Vermogenskultur: Verantwortung im 21. Jahrhundert

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Author: Thomas Druyen

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Thomas Druyen (Hrsg.) Vermögenskultur

Thomas Druyen (Hrsg.)

Vermögenskultur Verantwortung im 21. Jahrhundert

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Frank Engelhardt VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Ten Brink, Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-17375-7

Inhalt

Vorwort des Herausgebers: Vennögenskultur - Verantwortung im 21. Jahrhundert Thomas Drnyen

Teil I

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Reflexionen und Studien zur Vermögenskultur

Vennögen ist mehr als Geld Thomas Drnyen Freiheit, weltbildendes Handeln und Eliten Grundlagen der Vennögenskulturforschung Anna Schor-Tschudnowskaja Linguistische Analyse zur Bedeutungsgeschichte des Wortes Vennögen Jerra Lui Busch Vennögend handeln? Ein allgemeines Handlungsmodell zur Erklärung gesellschaftlichen Engagements Wolfgang Lauterbach Eigenvennögen: Ein sozialkognitiver Grundriss Tarek el Sehity Untemehmerisches Engagement: Beispiele gelebter Vennögenskultur durch Superreiche Daniel Brenner

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85 101

113

"Es wird hier einfach erwartet" - Philanthropie in den USA und in Deutschland .... ....... 131 Petra Krimphove

Teil n

Interdisziplinäre Positionen

Vennögenskultur und Sozialkapita1 Angelika Hagen

155

6

Inhalt

Das Vennögen zu glauben. Vennögenskulturelles Denken in theologischer Sicht Claudia Andrews

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Geld oder Leben! Grundzüge der Wirtschaftspsychiatrie Othmar Hill

181

Blindheit als Vennögen. Über Potenziale, die im Dunkeln liegen Andreas Heinecke / Clemens Sedmak

197

Metamorphosen. Über eine neue Art des Vennögens in dieser Zeit Bernhard von Mutius

213

Arbeitsmarktfli.higkeit und Bildung als immaterielle Vennögenswerte Anita Graf

219

Teil III Positionen Vermögender Werte geben Orientierung und schaffen Vennögen MartinEssl "Vennögende fordern Vennögensabgabe" - Eine neue Fonn des Engagements vennögender BÜfgerlnnen BrunoHaas

241

257

Über Venture-Philanthropie Wolfgang Hafenmayer

277

Talent und Vennögen - Verantwortung des Unverdienten Franz Harnoncourt und Georg Starhemberg

297

Nachwort Thomas Druyen

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Danksagung des Herausgebers

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Die Autoren

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Vorwort des Herausgebers: Vermögenskultur - Verantwortung im 21. Jahrhundert Thomas Druyen

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts gibt es so viel Geld auf diesem Planeten wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte. Eine Entwicklung, die viele Fragen aufwirft:. Und bei der Fülle möglicher Herangehensweisen erschien es naheliegend, sich jenen Kreisen zuzuwenden, die dieses Geld in erster Linie verdienen, besitzen und verwalten. Die mit dieser Thematik betraute wissenschaftliche Disziplin ist grundsätzlich die Reichtumsforschung. Nach intensiver Beschäftigung mit der vorliegenden Forschung musste ich allerdings feststellen, dass gerade jene, die über finanzielle Ressourcen oberhalb einer Größenordnung von zehn Millionen US-Dollar verfügen, noch keiner systematischen Analyse unterzogen worden waren. Es gab also eine paradoxe Situation: Gerade im Zeitalter der höchsten Geldbestände lag die Gruppe jener, die am meisten besitzen, im blinden Fleck der wissenschaftlichen Wahrnehmung. In den letzten Jahren ist es nun gelungen, eine die Reichtumsforschung ergänzende Disziplin aufzubauen, die wir Vermögensforschung nennen. l Die Begriffiichkeit spielt in diesem Zusammenhang eine wesentliche Rolle. Der Begriffdes Reichtums reflektiert neben Wunschvorstellungen und Vorurteilen vor allem die materielle Dimension. Deshalb ist es in den letzten Jahrzehnten kaum gelungen, Auskünfte von den Betroffenen selbst zu bekommen und entsprechende Interviews und Befragungen durchzufiihren. Dieses Manko verdammte die Reichtumsforschung zu einer Auseinandersetzung mit öffentlich zugänglichen Daten, die die eigentliche Klientel der Reichen nicht adäquat abbildeten. Dieses Dilemma galt es zu überwinden. Die Lösung ergab sich aus einer Erkenntnis in einem anderen Wissenschaftsbereich. Viele Jahre hatte ich mich mit dem demografischen Wandel und vor allem der Zukunft des Alters beschäftigt. Bei der Fülle der mit älteren Menschen geführten Gespräche machte ich immer wieder eine Erfahrung: Die Beschäftigung mit der Qualität des Alterns fiihrte zu einer viel intensiveren und emotionaleren Atmosphäre als ein Einstieg über die Quantität des erreichten Lebensalters. Die Frage, was man mit der durch den medizinischen Fortschritt in den letzten Jahrzehnten hinzugewonnen Zeitspanne machen kann, fiihrte zu einem unvoreingenommenen Dialog, der auch die Selbstreflexion förderte. Dagegen war die materielle, an das Lebensalter gekoppelte Diskussion immer begleitet von einer Aura der Stigrnatisierung. In diesem Zusammenhang kam mir zum ersten Mal der Gedanke, das Alter als eine Art des Vermögens zu begreifen. Es kommt nicht allein darauf an, was und wie viel man hat, sondern wesentlich, wie man damit umgeht. Diese Einsicht hat seit dem Jahrtausendwechsel meine Wahrnehmung - und mein Leben - verändert. Wie mit einer Infrarotkamera gelingt es immer besser, das Undurchsichtige, die

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dunkle Seite des Materiellen, des Konsums und der Anhäufung zu durchleuchten, um in der Komplexität unserer Gegenwart verantwortungsbewusst zu navigieren. Diese Methode, das Qualitative aus dem Quantitativen herauszuarbeiten, nannte ich damals, eher intuitiv, "Vermögenskultur". Nach einigen Jahren des Experimentierens habe ich im Jahre 2007 zum ersten Mal versucht, diese Welt des Vermögens in einem Buch darzulegen. 2 Seit dieser Zeit sind wissenschaftliche, unternehmerische, philanthropische und individuelle Netzwerke entstanden, die sich mit dieser Vermögensphilosophie beschäftigen oder sie zumindest streifen. Einen ersten, modellhaften Querschnitt möchte ich mit Hilfe der hier versammelten Autoren vorlegen. Aus der beschriebenen Erfahrung im Umgang mit der Altersthematik ergab sich die Chance, diese Erkenntnis zu einem Perspektivenwechsel in der Reichtumsforschung zu nutzen. Wie der demografische Wandel häufiger als Fluch denn als Segen verstanden wird, so ist auch der Mythos des Reichtums von belasteten Einschätzungen und Neiddebatten umstellt. Die Lösung des Dilemmas besteht möglicherweise darin, sich auf die immateriellen Qualitäten des Reichtums zu konzentrieren. Das neue Feld der Vermögensforschung fokussiert auf eine faire Auseinandersetzung mit der konstruktiven und verantwortungsbewussten Umsetzung materiellen Wohlstandes und eröffnet damit eine neue, unvorbelastete Perspektive, den Repräsentanten dieser anzahlmäßig relativ überschaubaren Klientel zu begegnen. Eine weitere, entscheidende Begünstigung dieses Ansatzes bestand in der eindeutigen Trennung von Reichtum und Vermögen. Diese beiden begriftlichen Komplexe ganz klar im Sinne von Quantität und Qualität zu differenzieren, skizzierte den Vermögensbegriff als eine Werthaltung, deren ganzheitliche Prozesshaftigkeit nun untersucht werden konnte. In diesem Sinne halte ich es durchaus für legitim von einer Vermögensphilosophie zu sprechen, die eine wesentliche Existenzfrage unserer Gegenwart aufwirft: Können wir angesichts der Endlichkeit unserer Ressourcen weiter bedingungslos auf materielle Wachsturnsziele fokussieren? Oder müssen wir nicht endlich die individuelle und globale Lebensqualität der Menschen als programmatischen Gradmesser unserer Errungenschaften begreifen? Natürlich ist das eine sehr grundsätzliche Fragestellung. Aber sie hat auch eine ganz pragmatische Kehrseite: Jeder Erkenntnisgewinn auf dem Gebiet dessen, was wir vermögen, bedeutet eine unmittelbare Verbesserung unserer Handlungsoptionen. Dass in diesem Zusammenhang auf denjenigen, die über die meisten materiellen Güter verfügen, in der Zukunft eine außergewöhnliche Verantwortung zukommt, liegt auf der Hand. In der vorliegenden Publikation geht es weniger um die mittlerweile erarbeiteten Ergebnisse der Vermögensforschung, sondern vielmehr um den leitenden Begriffder Vermögenskultur, die unterschiedlichen Formen seiner Anwendung und Interpretation. Vermögen ist mehr als Geld. Vermögenskultur ist - so mein Vorschlag einer grundlegenden Definition - die Förderung und Pflege von materiellen und immateriellen Werten, von Beziehungen und Netzwerken zum Schutze der individuellen, familiären, gesellschaftlichen und globalen Zukunftsfähigkeit. In diesem Sinne habe ich Kolleginnen und Kollegen, Mitstreiter sowie interessante Einsichten versprechende Persönlichkeiten gebeten, sich mit diesem Thema und der ihm innewohnenden Architektur der Verantwortung auseinanderzusetzen. Herausgekommen ist dabei ein Lesebuch, das einige Perspektiven der vermögenskulturellen Praxis vorstellt und sich als eine Vorlage für die Wissenschaft versteht. Die Tatsache, dass die Idee der Vermögenskultur

Vorwort des Herausgebers:Vermögenskultur - Verantwortung im 21. Jahrhundert

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tatsächlich in der Wirklichkeit angekommen ist und weit über die hier gelieferten Belege hinausgeht, freut mich sehr. Zugleich ist klar, dass dies alles nur der Anfang ist. Die folgenden Essays haben sich in eigener Regie und aus unterschiedlichen Perspektiven von diesem Thema inspirieren lassen. ImAnschluss daran erlaube ich mir, in der Fülle von Variationen den roten Faden der Vermögenskultur zu kennzeichnen. Ich danke den Co-Autoren von ganzem Herzen, denn vielfach haben sie den Stapellauf der Vermögensforschung schon in einem frühen Stadium begleitet und gef6rdert. Eine Idee erweist sich erst dann als vermögensbildend, wenn sie sich verselbständigt und in anderen Leben eigene Ausprägungen findet.

*** Amnerkungen

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Siehe Druyen, Thomas; Lauterbach, Wolfgang; Grundmann, Matthias (Hrsg.) (2009): Reichtum und Vermögen. Zur gesellschaftli.chen Bedeutung der Reichtums- und Verm.ögensforschung. Wiesbaden: VS Verlag fllr Sozialwissenschaften. Siehe Druyen, Thomas (2007): Goldkinder. Die Welt des Vermögens. Hamburg: Murmann Verlag.

Teil I Reflexionen und Studien zur Vermögenskultur

Vermögen ist mehr als Geld Thomas Druyen

Es gibt wohl keinen Zweifel, dass die globalisierte Welt vor bis dahin ungeahnten Herausforderungen steht. In dieser Situation ist entscheidend, ob es uns gelingt, unterschiedliche Vermögen handlungsführend zusammen zu bringen. Dabei geht es nicht nur um die Finanzmärkte, um materielle Wachstumserwartungen oder die Geldbedeutung insgesamt, sondern auch grundsätzlich um die Frage, was Werte, Wille und Verantwortung vermögen, um den Zug der Zeit nicht in die vorprogrammierte Katastrophe rasen zu lassen. Vor diesem Hintergrund ist es ratsam., sich über eine veränderte Vermögensarchitektur Gedanken zu machen, die unsere Möglichkeiten neu kalibriert und formatiert. Wer das Wort Vermögen hört, denkt in der Regel unwillkürlich an geldwerte Rücklagen, denn der Vermögensbegriffwird in unserer Gesellschaft in erster Linie materiell und monetär wahrgenommen. Man kann jedoch Vermögen oder Vermögenskultur auch als ein Lebensprinzip begreifen, als eine Geisteshaltung, die alle Milieus betrifft, als eine Überzeugung, die nicht ausschließt, sondern einbindet, als eine persönliche Lebensauffassung, die ausgerichtet ist auf das, was man vermag. Diese spezielle Wahrnehmung von Vermögen sowie die Kultur, sich diese Haltung anzueignen und sie umzusetzen, wird im Folgenden näher beschrieben. Schon vor einem halben Jahrhundert hat der Philosoph Karl Jaspers festgestellt, dass der Mensch vor der Alternative steht, unterzugehen oder sich zu wandeln. Diese Einsicht hat an Dringlichkeit gewonnen und wird durch glaubwürdige Protagonisten aus Wissenschaft und Kultur unzweifelhaft bestätigt. 1 Die gesamte Welt ist befangen in einem selbst erzeugten Bedrohungskomplex, der sich unübersehbar der Routine traditioneller Problemlösungen entzieht. Ursachen und Wirkungen scheinen so kompliziert miteinander verzahnt zu sein, dass alle bisherigen Ordnungsmodelle ökonomischer, politischer, gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Art versagen. Offensichtlich bestätigt sich wieder einmal die Einschätzung Albert Einsteins, dass die Denkweise, die ein Problem erzeugt, sich nicht dazu eignet, dieses auch zu lösen. Es bedarf einer neuen und veränderten Perspektive. Eine Alternative, um eingefahrene Denkprozesse zu verändern, bietet die veränderte Auseinandersetzung mit dem Vermögensbegriff. Anhand seiner bereits angedeuteten gängigen Verwendung können wir ablesen, wie sich ein Jahrtausende alter Sinnzusammenhang in den letzten Jahrzehnten einseitig verändert hat. Herausgekommen sind dabei unhaltbare Wertvorstellungen. Der hier entscheidend zu beklagende Verlust ist die allmähliche Trennung von materiellem und immateriellem Vermögen. Damit einher geht eine Trennung von Geld- und Realwirtschaft, Leistung und Erfolg, Sinn und Konsum. Insgesamt hat diese Entwicklung zu einer tragischen Instrumentalisierung unserer Werte und Tugenden geführt - und letztlich zu

T. Druyen (Hrsg.), Vermögenskultur, DOI 10.1007/978-3-531-92086-3_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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einer Ökonomisierung unseres Bewusstseins. Überspitzt formuliert lautet das Credo der Gegenwart: Das Gute muss sich rechnen, und das Richtige ist das, was sich rentiert. In dieser Sitution ist es hilfreich, sich zu erinnern, dass der Vermögensbegriffviele Quellen besitzt. Sie reichen vom Geld- und Sachvermögen, vom Erkenntnis- und Leistungsvermögen bis hin zu den Vermögen der Gesundheit, des Glaubens oder des Vertrauens. In diesem Sinne erscheint Vermögen nicht länger nur als ein materielles Ziel, es wird zur Selbstverpflichtung, aus sich, seinen Möglichkeiten und seiner Umgebung das Beste zu machen. Ergänzend sei hier auf einen zentralen Vermögenskulturgedanken aus der philosophischen Weisheitslehre verwiesen. Für Aristoteles bedeutete Vermögen ein Prinzip der Bewegung und der Veränderung. Nach seinem Verständnis besitzt nur derjenige ein Vermögen, der es auch ausübt und in Gebrauch nimmt. Er verstand darunter eine besondere Eigenschaft, die einen Menschen dazu befllhigt, sich und andere zu verändern und sich selbst zu bestimmen. 2 Entsprechend liegt der Sinn einer Vermögenskultur darin, die unterschiedlichen Möglichkeiten des eigenen Handelns bewusst und verantwortungsvoll einzusetzen. Daher definiere ich die Vermögenskultur grundsätzlich als: die Förderung und Pflege von materiellen und immateriellen Werten, von Beziehungen und Netzwerken zum Schutz der individuellen, familiären, gesellschaftlichen und globalen Zukunftsfähigkeit. 3 Diese Vermögensphilosophie erhebt einen hohen Anspruch und sie wird sich durch unermüdliche Arbeit in den nächsten Jahren ihren Platz in der Wahrnehmung erst noch erkämpfen müssen - ein Unternehmen, das ohne Zweifel auf interdisziplinäre Kooperationen angewiesen ist. Ein Beispiel dafür ist die jüngst von unserem Institut an der Sigmund Freud Privatuniversität entwickelte Vermögenspsychologie4, die sich mit den psychischen Wechselwirkungen zwischen außergewöhnlichem materiellen Vermögen, der daraus erwachsenen Lebensgestaltung und ihren geistigen, familiären sowie emotionalen Konsequenzen beschäftigt. Vermögensforscher, Psychologen und Psychotherapeuten arbeiten gemeinsam an der Etablierung dieser Forschungsrichtung. Um den experimentellen Charakter des vermögenskulturellen Denkens zu skizzieren, möchte ich aus der Fülle von Referenzbeispielen drei paradigmatische Aspekte herausstellen: Zunächst eine kurze Einführung in die 2006 begonnene Vermögensforschung und ihren zentralen Begriff der Vermögenskultur, der uns bewusst machen soll, dass zwischen Reichtum und Vermögen völlig unterschiedliche Lebenseinstellungen liegen. Danach beschäftige ich mich mit den Grenzen unseres Wahrnehmungsvermögens und ihren psychischen Folgeerscheinungen, wenn man so will mit einer Krisenpsychologie. Zum Abschluss nehme ich Bezug auf humanitäre und sozialunternehmerische Lösungsexperimente, die teilweise schon sehr erfolgreich und nachhaltig in der Wirklichkeit angekommen sind, um damit die Brücke zu den folgenden Beiträge zu liefern. Eine Vielzahl von Gesprächen mit "Superreichen" und hoch vermögenden Personen sowie die Analyse von Biografien und Dynastiegeschichten führte zu einer verblüffenden Schlussfolgerung: "Die Reichen" als kohärente Gruppe gibt es gar nicht. Zwischen hoch vergüteten Vorstandsvorsitzenden und Börsengurus, zwischen Stahlmagnaten und Medienrnoguln, zwischen Oligarchen und generösen Philanthropen, zwischen Familiendynastien und welt-

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berühmten Fihnstars liegen individuelle und biografische Welten, die sich nicht angemessen unter einem einzigen Oberbegriff subsumieren lassen. Zahlenmäßig haben wir es weltweit mit zirka 100.000 Personen zu tun, die sich auf einer Vermögensskala zwischen 30 Millionen und 50 Milliarden US-Dollar bewegen. Darunter befinden sich zurzeit rund 1000 Milliardäre. Weltweit rechnet man mit einer Zahl von zirka zehn Millionen Millionären. s Alle diese Leute als ,,reich oder superreich" über einen Kanun zu scheren ist aber etwas anderes, als alle Personen über einem Maß von einem Meter achtzig als groß zu bezeichnen. Um die komplexe Welt der dort herrschenden unterschiedlichen Größenordnungen zu durchdringen, bedarf es erst einmal unvoreingenommener Differenzierungen. Dies alles entzieht sich der öffentlichen Kenntnis bisher weitgehend, und der Mythos "Reichtum" manifestiert nur die herrschende Ahnungslosigkeit. Die theoretische und empirische Unschärfe des bisherigen Reichtumsbegriffs, der höchst unterschiedliche Gruppen in einen Topf wirft, markiert nicht nur ein politisches und wissenschaftliches Defizit. Sie manifestiert auch eine erstaunliche Ignoranz gegenüber der Lebensleistung von Menschen, die wesentlich zum Wohlstand und Wachstum der Gesellschaften, in denen sie leben und wirken, beigetragen haben. Nicht zuletzt verstellt die herrschende Unklarheit den Blick auf diejenigen, die sich auf Kosten anderer persönlich bereichern. Solange die den Reichtum betreffenden Fragen nicht auf der Grundlage gültiger Maßstäbe beantwortet werden können, bleibt es bei einem strategischen Gesinnungsaktionismus, der die oberen Milieus handeln und die unteren träumen lässt. Und wenn wir unter den Kapitalstarken die Vorbildlichen nicht von den Halbseidenen unterscheiden können, weil sie unsichtbar bleiben oder wir keine Kriterien der Bewertung haben, dann überlassen wir die politische Meinungsbildung dem Boulevard und all denjenigen, die der Zeitgeist in die Talkshows spült. Aus diesen Gründen war es notwendig, nicht nur die Reichtumsforschung systematisch weiterzuentwickeln, sondern diese durch eine eigenständige Vermögensforschung zu ergänzen. Der Vermögensbegriff erlaubt uns, nicht nur die Summe des materiellen Besitzes zu erfassen, sondern auch seine qualitative Verwendung und deren individuellen Voraussetzungen zu erforschen. Vor diesem Hintergrund kann es gelingen, die Spreu vom Weizen zu trennen. Wenn wir lernen, Reiche von Vermögenden zu unterscheiden, verringert sich die Gefahr oberflächlicher Urteile und polemischer Stereotype. Mit einer allgemein höheren Sachkenntnis kann dann eine vorbildliche Vermögenspraxis anschaulich gemacht werden - und es lassen sich maßlose oder kriminelle Aneignungen leichter ahnden. In diesem Sinne dient die Vermögensforschung der wissenschaftlichen Grundlegung humanistischen Verhaltens und verantwortungsbewussten Handelns. Indem wir die konstruktive Art, mit Besitz und Potenzial umzugehen, als eine gemeinschaftsbildende Qualität identifizieren, rücken wir Möglichkeiten in den Blick, die Gräben zwischen den gesellschaftlichen Milieus zu verkleinern. Die Zeiten von Neid, Abschottung und Generalverdacht sollen durch eine solide wissenschaftliche Vermögensforschung überwunden werden. Die quantitativen Dimensionen stehen allerdings nicht im Vordergrund meines Interesses. Mich beschäftigen vor allem die qualitativen Aspekte, in erster Linie die Frage, was diese Schichten zur gesellschaftlichen Gesamtentwicklung beitragen. Ob jemand Multi-Millionär oder Milliardär ist, besitzt für die Gesellschaft vergleichsweise wenig Inforrnationsgehalt. Ent-

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scheidend ist die Art und Weise, wie er oder sie mit der vorhandenen Substanz umgeht. Von dieser Perspektive aus komme ich immer wieder zu der signifikanten Aufteilung in zwei Kategorien: Reiche und Vermögende. Während der Reiche Gewinne nur :für sich selber macht, nutzt der Vermögende seine vielfiiltigen Möglichkeiten, um Verantwortung zu übernehmen und Zukunft zu gestalten. Oder mit anderen Worten: Reichtum steht in einer vergleichbaren Relation zum Vermögen wie Wissen zur Weisheit. Jede Form des konkreten Engagements hinterlässt Spuren, sowohl in gesellschaftlicher und gemeinnütziger Hinsicht als auch im Selbstwertgefiihl. Und in dieser motivierenden Sinnstiftung liegt ein unentwegtes Potenzial der Veränderung. Man vermag, etwas zu tun. Reine Finanztransaktionen dagegen bleiben im Hamsterrad der Reichtumsanhäufung, ohne der Verantwortung innerhalb der Gesellschaft Rechnung zu tragen. Wer in einem Lebensstil egozentrischer Selbstgenügsamkeit steckenbleibt, untergräbt die Grundlagen einer schützenden Gemeinschaft. Und auch unterlassenes Engagement hinterlässt seine Spuren im persönlichen Lebensumfeld. Der Unterschied zwischen Reichen und Vermögenden, Superreichen und Hochvermögenden dient auch der Grundlegung einer fairen öffentlichen Bewertung. Er bedarf jedoch weiterer Aufklärung. Deutlich werden sollte, wie fundamental sich die Lebenshaltungen von Reichen und Vermögenden unterscheiden. Wir haben es mit zwei grundverschiedenen Mentalitäten zu tun. Selbstsucht und Ignoranz sowie Verantwortung und Weitblick stehen sich in dieser Konstellation konträr gegenüber. Es ist das Ziel der Vermögensforschung, diese unterschiedlichen Lebenswelten klar voneinander abzugrenzen und das Leistungsspektrum derer in Augenschein zu nehmen, die das Prinzip der Koexistenz verstehen und verwirklichen. Leider sind Ansätze einer solchen Aufklärung nicht nur Mangelware, sie werden geradezu behindert durch verschleiernde Biografien, feuilletonistische Beiträge und populistische Parolen. Das Ziel dieses wissenschaftlichen Pionierprojekts ist nicht allein die Erkundung einer bisher weitgehend unsichtbar gebliebenen Klientel, sondern auch die Etablierung eines gesamtgesellschaftlichen Vermögensbegriffs im Sinne eines wachen Wertebewusstseins. Neben der humanitären und wissenschaftlichen Ausrichtung sollte man volkswirtschaftlich nicht übersehen, dass gerade privater Reichtum und seine Inanspruchnahmefür den Wohlstand eines Landes unverzichtbar sind. Dazu zählt nicht zuletzt, dass die obersten 10 Prozent der Wohlhabendenfür 54 Prozent der Einnahmen aus der Einkommenssteuer stehen, immerhin ein Anteil von zirka 34 Prozent am Gesamtsteuerautkommen. Der überwiegende Teil des Kapitals, von Immobilien und Rentenoptionen einmal abgesehen, steckt als Gegenwert in Unternehmen, die der Gesellschaft die Arbeitsplätze stellen. Da Arbeit und Beschäftigung in absehbarer Zukunft weiterhin zentralfür unser gesellschaftliches Leben sein werden, wohnt jedem Beschäftigungsplatz ein doppelter Vermögenswert inne, als Plattform wirtschaftlicher Produktivität und sozialer wie persönlicher Integration. Insofern dient eine ernsthafte Vermögenskultur immer auch der Pflege und Förderung des gesamten gesellschaftlichen Humanvermögens. Die Zukunft werden wir nur meistern können, wenn alle verfiigbaren Kräfte zusammenwirken. Im Welthaushalt sind Löcher gerissen, die mit den herkömmlichen Methoden wirtschaftlicher und politischer Steuerung nicht mehr zu schließen sind. Längst ist klar geworden, dass die Armut nicht eine Naturkatastrophe jenseits des bürgerlichen Horizontes ist, sondern

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globaler Nährboden für Kriminalität und willkommene Rechtfertigung für Terroristen. Arme und Vermögende finden sich als korrespondierende Gruppen wieder, ob sie wollen oder nicht. Der Gegenpart des Vermögenden ist nicht der Arme, sondern der Reiche. Wer, ob ignorant oder egozentrisch, die Welt als Selbstbedienungsladen begreift und alle Verantwortung den anderen überlässt, steht einer Kultur des Vennögens massiv entgegen. Die Ungleichheit zwischen den Menschen ist kein Defizit aufgnmd noch nicht wirksamer Sozialprogramme, sondern ein Kembestandteil der Evolution. Es gilt daraus eine zukunftsweisende Perspektive zu entwickeln. In dem Bemühen, Differenzen lebenswert zu gestalten, liegt die immerwährende Herausforderung unserer Kulturen. Zumal es angesichts dieser Unausgewogenheit menschlicher Kräfteverhältnisse nicht verwunderlich ist, dass der Neid unentwegt ins Spiel kommt. Er kühlt zwar kurzfristig die Wunden, aber er heilt sie nicht. Stattdessen vernebelt er das Urteilsvennögen und vertieft Gräben dort, wo der Brückenschlag gebraucht wird. Die Schere zwischen "arm und reich" klafft auch in den deutschsprachigen Ländern mehr und mehr auseinander, im globalen Maßstab ist diese Relation tatsächlich desaströs. Auch wenn die Berechnungen sehr stark variieren, muss man, holzschnittartig angedeutet, zur Kenntnis nehmen, dass rund eine Milliarde Menschen Hunger leiden und weitere zwei Milliarden deutschen Armutsvorstellungen entsprechen. Auf der anderen Seite zählt man bei einer Weltbevölkerung von zirka 6,8 Milliarden Menschen, wie bereits erwähnt, rund 10 Millionen Millionäre, und nach meinen Schätzungen kann man davon ausgehen, dass deutlich weniger als ein Drittel, nämlich nur zirka 1,8 Milliarden Menschen weltweit jenen Wohlstand erleben, den westliche Mittel- und Oberschichten für völlig normal halten. 6 Diese unausgewogenen Verhältnisse machen es unausweichlich, ernsthaft über Gerechtigkeit, Lebensperspektiven und Verantwortung nachzudenken. Vor diesem Hintergrund ist es klar, dass die Debatte um die Rechtmäßigkeit von Reichtum und Vermögen sich noch zuspitzen wird. Leider ist die Art und Weise, wie diese Diskussion gefiihrt wird, von subjektiven, interessenspezifischen und ideologischen Strategien überlagert. Hinzu kommt, dass der Mythos des Reichtums in indischen, chinesischen oder europäischen Kulturen mit ganz unterschiedlichen Bedeutungen besetzt ist. Schon im Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland wird die Differenz augenflUlig. 7 Während hierzulande dieses Thema nach wie vor weitgehend tabuisiert und unter den Schutz der Privatsphäre gestellt wird, sind amerikanische Bürger stolz auf materiellen Erfolg und schätzen ihn als Segnung der Freiheit und der eigenen Kreativität. Das gesamte Spektrum dieses interkulturellen Vergleichs im globalen Maßstab ist ein zentraler Forschungsgegenstand unserer Vermögensforschung. Im Rahmen der gewonnenen Erkenntnisse sei hier nur angedeutet, dass das gesellschaftliche Gefühl für Rechtmäßigkeit und Angemessenheit von Vennögen maßgeblich von kulturellen und milieubedingten Voraussetzungen geprägt wird. Wenn die Finanz- und Wirtschaftskrise als legitimes Mittel der Umverteilung gedeutet wird oder gar als Zusammenbruch mit dem Ziel der Herstellung sozialer Gerechtigkeit, handelt es sich dabei meiner Ansicht nach nur um realitätsferne Gedankenspiele. Es lohnt sich in dieser Debatte genau zu untersuchen, welche Gruppe, welche Meinung lanciert, und man wird auch hier beobachten, dass kulturelle und ideologische Überlegungen handlungsleitend

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sind. 8 Dessen ungeachtet bleibt eine für die Vennögenden selbst unausweichliche Frage bestehen: Welche Fonn der Verantwortung wollen sie übernehmen? Die bevorzugte und sichtbarste Plattfonn dieser Absicht ist das weite Feld der Philanthropie, des Stiftungswesens und der humanistischen Förderungen. Hier war bis zum Ausbruch der Finanzkrise eine sehr deutliche Steigerung der Aktivität und Bereitschaft von Wohlhabenden dokumentierbar, Flagge zu zeigen. Die Einsicht einer vernetzten und voneinander abhängigen Welt führte zunehmend zu der pragmatischen Erkenntnis, sich als Teil seiner Umwelt zu begreifen. In diesem Bereich spielt der Charakter, die Religionszugehörigkeit und wiederum vor allem die Kultur eine wegweisende Rolle. Vennögende US-Amerikaner sehen es zum Beispiel als Verpflichtung und freiwillige Selbstverständlichkeit, der Gesellschaft etwas zurückzugeben. In Deutschland wird dieser Gedanke noch zögernd verinnerlicht. Hier beruft man sich weit stärker auf die Verantwortung der Sozialsysteme. Dennoch stiegen auch hier in den letzten Jahren die humanistischen Zuwendungen ganz beträchtlich. 9 Es wäre allerdings naiv zu glauben, dass die fundamentalen Verwerfungen auf den Finanzmärkten nicht zu spürbaren Einschränkungen im Bereich der Philanthropie führen werden. Wie immer nun diese Krisenkaskaden ausgehen werden, eine professionelle Verantwortungsübernahme der Vennögenden wird unverzichtbarer Bestandteil der Weltgesellschaft im 21. Jahrhundert sein. Genau diesen Prozess definiert der Begriffder Vennögenskultur, um auf seinen einsichtigen, sinnstiftenden und konzertierten Charakter hinzuweisen. Es geht neben Steuern und Spenden nicht um einen weiteren Aderlass des Wohlstands, sondern um die Etablierung einer sozialunternehmerischen Plattfonn, die neue Lebensperspektiven schafft und so vielen Menschen wie möglich die Chance vennittelt, aus der Armut in mögliche Mittelschichten aufzurücken. Dieser Paradigmenwechsel wird allen zugute kommen. Folgen wir dem klugen Rat des Nobelpreisträgers Paul Samuelson: "Um die Globalisierung akzeptabel zu gestalten, sollte eine gute Gesellschaft einen Teil der Gewinne der Gewinner benutzen, um einen Teil der Verluste der Verlierer auszugleichen. "10 Allerdings sollte man nicht so tun, als könnte mit Geschenken und Großzügigkeit die Welt gerettet werden. Vielmehr geht es darum, gesellschaftliche Probleme mit ethischen und unternehmerischen Mitteln zu lösen. Kommen wir nun zum zweiten thematischen Aspekt: der im Zuge der industriellen und ökonomischen Erfolgsgeschichte der großen Industrienationen zunehmenden Ablösung von materiellen und immateriellen Werten. Dieser Prozess wurde in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts durch einseitige Konzentration aufWachstums- und Gewinnmaximierung enonn beschleunigt und führte zur Trennung von Finanz- und Güterwirtschaft. Als eine historische Initialzündung kann die Aufgabe der Golddeckung des US-Dollars am 15. August 1971 durch den US-amerikanischen Präsidenten Richard Nixon angenommen werden sowie 1973 das Scheitern des Brerton-Woods-Abkommens und die Freigabe der Wechselkurse. Diese Abkoppelung bereitete den Boden für eine exponentiell sprießende Spekulationsökonomie, die eine vernünftige Relation zwischen Humanvennögen und Geldvennögen sprengte. Hiermit wurde der die Menschheitsgeschichte begleitende rote Faden des Zusammenhangs zwischen Leistung und Erfolg durchschnitten. Nicht mehr Vennögen und Verantwortung standen nun im Zentrum potenziellen Handelns, sondern Wachstumswahn und Geldhalluzinationen, die sich in einem unaufbaltsamen Strom

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konsumistischer Uferlosigkeit ausbreiteten. Peter Sloterdijk hat jüngst vom Märchenkern des kapitalistischen Reichtumsgedankens gesprochen. 11 Zweifellos steckt die Weltgesellschaft in einem aufreibenden Dilemma. Einerseits rückte sie durch Globalisierung, Welthandel, Finanzmärkte, Klimawandel und mediale Vernetzung immer näher zusammen. Anderseits entfernten sich drei Viertel der Weltbevölkerung um Lichtjahre von der Aussicht auf eine konkrete Vermögensbildung. Während die Protagonisten der Spekulationsindustrie in einer vermeintlich eigenen Liga spielten, stolperte die nationale und supranationale Politik den aus dem Ruder laufenden widersprüchlichen Interessen hinterher. Der emeritierte Wirtschaftswissenschaftler und Währungsspezialist Wilhelm Hankel bringt die paradoxe Option auf den Punkt: "Es könnte durchaus sein, dass sich die Löschschäden der Feuerwehr als gravierender erweisen als die Verheerungen der Brandstifter."12 Hin und her gerissen zwischen nationalstaatlicher Befindlichkeit, einem halbherzigen Wunsch nach kulturübergreifender Konsensbildung, wahlvolktaktischen Strategien und ökonomischem Kalkül trat in der Politik ein pragmatisches Unvermögen zu Tage, das in den Maßnahmen der Deregulierung den hochwillkommenen Ausweg entdeckte. Ein durchdachtes Konzept war das nicht. Bei der Beobachtung der genannten Entwicklungen sticht der Verlust eines entscheidenden immateriellen Vermögens vordringlich ins Auge - die Auflösung der moralischen Kompetenz. Dieser Prozess korrespondiert mit dem Nachlassen der individuellen und institutionellen Fähigkeit, komplexe Problemlagen und Zusammenhänge geistig und ethisch zu durchdringen. Die resultierende Vernebelung verhindert es zunehmend, in ihrer Wirkung klare Entscheidungen zu treffen. Das Vermögen des Verstehens, das im Zeitalter der Wissenschaftlichkeit scheinbar unaufhörlich anwuchs, scheint an eine epochale Grenze gestoßen zu sein. Aber nicht nur die Beschränktheit des individuellen und allgemeinen Erkenntnisvermögens wurde offensichtlich, sondern auch die Belastungsgrenzen der institutionellen Vermögensverwalter. Ob Regierungen, Vereinte Nationen, Weltbank, Think Tanks, Konzerne, Verbände, Universitäten oder Nichtregierungsorganisationen, im Angesicht der gegenwärtigen Sachlage drehen sich Prognosen, Einschätzungen, Beurteilungen und Interpretationen ständig im Kreis. Ein Big Picture der Weltentwicklung ist vollkommen außer Reichweite. Wenn Expräsident Bill Clinton verkündete, dass er erst nach seiner Amtszeit, mit seiner Stiftung, einigermaßen pragmatisch handeln könne, oder wenn sich der viele Jahre die Weltfinanzmärkte beherrschende ehemalige Notenbankpräsident Allan Greenspan entschuldigt, dass er bestimmte Entwicklungen schlicht nicht verstanden hätte, erkennen wir die Grenzen der individuellen und institutionellen Möglichkeiten auf sehr hohem Niveau. Diese Dimension der Ratlosigkeit wird durch die Tatsache universalisiert, dass die beiden Genannten den Zugriff auf die versammelte Globalintelligenz besaßen, ohne dadurch jedoch zu krisenpräventiven Handlungen zu gelangen. Es ist offensichtlich, dass die Welt momentan auf breiter Front an unüberwindbare Vermögensgrenzen stößt. Nach einem jahrzehntelangen Wachstumsrausch des Westens, dessen Logik dann auch in China und Indien Einzug hielt, erlebt man allgemein eine Vollbremsung der Weitsicht und des Überblicks. Vertraute Prinzipien werden weitgehend außer Kraft gesetzt. Nach einem Wahnsinnsspurt der totalen Entgrenzung in den Finanzmärkten, in der Technolo-

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gie und bei der Globalisierung, nach einer überschallartigen Jagd auf Fremdkapital, Wachstum und Gewinn zeigen sich die Menschen zutiefst verwundert, dass Quellen versiegen, Risiken aus dem Ruder laufen und Schulden gigantische Ausmaße annehmen. Überträgt man dieses globale Szenario auf ein individuelles und untemehmerisches Modell, ist die spielerische Naivität und Verblendung mit Händen zu greifen. Jedes Familienoberhaupt und jeder Familienuntemehmer weiß, dass er mit einer vergleichbaren Strategie sich und die Seinen in den sicheren Ruin befördert hätte. Auch wenn ich von Land zu Land gehe und Schulden aufnehme, wo meine vorherigen Gläubiger zu bezahlen oder gar meine Schulden zu verkaufen suche, komme ich irgendwann an den Punkt der unentrinnbaren Wahrheit. Und die lautet: Es gibt Vermögenskapazitäten, es gibt Vermögensvolumen und es gibt Vermögensgrenzen, die nicht ungestraft und ohne eine intelligente und rückkopplungsbewusste Vorgehensweise überschritten werden können. Fast jeder Mensch weiß das, aber bei egozentrischen, spekulativen, computer- und algorithmusbasierten Entscheidungen scheint der gesunde Menschenverstand seinen Dienst zu quittieren. In diesen Zusammenhängen nun vordergründig von Gier, Neid, Schlechtigkeit und Menschenverachtung zu reden, ist auch nur ein Reflex der Ratlosen, wo dem eigenen Unverständnis wenigstens mit einer Schuldzuweisung Orientierung zu ermöglichen. All diese Urteile mögen in EinzelflilIen zutreffen, aber die Ursachen liegen tiefer. Vor allem entlassen sie kein einziges Wohlstandsmilieu aus der Verantwortung und Teilhabe. Metaphorisch ausgedrückt reist die Menschheit mit einem selbst erzeugten Weltvehikel, dessen zunehmend komplexere Beschaffenheit sie immer weniger versteht. Der Soziologe Annin Nassehi konstatiert zu Recht: "Wir leben in selbsterzeugten Welten, in denen es nicht einmal mehr etwas hilft, alles richtig zu machen."!3 Das ist paradox, und genau das ist die Konsequenz, wenn individuelles und institutionelles Vermögen nicht mehr kompatibel sind. Die Wirkung kehrt sich gegen den Verursacher oder, anders gesagt, man erzeugt das Gegenteil von dem, was man wollte. Fatale Risiken entstehen dort, wo Vermögensgrenzen ahnungslos überschritten werden. Es ist leicht zu begreifen, dass es schnell zu unliebsamen Folgen führt, wenn man über seine Vermögensverhältnisse lebt. Und genau in dieser Situation befinden wir uns meiner Ansicht nach, da das rasende Wachstum der letzten Jahrzehnte unsere emotionalen, neuronalen, kulturellen, organisatorischen, ökonomischen und professionellen Kompetenzen schlicht und einfach übersteigt. Dieses Vermögensdefizit ist keineswegs nur einer grenzenlosen Gier oder einem grundsätzlichen Versagen der staatlichen Institutionen anzukreiden, es beruht auf der umfassenden Entwicklungs-, Informations- und Ereignisüberflutung unserer globalen Welt. "Wir haben zwar genug Informationen, mehr, als wir zur Entscheidung benötigen", meint der Essayist Wolf Lotter, "aber leider, leider - die Kapazität unseres Gehirns reicht nicht aus, wo damit fertig zu werden."!4 Die unendliche Fülle ständig wachsender und wechselnder Sachverhalte, der rasante Wandel bisher gültiger Lebenszyklen und das technisch gesteigerte Tempo unserer Handlungsanforderungen übersteigen unser vertrautes Fassungsvermögen. Stark vereinfacht aber hilfreich ist der Vergleich mit einem Pubertierenden, der in die noch unvorstellbare Welt der Erwachsenen vordringt. Die Weltgesellschaft befindet sich wahrscheinlich in der ersten großen Adaptionskrise der Menschheitsgeschichte, da der Grad der

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Vernetztheit und gegenseitigen Abhängigkeit noch niemals in der Vergangenheit so flächendeckend war wie heute. Vor Jahrzehnten hat man über die aufkommende Chaostheorie gelächelt. Der Schmetterling, der mit seinem Flügelschlag anderswo ein kontinentales Unwetter einleitet, erschien wie eine naive Metapher. Heute weiß man, dass zuweilen schon ein Wort oder ein falsches Zeichen ausreichen, um ungeahnte Turbulenzen zu erzeugen. Angesichts dieser Herausforderungen rückt das gesamte Spektrum der psychischen Befindlichkeit von Menschen und Institutionen in den Mittelpunkt der notwendigen Aufmerksamkeit. Alle Welt spricht nun inflationär von Krisen, einerseits kollektiv den Kopf in den Sand steckend oder anderseits Wilhehn Busch folgend in luftige Höhen fabulierend, hoffen die meisten, dass der Kelch des Verdrängten auf diese Weise wohlmöglich so an ihnen vorübergeht. Trauen wir dem Wort eines der wenigen Ökonomen, dessen Vorhersagen bisher weitgehend zutrafen. Nouriel Robini subsumiert, "dass Krisen ein fester Bestandteil des kapitalistischen Genoms sind. Sie sind keineswegs die Ausnahme, sondern die RegeL"!5 Und mit dieser Einschätzung ist er nicht allein. 16 Gefordert ist deshalb ein neues - ein vermögenskulturelles - Krisenbewusstsein. "Krisen müssen keine Katastrophen sein", meint Geseko von Lüpke, Spezialist für neue Denkansätze. "Das Wort Katastrophe bezeichnet im Griechischen die gefll.hrliche Kurve bei antiken Wagenrennen im Stadionrund, an der so mancher Wagenlenker sein Gefährt zum Kippen brachte. Das Wort ist damit aber keine Aufforderung zum Stillstand, sondern zur Achtsamkeit beim Richtungswechsel. Genau der findet statt und steht uns weiter bevor."!? Es liegt im Vermögen des Menschen und jeder Organisation, sich willentlich zu verwandeln. Jetzt wird es darum gehen, eine radikal neue Sicht aufKrisenphänomene zu entwickeln. Die traditionelle Gewohnheit, Krisen als überwindbare Betriebsunfll.lle zu verstehen, fUhrt zu einer falschen systemischen Wahrnehmung. Im Angesicht häufiger und dauerhafter Krisen ist es hilfreich, aus dem reichen Fundus psychologischer und psychotherapeutischer Einsichten und Methoden zu schöpfen. Das seit Jahrzehnten in der Psychologie praktizierte Bewusstsein einer Krise als Chance, erleichtert eine veränderte Herangehensweise. Es gilt, das psychische Vermögen des Menschen endlich aufdie neuen Herausforderungen unserer Zeit einzustimmen. Jahrzehntelang ist es versäumt worden, das innere Vermögen von Personen und Organisationen in der Ausbildung und in den verschiedenen Lebenswelten auch als Gegenstand von Verhaltensroutinen und -prozessen deutlich zu machen. Erst in Problem- und Konfliktlagen werden psychische Zusammenhänge näher betrachtet und zwar überwiegend rückblickend. Diese Vorgänge sind zumeist Gratwanderungen, da seelisches und persönliches Versagen allzu schnell in die Nähe von Krankheit oder Leistungsverweigerung gerückt werden, mit allen Konsequenzen der Tabuisierung und der Peinlichkeit. Die individuellen Ohnmachtsgefühle mögen auch ein Grund dafür sein, dass kollektive Krisen etwas Verbindendes in sich tragen. Gerade in Deutschland haben wir während der Finanzkrise konsumistische Trotzreaktionen beobachtet, die der argwöhnischen und leicht depressiven Grundhaltung vieler Bürger eher widersprechen. Allgemeines Leiden scheint das eigene erträglicher zu machen; auch die Teilbarkeit von Bedrohungen und Misserfolgen erzeugt verbindende, menschliche Nähe. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass es unverzichtbar ist, sich mit der Psychologie von Krisen und ihren Verursachungs- und Reakti-

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onsprozessen intensiv auseinanderzusetzen. Die Gesunderhaltung und die Lernfiihigkeit der menschlichen Psyche sind in der hier vorliegenden Diktion ein herausragendes Vennögen, dem ungleich mehr Aufmerksamkeit zugewandt werden sollte als in der Vergangenheit geschehen ist. Auch darin liegt eine zentrale Aufgabe für die Vennögenskultur. Verantwortung ohne Bewusstsein ist schlicht nicht möglich. Als Verursachungsfaktor für die mäandernde Finanzkrise wird inuner wieder das Phänomen der Gier kolportiert. Schauen wir uns deshalb kurz diese venneintliche Untugend etwas näher an. Neurowissenschaftler der Stanford Universität haben nachgewiesen, dass jeder Mensch Gier entwickeln kann. 18 Die Begründung ist einfach: Wer mehr bekommen kann, möchte auch mehr. In einem solchen Moment treten Nachteile und Gefahren leicht in den Hintergrund, wie das Risiko, Geld oder Ansehen einzubüßen. Und je mehr ein Individuum unter Stress steht, desto weniger ist es in der Lage, zu verzichten. Festzuhalten bleibt, dass Gier an sich nichts grundsätzlich Schlechtes ist. Sie ist ein Mechanismus der benennt, was man will, und gibt auf diese Weise Orientierung. Jeder muss ständig zwischen Vor- und Nachteilen abwägen. An diesen Stellen stützt die Gier das Streben nach Vorteilen; sie ist also ein Selektionsmuster. Doch je hektischer die Verhältnisse werden, desto stärker werden mögliche Bedenken ausgeblendet. Die Forscher aus Kalifornien haben die im Gehirn dafür verantwortliche Region ausfindig gemacht, den Nucleus accumbens. Ob Früchte, Sex oder Drogen im Spiel sind, immer ist diese Region beteiligt, die als Belohnungszentrurn wirkt. Die Zeitdiagnose der Neurowissenschaftler: "Je näher die Gewinne rücken und je größer die Aufregung ist, desto eher fallen die Nachteile unter den Tisch. Finanzielle Risiken können sogar sehr weit in den Hintergrund rücken, wenn sie zu unanschaulich sind. Und eine solche Finanzkrise, wie wir sie erleben, konnte sich vor Jahren tatsächlich kaum jemand vorstellen. Erst recht, wenn das Risiko so schwer zu ennitteln ist. Da helfen alle mathematischen Modelle nichts, Menschen neigen dazu, schwierige Fragen zu ignorieren. Wohl auch die, wie hoch das Risiko eines neuartigen Wertpapiers ist. "19 Diese Einschätzung weist eindrücklich auf das Verhältnis zwischen der Gier und dem widerstreitenden Willen zur Transparenz hin - und damit auch auf den Zusammenhang mit einem grundlegenden Wertesystem. Ob die Gier nun das Produkt hemmungsloser Vorteilswahrnehmung mächtiger Organisationen oder ein riskanter Reflex gefühlter Ohnmacht ist, die zentrale Frage ist, ob Wertmaßstäbe in ihrer Verbindlichkeit eine tragende Rolle zu spielen vennögen. Insofern äußert sich in jeder Krise, sei sie individuell oder kollektiv, inuner auch ein Wertedilemma. Die uns herausfordernden Krisen sind immer auch Wertekrisen, wenn nicht sogar in ihrem Kern Ethikkrisen. Die Schweizer Tiefenpsychologin Eda Friedman lenkt den Blick auf ein krisenbedingtes Veränderungspotenzial: "Eine Krise der Werte kann nicht durch Gegenaktionen gelöst werden, die den bedrohten Wert wiederherstellen sollen. Das Ziel einer Krise ist es, Vorstellungen von Wirklichkeit, deren Zeit abgelaufen ist, durch ein komplexeres Verständnis abzulösen. Viel später werden wir sagen, dass das, was nach der Krise entstanden ist, ohne diese Krise gar nicht möglich geworden wäre. Doch im Augenblick der kollektiven und individuellen Krise

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gibt es keine festgelegte Lösung. Eine Krise kann bis zu einem gewissen Grad vorhergesagt werden. Doch wenn sie da ist, sind wir nicht wirklich daraufvorbereitet."20 Da die Zukunftsfahigkeit offensichtlich von den Werten und der Wandlungsbereitschaft aller Bürger und Protagonisten einer Gesellschaft abhängt, kann nicht länger darauf verzichtet werden, die psychischen Zusammenhänge menschlichen Verhaltens allgemein zugänglich zu machen. Diese Mechanismen des inneren Vermögens gehören als zentraler Baustein in die Bildung und die Lebensbewältigungskompetenz des Menschen. Insofern liegt es auf der Hand, dass Wertebewusstsein und psychologische Kenntnis als fundamentale Bestandteile der Vermögenskapazität des Bürgers im 21. Jahrhundert verstanden werden können. In diesem Sinne sind Krisen Initiationen, die uns zwingen, eine neue Stufe der Vermögenskultur zu erklimmen. Bis hierhin habe ich hoffentlich verdeutlichen können, dass nicht der Mensch an sich schlechter geworden ist, dass aber sein Handwerkszeug nicht mehr ausreicht, um die Komplexität der Gegenwart erfolgreich zu bewältigen. Und dabei ist nicht die Komplexität das Problem, sondern unser Fassungsvermögen. Angesichts dieser unüberschaubaren Schwierigkeiten und Krisenszenarien, die an die Situation des Sisyphos erinnern, ist es naheliegend, dass der Mensch sowohl mit Ignoranz als auch mit Flucht in handfeste und materielle Kompensationen reagiert. Die einzige Maßeinheit, die in diesen Wirren singuläre Bedeutung gewann, war und ist das Geld. Leider steckt die philosophische und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem alles überragenden Phänomen als soziale Wirklichkeit noch in den Kinderschuhen. 21 Tatsache ist, dass wir die allgemeine Funktionalität des Geldes, so paradox sich das anhört, keineswegs durchschauen. "Geld ist ein paradoxes Wesen. Sein Ursprung ist - ähnlich dem der Sprache - ein Rätsel der Menschheitsgeschichte", resümiert der Ökonom Katsuhito Iwai. 22 Auch aus diesem Grund ist die Differenzierung zwischen Reichtum als lediglich materiellem Aggregatszustand und Vermögen als verantwortungsbewusster Handlungskompetenz zielführend. Vermögen ist eben weit mehr als Geld. Sagten die Komödiendichter im klassischen Altertum noch halbwegs augenzwinkernd, Geld regiere die Welt, so beschreibt dieses Bonmot heute eine unausweichliche Realität. Geld hat den Stellenwert eines universalen Jokers angenommen, der alles zu lösen verspricht. Die Herrschaft des Geldes und das Streben nach seiner Vermehrung sind so vertraut geworden, so eingeschliffen in das Denken, dass man sie als Selbstverständlichkeit und Naturgegebenheit betrachtet, über die nachzudenken sich erübrigt. Der fatale Irrtum liegt in der Tatsache, dass wir es sind., die diese Herrschaft begründet haben und denen es augenscheinlich nicht mehr gelingt, die Kontrolle zurück zu gewinnen. Stattdessen dominiert uns nun eine anonyme Gelddynamik, die nur eine Gesetzmäßigkeit kennt: mehr, mehr und mehr davon. Einer der führenden Geldforscher, Karl-Heinz Brodbeck, schreibt: "Jede Geldsumme ist verglichen mit der abstrakten Gier, mehr davon haben zu wollen, zu wenig. Das ,Mehrwollen ' ist deshalb in allen Inhalten, die von der Geldrechnung in der Gesellschaft beherrscht werden, immer schon über die Gegenwart hinaus, ohne doch jemals anzukommen."23 Auch die allgemeine Geldverwendung, vor allem in großen Maßstäben, übersteigt unsere Handlungskompetenzen bei weitem. Die Risiken werden unüberschaubar. "Die Menschen wissen einfach nicht, was sie tun, wenn sie sich durch das Geld hindurch vergesellschaften und sich

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darin selbst versklaven - und eben deshalb beherrscht das Geld den Planeten. "24 Unter diesen Voraussetzungen wird die Vermögenskultur zu einem systemischen Verständnis von Verantwortung und weist den unterschiedlichen gesellschaftlichen Milieus im Rahmen ihrer Verfiigungsoptionen partizipative Aufgaben zu. Damit kehren wir zum Ausgangspunkt dieser Überlegungen zurück, der bedrohlichen Trennung von materiellem und immateriellem Vermögen, der Loslösung von Quantität und Qualität. Die faktisch damit verbundene Entwertung der persönlichen Fähigkeiten hat das Geld und seine Vermehrungslogik zum alleinigen Sieger der Gegenwart gekürt. In den skizzierten Vermögensdefiziten des Begreifens und Verstehens und der Alleinstellung des materiellen Gewinns sehe ich den Ursachenkern unserer gegenwärtigen Sinn- und Verantwortungskrise. Was können wir tun? In den letzten Jahren konnten wir beobachten, dass infolge der Überschreitung des allgemeinen Fassungsvermögens auch das spezifische Entscheidungsvermögen gravierend gelitten hat. Reaktive Notlösungen wurden zum alleinigen Prinzip des Handeins und jeder Problemlösungsversuch konnte sich an nichts anderem mehr orientieren als der eigenen Interessenlage. Eine solche protektionistische Architektur verhindert nachhaltiges und langfristiges Denken, so dass situationsbedingte Entscheidungen mit begrenztem Horizont die Oberhand gewinnen. Werden Probleme nur im Sinne eigener Vorteilswahrung angegangen, entstehen unkontrollierbare Widersprüche. Der abrupte Rollenwandel der Politiker von deregulierenden Sündenböcken zu regulierungswütigen Gralshütern oder die Transformation von Regierungen zu Reagierungen dokumentieren die Planlosigkeit interessengebundener Strategien. Zu diesem Interessenopportunismus kommt erschwerend hinzu, dass die Kanalisation computerbasierter Geldströme als Problemlösungsmodell keinesfalls hinreichend ist. Mathematische Berechnungen allein können uns nicht aus dem Tal der Tränen fUhren. Wertorientierte Überlegungen und unternehmerisches Augenmaß müssen wieder zum dominierenden Primat des Handelns werden. Gerade der Zahlenfetischismus suggeriert eine Beurteilungspräzision, die darüber hinwegtäuscht, dass sich Gesellschaften als Ganzes keineswegs allein mit mathematischen Methoden erfassen lassen. Wir sollten uns klar machen, dass in den Naturwissenschaften die Verbindung zwischen Realität und Mathematik auf Experimenten basiert, die unter Idealbedingungen im Labor erzeugt werden. Einfache Übertragungen wie sie in der ökonomischen Wissenschaft alltäglich geworden sind, ignorieren die einschränkende Tatsache, dass sie lediglich mit Beobachtungen operieren kann, da idealtypische Experimente einfach nicht möglich sind. Der Mathematiker Claus Peter Ortlieb meint: "Damit ist die Vorstellung verbunden, die Exaktheit der Mathematik auf die eigene Wissenschaft übertragen zu können. Wie gesagt, ohne die Möglichkeit des Experiments funktioniert das nicht so ohne weiteres. Darauf scheint es heute aber gar nicht mehr anzukommen. Das hat wohl damit zu tun, dass Wirtschaftswissenschaftler als Politikberater in den Medien höchst präsent sind und dort vor allem Eindruck schinden müssen. Und dabei hilft die Mathematik. Ihre Verwendung gilt an sich schon als Qualitätsmerkmal. Mit ihr wird eine Exaktheit und Wissenschaftlichkeit vorgespiegelt, die überhaupt nicht vorhanden ist. "25 Diese Ergänzung des menschlichen Vermögens erscheint noch problematischer, wenn man sich die Entscheidungsunterstützung durch Computersysteme in der Finanzbranche an-

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schaut. Analysiert man beispielsweise die Funktionalität eines Hedgefonds-Managements, so dreht sich die Geschäftspraxis nicht um einen sinnvollen Maßnahmenkatalog, der neben der Profitmaximierung auch ein Mindestmaß an gesellschaftlichen Folgeerscheinungen berücksichtigt. Ein solcher Gedanke steht gar nicht zur Disposition, dafür fehlt schlicht und einfach die Zeit. Wenn an einem Handelstag auf dem virtuellen Weltmarkt Staatsschulden in Höhe von 40 Billionen Dollar bewegt werden, bleibt kein Moment für menschliches Ermessen. 26 Computer, gespeist mit unvorstellbaren Datenmengen und gestützt auf mathematische Modelle liefern die Handlungsexpertisen, die zu Entscheidungen führen. Der Spiegel-Autor Ullrich Fichtner schreibt: "Der Hedgefonds wickelt seine Geschäfte zu 95 Prozent vollautomatisiert ab, die Computer analysieren Kursverläufe und Kurse, weltweite Preise und Zinsen, und bei bestimmten Konstellationen macht es einfach klick - und die Maschine kauft Positionen, ganz egal was Politiker gerade beschließen oder Leitartikler schreiben. Die Menschen sind in diesem System nur noch dazu da, die Rechner auf dem neuesten Stand zu halten, ihre Software zu pflegen, die Algorithmen zu justieren, Programmfehler zu eliminieren. "27 Diese Vorgänge konterkarieren die Idee einer Vermögenskultur auf absurde Weise und erhöhen die Gefahr von Irrläufern, die auch mit spekulativen Bedrohungen nichts mehr zu tun haben. Eine Nachricht in Spiegel On/ine unter der Überschrift "Turbulenzen an der Wall Street" deutet diese paradoxe Situation an: "Es war in Punkten gemessen der stärkste Kurssturz in der Geschichte der Wall Street: Der Dow-Jones-Index ist zeitweise um knapp tausend Zähler eingebrochen. Händler erklärten den Absturz mit der Griechenland-Krise - verantwortlich könnte aber auch ein Tippfehler bei einer Transaktion sein."28 Vor diesem Hintergrund stellt sich definitiv die Frage, was der Mensch noch vermag. Im gegenwärtigen Technokapitalismus wird Verantwortung zum vielleicht alles entscheidenden Vermögen. Die Abhängigkeit von technischen Systemen und eine weitgehende Delegation von Entscheidungen an naturwissenschaftliche Methoden, chaostheoretische Modelle und virtuelle Wahrscheinlichkeitsberechnungen hat die überlebenswichtigen Rückkopplungssysteme der Zivilisation wie Moral, Verantwortung und Gestaltungswillen auf einen Nebenschauplatz verbannt. Ethische Inszenierungen dienen nur noch der interessengebundenen Beurteilung bereits aus dem Ruder gelaufener Prozesse sowie der kommunikationsstrategischen Positionierung eigener Vorteilswahrung. Jeder einzelne Teilnehmer dieses globalen Spiels kann auf die Schuld der anderen verweisen beziehungsweise das eigene Handeln als rational verorten und sich dabei auf Studien und Computermodelle beziehen, die es ermöglichen, Verantwortung und Haftung abzugeben. Mit dieser Kritik soll keineswegs eine rückwärtsgewandte Technikfeindlichkeit propagiert werden. Es geht mir um eine vermögenskulturelle Rückbesinnung auf eine bewusste Entscheidungshoheit, die die technischen Errungenschaften steuerbar macht, ohne von ihnen selbst maßgeblich dominiert zu werden. Sie sind schließlich von der menschlichen Intelligenz erst hervorgebracht worden. In der gegenwärtigen Orientierungslosigkeit können - neben den traditionellen Führungsfunktionen einer Gesellschaft - auch die Vermögenden wichtige Zeichen setzen. Wir brauchen Vorbilder, deren erfolgreiche Lebenswerke beweisen, dass es sich lohnt, sein Handeln an den Gesetzen und den Werten einer ökologisch-humanistischen Marktwirtschaft auszurich-

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ten. In diesem Zusammenhang spielt das Modell von Bill Gates eine wegweisende Rolle, da seine Bill & Melinda Gates Foundation derzeit die Spitze philanthropischer Professionalität darstellt. Auch wenn die Einschätzungen dieses Lebenswerkes divergieren und die Aktivitäten der Stiftung aufmerksam beobachtet werden sollten, bleibt doch die Tatsache, dass diese Persönlichkeit den überwältigenden Teil ihres Vermögens in den Dienst ihrer menschlichen Umwelt stellt. Auch die gemeinsame Initiative von Gates und Buffett "Giving Pledge", mit der sie bereits über fünfzig Milliardäre zu einer Verpflichtungserklärung bewegt haben, die Hälfte ihres Vermögens zu spenden, ist praktizierte Vermögenskultur. Die Beobachtung und Analyse dieser Art von Projekten und Protagonisten ist ein wichtiger Teil der Vermögenskulturforschung, um diese Entwicklungen transparent zu machen und zur Nachahmung zu empfehlen. Bei aller Anerkennung gehört es dabei zum forschenden Geist, sich nicht vom Spektakulären blenden zu lassen, sondern einen unvoreingenommenen, autarken Blick zu behalten. Da wir uns an der Grenze des Fassungsvermögens bewegen, bedarf es neuer Kooperationen und Netzwerke, um das Führungs- und Verantwortungsvermögen der in den Gesellschaften dominierenden Protagonisten beträchtlich zu erhöhen. Weltweit gibt es bereits eine Fülle von Unternehmern, Wissenschaftlern, Visionären und Institutionen, die experimentell und erfolgreich Wege weisen, auf denen wir vermögenskulturell in die Zukunft gehen können. Der Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus ermöglicht mit seiner Grameen Bank29 nicht nur den Armen Vermögensbildung, sondern hat auch entscheidende Vorarbeit für ein neues Sozialunternehmertum geleistet. Victoria HaIe hat sich mit ihrem Institute for One World Health30 zum Ziel gesetzt, vielversprechende Medikamente gegen Infektionskrankheiten in der Dritten Welt weiterzuentwickeln und auf den Markt zu bringen, die von der globalen Pharmaindustrie aufgrund zu geringer Profitaussichten niemals produziert würden. Auch Andreas Heinecke mit seinem Projekt Dialog im Dunkeln31 zählt zu jenen Pionieren, die das Vermögen der Menschen mit sozialunternehmerischen Mitteln auf eine neue Ebene der Lebensqualität befördern. Seine Idee ist spektakulär einfach: "In völlig abgedunkelten Räumen führen blinde Menschen das Publikum in kleinen Gruppen durch eine Ausstellung. Aus Düften, Wind, Temperaturen, Tönen und Texturen wird ein Park, eine Stadt oder eine Bar gestaltet. Alltagssituationen, die in unsichtbarer Form eine völlig neue Erlebnisqualität erhalten."32 Blinde helfen sehenden Personen in unbekannter und ungewohnter Umgebung unter ihrer Führung wieder Orientierung zu gewinnen. Diese überzeugende Symbolik hat bisher mehr als sieben Millionen Menschen in dreißig Ländern und 110 Städten nachhaltig beeindruckt. Dabei handelt es sich nicht nur um ein humanitäres Vorbild, sondern um authentische Lebensbewältigung. Fast 6000 blinde Dialogpartner haben bisher in diesem Projekt eine feste Arbeitsstelle gefunden. Auch der Ägypter Ibrahim Abouleish gehört in die Riege der tatsächlichen Weltverbesserer im Sinne einer praktischen Umsetzung verantwortungsbewusster Vermögenskultur. Nicht umsonst erhielt er schon im Jahre 2003 den Alternativen Nobelpreis für sein Projekt Sekem33 , das im Altägyptischen "Lebenskraft der Sonne" bedeutet. Diese und weitere Auszeichnungen würdigen seine Arbeit als Unternehmensmodell für das 21. Jahrhundert. Im Jahre 1977 kaufte der promovierte Pharmakologe ein Stück Wüstenland in der Nähe von Kairo und realisierte seither seinen Traum einer biologisch-dynamischen Landwirtschaft. In einem Prozess

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kontinuierlichen und ethischen Wachstums wurde der überzeugende Nachweis erbracht, dass selbst unter extrem ungünstigen Bedingungen moralische und wirtschaftliche Spitzenleistungen in Einklang gebracht werden können. Mittlerweile wirken 1800 Sekem-Mitarbeiter auf drei Farmen mit einer Fläche von rund 150 Hektar. Mit sechs eigenständigen Unternehmen gehört dieser Sozialkonzern zu den führenden Produzenten Ägyptens im Bereich biologischdynamischer Lebensmittel wie Reis, Kräuter und Tees sowie als Hersteller von Naturkleidung und pflanzlichen Arzneimitteln. Schließlich wird der vermögenskulturelle Kreislauf dadurch geschlossen, dass die Gewinne der Sekem-Farmen in gemeinnützige Aktivitäten investiert werden. So entstanden im Laufe der Jahre Kindergärten, Schulen, berufsbildende Zentren, eine Akademie für angewandte landwirtschaftliche und pharmazeutische Forschung, ein Zentrum für heilpädagogische Betreuung, ein Theater sowie eine eigene Universität. Dieses ganzheitliche System schafft eine umfassende Vermögensbildung von Menschen und Unternehmen, die gemeinsam eine gelingende Zukunft gewährleisten. Es kann damit zu einem verantwortungsbewussten Vorbild für die Weltgesellschaft werden - und vier Milliarden Benachteiligten ein nachahmenswertes Existenzmodell vorleben. Ibrahim Abouleish sagt dazu: "Nennen Sie es ein Experiment, einen Versuch für die Zukunft. So etwas kann man sich am Schreibtisch zwar ausdenken, aber erst, wenn man es umsetzt, sieht man, wie viele Korrekturen, wie viel Ausdauer, vielleicht auch Kompromissbereitschaft, aber auch wie viel Weisheit dafür notwendig ist."34 In diesem Sinne darfman Weisheit sicherlich auch als ein Vermögen begreifen, das sich aber erst erfüllt, wenn es menschendienliche Wirklichkeit erzeugt hat. Diese Beispiele belegen, dass wir der Eigendynarnik bestehender Systeme nicht hoffnungslos ausgeliefert sind, sondern sehr wohl Entwicklungsprozesse initiieren und erfolgreich und verantwortungsvoll umsetzen können. Diese Beobachtung impliziert auch den Befund, dass Macht- und Geldgier sowie ethische und ökologische Ignoranz keine unausweichlichen Überlebensstrategien sind. Es handelt sich um eine bewusste und vorsätzliche Lebensauffassung. Um der Dominanz dieses Weltprinzips zu begegnen, bringt die Idee der Vermögenskultur eine effektive Hebelwirkung zum Einsatz, die mit minimalen Änderungen des Bewusstseins zu beträchtlichen Verhaltensänderungen führen kann. Ein solcher Prozess scheint durch ethische Appelle allein nicht durchsetzungsfllhig zu sein. Also muss dieser Hebel bereits bei der Sprache ansetzen. Aus diesem Grund habe ich die Differenzierung zwischen Reichtum und Vermögen vorgenommen. Es ist offensichtlich, dass dieses Begriffspaar in degenerativer Beliebigkeit zu Bedeutungsschablonen verkommen ist, die lediglich abstrakte Funktionen erfüllen. Insofern gehört es zur grundlegenden Intention der Vermögenskultur, sich die Wirklichkeit und die Verantwortung, auch mit klaren Begriffen, neu anzueignen. Der Autor, Kritiker und Farmer Wendell Berry hat die verhängnisvolle Macht des allgemeinen Sprachgebrauchs auf den Punkt gebracht: ,,Nach meinem Eindruck sehen wir seit vielleicht einhundertfiinfzig Jahren eine allmähliche Entwicklung der Sprache, die entweder nichtssagend ist oder Bedeutung zerstört. Und ich glaube, dass diese zunehmende Unzuverlässigkeit der Sprache parallel zum wachsenden Zerfall bei Menschen und Gemeinschaften verläuft, der gleichzeitig stattfindet... In dieser degenerativen Bilanzierung hat die Sprache

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fast gar keine Bezeichnungskraft, weil sie bewusst dazu benutzt wird, sich aufnichts Spezielles zu beziehen. Die Aufmerksamkeit richtet sich aufProzentanteile, Kategorien, abstrakte Funktionen... Es ist keine Sprache, die den Nutzer unbedingt verpflichtet oder zum Handeln veranlasst, denn sie definiert keine persönliche Grundlage als Standpunkt oder Ausgangspunkt zum Handeln. Ihr einziger praktischer Nutzen besteht darin, durch Expertenmeinung einen unüberschaubaren, unpersönlichen technologischen Prozess zu unterstützen, der schon begonnen hat... Es ist eine tyrannische Sprache: Tyrannesisch. "35 Da sich unsere Wirklichkeit in den letzten Jahren exponentiell gewandelt hat, bedarf es sprachlicher Vergegenwärtigungen und Überprüfungen. Bei Bedarf müssen auch neue Wörter gebildet werden, um Ursachen, Folgen und Zusammenhänge klarer zu erkennen und zu benennen. Unter dieser Voraussetzung wird die Übernahrne von Verantwortung pragmatisch erleichtert. Am Beispiel der politischen Kommunikation wird deutlich, wie die Welt in der Beliebigkeit von Ankündigungen ertrinkt, ohne dass der Zusammenhang zwischen Versprechen und Einlösung noch differenziert werden könnte. Es ist gut und richtig, wenn man das Fazit ziehen kann: gesagt, getan. Deshalb geht es darum, den Vermögensbegriff sprachlich und gedanklich so zu konfigurieren, dass er seine Verifikation immer in einer nützlichen Anwendung findet. Das Vermögen der Verantwortung verwirklicht sich nicht auf der Ebene des Appells, sondern in immer wieder zu erzeugenden Tatsachen. In der Metaphysik der Sitten sagt Immanuel Kant, Leben sei das Vermögen eines Wesens, seinen Vorstellungen gemäß zu handeln. 36 Es liegt im Vermögen des Menschen dafür zu sorgen, dass Ethik und Lebenspraxis untrennbar zusammenkommen. Diesem Ziel dient die Vermögenskultur.

*** Anmerkungen I

Lüpke, Geseko von (2009): Zukunft entsteht aus Krise. München: Riemann.

2

Jansen, Ludger (2002): Tun und Können. Ein systematischer Ko=entar zu AristoteIes' Theorie der Vermögen. Frankfurt am Main: S. 38 f[

3

Siehe Druyen, Thomas (2007): Goldkinder. Die Welt des Vermögens. Hamburg: S. 209

4

Nicht zu verwechseln mit der seit dem 18. Jahrhundert bekannten Verm6genspsychologie, die sich u.a. speziell mit dem Erkenntnisvermögen und dem Substanzwert der Seele beschäftigte.

S

Diese Zahlen schwanken von Jahr zu Jahr. Gerade auch die Finanzkrise hat filr erhebliche Dezimierungen gesorgt. Insofern handelt es sich bei der genannten Einschätzung um Mittelwerte, die filr unseren Zusammenhang ausreichend sind. Die Datenbasis bilden die jährlichen Reichtumsberichte der Boston Consulting Group sowie von Merrill Lynch und Capgemini.

6

Berechnungen vom Institut filr Vergleichende Verm6genskultur und Vermögenspsychologie (lVV).

7

Siehe: Krimphove, Petra (2010): Philanthropen im Aufbruch. Ein deutsch-amerikanischer Vergleich. Sigmund Freud University Press. Wien; Kurzfassung in diesem Band.

8

Vgl. Schirrmacher, Frank (Hrsg.) (2010): Die Zukunft des Kapitalismus. Berlin.

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9

Siehe Artikel: Immer mehr Deutsche stiften. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 7. Mai 2010: S. 15.

10

Samuelson, Paul (2005): Kommt in die Strümpfe und arbeitet mehr. In: Frankfurter Allgemeines Sonntagszeitung. 18. Dezember: S. 42.

11

Siehe Sioterdijk, Peter (2009): Du mußt Dein Leben ändern. Frankfurt am Main.

12

Hanke!, Wilhelm (2010): Retter, die alles noch schlimmer machen. In: Schimnacher a.a.O.: S. 165.

13

Nassehi, Armin (2010): Mit ästhetischer Erziehung aus der Finanzkrise? In: Schirrmacher a.a.O.: S. 78.

14

Lotter, Wolf (2010): Warten auf den Eiermann. ht: Brand eins. 12. Jahrgang. Heft 05: S. 44.

15

Roubini, Nouriel (2010): Wir müssen das Biest aushungern. In: Der Spiegel. 10. Mai: S. 74.

16

Siehe Reinhart, Carmen M.; Rogoff, Kenneth S. (2010): Dieses Mal ist alles anders. Acht Jahrhunderte Finanzkrisen. München.

17

Geseko von Lüpke a.a.O.: S. 12 f.

18

Bernau, Patrick (2009): Gegen die Gier ist das Gehirn machtlos. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. 1. März: S. 43. Vgl. auch Hüther, Gerald (2007): Bedienungsanleitung fIlr ein menschliches Gehirn. Göttin-

gen. 19

Siehe Bernau a.a.O.

20

Friedmann, Ega : Der heilsame Einbruch des Unerwarteten: In: von Lüpke a.a.O.: S. 49.

21

Brodbeck, Karl-Heinz (2009): Die Herrschaft des Geldes. Dannstadt. S. 1 ff.

22

Iwai, Katsuhito (1981): Disequilibrium Dynamics. New Haven: S. 113.

23

Brodbeck: S. 1116

24

Brodbeck: S. 6

25

Ortlieb, Claus Peter (2010): Ökonomie ist eigentlich keine Wissenschaft. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. 9. Mai.: S. 53.

26

Siehe Fichtner, Ullrich (2010): Die Logik des Bankrotts. ht: Der Spiegel. 10. Mai: S. 53 ff.

27

Ebda.

28

Spiegel Online. 6. Mai 2010.

29

Siehe Yunus, Muhammad (2008): Die Armut besiegen. München.

30

Siehe http://www.oneworldbealth.org/story

31

Siehe www.dialog-irn-dunkeln.de sowie Beitrag Heinecke und Sedmak in diesem Buch.

32

Ebda.

33

Siehe www.sekem.com.

34

Abouleish, Ibrahirn: Wer aus einer Zukunftsvision handelt, lebt, statt nur zu agieren. ht: von Lüpke a.a.O.: S. 475.

35

Berry, Wendell (1983): Standing by Words. San Francisco: S. 24 und 52. übersetzt in: Meadows, Donella H. (2010): Die Grenzen des Denkens. München: S. 202.

36

Kant, Irnmanuel: Metaphysik der Sitten: Akademie Ausgahe. Bd. VI: S. 211.

Freiheit, weltbildendes Handeln und Eliten Grundlagen der Vermögenskulturforschung Anno Schor-Tschudnowskaja

Der Begriff "Kultur" ist zumindest auf zwei Bedeutungsebenen angesiedelt. Im engen Sinne meint er Kunst beziehungsweise Werke schöpferischer Anstrengung und des Talents. In einem weiteren Sinne umfasst "Kultur" aber eine Lebensform und damit einhergehende Deutungsmuster und soziale Wissensvorräte. Aus der Perspektive dieser letzteren Bedeutung verfUgen alle Menschen über Kultur, und menschliches Dasein geschieht schlechthin immer in einer oder mehrerer Kulturen. Kultur als Lebensform prägt den Umgang mit der auf dem Lebensweg des Menschen gemachten Erfahrung und allen Gegebenheiten in seinem Leben. Und umgekehrt lassen bestimmte Erfahrungen und Gegebenheiten eine Kultur erst entstehen. Die Beziehung zwischen Realität und Kultur als Lebensform ist somit keine "Einbahnstraße", beide bedingen und prägen einander gegenseitig. Die Erkenntnis dieser Wechselwirkung ist zwar nicht neu, doch haben sich die europäische Philosophie wie auch die jüngeren Sozial- und Kulturwissenschaften in weit stärkerem Maße der Realitätsabhängigkeit menschlicher Kognition und Lebensformen gewidmet, das heißt, den Einfiussmechanismen der Gegebenheiten im Leben eines Menschen auf seine Wahrnehmung, sein Denken und Handeln. Im Laufe des 20. Jahrhunderts gewann die gegensätzliche Richtung des Zusammenhangs zwischen menschlichem Dasein und Realität zunehmend an Bedeutung: Es ging nun auch um Mechanismen der Konstruktion der Realität, das heißt, um die steuernde Auswirkung von Erfahrungen und kulturellen Deutungen der Menschen auf die subjektiven wie objektiven Gegebenheiten in ihrem Leben (vgl. Berger; Luckmann 1969) sowie um die Herstellung von Wirklichkeit durch die diskursive Erzeugung von Bedeutungen (Foucault 1988). So standen die unsichtbaren, latenten Vorgänge von Wahrnehmung und Deutung - unter den Begriffen "Kognition" und "Informationsverarbeitung" zusammengefasst - und ihre aktive, gestalterische Rolle in den Wirklichkeiten, in denen Menschen leben, im Fokus der Betrachtung. Darauf basiert auch die oben erwähnte Vorstellung, dass Kultur, als Lebensform, immer sowohl Objekt als auch Subjekt des Geschehens ist. Diese Vorstellung bildet bis heute die Grundlage jener sozial- und kulturwissenschaftlichen Ansätze, die sich in der Tradition der Phänomenologie, der verstehenden Soziologie und der Wissenssoziologie entwickelten. Der Gedanke, dass es auch eine Kultur des Vermögens geben kann beziehungsweise dass ein Vermögen im Leben eines Menschen insofern einen mächtigen Einfluss ausüben kann, als es eine bestimmte Kultur - ein spezifisches Weltbild und spezifische Muster sozialen Handelns, darunter auch die Umgangsmuster mit dem Vermögen selbst - prädisponiert, ist in die-

T. Druyen (Hrsg.), Vermögenskultur, DOI 10.1007/978-3-531-92086-3_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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ser konkreten Formulierung für die Sozialwissenschaften eher neu. In der Folge werde ich in einer ersten Annährung an den Begriff der Vermögenskultur daher vor allem I. seine Wurzeln und seine Bedeutung eruieren, 2. zeigen, dass er eine traditionsreiche normative Vision vertritt, 3. einen kleinen Exkurs in die Lehre unternehmen und am Beispiel einiger studentischer Arbeiten darüber reflektieren, wie die Idee der Vermögenskultur sich in die gegenwärtigen sozialwissenschaftlichen Thematiken integrieren lässt, und 4. in einem Ausblick offene Fragen, Überlegungen und forschungsrelevante Fragestellungen skizzieren, die für die Weiterentwicklung dieses Ansatzes relevant sind.

1. Bedeutung und Wurzeln Die Frage nach einer Vermögenskultur hat erstmals der Soziologe Thomas Druyen formuliert, als er sich mit dem Phänomen des Älterwerdens beschäftigte (vgl. Druyen 2003; 2007). Druyen spricht hohem Alter die Rolle eines Vermögens - für ihn ein ausschließlich positiv konnotierter Begriff - zu, also eines akkumulierten Vorrates an materiellen und immateriellen Ressourcen und Werten. Diese Aufwertung steht nun konträr zu einer traurigen Bilanz: Vor dem Hintergrund der Entwicklung, die die gesellschaftliche Institution der Familie einerseits und die Erwerbsarbeit andererseits in den postindustriellen Gesellschaften durchlaufen, :findet hohes Alter kaum mehr gesellschaftliche Anerkennung beziehungsweise Verwendung. Das Vermögen der Lebenserfahrung wird systematisch verschenkt. Angestoßen von dieser Erkenntnis über diese bezeichnende Neigung zur Verschwendung wirft Druyen die Frage auf, welche Stellung das Vermögen grundsätzlich in den gegenwärtigen postindustriellen Gesellschaften einnimmt und ob so etwas wie eine Vennögenskultur möglich wäre, die der Vergeudung entgegentreten könnte. Seine Aufmerksamkeit richtete er zunächst auf das Beispiel der materiell Hochvermögenden, aufNeudeutsch: der "Superreichen". Trotz dieses Beispiels sollte keinesfalls aus dem Blick geraten, dass der Begriff "Vermögen" immer auch eine gehaltvolle immaterielle Komponente hat. Der Begriffblickt auf eine lange Geschichte zurück. Ein etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache setzt seinen Ursprung (als vermügen) vor dem 15. Jahrhundert - und damit im Frühneuhochdeutschen - an, bezieht ihn aber auch noch auf das althochdeutsche firmugan - "imstande sein" (Kluge; Seebold 1999: S. 859). Der Bedeutungsgehalt von "Vermögen" war bereits in der Frühzeit der deutschen Sprache auf einer Ebene angesiedelt, die sich von Besitz und einem bloßen "Haben" abhob: Gemeint war das Vorhandensein von Mitteln, die ein Subjekt handlungsfähig machen. Der Moment der Befähigung ist hier konstitutiv, womit im Begriff "Vermögen" das Gegenteil von Passivität, also ein aktives Element, hervorgehoben wird. Offensichtlich ist "Vermögen" mit "Möglichkeit" verwandt und somit auf der Zeitachse weniger dem bereits Geschehenen denn der Zukunft zugewandt. Ist von einem vermögenden Menschen die Rede, ruft das Assoziationen mit einem potenziell Möglichen hervor, dessen Verwirklichung mehr oder weniger in seiner Macht liegt. Jede Geisteswissenschaft wird im Phänomen des Vermögens ein Untersuchungsobjekt finden, insbesondere aber die Philosophie, da das Vermögen die Möglichkeiten menschlichen

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Handelns und damit die Verwirklichung des Selbst, das Selbstbewusstsein betrifft, also das spezifisch menschliche Dasein. Im Phänomen des Vermögens sind Dimensionen des Habens und des Seins noch eng miteinander verwoben. In philosophischen Fachwörterbüchern wird der Begriff "Vermögen" etwa der "Kategorie der Kraft" zugeordnet und als "Wirkungs- oder Seinsfähigkeit" definiert (Eisler 1994: S. 629). Kraft und Fähigkeit werden bei Eisler jedoch nicht als einem Subjekt bedingungslos (also per se) gegeben verstanden. Die Möglichkeiten eines Vermögenden - eben seine Kraft und Fähigkeiten - knüpfen an eine wichtige Bedingung an, nämlich seine spezifische "innere Erfahrung", sein Bewusstsein "der Macht des Willens zur Ausführung von Intentionen". Ein Vermögender und ein Nicht-Vermögender unterscheiden sich demnach nicht nur durch Mittel, die zum Handeln befahigen, sondern auch durch den Umstand, dass sich Ersterer dieser Mittel und der damit verbundenen besonderen Möglichkeiten und potenziellen Ziele bewusst ist und den entsprechenden Willen zum Handeln entwickelt. Mit anderen Worten: Die rein physische Gegebenheit von Kraft und Ressourcen reicht noch nicht aus. Erst die geistige Leistung der Einsicht in das, was einem zur Verfügung steht, macht einen Menschen zum Vermögenden im philosophischen Sinne des Wortes. Das bedeutet jedoch auch, dass ein Vermögen einen sehr spezifischen Anspruch an das Erleben und Handeln eines Vermögenden erhebt. An diese durch einen einfachen geschichtlichen beziehungsweise etymologischen Rückblick gewonnene Bedeutung des "Vermögens" knüpft die erstmals von Druyen (2007) thematisierte Vision der Vermögenskultur an. Zwar widmet sich der darauf basierende Forschungsansatz vorrangig jenen Subjekten, die über besonders große finanziel1e beziehungsweise materielle Mittel verfügen, doch auch bezogen auf diese schmale gesellschaftliche Schicht setzt Druyen Vermögen vorrangig mit wirkungsmächtigen Potenzialen gleich, die einem Menschen für sein Handeln zur Verfügung stehen und deren er sich bewusst ist. Es geht ganz wesentlich auch um besondere Qualitäten menschlichen Denkens und Handelns, die einen bestimmten Umgang mit den vorhandenen Ressourcen und somit eine spezifische individuelle Lebensgestaltung ermöglichen. Das Konzept der Vermögenskultur denkt in der Logik eines Idealtypus, wobei die genaue Merkmalsliste dieses Idealtypus in der theoretischen und empirischen Forschung noch zu bestimmen ist. Der Leitgedanke dabei: Ein reicher beziehungsweise "superreicher" Mensch ist nur dann auch vermögend, wenn er im Sinne einer Solidargemeinschaft die ihm dank seiner materiel1en Ressourcen verliehene Verfügungsgewalt und Gestaltungsmöglichkeit erkennt und einsetzt. Erst dieser Mehrwert des Handeins über den bloßen Selbstzweck der Wahrung und Erweiterung der eigenen Ressourcen hinaus macht aus einem Reichen einen Vermögenden. Die Vermögenskultur wird dadurch auch zu einem normativen Ansatz, der nicht zuletzt die zwischenmenschliche Solidarität im Fokus hat. Das Finanzvermögen erhält damit eine neue immaterielle Dimension im Sinne des Gemeinwohls: Das einem Einzelnen vorliegende Vermögen wird investiert in die gemeinsame Zukunft (vgl. hierzu die Forderung einer ,,Kulturänderung" durch Ausbau der Dimension der Anerkennung; Singer 2008). Vom Standpunkt einer Gesellschaft oder einer politischen Solidargemeinschaft aus wird durch die gemeinwohlorientierte Leistung eines reichen Vermögenden sein Finanzvermögen in ein strukturelles, kulturelles, innovatives etc. Vermögen sublimiert. Wie ich noch zeigen werde, gehört es

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zu den unmittelbar anstehenden Forschungsaufgaben, das genaue Profil dieser Art von Solidarität zu bestimmen. Aus dieser Perspektive impliziert der Begriff "Vermögen" potenzielle Bewegung oder Veränderung sowohl in einem individuellen Leben wie auch einem sozialen System. Wenn einem Menschen - unabhängig von materiellem Wohlstand - bewusst wird, was er vermag, tritt für ihn der Moment des Handelns ein: Er begreift, dass er etwas bewegen oder verändern kann. Diese Bewusstwerdung setzt sich freilich aus mehreren Komponenten zusammen. Der rationale Umgang mit Erfahrung und eigener Identität, ihrer Herkunft und Zusammensetzung, vorausschauendes Denken und sensible Wahrnehmung der Gegenwart gehören dazu ebenso wie die Fähigkeit der Perspektivenübemahme, die Auseinandersetzung mit Anderen (das heißt mit der Pluralität des Menschlichen) und ein solidarisches Selbstverständnis. Das Menschenbild des Vermögenskultur-Ansatzes ist somit demokratisch - ungeachtet dessen, dass er eine besondere, privilegierte Gruppe im Fokus hat -, da er den Wert des Menschen ausschließlich in seiner inneren beziehungsweise immateriellen ,,Ausstattung" sieht, einen freien, bewussten, selbst bestimmten Umgang damit nahe legt und gegenüber jedem Menschen eine normative Erwartungshaltung formuliert, dass er als ein Vermögender denken und handeln kann. Die der Vermögenskultur zu Grunde liegende Idee ist auf eine Weise in einer allgemeinmenschlichen Dimension verankert, dass sie sich im Prinzip aufMilliardäre genauso anwenden lässt wie auf alle anderen Menschen. "Vermögend" ist für Druyen eine milieuunabhängige Kategorie, wobei die empirische Frage noch offen bleibt, ob es unter bestimmten Bedingungen (zum Beispiel in bestimmten Milieus) besonders viele "Vermögende" gibt. Fest steht jedenfalls, dass entgegen geläufigen Ausdrücken wie "Vermögenszuwachs" oder "Vermögensvermehrung" der Begriff"Vermögen" im Kontext der Vermögenskultur qualitativ gemeint ist. Auf der Basis dieser Überlegungen lässt sich eine erste Annäherung an das Profil vermögenskulturellen Handelns beziehungsweise eines vermögenden Menschen skizzieren: • •

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Ein Vermögender verfügt über Ressourcen, die es ihm erlauben, Einfluss auf seine Umwelt und das Wohlergehen anderer Menschen zu nehmen. Ein Vermögender ist seiner Realität und den Belangen seiner Umwelt gegenüber offen und nicht gleichgültig; er interessiert sich für aktuelle Entwicklungen und Probleme. Sein Interesse und die Anteilnahme an den Vorgängen in der Welt korrespondieren mit dem Wissen um die eigenen (materiell wie immateriell bedingten) Gestaltungs- und Einflussmöglichkeiten. Ein Vermögender handelt in einem zwischenmenschlichen Raum, dessen Teil er ist und für dessen Gedeihen und Wohlergehen er sich einsetzt. Zur Innenwelt des Vermögenden gehören also das Gefühl der Zugehörigkeit zu einem zwischenmenschlichen Raum und das Motiv, an dessen Gestaltung mitzuwirken. Es findet eine Art Vergemeinschaftung der Ressourcen des Handelnden statt. Das Handeln des Vermögenden wird durch ein besonderes Zusammentreffen charakterisiert: Ziele, die er verfolgt, entsprechen sowohl seinen Bedürfnissen und Interessen wie auch den Bedürfnissen und Interessen anderer Menschen, wobei diese Bedürfnisse und

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Interessen nicht unbedingt deckungsgleich sind. Dies kann sich sowohl auf materielle wie auch immaterielle (geistige, psychologische) Bedürfnisse und Interessen beziehen. Der Moment dieses Zusammentreffens ist nur in einem "Raum der Zwischenmenschlichkeit" möglich.

2. Normative Tradition Mit der Frage nach der Möglichkeit einer Vermögenskultur wird streng genommen eine normative Vision formuliert. Normative Modelle wie Theorien streben bekanntlich weder adäquate Beschreibungen der sozialen Realität noch Erklärungen für humane (psychologische, soziale, politische etc.) Phänomene an. Sie beschreiben vor allem (idealtypische) Möglichkeiten zur Bewältigung aktueller Herausforderungen. Nicht selten werden sie mit dem Vorwurf konfrontiert, Illusionen und Utopien zu entwerfen und ihnen einen systematischen, (quasi-) wissenschaftlichen Charakter zu verleihen. Dieser Vorwurf gründet aber auf einer falschen Erwartungshaltung an normative Denkentwürfe. Denn die von ihnen beschriebenen idealtypischen Zustände geben nicht mehr, aber auch nicht weniger als eine Orientierung im praktischen Handeln; sie können als Richtschnur dienen beziehungsweise maßgeblich sein bei der Aufstellung von Taktiken und Strategien. Der Verdienst der normativen Ansätze ist vor allem darin zu sehen, dass sie durch ihren utopischen Impetus für bestimmte Fragen die Wahrnehmung der aktuellen Wirklichkeit sensibilisieren können und so ein adäquates Problembewusstsein ermöglichen. Die unvermeidliche Spannung zwischen Norm und Wirklichkeit kann "uns nicht davon abhalten, die Normen beim Wort zu nehmen, denn erst dadurch gelangen wir zum ,paradigmatischen Hintergrundverständnis' der (politischen) Epoche, in der wir leben" (Habermas 1992: S. 11). So richtet sich auch der Ansatz der Vermögenskultur zunächst kritisch gegen den schwindenden Stellenwert des Humanen in der gegenwärtigen Politik und Ökonomie sowie in den Massenmedien, die mit ihren Deutungsmustern allzu oft lediglich primitive Instinkte ansprechen. Außerdem richtet er sich gegen eine bereits zum Allgemeinplatz gewordene wachsende Apathie des nationalstaatlichen wie auch globalen BÜfgerbewusstseins und gegen das Erlahmen des solidarischen Einbringens für eine - wenn sie überhaupt noch so empfunden wird - gemeinsame Welt. Grundsätzlich spricht die Idee einer Vermögenskultur die Bedeutung des Subjekts und seiner inneren wie äußeren (das heißt immateriellen wie materiellen) Ausstattung sowie deren Rolle für gesellschaftliche Zusammenhänge an. Und damit setzt der Ansatz Druyens in einem gewissen Sinne die Tradition normativer humanistischer Ansätze in der Philosophie fort. Exemplarisch sei hier an das von der antiken Polis inspirierte Menschenbild von Hanna Arendt erinnert. Arendt, deren Denken Vorgänger aus den Zeiten vor und nach der Aufklärung vereinte, arbeitete an der philosophischen Grundlegung des selbst bestimmten Lebens und eines Daseins, in dem der Mensch nicht völlig auf sich selbst zurückgeworfen ist. Fasziniert von der Bedeutung der Geburt - des Neubeginns in der Welt der Menschen - und den damit jedes Mal verbundenen einzigartigen Möglichkeiten, plädierte Arendt für ein philoso-

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phisches Konzept des Neuanfangs, das die menschliche Natalität zusammen denkt mit seiner Freiheit, der Freiheit, etwas Bleibendes für die Welt zu schaffen. Für Arendt waren Menschen "Geschöpfe des Neuen und des Neubeginns" (Cooper 1979: S. 152), und sie sah bereits darin ein wichtiges und großes Vermögen für die Menschheit. Als "Verwirklichung der menschlichen Bedingung der Gebürtlichkeit" (ebd.) krönte sie das Handeln, durch welches die einzigartigen Vermögen der Menschen ihren Platz in der Schöpfung der Welt finden und welches zugleich die Realisierung ihrer Freiheit bedeutet. Handeln ist daher nach Arendt - als Inbegriff der Freiheit - nur jenseits aller Formen von Opportunität und Konformismus möglich und bedeutet inuner einen Anfang. Anfangen können, etwas Neues in die Welt setzen, eine neue Idee, eine neue Vision, ein neues Projekt verwirklichen, eine einzigartige Tat vollbringen - alles das ist nach Arendt ein Inbegriff von Freiheit. Es ist immer einzigartig und unvorhersehbar, setzt die Vielfalt der Persönlichkeiten und der ihnen innewohnenden Talente und Potenziale voraus und gilt stets anderen Menschen. Das normative Modell des HandeIns wurde für Arendt zum Fundament ihrer Philosophie. Systematisch beschrieb sie das Dasein, das dem Wert der Freiheit und Selbstentfaltung folgt. Dabei betonte Arendt konsequent, dass "menschliches Wirken ein Gleichgewicht zwischen Neuerung und Neubeginn auf der einen sowie Kontinuität und Stabilität auf der anderen Seite" erfordere (ebd.). Sie richtete zwar ein besonderes Augenmerk innerhalb dieser Gleichgewichtskonstruktion auf die Verwirklichung des mit einem jeden Menschen in die Welt gekommenen Handlungsvermögens, unterstrich aber zugleich, dass eine Konzeption des Handelns wertlos sei, wenn mit diesem Handeln nicht etwas Dauerhaftes angestrebt würde. Mit diesem Gedanken bildet Arendt in der zeitlichen Dimension den Wert eines Menschen beziehungsweise seiner einzigartigen Gestaltungsrnöglichkeiten ab: die Langlebigkeit des hervorgebrachten Werkes entspricht dem hohen Wert des Menschen. Ihre Kritik an der modemen Gesellschaft war auch auf deren oberflächliche Schnelllebigkeit gerichtet, die das innere Vermögen der Menschen nicht einmal anspricht, geschweige denn seinen selbstbewussten Einsatz fördert oder herausfordert. Arendt sah ihre Zeitgenossen als "dem Überfluß und der unablässigen Anhäufung von Reichtum" hingegeben, womit "Dauerhaftigkeit, Beständigkeit und Stabilität [...] dem schnellen Verbrauch und dem Wachstum" geopfert würden (ebd.: S. 151). Sie verwies bereits Mitte des 20. Jahrhunderts aufbedenkliche Entwicklungen, deren Folgen bis heute allgemein diskutiert werden. Als geistig wie politisch unabhängige Denkerin begriff Arendt sehr früh, dass sie ihr Selbstbewusstsein weder durch bloße Selbsterforschung noch durch passive Anpassung entwickeln, sondern nur durch eine aktive Beziehung zu anderen Menschen gewinnen konnte. Ob Freundschaft, geistige Entwicklung, individuelle Selbstverwirklichung oder gar menschliche Zivilisation - sie begriff alles das als Beziehungsleistung, deren Voraussetzung darin besteht, dass das Subjekt der Welt zugewandt lebt. In diesem scheinbar paradoxen Gedanken liegt der Kern ihres Menschenbildes wie ihrer Philosophie des Handelns: Die Freiheit der Selbstbestimmung kann nur durch Handeln in einer Gemeinschaft verwirklicht werden. Die Freiheit des Subjekts und die volle Entfaltung seiner Potenziale werden nur dann erreicht, wenn sein Handeln den Rahmen des bloßen - man kann auch sagen blinden - Selbstzwecks überschreitet, denn es wäre prospektiv gesehen (selbst)zerstörerisch, sich selbst ohne

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Andere zu denken und die eigene Welt abseits der Anderen gestalten zu wollen. Der Wahrnehmung des Gemeinsamen kommt in Arendts Modell des Handelns - und auch des Vermögens - konstitutive Bedeutung zu. Das Handeln in einem zwischenmenschlichen Raum ist die genuin menschliche (für Arendt auch genuin politische) Praxis. Jeder Mensch ist berufen, nicht nur als Privatperson zu agieren, nicht nur Privatinteressen zu verfolgen, sondern "eine Stimme im Gang der Welt" (Arendt 2000: S. 360) zu haben, sich für die gemeinsame Welt zu interessieren und dort einzubringen. Die wahre Verwirklichung des Vermögens eines Menschen ist nach Arendt, selbst wenn sie diesen Begriff nicht systematisch in ihren Schriften verwendete, somit nur im zwischenmenschlichen Raum, im Bezug aufAndere und im Einbeziehen der Anderen, möglich und bedeutet immer weltbildendes Handeln. In ihrer Philosophie folgte Arendt der von Aristoteles eingebrachten Vorstellung vom Leben, das innerhalb der Polis "schöne Taten" hervorbringt (Arendt 1960: S. 19). Darin ist gleich die wichtigste, konstitutive Bedingung von Handeln formuliert: Es findet "innerhalb der Polis" statt, das heißt, es ist nur in der Zuwendung zur Welt und auf der Grundlage von Zwischenmenschlichkeit möglich. Alle menschlichen Tätigkeiten, so Arendt, sind bedingt durch die Tatsache, dass Menschen zusammen leben. Das Handeln ist außerhalb der sozialen Verflechtungen einer Menschengesellschaft nicht einmal vorstellbar. Der Rahmen der Zwischenmenschlichkeit trägt auch dazu bei, dass im Handeln nie nur enge selbstbezogene Zwecke erfüllt werden und jede einzigartige Tat immer auch Beispielcharakter hat. Und hier setzt bei Arendt der Begriff der Verantwortung an: ,,Die Tat ist immer auch ein Beispiel. Politisches Denken und Urteilen ist exemplarisch (Kant), weil Handeln exemplarisch ist. [...] Verantwortung heißt im wesentlichen: wissen, dass man ein Beispiel setzt, daß Andere ,folgen' werden; in dieser Weise ändert man die Welt." (2002: S. 644) Arendt verteidigt einen Optimismus des HandeIns, "der rar geworden ist in post-optimistischen Zeiten" (Marchart 2006: S. 34). Die Gelegenheit der Verwirklichung eigener weltbildender Potenziale setzt sie mit dem größtmöglichen Glück im menschlichen Leben gleich, denn diese Gelegenheit geht einher mit dem Empfinden wahrer Freiheit sowie der begeisternden Erkenntnis, dass man bleibende Konturen und Spuren in der Welt hinterlassen wird. Handeln entspringt somit nicht nur aus Spontaneität, sondern auch aus Lust, nämlich der Lust und der Zuversicht, die Dinge aus eigener Kraft ändern zu können; es ist nach Arendt die lebenswerteste aller Tätigkeiten. Die normative (und utopische) Gleichsetzung der Gelegenheit, sich in "die Welt" einzubringen, mit einem wahren Glücksgefühl impliziert zugleich, dass diese Gelegenheit äußerst selten gegeben ist. Deswegen sieht es Brunkhorst (1994) als berechtigt an, in Bezug auf Arendts Thesen von "Virtuosenfreiheit der Wenigen" zu sprechen, welche "ein herausragendes Können" (S. 107) mit solidarischen Tugenden verbinden. Der Versuch, diesen "Kreis der Wenigen" zu bestimmen, löste aber scharfe Kritik sowohl an den Thesen Arendts selbst wie auch deren Weiterentwicklung durch Nachfolger aus (ebd.). Insgesamt erntete das Modell des Handelns von Arendt harsche Kritik, nicht weil es zu optimistisch oder gar utopisch ist, sondern weil es klar erkennbar elitäre Züge trägt. In diesem Zusammenhang ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass bei Arendt die Beziehung zwischen dem weltbildenden Handeln und der Freiheit nicht eindeutig geklärt ist:

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Das eine fungiert als Bedingung fiir das andere und umgekehrt. Die Freiheit ist nicht nur die Folge des Handeins, sondern auch seine Voraussetzung. Die Frage, wie die Freiheit, die den Eintritt in den "Kreis der Wenigen" gewährt, zu erreichen ist, bleibt offen. Dagegen setzte Arendt mit der eingeschränkten Freiheit des Subjekts das fehlende Interesse fiir die öffentlichen Belange, das sie "Weltverlust" nannte, gleich. Im "Nur-noch-Arbeiten-und-Konsumieren" zeige sich "eine Weltlosigkeit. [...] Es liegt einem nichts mehr daran, wie die Welt aussieht. [...] Im Arbeiten und Konsumieren [...] ist der Mensch wirklich völlig auf sich selbst zurückgeworfen" und damit blind fiir die Wichtigkeit "gemeiner Güter" (Arendt 2007: S. 69). Bei Arendt ist das Handeln und eine aktive Beziehung zur Welt der anderen Menschen nur dann möglich, wenn das Joch der Notwendigkeit - das heißt des lebensnotwendigen, aber fiir Arendt unpolitischen Arbeitens und Herstellens - überwunden wird. Mit anderen Worten: Das freie Handeln ist nur jenseits einer bestimmten Mentalität möglich, nämlich einer Mentalität, die entsteht, wenn man unter Zwang steht, natürlichen Notwendigkeiten regelmäßig nachzukommen. Dieser Zwang nimmt dem Menschen mehr oder weniger die Freiheit der Lebens- und Weltgestaltung, es kann sich kein wirkliches Verhältnis zu der Welt anderer freier Menschen entwickeln. Rückt das Problem der Notwendigkeit und der mit ihr einhergehenden spezifischen Mentalität in den Vordergrund, ist damit vor allem die subjektive Dimension der Not beziehungsweise der Notwendigkeit angesprochen: Was von einem Menschen als Not empfunden wird (zum Beispiel eine zu kleine Wohnung), kommt einem anderen (zum Beispiel einem Obdachlosen) als Luxus vor. Die subjektiven Maßstäbe der Wahrnehmung und Bewertung der eigenen Lebensverhältnisse und Bedürfnisse spielen eine wesentliche Rolle, wenn es darum geht, sich von der Notwendigkeit befreit zu fühlen. Arendt benannte vor allem zwei Lebensinhalte, die ihrer Meinung nach die Lebensgestaltung unter die Herrschaft der Notwendigkeit bringen, nämlich Arbeiten und Herstellen. Sie gehören zu endlosen, repetitiven und zyklischen Tätigkeiten, deren Ergebnisse konsumiert werden, ohne dass etwas fiir die Welt zurückbleibt. Das Leben gleicht dabei einem Leerlauf, bei dem kein Mehrwert entsteht. Arendt deutete die Lebensnotwendigkeit (und soziale Fragen als solche) als unpolitisch und sprach davon, dass die Neuzeit den Sinn"fiir die Erstrangigkeit des Politischen entthront hat" und den Triumph einen Menschentyps feiert, "der im bloßen Arbeits- und Konsumvorgang sein Genügen findet" (Arendt 2007: S. 69). Auch diese kritische Position hat ihrem Denken den Ruf einer elitären Theorie beziehungsweise eines utopischen Freiheitsmodells jenseits der praktischen politischen Umsetzbarkeit eingebracht. Nur "auf Inseln, in einem Meer der Notwendigkeit" gibt es, so Arendt (2000: S. 355), Freiheit und Weltbezug, die das Handeln ausmachen. Eine genaue Bestimmung, wann man sich psychologisch losgelöst von der Notwendigkeit fühlt, hat Arendt jedoch nicht gegeben. (Wäre etwa Diogenes ein Beispiel fiir einen freien Menschen, der die Scheuklappen der Notwendigkeit nicht kennt?) Für sie war ein bloß mit Arbeit verbrachtes Leben sinnlos, weil im Arbeitsprozess eine eigentümliche Verlassenheit entstehe: "Und diese Verlassenheit ist dieses Auf-sich-selbst-zurückgeworfen-Werden, in dem dann gewissermaßen das Konsumieren an die Stelle aller eigentlich relevanten Tätigkeiten tritt." (Arendt 2007: S. 70) Sie plädierte gegen eine "Gesellschaft von Arbeitern, die in solchen dem Wesen nach isolierten Privaterfahrungen gefangen sind," (Cooper 1979: S. 150) und verteidigte entschieden die "eigentli-

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chen weltorientierten Erfahrungen", bei denen sie aber auch zugestehen musste, dass sie "sich mehr und mehr dem Erfahrungshorizont der durchschnittlichen menschlichen Existenz entziehen" (Arendt 1960: S. 316). Sprach Arendt von den Bedingungen, unter denen sich ein Handeln-Können - also ein Handlungsvermögen - etabliert, betonte sie dabei allerdings auch die Bedeutung der materiellen Bedingungen. So verteidigte sie in diesem Zusammenhang die Bedeutung des Eigentums, das sie als eine wichtige Voraussetzung für freies Handeln ansah: "In einer Gesellschaft von Eigentümern steht immer noch die Welt und nicht die nackten Lebensnotwendigkeiten im Mittelpunkt menschlicher Pflege und Sorge. Erst eine Gesellschaft von Arbeitern oder Jobinhabern wird sich für nichts anderes interessieren als für die drohende Knappheit oder den möglichen Überfluß dessen, was das Leben für sein Lebendigsein braucht." (Arendt 1960: S. 104) Arendt griff auf eine alte philosophische Unterscheidung ZUIilck: Eigentum vermag einem Menschen - anders als bloßer Reichtum - einen würdevollen Status zu verleihen. Diese Unterscheidung hebt die persönlichkeitsbildende und identitätsstiftende Funktion des Eigentums, das an die Welt bindet, hervor. Die konstitutive Bedingung des HandeIns, nämlich die Weltoffenheit und der Zugang zum "zwischenmenschlichen Raum", stellt sich nur dann ein, wenn ein Mensch innerlich (psychologisch) ein Eigentümer in dem Sinne ist, dass seine Lebensumstände ihm soweit Standhaftigkeit und Schutz im Leben bieten, wie zur Entwicklung eines handlungsfähigen Selbstbewusstseins nötig ist. In der Anlehnung an die etymologische Eruierung der Bedeutung von "Vermögen" - im Sinne von "imstande sein" - sprach auch Arendt in Bezug auf Eigentum von einer Mentalität, die einen Menschen "in Stand" versetzt, zu handeln (Arendt 1960: S. 317). Die elitäre Vorstellung von einem handlungsmächtigen "Kreis der Wenigen" fUhren Kritiker von Arendt auf ihre angeblich republikanische Auslegung des Politischen ZUIilck, die der Tugend der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft und der Solidarität einen sehr hohen Stellenwert einräume. Es soll dahin gestellt bleiben, ob das den Tatsachen entspricht und ob es die philosophischen Thesen Arendts in ihrer ganzen Komplexität ausreichend erklären kann. In diesem Zusammenhang will ich lediglich daraufhinweisen, dass die Kritik in diesem Falle den Kern von Arendts Modell gar nicht angreift, sondern eher stützt. In der Debatte wird diesem Modell zumeist die liberale Konzeption der Gleichheit im Recht (und nicht hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse) entgegengesetzt (so zum Beispiel von Brunkhorst 1994). Der Spannungsbogen zwischen diesen beiden konträren Auffassungen reduziert sich, wenn man bedenkt, dass auch die Ausstattung mit Grundrechten und die Sicherheit ihrer Wahrung dem Individuum jene Sicherheit im Leben undjenes Selbstbewusstsein verleihen, die seine Handlungsflihigkeit im "zwischenmenschlichen Raum" fdrdern. Eine entscheidende Vorbedingung für das Handeln bleibt injedem Fall erhalten: Es ist ein Wagnis, das "nur möglich ist im Vertrauen aufdie Menschen. Das heißt, in einem - schwer genau zu fassenden, aber grundsätzlichen - Vertrauen in das Menschliche aller Menschen" (Arendt 2007: S. 72). Aus dem philosophischen Ansatz Arendts lassen sich wichtige Thesen für die Konzeption einer Vermögenskultur entwickeln. Das betrifft zunächst einmal die Vermögenskultur im allgemeinen Sinne, das heißt, als idealtypischen Umgang mit jenen Möglichkeiten, die einem jeden Menschen gegeben sind und die aufgrund der Einzigartigkeit eines jeden Menschen in

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ihrem Potenzial ebenfalls einzigartig sind. Arendts Ansatz, so elitäre Züge er auch tragen mag, fußt auf der Idee eines Vermögens, das jedem Menschen per Geburt gegeben ist. Und wie das Handeln spezifische äußere wie innere Bedingungen erfordert, so verdient auch das Vermögen, das jeder in sich trägt und mit sich in der Welt repräsentiert, eine Kultur des würdevollen Umgangs. Das ist die zweite wichtige These, die sich Arendts Ansatz entnehmen lässt. Es geht darum, den Wert eines jeden Vermögens nicht zu vergeuden beziehungsweise sinnlos zu konsumieren - und damit spurlos verschwinden zu lassen. Einige idealtypische Merkmale des Handelns fügen sich hervorragend in das Modell des vermögenskulturellen Handelns ein (siehe Tabelle zum Profil eines vermögenden Menschen in Abschnitt I), vor allem die Dimension der Zwischenmenschlichkeit und ein von enger, egozentrischer Weitsicht befreites Denken.

