nach lateral durch den Versierten gerechtfertigt - Analgesie! Fachärztliches Eingreifen nicht verzögern! 2. Hodenentzündung (Orchitis, Didymitis): Entzündung eines oder beider Hoden. Ursachen: Übergreifen einer Allgemeininfektion (häufig: Mumps), isolierte Virusinfektion der Hoden, Übergreifen einer Nebenhodenentzündung, Trauma. Diagnose: Hodenhochlagerung ➯ Schmerzen vermindert. Therapie: Linderung der Beschwerden durch Kühlung und Hodenhochlagerung mit Hodenbänkchen / Verband (Druckentlastung durch Verminderung des arteriellen Zuflusses und Verbesserung des venösen und lymphatischen Abflusses, Schmerzlinderung): s. Abb. rechts. Ggf. Antibiotika (Klinik). Eine sichere Abgrenzung zur Hodentorsion ist im RD nicht möglich. 3. Akute Nebenhodenentzündung (Epididymitis): (Bakterielle) Entzündung eines oder beider Nebenhoden. Häufigste Ursache für das Akute Skrotum im Erwachsenenalter. Ursachen: Veränderungen der Harnröhre (z.B. Klappen, Stenosen), Dauerkatheter, Prostataerkrankungen, seltener Fortleitung einer Infektion über Blutweg oder Lymphbahn. Neben den Symptomen des Akuten Skrotums tritt Fieber auf. Die Abgrenzung zur Hodentorsion ist oft schwierig. Evtl. Prehn-Zeichen positiv: Hodenhochlagerung ➯ Schmerzen vermindert (nicht zuverlässig). Therapie: Hodenhochlagerung, Kühlung, Antibiotika (Klinik). 4. Weitere Diagnosen: Hydatidentorsion, inkarzerierte Hernie, Tumor, Trauma.
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Kapitel 14 · Sonstige Notfälle
Sonstige Notfälle
Augennotfälle 1. Traumatische Augennotfälle Bei Traumata der Augen können Hornhautschädigungen, Einblutungen in die vordere Augenkammer und / oder den Glaskörper, Netzhautriss, Linsenverlagerung und Iriseinriss auftreten. Gefahren: Infektionen, Kataraktentwicklung (Linsentrübung, Grauer Star), Netzhautablösung (Ablatio retinae), Sekundärglaukom (Erhöhung des Augendruckes) ➯ Gefahr der Erblindung. Beispiele für Traumata: • Spitzes Trauma: Perforation von Hornhaut bzw. Augapfel, oft als klaffende Wunde erkennbar; kleine Perforationen sind nur schwer zu sehen; Unfallmechanismus beachten! Z. B. Arbeiten mit Hammer und Meißel ➯ plötzlicher Schmerz im Auge (durch Späne / Splitter). • Stumpfes Trauma: Prellung, Blow-out-Fraktur (= Orbitabodenfraktur; häufig durch Bälle, z. B. Squashball). • Windschutzscheibenmechanismus bei Pkw-Unfall: Beim Aufprall des Kopfes gegen die Scheibe liegt die Bruchkante genau auf Augenniveau ➯ schwerste beidseitige Schnittverletzungen auf Augenhöhe, häufig mit Verlust der Sehkraft. • Verbrennung / Verätzung: Schädigung der Hornhaut, Bindehaut und der Lider durch Einwirkung von Hitze oder ätzenden Substanzen. Schweregradeinteilung siehe Notfallseite (Augenlider werden wie Haut eingeteilt). Das Schicksal des Auges bei Verätzungen hängt wesentlich vom frühzeitigen und ausgiebigen Spülen des Auges ab!! • Verblitzung: Kleine punktförmige Hornhautschädigungen durch Einwirkung von UV-Strahlung (Schweißen; Höhensonne; Gletschersonne). Lidkrampf und zunehmende Schmerzen entwickeln sich meist nach Stunden. Sogenannte „Schneeblindheit“. 2. Nicht-traumatische Augennotfälle • Glaukom (= Grüner Star = erhöhter Augendruck unterschiedlicher Genese): 1. Offenwinkelglaukom (keine subjektiven Symptome bis zum Eintritt erster Spätfolgen wie Gesichtsfeldeinengung und Verlust der Sehkraft - kein Glaukomanfall.) 2. Winkelblockglaukom - Engwinkelglaukom (enger Kammerwinkel; akute Verlegung des Kammerwinkels mit Abflussblockierung des Kammerwassers führt zum akuten Glaukomanfall; begünstigt durch Mydriasis.) 3. Sekundäre Glaukome (z. B. durch Kortison, Verletzungen usw. - kein Glaukomanfall) Im RD ist nur das Winkelblockglaukom akut behandlungsbedürftig.
14.7 · Notfälle der Sinnesorgane
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Augennotfälle Symptomatik • Trauma: Unfallmechanismus, evtl. sichtbare Fremdkörper o. Verletzungen (z. B. Verziehungen der Pupille / Iris), Fehlstellung des Auges, Schmerzen, Fremdkörpergefühl, Lidkrampf, evtl. Rötung, Schwellung, Hämatom, Tränenfluß, Blutung, Sehstörungen. • Verätzung / Verbrennung: Rötung u. Ödem der Bindehaut (I°); Blässe der Bindehaut / evtl. weiße Hornhaut (II°); gekochtes Fischauge (III°) • Glaukomanfall: heftigste dumpfe Schmerzen, Ausstrahlung in den gesamten Kopf oder Bauch, Verwechslung mit Akutem Abdomen möglich, Übelkeit, harter Augapfel (zum Vergleich nicht betroffenes oder eigenes Auge tasten - Patienten nach unten schauen lassen und durch das geschlossene Oberlid tasten), oft bekannte Anamnese, evtl. Abnahme der Sehkraft • Verblitzung s. S. vorhergehende S.; DD Verlust der Sehkraft s. S. 116
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen, ggf. lockerer Verband (beide Augen) • Psychische Betreuung! (Verlust der Sehkraft = psychische Belastung!) • Augenklinik anfahren (auch bei Lidbeteiligung, da immer die Möglichkeit der Schädigung der Tränenwege besteht)! • bei Verätzung / Verbrennung: 1. ggf. vorsichtiges Entfernen locker sitzender, ätzender Partikel mit Wattestäbchen (z. B. bei Kalkverätzung) 2. ausgiebiges Augenspülen (Aufhalten des Auges, dabei Kopf zur Seite des verletzten Auges drehen und das gesunde Auge schützen; von innen (Nase) nach außen (Augenwinkel) spülen; den Patienten auffordern, das Auge in alle Richtungen zu bewegen. Spüllösungen: Wasser, NaCl 0,9 %, Isogutt Pufferlösung (nicht bei Erdalkalien !)) - s. a. S. 470 • Untersuchung, Standardtherapie, ggf. auch Spülen unter Ektropionieren! • Medikamente: - Analgetika, z. B. Ketamin (0,25 - 0,5 mg / kg KG i.v.); bei Glaukom ggf. alternativ ein Opiat wie Piritramid (0,1 - 0,2 mg / kg KG i.v.) - zur Augenspülung bei Verätzung: ggf. Lokalanästhetika (spezielle Augentropfen; z. B. Oxybuprocain: s. S. 472! - bei Glaukomanfall: - Carboanhydrasehemer, z. B. Acetazolamid (500 mg langsam i.v.) - wenn vorhanden: Pilocarpin-Augentropfen 0,5 - 1 % (alle 10 min 1 Tropfen, bis keine Pupillenverengung mehr nachweisbar ist). Opiat mit Pupillen-verengendem Effekt als Analgetikum, z. B. Piritramid (s.o.) (nicht Pethidin!)
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Kapitel 14 · Sonstige Notfälle
Ohrennotfälle Das Ohr kann durch innere wie äußere Einflüsse empfindlich geschädigt werden bzw. erkranken. Symptome, die üblicherweise auf eine Ursache in den Gehörorganen schließen lassen, können auch durch Erkrankungen umliegender Organsysteme (Gehirn, Augen, Zähne, Mandeln usw.) bedingt sein. Differentialdiagnose Schwindel s. S. 116.
Spezielle wichtige Krankheits- und Verletzungsbilder • Ménière-Krankheit: Erkrankung des Innenohres mit Ansammlung von Flüssigkeit im Labyrinth (Gleichgewichtsorgan). Meist ist nur ein Ohr betroffen. Symptomatik: Plötzliche Schwindelanfälle, die den Patienten zu Boden werfen können, Übelkeit, Erbrechen, ruckartige Augenbewegungen, Hörverlust, Ohrensausen (Tinnitus), Druckgefühl im betroffenen Ohr. Die Anfälle dauern eine Minute bis zu mehreren Stunden u. treten unterschiedlich häufig auf. Hörverlust und Ohrensausen können zwischen den Anfällen andauern. • Fremdkörper im Ohr: Meist im Rahmen spielerischer Manipulationen bei Kindern. Symptomatik: Ohrenschmerz, Blutung oder Ausfluss aus dem Ohr, evtl. Übelkeit oder Erbrechen, Angst. Unfallmechanismus!
Sonstige Notfälle
• Hörsturz: Akuter Verlust der Schallempfindung (Hörkraft) aufgrund von Durchblutungsstörungen des Innenohres. Symptomatik: plötzlicher Hörverlust (oft morgens nach dem Aufwachen); Ohrensausen; Völlegefühl; evtl. (Dreh-) Schwindel; Gefühl von „Watte im Ohr“, Angst.
Notfalltherapie • Basischeck, Basismaßnahmen, ggf. lockerer steriler Ohrverband • Untersuchung, Standardtherapie • Medikamente: • ggf. Analgetika, z. B. ein Opiat wie Piritramid (0,1 - 0,2 mg / kg KG i.v.) Bei Ménière-Anfall: • Antiemetika, z. B. Triflupromazin (5 - 10 mg i.v.) • ggf. Benzodiazepine, z. B. Diazepam (5 - 10 mg i.v.)
14.8 · Akutfälle im Notarztdienst
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Akutfälle im Notarztdienst I Entscheidungshilfen für Klinikeinweisung und Initialtherapie durch den Notarzt Akutfälle (früher: Notfallsituationen; kein Notfall – keine Vitalbedrohung) gehören zwar nicht zum gewollten Einsatzziel des Notarztes, sind aber regelmäßiger Bestandteil des notärztlichen Einsatzspektrums. Die Gründe liegen in der manchmal schwierigen Abgrenzung zwischen Notfall und Notsituation (aus Sicht von Anrufern/ Leitstellendisponenten), mancherorts einer Versorgungslücke der hausärztlicher Versorgung (bzw. ärztl. Bereitschaftsdienst) oder der missbräuchlichen Zweckentfremdung des Notarztes. Die folgende Liste soll entsprechende Krankheitsbilder mit Handlunsoptionen des Notarztes aufzeigen. Sie ist nicht vollständig, sondern gibt eine Auswahl (nach Erfahrungen aus der Praxis) wieder. Sollte sich eine Klinik-Einweisung empfehlen, so ist das Rettungsmittel nach Patientenzustand auszuwählen (nicht zwingend NAW).
Akutfälle
Symptome/DD
Bauchschmerzen
- Diagnostik s. S. 102 - Therapie ursachen- DD s. S. 290 ff. abhängig (DD bedenken) - Dysmenorrhö s. S. 420 - ggf. KH-Einweiung - Schmerztherapie s.S. 294
Erbrechen
- DD s. S. 112 - Frauen: DD Myokardinfarkt!
- Antiemetika - Weitere Therapie ursachenabhängig - Ggf. an Facharzt oder Klinik weiterleiten
Erysipel
- flammende Rötung - Schwellung - LK-Schwellung - Krankheitsgefühl - Fieber/Schüttelfrost - Evtl. Lymphangitis
- Antibiose (s. S. 421 f.) - Antiseptische Behandlung der Eintrittspforte - Ruhigstellen/Hochlagern - Bettruhe - ggf. Klinik-Einweisung (abhängig vom Zustand)
Gichtanfall
s. S. 420
Harnverhalt
s. S. 410
Lumbago
s. S. 264
Migräneattacke - s. S. 420 - DD s. S. 111 - Diagnostik s. S. 99 Fortsetzung auf der nächsten Seite
Was tun?
- ggf. Katheterisieren (s. S. 61) - Zuweisung an Urologen - sonst Klinikeinweisung
- DD Apoplex/SAB/Meningitis! - Anamnese! - Schmerztherapie (s.S. 420) - ggf. KH-Einweisung
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Kapitel 14 · Sonstige Notfälle
Sonstige Notfälle
Akutfälle im Notarztdienst II Akutfälle
Symptome
Was tun?
Meningitis
- Nackensteifigkeit - Bei V.a. Meningokokken - Fieber (Pneumokokken/Hämo- Bewusstseinsstörung philus influenzae) Notfall- evtl. Petechien Antibiose! (s. S. 236, 421 f.) - DD Apoplex/SAB! - KH-Einweiung mit Voranmeldung!
Otitis media
- starke Ohrschmerzen - Hörminderung - Ohrgeräusch - Druck im Ohr - Fieber
- abschwellende Nasentropfen - keine Ohrentropfen/Watte - Schmerztherapie (z.B. Paracetamol) - Facharztüberweisung - evtl. schon vorab Antibiose (s. S. 421 f.)
Phlegmone
- Rötung/Schwellung - Lymphangitis („Blutvergiftung“) - Lymphadenitis
- Ruhigstellen/Hochlagern - Antibiose (s. S. 421 f.) - Facharztüberweisung (Chirurg) - KH-Einweisung bei reduziertem Allgemeinzustand sowie Krankheitsgefühl bei Hand- o. Gesichtsphlegmone
Pneumonie
- Diagnostik s. S. 100 - typ. Rasselgeräusche - Fieber, Tachykardie - evtl. Dyspnoe - evtl. Exsikkose
- Antibiose (wenn ambulant zu therapieren; S. 421f.), Kontrolle! - ggf. Blut-/Sputumkultur - KH-Einweisung auf jedenFall bei • schlechtem Allgemeinzustand • Risikopatient (Herz-Kreislauf, Asthma bronchiale, COPD, etc.) • Rezidivpneumonie • Immundefizienz (z.B. AIDS) • keine Entfieberung trotz korrekter Antibiose > 3 d
Tonsillitis - Rötung/Schwellung - Antibiose (s. S. 421 f.) (Tonsillarabszess) der Tonsillen; - Facharztüberweisung - Schluckbeschwerden - Ggf. KH-Einweisung (HNO)
14.8 · Akutfälle im Notarztdienst
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Akute Schmerzsyndrome I Schmerzdurchbrüche bei Tumorpatienten rufen nachts und wochenends auch den Notarzt oder ärztlichen Bereitschaftsdienst auf den Plan. Die folgenden Fragen, Tips und Regeln sollen bei der Therapie helfen. Sie sind mit Einschränkungen auch für sonstige chronische Schmerzpatienten gültig. Wichtige Fragen: Wo? Woher? Bekannter Schmerz bei Krebs- oder chron.Leiden? Neu aufgetretenes Symptom (Ursachenabklärung! Ggf. KlinikEinweisung, z.B. Leibschmerzen durch Ileus bei Morphintherapie) Schmerzcharakter? Knochen-, Muskelschmerz (z.B. stechend, bohrend, dumpf, ziehend) Viszeralschmerz (z.B. dumpf, tiefliegend, krampfartig) Neuropathischer Schmerz (brennend, reißend, evtl. anfallsartig) Schmerzstärke? (Skala von 0=kein Schmerz bis 10=unvorstellbare Schmerzen) WHO-Stufenschema zur Schmerztherapie Stufe 1: Nicht-Opiat (z.B. Paracetamol, Diclofenac, Metamizol, ASS) ± Adjuvans (s.u.) Stufe 2: Nicht-Opiat + Opiat für leichte bis moderate Schmerzen (z.B. Tramadol, Codein, Tilidin) ± Adjuvans Stufe 3: Nicht-Opiat + Opiat für moderate bis starke Schmerzen (z.B. Morphin, Fentanyl) ± Adjuvans Nicht-Opiate (Beispiele, z.T. Medikamentensteckbrief vorhanden, s. S. 455) Muskel- u. Knochenschmerz: Diclofenac, Paracetamol, evtl. ASS, ersatzweise Metamizol Viszeralschmerz: Metamizol, ersatzweise Paracetamol Neuropathische Schmerzen: Antidepressiva / Antikonvulsiva Dosierung: ASS, Metamizol, Paracetamol: 1000 mg alle 4-6 h Diclofenac: 2 mg/kgKG/24 h, verteilt auf Einzeldosen alle 8-12 h Opiate Opiate eignen sich gut bei Muskel-, Knochen u. viszeralen Schmerzen. Sie sind auch teilweise gut geeignet bei neuropath. Schmerzen. Geeignete Wirkstoffe s.o. Adjuvanzien 1. Schmerz(erleben) wird negativ beeinflusst durch Angst (z.B. vor Schmerz!), Depression, Übelkeit, Husten, Atemnot usw. Daher haben Koanalgetika einen festen Platz in der Tumor- und Langzeitschmerztherapie (z.B. Neuroleptika, Antidepressiva, Antiemetika, Antikonvulsiva, Kortikoide) 2. Prophylaktika gegen Analgetikanebenwirkungen u -komplikationen, z.B. Laxantien (Vermeidung von Obstipation bis Ileus bei Opiatgabe - Cave: u.a. Hypokaliämie mit verstärkter Obstipation; z.B. Laktulose, Bisacodyl, Movicol®, wenn mgl. förderliche Ernährung), H2-Blocker / Misoprostol (Vermeidung NSAID-induzierter Gastropathie mit Ulzeration)
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Kapitel 14 · Sonstige Notfälle
Akute Schmerzsyndrome II Basisdosierung: tägliche, regelmäßige Applikation (z.B. Opiatretardpräparate und Nicht-Opiate nach festem Schmerzplan, Fentanylpflaster). Bei der Basisdosierung immer die Einnahmeintervalle an der Wirkdauer orientieren, um Schmerzdurchbrüche durch dosierungsbedingte Opiatpausen zu vermeiden! Keine „Variation nach Bedarf“. Zwischendosierung: Bedarfsmedikation für Schmerzspitzen, Schmerzdurchbruch; nur Präparate mit raschem WE! (z.B. Morphin-Tropfen, Fentanyl-Lutschtablette). Ggf. Injektion durch geeignetes Personal. Zwischendosierung sollte in der Regel ca. 1/6 der Tagesbasisdosis betragen. Zwischendosierung bis zu 3 x täglich möglich (in Ausnahmefällen bis zu 5-6 x täglich). Bei regelmäßigem Bedarf der Zwischendosierung Anpassung der Basisdosierung: Neuer Tagesbasisbedarf = alter Tagesbasisbedarf + applizierte Zwischendosierungen (des Tages) Achtung: patenterale Dosis (s.c., i.v., transcutan-Pflaster) NICHT äquivalent zu enteraler Dosis (oral, rektal): Parenterale Dosis = 1/3 enterale Dosis Bsp.: 10 mg Morphin i.v.= 30 mg Morpin oral
Sonstige Notfälle
Suffiziente Opiattherapie = immer Basis- und verfügbare Zwischendosierung. Optimierung durch Kombination mit geeignetem Nicht-Opiat u. Adjuvanzien. Bei Wechsel von Morphin auf Dipidolor errechnete Äquivalenzdosis zuerst nochmal halbieren (50%) und nur schrittweise später auf 100% steigern. Bei Schmerzdurchbruch mit stärksten Schmerzen, die sich nicht mit der Zwischendosis beherrschen lassen: Opiat i.v. titrieren bis Analgesie, aber keine Sedierung oder Atemdepression (solange Schmerzen vorhanden: keine klinisch relevante Atemdepression; „Schmerzen antagonisieren die Atemdepression“). In diesem Fall für adäquate Überwachung sorgen u. Neuberechnung des Basisbedarfs. Achtung: Partielle Opiatantagonisten (z.B. Pentazocin, Buprenorphin) zur Kombination mit anderen Opiaten nicht sinnvoll (Wirkungsaufhebung; Cave: Buprenorphin-Schmerzpflaster!). Problematisch ist bei Antagonisten auch der „Ceiling-Effekt“(keine zusätzl. analget. Wirkung trotz Dosissteigerung). Präparate (Beispiele) Langsamer Wirkungseintritt (z.B. Retardpräparate): MST, MST contin.long, Morphingranulate, Buprnorphin, DHC ret., Tramaldol ret., Fentanylpflaster s.u. Rascher Wirkungseintritt: Morphin (Tropfen, Zäpfchen, Tabletten, i.v., s.c.), Tramadol (Tropfen, Zäpfchen, Tabletten, i.v., s.c.), Fentanyl (Lutschtablette) Fentanylpflaster (transdermale Resorption) · Nicht zur Akutherapie geeignet!! WE: 4-12 h, WM >24 h. Nach Pflaster entfernung noch 24 h Wirkungsüberhang! Cave: Therapieumstellung! · Neues Pflaster immer auf neue Stelle kleben, um gleichmäßige Resorption zu gewährleisten. Wechsel (spätestens) alle drei Tage. · Zwischendosierung mit Morphin ansetzen (Äquivalenzdosen beachten) Äquivalenzdosen s.n.S.!
14.8 · Akutfälle im Notarztdienst
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Akute Schmerzsyndrome III Äquivalenzdosen (in mg): Morphin oral 30 60 120 Morphin s.c./i.v. 10 20 40 Piritramid i.v. 15 30 60 Fentanyl i.v. 0,3 0,6 1,2 Die Tagesdosis eines 25mg/h-Fentanylpflasters entspricht 0,6 mg Fentanyl i.v., die des 50mg/h-Fentanylpflasters 1,2 mg i.v. usw.
Spezielle akute Schmerzereignisse Akute Zahnschmerzen Ursachen: · Karies, Zahnbehandlungen (z. B. Kronen- oder Brückenpräparation, Wurzelkanalbehandlung, Operationen, Zahnextraktion) · Dentitio difficilis (erschwerter Zahndurchbruch) · Alveolitis, akute Pulpitis, akute apikale Parodontitis · andere Zahn-/Mund-/Kiefer-Notfälle und -Erkrankungen (s. a. Kapitel 9) · fortgeleitete / projizierte Schmerzen (z.B. Gesichtsnerven, Knochenschmerz) Maßnahmen/Schmerztherapie: · Überweisung an Zahnarzt; überbrückend z.B.: · 200 mg Ibuprofen (Aktren) p.o. · 500 mg Paracetamol p.o. oder 1000 mg Paracetamol (Suppositorium) rektal Dosierung für Kinder: s. S. 543 · bei starken (traumatol.) Schmerzen ggf. ein Opiat wie Piritramid (s.S. 547) Cave: Insbes. Abzesse (wie auch o.g. Notfälle) als Schmerzursache müssen wegen dringlichen Therapiebedarfs von weniger eiligen Indikationen abgegrenzt werden. Ursachen: Ein Abszess hat in 90 % der Fälle odontogene (von Zähnen ausgehende) Ursachen wie apikale Parodontitiden, Infektionen nach Zahnentfernung, eine Dentitio difficilis, marginale Parodontitiden, infizierte Wurzelreste oder infizierte Zysten, in 10% nicht-odontogene Ursachen wie eine Lymphadenitis (v. a. Lymphknotenabszess), Bruchspaltinfektionen bei Kieferfrakturen, Wundinfektionen nach Verletzungen, Tumorinfektionen, Fremdkörperinfektionen, Infektionen nach Injektionen (Spritzenabszess) oder entzündliche Haut- und Schleimhauterkrankungen (z. B. Furunkel, Herpes labialis, Zoster, Aphten). Abszesse äußern sich meist durch einen pulssynchroner Klopfschmerz, ggf. Lockerung und Klopfempfindlichkeit verursachender Zähne (bei odontogenem Abszess), evtl. Rötung, Schwellung, Gefühl der Zahnelongation und Kieferklemme (aufgrund Mitbeteiligung der Kaumuskulatur). Alveolarfortsatznahe Abszesse (v. a. submuköser Abszess) können ambulant in Lokalanästhesie behandelt werden. Bei Schluck-, Sprech-, Atemstörungen, reduziertem Allgemeinzustand, erhöhter Temperatur, Tachykardie und / oder regionärer Lymphadenitis besteht wegen V.a. Logenabszess oder Sepsis die dringende Indikation zur stationären Behandlung in einer mund-kiefer-gesichtschirurgischen Fachabteilung.
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Kapitel 14 · Sonstige Notfälle
Akute Schmerzsyndrome IV Akute Dysmenorrhö (schmerzhafte Regelblutung) Kardinalsymptome: intensive krampfartige Schmerzen kurz vor und während der Menstruation; evtl. Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Kollapsneigung. (Differentialdiagnostisch aber immer an akutes Abdomen und Frühschwangerschaft(-skomplikationen) denken!)
Maßnahmen/Schmerztherapie: · periphere Analgetika p.o., z.B. Ibuprofen (Aktren®) 200-400 mg p.o.) · evtl. Spamolytika, z.B. Butylscopolamin (Buscopan® 20mg i.v.; p.o. unwirksam!) Cave: Zur Abklärung organischer Ursachen (z.B. Endometriose, Myome, Zervixstenose) und ggf. Therapieoptimierung baldige Vorstellung in gynäkologischer Praxis empfehlen!
Akuter Gichtanfall Kardinalsymptome: Monarthritis zu 80% Großzehengrundgelenk (Podagra) mit klassischen Entzündungszeichen. Mäßiges Fieber. Anamnese (Gicht evtl. bekannt).
Maßnahmen/Schmerztherapie: · Kühle, feuchte (Alkohol-) Umschläge; Ruhigstellung; viel trinken! · Indometacin (z.B. Amuno®, Indo-Phlogont®), initial 100 mg; dann 50 mg alle 6 h max. 200 mg/d (Kontraindikation: Gastroduodenale Läsionen) · evtl. Glukokortikoide, z.B. Prednison (initial 60-80 mg p.o.) · bei schwerem Anfall zusätzlich Colchicin (z.B. Colchicum-Dispert®), 1mg alle 2 h p.o., max. 8 mg/d; Dosisreduktion über 3 d (Cave: letale Dosis für Erw.: 20 mg!, Kontraindikation: Niereninsuffizienz) Cave: Patienten zur Nachkontrolle (Nierenwerte) und Differentialdiagnostik innerhalb von 24 - 48 h und zur konsequenten Dauertherapie unter Anleitung des Hausarztes mahnen.
Akute Migräneattacke
Sonstige Notfälle
Kardinalsymptome: Kopfschmerz, pulsierend, 30% einseitig, Übelkeit, Erbrechen, Lichtscheu, Geräuschempfindlichkeit. Evtl. Aura, vegetat. Dysregulation u. neurolog. Symptome (z.B. Skotome, Schwindel, Sensibilitätsstörungen).
Maßnahmen/Schmerztherapie: · Reizabschirmung (abgedunkelter, geräuscharmer Raum) · Antiemetika, z.B. Domperidon (Motilium® 10-20 mg p.o.) oder Metoclopramid (Paspertin® 10-20 mg p.o. oder i.v. - s. S. 524) · Periphere Analgetika, z.B. Acetylsalicylsäure 1000 mg p.o. / i.v. oder Ibuprofen 400-800 mg p.o. oder Metamizol 20-40 Tropfen (entspr. 0,5-1 g) p.o. · Bei schweren oder therapieresistentem Anfall zusätzlich Secalealkaloide (frühzeitige Gabe zu Beginn wichtig; oft Erbrechen; Dauerkopfschmerz bei häufiger Anwendung; wg. schlechter Resorption p.o. nicht sinnvoll), z.B. Ergotamin [Celetil® 2 mg rektal] o. Dihydroergotamin [Dihydergot® 1-2 mg s.c.] oder Triptane (5-HT1B/1D-Agonisten; keine Kombination mit Secalealkaloiden; vorteilhaft bei Erbrechen; schneller WE; unbed. Kontraind. beachten (bedrohl. NW durch Vasokonstriktion, z.B. kardiale Ischämie); wegen kurzer WD ggf. Wdh. bei Rückkehr der Beschwerden), z.B. Sumatriptan [Imigran® 25-100 mg p.o. / 6 mg s.c. (Fertigspr.) / 25 mg rektal], Naratriptan [Naramig® 2,5 mg p.o.], Zolmitriptan [AscoTop® 2,5 mg p.o.], Rizatriptan [Maxalt® 10 mg p.o.]. Cave: Bei Hinweisen auf neurolog. Notfall (DD intrakranielle Blutung, Meningitis, Hirnödem, Apoplex) o. andere bedrohliche Ursachen (z.B. Hypertonie - RR-Messung!) ggf. Notfalltherapie und Klinikeinweisung. Immer neurolog. Diagnostik (s. S. 103) u. Basischeck (s. S. 24).
14.8 · Akutfälle im Notarztdienst
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Notfallantibiose I Bei infektiologischen Not- und Akutfällen können sich die Tätigkeitsbereiche von ärztlichem Bereitschaftsdienst und Notarztdienst überschneiden. Daher im folgenden einige Hinweise zum Einsatz von Antibiotika außerhalb der Klinik: Allgemeine Regeln für den Antibiotikaeinsatz (nach Daschner) - ein Antibiotikum ist kein Antipyretikum - vor Antibiotikatherapie: Versuch einer Erregerisolierung (z.B. Abstrich) - bei unklarem Fieber: immer Blutkultur - möglichst Antiseptika statt Lokalantibiotika - vorher Allergie erfragen (Penicillin: Allergien um 5%, Anaphylaxien < 0,1%) - Wechselwirkungen und Kontraindikationen beachten - wirksame Betalaktamantibiotika sind anderen Antibiotika vorzuziehen Ursachen für erfolglose Antibiotikatherapie über mehrere Tage - falscher Wirkstoff (Resistenz? – Beachte: Empfindlichkeit im Antibiogramm muß nicht Wirksamkeit in vivo bedeuten!) - Wirkstoff erreicht den Infektionsort nicht (Abszess? Osteomyelitis? Endokarditis? Diffusionsbarriere? Inaktivierung?) - nicht vermuteter Erreger (Viren? Pilze? Superinfektion? Erregerwechsel?) - fehlende Compliance (häufig!) - Immunschwäche (Kortikoidtherapie? AIDS? Zytostatikatherapie? Diabetes? Maligne Erkrankung?): bakterizide Antibiotika einsetzen! - andere Fieberursachen (Drug-Fever?) - Streuquelle (Venenkatheter? Blasenkatheter? Fremdkörper?) Gefahren und Komplikationen der Antibiotikatherapie - Resistenzentwicklung (Selektion) - Überempfindlichkeitsreaktion, Allergie, Anaphylaxie - Schädigung der normalen Bakterienflora - Antibiotika-assoziierte Enterokolitis (Verdrängung der normalen Darmflora und Überwucherung mit fakultativ-pathogenen Keimen. Lebensbedrohlich im Falle der Selektion von Clostridium difficile als pseudomembranöse Enterokolitis; bes. nach Therapie mit Ampicillin, Clindamycin und Cephalosporinen. Therapie bei Verdacht: auslösendes Antibiotikum absetzen, Vancomycin oder Metronidazol p.o., Wasser- und Elektrolytsubstitution) - Jarisch-Herxheimer-Reaktion (schwere Allgemeinreaktion unter Antibiose durch Freisetzung von Endotoxinen abgetöteter Erreger; Therapie: Bettruhe, Antipyretikum, kein Therapieabbruch!) - Antabus-Syndrom: Alkoholintoleranz (z.B. Cephalosporine, Metronidazol). Antbiotika-Vorhaltung Meist kann das erforderliche Antibiotikum jederzeit rezeptiert und rechtzeitig über Notdienstapotheken beschafft werden. Zur ungezielten Notfalltherapie bestimmter lebensbedrohlicher Infektionen (s.n.S.) empfielt sich die Vorhaltung eines intravenös anwendbaren Breitspektrumcephalosporins (3. Generation), z.B. Cefotaxim (z.B. Claforan®) oder Ceftriaxon (Rocephin®). Zur Schließung von Wirkungslücken (Pseudomonas, Enterokokken, Anaerobier) empfiehlt sich ggf. eine Kombination, z.B. mit einem Aminoglykosid.
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Kapitel 14 · Sonstige Notfälle
Notfallantibiose II Antibiotika-Auswahl zur ambulanten Verordnung (p.o.) Ohne Anspruch auf Vollständigkeit; Kontraindikationen berücksichtigen! Prinzipiell: Bei nächster Gelegenheit Therapiekontrolle durch Hausarzt! Streptokokkeninfektionen, z.B. Angina, Hauteiterungen (bei Erysipel ggf. i.v.!): Penicillin V (z.B. Isocillin®) 3 x 1,0-1,5 Mio. I.E. - bei Penicillin-Allergie: Makrolid (s.u.)
„supradiaphragmale“ Infektionen (leicht bis mittelschwer): z.B. HNO (Tonsillitis, Sinusitis, Otitis media), Atemwegsinfekte (Cave: akute Bronchitis meist viral!), ambulant erworbene Pneumonie (nur unter Heimbedingungen) Oralcephalosporin (2. Generation) [z.B. Loracarbef (Lorafem® 2 x 200(-400) mg) oder Cefuroxim (Elobact® 2 x 125-500 mg)] oder säurefestes Makrolid [v.a. bei Kindern, z.B. Clarithromycin (Klacid® 2 x 250-500 mg) oder Roxithromycin (Rulid® 2 x 150 mg oder 1 x 300 mg); Standardmakrolid Erythromycin: säurelabil, kürzere HWZ, variable nahrungsabh. Resorption] o. Augmentan® (Amoxicillin u. Clavulansäure; 3 x 625-1250 mg)
„subdiaphragmale“ Infektionen (leicht bis mittelschwer): Co-Trimoxazol, z.B. Bactrim® (2 x 2 Tabletten zu 160mg TMP/800mg SMZ), v.a. bei Zystitis, Harnwegsinfekt (Urinkontrolle nach 3d!) Gyrasehemmer, z.B. Ciprofloxacin (Ciprobay® 2 x 250-750 mg) oder Ofloxacin (Tarivid® 2 x 100-200 mg), v.a. bei „enterogener“ Infektion, Nierenbeckenentzündung, gastrointestinale Infektion mit schwerer Diarrhö (Cave: Exsikkose, ggf. Klinikeinweisung) Metronidazol (z.B. Clont® 2-3 x 400 mg), v.a. bei Vaginitis (DD Candida albicans) und Anaerobierinfektion, Enterokolitis (vgl. vorhergehende S.)
leichte Genitalinfekte (nicht Zystitis! - s.o.): Tetrazyklin [z.B. Doxycyclin (Vibramycin® 2 x 100 mg)] - Mittel der Wahl bei Rickettsien, Chlamydien und Mykoplasmen; wegen Gefahr der Photodermatose auf Sonnenkarenz hinweisen! Nicht bei V.a. Syphilis oder Gonorrhö!)
Sonstige Notfälle
Infektiologische Problemfälle Unmittelbar fachärztliche Abklärung und Therapiefestlegung bei: Adnexitis, Borreliose (Erythema chronicum migrans), Cholangitis, Epididymitis, Konjunktivitis, Mastitis, Mastoiditis, Otitis externa, Otitis media bei Säuglingen und Kleinkindern. (Aufzählung nicht abschließend!)
Infektiologische Notfälle In den folgenden Fällen ist die sofortige Klinikeinweisung indiziert! Meningitis (Meningokokken, Pneumokokken, H. influenzae): Der Verdacht muss bei unklarem Fieber mit Bewusstseinsstörungen u. ggf. Meningismus entstehen. Bei vitaler Indikation (Schockzeichen, Petechien, Dyspnoe) u. Transportzeit > 30 min: Ceftriaxon o. Cefotaxim (50 mg/kgKG über 10 min i.v.); in diesem Fall kann auf vorherige Lumbalpunktion verzichtet werden; die wichtigsten Meningitiserreger werden erfasst. Epiglottitis (H. influenzae Typ B - impfbedingt heute selten): Leitsymptom: inspirator. Stridor mit hohem Fieber bei Vorschulkindern (näheres s. S. 318 ff.). Kein Abstrich! Wenn vorhanden: Antibiose wie bei Meningitis (s.o.) V.a. Gasbrand, nekrotisierende Fasziitis (A-Streptokokken), Sepsis, Organinfektion, Pneumonie, Osteomyelitis, Neugeboreneninfektionen (insbes. Omphalitis); akute Monarthritis (nach Gelenkpunktion); Fieber unklarer Genese über Wochen (DD Endokarditis), septische Temperaturen.
Kapitelübersicht
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15
Psychiatrie / Psychologie 15.1 Psychiatrie .................................................................. 424 Psychiatrische Notfälle .................................... 424 Selbsttötung .................................................... 426
15.2 Psychologie [Singer / Bengel] .................................... 428 Stress ............................................................... 428 Stressprävention ............................................. 429 Psychische Erste Hilfe ..................................... 430 Professionelle Hilfe .......................................... 432 Einsatznachbetreuung .................................... 433
15.3 Verhalten bei SID [Helmerichs] .................................. 434
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Kapitel 15 · Psychiatrie/Psychologie
Psychiatrische Notfälle Der psychisch / psychiatrisch auffällige Patient: „Normal“: Psychische Ausnahmesituation (situationsbedingt - z. B. Eltern, deren Kind verunglückt ist) „Krank“: Psychiatrische Notfallbilder (z. B. Selbsttötung) Die Psychiatrie bietet ein weites Feld, im folgenden stellen wir lediglich eine Auswahl für den Rettungsdienst relevanter Symptome dar: Akute Angst Akute Angstzustände können als Realangst (tatsächliche Bedrohung), aber auch im Rahmen verschiedener psychischer / psychiatrischer Erkrankungen auftreten. Typische körperliche Symptome (psychovegetative Angstkorrelate): Blutdruckanstieg, Tachykardie, Schweißausbrüche, schnelle und tiefe Atmung, Schwindel, Blässe (Gefäßreaktion), Mundtrockenheit, Muskelanspannung.
Psychiatrie/Psychologie
Akuter Erregungszustand Ursachen: akute psych. Belastungssituationen, Psychosen, Manien u. v. a. m. Symptomatik: Unruhe, psychomotorische Erregung. Antriebssteigerung, Aggressivität, Euphorie, Panik, Verwirrtheit, Wut. Puls tachykard, evtl. arrhythmisch, Blutdruckanstieg, Schwitzen. Maßnahmen: Verständigung suchen vor sedierenden Maßnahmen. Hinweise: Patienten fühlen sich subjektiv oft nicht krank ➯ Uneinsichtigkeit. Trotz schwierigem Umgang geduldig bleiben ! Gefahr gewalttätiger Handlungen gegen sich (Suizid) oder gegen die Umwelt; ggf. Polizei einschalten (vgl. S. 92 ff.). Verwirrtheit Bewusstseinsstörung, die sich als eine Kombination von Denkstörung, Erinnerungsverfälschung und Desorientiertheit (zeitlich, örtlich, situativ und / oder zur Person) beschreiben läßt und z. B. im Rahmen organischer Psychosen (durch körperliche Erkrankungen bedingt) auftritt, z. B. Alzheimer-Erkrankung. Delir Zustand im Rahmen von Alkoholismus und Drogenentzug, sowie bei akuten organischen Psychosen. Symptomatik: Bewusstseins- und Orientierungsstörungen, (optische) Halluzinationen, vegetative Störungen (Schwitzen, Tachykardie, Hypertonie), Zittern, motorische Unruhe. Stupor Der Patient lässt weder seelische noch körperliche Aktivität erkennen - bei meist klarem Bewusstsein.
15.1 · Psychiatrie
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15
Psychiatrische Notfälle • Generell Sicherung der Vitalfunktionen vor psychischer Hilfe! • Zu Fremd- / Eigengefährdung und Zwangseinweisung s. S. 92 ff.
Notfalltherapie • Basisscheck, Basismaßnahmen; Anwesenheit, Beruhigen, Zuspruch • Zum psychischen Umgang mit Patienten s. S. 430 f. • Bei Horrortrip (Drogenkonsum, vgl. Kapitel 12): ggf. Talk-down • Ggf. Polizeinachforderung bei bestehender Fremd- oder Eigengefährdung!! • Untersuchung, Standardtherapie • Eigen- und Fremdgefährdung beachten! Ggf. stationäre Einweisung. • Medikamente: bei Erregungs- und Angstzuständen - ggf. Diazepam (5 - 10 mg i.v.) - ggf. Haloperidol (5 - 10 mg i.v.) bei Entzugsdelir - ggf. Clonidin (0,075 - 0,15 verdünnt über 10 min i.v.)
Praxistipps • Ausschluss ursächlicher oder begleitender schwerwiegender körperlicher Erkrankungen (z. B. Hypoglykämie) oder Vergiftungen! • Den Patienten einer Fachbehandlung zuführen! (Besonders bei Eigen- oder Fremdgefährdung, z. B. Suizidgefahr oder Realitätsverkennung.) • Auch bei Notfallbildern, die keiner akuten medizin. Intervention im RD bedürfen, aber aufgrund ihres Charakters zu einer Eigen- / Fremdgefährdung führen können (z. B. Halluzinationen, Wahn), Einweisung und Fachbehandlung veranlassen.
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Kapitel 15 · Psychiatrie/Psychologie
Selbsttötung I Definition Äußern, Androhen oder absichtliches Durchführen von Maßnahmen, die dazu dienen sollen, die eigene Gesundheit zu schädigen, das eigene Leben zu verkürzen oder zu beenden (Suizid).
Symptomatik • Evtl. bekannte Auslöser (z. B. Enttäuschung) / Abschiedsbrief. • Aussprechen, Androhen oder Antäuschen von Suizidmaßnahmen. • Durchführen von Suizidmaßnahmen. • Psychische Verfassung (Kombinationen / Schwankungen möglich): a) Depressive Verstimmung, Angst, Trauer, Wut. b) Aktivität, Nervosität, Aggression. c) Entspannung, abnorme Gelassenheit.
Psychiatrie/Psychologie
Notfalltherapie • Basismaßnahmen; Versorgen von Verletzungen, Intoxikationen usw. • Eigenschutz! Ggf. Polizei anfordern! • Psychische Betreuung des Patienten s. S. 430 f. • Immer Krankenhauseinweisung zur weiteren Abklärung anstreben. • Allgemeine Regeln für den suizidalen Notfall: 1. Vorbehaltloses Akzeptieren und Ernstnehmen des Patienten. Zuhören. 2. Keine (fadenscheinigen) Ablenkungsmanöver versuchen. 3. Keine vorschnellen therapeutischen Ratschläge („Es ist alles ganz einfach ...“). - Zuhören. 4. Die persönliche Notlage des Patienten weder verharmlosen noch relativieren. 5. Ggf. Kontaktpersonen des Patienten einbinden. 6. Hilfsangebot (z. B. psychiatrische Einweisung) machen. 7. Den Patienten nicht belügen. Keine unhaltbaren Versprechen. 8. Heftige Affektäußerungen (Weinen, Aggression) sollten unerwidert angenommen werden, auch wenn sie (scheinbar) gegen den Helfer gerichtet sind. 9. Der Patient darf sich nicht bedroht oder peinlich beobachtet fühlen (von Schaulustigen abschirmen). 10.Suizidale Patienten nicht alleine lassen ! • Sofern nötig und möglich: Betreuung der Angehörigen.
15.1 · Psychiatrie
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Selbsttötung II Notfalltherapie (Fortsetzung) • Untersuchung, Standardtherapie • Gesprächsführung, psychische Betreuung • Feststellen von Fremd- / Eigengefährdung • Ggf. Zwangseinweisung veranlassen (Ordnungsbehörde, Polizei) - S. 92 ff. • Medikamente: ggf. Benzodiazepine, z. B. Diazepam (5 - 10 mg i.v.) ggf. Neuroleptika, z. B. Haloperidol (5 - 10 mg i.v.)
Praxistipps • Die Gesprächsführung mit akut suizidalen Patienten (z. B. Patient, der zu springen droht) sollte von einem erfahrenen, geschulten Arzt oder Krisenmanager übernommen werden. Ggf. Fachdienste (z. B. Polizeipsychologen) nachfordern. In der Regel sind Kriseninterventionsteams nicht zuständig. • Oft wird die Suizidabsicht vorher angekündigt ! • Menschen zeigen, je näher sie dem Suizid stehen, Gelassenheit und Entspannung (die Entscheidung ist getroffen). Vorbestehende Depressionen scheinen verschwunden. Über Suizidgedanken täuschen sie hinweg. Der Entschluß, sich das Leben zu nehmen, erscheint ihnen wie eine Erlösung. • Obwohl es im Rettungsdienst weder sinnvoll noch möglich ist, eine Psychotherapie einzuleiten, hilft eine angemessene psychische Betreuung, Unannehmlichkeiten für Rettungsdienstpersonal und Patienten zu vermeiden, und erspart unter Umständen ein medikamentöses Eingreifen. • Der Rechtssituation muss bei einem suizidalen Notfall große Aufmerksamkeit geschenkt werden (Selbsttötung ist ein Unglücksfall im Sinne des § 323 c StGB, Dokumentation eingeschränkter Freiverantwortlichkeit / Geschäftsfähigkeit, Nichtigkeit einer vormaligen Willenserklärung bei Bewußtlosigkeit, Eigen- / Fremdgefährdung, Zwangseinweisung, Sedierung bedarf ggf. der Einwilligung des Patienten). • Kriterien zum Einschätzen der Suizidgefahr: akute Angst, Depression, Schuldgefühle; Erleben von Aussichtslosigkeit, bittere Äußerungen über das Leben; sozialer Rückzug, Einsamkeit; Verlusterlebnisse; ständige Beschäftigung mit Todesgedanken; frühere Suizidversuche; frühere Suizidhandlungen in der näheren Umgebung (Familie) des Patienten. • Kinder sind - wenn auch selten - ab etwa dem sechsten Lebensjahr zu gezielten Suizidhandlungen fähig.
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Kapitel 15 · Psychiatrie/Psychologie
Stress Aus dem speziellen Arbeitsauftrag und den damit verbundenen Arbeitsbedingungen kommt es im Rettungsdienst immer wieder zu „Belastungssituationen“. Belastungssituationen können Gedanken, Gefühle, Körperreaktionen sowie bestimmte Verhaltensweisen auslösen. Diese akuten physischen und psychischen Reaktionen auf Belastungssituationen werden als „Stressreaktionen“ bezeichnet. Typische Stressreaktionen in und nach Einsätzen sind z. B.: Gefühle wie Angst, Hilflosigkeit, Mitgefühl und Wut; Gedanken wie immer wiederkehrende Erinnerungen, kreisende Gedanken und Bilder erlebter Einsätze; körperliche Reaktionen wie feuchte Hände, Zittern, Muskelanspannung oder Herzrasen; Verhaltensweisen wie risikofreudiges Fahren, unkonzentriertes Arbeiten oder Nervosität.
Psychiatrie/Psychologie
Welche Situationen als belastend erlebt werden und wie man darauf reagiert, ist sehr individuell und von „vermittelnden Prozessen“ beeinflusst. Dabei spielt es zum einen eine Rolle, ob man die Situation für sich selbst oder den betroffenen Patienten als bedrohlich einschätzt. Die Einschätzung und Bewertung der Situation ist somit einer der vermittelnden Faktoren zwischen den an uns gestellten Anforderungen und der Art und Weise, wie darauf reagiert wird. Zum anderen spielt die Einschätzung und Bewertung der eigenen Reaktionsmöglichkeiten in der Belastungssituation eine wichtige Rolle. Beide Arten der Bewertung werden zusätzlich durch die persönlichen Voraussetzungen beeinflusst. Dazu zählen z. B. körperliche Fitness, berufliche Erfahrung und Persönlichkeitseigenschaften. Aufgrund unterschiedlicher Voraussetzungen wird jeder Mensch die belastende Situation und seine Möglichkeiten, sie zu bewältigen, anders bewerten. Von Bedeutung sind dabei unter anderem der gesundheitliche Zustand unseres Körpers und das jeweilige Netz sozialer Beziehungen. Stressbewältigung wird immer dann notwendig, wenn Reaktions- und Regulationsmöglichkeiten einer Person in der Auseinandersetzung mit Belastungssituationen und Konflikten beansprucht oder überfordert werden. Stressbewältigung im besonderen zielt darauf ab, akute Stressreaktionen zu regulieren, Probleme zu lösen und langfristig günstige Voraussetzungen im Umgang mit Belastungssituationen zu schaffen (Singer u. Bengel, 1997).
15.2 · Psychologie
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15
Stressprävention Der Erfolg der Stressbewältigung läßt sich an der Erhaltung des körperlichen und seelischen Wohlbefindens bzw. der Gesundheit messen. Ein emotionales Gleichgewicht, auch nach extremer Belastung, befähigt uns, dauerhafte und befriedigende Beziehungen zu anderen Menschen aufrecht zu halten. Die Fähigkeit zur selbständigen Regulierung von Körperreaktionen und Gefühlen führt zu einer Optimierung der Aufgabenbewältigung, selbst unter schwierigen Einsatzbedingungen (Ungerer 1990). Darüber hinaus ist die Fähigkeit, Anspannung und Gefühle regulieren zu können, auch eine Voraussetzung zur adäquaten psychologischen Erstversorgung von Patienten. Ziel eines Stressbewältigungstrainings ist es, die alltägliche Arbeitsbelastung der Mitarbeiter zu reduzieren, ihre persönliche Widerstandskraft aufzubauen und sie somit auf außergewöhnliche Ereignisse vorzubereiten. Das Training teilt sich auf in die Vermittlung psychologischer Grundkenntnisse sowie das Erlernen und Üben alltagstauglicher Stressbewältigungstechniken (vgl. Brengelmann 1988; Mitchell u. Everly 1994; Ungerer 1990; Singer u. Bengel, 1997). Als eine grundlegende Technik wird die Selbstbeobachtung eigener Stressreaktionen (Gedanken, Gefühle, Körperreaktionen und Verhalten) in und nach belastenden Einsätzen erlernt und geübt. Entspannungsverfahren, z. B. Progressive Muskelentspannung, stellen eine weitere Grundlagentechnik dar. Den Schwerpunkt bildet die Vermittlung von Möglichkeiten der Selbstregulation in Belastungssituationen, z. B. der positiven Selbstinstruktion. Diese Techniken befähigen die Mitarbeiter im rettungsdienstlichen Alltag, z. B. am Einsatzort, Anspannung und Erregung zu reduzieren, dadurch handlungsfähig zu bleiben und die fachlichen Aufgaben auch unter extremen Einsatzbedingungen bewältigen zu können. Das Training schließt mit der Vermittlung von Informationen zu Möglichkeiten der Verbesserung persönlicher Voraussetzungen im Umgang mit Belastungssituationen ab. In diesem Teil des Trainings lernen die Teilnehmer, durch systematisches Arbeiten an Problemen Belastungssituationen im Vorfeld zu verändern, sowie in Gruppenarbeit praktische Möglichkeiten zu erarbeiten, die eigene Widerstandskraft aufzubauen und zu erhalten. Alle Techniken eignen sich ebenso für den Umgang mit beruflichen wie mit privaten Belastungen (vgl. Kaluza 1996; Wagner-Link 1995).
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Kapitel 15 · Psychiatrie/Psychologie
Psychische Erste Hilfe I Die Wiederherstellung bzw. Erhaltung der Vitalfunktionen hat in der akuten notfallmedizinischen Versorgung Priorität. Allerdings wird die psychische Situation von Unfallopfern und anderen Patienten in der Praxis oft zu wenig berücksichtigt. Besonders Patienten nach einem schweren Verkehrsunfall oder mit lebensbedrohlichen Erkrankungen entwickeln Gefühle der Angst und Hilflosigkeit. Diese Gefühle werden oft durch die Eindrücke der Situation und Schmerzen verstärkt. Wechselbeziehungen zwischen Psyche und Körper können dann einer Stabilisierung des Patientenzustandes entgegenwirken. Durch einfache Maßnahmen der Psychischen Ersten Hilfe ist es möglich, Patienten sowohl psychisch als auch medizinisch zu stabilisieren. Folgende Maßnahmen sind dazu geeignet, den Bedürfnissen von Patienten gerecht zu werden:
Psychiatrie/Psychologie
1. Kontakt zum Patienten herstellen: Stellen Sie möglichst schnell Blickkontakt zum Patienten her. Begeben Sie sich zu ihm auf eine Höhe, knien Sie ggf. neben dem Patienten. Durch Begrüßung und Vorstellung Ihres Namens und Ihrer Funktion demonstrieren Sie dem Patienten, daß Sie für seine Beschwerden nun der richtige Ansprechpartner sind. Es ist dabei zu empfehlen, den Namen des Patienten zu erfragen, um ihn ganz persönlich ansprechen zu können. Dies fördert die Vertrauensbasis zwischen Arzt und Patient. Verwenden Sie - wenn vom Patienten nicht ausdrücklich anders gewünscht - ab dem 16. Lebensjahr die Anrede „Sie“. Es ist ferner wichtig, daß der Patient bis zur Übergabe im Krankenhaus eine Kontaktperson hat und möglichst nicht mehr alleine gelassen wird. 2. Vorsichtiger Körperkontakt: Leichter Körperkontakt wird von Patienten als beruhigend erlebt. Dies kann durch Handhalten (gleichzeitige Pulskontrolle möglich), Hand auf die Schulter legen oder das Abwischen der Stirn von Schweiß und Blut erreicht werden. Berührungen an Kopf und Rumpf werden in der Regel als unangenehm empfunden und sollten vermieden werden. Behutsam einfühlendes Vorgehen ist ebenfalls dann angezeigt, wenn die Situation oder eine Maßnahme beim Patienten Scham auslösen könnte (z. B. Anlegen eines EKG).
15.2 · Psychologie
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Psychische Erste Hilfe II 3. Kompetenz vermitteln: Kompetentes Auftreten am Einsatzort hat einen beruhigenden Effekt auf Patienten. Es zeichnet sich dadurch aus, daß dem Patienten eine differenzierte Beurteilung der Verletzung bzw. Erkrankung gegeben wird und er darüber aufgeklärt wird, welche medizinischen Maßnahmen durchgeführt werden und welche Effekte dadurch zu erwarten sind. Zügiges, koordiniertes Arbeiten, klare Absprachen zwischen den Einsatzkräften, ein korrektes Äußeres (Kleidung, Frisur), ein sauberes Fahrzeug sowie ein umsichtiges, verantwortungsbewußtes Verhalten im Straßenverkehr tragen ebenso zu einem vertrauenswürdigen und professionellen Erscheinungsbild bei. 4. Dem Patienten zuhören und mit ihm sprechen: Bemühen Sie sich, mit dem Patienten in einem ruhigen Tonfall ein Gespräch aufrecht zu halten. Dies wird in der Regel vom Patienten als beruhigend und entlastend empfunden; zusätzlich wird die „Ansprechbarkeit“ kontinuierlich überprüft. Dabei ist es auch wichtig, sich zu bemühen, dem Patienten aufmerksam zuzuhören und ihn - z. B. mit Fragen wie „Woher kommen Sie?“ - zum Sprechen anzuregen. 5. Abschirmen von Schaulustigen: Gaffer und unbeteiligte Akteure am Einsatzort behindern die Hilfsaktionen und verunsichern den Patienten. Weisen Sie Zuschauer und Neugierige freundlich und bestimmt zurück oder beschäftigen Sie diese mit Hilfsaufgaben, z. B. dem Aufstellen von Warndreiecken. 6. Negative Verhaltensweisen: Spekulative Aussagen, das Bagatellisieren von Verletzungen und Schmerzen, Vorwürfe gegenüber Patienten und das Stellen furchterzeugender Diagnosen sind im Umgang mit Patienten unter allen Umständen zu vermeiden! In speziellen Trainings zur Psychischen Ersten Hilfe und zur Gesprächsführung im Rettungsdienst ist es möglich, diese und weitere Verhaltensweisen im psychologischen Umgang mit Patienten und deren Umfeld so einzuüben, dass sie zum festen Bestandteil des routinemäßigen Verhaltens des Rettungsdienstpersonals werden (vgl. Lasogga u. Gasch, 1997; Strittmatter u. Groote, 1997).
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Kapitel 15 · Psychiatrie/Psychologie
Professionelle Hilfe In Situationen, in denen die Betreuung von Menschen notwendig ist, die im Rahmen eines Notfallgeschehens akut psychisch traumatisiert, jedoch medizinisch nicht behandlungspflichtig sind, ist es zur Unterstützung des Rettungsdienstpersonals sinnvoll, Kriseninterventions- bzw. Notfallseelsorgeteams zu alarmieren. Eine akute psychische Traumatisierung kann durch ein belastenden Ereignis entstehen, welches außerhalb der üblichen individuellen menschlichen Erfahrung liegt, z. B.: • Verlust eines Angehörigen (z. B. ein Kind durch SID) • Suizid oder Suizidversuch eines Angehörigen • Konfrontation mit traumatischen Eindrücken (z. B. Lokführer nach Unfall) • Erleben eines gewalttätigen Angriffs (z. B. Vergewaltigung) • Entgegennahme einer Todesnachricht • Überforderung mit der Pflege eines sterbenden Menschen
Psychiatrie/Psychologie
Infolge solcher Situationen können die Selbsthilfekräfte der Betroffenen momentan erschöpft oder überfordert sein. Dies äußert sich in intensiven Gefühlen, Körperreaktionen und Verhaltensweisen, z. B. Hilflosigkeit, Verzweiflung, Zittern, Weinen. Die vorübergehende Betreuung dieser akut psychisch trauma-tisierten Personen fällt in den Aufgabenbereich von Kriseninterventionsteams. Ziel ist es, den Betroffenen Beistand zu leisten und / oder ihnen geeignete Hilfsangebote zu vermitteln (vgl. Müller-Cyran, 1997). Zum Aufgabenbereich der Krisenintervention gehört nicht die Versorgung von Patienten mit psychiatrischen Krankheitsbildern, bei denen eine Suchtproblematik im Vordergrund steht oder die akut suizidgefährdet sind (s. S. 426 f.). Ebenso sind Kriseninterventionsteams nicht für die Betreuung von Einsatzkräften zuständig. Für den Fall, daß kein Kriseninterventionsteam verfügbar ist, sollte das Rettungsdienstpersonal selbst versuchen, Hilfsangebote zu vermitteln, z. B. Beratungsstellen, Frauenhaus, Seelsorger. Dazu sollte in jedem Rettungsmittel eine Liste mit entsprechenden Anlaufstellen der Umgebung mitgeführt werden.
15.2 · Psychologie
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Einsatznachbetreuung Durch außergewöhnlich extreme Einsatzereignisse besteht für Einsatzkräfte die Gefahr einer psychischen Traumatisierung. Das behandlungsbedürftige Krankheitsbild wird als Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS, engl. PTSD) bezeichnet und ist durch Symptome des Wiedererlebens der traumatischen Erfahrung, durch das Vermeiden von trauma-assoziierten Reizen und Erinnerungen, sowie durch anhaltende Symptome erhöhter physiologischer Erregung und Körperreaktionen gekennzeichnet. Die Erkrankungshäufigkeit für RD-Personal wird auf 3 - 7 % geschätzt (vgl. Bengel u. Landji, 1997). Mögliche kritische Einsatzereignisse sind: • Gewalt gegen Einsatzkräfte und Patienten • Unfälle, bei den Einsatzkräfte schwer verletzt oder getötet werden • Kindernotfälle (SID) • Großschadensereignisse mit vielen Verletzten und Toten • zerstückelte Körperteile, verbrannte Menschen • Einsätze mit großem Medieninteresse Strukturierte Einsatznachbesprechung (im folgenden mit SEN abgekürzt; entspricht dem Konzept „Streßverarbeitung nach belastenden Einsätzen“ = SBE): Die SEN bietet eine wirkungsvolle Möglichkeit zur Unterstützung des RD-Personals nach kritischen Einsatzereignissen (vgl. Mitchell u. Everly 1996; AppelSchumacher, 1997; Hermanutz u. Fiedler, 1997). Sie hat zum Ziel, akute Belastungen zu reduzieren, sowie das Risiko psychischer Folgeschäden zu verringern. Es ist sinnvoll, 24 - 72 Stunden nach dem kritischen Ereignis mit den beteiligten Einsatzkräften eine solche SEN durchzuführen. Die SEN ist keine Therapie und muss von einem erfahrenen und qualifizierten Team durchgeführt werden. Der Teamleiter ist ein Diplom-Psychologe oder Seelsorger mit therapeutischer Zusatzqualifikation. Voraussetzungen der weiteren Teammitglieder sind Einsatzerfahrung im RD und eine Ausbildung in der Durchführung von SEN (z. B. SBE gemäß Bundesvereinigung für Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen e. V. oder CISD = Critical Incident Stress Debriefing). Es ist nicht sinnvoll, wenn die Teammitglieder in dem kritischen Ereignis selbst als Einsatzkräfte tätig waren oder wenn sie Teilnehmer der SEN persönlich kennen. Die SEN wird in einem ungestörten Raum durchgeführt. Die Teilnahme daran ist freiwillig. Vorgesetzte sollten nicht an der SEN teilnehmen. Alle Teilnehmer werden zu Beginn über die gegenseitige Verpflichtung zum Stillschweigen aufgeklärt. Zum Schutz der Teilnehmer besteht absolutes Dokumentationsverbot.
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Kapitel 15 · Psychiatrie/Psychologie
Verhalten bei SID I Umgang mit Eltern und Geschwistern während und nach Einsätzen mit Plötzlichem Säuglingstod SID = Sudden Infant Death Zu grundlegenden Maßnahmen der Psychischen Ersten Hilfe s. S. 430 f. 1. Eltern nie ausgrenzen Ist eine Reanimation indiziert, müssen die Eltern die Möglichkeit erhalten, sich aktiv zu beteiligen (z. B. Infusion halten), oder inaktiv im Raum zu bleiben oder indirekt (z. B. durch eine angelehnte Tür) die Maßnahmen zu verfolgen. Den Abbruch der Reanimation sollten Sie möglichst ankündigen („Wir versuchen alles, aber es sieht nicht so aus, als ob wir Ihrem Kind helfen können“). Bei sicheren Todeszeichen ist auf eine Reanimation, v. a. auf einen Kliniktransport des Kindes, im Interesse der Eltern zu verzichten. Fragen Sie die Eltern, ob sie bei der Todesfeststellung (äußere Untersuchung des entkleideten Kindes) dabeisein möchten. Erklären Sie ihnen dabei die Todeszeichen, v. a. (wenn sichtbar) die Totenflecken. 2. Eindeutige Worte bei der Todesmitteilung wählen Teilen Sie den Eltern, auch wenn sie bei der Todesfeststellung dabei sind, den Tod ihres Kindes in klaren und eindeutigen Worten mit („Ihr Baby ist tot“ oder „Ihr Sohn / Ihre Tochter lebt nicht mehr“, aber nicht: „Ihr Kind hat auf die Reanimation nicht angeschlagen“).
