GISELA HEIDEN
Eine Perle — tausend Tränen
Roman
Tausend Tränen birgt die schwarze Perle für die junge, hübsche Moni...
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GISELA HEIDEN
Eine Perle — tausend Tränen
Roman
Tausend Tränen birgt die schwarze Perle für die junge, hübsche Monika Deiters. Die Perle, die an einem zarten Goldkettchen ihren weißen Hals schmückt, ist das Verlobungsgeschenk des armen Komponisten Reinhard von Breiten, an dessen Seite ihr einmal großes Leid widerfahren soll. Monika ahnt nicht, daß ihr durch dieses wenig kostbare Schmuckstück die Kraft und der Lebensmut verliehen werden, die es ihr ermöglichen, an ihrem schweren Los nicht zu zerbrechen. Eines Tages nämlich verließ Monika Deiters heimlich ihr Elternhaus, um dem jungen Künstler zu folgen, dem sie ihre Liebe geweiht hat. Aber nichts als Armut und Elend erwartet sie als seine Frau. Sie hätte es gern in Kauf genommen, wenn ihr nur die Liebe ihres Gatten geblieben wäre, ohne die es sich für Monika nicht weiterzuleben lohnt. Ihr Kampf um das Glück aber ist vergebens. Oder doch nicht...?
Umschlagfoto: Verlags-Archiv
GISELA HEIDEN
Eine Perle - tausend Tränen Roman
VERLAG SCHÄLTER & CO. • DEILINGHOFEN Alle Rechte vorbehalten. Printed in Germany. Druck und Verlag: Schälter & Co., 5S72 Deilinghofen
Es sind furchtbare Wochen, in denen Reinhard von Breiten sich unerschrocken, aber mit unbeugsamem Willen, gegen den mit aller Bestimmtheit ausgesprochenen Wunsch der Eltern auflehnt, das väterliche Erbe zu übernehmen. Musik will er studieren, als Komponist will er schaffen können! Vater Breiten findet dafür keine Worte. Er ist erschüttert über das Vorhaben seines Sohnes. Musiker ... Künstler ... fahrendes Volk! Nie und nimmer! »Und wie denkst du dir das alles?« Bittend sieht der Sohn den erzürnten Vater an. »Auf ein Konservatorium möchte ich gehen.« »Und dann?« Die kalte Ruhe des Vaters ist Reinhard unheimlich. »Ich sagte es doch schon, Vater, ich möchte komponieren, die Klänge die durch mein Herz ziehen, aufs Papier bringen. Das ganz allein ist mein Wunsch. Ich liebe die Musik!« Herbert von Breiten hält die Hände auf dem Rücken verschränkt. »So — du liebst die Musik. Das ist schon das Richtige! Nicht wahr? Das paßt dir ausgezeichnet — arbeiten, wenn du gerade Lust hast, die andere Zeit schlafen oder dich herumtreiben. Keine geregelte Tätigkeit, das könnte dir wohl so passen. Nein, mein lieber Sohn, dafür gebe ich mein Geld nicht her. Gewiß, nun wirst du sagen: Du kannst es doch, Vater. Du brauchst nicht auf den Pfennig zu sehen. Aber dafür ist mir mein Geld zu schade, hörst du? Es ist mir ja auch nicht in den Schoß gefallen, ich habe dafür arbeiten müssen, wie jeder andere auch. Schlage dir den Gedanken also ganz und gar aus dem Sinn.« »Vater —«, beginnt Reinhard bittend. Aber eine unwillige Geste heißt ihn schweigen.
Reinhard gibt auf. Wenigstens im Augenblick tut er es. Später wird er dieses Thema noch einmal anschneiden, er wird den Vater so lange quälen, bis er seine Einwilligung gibt, denn die muß er ja schon haben. Seine Ausbildung wird Unsummen verschlingen. So geht die Zeit dahin. Die Jahreszeiten wechseln sich ab, doch im Hause der von Breiten hat sich nichts geändert. Bis auf eine Kleinigkeit: Der Vater hat sich entschlossen, Reinhard zu erlauben, Musiklehrer zu werden. Das will er noch gelten lassen, aber freischaffender Künstler, ein Hungerleiderberuf, wie er ihn nennt, nein, das wird er nicht zulassen. Reinhard überlegt. Er denkt darüber nach, ob er zusagen soll. Kommt Zeit, kommt Rat, heißt es. Aber etwas zu versprechen und es später vielleicht doch nicht halten können, das geht wider seine Natur. Musiklehrer... er weiß und er fühlt es auch ganz genau, daß er sich niemals zum Lehrer eignen wird. Was soll er nur tun? Dem Vater zusagen, er wolle dessen Wunsch erfüllen, oder klaren Wein einschenken und mit Bestimmtheit zugeben, daß er niemals diesen Beruf erlernen wird? Sagt er nein, hat er gar keine Chance. Sagt er ja, dann hätte er schon den ersten Schritt getan. Allerdings würde er immer die Gewißheit mit sich herumschleppen, daß er den Vater hintergangen hat. Was ist nun schwerer zu ertragen? Er rafft sich auf und antwortet dem Vater. »Das Versprechen, Musiklehrer zu werden, das kann ich dir leider nicht geben, Vater. Du mußt mich verstehen, es ist nicht das, was mich ausfüllt, wonach ich mich sehne.« »Gut, so mach, was du willst«, das ist des Vaters letztes Wort. Er tut seit diesem Tage, als ginge ihn die ganze Sache nichts mehr an. Reinhard von Breiten sitzt in der Wildnis des kleinen Mauergärtchens, das immer schon sein Reich gewesen ist. Es ist ein strahlender Sommertag und so schön, daß Reinhard die
Stunden nicht zählt. So ist es schon oft geschehen, und so manches Mal gleiten unbemerkt die Stunden des Tages in die der Nacht über. Seine Gedanken kreisen wie immer darum, wie er es anstellen kann, den Besuch des Konservatoriums möglich zu machen, auch ohne Hilfe des Vaters. Aber wie? Wie kann er es anstellen? Den Vater noch einmal bitten? Nein, das kann er nicht. Er weiß, wie sehr der Vater den von Reinhard so ersehnten Beruf haßt. Langsam erhebt er sich und schreitet den schmalen Weg hinab bis in den breiten Park, der das elegante Haus umsäumt. Er tritt in das Wohnzimmer, in der Hoffnung, hier noch eine Weile ungestört nachdenken zu können. Doch die Mutter sitzt noch beim traulichen Schein der Lampe und stickt. Reinhard setzt sich wortlos in einen Sessel ihr gegenüber und greift zur Zeitung. Eine Weile herrscht Schweigen im Raum, doch dann beginnt die Mutter: »Reinhard, ich habe auf dich gewartet, ich muß einmal mit dir sprechen.« »Was gibt es denn, Mutter?« fragt Reinhard, ohne die Zeitung aus der Hand zu legen. »Sage mal, was ist eigentlich mit dir los? Du bist nicht mehr der alte. Alles, was du tust, geschieht mit einer Unlust, wie ich sie nie an dir gekannt habe.« »Du weißt, Mutter, warum. Du kennst meinen Wunsch, und ich kann nur noch einmal betonen, daß ich nicht dazu geschaffen bin, dieses Erbe hier anzutreten. Ich möchte den Beruf ergreifen, der mir am Herzen liegt, und den kennst du.« Das Mutterauge, das schärfer sieht als jedes andere, bemerkt, daß bei diesen Worten ein Schatten auf dem Antlitz des Sohnes liegt. Doch sie sagt nichts, sie begnügt sich damit, ihrer schmerzlichen Befremdung durch Schweigen Ausdruck zu geben.
»Mutter«, fragt Reinhard nach einiger Zeit, »hat dich meine Antwort verletzt? Es tut mir leid, aber du mußt mich auch verstehen, gerade du müßtest es. Ich bin nicht mehr der willenlose Knabe, den man dirigieren kann, wie es einem paßt. Nein, Mutter, ich bin zum Manne herangewachsen und weiß recht gut, was ich zu tun habe.« »Dann würdest du jetzt anders denken. Du würdest dir Gedanken darüber machen, wie du aus unserem Besitz noch mehr machen könntest. Aber statt dessen sitzt du und grübelst darüber nach, wie du es möglich machen kannst, deinen Willen durchzusetzen.« »Mutter, ich habe den Plan, Musiker zu werden, gefaßt, und ich werde ihn durchführen. Gegen euren Willen, wenn es sein muß. Ich gebe diese Hoffnung nicht auf, mag kommen, was will. Jedes weitere Wort wäre überflüssig. Oder bist du auch der Meinung, daß der Beruf eines Komponisten geringer wäre als das, was hier auf mich wartet?« »Ja, mein Sohn, auch ich bin dieser Meinung.« Reinhard sieht sie betroffen an. »Dann ist es ja zwecklos, daß ich noch weiter mit dir rede.« »Du solltest dich schämen, das Erbe deines Vaters so zu mißachten. Glaubst du nicht, daß es ihn schmerzt zu wissen, daß sein Lebenswerk einmal in fremde Hände übergeht? Wofür hat er sich all die Jahre geplagt und es zu Reichtum und Wohlstand gebracht?« »Ich werde schon später dafür sorgen, daß alles erhalten bleibt.« »Dich interessiert doch etwas ganz anderes als das, was deine Aufgabe sein sollte.« »Mutter«, ruft Reinhard gereizt, »nachdem ich all die Jahre mit all meiner Kraft euch zur Seite gestanden habe, möchte ich doch wenigstens jetzt so viel Recht und Freiheit haben, über meine Zukunft selbst verfügen zu dürfen.« »Diese Freiheit kannst du haben«, erwidert die Mutter ruhig,
»aber vergiß nicht, daß du eine sichere Zukunft vor dir haben könntest, während du bei dem Beruf, den du nun mit aller Gewalt ergreifen willst, nicht einmal weißt, ob du das Nötigste zu Leben hast. Denn mit der Unterstützung des Vaters brauchst du unter gar keinen Umständen zu rechnen.« Reinhard beißt sich auf die Lippen. »Es ist schmerzlich für mich, wenn ich daran denke, daß zwischen uns beiden wegen dieser Sache ein Mißverständnis entstehen sollte. Ich habe immer darauf gehofft, daß gerade du mich verstehen würdest. Ich kann es einfach nicht begreifen, daß du nicht mit mir fühlst, daß ich nun zu etwas Höherem berufen bin, als hier das Erbe meines Vaters anzutreten. Begreifst du das nicht, Mutter?« »Nein, bei aller Liebe, das werde ich nie verstehen.« »Dann dürften wir uns nichts mehr zu sagen haben, Mutter.« Reinhard erhebt sich und wünscht ihr eine gute Nacht. Auf seinem Zimmer angekommen, sinnt er noch eine Weile nach. Er hat sich der Erfüllung seines Wunsches noch niemals so weit entfernt gefühlt wie in diesem Augenblick. Monika Deiters, ein hübsches, blondhaariges Mädchen, ist seit langem Reinhards Freundin. Sie kommt aus sehr reichem Hause und ist das einzige Kind des Industriellen Werner Deiters. Alles, was ihr Herz begehrt, bekommt sie von den Eltern. Doch Freunde begehrt sie keine. Der einzige Mensch, dem sie sich angeschlossen hat, ist Reinhard von Breiten. Sie kennen sich schon seit der Zeit, als sie noch als Kinder miteinander spielten. Werner Deiters hat große Pläne. Er duldet wohl die Kameradschaft zwischen den beiden jungen Menschen, doch heiraten soll Monika einmal einen bekannten Industriellen. Es ist der Sohn eines alten Geschäftsfreundes. Noch ist es dem Mann zu früh, die Tochter darauf
hinzuweisen. Er sieht sie immer noch als Kind an und weiß nicht, daß die junge Liebe bereits in ihrem Herzen erwacht ist, daß sie sich nicht nur in Freundschaft zu Reinhard hingezogen fühlt, sondern daß zarte Bande sie mit dem Jugendfreund verbinden. So treffen sich die beiden jungen Menschen immer wieder. Sie kennt Reinhards Neigung zur Musik, und sie versteht ihn, daß er nur noch einen Wunsch hat, dieser Neigung nachzukommen. Wieder ist eine Stunde der Begegnung da. Reinhard ist auf dem Wege zu Monika. Es geht ihm durch den Kopf, daß eigentlich Monika der einzige Mensch ist, der ihm helfen könnte. Sie hat zwar sein Wort, daß er sie niemals verlassen will, aber an der Erfüllung dieses Wortes darf der Daseinszweck eines Menschen nicht scheitern. Niemals hat er sich zu etwas berufener gefühlt, als sein Leben der Musik zu weihen. Dieser Stimme muß er folgen. An dieser seiner eigenen Lebensaufgabe wird er ja erst erstarken und ein ganzer Mann werden. Er weiß, daß er dieser Aufgabe gewachsen ist, und auch, daß er Monika von allem überzeugen kann, was ihm ja bis jetzt schon gelungen ist. »Willst du denn nun wirklich Komponist werden?« fragt Monika ihn eines Tages. Er nimmt ihre Hände zwischen seine eigenen, und dann spricht er eindringlich und voll Innigkeit davon, wie er sich die Zukunft denken würde. Doch ein Problem bleibt offen. Wie soll er die Kosten tragen? Wer wird ihm das Geld dazu geben? Er ist doch nicht volljährig und kann nicht über sein eigenes Kapital verfügen. Diese Frage quält ihn bei Tag und Nacht, und er findet kaum Ruhe. »Ich werde alles für dich schreiben, Monika. Und unsere Kinder werden es ihren Kindern zeigen: Sieh einmal hier, das schrieb der Vater, der Urgroßvater und so weiter.«
Auch Monika erkennt das Großartige dieses Zukunftplanes und sinnt darüber nach, wie sie Reinhard helfen könnte. Den Vater fragen? Wie wird er sich dazu stellen? Aber er hat ihr selten einen Wunsch versagt. »All meine Stücke werden nach dir benannt werden, Monika, und so wirst du noch in späteren Geschlechtern weiterleben. Es wird viel Schweiß und Anstrengung kosten. Alle Ansprüche, die wir einmal an das Leben stellen werden, wenn wir heiraten, müssen daneben versinken. Aber was ist das schon, wenn ich Erfolg habe?« Monika sinnt einen Augenblick nach. »Weißt du, Reinhard, ich will versuchen, dir zu helfen. Ich werde meinen Vater um Geld bitten, und so wird es dir möglich sein, das Konservatorium zu besuchen. Ich will auch gern später ein bescheidenes Leben auf mich nehmen, denn ich weiß, daß es nicht umsonst sein wird, daß du es ganz bestimmt zu etwas bringst.« Reinhard starrt auf Monika, als könne er all ihren Worten nicht glauben. Aber ihre Augen leuchten, und über ihrem sonnigen Antlitz liegt so viel Seligkeit, daß er sich erschüttert in ihre Haare greift, als wolle er dort Halt suchen. Er neigt ihren Kopf zu sich hinab, behutsam und zärtlich, und küßt sie voller Dankbarkeit. »Das alles willst du für mich tun, Monika?« »Ja, ich werde dir helfen. Wenn niemand da ist, der dich versteht, so will ich es tun. Ich will dir helfen und werde es auch schaffen. Ich will nicht, daß die Leute sagen können, du jagtest einer verrückten Idee nach. Nein, sie sollen sich überzeugen, daß du auch wirklich etwas schaffen wirst.« »Und wenn ich eine Niederlage erleide? Ich meine, wenn ich es nicht schaffe?« »Nun, ich glaube, Reinhard, daß in jeder Niederlage schon ein Stück Sieg verborgen ist. Du kannst nun, wenn ich dir dazu
verhelfe, eines Tages auf herrliche Art über all die Menschen siegen, die heute noch über deinen Plan lachen werden. Du wirst den Triumph erleben, daß du das geworden bist, was du dir immer erhofftest.« Die beiden scheiden voneinander in der stillen Hoffnung, daß sich ihr Wunsch erfüllen möge. Doch Monika weiß es schon, sie wird ihm helfen können. Sie wird heimlich von ihrem eigenen Konto etwas abheben. Es wird nicht umsonst sein, sie weiß, sie fühlt es ... Reinhard von Breiten sitzt an einem kleinen Rauchtischchen und zählt blaue Scheine darauf. Dabei kann er sich nicht enthalten, das Gesicht des Vaters heimlich zu beobachten. Vater Breiten starrt auf die Scheine, als könne er sich deren Vorhandensein nicht recht erklären. Dann überzieht sich sein Gesicht mit einer brennenden Röte. Schweigend, mit zusammengekniffenen Lippen verfolgt er, wie Reinhard die Scheine wieder aufnimmt und sie in seiner Tasche verschwinden läßt, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt. Plötzlich springt Vater Breiten auf. »Woher hast du das Geld?« schreit er in einem Ton, als sei er überzeugt, daß Reinhard sich diese Summe auf unrechtmäßige Weise angeeignet hat. »Vater, es ist nicht dein Geld. Und die Hauptsache ist«, weicht er der Frage des Vaters aus, »daß es mir gelungen ist, das Geld für das Konservatorium zu beschaffen.« »Von wem du das Geld hast, will ich wissen.« In der Stimme des Mannes liegt ein drohender Ton. »Geliehen habe ich es mir. Habe ich da vielleicht etwas Unrechtes getan?« Breiten lacht hell auf. »Geliehen? Das ist ja ein Witz! Es scheint auf der Welt doch wahrhaftig noch leichtsinnige Menschen zu geben, daß man dir Geld leiht ohne eine Sicherheit, und dann noch einem halben Kind,
denn immerhin bist du nicht einundzwanzig.« Reinhard unterdrückt eine unbeherrschte Erwiderung. »Es ist von jemandem, der ganz genau weiß, daß ich sein Vertrauen nicht enttäuschen werde. Willst du denn nun immer noch nicht einsehen, Vater, daß es mir ernst ist? Ich schaffe es, aus mir etwas zu machen. Das Geld ist nicht hinausgeworfen, wie du zu sagen pflegst.« »Hör doch auf mit deinen dummen Reden!« kommt die höhnische Antwort des Vaters. »Du glaubst auch, unregelmäßige Arbeit und Herumlungern sind der sicherste Weg zu Reichtum und Wohlstand!« »Vater, ich werde lernen müssen wenn ich mein Ziel erreichen will. Es ist harte, anstrengende Arbeit, aber sie ist immer noch besser, als einem Beruf nachzugehen, der einem keine Freude und keinen Spaß macht. Zwinge mich doch nicht zu etwas, was ich nicht kann, wozu ich nicht berufen bin. Willst du denn mit aller Gewalt zusehen, wie das Unglück seinen Lauf nimmt? Du wirst keine Freude an mir haben, glaube mir das.« Herr von Breiten hat die versteckte Anklage nur allzugut verstanden, doch sagt er in gereiztem Ton: »Geh nur, geh! Du wirst schon einsehen, daß du einen falschen Weg gegangen bist und daß die Rückkehr das einzige ist, was dir übrigbleibt. Du tust ja gerade, als müßtest du dich hier totarbeiten, dabei hast du weiter nichts zu tun, als die Zügel hier fest in die Hand zu nehmen, wenn ich einmal nicht mehr in der Lage dazu bin. Aber das willst du ja alles nicht einsehen, nur weil du dir Flausen in den Kopf gesetzt hast. Geld pumpen, wie kommst du nur auf diese Idee? Wie kannst du nur so gewissenlos sein, wo du nicht einmal weißt, ob du es jemals zurückgeben kannst? Wer ist denn er Dummkopf, der leichtgläubig genug war, sich von dir herumkriegen zu lassen?« Reinhard zögert einen Augenblick, doch dann sagt er
spontan: »Monika Deiters!« Von Breiten stockt der Atem. Er starrt den Sohn an, als wolle er ihn mit seinen Blicken verschlingen. »Was sagst du da? Monika Deiters? Ja, sag mal, schämst du dich nicht, von den Deiters etwas anzunehmen? Also, das schlägt doch dem Faß den Boden aus.« »Warum bist du nur so erregt, Vater? Weshalb traust du mir nicht zu, daß ich ein tüchtiger Mensch bin? Warum läßt du mich nicht erlernen, was ich gern möchte? Hast du so wenig Vertrauen zu deinem eigenen Fleisch und Blut?« »Papperlapapp! Monika Deiters sollte ihr Geld für nützlichere Dinge gebrauchen. Womöglich hat sie es noch ihrem Vater abverlangt! Das wäre dann ja wohl das letzte. Glaubst du daran, daß ich mich lächerlich mache? Oder bist du gar im ganzen Dorf umhergelaufen und hast um Geld gebettelt? Mein Gott, was für einen mißratenen Sohn habe ich! Wahrhaftig, stolz kann ich auf dich sein!« Reinhards Gesicht verschließt sich. »Ich hoffe, daß du diese Worte einmal im Ernst sagen wirst, Vater!« sagt Reinhard und verläßt das Zimmer. Herr von Breiten steht lange unbeweglich. In seinem Innern nagen Bitterkeit und Zorn. Aber noch etwas brennt in seinem Herzen, das er verzweifelt niederzuringen versucht: Er ahnt dumpf die Kraft, die in Reinhard steckt. Daß diese Kraft sich gegen ihn richtet, verbittert ihn. Immer hat er davon geträumt, einmal sorglos seine Tage zu beschließen, denn er hat ja einen Sohn. Aber dieser Sohn ist nicht aus seinem Holz, er ist nicht aus dem gleichen Blut, nein, niemals! Daß der Junge ihm all die schönen Hoffnungen zerstört, das trifft ihn am schwersten. Das Ergebnis all dieser Überlegungen ist, daß Vater Breiten
sich das Jackett anzieht und nach kurzer Zeit mit bedachtsamen Schritten die Dorfstraße hinabschreitet. Für empfindliche, nervöse Naturen, für die das Vergangene immer ein wenig der Gegenstand der Reue ist, sind die ersten Augenblicke des Erwachens am Morgen sehr schwer. Das so plötzlich erwachte Bewußtsein klammert sich mit aller Gewalt an die unangenehmen Dinge. Aber wenn man richtig erwacht ist und das Blut in den Adern zu kreisen beginnt, sind die schlimmen Gedanken verbannt, und Frohsinn nimmt ihre Stelle ein. Auch an diesem Morgen kommen Reinhard von Breiten wieder die Dinge ins Bewußtsein, die ihm in der Aufregung des vergangenen Abends und in der glücklichen Vergessenheit des Schlafes eine Zeitlang entschwunden waren. Der bittere Schmerz, den er tags zuvor bei der Nachricht vom Tode des Vaters empfunden hat, erfaßt ihn wieder mit aller Macht. Er fühlt sich ein wenig beschämt, obwohl er sich immer wieder sagt, daß es für ihn keinen anderen Weg gab als diesen, den er gegangen ist. Auch den Schrecken beim unvermuteten Eintreffen des Telegramms spürt er wieder und ist erschüttert. Was soll nun werden? Wird die Mutter es allein schaffen, den Gutshof zu führen? Er macht sich bereit, den Weg nach Hause anzutreten. Der Vater ist zur letzten Ruhe gebettet. Reinhards schmales Gesicht ist weiß wie Kalk. Die dunklen, tränenlosen Augen brennen. Unter dem Gittertor, das den Friedhof abschließt, bleibt er noch einmal stehen. Seine Hände krampfen sich ineinander. Was wird nun kommen? — Was wird nun werden? Das Ende des Vaters war kein Scheiden in Frieden, so sagte die Mutter. Mitten heraus aus dem Leben wurde er gerissen, aber er hatte noch so viel Zeit, sich an den Sohn zu erinnern, auf den er all
seine Hoffnungen setzte. Monika Deiters steht abseits auf dem Friedhof. Sie hat nicht der Beerdigung des Herrn von Breiten beigewohnt, aber aus der Ferne nahm sie Anteil daran. Sie blickt Reinhard an, der mit gesenktem Kopf auf sie zukommt, mit gesenktem Kopf und bitterem Blick. Sein Rücken ist gebeugt. Aber die Last, die er mit sich herumschleppt, ahnen die anderen nicht. Aber sie weiß es, sie ganz allein. Sie fühlt, wie sehr er darum bangt, seinen Wunsch, Komponist zu werden, aufgeben zu müssen. Jetzt steht er ganz nahe vor ihr. »Monika, wie lieb, daß du hergekommen bist.« »Es war doch selbstverständlich, Reinhard.« »Wir haben nicht lange Zeit, Monika, ich habe eine Bitte an dich. Ich muß mit dir sprechen, irgendwann.« Mitleid liegt in den Augen des Mädchens. Sie weiß, wie sehr er sie jetzt braucht. »Reinhard, ich komme zu dir. Ich werde dich besuchen, wenn du wieder zurück bist. Ich meine, wenn du wieder zum Konservatorium gehst.« Sie sieht den schmerzlichen Zug um seinen blutleeren Mund. Ein Schreck durchfährt sie. »Oder willst du gar nicht mehr zurück? Willst du gar alles aufgeben, jetzt, wo du es schon zu etwas gebracht hast?« Reinhard streicht ihr zärtlich über die rosige Wange. »Was soll ich denn tun? Glaubst du, ich könnte die Mutter mit allem allein lassen?« »Du darfst nicht aufgeben, Reinhard, jetzt nicht mehr. Du mußt das Ziel erreichen, das du dir gesetzt hast, hörst du? Du mußt es!« »Und... du willst wirklich zu mir kommen? Was wird dein Vater dazu sagen?« »Er wird nicht wissen, wohin ich gehe. Ich werde schon einen Vorwand finden, um fortzukommen.« »Ich danke dir, Monika. Ich werde wieder zurückgehen —
mag da kommen was will.« Sie nickt stumm und sieht hinter der Gestalt des Mannes her, für den sie bereit ist, alles zu tun. Nach dem Mittagessen bittet Reinhard die Mutter um ein kurzes Gespräch. »Mutter, was soll ich tun? Ich weiß jetzt nicht, was geschehen soll. Wirst du allein mit • allem hier fertig werden? Oder wünschst du...?« »Nein, nein, nimm keine Rücksicht auf mich, ich werde es schon schaffen.« Sie verschweigt ihm, wieviel Sorge und Angst ihr die Zukunft macht. Sie bringt ihn zur Bahn am späten Nachmittag und löst ihm ein Billett zweiter Klasse. Reinhard nimmt es hin als etwas Selbstverständliches. Aber er weiß nicht, wie schwer es ihr wird, dieses Fahrgeld zu opfern. Der Tod des Vaters und alles, was vorher war, wovon Reinhard nichts ahnt, hat eine ungeheure Lücke in die Kasse gerissen. Was weiß Reinhard schon davon, daß der Gutshof immer mehr dem Ruin zugeht? Von allen Seiten scheint sich das Unheil wie Gewitterwolken zusammenzuballen. Je mehr sie versucht, es abzuwenden, desto schneller und sicherer hat es sie befallen. »Mutter, zürnst du mir auch nicht, daß ich fortgehe?« versichert er sich noch einmal. Sie hält seine beiden Hände zwischen ihren kalten, zitternden Fingern. »Warum sollte ich dir zürnen? Wenn es nun mal nicht anders geht«, sagt sie bedrückt. Sie weiß ja von vornherein, daß es niemals wahr werden wird, daß er zurückkehrt. Sie weiß, daß er bei seinem Studium bleiben wird. Er wird sicherlich jetzt, da der Vater sein Leben aufgegeben hat, daran denken, sie um etwas Geld zu bitten für sein Studium. Obwohl er sich nebenbei noch Geld verdient,
wird es auf die Dauer nicht reichen. Aber was soll sie ihm sagen? Jeder Pfennig muß in Rechnung gezogen werden. Bald darauf flattern beider Taschentücher zum Abschied im Wind. Die Lokomotive biegt ratternd und puffend um eine Kurve, die Wagen nach sich ziehend. Eine Rauchwolke, die zurückbleibt, ist alles was sie noch sieht. Irene von Breiten ist allein. Ein paar schwere Tränen rollen unter dem schwarzen Schleier auf die blassen Wangen. Ihr Gang ist schleppend, als sie das Bahnhofsgebäude verläßt... »Was möchtest du, mein Kind?« fragt Werner Deiters ungläubig. »Ein paar Tage verreisen? Aber wohin denn, mein Kind?« Monika windet sich ein wenig, sie weiß bei Gott nicht, was sie antworten soll. Krampfhaft überlegt sie. Plötzlich findet sie eine Lösung. »Irgendwohin, Vater. Ich möchte nur ein wenig hier heraus. Kann ich mir nicht einmal ein Hotelzimmer mieten für ein paar Tage?« Erstaunt richtet der Mann den Blick auf seine Tochter. »Ein Hotelzimmer? Aber Kind, doch nicht allein. Du kannst Grete, unser Hausmädchen, mitnehmen, dann habe ich nichts dagegen.« »Vater, du traust mir nicht, nicht wahr?« »Aber, Kind, gewiß glaube ich dir. Nur eines möchte ich dich fragen: Wie kommt es, daß du plötzlich auf diese Gedanken kommst? Steckt etwa ein Mann dahinter?« Eine dunkle Blutwelle schießt in das Mädchengesicht. Sie schweigt. Wieder die Stimme des Vaters: »Darf ich das nicht wissen?« Seine Stimme klingt ein wenig betrübt. »Ich ... gewiß, ich habe einen Freund, aber das — das hat mit der ganzen Sache nichts zu tun.« »Kennst du ihn schon lange?«
»O ja, sehr lange, Vater.« Er horcht auf. »Und du hast niemals darüber gesprochen?« Der Blick des Mannes liegt prüfend auf seiner Tochter, als er fortfährt: »Sag mal, Monika, es wird doch nicht jener sein, den du schon von Jugend auf kennst?« Verlegen schaut Monika den Vater an. »Aber wen meinst du denn, Vater?« »Ach, ich meine das ja nicht, es war nur so ein Gedanke. Ich denke da an diesen Reinhard von Breiten, den einzigen Sohn des alten Breiten, der erst kürzlich verstorben ist. Es ist manchmal kaum zu glauben. Eine grundanständige Familie, aber der Sohn ... verdorben, verkommen...« »Das ist nicht wahr, Vater!« wehrt Monika, doch im gleichen Moment hält sie sich erschrocken die Hand vor den Mund. »Woher willst denn du das wissen, mein Kind?<< »Ach, Vater, laß dir sagen, daß die Meinung, die du von Reinhard von Breiten hast, auf keinen Fall stimmt. Du irrst in der Annahme, er sei verdorben. Er möchte nur Komponist werden, und alle hindern ihn daran. Aber weißt du, er wird es schaffen, dessen bin ich ganz sicher.« Deiters sieht in das verklärte Antlitz seiner Tochter. »Sag mal, du weißt ja recht viel von diesem Vagabunden. Wie kommst du zu dem Wissen? Wer hat dir das alles gesagt?« »Vater, bitte!« Sie hebt beide Hände. »Nicht so, mein Kind, nicht so! Alles, was dein Herz begehrt, kannst du haben, aber eine Verbindung zwischen dir und diesem — diesem — Menschen dulde ich nicht. Unterstehe dich, ihm zu begegnen. Wenn du mich bisher nur als liebenden und fürsorglichen Vater gekannt hast, dann könnte es passieren, daß du mich auch einmal von einer anderen Seite
kennenlernst.« »Vater, du sprichst so schlecht über einen Menschen, den du nicht einmal kennst.« »Was die Leute sagen, genügt mir. Es ist immer ein wenig Wahrheit daran. Ich hoffe, du hast mich verstanden.« Wortlos starrt Monika auf den erzürnten Vater. Sie kennt ihn so gar nicht. Sie kann es nicht begreifen, daß er plötzlich so verändert ist. »Und ... und ich darf nicht fahren?« »Mir ist das alles ein wenig unverständlich. Deine plötzliche Sehnsucht nach ein paar Tagen Erholung. Ich weiß nicht, ob nicht dieser Breiten doch hinter der ganzen Geschichte steckt.« Jetzt vermag Monika nichts mehr einzuwenden. Sie bringt es nicht fertig, den Vater anzulügen, ohne dabei zu erröten. »Ich werde bleiben«, sagt sie traurig. Jetzt kommt der Vater auf sie zu, nimmt sie in seine Arme und sagt: »Weißt du, mir fällt da etwas anderes ein. Wir beide werden gemeinsam ein paar Tage Urlaub machen. Was hältst du davon?« Mit tränenverschleiertem Blick sieht sie zu ihm auf. Stumm nickt sie mit dem Kopf. »Gefällt dir das nicht, mein Kind?« »Doch, doch.« Sie weiß, daß sie den Vater jetzt unter gar keinen Umständen noch mehr erregen darf. So fällt der schöne Plan, Reinhard von Breiten zu besuchen, ins Wasser. Sie wird dem Geliebten schreiben müssen und ihm alles zu erklären versuchen ... Reinhard von Breiten steht vor den Auslagen eines Juweliergeschäftes. Vor ihm liegt ein zartes Goldkettchen, an dem eine schwarze Perle glänzt. Wie schön, denkt er und sieht im Geiste das Kettchen um Monikas schlanken Hals liegen. Soll er hineingehen? Aber, was mag es kosten? Er hat durch
sein fleißiges Arbeiten das Geld für das Studium verdient. Er hat schon eine Menge gespart. Wie wäre es, wenn er jetzt einfach hineinginge und dieses Kettchen kaufte? Ob er Monika eine Freude damit bereitet, wenn sie zu ihm kommt? Kurzentschlossen betritt er das Geschäft. Der Juwelier zeigt ihm das Gewünschte und versichert, daß es ein einmaliges Angebot sei. »Der Preis ist erschwinglich, junger Mann, soll wohl für die Braut sein, nicht wahr?« Reinhard nickt zu seinen Worten. Bald darauf verläßt er den Laden, ein hübsches Kästchen mit der Goldkette in der Hand. Er malt sich schon aus, wie überrascht Monika sein würde, wenn er es ihr überreicht. Er ist glücklich, es gekauft zu haben. Es soll sie immer an ihn erinnern. Den ganzen Nachmittag über nimmt er während seinen Pausen das kleine Kästchen aus der Tasche und schaut immer wieder auf die schwarze Perle. Er stellte es sich reizend vor, diese Perle auf der schneeweißen Haut Monikas zu sehen. Überglücklich legt er sich schlafen, doch im ersten leisen Halbschlummer glaubt er, draußen einen Schritt zu hören und dann einen Ton wie ein Weinen. »Reinhard!« Er schreckt auf, wirft die Decke zurück und springt aus dem Bett auf die Tür zu und reißt sie auf. »Monika!« Der Korridor ist von Mondlicht überflutet. Nur wo die Fensterkreuze sind, fallen tief schwarze Schatten auf den Gang. Doch nichts ist zu sehen, nirgends die Spur eines Wesens! Alles ist leer, kein Licht mehr in irgendeinem Zimmer. Er hat in seinem Leben niemals an einen Spuk geglaubt, aber jetzt läuft es ihm doch eisig über den Rücken! Es war doch ihre Stimme, er hat sie doch ganz genau gehört! Unter Hunderten würde er sie erkennen. — Er kennt den liebkosenden, schmeichelnden Ton, den sie immer hineinlegt, wenn sie sei-
nen Namen nennt. Niemand mehr könnte ihm das ausreden, ihre Stimme gehört zu haben. Er hat sie vernommen, das weiß er ganz genau. Er schließt die Tür wieder und horcht von innen, um bei dem nächsten Laut sofort hinausspringen zu können. Doch alles ist und bleibt still und ruhig. Durch das offene Fenster kommt das Rauschen der Bäume. Ab und zu dringt irgendein Ton dazwischen, aber sonst ist kein Laut hörbar. Irgendwo schlägt eine Turmuhr Mitternacht. Immer noch liegt Reinhard wach und horcht in das Schweigen hinein. Immer mehr erfüllt der Mondschein sein Zimmer mit silbernem Glanz. Seine Nerven sind bis auf das äußerste angespannt. Vielleicht ist etwas mit Monika? Es kann ja sein, daß eine Seelenqual sie befallen hat. Ja, so wird es sein, sie ist mit ihren Gedanken bei ihm, und er hat es gefühlt, hat es empfunden, indem er glaubte, sie habe ihn gerufen. Ob sie überhaupt kommen wird? Schon steigen Zweifel in ihm auf. Monikas Vater wird es niemals zulassen, daß sein so sorgsam gehütetes Kind allein fortgeht. Reinhard kann es ja verstehen. Aber er hat sich so auf ihr Kommen gefreut. Er will die Hoffnung nicht aufgeben und so schläft er endlich gegen Morgengrauen ein. Lieber Reinhard! Vielleicht verstehst Du mich nicht und vertraust mir nicht. Aber wenn ich Dir schreibe, daß es mir unmöglich war und wahrscheinlich auch in Zukunft unmöglich sein wird, zu Dir zu kommen, dann entspricht es der Wahrheit. Der Vater sagte harte Vorwürfe gegen Dich, und es hat mir sehr weh getan. Weil gerade Du es bist, den er so mit seinen Worten erniedrigte, mag ich meinen Vater nicht mehr so sehr gern, wie es bisher der Fall war, so undankbar das auch klingen
mag. Aber eben durch diese ganze Geschichte ist mir der Weg zu Dir versperrt. Aber ich sehne mich so nach Dir. Alles zieht mich zu Dir hin. Ich möchte fortgehen von hier, wenn ich nur wüßte, daß Du mich aufnehmen könntest. Aber wir müßten heiraten, und ich bin noch nicht volljährig. Was können wir tun? Du weißt sehr gut, ich habe keine Illusionen, keine übertriebenen Vorstellungen, und werde auch keine großen Ansprüche stellen. So würde ich, wenn Du mich riefest, dankerfüllt die Reise antreten, um nur bei Dir zu sein. Du kennst nun all meine Gedanken, Reinhard, und wenn ich bereit bin, mich hier von allem loszureißen, so bist nur Du der' einzige Grund. Du hast ein Ziel und gute Pläne, all das wird uns weiterhelfen und uns nicht untergehen lassen! Ich glaube an Dich, Reinhard! An Dich und Deine Begabung. In Liebe Deine Monika.