3. Vermögenskultur in der Lehre Seit 2009 bietet das Institut für Vergleichende Vermögenskultur und Vermögenspsychologie (IVV) an der Sigmund Freud Privatuniversität in Wien für die Studiengänge ,,Psychologie" und "Psychotherapie" einführende Seminare an, die aus vermögenskultureller Perspektive die klassischen Ansätze der Sozialwissenschaften behandeln. Die Lehrveranstaltung, die meist in der ersten Studienhälfte absolviert wird, verfolgt das Ziel, das Kennenlernen der Logik der Sozialwissenschaften und ihrer Klassiker mit Hilfe der aktuellen und durchaus praktischen Frage nach der Möglichkeit und normativen Notwendigkeit einer Vermögenskultur zu gestalten. Die Studierenden werden dabei animiert, unter der Leitung der Dozentin selbstständig die Aktualität der Vermögenskultur und der Fragen, die sie stellt, zu eruieren. Am Ende des Semesters schreiben sie eine Seminararbeit, in der sie einen frei ausgewählten Aspekt der Vermögenskultur eigenständig behandeln. Zur Bearbeitung wird eine breite Palette an Themen angeboten, die von klassischen Ansätzen wie Georg Simmels ,,Philosophie des Geldes", Max Webers Thesen zur protestantischen Ethik des Kapitalismus, Erich Fromms humanistischemAnsatz oder Thorstein Veblens sozialökonomischer Studie der ,,Feinen Leute" ausgeht und über die Analyse der Politischen Kultur in Österreich oder aktueller Berichterstattung bis hin zur kritischen Auseinandersetzung mit aktuellen Fallbeispielen von Spendenaktionen und Förderinitiativen reicht. In allen diesen Seminaren haben sich die Studierenden sehr engagiert gezeigt. Es war offensichtlich, dass die Frage nach der Möglichkeit und Notwendigkeit einer Vermögenskultur sie angesprochen hat. Die Fragestellung überzeugte die Studierenden, weil sie mit ihren alltäglichen Erfahrungen korrespondierte. Umso wichtiger war es für die Seminarleiterin, Fragen, Überlegungen, Themenvorschläge und auch Erkenntnisse der Studierenden zu sammeln und sich auf eine experimentierende gemeinsame Auslotung des Vermögenskulturansatzes einzulassen statt einseitig beziehungsweise direktiv vorzugehen. Am interessantesten waren jene Seminararbeiten, die persönliche Einblicke in die Auseinandersetzung mit der Idee einer Vermögenskultur gestatteten und zugleich beurteilen ließen, inwiefern sozialwissenschaftliche Modelle und Fragestellungen - in studentischen Arbeiten aus einem Einfiihrungsseminar - mit der Vermögenskultur kompatibel erscheinen.

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In der Folge möchte ich einige Denkrichtungen und Erkenntnisse meiner Studentinnen und Studenten vorstellen, um damit eine erste praktische Anwendung des Ansatzes der Verrnögenskultur in der Lehre vorzuführen, aber auch, um empirische und theoretische Bereiche anzuschneiden, die aus der Perspektive der Sozialwissenschaften für die Vermögenskultur relevant sind. Besonders beliebt unter den Studierenden der Psychologie war das Thema "Erich Fromm und die Vermögenskultur". Ungeachtet der Tatsache, dass im Seminar selbst der Vergleich zwischen den beiden Ansätzen nur stiefmütterlich behandelt wurde, haben sich viele der Seminarteilnehmer und -teilnehmerinnen auf eigene Faust auf eine eingehende Vergleichsanalyse der beiden Konzeptionen eingelassen. Sie wollten mit Hilfe der ihnen aus dem Psychologiestudium bekannten normativen Theorie von Fromm versuchen, die komplexe Verflechtung von Haben und Sein des Vermögenskulturansatzes besser zu verstehen. Einen gemeinsamen Nenner zu finden, war nicht einfach, doch waren die studentischen Fromm-Kenner überzeugt, dass der Unterschied zwischen vermögenden und nicht vermögenden beziehungsweise handelnden und nicht handelnden Menschen in den Erfahrungsmöglichkeiten (Sein) liegt, die ihrerseits unzertrennlich mit der Dimension des Habens verbunden sind. Nicht selten wurden die Begriffe von Druyen und Fromm parallel gesetzt, so dass aus der Unterscheidung zwischen "vermögenden Reichen" und "nicht vermögenden Reichen" (Druyen) eine Unterscheidung zwischen gleichgültigen und verantwortungsbewussten Menschen wurde. Auch der normative Charakter beider Ansätze wurde klar erkannt: "Die normative Ausrichtung beider Gesellschaftsdiagnosen verlangt eine Veränderung der Gesellschaft. [...] Im Zentrum steht dabei der Mensch mit seinem Vermögen, mit seinen Ressourcen und damit der Appell zum verantwortungsbewussten Handeln." (Weiss 2010) Dabei wurde auch die normativeAusrichtung zu einer Forschungsfrage erklärt, konkret, "ob der appellierende und an einer besseren zukünftigen Entwicklung interessierte Charakter, den ich glaube bei beiden Werken erkannt zu haben, in die gleiche Richtung weist" (Furtenbach 2009). Am Ende der Vergleichsanalyse wurden als wichtigste Parallelen beschrieben: die Idee der Produktivität, nämlich das "produktive Einsetzen der menschlichen Kräfte" (ebd.), die Bestrebung, sich dem Tätigsein hinzugeben, sowie eine Existenzweise, die auf Selbstbewusstsein und Realitätssinn fußt. Die Studierenden sind darüber hinaus zu dem Schluss gekommen, dass es in beiden Ansätzen sowohl um Bedingungen für die Veränderung der Gesellschaft geht wie auch um die politische Frage einer "ausgewogenen Balance" (Weiss 2010) innerhalb der menschlichen Existenz zwischen den Extremen ,,Haben" und "Sein". Es hätte gravierende Folgen, sich ausschließlich dem Haben aber auch ausschließlich dem Sein hinzugeben. Zugleich ist die Verführung groß, eine solche einseitige Lesart der beiden normativen Ansätze zu wählen: "Ich muss gestehen, dass trotz meiner Versuche, Unwissen, Neid und Intoleranz außen vor zu lassen, sich mir das ,Haben oder Sein' eher als ,Haben und Sein' darstellte. Daher habe ich die beschriebene Philanthropie sehr oft als Luxus-Erscheinung verstanden, hatte häufig im Kopf das Bild eines Reichen, der schon alles hat und sich jetzt den Luxus gönnt, die Welt zu retten." (Furtenbach 2009) Dieser Student, der neben der analytischen Lektüre der beiden Vergleichswerke auch selbstreflexive Überlegungen einsetzt, kommt am Ende seiner kleinen Studie zu dem Schluss, dass die beiden Pole zusammengedacht werden müssen und dass man,

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statt zwischen ihnen zu entscheiden, sich eher um eine Balance bemühen sollte: "eine derart fundamentale gesellschaftliche Neuorientierung [setzt] aber auch die Möglichkeit und die Bereitschaft eines jeden Einzelnen voraus, sich selbst darüber klar zu werden, wo man sich zwischen den beiden Existenzformen des Habens und des Seins ansiedeln möchte". Der zweite beliebte Themenschwerpunkt versuchte, aus öffentlich zugänglichen Informationen zu großangelegten Spenden- und Förderinitiativen der Gegenwart negative und positive Beispiele für Vermögenskultur zu eruieren. Nur vergleichsweise wenige Arbeiten konnten dabei von Fällen berichten, die in das normative Bild vermögenskulturellen Handelns passen (so zum Beispiel die Tätigkeit der Joachim-Herz-Stiftung oder die 200-Millionen-Euro-Spende, mit der der Großunternehmer Klaus 1. Jacobs 2006 die Bremer Privatuniversität rettete). Die überwiegende Mehrheit der Studierenden, die diesen Schwerpunkt auswählten, war durch die Ergebnisse ihrer Studien eher irritiert oder enttäuscht. Die Gründe dafür lagen zum geringeren Teil bei den Spendern selbst beziehungsweise wurden bei ihnen verortet - zum Beispiel mangelnde Solidarität und reiner Eigennutz, die der Spende angeblich zugrunde lagen: "Hier scheint eine Zukunftsvision Webers wahr geworden zu sein: ,der isolierte Wirtschaftsmensch, welcher nebenher Missionsarbeit treibt' ist an die Stelle des gläubigen Unternehmers getreten, der im ,innerlich einsamen Streben nach dem Himmelreich agiert'." (Thoemmes 2009 zitiert Weber 1920: S. 195) Ganz überwiegend waren es die Medien selbst beziehungsweise die Art und Weise ihrer Berichterstattung, welche die heftige Kritik der Studierenden auf sich zogen. So mussten sie feststellen, dass die Medien "die Reichen" auf eine ganz spezifische Art und Weise behandeln, die weit davon entfernt ist, eine kritische Auseinandersetzung mit ihrem Wirken oder eine nüchterne Analyse ihres gesellschaftlichen Stellenwertes zu ermöglichen. Die "Informationen" seien überzogen, falsch, losgelöst vom vorgegebenen Realitätsanspruch: "Der Bombenanschlag am 30. Juli 2009 auf Mallorca, bei dem zwei Polizisten ums Leben gekommen sind, war der Vorwand dafür, alle Prominenten, die sich zu dem Zeitpunkt auf der Insel aufhielten, in ,Todesgefahr' zu bringen, gleichgültig, in welcher Entfernung vom Geschehnis sie sich aufhielten. Von der Prinzessin bis zur Fernseh-Moderatorin, alle boten einen Anlass für Schlagzeilen wie,Todesangst nach Terror-Anschlag' (Frau aktuell, 34/2009), ihre ,süssen Töchter hilflos ausgeliefert' (Woche der Frau, 34/2009) [...] sowie ,Zusammenbruch! Hört denn das Leid niemals auf?' (Adel aktuell, 9/2009). Einem Schlagersänger, dessen Vermögen auf 100 Millionen Euro geschätzt wird, ist die Schlagzeile ,Einsam und verzweifelt' gewidmet, im redaktionellen Teil reduzieren sich die Probleme auf übliche Höhen und Tiefen, die es im Leben eines Menschen gibt." (Moser 2009) Ein interessantes Fallbeispiel stellt in diesem Zusammenhang die großangelegte Spendengala "Hope for Haiti Now" dar, die eine Studentin sehr genau verfolgte. Sie kam bei ihrer Analyse zu Ergebnissen, die sie selbst überrascht haben: "Dieses Wir-Gefühl soll den Menschen begreiflich machen, dass sie ein Teil des Ganzen, der Menschheit sind., und dass Zusammenhalt vor allem in Krisenzeiten das Wichtigste ist. Dieser Zusammenhalt kann im Fall von Haiti in erster Linie durch Spenden ausgedrückt werden. In dem Zusammenhang finde ich es erstaunlich, welch geringer Stellenwert den Hilfsorganisationen in den Artikeln zukommt. Diese werden, wenn überhaupt, erst am Ende der Texte erwähnt." (Farkalits 2010)

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In ihrer Arbeit thematisiert die Studentin den Stellenwert der Infonnationsarten, die im Zusammenhang mit ,,Hope for Haiti Now" für Zuschauer und Leser zugänglich waren. Sie stellt fest, dass ausgerechnet jene Informationen, die eigentlich für eine rationale Entscheidung, zu helfen beziehungsweise zu spenden, notwendig gewesen wären, fast gänzlich fehlten: über die Opfer und den tatsächlichen Bedarf an Sach- und Geldmitteln sowie über die Hilfsorganisationen, die die Spendengelder in konkrete Maßnahmen vor Ort umsetzen. Sie schreibt abschließend: "Es war nicht leicht, eine sogenannte ,Charity-Veranstaltung' zu behandeln, ohne zu kritisch und konfrontativ zu werden oder eine verklärende Sicht an den Tag zu legen. Immer wieder musste ich den Impuls unterdrücken, Zeitungen für die Fonn ihrer Berichterstattung zu verteufeln." (ebd.) Aus Protest gegen diese Art der Berichterstattung hat die Studentin ihrer Seminararbeit einen genauen Bericht über das Land Haiti und seine Bevölkerung sowie über das Ausmaß der Erdbebenkatastrophe und über die vor Ort tätigen Hilfsorganisationen hinzugefügt. Sie weist auf ein bezeichnendes Paradoxon hin: Realitätsbezogene Infonnationen sind in der als Show inszenierten Spendenkampagne, aber auch bei den darüber berichtenden Medien kaum gefragt, die Hilfsaktion setzt auf Emotionen, Verehrung der "Stars" und blindes Nachahmen ihres Spendenverhaltens. Das Nachahmen der "Stars" und die "Teilnahme an der Show" scheinenjene Motive zu sein, die dem Spendenverhalten zu Grunde liegen, ohne dass darüber hinaus rationale Entscheidungen (zum Beispiel mit eigener Spende einen konkreten Hilfsbedarf zu decken oder einer konkreten Hilfsorganisation bei einem ihrer konkreten Projekte zu helfen) sichtbar geworden wären. Dieser Befund korrespondiert mit weiteren ähnlichen Ergebnissen aus anderen Seminararbeiten: Die Öffentlichkeit hat offensichtlich verlernt, die Informationspolitik in den Dienst der öffentlichen Kontrolle aber auch öffentlicher Anerkennung zu stellen. In der Tendenz werden weder konkrete Sachverhalte öffentlich gemacht noch Aktivitäten von Helfern oder Sponsoren, die einer öffentlichen beziehungsweise politischen Kontrolle bedürften beziehungsweise öffentliche Anerkennung voraussetzen oder eine ernst zu nehmende öffentliche Debatte verdienen. Im Vordergrund stehen stattdessen verschiedene Arten von Konsum und Unterhaltung (die auch als Leitbeispiele für die Leser dienen). In diesem Zusammenhang merkt ein Student an: "Jung, reich und prominent zu sein, scheint weitaus attraktiver als alt, reich und prominent zu sein" (Moser 2009) und weist daraufhin, dass selbst unter fragwürdigen Reichen junge Personen auffallig häufiger in die Medien gelangen, da sie leichter in Verbindung mit Konsum und Unterhaltung zu bringen sind. Produktives und konstruktives Handeln gerät dabei fast gänzlich aus dem Blick. Glamour, Prestige, Konsum, Verschwendung und Unterhaltung sind jene "Lebensweisen", die offenbar gegenwärtig als anerkennenswert gelten. Der Student fühlt sich an den demonstrativen Müßiggang bei Veblen erinnert: "Während die Menschen damit begonnen haben, die sparsame Lebensweise zu verachten, weil sie das Fehlen von Geld und damit den mangelnden finanziellen Erfolg verriet, enden sie nun damit, billige Sachen zu verachten, weil sie sie ihrer Billigkeit wegen für ehrlos und unwürdig halten." (Veblen 1958: S. 154) Bezeichnend bleibt dennoch, dass die Außenwahrnehmung der ,,reichen Vorbilder" eine paradoxe Mischung aus Bewunderung, Ungerechtigkeitsempfinden, Neid und Ablehnung dar-

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stellt und den "Reichen" pauschal die Verantwortung für die Gesellschaft beziehungsweise eine Vorbildfunktion ("väterliche Rolle") zugesprochen wird (Norden 2009). In diesem Zusammenhang erscheint mir eine Seminararbeit bemerkenswert, deren Autor sich als Fragestellung den "Vergleich der öffentlichen Debatte von Managergehältern mit der Debatte von Fußballergehältern" ausgesucht hatte (Enders 2009). Er kommt zu dem Schluss, dass sich diese Debatten sehr unterschiedlich gestalten und auch emotional unterschiedlich gefärbt sind, obwohl es sich dabei um durchaus vergleichbare Jahresgehälter beziehungsweise Bonuszahlungen handelt. Der Unterschied liegt in der Leistung beziehungsweise in der öffentlichen Wahrnehmung und Deutung dieser Leistung. Die Fußballer sind "sportliche Idole, Vorbilder der breiten Masse", ihre Leistungen, die sie offen zu Schau stellen beziehungsweise offen im Spiel beweisen, können von der Allgemeinheit leichter nachvollzogen und auch beurteilt werden. Sie stellen insofern einen interessanten Fall dar, als sie zum Einen dem Wunsch nach Unterhaltung und Show der "breiten Masse" nachkommen, zum Anderen aber auch ihre Leistung öffentlich transparent und damit auch weitgehend kontrollierbar machen. Den Managern wird dagegen eine verdeckte Machtposition und zugleich eine weit größere Verantwortung (zum Beispiel für den Abbau von Arbeitsplätzen oder für wirtschaftliche Krisen) zugeschrieben. Da ihre Leistung aber für die Allgemeinheit kaum nachvollziehbar ist und auch davon auszugehen ist, dass sie sich gegenwärtig immer mehr der politischen Kontrolle entzieht, fallen die Debatten über die Managergehälter deutlich kritischer und negativer aus. Offensichtlich spielt hier der verdeckte Charakter der Leistung und der verborgene Machtanspruch eine entscheidende Rolle. Der Autor der Seminararbeit kommt zu folgendem Schluss: "In Zukunft wird es unvennindert weitergehen mit den Debatten um die Gehälter von Spitzenmanagern, wenn die Bevölkerung nicht Einblick erhält in deren Tätigkeiten und Leistungen. Doch daran haben zurzeit weder die Bevölkerung, noch die Manager und am wenigstens die Medien ein Interesse." (ebd.) Allen Seminararbeiten, die hier kurz vorgestellt wurden, ist eigen, dass sie mit ihren Fragestellungen und Analysen wichtige soziologische beziehungsweise gesellschaftspolitische Fragen der Gegenwart tangieren. Den Studierenden wurde dies auch bewusst, denn vor allem aufgrund dieses Umstandes haben sie Spaß am Seminar selbst und auch an ihren selbstständigen Studien gehabt. Und schon durch diesen kurzen Exkurs in die Lehre wird ersichtlich, welch großes sozialwissenschaftliches wie auch normativ-kritisches Potenzial der Ansatz der Vermögenskultur besitzt und in welche verschiedenen konkreten theoretischen und empirischen Fragestellungen er zu überführen ist. Im folgenden abschließenden Abschnitt werden einige dieser Fragestellungen diskutiert.

4. Ausblick Basierend auf dem bereits im Begriff des Vermögens implizierten unzertrennlichen Zusammenhang zwischen Haben und Sein befasst sich das Konzept einer Vermögenskultur mit dem Zusammenspiel des Materiellen mit dem Nichtmateriellen im Rahmen der unendlichen Pluralität der Menschen. Einerseits greift man dabei auf eine lange philosophische Tradition zu-

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rück, andererseits wird die Wahrnehmung gegenwärtiger und zukünftiger Herausforderungen geschärft. Es ist daher kaum zu vermeiden, dass sich der Forschungsansatz der Vermögenskultur aus seiner neuen Perspektive heraus mit der Frage nach der Verfasstheit der gegenwärtigen Gesellschaften befasst. Folgerichtig geht es auch um die Zukunft und die folgenden Generationen, wenn er das menschliche Vermögen ins Zentrum der Betrachtung rückt und die Grenzen und Möglichkeiten menschlichen Handelns - in einer gemeinsamen Welt und für sie - zum wichtigsten Denk- und Untersuchungsobjekt erklärt. Ein Schwerpunkt des Instituts für Vergleichende Vermögenskultur und Vermögenspsychologie ist die Erforschung von Menschen mit außergewöhnlichen materiellen Ressourcen. Die bewusste Wahl dieser Gruppe als Untersuchungsgegenstand ist der Versuch, den Idealtypus des Vermögenden auf einen Spezialfall anzuwenden und den Umgang mit großen Gestaltungsmöglichkeiten zu spezifizieren, die materieller Reichtum eröffnet. Das Konzept der Vermögenskultur setzt in der Debatte um das Phänomen des individuellen Reichtums - vor allem, wenn es um Dimensionen des "Superreichtums" geht - die Akzente neu: So hebt es gegenüber der Frage nach einer gerechten Verteilung der monetären Ressourcen die Frage hervor, was materiell wohlhabende Menschen für die Gesellschaft zu tun vermögen. Damit wird der individuelle wie soziale Wert der Handlungspotenziale reicher Bürger betont und festgelegt, dass es vermögende und nicht-vermögende "Reiche" beziehungsweise "Superreiche" gibt. Den qualitativen Unterschied zwischen Vermögenden und Nicht-Vermögenden zu erklären beziehungsweise die Bedingungen zu erforschen, unter denen ein "Reichtum an Handlungsvermögen" (Grundmann 2009: S. 202) auch tatsächlich in Handeln umgesetzt wird, ist die Aufgabe der interdisziplinären Theorie des Vermögens, der Vermögenskultur und der Vermögensethik sowie der dazugehörigen empirischen Forschung. Arendts Gedanken, übertragen auf die Vermögenskultur, legen die Vermutung nahe, dass die Art und Weise, wie Vermögen erworben und gepflegt beziehungsweise gesellschaftlich geltend gemacht und dem Vermögenden selbst bewusst werden, von Mensch zu Mensch unterschiedlich ist (und zwar sowohl bei materiellen wie bei immateriellen Vermögen). Die ökonomische, politische und normative Verfasstheit einer Gesellschaft ist hinsichtlich der individuellen Vermögen in der Regel selektiv, wenn nicht gar repressiv. Druyens Ansatz der Vermögenskultur ist noch weitgehend jenseits der politischen Frage situiert, inwiefern und warum die Bedingungen für die Bildung und Entfaltung von Vermögen unterschiedlich sind. Ungeachtet der schwierigen (und zweifelsohne politischen) Frage nach den politischen und sozialen Umständen, die es Menschen erlauben, ihr Vermögen geltend zu machen, lässt sich zunächst einmal kulturwissenschaftlich feststellen, dass der Umgang mit den zur Verfügung stehenden materiellen Ressourcen sehr unterschiedliche Ausprägungen erfahrt. Die jeweils gelebte - oder nicht gelebte - Kultur des Vermögens wird wesentlich beeinflusst von dem mit ihm sozial wie politisch realisierten Geltungsanspruch. Je bewusster, aktiver und wirkungsmächtiger die eigenen Ressourcen vermögenskulturell eingesetzt werden, desto spezifischer prägt dies die Lebensform des über ein Vermögen Verfügenden. Deshalb hat der qualitative Unterschied zwischen Reichen und Vermögenden sowie zwischen unterschiedlichen Graden und Formen des Vermögend-Seins innerhalb des Forschungsansatzes der Verrnögenskultur zentralen Stellenwert.

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Entsprechend wird im Rahmen des klar konturierten Forschungsprojektes zu vermögenden ,,Reichen" und "Superreichen" theoretisch wie empirisch geklärt, welche spezifischen Denkmuster dem Idealtypus des "reichen" beziehungsweise "sehr reichen" Vermögenden eigen sind und welche besonderen Denk- und Handlungsanforderungen ein Vermögen auferlegt. Auf diese Weise kommt man der Vermögenskultur als gelebter Realität näher. Prospektiv lässt sich zunächst einmal annehmen, dass Vermögend-Sein sich auch darin zeigt, "wie ökonomische, kulturelle, soziale und persönliche Ressourcen aufeinander bezogen werden" (Grundmann 2009: S. 204). Im Einzelnen geht es um Mechanismen der Identifikation mit einer Solidargemeinschaft, um die Wahrnehmung einzelner Problemlagen, um konkrete Strategien und Zielsetzungen zur Problemlösung sowie um gesellschaftliche Mechanismen der Anerkennung und Wertschätzung von Leistungen eines Vermögenden. Hier sind sowohl innere Sublimation des Handeins in Selbstwertschätzung und Steigerung des individuellen Lebenssinnes gemeint als auch zwischenmenschliche und sogar politisch institutionalisierte Anerkennung. Es geht darum., wie Menschen ihre Ressourcen im gesamtgesellschaftlichen beziehungsweise gesamtmenschlichen Kontext wahrnehmen, wie sie ihre Potenziale leben und wirken lassen - besonders dann, wenn es Potenziale sind, die mit hoher Gestaltungswirkung beziehungsweise hoher Wirkungsmacht einhergehen. Der Umgang mit dem Vermögen und der Vermögenskultur kann dementsprechend die Frage nach dem Umgang mit (potenziell vorhandener) Macht im gesellschaftspolitischen Sinne des Wortes nicht ignorieren. Zum Themenkatalog des hier behandelten Denk- und Forschungsansatzes gehört auch die Frage, die große Finanzvermögen nach den legitimen Grenzen des Einflusses so genannter "Superreicher" aufwerfen, unter anderem die Problematik von privatem Reichtum im Kontext einer demokratischen Gesellschaft. Der politische Ort der "Superreichen" beziehungsweise die politische Bedeutung des vermögenden Handelns müssen untersucht und überdacht werden. Die Akkumulation von ökonomischem Reichtum und dessen potenzieller oder manifester Einfluss auch in der Sphäre der politischen Macht werden allgemein als negative Entwicklung für die Gesellschaft gedeutet. Die politische Geschichte, aber auch die Gegenwart haben dafür zahlreiche Beispiele parat (zum Beispiel die praktische Verschmelzung der Geschäftsaktivitäten der meisten "Oligarchen" mit den staatlichen Institutionen im postsowjetischen Russland). Dazu gehört auch das allgemein verbreitete Deutungsmuster, es sei problematisch, wenn materiell in einem besonderen Ausmaß privilegierte Menschen auch noch privilegierte Stellungen in der Gesellschaft erhalten, in denen sie über besondere Gestaltungs- und Einflussmöglichkeiten verfügen. Und so gehört in die Liste relevanter Forschungsthemen auch die Außenwahrnehmung von Vermögen und Vermögenden. Tendenziell wird ein großes Finanzvermögen im besten Fall als Lebensleistung oder Glück (Lottogewinn, Erben) und im schlimmsten Fall als Folge von nicht legitimen Handlungen wie Übervorteilung, Korruption und Diebstahl wahrgenommen. Vor allem tendiert die Wahrnehmung vielfach in eine Richtung, die das Vorhandensein von materiellem Vermögen als Ausdruck von Ungleichheit - und damit als Ungerechtigkeitauffasst. Im konkreten Fall eines Vermögenden äußert sich das so, dass seine Aktivitäten, ver-

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schiedene von ihm ins Leben gerufene oder unterstützte Initiativen ihm nicht als eine "großzügige" oder "gute" Tat, sondern als Pflicht und Rückgabe, die "sein muss", angerechnet werden. Solange ein verbreitetes Wahrnehmungsmuster in Kraft ist, dass ein großes Vermögen grundsätzlich nicht auf legitime Weise erworben sein kann, herrscht auch die Auffassung, dass seine Einsetzungfür gemeinnützige Zwecke lediglich eine Annäherung an die Wiederherstellung einer in der Vergangenheit verletzten gerechten Verteilung sei. Der Wert des weit vorausschauenden und weltbildenden Handelns eines reichen Vermögenden, alle seine Kompetenzen und Leistungen werden dabei vollständig ausgeblendet. Es ist anzunehmen, dass weder die Aktualität des Handelns (zum Beispiel Sponsoring von Kinderkrippen oder einer Reform der Familienpolitik angesichts unzureichender staatlicher Leistungen) noch dessen Umfang das Wahrnehmungsmuster "Rückgabe" beziehungsweise "Wiederherstellung der Gerechtigkeit" lindern. Welche Legitimität will eine Gesellschaft dem Handeln eines Vermögenden zuerkennen, der sichfür ihre Gestaltung einsetzt? Die spezifische Rolle von Reichtum im Kontext einer gleichberechtigten Partizipation an demokratischen Meinungs- und Willensbildungsprozessen und die Verletzung demokratischer Regeln durch punktuelle individuelle Reichtumsakkumulation muss auch im Rahmen des normativen Modells der Vermögenskultur eine systematische Behandlung erfahren. Wird allerdings weltbildendes Handeln in der Gesellschaft lediglich als Wiederherstellung einst verletzter Gerechtigkeit und als Rückgabe von "ungerecht im privaten Besitz angehäuften Gütern" gedeutet, gilt es kaum als freie gesellschaftliche Partizipation und Gestaltung des Gemeinwohls. Solches Handeln wird vorwiegend als Pflicht gegenüber dem gesellschaftlichen Gemeinwohl und als durch die vorher (vermeintlich) geschehene Ungerechtigkeit quasi erzwungene Maßnahme aufgefasst. Es gibt grundsätzlich zwei Arten von Partizipation und Gestaltung des Gemeinwohls: 1. Politisches Handeln im Auftrag der Wähler (zum Beispiel Abgeordnetenmandat) und 2. private Partizipation interessengeleiteter Bürger (im Rahmen der Zivilgesellschaft). Die gewählten Repräsentanten des Volkes fiihren (theoretisch) Politik im Auftrag der Wähler aus und schöpfen aus der Wahl die Legitimation ihres politischen Handelns. Die Prozedur der Wahl zwischen unterschiedlichen Kandidaten legitimiert den gewählten Politiker in seinem Handeln und verleiht ihm den Charakter einer Repräsentanz der Wählerinteressen. Es wäre zu überlegen, inwieweit sich die pflichtgeleitete Rückgabe aus zuvor zugefügter Ungerechtigkeit mit diesem Prinzip der demokratischen Repräsentativität verbinden und die vermögende Person als öffentlichen beziehungsweise politischen Akteur aufgrund einer Wahl auftreten lässt. Ihre Wahl könnte theoretisch gerade aus dem Umstand Legitimität schöpfen, dass sie mit zuvor geschehener Ungerechtigkeit in Verbindung gebracht wird, die die vermögende Person nun "wiedergutmacht". Es wäre also theoretisch denkbar, dass hier ein neues Modell der politischen Repräsentation entsteht, die nicht durch freie Wahl konkurrierender politischer Programme, sondern aufgrund der "wahrgenommenen Schuld" eines legitimierten Akteurs gegenüber der Gesellschaft zustande kommt. Hier wäre insofern von einer Art "Interessenrepräsentation" zu sprechen, als sich die vermögende Person aufgrund einer privilegierten (das heißt, mit diversen Möglichkeiten ausgestatteten) und als ungerecht wahrgenommenen Stellung verpflichtet, die

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gemeinsame Gesellschaft im Sinne der Bürger zu entwickeln. Es wäre zumindest in Erwägung zu ziehen, dass ein solches öffentliches oder politisches Handeln in der Gesellschaft ebenfalls als legitim gelten könnte. Offensichtlich handelt es sich um ein ganz neues politisches Prinzip: Wird also eine vermögende Person als (gegenüber) der Gesellschaft "verschuldet" wahrgenommen, kann ihr Handeln dadurch legitimiert beziehungsweise sogar erwartet werden. Sie erhält ein politisches Mandat aufgrund dessen, was sie "der Gesellschaft schuldet" beziehungsweise ,,zurückgeben soll". Dieses neue Modell der "legitimen Herrschaft" widerspricht - ungeachtet der interessanten Vorstellung, aus Ungerechtigkeitsempfinden politisches Potenzial zu schöpfen - dem gültigen normativen Ideal demokratischen Regierens. Seine Natur erfordert, dass nicht eine Meinung, nicht eine Position, nicht ein Interesse über den anderen steht: Es erfordert im Gegenteil ein Aufeinanderbeziehen vieler möglichst verschiedener Meinungen, Positionen und Interessen. Dahinter verbirgt sich bekanntlich ein auf die Neuzeit zurückgehendes Verständnis von Rationalität: Nur durch Wettstreit konkurrierender Meinungen gelangt die Gemeinschaft zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Wirklichkeit und individueller Erfahrung und damit auch zu einer möglichst rationalen, sprich: besseren Gestaltung des Gemeinwohls. Soll das neue politische Prinzip der kreativen Verantwortungsübernahme der wenigen Vermögenden gelten, wird ein umfassendes philosophisches überdenken der geltenden normativen Grundlage notwendig. Eines der fraglichen Momente ist zum Beispiel die bereits angesprochene Vorstellung, dass eine ohnehin privilegierte vermögende Person auch noch besonders viel Einfluss- und Gestaltungsmacht bekommt. Hierfür wäre auch eine neue politische Grundlage der Verantwortung, der Kontrolle des gestalterischen Handelns der Vermögenden sowie überhaupt eine Veränderung des geltenden Staatsverständnisses notwendig. Eine gelebte Vermögenskultur ist in den Kreisen der "Reichen" und "Superreichen" dann gegeben, wenn ihr Reichtum nicht einfach durch Aneignung, sondern durch unternehmerische Akkumulation und Verwaltung von Ressourcen gebildet wurde, die in eine nachhaltige, also vor allem langfristig gedachte Produktion gesellschaftlicher Wohlfahrt fließen. Dabei ist Autoren wie Sen (2007) und Nussbaum (1999) zufolge auch die Tatsache zu berücksichtigen, dass die Definition eines "guten Lebens" beziehungsweise des "richtigen HandeIns" kulturspezifisch und individuell sehr unterschiedlich ausfallen kann. Das Engagement der Vermögenden für die Gesellschaft erfolgt einerseits auf der Grundlage ihrer ethischen und politischen überzeugungen und Vorstellungen vom "Guten"; andererseits wird ihr Handeln vom Standpunkt durchaus anderer, divergenter ethischer und politischer überzeugungen und Vorstellungen, was "richtig" ist, wahrgenommen und bewertet. Diese Divergenz und die Frage, wie in der Zukunft der Vermögenskultur ein ethischer Konsens zu verorten ist, weisen deutlich daraufhin, dass der hier besprochene normative Ansatz auch der ethischen Pluralität der gegenwärtigen postmodernen Welt Rechnung tragen muss. Die zweite Option besteht darin, das wohlfahrtsorientierte Handeln reicher Vermögender im Rahmen des Modells der freien öffentlichen beziehungsweise politischen Partizipation im Sinne einer Zivilgesellschaft zu verstehen. Hierfür müsste zunächst einmal theoretisch wie empirisch geklärt werden, ob das Deutungsmuster "Rückgabe vor dem Hintergrund geschehener Ungerechtigkeit" mit der freien Partizipation der Bürger konzeptionell vereinbar wäre

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oder ob das Handeln Vermögender zuvor von der Ungerechtigkeitsvorstellung losgelöst werden müsste. Zivilgesellschaftliche Gruppen werden meistens dann aktiv, wenn ihre Interessen in der (staatlichen) Politik unterrepräsentiert beziehungsweise unberücksichtigt bleiben. Hier dient die subjektive Empfindung, aber auch die Außenwahrnehmung des Benachteiligtseins als Legitimitätsgrundlage. Aktivitäten der Vermögenden könnten zum Beispiel dann einen zivilgesellschaftlichen Charakter zugesprochen bekommen, wenn sie damit ihr Interesse verfolgen, die optimalen Bedingungen für die Rückgabe zu schaffen. So heißt es auf der Homepage einer 2009 in Berlin gestarteten viel beachteten Initiative: "Die Initiative Vermögender für eine Vermögensabgabe ist eine Gruppe Vermögender, die an die Politik appelliert, Reiche durch eine Vennögensabgabe stärker zu belasten." (Appell für eine Vermögensabgabe 2009; vgl. auch Haas, in diesem Band) Den Mitgliedern dieser Initiative - wohlhabende bis "reiche" (im allgemeinen Verständnis dieser Etikettierung) BOrger geht es um konkrete politische Bedingungen, die sie vermissen. Deshalb wollen sie die Politik in ihrem Sinne reformieren. Diese Bürgerinitiative im wahren Sinne des Wortes liefert das Exempel zivilgesellschaftlichen Engagements eines Personenkreises, der häufig mit sozialer Ungerechtigkeit assoziiert wird und entsprechenden Vorwürfen ausgesetzt ist. Andererseits ist auch in diesem Kontext an die ursprüngliche Bedeutungsweite zu erinnern, der zufolge Vermögen (wie der Begriff Individuum) bei jedem Menschen angebracht ist, dass jeder die eine oder andere Art Vermögen besitzt, das er im Sinne des Gemeinwohls einsetzen könnte. Das Handeln "sehr reicher" Vermögender kann, jenseits der Herausgehobenheit dieser handlungsrnächtigen Minderheit, verstanden werden als die jedem Menschen eigene Entfaltung des Verlangens nach Wirksamkeit. Es wird dementsprechend als Handlungsmuster mit wichtigem Beispielcharakter aufgefasst. So schreiben die Vermögenden aus der Berliner Bewegung aufihrer Homepage: "Unsere Gruppe will ein Zeichen setzen." (ebd.) Auch das zivilgesellschaftliche Modell hat starke Reibungsflächen mit dem geltenden Staatsverständnis und der Rollenaufteilung zwischen staatlichen Ämtern und unabhängigen Privatpersonen. So ist im Rahmen der Theorien der Zivilgesellschaft zum einen dort nach Modellen für die öffentliche und politische Partizipation von Vermögenden zu suchen, wo sich Lücken in den staatlichen Leistungen auftun. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass eine demokratische Sozialordnung nur dann Zukunft hat, wenn sie mehrheitlich auf dem politischen Willen und der intellektuellen Anstrengung unabhängiger Bürger aufbaut, die nicht durch Bezug von Sozialleistungen in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen (vgl. Grundmann 2009; Lessenich 2005). Das wiederum spricht eher für eine Kompatibilität zivilgesellschaftlicher Prinzipien mit dem Handeln "reicher Vermögender". Zusammenfassend lässt sich wiederholen, dass im Rahmen einer theoretischen Auseinandersetzung mit der Vision einer Vennögenskultur zu erforschen ist, inwiefern Politik und Gesellschaft aufdem Prinzip der Rückgabe aufgebaut werden können und welche Einschränkungen für den legitimen Anspruch aller Bürger auf partizipatives Handelns dies bedeuten würde. In diesem Kontext bilden die gesellschaftlichen Zukunftsvisionen der Vermögenden beziehungsweise ihre Wahrnehmung und Legitimierung in der Gesellschaft ein spannendes Untersuchungsfeld. Die Spannung entsteht unter anderem aufgrund divergierender Zeitachsen: Die wahrgenommene Ungleichverteilung in Verbindung mit Vermögenden tangiert in erster Linie

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die Vergangenheit. Die Behebung dieses Zustands wird ungern aufgeschoben und am Besten sofort oder zumindest noch zu Lebzeiten der sich benachteiligt fühlenden Menschen erwartet. Zielt ein im weiten Sinne verstandenes philanthropisches Projekt dagegen auf eine positive Entwicklung in einer relativ femen Zukunft, kann eine solche "Rückgabe" schlecht kontrolliert und daher weniger als Wiederherstellung von Gerechtigkeit wahrgenommen (und entsprechend legitimiert) werden. Eine langfristig angelegte weltbildende Initiative bedarf demnach offensichtlich zusätzlicher (praktischer wie theoretischer) Anstrengungen, um eine legitimierende gesellschaftliche Wahrnehmung zu erhalten. Ein solches Umdenken wäre nicht nur der heutigen -meist kurzfristig (von einer Wahl zur nächsten) angelegten - Politik sehr anzuraten.

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Linguistische Analyse zur Bedeutungsgeschichte des Wortes Vermögen Jerra Lui Busch

1. Grundlegendes zum Bedeutungswandel Die Sprache ist ein natürliches Objekt, das in Wechselwirkung mit seinen Benutzern steht, diese im Denken prägt und beeinflusst, sowie von den Sprechern geprägt und beeinflusst wird. Als Folge dieser Interaktion mit der Umwelt ist die Sprache kein abgeschlossenes, unveränderliches Konstrukt aus einer endlichen Menge an Wörtern und mit unveränderbaren Regeln. Vielmehr ist die Sprache permanent einem Wandel unterworfen, der sich auf alle Bereiche auswirkt: Grammatik, Wortschatz, Lautgestalt, etc. verändern sich im Laufe der Zeit zumeist durch natürliche Umstände, wie beispielsweise durch Sprach- und Kulturkontakt. Diese Beobachtung mag trivial erscheinen, da sie jederzeit durch einen Griff zu einem Buch aus früheren Epochen evident werden kann. Trotzdem gerät diese Tatsache in der subjektiven Fokussierung der Sprecher aufden aktuellen, momentanen Sprachgebrauch oft in Vergessenheit. Die Veränderung von Wortbedeutungen ist nur eine der natürlichen Konsequenzen in der Entwicklung einer Sprache. Die Griinde für Bedeutungswandel sind vielfältig und auch sprach- und kulturspezifisch (beispielsweise Bedeutungswandel durch Benennungsbedarf neuer Dinge, Wegfall anderer Dinge, Lexikalisierung ursprünglich metaphorischer Verwendungen, etc.). Der Bedeutungswandel eines Wortes vollzieht sich dann, wenn eine Sprechergemeinschaft dem Wort eine neue Bedeutung zuschreibt, diese sich festigt und im mentalen Lexikon der Sprecher abgespeichert wird. Die ursprüngliche Bedeutung kann sowohl parallel weiter bestehen als auch obsolet werden. Es gibt unterschiedliche Strategien, die für Bedeutungswandel verantwortlich gemacht werden können. Diese gründen zumeist aufden beiden Inhaltsseiten eines Wortes: dem Denotat, der Hauptbedeutung und begrifflichen Seite eines Wortes (Beispiel: "Putzfrau" = "Raumpflegerin"), beziehungsweise dem Konnotat, den Nebenbedeutungen und mitschwingenden Eindrücken des Wortes (Beispiel: ,,Putzfrau" ist negativ konnotiert im Gegensatz zu ,,Raumpflegerin"). Eine der Strategien für Bedeutungswandel ist die Metaphorik, da hierbei ein schon bestehendes Empfinden zu der Ursprungsbedeutung hergestellt werden kann. So beim Übertragen eines zu einem anderen semantischen Bereich zugehörigen Ausdrucks zur Veranschaulichung und Beschreibung; zum Beispiel "Phrasen dreschen" zu "Getreide dreschen"; ,,zylinder(hut)" zu "Zylinder(form)". Eine andere häufig benutzte Möglichkeit ist der Gebrauch von Metonymie, der Bedeutungsverschiebung von logisch zusammenhängenden Ausdruckselementen im weitesten Sinne; zum Beispiel "Hauptbahnhof, Hauptstadt" von "Haupt" = "Kopf'; "Eisen" für "Schwert".

T. Druyen (Hrsg.), Vermögenskultur, DOI 10.1007/978-3-531-92086-3_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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Nicht immer lassen sich allerdings die Gründe oder die Strategien für die Bedeutungsentwicklung bestimmter Wörter nachvollziehen. Da ein Wandel oftmals nicht willkürlich vonstatten geht, können wir nicht immer die Umstände rekonstruieren, vor allem., wenn sie weiter in die Geschichte zurückreichen. Die Folgen von Bedeutungswandel sind entweder die Bedeutungsverengung eines bestimmen Wortes (beispielsweise wenn die Mehrdeutigkeit zu Problemen in der Benennung fUhrt) oder die Bedeutungserweiterung (beispielsweise durch Metonymie). Dies kann schließlich zu einer Bedeutungsverschiebung führen, wenn die ursprüngliche Bedeutung verloren geht. Zugleich kann man niemals davon ausgehen, dass der Bedeutungswandel eines Wortes abgeschlossen ist, solange es noch im Sprachgebrauch vorkommt. Ein prominentes Gesetz in der Lehre vom Bedeutungswandel ist jenes von Heinz Kronasser, das besagt, dass Bedeutungswandel nur in eine Richtung stattfindet, nämlich von Konkretem zu Abstraktem. I Jedoch lassen sich hierzu auch Ausnahmen finden. Ein passendes Beispiel zu Kronassers Gesetz wäre in diesem Zusammenhang jedenfalls die Bedeutungsentwicklung des Wortes Talent, das einst eine Maß- beziehungsweise Gewichtseinheit unter anderem für Währungsmittel gewesen ist, und vermutlich durch seine Verwendung im "Gleichnis zum anvertrauten Geld" im Matthäus-Evangelium vom altgriechischen ralanton über das lateinische talentum zuerst in das Französische als talent kam., und von dort aus ins Deutsche entlehnt wurde. Talent hat also eine Bedeutungsentwicklung von einer sehr konkreten zu einer abstrakten Größe durchgemacht. (1) Es ist wie mit einem Mann, der auf Reisen ging: Er riefseine Diener und vertraute ihnen sein Vennögen an. Dem einen gab er fI1nf Talente Silbergeld, einem anderen zwei, wieder einem anderen eines, jedem nach seinen Fähigkeiten. (Mt. 25,15, Einheitsübersetzung)

Auch die Bedeutungsgeschichte des Wortes, das im Mittelpunkt dieser Arbeit steht, widerspricht dem Kronasserschen Gesetz. Es geht um den Begriff Vermögen. Er ist in der Herausbildung seiner heutigen Bedeutung besonders bemerkenswert, weil er heutzutage hauptsächlich als Begriff für Reichtum, Eigentum und Besitz materieller Güter gebräuchlich ist, sich auf der anderen Seite die Bedeutung als Fähigkeit aber in manchen Verwendungen erhalten hat. Hier handelt es sich also um einen Fall der Bedeutungserweiterung. Vermögen als Fähigkeit ist vor allem bei der Bildung von Komposita produktiv, wie bei den Wörtern Fassungsvermögen, Stehvermögen, Seelenvermögen, Denkvermögen, etc. zu sehen ist, und fungiert hierbei immer als Zweitglied, also als Grundwort des Kompositums. Vermögen hat hierbei mehrere Synonyme, wie Kapazität, Potenzial, Fähigkeit oder Kraft. Vermögen als materielles Gut hingegen lässt eher Komposita zu, wo es als Erstglied, also als Bestimmungswort, erscheint: Vermögenssteuer, Vermögensberater, Vermögensverwalter, etc. Hingegen gibt es in der Fachsprache auch Begriffe wie Geldvermögen, UmlaujVermögen oder Anlagevermögen, bei denen das Grundwort durch das Erstglied näher bestimmt wird. Der Begriff findet mit beiden Bedeutungsseiten eher im fachsprachlichen Bereich Verwendung, etwa im Rechtsbereich oder in anderen wissenschaftlich orientierten Bereichen (psychologie, Physik, Technik, etc.). In der Umgangssprache ist der Begriffvomehmlich mit seiner materiellen Bedeutungsseite vertreten aber eher selten zu hören. Meist ist von Besitz, Eigentum oder schlicht Geld die Rede.

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Vermögen wird nicht als neutraler Begriffverwendet, sondern mit dem Besitz vieler materieller Güter assoziiert. Das zeigt auch der Phraseologismus "Das kostet mich ein kleines Vermögen", bei dem das ,,kleine Vermögen" nicht wertfrei für "wenig Geld" steht, sondern mit der Bedeutung "mehr als mir lieb ist" interpretiert wird. In die gleiche Kerbe schlagen die Beispielsätze im Großen Duden "Sie hat Vermögen (ist reich)", "Das Bild ist ein Vermögen wert (sehr viel)" und "Heute habe ich ein Vermögen ausgegeben". Alle diese Sätze zeigen, dass sich der Begriff Vermögen im Alltagssprachgebrauch nicht neutral auf den Besitz materieller Güter bezieht, sondern es sich immer um einen hohen materiellen Wert handeln muss. Vermögen im Sinne der abstrakten Fähigkeit ist nicht Teil des Vokabulars der Umgangssprache. Diese Bedeutungsseite ist ausschließlich in fachsprachlichen Bereichen vorzufinden. Entweder findet sie sich in Form von Komposita (zum Beispiel Fassungsvermögen) wieder oder in bestimmten archaischen Formeln, wie in der Wendung ,,nach Vermögen", was synonym zu der Wendung ,,nach Kräften" zu verstehen ist. Vermutlich ist die Verwendung des Wortes Vermögen für abstrakte Fähigkeiten zurückgedrängt worden, um nicht mit der Verwendung als geldliches Vermögen zu konkurrieren. Das negierte Substantiv Unvermögen bezieht sich jedoch ausschließlich aufkörperliche oder geistige Fähigkeiten und bezeichnet tatsächlich die Nicht-Fähigkeit eines Menschen in bestimmter Hinsicht. Weder Vermögen als Eigentum noch als Tragevermögen von Balken können das Wort Unvermögen als ihr Antonym (Gegensatzwort) betrachten. Auch verhält sich das Wort Unvermögen nicht parallel zu dem Wort Unsumme, bei dem das negierende Präfix un- geradezu eine Steigerung ins Unermessliche suggeriert. Das Adjektiv vermögend ist heutzutage hingegen nur mehr im Sinne des "Verfiigens über ausreichenden materiellen Besitz" zu verstehen und wird nicht in einern Kontext gebraucht, in dem es um Fähigkeiten oder Potenziale geht. Das Verb etwas vermögen gehört dem gehobenen Sprachgebrauch an. Es ist synonym zu den Verben können, ausrichten und imstande sein, weckt jedoch keinerlei materielle Assoziationen. Näheres zu der Bedeutungsentwicklung des Verbs wird im folgenden Kapitel dargelegt.

2. Bedeutungsentwicklung von Vermögen im Deutschen 2.1 Bedeutungskonservierung aus dem althochdeutschen Stamm Bei dem Nornen Vermögen handelt es sich um eine Substantivierung des Infinitivs vermögen, die als solche erst im Mittelhochdeutschen (periode von 1050 bis 1350) stattgefunden hat. Um diese Entwicklung nachzuvollziehen, werden hier zunächst die Wurzeln des Verbs genauer untersucht. Die Bedeutungsentwicklung des Verbs vermögen ist in dem Sinn komplex, als dass es eine vergleichsweise geringe Bedeutungsveränderung von der ursprünglichen Verbalwurzel erfahren hat, und nicht, wie man vermuten würde, das Präfix ver- die Bedeutung von mögen aufbestimmte Art verändert hat. Vielmehr hat sich der Bedeutungsinhalt des Verbs mögen im Laufe der Sprachgeschichte stark verändert.

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Vermögen geht auf die protoindoeuropäische Wurzel *magh-2 mit der Bedeutung "können, vermögen" zurück. Im Althochdeutschen (750-1050) ist das Verb magan od. mugan (nhd. mögen) neben den Hauptbedeutungen "können, vermögen" auch mit den Bedeutungen ,,mögen, müssen, sollen, dürfen, mächtig sein" zu finden. Es gibt in diesem Stadium noch keine Unterscheidung zwischen der subjektiven Macht (Fähigkeit) und der objektiven Macht (Möglichkeit), etwas zu tun oder auszurichten. Die althochdeutsche Übersetzung der Benediktinerregel (Original in Latein, 6. Jahrhundert n. ehr.) verwendet für das lateinische Verb posse (dt. "können") das althochdeutsche Verb magan. (2-4) (2)

[...] uzzan diu selbvn In sih cuati nalles fona sih magan, [...] (althochdeutsche Benediktinerregel; Prolog Zeile 29, 8. Jh.)

(3)

[ ] sed ipsa in se bona non a se posse [...] (Regula Sancti Benedicti; Prolog Zeile 29, 6. Jh.)

(4)

[ ] dass das Gute in ihnen nicht durch eigenes Können, [...] (Benediktusregel; Prolog Zeile 29, hrsg. im Auftr. d. Salzburger Äbtekonferenz)

Das neuhochdeutsche Nomen Vermögen stammt von der althochdeutschen präfigierten Verbformfuri-mugan oderfar-magan ab. Das Präfixfuri-,far- (nhd. ver-) trägt zu keiner wesentlichen Bedeutungsveränderung des ursprünglichen Wortinhaltes bei. In dieser Verbform hat sich die ursprüngliche Bedeutung von indoeuropäisch *magh- bis ins Neuhochdeutsche erhalten, während das neuhochdeutsche Wort mögen ausgehend von negierten Sätzen eine andere Bedeutungsentwicklung durchlaufen hat (nicht können> nicht wollen> nicht mögen). Die ursprüngliche Bedeutung von ahd. magan findet sich in den davon abgeleiteten Wörtern Macht oder möglich wieder. In der ersten Bibelübersetzung von Luther ist mögen auch noch in seiner Bedeutung von können, vermögen gebräuchlich (5) und wird in der revisionierten Version durch können ersetzt (6). (5)

Und flIrchtet euch nicht fur denen / die den Leib tödten / und die Seele nicht mögen tödten. Fürchtet euch aber viel mehr fur dem / der Leib und Seele verderben mag / in die Helle. (Lutherbibel, letzte Hand (1545), Mt. 10,28)

(6)

Und flIrchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, und die Seele nicht können töten; flIrchtet euch aber vielmehr vor dem, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle. (Lutherbibel (1912), Mt. 10,28)

Auch im Neuhochdeutschen gibt es noch abgeschwächte Verwendungsformen von mögen in seiner ursprünglichen Bedeutung (7). (7)

Wer mag das sein? Mag sein, dass ich einen Fehler gemacht habe. Es mochten an die 5000 Demonstranten gewesen sein. Er mag an die 50 Jahre alt sein, etc.

2.2 Bedeutungserweiterung von vermögen im Mittelhochdeutschen Vermögen als Verb findet sich im Mittelhochdeutschen unter der Form vermugen od. vermügen wieder. Es wird sowohl intransitiv (8) als auch transitiv verwendet und hat nach Lexer die Bedeutungen "vermögen, gewalt haben über, wozu im stande sein". Es findet eine Bedeutungserweiterung statt, die dem Verb im Spätmittelhochdeutschen (ab 1250) und Früh-

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neuhochdeutschen (1350-1650) noch die Bedeutungen "wozu vermögen, überreden, kraft haben, sich verstehn, im stande, im besitze sein und ausrichten können" (ebd.) beimisst. Auch ist das Verb in der Form vermac in reflexiver Verwendung mit Genitiv mit der Bedeutung "etwas besitzen" gebräuchlich (Benecke, Mittelhochdeutsches Wörterbuch), so auch die Wendung ,jemanden zu etwas vermögen", die im Neuhochdeutschen zurückgedrängt wurde (9). (8)

Furunculus ist ain tier, daz haizt in gemainer spräch ain grütz. daz ist gar manhaft und grimmer danne sein Ilätllrleich kraft vermag und ist enw&1ig grcezer dann ain wiseI. (Megenberg (1349), Buch der Natur)

(9) Er ersucht daher, den H. v. Sternberg dahin zu vermögen, dass er von der Fehde abstehe und sein Ansehen vor des Kaisers RJithe bringe, wo er ihm Recht ergehen lassen wolle. (Urkundliche Beitrdge zur Geschichte Böhmens und seiner Nachbarldnder, S. 354, 1465, Mai 7)

In dieser Periode wird auch das Adjektiv vermügic gebildet, was nhd. mächtig im Sinne von einer Sache mächtig sein entspricht. Ebenso gibt es die Bildung Vermügenheit, die ebenfalls Macht oder Fähigkeit bedeutet (10), allerdings im Neuhochdeutschen ungebräuchlich ist. (10) Und wan er ist volkomen / in sinem bekantnisse und in siner vermügenheit, / her umbe so ist er ouch volkomen in sinem sprechenne. (Meister Eckhart (1326), Dt. Predigt 1)

Im Spätmittelhochdeutschen findet der substantivierte Infinitiv des Verbs Verwendung mit der Bedeutung "Vermögen, Kraft, Macht, Machtvollkommenheit, Fähigkeit" (Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch), allerdings ist noch kein gefestigter Gebrauch der Bedeutung Vermögen im Sinne von "Besitz" zu finden (11). In (12) ist mit vermögen nach Lexer durchaus physisches Besitztum gemeint, nämlich die Zahl an Streitkräften. (11) [...] und sich mit uns vorbunden hat, uns hulfund beistand zu thun noch alle seinem vermogen. (Urkundliche Beitrdge zur Geschichte Böhmens und seiner Nachbarländer, S. 443, 1468, Apr. 25) (12) lndess ist nüwe bothscbafkommen, wie dass der Jersik selbst mit seinem vermögen komme und wolde sein volk retten. (Urkundliche Beiträge zur Geschichte Böhmens undseiner Nachbarländer, S 632, 1470, Ende Juli)

2.3 Metonymie des Begriffes Vermögen im Frühneuhochdeutschen In der frühneuhochdeutschen Periode prägt sich das Verb vermögen im Sinne von "Macht haben über etw." aus, anfangs mit Akkusativ als Argument (13), der später durch ein satzwertiges Argument, zumeist einer Infinitivkonstruktion (etw. zu tun vermögen) ersetzt wird. Es zeigt sich in (13), dass die Argumentstruktur des Verbs nicht in dem Sinne genormt ist, ob Gutes oder Schlechtes vermocht wird. (13) Denn welcher Freund den andern vermag, der stecktjn in Sack. (Luther (1530), Vom Frosch und derMaus)

In diesem Stadium ist die Bedeutungsverschiebung des Wortes vermögen als Verb (14,15) und als Substantiv (16) nachzuvollziehen, nämlich indem sich die Bedeutung "besitzen" be-

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ziehungsweise ,,Besitz" und "Eigentum" festigt. Allerdings bleiben auch die ursprünglichen Bedeutungen erhalten. (14) Vermag er aber nicht ein schaf / So bringe er dem HERRN fur seine schuld die er gethan hat / zwo Dordeltauben [...] (Lutberbibel (1545), Mose 5,7) (15) [...] als, wenn einer kaum zwei hundert Gulden vermag, und fllhret Handel auf fllnf oder sechs hundert Gulden. (Lutber (1524), Von Kaujhandlung und Wucher) (16) [...] und gaben nach jrem vermügen zum Schatz ans werck / ein vnd sechzig tausent Gülden / vnd filnff tausenl pfund Silbers / vnd hundert Priesterröcke. (Lutherbibel (1545), Esra 2,69)

Uneinigkeit herrscht unter den Lexikographen über die Bedeutung des Gebrauchs von vermügen in (17). Grimm listet dieses Zitat als Beleg der Bedeutung "die gesammtheit der geldwerthen güter einer person" auf (Grimm (1854), Deutsches Wörterbuch). Bei Sanders jedoch steht (17) unter dem Eintrag der Bedeutung für "Kraft", eine Bedeutung, die "heute gern vermieden [wird], wegen zu befürchtender Mißdeutung" (Sanders (1859/65), Wörterbuch der deutschen Sprache). Neuere Bibelübersetzungen verdeutlichen dies nur bedingt (18, 19). (17) Hab ich doch nirgend keine hülffe / vnd mein vermügen ist weg (ebd., Hiob 6,13) (18) Habe icb doch nirgend Hilfe, und mein Vermögen ist dahin. (Lutherbibel (1912), Hiob 6,13) (19) Ist es nicht also, daß keine Hilfe in mir, und jede Kraft aus mir vertrieben ist? (Elberfelder Bibel (1905), Hiob 6,13)

2.4 Bedeutungserweiterung von Vermögen im Neuhochdeutschen Die possessive Bedeutung des Verbs vermögen wie in (14) ist im Neuhochdeutschen weitgehend verloren gegangen. Nur in der substantivierten Fonn Vermögen und in der Adjektivbildung vermögend ist die Bedeutung "Besitz" oder "Eigentum physischer Mittel" gebräuchlich und hat sich als solche auch gefestigt. Adelung beschreibt die Bedeutung von vermögend mit den Worten "vermögend ist weniger, als reich, und ungefähr so viel, als wohlhabend, so viel zeitliches Vermögen besitzend, als nicht nur zur Nothdurft, sondern auch zur Bequemlichkeit gehört, so viel, dass man etwas damit vermag, ausrichten kann" (Adelung (1766-1786), Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart). Die Verbbedeutung verengt sich wieder und wird synonym zu der des Verbs können. Adelung listet bei dem Nomen Vermögen zunächst die Bedeutung der "Fähigkeit oder Möglichkeit Veränderungen hervor zu bringen" auf, die zumeist "philosophisch" gebraucht ist, jedoch zunehmend durch das Wort ,,Kraft" ersetzt wird. Besonders Kant bedient sich in seinen Schriften häufig dieses Begriffs, bildet unterschiedliche Arten des Vermögens aus (20) und führt Neologismen durch Kompositabildungen ein (zum Beispiel Erkenntnisvermögen). (20) Wenn nun Verstand das Vermögen der Regeln, die Urtheilskraft das Vermögen das Besondere, sofern es ein Fall dieser Regel ist, aufzufinden ist, so ist die Vernunft das Vermögen, von dem Allgemeinen das Besondere abzuleiten und dieses letztere also nach Principien und als nothwendig vorzustellen. - Man kann sie also auch durch das Vermögen nach Grundsätzen zu urtheilen und (in praktischer Rücksicht) zu handeln erklären. (Kanl (1789), Anthropologie in pragmatischer mnsicht, §43)

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Als zweite Bedeutung führt Adelung Vermögen als "zeitliches Vermögen, derjenige Vorrath an Geld und Geldeswerth, welchen jemand eigenthütnlich besitzet, als die große Triebfeder aller menschlichen Unternehmungen" (Adelung (1766-1786), Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart). Der Brockhaus (Conversations-Lexikon (1809)) listet ähnliche Bedeutungen unter dem Wörterbucheintrag von Vermögen auf. Erstmals fUhrt er auch Kompositabildungen an, die sich auf die Fähigkeiten nichtbelebter Objekte beziehen, wie das Tragvermögen von Balken. Weiter unterscheidet der Brockhaus beim menschlichen Vermögen zwischen innerem und äußerem Vennögen. Ersteres bezieht sich auf die Talente und Kräfte eines Einzelnen, die nur von ihm selbst angewendet werden können, während Letzteres "in Dingen (zum Beispiel Grundstücken, Waren, Staatspapieren und überhaupt Geldeswerth) besteht, die man entweder unmittelbar genießen und für die man sich Dinge zum Genuß und Gebrauch verschaffen (eintauschen) kann". Außerdem sind hier bereits die Begriffe Privat- und Nationalvermögen sowie die Vermögenssteuer vermerkt. In Herders Conversationslexikon aus dem Jahr 1857 findet sich unter dem Begriff Vermögen nur mehr die Bedeutung "Inbegriffaller Güter, die jemands Eigenthum sind". Bei Pierer:S Universallexikon aus demselben Jahr gibt es weiterhin differenzierte Bedeutungen mit feinen Schattierungen, die hier kurz zusammengefasst werden: Zunächst (a) Vermögen als Fähigkeit: Abgegrenzt von dem BegriffKraft bezeichnet Vermögen hier nur die Möglichkeit und Gelegenheit etwas auszurichten, allerdings nicht, dass tatsächlich etwas zweckmäßig ausgerichtet wird, während Kraft jenes bezeichnet, was bei einern vorliegenden Resultat als Auslöser beziehungsweise als Triebfeder angesehen werden kann. Dieses Vermögen kann sich aufDinge und Menschen beziehen; im Lexikon ist das Vermögen von Heilkräutern, der Sonne, dem Magen aufgezählt, sowie auch weltliches Vermögen, "weil diese Güter als Mittel der möglichen Befriedigung mannigfaltiger Bedürfnisse angesehen werden". Auch wird eine Untergliederung in psychisches und physisches Vermögen durchgeführt. Unter dem Ersteren ist auch das moralische Vermögen einzuordnen, das Seelenvermögen, sowie weitere Differenzierungen in ursprüngliches und abgeleitetes Vermögen, Haupt- und Nebenvermögen sowie aktives und passives Vermögen. Der Begriff Vermögen war in mehreren Fachgebieten sehr populär, so in der Philosophie, in der Psychologie und auch den Naturwissenschaften. Als Zweites (b) wird allgemein zwischen geistigen, inneren und körperlichen, äußeren Vermögen unterschieden, die "ein Mensch als Mittel für seine Zwecke rechtlich erworben hat". Hier liegen Schattierungen von Gebrauchsvermögen und Tauschvermögen vor, die implizieren, dass inneres Vermögen nur einen Gebrauchswert, äußeres Vermögen jedoch auch einen Tauschwert hat. Unter dem dritten Punk (c) ist die Abgrenzung des Vermögensbegriffs im Sinne des ,,körperlichen Besitzthums" verzeichnet. Hier wird ebenso wie beim Brockhaus auf Privat- und Nationalvermögen sowie Staatsvermögen eingegangen. In Sanders Wörterbuch der deutschen Sprache (1865) wird das Nomen Vermögen als subjektives "Können und Im-Stande-Sein" nur für solche Fälle aufgeführt, in denen es unmissverständlich als solches zu verstehen sei. Ansonsten ist die Bedeutung "das, was jemand als Hab und Gut besitzt" vertreten. Schließlich wird Vermögen aber auch als Element zur

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Wortbildung gelistet, dem in diesem Fall die Bedeutung von ,,Kraft, Fähigkeit, Gabe" zugewiesen werden kann (Begehnmgsvermögen, Denkvermögen, Einbildungsvermögen, Erinnerungsvermögen, etc.). Meyer s Konversationslexikon aus dem Jahr 1909 geht bei dem Begriff Vermögen mehr in die Richtung des Verfügens über Güter. Insbesondere die Verwendung des Begriffes in der Rechtssprache habe diesen Gebrauch gefestigt. So sei das Vermögen ein wichtiger Terminus des Bürgerlichen Gesetzbuchs im Bereich des Erbrechts beim Übergang vom Vermögen einer Person auf eine andere. Auch in der Wirtschaft spiele das Vermögen im Sinne von Volksund Staatsvermögen eine große Rolle und beziehe sich in diesem Fall auf die Ressourcen und Vorräte aller Art. Der Gebrauch des Wortes Vermögen als weltliches Vermögen ist in der Fachliteratur lange Zeit nicht eindeutig definiert. Oft wird er synonym mit den Begriffen Reichtum, Wohlstand, Besitz und auch Einkommen verwendet, letztlich auch aufgrund von Übersetzungsproblemen fremdsprachiger Literatur. Bei manchen Ökonomen beschreibt der Begriff Vermögen sowohl materiellen Reichtum als auch die damit verbundenen produktiven Kräfte eines Individuums, während Letzteres bei anderen völlig vernachlässigt wird. 3 In Trübners Deutschem Wörterbuch (1945) ist die sehr allgemein gehaltene Definition des Ökonomen Werner Sombart zitiert, der Vermögen als "eine Menge verschiedenartiger Zustände der Macht" umschreibt, nämlich "alle Möglichkeiten, in denen jemand etwas vermag". Hier ist auch die Bedeutungsentwicklung des Begriffs dargelegt: An erster Stelle ist bei diesem Eintrag Vermögen mit der abstrakten Bedeutung von ,,Besitz" gelistet. ,,Die Bedeutung erweiterte sich vom Besitz auf die Leistungsfähigkeit des Besitzes". Daraus ergebe sich die "Verfügungsgewalt" über jenen Besitz und schließlich die Gleichsetzung von Vermögen mit Macht. ,,Materielles Vermögen" fallt in diesem Wörterbuch hingegen unter den Begriff Sachvermögen. Tabelle I stellt die Bedeutungsoppositionen dar, die in dem Begriff Vermögen mit possessivem Verständnis vorhanden waren beziehungsweise sind. In der heutigen Verwendung sind alle diese Schattierungen in dem Wort zu finden. Allerdings zeigt die Sprachgeschichte, dass sich viele dieser Bedeutungsschattierungen erst im Laufe der Zeit etabliert haben.

Tabelle 1: Bedeutungsoppositionen von Vermögen ( subjektives Vennögen ) .....!----.~

(

objektives Vennögen )

angeborenes Vennögen

........

ererbtes Vennögen

........

erworbenes Vennögen

........

geistiges Vennögen

........

Objektvennögen

........

körperliches Vennögen

weltliches Vermögen

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3. Sprachvergleichende Analyse in indoeuropäischen Sprachen In diesem Abschnitt geht es darum, Pendants ftir den deutschen Begriff Vermögen in anderen indoeuropäischen Sprachen zu finden. Die Schwierigkeit besteht darin, dass der Begriff in der deutschen Sprachgeschichte offenbar eine sehr individuelle Entwicklung durchlaufen hat und die verschiedenen Bedeutungsschattierungen aus dieser Entwicklung resultieren. Aufden folgenden Seiten wird versucht, in unterschiedlichen Kultursprachen der Welt ein adäquates Pendant ftir das deutsche Wort Vermögen zu finden. Zu allererst werden die Sprachen Altgriechisch und Latein bezüglich dieser Thematik näher betrachtet. Dies ist notwendig trotz der Tatsache, dass sie nicht mehr gesprochen werden, da in diesen Sprachen einerseits Bedeutendes zur Fragestellung geschrieben wurde und da andererseits auch heute noch bei der Bildung von Fachvokabular auf den Wortschatz dieser Sprachen zurückgegriffen wird. Weitere Sprachen, die in diesem Abschnitt behandelt werden, sind die romanischen Sprachen Französisch und Spanisch, die westgennanische Sprache Englisch, die westslawische Sprache Russisch und schließlich Hindi, das ebenfalls der indoeuropäischen Sprachfamilie angehört und in Indien gesprochen wird. Im darauffolgenden Kapitel werden die nicht-indoeuropäischen Sprachen Arabisch und Chinesisch behandelt.

3.1 "Tote" europäische Kultursprachen 3.1.1

Altgriechische Basis

Die protoindoeuropäische Wurzel *magh- hat sich auch im Altgriechischen weiterentwickelt. Hier ist die Grundbedeutung von ,,können" entfernt erhalten geblieben. Das altgriechische Nachfolgewort ist mechane (Il11Xavtl) und bedeutet folgendes: (21) mechane: eigentlich Hilfsmittel, a) List, Kunstgriff b) Kunst, Erfindung c) Vorrichtung zu Etwas, Werkzeug

Wir kennen im Deutschen den Begriff Maschine, der aus dieser altgriechischen Wurzel abgeleitet wird. Dieses Wort ist ftir einen Vennögensbegriff nicht geeignet. Ein dem deutschen abstrakten Begriff Vermögen ähnliches Wort im Altgriechischen wäre dynamis (oovall~) (23). Die Etymologie dieses Nomens ist nicht hinreichend erforscht. Es geht auf das Mittelverb dynamai (oovallllÜ zurück (22). Bei Platon (24) ist die Verwendung von dynamis (8uvall~) allerdings schwierig einzuordnen. (22) dynamai:

1. können, vermögen, im Stande sein in Bezug auf die Außenwelt 2. können, im Stande sein in Bezug auf den eigenen Willen 3. gelten, bedeuten (Geld und Worte)

(23) dynamis:

1. Vermögen, Kraft (geistig und körperlich) 2. Ansehen, Einfluss im Staate, politische Macht 3. Heeresmacht 4. Heilkraft 5. Wert, Gehalt einer Münze

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Jerra Lui Busch (24)

OU (Jl!ucpq. ä.(Xl iötq.

~

'toü öpä a'i'o&r)mc; Kat ~ 'toü öpäaem öVval!tc; 'tlÖV WJ..ow ;ul;;eu~eOlV

'tt1!Wl'tEpcp l;;"i'

"Nach keiner schlechten Idee also ist der Sehsinn und das Vermögen des Gesehenwerdens durch ein kosthareres Band verhunden als hei den übrigen Verhindungen, ..."

Bei Aristoteies ist dynamis ein zentraler Begriff des philosophischen Werkes Metaphysik und bildet mit energeia (evEpyElu), ,,Akt", ein Gegensatzpaar. In lateinischer Literatur wird das aristotelische dynamis als potentia wiedergegeben, also "Möglichkeit", im Gegensatz zur tatsächlichen Verwirklichung dieser Möglichkeit (energeia), lateinisch actus. Die Möglichkeit dynamis ist außerdem neben den Begriffen hexis (e'SlC;) und diathesis (ötdeeate;) eine wichtige menschliche Sinnesqualität. Hexis hat sich als lat. habitus in der Terminologie etabliert und beschreibt angelernte Gewohnheiten, die schlecht (zum Beispiel Laster) oder gut (zum Beispiel Tugend) sein können. Diathesis kennen wir latinisiert als dispositio, also Disposition. Die Unterscheidung zwischen diesen Begriffen ist in der Literatur eher vage und führt zu unterschiedlicher Rezeption in der Nachfolgezeit. Eindeutig weist Aristoteies aber darauf hin, dass dynamis nur das Vermögen, etwas zu tun, bezeichnet, und keinesfalls die tatsächliche Wirklichkeit beziehungsweise Verwirklichung dieses Vermögens (25,26). (25) "Manche nun, wie die Megariker, hehaupten, ein Vermögen habe etwas nur, sofern es wirklich tätig sei, und wenn es nicht tätig sei, habe es auch das ~rmögen nicht. Wer nicht baue, der habe auch nicht das Vermögen zu bauen; nur der Bauende, solange er baue, habe es, und ebenso in anderen Fällen." (AristoteIes, Metaphysik 9,3, Übersetzung Adolf Lasson) (26) "Vermögen sind teils angeboren wie die Sinnesvermögen, teils eingeübt wie das Spielen eines Instruments, teils erlernt wie die künstlerischen Fertigkeiten." (ebd.)

Der aristotelische Begriff beinhaltet also subjektive Voraussetzungen und Fähigkeiten, die für die Umsetzung oder Realisierung von etwas notwendig sind. Diese Vorbedingungen können angelernter und angeborener Natur sein, sind aber in jedem Fall abstrakt. Ob die Fähigkeiten tatsächlich genutzt werden, wie und wofür sie genutzt werden, kann mit dem Begriff dynamis nicht erfasst werden. Das altgriechische Wort dynamis ist in mehreren Wörtern bis heute erhalten geblieben. Es ist u.a. die Wurzel der Worte Dynamik, Dynamit und Dynamo. 3.1.2 Lateinische Basis Französisch und Spanisch gehören der romanischen Sprachfamilie an, die einen großen Wortschatz der lateinischen Sprache weiterführt. Deswegen ist es unter anderem notwendig, lateinische Entsprechungen für den Begriff Vermögen zu finden. Zunächst wollen wir uns der Perspektive der Fähigkeiten im Lateinischen annähern und hier Bedeutungsentwicklungen und Übersetzungspendants zum deutschen Wort Vermögen finden, bevor wir von der anderen Seite, dem Besitz, ausgehen. Ein grundlegendes lateinisches Wort in diesem Zusammenhang ist das Adjektiv potis,-e mit der Bedeutung "vermögend, mächtig". Die Wortfamilie um potis,-e ist umfangreich. Ein Teilbereich ist unter (27) zu finden:

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(27) potis,-e Adj.: vermögend, mächtig possum v.: 1. können, vermögen; 2. imstande sein, ausrichten, bewirken, vermögen potens,-entis Adj.: 1. fllhig, kundig; 2. mlichtig, einflussreich; 3. stark, tüchtig potentia,-ae f. N.: 1. Vermögen, Kraft; 2. Wirksamkeit; 3. Macht, Einfluss, Ansehen potestas,-atis f. N.: I. Vermögen, Kraft, Wirkung; 2. Herrschaft; 3. Erlaubnis, Gelegenheit, Möglichkeit,

Gewalt etwas zu tun

Das Verb possum kommt sowohl als Modalverb mit In:finitivkonstruktion (28) als auch als Vollverb mit Objekt (29) vor. Im Beispiel (29) ist die Übersetzung "vermögen" im Sinne von "tun können" zu verstehen. Possum kann Personen sowie unbelebte Dinge als Subjekt haben (30).4 Häufig ist es auch gebräuchlich im Sinne der deutschen Übersetzung von "möglich sein"(31). Später wird für diese Bedeutung des Möglichen das Adjektiv possibi/is, -e gebildet, von dem das substantivierte possibilitas,-atis, "die Möglichkeit" abgeleitet wird. (28) Nemo est, qui intel/egere te possit. (Seneca, Epistu/ae Mora/es 7,9)

,,Es gibt niemanden, der dich verstehen kann."

(29) [.,,] cum omnia se posse censebat [".] (Cicero, Tuscu/anae Disputationes IV, 20) "." als er glaubte alles zu vermögen .,," (30) Mu/tum in re mi/itari potestfortuna. (Caesar, Bel/um Ga//icum 6, 30) "Viel vermag das Glück im Kriege (Viel richtet das Glück im Kriege aus)."

(31) [".] quia nihi/ a/iter possit [".] (Cicero, Academia 4,7) "... weil nichts anderes möglich ist "."

Das Substantiv potestas ist direkt von dem Verb abgeleitet und hat in (32) mit der Präposition in die Bedeutung "Macht, Gewalt über etwas". Potestas bezieht sich eher auf die von außen gegebene Möglichkeit des Tuns als auf die subjektive Fähigkeit. Dem gegenüber steht das Substantiv potentia, das wiederum vom Adjektiv potens abgeleitet ist. Potentia bedeutet in erster Linie die subjektive Kraft (33), sei es auf Menschen bezogen (geistige Kraft) oder auf unbelebte Dinge (Heilkraft von Pflanzen) oder Abstrakta (Sehvermögen). (32) Vzri in uxores [".] vitae necisque habent potestatem. (Caesar, Bel/um Ga//icum 6,19) ,,Die Mlinner haben die Macht über Leben und Tod ihrer Frauen." (33) Vzr supra humanam potentiam magnitudine animi praeditus. (Justinus, Epitoma Historiarum Phi/ippicarum 12,16) "Er war ein Mann, der weit über das gewöhnliche menschliche Vermögen hinaus mit Geisteskraft

ausgestattet war."

Ein selteneres Verb in diesem Zusammenhang ist das Wort polleo. Die Etymologie ist hierbei nicht ganz klar. Georges zählt es auch zur Wortfamilie von potis (Georges: AusjUhrliches Lateinisch-Deutsches Handwörterbuch). Walde rechnet es der lateinischen Wurzel polo- an, die "geschwollen, dick, groß" bedeutet und von der sich auch pollex, -icis, "der Daumen" ableitet (Walde: Lateinisches etymologisches Wörterbuch). Die Bedeutungen vonpolleo nach Georges sind wie folgt:

64

Jerra Lui Busch (34) pol/eo :

1. vermögen, ausrichten können 2. wirksam sein 3. Wert haben, Ansehen haben 4. viel besitzen, an etwas reich sein

Dies würde der gesuchten Bedeutungsvielfalt entsprechen, allerdings lassen sich keine Belege in der Literatur für die 4. Bedeutung finden. Ein weiteres Wort aus der Kategorie vermögen ist das Verb valeo. Es geht auf die gleiche Wurzel wie das neuhochdeutsche Verb walten zurück. Bedeutungen nach Georges unter (35). (35) va/eo :

1. bei Kräften sein, imstande sein, vennögen, gesund sein 2. Kraft, Geltung, Einfluss, Macht, Wirkung haben 3. gelten, wert sein

Die Bedeutungen "Kraft, Geltung, etc. haben" sind übertragene Bedeutungen, die im Lateinischen eher angeborene, statische und nicht erwerbbare Fähigkeiten bezeichnen. Das Wort hat stark den Geltungs- beziehungsweise Wertcharakter beibehalten, auch wenn es scheinbar äquivalent zu anderen ähnlichen Verben verwendet werden kann (36,37). Die dominante Bedeutung ist jedoch die in (38), die sich besonders auf die Wertigkeit von Geldmitteln in den Nachfolgesprachen des Lateinischen erhalten hat. (36) { ..J qui parum valent in unius e/ati so/acium. (Seneca, Epistu/ae mora/es 63,10) "... die nicht genügend über Trost fllr das Begräbnis eines Einzelnen vermögen (die nicht genügend Trost spenden können)." (37) { ..J nec continere suos ab direptione castrorum valuit. (Livius, Ab urbe condita 38) "... und er vermochte nicht die Seinen von der Plünderung der Lager zurückzuhalten."

(38) Definitio in omnes valet. (Cicero, De legibus 1,29) "Die Bestimmung gilt fllr alle."

Von den oben genannten Wörtern hat keines eine ähnliche Bedeutungsentwicklung wie das deutsche Wort Vermögen durchgemacht. Obwohl po//eo ein Kandidat dafür wäre, gibt es kaum Belege, dass dieses Wort tatsächlich in der im Lexikon angegeben Form produktiv war. Auch ist es nicht in den Nachfolgesprachen erhalten geblieben. Nun wollen wir uns die Problematik von der anderen Seite aus ansehen: Lateinische Ausdrücke :ftir materielles und finanzielles Vermögen gibt es einige, die sich auch großteils in irgendeiner Form in den Nachfolgesprachen erhalten haben. Sie sind unter (39) aufgelistet: (39) res familiaris: zum Hause gehörige Dinge = Privateigentum copia: Vorrat (oft militärisch) divitiae: Besitz an Geld, Reichtum bona: Hab und Gut, Eigentum patrimonium: vom Vater ererbtes Vennögen census: Einkünfte opes: Mittel an Geld oder Macht, um etwas auszurichten facultates: Geldmittel zum Verwenden

Linguistische Analyse zur Bedeutungsgeschichte des Wortes Vennögen

65

Die einzigen Wörter, die fiir diese Analyse relevant wären, sind die letzten beiden: opes und facultates. Auf das Letztere wird noch später in diesem Kapitel eingegangen werden. Zu opes ist zu sagen, dass es sich hierbei um ein Pluralwort von der Zitierform ops, opis handelt. Die genaue Bedeutungsvielfalt nach Georges ist unter (40) aufgelistet: (4{)) ops:

1. Bemühung, Dienst 2. Macht, Vermögen: zeitliches Venn.ögen, Reichtum; politische Macht, Einfluss 3. physische Macht, Kraft

4. Beihilfe, Beistand, Unterstützung

Georges fügt bei der zweiten Bedeutung an, dass alles hierbei gemeint ist, "was uns in den Stand setzt, große Dinge auszurichten, es sei Reichthum., Freunde, Truppen, Ansehen, usw.". In (41) und (42) wird opes allerdings so verwendet, dass ausschließlich materieller Besitz gemeint sein kann und es in diesem Zusammenhang gar nicht mehr auf die damit verbundenen Handlungsmöglichkeiten ankommt. (41) Non agros inde populari sed urbium opes exhaurire licebit. (Livius, Ab Urbe Condita, 34,13) "Von da an wird es erlaubt sein, anstatt die Felder zu verwüsten, den Reichtum der Städte zu plündern." (42) ... mox attritis opibus [ ...] (Tacitus, Historien 1,10) "und bald nacbdem die Reichtümer zerrüttet waren..."

Tatsächlich ist es so gewesen, dass das Wort opes sich immer mehr nur in die Richtung "Reichtum" weiterentwickelt hat. So schreibt Luther im Mittelalter mit ausgewählter Wortwahl folgendes: (43) Cur Papa, cuius opes hodie sunt opulentissimis crassis crassiores, non de suis pecuniis magis quam pauperum fidelium struit unam tantummodo Basilicam Sancti Petri? (Luther (1517), Die 95 Ablaß-Thesen, 86)

"Warum erbaut der Papst, dessen Reichtümer heute größer sind als die des reichsten Crassus, nicht zumindest die eine Basilica St. Peter lieber von seinem Geld als von dem anner Gläubiger?"

Das Adjektiv opulentus, im obigen Zitat im Superlativ gesteigert, leitet sich aus dem Nomen ops ab und ist in dieser Form auch in die Nachfolgesprachen des Lateinischen erhalten geblieben. Das davon abgeleitete Wort opulentia bezeichnet ebenso ,,Reichtum", allerdings auch "Üppigkeit, Überfluss und Luxus". Auch im Deutschen ist das Wort opulent mit ähnlicher Bedeutung entlehnt. Als nächstes wird das Nomenfacultas analysiert, welches von dem Verbfacio, ,,machen" über das Adjektiv facilis, "leicht (machbar)" zu dem Nomenfacultas (anfangs "Leichtigkeit, etwas zu tun") wurde und die in (44) gelisteten Bedeutungen hat: (44)Jacultas,-atis f. N.:

1. innewohnendes geistiges od. körperliches Vermögen 2. objektive Tunlichkeit, Möglichkeit, Gelegenheit 3. im PI.: Mittel, zeitliches Vermögen, VermögensumstlInde

Facultas ist somit das einzige lateinische Wort, das die Bedeutung von Fähigkeit zu der Bedeutung des Besitzes weiterentwickelt hat und folglich dem deutschen Nomen Vermögen äh-

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Jerra Lui Busch

nelt. Es war auch produktiv in Wortverbindungen wie facu/tas audiendi (,,Hörvermögen"), docendi facultas ("Lehrfähigkeit"), etc. In (45) findet sich ein Beispiel für facultas als körperliche Fähigkeit, da hier von dem körperlichen Vermögen, ein Kind auf die Welt zu bringen, die Rede ist. Im Beispiel (46) bezieht sichfacultas auf äußere Umstände, die ein Bleiben der Person Milo unmöglich machen. In (47) hingegen bezieht sichfacultas eindeutig auf materielles Vermögen. Die Bedeutungsentwicklung unterscheidet sich hier allerdings von der des deutschen Begriffs, bei dem das Vermögen als Besitz aus der Fähigkeit und den Mitteln etwas bewirken zu können, entstanden ist. Das lateinische facultas als materielles Vermögen entwickelte sich aus der Leichtigkeit, etwas durchzuführen, hin zu den angeborenen geistigen und körperlichen Fähigkeiten, die dies ermöglichen, bis schließlich zum angeborenen, ererbten Eigentum (im Gegensatz zu erworbenem Reichtum) wie in (47). Auch für innewohnende Macht und Ressourcen sowie Vorräte aller Art (Nahrungsmittel, Streitkräfte, Geld) war facu/tas gebräuchlich (48). Schließlich hat sich das Wort auch zum allgemeinen Begriffweiter entwickelt für materiellen Besitz und Mittel, um etwas auszurichten (49). (45) Di date facultatem huic pariendi! (Terenz, Adria 1,4) "Götter, gebt dieser die Kraft zur Geburt!" (46) Miloni manendi nul/a facultas {. ..J (Cicero, Pro Milone, 45) "Milo hatte nicht die Möglichkeit zu bleiben (Milo lwnnte nicht bleiben)." (47) Auget haec et natalium et paternarum facultatium splendar. (plinius, Epistulae 10,4) "Der Glanz seiner Familie und sein väterliches Vermögen vergrößern dies." (48) {. ..J tantas videri Italiae facultates, ut {...} (Caesar, Bel/um Gallicum, 6,1,3) " ... dass die Vorräte von Italien so groß sind, dass ..." (49) Gaius attritis facultatibus urbe cessit {. ..J (Sueton, Galba 3) "Nachdem Gaius sein Vermögen verprasst hatte, verließ er die Stadt."

In dem philosophischen Spätwerk Ciceros De OjJiciis (44 v. Chr.) beschäftigt sich ein ganzes Kapitel mit dem Unterschied von Wohltätigkeit und Freigiebigkeit. In diesem Abschnitt finden sich mehrere Beispiele fürfacultas als Begriff für materiellen Besitz. Einige Beispiele daraus sind in (50-53) aufgelistet. In (51) definiert Cicero auch, was er in diesem Abschnitt unter facultas versteht, nämlich das Zusammenspiel von Macht und Reichtum. (50) {. ..J deinde ne maior benignitas sit, quam facultates {. ..J (Cicero, De Officiis 1,42) "...dann, dass die Wohltätigkeit nicht größer ist, als das Vermögen zulässt ..."

(51) {. ..J quae pertinent ad vitae culturn, et ad earum rerum, quibus utuntur homines, facultates, ad opes, ad copias. (Cicero, De Officiis 2,1) " ..., die sich aufdie Lebensweise und auf die Verfiigung über die Dinge, die Menschen brauchen, also auf Macht und Reichtum, beziehen."

(52) {. ..J mutandisque facultatibus et commodis {.. .} (Cicero, De Officiis 2,15) " ... durch den Austausch von Gütern und Vorteilen ..." (53) {. ..J qui suis facultatibus captos a praedonibus redimunt {. ..J (Cicero, De Officiis 2,56) ..., die mit ihrem Vermögen Gefangene von Räubern freikaufen ...

Linguistische Analyse zur Bedeutungsgeschichte des Wortes Vennögen

67

Der Begrifffacultas wird einer der zentralen Begriffe in der philosophischen Literatur und für verschiedenste Fähigkeiten im weitesten Sinne verwendet. Im Mittellatein (9. bis 13. Ib.) kommen noch weitere Bedeutungen hinzu (Latham & Howlett: Dictionary ofMedieaval Latin): (54)facu/tas:

I. ability, power, capacity, faculty, property, nature 2. opportunity, possibility, power, authorisation 3. authority, right 4. licence, dispensation 5.resources,wealtb 6. acad. branch of study

In Niemayers Mediae Latinitatis Lexicon Minus wird als erste Bedeutung vonfacultas materielles Vermögen im Sinne von "ererbtem Besitz" angegeben. Diese Bedeutung steht in Opposition zu erworbenem Besitz. Weitere Bedeutungen sind ein "Studienzweig" und schließlich auch eine "Fakultät an der Universität". Dadurch, dass Latein lange Zeit Wissenschaftssprache gewesen ist, gibt es auch in der Folgezeit noch bedeutende Literatur auf Latein, so unter anderem von Grotius oder Baumgarten, die beide den Begriff facultas verwenden. Die Rezeption dieser Werke in anderen Ländern war bedeutend für die Bildung der Begrifflichkeit. 3.2 Vermögen in den romanischen Sprachen Französisch und Spanisch

3.2.1

Vermögen im Französischen

Französisch ist eine Nachfolgesprache des Lateinischen und fUhrt einen großen Teil des lateinischen Wortschatzes weiter. Wir können davon ausgehen, dass bereits behandelte lateinische Wörter bis ins Französische nachverfolgbar sind sowie, dass anderen lateinischen Wörtern eine Bedeutungsentwicklung widerfahren ist, die zu einem französischen Begriff für Vermögen geführt hat. In Sachs- Villattes Enzyklopädischem Wörterbuch ist unter dem Eintrag Vermögen tatsächlich Folgendes zu finden: (55) pouvoir (facul16 de faire): das Können puissance (autorit6, pouvoir de faire): Macht, physisches Können, Kraft facu/te (puissance physique ou morale, droit de faire): körperlichen und geistiges Können, Befugnis, Besitz, Fakultät forces: Gewalt moyens (pouvoir de faire, facult6): Mittel, Anlagen, Talent fortune: Hab und Gut

Trotz Zirkeldefinition kann gesagt werden, dass unter pouvoir und puissance das subjektive Können sowie Handlungsvollmacht verstanden werden, jedenfalls nichts in Richtung Besitz oder Eigentum materieller Güter. Gleiches gilt fürforces. Das Pluralwort moyens entspricht dem deutschen Wort Mittel, das die gleiche Bedeutungsvielfalt hat. Es kann sowohl geistige Fähigkeiten, körperliche Kräfte sowie Geldmittel bezeichnen. Es ist in dem Sinne neutral, als dass es Geld und andere Güter aller Art, mittels derer etwas vollbracht werden kann, bezeichnet. (56) fUhrt zwei Phrasen zu moyens als Geldbegriff an.

68

Jerra Lui Busch (56) a. avoir de gras moyens: begütert sein b. C'est ou-dessous de mes moyens: Das übersteigt meine Mittel.

Fortune wiederum bezieht sich eindeutig nur auf den Besitz. Das Wort ist abgeleitet von der Glücks- und Schicksalsgöttin Fortuna. Dadurch ist ersichtlich, dass fortune ganz anders als moyens keinen Bezug zur Kraft materieller Gütern beinhaltet. Bevor auf das Wort faculte eingegangen wird, der Vollständigkeit halber zunächst noch weitere Vermögensbegriffe des Französischen: (57) bien: Wohl, Heil, Hab und Gut, Eigentum possibilites PI.: (finanzielle) Möglichkeit; Fähigkeiten propr;ete: Eigentum(srecht), Besitz Gur.) possession: Besitz Gur.)

Faculte ist ähnlich dicht in seinen Bedeutungsschattierungen wiefacultas im (Mitte1)Lateinischen. Erste Belege im Altfranzösischen gibt es dazu aus dem 14. Jahrhundert. Zu diesem Zeitpunkt sind nur zwei Bedeutungen des Lateinischen erhalten geblieben (58). (58) altfrz.facufre: I. Wissenschaft: De toutes facu1t6s en courtfist des fectura. 2. Vermögen (Besitz) zum Aufwand: vous avrez grant regard et grant advis aux facultes etpuissance des vous et de moysefon f'estat de vos parens et de miens.

Vermutlich hat noch eine spätere Entlehnung von lateinischen Bedeutungen zu diesem Wort stattgefunden, da facultas in der Bedeutung des geistigen und körperlichen Vermögens ein Schlüsselbegriff philosophischer Literatur gewesen ist, die natürlich auch in französischer Sprache rezipiert wurde. Das Französische Wörterbuch Le Grand Robert gibt als erste Bedeutung die allgemeinen Möglichkeiten, etwas zu tun, an. Damit sind Rechte, Befugnisse, Möglichkeiten, Mittel, Privilegien, etc. gemeint (59). Die zweite Bedeutung ist die Fähigkeit im philosophischen Sinne, also hauptsächlich intellektuelle Fähigkeiten,faculte de penser, dejuger, d'imaginer, etc. ("Fähigkeit des Denkens, Urteils- und Einbildungsvermögen", etc.). Hier können sowohl allgemeine mentale oder körperliche Fähigkeiten gemeint sein (60) wie auch individuelle Anlagen und Begabungen. (59) La facult6 de rachat ne peut eire stipulee pour un terme excedant cinq annees. (Code Civil, Art. 1660) "Das Rückkaufsrecht darf nicht durch eine Klausel geregelt werden, die eine Dauer von fiinf Jahren überschreitet." (60) Les premreres facult6s qui seforment et se perfectionnent en nous sont fes sens. (Rousseau (1762), Emile) "Die erste Fähigkeit, die sich bildet und weiterentwickelt, ist die Empfindung."

Als drittes mit der Anmerkung "veraltet" ist das Pluralwortfacultes mit der Bedeutung ,,Besitz, Ressource und Mittel" aufgelistet. Le Grand Robert gibt dazu die Phrasen in (61) an. In (62) ist noch ein Beleg für den Begriffin dieser Bedeutung aus dem französischen Code Civil. (61) Depenser au-defa de ses facult6s: über seine Möglichkeiten hinaus Geld ausgeben. Eire taxe sefon ses facultes: Nach seinem Vermögen besteuert werden.

Linguistische Analyse zur Bedeutungsgeschichte des Wortes Vennögen

69

(62) Si le contrat de mariage ne regle pas la contribution des epoux aux charges du mariage, ils contribuent a celles-ci en proportion de leurs facultes respectives. (Code Civil, Art. 214) "Wenn der Ehevertrag nicht die Beisteuerung der Ehepartner zu den Kosten der Ehe regelt, müssen beide im jeweiligen Verhältnis ihres Vennögens dazu beitragen."

Die prominenteste Bedeutung vonfaculte ist jedoch jene, die erst aus dem Mittellateinischen entlehnt wurde und, wie auch in vielen anderen Sprachen, die ,,Fakultät verschiedenster Bildungseinrichtungen" betrifft. Diese Bedeutung ist sehr produktiv und an den Universitäten gibt es Fakultäten vieler unterschiedlicher Fächer. Der häufige und schließlich auch überregionale Gebrauch des lateinischen Grundwortesfacultas in diesem Sinn führte dazu, dass die anderen Bedeutungen im Französischen zurückgedrängt wurden und auch in der Alltagssprache wenig transparent sind. In mehreren Wörterbüchern aus dem 19. Jahrhundert findet sich noch die gesuchte Bedeutung, während sie in den modemen Wörterbüchern als veraltet beziehungsweise ausgestorben aufgelistet ist oder gar nicht genannt wird. Faculte würde also als einziges Wort die Polysemie des deutschen Vermögens besitzen, ist allerdings aufgrund der dominanten Bedeutung von "Fakultät" kein optimales französisches Pendant des Vermögensbegriffs. Es ist nun die Frage, ob eine wissenschaftliche Einführung des Wortes mit einer veralteten Bedeutung sinnvoll ist. Ein Vorteil davon wäre, dass ja die Doppeldeutigkeit von Fähigkeit und Besitz inhärent in dem Wort vorhanden ist, andererseits handelt es sich bei beiden Bedeutungen um heutzutage rückläufige Bedeutungen. Die Tatsache, dass faculte nur im Plural als Vermögen und Besitz gedeutet wird, ist ein weiterer Vorteil, da damit zumindest eine kleine Abgrenzung zur Fakultätsbedeutung vorhanden ist, obwohl Letzteres natürlich ebenso pluralisiert werden kann beziehungsweise die Pluralität auch nur in der Schreibung oder mittels eines Artikels erkennbar ist, da sich keine phonologische Markierung am Wort selbst vollzieht. Andere Wörter, die ähnliches Potenzial für eine französische Entsprechung von Vermögen hätten, gibt es nicht. Possibilites beschreibt zwar unter anderem finanzielle Möglichkeiten, ist allerdings zu neutral und somit in noch höherem Maße missverständlich und uneindeutig. Gleiches gilt für moyens, das dem deutschen Begriff Mittel. um etwas zu tun entspricht. 3.2.2 Vermögen im Spanischen Ähnlich wie im Französischen verhält es sich auch im Spanischen. Schlägt man in neuen Wörterbüchern unter dem Eintrag Vermögen nach, findet man zwei Gruppen von Wörtern, jene, die Fähigkeiten (63), unter jene, die Besitz und Eigentum (64) betreffen: (63) juerza: Macht, Kraft poder: Fähigkeit, Macht potencia: geistige und körperliche Fähigkeit capacidad: Fähigkeit, Können (Fassungsvermögen) (64) posesüm: Besitz propiedad: Eigentum bienes PI.: Hab und Gut fortuna: Glück, Reichtum

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70 haberes PI.: Einkünfte, Hab und Gut patrimonio: Besitz, Erbgut

Die Bedeutungen dieser Wörter zeigen, dass keines von ihnen die gesuchte Mehrdeutigkeit des deutschen Vennögensbegriffes besitzt. Auch eine etymologische Analyse fördert keine ehemaligen passenden Wortbedeutungen zu Tage. Das Vennögen, um das es in (64) geht, bezieht sich strikt auf die materiellen Güter, die man besitzt, und nicht auf das, was man damit tun oder leisten kann. Auf der anderen Seite klingt in den Wörtern von (63) keine Bedeutung an, die sich auf Geld oder materiellen Reichtum bezieht. Die genannten Fähigkeiten und Kräfte sind hier rein abstrakt. Ein anderes bilinguales Wörterbuch (Slaby; Großmann; Illig) unterteilt den Begriff Vermögen in drei Bedeutungsgrößen und gibt Übersetzungen wie folgt: (65) Fähigkeit: capacidad./acultad. virtud Besitz:/ortuna, bienes. patrimonio

Kapital: capital,/ondos

In diesem Wörterbuch findet sich ebenso wie im Französischen das Nachfolgewort des lateinischenjacultas wieder. Das spanische Wörterbuch Tolhausen aus dem Jahr 1922 schreibt zu diesem Wort folgendes: (66)/acultad:

1. Kraft, Gabe, Eigenschaft 2. Macht, Befugnis 3. Wissenschaft, Kunst; Fakultät 4. Besitz, Habe, Geldmittel, Vermögensumstände

Anscheinend hat sich also beijacultad auch die Bedeutungspanne von "Vennögen" einige Zeit lang im Spanischen erhalten und ist erst kürzlich im Sprachgebrauch zurückgedrängt worden. Auch in dieser Sprache ist nämlich die Bedeutung von "Fakultät" sehr dominant. Es ist durchaus möglich, dass im Spanischen wie im Französischen dadurch die anderen - früher womöglich prominenteren - Bedeutungen nicht mehr transparent in diesem Wort wieder erkannt werden. Allerdings ist in dem Lexikon Encic10pedia deI idioma von Martin Alonso, das auch historische Bedeutungen auflistet, die Bedeutung von "Besitz" unter jacultad nicht zu finden. 3.3 Vennögen im Englischen Englisch ist, wie Neuhochdeutsch, eine westgennanische Sprache, bezieht allerdings einen großen Teil des Wortschatzes aus dem Altfranzösischen. In großen Englischen Wörterbüchern (Cambridge Comprehensive German Dictionary, Collins Dictionary) sind unter dem Eintrag "Vennögen" folgende Wörter gelistet, unter (67) jene mit Geldbezug, unter (68) jene mit Bezug auf Fähigkeiten. (67) assets PI.: Vermögenswerte, -gegenstände capital: Geld property: Eigentum wealth: Reichtum

Linguistische Analyse zur Bedeutungsgeschichte des Wortes Vennögen

71

fortune: Reichtum

means PI.: Mittel

(68) faculty: Kraft, Befugnis, Möglichkeit ability: Fähigkeit capacity: Vermögen, Kapazität

Assets ist ein Wort, das aus dem Lateinischen über das Altfranzösische zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert in den englischen Wortschatz aufgenommen wurde. Es stammt aus dem vulgärlateinischenAdverbial ad satis, "zur Genüge beziehungsweise ausreichend", ist im Altfranzösischen zu asez, "genug" (modemes Französisch assez) geworden. Im Anglo-Normannischen zunächst als asetz und schließlich in der heutigen Orthographie als asset beziehungsweise im Plural assets erhält es die Bedeutungen "Vorzug, Vorteil und Vermögenswerte, -gegenstände". So spricht man von (in)tangible assets, ,,(im)rnateriellen Vermögenswerte" und personal assets, "Privatvermögen". Assets bezeichnete anfangs ausreichende Besitztümer, um bestimmte Schulden auszahlen zu können. Das Wort wealth bedeutete ursprünglich, dass es einem gut ging (well being), und wurde im 13. Jahrhundert aus dem bereits ausgestorbenen Verb weal gebildet. Es bezog sich zunächst mehr auf das körperliche und geistige Befinden eines Menschen oder auch einer Gemeinschaft und ist erst später zu der Bedeutung des konkreten Reichtums gelangt. Fortune, means, property und capital verhalten sich ähnlich wie die bereits besprochenen Wörter in den romanischen Sprachen. Ebensofaculty, das zu a1lererst im Jahr 1380 belegt ist, als Chaucer das Werk De Consolatione Philosophiae von Boethius aus dem Lateinischen in das Englische übersetzt hat und dabei das altfranzösische facu/M übernahm. Facu/ty bezeichnete hier, wie in der Philosophie üblich, die Fähigkeiten eines Individuums, ließ sich aber auch auf materielle Güter ausweiten. Im 14. Jahrhundert kam die mittellateinische Bedeutung von "Fakultät" zu dem Wort dazu. Im 16. Jahrhundert wurde dem Begriff auch die Bedeutung ,,Macht" und ,,Befugnis" zugeschrieben. Zu diesem Zeitpunkt war bereits die Bedeutung :fiir "geldliche Mittel, materielle Ressourcen und Eigentum" :fiir das Wort etabliert, die allerdings seit Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr gebräuchlich ist. Heutzutage wird unterfacu/ty zwar immer noch die körperliche und geistige Fähigkeit (zum Beispiel /anguage faculty "Sprachfähigkeit") sowie die Macht und Möglichkeit etwas zu tun verstanden; Geld oder Reichtum wird damit allerdings nicht mehr verbunden. In (69) und (70) folgen zwei Belege aus dem Oxford Eng/ish Dictionary: (69) Han we eny thing ofresidewe in faculteis and erytage ofthe hows ofoure fader? (Wyclif (1328), Gen 31,14) (70) The prices ... are beyond their faculties and occasion great misery. (Young (1792), Trav.France 104)

Da Englisch der westgermanischen Sprachfamilie angehört, soll hier kurz die entsprechende Entwicklung der protogerrnanischen Wurzel :fiir Vermögen, nämlich *mag-, wiedergegeben werden. Im Althochdeuthschen als magan ging dieses Verb im 7. Jahrhundert n. Chr. als mceg in das Altenglische über. Es behielt die ursprüngliche, indoeuropäische Bedeutung "können, vermögen" bei und entwickelte um 1200 zusätzlich die Bedeutung ,,Macht haben, etwas zu tun". So ist es im heutigen, modemen Englisch als Modalverb may, "dürfen" erhalten geblie-

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ben. Aus dem Verb hat sich im Altenglischen allerdings auch rasch ein Substantiv entwickelt: mcect. Im 9. Jahrhundert wurde daraus mceht, schließlich miht und im Mittelenglischen might, wie auch heute noch. Might ist das englische Pendant zum deutschen Wort Macht, etymologisch wie semantisch. 3.4 Vermögen im Russischen Russisch zählt zur slawischen Sprachfamilie und ist ebenso indoeuropäischen Ursprungs. In der Zeit des Altkirchenslawisch gelangten durch Bibelübersetzungen viele griechische Wörter in den slawischen Grundwortschatz. Das russische Wort fiir "Vermögen", sostojanie, leitet sich von dem Verb sostojat' ab, das möglicherweise auch eine Lehnübersetzung aus dem Altgriechischen ist (Vasmer, Russisches Etymologisches Wörterbuch). Es soll von dem altgriechischen Wortsystema (croO"tTllla), das "Zusammengestellte", kommen. Eine andere Theorie besagt, dass es sich um ein Lehnwort des neuhochdeutschen Wortes bestehen handelt (Unbegaun, zitiert bei Vasmer ebd.) beziehungsweise dass dieses zur Festigung der Bedeutung beigetragen hat. (71) sostojanie N.: Vennögen, Zustand, Lage, Gesundheitszustand, Befinden (72) sostojat'V.: bestehen (aus etwas), bestehen (in etwas)

Möglicherweise ist die Bedeutungsentwicklung von einem Viehbestand auf einen Besitz und letztendlich einen Geldbestand übergegangen, wie sich auch in anderen Sprachen Begriffe fiir Geld gebildet haben (vgl. lat. pecus "das Vieh" zu pecunia "das Geld"). Das eigentliche Grundwort des Verbs sostojat' ist stojat', "stehen, andauern, herrschen". Dieses Verb wiederum geht auf das Basisverb slat' zurück, das indoeuropäische Wurzeln hat, äquivalent zu dem nhd. Wort stehen ist und das Gleiche bedeutet. Bei der Phrase byt' v soslojanii handelt es sich um eine Übersetzung von dt. "im Stande sein, vermögen". Hier ist also eine entfernte semantische Gemeinsamkeit zwischen dem materiellen Besitz und einer Fähigkeit vorhanden. Andere Wörter fiir Besitz oder Eigentum sind das Nomen imuscestvo oder das Nomen dobro. Ersteres leitet sich von dem Verb imel', "haben", ab. Das Zweite, dobro, ist semantisch und etymologisch ein Pendant zu dem deutschen Wort das Gut und wird als juristischer Terminus gehandhabt. Die indoeuropäische Wurzel *magh- ist auch im Russischen erhalten geblieben. Von ihr leitet sich das Verb moc' ab, das die ursprüngliche Bedeutung bis heute beibehalten hat und ,,können" bedeutet. 3.5 Vermögen im Hindi Hindi ist neben Englisch die Amtssprache in Indien und wird vor allem im nördlichen und zentralen Gebiet des Landes gesprochen. Hindi zählt zu der indoeuropäischen Sprachfamilie und ist daher mit den germanischen und romanischen Sprachen verwandt. Viele Wörter des Hindi gehen auf das Sanskrit, die Sprache der Veden, zurück, das eine bedeutende Rolle in der indischen Kultur und Religion spielt. Viele Lehnwörter hat das Hindi auch aus arabischem oder persischem Vokabular entnommen.