Psychiatrie/Psychologie
3. Erste Informationen zum plötzlichen Säuglingstod geben Geben Sie den Eltern mit einigen kurzen Sätzen Basisinformationen (vgl. S. 342) zum SID. Achten Sie darauf, ihnen zu sagen, daß dieser Tod weder für Eltern noch für Experten vorhersehbar ist. Besonders günstig ist es, wenn Sie in der Akutsituation schriftliches Material, z. B. Erstinfoblatt der GEPS (Kontaktadresse s. S. 436) überreichen können (ggf. anfordern und auf dem NEF/NAW vorhalten). 4. Über die entlastende Seite einer Obduktion sprechen Versuchen Sie, den Eltern deutlich zu machen, daß eine Obduktion - trotz starker gefühlsmäßiger Belastung - für sie langfristig gesehen sehr hilfreich sein kann. Sie kann sie von Schuldvorwürfen entlasten und wesentliche Fragen zum Tod ihres Kindes (Todesursache, genetische Disposition) beantworten.
15.3 · Verhalten bei SID
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Verhalten bei SID II 5. Todesart „ungeklärt“ und Polizeieinsatz erklären Wird als Diagnose SID angenommen, ist in der Todesbescheinigung als Todesart „nicht aufgeklärt“ und als Todesursache „vermutlich SID“ anzugeben. Erläutern Sie den Eltern diese Angaben. Betonen Sie, daß damit weder ihnen noch ihren behandelnden Ärzten gegenüber Misstrauen ausgedrückt wird. Erklären Sie, dass in den meisten Bundesländern bei jedem Tod aus nichtgeklärter Ursache die Polizei benachrichtigt werden muss. Bereiten Sie die Eltern auf das Eintreffen der Polizei vor. Versuchen Sie, nicht nur bis zu deren Eintreffen, sondern auch während der polizeilichen Ermittlungen bei der Familie zu bleiben. (Weitere Informationen zum formalen Ablauf bei SID: Rechtsmedizinische Institute / Gesundheitsämter / GEPS s. S. 436). 6. Abschiednehmen anbieten Die meisten Eltern haben in der Akutsituation das starke Bedürfnis, ihr Kind zu sehen oder es wieder in den Arm zu nehmen. Gleichzeitig fürchten sich viele vor dem Anblick ihres toten Kindes, leiden aber später sehr darunter, keinen Abschied genommen zu haben. Deshalb sollten Sie sie zum Abschiednehmen ermutigen. Denken Sie daran, daß die Eltern auch die hinterbliebenen Geschwister (jedes Alter) einbeziehen. Achten Sie darauf, daß die Spuren der Reanimation beseitigt worden sind. Überreichen Sie, wenn möglich, den Eltern ihr Kind (in den Arm legen). Fragen Sie sie, ob sie mit ihrem Kind allein im Raum sein möchten. Lassen Sie der Familie Zeit. 7. Auf beruhigende Medikamente verzichten Verzichten Sie möglichst auf die Gabe beruhigender Medikamente. In Zweifelsfällen lassen Sie die Betroffenen selbst entscheiden. Achten Sie aber darauf, dass sie sich bei ihrer Entscheidung nicht von anderen Anwesenden (Partner, Familienangehörige) beeinflussen lassen. 8. Auf Geschwister achten Beachten Sie die Geschwister des gestorbenen Babys, grenzen Sie sie nicht aus. Versichern Sie den Eltern, daß ältere Kinder nicht SID-gefährdet sind. Beim Tod eines Zwillingskindes sollte das überlebende Kind auf jeden Fall sorgfältig klinisch untersucht werden. Eine stationäre Aufnahme ist dabei nicht generell, sondern nur bei Vorliegen klinischer Symptome (v. a. Infektzeichen) angezeigt.
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Kapitel 15 · Psychiatrie/Psychologie
Verhalten bei SID III 9. Kontaktkette bilden Bieten Sie den Eltern an, Freunde oder auch Nachbarn anzurufen. Sprechen Sie die Kontaktvermittlung zu einem Geistlichen an. Weisen Sie auf die bundesweit organisierte Elternselbsthilfe hin und geben Sie eine Kontaktadresse weiter (s. u.). 10. Unpassende und passende Worte Vermeiden Sie alle Sätze, die den Tod bzw. den Verlust relativieren / bagatellisieren („Vielleicht war es doch für irgendetwas gut“, „Es war doch noch ganz klein, besser jetzt als später“) oder die Gefühle der Trauer beurteilen („ich weiß, wie es Ihnen jetzt geht“). Auf gängige Formulierungen wie „Sie sind noch jung, Sie können doch noch weiter Kinder bekommen“ oder „Gott sei Dank haben Sie ja noch weitere Kinder, die Sie jetzt brauchen“ sollten Sie unbedingt verzichten. Ihre eigene Betroffenheit angesichts eines Kindstodes müssen Sie nicht verbergen, sondern können Sie ansprechen („Ich weiß gar nicht, was ich jetzt sagen soll“). Oft entsteht gerade dadurch eine gefühlsmäßige „Brücke“ zu den Trauernden.
(Notfall-) Medizinische Informationen zu SID s. S. 342. Kontaktadresse:
Psychiatrie/Psychologie
Elternselbsthilfeorganisation GEPS (Gemeinsame Elterninitiative Plötzlicher Säuglingstod Deutschland e.V.) Fallingbosteler Str. 20 30625 Hannover Tel. u. Fax: 05 11 / 8 38 62 02 (dort ggf. regionalen Ansprechpartner erfragen)
Ein heikler, aber wichtiger Punkt Eventuell (wenn es der zeitliche und situative Kontext zulässt!), sollte ein Arzt, u.U. auch schon der Notarzt, der Mutter - wenn Sie gestillt hat - raten, umgehend Kontakt zum Frauenarzt / zur Frauenärztin aufzunehmen, damit das Abstillen ggf. medikamentös herbeigeführt werden kann.
Kapitelübersicht
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Hygiene / Infektionsschutz 16.1 Hygiene und Desinfektion ........................................... 438 16.2 Ablauf eines Infektionstransportes .............................. 440 16.3 Infektionsschutzgesetz (IfSG) ..................................... 442 Meldepflichtige Infektionserkrankungen, alphabetisch geordnet ............................... 443 ff. Fußnoten zur Tabelle ...................................... 450
16.4 Nadelstichverletzung / HIV-Kontakt ............................ 451 16.5 MRSA ......................................................................... 452
Rechtsgrundlagen/Weitere Informationsquellen Zu Hygiene und Desinfektion im Rettungsdienst gibt es einige (rechts-) verbindliche Ausführungen und normsetzende Institutionen, auf die sich Aussagen und Verweise in diesem Kapitel beziehen: • RKI (Robert-Koch-Institut): Seit 1994 Nachfolger des Bundesgesundheitsamtes im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit; Aufgabenfestlegung in § 4 IfSG. Internet: www.rki.de • DGHM (Deutsche Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie): Gibt eine Liste geprüfter und für wirksam befundener Desinfektionsmittel und -verfahren heraus, die als verbindlich für prophylaktische und routinemäßige Desinfektionsmaßnahmen anzusehen ist. Einer behördlich angeordneten Entseuchung ist eine entsprechende Liste des RKI zugrunde zu legen (§ 18 IfSG). • BGV (Vorschriften der Berufsgenossenschaften - GUV / BGW), insbes.: - BGV C 8 Gesundheitsdienst (früher VBG 103) - BGV A 4 Arbeitsmedizinische Vorsorge (früher VBG 100), v.a. G 42 - BGV B 8 Verhütung und Bekämpfung des Milzbrandes (früher: VBG 84) - BGV C 27 Müllbeseitigung (früher: VBG 126) - BGR 125 Einsammeln, Befördern und Lagern von Abfällen in Einrichtungen des Gesundheitsdienstes - BGR 189, 191, 192, 195, 197 (verschiede Schutzmaßnahmen) - BGR 206 Desinfektionsarbeiten im Gesundheitsdienst - Informationsschriften (z.B. BGI 584, 586, 589, 597-4; ZH 1/31, 1/132, 1/187)
438
Kapitel 16 · Hygiene/Infektionsschutz
Hygiene / Infektionsschutz
Hygiene und Desinfektion - Grundregeln Hygiene vor, im und nach dem Dienst Grundsätzlich ist der wachenspezifisch erstellte Hygieneplan zu beachten.
1. Persönliche Hygiene • Körper (insbes. Haare, Hände, Fingernägel): Waschen; regelmäßige hygienische Händedesinfektion (vor und nach Patientenkontakt). • Kleidung: tägl. Wäschewechsel; Gürtel, Schuhe (glatte Oberfläche!), Jacke und persönliche Ausrüstung regelmäßig reinigen und desinfizieren. • Kleidungswechsel mit lokaler Körperdesinfektion / -reinigung nach sichtbarer Kontamination. • Jeglichen Schmuck (z. B. Ohrringe, Armbanduhr) im Dienst ablegen ! • Schutzmöglichkeiten einsetzen (Handschuhe, Mundschutz, Kittel usw.). Handschuhe sind unbedingt zu tragen, wenn Kontakt mit Körperflüssigkeiten des Patienten nicht auszuschließen ist. Es sind sterile Handschuhe zu tragen, wenn der Patient als besonders infektionsgefährdet anzusehen ist (z. B. Geburt: Mutter und Kind; Einlegen eines zentralen Venenkatheters usw.); ggf. erhält der Patient zu seinem Schutz einen Mundschutz. Mund- und Augenschutz sind zu tragen, wenn mit Verspritzungsgefahr von Körperflüssigkeiten besteht (z. B. spontane Abszesseröffnung). • Eigene Verletzungen keimfrei bedecken und verbinden; ggf. ärztliche Behandlung. Hinweis: Die Einsatzkleidung (speziell die Schuhe) muß den UVV-Richtlinien (BGV C 8, früher VBG 103) entsprechen. Vgl. a. BGR 189, 191, 192, 195, 197.
2. Fahrzeug • Tägliche Desinfektion kontaminierter Flächen (Patientenkontakt). • Ein- bis zweimal wöchentlich Routinedesinfektion (gesamtes Fahrzeug). • Desinfektion nach jedem Transport eines Patienten mit Verdacht oder Feststellung einer übertragbaren Erkrankung. • Sofortiges Entfernen sichtbarer Verschmutzungen nach Desinfektion. • Regelmäßige Desinfektion von Geräten, sowie nach Gebrauch. • Wechsel von Laken, Decken- und Kopfkissenbezug nach jedem Patienten ! • Sachgerechte Müllentsorgung; Entsorgungsboxen für spitze Abfälle (Achtung Sondermüll !). • Regelmäßige Reinigung der Außenflächen („Autowäsche“); Nebeneffekt: gutes Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit.
3. Wache • Regelmäßiges Reinigen von Möbeln, Boden und Gebrauchsgegenständen (z. B. Telefon, Türklinken, Spinde). • Abtrennung von Schmutzräumen (Toiletten, Dusche, Waschhalle). Separate Desinfektionsräume, Extraumkleide, -dusche, Wäscheabwurf. Schleuse.
16.1 · Hygiene und Desinfektion
439
16
Bei Notfallpatienten ist stets von einer Beteiligung des Immunsystems auszugehen (jede Erkrankung schwächt das Immunsystem). Erreger, die sich ohne Krankheitswirkung beim Personal angesiedelt haben, können für den Notfallpatienten eine Lebensbedrohung darstellen! Untersuchungen zeigen, dass gerade die Hände des Personals ein wesentlicher Übertragungsweg sind. Hygienische Händedesinfektion (Personal) Vor und nach jedem Kontakt mit Patienten, ihren Ausscheidungen oder kontaminiertem Material (z. B. Verbände). Außerdem vor invasiven Maßnahmen, Tätigkeiten mit Kontaminationsgefahr (z.B. Medikamente aufziehen, Manipulation an Venenverweilkanülen) sowie bei erhöhter Infektionsgefahr. Mittel mit §36-AMG-Zulassung und DGHM-Listung verwenden. • Hände überall (beachte bes. Nagelfalz, Fingerzwischenräume, Daumen) gut mit Desinfektionsmittel befeuchten und einreiben. • Einwirkzeit 30 Sekunden. (Andere Zeiten sind je nach Mittel möglich.) Für die Dauer der Einwirkzeit ist die gesamte Fläche feucht zu halten. Bei spürbarer Kontamination / Tuberkulose-Kontamination 2 x anwenden. • Schließt sich an die Desinfektion eine Reinigung (Händewaschung) an, so erfolgt das Abtrocknen mit Einmalhandtüchern (keine Gemeinschaftshandtücher!). Grundsatz: ERST DESINFEKTION, DANN REINIGUNG (sonst Verteilung kontaminierter Partikel; Ausnahme: große Mengen von Ausscheidungen zunächst möglichst gezielt aufnehmen/entsorgen). • Hautpflege nach Schichtende oder in Pausen ist Pflicht, um Austrocknung, Mikrotraumen, Risse und Hautkrankheiten zu verhüten und eine effektive hygienische Händedesinfektion zu gewährleisten. Cave: Wasserstellen in Rettungsmitteln sind nicht zur Reinigung von Händen und Gerätschaften geeignet. In Untersuchungen wurde festgestellt, dass sie ein Reservoir für verschiedene - teilweise gefährliche Erreger bilden. Es sollte überlegt werden, diese Wasserbehälter gar nicht erst zu füllen. Ggf. alternativ Bevorratung von kohlensäurefreiem Mineralwasser in Originalverpackung (z.B. TetraPak®, Kanister) - Verfall beachten. Hautdesinfektion (Patient) Die auf der Haut befindlichen Erreger können bei Eindringen in die Blutbahn des Patienten (besonders in Anbetracht des angegriffenen Immunsystems) zu schweren Infektionen führen. Daher ist eine ordentliche Hautdesinfektion z. B. vor Punktionen und Inzisionen obligat: • Sattes Aufsprühen von Hautdesinfektionsmittel. • Mind. 30 Sekunden Einwirkzeit (ggf. Abwischen mit sterilem Tupfer). • Punktion/Inzision ohne erneute Kontamination (z. B. durch Tasten). Hinweis: Auch bei anderen Maßnahmen (z.B. endotracheale Intubation, endotracheales Absaugen) ist steril bzw. keimarm zu arbeiten.
440
Kapitel 16 · Hygiene/Infektionsschutz
Hygiene / Infektionsschutz
Ablauf eines Infektionstransportes Definition: Transport eines Infektionskranken oder eines Patienten mit Verdacht auf eine Infektionserkrankung (meist Ankündigung). 1. Vorbereitung • Informationen sammeln (Krankheit, Übertragungsweg, Gefahren usw.); Hygieneplan beachten; ggf. Rücksprache mit dem zuständigen Desinfektor. • Sofern vorhanden - Infektionsfahrzeug einsatzklar machen. • Entfernen überflüssiger Gegenstände (z. B. Ersatzwäsche). Beachte: Die Ausstattung nach DIN darf nicht entfernt werden! • Hinweis: Abkleben (z. B. Schubladenritzen mit Leukosilk®) ist kein Schutz vor Keimen! Trotzdem Desinfektion notwendig! • Sicherstellen, dass alle benötigten Hygieneartikel (Schutzbekleidung, Desinfektionsmittel usw.) zur Hand sind. • Angemessene Schutzkleidung anlegen. 2. Transport • Bei der Patientenübergabe aktuellen Zustand des Patienten erfragen und Schutzmaßnahmen absprechen. • Den Patienten über die Schutzmaßnahmen aufklären. • Kontakt mit Dritten vermeiden. • Hinweis: Fahrerraum und Fahrer sind immer als kontaminiert anzusehen, sofern eine Verbindung zwischen Fahrerraum und Patientenraum besteht (Schiebfenster) oder der Fahrer Patientenkontakt hatte! • Transportzwischenfälle: - Nachforderung von Einsatzkräften: diese über Infektiosität informieren! - Beteiligung oder Hinzukommen bei einem Unfall: Abwägung: Unterlassene Hilfeleistung gegenüber Ansteckungsgefahr; dabei muss die Art der Erkrankung und ihr Übertragungsweg berücksichtigt werden. Verwendung von kontaminiertem Material nur unter obigem Vorbehalt. Aufklärung potenziell kontaminierter Personen. • Patientenübergabe: Aufnehmendes Personal informieren! 3. Wiederherstellen der Einsatzbereitschaft • Kontaminiertes Einwegmaterial und Körperausscheidungen möglichst schon im Krankenhaus desinfizieren bzw. entsorgen. • „Nicht einsatzbereit“ melden. Kontakt zu Dritten meiden. • Geeignete Wache (Desinfektionshalle) anfahren: dort Desinfektion und Reinigung (s. folgende S.); Desinfektionsnachweis führen und „einsatzbereit“ melden.
16.2 · Infektionstransport
441
16
4. Besonderheit - der nicht angekündigte Infektionstransport • Sollte bei einem Einsatz der Verdacht bestehen, dass der Patient an einer meldepflichtigen Infektionserkrankung leidet, so ist eine ärztliche Abklärung notwendig. Dabei ist an die Meldepflicht nach den §§ 6 und 7 des Infektionsschutzgesetzes zu denken (s. S. 443 ff.). • Feststellung einer (meldepflichtigen) Infektionserkrankung bei / nach Transport ➯ mit der zuständigen Stelle des Gesundheitsamtes (wo auch die Meldung erfolgte) weiteres Vorgehen absprechen (Desinfektion der Rettungswache, Untersuchung weiterer Patienten oder des Personals). Den Weisungen des Gesundheitsamtes ist Folge zu leisten. 5. Fahrzeugdesinfektion Die Desinfektionsmaßnahmen richten sich u. a. nach • der Art der Erkrankung, • der Empfindlichkeit des Erregers, • dem erregerhaltigen Material, das wesentlich den Übertragungsweg bestimmt, • den potenziell kontaminierten Flächen. - Wenn ein Desinfektor in Rufbereitschaft ist, diesen alarmieren. Weiteres Vorgehen nach Absprache; ansonsten Vorgehen nach Hygieneplan (muss auf jeder Rettungswache vorgehalten werden; sollte alle möglichen Fälle mit den entsprechenden Maßnahmen enthalten) - Bei Desinfektionsarbeiten Handschuhe und ggf. Schutzkleidung und Schutzbrille tragen. - (Kontaminierte) Einmalartikel und Abfälle desinfizieren und sachgerecht entsorgen (Hygieneplan / Desinfektor) - Ausscheidungen des Patienten (z. B. Urin) mit Desinfektionsmittel versetzen und nach der Einwirkzeit entsorgen (Hygieneplan / Desinfektor) - Wiederverwendbare Artikel vor Reinigung desinfizieren - Kontaminierte Wäsche / Kleidung in einem gekennzeichneten und verschlossenem Plastiksack einer adäquaten Desinfektion zuführen - Verunreinigungen erst desinfizieren, dann entfernen (sehr große Mengen ohne Verteilung entsorgen) - Gegenstände so anordnen, dass sie vollständig mit Desinfektionsmittel benetzt werden (cave Lumina, Luft in Hohlräumen) - Desinfektionsmaßnahmen (gemäß Hygieneplan / Desinfektor) - Die Besatzung duscht und wechselt die Kleidung. - Reinigung von Fahrzeug und Gerät; Klarspülen; Trocknen; Belüften - Fahrzeug neu bestücken; Einsatzbereitschaft herstellen - Dokumentation der Desinfektion (Nachweis)
442
Kapitel 16 · Hygiene/Infektionsschutz
Hygiene / Infektionsschutz
Infektionsschutzgesetz (IfSG) Mit dem „Gesetz zur Neuordnung seuchenrechtlicher Vorschriften“ (SeuchRNeuG) vom 20.07.2000 wurden in Art. 5 u.a. das „Bundesseuchengesetz“ (BSeuchenG) und das „Gesetz zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten“ (GeschlKG) außer Kraft gesetzt. Gleichzeitig wurde in Art. 1 das „Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen“ (kurz: Infektionsschutzgesetz - IfSG) eingeführt (in Kraft seit 01.01.2001).
§ 4 IfSG: Aufgaben des Robert-Koch-Institutes, z.B.: • Konzeptentwicklung zur Früherkennung und Verbreitungshemmung von Infektionskrankheiten, Auswertung der im IfSG vorgeschriebenen Meldungen • Erstellung von verbindlichen Richtlinien, Empfehlungen und Merkblättern • Veröffentlichungen im Bundesgesundheitsblatt (z.B. Liste resistenter Keime)
§ 6 IfSG: Meldepflichtige Krankheiten (außer § 6 III innerhalb 24 Stunden) § 6 I 1. Namentliche Meldung bei Verdacht, Erkrankung und Tod bei konkreten Krankheiten - s. Kennzeichnung in der Tabelle auf den folgenden Seiten. Ferner Erkrankung und Tod an behandlungsbedürftiger Tuberkulose. § 6 I 2. Namentliche Meldung bei Verdacht und Erkrankung an einer mikrobiell bedingten Lebensmittelvergiftung oder infektiösen Gastroenteritis, wenn der Erkrankte im Lebensmittel-/Gaststättengewerbe tätig ist oder zusammenhängend zwei oder mehr Fälle auftreten. § 6 I 3. Namentliche Meldung bei gesundheitlicher Schädigung als Impffolge. § 6 I 4. Namentliche Meldung bei Verletzung / Berührung eines Menschen mit tollwutkranken / -verdächtigem oder ansteckungsverächtigem Tier(körper). § 6 I 5. Namentliche Meldung bei infektiös bedingten, bedrohlichen oder mindestens zwei zusammenhängenden Erkrankungen mit schwerwiegender Gefahr für die Allgemeinheit, ausgenommen Erreger nach § 7. § 6 II Namentliche Meldung bei Therapieverweigerung oder -abbruch bei behandlungsbedürftiger Lungentuberkulose. § 6 III Nichtnamentliche Meldung bei gehäuften, vermutlich zusammenhängenden nosokomialen Infektionen.
§ 7 IfSG: Meldepflichtige Erregernachweise (s. Tabelle auf den folgenden S.) § 8 IfSG: Zur Meldung an das Gesundheitsamt verpflichtete Personen: • Bei § 6: Der feststellende Arzt, zusätzlich ggf. der leitende (Abteilungs-) Arzt • Bei § 6 I 4.: Auch der Tierarzt. • Bei § 6 I 1, 2 und 5 sowie III: Wenn kein Arzt hinzugezogen wurde: Auch Angehörige anderer Heil-/Pflegeberufe mit staatlich geregelter Ausbildung oder Anerkennung, z. B. Rettungsassistent gemäß RettAssG (i.V.m. § 8 II). • Bei § 6 I 1, 2 und 5: Wenn kein Arzt hinzugezogen wurde: Auch der verantwortliche Luftfahrzeugführer, Kapitän eines Seeschiffes, Leiter von Pflegeeinrichtungen, Heimen, Justizvollzugsanstalten, Lagern usw. (i.V.m. § 8 II). • Bei § 6 I: Auch Heilpraktiker. Wer seiner Meldepflicht bei Erkrankungen aus § 6 I, II nicht nachkommt, muss mit Bußgeld von bis zu 25.000 Euro rechnen (§ 73 I). Keine Meldepflicht... 1. für Personen des Rettungsdienstes, wenn der Patient unverzüglich in eine ärztlich geleitete Einrichtung gebracht wurde (§ 8 II IfSG), oder 2. wenn dem Meldepflichtigen ein Nachweis vorliegt, dass eine Meldung bereits vollständig erfolgt ist (§ 8 III IfSG). Im Zweifel doppelt melden!
16.3 · Infektionsschutzgesetz
443
16
Meldepflichtige Erkrankungen nach IfSG Gebrauch der Tabelle auf den folgenden Seiten Hochgestellte Zahlen weisen auf einen spezifischen Hinweis zu der jeweiligen Erkrankung hin; diese Fußnoten finden sich hinter der Tabelle (S. 450). Wichtig: Diese Ergänzungen der Tabelle dienen einer schnellen Orientierung in der Praxis, können aber selbstverständlich nicht die Konsultation des behandelnden Arztes, des Desinfektors, bestehende Verfahrens- und Dienstanweisungen etc. ersetzen und jeden Einzelfall erfassen (z. B. weniger infektiöse Verläufe). Die allgemeinen Hinweise zur Hygiene und Desinfektion auf den vorhergehenden Seiten sind entsprechend einzubeziehen!
Die in der Tabelle verwendeten Kürzel bedeuten:
S
= Schutzmaßnahmen für die Dauer der Ansteckungsfähigkeit Hinzugefügt wird eine Ziffer mit folgenden Bedeutungen: 0 = Allgemeine Hygiene ausreichend (s. S. 438 f.). 1 = Bei möglichem Kontakt mit kontaminierten Objekten (Erreger an Haut und Gegenständen): Wie 0, aber grundsätzlich Handschuhe und Schutzkittel; Kleidungswechsel nach jedem Patient. 2 = Bei aerogener Übertragung / Tröpfcheninfektion: Wie 1, aber grundsätzlich Mundschutz für Personal und Patient. Bei Kennzeichnung mit * auch Augenschutz (Schutzbrille - zumindest bei Verspritzungsgefahr). 3 = Bei besonderer Gefährlichkeit der Erkrankung: Wie 2, aber grundsätzlich Ganzkörperinfektionsschutzanzug inkl. Schuhe. Besonderes Schleusen.
E
= Erregerhaltiges Material Hinzugefügt wird jeweils der fett und unterstrichen markierte Buchstabe für ... Blut, Erbrochenes / Galle, Fäkalien (Urin / Stuhl), Geschlechtssekret, Liquor, MeKonium, Muttermilch, Placenta, Sputum / respiratorisches Sekret, Tränenflüssigkeit / Augensekret, StaUb / Erde, Wundsekret / Eiter.
D
= Flächendesinfektionsverfahren (zum Umgang mit Wäsche, Instrumenten etc. sind gesonderte Richtlinien bei Entsorgung / Desinfektion zu beachten): Hinzugefügt wird eine Ziffer mit folgenden Bedeutungen: 0 = Routinemaßnahmen (s. S. 438 ff.) ausreichend. 1 = Patientennahe Flächen sind einer Desinfektion zu unterziehen; bei Bedarf ist die Desinfektion auf weitere Flächen auszudehnen. Es sind Mittel der DGHM-Liste (Verfahren mit 1 h Einwirkzeit), die auch in der RKI-Liste verzeichnet sind, einzusetzen. Bei sichtbarer Kontamination sind die Mittel in Konzentration und Einwirkzeit gemäß RKI-Liste anzuwenden. 2 = Grundsätzlich Desinfektion des gesamten Patientenraumes Ein weiterer Buchstabe gibt die Gruppe des Desinfektionsmittels bzw. -verfahrens (Wirkungsspektrum) gemäß RKI (ehem. BGA) an: A= Geeignet zur Abtötung von vegetativen bakteriellen Keimen einschließlich Mykobakterien, sowie von Pilzen einschließlich pilzlicher Sporen. B= Geeignet zur Inaktivierung von Viren. C= Geeignet zur Abtötung von Sporen des Milzbranderregers. D= Geeignet zur Abtötung von Sporen der Erreger von Gasödem und Tetanus.
Verdacht 1-5 Tage Erkrankung Tod (§ 6 I 1.)19 keine -
Cholera
Fußnoten siehe Seite 450!
Epiglottitis
Fleckfieber
0,5-10 Jahre
(Immundefekt)
Corynebacterium diphteriae
Cytomegalievirus
Erregernachweis (§ 7) Erreger10-14 Tage nachweis (§ 7)
Haemophilus influenzae
Tröpfchen
Rickettsia prowazekii Läuse, Zecken, [Rickettsia typhi- nicht §7 Flöhe, Milben
Praxis (vgl. S. 443)
Lähmungserscheinungen, Doppelsehen, Sprach- und Schluckbeschwerden rezidivierende Fieberanfälle, Schwellung von Lymphknoten, Leber, Milz
Kinder < 6 J., inspir. Stridor, Schluckschmerz, vgl. Kap. 11 hohes Fieber (> 10 Tage) Schüttelfrost, fleckiges Exanthem (Ausschlag)
S: 2 / E: S D: 0 S: 0 E: D: 03
bei Desinfektor informieren
S: 0 E: - (F, W) D: 0 S: 0 E: B, (F), M, W D: 1 A S: 1 E: E, F D: 2 A S1: 0 E: - (S, F) D: 0 S2: 2 E: S, W D: 2 A
Grippe, generalis. LymphS: 0 / 2* 21 knotenschwellung, s. S. 432 f. E: B,G,M,L D: 0 1 B)
Hauptsymptome
starkes Erbrechen, schwerste Durchfälle Reiswasserstühle, Koliken) intrauterin Embryo- bzw. Fethopathie (Mutter auf Kind) mit schweren zerebralen Schäden, Abort Tröpfchen Krupp-ähnlich, vergrößerte Halslymphknoten, grauweiße Pseudomembran im Rachen unterschiedl. Wirte, z.B. v.a. zentralnervöse Schaf, Ziege, Nerz, Symptome Mensch
unsachgemäß konservierte Lebensmittel, Konservendosen direkter Kontakt mit infizierten Tieren (Rind, Schaf, Ziege) oder deren Milchprodukten Vibrio cholerae (O1, O139) fäkal-oral, (Vibrio El Tor - nicht § 7) Abwasser
Clostridium botulinum (bildet Botulinus-Toxin) Brucella melitensis Brucella abortus u. a.
0,5-20 Jahre Prionen
Verdacht 2-7 Tage Erkrankung Tod (§ 6 I 1.)19
Enzephalopathie, Verdacht humane spongiforme Erkrankung (außer fam.-hereditär) Tod (§ 6 I 1.)
Diphterie
Cytomegalie (nur angeborene Form)
Brucellose
Verdacht Stunden Erkrankung bis Tage Tod (§ 6 I 1.)19 Erreger1-3 Wochen nachweis (§ 7)
Geschlechtsverkehr
Botulismus
Blut,
(Infektion)
Übertragungsweg
2-6 Wochen HIV 1 und 2
Erregernachweis (§ 7)19
AIDS
Inkubations- Erreger (häufigste) zeit
Meldung bei
Krankheit
Hygiene / Infektionsschutz
444 Kapitel 16 · Hygiene/Infektionsschutz
Erreger3-6 Tage nachweis (§ 7)
Verdacht Erkrankung Tod (§ 6 I 1.)
Gelbfieber
hämolytisch-uräm. Syndrom (HUS), enteropathisch
Gelbfiebervirus (Flaviviren)
Clostridium perfringens und andere Clostridien
Wundkontamination (Erreger ist allgegenwärtig) Moskito
Übertragungsweg
1-3 Tage
Erregernachweis (§ 7)7
keine
Influenza (Virusgrippe)
Keuchhusten
Bordetella pertussis
Influenzavirus A, B (Orthomyxoviren)
Ebola-, Lassa-, MarburgVirus; in § 7 nur indirekt: Alpha-, Bunya- und Flaviviren (z. B. Denguevirus)
Tröpfchen
Tröpfchen
Moskito, über Körpersekrete, zum Teil fragliche Tröpfcheninfektion
S: 1 E: F, U, W D: A, D S: 0 E: - (B) / D: 0
Praxis (vgl. S. 443)
S: 3 E: B, F, S D: 2 B 4
krampfartige Hustenanfälle mit typischem inspiratorischem Ziehen
S: 2 E: S D: 1 A
Grippe, Bronchitis, Pneumo- S: 2 5 nie (bakt. Superinfektion) E: S 6 / D: 1 B
hämorrhagisches Fieber (Blutungen)
mehrere Tage Durchfälle, S: 1 Darmkolik, Erbrechen; dann E: F / D: 1 A hämolyt. Anämie, Nierenversagen
Ödem, Schwellung, Schmerzen, Fieber, Gasbildung im Gewebe hämorrhagisches Fieber (Blutungen)
Hauptsymptome
445
LebensmittelVerdacht Stunden Bakterien, Viren, Genuss verdorbener Übelkeit, Erbrechen, Magen- S: 1 vergiftungErkrankung bis mehrere Toxine Lebensmittel krämpfe, Durchfälle usw. E: B, F, E 20 Tage D: 1 A + B 8 mikrobiell (§ 6 II) Meldepflichtig, wenn Pat. im Lebensmittel-/Gaststättengewerbe tätig ist oder wenn bei mehreren Pat. epidemischer Zusammenhang zu vermuten ist. Legionellose Erreger2-10 Tage Legionella sp. Oberflächenwasser, Fieber, Husten, Diarrhö, nachweis (§ 7) feuchter Boden (aerogen) Thoraxschmerz, Verwirrtheit
10-14 Tage
abhängig v. Erreger: Dengue 5-8d Pappataci 7-10 d
hämorrhagisches Verdacht Fieber Erkrankung (nur virusbedingt, z. B. Tod (§ 6 I 1.)19 Dengue-, Lassa- und Pappataci-Fieber)
Primärinfekt EHEC (enterohämorrhag. (fäkal) kontamin. Le1-5 d; HUS E. coli), bensmittel (Rohmilch, weitere 7d manche Shigellen rohes Fleisch); direkt
Stunden bis Tage
keine
Gasbrand
Inkubations- Erreger (häufigste) zeit
Meldung bei
Krankheit
16.3 · Infektionsschutzgesetz
16
Fußnoten siehe Seite 450!
Fußnoten siehe Seite 450!
Verdacht 9-14 Tage Erkrankung Tod (§ 6 I 1.)19
Verdacht 2-5 Tage, Erkrankung selten bis 19 Tod (§ 6 I 1.) 10 Tage Erregermeist nachweis (§ 7) 1-10 Tage (je nach Erreger)
Masern
MeningokokkenMeningitis / -Sepsis
Meningoenzephalitis, übrige Formen
Erregernachweis (§ 7)19
Malaria
je nach Erreger 7-40 Tage
Direkter Erregernachweis (§ 7) Erregernach- weis (§ 7)19
Listeriose (nur angeborene Form) Lues (Syphillis)
Leptospirose (z. B. Weil-Erkrankung)
S: 1 E: B, G, W D: 1 A
S: 0 E:B,F,(G),K, L,S / D: 1 A
S: 1 E: B, (S), W D: 1 A S: 0 E: B, E, F, L D: 0 A
Praxis (vgl. S. 443)
Fieber, Kopfschmerz, Nackensteifigkeit
Fieber, fleckig-knotiger Ausschlag, Koplik-Flecken
S: 2 10 E: B, F, L, S D: 2 A + B
S: 2 9 E: S / D: 1 B
rezidivierende Fieberanfälle, S: 0 Pneumonie, Enzephalitis, E: - (B) evtl. schwarzbrauner Urin D: 0
Schwerhörigkeit, Tonnenzähne, Säbelscheidentibia
Abort, Frühgeburt, Pneumonie, Meningitis, Krämpfe
hohes Fieber, Meningitis (Weil: Hepatitis, Blutungen)
Anästhesie, Neuritis, trophische Geschwüre
Hauptsymptome
FSME-Virus, Haemophilus influenzae (nicht § 7: Herpesvirus, TBC u.a.)
Meningokokken Tröpfchen und (Neisseria meningitidis) sonstige
Tröpfchen
Anopheles-Mücke, intrauterin, parenteral (über Blut)
intrauterin (Mutter auf Kind)
Treponema pallidum Plasmodium falciparum, P. vivax, P. malariae Masernvirus (Paramyxoviren)
intrauterin (Mutter auf Kind)
direkter Kontakt (Verletzungen von Schleimhaut o. Haut) Urin von Ratten, Hunden usw. ⇒ Wasser ⇒ Haut
Übertragungsweg
Listeria monocytogenes
Erreger9 Monate Mycobacterium nachweis (§ 7) bis mehrere leprae Jahre Erreger7-12 Tage Leptospira interrogans Nachweis (§ 7)
Lepra
Inkubations- Erreger (häufigste) zeit
Meldung bei
Krankheit
Hygiene / Infektionsschutz
446 Kapitel 16 · Hygiene/Infektionsschutz
(ggf. Labor) Erregerca. 20 Tage Coxiella burnetti nachweis (§ 7)
Pockenviren (Poxviren)
Pneumonie, Endokarditis
Pusteln an Haut und Schleimhaut (alle im gleichen Stadium), Pneumonie
Inhalation erregerhaltigen Staubes (Ausscheidungen infizierter Tiere)
aerogen
(S),W / D: 1A S: 2 / E:B,S,U D: 2 A
S: 3 E: F, S,W D: D13
447
(z. B. Kindbettfieber) Q-Fieber
Puerperalsepsis
Verdacht 7-14 Tage Polioviren fäkal-oral Grippe, Meningitis, S: 22 + 14 Erkrankung Lähmungen E: F, S Tod (§ 6 I 1.)19 Als Verdacht gilt jede akute schlaffe Lähmung, außer wenn traumatisch bedingt (§ 6 I 1. k IfSG). D: 2 B keine 1-3 Tage z. B. Streptokokken verschiedene Sepsis S: 115 / E: G,
Poliomyelitis (Kinderlähmung)
5-15 Tage
bläuliche geschwollene S: 3 Lymphknoten, hohes Fieber, E: S, W evtl. Pneumonie mit D: A12 blutigem Auswurf
keine
Flöhe oder direkter Kontakt mit infizierten Tieren
S: 1 E: B,E,F,W D: 1 A
Pocken (Variola) (ausgerottet)
Yersinia pestis
hohes Fieber, Durchfälle (evtl. blutig)
Verdacht 2-7 Tage Erkrankung 19 Tod (§ 6 I 1.)
fäkal-oral
S: 3 E: F, S, W D: 11 S: 2 E: S D: 1 A
Praxis (vgl. S. 443)
Pest
Salmonella paratyphi A, B, C
Haut (Karbunkel), Lunge (Pneumonie), Darm (blutige Durchfälle) Inhalation keimhaltigen Fieber, Kopfschmerzen, Staubes (Vogelkot) Pneumonie
von infizierten Tieren auf Mensch
Hauptsymptome
Verdacht 7-21 Tage Erkrankung 19 Tod (§ 6 I 1.)
Chlamydia psittaci
Bacillus anthracis
Übertragungsweg
Paratyphus A, B, C
Ornithose (Psittakose)
Verdacht 2-4 Tage Erkrankung Tod (§ 6 I 1.)19 Erreger14-21 Tage nachweis (§ 7)
Milzbrand
Inkubations- Erreger (häufigste) zeit
Meldung bei
Krankheit
16.3 · Infektionsschutzgesetz
16
Fußnoten siehe Seite 450!
Keine
Erreger5-8 Tage Nachweis (§ 7)
Erreger1-2 Tage Nachweis (§ 7)
Tod
Erreger2 - 7 Tage nachweis (§ 7)
s. Lues
Keine
Verdacht Erkrankung Tod (§ 6 I 1.)19 vgl. a. S. 422 !
Rotz (Malleus)
Rückfallfieber
Salmonellose
Scharlach
Fußnoten siehe Seite 450!
Shigellenruhr
Syphilis
Tetanus (Wundstarrkrampf)
Tollwut (Rabies, Lyssa)
Übertragungsweg
Clostridium tetani
Shigella sonnei, S. dysenteriae, S. flexneri und S. boydii
Stretokokkus pyogenes
Salmonella enterica und alle nichttyphoiden Salmonellen
Borrelia recurrentis, [B. duttoni - nicht § 7] [B. hermsii - nicht § 7]
Pseudomonas mallei
Biss eines infizierten Tieres (oder Speichel auf offene Wunde)
Verletzung (Erreger überall)
fäkal-oral
Tröpfchen
fäkal-oral
Kleiderläuse Zecken
Kontakt mit infizierten Tieren oder deren Produkten
Rubellavirus (Togaviren) intrauterin (Mutter auf Kind)
3 Wochen Tollwutvirus bis 3 Monate (im Schnitt 6 Wochen)
4-14 Tage und länger
1-5 Tage
2-7 Tage
-
Erregernachweis (§ 7)19
Rötelnembryopathie (angeboren)
Inkubations- Erreger (häufigste) zeit
Meldung bei
Krankheit
S: 1 E: F D: 1 A
S: 2 E: S,W / D: 1A
S: 1 E: B, E, F, W D: 1 A(/B)
S: 0 E: D: 0 / ggf. 3
S: 2 E: S, W D: 1 A
S: 0 bzw. 216 E: B,F,S /D:1B
Praxis (vgl. S. 443)
Kribbeln an Wunde, Krämpfe S: 3*2 des Rachens beim SchluE: S, T cken (Hydrophobie), inad- D: 2 B äquate Reaktion auf Reize
erhöhter Muskeltonus, S: 0 Krämpfe, Risus sardonicus, E: (U), W Opisthotonus D: 1 A+D
Übelkeit, wässrige Diarrhö, schmerzhafter Stuhlgang mit Schleim / Eiter / Blut
Scharlachausschlag, Mandelentzündung
akuter Brechdurchfall
periodisch wiederkehrende Fieberschübe
Schleimhautgeschwüre, Gelenkschmerzen, Weichteilabszesse
Taubheit, Mikrozephalie, Katarakt, Herzmissbildung
Hauptsymptome
Hygiene / Infektionsschutz
448 Kapitel 16 · Hygiene/Infektionsschutz
Erregernachweis (§ 7)19
Keine
Erregernachweis (§ 7)
Toxoplasmose (angeborene Form)
Trachom
Trichinose
Tage bis Wochen
Tage bis Wochen
-
Trichinella spiralis
Chlamydia trachomatis
Toxoplasma gondii
Inkubations- Erreger (häufigste) zeit
rohes, larvenhaltiges Fleisch (Schwein)
direkter und indirekter Kontakt
intrauterin (Mutter auf Kind)
Übertragungsweg
S: 0 / E: B, L, P / D: 0
Praxis (vgl. S. 443)
Muskelschmerzen, Herzschmerzen
S: 0 E: - / D: 0
Tränenfluss, eitrig-schleiS: 1 mige Sekretion / Entzündung E: T, W (Auge), Hornhautnarben D: 1 A
Abort, Pneumonie, Hydrozephalus, Myokarditis
Hauptsymptome
Hepatitis-A-Virus (Picornaviren) 1-6 Monate Hepatitis-B-Virus und länger (Hepadnaviren) 2-12 Hepatitis C-, DWochen und E-Viren
20-45 Tage
Salmonella typhi
Francisella tularensis
parenteral und Körperflüssigkeiten C, D: wie B E: wie A
fäkal-oral
fäkal-oral
Kontakt mit infizierten Tieren
Magen-Darm-Symptome, Ikterus, Leber druckschmerzhaft
hohes Fieber, Durchfälle (evtl. blutig)
Geschwüre an der Eintrittspforte, Pneumonie, typhusähnliche Symptome
S: 22 / E: (B), F / D: B1 S: 2*2/ E:B, G,(S)/D:B1 im Zweifel: S: 2*
S: 0 E: B,E,F,W D: 1 A
S: 2 E: B, W D: 1 A
449
übrige Formen
Hepatitis B
Verdacht Erkrankung Tod (§ 6 I 1.) Erregernachweis (§ 7)
s. Influenza
Virusgrippe
Virushepatitis, akut Hepatitis A
Verdacht 7-21 Tage Erkrankung 19 Tod (§ 6 I 1.)
Typhus abdominalis
3-4 Tage
Erregernachweis (§ 7)
Tularämie
Tuberkulose Erkrankung 4-12 Wochen Mykobakterium Tröpfchen Husten, evtl. Auswurf, Fieber S: 2*17 (aktive Form) Tod (§ 6 I 1.)19 tuberculosis, M. bovis Meningitis, Nachtschweiß E: B, F, G, L, Meldung auch, wenn bakteriologischer Nachweis nicht vorliegt. Meldung auch bei Behandlungsverweigerung / -abbruch gem. § 6 II ! S, W / D: 18
Meldung bei
Krankheit
16.3 · Infektionsschutzgesetz
16
Fußnoten siehe Seite 450!
450
Kapitel 16 · Hygiene/Infektionsschutz
Infektionskrankheiten nach §§ 6, 7 IfSG Hygiene / Infektionsschutz
Fußnoten zur Tabelle von S. 444 - 449 1
2
3 4
5 6
7 8
9
10
11
12
13
14 15
16
17 18
19
20
Ein Gesundheitsrisiko besteht für Schwangere, Neugeborene und Patienten ohne Immunschutz; diese sind von Erkrankten fernzuhalten. Der Patient sollte nur von Personen betreut werden, die einen ausreichenden Impfschutz aufweisen. Der Patient, seine Wäsche und Textilien sind einer Entlausung zu unterziehen. Nach Entscheidung des verantwortlichen Desinfektors ist ggf. eine Desinfektion durch Verdampfen / Vernebeln von Formaldehyd erforderlich. Patienten von abwehrgeschwächten Personen (z.B. Säuglinge) ferngehalten. Übertragung auch über mit frischem respiratorischem Sekret kontaminierte Flächen. Auch Meldepflicht bei gehäuftem Auftreten (im Krankenhaus). Angaben für unbekannte Erreger; bei bestimmten Erregern reichen ggf. geringere Maßnahmen aus (z. B. bei Bacillus cereus, Staphylokokkus aureus). Personen, die keine Antikörper gegen das Masernvirus besitzen, sollten ferngehalten werden; sonst aber Mundschutz dringend empfohlen! Diese Angaben gelten für ungeklärte Ätiologie der Erkrankung; ggf. sind die Maßnahmen an die entsprechende Erkrankung anzupassen. Nach Entscheidung des verantwortlichen Desinfektors ist ggf. eine Desinfektion durch Verdampfen / Vernebeln von Formaldehyd erforderlich, bevor Verfahren / Mittel der Gruppe A bzw. C zur Anwendung kommen. Nach Entscheidung des verantwortlichen Desinfektors ist ggf. eine Desinfektion durch Verdampfen / Vernebeln von Formaldehyd erforderlich, bevor Verfahren / Mittel der Gruppe A zur Anwendung kommen. Nach Rücksprache mit dem zuständigen Desinfektor. Bei Tierpocken / Molluscum contagiosum wird mindestens D: B1 vorgeschlagen. Hinweis: Der Pat. kann noch über 6 Monate über die Fäzes Ausscheider sein! Bei großflächigen Wunden und Besiedelung durch multiresistente oder hochvirulente Staphylokokken-Stämme: ggf. Anlegen eines Mundschutzes! Von Personen ohne Impschutz müssen Schutzmaßnahmen gemäß S: 2 ergriffen werden! Frauen im gebärfähigen Alter, die nicht über Antikörper gegen das Rötelnvirus verfügen, müssen ferngehalten werden; ihnen wird eine Impfung angeraten, sofern nicht schwanger. Der Patient sollte von Tuberkulin-positiven Personen betreut werden. Nach Entscheidung des verantwortlichen Desinfektors ist ggf. eine Desinfektion durch Verdampfen / Vernebeln von Formaldehyd erforderlich, bevor Verfahren / Mittel der Gruppe A (bevorzugt mit Phenolderivaten / Perverbindungen) zur Anwendung kommen. Zusätzlich Meldepflicht bei Erregernachweis (bei Botulismus auch Toxinnachweis) gemäß § 7 IfSG! Nichtnamentliche Meldung bei HIV, Treponema pallidum, Echinococcus sp., Plasmodium sp., Rubellavirus, Toxoplasma gondii. Gemäß § 7 IfSG sind meist im Zusammenhang mit enteritischen Erkrankungen folgende Erregernachweise explizit meldepflichtig: EHEC (enterohämorrhagische E. coli), EPEC (enteropathogene E. coli), Giardia lamblia, Rotavirus, Salmonellen jeder Art, darmpathogene Yersinia enterocolitica.
16.4 · Nadelstichverletzung
451
16
Vorgehen nach potenziellem Kontakt mit HIV Nadelstichverletzung/Schnittverletzung mit kontaminierten Instrumenten (Blut, Liquor, Punktat, Organmaterial) 1. Blutfluss fördern (venöse Stauung proximal der Verletzung; Druck auf umliegendes Gewebe > 1 min – keine Quetschung im Einstichbereich) 2. Evtl. chirurgische Intervention, wenn zeitgleich fachärztlich möglich 3. Intensive antiseptische Spülung/antisept. Wirkstoffdepot > 10 min (Ethanolgehalt > 80 Vol%, z. B. Frekaderm® oder Amphisept®; evtl. auch PVP-Jod) Hautkontakt (geschädigte oder entzündlich veränderte Haut) 1. Potenziell infektiöses Material mit alkoholgetränktem Tupfer entfernen (z. B. Sterilium®) 2. Intensive antiseptische Spülung (Antiseptika mit Ethanolgehalt > 80 %) Augenkontakt 1. Anwendung steriler, 5%iger PVP-Jod-Lösung (z. B. Braunol®/Aqua 1:1) 2. Wenn 1. nicht verfügbar, zunächst reichliches Ausspülen mit Wasser oder physiologischer NaCl-Lösung Mundschleimhautkontakt Infektiöses Material sofort ausspeien; Mundhöhle mehrfach kurz spülen (4–5 mal, jeweils ca. 15 s mit 20 ml 80 Vol.% Ethanol) • Immer Dokumentation beim D-Arzt (Meldung an die Berufsgenossenschaft) Nur so können im Infektionsfall Ansprüche (z. B. Rente) geltend gemacht werden. Gilt für jede Nadelstichverletzung! • Medikamentöse Postexpositionsprophylaxe (PEP) zur Senkung des Erkrankungsrisikos: - empfohlen für a) - möglich bei b), c) und d) bei hoher Viruskonzentration - nicht unbedingt notwendig bei Hautkontakt mit Urin oder Speichel sowie Kontakt intakter Haut mit Blut Nach Abwägung des Infektionsrisikos und der Medikamentennebenwirkungen sowie -kontraindikationen, Gabe von verschiedenen antiviralen Medikamentenkombinationen (z. B. Dreierkombination von Zidovudin [Retrovir®, 2x250mg] + Lamivudin [Epivir®, 2x150 mg] + Nelfinavir [Viracept®, 2x1250mg] – besondere Abwägung bei Schwangeren . evtl. kein Nelfinavir). Fortführung für 4 Wochen. Bei gegebener Indikation so schnell wie möglich beginnen (< 60 min!); 120 min möglichst nicht überschreiten. Im Zweifelsfall erste Dosis vor dem Testergebnis verabreichen. Beachte aber: Intensive Aufklärung und ausdrückl. Ein willigung wegen fehlender Zulassung der Präparate für diese Indikation! • HIV-Testung (Anti-HIV + HIV-RNA-quantitativ) sofort (Dauer: je nach Verfahren 15–120 min) und an den Tagen 45, 90, 180, evtl. 365. Wenn möglich, HIVTestung des Patienten (nur mit dessen Einverständnis!). Entscheidung über Fortführung der Prophylaxe nach Testergebnis. • Auch an Hepatitis-Immunisierung denken! • Medikamentöse PEP ggf. auch bei anderen Erregern (z.B. Meningokokken).
452
Kapitel 16 · Hygiene/Infektionsschutz
MRSA Hygiene / Infektionsschutz
Methicillin-/Oxacillin-resistenter Staphylococcus aureus Das grampositive Bakterium Staphylococcus aureus besiedelt häufig unbemerkt Haut / Schleimhäute gesunder Menschen (v.a. vorderer Nasenabschnitt, sehr häufig bei medizinischem Personal). Es kann z.B. lokale eitrige Infektionen (z.B. Furunkel, Wundinfektionen, Otitis media) und insbes. bei abwehrgeschwächten Patienten lebensbedrohliche Sepsis verursachen. Normalerweise lässt sich S. aureus gut mit penicillinasefesten Penicillinen behandeln. Einige Stämme haben jedoch eine hohe Resistenz gegen alle Betalaktamantibiotika entwickelt, ein Vertreter dieser Gruppe ist das namensgebende Methicillin (histor.). Da diese Resistenz auch andere Antibiotika (Cephalosporine, Carbapeneme) beinhaltet, spricht man auch von multi-resistentem S. aureus, der v.a. in der Klinik vorkommt und bei Risikopatienten schwere und schwer therapierbare Infektionen versursacht. Das Risiko besteht weniger in einer Erkrankung der Helfer, sondern in der Übertragung auf Patienten und darin - sofern noch nicht geschehen - selbst Überträger zu werden. Übertragung Schmier- und Tröpfcheninfektion, aerogen über Staub Allgemeine Schutzmaßnahmen Isolierung, ggf. Therapie des Pat. mit Reserveantibiotika, Desinfektionsmaßnnahmen (z.B. als Waschungen) nach festgelegtem Schema; • Patient: Mundschutz. • Personal: Haube, Mundschutz und Schutzkittel. Gründliche hygienische Händedesinfektion (auch wenn Handschuhe getragen wurden!). Der Patient gilt erst nach 3 negativen Abstrichuntersuchungen (2-Tagesabstand) als MRSAfrei! • Transporte: strenge Indikationsstellung; Vorabinformation an Besatzung und Zieleinrichtung; wenn mgl. vorher antiseptische Körperwäsche; Wundinfektionen dicht abdecken; Mundschutz für Patient (sofern MRSA in Mund/Nase); Kontakt zu anderen Patienten vermeiden; nach Transport: Desinfektion aller Patienten-Kontaktflächen! Möglichkeiten zur Prophylaxe Allgemeine Händehygiene, Trägerstatus bei med. Personal in Risikobereichen (z.B. Intensivstationen) ermitteln und zu besonderen Vorsichtsmaßnahmen anhalten; Sanierungsversuch z.B. mit antibiotischer Nasensalbe (Mupirocin).
Kapitelübersicht
453
17
Notfallmedikamente 17.1 Übersicht nach Wirkstoffgruppen ............................... 454 17.2 Sympathikus / Parasympathikus ................................. 459 17.3 Index der Notfallmedikamente ..................................... 460 In diesem Verzeichnis ist jedes Notfallmedikament über seinen Wirkstoff, verschiedene Handelsnamen (auch ältere) sowie Synonyme und Abkürzungen auffindbar! Alle relevanten Namen sind alphabetisch geordnet; es erfolgt jeweils ein Verweis auf die entsprechende Wirkstoffbeschreibung.
17.4 Notfallmedikamente alphabetisch nach Wirkstoffen .................................... 479 Bei jedem Wirkstoff sind die auf dem Markt befindlichen Handelspräparate mit Indikationen, Kontraindikationen, Nebenwirkungen, Wechselwirkungen, Dosierung und Wirkungsweise dargestellt.
Verweise • Antidota (tabellarische Übersicht) ........................... 352 • Übersicht Notfalldosierungen - Kinder ............................................................... 575 - Erwachsene ................................. im hinteren Einband
454
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Übersicht nach Wirkstoffgruppen Die Wirkstoffe in dieser Übersicht wurden großzügig ausgewählt und sind keineswegs alle für die präklinische Notfallmedizin unverzichtbar. Als Minimum sollten jedoch auf notarztbesetzten Rettungsmitteln die meisten Wirkstoffgruppen mit repräsentativen Präparaten vertreten sein. Die angegebenen Seitenzahlen verweisen auf die ausführlicheren Wirkstoffsteckbriefe oder die Kurzbeschreibungen im Index der Notfallmedikamente.
Notfallmedikamente
Analgetika Zentral wirksame Analgetika >> Generelle Ausschaltung des Schmerzerlebens. >> Wirkung über spezifische Rezeptoren v. a. im ZNS, z.B.: • -Rezeptor: Opioid-Analgesie, Euphorie, Atemdepression, Sucht, Verstopfung, Bradykardie • κ-Rezeptor: Opioid-Analgesie, Sedierung, Atemdepression, Sucht • δ-Rezeptor: Beeinflusst regulatorisch das Verhalten, die Analgesie und den Hormonhaushalt • σ-Rezeptor: Dysphorie, RR ≠, Tachykardie, Halluzinationen • NMDA-Rezeptor: Glutamatrezeptorsubtyp; Angriffsort für Ketamin a) Opiatagonisten (RW = Relative analgetische Wirkung bezogen auf Morphin) • Alfentanil (BtM) [s. Bemerkung im Index: S. 460] • Fentanyl (BtM) [512] • Morphin (BtM) [537] • Pethidin (BtM) [544] • Piritramid (BtM) [547] • Sufentanil (BtM) [s. Bemerkung im Index: S. 475] • Tramadol (kein BtM !) [s. Bemerkung im Index: S. 476]
RW 30 RW 100 RW 1 RW 0,1 RW 0,7 RW 800 RW 0,1
b) Partielle Opiatagonisten • Buprenorphin (BtM) [s. Bemerkung im Index: S. 462] • Pentazocin (BtM) [s. Bemerkung im Index: S. 473]
RW 25-50 RW 0,3
c) Sonstige • Ketamin, niedrig dosiert (kein BtM!) [ 523] Lokalanästhetika >> Blockade der peripheren (u. a. sensiblen) Nervenleitung. >> Der Schmerzreiz dringt nicht zum Zentralnervensystem vor. >> Wirkung: Herabsetzung der Membranpermeabilität für Kationen (Na+). Wenn auch selten, kommt in der Notfallmedizin letztlich nur die Infiltrationsbzw. Oberflächenanästhesie in Betracht, da die übrigen Verfahren trotz
17.1 · Wirkstoffgruppen
455
17
ihrer Vorteile in der Regel zu zeitaufwendig sind, zusätzliche Risiken aufwerfen und klinische Bedingungen (Asepsis, Lagerung) voraussetzen. • Mepivacain ................................... [s. Bemerkung im Index: S. 469] • Oxybuprocain (lokal: Auge) ......... [s. Bemerkung im Index: S. 472] Peripher wirksame Analgetika >> Der Begriff “peripher wirksam” darf nicht mit “weniger wirksam” gleich gesetzt werden! Die Wirksamkeit hängt von der Schmerzursache ab. Außerdem ist nachgewiesen, dass periphere Analgetika auch im ZNS und zentrale auch in der Peripherie wirken. Im weiteren Sinne beeinflussen auch Glukokortikoide die Schmerzentstehung (Hemmung der Freisetzung von Membranlipiden = Substrate der Schmerzmediatorensynthese). >> Verminderung der Prostaglandinsynthese durch Zyklooxygenasehemmung: Analgetische, unterschiedlich starke antiphlogistische und antipyretische Wirkung, z.T. Thrombozytenaggregationshemmung. a) eher antipyretisch b) eher antiphlogistisch (NSAID) • Acetylsalicylsäure (ASS) ... [481] • Diclofenac • Celecoxib • Metamizol ........................ [533] • Ibuprofen • Etoricoxib • Paracetamol (PCM) .......... [543] • Indometacin • Parecoxib Spasmolytika >> (Kompetitiver) Antagonismus zum Acetylcholin am Muscarinrezeptor. >> Verminderung kolikinduzierender Muskelaktivität. • Butylscopolaminiumbromid ......... [492] Bestimmte Glyceroltrinitratpräparate können bei Koliken eingesetzt werden.
Narkotika und Hypnotika Barbiturate • Thiopental ........... [564]
Sonstige • Etomidat .............. [509] • Ketamin ................ [523] • Propofol .............. [550]
Sedativa, Antikonvulsiva und Tranquilizer Benzodiazepine • Clonazepam ......... [495] • Lorazepam ........... [530]
• Diazepam ............. [497 f.] • Midazolam .............. [536]
Sonstige • Chloralhydrat ....... [463]
• Phenytoin .............. [545]
456
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Neuroleptika • Haloperidol ............... [519] • Promethazin ..................... [548] • Metoclopramid (MCP) - Verwendung als Antiemetikum ................ [534]
Muskelrelaxanzien depolarisierend nicht depolarisierend
• Suxamethoniumchlorid ... [558] • Vecuroniumbromid .......... [566]
Notfallmedikamente
Antihistaminika H1-Blocker • Clemastin .................. [494] • Dimetinden ....................... [502] • Dimenhydrinat - Verwendung als Antiemetikum ........................... [501] H2-Blocker • Cimetidin .................. [493]
• Ranitidin ........................... [552]
(Gluko-) Kortikoide • Beclomethason ...... [525 • Kortisol .................. [525 • Prednisolon ........... [525 • Triamcinolon .......... [525
f.] f.] f.] f.]
• Dexamethason ............... [525 f.] • Methylprednisolon ....... [525 f.] • Prednison ...................... [525 f.]