Reinhard blickt auf den Brief in seiner Hand. Mein Gott, denkt er, sie will wirklich alles mir zuliebe opfern? Er schließt die Augen und sieht sie plötzlich vor sich, so wie sie immer war, entschlossen — zu allem bereit ... Sosehr er auch Monika liebt, aber er kann sich nicht denken, wie sie mit ihm auskommen will, wenn sie wirklich heiraten sollten. »Es hat keinen Zweck nachzudenken«, murmelt er vor sich hin. Es wird sicher alles gut werden, wenn sie erst einmal beisammen sind. Er liebt Monika, er liebt sie über alle Maßen. Aber er kann ihr nicht das Leben bieten, das sie gewohnt ist, jetzt wenigstens noch nicht. Er liest noch einmal den Brief mit der zierlichen Handschrift, dem kleinen Kreis über dem I,
dem merkwürdigen E und M. Er nimmt einen Briefbogen und einen Füller. Er will ihr antworten, aber was soll er schreiben? Den Ellbogen auf den Tisch gestützt, schaut er hinaus. Tausend Fragen gehen durch seinen Sinn. Es wird immer mehr Fragen als Antworten geben, muß er sich bitter sagen. Langsam schraubt er den Füller auf. Er wird den Brief postlagernd schicken, wie vereinbart, und sie bitten — trotz allem — zu ihm zu kommen. Er wird für sie sorgen, auch wenn es noch so schwer sein sollte. Sie lieben sich, sie lieben sich so innig, wie es nur zwei Menschen tun können. . Sie wird ihm Kraft geben, alles zum Guten zu wenden, damit er eines Tages der Mann ist, der er immer sein wollte. Er setzt die Feder an und schreibt. Es wird ein langer Brief... Der Zug fährt in die Station ein. Endlich, denkt Monika. Sie erhebt sich hastig, nimmt das wenige Gepäck und begibt sich zur Tür. Nicht schnell genug kann sie sie öffnen und springt hinaus auf den Bahnsteig. Sie sieht Reinhard auf sich zukommen — denn auch er hat sie schon erblickt — und bleibt stehen. Immer näher kommt er und streckt die Arme nach ihr aus. Aber sie rührt sich nicht. Es ist, als seien ihre Glieder starr geworden. Er legt einen Arm um sie. Monika macht sich schlank und schmal, um seinem Körper nicht so nahe zu sein. Ein eigenartiges Rieseln durchströmt sie, sie fühlt, daß sie nicht lange den Mut haben wird, sich von ihm zurückzuziehen. Sie liebt ihn zu sehr ... Sie gehen einstweilen in ein kleines Cafe. Besorgt blickt Reinhard auf Monikas blasses Gesicht. Nebeneinander sitzen sie auf einem kleinen Sofa und halten sich an den Händen. »War es sehr schwer fortzukommen?« erkundigt er sich ein wenig unsicher.
»Es hat, glaube ich, niemand bemerkt.« • Noch einen Augenblick zögert sie, dann spricht sie ruhig, jedes Wort abwägend, alles aus, was sich zugetragen hat. »Wir werden später die Sache schon in Ordnung bringen, Monika.« Sie nickt zu seinen Worten. Wie gleichgültig ist es doch, ob sie jetzt oder später etwas unternimmt, um dem Vater reinen Wein einzuschenken. Sie hat jetzt doch sein ganzes Wohlwollen verwirkt. Sie sieht Reinhard lange an. Sie glaubt plötzlich zu fühlen, daß er nach Worten sucht, aber keine findet. Vielleicht bereut er es schon, daß er sie hierherkommen ließ. Vielleicht möchte er sein Wort zurücknehmen, hat aber keinen Mut dazu. Das Schweigen lastet wie ein Alptraum auf ihr. »Bitte, Reinhard, wenn du es bereust, mich zu dir gerufen zu haben, dann sag es mir, noch ist es Zeit, noch kann ich zurück.« Er zuckt zusammen. »Nein!« ruft er entrüstet aus. »Ich bin froh, daß du bei mir bist, und da soll ich dich wieder fortschicken?« »Ich — du sollst nicht glauben, Reinhard, daß du mich um jeden Preis mit durch dein ohnehin schon schweres Leben schleppen mußt«, beginnt sie stockend von neuem. »Ich werde es mit meinem Vater schon regeln, wenn ich ihm sagen muß, daß ich für kurze Zeit fort war. Er braucht ja die Wahrheit nicht zu wissen.« »Nein, ich werde dich nicht mehr lassen, Monika, es sei denn, daß du den Wunsch hättest, es dir noch einmal zu überlegen.« Und dann beginnt er, ihr alles auseinanderzusetzen, was sie erwarten wird — alles. Nachdenklich verlassen sie bald darauf das kleine Cafe. Reinhard hat schon ein kleines, hübsches Zimmer für Monika besorgt, wo sie so lange wohnen kann, bis sie in einigen
Monaten die Volljährigkeit erreicht hat. Dann werden sie heiraten. Auf dem Wege dorthin bleibt Reinhard stehen. Er sieht die Geliebte ernst an und fragt noch einmal: »Du hast trotz allem niemals den Glauben an mich verloren, Monika, und dafür möchte ich dir danken. Ohne deine Hilfe wäre ich niemals in der Lage gewesen, meinen sehnlichsten Wunsch zu verwirklichen.« Monika nickt nur zu seinen Worten. Sie möchte keinen Dank. Was sie tat, geschah aus Liebe. Für sie ist es eine Selbstverständlichkeit. »Würdest du mich zu meinem Zimmer begleiten, Reinhard? Ich möchte mich frisch machen.« »Wir gehen doch noch ein wenig aus, oder?« »Heute noch? Weißt du, Reinhard, ich bin sehr müde, können wir es nicht auf morgen verschieben?« »Gewiß, Monika, wir haben ja jetzt so viele Tage vor uns.« So gehen sie eng aneinandergeschmiegt den Weg zur kleinen Pension. Mit einem innigen Kuß verabschieden sie sich voneinander. Reinhard geht verträumt durch die Straßen. Wie schön plötzlich alles ist. Noch nie ist sein Herz so empfänglich für das Schöne im Leben gewesen wie an diesem Abend. Er spürt den Abendduft, er sieht die lächelnd vorübergehenden Menschen. Autos hupen, die Straßenbahn klingelt, alles ist Musik für ihn, aus allem klingen Töne zu ihm, weiche, harmonische Töne. Er geht durch eine schmale Nebengasse. Seine Gedanken sind bei Monika und bei der Musik, die ihn durchdringt. Wenn er doch einmal soweit wäre, daß er selbst an seinem eigenen Flügel sitzen und spielen könnte, immer wieder spielen. Er betrachtet seine schlanken Hände, die er sorglich hütet, damit ihnen nichts geschehe.
Dunkle, große, vornehm abgeschlossene und ruhige Villen hinter vergitterten, tiefen Gärten liegen vor ihm. Es ist auffallend still in dieser Straße. Dann plötzlich dringt aus der Ferne ein verschwommener Ton zu ihm. Reinhard bleibt stehen. Er lauscht verträumt. Es sind Klänge eines Klaviers. Langsam geht er weiter, doch dann bleibt er abermals stehen und lauscht. Wieder macht er ein paar Schritte. Klare, scharfe Töne perlen in die Stille. Er geht hinüber auf die andere Seite, dann verhält er den Schritt vor einem Gitter. Aus dieser Villa kommt die Musik. Angespannt wartet er. Das Spiel eines meisterhaften Könners schallt aus dem offenen, erleuchteten Fenster tief hinten im Garten. Mit angespannten Sinnen versucht er zu erkennen, was diese Meisterhand aus dem Instrument hervorzaubert. Es ist eine Sonate — von Chopin? Ja, es kann nur so sein. Klar dringt die Perlenkette der Töne, die Reihe kristallener Akkorde an sein Ohr. Es ist eine unvergängliche Melodie. Seine Hand drückt die Klinke nieder. Das kühle Eisen gibt nach. Zwei Schritte noch, und er steht dem Fenster gegenüber. Mit einem Sprung ist er auf dem Steinsims und klammert sich an die Stangen des Gitters. Durch das Laub bricht sein glühender Blick ins Zimmer hinein. Im erleuchteten Raum steht der Flügel. Davor sitzt ein kahlköpfiger, rundlicher Herr im Hausrock. Seine Hände gleiten über die Tasten. Er neigt sich gleichmäßig und rhythmisch, seine Füße bedienen das Pedal. Dem Flügel gegenüber sitzt eine Frau in einem Rollstuhl, eine schöne Frau, mit bleichem Gesicht und geschlossenen Augen. Der Kopf ist zurückgelehnt, und über die Beine ist eine Decke gebreitet. Sich an das Gitter klammernd, steht Reinhard minutenlang auf dem Steinrand in der menschenleeren Straße und starrt in den erleuchteten Raum. Es erscheint ihm wie ein wirbelnder, berauschender Traum.
Vorsichtig läßt er sich auf die Erde gleiten, bleibt noch einen Augenblick ganz benommen stehen und begibt sich auf den Heimweg. Noch lange folgen ihm die Töne. Er ist ganz verwirrt von den unvergeßlichen Klängen... Deiters, der angesehene, vielbeschäftigte Mann, kommt, müde und erschöpft von den Aufgaben des Tages, zu seiner Villa zurück. An der Tür empfängt ihn bereits seine Schwester. Sie scheint empört zu sein, denn sie kann ihren Redeschwall, der ihr auf der Zunge liegt, kaum zurückhalten. Doch Deiters hat keine Zeit, sie anzuhören. Er läßt sie stehen und sucht sein Arbeitszimmer auf, wo er stöhnend auf dem Schreibtischstuhl niedersinkt und geistesabwesend vor sich hinstarrt, da er sich allein glaubt. Unwillig blickt er auf, als er die Schwester wieder vor sich erblickt. Schon will er sie bitten, ihn allein zu lassen, als sie ihm zuvorkommt. »Monika ist die ganze Nacht fort gewesen und — und sie ist bis jetzt noch nicht wieder zurück.« Der Kopf des Mannes fährt hoch. Sein Gesicht ist schreckensbleich geworden. »Was sagst du da?« »Monika ist fort. Ich habe schon den ganzen Morgen versucht, dich zu erreichen, aber es war nicht möglich.« Fieberhaft überlegt Deiters, wohin sie gegangen sein könnte. Aber niemals ist sie ohne sein Wissen fortgeblieben. Er denkt an Entführung, er denkt an alles mögliche. »Hat sie denn nichts hinterlassen? Ich meine, irgendeine Nachricht, einen Brief? Hast du schon in ihrem Zimmer nachgesehen?« »Natürlich. Gar nichts ist zu finden. Ich kann das einfach nicht verstehen. Da siehst du nun, wozu es führt, wenn man seine Tochter zeit ihres Lebens maßlos verwöhnt.« Sie fährt fort, ihm einen
weitschweifigen Vortrag über die Erziehung von Kindern zu halten ... »Agnes«, sagt er tonlos, »das sind doch nun alles Nebensächlichkeiten. Ich bin im Augenblick nicht in der Lage, mir deine gutgemeinten Ratschläge anzuhören. Das Kind ist verschwunden — verstehst du das denn nicht? Es ist furchtbar, dieser Gedanke, daß etwas passiert sein könnte. Da muß doch etwas geschehen!« Die Frau steht eine Weile wie erstarrt, mit offenem Munde, dann aber schreit sie: »Passiert? Passiert, sagst du? Das ist doch nicht möglich. Der Gedanke ist mir gar nicht gekommen.« Als der Bruder nickt, scheint ihr beängstigend lange der Atem zu stocken. Erst nach längerer Zeit findet sie ihre Sprache wieder und klagt laut: »Ja, um Gottes willen! Bedenke doch, was das bedeutet! Das ist ja gar nicht auszudenken! Ruf die Polizei an, hörst du? Wenn das nicht hilft, gehe selbst hin und bitte auf den Knien, wenn es sein muß, daß sie etwas unternehmen müssen. Setz dich doch nicht so seelenruhig dahin und warte!« schreit sie schließlich ganz erbost und wie von Sinnen. Als er sich nicht rührt, läßt sie sich völlig apathisch und niedergeschlagen auf das Sofa sinken, so daß sie dem Bruder plötzlich leid tut. Sie stöhnt in einem fort: »Ich kann das einfach nicht begreifen! Bitte, tu doch etwas, sonst benachrichtige ich die Polizei. Du selbst hast gesagt, daß dem Kind etwas passiert sein könnte. Ich kann deine Ruhe nicht verstehen! Es ist schrecklich!« Sie zittert an allen Gliedern. Zögernd zieht Deiters den Telefonapparat zu sich heran. Er wählt eine Nummer und sagt mit gedämpfter Stimme: »Ist dort das Polizeipräsidium?« »Gut, ich möchte eine Vermißtenmeldung durchgeben.«
»Ja! Es handelt sich um meine Tochter.« »Seit gestern abend gegen zwanzig Uhr!« »Ja, gebe ich Ihnen durch, einen Augenblick bitte.« Er wendet sich der Schwester zu: »Was hatte Monika gestern an?« Agnes Deiters bricht in Tränen aus. »Schrecklich«, murmelt sie in das vor den Mund gepreßte Taschentuch. »Ich glaube, die olivfarbene Hose und den beigen Pulli. Die grünschwarz karierte dreiviertellange Jacke, weißt du, die mit dem schwarzen Kragen, und schwarze Schuhe mit flachem Absatz.« Deiters wendet sich wieder zum Telefon. Er gibt die genaue Beschreibung seiner Tochter durch, um dann mit schmerzlicher Miene den Hörer aufzulegen. Sein Blick geht zur Schwester, die seit dem Tode seiner Frau die Führung des Haushalts übernommen hat. »Wenn Monika jetzt an solch einen Lumpen geraten ist, wie sie heutzutage überall herumschwirren, wer ist dann schuld daran?« »Schuld, wer kann in dieser Sache von Schuld sprechen? Warten wir erst ab, was die Polizei unternimmt.« Gedankenschwer betrachtet Deiters nun die Schwester. Sie tut ihm leid. Er weiß, wieviel Sorge sie sich um Monika macht. Sie vertritt die Mutterstelle an ihr, sie erfüllt ihre Aufgabe recht gut. Sie hat ein waches Auge für alles, was im Hause geschieht und sorgt für peinliche Sauberkeit. Nur ihr Mundwerk geht oft wie ein Wasserfall, und allein das ist es, was ihn an ihr stört. Manchmal kann Werner Deiters allerdings nicht begreifen, wie er es so lange Jahre ertragen konnte. Bis zum kommenden Morgen lebt Deiters in der schrecklichen Ungewißheit über das Schicksal seiner Tochter. Er hat sich alle möglichen Dinge ausgemalt. Doch dann plötzlich geschieht etwas, das ihn aus allen Wolken reißt.
Deiters sitzt beim Frühstück im Eßzimmer. Er hat dunkle Ränder unter den Augen von der Aufregung und vom Wachen. Die ganze Nacht hat er keinen Schlaf gefunden. Immer hat er auf irgendein Zeichen oder einen Anruf gewartet. Da klingelt es plötzlich. Das Hausmädchen öffnet und klopft kurz darauf an die Tür zum Eßzimmer. »Ein Einschreiben, Herr Deiters.« Sie reicht ihm auf einem silbernen Tablett einen Brief. Er unterschreibt den Schein und reicht ihn dem Mädchen zurück. Sein Blick fällt auf die zierliche Handschrift, und sein Blut scheint in den Adern zu erstarren. »Monika«, flüstern seine Lippen. Mit zitternden Fingern öffnet er den Umschlag und beginnt zu lesen: »Liebster Papi! Ich weiß, daß ich Dich in Angst und Sorge versetzt habe, aber verzeih mir. Ich konnte nicht anders. Ich folgte dem Prinzen meines Herzens, und — ich bin glücklich. In einigen Tagen bin ich volljährig, und dann — liebster Papi, zürne mir nicht — werde ich meinem Prinzen die Hand zum Bund des Lebens reichen. So lange werde ich Dich im unklaren lassen, wo ich mich aufhalte. Wenn ich Frau geworden bin, dann werde ich mich melden. Du wirst mir zürnen und auch traurig sein, ich weiß es. Aber noch einmal bitte ich Dich: verzeih mir, ich mußte so meinen Weg gehen, denn Du hättest mir niemals Deine Einwilligung gegeben. Tausend Küsse, Deine Tochter" Deiters knallt den Brief auf den Tisch. »So eine Blamage!« stöhnt er unterdrückt. Er lehnt sich in seinen Sessel zurück. Wie soll er das alles begreifen? Zornige, vorwurfsvolle Gedanken gelten seinem Kind, deren Aufenthaltsort er nicht einmal kennt. Was ist nur
in Monika gefahren, daß sie ihm das Leben plötzlich so schwer macht und das Elend in der Fremde der Geborgenheit des Elternhauses vorzieht? Sie scheint sich nicht einmal mehr nach der Scholle zu sehnen, mit der sie bisher so verwurzelt war. Da flüchtet seine Tochter mit einem Mann, der ihr wahrscheinlich nichts bieten kann, in das Elend, fragt nichts nach ihrem Vater und ihrer Herkunft, sondern lebt in irgendeiner Stadt, von der sie nichts weiß, in der sie niemanden kennt. Was weiß sie schon von dem namenlosen Elend, das eine mächtige, lichtererfüllte Großstadt in sich birgt? Deiters ruft den Diener und bittet seine Schwester Agnes zu sich. Kaum ist sie in das Zimmer getreten, als Deiters ihr eröffnet: »Monika hat sich gemeldet.« »Ist das wahr?« »Ja, sonst würde ich es gewiß nicht sagen«, antwortet er ärgerlich. »Sie ist in irgendeiner Stadt.« »Um da zu wohnen?« »Nicht nur das, sondern um zu heiraten!« »Was?!! Um zu heiraten, sagst du?« Deiters erhebt sich ärgerlich, er geht auf das Fenster zu und schaut hinaus. »Ja, um zu heiraten. Diesen ... diesen Vagabunden!« »Mein Gott!« ruft die Frau aus. »Aber ich habe es geahnt, daß diese Bekanntschaft kein gutes Ende nehmen würde. Was sollen wir nun tun?« »Nichts werde ich tun, ich werde meine Tochter enterben! Nichts wird sie bekommen — gar nichts! Soll sie nur sehen, wie sie mit ihrem Leben fertig wird. Sie ist um nichts besser als dieser, dieser ... ach, ich finde keine Worte dafür.« Einen Augenblick entsteht eine Stille, die Frau Agnes fast den Nerv raubt.
»Aber du solltest Monika lieber aufspüren und sie zur Rückkehr auffordern, als Steine auf sie zu werfen«, sagt Frau Agnes. »Zur Rückkehr auffordern? Bist du noch bei Sinnen?« ruft Deiters aus indem er seiner Schwester einen zornigen Blick entgegenschleudert. »Hat sie es sich nicht selbst zuzuschreiben? Sie will ja gar nicht hier leben. Es ist ihr lieber, sich mit einem armen Schlukker abzugeben, als hier ein geordnetes Leben zu führen. Sie glaubt wahrscheinlich, sie könne mit einer finanziellen Zuwendung von mir hoffen, aber da irrt sie sich. Nichts — keinen Heller wird sie von mir bekommen! Aber so ist es, da zieht man ein Kind groß, opfert alles, und dann kommt irgendeine Kreatur und verdirbt das Kind auf das man alle Hoffnungen setzte. Ich habe einen großen Fehler begangen, indem ich Monika vertraut habe. Ja, so geht es, wenn man zu gut ist!« »Dann willst du Monika ihrem Schicksal überlassen?« unterbricht Frau Agnes den zornigen Redeschwall ihres Bruders. »Ja, sie hat es nicht anders gewollt«, ist die kurze Antwort. »Wie hart du sein kannst.« »Ich habe das Recht, sie zu strafen, wenn sie fortgeht ohne meine Einwilligung.« »Nun gut«, erwidert Agnes, während sie aufsteht, um das Zimmer zu verlassen, »gebrauche du dein Recht, nur wundere dich nicht, wenn dann Monikas Stolz es nicht mehr zuläßt, daß sie zurückkehrt. Wenn du glaubst, recht daran zu tun, dich von deiner Tochter abzuwenden, dann darfst du nicht darauf hoffen, sie hier jemals wiederzusehen. Du kennst Monika. Du als Vater kennst den Charakter deines Kindes, sie ist von deinem Blut.« Unbeweglich starrt Deiters durch das Fenster ins Leere. Er weiß auch, was er will, er wird sich das niemals von seiner Tochter bieten lassen — niemals! Dem glücklichen Brautpaar verfließt der Winter wie ein
langer, heller Sonnentag, trotz Sturm, Eis und Schnee. " Nun wird es Frühling. Die Wiesen grünen, Blumen sprießen, und die Vögel bauen ihre Nester. Reinhard von Breiten möchte seiner jungen Frau auch ein wärmendes Nest bieten, aber es fehlt an allen Ecken und Enden. Noch wohnen sie in einem kleinen möblierten Zimmer. Trotz der Armut ist Monika glücklich, an der Seite des geliebten Mannes leben zu können. Mit leuchtenden Augen schaut sie um sich. Warum sollte sie nicht froh sein, da doch alles vereinigt ist, wonach ihr Herz sich sehnt. Wenn nur Reinhard nicht so ernst wäre. Er macht sich Sorgen, sie weiß es, Sorgen um die Zukunft. Denn er hat noch keine Arbeit gefunden. Berge von Kompositionen hat er geschaffen, doch Abnehmer gibt es nicht. Es ist schwer unterzukommen. Monikas Hand tastet zum Hals. Behutsam tastet sie mit den Fingerspitzen über das kleine goldene Kettchen, an dem die schwarze Perle glänzt. Sie denkt zurück an jenen Augenblick, als Reinhard den Schmuck mit bewegtem Herzen um den weißen Hals schlang mit den Worten: »Trage es zum steten Andenken an mich, Monika. Wir treten vor den Altar, um uns die Hand fürs Leben zu reichen. Ich werde, was auch geschieht, immer mit meinen Gedanken bei dir sein.« Wie war ihre Antwort? Einen Augenblick überlegt Monika, doch dann kommen ihr die Worte in den Sinn: »Ich danke dir, mein Liebster. Ich bin glücklich, daß ich den Tag erleben darf, an dem du mich für immer an dich bindest. Diese schwarze Perle soll mich immer daran erinnern, daß ich ohne dich nicht weiß, was ich auf dieser Welt beginnen soll.« Ja, so war es ... Monika denkt darüber nach, wie eintönig ihr früheres Leben war. Sie wagte es nicht einmal, Pläne für die Zukunft zu schmieden. Jetzt aber ist sie froh und glücklich darüber, ihren
plötzlichen Entschluß, Reinhard zu folgen, wahr gemacht zu haben. Sie weiß, wie sehr Reinhard sie braucht, gerade jetzt, da er zwar sein Studium beendet, aber noch nicht den rechten Anschluß gefunden hat. Er würde gewiß verzweifeln, wenn sie ihm nicht ein Halt für die Zukunft wäre. Wenn Reinhard verzweifelt ist und die Not sowie die Aussichtslosigkeit seiner Lage an seinem Herzen nagt, dann nimmt sie seine Hände in die ihren, und unter den liebevollen Trostworten und ihrem gütigen Zuspruch löst sich endlich ein dumpfer Schmerz. Dann brechen sich frischer Mut und neue Zuversicht Bahn. Während Monika ihren Gedanken nachhängt, eilt Reinhard seiner Wohnung zu. Er hat neue Hoffnung geschöpft, hat sich doch endlich ein Verlag für seine Arbeiten interessiert. Wenn er Erfolg hätte... es ist nicht auszudenken. Mit elastischen Schritten geht er durch das Haus. Er ist wie umgewandelt. Wie sehr mag Monika sich über diese Mitteilung freuen, denkt er beglückt. Ein weiches Gefühl durchströmt Reinhards Herz. Er sieht plötzlich einen Ausweg aus dem Labyrinth seiner Nöte. Monika liegt schon zu Bett. Ein leises Lächeln liegt auf ihrem reizenden Gesicht, als Reinhard in das Zimmer tritt. Ihre weißen, wohlgeformten Schultern leuchten unter dem hauchzarten Batistneglige wie Alabaster. Das gelöste Haar läßt die junge Frau unsagbar zart erscheinen, die durch ihre Lieblichkeit einen unwiderstehlichen Reiz auf den Mann ausübt. Reinhard von Breiten tritt auf das Bett zu. Zärtlich küßt er ihre Lippen, dabei fühlt er, wie glücklich sie seine Nähe macht. Mit Wohlbehagen spürt er den leisen Rosenduft des Parfüms, dessen Duft durch das Zimmer schwebt. »Moni«, sagt er leise, »du siehst so froh aus.« Sie biegt ein wenig den schlanken Kopf zur Seite. »Dasselbe könnte ich von dir sagen — hast du ein gute
Nachricht?« »O ja, mein Schatz. Stell dir vor, ich habe endlich einen Verlag gefunden, der wenigstens gewillt ist, meine Arbeiten durchzusehen. Stell dir vor, wenn wir Glück haben, dann könnten wir endlich so leben, wie wir es uns wünschen.« »Wie schön, Reinhard! Wie sehr wünsche ich es mir, daß du Erfolg haben mögest. Nicht allein um des Geldes willen, nein, damit du endlich neuen Mut schöpfen und wieder mit der alten Begeisterung arbeiten kannst.« Doch schon gleitet wieder ein Schatten über das Gesicht des Mannes. »Glaubst du, Monika, daß ich Erfolg haben werde?« »Aber ganz gewiß. Du mußt nur selbst von dir überzeugt sein, dann wird alles gut werden.« Reinhard von Breiten schließt seine junge Frau in die Arme. Er ist glücklich, daß sie sein ist. Nur sie allein hat ihm bis zum heutigen Tag den Lebensmut erhalten. »Siehst du, Reinhard, ich habe es gewußt, daß man eines Tages auf dich aufmerksam wird.« Tränen steigen bei diesen Worten in ihre Augen. »Du kannst jetzt wieder glücklich sein, Reinhard.« »Und ob ich glücklich bin!« sagt er wie ein fröhlicher Knabe. »Ich kann dir gar nicht sagen, wie mir zumute ist — so — ja, wirklich . gerade so, als wäre ich jetzt schon von allen Übeln erlöst. Die Welt ist mir noch nie so wunderbar vorgekommen.« Er lacht sein bescheidenes, herzensgutes Lachen. Nach einer kleinen Pause beginnt er noch einmal: »Jetzt können wir Ansprüche stellen, natürlich nur, wenn es gutgeht. Es ist der beste Verlag in der Stadt. Du wirst sehen, mein Lieb, man wird uns jetzt überall einladen, man wird sich um uns reißen, und vielleicht«, er fährt sich über die Augen, »vielleicht komme ich dadurch zu großem Erfolg.«
Auch Monikas Herz quillt über. Wie oft hat sie im stillen darum gebetet, daß der Herrgott ihm helfen möge! Doch ganz langsam schleicht sich eine leise Warnung in ihre Brust: »Glaube nicht so leicht an das große Glück, Monika«, sagt eine Stimme, »tu es nicht — glaube nicht so schnell!« Ein sonderbarer, unaufdringlicher und doch heftiger Schmerz ist da, dessen Ursache sie nicht kennt... Aber sie hat sich und ihre Empfindungen niemals sonderlich wichtig genommen. So sitzt sie da, ein wenig blaß, mit erwartungsvollen Augen, daß Reinhard noch mehr erzählen würde, was die Hoffnung auf ein Gelingen bestärken könnte. So geht Reinhard von Breiten mit fröhlichem, selbstbewußten Mut an seine Zukunft heran. Es ist ihm klar geworden, daß er zwar nicht feige ist, aber doch leicht resigniert und sich nicht gegen sein Los wehrt, das ihm vom Schicksal anscheinend zugedacht ist. Doch nun hat er erkannt, daß er sich mit Fleiß und Ausdauer in seinem Beruf emporarbeiten muß und erst dann zu Geld und Ansehen gelangen kann. Insgeheim sieht er sich schon als gefeierten, umschwärmten Publikumsliebling. Noch ahnt er nicht, wie schwer und bitter der Weg ist, welcher ihm bevorsteht... Steffi, die alte Dienerin Irene von Breitens, seufzt ein paarmal hörbar auf: »Wenn das der Gnädige erlebt hätte. Gott sei Dank, daß er dort unten liegt. Nicht auszudenken, wenn er sein Hab und Gut abgeben hätte müssen. Wäre er nicht schon früher gestorben, so würde dieses gewiß sein Tod sein. So hat das Sterben auch wiederum sein Gutes. Er ist wenigstens in Frieden heimgegangen.« Frau von Breiten kommt fast kaum noch aus ihrem Zimmer. Wenn Steffi nicht hin und wieder nach ihr sähe, würde sich niemand sonst um sie kümmern. Wovon werden sie leben in der kommenden Zeit? Ein großer
Teil des Personals ist schon entlassen. Kein roter Heller im ganzen Haus. Was aus dem jungen Herrn geworden ist? fragt sich Steffi. Niemand weiß etwas darüber. Seit der Beerdigung seines Vaters hat er nichts mehr von sich hören lassen. Schrecklich, diese jungen Menschen, da wandern sie in der Welt umher, jagen irgendeinem Ziel nach, um dann ganz und gar unterzutauchen. • So steht Reinhard von Breiten ganz und gar nicht in Gnaden bei der Dienerin, die sei Jahrzehnten schon dem Haushalt vorsteht. »Ja, ja«, murmelt die Alte vor sich hin. Er ist ganz, wie der Vater war. Auch der hatte seinen Kopf, daß sich zehn andere den ihren daran zerschmettern konnten. Steffi hat sich in ihren Gedanken so erregt, daß jäh ein Löffel Suppenbrühe auf den heißen Herd zischt. »Himmel!« klagt die Alte, »die Suppe ist ohnehin schon rar. Daß das noch passieren muß.« Schnell versucht sie den Schaden zu beheben, als die Stimme der Gnädigen sie aus ihrer eifrigen Arbeit aufschreckt. Bleich und verhärmt steht Irene von Breiten in der Küche. »Steffi, wir werden uns kleiner setzen müssen.« Als hätte sie nicht recht gehört, fragt die Alte zurück: »Wie bitte, Frau von Breiten?« »Wir werden uns kleiner setzen müssen, sagte ich. In zwei Wochen werden wir das kleine Landhaus beziehen, das heißt, wenn Sie jetzt noch mit mir gehen möchten?« »Aber, Frau von Breiten, ganz gewiß werde ich mitgehen. Ich kann Sie doch jetzt nicht allein lassen. Aber ist es wirklich schon so weit?« Die immer noch gutaussehende Frau nickt traurig mit dem Kopf. Sie kann nichts weiter hervorbringen, es ist, als ersterbe
jedes Wort auf ihren Lippen. Nach einer ganzen Weile sagte sie mühsam: »Ich habe heute erfahren, daß mein Sohn inzwischen geheiratet hat.« Fassungslos sieht Steffi ihre Herrin an. »Geheiratet? Und Ihr Sohn hat Ihnen das nicht einmal mitgeteilt?« Ein paar schwere Tropfen rinnen über die Wangen Frau Irenes. »Er wird wissen, was er tut! Vielleicht wollte er es so haben!« »Jawohl, er wollte es so haben. — Er will ganz einfach, Ihr Herr Sohn! Die Meinung müßte man ihm sagen ...« »Steffi!« »Nehmen Sie es mir nicht übel, gnädige Frau, aber haben Sie schon einmal gehört, daß einer so sangund klanglos heiratet, sozusagen ohne den Segen der Mutter?« »O ja, Steffi, mein Sohn ist damit nicht der einzige.« Gott ja, wenn es sein muß! Aber Ihr guter Sohn Reinhard mit seinem Eisenschädel! Nicht nur, daß er absolut Musik studieren mußte, jetzt hat er auch noch geheiratet! So geht es nun!« »Laß nur, Steffi, es wird alles wieder recht werden. Es ist schon vieles recht geworden!« Steffi wendet sich dem Herd zu, als Frau von Breiten die Küche verläßt. »Sund und Schande«, murmelt die alte Dienerin. »Das einzige Kind heiratet — ohne den Segen der Mutter!« »Ich habe einen Brief für dich, Reinhard.« Mit hoffnungsvoller Miene reicht Monika ihrem Mann den weißen Umschlag. Reinhard von Breiten greift danach. Die Hand zittert ihm, er tritt unter die Lampe. »Herrgott, das ist die Antwort vom Verlag.«
Hastig reißt er den Brief auf. Aus seinen Wangen schwindet das Blut. »Wir bedauern, im Augenblick für Ihre Kompositionen keine Verwendung zu haben. Doch ist es leicht möglich, daß wir im Laufe des Herbstes...« und: »Sie werden bei Bedarf von uns hören ...« Weiter liest er nicht. Kraftlos sinkt die Hand herunter, der weiße Bogen flattert zu Boden. »Wieder nichts. Ich bin erledigt, Monika. Weißt du, was das heißt, erledigt zu sein? Man läßt einfach ein Talent nicht zur Geltung kommen. Die größten Ochsen kriegen die besten Anstellungen, die Unbegabten werden protegiert. Es ist zum Verzweifeln! Wenn einer keine Beziehungen hat, dann kann er tun, was er will — er schafft nie etwas. Was kann ich überhaupt noch wagen zu unternehmen? Ich bin erledigt. Wir sind gezwungen, an unserem Elend zu ersticken.« »Reinhard«, versucht Monika ihn zu beruhigen. Aber schon fällt der Mann ihr ins Wort. »Ist doch wahr, es ist nicht mehr auszuhalten. Dafür hat man nun alles geopfert, man hat sich gequält, damit man es zu was bringt, um dann letzten Endes doch nur Schnürsenkel verkaufen zu müssen — auch die kauft nicht einmal mehr ein Mensch.« Monika schlingt den Arm um den geliebten Mann. Sie kann ihn verstehen. Es ist nicht einfach, immer und immer wieder einen Rückschlag zu bekommen. Wo soll er nun den Mut zum Weiterkämpfen hernehmen? »Reinhard, du kannst es anderweitig versuchen, irgendwie mußt du doch unterkommen, ich gebe die Hoffnung nicht auf.« Er nimmt den Arm der Frau von seiner Schulter und tritt resigniert an das kleine Fenster. Monika bleibt abseits stehen. »Ich danke dir, Monika, daß du so viel Glauben an mich hast