Linguistische Analyse zur Bedeutungsgeschichte des Wortes Vennögen

73

Einen Begrifffür Vermögen, der die beiden Bedeutungsinhalte von "Fähigkeit" und "materiellem Besitz" umfasst, gibt es im Hindi nicht. Für die ,,Fähigkeit" existieren folgende Begriffe: (73) sakti: Fähigkeit, Können, Vermögen sämarthya: Vermögen, Fähigsein

Der Begriff sakti stammt aus dem Sanskrit und ist ein zentraler theologischer Terminus im Rahmen des Hinduismus. Sakti steht für die weibliche Urkraft des Kosmos und stellt vor allem geistige Fähigkeiten in den Vordergrund. Der zweite Begriff sämarthya ist ein Abstraktum von dem Adjektiv samartha "fähig". Etwas Materielles kann damit nicht bezeichnet werden. Wörter aus dem Hindi für die materielle Bedeutungsseite von Vermögen sind folgende: (74) dhan: Geld, Güter, Reichtum, Schatz dau/at: Reichtum, Vermögen sampani: Reichtum, Eigentum, Erfolg

Das erste Wort dhan hat seine Wurzeln im Sanskrit. Es bezeichnete ursprünglich einen Wettlauf beziehungsweise den Preis, den man bei einem Wettlauf erringen kann. Die Bedeutung von ,,Reichtum" und ,,(beweglichen) Gütern" ist vermutlich durch die Entwicklung von ,'preis" zu "Beute, Schatz" zustande gekommen. Dau/at hingegen ist ein arabisches Wort und bedeutet eigentlich "Staat, Regierung" (vgl. Daw/at A/-Imärät a/- 'Arabi'ya a/-Mutthida, dt. "Vereinigte Arabische Emirate"). In der Form dau/a wird dieses Wort auch als Titel verwendet. Möglicherweise hat es über diesen Weg die Bedeutung im Hindi erhalten. Das letzte Wort sampatti ist ein nominalisiertes Verbalkompositum., das sich aus dem Präfix sam-, "zusammen", und dem Verb pat, ,,herrschen, Kontrolle über etw. haben, zu eigen haben, besitzen", zusammensetzt (vgl. lat. potior, dt. "sich einer Sache bemächtigen, besitzen"). Ein kurzer Blick auf das Sanskrit, die Vorläufersprache des Hindi, bringt noch ein Wort zum Vorschein, das sogar beide Bedeutungsseiten in sich trägt: (75) dravinas:

I. hewegliches Eigentum, Güter, Reichtum, Geld 2. Stärke, Kraft

Hier hat sich allerdings die Bedeutung von "Stärke, Kraft" sekundär aus dem "weltlichen Vermögen" heraus entwickelt. Etymologisch leitet sich das Nomen von der Verbalwurzel für ,.niederschneiden" ab. Die Bedeutung von "Eigentum" entstand vermutlich daraus, dass ein Vermögensanteil durch Schneidung beziehungsweise Trennung und Teilung zustande kommt. Im modernen Hindi ist das Wort noch als driNin, "Wohlstand", und dravyä, "Substanz, Ding, Rohmaterial, chemisches Element, Reichtum, Geld" vorhanden. Die Bedeutungsseite von "Stärke, Kraft" hat sich nicht erhalten. Als indoeuropäische Sprache verfügt auch das Sanskrit über ein Wort, das auf indoeuropäisch *magh- zurückgeht, nämlich maghil. Es kommt hauptsächlich in den Veden vor und hat sich nicht bis in das heutige Hindi erhalten. Das Wort deckt sich semantisch mit dem ursprünglichen Begriff fiir Vermögen, also "Können", und bezieht sich mehr auf geistige oder körperliche Fähigkeiten. Es ist allerdings auch fiir materielles Vermögen verwendbar gewesen, wobei fraglich ist, ob diese Verwendungen nur spontan durch die Sinnverwandtschaft

74

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entstanden sind oder ob die Bedeutung des materiellen Vennögens bereits fest in dem Wort verankert gewesen ist.

3.6 Conclusio Abgesehen vom Altgriechischen gibt es in den hier behandelten indoeuropäischen Sprachen tatsächlich semantische Pendants zu dem deutschen Begriff Vermögen. Diese stammen allerdings - bis auf das alte Sanskrit-Wort maghcl- nicht von der gleichen indoeuropäischen Wurzel *magh- ab, sondern haben sich aus anderen Wörtern heraus entwickelt. Im Lateinischen und seinen romanischen Nachfolgesprachen sowie im Englischen gibt esfacultas, das ebenfalls ausgehend von einer abstrakten Fähigkeit die Bedeutung eines konkreten Vennögens aufgenommen hat, diese allerdings im Laufe der Sprachgeschichte wieder weitgehend abgelegt hat. Russisch hat einen anderen Weg eingeschlagen und unterstützt durch Fremdeinflüsse aus dem Verb sostojat', "bestehen", parallel die Bedeutungen ,,(zusammengestelltes) Vennögen" sowie "Zustand, Lage" mit dem Nomen sostojanie entwickelt. Im Sanskrit wurde mit dem alten Wort drtivinas sogar der umgekehrte Weg eingeschlagen: Hier hat sich zuerst die Bedeutung des "weltlichen Vennögens" gefestigt, von dem schließlich die "Stärke" und "Kraft" abgeleitet wurde. Will man die Konzepte und die Doppeldeutigkeit des deutschen Begriffes Vermögen in andere Sprachen übertragen, stößt man auf Schwierigkeiten. Eine wörtliche Übersetzung ist kaum möglich. Die obige Analyse zeigt deutlich, dass kein plausibles Pendant für den deutschen Begriff gefunden werden kann, da sich die Konzepte hinter den Wörtern individuell anders entwickelt haben und bei Neuinterpretation eines Begriffs die alten Konzepte den Gebrauch des Wortes mit seiner neuen Bedeutung beeinflussen und dessen Etablierung behindern. Obwohl beispielsweisefacultas und seine Nachfolgewörterfaculty,facultadundfaculähnliche Bedeutungsseiten im Laufe der Zeit entwickelt haben, blockiert die prominente Verwendung im Sinne des deutschen Wortes Fakultät in den anderen Sprachen den Gebrauch des Wortes zur Benennung der hier behandelten Zwecke. Bei der Neuschöpfung von Fachbegriffen hat man die Möglichkeit, kreativ vorzugehen. Es ist nicht prognostizierbar, welche Methoden für die Etablierung eines Neologismus am besten geeignet sind, da mehrere Faktoren, auch außersprachliche, den Prozess der Aneignung beeinflussen. Es gibt zu jeder Methode Beispiele, die sich auf internationaler Ebene durchgesetzt haben. Aus den bisherigen Daten ist feststellbar, dass sich Latinismen und Graezismen im fachsprachlichen Bereich gut festigen konnten, auch wenn sie oft einen Umweg über romanische Sprachen oder das Englische nehmen und nicht direkt aus den ursprünglichen Sprachen entlehnt werden. Der wissenschaftssprachliche Einfluss von Latein und Altgriechisch in den vergangenen Jahrhunderten hatte außerdem zur Folge, dass bedeutende Mengen an Vokabular dieser Sprachen in Folgesprachen oder Kontaktsprachen aufgenommen wurden. Übertragen worden sind nicht nur Vokabeln, sondern auch grammatische Einheiten. Man spricht von der Übernahme freier Elemente (Autor; Utopie, Information, etc.) und auch unfreier Elemente wie Affixe (-ismus, -Ws, Geo-, anti-, etc.). S

te

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Diese Tatsache ist für Wortneuschöpfungen hilfreich, da, zumindest in der europäischen Sprachgesellschaft, auf gemeinsames Material oder einheitliche Schemata ZUlÜckgegriffen werden kann und die Wortneuschöpfung auf diese Weise leichter Eingang und Verständnis in die entsprechenden Sprachgesellschaften findet. Hier ist die Vorarbeit der Übersetzungsleistung in gewissem Sinne schon getan, der Übersetzungsmodus ist schon Routine, wie bei der einheitlichen Übertragung von deutschen Wörtern auf -ismus in Englisch als -ism, in Französisch als -isme, etc. feststellbar ist. Ein Vorteil bei dem Rückgriff auf das Lateinische oder Altgriechische besteht darin, dass die Bedeutung des Vokabulars zwar bekannt oder zumindest nachschlagbar ist, jedoch relativ frei von Konzepten und neutral. Damit entfällt das Problem der blockierenden bestehenden Konzepte eines Wortes weitgehend. Andererseits hätten auch möglicherweise passende Konzepte des Wortes keine Wirkung, da sie für die heutigen Sprechergemeinschaften nicht mehr fassbar sind. Die Verwendung lateinischer oder griechischer Wurzeln trägt auch zu einer bestimmten Konnotation des Neologismus bei, die manche als professionell, andere als elitär interpretieren. Auch dieser Faktor spielt für die Akzeptanz und Wirkung eines Wortes eine gewisse Rolle und sollte daher bedacht werden. Ein aus dem Lateinischen oder Altgriechischen hergeleiteter Neologismus wäre für den europäischen und anglo-amerikanischen Sprachraum vermutlich unproblematisch. Allerdings würde schon die indische Sprechergemeinschaft aufgrund ihrer kulturellen Eigenständigkeit von den Vorzügen dieser Version der Begriffsbildung ausgeschlossen sein, auch wenn die Sprache Teil der indoeuropäischen Sprachfamilie ist. Gleiches gilt für Sprachgemeinschaften, die dem indoeuropäischen Sprachzweig nicht angehören und sich zudem kulturell unabhängig von der europäischen Orientierung entwickelt haben.

4. Sprachvergleichende Analyse in nicht-indoeuropäischen Sprachen 4.1 Vermögen im Arabischen Arabisch zählt zu den semitischen Sprachen. In dieser Sprachfamilie gibt es so genannte Wurzelkonsonanten, die jeweils die Basis verschiedener Wortfamilien darstellen und aus denen sich unterschiedliche Wortformen ableiten lassen. Die meisten Wurzeln bestehen aus drei Konsonanten. Für den Begriff des weltlichen Vermögens gibt es zwei prominente Wörter: (76) arwa: Vermögen, Reichtum mäl: Besitz, Hab und Gut, Reichtum, Vermögen, Vermögensbestand, Masse

Das erste Wort hat als Verb Bariya die Bedeutung "reich, wohlhabend sein oder werden, sich bereichern". Das zweite Wort, mal, geht auf die Wurzel m-w-l ZUlÜck, die "reich machen; finanzieren; reich, wohlhabend werden" bedeutet. Andere Wörter, die von dieser Wurzel abgeleitet werden, sind:

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76 (77) mä/l(Adj.): geldlich, pekuniär, finanziell mäliya: Geldwesen, Finanzen, Staatseinnahmen, finanzielle Lage tamwil: Finanzierung mumawwi/: Steuerzahler, Steuerpflichtiger mumawwal (Adj.): begütert, reich mutamawwi/ (Adj.): reich, vermögend; Finanzmann, Kapitalist (substantiviert)

Neben diesen Wörtern gibt es noch Wörter der Verbalwurzel m-I-k. Die Wortfamilie dieser Wurzel ist sehr umfangreich und beinhaltet zwei Bedeutungsseiten, die dem deutschen Nomen "Vermögen" sehr ähnlich sind. In (78) werden die beiden Bedeutungsseiten am Verb malaka verdeutlicht. (78) malaka V.: 1. besitzen, haben, in Besitz nehmen, erwerben 2. vermögen, beherrscben, im Stande sein

Die ursprüngliche Bedeutung des Verbs ist die possessive, aus der sich dann die zweite Bedeutung heraus entwickelt hat. Von dem Verb malaka kann man das Nomen Abstractum malakat ableiten, das alle diese Bedeutungsvarianten beinhaltet und noch weitere gebildet hat, nämlich "Besitz, Errungenschaft, Fähigkeit, Talent, Tugend, Gewohnheit, Brauch". Mitunter sehr wichtige arabische Wörter gehen auf dieselbe Wurzel zurück, wie das Wort für "König", malik, das auch ein Beiwort von Allah ist. Ein kleiner Teil der Ableitungsmöglichkeiten dieser Wurzel im folgenden Beispiel: (79) milk: Besitz mulk: Macht, Souveränität, Erbe, Eigentumsrecht, Besitz malaki Mv.: königlich 'jmtiläk: Besitz, Beherrschung

4.2 Vermögen im Chinesischen Chinesisch gehört zur sino-tibetischen Sprachfamilie und hat, wie das Arabische, ein von den indoeuropäischen Sprachen stark unterschiedenes Sprachsystem. Dieser Abschnitt richtet sich von der Aussprache her nach der chinesischen Hochsprache, dem Mandarin. Mandarin ist eine Tonsprache mit vier beziehungsweise fiinfbedeutungsunterscheidenden Tönen. Das heißt: Eine Lauteinheit hat bei unterschiedlicher Realisierung des Tons verschiedene Bedeutungen. Das Schriftsystem ist eine Morphemschrift; jedes Zeichen bildet eine kleinste bedeutungstragende Einheit ab. Die Schrift ist in ganz China einheitlich. Ein Großteil der Zeichen ist komplex und setzt sich aus einem Signifikum, der beteutungstragenden Komponente, und einem Phonetikum, der lauttragenden Komponente zusammen. (80)

-J1!1I

*'

("*~)6 mii "Mutter": Signifikum: ni1 ,,Frau" Phonetikum: ..l!.7 (.~) mii ,,Pferd"

Es gibt allerdings auch Zeichen, deren Bedeutung aus beiden Komponenten zusammengesetzt wird. Aufgrund dieser Tatsache kann man in gewissem Ausmaß chinesische Schriftzeichenetymologie betreiben, wobei hier allerdings immer ein Grad an Spekulation vorhanden

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ist. In (81) ist das klassische Beispiel für ein komplexes Zeichen wiedergegeben, dessen Bedeutung aus beiden Komponenten resultiert. (81)

*1- hiio "gut": linke Seite:

*"

rechte Seite:

n{j ,,Frau"

-=t zf "Kind"

Frau + Kind = gut (lexikalisiert)

Neben diesen zwei wichtigen Bildungsmethoden von Zeichen gibt es noch einige weitere, die aber hier nicht relevant sind. Nicht immer sind die Zeichen heutzutage transparent zu analysieren, da natürlich auch die einzelnen Komponenten Bedeutungsveränderungen erfahren haben. Sucht man unter dem chinesischen Wort für Vermögen, finden sich folgende Begriffe: (82) ,,Fähigkeit":

fiE. fJ 7 ming/I ;;f ~E. 8 caim1ng

,,Reichtum":

lJlt (JIt) cai lJlt,. 9 (JIt jf. ) caichiin (jur.) lJlt fJ (JIt fJ) cai/i 10

Deutlich ist, dass Jllt (Jl:1') cai als Bestandteil eines Kompositums oder als Einzelbegriff für ,,materiellen Besitz" eingesetzt wird. Das Schriftzeichen dieses Wortes ist komplex und setzt sich aus zwei Teilen zusammen, wobei nicht mit Sicherheit gesagt werden kann, ob beide Teile zur Bedeutung des Zeichens beitragen oder ob es sich um ein reines Phonogramm handelt. (83)

lJlt (JIt) cai: linke Seite/Signi1ikum: .91 (Jl.) bei "Kaurimuschel" rechte SeitelPhonetikum:

;;f cai ,,Begabung, Beflihigung"

In Anbetracht der Tatsache, dass Kaurimuscheln in früherer Zeit als Währungsmittel in China eingesetzt wurden, ergibt es Sinn, dass die linke Seite von Jllt eine Rolle bei der Bedeutung des komplexen Schriftzeichens spielt. Die Funktion des Zeichens ;f cai auf der rechten Seite ist nicht eindeutig zu bestimmen. Es ist offensichtlich, dass es ein Phonetikum ist und dem komplexen Zeichen das lauttragende Element zuweist. Allerdings ist es möglich, dass auch auf der Bedeutungsebene etwas beigesteuert wird. Wäre dem so, dann hätte Jllt von der Bildung her einen ähnlichen Bedeutungsinhalt wie das deutsche Wort Vermögen, nämlich einerseits "Währung" und andererseits "Fähigkeit". Es kann aber auch sein, dass hier reiner Zufall dafür verantwortlich ist, dass das Schriftzeichen aus diesen Elementen zusammengesetzt wird. In diesem Fall handelte es sich um ein reines Phonogramm mit dem Signifikurn eines alten Währungsmittels und einem Phonetikum, das dem Zeichen nur seine Aussprache zuweist. Letztendlich spielen solche etymologischen Erwägungen aber keine allzu große Rolle, da bereits durch die Homophonie und Schreibung eine Assoziation mit ;f cai als ,,Begabung, Befähigung" hergestellt werden kann. Das Schriftzeichen ;f cai selbst stellt ursprünglich ein aus dem Boden sprießendes, junges Pflänzchen dar, das sich noch zu etwas Großem entwickelt. Man könnte hier den Begriff der "Befilhigung" ähnlich dem aristotelischen dynamis deuten, also als inhärente Möglichkeit

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und Fähigkeit des Sich-Entwickelns zu einer ausgewachsenen Pflanze, wenn es die Umstände zulassen. Neben dem Wort li!t (Jl;f) cai ,,Reichtum, Vermögen" gibt es auch noch andere Zeichen mit dem Phonetikum ;;f cai. Zum Beispiel: (84)

#

ca; "Nutzholz, Material":

linke Seite/Signifikum:

;f... mit "Holz" ;;f ca; "Befllhigung"

rechte SeitelPhonetikum:

Wenn das Wort # cai "Nutzholz" parallel zu dem hier untersuchten Wort li!t (Jl;f) cai "Vermögen" gebildet wurde, könnte schlussgefolgert werden, dass die Relation ,,Fähigkeit" und "Leistung" sich bei dem einen Wort als "Material" und ,,Produkt" ausgeprägt hat und bei dem anderen Wort als "Vermögen" und damit vollbrachten "Leistungen". Das alles ist jedoch reine Spekulation. Die Frage hierbei ist, ob ;;f cai im Falle des Zeichens für "Material" ebenfalls mehr als nur ein Phonetikum ist und schließlich, ob hier die schon abstrahierte Bedeutung der "Befllhigung" oder lediglich die Bedeutung des "frühen Entwicklungsstadiums einer Pflanze" eine Rolle spielt. Allerdings gibt es Belege dafür, dass das heutige Zeichen für ,,Reichtum, Vermögen", ~, und das heutige Zeichen für ,,Fähigkeit", ;;f, in alten Texten beide für die Bedeutung von "Fähigkeit" eingesetzt wurden. Daraus kann man schließen, dass das Phonetikum ;;f nicht nur eine lauttragende Einheit darstellt, sondern zur Bedeutung beiträgt. Es gibt diverse Wörter, die man mit dem Wort li!t (Jl;f) cai "Vermögen" bilden kann, darunter schon die in (82) aufgelisteten li!t f- (Jl;f,l.) caichiin und li!t 7J (Jl;f 7J) cai/i. Ersteres bezeichnet den juristischen Begrifffür Vermögen und Eigentum und Letzteres bezieht sich auf sehr große finanzielle Mittel und bedeutet auch ,,Finanzkraft". Weitere Komposita mit diesem Bestandteil sind in (85) aufgelistet. (85b) bezeichnet tatsächlich die reine Verfügungsgewalt über Geld. Dieses Geld muss nicht notwendigerweise das eigene Vermögen des Verfügenden sein. (85c) ist ein Wort für den Reichtum und die Einflussmacht der reichen Personen, die mit ihrem Geld und ihren Kontakten alles bewirken können, was sie wollen. Es wird auch in moralisch fragwürdigen Kontexten benutzt, wie beispielsweise bei Bestechung. (85) a. ~ 1; 11 b. ~ ~ 12 c. ~;} 13

(Jlt 1;) caijU ,,Reichtum, Wohlstand" (Jlt #!) ca;quan "Verfiigungsberechtigung über Geldmittel"

(Jlt *) caishi "Reichtum und Macht, Einfluss"

Zum Abschluss dieses Kapitels zur chinesischen Sprache folgen noch zwei Sprichwörter, die li!t (Jl;f) cai "Vermögen" zum Thema haben. China verfügt über eine ausgeprägte Sprichwortkultur und damit haben solche Idiome einen vergleichsweise hohen Stellenwert. (86) a. ~ ~~

i!# cäi neng töng shen "Geld macht alles möglich"

b. ~ ~ 'f 4: Dtt cäi bU ke lil yän "Geld soll man nicht offen zeigen" (damit man nicht Opfer eines Verbrechens wird)

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4.3 Conclusio Im Arabischen findet sich die umfangreiche Wortfamilie um die Wurzelkonsonanten m-l-k, die sowohl Bedeutungen wie "besitzen" als auch "beherrschen" beinhaltet und bei der beide Bedeutungen in nominalisierter Variante vorhanden sind. Das prominente Wort für Vermögen ist dennoch mäl, dessen Wurzel m-w-lhauptsächlich für finanzielle, pekuniäre (Fach)Begriffe verwendet wird. Das Chinesische verfügt über das Wort Y!f, cai, das durch Schriftzeichenetymologie auf eine Zusammensetzung von "finanziellen Mitteln" und "abstrakten Fähigkeiten" zurückgeführt werden könnte. Aussprache und Schriftbild stützen diese These. Beide Sprachen weichen in ihrem System vollkommen von den Sprachen der indoeuropäischen Sprachfamilie ab. Zwar gibt es in beiden Sprachgemeinschaften auch eine Auseinandersetzung mit der europäischen Kultur und zwangsläufig also auch mit den zentralen Begriffen, also teilweise auch mit Latinismen oder Graezismen. Allerdings ist es aufgrund der inneren Struktur der Sprachen und dem abweichenden Verhalten in der Morphologie (also der Wortbildung) nicht ohne Weiteres möglich, einen europäischen Begriff zu übernehmen. Angemessen für nicht-indoeuropäische Sprachen, die fernab des europäischen Kulturkreises gesprochen werden, erscheint daher lediglich eine Lehnübersetzung (wörtliche Übertragung) des deutschen Begriffs Vermögen. 14 Nach obiger Analyse treffen die arabische Verbalwurzel m-l-k und das chinesische Wort Y!f, cai als Ausgangselemente am ehesten die Bedeutungsseiten des deutschen Begriffs. Allerdings müsste man beide Elemente noch genau in den jeweiligen Wortbildungsprozess der Sprachen einbeziehen, um die optimale Abwandlung dieser Basen für ein Pendant des deutschen Begriffs zu kreieren. Eine weitere Möglichkeit bestünde darin, auf die steigende Tendenz der Anglizismen innerhalb der in den Globalisierungsprozess involvierten Sprachgemeinschaften zu zählen und die Entlehnung eines etablierten europäischen Begriffs zu unterstützen. Hierbei muss manjedoch bedenken, dass eine Sprechergemeinschaft üblicherweise der Implantierung fremdsprachiger Einflüsse in die eigene Sprache skeptisch gegenübersteht.

5. Bedeutung für die Vermögenskulturforschung Die linguistische Untersuchung des Wortes Vermögen im Deutschen und anderen Kultursprachen hat gezeigt, welche verschiedenen Bedeutungsschattierungen der Begriffbesitzt und besessen hat. Die Analyse veranschaulicht de facto das"Vermögen", das in dem Wort Vermögen zu finden ist. Angesichts der dynamischen Bedeutungsgeschichte ist nicht fest umrissen, was das Wort in Zukunft noch alles zu bezeichnen vermag. Für die Vermögenskulturforschung können die Bedeutungsschattierungen unter anderem interessante Ansatzpunkte und Perspektiven für die Untersuchung von Vermögen und Macht beziehungsweise Einfluss darstellen. Nicht nur die enge Verbindung zwischen diesen Größen in der Geschichte der Menschheit, sondern auch der tatsächliche Unterschied bei den Konnotationen des Begriffs Vermögen im Vergleich zu seinen Synonymen wie Reichtum, Besitz, Eigentum und Geld sind eine vertiefte Auseinandersetzung wert. Schließlich sind die verschiedenen Bedeutungen, die Vermögen

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sprachgeschichtlich aufweist, alle in abgeschwächter Form noch in dem Begriff vorhanden beziehungsweise für die Sprechergemeinschaft des Deutschen unmittelbar nachvollziehbar. Tatsache ist jedoch, dass in Relation mit der umfassenden Bedeutungsentwicklung und dem allgemeinen Konzept von Vermögen die herrschende Verwendung des Begriffs recht eingeschränkt ist: Geld hat immer mehr den Status als universelle Messeinheit von Vermögen erlangt. Dabei spielt weder die Art des Erwerbs noch die Art der Investition für den Vermögensbegriff eine Rolle. Die objektive Wertschätzung von Vermögen hat sich zunehmend auf das unmittelbar Finanzielle beschränkt, gleichgültig wie dieses zustande gekommen ist und wofür es aufgewendet werden kann. Mit der sprachgeschichtlichen Analyse im Hinterkopf ist ersichtlich, wie eng die beiden Bedeutungsschattierungen - einerseits als materielles Eigentum, andererseits als Synonym für abstrakte oder konkrete Fähigkeiten (EinjUhlungsvermögen, Tragvermögen, etc.) - semantisch zusammenhängen. Der Umstand, dass sich Vermögen als Bezeichnung für materielles Vermögen etabliert hat, schafft eine Spannung zwischen den Bedeutungsseiten, die dazu beigetragen haben, dass sich das materielle Vermögen bedeutungsmäßig von anderen Vermögensarten wegentwickelt hat. Grundsätzlich ist das Wort Vermögen ein Oberbegriff für verschiedene Arten von Vermögen, wie beispielsweise Sehvermögen, Durchsetzungsvermögen und eben auch geldliches Vermögen, wobei Letzteres durch den einschlägigen und häufigen Gebrauch ohne die Präzisierung mittels eines Erstgliedes auskommt. Vermögen ist daher gleichzeitig ein Ober- und ein Unterbegriff. ls Im Wort Vermögen schwingt immer noch eine starke Handlungsfahigkeit mit, die auch in der Vermögenskulturforschung eine zentrale Rolle spielt. Betrachtet man die anderen Komposita, wird ersichtlich, dass unter Vermögen immer die Fähigkeit, etwas zu tun, verstanden wird: Die Fähigkeit, sich durchzusetzen; die Fähigkeit sich einzufühlen; die Fähigkeit durchzuhalten; die Fähigkeit zu sehen oder zu hören. Das liegt daran, dass die Argumentstruktur des Verbs (nämlich vermögen, etwas zu tun) durch eine Nominalisierung nicht verloren geht und bei diesen Komposita durch ein deverbales (von einem Verb abgeleitetes) Erstglied näher bestimmt wird. 16 Beim geldlichen Vermögen sieht es jedoch anders aus. Zwar schwingt hier auch der Handlungsdrang mit, jedoch sagt das Wort sprachlich nur aus, dass etwas vermocht wird, jedoch nicht was. Auch wenn man das Kompositum Geldvermögen hernimmt, kommt man nicht weiter, da das Erstglied hier ein Nomen ist und keine Tätigkeit darstellt. Durch die vielfaltigen Anwendungsmöglichkeiten geldlichen Vermögens fallt es auch schwer zu konkretisieren, was mit dem Vermögen geschieht. Letztendlich haben wir es daher mit einer Metonymie (Bedeutungsverschiebung) zu tun, denn die Umstände haben dazu geführt, dass das geldliche Vermögen - anders als spezifisches geistiges oder körperliches Vermögen - nicht mehr die Ausgangslage darstellt, mit der etwas getan werden kann, sondern als Resultat wahrgenommen wird: Der Fokus liegt weniger darauf, dass man Vermögen verwendet, um etwas zu tun. Stattdessen tut man eine Menge, um ein Vermögen zusammenzubekommen und zu erhalten. Was mit diesem Vermögen passiert, fallt gar nicht mehr in den Bedeutungsumfang des Begriffs, weswegen der Fokus darauf auch immer weiter in den Hintergrund der Betrachtung getreten ist. Vermögen hat umgangssprachlich mehr und mehr den Charakter einer Fähigkeit verloren und ist zu einem Wert an sich geworden.

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An diesem Punkt kann die Vennögenskulturforschung ansetzen und Vennögen nicht nur als Endresultat, sondern als Potenzial analysieren. Dabei werden natürlich auch Fragestellungen relevant, die auf den konkreten Umgang mit Geld und Reichtum abzielen. Es bleibt ihr daher nicht erspart, den Begriff Vermögen als Fachterminus genau zu definieren, um Doppeldeutigkeiten und Fehlinterpretationen zu venneiden. Denn rein synchron und semantisch betrachtet bedeutet das Wort Vermögen nicht mehr und nicht weniger als das, was intersubjektiv von der Sprechergemeinschaft der Deutschen zu einem bestimmten Zeitpunkt darunter verstanden wird.

*** Anmerkungen 1

Näheres dazu in: Kronasser (1952).

2

Das Symbol • bedeutet, dass die protoindoeuropäische Wurzel rekonstruiert und somit nicht belegt ist. Es handelt sicb bei Protoindoeuropäisch um eine gemeinsame Ursprache aller indoeuropäischen Sprachen. Die Datierung ist nicht gesichert. Man geht von einer Zeit im 4. Jahrtausend v. Chr. aus. Die Begriffe indoeuropäisch und indogermanisch sind synonym. In neueren wissenschaftlichen Werken wird der erste Begriff in Anlehnung an das englische Wort indo-european bevorzugt. Die Begriffsbildung geht auf die Ausdehnung der großen Sprachfamilie zurück, die sich nach damaliger Auffassung von Indien (Hindi) bis Island (Isländisch, eine nordgemanische Sprache, daher indogermanisch, oder ehen indoeuropäisch) erstreckt.

3

Genaueres ist im Artikel Zur volkswirtschaftlichen Theorie des Vermögens von Harald Winkel nachzulesen (in Coing, H.; WilheIm, W. (Hrsg.) (1982): Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert. Band 6. Frankfurt am Main: Klostermann.

4

An dieser Stelle muss bemerkt werden, dass das Subjektfortuna in (31) auch die Glücks- und Schicksalsgöttin Fortuna bezeichnen kann. Es müsste in einem solchen Fall allerdings groß geschrieben werden. Trotzdem kann diese Tatsache eine Rolle in der Wahl des Prädikats spielen.

5

Man spricht im Fachgebiet der Morphologie (u.a. Wortbildungslehre) von freien (wortflihigen) und gebundenen Morphemen, die beide fiir die Wortbildung relevant sind.

6

Das Zeichen in der Klammer ist das jeweilige Langzeichen, sofern das Schriftzeichen im Zuge der Schreibreform vereinfacht wurde.

7

Lexikoneinträge zu den Bestandteilen von ~ h

8

:

~

: "Können, Fähigkeit"; h : "Kraft"

Lexikoneinträge zu den Bestandteilen von ~ ~ : ~ : "Begabung, Befähigung" ft : "Können, Fähigkeit"

Jl:t jL : Jl:t: ,,Reichtum, Besitz" jL : ,,Eigentum, Besitz" Jl:t h : Jl:t : "Reichtum, Besitz" h : "Kraft"

9

Lexikoneinträge zu den Bestandteilen von

10

Lexikoneinträge zu den Bestandteilen von

11

Lexikoneinträge zu den Bestandteilen von )l:f 1; : )l:f: ,,Reichtum, Besitz" 1; : "Wohlstand, Glück"

12

Lexikoneinträge zu den Bestandteilen von)l:f;fJt : )l:f: ,,Reichtum, Besitz" ~~ : ,,Befugnis, Recht"

13

Lexikoneinträge zu den Bestandteilen von)l:f* :

14

Ungarisch, ebenfalls eine nicht-indoeuropäische Sprache, hat aufgrund des engen Sprachkontakts und der Eingebundenheit seiner Sprechergerneinschaft in den europäischen Kulturkreis keine Probleme mit Latinismen oder Graezismen.

15

Dass ein Oberbegriff gleichzeitig auch ein Unterbegriff ist, ist nicht ungewöhnlich. Es verhält sich hier ähnlich wie bei dem Begriff Kntze, der taxonomisch eigentlich die Großfamilie der Katzen bezeichnet, die von Ozelots bis zu Siamkatzen reicht, doch alltagssprachlich eindeutig eine Hauskatze meint.

Jl:t: ,,Reichtum, Besitz" * : ,,Einfluss, Macht, Stärke"

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Parallel dazu das Wort Versuch, abgeleitet vom Verb versuchen etwas zu tun. Auch bei dem Nomen muss immer dazugesagt werden, um was fllr einen Versuch es sich handelt.

*** Literatur- und QueUenverzeichnis Primärquellen Aristoteles: Metaphysik. Übersetzt von AdolfLasson (1907). Jena: Diederichs. Benedictus de Nursia: Die lateinisch-althochdeutsche Benediktinerregel. Stiftsbibliothek St. Gallen Cod. 916. Masser, Achim (Hrsg.) (1997). Göttingen: Vandenhoeck & Rupprecht. Benedictus de Nursia: Die Benediktusregel: lateinisch, deutsch. Hrsg. imAuftr. d. Salzburger Äbtekonferenz (1992). Beuron: Beuroner Kunstverl. Megenberg, Konrad: Das Buch der Natur: die erste Naturgeschichte in deutscher Sprache. Nachdr. der Ausg. Stuttgart (1861). Pfeiffer, Franz (Hrsg.) (1994). Hildesheim: Georg Olms. PalackY, Franti§ek (Hrsg.) (1860): Urkundliche Beiträge zur Geschichte Böhmens und seiner Nachbarländer im Zeitalter Georg's von Podiebrad (1450-1471). Wien: Kaiserl.-Königl. Hof- u. Staatsdr. Eckhart, Meister: Deutsche Predigten und Traktate. Schulze-Maizier, Friedrich (Hrsg.) (1927). Leipzig: Insel. Kant, Immanuel: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. Schmidt, Raymund (Hrsg.) (1943). Leipzig: Reclam. Rousseau, Jean-Jacques: Emile ou de l'education. Richard, FranlilOis; Richard, Pierre (Hrsg.) (1964). Paris: Ed. Garnier.

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Linguistische Analyse zur Bedeutungsgeschichte des Wortes Vennögen

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Vermögend handeln? Ein allgemeines HandlungsmodeU zur Erklärung gesellschaftlichen Engagements Wo/fgang Lauterbach

1. Einleitung Die Ausgangsfrage des Herausgebers lautet, in welchem Zusammenhang der philosophische Begriff des "Vermögens" und gesellschaftliches Engagement zueinander stehen. Ich werde anband der sozialwissenschaftlichen Analyse der kleinen gesellschaftlichen Gruppe der Vermögenden zeigen, dass ihr Engagement wesentlich mit dem Begriffder ,,Bildung" verknüpft ist. Um nun Vermögen und Bildung in einen Zusammenhang zu bringen, muss der Begriffdes "Vermögens" in eine soziologische Kategorie überführt werden. Dies stellt in zweifacher Hinsicht eine Herausforderung dar. Zum einen ist eine Verknüpfung des aus der aristotelischen Denktradition stammenden Vermögensbegriffs mit dem über fachliche Disziplinen hinausgehenden und bedeutungsgeladenen Bildungsbegriff zu leisten (Ehrenspeck 2002). Zum anderen ist der Zusammenhang zwischen beiden Begriffen noch gar nicht deutlich. Ist Vermögen mit Bildung gleichzusetzen oder ist Bildung Voraussetzung fiir "vermögendes Handeln"? Schließlich - wenn diese Fragen geklärt sind - muss der Gehalt beider Begriffe auf individuelle und gesellschaftliche Bedeutungen hin interpretiert werden. Um diesem Anliegen gerecht zu werden, werde ich zuerst den Begriffdes Vermögens so darstellen, dass er fiir eine soziologische Betrachtung nutzbar gemacht werden kann. In einem zweiten Schritt wird der Begriffder ,,Bildung" erläutert, so dass schließlich in einem dritten Schritt beide Begriffe auf einander bezogen werden können. Letztendlich verbleibt ein "Vermögensbegritr' im Sinne von absichtsvollem "Tun" im soziologischen Sinne unterdeterminiert, da deutlich werden muss, unter welchen Bedingungen Menschen ihre Absichten in Handeln "umsetzen". Ich schlage daher ein allgemeines Handlungsmodell vor, durch das gesellschaftliches Engagement weitgehend erklärt werden kann.

2. Vermögen und Handeln Die wesentliche Bedeutung des immateriellen Begriffs "Vermögen" liegt auf dem "Können", denn das Individuum "vermag" etwas zu tun. Der Begriff verweist auf die Kategorien des Bewusstseins und der Kraft zur Gestaltung, die im Willen des Vollzuges einer Handlung wurzeln. Die Intention der Ausführung einer Handlung ist die zentrale Kategorie. Folglich ist Vermögen dem Handeln vorgeordnet (Kluge; Seebold 2002: S. 859). Im Wörterbuch der philosophischen Begriffe (2006: S. 785) findet sich beispielsweise: "Jede Entwicklung ist ein

T. Druyen (Hrsg.), Vermögenskultur, DOI 10.1007/978-3-531-92086-3_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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Übergang vom Vennögen zur Wirklichkeit (a potentia ad actum), d.h. von einem Zustande, in dem etwas das, was es sein kann, noch nicht ist, in einen Zustand, in welchem es das, was es vorher nur sein konnte, wirklich ist". Vennögen ist demnach eine menschliche Disposition, eine Vorstellung, eine Idee durch eine Handlung zu Realität werden zu lassen. 1 Die "Leistungsflihigkeit" des Menschen steht im Zentrum. Der Herausgeber dieses Bandes, der durch den Verweis auf Aristoteles die begriffliche Verwendung im gerade dargestellten Sinne in der gesellschaftlichen Debatte unerlässlich fordert, sieht darin eine Chance menschlicher Gestaltungskraft: "Wir vennögen etwas zu tun, weil wir es wollen. Wir vennögen etwas zu tun, weil wir es können. Wir vennögen etwas zu tun, weil wir bereit sind, etwas zu leisten." (Druyen 2009: S. 30) Eine derartige Interpretation liegt auf der Hand, da die Begriffe "Vennögen und Möglichkeit" etymologisch verwandt sind, sodass mit "Vermögen" immer das Potenzial des zukünftigen Handelns assoziiert ist, dessen Verwirklichung beim Menschen liegt. Zu differenzieren ist allerdings das spezifische und das allgemeine Vennögen (vgl. auch Mele 2002). Denkt jemand über Wünschenswertes nach, verfügt jedoch nicht über die Ressourcen zur Umsetzung, so bezeichnet man dies als allgemeines Vennögen. Damit wird deutlich, was spezielles Vermögen ist: Es ist das Wünschenswerte, das durch die zur Verfügung stehenden Ressourcen tatsächlich realisiert werden kann. 2 Der diesem Beitrag zugrunde liegende vermögenskulturell zu interpretierende Gedanke gerinnt in der Einsicht, dass sich "Vennögen" im "Können" ausdrückt. Geht man von der Leistungsflihigkeit als der aktiven Potenz aus - wie sie von Aristoteles benannt wurde - wird deutlich, dass das Vermögen einen Zustand umschreibt, der auf die Zukunft gerichtet, jedoch noch nicht in einer Handlung vollzogen ist. Es geht um das Verhältnis von "noch nicht Getanem" zum tatsächlich bereits "Vollzogenen". Anders fonnuliert geht es beim Individuum um das Verhältnis von "Wünschenswertem" zum "Machbaren" und damit letztendlich zum "Getanen". So verweist der Begriff des Vennögens auf eine zeitliche und eine gesellschaftliche Dimension: Hinsichtlich der zeitlichen Dimension ist die Zeitspanne zwischen Wünschenswertem und Getanem gemeint, also die vergangene Zeit bis das Wünschenswerte zum Manifesten wird. Insofern muss aus einer soziologischen Perspektive dem vennögenskulturell fundierten ,,Können" ein soziologisch zugeordnetes "Handeln" folgen. Denn nur wenn der Leistungsflihigkeit, dem "etwas tun können", auch die Handlung folgt, kann sich - soziologisch gesehen - Handeln in gesellschaftlicher Gestaltung manifestieren. Dies geschieht, indem die Handlungen Einzelner auf der Aggregatebene betrachtet werden. So kann letztlich im Vergleich unterschiedlicher Zeitpunkte sozialer Wandel beschrieben werden. Denn handlungstheoretisch betrachtet kann fonnuliert werden, dass mit jeder individuellen Handlung auch immer eine Veränderung der Gesellschaft stattfindet. Gesellschaftlicher Wandel vollzieht sich durch die Aggregationen individueller - aus dem Wünschbarem hervorgegangener - Handlungen (Esser 2000). So gesehen umfasst Vermögen persönliche Handlungspotenziale, die auf die Zukunft gerichtet sind. Definiert ist spezielles Vennögen damit "als die Gesamtheit dessen, was jemand hat und was jemandem als Potenzial zur Verfiigung steht und zur verantwortlichen Zukunftsgestaltung genutzt (...) werden kann" (Druyen 2007: S. 38). Die Relevanz des individuellen "Vennögens" im Sinne von "imstande sein etwas zu tun" fiir eine soziologische Betrachtung liegt darin, dass sich Theorien des Handelns mit diesem

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Begriff in Verbindung bringen lassen. Schon Max Weber verstand Handeln als "ein menschliches Verhalten (einerlei ob äußeres oder inneres Tun, Unterlassen oder Dulden)..., wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden. ,Soziales' Handeln aber soll ein solches Handeln heißen, welches seinem von dem oder den Handelnden Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist" (Weber 1964: S. 1). "Vermögendes Handeln" als Leistungsfähigkeit verstanden mündet in eine mit subjektivem Sinn versehene individuelle Handlung. Es geht um das individuell Machbare. Insofern richtet sich der Begriff des Vermögens und das damit verbundene individuelle Handeln auf gesellschaftliche Phänomene oder eine zu verändernde Gesellschaft. So gesehen ist "vermögendes Handeln" immer auf die Entwicklung der Gesellschaft gerichtet. 3

3. Vermögen, Bildung und gesellschaftliches Handeln Zur Frage, wodurch sich diejenigen, die in der Gesellschaft Verantwortung übernehmen, kennzeichnen lassen, liegen empirisch basierte Ergebnisse vor. Sozialprofilorientierte Beschreibungen sowie Analysen der Handlungsmotive und Einstellungen geben Auskunft über diese Personen. In diesem Zusammenhang bietet es sich an, zuerst den Philanthropen, im Speziellen den Stifter, als den Prototypen gesellschaftlich verantwortlichen HandeIns zu betrachten. Sigmund (2001: S. 228) beschreibt ihn als die Sozialfigur, die das Engagement für die Gesellschaft am stärksten vertritt: "All diese Stifter verbindet typischerweise die Kombination von bürgerlichem Unternehmertum., ausgeprägtem Individualismus und einem spezifischen Sendungsbewusstsein, das sich zum einen immer wieder in ihrer hervorgehobenen altruistischen und philanthropischen Motivation manifestiert, ihren Besitz der Allgemeinheit zu Gute kommen zu lassen, indem sie Teile ihres Vermögens für gemeinnützige Zwecke zur Verfügung stellen. In all diesen Fällen dehnen sie ihre unternehmerischen Erfahrungen über den Bereich der Ökonomie in andere gesellschaftliche Bereiche aus, versuchen sie in gesellschaftsreformerischer Absicht zwischen diesen Sphären zu vermitteln." Die wichtigsten Handlungsmotive, die für gesellschaftliches Engagement festgestellt werden konnten sind "Dankbarkeit, Altruismus, Gesellschaftsreform und Prestige" (Sigmund 2001: S. 226). Diese vier subjektiven Motive stehen für unterschiedliche Werthaltungen: (1) Dankbarkeit steht für einen Reziprozitätskontext von Geben und Nehmen; (2) Altruismus verweist auf eine Orientierung, die auf die Gemeinschaft bezogen ist; (3) Gesellschaftsreform verweist auf den Wunsch, auf Probleme der Gesellschaft zu reagieren und diese zu verändern und (4) Prestige verweist auf den Reziprozitätsgedanken des Erhalts von Anerkennung und Wertschätzung durch stifterische Tätigkeit. Versucht man zur genauen Beschreibung ein Sozialprofil der Figur des Philanthropen zu erstellen und gleichzeitig den Aspekt der Bildung zu fokussieren, so lässt sich das Milieu der Stifter derart beschreiben, dass auffallend viele Personen ein hohes kulturelles Kapital im Sinne Bourdieus aufweisen. 4 Zudem sind häufig Berufe mit einem hohen Sozialprestige vertreten (Sprengel 2001: S. 85 f.). Man kann daher die

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These äußern, dass Engagierte häufig Personen sind, die über ein hohes Maß an institutionalsiertem und inkorporiertem Bildungskapital verfügen. Auch unsere in der Studie "Vermögen in Deutschland" (ViD)S gefundenen Ergebnisse bestätigen diese These gerade für Personen, die sich gesellschaftlich engagieren. In der Gruppe der Reichen - die sich intern in die drei Gruppen der Wohlhabenden, der Affiuenten und der High Networth Individuals (HNWIs) aufgliedert6 - beweisen mehr als 80 Prozent "vermögendes Handeln" (Ströing; Kramer 20 I0). Die Daten zeigen nun gerade sehr deutlich, dass in dieser Gruppe generell überdurchschnittlich häufig hohe schulische und berufliche Abschlüsse anzutreffen sind, wobei sich zwischen HNWIs und den Wohlhabenden sowie der Mittelschicht signifikante Unterschiede ergeben. Dies trifft sowohl für Männer als auch für Frauen zu. In der Gruppe der HNWIs befindet sich jeweils der größte Anteil an Abiturienten. Bei den Mll.nnern sind dies mehr als zwei Drittel und bei den Frauen immerhin 58 Prozent. Bei den Wohlhabenden sind es ca. 61 Prozent bei Männern und knapp 50 Prozent bei Frauen. Zur Mittelschicht besteht der größte Unterschied. Lediglich 29 Prozent der Männer und der Frauen dieser Schicht haben die allgemeine Hochschulreife (Lauterbach; Tarvenkorn 2010). Sehr deutlich ist die Differenz auch in Hinsicht auf den niedrigsten Schulabschluss. In der Mittelschicht haben ca. 40 Prozent der Männer und ein Drittel der Frauen einen Hauptschulabschluss, in der Gruppe der Reichen sind es nur 12 beziehungsweise 15 Prozent. 7 Reiche Personen verfügen also deutlich häufiger über den höchsten zu erwerbenden schulischen Abschluss. Der Abschluss eines Abiturs erleichtert daher auffallend die Zugehörigkeit zur Gruppe der Reichen. Was die berufliche Qualifikation betrifft, sind die Unterschiede nicht minder auffallig. Es zeigen sich sowohl markante Unterschiede im Vergleich zur Mittelschicht als auch innerhalb der drei Gruppen. Besonders auffallig ist ein sehr hoher Anteil an Unternehmern in der Gruppe der HNWIs. Zusätzlich zeigen sich starke geschlechtsspezifische Unterschiede. Auffallend ist zunächst, dass zwischen der Gruppe der Reichen und der Mittelschicht die Unterschiede bei Männern wesentlich deutlicher zutage treten als bei Frauen. 8 In Bezug auf berufliche Abschlüsse dominieren unter Reichen die Hochschulabsolventen, während in der Mittelschicht diejenigen mit einer Lehre die größte Gruppe stellen. Nahezujeder zweite Reiche hat einen Hochschulabschluss, während es in der Mittelschicht nur jeder Vierte ist. Auffallend ist auch, dass sich unter den Reichen niemand ohne beruflichen Abschluss befindet. In der Mittelschicht sind es immerhin ca. 8 Prozent. Betrachtet man zusätzlich die berufliche Stellung von reichen Personen, wird ersichtlich, dass sich über 90 Prozent der HNWIs in nur vier Berufsgruppen finden: Es sind vor allem Unternehmer, selbstständige Akademiker sowie hohe Beamte und Angestellte (Lauterbach; Tarvenkorn 2010). Diese Ergebnise legen den Schluss nahe, dass gesellschaftliches Engagement mit dem Erwerb formaler schulischer und beruflicher Bildungsabschlüsse (Institutionalisiertes Bildungskapital) zusammenhängen könnte. Analog zu Sigmund (2001) kann zudem formuliert werden, dass verantwortlich Handelnde die folgenden Motive für ihr Handeln immer wieder anführen: Sie handeln entweder nach altruistisch gemeinschaftlichen oder gestalterischen Motiven oder aus dem Wunsch nach symbolischer Anerkennung heraus.

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Personen, die sich generell engagieren, beispielsweise über Spenden, haben in der Regel das Motiv, altruistisch für die Gesellschaft zu handeln. Gensicke konnte zeigen, dass Personen, die sich bürgerschaftlich engagieren, vor allem das Interesse für ihr Engagement bedeutsam ist, dagegen kommt es ihnen deutlich weniger auf die Anerkennung ihrer Tätigkeit an (Gensicke u.a. 2006: S. 89). Die Studie "Vermögen in Deutschland" zeigte, dass Wohlhabende sich stärker "selbst verwirklichen" und durch ihr Engagement an der Gesellschaft partizipieren wollen. HNWIs hingegen sehen ihr Engagement viel stärker als gesellschaftliche Verantwortung (Ströing; Kramer 2010: S. 149). Beispielsweise Stifter vertreten häufig die Meinung, dass die Aufgaben des Staates deutlich eingeschränkt werden sollten (Schulze; Steffens; Meyer 2004: S. 94 f.). Die hoheitlichen Bereiche müssten zwar weiterhin staatlichem Handeln unterliegen, Bereiche wie etwa Bildung oder Kultur dagegen grundsätzlich dem Engagement von Privatpersonen. Es wird freilich betont, dass Stiftungen den Staat nicht ersetzen, sondern lediglich unterstützen sollen, jedoch mit der grundsätzlichen Haltung, dass staatliche Eingriffe in vielen Bereichen ineffizient wären. Stiftungen hingegen seien innovativ und könnten auf neue Probleme und Aufgabenfelder der Gesellschaft schnell reagieren, auch im Vergleich zur Wirtschaft, da sie nicht auf Effizienz angewiesen seien (Schulze; Steffens; Meyer 2004: S. 95). Speziell bei der Frage, ob engagierte Menschen für ihr Engagement etwas erwarten, zeigt sich, dass beispielsweise Stifter für ihr Handeln durchaus einen Austausch wünschen und auf eine Reziprozität von Geben und Nehmen bedacht sind. Sie haben häufig das Interesse, symbolisches Kapital zu erwerben und tauschen auf diese Weise ihr eigenes ökonomisches Kapital gegen Anerkennung (Bourdieu 1983). So betrachtet ist Engagment nicht ausschließlich altruistisch: "While characterizing philanthropy as an obligation, donors readily acknowleged that it is also enjoyable", beziehungsweise sie bezeichneten es als "socially acceptable avenue for the exercise ofleadership and public participation" (Ostrower 2002: S. 14 und 69). Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass unsere Ergebnisse der Studie daraufverweisen, dass engagierte Personen zum einen häufig ein formal hohes Bildungsniveau aufweisen und sie zum anderen Motive für ihr gesellschaftliches Engagement anführen, die vorzugsweise in Wertbezügen manifestiert sind. Bildung in einer allgemeinen Dimension lässt sich als "subjektive Aneignung des objektiven Gehaltes von Kultur" begreifen, in der "auf der einen Seite allgemeine oder gar universale Bestimmungen des Selbst- und Weltverständnisses wie Vernunft, Rationalität, Humanität, Sittlichkeit verschränkt sind oder sein sollten mit der auf der anderen Seite besonderen Bestimmungen konkreter Individualität von Personen" (Langewand 1994: S. 69). Bildung kann damit als ein philosophischer Begriffaufgefasst werden, der im Allgemeinsten die Subjekt-Welt-Relation (Tenorth 1997: S. 975) beschreibt.9 Diese drückt sich bei Engagierten vor allem in zwei Einstellungen aus: Erstens darin, dass viele von ihnen einem religiös altruistischen und pietistischen oder humanitären Motiv in ihrem Handeln folgen und zweitens, dass Engagement eben auch - wie bereits beschrieben - eine auf symbolische Anerkennung bedachte, demnach egoistische Komponente hat (vgl. Sigmund 2000: S. 341 f.). Das erste Argument basiert darauf, dass Bildung als individueller Bestand - im Sinne einer religiösen WeItsicht - begriffen wird und Individuen über eine je unterschiedliche Bildung verfUgen. Zwar lässt diese Sicht generell völlig offen, was als legitime Bildung anzusehen ist

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oder wer die Bildungsinhalte bestimmt, aber der Bestand kann dahingehend interpretiert werden, dass Menschen generell über Wissen und Kompetenzen verfügen müssen (Ehrenspeck 2002: S. 145). Wissen und Kompetenzen sind verinnerlicht. Damit ist Bildung in diesem Fall als kulturelles Kapital einer Person aufzufassen und "vermögendes Handeln" resultiert entsprechend aus zwei unterschiedlichen Bildungsbezügen. Zum einen durch die über das institutionalisierte Bildungskapital vermittelte gesellschaftliche Position und das dadurch erworbene Wissen um die Entwicklung der Gesellschaft. Zum anderen durch das in unterschiedlichen Ausprägungen über das institutionalisierte Bildungskapital hinausgehende inkorporierte Bildungskapital (Bourdieu 1983: S. 185 f.; Krais 1983). Oft sind es religiöse Bildungsinhalte, die gesellschaftliches Engagement vennitteln (vgl. el Sehity; Schor-Tschudnowskaja 2010; Ströing; Kramer 2010). So stellen das Christentum, und hier vor allem der Pietismus, Argumente zur VerfUgung, warum man sich für Schwächere in der Gesellschaft einsetzen und ihnen Unterstützung zukommen lassen soll. In diesem Kontext ist der Begriff des Gemeinsinns von zentraler Bedeutung. Er unterscheidet sich allerdings von demjenigen des Gemeinwohls. "Abstrakt gefasst ist Gemeinwohl ein normativer Orientierungspunkt sozialen Handelns; Gemeinsinn wiederum ist die Bereitschaft der sozial Handelnden, sich an diesem normativen Ideal tatsächlich zu orientieren, seinen Anspruch auf soziale Verbindlichkeit in Verhalten und Handeln umzusetzen [...]. Insoweit ist Gemeinsinn die motivationale Voraussetzung jedweder normativen Gemeinwohlorientierung und als solche eine fragile sozio-moralische Ressource." (Münkler; Fischer 2002: S. 9 f.) Das zweite Argument kann ebenso in Bezug auf das kulturelles Kapital interpretiert werden: Es wird getauscht. Zum einen wird von Reichen erwartet, dass sie sich im Sinne des noblesse oblige stärker engagieren. Mit Macht, materiellem Besitz und Prestige muss auch Verantwortung übernommen werden! Reiche, die dies tatsächlich tun, tauschen dann ökonomisches Kapital beziehungsweise persönlichen Einsatz gegen Anerkennung als symbolisches Kapital. Diese Anerkennung ist in doppelter Hinsicht für den Gebenden bedeutsam. Zum einen bekommt detjenige, der die gesellschaftliche Verantwortung übernimmt, Dankbarkeit vom Empfanger. Zum anderen kann aber auch Engagement eingesetzt werden, um sich innerhalb der Gruppe der Reichen Anerkennung zu verschaffen und Prestige zu erhalten beziehungsweise zu sichern. Dankbarkeit, Altruismus, Prestigegewinn und Selbstverwirklichung sind somit vier Handlungsmotive für Reiche, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Diese Motive schließen einander nicht gegenseitig aus, es können ebenso rationale Motive wie erwartete Anerkennung oder Prestigegewinn sowie Selbstverwirklichung mit einem Verpflichtungsgefiihl oder Dankbarkeit für die eigene gute Situation zusammen wirken. Damit wird der Zusammenhang zwischen Bildung und "vermögendem Handeln" deutlich: Bildung steht für ein bestimmtes allgemeines Welt-Mensch-Verhältnis, das dadurch gekennzeichnet ist, dass die vornehmlichen Handlungsmotive rationaler Art (prestigegewinn, Dankbarkeit), religiöser und humanistischer Art (Altruismus) oder individueller Art (Selbstverwirklichung) sind. Zwei Beispiele aus unseren Daten mögen die unterschiedlichen Handlungsmotive verdeutlichen (Ströing; Kramer 2010).10

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Beispiel Handlungsmotive Selbstverwirklichung und Dankbarkeit Der mittesechzigjährige Herr B ist Unternehmer, lebt mit seiner Frau in einer norddeutschen Großstadt und führte dort bis vor kurzem ein mittleres Familienunternehmen in erster Generation; inzwischen ist er Rentner. Als mittlerer von drei Brüdern wuchs Herr B in durchschnittlichen Vennögensverhältnissen auf und wurde zu Sparsamkeit, Eigenverantwortung und Toleranz erzogen. Heute weist er eine psychisch stabile Persönlichkeit auf, ist gesellig und offen für Neues. Er ist zugleich weltoffen und dennoch lokal verwurzelt. Das Leben wird seiner Meinung nach durch das eigene Handeln, nicht von außen bestimmt. Der kinderlose Haushalt von Herrn B ist ein "High Networth Individual Household", die Kapitalanlagen belaufen sich auf einen mehrfachen Millionenbetrag, das Haushaltsgesamtvermögen schätzt Herr B auf vier Millionen Euro. Überschüssige Einnahmen investiert er in erster Linie in das Unternehmen und, wie sich zeigt, in erheblichem Ausmaß für gemeinnützige Zwecke. Herrn B motiviert bei seinem Einsatz für die Gesellschaft ganz besonders der Wunsch, gestalterisch wirken zu können. Er möchte gezielt Einfluss nehmen und gesellschaftliche Prozesse verbessern. Zudem fühlt er sich auch verantwortlich und dankbar. Er hofft, der Gesellschaft etwas zurückgeben zu können. Die Motivgruppen einer moralisch-dankbaren Verantwortung sowie der Wunsch nach Selbstverwirklichung sind seine stärksten Beweggründe, sich zu engagieren. Dafür findet Herr B verschiedene Wege. Zum einen spendete er im Vorjahr insgesamt 50.000 Euro in den Bereichen ErziehungIBildung sowie für ein spezielles Projekt zum Aufbau und Erhalt eines Reservats. Nach eigenen Angaben fallen die Spendenhöhen in normalen Jahren noch deutlich höher aus. Zum anderen begleitet er zeitlich und finanziell die Gründung eines medizinischen Forschungsinstituts. Weiterhin ist Herr B in einer Menschenrechtsorganisation und einern privaten Club aktiv.

Beispiel Handlungsmotiv Religiosität Frau A ist über 70 Jahre alt und lebt mit ihrem Mann als Rentner-Ehepaar in Brandenburg. Ihre drei Kinder sind längst ausgezogen. In ihrer letzten beruflichen Tätigkeit hat die gelernte Betriebsfacharbeiterin ihrem Mann in dessen Gastronomiebetrieb geholfen. Durch die erarbeiteten Gewinne dieses selbst aufgebauten Betriebs haben beide über die Zeit ihren Reichtum angespart. Der Haushalt gehört zu den Wohlhabenden und das Gesamtvermögen beläuft sich auf deutlich unter einer Million Euro. Die Eltern von Frau A waren ebenfalls Kleinunternehmer und haben sie zu Fleiß, Sparsamkeit, Verantwortungsübemahme und nach religiösen Werten erzogen. Die heutige Rentnerin wuchs als älteres von zwei Kindern zu Zeiten des Krieges und in der Nachkriegszeit auf. Sie ist - wohl auch durch ihre Generationenzugehörigkeit - verhältnismäßig konservativ eingestellt, nicht unbedingt offen für neue Erfahrungen und sehr stark lokal verwurzelt. Frau A fühlt sich verantwortlich für soziale Belange und hat ein starkes Bedürfnis, Anderen zu helfen. Dies tut sie, indern sie sich vor allem für Hilfsprojekte der Kirche einsetzt, bei denen sie beispielsweise für Bedürftige kocht, Sachspenden für Hilfstransporte sammelt oder regelmäßig mehrere Hundert Euro spendet. Sie engagiert sich seit Jahren jeden Monat

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etwa 20 Stunden für die Kirche; plus der bereits erwähnten Sonderprojekte und Sach- und Geldspenden. Dies alles tut sie, weil sie helfen und ihre Verantwortung als gläubige Christin und wohlhabende Bürgerin wahrnehmen möchte. Steuerliche Vorteile sind ihr dabei ebenso gleichgültig wie der Wunsch, gestalterisch tätig zu sein. Für Frau A ist ein Gefühl der Verantwortung für die Gesellschaft ein starker Beweggrund für ihr Engagement. Ebenso ist es ihr sehr wichtig, sich über ihr Engagement selbst zu verwirklichen. Lassen sich nun die hergeleiteten Handlungsmotive für gesellschaftliches Engagement in eine soziologische Theorie einfügen, so dass im Rahmen einer theoretischen ModelIierung gesellschaftliche Verantwortungsübemahme erklärt werden kann?

4. Vermögendes Handeln Die gegenwärtig am weitesten entwickelte soziologische Handlungstheorie ist das Allgemeine Modell der soziologischen Erklärung (vgl. Esser 1999,2000,2010). Das ursprünglich aus der Ökonomie stammende Modell wird mittlerweile auch aufnicht-ökonomische soziale Prozesse angewandt. Als Orientierung dient das allgemeine Schema von Hempel und Oppenheim. Soziale gesellschaftliche Prozesse sollen angemessen verstanden und kausal durch individuelles Handeln erklärt werden. Das nachfolgende Schaubild 1 verdeutlicht das Modell. Auf der gesellschaftliche Ebene (Makroebene) wird ein Phänomen durch individuelles Handeln der Akteure (Mikroebene) erklärt. Dies geschieht dadurch, dass ein Akteur vor dem Hintergrund der Einschätzung und Wahrnehmung der sozialen Situation eine Alternative aus mehreren Optionen wählt, die er unter Zugrundelegung der Wert-Erwartungstheorie einschätzt und für die beste hält. Durch Aggregation der Handlungen einzelner Akteure kann dann ein gesellschaftliches Phänomen erklärt werden. Die einzelnen für die Erklärung eines gesellschaftlichen Phänomens relevanten Schritte, die in diesem Modell nachverfolgt werden, sind die "Logik der Situation" (a), die "Logik der Selektion" (b) und die "Logik der Aggregation" (c). Die "Logik der Situation" beschreibt die "logische" Verknüpfung der gesellschaftlich strukturierten Umstände von Akteuren mit den typischen Folgen des dadurch induzierten Handeins (vgl. Esser 2000: S. 387 f.). Damit verweist Esser in Anlehnung an Popper (1977: S. 114 ff.) auf den Umstand, dass nicht die individuellen Antriebe die Menschheit voranbringen, sondern die durch gesellschaftliche Strukturen geprägten Motive und Kognitionen und die daraus entstehenden Handlungen. Bei der "Logik der Selektion" muss der Akteur auf allgemeine Weise nach seinen Bewertungen und Erwartungen selektieren und abwägen. Individueller Nutzen und die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines Ereignisses werden miteinander in Beziehung gesetzt, so dass durch die Bildung einer Gesamtwahrscheinlichkeit eine Entscheidung getroffen werden kann. Wichtig ist, dass die Kausalität der Zusammenhänge erkennbar bleibt. Nach der ,,Logik der Aggregation" werden die individuellen Handlungen zu einem kollektiven Endergebnis aggregiert. 11

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Schaubild 1: Das soziologische Handlungsmodell

Soziale Situation

.............................................

~

(c)

" \ Logik der Situation

Akteur I Quelle: Coleman 1995: S. 27.

I~)

Logik der Selektion

•

I

Gesellschaftliches Phänomen

Logikd~

Aggregation

I

Handlung I

Damit folgt dieses Modell dem methodologischen Individualismus, den sowohl Karl Popper als auch Max Weber vertreten und gefordert haben. Zu Grunde liegt die Wert-Erwartungstheorie, denn sie ist die einzige unter den Handlungstheorien die "offen" fUr den Ausgang der Situation ist. J2 Die vorgestellte Modellkonstruktion (Schaubild I), also die Konstruktion "zweiter Ordnung" muss gerade im vorliegenden Fall Bezug nehmen auf die "Konstruktion erster Ordnung", das heißt, eine Erklärung fUr gesellschaftliche Verantwortungsübemahme muss die Handlungsmotive auf die Handlungssituation beziehen. Was ist damit gemeint? Die Konstruktion zweiter Ordnung befasst sich mit den Opportunitäten, nach denen Handlungen vollzogen werden. Ein Akteur wählt eine Alternative in Abwägung verschiedener Möglichkeiten. Die Wahl findet unter Bedingungen statt, bei denen die Individuen gut informiert sind und objektiv vorhandene Alternativen abwägen. Die Konstruktion erster Ordnung befasst sich hingegen mit den subjektiven Dimensionen von Wahlhandlungen. Die Einbeziehung von Fragen nach den "guten Gründen menschlichen Handelns" lässt die Modellspezifikationen des Handelns durch die Hinzufiigung des subjektiven Sinns sehr inhaltsreich werden. Hier werden individuelle Handlungsmotive und die Interpretationen der Situation, in der sich Akteure befinden, in das Verstehen von gesellschaftlichen Handlungen einbezogen. Handeln nach dem subjektiven Sinn ist so gesehen die Ausfiihrung eines gedanklichen Entwurfs ftir die Veränderung der Gesellschaft oder der eigenen Position. Gerade im hier vorliegenden Anliegen, also der Erklärung von gesellschaftlichem Engagement, ist es von besonderer Relevanz, herauszufinden, warum einige Menschen auf bestimmte Weise handeln und andere nicht, obwohl sie über genügend materielle Mittel verfUgen. Innerhalb der Gruppe der "vermögend Handelnden" können die Motive der Handlungen vollkommen unterschiedlich sein. Sie können von objektiven Interessen geleitet sein (rationa-

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le Motive), sie können sich durch das Engagement für die Gesellschaft Vorteile versprechen, sie können sich aber auch aus religiösen Motiven heraus engagieren Die Frage nach dem Warum der Handlung setzt beim Akteur an und fragt nach dem Sinn und den subjektiven Motiven. Beide Begriffe sind in ein allgemeines Modell sozialwissenschaftlicher Erklärung, somit in die Erklärung gesellschaftlicher Phänomene, einzuschließen (vgl. Esser 2010). Im Folgenden werden die individuellen "guten Gründe" für menschliche Handlungen betrachtet. Vor diesem Hintergrund werden dann die Absichten und Intentionen "vermögenden Handelns" erläutert und mit in die Modellierung aufgenommen. Theoretisch lassen sich generell sechs unterschiedliche Arten von Sinn unterscheiden: der semantische, subjektive, objektive, funktionale, nomische und soziale Sinn (Esser 2001). Bedeutend für die hier gestellte Frage der Erklärung gesellschaftlichen Engagements sind speziell der subjektive, der nomische und der soziale Sinn. Der subjektive Sinn verweist ganz wesentlich auf individuelle Handlungsmotive, die nur dem Individuum verständlich sind. So wird es möglich, die Folgen des Handelns ursächlich zu erklären. Denn durch die Rekonstruktion der Intentionen oder Absichten des Handelnden werden die auf die Zukunft bezogenen Handlungen verstehbar. Die "guten Gründe" werden so in die Handlungen einbezogen und strukturieren die Logik der Situation und die Logik der Selektion mit. Individueller Sinn wird somit zum ursächlichen Bestandteil der Erklärung von Handlungen. Neben der Abwägung unterschiedlicher Opportunitäten werden so auch der Wille, der Glaube, die eigenen Motive, die durch die Sozialisation oder die Kultur, in der sich Menschen bewegen, erworben wurden, zu Handlungserklärungen. Eng verbunden mit dem subjektiven Sinn ist der nomische Sinn. Dieser wird beschrieben als Weltbild, als fest im Denken verankertes Verstehen der Gesetze der Welt. In diesem Sinne können religiöse Weltanschauungen, nach denen dann tatsächlich gehandelt wird, auch als nomischer Sinn bezeichnet werden. Religiöse Verankerungen gelten als die stärksten nomischen Handlungslegitimationen (Esser 2001). Der soziale Sinn bezieht sich vor allem auf eine in der kollektiven Gruppe geteilte Norm, die sozialen Zusammenhalt stiftet. Handeln aus Motiven des noblesse oblige, also um Anerkennung innerhalb der eigenen Gruppe der Reichen zu bekommen, kann als soziales Handeln aufgefasst werden, das durchaus einen rationalen Charakter aufweist. Man tauscht ökonomisches Kapital gegen kulturelles - vor allem symbolisches - Kapital. Ein solches Modell setzt, anders als in der neoklassischen Rational-Choice-Theorien, voraus, dass der (soziologische) Beobachter vor der Handlungserklärung (Erklärung erster Ordnung) gültiges Wissen über die (subjektive) Lebenswelt der untersuchten Akteure und deren Kultur besitzt und nicht nur im Nachhinein allein aufgrund des beobachtbaren Handelns auf die (Konsistenz der) Präferenzen schließt (Erklärung zweiter Ordnung). Jemand hat in einer bestimmte Weise gehandelt, da er annimmt, dass "x" wahr, wahrscheinlich, plausibel oder sinnvoll ist - so beschreibt das Handeln aufgrund des subjektiven Sinns eine Situation, in der Akteure glauben, dass "x" wahr, wahrscheinlich, plausibel oder sinnvoll ist, weil für sie diese Aussagen auf Gründen beruhen, die sie als gültig ansehen und auch für andere als gültig betrachten (vgl. auch Boudon 1996: S. 124). Durch derartige For-

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mulierungen wird auf eine Handlungstheorie verwiesen, in der die für Handlungen zentralen Wertbezüge und die daraus abgeleiteten Motive eine wesentliche Rolle spielen. Diese Werte und die darauf aufbauenden Handlungsmotive wiederum sind in der Sozialisation beziehungsweise in den Erfahrungen der Menschen während ihres Erwachsenenlebens begründet. In diesem Sinne ist davon auszugehen, dass lebenslange Sozialisationserfahrungen also Bildungserfahrungen - die Handlungsmotive für gesellschaftliches Engagement maßgeblich beeinflussen. Betrachtet man in diesem Zusammenhang nur die einfache Frage, wer von den reichen Personen sich engagiert, in einem multivariaten Zusammenhang, zeigt sich, dass das Engagement bei denjenigen häufig ist, die durch Selbstständigkeit oder Unternehmertum reich geworden sind, im Vergleich zu Personen, die durch eine Erbschaft oder einen Börsengewinn reich geworden sind (Ströing; Kramer 2010). Die Erfahrungen, die Menschen durch "ihrer eigenen Hände Arbeit" machen, sind anscheinend derart prägend, dass sie ein höheres Verantwortungsgefühl der Gesellschaft gegenüber bewirken. Aus unserer Untersuchung ergibt sich, dass Personen, die ein hohes Verantwortungsbewusstsein haben, sich fiinfmal so stark engagieren, wie Personen mit einem niedrigen Verantwortungsbewusstsein. Engagierte Personen fühlen sich persönlich aufgefordert, einen Beitrag zu leisten, da sie der Ansicht sind, dass soziale und karitative Organisationen aufUnterstützung angewiesen sind. Ebenso haben sie die Einstellung, dass der Staat nicht alle sozialen Probleme lösen kann. Sie fühlen sich daher verpflichtet, Verantwortung zu übernehmen. Schließlich sind sie der Meinung, dass materiell Vermögende eine höhere gesellschaftliche Verantwortung tragen als nicht vermögende Personen und sich daher auch stärker finanziell engagieren sollten (vgl. Ströing; Kramer 2010). Der grundlegende Unterschied des vorgestellten Handlungsmodells gegenüber einfachen wert-erwartungstheoretisch aufgebauten Modellen besteht darin, dass die Handlungsentscheidungen nicht nur aus Bewertungen der Opportunitäten abgeleitet werden: Das Modell zweiter Ordnung wird umjenenAspekt erweitert, der im Modell erster Ordnung von zentraler Bedeutung ist, den subjektiven Sinn. Die "guten Gründe", nach denen Menschen handeln, werden so als Ursache einbezogen. Allerdings ist wichtig anzumerken, dass der subjektive Sinn für eine Handlung dem Handelnden vor dieser bekannt sein muss! Das gesellschaftliche Engagement kann so durch eine soziologische theoretische Modellierung erklärt werden. Im Modell der sozialwissenschaftlichen Erklärung wird entsprechend die in (a) formulierte "Logik der Situation" um die Dimension des subjektiven Sinns ergänzt (vgl. Schaubild 2).

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Schaubild 2: Die Erklärung gesellschaftlichen Engagements

Soziale Situation

.............................................

~

~

~ Logik der Situation und subjektiver Sinn Reiche Person

(b)

Gesellschaftliches Engagement

~

"Vermögende" Handlung

Quelle: eigene Darstellung

Die vor einer Handlung durchgeführte Evaluation einer Situation findet nicht nur unter Bezug auf die vorhandenen Opportunitäten statt, sondern ebenso vor dem Hintergrund des bestehenden subjektiven Sinns. Damit strukturiert der subjektive Sinn die Evaluation und die Einschätzung der Situation. Das Handeln folgt in diesem Modell bestimmten mentalen Schemata, die vor einer Situation bereits vorhanden sind und die auch die Logik der Situation bestimmen. Viele kulturwissenschaftliche Modelle teilen diese Auffassung: Kultur ist danach nichts anderes als "an extensive and heterogeneous collection of ,models', models that exist both as public artefacts ,in the world' and as cognitive constructs ,in the mind' ofmembers of a community" (Shore 1996: S. 44). Mit einem derartigen Einschluss des subjektiven Sinnes, der auf kognitiven Schemata aufbaut und so das Handeln steuert, werden die Modelle des rationalen Handeins erweitert (vgl. Esser 2010). Im speziellen Fall des gesellschaftlichen Engagements heißt das, dass die befragten Menschen anband von vier unterschiedlichen Motiven handeln. Erstens nach vorhandenen Werten, vor allem religiösen Werten und daraus gewonnenen Handlungsmotiven; dies sind vorzugsweise langfristige, erworbene und verankerte Motive. Zweitens können Reiche nach den Prämissen des noblesse oblige handeln, also in den jeweiligen Gruppen vorhandenen Werten, aufbauend auf Prestige, Macht und Reichtum, um Anerkennung innerhalb der Gruppe zu bekommen. Es gibt aber auch, drittens, das Motiv der Anerkennung außerhalb der eigenen Gruppe; der verantwortungsvoll Handelnde kommt auch in den Genuss der Dankbarkeit der Empfänger. Schließlich sind, viertens, manche "vermögend Handelnde" an der Verwirklichung ihrer Vorstellungen und Einstellungen in der Gesellschaft interessiert.

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5. Abschließende Bemerkungen Die Frage nach dem Zusammenhang von Vennögen und Bildung wurde in diesem Beitrag unter der Prämisse einer theoretischen Konzeption zur Erklärung "vennögenden Handeins" thematisiert. Bildung in einem eher allgemeinen Kontext als Mensch-Welt-Verhältnis betrachtet, hat insofern einen starken Einfluss auf "vennögendes Handeln" von Reichen, da zum einen langfristig erworbene institutionalisierte Bildung durch die gesellschaftliche Position und das damit erworbene Wissen um Probleme und zum anderen das inkorporierte Kapital- hier vor allem durch religiöse Werte - für ein gesellschaftliches Engagement motivieren. Zudem handeln Menschen vor allem dann für die Gesellschaft, wenn sie ihren Reichtum durch ihre eigene Sozialisation auf dem Arbeitsmarkt erworben haben. Bildung verstanden als die Werte, die man unter anderem durch Religiosität erwirbt, und Bildung durch die Erwerbssituation schaffen entscheidende Motive für gesellschaftliches Handeln. Die Konzentration auf die Gruppe der Reichen ist gerade deshalb sinnvoll, da sie durch die zur Verfügung stehenden materiellen Ressourcen und die damit häufig einhergehenden Kompetenzen auch die Gesellschaft aufmannigfaltige Weise beeinflussen können. Aber selbstverständlich ist"vennögendes Handeln" nicht auf die Gruppe der Reichen beschränkt. Vielmehr können alle Gesellschaftsmitglieder sich ihres Vennögens bewusst sein und im Rahmen ihrer materiellen und immateriellen Ressourcen auch entsprechend handeln. Bedeutsam ist nur, dass sie sich engagieren. Geht man im Rahmen des allgemeinen soziologischen Handlungsmodells davon aus, dass Menschen durch Abwägen rational handeln, liegt es nahe, kognitive Schemata einzubeziehen, auf deren Basis der individuelle subjektive Sinn als Erklärung erster Ordnung in ein Modell des Handelns aufgenommen werden kann. Subjektiver Sinn kann als leitendes Motiv für gesellschaftliches Engagement in einem allgemeinen Handlungsmodell zur Erklärung gesellschaftlichen Engagements nicht vernachlässigt werden. Bezieht man die Frage nach dem subjektiven Sinn noch einmal theoretisch auf die Bedeutung der Bildung und ihren Zusammenhang zum "vennögenden Handeln", so lässt sich fonnulieren, dass Bildung im Sinne eines institutionalisierten und subjektiv inkorporierten Bildungsbegriffes auf das gesellschaftliche Engagement wirkt. Religiöse Handlungsmotive und auch langfristig durch die Sozialisation wirkende Faktoren fördern ein Engagement für die Gesellschaft. Aber auch rationale Motive - wie etwa der Wunsch, Eingang in bestimmte Kreise zu erhalten (noblesse oblige) - können ein gesellschaftliches Engagement bewirken. Im Sinne eines "vennögenden Handelns" wäre dies kein vollwertiges Motiv. Im Sinne eines allgemeinen soziologischen Handlungsmodells kann es uns jedoch helfen, gesellschaftliches Engagement zu verstehen.

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Anmerkungen Ähnliches findet sich auch bei der Betraehnmg von Redensarten der deutschen Sprache. So sieht man den Zusammenhang zwischen "etwas fertig bringen" und vermögen ebenso. ,,Er vermag dies zu nm" bedeutet schlicht, dass er es "fertig bringt" dieses Anliegen auch auszufilhren. Man "vermag" etwas zu nm, hat jedoch noch nicht gehandelt, kann es freilich nm! So wird man in die Lage versetzt, etwas zu leisten, etwas zu schaffen. 2

Auch bei Druyen (2007: S. 29) finden sich ähnliche Unterscheidungen. In einer allgemeinen Vermögenskultur wird auf allgemeine Potenziale der Menschen fllr die Weiterentwicklung der Gesellschaft verwiesen. In der speziellen Vermögenskultur auf die Möglichkeiten, die reiche Menschen haben, ihren materiellen Reichtum auch tatsächlich fllr die Gesellschaft fruchtbar zu machen.

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Druyen betont in diesem Zusammenhang sogar, dass ,jede Form des konkreten Engagements Spuren hinterlässt, sowohl in gemeinnütziger Hinsicht als auch im SelbstwertgefUhl. Und in dieser motivierenden Sinnstifnmg liegt ein unentwegtes Potenzial der Veränderung. Man vermag etwas zu nm (Dmyen 2007: S. 197). Während in der antiken Philosophie beim Begriffdes Vermögens noch der einzelne Mensch im Zentrum steht, lässt sich heute formulieren, dass "vermögendes Handeln" nicht nur durch Individuen erfolgen kann, sondern ebenso durch Familien, Haushalte oder Unternehmen. Treffend formuliert etwa Krüsselberg: "Vermögen ist jenes durch konkret verfügbare produktive Faktoren verkörperte Handlungspotenzial in den Händen von privaten Haushalten, Unternehmen oder des Staates, welches maßgeblich über die Lebenschancen, den Platz und den Einfluss von Menschen in ihrer Gesellschaft bestimmt." (Krüsselberg 1997: S. 184)

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Als kulturelles Kapital werden in der theoretischen Debatte die "inkorporierten Kompetenzen" bezeichnet, die man sich während der Sozialisation im Form von Bildung aneignet. Sie sind "körpergebunden", damit verinnerlicht und sie werden in Form des Habitus nach außen sichtbar. Speziell ist das Kapital gemeint, das institutionalisiert ist, also in Form von Titeln sichtbar und auch verwertbar wird (Bourdieu 1983: S.189f). Die Objektivierung des kulturellen Kapitals ist daher der Garant fllr die Verwernmg und gesellschaftliche Anerkennung des kulturellen Kapitals.

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Die Studie "Vermögen in Deutschland" (VII) ist eine quantitative Befragung von nahezu 500 reichen Haushalten, das heißt, ca. 850 reichen Personen in Deutschland im Jahre 2009. Ziel der Studie ist die Genese von Reichtum sowie Werte und Einstellungen vermögender Personen zu erfassen und die Verwendung des materiellen Vermögens zu erfragen (vgI. Lauterbach; Kramer; Ströing 2010).

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Die Einteilung der Schichtzugehörigkeiten erfolgt nach unterschiedlichen Kriterien. Als Mittelschicht sind diejenigen Haushalte definiert, die zwischen 75 und 200 Prozent des durchschnittlichen äquivalenzgewichteten Haushaltsnettoeinkommens zur Verfugung haben (Nolte; Hilpert 2007: S. 31/32; Grabka; Frick 2008). Die Gruppe der High Networth Individuals und der Wohlhabenden werden nach dem Vermögen des Haushaltes definiert. In der Studie ViD werden als HNWIs diejenigen bezeichnet, die mehr als I Mio. Euro frei verfugbares Kapitalvermögen zur Verfligung haben, was einem durchschnittlichem mittleren Gesamtvermögen von 5,3 Mio. Euro entspricht (Lauterbach; Kramer; Ströing 2010). Capgemini und Merrill Lynch (2008) definieren die HNWIs als Gruppe, die über ein Netto-Finanzvermögen (Finanzvermögen exklusive Sarnmlerstücke, Gebrauchsgegenstände, langlebige Konsumgüter und als Hauptwohnsitz dienende Immobilien) von mind. I Mio. US-Dollar verfügen. Als wohlhabend werden diejenigen bezeichnet, die zwischen 200.000 und 500.000 Euro besitzen und als afIluent diejenigen, die zwischen 500.000 und 1.000.000 Euro besitzen.

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Die Verteilung in der Mittelschicht unterscheidet sich nochmals von der Verteilung in der Gesamtbevölkerung, bei der ca. 40 Prozent über einen Hauptschulabschluss und jeweils ca. 20 Prozent über Mittlere Reife beziehungsweise Abitur verfUgen. Weitere ca. 20 Prozent haben (noch) keinen schulischen Abschluss oder einen anderen schulischen Abschluss (vgI. Bildung in Deutschland 2008: S. 233).

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Aber auch hier zeigen sich bereits Unterschiede der SOBP-Mittelschicht gegenüber der erwerbstätigen Gesamtbevölkerung (vgI. hierzu Statistisches Bundesamt 2009: Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Fachserie 1 Reihe 4.1.2.: S. 6).

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Grundsätzlich ist festzuhalten, dass der Bildungsbegriffhäufig disziplinübergreifend verwendet wird und im strengen Sinne kein wissenschaftlicher Begriff ist, sondern eher ein Deunmgsmuster. Zwar wird er überwie-

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gend in der Erziehungswissenschaft angewandt, aber auch andere Disziplinen, wie etwa die Soziologie, die Ökonomie oder auch die Philosophie, gebrauchen ihn. lOlch danke Miriam Ströing und Melanie Kram.er fI1r die Aufbereitung dieser Fälle sowie dafI1r, dass ich sie hier abdrucken darf. 11

Für eine kritische Diskussion der drei Logiken im allgemeinen soziologischen Handlungsmodell siehe auch Kron (2004), Rössel (2008) und Schulz-Schaeffer (2008) sowie Esser (2010).

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Eine normative Handlungstheorie sieht Handlungen ausschließlich als normativ geregelt. Eine symbolisch-interaktionistische ausschließlich basierend aufSyrnbolen (vgl. auch Esser 1999: S. 247 f.).

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In der klassischen Rational-Choice-Theorie wird von einem vollständig informierten Individuum ausgegangen.

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,,Erst wenn ich Ressourcen als meine eigenen erkenne, werden sie zu einem Vermögen, das ich erschließen und entwickeln kann - und das mir die Möglichkeit gibt, etWas zu bewirken." (Druyen 2007: S. 10)

Mit dieser einleitenden Stelle aus den Goldkindern legt Thomas Druyen die zentralen Komponenten dessen dar, was Vermögen im vermögenskulturellen Sinn bedeutet: Ressourcen, die in einem Prozess der Aneignung in das Handlungspotenzial einer Person integriert werden. Im vorliegenden Beitrag soll es darum gehen, die diesem Vermögensbegriff zugrundeliegenden Konzeptionen des Eigenen und der Ressource näher zu bestinunen. Die Verwendung beider Konzepte, nicht nur im Alltag sondern auch in den Sozialwissenschaften, beruht auf einer Reihe von expliziten und impliziten Annahmen, die in einem Forschungsbereich wie der Vermögenskultur auf ihre Bedeutung und Gültigkeit zu überprüfen sind. Bedenkt man, dass dem Ressourcenkonzept der Ökonomie die Annahme der Knappheit zugrundegelegt ist, wird deutlich, dass diese konzeptionelle Voraussetzung nicht ohne Weiteres auf den Gegenstand der Vermögenskulturforschung übertragen werden kann. Auch wenn die Annahme der Ressourcenknappheit makroökonomisch weitgehend einem gültigen Sachverhalt entsprechen mag, so ist ihre Gültigkeit auf der individuellen Ebene zumindest bei etwas weniger als einem Prozent der Bevölkerung aufgehoben. Dies hat zur Folge, dass das weite Spektrum an Daten und Modellen aus den bisherigen Studien zum sozialen und insbesondere ökonomischen Verhalten des Menschen von der Vermögenskulturfoschung nicht direkt herangezogen werden können, um die Lebensbedingungen jener Menschen zu erfassen, die auch den Gegenstand der Reichtumsforschung bilden. Unter der eindeutigen Abwesenheit materieller Knappheit verfUgen diese Menschen über einen Lebensraum, in dem das individuelle Handeln nicht mehr grundsätzlich über die materielle Knappheit beschrieben und erklärt werden kann. Was motiviert Menschen unter diesen Lebensbedingungen zu ihrem Handeln? Worin liegt die Bedeutung ihres Unternehmens wenn "Gewinnmaximierung" als Motiv vor dem Hintergrund des bereits Gewonnenen formal leer oder auch inhaltlich paradox wird? Diese offenen Fragen formulieren teleologische Probleme, Fragen nach dem Sinn, und vielleicht lassen sie auch ein eschatologisches Problem erkennen, die Frage nach den letzten Dingen. Die Antworten werden von den Vermögenden selbst zu formulieren sein, ftir ein adäquates Verständnis dieser Fragen ist es jedoch unabdingbar, den Begriff und das Phänomen Vermögen tiefergehend zu analysieren. Im vorliegenden Beitrag soll es darum gehen, eine positive Erörterung dessen, was gemeinhin als Ressourcen bezeichnet wird, vorzunehmen. "Positiv" meint hierbei, dass wir im

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Rahmen des Vermögenskonzepts Ressourcen jeglicher Form nicht über ihre Knappheit erfassen, überhaupt die quantitative Dimension in den Hintergrund rücken und stattdessen aus sozialkognitiver Perspektive danach fragen, was Vermögen konstituiert und unter welchen mentalen und sozialen Voraussetzungen dies geschieht. Dieser Beitrag fokussiert im Folgenden auf den Mikrokosmos des mentalen Erlebens. Materiell ökonomische Aspekte werden weitgehend vernachlässigt, sozialkognitive Theorien dort herangezogen, wo unverzichtbar.

Ressourcen, Mittel und das Vermögen Die evidente semantische Nähe des Vermögensbegriffs zu "Ressourcen" und ,,Mitteln" erfordert zunächst eine kurze konzeptionelle Betrachtung dieser beiden Begriffe. So stellt sich abgesehen von der bereits erwähnten Annahme einer Knappheit, die etwa den ökonomischen Ressourcen zugrundeliegt, die Frage nach deren Beschaffenheit: Was sind Ressourcen? Die etymologische Basis des Terminus verweist ausgehend vom lateinischen sursum (aufwärts, empor; Verb: resurgere; wieder aufstehen, sich wieder aufrichten) auf das französische Substantiv source (Quelle) und sein Verb se-ressource (neue Kraft schöpfen; altfranzösisches Verb: sich erholen, sich erheben). Im Begriff der Ressource ist also die Vorstellung einer originären Kraft unbestimmten Ursprungs mit einer positiven Wirkung auf das Subjekt enthalten. Interessant ist hierbei der Gedanke einer unabhängigen Wirkung, die die Ressource auf das Subjekt ausübt und nicht umgekehrt, wie es die gegenwärtige Verwendung des Begriffs im Sinne eines zweckdienlichen Mittels nahelegt. Das Mittel geht etymologisch hervor aus der ,,,Mitte, dem in der Mitte befindlichen Teil' [... ]. An diesen Wortgebrauch schließt sich die Verwendung des Wortes an im Sinne von ,das, was zur Erreichung eines Zweckes dient' (eigentlich ,das was sich zwischen dem Handelnden und dem Zweck befindet')" (Dudenredaktion 1989: S. 463). Das Mittel impliziert also die modellhafte Vorstellung einer Trias (Handelnder-Mittel-Zweck), in der es als Bindeglied zwischen einem Handelnden und seinem Ziel (Zweck) fungiert. Die gegenwärtig weitgehend gebräuchliche Auffassung der Ressource als Mittel erhebt das Ziel des Handelnden zu seiner konzeptionellen Basis. Im Sinne eines zweckdienlichen Objekts ist eine Ressource demnach all das, was ein Akteur :ftir nötig erachtet, um sein Ziel zu erreichen. In der Konzeption der Ressource als Mittel ist allerdings keine Aussage darüber getroffen, ob ein Handelnder eigene Ziele verfolgt, also Zielvorstellungen eigenständig entwickelt, ob er in der Zielsetzung eine Auswahl aus einem Set von bestehenden Zieloptionen trifft oder ob er in seinem Handeln gar externen Anweisungen folgt, also als Handelnder gewissermaßen selbst das Mittel eines Fremdzwecks bildet. Im wahrgenommenen Ursprung des Handlungsziels, dem erlebten "Ort" (locus of control), an dem sich ein solcher Zielsetzungsprozess ereignet, liegt jedoch :ftir die Vermögenskulturforschung ein essenzielles Kriterium zur Bestimmung dessen, was sie als Vermögen versteht.

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Eigenes: Von Eigen-schaften zu Eigen-tümern Grundlegend für die Bestimmung des Vennögens im vennögenskulturellen Sinne ist der zur freien Zielsetzung befähigte Mensch, da Agenten, deren Zielsetzung über externe Anweisung erfolgt, sich selbst als Mittel für einen Fremdzweck erweisen. Als solches stehen sie nicht am Anfang der kausalen Reihe, aus der sich die Bestimmung der Mittel herleitet. Nur unter der Bedingung, dass die Zielsetzung aus einer freien Entscheidung resultiert, lässt sich die Ursache des Mittels (die Handlung) im Handelnden verorten. In dieser triviallogischen Fonnulierung ist eine grundlegende Konzeption des Eigenen enthalten: die eigene Entscheidung, die eigene Handlung, die eigenen Mittel etc. - ihnen allen gemein ist die Annahme, einer "eigenen Freiheit", einer "freien Eigenheit", das heißt, einer irreduziblen Instanz, die den Endpunkt einer kausalen Wirkungsreihe fonnuliert. Zwei Funktionen, beziehungsweise zwei Dimension finden sich im Eigenen wechselseitig enthalten: Einerseits erfüllt das Eigene die soziale Funktion der Zurechnung (Attribution) von infrage stehenden gesellschaftlichen Bestimmungsobjekten zu ihrem (konventionell) rechtmäßigen Eigner.! Zum Anderen drückt sich im Eigenen das pragmatische Bedürfnis des Einzelnen nach sozialer Absicherung seiner Zugriffsrechte (Verfilgungsgewalt) aus. Sowohl in der sozialen Zurechnung des Eigenen wie auch im individuellen Anspruch auf dieses kommt eine implizite Letztbegründung zum Ausdruck, die dann juristisch explizit hervortritt, wenn Eigentümer als rechtlicher Zurechnungsendpunkt ihres Eigentums aufgefasst werden (in diesem Sinne auch: "Eigentum verpflichtet." Art. 14.11. des deutschen Grundgesetzes). Damit die Konzeption des Eigenen inhaltlich und rechtlich vollständig zur Geltung kommen kann, bedarf es jedoch notwendigerweise eines formalrekursiven Verhältnisses, wonach der Eigentümer zunächst und vor allem Eigentümer seiner selbst sein muss (im Sinne des rechtlichen Grundsatzes der Privatautonomie beziehungsweise des Habeas-Corpus-Prinzips2). Im Eigenen findet sich daher nicht nur die Souveränität des Eigentümers über sein Eigentum, sondern auch die Autonomie des Eigentümers selbst als gesellschaftlich souveränes (freies) Wesen unbedingt enthalten. Dies gilt jedoch nicht voraussetzungslos: Damit eine (natürliche) Person vor dem Gesetz als gültiger Zurechnungsendpunkt erachtet werden kann, muss ihre Zurechnungsfähigkeit gewährleistet sein. Erst unter der Annahme einer mentalen Zurechnungsfähigkeit (auch: Mündigkeit) bildet die Person vor dem Gesetz den Zurechnungsendpunkt ihres Handelns. Von besonderem Interesse ist hierbei der Sachverhalt, dass sich die rechtliche Freiheit der Person nicht als eine bedingungslose normative Setzung erweist, sondern über das mentale Vennögen der Person begründet wird. Den Zurechnungsendpunkt bildet daher genau genommen ein bestimmtes mentales Vennögen3 der Person, und erst wenn dieses gegeben erscheint, die handelnde Person selbst. Übersetzt in eine soziale Perspektive heißt dies: Die Freiheit einer Person beruht darauf, dass sie über ihr mentales Vennögen tatsächlich und frei verfügt. Die Implikationen einer solchen normativen (deontischen) Setzung des mentalen Vermögens sind weitreichend. Zwei Aspekte seien hier skizziert: Zum einen lässt sich aufgrund eines juristischen Urteils über das mentale Vennögen einer Person die Gültigkeit ihrer Aussagen und Absichten in vollem Umfang sozial untergraben, was zur Aufhebung ihrer rechtlichen

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und sozialen Handlungsfähigkeit führt. 4 Andererseits konstituiert die nonnative Forderung eines bestimmten mentalen Vermögens nicht nur die ElWartung eines empirischen Nachweises, der faktisch nicht zu erbringen ist (auf mentale Vermögen kann nur indirekt geschlossen werden; Bacharach; Gambetta 2000: S. 154 ff.), dieses wird über die normative Setzung überhaupt erst erschaffen (fiat -lat.: es werde). Letzteres zeigt uns die nonnative Grundlage bestimmter Vermögensformen. So kann eine rechtlich unfreie Person - das wird an der historischen Figur des Sklaven besonders deutlich - ihre Fähigkeiten im Sinne von Eigenschaften (Qualitäten) zwar subjektiv als eigene erkennen. Sie kann diese Eigenschaften und ihre Leistung als Person jedoch gesellschaftlich nicht ursächlich für sich reklamieren, da sie als Eigentum eines anderen sozial und juristisch nicht als letzte Ursache ihres Daseins und Handeins anerkannt wird. Der normative Status der Unfreiheit schließt die Möglichkeit eines eigenen Vermögens prinzipiell aus, da der letzte Grund des Handelns einer solchen Person nicht bei ihr selbst liegt, sondern Gegenstand ihres Eigentümers bleibt. Ohne Eigentumsrechte reduziert sich jegliches potenzielles Vermögen eines individuums zu seinen Eigenschaften, zu Qualitäten, die das Individuum auszeichnen und als Mittel qualifizieren. Aus gesellschaftlicher Perspektive ist das Agens, die verursachende Kraft, nur im Eigentümer, dem Subjekt der letzten Entscheidung, zu verorten. Die gesellschaftlichen Rechtsverhältnisse eines Individuums definieren und konstituieren den sozialen Lebensraum, den es nonnativ beanspruchen kann. Insofern bildet das Recht die präkognitive Grundlage seines Handelns und - unter der Bedingung seiner Freiheit - des Vermögens des Individuums. Präkognitiv meint hierbei, dass unabhängig von der subjektiven Auffassung des Einzelnen prinzipielle Handlungsrahmenbedingungen bestehen. Deutlich wird an dieser Stelle die kulturelle Grundlage der Vermögenskultur: Die Freiheit des Individuums muss als kultureller Wert normativ gesetzt werden, um zu einem sinnvollen Vermögensbegriff zu kommen. Zudem bilden, wie sich im Folgenden zeigen wird, das individuelle Bewusstsein um die eigene positivrechtliche Souveränität und deren gesellschaftliche Beanspruchung die notwendigen kognitiven Bedingungen für die Konstituierung einer jeden Form von Vermögen.

Eigenvermögen Die Souveränität des Individuums als positivrechtliche Grundlage jeglichen Vermögens erhält erst dann ihre volle Bedeutung, wenn das Individuum auch im Bewusstsein seiner Souveränität handelt. So ist es psychologisch möglich und auch empirisch wahrscheinlich, dass eine Person rechtlich zwar frei ist aber dennoch nicht über ein eigenes Vermögen in unserem Sinne verfUgt, beziehungsweise dieses nicht beanspruchen kann. Dies ist der Fall, wo individuelle Abhängigkeiten (zum Beispiel materielle Bedürfuisse) in den Hintergrund sozialer Abhängigkeiten (zum Beispiel Beiträge anderer Personen) treten, wo also soziale Ansprüche gewissermaßen eine vollständige Strukturierung des persönlichen Handlungsspielraums vornehmen. Dieses in der marxistischen Terminologie in Bezug auf das "Proletariat" treffend erfasste Handlungsverhältnis beschränkt sich jedoch nicht auf den durch (materielle) Produktionsmittel deprivierten Lohnarbeiter. Auch unter den Bedingungen materiellen Reichtums besteht

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die Möglichkeit einer vergleichbaren Abwesenheit von Vermögen im vermögenskulturellen Sinne, wenn zum Beispiel der Handlungsspielraum eines Individuums durch soziale (externe) Ansprüche umfassend determiniert ist. Das primäre Kriterium der Mittellosigkeit erweist sich damit als ein nur scheinbar materielles. Die eingangs skizzierte Semantik des Mittels - der zufolge erst ein entsprechender Zweck ein Mittel als solches konstituiert - zeigt: Es handelt sich im letztgenannten Fall genau genommen um ein teleologisch bedingtes Unvermögen, dem es an verfügbaren eigenen Zielen mangelt. Dass es sich hierbei nicht notwendigerweise um ein defizitäres kognitives Vermögen handelt, wird im Folgenden deutlich, wo die Konzeption des eigenen Zieles zu klären ist. Formalpsychologisch lässt sich zunächst feststellen, dass es sich beim Ziel um eine motivationale mentale Vorstellung handelt. Dem kognitiven Verhaltensmodell von Miller, Galanter und Pribram (1960) zufolge liegen einem Ziel Bewertungsprozesse über den Ist-Zustand eines bestimmten Bewertungsobjektes zugrunde, der mit einem vorgestellten (erwünschten) Soll-Zustand verglichen wird. Die Vorstellung des erwünschten Soll-Zustandes konstituiert das Ziel, und je nachdem., ob im Ziel eine Realisierbarkeit erkannt wird, also mentale Pläne generiert werden können, wird dieses aktiv verfolgt (Zielsetzung und zielgerichtete Handlung) oder passiv gesetzt und erhofft. Wesentlich fiir uns ist an dieser Stelle, dass die Entscheidung zur aktiven Verfolgung eines Zieles aufgrund einer persönlichen Überzeugung beziehungsweise Erwartung erfolgt, die seine Realisierbarkeit betrifft. Die Überzeugung der ,,Machbarkeit" ergibt sich aus einer Kombination von mentalen Bewertungsprozessen, in denen das Individuum seine eigene Zuverlässigkeit (Motiv-Ebene: Stabilität, Ausdauer, Committment etc.), seine Fähigkeiten und seine Einschätzung der durch exteme (unterstützende oder behindernde) Faktoren bestimmten Schwierigkeit der Erreichbarkeit des Zieles abwägt. In seinen Grundzügen liegen der Überzeugung über die Erreichbarkeit eines Zieles analoge kognitive wie auch affektive Prozesse zugrunde, wie sie auch beim sozialen Vertrauen (vgl. Castelfranchi; Falcone 2010) zum Tragen kommen, nur dass in diesem Fall das Vermögen der eigenen Person, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, das Vertrauensobjekt bildet. Mit dem Vertrauen in die eigene Handlungsmächtigkeit kommt es nicht nur zur Aktivierung des "ruhenden" Potenzials einer Person; es vollzieht sich vielmehr ein genuiner Aneignungsprozess dieses Potenzials. Insofern uns unser Vermögen sozial oder gar formalrechtlich zugerechnet wird., steht es uns ideell und gegebenenfalls normativ zur Verfiigung. Tatsächlich verfügbar wird es uns jedoch erst, wenn wir es uns selbst zurechnen und ihm vertrauen: "It is not enough ,to be able to': in order to really be able, having the power of, the agents must also belief (be aware) of having the ,power of, otherwise they will renounce, they will nor exploit their skills nor resources"5 (Castelfranchi; Falcone, 2010, S. 48). Eigenvermögen ist daher immer schon das Resultat eines Vertrauens in die eigenen Möglichkeiten. Erst dieses Vertrauen versetzt die Person in den Stand, an die Realisierbarkeit ihrer Ziele zu glauben und damit genuin eigene Ziele zu generieren und diese intrinsisch motiviert umzusetzen. Die dem Eigenvermögen zugrundeliegende Vertrauensform ist - anders als beim sozialen Vertrauen, wo Subjekt und Objekt des Vertrauens prinzipiell eigenständige Entitäten bilden - selbstreferenziell: Eigenvermögen bedeutet Vertrauen in die eigene Ver-

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trauenswOrdigkeit, wobei dieser mentale subjektive Prozess wiederum Vertrauen in den eigenen Bewertungsprozess impliziert Dies macht deutlich, dass die Basis dieser Vertrauensform eher affektiv denn kognitiv ist. Abbildung 1: Der selbstreferenzielle Charakter des Eigenvennögens als Grundlage eigener Ziele Eigene Ziele

Eigenvermögen

Affektive Grundeinstellun zur. ...Vertrauenswürdigkeit des eignen Vermögens

...Vertra uenswü rd igkeit de r eigenen Bewertungsteistung

Kognitive Bewertung der...