Sympathomimetika Katecholamine • Adrenalin ............... [483 f.] • Dopamin ................... [504]
• Dobutamin ....................... [503] • Noradrenalin ..................... [541]
α-Mimetika • Etilefrin ..................... [508]
• Xylo-/Oxymetazolin, lokal . [472]
β-Mimetika • Fenoterol ............... [510 f.] • Salbutamol ............... [555]
• Reproterol ........................ [553] • Terbutalin ......................... [560]
Sonstige • Theodrenalin/Cafedrin [562]
β-Sympatholytika (β-Blocker) • Esmolol ..................... [506]
• Metoprolol ....................... [535]
Parasympathomimetika (Cholinergika) • Physostigmin ........... [546] • Pilocarpin, lokal ........ [473]
• Pyridostigmin .................. [551]
17.1 · Wirkstoffgruppen
457
17
Parasympatholytika • Atropin ...................... [490]
Gefäßerweiternde Substanzen / Antihypertonika • Clonidin .................... [463] • Enalaprilat ................. [505] • Isosorbiddinitrat ...... [467] • Urapidil ...................... [565]
• Dihydralazin ...................... [500] • Glyceroltrinitrat ............. [517 f.] • Nitrendipin ....................... [540]
Antiarrhythmika Klasse I Abnahme der max. Anstiegsgeschwindigkeit und der diastolischen Depolarisationsgeschwindigkeit I.A Aktionspotential verlängert • Ajmalin ............................. [485] I.B Aktionspotential verkürzt • Lidocain ........................... [529] • Phenytoin ......................... [545] I.C Keine signifikante Wirkung auf die Aktionspotentialdauer • Propafenon ...................... [549] Klasse II β-Rezeptorenblocker s. S. 456 (Sympatholytika) Klasse III Repolarisation verlängert
• Amiodaron ..................... [487]
Klasse IV Kalziumantagonismus
• Verapamil ....................... [567]
Sonstige • Adenosin ....................... [482]
Antikoagulanzien Thrombozytenaggregationshemmer • Acetylsalicylsäure ...... [481] • Clopidogrel ............... [496] Thrombinhemmer • Heparin ...................... [520]
Thrombolytika/Fibrinolytika • Alteplas(e) ................. [486] • Reteplase .................. [554]
• Anistreplase ...................... [488] • Tenecteplase ..................... [559]
458
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Infusionen / Volumenersatzmittel • Vollelektrolytlösung, kristalloid (VEL) ........................................... [570] • Volumenersatz, kolloidal[569] • Volumenersatz, hyperton [568]
Antidota
Notfallmedikamente
Unspezifische Wirkung - Brechmittel • Ipecacuanha-Sirup ... [522] Unspezifische Wirkung - Giftbindung/Resorptionshemmung • Kohle, medizinische .. [524] • Paraffinöl ......................... [472] • Polyethylenglykol ..... [473] Spezifische Wirkung/Spezielle Indikation (Auswahl) • Acetylcystein ............. [480] • Hydroxocobalamin ........... [521] • Atropin ...................... [490] • Naloxon ............................ [538] • Beclomethason ......... [525] • Natriumhydrogencarbonat[539] • Biperiden .................. [491] • Natriumhydrogenphosphat[470] • Calciumgluconat ....... [468] • Natriumthiosulfat ............. [470] • Diazepam ............... [497 f.] • Obidoximchlorid .............. [471] • 4-DMAP ..................... [464] • Physostigmin ................... [546] • DMPS ........................ [464] • Pyridostigminbromid ....... [551] • Ethanol ..................... [507] • Simethicon ....................... [557] • Flumazenil ................. [513] • Toloniumchlorid .............. [476]
Weitere Notfallmedikamente Karboanhydrasehemmer
• Acetazolamid .................... [479]
Digitalis
• Digoxin / Metildigoxin ..... [499]
Diuretika
• Furosemid ........................ [514]
Hormone • Argipressin (Vasopressin)[489] • Oxytocin ................. [542]
• Glukagon .......................... [515] • Terlipressin ....................... [561]
Gase
• Sauerstoff, medizinischer [556]
Methylxanthine
• Theophyllin ...................... [563]
Osmotherapeutika
• Mannitol ........................... [532] • Volumenersatz, hyperton [568]
Sonstige • Chlorethyl ............... [462] • Magnesiumsulfat ... [531]
• Glukose 40% .................... [516] • Natriumhydrogencarbonat[539]
17.2 · Vegetatives Nervensystem
459
17
Vegetatives Nervensystem - Rezeptoren, Wirkungen Sympathikus
Parasympathikus
(im Allgemeinen adrenerg) [v.a. α1-, α2-, β1- und β2-Rezeptoren; Überträgerstoffe: präganglionär Acetylcholin, postganglionär Noradrenalin (außer Schweißdrüsen, einige Muskelgefäße)] • Pupillenerweiterung [α 1] (Mydriasis) • -
(cholinerg) [nikotinische / muskarinische Rezeptoren; prä- und postganglionärer Überträgerstoff: Acetylcholin]
Auge
• Pupillenverengung (Miosis) • Tränendrüsensekretion ≠
Drüsen
• Speicheldrüsensekretion ≠
• Schweißdrüsensekretion ≠
•-
• Herzfrequenz ≠ [β 1] (positiv chronotrop)
Herz
• Herzfrequenz (Sinusknoten) Ø (negativ chronotrop)
• Herzkraft ≠ [β1] (positiv inotrop)
• -
• AV-Überleitungsgeschwindigkeit ≠ [β1] (positiv dromotrop)
• AV-Überleitungsgeschw. Ø (negativ dromotrop)
• Erregbarkeit des Herzmuskels ≠ [β 1] (positiv bathmotrop)
• -
• Arterien und Venen (gesamt): Gefäßverengung [α 1] (Vasokonstriktion)
• -
Gefäße
• Arterien (Skelettmuskulatur / Haut): Gefäßerweiterung [β2] (Vasodilatation)
• -
• Erweiterung der Bronchien (Bronchodilatation) [β 2]
• Verengung der Bronchien (Bronchokonstriktion)
Bronchien
• -
• Schleimsekretion (Bronchien)≠ Magen-Darm
• Muskulatur: Erschlaffung [α2, β 2]
• Muskulatur: Aktivierung
• Schließmuskel (Anus): Kontraktion [α1]
• Schließmuskel (Anus): Erschlaffung
• -
Uterus
• Uteruskontraktion [α1]
• -
• Uteruserschlaffung [β2] α/β-Blocker (z.B. Esmolol) α/β-Mimetika (z.B. Adrenalin)
• Sekretion ≠
• Antagonisierung Stimulation
Anticholinergika (z.B. Atropin) Cholinergika (z.B. Physostigmin)
460
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Index der Notfallmedikamente Dieses Verzeichnis enthält alle Notfallmedikamente im Taschenatlas Notfall & Rettungsmedizin mit einem eigenen Medikamentensteckbrief, auffindbar nach Wirkstoffen, früheren und aktuellen Handelsnamen sowie Synonymen. Der Verweis erfolgt jeweils auf den Wirkstoff mit Nennung der Seitenzahl der Medikamentenbeschreibung.
Notfallmedikamente
Bestimmte Medikamente, die wegen einfacher Handhabung, wenig wichtigen Informationen oder aus anderen Gründen keinen ganzseitigen Medikamentensteckbrief rechtfertigen, werden nur in diesem Index kurz beschrieben.
BtM
Einige früher im Rettungsdienst gebräuchliche und immer noch erhältliche Medikamente, deren Einsatz in der Notfallmedizin heute als nicht mehr indiziert, zweifelhaft oder gar obsolet gilt (z.B. bessere Alternativen), sind mit einer entsprechenden Bemerkung in diesem Index genannt. Ein Verweis oder eine Ausführung unter den Wirkstoffen findet nicht statt. A AB-Fentanyl ............................................................................................... Fentanyl (512) AB-Pethidin ................................................................................................. Pethidin (544) ACC ..................................................................................................... Acetylcystein (480) Acetazolamid ...................................................................................... Acetazolamid (479) Acetylcystein ..................................................................................... Acetylcystein (480) Acetylsalicylsäure .................................................................... Acetylsalicylsäure (481) Actilyse® ............................................................................................... Alteplas(e) (486) Actosolv® ............................................................................ s. Bemerkung bei Urokinase Adalat® .................................................................................. s. Bemerkung bei Nifedipin Adenosin ................................................................................................... Adenosin (482) Adrekar® .................................................................................................. Adenosin (482) Adrenalin .................................................................................................. Adrenalin (483) Adrenalin Medihaler®: nicht mehr auf dem Markt .................................. Adrenalin (483) Aerobin® .............................................................................................. Theophyllin (563) Aerodur® ................................................................................................. Terbutalin (560) Afonilum®novo ..................................................................................... Theophyllin (563) afpred® forte-THEO ............................................................................. Theophyllin (563) Ajmalin ......................................................................................................... Ajmalin (485) Akineton® ................................................................................................. Biperiden (491) Akrinor® ....................................................................... Theodrenalin und Cafedrin (562) Aktivkohle ................................................................................ Kohle, medizinische (524) Alfentanil (unterliegt BtMG/BtMVV) Stark wirksames Opioidanalgetikum mit narkotischer Komponente zur Anästhesie unter endotrachealer Intubation und Beatmung. Präparat: Rapifen® (Amp. mit 1 mg/2 ml und 5 mg/10 ml). Dosierung (Erwachsene/Kinder - nicht bei Säuglingen): initial 0,01 mg/kgKG i. v.; zur Aufrechterhaltung 0,05 mg/kgKG/h (entspr. 7 ml Rapifen®/70 kgKG/h) oder fraktionierte Bolusinjektion 0,01 mg/kgKG alle 15 min (entspr. 1,5 ml Rapifen®/70 kgKG alle 15 min). Bei älteren Patienten Dosisreduktion um 30–40%! Der Anwender muss Erfahrung mit dieser Substanz besitzen. WE: 1–2 min. WD (Initialdosis): 11–15 min. HWZ 1,1 h.
17.3 · Index Notfallmedikamente
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Alkohol-Konzentrat 95 % ............................................................................. Ethanol (507) Alphakinase ......................................................................... s. Bemerkung bei Urokinase Alteplas(e) ............................................................................................. Alteplas(e) (486) Altramet® ................................................................................................. Cimetidin (493) Alupent® .......................................................................... s. Bemerkung bei Orciprenalin Amiodaron .............................................................................................. Amiodaron (487) Amiohexal® ............................................................................................ Amiodaron (487) Analgin (injekt BC) ................................................................................... Metamizol (533) Anexate® ................................................................................................ Flumazenil (513) Anisoylierter Streptokinase-Lys-Plasminogen-Aktivatorkomplex .... Anistreplase (488) Anistreplase ........................................................................................ Anistreplase (488) Anticholium® ..................................................................................... Physostigmin (546) Apomorphin (Apomorphinum hydrochloricum) „Waffenscheinpflichtiges“ Emetikum: wurde zum Auslösen von Erbrechen bei Vergiftungen eingesetzt, wobei z.T. schwere Nebenwirkungen in Kauf genommen wurden (z.B. Blutdruckabfall, Atemdepression, Krämpfe, unstillbares Erbrechen bis zur Naloxongabe). Das Erbrechen nach Apomorphin ist unkontrolliert bezüglich Zeitpunkt und Menge. Zur Begrenzung der Kreislaufreaktion musste es in einer Mischspritze mit Norfenefrin verabreicht werden. Mittlerweile gibt es zahlreiche Gründe, Apomorphin zu meiden: •Bei vielen Vergiftungen hat heute Kohlegabe Priorität vor Provokation von Erbrechen. • Als nebenwirkungsärmeres Verfahren steht Ipecacuanha-Sirup zur Verfügung (auch für Erwachsene, mittlerweile auch als länger haltbare Zubereitungen), alternativ auch die mechanische Methode („Patient steckt sich selbst den Finger in den Hals“). Aprical® ................................................................................ s. Bemerkung bei Nifedipin APSAC ........................................................................................................................ (488) Aqua ad injectabilia (Wasser für Injektionszwecke) Zum Auflösen von bestimmten Medikamenten, die als Trockensubstanz vorliegen. Nicht als Infusionslösung zu verwenden. Aquo-Trinitrosan® ......................................................................... Glyceroltrinitrat (517) Arginin-Vasopressin ............................................................................ Argipressin (489) Argipressin ........................................................................................... Argipressin (489) Arterenol® .......................................................................................... Noradrenalin (541) Aruterol® .................................................................................................. Fenoterol (511) Aspisol® .................................................................................... Acetylsalicylsäure (481) Aspirin® i.v. .............................................................................. Acetylsalicylsäure (481) ASS ............................................................................................. Acetylsalicylsäure (481) AsthmaHaler®Mist ................................................................................... Adrenalin (483) Atosil® ................................................................................................. Promethazin (548) Atropin(sulfat) .............................................................................................. Atropin (490) Atropinum sulfuricum ................................................................................... Atropin (490) Auxiloson® (Nicht mehr auf dem Markt!) .............................................. Kortikoide (525) Azetyl-... ..................................................................................................... siehe Acetyl-...
B Baralgin® M ............................................................................................ Metamizol (533) Bayotensin® .......................................................................................... Nitrendipin (540) Beloc® .................................................................................................... Metoprolol (535) Benoxinat ....................................................................... s. Bemerkung bei Oxybuprocain
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BtM
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
ben-u-ron® ......................................................................................... Paracetamol (543) Berlosin® ................................................................................................ Metamizol (533) Berotec® ....................................................................................... Fenoterol Spray (511) Biperiden .................................................................................................. Biperiden (491) Borocarpin® ........................................................................ s. Bemerkung bei Pilocarpin Brevibloc® ................................................................................................. Esmolol (506) Brevimytal® .................................................................... s. Bemerkung bei Methohexital Bricanyl® ................................................................................................ Terbutalin (560) Bronchoparat® ..................................................................................... Theophyllin (563) Bronchospasmin® ................................................................................. Reproterol (553) Bronkaid®Mist Aerosol ............................................................................ Adrenalin (483) BS Inj. Carino ........................................................ (N-)Butylscopolaminiumbromid (492) BS-ratiopharm® ................................................... (N-)Butylscopolaminiumbromid (492) Buprenorphin (unterliegt BtMG/BtMVV) Analgetische und sedierende Wirkung durch Bindung an Opiatrezeptoren. Präparat: Temgesic® (Amp. mit 0,3 mg/1 ml). Dosierung: 0,002–0,004 mg/kgKG langsam i.v. Notfallmedizinisch problematisch ist die partiell agonistische Eigenschaft; Buprenorphin besitzt die höchste Rezeptoraffinität und daher die längste Wirkdauer aller Opioidanalgetika; es ist weder durch Opioid-Agonisten noch durch Antagonisten (Naloxon) vom Rezeptor zu verdrängen. Da die maximal erreichbare Wirkungsstärke aber unterhalb anderer Opioide liegt (Ceiling-Effekt), kann die Gabe von Buprenorphin zur Wirkungsabschwächung anderer vorher oder nachher applizierter Opioide führen (fehlende Therapiemöglichkeit Buprenorphin-resistenter Schmerzen mit Opioiden). Buprenorphin hat gewisse Vorteile für bestimmte Einsatzindikationen außerhalb der Notfallmedizin und ist als Basismedikation bei vielen chronischen Schmerzpatienten anzutreffen (bei der Notfalltherapie ggf. zu berücksichtigen). WE: 15 min (Atemdepression häufig verzögert nach 45 min - Cave: zu frühe Nachinjektion!). WM: 45 min. WD: 6–8 h. HWZ: 2–3 h. Buscopan® ........................................................... (N-)Butylscopolaminiumbromid (492) Butylscopolamin(iumbromid) .............................. (N-)Butylscopolaminiumbromid (492)
C Cafedrin ........................................................................ Theodrenalin und Cafedrin (562) Calcedon® ......................................................................... siehe Bemerkung bei Kalzium Calcitrans® ....................................................................... siehe Bemerkung bei Kalzium Calcium .............................................................................. siehe Bemerkung bei Kalzium Captin® ................................................................................................ Paracetamol (543) Carbo medicinalis ................................................................... Kohle, medizinische (524) Cardiosteril® ............................................................................................. Dopamin (504) Catapresan® ........................................................................... s. Bemerkung bei Clonidin Cerucal® ......................................................................................... Metoclopramid (534) Chloraethyl/Chlorethan zur äußerlichen, lokalen Anwendung Unter geringem Druck verflüssigtes Gas, das auf die Haut gesprüht sofort starke Verdunstungskälte erzeugt, die z.B. bei diversen Verletzungen (z. B. Prellungen, Luxationen) und entzündlichen lokalen Schwellungen (z.B. Insektenstich) ausgenutzt wird (antiinflammatorisch, analgetisch). Wegen einfacher Anwendung wurde kein eigener Medikamentensteckbrief erstellt. Beachte: Gewebe nicht vereisen (bei Reifbildung mit dem Sprühen aufhören, ggf. später wiederholen). Nicht auf offene Wunden sprühen.
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Chloralhydrat Sedierendes und krampflösendes Medikament, das vor allem bei Kindern zur Akutbehandlung von Krampfanfällen und Narkoseeinleitung benutzt wird. Präparat: Chloralhydrat-Rectiole® (1 Miniklistier à 3 g enth. 0,6 g). Dosierung: Säuglinge ab 6 kg 1/2 Rectiole; Kleinkinder ab 12 kg 1 Rectiole®; Schulkinder ab 24 kg max. 2 Rectiolen®. HWZ: 4 min (a.M.: 6–10 h). Cimehexal® .............................................................................................. Cimetidin (493) Cimet® ...................................................................................................... Cimetidin (493) Cimetidin ................................................................................................... Cimetidin (493) Clemastin ................................................................................................. Clemastin (493) Clonazepam .......................................................................................... Clonazepam (495) Clonidin Zentraler alpha2-Agonist (Blutdrucksenkung und sedierende Wirkung). Notfall- und intensivmedizinische Verwendung nur noch bei akutem Entzugsdelir! WE: mehrere min. HWZ: 9–15 h. Präparat: z.B. Catapresan®, Paracefan® (Amp. mit 0,15 mg/1 ml und 0,75 mg/5 ml); Dosierung (Erwachsene, initial): 0,075–0,15 mg langsam i.v. (1 Amp. mit NaCl 0,9 % auf 10 ml verdünnen und titrieren! Monitoring!). Bei Entzugssymptomen ggf. höhere Dosierung nötig (nach Bedarf vorsichtig steigern). Kontraindikationen: Sinusknotensyndrom, bradykarde Herzrhythmusstörungen. Initial kann es – besonders bei schneller Injektion - zu einem kurzfristigen alpha1-vermittelten Blutdruckanstieg kommen, bevor die zentral vermittelte blutdrucksenkende Wirkung einsetzt. Clopidrogrel ......................................................................................... Clopidrogrel (496) Closin ................................................................................................... Promethazin (548) Conjucain ....................................................................... s. Bemerkung bei Oxybuprocain Corangin® ..................................................................................... Glyceroltrinitrat (517) Corase® ........................................................................ siehe Bemerkung bei Urokinase Cordarex ................................................................................................. Amiodaron (487) Cordicant® ...................................................................... siehe Bemerkung bei Nifedipin Corinfar® ......................................................................... siehe Bemerkung bei Nifedipin Cormagnesin® ............................................................................ Magnesiumsulfat (531) Coro-Nitro® ................................................................................... Glyceroltrinitrat (517) Corotrend® ...................................................................... siehe Bemerkung bei Nifedipin Corticoide ................................................................................................ Kortikoide (525) Cyanokit® ................................................................................. Hydroxocobalamin (521)
D Dehydrobenzperidol® .................................................. siehe Bemerkung bei Droperidol Delphicort® ............................................................................................. Kortikoide (525) Delphimix® ............................................................................................. Kortikoide (525) Desiperiden® ........................................................................................... Biperiden (491) Desitic® ............................................................................... s. Bemerkung bei Ticlopidin Dexa Jenapharm®/-ratiopharm® .......................................................... Kortikoide (525) Dexamethason ........................................................................................ Kortikoide (525) Dextran Als kolloidale Komponente in Volumenersatzmitteln kommen auch Dextrane in Betracht. Aufgrund einer relativ höheren Gefahr allergischer Reaktion müsste vor jeder Volumengabe die Vorgabe von monovalentem Dextran (Promit®) durchgeführt werden, was das Notfallmanagement – wenn auch nur geringfügig – kompliziert. In Anbetracht der Alternativen (z.B. HES) erscheint die Verwendung von Dextranen im RD nicht mehr zeitgemäß. Im Rahmen der Small-Volume-Resuscitation mit Einschränkung verwendbar (s.S. 568)
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Notfallmedikamente
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DHB ..................................................................................... s. Bemerkung bei Droperidol Diamox® ............................................................................................ Acetazolamid (479) Diazep ...................................................................................................... Diazepam (497) Diazepam ................................................................................................. Diazepam (497) Digoxin ........................................................................................................ Digoxin (499) Dihydralazin ........................................................................................ Dihydralazin (500) Dilanacin® .................................................................................................. Digoxin (499) Dimenhydrinat ................................................................................. Dimenhydrinat (501) Dimercaptopropansulfonsäure (DMPS) Dimercaptopropansulfonsäure wird bei Schwermetallvergiftungen eingesetzt (Eliminationsbeschleunigung), z.B. Vergiftung mit Quecksilber, chronische Vergiftung mit Blei, mögliche Steigerung der Elimination von Arsen, Kupfer, Antimon, Chrom, Kobalt. Als Präparat steht DMPS-Heyl® zur Verfügung (1 Amp. à 5 ml enth. 250 mg). Nebenwirkungen: kardiovaskuläre Reaktionen, Blutdruckabfall bei zu schneller Injektion, Schüttelfrost, Fieber, Hautreaktionen. Dosierung (Erwachsene): 250 mg i.v. als Kurzinfusion (Wiederholung alle 3–4 h). 4-Dimethylaminophenol-HCl ................................................... s. Bemerkung bei 4-DMAP Dimethylpolysiloxan ............................................................................. Simethicon (557) Dimethicon ............................................................................................ Simethicon (557) Dimetinden ............................................................................................ Dimetinden (502) Dipidolor® ............................................................................................... Piritramid (547) Disoprivan® ............................................................................................... Propofol (550) 4-DMAP (4-Dimethylaminophenol-HCl) Antidot bei Vergiftungen mit Zyaniden (s. S. 378 f.). DMAP bildet aus Hämoglobin Methämoglobin, welches Zyanidionen bindet, die durch die anschließende Gabe von Natriumthiosulfat (s.S. 470) entgiftet werden. Dosierung: einmalig 3–4 mg/kgKG i.v., direkt im Anschluss 50–100 mg Natriumthiosulfat/kgKG i.v. 4-DMAP kann auch bei Nitril- und Schwefelwasserstoffvergiftung eingesetzt werden (kein anschließendes Natriumthiosulfat bei Vergiftung mit Schwefelwasserstoff). Die Regeldosierung von 4-DMAP führt zur Verminderung der Sauerstofftransportkapazität (Hämoglobin) um ca. 30%! Überdosierung (sauerstoffresistente Zyanose!) und/oder begleitende Kohlenmonoxidvergiftung (i.d.R. keine Zyanose!) können die Sauerstofftransportkapazität bedrohlich herabsetzen (Therapie der 4-DMAP-Überdosierung: 2–4 mg Toloniumchlorid je kg KG i.v., Bluttransfusion). Risikoärmere, allerdings erheblich teurere Alternative zu 4-DMAP bei Zyanidvergiftung ist hochdosiertes Hydroxocobalamin (Vitamin B12a), s.S. 521 DMPS .................................................. s. Bemerkung bei Dimercaptopropansulfonsäure Dobutamin .............................................................................................. Dobutamin (503) Dobutrex® .............................................................................................. Dobutamin (503) Dociton® ........................................................................... s. Bemerkung bei Propranolol Dolantin® ................................................................................................... Pethidin (544) Doloreduct® ........................................................................................ Paracetamol (543) Dolorfug® ............................................................................................ Paracetamol (543) Dopamin .................................................................................................... Dopamin (504) Dormicum ............................................................................................... Midazolam (536) dremisan® ............................................................................................ Simethicon (557)
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Droperidol Antipsychotikum und Antiemetikum durch Blockade zentraler Dopamin-Rezeptoren, außerdem alpha1-Sympatholyse. WE: 5–7 min. WD: 2–24 h. HWZ: 2 h. Präparat: Dehydrobenzperidol® [DHB] (1 Amp. à 2 ml enth. 5 mg). Dosierung: 0,1-0,15 mg/kgKG i.v. Droperidol hat seine Bedeutung bei akuten Erregungszuständen, schwerem Erbrechen und zur Neuroleptanalgesie (in Kombination mit Opiaten) verloren. Beispielsweise ist Haloperidol hinsichtlich der antipsychotischen Wirkung deutlich überlegen. Außerdem verursacht Droperidol eine starke, meist unerwünschte Sedierung. Droperidol kann Herzrhythmusstörungen, Blutdruckabfälle, Krampfanfälle und Dyskinesien auslösen und bewirkt eine sog. Adrenalinumkehr (Blutdruckabfall bei Adrenalingabe). duracetamol® ..................................................................................... Paracetamol (543) duradiazepam .......................................................................................... Diazepam (497) durafurid® .............................................................................................. Furosemid (514) duraMCP® ....................................................................................... Metoclopramid (534) duranifin® ............................................................................. s. Bemerkung bei Nifedipin durasoptin® ............................................................................................ Verapamil (567)
E Ebrantil® .................................................................................................... Urapidil (565) Effortil® ....................................................................................................... Etilefrin (508) Elektrolyt-Infusionslösung 153 ............................................... Vollelektrolytlösung (570) elomel® salvia ........................................................................ Vollelektrolytlösung (570) Eminase® ............................................................................................ Anistreplase (488) Enalaprilat .............................................................................................. Enalaprilat (505) Enelfa® ................................................................................................ Paracetamol (543) Epanutin® ................................................................................................ Phenytoin (545) Epinephrin ................................................................................................ Adrenalin (483) Esmolol ....................................................................................................... Esmolol (506) espa-butyl inj. ...................................................... (N-)Butylscopolaminiumbromid (492) Espumisan® .......................................................................................... Simethicon (557) Ethanol ......................................................................................................... Ethanol (507) Etilefrin ........................................................................................................ Etilefrin (508) Etomidat ..................................................................................................... Etomidat (509) Euphyllin® ............................................................................................ Theophyllin (563) Euphylong® .......................................................................................... Theophyllin (563) Expafusin® ............................................................................. Volumenersatzmittel (569)
F Falicard® ................................................................................................ Verapamil Faustan® ................................................................................................. Diazepam Fenistil® ................................................................................................ Dimetinden Fenoterol ..................................................... Fenoterol i.v. (510) / Fenoterol Spray Fensum® ............................................................................................. Paracetamol
(567) (497) (502) (511) (543)
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Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Fentanyl ..................................................................................................... Fentanyl (512) Flecainid Antiarrhythmikum der Klasse IC (direkter Membraneffekt), das bei tachykarden supraventrikulären und ventrikulären Rhythmusstörungen eingesetzt wurde. Flecainid hat mittlerweile keinen speziellen Einsatzbereich mehr. Die lange Halbwertzeit (20 h), das Potenzial zur QT-Zeitverlängerung und Reizschwellenerhöhung (SM!) sowie der Ausschluss vieler alltäglicher Kontraindikationen im Rettungsdienst (Herzinfarkt, Herzinsuffizienz, kardiogener Schock, Torsade de pointes, Elektrolytstörungen) erlauben keinen routinemäßigen Notfalleinsatz. In Anbetracht sichererer Alternativen sollte es keine Verwendung mehr im Rettungsdienst finden. Präparat: Tambocor® (1 Amp. à 5 ml enth. 50 mg Flecainidacetat). Fluimucil® ......................................................................................... Acetylcystein (480) Flumazenil .............................................................................................. Flumazenil (513) Fortecortin® ............................................................................................ Kortikoide (525) Fortral® .............................................................................. s. Bemerkung bei Pentazocin Furanthril® ............................................................................................. Furosemid (514) furo ......................................................................................................... Furosemid (514) Furorese® .............................................................................................. Furosemid (514) Furosemid .............................................................................................. Furosemid (514) Fusid® .................................................................................................... Furosemid (514)
G Gastronerton® ................................................................................ Metoclopramid (534) Gastrosil® ....................................................................................... Metoclopramid (534) Gelafundin® ............................................................. s. Bemerkung bei Gelatine-Infusion Gelafusal® ............................................................... s. Bemerkung bei Gelatine-Infusion Gelatine-Infusion Kolloidales Volumenersatzmittel auf Gelatinebasis zur Prophylaxe und Therapie von Volumenmangel und Schock; kann selten zu anaphylaktischen Reaktionen führen (daher die ersten 20–30 ml langsam und unter sorgfältiger Beobachtung infundieren). Die Volumenwirksamkeit liegt bei 3–4 Stunden. Nicht so gebräuchlich wie Hydroxyethylstärke (HES, s.S. 569). Gepan® ......................................................................................... Glyceroltrinitrat (517) Gilurytmal® ................................................................................................. Ajmalin (485) Gilustenon ..................................................................................... Glyceroltrinitrat (517) Glukagon .................................................................................................. Glukagon (515) Glukokortikoide ....................................................................................... Kortikoide (525) Glukose 5% Wird zur Verdünnung bestimmter Medikamente eingesetzt (z.B. Amiodaron). Als Infusion obsolet im Rettungsdienst, da zu viel freies Wasser (Cave: Hirnödem). Glukose 40 % ................................................................................... Glukose 40 % (516) Glucosteril® ..................................................................................... Glukose 40 % (516) Glukagon .................................................................................................. Glukagon (515) Glyceroltrinitrat ............................................................................. Glyceroltrinitrat (517) Glycylpressin® .................................................................................... Terlipressin (561) GTN ................................................................................................ Glyceroltrinitrat (517)
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H H2 Blocker-ratiopharm® ......................................................................... Cimetidin (493) Haemiton® .............................................................................. s. Bemerkung bei Clonidin Haemofusin ............................................................................ Volumenersatzmittel (569) Haemopressin® ................................................................................... Terlipressin (561) HAES – steril® ........................................................................ Volumenersatzmittel (569) Haldol® ................................................................................................ Haloperidol (519) Haloperidol ........................................................................................... Haloperidol (519) Hemohes ................................................................................ Volumenersatzmittel (569) Heparin ....................................................................................................... Heparin (520) Herwicard® ................................................................................... Glyceroltrinitrat (517) HES ......................................................................................... Volumenersatzmittel (569) Hydrocortison ......................................................................................... Kortikoide (525) Hydroxyethylstärke ............................................................... Volumenersatzmittel (569) Hydroxocobalamin ................................................................... Hydroxocobalamin (521) HyperHAES® .......................................................... Volumenersatz, hyperosmolar (568) Hypnomidate® .......................................................................................... Etomidat (509)
I InfectoKrupp® inhal ................................................................................. Adrenalin (483) Infukoll® HES ......................................................................... Volumenersatzmittel (569) Infusionslösungen, kolloidale ................................................ Volumenersatzmittel (569) Infusionslösungen, kristalloide .............................................. Vollelektrolytlösung (570) Insulin Insulin kommt im Rettungsdienst i.d.R. nicht zum Einsatz (u.a. Gefahr unkontrollierter Elektrolytstörungen; Problematik kühler Lagerung; meist ausreichend kurze Transportwege. vgl. a. S. 194 f.). Ipecacuanha-Sirup ..................................................................... Ipecacuana-Sirup (522) Ipratropiumbromid Im Rettungsdienst kaum gebräuchliches Parasympatholytikum mit ähnlichem Wirkungsprofil wie Atropin. HWZ: 1,6 h. Die Wirkung von 0,5 mg Ipratropiumbromid entspricht etwa derjenigen von 1 mg Atropin (s.S. 490). Iscover® ............................................................................................. Clopidrogrel (496) ISDN ........................................................................... s. Bemerkung bei Isosorbiddinitrat Iso Mack® ................................................................. s. Bemerkung bei Isosorbiddinitrat Isogutt® .................................................... s. Bemerkung bei Natriumhydrogenphosphat isoket® ...................................................................... s. Bemerkung bei Isosorbiddinitrat Isoprenalin ...................................................................... s. Bemerkung bei Orciprenalin Isoproterenol ................................................................... s. Bemerkung bei Orciprenalin Isoptin® ................................................................................................... Verapamil (567) Isosorbiddinitrat Sublingual anwendbares Nitrat mit Wirkungsprofil und Indikationen sehr ähnlich dem Glyceroltrinitrat. HWZ: 0,5–0,7 h; a.M.: 2–5 h. Dosierung: initial 1–2 Hübe zu je 1,25 mg, ggf. 1 x wdh. Isotonische Kochsalzlösung ................................ s. Bemerkung bei NaCl-Lösung 0,9 % Itrop® .................................................................... s. Bemerkung bei Ipratropiumbromid
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Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Notfallmedikamente
J Jedipin ................................................................................... s. Bemerkung bei Nifedipin Jonosteril® ............................................................................. Vollelektrolytlösung (570)
K Kabikinase® .................................................................. s. Bemerkung bei Streptokinase Kalium(chlorid), KCl Wird im Rettungsdienst nicht angewendet und nicht bevorratet, da i.d.R. keine Möglichkeit zur vorherigen Elektrolytbestimmung besteht (diese ist unbedingt notwendig, da sonst gefährliche kardiale Nebenwirkungen möglich). Bei entsprechenden Notfällen in bestimmten Arztpraxen, Dialyseeinrichtungen usw. ist ggf. sowohl die Möglichkeit der Elektrolytbestimmung als auch Kalium vorhanden. Kalymin® ............................................................................... Pyridostigminbromid (551) Kalzium (Calciumgluconat / zur Kardioprotektion auch Calciumchlorid) In Form einer 10- oder 20%igen Lösung als Antidot bei Vergiftung mit Kalziumantagonisten (z.B. Magnesium), Flusssäureverätzung (ggf. auch lokal) sowie flankierend bei schwerer Hyperkaliämie zur Kardioprotektion (kein präklinischer Nachweis möglich). I.v.-Gabe immer langsam und unter EKG-Kontrolle (RR-Abfall, Herzrhythmusstörungen)! Vorsicht bei schwerer Niereninsuffizienz, Immobilisationsosteoporose (akuter Schub) und digitalisierten Patienten (Wirkungsverstärkung). KCl .............................................................................................. s. Bemerkung bei Kalium Ketamin ....................................................................................................... Ketamin (523) Ketanest® (/ S) ........................................................................................... Ketamin (523) Klimofol® .................................................................................................... Propofol (550) Kochsalzlösung, isotonische ............................... s. Bemerkung bei NaCl-Lösung 0,9 % Kohle ........................................................................................ Kohle, medizinische (524) Kolloidale Infusionslösungen ................................................. Volumenersatzmittel (569) Kortikoide ................................................................................................ Kortikoide (525) Kortisol .................................................................................................... Kortikoide (525) Kristalloide Infusionslösungen ............................................... Vollelektrolytlösung (570)
L Lanicor® ..................................................................................................... Digoxin (499) Lanitop® ......................................................................................... (Metil-)Digoxin (499) Lasix® .................................................................................................... Furosemid (514) Lefax® liquid ......................................................................................... Simethicon (557) Levomepromazin Stark sedierendes, schwach antipsychotisches Neuroleptikum, das selten im Rettungs dienst eingesetzt wird. Handelsname z.B. Neurocil®. Lidocain ........................................................................... Lidocain (529) Beachte: Bestimmte Lidocain-Präparate (z. B. Xylocain® Gel 2 %/Pumpspray finden Verwendung zur Oberflächenanästhesie (Schleimhäute); z.B. Eingriffe in Urologie (Harnblasenkatheter) und Anästhesiologie (endotracheale Intubation; Verminderung des Schleimhautreizes, Gleitfähigkeit). Diese Präparate werden aufgrund ihrer einfachen Anwendung nicht gesondert beschrieben. Liquemin® .................................................................................................. Heparin (520) Logomed® Schmerz-/Fieber-Zäpfchen Säuglinge/Kinder .................. Paracetamol (543) Lopresor® .............................................................................................. Metoprolol (535) Lorazepam ............................................................................................. Lorazepam (530)
17.3 · Index Notfallmedikamente
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Lutrol® .................................................................... s. Bemerkung bei Polyethylenglykol Luminal® ....................................................................... s. Bemerkung bei Phenobarbital Lysinmonoacetylsalicylat ......................................................... Acetylsalicylsäure (481) Lysthenon® ........................................................................ Suxamethoniumchlorid (558)
M M-dolor® .................................................................................................... Morphin (537) M-Stada® ................................................................................................... Morphin (537) Macrodex® ........................................................................... s. Bemerkung bei Dextrane Magnesium Diasporal®/Verla® ................................................. Magnesiumsulfat (531) Magnesiumsulfat ......................................................................... Magnesiumsulfat (531) Makrogol® .............................................................. s. Bemerkung bei Polyethylenglykol Mannit/Mannitol ......................................................................................... Mannitol (532) Maycor® ....................................................................................... Glyceroltrinitrat (517) MCP .................................................................................................. Metoclopramid (534) Meaverin® ........................................................................ s. Bemerkung bei Mepivacain Mecain ............................................................................... s. Bemerkung bei Mepivacain Medizinalkohle ........................................................................ Kohle, medizinische (524) Medizinische Kohle ................................................................. Kohle, medizinische (524) Medrate® ................................................................................................ Kortikoide (525) Mepihexal® ....................................................................... s. Bemerkung bei Mepivacain Mepivacain Lokalanästhetikum zur intradermalen/subkutanen Infiltrationsanästhesie mit max. 4 mg/kgKG (z.B. örtliche Betäubung beim Legen einer Thoraxdrainage); keine intravenöse Gabe (sonst Herzrhythmusstörungen, Schock). Präparate z.B. Meaverin®, Scandicain® (jeweil 1%ige Lösung in Amp. zu 5 ml, entspr. 50 mg/Amp.). HWZ: 3 h. Mestinon® ............................................................................. Pyridostigminbromid (551) Metalyse® .......................................................................................... Tenecteplase (559) Metamizol ................................................................................................ Metamizol (533) Methohexital Im Rettungsdienst kaum gebräuchliches Kurzhypnotikum zur Narkoseeinleitung in einer Dosierung von 1–1,5 mg/kg KG i.v. – WE: 10 s. WD: 3–7 min. HWZ: 1,5 h. Ein dem Thiopental ähnliches Barbiturat (s.S. 564). Methylprednisolon .................................................................................. Kortikoide (525) Metildigoxin ................................................................................................. Digoxin (499) Metoclamid® ................................................................................... Metoclopramid (534) Metoclopramid ................................................................................ Metoclopramid (534) Metoprolol .............................................................................................. Metoprolol (535) Metypred® .............................................................................................. Kortikoide (525) Mg5-Sulfat ................................................................................... Magnesiumsulfat (531) Midazolam .............................................................................................. Midazolam (536) Mono Praecimed® .............................................................................. Paracetamol (543) Morphin ...................................................................................................... Morphin (537) MSI Mundipharma® ................................................................................... Morphin (537)
N N-Butylscopolaminiumbromid ............................. (N-)Butylscopolaminiumbromid (492) NaCl-Lösung 0,9%ig (isotonische Kochsalzlösung) Als Trägerlösung für Medikamente und Lösung für Augenspülung (500-ml-Flasche) zu
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verwenden; im Rettungsdienst i.d.R. nicht zur Infusion größerer Mengen (außer bei Dialysepatienten!). NaCl, hyperosmolar (7,2–7,5%) ............................ Volumenersatzmittel, hyperton (568) Naloselect .................................................................................................. Naloxon (538) Naloxon ...................................................................................................... Naloxon (538) Narcanti® ................................................................................................... Naloxon (538) Natriumbicarbonat ............................................. Natriumhydrogencarbonat 8,4 % (539) Natriumchlorid-Lösung, isotonisch ..................... s. Bemerkung bei NaCl-Lösung 0,9 % Natriumdihydrogenphosphat ................... s. Bemerkung bei Natriumhydrogenphosphat Natriumhydrogencarbonat 8,4 % ...................... Natriumhydrogencarbonat 8,4 % (539) Natriumhydrogenphosphat Präparat: Isogutt® (1 Spülbeutel enth. 250 ml Augen-Tropflösung zum Einsatz bei Verätzungen des Auges (Pufferung, Ausspülung und Verdünnung ätzender Stoffe). Nicht bei Verätzungen durch Erdalkalien (Beryllium (Be), Magnesium (Mg), Calcium (Ca), Strontium (Sr), Barium (Ba)), da sonst Ausfällung. Wenn eine Erdalkaliverätzung nicht sicher ausgeschlossen werden kann, ist der Einsatz von NaCl 0,9% oder Leitungswasser als Spüllösung sinnvoll. Natriummonohydrogenphosphat ............. s. Bemerkung bei Natriumhydrogenphosphat Natriumthiosulfat Antidot, vor allem bei Zyanidvergiftung (s. S. 378 f.), aber auch Alkylanzien (S-Lost, N-Lost, Zytostatika), Chlor, Brom, Iod, Stickoxiden, Nitrilen, aromatischen Aminen (Anilin, Toluidin). Umwandlung von Zyanid in Rhodanid. Viele andere Gifte werden in weniger schädliche Substanzen umgewandelt. Nebenwirkung: Allergische Reaktion. Dosierung: • Vergiftungen mit Zyaniden, Nitrilen und Blausäure: Sofort 3–4 mg 4-DMAP/kgKG i.v., anschließend durch die gleiche Kanüle 50–100 mg Natriumthiosulfat/kgKG i.v. • Vergiftungen mit Bromat oder Iod: Bereitung einer 1 %igen Lösung von Natriumthiosulfat zur Magenspülung, falls erforderlich: 100 mg/kgKG i.v. • Vergiftungen mit alkylierenden Substanzen (S-Lost, N-Lost, Zytostatika): sofort 100–500 mg/kgKG i.v. Nepresol® ........................................................................................... Dihydralazin (500) Neuro-Brachont® .................................................................................... Metamizol (533) Neurocil® ................................................................. s. Bemerkung bei Levomepromazin nife ......................................................................................... s. Bemerkung bei Nifedipin Nifeclair® .............................................................................. s. Bemerkung bei Nifedipin Nifecor® ................................................................................ s. Bemerkung bei Nifedipin Nifedipat® ............................................................................. s. Bemerkung bei Nifedipin Nifedipin Kalziumantagonist. Dilatation der arteriellen Gefäße des kleinen und des großen Kreislaufes. Außerdem geringe dilatierende Wirkung auf die Koronararterien. WE (oral): 2–20 min. WM: 60 min. HWZ: 2,5–5 h. Präparate (Bsp.): Adalat® 10, Aprical® 10, Cordicant®, duranifin® 10, Jedipin® 10, Nifehexal® 10, Pidilat (jeweils 1 Kapsel enth. 10 mg). Nifedipin wurde gerne und großzügig bei hypertensiver Entgleisung eingesetzt, möglicherweise bevorzugt wegen einfacher oraler Anwendung. Vermehrte Todesfälle bei Vorerkrankungen des Herzkreislauf-Systems (KHK) führten zu größerer Zurückhaltung und Erweiterung der Kontraindikationen: (instabile) Angina pectoris, akuter Herzsteuerbar ist (man gibt eine Kapsel und schaut, was passiert: ein radikaler Blutdruckabfall nach wenigen Minuten ist ebenso möglich wie eine ausbleibende Wirkung). Hingegen kann z.B. Urapidil (s. S. 565) in kleinen Schritten nach Wirkung verabreicht werden (Titration). Wer auf einen oralen, schnellwirksamen Kalziumantagonisten zur
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akuten Blutdrucksenkung nicht verzichten will (Kontraindikationen beachten!), sollte notfallmedizinisch auf Nitrendipin (Bayotensin akut) ausweichen, s.S. 540 – Nitrendipin scheint manche der schädlichen Eigenschaften von Nifedipin nicht zu haben (durch etwas langsamere Anflutung evtl. geringere Gegenregulation und Myokardbelastung). Nifehexal® ............................................................................ s. Bemerkung bei Nifedipin Nifelat .................................................................................... s. Bemerkung bei Nifedipin Nife-Puren® .......................................................................... s. Bemerkung bei Nifedipin Nife-Wolff® ........................................................................... s. Bemerkung bei Nifedipin Nifical-10-Tablinen® ............................................................. s. Bemerkung bei Nifedipin nilnOcen® ........................................................................................... Paracetamol (543) Nitrangin (Isis®) ........................................................................... Glyceroltrinitrat (517) Nitrendipin ............................................................................................. Nitrendipin (540) Nitroglycerin ................................................................................. Glyceroltrinitrat (517) Nitro (Mack®/Pohl®/Solvay®) ..................................................... Glyceroltrinitrat (517) Nitrokapseln-ratiopharm® ........................................................... Glyceroltrinitrat (517) Nitrokor® ...................................................................................... Glyceroltrinitrat (517) Nitrolingual® ................................................................................. Glyceroltrinitrat (517) Noradrenalin ...................................................................................... Noradrenalin (541) Norcuron® ............................................................................... Vecuroniumbromid (566) Norepinephrin .................................................................................... Noradrenalin (541) Normorytmin ......................................................................................... Propafenon (549) Novalgin® ............................................................................................... Metamizol (533) Novaminsulfon ........................................................................................ Metamizol (533) Novodigal® ................................................................................................. Digoxin (499)
O O 2 ................................................................................................................................................................................................. Sauerstoff (556) Obidoximchlorid Antidot bei Vergiftungen mit Alkylphosphaten, Alkylthiophosphaten, Phosphorsäureestern, Thiophosphorsäureestern (Insektizide und ähnliche). Nicht bei Carbamat-Vergiftung. Präparat: Toxogonin® (Amp. mit 250 mg/1 ml). Dosierung Erwachsene (nach (!) der initial obligaten Atropingabe): 250 mg langsam i.v.; Kinder (nach (!) der initial obligaten Atropingabe): 4–8 mg/kgKG i.v. Wiederholungsgabe jeweils nach zwei Stunden möglich. Die Gabe sollte möglichst innerhalb der ersten 6 h nach der Vergiftung erfolgen. Nebenwirkungen: Hitze- und Spannungsgefühl im Kopf, allergische Reaktionen. Wirkungsweise: Reaktivierung der Cholinesterase. HWZ: 1,5–2,5 h. Obidoxim ersetzt keinesfalls die Atropingabe; es wirkt unterstützend. Bei Überdosierung wirkt Obidoximchlorid selbst als Cholinesterasehemmer. Obsidan® .......................................................................... s. Bemerkung bei Propranolol Orasthin® .................................................................................................. Oxytocin (542) Orciprenalin Unspezifisches Betasympathomimetikum. Präparat: Alupent® (1 Amp. mit 0,5 mg/1 ml). Orciprenalin wurde bei bradykarden Erregungsbildungs- und -leitungsstörungen eingesetzt, inkl. AV-Block; ferner auch bei Asthmaanfall und Vergiftungen mit Betablockern. Gemäß aktuellen Leitlinien keine Verwendung mehr in der Notfallmedizin (ersetzt durch Atropin, Adrenalin und ggf. Schrittmachertherapie); in den ERC-Leitlinien und in den CoSTR des ILCOR (2005) wird lediglich die etwas kürzer wirksame Schwestersubstanz Isoprenalin (Isoproterenol) erwähnt, die aber in Deutschland nicht mehr im Handel ist. Orciprenalin als unspezifisches Betamimetikum erhöht die Herzfrequenz, dilatiert Bronchien und Blutgefäße. Während bei Asthmaanfall die starke Chronotropie uner
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wünscht ist (heute kurzwirksame, beta2-spezifischere Mittel), ist bei einer therapieresistenten Bradykardie bzw. im Falle einer erforderlichen Reanimation die gefäßerweiternde Wirkung potenziell nachteilig (schlechtere Versorgung von Herz und Gehirn; bei Herz-Kreislaufstillstand wird eine periphere Gefäßverengung angestrebt!). Die lange Halbwertzeit (6 h) macht es schlecht steuerbar. Bei Betablockervergiftung mag Orciprenalin neben Glukagon noch einen Stellenwert haben; da in Rettungsmitteln aber reichlich andere Betamimetika bevorratet werden, erscheint die präklinische Vorhaltung nicht gerechtfertigt. Orpec® ....................................................................................... Ipecacuana-Sirup (522) Osmofundin 15 % N .................................................................................. Mannitol (532) Osmosteril 20 % ....................................................................................... Mannitol (532) Oxybuprocain Lokalanästhesthetische Augentropfen in Ophtiolen (2 mg in 0,5 ml) zur Untertützung einer Fremdkörperentfernung aus dem Bindehautsack oder einer Augenspülung bei Verätzung (ohne Analgesie manchmal keine effektive Spülung möglich; ggf. systemische Analgesie!). Präparat: z.B. Conjuncain®-EDO. Dosierung (pro Auge): 1 Tropfen alle 30–60 s, max. 5-mal wiederholen. Nach Einträufeln bis zum Eingriff sollte das Auge geschlossen werden (mit Spülung bei Verätzung nicht warten!); nach Einträufeln kurzzeitig brennendes Gefühl möglich. Kontaktlinsen vor Anwendung entfernen! Während der Dauer der Anästhesie ist das Auge vor Staub und Fremdkörpern zu schützen (kein Schutzreflex). Eine notfallmäßige Augenspülung kann die Wirkung durch Auswaschen und zu geringe Einwirkzeit des Wirkstoffes herabsetzen (ggf. wdh.). WE: 1 min. WM: 1–2 min. WD: 10–20 min. Oxymetazolin (z.B. Nasivin®) Alphasympathomimetikum zur lokalen Anwendung: Abschwellung der Nasenschleimhaut durch Vasokonstriktion. Die Bevorratung auf Rettungsmitteln erfolgt vor dem Hintergrund, dass bei Säuglingen – als zunächst obligate Nasenatmer – durch rhinitische und allergische Schwellungen der Nasenschleimhaut bedrohliche Zustände von Atemnot entstehen können, die durch „Nasentropfen“ relativ einfach und kostengünstig behoben werden können. Wegen einfacher Anwendung wurde kein eigener Medikamentensteckbrief erstellt. Beachte jedoch die Gefahr systemischer Wirkung bei zu hoher Dosis oder Konzentration (0,01 % für Säuglinge; 0,025 % für Kleinkinder). Oxytocin .................................................................................................... Oxytocin (542)
P Paedialgon® ........................................................................................ Paracetamol (543) Pantolax® ........................................................................... Suxamethoniumchlorid (558) Paracefan ................................................................................ s. Bemerkung bei Clonidin Paracetamol ........................................................................................ Paracetamol (543) Paraffinöl (Paraffinum perliquidum/-subliquidum) Paraffinöl kann nach Rücksprache mit der Vergiftungszentrale bei oralen Vergiftungen mit bestimmten fettlöslichen und hochtoxischen Substanzen in einer Dosierung von 3–5 ml/kg KG p.o. als Antidot zur Resorptionshemmung eingesetzt werden. Z.T. wird empfohlen, diese Menge über Magensonde zu instillieren und gleich wieder abzusaugen (ggf. wdh.). Der Anwender muss sich über die erhebliche Öl-Aspirationsgefahr (Provokation von Erbrechen und hohe Fluidität) mit einem hohen Risiko eines fulminanten Lungenversagens im Klaren sein!! Die Anwendung gilt z.B. bei Substanzen wie Lampenöl als obsolet, da sie in keinem Verhältnis zum Nutzen steht (geringe Toxizität, praktisch keine Resorption des Lampenöls), hier ist das Abwarten der Ausscheidung ausreichend! Nebenwirkungen: Diarrhö, bei Kindern auch Exsikkose.
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Paraffinum perliquidum/-subliquidum ................................. s. Bemerkung bei Paraffinöl Parenteral ................................................................................ Vollelektrolytlösung (570) Partusisten® ...................................................................................... Fenoterol i.v. (510) Paspertin® ...................................................................................... Metoclopramid (534) PCM ...................................................................................................... Paracetamol (543) Pentazocin (unterliegt BtMG/BtMVV) Opioid-Analgetikum für starke Schmerzen (WE: 2–6 min. WD: 3–4 h. HWZ: 2 h) Präparat: Fortral® (1 Amp. à 1 ml Inj.-Lsg. enth. 30 mg Pentazocin). Dosierung: 0,25–0,5 mg/kg KG i.v. über mind. 2 Minuten Pentazocin ist ein Opiat mit agonistischer und antagonistischer Wirkung, außerdem müssen bei der Verabreichung einige Einschränkungen (KHK, Höchstdosis wegen Gefahr pulmonaler Hypertonie) beachtet werden. Angesichts besserer Alternativen (s.S. 454) sollte Pentazocin nicht im Rettungsdienst eingesetzt werden. perlinganit® .................................................................................. Glyceroltrinitrat (517) Pethidin ....................................................................................................... Pethidin (544) Phenhydan® ............................................................................................ Phenytoin (545) Phenobarbital Präparat: Luminal® Phenobarbital ist noch auf manchem Rettungsmittel vorhanden und findet daher auch hier Erwähnung. Sein Einsatz im Rettungsdienst ist heutzutage nicht mehr indiziert, da es durch seine extrem lange Halbwertzeit (48–144 Stunden) nicht steuerbar ist und einen verzögerten Wirkungseintritt (auch bei akuten Krampfanfällen) von ungefähr 15 Minuten hat. Außerdem Gefahr eines Herz-Kreislaufstillstandes. Bei akuten Krampfanfällen sollte auf Benzodiazepine, ggf. auf kurz wirksame Barbiturate (z.B. Thiopental; Narkoseeinleitung) zurückgegriffen werden (vgl. S. 564) Phenytoin ................................................................................................. Phenytoin (545) Physostigmin ..................................................................................... Physostigmin (546) Pidilat ..................................................................................... s. Bemerkung bei Nifedipin Pilocarpin Cholinerge, pupillenverengende Augentropfen zur Behandlung des akuten Glaukomanfalles. Dosierung: 1–2 Tropfen in das betroffene Auge geben, ggf. Wiederholung nach 30 min. Max. 8 Tropfen pro Tag. Daran denken, Kontaktlinsen ggf. vorher zu entfernen (bis zur definitiven Behandlung durch den Augenarzt nicht wieder einsetzen). Präparate: Borocarpin®-S, Pilocarpol®, Pilomann®, Pilopos® Pindolol Betablocker mit geringer Relevanz für die Notfallmedizin; derzeit gebräuchliche Alternativen: s. Esmolol und Metoprolol Piritramid ................................................................................................. Piritramid (547) Pitressin ............................................................................................... Argipressin (489) Plasmaexpander .................................................................... Volumenersatzmittel (569) Plasmafusin® HES 450 .......................................................... Volumenersatzmittel (569) Plasmasteril® ........................................................................ Volumenersatzmittel (569) Plasminogen human-Aktivator ................................... Alteplas(e) (486)/Reteplase (554) Plavix® ................................................................................................ Clopidrogrel (496) Polyethylenglykol (PEG 400 = hochmolekular) Kein Arzneimittel. Hygroskopisches Lösungsmittel mit hydro- und lipophilen Eigenschaften. Kann nach Rücksprache mit einer Vergiftungszentrale verwendet werden, um die Haut durch Abreiben mit getränkter Gaze von bestimmten Giftstoffen zu reinigen. Dabei Entzug von Wasser und Gift aus den oberen Hautschichten und Anlösung der Hornschicht. Eigenschutz beachten (doppelte Handschuhe). Wird in manchen Chemieunternehmen und Rettungsmitteln in Gefahrenbereichen vorgehalten. Achtung: PEG löst
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auch manche Kunststoffe auf! Handelsnamen: z.B. Roticlean® E, Lutrol®, Makrogol® Prectal® .................................................................................................. Kortikoide (525) Prednisolon ............................................................................................. Kortikoide (525) Prednison ................................................................................................ Kortikoide (525) Pres® ..................................................................................................... Enalaprilat (505) Primatene®Mist ....................................................................................... Adrenalin (483) Promethazin ......................................................................................... Promethazin (548) Propafenon ............................................................................................ Propafenon (549) (1,2,3-)Propantriolnitrat ................................................................ Glyceroltrinitrat (517) Propantriolsalpetersäureester ..................................................... Glyceroltrinitrat (517) Propofol ...................................................................................................... Propofol (550) Propranolol Betablocker mit geringer Relevanz für die Notfallmedizin; derzeit gebräuchliche Alternativen: s. Esmolol und Metoprolol Prothazin® ........................................................................................... Promethazin (548) Psyquil® (Nicht mehr im Handel!) ............................... s. Bemerkung bei Triflupromazin Pyridostigminbromid ............................................................. Pyridostigminbromid (551) Pyromed® ........................................................................................... Paracetamol (543)
R R Ringer-Lösung ..................................................................... Vollelektrolytlösung (570) Radenarcon® ............................................................................................ Etomidat (509) Ranitic® .................................................................................................... Ranitidin (552) Ranitidin .................................................................................................... Ranitidin (552) Rapifen .................................................................................. s. Bemerkung bei Alfentanil Rapilysin ................................................................................................. Reteplase (554) Recofol ....................................................................................................... Propofol (550) Rectodelt® .............................................................................................. Kortikoide (525) Reproterol .............................................................................................. Reproterol (553) RescueFlow® .......................................................... Volumenersatz hyperosmolar (568) Reteplase ................................................................................................ Reteplase (554) Rheohes 40 ............................................................................ Volumenersatzmittel (569) rheotromb® ......................................................................... s. Bemerkung bei Urokinase Ringer Lactat/Laktat .................................. s. Bemerkung bei Vollelektrolytlösung (570) Ringer-Lösung ......................................................................... Vollelektrolylösung (570) Rivotril® ............................................................................................... Clonazepam (495) RL Ringer-Lactat-Lösung ....................................................... Vollelektrolytlösung (570) Roticlean® E ........................................................... s. Bemerkung bei Polyethylenglykol rt-PA ............................................................................ Alteplas(e) (486)/Reteplase (554) RubieMol ............................................................................................. Paracetamol (543) Rytmonorm® ......................................................................................... Propafenon (549)
S S-hydril® .................................................................. s. Bemerkung bei Natriumthiosulfat sab simplex® ........................................................................................ Simethicon (557) Salbutamol ............................................................................................. Salbutamol (555) Sandoz-Heparin .......................................................................................... Heparin (520) Sauerstoff ................................................................................................ Sauerstoff (556) Scandicain® ...................................................................... s. Bemerkung bei Mepivacain
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Serag-HAES ............................................................................ Volumenersatzmittel (569) Sigaperidol® ........................................................................................ Haloperidol (519) Simethicon ............................................................................................. Simethicon (557) Sirup. ipecacuanhae DAB 8/SR 90 ........................................... Ipecacuanha-Sirup (522) Solosin .................................................................................................. Theophyllin (563) Solu-Decortin® ....................................................................................... Kortikoide (525) Sostril® ..................................................................................................... Ranitidin (552) Sotalex®/Sotalol Betablocker mit antiarrhythmischen Eigenschaften der Klasse III. Geringe Relevanz für die Notfallmedizin; derzeit gebräuchliche Alternativen: s. Esmolol, Metoprolol, Amiodaron. Antiarrhythmika-Übersicht s.S. 457 Spasman® scop ................................................... (N-)Butylscopolaminiumbromid (492) Spasmowern® ...................................................... (N-)Butylscopolaminiumbromid (492) Spersacarpin® .................................................................... s. Bemerkung bei Pilocarpin Stärke ..................................................................................... Volumenersatzmittel (569) Sterofundin® ........................................................................... Vollelektrolytlösung (570) Stesolid® ................................................................................................. Diazepam (497) Streptase® .................................................................... s. Bemerkung bei Streptokinase Streptokinase Thrombolytikum/Fibrinolytikum, zur Lyse bei Lungenembolie und Herzinfarkt). Wirkungsweise Plasminogenaktivierung, dadurch Freisetzung von fibrinolytischem Plasmin. HWZ: –30 min. Präparat: Streptase® (Inj.-Fl. à 100000/250000/750000/I. E. Streptokinase als Trockensubstanz). Streptokinase ist unbestreitbar preisgünstig. Angesichts besserer Alternativen sollte es trotzdem nicht mehr in der präklinischen Notfallmedizin eingesetzt werden. Bei Streptokinase ist eine besondere Sensibilisierungsproblematik zu beachten (Kontraindikation: (Streptokokkeninfektion oder Streptokinasetherapie in den letzten 12 Monaten; eine Streptokokkeninfektion ist zwar akut oft leicht zu diagnostizieren, aber in der Vergangenheit dem Patient manchmal nicht mehr bekannt). Streptokinase soll nicht nach Heparingabe eingesetzt werden (erhöhte Blutungsrate). Außerdem sollte eine Prednisolonvorgabe erfolgen. Alternativen-Übersicht s.S. 457 Succicuran® ...................................................................... Suxamethoniumchlorid (558) Succinylcholin .................................................................... Suxamethoniumchlorid (558) Sufentanil/Sufenta (unterliegt BtMG/BtMVV) Hochpotenter Opiatagonist zur analgetischen Komponente bei Kombinationsnarkosen. Präparat z.B. Sufenta (Amp. mit 0,25 mg/5 ml). Dosierung (Einleitung): 0,0005–0,002 mg/kgKG langsam i.v. (über 2–10 min!). Aufrechterhaltung: bei Zeichen nachlassender Analgesie: 0,01–0,05 mg i.v. Der Anwender muss Erfahrung mit dieser Substanz besitzen. WM: wenige min. WD: dosisabhängig (ca. 50 min bei 0,0005 mg/kgKG). HWZ: dosisabhängig (4–16 h). Sultanol® ............................................................................................... Salbutamol (555) Suprarenin® ............................................................................................. Adrenalin (483) Suxamethoniumchlorid ...................................................... Suxamethoniumchlorid (558) Syntocinon® .............................................................................................. Oxytocin (542)
T Tachmalin® ................................................................................................. Ajmalin (485) Tagamet® ................................................................................................. Cimetidin (493) Tambocor ............................................................................... s. Bemerkung bei Flecainid Tavegil® .................................................................................................. Clemastin (494)
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Tavor® pro injectione ........................................................................... Lorazepam (530) Temgesic® ..................................................................... s. Bemerkung bei Buprenorphin Tenecteplase ...................................................................................... Tenecteplase (559) Terbutalin ................................................................................................. Terbutalin (560) Terlipressin .......................................................................................... Terlipressin (561) theo ....................................................................................................... Theophyllin (563) Theodrenalin ................................................................ Theodrenalin und Cafedrin (562) Theophyllin ........................................................................................... Theophyllin (563) Thiopental ............................................................................................... Thiopental (564) Thomaegelin® .......................................................... s. Bemerkung bei Gelatine-Infusion Thomaejonin® ........................................................................ Volumenersatzmittel (569) Thomaemannit® ........................................................................................ Mannitol (532) Thrombophob® .......................................................................................... Heparin (520) Ticlopidin Thrombozytenaggregationshemmer aus der Gruppe der ADP-Hemmstoffe; wird im Rettungsdienst i.d.R. nicht eingesetzt; ggf. als Alternative bei ASS-Unverträglichkeit. Zur selben Wirkstoffklasse gehört Clopidogrel (s.S. 496) Tiklyd® ................................................................................. s. Bemerkung bei Ticlopidin Tiromne® ................................................................................................ Diazepam (497) tissue Plasminogen Activator .................................... Alteplas(e) (486)/Reteplase (554) Toloniumchlorid Antidot zur Behandlung der Methämoglobinämie bei Vergiftungen (z.B. mit Nitraten, Nitriten, organischen Aminen, nach Überdosierung von 4-DMAP im Verlauf von Zyanidvergiftungen). Präparat: Toluidinblau (1 Amp. à 10 ml enth. 300 mg). Nebenwirkung: Blaufärbung der Haut (keine Zyanose!). Dosierung: 2–4 mg/kg KG i.v., bei Bedarf Wiederholung nach 30 min. Wirkungsweise: Reduktion des Fe(III)-Hämoglobins (Met hämoglobin) zu Fe(II)-Hämoglobin. Toluidinblau ................................................................ s. Bemerkung bei Toloniumchlorid Toxogonin® ............................................................... s. Bemerkung bei Obidoximchlorid t-PA ............................................................................. Alteplas(e) (486)/Reteplase (554) Trama- (ABZ, Dorsch, Paranoia®, u.a.m.)® ......................... s. Bemerkung bei Tramadol Tramadol Opioid-Analgetikum. WE: 5 min. WM: 15–30 min. WD: 4–8 h. HWZ: 6 h (a.M. 6–9 h). Präparate (Bsp.): Tramadolor® 100 Inj., Tramadol von ct, Tramadura® Injekt, Tramagit® Amp., Tramal® 100 Inj., Tramundin® 100 (jeweils 1 Amp. à 2 ml enth. 100 mg). Tramadol ist für die effektive Behandlung von Notfälle mit akuten Schmerzzuständen im Rettungsdienst nicht geeignet (niedrige analgetische Potenz, hohe emetische Potenz, z.T. trotz Vorspritzen von MCP: „Brechmittel mit analgetischer Nebenwirkung“). Da es nicht dem Betäubungsmittelgesetz unterliegt und bzgl. ernster Nebenwirkungen (Atmung, Kreislauf) eine große therapeutische Breite aufweist, wurde es sehr häufig eingesetzt (initiale Dosierung: 1 mg/kg KG langsam i.v. nach Gabe von MCP). Schwere Schmerzzustände erfordern jedoch eine wirksame Analgesie, die mit Tramadol häufig nicht erzielt werden kann. Übersicht von Alternativen s.S. 454. Tramadolor® ......................................................................... s. Bemerkung bei Tramadol Tramadura® .......................................................................... s. Bemerkung bei Tramadol Tramagit® .............................................................................. s. Bemerkung bei Tramadol Tramal® ................................................................................. s. Bemerkung bei Tramadol Tramawieb® .......................................................................... s. Bemerkung bei Tramadol Tramedphano® ...................................................................... s. Bemerkung bei Tramadol Tramundin® ........................................................................... s. Bemerkung bei Tramadol Trapanal® ............................................................................................... Thiopental (564)
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Treupel® mono .................................................................................... Paracetamol (543) Triamcinolon ............................................................................................ Kortikoide (525) Triflupromazin Antiemetikum, Sedativum, Antipsychotikum. Nicht mehr im Handel (alle Darreichungsformen) - früheres Notfallpräparat: Psyquil® (1 Amp. à 1 ml enth. 10 mg). Anticholinerge, antihistaminerge und extrapyramidale Nebenwirkungen. HWZ: 6 h. Toxizität: Arrhythmien, hyperkinetisch-dystones Syndrom. Als Alternative zur sedierenden/antihistaminergen Komponente kann z.B. Promethazin (Atosil®) verwendet werden, zur Bekämpfung von Übelkeit/Erbrechen z.B. MCP (Paspertin®) oder Dimenhydrinat (Vomex A®). Trinitrosan® .................................................................................. Glyceroltrinitrat (517) Turicard-Pumpspray ..................................................................... Glyceroltrinitrat (517) Tutofusin® ............................................................................... Vollelektrolytlösung (570)
U Ukidan® .............................................................................. s. Bemerkung bei Urokinase Unilair® ................................................................................................ Theophyllin (563) Uniphyllin® .......................................................................................... Theophyllin (563) Urapidil ....................................................................................................... Urapidil (565) Urbason® ................................................................................................ Kortikoide (525) Urokinase Thrombolytikum/Fibrinolytikum, zugelassen zur Lyse bei Lungenembolie (nicht ausdrücklich Herzinfarkt!). Wirkungsweise Plasminogenaktivierung, dadurch Freisetzung von fibrinolytischem Plasmin. HWZ: 9–20 min. Präparate: Corase® (Durchstech-Fl. à 500.000 I.E.), rheotromb® (Durchstech-Fl. à 500.000 I.E.) Urokinase wird nicht mehr in der präklinischen Notfallmedizin eingesetzt, da mittlerweile einfacher applizierbare Alternativen (reine Bolusgabe) zu vergleichbaren Preisen auf dem Markt sind. Da Urokinase nicht ohne weiteres auch für den akuten Herzinfarkt (Hauptgrund für die Lyse im RD) verwendet werden kann, müsste man theoretisch ein zweites Lysemedikament bevorraten (nicht sinnvoll). Außerdem ist bei Urokinase wie bei Streptokinase eine besondere Sensibilisierungsproblematik zu beachten. Alternativen-Übersicht s.S. 457 V V Infusionslösung 296 mval Elektrolyte ................................. Vollelektrolytlösung (570) Valium® ................................................................................................... Diazepam (497) Vasopressin ......................................................................................... Argipressin (489) Vecuroniumbromid ................................................................... Vecuroniumbromid (566) VEL ........................................................................................... Vollelektrolytlösung (570) Velonarcon® .............................................................................................. Ketamin (523) vera ......................................................................................................... Verapamil (567) Verahexal® ............................................................................................. Verapamil (567) Veramex® ............................................................................................... Verapamil (567) Verapamil ................................................................................................ Verapamil (567) Veroptinstada® ....................................................................................... Verapamil (567) Visken® ................................................................................... s. Bemerkung bei Pindolol Vitamin B12a ............................................................................. Hydroxocobalamin (521) Volon® A solubile .................................................................................... Kortikoide (525) Vollelektrolytlösung, kristalloid .............................................. Vollelektrolytlösung (570)
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Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Volumenersatzmittel, kolloidal ........................................ Volumenersatz, kolloidal Volumenersatzmittel, hyperosmolar ...................... Volumenersatz, hyperosmolar Volumenersatzmittel, hyperton .............................. Volumenersatz, hyperosmolar Voluven® ......................................................................... Volumenersatz, kolloidal Vomex A® ........................................................................................ Dimenhydrinat
(569) (568) (568) (569) (501)
Notfallmedikamente
W Wasser für Injektionszwecke .............................. s. Bemerkung bei Aqua ad injectabilia
X Xanef® .................................................................................................... Enalaprilat (505) Xylocain® 2 % .......................................................................................... Lidocain (529) Xylocain®Gel 2 %/Pumpspray .............................................. s. Bemerkung bei Lidocain Xylocitin® .................................................................................................. Lidocain (529) Xylometazolin Bsp.: Nasan®, Otriven® Geeignete Konzentrationen: 0,025% für Säuglinge, 0,05% für Kleinkinder) ..................................................................................... s. Bemerkung bei Oxymetazolin
Z Zantic® ...................................................................................................... Ranitidin (552) Zentropil® ............................................................................................... Phenytoin (545)
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
479
17
Acetazolamid Präparat Diamox ® parenteral (1 Inj.-Fl. enth. ca. 550 mg Acetazolamid-Na entspr. 500 mg Acetazolamid in Trockensubst. zur Lsg. mit 5 ml Aqua).