— aber es ist ja alles so sinnlos.« »Versuche es morgen noch einmal, Reinhard, gib den Mut nicht auf. Du wolltest doch auch zu deinem Freund gehen, du sprachest davon, er könne dir vielleicht helfen. Warum tust du es nicht?« »Morgen, Monika.« Damit ist das Gespräch beendet, und sie wagt nicht mehr, auch nur im geringsten an das Thema zu rühren. Die nächsten Tage bringen nichts Besonderes. Monika hat es bereits aufgegeben, Reinhard nach dem Erfolg seiner Bemühungen zu fragen. Er soll erst einmal wieder zur Ruhe kommen, sagt sie sich. Doch als er nach mehreren Tagen noch nicht einmal mehr über sein Vorhaben gesprochen hat, nimmt sie sich vor, ihn doch noch einmal darauf anzusprechen. Reinhard ist liebenswürdig und gut wie immer zu seiner Frau, doch er fühlt, bis in den Grund seines Herzens beschämt, daß er nicht den erhofften Erfolg hat. So sitzen sie wie schon so manchen Abend im kleinen gemeinsamen Zimmerchen, Reinhard in eine Zeitung vertieft und Monika mit einem Buch beschäftigt. Langsam legt Reinhard die Zeitung auf den kleinen Tisch. Auf das Rascheln des Papieres hin blickt Monika von ihrem Buch auf und legt ein Lesezeichen hinein, ehe sie es zuklappt. »Was gab es heute, Reinhard?« fragt sie wie nebenbei. »Nichts«, antwortet er, blickt in die Luft und zwingt einen heiteren Ton in seine Stimme, als er fragt: »Hast du die Zeitung schon gelesen? Ich meine von diesem Mann mit den vielen Frauen? " »Bitte, Reinhard, gib mir eine klare Antwort, ich frage nicht im Spaß. Sag mir, was es gegeben hat?« »Nichts, Monika, ich sagte es schon.« Mit bitterer Stimme fährt er fort: »Glaubst du, es wäre alles so leicht, wie du es dir
denkst? Du weißt selbst, wie schwer alles ist.« »Warst du denn bei deinem Freund?« »Nein«, sagt er dumpf. »Offengestanden, ich glaube nicht, daß es Zweck hat.« »Das ist ganz egal«, erwidert Monika mit fester Stimme. »Nimm allen Mut zusammen und geh hin. Er hat dich doch darum gebeten. Er wird sich wundern, wenn du seiner Aufforderung nicht nachkommst. Er glaubt schließlich, du hättest es nicht einmal nötig. Die Mühe mußt du dir machen, Reinhard. Warst du denn bei dem Verlag, der dich noch einmal bestellt hat?« »Auch nicht —" Monika steht neben dem Tisch und schaut verwundert auf ihren Mann. »Weißt du, Reinhard, ich versteh dich nicht. Du tust gerade als hättest du wer weiß was für Angebote zur Auswahl. Es geht um deine Existenz, Reinhard, begreifst du das nicht?« Darauf weiß Reinhard nichts zu entgegnen. Schließlich erklärt er sich bereit, seinen Bekannten Gronemann aufzusuchen. Dankbar sieht Monika ihren Mann an. Sie ist froh darüber, daß er zu dieser Einsicht gekommen ist. Diese Mühe wird er sich eben machen müssen. Mit einer winzigen Hoffnung in seinem Herzen sucht Reinhard die Wohnung des Freundes auf. Ein wenig zaghaft drückt er die Klingel. Kurz darauf steht eine alte Frau in einem schwarzen Kleid und Pantoffeln vor ihm. »Bitte, Sie wünschen?« fragt sie ein wenig verschüchtert. Das ist wahrscheinlich Gronemanns Mutter, denkt Reinhard. »Habe ich vielleicht das Vergnügen, der Mutter Emil Gronemanns gegenüberzustehen?« »Ja, ganz recht!« Er verbeugt sich. »Ich bin Reinhard von Breiten, Ihr Sohn
war so freundlich, mich zu einer Unterredung zu sich zu bitten.« »Ja, so, Sie sind also der junge Mann. Ja, mein Sohn hat von Ihnen gesprochen, aber Emil ist im Moment nicht hier, um diese Zeit überhaupt selten. Sie haben sich einen ungünstigen Augenblick ausgesucht.« Reinhard schluckt schwer. »Bitte, ich kann jederzeit kommen.« Er schluckt noch einmal. »Jedenfalls freut es mich, daß ich einmal die Ehre hatte, Sie kennenzulernen.« »Ja, auch sehr erfreut. Sagen Sie... mein Sohn hat wohl davon gesprochen, Ihnen zu helfen? Aber es wird nicht leicht sein, ich meine, machen Sie sich keine Hoffnungen. Gewiß, er sprach davon, Sie seien ein tüchtiger Mensch, aber selbst das ist nicht entscheidend, wenn man kein Glück hat.« Reinhards Kehle ist ausgetrocknet. Im Garderobenspiegel über dem Kopf der alten Frau schaut Reinhard in sein eigenes Angesicht, seine Augen sind dunkel. »Und wann könnte ich mit Emil...?« »Vielleicht um elf, halb elf, Sie könnten auch schon um zehn kommen.« »Ist es Ihnen morgen recht?« »Ja, natürlich, ich werde ihm Bescheid sagen.« »Einen schönen Gruß an Emil.« Er läßt die Hand der alten Frau los. Ein unbeschreiblich leeres Gefühl ist in seinem Innern. Langsam schreitet er auf die Treppe zu. Die Stufen quietschen unter seinem Fuß auf. Frau Gronemann sieht ihm mit nach links geneigtem Kopf nach. Am nächsten Tag steht Reinhard wieder vor der Tür. Die Klingel surrt. Die Uhr zeigt Viertel nach elf. Frau Gronemann tritt ihm entgegen. »Es tut mir leid, Frau Gronemann, daß ich nicht früher kommen konnte, aber ich habe noch einige geschäftliche
Angelegenheiten zu erledigen gehabt«, lügt er, um sich nicht die unbedingte Blöße zu geben, daß er nur auf Emil Gronemanns Vermittlung wartet. »Das macht nichts, Herr von Breiten, mein Sohn ist noch hier«, antwortet die Frau. Sie schlurft, von Reinhard gefolgt, bis an das Ende des Flures, öffnet eine Tür und bittet ihn einzutreten. »Emil, Herr von Breiten ist da.« »Reinhard!« ruft der eilig herbeitretende Mann aus. »Endlich bist du gekommen. Meine Mutter sagte mir daß du gestern bereits ...« »Ja, leider traf ich dich nicht an, Emil.« »Ich freue mich, daß du noch einmal hergekommen bist.« »Ja?« »Ich habe der Mutter gesagt, was dich hierherführt. Weißt du, sie weist gern Unbekannte ab.« Reinhard lächelt ein wenig verlegen. »Du kannst dir also denken, Emil, warum ich hauptsächlich hergekommen bin?« »Ja, wegen der Vermittlung einer Anstellung.« »So ist es. Um deine Hilfe, die du mir anbotest, in Anspruch zu nehmen. Weißt du, ich habe alles mögliche versucht, als Komponist.« »Als Komponist, ganz richtig, du sprachst davon. Aber weißt du... es ist doch nicht so einfach, wie ich mir das dachte. Ich habe mich bereits darum bemüht, aber leider ohne Erfolg. Dagegen — eine andere Stellung könnte ich dir schon besorgen, zum Beispiel eine Anstellung als Facharbeiter in einem Betrieb.« »Als Facharbeiter in einem Betrieb? Wie könnte ich eine solche Arbeit ausführen? Ich habe keinen anderen Beruf erlernt.« »Das wäre kein Hindernis, außerdem wäre ich immerhin
noch da, nur — ob du sie annehmen willst, das ist die Frage.« Reinhards Blick fällt unwillkürlich auf seine Hände. Mein Gott, wenn sie durch eine Arbeit ungelenk würden, wie sollte er da noch Klavier spielen können? In seine Gedanken dringt die Stimme des Freundes: »Und wenn du nicht in einen Betrieb gehen möchtest, habe ich noch etwas anderes für dich. Du könntest eine Vertretung übernehmen. Dort wird man dir für deinen Umsatz zwanzig Prozent zahlen. Was soll ich dir sagen, ein Geschäft... na! Du könntest dir das Lager und die Möbelwerkstatt einmal ansehen, und dann bekämest du einen Katalog. Du würdest Bekannte aufsuchen, die Zeitungen studieren, die Verlobungs- und Heiratsanzeigen verfolgen und dann auch zu diesen Leuten hingehen. Es wäre durchaus rentabel. Du würdest dich, so wie ich dich kenne, schnell in dieser Arbeit zurechtgefunden haben. Also, bitte, überlege dir die Sache.« »Ich glaube —" »Ja?« »Ich glaube, ich würde vielleicht erst einmal zupacken, um zu Geld zu kommen. Nur da ist meine Frau, ich möchte vorher mit ihr darüber sprechen. Kann ich mir diese Sache einstweilen vorbehalten?« »Ja, gewiß. Wann höre ich von dir? Ich hoffe, die Sache wird klappen.« »Ich melde mich in den nächsten Tagen, sagen wir morgen!« »Gut, Reinhard! Du kannst mich telefonisch erreichen, wenn du dir nicht den Weg machen willst.« Monika, ich glaube, die Sache geht in Ordnung!« sagt Reinhard beim Eintritt in das Zimmer. »Welche Sache, mein Schatz?« »Na, die mit meinem Freund Gronemann. Nur... es ist nicht so, wie wir es uns dachten.« »Oh, Reinhard, wenn es auch erst wenig ist, was du verdienst. Das spielt keine Rolle, wenn du nur erst einmal drin
bist. Bei welchem Verlag kannst du ankommen?« »Es ist kein Verlag, Monika, es ist eine andere Anstellung.« »Kein Verlag, Reinhard? Aber was ist es denn?« Gespannt und erregt zugleich, wartet Monika auf die Antwort ihres Mannes. »Ich dachte... Monika, soll ich nicht für kurze Zeit die Arbeit eines Vertreters übernehmen? Ich meine nur so lange, bis wir ein wenig Geld zusammen haben, damit wir wieder atmen können.« »Reinhard...! Das willst du tun? Nein, damit bin ich nicht einverstanden. Du bist zu etwas Höherem berufen, als an die Türen fremder Menschen zu klopfen. Reinhard, bitte bemühe dich um eine Anstellung in deinem Beruf. Ich will gern noch eine Zeitlang in Armut und Not leben. Aber so etwas, nein, das darfst du nicht tun.« Schwer läßt er sich auf das Bett fallen. »Ich weiß keinen Ausweg mehr, Monika. Emil hat seine feste Anstellung, er hat es geschafft, nach oben zu kommen. Er hat seine Musik. Er leitet ein großes Orchester, und trotzdem war es ihm nicht möglich, mich unterzubringen. Er hat sich dann umgehört, und sein Angebot habe ich dir gesagt.« »Und das wirst du nicht annehmen, Reinhard. Niemals! Wir werden schreiben und nochmals schreiben. Einmal wirst du Gelegenheit haben, deine Arbeiten vorzulegen.« Reinhard seufzt. »Aber wofür das alles? Es ist zwecklos. Dann wird man mir wieder sagen: Später — später!« »Es muß nicht immer so sein!« Monika selbst erklärt sich bereit, diese Arbeit zu übernehmen. Dann folgen wieder Tage ungeduldigen Wartens. Reinhard ist allein auf seinem Zimmer. Monika macht einige kleine Einkäufe, denn noch ist ihr Spargroschen nicht restlos aufgebraucht.
Breiten liegt auf dem Bett und sinnt unentwegt darüber nach, was werden soll. Die Klingel läutet, eine Männerstimme brummt, und kurz darauf klopft es an die Tür. Schnell erhebt Reinhard sich. »Herein!« Der Besucher ist Emil Gronemann. »Guten Tag, Reinhard, — na, was ist denn los? Bist du krank?« »Du, Emil? Dich hatte ich nicht erwartet.« »Du wunderst dich wohl, daß ich zu dir komme? Du bist allein?« »Meine Frau hat einiges zu erledigen.« »Schade, sehr schade, ich hätte sie gern einmal kennengelernt.« »So?« wundert Reinhard sich etwas kleinlaut. »Warum hast du dich nicht wie abgemacht gemeldet?« Der Gefragte zögert einen Augenblick, doch dann kommt entschlossen die Antwort: »Weißt du, ich habe mir die ganze Sache noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Es hat keinen Sinn. Ich muß etwas in meinem Beruf finden.« »Deshalb bin ich gekommen, Reinhard. Ich habe mir überlegt, daß du es einmal bei meiner Agentur versuchen solltest.« »Ist das dein Ernst?« »Tja — daß mir diese Idee nicht schon früher gekommen ist. Natürlich, versprechen kann ich dir auch nichts, aber es wäre immerhin eine Möglichkeit.« Plötzlich leuchtet es in den Augen Reinhards auf. Endlich ein kleiner Lichtblick. »Glaubst du, Emil, daß ich eine Chance haben könnte?« »Warum nicht? Versuchen kannst du es allemal. So, das wäre es. Ich gebe dir hier die Anschrift. Versäume keine Zeit, wende
dich sofort an diese Adresse. Je eher, desto besser. Daß ich dir den Vorschlag machte, einstweilen eine andere Arbeit anzunehmen, geschah nur deshalb, weil ich dir über die Krise hinweghelfen wollte, in der du dich augenblicklich befindest. Später jedoch kam es mir in den Sinn, daß es für uns Künstler eigentlich unmöglich ist, eine Arbeit auszuführen, die uns nicht liegt.« Emil Gronemann schaut sich in dem engen Raum um. »So lebst du nun in diesem erbärmlichen Zimmer mit deiner Frau?« »Was bleibt mir anderes übrig?« »Es ist nicht der rechte Platz, um Ideen zu schöpfen und... nicht einmal einen Flügel? Wie willst du arbeiten?« Ein trauriger Zug geht über das Gesicht des Mannes, der sich in diesem Augenblick so gottserbärmlich vorkommt wie niemals in seinem Leben. »Wenn du wüßtest, wie mutlos ich geworden bin, Emil.« »Das legt sich wieder, wenn du zu Reichtum gekommen bist.« Ein zynisches Lächeln geht über Reinhards Gesicht. »Reichtum ... Ich glaube nicht daran.« »Na, warten wir erst einmal ab. Lasse mich wissen, wenn du Bescheid bekommen hast.« Von Breiten nimmt den weißen Zettel zur Hand. Lange studiert er die Adresse, als wolle er jetzt schon daraus lesen, wie die Antwort ausfallen wird. Agnes Deiters geht die Straße entlang und beschäftigt sich in Gedanken mit ihrem Bruder. Sie kann es nicht begreifen, daß er die Abwesenheit seiner einzigen Tochter so einfach überwindet. Doch wie mag es in seinem Innern aussehen? Ob sein Herz wirklich so kalt ist, wie er sich gibt? Da begegnet sie dem Pfarrer, der früher oft einmal zu ihnen herein schaute. Sie beabsichtigt, mit kurzem, höflichen Gruß
vorüberzugehen, doch der alte Herr bleibt vor ihr stehen. »Es ist gut, Fräulein Deiters, daß ich Sie treffe. Ich wollte mich schon längst einmal bei Ihnen umsehen. Aber Sie wissen ja, die Zeit verrinnt, und ehe man sich's versieht, ist schon wieder ein Tagewerk vollbracht. Nun sagen Sie mir, wie geht es Ihnen und Ihrem Herrn Bruder?« Agnes lächelt. Es ist in diesem Augenblick eine fast mädchenhafte, überlegene Heiterkeit in ihr. »Ja, Herr Pfarrer, wie soll es mir und meinem Bruder schon ergehen? Es könnte alles recht gut sein, wenn nicht Monika ...« »Ach, richtig, die Monika. Ja, sie hat ja inzwischen geheiratet, nicht wahr? Hat sie sich mit ihrem Vater ausgesöhnt, oder ist noch immer alles beim alten?« »Leider hat sich nichts geändert in der Geschichte. Sie wissen ja, mein Bruder ...« Sie stehen gerade vor dem Stadtpark. »Gehen wir dort hinein«, sagt der Pfarrer und weist auf das große, schmiedeeiserne Tor, »dort läßt es sich besser reden. Dann hat Ihr Herr Bruder noch immer nicht nachgegeben?« »Leider nein. Er ist nun einmal so. Je Heber er einen Menschen gehabt hat, um so härter ist er später, wenn er sich hintergangen glaubt. Einen Mittelweg kennt er da nicht, auch keine Nachsicht, selbst wenn es sich um seine Tochter handelt. Sie haben keine Ahnung, Herr Pfarrer, wie unerträglich mein Bruder jetzt ist. Ich wollte schön fortgehen, aber ich kann ihn ja nicht allein lassen, jetzt, wo auch meine Nichte fort ist. Das Leidige in der ganzen Geschichte ist, daß sie nicht vergessen werden kann, denn immerhin ist es ja das Kind meines Bruders. Wenn er sich auch so gibt, als ginge ihn die ganze Sache nichts mehr an, so glaube ich doch, daß es mehr an ihm frißt, als wir uns vorstellen. Dazu kommt noch das Gerede der Leute, das nicht schweigen will. Das sind alles Sachen, die er abgrundtief haßt. Es ist nun einmal seine Art, daß sich die Dinge dann für ihn ins Maßlose
verzerren. Er schwört im Augenblick sogar darauf, daß ich mit Monika im Bunde war, nur, weil ich ihn immer wieder bitte, Monika zu verzeihen und ihr einen Brief zu schreiben.« »Haben Sie Ihrem Bruder diese Bitte schon wiederholt vorgetragen?« »Ach, Hochwürden, wenn Sie wüßten! Aber es ist alles umsonst. Sagen Sie, könnten Sie ihm nicht mal ins Gewissen reden? Vielleicht rührt das seinen Starrkopf.« »Das ist nicht so leicht, wie Sie glauben«, antwortet der Pfarrer bestimmt. »Ihr Vertrauen ehrt mich, aber je mehr ich mir die Sache überlege, desto klarer wird mir, daß Ihr Herr Bruder sich von mir auch nichts sagen lassen wird. Schließlich sind es ja seine ureigensten Angelegenheiten. Wie ich ihn kenne, beharrt er auf seiner Ansicht.« »Aber was sagen Sie denn zu Monika, war es richtig, was sie tat?« Der Pfarrer wiegt den Kopf. »Gewiß, sie mag Anlaß zu Ärger und Mißfallen gegeben haben. Aber was kann man tun, wenn ein junges Menschenkind dem Ruf des Herzens folgt?« Agnes seufzt ein wenig. »Sie können sich nicht vorstellen, Hochwürden, wie sehr das alles meinem Bruder zugesetzt hat, und doch, im Grunde meine ich, würde es ihm guttun, wenn er wieder mit Monika ausgesöhnt wäre.« »Das will ich Ihnen wohl gern glauben.« Eine Weile herrscht Schweigen zwischen den beiden Menschen. »Sagen Sie, Hochwürden, wollen Sie es nicht wenigstens einmal mit meinem Bruder versuchen? Vielleicht fallen Ihre Worte doch auf fruchtbaren Boden.« Pfarrer Clemens bleibt stehen. »Glauben Sie so fest daran?«
»Ja, ich denke, daß er sich besinnen wird, wenn Sie ihm ernsthaft ins Gewissen reden.« Der Geistliche ist nachdenklich geworden. Doch — ist es nicht auch seine Aufgabe, verirrte Herzen wieder auf den rechten Weg zu bringen? Agnes merkt, daß er nicht mehr ganz so abgeneigt ist, und so fragt sie noch einmal: »Könnten Sie sich wirklich nicht entschließen?« »Gut, Fräulein Deiters, ich werde in den nächsten Tagen vorbeikommen.« »Ich danke Ihnen, Hochwürden, ich danke Ihnen.« »Wofür danken Sie? Ich weiß nicht einmal, ob es Sinn und Zweck haben wird.« »Aber versuchen werden Sie es, und das ist schon sehr viel wert. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß es durch Sie und mit Gottes Hilfe gelingen wird, meinen Bruder und meine Nichte miteinander auszusöhnen. Die Freude wäre nicht auszudenken.« »Warten wir erst einmal ab. Aber ich verspreche Ihnen, daß ich alles tun werde, um Monika zu helfen, denn sie leidet, so glaube ich, doch wohl am meisten darunter. Sie hat Reinhard von Breiten geheiratet, nicht wahr?« »Ja, das ist es ja eben, Hochwürden. Nur durch diesen Mann ist das ganze Zerwürfnis entstanden.« »Es wäre besser gewesen, Ihr Bruder hätte die Einwilligung zur Heirat gegeben.« »Aber Hochwürden — Sie wissen doch ...« »Was weiß ich?« »Warum? Ist Reinhard von Breiten nicht immer ein rechtschaffener junger Mann gewesen? " »Rechtschaffen nennen Sie das? Aber Hochwürden, ich bitte Sie! Er vagabundiert herum, nichts weiter. Von der Arbeit halt er nicht viel, sonst hätte er sein Elternhaus nicht wegen solch einer verrückten Idee, Musik zu studieren, verlassen.«
»Wenn ein Mensch sich zu etwas Höherem berufen fühlt, dann soll man ihn niemals an seinen Plänen hindern.« »Dann sollte er seine Pläne allein ausführen und nicht noch dazu unserer Monika den Kopf verdrehen.« »Die Liebe geht nun mal seltsame Wege, Fräulein Deiters, das müßten Sie doch eigentlich wissen.« »Ja, ja, Hochwürden, das sagen Sie mit Recht. Es ist in der Tat so.« Pfarrer Clemens klopft Agnes väterlich auf die Schulter. »Sehen Sie, so kommen wir uns schon entschieden näher. Sagen Sie — sind Sie auch so gegen den jungen Breiten?« »Ach, im Grunde habe ich meiner Monika . all das Glück der Erde gewünscht, aber ich weiß, es geht ihr nicht gut, und das bereitet mir Sorgen. Sie hätte es besser haben können, wenn sie nicht bei Nacht und Nebel mit diesem Musikus davongegangen wäre.« »Nehmen Sie es als eine Fügung Gottes, Fräulein Deiters, und dann sieht alles ganz anders aus. Versuchen wenigstens Sie, Ihrer Nichte die Treue zu halten. Und was Ihren Bruder betrifft, so werde ich ihn mir in den nächsten Tagen vorknöpfen. Vielleicht habe ich wirklich Erfolg. Es wäre bei Gott zu wünschen.« Pfarrer Clemens wendet sich zum Gehen, doch Agnes bittet ihn, noch einen Augenblick zu bleiben. Eine Frage brennt auf ihrem Herzen, die sie noch gern loswerden möchte. »Sagen Sie, Hoch würden ... Daß Monika so einfach ohne die Einwilligung ihres Vaters davonging, war doch nicht recht, nicht wahr? Hat sie dadurch nicht gezeigt, wie wenig Wert sie darauf legt, die Tochter meines Bruders zu sein? Ich glaube sogar, daß sie mit der Ruhelosigkeit, dem Unbehagen und dem Kummer sühnen muß, was sie in gedankenlosem Trotz an ihrem Vater verschuldet hat.« »Daran glaube ich nicht, Fräulein Deiters. Ich kenne Monika
schon lange. Ich habe sie aufwachsen sehen, und im Grunde ist es niemals ein Vergehen, wenn man der Stimme des Herzens folgt solange es sich um gute Wege handelt.« Agnes nickt zu seinen Worten. »Nur das, Hochwürden, nur das wollte ich noch wissen. Sehen Sie, jetzt bin ich ein wenig beruhigt, weiß ich doch, daß es immer noch Wege gibt, die zueinander führen.« Es ist Sonntag. Monika sitzt an der Seite ihres Mannes. Mit allen Mitteln versucht sie, die grübelnden Gedanken zu verscheuchen, die sie seit langem erfüllen. Reinhard ist seit Tagen merkwürdig ruhelos. Gern möchte er dem lästigen Gefühl in seiner Brust Schweigen gebieten. Spazierenzugehen macht der strömende Regen unmöglich. Soll er arbeiten? Er hat fast keinen Mut mehr. »Hast du etwas dagegen, wenn ich für einen Moment zu Emil Gronemann gehe?« fragt er seine Frau. »Nein, mein Lieb, warum sollte ich? Geh nur ruhig zu ihm, dann wirst du auf andere Gedanken kommen.« »Du bist bestimmt nicht traurig?« »Aber Reinhard. Ich bin froh, wenn du ein wenig Gesellschaft hast. Vielleicht hörst du dort sogar etwas Günstiges. Du kannst Herrn Gronemann auch gleich bei dieser Gelegenheit sagen, daß bis heute keine Antwort vom Verlag gekommen ist.« Reinhard nickt schweigend. Er hat doch ein klein wenig schlechtes Gewissen. Es tut ihm leid, Monika allein zu lassen. Doch er hält es in den engen vier Wänden nicht mehr aus, er muß, wenn auch nur für eine kurze Zeit, etwas anderes sehen, wenn er nicht ganz verzweifeln will. " Langsam schlendert er die menschenleere Straße hinab, hier und dort in ein Lokal blickend. Plötzlich bleibt er stehen. Das ist doch ... nein, er irrt sich nicht. An einem weißgedeckten Tisch sitzt Gronemann. In seiner Hand hält er
Karten, ein anderer hält Tafel und Kreide in den Händen. Sie sind im Begriff aufzustehen und in ein angrenzendes Zimmer zu treten. Schnell betritt Reinhard das Lokal. Er hört gerade noch die Worte des Freundes: »Also, spielen wir!« »Guten Abend!« sagt Reinhard. Gronemann wendet den Kopf. »Hallo, Reinhard! Du hier? Komm, möchtest du eine Partie mitspielen?« Reinhard überzählt im Geiste seine wenigen Pfennige. Entschlossen sagt er zu, obwohl er nicht einmal weiß, wie er bezahlen kann, wenn er verliert. Er setzt sich zu den anderen an den Tisch und sieht zu, wie sein Freund die Karten mischt. Selten hat Richard gespielt, niemals hatte er Verlangen danach. Kartenwerk — Teufelswerk! Heißt es nicht so? Es muß einer der glücklichsten Augenblicke des Satans gewesen sein, als er die Karten erfand. Bemalte Karten, gesalbt mit unbändiger Leidenschaft. Millionen sind schon an solchen Karten zugrunde gegangen. Es ist, als hielte der Mensch den Teufel in der Hand, wenn er mit glasigen, hervortretenden Augen, mit bleichen Wangen, mit zitternden Fingern, nach diesen Bildern greift. Jetzt ist auch Reinhard auf dem besten Wege, das gleiche zu tun. Aber vielleicht hat er Glück und kann das wenige Geld in seiner Tasche verdoppeln, ja, vielleicht verdrei- oder vervierfachen. Mein Gott, wenn das geschehen würde! Bald schon ist das Spiel in vollem Gange. Waren anfangs die Mienen der Spieler ruhig, fast gleichgültig, so verzerren sie sich nach und nach in leidenschaftlicher Erregung. Emil spielt mit wachsendem Glück, während Reinhards kleines Häufchen Geld dahinschwindet. Immer größer wird sein Verlust, aber auch immer brennender seine Leidenschaft, die heute zum ersten Male in seinem Leben sein Blut glühend
macht. Manchmal kommt das Glück an seine Seite. Er schöpft Hoffnung und spielt weiter, . um den Gewinn zu vergrößern, doch dann ist alles wieder fort. So geht es auf ein neues. Stunde um Stunde wird wortlos gespielt, es ist schon spät, und noch immer haben sie kein Ende gefunden. Dann hat Reinhard alles verloren. Ohne ein Wort zu sagen, wirft er die Karten auf den Tisch. Ganz kurz erscheint vor seinen Augen Monikas Antlitz — er sieht einen schmalen, weißen Hals — ein Goldkettlein mit einer schwarzen Perle ... In seine Gedanken ertönt die Stimme Gronemanns: Er bittet ihn, sein Geld zurückzunehmen, es sei ja ein Spiel unter guten Freunden und nur zum Vergnügen gewesen. Doch Reinhard weist das Anerbieten stolz und kalt zurück. Man trennt sich! Kaum ein Wort sprechen die Freunde miteinander. Vergessen ist der eigentliche Grund des Zusammentreffens. Mit schlechtem Gewissen und ganz verbittert kommt Reinhard nach Hause. Ganz leise öffnet er die Tür zu seinem Zimmer. Er bleibt stehen und lauscht. Monikas Atemzüge sind ruhig und gleichmäßig. Sie schläft, denkt er erleichtert. Behutsam schließt er die Tür und entkleidet sich geräuschlos. Er darf Monika nicht aufwecken. Sie würde Fragen stellen. Und Fragen, er kann sie jetzt in dieser Verfassung nicht ertragen. Er ist sich seiner Schuld bewußt. Warum nur hat er den letzten Pfennig verspielt? Was mag Moni dazu sagen, die duldsame, liebe, treue Frau. Sie harrt an seiner Seite eines Glücks, das niemals mehr kommen wird. Stunde um Stunde liegt er wach, immer wieder das edle Antlitz der geliebten Frau betrachtend, die neben ihm liegt und nicht weiß, was er getan hat. Als er endlich einschläft, träumt er wilde Bilder von
Reichtum und Ruhm, von einem überwältigenden Erfolg. Dazwischen tanzen gespenstisch bunte Karten. Es ist, als hätten die gemalten Figuren auf ihnen Leben angenommen und grinsten ihn unheimlich an. Von diesem Abend trägt Reinhard einen Dämon in seiner Brust, das Verlangen, zu Geld zu kommen, ganz gleich wie. Er sucht allerdings diesem Begehren ein edles Motiv unterzulegen. Er will ja nichts weiter, als seiner Frau ein möglichst behagliches Los bereiten. Doch kann er durchs Spiel zu Reichtum gelangen? Wie verblaßt steht plötzlich sein Ziel daneben! Er fühlt deutlich, daß beide Ideen sich nicht vereinigen lassen. Doch er hat nicht mehr den Mut, seinen Beruf als höchstes Ziel zu setzen. Wenn er es noch einmal mit einem Spiel versuchen würde. Doch er ist arm, wovon soll er den Einsatz bezahlen? Er ist arm und hat den Anschluß nach oben verpaßt. Er kommt sich so armselig vor. Monika bemerkt mit wachsender Sorge den Zwiespalt seines Herzens. Wenn nur die Antwort des Verlages käme. So gehen beide ihren Gedanken nach, ohne sie dem anderen zu offenbaren. Wie oft schon quoll in Reinhard eine übermächtige Sehnsucht hoch, endlich in geordneten Verhältnissen zu leben. Wie lange schon ist dieser Wunsch in seinem Herzen. Schon wieder ist es Winter geworden, und nichts hat sich geändert. Reinhard denkt an das Gut des Vaters mit dem ruhigen Herrenhaus und den stillen Teichen, an deren Ufern das Schilf wächst, über denen die Reiher ihre Kreise ziehen. Jetzt liegt alles unter dem Schnee begraben. Die tiefen Dächer des fernen Dorfes, das Gutsgebäude, die alten Bänke im Grünen, der kleine Steingarten, in dem er so gern gesessen hat. Und über dem Ganzen scheint der Mond wie überall in der Welt. Mein Gott, denkt er, warum kann ich nicht einfach Schluß
machen mit dem erfolglosen Leben hier! Doch dann sieht er die Frau an seiner Seite, seine geliebte Monika, und er weiß wofür er lebt, wofür er leben muß! »Sie glauben also, Hochwürden, ich solle nachgeben und meiner Tochter mitteilen, daß alles so ganz einfach vergessen ist?« »Ja, das glaube ich, Herr Deiters. Sehen Sie denn nicht ein, daß Sie als Vater die Pflicht haben, Ihrem Kind mit Rat und Tat zur Seite zu stehen? Das Glück Ihres Kindes muß Ihnen alles bedeuten.« »Ich kann es nicht überwinden, daß sie sich einfach auf und davon gemacht hat. Nur um diesem verhinderten Künstler zu folgen. Von mir, Herr Pfarrer, bekommt sie nicht einen Heller.« »Aber, aber, Herr Deiters. Wie können Sie nur so hart sein. Hat Monika Sie denn schon einmal gebeten, ihr zu helfen?« »Nein, das nicht, aber das spielt ja auch alles keine Rolle.« »Sehen Sie, Herr Deiters, ich glaube auch kaum, daß Ihr Tochter Sie jemals bitten wird, ihr zu helfen. Sie als Vater müßten sie doch eigentlich besser kennen als ich, ihr Seelsorger.« »Wissen Sie, Hochwürden, wenn Monika fortgegangen wäre, hätte ich es ihr verziehen. Aber daß sie auch noch ohne meine Einwilligung heiratet, das geht ja wohl zu weit. Wozu sind wir Väter denn da, wenn man übergangen wird? Sie sagen zum Beispiel, es ist meine Pflicht, mein Kind auf den rechten Weg zu führen, aber dieses Kind hält es doch '" nicht einmal für nötig, mir Gelegenheit dazu zu geben.« »Überlegen Sie einmal, Herr Deiters, liegt die Schuld einzig und allein bei Ihrer Tochter? Ich kann nicht recht daran glauben. Haben Sie nicht von vornherein den Willen Monikas unterdrückt, als sie Ihnen sagte, daß Reinhard von Breiten der Mann ihres Herzens ist?«
»Der Mann ihres Herzens ... Hochwürden, wenn dieser Breiten ein rechtschaffener Mann gewesen wäre, mit gerechtfertigten Zielen, dann hätte ich mich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht geweigert, ihr meinen Segen zu geben. Aber dieser Mann mit seinen verrückten Ideen kann meinem Mädel kein geordnetes Leben bieten. Stellen Sie sich vor, Hoch würden, jetzt sind die beiden noch allein, jetzt können sie sich vielleicht recht und schlecht durchs Leben schlagen. Was geschieht jedoch, wenn Kinder da sind, die nach Brot rufen? Glauben Sie daran, daß so ein verhinderter Künstler für eine Familie sorgen kann? Nein, nein, Hochwürden, ich werde niemals mit der Wahl meines Kindes einverstanden sein.« , »Ist das Ihr letztes Wort, Herr Deiters?« Der Gefragte überlegt, er weiß nicht recht, was er darauf antworten soll. Dann schließlich sagt er: »Wenn es Sie beruhigt, Hochwürden, ich werde nachgeben, aber das heißt nicht, daß ich die Heirat gutheiße. Ich werde Monika bitten, zurückzukommen — allein! Geht sie auf meine Bitte ein, soll alles verziehen sein. Ich werde diese unbesonnene Heirat vergessen. Aber diesen ... diesen Taugenichts, den will ich nicht sehen, mit dem habe ich nichts zu schaffen.« »Und Sie glauben tatsächlich, daß Monika Ihrem Ruf folgen wird? Bedenken Sie doch, Herr Deiters, die Ehe ist ein heiliges Sakrament, und nur der Tod kann zwei Menschen, die sich vor Gott vereinten, trennen.« »Das, Hochwürden, sind Ansichten der Kirche. Aber... wenn Monika nicht mehr aus noch ein weiß, wird sie sich bestimmt zu dem Schritt entschließen, den ich ihr vorschlagen werde.« »Warten wir es ab! So haben wir uns also nichts mehr zu sagen. Guten Abend, Herr Deiters.« Vater Deiters erhebt sich, geleitet Pfarrer Clemens vor die Tür.