Das Eigenvermögen beruht auf einer affektiv geprllgten Grundeinstellung. welche nicht nur eine interne AttributionsleiBtung vollzieht, sondern ein geflthltes ,,Inneres" gleichsam k0ns-

tituiert. Zu flthlen, dass man etwas hat, dass man etwas kann, dass man etwas ist, bildet im. IdealtalJ.6 die erste Evidenz eines Eigenen, die in einem weiteren Schritt kognitiv auf seine Verfiigbarkeit überprüft werden kann. Als Nukleus des Eigenen bildet diese Form des Vermögens gewissermaßen den unveräußerlichen Quellcode, von dem. aus sich die A.neignung aller weiteren Vermögensformen ereignet, seien diese intern oder extern, mental oder sozial. EigenvennOgen stellt somit eine ..Ro-Source" im Sinne der skizzierten etymologischen Bedeutung dar: Es ist nicht ein Mittel. auf das zweckdienlich zurückgegriffen werden kann, das angewendet wird, um Ziele zu realisieren, sondern es konstituiert die notwendige mentale Basis zur Generierung eigener Ziele - und damit der Eigenständigkcit des Handelnden. Wie schon erwähnt, ergibt sich aus der Freiheit der Zielsetzung keineswegs automatisch das eigene Ziel. Die Befolgung cxtcmer Anweisungen wie auch die Wahl zwischen bestehenden Zieloptioncn im. Rahmen struktureller (normativer oder sozialer) Bedingungen mag vom Individuum als Verfolgen eigener Ziele wahrgenommen werden (die Auswahl aus einer Anzahl

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an Zieloptionen impliziert in der Tat eigene Bewertungsprozesse). Was diesen Varianten jedoch fehlt, ist jene Eigeninitiative, mit der Ziele genuin gesetzt und realisiert und nicht nur übernommen und umgesetzt werden. Mit der Annahme der Generierung genuin eigener Ziele werden in unserer Konzeption des Eigenvermögens jene affektiven wie kognitiven Leistungen explizit berücksichtigt, die diese Ziele generieren - sei es abduktiv, deduktiv, emotiv, induktiv oder auch intuitiv. Eigene Ziele sind folglich als direktes Resultat des Eigenvermögens zu erachten, mit sehr spezifischen Implikationen auf der individuellen wie auch sozialen Ebene des Verhaltens.

EigenveranVwortung Angesichts des zirkulären Prozesses, der dem Eigenvermögen zugrundeliegt, ist die Frage nach dem Wirklichkeitsbezug eines sich daraus konstituierenden Eigenen nicht von der Hand zu weisen. Aus Piagets Theorie der kognitiven Anpassung des Individuums an seine Umwelt (Piaget 1985) lassen sich einige Phänomene ableiten, die besonders für die empirische Vermögenspsychologie von Interesse sind: Nach Piaget erfolgt die mentale Anpassung des Individuums an seine Umwelt über die kognitiven Prozesse der Assimilation und der Akkommodation. Während Assimilation bedeutet, dass das Wahrgenommene an mentale Vorstellungen (Erwartung, Modelle, Theorien) angepasst wird, meint Akkommodation die Anpassung der Vorstellungen an das Wahrgenommene. Würde das Eigenvermögen sich allein über den kognitiven Prozess der Assimilation bilden, bestünde ein hohes Risiko, dass die Bewertungsprozesse, die es hervorbringen, nur in Bestätigungen des Erwarteten bestehen. Der autonome Handelnde würde scheitern als selbstbewusste Monade. Umgekehrt erfolgt über den Prozess der Akkommodation eine permanente Überprüfung der Vorstellungen und Annahmen, sodass sich das Eigenvermögen in einem beständigen Zweifel auflöst beziehungsweise nie konstituiert und das Agieren, wenn es überhaupt erfolgt, an externe Weisungen gekoppelt bleibt. Beide Erkenntnisgewinnungsprozesse, die formallogisch dem Prinzip der Deduktion und Induktion entsprechen, beschränken sich zudem auf explizit kognitive Prozesse. Sie lassen das affektive Potenzial des Vermögenden im Erkenntnisgewinn unberücksichtigt. An anderer Stelle (ei Sehity; Schor-Tschudnowskaja 20 I0) wurde bereits auf einige der kognitiven und affektiven Mechanismen eingegangen, aus denen sich die Vermögensaneignung ergibt. Abgesehen von einer hohen internen Kontrollüberzeugung, die als direkter Ausdruck der mentalen Aneignung des Vermögens zu werten ist (Eigenes geht psychologisch einher mit Verfligbarkeit, also dem Gefühl von Kontrolle und Wirksamkeit), tritt im Zusammenhang mit der Aneignung auch das GejUhl der Verantwortung für das Vermögen auf. Die Vorstellung der Verantwortung impliziert in ihrer klassischen Konzeption das Prinzip der Kausalität, wonach das Objekt der Verantwortung (Wirkung) einer Ursache zugerechnet wird, dem Subjekt der Verantwortung (Zurechnungsendpunkt). Dem Verantwortungsobjekt liegt über die Zurechnungsfunktion die Konzeption des Eigenen als individuelle und vor allem soziale Instanz zugrunde. Die aus dem Eigenvermögen generierten Ziele implizieren somit das Gefühl der Ei-

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genverantwortung als eine zentrale affektive Komponente mit bedeutsamen Konsequenzen für die Art und Weise, in der diese verfolgt werden. Da eigene Ziele sich aus grundlegenden Überzeugungen über das persönliche Leistungsvermögen herleiten, bedeuten sie auch psychologisch einen sehr hohen Einsatz für das Individuum: Eine Zielfrustration, also das Nicht-Erreichen des erwünschten Zieles, stellt auch das ihm zugrundeliegende Eigenvermögen in Frage. Andererseits ist vor dem Hintergrund des hohen Einsatzes eine urnso stärkere Motivation und ein höheres Durchhaltevermögen beim Erreichen eigener Ziele zu vermuten. Letzteres kommt in empirischen Studien zur Persistenz und Selbstwirksamkeit deutlich zum Ausdruck: Bei untersuchten Patentinhabern beispielsweise unterschieden sich Unternehmer von Angestellten nicht nur in Durchhaltevermögen und Selbstwirksamkeit, sie zeigten auch ein wesentlich höheres Bedauern für erlebte Misserfolge (Markman; Baron; Balkin 2005). Beides überrascht wenig, berücksichtigt man die mit dem Unternehmertum einhergehende Eigenverantwortung. Angeeignete externe Ziele weisen demgegenüber eine andere mentale Architektur auf und haben entsprechend auch andere Implikationen für das zielgerichtete Verhalten des Individuums. Der Aneignungsprozess verweist hierbei zunächst auf die mentalen Prozesse des Erkennens und Verstehens der Bedeutung eines Zieles für die eigene Person. Externe Ziele können in dieser Form adaptiert, verfolgt und verteidigt werden. Als quasi-eigene Ziele weisen sie jedoch nicht die selbe affektive und emotive Valenz auf, da sie im Falle des Scheiterns weniger das Eigenvermögen in Frage stellen, als vielmehr die Vertrauenswürdigkeit jener Instanz, die das Ziel explizit oder implizit delegiert. So wie man Ziele übernehmen kann, kann man sich von daraus erwachsenden Kosten auch wieder distanzieren und die mit diesen verbundene Verantwortung abgeben. Hierin spiegelt sich das Dilemma in der Organisation der funktionalen Arbeitsteilung wieder: Je stärker die Handlungen in einer Organisation strukturiert werden, desto weniger Raum ergibt sich für das Eigenvermögen des Individuums und desto weniger wird das Handlungsvermögen der Beteiligten von Eigenverantwortung bestimmt. In Organisationen mit einem besonders hohen Grad der Handlungskontrolle herrscht eine Form "strukturierter Verantwortungslosigkeit", wie sich kürzlich am Beispiel der Bankenwelt in der Finanzkrise gezeigt hat (Honegger; Necke!; Magnin 2010).

Abschließend Werden Menschen zum Gegenstand sozialwissenschaftlicher Untersuchungen, geschieht dies gemeinhin unter Berücksichtigung ihrer strukturellen Bedingungen: So genannte soziodemografische Variablen wie Alter, Geschlecht und Geografie werden genauso erhoben wie der ökonomische Status, den sie in der Gesellschaft einnehmen. Dieser empirische Gestus basiert auf der evidenten Absicht, interindividuelle Unterschiede in der Ausprägung "abhängiger" Variablen in einen bedeutsamen Kontext zu setzen und zu erklären. Im Rahmen der Vermögenskulturforschung erscheint die Sinnhaftigkeit solcher strukturellen "unabhängigen" Variablenjedoch in doppelter Hinsicht fragwürdig: Was immer ihre soziale Bedeutung und ihre Implikationen für das soziale Leben eines Individuums sein mö-

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gen, es ist nicht ohne Weiteres davon auszugehen, dass ihnen diese Bedeutung und Implikationen (wenn überhaupt) unter den sehr spezifischen Lebensbedingungen ökonomischen Reichtums zukommen. In Gesellschaften, in denen ein beständig wachsender Anteil an sozialen Interaktionen über eine sehr spezifische Form der sozialen Interaktion erfolgt, nämlich die Geldzahlung, erweist sich das VerfUgen über ökonomischen Reichtum nicht lediglich als das Gegenteil von Annut oder als eine Steigerung von Wohlstand., sondern als Manifestation eines gesellschaftlichen Handlungsspielraums, in dem externe soziale Strukturen gegenüber internen mentalen Strukturen in den Hintergrund rücken können. Wo andere Schichten materiellen Notwendigkeiten (in der Form von Zahlungsbeträgen) unterliegen, ergeben sich hier Optionen, die gewählt werden und auf diese Weise zum direkten Ausdruck eines mentalen Motivs werden. Vermögen bedeutet daher zunächst mentale und erst in einer weiteren Instanz soziale VerfUgbarkeit von Ressourcen. Vor diesem Hintergrund eröffnet sich den Sozialwissenschaften in der Vermögenskulturforschung der Blick auf das mental bedingte Wesen des Menschen. Und dieser Perspektivenwechsel beschränkt sich keineswegs auf die spezifischen Lebensbedingungen unter ökonomischem Ressourcenreichtum. Das Eigenvermögen im Sinne des Vertrauens in die eigenen Fähigkeiten ist eine prinzipielle Basis für die VerfUgbarkeitjeder Form von Vermögen unabhängig vom ökonomischen Status des Individuums. Es kann jedoch deutlicher hervortreten, wenn strukturelle Bedingungen vernachlässigt werden können. Dort wo in der Sozialforschung Verhalten als probabilistische Ausprägung in einem strukturellen Raster erfasst und beschrieben wird, löst sich aus der Perspektive der Vermögenskulturforschung die Wirklichkeit der handelnden Menschen mit all ihren vorgefassten Annahmen auf. Handlungswahrscheinlichkeiten sind Handlungsmöglichkeiten nachzulagern, und der Bestand an Handlungsmöglichkeiten ergibt sich, wie in diesem Beitrag gezeigt wurde, zu allererst aus dem Eigenvermögen des Vermögenden. Unter welchen Voraussetzungen und Faktoren sozialer wie auch mentaler Natur sich das Eigenvermögen entwickelt, wird Gegenstand kommender vermögenskultureller Untersuchungen sein. Nicht zuletzt sei betont, dass das Konzept des Eigenvermögens, wie es in diesem Beitrag vorgestellt wurde, als theoretisches Konstrukt in unmittelbarer Nachbarschaft zu den psychologischen und sozialpsychologischen Theorien der internen Kontrollüberzeugung (locus 0/ control), Selbst-Wirksamkeit (self-efficacy), Zuversicht (self-confindence) und Selbstwertgefühl (self-esteem) steht. Eine detaillierte Erörterung des theoretischen Verhältnisses zu diesen Konzepten ist an dieser Stelle nicht zu leisten, jedoch sei abschließend darauf hingewiesen, dass die meisten dieser Ansätze von einer sozialpsychologischen und theoretisch unscharfen Konzeption des Selbst ausgehen, Identität zwar explizit oder implizit thematisieren, jedoch unserer Frage nach dem Eigenen, dem Vertrauen und der Setzung von Zielen wenig Raum geben. So sprechen beispielsweise Rotter (1966) und seine Nachfolger von "interner Kontrollüberzeugung" und implizieren damit eine "eigene" Kontrolle. Sie thematisieren die spezifische Bedeutung des Eigenen jedoch nicht. Ebenso findet sich in der umfangreichen Theorie der Selbstwirksamkeit von Bandura (1997) keine hinreichende Erörterung zum Unterschied zwischen genuin eigenen, angeeigneten und fremden Zielen, sodass auch die daraus resultierenden Konsequenzen nicht ausreichend berücksichtigt werden. Die mentalen Prozesse der

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Aneignung, Motivation, Persistenz und Verantwortungsübernahme wie auch die damit einhergehenden Emotionen werden jedoch für die Frage der Vermögenskultur von zentraler Bedeutung sein.

*** Anmerkungen I

"Rechtmäßiger Eigner" ist als ein konzeptioneller Kunstgriff zu verstehen, um sowohl die Konzeption des Besitzers (naturrechtliche Verftlgungsgewalt) wie des Eigentümers (positivrechtliche Verftlgungsgewalt) zu berücksichtigen. Für die fundamentale Bedeutung dieser Unterscheidung siehe die Eigentumsökonomik von Gunnar Heinsohn und Otto Steiger (2008).

2

,,(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden." (Art. 2 GG)

3

Für die forensische Psychologie (Haller 2007: S. 367) handelt es sich hierbei um die Bestimmung von kognitiven Fähigkeiten wie zum Beispiel das ,,Diskretionsverrnögen" (die Fähigkeit, das Unrechtmäßige einer Tat einzusehen) und das ,,Dispositionsvermögen" (die Fähigkeit, einsichtsgemäß zu handeln).

4

Diese Problematik bildet nach wie vor den Gegenstand intensivster Diskussionen über die gesellschaftliche Bedeutung psychiatrischer Einrichtungen als totale Institutionen (siehe hierzu besonders Erving Goffinan 1961).

5

"Es reicht nicht ,in der Lage zu sein': Um tatsächlich fähig zu sein, um über Handlungsmacht zu verfUgen, müssen Handelnde auch überzeugt sein (sich der Tatsache bewusst sein), dass sie die ,Macht' haben, andernfalls werden sie sich zurückhalten, sie werden ihre Fähigkeiten und Ressourcen nicht ausschöpfen." (Eigene Übersetzung)

6

Unser "Idealfall" der gefiihlten unmittelbaren Evidenz ergibt sich in Anlehnung an Antonio Damasios (2000, 2005) Korrektur der cartesianischen Selbstgewissheit als purem Erkenntnisprozess (cogito ergo sum) zu einem Kern-Bewusstsein des unmittelbaren Empfindens.

*** Literatur Bacharach, M.; GambettB, D. (2000): Trust in Signs. In: Cook, K. S. (Hrsg.), Trust in Society, The Russell Sage Foundation Senes on Trust. New York: Russell Sage Foundation. Online verftlgbares Dokument (www.nuffield.ox.ac.uk) Bandura, A. (1997): SelfEfIicacy: The Exercise ofControl. New York: Palgrave Macmillan. Castelfranchi, C.; Falcone, R. (2010): Trust Theory: A Socio-Cognitive and Computational Model (1. Aufl.). West Sussex: John Wiley & Sons. Damasio, A. (2000): The Feeling of What Happens: Body and Emotion in the Making of Consciousness (I. Aufl.). New York: Mariner Books. Damasio, A. (2005): Descartes' Error: Emotion, Reason, and the Human Brain. New York: Penguin. Druyen, T. (2007): Goldkinder: Die Welt des Vermögens (2. Aufl.). Hamburg: Murmann Verlag. Dudenredaktion (Hrsg.) (1989): Das Herkunftswörterbuch. Der Duden (Bd. 1-10, Bd. 7). Mannheim: Dudenverlag. Goffinan, E. (1961): Asylums: essays on the social situation ofmental patients and other inmates. New York: Doubleday Anchor.

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III

Haller, R. (2007): Forensische Psychiatrie in Österreich. In: Nedopil, N. (Hrsg.): Forensische Psychiatrie: Klinik, Begutachnmg und Behandlung zwischen Psychiatrie und Recht. Stuttgart: Georg Thieme: S. 365-377. Heinsohn, G.; Steiger, O. (2008): Eigentumsökonomik (2. Aufi.). Marburg: Metropolis. Honegger, c.; Neckei, S.; Magnin, C. (Hrsg.) (2010): Strukturierte Verantwormngslosigkeit: Berichte aus der Bankenwelt. Berlin: Suhrkarnp. Markman, G. D.; Baron, R. A.: Balkin, D. B. (2005): Are Perseverance and Self-Efficacy Costless? Assessing Entrepreneurs' Regretful Thinking. In: Journal ofOrganizational Behavior 26,1: S. 1-19. Miller, G. A.; Galanter, E.; Pribram, K. H. (1960): Plans and the structure ofbehavior. New York: Holt. Piaget, J. (1985): The equilibration ofcognitive structures: the central problem ofintellectual development. Chicago: University of Chicago Press. Rotter, J. (1966): Generalized expectancies for internal versus external control of reinforcement. In: Psychological Monographs 80: S. 1-28. el Sehity, T.; Schor-Tschudnowskaja, A. (2010): Vennögende in Deutschland - Die Perspektive der Vennögenskulturforschung. In: Lauterbach, w.; Druyen, T.; Grundmann, M. (Hrsg.): Reichtum und Vermögen in Deutschland (1. Aufi.). Wiesbaden: VS Verlag fIlr Sozialwissenschaften: S. 143-202.

Unternehmerisches Engagement: Beispiele gelebter Vermögenskultur durch Superreiche Daniel Brenner

1. Einführung

Die Erkenntnis, dass das Verhalten des Einzelnen in der Summe globale Konsequenzen hat, bildet den vermögenskulturellen Ausgangspunkt des Menschen im 21. Jahrhundert (vgl. Druyen 2007: S. 176). Hierin spiegelt sich die zentrale Annahme der Vermögenskulturforschung wider, wonach jeder Mensch - zumindest potenziell- vermögend ist. Der Vermögensbegriff wird dabei nicht auf seinen monetär-materiellen Aspekt reduziert, sondern im Sinne des Verbs "etwas zu vermögen" unmittelbar mit der menschlichen Handlungs- und Entfaltungsmöglichkeit verknüpft. Als "vermögend" gilt demnach jeder, der sich auf seine positiven Werte besinnt, diese bewusst erschließt und zur aktiven Mitgestaltung der gesellschaftlichen Entwicklung einsetzt. 1 Gemeinsam mit einem erweiterten Kulturbegriff, der "die Pflege und Veredelung des Geistes, des Willens, der Werte, der Tugenden und der menschlichen Errungenschaften, sofern sie dem Wohl des Gemeinwesens dienen," (Druyen 2007: S. 203) umfasst, sind hiermit die Leitlinien einer Allgemeinen Vermögenskultur angesprochen: Diese wird als individueller und gesellschaftlicher Wille verstanden, Werte und Fähigkeiten in ein sinnvolles Gemeinschaftsleben einzubringen. Vermögenskultur ist somit immer eine wertschöpfende Art und Weise des Umgangs mit sich selbst und anderen (vgl. Druyen 2007: S. 68, 182) und basiert auf der Überzeugung, dass "Vermögenseinsatz, Vermögenswahrung und Vermögensmehrung zum zentralen Fokus internationaler, integrativer und intergenerativer Zukunftspraxis [wird]" (Druyen 2007: S. 187). Denkt man diesen Ansatz konsequent weiter, kommt man zu so vielen Vermögenskulturen, wie es Menschen gibt. Ziel des vorliegenden Beitrags kann und soll es nicht sein, diese Pluralität darzustellen. Tatsächlich setzt der Beitrag bei der Speziellen Vermögenskultur an, die sich der Synergie von Geld, Geist und sozialer Verantwortung widmet (vgl. Druyen 2007: S. 49) und fokussiert anband dreier Beispiele auf jene Vermögende, die neben Teilen ihres Reichtums auch ihre Fähigkeiten, ihr Know-how, ihre Verantwortung und ihren Willen einsetzen, um die gesellschaftliche Entwicklung mitzugestalten (vgl. Druyen 2007: S. 65). In der Vergangenheit zeigte sich immer wieder eine erstaunliche Ignoranz gegenüber Persönlichkeiten, die wesentlich zu Wohlstand und Wachstum der Gesellschaften, in denen sie leben und wirken, beigetragen haben. Dieser Umstand spiegelt sich nicht nur in zahlreichen kritischen, teilweise geradezu denunzierenden feuilletonistischen Beiträgen über "die Reichen" wider (vgl. zum Beispiel Kreye 2008), sondern auch in der sozialwissenschaftli-

T. Druyen (Hrsg.), Vermögenskultur, DOI 10.1007/978-3-531-92086-3_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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chen Reichtumsforschung, wo jene Gruppe in der Regel als relativ homogen betrachtet und überwiegend unter Aspekten der Verteilungsgerechtigkeit untersucht wird (vgl. zum Beispiel Hauser und Becker 200 I; Huster 1997; Ziebura 200 I). Augenscheinlichstes Defizit dieser Forschungsbemühungen ist die bis heute ungeklärte Frage, was unter Reichtum genau zu verstehen ist und ab welcher monetären Summe man hiervon sprechen kann. Noch schwerer als bei der Annutsdefinition erscheint bei der Bestimmung von Reichtum die Festlegung einer ausreichend klaren numerischen Grenze. In den meisten Fäl1en wird analog zur Annutsbestimmung ein Messkonzept relativen Reichtums angeführt und die sogenannte 200- beziehungsweise 300-Prozent-Grenze verwendet (vgl. zum Beispiel Deutsche Bundesregierung 2001,2005,2008; Huster 1997; Merz; Hirschei; Zwick 2005). Demnach gilt als einkommensreich, wer mindestens das Doppelte beziehungsweise Dreifache des durchschnittlichen Nettoäquivalenzeinkommens verdient. In Zahlen fUr das Jahr 2006 entspricht dies bezogen auf einen bundesdeutschen Vier-Personen-Haushalt (Eltern, zwei Kinder unter 14 Jahren) monatlichen Netto-Einkünften in Höhe von 5.935 Euro (200-Prozent-Grenze) beziehungsweise 8.902 Euro (300-Prozent-Grenze) (vgl. Lauterbach und Ströing 2009: S. 17). Zwar mag dieses Konzept fUr bestimmte statistische Auswertungen durchaus angemessen sein, doch bietet es isoliert betrachtet keinen wesentlichen Fortschritt fUr eine tiefergehende Analyse von Reichen und Superreichen, da es lediglich die Fließgröße des Einkommens erfasst und das Vermögen als relativ stabile Bestandsgröße unberücksichtigt lässt. Macht man sich in diesem Zusammenhang bewusst, dass mit - von der bisherigen Reichtumsforschung kaum erfasstem - steigendem Reichtum ein Bedeutungsvedust von Einkommensbezügen einhergeht, so wird klar, dass die auf Einkommen beschränkte Perspektive um Aspekte monetären beziehungsweise materiellen Vermögens erweitert werden muss. 2 Daher liegt den nachfolgenden Ausführungen keine relative, einkommensbasierte, sondern eine absolute, vermögensbasierte Differenzierung zugrunde, die sich an der von Lauterbach und Ströing (2009: S. 20 ff.) entwickelten Reichtumspyramide orientiert. Hier wird oberhalb der Gruppe der Reichen - die sich in "Afiluents" (500.000 US-Dollar frei verfügbares Kapitalvermögen3 bis unter eine Mio. US-Dollar Netto-Finanzvermögen4), "High Net Worth Individuals (HNWls)" (mit einer Mio. bis unter 30 Mio. US-Dollar Netto-Finanzvermögen) und "Ultra-High Net Worth Individuals (U-HNWIs)" (mit 30 Mio. US-Dollar NettoFinanzvermögen bis unter 300 Mio. US-Dol1ar frei verfügbaren Kapitalvermögens) unterteilt - die zahlenmäßig kleine Gruppe der Superreichen verortet, die sich wiederum aus Personen mit frei verfügbarem Kapitalvermögen von mindestens 300 Mio. US-Dollar sowie aus (Multi-)Milliardären an der Spitze zusammensetzt. Aus eben jener Gruppe der Superreichen entstammen die im Folgenden exemplarisch herangezogenen Personen,5 die sich nach eigenem Bekunden auszeichnen durch "ein Bekenntnis und eine Leistungsbereitschaft, Mehrwert zu erzeugen und Verantwortung zu übernehmen" (vgl. Druyen 2009: S. 30). Wir haben es daher wahrscheinlich mit "vermögenden Superreichen" zu tun, deren jeweiliges vermögenskulturelles Profil es in den weiteren Ausführungen, soweit die möglich ist, zu beleuchten gilt.

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2. Die Beispiele Vennögenskulturelles Handeln kann auch auf Ebene der Superreichen sehr unterschiedliche Gestalt annehmen. Die Auswahl der hier herangezogenen Beispiele folgt dem Vorhaben, dies möglichst anschaulich zu illustrieren. Die Fokussierung auf den US-amerikanischen Raum spiegelt dabei das dort traditionell stark ausgeprägte philanthropische Bewusstsein markant wider (siehe auch Krimphove, in diesem Band). Während sich in Deutschland die philanthropische Tradition mit ihrer Blütezeit im Kaiserreich aus verschiedenen Gründen nicht fortsetzen konnte, 7 kommt dem privaten Engagement in den USA bis heute ungebrochen große Bedeutung zu. Seit jeher sind dort staatliche Interventionen und damit auch die Erwartungen an die öffentliche Hand geringer, was sich in einer von Solidarität und gegenseitiger Unterstützung geprägten Mentalität niederschlägt. Diese hat sich im Prinzip bis heute erhalten und manifestiert sich unter anderem in einer durch alle sozialen Schichten hohen Spendenbereitschafl:. 8 Auch in den gesetzlichen Rahmenbedingungen spiegelt sich der amerikanische Wertekanon wider, wonach jeder Einzelne gemäß seiner Möglichkeiten an der gesellschaftlichen Wohlfahrtssteigerung mitwirken soll. Bei allen, zum Teil zu Recht kritisierten wirtschafts- und sozialpolitischen Defiziten der USA werden amerikanische Wohltäter im Vergleich zu deutschen nicht nur weitaus großzügiger vom Fiskus behandelt,9 das humanitäre Engagement gilt dort generell als Gradmesser der Anerkennung und des gesellschaftlichen Status, was einen konstruktiven Wettbewerb beflügelt. So ist es nicht verwunderlich, dass es mit dem StahlmagnatenAndrew Camegie (18351919) und dem Ölunternehmer John D. Rockefeller (1839-1937) zwei US-Amerikaner sind, die als Begründer der modernen Philanthropie gelten. Während die Geschäftsmethoden des Multimillionärs Camegie und von Amerikas erstem Dollar-Milliardär Rockefeller bis heute umstritten sind, ist die von ihnen ausgehende Professionalisierung der Philanthropie eine nach wie vor vorbildhafte Lebensleistung. Beiden ging es bei ihren großzügigen Spenden an gemeinnützige Organisationen erstmals in der Geschichte der abendländischen Philanthropie nicht mehr vorrangig im Sinne der christlich motivierten Karitas um eine bloße Linderung akuter Missstände, sondern vielmehr um deren nachhaltige Beseitigung. Daher werden die von vielen als "Räuberbarone" kritisierten Unternehmer oftmals auch als Philanthropen der ersten Generation bezeichnet (vgl. Lindner 2007), denen mit Bill Gates und Warren Buffett an der Spitze heute eine zweite Generation folgt, die wir im Nachfolgenden genauer unter die Lupe nehmen wollen.

2.1 Bill Gates und Warren Buffett Beispiel eins widmet sich zweien der derzeit reichsten Männer der Welt 10 dem MicrosoftGründer Bill Gates (geschätztes Privatvennögen: 53 Mrd. US-Dollar ll ) sowie dem Großinvestor und Unternehmer Warren Buffett, der sein geschätztes Privatvennögen in Höhe von 47 Mrd. US-Dollar12 vor allem mit der von ihm gegründeten Investment-Finna Berkshire Hathaway gemacht hat. Die beiden vereint eine enge Freundschaft, die auf das Jahr 1991 zurückgeht, als Gates' Vater Buffett in das Haus der Gates einlud. Offenbar verstand man sich aufAnhieb so gut, dass man in den nachfolgenden Jahren unter anderem gemeinsam Bridge,

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Poker und Golf spielte. Gefestigt wurde die Beziehung durch Buffetts persönlichen Einsatz für Gates, als diesem im Jahre 2000 aufgrund von Monopol-Vorwürfen gegen Microsoft kartellrechtliche Untersuchungen drohten. 13 Damit sind bereits jene Aspekte angesprochen, die Kritiker superreichen Spendern wie Gates und Buffett immer wieder vorwerfen: Thr Engagement diene in erster Linie der eigenen Gewissensberuhigung und Imagepolierung, wohl wissend, dass das eingesetzte Vermögen mit teils fragwürdigen Geschäftsmethoden erwirtschaftet wurde. In der Tat waren beide Unternehmer mit Vorwürfen oder Ermittlungen konfrontiert: Gates seitens des Kartellamtes wegen der genannten Expansionsstrategie von Microsoft, Buffett in den 1970er Jahren von Seiten der amerikanischen Börsenaufsicht SEC. Aus vermögenskultureller Sicht, die bewusst die positive Leistung ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt, hat es jedoch jeder Einzelne verdient, zuerst nach seinen besten Taten bewertet zu werden, solange keine gravierende strafrechtliche Schuld vorliegt. Thomas Druyen (2007: S. 50) bemerkt hierzu: "Man wird in jedem Leben Verfehlungen finden, die eine faire Betrachtung trüben können. Aber in der Fähigkeit, unter dem Strich den geschaffenen Mehrwert wahrzunehmen, steckt eine konstruktive und Zukunft eröffnende Kraft." Einen solchen Mehrwert können Gates und Buffett zweifelsohne vorweisen. Thr gesellschaftliches Engagement ist insgesamt als herausragend einzustufen. So planen beide, bis zum Ende ihres Lebens nahezu ihr komplettes Privatvermögen wohltätigen Zwecken zugute kommen zu lassen, womit sie sich an der wesentlich durch den Stahlbaron des 19. Jahrhunderts, Andrew Carnegie, geprägten amerikanischen Geisteshaltung orientieren, nach der ein Tod in Reichtum als Schande gilt,14 So müssen sich Gates' Kinder mit einer Erbschaft von "lediglich" zehn Millionen US-Dollar (vgl. Schmidt 2008) und Butfetts Nachfahren mit einer ähnlich verhältnismäßig geringen Summe zufrieden geben. "Unsere Kinder werden reich sein, zum obersten halben Prozent der Welt gehören. Aber 99 Prozent meines Vermögens werden in die Philanthropie gehen", sagte Buffett in einem Interview (2005). Diese Entscheidung traf er nach Aussage seiner Biografin, Alice Schroeder, erst recht spät in seinem Leben. Ein Grund hierfür mag in seinem Geschäftsmotto "Arbeitsteilung und Gewinnmaximierung" liegen. Analog zu seinen Investmentstrategien, bei denen er stets Wertpapiere aufspürte, deren innerer Wert höher lag als der an der Börse gehandelte, erkannte Buffett offenbar erst in der Bill & Melinda Gates Foundation das für ihn optimale Investitionsprojekt im Bereich der Philanthropie. Zu seiner im Juni 2006 getätigten, bislang höchsten Spende der Menschheitsgeschichte, die 85 Prozent des Privatvermögens für die Gates-Stiftung vorsieht,15 bemerkt Buffett sehr nüchtern: "Es ist vernünftig, wenn Leute mir ihr Geld anvertrauen, um es zu vermehren. Ich habe nun für mein Vermögen Leute gefunden, die besser sind als ich, es zu verteilen." (zitiert nach Gloger 2006) Insgesamt sollen zehn Millionen seiner Berkshire Hathaway-Aktien sukzessive an die Gates-Stiftung überschrieben werden - dies entspricht nach aktuellem Kursstand einer Summe von über 30 Mrd. US-Dollar. Dass dies kein leeres Versprechen ist, zeigt sich in den regelmäßigen Zahlungen seit seiner Zusage (2006: 1,6 Mrd. US-Dollar; 2007: 1,8 Mrd. US-Dollar; 2008: 1,8 Mrd. US-Dollar; 2009: 1,5 Mrd. US-Dollar; 2010: 1,6 Mrd. US-Dollar).

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Durch diese Zustiftungen soll sich das Stiftungskapital der von den Einlagen her heute schon weItgrößten Privatstiftung von Bill und Melinda Gates in den nächsten Jahren aufüber 60 Mrd. US-Dollar verdoppeln. Zum Vergleich: Der weltweit zweitgrößten Charity-Organisation, der Ford-Stiftung, steht derzeit ein Gesamtkapital von rund zehn Mrd. US-Dollar zur Verfügung, den Vereinten Nationen ein aktuelles Zweijahres-Budget von 5,16 Mrd. US-Dollar. 16 Das auf diese Weise entstehende "Imperium der Wohltätigkeit" wirft Fürsprecher wie Kritiker gleichermaßen auf den Plan. Befiirworter betonen die enorme Wirkungskraft, die von einer derart mächtigen Institution ausgehen kann. So könne die Stiftung zum Beispiel zur rechten Hand der Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden, die seit jeher eher koordiniert und Krankheiten dokumentiert als viel Geld in deren Bekämpfung zu investieren. Hier sieht zum Beispiel Anthony Fauci vom Nationalen Institut fUr Allergien und Infektionskrankheiten in Bethesda (Maryland) Möglichkeiten für eine erfolgreiche Zusammenarbeit (vgl. Dowideit 2006). Kritiker der Bill & Melinda Gates Foundation sprechen hingegen von einer ,,Entwicklungshilfe nach Gutsherrenart" (vgl. Seith 2006), da letztendlich einzig und allein die Stifter über die Geldvergabe entscheiden. I? Andere Beobachter bemängeln die Vernachlässigung der Bekämpfung der eigentlichen Krankheitsursache durch die Stiftung - die Ungerechtigkeit in der Welt -, wieder andere fUrchten einen Rückzug des Staates bei der Förderung kleinerer gemeinnütziger Organisationen (vgl. Dowideit 2006). Trotz dieser teils nachvollziehbaren kritischen Stimmen ist festzuhalten, dass es sich bei Bill Gates und Warren Buffett um die vom Umfang der Zuwendungen her größten Wohltäter der Menschheitsgeschichte handelt. Im Gegensatz zu seinem Freund Buffett begann Gates' gezieltes philanthropisches Engagement bereits in jüngeren Jahren. Dem Vernehmen nach geht es auf einen Briefseiner Mutter aus dem Jahre 1994 zurück - jener Zeit, in der Gates vornehmlich um die weltweite Vorherrschaft von Microsoft kämpfte. Zitiert wird Gates' Mutter, ehemalige Lehrerin und engagierte Wohltäterin, mit den Worten: "Es wird viel erwartet von denen, denen viel gegeben wurde." (vgl. Gloger 2006) Diese Worte taten offenbar ihre Wirkung und Gates beauftragte zunächst seinen Vater, in seinem Sinne Gutes zu tun. Neben dieser ersten, nach dem Vater benannten William H. Gates Foundation, gründete Gates eine zweite Stiftung, die Gates Library Foundation, die unter anderem 11.000 Computer an öffentliche Bibliotheken spendete. Im Jahr 1999 schloss Gates die beiden Stiftungen schließlich zu der heutigen Bill & Melinda Gates Foundation mit Hauptsitz in Seattle zusammen. Seither hat diese Stiftung Spendenmittel in Höhe von rund 23 Mrd. US-Dollar bereitgestellt,18 überwiegend für die Bereiche Bildung, Armut und Umwelt. Schwerpunkt der Arbeit ist jedoch der internationale Kampf gegen Malaria, Tuberkulose und Aids. 1,5 Mrd. US-Dollar flossen beispielsweise in das Projekt "Globale Allianz für Impfstoffe und Immunisierung" (GAVI), ein Impf-Programm in den Entwicklungsländern gegen Kinderlähmung, Keuchhusten, Masern und Tuberkulose. 2004 stattete Gates die Stiftung mit weiteren drei Mrd. US-Dollar aus, die zuvor als Sonderdividende an ihn ausgeschüttet worden waren. Vier Jahre später zog sich der Unternehmer vom aktiven Geschäft bei Microsoft zurück, um sich hauptamtlich den sozialen Projekten der Stiftung widmen zu können. Damit bestätigt er den aktuellen Trend, wonach sich das Engagement vieler Stifter nicht mehr auf den

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bloßen Akt des Gebens beschränkt, sondern sich zunehmend in einem nachhaltigen und persönlichen Einsatz ausdrückt. "Je weiter man in der Liste oben steht, desto größer ist die Verpflichtung, nicht nur das eigene Vermögen, sondern auch seinen Verstand ganz einzubringen", betont Gates (2005). Das reine Ausstellen von Schecks wird also qualitativ um ein kluges, gut durchdachtes Engagement erweitert. Das Ehepaar Gates unternimmt beispielsweise alljährliche "Lern-Reisen", bei denen sie sich selbst ein Bild über jene Gebiete verschaffen, denen sie Unterstützung zukommen lassen wollen. Und Warren Buffett zieht die nachhaltige Investition seiner Milliarden in die Bill & Melinda Gates Foundation der Gründung einer eigenen Stiftung vor und verzichtet somit darauf, sich ein eigenes Denkmal zu setzen. Diese positiven Entwicklungen haben bei der Weltbank Überlegungen angeregt, den Bereich der staatlichen Entwicklungshilfe durch ein professionelles, privates Stiftungswesen zu ersetzen. 19 Der Idee nach würden Agenturen die privaten Gelder sinnvoll auf einzelne Projekte verteilen und dabei das unternehmerische Denken der Stifter fruchtbar machen (vgl. Seith 2006).

2.2 Donna und Phi/ip Berber Ganz im Zeichen eines solchen sozialunternehmerischen Geistes (siehe auch Essl, in diesem Band) steht Beispiel zwei, das sich mit dem Engagement des in Austin (Texas) lebenden Ehepaars Berber befasst. Die exakte Bezeichnung der aktuellen Tätigkeit von Philip Berber fällt schwer: "Er ist kein reicher Müßiggänger und auch kein klassischer Philanthrop. Und er ist auch nicht wirklich Unternehmer, denn er verschenkt Geld", resümiert Robert Frank in seinem Buch Richistan - Eine Reise durch die Welt der Megareichen (2009: S. 188). Der aus Irland stammende 52-jährige Berber bezeichnet sich selbst als social entrepreneur. Wesentlich geprägt wurde dieser Begriffdurch den US-amerikanischen Vordenker und früheren Unternehmens- und Politikberater Bill Drayton, der in Sozialunternehmern ein wichtiges Pendant zum klassischen, kommerziellen Unternehmer sieht, um die wirtschaftliche Sphäre mit der Zivilgesellschaft zu verknüpfen. "Sozialunternehmer wollen nicht helfen. Sie wollen die Welt verändern", so Drayton (2008: S. 53 ff.), der die Idee des Sozialunternehmertums definiert als Gründung von Unternehmen, deren Erfolg sich nicht am monetären Gewinn bemisst, sondern am gesellschaftlichen Wandel, den sie bewirken - seit 1980 mit der von ihm gegründeten Non-Profit-OrganisationAshoka wesentlich vorantreibt. 20 Dass Sozialunternehmer im Sinne Draytons eher ökonomische Revolutionäre als vornehme Spender darstellen, betont auch Berber, der seine Aufgabe nicht darin sieht, einfach nur Geld zu verschenken, sondern bewusst und sinnvoll in sozialen Wandel zu investieren. "Ich schenke nicht irgendwem irgendwas. [...] Ich bin kein Wohltäter, ich bin ein Sozialinvestor, der Kapital in soziale Profite investiert." (Berber zitiert nach Frank 2009: S. 168) Das Unternehmen, mit dem die Berbers dieses Motto umsetzen, heißtA Glimmer ojHope und ist ihre eigene Wohltätigkeitsorganisation, die sie im Jahre 2001 gemeinsam gründeten und der sie bisher rund 135 Mio. US-Dollar zukommen ließen. Im Vergleich zu den oben genannten Summen von Gates und Buffett erscheint das wenig, dennoch platzierte das Finanzmagazin Barron 50 die Berbers in seiner im November 2009 erschienenen Rangliste der 25 Top-Philanthropen Amerikas vor den beiden US-Milliardären. Die Autoren begründen dies mit

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der erstaunlichen Effizienz, die A Glimmer 0/ Hope vorweisen kann. Die für das wöchentliche US-amerikanische Wirtschaftsmagazin Businessweek schreibende Joumalistin Suzanne McGee meint: "It could take a decade for some ofthe Gates Foundation's research into vaccines 10 translate into an impact on people's lives. By contrast, when the Berber's Glimmer ofHope digs a weIl and provides clean water to an Ethiopian Community, people's lives are improved immediately and critically." (McGee 2009) Die attestierte Effizienz beruht im Wesentlichen auf einem Charakteristikum, das sich bereits bei dem von Berber aufgebauten Unternehmen CyBerCorp wiederfindet, einem Online-Handelssystem, durch dessen Verkauf an die Charles Schwab Corporation er im Jahre 2000 einen Erlös von 488 Mio. US-Dollar erzielen konnte. 21 Das System erlaubte es erstmals auch kleineren Spekulanten, auf Augenhöhe mit den professionellen Wall-Street-Akteuren und direkt vom eigenen Computer aus Aktien zu kaufen und zu verkaufen und somit Händler wie Merrill Lynch zu übergehen. Auf ähnliche Weise übergeht auch A Glimmer 0/ Hope eine ganze Reihe von Finanzvermittlern. Aufgrund der eingesparten Gelder ist das Resultat eine insgesamt höhere Effizienz, welche die Wohltätigkeitsorganisation mit dem ,,100% Promise" bewirbt, dem Versprechen, dass die zur Verfügung gestellten Mittel ohne Abstriche bei den zu Unterstützenden ankommen. Dies unterscheidet sie von den klassischen großen Wohltätigkeitsorganisationen, die die Spendengelder nicht eins zu eins weitergeben können, sondern beachtliche Teile für Personal, Werbung oder Berichte ausgeben müssen. Berber, der sich intensiv mit den Arbeiten jener Organisationen befasst hat, bemerkt in diesem Zusammenhang: "Generally between 15 and 50 percent of government aid reaches the intended recipients. Non Government Organisations would send 50 and 85 percent of the cash. We did not feel at all comfortable about mailing a cheque in that direction, knowing that so much of the money was going to get washed away and intercepted by middlemen. We decided to build a better mousetrap, a more effective model of international aid." (zitiert nach Irish Independent 2002) Während seine Frau Donna eher emotional argumentiert und beispielsweise von "true passion" spricht (zitiert nach Hempel 2004), scheut sich Philip Berber nicht vor Begriffen wie Investment-Rendite, quantitative Analyse oder Projektrn.anagement, wenn er über das Wesen der gemeinsamen Wohltätigkeitsorganisation philosophiert. "Donna was the one with the heart and the vision to see that we could da something", sagt Berber und ergänzt: "One must treat it as a business and all that goes with that. It's a balance between heart and head, and both have a role to play." (zitiert nach Hempe12004) Konkretes Ziel ihrer Organisation ist die sukzessive Eindämmung der Armut in Äthiopien. Die etablierten Nichtregierungsorganisationen rümpfen angesichts dieses ehrgeizigen Vorhabens die Nase und stellen Berbers Engagement in Frage: "Ich weiß nicht, wieso er zu dem Schluss gekommen ist, dass er die Probleme in Äthiopien besser verstehen kann als unsere Organisation", bemerkt beispielsweise der CARE-Sprecher Adam Hicks (zitiert nach Frank 2009: S. 170). Andere zweifeln an Berbers Aussage, er sei nicht mit dem Problem der Korruption konfrontiert, das in Äthiopien eine massive Rolle spielt. ,,He must have cut a special deal with the government 10 be able to operate unhindered. We find it very difficult 10 do a

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lot ofwork, no matter how bad things are", meint der Mitarbeiter einer weiteren in Äthiopien tätigen Hilfsorganisation (zitiert nach Irish Independent 2002). Doch Berber scheut eine Auseinandersetzung mit dem Establishment nicht, wie er bereits im Kampf mit der Wall Street und der NASDAQ unter Beweis stellte. Dass der Fokus dabei gerade auf der Unterstützung Äthiopiens liegt, geht wesentlich auf Erfahrungen seiner aus England stammenden Frau Donna zurück. Hier wurde die heute 51-Jährige bereits in den 1980er Jahren von Bob Geldof inspiriert, dem Organisator der Wohltätigkeitsveranstaltungen Band-Aid und später Live-Aid, die unter anderem im Zeichen der Armutsbekämpfung in Äthiopien standen. 1999 lernte sie in Amerika außerdem Freunde kennen, die zwei äthiopische Kinder adoptiert hatten. Nachdem die Berbers ein Jahr später durch den Verkauf von CyBerCorp quasi über Nacht zu einem dreistelligen Millionenvermögen gelangten, besuchte Donna Berber die Äthiopische Botschaft in Washington, um dort in Erfahrung zu bringen, wie sie Teile dieses neuen Vermögens sinnvoll der äthiopischen Bevölkerung zugute kommen lassen könne. Tameru Abasaba, ein damals für die Botschaft arbeitender ausgebildeter Hilfsexperte, der aus einer der ärmsten Regionen Äthiopiens stammt, empfahl Donna, selbst in das Land zu reisen, das sie unterstützen wollte, um sich ein eigenes Bild zu machen. Nach ihrer Rückkehr kontaktierte sie Abasaba erneut und die beiden beschlossen, das Projekt A Glimmer o/Hope ins Leben zu rufen (heute leitet Abasaba das Büro der Organisation in AddisAbeba). Ihren Mann Philip überzeugte Donna auf gemeinsamen "Lern-Reisen" nach Äthiopien. Bereits nach der Rückkehr von der ersten gemeinsamen Reise war für Philip Berber klar, dass er sich aus dem kommerziellen Geschäft zurückziehen und voll auf die humanitäre Arbeit konzentrieren wollte. Seine Grundsätze unternehmerischen HandeIns gab er dabei nicht auf und bestand weiterhin auf Effizienz als oberster Priorität. Er wollte sein Vermögen nicht einfach verschenken oder an große Hilfsorganisationen geben, sondern es möglichst effektiv und sinnvoll investieren. Hierfür entwarf er einen Geschäftsplan, formulierte Gewinnerwartungen und Ziele. "Wenn ich nur hätte spenden wollen, um mich besser zu fiihlen, hätte ich es dem Roten Kreuz geben können. Doch der Sozialinvestor in mir verlangte, dass ich meine Hausaufgaben machte", betont Berber (zitiert nach Frank 2009: S. 188). Anfangs wurden Berbers Pläne von den Nichtregierungsorganisationen vor Ort eher belächelt, wie die damalige Einschätzung eines in Äthiopien aktiven Entwicklungshelfers zeigt: "There's a certain amount ofnaivety in all ofthis and I wonder ifsometimes in the future he is not going to end up giving money to NGOs because that's the most efficient way of doing it after all." (zitiert nach Irish Independent 2002) Berber aber beharrte auf seinem ehrgeizigen Plan und hielt sich strikt an die eigenen unternehmerischen Grundregeln: 1. Seinen Kunden kennen, das heißt, sich ein umfassendes Wissen über Land, Leute, Kultur etc. aneignen, 2. Kosten reduzieren und Zwischenhändler ausschalten, 3. den Kunden zur Rechenschaft ziehen, das heißt ein Leistungssoll formulieren, 4. seinen Kunden mit einbinden sowie 5. das Potenzial der Fremdfinanzierung nutzen. Bezogen auf die Arbeit bei A Glimmer 0/Hope bedeuten diese Grundsätze unter anderem: I. Ausfiihrliehe Recherche zu Landwirtschaft, Kultur, Bildungswesen, Geschichte, Demografie, Politik, Klima oder Krankheitsmustern in Äthiopien, 2. Einrichtung geordneter und effizienter Arbeitsabläufe, um Kosten zu reduzieren und Korruption zu verhindern, 3. Verknüpfung der Förderung mit konkreten Zielvereinbarungen

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und zeitlichen Beschränkungen,22 4. Materialien lediglich bereitstellen und Äthiopiermit dem Bau oder der Reparatur beauftragen beziehungsweise 5. Bezuschussung lokaler Nichtregierungsorganisationen im Austausch gegen deren Expertenwissen. Die Ergebnisse der Wohltätigkeitsorganisation der Berbers sind beachtlich: Mit den bis Ende 2009 investierten Mitteln wurden über 3.000 Brunnen errichtet, die mehr als 1,5 Millionen Äthiopier mit sauberem Wasser versorgen. An 335 gebauten Schulen werden über 200.000 Schüler unterrichtet, die 172 errichteten Kliniken versorgen rund eine Million Menschen und die 53 Nutztierkliniken kommen 319.000 Äthiopiem zugute. Dem Ziel, eine wirtschaftliche Entwicklung und höhere Löhne in Äthiopien zu schaffen, kamen die Berbers durch die Abgabe von Bewässerungspumpen an äthiopische Bauern näher. Diese können die Pumpen mit einem zinsfreien, über sieben Jahre laufenden Kredit erwerben. Die Gruppe der Bauern, die an einem ersten Test teilnahm, fll.hrt heute zwei Ernten pro Jahr ein statt bisher nur einer. Ihr jährliches Durchschnittseinkommen stieg bis auf das Zehnfache an, wovon sich auch die Europäische Union beeindruckt zeigte und weitere Fördergelder für die Bewässerungssysteme bewilligte. Daneben erhalten die Berbers Unterstützung VOn einer Reihe privater Organisationen wie der Michael & Susan Dell Foundation oder der Clinton Global Initiative. Philip Berber selbst fasst sein Wirken als Sozialunternehmer mit den folgenden Worten zusammen: "To have been blessed with success in business was exciting but to be able to use those skills to help make areal difference in the lives of so many is fulfilling and purposeful." (Berber 2010)

2.3 David Rocke/eller Beispiel drei thematisiert den "Weltbankier" David RockefeIler, um gegenüber dem bislang weitgehend im Zentrum der Aufmerksamkeit stehenden Einsatz monetärer Ressourcen auf den Gebrauch eines immateriellen Vermögenswertes zu fokussieren. Zwar trat RockefeIler in familiärer Tradition auch als großzügiger Stifter und Spender in Erscheinung23 und möchte nach seinem Ableben allein dem Museum ofModemArt 100 Mio. US-Dollar vermachen, doch als mindestens ebenso bedeutsam erscheint sein Einsatz des sogenannten Netzwerkvermögens, weshalb er an dieser Stelle ausführlich dargestellt werden soll- auch wenn sich die folgenden Ausführungen angesichts der Forschungslage primär aufRockefeIlers autobiografische Niederschrift beziehen müssen. Im Kern geht es bei diesem Vermögenswert um den Aufbau und um die Nutzung sozialer Netzwerke zum Wohle der Allgemeinheit (siehe auch Hagen, in diesem Band). Inwieweit eine solche Gemeinwohlorientierung bei David RockefeIlers Handeln tatsächlich im Vordergrund stand, ist umstritten und wird sehr unterschiedlich bewertet. Hier ist eine Klärung der Sachverhalte und eine faire historische Bewertung erst noch zu leisten. Das Geldvermögen David Rockefellers, das aktuell auf 2,2 Mrd. US-Dollar geschätzt wird,24 geht neben seiner 35-jährigen Karriere bei der Chase Manhattan Bank, deren Vorstandsvorsitz er von 1969 bis 1981 inne hatte, zum Großteil auf das von seinem Großvater in den 1870er Jahren aufgebaute Ölimperium zurück. Dessen öffentliche Wahrnehmung war und ist zwiespältig: Die einen bezeichnen John D. RockefeIler Sr. zusammen mit Andrew Camegie als Mitbegründer der modemen Philanthropie, andere sehen in ihm einen rücksichtslosen

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Nutznießer des frühen Kapitalismus. David Rockefeller bestätigt weder die eine, noch die andere Wahrnehmung. Er habe seinen Großvater nur in seiner familiären Rolle erlebt "und nicht als den Raubritter oder den großen Philanthropen der Geschichtsbücher", schreibt er in seiner 2002 erschienenen Autobiografie (Rockefeller 2008: S. 13).25 Ein klareres Bild lässt sich von seinem Vater, John D. Rockefeller Jr. zeichnen, der sich weniger durch unternehmerisches Talent als durch großes philanthropisches Bewusstsein auszeichnete. Von beiden Männem lernte David Rockefeller die Tradition der Familie und die damit verbundenen Verpflichtungen: Er engagiert sich in hohem Maße für die familiäre Tradition, die Philanthropie "genauso zukunftsorientiert [zu] organisieren und [zu] planen wie unser sonstiges Geschäft" (John D. Rockefeller Sr. zitiert nach Chernow 2005: S. 197) und übernimmt Verantwortung in der 1913 von seinem Großvater gegründeten, heute rund drei Milliarden US-Dollar schweren Rockefeller Foundation, der ersten philanthropischen Organisation mit einer globalen Vision, die enorme Erfolge in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Kunst und Kultur vorweisen kann. Zudem trug Rockefeller durch sein persönliches Engagement wesentlich zur Etablierung des Rockefeller Brothers Fund (RBF) bei. Er transformierte das 1901 von seinem Großvater gegründete Rockefeller Institute for Medical Research zu einer heute bedeutenden forschenden und lehrenden biomedizinischen Hochschule mit dem Namen The Rockefeller University und rettete das prestigeträchtige Rockefeller Center, in das sein Vater unter enormem unternehmerischen Risiko von 1929 bis 1939 - inmitten der "Großen Depression" - etwa 125 Mio. US-Dollar (was einem heutigen Wert von ca. 1,5 Mrd. US-Dollar entspricht) investierte, vor dem wirtschaftlichen Bankrott. Oft griff David Rockefeller dabei nicht nur auf seine eigenen monetären Ressourcen zurück, sondern nutzte auch das ihm gegebene Talent, Kontakte mit den unterschiedlichsten Persönlichkeiten zu knüpfen. "Ich genieße es, Menschen kennenzulernen", ließ David Rockefeller sich von der Süddeutschen Zeitung zitieren (von der Hagen; Jauker 2008). Bedeutenden Einfluss auf sein Wesen und die Entwicklung seines Netzwerkvermögens hatte dabei Davids Mutter, geb. Abby Greene Aldrich, die der Sohn im Vergleich zum Vater als ausgeglichener, spontaner und offener für Neues beschreibt (vgl. Rockefeller 2008: S. 30 f.). Diese Eigenschaften gab sie an David weiter und überzeugte ihn beispielsweise in einem ernsten Gespräch von der Bedrohung durch Hitler-Deutschland und der Notwendigkeit, sich zum freiwilligen Militärdienst zu melden. 1942 begann David Rockefeller als einfacher Soldat bei der Armee - "obwohl Vater seinen Einfluss hätte nutzen können, um mir ein Offizierspatent zu verschaffen", wie er später betont (2008: S. 147). Anfangs skeptisch und unsicher im Umgang mit Personen aus den verschiedenen sozialen Milieus, die beim Militär aufeinandertreffen, fasste David Rockefeller nach und nach Fuß, freundete sich mit den unterschiedlichsten Leuten an und verschaffte sich zudem Respekt in der Militärfiihrung, was ihm die lTbernahrne bedeutender Aufgaben in Algier ermöglichte. Dort beschäftigte er sich hauptsächlich mit dem schwierigen Unterfangen, gegen die etablierten Nachrichtendienste ein eigenes Geheimdienstnetzwerk aufzubauen. Es waren seine Sprachkenntnisse sowie seine zahlreichen Kontakte zu einflussreichen Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft, die Rockefeller hier erstmals bewusst nutzte und als Vorteil erkannte: "Innerhalb weniger Monate entwickelte ich ein großes und gut platziertes

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Netzwerk von Infonnanten, die es mir ennöglichten, sorgfliltig über [die] politische Entwicklung in Nordafrika zu berichten." (Rockefeller 2008: S. 157)26 Rückblickend bezeichnet er die Kriegsjahre als einen "unschätzbaren Trainingsplatz und Prüfstand" für zukünftige Aufgaben und nennt in diesem Zusammenhang explizit "den Wert von guten Kontakten mit einflussreichen Leuten als ein Instrument, um konkrete Ziele zu erreichen" (RockefeIler 2008: S. 169). Dass Rockefeller damit nicht ausschließlich Ziele zu seinem eigenem Nutzen anstrebte, zeigt sich in zahlreichen Fällen, in denen er von seinen sozialen Netzwerken Gebrauch machte, um - nach eigenen Aussagen - das Wohl der Gemeinschaft zu befördern. Dass er dabei seinen persönlichen und durchaus auch finanziellen Interessen nicht zuwider gehandelt hat, bildet aus vennögenskultureller Sicht nicht automatisch einen Widerspruch, solange der Mehrwert für das Gemeinwohl erreicht wird, was im Einzelnen noch unabhängig zu bewerten wäre. Genannt seien an dieser Stelle drei Beispiele: Rockefellers Einsatz jUr den Verbleib der Hauptverwaltung der Chase Manhattan Bank an der Wall Street In der Auffassung, "dass es lebensnotwendig war, den Finanzbezirk im Bereich der Wall Street am Leben zu erhalten, und dass die Chase in diesem Prozess die Führung übernehmen musste" (RockefeIler 2008: S. 224) kommt RockefeIlers Sorge um den Niedergang des Bezirks und die damit verbundenen Folgen für die Wirtschaft sowie die dort tätigen und lebenden Menschen zum Ausdruck. Dem wirkte er entgegen, indem er seine Kontakte zu einflussreichen Persönlichkeiten spielen ließ, wie beispielsweise zu dem Immobilienmogul Bill Zeckendorf, zu Nathaniel Owings, dem Mitgründer des großen ArchitekturbÜfos Skidmore, Owings & Merrill, zu Alfred Barr, dem legendären Chetkurator des Museum of Modem Art, oder zu Robert Moses, dem Verantwortlichen in der Stadtverwaltung. Mit deren Hilfe gelang es ihm schließlich, den Standort Wall Street zu sichern und ihm zu neuer Blüte zu verhelfen. Rockefellers Kampfum das Rockefeller Center und das World Trade Center in New York Angesichts des wirtschaftlichen Niedergangs des auch unter dem neuen Eigentümer noch immer unter dem Familiennamen finnierenden Gebäudekomplexes im Herzen Manhattans motivierte RockefeIler Mitte der 1990er Jahre den italienischen Industriellen Gianni Agnelli, den griechischen Reeder Stavros Niarchos sowie den Geschäftsfiihrer von Tishman Speyer, Jerry Speyer zu gemeinsamen Investitionen in das RockefeIler Center, um es aus den Händen der Mitsubishi Estate Corporation zu lösen und wieder in (teilweisen) Familienbesitz zu überfiihren. 1995 erwarb die Gruppe das Center, verringerte dessen Schuldenlast und nahm zahlreiche Umgestaltungen vor. RockefeIlers Engagement zahlte sich aus: "Im Jahr 2000 hatte das Center mit seinen generalüberholten Einrichtungen, dem Weltraumzeitalter entsprechenden Aufzügen, prominenten neuen Mietern wie dem Auktionshaus Christie's und einer Reihe gehobener Einzelhandelsgeschäfte seine Position als eine der kostbarsten Immobilien Amerikas wieder eingenommen." (RockefeIler 2008: S. 659) Einen ähnlichen Erfolg hatte er bereits in den 1970er Jahren bei seinem Engagement für den Bau des World Trade Centers verbuchen

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können. 27 Auch hier nutzte Rockefeller zur Vorantreibung des Projekts seine Kontakte zu einflussreichen Wirtschaftsführern und Politikern (unter anderem zu seinem Bruder Nelson, der damals Gouverneur von New York war). Rückblickend auf sein Engagement in New York City stellt er fest: "Unsere Bemühungen, der dem Untergang geweihten Innenstadt Leben einzuhauchen, war in jeder Hinsicht - Arbeitsplätze, Neubauten, Lebensqualität, Immobilienwerte und wirtschaftliche Aktivitäten - ein voller Erfolg gewesen und hatte unsere kühnsten Erwartungen bei Weitem übertroffen." (Rockefeller 2008: S. 538)

Rockefellers internationale Beziehungen, die ihm den TItel des " Weltbanlders" einbrachten David Rockefeller meint, er habe "nie gezögert, wenn es darum ging, die Führer zu treffen, die zu den militärischen und ideologisch hartgesottensten Gegnern meines Landes zählten, und mit Machthabern, deren despotischen und autokratischen Stil ich persönlich verabscheute. [...] Ich nutzte diese Gelegenheiten, denn ich war der Meinung, dass sich selbst die etabliertesten autoritären Systeme schließlich den überlegenen Werten unseres Systems beugen würden." (Rockefeller 2008: S. 307 f.) Im Laufe seines Lebens debattiert er mit nahezu jedem Führer der Sowjetunion und mit einer Vielzahl autoritärer Herrscher (wie Houari Boumedienne aus Algerien, Mobutu Sese SeJm aus Zaire, General Augusto Pinochet aus Chile oder Saddam Hussein aus dem Irak). Dieser internationale Austausch vollzog sich nicht nur im Rahmen geschäftlicher Beziehungen, sondem auch aufinstitutioneller Ebene durch Rockefellers Mitgliedschaften in diversen Organisationen. Unter anderem nahm er Teil am Council on Foreign Relations, an den umstrittenen Bilderberg-Konferenzen28 oder an der von ihm selbst initiierten Trilateralen Kommission. Von dieser Art "konstruktiven Engagements" verspricht sich Rockefeller, Einfluss im Sinne einer von ihm angestrebten besseren und gerechteren Weltpolitik nehmen zu können. Rockefellers Zusammenfassung seines Lebens als "stolzer Intemationalist" soll hier abschließend als Beispiel bewussten Netzwerkvermögens zitiert werden, auch wenn im Einzelnen noch zu prüfen bleibt, inwieweit seine persönliche Definition ,,konstruktiven Engagements" den Anforderungen vermögenslrultureller Transparenz gerecht wird: "Als Nachrichtenoffizier im Zweiten Weltkrieg habe ich gelemt, dass meine Leistungsfahigkeit von meiner Fähigkeit abhängt, ein Netzwerk von Menschen, die über zuverlässige Informationen verfUgen und vertrauenswürdig sind, aufzubauen. [...] Auf diese Weise war ich immer in der Lage, Menschen zu treffen, die mir bei der Erreichung von Zielen behilflich sein konnten und mir die Chance gaben, langfristige Freundschaften aufzubauen, die mein Leben außerordentlich bereichert haben." (Rockefeller 2008: S. 574 f.)

3. Resümee Zweifelsohne kommt injedem der drei dargestellten Beispiele eine gelebte Vermögenskultur im Sinne einer ,,Förderung und Pflege von materiellen und immateriellen Werte zum Schutze der individuellen, familiären und gesellschaftlichen Zukunftsgestaltung" (Druyen 2009: S. 30) zum Ausdruck. 29 Die Beispiele zeigen darüber hinaus, welch vielfältige Formen vermögens-

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kulturelles Handeln prinzipiell annehmen kann. Neben dem hier exemplarisch herangezogenen monetären und netzwerkerischen Vermögen existieren zahlreiche weitere Vermögenswerte, die an dieser Stelle nur auszugsweise genannt werden können: So stellen beispielsweise die Familie, das Alter, die Wissenschaft oder auch die Natur Potenziale dar, die es durch einen wertschätzenden Umgang - eine gelebte Vermögenskultur also - zu schützen, zu fördern und zu pflegen gilt, um eine lebenswerte Zukunft zu ermöglichen. Zurückkommend auf die vorliegenden Beispiele, soll abschließend die Frage geklärt werden, was diese jeweils im Besonderen aus- und kennzeichnet. Im Falle Gates' und Buffetts ist hierbei zunächst sicherlich das historisch einzigartige Ausmaß ihres für gemeinnützige Zwecke bereitgestellten Geldvermögens hervorzuheben. Doch dies ist nicht der eigentliche Grund, weshalb die beiden Milliardäre eingangs als Spitze einer zweiten Generation an Philanthropen bezeichnet wurden. Standen Andrew Carnegie und John D. RockefeIler einst für den Übergang von der christlich motivierten Karitas zu einer professionellen und nachhaltigen Philanthropie, so gelten Gates und Buffett heute als wesentliche Wegbereiter des sogenannten "Philanthrokapitalismus", einer zweiten Stufe der Professionalisierung im Bereich der Wohltätigkeit. Die auf die US-amerikanischen Journalisten Matthew Bishop und Michael Green und ihr gleichnamiges Buch (2008) zurückgehende Wortschöpfung setzt sich aus den Begriffen "Philanthropie" und "Kapitalismus" zusammen, wodurch die Bedeutung des Begriffes zu erahnen ist: Es ist die Anwendung der Instrumente des kapitalistischen Marktes auf den Bereich der Wohltätigkeit, die für eine neue Qualität der Philanthropie steht. So kennzeichnen sich Philanthrokapitalisten wie Gates und Buffett durch den Versuch, mittels Management-Strategien wie Evaluation, Ressourcen- und Effizienzkontrolle den "Output", hier also die soziale Wohlfahrt, zu maximieren. Die Übergänge zwischen einem so verstandenen Philanthrokapitalismus und dem im zweiten Beispiel vorgestellten Sozialunternehmertum Donna und Philip Berbers sind fließend und nicht ganz trennscharf, was sich auch in den Ausführungen Bishops und Greens widerspiegelt, die diese Professionalisierungstendenz mit Begriffen wie Creative Philanthropy, Venture Philanthropy beziehungsweise Philanthro-Entrepreneurs umschreiben. 30 In interviews und durch teilnehmende Beobachtung hat der US-amerikanische Journalist David Bornstein in seinem Buch Die Welt verändern (2006) charakteristische Merkmale des Sozialunternehmertums herausgearbeitet. Demnach kennzeichnen sich Sozialunternehmer unter anderem durch die Motivation für ein langfristiges Ziel, durch Kreativität, Hartnäckigkeit, hohe ethische Grundsätze und Empathie sowie durch die Fähigkeit, Benachteiligten zur Selbsthilfe zu verhelfen. All dies zeigt sich eindrucksvoll bei Donna und Philip Berbers Engagement für Äthiopien und wird gepaart mit einem stetigen Streben nach Effizienz und Nachhaltigkeit. Durch einen zielgerichteten, strategischen, wissenschaftlichen und marktbewussten Einsatz seitens der Berbers konnten sie die Situation tausender Äthiopier verbessern, was sie geradezu zum Musterbeispiel für sozialunternehmerisches Handeln macht. Wichtiger noch als die Vorantreibung der Professionalisierung der Philanthropie durch Donna und Philip Berber sowie durch Bill Gates und Warren Buffett erscheint deren Vorbildrolle für potenzielle Nachahmer. In diesem von Gates als "Multiplikator" bezeichneten Effekt, also der Potenzierung des jeweils geschaffenen Mehrwertes, zeigt sich das wohl zent-

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rale Element der hier dargestellten Beispiele gelebter Vermögenskultur durch Superreiche. Bereits 1899 beschrieb der Nationalökonom und Philosoph Thorstein Bunde Veblen (1986) einen solchen von ihm genannten "Trickle-down-EtTekt", der sich im Kern durch ein stufenweises "Herabsickern" (engl. trick/e) - in diesem Fall des "demonstrativen Konsums" der "feinen Leute" - durch die gesellschaftlichen Schichten kennzeichnet. Begreift man den Konsumbegriff in einem sozialökonomischen Sinne als die Befriedigung von Bedürfnissen des Menschen mit wirtschaftlichen Mitteln (vgl. Oldenberg 1923: S. 190), so lässt sich Gates', ButTetts und Berbers Einsatz monetären Vermögens für wohltätige Zwecke - verstanden als eine Form "moralischen Konsums" - aufVeblens Theorie derfeinen Leute übertragen. Tatsächlich kann in den letzten Jahren eine Zunahme humanitären Engagements durch Superreiche beobachtet werden, die sich zu Teilen zumindest als Resultat von Nachahmungs- oder Ausstrahlungseffekten deuten lässt (vgl. zum Beispiel Bernstein; Swan 2007: S. 276 tT.; Frank 2009: S. 170 tT.): Der derzeit auf Rang eins der Forbes Billionaires List stehende Mexikaner Carlos Slim Hehl plant zum Beispiel, die Ausstattung seiner Stiftungen bis 2011 auf zehn Milliarden US-Dollar zu erhöhen, der eBay-Gründer Pierre Omidyar setzt sich für das von Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus initiierte Konzept der Mikrokredite ein und die hierzulande aktiven SAP-Gründer Hasso Plattner, Klaus Tschira und Dietmar Hopp haben allesamt große Teile ihres Privatvermögens in von ihnen gegründete gemeinnützige Stiftungen eingebracht. 3l Im Rahmen einer allgemein zunehmenden Vermögenskultur bilden diese Superreichen nur die Speerspitze. ,,75 Prozent des gesamten Geldes von Non-Profit-Vereinen [in den USA; DB] kommt von der Mittelschicht", stellt Susan Hutchison fest, Geschäftsfiihrerin des Charles Simonyi Fund for Arts and Sciences (zitiert nach Spudich 2009). Gutes tun ist keine exklusive Angelegenheit von Milliardären oder Millionären. Immer mehr Menschen engagieren sich für die Gemeinschaft (vgl. Deutsche Bundesregierung 2010) und spenden dabei nicht nur Teile ihres Geldes, sondern auch schwer quantifizierbare Vermögenswerte wie Zeit, Talent oder Erfahrung. Auch auf der Ebene der Superreichen erschöpft sich vermögenskulturelles Handeln nicht im Einsatz materiellen oder monetären Vermögens. Die Nutzung sozialer Netzwerke zum Wohle der Allgemeinheit, die sich bei David RockefeIler in zahlreichen Fällen gezeigt hat,32 stellt einen Vermögenswert dar, der theoretisch vollkommen unabhängig von der jeweiligen finanziellen Situation durch jeden Einzelnen umgesetzt werden kann. Gelebte Vermögenskultur kennzeichnet sich somit ganz allgemein durch den Einsatz des eigenen Geistes und den verantwortungsvollen Umgang mit Vermögen - ob materieller oder immaterieller Art - im Hinblick auf die Ermöglichung eines Vermögensaufbaus anderer (vgl. Druyen 2007: S. 50).

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Anmerkungen Dies kann monetäres Vermögen ebenso sein wie der Einsatz verschiedener immaterieller Vermögenswerte (wie zum Beispiel des Alters und der Weisheit, der Familie oder auch des Sozial- beziehungsweise Netzwerkvermögens).

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Im dritten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung erfolgt daher eine integrierte Betrachtung sowohl des Einkommens (anband der 200-Prozent-Grenze) als auch des Vermögens. Nach dieser werden mehr Personen als reich eingestuft als bei der isolierten Betrachtung des Einkommens. Aus Sicht der Vermögenskulturforschung ist die hier bestimmte Reichtumsgrenze zu tief angesetzt und bedarf einer absoluten, vermögensbasierten Differenzierung.

3

Frei verfilgbares Kapitalvolurnen ist definiert als "die Summe der Geld.anlagen eines Haushalts ohne den Rückkaufwert von Lebens- und privaten Rentenversicherungen sowie nach Abzug eventueller privater Kreditverpflichtungen. Dazu zählen die folgenden Kapitalvermögensformen: Wertpapiere (festverzinsliche und andere), Bausparverträge und Spareinlagen (Bankkonten und Sparbücher)." (Lauterbach; Kramer 2009: S. 285)

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Als Netto-Finanzvermögen ist das Finanzvermögen exklusive Sarnmlerstücke, Gebrauchsgegenstände, langlebige Konsumgüter und als Hauptwobnsitz dienende Immobilien definiert (vgl. Capgemini; Merrill Lynch 2010: S. 3).

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Der Rcichtumsliste der irischen Sonntagszeitung Sunday Independent vom 14. Oktober 2010 folgend (vg!. www.independent.ielbusinessirich-list).zähItPhilip Berber (vgl. 2.2.) mit einem Geldvermögen von 195 Mio. Euro (also rund 250 Mio. US-Dollar) streng genommen zur Gruppe der "Reichen" (genauer: der "UHNWIs").

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Ebenso die Fokussierung auf das männliche Geschlecht. Aktuelle Zahlen des amerikanischen Forbes-Magazins zeigen dessen Dominanz im Bereich der Superreichen jedoch recht deutlich: Unter den insgesamt 1.011 gelisteten billionaires im Jahre 2010 befinden sich lediglich 89 Frauen.

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Neben der generellen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts vorherrschenden woblfabrtsstaatlichen Prägung sind drei wesentliche Gründe hierfür auszumachen: der Erste Weltkrieg und die darauffolgende Hyperinflation, die zahlreiche Stiftungseinlagen vernichtete; der Nationalsozialismus, in dem nicht nur die Einlagen jüdischer, sondern auch vieler sonstiger Stiftungen aufgelöst beziehungsweise umgewandelt wurden; die Gründung der DDR und die damit einhergehende Überfilhrung privater Stiftungsvermögen in Staatsbesitz.

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Nach der im November 2006 veröffentlichten Studie International Comparisons ofcharitable giving der Charities Aid Foundation (CAF; vgl. www.cafonline.org)werden in den USA 1,67 Prozent des Bruttonationalprodukts gespendet. Für Deutschland liegt dieser Wert bei nur 0,22 Prozent.

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Neben einer im Vergleich zu Deutschland höheren Erbschaftssteuer ist es vor allem der großzügigere Umgang mit der sogenannten "Spendenabzugsquote", der philanthropisches Handeln in den USA beflügelt. Während in Deutschland nur 20 Prozent der gestifteten oder gespendeten Beträge von der Steuer abgesetzt werden können, gewährt das amerikanische Steuerrecht Abzüge von bis zu 50 Prozent.

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Laut der Forbes Billionaires List 2010 ist nur ein Mann reicher als die beiden US-Milliardäre, nämlich der Mexikaner Carlos Slim Hehj mit einem geschätzten Vermögen von 53,5 Mrd. US-Dollar.

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Nach Forbes-Magazin, Ausgabe vom 29. März 2010.

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Vg!. ebd.

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Meldungen zufolge (vg!. Warren Buffett: Nachfolger dringend gesucht. In: www.finanzen.net. 28. Oktober 2009) besteht eine Art "Gegenleistung" darin, dass Gates die Nachfolge Buffetts im Verwaltungsrat von "Berkshire Hathaway" antritt, wo er bereits Vorstandsmitglied ist.

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Diesen Gedanken fUhrt Camegie in seinem Ende des 19. Jahrhunderts erschienenen Werk Das Evangelium des Reichtums (eng!. Gospel of Wealth) aus, das für den Übergang von der christlich motivierten Karitas zur pro-

fessionellen Philanthropie steht und in dem die Konzentration großer Vermögen und der verantwortungsvolle Umgang hiermit als Chance für die Gesellschaft betrachtet wird..

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Weitere 14 Prozent von Buffetts Privatvermögen kommen ebenfalls wohltätigen Zwecken zugute. So unterstützt er beispielsweise die jeweiligen Stiftungen seiner drei Kinder sowie die den Namen seiner verstorbenen

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Daniel Brenner Frau tragende Susan Buffett Foundation, die im Bereich der Wissenschaftsfllrderung in den USA aktiv ist (vgI. Gloger 2006).

16

Vg\. Foundation Center Onlin.e (http://foundationcenter.org/findfundersitopfunders/toplOOassets; Stand: 11. Juli 2010) sowie Auswärtiges Amt Online: Beiträge zum Haushalt der Vereinten Nationen (www.auswaertiges-amt.de).

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Da es sich hierbei um eine private Einrichtung handelt, die der persönlichen Lebensauffassung der Stifter entsprechend organisiert ist, ist die Frage nach den Grenzen ihrer Macht und ihres Einflusses auf Politik und Gesellschaft durchaus legitim. Der staatlichen Aufsicht und Kontrolle im Stiftungswesen kommt in Zukunft große Bedeutung zu.

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Vg\. Website der Stiftung (www.gatesfoundation.org).

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Dass sich die Weltbank eine engere Zusammenarbeit mit privaten Gebern auf die Agenda gesetzt hat, zeigt sich beispielsweise im Kontext der Intemationalen EntwickIungsorganisation IDA (International Development Association), die seit der Präsidentschaft Robert Zoellicks vermehrt auf einen Austausch mit Privatspendem setzt.

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Hierbei handelt es sich um die erste und größte gemeinnützige, international ausgerichtete Organisation, deren Ziel es ist, gesellschaftliche Probleme mit den Instrumenten der Marktwirtschaft adäquat zu lösen. über ein von Stiftungen finanziertes Budget unterstützt die Organisation weltweit changemaker, das heißt Frauen und Männer mit innovativen Konzepten zur Lösung gesellschaftlicher Probleme. Bis heute fllrderte sie so rund 3.000 Sozialuntemebmer - darunter auch Muhammad Yunus, der ftIr sein durch Ashoka unterstütztes Mikrokredit-Programm im Jahre 2006 den Friedensnobelpreis erhielt.

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Bereits zehn Jahre zuvor verkaufte Berber sein Unternehmen Financia, das Software ftIr Investmententscheidungen entwickelte. 1993 wechselte er zu der Investmentgesellschaft GK Capital, ehe er zwei Jahre spllter das Projekt CyBerCorp startete.

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Ziel dieser relativ drastisch erscheinenden Maßnahme ist die Schaffung von Unabhängigkeit. Berber bemerkt hierzu: "Die Entwicklungsllinder sind mittlerweile abhängig von Almosen. [...] Subventionen sind zu einem Anrecht geworden. Hoffnung besteht weder aufSeiten der Geber, noch auf der der Empfilnger. Das wollen wir ändern." (zitiert nach Frank 2009: S. 185)

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RockefeIler selbst bemerkt hierzu: "Ich habe meinem Vater [der als großer Philanthrop in die Geschichtsbücher einging; DB] nachzueifern versucht, indem ich mein Leben lang nicht profitorienti.erte Organisationen unterstützt habe. Ich hielt auch über 60 Jahre lang enge Verbindungen zur Rockefeller University, und dieses Engagement empfand ich als zutiefst befriedigend." (2008: S. 669)

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Nach Forbes-Magazin, Ausgabe vom 29. März 2010.

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Wünschenswert erscheint aus Sicht des Verfassers eine kritischere Auseinandersetzung David RockefeIlers mit diesem Thema. Die lapidare Bemerkung, wonach sein Großvater lediglich nach "damals üblichen Geschäftsgebaren" (RockefeIler 2008: S. 16) agiert habe, ist sicherlich fragwürdig. Zwar wurde der Ölbaron in der Tat nie juristisch belangt, doch gingen die 1890 seitens der US-Regierung erlassenen Antitrust-Gesetze ganz wesentlich auf John D. RockefeIlers Sr. geheime Absprachen mit den Eisenbahngesellschaften zurück und hatten zum Ziel, das übermächtige Standard Oil-Imperium zu zerschlagen.

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Bei den Informanten handelte es sich vor allem um Diplomaten der Alliierten, deren Kontakt mit David Rockefeller aufden kanadischen Premierminister und Freund des Vaters, William Lyon Mackenzie King, zurückging.

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Bis zu seiner Zerstörung am 11. September 2001 durch islamistische Terroristen war das World Trade Center nicht nur Touristenrnagnet, sondern auch Arbeitsstätte tausender Menschen sowie wirtschaftlicher Umschlagplatz. Es trug daher wesentlich zur Wiederbelebung der New Yorker Innenstadt bei.

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Aufgrund der strengen Geheimhaltung der Themen, die zwischen international bedeutenden Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Medien und Gewerkschaften besprochen werden, kursieren zahlreiche Verschwörungstheorien rund um diese Treffen. RockefeIler hingegen beschreibt die Bilderberg-Konferenz leicht ironisch als "ein wirkliches und ungemein interessantesjlihrliches Diskussionsforurn [...], bei dem Thc-

Untemehmerisches Engagement: Beispiele gelebter Vermögenskultur durch Superreiche

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men behandelt werden, die sowohl Europäer als auch Nordamerikaner betreffen, ohne jemals einen Konsens zu erzielen" (RockefeIler 2008: S. 564). 29

Bekanntlich gibt es fIlr die gewählten Beispiele - insbesondere im Falle Gates' und Rockefellers - anders lautende Einschätzungen, die kritische Aspekte ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Dies macht deutlich, dass auch vennögenskulturelles Handeln ständig überprüft, kritisch hinterfragt und der jeweils geschaffene Mehrwert letztlich in Relation zu etwaigen Verfehlungen gesetzt werden muss.

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Als Abgrenzungsmerkmal gilt allgemein, dass Philanthrokapitalisten im Gegensatz zu Sozialuntemehmem von Anbeginn ihres Engagements die Ressourcen Geld, Zeit und Unabhängigkeit mitbringen. Wie wir am Beispiel des Multimillionärs Philip Berber gesehen haben, ist jedoch auch eine solche Abgrenzung nicht eindeutig.

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Durch das jüngst von Gates und Buffett gestartete Projekt The Giving Pledge, das eine mindestens 50-prozentige Abgabe des Gesamtvennögens von Superreichen vorsieht, sind zudem noch weitere prominente Nachabmer zu erwarten. Waren es mit Eli Broad, John Doerr, Gerry Lenfest und John Morgridge zunächst vier Milliardäre, die die Bereitstellung von Teilen ihres Vermögens fIlr wohltätige Zwecke zugesagt haben, stieg deren Zahl binnen weniger Wochen auf 40, mittlerweile 57 Mitstreiter an.

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Über die Definition des Wohles der Allgemeinheit und über die zu pflegenden Werte kann man freilich streiten. So handelt es sich bei den "überlegenen westlichen Werten", von denen Rockefeller spricht und die er weltweit verbreiten will, um eine subjektive, nicht von jedermann geteilte Einschätzung. Zudem meinen manche Beobachter - nicht immer ganz unbegründet -, im Einsatz von Netzwerkvennögen durch Superreiche das Wirken von "Geldmachtapparaten" zu erkennen, die als eine Art "Nebenregierung" zum demokratischen Parteiensystem einen nicht legitimierten, aber äußerst bedeutenden Machtfaktor darstellen (vgI. Krysmanski 2004).

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"Es wird hier einfach erwartet" Philanthropie in den USA und in Deutschlandl Petra Krimphove

Deutschland macht sich auf den Weg Rund um den Globus sind die Finanzmärkte von der amerikanischen Bankenkrise erschüttert worden. Die Jahre 2008 und 2009 waren auch für die Philanthropie eine turbulente Zeit. Stiftungen und private Vennögende weltweit verloren Milliardenbeträge. Etliche Organisationen in Deutschland und den USA mussten ihre Zuwendungen kürzen und ihre Finanzplanung neu überdenken. Für das Jahr 2010 waren weitere Einschnitte angekündigt. Dennoch tat die Geldvernichtung der Entwicklung der Philanthropie offenbar keinen wirklichen Abbruch: Etliche amerikanische Stiftungen erhöhten sogar in der Krise ihre Ausschüttungen, um den von ihnen abhängigen Dritten Sektor nicht zu sehr in Mitleidenschaft zu ziehen. 2 In Deutschland stieg die Zahl der neu gegründeten Stiftungen weiter. 3 Es scheint, als hätten die Krise an den Kapitalmärkten und die damit einhergehende massive Staatsverschuldung zur Rettung maroder Banken und Unternehmen das Bewusstsein für die Notwendigkeit privaten Engagements eher noch verstärkt. Zugleich zeigen sich zwischen der deutschen und der amerikanischen Philanthropie deutliche Unterschiede, im Grunde ist es sogar zu früh, im deutschen Kontext den BegriffPhilanthropie zu verwenden. Zwar engagieren sich in Deutschland Millionen Menschen in Vereinen oder sozialen Einrichtungen, Vennögende spenden beträchtliche Beträge an Hochschulen, für die Kunst oder soziale Zwecke. Eine selbstverständliche gesellschaftliche Grundhaltung, eine Kultur des Gebens, wie sie sich hinter dem amerikanischen Philanthropie-Begriff verbirgt, liegt diesem Handeln jedoch nicht zugrunde. Eine solche Kultur war in der Bundesrepublik lange Zeit nicht vonnöten und wurde entsprechend nicht eingefordert. Schließlich stellte die öffentliche Hand eine gut ausgebaute Infrastruktur der sozialen Absicherung, kulturellen Versorgung und Bildung bereit und bat seine Bürger über hohe Abgaben zur Kasse. Doch seit einigen Jahren werden die Lücken in der Daseinsfürsorge immer größer: Mittlerweile kümmern sich überall im Land private Initiativen wie die Arche in Berlin um Kinder, die in ihren Farnilien keine geregelten Strukturen und feste Mahlzeiten geboten bekommen. Fast 850 Einrichtungen der Tafel verteilen mit Hilfe von Spendern und ehrenamtlichen Helfern an sozial schwache Bürger kostenlos Lebensmittel. Diese Helfer sind das Glück im Unglück: Sie beweisen, dass zahlreiche Menschen bereit sind., sich bürgerschaftlich für Schwächere zu engagieren, wenn man sie braucht. Dabei werden viele Initiativen von Vennögenden mit Spenden in ihrer Arbeit unterstützt und begleitet. Mit den Versorgungslücken wachsen

T. Druyen (Hrsg.), Vermögenskultur, DOI 10.1007/978-3-531-92086-3_7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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private Initiativen. Die Chancen, dass sich in Deutschland derzeit eine eigene Form der Philanthropie entwickelt, stehen gut. Der von Thomas Druyen geprägte Begriff "Vermögenskultur" könnte hier eine wichtige sprachliche Altemative zu dem abstrakten Philanthropie-Begriffbieten. Vermögen in Druyens Definition ist nicht nur ein finanzielles Gut, sondern jede besondere persönliche Fähigkeit, die aufirgendeinem Gebiet in fast jedem schlummert. Wer diese Schätze zum Wohle der Gemeinschaft einsetzt, macht sie zum Vermögen. Die Stärke von Druyens Begriff ist, dass er Zeit- und Geldspenden und alle sozialen Schichten der Gesellschaft einbezieht und darüber hinaus die gesellschaftliche Dimension dieses Handelns betont. Erst diese macht das Handeln Einzelner zur Vermögenskultur. Bei der Entwicklung einer solchen Vermögenskultur und somit der weiteren Stärkung der deutschen Engagement- und Stiftungskultur bieten die USA wertvolle Anregungen. Jenseits des Atlantiks scheint auf, was in deutschen Reden seit Jahren eingefordert wird: Zeichen einer aktiven Bürgergesellschaft, die sich selbst und nicht den Staat als wichtigsten Akteur ihres Gemeinwesens sieht. Engagement ist in den Vereinigten Staaten eine Selbstverständlichkeit, deren Motivation nicht mehr öffentlich debattiert werden muss. Kinder lernen bereits in Familien, Kindergarten, Schulen und Gemeinden, wie wichtig und notwendig ihr eigener Beitrag für das Gemeinwesen ist. Das gleiche gilt für Vermögende: Wem die amerikanische Gesellschaft den Aufstieg zu Reichtum und Einfluss ermöglicht, der gibt gemeinhin einen Teil davon an eben diese Gesellschaft zurück - in einer Mischung aus persönlicher Dankbarkeit und der Reaktion auf eine öffentliche ElWartungshaltung. Durch diese lange zivilgesellschaftliche Tradition haben sich professionelle Strukturen der Philanthropie und des bÜfgerschaftlichen Engagements entwickelt, die für den deutschen Weg sinnvolle Anregungen bieten können. Das unterschiedlich ausgeprägte gesellschaftliche Verantwortungsgefühl der Bürger in beiden Ländern hat historische, gesellschaftliche und religiöse Gründe. Lange Zeit gab es in Deutschland mehr Hemmnisse als Antriebskräfte für eine starke Zivilgesellschaft. Zum einen bremste - wie der Soziologe Ralf Dahrendorf so treffend beschrieben hat - der preußische Obrigkeitsstaat die bürgerliche Emanzipation. Darüber hinaus machte später ein umfassendes soziales Sicherungssystem und ein bis in die Bevormundung fürsorglicher Staat den bürgerschaftlichen Einsatz, anders als in der USA, nicht strukturell notwendig. Dass sich eben diese Notwendigkeit geändert hat, scheint eines der Motive für das Erstarken der deutschen Zivilgesellschaft. Ohne Frage sind die Voraussetzungen für eine neue Vermögenskultur in Deutschland gut: Neben die Einsicht, dass zivilgesellschaftliches Handeln nötiger ist denn je, gesellt sich der erfreuliche Faktor, dass zahlreiche Menschen in diesem Land über beachtliche Vermögen verfügen. Nur in den USA leben laut der berühmten Forbes-Liste mehr Milliardäre als in Deutschland. Offensichtlich ist jedoch auch, dass große finanzielle Ressourcen allein keine Philanthropie erzeugen. Sie bilden nur eine - wenn auch wesentliche - Voraussetzung für diese. Notwendig ist zuallererst ein zivilgesellschaftlicher Konsens über die Mitverantwortung jedes Einzelnen für die Gemeinschaft - und letztlich auch für seine eigene Biografie.

Philanthropie in den USA und in Deutschland

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Ja zur Nation - Nein zum Staat Das persönliche Engagement der US-Bürger für ihre Gesellschaft ist tief in die Kultur eingegraben. In diesem Kontext ist Philanthropie in den USA ein geläufiger Begriff, der keiner Erläuterung bedarf. Er benennt sowohl die gesellschaftliche Norm des Engagements als auch die vielen Formen, in denen dieses seinen praktischen Ausdruck findet. Zwneist wird Philanthropie dabei in Zusammenhang mit den Geldspenden der reichen Oberschicht verwendet und deckt sowohl Spenden, Mäzenatentwn und Stiftungsgründungen als auch die damit verbundenen ehrenamtlichen Tätigkeiten in hochrangigen Gremien ab. Die freiwilligen Tätigkeiten der US-Bürger werden hingegen unter dem Begriff Volunteering subsumiert. 4 Die hohe Beteiligungsrate am zivilgesellschaftlichen Miteinander ist ein lebendiger Ausdruck der Überzeugung, dass nicht der Staat, sondern seine Bürgerinnen und Bürger für ihr Gemeinwesen verantwortlich sind. Prägnant formulierte dies Präsident John F. Kennedy in seiner häufig zitierten Aufforderung: "Überlege nicht, was das Land für Dich tun kann, sondern was Du für Dein Land tun kannst." Kennedy sprach von seinem Land, nicht vorn Staat - wohl wissend, dass die US-Bürger ihren politischen Vertretern häufig kritisch und misstrauisch begegnen, ihr Land aber mit einern für Europäer zuweilen befremdlich anmutenden Pathos verehren. So entspringt das selbstverständliche bürgerschaftliche Engagement zugleich dem Gedanken, lieber selber gesellschaftlich gestalterisch aktiv zu sein, als das feme Washington oder die Regierung des jeweiligen Bundesstaates zu sehr in das eigene Leben eingreifen zu lassen. Dabei nehmen sich die Bürger nicht als Ausfallbürgen wahr, sondern agieren aus der Überzeugung heraus, dass ein gewollt schwacher Staat im Gegenzug engagierter Menschen bedarf, damit das gesellschaftliche Zusammenleben funktioniert. Die tiefe und weit verbreitete Abneigung gegenüber staatlichen Eingriffen in das Leben der Bürger hat historische Wurzeln. Die USA gründen geradezu auf dieser Einstellung. Die europäischen Siedler, die sich im 17. Jahrhundert an der Ostküste niederließen, flohen vor der religiösen und politischen Unterdrückung in ihrer Heimat. Sie landeten in einer Welt, die, was die gesellschaftliche Ordnung betraf, noch ein unbeackertes Feld war. Hier bot sich viel Rawn zur neuen sozialen Selbstdefinition und zugleich die Notwendigkeit, neue Strukturen zu schaffen statt sich in bestehende zu integrieren. In dieser Zeit sehen viele Historiker nationale Charakterzüge begründet, die bis heute Teil der amerikanischen Mentalität sind. Nicht nur die Überzeugung, dass das Glück mit den Tüchtigen ist, trieb die Siedler an, auch die Basis der ausgeprägten kommunalen Selbstverwaltung wurde hier gelegt. Das System der loeal governanee basiert auf unzähligen Wahlämtern, in den Schuldistrikten, den Wasserdistrikten, den Planungs- und Transportdistrikten. ,,In 83.000 kommunalen Verwaltungseinheiten werden rund eine halbe Million Amtsträgerinnen und -träger direkt vorn Volk gewählt"5, schreibt die Engagement-Forscherin Sabine Lang. Hier werden an der Basis demokratische Tugenden eingeübt, hier stellen sich Bürger Jahr für Jahr zur Wahl, um mitzugestalten. Zwar existierten auch in dieser neuen Nation von Beginn an Ungleichheiten, aber sie waren nicht mehr durch Standesunterschiede definiert, sondern ökonomischer Natur. Eben

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die Absenz von Standesunterschieden machte es zugleich notwendig, dass sich der Bürger im öffentlichen und politischen Raum selbst definierte und sich Anerkennung verschaffte da ihm die Gesellschaft keinen festen Platz zuwies. Das starke öffentliche Engagement der US-Bürger ist also auch vom Bemühen öffentlicher Selbstdefinition angetrieben. Noch heute sagt die Zugehörigkeit zu dem Aufsichtsrat einer renommierten Einrichtung viel über den sozialen Status einer Person aus.

Jeder ist seines Glückes Schmied Amerikaner wachsen mit zahlreichen Vorbildern auf, die den sozialen Aufstieg aus eigener Kraft bewältigt haben. Der Glaube an die eigene Chance ist Teil des amerikanischen Traums. Die bestehende ökonomische Ungleichheit wird nicht als Widerspruch zu diesem Credo erlebt, sondern ist Teil von ihr. Während der europäische Demokratiebegriffnivellierte Lebensbedingungen durch staatliche Umverteilung anstrebt, beruht der amerikanische aufdem Prinzip der Chancengleichheit, er setzt also am Beginn und nicht am Resultat an. Die Türen zum Erfolg sollen allen, die hart arbeiten, offen stehen. Dieser Traum scheint trotz aller gegen ihn sprechenden Fakten nicht ausgeträumt: Laut Umfrage glauben 98 Prozent der Amerikaner, dass jeder in ihrem Land die Chance auf einen sozialen Aufstieg hat - wenn er oder sie sich bemüht. Vor diesem Hintergrund werden soziale Unterschiede mit einer für Europäer erstaunlichen Gelassenheit hingenommen; zum einen, weil die Erfolglosen in diesem Konzept selbst die Verantwortung für ihr Scheitern tragen, zum anderen weil ihre trostlose Lage nicht zementiert ist: Theoretisch können auch sie, sobald sie sich bemühen, die soziale Leiter hinaufsteigen. Entsprechend genießen jene, die aus eigener Leistung ein Vermögen erarbeitet haben, höchsten Respekt. Das Wort Sozialneid findet kein Äquivalent in der englischen Sprache. Diese Anerkennungskultur darfbei der Philanthropie-Debatte nicht unterschätzt werden: Amerikanische Vermögende haben anders als deutsche keinen Grund, ihren Reichtum zu verstecken, da er ihnen gegönnt wird. Wer sich Besitztümer erarbeitet hat, der zeigt sie stolz und ohne Scheu - und gibt im Normalfall einen Teil davon an die Gesellschaft zurück. Philanthropie ist in den USA ein wichtiger öffentlicher Akt, der Anerkennung verspricht. Auch das amerikanische Steuersystem basiert auf der Überzeugung, dass der Staat seinen Bürgern finanziell genügend Spielraum lassen muss, um aus eigener Kraft erfolgreich zu sein. Aus diesem Grund ist die Einkommenssteuer in den USA erheblich niedriger als in Deutschland. Erben, die nichts für den Geldsegen geleistet haben, werden jedoch nicht geschützt. Entsprechend hoch fällt die Erbschaftssteuer für hohe Vermögen aus und trägt damit in den USA zu einer gewissen Umverteilung bei. Nicht zuletzt profitiert davon der Dritte Sektor: Viele Vermögende lehnen zwar dynastischen Reichtum ab, sehen eine Umverteilung durch den Staat jedoch ebenso kritisch. Dann verteilen sie ihr Geld schon lieber nach ihren eigenen Vorstellungen: Viele Milliarden Euro fließen jedes Jahr aus diesem Grund aus Vermächtnissen in Organisationen des Dritten Sektors oder in Stiftungen.

Philanthropie in den USA und in Deutschland

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In God we trust - der Einßuss der Religion Wer die Engagementkultur und den Nationalcharakter der Amerikaner untersucht, stößt rasch auf den starken Einfluss der Religion. Die USA sind vom Glauben und insbesondere vom Calvinismus geprägt. 80 Prozent der Bürger bezeichnen sich als religiös. Der Soziologe Robert Putnam schreibt: "Religion ist ein wichtiges formales soziales Kapital in Amerika, vermutlich wichtiger als in Europa. Die Hälfte des sozialen Kapitals aller Amerikaner ist religiöser Art - die Hälfte unserer Wohltätigkeit, die Hälfte unserer Ehrenämter, die Hälfte unserer Organisationsmitgliedschaft. "6 Dabei mag die strenge Heilslehre der Puritaner den heutigen Protestanten nicht mehr im Originaltext präsent sein, aber sie hat sich tief in die Volksseele eingegraben. Die puritanischen Siedler folgten Calvins Lehre. Diese propagierte nicht nur die strikte Trennung von Kirche und Staat - hier findet sich die verbreitete Staatsskepsis wieder -, sondern betonte zudem gemeinschaftliche Selbsthilfe quasi als Gegenprogramm zu staatlichem Handeln. Zugleich erklärt der Calvinismus das amerikanische Vertrauen auf die eigenen Möglichkeiten und die Wertschätzung selbst erarbeiteten Erfolgs. Der Geist des Protestantismus verfestigte zugleich die Ablehnung kollektiver Sicherungssysteme. Dies bedeutet jedoch nicht, die Ärmsten in ihrer Not vollkommen allein zu lassen. Viehnehr plädieren die Staatsskeptiker dafür, dass private Philanthropie und religiös motivierte Nächstenliebe staatliche Interventionen ersetzt. In der Tat sind religiöse Vereinigungen die Hauptquellen von Wohltätigkeit in den USA. Kirche und Glaube haben nicht nur eine gesellschaftliche und spirituelle Dimension, sie nehmen auch im Alltag vieler US-Bürgerinnen und Bürger einen hohen Stellenwert ein: Die Gemeinden sind für viele der Fixpunkt ihres Soziallebens. Hier wird nicht nur gebetet, sondern auch bürgerschaftliches Engagement und Philanthropie eingeübt. In den rund 300.000 amerikanischen Gemeinden sind zahlreiche der freiwilligen Helfer zu finden, die die Quote für das zivilgesellschaftliche Engagement in den USA so hoch treiben. Das Aspen-Institut geht davon aus, dass in religiösen Kongregationen der USA rund 45 Millionen Volunteers arbeiten, davon 60 Prozent in religiösen Aufgaben wie dem Gottesdienst oder der religiösen Erziehung. Viele andere sind mit karitativen Aufgaben beschäftigt. So unterhalten zahlreiche Gemeinden Suppenküchen, Kleiderkammern oder Wohnungsprojekte. Neben Schule und Elternhaus sind die Gemeinden das wichtigste Übungs- und Betätigungsfeld für zivilgesellschaftliches Engagement.

Engagement liegt nicht in den Genen Laut einer Gallup-Studie aus dem Jahr 1998 sind 56 Prozent aller über 18-jährigen US-Amerikaner bürgerschaftlieh engagiert. 7 Das sind immerhin 109 Millionen US-Bürger. 59 Prozent der Jugendlichen leisten Freiwilligenarbeit, und zwar durchschnittlich 3,5 Stunden in der Woche. 35 Prozent der amerikanischen Haushalte gaben an, dass Engagement Teil ihres Familienlebens sei. Auffallend ist: Wer sich engagiert, spendet auch besonders viel. Spenden und

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Engagement sind also für viele keine Alternativen, sondern ergänzen sich in den Biografien. Engagierte spenden im Durchschnitt 2,5 Mal so viel wie nicht Engagierte. Dabei ist Konsens der Beteiligten, dass Philanthropie ein Wert ist, der gepflegt und gefördert werden muss - oder wie der US-Philanthropie-Experte Peter Frumkin sagt: "Geben ist kein spontanes Verhalten, das in einem Vakuum stattfindet, sondern eine sozial konditionierte Handlung. "8 Philanthropisches Denken und Handeln muss also der kommenden Generation vermittelt werden. In allen Gesellschaftsschichten sind Eltern dabei für Kinder das erste und wichtigste Vorbild. Sie werden in dieser Rolle von vielen Seiten unterstützt. Bücher geben Tipps, wie der Philanthropie-Gedanke in Familien an die nächste Generation vermittelt werden kann. 9 Amerikanische Bildungseinrichtungen sorgen dafür, dass der Geist des Gebens geübt wird. "Service-Learning" - wörtlich übersetzt "das Lernen des Dienens" - steht seit zwei Jahrzehnten auf dem Stundenplan vieler Schülerinnen und Schüler. Es soll eine zivilgesellschaftliche Mentalität fördern aber auch die persönliche Entwicklung der Schüler unterstützen. Service-Learning-Programme gab es 1999 bereits an 46 Prozent der High Schools, außerhalb des Lehrplans boten über 80 Prozent der High Schools Möglichkeiten für ein freiwilliges Engagement an. IO Der Staat wiederum fördert das Engagement auf vielfältige Weise: In der Corporation for National Service, einem unabhängigen staatlichen Dienst, sind drei bundesweite Programme zusammengefasst, in denen Amerikaner aller Altersgruppen auf kommunaler Ebene bürgerschaftlich aktiv werden können. In allen fiinfzig Bundesstaaten gibt es diese Programme an nahezu der Hälfte aller High Schools ll , 1997 (neuere Zahlen sind nicht verfügbar) nahmen 12,76 Millionen Schüler daran teil, mit steigender Tendenz. Die Teilnehmer sammeln in zahlreichen kommunalen Einrichtungen Erfahrungen: in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, Parkanlagen, Freizeiteinrichtungen und Schulen, wo sie beispielsweise schwächere Schüler unterstützen. Zugleich, so zeigen die wissenschaftlichen Auswertungen des Programms, erhöhte sich die soziale Kompetenz der Teilnehmer. Die Programme spiegeln die Einsicht, dass gesellschaftliches Engagement ein Lernprozess ist, der einer Unterstützung bedarf. Wer zuhause keine Vorbilder in diesem Punkt hat, der findet sie in der Schule oder vielleicht in der Gemeinde. Zudem machen Amerikaner häufig die Erfahrung, dass sich Engagement auszahlt. Während in Deutschland kaum eine Universität und längst nicht alle Arbeitgeber ehrenamtliche Arbeit von Bewerbern positiv in die Bewertung einbeziehen, ist diese in den USA sehr häufig Voraussetzung, um von einer renommierten Universität oder einem Arbeitgeber akzeptiert zu werden. Die Vereinigten Staaten bieten also erheblich mehr Raum und Möglichkeiten zum Volunteering, umgekehrt erwartet die Gesellschaft von ihren Bürgern diesen freiwilligen Einsatz. Und, was nicht weniger bedeutend ist: Die Gesellschaft belohnt bürgerschaftliches Engagement durch Anerkennung im privaten und beruflichen Bereich.

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Spendenweltmeister USA In keinem anderen Land der Erde werden ähnlich große Summen gespendet wie in den USA Im Jahr 2008 waren es trotz Finanzkrise dem Bericht Giving USA zufolge 307,6 Milliarden Dollar,12 also 2,2 Prozent des Bruttosozialprodukts und mit Abstand die höchste Quote weltweit. Dabei stammten 75 Prozent des Geldes von einzelnen Bürgern, 12 Prozent von Stiftungen, 8 Prozent aus Erbschaften und 5 Prozent von Unternehmen. Zwar ist der Griff ins eigene Portemonnaie für den guten Zweck für fast alle Amerikaner selbstverständlich. Die außergewöhnliche Höhe des Spendenaufkommens ist jedoch in erster Linie den Reichen und Super-Reichen zu verdanken. US-Bürger mit einem Einkommen oberhalb von 200.000 Dollar und einem Vermögen von über einer Million Dollar stellen 3,1 Prozent der amerikanischen Haushalte, von ihnen stammen aber zwei Drittel der Privatspenden in den USA. Das ergab eine Studie der Bank ofAmerica und des Center on Philanthropy aus dem Jahr 2006. 13 Laut ihrer Steuerklärungen haben immerhin 94 Prozent der US-Bürger mit einem Bruttoeinkommen von 100.000 Dollar und mehr etwas gespendet. Besonders unter den Normalverdienern ist die Religiösität eine wichtige Antriebsfeder für ihre Großzügigkeit und die Gemeinde häufig der Kanal, durch den ihre Spende fließt. Hier offenbart sich ein wichtiger Unterschied zu Deutschland. Die USA kennen keine Kirchensteuer. Da sich die Gemeinden ausschließlich durch Spenden finanzieren und zudem die Bindung an ihre Kirche bei den meisten US-Bürgern ausgeprägter ist als in Europa, sind großzügige regelmäßige finanzielle Zuwendungen eine Selbstverständlichkeit. So erklärt sich wohl auch, dass laut Giving USA rund ein Drittel aller Spendengelder direkt in die Kirchengemeinden und ihre vielfliltigen sozialen Aufgaben fließt: Das sind immerhin 100 Milliarden Euro jährlich. Allerdings sinkt der Anteil der Spenden für religiöse Gemeinschaften mit Höhe des Einkommens der Spender. Liegt er im US-Durchschnitt bei 60 Prozent, spenden Reiche nur noch 22 Prozent ihres Budgets an Gemeinden. Sie geben ihr Geld häufiger direkt an Organisationen und Stiftungen, insbesondere jene, die Bildung und Kunst fordern. Die Absenz der Kirchensteuer in den USA ist weit mehr als eine fiskalische Frage, sie besitzt vielmehr eine zivilgesellschaftliche Dimension. Da in den USA die Gabe an die eigene Gemeinde ein bewusster Akt ist, wird mit ihr von Kindesbeinen an auch ein Stück Spendenkultur eingeübt. Welche Summe die Gemeinde erhält, bestimmt nicht das Finanzamt, sondern jedes Mitglied selbst. Es muss selbst über seinen Anteil reflektieren und ihn vor sich und der Gemeinde verantworten. Bereits Kinder werden von ihren Eltern angehalten, einen Teil ihres Taschengeldes für ihre Gemeinde beiseite zu legen. In der Philanthropie gegenüber ihrer Kirche lernen Amerikaner so von Anfang an, Geld und Zeit zu geben, und sie begreifen früh, dass ihnen wichtige Institutionen auf ihre Unterstützung angewiesen sind.