Indikation Akuter Glaukomanfall.
Kontraindikationen Niereninsuffizienz, schwere Leberfunktionsstörungen, Hypokaliämie, Hyponatriämie, Hypovolämie, Hyperkalzämie, Allergie gegen Sulfonamide, Nebenniereninsuffizienz, Schwangerschaft, [Stillzeit].
Nebenwirkungen Hypotonie, orthostatische Kreislaufregulationsstörungen, Herzrhythmusstörungen, Tachykardie, gesteigerte Glykosidüberempfindlichkeit, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Verstopfung, Verwirrtheitszustände, Teilnahmslosigkeit, Krämpfe, verminderter Tränenfluss, Gelbsucht, Hypokaliämie, Hypochlorämie, Hyperkalzämie, Hyperglykämie, Hypomagnesiämie.
Wechselwirkungen •Blutdrucksenkende Pharmaka: blutdrucksenkende Wirkung verstärkt. • ACE-Hemmer: überschießender Blutdruckabfall, Verschlechterung der Nierenfunktion möglich. • Salicylate (hochdosiert): toxische Wirkung auf das ZNS verstärkt. • Herzglykoside: Wirkungen und Nebenwirkungen durch Kaliummangel verstärkt. • Lithium: kardio- und neurotoxische Wirkung von Lithium verstärkt. • Curareartige Muskelrelaxanzien: Wirkung der Muskelrelaxanzien verstärkt und verlängert.
Toxizität O. g. Nebenwirkungen; in Kombination mit blutdrucksenkenden Pharmaka tachykarde und bradykarde Herzrhythmusstörungen. Therapie: Basismaßnahmen, symptomatische Therapie.
Dosierung Erwachsene: 500 mg Acetazolamid langsam i.v.
Wirkungsweise Carboanhydrasehemmer; reduziert die Produktion von Kammerwasser im Auge; dadurch Senkung des intraokulären Druckes. HWZ: 2-6 h.
480 A
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Acetylcystein (ACC) Präparat Fluimucil® Antidot (1 Inj.-Fl. à 25 ml enth. 5 g N-Acetylcystein).
Indikation Vergiftungen mit Paracetamol, Methylbromid, Acrylnitril (auch dermal oder inhalativ), Methacrylnitril.
Kontraindikation Notfallmedikamente
Bei o. g. Indikationen keine.
Nebenwirkungen Allergische Reaktionen, Bronchospasmus, Tachykardie, Hypotonie.
Wechselwirkungen Glyceroltrinitrat: vasodilatatorischer Effekt von Nitro verstärkt; thrombozytenaggregationshemmender Effekt von Nitro verstärkt Antitussiva: Sekretstau möglich (eingeschränkter Hustenreflex). Nicht mit anderen Medikamenten mischen.
Dosierung 150 mg/kg KG in 3 ml/kg KG Glucose 5% mit Elektrolytzusatz über 15 min als Kurzinfusion i.v. dann: 50 mg / kg KG in 7 ml / kg KG Glucose 5 % mit Elektrolytzusatz über 4 h i.v. , dann: 100 mg / kg KG in 15 ml / kg KG Glucose 5 % mit Elektrolytzusatz über 16 h i.v. (Klinik). Die ACC-Therapie bei Paracetamolvergiftung sollte innerhalb der ersten 10 h nach Giftaufnahme beginnen; u.U. sind erfolgreiche Behandlungen noch bis 24 h möglich. Bei Vergiftungen mit Methacrylnitril und bei oralen Vergiftungen mit Acrylnitril sollte die Gabe von 4-DMAP (3 – 4 mg / kg KG i.v.), gefolgt von Natriumthiosulfat (50 - 100 mg / kg KG langsam i.v.), der ACC-Gabe vorangehen. Ein bei Luftzutritt auftretender leichter Geruch nach Schwefelwasserstoff verflüchtigt sich schnell und stellt keine Qualitätsminderung dar.
Wirkungsweise Die toxische Wirkung des Paracetamols (ab 100 - 140 mg / kg KG) beruht v. a. auf der Bildung des leberzelltoxischen Metaboliten NABQUI bei gleichzeitiger Überlastung körpereigener Entgiftungsmechanismen (z. B. Erschöpfung des Glutathionvorrates). ACC ist ein Substrat zur Neusynthese von Glutathion. Dadurch können die PCM-Metaboliten entgiftet werden. Ferner: Förderung der Sulfat-Konjugation und Inhibitierung von Cytochrom p-450 (benötigt zur Bildung toxischer Metabolite). Die Antidotwirkung bei (Meth-) Acrylnitril und Methylbromid beruht auf einer Bindung an die SH-Gruppe des Acetylcysteins. HWZ (i.v.): 30 - 40 min.
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
481
17
Acetylsalicylsäure (ASS) [Lysinsalz] Präparat Aspirin i.v. (bisher: Aspisol®) (1 Fl. enth. 1 g D,L-Lysinmonoacetylsalicylat-Glycin; entspr. 0,5 g ASS; in Trockensubst. zur Lsg. mit 5 ml Aqua; die gebrauchsfertige Lösung darf nur frisch zubereitet verwendet werden).
Indikationen Akutes Koronarsyndrom (vgl. S. 214 ff.), Schmerzzustände (insbes. akute Migräneanfälle), Fieber (jeweils, wenn orale Gabe nicht angezeigt/unzureichend wirksam.
Kontraindikationen Magen-Darm-Ulzera, Überempfindlichkeit gegen ASS, hämorrhagische Diathese, letztes Schwangerschaftsdrittel (SSD), [1. und 2. SSD], [Cumarinmedikation, z.B. mit Marcumar®], [Stillzeit], [Asthma bronchiale], [Kinder < 12 J.].
Nebenwirkungen Bronchospasmus („Analgetikaasthma”), Ohrensausen, Blutungen, Magenschmerzen, Kopfschmerzen, Schwindel, Überempfindlichkeitsreaktionen, Leber- und Nierenfunktionsstörungen, Hypoglykämie.
Wechselwirkungen • Antikoagulanzien, Valproinsäure: erhöhte (gastrointestinale) Blutungsgefahr. • Antidiabetika: Wirkungsverstärkung der Antidiabetika. • Schleifendiuretika: Wirkungsverminderung der Schleifendiuretika.
Toxizität O. g. Nebenwirkungen, Somnolenz, Kollaps, Verwirrtheit, zentrale Hyperventilation. Therapie: Basismaßnahmen, symptomatische Therapie (ggf. Pufferung).
Dosierung (Erwachsene) Zur Thrombozytenaggregationshemmung bei Akutem Koronarsysndrom: 250 mg ASS = 1/2 Amp. i.v. - Die Fachgesellschaften empfehlen eine wirksame Dosis von 160 - 325 mg sowie alternativ auch die orale Gabe als Kautablette: kostengünstig u. effektiv. Die i.v.-Gabe ist zu bevorzugen bei Übelkeit/Erbrechen. Zur Schmerztherapie: 500 mg ASS i.v., je nach Wirkung Wiederholung möglich. Akuter Migräneanfall (mit oder ohne Aura): 1000 mg ASS i.v. (= 2 Amp.)
Wirkungsweise Irreversible Inaktivierung der Cyclooxygenase, dadurch Hemmung der Biosynthese von Prostaglandinen (➯ Fiebersenkung, Schmerzlinderung, Entzündungshemmung) und Thromboxanen (➯ Thrombozytenaggregationshemmung, Vasokonstriktionshemmung) aus Arachidonsäure. WE (Schmerzlinderung): 4 10 min. WM: 20 min, WD: 3 - 4 h. Beginn der Thrombozytenaggregationshemmung nach 2 min. HWZ: dosisabhängig (0,25 g: 2,5 h; 1 g: 5 h; intoxikation: > 30 h). Regionalanästhesieverfahren sind nach ASS-Gabe für mehrere Tage nicht möglich (Dauer der Thrombozytenaggregationshemmung).
482
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Adenosin Präparat Adrekar® (1 Inj.-Fl. à 2 ml enth. 6 mg Adenosin).
Indikationen Paroxysmale supraventrikuläre Tachykardien, atrioventrikuläre Reentry-Tachykardien und AV-Knotentachykardien bei fehlender Reaktion auf vagale Manöver.
Notfallmedikamente
Kontraindikationen AV-Block II° / III°, Sick-Sinus-Syndrom, Vorhofflimmern oder -flattern, obstruktive Lungenerkrankungen (z. B. Asthma bronch.), denerviertes Herz, Einnahme von Carbamazepin oder Dipyridamol, WPW-Syndrom, verlängertes QTIntervall, akuter Herzinfarkt o. instabile Angina pectoris, [schwere Hypotonie], [dekomp. Herzinsuffizienz], [Links-Rechts-Shunt], [Schwangerschaft], [Stillzeit].
Nebenwirkungen Flush, Atemnot, Bronchospasmus, Bradykardie bis Asystolie (in Einzelfällen Schrittmacher erforderlich), Hyperventilation, Übelkeit, Schwindel, Kopfschmerz, Benommenheit, Sehstörungen, Thoraxschmerz. Erhöhte kardiale Empfindlichkeit, wenn innerhalb des letzten Jahres eine Herztransplantation erfolgte.
Wechselwirkungen • Theophyllin u. a. Xanthinderivate: Wirkungsverminderung von Adenosin.
Dosierung • Erwachsene (nach ERC): Initial 6 mg Adenosin als schnelle Bolusinjektion (< 2 s!) i.v. Wenn erfolglos: bis zu drei weitere Gaben zu je 12 mg möglich jeweils als schneller Bolus zu verabreichen (Injektion in großlumige periphere Vene und Nachspülen mit NaCl 0,9% empfohlen), wenn die Tachykardie nicht innerhalb von 1-2 min durch die vorausgegangene niedrigere Dosis beendet wurde. • Kinder: 0,05 mg / kg KG; ggf. alle 2 min wiederholen bis zu einer maximalen Gesamtdosis von 0,25 mg / kg KG.
Wirkungsweise Senkung der Herzfrequenz, der Herzkraft und Verzögerung der AV-Überleitung (AV-Blockierung für wenige Sekunden), Koronararteriendilatation. HWZ < 10 s.
Warnhinweise • Injektion unter Monitoring und Reanimationsbereitschaft! Kurz nach Injektion tritt eine ventrikuläre Asystolie für ca. 5 s auf. • Den Patienten vorwarnen! („Das Herz kann kurz stolpern; es kann Ihnen warm und flau werden.“) • Konstant bei Raumtemperatur lagern (Ausfällung bei Kühlung).
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
483
17
Adrenalin I Synonym: Epinephrin Präparate Adrenalin 1:1000 Jenapharm (1 Amp. à 1 ml Inj.-Lsg. enth. 1,8 mg Epinephrinhydrogentartrat; entspr. 1 mg Epinephrin), Suprarenin® (Amp. à 1 ml u. Inj.-Fl. à 25 ml; 1 ml Inj.-Lsg. enth. 1,2 mg Epinephrin-HCl; entspr. 1 mg Base). Fertigspritzen und Präparate zur inhalativen Anwendung s. nächste Seite.
Indikationen • Herz-Kreislaufstillstand jeder Genese (Details s. auch Kapitel 5) • Anaphylaktischer Schock
Kontraindikationen: Bei den oben genannten Indikationen keine. Nebenwirkungen Tachykardie, Blutdruckanstieg, Herzrhythmusstörungen (Extrasystolen bis zum Kammerflimmern), pektanginöse Beschwerden, Hyperglykämie, Hypokaliämie, Tremor, Krampfanfälle, Lungenödem, Mydriasis. Bei Pat. mit Sulfitüberempfindlichkeit anaphylaktoide Reaktionen möglich.
Wechselwirkung • Alkalische Substanzen: Ausfällung und Inaktivierung.
Toxizität O. g. Nebenwirkungen, Blutdruckanstieg, blasse bis blassgraue, kalte und schlecht durchblutete Haut, Bradykardie durch parasympathische Gegenregulation, Kreislaufzentralisation, Atemnot, Schwindel, Ohnmacht, Kammerflimmern, Atemlähmung, Lungenödem. Therapie: Basismaßnahmen, symptomatische Therapie, Intensivüberwachung.
Dosierung • Herz-Kreislaufstillstand (s. a. Kapitel 5 und 11 sowie S. 575) Erwachsene: 1 mg Adrenalin i.v./i.o. (unverdünnt, mit 20 ml Infusion nachspülen), zur Not 3 mg Adrenalin mit NaCl 0,9%/Aqua auf 10 ml verdünnt tief endobronchial, jeweils als Einzeldosis. Wiederholung alle 3(-5) Minuten. - Bei VF/pulsloser VT: 1. Gabe erst direkt nach der 3. Rhythmusanalyse - Bei Asystolie/PEA: 1. Gabe, sobald verfügbar Kinder: 0,01 mg Adrenalin / kg KG i.v. oder intraossär, zur Not 0,1 mg/kg KG mit 3-5 ml NaCl 0,9%/Aqua endobronchial. Zeitpunkte wie bei Erwachsenen. • Anaphylaktischer Schock: Erwachsene: 1 mg Adrenalin mit NaCl 0,9 % auf 10 ml verdünnen und 1 ml dieser Lösung als Einzeldosis langsam i.v. (0,1 mg), ggf. Wiederholung. Kinder: 0,005 - 0,01 mg Adrenalin / kg KG langsam (1-2 min) i.v. (maximale Einzeldosis 0,1 mg i.v.), ggf. Wiederholung.
484
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Adrenalin II Wirkungsweise α- (periphere Vasokonstriktion) und β-sympathomimetisch (β1: Steigerung der Herzfrequenz/-kraft; β2: Erweiterung der Bronchien). Entscheidend im Einsatz bei Herz-Kreislaufstillstand und Anaphylaxie ist nicht die direkte β1-Wirkung am Herzen, sondern die periphere Vasokonstriktion mit Druckerhöhung in der Aorta (unter Thoraxkompressionen); daraus resultiert eine Verbesserung der Koronarund Gehirndurchblutung. WE: nach Sekunden. WD: mehrere min. HWZ: 1 - 3 min.
Notfallmedikamente
Praxistipps, weitere Anwendungsgebiete • Bei versehentlicher arterieller Injektion Nekrosebildung peripher der Punktionsstelle (z. B. Nekrose der Hand bei Injektion in A. radialis). Vgl. S. 40. • Die Firma International Medication Systems (UK) Ltd (Bedfordshire, England) bietet unter dem Namen MIN-I-JET TM Reanimationsmedikamente als Fertigspritzensystem an (z. B. Adrenalin 1:1000 / 1:10000). Vertrieb über Braun Melsungen. Aber: Dosierung beachten! Weitere Fertigpräparate (zur Selbstmedikation des Pat.): Fastjekt®-Autoinjektor zur i.m.-Injektion (Allergopharma - 2,05 ml enth. 2,46 mg Epinephrin HCl entspr. 2,05 mg Epinephrin), Anaphylaxie-Besteck zur s.c.-Injektion (Bencard - 1 ml enth. 1,2 mg Epinephrin-HCl entspr. 1 mg Adrenalin). • Es besteht die Möglichkeit, bei anders nicht kontrollierbaren Blutungen im Bereich der Nasenhöhle eine lokale Blutstillung durch Aufbringen einer Adrenalinlösung durchzuführen (Gaze, getränkt mit max 0,5 ml (10 Tropfen) einer Epinephrin-Lsg. 1:10.000; danach ggf. weitere Tamponade) • Inhalative Anwendung von Adrenalin: Inhalative Adrenalinpräparate können bei allergischen Reaktionen, Bronchospasmen und Pseudokrupp eingesetzt werden. Geeignete Dosieraerosole können aufgrund der sog. Halonverordnung derzeit nur über die Auslands apotheke beschafft werden. Alternativ besteht die Möglichkeit der Vernebelung oder Anwendung von Sprühflaschen: InfectoKrupp®Inhal (Fa. InfectoPharm Arzneimittel, Heppenheim, eine Flasche enth. mit 48 mg Epinephrin-HCl (entspr. 40 mg Epinephrin) in 1 ml Lsg. Diese wird mit beiliegenden 9 ml Lsg. verdünnt. Mit aufgeschraubtem Sprühkopf wird die Lösung als Pumpspray appliziert. Ein Sprühstoß à 0,05 ml enth. 0,24 mg Epinephrin-HCl (entspr. 0,2 mg Adrenalin). Dosierung: 2 Sprühstöße beim Einatmen; bei fehlendem Erfolg Wdh. nach 5 min mgl. Nächste Anwendung frühestens nach 30 - 60 min. Die Lösung enth. Sulfit (Cave: Überempfindlichkeit)! Nach Zubereitung 4 Wochen haltbar. Präparat kühlpflichtig. Kontraindikationen beachten (z. B. Hypertonie, Engwinkelglaukom, Tachykardie, kardiale Risiken)! • Mittlerweile sind alle neu ausgelieferten Chargen von 25-ml-Stechampullen und 1-ml-Glasampullen kühlpflichtig bei +2 bis +8°C. Bei Raumtemperatur, z.B. Lagerung im Notfallkoffer, verkürzt sich die Laufzeit auf maximal 6 Monate! (Dokumentation auf der Packung notwendig. Stand: 6/05)
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
485
17
Ajmalin Präparate Gilurytmal® (1 Amp. à 10 ml enth. 50 mg)., Tachmalin® (1 Amp. à 2 ml enth. 50 mg).
Indikationen WPW-Syndrom, tachykarde Arrhythmien.
Kontraindikationen Bradykardie (s. Kapitel 4), partieller und totaler AV-Block (Adams-StokesAnfälle), Herzinsuffizienz (NYHA III und IV), hypertrophe Kardiomyopathie, Verapamil-Therapie (Gefahr der AV-Blockierung), [Zustand innerhalb dreier Monate nach Herzinfarkt], [Schwangerschaft].
Nebenwirkungen Kammerflimmern, Asystolie, AV-Block, Hypotonie, Wärmegefühl, Flush, Parästhesien, Übelkeit, Erbrechen.
Wechselwirkungen • Antiarrhythmika, β-Rezeptorenblocker: verstärkte Hemmung der AV-Überleitung und Senkung der Herzkraft. • Furosemid: Ausfällung.
Toxizität Bradyarrhythmie mit Blutdruckabfall, Bewusstlosigkeit, weite Pupillen, Zyanose, Atemlähmung, Kammerflimmern. Beachte: lange symptomfreie Latenzzeit (50 - 60 Minuten). Therapie: Basismaßnahmen, symptomatische Therapie, Intensivüberwachung.
Dosierung • Erwachsene: 25 - 50 mg Ajmalin langsam (10 mg Ajmalin pro Minute) i.v. unter EKG-Kontrolle. Intravenöse Infusion: 0,5 - 1 mg Ajmalin / kg KG / h, bis zu einer Maximaldosis von 2000 mg Ajmalin über 24 h unter EKG-Kontrolle. • Kinder: Maximaldosis 1 mg Ajmalin / kg KG langsam i.v.
Wirkungsweise Antiarrhythmische Wirkung durch Hemmung des Natrium-Einstroms, der Erregungsbildung und -ausbreitung; die Membran wird stabilisiert. WE: ca. 1 min. WD: ca. 12 - 15 min. HWZ 0,2 - 0,4 h.
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Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Alteplas(e) Synonyme Plasminogen Human-Aktivator, rekombiniert; recombinant tissue(-type) Plasminogen Activator = rt-PA.
Präparat Actilyse® (1 Durchstech-Fl. enth. 10 mg / 20 mg / 50 mg Alteplase in 467 mg / 933 mg / 2333 mg Trockensubst. zur Lsg. mit 10 ml / 20 ml / 50 ml Aqua).
Indikation Notfallmedikamente
Fibrinolyse bei akutem Herzinfarkt (innerhalb von 6 h), (akute Lungenembolie).
Kontraindikationen Bestehende oder kurz zurückliegende Blutung, Blutungsneigung, Hypertonie, Endocarditis lenta, frische chirurgische Operation / Punktion größerer Gefäße, i.m.-Injektion, hohes Alter (> 70 Jahre), Antikoagulanzien-Behandlung, Magen- / Darmgeschwür in den vergangenen 3 Monaten, Colitis, Ösophagusvarizen, Aortenaneurysma, Zustand nach Herzdruckmassage, arteriovenöse Missbildungen, Schlaganfall innerhalb der letzten 6 Monate, unklarer Kopfschmerz oder Sehstörungen, metastasierende bösartige Erkrankungen, Schwangerschaft und bis 14 Tage nach der Geburt, Lebererkrankungen.
Nebenwirkungen Blutungen, passagere Temperaturerhöhung, Hypotonie, Tachykardie, Erbrechen.
Wechselwirkungen • Antikoagulanzien, Thrombozytenaggregationshemmer, nichtsteroidale Antiphlogistika: erhöhte Blutungsgefahr.
Dosierung 70 - 100 mg über 60 - 180 min i.v.; davon 15 mg als Bolus, 50 mg als Infusion innerhalb der ersten 30 min i.v., die restliche Menge innerhalb einer weiteren Stunde als Infusion i.v. Begleitende Heparintherapie (5000 I. E. als Bolus i.v.; dann 7,5 - 24 I. E. / kg KG / h über exaktes Dosiersystem, z. B. Spritzenpumpe in der Klinik Einstellung entsprechend der PTT). Dosisreduktion bei Patienten unter 65 kg (maximale Gesamtdosis 1,5 mg / kg KG) - Verdünnung der Injektionslösung für Infusionszwecke nur mit NaCl 0,9%.
Wirkungsweise t-PA ist ein körpereigener Fibrinolysefaktor. Als Medikament (rt-PA) - gegenüber dem physiologischen Wert etwa 1000fach höher dosiert - bewirkt es eine Umwandlung des Proenzyms Plasminogen in aktives Plasmin. Es findet eine auf den Ort der Thrombusbildung begrenzte Fibrinolyse statt. Zusätzlich werden durch Plasmin Fibrinogen, Prothrombin und Gerinnungsfaktoren (V, VIII, IX, XI, XII) gehemmt, sodass es zu einer verminderten Gerinnungsfähigkeit des Blutes kommt.
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
487
17
Amiodaron Präparat Cordarex (1 Amp. à 3 ml enth. 150 mg Amiodaron-HCl).
Indikationen Falls der Einsatz anderer Antiarrhythmika erfolglos geblieben oder nach ärztlichem Ermessen nicht vertretbar ist: symptomatische und behandlungsbedürftige tachykarde supraventrikuläre und ventrikuläre Herzrhythmusstörungen, Vorhofflimmern und -flattern, AV-Knoten-Reentry-Tachykardien, Tachykardien bei WPW-Syndrom. Therapierefraktäres Kammerflimmern. Vgl. a. Kapitel 4 (Notfallalgorithmen Tachykardie - inkl. spezielle Dosisangaben).
Kontraindikationen Hypotonie, schwere Ateminsuffizienz, Herzinsuffizienz, Neugeborene, Sinusbradykardie, alle Formen einer Leitungsverzögerung (einschl. Syndrom des kranken Sinusknotens, AV-Block II° / III°, sofern kein Herzschrittmacher eingesetzt ist), Torsade de pointes, Schilddrüsenerkrankungen, Frauen im gebärfähigen Alter ohne sicheren Konzeptionsschutz, Schwangerschaft, Jodallergie, Behandlung mit MAO-Hemmern, [pulmonale Erkrankungen],[Stillzeit], [Hypotonie], [Kardiomyopathien].
Nebenwirkungen Sehstörungen, Optikusneuritis, Überempfindlichkeitsreaktionen (Haut), Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Schwindel, Muskelzittern, Bronchospasmus, Flush, Verlängerung der AV- und QT-Zeit, Deformierung der T-Welle, Herzrhythmusstörungen, Bradykardie, Kollaps.
Wechselwirkungen • Ca-Antagonisten, andere Antiarrhythmika, β-Blocker: Verstärkung der kardiodepressiven und negativ-chronotropen Wirkung dieser Substanzen. • QT-Zeit-verlängernde Medikamente (Diuretika, Laxanzien, Chinidin, Erythromyzin u. a. m.): erhöhte Gefahr von Torsade de pointes. • Diuretika, systemische Kortikosteroide: Hypokaliämie.
Dosierung 4 - 5 mg / kg KG über 15 min (!) gleichmäßig i.v. Danach ggf. kontinuierliche Gabe (Spritzenpumpe !) von 8 - 10 mg / kg KG / h für 1 Stunde. Gabe nur unter intensivmedizinischen Bedingungen (EKG- und RR-Monitoring). Therapierefraktäre VF: 300 mg i.v. unmittelbar nach der 4. Rhythmusanalyse Hinweis: Nur mit Glucose 5% verdünnen (Initialdosis für Erwachsene ad 20 ml)!
Wirkungsweise Antiarrhythmikum der Klasse III (Zunahme der Repolarisationsphase und Refraktärperiode durch Hemmung des K+-Ausstroms): Unterdrückung von Ektopien und Reentry-Mechanismen; kein Einfluss auf die Kontraktionskraft. HWZ: 2-4 Wochen.
488
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Anistreplase Synonym Anisoylierter Streptokinase-Lys-Plasminogen-Aktivatorkomplex (APSAC).
Präparat Eminase® (1 Inj.-Fl. enth. 209 - 230 mg Trockensubst. mit 29,55 - 30,03 mg Anistreplase; entspr. 30 E. zur Lsg. mit 5 ml).
Indikation Notfallmedikamente
Fibrinolyse bei akutem Herzinfarkt (innerhalb von 6 Stunden)
Kontraindikationen Bestehende oder kurz zurückliegende Blutung, Blutungsneigung, Hypertonie, Zerebralsklerose, Endocarditis lenta, akute Pankreatitis, frische chirurgische Operation, schwerer Diabetes mellitus, Leberzirrhose, aktive Lungentuberkulose, Bronchiektasen mit Neigung zu Bluthusten, hohes Alter (> 75 Jahre), hoher Antistreptokinasespiegel, verminderte Blutgerinnungsfähigkeit, vorausgegangene translumbale Aortographie (in den letzten 8 Tagen), Punktion großer Arterien, Biopsie, Thoraxkompressionen, zurückliegende Hirnblutung, Hirnverletzung, neurochirurgischer Eingriff (mindestens 3 Monate), intrakranieller Tumor oder Aneurysma, Streptokinase-Behandlung oder Wiederholung der Therapie mit Anistreplase innerhalb der letzten 5-12 Monate, i.m.-Injektion, endotracheale Intubation, bis zur 14. Schwangerschaftswoche (leichte Ablösbarkeit der Plazenta).
Nebenwirkungen Blutungen, allergische Reaktionen, vorübergehende Temperaturerhöhung, Flush, Blutdruckabfall, Bradykardie, Arrhythmien, Übelkeit, Erbrechen.
Wechselwirkungen Antikoagulanzien, Thrombozytenaggregationshemmer, Dextrane: erhöhte Blutungsgefahr.
Dosierung 30 E. Anistreplase über 5 min i.v. Vorher 40 mg Dexamethason i.v.
Wirkungsweise Enzymatische Auflösung von Thromben.
Verweis Zur Lysetherapie bei Myokardinfarkt s. a. Kapitel 8.
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
489
17
Argipressin Synonym Arginin-Vasopressin = AVP (Vasopressin = ADH = antidiuretisches Hormon = Adiuretin)
Präparat Pitressin (20 IE / 1 ml) (Vasopressin (20 IE / 1 ml) – über Auslandsapotheke Fa. American Regent)
Indikation Argipressin wurde notfallmedizinisch zeitweise bei Erwachsenen mit HerzKreislaufstillstand, speziell bei therpieresistentem Kammerflimmern als Alternative zu Adrenalin eingesetzt. Derzeit wird es nicht bei Herz-Kreislaufstillstand empfohlen, da eine große, europäische Multicenter-Studie keinen Benefit beim Überleben der Patienten gegenüber Adrenalin zeigen konnte (Adrenalin weiter Vasopressor der Wahl). Für Herz-Kreislaufstillstand ist das Präparat nicht zugelassen! (Ursprüngliche Zulassung: Diabetes Insipidus)
Kontraindikation Bei oben genannter notfallmedizinischer Indikation: keine (Bluthochdruck, Angina Pectoris, koronare Insuffizienz, Epilepsie, Asthma)
Nebenwirkung Blutdruckanstieg, Herzrhythmusstörungen, Verengung der Koronargefäße mit Angina Pectoris und Myokardinfarkt, Urtikaria
Wechselwirkung Bei oben genannter notfallmedizinischer Indikation: keine
Toxizität Bei oben genannter notfallmedizinischer Indikation: keine
Dosierung Bei oben genannter notfallmedizinischer Indikation: 40 IE verdünnt als Bolus i.v. (Erwachsene)
Wirkungsweise Antidiuretisches und vasokonstriktorisches Hormon des Hypophysenhinterlappens. Wirkung über spezifische Rezeptoren: V1 (glatte Muskelzellen der Blutgefäße; vermittelt über IP 3 eine Erhöhung der zytosolischen Kalziumkonzentration) und V2 (Sammelrohrepithel; vermittelt über cAMP eine verstärkte Translokation von Aquaporinen in die Zellmembran). HWZ ca. 10-20 min.
490 A
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Atropin Präparate Atropinsulfat / Fresenius 0,5 mg (1 Amp. à 1 ml enth. 0,5 mg), Atropinum sulfuricum “Eifelfango” (1 Amp. à 1 ml enth. 0,25 / 0,5 / 1 / 2 mg); Atropinsulfat-100 mg-Ampullen (Köhler) u. U. für Vergiftungen (s. u.).
Notfallmedikamente
Indikationen Bradykarde Herzrhythmusstörungen, Asystolie, Vagusdämpfung (z. B. vor Intubation), Spasmen (Koliken) im Magen-Darm-Bereich sowie der Gallen- und Harnwege. Verwendung als Antidot: Vergiftungen mit Phosphorsäureestern (= Alkylphosphate; z. B. best. Nervenkampfstoffe und Insektizide = Pflanzenschutzmittel), Carbamaten u. a. Parasympathomimetika (Physostigminüberdosierung).
Kontraindikationen Bei akuter Vergiftung/Asystolie keine. Sonst: Tachykardie/-arrhythmie, akutes Lungenödem, Engwinkelglaukom, [Zerebralsklerose], [Schwangerschaft, Stillzeit].
Nebenwirkungen Tachykardie, Pupillenerweiterung, Mundtrockenheit, Unruhe, Abnahme der Schweißdrüsensekretion (Wärmestau), Akkomodationsstörungen.
Wechselwirkungen • Amantadin, Chinidin, tri- und tetrazyklische Antidepressiva: anticholinerge Wirkung des Atropins verstärkt.
Toxizität O. g. Nebenwirkungen, Rötung des Gesichts, Halluzinationen. Therapie: Basismaßnahmen, symptomatische Therapie. Physostigmin als Antidot.
Dosierung • Erwachsene: 0,5 - 1 mg Atropinsulfat i.v., bei Bedarf wiederholte Gabe möglich, bis zu einer Gesamtdosis von 0,04 mg Atropinsulfat je kg KG (kompletter Vagusblock). Bei Asystolie: 3 mg einmalig i.v. erwägen. • Kinder: 0,02 mg Atropinsulfat / kg KG i.v., mindestens jedoch 0,1 mg. • Als Antidot (Erwachsene): Initial 10 bis 15 mg in den ersten 15 min i.v., danach so wenig wie möglich, gerade so viel, dass die Bronchien nicht verschleimen und die Herzfrequenz im physiologischen Bereich ist! Zu hohe Dosen Atropinsulfat führen zu einer Darmatonie, d. h. oral aufgenommenes Gift wird nicht ausgeschieden, sondern kann weiter resorbiert werden. Ziel ist die Antagonisierung der parasympathischen Wirkung am Herzen. Die zentrale / periphere Atemlähmung wird nicht entscheidend beeinflusst (O2-Gabe/Beatmung weiter erforderlich).
Wirkungsweise Parasympatholyse bzw. anticholinerge Wirkung (Herzfrequenzsteigerung, Tonusminderung der glatten Muskulatur; Pupillenerweiterung). WE: 1 - 3 min. WM: 30 min. HWZ 2 - 3 h. Zu Sympathikus und Parasympathikus vgl. auch S. 459.
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
491
17
Biperiden
A
Präparat Akineton® , Biperiden-neuraxpharm®, Desiperiden® (1 Amp. à 1 ml Inj.-Lsg. enth. 5 mg Biperiden-Laktat entspr. 3,88 mg Biperiden).
Indikationen Extrapyramidale Symptome (z. B. hyperkinetisch-dystones Syndrom - Vergiftung mit Nikotin oder organischen Phosphorverbindungen).
Kontraindikationen Stenosen des Magen-Darm-Kanals, Megakolon, Ileus.
Nebenwirkungen Hypotonie, Bradykardie, anticholinerge Symptome (z. B. Abnahme der Schweißbildung, Glaukom-Auslösung, Tachykardie), Müdigkeit, Benommenheit, Schwindel, Erregung, Angst, Delirium, Dyskinesien, Ataxie, Mydriasis mit Lichtscheu.
Wechselwirkungen • Antihistaminika, Spasmolytika, Chinidin, Amantadin, tri- und tetrazyklische Antidepressiva, Neuroleptika: anticholinerge Wirkungen des Biperidens verstärkt. • Pethidin: zentralnervöse Wirkungen des Biperidens verstärkt. • Antiparkinsonmittel: vegetative / zentrale Wirkungen des Biperiden verstärkt. • Metoclopramid: Antagonisierung der Metoclopramid-Wirkung auf den Gastrointestinaltrakt
Dosierung Erwachsene: Kinder vom 6. bis zum 10. Lebensjahr: Kinder vom 1. bis zum 6. Lebensjahr: Kinder bis zum 1. Lebensjahr:
2,5 - 5 mg langsam i.v. 3 mg langsam i.v. 2 mg langsam i.v. 1 mg langsam i.v.
Bei Überdosierung / Intoxikation Physostigmin als Antidot i.v.
Wirkungsweise Zentral anticholinerge Wirkung. Wiederherstellung des Dopamin-AcetylcholinGleichgewichtes an spezifischen Rezeptoren. HWZ: 18 - 24 h.
492
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
(N-)Butylscopolaminiumbromid Präparate BS-ratiopharm ®, Buscopan ®, Butylscopolamin-Rotexmedica, espa-butyl, Spasmowern® (jeweils 1 Amp. à 1 ml enth. 20 mg).
Indikationen Krampf- und kolikartige Schmerzen durch Spasmen der glatten Muskulatur im Magen-Darm- und Nierenbereich (z. B. Gallen- und Nierenkolik).
Notfallmedikamente
Kontraindikationen Tachyarrhythmie, mechanische Stenosen im Bereich des Magen-Darm-Kanals, Myasthenia gravis, Engwinkelglaukom, Hypotonie, Harnverhalt bei subvesikaler Obstruktion, [Schwangerschaft], [Stillzeit].
Nebenwirkungen Tachykardie, Blutdruckabfall, Pupillenerweiterung, Mundtrockenheit, Schwindel, Abnahme der Schweißsekretion (Wärmestau), Akkomodationsstörungen, Miktionsbeschwerden (Beschwerden beim Wasserlassen), Anaphylaxie.
Wechselwirkungen • Antihistaminika, Disopyramid, Amantadin, Chinidin, tri- und tetrazyklische Antidepressiva: anticholinerge Wirkung verstärkt. • Dopaminantagonisten: gegenseitige Abschwächung der Wirkung auf die Motilität (unwillkürliche Muskelbewegungen) des Magen-Darm-Traktes. • β-Sympathomimetika: tachykarde Wirkung verstärkt.
Toxizität O. g. Nebenwirkungen, Flush (Rötung des Gesichtes). Therapie: Basismaßnahmen, symptomatische Therapie, bei positivem Physostigmintest: Physostigmin als Antidot i.v.
Dosierung • Erwachsene: 20 - 40 mg langsam i.v., Tageshöchstdosis: 100 mg. • Kinder und Jugendliche: 0,3 - 0,6 mg langsam i.v., Tageshöchstdosis: 1,5 mg / kg KG. • Säuglinge / Kleinkinder: 5 mg langsam i.v., Tageshöchstdosis: 1,5 mg / kg KG.
Wirkungsweise Relaxation der glatten Muskulatur durch anticholinerge Wirkung (im Gegensatz zu anderen Parasympatholytika wie Atropin hat N-Butylscopolamin keine zentralen Nebenwirkungen, da die gering lipophile Verbindung die Blut-Hirn-Schranke nicht passiert). WE: 3 - 5 min. WM: 20 min. WD: 20 - 30 min. HWZ: 5,1 h.
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
493
17
Cimetidin Präparate Altramet®, Cimehexal® injekt, Cimetidin Stada®, cimetidin von ct, H 2 Blockerratiopharm® 200, Tagamet® (jeweils 1 Amp. à 2 ml enth. 229 mg Cimetidin-HCl entspr. 200 mg Cimetidin; außerdem bei Tagamet® Amp. à 4 ml / 10 ml mit 400 mg / 1000 mg und bei H 2 Blocker-ratiopharm® Amp. à 10 ml mit 1000 mg.
Indikationen Prophylaxe und Behandlung anaphylaktoider Reaktionen in Kombination mit H1-Rezeptor-Antagonisten (z. B. Dimetinden, s. S. 502), Therapie und Prophylaxe stressbedingter Magen-Duodenal-Ulcera (Geschwüre), unterstützend zur Therapie von Blutungen aus Erosionen (oberflächliche Schleimhautschäden) oder Ulcerationen (Geschwüre) im Magen und Zwölffingerdarm, Prophylaxe des Säureaspirationssyndroms (Mendelson-Syndrom).
Kontraindikationen [Schwangerschaft], [Stillzeit].
Nebenwirkungen Sehstörungen, Übelkeit, Erbrechen, Leibschmerzen, Depressionen, Halluzinationen, Ödeme, Sedierung, Blutdruckabfall, Herzrhythmusstörungen.
Wechselwirkungen • β-Blocker, Benzodiazepine, Antiepileptika, Antiarrhythmika, Theophyllin, Kalziumantagonisten: verstärkte / verlängerte Wirkung dieser Substanzen durch Ausscheidungsverlängerung. • Verschiedene Arzneistoffe: Inkompatibilität der Cimetidin-Lösung als Zumischung.
Dosierung • Erwachsene und Kinder: 2 - 5 mg Cimetidin / kg KG i.v. • Dosisreduktion bis zu 50 % bei eingeschränkter Nierenfunktion. • Beschränkte Anwendung bei Kindern und Jugendlichen.
Wirkungsweise Hemmung der Säuresekretion des Magens und der verzögerten Immunreaktion durch Hemmung der Histaminwirkung an H2-Rezeptoren (H2-Antihistaminikum). Cytochrom-p450-Hemmung, dadurch Akkumulation vieler Arzneistoffe. HWZ: 2 h.
494
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Clemastin Präparat Tavegil® (1 Amp. à 5 ml enth. 2,68 mg Clemastinhydrogenfumarat entspr. 2 mg Clemastin).
Indikationen Allergien, anaphylaktischer Schock, durch Histaminausschüttung bedingte Komplikationen in der Anästhesie.
Notfallmedikamente
Kontraindikationen Engwinkelglaukom, Säuglinge, [Schwangerschaft], [Stillzeit].
Nebenwirkungen Tachykardie, zentralnervöse Dämpfung, Krämpfe, Pupillenerweiterung, Mundtrockenheit.
Wechselwirkungen • Zentraldämpfende Pharmaka, Alkohol: zentraldämpfende Wirkung verstärkt. • MAO-Hemmer: Verlängerung und Verstärkung der anticholinergen Wirkungen von Clemastin.
Toxizität Hohe Toxizität für Kinder! Peripher vagolytische Wirkung: Pupillenerweiterung, Sehstörungen, Mundtrockenheit. Zentralnervöse Wirkung: Delirien, u. U. Halluzinationen bzw. Erregungszustände, Muskelzuckungen, Rigidität (v. a. bei Kindern), Athetosen (wurmförmige, langsame Bewegungsabläufe), klonisch-tonische Krämpfe, meist mit Erbrechen, Hyperthermie. Anfängliche Reizung, dann terminale Lähmung des Atemzentrums, Kreislaufkollaps, tiefes Koma. Therapie: Basismaßnahmen, symptomatische Therapie, keine Stimulanzien (mit Ausnahme peripherer Kreislaufmittel), besondere Möglichkeiten: Diuresetherapie, Physostigmin (s. S. 546) nach positivem Physostigmintest als Antidot i.v.
Dosierung • Erwachsene: 0,015 - 0,03 mg Clemastin / kg KG langsam i.v. • Kinder: 0,02 mg Clemastin / kg KG langsam i.v.
Wirkungsweise H1-Rezeptorenblocker (Hemmung der Histaminwirkung an H 1-Rezeptoren; H1-Antihistaminikum). HWZ: 8,1 h.
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
495
17
Clonazepam Präparat Rivotril® (1 Amp. à 1 ml enth. 1 mg zur Verdünnung mit 1 ml Aqua).
Indikationen Alle Formen des Status epilepticus (s. S. 196 f.).
Kontraindikationen Medikamenten-, Drogen- und Alkoholabhängigkeit, bekannte Überempfindlichkeit gegen Benzodiazepine, Myasthenia gravis, Neugeborene (insbesondere unreife Frühgeborene),[Schwangerschaft], [Stillzeit], [Leberschäden].
Nebenwirkungen Atemdepression, Bronchialhypersekretion, Entzugssyndrom, Müdigkeit, Schwindel, Benommenheit, Kopfschmerzen, anterograde Amnesie (Gedächtnisverlust bezogen auf die Zeitspanne nach einem Ereignis, hier: Medikamentengabe), allergische Reaktionen bei Säuglingen und Kleinkindern.
Wechselwirkungen • Zentralwirksame Pharmaka, Alkohol: gegenseitige Wirkungsverstärkung. • Muskelrelaxanzien, Analgetika, Lachgas: Wirkungsverstärkung der angeführten Substanzen. • Valproinsäure (häufig verwendetes Antiepileptikum): Ausbildung eines Petit-mal-Status möglich.
Toxizität O. g. Nebenwirkungen, Somnolenz bis Koma. Therapie: Basismaßnahmen, symptomatische Therapie. S. a. Kapitel 12.
Dosierung Erwachsene: 0,5 - 1 mg langsam i.v., ggf. Wiederholung. Kinder: 0,25 - 0,5 mg langsam i.v.
Vorbereitung zur Injektion Zur Injektion darf der Ampulleninhalt von 1mg Wirkstoff in 1 ml Lösung nur nach Zusatz von 1 ml Wasser für Injektionszwecke verwendet werden. Die gebrauchsfertige Injektionslösung enthält dann 1 mg Wirkstoff in 2 ml Lösung.
Wirkungsweise Antikonvulsion, Sedierung, Anxiolyse und Muskelrelaxation durch GABAWirkungsverstärkung (GABA = γ-Aminobuttersäure). HWZ: 30-40 h.
496
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Clopidogrel Präparate Iscover®, Plavix® (1 Filmtablette enth. jeweils: Clopidogrelsulfat 97,875 mg; entspr. 75 mg Clopidogrel).
Notfallmedikamente
Indikationen • Prävention artherothrombotischer Ereignisse bei Z. n. Herzinfarkt, Z. n. ischämischem Schlaganfall oder mit nachgewiesener peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK). • Akutes Koronarsyndrom ohne ST-Streckenhebung (instabile Angina pectoris oder Non-Q-Wave-Myokardinfarkt) in Kombination mit ASS. Im Rettungsdienst kommt die Gabe von Clopidogrel bei V.a. AMI mit Kontraindikationen gegen ASS in Betracht.
Kontraindikationen Schwere Leberfunktionsstörungen, akute pathologische Blutungen, Stillzeit, [Schwangerschaft].
Nebenwirkungen Blutungen (z. B. Hämatome, Nasenbluten, gastrointestinale Blutungen, Hirnblutungen, Hämaturie, Augenblutungen), verlängerte Blutungszeit, Kopfschmerzen, Benommenheit, Parästhesien, Bauchschmerzen, Durchfall, Ausschlag und Juckreiz, anaphylaktische Reaktionen, Verwirrtheit, Halluzinationen, Geschmacksstörungen, Hypotonie, Bronchospasmus, Fieber, selten Schwindel.
Wechselwirkungen • Warfarin: Verstärkung von Blutungen. • ASS: Verstärkung der Thrombozytenaggregationshemmung. • Heparin: eine Verstärkung von Blutungen ist möglich. • NSAID: erhöhtes Risiko gastrointestinaler Blutungen möglich.
Dosierung Aufsättigung mit einer Loading-dose von 4 Tabletten (300 mg), danach 1 Tablette (75 mg) täglich. Die Anwendungsdauer kann bis zu 12 Monate betragen.
Vorsichtsmaßnahme 7 Tage vor einer geplanten Operation sollte Clopidogrel abgesetzt werden.
Wirkungsweise Hemmung der Thrombozytenaggregation durch selektive Hemmung der Bindung von Adenosindiphosphat (ADP) an dessen Thrombozytenrezeptor.
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
497
17
Diazepam I Präparate • I. V.: diazep von ct, Diazep AbZ, Diazepam Desitin®, Diazepam-®Lipuro [E], Diazepam-ratiopharm ®, duradiazepam, Faustan ®, Stesolid ® [E], Tiromne®, Valium® 10 Roche, Valium ® MM Roche [E] (jeweils 1 Amp. à 2 ml enth. 10 mg). [E]=Emulsion. • REKTAL: Diazepam Desitin® rectal tube 5 mg / 10 mg, Stesolid® Rectal Tube 5 mg / 10 mg (jeweils 1 Mikroklistier à 2,5 ml enth. 5 mg / 10 mg)
Indikationen Krampfanfälle und Status epilepticus (s. S. 196 f.), Spannungs-, Erregungs- und Angstzustände. Diazepam i.v. auch bei akuten Schmerzzuständen (z. B. Herzinfarkt) in Kombination mit Analgetika. Intoxikation mit Chloroquin (s. n. S.).
Kontraindikationen Atemdepression, Schlaf-Apnoe-Syndrom (ohne Möglichkeit adäquater Beatmung), akute Vergiftung (mit Alkohol, Schlaf- oder Schmerzmitteln, Neuroleptika, Antidepressiva, Lithium), Myasthenia gravis, Neugeborene (insbesondere unreife Frühgeborene, [Säuglinge bis zum 4. Lebensmonat], [Leberschäden], [spinale und zerebelläre Ataxien], [akutes Engwinkelglaukom], [Schwangerschaft], [Stillzeit].
Nebenwirkungen Atemdepression, Blutdruckabfall, Bradykardie, paradoxe Reaktionen (z. B. akute Erregungszustände), Verwirrtheit, Übelkeit, Erbrechen, Halluzinationen, anterograde Amnesie (Gedächtnisverlust bezogen auf die Zeitspanne nach einem Ereignis, hier: Medikamentengabe). Bei Diazepam i.v. auch Venenreizung (geringer bei best. Lösungen, z. B. Valium® MM Roche). Anaphylaxie auf Natriumdisulfit (bei Valium® MM Roche).
Wechselwirkungen • Zentralwirksame Pharmaka und Alkohol: Gegenseitige Wirkungsverstärkung. • Muskelrelaxanzien, Analgetika und Lachgas: Wirkungsverstärkung der angeführten Substanzen. • Cimetidin: Wirkungsverstärkung und -verlängerung von Diazepam.
Toxizität O. g. Nebenwirkungen, Bewusstseinsstörungen. Therapie: Basismaßnahmen, symptomatische Therapie. S. a. Schlafmittel- und Psychopharmaka-Vergiftung (Kapitel 12).
A
498 A
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Diazepam II Dosierung • Diazepam i.v.: Kinder: Erwachsene:
Notfallmedikamente
5 mg Diazepam i.v. 5 - 10 mg Diazepam i.v.; Krampfdurchbrechung: 10 - 20 mg i.v. Langsam spritzen, da schmerzhaft, Auslösung schneller Kreislaufdepression möglich und Thrombosegefahr. Stets alleine injizieren (Unverträglichkeit mit vielen Medikamenten)! Dosisreduktion bei älteren Patienten.
• Diazepam rektal: Säuglinge über 4 Monate mit weniger als 15 kg KG: 5 mg Diazepam rektal. Säuglinge und Kinder über 15 kg KG: 10 mg Diazepam rektal.
Wirkungsweise Anxiolyse (Angstlösung), Sedierung (Beruhigung; Unangenehmes wird toleriert, bei erhaltenem Bewusstsein), Amnesie, Antikonvulsion (Krampflösung) und Muskelrelaxation durch GABA-Wirkungsverstärkung (GABA = γ -Aminobuttersäure, ein Neurotransmitter) nach Bindung an spezifische Rezeptoren. WE: 1 - 3 min. WD: 0,5 - 3 Stunden. HWZ: 24 - 48 h (a. M.: 50 - 80 h).
Vorsichtsmaßnahmen Vorsicht bei älteren Patienten sowie Patienten mit hirnorganischen Veränderungen, Kreislauf- und Ateminsuffizienz: längere Halbwertzeit, Toleranz vermindert, gelegentlich paradoxe Reaktion. Eine paravenöse Injektion verursacht heftige Schmerzen.
Verwendung als Antidot Diazepam findet außerdem Verwendung im seltenen Fall einer Chloroquin-Vergiftung (Resochin ®, Malariamittel). Bei Herzrhythmusstörungen und anderen Zeichen eines toxischen Myokardversagens erweist sich Diazepam als lebensrettend. Der Wirkmechanismus ist unklar. Anwendung nach Rücksprache mit der Vergiftungszentrale; Dosierung: 1-2,5 mg/kg KG i.v. - ggf. Fortführung der Therapie über mehrere Tage.
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
499
17
Digoxin / Metildigoxin Präparate Dilanacin® inject (1 Amp. à 2 ml enth. 0,5 mg Digoxin), Lanicor® (1 Amp. à 1 ml enth. 0,25 mg Digoxin), Lanitop® (1 Amp. à 2 ml enth 0,2 mg Metildigoxin), Novodigal® (1 Amp. à 1 / 2 ml enth. 0,2 / 0,4 mg Digoxin).
Indikationen Supraventrikuläre Tachykardien mit Vorhofflattern oder -flimmern, paroxysmale supraventrikuläre Tachykardie, [Herzinsuffizienz - s. u.!].
Kontraindikationen Bradykarde Erregungsbildungs- und Erregungsleitungsstörungen (z. B. AV-Block II° / III°), Kammertachykardie, Kammerflimmern, WPW-Syndrom und LGL-Syndrom, Karotissinussyndrom, Volldigitalisierung, Herzglykosidvergiftung, Hypokaliämie, [Hyperkaliämie], Hyperkalzämie, thorakales Aortenaneurysma, hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie, akuter Myokardinfarkt, Myokarditis, [Schwangerschaft], [Stillzeit].
Nebenwirkungen Herzrhythmusstörungen (insbes. ventr. Extrasystolen, Kammertachykardie, AVBlock I° bis III°), EKG-Veränderung (muldenförmige ST-Senkung), Übelkeit, häufig Erbrechen, Sehstörungen, zentralnervöse Störungen.
Wechselwirkungen • Kalziumsalze (i.v.): Gefahr des Herzstillstandes. • Kalziumantagonisten, Diuretika, Kortikoide, Penizillin, Salizylate: Glykosidwirkung verstärkt. • Succinylcholin, Sympathomimetika, Phosphodiesterasehemmer: Gefahr von Herzrhythmusstörungen erhöht. • β-Rezeptorenblocker, Antiarrhythmika: Bradykardie, AV-Block.
Toxizität O. g. Nebenwirkungen. Therapie: Basismaßnahmen, symptomatische Therapie, in der Klinik: Elektrolytkorrektur, ggf. Digitalis-Antitoxin, ggf. Gabe von Cholestyramin - Unterbrechung des enterohepatischen Kreislaufs.
Dosierung (Erwachsene) 0,2 - 0,3 mg Metildigoxin bzw. 0,25 - 0,375 mg Digoxin langsam i.v., abhängig von der sonstigen Digitalisbehandlung (mittelschnelle Aufsättigung).
Wirkungsweise Hemmung der Na+-K+-ATPase mit Vermehrung des freien Ca2+ in der Herzmuskelzelle; positiv inotrop und bathmotrop, negativ chronotrop und dromotrop. Im RD spielt Digitalis als Inotropikum eine untergeordnete Rolle (i. d. R. Katecholamine bevorzugt). Hauptbedeutung: Verlangsamung der AV-Überleitung bei supraventrikulären Tachykardien mit rascher Überleitung. WE: 5-30 min. WM: 0,53 h. WD: 3-6 d. HWZ von Digitoxin: 36 h. HWZ von Metildigoxin: 42 h (a. M. 36 h).
500
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Dihydralazin Präparat Nepresol® inject (1 Amp. enth. 25 mg in Trockensubst. zur Lsg. mit 2 ml Aqua).
Indikationen Akute hypertensive Krise, hypertensive Gestosen (Präeklampsie, Eklampsie - s. Kapitel 10).
Notfallmedikamente
Kontraindikationen Schwere Tachykardie, hochgradige Koronarstenosen, Aortenaneurysma, Herzklappenstenosen, Lupus erythematodes (Autoimmunerkrankung), hypertrophe Kardiomyopathie (Herzmuskelerkrankung mit Erweiterung des Herzens), isolierte Rechtsherzinsuffizienz infolge pulmonaler Hypertonie, [1. Schwangerschaftsdrittel], [Leber- und Niereninsuffizienz].
Nebenwirkungen Orthostatische Hypotonie, Schwindel, Tachykardie, pektanginöse Beschwerden, Tremor (Fingerzittern) und Muskelkrämpfe, Kopfschmerzen, gastrointestinale Störungen (z. B. Übelkeit, Erbrechen), allergische Reaktionen, Flush, Parästhesien.
Wechselwirkungen • β-Rezeptorenblocker, ACE-Hemmer, Calciumantagonisten, Hypnotika, Sedativa: gegenseitige Wirkungsverstärkung. • Diuretika, negativ inotrope Antiarrhythmika, Vasodilatatoren, trizyklische Antidepressiva, MAO-Hemmer, Narkotika, Neuroleptika, Isoniazid: Wirkungsverstärkung von Dihydralazin.
Dosierung Erwachsene: 6,25 - 12,5 mg langsam (über 2 Minuten) i.v., dann a) Wiederholungsgabe (6,25 - 12,5 mg) nach 20 - 30 min möglich oder b) 25 mg als Tropfinfusion i.v. (4,0 bis 12,5 mg / h). Ständige Puls- und Blutdruck-Kontrolle!
Wirkungsweise Direkte relaxierende Wirkung auf die Gefäßmuskulatur ➯ periphere Gefäßerweiterung ➯ Blutdruckabfall. WE: 5 min. HWZ: 4 - 5 h. WD: 6-8 h.
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
501
17
Dimenhydrinat Präparat Vomex A (1 Amp. à 10 ml enth. 62mg)
Indikationen Übelkeit, Erbrechen, Schwindel
Kontraindikationen Epilepsie, Eklampsie, Porphyrie, < 6 kgKG, Engwinkelglaukom, letztes SSD, Stillzeit, akute Vergiftungen, Aminoglykosidtherapie.
Nebenwirkungen Müdigkeit, Unruhe, Krämpfe, anticholinerge Nebenwirkungen (Mundtrockenheit, Miktions- und Akkomodationsstörungen).
Wechselwirkungen • Zentral wirksame Pharmaka: Wirkungsverstärkung • MAO-Hemmer, trizyklische Antidepressiva, Parasympathomimetika: verstärkte anticholinerge Nebenwirkungen • Blutdrucksenkende Medikamente: Wirkungsverstärkung • Lösung nicht mit Aminophyllin, Heparin, Hydrocortison, Phenobarbital, Phenytoin, Prednisolon, Promazin oder Promethazin mischen (inkompatibel)!
Toxizität Oben genannte Nebenwirkungen, Halluzinationen, Hyperthermie, Mydriasis, Atembeschwerden, Tachykardie, Sedierung.
Dosierung • Erwachsene: • Kinder:
62 mg (1 Ampulle) i.v., ggf. wdh. 1-2 mg/kgKG i.v.
Wirkungsweise Antihistaminikum mit antiemetischer Wirkung. Als klassischer H1-Blocker auch anticholinerge und sedierende Komponente.
502
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Dimetinden Präparat Fenistil® (1 Amp. à 4 ml enth. 4 mg).
Indikationen Behandlung und Prophylaxe allergischer Reaktionen.
Kontraindikationen Notfallmedikamente
[Säuglinge], [Schwangerschaft], [Stillzeit].
Nebenwirkungen Sedierung, Müdigkeit, Wärmegefühl, Übelkeit, Brustbeklemmung, Kopfschmerzen, Sehstörungen, Muskelzittern.
Wechselwirkungen • Zentraldämpfende Pharmaka und Alkohol: zentraldämpfende Wirkungen verstärkt. • Trizyklische Antidepressiva: kann bei glaukomgefährdeten Patienten einen Anfall auslösen.
Toxizität Hohe Toxizität für Kinder! Die Vergiftung verläuft i. d. R. dreiphasig: Sedierung, Erregung, Koma mit kardiorespiratorischer Dekompensation. Peripher vagolytische Wirkung: Pupillenerweiterung mit Sehstörungen, Mundtrockenheit. Zentralnervöse Wirkung: Delirium, Halluzinationen und Muskelzuckungen bis hin zu klonischtonischen Krämpfen (meist mit Erbrechen), Hyperthermie, nach anfänglicher Atemstimulation Atemlähmung. Kreislaufkollaps, tiefes Koma. Therapie: Basismaßnahmen, symptomatische Therapie. Beachte: keine Stimulanzien (mit Ausnahme peripherer Kreislaufmittel). Besondere Möglichkeiten: Diuresetherapie, Physostigmin i.v. (s. S. 546)
Dosierung • 0,1 mg Dimetindenmaleat je kg KG langsam i.v. • Kombination mit einem H2-Antagonisten wie z. B. Cimetidin (2 - 5 mg Cimetidin je kg KG i.v. - s. S. 493).
Wirkungsweise H1-Rezeptorenblocker (Antihistaminikum): verdrängt Histamin kompetitiv am H1-Rezeptor. WE: 15 - 20 min. WZ: 5 - 7 h.
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
503
17
Dobutamin Präparate Trockensubst.: Dobutamin AWD / Fresenius / Giulini® / Hexal® / Parke-Davis® / ratiopharm® / Solvay®, Dobutrex® (jeweils 1 Inj.-Fl. enth. 280 mg Dobutamin HCl entspr. 250 mg Dobutamin in 530 mg Trockensubst. zur primären Lsg. mit 10 ml Aqua; zur primären Lsg. Salzlösungen vermeiden!). Konzentrat: Dobutrex®-Liquid (1 Inj.-Fl. à 20 ml enth. 250 mg). Infusionslösung: Dobutamin Liquid Fresenius® / Hexal ®-infus / Solvay® 250 infus (1 Fl. à 50 ml enth. 250mg)
Indikationen Akut dekompensierte Herzinsuffizienz, kardiogener Schock, Low-Output-Syndrom nach Reanimation. Zu den genannten Indikationen s. a. Kapitel 5 und 8.