»Werden Sie mich bald wieder besuchen, Hoch würden?« »Warum nicht, Herr Deiters? Es ist meine Pflicht, mich um die Angehörigen meiner Gemeinde zu kümmern. Doch alles zu seiner Zeit.« Mit gemischten Gefühlen schaut Vater Deiters dem Pfarrer nach. Reinhard von Breiten ist auf dem Weg zu seinem Freund. Er muß ihn sprechen, er kann nicht mehr umhin, ihn zu fragen, warum er wohl noch immer keinen Bescheid des Verlages bekommen hat. Ob Emil wieder einen neuen Vorschlag für ihn hat? Er verspürt keine Freude mehr auf das, was ihn erwartet. Vielleicht bietet er ihm heute an, er solle in irgendeiner Fabrik arbeiten, vor einer Maschine stehen und jeden Freitag seine Lohntüte in Empfang nehmen, weil das Schicksal es so will... Frau Gronemann und Emil sind nicht wenig überrascht, als Reinhard so plötzlich vor ihnen steht, allein, ohne seine Frau, die er doch mitzubringen versprach. Noch mehr wundern sie sich über die befremdende Veränderung, die mit Reinhard vor sich gegangen ist. Das ist nicht mehr der Mann, der mit frohem Mut ein neues Leben beginnen wollte, wie er noch vor wenigen Wochen beteuerte. Aus seinen Augen spricht Müdigkeit und ein dumpfes Sichtreibenlassen. Frau Gronemann und ihr Sohn wollten gerade mit dem Abendessen beginnen. So lädt man ihn ein. Während die Mutter dem Gast die Suppe auf den Teller schöpft, blickt sie Emil fragend an. Sie ist sich nicht recht klar darüber, wie sie den Freund ihres Sohnes behandeln soll. Gilt es hier, ihn aufzumuntern oder ist es besser, man läßt ihn in Ruhe und sich selbst überlassen? Emil versteht die stumme Frage der Mutter und gibt ihr einen
Wink, sich so zu verhalten, als gäbe es nichts Besonderes. Das Verhalten von Mutter und Sohn ist so, daß Reinhard glaubt, er sei ein willkommener, gern gesehener Gast. »Laß es dir schmecken, Reinhard, tu so, als wärest du zu Hause bei deiner Frau«, sagt Emil, ihn zum Zugreifen auffordernd. Reinhard nickt dankbar. »Was meinst du, Emil: Ob ich wohl noch eine Antwort vom Verlag bekomme? Ich habe ein seltenes Gefühl. Könntest du nicht... ich meine, vielleicht würde die Sache ein wenig beschleunigt, wenn du dich einmal darum kümmern würdest?« Gronemann kratzt sich mit dem Zeigefinger nachdenklich über dem Ohr. »Ich kann ja versuchen, mich da einzuschalten, aber ich weiß aus Erfahrung, daß es nicht viel an der Angelegenheit ändern wird. Weißt du, die nehmen sich Zeit. Was wissen sie schon davon, wie es ist, auf Antwort warten zu müssen.« »Ach, dann laß es lieber, Emil. Am Ende wirst du noch Unannehmlichkeiten bekommen.« »Das nicht — dazu wird es nicht kommen, nur — sie lassen sich nicht gern treiben, du weißt ja, wie das so ist.« »Was soll ich nur tun? Ich kann unmöglich noch länger untätig herumsitzen und zusehen, wie meine Frau von Tag zu Tag verhärmter wird.« »Warte noch eine Woche ab, Reinhard, wenn bis dahin nichts geschehen ist, werde ich mich einschalten.« »Eine Woche...? Weißt du, wie lang sie werden kann?« »Aber Reinhard, was ist denn nur? Verlierst du plötzlich die Geduld?« »Nein, das nicht — nur ...« »Warte die paar Tage noch, und — verliere nicht den Mut.« Reinhard ist es plötzlich, als stürze alles über ihm zusammen. Er muß fort, er muß hinaus. Er kann plötzlich die Menschen nicht mehr ertragen. Spontan erhebt er sich.
»Du willst schon gehen?« fragt Emil ein wenig verwundert. »Ja, ich muß nach Hause. Ich habe mich ohnehin schon zu lange aufgehalten.« Er wendet sich an Frau Gronemann und sagt höflich: »Besten Dank auch für das vorzügliche Essen. Ich — es hat wunderbar geschmeckt.« Emil geleitet ihn zur Tür. Er klopft dem Freund auf die Schulter. »Aber Reinhard, was ist nur mit dir? So kenne ich dich ja gar nicht.« Mit traurigem Blick schaut Reinhard den Freund an. »Ich kenne mich selbst kaum mehr, Emil.« »Bis dann, Reinhard.« »Ja, Emil, bis dann!« »So, so, Frau von Breiten, Sie kommen also im Auftrage Ihres Mannes, die Antwort persönlich abzuholen, die wir Ihnen bis heute leider noch nicht geben konnten?« Monika von Breiten richtet sich mit einem tiefen Atemzug auf. »Nein, mein Mann weiß noch gar nicht, daß ich bei Ihnen bin.« »Nanu!« staunt der breitschultrige Mann. »Sie sind also auf eigene Faust hergekommen. Donnerwetter! Sie sind recht mutig, kleine Frau.« Eine feine Röte zieht über Monikas Wangen. »Ich weiß, daß mein Mann sich mit Ihnen in Verbindung gesetzt hat wegen seiner Kompositionen, und — da bin ich eben zu Ihnen gekommen, um Sie aufzusuchen, weil ich mir dachte, daß Sie vielleicht meinem Mann helfen könnten.« »Helfen? Bedarf Ihr Mann so dringender Hilfe?« »Ach, wenn Sie wüßten, wie verzweifelt er ist. Er verliert all seinen Mut. Er kann nicht einmal mehr etwas schaffen. Dabei war es immer sein höchstes Ziel, es zu einem guten Komponisten zu bringen, aber wie kann er das, wenn man ihn
überall abweist. Zudem hat er nicht einmal so viel, daß er sich einen eigenen Flügel leisten kann, immer ist er auf fremde Hilfe angewiesen. Sie müßten es doch verstehen, wie sehr das einen Menschen zermürbt.« Monika beginnt nun alles zu erzählen, was sie bedrückt. Anfangs kommen ihr die Worte noch stockend und unbeholfen über die Lippen. Doch als sie den nachdenklichen Blick des reifen Mannes auf sich gerichtet sieht, durchströmt sie plötzlich ein Vertrauen zu dem Menschen. Es ist ihr eine unsägliche Erleichterung, sich all das einmal von der Seele zu reden, was sie quält. Nun fließen die Worte von ihren Lippen. Sie erlebt bei ihren Schilderungen noch einmal die bitteren Stunden, den Kampf um die Existenz ihres Mannes, die Enttäuschungen und den steten Wechsel zwischen froher Zuversicht und trostloser Verzweiflung. Als Monika geendet hat, lehnt sie sich erschöpft zurück, während ihre Augen voller Vertrauen und gleichzeitig Angst auf den Zuhörer gerichtet sind. Der Mann hat Monikas Schilderungen still und ruhig zugehört. Erst als sie schweigt, steht er auf. Wortlos beginnt er im Zimmer auf und ab zu schreiten. Monika wird diese Zeit zur Ewigkeit. Die Spannung wächst ins Unerträgliche. Dieses Schweigen, was mag es bedeuten? Ist es die Vorbereitung auf ein unerbittliches Nein? Dann plötzlich bleibt der Mann stehen. »Wann können Sie uns die Arbeiten Ihres Mannes bringen?« Monika springt in heftiger Erregung auf. »Sie wollen also tatsächlich meine Bitte erfüllen?« »Wir wollen es einmal versuchen, vielleicht ist etwas Brauchbares darunter. Versprechen kann ich Ihnen allerdings nicht, ob es zu einem Abschluß kommt, denn ich weiß nicht, ob die Kompositionen Ihres Mannes für mich verwendbar sind, das ergäbe erst die genaue Durchsicht.«
»Oh, ich — ich danke Ihnen mit ganzem Herzen!« Monika tritt auf den Mann zu und drückt ihm die Hand. Er wehrt mit einem Lächeln ab. »Mein Gott, wenn es brauchbar wäre, wie würde mein Mann sich freuen.« »Wenn ich dazu noch etwas sagen darf, Frau von Breiten: Es wird immerhin eine ganze Zeit vergehen, bis wir geprüft und begutachtet haben. Geben Sie sich also nicht der Hoffnung hin, gleich schon in den nächsten Tagen Bescheid zu erhalten. Ich sage Ihnen das absichtlich, um zu verhindern, daß Sie unnötig warten. Sie müssen sich etwas gedulden. Ich nehme an, daß Sie sich in finanziellen Schwierigkeiten befinden. Ich entnehme das Ihren Worten. Werden Sie in der Lage sein, diese Zeit noch durchzuhalten?« »Oh, wenn ich auch nur auf ein wenig Erfolg hoffen darf, dann werden mein Mann und ich es ganz bestimmt schaffen. Vielleicht müßte ich mich an meinen Vater wenden und mir eine Summe überweisen lassen, die für alle Fälle ausreichen wird.« Obwohl Monika weiß, daß es eine Lüge ist — denn niemals würde sie den Vater auch nur um einen Pfennig bitten — gehen ihr diese Worte wie selbstverständlich über die Lippen. Für sie gibt es jetzt nur noch eins, auf den Erfolg ihres Mannes zu hoffen. Sie muß ihre Hände gegen das wild klopfende Herz pressen. Die Gewißheit der Rettung wirbelt wie ein berauschender Akkord durch ihr Gehirn. Als Monika sich erhebt und sich von dem Mann verabschiedet, klingt ihre Stimme wie ein Jubeln. Sie tritt auf die Straße. Tief atmet sie die würzige Luft. Die neue Hoffnung hat ihre Lebensgeister geweckt. Vielleicht wird bald alles gut. Doch je weiter sie die Straße entlang geht, desto mehr denkt sie darüber nach, wieviel Zeit nun wieder vergehen wird, bis
eine Nachricht eintrifft, die sie und Reinhard aufatmen läßt oder ... Das Leben geht weiter, es muß weiter gehen. Aber — wovon werden sie nun leben in den kommenden Wochen? Sie muß irgendwie zu Geld kommen. Krampfhaft erforscht sie alle bestehenden Möglichkeiten, doch ohne Erfolg. Das Kettchen mit der schwarzen Perle — ob sie etwas dafür bekommen kann? Mein Gott, das Liebste, was sie noch besitzt! Doch sie wird es wieder einlösen, wenn sie Geld hat, es wird ja nur eine kurze Zeit sein. Daß sie noch nicht früher darauf gekommen ist! Sie glaubt, das Kettchen brenne plötzlich auf ihrer Haut. Sie tritt in einen Hausflur, löst die Goldschnur von ihrem Hals und hält die Perle in den zitternden Händen. Von allen Seiten betrachtet sie das Kleinod. Wie schön es ist. Die schwarze Perle wird von einem winzigen Goldblatt gehalten, in das ein kleines R eingraviert ist! Reinhard — Ganz fest schließt sie die Hand um den Schmuck und tritt wieder auf die Straße. Bei dem nächsten Juwelier tritt sie ein. Sie kommt gerade im richtigen Augenblick, kein Kunde ist im Geschäft, nur der Inhaber beschäftigt sich mit dem Sortieren einiger neu hereingekommener Artikel. »Womit kann ich dienen?« fragt er freundlich. »Ach — ich — ich hätte nur eine Frage.« Langsam öffnet Monika die festverschlossene Hand, »können Sie mir sagen, welchen Wert dieses Kettchen und die schwarze Perle haben?« Erstaunt blickt der Juwelier auf die schmale Gestalt der Frau und dann, den Blick auf den Gegenstand richtend, antwortet der Juwelier: »Welchen Wert? Hmm! Was soll ich Ihnen da sagen? — Möchten Sie es verkaufen?« »Ich — ja, ich möchte es verkaufen, wenn es möglich ist. Es
ist mein Eigentum, und — und ich benötige dringend etwas Geld. Nur, ich weiß nicht, wieviel es bringen wird. Es ist ein liebes Andenken. Glauben Sie mir, niemals würde ich es auch nur eine Sekunde hergeben, wenn ich...« »Ich verstehe, aber der Erlös wird nicht besonders hoch sein. Ein paar Mark wird es sicher bringen, aber, wenn es Ihnen das wert ist?« Ein trauriger Zug geht über Monikas Antlitz. Sie fragt mit zitternder Stimme: »Wird der Betrag so gering sein?« »Ach, das nun wieder auch nicht, aber da Sie sagten, daß es Ihnen ein teures Andenken ist, wird es aller Wahrscheinlichkeit nach zu wenig für Sie einbringen.« Monika sinkt in sich zusammen. Eine maßlose Traurigkeit überfällt sie. Ach Gott, sie sieht es ja ein, es war ein irrsinniger Gedanke, diesen Schritt zu tun. Ganz langsam greift sie nach der Perle und läßt sie zurück in die Hand gleiten. »Bitte, bitte verzeihen Sie. Ich danke Ihnen für die freundliche Auskunft.« »Es ist gern geschehen. Sie können es sich überlegen und vielleicht noch einmal hereinschauen.« »Danke.« Der Juwelier eilt vor ihr her zur Tür und öffnet sie galant. Aufrecht geht Monika an ihm vorbei. Mit eiligen Schritten flüchtete sie in ihre kleine Behausung. Ihre ganze Hoffnung setzt sie auf ihre morgendliche Unterredung. All die Wochen, gemischt aus Hoffnung und Trostlosigkeit, haben sie fast zu Boden geworfen. Die Verlage, die Agenturen, von denen einer nach der anderen die Mitarbeit ihres Mannes ablehnen, haben es ihr beigebracht, wie aufreibend ein Existenzkampf sein kann. Reinhards Herz blutet für sie, sie weiß es ganz genau. Sie
weiß auch, wieviel Reinhard unter allem leidet. Beim Eintritt in das Zimmer tut sie, als ob sie die Niedergeschlagenheit ihres Mannes nicht bemerke, und meint heiter: »Du hast auf mich gewartet, nicht wahr, Liebster? Ich habe einiges erledigen können heute. Weißt du, wo ich war? Du glaubst es nicht, aber ich ... ich kann deine Kompositionen abgeben, vielleicht vielleicht, haben wir diesmal Glück.« »Du warst bei...« »Ja, ich war bei der Agentur deines Freundes. Ich darf deine Arbeiten bringen.« »Monika...« »Ja, und es war nicht einmal so sehr schwer, den Chef zu sprechen. Du siehst, eine Frau erreicht doch eben mehr als ein Mann.« »Monika, wenn ich dich nicht hätte, was sollte ich nur beginnen?« »Und jetzt, Reinhard, machen wir einen Spaziergang. Gehen wir irgendwohin. Willst du?« »Aber ja!« antwortet Reinhard mit Erleichterung. Die Idee, irgendwohin zu gehen, wo es anders ist als in den vier kleinen Wänden, wo es Menschen gibt, scheint wie eine Erlösung. Es ist entsetzlich, immerfort an die Dinge denken zu müssen, die sein Leben belasten und ihm für die Zukunft Schrecken einflößen. Indessen Monika läßt den Mann nicht fühlen, welche Anstrengung es sie kostet, mit nur einer vagen Hoffnung im Herzen ihm gute Laune zu zeigen. Doch ist sie überzeugt, daß es besser ist, nicht mehr von den Angelegenheiten zu sprechen, die Reinhard so verstören. So strengt sie sich an, Reinhards Gedanken abzulenken, indem sie mit ihm über Ereignisse des Tages und über nebensächliche Dinge spricht, wie sie ihr gerade in den Kopf kommen. Erst als sie längst wieder in ihrem Stübchen sitzen, bittet
Monika ihren Mann, seine Arbeiten selbst zur Agentur zu bringen. Nach anfänglichem Zögern sagt er schließlich zu. Schon früh am kommenden Morgen macht er sich auf den Weg. »Ist Post für mich oder meinen Mann gekommen?« fragt Monika die freundliche Wirtin. »Nein, Frau von Breiten, gar nichts!« Monika lehnt sich an die Brüstung der Treppe. Noch immer nichts! Auch dieser Tag wird vorübergehen wie viele unzählige andere auch, in erzwungener Untätigkeit und in ängstlicher Erwartung irgendeiner Antwort. Frau Winkler betrachtet die junge Frau mit besorgter Miene. Die arme Frau, denkt sie und seufzt. Sie hat Monika sehr liebgewonnen, und das Herz tut ihr weh, sie oftmals so enttäuscht und traurig zu sehen. »Ich weiß aber nicht, Frau von Breiten, ob die Post überhaupt schon da war, es ist möglich, daß sie noch kommt. Ich selbst habe den Briefträger nicht gesehen«, sagt sie, um Monika ein wenig Hoffnung zu machen. Es kann durchaus sein, daß noch Post unterwegs ist. »Danke, Frau Winkler. Ich werde dann später noch einmal nachsehen.« Langsam schreitet Monika die Treppen hinauf. Frau Winkler schaut ihr teilnehmend nach. Jeden Morgen zur Zeit des Posteingangs wiederholt sich die gleiche Szene. Die junge Frau kommt aus ihrem Zimmer gelaufen, ein wenig außer Atem, die Augen voller Hoffnung. Aber dieses Leuchten verlöscht sogleich bei dem immer gleichlautenden negativen Bescheid. Der Briefträger brachte bisher die langersehnte Post nicht. Frau Winkler versucht immer wieder, hinter das Geheimnis zu kommen, das die junge Frau umgibt. Sie tut es nicht aus Neugier, sondern um Monika zu helfen. Sie möchte es so gern,
aber wie? Niemals hat Frau von Breiten auch nur ein einziges Wort gesagt, niemals eine Andeutung gemacht, was sie bedrückt. Sie zahlt pünktlich die Miete und lebt ruhig neben ihrem Mann, der anscheinend eine seltsame Beschäftigung hat, da er die meiste Zeit des Tages bei seiner Frau verbringt. Mitten in diese Gedanken hinein öffnet sich die Tür des Hauses. Der Briefträger tritt ein und überreicht Frau Winkler einen an Monika Deiters gerichteten Brief. Schon wendet sich der Mann wieder zur Tür, als Frau Winkler hinter ihm herruft: »Moment mal!« Heftig gestikuliert sie mit dem Brief in ihrer Hand. »Diese Frau wohnt nicht hier!« »Die Adresse ist aber eindeutig, nicht wahr?« »Aber der Name, er ist mir vollkommen unbekannt. Doch, warten Sie mal.« Sie ruft durch das Haus: »Frau von Breiten! Frau von Breiten!« Als Monika sich meldet, fragt sie: »Kennen Sie jemanden namens Deiters?« Monika möchte durch eine Vorahnung, die sie nicht erklären kann, verneinen. Plötzlich beginnt ihr Herz heftig zu schlagen. Sie eilt die Stufen hinab. Ungläubig heftet sie ihren Blick auf den Briefträger, der hereingekommen ist und unschlüssig darauf wartet, den Brief gegebenenfalls wieder zurückzunehmen. »Deiters?« wiederholt sie erstaunt. »Das ist mein Mädchenname. Darf ich den Brief mal sehen?« Frau Winkler reicht ihr den Umschlag. Monika schaut kurz auf den Absender und glaubt, das Blut in ihren Adern erstarre, als sie sieht, daß ihr Vater an sie geschrieben hat. »Dann wäre wohl alles in Ordnung?« sagt der Mann und verläßt vor sich hin murmelnd das Haus. Monika stürmt die Treppen hinauf. Sie schließt die Tür des Zimmers schnell hinter sich und verharrt sie einen Augenblick regungslos.
Der Vater, er hat sich ihrer besonnen! Was mag dieses Schreiben enthalten? Fast traut sie sich nicht, es zu öffnen. Dann hält sie das Schreiben in der Hand. Zweimal schon hat sie es gelesen, und immer noch ist es, als könne sie das Geschriebene nicht verstehen. Sie soll zurückkommen — allein! Nur diese Worte hat der Vater für sie? Er müßte wissen, daß sie diese Bitte niemals erfüllen wird. »Mein Gott, wie grausam das alles ist«, flüstert Monika, indem sie ihr Gesicht zwischen den Händen verbirgt und schluchzt. Die Worte des Vaters treffen Monika wie Peitschenhiebe. Warum hat er überhaupt an sie geschrieben? Warum fordert er sie auf, allein zurückzukommen? Er weiß, daß sie mit Reinhard von Breiten verheiratet ist. Er kennt ihren Namen, und trotzdem nennt er sie Monika Deiters. Wie weh das tut! Er hat kein Recht dazu. Reinhard hat sie gern, und sie hat ihm geschworen, daß sie immer zu ihm stehen wird. Es dauert eine ganze Weile, bis Monika aus dem Taumel der Verwirrung und Angst, in die der Brief sie gestürzt hat, in die Wirklichkeit zurückfindet. Mit einer mechanischen Bewegung schließen sich ihre Finger um das Papier. Ich werde ihn verbrennen, denkt sie. Reinhard darf von diesem Schreiben niemals etwas erfahren. Sie steht auf. Langsam, mit schleppenden Schritten geht sie zum Ofen. Tausend Gedanken jagen durch ihr Hirn. Niemals wird sie nach Hause zurückgehen ohne Reinhard. Sie ist seine Frau geworden und wird bei ihm sein in Glück und Leid. Gerade will sie die Ofentür öffnen, um das Schreiben des Vaters hineinzuwerfen, da hört sie die Schritte Reinhards.
Schnell verbirgt sie den Brief hinter dem Rücken. Noch hat sie Sekunden Zeit. Rasch schiebt sie den Brief zwischen einen Stapel Papiere. Als Reinhard in das Zimmer tritt, ist sie unbefangen, als wäre nichts geschehen. Doch lange wird sie sich nicht so verstellen können. Unentwegt geht der Blick in die. Ferne, wo irgendwo hinter den Bergen das herrliche Gut des Vaters liegt. Wenn sie die Zeilen vergessen könnte ... Sie muß hinaus, sie kann ihrem Mann nicht mehr so gleichgültig gegenübersitzen. Er wird bemerken, das etwas geschehen ist. »Ist heute Post gekommen, Monika?« Eine leichte Röte fliegt über ihr Antlitz. Sie muß lügen, obwohl es sonst nicht ihre Art ist. »Nein, Reinhard, aber habe Geduld, es wird schon noch kommen.« »Und du? Bist du es nicht allmählich leid? Ich kann dir nichts bieten als Not und Armut.« »Das tut nichts. Gewiß... es wäre schön, wenn es — ein bißchen aufwärts ginge!« »Monika!« »Ja?« Er nimmt sie bei den Schultern und zieht sie an sich. »Bist du noch glücklich mit mir, Monika?« Sie steht dicht vor ihm. Seine Arme, die sich um sie geschlungen haben, halten sie fest. Ihre Augen blicken erschreckt zu ihm empor. »Warum fragst du so, Reinhard?« »Ich habe ein ungutes Gefühl, Monika. Du könntest ein sorgloses Leben führen, in Reichtum und Luxus. Alles hast du für mich aufgegeben, und wofür?« Sie gibt keine Antwort, aber er spürt, wie ein leises Zittern ihren Körper durchrieselt.
Er küßt sie. Sie möchte etwas sagen, doch er verschließt ihr mit seinen Lippen den Mund. Seine Hände umspannen ihren Kopf, weich und seidig spürt er die dichte Flut ihrer Haare zwischen seinen Fingern. »Du weißt, Monika, wie lieb ich dich habe. Du verstehst mich, du weißt, wie es in mir aussieht.« Ihre Hände tasten sich zu seinem Gesicht empor. Er merkt, wie sie sich auf die Zehen hebt. Dann bietet sie ihm noch einmal den Mund in einer scheuen, demütigen Hingabe. In diesem Kuß versinkt alles Traurige und Bittere des Lebens. Reinhard hält sie fest in seinen Armen, in dem Bewußtsein, daß sie nur ihm gehört, daß sie ihr Leben in seine Hände legt, sieht er den Inbegriff seines Glücks. Wie anders ist plötzlich wieder alles. Wie leicht erscheint es ihm jetzt, den Kampf fortzusetzen, den er eben noch mutlos aufgeben wollte. Sie lehnt beglückt den Kopf an seine Schulter. Gerade in diesem Augenblick kommt ihr wieder der Brief des Vaters in die Erinnerung. Hastig macht sie sich frei, aus Angst darüber, er könnte etwas fragen, das sie dann nicht ohne Befangenheit beantworten könnte. »Ich gehe auf einen Moment zu Frau Winkler hinunter. Mach es dir bequem, ich bin gleich wieder da...« Kaum hat Monika das Zimmer verlassen, erhebt Reinhard sich, um in seinen Papieren nach einem kleinen Lied zu suchen, das er einst für Monika schrieb. Blatt für Blatt hebt er empor, doch es ist, als sei es verschwunden. Er weiß ganz genau, daß es an dieser Stelle lag. Immer hastiger blättert er. Dann plötzlich hält die Bewegung inne. In seine Hand fällt ein Brief. Er dreht den Umschlag in seinen Händen. »Monika Deiters"
sagt er vor sich hin. Dann liest er den Absender. Es überkommt ihn eine drückende, lähmende Traurigkeit. Soll er ihn lesen? Warum hat Monika ihm nichts von diesem Brief gesagt? Mit zitternden Händen entfaltet er das Schreiben. Seine Augen sind starr auf die zügig geschriebenen Worte gerichtet. So also ist es. Der Vater Monikas fordert sie auf zurückzukommen ... allein! Plötzlich glaubt er, es nicht mehr verantworten zu können, Monika weiter an dieses erbärmliche Leben zu fesseln. Ja, jetzt sieht er ganz klar. Es muß etwas geschehen. Aber wie? Wird er eine Lösung finden? Er kann sich nicht still und wortlos, vielleicht sogar ein wenig feindselig von ihr zurückziehen. Sie liebt ihn von ganzem Herzen, und er, kann er überhaupt ohne sie leben? Wie unerträglich würde die Sehnsucht in seinem Herzen brennen. Doch so kann es jetzt nicht mehr weitergehen. So nicht! Jetzt weiß er es genau. Monika bleibt nur bei ihm, weil sie Mitleid mit ihm, dem armen, verlorenen Menschen hat. Selbst wenn es auch die Liebe ist, die sie an seiner Seite ausharren läßt, dann kann er es nicht mehr vor sich selbst verantworten, sie festzuhalten. Tausend und abertausend Gedanken kreisen hinter seiner Stirn. Er ist zu verwirrt, um einen vernünftigen Entschluß fassen zu können. Warum ist Monika nicht aufrichtig zu ihm? Warum sagt sie nicht: Reinhard, ich werde zu meinem Vater zurückkehren, er hat geschrieben, er wird alles verzeihen, wenn ich zurückkomme? Wie erniedrigend und beschämend die Worte Werner Deiters auf Reinhard wirken! Ist er denn wirklich ein verkommenes Genie, ein verhinderter Künstler? Aber nach und nach gelangt Reinhard zu der Überzeugung, daß Monika ihn trotz allem Hebt. Es ist kein Mitleid, was sie
hält, nein, er kann es nicht glauben. Nur Liebe kann einer Frau so viel Lebensmut und Hochherzigkeit verleihen. Warum nur stellt sich plötzlich ein Mann, der nun einmal der Vater seiner Frau ist, zwischen sie? Jetzt plötzlich fällt es ihm ein, sich seiner Tochter zu erinnern. Er hat nie gefragt die ganze Zeit über, was aus Monika geworden ist. Und Monika selbst? Auch sie hat niemals darüber gesprochen, was früher war. Für sie zählte nichts als das Gefühl der Zusammengehörigkeit. Er lebte neben ihr und war glücklich. Sie hat ihn zu sich emporgehoben, sich ganz seiner angenommen. Das wird er ihr nie vergessen. Was war, will auch Monika nicht wissen, es interessiert sie nicht mehr. Sie ist für ihn da, lebt für ihn und will nichts anderes, als daß er auch zu ihr gehört. Und nun soll ich sie verlassen? Sie wird allein sein — und ist so schuldlos an allem. Eine eigenartige Kälte zieht durch seine Brust. Ein Gefühl kriecht in ihm hoch, das er sich nicht erklären kann. »O Gott, ich liebe sie, wie soll ich denn ohne sie leben?« sagt er bitter vor sich hin. Die Hände verkrampfen sich hart ineinander, als sollten sie sich niemals mehr lösen. Nur eine Frau hat jemals sein ganzes Dasein erfüllt. Das soll jetzt vorbei sein? Er soll sie lassen, nur weil das Schicksal es so will? Doch was für einen Weg gibt es? Solange er auch überlegen wird, er kann niemals einen finden. Nein, er muß sich darauf vorbereiten, ohne Monika zu leben. Dieser Gedanke bohrt sich in sein Herz. Er stützt den Kopf in beide Hände. Doch dann kommt es ihm in den Sinn, daß Monika jeden Augenblick zurückkommen kann. Er nimmt den Brief und legt ihn wieder an seinen Platz.