Nicht lockerlassen: Fundraiser An dem gewaltigen Spendenaufkommen in den USA hat die professionelle Riege von Fundraisern einen erheblichen Anteil "Die große Mehrheit der Spenden erfolgt als Reaktion auf eine Anfrage", resümieren die Soziologen Rene Bekkers and Pamela Wiebking nach der Ana-

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lyse zahlreicher Studien zu Motiven philanthropischen Handelns. 14 Zudem wissen die Spender, dass viele Organisationen ohne ihre Zuwendungen schlicht nicht existenzfähig wären. Das gilt nicht nur für Non-Profit-Organisationen, sondern ebenfalls für die gesamte kulturelle Infrastruktur. Während in Deutschland öffentliche kulturelle Institutionen wie Museen und Theater zu 80 Prozent vom Staat finanziert werden, ist das Verhältnis in den USA genau umgekehrt. Dort sind private Gelder die Basis des Finanzplans. Eine effektive Fundraising-Abteilung ist heute das Fundament jeder Einrichtung, die auf Spenden angewiesen ist. Die erfolgreichsten ihrer Zunft arbeiten in amerikanischen Bildungseinrichtungen. Amerikanische Fundraiser sind Vollprofis und kennen ihre Zielgruppen sehr genau. Sie können für ihre Arbeit aufzahlreiche Studien über das Spendenverhalten der amerikanischen Bevölkerung zurückgreifen. Und es geht um viel Geld: Nach Schätzungen des Boston College Center on Wealth and Philanthropy werden zwischen 1998 und 2052 allein in den USA 41 Billionen US-Dollar an die nächste Generation vermacht werden. Ein nicht geringer Teil davon wird in die Philanthropie fließen.

Philanthropie als sozialer Kodex der Elite In den USA existiert gegenüber Vermögenden nicht nur eine in Deutschland unbekannte Anerkennungskultur, sondern ebenfalls eine Einforderungskultur, ein Anspruch auf gute Taten, den die Oberschicht internalisiert hat. Philanthropie gehört nicht nur zum guten Ton, NichtEngagierte setzen sich - anders als in Deutschland - der Gefahr der gesellschaftlichen Missachtung aus. Rund um das philanthropische Engagement ranken sich zudem zahlreiche gesellschaftliche Ereignisse und Funktionen, die das Ganze zum sozialen Ereignis machen. Auf CharityVeranstaltungen, Board-Meetings und Fundraising-Dinners trifft und formiert sich die Elite des Landes. Für sie gehören diese Veranstaltungen zu den wichtigen Terminen in ihrem Kalender. Für die New Yorker Reichen sei, so die Soziologin Francie Ostrower, Spenden und Engagement die Norm, eine moralische Verpflichtung, die ihre gehobene Stellung in der Gesellschaft von ihnen veriangt.15 Amerikas Reiche nehmen ihre philanthropischen Aufgaben genauso ernst wie die Leitung ihres Unternehmens - sie betreiben sie professionell und mit viel Aufwand. Häufig sitzen sie in den Aufsichtsräten und Kontrollgremien der Stiftungen, der Grad der Identifikation mit der guten Sache ist groß: 61 Prozent der Befragten mit einem Einkommen oberhalb von 200.000 Dollar jährlich gaben an, Mitglied des Aufsichtsrats einer Non-Profit-Organisation zu sein, 61,8 Prozent halfen Organisationen beim Einwerben von Spenden. 16 Aufdiesem Weg wird man zum Teil eines sinnstiftenden Ganzen - und festigt zudem seine soziale Stellung. Das mit der Philanthropie verbundene Prestige ist stark von der Art der Einrichtung abhängig, für die man sich engagiert. Für Amerikas Reiche erhöhen Spenden und Engagement für Kultur- und Bildungseinrichtungen eher die Reputation als ihr Einsatz für eine karitative Sache. Ostrower spricht von einer philanthropischen Hierarchie. In dieser :führen Spenden für Schulen, Universitäten und Kultureinrichtungen die Skala an, dann folgen medizinische Ein-

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richtungen und erst an vierter Stelle soziale Organisationen. Häufig unterstützen Reiche dabei jene Einrichtungen, in denen sie selbst erzogen wurden, und jene Museen und Opern, die sie selbst besuchen. Philanthropie konzentriert sich hier auf den eigenen sozialen Lebensraum. Allerdings steht diese Engagementhierarchie durchaus in Einklang mit dem amerikanischen Gesellschaftsbild. Die reichen Spender wollen ganz in der Tradition der Philanthropie-Pioniere RockefeIler und Camegie nicht Ausfallbürge für fehlende staatliche Sozialleistungen sein. Neben gesellschaftlichen Antriebsfedern darf beim Thema Philanthropie ein weiteres Motiv nicht vergessen werden: Wer spendet und stiftet, kann diese Beträge von der Steuer absetzen - und zwar in sehr viel höherem Maß als in Deutschland. Das nationale Steuerrecht gewährt Abzüge in Höhe von bis zu 50 Prozent des zu versteuernden Einkommens. Zudem stärkt das verbreitete Misstrauen gegenüber dem Staat die Ansicht, jeder Dollar sei besser in einer guten Sache als bei der Steuer angelegt. I? Das große Vorbild der zeitgenössischen Philanthropie ist der Microsoft-Gründer Bill Gates, der mittlerweile rund 40 Milliarden US-Dollar Vermögen in die Bill-und-Melinda-GatesStiftung eingebracht hat. Seine erklärten Vorbilder sind Andrew Camegie und John D. Rockefeller, die vor hundert Jahren die professionelle US-Philanthropie in den USA etablierten. Beide Männer setzten sich in Schriften mit dem Sinn und Zweck des Gebens auseinander, entwarfen Konzepte für eine ihrer Meinung nach nachhaltige Philanthropie und kanalisierten ihre Spenden schließlich durch große professionelle Stiftungen. 18

Professionalisierung der Philanthropie In den 1960er Jahren erlebten die USA einen wahren Stiftungsboom. Jedes Jahr wurden 1200 neue Stiftungen gegründet, ein Trend der auch von Banken angetrieben wurde, die Stiftungen als ideale Steuersparmodelle anpriesen. Reiche Bürger setzten Personen ihres Vertrauens an die Spitze ihrer Foundation und taten - diskret und unbeobachtet von der ÖffentlichkeitGutes in ihrem eigenen Sinne. Wie ihre Stiftungen arbeiteten, wen sie unterstützten, das blieb weitgehend Privatsache. Doch 1969 war für Stiftungsgründer die Zeit des unbehelligten und unbeobachteten Handelns vorbei. Mit dem Tax Reform Act wurden US-Stiftungen unter anderem zu größerer Transparenz gezwungen und bekamen strenge Vorschriften auferlegt, von denen die deutsche Stiftungslandschaft auch 40 Jahre später noch weit entfernt ist: Seither müssen US-Stiftungen unter anderem ihre Jahresberichte und Steuererklärungen jedermann zugänglich machen. Der Anteil von Unternehmen an Stiftungen wurde begrenzt. Weiterhin sind Stiftungen verpflichtet, jährlich fiinfProzent ihres Vermögens auszugeben. Wenn sie diesen Betrag nicht erwirtschaften, müssen sie ihr Kapital antasten. Die 1970er Jahre wurden zum Jahrzehnt der Neuorientierung. Dabei waren die Stiftungen klug genug, aus vergangenen Versäumnissen zu lernen. Sie gründeten 1970 ein Committee on the Foundation Field., beschlossen, ihre Informationspolitik zu verstärken, unabhängige Forschung zu unterstützen, die Beziehung zur Politik und Zivilgesellschaft zu intensivieren und zu verbessern sowie standards 01goodpractice einzufiihren.

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Von 1973 bis 1975 erarbeitete die so genannte Filer-Kommission eine umfassende Bestandsaufnahme der Philanthropie in den USA und analysierte den Einfluss von Stiftungen und Wohlfahrtsorganisationen und deren Vemetzung mit der Wirtschaft. Der Filer-Report war ein Meilenstein. Neben der ersehnten Transparenz gab er den Akteuren der Non-Profit-Welt, die zuvor in den Kategorien Geldgeber (Stiftungen) und Empfänger (NGOs) dachten, die Einsicht, im selben Boot zu sitzen. Eine Non-Profit-Identität bildete sich heraus. In der Folge schossen neue Organisationen und Verbände aus dem Boden, Philanthropie wurde zum öffentlichen, politischen und akademischen Thema. 1978 entstand an der Yale University das erste ,'program on Nonprofit Organizations". Zudem stieß die amerikanische Philanthropie aus ihren eher konservativen Wurzeln in neue gesellschaftliche Themenbereiche vor, die die 68-Bewegung aufgebracht hatte: Graswurzel-Organisationen brachten Themen wie Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit, Antirassismus und Ökologie in die Stiftungswelt ein, eher links gerichtete Erben besetzten neue Felder für philanthropisches Handeln. Stiftungen sind heute ein tragender Pfeiler der amerikanischen Zivilgesellschaft. Im Jahr 2009 verwalteten sie ein Vermögen von 533 Milliarden Dollar. Die mehr als 75.000 vom amerikanischen Foundation Center erfassten Stiftungen schütteten 2008 insgesamt 41,2 Milliarden Dollar aus. 19 Diese Summe stammt nicht nur aus den Erträgen des eigenen Vermögens. Stiftungen haben eine Zwitterstellung, indem sie zugleich Empfänger von Spenden und Geber von Zuwendungen sind - für einige Philanthropen sind sie eine professionelle Zwischeninstanz, der sie die sinnvolle Verwendung ihres Geldes zutrauen. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich in den USA rund um das Thema Philanthropie ein blühender eigener Wirtschaftszweig entwickelt. Stiftungen und Non-Profit-Organisationen sind große Arbeitgeber. Keine Schule, kein College, kein Museum und Krankenhaus - kurzum keine Einrichtung in den USA, sei sie privater oder öffentlicher Natur, kommt (auch wegen mangelnder öffentlicher Gelder) ohne Fundraiser aus. Berater vennitteln zwischen Philanthropen und NGOs und entwickeln Strategien, Vermögensverwalter sorgen fiir die richtige Rendite des Stiftungsvermögens, Zeitschriften berichten über die neusten Trends in der Stiftungswelt und beim Fundraising, Forscher analysieren die Motive großer Spender und die Entwicklung des Dritten Sektors, Event-Agenturen organisieren die vielen Wohltätigkeitsveranstaltungen im Land, Headhunter suchen nach geeigneten Führungskräften fiir die ehrenamtlichen Positionen in den Aufsichtsräten der gemeinnützigen Organisationen. Dass Philanthropie sich mit jeder Generation neue Wege und Konzepte sucht, zeigt, dass sie in den USA ein integraler und lebendiger Bestandteil der Gesellschaft ist. Deutschland muss aufdem Weg dahin jedoch einige Hürden überwinden.

Deutschland: Das schwere Erbe des Obrigkeitsstaates Die USA sind auf ihrer Zivilgesellschaft gegründet, in Kontinentaleuropa musste diese hingegen erst gegen die aristokratische und dann gegen die staatliche Herrschaft erkämpft werden. Der Soziologe Ralf Dahrendorf unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen der angelsächsischen Bürgergesellschaft und der kontinentaleuropäischen Staatsgesellschaft, in

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der die Zivilgesellschaft einen schwereren Stand hat: "Sie muss ihre Spielräume ständig neu dem Staat abtrotzen. Der Staat war immer schon da, wo sie ihre Initiative entfalten will."20 Im Rahmen dieser Staatsgesellschaft gab es im Deutschland des 19. Jahrhunderts durchaus ein philanthropisches Bürgertum. Diese Entdeckung ist Bürgertumsforschern wie Manuel Frey, Jürgen Kocka und Thomas Adam zu verdanken. In ihren Publikationen ist nachzulesen, wie das Zusammentreffen von wirtschaftlichem Aufschwung, nationaler Begeisterung und einer bürgerlichen Elitenkultur in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in großem Maße mäzenatisches Handeln beförderte. Wie bei amerikanischen Philanthropen so war auch die Großzügigkeit deutscher Wohltäter unter anderem von dem Wunsch motiviert, sich als Teil der Oberschicht zu definieren. Um 1900 gab es in Deutschland vermutlich rund 100.000 Stiftungen, heute sind es rund 16.000. Philanthropie war am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Teil der deutschen bürgerlichen Kultur und diente auch wohlhabenden US-Bürgern als Vorbild. 21 Zahlreiche heute öffentlich verwaltete deutsche Museen, Kunstgalerien und Konzerthäuser gehen auf private Initiativen zurück. So wurde das bekannte Leipziger Gewandhaus-Orchester von Leipzigs Oberschicht gegründet, finanziert und betrieben. Erst mit der Wende zum 20. Jahrhundert löste der Staat die bürgerliche Philanthropie allmählich ab. Adams Beschreibung der bürgerlichen Philanthropie im Leipzig des 19. Jahrhunderts erinnert an Alexis de Tocquevilles bewundernde Schilderung der amerikanischen Zivilgesellschaft. Ein großer Unterschied ist allerdings, dass amerikanische Bürger zu jener Zeit erheblich größeren politischen Einfluss besaßen, ja dass sie - in Abwesenheit feudaler Strukturen - das politische Leben in der noch jungen Demokratie selbst bestimmten. So entspringt philanthropisches Handeln in den USA von Beginn an einer starken Zivilgesellschaft. In Deutschland stützte es im 19. Jahrhundert die Klassengesellschaft des Kaiserreiches und sollte den Gönnern ihren Platz in ebendieser Hierarchie sichern. Philanthropie hatte eine konservative Funktion und war keinesfalls auf gesellschaftlichen Wandel eingestellt. Die Verunsicherung, die die politischen Verhältnisse der Weimarer Republik und die noch junge Demokratie im etablierten Bürgertum auslösten, beschleunigte den Niedergang der wilhelminischen Mäzenatenkultur. Die mit privaten Mitteln gegründeten Institute und Einrichtungen wandten sich an die öffentliche Hand mit der Bitte um finanzielle Unterstützung. Der Staat musste einspringen, wo die Bürger als Finanzierungsquelle ausfielen. Die Nationalsozialisten zerstörten schließlich endgültig die Grundlagen für ein engagiertes Mäzenatentum. Mit Hitler und seinem Feldzug gegen die "entartete Kunst" wurde Deutschlands lebendige Museumslandschaft gleichgeschaltet und Mäzene wurden überflüssig. Viele der großzügigsten Stifter im deutschen Kaiserreich waren Juden, sie wurden beraubt, aus dem Land getrieben oder in Konzentrationslagern ermordet. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Zahl der Stiftungen auf 5000 geschrumpft.

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Vom Ehrenamt zur Großorganisation Vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert hinein existierte auch auf sozialem Gebiet in Deutschland eine ausgeprägte Kultur bürgerschaftlichen Engagements. Es nahm seinen Ausgang in dem Gedanken der Karitas, der christlichen Nächstenliebe, organisierte sich dann in privaten Vereinen, bis es sukzessive vom erstarkenden (Sozial)Staat und den professionellen Wohlfahrtsverbänden abgelöst wurde. Dort mutierte es zu einem in hierarchische Strukturen eingebetteten ehrenamtlichen Engagement, das mit selbstbestimmten zivilgesellschaftlichem Handeln nur noch wenig gemein hat. Das klassische Ehrenamt in den Wohlfahrtverbänden spiegelt häufig auch heute noch das Verhältnis des deutschen Bürgers zu seinem (Obrigkeits) Staat. Wer sich engagieren will, bekommt dort zumeist eine Aufgabe innerhalb der Organisation zugewiesen, er fügt sich in deren Strukturen ein. 22 Die fast vollständige Verdrängung privater Wohltätigkeit vollzog sich mit dem Ersten Weltkrieg. Das durch ihn verursachte gewaltige Elend überforderte die private Fürsorge. Das Reich gewährte eine staatliche Existenzsicherung, die Gemeinden unterstützten bei Bedürftigkeit die Familien. Zum ersten Mal gab es Kriterien und einen Rechtsanspruch auf diese Leistungen. Hier - und nicht bei Bismarcks Sozialgesetzen - begann der deutsche Wohlfahrtsstaat, mit Existenz sichernden und einklagbaren Leistungen und einer eigenen Verwaltungsstruktur. Zug um Zug hatte der Staat den privaten Initiativen die Verantwortung für die Fürsorge aus der Hand genommen, auch weil diese die wachsenden Aufgaben nicht mehr bewältigen konnten. Durch die Industrialisierung war in einigen Regionen ein Arbeiterproletariat entstanden, dessen Betreuung die Kapazitäten freier Initiativen überstieg. Der Erste Weltkrieg und die Weltwirtschaftskrise verschärften das Elend in den Städten weiter. RalfDahrendorfmacht dann auch den Aufstieg des Staates - und den zeitgleichen Abstieg der Bürgergesellschaft an eben diesen enormen sozialen und ökonomischen Umwälzung fest: "Der Aufstieg des Staates im 20. Jahrhundert war kein historischer Zufall. Die Bürgergesellschaft war nicht mehr kräftig genug, um mit den Nöten der Menschen fertig zu werden. Die Erfordernisse moderner Industriegesellschaften überstiegen die Fähigkeit freiwilliger Instanzen, zivilisierte Lebensbedingungen für alle zu erhalten. "23 Noch im Kaiserreich hatten Staat und Wohlfahrtverbände gemeinsam ein Netz sozialer Sicherung gespannt - durchaus aus jeweils eigenem Interesse. Bismarck wollte der Arbeiterbewegung den revolutionären Wind aus den Segeln nehmen, die konfessionellen Wohlfahrtsverbände wurden wiederum durch ihre tragende Rolle in der sozialen Sicherung langfristig gestärkt. Die großen Verbände professionalisierten ihre Strukturen und riefen Spitzenverbände ins Leben. Bereits 1849 war der Centralausschuss für die Innere Mission der deutschen evangelischen Kirche gegründet worden, 1897 folgte der Caritasverband, 1917 die ZentralwohlfahrtssteIle der Deutschen Juden, 1919 der Hauptausschuss der Arbeiterwohlfahrt, 1921 das Deutsche Rote Kreuz, 1924 der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband. Die Historiker Christoph Sachße und Florian Tennstedt nennen diese Phase den Wandel von "bürgerlicher Selbstorganisation" zur "professionellen Großbürokratie".24 In der Weimarer Verfassung wurde dann 1924 die Grundlage der öffentlichen Fürsorge gelegt: Von nun an war der Staat für die Verwaltung und Finanzierung der Fürsorge zustän-

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dig. Dort, wo die Vereine professionell organisiert waren, übertrug die öffentliche Hand den privaten Organisationen Aufgaben und finanzierte sie. Nur wo noch keine Strukturen existierten, baute er eigene auf. Hier liegen die Wurzeln der engen Verwobenheit des Staates mit den Wohlfahrtsverbänden. Das Subsidiaritätsprinzip, wie es auch heute noch in Deutschland praktiziert wird, wurde im Gesetz festgeschrieben und stärkte die Bedeutung der Freien Wohlfahrtsverbände. Sie standen zur rechten Zeit mit professionellen Strukturen bereit und sicherten so auf lange Zeit ihren Einfluss. Heute sind die großen konfessionellen Wohlfahrtsverbände - die Caritas und die Diakonie - wesentliche Pfeiler des deutschen Sozialstaats und werden vorwiegend aus Steuermitteln finanziert. Die Caritas ist mit 490.000 Mitarbeitern der größte private Arbeitgeber in Deutschland. Die 26 Diakonischen Werke in Deutschland beschäftigen 425.000 hauptamtliche Mitarbeiter. Zugleich sind sie nach wie vor zentrale Orte fUr das klassische bÜfgerschaftliche Engagement. Die Diakonie zählte Anfang 2006 rund 400.000 Ehrenamtliche und Engagierte, die Caritas rund 520.000.25 Die in diesen kirchlichen Wohlfahrtsorganisationen Tätigen sind zu 80 Prozent weiblich und verfügen über eine enge Kirchenbindung. In diesem Fall ist wie in den USA der religiöse Glaube eine wichtige Motivationsquelle fUr das Engagement. Die Wohlfahrtpftege ist eine dauerhafte Allianz mit der Politik eingegangen. Diese enge Verbrüderung hat auch das deutsche Denken über freiwilliges Engagement nachhaltig geprägt - es hat im wahrsten Sinne des Wortes staatstragende Funktion.

Das neue Engagement Parallel zum klassischen Ehrenamt hat sich in der Bundesrepublik in den vergangenen Jahrzehnten eine neue Form zivilgesellschaftlichen Engagements herausgebildet. Bürgerinnen und Bürger schließen sich nicht mehr nur Vereinen oder Sozialverbänden, sondern auch Protestgruppen an, zum Beispiel Bürger-, Menschenrechts- oder Umweltinitiativen. Mit ihnen ist das Spektrum für bürgerschaftliches Engagement breiter geworden, es tritt heraus aus der zitierten staatstragenden Funktion. Der Zustrom in diese jüngeren Organisationen des Dritten Sektors wird von Zivilgesellschaftsexperten mit Freude beobachtet. Sie erwarten von der Entwicklung eines "neuen Ehrenamts" eine "Rückkehr der Bürger" und eine erstarkende Zivilgesellschaft. Die neue Generation wird bei ihrem Engagement häufig von anderen Motiven getrieben als ihre Väter und Mütter. Standen beim klassischen Ehrenamt noch Pflichtmotive, Gemeinschaftsorientierung und eine enge soziale Bindung an den Verein und seine Mitglieder im Zentrum, so sind jüngere Engagierte auch auf der Suche nach Selbstverwirklichung und Selbsterfahrung und möchten sich durch ihr Engagement neue Kompetenzen und Qualifikationen aneignen. 26 An dem Erstarken neuer Formen des zivilgesellschaftlichen Engagements haben die neuen Medien einen gehörigen Anteil: Durch das Internet können sich Aktionsgruppen heute in Windeseile vernetzen und zu Aktionen verabreden, sie können sich aufvirtuellen Plattformen austauschen, Strategien planen, sich Anregungen von Gleichgesinnten aus andern Ländern holen und Menschen leichter für ihr Anliegen gewinnen als zu Zeiten der gedruckten Information. Das World Wide Web ist für die neue Zivilgesellschaft was die Dampfma-

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schine für die Industrialisierung war - es hat die Kommunikation als Basis zivilgesellschaftlichen Engagements in eine neue Dimension katapultiert. Dieses neue Bürgerverständnis - das sich jenem in den USA annähert - kann natürlich nicht ohne Einfluss auf das Verhältnis von Staat und Bürger bleiben. Wo der Bürger sich einmischt und mitmischen will, wo Menschen zivilgesellschaftliche Verantwortung übernehmen wollen, da soll der Staat Platz machen. Der Staat muss den aktiven Bürger tolerieren statt ihn nach seinen Vorstelllungen zu lenken. Wissenschaftler sprechen in diesem Zusammenhang vom "ermöglichenden Staat", der die Beteiligung der Bürger fördert - auch wenn sie manches Mal unbequem ist.

Spenden in Deutschland Die Deutschen seien zwar keine Spendenweltmeister, konstatieren die Autoren einer Maecenata-Studie, aber im europäischen Vergleich könne man ihnen durchaus eine ,,Kultur des Gebens" bescheinigen. Thre Schätzung der Gesamtsumme bewegt sich zwischen drei und sechs Milliarden Euro pro Jahr. 27 Im Vergleich zu den USA, in denen 2008 über 300 Milliarden US-Dollar gespendet wurden, erscheint dies verschwindend wenig. Dabei darf jedoch ein grundlegender struktureller Unterschied nicht außer acht gelassen werden: In den USA fließen 30 bis 40 Prozent der Gesamtspenden und fast 50 Prozent aller Spenden aus privater Hand an die religiösen Gemeinden, in Deutschland finanziert sich die Kirche jedoch über Zwangsabgabe der Kirchensteuer, die von den Finanzämtern eingezogen wird. Diese Summe erscheint folglich nicht in der Spendenstatistik. Durch ihren Zwangscharakter für Kirchenmitglieder ist die Kirchensteuer alles andere als eine freiwillige Spende - dennoch ersetzt sie für viele die ansonsten wohl freiwillig getätigte Zuwendung an die Kirche oder die eigene Gemeinde. Daher sollte sie in die Betrachtung der deutschen Spendenbereitschaft mit einbezogen werden: Im Jahr 2007 nahmen die katholische und die protestantischen Kirchen in Deutschland zusammen etwa 8,6 Milliarden Euro Kirchensteuer ein. 28 Addiert man die Kirchensteuer zu den geschätzten fünf Milliarden Euro Spenden und vervierfacht die Summe, um sie in das Verhältnis zu der fast viermal so hohen Bevölkerungszahl der USA zu setzen, verringert sich zwar der Abstand zu den USAaber er bleibt enorm. Die deutsche Summe ergibt hoch- und in Dollar umgerechnet rund 70 Milliarden - dem stehen die erwähnten 300 Milliarden Dollar des amerikanischen SpendenmarktesgegenübeL Da sich die Deutschen in Katastrophenzeiten durchaus als großzügig erweisen, zeigt, dass sie spenden, wenn sie hartnäckig dazu aufgefordert werden und die Notwendigkeit ihrer Hilfe sehen. Spendengalas im Fernsehen und Artikelserien in Zeitungen setzen wichtige Handlungsimpulse. Im Alltag werden Deutsche jedoch sehr selten mit Fundraisern konfrontiert, das Fundraising-Geschäft steckt noch in den Kinderschuhen. Doch es ist absehbar, dass sich dies ändern wird. Je stärker Organisationen auf private Spenden angewiesen sind, je professioneller ihre Fundraiser agieren, desto häufiger werden Deutsche in Zukunft mit Anfra-

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gen konfrontiert werden. Wahrscheinlich wird dies das Spendenaufkommen deutlich in die Höhe treiben, denn amerikanische Fundraising-Experten bestätigen, dass viele Spenden einen Impuls benötigen. Ein tatsächliches Hemmnis hierzulande ist die relativ hohe Steuerbelastung der Bürger. Die Argumentation der Deutschen könnte also lauten: Ich finanziere durch hohe Steuern, wofür US-BOrger spenden. Beides sind Transferleismngen. Mit einem Unterschied: Während der deutsche Bürger wenig Einfluss darauf hat, welche Einrichtung letztlich welche Summen aus dem Steuertopf erhält, kann der amerikanische Spender sein Geld gezielt verteilen. Die Bürger entscheiden, wohin ihr Geld fließt - und die Einrichtungen stehen mit ihren Konzepten und Handlungen in einem enormen Wettbewerb um die Gunst der Geber. So sind Amerikaner durch ihre Spenden viel stärker in gesellschaftliche Entscheidungsprozesse einbezogen. Insofern sind Spenden mehr als der spontane Griff in den Geldbeutel, sie sind ein wichtiger Teil bürgerschaftlichen Engagements. Wenn sie wie im Fall der deutschen Kirchensteuer durch eine Zwangsabgabe ersetzt werden, beschneidet dies zugleich die Chance, dieses Engagement bewusst zu praktizieren.

Das Comeback der Stifterkultur Mehr Bewegung als auf dem Spendenmarkt zeigt sich in Deutschland aufdem Stiftungssektor. Deutschlands Stifterkultur blüht fast wie einst in der wilhelminischen Ära, das vermitteln zumindest die Erfolgszahlen, die der Bundesverband Deutscher Stiftungen regelmäßig publiziert. In den sieben Jahren zwischen 2000 und 2008 hat sich die Anzahl an Stiftungen bOrgerlichen Rechts von 8700 auf knapp 16.406 verdoppelt. 2007 wurden erstmals mehr als 1000 Stiftungen gegründet, im Jahr 2008 waren es 1.020. Besonders ausgeprägt ist die Stiftungskultur in traditionell bürgerlichen Orten wie Frankfurt, Hamburg oder München, besonders schwach hingegen nach wie vor in den neuen Bundesländern. wo das DDR-Regime Stiftungen fast ausgelöscht hat. Dort musste nach der Wiedervereinigung quasi bei Null begonnen werden. Noch liegen - was die Größe betrifft - die alten traditionsreichen Stiftungen vom, doch die neuen Organisationen holen spürbar auf und setzen frische Akzente. Der mit 5,2 Milliarden Euro Vermögen finanzstärksten Robert Bosch Stiftung folgte 2008 wie auch 2007 die Dietmar Hopp Stiftung des gleichnamigen SAP-Gründers mit rund 2,9 Milliarden Euro Stiftungskapital,29 Neben Hopp sind auch die SAP-Mitgründer Klaus Tschira, Hans-Werner Hector und Hasso Plattner zu Milliardären geworden und engagieren sich für die Gesellschaft in der sie leben. Damit ist das SAP-Quartett zu einer prägenden neuen Kraft in der deutschen Stiftungslandschaft geworden. Insgesamt haben die Vier viele hundert Millionen Euro in ihre Projekte investiert - und dennoch ist ihr Handeln nur in kleinen Kreisen bekannt. Auch das ist ein Zeichen, welch geringen gesellschaftlichen Stellenwert Philanthropie in Deutschland besitzt. Dabei sind auch andere deutsche Unternehmer seit Jahrzehnten philanthropisch aktiv. Zu den bekanntesten gehören Michael Otto, der das Unternehmen seiner Familie zum global erfolgreichsten Versandhaus ausbaute, der Schraubenfabrikant Würth, der Schuhfabrikant Deichmann oder der Reeder Peter Krämer, der gemeinsam mit der Nelson-Mandela-Stiftung

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den Aufbau von Schulen in Afrika unterstützt. Der Verleger Florian Langenscheidt hat gemeinsam mit seiner Frau den Verein Children for a Better World gegründet und motiviert unermüdlich andere Wohlhabende, sich zu beteiligen. Mehr als 12 Millionen Euro hat der Verein, der 2007 in eine Stiftung umgewandelt wurde, bereits in Projekte investiert, die das Leben benachteiligter Kinder verbessern sollen. Motive der deutschen Stifter sind, anders als jene der US-Pendants, noch wenig erforscht. Einen der wenigen Einblicke in die Beweggründe von Philanthropen bietet die Stifterstudie der Bertelsmann Stiftung: Thr Autor Karsten Timmer wertete 629 von Stiftern ausgefüllte Fragebögen aus und führte zwanzig Interviews. Dabei fragte er die Stifter auch nach ihren Motiven. Sie ähneln jenen, die New Yorker Philanthropen im Gespräch mit Francie Ostrower nannten: der Wunsch, etwas bewirken zu wollen, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen und auch, der Gesellschaft etwas zurückzugeben. 30 Zu dem neuen Schwung in der Stiftungslandschaft hat auch eine Gesetzesänderung beigetragen. Seit 2007 haben sich mit dem "Gesetz zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements" die Abzugsmöglichkeiten für Spenden fast verdreifacht - aufnun eine Million Euro jährlich. Zuvor galten in Deutschland folgende Grenzen: Zuwendungen an Stiftungen waren bis zu einer Höhe 20.450 Euro pro Jahr absetzbar. Wer (s)eine Stiftung erstmalig mit Vermögen ausstattet, konnte bis zu 307.000 Euro über einen Zeitraum von zehn Jahren steuerlich geltend machen. Für Spenden existierte eine Höchstgrenze der Abzugstahigkeit von fünf Prozent des Bruttoeinkommens bei Förderung gemeinnütziger Zwecke und zehn Prozent bei Förderung mildtätiger Zwecke. Dieses Limit wurde 2007 einheitlich auf20 Prozent angehoben. Das neue Gesetz erleichtert nicht nur die Ausstattung einer neuen Stiftung, sondern auch Zustiftungen. Derzeit sind zahlreiche Stiftungen in Deutschland mit einer sehr dünnen Vermögensdecke ausgestattet. Nun ist es möglich, diese Kapitaldecke kräftig zu erhöhen und dabei die gleichen Abzugsmöglichkeiten zu genießen wie bei der Gründung einer neuen Stiftung. Experten halten dies für einen wichtigen Schritt, um der weiteren Zersplitterung der Stiftungslandschaft entgegen zu wirken. Denn die Zahl der Stiftungen allein sagt wenig über deren Einfluss aus, vielmehr muss ein genauer Blick auf die Kapitalausstattung geworfen werden. Alles in allem sind deutsche Stiftungen im Durchschnitt mit erheblich weniger Kapital ausgestattet als ihre amerikanischen Pendants. Über weniger als 50.000 Euro Stiftungskapital verfUgen 16 Prozent, hier bewegen sich die jährlichen Ausschüttungen im einstelligen Tausenderbereich. Nur sieben Prozent der Stifter haben mehr als 2,5 Millionen Euro eingebrachtund selbst deren Schlagkraft ist begrenzt. 31 "Ein Stiftungsvermögen von 2,5 Millionen Euro bringt bei einer jährlichen Rendite von vier Prozent einen Stiftungsetat von 100.000 Euro", rechnet Philanthropie-Expertin Ise Bosch vor. "Das entspricht knapp den Kosten für ein EinPersonen-Büro - und Sie haben noch keinerlei Förderung getätigt."32 Das Ausgabevolumen der deutschen Stiftungen ist also meist gering - da sie ihr Vermögen nicht antasten dürfen. Der Bundesverband Deutscher Stiftungen schätzt, dass in deutschen Stiftungen etwa 100 Milliarden Euro Kapital gebunden sind (allein die Gates-Stiftung verfUgt über rund 40 Milliarden US-Dollar); 7 Milliarden Euro schütten die Stiftungen aus Erträgen und Spenden aus (allein die Gates-Stiftung schüttet rund 2,5 Milliarden US-Dollar aus). Um die Schlagkraft der vielen kleinen Stiftungen zu erhöhen, halten es Stiftungsexper-

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ten für sinnvoll, deren Arbeit und finanziellen Einsatz zu bündeln. Derzeit können viele Stiftungen überhaupt nur operativ tätig sein, weil sie neben den Erträgen aus dem Stiftungsvermögen auch große Spenden erhalten. Doch nicht in allen Facetten tun die deutschen Stiftungen gut daran, sich an amerikanischen Institutionen zu orientieren. Vor der Finanzkrise galten die Anlagestrategien der USStiftungen als vorbildlich, da sie hohe Renditen erzielten. Die Kehrseite der riskanteren Investitionen zeigte sich 2008: Die US-Stiftungen verloren in diesem Jahr durch die Kurseinbrüche 26 Prozent ihres Vennögens. 33 In Deutschland haben die konservativen Anlagestrategien der Stiftungen dafür gesorgt, dass die Katerstimmung sich in Grenzen hielt. Auch die Großzügigkeit privater Spender hat unter der Krise nicht gelitten: Die deutschen Hilfsorganisationen berichteten noch im September 2009, dass ihre Spendeneinnahmen nicht zurückgegangen sein. 34 Allerdings müssen die Einrichtungen mit relativ stabilen Etats immer mehr Menschen in Not versorgen, die Annut wächst in Deutschland und weltweit. Einnahmebeträge bilden die eine Seite der Medaille ab - der wachsende Bedarf an privater Hilfe ist die andere. Eigentlich wäre also immer mehr Geld vonnöten, um die Arbeit der vielen Organisationen angemessen zu unterstützen.

Hinter verschlossenen TOren Trotz aller öffentlichkeitswirksamen Bekundungen sind die deutsche Stiftungslandschaft und die Arbeit der Organisationen für viele Bürgerinnen und Bürger ein Buch mit sieben Siegeln. Eine öffentliche Diskussion über die Vor- und Nachteile von Stiftungen, über ihre Chancen aber auch Risiken wie sie in den Vereinigten Staaten bereits in den 1960er Jahren vehement geführt wurde, findet in Deutschland nicht, und wenn, dann hinter verschlossenen Türen statt, aufTagungen und in Seminaren. Stattdessen werden Stiftungen und Stifter landauflandab als gesellschaftliche Vorbilder auf das Schild gehoben. Wer es wagt, ihre Aktivitäten im Einzelnen zu hinterfragen, gilt schnell als Miesmacher. Bislang fehlt sogar ein bundesweites Register aller als gemeinnützig anerkannten Organisationen, da dies im deutschen Föderalismus zur Ländersache erklärt wurde. Die Länderverzeichnisse enthalten indes häufig nur Namen und Zweck, nicht aber Einnahmen und Ausgaben. Das Thema Transparenz betrifft den gesamten Dritten Sektor. Nicht nur Stiftungen, sondern auch alle anderen gemeinnützigen Organisationen unterliegen in Deutschland., im Unterschied zu vielen anderen Ländern, keiner Publizitäts- und Rechnungslegungspflicht. Guide Star, eine von der EU geförderte Datenbank, arbeitet seit 2004 daran, einen Überblick über die gemeinnützigen Organisationen, ihre Aktivitäten und Finanzen aufzubauen. Ihr Leiter Martin Vogelsang möchte langfristig die 600.000 Vereine und 16.000 nicht kirchlichen Stiftungen in Deutschland in einer Datenbank abbilden. Dabei geht es dem Projekt nicht um Kontrolle, sondern um eine neue Kultur. Guide Star wolle, so heißt es auf der Homepage, "die wertvolle Arbeit unzähliger Vereine, Stiftungen und anderer gemeinnütziger Einrichtungen für die Öffentlichkeit sichtbar machen und zur Entwicklung einer deutschen Transparenzkultur beitragen. Wir glauben, dass bessere Infonnation entscheidende Impulse für die Entwicklung von

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bürgerschaftlichem Engagement und die Praxis des dritten Sektors geben würde." Vorbild für das deutsche Guide-Star-Informationsportal ist die bereits seit 1994 im Internet zugängliche Guide-Star-Datenbank in den USA. Dort legen bereits eine Million gemeinnützige Organisationen ihre personelle und finanzielle Situation offen.

Stiftungen auf Fortschrittskurs Stiftungen an sich sind als Konstrukt völlig wertneutral und immer nur so konservativ oder progressiv wie ihre Stifter. Dass diese bisher zumeist mit eher staatstragenden konservativen Inhalten gefüllt wurde, scheint sich nun zu ändern. Auch politisch links gerichtete Gruppierungen haben in den vergangenen Jahren die Vorteile der Stiftungsform entdeckt und können auf die Unterstützung von Bürgerinnen und Bürgern bauen, die mit ihrem Geld gesellschaftliche Veränderungen erreichen wollen. Eine von ihnen ist die Bewegungsstiftung, die im März 2002 von dem Politologen Felix Kolb mitgegründet wurde und mittlerweile mit 4,3 Millionen Euro Stiftungskapital von hundert Stiftern ausgestattet ist. Ihre Zustifter sind häufig linke Erben, die statt in eine Villa in Südfrankreich ihr Geld in gesellschaftliche Veränderungsprozesse investieren möchten. Häufig geschieht dies in bewusster Absetzung von einem konservativen Elternhaus. Die Bewegungsstiftung unterstützt mit ihrem Geld gesellschaftskritische und ökologische Projekte und Organisationen. Die Idee, politisch links Gerichteten eine Stiftungsheimat zu schaffen, brachte Felix Kolb aus den USA mit. In Boston hatten bereits in den 1970er Jahren Sprösslinge reicher Ostküsten-Familien den Haymarket People's Fund gegründet, um die politisch in ihrem Sinne tätigen Graswurzelbewegungen zu stärken. Seither unterstützt der Fund jährlich soziale Bewegungen in Hunderten von Gemeinden von Neu England und hat in dreißig Jahren über 22 Millionen US-Dollar ausgeschüttet. Dem sozialen Wandel haben sich mittlerweile in Deutschland eine Reihe anderer Stiftungen verschrieben, unter anderem die taz-Stiftung, die Umweltstiftung Greenpeace und die Stiftung "zurückgeben". Anders als die sozialen Bewegungen, die dem links-alternativen Spektrum schon seit Jahrzehnten die Möglichkeit des bürgerschaftlichen Engagements bieten, läuten diese Stiftungen eine neue Ära ein, indem sie nun auch Vermögen bündeln, um sozialen Wandel zu fördern. Einen ähnlichen Weg wie die Bewegungsstiftung beschreitet die Filia Frauenstiftung, die im Jahr 2002 von Erbinnen gegründet wurde und weltweit innovative Frauenprojekte unterstützt. 2007 vergab die Stiftung fast 220.000 Euro weltweit an Frauengruppen als Hilfe zur Selbsthilfe. Eine der Mitgründerinnen von Filia ist Ise Bosch, Enkelin des Firrnengründers Robert Bosch und als solche mit einem großzügigen Erbe ausgestattet. Sie fühlte sich wie andere allein gelassen mit der Frage, wie sie ihr Erbe sinnvoll für sozial stimmige Projekte verwenden könnte und auch wie sie in der Öffentlichkeit und unter Freunden mit ihrem Reichtum umgehen sollte. Die Reflexion über diese Fragen hat sie zu einer professionellen Erben-Beraterin gemacht: Sie ist ebenfalls Mitgründerin des Erbinnen-Netzwerks Pecunia, das bereits

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seit 1999 Frauen mit einem Vermögen von mindestens 500.000 Euro die Möglichkeit gibt, unter Wahrung der Anonymität Themen des Erbens und Gebens zu diskutieren. Dabei liegt es der Erbin fern, dem Staat Verantwortung aus der Hand zu nehmen. Für sie ist Philanthropie eine sinnvolle Ergänzung zu einem starken Sozialstaat mit einer klar abgegrenzten Verantwortung filr seine Bürger. Wer in Deutschland erbt und sich philanthropisch engagieren will, muss sich bislang noch weitgehend selbst auf die Suche nach unabhängiger und nicht interessensgeleiteter professioneller Unterstützung machen. Dieser strukturelle Mangel an philanthropischer Beratung ist angesichts der vielen Milliarden Euro, die in Deutschland jährlich vererbt werden, und der Bereitschaft vieler Menschen sich zu engagieren höchst erstaunlich. In diese Lücke stößt seit 2006 Active Philanthropy, eine gemeinnützige Organisation, die Strategien filr und mit Menschen entwickelt, die sich filr das Gemeinwohl engagieren wollen. Ins Leben gerufen wurde das Forum von Felicitas von Peter, die zuvor lange Jahre bei der Bertelsmann Stiftung wohlhabende Stifter bei der Ausrichtung ihres Engagements begleitete. Eine kleine Gruppe privater Förderer, allesamt aus Unternehmerfamilien, finanziert die Arbeit des Teams - eine Mischung aus Trunk Tank und operativem Geschäft. Active Philanthropy setzt - wie der Name bereits verrät - auf den engagierten Philanthropen, der sich nicht nur mit seinem Geld, sondern auch mit seiner Kompetenz und seinen Netzwerken in das von ihm geförderte Projekt einbringt und es dabei unterstützt, erfolgreich zu arbeiten. Dieser Ansatz orientiert sich an der in den USA und Großbritannien seit den 1990er Jahren praktizierten venture philanthropy - auch strategie oder engagedphilanthropy genannt. 3S In diesen Konzepten ähnelt die philanthropische Investition jener in der freien Wirtschaftswelt: Strategische Philanthropen investieren ihr Geld injene Projekt, die ihnen nachhaltig erfolgversprechend erscheinen. Sie begleiten die Organisation mit Rat und Tat und übernehmen nicht selten ehrenamtliche Positionen. Sie sind nicht mehr nur Mäzene, sondern Weltbeweger.

Fazit: Mut zur Vielfalt und Offenheit Vermögende Akteure agieren zunehmend in globalen Zusammenhängen und sind nicht mehr nur von ihrer nationalen Herkunftskultur geprägt. Kaum ein erfolgreicher Unternehmer, kaum ein Manager, kaum ein ambitionierter Akademiker hat heute nicht einen Teil seines Lebens im anglo-amerikanischen Raum verbracht und dort die Selbstverständlichkeit der Philanthropie kennen- und schätzen gelernt. Was diese Menschen in die deutsche Gesellschaft einbringen können, ist eine Bandbreite an Erfahrung, die zunächst eins verdeutlicht: Philanthropie ist kein elitäres Oberschichtkonzept, sondern vielfliltig wie die Gesellschaft und ihre Bedürfnisse. Sie ist die Hülle filr Inhalte aller Couleur: konservativ, liberal, links-alternativ, filr die Oberschicht, Mittelschicht und die sozial Schwachen, filr Kultur, Bildung, oder Soziales. Mithilfe der Philanthropie kann jede politische und soziale iTberzeugung in gesellschaftliche Aktion umgesetzt werden. Sie nützt nicht nur dem Kunstliebhaber und Theatergänger, sie kann Menschen aller Anlagen, Herkunftszirkel und Interessen unterstützen und fördern.

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Wenn es gelingt, dies zu vennitteln, könnte der Begriff aus seiner elitären Konnotation befreit werden und eine Verbindung mit der Debatte um die Förderung von bürgerschaftlichem Engagement eingehen. Diese wird in Deutschland seit Jahren geführt, doch die Frage, welche Rolle Vermögende in der Zivilgesellschaft spielen, wird dabei komplett ausgeblendet. Dabei handelt es sich um zwei Seiten derselben Medaille. Ohne Frage ist die Bereitschaft für philanthropisches Engagement in Deutschland groß, auch wenn der gute Vorsatz nicht immer in die Tat umgesetzt wird. Wie ausgeführt wurde, hat dies unterschiedliche Gründe, an der Größe der Vermögen liegt es offensichtlich nicht. Deutschland braucht einen Mentalitätswandel und professionellere Strukturen. Es braucht Institutionen, mit denen Vermögende gemeinsam ihre Wunschprojekte realisieren können, und die Einsicht und die Anerkennung, dass es vielen dieser Vermögenden um mehr geht, als mit Zuwendungen ihr Gewissen zu beruhigen. Sie wollen sich einmischen und Probleme mit unternehmerischer Gestaltungskraft lösen. Es geht um viel mehr als um den Transfer von Geld. Es geht um eine neue Kultur des Gebens - und letztendlich auch um eine neue Form gesellschaftlicher Verantwortung über soziale Schranken hinweg. In den USA löst Reichtum Anerkennung und Bewunderung aus; philanthropisches Engagement wird hoch geachtet. Wer sich hierzulande für die Allgemeinheit engagiert, wird eher misstrauisch betrachtet, als dass man ihm dankbar auf die Schulter klopft. Diese Neidkultur zu ändern und philanthropisches Handeln mit gesellschaftlicher Anerkennung zu belohnen, ist wohl eine der schwierigsten Hürden. Es ist jedoch anzunehmen, dass ein professionelleres Umfeld für philanthropisches Handeln dessen gesellschaftliche Akzeptanz erhöhen wird. Heute agieren Philanthropen auf einer eigenen Bühne, in der breiten Gesellschaft werden sie kaum wahrgenommen - auch nicht in dem gesellschaftlichen Nutzen, den die Gemeinschaft aus ihren Projekten zieht. Diese Verschwiegenheit schafft Misstrauen und steht einer breiten Anerkennung im Weg. Deutschland braucht eine professionell begleitete Philanthropie, die gegenüber der Gesellschaft ihre Inhalte und Ziele kommuniziert und zugleich den Akteuren hilft, das für sie passende Projekt im Dickicht des Dritten Sektors zu finden. In diesem Punkt kann Deutschland viel von den USA lernen, auch, was die Transparenz der Arbeit des Dritten Sektors betrifft. Solange Stiftungen ihre Finanzen nicht offen legen müssen, schürt dies den Argwohn der Bevölkerung, dass es sich in erster Linie um Steuersparmodelle handelt - mag dieser Verdacht auch noch so unberechtigt sein. Statt sich auf ihr Recht auf Verschwiegenheit zu berufen, stünde es dem Dritten Sektor gut zu Gesicht, wie sein US-Pendant offen und transparent Zahlen zu publizieren und so das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen. Die Debatte ist in Gang gesetzt und sie darf nicht nur in Enquetekommissionen und auf Tagungen geführt werden, sondern muss sich in den Alltag der Bürgerinnen und Bürger vorwagen. Umso wichtiger ist es, dass Vorbilder der Philanthropie - wie Michael Otto, Reinhold Würth, Heinz-Horst Deichman, Peter Krämer oder die SAP-Gründer Hopp, Tschira, Hector und Plattner - stärker als bisher an die Öffentlichkeit treten, um die Inhalte ihrer Arbeit zu erklären, um Begeisterung für das Engagement zu wecken und um Bedenken und Vorurteile zu entkräften. Vielleicht wird das Wort Philanthropie dann auch in Deutschland irgendwann zur selbstverständlichen Vokabel.

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Anmerkungen Dieser Aufsatz ist eine Kurzfassung von: Krimphove, Petra (2010): Philanthropen im Aufbruch. Ein deutschamerikanischer Vergleich. Schriften zur Vermögenskultur, Band I. Wien: Sigmund Freud University Press. Ausfllhrlichere Darstellungen vor allem der Vorgeschichte, mehr Zahlen- und Quellenmaterial finden sich dort. 2

Philanthropy Journal. Online-Ausgabe. 25.6.2009.

3

Information des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen: www.stiftungen.org.

4

Druyen: Thomas (2007): Goldkinder. Die Welt des Vermögens. Hamburg: Murmann.

5

Lang, Sabine (2003): Die Förderung von bürgerschaftlichem Engagement in US-amerikanischen Städten und Kommunen. In: Deutscher Bundestag (Hrsg.). Enquete-Kommission ,,zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements". Schriftenreihe Band 11: Bürgerschaftliches Engagement im internationalen Vergleich. Opladen: S. 57-90. Hier S. 70.

6

Putnam, Robert (2002): Soziales Kapital in der Bundesrepublik Deutschland und in den USA. In: Deutscher Bundestag (Hrsg.): Enquete-Kommission. Schriftenreihe Band 1: Bürgerschaftliches Engagement und Zivilgesellschaft. Opladen: S. 257-272. Hier: S. 264.

7

Zitiert nach Baclehaus-Maul, Holger (2001): Die neue Rolle von Unternehmen in der Engagementförderung. In: Schuster, Wolfgang; Dettling, Wamfried (Hrsg.) (2001): Zukunft Stadt. Die Stunde der Bürger in Zeiten der Globalisierung. Stuttgart und Leipzig: Hohenheim: S. 201-213. Neuere Zahlen liegen nicht vor.

8

Frumkin, Peter (2006): Strategie Giving. The Art and Science ofPhilanthropy. Chicago: S. 59.

9

Zum Beispiel: Bentley, Richard 1. (1996): The Roots of Giving and Serving. A Literature Review Studying how School-Age Children Learn the Philanthropie Tradition. Indiana University Center on PhiJanthropy.

10

Adloff, Frank (2001): Community Service und Service Learning: Eine sozialwissenschaftliehe Bestandsaufnahme zum freiwilligen Engagement an amerikanischen Schulen und Universitäten. Maecenata Institut Berlin.

11

Smith, Marilyn W. (2003): BOrgerschaftlicbes Engagement in den staatlichen Schulen der Vereinigten Staaten von Amerika. In: Deutscher Bundestag (Hrsg.): Enquete-Kommission. Schriftenreihe. Band 3: Bürgerschaftliches Engagement und Sozialstaat: S. 249-286. Hier: S. 274.

12

Center on Philanthropy at Indiana University (2009): Giving USA 2009. Indianapolis: Indiana University Press.

13

Center on Philanthropy at Indiana University (2006): Bank ofAmerica Study of High Net-Worth Philanthropy. Initital Report. Indianapolis: Indiana University Press.

14

Bekkers, Rene; Wiepking, Pamela (2007): Generosity and Philanthropy. A Literary Review. Online veröffentlichtes Dokument; Überblick über Forschung zur Philanthropie.

15

Ostrower, Francie (1995): Why the Wealthy Give. The Culture ofElite Philanthropy. Princeton: Princeton University Press: S.38. Das Buch gibt einen faszinierenden Einblid in die Ostküsten-Philanthropie.

16

Bank ofAmerica Study, a.a.O.: S. 8.

17

Ostrower, a.a.O.: S. 101 und S. 112.

18

Siehe ausführlicher: Krimphove 2010; Daniel Brenner, in diesem Band.

19

Giving USA 2009.

20

Dahrendorf, Ralf(1999): Die Kraft des Dritten Sektors. In: MaecenataActuell18: S. 10-14. Hier: S. 11.

21

Adam, Thomas (Hrsg.) (2004): Philanthropy, Patronage and Civil Society. Experiences from Germany, Great Britain and North America. Bloomington: Indiana University Press.

22

Urse1mann, Karin (2005): Von der Armenpflege zum Fundraising im modemen WoWfahrtststaat". In: Andrews, Claudia; Dalby, Paul (Hrsg.) (2005): Geben, Stiften, Schenken. Theologische und philosophische Perspektiven. Berlin et. al.: Lit: S. 127-147.

23

Dahrendorf, Ralf(2004): Der Wiederbeginn der Geschichte. München: Bed: S. 301.

Petra Krimphove

152 24

Sachße, Christoph; Tennstedt, Florian (1988): Geschichte der Armenfilrsorge in Deutschland. Stuttgart: Kohlhammer: S.46.

25

WZB (2009): Bericht zur Lage und zu den Perspektiven des bürgerschaftlichen Engagements in Deutschland. Projektgruppe Zivilengagernent des Wissenschaftszentrums Berlin filr Sozialforschung. Online verfilgbares Dokument.

26

Braun, Sebastian (2002): Begriffsbestimmungen, Dimensionen und Differenzierungskriterien von bürgerschaftlichem Engagement. In: Deutscher Bundestag (Hrsg.): Enquete-Kommission. Schriftenreihe Band I: Btirgerschaft]iches Engagement und ZivilgeseIlschaft: S. 55-72.

27

Priller, Eckhard; Sommerfeld, Jana (2007): Wer spendet in Deutschland? Eine sozialstrukturelle Analyse. In: MaecenataActue1l56: S. 6-21. Hier: S. 18. Die Erfassung von Spenden ist in Deutschland noch sehr lückenhaft und tatsächlich schwer zu bewerkstelligen. Genaue Zahlen liegen deshalb nicht vor.

28

Website des humanistischen Pressedienstes: http://hpd.de/node/827.

29

Bundesverband Deutscher Stiftungen: www.stiftungen.org.

30

Timmer, Karsten (2005): Stiften in Deutschland. Die Ergebnisse der Stifter-Studie. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung.

31

Ebda.

32

Bosch, !se (2007): Besser spenden. Ein Leitfaden filr nachhaltiges Engagement. München: Beck: S. 45.

33

Philanthropy Joumal. Online-Ausgabe. 25.6.2009.

34

"Spendenbereitschaft: Das Mitleid trotz der Krise." Spiegel Dnline. 21.09.2009. Das DRK erhielt 2008 allein filr die Katastrophenhilfe 29 Millionen Euro an Spenden, das katholische Hilfswerk Misereor insgesamt 57 Millionen Euro.

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Vgl. Hafenmayer, in diesem Band.

Teil II Interdisziplinäre Positionen

Vermögenskultur und Sozialkapital Angelika Hagen

Vennögenskultur und Sozialkapital- zwei relativ neue Begriffe, die in Verbindung miteinander ein neues gesellschaftliches Paradigma beschreiben. Und genau diese Versinnbildlichung eines neuen Weltbildes macht es nicht leicht, sie verständlich und begreifbar zu machen, denn gewohnte Paradigmen, tradierte Denkschemata werden nicht leicht aufgegeben. Dieser Artikel soll einen kleinen Beitrag zur Öffuung neuer Perspektiven leisten und dazu einladen, die Chancen eines zukunftsorientierten Denkens in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen zu ennöglichen. Die Abhandlung geht zunächst auf die beiden Begriffe ein und zeigt ihre Berührungspunkte. Dem folgt eine kurze Einführung in die neue Sozialkapitaltheorie. Anschließend wird gezeigt, in welcher Weise die Gedanken der Vennögenskultur und das Instrument der Sozialkapitalforschung zu Antworten auf gesellschaftliche Herausforderungen beitragen können. Die Verbindung dieser beiden Forschungszweige birgt Hoffuung und vielfältige Potenziale für die Zukunft.

1. Holistisch-systemische Begriffe Die Begriffe Vennögenskultur (Druyen 2007) und Sozialkapital sind wissenschaftlich rezent. Beide sind Kompositionen aus Worten des allgemeinen Sprachgebrauchs mit breiter und vager Bedeutung. "Vennögen" umfasst Haben und Können. ,,Kultur" insinuiert gesellschaftlich gefonntes Denken und Tun höherer Komplexität in allen Lebensbereichen. "Sozial" nennt man alles, was im Kontrast zur individuellen Egozentrik steht, also Mitmensch und Gemeinschaft betrifft. ,,Kapital" schließt alle Ressourcen ein, die Ertrag bringend eingesetzt werden können. Es fällt die Überschneidung auf: Kapital und Vennögen decken sich weitgehend, Kultur bedarf der sozialen Gemeinschaft. Bedeutungsbreite und Präzisierungs-Resistenz stellen sich den beiden Begriffen in Wissenschaft wie Politik in den Weg. Den traditionellen fachspezifischen Wissenschaftsdisziplinen entsprechen die Doppelworte schwer, zum.al sie ideologisch polarisierende Slogans - Geldgier gegen Wissensdurst, Sozialismus gegen Kapitalismus - konstruktiv zusammenführen. Welche Universitäts-Lehrkanzel soll solche Ambivalenz in ihr Curriculum integrieren: Ökonomie oder Philosophie, Soziologie oder Psychologie? Und welche politische Ideologie kann derartige Verbal-Kreationen akzeptieren: Sozialismus oder Kapitalismus, Markt-Liberalismus oder Kultur-Eliten-Verehrung?

T. Druyen (Hrsg.), Vermögenskultur, DOI 10.1007/978-3-531-92086-3_8, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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Die Überwindung der Polarisation ist der Schlüssel zum neuen Verständnis: Herkömmlich werden das Soziale und das Kapital oft als unvereinbar empfunden. Das Soziale wird mit "guten, menschenfreundlichen" Verhaltensweisen assoziiert, das Kapital eher mit einer "menschenverachtenden" Haltung. Ein ähnliches Schicksal erfahren die sprachlichen Zwillinge "Ökonomie" und "Ökologie". Traditionell und bis heute werden sie als gegensätzlich empfunden. Dennoch wird in Zukunft ein Wirtschaften nur im Einklang mit der Natur und MitWelt möglich sein. Ebenso werden Vermögen und Kultur zu einer Symbiose finden müssen. Gerade der Bedeutungskonflikt ist Essenz und Utilität dieser beiden Begriffe. Wesentlich ist ihnen die komplexe Ganzheit. Verwendung von Reichtum umfasst alles in der Skala von sinnloser Verschwendung bis zu höchster ökonomischer und philanthropischer Produktivität - eben "Vermögenskultur" - und inkludiert ebenso die Kultivierung des Leistungsvermögens durch Investitionen von Geld und Zeit in Wissen und Bildung, also in Humankapital und Sozialkapital. Sozialkapital wiederum umfasst die sozialen Bindungen samt ihrem Output an Nutzen wie dem Input in Gemeinschaft und Kultur, aus dem wiederum Bindungen und Effizienz erwachsen. Nur in dieser holistisch-systemischen Analyse der interaktiven Vemetzung machen diese Begriffe Sinn. Auf eindimensionale Struktur-Elemente reduziert und in monokausalen Wirkungszusammenhängen interpretiert, reduziert sich ihre interpretative Effizienz in der scheinbaren Widersprüchlichkeit ihrer Bedeutungskomplexe - bis ins Negative. Der besondere Nutzen der oppositionellen Wortpaarung resultiert gerade aus der Anregung zur Balance zwischen den Gegensätzen in einer harmonischen Gesamtheit, bei einem Optimum, das nicht immer in der Mitte, aber nie an einem Extrem liegt. Zur Vermögenskultur gehören Vermögens-Akkumulation und Vermögens-Verwendung, am besten im positiven Feedback des nachhaltigen Erfolgs - in der steten Balance zwischen der Mehrung von Eigenertrag und Gemeinwohl Ebenso hat man die Übertreibungen von Sozialkapital in beiden Richtungen seit jeher als Laster verurteilt: die Individualisierung in Egomanie und die Verzettelung sozialer Bindung in Populismus, Vereinsmeierei, "Gschaftelhuberei". Die neue wissenschaftliche Sozialkapital-Messung quantifiziert den "abnehmenden Grenznutzen" des ,,zuviel" in "converted-U-curves" - der metrischen Übersetzung des uralten Imperativs: "Von nichts zu vieH" 2. Sozialkapital- die Kraft der Gemeinscbaft

Der Begriff "Sozialkapital" entstand im Kontext von Pädagogik und Soziologie und wurde erstmals Anfang des 20. Jahrhunderts verwendet. Als Erfinder gilt Lyda Judson Hanifan, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts den gezielten Aufbau von Sozialkapital und dessen positive Wirkungen auf eine ländliche Gemeinde in den USA beschrieb. Er verstand damals unter Sozialkapital "guten Willen", "Sympathie" und "soziale Interaktion" zwischen einer Gruppe von Individuen und Familien, die eine soziale Einheit bilden. In diesem Sinn sei Sozialkapital eine öffentliche Ressource, die sich initiieren und steigern lässt. Hanifan konnte zeigen, dass sich durch Bewusstheit und Optimierung des Sozialkapitals innerhalb kurzer Zeit die Teilnahme am Schulunterricht steigerte. Dazu waren keine rechtlichen Schritte notwendig. Hanifan leg-

Vennögenskultur und Sozialkapital

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te dar, dass Sozialkapital die Macht der Gesetze übersteigt und in der Lage ist, weit tiefer gehende Bindungen zu erzeugen (Hanifan 1916). In Europa wurde der Begriff in den I 940er Jahren von Norbert Elias und später den Vertretern der Frankfurter Schu1e, insbesondere von Theodor W. Adomo benutzt. Der Begriff "Sozialkapital" blieb jedoch zunächst im "Elfenbeintunn" der Wissenschaft, bis er schließlich in den 1980er Jahren durch die spürbaren Auswirkungen gesellschaftlicher Veränderungen auf "fruchtbaren" Boden fiel und quasi öffentlich wurde. Seither wird er in Bezug auf gesellschaftliche Entwicklung verstärkt öffentlich diskutiert. Dies fiel zusammen mit einer Zeit, in der die negativen Auswirkungen der post-modernen Wohlstandsgesellschaften für viele Menschen im eigenen Leben und am eigenen Leib spürbar wurden: Werteverlust, schwindende Bedeutung traditioneller Familienformen, zunehmende Abkoppelung von gesellschaftlichen Institutionen wie Vereinen und politischen Parteien, gleichzeitig eine rasante Beschleunigung vieler Lebensprozesse. Nun wurde deutlich, dass all diese sozialen Beziehungen eine wichtige Ressource für die Gesellschaft darstellen, die bis dahin weitgehend unterschätzt wurde: Ihr wahrer Wert wurde im vollen Umfang erst erkannt, als man das Schwinden und den Verlust spürte. Dieser Erkenntnisprozess führte dazu, dass die OECD der internationalen Erforschung des Sozialkapitals erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen begann. Denn es hatte sich bestätigt, dass genau hier - in der Qualität der sozialen Beziehungen - der Schlüssel zur positiven nachhaltigen Entwicklung der Gemeinschaften liegt. In empirischen Studien wurden direkte Zusammenhänge von Sozialkapital mit wirtschaftlichem Erfolg, Gesundheit, Bildung und Sicherheit nachgewiesen. Zu den wichtigsten und popu1är gewordenen Studien zählte ein 1995 im Journal 0/Democracy vom amerikanischen Soziologen und Politikwissenschafter Robert D. Putnam unter dem Titel "Bowling Alone. America's Declining Social Capital" veröffentlichter Aufsatz, der rasch zum meistzitierten Artikel der heutigen Sozialwissenschaft avancierte. Die zu einem Buch erweiterte Studie traf den Nerv der Zeit. Der an der Harvard University tätige Putnam hatte schon in den I970er Jahren bemerkenswerte Ergebnisse über die soziokulturellen Voraussetzungen der Demokratie veröffentlicht. "Die zentrale Idee ist", so schreibt er, "dass soziale Netzwerke einen Wert haben. Sie erhöhen nämlich die individuelle und kollektive Produktivität, so wie ein Schraubenzieher (physisches Kapital) und eine gute Ausbildung (Humankapital) dies auch tun." (putnam 1993) Putnam konnte beweisen, dass die Leistungsfähigkeit von Regionen davon abhängig ist, wie stark soziales Vertrauen, gemeinschaftliche Normen. Werte und interpersonale Netzwerke ausgeprägt sind. Er kam zu dem überraschenden Schluss, dass man die Leistungsfähigkeit einer Region - sowohl wirtschaftlich als auch politisch - an der Zahl der Gesangsvereine ablesen kann. So paradox das klingen mag, es beschreibt jedoch gültig den engen Zusammenhang zwischen dem aktiven Engagement einer Bevölkerung in Vereinen und Organisationen und der wirtschaftlichen Entwicklung einer Region. Die wichtigste Determinante sind dabei die vertrauensvollen Beziehungen der Menschen untereinander. Sie sind ausschlaggebend für die Sicherheit in einer Gemeinschaft, den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen und die Gesundheit der Menschen.

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Wie wesentlich die sozialen Beziehungen für den Erfolg und die Gesundheit einer Gesellschaft: sind, belegen auch neue neurobiologische Forschungen (Bauer 2006). Hier ist zunehmend vom social brain die Rede. Die Erkenntnis lautet: Menschen sind nicht primär wie seit Adam Smith und Darwin als gegeben angenommen - auf Egoismus und Konkurrenz eingestellt, sondern vielmehr auf Kooperation und Resonanz. Das Gehirn belohnt gelungenes Miteinander durch Ausschüttung von Botenstoffen, die gute Gefühle und Gesundheit erzeugen. Kern aller menschlichen Motivation sind gelingende soziale Beziehungen. Was wir im Alltag tun, wird direkt oder indirekt dadurch bestimmt, dass wir sozialen Kontakt gewinnen oder erhalten möchten. Joachim Bauer schreibt in seinem Buch Prinzip Menschlichkeit. Warum wir von Natur aus kooperieren: "Wer Menschen nachhaltig motivieren will, dies ist die unabweisbare Konsequenz aus den dargestellten neurobiologischen Daten, muss ihnen die Möglichkeit geben, mit anderen zu kooperieren und Beziehungen zu gestalten. Dies hat weit reichende Konsequenzen für die Arbeitswelt, für das Führungsverhalten von Vorgesetzten und Managern, für das Medizinsystem und für die Pädagogik. Da sie mit der Ausschüttung der Glücksbotenstoffen Dopamin, Oxytozin und Opioide einhergehen, sind gelingende Beziehungen das unbewusste Ziel allen menschlichen Bemühens." (Bauer 2006: S. 61) In die Alltagssprache und in das alltägliche Bewusstsein der Menschen hat die Theorie des Sozialkapitals noch kaum Eingang gefunden. In der Arbeitswelt, den Schu1en, dem Gesundheitssystem gelten nach wie vor die alten Regeln der Konkurrenz. In der wissenschaftlichen Forschung jedoch hat das Thema rasch Fuß gefasst. Die Zahl der Publikationen dazu hat sich in wenigen Jahren vervielfacht. Und die ersten Sozialkapital-Messverfahren werden in internationalen Surveys und in der betrieblichen wie der schu1ischen Praxis zunehmend angewandt (vgl. www.sozial-kapital.at).

3. Vermögenskultur - die Kraft der Moral Ein weiterer Schritt :führt zur Fusion der beiden Begriffe Vermögensku1tur und Sozialkapital in einem unitären Optimierungs-System, wie Thomas Druyen es skizziert: "Es gibt aber auch eine nicht zu unterschätzende Zahl vermögender Personen und Familien, die ihr materielles und immaterielles Vermögen als Potenzial begreifen und es als Investition in kommende Generationen und in allgemeine Wertschöpfung einsetzen. Dieses durch Verantwortung und Zukunftskompetenz getragene Verhalten einer sehr wohlhabenden Klientel soll hier als gelebte Vermögensku1tur verstanden - und durchaus als Vorbild empfohlen - werden." (2007: S. 43) Der Nutzen liegt hier aufbeiden Seiten: Wenn das System aus Marktwirtschaft und Erfolgsbelohnung für Einzelne irrational (weit über Leistungsanreiz und Qualitätssteigerung hinausgehende) überdimensionierte (in das Millionenfache von Durchschnittseinkommen gehende) Vermögen hervorbringt, bleibt den Betroffenen fast nur ein individuell beglückender Ausweg - Philanthropie und Mäzenatentum. Geld hat in der heutigen Gesellschaft vielfach die Rolle einer Ersatzreligion übernommen. In diesem Sinn ist Geld zur Makro-Ebene geworden. In der Sozialkapital-Theorie ver-

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stehen wir unter Makro-Ebene Sinnfindung sowie Zugehörigkeit zu höheren Idealen, die Begeisterung und große Gefühle wecken. Das waren traditionell die Religion und die Politik. Beide sind jedoch als Aspekte und Perspektiven für Sinnfindung nicht mehr breit akzeptiert. Die Werte des Bevölkerungsanteiles mit starker Einbindung liegen hier für beide jeweils nur mehr um die 10 Prozent (Hagen 2008a). Österreich nimmt dabei weltweit eine Mittelstellung ein, zwischen völlig säkularisierten Gesellschaften wie Russland und Japan und stärker religiösen Kulturen wie Irland und den USA. Geld ist ein Spiegel sozialer Beziehungen. Das ist den meisten Menschen nicht bewusst. Aus der Perspektive der Vermögenden kann man mit dieser Erkenntnis zu Sinn und Glück gelangen. Doch es hilft nicht nur den wirklich Vermögenden, wenn sie geben. Eine Studie bei Patinnen und Paten von World Vision (Hagen 2008) hat gezeigt, dass es auch für Menschen, die selbst wenig haben, erfüllend sein kann und Freude bereitet, anderen - die noch bedürftiger sind - zu geben. Das bedeutet auch, sie wahrzunehmen, das Bewusstsein zu haben, dass es da noch andere gibt, dass ich nicht nur um mich selbst und um meine eigene (vermeintliche) Bedürftigkeit kreise. Und für die Vermögenden ist es das beglückende Gefühl, einen nachhaltigen, gesellschaftlichen Beitrag zu leisten, Verantwortung wahrzunehmen - im Sinne einer ,,Antwort auf gegebene Situationen". Das Geld birgt - mit Georg Simmel gesagteinen "inneren Wert höchster Potenz" in sich (Simmel 1989). Dazu gehört auch die Wirkung von "ehrenamtlicher Tätigkeif': Wer ein Ehrenamt innehat und sich zivilgesellschaftlich engagiert, der hat ein besseres Sozialkapital auf allen drei Ebenen: bessere Nahbeziehungen, einen guten Bekanntenkreis und vor allem wieder "Sinnfindung". Das gilt, wie eine Untersuchung an drei 6. Klassen zweier Gymnasien in Bregenz gezeigt hat (Hagen 2008a: S. 27) sogar schon für Schülerinnen und Schüler. Diejenigen, die während eines Schuljahres kontinuierlich soziale Dienste leisteten, hatten danach eine weit bessere Sozialkapitalbilanz und bessere Schulnoten als die Kontrollgruppe.

4. Ermessen und Abwägen Zu einer aufWissenschaft basierenden Optimierung gehört die Subtilisierung des Ermessens und Abwägens der Optionen und Effekte durch Messen und Wägen. Leicht gesagt, schwer getan. Nur für Geldvermögen und ökonomisches Kapital steht das hoch entwickelte monetäre Messinstrument der Wirtschaft und ihrer Statistiken zur Verfügung. Die Leistungen von Produktion und Handel hängen, sobald sie über eine primitive Tauschwirtschaft hinausgehen, vom Maßsystem des Geldes ab, wobei es auf die Zuverlässigkeit und Stabilität der Währung ankommt, gleich ob deren Wert in Gold, Banknoten oder Aktienkursen ausgedrückt wird. Das seit langem etablierte Maß des Geldwerts kann nun auch für die Quantifizierung von Kultur und sozialer Ethik rekrutiert werden - zumindest für die Bemessung des direkten Outputs. Inwieweit Einkünfte und Vermögen Gemeinwohl und humanitäre Anliegen finanzieren, lässt sich aus Steuerleistungen, Spendenbeiträgen, Stiftungsfinanzierungen und anderen Finanztransfers ableiten (Druyen 2007: S. 60 f.). Viel schwerer zu quantifizieren ist, wie viel Kultur oder soziale Energien eine Gemeinschaft oder eine Person zu eigen hat - und wofür

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sie verwendet werden. Doch ohne objektive und halbwegs genaue Kalibrierung dieser Größen lässt sich auch nicht eruieren, wie viel Kapital und Vermögen ein gewisses Maß an ethischer Kultur und sozialem Gemeinsinn produziert. Es lässt sich der Nutzen von Geld und Ethik für die Optimierung von Kultur und Gemeinwohl erst verlässlich ermessen, wenn diese komplexen Phänomene auch gemessen werden können. Darum bemühen sich immer mehr Wissenschafter, Forscher und Praktiker. Mit der Marktund Meinungsforschung und der psychologischen Testpraxis haben sich Surveys und Befragungs-Instrumente entwickelt, die Kulturphänomene aller Art und große Muster der Normenund Motivations-Systeme in Zahlen fixieren. Aus solchen Materialien können die Analysen von Vermögenskultur eine faktengestützte Theorie aufbauen, Hypothesen bilden und evaluieren. Für die Evolution einer Metrik des Sozialen wurde durch die Empfehlungen der Weltbank zur Jahrtausendwende und durch das OECD-Programm ,,Measuring Social Capital" eine Initiative gesetzt, möglichst allgemeingültige Messverfahren für die sozialen Wirkungskräfte zu finden. Die Sozialkapital-Forschung hat sich nun innerhalb eines knappen Jahrzehnts so akzeleriert und ausgebreitet, dass der Ertrag an wissenschaftlichen Publikationen von jährlich wenigen Hundert auf mehrere Tausend gestiegen ist. Sozialkapital wird zunehmend eine Standard-Messgröße in immer mehr Bereichen der Sozialwissenschaften und in der gesellschaftlichen Praxis. Die wissenschaftliche Quantifizierung der Makro-Konstellationen in statistischer Akkumulation und in Test-Skalen, zu Gesamtwerten von Vermögenskultur und Sozialkapital eröffnet zwar das Verstehen der großen Zusammenhänge, gibt aber für die Praxis zu wenig her. Sicher betrifft: ein historischer, eine gesamte Kultur involvierender Sozialkapital-Rückgang (wie er derzeit als Trend gemessen und als soziale Krise befürchtet wird) sehr viele Phänomene: Ehe-Konstellationen und Depressions-Frequenz, Wahlbeteiligung und Kriminalität, Kirchenbesuch und Migration, Vereinsleben und Fremdenfeindlichkeit - und die Durchleuchtung solcher systemischer Zusammenhänge kann Bewusstsein öffnen und politische Initiativen auslösen. Doch um unter den jeweiligen Umständen die sozialen Bindungskräfte nutzbringend zu verstärken und den Erfolg gezielter Aktionen durch ein Monitoring zu verfolgen, bedarf es in der jeweiligen Gemeinschaft oder Gruppe auch der spezifischen Messung. Und da geht es dann um die Erfassung des gesamten, externen wie internen, Sozialkapitals in einer Siedlung oder einer Pfarrei, in einem Betrieb oder einer Schule, in einem Klub oder einem Geriatriezentrum. Für eine solche Vielfalt an sozialen Netzwerken jeweils eigene und doch allgemein vergleichbare, an Kriterien des Wohlbefindens und der Effizienz geeichte Maßstäbe zu entwickeln, ist eine kaum erst begonnene Großleistung. Für die Vermögenskultur gilt das Gleiche. Ihr Geltungsfeld ist sogar noch weiter. Denn dieses inkludiert alle Formen des Vermögens und seiner Anwendung, von der Verwendung persönlicher Kompetenzen für Nothilfe, Ehrenamt, Führung und Leitung bis zum Vermächtnis von großen Geldsummen für Wohltätigkeit, KunstfOrderung, Umweltschutz und Entwicklungshilfe. Aber zur Vermögenskultur im weiteren Sinn gehören auch der Einsatz von Steuergeidern und Steuerermäßigungen für die verschiedensten Zwecke des Gemeinwohls. Und das noch halbwegs mit Geldsummen zu bewertende diverse Vermögen ist nach dem Effekt seiner Anwendung zu differenzieren. Bislang ist es noch schwierig, den realen nachhaltigen Gemein-

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wohl-Nutzwert von so unterschiedlichen Zuwendungen zu schätzen wie einer Museums-Stiftung und einer Oper im Regenwald, Patenschaften für Dritte-Welt-Kinder und Subventionen für den sozialen Wohnbau, der Erhaltung eines Parks und Stipendien für begabte Studenten. Und immer wirkt eine für sich stehende partikuläre Einheit von Vermögenskultur und Sozialkapital wiederum auf die Ganzheit zurück, auch in einer Eigenart und Stärke, die Messung verdient. Da kann man schon ahnen, dass eine volle Verwissenschaftlichung von Vermögenskultur und Sozialkapital eine Veränderung unseres ganzen, aufGeldwert und Leistung bezogenen gesellschaftlichen Bemessungssystems bedeutet. Denn in all den Evaluierungen von Kultur und Sozialem ist ja nicht nur das letztliche, sondern auch das vordergründige Kriterium das Gemeinwohl, das "größte Glück der größten Masse" - also ein ethisches Maß.

5. Leistung und Ethik Im größeren Feld soziologischer Interpretationen der gesellschaftlichen Kräfte dominiert die ideologische Opposition von Leistung und Ethik - die sich auch in den Kontrast-Positionen von Vermögen und Kultur, von Kapital und Sozialem ausdrückt. Jede Gesellschaft, Zivilisation und Kultur in der Geschichte der Menschheit hat in ihrer Art diese beiden Antriebskräfte mobilisiert: Triebbefriedigung als Lohn für Leistung und Ethik für den Dienst an den Mitmenschen und an der Gemeinschaft. Interessant sind in diesem Zusammenhang die religiösen Hinweise, sowohl im Alten und Neuen Testament, als auch in allen anderen Religionen, auf das Geben, das - neurobiologisch belegt - mit "guten Gefühlen" und gelingenden sozialen Beziehungen zu tun hat. So heißt es beispielsweise im Alten Testament: "Und aller Zehnte des Landes, vom Samen des Landes, von der Frucht der Bäume, gehört dem HERRN; er ist dem HERRN heilig." (3. Mose 27,30) Und im Neuen Testament (1. Korinther 16,2) heißt es, der Gläubige solle zurücklegen und geben: "Je nachdem ein jeder Gedeihen hat." 2. Korinther 8 und 9 weisen auf die Herzenshaltung beim Geben hin: "Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb." (2. Korinther 9, 7) Eine derartige religiöse Haltung bringt zum Ausdruck, dass alles, was man besitzt, quasi geliehen ist und im Grunde Gott gehört. Ob Geld, Haus, Ehepartner, Kinder, Beruf, Begabung und Fähigkeiten, alles gehört Ihm. Das Vermögen ist den Menschen lediglich anvertraut. Im Neuen Testament wird im Zusammenhang mit dem Geben für den Herrn von Gnade gesprochen. «Ihr kennet die Gnade unseres Herrn Jesu Christi», sagt der Apostel (2. Korinther 8, 9). Der Mittelpunkt, um den sich alles dreht, ist: "Der, welcher, da Er reich war, um unsertwillen arm wurde, auf dass wir durch Seine Armut reich würden." Hier geht es also um das Geben aus Liebe zu Gott, auf Grund der erwiesenen Gnade. Geben bedeutet in diesem Sinn auch Gewinnen. In der Bibel liest man zum ersten Mal in 1. Mose 14,20 etwas vom Geben des Zehnten, als Abraham dem Priester und König Melchisedek von allem den Zehnten gab. Die Tora verlangt vom jüdischen Bauern, ein Zehntel seines Ertrages den Leviten und den Armen zu geben. Dieser Zehnte heißt maasser. An Schmini Azeret wird ein berühmter Abschnitt aus der Tora gelesen, der mit den Worten asser t 'asser beginnt. Das bedeutet, "Du sollst gewiss

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den Zehnten geben." Der Talmud enthält viele Geschichten über Menschen, die reich belohnt wurden, weil sie dem Gebot des maasser gehorchten. Eine dieser Geschichten sei hier exemplarisch erzählt. hn alten Israel lebte einmal ein Bauer, dessen Land Jahr filr Jahr tausend Scheffel Weizen abwarf. Da er ein

frommer Jude war und die Mizwot der Tora einhielt, legte er gleich nach der Ernte ein Zehntel als maasser beiseite. Das waren hundert Scheffel Weizen, ein kleines Vennögen. Der Bauer gab den Zehnten gerne an die Diener Gottes im Bejt Hamikdasch und an die Armen weiter. Die restlichen neunhundert Scheffel waren filr ihn mehr als genug, und er hatte sogar stattliche Ersparnisse. Der Mann wurde jedes Jahr wohlhabender. Als es filr ihn Zeit war, die irdische Welt zu verlassen, rief der fromme und weise Bauer seinen Sohn zu sich. ,,Mein lieber Sohn", sagte der Sterbende, "Gott ruft mich und ich gehe mit Freude, denn ich habe ein gutes Leben gehabt und die Gebote der heiligen Tora eingehalten. Alles, was mir gehört, ist nun dein, und du kannst damit machen, was du willst. Aber einen Rat will ich dir geben: Unser Land bringt tausend Scheffel Weizen im Jahr hervor. Versäume es nicht, maasser zu spenden, und du wirst es nicht bereuen."

Der alte Mann war gestorben, und der Bauernhof gehörte nun seinem Sohn. Als die Erntezeit kam, fuhr auch der Sohn tausend Scheffel Weizen ein, so wie immer. Und auch er gab hundert Scheffel als Zehnten. Ein Jahr verging, und wieder war es Zeit fiir maasser. Aber der Reichtum hatte auf den jungen Mann einen schlechten Einfluss. Es gefiel ihm nicht, ein Vermögen zu verschenken, und darum beschloss er, diesmal nur neunzig Scheffel zu spenden. hn folgenden Jahr brachte das Land nur neunhundert Scheffel hervor. Als der junge Bauer sah, dass sein Einkommen gesunken war, beschloss er, den Verlust auszugleichen und nur noch achtzig Scheffel zu spenden. Ungeduldig wartete er auf die Ernte des nächsten Jahres. Zu seiner Bestürzung sank die Ernte auf achthundert Scheffel. Doch der junge Mann bemerkte immer noch nicht, was filr eine Dynamik er ausgelöst hatte: Er war stur und verringerte den maasser jedes Jahr mehr. Schließlich lieferte ihm das Land nur noch hundert Scheffel Weizen, so viel, wie sein Vater in der guten, alten Zeit verschenkt hatte. Der Bauer war wütend und besorgt. Er lud seine Freunde und Verwandten zu sich ein, damit sie ihn in seinem Unglück trösteten. Aber anstatt Mitgefl1hl zu äußern, wollten sie lieber feiern. "Seid ihr gekommen, um mich zu beleidigen?" schrie der junge Mann zornig. "Aber nein", antworteten die Gäste fröhlich. "Wir wollen feiern, dass dein Land von deinen Händen in Gottes Hände übergegangen ist. Bisher warst du der Eigentümer der Felder, und früher hast du ein Zehntel der Ernte Gott gegeben. Jetzt besitzt Gott das Land, und er gibt dir ein Zehntel der Ernte. Du bist also ein Levite geworden, und dazu wollen wir dich beglückwünschen."

Diese Geschichte könnte Gleichnis sein für eine Gesellschaft, die ihre Natur-Ressourcen ausbeutet bis auf minimale Reste - schließlich aber lernt, durch alternative Techniken und Sparsamkeit im Gleichgewicht mit der Natur zu leben. Im Islam gibt es zakat, das Pflicht-Almosen. Es bedeutet wörtlich ,,Reinigung", weil es das Herz der Menschen von Habsucht reinigt. Dieses Almosen ist nicht lediglich eine Empfehlung, sondern eine Pflicht: Jeder finanziell stabile Muslim muss Menschen Almosen geben, die einen Anspruch darauf haben. Das ist eine der ftinfSäulen der islamischen Lebensweise. Dem islamischen Gesetz entsprechend darf Geld, das als zakat gegeben worden ist, nur dafür genutzt werden, Arme, Waisen und Witwen zu unterstützen, Sklaven und Schuldner zu befreien und anderen Bedürftigen zu helfen (Koran, 9:60). Das zakat, das vor mehr als 1400 Jamen eingefiihrt wurde, funktioniert in der muslimischen Gesellschaft als eine Art Sozialversicherung. In Asien ist es eine weit verbreitete Übung, buddhistischen Tempeln, Mönchen und Nonnen dana, Geschenke der Großzügigkeit anzubieten. Dana stellt eine Verbindung her zwischen den Klöstern und den anderen Buddhisten. Auch dabei geht es nicht nur um Geld, sondern um eine Haltung des Dienens, der Fürsorge und der gegenseitigen Unterstützung.

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In den primitiveren Gesellschaften waren Arbeitszwang und Sklaverei einerseits und durch Strafen gestützte Gebote andrerseits wesentliche soziale Instrumente. Diese bauten vor allem auf die extrinsische Motivation durch Angst, Not und Ehrfurcht vor den in Idolen symbolisierten übermenschlichen Gewalten. Solche hierarchisch-theokratischen Gesellschaften waren so lange leistungsstark, als sie genügend ethischen Raum ließen für SelbstentfaltungsWerte (self expression values) und intrinsische Motivation im engen Familienkreis und bei den verantwortlichen Eliten und so lange die Unterdrückung der zur Arbeit Gezwungenen sich in Grenzen hielt. Ging die Ethik absolut oder relativ zurück, kam es zur Degradation des Sozialkapitals durch Ausbeutung und der Vermögenskultur durch Verschwendung, so folgte als Konsequenz eine negative Feedback-Schleife aus Anomie, Amoral und Effizienzverlust - bis zu Niedergang und Zusammenbruch der "Kulturen". Doch letztlich setzen sich neue Ethiken der sozialen Verbundenheit mit neuen Selbstentfaltungs-Chancen durch, meist erst in Krisen, Kriegen und Katastrophen. Eine neue Vermögenskultur und neues Sozialkapital entstanden. Die kulturelle Evolution des "westlichen" Kulturkreises ist so gekennzeichnet durch eine Reihe von Stufen: antikes Sklaventum und Kunst-Mäzenatentum, christliche Feudalherrschaft und kirchliche Mildtätigkeit, bürgerliches Unternehmertum und die Ethik der Demokratisierung, Emanzipation in der Bildungsexpansion und Sozialstaat, Wohlstand durch Wirtschaftswachstum und freie Aufstiegs-Chancen in den Reichtum. Nun hat offenbar die letzte Entwicklungsstufe der demokratischen Marktwirtschaft mit der globalen Ausbreitung der kapitalistischen Hochleistungs-Technologien ihren Zenit erreicht. Doch materieller Massenkonsum einer exponentiell wachsenden Bevölkerung mit immer höher steigenden Ansprüchen der heutigen Technologie verbraucht zunehmend die natürlichen Ressourcen und stößt das Gleichgewicht von Klima und Biosphäre um. Der Ausweg nach vom kann nur von gewaltigen wissenschaftlich-technologischen Leistungen eröffnet werden, in der totalen Erneuerung und Umstülpung der heutigen Energie- und Naturbewirtschaftung. Das erfordert Innovationsimpulse, die nur von einer offenen demokratischen Gesellschaft mit starker Leistungsmotivation zu schaffen sind. Und das setzt wiederum gewaltige Investitionen in Bildung, Forschung, Masseninformation, internationale Kooperation voraus und ein weltweites Netz erfolgsorientierter Unternehmen jeder Größenordnung. Gigantische Gewinne und breite Chancen für Selbstentfaltungs-Leistungen in einem rapiden Wachstum neuer Berufe sind daraus zu erwarten - aber auch erhöhtes Risiko im neuen ,'prekariat" der unsicheren Erwerbsverhältnisse. Viel an wissenschaftlicher wie praktischer Evidenz spricht dafür, dass grundlegende Innovationen der Vermögenskultur und des Sozialkapitals dafür notwendig sind. Denn die Dynamik einer neuen Leistungskultur zur ökologisch-biologischen Rettung der Menschheit erhöht noch die Sprengkraft der Ungleichheit, die mit der Expansion von neuer Leistung verbunden ist. Es braucht auch eine Ethik der menschlichen Gleichachtung. Aufzwei Entwicklungen sei hingewiesen, die sich da und dort schon regen, aber als Ideen und Konzepte noch neu und unausgereift erscheinen: den Philanthro-Kapitalismus und das Allgemeine Arbeitsfreie Grundeinkommen. Beide Prinzipien sind, wie alle großen sozialen Ideen, einfach. Die konkrete Umsetzung kann aber nur über viel Experimentieren in Learning Systems erfolgreich sein. Politisches Erzwingen einfacher Lösungen stört einen solchen Lernprozess nur.

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Philanthro-Kapitalismus hat als Rezept die Investition von Leistungs-Gewinnen ins Gemeinwohl: über Stiftungen, Spenden-Fonds, NGOs, über direkte Produktion von ethisch wertvollen Gütern und Dienstleistungen - beruhend auf der intrinsischen Motivation von Sinnfindung und sozialer Anerkennung (Sozialkapital). Eine solche neue "Vermögenskultur" existiert und breitet sich aus (vgl. dazu auch andere Beiträge in diesem Band). Sie könnte wesentlich zum Wirksamwerden einer neuen Leistungsethik und zum Ausgleich der Ungleichheit beitragen. Die Realisierung sollte verschiedenen Modellen folgen: von der reinen Philanthropie über die Motivation durch Steuerersparnisse bis zu langfristig rentablen Geldanlagen in sozialen Verbesserungen mit hohem berechenbaren Nutzwert. Die unipolaren Ideologien eines nur die Gier ansprechenden Markt-Kapitalismus und eines alle gleich machenden Staats-Sozialismus, die einander erbittert bekämpft haben - gerade weil sie im Extrem nicht funktionieren können -lassen sich in einer solchen Modellvielfalt ausbalancieren, zum Optimum hin. Die Selbstverwirklichung eines Milliardärs in einer humanitären Stiftung gehört hier ebenso hinein wie die gemeinwohlbezogene Steuerbefreiung und der StaatsZllschuss fiir besonders nützliche Gemeinwohlprojekte. Patenschaften fiir Dritte-Welt-Kinder in einem breiten Kreis privater Wohltäter fügen sich da an Corporate-Social-Responsibility-Widmungen von Firmen zur Rettung eines Urwalds oder fiir Kleinkredite an indische Frauenbetriebe, an Energie-Autarkie-Anleihen von Kommunen mit langfristig interessanten Renditen. Eine neue Ethik könnte auf dem Boden solcher Prinzipien und Strategien gedeihen, die Leistungsstolz mit humanitärer Umverteilung verbindet und nicht SÜDden straft, sondern Wohltaten belohnt und ehrt. Philanthro-Kapitalismus wird dabei auch zum humanitären Staatssozialismus. Über die Feinabstimmung muss es dabei immer auch politischen Richtungsstreit geben, nicht aber über die Prinzipien. Dasselbe gilt fiir die neue Idee zur staatlichen Gleichbehandlung aller Bürger durch ein allen zustehendes leistungsfreies Grundeinkommen aus der öffentlichen Hand., von dem man arm, aber gesund überleben kann. Welches Zusatzeinkommen man sich dazuverdient, bleibt dann freie Wahl ohne den Druck der Not. Intrinsische Motivation und Selbstentfaltung würden frei, Leistung würde weiterhin entlohnt, aber nicht mehr erzwungen. Auch hier kann es unzählige Varianten geben, die jeweils auf ihren Erfolg geprüft werden. Einmal kann das mehr in Richtung Gleichheit gehen, ein anderes Mal mehr zugunsten der freien Berufswahl. Der Erfolg wird auch hier von der jeweiligen Optimierung der Balance abhängen.

*** Literatur Die Bibel. Die Heilige Schrift des Alten und Neuen Bundes. Vollständige deutsche Ausgabe. Freiburg 2006: Herder. Der Koran. Stuttgart 1999: Reclam. Die Tora. Die fünf Bücher Mose in der übersetzung von Moses Mendelssohn. Hrsg.v. Annette M. Böckler. Berlin 2004: Jüdische Verlagsanstalt.

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Das Vermögen zu glauben. Vermögenskulturelles Denken in theologischer Reflexion Claudia Andrews

Einleitung Eine These im Rahmen der international vergleichenden und interdisziplinären Theoriebildung zum Ansatz der Vermögenskultur ist, dass Glaube ein wichtiges Vermögen fUr Individuen und Gruppen darstellt, weil religiös gebundene Menschen in ihrem Glauben eine umfassende Ressource zur sinnerfiillten Gestaltung und Deutung ihres Lebens finden (Thomas Druyen, persönliche Mitteilung). Religiosität ist ein universales Phänomen. Glaube, so der religionswissenschaftliche Befund, gehört konstitutiv zu jeder Religion hinzu (vgl. Grünschloß 2000: S. 940 t). Und nicht zuletzt wurzeln viele Normen und Werte, die gesellschaftliches Handeln mitbestimmen, ursprünglich oder auch aktuell in religiösen Überzeugungen. Wie sich Glaube als Vermögen in unterschiedlichen Religionen und religiösen Gruppen insgesamt ausbuchstabiert, soll im Rahmen der weiteren Entwicklung des Ansatzes der Vermögenskultur erschlossen werden. Damit ist ein Diskursthema fUr entsprechend interessierte Theologinnen und Theologen sowie Religionswissenschaftlerinnen und Religionswissenschaftier beschrieben, das zum Beispiel angelehnt an die Form des interreligiösen Dialoges bearbeitet werden kann. Innere Zustimmung, sicheres Wissen, ein festes Vertrauen in eine göttliche Macht, hingebungsvolle Praxis oder auch Bekenntnis von Glaubensinhalten - all das kann "Glauben" in unterschiedlichen Religionen bedeuten. Eine allgemeine Bedeutung des Begriffs Glauben lässt sich nach einer vergleichenden religionswissenschaftlichenAnalyse trotz vieler Analogien nicht treffen (vgl. Grünschloß 2000: S. 941). Inhalte sowie Ausdrucksformen von Glauben gestalten sich in jeder Religion zu unterschiedlichen Zeiten und individuell sehr verschieden. In ihnen spiegeln sich jeweils kulturell und sprachlich geprägte Denk- und Handlungsweisen. Die überlieferten Gottesvorstellungen, Mythen und religiösen Riten verbinden sich mit der kontextuellen empirischen Wirklichkeit von Menschen. Bei aller Bedeutungsvielfalt in unterschiedlichen Religionen lassen sich jedoch einige universale Funktionen von Glauben beobachten. Universal gilt beispielsweise, dass Glaube Einzelne in Gemeinschaft mit anderen Menschen stellt, die ihre Überzeugungen teilen, Glaube also Sozialbezüge konstituiert. Darüber hinaus erweist er sich als Ressource zur sinnhaften Deutung des Lebens und der Orientierung in der Welt (PreulI997: S. 549-553). Beide Funktionen bieten für die theologische Reflexion des Ansatzes der Vermögenskultur erste Anknüpfungspunkte, Glaube als Vermögen zu deuten.

T. Druyen (Hrsg.), Vermögenskultur, DOI 10.1007/978-3-531-92086-3_9, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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1. Eröffnung eines interreligiösen Dialogs zur Vermögenskultur Inhaltlich fällt die Sinnstiftung und Orientierung in den einzelnen Religionen sehr unterschiedlich aus. Dies liegt beispielsweise wesentlich am zugrunde liegenden Gottes- und Menschenbild sowie an den Heilserwartungen einer Religion. Hier deutet sich an, dass die Rede vom "Vennögen zu glauben" im jeweiligen religiösen, kulturellen und aktuellen Kontext sich nicht jedem Betrachter ohne Weiteres von selbst erschließt. Es bedarf der Erläuterung, der Analyse und der Aufdeckung normativer Voraussetzungen. Dies kann in gleicher Weise als Prozess der Selbstvergewisserung über vennögenskulturelle Grundlagen einer homogenen Gruppe wie auch als Beitrag zur interreligiösen und damit zur interkulturellen Verständigung begonnen werden. Eine Vergewisserung über die eigene Identität kann diese stärken und eine Basis für die Begegnung mit anderen Religionen schaffen, in der das Fremde nicht als Bedrohung empfunden wird, sondern als etwas die Wirklichkeit anderer Menschen Prägendes respektiert werden kann. In den letzten Jahren wurden im interreligiösen Dialog verschiedene Dialogtheorien entwickelt und aufihre Praxistauglichkeit geprüft.! Als Alternative zum vielfach kritisierten konsenstheoretischen Dialogmodell hat sich das dissenstheoretische Dialogmodell herausgebildet (vgl. Hempelmann 1999). Dessen Motto lautet: "We agree to disagree." Die Übereinstimmung, dass man zum respektvollen Verstehen anderer Glaubenshaltungen und ihren zugrunde liegenden Überzeugungen nicht notwendiger Weise übereinstimmende Glaubensüberzeugungen haben muss, wird im dissenstheoretischen Dialogmodell als einzige gemeinsame Voraussetzung zum Dialog angenommen (ebda.: S. 137). Es geht im interreligiösen Dialog also nicht um Überzeugungsprozesse, die aufeine Konversion der Gesprächspartner zielen. Es geht auch nicht darwn, einen ,,kleinsten gemeinsamen Nenner" an Glaubensüberzeugungen als Grundlage für den wechselseitigen Dialog zu finden. Der dissenstheoretisch angeleitete interreligiöse Dialog geht im Sinne einer bewussten Selbstbeschränkung der eigenen Perspektive von einer klaren Beschreibung des jeweiligen Kontextes der Gesprächsteilnehmer aus. Das universale Phänomen des Glaubens kann so in seiner jeweiligen Religions- und Kulturgebundenheit auf seine partikulare Bedeutung untersucht werden. Die Ergebnisse eines (dissenstheoretisch angeleiteten) interreligiösen Dialoges können in die Theoriebildung des Ansatzes der international vergleichenden Vennögenskultur eingebracht werden und diese in ihrer Interdisziplinarität um eine theologische Reflexion erweitern.

2. Das Vermögen zu glauben in christlicher Perspektive Dieser Beitrag möchte die theologische Reflexion des Ansatzes der Vennögenskultur mit ersten Überlegungen aus christlicher Perspektive anregen und eröffnen. 2 Dazu wird der dem Ansatz der Vermögenskultur zugrunde liegende Vermögensbegriff, der Vermögen als die Summe all dessen definiert, was ein Mensch besitzt und - auch potenziell- zu tun vermag (vgl. Druyen 2007; 2009a; 2009b), aus der Perspektive christlicher Theologie betrachtet. Grundlegend für die theologische Reflexion von Vermögen sind die Fragen nach dem Ursprung allen Vennögens (2.1) sowie nach dem Vermögen zu glauben (2.2). Mit Bezügen zur christlichen

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Glaubenslehre sollen im Folgenden entlang dieser beiden eng verbundenen Fragen erste Aspekte herausgearbeitet werden. Dabei folge ich dem Entwurf von Wilfried Härle (2007), der seit seiner ersten Veröffentlichung 1995 breite Rezeption gefunden hat. 3 Schließlich wird exemplarisch auf das Vermögen verantwortlicher Lebensführung (2.3) eingegangen.

2.1 Der Urspnmg allen Vermögens: Gott Die aus jüdischen Wurzeln hervorgegangene christliche Tradition sieht Gott als Ursprung aller Dinge an (vgl. Härle 2007: S. 285 ff., 409-439, bes. 418-424). Die beiden biblisch überlieferten Schöpfungsberichte4 deuten die Entstehung der Welt mit allen Geschöpfen theologisch als Ausdruck von Gottes freiem Willen. Aus christlicher Perspektive ist Gott somit der alles Dasein konstituierende Grund - und entsprechend auch als Ursprung allen Vermögens anzusehen. s Welche Bestinunungen und Ziele sich daraus für die unterschiedlichen Vermögen von Menschen ableiten lassen, schließt sich als Folgefrage an. Zur Beantwortung sollen zunächst das Wesen Gottes und das Wirken Gottes näher betrachtet werden.

Vom Wesen und Wirken Gottes: Liebe In seinem Wirken als Schöpfer gibt Gott Anteil an seinem Wesen, das nach dem Zeugnis biblischer Texte Liebe ist. 6 Gott stiftet mit seiner Liebe von seiner Seite eine unverbrüchliche Verbindung zu seinen Geschöpfen, die es diesen ermöglicht, in eine Beziehung mit ihm zu treten. Liebe ist ihrem Wesen nach ein Beziehungsgeschehen (vgl. Härle 2007: S. 242). Die besondere Beziehung zwischen Gott und Mensch kann über die Denldigur der kategorialen Differenz von Wesen und Erscheinung erklärt werden (vgl. ebda.: S. 74-76). Sachverhalte verschiedener BegritTsebenen oder unterschiedlicher Grundbegriffe können darin als miteinander verbunden gedacht werden. 7 Alle kreatürlichen Formen der Liebe beispielsweise sind kategorial von der Liebe Gottes unterschieden - stehen aber zu ihr in Beziehung. "Wer liebt, ist nicht Gott, aber er ,bleibt in Gott und Gott in ihm'; denn er ist,von Gott geboren' (I. Joh 4, 16 und 7), dessen Wesen Liebe ist." (Härle 2007: S. 243) Einige Eigenschaften hat Gott sich in seiner Gnade (und Weisheit) allein vorbehalten, wie zum Beispiel Allmacht und Allwirksamkeit, Allwissenheit, Allgegenwart und Ewigkeit. Andere Eigenschaften denkt Gott seinen Geschöpfen gnädig zu: seine Güte, Gerechtigkeit und Treue, seine Barmherzigkeit und Gnade, seine Heiligkeit und seinen Zorn (vgl. ebda.: S. 257). Auch darin kommt die wesensmäßige Verbundenheit bei einem gleichzeitigen kategorialen Unterschied zwischen Liebe und Liebenden beziehungsweise zwischen Gott und Mensch zum Ausdruck (vgl. ebda.: S. 255-269). Die Gaben, die Gott Menschen durch seinen Geist zur Lebensgestaltung und -bewahrung zur Verfügung stellt, werden in neutestamentlicher Briefliteratur13 Charismen, (Gnaden)Gaben, genannt (vgl. ebda.: S. 378-383; 302; 364 f.).

Die Liebe Gottes in Christus Mit der christlichen Wesensbestimmung von Gott als Liebe ist zugleich das zentrale "Geheimnis des Glaubens" beschrieben. Diese Wesensbestinunung beruht aufder Voraussetzung,

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"daß Gott sich in Jesus Christus zum Heil der Welt erschlossen hat" (Härle 2007: S. 236). Die Verbindung zu Gott ist für die Geschöpfe heilvoll (vgI. ebda.: S. 414 f.), weil Gott mit seiner Selbstoffenbarung in Jesus Christus, in seiner Person, seiner Verkündigung, seinem Wirken, seinem Tod und seiner Auferstehung den Menschen den Weg und die Möglichkeit zum Anteil an dem in Jesus gewirkten Heil gewiesen hat (vgl. ebda.: S. 89-98).8 Nach biblischem Zeugnis begegnet Menschen Heil in vielerlei Gestalt, wie es exemplarisch im ersten Brief des Paulus an die Korinther Kapitell, Vers 30 heißt: "Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus, der uns von Gott gemacht ist zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung." In der "Weisheit" begegnet Heil als Erleuchtung und Erkenntnis (vgl. ebda.: S. 495 f.), unter dem Stichwort "Gerechtigkeit" wird Heil als Versöhnung und Rechtfertigung beschrieben (vgl. ebda.: S. 496 f.), im Zusammenhang mit ,,Heiligung" wird Heil als Wiedergeburt und Vergöttlichung erwartet (vgl. ebda.: S. 497 f.) und mit "Erlösung" wird das Heil in Form einer Befreiung und Heilung erhofft (vgl. ebda.: S. 498 f.). Bei aller Vielfalt der Heilserwartungen sind das Wesen des Heils und die Wirkung des Heils immer eins, nämlich dass Gott die Macht der kreatürlichen Sünde durchbricht und die Person neu konstituiert (vgl. ebda.: S. 499-505). Das Wirken von Heil wahrt die Kontinuität zwischen "altem" und "neuem" Menschen. "Aber die Erneuerung, die in dieser Kontinuität stattfindet, hat nicht (nur) den Charakter einer Entwicklung, sondern (auch) den eines radikalen Neuwerdens, das als ,Sterben' und ,Auferstehen' erlebt werden kann." (ebda.: S. 502)

Die Liebe Gottes in Beziehung Daraus, dass Liebe ihrem Wesen nach Beziehung ist, erschließt sich das christliche Gottesbild als ein relationales Gottesbild (vgl. Härle 2007: S. 279).9 Die Wirklichkeit Gottes als Beziehung drückt sich in einer doppelten Relationalität aus (vgL ebda.: S. 279). Das trinitarische Wesen Gottes als Einheit von Vater, Sohn und Heiligem Geist stellt die interne Relationalität dar (vgl. ebda.: S. 381 fI.). Die externe Relationalität bezieht sich auf Gottes Beziehung zu seiner Schöpfung, die von ihm bewahrt und vollendet wird (vgl. ebda.: S. 600-649). Der Geist Gottes wirkt als das Gott und Menschen verbindende Element (vgl. ebda.: S. 337-385, bes. 362 ff.). In biblischen Texten finden sich neben dem schöpfungstheologischenlO auch bundestheologischeil und christologische12 Begründungszusammenhänge für die Beziehung von Gott und Mensch. In dieser Vielfalt spiegelt sich die Genese jüdischer und christlicher Theologie. Gemeinsam ist den drei Grundlegungen, dass sie die Konstituierung der menschlichen Existenz durch Gott, also außerhalb des Menschen selbst, zum Ausdruck bringen - eine wesentliche Voraussetzung beispielsweise für die innere Freiheit von Menschen. Aus den verschiedenen Begründungszusammenhängen lassen sich jeweils unterschiedliche Aspekte der Bestimmung der Menschen ableiten. Gottes Schöpfungswirken betont die Gott-Ebenbildlichkeit der Menschen, durch die ihnen eine bedingungslose, unverbrüchliche Würde zu eigen ist, die ihnen auch nicht durch ihre kreatürliche Unvollkommenheit, ihre Gottesferne oder, im traditionellen Sprachgebrauch, ihre Sünde verloren geht (vgl. ebda.: S. 210,434-437). Die bundestheologische Begründung betont die Erwählung der Menschen als Grundlage der Gottesbeziehung, die die Menschen in Gemeinschaft mit Gott und ihren Glau-

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bensgeschwistern stellt (vgl. ebda.: S. 435, 570 f.). Der christologische Bezug begründet die Möglichkeit der Menschen, die ihnen zugedachte Gemeinschaft mit Gott, also Heil, schon in dieser Welt zu erfahren (vgl. ebda.: S. 321-339). Gottes relationales Wesen stellt die Menschen in grundlegender Weise in Gemeinschaftsbezug: zuerst zu Gott, aber auch zu ihren Geschwistern im Glauben und allen anderen Geschöpfen (vgl. ebda.: S. 437).