Kontraindikationen Hypovolämischer Schock, Tachyarrhythmie, mech. Behinderung von Ventrikelfüllung und/oder Auswurf (z. B. hypertrophe Kardiomyopathie, Perikardtamponade, Aortenstenose), [MAO-Hemmer], [Sulfitüberempfindlichkeit (Asthmatiker)].
Nebenwirkungen Kammerflimmern, VES, plötzlicher RR-Abfall, Hypertonie, Tachykardie, pektanginöse Beschwerden, Kopfschmerzen, Übelkeit, bei best. Präparaten (z. B. Dobutamin ratiopharm® / Solvay®, Dobutrex®-Liquid) Überempfindlichkeitsreaktionen auf Natriumdisulfit: Erbrechen, Asthmaanfall, Schock.
Wechselwirkungen • β-Rezeptorenblocker: Verminderung der positiven Inotropie. • α-Rezeptorenblocker: Tachykardie, periphere Vasodilatation. • ACE-Hemmer: Anstieg des HZV; O2-Verbrauch des Myokards erhöht. • MAO-Hemmer: lebensbedrohliche Nebenwirkungen (hypertensive Krise, Kreislaufversagen, Rhythmusstörungen und intrakranielle Blutungen). • Dopamin: ausgeprägter Blutdruckanstieg. • Diverse Pharmaka: Unverträglichkeit mit Dobutamin (nicht mischen).
Dosierung • 2 - 10 μg / kg KG / min i.v. über ein exaktes Dosiersystem, z. B. eine Spritzenpumpe. Dosierung je nach Wirkung anpassen. • Kombination mit Dopamin erwägen (Dobutamin: positiv inotrop / Dopamin: α-Stimulation - Gefäßverengung und Verbesserung der Nierendurchblutung). • Regelmäßige Kontrolle der Kreislaufparameter notwendig! Beachte: Eine Rosaverfärbung der Lsg. beruht auf leichter Wirkstoffoxidation, ist aber bei sachgerechter Aufbewahrung / Verwendung unbedenklich (Fresenius).
Wirkungsweise Steigerung von Herzkraft und Koronarperfusion durch β1-Stimulation. Bei Dosissteigerung zunehmende Tachykardie. Zunahme des O2-Verbrauchs (Herzmuskel). Milde periphere Vasodilatation (β2). WE: 1-2 min. WM: 10 min. HWZ: 2-3 min.
504
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Dopamin Präparate
Notfallmedikamente
200 mg / 5 ml bzw. 200 mg / 10 ml (jeweils 1 Amp. à 5 bzw. 10 ml enth. 200 mg): Cardiosteril®, Dopamin 200-Nattermann® [200/5] / Fresenius 200 mg [200/5] / Giulini® 200 [200/10] / -ratiopharm® 200 [200/10] / Solvay® 200 [200/10]. 50 mg / 5 ml (jeweils 1 Amp. à 5 ml enth. 50 mg): Dopamin / Fresenius 50 mg / Giulini® 50 / -ratiopharm® 50 / Solvay® 50. 250 mg / 50 ml, 500 mg / 50 ml (jeweils 1 Amp. à 50 ml enth. 250/500 mg): Dopamin Fresenius 250 mg (500 mg) / Giulini® 250 (500) / Solvay® 250 (500) Infus.
Indikationen Schockzustände (vor allem kardiogen und septisch), schwere Hypotension, LowOutput-Syndrom nach CPR. Zu den genannten Indikationen s. a. Kapitel 5 und 8.
Kontraindikationen Tachykarde Herzrhythmusstörungen, Engwinkelglaukom, [Hyperthyreose], [Phäochromozytom (katecholaminproduzierender Tumor)], [Asthmatiker mit Sulfitüberempfindlichkeit (s. u.)], [Schwangerschaft], [Stillzeit].
Nebenwirkungen Tachykardie, Hypertonie, ventrikuläre Herzrhythmusstörungen, Erhöhung des O2Bedarfs am Herzmuskel, pektanginöse Beschwerden, Schock, Tremor, Kopfschmerzen, gelegentlich allergische Reaktionen; bei best. Präparaten (z. B. Dopaminratiopharm ® 50/200, D. Solvay ® 50/200/250 (500) Infus) Überempfindlichkeitsreaktionen auf Natriumdisulfit: Erbrechen, Asthmaanfall, Schock.
Wechselwirkungen • Trizyklische Antidepressiva, Sympathomimetika, Diuretika, Antihistaminika, MAO- Hemmer, Schilddrüsenhormone, Reserpin, Guanethidin: sympathomimetische Wirkung verstärkt. • Trizyklische Antidepressiva: verstärkte Neigung zu Herzrhythmusstörungen. • Phenytoin: Blutdruckabfall, Bradykardie. • Alkalische Lösungen, Theophyllin, Furosemid, Heparin, Sterofundin® u. a.: Unverträglichkeit mit Dopamin (nicht mischen).
Dosierung • 2 - 10 μg / kg KG / min i.v. über ein exaktes Dosiersystem, z. B. eine Spritzenpumpe. Dosierung an Wirkung anpassen. Regelmäßige Kreislaufkontrolle! • 5ml-/10ml-Ampullen nie unverdünnt verwenden. • Kombination mit Dobutamin erwägen. Hypovolämie vor Therapie ausgleichen!
Wirkungsweise Im Niedrigdosisbereich (2 - 3 μg / kg KG / min) Stimulation der Dopaminrezeptoren in den Nierenarteriolen (verbesserte Nierendurchblutung). Im mittleren und höheren Dosisbereich α1-sympathomimetische Wirkung (periphere Vasokonstriktion) und β1-mimetische Wirkung (positiv inotrop u. chronotrop). HWZ: 1-5 min.
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
505
17
Enalaprilat Präparate Pres® i.v., Xanef® i.v. (jeweils 1 Amp. à 1,25 ml enth. 1,25 mg).
Indikationen Hypertonie, Herzinsuffizienz (zusätzlich zur Diuretika- / u. ggf. Digitalis-Therapie; Vorsicht bei akutem Herzinfarkt). Zu den genannten Indikationen s. a. Kapitel 8.
Kontraindikationen Aorten- / Mitralklappenstenose, aktuelle Desensibilisierung gegen Insektengifte, LDL-Apherese, primärer Hyperaldosteronismus, angioneurotisches Ödem, Nieren- oder Lebererkrankung, Enalaprilat-Überempfindlichkeit, Schwangerschaft, Kind, Anwendung von best. High-Flux-Membranen, [Stillzeit], [Proteinurie], Elektrolytstörung, [gestörte Immunreaktion], [Kollagenkrankheit], [Alter > 65 Jahre].
Nebenwirkungen Übermäßige symptomatische Blutdrucksenkung (versch. Befindlichkeitsstörungen, Synkope), Tachykardie, Herz-Rhythmusstörungen, Angina pectoris, Herzinfarkt, Apoplexie, Husten, Bronchospasmus, Atemnot, gastrointestinale Störungen, Überempfindlichkeitsreaktionen, Blutbildveränderungen, Leber- und Nierenfunktionsstörungen, Ödem (auch Epiglottis, tritt z.T. auch nach längerer ACEHemmereinnahme u.U. akut auf), Übelkeit.
Wechselwirkungen • Antihypertonika (Diuretika), Narkotika: verstärkte Blutdrucksenkung. • Analgetika, Antiphlogistika: verminderte Blutdrucksenkung. • Insulin, orale Antidiabetika: verstärkte Blutzuckersenkung.
Toxizität O. g. Nebenwirkungen, Bradykardie, Schock, Nierenversagen. Therapie: Basismaßnahmen; ggf. Adrenalin, Antihistaminika, symptomatische Therapie.
Dosierung (Erwachsene) Hypertonie: 1,25 mg über 5 min i.v., ggf. nach 1 h wiederholen. Herzinsuffizienz: 0,625 mg über 1 h i.v., ggf. wiederholen. Verabreichung jeweils unter ständiger (Blutdruck-) Überwachung! Dosisreduktion bei Herz- oder Niereninsuffizienz!
Wirkungsweise Angiotensin-Converting-Enzym-(ACE)-Hemmer; die Umwandlung von Angiotensin I zum vasokonstriktorischen Angiotensin II wird vermindert. WE: wenige min. WM: 1 - 4 h. HWZ: 1 h.
506
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Esmolol Präparat Brevibloc® (10 ml enth. 100 mg (Inf.-Lsg.) bzw. 2,5 g (Inf.-Lsg.-Konzentrat)).
Indikationen Supraventrikuläre Tachykardien (außer Reentry-Mechanismen), Sinustachykardie, hypertensive Krise, hyperkinetisches Herzsyndrom.
Notfallmedikamente
Kontraindikationen Bradykardie, Asthma bronchiale, höhergradige SA- oder AV-Blockierungen, Schock, Azidose, Therapie mit MAO Hemmern, [Nieren- / Leberinsuffizienz], [Herzinsuffizienz], [Diabetes].
Nebenwirkungen Bronchospasmus, Blutdruckabfall, Bradykardie, selten AV-Block, Synkope, Lungenödem, Benommenheit, Halluzinationen, Übelkeit, Erbrechen, Anstieg der Herzfrequenz nach Infusionsende.
Wechselwirkungen • Antihypertensiva, Narkotika, Psychopharmaka: blutdrucksenkende Wirkung von Esmolol verstärkt. • Clonidin, Herzglykoside, Fentanyl: erhöhte Bradykardiegefahr. • Calciumantagonisten: kardiodepressive Wirkung von Esmolol verstärkt. • Succinylcholin: neuromuskuläre Blockade verlängert. • Morphin: Esmololspiegel erhöht.
Toxizität Verschlechterung der kardialen Situation, Bewusstlosigkeit, Krampfanfälle, Hypotonie, Bradykardie bis Asystolie. Spontane Rückbildung der Symptome nach 30 min möglich (kurze HWZ). Therapie: Basismaßnahmen, symptomatische Therapie.
Dosierung • Initialer Bolus von 0,5 mg Esmolol je kg KG i.v. • Zusätzlich eine Erhaltungsdosis von 0,05 mg / kg KG / min i.v. • Bei ausbleibender Wirkung erneute Bolusgabe (maximal 50 - 100 mg Bolus gesamtmenge) und Steigerung der Erhaltungsdosis bis maximal 0,2 mg / kg KG / min möglich. Kardiodepressive Wirkung beachten! • Zum Vorgehen bei supraventrikulärer Tachykardie vgl. S. 127 ff.
Wirkungsweise β-Rezeptorenblocker mit vorwiegender Wirkung auf kardiale β1-Rezeptoren, wirkt negativ chronotrop, dromotrop, bathmotrop und inotrop. HWZ: 9 min.
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
507
17
Ethanol Präparat Alkohol-Konzentrat 95 % Braun (1 Amp. à 20 ml Infusionslösungskonzentrat enth. 15 g entspr. 19 ml Ethanol).
Indikation Vergiftung mit Methanol ab einer Aufnahme von mehr als 100 mg / kg KG.
Kontraindikationen [bekannte Epilepsie], [Schwangerschaft], [Stillzeit].
Nebenwirkungen Siehe Alkoholvergiftung (Blutalkoholkonzentration ≥ 1 ‰).
Wechselwirkung • Zentraldämpfende Pharmaka: Gegenseitige Wirkungsverstärkung.
Toxizität Siehe Alkoholvergiftung (Kapitel 12).
Dosierung Initial: 600 mg / kg KG als 5 %ige Lösung langsam i.v. (bei einer Konzentration von mehr als 5 % besteht Nekrosegefahr!), anschließend 100 mg / kg KG / h über ein exaktes Dosiersystem (z. B. Spritzenpumpe) als Erhaltungsdosis. Dies entspricht einer therapeutischen Blutalkoholkonzentration von 1 Promille.
Wirkungsweise Verdrängung des Methanols aus dem Stoffwechsel und damit Vermeidung toxischer Abbauprodukte. Konstanter Abbau von 100 mg Ethanol je kg KG und Stunde (gesunde Leber vorausgesetzt).
A
508
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Etilefrin Präparat Effortil® (1 Amp. à 1 ml enth. 10 mg) - bei Drucklegung in Deutschland außer Handel; die Bereitstellung erfolgt z.T. über Import aus dem Ausland und Eigenherstellung durch Apotheken größerer Kliniken. Alternative: Akrinor® (s. S. 562).
Indikationen
Notfallmedikamente
Hypotonie, Herzkreislaufversagen, orthostatische Dysregulation, schockbedingte Kreislaufstörungen.
Kontraindikationen Koronare Herzkrankheit (KHK), Herzinfarkt, tachykarde Herzrhythmusstörungen, Hypertonie, [Thyreotoxikose], [Engwinkelglaukom], [schwere Niereninsuffizienz], [Cor pulmonale], [Phäochromozytom (katecholaminproduzierender Tumor)], [sklerotische Gefäßveränderungen], [Schwangerschaft (wegen teratogener Wirkung)], [Stillzeit].
Nebenwirkungen Tachykardie, ventrikuläre Herzrhythmusstörungen, hypertensive Reaktionen (z. T. mit Kopfschmerzen), pektanginöse Beschwerden, Unruhe, Schwitzen, Schwindelgefühl, Tremor (Fingerzittern). Etilefrin kann ein Engwinkelglaukom auslösen.
Wechselwirkungen • Guanethidin, trizyklische Antidepressiva, Reserpin, Sympathomimetika, Schilddrüsenhormone, Antihistaminika, MAO-Hemmer: sympathomimetische Wirkung verstärkt. • α- bzw. β-Rezeptorenblocker: Blutdruckabfall bzw. -anstieg mit Bradykardie. • Herzglykoside: Herzrhythmusstörungen.
Toxizität Ausgeprägte Tachykardie, Arrhythmie, mäßige Hypertension. Therapie: Basismaßnahmen, symptomatische Therapie.
Dosierung Erwachsene: 2 - 10 mg Etilefrin-HCl langsam i.v. Es empfiehlt sich, 1 Amp. mit NaCl 0,9 % auf 10 ml zu verdünnen und in 1-ml-Schritten langsam bis zum ausreichenden Wirkungseintritt zu verabreichen (Titration).
Wirkungsweise Stimulation von β1- (positiv chronotrop und inotrop) und α-Rezeptoren (periphere Gefäßverengung) ➯ Blutdruckanstieg. WE: 30 - 60 s. WM: 2 min. WD: 30 - 60 min. HWZ: 2,5 h.
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
509
17
Etomidat Präparate Etomidat-®Lipuro, Hypnomidate® (jeweils 1 Amp. à 10 ml enth. 20 mg).
Indikationen Kurzzeithypnose (z. B. für Intubation, Kardioversion), Narkoseeinleitung. • Anwendung nur, wenn die endotracheale Intubation beherrscht wird und die Möglichkeit zur künstlichen Beatmung besteht! • Der vorsichtige Einsatz bei Patienten mit erhöhtem Hirndruck und labilen Herz-Kreislaufverhältnissen/kardialen Vorerkrankungen ist - im Gegensatz zu anderen Hypnotika - möglich und damit ein Haupteinsatzgebiet für Etomidat.
Kontraindikationen [Schwangerschaft (wegen möglicher embryotoxischer Wirkung des Lösungsvermittlers)], [Stillzeit].
Nebenwirkungen Atemdepression, Atemstillstand, Übelkeit, Erbrechen, Venenreizung (Schmerzen bei Injektion, Thrombophlebitis), Herzrhythmusstörungen, Krämpfe (Myoklonien; nicht im Sinne eines zerebralen Krampfanfalls!).
Dosierung • 0,1 - 0,3 mg Etomidat / kg KG i.v.; Wiederholungsdosis: 0,1 mg / kg KG i.v. • Mit Analgetika kombinieren, da keine analgetische Wirkung! • Bei normgewichtigen Erwachsenen (70 kg) soll für eine Narkose eine Gesamtdosis von 60 mg Etomidat nicht überschritten werden. • Dosisreduktion bei Leberzirrhose oder gleichzeitiger Gabe von Sedativa, Opiaten oder Neuroleptika. • Kinder unter 6 Jahre: lokale Unverträglichkeit durch Venenreizung der noch kleinen Blutgefäße. • Etomidat darf nur intravenös injiziert werden.
Wirkungsweise Schnell und kurzwirksames Hypnotikum; Schlafinduktion, Bewusstlosigkeit, zentrale Dämpfung, nur geringe negativ inotrope Wirkung am Herzen, im Vergleich zu anderen Hypnotika geringe Atemdepression. WE: 10 - 20 s. WD: 3 - 6 min. HWZ: 30 - 75 min.
510
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Fenoterol i.v. Präparate Partusisten® (1 Amp. à 10 ml enth. 0,5 mg), Partusisten® intrapartal (1 Amp. à 1 ml enth. 0,025 mg).
Indikationen Geburtshilfliche Notfälle zur Uterusrelaxation (Tokolyse; Notfallspektrum s. Kapitel 10). Optimale Voraussetzung ist ein physiologisches EKG.
Notfallmedikamente
Kontraindikationen Frischer Herzinfarkt, Tachykardie und tachykarde Arrhythmie, Herzerkrankungen (z. B. Myokarditis), WPW-Syndrom, Hyperthyreose, [hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie], [EPH-Gestose], schwere Leber- und Nierenerkrankungen, Phäochromozytom.
Nebenwirkungen Tachykardie mit Herzklopfen, ventrikuläre Herzrhythmusstörungen, Pektangina, Blutdruckabfall, Unruhe, Tremor, Hyperglykämie, Lungenödem.
Wechselwirkungen • β-Rezeptorenblocker: Abschwächung der Fenoterol-Wirkung. • Kortikosteroide: evtl. Lungenödem. • Xanthinderivate (z. B. Koffein, Theophyllin), Sympathomimetika, MAOHemmer, trizyklische Antidepressiva: verstärkte kardiale Wirkungen, Überdosierungserscheinungen. • Fentanyl, Droperidol: Schocksymptomatik (periphere Vasodilatation verstärkt). • Jonosteril®, Plasmasteril®, Sterofundin®, Totofusin®: Unverträglichkeit!
Toxizität O. g. Nebenwirkungen, Gesichtsrötung, systolische Blutdrucksteigerung und diastolische Blutdrucksenkung (➯ Amplitudenvergrößerung), Lungenödem, Hustenreiz, Zyanose, Dyspnoe, Übelkeit. Therapie: Basismaßnahmen, symptomatische Therapie, Sedativa, Tranquilizer (in leichten Fällen), sonst β(1)-Rezeptorenblocker, forcierte Diurese.
Dosierung • Akutbehandlung: bis zu 0,025 mg (verdünnt auf 5 ml) über 2-3 min i.v. • Danach: 0,8 - 4 μg Fenoterol pro Minute über eine Spritzenpumpe i.v. Nur verdünnt (mit Glucose 5% oder NaCl 0,9 %) verwenden. Therapieabbruch / Dosisreduktion erwägen bei Dyspnoe, HF > 130/min, gehäuften Extrasystolen. Ggf. ergänzend oder alternativ Magnesium einsetzen (s. S. 531).
Wirkungsweise Uterusrelaxation durch β2-Stimulation. HWZ: 3,2 h.
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
511
17
Fenoterol Spray Präparate Aruterol®, Berotec® N 100 (300 bzw. 200 Einzeldosen à 0,1 mg).
Indikation Asthma bronchiale.
Kontraindikationen Tachyarrhythmie, Tachykardie, frischer Herzinfarkt, Koronare Herzkrankheit (KHK), [Hyperthyreose], [hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie], [Phäochromozytom], [kreißende Patientin, s.u.], [Kinder unter 4 Jahren].
Nebenwirkungen Tachykardie, Herzklopfen, ventrikuläre Herzrhythmusstörungen, RR-Anstieg/Abfall, paradoxe Bronchospasmen, Unruhe, Tremor, Schwindel,Kopfschmerzen.
Wechselwirkungen • β-Rezeptorenblocker: Wirkungsverminderung von Fenoterol, evtl. Bronchospasmen. • β2-Adrenergika, Anticholinergika, Kortikosteroide und Xanthinderivate, MAO-Hemmer, trizyklische Antidepressiva: Wirkungsverstärkung von Fenoterol, vermehrt Nebenwirkungen (Herz-Kreislauf). • Xanthinderivate, Kortikosteroide, Diuretika, Digitalisglykoside: Hypokaliämiegefahr.
Dosierung Erwachsene (und Kinder ab 6 Jahren): initial 1(- 2) Hübe zu je 0,1 mg Fenoterol (sofern nicht innerhalb der letzten 2-3 h selbst angewendet); Sprayinhalation mit Vorschaltkammer (Spacer) beim Einatmen nach maximaler Exspiration! Je nach Wirkung nach 5-10 min max. 1 - 2 weitere Hübe möglich; bis zur nächsten Gabe mind. 3 h Pause. Tageshöchstdosis: 8 Hübe (keine stärkere Wirkung, aber vermehrt Nebenwirkungen, v.a. kardial). Bei stark eingeschränkter Atemexkursion (Status) oder fehlender Kooperation statt Spray besser Vernebelung (z.B. Salbutamol, S. 555) oder i.v.-Betamimetikum (z.B. Reproterol, S. 553) verwenden.
Wirkungsweise Relaxierende Wirkung auf die glatte Muskulatur (z. B. Bronchien, Gefäße) durch β2Sympathomimetik, positiv inotrope und chronotrope Wirkung durch geringere β1-Stimulation. WE: wenige min. WM: 60-120 min. HWZ: 3,2 h. WD: 3-5 h.
Warnhinweis Von zahlreichen Autoren wird zur Tokolyse die Anwendung des Fenoterol-Dosieraerosols propagiert. Diese Aussage ist jedoch nicht einwandfrei! Im Gegenteil ist diese Idee gefährlich (zur Begründung s. S. 305). Für die Tokolyse ist aufgrund der Pharmakokinetik nur intravenöses Fenoterol geeignet und zugelassen (s. S. 510), ggf. ergänzend oder alternativ Magnesium (s. S. 531).
512 BtM
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Fentanyl Präparate Fentayl Braun / Curamed / Hexal® / Janssen® / Parke-Davis® (1 Amp. à 2 / 10 ml enth. 0,157 / 0,785 mg Derivat entspr. 0,1 / 0,5 mg).
Indikationen Schwere Schmerzzustände, Kombinationsnarkosen.
Notfallmedikamente
Kontraindikationen Medikamenten-, Drogen- und Alkoholabhängigkeit, Koliken, Pankreatitis, Gallenwegserkrankungen, [Hypovolämie], [Schwangerschaft], [Phäochromozytom], [Bradyarrhythmie].
Nebenwirkungen Atemdepression bis Atemstillstand, Hypotension, orthostatische Regulationsstörungen, Bronchospasmen, Hustenreiz, Übelkeit, Erbrechen, Pupillenverengung, Mundtrockenheit, Bradykardie bis Asystolie, zerebrale Krampfanfälle (insbes. bei Kindern und höheren Dosen), Schwindel, Kopfschmerzen, Schwitzen.
Wechselwirkungen • Zentraldämpfende Pharmaka und Alkohol: Wirkungs- und Nebenwirkungsverstärkung, insbesondere der Atemdepression; Atemstillstand möglich ! • Midazolam: Blutdruckabfälle. • MAO-Hemmer: lebensbedrohliche Nebenwirkungen auf ZNS, Atmung und Kreislauf nicht auszuschließen.
Toxizität S. Opiatintoxikation (Kapitel 12)
Dosierung • Analgesie: 0,001 - 0,0015 mg / kg KG i.v. (0,05-0,1 mg) • Narkose: 0,005 - 0,008 mg / kg KG i.v. (0,35 - 0,5 mg) Hinweis: Bei Fentanyl handelt es sich um einen hochpotenten Wirkstoff, mit dessen Wirkung der Anwender vor der Gabe vertraut sein sollte.
Wirkungsweise Opiatagonist: analgetische und sedierende Wirkung; Beeinflussung der Schmerzempfindung auf verschiedenen Ebenen des ZNS durch Bindung an Opioidrezeptoren (vgl. S. 454). WE: 20 s. WD (Narkose): 10 min. WD (Analgesie): 20 - 30 min. WD (Atemdepression): 60 - 90 min. WM: 5-10 min. HWZ: 2 - 4 h.
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
513
17
Flumazenil Präparate Anexate® 0,5 / 1,0 (1 Amp. à 5 / 10 ml enth. 0,5 / 1 mg).
Indikation Aufhebung der zentral dämpfenden Wirkung von Benzodiazepinen (diagnostisch und / oder therapeutisch).
Kontraindikationen Im Notfall keine. Vorsicht bei Patienten, die Benzodiazepine als Medikation bei Epilepsie oder Angstzuständen erhielten.
Nebenwirkungen Blutdruck- und Herzfrequenzschwankungen, Entzugserscheinungen bei Abhängigen (Tremor, Hypertonie, Herzrasen), Übelkeit, Erbrechen, nach schneller Injektion Herzklopfen und Angstgefühle.
Dosierung Erwachsene: Initial 0,2 mg i.v., nach 60 Sekunden, je nach Bewusstseinsgrad, erneut 0,1 mg i.v., weitere Gaben möglich, bis zu einer Gesamtdosis von 1 mg.
Warnhinweise • Bei bestehender Ateminsuffizienz hat die Beseitigung der Hypoxie durch Basismaßnahmen absolute Priorität. • Überschießender Hirndruckanstieg bei Patienten mit schwerem Schädel-HirnTrauma und instabilem intrakraniellen Druck durch die Aufhebung der Benzodiazepinwirkung möglich. • Die Wirkungsdauer von Flumazenil ist kurz und endet in der Regel vor Abklingen der Benzodiazepinwirkung. ➯ Überwachung des Patienten!
Wirkungsweise Verdrängung der Benzodiazepine von Benzodiazepin-Rezeptoren. WD: 1 h. HWZ: 53 min.
A
514
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Furosemid Präparate durafurid®, Furanthril®, furo 20 von ct, Furorese®, Furosemid Stada®, Furosemidratiopharm®, Fusid®, Lasix® (jeweils 1 Amp. à 2 ml enth. 21,3 mg Furosemid-Na entspr. 20 mg Furosemid. Bei Furorese®, Furosemid-ratiopharm® und Lasix® auch Amp. à 4 ml mit 40 mg).
Notfallmedikamente
Indikationen Herzinsuffizienz (insbesondere bei Lungenödem), Ödeme (versch. Genese), Überwässerung (z. B. Süßwasserertrinken), Aszites, Unterstützung forcierter Diurese bei Vergiftungen.
Kontraindikationen Hypovolämie, Harnabflußbehinderung, Coma hepaticum, Nierenversagen mit Anurie (tägl. Harnproduktion < 100 ml), schwere Hypokaliämie, schwere Hyponatriämie, [Überempfindlichkeit gegen Sulfonamide], [Schwangerschaft (evtl. teratogen / embryotoxisch)], [Stillzeit].
Nebenwirkungen Hypotonie, Hypovolämie, Dehydratation, Elektrolytverluste, Hämatokritanstieg (Thrombosegefahr), Verschlechterung der Symptome einer Harnabflussbehinderung, Verschlechterung einer metabolischen Alkalose, selten vorübergehende Taubheit (hohe Dosis i.v.), Hyperurikämie, Gichtanfälle.
Wechselwirkungen • Oto- / nephrotoxische Arzneimittel: blutdrucksenkende Wirkung verstärkt. • Salicylate, Lithium (jeweils hochdosiert): toxische Wirkungen der angeführten Substanzen verstärkt (z. B. Herz, ZNS). • Herzglykoside, Theophyllin, curareartige Muskelrelaxanzien: Wirkungsverstärkung der angeführten Substanzen. • Verschiedene Lösungen: Inkompatibilität mit Furosemid (nicht mischen!). • ACE-Hemmer: Blutdruckabfall bis zum Schock.
Toxizität O. g. Nebenwirkungen, initialer Blutdruckabfall bis Schock, bei längerem Verlauf (falls Filtrationsdruck ausreichend) Elektrolytstörungen (speziell: Hypokaliämie mit Digitalisüberempfindlichkeit und Somnolenz). Therapie: Basismaßnahmen, symptomatische Therapie, kontrollierte Elektrolytsubstitution in der Klinik.
Dosierung Erwachsene: 20 - 80 mg i.v., bei Bedarf Wiederholung möglich. Hinweis: Bei längeren Transportwegen ggf. Anlage eines Blasenkatheters.
Wirkungsweise Na+-Rückresorption der Henle-Schleife gehemmt ➯ Urinproduktion ≠. HWZ: 1 h.
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
515
17
Glukagon Präparate GlucaGen 1mg/1ml (Pulver in Durchstechflasche + Lösungsmittel) GlucaGen Hypokit 1mg/1ml (Pulver in Durchhstechflasche + Lösungsmittel)
Indikationen Schwere Hypoglykämie bei Diabetikern unter Insulintherapie (vgl. S. 192 f.). Betablockerintoxikation (s.u.)
Kontraindikationen Phäochromozytom, Insulinom, Glukagonom, bekannte schwere KHK, bekannte Überempfindlichkeit.
Nebenwirkungen Übelkeit, Erbrechen, Überempfindlichkeitsreaktion, positive Inotropie, positive Chronotropie, Verringerung der Magen-Darmmotilität. Bei Überdosierung Gefahr der Hypokaliämie.
Wechselwirkungen • Insulin: Antagonistische Wirkung. • Indometacin: Wirkungsverminderung von Glukagon. • Warfarin: Wirkungsverstärkung von Warfarin.
Dosierung Erwachsene und Kinder über 25 kg KG: 0.5 – 1 mg (= 0,5 - 1 I.E.) s.c. / i.m. Nach ausreichender Wirkung (Erwachen) zusätzliche Gabe oraler Kohlenhydrate zur Stabilisierung (z.B. 10 - 20 g Glucose p.o.)
Wirkungsweise Hormon mit antagonistischer Wirkung zum Insulin; Glukagon mobilisiert Glykogen aus der Leber (keine Wirkung bei Erschöpfung der Glykogenreserve). WE: 10 (5-20) min. WD: 1-2 h. HWZ: 3-6 min.
Bedeutung im Rettungsdienst Glukagon ist kein Routinemedikament des Notarztes; es findet sich aber häufig bei bekannten Diabetikern (Kühlschrank) und wurde evtl. bereits vor Eintreffen des Rettungsdienstes durch den Patienten selbst oder durch Angehörige appliziert. Bei schwierigem venösen Zugang zur Glukoseapplikation kann die s.c.-/i.m.-Gabe von Glukagon durch den Notarzt erwogen werden. Glukagon findet auch Verwendung bei der Therapie von Betablocker-Intoxikationen (z.B. nach Vorgabe von Antiemetika initial 0,2 mg/kgKG als Kurzinfusion i.v.; dann 0,5 mg/kgKG über 12h), zusätzl. ggf. Therapie von Bradykardie u. Azidose.
A
516
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Glukose 40 % Präparate Glucose 40 % “Eifelfango”, Glucosteril® u. v. a. m. (jeweils 10 ml enth. 4 g)
Indikationen Hypoglykämischer Schock, Hypoglykämie (s. S. 192 f.).
Kontraindikationen Notfallmedikamente
Bei obigen Indikationen keine.
Nebenwirkung Venenreizung.
Dosierung Je nach Bedarf (Blutzuckermessung): 20 - 40 ml (8 - 16 g Glukose bzw. 0,1 - 0,2 g Glukose / kg KG) i.v. langsam spritzen (bei schnell laufender Infusion), ggf. weitere 20 ml (8 g Glukose) in die Infusion geben.
Praxistipps • Starke Venenreizung. Nekrosegefahr! Daher möglichst große Vene punktieren und langsam spritzen! Insbes. bei Kindern die korrekte Kanülenlage durch Rücklaufprobe und/oder Probebolusinjektion von 5-10 ml NaCl 0,9% sichern. • Nach Erholung an Rezidive denken (z.B. Nachfluten von Sulfonylharnstoffen, Nachwirkung des Insulins nach starker körperlicher Aktivität) und engmaschige Blutzuckerkontrollen sicherstellen (alle 1-2 h), im Zweifel: Klinikeinweisung.
Wirkungsweise Erhöhung der Blutglukosekonzentration. Faustregel: 10 g Glukose steigern den Serumblutzucker um 100 mg / dl (5,6 mmol/l).
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
517
17
Glyceroltrinitrat I Synonyme Nitroglycerin, Propantriolsalpetersäureester, 1,2,3-Propantriolnitrat.
Präparate • I. V. [m.E. = Präparat mit konzentriertem Ethanol]: 1 ml enth. 5 mg: Nitrolingual®-konz. (m.E.), Trinitrosan® (m.E.). (Jeweils 1 Amp. à 1 / 10 ml enth. 5 / 50 mg). 1 ml enth. 1 mg: Aquo-Trinitrosan® (10/50ml), Gilustenon Infus (5/50ml), Nitrolingual®-Ampullen (m.E. - 5ml), Nitrolingual® infus. (5/25/50ml), Nitro Mack® Ampullen (m.E. - 5ml), Nitro Pohl® infus. (5/25/50ml), Nitro Solvay® Infus (50ml), perlinganit® Lösung (10/50ml). (Jeweils Amp./Inj.-Fl./Stechamp.) • SUBLINGUAL: Corangin ® Nitrokapseln / Nitrospray, Coro-Nitro ® SF Pumpspray, Coro-Nitro® Pumpspray / Zerbeißkapseln, Gepan® Nitroglycerin Zerbeißkapseln, Gilustenon-Spray, Herwicard ® , Maycor ® Nitrospray, Nitrangin Isis ® Zerbeißkapseln, Nitrangin Pumpspray, Nitrokapselnratiopharm ®, Nitrokor ® Zerbeißkapseln, Nitrolingual ® Zerbeißkapseln / N-Spray / -Pumpspray / -Pocket Dosierpumpspray, perlinganit®, TuricardPumpspray (Kapseln mit 0,8 mg; Spray mit 0,4 / 0,5 mg je Hub - Hinweis: Bei mehreren Herstellern existieren unter den gleichen Namen auch Präparate mit höheren oder niedrigeren Inhaltsmengen).
Indikationen Angina pectoris (i.v.-Präparat nur bei schwerer / instabiler AP), Myokardinfarkt, akute Linksherzinsuffizienz, kardiales Lungenödem. I.v.-Präparate: hypertensive Krise mit kardialer Dekompensation. Vgl. Notfallbeschreibungen im Kapitel 8.
Kontraindikationen Ausgeprägte Hypotonie (aktueller Blutdruck deutlich niedriger als der individuelle Normalblutdruck), Schock, akuter rechtsventrikulärer/inferiorer Infarkt (Bradykardie, niedriger Füllungsdruck), hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie, konstriktive Perikarditis, Perikardtamponade, AV-Block, Einnahme von Phosphodiesterase-5-Hemmern innerhalb der letzten 24 h (z.B. Sildenafil = Viagra®, Tadalafil = Cialis®, Vardenafil = Levitra® - jeden Patienten taktvoll fragen), [Mitral- / Aortenklappenstenose], [Schwangerschaft], [Stillzeit].
Nebenwirkungen (Schneller) Blutdruckabfall mit Reflextachykardie (kann Angina-pectorisSymptomatik auslösen), orthostatische Hypotension bis zum Kollaps (z. T. mit Bradykardie), Synkope, Flush, Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen.
Wechselwirkungen • Blutdrucksenkende Pharmaka, trizyklische Antidepressiva, Neuroleptika und Alkohol: blutdrucksenkende Wirkung verstärkt. • Bei Glyceroltrinitrat i.v.: Heparin: Wirkungsabschwächung von Heparin.
518
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Glyceroltrinitrat II Toxizität (i.v.) O. g. Nebenwirkungen, Verwirrtheit, Zyanose, Atemnot, Hirndrucksteigerung, evtl. auch Methämoglobinbildung. Therapie: Basismaßnahmen, symptomatische Therapie, bei Methämoglobinbildung Toloniumchlorid i.v. (S. 476)
Notfallmedikamente
Dosierung INTRAVENÖS: • 0,03 - 0,18 mg / kg KG / h i.v. (in Abhängigkeit vom Blutdruck) grundsätzlich über ein exaktes Dosiersystem, z. B. eine Spritzenpumpe, • Achtung: Nitrolingual®-Ampullen Infus.-Lsg., Nitrolingual®-konz. Infus.-Lsg., Nitro Mack ® Ampullen und Trinitrosan ®: nicht unverdünnt verwenden! Sinnvolle Verdünnung: 1:10 mit NaCl 0,9 %. • Aquo-Trinitrosan®, Gilustenon Infus, Nitrolingual® infus., Nitro Pohl® infus., Nitro Solvay® Infus und perlinganit® können sowohl verdünnt (NaCl 0,9 %) als auch unverdünnt verwendet werden. • Bei akuter Linksherzinsuffizienz (Lungenödem) kann ein Bolus von 1 mg Glyceroltrinitrat langsam über 3 Minuten vorgegeben werden. SUBLINGUAL: • Spray: 1 - 2 Hübe zu je 0,4 mg Glyceroltrinitrat bei angehaltenem Atem (nicht inhalieren) in den Mund geben, bei Nichtansprechen innerhalb von 2 - 3 Minuten noch einmal 1 Hub (maximal 3 Hübe insgesamt). • Zerbeißkapsel: 1 Kapsel zu 0,8 mg Glyceroltrinitrat verabreichen, diese zerbeißen, Inhalt nicht hinunterschlucken, sondern im Mund wirken lassen. Wirkungseintritt nach 2 - 3 Minuten.
Praxistipps • Ständige Kontrolle von Puls und Blutdruck ist erforderlich. • Aquo-Trinitrosan®, Nitro Mack®, Trinitrosan®: bei Verwendung von PVCSchlauchsystemen kommt es zu erheblichen Wirkstoffverlusten durch Adsorption. Alternativen: Polyethylen, Polytetrafluorethylen. • Sublingual-Präparate (z. B. Nitrolingual®) werden auch zur Behandlung von Spasmen der glatten Muskulatur (Gallen- / Harnleiterkolik) eingesetzt.
Wirkungsweise Verminderung des O2-Verbrauches am Herzmuskel. Umverteilung des Blutes in minderversorgte Bereiche. Erweiterung postkapillärer Kapazitätsgefäße (venöses Pooling). Abnahme des Gefäßwiderstandes und des Lungenkapillardruckes. Abnahme des links- und rechtsventrikulären sowie des end-diastolischen Füllungsdruckes. Verbesserung der Durchblutung der Myokardinnenschichten. Erhöhung des Wirkungsgrades der Herzarbeit. Nahezu keine Änderung des Herzschlagvolumens. Relaxation von Bronchien und Sphinktern. WE (s.l.): 2-5 min. WE (i.v.): sofort. WD (s.l.) 20 - 45 min. HWZ: 1,5 - 2,5 min.
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
519
17
Haloperidol Präparate Haldol®-Janssen, Haloperidol-GRY®, Haloperidol-neuraxpharm®, Haloperidolratiopharm®, (jeweils 1 Amp. à 1 ml enth. 5 / 10 mg).
Indikationen Akute Psychosen und psychotische Syndrome (Wahn, Halluzination, Schizophrenie, Manie), Kombinationstherapie bei Schmerzen, Erbrechen (wenn andere Therapiemöglichkeiten versagt haben).
Kontraindikationen Akute Vergiftungen mit zentraldämpfenden Pharmaka und Alkohol, komatöse Zustände, Morbus Parkinson, Kinder, malignes neuroleptisches Syndrom, Hyperthyreose, [Epilepsie], [Hypotonie], [Schwangerschaft (teratogen, Krampfneigung)], [Stillzeit].
Nebenwirkungen Tachykardie, Hypotonie, Herzrhythmusstörungen, Früh- und Spätdyskinesien, Provokation epileptiformer Anfälle, Asthma, Auslösung eines Engwinkelglaukoms, malignes neuroleptisches Syndrom, Regulationsstörungen der Körpertemperatur, Parkinsonsyndrom.
Wechselwirkungen • Zentraldämpfende Pharmaka, Alkohol: gegenseitige Wirkungsverstärkung. • Pentetrazol: Krampfanfälle. • Dopaminantagonisten (z. B. Metoclopramid, Bromoprid, Alizaprid): extrapyramidale Nebenwirkungen verstärkt. • Adrenalin: Adrenalinumkehr (Blutdruckabfall). • Anticholinergika: anticholinerge Wirkung verstärkt
Toxizität O. g. Nebenwirkungen, Atemdepression, Bewusstseinsstörungen, Bradykardie, zerebrale Krampfanfälle, hyperkinetisch-dystones Syndrom. Therapie: Basismaßnahmen, symptomat. Therapie, bei oraler Aufnahme wegen schneller Resorption Magenspülung nur in Frühfällen.
Dosierung Erwachsene: 5 - 10 mg Haloperidol i.v.
Wirkungsweise Starke antipsychotische Wirkung mit extrapyramidalen Symptomen durch Hemmung von Dopaminrezeptoren (ZNS). Schwache sedierende und vegetative Wirkung (anticholinerg, sympatholytisch, antihistaminerg, antiserotoninerg). WE: 1-3 min. WM: 10 min. WD: 2 - 6 h. HWZ: 13 bis 30 h, best. Metabolite 3 Wochen.
520
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Heparin Präparate Heparin-Natrium Braun,Heparin-Natrium-ratiopharm ®, Liquemin ® N, Thrombophob®. (Es existieren Amp. à 0,2 / 0,3 / 0,375 / 0,5 / 1 / 5 ml; Inhaltsmengen: 5000 / 7500 / 10000 / 20000 oder 25000 I. E.) Eine dunkle Verfärbung der Injektionslösung bei längerer Lagerung ist (korrekte Lagerung vorausgesetzt) ohne Einfluss auf die therapeutische Wirksamkeit.
Indikationen Notfallmedikamente
Thrombose und Embolie (Therapie, Prophylaxe), [Herzinfarkt (Frühbehandlung)].
Kontraindikationen Akute zerebrale Blutungen, Blutungsneigung, Magen-Darm-Ulkus, bekannte HIT (Heparin-induzierte Thrombozytopenie, bes. Typ II), Heparin-Allergie, Abortus imminens, schwere Leber- und Nierenerkrankungen, [Hypertonie].
Nebenwirkungen Blutungen (insbesondere aus Haut, Schleimhäuten, Wunden, Gastro- und Urogenitaltrakt), Verlängerung der Blutungszeit.
Wechselwirkungen • Substanzen mit hemmender Wirkung auf Gerinnung und Blutstillung: verstärkte Blutungsgefahr. • Glyceroltrinitrat (i.v.): Heparinwirkung vermindert. • Andere parenterale Medikamente: physikalisch-chemische Inkompatibilitäten, daher nicht mischen!
Toxizität Blutungen aller Art. Therapie: Basismaßnahmen, symptomatische Therapie, Protamin (z. B. Protamin 1000/5000 Roche®, 1 ml inaktiviert 1000 bzw. 5000 I. E. Heparin) als Antidot i.v., ggf. Bluttransfusion.
Dosierung Initial 5000 - 10000 I. E. Heparin i.v., anschließend ggf. 7,5 - 24 I. E. Heparin / kg KG / h über ein exaktes Dosiersystem, z. B. eine Spritzenpumpe.
Wirkungsweise Indirekte Thrombinhemmung durch Aktivierung von Antithrombin III und hemmender Einfluss auf weitere Gerinnungsfaktoren. Hemmung der Blutgerinnung und Förderung der Fibrinolyse. Heparin kommt auch physiologisch im Körper vor (z. B. Mastzellen). WE: 1 min. HWZ: 1 - 2,5 h.
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
521
17
Hydroxocobalamin Synonym Vitamin B12a – extrem hoch dosiert
Präparate Cyanokit (2 Durchst.-Fl. enth. jew. 2,5 g Hydroxocobalamin zum Auflösen mit jeweils 100 ml NaCl 0,9 %)
Indikationen Antidot bei Zyanid/Blausäureintoxikation (s. S. 378 f.); toxische Wirkung von Nitroprussid-Natrium
Kontraindikationen Im Notfall keine.
Nebenwirkungen Anaphylaktische bzw. anaphylaktoide Reaktionen; reversible Färbung von Haut, Schleimhäuten (hellrot bis rosa) und Urin (dunkelrot).
Wechselwirkungen Gegenseitige Wirkungsabschwächung mit Natriumthiosulfat durch Komplexbildung, daher entweder DMAP+Natriumthiosulfat oder Hydroxocobalamin allein.
Dosierung 70 mg/kg KG als Kurzinfusion über ca. 30 min i. v., ggf. wdh. (ca. 50 mg Antidot/1 mg Zyanid)
Wirkungsweise Komplexbildung zwischen Zyanid (CN-) und Kobalt (es entsteht Cyanocobalamin Vitamin B12) . Entgiftung des Zyanids. Einer im Vergleich zu DMAP recht sicheren Anwendung mit großer therapeutischer Breite stehen leider sehr hohe Kosten des Präparates gegenüber.
A
522 A
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Ipecacuanha-Sirup Präparate Sirupus Ipecacuanhae SR 90 (1 Fl. à 30 ml Saft; 100 ml enth. 0,144 g IpecacuanhaAlkaloide (berechnet als Emetin); max. 6,25 Vol-% Alkohol) – Diese Zubereitung ist ca. 2 Jahre haltbar (im Gegensatz zu den mancherorts verwendeten Apothekenzubereitungen nach DAB 8: Rad. Ipec. pulv. 14, Glycerin 20, Sirup simpl. ad 200).
Indikation
Notfallmedikamente
Emetikum für orale Vergiftungen (Kinder).
Kontraindikationen Vergiftungen mit Strychnin, starken Alkalien und Säuren, Erdöldestillaten, Farbverdünnern u. ä. Lösungsmitteln, schäumenden Substanzen, antiemetisch wirkenden Substanzen (z.B. Phenothiazinen), Schock, Bewusstseinsstörungen. Wegen der erhöhten Aspirationsgefahr und / oder des Alkoholgehaltes sollte die Applikation insbes. bei Kindern, Alkoholabusus, Epilepsie, Hirnschädigung und Schwangeren im Hinblick auf ein gesundheitliches Risiko unter strenger Indikationsstellung erfolgen.
Nebenwirkungen Anhaltendes Erbrechen, Durchfall, Trägheitsgefühl.
Toxizität (bei ausbleibender emetischer Wirkung!) O. g. Nebenwirkungen und kardiotoxische Wirkungen, Krämpfe, Muskelschwäche, Bewusstlosigkeit. Therapie: Magenspülung, ggf. Aktivkohle.
Wechselwirkungen Milch, Aktivkohle: Wirksamkeit des Sirups sinkt. Wechselwirkungen des Alkohols bedenken.
Dosierung Kinder 1 – 3 Jahre: 20 ml (4 Teelöffel) p.o. Kinder > 3 Jahre: 30 ml (2 Esslöffel) p. o. Davor oder danach mind. 100 - 200 ml Wasser (auch Tee o.ä.) trinken lassen. Ggf. einmalige Wiederholung nach 20 min.
Anwendung bei Erwachsenen In der Literatur finden sich auch Hinweise auf eine erfolgversprechende Anwendung bei erwachsenen Patienten in einer Dosierung von 30 ml p.o. Auch hier ist eine Latenzzeit von bis zu 20 min (cave: Substanzen mit zu erwartender Bewusstseinsstörung!) zu beachten. Reichlich dazu trinken lassen.
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
523
17
Ketamin Präparate • Ketamin als Racemat zweier Enantiomere [R (-) und S (+)]: Ketamin Curamed, Ketamin-ratiopharm®, Ketanest®, Velonarcon® (Amp. / Inj.-Fl. mit 50 mg / 5 ml, 100 mg / 2 ml, 100 mg / 10 ml, 200 mg / 20 ml, 500 mg / 10 ml). • Ketamin, nur linksdrehendes Enantiomer [S(+)]: Ketanest® S (Esketamin) (5 mg/ml: 1 Amp. à 5 ml enth. 25 mg / 1 Inj.-Fl. à 20 ml enth. 100 mg 25 mg/ml: 1 Amp. à 2 ml enth. 50 mg / 1 Inj.-Fl. à 10 ml enth. 250 mg)
Indikationen Analgesie (Notfallmedizin), Narkoseeinleitung. Bes. geeignet bei Asthmatikern (ResistanceØ), Volumenmangelschock/Verbrennung (nur geringer RR-Abfall).
Kontraindikationen Akuter Myokardinfarkt / Angina pectoris, Hypertonie, erhöhter Hirndruck, Eklampsie, Notfallsituationen mit Notwendigkeit entspannter Uterusmuskulatur (z. B. Nabelschnurvorfall), [Hyperthyreose].
Nebenwirkungen Zentrale Sympathikusaktivierung mit Anstieg von RR udn HF, Hirndruckanstieg, Unruhe, Alpträume (Kombination mit Sedativa (z. B. Midazolam) erforderlich!), Halluzinationen, Zunahme des intraokularen Druckes (beachte: Glaukom), erhöhter Muskeltonus, Hyperreflexie und Laryngospasmus (vor allem bei Kindern), Atemdepression möglich. Hypersalivation (Atropingabe erwägen)!
Wechselwirkungen • Anästhetikakombination: Nebenwirkungen von Ketamin deutlich geringer. • Hypnotika (Benzodiazepine oder Neuroleptika): Verlängerung der Wirkdauer, Abschwächung der Nebenwirkungen, Vorteile des Ketamins bezüglich der Kreislaufwirkung (Sympathomimetik) aufgehoben. • Nichtdepolarisierende Muskelrelaxanzien: Verlängerung der Wirkdauer.
Dosierung (jeweils unter ständiger Puls- und Blutdruckkontrolle) • R/S-Ketamin [R (-) und S (+)] - Analgesie: 0,25 - 0,5 mg / kg KG i.v.; zur Not 2 - 4 mg / kg KG i.m. - Narkoseeinleitung: 0,5 - 2 mg / kg KG i.v.; zur Not 4 - 8 mg / kg KG i.m. • S-Ketamin [S(+)] (Andere Dosierung beachten - höhere Wirkpotenz!) - Analgesie: 0,125 - 0,25 mg / kg KG i.v.; zur Not 0,25 -0,5 mg / kg KG i.m. - Narkoseeinleitung: 0,5 - 1 mg / kg KG i.v.; zur Not 2 - 4 mg / kg KG i.m.
Wirkungsweise Dissoziation zerebraler Funktionen (Bewusstseinsverlust), Anregung von Opioidrezeptoren (Analgesie), Kreislaufstimulation (RR≠, HF≠), Bronchodilatation, zentrale Stimulation des Sympathikotonus; O2-Verbrauch am Herzen≠. Erweiterung der Hirngefäße (Hirnstoffwechsel≠, O2-Verbrauch≠). Erhalt von Pharynx- und Larynxreflexen. Geringe Atemdepression. WE(i.v.): < 1 min. WE(i.m.): 5 min. WM: 5-10 min. WD (Anästhesie): 10-25min. WD (Analgesie): 40 min.HWZ: 2-4h.
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Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Kohle, medizinische Synonym: Carbo medicinalis (gereinigte „Aktivkohle“) Präparate Kohle-Compretten®, Kohle-Hevert®, Kohle-Tabletten 250 mg “Kontabletten”, Kohle-Tabletten Boxo-Pharm (jeweils 1 Tabl. enth. 250 mg). Kohle-Pulvis (1 Schraubdose enth. 10 g als Pulver; 1 Fl. enth. 50 g), Ultracarbon® (1 Fl. enth. 50 g in 61,5 g Granulat zur Herstellung von 400 ml Suspension).
Notfallmedikamente
Indikationen Akute orale Vergiftungen unterschiedlicher Genese (z. B. Nahrungsmittel, Arzneimittel, Schwermetalle), ggf. auch nach Erbrechen bzw. Magenspülung.
Kontraindikationen Säuren- und Laugenverätzungen (unwirksam, Perforationsgefahr, erschwert endoskopische Diagnostik), Ethanol (schnelle Resorption, unwirksam, Bewusstseinsstörung), [Bewusstseinsstörung/Gegenwehr] (Applikation wegen Aspirationsgefahr problematisch; Gabe über Magensonde nach Intubation möglich), Lithium- und Eisensalze / Zyanid / Methanol / Ethylenglykol / Petroleum (unwirksam, es stehen ggf. andere Antidota zur Verfügung); Vergiftungen, bei denen ein notwendiges, an Kohle adsorbierbares Antidot p.o. angewendet wird.
Nebenwirkung: Schwarzfärbung des Stuhls. Wechselwirkungen Wirkungsverminderung enteral aufgenommener Pharmaka und parenteral aufgenommener Pharmaka, die einem enterohepatischen Kreislauf unterliegen, z.B. Ovulationshemmer (nach Kohleanwendung zusätzl. Kontrazeptionsmethode!).
Dosierung Grundsätzlich Initialdosis von (0,5 -) 1 g / kg KG p.o. anstreben. • Pulver: jeweils 10 g in 40 - 80 ml Leitungswasser / ungesüßtem Tee einrühren. • Tabletten: jeweils 50 Stück mit 40 - 80 ml Wasser o.ä. anrühren (s.o.) • Granulat: jede Flasche zu 50 g mit ca. 350 ml Leitungswasser / ungesüßtem Tee auffüllen und ca. 1 min gut schütteln. Unmittelbar vor Trinken erneut schütteln. In der Klinik alle 4-6 h Wiederholung mit ca. 0,25 g / kg KG p.o. und Laxanz. Cave: Aspirationsgefahr bei Gegenwehr oder Bewusstseinstrübung!
Wirkungsweise Innerhalb von Sekunden bis Minuten Giftbindung durch Adsorption an Kapillarwände der Kohle. In manchen Fällen kann Kohle auch Gifte binden, die den Magen schon passiert haben, oder sogar ins Darmepithel gelangt sind (z. B. Phenobarbital, Carbamazepin), z.B. aufgrund eines enterohepatischen Kreislaufes des Giftes. Durch pH-Wert-Änderungen in tieferen Darmabschnitten und andere Einflüsse kann das Gift wieder abgelöst werden; deshalb muss i. d. R. wenige Stunden später mit Laxantien (z. B. Natriumsulfat = Glaubersalz) abgeführt werden (Klinik).
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
525
17
Kortikoide I
A
Wirkstoffe, geordnet nach ihrer relativen Wirkung Wirkstoff
Handelsname (Beispiele)
Relative Wirkung WD (bezogen auf Kortisol)
Kortisol Prednison Prednisolon Methyl-Prednisolon Triamcinolon Dexamethason Beclometason
Hydrocortison Rectodelt® Solu-Decortin® Urbason® Volon A® Fortecortin® Junik®, Ventolair®
1 8-12 h 4 12-36 h 4 12-36 h 5 12-36 h 5 12-36 h 20-30 > 48 h > 18.000 (nur inhalative Gabe)
Präparate, geordnet nach ihren Wirkstoffen • Die z. T. existierenden Präparate mit geringerer Wirkstoffmenge sind hier nicht aufgeführt, da sie im RD keine Relevanz haben. • An diese Übersicht schließt sich zunächst die allgemeine Darstellung der Indikationen, Kontraindikationen, Nebenwirkungen, Wechselwirkungen und Wirkungsweise an. Im Anschluss: Dosierungen, Besonderheiten der einzelnen Wirkstoffe. • Beclometason (halogeniertes Glukokortikoid): AeroBec®-100 μg Autohaler/-100μg Dosier-Aerosol Junik®-100 μg Autohaler/-100μg Dosier-Aerosol Ventolair®-100 μg Autohaler/-100μg Dosier-Aerosol (1 Hub aller Präparate enth. jeweils 0,1 mg Derivat) [Autohaler = atemzugausgelöstes Dosieraerosol] • Dexamethason (fluoriertes Glukokortikoid, HWZ: 3-5 h): Auxiloson Dosier-Aerosol (1 Hub enth. 0,125 mg Derivat): Außer Handel! Dexa - 40 mg / 100 mg inject JENAPHARM® (1 Amp. à 5 / 10 ml enth. 43,72 / 109,3 mg Derivat entspr. 40 / 100 mg). Dexa - 40 / 100 ratiopharm® (1 Amp. à 5 / 10 ml enth. 43,72 / 109,3 mg Derivat entspr. 40 / 100 mg). Fortecortin® Mono 40 / 100 (1 Amp. oder Fertigspritze à 5 / 10 ml enth. 43,72 / 109,3 mg Derivat entspr. 40 / 100 mg). • Kortisol/Hydrokortison (physiologisches, nicht-fluoriertes Glukocortikoid, HWZ: 1,5 h): Hydrocortison 100/250 Pharmacia&Upjohn / Rotexmedica (1 Misch-Amp. bzw. Inj.-Fl. à 2 ml enth. 133,67 / 334,18 mg Derivat entspr. 100 / 250 mg in Tr.-Subst.). Bei Pharmacia&Upjohn auch Mischamp. mit 500 / 1000 mg. Hydrocortison Hoechst (1 Amp. à 20 ml enth. 100 mg).
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Notfallmedikamente
A
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Kortikoide II • Methyl-Prednisolon (nicht-fluoriertes Glukokortikoid, HWZ 2-3 h): Medrate® Solubile 125 / 500 / 1000 (1 Misch-Amp. / Inj.-Fl. enth. 165,8 / 662,95 / 1325,9 mg Derivat in Tr.-Subst. entspr. 125 / 500 / 1000 mg) Urbason® solubile forte 250 / 1000 (1 Amp. bzw. Inj.-Fl. enth. 331,48 / 1325,92 mg Derivat in Trocken-Subst. entspr. 250 / 1000 mg zur Lsg. mit 5 / 10 ml Aqua) • Prednison (nicht-fluoriertes Glukokortikoid, HWZ 3,5 h - Metabolite 2,2 h): Rectodelt®, blau (1 Zäpfchen enth. 100 mg) • Prednisolon (nicht-fluoriertes Glukokortikoid, HWZ 2,2 h): Prectal® (1 Zäpfchen enth. 100 mg Derivat) Prednisolon 250 mg Rotexmedica (1 Inj.-Fl. à 10 ml enth. 250 mg Derivat) Solu-Decortin® 500 (1 Inj.-Fl. enth. 250 / 500 / 1000 mg Derivat in Trocken-Subst. [Lyophilisat] entspr. 186,7 / 374 / 747 mg Prednisolon zur Lsg. mit 5 / 5 / 10 ml Aqua) • Triamcinolon (fluoriertes Glukokortikoid, HWZ 3-5 h): Volon® A solubile (1 Amp. à 1 / 2 / 5 ml enth. 54,4 / 108,8 / 272 mg Derivat entspr. 40 / 80 / 200 mg)
Indikationen (Notfallmedizin) • Rückenmarkstrauma: Die Kortikoidgabe wird für diese Indikation wieder kontrovers diskutiert. Methyl-Prednisolon konnte in hoher Dosierung in der NASCIS-II-Studie (1990) positive Effekte zeigen. Ob andere Kortikoide nützen oder evtl. schaden können, ist noch nicht ausreichend untersucht. Die hochdosierte i.v.-Gabe von Methyl-Prednisolon gehört bis zum Abschluss der Meinungsbildung weiter zu den Therapieoptionen bei spinalem Trauma. Hingegen gilt die seit Jahrzehnten propagierte Gabe von Kortikoiden bei Schädel-Hirn-Trauma mittlerweile als obsolet (Verschlechterung der Überlebensraten in der CRASH-Studie, 2004). • Anaphylaktischer Schock (nach primärer Adrenalin-Injektion), allergische Reaktionen (Quincke-Ödem). • Asthma bronchiale, Status asthmaticus. • Gefahr eines toxischen Lungenödemes; Beispiele: Magensaftaspiration, Ertrinken, Reiz- und Rauchgasinhalation (Brandgase, Zinknebel, Chlorgas, Ammoniak, Phosgen, nitrose Gase/Stickoxide und Schwermetalldämpfe). Hier wurde seit langem die Anwendung von inhalativen Kortikoiden propagiert; allerdings wurde - auch wenn einiges dafür sprach - die Effektivität bislang nicht nachgewiesen (kontrollierte Humanstudien aus ethischen Gründen nicht durchführbar). Experten sprechen sich zum Teil gegen eine routinemäßige Anwendung nach jeder Exposition aus. Ein hierfür zugelassenes Dexamethason-Präparat (Auxiloson ® ) wurde vor Jahren vom Markt genommen. Zwischenzeitlich wurden Budesonid (Pulmicort®) und Flunisolid
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
527
17
Kortikoide III (Inhacort®) wegen höherer Rezeptoraffinität und antiinflammatorischer Potenz trotz fehlender Zulassung als Alternativen gehandelt. Auch die i.v.Applikation von Kortikoiden wird diskutiert (z.B., damit genügend Wirkstoff den Wirkort erreicht oder wenn der Patient aufgrund des Hustenreizes nicht gezielt inhalieren kann). Mittlerweile sind wieder für diese Indikation zugelassene Präparate mit dem Wirkstoff Beclomethason erhältlich (z.B. Junik®, Ventolair® - s.o.). • Weitere: Larynxödem, Krupp-Syndrom / Pseudokrupp, Addison-Krise, ggf. begleitend zur Antibiotikatherapie bei V.a. akute Meningokokkensepsis, akute thyreotoxische Krise, akuter Gichtanfall, akute immunpathologische Prozesse (z.B. Erblindung bei Riesenzellarteriitis, akute Transplantatabstoßung, akuter Transfusionszwischenfall, rheumatologische Notfälle). Andere Indikationen haben sich als nicht haltbar herausgestellt oder werden weiter kontrovers diskutiert, z.B. Schockzustände (z. B. bei Polytrauma, Volumenmangel, kardiogener Schock, Verbrennung), Hyperthermie und Unterkühlung, Prophylaxe und Therapie der Schocklunge.
Kontraindikationen [Überempfindlichkeit gegen die enthaltenen Wirkstoffe], [Schwangerschaft], [Stillzeit], [Magen-Darm-Geschwüre], [Tbc und andere schwere Infektionen - Gefahr der Exazerbation]. Inhalative Kortikoide zusätzlich: Thermisches Inhalationstrauma (muss vor der topischen Gabe bei Reiz-/Rauchgasinhalation ausgeschlossen werden).
Nebenwirkungen Bei einmaliger Bolusgabe gering und selten - es sollte jedoch auf Blutzuckeranstieg, Infektanfälligkeit (bei schweren Infektionen nur in Kombination mit kausaler Therapie) und symptomarm verlaufende Magen-Darm-Blutungen geachtet werden. Bei i.v.-Applikation: Venenreizung, z.T. Geschmacksirritationen. Nach inhalativer Therapie mit Kortikoiden ist auf eine mögliche Entwicklung von Atemwegsinfektionen zu achten. Bestehende Infektionen (besonders bakterielle) können sich verschlechtern.
Wechselwirkungen • Herzglykoside: Glykosidwirkung durch Kaliummangel verstärkt. • Salicylate und nichtsteroidale Antiphlogistika: Gefahr gastrointestinaler Blutungen und Bildung von Magen-Darm-Geschwüren erhöht. • Antidiabetika: Blutzuckersenkung vermindert. • Verschiedene Lösungen: Inkompatibilität mit Urbason ® (darf nicht mit anderen Lösungen als mit Wasser für Injektionszwecke vermischt werden, sonst Ausfällung).