Dann erhebt er sich und geht zum Fenster. Er starrt hinaus. Eine seltsame Leere ist in seinen Augen ... In dieser Nacht findet Reinhard keinen Schlaf. Der Anfall von Verzweiflung will kein Ende nehmen. Die halbe Nacht hat er schon darüber nachgegrübelt, wie er Monika helfen könne, den Weg zum Vater und in ein gesichertes Leben zurückzufinden. Seine Frau schläft ruhig neben ihm. Ein Schein des Glücks liegt auf ihrem schönen Antlitz, wenn seine Hand kosend über die rosige Wange fährt. Was soll er tun? Hilft er ihr damit, wenn er sie verläßt? Er glaubt nicht daran, darüber ist er sich klar geworden, nachdem der Aufruhr seines Herzens sich gelegt und einer ruhigeren Nüchternheit in der Beurteilung der Dinge Platz gemacht hat. Er sieht alles in einem anderen Licht. Und doch — was bleibt ihm anderes, als nur durch sein Verschwinden Monika zu ermöglichen, zum Leben in Sicherheit und Reichtum zurückzukehren? Er kann es jetzt, nachdem er weiß, daß ihr Vater sie zurückbittet, nicht mehr verantworten, daß sie im Elend weiterlebt. Wie oft hat er sich das schon gesagt, aber was hat er bisher dagegen unternommen? Er hat alles getan, um in seinem Beruf die Erfüllung zu finden, doch was ist ihm geblieben? Er muß davonlaufen und seine eigenen Wege gehen, wenn er nicht auch noch den Untergang seiner Frau auf dem Gewissen haben will. Während er so denkt, richtet er sich erregt von seinem Lager auf. Monika schmiegt sich an ihn. Selbst im Schlaf sucht sie seine Nähe. Hätte er nicht besser den Vorschlag seines Freundes befolgt und eine andere Arbeit angenommen? Doch wenn er in eine Fabrik geht, um zu arbeiten, das ist keine Lösung, kein Ziel, sondern nur eine jämmerliche, hilflose Flucht. Langsam versucht er, sich von seinem Lager zu erheben. Es
geschieht mit größter Vorsicht. Monika darf nichts bemerken. Er greift in die Tasche des Jacketts und zählt das Geld, das Emil Gronemann ihm zugesteckt hat. Damit kann er schon ziemlich weit kommen. Er wirft einen Blick auf die Uhr und zieht seine Kleidung über, immer wieder einen besorgten und schmerzlichen Blick auf seine Frau werfend. Dann hat er es geschafft. Er ist angekleidet und hat die nötigen Papiere in der Tasche. Am Fuße des Bettes stehend, betrachtet er Monika mit brennenden Augen. Er liebkost mit seinen Blicken ihr liebliches Antlitz. Dann murmeln seine Lippen leise: »Verzeih mir, mein Lieb! Was ich jetzt tue, geschieht nur um deinetwillen.« Ruckartig wendet er sich ab und verläßt das Haus. Es ist fünf Uhr morgens ... Außer Atem erreicht Reinhard den Bahnhof. Er setzt sich einen Augenblick auf eine Bank in der Halle, doch wie von einer inneren Unruhe getrieben, erhebt er sich und tritt an den Schalter. Die Frage des Beamten, wohin er fahren wolle, kann er nicht einmal direkt beantworten. Er muß erst einmal tief Atem holen, bevor er das Ungeheuerliche über seine Lippen bringt. Er nennt den Namen einer Stadt. »Na«, staunt der Beamte, »dann haben Sie ja noch eine schöne Reise vor sich.« Eine Weile überlegt Reinhard, er denkt an das wenige Geld. Er muß ja auch noch leben können. Und schnell sagt er: »Ach, bitte, ich habe mich geirrt.« Und er nennt den Namen einer anderen Stadt, die nicht allzu weit entfernt ist. Kopfschüttelnd blickt der Beamte an ihm herunter. Auf Reinhards Frage, wie er umsteigen müsse, um ans Ziel zu gelangen, gibt der Beamte die Erklärung. Reinhard holt einen Geldschein aus der Tasche und hält ihn dem Beamten hin. Er läßt sich die Fahrkarte aushändigen und setzt sich erneut auf
die Bank in der Halle. Seine Hände halten die kleine Karte fest umschlossen. Manchmal liest er den aufgedruckten Text. Jedesmal, wenn ihn so etwas wie Angst überfallen will, preßt er fest die Lippen aufeinander und denkt daran, daß es der einzige und beste Weg ist, den er gehen kann, wenn er Monika liebt. Dann endlich donnert der Zug heran. Mit Fauchen und Zischen kommt er zum Stehen. Reinhard schwingt sich als einer der letzten Fahrgäste beherzt auf das Trittbrett, und gleich darauf setzt sich der Zug wieder in Bewegung. Noch einmal wendet Reinhard den Blick zurück. Dann läßt er alles hinter sich, was er so geliebt... Zwei Tage und eine Nacht sind schon vergangen, ohne daß Reinhard zurückgekommen ist. In all der Zeit hat Monika kein Auge zugetan. Sie findet sich nicht mehr zurecht in all dem Schmerz und all der Enttäuschung, die über sie hereingebrochen sind. Sollte Reinhard wirklich für immer fortgegangen sein? Es erscheint ihr unglaublich. Sie kann es einfach nicht fassen. Widerspricht all das nicht vollkommen dem Bild, das sie von ihrem Mann in der ganzen Zeit gewonnen hat? Seine Worte in den letzten Stunden des Beisammenseins haben ihr zu denken gegeben, und sie weiß, daß er einen Weg sucht, um sie von ihm und damit ihrem Elend freizumachen. Aber was kann der Grund gewesen sein? Hat er etwa den Brief ...? Hastig durchstöbert sie die Papiere. — Er liegt noch auf seinem Platz. Sie nimmt ihn hoch, sieht ihn genau an, als suche sie irgendwelche Zeichen. Dann plötzlich sehen ihre Augen kleine, aufgekritzelte Worte: »Ich komme wieder — suche mich nicht, R.« formen ihre Lippen. Das also ist es! Er ist fortgegangen, um, wie sie es schon dachte, eine Rettung zu suchen. Mein Gott, was soll sie nur
tun? Hat sie einen Fehler gemacht, ihm die Ankunft des Schreibens zu verheimlichen? Sie hat doch nur vermeiden wollen, daß dieser Brief ihm noch mehr Schmerz verursachte, als er ohnehin schon zu ertragen hat. Beging sie wirklich ein Unrecht, als sie des Vaters Zeilen verschwieg? Der Freund ihres Mannes fällt ihr ein. Ob er etwas weiß? Vielleicht hat Reinhard sich ihm anvertraut? Wird es Zweck haben, wenn sie sich mit ihm in Verbindung setzt? Sie weiß nicht, was sie tun soll. Noch einmal geht sie mit sich selbst durch, was geschehen ist. Sollte sie doch etwas Schuld daran tragen, daß Reinhard fortgegangen ist? War sie nicht liebevoll genug zu ihm? Aber nein! Sie kann sich keinen Vorwurf machen, sie hat alles getan, um ihm das Leben ein wenig erträglicher zu machen. Sie schiebt diese Gedanken beiseite. Unruhig beginnt sie, im Zimmer auf und ab zu gehen. Hin und wieder bleibt sie stehen, legt die Hände an die schmerzenden Schläfen und schließt die Augen, die fast keine Tränen mehr haben. Sie hat nur für ihn gelebt in einer heißen, alles umfassenden Liebe. Sie war bereit, für ihn jedes Opfer zu bringen, alles auf sich zu nehmen, was man nur erdenken kann. Nun aber hat er sie verlassen. Soll sie den Vater um Rat bitten? Nein, keiner darf etwas erfahren. Niemand soll die Wahrheit wissen, solange es sich noch verheimlichen läßt. Doch auch die Durchführung dieses Gedankens ist unmöglich. Ihre Mittel sind aufgebraucht, wie soll sie weiterleben? Arbeiten? Gewiß, das scheint ein Ausweg zu sein, aber wie soll sie in dieser Verfassung, in solch einer Herzensnot arbeiten können? Sie steht vor einem gähnenden Abgrund, in den sie jeden Augenblick hineinzustürzen droht...
Es bleibt nur eine Möglichkeit, und diese steht fest: sie muß ihn suchen. Sie darf nicht eher ruhen, bis sie ihn wieder in ihren Armen hält. Aber wie soll sie seinen Aufenthalt ausfindig machen? Wenn er in eine weit entfernte Gegend abgereist ist? Nur, wovon? Wie hätte er eine weite Reise bezahlen können? Sie muß versuchen, irgendwelche Anhaltspunkte zu finden, wohin er sich in seiner Not gewandt haben kann. Vielleicht kann sich der Beamte des Bahnhofes an Reinhard erinnern? Vielleicht aber hat er zu Emil Gronemann irgendeine Äußerung getan, die einen Hinweis gibt? Doch all ihre Fragen, all ihre Nachforschungen bleiben ergebnislos. Niemand weiß etwas, niemand hat ihn gesehen ... Reinhard von Breiten hat endlich eine Arbeit gefunden. Er verdingt sich in einer kleinen Bar als Pianist. Der Lohn ist kärglich. Und diese Beschäftigung war niemals sein Ziel. Wie anders hat er sich sein Leben vorgestellt. Warum ist er eigentlich nicht nach Haus zu seiner Mutter zurückgekehrt? Wie lange schon hat er nichts mehr von ihr gehört? Ob alles noch beim alten ist? Wie und wer mag das Gut verwalten? Langsam gleiten seine Finger über die Tasten. Es ist eine solch grenzenlose Leere in ihm, daß er am liebsten sterben möchte. Selbst der Gedanke an Monika, an ihr ungewisses Schicksal, vermag seine Lebensgeister nicht aufzurütteln. Während der über die Trostlosigkeit seiner Lage nachdenkt, kommt Simone Monta, das Barmädchen, und reißt ihn aus seinem fruchtlosen Grübeln. »Was ist mit dir, Reini? Hast du wieder deine sentimentale Tour?« fragt sie lächelnd. Reinhard sieht auf die spärlich bekleidete Frau an seiner Seite. Hübsch ist sie, denkt er, und gut gewachsen, warum muß sie in solch einem Milieu arbeiten? Schwarze Haare, dunkle
Augen — alles besitzt sie, was einen Mann begeistern kann. Gibt es keinen anderen Platz für sie als diesen hier? »Du! Ich habe dich etwas gefragt«, sagt sie noch einmal ein wenig unwillig. »Ach ja, wie war die Frage, Simone?« »Also — das ist doch... Ich sagte, ob du wieder einmal deine sentimentale Tour hast. Du kannst so heiter sein, Reini, warum verschanzt du dich hinter Trübsinn und Nachdenklichkeit? Ist es wegen einer Frau?« »Kann schon sein!« sagt Reinhard mit einem matten Lächeln, um sogleich wieder in sein dumpfes Schweigen zurückzufallen. Ein guter Gast, mit dem sich Reinhard inzwischen ein wenig angefreundet hat, gesellt sich zu den beiden. Plötzlich geschieht etwas Merkwürdiges. Reinhard springt unvermittelt von seinem Hocker auf. Die Notenblätter fallen zur Erde. Er rennt hinter einer jungen Frau her, die in einiger Entfernung vorübergegangen ist. Simone hebt die Blätter auf und legt sie auf ihren Platz zurück, dann schaut sie mit offenem Mund hinter Reinhard her. »Was hat er denn?« fragt sie den neben ihr stehenden Mann. »Keine Ahnung! Vielleicht hat er in jener Frau irgendeiner Bekannte gesehen.« Schon kommt Reinhard zurück. Er scheint der Verzweiflung nahe. Sein Gesicht zeigt einen enttäuschten Ausdruck. Aufstöhnend läßt er sich auf den Hocker fallen, und seine Hand bedeckt die brennenden Augen. Die Bar ist kaum besetzt, so ist es niemandem aufgefallen, was sich soeben ereignete. »Ich habe mich geirrt!« murmelt er, während er sich aufrichtet. »Sie war es nicht. Ich hätte es mir denken können, aber sie hatte denselben Gang, die gleiche Haltung, das gleiche Haar.« Simone und der Gast blicken einander verständnisinnig an. Das also ist der Grund seiner immerwährenden Bedrücktheit
und Traurigkeit. Eine Frau! So hat sie doch von Anfang an richtig vermutet, sagt sich Simone. Doch fragt sie ihn in diesem Augenblick nicht. Sie wendet sich ab, den Gast mit sich ziehend. Sie weiß, daß es besser sein wird, wenn sie ihn jetzt allein mit seinen Gedanken läßt. Es war also eine Frau in dem Leben Reinhard von Breitens, das weiß sie nun schon. Sie muß noch mehr darüber erfahren, sagt sie sich an diesem Abend, und sie wird es erfahren, das weiß sie in diesem Augenblick sicher. Wenn sie es geschickt anstellt, wird er nach und nach aus sich herausgehen, auch wenn er es nicht will. Sie weiß, wie man einen Mann zu nehmen hat. Irgendwie tut er ihr plötzlich leid. Wie und durch wen wird sie etwas über Reinhard von Breiten erfahren können? Wer kann etwas über ihn wissen, wenn er nicht selbst darüber sprechen will? Sie mag ihn, den Mann, der Abend für Abend am Klavier sitzt und seine Melodien spielt. Aber sie muß vorsichtig sein. Lange überlegt sie, wie sie seine Zuneigung erringen kann. Sie hat festgestellt, daß Reinhard nicht der Mann ist, der auf die Frauen fliegt, nein, ganz und gar nicht. Im Gegenteil, es scheint, als vermeide er es, einer Frau überhaupt nahezukommen. Unwillkürlich schaut sie auf den Mann, mit dem sich ihre Gedanken nun schon eine ganze Weile beschäftigen. Sie blickt ihm gerade in den Augen. Doch Reinhard von Breiten senkt seinen Blick. Es ist schon spät, als der Pianist an diesem Abend Schluß machen kann. Die Gäste haben sich nach und nach verloren, und so hat man hinter dem letzten gerade die Tür geschlossen. Reinhard klappt den Deckel des Flügels herunter und ordnet die Notenblätter, als Simone auf ihn zutritt: »Wirst du noch ein wenig mit mir und Felix Normen zusammenbleiben, Reini?« fragt sie ein wenig zögernd. Reinhard wirft einen kurzen Blick auf das Barmädchen. Er ist
noch unschlüssig. »Es wird gewiß spät werden, Simone.« »Nein, nein«, versichert sie eifrig, »höchstens eine halbe Stunde, nicht länger. Bitte, Reini, komm doch ein wenig mit.« Sie schaut ihn mit ihren Mandelaugen so bittend an, daß Reinhard im Augenblick nicht weiß, wie er es anstellen soll, ihre Bitte abzuschlagen. So sagt er zu. Gemeinsam gehen Simone und Reinhard in ein angrenzendes Nachtlokal, das bis zum Morgen geöffnet hat. Beim Eintritt erhebt sich Felix Normen, der schon auf beide gewartet hat. Reinhard schaut sich um. Das Lokal, das er heute zum erstenmal betritt, ist äußerst elegant. Die Atmosphäre ist behaglich. Es ist ein auserwähltes Publikum, das den Darbietungen zuschaut. Nachdem Reinhard und Simone Platz genommen haben, entwickelt sich ein heiteres Gespräch zwischen den drei Menschen, und als Simone zu einem Tanz aufgefordert wird, flüstert Normen seinem Nachbarn zu: »Schauen Sie einmal dort drüben hin, Herr von Breiten, sehen Sie die Dame im weißen Nerz?« Breiten wirft einen flüchtigen Blick auf die Frau, die mit geröteten Wangen zwischen zwei Herren sitzt und die brennende Zigarette zwischen ihren schlanken Fingern betrachtet. »Nein, ich kenne diese Dame nicht, Herr Normen. Ich glaube, ich habe sie auch noch niemals gesehen.« »Das ist wohl möglich, Herr von Breiten, denn diese Frau — es ist meine Schwester — befindet sich erst seit wenigen Tagen hier. Sie lebt in der neuen Welt, jenseits des Ozeans, bei meinem Bruder. Mir geht es nicht schlecht, ich meine, ich lebe gut und habe auch ein einigermaßen Auskommen. Aber mein Bruder hat es weit besser getroffen. Sein Schwiegervater besitzt bedeutende Baumwollplantagen und Fabriken.«
Wieder geht Reinhards Blick zu jener Frau. »Bitten Sie doch Ihre Schwester zu einem Glas Sekt an unseren Tisch, Herr Normen.« »Das ist eine Idee«, ruft er aus. Dann schaut er sich nach dem anderen Tisch um und steht auf. Reinhard beobachtet den Mann, der nun vor seiner Schwester steht. Die Frau blickt ihn fragend an. Er glaubt plötzlich, doch dieses liebliche Gesicht schon einmal gesehen zu haben, aber es ist nicht möglich, das weiß er jetzt genau. Vorhin erschien sie ihm vollkommen fremd. Man täuscht sich wohl oft im Leben. Doch als er noch einmal ganz genau hinsieht, stellt er fest, daß es etwas Bestimmtes mit ihr auf sich haben muß. Die Stirn, die Gesichtsform, der Mund... An wen hat ihn denn diese Frau erinnert? An Monika? Gar kein Vergleich! Ganz anders ist Monika, alles an ihr ist edler, vollkommener ... Sie ist aufgestanden. Die Hand auf den Arm des Bruders gelegt, schreitet sie durch das Lokal. Alle Leute sehen sie an. Ihre Erscheinung ist auffallend. Reinhard betrachtet alles an ihr. Er sieht auch, wie sie die Blicke der anderen erwidert. Sie provoziert einen, denkt er, so, daß man sie weiter anblicken muß. Jetzt kommen sie zwischen den Tischen hindurch. Sie hat ihren Arm ganz durch den Arm des Mannes geschoben. Man sollte nicht glauben, daß sie Geschwister sind. »Darf ich bekannt machen«, sagt Normen. Elegant ist sie, denkt Reinhard wiederum. Die ganze Erscheinung wirkt vornehm. Um die entblößten Schultern hat sie eine Nerzstola geschlungen, sie bedeckt auch den schlanken, weißen Hals. »Oh, ich freue mich sehr, ich habe eben gerade zu Ihrem Bruder gesagt, welch reizende Schwester er hat.« Galant küßt Reinhard die Hand der Frau. Er schämt sich plötzlich ihr gegenüber, denn er glaubt, einen prüfenden Blick
der Frau aufgefangen zu haben, der seiner Garderobe gilt. Einen Augenblick scheint sie nachzudenken, ob sie sich niedersetzen soll oder nicht. Doch dann läßt sie sich ruhig und ungezwungen nieder und greift nach dem dargebotenen Sektglas. »Ich kann leider jetzt nur für einen Augenblick bleiben. Ein paar Freunde erwarten mich bald zurück, aber ein wenig später bin ich nicht abgeneigt, Ihnen und meinem Bruder Gesellschaft zu leisten«, sagt sie, als suche sie eine Gelegenheit, schnell wieder fortzukommen und gleichzeitig eine Entschuldigung zu haben. »Oh, sehr lieb von Ihnen. Ich freue mich jetzt schon auf Ihre Rückkehr«, versucht Reinhard zu versichern. »Kommen Sie wirklich zurück?« »Ganz gewiß, ich verspreche es Ihnen. Meine Freunde haben ohnehin nicht lange Zeit, sie reisen am frühen Morgen nach Frankreich, und Sie wissen ja, die Nacht ist nur noch kurz«, antwortet die junge Frau, indem sie sich auch schon erhebt. Reinhard steht ebenfalls auf und wartet, bis sie den Tisch verlassen hat. Noch einmal ruft er sich ihr Antlitz ins Gedächtnis. Hat es nicht doch ein wenig Ähnlichkeit mit Monika? Und all das andere, die schmalen Schultern, die überschlanke Gestalt... Nur ihr Haar ist anders. Ich muß mir ihre Hände später einmal genauer ansehen. Er blickt auf die tanzenden Paare. »Wie hübsch Ihre Schwester ist, Herr Normen!« »Ja«, antwortet der Angesprochene. »Ich war allerdings eine ganze Zeitlang böse auf meine Schwester. Ich kann mich nicht damit aussöhnen, daß sie mich damals verließ.« Reinhard kann nicht umhin, über diese Worte zu lächeln. »Dann war es Ihnen nicht recht, daß sie fortging?« »Nein, ganz und gar nicht! Aber was will man schon machen? Kurzentschlossen setzte sie mich damals vor die
vollendete Tatsache, und nichts mehr konnte ihren Entschluß ändern.« »Wie lange bleibt Ihre Schwester hier in Deutschland?« »Soviel ich weiß, drei Monate, aber Sie wissen ja selbst, eine Frau ist unberechenbar.« Dann kommt Ilona Normen zurück. Mit einem kleinen Seufzer läßt sie sich in einen der breiten Sessel fallen. Von Breiten ist nicht einmal so sehr erfreut darüber, daß sie ihre Worte wahr machte. Viel lieber wäre es ihm gewesen, er könnte sich in seine kleine Kammer zurückziehen. Das Geld ist ohnehin rar, und Simone Monta ist selten am Tisch, sie hat Tänzer genug, die sie immer wieder auffordern. Kaum ist Ilona Normen am Tisch, nimmt sie das Sektglas in die Hand. Jetzt hat Reinhard Gelegenheit, ihre Hände zu betrachten. Sie sind feingliedrig und lang. »Sagen Sie, musizieren Sie etwa?« Gewiß wird sie sagen, sie spiele Klavier, denkt Reinhard. »Nein, leider nicht«, antwortet sie. »Ich habe zwar mal angefangen, Klavierspielen zu lernen. Mein Gehör ist ziemlich gut. Aber es hat sich herausgestellt, daß ich im übrigen absolut nicht für dieses Instrument begabt bin, also habe ich es ganz einfach aufgegeben. Aber — Sie, Herr von Breiten, Sie spielen wunderbar.« »Na, na, bitte nicht übertreiben. Übrigens, haben Sie mich schon spielen gehört?« »Ja, ja, in der Bar.« »Ach so!« Als Simone Monta zurückkommt, wundert sich Reinhard, wie herzlich sich die beiden Frauen begrüßen. Sie kennen sich also auch schon, denkt er, also muß Ilona Normen schon in der Bar gewesen sein.
Die vier Menschen sitzen beisammen und plaudern munter. Felix Normen läßt immer neuen Champagner servieren. Er tut es im Auftrag seiner Schwester, das hat Reinhard schon herausgefunden. Das Orchester spielt zum Tanz auf. Reinhard erhebt sich und verbeugt sich vor Ilona. »Darf ich bitten?« Sie neigt kurz den Kopf und steht auf. Hintereinander gehen sie auf das Parkett. Ilona Normen wendet das Gesicht etwas zur Seite, hält es ganz nahe vor seinen Kopf. Er spürt den Duft ihres Haares. Der schmale Körper schmiegt sich an ihn. Ihre Hände fühlen sich kühl an. Ihr Schritt folgt wie der Schatten dem seinen im langsamen Rhythmus des Tanzes. Ich müßte etwas sagen, denkt Reinhard, um nicht immerzu zu schweigen. Irgend etwas, daß gutes Wetter ist, wie wunderbar der Abend ist, oder — daß sie irgendeiner Frau ähnlich sieht, daß sie gut tanzt... Doch er bringt nichts über die Lippen und Ilona Normen schweigt auch. Nur die Musik beherrscht die Bar mit der weinenden Melodie des Saxophons, dem dumpfen Klopfen der Trommeln, den bröckelnden Akkorden des Klaviers. Als die beiden an den Tisch zurückkommen, hat sich Simone Monta schon erhoben. Sie möchte nach Hause. Ganz kurz fliegt ihr Blick zu Reinhard von Breiten, der aber von Ilona immer wieder in ein Gespräch gezogen wird. »Du willst schon gehen, Simone?« fragt er, ein wenig erstaunt aufsehend. »Wir hatten ausgemacht, eine halbe Stunde, mein Lieber, und was ist schon daraus geworden?« Unschlüssig steht Reinhard da. »Ich begleite dich natürlich, Simone.« In diesem Augenblick erhebt sich Felix Normen. »Wenn Sie meiner Schwester einstweilen Gesellschaft
leisten, Herr von Breiten, würde es mir zur Ehre gereichen, Fräulein Monta nach Hause zu begleiten.« Simone und Reinhard tauschen einen kurzen Blick. Ganz leicht hebt von Breiten die Schultern, als wolle er ihr zu verstehen geben, daß er leider daran nichts ändern könne. Dann wirft Simone den Kopf ein wenig in den Nacken und verläßt mit Felix Normen das Lokal. Reinhard möchte ebenfalls gehen, aber es scheint Ilona Normen eine Selbstverständlichkeit zu sein, daß er bleibt. Wie soll er sie noch aushalten können mit seinen paar Pfennigen? Ihre Stimme reißt ihn aus seinen Gedanken. »Und was tun wir jetzt?« fragt sie, als sei das Zusammensein etwas Unabänderliches. »Ich füge mich Ihren Wünschen«, sagt er, nur um etwas zu sprechen. »Bleiben wir noch ein wenig, nicht wahr?« Reinhards Gedanken gehen zu Monika. Sie wird jetzt in tiefem Schlaf liegen, oder aber sie liegt wachend und nachdenkend in ihrem Bett, während er... ja, er — er sitzt neben einer anderen Frau, die ihm im Grunde nichts, aber auch gar nichts bedeutet. »Sie haben mir nicht geantwortet, Herr von Breiten«, sagt sie noch einmal. »Selbstverständlich bleiben wir, wenn es Ihr Wunsch ist«, sagt er ein wenig gezwungen. Er ist ratlos, wie soll er sich nur aus dieser Affäre ziehen? Doch sie enthebt ihn seiner Sorge, indem sie sagt: »Ich möchte gern, Herr von Breiten, daß Sie heute für den Rest unseres Zusammenseins mein Gast sind.« »Aber Fräulein Normen! Das kann ich doch nicht annehmen!« »Gewiß können Sie! Natürlich läßt sich ein Mann nicht gern von einer Dame freihalten, aber machen wir doch heute einmal
eine Ausnahme. Ich möchte gern, daß wir noch ein Weilchen beieinander bleiben, und dann muß ich doch auch die Konsequenz ziehen, nicht wahr?« »Das soll nicht heißen, Fräulein Normen, daß ich nur aus diesem Grunde noch eine heitere Stunde mit Ihnen verlebe. Nein, das nicht!« »Ist schon gut, Herr von Breiten. Beenden wir das Thema. Sie nehmen einmal ausnahmsweise an, ja?« Schon bringt der Kellner eine neue, gut gekühlte Flasche Champagner. Bald schon sind sie in ein Gespräch vertieft. Die Wirkung des Alkohols tut ein übriges dazu, daß sie immer offener, immer freier miteinander sprechen. »Sie sind eine reiche Frau, Fräulein Normen. Ich kann mir nicht denken, daß Sie jemals Not leiden mußten.« »Und Sie, Herr von Breiten? Wie ist es mit Ihnen?« Reinhard schweigt auf ihre Frage. »Wo wohnen Sie eigentlich?« dringt sie plötzlich in ihn. »Ich flehe Sie an, fragen Sie nicht danach. Früher war ich einmal der angesehene Sohn eines Gutsbesitzers, und heute? — Ich habe nichts mehr — gar nichts! Warum sitzen Sie eigentlich noch neben mir? Einem Mann, der in einer kleinen Bar auf dem Piano herumklimpert — ja klimpert, habe ich gesagt, oder was glauben Sie, wie man es sonst nennen könnte?« »Sehen Sie, das war auch der Grund, warum ich Sie vorhin fragte, wo Sie wohnen. Ich hätte Sie gern einmal besucht, aus einem bestimmten Grund. Aber Sie haben mir nicht geantwortet und haben auch ganz gewiß die Absicht, mir die Antwort zu verweigern. Dabei hätte ich Ihnen so gern geholfen.« »Mir kann niemand helfen — am allerwenigsten Sie!« antwortet er hart. »Aber Herr von Breiten, ich wollte Sie nicht verletzen.«
»Ich finde es rührend, wie sehr Sie sich um mich sorgen, und glaube, daß Sie gewiß eine Ausnahme unter den Frauen sind. Aber Sie würden Ihre Fürsorge an ein untaugliches Objekt verschwenden.« »Nicht ganz so untauglich, wie Sie glauben.« »Ich weiß, Sie meinen es ernst mit Ihren Worten, Fräulein Normen. Aber ich kann Ihre Hilfe nicht in Anspruch nehmen, selbst wenn es Ihnen ein leichtes ist. Denn ich sehe und ich weiß, daß Sie sehr wohlhabend sind. Außerdem, ich bin verheiratet. Das wußten Sie nicht, oder?« »Sie sind verheiratet...? Zu interessant! Doch... offenbar nicht gut verheiratet, wenn ich die Sache richtig sehe.« »Ich lebe von meiner Frau getrennt!« »Nein, wie sich das alles fügt«, ruft sie mit einem zauberhaften Lächeln aus. »Jetzt lasse ich Sie erst recht nicht mehr frei. Jetzt sind Sie richtig interessant für mich.« Wie eine Klette hängt Ilona Normen sich plötzlich an Reinhard. Er wehrt sich nicht. Es ist ein seltsames Gefühl für ihn, eine Frau neben sich zu haben, die sich für ihn begeistert. »Es wird besser sein, Fräulein Normen, die ganze Sache nicht auf die Spitze zu treiben. Sie bringen mich zur Verzweiflung mit Ihrem Wohlwollen, und ein Mann ist zu allem fähig, wenn er verzweifelt ist.« »Gar nicht so schlecht, Herr von Breiten. Lassen wir es doch einmal auf einen Versuch ankommen.« Dann legt Reinhard seinen Arm um die Schultern der Frau. Bei dieser Bewegung rutscht die Stola herunter und gibt den weißen schlanken Hals frei. Plötzlich stößt Reinhard die Frau von sich. Sein Blick ist starr auf den Hals gerichtet. In seinen Augen flammt etwas auf, das unbeschreiblich ist. Eine Melodie geht durch seinen Sinn! Eine Perle — tausend Tränen ... Ein zartes Frauengesicht taucht vor ihm auf.
»Wie kommen Sie an diese Perle?« fragt er, immer noch auf die schwarze Perle starrend, die auf der weißen Haut ruht. »Welche Perle?« fragt sie. »Ach die ... Gefällt sie Ihnen? Ich schenke sie Ihnen! Sie ist sowieso wertloser Plunder.« »Wertloser Plunder?« fragt er in drohendem Ton. Alles wirbelt in seinem Kopf durcheinander. Die schwarze Perle, mein Gott! Er streicht sich über die schweißbedeckte Stirn. »Wie ist das denn nun mit dem Kuß, ich warte!« flüstert Ilona ihm zu. »Was hat so eine dumme schwarze Perle schon zu sagen?« Reinhard glaubt, den Verstand verlieren zu müssen. Eine Perle — tausend Tränen... Plötzlich greift er nach dem Hals der Frau, nimmt das Kettchen zwischen die Finger und reißt es mit einem Ruck entzwei. Er erhebt sich, sekundenlang ruht die Perle in seiner Hand, dann läßt er sie zu Boden gleiten. Langsam ganz langsam sind seine Bewegungen. Er schiebt den Fuß vor und zertritt sie mit knirschendem Geräusch. Dann streckt sich seine Gestalt. Mit kaltem Blick mustert er die Frau, die wie erstarrt in ihrem Sessel sitzt. Drohend und doch gedämpft klingt seine Stimme, als er sagt: »Ich bin ein armer Schlucker, ich weiß es. Aber kaufen lasse ich mich nicht von einer Frau, wie Sie es sind. Reichtum zieht bei mir nicht, Fräulein Normen, ganz und gar nicht. Etwas, was mir heilig war, ließ mich zu dieser Erkenntnis kommen. Gottlob bin ich nicht in Ihre Fänge geraten.« Ohne die Frau noch eines Blickes zu würdigen, verläßt er das Lokal. Teils erstaunte, teils verächtliche Blicke folgen ihm ... »Monika!« ruft Werner Deiters aus, als seine Tochter plötzlich in der weitgeöffneten Flügeltür steht. »Mein liebes Kind, wie siehst du aus? Verstört, leidend, gequält! Komm her zu mir, geliebte Tochter.« Willenlos dem Ruf des Vaters gehorchend, tritt Monika
näher. Sie birgt ihr Gesicht an seiner Schulter. »Du brauchst nicht zu weinen! Ich habe dich zu mir gebeten, und du bist gekommen.« »Das ist es nicht, Vater, warum ich hier vor dir stehe.« Herr Deiters weiß nichts von Monikas Nöten, von ihrer Qual, von all ihren schlaflosen Nächten. Er glaubt, sie habe sich aufgrund seines Briefes von dem verhaßten Schwiegersohn getrennt. »Bitte, mein Kind, schweig von allem, was geschehen ist. Es hat keinen Sinn, noch einmal an die Ereignisse zu rühren. Es war alles so furchtbar. Weiß der Himmel, was du dir bei all dem gedacht hast. Nicht allein, daß du ohne irgendwelche Nachricht fortgingst, nein, auch daß du heiratetest!« »Ich hätte alles darum gegeben, Vater, wenn ich dir deinen Kummer hätte ersparen können. Doch um dir das zu sagen, bin ich nicht gekommen, aus diesem Grund stehe ich nicht vor dir!« »Ich weiß nicht, wovon du sprichst, Monika!« »Vater, wir meinen beide zwei verschiedene Dinge. Du glaubst, ich sei zu dir zurückgekommen, weil du mich gerufen hast. Nein, Vater, da muß ich dich leider enttäuschen. Etwas anderes ist geschehen, denn ich hätte meinen Mann niemals allein gelassen.« Werner Deiters sieht seine Tochter verständnislos an. Sie hebt ihren Kopf. Der Strom der Tränen, der aus ihren Augen rinnt, will nicht versiegen. »Wenn du nicht zurückgekehrt bist, weil ich dich darum bat, Monika, was hat dich denn hierhergeführt?« Einen Augenblick herrscht Stille, die nur durch das Ticken der kleinen Rokokouhr unterbrochen wird. Dann plötzlich bricht alles aus Monika heraus. Mit zitternder Stimme erzählt sie die Tragik ihres Schicksals. Vater Deiters hört all ihren Ausführungen zu, ohne sie auch nur einmal zu unterbrechen.
Als sie alles berichtet hat, wartet sie gespannt darauf, wie sich der Vater äußern würde. Doch nichts geschieht. Er hüllt sich in Schweigen. Verzweifelt denkt Monika daran, was den Vater bewegt, daß er nicht ein Wort der Entgegnung sagt. Wenn sie zum Vater Zurückgegangen ist, dann nur deshalb, um ihn um seinen Beistand zu bitten, nicht um finanzielle Hilfe von ihm zu fordern. Sie braucht seinen Rat, denn sie weiß nicht mehr, was sie tun soll. Sie ist sich darüber klar geworden, daß sie Reinhard nicht hilflos, mittellos, der Willkür der Menschen überlassen darf. Aber was kann sie tun? Ist nicht alles um sie her zusammengebrochen? Sie ist in ihrer Verwirrung nicht mehr imstande, ihre Gedanken zu ordnen und Für und Wider gegeneinander abzuwägen. Soll denn alles wirklich vorbei sein? Sie ist geflohen ... sie hat das kleine Nest verlassen, in dem sie mit Reinhard trotz aller Not und allem Elend glücklich war. Was geschieht, wenn er den Weg zurückfindet? Was wird er dann ohne sie, ohne ihre Hilfe und ohne die wohltuenden Zusprüche anfangen? Doch er war nicht da, lange genug hat sie auf ihn gewartet. Er wird nicht kommen, sie fühlt es. Verzweifelt ringt sie die Hände. »Vater...! Hast du mir denn nichts zu sagen?« fragt sie mit zitternder Stimme. Deiters blickt auf seine Tochter und zuckt die Schultern. Er hat ein paarmal verstohlen zu seiner Tochter geschaut, sie aber sitzt gebeugt und starrt ins Leere. »Das alles«, beginnt er langsam und in ruhigem Ton, »ist eine unangenehme Überraschung für mich. Und trotzdem, ich habe es immer geahnt, daß du eines Tages reumütig zurückkommst. Ich will dich nicht verurteilen, Monika, aber du
siehst, nichts bleibt ungesühnt auf der Welt.« »Vater, ich bin nicht reumütig zurückgekehrt! Ich wäre niemals gekommen, wenn ich nicht so maßlos verzweifelt wäre. Ich muß meinen Mann wiederfinden. Aber ich allein kann nichts ausrichten. Du kannst mir dabei helfen. Nur so ist es möglich, ihn zu finden. Ich weiß ganz genau, daß er irgendwo in einer Gegend umherirrt, müde, sich vor Sehnsucht nach mir verzehrend, ohne sich zu mir zurückzuwagen.« »Das verlangst du von mir? Ausgerechnet von mir verlangst du Hilfe? Hast du vergessen, daß es niemals mein Wille war, daß du diesen Mann heiratetest? Was, glaubst du, wird geschehen, wenn ich einmal Gelegenheit haben sollte, ihm, der dem Gesetz nach mein Schwiegersohn genannt wird, gegenüberzustehen? Soll ich es dir sagen? Ich fürchte, daß mich der Jähzorn dermaßen überwältigen könnte, daß ich meiner Sinne nicht mehr Herr wäre.« »Vater, so darfst du nicht sprechen, du kennst seinen wahren Charakter nicht. Er ist nicht so, wie du glaubst.« Herr Deiters zuckt die Schultern. Er unterläßt die weiteren Anklagen, die sich auf seine Lippen drängen. »Du, Monika, bist das Werkzeug seines Willens gewesen. Auf seine Art war es recht sinnvoll und klug, doch dich, dich kann ich nicht begreifen.« »Er hat so um sein Ziel gekämpft, Vater. Doch alle Wege, die er einschlug, waren verkehrt. Er hat an die Kraft und an seine Berufung geglaubt und daran, daß die Welt seinen Willen und seinen Mut zur Erreichung des gesetzten Zieles anerkennen würde. Das allein war sein großer Irrtum, Vater!« »Das sind alles vage Entschuldigungen, Monika, du redest an dem Kern der Sache vorbei. Die Tatsache ist doch, daß du jetzt von ihm, dem du folgtest und dessen Frau du wurdest, schmählich betrogen bist. — Glaubst du vielleicht, daß das unserem Ansehen Ruhm verschafft?«
»Auf seine Art hat er es gut gemeint. Die Schicksalsschläge haben ihm mehr zugesetzt, als er es sich nach außen hin anmerken ließ. Und dann hat er geglaubt, mit seinem Verschwinden alles wiedergutzumachen. Er wollte im Grunde genommen nur mir den Weg zu dir zurück frei machen.« Vater Deiters hebt den Kopf. »Und darum allein ist er fortgegangen, nicht wahr? Ja, um des Himmels willen, weshalb bist du denn seine Frau geworden? Nur um nach ein paar glücklich verlebten Monaten allein und verlassen zurückzubleiben? Ich weiß ja nicht, was eigentlich der wahre Grund ist, aber...« »Vater, alles, was ich dir sagte, ist die Wahrheit.« Monika beginnt noch einmal, sich all ihre Sorgen von der Seele zu sprechen. Deiters Stirn legt sich in schwere Falten. »Unbegreiflich«, wettert der Mann plötzlich los, »da hast du nun alles nur Menschenmögliche getan, für nichts und wieder nichts. Und dieser Ludrian fand es ganz in Ordnung so. Er lebt nach seinem Prinzip, solange es sich eben machen läßt. Und wenn alles sinnlos ist, geht er seiner Wege, und seine Frau kann zusehen, wie sie dann mit ihrem verpfuschten Leben fertig wird.« Monika merkt den eigenartigen Ton in der Stimme des Vaters. Sie kennt ihn, sie weiß genau, wenn er so spricht, dann ist es halb so schlimm. Langsam erhebt sie sich, geht auf den Vater zu und legt den Arm um seine Schulter. »Vater, kannst du mich denn nicht verstehen? Ich liebe Reinhard und bin aus dieser großen Liebe heraus seine Frau geworden. Und er? Eben seine Liebe, die er zu mir empfindet, hat ihn den schweren Schritt gehen lassen. Er wollte mich nicht mehr an sich und an das erbärmliche Leben fesseln. Vater, bitte, hilf mir, ich flehe dich an, hilf mir!« Plötzlich verschwinden die Falten auf der Stirn des Mannes.