Die Liebe Gottes zu den Menschen Das eigene Leben als von Gott aus Liebe gegebenes Geschenk zu betrachten, führt zu einem theologisch bestimmten Selbst- und Menschenbild (vgl. Härle 2007: S. 424-439). Als Geschöpf, Ebenbild und Bündnispartner Gottes erleben Menschen sich wesentlich außerhalb ihrer selbst durch Gottes unverfligbaren Willen konstituiert und in Gemeinschaft und Beziehung zu ihm. Menschen haben Anteil am Wesen Gottes, was ihnen eine unverbrüchliche Würde zueignet und sie zu Liebe, Freiheit und Verantwortung beruft (vgL ebda.: S. 210 f., 221-225). Sie sind Vernunft begabte Personen, die zu sich selbst, zu anderen Personen und zum Ennöglichungsgrund ihres Personseins, zu Gott, in Beziehung stehen (vgl. ebda.: S. 248-250). Ziel allen menschlichen Suchens istfür Christen entsprechend die Gotteserkenntnis, um mit dem Grund ihres Seins und der Quelle von Lebenskraft und -sinn in Übereinstimmung zu leben (ebda. S. 225-228). Die christliche Lebenspraxis des Glaubens ist Liebe, wobei sich die Gottesliebe notwendiger Weise in Nächstenliebe konkretisiert (ebda., 162-167; 517-532).

Von der Möglichkeit der Erkenntnis Gottes Menschen können von Gott wissen, weil er sich ihnen selbst mitteilt. Das Erschließungsgeschehen, in dem ein Mensch von Gott erfiihrt, wird in der Theologie Offenbarung genannt. Offenbarung ist ein komplexer Relationsbegriff, in dem fünf Struktwmerkmale unterschieden werden können: der Gehalt, der Urheber, die Gestalt, der Empfänger und die Wirkung einer Offenbarung (vgl. Härle 2007: S. 81-90). Wo Gott als Urheber und Gehalt der Offenbarung erkannt wird, erfüllt sich das Selbsterschließungsgeschehen Gottes (vgl. ebda.: S. 83) und bewirkt im Empfänger Glauben (vgl. ebda.: S. 88,230 ff.) In seinem selbstoffenbarenden Wirken bedient Gott sich Zeichen, Worte oder Menschen (vgL ebda.:. 81 ff., 317). Gott vermittelt sich den Menschen entweder unmittelbar oder auch vermittelt durch Erziehungs- beziehungsweise Bildungsprozesse (vgl. ebda.: S. 39). In biblischen Erzählungen erkennen Menschen Gott beispielsweise in einer voranziehenden Feuersäule 14 oder im Wort und der Person eines Propheten. 15 Vermittelt durch die Erzählung biblischer Geschichten und Schriftauslegung können wir heute von den unterschiedlichen Möglichkeiten der Gotteserkenntnis wissen.

2.2 Glaube als christliches Grundvermögen Wie schon erläutert, können Menschen auf Gottes Beziehungsangebot antworten. Sie sind frei, dieses anzunehmen oder auszuschlagen. Verlieren können sie es aber nicht, da Gott ihnen unverbrüchlich treu ist (vgl. Härle 2007: S. 414 f., 435). Reagieren Menschen auf die Anspra-

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che Gottes und nelunen das Beziehungsangebot Gottes an, konstituiert sich die von Gott angelegte und gewollte Gemeinschaft als wechselseitige Beziehung, und sie erfahren Heil (vgl. ebda.: S. 510 f.). Die Erwiderung von Gottes Liebe und Vertrauen von Seiten der Menschen wird als Glauben bezeichnet. 16 Der Prozess des Zum-Glauben-Kommens kann als "die aktive Passivität des Sich-bestimmen-Lassens" beschrieben werden (ebd.: S. 516). Der kommunikative Ort, an dem Gott um Glaubenserkenntnis gebeten werden kann, ist das Gebet, das Gespräch zwischen Mensch und Gott (vgl. ebda.: S. 230 ff., 300 ff.). Glaubende erleben sich als von Gott geliebtes Geschöpf. Alles wird von der Liebe Gottes her gedeutet, Liebe wird zur Lebenspraxis (vgl. ebda.: S. 516- 525, 195-234). In der Anerkennung von Gott als ,,Allem seine Bestimmung gebende Wirklichkeit" (ebda.: S. xv, 211) erschließt sich auch alles Vermögen - zuerst das Vermögen zu glauben - als von Gott aus Liebe gegebenes, unverfügbares Geschenk. Das Vermögen zu glauben bewirkt das Vermögen aus Liebe zu leben und das Vermögen der verantwortlichen Lebensführung. Das Vermögen zu glauben kann also als das christliche "Grundvermögen" betrachtet werden. Einmal gewonnene Glaubensgewissheitkann aber auch wieder verloren gehen (vgl. ebda.: S. 61 ff.), zum Beispiel, weil die Erinnerung an die erfahrene Gottesnähe im Laufe der Zeit verblasst, Zweifel an Gott als allem seine Bestimmung gebende Wirklichkeit wachsen oder sich jemand aus einem bestimmten Grund gegen ein Leben in der Liebe Gottes entscheidet. Glaube bedarfimmer wieder der Erneuerung und Bestätigung (vgl. ebda.: S. 61 ff., 77). Daher gehört es zur religiösen Praxis von Christinnen und Christen, regelmäßig das Wort Gottes zu lesen oder zu hören und sich, etwa in der Feier von Gottesdiensten, der Gemeinschaft mit Gott zu vergewissern. Die Haltung des Glaubens ist es, immer wieder neu mit leeren Händen vor Gott zu treten, um sie sich von ilun füllen zu lassen. So erweist sich Glaube für Einzelne und Gruppen als wichtige Ressource - als Quelle für Vermögen. Das Vermögen zu glauben beruht auf der Grunderfahrung der von Gott erfahrenen Liebe und dem von Gott entgegen gebrachten Vertrauen und gibt Menschen sowohl Vergewisserung über ihre Herkunft als auch über ihre Bestimmung und stiftet somit in umfassender Weise Sinn (vgl. Härle 200, 21 Of; 221-224).

Nah bei Gott, geht das? Bevor abschließend exemplarisch einige ethische Implikationen der theologischen Bestimmung der Menschen in Hinblick aufdie Vermögenskultur betrachtet werden, soll zunächst die so genannte Rechtfertigungslehre kurz in den Blick genommen werden. Im Kern geht es in ihr um die Frage, wie der Mensch vor Gott gerecht werden, das heißt Gott nahe sein kann (vgl. Härle 2007: S. 162-167). In der theologischen Reflexion von Vermögen kommt der Rechtfertigungslehre insofern zentrale Bedeutung zu, als in der Diskussion um das Vermögen von Menschen das Missverständnis auftreten könnte, dass Menschen eine eigene Leistung, irgendein Vermögen, dazu nutzen könnten, sich Gott gefällig zu machen. Der glaubende Mensch ist unter den Bedingungen seiner Geschöpflichkeit in dieser Welt vor Gott stets simul iustus et peccator, zugleich gerecht und sündig, zugleich Gott nah und fern (vgl. ebda.: S. 163,456-492). Er bleibt angewiesen auf die Erlösung Gottes (vgl. ebda.:

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S. 324-339,493- 599, bes. 510 f., 515) und hofft auf die Vollendung von Gottes Heilshandeln an ihm nach seinem Tod (vgl. ebda.: S. 629-649). Grundlegend für die Rechtfertigungslehre ist wieder die Denkfigur der kategorialen Differenz von Schöpfer und Geschöpf: insbesondere die Unterscheidung zwischen Gotteswerk und Menschenwerk (vgl. ebda.: S. 164 f.). Paulinische und reformatorische Lehre besagen, dass der Mensch allein durch seinen Glauben an Jesus Christus, der durch Gottes Selbstoffenbarung gewirkt ist, vor Gott gerecht werden könne (vgl. ebda.: S. 160-167,321-356,362-376). Motivation und zentrales Ziel christlicher Lebensführung ist es daher, mit allem Tun und Lassen Gott zu ehren. Da die Beziehung von Menschen zu Gott unter den Bedingungen dieser Welt stets angefochten ist, räumt Gott Menschen die Möglichkeit zur Umkehr ein. In traditioneller kirchlicher Sprache wird diese Umkehr "Buße" genannt. Sie erfordert die Einsicht in die eigene Gottesfeme und aufrichtige Reue (vgL ebda.: S. 615-618, 308-312). Maßstab hierzu ist die Gerechtigkeit Gottes, die allein auf den Glauben des Menschen blickt, den er durch die "aktive Passivität des Sich-bestimmen-Lassens", nicht aber durch irgendeine aktive eigene Handlung erreichen kann.

2.3 Das Vermögen aus Liebe zu leben oder: Das Vermögen verantwortlicher Lebensführung Im Folgenden sollen einige individualethische und sozialethische Konsequenzen der theologischen Bestimmung des Menschen zur Liebe, Gemeinschaft, Freiheit und Verantwortlichkeit in ihrer möglichen Bedeutung für den Ansatz der Vermögenskultur betrachtet werden. Individualethik und Sozialethik sind eng miteinander verbunden, da sie auf den gleichen Voraussetzungen beruhen und sich auf dieselben Nonnen beziehen. Dennoch sind sie voneinander zu unterscheiden, weil sie auf unterschiedliche Bereiche fokussieren. Die Individualethik befasst sich damit, wie Einzelpersonen ihre Bestimmung erreichen können, während sich die Fragestellungen der Sozialethik auf das Erreichen der Bestimmung von Kollektiven und die Ordnungen des Zusammenlebens richten (vgl. Heesch 2001: S. 103). Christlicher Glaube kann als nicht versiegende Quelle von Lebenskraft und innerer Unabhängigkeit erlebt werden, wenn sich glaubende Menschen als Geliebte Gottes verstehen. Die Liebe Gottes vermittelt ihnen Würde, (Lebens-)Sinn und Orientierung. Das Vermögen zu glauben kann daher als grundlegende Befähigung und Motivation gedeutet werden, individuelle Potenziale zu entfalten - auch gegen eventuelle innere und äußere Widerstände.

Die Norm christlicher Lebensführung Als Norm christlicher Lebensführung kann das Doppelgebot der Liebe angesehen werden: "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst; ich bin der Herr."l? Darin kommt sowohl zum Ausdruck, dass Liebe die Lebenspraxis des Glaubens ist, als auch, dass die Menschen grundlegend für sich und andere verantwortlich sind. Wichtig ist hier, an ein Ergebnis der vorangehenden Ausführungen anzuknüpfen: daran, dass das Vermögen zu glauben das Vermögen aus Liebe zu leben und das Vermögen der verantwortlichen Lebensführung bewirkt. Wozu Gott Menschen beauftragt, dazu befähigt er sie prinzipiell auch.

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Verantwortung in christlicher Perspektive Wesentliche Konstitutionsbedingung der Verantwortung von Christinnen und Christen ist, dass diese außerhalb ihrer selbst durch Gott in ihrer Würde gegeben ist. Würde als Gabe Gottes an die Menschen hat eine ethische Dimension (vgl. Hamm; Welker 2001: S. IX f.), sie umfasst den Auftrag, Verantwortung zu übernehmen. Dies bedeutet beispielsweise, mit der Schöpfung Gottes und miteinander wertschätzend umzugehen und füreinander zu sorgen. Die WÜTdestellung der Menschen kann dabei auch als ein Korrelat zu ihrer Bedürftigkeit und Mangelhaftigkeit verstanden werden: Würde ist "die göttliche Beauftragung eines selbst schutzbedürftigen Wesens, für schützendes Recht und damit für ein würdiges Leben zu sorgen" (ebda.: S. VII). Die Verantwortung von Christinnen und Christen richtet sich auf die eigene Person und auf die Nächsten, wobei die Solidarität mit Anderen nach christlichem Verständnis sogar die Feindesliebe umfasst. 18 Verantwortlich sind Menschen für alles Wollen und Tun, sowohl retrospektiv, beispielsweise für die Folgen des eigenen Handelns das in der Vergangenheit liegt, als auch prospektiv, für die Folgen von geplantem Handeln (vgI. Herms 2005: S. 933). Zu verantworten haben sich Glaubende zugleich vor Gott, vor dem eigenen Gewissen und vor der Gemeinschaft (vgl. ebda.: S. 933 f.). Thre Verantwortung umfasst inhaltlich sowohl den Auftrag zum Bewahren der Schöpfung als auch den Auftrag zur lebensdienlichen verändernden Gestaltung der Wirklichkeit für alle seine Geschöpfe (vgl. Härle 2007: S. 292, 437 ff.). Der modeme Begriffder Nachhaltigkeit beispielsweise entspricht damit christlicher Rationalität. 19 Bezieht man die christliche Deutung von Verantwortung auf den Ansatz der Vermögenskultur wird deutlich, dass nicht nur die Verwendung sondern auch der Erwerb von Vermögen ethisch verantwortet sein muss. Gemäß christlicher Anthropologie ist dabei in Rechnung zu stellen, dass Menschen fehlbar und nicht allwissend sind. Auch Christinnen und Christen können jeweils "nur" besten Wissens und Gewissens handeln. Sie bleiben in grundsätzlicher Weise auf die Gnade und Treue Gottes, die Schuld vergibt, angewiesen. Gott unterscheidet nach christlicher Tradition zwischen Sünder und Sünde. Er mag die Sünde nicht, nimmt sich aber der Sünder an, sofern diese umkehren und zur Gemeinschaft mit ihm zurückkehren möchten (vgl. Abschnitt "Nah bei Gott, geht das?"). Diese Art der Gottesbeziehung drückt sich notwendiger Weise in der Gestaltung von Sozialbeziehungen aus. Individuelle Freiheit hat ihre Grenze an dem Respekt vor der Freiheit anderer Menschen. Was in konkreten Situationen ein verantwortliches Handeln im christlichen Sinne ist, kann jenseits von Grundkoordinaten nicht pauschal vorab bestimmt werden. Quelle der christlichethischen Beurteilung verantwortlichen Handelns für aktuelle Fragestellungen sind die biblischen Schriften und deren Interpretation in christlicher Glaubenslehre. Es bedarf dabei jeweils der suchenden Auseinandersetzung mit den Quellen, des Gebets und der geschwisterlichen Beratung mit anderen Christinnen und Christen, um Antworten zu finden. Die Grenzen allen Vermögens Die christliche Reflexion des Vermögensbegriffs sensibilisiert auch für die Grenzen allen Vermögens. Vermögen ist den Menschen zu wesentlichen Teilen unverfügbar, weil ihnen Gott als

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der Ursprung allen Vennögens unverfiigbar ist. Nach christlichem Verständnis ist alles Vermögen, über das Menschen verfügen, ein ihnen zum gesegneten Gebrauch anvertrautes Geschenk Gottes. Die erste und wichtigste Reaktion von Christinnen und Christen auf das ihnen anvertraute Vennögen ist der Dank an Gott. In der Verwendung ihrer Vennögen sind sie an ihre dreigeteilte Verantwortung gegenüber Gott, den Menschen und ihrem Gewissen gebunden. Die Möglichkeiten, eigenes Vermögenspotenzial zu aktivieren, sind unterschiedlich und nicht ausschließlich von individuellen Voraussetzungen abhängig. Es gibt Situationen, in denen beispielsweise die Eingebundenheit in bestimmte gesellschaftliche (Teil-)Systeme Menschen die Möglichkeit zur Entfaltung ihrer Potenziale verwehrt. Auch die Zugangsmöglichkeiten zu natürlichen und weiteren Ressourcen beeinflusst die individuelle Vermögensentwicklung. Das Vermögen der Solidarität mit den Unvermögenden Im Kontext der Frage nach den Grenzen des Vermögens ist insbesondere die Solidarität mit den "Unvermögenden" ein wichtiges Thema christlicher Lebensführung. Überall wo Menschen daran gehindert sind, gemäß ihrer Bestimmung zu leben, stehen Christinnen und Christen in der Verantwortung, nach Kräften dazu beizutragen, die Achtung von Gottes Willen für seine Geschöpfe wieder herzustellen. Das heißt, dass sie sich jeweils in kontextspezifischer Weise für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung konkret einsetzen. In biblischen Texten sind sowohl materielle als auch immaterielle Varianten von Armut und Reichtum bekannt, die Menschen daran hindern, ihrer Bestimmung nach, also, in Gemeinschaft mit Gott, zu leben. Die Geschichte vom Scherflein der armen aber glaubensstarken Witwe20 und dem reichen JÜDgling21 sind klassische Beispiele dafür, dass materieller Reichtum kein Garant und materielle Armut kein Hinderungsgrund für ein gottgemäßes Leben sind. Allen "Unvennögenden", egal worin dieses Unvermögen besteht, gebührt nach christlichem Selbstverständnis Solidarität - nicht aber Ausgrenzung aus der Gemeinschaft der Glaubenden: Armen, Kranken, Schwachen und Unterdrückten genauso wie, in konsequenter Anwendung der vermögenskulturellen Begriffsdefinition von Vennögen, Reichen, die ihr Vermögen nicht auch zum Wohl der Allgemeinheit einsetzen. Ein wichtiger Standard, der sich bei der Realisierung christlicher Unterstützungsangebote herausgebildet hat, ist beispielsweise die Wahrung der Würde der Hilfeempfanger. Würde umfasst in diesem Kontext unter anderem die Freiheit im Sinne von Selbstbestimrnung. 22 Die universale Bestimmung der Menschen zur Würde bedeutet zugleich, dass auch (potenzielle) Geberinnen und Geber einen Anspruch auf einen würdigen Umgang haben. So sind Geberinnen und Geber zum Beispiel bei der Werbung um freiwillige Unterstützung nicht unter Druck zu setzen. Ihnen ist eine echte Entscheidungsfreiheit für ihr Handeln zu gewähren. Auch dürfen Vermögende nicht aufgrund der Menge der ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen pauschal verdächtigt werden, sie hätten ihren Reichtum unrechtmäßig erworben. Es wurde argumentiert, dass jede Christin und jeder Christ aufgrund seiner Gotteskindschaft seine grundlegende Angewiesenheit auf Gott und damit sein eigene Bedürftigkeit kennt. Theologisch gesprochen gibt es entsprechend kein "Gefälle" zwischen Menschen, die geben, und Menschen, die empfangen. Gebende Menschen sind selbst zuallererst immer Empfan-

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gende. Und auch zwischen denen, die geben und denen, die für Erhaltenes zu danken haben, besteht kein Gefälle. Ebenso wenig zwischen ,,Bittstellern" und "Vermittlern". Glaubende Menschen stehen gegenüber Gott selbst immer in allen Rollen zugleich: Sie sind Empfangende, Dankende und Gebende, Bittstellende und Vennittelnde. Die Würde, die Gott allen seinen Geschöpfen zuteil werden lässt, sollen auch die Menschen untereinander zur Geltung bringen. Das Vermögen zu geben Im Zusammenhang der Solidarität mit "Unvermögenden" kann der christliche Glaube als grundlegende Ressource für das Vermögen zu geben gesehen werden. Christinnen und Christen können andere dankbar unterstützen, weil ihnen ihre Hände zuvor von Gott gefüllt wurden und immer wieder gefilllt werden. 23 Alles Geben ist theologisch betrachtet ein Ab- beziehungsweise Weitergeben der erfahrenen Gottesliebe und gnädig anvertrauter immaterieller und materieller Güter zum eigenen Wohle und zum Wohle der Gemeinschaft. Genau daran knüpft auch die Theologin Magdalene Frettlöh an, wenn sie als ein Ergebnis ihrer Analyse der paulinischen Kollekte für Jerusalem24 als Kernsatz einer biblischen Theologie und Ethik der Gabe in Anlehnung an Aussagen von König David25 formuliert: "Wir geben dir aus deiner Hand." (Frettlöh 2001: S. 160) Sie resümiert: "Das Gabeereignis zwischen Gott und den Menschen folgt dabei nicht der Logik do ut des 26 , sondern von damus, quia dedistz"27. Gott bedarf zu seiner Freigiebigkeit unserer Genugtuung nicht. Die göttliche Vorgabe, die wir dankbar und lustvoll gebrauchen und genießen dürfen, gibt uns die Aufgabe, das Überflüssige reichlich zu teilen, auf dass auf Erden alle genug haben und - vergnügt sein können. Dabei geht aber die Vorgabe nicht in der Aufgabe auf, sie behält einen Überschuß ihr gegenüber. Wenn wir vom Überfluß zur Genüge geben, braucht es uns nicht zu beunruhigen, dass unsere Gegengabe in jeder Hinsicht hinter der göttlichen Vorgabe herhinkt. Das mindert nicht ihren Charme." (Frettlöh 2001: S. 161) Frettlöh vertritt die These, die Gabe sei die biblisch- und systematischtheologische Leitkategorie und stehe in enger Verbindung mit dem Thema Dank (vgl. Frettlöh 2001,2005).28 Sie identifiziert die Gabe der Kollekte vierfach: als charis - Gnade, Dank, Heil, Liebe, Schönheit, Anmut, als diakonia - Dienst am Mitmenschen, als koinonia - Gemeinschaft und als leitourgia - Gottesdienst (vgl. Frettlöh 2001: S. 141-159). Dank für die Gabe des Lebens und der Gottesbeziehung ist in theologischer Perspektive "die erste freie Antwort des Menschen auf das ihm von Gott gratis Gewährte" (Frettlöh 2005: S. 206) und somit primär Ausdruck von Vertrauen und nicht von Pflicht und Schuldigkeit, wie Dankbarkeit im Alltagsleben häufig interpretiert wird (vgl. Frettlöh 2005: S. 224). Neben dem Geben und Danken ist das Bittgebet eine weitere grundlegende Form des Ausdrucks von Glauben. Denn Gott hat seinen Geschöpfen seine fortwährende Nähe und sein bewahrendes Handeln zugesagt. Die an Gott gerichteten Bitten können sich auf eigene Belange beziehen oder aber die Form der Fürbitte für andere annehmen. 29 In der (Für-)Bitte agiert jede Christin und jeder Christ als (Ver-)Mittler zwischen (Segens-)Bedürftigen und dem, der aus seiner Fülle reichlich zu geben vermag: Gott. 30

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Für Andere Gutes erbitten, Anderen Gutes wünschen und erweisen, leitet sich also unmittelbar aus der Gottesbeziehung von Menschen ab. Geben, Bitten und Danken sind für alle Christinnen und Christen konstitutive Elemente ihrer Glaubenspraxis. In theologischer Sachlogik ordnen sich die drei Kernelemente klassischen Gabe-Handelns in folgender Reihenfolge: Danken, Bitten, Geben. Theologisch ist Dank Ausdruck von Vertrauen gegenüber Gott für die von ihm gewährte Liebe und Bestimmung. Im christlich verantworteten Geben sollte Dank daher, wie Frettlöh betont, nicht zur Pflicht verkommen (vgl. Frertlöh 2005: S. 224). Geben können Christinnen und Christen, weil sie zuvor von Gott beschenkt wurden. Bei aller individuellen Verantwortung ist es für Glaubende entlastend zu wissen, dass sie nicht jeden Missstand abzuwenden und nicht alles selbst zu bewirken brauchen. Allwirksamkeit und Allmacht sind Gott vorbehaltene Eigenschaften. Christinnen und Christen dürfen darauf vertrauen und hoffen, dass Gott vollendet, was sie in seinem Namen beginnen. 31 Was christliches Geben wesentlich von anders motivierten Formen des Gebens unterscheidet ist, dass damit die Fürbitte verbunden ist, Gott möge bei den Empfängern der Unterstützung zu deren Heil wirken. Für alle Christinnen und Christen gilt die Verheißung: "Wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden." (1. Johannesbrief, Kapitel 3, Vers 2a) Vermögenskulturell gesprochen: Alles Vermögen bedarf der Vollendung Gottes, damit es seine Bestimmung erreicht.

3. Zusammenfassung Gott wurde in dem Beitrag anband christlicher Glaubenslehre als Ursprung allen Vermögens identifiziert und Glaube als wesentliche Voraussetzung dieser Einsicht beschrieben. Es wurde gezeigt, dass Christinnen und Christen ihren Glauben als umfassende Ressource ihres Vermögens erleben können, weil Gott für sie die Wirklichkeit ist, die allem seine Bestimmung gibt. Glaube ist das christliche Grundvermögen, an das die Entfaltung aller weiteren Formen des Vermögens gebunden ist, darunter das Vermögen, aus Liebe zu leben, und das der verantwortlichen Lebensfiihrung. Einige Schnittmengen zwischen einer christlichen Glaubenshaltung und Lebensfiihrung sowie vermögenskulturellem Denken wurden exemplarisch ausgefiihrt. Zugleich wurden aus theologischer Perspektive Grenzen des Vermögensbegriffs herausgearbeitet: Glaube ist Menschen unverfügbar. Menschen können über ihr Vermögen auch nicht in jeglicher Hinsicht frei verfügen. Ihre theologische Bestimmung und Würde bindet sie in der Verwendung jeglichen Vermögens an ihre Verantwortung vor Gott, der Gemeinschaft und ihrem Gewissen. Alles Vermögen bedarf der Vollendung Gottes, damit es seine Bestimmung erreicht. Mit dieser ersten kurzen theologischen Reflexion des Ansatzes der Vermögenskultur wurde hier in aller gebotenen Kürze eine christliche Position zum vermögenskulturell definierten Vermögensbegriff formuliert. Eine weitere Entfaltung des Themas erscheint ebenso lohnend wie wünschenswert. Im angestrebten Prozess der Aneignung von vermögenskulturellem Denken in unterschiedlichen Kulturen sollen theologische Reflexionen aus der Perspektive anderer Religionen folgen, um weitere Dimensionen des Vermögens zu glauben zu erschließen. Ein

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interreligiöser Dialog speziell zum Vennögensbegriff kann zur weiteren Ausgestaltung und Theoriebildung des Ansatzes der Verrnögenskultur wertvolle Beiträge leisten.

*** Anmerkungen Zur Definition von interreligiösem Dialog und seiner Abgrenzung gegenüber Mission und interkulturellem Dialog vgI. Küster 1999: S. 821. Zugang zum aktuellen katholischen Diskussionsstand zum interreligiösen Dialog vermittelt Delgado 2007. Für eine aktuelle evangelische Position zum interreligiösen Dialog im Kontext des interkulturellen Dialogs vgI. Schwöbel2007. 2

Die Autorin ist ordinierte evangelische Theologin mit ökumenischer und internationaler, insbesondere europäischer Sozialisation. Sie hat Arbeitserfahrung innerhalb und außerhalb von Kirche.

3

Dem fachfremden Leser soll durch diese Auswahl und Beschränkung der Einstieg in theologische Argumentation erleichtert werden. Weiterfllhrende Diskussionen zu einzelnen dogmatischen Topoi können den Literaturangaben in Hllrle 2007 entnommen werden. Für einen internationalen Dialog bietet sich Härles Dogmatik auch dadurch an, dass sie 2010 in englischer Übersetzung im Eerdmans Verlag erscheinen wird.

4

VgI. 1. Buch Mose, Kapitell, Vers 1 bis Kapitel 2, Vers 4a und Kapitel 2, Vers 4b bis Kapitel 3, Vers 24.

5

In einem Aufsatz zum neutestamentlichen Reichtumsbegriffhat Michael Woher (vgI. Wolter 2007) herausgestellt, dass Reichtum sich dort auf materielle und immaterielle Aspekte bezieht (vgI. ebd.: S. 145 f.). Neu ist sein Hinweis darauf, dass Reichtum in biblischen Texten auch als eine Eigenschaft Gottes zu identifizieren ist, "mit dessen Hilfe das Heilsgeschehen metaphorisch veranschaulicht wird" (ebd.: S. 146f .). Den vermögenskulturellen Vermögensbegriff, der auch materielle und immaterielle Aspekte des Vermögens miteinander verbindet (s.o.), in die systematisch-theologische Darstellung einzubringen, erscheint auf diesem Hintergrund legitim.

6

Zum Wesen Gottes als Liebe vgI. Härle 2007: S. 236-248, bes. 241-244; zum Wirken Gottes vgI. ebda.: S: 282303.

7

Die kategoriale Differenz ist von einer quantitativen und qualitativen Differenz zu unterscheiden. "Quantitative Differenzen bestehen zwischen unterschiedlichen Graden ein und derselben Art (z. B. zwischen Größerem und Kleinerem oder zwischen Entwickelterern und weniger Entwickeltem). Qualitative Differenzen bestehen zwischen verschiedenen Arten ein und der selben Klasse oder Gattung (z. B. zwischen verschiedenen Tierrassen oder Lehrveranstaltungstypen). Kategoriale Differenzen bestehen zwischen Sachverhalten, die jeweils unterschiedlichen Grundbegriffen zuzuordnen sind (z.B. zwischen Liebe und Liebenden) oder unterschiedlichen Begriffsebenen angehören (z.B. zwischen Geschöpfund Mensch)." (Härle 2007: S. 76) Die Unterscheidung zwischen Wesen und Erscheinung (Gottes) ist eine kategoriale Differenz - und nur mit Hilfe dieser Denkfigur können kategorial unterschiedene Dinge zusammen gedacht werden, bis hin zu einer untrennbaren Einheit (vgI. ebda.: S. 75 f.).

8

Zur näheren Erläuterung zentraler Inhalte des christlichen Glaubens und seiner Heilswirkung vgI. Härle 2007: S. 89-98,303-356, bes. 314-339,493-516.

9

Zur Frage, inwieweit personale Kategorien auf Gott angewendet werden können, vgI. Härle 2007: S. 248-258, bes. 250-253.

10

VgI. z. B. 1. Buch Mose, Kapitell, Vers I bis Kapitel 3, Vers 24 sowie Hllrle 2007: S. 285-287.

ll

VgI. z. B. 1. Buch Mose, Kapitel 9, Vers 9; Kapitel 17, Vers 7; Jesaja, Kapitel 55, Vers 3 sowie Härle 2007: S. 125 L, 419, 435.

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12

Vgl. z. B. Evangelium nach Matthäus, Kapitel 16, Vers 16; Paulus Brief an die Römer, Kapitel 14, Vers 4 sowie Härle 2007: S. 303-356.

13

Das Wort Charisma kommt in Paulus Brief an die Römer, den Korintherbriefen, dem Timotheusbriefund dem 1. Petrusbrief vor (vgl. Ebertz 1999,: S. 113). Die Charismen sollen gemäß dem Auftrag aus dem 1. Petrusbrief (Kapitel 4, Vers 10) zur guten Hausbalterschaft, zum Dienst aller eingesetzt werden. So wie der Reicbtumsbegritr (vgl. Wolter 2007 und Anmerkung 5) weist auch der Begriff Charisma/Gabe eine Nähe zum vermögenskulturell bestimmten Vermögensbegritr auf. In beiden zeigt sich Potenzial zur weiteren Exploration, die im Rahmen dieses Beitrags nicbt geleistet werden kann.

14

2. Buch Mose, Kapitel 13, Vers 21.

15

Z. B. Jeremia, Kapitel 17, Vers 5.

16

Die Bedeutung der hebräische Wortwurzel Oll!<) erschließt sich vom deutschen Ausdruck jemandem, der eine Äußerung oder ein Verhalten als vertrauenswürdig bezeichnet, "Glauben zu schenken" oder zu "glauben". Vom selben Stamm können auch die Wortbedeutungen Beständigkeit, Sicherheit, Zuverlässigkeit, Treue, Wahrhaftigkeit, Wahrheit abgeleitet werden (vgl. Kaiser 2000: S. 944). Das neutestamentliche Verb pisteliein bedeutet vertrauen, glauben, fllr vertrauenswürdig halten (vgl. Hooker 2000: S. 947).

17

3. Buch Mose, Kapitel 19, Vers 18; Evangelium nach Matthäus, Kapitel 22, Vers 38 und 39.

18

Evangelium nach Matthlius, KapitelS, Vers 44.

19

Zur Einfl1hrung und Definition des Nachha1tigkeitsbegriffs vgl. UN 1987.

20

Evangelium nach Markus, Kapitel 12, Vers 41 bis 44.

21

Evangelium nach Markus, Kapitel 10, Vers 17 bis 27.

22

Vgl. Bierhotr2010: S. 187-209 zur Psychologie des Hilfe Erhaltens.

23

Der Geist Gottes, der jeden Menschen umfllngt, ist zugleich als Gabe und Geber zu denken (vgl. Härle 2007: S. 364 tr.).

24

Davon wird im 2. Brief an die Korinther, Kapitel 8-9 berichtet.

25

1. Chronik, Kapitel 29, Vers 13-16.

26

(lat.): "Ich gebe, damit du gibst."

27

(lat.): "Wir geben, weil du gegeben hast."

28

Beide Themen identifiziert Frettlöh als vernachlässigte Themen theologischer Diskurse (vgl. Frettlöh 2001: S. 110; 2005: S. 206).

29

Zur Theologie des Bittgebets vgl. grundlegend Härle 1991; Barth 1981.

30

Es ist wiederum Frettlöh, die den Kreislauf des Segens Gottes (vgl. Frettlöh 1999) herausgearbeitet hat.

31

Zur Lehre der vollendeten Welt, der Eschatologie in klassischer dogmatischer Sprache, vgl. Härle 2007: S. 600-649.

*** Literatur Barth, Hans-Martin (1981): Wohin - woher mein Ruf? Zur Theologie des Bittgebets. München. Bierhoff, Hans-Werner (2010): Psychologie prosoziaIen Verhaltens. Warum wir anderen helfen. 2., vollst. überarb. Auf!. Stuttgart. Delgado, Mariano (2007): Der interreligiöse Dialog. In: Zeitschrift fiir Missionswissenschaft und Religionswissenschaft 91. Ig. 3-4. Die Bibel (2008): Nach der übersetzung Martin Luthers [Bibeltext in der revidierten Fassung von 1984, durchges. Ausg. in neuer Rechtschreibung] herausgegeben von der Evangelischen Kirche in Deutschland. Stuttgart. Druyen, Thomas (2007): Goldkinder. Die Welt des Vermögens. Hamburg.

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Claudia Andrews

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Geld oder Leben! Grundzüge der Wirtschaftspsychiatrie Othmar Hi/l

"Diese Gesellschaft gibt mir zu denken. Das ist alles, was sie mir gibt."

Alois Brandstelter

Jemand spaziert nichts ahnend um die Ecke und unvennittelt steht ein Räuber mit Revolver vor ihm. Er ruft: Geld oder Leben! Der Bedrohte hebt die Hände und der Langfinger fischt unverfroren die Geldbörse aus der Brusttasche. Was symbolisiert diese in unzähligen Witzzeichnungen festgehaltene traumatische Szene? Laut Spieltheorie ergeben sich zwei Optionen: Wer sich weigert, verliert wahrscheinlich erst das Leben und das Geld, was dann aber nicht mehr schmerzt. Wer das Geld hergibt, behält wahrscheinlich das Leben, kauft sich sozusagen frei. Wirtschaftlich handelt es sich um eine brachiale Umverteilung: Der arme Ganove mit der Pistole tritt an gegen den reichen Herren mit dem Pelzkragen-Mantel. Jener verfügt über die Moneten und damit über mehr Optionen im Leben und der andere möchte sein Leben schnell und ohne viel Mühe bereichern auf Kosten des Wohlhabenden. Er nutzt den Schutz der Ecke, damit der Schock umso tiefer ausfallt und greift im Moment der Todesangst gefahrlos zu. Psychologisch gesehen stärkt der geglückte Überfall Täter in ihrer Lebens-Energie-Bilanz während die Opfer Trauma, Folgeängste, Hilflosigkeitsgefühle, Aggressionsstau - insgesamt also eine Schwächung ihres Nerven-Kostüms - erleiden. Rein ökonomisch bringt der räuberische Angriff dem Täter - falls er unentdeckt bleibt - ein besseres Leben, während es den Beraubten schwächt. Der Entzug des Geldes schmälert seine Lebenschancen, während der Räuber seine Existenz ohne viel Arbeit temporär absichert. Kriminelle Energie und damit auch der kriminelle Akt wird in den westlichen Gesellschaften ambivalent betrachtet: Einerseits gilt es als verwerflich, sich gewalttätig oder gar brutal etwas anzueignen, das einem nicht gehört. Geht jemand allerdings elegant vor, etwa mit Anzug und Krawatte, wird daraus schnell ein "Kavaliersdelikt", das durchaus Bewunderung hervorrufen kann. Wenn es sich etwa um Steuerhinterziehung handelt (und dadurch ganze Staaten in Not geraten), wenn Staatschefs eigene oder fremde korrupte Handlungen verschleiern, Minister ihre Kompetenzen zum eigenen Vorteil nutzen, Generaldirektoren die eigene Bank und damit die Klienten schädigen, ist die Bevölkerung zwar aufgebracht. Gleichzeitig breitet sich ein Gefühl von Resignation aus: Dagegen kann man gar nichts machen, da sind zu große Mächte im Spiel. Das räuberische Delikt symbolisiert geradezu, dass hier jemand über mehr Kraft verfügt als der andere und dadurch zum - illegalen - Ziel gelangt. Und wer mehr Energie aufbringt als andere (auch wenn sie kriminell ist), gilt als lebensfähiger, durchsetzungskräftiger und mutiger.

T. Druyen (Hrsg.), Vermögenskultur, DOI 10.1007/978-3-531-92086-3_10, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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Kriminelle Neigungen entstehen nicht aus einer psychisch gesund konstruierten Persönlichkeit. Geliebte, umsorgte, respektvoll erzogene Kinder, die mit einer elterlichen Wertewelt aufgewachsen sind, die menschen-bezogen war, werden kaum asozial. Verbrecherische Tendenzen wachsen immer aus emotionaler Verwahrlosung, aus seelischer Verwüstung, sozialem Defekt, psychischem Manko, narzisstischer Kränkung, physischen und psychischen Schlägen, familiären übergriffen und Vergewaltigung der kindlichen Seele. Daher steckt in jedem Verbrechen eine ganze Historie von psychischen Ursachen. Es reicht nicht aus, ökonomisch motivierte Gaunereien als lediglich kriminell zu definieren. Wir müssen vielmehr die Wirtschaftskriminalität aus dem psychischen Schaden und der daraus resultierenden inneren Problemlage der Täter diskutieren. Wall-Street-Betrüger werden kriminell aus ihrer eigenen psychischen Insuffizienz heraus und nicht, weil sie "locker drauf" sind. Da sich die Spekulations-Branche durchgehend als räuberisch geriert - Matt Taibbi hat im Blog des Rolling Stone Magazine Goldrnan Sachs als "Vampirkrake" bezeichnet - können wir von psychisch gestörten Systemen mit kriminellen Folgeschäden sprechen. Es wird eine herausfordernde wissenschaftliche Aufgabe der Wirtschaftspsychiatrie sein, die Ursachen der Defekte von wirtschaftlichem Fehlverhalten zu erkennen, um therapeutische Abhilfe überhaupt andenken zu können. Mit Reparaturversuchen mittels Änderung einiger Finanzmarktgesetze kann diesem allgemein wirksamen Wahnsinn nicht beigekommen werden. (Im Moment wird tagtäglich das gesamte Jahres-Bruttonationalprodukt aller 27 Industrieländer an einem einzigen Börsentag spekulativ umgesetzt - bei nur minimalem Einsatz von realen Werten.) Insgesamt geht es darum, kriminelle Energie in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft als krankhaft angetrieben zu diskreditieren.

Geld als "Lebenselixier" Geld wurde entworfen, um als "Lebensaustausch-Stofl" vieles zu ermöglichen: mehr Leben, längeres Leben, intensiveres Erleben, mannigfaltige Lebensstile, wechselnde Lebensorte, verschiedenartige Lebensformen, nicht nur tlberleben, sondern ein "tlber-Drüber-Leben". Geld ist uns sozusagen geronnenes Leben. Und wer es akkumulieren kann, der/die wähnt sich als das Leben beherrschend. Das Gefühl der Macht vermittelt sich im Vergleich mit der Ohnmacht der Mittellosen. TImen fehlen die Mittel, sich frei und angstfrei bewegen zu können. Wir scheinen zu glauben, dass jemand, der ohne Geld dasteht, gar nicht lebensfähig ist. Es heißt: Geld macht nicht glücklich, aber es beruhigt. Wir wissen aber aus der Glücksforschung, dass dem gar nicht so ist. Viele unter uns verwechseln in dieser Frage Ursache und Wirkung. Wer Geld besitzt, verliert keinesfalls seine Existenzängste, sondern umgekehrt: Wer Ängste akkumuliert, dessen Lebensgier steigert sich und er/sie verlangt nach immer mehr Geld. Dieses beruhigt nicht, weil Geld keine therapeutische Wirkung hat, sondern nur als Symptom-Pflaster wirkt. Aus diesem Blickwinkel kann es schlicht und einfach nicht stimmen, dass ein Mangel an Geld die Ursache für all unser Unglück sein soll. Wer sich mit Freunden ein paar Tage auf eine Berghütte setzt und über die eigenen Ängste in psychologisch moderierten Gruppen räsoniert, weiß wie schnell die Alters- und Sterbeängste abneh-

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men und mit ihnen die Lebensgier. Die Perspektive wechselt blitzartig von den vielen unnötigen Wunschvorstellungen hin zu lebenslustiger Genügsamkeit.

Das gnadenlose gegen ein empathisches Ökonomie-Konzept Mit dem geringsten Aufwand den größten möglichen Nutzen zu erzielen - so das gnadenlose ökonomische Grundgesetz - das klingt neutral, ist es aber nicht, denn wenn der Aufwand reduziert wird, etwa das Personal, so muss mit Wenigen ein Maximum erreicht werden. Dazu sagt niemand Ausbeutung, aber der Gedanke drängt sich auf. Wo wird der größte mögliche Nutzen dann gezielt gelagert? Auf den Konten der EigentOmerschaft:. Denken wir dieses ökonomische Prinzip weiter, kommt es zu einer räuberischen Ausformung, die wir mit dem Casino-Kapitalismus kürzlich sehr plastisch erfahren haben: Gar kein Aufwand (kein Eigenkapital, sondern nur Spekulations-Software, ja nicht einmal Finanztransaktions-Steuer) und alles für die Zocker (sogar Steuergeld zur Verlustabdeckung). Der einfachste Handgriff: die räuberische Grundformel zu reparieren, wäre der schlichte Zusatz von "Gemein-" vor dem Wort "Nutzen": "mit dem geringsten Aufwand den größten Gemeinnutzen zu stiften". Das könnte genügen, um mit diesem Solidaritätsansatz die Welt zu verändern. Unter Gemeinnutzen müsste im Minimum die Kund-, Beleg- und Eigentümerschaft subsumiert werden. Wer eine Balance zwischen diesen drei Stake-Holdern fertig bringt, verfügt gleichzeitig über ein nachhaltiges und grundstabiles Geschäftsmodell. In einer erweiterten Sicht wären auch die ökologische Bilanz, die gesellschaftliche Relevanz, die Dritte-WeltWirkung ete. von Geschäftstransaktionen zu bewerten. So einfach stellt sich die Sache aber leider nicht dar. Massive Triebe und MotivationsEnergien sind konzentriert auf Absicherung, Ausgrenzung und Akkumulierung. Daher müssen wir uns alle die Frage stellen (lassen): Was treibt uns an, im Kampf-Modus zu bleiben, statt die Generosität der Großzügigkeit anderen und der Umwelt gegenüber walten zu lassen? Stecken dahinter am Ende sogar psychische Defekte oder kriminelle Energie, die mit ein paar Wirtschaftsethik-Vorlesungen an Elite-Universitäten nicht behoben werden können?

Wirtschaftspsychiatrie als neue Wissenschaftsdisziplin Die psychische Konsistenz von Menschen ist divergent: Von Personen mit extrem hoher Belastbarkeit, gesundem Selbstwertgefiihl und psychischer Gelassenheit spannt sich der Bogen hin zu allen Schattierungen schwerer psychischer Krankheit. Wenn wir davon ausgehen, dass nicht nur ultra-gesunde Menschen am Wirtschaftsleben teilnehmen - was niemand ernsthaft behaupten wird -, so haben wir es auch in allen Organisationen mit einer Melange an psychisch unterschiedlich ausgestatteten Menschen zu tun. Konsequenterweise definiert damit die Summe der psychischen Eigenschaften der Belegschaft und besonders des Managements den psychischen Gesamtzustand des jeweiligen Betriebes. Psychische und psychiatrische Leitlinien lassen sich daher auch auf unternehmerische Belange anwenden. Dieser Gedanke leuchtet ein und ist dennoch völlig neu. Mit ihm lässt sich ein neues wissenschaftliches Fach definie-

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ren, das sich auf die psycho-diagnostische Erfassung und psycho-therapeutische Behandlung von Organisationen spezialisieren wird. Noch vor zwei Jahren ergaben Google-Anfragen für die Begriffe "Wirtschaftspsychiatrie" und auch" business psychiatry" exakt null Treffer! Wenn wir bedenken, wie viele sinnlose Wortkombinationen, Kunst-Ausdrücke, Buchstabenketten im Internet gespeichert sind und damit zu unzähligen Treffern fUhren, ist es atemberaubend, dass so nahe liegende Begriffe nicht vorhanden sind. Sigmund Freud würde wahrscheinlich von einer großartigen "Verdrängungsleistung" sprechen! Wie ist es möglich, dass die Abstoßungskräfte zwischen Wirtschaft und Psychiatrie so groß waren und sind, dass eine Verbindung sozusagen undenkbar erscheint? Einerseits ist zu vermuten, dass psychiatrische Fachleute eine abschätzige Meinung gegenüber dem Kapitalismus,ja dem Materialismus insgesamt in sich tragen. Beschäftigen sie sich doch eher mit sensitivem, nicht stofflichem, seelischem Gut. Zahlen und Fakten erscheinen ihnen da vielleicht zu trocken. Sieht man sich in den Betrieben um, so finden sich kaum Sozial- und Humanwissenschafter (außer BetriebsärztInnen). Psychologisches und Coaching-Personal innerhalb von Finnen definiert die eigene Rolle immer im Sinne von Gesundheits- oder Wellness-Phantasien, niemals jedoch als Ausstiegshilfe aus psychischer Krankheit. Das Wort Psychotherapie scheint nur auf: wenn einzelne Beschäftigte sich selbst eine solche bezahlen müssen, um dem Kfindigungsrisiko zu entgehen. Psychiatrische Berufe kommen in Unternehmen nicht vor. Interessiert sich diese Berufsgruppe mehr für die Psyche des Abends und der Nacht (besonders wenn Sex im Spiel ist) statt für das, was in Organisationen und Firmen an täglichem Wahnsinn abgeht? Ist die psychiatrische Disziplin so sexistisch-voyeuristisch bezüglich ihrer Klientel, dass ihr das Tagesgeschehen in Betrieben zu langweilig ist? Der neue Wissenschaftszweig der Wirtschaftspsychiatrie muss eine Fülle von Thesen zunächst untersuchen und danach bearbeiten: Etwa welche Interaktionen zwischen Management und Beschäftigten aus psychiatrischer Sicht besteht. Wie sehr evozieren sadistische Manager die Einstellung masochistischer MitarbeiterInnen. Zieht ein paranoider Vorstand ebensolche Personen nach sich, so dass der ganze Betrieb unter Verfolgungswahn leidet? Warum können sich narzisstisch Gestörte so lange in führenden Positionen halten, ohne direkt angegriffen zu werden? Wie kann man neurotische Kommunikationsmuster im Umfeld hochneurotischer Betriebsangehöriger behandeln? Was wäre die richtige Therapie für manisch-depressive Börsen-Trader? Es erscheint verfrüht und sprengt den Rahmen des vorliegenden Essays, hier weiter in die Tiefe zu gehen und etwa die Aufgabe der betrieblichen Psychiatrie und Psychotherapie zu definieren. Die Finanzkrise kann jedenfalls als Indikator gewertet werden, dass in unserem ökonomischen System einiges psychisch Krankhafte mit im Spiel ist. Und das verlangt geradezu nach Aufklärung, Erforschung und Behandlung.

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"Burn-out" des ökonomischen Rationalismus Seit Ford und Taylor - also das ganze industrielle Zeitalter lang - herrschte der Anspruch vor, dass Unternehmen nach rein rationalen Gesichtspunkten geführt werden müssen. Alles was den durchdachten und vorbereiteten Betriebsablauf stört, wird eliminiert. ,,Bitte keine Emotionen, Frau Kollegin!" Gefühlsregungen sind in dieser vom Patriarchat dominierten Wirtschaftswelt tabu. Es wird so getan, als ob der Homo Oeconomicus wie ein Roboter funktioniert und kein Mensch mit Innenleben sei. Die Wirtschaft verachtet und belächelt traditionell alles Feinstoffiiche und Zwischenmenschliche. Abgewehrt wird, was nach psychischen Prozessen, gar nach seelischen Problemen oder Krankheiten aussieht. Über der gesamten Berufswelt scheint eine radikale Glaubenspolarität ausgerollt zu ein, die verlangt, dass jedes betriebliche Geschehen ausschließlich gesund zu sein hat - und keinesfalls krank. Die Wirtschaftskrise mit den folgenden Kündigungs-Wellen hat den Druck auf die Arbeitnehmenden verschärft. Grausamkeiten häufen sich und kulminieren in Mobbing oder Bossing, dem Herausdrängen von Kollegen oder Chefs aus dem Job. Die Konsequenz ist bis heute eine Häufung von "Bum-out"-Fällen. Dies wird mehr und mehr auch in den Medien thematisiert und selbst von konservativen Spitzen-Managern allmählich als Problem anerkannt. Dass Manager Herzinfarkte und Magengeschwüre infolge von Stress bekommen, wird als Indiz für hohen Arbeitseinsatz wertgeschätzt. Dass aber im Management die Neurosen blühen, manisch-depressive Krankheitsbilder oder gar Psychosen möglich sein könnten, das hören selbst erfahrene Beratungsprofis niemals. Der - meist männliche - Chef wurde zum Alpha-Tier, das gesund, sportlich oder mit Bauch, immer mit den Insignien der Macht und psychisch robust auftritt, kein Weich-Ei oder Warmduscher jedenfalls. Dass er sich den Reichtum, die Macht an der Spitze der Hierarchie womöglich erkämpfen musste, um seiner narzisstischen Kränkung durch Mutter und Vater zu entkommen, diese Möglichkeit ist gedanklich nicht etabliert. Seine Neurosen werden als markante Persönlichkeitsmerkmale gepflegt und bewundert. Biegt er Ängste in Kontrollzwang um, passt dies herrlich ins Berufsbild des CFOs (ChiefFinance Officer). Wer es fertig bringt, seine manischen Züge als "Peitschen knallender" Verkaufsleiter zu kapitalisieren, erhält eine tolle Karrierechance nach der anderen. Spricht man die neue Wortkombination "Wirtschaftspsychiatrie" aus, so erwartet einen immer die gleiche Reaktion: Es wird nachgefragt, um sich zu vergewissern, ob man wohl richtig gehört habe. Doch dann erhellt sich das Gesicht und es wird wissend geschmunzelt und beifällig genickt. Alle verstehen den Ausdruck sofort, ohne ihn je zuvor gehört zu haben.

Unterdrückte Emotionen in Betrieben Kein vernünftiger Mensch würde behaupten, dass persönliche Probleme im Miteinander nur im Privatleben, nicht aber in der Berufswelt auftreten. Trotzdem hören wir immer wieder die Aussage: "In meinem Beruf verhalte ich mich ganz anders als privat." Diese Behauptung ist reines Wunschdenken. Wir Menschen sind gar nicht in der Lage, unsere inneren Codes und Prägungen wirklich zu manipulieren, die aus der Kindheit, ja möglicherweise schon aus unserem Erleben im Mutterleib stammen.

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Wir werden von unseren inneren Mächten durch und durch angetrieben und sind unserem Lebensskript ausgeliefert, das in wesentlichen Teilen bis zum siebten Lebensjahr (und zwar von anderen) geschrieben wird. Dieser innere Film läuft immer wieder nach gleichen Sequenzen aber mit je verschiedenen Szenerien ab. "Ich weiß nicht was ich machen soll, ich gerate immer wieder an die gleichen Typen", ist ein viel gehörter Stoßseufzer die Partnerwahl betreffend. Nur eingehende Psychotherapie allein vermag dem Menschen Mut zu geben, diesen Lebensfilm zu verlassen und sich sein Drehbuch neu zu schreiben. Wir tragen also alle unser persönliches, psychisches Profil- unsere Persönlichkeitskonstruktion - in der Freizeit wie in der Arbeitszeit mit uns herum. Deshalb können auch unsere Kommunikationsmuster, Konfliktverarbeitungs-Stile, Entscheidungs- und Urteilskraft, unsere Art, andere anzuleiten, und unser Umgang mit natürlicher oder unzulänglicher Autorität immer nur genau gleich auf unsere Psyche auftreffen und unsere Reaktion hervorbringen zuhause wie im Betrieb. Mag sein, dass wir uns dort, wo die existenzielle Bedrohung größer ist, etwas vorsichtiger oder diplomatischer verhalten. Das ändert nichts daran, dass wir unser inneres Erleben im Privat- wie im Berufsleben ähnlich empfinden werden. Die traditionelle Grundhaltung, emotionelle Prozesse hätten im Betrieb nichts verloren, wird allmählich als naive, geradezu kindische Vorstellung wahrgenommen. Die ManagementLiteratur enthält immer mehr Artikel und Anleitungen, wie man etwa mit Selbst-, Zeit- und Stressmanagement eine bessere Prioritätensetzung erreichen kann. Personal-Entwicklungsprogramme bieten Work-Life-Balance-Seminare an. "Die Führungskraft als Coach" wird unterrichtet - ein gleichermaßen beliebtes wie sinnloses Konzept. Beliebt ist der Zugang, weil es so kostenschonend wäre, wenn Vorgesetzte zur emotionalen AnlaufsteIle ihrer Untergebenen wOrden. Sinnlos ist der Ansatz, weil Abstinenz beziehungsweise fonnale Unabhängigkeit eine notwendige Voraussetzung für jeden Coaching-Erfolg ist. Am Markt bieten eine Unzahl von Coaches und Mediatorinnen zur Streitvermeidung ihre Dienste an. Die Nachfrage hält sich hierzulande in bescheidensten Grenzen. Alle reden vom Coaching, nur keine/r geht hin. Es gilt nach wie vor als Stigma, mit seinen Problemen nicht selbst fertig zu werden, sondern psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. In den USA ist man da unverblümter: Zuzugeben, dass man einen shrink aufsucht, wird eher als luxuriöse Lebensunterstützung geschätzt. Bei uns werden tagtäglich die Lebenspartner in stundenlange Erzählungen verwickelt, was nun heute wieder im Betrieb so richtig blöd gelaufen ist. Die Partner in ihrer Hilflosigkeit müssen sich die elend langweiligen Geschichten immer wieder anhören. Es wäre eine Studie wert, zu messen, wie viele Millionen Stunden wertvolle Freizeit täglich mit der Nötigung der Ehepartner als arnateurhafte Psychohilfe zerredet werden. Und statt sich alle sechs Wochen für zwei Stunden ein Team-Coaching für ein paar hundert Euro zu leisten, riskieren viele Unternehmen, dass sich gestörte und verachtende Umgangsformen in der Gruppe einschleichen, die letztendlich die Fluktuation in die Höhe treiben. Wird durch psychohygienische Maßnahmen wie Coaching nur eine einzige Kündigung einer kompetenten Person verhindert, sind die Kosten dafür über Jahre gedeckt!

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Psychohygienische Unterversorgung und Sozialisationsdefekte Grundsätzlich können wir davon ausgehen, dass etwa 25 Prozent der Bevölkerung in einem prekären psychischen Zustand schwebt, der wenigstens einmal im Leben in eine psychische Krankheit umschlägt. Etwa 10 Prozent der Europäer dagegen dürften über eine extrem robuste innere Konstitution verfügen: Sie sind sehr belastbar, wirklich selbstsicher und innerlich entspannt bei einem guten Maß an Selbstdisziplin. Der Rest - und das sind zwei Drittel! - hat Probleme, mit denen sie kämpfen aber mit beträchtlichem Aufwand fertig werden. Der eindeutige Befund: Unsere Gesellschaft ist psychohygienisch ungepflegt. Hinzu kommt seit den I990er Jahren ein Sozialisierungsdefekt der Jugend durch ein Manko an täglicher elterlicher Zuwendung. Beide Elternteile sind meist berufstätig und abends nicht besonders frisch und auf Erziehungsarbeit hin motiviert. Die gemeinsam verbrachte Zeit ist im Schnitt auf tägliche elf Minuten gesunken. In so kurzer Zeit können Kinder nicht erzogen werden! Die Erziehungsarbeit leistet das Fernsehen: Früher hüpften Madonna und Sylvester Stallone als Elternersatz vor, was im Bett und auf dem Schlachtfeld zu geschehen hat. Heute sind es ungehinderter Pomokonsum, brutal-faschistoide Action-Filme und Rapper-Videos sowie ein neues Selbstbedienungs-Erziehungs-Konzept: soziale Netzwerke. Fernsehen und Videos haben den entscheidenden Nachteil, dass man deren Idole zwar bewundern, aber nicht mit den Stars interagieren kann. Daher haben sich die Kids eine Erziehungskrücke im Socia/ Web geschaffen, wo sie sich gegenseitig erziehen. Was dabei herauskommt, wird nicht ideal sein. Denn wer die Erfahrung des Alters - auch der Großeltern nicht nutzen kann, darf: will, der hat es schwer, in der Weltrealität zu reifen und zu wurzeln. Und so opfert unsere Kultur eine ganze Reihe von alten Werten, die ethische, moralische, politische, religiöse und ideelle Sinnstiftung anregten. Wir sind mit keinem Werteverfall, sondern mit einer von uns selbst gewollten Wertereduktion konfrontiert. Unser Umfeld ist eine va/ue-/ight-society, eine zunehmend wertelose Welt, die leicht in eine allgemeine Wertlosigkeit umschlagen kann. Die aus der Kindheit mitgeschleppte Problematik der psychohygienischen Unterversorgung und der daraus entstehende Mangel werden ebenso wie die Sozialisationsdefekte voll ins Berufsleben eingebracht. Und dort trifft dieses Defizit-Gemenge noch auf den Anspruch, seine Gefühle zu unterdrücken. Beim Geschäftemachen - so sagen die Ökonomisten - springen nur dann fette Gewinne heraus, wenn rein rationale Prozesse wie geschmiert laufen. Durch die Finanzkrise mit all ihren Betrügereien, die leidlich bekannt sind, hat sich diese Sicht selbst demaskiert. Wir wissen nun, wie mit falschen Verzinsungsversprechen und Rating-Fehleinschätzungen die Anleger in die Falle ihrer eigenen Gier gelockt wurden. Und Gier resultiert immer aus Angst, aus unterdrückter Angst. Wenn wir in den Betrieben also immer negative Gefühle unterdrücken müssen, so sucht jedes Individuum nach einer Ersatzbefriedigung: die Lebensgier, welche auch noch in den Medien attraktiv gemacht wird: Madonna "I am a material girl" oder "Geiz ist geil!" etc. Wäre es vorstellbar, dass die emotionale Unterdrückung im Betrieb bewusst oder unbewusst eingesetzt wird, um Angst und Gier in unserem naiven materialistischen Weltbild zu befeuern?

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Im Bewusstsein unserer Existenz leben wir mit der Angst, diese zu verlieren. Spätestens dann, wenn ein Kind erstmals wahrnimmt, dass ein ihm bekannter Mensch gestorben ist und niemals wieder kommen wird, entsteht die Erkenntnis der eigenen Vergänglichkeit. Ab dann wächst diese Angst vor dem Unabwendbaren und begleitet uns alle durch das ganze Leben. Und obwohl wir alles daran setzen, den Traum vom ewigen Leben weiter zu träumen, wissen wir in unserem Innersten, dass es vor dem Tod kein Entrinnen gibt. Der Ausspruch: "Nur die Härtesten kommen durch" symbolisiert so einen Überlebenswunsch. Wenn ich nur hart genug bin, werde ich überleben. Aber leider: Nicht ein einziger von den zig Milliarden Menschen hat überlebt! Sogar Jesus musste sein irdisches Leben abgeben. Das wissen wir alle. Trotzdem tun wir so, als ob es ewig weiter gehen könnte. Alle unsere Ängste dürften auf diese Ur-Angst zurück zu führen sein: Todesangst, dass uns der Tod früher als nötig ereilt; Sterbeangst, dass der Prozess des Sterbens schmerzhaft, mühsam, entwürdigend sein könnte; Angst nicht geliebt zu werden und damit nicht all das im Leben zu bekommen, was uns zusteht; die Angst vor Beeinträchtigung des Lebensvolumens durch Krankheit, Unfall; Angst vor Annut und dem damit verbundenen GefUhl der Beschneidung von Chancen; die Angst alt und hässlich zu werden (denn wir wollen zwar lang leben aber nicht alt aussehen); selbst jemand mit einer Spinnenphobie fürchtet sich davor, durch die Panik auslösenden Tiere eine Einengung des Lebens zu erfahren. Ängste sind nichts Verwerfliches. Das GefUhl von Angst und Furcht ist ein wertvolles Signal, das uns vorsichtig macht. Problematisch wird die Sache erst dann, wenn wir dieses GefUhl nicht zulassen, nicht realisieren, sondern es verdrängen, ja verschweigen. Der morgendliche Blick in den Spiegel, bei dem wir unser Altem täglich und einsam erblicken - jemand hat einmal gesagt: "Jede Stunde verletzt, die letzte tötet". Doch kaum jemand tauscht sich mit anderen in unserer Gesellschaft über die Tragödie des persönlichen Alterns wirklich aus. Und dann gehen wir zur Arbeit: Dort verbringen wir acht Stunden - den Hauptteil der wachen Lebenszeit - in der von uns geschaffenen gefUhllosen Zone. Und es sind nicht die bösen Wirtschaftsideologen, die uns dazu zwingen, die Emotionen zuhause zu lassen. Wir alle lassen uns dieses Diktat täglich gefallen. Weil es nämlich bequemer erscheint, unangenehme GefUhle wie Furcht zu verdrängen, abzuschalten, auszusperren, anstatt sie zu thematisieren. Angstverdrängung macht wahnsinnig Unausgesprochene, nicht kommunizierte Ängste - welcher Art auch immer - haben die psychologische Eigenschaft zu wachsen. In der Stille des Verdrängens, ganz im hintersten Winkel der Seele wuchern sie unbemerkt vor sich hin. Je größer sie werden, umso schwerer wird es, sie unter den Teppich zu kehren. Wie Polypen mit Fangarmen greifen sich die Ängste Nahrung in Form von Beschwichtigungs- und Besänftigungsritualen: Kosmetik, schnelle Autos, teure Urlaube, Ablenkungen in jeder Form. Lebensgier-Befriedigung statt Angstbearbeitung. Die Kultur des Verdrängens von Ängsten kann in Völkern oder Nationen so intensiv gepflegt werden, dass sie die ganze Gesellschaft durchtränkt. Kollektive Paranoia ist die Fol-

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ge. Sie kostet die USA, welche nur fiinfProzent der Weltbevölkerung stellen, die Hälfte aller weltweiten Militärausgaben. Dutzende Geheimdienste sind auf der Suche nach dem Bösen. Ein Viertel der Weltenergie wird verbraucht, um den Wahnsinn im Zaum zu halten: KlimaAnlagen schaffen künstliche Schutzräume. Lichter leuchten die Nacht aus, um den Ängsten keinen Raum zu geben, etc.

Die fünf Formen der Lebensgier Wie in kommunizierenden Gefäßen steigt die Gier gemeinsam mit der Angst. Große Ängste bedeuten viel Gier, weniger Ängste lassen die Lebensgier zur Lebenslust mutieren. Geld macht nicht glücklich, aber es beruhigt, haben wir gehört. Ja, was beruhigt es denn: etwa die Sterbeängste? Vermögenspsychologisch wollen wir mit dem Geld ein Mehr an Leben erreichen. Aber je mehr wir uns anstrengen, umso klarer wird uns, dass die Rechnung nie aufgehen kann! So wie die Ängste weiter wachsen, steigt auch der Gier-Level weiter, unabhängig davon, wie viel wir an Befriedigung aufbringen. Treffend hat der indische Weise Swami Vivekanada gewarnt: Hütet Euch vor Euren Wünschen, sie könnten in Erfilllung gehen! Wenn wir im Folgenden das gedankliche Experiment durchfUhren, die von Sigmund Freud in die Debatte gebrachten Triebphasen auf existenzialpsychologische Sichtweisen umzudeuten, kommen wir mit den vier Libido-Trieben - oral, anal, phallisch und genital - sowie, als fünftes, mit dem Destrudo-Trieb (Todessehnsucht) zu erstaunlichen Erkenntnissen.

Geld und Erleben Das orale Kalkül sieht so aus: Wenn ich schon nicht ewig leben kann, so will ich möglichst viel erlebt haben. Sozusagen, damit es sich auszahlt. Das gelingt am allerbesten, wenn ich möglichst viel Geld habe, denn dann kann ich mir Lebensintensität kaufen: teure Güter anschaffen, damit schöne LebenspartnerInnen beeindrucken, weite Luxus-Reisen unternehmen, mir Yachten, Villen, Autos, Mode, eine Auszeit vorn Beruf, feine Speisen, Spitzenweine etc. gönnen. Den Lebensrahmen so vollzustopfen mit Material bedeutet natürlich keine wirkliche Befriedigung, sondern kann eher auf der Seite "Ersatzbefriedigung" verbucht werden. Besonders unangenehm wird es im Vergleich mit anderen. Es gibt immer noch Reichere als man selbst es ist. Diese Jemands verfügen über noch mehr von allem. Das ärgert, macht neidisch. Konsurnismus basiert förmlich auf diesem Anspruch nach dem überlegenen Mehr.

Durch Geld längeres Leben Das anale Konzept lässt sich existenzialpsychologisch beschreiben mit der ilberlegung: Wenn schon nicht ewiges Leben, so wenigstens länger leben als andere. Wer Geld akkumuliert, kann sich so auch ein längeres Leben erkaufen, indern er/sie sich bessere ärztliche Versorgung, gesündere Nahrungsmittel, bessere Lebensbedingungen sichert. Daher ist Sparsamkeit und Selbstdisziplin angesagt: genaue Emährungspläne, Sport, Investitionen in Vorbeuge-Medizin, keine

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Drogen usw. Asketisches Leben kompensiert den Verlust an Lust mit dem Gewinn an Dauer. Kurzfristige Lebensqualität wird aufgegeben zugunsten von langfristiger Lebensquantität. Über Geld mehrere Leben Phallisch gebärdet sich das Kind laut Freud, wenn es seine eigene Sexualität entdeckt und damit auffallen will. In einem existenziellen Kontext legt das die Überlegung nahe: Wenn ich schon vergehen muss, so will ich wenigstens während des Lebens einen bleibenden Eindruck bei möglichst vielen Menschen erwecken. Ich muss intensiver als andere und womöglich gleichzeitig an mehreren Orten leben und dort ständig erlebt werden, ein Promi-Leben multipliziert in vielen Medien, Fotos allerorten, zwischendurch Interviews und Fernsehauftritte, mit Luxus protzen, Modenschau in Paris, danach zum Jet-Set in St. Tropez, Long-distance-Calls mit Dubai und New York und vieles mehr. Ohne Geld ist solche Prominenz nicht erreichbar. Persönliches Charisma kann einiges bewirken, aber erst mit sehr viel Geld läuft die Show wie geölt. Die kulturellen Ausprägungen der Globalisierung und vor allem das Social Web mit seinem Traum von der Omnipräsenz dürften ein Resultat dieses Triebanspruchs nach multiplem Leben sein. Eremitagen mit asketischem Anspruch sind nicht die bevorzugten Aufenthaltsorte für solche Viel-Lebende! Manager müssen gar keine Workoholics sein, um auch aus dem Urlaub ständig anzurufen oder SMS in Menge zu verschicken. Es reicht einfach das mulmige Gefühl, eventuell doch nicht gebraucht zu werden. Auch gut möglich, dass der/die Betroffene eine nicht aufgelöste Mutter-Symbiose mit sich herumschleppt. Aber zu spüren, dass er ersetzbar ist, kann einem Phalliker in den Wahnsinn treiben. Daher: Kontakt halten, so oft es geht! Geld zum Überleben Die reife, laut Freud: genitale Sexualität manifestiert sich der Triebtheorie zufolge in libidinöser Freude in der Partnerschaft, in Familiengründung und Kinderzeugung. Auf existenzielle Ansprüche bezogen würde dies bedeuten: Trotz Tod etwas in der Welt hinterlassen: Ein Kind, das mir ähnelt, ein Haus, das nach meinen Vorstellungen gebaut wurde, ein Werk als Hinterlassenschaft. Niemand kann dann sagen, ich hätte nicht gelebt. An mich werden sich die Leute noch Jahrhunderte lang erinnern. (Dass es dann meist nur Tage sind, wollen wir nicht so gern hören.) Ohne Geld geht es natürlich viel schwerer, ein Erbe anzulegen. Wer der Welt seinen individuellen Fußabdruck hinterlassen möchte, der wird dies mit den nötigen materiellen Mitteln leichter erreichen. Geld oder Leben Freud wird heute mehr oder weniger als historische Person gesehen. In der Psychiatrie gelten seine Theorien als überholt, auch wenn man anerkennt, dass er die Pionierleistung schlechthin für das Fach erbracht hat. Besonders kritisiert wurde von Anfang an sein Konzept des To-

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destriebes. Und auch Freud selbst war in diesem Fall ungewohnt bescheiden: Es handele sich um "weit ausholende Spekulation". Betrachten wir Aggression aus Sicht der Existenz-Absicherung, liegen die Dinge jedoch ganz klar: Der Mörder überlebt und das Opfer ist tot. Täter beweisen sich ihre Lebenstüchtigkeit, indem sie zeigen, dass sie im Stande sind, den Feind zu erledigen. Der Untergang anderer bezeugt die eigene Übermacht. Nach der Tat können die Unterlegenen nicht mehr aussagen, sie sind auch noch mundtot gemacht, besitzen keinen Einfluss mehr, sind ausgeschieden. Auch dieses Prinzip herrscht. Multiple Kriege überziehen unsere Welt. Die Symptome der derzeitigen "Krise" sind bekannt. Wirtschaftliches und privates Konkurrenzdenken, menschenverachtende Wahlkämpfe, Militarismus, Welthunger, Ausgrenzung der Frauen, Diskriminierung der Alten, immer weiter um sich greifende Armut, Natur- und Rohstoffausbeutung, Ressourcen-Verteilungs-Kriege: Alle diese Kämpfe um Ressourcen sind Ausdruck von Verdrängungs-, Vernichtungs- und Vereinnahmungsphantasien. Viele der so genannten Gesetzmäßigkeiten sind nicht Ausdruck von ökonomischer Rationalität, sondern von Machtverhältnissen. Mit Geldkapital werden Urwälder gekauft, Rohstoffpreise manipuliert, Ureinwohner verdrängt, Bodenschätze erworben, ökonomische Invasionen finanziert und abgesichert. Die Verteilungskämpfe (national und global) verbrauchen Unmengen an menschlicher Energie, Geld und Zeit. Gleichzeitig liegt wertvolles Humankapital brach. So werden Ältere aus dem Geschehen gedrängt und Frauen sind von wichtigen Leitungsfunktionen weitgehend ausgeschlossen. Alle diese Ressourcen werden wir jedoch brauchen, um die Folgen von Finanzkrise, Klimawandel und der weltweiten sozialen und ökonomischen Ungleichheit zu bewältigen. Daher gilt es, die bestehende Kampf-Konzeption unserer Gesellschaft zu diskriminieren und als unfinanzierbar anzuprangern. Allein mit dem Geld, das wir für technisch modernste aber mittelalterlich konzipierte Raumverteidigung ausgeben, könnten wir mit einem Schlag den Hunger in der Welt eliminieren.

Kritik des rationalen Materialismus Was wir materiell verfestigen und akkumulieren wollen zum eigenen Vorteil, das geht meist anderen ab. Das gesamte materielle Streben kann und darf es sich daher nicht erlauben, am Menschen orientiert zu sein. Es muss mit gezielter Genauigkeit sogar am Menschen vorbei zielen. Daher verfehlt jede Form des Materialismus den Menschen. Deshalb mangelte es kapitalistischen wie kommunistischen Modellen des Materialismus an psychologischem Einftihlungsvermögen. Beide - erst der Kommunismus, nun der Kapitalismus - scheitern an evidenter Unfinanzierbarkeit, mangelnder Nachhaltigkeit, entsetzlicher Ungerechtigkeit und unerträglicher Menschenverachtung. Ursachen für den Materialismus finden wir ausschließlich in der Verdrängung und Sedierung der Existenzangst durch Akkumulationsversuche von Geldkapital - vom Individuum bis hin zum Weltverband. Je stärker die kollektiven Ängste umso massiver die Lebensgier bis hin zur kriminellen Energie - bei Einzelnen, Gruppen oder ganzen Wirtschaftssystemen.

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Kranke Wirtschaft auf der Couch Alle oben beschriebenen Angst-Beschwichtigungs-Rituale, die wir anwenden, um mittels Geldeinsatzes unsere niemals kommunizierten Ängste zu beschwichtigen, sind naiv und sinnloser Energieaufwand. Der therapeutische Ansatz einer Angstreduktion ist immer in der Angstbewältigung durch offene Kommunikation zu finden. Klingt simpel und ist es auch! Wenn krank machende Vorstellungen thematisiert und verstanden werden, treten unmittelbar Reduktionsprozesse in Kraft: erlebtes Verständnis, Druckabbau durch Austausch, neue Ideen des Umgangs, ein Umrahmen der Situation mit neuen Impulsen (Reframing) etc. Unternehmen sind, je nach der psychischen Ausstattung der Eigentümerschaft und des Managements, ebenso neurotisch, schizophren, paranoid, manisch-depressiv, psychopathisch wie ein einzelner Mensch. Vielleicht geglättet durch die Tatsache, dass viele Personen zusammenwirken, darunter manche mit innerlich ausgeglichener Stimmungslage. Und es stellt sich sogleich noch ein weiteres Problemfeld ein. Wo Menschen zusammen arbeiten, entstehen unlösbare Widersprüche (so genannte Aporien) und kaum lösbare Konflikte. Die Forderung nach guter Konfliktkultur und dem Umgang mit Widersprüchlichkeit ist den Managern zwar bewusst. Viele von ihnen betrachten es aber nach wie vor als geradezu sündhaft, Konflikte und Probleme im Betrieb mitzuschleppen. Bis zum Coaching oder zur Mediation reicht es dann aber auch wieder nicht. Da spricht man doch lieber die eine oder andere - unverhältnismäßig teure - Kündigung aus.

Die funktionierende Organisation Wirtschaften an sich hat nicht unbedingt mit seelischer Störung und psychischer Krankheit zu tun. Wenn einzelne Personen oder ganze Betriebe in guter Stimmung und beherztem Anpacken ökonomische Erfolge feiern und dabei auch gute Gewinne (allerdings nicht auf Kosten anderer) erwirtschaften, dann ist dies wunderbar und begrüßenswert. Der Wunsch, dass dies von selbst geschehen möge, ist allerdings naiv: Hinter nachhaltigen ökonomischen steht mindestens ebenso viel Arbeit wie hinter ausbeutenden Systemen. Voraussetzung fiir eine funktionierende Organisation ist ein (existenzialpsychologisch fundierter) Ansatz, der mittels diverser Interventionen zu einer Ent-Ängstigung und Entspannung innerhalb der Firma führt. Empfehlenswert wäre zunächst eine gute strategische Planung, bei der das Management die Zukunftsvisionen erkennt und die besten Szenarien fiir die RoadMap der nächsten Jahre entwirft. Wenn dies an die Belegschaft gut kommuniziert wird und diese auch in die Umsetzung eingebunden ist, dann hat man schon eine sehr gute Voraussetzung geschaffen fiir ein gedeihliches Miteinander. Menschen wünschen sich Orientierung, und diese zu finden ist relativ leicht möglich. Einen der wichtigsten Hebel fiir unternehmerische Erfolge stellt natürlich die PersonalBesetzungspolitik dar. Gute Auswahl von Führungspersonen, von Managern und auch von Personal insgesamt sowohl innerhalb des Betriebes als auch vom freien Arbeitsmarkt ist die "halbe Miete". Dabei ist die richtige Orchestrierung der Aufsichtsräte und des Vorstandes ebenso wichtig wie die Zusammenstellung von Verkaufs-Teams.

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Als dritter Faktor zur untemehmerischen Fitness kann die unermüdliche Arbeit am Betriebsklima gewertet werden: Dafür gibt es in den letzten Jahren mehr und mehr Ansätze in die richtige Richtung: Team-Trainings mit Outdoor-Charakter, periodische Team-CoachingSitzungen, Mediations-Beratung bei Konflikt-Fällen, individuelles Coaching zur Burn-outPrävention etwa, Kochen im Dunkeln, Wanderseminare etc. Dabei geht es immer darum, psychohygienisch angestautes Material zu entsorgen. Ebenso wie jeder menschliche Körper täglich gepflegt werden soll, ist die Reinigung der Organisation von kommunikativem Müll ein absolutes Muss, will man nicht mit erhöhter Fluktuation und dem Verlust von Nachhaltigkeit teuer bezahlen.

Humanistisches Management als Basis gesunder Vermögenspsychologie Menschen brauchen Wertschätzung, Akzeptanz und das Gefühl kongruent behandelt zu werden. Diese drei Haltungen des person-zentrierten Ansatzes von Carl Rogers sind notwendig und hinreichend, um Organisationen reifen zu lassen und zum Blühen zu bringen. Je mehr wir uns umeinander kiirnmem und einander zu verstehen versuchen, desto entkrampfter werden wir einander begegnen können. Nur wenn wir wirklich einen gewissen Status existenzieller Entspannung erreichen, sind wir fähig, Geld auch einzusetzen für die Projekte mit Gemeinnutzen. Dafür ist nur ein geringer Energieaufwand nötig - verglichen mit dem Mega-Einsatz an Verdrängungs- und Kampf-Investition, die wir im täglichen Wirtschafts-Gemetzel zu erbringen gewohnt sind.

Vom individuellen Potenzial zum Human-Vermögen Mit einer psychisch gesunden Konstitution versehen zu sein, heißt noch lange nicht, innerlich kultiviert zu sein. Wie ein Körper zwar gesund, aber völlig untrainiert sein kann, so verhält es sich auch mit der Psyche. Innere Fitness kann aber ebenso erarbeitet werden wie physische. Der erste Schritt zur persönlichen Entwicklung ist immer die Standortbestimmung. Die überwiegende Mehrheit der westlichen Bevölkerung hat jedoch noch nie im Leben eine Berufsberatung geschweige denn eine professionelle Karriere-Planung genossen. Die meisten wissen daher gar nicht, welche Potenziale und welches latente Vermögen in ihnen schlummem. Welche Verhalten heben sie von anderen Menschen ab? Mit welchen intellektuellen oder kreativen Kräften könnten sie punkten. Was sind die Interessen, die miteinander kombiniert ein besonderes, einmaliges Betätigungsfeld eröffnen könnten? Durch die bestehende Unkenntnis wird es schwierig, sein latentes Vermögen auf dem Arbeitsmarkt oder auch privat richtig einzusetzen. Viele hocken sozusagen auf dem Deckel der eigenen Schatzkisten und merken es nicht. Sie haben keine Ahnung, welche Schätze in ihnen verborgen sind und auf Realisierung warten. Die primäre Frage ist daher: Was steckt in mir? An welche Potenzialen - nicht Schwächen - zahlt es sich aus, zu arbeiten. Wo ist mein Platz in der Welt? Da haben wir es mit wirklich

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schicksalhaften Entscheidungen zu tun, die am besten von WirschaftspsychologInnen oder MentorInnen begleitet werden. Sind das individuelle Potenzial gewissenhaft analysiert und erfasst, die eigenen Stärken klar identifiziert worden, dann kann entschieden werden, welche dieser Eigenschaften privat oder beruflich verwirklicht werden sollen. Das eher fragwürdige Wort Humankapital erhält einen positiven Klang, wenn wir es von der Gesamtbelegschaft auf das Individuum übertragen. Die Werte, die jemand in sich trägt, münzen sich in Vermögen um, sobald jemand zur Tat schreitet. Eventuell wird noch gezielt eine Ausbildung eingeschlagen, ein persönliches Coaching angenommen, um die psychische Fitness zu steigern, die spirituelle Entwicklung gefördert etc. Mit der Förderung des persönlichen Humanvermögens kommt es zur Herausbildung von Kompetenzen. Unter Kompetenz verstehen wir drei Bedingungen; wollen, können und dürfen. Wenn die Entscheidung gefiillt wurde für einen speziellen Lebenspfad, für eine existenzielle Richtungsänderung, diese dann mit entsprechender Förderung (Training, Bildung, psychologische Beratung, fachlicher Schulung etc.) verstärkt wurde, dann ist es nahe liegend, dass uns Vorgesetzte oder das private Umfeld die Chance einräumen, unsere Kompetenzen oder unser Vermögen auch einzusetzen. Hier befinden wir uns bereits auf dem Gebiet der Vermögenspsychologie. In ihr werden unter Vermögen nicht nur monetär oder materiell eingesetzte Mittel verstanden, sie begreift das persönliche Vermögen als die Gesamtheit der von einem Individuum zu erbringenden Leistung in dessen Lebensspanne. Die existenzielIste aller Fragen ist mit Sicherheit: Wo positioniere ich mich hier in dieser Welt? Die passende, kongruente Antwort darauf zu finden, unterscheidet einen misslungenen von einem gelungenen Lebensentwurf. Dadurch entsteht Kompetenz im verantwortungsvollen Umgang mit sich und der Welt.

Das Vermögen der Psyche Was leistet denn nun die Psychologie, um uns behilflich zu sein, den besten Pfad im Leben zu finden. Ebenso wie in der Medizin, geht es zunächst um die Diagnose. Es werden auf Fragebogenbasis individuelle Eigenschaften erhoben, die im Vergleich mit großen Stichproben ein eindeutiges Kompetenz-Profil ergeben. Der Mensch besteht angeblich aus 7000 Charaktereigenschaften. Wir erheben bei persönlichen Lebensstrategie-Beratungen etwa vierzig bis fünfzig davon, allerdings wichtige. Persönlichkeits-Inventare zeigen uns etwa die Handlungsdynamik einer Person - wie kontaktstark, durchsetzungswillig, aktiv und mutig sie ist. Aber auch jemand mit defensivem Handlungsrahmen kann genau die Position in der Welt finden, wo seine/ihre Eigenschaften gefragt sind. Außerdem erhebt ein gutes Beratungsmodell die soziale Kompetenz. Dazu gehören AltruismusIEgoismus, Fakten- oder Menschen-Bezug, Offenheit versus Diplomatie sowie der Grad an Vertrauen beziehungsweise Misstrauen. Das gibt Auskunft darüber, wie sozial orientiert jemand sich positionieren kann. Die psychische Konstitution sagt viel aus über Belastbarkeit, Selbstsicherheit, innere Spannung sowie über den Grad der Selbstregulation (Selbstdisziplin).

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Aus solchen Fragebögen erhalten Interessierte auch Auskunft über den Grad ihrer Führungsfähigkeit, ihres Verkaufstalents, des Grades an Teamfähigkeit und an sozialer Angepasstheit. Diese Aspekte gehören alle in das Gebiet der Vermögenspsychologie. Wenn wir neben den Charaktereigenschaften auch noch die Kombination an Interessen (Wirtschaft, Technik, Umwelt, Soziales, Kunst und Öffentliches) sowie die Wünsche nach Betätigungsarten (leitend/unterstellt, schöpferisch/anwendend, flexibel/geordnet, global/detailliert, konservative/innovative Wertorientierung) entschlüsseln, dann kann schon recht genau festgestellt werden, wohin jemand tendiert. Ein Bereich, der konsequent überschätzt wird, ist die Frage der Intelligenz. Unser Leistungssystem verknüpft die Frage der Eignung permanent mit der intellektuellen Begabung. Natürlich sollte jemand im Finanzbereich nicht legasthenisch sein und ein politisch Tätiger eine gewisse verbale Ausdruckskraft mitbringen. Es scheint jedoch viel wichtiger zu sein, sich von der intrinsischen Motivation her für eine Betätigung, ein Projekt zu interessieren. Wenn jemand kein inneres Feuer für eine Aufgabe mitbringt, hilft auch die intellektuelle Begabung nicht weiter. Dennoch werden in unseren Verfahren natürlich auch solche Fähigkeiten gemessen, zum Beispiel abstrakt-logische, rechnerische, verbale Intelligenz sowie die Gedächtnisleistung. Aus dieser Inventur lässt sich ableiten, wohin jemand sich in beruflichen oder privaten Projekten orientieren sollte. Von etwa 2000 potenziellen Berufsbildern kennen die meisten von uns nicht mehr als vierzig. Real lernen wir im ganzen Leben maximal zwei bis fünf Betätigungsgebiete kennen. Daher ist es von so eminenter Bedeutung, das Humanvermögen unserer eigenen Psyche detailliert zu inventarisieren. Nur dann können wir daraus ein Vermögen schaffen, das uns optimal entspricht. Der ärztlichen Diagnose folgt meist die Therapie. In der Vermögenspsychologie folgt auf die Kompetenz-Analyse meist eine länger dauernde soziale Intervention: eine Ausbildung, ein Coaching, Mentoring, Trainings, psychohygienische Arbeit, auch psychotherapeutische Unterstützung. Ziel ist immer, das vorhandene Potenzial zu heben, zu stärken, zu fördern und damit der Person einen größeren Handlungsspielraum zu eröffnen. Wer psychisch und sozial seinen angemessenen Fitness-Grad erreicht hat, der/die wird dadurch auch befähigt, sich in die Weltengemeinschaft gut einzubringen. Dabei geht es um ethische Einstellung und um eine Kultur des verantwortungsvollen Umgangs mit dem eigenen Vermögen.

Verantwortung sich selbst und anderen gegenüber Wer sich selbst psychohygienisch pfleglich behandelt, seine eigene soziale Kompetenz trainiert, seinen Handlungsrahmen ausdehnt, Lebenskompetenzen entwickelt und zur Blüte bringt, der oder die kann einen Zustand innerer Sicherheit erlangen, der dazu motiviert, sich optimal privat und gesellschaftlich einzubringen. Und das sind wir uns und der Umwelt auch schuldig. Vermögenskultur kann nicht verordnet werden. Sie kann nur gefordert werden, indem wir zum Beispiel Vermögenden erst einmal vorurteilsfrei und nicht grundsätzlich ablehnend entgegentreten, ihre Ängste wahrnehmen, um gemeinsam Vertrauen aufzubauen. Und zwar

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unabhängig davon, ob es sich um finanzielle Ressourcen oder immaterielle Begabungen handelt. Dann kann auch Geld-Reichtum in Projekte gelenkt werden, die dem Gemeinwohl, der Weltgemeinschaft, dienen, nachhaltigen Nutzen stiften, Mehrfachwirkung ausstrahlen, einen Magnetismus auf andere ausüben. Im Akt der Investition in eine sinnstiftende Lebenskonzeption beschenkt sich die gebende Person selbst mit dem Erlebnis, etwas bewirken zu können, und macht sich damit erst eigentlich vermögend, weil er/sie etwas Wertschaffendes vermag. Der Mitteleinsatz kann Dinge und Menschen in Gang bringen, wo sonst nichts möglich gewesen wäre. Etwas herzugeben, setzt ein gerüttelt Maß an eigener existenzieller Entspannung voraus. Wer das Risiko eingeht, zu geben, nimmt auch Verluste bewusst in Kauf. Andererseits wiegt die Freude eines gelungenen Werkes dies alles mehr als auf. Vermögenskultur hat ihre Wurzeln auch im Respekt vor der Kraft der investierenden und solidarischen Handlung. Dann wird Sinnstiftung fUr alle Seiten zu einer realen Option.

Blindheit als Vermögen. Über Potenziale, die im Dunkeln liegen Andreas Heinecke / Clemens Sedmak

Erleben im Dunkeln In Paul Austers Roman Travels in the Scriptorium wird die Geschichte eines alten Mannes erzählt, der sich unversehens in einem einfachen Zimmer befindet - ein Bett, ein Stuhl, ein Tisch, auf dem einige Manuskripte liegen. Der Mann ist unfähig, sich an seine Vergangenheit zu erinnern und sucht nach Hinweisen auf seine Identität. Viele Fragen sind offen: "Who is he? What is he doing here? When did he arrive and how long will he remain?"l Der Mann tappt im Dunkeln. Er weiß nicht, wer er ist, er hat keinen Zugang zu seiner Identität, weiß nichts um seine Fähigkeiten und das, was er bisher daraus gemacht hat. Er muss sich neu orientieren, Schritt für Schritt. Er muss sich neu (er)finden. Er muss herausfinden, welche Vermögen ihm zur Verfügung stehen. So tastet er sich an sich selbst heran. Nicht unähnlich ist das Szenario, mit dem uns Nicole Krauss konfrontiert. Thr Roman Man Walks Into a Room handelt von Samson Greene, einem Professor, der nach einem Unfall sein Gedächtnis verloren hat und nun herausfinden muss, was sein Leben ausmacht. 2 Die ihm als Ehefrau präsentierte Frau sagt ihm nichts, ebenso wenig wie die Hinweise auf die Fähigkeiten, die er bislang in seiner beruflichen Karriere unter Beweis gestellt hat. Er muss sich und sein Leben auf neue Weise vermessen. Auch hier: Er tappt im Dunkeln - über die Richtung, die sein Leben nun nehmen soll. Diese literarisch aufbereiteten Erfahrungen lassen sich auch in Echtzeit an Echtorten machen. So sind seit 1988 in über dreißig Ländern mehr als sieben Millionen Menschen durch den Dialog im Dunkeln getappt, sie haben in Metropolen wie Paris, London, Tokyo, Mexico City, Shanghai oder Singapur diese Ausstellung zur Entdeckung des Unsichtbaren erlebt. Auch hier wissen die Besucher zuerst einmal nicht, wo sie sind, wie sie sich zurechtfinden werden, wie lange die Reise geht. Sie verlieren in der Dunkelheit gewohnte Referenzen, müssen sich neu orientieren und - zumindest für diese ungewohnte Situation - eine neue Identität finden. Wie kann man sich das praktisch vorstellen? Dialog im Dunkeln findet tatsächlich in völliger Dunkelheit statt. Blinde Menschen führen das Publikum in kleinen Gruppen durch szenisch gestaltete Räume. Die Besucher erhalten am Eingang einen Blindenstock und werden in dessen Handhabung eingeführt. Nach dem Durchlaufen einer Lichtschleuse treffen sie auf eine Stimme in völliger Dunkelheit, die sie willkommen heißt. Alle wissen, dass es sich um einen blinden Menschen handelt, der die Gruppe führt, sodass neben der eigenen starken emotionalen Erfahrung auch die Begegnung

T. Druyen (Hrsg.), Vermögenskultur, DOI 10.1007/978-3-531-92086-3_11, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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mit einem Vertreter einer Minderheit steht, auf die man im gewohnten Leben kaum trifft. Der Blinde übernimmt die Führung und begleitet die Gruppe durch die Ausstellungsräume, die als Parklandschaft, Straße, Marktstand oder als Bootsfahrt gestaltet sind. Am Ende der aufregenden Reise können die Gäste in einer Bar essen und trinken - auch hier umgeben von undurchdringlicher Dunkelheit. Was geschieht bei dieser Erfahrung? Man findet sich in einem Raum wieder, der sich irgendwo zwischen Austers Szenario und der Romansituation von Nicole Krauss befindet. Niemand weiß, wie der Raum beschaffen ist, was einen erwartet. Man kann nicht auf die gewohnten Vermögen zur Alltagsbewältigung und Problemlösung zugreifen. Man tappt im wahrsten Sinne im Dunkeln - hält sich am Anderen fest, ist dankbar, wenn Konturen durch Ertasten als Baum, Wand, Auto, Tisch oder Brückengeländer identifiziert werden. Im Dunkeln sind die Blinden die Könige und man muss ihnen vertrauen, um sich zu verlieren. Man erfährt die eigene Verletzlichkeit und Begrenztheit. Man bekommt aber auch eine Ahnung von Vermögen, die man im Alltag selten einsetzt, wie dem Vermögen des Vertrauens, dem Vermögen des Zuhörens, dem Vermögen des tastenden Berührens. Nach einem berühmten Wort Hegels sind in der Nacht alle Kühe schwarz. Ähnlich verlieren sich in der Dunkelheit eines "schwarzen Zimmers" die gängigen Unterschiede und Unterscheidungsmöglichkeiten. Einsteins These, dass "eine Theorie umso beeindruckender ist, je einfacher ihre Prämissen und je unterschiedlicher die Dinge sind, auf die sie sich bezieht, und je größer die Bandbreite ihrer Anwendungsmöglichkeit ist", scheint sich beim Dialog im Dunkeln zu bestätigen. Das Konzept ist schlicht und wirkt wohl gerade deshalb auf alle Menschen gleich, unabhängig von Alter, Geschlecht, Bildung, Einkommen, Kultur oder ethnischer Zugehörigkeit. Dass dieses Konzept mehr ist, als eine Spielerei, zeigen die Anwendungsmöglichkeiten in Studium, Rehabilitation, Personalentwicklung und Versöhnungsarbeit. Hier werden durch einen veränderten Rahmen Defizite in Potenziale gewandelt. AufweIchen Grundlagen diese Vermögensbildung im Dunkeln beruht, soll der folgende Beitrag beleuchten.

Bedeutungsverlust von Vermögen Bevor wir uns dem Thema nähern, müssen wir jedoch daraufhinweisen, dass es uns überrascht hat, dass selten ein Wort seiner wahren Bedeutung so entkernt wurde, wie Vermögen. Nimmt man Wikipedia als erste demokratische Wissensbasis ernst (selbst wenn sie in wissenschaftlichen Kreisen belächelt wird) und macht sich kundig, was unter dem Stichwort "Vermögen" eingetragen ist, so finden sich ausschließlich Bezüge, die aufmaterielle Werte, Reichtum oder Kaufkraft zielen. Selbst "immaterielles Vermögen" steht ausschließlich im wirtschaftlichen Zusammenhang und erfasst Begriffe wie Lizenzen, Marken, Rechte oder Patente. Auch der schnelle Blick in das Verzeichnis lieferbarer Bücher bestätigt auf eindrückliche Weise, dass sich unter dem Schlagwort des "immateriellen Vermögens" ausschließlich Publikationen finden, die sich mit Bilanzierungsfragen, Kaufpreisallokationen oder Controlling beschäftigen. Dieser Umstand versinkt völlig in Sepia, wenn man sich der Tatsache bewusst wird, dass der Begriff Vermögen wie in einem Brennglas sämtliche Belange der menschlichen Existenz

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sammelt: Denkvermögen, Sprachvermögen, Einfühlungsvermögen, Gestaltungsvermögen, Handlungsvermögen, Unterscheidungsvermögen, Erinnerungsvermögen, Seh- oder Hörvermögen, Anpassungs- oder Durchsetzungsvermögen. Im allgemeinen Verständnis sind diese Werte jedoch kaum im Bewusstsein und Vermögen wird scheinbar ausschließlich mit der Akkumulierung von materiellen Gütern in Verbindung gebracht. Das eigentliche und ursächliche Vermögen des Menschen rückt hierbei in den Hintergrund. Und hier möchten wir ansetzen, um Bewusstseinsarbeit zu leisten, dass auch die Ärmsten unter den Armen vermögend sind und ihre Potenziale vollkommen unterschätzt werden. Vermögensbildung im Dunkeln Bereits Platon hat in seinem Höhlengleichnis mit den Metaphern von Licht und Dunkelheit gespielt und auf diese Weise zwischen Scheinvermögen und echten Vermögen unterschieden. Die echten Vermögen sind nach Platon diejenigen, die aus der Dunkelheit der Höhle hinaus ans Tageslicht führen. Wir stellen eine anders geartete Überlegung an: Die echten Vermögen bewähren sich auch im Dunkeln. Oder: Was von Einem bleibt, wenn das Sichtbare irrelevant geworden ist, das hat mit menschlicher Identität zu tun. Das ist natürlich nur eine Vermutung. Diese Vermutung mag aber etwas für sich haben, wenn man sich die simple Frage stellt, wie eine Kultur, die auf sichtbare Statussymbole und Positionsgüter in der Identitätszuschreibung setzt, sich wandeln müsste, wenn diese Referenzrahmen für Statuts und Identität wegfallen. Menschen, die im Rampenlicht stehen, sind durch ihre Sichtbarkeit gezeichnet. Was passiert mit diesen Menschen, wenn diese Sichtbarkeit wegflillt? Dann haben wir es mit Vermögen zu tun, die unter gewöhnlichen Umständen im Dunkeln liegen. Um Licht auf die Vermögen im Dunkeln werfen zu können, wenden wir uns an Aristoteies, der unter Vermögen die Fähigkeit versteht, einen Sachverhalt kausal zu beeinflussen. In diesem Sinne hat ein Vermögen mit "Transformation von Wirklichkeit", ,,Herstellung von Situationen", "Veränderung von Welt" zu tun. Ein Vermögen ist eine Fähigkeit, einen bestimmten Weltzustand herzustellen. Vermögen arbeiten mit Möglichkeiten - sie koordinieren Möglichkeiten, sie transformieren Möglichkeiten, sie realisieren Möglichkeiten. Ein Vermögen ist die Kraft, eine Möglichkeit in eine Wirklichkeit zu überführen. In diesem Sinne haben Vermögen mit der Eröffnung eines Handlungsraumes zu tun, eines Spielraums, innerhalb dessen Handlungsmacht ausgeübt werden kann. Entscheidend ist hier der Begriff der dynamis (Möglichkeit, Kraft) - nach Aristoteies ein Prinzip dafür, dass eine Veränderung stattfinden kann. 3 Dynamis ist also die Möglichkeit, Kraft zur Veränderung auszuüben. Ein Vermögen besteht darin, Bewegung in Gang zu bringen oder zu beenden. Vermögen strukturieren den Bereich menschlichen Handelns. Vermögen bewegen Möglichkeiten. Die Ausbildung von Vermögen hat denn auch mit der Ausbildung dessen zu tun, was Robert Musil seinerzeit einen ,,Möglichkeitssinn" genannt hat. Dieser ist auch verbunden mit einem Sinn für die "Beweglichkeit" der Wirklichkeit. Um ein Vermögen ausüben zu können, bedarf es nicht nur eines Möglichkeitssinns, also eines Sinnes für die in einer Situation gegebenen Potenziale, sondern auch eines Wirklichkeits-

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sinns, eines Verständnisses für die Eigenschaften der vorliegenden Sachverhalte. Vennögen verändern Situationen. Damit nun eine Veränderung stattfinden kann, bedarf es auf der einen Seite einer verändernden Kraft und auf der anderen Seite eines Materials, das sich verändern lässt. Zwischen dem aktiven Vennögen zu verändern und dem passiven Vennögen, dass sich etwas verändern lässt, muss eine Entsprechung bestehen. 4 Der angesprochene Wirklichkeitssinn befasst sich mit der Einschätzung dieser Übereinstimmung. Vennögen haben mit zwei Aspekten der Veränderung von Wirklichkeit zu tun: Einmal mit ,,Potenzialitäten" (Anlagen zur Veränderung im Handlungssubjekt; subjektbezogene Potenzen) und dann auch mit "Possibilitäten" (Anlagen zur Veränderung im Sachverhalt; situationsbezogene Möglichkeiten). Ein Vermögen ist ein Sinn für Potenzialität (was kann ich tun?) und ein Sinn fUr Possibilität (was bietet die Möglichkeit?). Die Fähigkeit, Situationen als Gelegenheiten zu sehen, hat mit dem Possibilitätssinn zu tun, die Fähigkeit, sich selbst zu kennen und auf die eigenen Stärken zu vertrauen, mit einem Potenzialitätssinn. Damit stoßen wir auf die grundlegende Einsicht, dass Vennögen an subjektive und an objektive Faktoren gebunden sind. Um ein Vennögen realisieren zu können, bedarf es bestimmter Ressourcen. Um Vermögen beispielsweise durch das Erlernen einer Fremdsprache aufzubauen, bedarf es Ressourcen in Fonn eines Sprachlehrers oder eines Kurses oder eines Buches oder eines Sprachaufenthalts im Land. Vennögen sind daher zu ihrer Realisierung auf Ressourcen angewiesen. Man könnte auch sagen: Das Kultivieren von Vennögen ist auf Vennögen angewiesen. Wie solch eine Vennögensbildung im Dunkeln stattfinden kann, sollen zwei Beispiele zeigen: Im Jahr 1887 trat Anne Sullivan in das Leben der damals sieben Jahre alten blinden und taubstummen Helen Keller. Anne Sullivan glaubte an die im Dunkeln verborgenen Potenziale ihres Schützlings. Sie sorgte sich um Helen, entwickelte eine emotionale Bindung. Dieses Band fiihrte zu einer Atmosphäre des Vertrauens und in diesem Rahmen konnte sich das viel zitierte Durchbruchs-Erlebnis des 5. April 1887 abspielen, als die Lehrerin Wasser über die eine Hand Helens laufen ließ und in die andere Hand den Begriff"Wasser" buchstabierte. 5 Damit war der Bann gebrochen und der Schlüssel zu Helen Kellers "Vennögen im Dunkeln" gefunden. Sie konnte nun die vorliegenden Situationen aufneue Weise einschätzen, entwickelte damit einen neuen Sinn für Möglichkeiten und Wirklichkeiten, konnte durch die Sprachkompetenzen neue "Bewegungen" im sozialen Raum in Gang setzen und Wirklichkeit verändern. Kurz: Helen Keller erhielt einen neuen Sinn für Possibilitäten und die eigenen Potenzialitäten. Die entscheidende Ressourcen zur Bergung dieses Vennögens waren: Sullivans Glaube an Helens Potenziale; Sullivans Sorge und Bindung; das wechselseitige Vertrauen und eine vorliegende Situation, die sich als "Schlüsselgelegenheit" erwies, als Gelegenheit, die den Schlüssel zu vielen weiteren Gelegenheiten mit sich brachte. Die "intangibien Ressourcen" (Glaube, Bindung, Sorge, Vertrauen) erweisen sich als Schlüsselvennögen zur Kultivierung der Vennögen eines taubblinden Mädchens. Dieser Blick auf "intangible Aspekte" der Infrastruktur wird auch in der ökonomischen Literatur berücksichtigt. 6 Die Kraft intangibler Ressourcen lässt sich an einem zweiten Beispiel gut ableiten: In Catalin Dorian Florescus Roman Der blinde Masseur verwandelt Ion Palatinus, ein blinder Mann, der in einer rumänischen Kuranstalt als Masseur arbeitet, durch sein besonderes Ver-

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mögen die soziale und intellektuelle Welt. 7 Palatinus ist ein hervorragender Masseur, der die Menschen seiner Umgebung dazu bringt, ihm als Bezahlung für seine wertvollen Dienste Bücher aufs Band zu sprechen, sodass er über Hörbücher verfügt. Er besitzt dreißigtausend Bücher und verteilt nach klugen Überlegungen die Aufgaben des Vorlesens - der Fabrikant liest Marx, ein Minenarbeiter bringt Zola aufs Tonband, ein Pope liest de Sade. Ion Palatinus, der, so wird es geschildert, gerade wegen seiner Blindheit ein hervorragender Masseur geworden ist und dessen Finger die Retina ersetzen, hat seine Sonderstellung als blinder Mensch dazu benutzt, Vennögen in besonderer Weise auszubilden. Er genießt Autorität: "Ion kontrolliert hier alles, man weiß oft nicht wie, aber er tut es", lässt Florescu eine Figur sagen. 8 Durch die Abhängigkeit vom gesprochenen Wort übt Palatinus Macht über die Worte, die gesprochen werden, aus. Durch seinen Hunger nach Bildung prägt er die Bildung der Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner, die seinen Massagekünsten vertrauen und seine LeseWÜDSche respektieren. Auch hier sehen wir die Bedeutung der intangiblen Ressourcen ,,Respekt" und "Vertrauen" für die Vennögensbildung. Halten wir fest: Ein Vennögen ist die Kraft zur intentionalen Gestaltung der Wirklichkeit. Vermögen strukturieren Möglichkeitsräume und Wirklichkeit. Sie bewegen und sie verändern. Sie sind in einen sozialen Kontext, aber auch in einen Rahmen subjektiver Zielsetzungen eingebunden. Vennögen sind zu ihrer Kultivierung auf Ressourcen angewiesen, vor allem: auf intangible Ressourcen, also auf Ressourcen, die, wie man sagen könnte, im Dunkeln liegen.