A
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Notfallmedikamente
A
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Kortikoide IV - Dosierungen Beclometason inhalativ [Junik® , Ventolair® , AeroBec®] • Unmittelbar nach Rauchgasexposition: 4 Sprühstöße zu je 0,1 mg • Nach Krankenhausaufnahme: erneut 4 Sprühstöße zu je 0,1 mg • 2 Stunden später: 4 Sprühstöße zu je 0,1 mg • Nur bei anhaltenden Beschwerden: Fortsetzung (4 x 0,1 mg alle 2 Stunden) Dexamethason i.v. [Dexa Jenapharm® , Dexa ratiopharm® , Fortecortin®] • Erwachsene: 40 - 100 mg i.v. (in Abhängigkeit des Krankheitsbildes) • Anaphylaxie: 100 mg i.v. (Kinder: 40 mg i.v.) • Fortecortin® sollte langsam über 2 - 3 Minuten gespritzt werden, da ansonsten flüchtige (bis zu 3 Minuten) Parästhesien (Empfindungsstörungen) auftreten können. Bei Asthmatikern mit Sulfit- oder Parabenüberempfindlichkeit nur mit Vorsicht angewenden. Kortisol [Hydrocortison] • Erwachsene bei Addison-Krise: 100 mg i.v. Prednison rektal [Rectodelt®] • Kinder bei akuter Atemnot: 100 mg rektal; Gesamtdosis: 5 - 20 mg/kg KG rektal. Prednisolon i.v. [Prednisolon Rotexmedica, Solu-Decortin® H] • Erwachsene: Status asthmaticus: 250 - 1000 mg i.v. Anaphylaktischer Schock: 500 - 1000 mg i.v. • Kinder: Anaphylaktischer Schock: 250 mg i.v. ansonsten 10 - 50 mg i.v. (in Abhängigkeit des Krankheitsbildes) • Bestimmte Schockformen, z.B. infektiös-toxischer Schock, akute immunpathologische Ereignisse, evtl. inhalative Vergiftungen 500 - 3000 mg i.v. Prednisolon rektal [Prectal®] • Kinder: Stenosierende Laryngotracheitis (Krupp-Syndrom / Pseudokrupp), spastische (asthmatische) Bronchitis, allergische Reaktionen vom Soforttyp: initial 1 Zäpfchen (100 mg), frühestens nach 1 h wdh. Methyl-Prednisolon [Medrate®, Metypred®, Urbason®] • Rückenmarkstrauma: 30 mg / kg KG i.v. über 15 Minuten als Kurzinfusion • Erwachsene: 250 - 1000 mg i.v. (in Abhängigkeit des Krankheitsbildes) • Anaphylaxie, Status asthmaticus: 250 - 500 mg i.v. • Kinder: 4 - 20 mg i.v. (in Abhängigkeit des Krankheitsbildes) Triamcinolon [Volon A solubile®] • Erwachsene: 80 mg i.v. (je nach Schwere bis 200 mg i.v. mgl.)
Wirkungsweise Bei den in der Notfallmedizin verwendeten Kortikoid-Substanzen handelt es sich ausnahmslos um Glukokortikoide (Analoga zum körpereigenen Kortisol; Nebennierenrindenhormon). Diese wirken (je nach Substanz unterschiedlich ausgeprägt) antiexsudativ (Minderung der Membrandurchlässigkeit), antiinflammatorisch, antiproliferativ und immunsuppressiv.
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
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Lidocain 2% Präparat Xylocain® 2% (Kardiologie) (1 Amp. à 5 ml enth. 100 mg). Beachte unterschiedliche Zulassungen von Präparaten zur kardiologischen bzw. zur lokalanästhetischen Anwendung (Infiltration/Oberflächenanästhesie)!
Indikationen Ventrikuläre Tachykardien, Extrasystolen. [Lokalanästhesie]
Kontraindikationen Schwere Überleitungsstörungen (z. B. AV-Block II°/III°), Bradykardien, akut dekompensierte Herzinsuffizienz, [Hypotonie], [Schwangerschaft], [Stillzeit].
Nebenwirkungen AV-Blockierungen bis hin zu Asystolie, Hypotonie, Bradykardie, Bewusstlosigkeit, Krämpfe, Atemdepression, Schwindel, Tinnitus, Parästhesien, Tremor, Desorientiertheit. Lidocain erhöht die Defibrillationsschwelle beim HerzKreislaufstillstand!
Wechselwirkungen • Andere Antiarrhythmika, β-Rezeptorenblocker, Kalziumantagonisten und strukturverwandte Substanzen: Verstärkung der Nebenwirkungen. • Cimetidin: verminderter Lidocain-Abbau.
Toxizität Erregung des ZNS: Unruhe, Angst, Verwirrtheit, Hyperpnoe, Tachykardie, Blutdruckanstieg mit Rötung des Gesichts, Übelkeit, Erbrechen, Zuckungen, tonisch-klonische Krämpfe, Atemlähmung, Herz- und Kreislaufdepression. Therapie: Basismaßnahmen, symptomatische Therapie.
Dosierung • Erwachsene: 0,5 - 1,5 mg / kg KG langsam über 2 min i.v., Wiederholung nach 5 - 10 min möglich. Maximaldosis: 3 mg / kg KG. • Bei Schock, manifester Herzinsuffizienz, starker Nieren- oder Leberinsuffizienz muss die Dosis angepasst (reduziert) werden. • Kinder: maximale Gesamtdosis von 4 mg / kg KG.
Wirkungsweise Hemmung der Na+-Leitfähigkeit (Verschluss von Natriumkanälen ➯ Einstrom während der Depolarisation Ø). Repolarisationszeit Ø, Leitungsgeschwindigkeit Ø, Refraktärzeit ≠. WE: nach 1 - 2 min. WD: 15 - 20 min. HWZ: 1,8 h - aktive Metabolite 3,5 h. Lidocain kann in 1(-2)%iger Konzentration auch als Lokalanästhetikum (Infiltrationsanästhesie) sowie in speziellen Zubereitungen (z. B. Gel / Pumpspray) zur Oberflächenanästhesie der Schleimhäute verwendet werden.
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Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Lorazepam Präparate Tavor® pro injectione (1 Amp. à 1 ml enth. 2 mg). Kühlpflichtig (+4 bis +8°C).
Indikationen Status epilepticus, Angst- und Erregungszustände, zur Sedierung.
Notfallmedikamente
Kontraindikationen Atemdepression, Schlaf-Apnoe-Syndrom (ohne Möglichkeit adäquater Beatmung), akute Vergiftung* (mit Alkohol, Schlaf- oder Schmerzmitteln, Neuroleptika, Antidepressiva, Lithium), Myasthenia gravis, Neugeborene* (insbesondere unreife Frühgeborene), Scopolamineinnahme, Lennox-Gastaut-Syndrom (Auslösung tonisch-klonischer Krämpfe möglich), [Kinder und Jugendliche < 18 Jahre], [spinale und zerebelläre Ataxien], [Schwangerschaft], [Stillzeit]. Bei Status epilepticus entfallen die Kontraindikationen weitgehend, die gekennzeichneten (*) sollten jedoch Berücksichtigung finden; Airway-Management u. Kreislaufunterstützung müssen in jedem Falle gewährleistet sein.
Nebenwirkungen Atemdepression, Blutdruckabfall, Bradykardie, paradoxe Reaktionen (z.B. akute Erregungszustände), Verwirrtheit, Übelkeit, Erbrechen, Halluzinationen, Überempfindlichkeitsreaktion, Nekrosen bei Paravasat o. intraarterieller Injektion.
Wechselwirkungen • Zentralwirksame Pharmaka und Alkohol: Gegenseitige Wirkungsverstärkung. • Muskelrelaxanzien, Analgetika und Lachgas: Wirkungsverstärkung der angeführten Substanzen. • Clozapin, Haloperidol: gefährliche Wirkungsverstärkung und -verlängerung von Lorazepam. • Scopolamin: Halluzinationen, irrationales Verhalten.
Toxizität O. g. Nebenwirkungen (ausgeprägt). Therapie: Basismaßnahmen, symptomatische Therapie. S. a. Schlafmittel- und Psychopharmaka-Vergiftung (Kap. 12).
Dosierung • Erwachsene: 2 mg verdünnt über 1 min i.v. (Wdh. mgl. - maximal 8 mg / 12 h). • Bei Schock, manifester Herzinsuffizienz, starker Nieren- oder Leberinsuffizienz sowie älteren Patienten muss die Dosis angepasst (reduziert) werden. • Kinder: 0,05 mg/kgKG langsam i.v. Wiederholung möglich. Maximaldosis: 0,1 mg/kgKG/12 h.
Wirkungsweise GABA-Wirkungsverstärkung durch Bindung an Benzodiazepinrezeptoren. Antikonvulsion (wegen Hydrophilie länger als andere Benzodiazepine) und Muskelrelaxation, Anxiolyse, Sedierung, WE: 1-3 min. WD: 0,5-3 h. HWZ: 10-18 h.
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
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Magnesiumsulfat Präparate Magnesium-Diasporal® forte (1 Amp. à 2 ml enth. 4 mmol), Cormagnesin®200/ 400 (1 Amp. à 10 ml enth. 8,3 mmol / 16,6 mmol), Magnesium Verla® Infusionslösungskonzentrat (1 Amp. à 10 ml enth. 20,3 mmol), Mg 5 - Sulfat 10 % / 50 % (1 Amp. à 10 ml enth. 4,05 mmol / 20,25 mmol). Umrechnung: 1 mmol MgSO4•7H2O =^ 2 mval =^ 246,4 mg (ca. 250 mg) =^ 24,65 mg Mg2+ =^ 1 mmol Mg2+ 1 g MgSO4•7H2O (4 mmol) entspr. 10 ml der 10%igen Lsg. bzw. 2 ml der 50%igen Lsg.
Indikationen Eklampsie, Präeklampsie, Tokolyse, Tachykardien (bei breitem Kammerkomplex), Torsade de pointes, therapierefraktärer Asthmaanfall, evtl. Myokardinfarkt
Kontraindikationen Kardiale Überleitungsstörungen (z.B. AV-Block), Myasthenia gravis, Niereninsuffizienz.
Nebenwirkungen Herzrhythmusstörungen, Überleitungsstörungen, Bradykardie, Atemdepression, zentralnervöse Störungen, Diarrhö, Flush, Blutdruckabfall.
Wechselwirkungen • Kalziumantagonisten: Wirkungsverstärkung der Kalziumantagonisten. • Barbiturate, Hypnotika, Narkotika: Risiko der Atemdepression. • Muskelrelaxanzien vom Tubocurarintyp: Wirkungsverstärkung der Relaxanzien.
Toxizität O.g. Nebenwirkungen, Übelkeit, Erbrechen, curareartige Magnesiumnarkose, Atemstillstand, HKS. Therapie: Basismaßnahmen, symptomat. Therapie, Kalzium
Dosierung (Massenangaben auf MgSO 4•7H 2O bezogen!) • Eklampsie: 4 - 12 mmol Mg (1 - 3 g) über 10 min i.v.; dann: 2 - 8 mmol Mg (0,5 - 2 g) / h kontinuierlich i.v. Bei geringerem Körpergewicht: 0,06 - 0,18 mmol Mg (15 - 45 mg) / kg KG über 10 min i.v.; dann:0,03 - 0,06 mmol Mg (8 - 15 mg) / kg KG / h kontinuierl. i.v. • Tokolyse: 8 - 16 mmol Mg (2 - 4 g) über 10-20 min i.v.; dann: 2 - 8 mmol Mg (2 - 4 g) / h kontinuierlich i.v. Zur Erkennung einer eventuellen Magnesiumüberdosierung regelmäßige Kontrolle des Patellarsehnenreflexes (auslösbar bis etwa 5 mmol/l Serumkonzentration) und auf Atemdepression achten! (Antidot: ggf. Kalzium i.v.) • Torsade de pointes: 8 mmol Mg (2 g) über 10 min i.v. (ERC, 2005) (ggf. Erhaltungsdosen in der Klinik); Dosis ebenso für VT und Asthmaanfall
Wirkungsweise Hemmung der Freisetzung von Azetylcholin aus den präsynaptischen Bläschen; physiologischer Antagonist des Kalziums: antiarrhythmisch, krampflösend; Tonusverminderung der Muskulatur (auch Gefäße, Uterus).
532
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Mannitol Präparate Mannit-Lösung 20 %, Mannitol-Infusionslösung 20, Mannitol-Lösung 20 % Köhler, Mannitol-Lösung 20 Prozent Pharmacia, Osmosteril 20 %, Thomaemannit® 20 % (1000 ml Lsg. enth. jeweils 200 g Mannitol).
Indikation
Notfallmedikamente
Akuter Hirndruckanstieg bei V. a. SHT mit Einklemmungszeichen (sich verschlechternde Bewusstseinslage mit Anisokorie; bei Kindern auch bilaterale Mydriasis).
Kontraindikationen Kardiale Dekompensation, Dehydratationszustände, Lungenödem, [intrakranielle Blutungen], [Hypervolämie].
Nebenwirkungen Akute Volumenbelastung des kardiozirkulatorischen Systems (bei zu schneller Infusion oder Applikation größerer Mengen, insbes. bei Oligurie).
Dosierung 0,5 g/kgKG über 15–30 min (bis 2 g/kgKG über 30-60 min) i.v. dies entspr. bei 20%iger Lösung etwa 2,5 ml/kgKG über 15-30 min (bis 10 ml/kg KG über 30-60 min) i.v.
Praxishinweise • Bei kühler Lagerung kann es zur Bildung von Kristallen kommen, die sich bei leichter Erwärmung wieder lösen. • Die Anwendung eines Filterinfusionsbesteckes wird empfohlen. • Nicht mit anderen Substanzen mischen! • Die Indikation zur Hirndrucksenkung mit Mannitol im RD ist fraglich, da präklinisch bei V.a. ICP-Erhöhung nicht zwischen den Ursachen (Blutung vs. Ödem unterschieden werden kann. Insofern sollte ein ausreichender CPP über eine Aufrechterhaltung des MAP sichergestellt werden. Alternativ kann bei gleichzeitiger Hypovolämie auch eine Ausnutzung des hirndrucksenkenden Effektes mit hyperosmolarem Volumenersatz angedacht werden (vgl. S. 568).
Wirkungsweise Mannit ist ein 6-wertiger Alkohol, der kaum metabolisiert wird und im Nierentubulus nicht rückresorbiert werden kann. Es wird glomerulär filtriert und während der kontinuierlichen isotonen Rückresorption im proximalen Tubulus zunehmend konzentriert; damit wird Wasser im Tubulus zurückgehalten. Dies erklärt die osmodiuretische Wirksamkeit. Außerdem wird in ähnlicher Weise ein osmotischer Gradient zwischen hypertonem Intravasalraum und Extra- bzw. Intrazellulärraum aufgebaut, der zu einem Wasserausstrom in Richtung des Intravasalraumes führt. Dadurch kann ein Hirnödem vermindert werden.
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
533
17
Metamizol Präparate Analgin®, Baralgin®, Berlosin®, Neuro-Brachont®, Novalgin®, Novaminsulfon Braun 50 %, Novaminsulfon Lichtenstein, Novaminsulfon-ratiopharm® (1 Amp. à 2 ml enth. 1 g; 1 Amp. à 5 ml enth. 2,5 g).
Indikationen Akute starke Schmerzen nach Operationen / Verletzungen, Tumorschmerzen, Koliken, sonstige akute o. chron. Schmerzen (wenn andere therapeut. Maßnahmen kontraindiziert sind), hohes Fieber (das auf andere Maßnahmen nicht anspricht).
Kontraindikationen Pyrazol-Allergie, Hypotonie / instabiler Kreislauf, akute hepatische Porphyrien, genetischer Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase-Mangel, Säuglinge, letztes SSD, [Schwangerschaft], [Stillzeit (48 h nach Gabe nicht stillen)].
Nebenwirkungen Z. T. schwere Überempfindlichkeitsreaktionen (z. B. Stevens-Johnson-Syndrom / Lyell-Syndrom), Anaphylaxie, Möglichkeit der Agranulozytose, Blutdruckabfall, Nierenfunktionsstörungen
Toxizität Benommenheit bis Bewusstlosigkeit, Muskelzittern, Krämpfe, Status epilepticus, oft mit typischem rotem Rubazonsäureharn, Kreislaufkollaps, Atemlähmung als Todesursache. Therapie: Basismaßnahmen, symptomatische Therapie.
Dosierung 10 - 20 mg / kg KG i.v. als Kurzinfusion über 10 min (wegen möglicher Blutdruckabfälle)
Warnhinweis Die Voraussetzungen für eine Schockbehandlung müssen gegeben sein.
Wirkungsweise Analgetische und fiebersenkende Wirkung durch Hemmung der Prostaglandinsynthese. Aktivierung schmerzhemmender absteigender Bahnen. Geringe Spasmolyse (Relaxierung glatter Muskulatur ➯ Nebenwirkung: Blutdruckabfall). Gering entzündungshemmend. WE: 1-8 min. WD: 2 - 6 h. HWZ der aktiven Metabolite: 1,8 - 4,6 h.
534
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Metoclopramid (MCP) Präparate Cerucal®, duraMCP ®, Gastronerton®, Gastrosil®, MCP-Hexal ® injekt, MCPratiopharm®, Metoclamid®, Paspertin® (jeweils 1 Amp. à 2 ml enth. 10 mg).
Indikationen Übelkeit und Erbrechen (sowohl gastrointestinaler Genese, als auch bei Arzneimittelunverträglichkeit).
Notfallmedikamente
Kontraindikationen Extrapyramidalmotorische Störungen (z. B. Morbus Parkinson), Epilepsie, Darmdurchbruch, Blutungen im Magen-Darm-Bereich, mechanischer Darmverschluss, Kombination mit MAO-Hemmern, Neugeborene, Säuglinge und Kleinkinder unter 2 Jahren, Kleinkinder mit Methämoglobinanämie, Phäochromozytom (katecholaminproduzierender Tumor), [Stillzeit].
Nebenwirkungen Blutdruckschwankungen, Bradykardie, Diarrhö, Kopfschmerzen, Schwindel, dyskinetisches Syndrom, malignes neuroleptisches Syndrom.
Wechselwirkungen • Zentraldämpfende Pharmaka, Alkohol: zentraldämpfende Wirkung • Trizyklische Antidepressiva, Neuroleptika, MAO-Hemmer: extrapyramidale Wirkungen verstärkt. • Alkohol, Lithium: allgemeine Wirkungsverstärkung der Stoffe.
Toxizität O. g. Nebenwirkungen. Bei hohen Dosen Benommenheit und Schlaflosigkeit. Bei Kleinkindern kann eine Methämoglobinämie auftreten. Therapie: Basismaßnahmen, symptomatische Therapie, Biperiden i.v. (bei Krampferscheinungen).
Dosierung • Erwachsene: • Kinder unter 14 Jahren:
10 mg i.v. 0,1 mg / kg KG i.v.
Wirkungsweise Antiemetische Wirkung durch Erhöhung des gastroösophagealen Sphinktertonus und Förderung der Magenentleerung (in das Duodenum), extrapyramidale Symptome (Dyskinesien, Parkinsonoid) durch Dopaminantagonismus an zentralen Rezeptoren. HWZ: 2,6-4,6 h.
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
535
17
Metoprolol Präparate Beloc i.v.®, Lopresor i.v.® (jeweils 1 Amp. à 5 ml enth. 5 mg).
Indikationen Tachykarde Herzrhythmusstörungen, Akutbehandlung beim Herzinfarkt.
Kontraindikationen AV-Block Grad II und III, kardiogener Schock, Bradykardie (< 50/min), ausgeprägte Hypotonie, obstruktive Bronchialerkrankungen, Asthma bronchiale, manifeste Herzinsuffizienz, Behandlung mit MAO-Hemmern (außer MAO-B-Hemmer), gleichzeitige i.v.-Anwendung von Kalziumantagonisten, Spätstadien peripherer Durchblutungsstörungen (AVK), metabolische Azidose, innerhalb drei Tagen vor Geburtstermin [Phäochromozytom (nach alpha-Blockade möglich)].
Nebenwirkungen Bradykardie, Blutdrucksenkung, Verschlechterung einer Herzinsuffizienz, Exanthem, Muskelkrämpfe (Waden), Muskelschwäche, zentralnervöse Störungen (z.B. Müdigkeit, Kopfschmerzen, Benommenheit, Schwitzen, Schwindel), Hypoglykämieneigung / Maskierung von Hypoglykämiesymptomen.
Wechselwirkungen • Narkotika, Antiarrhythmika, Kalziumantagonisten: verstärkte Kardiodepression bis hin zur Asystolie. • Mutterkornalkaloide: Gefahr peripherer Durchblutungsstörungen verstärkt.
Toxizität O. g. Nebenwirkungen, starke Kardiodepression, Sedierung oder Erregung, Halluzinationen, Bronchospasmus, Hypoglykämie (v.a. bei Kindern), Azidose. Therapie: Basismaßnahmen, symptomat. Therapie (Therapie der Bradykardie s. S. 141, Azidoseausgleich, ggf. Bronchospasmolytika), ggf. Glukagon (s. S. 515).
Dosierung • Erwachsene: Initialer Bolus von bis zu 5 mg über 3-5 min i.v. (titrieren!) - bei tachykarden Herzrhythmusstörungen ohne Erfolg nach 5-10 min: Wiederholung der Initialdosis, ggf. erneut; maximale Gesamtdosis 15 mg - bei akutem Herzinfarkt: je nach Verträglichkeit zur Aufsättigung bis max. 15 mg insgesamt i.v. (Injektionsgeschwindigkeit max. 1 mg/min) • Injektion immer unter EKG-, Puls- und RR-Monitoring
Wirkungsweise beta-1-selektiver Betablocker (negativ chronotrop, inotrop, dromotrop) mit schnellem WE (< 5 min). WM: 20 min. HWZ: 3-4 h, aktive Metabolite 8 h. WD: 5-8(-15) h.
536
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Midazolam Präparate Dormicum®, Midazolam Curamed®, Midazolam-ratiopharm® (jeweils 1 Amp. à 1 / 3 / 5 ml enth. 5 / 15 / 5 mg - Vorsicht: Ampullen nicht verwechseln!).
Indikationen Zur Sedierung (z. B. bei Erregungszuständen), zerebrale Krampfanfälle, zur Narkoseeinleitung und -aufrechterhaltung.
Notfallmedikamente
Kontraindikationen Ateminsuffizienz (bei fehlender Möglichkeit adäquater Beatmung), Myasthenia gravis, Säuglinge bis 4 Monate, akute Vergiftungen mit Alkohol / Schlafmitteln / Neuroleptika / Antidepressiva / Lithium, [Engwinkelglaukom], [Hypovolämie], [Schwangerschaft], [Stillzeit].
Nebenwirkungen Atemdepression, Blutdruckabfall, paradoxe Reaktionen (z. B. akute Erregungszustände), Verwirrtheit, Muskelzittern, Laryngo- und Bronchospasmus, Schmerzen bei Injektion, anterograde und retrograde Amnesie, Herzrhythmusstörungen, Sehstörungen. Rasche und hochdosierte Injektion von Midazolam kann zu einem Atemstillstand führen!
Wechselwirkungen • Zentralwirksame Pharmaka und Alkohol: gegenseitige Wirkungsverstärkung. • Muskelrelaxanzien, Analgetika, Lachgas: Wirkungsverstärkung dieser Präparate. • Cimetidin, Erythromycin, Verapamil: Verstärkung und Verlängerung der Wirkung von Midazolam. • Antihypertensiva, Vasodilatatoren: Verstärkter Blutdruckabfall.
Toxizität O. g. Nebenwirkungen (besonders Atemdepression). Therapie: Basismaßnahmen, symptomatische Therapie, Flumazenil als Antidot i.v..
Dosierung • Sedierung: bis zu 0,1 mg / kg KG i.v. (in 1 mg-Schritten titrieren; 1 mg kann schon ausreichend sein) • Narkoseeinleitung: 0,15 - 0,2 mg / kg KG i.v. • Krampfanfall: 0,15 - 0,2 mg / kg KG i.v. Jeweils Dosisreduktion bei älteren Menschen.
Wirkungsweise Anxiolyse, Sedierung, Antikonvulsion und Muskelrelaxation durch GABAWirkungsverstärkung. WE: 2 - 3 min. WD: 15 - 45 Minuten. HWZ: 1,5 - 2,5 h. Schnellerer Wirkungseintritt und kürzere Wirkungsdauer als bei Diazepam.
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
537
17
Morphin Präparate Morphin Merck, MSI Mundipharma® (jeweils 1 Amp. à 1 ml enth 10 / 20 mg).
Indikationen Starke und stärkste Schmerzen (vor allem bei kardialen Risikopatienten und Patienten mit akutem Myokardinfarkt und / oder Lungenödem).
Kontraindikationen Medikamenten-, Drogen- und Alkoholabhängigkeit, Atemstörungen (ohne Möglichkeit adäquater Beatmung), Kombination mit MAO-Hemmern, akutes Abdomen, Koliken, Pankreatitis, [Asthma], [Phäochromozytom], [Epilepsie], [erhöhter Hirndruck], [Säuglinge], [Hypovolämie], [Schwangerschaft].
Nebenwirkungen Atemdepression, Blutdruckabfall, Übelkeit, Harn- und Stuhlverhalt, Spasmen der Gallengänge, Miosis, Sedierung, Schwindel, Kopfschmerzen, zerebrale Krampfanfälle, Bradykardie, Bronchospasmen.
Wechselwirkungen • Zentraldämpfende Pharmaka, Alkohol: Wirkungs- und Nebenwirkungsverstärkung, insbesondere der Atemdepression. • MAO-Hemmstoffe: mögliche schwere zentralnervöse Nebenwirkungen sowie auf die Atmungs- und Kreislauffunktion. • Cimetidin: Wirkungsverstärkung des Morphins • Muskelrelaxantien: Wirkungsverstärkung der Muskelrelaxantien
Toxizität O. g. Nebenwirkungen. Zyanose und Kreislaufkollaps, Bewusstseinsstörungen, Tachykardie. Therapie: Basismaßnahmen, symptomatische Therapie, wachhalten, Atembefehle, Atemhilfe, Naloxon als Antidot i.v. - S. a. S. 538.
Dosierung 0,05 - 0,1 mg / kg KG i.v. (Erwachsene bei Myokardinfarkt: 3-5 mg i.v., ggf. wdh.)
Wirkungsweise Opiatagonist: sedierende und analgetische Wirkung (Bindung an Opioidrezeptoren - s. S. 454). Geringe Kreislaufwirkung (u. a. keine Steigerung des pulmonalarteriellen Druckes). Vergleichsweise (mit anderen Opiaten) hohe Histaminausschüttung. Spasmen der glatten Muskulatur. Antitussive Wirkung. WE: 2 - 5 min, WM: 20 - 30 min. WD: 90 min. HWZ: 1,7 - 4,5 h.
BtM
538 A
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Naloxon Präparate • Naloxon 0,4 mg Curamed, Naloxon-ratiopharm® 0,4, Narcanti® (1 Amp. à 1 ml enth. 0,4 mg). • Naloxon infant Curamed, Narcanti®-Neonatal (1 Amp. à 2 ml enth. 0,04 mg).
Indikationen
Notfallmedikamente
Zur völligen oder teilweisen Aufhebung opioidinduzierter zentralnervöser Dämpfungszustände, Diagnose und Therapie bei akuter Opioid-Überdosierung (z. B. Heroinintoxikation), außer Buprenorphin (s. S. 462).
Kontraindikationen [Schwangerschaft], [Stillzeit]. Vorsicht bei Herzerkrankungen und Hypertonie! Neugeborene: Vorsicht bei Heroinabhängigkeit der Mutter (Entzug) - nur therapeutisch bedingte Opiatgabe antagonisieren.
Nebenwirkungen Entzugssymptome möglich (Hypertension, Tachykardie, Kammerflimmern, Lungenödem), Erbrechen bei schneller Injektion, Überempfindlichkeitsreaktionen.
Dosierung • Erwachsene:
0,1 - 0,4 mg langsam i.v. (initial 0,1 mg). zur Not: 0,8 mg i.m. oder 1-2 mg endobronchial • Säuglinge und Kinder: 0,01 mg / kg KG langsam i.v. (initial 0,01 mg). • Jeweils 1 Ampulle (à 0,4 bzw. 0,04 mg) mit NaCl 0,9 % auf 10 ml verdünnen und langsam in ml-Schritten bis zum ausreichenden Wirkungseintritt (adäquate Atmung) titrieren! Wiederholte Gabe alle 2 - 3 Minuten möglich. Bei schweren Vergiftungen Dosen bis zu 6-10 mg nötig. Tritt dann keine Wirkung ein, ist die Diagnose zu hinterfragen oder ein schwerer hypoxischer Schaden anzunehmen. • Bis zum Wirkungseintritt von Naloxon ist der Patient entsprechend seiner Symptomatik zu versorgen (Atemwege freihalten, Beatmung usw.)!
Praxistipps • Die Wirkdauer von Naloxon ist i. d. R. kürzer als die der gängigen Opioide ➯ Rückkehr der Vergiftungssymptomatik (Atemstillstand usw.). Der Patient muss auch nach erfolgreicher Opioidantagonisierung überwacht werden! • Unabhängig von Entzugssymptomen, können Opiatabhängige nach Naloxongabe sehr aggressiv werden, wenn Sie erkennen, dass Ihnen das (teure) Rauscherlebnis zunichte gemacht wurde (Eigenschutz!). Außerdem fehlende Kooperation für anschließende Überwachung möglich: ggf. Zwangseinweisung nötig. Zur Strategie bei Opiatintoxikation s. a. S. 354 f.
Wirkungsweise Verdrängung opioidartiger Substanzen von Opioidrezeptoren. HWZ: 1 h.
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
539
17
Natriumhydrogencarbonat 8,4 % Synonym Natriumbicarbonat (noch gebräuchlich, entspr. aber nicht der aktuellen Nomenklatur) Der Einsatz von Natriumhydrogencarbonat bei azidotischen Zuständen wird nur noch für die gezielte Pufferung nach Blutgasanalyse empfohlen. Eine Blindpufferung ist wegen der Nachteile für den Sauerstoffhaushalt bei komplettem Azidoseausgleich bzw. Überpufferung und des unkontrollierten CO2-Anstiegs heute nicht mehr durchzuführen. Zu Blutgasanalyse im Rettungsdienst vgl. S. 53.
Präparate Natriumhydrogencarbonat 8,4 % (= 1molar Braun / Bernburg / Delta-Pharma / Fresenius / Köhler / Pharmacia / salvia (jeweils 1000 ml Lsg. enth. 84 g; 1ml enth. 1mVal).
Indikationen Metabolische Azidose, Intoxikation mit trizyklischen Antidepressiva (mit Hypotonie, Krämpfen oder Arrhythmien), Hyperkaliämie (als Ursache eines HerzKreislaufstillstandes).
Kontraindikationen Alkalosen, respiratorische Azidose, Ateminsuffizienz.
Nebenwirkungen Metabolische Alkalose (schlechtere O2-Abgabe), Nekrosen bei paravenöser Injektion, hypokalzämische Tetanie (bei Dosisüberschreitung).
Wechselwirkungen • Katecholamine: Ausfällung und Inaktivierung. • Calcium-, magnesium- und phosphathaltige Lösungen: Inkompatibilität mit Natriumhydrogencarbonat (nicht mischen!).
Dosierung Richtwert: 1 mVal Natriumhydrogencarbonat / kg KG i.v. (normgewichtige Erwachsene: ca. 50 mmol i.v., d.h. 50 ml 8,4%ige Lösung) Höhere Dosen / Pufferung nur nach Blutgasanalyse. Bei Neugeborenen und Kindern sollte Natriumhydrogencarbonat 1:1 verdünnt werden.
Wirkungsweise Natriumhydrogencarbonat bindet H+-Ionen unter Bildung von Kohlensäure, diese zerfällt in Wasser und Kohlendioxid, letzteres wird abgeatmet.
A
540
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Nitrendipin Präparate Bayotensin ® akut (1 Phiole à 1 ml enth. 5 mg)
Indikationen Hypertensiver Notfall.
Notfallmedikamente
Kontraindikationen Hypotonie, Schock, akuter Myokardinfarkt (bis 4 Wo. danach), instabile Angina pectoris, dekompensierte Herzinsuffizienz, höhergradige Aortenstenose, Einnahme von Rifampicin (Wirkstoff gegen Tuberkulose), [Leberinsuffizienz], Schwangerschaft, [Stillzeit]. Vorsicht bei Alkoholabstinenz: 1 Phiole enth. ca. 0,25 g Ethanol (ca. 30 Vol%).
Nebenwirkungen Kopfschmerzen (häufig), Schwindel, Flush (häufig), Reflextachykardie, übermäßige RR-Senkung (verzögert mgl.), Angina pectoris, Palpitationen, Übelkeit, Parästhesien.
Wechselwirkungen • Blutdrucksenkende Pharmaka, trizyklische Antidepressiva, Cimetidin, Ranitidin: verstärkte Blutdrucksenkung. • Digoxin, Theophyllin: Erhöhung der jeweiligen Plasmaspiegel. • Rifampicin, Phenytoin, Carbamazepin, Phenobarbital: Wirkungsverminderung von Nitrendipin. • Valproinsäure, zahlreiche Antibiotika und Virostatika, Grapefruitsaft: Erhöhung des Nitrendipin-Spiegels.
Toxizität Kardiales Versagen (Blutdruckabfall, Bradykardie nach instab. Tachykardie). Therapie: Basismaßnahmen, symptomat. Therapie, Calciumgluconat 10% i.v.
Dosierung Erwachsene: Inhalt einer Phiole zu 5 mg p.o. Je nach Wirkung ggf. einmalige Wiederholung (frühestens nach 30 - 60 Minuten). Nach Gabe von Nitrendipin regelmäßige Blutdruckkontrolle!
Wirkungsweise Vasodilatation v.a. peripher-arterieller Widerstandsgefäße durch Calciumantagonismus an speziellen Kalziumkanälen (L-VOCC). Dadurch AfterloadSenkung. Außerdem geringe negative Inotropie. Kaum Beeinträchtigung der Erregungsbildung und -leitung in therapeutischer Dosierung. Durch langsameres Anfluten als Nifedipin (s. S. 470 f.) evtl. geringere Gegenregulation (geringere Myokardbelastung). WE (oral): 2 - 20 min. WM: 60 min. HWZ: (7-) 10,4 (-8) h.
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
541
17
Noradrenalin Synonym: Norepinephrin. Präparate Arterenol®, Noradrenalin 1:000 Jenapharm (1 Amp. à 1 ml enth. 1 mg). Die neu gelieferten Chargen sind mittlerweile kühlpflichtig (+2 bis +8°C); eine Lagerung bei Raumtemperatur wie bei Adrenalin (S. 484) ist aber für max. 6 Monate möglich.
Indikationen Starker Blutdruckabfall, der auf andere Maßnahmen nicht anspricht, besonders bei Schock mit herabgesetztem peripheren Widerstand.
Kontraindikationen Hypertonie, Phäochromozytom, Engwinkelglaukom, paroxysmale Tachykardie, absolute Tachyarrhythmie, schwere Nierenfunktionsstörungen, Koronargefäßund Herzmuskelerkrankungen, sklerotische Gefäßveränderungen (Gefahr massiver Durchblutungsstörungen), Cor pulmonale, [Thyreotoxikose].
Nebenwirkungen Herzklopfen, ventrikuläre Herzrhythmusstörungen, pektanginöse Beschwerden, Zittern. Ischämiegefahr der Nieren und des Splanchnikusgebietes. Bei Pat. mit Sulfitüberempfindlichkeit anaphylaktoide Reaktionen möglich.
Wechselwirkungen • Alkohol, Levothyroxin, Guanethidin, MAO-Hemmer, tri- und tetrazyklische Antidepressiva: sympathomimetische Wirkung verstärkt. • α-Rezeptorenblocker: Wirkungsumkehr (Blutdrucksenkung).
Toxizität Lokal: schlecht durchblutete Haut (entlang der Infusionsvene weiß verfärbt), später Hautnekrosen. Blutdruckanstieg, Bradykardie, Kreislaufzentralisation, Kammerflimmern, Atemnot, Atemlähmung, Lungenödem, Schwindel, Ohnmacht. Therapie: Basismaßnahmen, symptomatische Therapie.
Dosierung • Erwachsene: 0,9 - 6 μg / kg KG / h • Wegen extrem gefäßverengender Wirkung möglichst ausschließlich über zentrale Venen (ZVK) verabreichen. Wegen direkter, starker Wirkung nur über ein exaktes Dosiersystem (z. B. Spritzenpumpe) verabreichen. Dosierung so niedrig wie möglich beginnen; ggf. bis zur ausreichenden Wirkung steigern (Anhebung des MAP bis zur ausreichenden Versorgung von Herz und Gehirn).
Wirkungsweise α-sympathomimetische Wirkung ➯ periphere Vasokonstriktion ➯ Steigerung des peripheren Widerstandes ➯ Blutdruckanstieg. Geringe β1-Sympathomimetik. Steigerung des O2-Verbrauches am Herzmuskel. HWZ: 1 - 3 min.
542
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Oxytocin Präparate Orasthin®/-”stark”, Oxytocin 3/10-Rotexmedica, Oxytocin (/ forte) Horm®, Oxytocin 3/10 Hexal®, Oxytocin-Noury 3 I. E./10 I. E., Syntocinon® 3 I. E./10 I.E. (jeweils 1 Amp. à 1 ml enth. 3 I. E. / 10 I. E.). - Mittlerweile sind alle Präparate kühlpflichtig, z.T. ist eine zeitlich beschränkte Lagerung bei Raumtemperatur möglich.
Indikationen Notfallmedikamente
Atonische Blutungen post partum und nach Kürettage, Plazentaretention, Geburtseinleitung, primäre und sekundäre Wehenschwäche.
Kontraindikationen Lageanomalien, Präeklampsie, drohende Uterusruptur, mechanisches Geburtshindernis, vorzeitige Plazentalösung, Placenta praevia, schwere Schwangerschaftstoxikose, [vorausgegangene Operation am Uterus].
Nebenwirkungen Intrauterine Hypoxie, Tetanus uteri, Tachykardie, pektanginöse Beschwerden, Blutdruckabfall (bei zu rascher Applikation), Ödeme.
Wechselwirkungen • Prostaglandine, Methylergometrin: Wirkungsverstärkung von Oxytocin. • Blutdrucksteigernde Sympathomimetika: prolongierter Hypertonus. • Antihypertonika: Wirkungssteigerung der Antihypertonika.
Dosierung • Geburtseinleitung und Wehenschwäche: Infusion (5 I. E. / 500 ml VEL); Tropfgeschwindigkeit: 8 - 40 Tropfen pro Minute. • Nachgeburtsperiode: 3 I. E. Oxytocin langsam i.v.; anschließend Infusion mit 10 I. E. Oxytocin auf 500 ml VEL.
Wirkungsweise Hormon der Hypophyse - direkte Stimulation der Uterusmuskulatur. HWZ: 15 min.
Vorgehen bei Überdosierung Bei Überdosierungvon Oxytocin kann es zum Tetanus uteri kommen. Nach dem obligaten Abstellen der Oxytocinzufuhr können in diesem Fall β2-adrenerge Agonisten oder Kalziumblocker angewendet werden.
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
543
17
Paracetamol (PCM) Präparate ben-u-ron ®, Captin®, Doloreduct® 125 / 250, Fensum® 125 / 250, Mono Praecimed® 125 / 250, nilnOcen®, Paedialgon®, Paracetamol 125 / 250 BC, Paracetamol Hexal®, Paracetamol Heumann, Paracetamol von ct, Paracetamol AL®, Paracetamol Selz 125 mg / 250 mg, Paracetamol Stada®, Paracetamolratiopharm® 125 S / 250 S, Paracetamol-Suppositorien 125 mg / 250 mg Saar, Paracetamol Lichtenstein, Pyromed® S 125 / S 250, RubieMol, Treupel® mono (jeweils 1 Zäpfchen enth. 125 / 250 mg).
Indikationen Fieber (bei Kindern), Schmerzen (bei Kindern).
Kontraindikationen Bekannte Überempfindlichkeit, [schwere Leberfunktionsstörungen], [Nierenfunktionsstörungen], [M. Meulengracht].
Nebenwirkungen Schwere Leberschäden (bei Überdosierung), Störungen der Blutbildung, Überempfindlichkeitsreaktionen.
Wechselwirkungen • Alkohol, leberenzyminduzierende Arzneimittel (z. B. Phenytoin, Barbiturate, Antiepileptika, Rifampicin): Leberschäden, Risiko erhöhter Toxizität.
Toxizität (vgl. S. 378) 1. Tag: Übelkeit, Erbrechen, Schwitzen, Bewusstseinsstörungen. 2. Tag: Besserung des subjektiven Befindens, Leibschmerzen, Lebervergrößerung. 3. Tag: Ikterus, Hypoglykämie, Leberzerfallkoma, Tod möglich. Therapie: Basismaßnahmen, symptomatische Therapie, N-Acetylcystein i.v.
Dosierung • Säuglinge bis 1 Jahr: 125 mg Paracetamol rektal. • Kleinkinder 1 bis 5 Jahre: 250 mg Paracetamol rektal. Zur Verbesserung der Gleitfähigkeit das Zäpfchen ggf.kurz vor der Anwendung (noch verpackt) in der Hand erwärmen.
Wirkungsweise Analgetische und antipyretische Wirkung durch Hemmung der Prostaglandinsynthese. WM: 30 min. WD: 4 - 6 h. HWZ: 1- 4 h.
544 BtM
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Pethidin Präparate AB-Pethidin HCl 50 Curasan (1 Amp. à 1 ml enth. 50 mg), Dolantin® (1 Amp. à 1 / 2 ml enth. 50 / 100 mg).
Indikationen
Notfallmedikamente
Starke Schmerzen (beachte: Herzinfarkt: starker Blutdruckabfall und deutlicher Herzfrequenzanstieg). Bei Gallenkolik eher geeignet als Morphin (geringerer Spasmus am Sphinkter Oddi).
Kontraindikationen Medikamenten-, Drogen- / Alkoholabhängigkeit, Säuglinge, Atemstörungen (ohne Möglichkeit adäquater Beatmung), MAO-Hemmer-Behandlung während der letzten 14 Tage (schwerste ZNS-, Atmungs- und Kreislaufstörungen), [erhöhter Hirndruck], [Bewusstseinsstörungen], [Hypovolämie], [Herzinfarkt], [Kinder bis 16 Jahre], [Nierenfunktionsstörungen], [Epilepsie], [Schwangerschaft].
Nebenwirkungen Atemdepression, Hypotonie, Tachykardie, Bradykardie, Übelkeit, Erbrechen, Verstopfung, Bronchospasmen, Pupillenverengung, Mundtrockenheit, Sedierung, Schwindel, Verwirrtheit, Wahrnehmungsveränderungen, Kopfschmerzen, zerebrale Krampfanfälle. Die Nebenwirkungen können auch beim Neugeborenen auftreten, wenn die Mutter Pethidin bekam.
Wechselwirkung • Zentraldämpfende Pharmaka und Alkohol: Wirkungs- und Nebenwirkungsverstärkung (insbesondere der Atemdepression). • MAO-Hemmer: schwere Nebenwirkungen möglich. • Pentazocin, Buprenorphin: Pethidinwirkung vermindert.
Toxizität S. S. 370 f. und S. 538
Dosierung • Erwachsene: 0,5 - 1 mg / kg KG i.v. langsam über 1 - 2 min Dosisreduktion bei Leber- und Niereninsuffizienz.
Wirkungsweise Opiatagonist: sedierende und analgetische Wirkung (Bindung an Opioidrezeptoren). Starke Histaminfreisetzung. WE: 1 - 2 min. WD: 2 - 3 h. WM: 15 min. HWZ: 3,5 - 4 h.
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
545
17
Phenytoin Präparate Epanutin®, Phenhydan®, Zentropil® (1 Amp. à 5 ml enth. 230 o. 250 mg).
Indikationen Status epilepticus und persistierende Krampfanfälle anderer Genese (außer Absencen und Fieberkrämpfe); schwerwiegende ventrikuläre Tachykardie.
Kontraindikationen AV-Block II° / III°, Sick-Sinus-Syndrom, [HF < 50/min], [RR syst. < 90 mm Hg], [akuter Myokardinfarkt], [pulmonale Insuffizienz], [Vorhofflimmern/-flattern].
Nebenwirkungen Zentralnervöse Störungen, proarrhythmische Wirkungen bis Kammerflimmern, Bewusstseinsstörungen, Blutdruckabfall, Ataxie, Tremor, Nystagmus, exfoliative Dermatitis (Lyell-Syndrom), Erbrechen, Nekrosen bei paravenöser Injektion.
Wechselwirkungen • Methotrexat: Methotrexat-Toxizität verstärkt. • Cimetidin: verzögerte Ausscheidung von Phenytoin. • Amiodaron, Benzodiazepine, nichtsteroidale Antiphlogistika, trizyklische Antidepressiva u.v.a.: Erhöhung des Phenytoinplasmaspiegels. • Valproinsäure: Risiko von Nebenwirkungen erhöht (insbes. Hirnschädigung).
Toxizität O. g. Nebenwirkungen, Miosis, Atemdepression, Doppelbilder, zerebelläre Ataxie. Therapie: Basismaßnahmen, symptomatische Therapie.
Dosierung (Erwachsene) • Status epilepticus: Initial 250 Phenytoin i.v. Falls der Status nach 20 - 30 min noch nicht zum Stillstand gekommen ist, erneut 250 mg i.v. bis maximal 1500 mg über 24 h. • Kardiologische Therapie: Die Injektionsgeschwindigkeit soll 0,5 ml (= 25 mg) / min nicht überschreiten. Bewährt hat sich initial 125 mg, bei guter Verträglichkeit nach 20 - 30 min weitere 125 mg i.v. Einstellung im Krankenhaus unter Monitorüberwachung. Grundsätzlich nicht verdünnen oder nachspülen! Möglichst eigener Zugang für Phenytoin, da Kunststoffe (z.B. Dreiwegehähne) angegriffen werden können.
Wirkungsweise Antiarrhythmische Wirkung: elektrophysiologische Wirkung entsprechend der des Lidocains - jedoch andere klinische Wirkungsbreite (Grund bisher unbekannt). Antiepileptische Wirkung. HWZ: 20 - 60 h (dosiabhängig).
546 A
A
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Physostigmin Präparat Anticholium® (1 Amp. à 5 ml enth. 2 mg Physostigminsalicylat).
Indikationen Vergiftungen mit Atropin, Phenothiazinen (z. B. Neurocil®, Psyquil®), tri- und tetrazyklischen Antidepressiva.
Notfallmedikamente
Kontraindikationen Vergiftungen mit Anticholinergika und Barbituraten, [Asthmatiker mit Sulfitüberempfindlichkeit].
Nebenwirkungen Schock, Bradykardie, Herzrhythmusstörungen, Asthmaanfall, Bewusstseinsstörungen, Pupillenverengung, Speichelfluss, vermehrte Schleimproduktion, Brechreiz.
Dosierung Erwachsene: 2 mg Physostigmin über 2 - 3 min i.v.; Kinder: 0,5 - 1 mg Physostigmin i.v. • Nach Ende der Wirkdauer (20 Minuten bis 8 Stunden - oft kürzer als die des Giftes) ist bei erneutem Auftreten von Vergiftungssymptomen eine weitere Gabe von 1 - 2 mg Physostigmin i.v. bei Erwachsenen und 0,5 mg Physostigmin i.v. bei Kindern möglich. • Bei Überdosierung / Vergiftung mit Physostigmin Atropin als Antidot i.v.
Wirkungsweise Acetylcholinesterasehemmer; parasympathomimetische Wirkung durch Enzymblockade. HWZ: 0,5 - 1 h.
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
547
17
Piritramid Präparat Dipidolor® (1 Amp. à 2 ml enth. 15 mg).
Indikationen Starke und stärkste Schmerzen.
Kontraindikationen Medikamenten-, Drogen- und Alkoholabhängigkeit, [Koliken], [Gallenwegserkrankungen], [Hypovolämie], [erhöhter Hirndruck], [Phäochromozytom, Nebennierenrindeninsuffizienz], [Säuglinge], [Schwangerschaft].
Nebenwirkungen Atemdepression, Sedierung, Hypotonie, Bradykardie, Bronchospasmen, Spasmen der Gallen- und / oder Pankreasgänge, Miosis, Schluckauf, Übelkeit, Erbrechen.
Wechselwirkungen • Zentraldämpfende Pharmaka, Alkohol: Wirkungs- und Nebenwirkungsverstärkung (insbesondere der Atemdepression). • MAO-Hemmstoffe: mögliche schwere zentralnervöse Nebenwirkungen sowie Einfluss auf die Atmungs- und Kreislauffunktion. • Pancuronium, Vecuronium: Wirkungsverstärkung dieser Substanzen. • Pentazocin: Wirkung von Piritramid antagonisiert.
Toxizität S. S. 370 f. und S. 538
Dosierung • Erwachsene: 0,1 - 0,2 mg / kg KG i.v. • Kinder: 0,05 - 0,1 mg / kg KG i.v. • Langsame Injektion (maximal 10 mg pro Minute). • Dosisreduktion bei Lebererkrankungen und reduziertem Allgemeinzustand.
Wirkungsweise • Opiatagonist: sedierende und analgetische Wirkung. WE: 2 - 3 min. WM:7 - 10 min. WD: etwa 6 h. HWZ: 4 - 10 h. • Gut geeignet für die Notfallmedizin (kaum Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System, keine Histaminfreisetzung, keine Erregungssteigerung bei Epileptikern, selten Übelkeit und Erbrechen). Analgetische Potenz und Atemdepression geringer als bei Morphin, Sedierung aber stärker.
BtM
548
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Promethazin Präparate Atosil®, Closin®-Inject, Promethazin-neuraxpharm®, Prothazin® (jeweils 1 Amp. à 2 ml enth. 50 mg).
Indikationen Schlafstörungen und Unruhezustände, allergische Reaktionen, Asthma bronchiale (vor allem allergisches Asthma), spastische Bronchitis, Emphysembronchitis.
Notfallmedikamente
Kontraindikationen Akute Vergiftung mit zentraldämpfenden Pharmaka und Alkohol, Allergie gegen Thioxantheme und Phenothiazine, Schock, Engwinkelglaukom (Gefahr der Anfallsauslösung), Kinder unter 2 Jahren, [Kinder bis 16 Jahre], [Epilepsie], [kardiale Vorschädigung], [1. Schwangerschaftsdrittel].
Nebenwirkungen Malignes neuroleptisches Syndrom, Schwindel, Kopfschmerzen, gastrointestinale Störungen, Erregungsleitungsstörungen, Hypotonie, Tachykardie, anticholinerge Wirkungen, Krampfanfälle, Tränenfluss, Durstgefühl.
Wechselwirkungen • Zentraldämpfende Pharmaka, Alkohol: gegenseitige Wirkungsverstärkung. • Antihypertonika: Blutdrucksenkung verstärkt. • Anticholinergika: anticholinerge Wirkung verstärkt. • Adrenalin: alpha-adrenerge Wirkung des Adrenalin vermindert.
Toxizität O. g. Nebenwirkungen, Bewusstseinsstörungen, hyperkinetisch-dystones Syndrom, Herzinsuffizienz. Therapie: Basismaßnahmen, symptomatische Therapie. Beachte: nach oraler Aufnahme: emetische Maßnahmen unwirksam. Analeptika kontraindiziert. Adrenalinumkehr, daher ggf. nur noradrenalinartig wirkende Kreislaufmittel oder Dopamin. Physostigmin als Antidot i.v. Ggf. Biperiden i.v. S. a. Schlafmittel- und Psychopharmaka-Vergiftung (Kapitel 12)
Dosierung Erwachsene: 25 - 50 mg Promethazin langsam i.v.
Wirkungsweise Neuroleptikum mit starker antihistaminischer (H1-Blockade) und anticholinerger Wirkkomponente. Sedierung. Blockade α-adrenerger Rezeptoren. HWZ: 8 - 15 h.
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
549
17
Propafenon Präparate Propafenon-ratiopharm®, Rytmonorm® (jeweils 1 Amp. à 20 ml enth. 70 mg).
Indikationen Supraventrikuläre Tachykardien und Tachyarrhythmien (z. B. WPW-Syndrom), paroxysmales Vorhofflimmern, ventrikuläre tachykarde Herzrhythmusstörungen.
Kontraindikationen Manifeste Herzinsuffizienz und eingeschränkte Herzleistung, kardiogener Schock (außer arrhythmiebedingt), schwere Bradykardie oder Hypotonie, schwere obstruktive Lungenerkrankungen, Sinusknotensyndrom, Myasthenia gravis, AV-Block II° / III°, SA-Block, [akuter Myokardinfarkt].
Nebenwirkungen Proarrhythmische Wirkungen bis Kammerflimmern, Krämpfe (bei Überdosierung), psychische Störungen (wie Angst und Verwirrtheit), Übelkeit, Sehstörungen, Schwindel, Parästhesien, in seltenen Fällen Bradykardie, Herzrhythmusstörungen, Hypotonie, extrapyramidale Symptome möglich, Herzinsuffizienz.
Wechselwirkungen • β-Rezeptorenblocker, trizyklische Antidepressiva: Wirkungsverstärkung.
Toxizität Hypotonie, Bradykardie, SA-Block und AV-Block II° / III°, Schenkelblock, Atemstillstand. Therapie: Basismaßnahmen, symptomatische Therapie, Intensivüberwachung.
Dosierung • Die Einzeldosis beträgt 0,5 - 1 mg / kg KG i.v. • Die Injektion soll bei aufmerksamer Beobachtung des Patienten langsam, innerhalb von 3 - 5 min, unter EKG- und Blutdruckkontrolle mit möglichst niedrigen Dosen erfolgen. • Der Abstand zwischen 2 Injektionen soll etwa 90 - 120 min betragen. • Bei Verlängerung der QRS-Dauer um über 25 % im Vergleich zu den Ausgangswerten oder Verlängerung der frequenzkorrigierten QT-Zeit Injektion sofort unterbrechen. • Propafenon darf nicht mit Kochsalzlösung verdünnt werden, da es zu Ausfällungen kommen kann.
Wirkungsweise Leitungsverzögerung durch chinidinartige Wirkung; außerdem β-sympatholytische und Kalzium-antagonistische Wirkung. HWZ: 5 - 12 h.
550
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Propofol Präparat Disoprivan® 1%, Klimofol® 1%, Propofol Abbott 1%, Propofol 1 % Fresenius, Propofol 1 % Parke-Davis® (1 Amp. à 20 ml enth. 200 mg).
Indikationen Narkoseeinleitung und -aufrechterhaltung, Sedierung (unter Beatmung).
Kontraindikationen Notfallmedikamente
Säuglinge, geburtshilflicher Eingriff, Schwangerschaft, Stillzeit.
Nebenwirkungen Blutdruckabfall, Bradykardie bis Asystolie, Atemstillstand, Schmerzen an der Injektionsstelle, Husten, Krämpfe, sehr selten Anaphylaxie. In der Aufwachphase: Herabsetzung der sexuellen Hemmschwelle, Übelkeit/Erbrechen, Kopfschmerzen.
Wechselwirkungen • Antihypertonika, atemdepressive Mittel: additive Effekte. • Opiate: atemdepressive Wirkung verstärkt und verlängert
Dosierung • Narkoseeinleitung: 2 - 2,5 mg / kg KG langsam i.v. • Narkoseaufrechterhaltung: 6 - 12 mg / kg KG / h i.v. • Ältere oder kardial vorgeschädigte Patienten: Dosisreduktion (Narkoseeinleitung: 1 mg / kg KG langsam i.v., Narkoseaufrechterhaltung: 4 mg / kg KG / h i.v.)
Vorsichtsmaßnahmen • Vor der Verabreichung ausreichende Kompensation von Herz-, Kreislaufoder Ateminsuffizienz oder Hypovolämie! • Die Dosierung jeweils an die individuelle Reaktion des Patienten anpassen. • Eine kontinuierliche EKG-Überwachung des Patienten wird empfohlen.
Wirkungsweise: Kurzwirksames Narkotikum ohne analgetische Wirkung (ggf. Analgetika zusätzlich verabreichen). WE: 25 - 40 s. WD: 4 - 6 min. HWZ: 34 - 64 min.
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
551
17
Pyridostigminbromid Präparate Kalymin® mite / forte (1 Amp. à 1 ml enth. 1 mg / 5 mg), Mestinon® 5 (1 Amp.-Fl. à 5 ml enth. 25 mg).
Indikationen Antagonisierung nicht depolarisierender Muskelrelaxanzien.
Kontraindikationen Asthma bronchiale, Obstruktionsileus, Stenosen oder Spasmen des Darmtraktes, der Gallen- oder Harnwege, postoperative Schock- und Kreislaufkrisen, Thyreotoxikose (nach der Gabe depolarisierender Muskelrelaxanzien), Myotonie, Parkinsonismus, spastische Bronchitis, [Schwangerschaft].
Nebenwirkungen Hypotonie bis zum Kollaps, Herzstillstand, Bradykardie, Bronchospasmen, erhöhte Bronchialsekretion, Durchfälle, Krämpfe des Magen-Darm-Kanals, Muskelschwäche, Lähmungen (neuromuskulärer Block), Akkomodationsstörungen, Tränenfluss, Schwitzen.
Wechselwirkungen • Opioide, Barbiturate: Wirkung der angeführten Substanzen verstärkt. • Cholinergika: cholinerge Krise (bei Patienten mit Myasthenia gravis) • β-Rezeptorenblocker: Bradykardie.
Toxizität O. g. Nebenwirkungen, AV-Block, Übelkeit, Harndrang. Therapie: Basismaßnahmen, symptomatische Therapie, 0,5 - 1 mg Atropin i.v.
Dosierung 1. Vorgabe von Atropin 0,01 - 0,02 mg / kg KG i.v. (Vorbeugung cholinerger Nebenwirkungen!) 2. 0,05 - 0,15 mg Pyridostigminbromid / kg KG i.v. (1 ml mit NaCl 0,9 % auf 10 ml verdünnen, vorsichtig bis zum ausreichenden Wirkungseintritt titrieren, maximal 10 mg Pyridostigminbromid i.v.).
Wirkungsweise Reversibler Acetylcholinesterasehemmer, d. h. Erhöhung der Acetylcholinkonzentration am Rezeptor, dadurch Verdrängung der Muskelrelaxanzien vom Rezeptor (cholinerge Wirkung). HWZ: etwa 2 h.
A
552
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Ranitidin Präparate Ranitic® injekt, Ranitidin-ratiopharm®, Sostril®, Zantic® (jeweils 1 Amp. à 5 ml enth. 50 mg).
Indikationen Verhütung von Säureaspiration (Narkoseprämedikation), Stressulkusprophylaxe, Blutungen aus Erosionen im Magen-Darm-Trakt (Malignität ausgeschlossen).
Notfallmedikamente
Kontraindikationen Kinder unter 14 Jahren, [Akute Porphyrie (in der Anamnese)], [Schwangerschaft], [Stillzeit].
Nebenwirkungen Bradykardie, Muskelschmerzen, Kopfschmerzen, Schwindel, Müdigkeit, Doppelsehen, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Verstopfung, Ödeme, Herzrhythmusstörungen.
Dosierung Erwachsene: 1 - 2 mg / kg KG langsam i.v. (über mindestens 2 min) Dosisreduktion bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion.
Wirkungsweise Hemmung der Säuresekretion des Magens und der verzögerten Immunreaktion durch Hemmung der Histaminwirkung an H2-Rezeptoren (H2-Antihistaminikum). HWZ: 2,5 - 3 h.
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
553
17
Reproterol Präparat Bronchospasmin® (1 Amp. à 1 ml enth. 0,09 mg).
Indikationen Asthma bronchiale, obstruktive Lungenerkrankungen, Bronchospasmen.
Kontraindikationen Akuter Myokardinfarkt, schwere Hyperthyreose, Phäochromozytom (katecholaminproduzierender Tumor), [Schwangerschaft].
Nebenwirkungen Tachykardie mit Herzklopfen, pektanginöse Beschwerden, Blutdrucksteigerung bzw. -senkung, allergische Reaktionen, Psychosen (bei Kindern), Unruhegefühl, Tremor, Kopfdruck, verminderte Kaliumkonzentration im Serum.
Wechselwirkungen • β-Adrenergika, Theophyllin, Anticholinergika: Wirkung und Nebenwirkungen von Reproterol verstärkt. • β-Rezeptorenblocker: Wirkungsverminderung von Reproterol und Auslösung von schweren Bronchospasmen möglich. • Halogenierte Kohlenwasserstoffe: erhöhte Arrhythmiegefahr. • MAO-Hemmer, trizyklische Antidepressiva: verstärkte Wirkung von Reproterol auf das Herz-Kreislauf-System. • β-Sympathomimetika: Verstärkung der Nebenwirkungen.
Toxizität O. g. Nebenwirkungen. Therapie: Basismaßnahmen, symptomatische Therapie. Beachte: β-Rezeptorenblocker antagonisieren die Wirkung von Reproterol, können aber zu schweren Bronchospasmen führen.
Dosierung Erwachsene: • 0,09 mg Reproterol-HCl langsam (mindestens über 1 Minute) i.v. • Bei Bedarf Wiederholung möglich (frühestens nach 10 Minuten). • Beachte: So langsam spritzen, dass die Herzfrequenz nicht ansteigt!
Wirkungsweise Relaxierende Wirkung auf die glatte Muskulatur (z. B. Bronchien) durch β2-sympathomimetische Wirkung, positive Inotropie und Chronotropie durch geringere β1-Wirkung. HWZ: 3,5 h.
554
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Reteplase Synonyme Plasminogen Human-Aktivator, rekombiniert; recombinant tissue(-type) Plasminogen Activator = rt-PA.
Präparat Rapilysin 10 U (1 Inj.-Fl. enth. 10 U Reteplase in 1,16 g Trockensubst. zur Lsg. mit 10 ml Aqua in Fertigspritze).
Indikation Notfallmedikamente
Thrombolytische Therapie bei akutem Herzinfarkt (innerhalb von 6 Stunden).
Kontraindikationen Bestehende oder kurz zurückliegende Blutung, Blutungsneigung, Hypertonie, Endocarditis lenta, Perikarditis, akute Pankreatitis, Antikoagulanzien-Behandlung, kurzzurückliegende (traumatische) Thoraxkompressionen, portale Hypertonie (Ösophagusvarizen), frische chirurgische Operation / Punktion größerer nichtkomprimierbarer Gefäße / größerer chirurgischer Eingriff innerhalb von 3 Monaten, i.m.-Injektion, Organbiopsie, Aortenaneurysma, arteriovenöse Missbildungen, Magen- / Darmgeschwür in den vergangenen 3 Monaten, Schlaganfall während der letzten 6 Monate, unklarer Kopfschmerz oder Sehstörungen, metastasierende bösartige Erkrankungen, Schwangerschaft (v. a. 1. SSD), bis 3 Monate nach der Geburt, schwere Leber- und Nierenfunktionsstörungen, [hohes Alter ( > 75 Jahre)].