Beim Anblick seines verzweifelten Kindes schmilzt plötzlich all der Zorn wie Eis dahin. »Und... wie denkst du dir meine Hilfe?« fragt er schon im weitaus sanfteren Ton. »Du mußt versuchen, ihn ausfindig zu machen, und dann, Vater, sollst du nur gut zu ihm sein.« Noch einen Augenblick zögert der Mann. Dann hebt er den Blick. Lange und prüfend schaut er auf seine einzige Tochter, der es ist, als dringe sein Blick bis auf den Grund ihrer Seele. »Wenn deine Liebe zu diesem Mann so unerschütterlich ist, Monika, dann kann ich nicht umhin, mich mit dir um ihn zu kümmern. Obgleich... ich nicht von ihm begeistert bin.« »Vater!« Weinend und lachend zugleich springt sie auf, leichtfüßig, schmal und schlank mutet sie in diesem Augenblick an wie ein Reh. Vor Freude ist das feine Antlitz leicht gerötet. »Du willst mir helfen, Vater? Oh, wie danke ich dir! Wenn du auch jetzt noch nicht davon überzeugt bist, welch wertvoller Mensch er ist, aber es wird die Zeit kommen, wo du meine Worte bestätigen wirst. Ich weiß es, ich fühle es, daß sich jetzt alles zum Guten wendet. O mein Gott — wie glücklich bin ich, daß ich diesen Weg gegangen bin. Ich wußte es, ich wußte es ganz genau, daß du mich niemals meinem Schicksal überlassen würdest, lieber Vater!« Deiters schließt seine Tochter in die Arme. Feucht steigt es in seinen Augen auf. Wenn er es auch nicht wahrhaben will, so greift es doch plötzlich mit eiskalten Fingern an sein Herz, daß er einst gewillt war, sein einziges Kind zu verstoßen... »Was gibt es da zu lachen?« schreit der Inhaber der kleinen Bar, in der Reinhard weiterhin Abend für Abend seine Melodien spielt, Simone Monta an. Er schlägt mit der Faust auf den Tisch, an dem er gerade steht. »Es scheint mir, gerade Sie sollten von dem Drama, das
dieser Breiten verursacht hat, gar nicht so befriedigt sein. Es ist nur gut, daß es sich nicht in meinem Lokal abgespielt hat! Trotzdem, Normen ist einer unserer besten Gäste, und es handelt sich schließlich um seine Schwester. Breiten soll nur gleich kommen, er wird schon sehen, was er dabei gewonnen hat!« »Es ist nicht seine Schuld, wenn diese Frau, die glaubt, alles mit ihrem Reichtum erkaufen zu können, sich anständigen Menschen, wie Breiten einer ist, an den Hals wirft.« »Was geht Sie das an? Kümmern Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten!« erwidert er brutal. »Sie können Breiten jetzt nicht fortschicken«, sagt sie mutig. »Sie wissen, daß er von dieser Anstellung abhängig ist.« »Dann soll er seine Hände bei sich behalten und sich nicht an Gegenständen vergreifen, die ihm nicht gehören.« »Sie hat ihn schließlich dazu gebracht.« »Sieh mal einer an!« schreit der Barbesitzer. »Glauben Sie etwa noch obendrein, besser als die anderen zu sein?« »Ich bin nicht besser als andere anständige Frauen«, antwortet Simone Monta ruhig. »Ich kann nicht verstehen, Fräulein Simone, daß Sie Breiten so verteidigen«, sagt er mit hintergründigem Lächeln. »Bedeutet er Ihnen etwas? Ilona Normen hat Ihnen wohl ins Handwerk gepfuscht, wie?« Simone erbleicht, dann schießt ihr Zornesröte ins Gesicht. »Ich verbiete Ihnen, mich zu beleidigen!« ruft sie leidenschaftlich aus. »Schweigen Sie, mir scheint, Sie nehmen sich zuviel Freiheiten mit dem heraus, dessen Brot Sie essen! Geben Sie gut acht, was Sie tun, und denken Sie daran, daß ich auch Sie jederzeit wie einen Hund vor die Tür jagen kann.« Simone richtet sich wütend vor ihm auf. »Und wenn schon, was habe ich verloren? Sie haben mich verleitet, dieses Leben zu führen! Und ich bin darauf
reingefallen, denn ich habe damals bei Gott nicht gewußt, was dieses Leben bedeutet.« »Aber es ist Ihnen doch scheinbar gut gegangen, sonst wären Sie sicherlich nicht geblieben. Ich lege Ihnen keinen Stein in den Weg. Wenn Sie gehen wollen, bitte, packen Sie gleich Ihre Koffer und wandern Sie mit Breiten los!« Simone erblaßt bis in die Lippen. Wäre es möglich, daß er seine Worte wahr macht? Sie denkt plötzlich daran, daß sie ohne Arbeit $ bleiben könnte, und das kann sie sich nicht leisten. Ihre Ersparnisse sind nicht groß. Diese Vorstellung läßt sie schweigen. »Also sehen Sie zu, daß Sie sich mir nicht noch einmal entgegenstellen!« befiehlt der Mann schon etwas freundlicher. Vielleicht hat auch er eingesehen, daß er mit seinen Worten ein wenig zu weit gegangen ist. »Und vor allem, machen Sie nicht so ein unterwürfiges Gesicht, Sie sind Bardame und keine Nonne!« »Werden Sie ihn entlassen?« fragt sie noch einmal. »Fangen Sie schon wieder an?« »Bitte, geben Sie eine Antwort.« »Nein«, sagt er mürrisch, »aber wenn so etwas noch einmal passiert, dann kenne ich kein Pardon. Letzten Endes verliere ich meine Gäste auch durch solche Vorkommnisse. Bis jetzt hat er sich in meinem Lokal noch gut geführt, aber wehe ihm, wenn es hier einmal der Fall sein sollte«, antwortet er erhaben. Simone atmet auf. Wenn sie auch weiter nichts mit Reinhard verbindet als eine aufrichtige und treue Freundschaft, so kann sie es doch nicht ertragen, wenn ihm ein Unrecht geschieht. Als Reinhard von Breiten seinen Dienst antritt, fällt nicht ein einziges Wort von seiten des Chefs. Nur Simone betrachtet ihn mit mitleidsvollem Blick. Sie weiß, wie bitter sein Leben ist.. Monika von Breiten eilt durch die Straßen und Gassen der Stadt, in der sie einst die glücklichsten Stunden ihres Lebens an
der Seite Reinhards verbrachte. Sie ist mit ihrem Vater hierhergefahren, um Erkundigungen über ihren Mann einzuziehen. Während Werner Deiters sich an amtlichen Stellen erkundigt, versucht sie, mit wachen, offenen Augen irgendwelche Anhaltspunkte zu finden. Sie geht über die Straßen, wo es von gutgekleideten Menschen wimmelt. Vielen schaut sie prüfend in das Angesicht, doch den Mann, den sie sucht, findet sie nicht. So geht sie weiter, vertieft in ihre traurigen Gedanken, die immer wieder zu dem geliebten Mann wandern. Plötzlich stößt sie mit einem Passanten zusammen. »Oh, entschuldigen Sie«, hört sie eine Stimme und ein Mann zieht seinen Hut. Wie ein Schuß löst sich Monikas Ruf: »Herr Gronemann!« »Frau von Breiten!« sagt der Mann erfreut und verwundert. Sie stehen sich gegenüber, ungläubig über ein so zufälliges Treffen, und schütteln sich in freundlicher Geste die Hände. Als erste faßt sich Monika, die ihre Hand aus der seinen löst, während eine heiße Glut in ihr Antlitz steigt. »Mein Gott, wie froh bin ich, gerade Sie zu treffen«, sagt Monika, hofft sie doch, daß er vielleicht einen Anhaltspunkt weiß, wo sie Reinhard finden kann. »Ganz meinerseits, Frau von Breiten. Sie sehen reizend aus.« »Und Sie sind galant wie immer«, antwortet sie lachend. »Ich habe Sie lange nicht mehr gesehen, Frau von Breiten.« »Ich bin zu meinem Vater zurückgekehrt«, sagt sie und ein Schatten zieht über das liebliche Antlitz. »Und Reinhard?« fragt er ein wenig unsicher. Bei der Erwähnung des Namens vertieft sich der Zug des Schmerzes noch mehr in dem Antlitz der Frau. »Um ihn zu suchen, bin ich hier.« »Sie wissen nicht, wo er sich aufhält?«
»Nein, ich habe bis heute noch nichts von ihm gehört.« »Hmm.« »Und Sie, Sie, Herr Gronemann, wissen Sie auch nichts von meinem Mann?« fragt sie betrübt. »Nichts Besonderes, nur...« »Nur?« »Ich habe einmal gehört, daß er in einer Bar spielt, aber wo, das kann ich Ihnen nicht sagen. Es soll ihm nicht viel besser gehen als damals.« »In einer Bar?« »Ja!« »Und können Sie sich nicht entsinnen, wo das sein könnte? Ich meine, hat er Ihnen gegenüber nicht irgendwie einmal eine Andeutung gemacht?« »Leider nein, Frau von Breiten. Sie wissen, daß Ihr Mann nicht sonderlich mitteilsam war. Und wenn er Ihnen ...« »Ich weiß, Herr Gronemann, Sie wollen sagen, wenn er nicht einmal mir etwas gesagt hat... Aber Sie müssen ihn verstehen, er hat mir nur den Weg frei machen wollen, den Weg zurück zu meinem Vater.« »Dann haben Sie nicht miteinander gestritten? Entschuldigen Sie diese offene Frage, aber ich habe selbst oft genug darüber nachgedacht, warum Reinhard so handelte.« »Gestritten? Nein, wir haben niemals gestritten.« »Ich kann das nicht verstehen, so eine reizende Frau läßt man nicht allein!« Über Monikas Antlitz geht wieder diese mädchenhafte Röte, die sie noch reizender macht, als sie ohnehin schon ist. Sie gehen ein paar Schritte nebeneinander her, dann bleibt Monika stehen und sagt: »Es ist schade, Herr Gronemann, daß Sie Reinhards Aufenthaltsort nicht kennen. Es ist Ihnen auch niemand bekannt, der eine Ahnung haben könnte?« »Leider nicht, Frau von Breiten. Ich weiß, wie gesagt, nur,
daß Reinhard in einer Bar spielt, aber wo, das entzieht sich meiner Kenntnis.« »Ich danke Ihnen für Ihren freundlichen Hinweis. Vielleicht bringt er mich doch irgendwie näher zu meinem Mann. Ich möchte mich nun verabschieden, Herr Gronemann. Es hat mich sehr gefreut, Sie einmal wiederzusehen.« »Sie wollen mich schon wieder verlassen, nachdem wir uns nach so langer Zeit endlich wieder einmal gesehen haben?« »Wir werden uns bestimmt ein andermal wieder begegnen und dann gewiß mehr Zeit und Muße haben, miteinander zu plaudern«, erwidert sie und versucht, ihrer Stimme einen festen Klang zu geben. »Schade«, antwortet Gronemann mit aufrichtigem Bedauern in der Stimme, »ich wäre gern noch ein Weilchen mit Ihnen zusammengeblieben.« »Leider geht es nicht, Herr Gronemann, ich sagte Ihnen schon, mein Vater begleitet mich, und — vielleicht verstehen Sie, daß mir im Augenblick nichts mehr am Herzen liegt, als meinen Mann zu finden.« »Oh ja, das verstehe ich.« Kurz danach trifft sich Monika an verabredeter Stelle mit dem Vater, »Hast du etwas erreicht, Vater?« »Nein, nichts! Er ist wie vom Erdboden verschwunden. Ich kann das einfach nicht verstehen, daß ein Mensch so ohne weiteres untertauchen kann. Es ist mir unbegreiflich.« »Ich kann es auch nicht, Vater. Aber wo soll man anfangen, wenn man jemanden suchen will? Wir wissen weiter nichts, als daß er existiert, und das ist alles.« »Wenn man nur wüßte, wo er beschäftigt ist, Monika.« »Was würde es nützen, Vater, wenn wir keine Ahnung haben, in welcher Stadt.« Sie möchte es dem Vater sagen, was Gronemann ihr mitteilte, aber sie hat keinen
rechten Mut dazu. Barspieler ... Sie schämt sich, vor dem Vater zu bekennen, daß der Mensch, dessen hohes Ziel die Musik war, nun in einer Bar sitzt und auf einem Flügel herumklimpert. Sie fürchtet den Zornausbruch des Vaters, wenn er erfährt, daß sein Schwiegersohn, der Mann seiner einzigen Tochter, in einer Bar sitzt und spielt... Monika überlegt hin und her, was sie tun soll. Kann sie ihm sagen, was sie gehört hat oder nicht? Was nützt es schon, wenn sie darüber spricht, daß Reinhard dort sein Brot verdient? Sie weiß doch nicht, in welcher Stadt. So schweigt sie ... Es bleibt nur ein Weg, eine letzte, vage Hoffnung. Sie kann die Mutter Reinhards aufsuchen. Doch wie wird diese ihr Kommen aufnehmen? Sie gelangt zu dem Entschluß, dieser Frage nicht weiter nachzugehen. Es ist ganz gleich, was geschieht, wenn sie nur Erfolg hat. Starke, frische Waldesluft würzt den jungen Morgen. Die Wiesen netzen sich mit Tau. Voller Sehnsucht nach Sonnenschein heben die Bäume ihre Häupter und erwarten die goldene Flut, die vom Himmel herab auf sie niedergleißt. Nur kurze Zeit noch dauert ihr Sehnen, denn die Dämmerung weicht dem kommenden Tag. ; Hier und da ist das Lied eines halberwachten Vogels zu hören, aber schlafbefangen verstummt es wieder, und das kleine Sängerköpfchen steckt sich erneut in die Federbrust. Zu dieser Stunde schreitet Monika von Breiten den schmalen Pfad hinab zum entfernt liegenden Bahnhof. Sie hat sich entschlossen, das elterliche Gut Reinhards aufzusuchen. Sie wird dort, so glaubt sie, die Mutter ihres Mannes finden. Wie aber mag Reinhards Mutter sie aufnehmen? Mit welchen Gefühlen wird sie ihr, der Frau ihres Sohnes, entgegentreten? Nach anfänglichem Suchen hat sie endlich den richtigen Weg zum Gut eingeschlagen. Langsam, als fürchte sie diese Begegnung, schreitet sie dahin.
Zögernd nähert sie sich dem schweren Portal. Noch einmal schweift ihr Blick in die Runde. Hier also hat er gelebt, hier hat ihr Mann seine Kindheit verbracht. Schön ist die Umgebung und alles, was ihr Auge erfassen kann. Ein eigenartiges, wehmütiges Gefühl durchzieht ihr Herz. Sekundenlang starrt sie auf die schwere Tür, die sich dunkel von den Wänden abhebt. Aber dann springt Monika schnell die Stufen hinauf, als wolle sie endlich die quälende Ungewißheit um Reinhard loswerden, und zieht kurzentschlossen die schwere, bronzene Klingel. Monika wundert sich, daß nicht gleich geöffnet wird. Etwas Unheimliches scheint auf sie zuzukommen, doch dieses Gefühl vergeht, als sie sich nähernde Schritte vernimmt. Die Tür wird geöffnet, und eine zierliche, schlanke Frau steht vor ihr. Monika weiß im Moment nicht, was sie sagen soll, doch dann nimmt sie sich zusammen und nickt leicht mit dem Kopf. »Guten Morgen, mein Name ist...« Plötzlich traut sie sich nicht einmal, den Namen zu nennen, den sie seit der Heirat mit Reinhard trägt. »Mein Name ist Monika von Breiten. Ist die Frau des Hauses vielleicht zu sprechen?« Verstört betrachtet die Gestalt an der Tür ihr Gegenüber. Was hat sie gesagt? Von Breiten? Und... die Frau des Hauses möchte sie sprechen? Unwillkürlich tritt sie einen Schritt zurück. »Sind Sie vielleicht eine Verwandte der Frau von Breiten?« Sie sieht, daß ein flüchtiges Lächeln um ihren Mund zuckt, aber dieses Lächeln verschwindet sogleich wieder, als sie antwortet: »Ja, ich bin — die Schwiegertochter!« Einen Moment herrscht ungläubiges Schweigen. Doch dann scheint Leben in den Körper der Frau zu kommen. »Bitte, treten Sie ein, ich weiß nicht, ob ich Ihnen helfen kann. Aber ich möchte Ihnen etwas sagen, das Sie anscheinend nicht wissen.«
Obwohl Monika diese Worte eigenartig vorkommen und sie sie nicht ganz begreift, schreitet sie voller Erwartung an der Frau vorbei, froh darüber, bald der Mutter Reinhards gegenüberzustehen. — Doch seltsam klingen die Worte in ihr nach, die jene Frau sagte. »Warten Sie doch bitte einen Moment. — Möchten Sie nicht Platz nehmen?« Mit einer einladenden Geste weist sie auf einen bequemen Sessel. Monika schaut sich um. So also sieht es in dem Haus ihres Mannes aus. Zwei große Fenster geben den Blick in einen wundervollen Park frei. Die Füße versinken in dicken, weichen Teppichen. Das Mobiliar ist modern und hell. Sie findet plötzlich, daß es alles anmutet, als sie in ihres Vaters Haus. Alles schließt auf Reichtum und Wohlhabenheit. Während Monika so ihren Gedanken nachhängt, steht die junge Dame, die die Besucherin begrüßt hat, ihrem Vater gegenüber, der angestrengt die vor ihm liegenden Bücher prüft. »Kann ich dich einen Augenblick sprechen, Vater?« Unwillig hebt der Mann seinen Kopf. Er hat es nicht gern, wenn er bei dieser Arbeit gestört wird. »Draußen in der Halle sitzt eine junge Frau, ihr Name ist von Breiten, sie ist wohl die Schwiegertochter unserer Vorgängerin. Sie fragte mich, ob sie die Frau des Hauses sprechen könnte. Ich war im Augenblick so überrascht, daß ich ihr keine Antwort geben konnte. Ich bat sie deshalb herein. Willst du es ihr nicht sagen, Vater, was geschehen ist?« »Ich werde mit ihr sprechen«, antwortet er, verweilt aber noch einen Moment über den Büchern. Monika erwartet voller Ungeduld die Frau, die zwar Reinhards Mutter ist, die sie aber nicht einmal kennt. Mein Gott, warum läßt man mich nur so lange warten? Hört sie nicht gedämpfte Schritte? Voller Erwartung dreht sie sich blitzschnell um... aber — ein Mann steht auf der Schwelle
der Tür. Schnell geht er auf die Wartende zu. »Guten Tag, Frau von Breiten, wenn ich von meiner Tochter recht unterrichtet wurde.« »Ganz recht. Guten Tag!« antwortet Monika. »Mein Name ist Pantak, Siegfried Pantak, meine Tochter sagte mir, daß Sie gern Frau von Breiten sprechen möchten.« Nachdem sie wieder Platz genommen haben, richtet Monika fragend ihren Blick auf den ihr völlig fremden Mann, schließlich antwortet sie: »Ja, aus diesem Grunde bin ich eigentlich hier.« »Es tut mir aufrichtig leid, Ihnen sagen zu müssen, daß Frau von Breiten schon seit einiger Zeit nicht mehr hier ansässig ist. Es wird betrüblich für Sie sein, aber ich komme nicht umhin, Ihnen die Wahrheit zu sagen. Sind Sie... die Frau des jungen Herrn von Breiten?« »Ja!« antwortet Monika, ängstlich starrt sie auf den vor ihr sitzenden Mann. »Ich kann nicht verstehen, wieso Sie von dieser Sache nichts wissen, denn immerhin wohne ich schon eine ganze Weile hier.« Mit großen, starren Augen blickt Monika auf Pantak, so, als hätte sie die Worte noch gar nicht in sich aufgenommen. »Hat Frau von Breiten verkaufen müssen...?« Sie wagt nicht, den Satz zu Ende zu sprechen, sie kann es kaum fassen. »Ja«, antwortet der Mann. »Herr von Breiten starb ja, und der Sohn war in der Fremde. Wie das dann so ist, eine Frau hat doch nicht die Kraft und den Mut dazu, solch ein großes Gut zu halten. Das bedarf schon einer festen männlichen Hand. So verkaufte Frau von Breiten das Anwesen an mich. Natürlich nicht unter den besten Bedingungen, das können Sie gewiß verstehen. Ich habe es damals übernommen, obwohl ich nicht sonderlich daran interessiert war. Doch Herr von Breiten war
ein sehr guter Bekannter von mir, und seine Frau tat mir irgendwie leid. So habe ich es einstweilen übernommen — behalten werde ich es nicht, das steht für meine Tochter und mich fest.« Als müsse sie etwas Schmerzliches fortwischen, fährt Monika sich über die brennenden Augen. Sie schämt sich plötzlich vor den fremden Menschen, denn sie werden sich sicherlich Gedanken darüber machen, warum sie von allem nichts weiß. Sie muß fort, denkt sie, nur, sie muß vorher noch erfragen, wo sich Reinhards Mutter aufhält, obwohl sie nun wenig Hoffnung hat, dort mehr über Reinhard zu erfahren. Doch der Fremde enthebt sie ihrer Frage, indem er sagt: »Sie finden Frau von Breiten etwa zwei Kilometer von hier. Dort besitzt sie ein kleines Landhaus. Sie können es nicht verfehlen, wenn Sie diese Straße«, er weist aus dem Fenster auf einen kleinen, schmalen Weg, »entlang gehen.« »Ich danke Ihnen!« Mit diesen Worten erhebt Monika sich. Schnell verabschiedet sie sich und verläßt das Haus. Draußen bleibt sie einen Augenblick stehen. Sie muß alles erst einmal in sich verarbeiten, denn das hatte sie nicht erwartet. Ob Reinhard davon weiß? fragt sie sich. Doch diesen Gedanken verwirft sie sogleich wieder. Er kann es nicht wissen, denn er wird niemals seinem Stolz nachgeben und der Mutter gegenüber seine Armut und seinen Mißerfolg bekennen ... Unschlüssig, was sie tun soll, wartet Monika darauf, daß ihr etwas einfallen möge. Soll sie jetzt, so kurz vor dem Ziel, wieder umkehren? Die Gedanken verwirren sich in ihrem Kopf. Sie kann es einfach nicht verstehen, daß auf dem wunderschönen Anwesen der von Breiten ein anderer Mensch sitzt. Wie ist das nur alles geschehen?
Reinhard von Breitens Lage hat sich in keiner Weise geändert. Er lebt weiter im gleichen Trott, spielt am Abend in der Bar, schläft fast den ganzen Tag über, und die wenigen Stunden, die er anderweitig verbringt, gehören auch hin und wieder Simone Monta. Es ist eine aufrichtige Freundschaft, die beide verbindet, obwohl Simone bereits die Braut Felix Normens geworden ist. Zwischen Felix und Reinhard allerdings ist nicht mehr das Verhältnis, das einmal war, denn zwischen ihnen steht noch immer die Szene mit Ilona. Er bewohnt ein kleines, einfach möbliertes Zimmer, seitdem er in der Stadt lebt. Frau Gante, eine kleine rundliche Frau, sieht es als ihre Pflicht an, ein wenig auf Reinhard zu achten. Sie mag ihn eigentlich recht gern, obwohl er nicht sonderlich gesprächig und mitteilsam ist. Aber er hat so eine ruhige Art, die sie sympathisch findet. Aber auch seine Traurigkeit und sein ganzes niedergeschlagenes Wesen sind ihrem prüfenden Auge nicht verborgen geblieben. So kümmert sie sich um ihren Schützling. Er könnt ja ihr Sohn sein, und sie versucht, ihm mütterliche Gefühle entgegenzubringen. Was macht es ihr schon, wenn er die fällige Miete nicht pünktlich zahlen kann? Sie wartet, sie weiß, daß sie nicht um ihr Geld betrogen wird. All diese Tatsachen sind es, die Reinhard immer wieder an die Mutter erinnern. Neben der Sehnsucht nach Monika, seiner Frau, die immer in seinen Gedanken neben ihm lebt, nimmt die Erinnerung an die Mutter von Tag zu Tag größere Ausmaße an. Er denkt darüber nach, wann der Tag kommen wird, an welchem er auch vor die Mutter hintreten kann, um zu sagen: Hier bin ich, Mutter, jetzt habe ich geschafft, was mein Ziel war. Doch dann fragt er sich wieder, ob sie ihn nicht doch vielleicht aus ihrem Herzen verstoßen hat, ihn, der fortging ohne die Einwilligung des Vaters und der vielleicht doch ein wenig an seinem allzu ra-
schen Verfall und frühen Tod schuldig geworden ist. Seine Augen verdunkeln sich — der ganze quälende Schmerz seiner Seele bricht in ihm auf. Frau Gante fühlt seinen großen Kummer. Sie sieht, daß irgend etwas da sein muß, das seihe Sinne gefangen hält. Sie tritt auf ihn zu und fragt in einem warmen, herzlichen Ton: »Woran denken Sie immerzu, Herr von Breiten? Gewiß, ich müßte es mir sagen können, warum diese Frage. Es ist dumm von mir, nicht wahr?« Reinhard betrachtet die Hand der Frau, die vor ihm steht. Immer wieder geht es ihm durch seinen Sinn: Das sind die Hände einer Mutter — und ganz langsam antwortet er: »Ich dachte an meine Mutter, sie hat die gleichen Hände wie Sie.« »Haben Sie sie sehr geliebt?« Reinhard nickt, während es in seinen Augen zu leuchten beginnt. Reinhard ist es, als sähe er seine Mutter plötzlich vor sich, wie einst, als er noch bei ihr weilte. »Meine Mutter hatte immer viel Liebe für mich, war ich doch ihr Einziger. Ihre Güte machte meine Jugend unendlich schön. Dann ging ich fort. Mein Leben war voller Hoffnungen, doch ... Sie kennen es, dieses Leben, Frau Gante. Das Herz meiner Mutter bekam tiefe Wunden — ich war es, der sie ihr versetzte.« Erschüttert läßt Reinhard von Breiten den Kopf in seine Hände sinken. Einen Augenblick verharrt er so, dann hebt er das Gesicht. Seine Augen sind umflort, als er fortfährt: »Wie viele Tränen mag meine Mutter schon um mich geweint haben, um mich, ihren Sohn? Ganz besonders seit der Zeit, da sie allein, ohne den Vater und Sohn, leben muß. Den Vater verlor meine Mutter an den Tod, ihren Sohn verlor sie an das Leben. Ob sie manchmal fühlt, wie nahe ich ihr bin? Wie dankbar wäre ich dem Schicksal, wenn es mir vergönnte, die Mutter in
die Arme zu schließen. Sie würde mir Trost geben, meinem Herzen Linderung verschaffen, das fast zerbricht an der Trennung von meiner Frau.« Erschöpft hält Reinhard inne. Es tut gut, sich einmal alles von der Seele zu reden, und im tiefsten Grunde seines Herzens ist er Frau Gante dankbar, daß sie ihn so ruhig angehört hat... Irene von Breiten geht mit schleppenden Schritten durch das Zimmer. Wer diese Frau früher gekannt hat, weiß von ihrer Wärme, die einmal in ihrem Wesen lag. Doch viele Monate schon sind ihre Augen von tiefer Traurigkeit und Wehmut erfüllt, die jeden erschüttern müssen, der von diesem Blick getroffen wird. Schmerzlich sind ihre Züge. Der Rücken der vom Schicksal so schwergeprüften Frau ist von all der Last, die auf ihren Schultern liegt, leicht nach vorn gebeugt, aber das nimmt ihr nichts von ihrem Stolz, mit dem sie ihren Kopf immer noch hoch zu tragen weiß. Ihr Haar ist schlohweiß geworden. Auch daran erkennt man, daß Kummer und Leid nicht spurlos an ihr vorübergegangen sind. Oft denkt sie darüber nach, wie grausam das Schicksal ihr doch mitgespielt hat. Den Mann nahm ihr der Tod, und der Sohn trieb es fort... Wie sehr sie darunter gelitten hat, daß ihr einziger Sohn sie verließ, das weiß nur sie allein. Nur mit sich selbst hat sie die Qual ihres Herzens ausgefochten. Nicht einmal ihr Mann sah die Wirklichkeit, nicht einmal er wußte, wie sehr der Schmerz an ihrem Herzen nagte, wie sehr ihr der Sohn fehlte. »Reinhard!« murmeln ihre Lippen. »Wo mag er sein? Wie mag es ihm gehen?« Doch, nur Gott allein weiß es ... Von diesem Gedanken überwältigt, überhört Frau von Breiten das Klopfen an ihrer Zimmertür. Erst als die treue Dienerin den Raum betritt, bemerkt die Greisin sie.