Erkenntnistheorie im Dunkeln Im Deutschen unterscheiden wir zwischen "Dunkelheit" und ,,Finsternis". Letztere ist durchwegs negativ konnotiert, hat mit bedrohlichen Schluchten und Ähnlichem zu tun, was in Märchen eine archetypische Rolle spielt. "Dunkelheit" ist ein Begriff, dem jedoch auch sehr viel Positives abgewonnen werden kann. Selbst in der altchristlichen Literatur lassen sich dazu Anhaltspunkte finden, auch wenn man zugeben muss, dass der Begriff der tenebrae weitgehend mit dem Licht der Offenbarung kontrastiert wird. Sehen wir uns einige paradigmatische Stellen aus der patristischen Literatur an, die zugleich Anhaltspunkte für die Einschätzung der Bedeutung von Dunkelheit geben: Pachomius schildert in der Vita Pachomii das Leben des Asketen Jonas und hält ausdrücklich fest: "Er saß in tiefer Dunkelheit da und prägte sich die Worte der Heiligen Schrift ein. "9 Hier wird die Dunkelheit als Ort der Aufmerksamkeit und Sammlung beschrieben, als ein Rahmen für Zuhören und Aufnahmefil.higkeit. Hier wird sozusagen "mit dem Herzen" gelernt (to learn by heart) und gesehen. 10 Dunkelheit ennöglicht neue Orte der Aufmerksamkeit und Wachsamkeit, neue Lemorte. Augustinus stellt in seinen Überlegungen zum Gedächtnis fest, dass ihm die eigene Innerlichkeit stets zur Verfügung steht: "Doch kommen die Dinge nicht selbst hinein, sondern nur die Bilder der wahrgenommenen Dinge, die dort unsenn Denken zur Verfügung stehen, wenn wir uns ihrer erinnern. Wer aber kann sagen, wie diese Bilder entstanden sind, obwohl wir wissen, durch welche Sinne sie aufgenommen und im Innern geborgen worden sind? Denn

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wenn auch Dunkelheit und Stille rings um mich herrscht, kann ich mir in meinem Gedächtnisse nach Belieben Farben vorstellen und zwischen weiß und schwarz und anderen Farben, wie es mir gefällt, unterscheiden."ll Nun muss dies nicht Wort für Wort zur Anwendung gebracht werden, die Pointe ist folgende: Augustinus steht mit seinen Bekenntnissen an der Schwelle zu einem neuen Menschenbild. Er versteht den Menschen als ein Wesen mit Komplexität und Tiefe, das über "Innerlichkeit" verfügt, über eine Innenwelt an Gedanken und Eindrücken, Erinnerungen und Erlebnissen. Diese Innenwelt kann dem Menschen nicht genommen werden. Sie zeigt sich und bewährt sich gerade in der Dunkelheit. Wenn die äußeren Reize abnehmen, wird der innere Reichtum von großer Bedeutung. Wir könnten sagen: Die Dunkelheit ermöglicht eine Wendung nach innen, ein Wachstum der Innerlichkeit, eine Herausbildung des inneren Vermögens. Augustinus assoziiert an einer Stelle, an der er über die vielen verschiedenen Interpretationen der Heiligen Schrift nachdenkt, Dunkelheit mit Tiefe: "Die Dunkelheit des göttlichen Wortes erweist sich also auch darin nutzbringend, dass sie eine Mehrzahl von richtigen Auffassungen ins Leben und in das Licht der Erkenntnis treten lässt, indem der eine es so, der andere es anders versteht. "12 Die Erfahrung von Dunkelheit ist eine Erfahrung von Komplexität. Hier entzieht sich ein Raum der Durchsichtigkeit, der Übersichtlichkeit, der Ausschöpfbarkeit, der Beschreibbarkeit. Es ist vielleicht nicht uninteressant, zu sehen, dass William James in seiner Schrift The Varieties of Religious Experience als ein Charakteristikum einer mystischen Erfahrung die inexhaustability angeführt hat, die Unausschöpfbarkeit - die Erfahrung bleibt im Dunkeln, lässt sich nicht sprachlich oder erkenntnismäßig auf den Punkt bringen. Ähnlich charakterisiert George Steiner einen "Klassiker" als ein Werk, das auf immer neue Deutungen hin offen ist. Damit ist auch gesagt: Der Sinn erschließt sich nicht auf einmal, sondern entzieht sich vollständigem Zugriff. Dunkelheit eröffnet Räume von Unausschöpfbarkeit, die immer wieder neu zur Deutung auffordern. Basilius von Cäsarea erkennt die Dunkelheit als "Wirklichkeitsui generis", also als eine Wirklichkeit, in der eine eigene unverwechselbare Ordnung gilt. Dunkelheit ist nicht bloß "Abwesenheit von Licht", sondern hat spezifische Qualitäten; "Du hast in der Dunkelheit die Arten der Nachtvögel, beim Lichte die Tagesvögel. Die Fledermäuse, Nachteulen und Nachtraben gehen bei Nacht auf Nahrung aus. Kannst du also einmal nicht zeitig einschlafen, so darfst du nur bei diesen verweilen und ihre Eigentümlichkeiten betrachten, und du hast Grund genug zum Lobpreis auf Gott. "13 Damit ist auch gesagt, dass "Dunkelheit" nicht bloß negativ definiert werden darf, sondern eigenständige Bedeutung beansprucht. Man könnte das vielleicht vergleichen mit Philip Aries' Überlegungen zur Kategorie der Kindheit: Jahrhundertlang war die Kategorie "Kind" nicht als Kategorie sui generis gesehen worden; Kinder wurden als ,,kleine Erwachsene" angesehen und damit negativ definiert (,,Das Kind ist ein Mensch, der noch nicht erwachsen ist"). Mit der Etablierung von ,,Kindheit" als eigener Kategorie wandelte sich der Blick auf Kind und Kindheit fundamental. Ähnliches kann für den Begriff der Dunkelheit postuliert werden. Wir könnten sagen: Die Dunkelheit ist eine Wirklichkeit sui generis, die nicht bloß negativ als ,,Abwesenheit von Licht" charakterisiert werden soll.

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Auf diese Weise lassen sich im Dialog mit früher Literatur vier Funktionen von Dunkelheit anführen: Dunkelheit ermöglicht neue Orte der Aufmerksamkeit und Wachsamkeit, neue Lernorte. Dunkelheit ermöglicht eine Wendung nach innen, ein Wachstum der Innerlichkeit, eine Herausbildung des inneren Vermögens. Dunkelheit eröffnet Räume von Unausschöpfbarkeit, die unablässig zur Deutung auffordern. Dunkelheit konstituiert eine Wirklichkeit sui generis, die nicht bloß negativ als "Abwesenheit von Licht" charakterisiert werden kann. Letzteren Hinweis kann man auch als Einladung verstehen, die Schönheit der Dunkelheit erkennen zu lernen. In den Worten John Dominic Crossans: "We do not moum that we see through a glass darkly, we now rejoice in the dark loveliness ofthe glass."14 Dunkelheit hat viele Funktionen. Die Erfahrung von Dunkelheit ist erkenntnistheoretisch aufschlussreich, sie ermöglicht eine neue Weise des Sehens. Charles Winquist ist - in Auseinandersetzung mit Freuds Traumdeutung - der Frage nach der Möglichkeit des thinking darkly nachgegangen. Es handelt sich um vorläufige Reflexionen auf eine Erkenntnistheorie der Dunkelheit. Hier findet sich der bemerkenswerte Satz: "Learning to see in the dark is leaming 10 bring darkness to the light, that is, leaming to see the light darkly."15 Die Dunkelheit wirkt auf viele verschiedene erkenntnistheoretisch relevante Weisen. Dunkelheit ist Katalysator. Deprivation von Licht kann als Lemmethode und der erfahrene Verlust als Gewinn verstanden werden; die Erfahrung von Dunkelheit führt zu einer Neubestimmung von Werten, einem Perspektivenwechsel, zur Erfahrung der Gleichstellung aller Beteiligten. Diese Erfahrungen einer veränderten Wirklichkeit gehen tief und führen deswegen zu einer nenen Weise des Erkennens. In der griechischen Philosophie - im Unterschied etwa zur hebräischen Tradition, die das Hören in den Mittelpunkt stellt - ist der Sehsinn zentral als Aussage über das menschliche Erkenntnisvermögen. Eine Positionierung von Dunkelheit kann nicht nur zu einer neuen Weise des Erkennens, sondern auch zu einer neuen Weise, über Erkenntnistheorie nachzudenken, führen. Trotz dieser Fülle an Bezügen und Werten, gibt es überraschenderweise bisher keine umfassende Theorie der Dunkelheit. Die Dunkelheit ist ein einigermaßen blinder Fleck in der Wissenschaft. Es gibt im Gegensatz zur Farbenlehre keine Dunkellehre und selbst die großen Theoretiker wie Goethe oder Michelangelo blenden in ihren theoretischen Schriften zur Farbe die Farblosigkeit der Dunkelheit aus. Lediglich ein Hinweis findet sich bei Goethe zur Wirkung der Dunkelheit: "Bei Gefangenen, welche lange im Finstern gesessen, ist die Empfänglichkeit der Retina so groß, dass sie im Finstern (wahrscheinlich in einem wenig erhellten Dunkel) schon Gegenstände unterscheiden."16 Dies verweist auf den makabren Tatbestand, dass sich mit der Wirkungsforschung von Lichtentzug vornehmlich die Folterindustrie und jene therapeutischen Einrichtungen beschäftigt haben, die deren Opfer zu behandeln versuchen. Doch in pharmazeutischen Dosen hat auch die sensorische Deprivation ein Gutes: Sie ermöglicht völlig neue und vor allem nachhaltige Lernerfahrungen. Studien belegen, dass schon nach kurzer Zeit in völliger Dunkelheit die Tast- und Raumwahrnehmung sich entscheidend verbessert. 17 Hinzu kommt, dass durch die völlige Ungewöhnlichkeit mit einem Kontrollverlust auch der Basisreferenzen Zeit und Raum eine starke Emotionalisierung einsetzt, die unser Handeln dominiert und das Erinnerungsvermögen prägt. Es ist altbekannt, dass Erfahrungen aus der Kindheit, die eine starke emotionale Aufladung hatten, auch im Alter gegenwärtig

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sind. Emotionales Lernen impliziert nachhaltiges Lernen, was negativ (durch Strafe) oder positiv (durch Anerkennung) erwirkt werden kann. Neurophysiologisch erklärt sich dieses Phämomen dadurch, dass vor allem Adrenalin (als Stresshormon) und Melatonin ("Hormon der Dunkelheit") ausgeschüttet werden. Melatonin wird normalerweise nachts und während des Schlafes gebildet und wirkt auf den Hippocampus, in dem bekanntermaßen unser Gedächtnis angesiedelt ist. Damit wird erklärlich, warum Deprivation auch in der Therapie für psychisch kranke oder geistig behinderte Menschen eingesetzt wird, da durch die Vorenthaltung von Sinnesreizen auch Einstellungsveränderungen hervorgebracht und das Selbstkonzept verbessert werden kann.

Dialog im Dunkeln Dunkelheit, das steht fest, ist erstaunlich komplex, birgt ein weitgehend ungeborgenes Vermögen und erweist sich als ein wunderbares Medium zum Lernen. Es erstaunt, dass bis 1988 das Primat des Sehens derart prägend war, dass kein Künstler oder Pädagoge diesen "Stilbruch" gewagt hat. Wie wir von Joseph Schumpeter gelernt haben, entsteht Innovation durch kreative Zerstörung. Der Dialog im Dunkeln belegt eindrücklich, dass sich mit der Ausblendung des Lichts innovative Formen der Vennittlung bilden lassen und Inhalte vennittelt werden, die bisher nicht im Schlaglicht lagen. Und dazu besteht Bedarf, da das Vermögen von blinden Menschen weitgehend unterschätzt, wenn nicht sogar ignoriert wurde. Dreh- und Angelpunkt des Dialogs im Dunkeln ist Martin Bubers Dialogisches Prinzip, demzufolge "die einzige Form des Lernens in der Begegnung besteht". Mit dem Dialog im Dunkeln wurde eine Plattform geschaffen, in der sich Sehende und Blinde unter umgekehrten Vorzeichen treffen. Im Dunkeln sind die Blinden die Sehenden, während die ansonsten Normalsichtigen ihres Augenlichts beraubt und für die Dauer des Ausstellungsbesuchs blind sind. Durch den Dialog im Dunkeln wurden Tausende Arbeitsplätze für blinde Menschen geschaffen und die Wahrnehmung von Millionen von Besuchern in Bezug auf das Vermögen blinder Menschen positiv verändert. Ein Vermögen an Einfühlung wurde aufgebaut, da die Erfahrung, einmal in den Schuhen anderer zu stecken, Verständnis schafft und Haltungen verändert. Mitleid wandelt sich in Respekt, Distanz in Interesse. Durch die Ausstellung wird Vermögensbildung im besten Sinne betrieben und - ganz im Sinne Aristoteies - auch Handlung in Gang gesetzt. Weltweit wird das Konzept kopiert, was immer die beste Bestätigung für den Erfolg ist. Aber nicht nur Kopisten sind am Werk. Weltweit engagieren sich Philanthropen für den Dialog im Dunkeln, indem sie mit sozialen Investments beispielsweise helfen, soziale Unternehmen zu begründen, die Ausstellungen im Dunkeln betreiben undArbeitsplätze für blinde Menschen schaffen. Die Dialoge im Dunkeln sind ein bewusst gewähltes Gestaltungsmittel zur Vermittlung von Erkenntnissen (Erfahrung der eigenen Grenzen und von unerkannten Möglichkeiten der nichtvisuellen Wahrnehmung, Perspektivenwechsel zu Werten und Positionen) oder zur Erörterung von Problemen (Blindsein in einer rein visuell ausgerichteten Welt, Identität als Mitglied einer Randgruppe, mentale Barrieren im Umgang von sehenden mit blinden Menschen)

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im Sinne der klassischen Dialektik. Die Träger der zur Betrachtung stehenden Thesen und Antithesen gehören verschiedenen Bevölkerungsgruppen an. Die einen sind blind, die anderen sehend. Sie bilden aufgrund ihrer komplementären Lebensrealitäten, einer völlig unterschiedlichen Sozialisation, der Wert- oder Geringschätzung innerhalb der Gesellschaft und der diametral entgegengesetzten Wahrnehmung des Sehens und Nichtsehens die Pole, zwischen denen sich ein Dialog entwickeln soll. So stehen auf der einen Seite Menschen, die im oberflächlichen Sprachgebrauch als "normal" und "gesund" gelten, während sie auf der anderen Seite auf Menschen treffen, für die allenfalls Mitleid und Befangenheit angebracht zu sein scheint. Blindheit ist für die meisten Menschen eine Chiffre für die "schlimmste Behinderung", die einen ereilen kann, da ein Leben ohne visuelle Reize vor allem als reizlos und erlebnisarm angesehen wird. Es bedeutet Abhängigkeit und Hilflosigkeit, Ausschluss von den bunten Bildern und matten Scheiben, aus denen sich unser Leben so selbstverständlich zusammensetzt. Blindheit ist durchwegs negativ konnotiert und defizitorientiert. Bis vor fünfzig Jahren lebten blinde Menschen als "Schutzbefohlene" in Verwahranstalten, reduziert auf einfachste Tätigkeiten und angewiesen auf Almosen oder staatliche beziehungsweise kirchliche Fürsorge. Immerhin eine große zivilisatorische Errungenschaft, da sie noch ein paar Jahre zuvor als "unwertes Lebens" galten, das zu "entsorgen" war, weil "es" angeblich nichts zur "Volksgemeinschaft" beitragen konnte. Mittlerweile versprechen gesetzliche Rahmenbedingungen zumindest auf dem Papier eine "Gleichstellung". Von einer vollständigen Inklusion und Partizipation blinder Menschen in der Gesellschaft sind wir allerdings noch weit entfernt, da blinde Menschen auch heute noch am Rande der Gesellschaft stehen (gelassen werden), Diskriminierung und Ausgrenzung ausgesetzt sind und bei weitem nicht die gleichen Chancen in Bildung und Berufwie sehende Menschen besitzen. Um diesen Zustand zu ändern, bedarf es des Dialoges, dessen Bedeutung an dieser Stelle einen kleinen ideengeschichtlichen Diskurs verdient, um seine Wurzeln bewusst zu machen und zu zeigen, wie er genutzt werden kann, um Vermögen zu bilden. Die Quelle liegt bei Sokrates, dessen sokratische Dialoge von Platon überliefert wurden. Sokrates geht es um das direkte Gespräch, in dem er das Wissen des Gesprächspartners an die Oberfläche holt (Mäeutik). Sein Ansatz sieht im Dialog in kleinen und kleinsten Gruppen die Quelle der Förderung des eigenverantwortlichen selbst bestimmten Denkens des Einzelnen. Versteht man den Dialog von Sokrates her als einen örtlich und zeitlich geschützten Raum des AufspÜTens der eigenen Haltung zu den Dingen des Alltags, dann wird jeder Beteiligte als gleichermaßen Verantwortlicher einer gemeinsamen Wirklichkeit angesehen, die jetzt und hier gestaltet wird. Oftmals wirkt der Wechsel von konvergentem und divergentem Fragen als bedeutsamer Motor eines solchen Dialogs, dessen Zweck die Erkundung eigener und fremder Gewohnheiten, Annahmen, Wertvorstellungen, Denk- und Verhaltensweisen in der direkten Begegnung ist. Die Grundfrage lautet: "Was tust du da, und wie kommst du dazu, etwas in dieser Weise zu verstehen?" Diese Frage soll nicht zu einer Ursachenforschung, Bewertung oder Beurteilung führen. Sie soll den Raum öffnen, um sich die Frage zu stellen, was wirklich bedeutsam ist. Der Dialog im sokratischen Sinne führt zu verbindlichen Abmachungen und Entscheidungen mit hoher (beidseitiger) Akzeptanz. Der Dialog ist die tragende Verbindung zwischen ge-

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meinsamen gesellschaftlichen Zielen und dem konkreten Entscheidungsverhalten innerhalb der Gesellschaft. Auf den Dialog im Dunkeln übertragen bedeutet dies, dass in einem persönlichen Gespräch (geleitet von blinden Menschen) in kleinen Gruppen (bis maximal acht Personen) in einem extra gestalteten Raum (der Ausstellung) über eine gewisse Zeit (die Aufenthaltsdauer in der Ausstellung) Wissen an die Oberfläche geholt wird. In dem experimentellen Lernumfeld werden auf informeller Basis Dinge des Lebens aus der Sicht von blinden und sehenden Menschen ausgetauscht. Kein theoretisches Wissen ist notwendig. Voraussetzung ist lediglich die Offenheit zum Dialog und dazu, die eigene Haltung gegenüber Menschen, die anders sehen, zu überprüfen. In der Konsequenz führt dies zu einer gesellschaftlichen Veränderung, da sich Defizit in Potenzial, Ablehnung in Interesse und Mangel in Vermögen wandelt.

Vermögen von blinden Menschen Der Dialog beruht auf der Unterschiedlichkeit und intendiert, die Antinomie von Blindheit und Sehen zu überwinden. Die theoretischen Grundlagen hierzu liefert John Hull, blinder Religionswissenschaftler, Philosoph und Verfasser von Im Dunkeln sehen. 18 Seinen Essay Der Ganzkörperseher l9 beginnt Hull mit der Geschichte, wie er seinem fünfjährigen Sohn erzählt, dass er an einem Vortrag zum Thema "Was ist Blindheit?" arbeitet. ,,Das ist einfach", sagt der Sohn. "Blindheit ist, wenn man nicht sehen kann!" Diese Antwort ist richtig und falsch zugleich. Denn Blindheit als Mangel zu definieren, als Verlust der Sehkraft, ist nur der erste, einfachste und oberflächlichste Schritt auf dem langen Weg zu einem tieferen Verständnis dieses Phänomens. In einem zweiten Schritt könnten wir Blindheit als einen kognitiven Zustand beschreiben, der durch eine andere Organisationsform des Wissens gekennzeichnet ist. Es steht außer Frage, dass blinden Menschen viele Informationen fehlen. Sie verfügen über eine kleinere Menge an Daten, die sie in ein anderes Koordinatensystem einfügen. Damit sind nicht nur Mangel und Verarmung verbunden. Die Welt der blinden Menschen ist nicht ärmer, sondern anders - eine wichtige Voraussetzung, um an unserer Begriffsfindung zum Vermögen im Dunkeln weiterzuarbeiten. Gehen wir noch einen Schritt weiter, können wir Blindheit als eine Erweiterung der Sinneswahrnehmung begreifen. Blinde Menschen erkennen Dinge nicht nur mit den Fingern (Tastvennögen), sondern nehmen mit dem ganzen Körper wahr. lohn Hull spricht vom "Ganzkörperseher" und verweist auf das Registrieren winzigster Temperaturunterschiede, die einen aufkommenden Regenfall eben nicht am veränderten Wolkenbild, sondern an der Veränderung der Atmosphäre erkennen lassen. Blinde Menschen sind empfänglicher für Düfte und Aromen und legen gewissermaßen ,,Duftkarten" in den Städten an, sodass ein indisches Restaurant bereist identifiziert wird, bevor es Sehende erkennen. Ein weiteres interessantes Phänomen ist die so genannte Echowahrnehmung, die es blinden Menschen erlaubt, Gegenstände in unmittelbarer Nähe zu erspüren oder Abstände richtig ermessen zu können. Blindheit bedeutet Reichtum und nicht Armut, es erschließt Vermögen und führt nicht zu Mangel.

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Beim blinden Menschen ist die Schwelle der Wahrnehmung so weit abgesenkt, dass die unterschwelligen, elementaren Arten der Körperwahrnehmung ins Bewusstsein vordringen. Auch sehende Menschen besitzen diese Fähigkeiten, doch unterliegen sie dem Primat des Sehens und sind aufdiese Anlagen nicht angewiesen. Blinde Menschen verfügen also nicht über "außerordentliche Fähigkeiten" und es gibt prinzipiell nichts, was ein blinder Mensch kann, was einem sehenden Menschen nicht auch möglich ist. Auf der anderen Seite können blinde Menschen fast alles tun, was sehende Menschen machen. Sie können nur nicht sehen, wobei diese Binsenweisheit auch mit einem Fragezeichen versehen werden muss. Sehen ist im hohen Maße eine subjektive Wahrnehmung. Nur ein winziger Teil wird auf der Retina abgebildet und die Bilder entstehen im Kopf. Salopp ausgedrückt könnte man schlussfolgern, dass jeder nur das sieht, was er sehen möchte. Deutlich wird dies, wenn zwanzig Sehende vor einem Bild stehen und erklären sollen, was sie sehen. In Folge wird die Objektivität des Sehens erschüttert, da zwanzig Bilder beschrieben werden. Sehen ist eine äußerst subjektive Wahrnehmung. Im Sehen intendieren wir, projizieren, vergleichen und messen wir. Der Rückzug in den kleinen Kreis des Körpers, in ein Leben aufHandreichweite, führt schließlich zur Entdeckung einer kleineren, aber reicheren und menschlicheren Welt. Diejenigen, die wir blind nennen und diejenigen, die wir sehend nennen, erweisen sich im Dialog als aufeinander angewiesen. Ihre unterschiedlichen Wahrnehmungsformen stehen in einem dialektischen Verhältnis zueinander. Sehen und Blindheit sind durchaus keine Gegensätze, sondern können als komplementär begriffen werden. John Hull bietet uns beste Voraussetzungen, um einen Schritt weiterzugehen und uns dem philosophischen Briefwechsel zwischen Brian Magee und Martin Milligan zuzuwenden. 20 Hierbei handelt es sich um die Korrespondenz zwischen einem "sehenden" und einem "blinden" Philosophen, die über die unterschiedlichen Vermögen von "sehend" und "blind" schreiben. Konzentrieren wir uns dabei auf die Beiträge des blinden Philosophen Martin Miligan. In diesen Briefen geht es um Fragen wie "Wie wichtig ist das Sehen eigentlich?" und den Verdacht, dass "sehende Menschen die Bedeutung des Sehens überschätzen" (vgl. MM: S. 35), es geht um die Frage nach der Rolle des direkten "Wissens durch Bekanntschaft" (knowledge by acquaintance), um Fragen nach Normalität und Macht. Kein Zweifel: Es macht einen Unterschied, ob wir uns in unserer Realität bewegen oder in einem Szenario, wie es H.G. Wells in The Country ofthe Blind beschreibt, wo Blindheit der Normalzustand ist. Fragen nach dem Status von Dunkelheit haben auch mit Machtfragen zu tun. Milligan gibt an, dass er täglich an seine Blindheit erinnert wird (MM: S. 57), dass das Leben als blinder Mensch tatsächlich eine andere Form des Daseins konstituiert. Dies zeigt sich vor allem im cash value, in den praktischen Aspekten des menschlichen Handelns: "Was ich sofort zu sagen geneigt bin ist, dass mir meine Erfahrung täglich nachdrücklich zeigt, dass andere Dinge tun können, die ich nicht tun kann. Um nur zwei sehr offensichtliche Beispiele von tausenden zu nehmen: Viele Menschen können, ohne große Anstrengung, eine fremde, laute Straße entlang gehen, ohne die Hilfe eines Stocks oder eines Hundes oder anderer Ausrüstung und können beispielsweise, ohne jemanden fragen zu müssen, ein Reisebüro finden. Andere wiederum steuern stundenlang einen Bus durch den dichten Verkehr, ohne mit etwas zusammenzustoßen oder jemanden niederzufahren. Ich könnte diese Dinge nicht tun, und dieser Un-

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terschied in den Fähigkeiten könnte so aufgefasst werden, dass andere etwas haben, das ich nicht habe." (MM: S. 9 f.) Hier wird also direkt auf bestimmte Alltagsvermögen Bezug genommen, aufVermögen, die sich mit dem Hilfsverb "können" ausdrücken lassen. Wir haben es hier mit Struktur und Ausmaß des Handlungsspielraums zu tun, mit dem Vermögen, Possibilitäten und Potenzialitäten aufeinander abzustimmen. Milligan hält aufdie Frage nach dem Wert von "Sehen" denn auch fest, dass ihn nicht das "Sehen an sich", sondern die praktischen Vorteile interessieren (MM: S. 47). Gegenstand des Begehrens ist also weniger das Vermögen als solches als das, was man mit ihm vermag. Aufdieser Grundlage akzeptiert Milligan, dass Blindheit nicht bloß eine "Andersartigkeit" begründet, sondern tatsächlich eine ,,Behinderung", und zwar nicht einzig und allein ein sozial konstruiertes "Handicap" (MM: S. 49). Drei selbstbewusste Lektionen Milligans über Vermögen und Blindheit sollen explizit angeführt werden: Blinde und sehende Menschen leben in einer gemeinsamen Welt und verfügen über eine gemeinsame Sprache. Milligan zeigt sich in diesem Punkt wenig kompromissbereit (MM: S. 13 f.). So verfügen blinde Menschen über einen hinreichend ähnlichen Begriff des "Dunkels" wie sehende Menschen: "Wir können das verstehen, was ich die primäre Bedeutung von ,Dunkelheit' nennen würde, nämlich als eine Situation, in der es weniger oder kein Licht gibt. Licht kann von blinden Menschen verstanden werden als das, was Dinge sichtbar macht, und ,sichtbar zu sein' ist Gegenstand einer bestimmten Wahrnehmungsweise, die mit dem Auge verbunden ist." (MM: S. 14) Ein blinder Mensch will nach Milligan als Mensch, der in einer Daseinsform sui generis lebt, erkannt und respektiert werden. "Sehende Menschen ... sagen oft zu mir, so wie zu vielen blinden Menschen: ,Die meiste Zeit, in der ich mit dir zusammen bin, vergesse ich, dass du blind bist.' Dies ist nicht das Kompliment, das es vielleicht sein soll, da ich Blindheit nicht als Grund fiir Beschämung ansehe." (MM: S. 66) Blinde Menschen sind nicht bloß gekennzeichnet durch die "Abwesenheit eines Vermögens". Blinde Menschen bilden nach Milligan besondere Vermögen aus: "Blindgeborene Menschen können Gegenstande hören (das heißt, sie haben ein Bewusstsein von ihnen, vor allem durch ihre Ohren), wenn sie in der Nähe sind, vorausgesetzt, diese Objekte sind nicht zu niedrig. Sie können sogar in gewisser Weise etwas von der Form der unmittelbaren Umgebung ,hören'" (MM: S. 72). Milligan spricht in diesem Zusammenhang von einem Gegenstandssinn (obstac/e sense), den man unter der Bedingung von Blindheit ausbildet.

Dunkelheit als Hebel zur Förderung der Vermögenskultur Wie zweifellos bereits an anderen Stellen dieses Buches zur Sprache gekommen ist, bedeutet Vermögenskultur "die bewusste Pflege und Veredelung von materiellen und immateriellen Gütern zur persönlichen und gesellschaftlichen Zukunftsgestaltung"21. Und darum dreht es sich bei Dialog im Dunkeln. Mit der Selbsterfahrung im Dunkeln ist ein Appell verbunden zu handeln, um Vorurteile und Berührungsängste abzulegen und Menschen in ihrem nicht auf das Sehen begründeten Vermögen zu akzeptieren.

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Unserer Auffassung nach können diese Ziele vor allem mit der Förderung von Empathie erreicht werden. Sie steht in der Hierachie der immateriellen Vermögenswerte ganz oben und ist der Schlüssel zum kulturellen und sozial verantwortlichen Umgang mit Vermögen. Um diese Botschaft zu verbreiten und einen Empathieschub in der Gesellschaft zu bewirken, bedaIf es der Vermittlung von zwei Begriffspaaren: Verwundbarkeit und Vorstellungskraft sowie Hören und Sprache. Fangen wir mit dem ersten Begriffspaar an. Menschen erfahren im Dunkeln ihre eigene Verwundbarkeit. Sie können auf der Basis persönlicher Erfahrung nachvollziehen, wie es anderen Menschen geht, denen ihr Leben lang Wunden von der Gesellschaft geschlagen wurden. Beim englischen Dichter Percy Bysshe Shelley lesen wir in A Defence in Poetry: "Um weitgehend gut zu sein, muss ein Mann eingehend und umfassend seine Vorstellungskraft einsetzen: die Leiden und Freuden seiner Artgenossen müssen seine eigenen werden. Das große Instrument moralischer Güte ist die Imagination: und die Dichtung unterstützt dieses Ziel, da sie nach diesem Grundsatz vorgeht"22. Im Dunkeln sind alle gleich und Verwundbarkeit ist der große Gleichmacher. Jenseits aller Status- und sonstiger Unterschiede, die uns gewöhnlich voneinander trennen, sind wir alle verwundbar und sterblich. Dieses Wissen bildet die entscheidende Grundlage filr Empathie. Shelley verweist in seinem kurzen Abschnitt auf den zweiten wesentlichen Punkt zur Bildung von Empathie: die Imagination oder besser gesagt, die imaginative Identifikation. Ohne die Fähigkeit, sich in den anderen hineinzuversetzen, wäre Empathie unmöglich. John Ruskin erfasste die Bedeutung der Imagination, als er feststellt: "Menschen wären unmittelbar imstande, für andere ebenso zu sorgen wie für sich selbst, wenn sie andere ebenso imaginieren könnten, wie sich selbst."23 Das zweite Begriffspaar bezieht sich auf das Hören und die Sprache. Herder spricht vom Ohr als dem Innen- und vom Auge als dem Außenminister. Sehen setzt Grenzen und Distanz, ein "typisches visuelles Ideal ist Schärfe und Deutlichkeit, die Zerlegung..."24 Sehen ist immer ein individuelles Erlebnis. Man konzentriert sich auf einen anderen, etwas anderes. Beim Sehen ist völlig klar, wo die Grenzen zwischen Betrachter und Betrachtetem verläuft. Sehen erzeugt die Tendenz, in Kategorien von Subjekt und Objekt zu denken. Ganz anders verhält es sich mit dem Hören. Das auditive Ideal ist die Harmonie, das Zusarnmenrugen. Hören ist umfassend und auch nicht so leicht abzustellen oder zu manipulieren wie das Sehen. Klang dringt in uns ein, und kaum einer kann sich der Stimmung von Musik oder der klanglichen Untermalung, beispielsweise in einem Film. entziehen. Zivilisationsgeschichtlich ist es interessant, dass Kulturen, die auf mündlicher Überlieferung basieren, äußerst partizipatorisch sind. Besucher aus hochentwickelten Schriftkulturen sind in solchen Ländern häufig überrascht und sogar irritiert über die Art, wie sich Gespräche gestalten. Die Menschen hocken eng beieinander und unterhalten sich anscheinend alle gleichzeitig in der Gruppe. Es herrscht kaum eine persönliche Abgrenzung und man kann kaum unterscheiden, wer was zu wem sagt. Der soziale Zusammenhalt steht über der individuellen Klarheit. Gesellschaft wird nicht linear erlebt - er spricht, sie hört zu, sie spricht, er hört zu - sondern als gemeinschaftliche und nahezu gleichzeitige Unterhaltung. Was der Einzelne zu sagen hat, wird nicht isoliert als eigenständige Äußerung behandelt, sondern als un-

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differenzierter Teil eines Gruppengesprächs. Was zählt, ist der durchgängige kollektive Inhalt, den die Gruppe etabliert. Eine adäquate Übersetzung dieses archetypischen Verhaltens in den heutigen Sprachgebrauch wäre wohl Teambuilding oder Teamwork. Das erklärt, warum Dialog im Dunkeln ein erfolgreiches Instrument in der Personalentwicklung geworden ist, da Menschen im Dunkeln sehr schnell erkennen, dass sie nur über eine aktive Teilhabe am Gespräch "zurecht kommen". Sie müssen reden, da sie sich nur so körperlich wahrnehmen, eine Rückkopplung erzielen und etwaige Furcht oder Unsicherheit überwinden können. Wer nicht spricht, ist in der Finsternis nicht existent. Oder anders fonnuliert: Mit dem Dialog gibt es keine Dunkelheit. Dunkelheit als Medium und der Dialog im Dunkeln betreiben aktive Vermögenskultur, nicht zuletzt, indem sie blinde Flecken der eigenen Vermögenseinschätzung ans Licht bringen. Vermögenskultur wird dort aufgebaut, wo verantwortlich mit den Potenzialen der Einzelnen umgegangen wird, gerade auch mit den Potenzialen derjenigen, die als benachteiligt gelten.

*** Anmerkungen "Wer ist er? Was macht er hier? Wann ist er angekommen und wie lange wird er bleiben?" (Auster, Paul (2006): Travels in tbe Scriptoriurn. London: Faber & Faher: S. 1). 2

Krauss, Nicole (2002): Man Wa1ks Into a Room. New York: Anchor Books.

3

AristoteIes: Metaphysik V 12, 1020a I ff. ; Metaphysik IX 1, 1046a 11.

4

Aristoteles: Metaphysik V 15, 1021a 15-17.

5

Kel1er, Helen (1903): The Story ofMy Life. Part I, Ch. 4 New York: Doubleday.

6

Vg1. Natella, St. et aI. (2008): Intangible Infrastructure: Building on the foundation. Credit Suisse Research Institute.

7

Florescu, C.D. (2006): Der blinde Masseur. München: Piper.

8

Ebda.: S. 99

9

Pachomius: Vita Pachomii: S. 22.

10

Es dürfte sich erübrigen, die einschlägige Stelle von de Saint Exuperys Petit Prince anzuführen.

11

Augustinus: Bekenntnisse X: S. 8.

12

Augustinus: Der Gottesstaat Xl: S. 19.

13

Basilius von Cäsarea: Homilien über das Hexameron VIll: S. 7.

14

"Wir beklagen nicht, was wir durch ein dunkles Glas sehen, wir erfreuen uns jetzt an der schwarzen Schönheit des Glases." (Crossan, Dominic (1975): The Dark IntervaI: Towards a Theology ofStory. Niles, IIIinois: Argus: S. 39)

15

Winquist, Charles E. (1981): The Epistemology ofDarkness: Preliminary Reflections. In: Journal oftbe AmericanAcademy ofReligion 491: S: 23-34, hier S. 24

16

Goethe, lW. v.: Farbenlehre. Erste Abteilung, I, 12.

Blindheit als Vermögen. Über Potenziale, die im Dunkeln liegen 17

211

Vgl. Facchine, Stefano (2003): Short tenn light deprivation increases taetile spatial acuity in humans. In: Neurology Science

18

HuH, John (1995): Im Dunkeln sehen. Erfahrungen eines Blinden. München: dtv.

19

Hull, John (1995a): Der Ganzkörper-Seher. Blindheit und Sehen als verschiedene Fonnen einer Wahrnehmung. In: Sehsucht. Über die Veränderung der visuellen Wahrnehmung, hrsg. v. d. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Göttingen: S. 174-176.

20

Magee, Bryan; Milligan, Martin (1998): Sight Unseen. London: Phoenix (ursprünglich: On Blindness. Oxford University Press 1995). Ich verwende im Folgenden die Abkürzung ,,MM" ftIr Zitate aus dieser Ausgabe.

21

Siehe die Beiträge von Druyen, in diesem Band.

22

Rifkin, Jeremy (201 0): Die empathische Zivilisation. Wege zu einem globalen Bewusstsein. Frankfurt am Main; New York: Campus: S. 256.

23

Ebda.

24

Ebda, S. 148 mit Verweis auf Ong, Walter (1987): Oralität und Literalität. Die Technologisierung des Wortes, Opladen: Westdeutscher Verlag: S. 59.

Metamorphosen. Über eine neue Art des Vermögens in dieser Zeit Bernhard von Mutius

Oft wird auf die Frage "Ist diese oder jene Person vennögend?" mit einer Zahl, mit einer quantitativen Einschätzung geantwortet. Das ist nicht verkehrt. Nur ist es etwas einseitig. Zudem ist diese einseitige Sicht ziemlich veraltet. Im 21. Jahrhundert zählt zunehmend anderes. Und das nicht nur in der wissenschaftlichen Betrachtung, sondern ebenso in der Praxis. Nationen, Regionen, ihre Institutionen und Organisationen und vor allem ihr Führungspersonal werden in wachsendem Maße danach beurteilt, ob sie eine andere Art des Vennögens ausgebildet haben. Davon wird zu sprechen sein. In neuartigen Zukunftsakademien für Führungskräfte innovativer Unternehmen, im interdisziplinären "Bergweg Forum - Denken der Zukunft", in grenzüberschreitenden Dialogen zwischen Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Kultur, in Foren der internationalen Knowledge Community und des "New Club ofParis" habe ich in den vergangenen zwei Dekaden versucht, gemeinsam mit anderen, durch Teilen von Wissen und Ideen diese neue, erweiterte Sicht zu entwickeln, zu erproben und fruchtbar werden zu lassen. Und wenn ich fruchtbar sage, dann ist dieses Wort bewusst gewählt. Denn immer mehr Menschen fragen sich, was denn in dieser Zeit noch über den Tag hinaus, auf lange Sicht, im besten Wortsinn nachhaltig Früchte zu tragen vermag. Mir kommt dazu der wunderbare Satz des spanischen Schriftstellers Ram6n Gomez de la Serna in den Sinn: "Wenn die Schnecke an der Mauer hoch kriecht, erwartet sie auf der anderen Seite einen Garten und keinen Friedhof." Ich füge hinzu: Es muss kein üppig blühender Garten sein, aber man sollte doch zumindest eine Vorstellung davon haben, dass und wie hier künftig wieder etwas Neues, Lebendiges wachsen könnte. Wäre es also nicht ratsam, einen etwas intensiveren Blick auf die andere Seite der Mauer, jenseits unserer gängigen Berechnungen zu werfen? Und zwar nicht zuletzt damit die Zahlen künftig besser werden? Meine Einschätzung ist: Gerade wenn wir unsere finanzielle Ertragssituation dauerhaft und für die nachkommenden Generationen verbessern wollen, müssen wir zunächst und vor allem unsere intellektuelle Ertragssituation verbessern. Wir müssen geistige Vorsorge betreiben. Das scheint paradox. Aber so ist nun mal heute die Realität in dieser Zeit des Umbruchs, des Wandels von der Industrie- zur so genannten Wissensgesellschaft, den wir erfolgreich zu gestalten haben. Und Gestalten ist etwas anderes als Verwalten. Wandel von der Industriegesellschaft zur Wissensgesellschaft? Das sagt sich so leicht dahin. Aber was könnte damit gemeint sein? Ich möchte hier bewusst nur einen - und vielleicht den spannendsten - Aspekt dieses Wandels herausgreifen. Es ist die sich abzeichnende,

T. Druyen (Hrsg.), Vermögenskultur, DOI 10.1007/978-3-531-92086-3_12, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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höchst folgenreiche Metamorphose unseres Vennögensbegriffs. Dabei werden zwei bislang getrennte Vennögensbezeichnungen, die Unterschiedliches bedeuten, auf neue Weise zusammengeführt: das materielle Vermögen als in Geld schätzbares Gut oder als Kapital und das immaterielle Vennögen als Fähigkeit oder als Tätigkeit. Beide Bedeutungen von Vennögen beginnen in der Wissensgesellschaft zu verschmelzen. Das, was wir vennögen und wie wir es vennögen, wird künftig vielleicht sogar zu unserem eigentlichen Vennögen. Und dieses neue immaterielle Vennögen - Ökonomen sprechen vom intellektuellen Kapital und vom sozialen Kapital - steckt nun nicht mehr in den Fabriken und Maschinen, ja nicht einmal in den IT-Tools. Diese sind vielmehr, wie wir wissen, bereits nach kurzer Zeit veraltet, als Computerschrott wert- und nutzlos. Es steckt viehnehr in jedem von uns. Wir selbst sind die Quelle der Wertschöpfung. Oder wie es der SozialwissenschaftIer Meinhard Miegel ausdrückt: Der Mensch greift ,,nicht in seine Umwelt ein, sondern in sich selbst. Er selbst wird damit in gewisser Weise zur Ackerscholle, zum Kohleflöz oder zur Ölquelle. Er selbst ist der Rohstoff, der wertschöpfend verarbeitet wird." Bildung und Wissen, Ideen und Werte, das heißt immaterielle, nichtanfassbare Ressourcen werden also zu immer wichtigeren - und für unsere westlichen, frühindustrialisierten Länder wohl bestimmenden - ökonomischen Ressourcen: Die Art und Weise, wie wir diese fördern und mit ihnen umgehen, entscheidet über die Innovationskraft und wirtschaftliche Wettbewerbsflihigkeit. Gleichzeitig sind sie die einzigen Quellen zur Lösung der mit dem Umbruch auftretenden komplexen Probleme, der sich überlagernden ökonomischen Widersprüche, der sozialen Verwerfungen und kulturellen Konflikte. Auf diese Ressourcen zu setzen, Neues zu lernen, intellektuelle Neugier und Phantasie zu entwickeln, ist folglich Herausforderung und Chance zugleich: Ich bezeichne dies als die aufsteigende Linie im Möglichkeitsraum der Zukunft. Aufsteigend deshalb, weil es nur so möglicherweise bergauf gehen kann - was zugegebenermaßen mit einigen Anstrengungen verbunden ist. Doch ausgerechnet in dem Moment, da sich dieser Weg, diese historische Möglichkeit auftut, sehen wir, dass viele - die eigentlich auf ihm führend vorausgehen könnten und müssten - auf einem ganz anderen Weg in gegenläufiger Richtung vorauseilend unterwegs sind. Dieser Weg ist uns sehr vertraut. Eigentlich ist es kein Weg, sondern ein Trampelpfad, aufdem die Menge drängelnd und schubsend auf der Jagd nach den materiellen Gütern (und den damit verbundenen Schnäppchen-Angeboten) und den materiellen Rohstoffen (die immer rarer werden) voraneilt, sich aneinander und an den schweren Gütern und Ausrüstungsgegenständen der Industriegesellschaft festhaltend, die sie im Gepäck seit langer Zeit mit sich tragen. Ursprünglich schien dieser Weg eine breite Autobahn, eine schnurgerade, immer leicht ansteigende Bahn des Fortschritts. Man konnte sich dafür mit ein paar einfachen, pragmatischen Handgriffen und mechanischen Geräten gut wappnen, man brauchte nicht viel nach links oder rechts zu blicken. Doch dann ging es kaum merklich bergab. Irgendetwas, nennen wir es die Schwerkraft oder die Massenanziehungskraft, zog die Voranstürmenden immer weiter nach unten. Ich bezeichne dies als die absteigende Linie im Möglichkeitsraum der Zukunft.

Metamorphosen. Über eine neue Art des Vermögens in dieser Zeit

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Von diesen beiden Wegen mit gegenläufiger Bewegungsrichtung handelt dieser Beitrag. Und von den Möglichkeiten, vielleicht doch noch von dem alten auf den neuen zu wechseln: "Two roads diverged in the wood, and I - I took the one less traveled by." (Robert Frost) Die Richtungsentscheidung, vor der wir seit geraumer Zeit stehen (und die Richtungsänderung, die wir bislang in vielen Bereichen verpasst haben), ist nicht die zwischen links und rechts. Das sind veraltete Wegweiser. Geht man ihnen nach, folgt man vertrauten Bahnen und bleibt dabei immer noch auf der gleichen Ebene, die sich immer mehr nach unten neigt. Tatsächlich geht es jedoch heute um eine viel grundsätzlichere Alternative in einer anderen, existenzielleren, sowohl räumlichen als auch zeitlichen Dimension: Den einen Weg könnte man als eine aufsteigende Entwicklungslinie im Möglichkeitsraum der Zukunft skizzieren. Den anderen als eine absteigende Linie, die uns immer weniger Möglichkeiten eröffnet. Um einen Ausdruck aus der Naturbeobachtung - der Skiläufern und Bergsteigern mit einem Gespür für den sich verändernden Schnee vertraut ist - als Metapher zu verwenden: Hier gibt es die Chance zu einer aufbauenden Umwandlung, dort nur noch den unerbittlichen Prozess einer abbauenden Umwandlung. Ich plädiere deshalb dafür, das Bild des Abstiegs nach unten (und ebenso das Bild vom Aufstieg nach oben) wörtlicher, grundsätzlicher, gleichsam physikalischer, man könnte auch sagen gravierender aufzufassen. Nach oben bedeutet, den gewichtslosen Stoffen, den immateriellen Gütern und Werten bewusst mehr Gewicht beizumessen. Nach unten heißt, die materiellen Güter prinzipiell für wichtiger zu nehmen und sich widerstandslos der Schwerkraft der Masse zu beugen. Nach oben bedeutet: an der Anhebung des intellektuellen und kreativen Qualitätsniveaus zu arbeiten. Nach unten heißt: eine weitere Senkung dieses Niveaus billigend oder zumindest achselzuckend in Kauf zu nehmen. Wenn ich von einer Transformationsperiode spreche, dann ist damit gemeint, dass es sich um einen höchst widersprüchlichen, komplexen und langfristigen Prozess handelt, in dem das Alte und Neue mannigfach miteinander vermischt erscheinen. Und zwar in einer oft undurchschaubaren Weise, sodass man nie sicher sein kann, welche der im Widerstreit liegenden Kräfte augenblicklich die Oberhand hat. So erleben wir gerade in diesen Jahren in vielen Gegenden der Welt einen neuen Schub der Industrialisierung, ein neues, vielleicht letztes Aufbäumen der Kräfte des Industriezeitalters, das im weltweiten Kampfum die knapper werdenden fossilen Energien und andere wertvolle materielle Rohstoffe seinen sichtbaren Ausdruck findet. Aber gerade dieser Kampf deutet daraufhin, dass hier etwas zu Ende geht. Und wir täten gut daran, das, was hier zu Ende geht, baldigst und mit allem Nachdruck durch etwas anderes zu ersetzen: durch erneuerbare Energien und Ressourcen - seien es materielle, die wir in der Natur finden oder in neuer Weise aus der Natur schöpfen müssen, seien es immaterielle, die wir in uns selbst finden oder aus uns selbst schöpfen müssen. Und das eine ist nicht ohne das andere zu haben. Beides sind schöpferische Aufgaben, die untrennbar zusammengehören. Sie erfordern Erfindungsgeist, Know-how, Ideen, technologische, soziale und kulturelle Phantasie. Was aber ist dann die wichtigste Quelle unseres künftigen Vermögens? Meine Antwort lautet: Es ist das menschliche Gehirn. Das menschliche Gehirn ist ein überaus reiches, nicht nur kognitives, sondern auch emotionales und soziales Organ, wenn man es zu nutzen ver-

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steht. Immerhin nehmen Mathematiker an, dass die Zahl der möglichen Neuronenverbindungen die Zahl der Atome im Weltall übersteigt. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob sich das schon überall herumgesprochen hat. Oder ob nicht nach wie vor das Dilctum von Albert Einstein Gültigkeit hat: ,,zwei Dinge sind unendlich. Das Universum und die menschliche Dummheit." Und er fügte hinzu: ,,Beim Ersten bin ich mir allerdings nicht mehr ganz sicher." Denn sonst wUrde in unseren Organisationen mindestens genau soviel in Gehirne wie in Geräte investiert. Sonst würden wir unseren intellektuellen Ressourcen wenigstens die gleiche Aufmerksamkeit schenken wie den materiellen oder finanziellen Ressourcen. Sonst würden unsere höchsten Leistungsträger, unsere Eliten in Wirtschaft, Medien und Politik, sich daraufbesinnen, dass - wie es der MIT-Ökonom Lester C. Thurow zugespitzt formuliert - "geistige Leistungen die einzige Quelle sind, aus der künftig noch strategische Wettbewerbsvorteile erwachsen können". Gilt dies nicht gerade für diese schwierige Phase, in der wir uns befinden, in der wir uns in physischer Hinsicht erst einmal auf einen Schrumpfungsprozess und auf knapper werdende materielle Ressourcen einstellen müssen? Welche andere Alternative bleibt uns dann noch, als auf geistiges Wachstum zu setzen? Und damit meine ich nicht nur die Förderung so genannter Elite-Universitäten. Überhaupt ist es ein weit verbreiteter Irrtum, beim Thema Wissensgesellschaft immer nur an die Wissenschaften zu denken. Geistiges Wachstum meint Wachstum von Wissen und Ideen von Grund auf, meint die Bereitschaft aller, ständig und überall zu lernen und neue Fragen zu stellen. Ich werde häufig von Unternehmern und Politikern gefragt: Wo liegt Ihrer Einschätzung nach der wichtigste Zukunftsmarkt, in den wir investieren sollten? Ich antworte dann: Vielleicht wollen Sie von mir hören; China oder Indien. Aber das wussten Sie schon vorher. Und wenn Sie bis jetzt nicht dort sind, ist es vermutlich schon zu spät. Nein; Der wichtigste Markt der Zukunft, das wichtigste Gebiet, in das Sie jetzt investieren sollten, liegt viel näher und ist viel, viel kleiner. Er passt in eine Handfläche, und wir haben darüber schon gesprochen. Es ist unser eigenes Gehirn. Eigentlich müsste man jetzt darangehen, Harnlet für die heutige Zeit umzuschreiben. Er hält nicht mehr einen Schädel, sondern dessen Inhalt in der Hand. Und er spricht die bekannten Worte, die alles entscheidende Frage: "To be or not to be..." Ich denke, wir stehen heute wirklich an einem Scheideweg. An einem "Turn", wie die Wissenschaftstheoretiker sagen, wenn sie das Wort Paradigmenwechsel nicht mehr verwenden wollen. Ich nenne ihn den "Thinking Turn". Und dieser Thinking Turn findet in unserem eigenen Kopf statt, oder er findet nicht statt. Die entscheidende Frage heißt: Nutzen wir unsere geistigen Ressourcen, entwickeln wir unser intellektuelles und soziales Vermögen - und zwar auf allen Ebenen und mit aller Energie? Dann haben wir eine Zukunft. Nutzen wir sie nicht oder nur mit halber Kraft, dann haben wir keine mehr. Mit Wissen und Ideen, mit diesen immateriellen Gütern hat es übrigens eine höchst eigentümliche Bewandtnis, die sie fundamental von materiellen Gütern unterscheidet: Wissen und Ideen werden nicht weniger, wenn ich sie weggebe und mit anderen teile, sondern - bei richtigem Gebrauch - mehr. Wenn ich irgendein materielles Objekt weggebe, also verkaufe oder verschenke, dann gebe ich es tatsächlich weg. Kein Deut bleibt davon bei mir zurück.

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Im Unterschied dazu sind die immateriellen Produkte, das Wissen oder die Ideen, die ich von mir gebe, am Ende der Transaktion immer noch in meinem Kopf. Ich teile sie, ohne dass irgendein Teil verloren geht. Im Gegenteil: Ich habe sogar mehr davon, wenn ich mein Wissen in der Kommunikation teile, denn ich lerne dazu. Wenn wir es richtig anstellen, wächst unser Wissen und wir kommen möglicherweise zu neuen Lösungen. Das ist das, was ich einmal flapsig das St. Martins-Prinzip des digitalen Zeitalters genannt habe: Wer sein Wissen mit anderen teilt, kann es vermehren und vielleicht gemeinsam Neues entwickeln. Das ist vermutlich das Kernthema für jede Organisation, die sich künftig im Wettbewerb der Wissensorganisationen behaupten will. Aber dazu müssen wir uns mit dem Thema Grenzen beschäftigen. Denn wie kann Wissens-Teilung funktionieren? Doch nur, wenn wir aus unseren Ab-Teilungen, aus unseren Fachund Ressortbarrieren ausbrechen und lernen, grenzüberschreitend zusammenzuarbeiten. Doch genau daran hapert es oft bei uns: Wir haben das Thema Grenzüberschreitung bislang nicht professionalisiert. Wir sind allenfalls "Grenzamateure". Zumeist aber sind wir Mitteleuropäer Meister der Grenzziehungen, der Begrenzung und Abgrenzung. Wir errichten überall Zäune, hinter denen wir unsere kleinen Schrebergärten kultivieren können. Und das entsprechende Verhalten kultivieren wir gleich mit. Und zwar vom Kindergarten bis zum Bundestag: Das ist mein Förmchen, das ist Dein Förmchen. Ich könnte davon ein mehrstrophiges Lied singen... Quer durch alle Disziplinen, Professionen, Institutionen, Fakultäten. Es hätte immer den gleichen Refrain: ,,Mit Ihnen teilt meine Ente die Wanne nicht, Herr Müller-Lüdenscheid." Doch mit dieser Haltung versperren wir uns den Weg zu Neuerungen und wirksamen Veränderungen. Denn wo und wie entsteht Neues? Neues entsteht an den Grenzen und nur dort. Durch achtsame Grenzüberschreitung und gekonnte Kombination. Jeder kreative, schöpferische Akt verläuft auf diese Weise. Durch Vereinigung von bislang Getrenntem und Widersprüchlichem. Kombination ist der Kern eines jeden kreativen Prozesses. Denken Sie an das berühmte Ready-made von Picasso mit dem alten Fahrradlenker und dem verschlissenen Fahrradsattel. Er nimmt diese Dinge aus ihrem ursprünglichen Funktionszusammenhang heraus und kombiniert sie, fügt sie in einem neuen Kontext so zusammen, dass daraus mit einem Mal ein markanter Stierkopfwird. Diese, wie ich es bezeichne ,,kombinatorische Intelligenz" ist heute ein Schlüssel für das Gelingen fast aller Innovations- und Erneuerungsprozesse. Das Muster heißt: kreative Kombination - von der Mikro-Systemtechnologie über die Biotechnologie bis hin zu den Computer- und Netztechnologien und ihren praktischen Anwendungen - ein schönes Beispiel ist das Handy mit seinen mehrfach kombinierten Funktionen. Also Kombinieren als Kern der Erneuerung. Und das geht eben nicht alleine, sondern nur in interdisziplinärer Kooperation, eben durch Teilung von Wissen, also durch achtsame Grenzüberschreitungen. Ich schlage daher vor, dass wir überall in unseren Organisationen über eine neu zu entwickelnde Fähigkeit nachdenken, die ich "Grenzgänger-Kompetenz" nenne. Eine der entscheidenden Voraussetzungen für das Teilen und Kombinieren von Wissen ist, dass wir uns vorher öffnen, andere Sichtweisen hereinholen und nicht im eigenen Saft schmoren. Deshalb ist auch Diversity ein so wichtiges, und zwar funktional wichtiges The-

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ma. Diversity meint Vielfalt, Multidisziplinarität, unterschiedliche Expertisen, Kulturen und Nationalitäten. Ohne diese Vielfalt wird es nicht mehr gehen. Das ist wie bei den Jam-Sessions im Jazz. Mit Leuten aus ein und demselben Fach entsteht nur traditionelle Blasmusik. Wir müssen andere Perspektiven hereinholen, sonst bleiben wir auf unserem Pfad, es entstehen keine bahnbrechenden Ideen, keine wirklich neuen Lösungen. Und genau darum wird es in Zukunft inuner mehr gehen: vom "Ich" zum "intelligenten Wir" zu kommen. Sehen wir also in diesem Umbruch nicht nur das Ende einer alten Ära, sondern den Anfang eine neuen: Dies ist eine Zeit zunehmender Komplexität und krisenhafter Verwerfungen und es ist zugleich eine Zeit neuer Ideen und eines neuen intellektuellen und sozialen Vermögens. Dies ist eine Zeit der zu Ende gehenden fossilen Energieträger und Rohstoffe und es ist zugleich eine Zeit der emeuerbaren materiellen und immateriellen Ressourcen. Dies ist eine Zeit eines selbstsüchtigen Ichs: "Jeder ist sich selbst der Nächste", es ist aber auch die Zeit eines nenen Zusammenspiels, eines neues kooperativen Prinzips: vom Ich zum intelligenten Wir. Welche dieser widerstrebenden Tendenzen dieser Zeit wird sich durchsetzen? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass wir keine andere Wahl haben, als zu versuchen, auf neue Ideen und auf ein neues Zusammenspiel zu setzen. Sagen wir uns also: Warum eigentlich nicht? Und fangen wir damit an. Eine kleine, nahezu prophetische Passage aus Adalbert Stifters Nachsommer (1857) soll diese Zeilen beschließen: "Unsere Zeit ist eine Umbruchszeit, nach welcher eine kommen wird, von der das griechische und römische Altertum weit wird übertroffen werden. Wir arbeiten an einem besonderen Gewichte der Weltuhr, das den Alten, deren Sinn vorzüglich auf Staatsdinge, auf das Recht und mitunter auf die Kunst ging, noch ziemlich unbekannt war. An den Naturwissenschaften... Jetzt kann sich eine kleine Landschaft und ihre Umgebung mit dem, was sie hat, was sie ist und was sie weiß, absperren; bald wird es aber nicht mehr so sein, sie wird in den allgemeinen Verkehr gerissen werden. Dann wird, um der Allberührung genügen zu können, das, was der Geringste wissen und können muss, um vieles größer sein als jetzt. Die Staaten, die durch Entwicklung ihres Verstandes und durch Bildung sich dieses Wissen zuerst erwerben, werden an Reichtum, an Macht und an Glanz vorausschreiten und die anderen sogar in Frage stellen können."

Arbeitsmarktfähigkeit und Bildung als immaterielle Vermögenswerte Anita Graf

Ein wesentlicher Aspekt der Vermögenskultur ist die Bildung und Entwicklung immaterieller Vennögenswerte. In diesem Beitrag werden insbesondere drei Aspekte näher beleuchtet: Arbeitsmarktfähigkeit und Bildung als individuelle immaterielle Vermögenswerte und Selbstentwicklung als Bedingungsfaktor, damit diese Vermögenswerte eigenverantwortlich und umfassend entwickelt werden können. Am Beispiel der LGT Academy wird aufgezeigt, wie in der Untemehmenspraxis eine umfassende ganzheitliche Persönlichkeitsbildung erfolgen kann und wie dadurch langfristig immaterielles Vermögen bei Führungs- und Fachkräften generiert wird.

1. Arbeitsmarktflihigkeit als immaterieller Vermögenswert

Mitarbeitende sind heute mehr denn je gefordert, ihre Leistungsfähigkeit und -bereitschaft selbstverantwortlich zu steuern und zu erhalten. Es gilt, den eigenen Arbeits- und Lebensrhythmus immer wieder neu zu definieren und den eigenen Qualifikationsstand fortwährend mit den Anforderungen zu vergleichen und entsprechend anzupassen (Rump; Eiters 2006: S. 17). Dabei sollten sowohl die heute vorhandenen Anforderungen als auch die aufgrund der vielfliltigen wirtschaftlichen, technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen zu erwartenden künftigen Anforderungen berücksichtigt werden. Nur so können notwendige Entwicklungs- und Bildungsmaßnahmen entsprechend frühzeitig erkannt und eingeleitet werden. Die zunehmende Instabilität von Arbeitsplätzen und Tätigkeitsbereichen:führt dazu, dass der Erhalt und die Förderung von Kompetenzen wichtiger ist als das Streben nach Arbeitsplatzsicherheit. Das Postulat des lebenslangen oder des lebensbegleitenden Lernens - und als Grundlage hierfür die Fähigkeit und die Bereitschaft zur Selbstentwicklung - sind wesentliche Voraussetzungen, um die eigene Arbeitsmarktfähigkeit als individuellen immateriellen Vermögenswert bis zum Austritt aus dem Erwerbsleben und darüber hinaus möglichst umfassend aufrecht zu erhalten.

1.1 Der Vermögenswert von Arbeitsmarkfähigkeit aus individueller Perspektive Für die Mitarbeitenden besteht der Nutzen des Erhalts oder einer Steigerung der Arbeitsmarktfähigkeit in einer Verbesserung der Karrlerechancen auf dem internen und externen Arbeitsmarkt, einer Erweiterung der Mitgestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich der eigenen beruflichen Zukunft sowie einer Erhöhung von Selbstbewusstsein und Eigenverantwortung. Zudem wird durch die kontinuierliche Überprüfung und Anpassung der eigenen Kompetenzen und Quali-

T. Druyen (Hrsg.), Vermögenskultur, DOI 10.1007/978-3-531-92086-3_13, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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fikationen der Erhalt der Leistungsfiihigkeit auch langfristig gesichert (Rump; Eilers 2006: S. 27 ff.). Die in den Erhalt resp. die Förderung der Arbeitsmarktfahigkeit eingesetzten finanziellen und personellen Mittel (wie zum Beispiel der Besuch einer Weiterbildung mit Selbstfinanzierungsanteil) erzeugen immaterielles Vermögen - Vermögen, das darin besteht, über die :für die Leistungserbringung notwendigen Kompetenzen (heute und in der Zukunft) zu verfUgen, den eigenen Marktwert innerhalb und außerhalb des Unternehmens zu erhalten resp. zu steigern und durch mehr Mitgestaltungsmöglichkeiten die eigene Zufriedenheit zu fördern. 1.2 Der Vermögenswert von Arbeitsmarktfähigkeit aus Unternehmensperspektive

Für die Unternehmen bestehen die Vorteile der Arbeitsmarktfähigkeit der Mitarbeitenden darin, dass diese flexibler einsetzbar sind, die Innovationsfähigkeit gesteigert wird, erfolgskritisches Wissen und erfolgskritische Kompetenzen im Unternehmen vorhanden sind und die Attraktivität des Unternehmens als Arbeitgeber insgesamt gesteigert wird (Rump; Eilers 2006: S. 23 ff). In einer Dienstleistungsgesellschaft kommt es mehr denn je auf die personellen Ressourcen - die Mitarbeitenden - an. Diese bilden das Humanvermögen eines Unternehmens und sollten als zentraler Bestandteil der Unternehmensstrategie umfassend berücksichtigt werden. "Ein wertorientiertes Management des intellektuellen Kapitals ist daher ebenso unumgänglich wie die Bereitstellung eines facettenreichen und innovativen Programms zur permanenten (geistigen wie finanziellen) Förderung der Mitarbeiter." (Speck 2009: S. XVIII f.) Mittels Personalcontrolling kann der Vermögenswert der personellen Ressourcen berechnet und gesteuert werden (vgl. DGFP 2009, Fitz-enz 2009). Es gilt, das vorhandene Wissenskapital umsichtig einzusetzen und zu erhalten, vorhandene Potenziale gezielt zu aktivieren und zu nutzen und die Innovationskraft im Unternehmen systematisch zu fördern. Hier spielt auch Kulturentwicklung eine zentrale Rolle. Infolge des demografischen Wandels wird zudem die Entwicklung älterer Mitarbeitender immer bedeutender (vgl. Zölch et al. 2009, Bruch et al. 2010). Ihre Leistungsfähigkeit und -bereitschaft sollte so lange wie möglich aufrecht erhalten werden. Hier besteht auch ein wichtiger Bezug zur Förderung von Gesundheit, die ebenfalls einen wichtigen immateriellen Vermögenswert darstellt. Gesundheit ist die notwendige Basisfür unser seelisches und produktives Vermögen (Druyen 2007: S. 180). Hiermit beschäftigt sich insbesondere die betriebliche Gesundheitsforderung (vgL Ulich; Wülser 2009). 1.3 Beitrag der lebenszyklusorientierten Personalentwicklung

Die lebenszyklusorientierte Personalentwicklung unterstützt den Erhalt der Arbeitsmarktfahigkeit, indem sie einerseits den Fokus auf die gezielte und systematische Entwicklung sämtlicher Mitarbeitenden eines Unternehmens legt, unabhängig von Alter, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Führungspotenzial, Hierarchiestufe etc. Andererseits berücksichtigt sie, in welcher Phase des Lebenszyklus sich Mitarbeitende befinden und welche Personalentwicklungsmaßnahmen in jeder Phase besonders effektiv sind. Es geht darum, jüngere Mitarbeitende konsequent zu fordern und an das Unternehmen zu binden (= Retention), Mitarbeitende im mittleren Alterssegment leistungsfähig und motiviert zu halten und ältere Mitarbeitende gezielt zu entwickeln, so dass sie bis zur Pensionie-

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rung (und darüber hinaus) die notwendigen Fähigkeiten besitzen, gesund bleiben und Freude an der Arbeit haben. Im Fokus der lebenszyklusorientierten Personalentwicklung steht nicht primär das Alter, sondern die Zugehörigkeit zu einer Phase des beruflichen, lautbahnbezogenen und stellenbezogenen Lebenszyklus - neben der Betrachtung des Verlaufs des biosozialen und familiären Lebenszyklus (Graf2009; Graf2002). Die Zugehörigkeit zu einer Phase des stellen- und lautbahnbezogenen Lebenszyklus hat beispielsweise eine größere Aussagekraft hinsichtlich Arbeitszufriedenheit als das effektive Alter (Rading 2008: S. 55 ff.). Ein wichtiges Instrument für den Erhalt der Arbeitsmarktfähigkeit sind Standortbestimmungen. Auf individueller Ebene schaffen Standortbestimmungen eine gute Grundlage für die realistische Einschätzung der eigenen Möglichkeiten und Rahmenbedingungen in Abstimmung mit den vorhandenen Bedürfnissen und Zielvorstellungen. Es geht darum, neue Lernfelder zu schaffen und neue berufliche Möglichkeiten zu entdecken im Sinne "Was kann ich noch?", "Was möchte ich erreichen?". Weiter soll frühzeitig erkannt werden, welche beruflichen Veränderungen notwendig sind, zum Beispiel: "Wie lange kann ich meinen Beruf, meine Tätigkeit noch in dieser Form ausüben?" Standortbestimmungen zeigen auf: welche Vor- und Nachteile mit bestimmten Wechseln im Berufsleben verbunden sind und unterstützen notwendige und sinnvolle berufliche Neuorientierungen, zum Beispiel durch die Übernahme von neuen Aufgabenbereichen, die besser mit den eigenen Stärken im Einklang stehen, die mehr Herausforderung resp. mehr Entlastung und damit mehr Freude bieten und die den langfristigen Erhalt der Gesundheit fOrdern oder ermöglichen. Standortbestimmung kann somit als proaktive Maßnahme für die Gesunderhaltung von Mitarbeitenden angesehen werden, zum Beispiel zur frühzeitigen Verhinderung von Erschöpfungsdepressionen und Burn-out oder durch eine frühzeitige Weiterentwicklung in neue Berufe und Tätigkeitsbereiche, die den vorhandenen Leistungspotenzialen besser entsprechen (Graf2009: S. 202). Immer wichtiger werden Standortbestimmungen auch für die Phase nach der Pensionierung. Das Hurnanverrnögen pensionierter Menschen wird in Zukunft an Bedeutung gewinnen. "Millionen von älteren Menschen stehen zur Verfügung, einen neuen Lebensabschnitt mit gesellschaftlicher Produktivität zu füllen. Es wäre tragisch, diese unerfüllten Potenziale an der langen Leine des Ehrenamtes verkümmern zu lassen oder als bessere Hilfstätigkeiten zu unterschätzen. Der wirkliche Gewinn liegt in der Integration der Träger jahrzehntelanger Arbeitskompetenz und reichhaltiger Lebenserfahrungen." (Druyen 2007: S. 87)

2. Bildung als immaterieller Vermögenswert Der immaterielle Vermögenswert von Bildung ist ausgesprochen vielfaltig. Dieser zeigt sich beispielsweise darin, dass eine Person über die in einer Funktion benötigten Kompetenzen verfügt. Dies wirkt sich positiv auf ihre Leistungsfähigkeit und -bereitschaft aus, was wiederum einen positiven Effekt auf psychische Faktoren wie Selbstbewusstsein, Selbstwirksamkeitserleben und Zufriedenheit oder aufkarrierebezogene Faktoren wie Erfolg, Lautbahnmöglichkeiten oder das wirtschaftliche Einkommen ausübt. In den nachfolgenden Ausführungen

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wird zuerst der Begriff der Bildung erläutert und anschließend wird vertiefter auf den immateriellen Vennögenswert von Bildung aus individueller Perspektive und Unternehmensperspektive eingegangen.

2.1 Der BegriffBildung Beim Begriff "Bildung" kann vereinfacht zwischen fachlich-methodischer (Grund-)Ausbildung und der Entwicklung der Persönlichkeit (Veränderung von Einstellungen, Motivationen und Verhaltensweisen) unterschieden werden. DieJachlich-methodische Ausbildung beinhaltet den Erwerb von Wissen und den Erwerb fachlich-methodischer Qualifikationen und Fertigkeiten im Rahmen fonneller Lernprozesse (Wissens- und Fachkompetenz). Eine gute Basis wird durch eine solide Grundausbildung gelegt, die im weiteren Lebensverlauf durch zusätzliche Fachausbildungen off-the-job und on-the-job ergänzt wird. Bezüglich des Verlaufs des beruflichen Lebenszyklus lassen sich vielfiiltige Trends erkennen: Tendenz zu längerer Ausbildungszeit (Zunahme des Grads fonnaler Bildung, Trend zu höherer Qualifikation, längere Verweildauer im Bildungssystem), abnehmende Bedeutung der Erstausbildung und damit verbunden zunehmende Bedeutung von Weiterbildungen und Umschulungen, Veränderung von Berufsbildern, Veränderung der Bedeutung von Arbeit und Freizeit infolge des Wertewandels, zunehmender Wunsch nach Teilzeitarbeit, Trend zu Portfolio-Arbeit (Ausüben mehrerer Berufe gleichzeitig) (Graf2009: S. 207 f.). Durch die Bologna-Refonn sind neue Möglichkeiten für die Weiterentwicklung geschaffen worden, indem die Durchlässigkeit zwischen beruflicher Bildung und Hochschulbildung gefördert wurde. Durch ein Angebot an flexiblen Lemwegen, berufsbegleitenden Studiengängen und einer vielfliltigen Angebotsstruktur (durch Kooperationen zwischen Hochschulen und beruflicher Aus- und Weiterbildung) sollen unter anderem das lebenslange Lernen und der berufliche Aufstieg mittels Bildung und Zertifizierung von Kompetenzen gefördert werden. Auch wenn Bildung im Sinne von Fachkompetenz sehr wichtig ist, wird die Bildung der Persönlichkeit immer entscheidender (vgl. Sinus 2008). Ein zentraler Gegenstandsbereich der Entwicklung von Mitarbeitenden im Unternehmen ist somit die Modifikation menschlichen Verhaltens und die Entwicklung der Persönlichkeit (Sonntag; Stegmaier 2007: S. 613). Persönlichkeitsbildung oder -entwicklung wird je nach Fachbereich (zum Beispiel Entwicklungspsychologie, Persönlichkeitspsychologie, betriebliche Personalentwicklung, geistig-spirituelle und religiöse Bereiche) unterschiedlich verstanden. Auch die Ansätze und Methoden, wie Persönlichkeit entwickelt wird, sind verschieden. Hier soll die Entwicklung der Persönlichkeit im betrieblichen Kontext im Zentrum stehen. Bei persönlichkeitsbildenden Maßnahmen stehen die Modifikation von Einstellungen, Motivationen und Verhaltensweisen, das Erlernen einer adäquaten Selbststeuerung und der veränderte Umgang mit Emotionen im Vordergrund. Am Anfang des Prozesses geht es um die Gewinnung von Selbsterkenntnis und die Definition von Entwicklungszielen. Wichtig ist, dass ein flexibler Wechsel stattfinden kann zwischen der Bindung an persönliche Entwicklungsziele, die realisierbar sind, und der Ablösung von unrealistischen Zielen.

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Die folgende Übersicht zeigt auf der Basis von vier Kompetenzbereichen auf, welche Kompetenzen in erster Linie mittels fachlich-methodischer Ausbildung und welche vorwiegend mittels Persönlichkeitsbildung entwickelt werden können. Der Begriff Kompetenz bedeutet, dass eine Person unterschiedliche Dispositionen (Anlagen, Fähigkeiten, Bereitschaften) in selbstorganisierte Handlungen umsetzen kann.

Tabelle 1: Übersicht über Kompetenzbereiche und Kompetenzen Kompetenzberelcb

Bescbrelbung

Personale Kompetenzen: Dispositionen einer Person reflexiv selbstGegenstand der Persönlich- organisiert zu handeln, d. h. sich seIhst einzuschätzen, produktive Einstellungen, Werthaltungen, keitshildung Motive und Selbstbilder zu entwickeln, eigene Begabungen, Motivationen, Leistungsvorsätze zu entfalten und sich im Rahmen der Arbeit und ausserhalb kreativ zu entwickeln und zu lernen.

·· ··· ··· ··· ··· ···

Kompetenzen Bereitschaft zur Selbstentwicklung Selhstreflexionshereitschaft Leistungsbereitschaft Lernbereitschaft Offenheit Risikobereitschaft Belastbarkeit Glaubwürdigkeit Emotionalität Flexibilität

AktivitAts- und umsetzungsbezogene Kompetenzen: Gegenstand der Persönlichkeitsbildung

Dispositionen einer Person, aktiv und gesamtheitlieh selhstorganisiert zu handeln und dieses Handein auf die Umsetzung von Ahsichten, Vorhahen und Plänen zu richten - entweder filr sich selbst oder auch filr andere und mit anderen, im Team, im Unternehmen, in der Organisation. Diese Dispositionen erfassen damit das Vermögen, die eigenen Emotionen, Motivationen, Fähigkeiten und Erfahrungen und alle anderen Kompetenzen - personale, fachlich-methodische und sozial-kommunikative - in die eigenen Wissensantriebe zu integrieren und Handlungen erfolgreich zu gestalten.

Fachlicb-methodlscbe Kompetenzen: vorwiegend Gegenstand der Fachausbildung, einige methodische Kompetenzen werden auch im Rahmen von persönlichkeitshildenden Maßnahmen entwickelt

Dispositionen einer Person, bei der Lösung von Fachkompetenzen sachlich-gegenständlichen Problemen geistig und Allgemeinwissen, Fachwissen Organisatorische Fähigkeiten physisch selbstorganisiert zu handeln, d. h. mit fachlichen und instrumentellen Kenntnissen, FerBetriebswirtschaftliehe Kenntnisse, tigkeiten und Fähigkeiten kreativ Probleme zu löEDV-Wissen sen, Wissen sinnorientiert einzuordnen und zu beFachliche Fähigkeiten und Fertigkeiten werten; das schließt Dispositionen ein, TlItigkeiten, Aufgaben und Lösungen methodisch selbstorgaMarkt-Know-how Sprachkenntnisse nisiert zu gestalten, sowie die Methoden kreativ Untemehmerisches Denken und weiterzuentwickeln. Handeln Methodenlrompetenzen Analytisches Denken Konzeptionelle Fähigkeiten Strukturierendes Denken Zusammenhänge und Wechselwirkungen erkennen Ganzheitliches Denkvermögen Gefühl filr künftige Entwicklungen Kreativität und Innovationsflihigkeit

Sozial-kommunikative Kompetenzen: Gegenstand der Persönlichkeitsbildung

Entscheidungsflihigkeit Gestaltungswille Tatkraft Optimismus Beharrlichkeit Mobilität Initiative

·· · · ·· ·

Dispositionen einer Person, kommunikativ und kooperativ se1bstorganisiert zu handeln, d. h. sich mit anderen kreativ auseinander- und zusammenzusetzen, sich gruppen- und heziehungsorientiert zu verhalten und neue Pläne, Aufgaben und Ziele zu entwickeln.

·· ·· ··· ··· ··· ·

Teamflihigkeit Einfühlungsvermögen Kommunikationsflihigkeit Kooperatinnshereitschaft Konfliktlösungshereitschaft Partnerzentrierte Interaktion Kulturelles und interkulturelles Verständnis

Quelle: Erpenbeck; Heyse: S. 159 ff., ergänzt um den (inter-)ku1turellenAspekt.

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2.2 Der Vermögenswert von Bildung aus individueller Perspektive Der individuelle Vennögenswert von Bildung wnfasst zahlreiche unterschiedliche Aspekte. Durch fachlich-methodische Ausbildungs- und Lernprozesse werden das benötigte Wissen und die erforderlichen Qualifikationen für den späteren Einstieg in ein gewünschtes Berufsfeld erworben. Fachkompetenz als individueller immaterieller Vermögenswert eröffnet Möglichkeiten, in denjenigen Bereichen tätig zu sein, die Motivation und Engagement wecken und die den eigenen Fähigkeiten und Potenzialen entsprechen. Dadurch wird - neben der Sicherung des finanziellen Einkommens und sozialer Kontakte - Erfolg im Beruf ennöglicht. Mit dem bereits erwähnten lebenslangen Lernen werden die Chancen erhöht, bis zur Pensionierung diejenigen Funktionen und Tätigkeitsbereiche auszuüben, die den eigenen Vorstellungen entsprechen. Durch höhere Bildungsstufen wird in der Praxis oftmals der Zugang zu qualifizierten Stellen und Führungspositionen und somit zur Führungs- und Expertenlaufbahn erleichtert. Bedeutsam ist auch der Aspekt "Wissen als Machtfaktor": In einer Wissensgesellschaft geht es darum, relevantes Wissen möglichst rasch und wnfassend (aufrecht) zu erhalten. Auf der Basis des Modells der emotionalen Intelligenz lässt sich die Wirkung persönlichkeitsbildender Maßnahmen und demzufolge der individuelle immaterielle Vermögenswert von Persönlichkeitsbildung anband von :fünf Dimensionen erläutern (Goleman 2006; Franken 2004: S. 34 f.): •

Selbstbewusstheit: Eine Person kann sich selbst realistisch einschätzen. Sie verfügt über die Fähigkeit, die eigenen Stimmungen, Gefühle und Bedürfnisse zu akzeptieren und besitzt die Fähigkeit, deren Wirkung auf andere abzuschätzen. Dadurch wird Verständnis für sich selbst und andere gefordert und der Grundstein für gute Zusammenarbeit, Wohlbefinden und Zufriedenheit gelegt.

•

Selbststeuerung: Eine Person ist in der Lage, die eigenen Gefühle und Stimmungen durch einen inneren Dialog zu beeinflussen und zu steuern (Emotionsmanagement). Dadurch kann sie auch in schwierigen Situationen angemessen reagieren und sich in Belastungs- und Drucksituationen selbst beruhigen. Dies sind wesentliche Aspekte eines effektiven Selbstmanagements.

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Selbstmotivation: Eine Person kann aus sich heraus Leistungsbereitschaft und Begeisterungsfähigkeit entwickeln. Sie verfügt über Frustrationstoleranz und findet immer wieder die Kraft zum Weitermachen - auch in schwierigen Projektphasen oder wenn Dinge anders laufen als geplant. Dadurch wird Erfolg bei beruflichen und privaten Vorhaben ermöglicht.

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Empathie: Eine Person ist in der Lage, sich in die Gefühle und Sichtweisen anderer Menschen hineinzuversetzen und angemessen darauf zu reagieren. Mitmenschen werden in ihrem Sein wahrgenommen und akzeptiert. Die Grundhaltung ist Respekt, Wertschätzung und Verständnis. Empathie ist ein wichtiger Grundpfeiler für gute Zusammenarbeit, erfolgreiche Kundenbeziehungen und bereichernde Beziehungen im Privatleben.

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Soziale Kompetenz: Eine Person verfügt unter anderem über ein gutes Beziehungs- und Konfliktmanagement, aber auch über Führungsqualitäten oder das Vennögen, funktio-

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nierende Teams zu bilden und zu leiten. Sie besitzt die Fähigkeit, sich klar und verständlich auszudrücken, kann anderen Menschen aktiv zuhören und das, was diese sagen verstehen und einordnen (Kommunikationsfähigkeit). Der gesamte Bereich der sozialen Interaktionen im Privat- und Berufsleben wird durch soziale Kompetenz positiv geprägt. Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere Bereiche, die durch die Persönlichkeit eines Menschen beeinflusst werden. Dies sind beispielsweise der Zugang zu gewisse Funktionen, Tätigkeiten, Ämtern, Gremien in Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Kultur. Ein gewinnendes Auftreten, eine offene Art auf Menschen zuzugehen und die Fähigkeit, sich auf das Gegenüber einzulassen, kann viele Türen öffnen.

2.3 Der Vermögenswert von Bi/dung aus Unternehmensperspektive Aus Unternehmensperspektive gewährleistet eine ausreichende Fachausbildung off-the-job und on-the-job, dass die geforderten fachlich-methodischen Kompetenzen und Fertigkeiten, das benötigte Wissen und die notwendigen Berufsabschlüsse und Zertifizierungen im Unternehmen vorhanden sind. Hierdurch werden Mitarbeitende in die Lage versetzt, den fachlichen Aspekt der Tätigkeit mit hoher Qualität zu erbringen (immaterieller Vermögenswert von Bildung). Wesentlich ist, dass in den Ausbildungen die benötigten Zusatzqualifikationen ebenfalls vermittelt und die benötigten Qualifikationen laufend und frühzeitig angepasst werden. Der immaterielle Vermögenswert von Persönlichkeitsbildung besteht insbesondere darin, dass die im Unternehmen benötigten Schlüsselkompetenzen vorhanden sind. Im Rahmen eines umfassenden Kompetenzmanagements geht es darum, die im Unternehmen heute und in Zukunft benötigten Kompetenzen zu definieren (Kemkompetenzen, werte- und strategiebasiertes Kompetenzen-Modell), die für eine bestimmte Funktion relevanten Kompetenzen festzulegen (Anforderungs- oder Kompetenzprofil), die vorhandene Ausprägung (Soll-Ist-Analyse) zu bestimmen und die Mitarbeitenden gezielt und proaktiv zu entwickeln. Durch die Entwicklung von Schlüsselkompetenzen (zu denen immer mehr sozial-kommunikative und personale Kompetenzen gehören) wird sichergestellt, dass die Mitarbeitenden über die für die Leistungserbringung notwendigen Kompetenzen verfugen - und zwar kurz-, mittel- und langfristig. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung für die nachhaltige Sicherung des Unternehmenserfolgs. Wettbewerbsfähigkeit wird ermöglicht durch Faktoren wie Innovation, Qualität, Kundenorientierung und Nachhaltigkeit. Kunden und Kundinnen profitieren von der Fähigkeit der Mitarbeitenden, komplexe Phänomene und Märkte, globale Risiken und Entwicklungen ganzheitlich zu betrachten und die relevanten Wissensgrundlagen zu beschaffen und zu verwenden. Sie werden insgesamt professioneller betreut (vgl. auch LGT 20l0a). Wenn es gelingt, das Wertespektrurn der Mitarbeitenden und dasjenige des Unternehmens anzugleichen, so können eine höhere Identifikation und Loyalität, stärkere Motivation, größere Leistungsbereitschaft und schließlich bessere Zusammenarbeit erreicht werden. Es geht darum, Mitarbeitende zu wertebezogenem Denken und Handeln zu verpflichten (Becker 2009: S. 129). Entscheidend ist jedoch auch, bereits bei der Rekrutierung darauf zu achten, dass Mitarbeitende eingestellt werden, die entweder über die erforderlichen Kompetenzen verfugen oder das entsprechende Potenzial aufweisen.

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Den Führungskräften kommt bei der Förderung immaterieller Vennögenswerte im Unternehmen eine Schlüsselrolle zu. Sie sind es, welche beispielsweise die Potenziale von Mitarbeitenden erkennen und Mitarbeitende gezielt fördern, fordern und entwickeln. Ihre Kommunikationsflihigkeiten sind entscheidend, ob Erwartungen klar kommuniziert werden und Feedback konstruktiv vennittelt wird. Sie sind Multiplikatoren in ihrem Bereich - ihre Werte und ihr Verhalten prägen den gesamten Organisationsbereich. Sie haben eine Vorbildfunktion und einen entscheidenden Einfluss auf die Arbeitsgestaltung und die Unternehmenskultur - beides wesentliche Ressourcen oder Belastungsfaktoren, je nach ihrer Ausgestaltung. Der Persönlichkeitsbildung von Führungskräften kommt eine entscheidende Funktion zu. Persönlichkeitsbildung bedeutet "die Fähigkeit, das eigene Leben so selbstständig wie möglich in die Hand zu nehmen. [...] Bildung heißt, das Vennögen des Einzelnen zu erschließen und zu veredeln. Nach diesem Verständnis gibt dem Menschen nichts mehr Selbstachtung und Würde als die Förderung seiner spezifischen Anlagen." (Druyen 2007: S. 140)

3. Selbstentwicklung als Bedingungsfaktor für die Generierung immaterieller Vermögenswerte "Wenn wir weiterhin tun, was wir tun, bekommen wir auch in Zukunft, was wir jetzt bekommen" (Covey et al. 2007: S. 30)

Die Fähigkeit und Bereitschaft zur Selbstentwicklung ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass Arbeitsmarktfähigkeit und Bildung als individuelle immaterielle Vennögenswerte generiert werden können. Im weiteren Sinne bedeutet Selbstentwicklung den Prozess von Änderungen; von sich selbst, durch sich selbst und letztlich auch für sich selbst. So betrachtet ist Selbstentwicklung immer auch die Voraussetzung beziehungsweise die Grundlage von Personalentwicklung (Berthel; Becker 2009: 403). Selbstentwicklung im engeren Sinne - so wie es im Kontext der Entwicklung der Selbstmanagement-Kompetenz verstanden wird - bezieht sich auf ein Erreichen "höherer" Entwicklungsstufen, etwa in der Dimension von Persönlichkeitsreife und -potenzialen (Graf2010).

3.1 Qualifikationen für die Initiierung und Durchführung von Selbstentwicklung Selbstentwicklung hat viel mit Lernen zu tun - mit der Fähigkeit und der Bereitschaft, neue Wissensstrukturen aufzubauen, sich neue Fertigkeiten anzueignen und neue Verhaltens- und Denkweisen zu verinnerlichen (vgl. beispielweise Schaper 2007, Spitzer 2009). Es braucht Zukunftsorientierung und die Gabe, sinnvolle und motivierende berufliche und persönliche Ziele zu setzen. Wesentlich ist auch die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis, das heißt sich selbst beobachten und reflektieren zu können, eigene Werte, Einstellungen, Motive und Verhaltensweisen zu erkennen und mittels Beobachten anderer Menschen neue mögliche Verhaltensweisen zu entdecken. In der folgenden Tabelle sind ausgewählte Qualifikationen aufgefiihrt, die für die Initiierung und Durchführung von Selbstentwicklung benötigt werden.

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Tabelle 2: Qualifikationen für Selbstentwicklung Geforderte Qualifikation Beschreibung Lemrnotivation, Lemfllhigkeit, Einsicht in die Selbststeuerung der eigenen Entwicklung Lernbereitscbaft Einsicht in die Selbstverantwortung Ergänzen der aktuellen Potenziale durch Aneignen von Wissen, Fähigkeiten und Verbaltensweisen Fähigkeit zur Selbsterkenntnis Gewinnen von Selbsterkenntnis durch Selbstbeobachtung, Selbstreflexion und Beobachten des eigenen Verhaltens (z. B. Erkennen eigener Stärken und Schwächen, Werte, Überzeugungen, Verbaltensweisen) Gewinnen von Selbsterkenntnis durch Beobachten anderer Menschen (Erstellen sozialer Vergleiche) und Einholen von Feedback (Fremdbild) Rollendistanz Hinterfragen gelernter Normen Verbaltenserwartungen zurückweisen können Zukunftsorientierung Positive Einstellung gegenüber Veränderungen von Objekten, Personen, Situationen, Zielen Offenheit gegenüber neuen Ideen, Konzeptionen, Strukturen Bereitschaft für neue Erfahrungen Fähigkeit zur Setzung von Analyse eigener Selbstentwicklungsziele Vorhandensein bzw. Entwicklung eines Selbstkonzepts mit Kriterien für eine Selbstentwicklungszielen Selbstbeurteilung Setzen sinnvoller und motivierender persönlicher und beruflicher Entwicklungsziele Aufsuchen und Erkennen von Lemsituationen Lernen aus Erfahrung Identi1izierung von Lemrnöglichkeiten Berufliches Selbstverständnis Identi1ikation mit der Arbeit und Fähigkeit zum Aufbau einer eigenen beruflichen Identität Quelle: angepasste Liste aus Berthel; Becker 2003: S. 279.

3.2 Selbstentwicklung als selbstgesteuerter Prozess Beim selbstgesteuerten Lernen wird die lernende Person - mit oder ohne Hilfe anderer - selbst initiativ, um die eigenen Lembedürfnisse festzustellen, Lernziele zu fonnulieren, notwendige personenbezogene und materielle Ressourcen für das Lernen zu identifizieren, die angemessene Lemstrategie zu wählen und zu realisieren sowie die Lemergebnisse zu evaluieren. Je nach Lemsituation erfordert selbstgesteuertes Lernen nicht nur angemessene kognitive, sondern auch geeignete motivational-emotionale Lernvoraussetzungen. Kognitive Lernvoraussetzungen sind beispielsweise inhaltliches Vorwissen oder das Beherrschen bestimmter Informationsverarbeitungs- und Lemstrategien. Wichtige motivationale Voraussetzungen sind unter anderem Selbstwirksamkeitsüberzeugungen (zum Beispiel das Vertrauen zu haben, beim Lernen auch erfolgreich zu sein) oder die Fähigkeit, die Lemabsicht gegen konkurrierende Handlungsmotive abschinnen zu können (Schaper 2007: S. 48). Bei der selbstgesteuerten Entwicklung geht es insbesondere um Maßnahmen, welche die Arbeitsmarktfähigkeit fördern, neue Tätigkeitsfelder eröffnen oder hilfreiche Verhaltensund Einstellungsänderungen ennöglichen. Hier ist das Bewusstsein wichtig, dass lebenslanges Lernen und selbstgesteuerte Entwicklung wesentliche Faktoren sind - für den Erhalt von Leistungsfähigkeit und -bereitschaft, aber auch für Gesundheit, Zufriedenheit und Erfolg. Entwicklung ist ein lebenslanger Prozess und immer mehr muss dieser eigenverantwortlich erfol-

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gen. Wichtig ist, die Entwicklung selbst in die Hand zu nehmen, Eigeninitiative zu ergreifen und sich von Bevonnundung zu emanzipieren. Mitarbeitende sind gefordert, Verantwortung :für die eigene berufliche Entwicklung zu übernehmen. Selbstentwicklung ist ein anspruchsvoller und kontinuierlicher Prozess. Es geht darum, Schritt für Schritt die eigenen Muster und Verhaltensweisen zu erkennen und auf der Basis der vorhandenen Fähigkeiten, Bedürfnisse und Werte, effektive Handlungsstrategien zu entwickeln und umzusetzen - und somit das Leben in die Richtung zu lenken, die man will und die einem auch entspricht. Jeder noch so kleine Schritt in die richtige Richtung ist entscheidend und verdient Anerkennung (Graf2010).

3.3 Unterstützung von Selbstentwicklung durch betriebliche Personalentwicklung

Im Rahmen der betrieblichen Personalentwicklung ist die Selbstentwicklung der Mitarbeitenden von entscheidender Bedeutung. Selbstentwicklung geschieht nicht immer von selbst, das heißt aus eigenem Antrieb heraus beziehungsweise mit den erwünschten Inhalten und Ergebnissen. Die Personalentwicklung hat hier die Aufgabe, Selbstentwicklung mittels geeigneter Maßnahmen zu fördern. ,,Alle Entwicklung ist letzen Endes Selbstentwicklung, die nur von außen angestossen werden muss." (Neuberger 1994: S. 310) Es gibt zwei Möglichkeiten, die Fähigkeit zum selbstgesteuerten Lernen resp. zur Selbstentwicklung zu fördern (Schaper 2007: S. 48 f.): •

Direkter Ansatz: Der Person werden die notwendigen kognitiven und motivationalen Komponenten selbstgesteuerten Lernens durch ein Training "direkt" vennittelt (zum Beispiel Vennittlung eines Repertoires lernförderlicher Strategien und Techniken). Ziel ist, dass die lernende Person auch bei suboptimalen Lernbedingungen erfolgreich selbstgesteuert lernen kann.

•

Indirekter Ansatz: Lernurngebungen werden so gestaltet, dass sie der Person Möglichkeiten :für selbstgesteuertes Lernen eröffnen beziehungsweise selbstgesteuertes Lernen erfordern.

Die Förderung der Selbstentwicklung im betrieblichen Kontext kann weiter bei der KönnensKomponente der Leistung (Leistungsfähigkeit) oder der Wollens-Komponente (Leistungsbereitschaft und Motivation) ansetzen.

3.4 Förderung von Selbstentwicklung über die Könnens-Komponente Die Förderung der Könnens-Komponente von Selbstentwicklung bezieht sich aufdie eigentliche Lernfähigkeit des Menschen sowie das Qualifikationsrepertoire spezifischer Fähigkeiten, Verhaltensweisen und Einstellungen (vgl. Tabelle 2). Unterstützende Maßnahmen der Personalentwicklung :für die Könnens-Komponente können somit bei der Vermittlung von Qualifikationen zur Selbstentwicklung (vgl. Tabelle 1) oder bei den Rahmenbedingungen ansetzen. In Tabelle 3 sind exemplarisch persönlichkeits- und lernfördernde Merkmale von Arbeitssituationen aufgefiihrt.

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Tabelle 3: Persönlichkeits- und lernf6rdemde Merkmale von Arbeitssituationen • Periodischer Wechsel von Arbeitshandlungcn in bekannten und Lemhandlungen in neuen Handlungssystemen • Häufige Nutzung vielfilltiger und kollegialer Konunu- • Variable Abstimmung der Aufgabenstruktur mit der lernphasenbedingten Erweiterung der Arbeitskomnikations- und Interaktionsfonnen petenzen und mit entwicklungsspezifischen Lern• Demokratische Entscheidungsverfahren prozessen • Erfahrungen und realistische Erwartungen indivi- • Eingriffspunkte in, sowie Freiheitsgrade und Möglichduellen Weiterkommens und gesellschaftlichen keiten der differenzierenden Gestaltung der AufgaFortschritts ben- und Sozialstruktur

• Komplexe und abwechslungsreiche Tätigkeit

• Experim.enti.erchancen: Möglichkeiten des Lernens auf Versuch und Irrtum

• Ausbildung und Anwendung einer ganzheitlichen • Unvorhergesehene Probleme und Störungen, für die Handlungskompetenz ohne Zeitdruck und mit Unterstützung des Vorge• Aufgabenspezifische Integration von Handlungsplasetzten Lösungen gesucht werden können. nung und -ausführung • Technischer Fortschritt

Quelle: Berthel; Becker 2009: S. 405.

Aus Sicht des Unternehmens kann es sinnvoll sein, die Förderung der Selbstentwicklung auf Mitarbeitende auszurichten, die als geeignet erachtet werden, die erforderlichen Entwicklungsschritte dann auch tatsächlich zu vollziehen. Kriterien hierzu sind beispielsweise (Berthel; Becker 2009: S. 405 f.): •

die persönliche Veranlagung, Herausforderungen zu suchen und zu bewältigen

•

der Einsatz der gesamten Persönlichkeit bei der Bewältigung der Herausforderung

•

die Bereitschaft, persönliche Risiken einzugehen

•

die Fähigkeit, die eigene Abhängigkeit von beeinflussbaren und nicht-beeinflussbaren Bedingungen einzuschätzen (spheres ofinfluence)

•

die Fähigkeit und die Bereitschaft, bewusst an der eigenen Entwicklung zu arbeiten.

3.5 Förderung von Selbstentwicklung über die Wollens-Komponente Die Förderung der Selbstentwicklung über die Wollens-Komponente findet in einem ersten Schritt über Aktivitäten statt, von denen ein Anstoß zu einem individuellen persönlichen und beruflichen Lebensplan zu erwarten ist (Berthel; Becker 2009: S. 404). Ansatzpunkte fiir unterstützende Maßnahmen seitens der Personalentwicklung sind die Gestaltung eines Prozesses fiir Selbstentwicklung, die Gestaltung entwicklungsunterstützender Bedingungen, die Förderung einer kooperationsf6rderlichen Einstellung als Wollens-Komponente und die Stimulation über Herausforderungen. Die Gestaltung eines Prozessesfür die Selbstentwicklung erfolgt in vier Schritten: Durchfuhren einer Selbstanalyse und -bewertung, Definition von handlungswirksamen Entwicklungszielen, Festlegen des Entwicklungsbedarfs und Erstellen eines Entwicklungsplans: •

Mitarbeitende werden von der Personalentwicklung in geeigneter Form aufgefordert, eine Selbstanalyse und -bewertung durchzufuhren (zum Beispiel im Rahmen einer

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Standortbestimmung oder eines Führungsseminars). Durch die vertiefte Auseinandersetzung mit den eigenen Motiven, Werten, Einstellungen und Fähigkeiten werden wichtige Erkenntnisse für die selbstverantwortliche Steuerung der beruflichen Laufbahn und eine erfüllende Gestaltung des eigenen Privat- und Arbeitslebens gewonnen. Am Ende eines solchen Prozesses kann die Definition und Offenlegung eines Selbstkonzepts stehen (vgl. auch Graf 2002: S. 261 und Berthel; Becker 2009: S. 404). •

Basierend auf den Ergebnissen der Selbstanalyse und -bewertung werden handlungswirksame Entwicklungsziele definiert. Handlungswirksamkeit ist dann gegeben, wenn die Ziele realistisch, motivierend und die Erreichbarkeit vollständig unter der eigenen Kontrolle ist. Zudem sollte das Ziel als Annäherungsziel und nicht als Vermeidungsziel formuliert werden. Handlungswirksamkeit ist eine wesentliche Voraussetzung, damit Entwicklungsziele auch erreicht werden können. Durch Erfolge wie das Erreichen von Entwicklungszielen wird die Selbstwirksamkeitserwartung gestärkt, was wiederum einen positiven Einfluss auf das Erreichen von Zielen in der Zukunft hat. Deshalb ist es so wichtig, dass Menschen lernen, Ziele zu setzen, die auch erreichbar sind.

•

Mittels einer Soll-Ist-Analyse wird anschließend der konkrete Entwicklungsbedarferuiert. Auf dieser Basis werden effektive Entwicklungsmaßnahmen bestimmt. Wichtig ist, jeweils Entwicklungsmaßnahmen off-the-job und on-the-job zu prüfen. Jede Maßnahme off-the-job sollte jeweils durch flankierende Maßnahmen on-the-job begleitet werden.

•

Im Entwicklungsplan werden die einzelnen Entwicklungsschritte mit den entsprechenden Entwicklungsmaßnahmen festgehaIten, inkl. Termine und Messkriterien für eine spätere Überprüfung des Entwicklungsprozesses.

Eine allgemeine Förderung der Wollens-Komponenten der Selbstentwicklung kann auch von Aktivitäten ausgehen, mit denen entwicklungsunterstützende Bedingungen bewusst gestaltet werden. Solche Bedingungen sind beispielsweise die Ermutigung zum Experimentieren, das Tolerieren von Fehlern und Misserfolgen, die Förderung der Zusammenarbeit, das Respektieren individueller und kultureller Unterschiede sowie das Schaffen einer Atmosphäre von Vertrauen (Graf 2002: S. 261). Die in Tabelle 3 aufgefiihrten Merkmale von Arbeitssituationen beinhalten zentrale Ansatzpunkte für die Gestaltung entwicklungsunterstützender Arbeitsbedingungen. Es gilt weiter zu beachten, dass eine kooperationsfdrderliche Einstellung als Wollens-Komponente nur dann entstehen kann, wenn Motive von Mitarbeitenden am Arbeitsplatz häufiger befriedigt als frustriert werden (Brandstätter 2006: S. 61). "Dazu gehört auch, dass positive und negative Arbeitssituationen auseinander gehalten werden können. Neben expliziten Qualifizierungsmaßnahmen kann dies auch durch Parameter der Arbeitssituation bewirkt werden." (Berthel; Becker 2009: S. 404). Die Stimulation über Herausforderungen hat ebenfalls einen positiven Einfluss auf die Wollens-Komponente von Selbstentwicklung. So kann Selbstentwicklung auch über erkennbare Herausforderungen, die einen gewissen Problemdruck erzeugen, gefordert werden. Erreicht wird dies beispielsweise durch Delegation unterschiedlicher und schwieriger Aufgaben, eine offene und konstruktive Konfrontation als ,,normale" Kommunikations- und Interaktionsform, über das Setzen anspruchsvoller Ziele, häufige Rollen-, Aufgaben- und Funktions-

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wechsel sowie Ambiguität und Unsicherheit als erklärte Aufgabenmerkmale (Berthel; Becker 2009: S. 404 f.). Im Kontext der Entwicklung von Menschen ist das Bewusstsein erforderlich, dass Verhaltensänderungen Zeit brauchen und häufig stufenweise verlaufen. Erkenntnisse aus der Neurobiologie zeigen, dass wiederholtes Üben notwendig ist, bis im Gehirn die entsprechenden Bahnungen im neuronalen Netzwerk gebildet worden sind (vgl. beispielsweise Spitzer 2009: S. 64 ff., Storch; Krause 2005: S. 32 ff.). Für die praktische Umsetzung der neurobiologischen Erkenntnisse ist die in den 1980er Jahren entdeckte Tatsache entscheidend, dass im Gehirn lernbereite Zustände auftreten, in denen neue Informationen wesentlich besser im Langzeitgedächtnis verankert werden (vgl. Guttmann 1987). Diese lernbereiten Zustände können gezielt durch geeignete Selbstkontrolltechniken herbeigeführt werden. Persönlichkeitsbildung ist ein Prozess in vielen kleinen Schritten, der viel Durchhaltevermögen erfordert. Oft ist auch externe Unterstützung notwendig - sei es im Rahmen von persönlichkeitsbildenden Seminaren, Verhaltenstrainings, Coachings oder therapeutischer Begleitung.

4. Die Generierung immaterieller Vermögenswerte durch Persönlichkeitsbildung am Beispiel der LGT Academy Wie die vorangehenden Ausführungen gezeigt haben, ist Persönlichkeitsbildung - neben der Förderung von Arbeitsmarktfähigkeit, Gesundheit und einer fundierten fachlich-methodischen Ausbildung - ein wesentlicher Faktor für die Generierung immaterieller Vermögenswerte im Unternehmen. Im Rahmen persönlichkeitsbildender Maßnahmen werden Mitarbeitende insbesondere in ihren sozial-kommunikativen, aktivitäts- und umsetzungsbezogenen sowie personalen Kompetenzen gef6rdert (vgl. Tabelle 1). Durch persönlichkeitsbildende Entwicklungsmaßnahmen und Rahmenbedingungen wird nicht nur die Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft der Mitarbeitenden langfristig erhalten, sondern es werden essentielle Grundlagen für Innovation, Qualität, nachhaltige Kundenbeziehungen, teaminterne und teamübergreifende Kooperation sowie eine inspirierende und wertschätzende Führungskultur gelegt. Am Beispiel der LGT Academy wird vorgestellt, wie in der Praxis eine umfassende und nachhaltige Persönlichkeitsbildung ermöglicht werden kann. Die Akademie bietet seit ihrer Gründung im Jahre 1995 für die Mitarbeitenden, Führungskräfte und Fachexperte/innen der LGT (nachfolgend Mitarbeitende) eine umfassende Form ganzheitlicher Persönlichkeitsbildung an. Die Programme sind unterschiedlich ausgestaltet und dauern zwischen einer Woche und fiinfWochen. Bis heute haben zahlreiche Mitarbeitende quer durch alle Hierarchiestufen, Altersgruppen, Nationalitäten und Kulturen die verschiedenen Programme durchlaufen. Nachfolgend werden die Philosophie der Akademie, die Inhalte eines Programms (Academy I) und die Philosophie der Programmgestaltung näher vorstellt (vgl. hierzu insbesondere die Quellen von LGT 2010 abis d). Abschließend wird auf den immateriellen Vermögenswert von Persönlichkeitsbildung am Beispiel der Academy I eingegangen.

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4.1 Philosophie der Akademie Die Programme der Akademie beruhen auf der Philosophie, dass gute Mitarbeitende nicht nur durch fachliche Fähigkeiten überzeugen, sondern dass ein Unternehmen weitsichtig denkende und verantwortlich handelnde Persönlichkeiten braucht. Diese zeichnen sich in besonderem Maße durch emotionale und soziale Kompetenz, durch geistige Fitness und Empathie sowie durch mentale Stärke und Interessensvielfalt aus. Diese Eigenschaften bereichern nicht nur das Individuum selbst, sondern auch dessen Wirkungsbereich und das Umfeld. Fachliche Fähigkeiten werden gezielt im Rahmen von Fachausbildungen weiterentwickelt. In den Programmen der Akademie werden hingegen vorwiegend die persönlichkeitsbildenden Kompetenzen gefordert und erweitert. Ganz im Sinne des Gründers, Prinz Philipp von Liechtenstein, fokussiert die Akademie seit Beginn aufeine ganzheitliche, umfassende und innovative Bildung der Persönlichkeit. Die Philosophie der Programmgestaltung beruht aufdem Prinzip der integrierten Entwicklung von Körper, Geist und Seele. Die drei Ebenen werden in den verschiedenen Programmelementen ganzheitlich entwickelt. So werden in den Bildungsmodulen jeweils sowohl kognitive, psychische, sozial-emotionale als auch gesundheitliche Aspekte (die vier Vermögensebenen) bearbeitet und behandelt.