Nebenwirkungen Blutungen, kardiale Arrhythmien, Blutdruckabfall, anaphylakt. Reaktionen.
Wechselwirkungen • Antikoagulanzien, Thrombozytenaggregationshemmer: Blutungsgefahr ≠.
Dosierung Zwei Bolusinjektionen zu 10 U im Abstand von 30 min. Möglichst über eigenen Venenzugang. Jede Bolusinjektion soll langsam erfolgen, aber nicht über 2 min dauern. Begleitend wird eine ASS- (250 mg initial als Bolus) und Heparin-Therapie (5000 I.E. initial als Bolus) empfohlen. Hinweis: Bei Auftreten ernster Blutungen nach der ersten Gabe (10 U) muss die zweite Gabe unterlassen und die Heparingabe abgebrochen werden. Mögliche Blutungsstellen beobachten!
Wirkungsweise t-PA ist ein körpereigener Fibrinolysefaktor. Als Medikament (rt-PA) - gegenüber dem physiologischen Wert höher dosiert - bewirkt es eine Umwandlung des Proenzyms Plasminogen in aktives Plasmin. Es findet eine auf den Ort der Thrombusbildung begrenzte Fibrinolyse statt. Zusätzlich werden durch Plasmin Fibrinogen, Prothrombin und Gerinnungsfaktoren (V, VIII, IX, XI, XII) gehemmt, sodass es zu einer verminderten Gerinnungsfähigkeit des Blutes kommt. HWZ: 15 min.
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
555
17
Salbutamol Präparate • Dosieraerosole u.ä.: Ventilasin® Novolizer®; Bronchospray® Autohaler®; Epaq®; Salbubreathe Sandoz®; Salbulair ® N Autohaler ®; Salbulair ®N; Salbutamol AZU/-ratiopharm®N/Sandoz®/STADA®/von ct/Sultanol® (jeweils 0,09 oder 0,1 mg je Sprühstoß/Hub). [Sultanol®Rotadisk® 200μg, 400 μg (Einzeldosis zu 0,2 mg bzw. 0,4 mg)]. • Lösung zur Inhalation: Salbutamol STADA® Inhalat/Salbutamolratiopharm®Inhalationslösung/Salbu-Fatol® Inhalationslösung/Broncho Inhalat (Tropf-Fl.; jeweils 1ml Lösung enth. 5 mg; 1 ml = 20 Tropfen). Salbutamol STADA® Fertiginhalat (2,5 ml Lösung enth. 1,25 mg) Salbutamolratiopharm®Fertiginhalat (2,5 ml Lösung enth. 1,25 mg); Broncho-Fertiginhalat (jeweils 2,5 ml Lösung enth. 1,25 mg) • Auch Präparate zur Injektion verfügbar (ähnlich: Reproterol - s. S. 553)
Indikationen: Asthma bronchiale (akuter Anfall), exacerbierte COPD Kontraindikationen Tachyarrhythmie, schwere Herzerkrankung, frischer Myokardinfarkt, Hyperthyreose, Phäochromozytom, kreißende Patientin
Nebenwirkungen Tachykardie, Herzklopfen, Schwitzen, Unruhe, Tremor, Schwindel, Kopfschmerzen, paradoxer Brochospasmus
Wechselwirkungen • β-Adrenergika, Theophyllin, Anticholinergika, MAO-Hemmer, trizyklische Antidepressiva: Wirkung und Nebenwirkungen von Salbutamol verstärkt. • β-Rezeptorenblocker: Wirkungsverminderung von Salbutamol und Auslösung von schweren Bronchospasmen möglich.
Dosierung (Akutbehandlung) • Dosieraerosole: Erwachsene 1 – 2 Inhalationen (Abstand zwischen 2 Inhalationen mind. 1 min). Nach 5-10 min Wiederholung möglich (max. 10 Einzel inhalationen pro Tag); Kinder: 1 Inhalation (max. 6 Einzelinhalationen pro Tag) • Vernebelung (über Sauerstoffmaske mit Vernebelungskammer): 1. 3 ml NaCl 0,9% in Kammer füllen und Salbutamol-Lösung zutropfen: - Erwachsene und Schulkinder: 5 Tropfen Salbutamol-Lösung - Säuglige und Kleinkinder: 1 Tropfen Salbutamol-Lösung pro Lebensjahr 2. Sauerstofffluss: 6 l/min 3. Maske senkrecht halten; Inhalationsdauer: 10 min Einmalige Wiederholung bei ausbleibendem Erfolg möglich
Wirkungsweise: Relaxierende Wirkung auf glatte Muskulatur (z.B. Bronchien) durch β 2sympathomimetische Wirkung, positive Inotropie und Chronotropie durch geringere β1-Wirkung. HWZ: 2,5-6 h.
556 A
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Sauerstoff, medizinischer (O2) Präparat: Medizinischer Sauerstoff in Druckgasflaschen (vgl. S. 26). Indikationen Hypoxie, zirkulatorische Hypoxämie, Angina pectoris, Herzinfarkt, Schock, Bewusstseinsstörungen, Traumata, Vergiftungen, apoplektischer Insult, Dekompressionskrankheit, unterstützend bei fast jedem Notfallgeschehen.
Notfallmedikamente
Kontraindikationen Frische Paraquatvergiftung (O2 erhöht die toxische Wirkung des Paraquates im Lungengewebe). Hyperventilationssyndrom (s. S. 208 f. - auch wenn die O2-Gabe hier nicht erforderlich ist, ist kein Schaden zu erwarten; dafür trägt sie evtl. zur Beruhigung des Patienten bei; auch für den Fall einer u.U. initial schwer abgrenzbaren Tachypnoe / Dyspnoe anderer Genese mag sie ggf. sinnvoll sein).
Nebenwirkung Erhöhte Krampfbereitschaft. Entgegen weitverbreiteter Meinung ist O2-Gabebeim epileptischen Anfall nicht kontraindiziert. Im Gegenteil kann es im Anfall zu generalisierter Hypoxie kommen, die zwar als möglicher Mechanismus zur Anfallsbeendigung führen kann, aber auf sehr unglückliche Weise (ZNS-Schädigung). Daher bes. bei Hypoxiezeichen O2-Gabe! (Verletzungsgefahr bedenken: nicht erzwingen, geeignete Fixierung; pharmakol. Anfallsdurchbrechung nicht verzögern).
Toxizität Neu- und Frühgeborene dürfen nicht über längere Zeit (über die Notfallversorgung hinaus) mit mehr als 40% O2 beatmet werden (Alveolarschäden, retrolentale Fibroplasie!). Erhebliche alveoläre Veränderungen treten auch bei Erwachsenen unter 100 %iger O 2 -Gabe über mehr als 24 h auf (z.B. Epithelzellschäden, pulmonale Vasodilatation, kapilläre Stase, CO2-Retention; Gefahr eines Lungenödems und der Fibrosierung).
Dosierung • Atemstillstand, Herz-Kreislauf-Stillstand: FiO2 nahe 1,0 (= 100%) durch Beatmung mit Demand-Ventil o. kontinuierl. 10-15 l O2/min in Reservoirbeutel • Schwere Hypoxie (SpO2<75-85%), Polytrauma, Notfallnarkose: FiO2 0,4-1,0 - Maske, einfach: FiO2 = 0,4-0,5 (bei einem Flow von 5-8 l/min) - Maske, mit Reservoir: FiO2 = 0,5-0,8 (bei einem Flow von 6-10 l/min) - Maske, Venturi: FiO2 = (0,24;0,28;0,35;)0,4;0,6 (Flow von 2-15 l/min) - Maske, mit Reservoir und Nicht-Rückatemventil: FiO2 = 0,9-1,0 (bei einem Flow von etwa 14 l/min) • Sonstige Notfallgeschehen: Sauerstoffinsufflation je nach Patientenzustand - Nasensonde / Nasenbrille: FiO2 = 0,3-0,4 (bei einem Flow von 2-6 l/min) Achtung: Bei chronisch-obstruktiven Lungenerkrankungen kann unter Spontanatmung eine hohe inspirat. O2-Konzentration zur Herabsetzung des Atemanreizes führen. Daher vorsichtig dosieren, Atemkontrolle, ggf. Atemkommandos!
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
557
17
Simethicon Synonyme Dimethylpolysiloxan (mit SiO2 aktiviertes Dimethicon).
Präparate dremisan® (100 g Granulat enth. 3 g), sab simplex® (25 Tropfen entspr. 1 ml Suspension enth. 69,19 mg), [Lefax® liquid (5 ml enth. 41,2 mg Simethicon)].
Indikation Orale Vergiftungen mit schaumbildenden Substanzen (Tenside).
Kontraindikationen Bei obiger Indikation keine.
Nebenwirkungen Bei sachgemäßer Verwendung keine.
Wechselwirkungen Keine.
Dosierung • dremisan®: mind. 1 Teelöffel per os. • sab-simplex®: mind. 1 Teelöffel per os. Bei Bedarf Dosiserhöhung.
Wirkungsweise Unterdrückung der Schaumbildung durch Veränderung der Oberflächenspannung.
A
558
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Suxamethoniumchlorid Synonym: Succinylcholin. Präparate Lysthenon® 2%/5%, Pantolax 1%/2%, Succicuran®2% (es existieren Amp. à 2 / 5 / 10 ml mit je 100 mg), Lysthenon® siccum (1 Inj.-Fl. enth. 500 mg in Trockensubstanz). Amp. mit Fertiglösung sind kühlpflichtig (z.T. Lagerung bei Raumtemperatur unter Verkürzung der Laufzeit möglich).
Notfallmedikamente
Indikation: Zur kurzwirksamen Muskelrelaxation. Kontraindikationen Unmöglichkeit der Beatmung, vorhersehbar schwierige Intubation, Hyperkaliämie (z. B. mehrere Tage nach Verbrennungen, bei Niereninsuffizienz), maligne Hyperthermie in der Anamnese, Cholinesterasemangel (z. B. bei schweren Leberfunktionsstörungen, Medikamente - starke Wirkungsverlängerung!), Immobilität, neuromuskuläre Erkrankungen (z. B. Myasthenia gravis), [Glaukom], [penetrierende Augenverletzungen].
Nebenwirkungen Asystolie, Herzrhythmusstörungen (ventrikuläre Arrhythmie, Bradykardie, Kammerflimmern), Bronchospasmus, Muskelzuckungen bei Wirkungseintritt, “Muskelkater” am Folgetag, Freisetzung von Kaliumionen und Histamin (Nierenversagen), Steigerung des Augeninnendrucks, maligne Hyperthermie (Einzelfälle), vermehrter Speichelfluss.
Wechselwirkungen • Nichtdepolarisierende Muskelrelaxanzien: verzögerter Wirkungseintritt und -abschwächung von Suxamethoniumchlorid. • Thiopental, Amphotericin B, Aminoglykoside, Chinidin : Verstärkung der neuromuskulären Blockade.
Toxizität Periphere Atemlähmung. Therapie: Basismaßnahmen, symptomatische Therapie (Intubation, Beatmung).
Dosierung • 1 - 2 mg / kg KG i.v. (Vorgabe von Atropin bei Kindern erwägen.) • Langsam injizieren - Asystoliegefahr! • Starke Kaliumfreisetzung (Gefahr von Kammerlimmern), daher Gabe nur unter ständiger Puls-, Blutdruck- und EKG-Kontrolle.
Wirkungsweise Depolarisierendes Muskelrelaxanz: Rezeptorblockade an der neuromuskulären Endplatte (mit initialer Muskelerregung); parasympathomimet. Wirkung (Bradykardie, Asystoliegefahr). WE: 30 - 40 s. WM: 2 min. WD: 3 - 5 min. HWZ: 2 - 4 min.
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
559
17
Tenecteplase Präparate Metalyse (Pulver in Durchstechflasche + Lösungsmittel: 10 000 Einheiten (50 mg) / 10 ml oder 8 000 Einheiten (40 mg) / 8 ml). Die gebrauchsfertige Lösung enthält 1000 Einheiten / ml.
Indikation Lysetherapie bei akutem Myokardinfarkt mit andauernder ST-Hebung oder frischem Linksschenkelblock innerhalb von 6 h nach Symptombeginn.
Kontraindikationen Schwerwiegende Blutung (akut oder in den letzten 6 Monaten), Antikoagulanzientherapie, ZNS-Erkrankungen, hämorrhagische Diathese, schwere nicht kontrollierbare Hypertonie, große Operation / schweres Trauma / Biopsie eines parenchymatösen Organs innerhalb der letzten 2 Monate, kürzlich erlittene Kopf- oder Schädelverletzung, CPR > 2min (letzte 2 Wochen), akute Perikarditis / Endokarditis / Pankreatitis, schwere Leberfunktionsstörungen, Blutungsereignisse im Auge, Ulcus (aktiv, peptisch), gastrointestinale Blutung in den letzten 10 Tagen, arterielle Aneurysmen oder arteriovenöse Missbildungen, Apoplex, TIA oder Demenz in der Anamnese, Alter > 75 Jahre, Gewicht < 60kg.
Nebenwirkung Blutungen (z.B. gastrointestinal <10%, Nasenbluten < 10%, intrazerebral < 1%), Hypotension, Tachykardie-Bradykardie, Angina Pectoris, Reinfarkt, kardiogener Schock, Perikarditis, Lungenödem, Herz-Kreislaufstillstand, Mitralinsuffizienz, Perikarderguss, Thrombose, Herzbeuteltamponade, Übelkeit, Erbrechen, Fieber, anaphylaktoide Reaktionen mit Larynxödem.
Wechselwirkung Medikamente mit Einfluss auf Blutgerinnung und Thrombozytenfunktion: erhöhte Butungsgefahr
Toxizität: Erhöhte Blutungsgefahr. Dosierung: Intravenös als Bolus: Gewicht in kg 60 60-70 70-80 80-90 >90
Einheiten Tenecteplase 6000 7000 8000 9000 10000
ml gebrauchsfertige Lösung 6 7 8 9 10
Wirkungsweise Rekombinanter fibrinspezifischer Plasminogen-Aktivator. HWZ: 20-30 min.
560
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Terbutalin Präparat Bricanyl® (1 Amp. à 1 ml enth. 0,5 mg).
Indikationen Obstruktive Atemwegserkrankungen (z. B. Asthma).
Notfallmedikamente
Kontraindikationen Herzinfarkt, Koronare Herzkrankheit (KHK), Tachykardie, Tachyarrhythmie, Hyperthyreose, hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie, [Diabetes], [Schwangerschaft], [Stillzeit].
Nebenwirkungen Tachykardie, Unruhe, Tremor, wehenhemmender Effekt möglich, Hypokaliämie, Hyperglykämie, Muskelkrämpfe.
Wechselwirkungen • β-Sympathomimetika: gegenseitige Wirkungsverstärkung. • MAO-Hemmer, trizyklische Antidepressiva: Störungen des Herz-Kreislaufsystems • Digitalisglykoside, Antiarrhythmika, Chinidin: Herzrhythmusstörungen.
Toxizität O. g. Nebenwirkungen, Blutdrucksenkung, Arrhythmien, Kammerflimmern, Angina pectoris, Übelkeit, Laktatazidose. Therapie: Basismaßnahmen, symptomatische Therapie, ggf. Sedativa, ggf. β-Rezeptorenblocker.
Dosierung • Erwachsene: • Kinder vom 7. bis zum 14. Lebensjahr: • Kinder vom 3. bis zum 6. Lebensjahr: • Kinder bis zum 2. Lebensjahr:
0,25 - 0,5 mg s.c. 0,15 - 0,3 mg s.c. 0,10 - 0,2 mg s.c. 0,05 - 0,1 mg s.c.
Wirkungsweise Relaxierende Wirkung auf die glatte Muskulatur der Bronchien durch β2sympathomimetische Wirkung, Steigerung von Herzkraft und -frequenz durch geringe β1-Wirkung. WE: wenige Minuten. WD: 4 - 6 h. HWZ: 3,5 h.
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
561
17
Terlipressin Präparate Glycylpressin®, Haemopressin® (jeweils 1 Durchstech-Fl. enth. 1 mg Terlipressinacetat, entspr. 0,85 mg Terlipressin, in Trockensubst. zur Lsg. mit beigefügtem Lösungsmittel)
Indikation Ösophagusvarizenblutung.
Kontraindikationen Schwangerschaft, Kinder, septischer Schock, [Asthma bronchiale], [Hypertonie], [KHK], [Herzinsuffizienz], [Herzrhythmusstörungen], [Niereninsuffizienz]
Nebenwirkungen Blutdruckanstieg (bei Hypertonikern stärker ausgeprägt), Gesichts- und Körperblässe, Herzrhythmusstörungen, Bradykardie, Koronarinsuffizienz, Kopfschmerzen, lokale Nekrosen, abdominelle Krämpfe, Übelkeit, Diarrhoe, Atemnot, Hyponatriämie, Hypokaliämie
Wechselwirkungen Bradykardisierende Medikamente (Propofol, Sufentanil): bradykardisierende Wirkung verstärkt
Dosierung • Initial: 1–2 mg langsam i.v. • Erhaltungsdosis: alle 4–6 Stunden erneut je 1 mg Terlipressinacetat • Tägliche Maximaldosis: 120–150 μg/kg KG • Die Dauer der Anwendung beträgt - soweit erforderlich - 2 bis 3 Tage.
Wirkungsweise Erhöhung des Tonus vasaler und extravasaler glatter Muskelzellen. Durch eine Kontraktion der glatten Ösophagusmuskulatur erfolgt eine Kompression der Ösophagusvarizen. Des weiteren wirkt Teripressinacetat mit einer Verminderung der portalen Hypertension bei gleichzeitiger Reduktion der Durchblutung im Portalgefäßgebiet. Durch eine Kontraktion der Darmmuskulatur resultiert eine gesteigerte Peristaltik. Die vasokonstrikorische Wirkung hat eine erhebliche Minderdurchblutung der Haut zur Folge. WD: 3–4 h
Cave Ausgeprägte zentralisierende Wirkung im hypovolämen Zustand eines Patienten!
562
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Theodrenalin + Cafedrin Präparat
Notfallmedikamente
Akrinor® (1 Amp. à 2 ml enth. 10 mg Theodrenalin und 200 mg Cafedrin). Bei Drucklegung dieser Auflage war Akrinor nicht im Handel erhältlich (Zulassung zum 1.1.2006 erloschen; Nachzulassung war zunächst nicht beantragt). Ein inhaltsgleicher Ersatz ist nicht auf dem Markt. Ein ähnliches Indikationsspektrum hat Etilefrin, dessen Verfügbarkeit aber derzeit ebenfalls limitiert ist (s. S. 508). Bis Akrinor voraussichtlich in einigen Monaten wieder erhältlich ist (lt. Vorabgesprächen zw. BfArM und AWD Pharma), sollten nach einer Stellungnahme der DGAI (2005) zur Therapie hypotoner Zustände folgende Alternativen erwogen werden (Cave: ggf. Off-label-use und z.T. problematische Dosisfindung): - Volumengabe (kristalloide oder kolloidale Lösungen) - Katecholamine (Noradrenalin, Adrenalin, Dobutamin, Dopamin) - Ameziniummetilsulfat (Supratonin® - Zulassung für Prophylaxe und Therapie von Blutdruckabfällen durch Peridural- und Spinalanästhesie; beachte aber die lange Wirkdauer; HWZ 9-13 h! Schlechte Steuerbarkeit!) Import oder Eigenherstellung durch größere Kliniksapotheken möglich, dann ggf. auch andere Wirkstoffe erwägen (z.B. Phenylephrin oder Ephedrin)
Indikationen Hypotonie ohne Volumenmangel, orthostatische Kreislaufregulationsstörungen.
Kontraindikationen Hypertonie, Mitralstenose, absoluter Volumenmangel, Engwinkelglaukom, [Hyperthyreose], [Phäochromozytom], [Asthmatiker mit Sulfitüberempfindlichkeit].
Nebenwirkungen Pektanginöse Beschwerden, Tachykardie mit Herzklopfen, ventrikuläre Herzrhythmusstörungen, allergische Reaktionen, Atemstimulation.
Wechselwirkungen • β-Rezeptorenblocker: Bradykardien. • MAO-Hemmer: krisenhafter Blutdruckanstieg. • Antihypotonika: gegenseitige Wirkungsverstärkung. • Antihypertonika: gegenseitige Wirkungsabschwächung.
Dosierung • Es empfiehlt sich, Akrinor® stets auf 10 ml zu verdünnen (NaCl 0,9 %) und fraktioniert (je nach Wirkung) in 1-ml-Schritten zu verabreichen (titrieren). • Erwachsene: 0,2 - 2 ml Akrinor® i.v. • Kinder ab dem 7. Lebensjahr: 0,2 - 1 ml Akrinor® i.v. • Kinder vom 3. bis zum 6. Lebensjahr: 0,2 - 0,6 ml Akrinor® i.v. • Kinder im 1. und 2. Lebensjahr: 0,2 - 0,4 ml Akrinor® i.v.
Wirkungsweise Sympathomimetische Wirkung - Steigerung des HZV und Engstellung peripherer Venen (Mobilisierung von Blutreserven). Sauerstoffverbrauch am Herzen steigt. Erhöhung des Drucks im Lungenkreislauf. WE: sofort. WM: 3 - 5 min. WD: 1 - 4 h.
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
563
17
Theophyllin Präparate Aerobin®, Afonilum® novo, Bronchoparat®, Euphylong®200 i.v., theo 200 von ct Amp., Unilair®, Uniphyllin® (jeweils 1 Amp. à 10 ml enth. 200 mg). Ferner: afpred® forte-THEO (5ml-Amp. à 200 mg), Solosin (5ml-Amp. à 208 mg), TheophyllinEDA-ratiopharm® (1 Amp. à 10 ml enth. 190 mg).
Indikationen Asthmaanfall, Status asthmaticus und andere obstruktive Atemwegserkrankungen.
Kontraindikationen Frischer Herzinfarkt, tachykarde Arrhythmien, Hypotonie, Epilepsie, Kinder unter einem Jahr, [Hypertonie], [hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie], [schwere Leberinsuffizienz], [Magen-Darm-Geschwüre], [Hyperthyreose], [Niereninsuffizienz], [Porphyrie], [Schwangerschaft], [Stillzeit].
Nebenwirkungen Tachykardie, pektanginöse Beschwerden, Hypotonie, Herzrhythmusstörungen, zentralnervöse Erregung, Übelkeit, Kopfschmerzen, Zittern, Krampfanfälle.
Wechselwirkungen • Ephedrin: Nebenwirkungen verstärkt (Kinder!). • β2-Adrenergika, Xanthine: Wirkungsverstärkung von Theophyllin. • β-Rezeptorenblocker: gegenseitige Wirkungsverminderung • Phenytoin, Barbiturate: Wirkungsverminderung
Toxizität O. g. Nebenwirkungen. Therapie: Basismaßnahmen, symptomatische Therapie.
Dosierung Als Körpergewicht ist das Idealgewicht einzusetzen, da Theophyllin nicht vom Fettgewebe aufgenommen wird! • Erwachsene ohne Theophyllin-Vormedikation: 5 mg / kg KG als Kurzinfusion über 20 min i.v. • Erwachsene mit Theophyllin-Vormedikation: 2 - 3 mg / kg KG als Kurzinfusion über 20 min i.v. • Erhaltungsdosis: 0,45 mg / kg KG / h über Spritzenpumpe. • Die Pulsfrequenz sollte dabei konstant bleiben und somit eine Steigerung des O2-Verbrauches am Herzen vermieden werden (“frequenzneutral spritzen”). • I. d. Klinik sollte baldmöglichst der Theophyllinspiegel kontrolliert werden.
Wirkungsweise Verminderung der Adenosinwirkung durch antagonistische Wirkung an Adenosinrezeptoren: Tonussenkung an der Bronchialmuskulatur, verminderte Histaminfreisetzung in der Lunge. Unspezifische stimulierende Wirkung im ZNS. Desweiteren Vasodilatation, positiv inotrope und chronotrope Wirkung. Der Anstieg von Cyclo-AMP durch Hemmung der Phosphodiesterase mit β-adrenerger Wirkung und Stimulation des Atemzentrums setzt erst bei Dosierungen oberhalb des therapeutischen Bereiches ein. HWZ: 5 - 10 h (bildet aktive Metabolite).
564
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Thiopental Präparate Thiopental “Nycomed” 2,5 % / 5 % (1 Inj.-Fl. enth. 0,5 g / 1 g in Trockensubst. zur Lsg. mit 20 ml Aqua), Trapanal® (1 Durchstech-Fl. à 20 / 100 ml enth. 0,5 / 2,5 g zur Lsg. mit 20 / 50 ml NaCl 0,9% - keine anderen Lösungsmittel verwenden).
Indikationen Zur Narkoseeinleitung, Kurzzeitnarkose.
Notfallmedikamente
Kontraindikationen Vergiftungen mit Alkohol, Schlafmitteln, Analgetika, Psychopharmaka, Asthma, Schock, Herzinsuffizienz, [schwere Leberfunktionsstörungen], akute hepatische Porphyrie, [Nierenfunktionsstörungen], [Bronchospasmus], [Hypovolämie], [Schwangerschaft], [Stillzeit].
Nebenwirkungen Atemdepression, Blutdrucksenkung, Laryngospasmus, Tachykardie, Alpträume, Übelkeit, Erbrechen, schwere Gewebsnekrosen (paravenöse / intraarterielle Injektion), Venenreizung, Histaminfreisetzung, Singultus.
Wechselwirkungen • Zentraldämpfende Pharmaka, Alkohol: gegenseitige Wirkungsverstärkung. • Methotrexat: Methotrexat-Toxizität verstärkt. • Antikonvulsiva: Wirkung von Thiopental verstärkt (bei bestehender Dauertherapie mit Antikonvulsiva). • Sulfonamide: Thiopentalwirkung verstärkt.
Toxizität S. S. Schlafmittel-Vergiftung (Kapitel 12)
Dosierung 3 - 5 mg / kg KG langsam i.v.
Vorsichtsmaßnahmen • Die Möglichkeit der künstlichen Beatmung muss vorhanden sein. • Cave: Blutdruckabfall! • Bei entzündlichen und infiltrativen Prozessen im Bereich der Atemwege und des Mundbodens muss aufgrund einer erhöhten Reflexbereitschaft mit dem Auftreten mechanischer Atembehinderung gerechnet werden. • Dosisreduktion bei Niereninsuffizienz
Wirkungsweise Aktivitätsminderung im ZNS. Dämpfung der Formatio reticularis: zerebraler O2Bedarf, Hirndruck und zerebrale Durchblutung werden gesenkt. Bewusstlosigkeit (mit und ohne Exzitationsstadien). Atemdepression. Negativ inotrop, blutdrucksenkend. WE: 20 - 40 s. WM: 1 min. WD: 6 - 8 min.
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
565
17
Urapidil Präparat Ebrantil® i.v. 25 / 50 (1 Amp. à 5 / 10 ml enth. 25 / 50 mg).
Indikationen Hypertensive Krise, schwere Hypertonie.
Kontraindikationen Aortenstenose, arteriovenöse Shunts (nur wenn hämodynamisch wirksam), [Schwangerschaft], [Stillzeit].
Nebenwirkungen Atemnot, pektanginöse Beschwerden, Tachykardie, Schweißausbruch, Arrhythmie, Unruhe, Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen.
Wechselwirkung • Alkohol, Antihypertonika: verstärkte Blutdrucksenkung.
Toxizität O. g. Nebenwirkungen, Orthostasesyndrom. Therapie: Basismaßnahmen (z. B. Schocklage), symptomatische Therapie.
Dosierung (Erwachsene) • Es empfiehlt sich, Urapidil stets fraktioniert (je nach Wirkung) in 1-2mlSchritten zu verabreichen (titrieren). • Initial 10 mg - 50 mg i.v., je nach Wirkung wiederholte Gabe möglich.
Vorsichtsmaßnahmen • Wurden bereits andere blutdrucksenkende Pharmaka genommen / gegeben, so ist die Initialdosis entsprechend anzupassen. • Eine zu rasche Blutdrucksenkung kann zu Bradykardie bis hin zum Kreislaufstillstand führen. • Eine ständige Blutdruckkontrolle ist erforderlich.
Wirkungsweise Blockade der α1-Rezeptoren (➯ Gefäßerweiterung) und Stimulation zentraler α2Rezeptoren. WE: 5 min. WM: 10 - 20 min. HWZ: 2 - 3 h.
566
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Vecuroniumbromid Präparat Norcuron® (1 (Stech-) Amp. enth. 4 mg / 10 mg jeweils in Trockensubst.).
Indikation Zur mittellang wirksamen Muskelrelaxation (bei Narkosen, Intubation und künstlicher Beatmung).
Notfallmedikamente
Kontraindikationen Fehlende Möglichkeit zur Intubation und Beatmung, Patienten mit Myasthenia gravis (abnorme Ermüdbarkeit der Willkürmuskulatur).
Nebenwirkungen Atemstillstand, Blutdruckabfall.
Wechselwirkungen • Volatile (gasförmige) Anästhetika, Benzodiazepine, Magnesium, Lithium, Hypothermie: Verstärkung der neuromuskulären Blockade.
Toxizität O. g. Nebenwirkungen. Therapie: Basismaßnahmen, symptomatische Therapie.
Dosierung • Initialdosis: 0,08 - 0,1 mg / kg KG i.v. • Nachinjektion: 0,03 - 0,05 mg / kg KG i.v. • (Präkurarisierung: 10 % der Initialdosis i.v.)
Achtung • Bei Überdosierung Atropin und Pyridostigminbromid i.v. Bis zum Einsetzen der Spontanatmung künstliche Beatmung aufrecht erhalten. • Bei schweren Leberfunktionsstörungen kann eine Dosisreduktion erforderlich sein.
Wirkungsweise Nicht depolarisierendes Muskelrelaxans; Blockade der Erregungsüberleitung an der neuromuskulären Endplatte ohne Erregungsauslösung. WE: 2 - 3 min. WD: 20 - 40 min.
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
567
17
Verapamil Präparate durasoptin® Inj., Falicard® i.v., Isoptin® Inj., VeraHexal® Inj., Veramex® Inj., Verapamil-ratiopharm® 5, vera von ct, Veroptinstada® Inj. (jeweils 1 Amp. à 2 ml enth. 5 mg).
Indikationen Supraventrikuläre Tachykardien, paroxysmales Vorhofflimmern und -flattern mit schneller Überleitung.
Kontraindikationen Akuter Herzinfarkt, Herzinsuffizienz (NYHA III und IV), WPW-Syndrom, Schock, AV-Block II° / III°, Behandlung mit β-Rezeptorenblockern, Präexzitationssyndrom, Sinusknotensyndrom, sinuatrialer Block, Schwangerschaft, [progressive Muskeldystrophie], [Hypotonie], [Bradykardie], [Stillzeit].
Nebenwirkungen Bradykardie (durch Hemmung der AV-Überleitung) bis zur Asystolie, Hypotonie, Verstärkung einer Herzinsuffizienz, Schwindel, Übelkeit, Flush, Parästhesien.
Wechselwirkungen • Alkalische Lösungen: Ausfällung. • Acetylsalicylsäure: verstärkte Blutungsneigung. • Inhalationsanästhetika, Antiarrhythmika, β-Rezeptorenblocker: AVBlockierung, kardiodepressiver Effekt verstärkt, Hypotonie. • Blutdrucksenkende Pharmaka, Diuretika, Vasodilatatoren: blutdrucksenkender Effekt verstärkt. • Muskelrelaxanzien: Wirkung der Muskelrelaxanzien verstärkt.
Toxizität Systolischer Herzstillstand, Schock, Bewusstlosigkeit, Miosis, Azidose mit Kussmaul-Atmung, Hypokaliämie. Therapie: Basismaßnahmen, symptomatische Therapie, Calciumgluconat 10 % i.v.
Dosierung • Die Injektion stets langsam (1 mg / min) unter EKG- und RR-Kontrolle. Injektion stets nur bis zum Wirkungseintritt. • Erwachsene: 2,5 - 5 mg Verapamil-HCl i.v. • Kinder 6 - 14 Jahre: 2,5 - 5 mg Verapamil-HCl i.v. • Kinder 1 - 5 Jahre: 2 - 3 mg Verapamil-HCl i.v.
Wirkungsweise Antiarrhythmische Wirkung durch Kalziumantagonismus: negativ dromotrop, negativ inotrop, verlangsamte Erregungsausbreitung im Herzmuskel. Nachlastund Blutdrucksenkung (periphere Gefäßerweiterung). WE: 1 - 3 min. WM: 5 - 10 min. WD: 45 min. HWZ: 3 - 7 h (aktive Metabolite: 12 h).
568
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Vollelektrolytlösung (VEL) - kristalloid Präparate
Notfallmedikamente
Elektrolyt-Infusionslösung 153, elomel® salvia, Jonosteril®, Parenteral, Ringer Laktat (pfrimmer / Pharmacia) mit Magnesium, Ringer-Lactat Lösung nach Hartmann (Serum-Werk / Delta-Pharma), Ringer-Lactat-Lösung (Fresenius / pfrimmer / Köhler / Pharmacia / salvia), Ringer-Lactat DAB 7 Braun, Ringer-Lösung DAB 7 (Braun / Delta-Pharma), Ringer-Lösung (Bernburg / Delta-Pharma / Pharmacia / pfrimmer / salvia), RL Ringer-Lactat-Lösung, R Ringer-Lösung, Sterofundin®, Thomaejonin®, Tutofusin®, Tutofusin® K10, V Infusionslösung 296 mval Elektrolyte.
Indikationen Flüssigkeits- und Elektrolytverlust verschiedener Genese (Blutungen, Verbrennungen, Durchfälle usw.), Augenspülung.
Kontraindikationen Hyperhydratationszustände, Myokardinsuffizienz, [Niereninsuffizienz].
Nebenwirkungen Gefahr der Ödembildung durch sekundäre Verschiebung in den Zwischenzellraum.
Wechselwirkung • Phosphat- / Carbonathaltige Lösungen: Ausfällung.
Dosierung • Je nach Volumenmangel und Kreislaufverhältnissen. Max. 40 ml/kgKG/d. • Bei akutem Volumenmangel: aggressive Volumentherapie mit 20 ml / kg KG i.v. initial, ggf. als Druckinfusion.
Wirkungsweise Vollelektrolytlösung zum Ersatz von Wasser und Elektrolyten des Extrazellulärraumes, d. h. Intravasalraum ➯ Interstitium. Im Vergleich zu kolloidalen Volumenersatzmittellösungen nur kurze Volumenwirkdauer.
17.4 · Wirkstoffe alphabetisch
569
17
Volumenersatzmittel - kolloidal Präparate Expafusin®, Expafusin® sine, Haemofusin® 6 %, Haemofusin® 10 %, HAESRheopond 70, HAES-steril® 3 %, HAES-steril® 6 %, HAES-steril® 10 %, HAESsteril® 6 % kochsalzfrei, HAES-steril® 10 % kochsalzfrei, Hemohes 6 %, Hemohes 10 %, Infukoll® HES 6 %, Infukoll® HES 10 %, Plasmafusin® HES 450, Plasmasteril®, Rheohes 40, Serag-HAES 6 %, Serag-HAES 10 %.
Indikationen Blut- und Plasmaverluste, Volumenmangelschock, Störungen der Mikrozirkulation.
Kontraindikationen Hypervolämie, Hyperhydratation, schwere Herzinsuffizienz, [hämorrhagische Diathese], Stärkeallergie, intrakranielle Blutung, [Schwangerschaft].
Nebenwirkungen Allergische Reaktionen.
Wechselwirkung • Verschiedene Medikamente: Inkompatibilität mit Volumenersatzmittel.
Dosierung Je nach Bedarf bis zu 1,2g/ kg KG/h (20 ml/kg KG/h bei HES 6 % 200.000) bzw. 2 g/kg KG/24 h i.v. (= 33 ml/kg KG/24 h bei HES 6 % 200.000), zusätzlich Vollelektrolytlösung! (Verhältnis Vollelektrolytlösung zu kolloidalem Volumenersatzmittel ungefähr 2 : 1).
Wirkungsweise • Volumenersatz: Im Vergleich zu Vollelektrolytlösungen verlängerte Verweildauer im Blut (HES 40: 2 - 3 h / HES 200: 3 - 4 h / HES 450: 6 - 8 h), Erhöhung des intravasalen onkotischen Druckes mit entsprechender Aktivierung von Flüssigkeit anderer Ausbreitungsräume (z. B. wird Flüssigkeit aus den Zwischenzellräumen in das Gefäßsystem rekrutiert). • Verbesserung der Mikrozirkulation.
Lagerung • Gemäß Herstellerangaben (Fresenius) ist eine Lagerung von HAES-Infusionslösungen im Wärmefach des RTW (bis 37°C) nur bis zu 3 Monaten bedenkenlos möglich. Nur bei Lagerung bis 25°C kann die Gewähr für eine ausreichende Stabilität der Lösung übernommen werden.
570
Kapitel 17 · Notfallmedikamente
Volumenersatzmittel - hyperosmolar Präparat HyperHAES ® (1 Inf.-Btl. mit 250 ml Inf.-Lsg. enth. 7,2% NaCl und 6% Hydroxyethylstärke: mittlere Molekularmasse 200.000, Substitutionsgrad ca. 0,5). Die Inf.-Lsg. hat eine Osmolarität von 2464 mosm/l (hyperton, isoonkotisch).
Indikationen Initialtherapie der akuten schweren (traumatisch / hämorrhagischen) Hypovolämie bzw. des Volumenmangelschocks (sog. „small volume resuscitation“).
Notfallmedikamente
Kontraindikationen Im akuten, lebensbedrohlichen hypovolämischen Schock sollte das Präparat bei folgenden Zuständen nur unter gewissenhafter Nutzen-Risiko- Abwägung angewendet werden: Schwere Herzinsuffizienz, Nierenversagen mit Anurie bzw. Oligurie, Leberfunktions-und Blutgerinnungsstörungen, Dehydratation, Hyperosmolarität, schwere Hyper-oder Hyponatriämie, schwere Hyper-oder Hypochlorämie, Überempfindlichkeit gegen Hydroxyethylstärke, Schwangerschaft. Vorsicht bei erhöhter Serumosmolarität, verstärkte Blutungsneigung durch Erhöhung des Perfusionsdruckes und Hämodilution.
Nebenwirkungen Hypernatriämie (bei Überdosierung), anaphylaktoide Reaktion, Phlebitis, Phlebothrombose, zentr. pontine Myelinolyse, zerebr. Blutung (bei Dehydratation).
Wechselwirkungen: Nicht mischen! Dosierung Einmalige Bolusgabe: 4 ml/kg KG als Druckinfusion über 2 - 5 min in einen großlumigen venösen Zugang, max. 8 ml/kg KG (Cave: Hämolysegefahr, Hypernatriämie). Anschließend Stabilisierung mit konventioneller Volumenersatzmitteln (Kristalloide und Kolloide). Kontrolle der i.d.R. ausgeprägten Kreislaufwirkung (entspr. ca. der 10-20-fachen (!) Menge isotoner Elektrolytlösung) durch engmaschiges Monitoring (HF, RR). Klinik: ggf. zusätzl. Transfusion.
Wirkungsweise Zum Bestandteil Hydroxyethylstärke s. vorherige S. Die Kombination mit hypertoner NaCl-Lsg. bewirkt zusätzlich z.B.: • Raschere Stabilisierung hämodynamischer Verhältnisse durch Rekrutierung größerer Flüssigkeitsmengen aus dem Interstitium nach intravasal (Zeitersparnis, schnellere Wiederherstellung ausreichender Perfusion). • Reduktion posttraumatischer Ödeme, schockinduzierter Endothelzellschwellung und der Leukozytenadhäsion am Endothel (optimierte Mikrozirkulation). HWZ (Kolloidkomponente): 4 h. Die hypertone NaCl-Komponente ist nach 30 min (!) im Extrazellulärraum verteilt (= hypertone WD); später v.a. renale Elimination.
Alternative hypertone Lösungen: Bei hypertonen Volumenersatzmitteln auf Dextranbasis (z.B. RescueFlow: 7,5 % NaCl) ist das für Dextrane typische allergene Potenzial zu beachten und die Vorgabe von monovalentem Dextran (Promit®) empfohlen.
Kapitelübersicht
571
18
Richtwerte, Scores, DIN, Gefahrgut 18.1 Altersabhängige Richtwerte ..................................... 572 Physiologische Richtwerte ................................. 572 Geräte-Richtwerte ............................................... 574 Medikamenten-Richtwerte (Dosierungen) ....... 575
18.2 Score-Systeme ......................................................... 576 NACA-Score ......................................................... 576 APGAR-Score ...................................................... 577 Glasgow-Coma-Scale (GCS) .............................. 578 Mainz Emergency Evaluation Score (MEES) ... 579 MEES für Kinder ................................................. 580 Trauma-Score: AIS ............................................. 581
18.3 DIN EN 1789: Rettungswagen (Auszug) .................. 582 18.4 Gefahrgutkennzeichnung .......................................... 584
120 - 140 120 - 130 120 - 130
(0 - 28 Tage) (28 Tage - 6 Monate) (6 - 12 Monate)
(1 - 3 Jahre) (3 - 6 Jahre)
(6 - 9 Jahre) (9 - 12 Jahre) (12 - 15 Jahre)
(15 - 18 Jahre) (> 18 Jahre)
Neugeborenes Säugling I Säugling II
Kleinkind Vorschulkind
Schulkind I Schulkind II Schulkind III
Jugendlicher Erwachsener
120 ± 15 130 ± 20
105 ± 15 110 ± 20 115 ± 20
100 ± 25 100 ± 20
60 ± 10 85 ± 15 95 ± 30
50 ± 5
systolisch (mmHg)
Blutdruck
70 ± 10 80 ± 10
55 ± 10 60 ± 10 60 ± 10
65 ± 20 65 ± 10
40 ± 4 60 ± 10 60 ± 20
30 ± 2
diastolisch (mmHg)
Hinweis: Eine solche Tabelle kann selbstverständlich nur Anhaltswerte liefern, die Maßnahmen sind jeweils an die tatsächlichen Verhältnisse anzupassen.
60 - 75 60 - 80
90 - 100 85 - 95 75 - 85
90 - 120 95 - 105
140 - 160
Herzfrequenz (/ min)
Frühgeborenes (Entbindung vor der 37. SSW)
Altersstufe
Richtwerte, Scores, Gefahrgut
572 Kapitel 18 · Richtwerte, Scores, DIN, Gefahrgut
Physiologische Richtwerte I
(1 - 3 Jahre) (3 - 6 Jahre)
(6 - 9 Jahre) (9 - 12 Jahre) (12 - 15 Jahre)
(15 - 18 Jahre) (> 18 Jahre)
Kleinkind Vorschulkind
Schulkind I Schulkind II Schulkind III
Jugendlicher Erwachsener
10 - 14 10 - 14
12 - 20 12 - 20 10 - 14
Atemzugvolumen (AZV in ml)
> 48* > 48*
20 - 32 32 - 40 40 - 50
10 - 14 16 - 20
3,5 7 10
< 2,5
(Ideal-) Gewicht (kg)
** **
120 - 140 130 - 150 150 - 170
80 - 100 100 - 120
50 50 - 70 70 - 80
< 50
Größe (cm)
573
Atemminutenvolumen (AMV in ml / min) = AF x AZV allgemein: 8 - 10 ml / kg KG
Hinweis: Eine solche Tabelle kann selbstverständlich nur Anhaltswerte liefern, die Maßnahmen sind jeweils an die tatsächlichen Verhältnisse anzupassen. Beatmungsvolumina sind auf das Idealgewicht des Patienten auszurichten.
* abhängig von der Körpergröße ** individuell verschieden
30 - 40 30 - 35 24 - 30
(0 - 28 Tage) (28 Tage - 6 Monate) (6 - 12 Monate)
Neugeborenes Säugling I Säugling II 16 - 24 14 - 20
40 - 50
Atemfrequenz (AF in min-1)
Frühgeborenes (Entbindung vor der 37. SSW)
Altersstufe
18.1 · Altersabhängige Richtwerte
18
Physiologische Richtwerte II
(15 - 18 Jahre) (> 18 Jahre)
Jugendlicher Erwachsener
energie
tions-
Defibrilla-
1. und alle weiteren Schocks: 4 J/kgKG
(monophasische und biphasische Defibrillation)
oder geeigneter AED ab Alter > 1 Jahr sowie S. 177
s. S. 170 f.
4-5 4-5
3-4 4
3
2 2-3
0-1 1 -2
00 - 0
000 - 00
Guedel
Tuben
7,0 - 7,5 w: 7,0 - 8,0 m: 7,5 - 8,5
6,5 - 7,0 7,0
6,5
4,5 - 5 5 - 6,5
4* 4 - 4,5
> 3 kg 3,5
2 - 3 kg 3,0
< 2 kg 2,5
(mm innen)
Wendl endotracheal
Einführtiefe: etwa Länge von Ohrläppchen bis Nasenspitze (Atemgeräusch beachten!)
Länge von Ohrläppchen bis Mundwinkel
3 gebogen 3 - 4 gebogen
3 gebogen 3 gebogen
2 gebogen
1 gebogen 2 gebogen
1 gerade 1 ger. / geb.
1 gerade
0 gerade
Spatel
Laryngoskop-
RR-Man-
Erw. Erw.
11 Erw.
11
7 7
4 4 4-7
3¼
(cm)
schetten
• Die Größe der Endotrachealtuben wird üblicherweise in Millimeter (Innendurchmesser) oder Charrière (Ch; Außendurchmesser) angegeben. Umrechnungsformeln für Endotrachealtuben: mm-Innen-Größe = (Ch - 2) : 4 / Ch-Außengröße = (mm x 4) +2 • Als Anhaltswert für die Auswahl des Endotrachealtubus kann bei Kindern der Nasenloch- bzw. der Kleinfingerdurchmesser dienen. • Faustregel für Kinder ab dem zweiten Lebensjahr: Tubengröße (Ch) = Alter + 18
(6 - 9 Jahre)
(9 - 12 Jahre) (12 - 15 Jahre)
(1 - 3 Jahre) (3 - 6 Jahre)
Kleinkind Vorschulkind
Schulkind I
(25 Tage - 6 Monate) (6 - 12 Monate)
Säugling I Säugling II
Schulkind II Schulkind III
(0 - 28 Tage)
Neugeborenes
(Entbindung vor der 37. SSW)
Frühgeborenes
Altersstufe
Richtwerte, Scores, Gefahrgut
574 Kapitel 18 · Richtwerte, Scores, DIN, Gefahrgut
Geräte-Richtwerte
* Bis zum Alter von ca. 8 Jahren sind gecuffte und nicht gecuffte Endotrachealtuben erhältlich. Für Neugeborene empfehlen die aktuellen Leitlinien (ERC/ILCOR), den Tubus nicht zu blocken. Für Säuglinge, Kleinkinder und Schulkinder ist das dosierte Blocken des Cuffs als eine Option genannt, besonders für spezielle Fälle.
Narkose
Narkose
Narkose
Fentanyl
Ketamin i.v.
Ketamin i.m.
Exsikkose, 10–20 Schock ml/kg KG
VEL
-
5mg/5ml 5mg/5ml
50mg/2ml
50mg/2ml
100mg/2ml
100mg/2ml
0,1 mg
pur
10 ml
-
pur pur
10 ml pur
10 ml
10 ml pur
10 mg
-
1 mg 1 mg
5 mg 25 mg
5 mg
10 mg 50 mg
5 kg
7 kg
6 Mon.
10 kg
0,2 ml*
3,5 ml
3 ml
35 -70ml
0,15ml* 0,45ml*
2,1 ml
0,8 ml
0,7 ml*
0,8 ml
0,7 ml*
-
0,3 ml*
3,5 ml
1,2 ml
1 ml
1,2 ml
1 ml
1 ml
0,4 ml*
5 ml
50 -100ml
70 100 -140 ml -200 ml
0,25ml* 0,35ml* 0,5 ml* 0,75mg* 1 ml 1,5 ml
3 ml
0,35 ml* 0,5 ml*
2,1 ml
0,35 ml* 0,5 ml*
-
0,2 ml*
5 ml
120 -240ml
0,6 ml* 1,8 ml
1,4 ml
1,2 ml
1,4 ml
1,2 ml
1,2 ml
0,5 ml
6 ml
1,2 ml
12 kg
140 -280ml
0,7 ml* 2,1 ml
1,7 ml
1,4 ml
1,7 ml
1,4 ml
1,4 ml
0,6 ml
7 ml
1,4 ml
14 kg
12 Mon. 2 Jahre 3 Jahre
0,35* ml 0,5* ml 0,7* ml 1 ml
0,05 mg -
0,5 mg
10 ml 0,1 mg 5 ml (ggf.2x) 0,2 mg
10 ml
3,5 kg
Verdünnung 1 ml Neuge- 3 Mon. 1 Amp. auf... enthält borenes
0,5mg/10ml pur
0,5mg/1ml
1 mg / 1 ml
1mg/1ml
Ampulleninhalt
200 -400ml
1 ml 3 ml
2,4 ml
2 ml
2,4 ml
2 ml
2 ml
0,8 ml
10 ml
2 ml
20 kg
6 Jahre
575
* = 1ml-Tuberkulinspritze verwenden !
Sedierung 0,05 Narkose 0,15
3
Ketamin S i.m. Narkose
Midazolam i.v.
0,5
Ketamin S i.v. Narkose
6
1
0,005
Bradykard. 0,02
0,1
Adrenalin e.b. HKS
Atropin
0,01
Indikation Dosierung mg / kg KG
Adrenalin i.v. HKS
Medikament
18.1 · Altersabhängige Richtwerte
18
Richtwerte für Medikamentendosierungen
576
Kapitel 18 · Richtwerte, Scores, DIN, Gefahrgut
Richtwerte, Scores, Gefahrgut
Notfallmedizinische Scores / NACA-Score Scores sind Systeme, die durch Punktwerte den Zustand und den Verlauf des Zustandes eines Patienten näherungsweise „objektiv“ beschreiben. Je nach Score lassen sich dadurch z. B. anatomische oder physiologische Kenngrößen einschätzen. Scores dienen in der Notfallmedizin vorrangig der zügigen Kategorisierung von Patienten (Triage), der von der Person des Arztes weitgehend unabhängigen Einordnung des Patientenzustandes (⇒ standardisierte Therapie), der Prognosestellung und der Evaluierung von Studien. Beispiele für Scores: • Bewusstseinszustand / neurologischer Status: Glasgow-Coma-Scale (GCS) (s.S. 578) • Physiologischer Status des Neugeborenen: APGAR-Score (s.S. 577) • Verlaufsbeurteilung: Mainz Emergency Evaluation Score (MEES) (s.S. 579) • Deskriptiver Trauma-Score: Abbreviated Injury Score (AIS) (s.S. 581) Regional abhängig sind verschiedene weitere Score-Systeme gebräuchlich (z. B. Injury Severity Score = ISS; Trauma Score and Injury Severity Score = TRISS; Revised Trauma Score = RTS; Münchener SAT-Schema; Polytrauma-Schlüssel = PTS; Pediatric Trauma Score = PTS; Geriatric Trauma Survival Score = GTSS; Innsbruck Coma Rating Scale = ICRS). Ein sehr weit verbreiteter und auch in das bundeseinheitliche NA-Einsatzprotokoll der DIVI aufgenommener Score ist der NACA-Score (National Advisory Committee for Aeronautics). Er beurteilt den physiologischen Gesamtzustand eines Patienten (sowohl für internistische als auch traumatologische Notfallbilder): Schweregrad Definition 0 keine Erkrankung / Verletzung 1 geringfügige Störung (keine akute ärztliche Therapie) 2 mäßigschwere Störung (ambulante Abklärung) 3 schwere, aber nicht vitalbedrohliche Störung (stationäre Behandlung) 4 akute Lebensgefahr nicht auszuschließen 5
6 7
akute Lebensgefahr (ohne baldige Behandlung wahrscheinlich tödlicher Ausgang) Reanimation Tod
Beispiel Prellung flüchtige Hypotonie geschlossene Femur-Fraktur Herzinsuffizienz mit schwerer Dyspnoe manifester Volumenmangelschock / akuter Herzinfarkt Herz-Kreislaufstillstand primär tödliche Erkrankung / Verletzung
18.2 · Score-Systeme
18
577
APGAR-Score Der APGAR-Score ist ein Schema zur Beurteilung des Vitalzustandes von Neugeborenen (nach Virginia Apgar, 1909 - 1974). Obwohl weit verbreitet, hat er sich als recht subjektiv herausgestellt und war ursprünglich nicht dazu bestimmt, die Notwendigkeit von Reanimationsmaßnahmen festzustellen. (Vgl. Erstversorgung des Neugeborenen in Kapitel 10). Anwendung Fünf Kriterien werden mit Punkten von 0 bis 2 beurteilt. Die Einzelwerte werden addiert. Punkte
0
1
2
Atmung keine unregelmäßig/langsam/flach regelmäßig/kräftig/Schrei Puls keiner unter 100/min über 100/min Grundtonus schlaff träge Bewegungen spontane Bewegungen Aussehen blau/blass Stamm rosig, Extremitäten blau ganz rosig Reflexe keine Grimassen Schreien, Husten, Niesen
Auswertung Das Ergebnis kann folgendermaßen eingeschätzt werden: • 10 - 7 Punkte: sehr guter bis guter Zustand (lebensfrisch). Es genügen i.d.R. Wärmeerhaltung und Überwachung. • 6 - 4 Punkte: leichte bis schwere Störung. Neben Wärmeerhaltung und Überwachung sollte ggf. abgesaugt und Sauerstoff gegeben werden. Evtl. Beatmung / Reanimation. • 3 - 0 Punkte: sehr schwere Störung (Asphyxie). Es besteht i.d.R. Reanimationspflicht. Durchführung und Dokumentation (1), 5 und 10 Minuten nach der Geburt. Der APGAR-Score bietet trotz leichter Handhabung nur einen relativ groben Überblick über die Vitalfunktionen des Neugeborenen und sollte daher nicht überbewertet werden. Auch bei gutem APGAR-Wert können Vitalbedrohungen auftreten. Daher stets genaue Untersuchung und Überwachung, insbesondere der Atmung und der Herzaktion mittels Stethoskop, welches neben der linken Mamille des Kindes aufgeklebt werden kann. Der APGAR-Score hat bei Frühgeborenen nur eingeschränkte Aussagekraft. Der APGAR-Score lässt keine eindeutigen Schlüsse auf die spätere neurologische Entwicklung des Kindes zu.
2 1
Strecksynergismen auf Schmerzreiz keine
wie Erwachsener
nur zeitweise erweckbar, trinkt und isst nicht ist motorisch unruhig, jedoch nicht erweckbar tief komatös, kein Kontakt zur Umwelt
fixiert, verfolgt, erkennt, lacht fixiert und verfolgt inkonstant, erkennt nicht sicher, lacht nicht situationsbedingt
wie Erwachsener
Kind
Merke: Ein GCS £ 8 bedeutet eine schwere Bewusstseinsstörung (z. B. bei schwerem SHT) mit Beeinträchtigung der Schutzreflexe. Der Patient ist in der Regel intubationspflichtig!
6 5 4 3
gezielt auf Aufforderung gezielt auf Schmerzreiz ungezielt auf Schmerzreiz Beugesynergismen auf Schmerzreiz
3 2 1
inadäquat (Wortsalat) unverständliche Laute keine
beste motorische Reaktion (Bewegung)
5 4
orientiert verwirrt
verbale Antwort
Punkte 4 3 2 1
Erwachsener spontan auf Aufforderung nach Schmerzreiz nicht
Test Augen öffnen
Richtwerte, Scores, Gefahrgut
578 Kapitel 18 · Richtwerte, Scores, DIN, Gefahrgut
Glasgow-Coma-Scale (GCS)
18.2 · Score-Systeme
18
579
Mainz Emergency Evaluation Score (MEES) Ziel Objektive Beurteilung der Effektivität der präklinischen Notfallversorgung. Anwendung Anhand der Vitalparameter wird je ein Score (Punktsumme) • beim Eintreffen des NA beim Patienten (MEES1) und • bei der Übergabe in der Klinik (MEES2) erstellt. Beide Werte werden miteinander verglichen (Differenz). Ihre Veränderung (ΔMEES = MEES2 - MEES1) gibt die Veränderung des Patientenzustandes wieder: ΔMEES ≥ +2 : Verbesserung des Patientenzustandes ΔMEES = 0 ± 1 : Patientenzustand nicht nachweisbar verändert ΔMEES £ -2 : Verschlechterung des Patientenzustandes • Der MEES mit unten genannten Werten ist nicht auf Kinder und nur eingeschränkt bei alten Pat. (Abweichen der Normwerte!) anwendbar. MEES für Kinder s. folgende Seite. • Der MEES ist unabhängig vom Notfallgeschehen (Trauma, internistischer Notfall usw.) anwendbar Vitalparameter Herzfrequenz (/min)
Atemfrequenz (/min)
Punkte
60-100 50-59 40-49 £ 39
Punkte
101-130 131-160 ≥ 161
4 3 2 1
Glasgow 15(max.) Coma 14-12 Scale 11-8 (Punkte) £7
4 3 2 1
19-24 25-30 ≥ 31
4 3 2 1
Sauer100-96 stoff95-91 sättigung 90-86 (%) £ 85
4 3 2 1
4 3 2 1
Schmerz - kein
4
12-18 8-11 5-7 £4
Vitalparameter
Blutdruck 120/80-140/90 (/mmHg) 100/70-119/79 141/91-159/94 80/60-99/69 160/95-229/119 £ 79-59 ≥ 230/120 HerzSinusrhythmus rhythmus supraventrikuläre Extrasystolen ventrik. Extrasystolen (monotop) absolute Arrhythmie ventrik. Extrasytolen (polytop) Kammerflimmern, Asystolie, ventrikuläre Tachykardie
4 3 3 2 2 1
- leicht
3
- stark
2
580
Kapitel 18 · Richtwerte, Scores, DIN, Gefahrgut
Richtwerte, Scores, Gefahrgut
MEES für Kinder Ziel Anwendung des MEES unter Berücksichtigung altersspezifischer physiologischer Parameter. Diese Modifikation stammt von Albrech, Schlechtriemen und Altemeyer und ist an das ursprüngliche Konzept von Hennes, Reinhardt und Dick angelehnt (s. vorherige Seite). Anwendung Wie beim MEES für Erwachsene wird jede Vitalfunktion mit einem Punktwert verknüpft, der folgendermaßen definiert ist: 4 Punkte = Physiologischer Zustand 3 Punkte = Gering vom Physiologischen abweichender Zustand 2 Punkte = Erheblich vom Physiologischen abweichender Zustand 1 Punkt = Lebensbedrohlicher Zustand Hinweise • Der MEES mit den unten genannten Werten ist auf Neugeborene, Säuglinge und Kleinkinder anwendbar. Bei Schulkindern werden bis auf den Parameter Blutdruck (s.u.) die Werte für Erwachsene angewendet. • Bei Kindern sind vitalbedrohliche, tachykarde Rhythmusstörungen eine Seltenheit; daher werden keine tachykarden Frequenzen klassifiziert. Vitalparameter Herzfrequenz (/min)
Punkte
>110 90-110 60-89 £59
-
Vitalparameter
Punkte
4 3 2 1
Glasgow Coma Scale (Punkte)
15-13 12-11 10-8 £7
4 3 2 1
Atemfrequenz
ungestörte Spontanatmung Nasenflügeln Einziehungen, Stridor Schnappatmung, Apnoe
4 3 2 1
Sauer- 100-96 stoff95-91 sättigung 90-86 (%) £85
4 3 2 1
Blutdruck
kräftiger Radialispuls* gerade tastbarer Radialispuls kräftiger Karotispuls** gerade tastbarer oder fehlender Karotispuls**
4 3 2
Schmerz - kein
4
- leicht
3
1
- stark
2
HerzSinusrhythmus rhythmus supraventrikuläre Extrasystolen ventrik. Extrasystolen (monotop) absolute Arrhythmie ventrik. Extrasytolen (polytop) Kammerflimmern, Asystolie, ventrikuläre Tachykardie
4 3 3 2 2 1
* = bei Säuglingen und Neugeborenen: Brachialispuls ** = bei Säuglingen und Neugeborenen: Femoralispuls
18.2 · Score-Systeme
581
18
Trauma-Score: AIS (Abbreviated Injury Score) Definition Zahlencode zur objektivierten Beschreibung von Ort und Schwere von Verletzungen. Der AIS ist also kein Summenscore.
Bedeutung In den internationalen Utstein-Leitlinien zur Dokumentation nach schwerem Trauma (1999) ist der Abbreviated Injury Score als Basisscore zur Beschreibung der Verletzungen verankert. Er versucht, die anatomische Verletzung mit der physiologischen Schädigung zu kombinieren. Dabei werden 9 Körperregionen definiert und 6 Schädigungsgrade. Beim Vorliegen einer Mehrfachverletzung können mehrere Zahlenwerte erfasst werden:
KÖRPERREGION 1 2 3 4 5 6 7 8
Kopf Gesicht HWS Thorax Abdomen Wirbelsäule Obere Extremität Untere Extremität (inkl. Becken) 9 Äußerliche Verletzungen
SCHWEREGRAD 0 1 2 3 4 5 6
Kein Leicht Mäßig Ernst - nicht lebensbedrohlich Schwer - lebensbedrohlich Kritisch - lebensbedrohlich Tödlich
Anwendung Den verletzten Körperregionen wird jeweils ein Schweregrad zugeordnet, z. B.: Patient A: 4-5, 7-1 = lebensbedrohliches Thoraxtrauma mit leichter Verletzung der oberen Extremität Patient B: 1-4, 2-4, 3-6 = schweres Schädel-Hirn- und Gesichtstrauma, wobei eine Halswirbelsäulenverletzung zum Tode geführt hat Der AIS ist Basis für die Berechnung des ISS (Injury Severity Score).