»Draußen steht eine junge Dame, gnädige Frau. Sie nannte ihren Name, aber ich weiß nicht einmal, ob ich ihn richtig verstanden habe.« »So? Wie war denn der Name?« fragt Frau von Breiten ein wenig desinteressiert. »Monika von Breiten«, kommt es zurück, »so habe ich es wenigstens verstanden. »Monika von Breiten? Mein Gott, das kann doch nicht wahr sein! Sollte etwa...« Nur Sekunden überlegt sie, dann sagt sie mit zitternder Stimme: »Bitten Sie die Dame herein.« Kopfschüttelnd verläßt die Dienerin das Zimmer, und kurz darauf steht ihr Monika gegenüber. Da sieht sie nun eine junge Frau mit großen Augen an. Ein zitterndes Erwarten steht auf dem schönen, klaren Antlitz, das abwechselnd errötet und erblaßt. Frau von Breiten bebt, ihre Augen füllen sich mit Tränen. »Sie sind Reinhards Frau«, meint sie leise, »nicht wahr?« Monika nickt nur zu den Worten. Sie ist unfähig, auch nur ein einziges Wort zu sagen. »So also sieht die Frau meines Sohnes aus, der nur in der Fremde glücklich werden konnte.« Wieder nickt Monika. »Kommen Sie ein wenig näher, bitte.« Monika kommt der Aufforderung nach. Prüfend geht der Blick der Frau über sie hinweg, doch ihre Augen scheinen in sie zu dringen, um auch den letzten Winkel ihres Herzens Zu erforschen. »Er hat eine gute Wahl getroffen, scheint mir. Ja, das ist wahrhaft mein Sohn, der so viel Sinn für Schönheit und Reinheit hat. Aber möchten Sie sich nicht setzen?« Schweigend läßt Monika sich nieder. »Wußten Sie, daß Sie mich hier finden konnten?« »Nein, ich habe es auf dem Gutshof erfahren.«
»Sie kommen allein? Im Auftrag meines Sohnes?« Jetzt ist der Augenblick da, vor dem sich Monika so gefürchtet hat. Jetzt muß sie die Wahrheit sagen, sie muß der Frau mitteilen, warum sie hergekommen ist. Heiß steigt es bei dem Gedanken in ihr auf. Noch einen Moment zögert sie, dann kommt es schwerfällig über ihre Lippen: »Reinhard weiß nichts von meinem Besuch. Er kann es nicht wissen.« »Er kann es nicht wissen? Was soll das heißen?« Monika ist hilflos, verzweifelt, aber sie muß sprechen. Jetzt darf sie nichts mehr verheimlichen. »Verstehen Sie mich recht. Es bleibt mir keine Wahl, ich muß Ihnen die volle Wahrheit sagen. Reinhard hat mich verlassen.« »Verlassen? Das verstehe ich nicht!« »Nicht so verlassen, wie Sie es annehmen könnten, nein, nicht weil er mich nicht mag oder dergleichen. Das ist es nicht. Gerade weil er mich liebt, ist er seinen eigenen Weg gegangen, um mich nicht länger an sein trostloses Leben zu binden.« Jetzt ist Monika auch von dem letzten Alpdruck erlöst. Jetzt ist es gesagt, was wie eine Zentnerlast auf ihr gelegen hat. »Aber ... wohin ist er gegangen? Welchen Weg?« fragt Mutter Breiten mit zitternder Stimme. »Ich dachte daran — es war zwar nur eine vage, verzweifelte Hoffnung, daß Sie ...« »Daß ich etwas von Reinhard wissen würde, das dachten Sie. Aber das alles versetzt mich in schmerzliches Erstaunen.« »Sie wissen nicht...?« fragt Monika enttäuscht. »Nein, aber wollen Sie nicht erzählen?« Und dann beginnt Monika den ganzen Leidensweg ihres Lebens zu schildern, seitdem sie mit Reinhard zusammen war. Jedoch nicht ihren eigenen Leidensweg allein, nein, den ihres Mannes, der weit qualvoller war, gibt sie in schmerzlichen
Worten wieder, so daß bald alles wie ein offenes Buch vor den Augen der greisen Frau ist. Monika sitzt ganz vorn auf der Kante des Sessels, ihre Hände spielen nervös miteinander, in ihre Augen steigen Tränen, doch sie versucht, diese mit aller Gewalt zu unterdrücken. »Das habe ich nicht gewußt. Warum nur hat er niemals mit mir, seiner Mutter, darüber gesprochen? Wenn sich auch seit dem Tode meines Mannes alles änderte, wenn er auch Glanz und Glorie mit sich in das Grab nahm, aber für meinen Sohn hätte ich allemal etwas gehabt. Warum nur — warum hat er sich niemals gemeldet? Aber er ist wie sein Vater, unbeugsam und stolz ...« Monika schweigt zu diesen Worten. Was soll sie auch sagen? Dann fährt die Frau fort: »Sagen Sie, ich weiß nicht einmal, wie ich Sie nennen soll...« »Monika«, unterbricht sie deren Worte. »Monika? Ein schöner Name. Wie sind Sie eigentlich dazu gekommen, ihn zu heiraten?« Ein feines Lächeln erhellt das Antlitz der Gefragten: »Wir liebten uns, glaubten fest an das Gelingen seines Zieles. Wenn auch all unsere Hoffnungen zerstört wurden, unsere Liebe aber — die lebte in uns weiter, groß und unerschütterlich.« »Nun, dann verstehe ich nicht, daß er fortging«, sagt sie ein wenig vorwurfsvoll, »dann verstehe ich ihn wirklich nicht! Eine Zumutung, die Frau, die alles für ihn opferte, allein und ihrem Schicksal zu überlassen! Ja, wie ist das denn überhaupt möglich? Ist mein Sohn denn verrückt geworden, oder bin ich verrückt? Bitte, erklären Sie mir das, ich kann doch nicht richtig verstanden haben.« »Sie haben richtig verstanden, Frau von Breiten. Ich habe es zunächst auch als unverständlich empfunden, weil ich alles von meinem Standpunkt aus betrachtete. — Aber als ich dann über den eigentlichen Grund nachdachte und mir der Brief meines
Vaters, der mich zurückrief, einfiel, da wußte ich, daß er nur aus Liebe zu mir so gehandelt hat. Reinhard mußte das Leben bedrücken, denn die Gewißheit, daß er mir, seiner Frau nicht bieten konnte, was er mir gönnte, machte ihn fast krank. Sehen Sie, mir ist es auch nicht leichtgefallen, diese Erkenntnis zu überwinden. Aber jetzt weiß ich, daß er mich wahrhaft liebt, und ich achte und liebe ihn deshalb nur noch mehr. Wenn ich ihn nur finden könnte...« Der Blick Frau von Breitens geht über die schlanke Erscheinung, die trotz all der inneren Pein aufrecht und gerade vor ihr sitzt. Sie wundert sich, wie der zarte Körper all die Sorgen und Schmerzen um den geliebten Mann so gut überwinden kann. Sie kennt nicht die schwarze Perle an dem goldenen Kettchen, deren geheimer Zauber darin besteht, der Besitzerin eine nie endende Kraft zur Ausdauer zu verleihen ... Während dieser Betrachtung kämpft die Frau mit sich, ob sie auf Monika zugehen soll, um sie an ihr Herz zu drücken. Sie hat es verdient, denn soviel Liebe, Glaube und Hoffnung lebt in dem jungen Herzen. Monika fühlt, daß irgend etwas in der Frau vorgeht. Doch sie weiß sich nicht zu erklären, was es sein könne. Als die Frau sich nun langsam erhebt, mit gemessenen Schritten auf sie zukommt, richtet sie sich ebenfalls auf. Nur einen Herzschlag lang stehen sie sich wortlos gegenüber, dann schließt die Greisin Monika in die Arme. Heiße Zähren rinnen über die welk gewordenen Wangen. »Ich danke dir, Monika, geliebte Tochter, daß du zu mir gekommen bist. Wenn ich auch im Augenblick nicht in der Lage bin, dir zu helfen, so verspreche ich dir doch, mit dir gemeinsam alles zu tun, was wir nur können, um deinen Mann und meinen Sohn zurückzugewinnen. Wenn ich nun auch nicht mehr in der Lage bin, euch finanziell zu helfen, so gebe ich euch
meinen Segen und werde Gott jeden Tag erneut bitten, daß Er dich und Reinhard eines Tages zusammenführen wird. Nur... wovon wirst du leben, mein Kind? Komm zu mir, für uns beide wird es reichen.« Monika schaut mit tränenverschleierten Augen auf die Frau, die ihr plötzlich eine Mutter wurde. »Ich danke dir, Mutter. Ich danke dir für all deine Güte und dein Verständnis. Ich weiß, daß ich Reinhard finden werde, und dann können wir beide gemeinsam vor dich hintreten und sagen: Mutter, hier sind wir, bitte, gib uns deinen Segen... Doch bis zu dieser Stunde werde ich bei meinem Vater leben. Aber du, Mutter, sollst immer von mir hören. Wir werden in Verbindung bleiben, und du brauchst niemals mehr allein zu sein.« Mit den besten Wünschen scheiden die beiden Frauen voneinander. Ein wenig Frieden ist in ihre Herzen eingekehrt. Er wird sich ganz erfüllen, wenn Reinhard zurückgekommen ist. Sie wird dem Vater von der Not dieser Frau erzählen, er wird ihr helfen, das weiß sie gewiß ... Frau von Breiten begleitet Monika bis vor die Tür. Monika ist froh darüber, daß sie auf Reinhards Mutter einen guten Eindruck gemacht hat. Noch einmal küßt sie die Wange der Frau. Tränen fallen auf ihre Hand. »O, Mutter! Ich verstehe deine Tränen. Doch eins verspreche ich dir, wenn Reinhard zurückkommt, soll alles anders werden. Hier schwöre ich es dir bei allem, was mir im Leben lieb und teuer ist, daß, soweit es in meiner Macht steht, kein Schatten mehr auf deinen weiteren Lebensweg fallen soll. Um Reinhards willen«, fügt sie leise hinzu, »werde ich versuchen, alles gutzumachen, was du um ihn gelitten hast.« Wie ein heller Sonnenschein gleitet es über der Mutter Angesicht, als sie Monikas Haupt zu sich heranzieht und mit einem Kuß den heiligen Schwur besiegelt... Fräulein Bastian — eine bebrillte, spindeldürre alte Jungfer,
Werner Deiters Sekretärin und Vertrauensperson — bringt die Morgenpost herein. Es sind viele Briefe. Sie legt sie an den Rand des Schreibtisches und sagt: »Darf ich Sie aufmerksam machen, Herr Deiters, zuoberst liegt ein Brief aus Amerika«, dann geht sie hinaus. Herr Deiters sieht sich den Umschlag genau an. Tatsächlich, Amerika. Er macht den Brief im Augenblick noch nicht auf. Er kann sich denken, von wem er kommt, auch ohne daß er den Absender gelesen hat. Er kennt die zügige Handschrift seines Bruders. So liegt das weiße Kuvert aus feinstem Bütten auf der Glasplatte des großen Schreibtisches und wartet darauf, geöffnet zu werden. Kaum hat Deiters die übliche Post durchgesehen, nimmt er noch einmal den weißen Umschlag. Kurzentschlossen öffnet er. Wie lange hat sein Bruder schon nicht mehr geschrieben?! Ob etwas Besonderes vorgefallen ist? Aufmerksam studiert er die Zeilen. »Na. das ist wirklich amüsant«, sagt er leise vor sich hin, indem er sich in seinem Sessel zurechtsetzt. Nach kurzer Zeit springt er auf, geht durch das Zimmer zur Tür, öffnet sie und ruft hinaus: »Fräulein Bastian, bitten Sie meine Tochter zu mir.« Wenige Minuten später steht Monika vor dem Vater. »Du hast mich rufen lassen?« fragt sie ein wenig erstaunt. »Ja, Monika, stell dir vor, Onkel Hans hat geschrieben, und er ist allem Anschein nach schon da! Ach, was erzähl ich dir, da, lies selbst...« Deiters reicht seiner Tochter aufgeregt den Brief. »Nach diesen Zeilen müßte er schon ...« »Gewiß, muß er schon da sein. Mein Gott, nach so langen Jahren kommt er endlich heim. Was schreibt er? Etwas Geschäftliches möchte er mit seinem Urlaub in Europa verbinden? Ich bin recht gespannt auf ihn. Nur ... was sollen wir ihm sagen, ich meine, wegen deiner Heirat und...« »Die Wahrheit, Vater«, antwortet Monika ruhig.
»Das wird so leicht nicht sein, ihm das verständlich zu machen. Er wird kaum begreifen können, daß man eine Frau wie dich allein läßt.« »Vater...« »Ist schon gut, mein Kind, sprechen wir nicht mehr davon. Wir werden ihn gemeinsam abholen. Wann wird er hier sein?« Monika nimmt den Brief noch einmal auf und sagt dem Vater die angegebene Zeit. Zwanzig Minuten vor der fahrplanmäßigen Ankunft des Zuges stehen sie auf dem Perron. Der Bahnhof ist ziemlich leer. Vater und Tochter spazieren auf dem Bahnsteig auf und ab. Dann plötzlich geht ein Beben über die Schienen. Noch weit außerhalb der Halle taucht die Lokomotive auf. Auf die Sekunde pünktlich läuft der Expreß ein. Monikas aufgerissene Augen heften sich auf die langsam vorüberziehende Fensterreihe. Werner Deiters hat seinen Bruder schon erspäht. Er steht in der geöffneten Tür des Abteils. »Da ist er, Monika!« Er schwenkt den Arm, sich dem Bruder bemerkbar zu machen. »Hallo, Hans, hier sind wir!« ruft Deiters über den Bahnhof. Er geht mit Monika dem langsam einfahrenden Waggon nach. Als der Zug endlich hält, springt Hans Deiters auf den Bahnsteig und eilt auf den Bruder und die erwachsene Nichte zu. Einen Moment sehen sie einander in die Augen. Dann unterbricht der Angekommene die kurze Stille: »Guten Tag.« Man spürt an seiner Stimme das leichte, gleichsam flüchtige Suchen nach Worten und einen kaum bemerkbaren kleinen fremden Akzent. »Wie schön von euch, daß ihr euch meinetwegen so bemüht. Ich muß schon sagen, auf diesen Empfang war ich nicht vorbereitet.« Er zieht den Handschuh von der rechten Hand. »Herzlich willkommen, Hans. Erkennst du Monika? Sie ist reizend geworden, nicht wahr? Wir beide sind gekommen, dich
abzuholen, und freuen uns, daß du hier bist.« »Wie schön von euch! Monika, laß dich anschauen! Na, jetzt bist du schon eine Dame. Verheiratet?« fragt er mit lustigem Augenzwinkern. »Doch davon später. Entschuldigt einen Augenblick, ich möchte mich nur um mein Gepäck kümmern.« Die kleine Pause in der Begrüßung gibt einen Augenblick Zeit, den Angekommenen genau zu betrachten. Besonders Monika, die sich kaum an den Onkel erinnert, versucht, aus dem ersten Eindruck Schlüsse zu ziehen. Er ist anders als der Vater. Seine Schultern sind breit, seine Gesichtsfarbe von tiefem Braun. Er trägt eine hellgraue Hose und einen dunkelgrauen, gemusterten Sportsakko. Seine Krawatte ist lose gebunden. Die Schuhe haben ebenfalls sportlichen Schick. Der graue Hut sitzt etwas schief auf dem Kopf, an der rechten Seite sieht unter dem Hutrand ein leicht ergrautes Haarbüschel hervor. Die linke Hand steckt noch immer in einem hellgrauen, dickgesteppten Handschuh. Erst jetzt, nach all diesen Betrachtungen, kommt Monika die Frage des Onkels wieder in den Sinn. ,Verheiratet?' fragte er. Mein Gott, muß das immer das erste sein? Warum gleich diese Frage? Sie denkt mit Schrecken daran, daß er diese Frage noch einmal stellen könne. Monika braucht nicht lange darauf zu warten ... Gemütlich sitzen am Abend die drei Menschen beieinander. »Also, wie gesagt«, spricht Werner Deiters. »Monika hat geheiratet, aber... um dir die Wahrheit zu sagen, sie weiß nichts über den Aufenthalt ihres Mannes. Ich selbst kenne ihn nur dem Namen nach, als Schwiegersohn habe ich ihn niemals gesehen.« Enttäuschung liegt bei diesen Worten um seinem Mund. »Du hast ihn niemals gesehen? Das ist doch kaum zu glauben, du, der doch immer ganz besonders auf diese Sache Wert legte?«
Monika schweigt. Sie lauscht dem Gespräch, ohne sich jedoch daran zu beteiligen. »Hast du den Namen Breiten, von Breiten schon einmal gehört?« fragt Deiters. »Ist dir etwa der Name aus früherer Zeit bekannt? " »Mir? Nicht daß ich wüßte! Ich höre ihn heute zum ersten Mal!« »Einen Sohn dieses von Breiten hat Monika geheiratet. Das andere weißt du bereits.« »Ich komme da nicht ganz mit, ich werde mich über diese Sache noch eingehend mit Monika selbst unterhalten. Nicht wahr, Moni?« wendet er sich an seine Nichte, die teilnahmslos dasitzt und ins Leere starrt. Dann kommt plötzlich das Gespräch darauf, was ihn, den Ausgewanderten, nach Europa zurückführt. »Ach, weißt du, ich habe da einiges vor. Ich suche einen Menschen, der mir Kompositionen zur Verfügung stellt. Einen guten Komponisten allerdings.« Vater Deiters reißt Mund und Nase auf. »Das ist doch nicht möglich, du auch?« »Was ist denn, lieber Bruder, was meinst du mit deinen Worten, du auch?« Monika hat sich auch bei seinen Worten erhoben. Nicht bedächtig und ruhig, wie es sonst ihre Art ist, nein, spontan springt sie auf. »Jetzt sag nur, du hast auch mit Musik zu tun?« fragt Werner Deiters. »Wieso — auch? Wer denn noch? Ist das denn so etwas Ungewöhnliches?« »Das nicht, nur ...« »Du mußt verstehen, Onkel«, schaltet sich Monika ein, »mein Mann lebt auch für die Musik.« Plötzlich ist es, als käme erst jetzt
Leben in die junge Frau. Sie stürmt auf Hans Deiters zu. »Onkel, du suchst Kompositionen?« »Ja! Warum fragst du?« Ohne eine Antwort zu geben, stürmt Monika aus dem Zimmer. Nach einer ganzen Weile kommt sie fast atemlos zurück. In ihren Händen trägt sie einen Stapel Papiere. »Sieh einmal, Onkel, was ich hier habe.« Sie breitet alles vor ihm aus. Hans Deiters nimmt das erste Papier, das zweite und andere. Auf seinem Gesicht zeigt sich unverhohlenes Erstaunen. Immer hastiger werden seine Bewegungen, immer eifriger sein Suchen. Werner Deiters sitzt dabei und schüttelt verständnislos seinen Kopf. »Wie kommst du an all diese Sachen? Ich meine, woher hast du sie?« Jetzt geht ein Strahlen über das anfangs so bleiche Antlitz. »Kannst du davon etwas gebrauchen?« Wieder gehen suchend die Hände durch die Blätter. Prüfend geht der Blick des Mannes über die Seiten hin. »Sag doch etwas, warum sagst du nichts, Onkel Hans?« »Das hier — mein liebes Kind, sind Meisterwerke, verstehst du? Das ist das, was ich brauche...« Plötzlich stürmt Monika auf den Onkel zu, umarmt und küßt ihn. Hans Deiters weiß nicht, was ihm geschieht. »Ich danke dir, ich danke dir, Onkel. Nur das allein, die wenigen Worte, genügen, um etwas in mir zu bestärken, woran ich immer geglaubt habe.« »Aber... willst du mir nicht sagen, von wem diese Kompositionen sind?« Monikas Antlitz verklärt sich. Strahlend antwortet sie: »Von Reinhard, Onkel Hans, er hat sie geschrieben!« »Wer ist Reinhard? Etwa dein Mann?«
»Ja. Siehst du, ich habe immer an ihn geglaubt, ich wußte, daß er begabt ist.« Jetzt erst beginnt Monika, alles zu erzählen, wie es sich zugetragen hat, daß es für Reinhard keine Möglichkeiten gab, irgendwie unterzukommen. Blatt für Blatt ergreift der Mann die Werke noch einmal sorgfältig. »Weißt du auch, Monika, daß diese Kompositionen dir eine Menge Geld einbrächten, wenn du sie mir übereignen würdest?« »Geld? Ach, Onkelchen, was soll ich damit anfangen? Wenn ich dir diese Arbeiten geben würde, dann ganz bestimmt nicht, um damit ein Vermögen zu verdienen. Mir genügt es zu wissen, daß Reinhard Erfolg haben könnte.« »Monika, ich wünschte mir, du würdest mir diese Noten überlassen. Weißt du, was es für mich bedeutet, solche Kompositionen zu bekommen? Es ist jammerschade, daß dein Mann nichts von seinem Glück weiß. Solch ein Talent, wie er es ist, such ich gerade. Es ist traurig: Da lebt irgendwo in Elend und Not ein Mensch, der tatsächlich dazu berufen ist, etwas zu schaffen auf dem Gebiet der Musik. Wenn du ihn doch nur finden würdest — aus aller Not wäre er über Nacht heraus.« Nachdenklich starrt Monika ins Leere. Plötzlich wendet sie sich dem Onkel zu. »Was glaubst du, Onkel Hans, ob ich über die Sachen verfügen kann?« »Warum nicht, Monika, er ist dein Mann!« Sie wendet den Blick dem Vater zu. »Hörst du, Vater? Es war doch nicht alles umsonst.« »Ja, ja, ich höre. Ich verfolge jedes Wort. Laßt euch durch mich nicht in eurer Unterhaltung stören.« »Onkel, ich habe da einen ganz bestimmten Gedanken. Wie hoch könnte die Summe sein, die du für all diese Sachen zahlen wurdest?«
Jetzt hebt Werner Deiters aufmerksam den Blick und richtet ihn auf den Bruder. »Für alles?« »Ja, vorausgesetzt, daß du alles gebrauchen könntest.« »Hmm! Gebrauchen könnte ich es schon, das heißt wiederum, wenn du mir die Kompositionen übergeben willst. Dann allerdings würde schon ein kleines Vermögen dabei herausspringen.« »Gut, Onkel Hans, ich übergebe sie dir.« Jetzt schaltet sich Werner Deiters ein. »Was hast du vor, Monika, wozu brauchst du Die Wangen Monikas glühen plötzlich vor Eifer. »Hör zu, Vater! Du hast doch gehört, daß Frau von Breiten den Gutshof verkaufen mußte. Du weißt, in welch fatale Lage sie geraten ist nach dem Tode ihres Mannes. Reinhard ist nicht ganz schuldlos an dieser Sache. Ich denke daran, mit diesem Geld den Gutshof zurückzukaufen, wenn es reicht natürlich. Der jetzige Besitzer möchte ihn sowieso abgeben. Ich hätte also die Möglichkeit, der armen Frau zu ihrem Besitztum zurückzuverhelfen, und zwar mit dem Geld, das Reinhards Werke wert sind. Was hältst du davon?« Einen Augenblick herrscht Schweigen. Dann ertönt die Stimme des Vaters: »Das ist in der Tat ein wunderbarer Gedanke, Monika. Dazu würde ich auch raten. Du tust ein absolut gutes Werk damit.« Monika wendet sich dem Onkel zu. »Bitte, Onkel, nimm alles, was du gebrauchen kannst. Vielleicht reicht mir die Summe, um mein Vorhaben auszuführen. Laß dir noch einmal alles durch den Kopf gehen, und wenn du zu einem Schluß gekommen bist, dann sage es mir.« »Da brauche ich nicht mehr lange zu überlegen, Monika, für
mich ist die Sache klar. Soll ich mit deinem Vater alles erledigen?« Monika ist so froh, so überglücklich, daß sie kaum mehr weiß, ob sie lachen oder weinen soll in ihrer übergroßen Freude. »Onkel Hans, wenn es mir gelingen sollte, Reinhard zu finden, was würde dann geschehen? Ich meine, was könntest du für ihn tun?« »Mein liebes Kind, wir müssen ihn finden, und wir werden ihn finden. Wenn das geschehen ist, soll sich sein Traum verwirklichen, er soll schreiben können, soviel und so oft er mag. Und ich sage dir, nach allem, was ich aus diesen Arbeiten ersehe, ist er der Mann, den ich suche.« »Oh, Onkel Hans, ich kann dir nicht sagen, wie glücklich du mich machst. Nur...« ein Schatten fliegt über das liebliche Angesicht, ..nur, ich habe Angst, daß wir bei der Suche nach ihm kein Glück haben könnten und sie ebenso erfolglos bleibt wie alles bisher. Vater und ich haben unser Möglichstes getan und keinen Weg ausgelassen, aber — alles umsonst.« »Versuchen wir es halt noch einmal, liebe Nichte, vielleicht haben wir etwas mehr Glück.« »Dann glaubst du, Onkel, daß wir ihn doch finden können? Wie kommst du nur darauf?« »Man muß eine recht feine Nase haben, dann führt sie einen dahin, wohin man es gern möchte, zum Beispiel in eine Bar.« Beide lachen ein wenig. Monika ist plötzlich zuversichtlich. In einer Bar kann sie ihn finden — mein Gott, wenn das Wahrheit würde — wenn sie ihm plötzlich gegenüberstände! »Was glaubst du, Onkel Hans, gehe ich mit dir, oder besser allein?« »Es wird besser sein, wenn du allein hineingehst. Ich werde in einem Cafe in der Nähe warten. Du gehst dann eine, zwei oder drei Straßen weiter und trittst allein ein. Er könnte, wenn
er uns zusammen sieht, eingeschüchtert sein und plötzlich wieder die Flucht ergreifen. Das wollen wir unter allen Umständen vermeiden, nicht war?« Onkel und Nichte gehen noch ein kleines Stück des Weges gemeinsam, dann läßt er Monika allein, aber nicht ohne ihr vorher noch recht viel Glück zu wünschen. So geht sie die Straße entlang. Eine merkwürdige Straße. An der einen Seite lauter vierstöckige Häuser, so weit man sehen kann, und an der anderen Seite kein einziges, nur ein endloser, brauner Lattenzaun. Monika biegt ab in eine Nebenstraße. Alles sieht plötzlich anders aus. Geschäfte und Gaststätten, wohin man sieht. Dort der Optiker, von dem der Onkel sprach. Jetzt kann es nicht mehr weit sein ... Suchend geht ihr Blick umher. Endlich erscheint an einer Ecke ein Transparent: Thalia-Bar! Sie sucht den Eingang. — Doch plötzlich stockt ihr der Atem. Sie legt die Hand auf das kalte Metall der Klinke, daher zittert sie sehr, daß sie diese kaum herunterdrücken kann. Minuten vergehen. Monika denkt nicht daran, daß man die Konturen ihres Körpers von innen durch die Glasscheiben sehen kann. Dann öffnet von innen jemand die Tür, und bald darauf steht Monika in der Bar, hilflos um sich blickend ... Ihre Schläfen brummen, sie weiß nicht, wohin sie sich wenden soll. Stotternd kommt ein »guten Abend" über ihre Lippen. Es ist früh. Der Betrieb hat noch nicht eingesetzt. Ein hagerer, junger Mann mustert sie von der länglichen Theke aus. Ein anderer Mann erscheint hinter einer Glastür, und aus einem Nebenzimmer kommt eine adrett, jedoch offenherzig gekleidete junge Frau. An einem der Tische sitzt ein nicht sonderlich gut gekleideter
Gast in den mittleren Jahren vor einer Flasche Wein, den Kopf auf dem Tisch zwischen beide Fäuste gepreßt. Zaghaft tritt Monika auf den Mann hinter der Theke zu. Es wird der Besitzer höchstpersönlich sein, denkt sie. Doch der Mann hält hin und wieder ein Glas prüfend gegen das Licht, als denke er gar nicht daran, sich auf irgendwelche Fragen einzulassen. Hilflos wandert Monikas Blick durch den Raum und bleibt auf einem Flügel hängen. Ein heißes Gefühl wallt in ihr auf. Hier, in diesem Lokal und an jenem Flügel dort könnte Reinhard spielen? Sie will es fast nicht glauben. Jetzt tritt der Mann endlich auf sie zu. »Sie wünschen?« fragte er herrisch. »Ist bei Ihnen Herr von Breiten beschäftigt?« Die Frau, die sich an den Tischen zu schaffen macht, hebt lauschend den Kopf. »Herr von Breiten?« fragt der Mann zurück, und sein Blick geht prüfend über die elegante Erscheinung. »Hat Sie jemand geschickt?« fragt er mit ein wenig zusammengekniffenen Augenlidern. »Geschickt? Nein, wie kommen Sie darauf? Ich selbst möchte ihn sprechen.« »So, Sie möchten ihn sprechen?« Der Mann tritt einen Schritt zurück, hebt wieder ein Glas gegen das Licht und fährt nach einer Weile mit einem härteren Ton in der Stimme fort: »Herr von Breiten kommt erst später hierher.« Das ganze Blut wallt Monika zum Herzen. »Also doch«, murmelt sie vor sich hin. Dann bezwingt sie mit aller Gewalt die Schwäche, die in ihr aufkommen will und fragt: »Um welche Zeit, wenn ich bitten darf?« »Sie dürfen, Sie dürfen«, antwortet der Mann mit zynischem Lächeln und betrachtet Monika noch einmal genau. »Um fünf wird er hier sein.
Aber... wenn Sie warten möchten, dann nehmen Sie doch einstweilen Platz. — Simone«, ruft er, »bitte, fragen Sie die Dame, ob sie etwas trinken möchte.« »Ja, einen Kaffee!« antwortet Monika, ohne die Frage der Frau abzuwarten. Sie setzt sich an einen Tisch in der Ecke, und zwar so, daß sie nicht jedem Eintretenden gleich ins Auge fällt. Die Zeit verstreicht unendlich langsam, die Minuten scheinen sich zu Ewigkeiten zu dehnen. Reinhard von Breiten kommt nicht... Monika ist bis in den kleinsten Winkel ihres Körpers voller Spannung und Erwartung, doch soll alles umsonst gewesen sein? Was wird der Onkel denken? Wie lange mag er auf sie warten müssen? Aber Reinhard muß doch einmal kommen. Plötzlich erhebt sie sich und geht hinaus. Ja, so wird sie es machen, jetzt dem Onkel Bescheid geben, daß sie nicht vergebens nach ihm geforscht hat, dann später wird sie mit • dem Onkel gemeinsam noch einmal in die Bar gehen ... * Kaum hat Monika den Raum verlassen, als Reinhard von Breiten eintritt. Ein wenig ungehalten sieht der Chef auf. Er sagt aber nichts. Simone eilt auf ihn zu. »Du, Reinhard, ich muß dir etwas sagen.« »So? Sehr Wichtiges!« »Ich weiß nicht, ob es für dich sehr wichtig sein wird.« »Also, bitte«, sagt er mit gepreßter Stimme. In diesem Augenblick glaubt er zu wissen, wovon wieder die Rede sein wird. Von ihm. Selbstverständlich. Das muß ja kommen, dieses Gespräch, diese Frage, warum er sich verspätet hat, weshalb er wieder einmal nicht pünktlich war. Es ärgert ihn. Hat er ihr Rechenschaft über sein Tun abzulegen? Was verbindet ihn schon mit ihr?
Simone sieht ihn an. »Du hattest Besuch«, sagt sie leise und senkt die Lider. »Ja?« »Du fragst nicht einmal, wer es war?« »Ach — Nein ... vielmehr —" »Was vielmehr? Ja oder Nein?« »Wer soll mich schon besuchen? Aus diesem Grund interessiert es mich eigentlich wenig.« »So«, sagt Simone und schweigt. Stille. Und diese kalte Stille ist wie ein Vorhang. Er ist nicht zu durchdringen. Diese Stille ist fast unerträglich. »Sonst noch etwas?« fragt er, weil er reden muß, um von dem Schweigen nicht erdrückt zu werden. »Jawohl«, antwortet sie und schweigt wieder einen Augenblick. »Eine Frau war hier, Reinhard, und wenn ich mich nicht täusche ...« »Wann und welche Frau? Was soll das heißen, wenn ich mich nicht täusche?« »Du willst ja nichts erfahren, warum soll ich mich dir aufdrängen«, sagt Simone ein wenig beleidigt. »Bitte, Simone, verzeihe, ich war einfach ärgerlich. So, nun sage mir, was geschehen ist.« »Also, eine Frau war hier und hat nach dir gefragt. Sie hat nicht darüber gesprochen, wer sie ist. Sie hat lange dort hinten in der Ecke gesessen und stets zur Tür gesehen. Wahrscheinlich hat sie sehr auf dich gewartet.« Sie unterbricht sich. »Dann ist sie gegangen, ohne ein weiteres Wort.« Wieder Stille. Er schlägt ein par Takte an. »Du, Reinhard, kannst du mir aufrichtig auf eine Frage antworten? War es deine Frau?« »Aber Simone«, seine Stimme klingt gequält, »das ist doch — ich verstehe deine Frage nicht, und überhaupt ist es überflüssig, darüber zu reden —"
Simone steht vor ihm. In ihrem weißen Gesicht brennen auf den Wangen zwei rote Flecken, so erregt ist sie. »Reinhard — verzeih, aber ich muß es dir sagen... du kannst deine Frau nicht, wenn sie es wirklich war, übergehen. Du mußt etwas tun — du kannst nicht ohne sie sein — ich fühle und bemerke es schon seit langem.« Angstvolle, tiefe Stille. Jetzt klingt Simones Stimme noch leiser, als sie sagt: »Du weißt, warum sie gekommen ist, und du selbst hast zu mir gesagt, daß du immer darauf gewartet hast, sie einmal wiederzusehen — Du mußt jetzt klug sein ...« »Du hast immer auf sie gewartet, Reinhard, und jetzt darfst du nicht ausweichen.« »Simone — " » -- du hast dich immer selbst belegen, Reinhard, wahnsinnige Sachen geredet, um dich selbst über den Trennungsschmerz hinwegzutäuschen. Aber ich habe gewußt, daß es nur Selbstbetrug war. Deine verwundete Seele flüchtet sich hinter eine Maske. Du willst deine innere Qual vor der Welt verbergen, aber das gelingt dir nicht, Reinhard, dazu bist du kein Mensch. Du hättest nicht fortgehen dürfen von deiner Frau.« Immer noch ist das Lokal leer. Hin und wieder schaut der Chef auf die beiden Menschen, die miteinander flüstern. Er weiß, was sie zu bereden haben. Er ahnt, daß die Frau von Breiten sich nach ihm erkundigt hat. Manchmal tut er ihm leid. »Was hätte ich deiner Meinung nach tun sollen?« »Eine Frau läßt man nicht allein, Reinhard.« »Es ist nun mal geschehen! Ich hatte ja auch ganz den Verstand verloren. Nun ist
nichts mehr zu ändern. Ich werde schon irgendwie damit fertig werden. So lebe ich weiter wie bisher, wenn nicht mit
ihr, dann eben ohne sie.« »Ich begreife nicht was du da redest, Reinhard. Du bist doch selbst nicht davon überzeugt, was du da sagst. Ich glaube, du bist von Sinnen! Du weißt überhaupt nicht, was du da redest. Oder ich habe mich wirklich in dir getäuscht — es mag vielleicht doch etwas Wahres daran sein, wenn man sagt, du seiest kein Mann für eine Ehe. Vielleicht ist es auch der Grund, daß du mich ...« Mit einem Satz springt Reinhard auf — packt ihre Hand und preßt ihr das Gelenk. »Du, Simone, bist du verrückt geworden? Was redest du denn nun für unsinniges Zeug zusammen von mir und meiner Frau-----" Der Schmerz des Druckes ernüchtert Simone. Ein wenig gekränkt geht sie auf einen der nächsten Tische zu. »Wie du willst, Reinhard, reden wir nicht mehr davon.« Reinhard läßt sich am Flügel nieder. Irgend etwas würgt ihm in der Kehle. Die Erinnerung an seine Frau ist wach geworden. . Sollte es wirklich Monika gewesen sein? Bei diesem Gedanken steigt ein Brennen in ihm auf. Das Blut wallt ihm zum Kopf. »Monika«, murmelt er ganz leise. Wie leicht ihm der Name über die Lippen kommt. Spielen muß er, spielen! Er muß die Gedanken von sich abwälzen ... Seine Finger gleiten über die Tasten, er holt das letzte aus dem Instrument heraus. Dann verklingt der letzte Akkord. Regungslos sitzt Reinhard vor dem Flügel. Sein Blick ist starr auf die Tasten gerichtet. Er hat nicht bemerkt, daß sich die Tür geöffnet hat und eine Frau eintrat, die wie angewurzelt stehenbleibt. Erst als er Schritte auf sich zukommen hört, wendet er sich um — dann sieht er in das Antlitz seiner Frau. Träumt er? Oder ist er plötzlich verrückt geworden? Das
kann doch niemals Wahrheit sein... Plötzlich fährt er zusammen. Ich kann ihr nicht gegenübertreten, so nicht! geht es durch seinen Sinn, dann springt er, als sei er von Sinnen, auf, hastet zur Tür, öffnet sie und ruft ein Taxi. Der Fahrer öffnet den Schlag und tritt dann zurück. Mit weitgeöffneten Augen bleibt Monika einen Augenblick stehen, dann eilt auch sie hinaus. Der Wagen kommt auf die wie erstarrt dastehende Frau zugerollt. Wie eine Verbrecherin flüchtet sie hinter einen breiten Steinpfeiler. Knapp von ihr entfernt fährt der Wagen vorüber. Ihre Blicke saugen sich an dem geliebten Gesicht fest. Sie hört Reinhards Stimme, die dem Fahrer irgendein Ziel nennt. Es gibt ihrem Herzen einen schmerzhaften Stich. Er fährt fort, während sie zu ihm gekommen ist und jetzt, nachdem sie ihn gesehen hat, fast vor Leid vergeht. Monika lehnt sich mit schneeweißem Gesicht an den steinernen Pfeiler. Warum nur ist er fortgegangen? Warum fürchtet er ein Zusammentreffen? Sie preßt die Hand fest auf den geschlossenen Mund, um den entsetzten Schrei zu ersticken. Längst ist der Wagen in einer Straßenbiegung verschwunden. Ein paar Passanten blicken neugierig auf die blasse junge Frau, die sich kaum auf den Füßen hält. Monika fühlt eine Schwäche, der sie kaum Herr werden kann. Vor ihren Augen tanzen bunte Kringel. Sie möchte sich gern der aufkommenden Ohnmacht hingeben, um zu vergessen, was geschehen ist. »Monika, was ist passiert?« Die Stimme ruft sie von der Schwelle des Vergessens zurück in die Wirklichkeit. Hans Deiters, der Onkel, steht vor ihr und schaut sie besorgt an. Monika bemüht sich vergebens, ihre Füße zu bewegen — sie
versagen ihr den Dienst. »Er ist fortgegangen«, würgt sie mühsam hervor, »Einfach fortgegangen.« »Komm, Monika, komm mit mir. Hier kannst du nicht bleiben«, drängt der Onkel und sieht sich unschlüssig um. Monika schaut verwirrt auf den Onkel. »Nein, das kann ich wahrlich nicht. Nur... soll ich unverrichteter Sache wieder umkehren? Ich kann nicht, ich kann es nicht...« »Komm, Monika«, redet er ihr herzlich zu, »Gehen wir einstweilen in ein Restaurant, dort können wir uns weiter unterhalten.« Monika hat nicht mehr die Kraft, sich zu . wehren. Willenlos läßt sie sich zum Wagen geleiten. »Zum nächsten besseren Restaurant«, befiehlt Hans Deiters dem Fahrer. Geräuschlos setzt sich der schwere Wagen in Bewegung. Unterwegs betrachtet der Onkel voller Sorge das blasse, starre Gesicht seiner Nichte. Schmerzverkrampft liegen ihre Lippen aufeinandergepreßt. Er hätte ihr gern ein aufmunterndes Wort gesagt, aber er sieht ein, daß es sinnlos ist. Mitleid steigt in ihm auf. Er kann verstehen, wie elend ihr zumute sein muß. Und als er immerzu auf das schöne, ebenmäßige Antlitz schaut, das unter der dichten Haarkrone noch edler wirkt, wachen in ihm Beschützergefühle auf. Er muß der Nichte helfen, er muß versuchen, unter allen Umständen den Mann ihrer Liebe zur Umkehr zu bitten, wenn Monika nicht an ihrem Unglück zerbrechen soll. Im Restaurant angekommen, lassen sich Onkel und Nichte an einem abseits gelegenen Tisch nieder. Jetzt wird er ihr sein Vorhaben mitteilen, er wird ihr sagen, daß er versuchen will, mit Reinhard persönlich zu sprechen. »Ich werde ihn dir zurückbringen, Monika, und du wirst dich
dann mit ihm aussöhnen können.« Trotz dieser gutgemeinten Zusicherung fühlt sie deutlich, daß sie nicht mehr die Kraft hat, ihm gegenüberzutreten. Ein hilfloses Zucken steht um ihren Mund. »Ich kann nicht!« sagt sie mit zitternder Stimme. In Monikas Innerem ist eine so grenzenlose Traurigkeit, daß sie jetzt nicht mehr die Kraft besitzt, dem Wunsch, dessen Erfüllung sie jetzt so nahe war, noch einmal nachzukommen. Und als Hans Deiters sie zögernd bittet, jetzt nicht ganz zu verzweifeln, reißt sie sich zusammen und sagt: »Ich will es nicht, Onkel!« Er sieht ihre Erregung, aber er läßt nicht locker. Mit viel Mühe bringt er es schließlich zustande, sie zu überreden, auf ihn zu warten. Er gibt ihr das Versprechen, daß er nicht ohne ihren Mann zurückkehren wird. Müde lächelnd sagt sie zu ... Gleich darauf steht Hans Deiters im Gewühl der Straße und schreitet rüstig aus. Da sieht er auf der anderen Seite den Menschen gehen, den er im Begriff ist aufzusuchen. Er überschreitet den Fahrdamm und steuert auf ihn zu. Reinhard von Breiten will ahnungslos weitergehen, als er eine Stimme hinter sich hört: »Entschuldigen Sie vielmals, habe ich die Ehre mit Herrn von Breiten?« Verwirrt schaut Reinhard auf den Fremden. »Ja, bitte? Was wünschen Sie von mir?« »Gestatten Sie einen Augenblick, wenn ich mich nicht irre, kamen Sie vorhin aus der »Thalia-Bar«, und...« »Erlauben Sie — was geht das Sie an?« unterbricht ihn von Breiten. »Was wollen Sie? Ich sehe keine Veranlassung, dieses Gespräch fortzuführen.« Er legt seine Hand auf die Klinke einer Ladentür, als sei er im Begriff, einzutreten.