582
Kapitel 18 · Richtwerte, Scores, DIN, Gefahrgut
DIN EN 1789 für Rettungswagen (Auszug) I Zur Systematik der DIN EN 1789 s. a. S. 4 f. Im folgenden werden – auszugsweise – Anforderungen an den Krankenkraftwagen Typ C (MICU = Mobile Intensive Care Unit / Rettungswagen) aufgelistet. Neben technischen Anforderungen an das Fahrzeug (z. B. Maße, Beschleunigung [z. B. bei Beladung innerhalb von 27 s von 40 km/h auf 80 km/h], elektrische Installationen, Lüftungsanlage, Beleuchtung, grundsätzliche Anforderungen an geeignete Medizinprodukte [z. B. Betriebstemperaturen, mechanische Festigkeit bei Stoß oder freiem Fall und elektrische Sicherheit]) werden vor allem die Ausrüstungsbestandteile festgelegt:
Richtwerte, Scores, Gefahrgut
Ausrüstung zum Patiententransport (nach EN 1865) • Trage / Fahrgestell • Schaufeltrage • Vakuummatratze • Tragestuhl* (sofern die Trage diese Funktion nicht ermöglicht) • Tragetuch oder Tragematratze • Wirbelsäulenbrett* (mit Kopf-Ruhigstellung und Sicherheitsgurten)
Primär stationäre Ausrüstung • Infusionswärmesystem • RR-Messgerät (automatisch, Doppler-Prinzip, Manschetten 10 – 66 cm)* • Sauerstoff-Anlage (stationär, 2000 Liter) • Insufflationsmöglichkeit (Regelung bis mind. 15 l/min) • Absauganlage (stationär, nicht manuell, Sog mind. 500 mm Hg)
Primär mobile Ausrüstung Wiederbelebungseinheit (z.B. Notfallkoffer/-rucksack) • Beatmung • Intubation
• Infusionstherapie • Medikamentenapplikation
Basis-Diagnostik • Thermometer (28 – 42 ° C, prEN 12470-1) • Diagnostik-Leuchte
• Blutdruckmessgerät (manuell, Manschetten 10 – 66 cm) • Stethoskop
Monitoring und Geräte nach Anlage 1 MPBetreibV • Defibrillator mit EKG-Aufzeichnung**• EKG-Überwachungsgerät** • Herzschrittmacher (extern)** • Beatmungsgerät (EN 794-3) • Kapnometer (EN 864)* • Pulsoxymeter (EN 865) • Spritzen- bzw. Infusionspumpe
Ergänzende Ausstattung Airway-Management • Sauerstoff-Gerät (transportabel, 400 l) • Insufflationsmöglichkeit (Regelung bis mind. 15 l/min)
18.3 · DIN EN 1789 für RTW
583
18
DIN EN 1789 für Rettungswagen (Auszug) II • Beatmungsbeutel mit Masken und Guedeltuben für jede Altersstufe • PEEP-Ventil • Absauggerät (transportabel, manuell)
Medikamente • Analgetika* • Infusionslösung (4 l) • Zubehör für Injektionen/Infusionen • Druckinfusionsgerät
Ausrüstung zur Immobilisation • Extensionsgerät* • HWS-Immobilisationsset
• Immobilisationsset für Frakturen • Gerät zur Ruhigstellung der oberen HWS (z. B. Wirbelsäulenbrett)
Spezielle Notfalltherapie • Inhalator • Thoraxdrainage-Set • Perikard-Punktions-Set • Zentraler Venenkatheter • Magenspülgarnitur • Notgeburtenset • Replantat-Behältnis (Temperaturkonstanz: 4 (2-6) °C für mind.2h)
Rettungs- und Schutzausrüstung • Einmal-Handschuhe (steril + unsteril) • Schutzhandschuhe (EN 344)*** • Reflex-Kleidung*** • Schutzhelm (EN 443)*** • Satz Rettungswerkzeug* • Gurtdurchtrenner • Handscheinwerfer • Warndreiecke / - lampen (2) • Feuerlöscher (EN 3-1) • Funk- und Handfunk-Sprechgerät • Zugang zum öffentlichen Telefonnetz (z. B. über Funk oder Mobiltelefon) • Tragbares Personenrufgerät***
Diverse Hygieneartikel z. B. Brechbeutel, Bettpfanne, Urinflasche, Reinigungs- und Desinfektionsmaterial*, Bettwäsche, Verbandmaterial für Wunden sowie speziell für Verbrennungen und Verätzungen.
Fußnoten *=
Auf diesen Gegenstand kann – wenn regional begründet nicht erforderlich – verzichtet werden. ** = Nach IEC 60601-2-4; die genannten Funktionen dürfen in einem Gerät kombiniert werden. *** = Pro Besatzungsmitglied in ausreichender Anzahl. • Die hier vorgenommene Gliederung erscheint aus Gründen der Übersichtlichkeit zweckmäßig; sie entspricht nicht der DIN EN 1789. • Auf detaillierte Zahlenangaben und Spezifizierung von Eigenschaften sowie Hilfsgeräte (z. B. Gerätekupplungen) wurde verzichtet; für solche Informationen sollte die gesamte DIN EN 1789 zu Rate gezogen werden.
3JDIUXFSUF 4DPSFT (FGBISHVU
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Stichwortverzeichnis Suche nach Notfallmedikamenten: In das Stichwortverzeichnis wurden nur die wichtigsten Wirkstoffe und einige Handelsnamen aufgenommen. Ein ausführliches Verzeichnis mit allen Wirkstoffen, Handelsnamen und Synonymen finden Sie ab Seite 460! Kurzinformationen zu den meldepflichtigen Infektionserkrankungen finden Sie in der Tabelle ab Seite 443.
A Abbindung 18 Abbreviated Injury Score 581 Abdomen, Akutes 290 - extraabdominelle Ursachen 293 - intraabdominelle Ursachen 291 - Notfallbeschreibung 294 Abdominaltrauma - Notfallbeschreibung 272 Ableitungen s. EKG Abnabelung 311 Abort - Notfallbeschreibung 320 f. Absaugen 25 ACC - Medikamentensteckbrief 480 ACD 176 ACE-Hemmer - s. Enalaprilat 505 Acetazolamid - Medikamentensteckbrief 479 Acetylcystein - Medikamentensteckbrief 480 Acetylsalicylsäure - Medikamentensteckbrief 481 Achillessehnenruptur 276 ACS - Notfallalgorithmus 214 ff. - Frühtherapie 216 - Symptomatik 215 Adalat - s. Nifedipin Addison-Krise 406 Adenosin - Medikamentensteckbrief 482 - Rezeptoren 563
ADH - s. Vasopressin Adiuretin - s. Vasopressin Adrenalin - Medikamentensteckbrief 483 f. Adrenalinumkehr bei Droperidol 465 Adsorbens bei Vergiftungen - s. Kohle, medizinische AICD - s. ICD Airbag 9 AIS 581 Ajmalin - Medikamentensteckbrief 485 Akrinor - s. Theodrenalin und Cafedrin Aktivkohle - s. Kohle, medizinische Akutfälle im Notarztdienst 415 f. Akut-PCI 216 Alfentanil 460 Alkalose 405 Alkohol - s. Ethanol Alkylphosphate (Intoxikation) - Notfallbeschreibung 354 - Behandlung mit Atropin 490 - Behandlung mit Obidoximchlorid 471 Allergie - s. Anaphylaxie Alpharezeptoren 459 ALS - s. Reanimation Alteplase - Medikamentensteckbrief 486 Amiodaron - Medikamentensteckbrief 487 Ammoniak - s. Reizgas Amphetamine 372 Amputationsverletzung - Notfallbeschreibung 274 Analgetika zur Notfalltherapie, Übersicht 454 ff.
Stichwortverzeichnis
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Kapitel 19 · Stichwortverzeichnis
Anaphylaxie - Behandlung mit Adrenalin 483 f. - Behandlung mit Cimetidin 493 - Behandlung mit Clemastin 494 - Behandlung mit Dimetinden 502 - Behandlung mit Kortikoiden 525 ff. - Grundlagen 232 - Notfallbeschreibung 233 Angina pectoris - Behandlung mit Glyceroltrinitrat 517 - Diagnose instabile Angina pectoris 215 Angstzustände 424 Anistreplase - Medikamentensteckbrief 488 Antiarrhythmika zur Notfalltherapie, Übersicht 457 Antibiose im Notarztdienst Notfall 421 f. Anticholium - s. Physostigmin Antidepressiva - s. Psychopharmaka - trizyklische, Behandlung der Intoxikation mit Natriumhydrogencarbonat 539 Antidota, Übersicht 352 f., 458 Antihistaminika zur Notfalltherapie, Übersicht 456 Antihypertonika zur Notfalltherapie, Übersicht 457 Antikoagulanzien zur Notfalltherapie, Übersicht 457 Aortenaneurysma-Ruptur - Grundlagen 238 - Notfallbeschreibung 239 APGAR-Score 577 Apomorphin 461 Apoplex - Grundlagen 198 f. - Notfallbeschreibung 200 f. APSAC - Medikamentensteckbrief 488 Arginin-Vasopressin - Medikamentensteckbrief 489 Argipressin - Medikamentensteckbrief 489 Arrhythmia absoluta (EKG) 135 Arrhythmien – s. Kapitel 4 (EKGDiagnostik) Arterenol - s. Noradrenalin Aspiration - Kinder 332 - Notfallbeschreibung 210 f. Aspirin - s. Acetylsalicylsäure/ASS
ASS - Medikamentensteckbrief 481 Asthmaanfall - Behandlung mit Fenoterol 511 - Behandlung mit Kortikoiden 525 ff. - Behandlung mit Magnesium 531 - Behandlung mit Reproterol 553 - Behandlung mit Salbutamol 555 - Behandlung mit Terbutalin 560 - Behandlung mit Theophyllin 563 - Narkose mit Ketamin 523 - Notfallbeschreibung 206 f. - Sedierung mit Promethazin 548 - Sauerstoffgabe 556 Asystolie - ausgelöst durch Suxamethonium 558 - EKG-Bild 124 - Therapie 172 Atemspende 27 Atemwege freimachen 25 Atemwegsmanagement - Notfallalgorithmus 205 Atemwegsverlegung - Notfallalgorithmus, Erwachsene 204 - Notfallalgorithmus, Kinder 333 Atosil - s. Promethazin Atrioventrikuläre Tachykardien - s. a. Tachykardie/Kapitel 4 (EKG) Atropin - Medikamentensteckbrief 490 - Intoxikation, Behandlung mit Physostigmin 546 Ätzstoffe - s. Verätzung Aufklärung des Patienten 85 Augennotfälle 412 Augenverätzung - Lokalanästhesie 472 - Spüllösung 470 Auswurf, Differenzialdiagnose 115 AV-Block - EKG 144 f. - ausgelöst durch Adenosin 482 - ausgelöst durch Amiodaron 487 AV-Crosstalk 155 AV-Knoten-Tachykardie - Behandlung mit Adenosin 482 - Behandlung mit Amiodaron 487 - s. a. Tachykardie Azetyl... – s. Acetyl...
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Azidose - Störungen im Säure-BasenHaushalt 405 - Pufferung mit Natriumhydrogencarbonat 539
B Bahnunfall 9 ff. Bänderriss 276 Bandscheibenvorfall - Notfallbeschreibung 264 Barbituratnarkose mit Thiopental 564 Barotrauma 400 Basen - s. Säure-Basenhaushalt Basischeck 16 Basismaßnahmen 17 Basismonitoring - s. Monitoring Bauchhöhlenschwangerschaft - s. Extrauteringravidität Bauchlagerung 24 Bauchschmerzen, Akutfall 415 Baxter-Regel 384 Bayotensin - s. Nitrendipin Beatmung - allgemein 27 ff. - assistierte 29 - Beatmungsgeräte 28 f. - bei Reanimation 169 - Durchführung 27 - Formen 29 - Monitoring 30 - Ziele 30 - Richtwerte 29, 573 Beclomethason - Medikamentensteckbrief 525 ff. Behandlung, zwangsweise – s. Behandlungsverweigerung Behandlungsverweigerung - Notfallalgorithmus 92 ff. - Kinder 328 Belastungsstörung, posttraumatische 433 Beloc - s. Metoprolol Belocq-Tamponade 60 Benuron - s. Paracetamol Benzodiazepine - Intoxikation, Behandlung mit Flumazenil 513 - Wirkstoffe zur Notfalltherapie, Übersicht 455
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Bergungstod 393 Betablocker - Intoxikation, Behandlung mit Orciprenalin 471 f. - Wirkstoffe zur Notfalltherapie, Übersicht 456 Betamimetika zur Notfalltherapie, Übersicht 456 Betarezeptoren 459 B.I.G. 41 Bigeminus (EKG) 138 Bikarbonat - s. Natriumhydrogencarbonat Biperiden 491 Blasenkatheter 61 f. Blaulicht 89 f. Blausäure - s. Zyanid Blinklicht, blaues 89 Blockbilder (EKG) 161 BLS - s. Reanimation Blutdruckabfall - s. Hypotonie Bluterbrechen 288 Blutgasanalyse 36 Blutstillung, externe (Technik) 18, 251 Blutung - aus der Nase 258 f. - gastrointestinale, Notfallbeschreibung 288 f. - intrakranielle, Notfallbeschreibung 256 - vaginale, postpartale/atonische, Notfallbeschreibung 317 - vaginale, außerhalb Geburt, Notfallbeschreibung 298 f. - Grundlagen 250 - Mundbereich 263 Bolusgeschehen - s. Aspiration Bone Injection Gun 41 Bradykardie - Behandlung mit Atropin 490 - EKG, Rhythmusstörungen 142 ff. - Notfallalgorithmus 141 f. Brandschutz am Einsatzort 8 Brechmittel - s. Apomorphin/ Ipecacuanha-Sirup Breitkomplextachykardie (EKG) 133 Bricanyl - s. Terbutalin Bronchospasmin - s. Reproterol Bronchospasmus - s. Asthmaanfall Budesonid 525 ff. Bulbärhirnsyndrom 252 Buprenorphin 462
Stichwortverzeichnis
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Kapitel 19 · Stichwortverzeichnis
BURP-Manöver 45 Buscopan - s. Butylscopolamin Butylscopolamin - Medikamentensteckbrief 492
C Cafedrin - Medikamentensteckbrief 562 Caisson-Krankheit 400 Calcium - s. Kalzium Cannabisabusus - Notfallbeschreibung 364 Caput medusae 288 Carbo medicinalis - s. Kohle, medizinische Carboanhydrase, Hemmung durch Acetazolamid 479 Cardioverter 157 Catapresan - s. Clonidin Ceiling-Effekt bei Buprenorphin 462 C-Griff 27 Chirurgische Notfälle 247 ff. Chloralhydrat 463 Chlorethyl 462 Chloroquin (Intoxikation), Behandlung mit Diazepam 497 f. Cimetidin - Medikamentensteckbrief 493 Clemastin - Medikamentensteckbrief 494 Clonazepam - Medikamentensteckbrief 495 Clonidin 463 Clopidogrel - Medikamentensteckbrief 496 Coffeinintoxikation - Notfallbeschreibung 363 COLD - s. COPD COLE - s. COPD Coma - diabeticum - Notfallbeschreibung 194 f. - hepaticum 407 - uraemicum 407 Combitube 49 Commotio cerebri 252 Contusio cerebri 252 COPD, Exazerbation 212 Cordarex - s. Amiodaron Couplets (EKG) 139
CPAP 29 CPR - s. Reanimation Cyanid - s. Zyanid Cyanokit - s. Hydroxocobalamin 521
D Dammschnitt 309 Dammschutz 309 Darmblutung, akute 288 Defibrillation - Energiestufen 170 - Geräteversagen (ICD) 159 - Technik 177 ff. - gehäufte Defibrillationen (ICD) - Notfallbeschreibung 158 - Ereignisrekorder (ICD) 159 - implantierter Defibrillator - Grundlagen 157 Dehydratation - Allgemeines 404 - Kinder - Notfallbeschreibung 340 f. Dekompressionskrankheit 400 Delegation 6, 83 Delir 424 Desinfektion 438 f. Dexamethason 525 ff. Dextran 463 DHB 465 Diabetes insipidus 407 Diabetes mellitus - Hypoglykämie 192 f. - Hyperglykämie 194 f. Dialyse - Kaliumbestimmung/Substitution 468 - NaCl-Infusion 469 Diarrhö, Differenzialdiagnose 113 Diazepam - Medikamentensteckbrief 497 f. Didymitis 411 Differenzialdiagnosen - Akutes Abdomen 291 - Diarrhö 113 - Epiglottitis 336 - Fieber/Schüttelfrost 114 - Gastrointestinale Blutung 288 - Gefäßverschluss, peripher 246 - Herzklopfen/Herzrasen 110 - Husten/Auswurf 115 - Kopfschmerz/Gesichtsschmerz 111
19 · Stichwortverzeichnis
Differenzialdiagnosen (Fortsetzung) - Pneumothorax/ Spannungspneumothorax 270 - Pseudokrupp 336 - Schwindel 116 - Sehkraftverlust 116 - Thoraxschmerz 108 f. - Übelkeit/Erbrechen 112 Digoxin - Medikamentensteckbrief 499 Dihydralazin - Medikamentensteckbrief 500 Dimenhydrinat - Medikamentensteckbrief 501 Dimercaptopropansulfonsäure 464 Dimethicon - s. Simethicon Dimethylaminophenol 464 Dimetinden - Medikamentensteckbrief 502 DIN 13050 3 DIN EN 1789 582 Dipidolor - s. Piritramid Disoprivan - s. Propofol Diuretika - s. Furosemid DMAP 464 DMAP, kombinierte Anwendung mit Acetylcystein 480 DMPS 464 DNAR 185 f. DNR - s. DNAR Dobutamin - Medikamentensteckbrief 503 Dokumentation, 77 Dolantin - s. Pethidin Dopamin - Medikamentensteckbrief 504 Doppellumentubus 49 Dormicum, s. Midazolam Dosierungen, Notfallmedikamente für Erwachsene und Kinder: s. die drei letzten Seiten im hinteren Einband Drainage, Thorax 53 f. Dreipolableitung - s. EKG Droperidol 465 Druckverband 18 Dyskinesien - Auslösung durch Haloperidol 519 - Auslösung durch Metoclopramid 534 - Behandlung mit Biperiden 491 Dysmenorrhö 420
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Dysregulation, orthostatische - s. Synkope
E Ebrantil - s. Urapidil Effortil - s. Etilefrin Eigenschutz 7 ff. Eigenunfall 90 f. Eileiterschwangerschaft - s. Extrauterin gravidität 322 Eingeklemmter Patient, technische Rettung 284 ff. Einleitung einer Notfallnarkose 44 Einsatzbeendigung 77 Einsatzdokumentation 77 Einsatzende 77 Einsatzhorn 89 Einsatzindikationen für den Notarzt 5 Einsatzkräfte im Rettungsdienst, Ausbildung 3 f. Einsatznachbesprechung/ -nachbetreuung 433 Einsichtsfähigkeit des Patienten 84 Einweisung, zwangsweise 94 Einwilligung des Patienten 84 Einwilligung, mutmaßliche 86 Einwilligungsfähigkeit des Patienten 84 Eisenbahnunfall - s. Bahnunfall EKG - 12-Kanal/Grundlagen 160 f. - Ableitungen 120 - AV-Block 144 f. - Bedeutung im Rettungsdienst 119 - beim pulslosen Patienten 124 f. - Belastungszeichen 161 - Bigeminus 138 - Blockbilder 161 - Bradykardien 142 ff. - Couplets 139 - EKG-Diagnostik, allgemein 117 ff. - Erstickungs-T 163 - Extrasystolen 137 ff. - Grundlagen 119 - Hypertrophiezeichen 161 - Kammereigenrhythmus 143 - Knotenbradykardie 143 - Lagetypen 164 - Lown-Classification 140 - Myokardinfarkt 162 f. - Normgrößen 121 - R-auf-T-Phänomen 139
Stichwortverzeichnis
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Kapitel 19 · Stichwortverzeichnis
EKG (Fortsetzung) - Salven 139 - Sinusbradykardie 142 - ST-Hebung 163 - Störungen 121 - Tachykardien 133 ff. Eklampsie - Notfallbeschreibung 303 - Behandlung mit Dihydralazin 500 - Behandlung mit Magnesium 531 Elektrotherapie, Durchführung 57 Elektrounfall - s. Stromunfall ELT 154 Eltern, Umgang im Einsatz 327 Embolie - Behandlung mit Heparin 520 - Fruchtwasserembolie, - Notfallbeschreibung 319 - Lungenembolie 240 - Notfallbeschreibung 319 EMD - siehe PEA Emetika - s. Apomorphin/ s. Ipecacuanha-Sirup Emetin - s. Ipecacuanha-Sirup Enalaprilat - Medikamentensteckbrief 505 Endotracheale Intubation 45 ff. Entrance-Block 152 Entzugssymptome - Auslösung durch Naloxongabe 538 - Behandlung mit Clonidin 463 EPH-Gestose - s. SIH Epididymitis 411 Epidurale Blutung - s. Intrakranielle Blutung Epiglottitis - Notfallbeschreibung 334 f. - Differenzialdiagnose 336 Epilepsie 196 f. Epinephrin - s. Adrenalin Episiotomie 309 Epistaxis - Blutstillung (schwere Fälle) mit Adrenalin 483 f. - Blutstillung (schwere Fälle) mit Nasentamponade 60 - Notfallbeschreibung 258 Erbrechen - Akutfall 415 - Behandlung mit Haloperidol 519 - Differenzialdiagnose 112
Erbrechen (Fortsetzung) - Induziertes Erbrechen - s. Ipecacuanha-Sirup - Behandlung mit Dimenhydrinat 501 - Behandlung mit Metoclopramid 534 Erdrosseln - s. Strangulation Ereignisrekorder (ICD) 158 Erfrierung - Notfallbeschreibung 394 Erhängen - s. Strangulation Erregungszustände 424 Erste Hilfe, psychische 430 Erstickungs-T - EKG 163 Ertrinken - Notfallbeschreibung 398 Erwürgen - s. Strangulation Erysipel, Akutfall 415 Esmarch-Handgriff 25 Esmolol - Medikamentensteckbrief 506 Ethanol - Medikamentensteckbrief 507 - Intoxikation - Notfallbeschreibung 360 Etilefrin - Medikamentensteckbrief 508 Etomidat - Medikamentensteckbrief 509 Euphyllin - s. Theophyllin Euphylong - s. Theophyllin Exit-Block 152 Externer Herzschrittmacher, Anwendung 57 Extrapyramidale Symptome - s. Dyskinesien Extrasystolen - allgemein 137 ff. - Notfalltherapie 140 - monotop 138 - multiform 138 - polytop 138 - supraventrikulär 137 - ventriklulär 137 f. Extrauteringravidität - Notfallbeschreibung 322 Extremitätenhochlagerung 24 Extremitätentieflagerung 24 Extremitätentrauma - Notfallbeschreibung 276
19 · Stichwortverzeichnis
F Fehlgeburt - s. Abort Fenistil - s. Dimetinden Fenoterol - Medikamentensteckbrief für inhalative Applikation (Asthmaanfall) 511 - für intravenöse Applikation (Tokolyse) 510 Fentanyl - Medikamentensteckbrief 512 - Pflaster 418 Feuerlöscher 8 Feuerwehr 63 Fibrinolyse - s. Lyse-Therapie Fieber - Behandlung mit Metamizol 533 - Behandlung mit Paracetamol 543 - Differenzialdiagnose 114 Fissuren 248 Flash-back (LSD) 369 Flecainid 466 Flumazenil - Medikamentensteckbrief 513 Flusssäureverätzung, Antidot: Kalzium 468 Fortecortin - s. Dexamethason Fortral - s. Pentazocin Frakturen - Grundlagen 248 - Reponieren und Schienen 55 Freimachen der Atemwege 25 Fremdkörper - s. Aspiration Fritsch-Lagerung 24 Fruchtwasserembolie - Notfallbeschreibung 319 Frühdyskinesien - s. Dyskinesien Führung im Einsatz 6 Furosemid - Medikamentensteckbrief 514 Fußgänger-Unfall 279
G Gallenkolik 420 - Behandlung mit Butylscopolamin 492 - Behandlung mit Glyceroltrinitrat 518 - Behandlung mit Metamizol 533 - Behandlung mit Pethidin 544
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Gastrointestinale Blutung - Notfallbeschreibung 288 GCS 578 Gebissformel 260 Geburt - Handgriffe 309 - Notfallbeschreibung 305 ff. - Risiken 313 f. - Vorgehen 307 ff. - Zwillinge 313 Gefahrgut - Gefahrgutunfall 12 - Kennzeichnung 584 ff. Gefäße, Blutungen 250 Gelatine 466 Gelenke - Luxationen 249 Gemsenträgergriff 15 GEPS 436 Geräterichtwerte 574 Gesichtsschädeltrauma - Notfallbeschreibung 258 Gesichtsschmerz, Differenzialdiagnose 111 Gestose - s. SIH GIB 288 Gichtanfall, akuter 420 Gift - s. Intoxikationen Giftbindung - s. Kohle, medizinische Giftnotruf, Telefonnummern 351 Glasgow-Coma-Scale 578 Glaukomanfall - Auslösung durch Ketamin 523 - Behandlung mit Acetazolamid 479 - Behandlung mit Pilocarpin 473 - Notfallbeschreibung 412 Glücks-Trip durch LSD 368 Glukagon - Medikamentensteckbrief 515 Glukokortikoide - s. Kortikoide Glukose - 5% 466 - 40%/Medikamentensteckbrief 516 Glyceroltrinitrat - Medikamentensteckbrief 517 f. Grand-mal-Anfall 196 f. GTN - s. Glyceroltrinitrat Guedel-Tubus 25 Gynäkologische Notfälle 295 ff.
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Kapitel 19 · Stichwortverzeichnis
Stichwortverzeichnis
H HAES - s. Volumenersatz, kolloidal Haldol - s. Haloperidol Haloperidol - Medikamentensteckbrief 519 Halswirbelsäule (HWS) - HWS-Immobilisation 19 - HWS-Schleudertrauma 266 - HWS-Stützkragen 19 - HWS-Syndrom 266 Hämatothorax - Notfallbeschreibung 270 Hämmorrhoiden 288 Handfeuerlöscher 8 Harnblasenkatheter 61 f. Harnleiterkolik 410 Harnverhalt 410 Haschisch - s. Cannabis HCN - s. Zyanid Heben von Patienten 14 f. Helmabnahme 18 Heparin - Medikamentensteckbrief 520 Hepatopathien 407 Hernien 292 Heroin - s. Opiate Heroinvergiftung - s. Opiatvergiftung Herzachse, elektrische 164 Herzbeuteltamponade - Notfallbeschreibung 237 Herzdruckmassage - s. Thoraxkompressionen Herzinfarkt - s. Myokardinfarkt Herzinsuffizienz, akute - Behandlung mit Furosemid 514 - Behandlung mit Glyceroltrinitrat 517 - Notfallbeschreibung 218 f. Herzklopfen, Differenzialdiagnose 110 Herz-Kreislaufstillstand - Behandlung mit Adrenalin 483 f. - Grundlagen 165 ff. - Vasopressin 489 Herzrasen, Differenzialdiagnose 110 Herz-Rhythmusstörungen – s. Kapitel 4 (EKG-Diagnostik) Herzschrittmacher - Grundlagen 147 - normale Funktion 146 ff. - Notfälle 150 ff. - Störung von außen 156
- Schrittmacher-Syndrom 155 - Schrittmacher-Tachykardie - Endless loop 154 - Schrittmachertotalausfall 151 f. - Schrittmachervermittelte Tachykardie 154 - Typen 148 f. - externer transkutaner Herzschrittmacher, Anwendung 57 HES - s. Volumenersatz, kolloidal Hirndruck, Behandlung mit Mannitol 532 Hitzeerschöpfung - Notfallbeschreibung 389 Hitzekollaps - Notfallbeschreibung 388 Hitzekrämpfe - Notfallbeschreibung 389 Hitzeschäden, Übersicht 386 Hitzschlag - Notfallbeschreibung 390 f. HIV, Vorgehen nach Kontakt 451 Hodenbänkchen 411 Hodenentzündung 411 Hodentorsion 411 Höhenkrankheit - Notfallbeschreibung 409 Homöostasestörungen 406 Hormonhaushalt, Störungen 406 Horror-Trip (LSD) 368 Hörsturz 414 Husten, Differenzialdiagnose 115 HWS – s. Halswirbelsäule Hydroxocobalamin - Medikamentensteckbrief 521 Hydroxyethylstärke - s. Volumenersatz, kolloidal Hygiene 437 ff. Hyperglykämie - Notfallbeschreibung 194 f. HyperHAES - s. Volumenersatz, hyperosmolar Hyperhydratation 404 Hyperkaliämie, Behandlung mit Natriumhydrogencarbonat 539 Hyperpyrexie - Notfallbeschreibung 391 Hypersalivation - Auslösung durch Alkylphosphate 354 - Auslösung durch Ketamin 523 - Auslösung durch Physostigmin 546
19 · Stichwortverzeichnis
Hypersalivation (Fortsetzung) - Behandlung mit Atropin 490 Hypertensive Krise/ Hypertensiver Notfall - Notfallbeschreibung 222 - Behandlung mit Dihydralazin 500 - Behandlung mit Esmolol 506 - Behandlung mit Glyceroltrinitrat 517 - Behandlung mit Nitrendipin 540 - Behandlung mit Urapidil 565 - in der Schwangerschaft – s. SIH/ Eklampsie Hyperthermie - Notfallbeschreibung 390 Hyperthyreose 406 Hypertonie - Grundlagen 222 - s.a. Hypertensive Krise/ Hypertensiver Notfall - schwangerschaftsinduzierte Hypertonie 302 Hypertrophiezeichen (EKG) 161 Hyperventilation - Notfallbeschreibung 208 f. Hypnomidate - s. Etomidat Hypnotika zur Notfalltherapie, Übersicht 455 Hypoglykämie - Behandlung mit Glukagon 515 - Behandlung mit Glukose 40% 516 - Notfallbeschreibung 192 f. Hypoparathyreoidismus 407 Hypotheken, tödliche (Polytrauma) 278 Hypothermie - Notfallbeschreibung 392 f. - therapeutische, induzierte Hypothermie 182 Hypothyreose 406 Hypotonie - Behandlung mit Etilefrin 508 - Behandlung mit Noradrenalin 541 - Behandlung mit Theodrenalin und Cafedrin 562 - s.a. Low-output-Syndrom, Schock, Synkope Hypoxämischer Anfall, Kinder - Notfallbeschreibung 346 Hypoxie - s.a. Sauerstoff
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I ICD - Allgemeines 157 - ICD-Fehlfunktion 159 - gehäufte Defibrillationen 158 IfSG - s. Infektionsschutzgesetz Ileus 292 Immobilisation - s. HWS-Immobilisation - Extremitätenschienung 55 Impedanzventil 183 Indifferenztyp (EKG) 164 Infektionen - Infektiologische Notfälle 422 - Infektionskrankheiten, Meldepflicht 443 ff. - Infektionsschutz 437 ff. - Infektionsschutzgesetz 442 ff. - Infektionstransport - Ablauf 440 f. Inhalanzien 373 Insektizide - s. Alkylphosphate Insulin 467 Insult, apoplektischer – s. Apoplex Intoxikationen - Aktivkohlegabe 350 - Allgemeines Vorgehen 348 ff. - Alkylphosphate 354 - Antidota 352 - Cannabis 364 - Coffein 363 - Kohlendioxid 376 - Kohlenmonoxid 376 - Kokain 366 - LSD 368 - Magenspülung 350 - Methanol 362 - Nikotin 363 - Opiate 370 - Paracetamol 380 - Pflanzenschutzmittel 354 - Psychopharmaka 358 - Rauchgas/Reizgas 374 - Schlafmittel 358 - synthetische Rauschmittel 372 - Vergiftungszentralen, Telefonnumern 351 - Zyanid 378 Intrakranielle Blutung - Notfallbeschreibung 256
Stichwortverzeichnis
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Kapitel 19 · Stichwortverzeichnis
Intraossärer Zugang 41 f. Intubation - endotracheale 45 ff. - inverse 47 Invagination - Notfallbeschreibung 337 Ipecacuanha-Sirup - Medikamentensteckbrief 522 IPPV 29 Ipratropiumbromid 467 Iscover - s. Clopidogrel ISDN 467 Isogutt - s. Natriumhydrogenphosphat Isoprenalin - s. im Text bei Orciprenalin 471 f. Isoproterenol - s. im Text bei Orciprenalin 471 f. Isoptin - s. Verapamil Isosorbiddinitrat 467 Itrop - s. Ipratropiumbromid
J Jet-Ventilation 30 Jochbeinfrakturen - s. Gesichtsschädeltrauma Joint - s. Cannabis
K Kaffeesatzerbrechen 288 Kaiserschnitt, Indikationen 313 Kalium(chlorid) 468 Kalzium, Antidot/ bei Hyperkaliämie 468 Kalziumantagonisten - Medikamentensteckbrief Nitrendipin 540 - Medikamentensteckbrief Verapamil 567 Kammereigenrhythmus (EKG) 143 Kammerflimmern - EKG-Bild 124 - Therapie 171 Kapnometrie 34 Kardioversion, Durchführung 57 Karotissinusdruck 56 Katecholamine zur Notfalltherapie, Übersicht 456 Katheter (Harnblase) 61 f. KCl 468
Ketamin - Medikamentensteckbrief 523 Ketanest - s. Ketamin Kiefernotfälle (Frakturen, Luxationen) - Grundlagen 260 f. - Kieferfrakturen - s. a. Gesichts schädeltrauma - Notfallbeschreibung 262 f. Kinder - Allgemeines 324 ff. - Atemstörungen 328 - Behandlungsverweigerung 328 - Dehydratation 340 - Hypoxämischer Anfall 346 - Reanimation 329 f. - Rechtliche Aspekte 328 - Vergiftungen 328 - Zugänge 327 Kindesmisshandlung 344 Kindstod - s. a. SID - Verhalten des NA 434 Knierolle 24 Knochen, Frakturen 248 Knotenbradykardie (EKG) 143 Koffein - s. Coffein Kohle, medizinische - Medikamentensteckbrief 524 Kohlendioxid - Freisetzung aus Natriumhydrogencarbonat 539 - Intoxikation - Notfallbeschreibung 377 Kohlenmonoxid (Intoxikation) - Notfallbeschreibung 376 Kokain (Intoxikation) - Notfallbeschreibung 366 Koliken - abdominal 292 - Behandlung mit Butylscopolamin 492 - Behandlung mit Glyceroltrinitrat 518 - Behandlung mit Metamizol 533 - Behandlung mit Pethidin 544 - Gallenkolik 420 - Harnleiterkolik 410 Koma - diabetisches 194 - hepatisches 407 - urämisches 407 Kombitubus 49 Kondylusluxation 262
19 · Stichwortverzeichnis
Koniotomie 51 f. Köpertemperatur 35 Kopfschmerz, Differenzialdiagnose 111 Koronarintervention, akute perkutane 216 Koronarsyndrom, akutes - s. ACS Kortikoide zur Notfalltherapie - Medikamentensteckbriefe 525 ff. Kortisol 525 ff. Krampfanfall – Erwachsene, Notfallbeschreibung 196 f. – Kinder, Notfallbeschreibung 338 f. - Behandlung mit Clonazepam 495 - Behandlung mit Diazepam 497 f. - Behandlung mit Lorazepam 530 - Behandlung mit Midazolam 536 - Behandlung mit Phenytoin 545 - s. a. Kurznarkose/Narkoseeinleitung mit Propofol/Etomidat Krippentod 342, 434 Kriseninterventionsteams 432 KTW - Definition 4 Kühlen 31 Kurznarkose - mit Etomidat 509 - mit Propofol 550 - mit Thiopental 564
L Lagerung des Patienten 20 ff. Lagetypen des Herzens 164 Lampenölintoxikation - s. Bemerkung bei Paraffinöl 472 Larynxmaske 50 Larynxtubus 50 Lasix - s. Furosemid Laugen - s. Säure-Basenhaushalt - s. Verätzung Lebertrauma 272 Leberversagen 407 Leberzerfallkoma - s. Paracetamolvergiftung Leichenschau 68 Levomepromazin 468 Lidocain - lokale Anwendung 468 - Medikamentensteckbrief 529
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Linksherzinsuffizienz - s. Herzinsuffizienz Linksseitenlagerung 24 Linkstyp - EKG 164 Lippenbremse 206 Lokalanästhesie - am Auge 472 - Wirkstoffe 454 f. Lorazepam - Medikamentensteckbrief 530 Lown-Classification 140 Low-output-Syndrom - Behandlung mit Dobutamin 503 - Behandlung mit Dopamin 504 LSD (Intoxikation) - Notfallbeschreibung 368 Luminal - s. Phenobarbital Lungenembolie - Behandlung mit Heparin 520 - Notfallbeschreibung 240 Lungenkontusion 268 Lungenödem - Behandlung mit Furosemid 514 - Behandlung mit Glyceroltrinitrat 517 - Notfallbeschreibung 220 - toxisches Lungenödem, Behandlung mit Kortikoiden 374 f., 525 ff. Lungenriss 268 Luxationen - Grundlagen 249 Lyse-Therapie, präklinisch - Definition, Grundlagen 216 f. - Medikamentensteckbrief Alteplase (t-PA) 486 - Medikamentensteckbrief Anistreplase (APSAC) 488 - Medikamentensteckbrief Reteplase (t-PA) 554 - Medikamentensteckbrief Tenecteplase 559 - nicht mehr zeitgemäß im Rettungsdienst: Streptokinase 475 - nicht mehr zeitgemäß im Rettungsdienst: Urokinase 477 Lysthenon - s. Suxamethonium
M Magen-Darm-Blutung, akute - Notfallbeschreibung 288 Magensäure, Produktionshemmung durch Ranitidin 552 Magensonde 58
Stichwortverzeichnis
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Kapitel 19 · Stichwortverzeichnis
Magenspülung 350 Magnesiumsulfat - Medikamentensteckbrief 531 Magnetauflage bei Schrittmachernotfällen 151 Mainz Emergency Evaluation Score - Allgemeines und Erwachsene 579 - Kinder 580 MANB 72 ff. Mannitol - Medikamentensteckbrief 532 Manöver, vagale - s. Vagale Manöver MANV 72 ff. Marihuana - s. Cannabis Martinshorn 89 f. Massenanfall von Verletzten/ Erkrankten 72 ff. Maßnahmen, invasive - Rechtliches 84 ff. MCP - s. Metoclopramid Medikamente - Grundlagen 37 f. - Zugangswege 37 f. - Dosierungen, Richtwerte für Kinder 575 Medizinproduktegesetz 96 MEES 579 f. Meldepflichtige Infektionskrankheiten 443 ff. Ménière-Krankheit 414 Meningitis, Akutfall 416 Meningokokkensepsis 340 Meniskusschaden 276 Mepivacain 469 Mestinon - s. Pyridostigmin Metalyse - s. Tenecteplase Metamizol - Medikamentensteckbrief 533 Methadon 370 Methämoglobinämie, Behandlung mit Toloniumchlorid 476 Methanolintoxikation - Notfallbeschreibung 362 - Behandlung mit Ethanol 507 Methohexital 469 Methylprednisolon 525 ff. Metildigoxin - Medikamentensteckbrief 499 Metoclopramid - Medikamentensteckbrief 534 Metoprolol - Medikamentensteckbrief 535
Midazolam - Medikamentensteckbrief 536 Migräneattacke, akute 415, 420 Milztrauma 272 Mitfahrverweigerung 92 ff. Mittelohrentzündung, Akutfall 416 Mobitz - s. AV-Block Monitoring 32 ff. Morbus Addison 406 Morphin - Medikamentensteckbrief 537 MPG 96 MRSA 452 Multiorganversagen 225 Muskelfaserriss 276 Muskelkrampf 276 Muskelrelaxanzien, depolarisierend - s. Suxamethonium Muskelrelaxanzien, nicht depolarisierend - Antagonisierung mit Pyridostigmin 551 - s. a. Vecuronium Muskelzerrung 276 Mutterpass, Abkürzungen 297 Myokardinfarkt - Allgemeines 214 ff. - Behandlung mit Acetylsalicylsäure 481 - Behandlung mit Clopidogrel 496 - Behandlung mit Glyceroltrinitrat 517 f. - Behandlung mit Heparin 520 - Behandlung mit Metoprolol 535 - Behandlung mit Morphin 537 - EKG 162 f. - s.a. ACS - s.a. Lyse-Therapie Myxödem-Koma 406
N Nabelschnurvorfall - Notfallbeschreibung 314 NACA-Score 576 Nachalarmierung 13 Nachblutung, atonische (post partum/ nach Kürettage) - Behandlung mit Oxytocin 542 - Notfallbeschreibung 317
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Nachforderung weiterer Einsatzkräfte 13 NaCl 469 Naloxon - Medikamentensteckbrief 538 Narcanti - s. Naloxon Narkose im Notfall - Allgemeines 44 - mit Fentanyl 512 - mit Etomidat 509 - mit Ketamin 523 - mit Midazolam 536 - mit Propofol 550 - mit Thiopental 564 Nasenbeinfraktur - s. Gesichtsschädeltrauma Nasenbluten - Blutstillung (schwere Fälle) mit Adrenalin 483 f. - Blutstillung (schwere Fälle) mit Nasentamponade 60 - Notfallbeschreibung 258 Nasentropfen, abschwellend zur Anwendung bei Säuglingen s. Oxymetazolin und Xylometazolin Nasivin - s. Oxymetazolin Natriumbicarbonat - s. Natriumhydrogencarbonat Natriumchlorid 469 Natriumhydrogencarbonat - Medikamentensteckbrief 539 Natriumhydrogenphosphat 470 Natriumthiosulfat - Antidot, vor allem bei Zyanidvergiftung 470 - Kombinierte Anwendung mit Acetylcystein 480 NAW, Definition 4 Nebennierenrindeninsuffizienz 406 NEF, Definition 4 Neugeborenes - Erstversorgung/Reanimation 311 f. Neurocil - s. Levomepromazin Neuroleptika - s. Psychopharmaka Neuroleptika zur Notfalltherapie, Übersicht 456 New York Heart Association, Stadieneinteilung 218 Nicotin – s. Nikotin Niedervoltage (EKG) 123
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Niereninsuffizienz 407 Nierenkolik (Harnleiterkolik) - Akutfall 410 - Behandlung mit Butylscopolamin 492 - Behandlung mit Metamizol 533 Nifedipin 470 Nikotinintoxikation - Notfallbeschreibung 363 - Behandlung mit Biperiden 491 Nitrendipin - Medikamentensteckbrief 540 Nitrilvergiftung, Behandlung mit DMAP 464 Nitroglyzerin - s. Glyceroltrinitrat Nitrosegase - s. Reizgas Noradrenalin - Medikamentensteckbrief 541 Norcuron - s. Vecuronium Norepinephrin - s. Noradrenalin Normen, rechtliche 81 Normwerte, Übersichten 571 ff. Notarzt, Einsatzindikationen 5 Notarztdienst, Akutfälle 415 f. Notfall, Definition 2 Notfallantibiose 421 f. Notfalldiagnostik - Allgemeine Grundsätze, Basisdiagnostik 97 ff. - EKG-Diagnostik 117 ff. - Leitsymptomatik Abdomen 102 - Leitsymptomatik Atmung 100 - Leitsymptomatik Herz-Kreislauf 101 - Leitsymptomatik Neurologie 99 - Leitsymptomatik Trauma 103 - Ultraschall-Diagnostik 104 ff. Notfallmedikamente, Übersichten/ Dosierungen - für Erwachsene - s. die drei letzten Seiten im hinteren Einband - für Kinder 575 - Kapitel Notfallmedikamente – ab S. 453 Notfallseelsorge 432 Notrufzeitpunkt 168 Notsituation, Definition 2 Novalgin - s. Metamizol NPP 264 NSAID 455 NSTEMI, Diagnose 215 Nucleus pulposus prolabs 264 NYHA-Stadieneinteilung 218
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Kapitel 19 · Stichwortverzeichnis
Stichwortverzeichnis
O O2 - s. Sauerstoff Oberkörperhochlagerung 22 Obidoximchlorid 471 Ohrennotfälle 414 Opiatintoxikation - Notfallbeschreibung 370 - Behandlung mit Naloxon 538 Opioidanalgetika zur Notfalltherapie; Übersicht 454 Opioidrezeptoren 454 Orbitaboden-Fraktur - s. Gesichtsschädeltrauma Orchitis 411 Orciprenalin 471 f. Organophosphate - s. Alkylphosphate Organversagen 225 Ösophagustamponade 59 Ösophagusvarizenblutung - Behandlung mit Terlipressin 561 - Notfallbeschreibung 288 - Ösophagustamponade 59 Otitis media, Akutfall 416 Oversensing 153 Oxybuprocain 472 Oxymetazolin, Anwendung bei Säuglingen 472 Oxytocin - Medikamentensteckbrief 542
P Pädiatrische Notfälle - s. Kindernotfälle Paracetamol - Intoxikation, Notfallbeschreibung 380 - Intoxikation, Behandlung mit Acetylcystein 480 - Medikamentensteckbrief 543 Paraffinöl als Antidot 472 Paraphimose 410 Paraquatvergiftung 556 Parasympathikus 459 Parasympatholyse - durch Atropin 490 - durch Butylscopolamin 492 - Wirkstoffe zur Notfalltherapie, Übersicht 456 Parkland-Formel 384 Paroxysmale supraventrikuläre Tachykardie - EKG 136
Paspertin - s. Metoclopramid Patientenübergabe 77 Patientenverfügung 185 PCI bei ACS 216 PCM - s. Paracetamol PCP-Intoxikation 373 PEA - EKG 125 - Therapie - s. Kapitel 5 (HerzKreislaufstillstand) PECH-Schema 276 PEEP 29 PEG (Polyethylenglykol) 473 f. Pentazocin 473 Periarrest-Arrhythmien 126 Perikardtamponade - Notfallbeschreibung 237 Peritonitis, Pathophysiologie 290 Pethidin - Medikamentensteckbrief 544 Pflanzenschutzmittel (Intoxikation) - Notfallbeschreibung 354 Pfortaderkreislauf 288 Pharyngealtuben 25 Phenobarbital 473 Phenytoin - Medikamentensteckbrief 545 Phlegmone, Akutfall 416 Phosgen - s. Reizgas Phosphorsäureester - s. Alkylphosphate Physostigmin - Medikamentensteckbrief 546 Pilocarpin-Augentropfen 473 Pindolol 473 Piritramid - Medikamentensteckbrief 547 Pkw-Unfall - Absicherung/Eigenschutz 7, 285 - Airbag 9 - Polytrauma 279 - Rettung von Eingeklemmten 284 ff. Placenta praevia - Notfallbeschreibung 316 Plasminogen Human-Aktivator, - Medikamentensteckbriefe 486, 554 Plavix - s. Clopidogrel Plazentalösung, vorzeitige - Notfallbeschreibung 315 Plötzlicher Säuglingstod, Verhalten des Notarztes 434 Pneumonie, Akutfall 416
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Pneumothorax - Notfallbeschreibung 270 Polizei 64 Polyethylenglykol 473 f. Polytrauma - Grundlagen 278 ff. - Management 280 - Notfallalgorithmus 287 - Technische Rettung 484 ff. - Unfallmechanismus 279 Postreanimationsphase 181 Posttraumatische Belastungsstörung 433 Präeklampsie - s. SIH Präkordialer Faustschlag 170 Prednisolon - Medikamentensteckbrief 525 ff. Prednison - Medikamentensteckbrief 525 ff. Priapismus 410 PRIND - s. Apoplex Promethazin - Medikamentensteckbrief 548 Promit - s. Dextran Propafenon - Medikamentensteckbrief 549 Propofol - Medikamentensteckbrief 550 Propranolol 474 Pseudokrupp 334 Pseudokrupp, Differenzialdiagnose 336 Psychiatrische Notfälle 423 ff. Psychische Betreuung Einsatzkräfte 432 Psychische Erste Hilfe 430 Psychologische Aspekte im Rettungsdienst 423 ff. Psychopharmaka (Intoxikation) - Notfallbeschreibung 358 Psychosen, Behandlung mit Haloperidol 519 Psyquil, s. Triflupromazin PTBS 433 PTCA (PCI) bei ACS 216 PTSD 433 Pulslose elektrische Aktivität - EKG 125 - Therapie - s. Kapitel 5 (HerzKreislaufstillstand) Pulslose ventrikuläre Tachykardie - EKG 125
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- Therapie - s. Kapitel 5 (HerzKreislaufstillstand) Pulsoxymetrie 33 Punktion - Herzbeutel 237, 268 - Thorax 53 f., 268 - Vene 39 ff PVT - EKG 125 - Therapie - s. Kapitel 5 (HerzKreislaufstillstand) Pyridostigmin - Medikamentensteckbrief 551
Q QT-Zeit, Beeinflussung durch Amiodaron 487 Qualitätsmanagement 78
R Rachentuben 25 Ranitidin - Medikamentensteckbrief 552 Rapilysin - s. Reteplase Rauchgasinhalation - Notfallbeschreibung 374 R-auf-T-Phänomen (EKG) 139 Rauschmittel, synthetische - Notfallbeschreibung 372 Rautekgriff 15 Reanimation - Abbruch 174 f., 186 - ALS-Algorithmus 167 - BLS-Algorithmus 166 - Ethik 184 f. - induzierte Hypothermie 182 - Kinder 329 f. - Kinder: ALS-Algorithmus 331 - Kinder: BLS-Algorithmus 330 - Medikamente 180 - Neugeborenes 311 f. - Postreanimationsphase 181 - Reanimation, intrauterine - s. Tokolyse Recht im Rettungsdienst - Allgemeines 79 ff. - Kinder 328 - Rechtshierarchie im Rettungsteam 83 - Rechtswidrigkeit, Definition 82
Stichwortverzeichnis
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Kapitel 19 · Stichwortverzeichnis
Reentrytachykardie, Behandlung mit Adenosin 482 Reizgasinhalation - Notfallbeschreibung 374 Replantat-Versorgung 274 Reponieren von Frakturen 55 Reproterol - Medikamentensteckbrief 553 Reteplase - Medikamentensteckbrief 554 Retten von Patienten 14 f. Rettungsdienstpersonal, Ausbildung 3 f. Rettungsdienststruktur 3 Rettungsgriffe 14 Rettungshubschrauber 4, 65 f. Rettungsleitstelle, Funktionen 3 Rettungsmittel, Definitionen 4 Rettungswagen, Ausstattung nach DIN EN 1789 582 f. Reye-Syndrom durch Acetylsalicylsäure 481 Rhythmusstörungen/-diagnose – s. Kapitel 4 (EKG-Diagnostik) Richtwerte, altersabhängig - Geräte 574 - Medikamentendosierungen 575 - Physiologie 572 f. Ringer-Lösung - s. Volumenersatz, kristalloid Roticlean - s. Polyethylenglykol RTH 4, 65 f. rt-PA - Medikamentensteckbriefe 486, 554 RTW - Definition 4 - Ausstattung nach DIN EN 1789 582 f. Rückenschleiftechnik 15 Rückmeldung 13 Ruptur, Aortenaneurysma 238 Rytmonorm - s. Propafenon
S sab-Simplex - s. Simethicon Salbutamol - Medikamentensteckbrief 555 Salven (EKG) 139 Sauerstoff - Medikamentensteckbrief 556 - Technik, Sicherheit 26 Sauerstoffsättigung - s. Pulsoxymetrie
Säuglingstod, plötzlicher - Medizinische Hinweise 342 - Verhalten des Notarztes 434 Säure-Basen-Haushalt 405 Säuren - s. Säure-Basenhaushalt - s. Verätzung SBE 433 Schädel-Basis-Fraktur 252 Schädel-Hirn-Trauma - Grundlagen 252 - Maßnahmen 253 - Notfallbeschreibung 254 - Pathophysiologie 252 - s.a. Hirndruck Schaumbildneringestion, Behandlung mit Simethicon 557 Scheintod 67 Schienung von Frakturen 55 Schilddrüsenhormone, Störungen 406 Schlafmittel (Intoxikation) - Notfallbeschreibung 358 Schlaganfall s. Apoplex Schmalkomplextachykardie 134 ff. Schmerzsyndrome, akute 417 ff. Schmerztherapie 417 ff., 454 f. Schnüffelstoffe 373 Schock - anaphylaktischer - Notfallbeschreibung 232 f - Behandlung mit Adrenalin 483 f. - Differenzialdiagnose 226 - Grundlagen 224 - hypoglykämischer 192 f. - kardiogener - Notfallbeschreibung 226 f. - Lagerung 23 - neurogener - Notfallbeschreibung 234 - Pathophysiologie 225 - permissive Hypotension 229 - s.a. Hypotonie - septischer - Notfallbeschreibung 236 - Small-Volume-Therapie 229 - spinaler - Notfallbeschreibung 235 - Volumenersatzmittel 569 ff. - Volumenmangel/Volumentherapie 228 f. - Volumenmangel - Notfallbeschreibung 230 f.
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Schrittmacher – s. Herzschrittmacher Schröder-Mandrin 48 Schuld, juristische Definition 82 Schüttelfrost, Differenzialdiagnose 114 Schutzkleidung - physikalischer Schutz 285 - Infektionsschutz 437, 440 Schwangerschaft - Hypertonie 302 - Physiologie 301 - Risiken 313 Schwefelwasserstoffvergiftung, Behandlung mit DMAP 464 Schweigepflicht 87 f. Schwermetallvergiftungen, Behandlung mit DMPS 464 Schwindel - Behandlung mit Dimenhydrinat 501 - Differenzialdiagnose 116 Score-Systeme - Abbreviated Injury Score 581 - APGAR 577 - MEES 579 f. - NACA 576 Sectio caesarea, Indikationen 313 Sedativa zur Notfalltherapie, Übersicht 455 Sedierung - Behandlung mit Diazepam 497 f. - Behandlung mit Midazolam 536 Sehkraftverlust - Differenzdialdiagnose 116 Seitenlage, stabile 20 f. Selbsttötung - Notfallbeschreibung 426 Sellick-Handgriff 27 Sexualdelikte 299 f. SHT - s. Schädel-Hirn-Trauma SID 342, 434 Signalhorn 89 SIH - Allgemeines 302 - Behandlung mit Dihydralazin 500 - Behandlung mit Magnesium 531 Sildenafil, Kontraindikation für Glyceroltrinitrat 517 Simethicon - Medikamentensteckbrief 557 SIMV 29 Sinusbradykardie 142 Sinustachykardie 134
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Sirupus ipecacuanhae - s. Ipecacuanha-Sirup Skrotum, akutes 411 Small-volume resuscitation - s. Volumenersatz, hyperosmolar SM – s. Herzschrittmacher Sofortmaßnahmen am Einsatzort 7 Solu-Decortin - s. Prednisolon Sonderrechte 89 f. Sonnenstich - Notfallbeschreibung 387 Sonografie im Notarztdienst 104 ff. Sostril - s. Ranitidin Sotalol 475 Spanischer Kragen 410 Spannungspneumothorax 270 Spasmolytika 455 Spätgestose 302 Speed 372 Speichelfluss, vermehrter - s. Hypersalivation Spindeltachykardie - s. Torsade de pointes Sportverletzungen 276 Spülmittelingestion, Behandlung mit Simethicon 557 SR 90 - s. Ipecacuanha-Sirup Stabile Seitenlage 20 f. Status asthmaticus - s. Asthmaanfall Status epilepticus - s. Krampfanfall Steiltyp (EKG) 164 STEMI, Diagnose 215 ST-Hebung (EKG) 163 Strafrecht 81 f. Strangulation, Notfallbeschreibung 396 Streptokinase 475 Stress 428 ff. Stressverarbeitung nach belastenden Einsätzen433 Stroke-Unit 199, 202 Stromunfall - Eigenschutz 12 - Notfallbeschreibung 402 Stupor 424 Subdurale Blutung - s. Intrakranielle Blutung Succinylcholin - s. Suxamethonium Sufentanil 475 Suizid - Notfallbeschreibung 426 Sultanol - s. Salbutamol 555
Stichwortverzeichnis
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Kapitel 19 · Stichwortverzeichnis
Suprarenin - s. Adrenalin Suxamethonium - Medikamentensteckbrief 558 Sympathikus/Parasympathikus 459 Sympathomimetika zur Notfalltherapie, Übersicht 456 Syndrom, hyperkinetisch-dystones - s. Dyskinesien Synkope - Notfallbeschreibung 188 f.
T Tabak, Vergiftung (Kinder) – s. Nikotin Tachykardie - Notfallalgorithmus 127 ff. - schrittmachervermittelt 154 - atrioventrikulär mit Reentry, Behandlung mit Adenosin 482 - AV-Knoten - Behandlung mit Adenosin 482 - Behandlung mit Amiodaron 487 - EKG 133 ff. - paroxysmale supraventrikuläre - Behandlung mit Adenosin 482 - Behandlung mit Digoxin 499 - pulslose ventrikuläre, EKG 125 - supraventrikuläre - Behandlung mit Digoxin 499 - Behandlung mit Esmolol 506 - Behandlung mit Propafenon (auch WPW) 549 - Behandlung mit Verapamil 567 - ventrikulär - Behandlung mit Amiodaron 487 - Behandlung mit Lidocain 529 - Behandlung mit Magnesium 531 - Behandlung mit Propafenon 549 - Behandlung mit Phenytoin 545 Tagamet s. Cimetidin Talk down 369 Tambocor - s. Flecainid Tamponade - Nase 60 - Ösophagus 59 Tatbestand, Definition 82 Tauchunfall - Notfallbeschreibung 400 Tavegil s. Clemastin Technische Rettung, eingeklemmter Patient 284 ff.
Teerstuhl 288 Temgesic - s. Buprenorphin Tenecteplase - Medikamentensteckbrief 559 Tensidingestion, Behandlung mit Simethicon 557 Terbutalin - Medikamentensteckbrief 560 Terlipressin - Medikamentensteckbrief 561 Tetanus uteri durch Oxytocin 542 Theodrenalin - Medikamentensteckbrief 562 Theophyllin - Medikamentensteckbrief 563 Thiopental - Medikamentensteckbrief 564 Thombolyse - s. Lyse-Therapie Thoraxdrainage 53 f. Thoraxkompressionen - Mechanismen 176 - Technik 168 f. Thoraxpunktion 53 f. Thoraxschmerz, Differenzialdiagnose 108 f. Thoraxtrauma - Notfallbeschreibung 268 Thrombinhemmung durch Heparin 520 Thrombolyse - s. Lyse-Therapie Thrombose - Behandlung mit Heparin 520 - Grundlagen 242 Thrombozytenaggregationshemmung - durch Acetylsalicylsäure 481 - durch Clopidogrel 496 Thyreoditis 406 Thyreotoxische Krise - Notfallbeschreibung 408 TIA - s. Apoplex Ticlopidin 476 Tiklyd - s. Ticlopidin Tod 67 ff. Todesfeststellung 68 Todesursachen 67 Todeszeichen 67 Tokolyse 313, 510 Toloniumchlorid, Antidot bei Methämoglobinämie 476 Toluidinblau - s. Toloniumchlorid Tonsillitis, Akutfall 416
19 · Stichwortverzeichnis
Torsade de pointes, Behandlung mit Magnesium 531 Toxogonin - s. Obidoximchlorid t-PA - Medikamentensteckbriefe 486, 554 Tracheale O2-Insufflation 30 Trachealkanülierung 51 f. Trachlight 48 Tragen von Patienten 14 f. Tramadol 476 Tramal - s. Tramadol Tranquilizer - s. Psychopharmaka Transkutaner Herzschrittmacher, Anwendung 57 Transportbegleitung, ärztliche 83 Transporthandgriffe/-hilfsmittel 14 Trapanal - s. Thiopental Trauma - Analgesie mit Ketamin 523 - Analgesie mit Piritramid 547 - Score 581 Traumatologische Notfälle 247 ff. Triage 74 Triamcinolon - Medikamentensteckbrief 525 ff. Triflupromazin 477 TRIO 30 Tubuslage - Kontrolle 46 f. TUIS 351
U UAP, Diagnose 215 Übelkeit - s. Erbrechen Übergabe, Patient 77 Überwachung, Vitalfunktionen 32 ff. Überzuckerung 194 f. Ultracarbon - s. Kohle, medizinische Ultraschall im Notarztdienst 104 ff. Unfall, Verhalten 90 ff. Unterkühlung 392 Unterzuckerung 192 f. Urämisches Koma 407 Urapidil - Medikamentensteckbrief 565 Urbason - s. Methylprednisolon Urokinase 477 Urologische Notfälle 410 Uterusatonie, Behandlung mit Oxytocin 542 Uterusruptur 318
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V Vagale Manöver 56 Vagus 459 Valsalva-Manöver 56 Vasopressin - Medikamentensteckbrief 489 Vecuronium - Medikamentensteckbrief 566 Vena-cava-Kompressionssyndrom 304 Verapamil - Medikamentensteckbrief 567 Verätzung - Notfallbeschreibung 355 Verbrauchskoagulopathie 225 Verbrennung - Grundlagen 382 f. - Notfallbeschreibung 384 f. - Narkose mit Ketamin 523 Verbrühung – s. Verbrennung Vergiftungen - s. Intoxikationen Vergiftungszentralen - Telefonnumern 351 Verhalten am Einsatzort 7 ff. Verkehrsunfall - Absicherung/Eigenschutz 7, 285 - Airbag 9 - Eigenunfall 90 ff. - Polytrauma 279 - Rechtliche Aspekte 90 ff. - Rettung von Eingeklemmten 284 ff. Verschluss von Gefäßen - Differenzialdiagnose 246 - akuter arterieller Gefäßverschluss 244 - akuter venöser Gefäßverschluss 242 Verweigerung der Behandlung/ der Mitfahrt 92 ff. Verwirrtheit 424 Viagra - Kontraindikation für Glyceroltrinitrat 517 Videolaryngoskop 48 Vierpolableitung - s. EKG Virchowtrias 242 Visusverlust - Differenzialdialdiagnose 116 Vita minima - s. Scheintod Vitamin B12a - s. Hydroxocobalamin 521 Volumenersatz, hyperosmolar - Medikamentensteckbrief 568
Stichwortverzeichnis
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Kapitel 19 · Stichwortverzeichnis
Volumenersatz, kolloidal - Medikamentensteckbrief 569 Volumenersatz, kristalloid - Medikamentensteckbrief 570 Volumenmangelschock - s. Schock Volumenmangel Vomitus - s. Erbrechen Vorhofflattern (EKG) 135 Vorhofflimmern (EKG) 135 Vorhoftachykardie (EKG) 134
W Wärmen 31 Wasser-Elektrolyt-Haushalt 404 Wegerecht 89 f. Wehenförderung, Behandlung mit Oxytocin 542 Wehenhemmung - s. Tokolyse Weichteile - Wunden 250 Weisungsrecht 83 Wenckebach-Periodik - siehe AV-Block Wendl-Tubus 25 Widmark-Formel 360 Willensäußerung des Patienten 85 Winkelblockglaukom 412 Wirbelsäulentrauma - Notfallbeschreibung 266 WPW-Syndrom - Behandlung mit Ajmalin 485 - Behandlung mit Amiodaron 487 Wunden, Grundlagen, Versorgung 250 f.
X Xylocain - s. Lidocain Xylometazolin - Anwendung bei Säuglingen 478
Z Zahn, ausgeschlagener 261 Zahnnotfälle 262 f. Zahnschema 260 Zahnschmerzen, akute 419 Zangengriff 25 Zehnpolableitung - s. EKG Zentralvenöser Zugang 43 Zeugnisverweigerungsrecht 87 Zigaretten, Vergiftung (Kinder) – s. Nikotin Zivilrecht 81
Zugang - intraossär 41 f. - periphervenös 39 f. - zentralvenös 43 - Kinder 327 - Zugangswege (Medikamente) 37 ff. ZVK 43 Zwangsbehandlung/Zwangseinweisung 94 Zyanid (Intoxikation) - Behandlung mit DMAP und Natriumthiosulfat 464, 470 - Behandlung mit Hydroxocobalamin 521 - Notfallbeschreibung 378 Zytostatika (Alkylanzien), Behandlung mit Natriumthiosulfat 470