»Ich möchte Sie um keinen Preis belästigen, nur ... es geht um meine Nichte.« »Was habe ich mit Ihrer Nichte zu tun, mein Herr?« »Oh, sehr viel, das glaube ich wenigstens annehmen zu können, meine Nichte ist nämlich Ihre Frau!« »Monika?« fragt Breiten verständnislos. »Ja, Monika! Warum sind Sie davongelaufen, als sie vor Ihnen stand?« »Bitte, wollen wir nicht einen Augenblick hier eintreten?« sagt Breiten. »Gern!« antwortet Deiters. Bald darauf sitzen sie in einem Restaurant, in ein eifriges Gespräch vertieft, nebeneinander. »Ich schäme mich vor Monika, einmal weil ich es zu nichts gebracht habe, und zum ändern, weil ich sie damals verlassen habe ohne irgendeinen Grund. Ich weiß, das alles ist keine Entschuldigung für das, was ich getan habe, aber... Sie sind ein Mann, Sie müßten mein Verhalten verstehen. Ich war kopflos, ich wußte nicht, was ich tat. Und als Monika eben vor mir stand, da überkam mich grenzenlose Scham. Wie gern hätte ich sie in meine Arme geschlossen, wie gern mein müdes Haupt an ihre Schulter gelegt. Aber — verstehen Sie mich, es war entsetzlich, ihr in solch einer Atmosphäre gegenüberzustehen, sie wissen zu lassen, daß ich in einem Milieu zweiter Klasse lebe.« »Ich versuche, Sie zu verstehen, Herr von Breiten, nur eines kann ich nicht begreifen«, sagt Deiters, um von ihm einmal zu hören, wie weit er noch von seinem Ziel ist, das er sich einst setzte, »warum führen Sie nicht einen gesicherten Beruf aus? Warum leben Sie von der Hand in den Mund?« »Sehen Sie, Herr ...« »Deiters, wie Ihre Monika, Herr von Breiten.« »Ja, sehen Sie, Herr Deiters, auch das hat eine lange Vorgeschichte. Ich weiß nicht, inwieweit Sie von Monika
unterrichtet worden sind, aber ich hatte ein Ziel, ein großes Ziel. Ich wollte einmal ein guter Komponist werden. Doch habe ich bei all meiner Mühe dieses Ziel nicht erreichen können. Ich muß unter einem unglückseligen Stern geboren sein.« »Aber, Herr von Breiten, das besagt alles nicht, daß man eine Frau, die sich ganz für den Mann ihrer Liebe opfert, so ohne weiteres ihrem Schicksal überläßt.« Einen Augenblick herrscht gedankenschwere Stille, doch dann fährt Reinhard fort: »Ich liebe Monika, Herr Deiters, das dürfen Sie mir glauben. Ich liebe sie über alles. Und aus dieser Liebe heraus habe ich sie ihren Weg nehmen lassen, den sie gehen mußte. Ich konnte Monika nicht noch länger an mein verpfuschtes Leben binden. Ich fand einen Brief, in dem Ihr Bruder Monika bat, zurückzukommen. Sie wäre niemals gegangen, wenn ich sie nicht auf diese Art dazu gezwungen hätte.« »Und Ihr Ziel?« fragt Deiters plötzlich in die Worte hinein. »Ihr Ziel, Herr von Breiten, wie sieht es damit aus?« Noch tiefer werden die Schatten auf Reinhards hoher Stirn. »Es ist vorbei — alles vorbei, jetzt kann ich keinen Anschluß mehr finden, es ist alles so sinnlos geworden.« »Werfen Sie immer so schnell die Flinte ins Korn?« »Wenn Sie wüßten, Herr Deiters, wie viele Tage, Monate und Jahre vergangen sind, in denen ich noch voller Hoffnung war.« Hans Deiters zündet sich eine Zigarre an. Als er seinem Gegenüber eine anbietet, lehnt dieser dankend ab. »Wenn ich Sie jetzt um etwas bäte, Herr von Breiten, würden Sie meiner Bitte nachkommen?« »Ich kenne Ihre Bitte nicht!« »Gut, dann möchte ich sie Ihnen sagen. Nicht weit von hier ist Monika. Sie wartet mit brennendem Herzen darauf, Sie in ihre Arme zu schließen. Ich weiß nicht, ob Sie das Verlangen haben, Monika jetzt gegenüberzutreten. Aber dazu möchte ich
noch folgendes sagen: ich habe mein Wort gegeben, daß ich nur mit Ihnen zu ihr zurückkommen werde. Geschähe es ohne Sie, dann hätte ich mein Wort gebrochen. Also könnten nur Sie mir helfen. Außerdem — ich hätte noch eine Neuigkeit für Sie, etwas, das Sie vielleicht mit Freude aufnehmen werden, jedoch kann ich das jetzt nicht, um nicht den Eindruck haben zu müssen, Sie seien nur unter bestimmten Voraussetzungen mit mir gekommen. Überlegen Sie es sich einen Augenblick.« Deiters zieht bedächtig an seiner Zigarre und bläst dicke Schwaden in die Luft. Reinhard kämpft mit sich, denkt er, als er in das verzweifelte Gesicht des Mannes vor sich sieht. Er wartet auf eine Antwort, doch vergebens. Dann wendet sich Deiters noch einmal an ihn. »Ich sehe, es fällt Ihnen nicht leicht, in den Schoß einer Familie zurückzukehren. Entschuldigen Sie diese Frage, aber ich sehe mich gezwungen, sie an Sie zu stellen. Lieben Sie Ihre Frau?« Breiten schaut ihn verzweifelt an. »Lieben fragen Sie? Monika muß man lieben. Ich habe sie immer geliebt und werde sie immer lieben.« »Dann kommen Sie, Herr von Breiten, dann steht Ihrer Rückkehr nichts mehr im Wege.« Deiters erhebt sich. Reinhard weiß einen Augenblick lang nicht, was er tun soll, doch dann erhebt er sich ebenfalls. Es geschieht langsam, als tue er es völlig unbewußt. Deiters bezahlt und verläßt das Lokal. Der junge Mann folgt ihm wie ein Schlafwandler. . Aufseufzend läßt Reinhard sich in dem Wagen nieder, nachdem Deiters ihn dazu aufgefordert hat. In seinem Gesicht zuckt es vor Schmerz und bitterer Selbstanklage.
»Ich kann nicht wiedergutmachen«, sagt er mit einem tiefen Atemzug. »Sie ist zu schwer enttäuscht worden von mir.« »Wir werden sehen«, erwidert Deiters und versucht, seiner Stimme einen gleichmütigen Klang zu geben. »Überlassen Sie alles mir, ich werde schon alles in Ordnung bringen.« »Nein, Herr Deiters, ich glaube kaum, daß es jemals vergessen werden kann, was ich tat. Monika hat so viel getragen, und ich habe ihr Leben so bitter gemacht. Gewiß, ich gehe zu ihr, jetzt, da Sie mich darum bitten, aber ich nehme die Gewißheit mit, daß ich schuldig geworden bin am verlorenen Leben Monikas. Was kann ich ihr in aller Zukunft bieten?« »Ich bat Sie, mir alles weitere zu überlassen. Genügt Ihnen das nicht, oder ist es Ihnen am Ende nicht gut genug?« fragt Deiters jetzt energisch. »Wenn Sie mir nicht alles verderben wollen, dann schweigen Sie jetzt über diese Dinge, und warten Sie erst einmal ab.« »Helfen Sie mir, Herr Deiters!« bittet Reinhard. »Ich schäme mich vor Monika.« »Schämen?« fragt er. »Weshalb? — Sie hat Sie immer geliebt, auch als Sie im bittersten Elend lebten, und wird es um so mehr tun, wenn Sie jetzt zu ihr zurückkommen.« Dann treten beide in den Raum, in dem Monika auf sie wartet. Ihr Herz schlägt zum Zerspringen, als sie Reinhard auf sich zukommen sieht. Ein paar glitzernde Tropfen rollen ihm über die Wangen, als Reinhard seine Frau in die Arme schließt. »Reinhard, mein armer Reinhard!« »Liebe, liebe Monika, ich danke dir, daß du gekommen bist. Verzeih mir, vorhin hatte ich keinen Mut, ich ...« Sie legt den Zeigefinger auf seine Lippen als Zeichen dafür, daß er keine weiteren Erklärungen geben soll. »Jetzt bist du bei mir, und alles ist gut«, sagt sie und lächelt schwach. »Ich habe es nicht mehr ausgehalten ohne dich. Ich mußte
wissen, wie es um dich stand. Und aufrichtig gesagt — ein Leben ohne dich ist kein Leben. Meinem Onkel habe ich es nun zu verdanken, daß ich dich gefunden habe. Er hat alles getan, um deinen Aufenthaltsort zu erkunden, nachdem mein Vater und ich vergebens nach dir forschten.« »Dein Vater?« fragt Reinhard sichtlich erstaunt. »Ja, mein Vater. — Da staunst du, nicht wahr, Reinhard? Aber er hat längst alles vergessen und ist bereit, dich als seinen Sohn anzuerkennen.« »Ist das wahr, Monika? Ich kann das noch nicht glauben.« »Es ist aber so, Reinhard!« Monika sieht, daß ihn noch etwas bedrückt. Sie glaubt auch zu wissen, was es ist. Doch sie fragt nicht. Er soll selbst damit herauskommen, damit sie und der Onkel ihm die erfreuliche Antwort geben können. »Was kann ich tun, um mich nun der Zuneigung deines Vaters würdig zu erweisen?« »Du mußt mich nur liebhaben, Reinhard, nur liebhaben, das ist alles.« »Das allein genügt mir nicht, Monika, ich muß nun wieder versuchen, doch noch mein hohes Ziel zu erreichen!« »Habe keine Angst, mein Junge! Der Himmel schenkt dir mehr, als du erwartest.« Gespannt betrachtet Deiters das Gesicht des Mannes. Er kann die kommende Frage kaum erwarten. Hunderte von Kobolden tanzen während dieses Wartens in seinen Augen. »Der Himmel schenkt mir mehr, als ich erwarte?« fragt Reinhard verständnislos. »Wie soll ich mir das erklären?« Jetzt schaltet sich Monika ein. »Liebster Reinhard, du glaubst nicht, wie glücklich ich darüber bin, dir etwas sagen zu können, was dir wie der Himmel auf Erden vorkommen wird. Denk dir, mein Onkel hat all deine Arbeiten aufgekauft.«
»Was?« »Ja, du bist ein Meister, hat er gesagt — denk dir, ein Meister, Reinhard ...« »Aber wieso? Ich begreife das nicht. Meine Arbeiten? Du hast mir nie etwas von einem Onkel gesagt, und... und was hat er mit meinen Arbeiten zu tun?« Reinhards Blick geht von einem zum anderen. Jetzt schaltet sich die gütige Stimme des Onkels ein. »Wir wollen dich — so darf ich doch sagen?« »Aber ganz gewiß ...« » ... wir wollen dich nicht länger auf die Folter spannen, lieber Reinhard. Jetzt, da du zu deiner Frau zurückgekommen bist, sollst du alles erfahren: Also — deine Arbeiten sind Gold wert — ich will dir auch sagen, warum ich mir dieses Urteil erlauben kann. Ich suche einen Komponisten. Zu diesem Zweck bin ich überhaupt nach Europa gekommen. Und wie es der Himmel und das Schicksal wollen, fallen mir deine Arbeiten in die Hände. Ich kann sie nur als überdurchschnittlich gut bezeichnen. Monika wollte sie zunächst nicht abgeben, aber dann nach einiger Überlegung kam sie zu dem Schluß — jetzt höre und staune — das Gut, das väterliche Gut, zurückzukaufen, zu dessen Veräußerung deine Mutter gezwungen war.« »Um Gottes willen!« »Ja, Reinhard, ich hatte noch keine Gelegenheit, mit dir über diese Sache zu sprechen. Du mußt nämlich wissen, daß ich bei deiner Mutter war und sie in einer verzweifelten Lage fand.« Monika erzählt nun bis ins kleinste Detail, was während seiner Abwesenheit geschehen ist. Mit angehaltenem Atem lauscht Breiten den Worten seiner Frau. Jetzt plötzlich wird er sich seiner allzu großen Schuld noch einmal bewußt. »Du brauchst nicht traurig zu sein, Reinhard, ich habe deine
Arbeiten nur aus diesem Grund meinem Onkel gegeben, damit ich von diesem Erlös das Gut zurückkaufen konnte. Mein Onkel hat das alles für mich erledigt. Deine Mutter weiß noch nichts davon, wir werden es ihr sagen, wenn wir beide mit Vater und Onkel zu ihr fahren.« »Oh... Monika, ich verdiene diese Güte nicht. Wie soll ich nur danken?« »Es ist alles gut, und immer wird nun Frieden um uns sein.« »Ach, ist es herrlich, zwei Menschen, die sich lieben, aus dem Dschungel der Einsamkeit wieder zurückzuführen«, sagt Deiters mit fröhlicher Stimme. »Aber ich verfolge auch einen Gedanken dabei, meine Lieben.« Deiters schmunzelt. »Und was ist das für ein Gedanke?« fragt Monika. »Ich möchte euch etwas geben... kein Geld, kein Materialien, wie ihr vielleicht denkt, nein, das braucht ihr alles nicht mehr. Ich habe einen Namen, und den möchte ich euch geben, damit ihr ihn bei der Taufe des Erstgeborenen hinzufügt. So habe ich die Garantie, daß sich mein Name durch Generationen fortvererbt.« Ein tiefes Rot färbt Monikas Wangen. Reinhard aber streckt dem Onkel die freie Hand entgegen, da er mit dem anderen Arm seine Frau umfangen hält. In seine Augen tritt ein Glanz, wie ihn Monika noch niemals bei ihm gesehen hat, als er antwortet: »Es soll so sein, wie du es wünschst, Onkel, wenn ich dich auch so nennen darf... Wenn uns der Himmel einen Sohn schenken sollte, soll er deinen Namen tragen. Und später einmal werde ich ihm sagen, was es mit diesem Namen für eine Bewandtnis hat. So wird sich auch die Dankbarkeit, die ich dir schulde, durch Generationen fortvererben.« Jetzt entsteht eine feierliche Minute des Schweigens.
Niemand getraut sich, diese andächtige Stille zu stören. Hans Deiters jedoch hält es nicht lange aus, seine Zukunftspläne weiter zu verheimlichen. So beginnt er noch einmal: »Ich bin eigentlich mit meinen Ausführungen nicht ganz zum Schluß gekommen. Ich sagte dir, daß ich bereits deine prachtvollen Arbeiten gekauft habe. Aber damit soll nicht alles beendet sein, nein, jetzt fängt die Sache erst richtig an, für mich interessant zu werden. Folgenden Plan habe ich mir zurechtgelegt, das heißt, wenn ihr beiden damit einverstanden seid. Du, Reinhard, wirst mir laufend Kompositionen per Luftpost zuschicken. Ich dagegen verspreche dir, jede Arbeit ihrem Wert nach zu honorieren. Und wenn alles solche prächtigen Stücke sind wie die, die ich jetzt in meinen Händen habe, dann brauchst du nichts zu fürchten. Nach kurzer Zeit wirst du einen Namen haben, der um die halbe Welt geht, dafür werde ich sorgen. Dann bist du deinem Ziel nah.« Reinhard stehen Tränen der Rührung in den Augen. Er weiß nicht mehr, ob er wacht oder träumt. Es klingt fast wie ein Märchen. Da hat er nicht nur die Frau wiedergefunden, nein weit mehr, der Schwiegervater wird ihn anerkennen, die Mutter wird auf ihren altgewohnten Platz zurückkehren, und er hat sein Ziel erreicht! Oh wunderbares Leben! jauchzt es in ihm. Noch einmal streifen seine Gedanken die verräucherte Bar, Simone ersteht noch einmal vor ihm, mit ihren gütigen Ratschlägen, und seine Wirtin, die ihn an seine Mutter erinnerte. Das alles wird er jetzt hinter sich lassen, um einem besseren Leben, einer goldenen Zukunft zuzusteuern. Und draußen tanzen Sonnenstrahlen ohne Zahl, als müßten sie gerade jetzt zu dieser Stunde mit ihrem Reigen einsetzen, um über all das furchtbare Leid, das ein grausames Schicksal
diesen Menschen zugefügt hat, den goldenen Mantel des Vergessens zu breiten . »Alles, was in meiner Macht lag, habe ich getan, um mein Anwesen stets in bestem Zustand zu erhalten«, sagt Vater Deiters, als Monika und Reinhard ihm am Abend gemeinsam mit dem Onkel gegenübersitzen. »Ich werde es einmal in eure Hände legen, jetzt, da ich weiß, wie glücklich ihr seid. Es ist ein schöner Besitz, und ich war immer — und bin es noch — recht stolz darauf. Doch eigentlich hat das Schönste darauf gefehlt: zwei liebende Menschen. Nun seid ihr da, und mein Leben findet in diesem Moment seine große Erfüllung.« Ungestüm schmiegt Monika sich an den Vater, ihre Wangen schmeicheln an seinem Gesicht. »Du bist wundervoll, Vater!« Zärtlich streicht seine Hand über das Antlitz seiner Tochter. Er hat Mühe, seine Rührung zu verbergen. Monika richtet ihren Blick auf Reinhard, der ein wenig nachdenklich vor sich hinstarrt. Sie sieht, daß über seinen Augen ein leichter, dunkler Schatten liegt und daß es manchmal bitter um seinen Mund zuckt. »Woran denkst du Liebster?« fragt sie behutsam und streichelt weich seine Hand. »Ich denke gerade, wie froh es meine Mutter stimmen würde, wenn sie wüßte, wie glücklich ich in eurem Hause bin. Dein Vater hat mich willkommen geheißen, als sei ich sein leibhaftiger Sohn, ich weiß nicht, wie ich das alles danken soll.« Werner Deiters schüttelt seinen ergrauten Kopf. »Ich verdiene keinen Dank. Viel zu spät habe ich mich besonnen, wie schön es sein kann, einen Sohn zu haben. Doch noch ist Zeit genug, alles gutzumachen. — Wollen wir es halt versuchen, aus unserem Leben das Beste zu machen. Und was deine Mutter anbetrifft — lange wird sie nicht mehr
allein sein, bald schon wird sie ihre Kinder in die Arme schließen können.« Monika küßt ihren Mann leicht auf den Mund. »Ich freue mich schon auf den Besuch, Reinhard. Auch für dich. Ich weiß, wie sehr du im Grunde deines Herzens deine Mutter liebst. Ich selbst liebe sie, obwohl ich sie nur ein einziges Mal sah. Und sollte es auch nicht der Fall gewesen sein, sollte sie mir völlig unbekannt sein, auch dann würde ich sie lieben können. Sie hat dir das Leben gegeben, darum allein liebe ich sie schon. Jeden Tag wird sie darum gebetet haben, daß das Schicksal dich eines Tages in ihre Arme zurückführt, und wenn es geschehen ist, erst dann wird sie ihren Lebensabend in Ruhe verbringen können. Ihr Glück aber wird vollkommen sein, wenn sie erfährt, daß sie auf das Gut ihrer Väter zurückkehren kann...« Dankbar drückt Reinhard die Hände seiner Frau und streichelt ihr liebevoll über das Haar. Noch einmal geht ihm sein vergangenes Leben durch den Kopf. Es fällt ihm auch ein, wie tief ihm die Worte des Schwiegervaters an seine Tochter in das Herz schnitten, ohne daß er es vielleicht in dem Maße gewollt hat. Doch eines weiß er ganz genau, dadurch hat er sein seelisches Gleichgewicht voll und ganz verloren. Doch das ist nun alles vorbei und vergessen... Werner Deiters fühlt, daß irgend etwas in seinem Schwiegersohn vorgeht, und er ahnt auch, was es ist. Noch einmal versucht er nun, ihm das zukünftige Leben zu erleichtern. Er will ihm begreiflich machen, daß er sich nicht mehr mit Selbstvorwürfen zu quälen braucht. »Es ist nicht leicht, plötzlich vor so vielen Problemen zu stehen, Reinhard, aber jetzt ist alles gut. Du wirst eine gesicherte Beschäftigung haben. Und — über eines mußt du dir im klaren sein — deine Arbeit war ja jetzt nicht umsonst. Ich habe das zunächst auch nicht anerkennen wollen, aber
heute bin ich zu der Einsicht gekommen, daß ich dich genauso, wie vielleicht damals dein Vater, verkannt habe. — Erst jetzt, nachdem mein Bruder mich aufgeklärt hat, sehe ich mein Unrecht ein. Du, Reinhard, hast nichts verloren, was du nicht nachholen kannst. Die glücklichen Stunden, die dich erwarten, werden schöner sein als alle, die du je erlebtest. Du hast durch deinen Fleiß das Haus deiner Väter zurückerlangen können. Du hast deine Heimat, das Haus deiner Ahnen, das nur durch den Tod deines Vaters in fremden Besitz kam, mit deinem verdienten Geld zurückgekauft. So wirst du auch einmal dieses Anwesen dein eigen nennen, und später ist es dein Sohn, der es einmal übernehmen wird. Siehst du, du brauchst nichts zu bereuen, es hat alles sein gutes Ende gefunden.« Reinhard hat sich erhoben. Wie erstarrt steht er inmitten des Zimmers. Er braucht eine ganze Weile, um die Bedeutung der Worte zu begreifen. »Vater—du hast mich als deinen Sohn aufgenommen!« Reinhard hat diese Worte nur leise gesprochen und eine tiefe Erschütterung bemächtigt sich seiner. Langsam kommt Leben in die erstarrte Männergestalt. Mit einem einzigen großen Schritt steht er vor Monika und zieht sie in seine Arme. Sein zuckendes Gesicht wühlt sich in ihre Haare. »Monika — jetzt wird alles gut, ich schwöre es dir. Ich werde deinem Vater ein guter Sohn sein, er soll seinen Edelmut nicht bereuen!« In Monikas Herz steigt ein unsagbar dankbares Gefühl für den Vater, der sich endlich bereit erklärt hat nachzugeben, um des Glückes seiner Tochter willen. So beschließen die drei Menschen, so bald wie möglich zum Landhaus Frau von Breitens zu fahren. Mit frohem Herzen erwarten sie den Tag, an dem auch der letzte Wunsch in
Erfüllung gehen soll... Der Wald dehnt sich unermeßlich weit hinter dem kleinen Landhaus aus, er ist schwarz und undurchdringlich. Gefallene Stämme liegen vermodert am Boden. Der Abendwind rauscht im Laubwerk der dichtstehenden Bäume. Aus dem Landhaus dringt ein schwacher Lichtschein und erhellt einen langen Streifen des schmalen Weges. Wie milder Odem steigt schleiergleich der Nebel auf. Er streift die Bäume, Hügel und Abhänge. Im Innern des Zimmers verteilt sich das Licht, das mit gelblichem Schimmer durch das unverhangene Fenster fällt, so, daß es nur noch schwach die Gegenstände erkennen läßt,- die sich Silhouettenhaft vom Hintergrund abheben. Eine monotone Stimme herrscht, und es ist, als zittere darin verstecktes Weinen ... Hinter dem Ofen zirpen heimlich die Grillen, abgebrochen ist ihr Gesang, bloß hin und wieder, dann ist es still. Es scheint, als hörten sie dem Gespräch zu, das Irene von Breiten und ihre Dienerin führen. »Ich glaube nicht mehr an die Rückkehr Ihres Sohnes, gnädige Frau, zu lange schon haben Sie gewartet. Und was die junge Frau anbelangt, glaube ich, daß sie nicht mal Ihren Sohn gefunden hat, sonst hätte sie sich doch gewiß schon einmal gemeldet«, sagt die alte Dienerin und schaut mit hellen, wachen Augen auf die Greisin, die immer noch voller Hoffnung auf das Eintreffen des Sohnes wartet. »Ich habe es niemals versäumt, keinen Abend und keinen Morgen, den Herrgott um seine Hilfe zu bitten, und er wird sie mir nicht versagen. Er hat noch keinen Menschen, der um Hilfe bat, verstoßen. Er wird auch mir helfen, das weiß ich ganz genau.« Dann herrscht wieder für einen Augenblick Stille im Zimmer. Irene von Breiten sagt sich immer wieder, daß sie im Grunde froh ist, die Dienerin bei sich zu haben. Sie ist glücklich,
nicht ganz allein in diesem Zimmer zu sein, allein mit ihrem unendlichen Schmerz. Plötzlich hebt die schwergeprüfte Frau den Kopf. Hörte sie nicht Schritte? Oder hat sie sich getäuscht? Doch bevor sie sich noch weitere Gedanken darüber machen kann, klingelt es. Steffi öffnet die Tür. Reinhard tritt zunächst allein ein. Auf der Schwelle bleibt er wie angewurzelt stehen. Mit flammenden Augen starrt er auf die Gestalt, die, im Lehnsessel sitzend, ihren Blick ebenso starr auf ihn gerichtet hat. »Mutter!« ruft er. »Mutter, endlich habe ich dich wieder!« Irene von Breiten scheint sich immer noch nicht aus ihrer Starre lösen zu können. Sie rührt sich nicht. Bestürzt schaut sie immer noch auf den vor ihr stehenden Mann. Verzweifelt sucht sie nach Worten, aber es will ihr nichts einfallen. Nicht einmal die anderen drei Menschen hat sie bemerkt, die mittlerweile ebenfalls in den Raum getreten sind. Es herrscht atemlose Stille. Die alte Dienerin versucht, den Besuchern einen Platz anzubieten, doch Werner Deiters winkt ihr unauffällig ab, er will und kann diesen feierlichen Augenblick nicht stören. Langsam erhebt sich die Frau aus dem Lehnstuhl. — Sie kommt mit gemessenen Schritten auf den immer noch wartenden Mann zu. Die Augen der Mutter blicken voll Zärtlichkeit auf den Sohn herab. Der Mund versucht zu lächeln, aber ihre Lippen zittern. »Reinhard... mein Sohn — sag doch etwas«, bittet sie leise und verhaltene Freude liegt in ihren Augen. Die großen Augen Reinhards betrachten das Antlitz der Mutter. Dann fliegt er plötzlich mit einem lauten Aufschrei in ihre Arme. Werner Deiters, sein Bruder und Monika, sie alle wischen hin und wieder verstohlen eine Träne von den Wangen.
»Reinhard, Reinhard — du bist gesund! Ich kann es gar nicht fassen. Reinhard — mein geliebter Sohn.« Aufschluchzend liegt Reinhard immer noch in den Armen der Mutter, die ihm liebevoll über das Haar streicht. Frau von Breiten glaubt zu träumen. Sie wagt nicht, die Augen wieder zu öffnen aus Angst, sie könne plötzlich aus diesem Traum erwachen und alles wieder wie ein Spuk verschwinden. Aber noch immer fühlt sie das pochende Herz des Mannes, der in ihren Armen ruht und der ihr immer ein guter Sohn war. »Reinhard, lieber Reinhard«, flüstert sie immer wieder, als wisse sie sonst nichts zu sagen. »Mein guter Sohn!« Wie hat sie nur jemals denken können, er käme niemals mehr zurück. Hat also der Herrgott doch ihr Flehen gehört. »Mutter!« flüstert Reinhard kaum hörbar, mit vor Erschütterung gebrochener Stimme, »ich habe Besuch mitgebracht.« Freudig bewegt wendet sich die Greisin um. Lächelnd geht sie auf die drei wartenden Menschen zu. Ihre Augen füllen sich mit Tränen, doch es sind Tränen der Freude, die jetzt über ihr Antlitz rinnen, und sie schämt sich dieser Tränen nicht. Mit liebevollem Blick schaut sie auf Monika. Sie nimmt die Hand der jungen Frau und bedeckt sie mit Küssen. »Aber Mutter, das darfst du nicht, das ist meine Pflicht.« Und schon umarmt auch Monika die glückliche Frau. »Du hast ihn gefunden... du hast ihn mir zurückgebracht ...«, stammelte Irene von Breiten immerzu. Dann begrüßt sie die beiden Herren, die Reinhard ihr vorstellt. Frau von Breiten weiß nicht, was sie tun soll. Ein flehender Blick geht zu Steffi, die ihre Herrin sofort versteht. Höflich fordert sie die Herrschaften auf, Platz zu nehmen.
Es ist alles so überwältigend, so unglaublich... Frau von Breiten wendet sich noch einmal ihrem Sohne zu. — Ihre Augen blicken nun stumm in die seinen, lange, unbeweglich, als wolle sie mit diesem Blick alles Gewesene vergessen machen. Noch einmal tritt Reinhard zur Mutter. »Verzeih!« flüstert er, »verzeih mir alles, was ich dir angetan habe.« Reinhard schluckt die aufkommende Erregung hinunter. »Verzeihen, mein Sohn, was soll ich verzeihen?« »Mutter, nie habe ich dich und den Vater enttäuschen wollen, aber die Liebe zur Musik war stärker. Jetzt ist alles wieder gut, nicht wahr, Mutter? Du hast vergeben? Du verstehst mich, eine Mutter versteht ihr Kind.« Irene von Breiten legt die Hände auf die Köpfe Reinhards und Monikas, als wolle sie jetzt noch nachträglich ihren Segen zu dem Bund ihrer Ehe geben. Nun wendet sich Frau von Breiten den Gästen zu. Sie erfährt um das tragische Geschick der beiden jungen Menschen, die nur durch die Hilfe Hans Deiters zusammengefunden haben. Dann beginnt Frau von Breiten ihrerseits zu erzählen, wie es zu dem Verkauf des Gutes gekommen ist. Reinhard hat absichtlich nicht danach gefragt, um die Wiedersehensfreude nicht zu trüben. Dann erfährt Frau von Breiten, daß es durch den Erlös von Reinhards Arbeiten möglich gemacht wird, das Anwesen zurückzukaufen. Jetzt ist das Glück vollkommen. Irene von Breiten wird in den kommenden Tagen, so beschließt man, mit Hilfe der Familie Deiters in ihre alte Heimat zurückkehren. Die allgemeine Freude kennt keine Grenzen. Reinhard und Monika sehen sich in die Augen. Sie sind überglücklich, daß alles ein so gutes Ende gefunden hat. Dann greift Monika im Überschwang ihrer Gefühle zu der schwarzen Perle, die auf der weißen Haut leuchtet, und sagt
feierlich: »Eine Perle, tausend Tränen, sagt man, doch jetzt wein ich nicht! Nie mehr sollst allein dich wähnen, uns're Liebe niemals bricht.« ENDE