4.2 Inhalte der Academy I Die Academy I (Persönlichkeitsakademie) umfasst insgesamt fiinfBildungswochen, die aufgeteilt sind in zwei Sequenzen azwei Wochen sowie eine Woche Engagement in einem Seitenwechsel-Projekt (Praktikum in einer sozialen Organisation). Zwischen den beiden Bildungssequenzen liegt ein Zeitraum von 18 bis 24 Monaten. Im Rahmen der Persönlichkeitsakademie werden grundlegende Fragen diskutiert und beantwortet, zum Beispiel: Wie gehe ich mit mir selbst um? Wie gehe ich mit meiner Gesundheit um? Wie kann ich mich selbst entwickeln? Wie kann ich meine mentalen Fähigkeiten in der Kontemplation und meine kreativen Fähigkeiten im Team entfalten? Welche Methoden helfen mir, vernetzte Zusammenhänge besser wahrzunehmen? Dem Leitgedanken der ganzheitlichen Integration folgend, werden inhaltlich folgende Schwerpunkte bei der Programmgestaltung gesetzt:

•

Kognitive Leistungsfähigkeit: Umsetzung von praxisrelevanten Ergebnissen der Lernund Gedächtnisforschung, Gedächtnistraining, Beachtung der Konsequenzen neurobiologischer Erkenntnisse

•

Körperliche Leistungsfähigkeit: Einführung in Bewegungstraining und optimale Ernährung, Rudern, Work Life Balance

•

Bewusstseinssteuerung: Selbstkontrolltechniken, Kontemplation (Meditation, Tai Ji, Kalligrafie, Aikido), Einsatz des Biofeedbacktrainings

•

Stress- und Belastungskompetenz: Praktische Konsequenzen der Stressforschung, Umgang mit Belastung

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•

Sozio-emotionale Fähigkeiten: Humanwissenschaftliche Grundlagen, Persönlichkeitstheorien, Selbstbild und Potenzialerkennung, emotionale Intelligenz und Kompetenz

•

Arbeits- und Organisationspsychologie und Wirtschaftspsychologie, Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, Vermögenskultur

•

Seitenwechsel: Auseinandersetzung mit neuen und unbekannten Lebensrealitäten im Rahmen einer Projektwoche in einer sozialen Institution (zum Beispiel Behindertenheim, Gefängnis, Psychiatrie).

4.3 Philosophie der Programmgestaltung von Academy I Die einzelnen Bildungsmodule sind miteinander und in sich vernetzt. Beim Aufbau des Programms wurde darauf geachtet, in den einzelnen Modulen sowohl relevante Grundlagen und neueste Erkenntnisse aus Wissenschaft und Praxis zu vermitteln (intellektuelle Ebene), als auch umfassende praktische Übungssequenzen (psychische, sozial-emotionale und gesundheitliche Ebene) zu integrieren. Beispiele, wie die Vemetzung der Module umgesetzt wird:

•

Stress- und Belastungskompetenz, Selbstkontrolltechniken: Ziel ist, die Teilnehmenden in die Lage zu versetzen, mit Belastungen im privaten und im beruflichen Kontext besser umgehen zu können. Dies geschieht einerseits durch Selbsterkenntnis fördernde Prozesse im Sinne des "Erkenne dich selbst!". Mittels Übungen zur Selbstreflexion, Testverfahren, gegenseitigem Feedback (soziale Wahrnehmung) sollen möglichst realistische Einsichten über eigene Verhaltensweisen, Einstellungen und Motivationen gewonnen werden. Zusätzlich werden theoretische Grundlagen zum Stressmanagement vermittelt (zum Beispiel neurobiologische Aspekte von Belastung und Stress, Ablauf und Wirkung psychischer und physischer Prozesse in Stresssituationen). Anband praktischer Übungen (Selbstkontrolltechniken) werden dann konkrete Handlungsoptionen aufgezeigt und eingeübt, zum Beispiel Übungen zum gezielten Einsatz von Energie, Kunst des Abschaltens und der gezielten Aktivierung).

•

Rudern: In diesem Modul werden die Aspekte Teamarbeit ("die Kunst des Miteinanders") erlebt und reflektiert und gleichzeitig wird die Wirkung körperlicher Tätigkeit auf die Gesundheit bearbeitet. Teamarbeit ist dann erfolgreich, wenn gemeinsam anspruchsvolle Ziele erreicht werden. Beim Rudern geht es darum, ein Fünfer-Team von unerfahrenen Personen innerhalb einer Woche (4 x 1 Stunde) erfolgreich auf ein Ruderrennen vorzubereiten. Dabei müssen folgende herausfordernde Parameter berücksichtigt werden: Rudertechnik, Rudertaktik, Rolle im Team (Steuermann/frau, Schlagmann! frau etc.), die physische Kondition, Rhythmus, Umfeld (Seegang, Wetter, Temperatur etc.). Professionelles Coaching ist ein entscheidender Erfolgsfaktor, damit insbesondere in der durch Überforderung geprägten Anfangsphase die Motivation und die Technik des Einzelnen, aber auch die Selbstorganisation des Teams aktiv unterstützt werden. Im Rahmen von Diskussionen im Plenum wird der Transfer des Erlebten in den Geschäftsalltag eingehend besprochen.

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•

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Kontemplation - Meditation: Im Modul ,,Meditation" wird während mehrerer Tage morgens und abends gemeinsam mit einem Mönch eine Stunde lang meditiert und ein Professor der Psychologie und Abteilungsleiter für die neurowissenschaftlichen Grundlagen der Psychotherapie vennittelt die wissenschaftlichen Aspekte der Wirkung von Meditation auf das Gehirn und die Psyche. So wird die Wirkungsweise von Meditation in der praktischen Übungsanwendung erlebt, durch die wiederholte Durchfl1hrung wird eine bessere Basis für die Anwendung im Alltag gelegt und durch das Verständnis, welche positiven Effekte durch Meditation erreicht werden können, wird die Motivation gestärkt, Meditationstechniken in die persönliche Lebensgestaltung zu integrieren.

Da Menschen unterschiedliche Zugänge haben, werden den Teilnehmenden verschiedene Methoden und Techniken zur Konzentrationssteigerung, zur Entspannung und zur Förderung der Kreativität vorgestellt, zum Beispiel Tai Ji, Aikido, Zeichnen und Malen. Einige Teilnehmende finden einen leichteren Zugang zu inneren Potenzialen über kreative Methoden (zum Beispiel Malen) oder über ästhetisches Empfinden (zum Beispiel Kalligrafie), anderen fallt der Zugang über den motorischen Ausdruck (zum Beispiel über den Körper mittels harmonischer Bewegungen) oder über mentale Techniken (zum Beispiel Meditation, Gedächtnistraining) leichter. Durch die Methodenvielfalt wird die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die Teilnehmenden etwas finden, das sie interessiert und ihnen auch entspricht.

4.4 Immaterieller Vermögenswert von Persönlichkeitsbildung am Beispiel der Academy I Durch die Zusammenstellung des Programms der Academy I sollen starke und nachhaltige Impulse für die Persönlichkeitsentwicklung und die Umsetzung im beruflichen und privaten Alltag gegeben werden. Ein Aspekt des immateriellen Vermögenswerts, der durch das Programm generiert wird, besteht darin, dass die Teilnehmenden einen neuen Zugang zu sich selbst und zu bislang ungenutzten Potenzialen erhalten. Sie werden für die Wichtigkeit von Selbsterkenntnis und Selbstkontrolle sensibilisiert und lernen neue, bisher unbekannte Themenbereiche, Methoden und Techniken kennen, die einerseits den persönlichen Horizont erweitern und andererseits Zugang zu Kreativität und Innovation sowie den effektiveren Umgang mit Komplexität ermöglichen. So sind sie beispielsweise besser in der Lage, mittels geeigneter Selbstkontrolltechniken lembereite Zustände herbeizufiihren und gezielt Strategien anzuwenden, mit deren Hilfe Leistungen optimiert werden können (vgl. hierzu Guttmann 1990). Auf diese Weise können die eigene Lemfähigkeit und die Effizienz gestärkt werden. Eine wirkungsvolle Selbststeuerung ist auch entscheidend für den positiven Umgang mit den eigenen Emotionen und Gedanken. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für Selbstmotivation und den Umgang mit Belastungen. Durch das Erkennen eigener physischer und psychischer Leistungsgrenzen und durch eine bewusste Etablierung gesundheitsforderlicher Verhaltensweisen wird die Gesundheit nachhaltig unterstützt. Dadurch wird nicht nur das individuelle Wohlbefinden gefordert, sondern im Unternehmen kann die Absenzrate infolge von Krankheiten und Überlastung gesenkt werden. Ein wesentlicher Aspekt der Academy I ist weiter, dass die Teilnehmenden unterstützt werden, sich in vielfältigen sozialen Interaktionen geschickt zu bewegen. Das Verständnis

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für psychologische Themen erlaubt ein tieferes Verständnis für die Einstellungen und Verhaltensweisen anderer Menschen. Die Teilnehmenden sind sich ihrer Werte und Einstellungen bewusster, können Vorurteile abbauen und eigene Grenzen erweitern. So werden wesentliche Voraussetzungen für bereichernde Kontakte und Beziehungen zu unterschiedlichen Menschen (hinsichtlich Alter, Kultur, Fachgebiet, Gender etc.) geschaffen. Dies wirkt sich auch positiv auf die nachhaltige und wertschätzende Gestaltung von Beziehungen zu Mitarbeitenden, KundenlKundinnen und Vorgesetzten aus. Durch das Zusammenführen von Mitarbeitenden mit unterschiedlichen Erfahrungen im Rahmen der Academy I entsteht zudem ein informelles Netzwerk quer durch alle Hierarchien, Nationalitäten, Altersgruppen und Kulturen. Durch den einwöchigen Einsatz im Seitenwechsel-Projekt werden die Teilnehmenden zusätzlich gefordert, sich mit neuen und unbekannten Lebensrealitäten auseinanderzusetzen. Dies fordert und fördert Toleranz sowie die Fähigkeit, sich aufneue Erfahrungen einzulassen. Das Unternehmen profitiert vom Seitenwechsel, insofern als die Teilnehmenden feinere "Sensoren" für die Beurteilung von kritischen, auch emotional geprägten, Prozessen entwickeln und entsprechend frühzeitig handeln können. Die individuelle Vorbereitung und Nachbereitung des Seitenwechsels ist ein wichtiger Bestandteil des Gesamtprogramms der Academy I. NachAbschluss der Academy I verfügen die Teilnehmenden über eine klarere Einschätzung, welches ihre Stärken und welches ihre Entwicklungsbereiche sind und können diese Erkenntnisse in die Kommunikation, in die Führung und in den Kundenkontakt einfließen lassen. Dadurch wird ihr Handeln insgesamt zielorientierter und effektiver. Durch den ganzheitlichen Ansatz der Academy I wird die Selbstentwicklungsfähigkeit und -bereitschaft der Mitarbeitenden gezielt gefördert - eine wesentliche Voraussetzung für den langfristigen Erhalt der Leistungsfähigkeit und -bereitschaft auf den vier Vermögensebenen. Die finanziellen und personellen Investitionen von LGT, Wealth und Asset Management Gruppe im Besitz des Fürstenhauses von Liechtenstein, in die Persönlichkeitsbildung der Mitarbeitenden signalisieren die Bedeutung, die der Entwicklung der Humanressourcen im Unternehmen zugesprochen wird. Werte wie Langfristigkeit und Nachhaltigkeit stehen im Zentrum. Zahlreiche positive Rückmeldungen der Teilnehmenden unterstreichen die Effektivität dieses Programms.

5. Scblussbemerkungen Wie die vorangehenden Ausführungen zeigen, können mittels methodisch-fachlicher und persönlichkeitsbildender Entwicklungsmaßnahmen zahlreiche und vielfältige immaterielle Vermögenswerte geschaffen werden - für das Individuum selbst und für das Unternehmen. investitionen in den Erhalt der Arbeitsmarktfähigkeit, in die Aus- und Weiterbildung sowie in die Selbstentwicklungsfähigkeit und -bereitschaft lohnen sich nicht nur kurz- und mittelfristig, sondern zahlen sich in besonderem Maße nachhaltig aus. Es geht um den langfristigen Erhalt von Leistungsfähigkeit, Motivation, Gesundheit und Wohlbefinden. Die Verantwortung hierfür ist eine geteilte Verantwortung zwischen den einzelnen Mitarbeitenden und dem Unternehmen.

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Menschen müssen im Sinne von Selbstverantwortung ihre persönliche und berufliche Entwicklung eigenverantwortlich planen und steuern. Eine wichtige Voraussetzung ist Selbsterkenntnis: Je besser eine Person die eigenen Kompetenzen, Potenziale, Verhaltensmuster, Bedürfnisse und Einstellungen kennt, desto eher können notwendige Bildungs- und Entwicklungsmaßnahmen eingeleitet und effektive Verhaltensstrategien entwickelt und umgesetzt werden. Hilfreich ist auch die Fähigkeit, sich selbst motivieren und fUr etwas begeistern zu können. Seitens des Unternehmens (Vorgesetzte, PersonaVPersonalentwicklungsabteilung, Untemehmensleitung) können zahlreiche Rahmenbedingungen geschaffen und Instrumente implementiert werden, welche die Entwicklung dieser immateriellen Werte im Arbeitskontext erleichtern und fordern. Mögliche Maßnahmen wurden in den vorangehenden Ausführungen aufgezeigt (vgl. zum Beispiel die Angaben in Tabelle 3 oder das Angebot der LGT Academy). Wichtig erscheint, dass Bildungsmaßnahmen immer mit den entsprechenden Maßnahmen am Arbeitsplatz gekoppelt werden: "Eine Stabilisierung der durch bewusstes Lernen erworbenen Einstellungen, Verhaltensweisen und Fertigkeiten ist nur dann zu erreichen, wenn die alltäglichen Erfahrungen unterstützend eingreifen." (Brandstätter 2006: S. 76)

*** Literatur Becker, M. (2009): PersonalentwickJung. Bildung, Förderung und OrganisationsentwickJung in Theorie und Praxis, 4. Auflage. Stuttgart: Schätrer-Poeschel. Berthel, J.; Becker, F. G. (2009): Personal-Management. Grundzüge fIlr Konzeptionen betrieblicher Personalarbeit, 9. Auflage. Stuttgart: Schätrer-Poeschel. Brandstätter, H. (2006): Veränderbarkeit von Persönlichkeitsmerkmalen aus sozial- und ditrerenzialpsychologischer Sicht. In: Sonntag, K. (Hrsg.). Personalentwicklung in Organisationen: Psychologische Grundlagen, Methoden und Strategien, 3. Auflage. Göttingen et al.: Hogrefe: S. 57-83. Bruch, H.; Kunze, E; Böhrn, S. (2010): Generationen erfolgreich filhren. Konzepte und Praxiserfahrungen zum Management des demografischen Wandels. Wiesbaden: Gabler. Covey, S. R.; Merrill, A. R.; Merrill, R. R. (2007): Der Weg zum Wesentlichen. Der Klassiker des Zeitmanagements, 6. Auflage. Frankfurt am Main und New York: Campus. DGFP, Deutsche Gesellschaft für Personalftlhrung e. V. (Hrsg.) (2009): Persona1controlling für die Praxis. Konzept - Kennzahlen - Untemehrnensbeispiele. Bielefeld: W. Bertelsmann. Druyen, T. (2007): Goldkinder. Die Welt des Vermögens, 2. Auflage. Harohurg: Murmann. Erpenbeck, J.; Heyse, V. (2007): Die Kompetenzbiographie. Wege der Kompetenzentwicklung, 2. Auflage. Münster et al.: Waxmann. Fitz-enz, J. (2009): The ROI ofHuman Capital. Measuring the Economic Value ofEmployee Performance, 2. Auflage. New York et al.: Amacon. Franken, S. (2004): Verhaltensorientierte Führung. Individuen - Gruppen - Organisationen. Wiesbaden: Gabler. Goleman, D. (1996): Emotionale Intelligenz. München und Wien: Carl Hanser. Graf, A. (2002): Lebenszyklusorientierte Personalentwick1ung. Ein Ansatz für die Erhaltung und Förderung von Leistungstlibigkeit und -bereitschaft während des gesamten betrieblichen LebenszykJus. Bern et al.: Haupt. Graf, A. (2009): Standortbestimmung - Kernelernent einer lebenszyklusorientierten Personalentwicklung. In: Zölch, M. et al. (Hrsg.): Fit für den demografischen Wandel? Ergebnisse, Instrumente, Ansätze guter Praxis. Bern et al.: Haupt: S. 197- 218.

Arbeitsmarktfähigkeit und Bildung als immaterielle Vermögenswerte

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Teil III

Positionen Vermögender

Werte geben Orientierung und schaffen Vermögen Martin Essl

Einleitung Wir stehen heute am Anfang eines neuen Zeitalters - der Dienstleistungsgesellschaft. So wie sich die gesellschaftlichen Strukturen vom Agrar- zum Industriezeitalter verändert haben, werden sich diese auch im angehenden Zeitalter der Dienstleistung verändern. Wir können dies bereits anband globaler Entwicklungen in Kommunikation, Wissenschaft und Technologie erahnen, in weiten Teilen wissen wir aber noch nicht, wohin uns dieser Weg führen wird. Gleichzeitig stehen wir heute vor vielen drängenden Fragen, die den Erhalt unseres Lebensraumes und den Aufbau einer Weltfriedensgesellschaft ohne Armut und Hunger betreffen. Beide Tendenzen werden einen großen Wandel mit sich bringen, der die Bedeutung von Wissen, Qualifikation und Arbeit betrifft. Viele Dienstleistungen werden sich neu entwickeln, gewisse Leistungen werden einen neuen Wert erfahren, andere werden hingegen nicht mehr gefragt sein. Wenn man so will, wird sich das Vermögen der Gesellschaft von einem passiven zu einem aktiven wandeln, so wie es Thomas Druyen in seiner Vermögensforschung anklingen lässt. Ein Zeitungsartikel hat mich im Frühjahr 2008 aufDruyens Buch Goldkinder. Die Welt des Vermögens gebracht. Erstaunt las ich bereits im Vorwort, dass Vermögen nicht nur als das zu verstehen sei, was wir haben, sondern immer auch als das, was wir sind (vgl. Druyen 2007: S. 12). Gerade dieser Ansatz wird in der Dienstleistungsgesellschaft stark an Bedeutung gewinnen: KundInnen spüren sofort, ob jemand bereit ist, in der Dienstleistung sein Können und Wissen einzubringen oder nicht. Menschen, die sich nur darauf berufen, was sie haben, werden auf lange Sicht wenig erfolgreich sein. Im Gegensatz zur Passivität des angehäuften Reichtums a la Dagobert Duck geht es um Vermögen als Prinzip der aktiven Lebensgestaltung. Ein Prinzip, das in meiner Familie seit langem gelebt wird und das ich sozusagen mit der Muttermilch eingesogen habe, ohne dass ich es in dieser klaren Definition bis dahin benennen konnte. Die Lektüre des Buches begeisterte mich und schon wenige Wochen danach saßen wir in einem angeregten Gespräch vertieft zusammen. Thomas Druyen erläuterte mir seinen vermögenskulturellen Ansatz und die damit verbundenen vielfliltigen Vorhaben. Ich beschäftige mich seit einigen Jahren redlich mit Philanthropie: Meine Frau und ich hatten im Jahr 2007 den Essl Social Prize ins Leben gerufen und dieser war im Jahre 2008 das erste Mal verliehen worden. Ein idealer Zeitpunkt also, um Ideen und Anschauungen in dieser Hinsicht auszutauschen. Wir stehen seitdem in regelmäßigem Kontakt und so kam es auch, dass ich von Thomas Druyen gebeten wurde, fiir den vorliegenden Band aus meiner Sicht zu skizzieren,

T. Druyen (Hrsg.), Vermögenskultur, DOI 10.1007/978-3-531-92086-3_14, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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wie Vermögenskultur aussehen kann, wenn sie im Sinne gesellschaftlicher Verantwortung praktische Anwendung findet.

Von der Familientradition zur eigenen Lebenseinstellung Die Tradition meiner eigenen Familie kann ich heute als aktive Vermögenskultur umschreiben, auch wenn wir in meiner Kinder- und Jugendzeit in finanzieller Hinsicht nicht besonders wohlhabend waren. Vermögen verstehe ich heute in einem umfassenderen Sinne: Meine Eltern sind sich 1959 in New York begegnet. Mein Vater lernte dort die Idee der Supermärkte kennen. Er hatte vor, in Österreich eine Lebensmittelkette auf Selbstbedienungsbasis nach amerikanischem Vorbild zu gründen, so wie beispielsweise Karl Wlaschek später Billa in Österreich entwickelte. Meine Mutter arbeitete in dieser Zeit in der namhaften Zabriskie Art Gallery. Zurück in Europa heirateten die beiden und mein Vater kam nach Klosterneuburg in das Unternehmen seines Schwiegervaters, Fritz Schömer, der eine Kohlen- und Baustoffhandlung besaß. Schließlich kaufte mein Vater das Unternehmen von seinem Schwiegervater und gründete im Jahr 1976 das Bau- und Heimwerkerunternehmen bauMax. In diesem Jahr war ich gerade 14 Jahre alt. Gemeinsam mit meinen vier Geschwistern bin ich in einer Unternehmerfamilie groß geworden, die sich der protestantischen Ethik verbunden fühlt: Erfolg, persönliches Wohlergehen und persönliche Fähigkeiten werden als Auftrag dafür verstanden, in der Gesellschaft Verantwortung zu übernehmen und sich mit Disziplin und Demut zu engagieren. Dies bezieht sich nicht nur auf das Unternehmen, sondern auf die gesamte Vielfalt unseres Lebens. Wir wurden bereits in jungen Jahren dazu angehalten, unsere Fähigkeiten aktiv in die Gemeinschaft der Familie beziehungsweise, wenn wir wollten, auch in das Unternehmen einzubringen. Ich erinnere mich noch ganz genau daran, dass ich bereits als Sechsjähriger im Unternehmen mitarbeiten und mein erstes Geld verdienen konnte. Damals half ich beim Abstempeln von Prospekten, für jedes sauber gestempelte Prospekt gab es einen Groschen. Dem strengen Blick meines Vaters entging kein noch so kleiner Fehler. Ich war über die Aufbesserung meines Taschengeldes stolz und investierte sie anfangs in meine Schuljause. So habe ich mir durch Aufzahlung statt der üblichen Schulmilch da und dort ein Joghurt geleistet, das ich besonders liebte. Eine viel wichtigere Erkenntnis war jedoch, den Wert des Erreichten zu schätzen und selbstverdiente ,,Investitionen" verantwortungsbewusst einzusetzen. Wenn ich den gleichen Betrag ohne Gegenleistung einfach zu meinem Taschengeld hinzu bekommen hätte, wäre mein Umgang mit Vermögen sicherlich oberflächlicher geblieben. Auf diese Art und Weise lernte ich bereits zu einem recht frühen Zeitpunkt, mit selbst erworbenem Geld sorgsam umzugehen. Das Einbringen der eigenen Fähigkeiten sehe ich als wahren Kern einer aktiven Vermögenskultur. Es geht weniger darum, sich auf das zu fokussieren, was man besitzt oder was man hat, sondern vielmehr darum, was man aus seinen eigenen Anlagen und den sich bietenden Gelegenheiten macht, für sich selbst wie auch für die Gesellschaft. Auch die Bibel gibt dem Begriff "Vermögen" die Bedeutung von Können und Fähigsein. Der Apostel Paulus nimmt

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das in einem seiner Briefe für sich in Anspruch, wenn er sagt: "Ich vermag alles durch den, der mir Kraft gibt: Christus." (phi\. 4,13) Die Basis des Wirkens in meiner Familie ist der Glaube an und die persönliche Beziehung zu unserem Schöpfer-Gott, der uns bei unseren täglichen Herausforderungen zur Seite steht. Daraus schöpfe ich Kraft, die in der protestantischen Glaubensethik zum Ausdruck kommt. Spiritualität und die persönliche Beziehung zu Gott sind seit vielen Jahren ein wichtiger Teil meines Lebens geworden. Die tägliche Bibellektüre mit anschließender Meditation sowie der Besuch von Gottesdiensten helfen mir, die Dinge des Lebens aus einer Metaebene zu betrachten, wo eigene Wünsche und Sehnsüchte relativiert werden und eine verantwortungsvolle Lebensführung zum Maßstab meines Handelns wird. Deutlich wird dies in einem Anschauungsbeispiel Jesu, das er mit den Worten beginnt: "Es war ein Mann, der ins Ausland reisen wollte. Er rief alle Verwalter zusammen und beauftragte sie, während seiner Abwesenheit mit seinem Vennögen zu arbeiten. Dem einen gab er fünf Goldstücke, einem anderen zwei und dem dritten eins, entsprechend den Fähigkeiten, die er bei ihnen voraussetzte. Danach reiste er ab." Als er von seiner Reise zurückkehrt und von seinen Verwaltern seinen Shareholder Value einforderte, hatten diese sehr unterschiedlich mit dem ihnen anvertrauten Vermögen gearbeitet. Jesus schließt die Geschichte mit der Feststellung: "Wer das, was er hat, gewissenhaft nutzt, dem kann man noch mehr anvertrauen, bis er mehr als genug hat. Wer aber mit Wenigem nachlässig umgeht, dem wird man auch das noch nehmen." (Matth. 25, 14-30) Wohl selten wurde der verantwortungsbewusste Umgang mit Vermögen besser illustriert als in diesem Text. Der christliche Glaube gibt mir im wahrsten Sinn des Wortes eine Rückbindung im Leben, um frei zu sein für die kleinen und großen Herausforderungen im Alltag. In Psalm 37, 5 heißt es: "Befiehl dem Herrn deinen Weg und vertraue ihm, er wird es fügen." In der Geborgenheit dieses Vertrauens ist es möglich, Verantwortung zu übernehmen, sei es für das eigene Leben, für die eigene Familie, für das eigene Unternehmen oder für gesellschaftliche Belange. Dieses Vertrauen bedeutet nicht, sich zurückzulehnen und alles geschehen zu lassen. Vielmehr geht es um eine aktive Lebensgestaltung, allerdings mit dem Wissen, dass unserem Wirken als Mensch Grenzen gesetzt sind, dass es immer wieder Situationen und Tatsachen gibt, die wir nicht beeinflussen, sondern nur akzeptieren können. Zugleich gibt es die Sicherheit, dass wir niemals tiefer als in die schützenden Hände Gottes fallen können. Mein Glaube gibt mir wichtige Maßstäbe für menschliches Zusammenleben: Er fordert die Achtung vor dem Mitmenschen und das Respektieren seiner Würde. Wollen wir Gott begegnen, dann müssen wir unseren Mitmenschen so begegnen, dass wir in ihnen Gott erkennen können. "Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deiner Kraft und all deinen Gedanken und deinen Nächsten sollst du lieben, wie dich selbst." (Lukas10, 27) Dieses Gebot der Liebe steht über all meinen Handlungen und bestimmt meinen Umgang mit allen Menschen, ob nun im Unternehmen oder auch privat. Deutlich wurde mir die Bedeutung dieses Prinzips erstmals als ich, dem Volksschulalter entwachsen, im Unternehmen auch körperlich schwerere Arbeiten übernehmen konnte. In den Sommermonaten half ich, fünfzig Kilogramm schwere Zementsäcke zu schleppen, Baumaterial zu verladen oder den Hof zu fegen. Bei diesen Tätigkeiten konnte ich im Umgang

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mit Menschen unterschiedlicher Herkunft und Bildung wertvolle Erfahrungen sammeln. Hier ist mir bewusst geworden, dass es ganz gleich ist, was man macht und mit wem man zusammenarbeitet, es geht darum., einander mit Respekt und Achtung immer auf gleicher Augenhöhe zu begegnen. Diese beiden Aspekte stehen über allen konfessionellen Grenzen. Wenn sie fehlen, gibt es keine Basis für ein ehrliches Miteinander. Dies gilt in allen gesellschaftlichen Systemen, also im privaten Leben genauso wie im Unternehmen, zwischen Geschäftspartnern, bei sozialen Institutionen oder auch in der Politik. Aus diesem Grunde ist es mir ein wirkliches Anliegen, unsere Unternehmenskultur stets weiterzuentwickeln und bauMax in diesem Sinne zu führen.

Unternehmen mit Werten Wann immer ich mich in der Öffentlichkeit auf eine wertorientierte Unternehmensfiihrung berufe und auf das Unternehmensleitbild von bauMax Bezug nehme, werde ich gefragt, ob es wirklich möglich sei, Wirtschaft und Ethik zu verbinden. Für viele stehen diese beiden Begriffe zueinander wie zwei einander abstoßende Magnete. Im Zusammenhang mit der globalen Finanz- und Wirtschaftsturbulenz sind Wirtschaftstreibende stark in Misskredit geraten. In vielen Fällen zu Recht, wie ich oftmals feststellen muss. Zwei derzeit immer wieder missbrauchte Begriffe müssen zunächst geklärt werden. Der Begriff "Werte" und der Begriff "Erfolg". Beginnen wir bei der Definition des Begriffs "Werte". Was sind Werte? Welche Rolle spielen sie in einem Unternehmen? Werte haben eine prägende, normative Kraft. Sie stellen ein übergeordnetes lenkendes Element unseres Lebens dar. Werte sind aber noch viel mehr: Sie sind Wurzeln, die uns Stehvermögen in Konfliktsituationen geben; sie sind Motor und Energielieferant; sie sind Orientierung. Ethik basiert auf Werten. Diese sind Basis für Visionen und Ziele: Ich werde nur dort hinzielen, wo ich meine Werte verwirklichen kann. Werte sind Entscheidungshilfen. Sie sind oft das wichtigste Kriterium für langfristigen Erfolg. Kommen wir nun zum Erfolg. Das Problem beginnt bereits bei seiner Definition. Wenn Erfolg nur eindimensional in finanzieller oder materieller Hinsicht verstanden wird, führt dies unweigerlich in eine Sackgasse: Es entsteht eine immer hochgezüchtetere Cash-Cow und der Ertrag der Vergangenheit wird die Basislinie der Zukunft. Wir sollten aber nur dann von Erfolg sprechen, wenn zwei Bedingungen erzielt werden: Erfolg muss ganzheitlich sein. Nur dann, wenn mir mein Berufbeziehungsweise mein Unternehmen und mein Privatleben erfolgreich gelungen sind, dann war ich wirklich erfolgreich. Tolle Karriere auf Kosten einer zerstörten Ehe ist kein Lebenserfolg. Und: Erfolg muss nachhaltig sein. Kurzfristige, nicht wiederholbare Erfolge gelingen auch Amateuren und Glücksrittern. Für mich bedeutet Erfolg, sich in der Vielfalt des gesamten Lebens zu bewähren und dies langfristig. Thomas Druyen spricht davon, das eigene Leben zu einem Vermögen zu machen; und genau darum geht es. Erfolg hat deshalb nicht nur die ökonomische, sondern auch eine ökologische und eine soziale Komponente. Diese unterschiedlichen Seiten gilt es zu verbinden und in ihrer Wertigkeit fair zu gewichten. Dies ist mir bei bauMax ein großes Anliegen.

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Wichtig scheint mir an dieser Stelle der Hinweis, dass wir sehr wohl gewinnorientiert agieren. Jedes Unternehmen braucht wirtschaftlichen Erfolg, um bestehen zu können, seinen KundInnen entsprechenden Nutzen zu bieten und Arbeitplätze sichern zu können. Ich stehe jedoch gegen Gewinne um jeden Preis ein. Wenn ein Unternehmen seinen Erfolg auf Kosten der Allgemeinheit und der Umwelt aufbaut, verliert es auf Sicht seine Existenzberechtigung. Kurzfristig orientierte Gewinmnaximierung muss langfristig zum Misserfolg ftlhren, da langfristige Weichenstellungen keinen gebührenden Platz erhalten. Wirtschaft darf meiner Ansicht nach nicht zum Selbstzweck pervertieren, sondern muss für all jene da sein, die einen volkswirtschaftlichen und nachhaltigen Nutzen daraus erzielen, also letztlich für uns Menschen, mit unseren Stärken und mit unseren Bedürfnissen, seien es KundInnen, MitarbeiterInnen oder Geschäftspartner. Und an uns ist es gelegen, durch Wirtschaften Vermögen sowohl in materieller als auch in ideeller Hinsicht zu schaffen. Ich habe ganz bewusst den Begriff "Bedürfnisse" verwendet. Er ist schnell hingeschrieben, was er jedoch bedeutet, ist oft sehr schwierig zu erkennen beziehungsweise herauszubekommen. Unser Unternehmen ist zurzeit in neun Ländern Europas tätig. In jedem Land gibt es eigene gesellschaftliche Regeln und Besonderheiten, es gibt unterschiedliche kulturelle Auffassungen, Lebensbilder und daraus sich ableitende Bedürfnisse. Das Grundbedürfnis der Menschen nach Anerkennung und Respekt ist jedoch überall gleich, nur der jeweilige Ausdruck davon ist verschieden. Aus diesem Grund haben wir uns viel mit interkulturellem Verständnis beschäftigt. Es ist mir persönlich wichtig, dass wir in jedem Land den richtigen Maßstab anwenden, weil für mich der Mensch und nicht das Geld oder die Wirtschaft im Mittelpunkt aller Handlungen und Aktivitäten steht. Ob nun Kunde, Mitarbeiterln, Geschäftspartner oder die Gesellschaft, es geht um den direkten Bezug zum Menschen mit seinen Wünschen und Bedürfnissen. Aus diesem Grund haben wir die folgenden Punkte im bauMax-Unternehmensleitbild verankert:

Christliche Ethik als Basis Ausgangspunkt für die in unserem Unternehmensleitbild definierten Werte ist der christliche Glaube, dem wir in der Familie verbunden sind. Wir beziehen ihn nicht alleine auf unseren privaten oder persönlichen Bereich. Er dient uns in allen Bereichen des Lebens als Maßstab, so auch in der Wirtschaft und im Alltag unseres Unternehmens.

Do-it-Yourselfals Ausdruck des persönlichen Vermögens Als Betreiber von Bau- und Heimwerkermärkten versteht bauMax seinen Auftrag darin, seine KundInnen bestmöglich dabei zu unterstützen, das eigene Zuhause nach den individuellen Vorstellungen und Möglichkeiten zu gestalten und dies für sie erschwinglich zu machen. Dies reicht vom kleinsten Produkt in unserem 50.000 Artikel umfassenden Sortiment bis zum detaillierten Serviceangebot. Selbstbedienung und Do-it-yourself, kostenlose Heimwerker-Kurse oder mobile Projektberater, die auf der Baustelle ihre Beratung anbieten, sowie ein Montageservice durch versierte Handwerker - bei uns gibt es alles, was in Haus und Garten gebraucht

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wird. Aus unserem Selbstverständnis heraus wollen wir fiir alle Gesellschaftsgruppen - Heimwerker oder Nicht-Heimwerker - die optimale Betreuung bieten. Die Gestaltung der eigenen vier Wände ist jedem von uns ein besonderes Anliegen wir alle möchten gerne zeigen, was wir können und was wir haben. Damit wird die Wohnung zum Repräsentanten eigenen Vermögens, sowohl in finanzieller Hinsicht als auch in Bezug auf unsere Fertigkeiten. Hier ist der Punkt, wo unsere Kundenorientierung ansetzt: Wir wollen unseren Kundlnnen helfen, dass sie ihr diesbezügliches Vermögen optimal und kostengünstig realisieren können.

Das Vermögen der MitarbeiterInnen als Vermögen des Unternehmens Wir sind auf MitarbeiterInnen angewiesen, die mit Herz und Verstand bei der Sache sind, nicht nur fachliche Qualifikation vorweisen können, sondern auch unsere Unternehmenslrultur nach außen an ihre KollegInnen, ihre Familien und an unsere KundInnen weitergeben. Bereits zweimal wurde bauMax auf der Basis von anonymen Mitarbeiterbefragungen unter die hundert besten Arbeitgeber Europas gereiht. Damit haben unsere MitarbeiterInnen bestätigt, dass sie unsere wertorientierte Unternehmensführung verstehen und schätzen. Der Grundstein unserer Firmenkultur ist das Unternehmensleitbild. Orientierungshilfe fiir unsere Führungskräfte bei der täglichen Arbeit sind die daraus abgeleiteten Führungsleitlinien. Diese wurden im Management gemeinsam entwickelt und betreffen Führungskräfte aus allen Ländern und Verantwortungsgebieten. Unsere Führungsleitlinien sind in fünf Bereiche untergliedert: :für die tägliche Führungsaufgaben, :für schwierige Situationen, :für Entscheidungssituationen sowie fiir Kommunikation, fiir unsere Zusammenarbeit und fiir Personalentwicklung. Um sicher zu gehen, dass unsere Führungsleitlinien auch wirklich gelebt werden, führen wir jährlich ein ,,360° Feedback" durch, bei dem unsere Führungskräfte von ihren Vorgesetzten, ihren MitarbeiterInnen, ihren FachkollegInnen und ihren indirekten KollegInnen oder unternehmensintemen KundInnen beurteilt werden. Und jede Führungskraft bewertet sich darüber hinaus auch selbst. Die Ergebnisse der Selbst- und Fremdbeurteilung werden anonym und extern ausgewertet und unseren Führungskräften jeweils individuell zur Reflexion zur Verfiigung gestellt. Beim Jahresgespräch mit dem Vorgesetzten werden dann die daraus resultierenden Maßnahmen besprochen. Darüber führen wir jährlich unternehmensweit eine anonyme Mitarbeiterbefragung durch. Gemeinsam werden die Ergebnisse besprochen und Verbesserungsmaßnahmen erarbeitet. Diese beiden Instrumente sind fiir uns neben vielen direkten Gesprächen mit unseren MitarbeiterInnen wichtiger Gradmesser fiir das Wohlbefinden. Mir ist bewusst, dass wir alle einen gewissen Wohlfühlfaktor brauchen, um wirklich mit Freude, mit Kreativität und auch mit Effizienz unsere Tätigkeit ausüben zu können. Letztlich bedeutet dies nichts anderes, als dass jeder sein ganzes Vermögen, also sein Können und Wissen - in fachlicher und in sozialer Hinsicht - einbringt. Wenn es ein Unternehmen nicht schafft, dieses Vermögen seiner MitarbeiterInnen zu aktivieren, wird es im Konkurrenzkampf der Mitbewerber letztlich auch nicht nachhaltig bestehen können.

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Vermögensgewinn durch die Integration von Menschen mit Behinderung Das Vennögen in sozialer Hinsicht bringt mich zu einem weiteren Aspekt, den ich in Bezug aufunsere Untemehmenskultur wesentlich finde: Wir engagieren uns bereits seit nahezu dreißig Jahren ganz bewusst fiir Menschen mit Behinderung mit SchweIpunkt auf geistigen und psychischen Einschränkungen, denen in unserer Gesellschaft oft viel zu wenig zugetraut wird. Menschen mit Behinderung werden auf Grund ihrer offensichtlichen Einschränkung oft zu unrecht als unvennögend betrachtet. Das Jahr 2003 stand in Europa im Zeichen fiir Menschen mit Behinderung. Langjährige Partnerorganisationen, wie Caritas und Lebenshilfe, haben uns zu einer breit angelegten Aletion unter dem Motto "Behindert ist, wer behindert wird" eingeladen. Dieser Satz gilt leider nach wie vor. In unserer Gesellschaft sehen wir - und ich nehme mich hier gar nicht aus Menschen mit Behinderung aus einem festgefahrenen Blickwinkel, bei dem nur ein gewisses Spektrum vorgesehen ist. Alles, was darüber hinaus reicht, sprechen wir ihnen vorerst einmal nicht zu. Wir sehen also nur ihre vordergründigen Schwächen und übersehen nur zu oft ihre besonderen Stärken. Diese beschämende Erfahrung muss ich immer wieder machen, wenn ich Behindertenorganisationen besuche oder faszinierende Menschen mit Behinderung treffe. Diese Erfahrung machen wir selbst heute noch bei bauMax, wenn wir in welcher Fonn auch immer, mit Behindertenorganisationen zusammenarbeiten oder wenn wir MitarbeiterInnen mit Behinderung in unsere Teams integrieren. So konnten wir in den vergangenen Jahren feststellen, dass wir durch Integration von MitarbeiterInnen mit Behinderung in sozialer Hinsicht viel dazu gewonnen haben. Die aus 10.000 MitarbeiterInnen bestehende bauMax-Familie hat bereits 250 KollegInnen mit geistiger und psychischer Einschränkung in den Arbeitsprozess integriert. Daraus hat sich in unseren Märkten und unseren Landeszentralen ein stärkeres Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt und die soziale Kompetenz hat sich bei allen Tearnrnitgliedern verbessert. Dies trägt zu sinkenden Fluktuationsraten und einern besseren Arbeitsklima mit einern höheren Zufriedenheitsgrad bei. So wird jede Integration - trotz aller Schwierigkeiten - letztlich zu einer Bereicherung. Unsere MitarbeiterInnen zeigen fiir mich in dieser Entwicklung ihre Stärke oder, anders ausgedrückt, ihr soziales Vermögen. Ich erlebe dieses Engagement von bauMax als Geschenk, kam der Anstoß doch aus unserer Bereitschaft, gesellschaftliche Verantwortung fiir unsere Nächsten zu übernehmen, das Wort Gottes in die Tat umzusetzen, wo es heißt: "Was ihr getan habt einern von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan." (Mat. 25,40) Mit Menschen mit Behinderung zu arbeiten bedeutet, einen Perspektivenwechsel zu vollziehen. Schwächen wandeln sich zu Stärken und Stärken wiederum zu Schwächen. Übliche Maßstäbe verlieren ihre Gültigkeit und neue Maßstäbe müssen oft erst definiert werden. Einerseits braucht es klare Reglements, andererseits starke Flexibilität. Zugegeben, dies klingt zunächst vielleicht nicht verlockend, aber die Herausforderung lohnt sich. Was ich gerade beschrieben habe, könnte sich genau so auf die tägliche Situation in der gesamten Welt der Wirtschaft beziehen. Was will ich damit sagen? Wir haben durch die Integration von Menschen mit Behinderung gelernt, mit der Vielfalt des Lebens und allflilligen Unwegsarnkeiten zu wachsen. Wir

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haben gelernt durchzuhalten, kreativ zu sein und motiviert unser Leben und unsere Arbeit zu gestalten. Aspekte, die uns nun in der neuen wirtschaftlichen Realität sehr zugute kommen. Und darüber hinaus dürfen wir uns gemeinsam über das große Geschenk freuen, eine über die normale Tätigkeit hinausreichende Sinn-Erfahrung zu erleben. Es gibt also eine Vielzahl von Gründen, warum wir alle daran interessiert sein sollten, Menschen mit Behinderung so intensiv und so gut wie nur möglich in unsere Gesellschaft zu integrieren. Denn sie schaffen die Möglichkeit, unser allgemeines Vermögen zu stärken und gemeinsam weiter zu entwickeln. Und wir alle wissen, dass wir in sozialer Hinsicht nicht reich genug sind, um darauf verzichten zu können.

Kunst - das Vermögen einer kreativen Weltbetrachtung Die Beschäftigung mit Kunst ist ein weiterer wichtiger Bestandteil unserer Familienkultur. Meine Mutter hat, wie bereits erwähnt, in einer Galerie für zeitgenössische Kunst gearbeitet, als sie meinen Vater kennen lernte. Die Liebe zur Kunst war für die Beziehung meiner Eltern also von Anfang an prägend. So kam es, dass sie vor nahezu vierzig Jahren damit begonnen haben, Kunst zu sammeln. Zu Beginn im kleinen Rahmen, schließlich war das vorhandene Geld- und Zeitbudget bei einer Familie mit fünf Kindern und einem Unternehmen, das sich im Aufbau befand, nicht allzu hoch. Mit Heranwachsen der Kinder und der dynamischen Unternehmensentwicklung konnten sich meine Eltern aber immer intensiver der Kunst und den Künstlern widmen. Zunächst wirkte die Freude an der Kunst als rein private Angelegenheit, spätestens mit dem Bau der neuen Unternehmenszentrale, dem Schömer-Haus im Jahr 1987, jedoch wurde deutlich, dass die Kunst nicht nur Teil der Familienkultur, sondern auch Teil der Firmenkultur geworden war. Das Schömer-Haus wurde vom Architekten Heinz Tesar als Büro- und Ausstellungsgebäude konzipiert, und damals wie heute wird es auch in diesen beiden Funktionen genutzt. Es dient als Untemehmenszentrale von bauMax und bietet in einer dreistöckigen ovalen, überdachten Mittelhalle eine tolle Ausstellungsfläche für Kunst. Das Haus versinnbildlicht die Rolle, die Kunst in unserem Leben einnimmt: Sie begleitet uns, unsere MitarbeiterInnen und unsere Gäste bei allen Aktivitäten. Wenn die Werke vielleicht auch nicht ständig bewusst wahrgenommen werden, so geben sie uns doch immer wieder den Anstoß, das eine oder andere Detail zu betrachten und automatisch über das Dargestellte zu reflektieren. Kunst hebt uns aus dem Alltag heraus und zeigt uns neue Standpunkte, Möglichkeiten und Wege. Dinge können so oder auch ganz anders betrachtet werden. Kunst führt uns vor Augen, dass vieles im Leben Sache der Interpretation und der Gestaltungsfreude ist. In diesem Sinne regt Kunst dazu an, die eigenen Gedankenbahnen zu durchbrechen und neue Sichtweisen zuzulassen. Sie fördert also unsere eigene Kreativität. Und genau in diesem Verständnis ist die Verbindung zwischen Kunst und Wirtschaft, die wir in unserem Unternehmen leben, zu verstehen. Im unternehmerischen Alltag sind heute mehr denn je kreative Ansätze gefragt, die abseits der ausgefahrenen Straßen neue Ideen und Möglichkeiten aufzeigen. Der Bedarf des kreativen Vermögens wird immer hoch sein, weil

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es notwendig ist, um in allen Lebensbereichen - und nicht nur in der Wirtschaft - Weiterentwicklungen entstehen zu lassen. Neben diesem Aspekt geht es meiner Familie aber auch darum, Kunst nicht nur unseren MitarbeiterInnen, sondern einer breiten Bevölkerungsschicht näher zu bringen und die verbindende Kraft von Kunst in der Gesellschaft wirksam werden zu lassen. Aus diesem Grund wurde vor zehn Jahren das Essl Museum in Klosterneuburg bei Wien errichtet. Seit 1999 wird dort nicht nur die mittlerweile aufmehr als 7.000 Werke angewachsene Sammlung zeitgenössischer internationaler Kunst beherbergt, es werden hier spektakuläre Ausstellungen und ein vielfaltiges Kunstvermittlungsprogranun geboten. Mein Bruder veranstaltet darüber hinaus in beiden Häusern ein interessantes Musikprogramm, dies neben seiner Arbeit als Komponist und Professor für Komposition an der Wiener Universität.

Unsere Erde - ein Vermögen spendender Planet. Und wie gehen wir damit um? Wie das Sprichwort sagt: "Der Apfel fallt nicht weit vom Stamm", hat sich die Leidenschaft meiner Eltern für Kunst auch auf mich übertragen. Ich gehe bei der Auswahl der eigenen Kunstwerke dabei auch sehr selektiv vor. Besonders angetan haben es mir Werke, die neben ihrer künstlerischen Qualität auch in ihrer semantischen Bedeutung weit über sich hinausreichen und darin auch einen starken symbolischen Charakter besitzen. Zwei solcher Skulpturen stehen derzeit in meinem Büro, auf der Kommode hinter meinem Schreibtisch: die eine La terre bleue stammt von Yves Klein und stellt in seinem klassischen Blau unseren Planeten als Globus dar. Die andere, Still hungry, stammt von seinem KÜDstierfreundArman und besteht aus nach oben gerichteten Schraubenschlüsseln, die an aufgerissene Vogelmäuler erinnern. Wenn ich mein Büro betrete, erinnern mich diese beiden Kunstwerke immer wieder daran, dass wir fiir diese Welt eine besondere Verantwortung haben. Wie aber gehen wir mit ihr um? Menschen aber auch unsere Umwelt werden noch immer missbraucht, wir fuhren unser Leben oftmals über Gebühr und nehmen weder auf unsere Umwelt, noch auf unsere Mitmenschen ausreichend Rücksicht, vor allem nicht aufjene in weniger bevorzugten Regionen. Dies macht mich immer wieder demütig und hilft mir, geerdet zu bleiben und fiir eine lebenswerte Zukunft einzutreten. In meinem Selbstverständnis als Christ und als Unternehmer sehe ich mich in der Pflicht, hier Verantwortung zu zeigen und zu leben. Gleichzeitig wehre ich mich innerlich aber auch gegen die Verantwortungslosigkeit so mancher Wirtschaftstreibender und Politiker. Während ich dies schreibe, ist es gerade zwei Jahre her, dass durch riskante Spekulationen und fadenscheinige Überbewertungen von Immobilien in den USA die Finanz- und Wirtschaftskrise ihren Anfang nahm. Das Weltvermögen ist infolgedessen um 14 Prozent abgeschmolzen. Viel bedrohlicher ist jedoch, dass sich die Anzahl der in lebensbedrohender Armut Lebenden auf etwa eine Milliarde Menschen verdoppelt hat. Ist es nicht zynisch, diese menschliche Fehlleistung als Abschwung eines natürlichen Wirtschaftszyklus zu interpretieren, statt ernsthaft über nachhaltige neue Wirtschaftsmodelle nachzudenken, die Gier und Spekulationen auf den Rücken der Ärmsten dieser Welt zu ver-

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hindern suchen und stattdessen die Kreativität der Menschen zu einem verantwortungsvollen Handeln bündeln? Es hat den Anschein, dass die Verantwortlichen vor allem im Investmentsektor daraus noch keine ausreichenden Lehren gezogen haben und sich das Management dort wieder aufBonuszahlungen in ungerechtfertigter Höhe konzentriert, statt ihre Kreativität auf Strukturveränderungen zu verwenden, die uns weiterhelfen. Zugleich hat sich viel verändert: Ich sehe so viele Initiativen, Maßnahmen und Projekte im Sinne der Nachhaltigkeit entstehen wie nie zuvor. UnternehmerInnen fragen sich immer öfter, was sie in ihrem Bereich bewirken können. Auch bei den Konsumenten hat die so genannte Krise einen massiven Umdenkprozess eingeleitet. Allerdings ist hier durch die allgemeine Verunsicherung und durch die hohe Arbeitslosigkeit eine besonders hohe Preissensibilität zu spüren. Trotzdem bin ich zuversichtlich, dass der Anspruch der Konsumenten auf die gesellschaftliche Verantwortung von Wirtschaftsunternehmen zunehmen wird und künftig daraus ganz neue Formen der Zusammenarbeit entstehen werden. Der BegriffNachhaltigkeit kommt aus der Forstwirtschaft und bedeutet, dass man in einer Generation nur so viel Holz fällen darf: wie in der gleichen Zeitspanne auch wieder nachwachsen kann. Hält man sich das vor Augen, wird klar, wie weit wir uns davon bereits entfernt haben. Aus diesem Grund ist es mir ein persönliches Anliegen, als Unternehmer auch hier aktiv zu sein und schwerpunktmäßig Maßnahmen zu setzen, weil es schließlich um das Vermögen von uns allen geht, um unsere Erde. So kann ich dankbar feststellen, dass wir durch Energieeinsparungen in unserem Unternehmen bereits die Kyoto-Ziele erreicht haben: In unseren 150 Märkten wurde unternehmensweit ein neuartiges Beleuchtungskonzept installiert, das bei einer gleichmäßigeren Ausleuchtung den Energieeinsatz um 30 Prozent reduzierte. Außerdem werden neue Märkte mit alternativen Heizsystemen ausgestattet, wie zum Beispiel mit Erdwärme oder Pelletheizungen. Märkte mit Erdwärmepumpe verbrauchen um 75 Prozent weniger Energie, damit kann der C02-Ausstoß um 100.000 kg pro Jahr und Standort reduziert werden. Ein weiteres sehr energieaufwändiges Thema in unserem Unternehmen ist die Logistik. Die Waren müssen vom Lieferanten zum Markt beziehungsweise zum Kunden transportiert werden. Mit Hilfe eines ausgefeilten, hocheffizienten Transportsystems ist es uns gelungen, den Treibstoffverbrauch pro Jahr um 290 Tonnen zu reduzieren, dies entspricht mehr als einer Million Kilogramm CQ2. Umwelttechnisch rechnen sich all diese Investitionen von der ersten Stunde, finanztechnisch erst in einigen Jahren. Als Familienunternehmen sind wir jedoch nicht daran gebunden, unseren Erfolg quartalsweise zu rechtfertigen. Wir denken - anders als Kurzzeitmanager - in längeren Perioden, deshalb sind derartige Investitionen in die Zukunft auch möglich.

EssI SociaI Prize - mit dem Vermögen ermöglichen Ausgangspunkt meines Beitrages war der Ansatz der aktiven Vermögenskultur im Gegensatz zu einer passiven Lebenshaltung, die nur aufVermehrung von materiellem Wohlstand bedacht ist. Aktive Vermögenskultur bedeutet, Verantwortung zu übernehmen und die eigenen Handlungen stets kritisch zu hinterfragen. Wie wir das aufunser Unternehmen beziehen und über-

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tragen, habe ich ausführlich geschildert. Meiner Frau und mir ist es jedoch wichtig, darüber hinaus aktiv zu sein und dieses Verantwortungsbewusstsein auch unseren Kindem weiter zu geben. Aus diesem Grund engagieren wir uns auch in privater Hinsicht immer wieder in sozialen Aktivitäten. Es ist uns ein persönliches Anliegen, Menschen in Not zu helfen und wir sehen es immer mit großer Freude und Dankbarkeit, wenn wir ein Projekt erfolgreich - also zum Wohle unserer Nächsten - abschließen können. So ist es uns zum Beispiel beim Entminungsprojekt in Kroatien gemeinsam mit unseren Freunden des Rotary Club Wien Nordost in füntjähriger Arbeit gelungen, die Stadt Karlovac von Antipersonenminen zu befreien. Es war uns unerträglich, damit zu leben, dass mitten in Europa die Entminung ohne Privatinitiativen fünfzig bis siebzig Jahre andauern und in dieser Zeit der Bevölkerung viel Leid und Hoffnungslosigkeit zugemutet würde. Eine Reihe von Fundraising-Events war erforderlich, die Dank vieler Freunde und Geschäftspartner erfolgreich realisiert werden konnten. Auch das österreichische Außenministerium war zu einer großzügigen Unterstützung bereit. Es ist uns gelungen, jeweils eine Verdoppelung von einem internationalen Hilfsfonds zu bekommen. Schließlich hat der kroatische Staat diese Mittel nochmals verdoppelt, sodass insgesamt sechs Millionen Euro zusammenkamen. Die erfolgreiche Entminung war aber auch durch die Zerschlagung des "Preiskartells" örtlicher Anbieter möglich, die ihre Dienstleistungen bewusst hochpreisig aufeinander abgestimmt hatten. Es ist damit gelungen, die Kosten der Entminung auf ein Drittel zu reduzieren, dies bei Aufrechterhaltung aller international vorgesehenen Standards. Die Entminungsgebiete haben wir alle begutachtet und vor der Übergabe an die Bevölkerung persönlich - oftmals mit Wut im Bauch - durchschritten. Im Jahr 2007 haben wir dann den Entschluss gefasst, den Essl Social prize zu gründen und damit jährlich einen wesentlichen Teil unseres Vermögens für soziale Zwecke einzusetzen. Wir hatten schon längere Zeit darüber nachgedacht, wie wir unser Engagement sinnvoll bündeln können. Ausschlaggebend für diese Entscheidung waren zwei Ereignisse: Zunächst war es die Verleihung des Friedensnobelpreises 2006 an Muhammed Yunus, der mit seiner Idee von Mikrokrediten eine Bank gegründet und dort völlig andere Grundsätze als bisher üblich eingesetzt hat. Es gelang ihm auf diese Weise, vielen Menschen in Bangladesh und darüber hinaus aus der Armut zu helfen. Damals wurde mir das erste Mal bewusst, dass es keinen nennenswerten internationalen Preis für Menschen oder Institutionen gab, die sich für soziale Anliegen einsetzen. Zum anderen lemte ich anlässlich eines Waldzell-Meetings - einer Veranstaltung zur Stärkung des Dialogs zwischen namhaften Vertretern aus Religion, Wissenschaft, Kunst und Wirtschaft im Stift Melk - das Projekt ,,Architects of the Future" kennen. Junge und engagierte Personen aus aller Welt präsentierten dabei dem Publikum ihre sozialen Projekte. In Kurzvorstellungen brachten sie mir die Bedeutung von Social Entrepreneurs, also von Sozialuntemehmem, nahe. Die Leidenschaft, die sie in ihre Projekte, in ihre Visionen steckten, die Ausdauer und das Durchhaltevermögen, die sie bei der Umsetzung zeigten, haben mich fasziniert. Bei dieser Veranstaltung sollten wir zu Mittag durch den schön angelegten Barockgarten des Stiftes gehen, der entlang des Weges eine Reihe von Jahreszahlen zeigte, die aufPflöcken montiert waren. Es wurde uns nahegelegt, zu überlegen, wie sich im Laufe des eigenen

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Lebens unser Umfeld entwickeln und welchen Beitrag wir persönlich zum Guten leisten würden. Schließlich sollten wir vor jener Jahreszahl länger verweilen, bei der wir unser eigenes Ableben vermuten. Dort sollten wir uns die ehrliche Frage stellen, welchen Fußabdruck wir in dieser Welt hinterlassen würden und wofür unser Leben gestanden hat. Nie zuvor habe ich selbst Nobelpreisträger gesehen, die mit gesenktem Haupt offensichtlich ihre eigenen Prioritäten infrage stellten. Mir ist dabei bewusst geworden, dass Teilen mit seinem Nächsten und Menschen, denen es nicht so gut geht, eine wahre Bereicherung darstellt. Der Apostel Johannes erinnert an einen ernst zu nehmenden Zusammenhang: "Wie kann Gottes Liebe in einem Menschen bleiben, dem die Not seines Bruders gleichgültig ist, obwohl er selbst alles im Überfluss besitzt?" (1. Joh. 3,17) So entstand die Idee des Essl Social prize als internationale Auszeichnung für Sozialinitiativen von privaten Personen oder Institutionen, die besonders f6rderwürdig, effizient und wegweisend sind. Er ist mit einem Preisgeld von einer Million Euro dotiert und wird einmal jährlich verliehen. Potenzielle Laureates werden von einem fachlich kompetenten internationalen Nominierungskomitee vorgeschlagen. Die Entscheidung, wem der Preis zugesprochen wird, liegt schließlich bei einem Auswahlkomitee, dem neben der Familie auch die früheren Preisträger angehören. Die Nachhaltigkeit des Preises ist durch Errichtung einer gemeinnützigen Privatstiftung gesichert und wird damit auch nach dem Tod der Stifter weitergeführt. Besonders wichtig ist meiner Frau und mir der sinnvolle und nutzbringende Einsatz der Zuwendungen. Wir wollen mit der Zuerkennung des Preises zum einen das Lebenswerk des jeweiligen Sozialunternehmers würdigen und zum anderen mit einem gemeinsamen Projekt seine ursprüngliche Idee weiterentwickeln. Aus diesem Grund wird gemeinsam mit dem Laureaten eine Sozialinnovation konzipiert und mit dem Preisgeld finanziert, die einerseits eine Weiterentwicklung der bisherigen Aktivitäten darstellt und andererseits das Potenzial hat, als Role Model in weiteren Gebieten auch außerhalb der Organisation des Preisträgers eingesetzt zu werden. Damit wollen wir bei der gemeinsamen Umsetzung von einander lernen, den Bedürftigen eine echte Hilfe sein, und gleichzeitig eine professionelle Gebarung sowohl in sozialer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht sicherstellen. Wir versuchen außerdem bei der Umsetzung auch unsere Kinder einzubeziehen, um ihnen schon in jungen Jahren Freude am Teilen zu vermitteln. Große Dankbarkeit empfinden wir gegenüber einer Reihe von MitarbeiterInnen, aber auch Geschäftspartnern, die freiwillig und mit großem Engagement einen persönlichen Beitrag zur erfolgreichen Umsetzung leisten. Damit wird diese Sozialinitiative zu einer gemeinsamen Bewegung, die in der Lage ist, Wesentliches zu leisten, und gleichzeitig eine persönliche Bereicherung für uns alle darstellt. Der Essl Social Prize wurde im Jahr 2008 das erste Mal verliehen. Preisträger war damals Pater Georg Sporschill, der sich seit 18 Jahren für Straßenkinder in Rumänien einsetzt. Er gründete das Sozialprojekt "Concordia - Stadt der Kinder", wo mittlerweile über 1.000 Kinder und Jugendliche betreut werden. Gemeinsam mit ihm haben wir mit dem Preisgeld die "Casa Abraham" konzipiert und errichtet. Es ist ein Wohn- und Ausbildungszentrum für 24 Jugendliche, die darin ausgebildet werden, ein selbstständiges Leben zu führen. Ziel ist es, dass sie nach dieser Ausbildung einen Arbeitsplatz finden, sich eine eigene Wohnung leisten, Concordia verlassen können und so zum Vorbild für die Kinder des Sozialprojekts wer-

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den. Wie schön, dass sich sechs Jugendliche bei bauMax bereits gut bewährt haben und einer von ihnen ein unternehmensinternes High-Potential-Programm als Vorbereitung einer künftigen Führungsaufgabe absolviert! Preisträgerin 2009 war Frau Szekeres Tiborne aus Ungarn, die für ihren Sohn mit multipler Behinderung bessere Lebensbedingungen schaffen wollte und dafllr die Stiftung "Für gleiche Chancen!" aufbaute. Mittlerweile sind aus einer Privatinitiative an 16 Standorten in ganz Ungarn Wohn- und Arbeitsstätten für Menschen mit Behinderung entstanden, in denen insgesamt 900 Menschen betreut werden. In unmittelbarer Nähe einer dieser Einrichtungen haben wir gemeinsam mit Frau Szekeres ein Wohnhaus inklusive Hospiz für Menschen mit geistiger undIoder psychischer Behinderung im Alter errichtet. Es ist ein Zuhause geschaffen worden, in dem die Menschen unter Berücksichtigung ihrer besonderen Bedürfnisse auch im Alter bis zu ihrem Tode würdig betreut werden. Auch dieses Konzept ist europaweit einzigartig. Als Laureat 2010 wurde Bill Drayton ausgewählt, der "Vater" der internationalen Social-Entrepreneur-Bewegung. Er hat mit Ashoka den Begriff Social Entrepreneurship definiert und in den vergangenen drei Jahrzehnten zu weltweiter Bedeutung gefiihrt. Ashoka ist in 60 Staaten tätig und betreut heute bereits mehr als 2.500 so genannte Ashoka-Fellows. Damit ist es das größte Netzwerk von Sozialunternehmern der Welt. Es kann davon ausgegangen werden, dass mittlerweile durch die Vielzahl an engagierten Ashoka-Fellows die drängendsten sozialen Probleme dieser Welt erkannt und zumindest regional erfolgreich bekämpft werden. Daher hat sich Bill Drayton mit Ashoka nun ein neues Ziel gesetzt: Bewährte Projekte von Ashoka-Fellwos sollen mit der Initiative "Ashoka-Globalizer" zur Internationalisierung vorbereitet werden, um die Wirksamkeit von Lösungsansätzen für soziale Themen zu potenzieren. So sollen jährlich 25 Social Entrepreneurs gemeinsam mit Unternehmern und Philanthropen eine Internationalisierungsstrategie entwickeln und umsetzen, dies würde in zehn Jahren zu 250 Sozialaktivitäten fUhren, die international umgesetzt werden und somit einen Beitrag zur Änderung der Welt zum Guten leisten. Diese Ashoka-Globalizer-Initiative ist das Preisträgerprojekt des Essl Social Prize 2010. Als Preisträger 2011 wurden Almaz und Karlheinz Böhm für ihren beispiellosen Einsatz in Äthiopien ausgewählt. Karlheinz Böhm gründete nach Beendigung einer bemerkenswerten Schauspielkarriere vor dreißig Jahren "Menschen für Menschen". Den Grundstock bildeten 1,2 Millionen Mark, die in der ZDF-Sendung "Wetten, dass?" im Mai 1981 zusammengekommen waren. Seitdem ist die Organisation in Äthiopien tätig, das laut Weltbank zu den ärmsten Ländern der Erde zählt. Ziel ist es, den Menschen vor Ort Mittel und Wege in die Hand zu geben, mit denen sie ihr Land entwickeln und aus eigener Kraft ihre Lebensumstände verbessern können. "Menschen für Menschen" zählt zu den effizientesten Hilfsorganisationen ihrer Art und wird seit November 2008 von der gebürtigen Äthiopierin und Ehefrau des Gründers, Almaz Böhm, geleitet. Mit der Zuwendung 2011 wird gemeinsam mit der Essl Foundation ein besonderes Projekt für die Äthiopienhilfe von ,,Menschen für Menschen" entwickelt und umgesetzt. Wie die Beispiele zeigen, verstehen wir den Preis nicht als Spende mit Zweckbindung. Wir wollen damit vielmehr auch soziales Vermögen ermöglichen und zwar nicht nur bei den Preisträgern, sondern in gesamtgesellschaftlichem Sinne. Social Entrepreneurs werden in Zu-

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kunft eine immer bedeutendere Rolle in unserer Gesellschaft einnehmen, sie entwickeln Konzepte und Organisationen, wn soziale und ökologische Aufgaben im Rahmen wirtschaftlicher Unternehmen zu lösen. Ihr Schwerpunkt liegt nicht darin, die Probleme nur aufzuzeigen und anzuprangern, sondern sie probieren Lösungsansätze aus, verbessern sie und konzentrieren sich auf eine effiziente Umsetzung. Sozialunternehmer sind Innovationsträger, deren Tätigkeit sich über viele Themenbereiche erstreckt: Soziales, Landwirtschaft, Energieeffizienz, Migration, Ökologie, Frauen, Kinder, Menschenrechte usw. Ihre Projekte stärken die Gesellschaft und die Wirtschaft, vor allem im Sinne der Nachhaltigkeit und der effizienten Nutzung von vorhandenen Ressourcen. Sie bewirken in vielen Bereichen Umbrüche und Veränderungen, weil sie ihr gesamtes Vermögen zum Wohle der Menschen einsetzen. Ich sehe im Sozialuntemehmertwn einen wichtigen Impuls für die Weiterentwicklung unserer Gesellschaft. Vor allem bin ich überzeugt davon, dass es zu einer großen Bereicherung im Sinne einer Vermögensvermehrung kommen wird, wenn Social Entrepreneurs und Business Entrepreneurs gemeinsam wirken und ihre jeweiligen Stärken und Kompetenzen wechselseitig einbringen. Dies ist mir beim Essl Social prize von besonderer Bedeutung. Ich sehe hier die Chance, das allgemeine Vermögen unserer Gesellschaft in einem beträchtlichen Ausmaß zu erhöhen. Allerdings stehen wir erst am Beginn in Österreich, wo erst einige wenige Unternehmer mit einigen wenigen Sozial-Innovatoren zusammenarbeiten. Die Möglichkeiten der Kooperationen sind nahezu unermesslich. Vielleicht kann die momentane neue Wirtschaftsrealität sogar in positivem Sinne einen Umbruch im Denken der Menschen bewirken. Und zwar aufbeiden Seiten, bei den Social Entrepreneurs, die die Wirtschaftstreibenden nicht länger pauschal als Problemverursacher verurteilen, wie auch bei den Business Entrepreneurs, die künftig viel stärker im Sinne der sozialen Verantwortung innerhalb der Gesellschaft agieren. Das Bewusstsein darüber, dass wir letztendlich alle in einem Boot sitzen und die Komplexität der globalen Zusammenhänge nicht in einer vereinfachenden und populistischen Schwarz-Weiß-Malerei aufgelöst werden kann, scheint langsam zu wachsen. Gleichzeitig muss uns jedoch bewusst sein, dass wir Veränderungen immer nur im Kleinen bewirken können. Aber viele einzelne Tropfen ergeben letztlich auch einen Ozean. Und so wie der Flügelschlag eines Schmetterlings eine breite Wellenbewegung zu verursachen in der Lage ist, so bleibt eine Veränderung im Kleinen nicht ohne Auswirkung auf das Große. Dies vergessen wir allzu oft. Wie oft habe ich den entmutigenden Satz gehört: "Was bringt es schon, wenn ich mich als Einzelner dafür einsetze, wenn alle anderen nicht darauf achten?" Deshalb ist es mein Bestreben mit der Initiative des Essl Social Prize so viele Menschen wie möglich anzusprechen. Ich möchte damit keinesfalls unsere Familie herausstellen, es geht vielmehr wn die besondere Rolle und die beeindruckenden Leistungen von Sozialunternehmern. Durch diese Vorbilder möchte ich Menschen dazu anregen, sich - in welcher Form und mit welchem Vermögen auch immer - für die vielen drängenden Anliegen auf unserer Erde einzusetzen und trotz schwieriger Rahmenbedingungen nicht müde zu werden, an ihrem Engagement festzuhalten. Wenn Jeder auch nur einen kleinen Beitrag leistet, ob nun in Form von Zeit, Know-how oder Geld, können wir in der Summe einen bedeutenden Effekt erzielen, der für andere und gleichzeitig auch für uns selbst das Leben wieder lebenswerter werden lässt.

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Wie mir ein Journalist sagte, sollte es wn die Maximierung der Lösungen, nicht wn die Maximierung des Problems gehen. Um jedoch Geld und Aufmerksamkeit zu erhalten, wird das Zweite dem Ersten oft vorgezogen. Unsere Gesellschaft ist darauf konditioniert, problemorientiert zu denken und zu handeln und nicht lösungsorientiert. Social Entrepreneurs und Philanthropen zeigen hier einen neuen Weg auf. Um Veränderungen im Sinne einer Verbesserung herbeiführen zu können, müssen wir unser Vermögen für Lösungen und nicht für Probleme einsetzen. Diesen Ansatz finde ich auch in politischer Hinsicht überlegenswert, insofern, dass öffentliche Unterstützungen sich ebenfalls an Lösungen und nicht alleine an Problemen orientieren sollten. Sozialunternehmertum wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten noch viel mehr als heute zu einer globalen disziplinübergreifenden Bewegung werden. Die Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft übt hier einen positiven Einfluss aus. Social Entrepreneurs sind großteils in diesem Sektor tätig und werden den einen oder den anderen Innovationsschub bewirken und mit gestalten. Die jeweiligen Potenziale erscheinen enorm, wenn man bedenkt, dass viele internationale Organisationen, die heute nicht mehr aus unserer Gesellschaft wegzudenken sind, so angefangen haben. Als Beispiel sei die Gründung der SOS-Kinderdörfer durch den Vorarlberger Bergbauernsohn Hennann Gmeiner erwähnt, der damit im Jahre 1948 eine Unterbringung von Kriegswaisen errichtete. Heute gibt diese außergewöhnliche Organisation Kindern in über 130 Ländern der Erde eine neue Lebensperspektive. Jede aufrichtig gemeinte und nachhaltige Initiative, ob bekannt oder nicht genannt, ob groß oder klein, hilft nicht nur Menschen, ihr Umfeld zu verbessern, sondern bringt auch einen Wandel in der Gesellschaft mit sich. Es ist Wunsch meiner Familie, dass die nachhaltige UnternehmensfUhrung von bauMax, unser kulturelles Engagement wie auch der Essl Social Prize und die mit dem jährlichen Preisgeld durchgeführten Projekte in dieser Hinsicht vielfältig, vermögensbildend und segensreich wirken. Damit aus dem finanziellen Vermögen, das wir zur Verfügung stellen, ein soziales Vermögen wird, ganz im Sinne des Essl Social Prize-Logos, das ein keimendes Samenkorn darstellt.

"Vermögende fordern Vermögensabgabe" Eine neue Form des Engagements vermögender BürgerInnen BrunoHaas

Am 20. Mai 2009 werden sich viele die Augen gerieben haben, als sie ihre Tageszeitung mit Überschriften wie "Reiche wollen mehr Steuern zahlen" oder "Vermögende setzen sich ftir Vermögensabgabe ein" aufschlugen. Kann das sein: eine Gruppe Vennögender, die dem Staat freiwillig von ihrem Vermögen etwas abgeben will? Tatsächlich hatte die "Initiative vermögender BÜfgerInnen" am Vortag in Berlin ihren Appell ftir eine Vermögensabgabe zur Finanzierung der Krisenlasten vorgestellt. Um diese Initiative - zu deren Initiatoren der Autor selbst gehört - soll es im Folgenden gehen. Was ist das Neue an dieser Initiative vermögender BÜfgerInnen und worin unterscheidet sie sich von bekannten Formen philanthropischen und vermögenskulturellen Engagements? Im ersten Abschnitt will ich den Beginn und Verlaufder Kampagne schildern und die politischen Forderungen des Appells vorstellen. Im Anschluss gehe ich der Frage nach, wer die Menschen hinter dem Appell sind und was sie motiviert, aber auch, welchen Arten von Kritik und Widerständen sie sich ausgesetzt sehen. Im dritten Abschnitt sollen dann die sachlichen und politische Argumente der Initiative näher beleuchtet werden. Zur Sprache kommen dabei zum einen die Einstellung der Initiatoren zu Vennögensungleichheiten, zum anderen die Argumente zum Staat. Der vierte und letzte Abschnitt stellt dann den Bezug zur Vermögenskultur her und zieht einige Lehren ftir die junge Disziplin der Vermögenskulturforschung aus der untersuchten Form des Engagements.

Der Anfang: die Bewegungsstiftung Die Geschichte der Initiative vermögender BÜfgerInnen lässt sich nicht erzählen, ohne aufdie Bewegungsstiftung einzugehen. Die Bewegungsstiftung ist eine fördernde Stiftung, die soziale Bewegungen wie die Umwelt- oder die Menschenrechtsbewegung mit Geld und Beratung unterstützt. Sie wurde 2002 von neun StifterInnen gegründet und hat mittlerweile 106 StifterInnen und ein Kapital von ca. 4,4 Mio. Euro. Einige der StifterInnen sind oder waren selbst an Protestbewegungen beteiligt - etwa an solchen, die sich gegen Atomkraft oder Gentechnik einsetzen -, insgesamt bestehen teilweise enge Kontakte zur alternativen Bewegungsszene. Die Bewegungsstiftung war Impulsgeberin ftir die Bildung des Netzwerkes Wandelstiftungen, ein zunächst lockerer Zusammenschluss von 14 progressiv gesinnten Stiftungen. Zum Netzwerk gehören u.a. die Stiftung medico international, filia. die ftauenstiftung und die Stiftung Umverteilen. In Publikationen hat sie den Begriff der "progressiven Philantro-

T. Druyen (Hrsg.), Vermögenskultur, DOI 10.1007/978-3-531-92086-3_15, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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pie" in die Debatte eingeführt, der sich ansatzweise mit dem Slogan "Wandel statt Almosen" charakterisieren lässt. 1 Eine Besonderheit der Stiftung, wie auch der Tendenz nach der meisten anderen Stiftungen des Netzwerks Wandelstiftungen, ist das Leitbild, das diese an sich selbst anlegt. Wichtig sind hier drei Prinzipien: Die Stiftung selbst soll demokratisch strukturiert sein, zwischen Zwecken und Mitteln soll eine Kohärenz hergestellt werden und hinsichtlich aller Vorgänge innerhalb der Stiftung ist weitgehende Transparenz das Ziel. So werden zum Beispiel hinsichtlich der Geldanlage nicht nur die generellen Richtlinien, sondern auch das jeweils aktuelle Portfolio veröffentlicht. Dass Zwecke und Mittel übereinstimmen müssen, heißt für die Bewegungsstiftung, dass auch über eine ethische Geldanlage ein Hebel zu gesellschaftlichen Veränderungen im Sinne des Stiftungszwecks ausgeübt werden soll, dieser zumindest nicht, wie bei vielen Stiftungen, durch jene konterkariert werden darf. Demokratie lebt die Stiftung glaubhaft vor, indem nicht nur StifterInnen, sondern im gleichen Maße auch VertreterInnen der geförderten Projekte in den Gremien der Stiftung vertreten sind. (Dass diese sich selbst oder befreundete Projekte bevorzugen würden, erweist sich dabei aufgrund ernst genommener Befangenheitsregeln als gegenstandslos.) Das Thema - Demokratie und Mitsprache - ist also bei der Bewegungsstiftung selbst Programm. 2 Diese anspruchsvollen Ziele der Gemeinschaftsstiftung erfordern, dass alle an der Stiftung beteiligten Gruppen mehnnals im Jahr zusammenkommen. Dazu gehört auch ein gedanklicher Austausch über aktuelle Themen unter den StifterInnen. So wurde bei der "Strategiewerkstatt" im März 2009 viel über die Ursachen und Folgen der Finanzkrise diskutiert. Von ihren verschiedenen Blickwinkeln aus gaben die anwesenden zivilgesellschaftlichen Akteure Einblick in die zu erwartenden sozialen und ökologischen Folgen der Krise. Der Bewegungsstifter Dieter Lehmkuhl war es, der daraufhin die Idee hatte, dass progressiv gesinnte Vennögende nicht tatenlos zusehen dürfen, wie die Krise ungerechte Verhältnisse zementiert. Anstatt nur im privaten Rahmen oder "am Stammtisch" seinen Unmut zu äußern, müssten die StifterInnen sich nach Art der Protestgruppen, die von der Bewegungsstiftung gefördert werden, öffentlich zu Wort melden. Rasch scharte sich eine Gruppe von MitstreiterInnen um ihn. Die Forderung an die Politik: Wohlhabende sollen mit einer Vennögensabgabe an den Kosten einer Bewältigung der Krise beteiligt werden. Mit den Erlösen sollen gezielt Maßnahmen finanziert werden, die den ökologischen Umbau der Wirtschaft voranbringen und im sozialen Bereich, in der Bildung und im Gesundheitssektor Verbesserungen bewirken. Ähnliche Initiativen hat es in Deutschland wie in den USA bereits gegeben. Zu nennen ist hier die Plattfonn Responsible Wealth in den USA, die von rund 700 Mitgliedern unterstützt wird, die den obersten 5 Prozent der Einkommen oder der Vermögen angehören. In Deutschland gab es zwei Vorläuferinitiativen zur hier betrachteten Vennögensabgabe-Kampagne. Zum Einen hatte 2002 eine Gruppe von vennögenden BürgerInnen einen offenen Brief an den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder fonnuliert, in dem sie die Wiedereinfiihrung der Vennögensteuer forderte. Im Jahr 2005 hatten sich zwanzig, teils vermögende, teils prominente Personen dem Millionär und Reeder Peter Krämer angeschlossen und einen öffentlichen Appell unterzeichnet, der sich an die VerhandlungsführerInnen der Koalitionsverhandlungen,

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Franz Müntefering und Angela Merkei, richtete und ebenfalls die Vermögensteuer forderte. In dem Appell hieß es: "Schaffen Sie das Steuerparadies für wirklich Reiche in Deutschland ab und sorgen Sie für eine gerechtere Besteuerung!"

Der Verlauf der Kampagne Eine K.erngruppe aus etwa einem Dutzend Personen erarbeitete im März und April 2009 einen Appelltext. Organisatorisch gab es in der ersten Phase viel zu tun, um weitere UnterzeichnerInnen zu gewinnen, einen Webauftritt und die Pressekonferenz vorzubereiten. Am 19. Mai 2009 trat die Initiative an die Öffentlichkeit. 23 vermögende BÜTgerInnen hatten den einseitigen Appell unterzeichnet, der in einer großformatigen Anzeige in der Wochenzeitung Die Zeit erschien, parallel dazu im Internet veröffentlicht und auf einer Pressekonferenz vorgestellt wurde. Zehn der UnterzeichnerInnen waren bereit, mit ihrem Namen in der Presse zu erscheinen. Auf der Pressekonferenz war neben drei UnterzeichnerInnen auch der Steuerexperte Bemhard Seidel anwesend, der die Machbarkeit einer Vermögensabgabe erläuterte. Über dreißig Journalisten und zwei Femsehteams erschienen zum Termin. Fast alle überregionalen und regionalen Tageszeitungen, der Spiegel, dutzende Radiostationen und das Fernsehen berichteten in der Folge. Die Initiative verfolgt trotz ihrer weitgehend ehrenamtlichen Organisation eine aktive Öffentlichkeitsarbeit. Insgesamt wurden im ersten Jahr fünfPressemitteilungen herausgegeben, die teilweise als Reaktion auf aktuelle Geschehnisse innerhalb weniger Stunden verfasst wurden. Ein Vertreter der Initiative trat bei der Buchvorstellung eines Buches über einseitige Steuerentlastung und Steuerhinterziehung auf. Am 1. Juli 2009 stellte die Initiative die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage vor, die sie beim renommierten Meinungsforschungsinstitut tns emnid in Auftrag gegeben hatte. Der Umfrage zufolge wollen 57 Prozent der Deutschen eine Vermögensabgabe zur Unterstützung der öffentlichen Haushalte. Sogar 75 Prozent sprechen sich für ein ökologisches Konjunkturprogramm aus. 3 In der Folgezeit wurde die öffentliche Unterstützung von bekannten Wissenschaftlern, Funktionsträgern renommierter Organisationen und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens gewonnen. Im September startete die Initiative einen weiteren, noch direkteren Vorstoß in Richtung Politik. Über die Internetplattform Abgeordnetenwatch.de stellten die UnterzeichnerInnen und befreundete BÜTgerInnen jeweils den WahlkreiskandidatInnen aller fiinf Bundestagsparteien die Frage, wie sie zur Vermögensabgabe stehen. Bisher wurden so etwa hundert KandidatInnen mit dem Thema konfrontiert, bis zur Wahl hatten sich fast vierzig davon geäußert. Die Antworten sind öffentlich einsehbar und konnten später genutzt werden, um Abgeordnete an ihre Position vor der Wahl zu erinnern. Kurz darauf stellte die Initiative eigene Berechnungen vor, denen zufolge eine Vermögensabgabe insgesamt 100 Milliarden Euro einbringen könnte. 4 Direkt nach der Wahl, aus der die schwarz-gelbe Koalition als Sieger hervorging, schaltete die Initiative eine weitere Anzeige in der taz, um ihren Unmut und Willen, weiter aktiv zu bleiben, zu bekunden und weitere UnterzeichnerInnen zu gewinnen. Eine weitere Aktion

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erregte am 21. Oktober, mitten in der heißen Phase der Koalitionsverhandlungen, erneut großes mediales Interesse. Am Ort der Verhandlungen zwischen CDU, CSU und FDP transportierten Mitglieder der Initiative den Betrag von 100 Milliarden Euro als Spielgeld mit Lastenfahrrädern und füllten damit ein großes "Haushalts-Loch", das durch 3D-lllusionstechnik wirklichkeitsecht auf dem Boden sichtbar gemacht worden war. Die Zahl der UnterzeichnerInnen hat sich inzwischen auf 45 erhöht.

Der AppeU Der vollständige Text des Appells ist im Anhang dieses Beitrages dokumentiert. Hier soll sein Inhalt nur kurz referiert werden, bevor Reaktionen auf den Appell geschildert werden. Der in der Zeit und im Internet veröffentlichte Appell gliedert sich in drei Teile. Zunächst werden schlaglichtartig zentrale Ursachen und Folgen der Finanzkrise benannt und die Notwendigkeit eines Umsteuerns durch "massive Zukunftsinvestitionen in Ökologie, Bildung und soziale Gerechtigkeit" begründet. Als Motivation der UnterzeichnerInnen wird die Erwartung genannt, dass die Krise die sozialen Ungleichheiten in Deutschland weiter verschärfen wird. Als Ursache der Krise wird eine neoliberale Politik angeführt, die es versäumte, den Markt hinreichend zu regulieren und die negativen Auswirkungen des globalen Kapitalismus zu beschränken. Als zentrale Forderung im Hauptteil wird die Einführung einer zeitlich befristeten Vermögensabgabe in Höhe von zweimal 5 Prozent aufVerrnögen über 500.000 Euro vorgeschlagen. Die Einnahmen der Vermögensabgabe sollen, so die Forderung weiter, zweckgebunden in "den ökologischen Umbau der Wirtschaft, in Personal für Bildungs-, Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen sowie in die Erhöhung von Transfereinkommen investiert werden". Um eingestelltes Personal und erhöhte Harz-IV-Sätze dauerhaft zu finanzieren, schließt der Appell die Forderung nach der Wiederei.nflihrung der bis 1997 erhobenen Vermögensteuer "in Höhe von mindestens I Prozent" an. Schließlich wird eine wirksamere Verhinderung der Steuerflucht dadurch gefordert, dass die Steuerbehörden in ihren "Kompetenzen zur Verhängung von Sanktionen gegen Personen und Unternehmen" gestärkt werden, die Geschäftsbeziehungen mit Steueroasen unterhalten. Durch regulative Maßnahmen sollen künftig auf Spekulation beruhende Krisen verhindert werden. Auch international müsse der gesellschaftliche Reichtum gerechter verteilt werden.

Reaktionen Die Initiative hat eine große Zahl, zumeist positiver Zuschriften erhalten. In den ersten Tagen und Wochen nach der Erstveröffentlichung gab es lebhafte Diskussionen in Internetforen und an öffentlichen Orten. Erwähnenswert sind auch die Reaktionen aus anderen Ländern rund um den Globus, in denen über den Vorstoß vermögender BürgerInnen berichtet wurde. s Die direkten Reaktionen aus der Politik, aus etablierten Parteien und von gewählten VertreterInnen sind bislang hinter den Erwartungen der Initiatoren zurück geblieben. Allerdings sind die indirekten Effekte der medialen Präsenz aufpolitische EntscheiderInnen schwer mess-

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bar. So haben sich in der Folge der Veröffentlichung des Appells hohe VertreterInnen von Arbeitnehmerverbänden und WissenschaftlerInnen entschiedener als bislang für eine höhere Besteuerung von Vermögen ausgesprochen. Für das weitere Gewicht und die Handlungsmöglichkeiten der Initiative besonders wichtig ist der Zulauf durch weitere vermögende UnterzeichnerInnen. Die Anzahl der vermögenden UnterzeichnerInnen hat sich von 23 zum Zeitpunkt des ersten öffentlichen Auftretens bis Mitte Oktober auf45 erhöht. Von den neuen UnterzeichnerInnen sind die Mehrzahl durch die Medien auf die Initiative aufmerksam geworden.

Die UnterzeichnerInnen Eine Besonderheit des Engagements der vermögenden BÜfgerInnen ist deren Bereitschaft, Partei in einer politischen Auseinandersetzung zu ergreifen. Darin, nicht nur für etwas zu sein, sondern sich auch öffentlich gegen Strukturen auszusprechen, von denen sie auch noch selbst profitieren, gehen sie über das von Vermögenden üblicherweise Erwartete hinaus. Was motiviert und bewegt diese Menschen, wer sind die UnterzeichnerInnen überhaupt? (Die folgenden Bemerkungen über die UnterzeichnerInnen des Appells sind unter dem Vorbehalt zu lesen, dass keine formalisierte Umfrage durchgeführt wurde. Sie stützen sich also allein auf die Einschätzung und Fragen des Autors, der die Mehrzahl, aber nicht alle der UnterzeichnerInnen persönlich kennt.) Das Alter der UnterzeichnerInnen reicht von 18 bis 70, fast genau zur Hälfte sind Männer und Frauen vertreten. Relativ stark repräsentiert sind unter den Berufsgruppen Ärzte beziehungsweise andere therapeutische Berufe sowie Lehrer. Die genaue Höhe des jeweiligen Vermögens wurde bisher nicht abgefragt. Alle UnterzeichnerInnen verfügen jedoch über ein Gesamtvermögen von mindestens 500.000 Euro. Dabei sind Immobilienvermögen und Geschäftsvermögen eingerechnet, Schulden abgezogen. Ohne eine Einteilung vornehmen zu wollen, lässt sich grob sagen, dass ein weites Spektrum vermögender bis sehr vermögender Personen den Appell unterzeichnet hat. Darunter sind auch Personen mit einem mehrstelligen Millionenvermögen. Diese Vermögenden stellen dabei ihren Reichtum in der Regel wenig zur Schau. Wichtiger als materieller Luxus wie Sportwagen oder Yachten ist ihnen, nicht allzusehr hervorzustechen. Einige der UnterzeichnerInnen haben es vorgezogen, ihr Erbe über Jahre im Bekanntenkreis geheim zu halten. Ernst nehmen die UnterzeichnerInnen dabei den Grundsatz, dass Eigentum verpflichtet. Sie sehen großzügiges Spenden und Stiften als einen Teil dieser Verantwortung an. Ein anderer Aspekt ist für viele der UnterzeichnerInnen, ihr Geldvermögen oder zumindest Teile davon nach ethisch-nachhaltigen Kriterien anzulegen. Manche engagieren sich darüber hinaus im Bereich fördernder Geldanlagen, vergeben Direktkredite an unterstützenswerte Organisationen oder verzichten auf einen Teil der finanziellen Rendite, um eine zusätzliche, soziale und/oder ökologische Rendite zu erlangen.

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Auch das Spenden wird von vielen UnterzeichnerInnen gewissenhaft und ernsthaft betrieben. Gespendet und gestiftet wird weniger aus einem unmittelbaren emotionalen Impuls heraus, sondern aus grundlegenden Überlegungen über die eigenen Ziele, Themen und Wertvorstellungen einerseits und aufgrund einer Analyse der vorhandenen Probleme und Lösungsansätze andererseits. Eine große Zahl der UnterzeichnerInnen hat eine eigene Stiftung gegründet und/oder engagiert sich ehrenamtlich in einer Gemeinschaftsstiftung. Einige haben an systematischen Fortbildungen in strategischer oder engagierter Philanthropie teilgenommen. Die Mehrzahl der UnterzeichnerInnen gehören der Erbengeneration an, auch wenn einige unter ihnen selbst ein Unternehmen gegründet haben. Die meisten der UnterzeichnerInnen waren zumindest in Teilen ihres Lebens berufstätig, etwa als Angestellte, Ärzte oder Beamte. Dies entweder, weil sie erst zu einem späteren Zeitpunkt geerbt haben, oder aus dem Wunsch heraus, trotz des Nicht-arbeiten-Müssens eine sinnvolle und wertgeschätzte Tätigkeit auszuüben. Nur eine Minderheit ist Mitglied einer Partei oder Gewerkschaft. Der Initiative ist wichtig, ihre parteipolitische Unabhängigkeit zu betonen, und diese zeigt sich auch hinsichtlich des Kreises der UnterzeichnerInnen. Religiöse Bindungen stellen ebenfalls die Ausnahme dar. 6 Eher als die Mitgliedschaft in einer solchen Organisation ist die Wertorientierung und das Engagement der Gruppe durch zwei andere Umstände zu erklären: Einige der Vermögenden gehören der 68er-Generation mit ihren Werten und Idealen an, andere - oft solche der jüngeren Generation - waren in ihrer Jugend in der Umwelt- oder Friedensbewegung engagiert oder engagieren sich im Bereich Geschlechtergerechtigkeit oder Entwicklungshilfe. Dabei ist hinsichtlich der ,,Herzensthemen" - innerhalb eines im weiteren Sinn linken Spektrums - durchaus eine große Bandbreite zu konstatieren. Zusammen hält die Gruppe also nicht eine geteilte religiöse oder politische Doktrin, sondern die inhaltliche Übereinstimmung zentraler Überzeugungen. Trotzdem handelt es sich bei der großen Mehrheit der Initiatoren nicht um ,,Berufsaktivisten", die regelmäßig politische Kampagnen organisieren. Für fast alle der aktiv Beteiligten war es vielmehr das erste Mal, selbst eine öffentlichkeitswirksameAktion zu planen und durchzuführen. Politisches Engagement hieß fiir diese Menschen bislang eher, das politische Geschehen zu verfolgen, vielleicht eine Petition zu unterschreiben oder an einer Demonstration teilzunehmen - aber nur in Ausnahmen, selbst aktiv Protest fiir oder gegen etwas zu mobilisieren. Als Gruppe zusammengefunden haben die Mitglieder sich zum einen über bestehende Netzwerke wie die Bewegungsstiftung, zum anderen über existierende familiäre und bekanntschaftliche Strukturen, etwa ein Drittel ist durch die Medien auf den Appell aufmerksam geworden und hat über die Website Kontakt zur Gruppe aufgenommen.

Motivationen Dazu motiviert, sich mit einem solchen unkonventionellen Schritt politisch zu engagieren, haben die Beteiligten sowohl grundsätzliche Erwägungen wie auch konkrete, aktuelle Vorgänge. Auf grundsätzlicher Ebene ist die wichtigste Motivation die Überzeugung, dass einer Vielzahl von gesellschaftlichen Problemen, mit denen wir konfrontiert sind, die wachsende

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soziale Ungleichheit zugrunde liegt. Die UnterzeichnerInnen sehen, dass die Kluft zwischen Reich und Arm ungebrochen weiter wächst und enonne soziale Probleme erzeugt. Nicht nur innerhalb Deutschlands, sondern auch auf internationaler Ebene sind die Initiatoren erschrocken über den fehlenden Willen zur Korrektur von historischen und strukturellen Ungerechtigkeiten. Sie rechneten schon 2009 damit - was inzwischen eingetreten ist -, dass wichtige, zur Erreichung der UN-Milleniumsziele nötige Maßnahmen wie die Erhöhung der Entwicklungshilfe infolge der Krise weiter verzögert werden. Gegen eine immer weitere Kluft zwischen Reich und Arm - sowohl auf nationaler wie auf internationaler Ebene - spricht dabei nicht nur der Idealismus der UnterzeichnerInnen, sondern auch ihr eigenes, langfristiges Interesse. Denn sie haben erkannt, dass in einer Welt zu leben, in der weite Teile der Bevölkerung so sehr der Chancen beraubt sind, dass sie keine Perspektive in einem kooperativen Leben mehr sehen, auch fUr sie als Vennögende weniger wünschenswert ist als ein einigennaßen egalitärer Zustand. Für einen "Verzicht" auf extremen materiellen Wohlstand zugunsten von mehr Gleichheit spricht fUr sie, dass Sicherheit, Vertrauen und Angstfreiheit die Lebensqualität steigern - ein Zusammenhang, welcher sich auch statistisch messen lässt. So ist das Gleichheitsniveau eines Landes zum Beispiel positiv mit steigender Lebenserwartung und Zufriedenheit sowie gesellschaftlicher Innovationskraft korreliert, driftet die Gesellschaft auseinander, nehmen hingegen Fettleibigkeit, Drogenmissbrauch oder Kriminalität nachweisbar zu.? Von den konkreten Vorgängen, auf welche die InitiatorInnen reagieren, ist zunächst die Finanz- und Wirtschaftskrise zu nennen. Denn obwohl Krisen wie die jüngste kurzfristig zu Kursverlusten fUr Vennögende führen, wissen die InitiatorInnen, dass gut beratene Reiche, die ihre Aktienpakete rechtzeitig verkauft und im Aufschwung bei niedrigen Preisen wieder eingestiegen sind, von der Wirtschaftskrise oft sehr viel weniger betroffen sind als Arbeitnehmerlnnen, die ihre Anstellung verlieren oder BürgerInnen, deren Angespartes in Zertifikaten der Lehman Brothers angelegt war, die heute wertlos sind. Den bisherigen Reaktionen der Politik auf diese Wirtschaftskrise stehen sie kritisch gegenüber, und diese Haltung veranlasst sie weiter zu ihrem Engagement. Die Konjunkturpakete der Bundesregierung sehen sie als Stützung alter Industrien und Resultat einer Klientelpolitik. Viel zu oft werden Lücken gestopft, fUr die in einem reichen Land reguläre Mittel da sein müssten. Für sinnvoller zur nachhaltigen Konjunkturbelebung als Abwrackprämien erachten es die UnterzeichnerInnen, in Sozialleistungen zu investieren und die Kaufkraft sozial schwacher Gruppen zu stärken. Denn während Reiche, deren Bedürfnisse ohnehin gedeckt sind, zusätzliches Geld sparen, werden ärmere Menschen die ihnen zusätzlich zur Verfügung stehenden Mittel unmittelbar ausgeben und damit die Binnenkonjunktur stärken. Immer mehr setzt sich auch die Erkenntnis durch, dass die hohe Liquidität mit zu der Finanzmarktkrise beigetragen hat, deren wesentliche Ursache die enonne Ungleichverteilung des gesellschaftlichen Reichtums ist. Viele der InitiatorInnen empört auch die Hilflosigkeit, mit der die Bundesregierung und der Bundestag die Rettung solcher Banken versucht, die sie als "systemrelevant" einschätzen, die aber selbst nicht durchschauten, welche Risiken sie eingegangen sind. Eindruck hier ist, dass Lobbygruppen der Banken einen ungebrochenen Einfluss auf die EntscheiderInnen

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nehmen, dass grundlegende Strukturschwächen und Systemfehler gar nicht, oder nicht beherzt genug angegangen werden. Als prinzipielle und zugleich konkrete Motivation schließlich ist die Überzeugung der AutorInnen des Appells für eine Vermögensabgabe zu nennen, dass Klim.aschutz- und Umweltzielen eine deutlich höhere Priorität einzuräumen ist. Sie halten es für dringend notwendig und möglich, Wirtschaft und Gesellschaft beherzt auf ökologische und soziale Nachhaltigkeit einzustellen. Und sie haben verstanden, dass dies nicht allein durch freundliche Appelle und individuelles Handeln zu erreichen ist, weil mächtige Interessen betroffen sind, deren Lobbys ungleich mächtiger sind als die der Umwelt, der in Mitleidenschaft gezogenen Länder des Südens, des Artenschutzes und Klimas. Nur durch politische Vorgaben, sowohl auf nationalstaatlicher, wie auf internationaler Ebene, können diese Probleme gelöst werden.

Kritik

Trotz dieser Gründe für ein politisches Engagement gibt es auch sachliche Einwände, mit denen SympathisantInnen des Appells sich sowohl auf der Ebene persönlicher Reflexion, in Medienkontakten, wie im Gespräch mit Freunden und Bekannten auseinandersetzen. Zum Einen gibt es die Kritik, die Forderung einer fünfprozentigen Vermögensabgabe sei zu hoch. Jedem Unterzeichnenden begegnen Menschen, die eine Vermögensbesteuerung (wie auch höhere Einkommensteuern im höheren Bereich der Progression) prinzipiell ablehnen. Sie werden mit dem Argument konfrontiert, unternehmerisches Engagement sei in Deutschland ohnehin schon großen Hemmnissen seitens des Staates ausgesetzt, es sei schwierig, einem immer härteren internationalen Wettbewerb zu trotzen, die gesellschaftliche Anerkennung und die finanziellen Anreize für große unternehmerische Leistungen seien noch zu niedrig. Diese generelle Kritik beruht oft aufWertungsfragen, bei denen das Ende einer sinnvollen Diskussion recht schnell erreicht ist. Die Unterzeichnenden teilen diese Einschätzung trotz oder wegen ihrer eigenen Erfahrungen als UnternehmerInnen und InvestorInnen nicht. Andere Stimmen, mit denen die UnterzeichnerInnen sich auseinandersetzen, befürchten eine unzumutbare Belastung einzelner Gruppen. Insbesondere mittelständische Unternehmen, Rentner, die vom Ersparten leben, sowie die Mittelschicht seien geflihrdet. Zugrunde liegt dieser Art des Einwandes die Annahme, der Freibetrag einer Vermögensabgabe sei zu niedrig. Eine spezielle Version des Einwandes bezieht sich auf große Vermögen. Diese seien häufig in unternehmerischen Beteiligungen gebunden und nicht frei verfügbar. Ohne zu sehr auf die Detailebene zu gehen, lässt sich sagen, dass es für die meisten dieser Probleme Lösungen gibt, wie zum Beispiel die Anrechnung von privater Altersvorsorge bei nicht gesetzlich Rentenversicherten oder eine relative Begünstigung von Unternehmensvermögen. Das Problem der Entnahme von Vermögen aus Unternehmen kann zudem mithilfe von Regelungen zur zeitlichen Streckung des Kapitalabflusses gelöst werden. 8 Bei einem Freibetrag von einer halben Million Euro pro erwachsener Person bleibt die Belastung einer Mittelstandsfamilie, wenn das Eigentum aufbeide Elternteile verteilt ist, sehr gering.

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Auch begegnen den Unterzeichnenden des Appells andere Vennögende, die ihrer Forderung entgegenhalten, es handele sich wn eine Enteignung, da die Freiwilligkeit der Abgabe fehle. Zugrunde liegt diesem Einwand, wenn er von den zuvor diskutierten abgetrennt und für sich betrachtet wird, die Überzeugung, das Eigentwnsrecht dürfe nicht eingeschränkt werden, selbst wenn andere aus dem betreffenden Vennögensteil größeren Nutzen gewinnen können. So einwendende Vennögende behaupten nicht unbedingt, der infrage stehenden Vennögensanteile in besonderer Weise zu bedürfen oder entsprechend mehr "verdient" oder "geleistet" zu haben als alle anderen. Es beunruhigt - und provoziert - sie schlicht, dass ihr Besitz nicht ,,heilig gehalten" wird. Die Antwort auf diesen Einwand lautet, dass Besitz niemals unantastbar ist, sondern ein staatlicherseits unter bestimmten Bedingungen gewährtes und geschütztes Privileg. Deutlich wird dies am Beispiel einer Immobilie, deren Besitzer selbstverständlich beim Vorliegen entsprechend gewichtiger Gründe, zum Beispiel eines Brandes auf dem dahinter liegenden Grundstück einem Eingriff nicht widersprechen kann. Die Feuerwehr oder das Ordnungsamt dürfen - unter Wahrung der notwendigen Prozeduren - sein Grundstück betreten, notfalls auch gegen sein Einwenden und dabei - wenn nötig - auch Dinge zerstören. Unvernünftig wäre ein Einwand dagegen unter anderem., weil es in den meisten solcher Fälle auch wn das langfristige Eigeninteresse des Besitzers geht, dessen Hab und Gut durch den Brand potenziell mitgeflihrdet ist. Es gibt also - außer dem "Besitz" am eigenen Leib und Leben - kein absolut unantastbares Besitzrecht. Eigentwn ist ein Recht, das mit allgemeineren Interessen kollidieren kann und diesen gegenüber unter besonderen Umständen nachrangig ist. Und solche allgemeinen Interessen, sogar eine potenzielle zukünftige Gefährdung der Vennögen selbst durch besondere, einen Eingriff rechtfertigende Umstände liegen, so argumentieren die Unterzeichnerlnnen des Appells, in der heutigen Situation durchaus vor. Die weitere Kritik betrifft die Frage, ob der Staat ein vertrauenswürdiger Empfanger einer solchen Abgabe ist. Diese Kritik wird auch von Personen geäußert, die grundsätzlich zustimmen, dass es wünschenswert wäre, Vermögende stärker in die Verantwortung zu nehmen. Sie wird auch von einem Teil der Unterzeichnenden des Appells geteilt. Aus diesem Grund wurde in den Appell die Forderung einer Zweckbindung aufgenommen. Neben diesen inhaltlichen Kritikpunkten sollten hier auch die persönlichen Konflikte erwähnt werden, die sich für manche der UnterzeichnerInnen daraus ergeben, dass eine öffentliche Unterschrift für jedennann erkennbar macht, dass und wie vennögend sie selbst sind. Um daraus möglichen Konflikten und Gefahren Rechnung zu tragen, wurde die Möglichkeit des "anonymen" Unterschreibens eingerichtet, bei der die Identität nur den OrganisatorInnen der Initiative bekannt ist. Diese Möglichkeit hat aus verschiedensten Gründen etwa die Hälfte der Unterzeichnenden genutzt.

Soziale Ungleichheit. Die Reichtums-Armuts-Schere Im Folgenden sollen zwei grundsätzliche Argumentationen für Steuern und Abgaben vorgestellt werden. Eine beruht darauf, dass der Staat mit diesen Einnahmen bestimmte Leistungen

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bereitstellt, die zweite auf der Steuerungsfunktion von Steuern, das heißt aufder Möglichkeit, über Steuern und Abgaben die Verteilung der Früchte der gesellschaftlichen Kooperation zu beeinflussen. Ich betrachte zunächst die Steuerungs- oder Umverteilungsfunktion von Steuern, bevor ich mich mit der Frage beschäftige, wie viel Staat wünschenswert ist. Zwischen diesen beiden Themen eingeschoben ist ein Abschnitt, in dem ich einige Fakten und Argumente zum Thema Vermögensteuern liefere. Seit der relativ egalitären Nachkriegszeit und verstärkt seit den I 990er Jahren hat sich die soziale Schere aufgetan. Die Vermögen des obersten Zehntels der Gesellschaft sind die einzigen, die in den letzten fünf Jahren gewachsen sind. Sie machen inzwischen über 60 Prozent aller Vermögenswerte aus. 9 Das bisherige Steuersystem vennochte nicht, diesen Trend aufzuhalten. Das liegt unter anderem daran, dass progressive Steuern wie die Einkommensteuer nur einen relativ kleinen Anteil am Gesamtsteueraufkommen ausmachen. JO Wenn man Sozialabgaben hinzunimmt, die in Deutschland ab einem bestimmten Einkommen wegfallen, zeigt sich, dass von einer Progression der Gesamtabgabenlast nicht die Rede sein kann. ll Anders als die progressive Einkommensteuer vermuten lässt, sinkt in Deutschland die Gesamtbelastung der Einkommen ab einem bestimmten Punkt wieder. Deutschland liegt, was die Abgabequote, die effektive Unternehmensbesteuerung, die verteilungsrelevanten Steuern anbetrifft, gemessen am Bruttoinlandsprodukt zum Teil deutlich unter dem Durchschnitt der EU-15-Länder beziehungsweise der OECD-Staaten. Aus diesem Befund ergeben sich Probleme sowohl für die Gesellschaft, für die wirtschaftliche Entwicklung als auch für die Demokratie. In gesellschaftlicher Hinsicht erodiert der Zusammenhalt der Gesellschaft. Durch große Vermögens- und Einkommensunterschiede sinkt die Bereitschaft, zugunsten anderer auf eigenen Vorteil oder Selbstbereicherung zu verzichten. Daraus resultierende, egoistische Verhaltensweisen beginnen beim Schwarzfahren und Schwarzsehen und reichen über Steuerhinterziehung bis zur Schwarzarbeit und Kriminalität. Besonders problematisch ist hier wegen seiner erodierenden Signalwirkung das unethische Verhalten vermögender oder einkommensstarker Manager, die Steuern hinterziehen. Denn in einem Zusammenleben, in dem es offenbar immer mehr Menschen darum geht, sich selbst den größtmöglichen Vorteil zu sichern, und in dem die Ehrlichen als die Dummen gelten, stehen am Ende alle als die Dummen da. Da Lebenschancen immer mehr daran geknüpft sind, in welcher sozialen Schicht man geboren wird, macht sich in weiten Teilen der Bevölkerung Hoffnungslosigkeit breit. Angesichts des Eindrucks steigender Kriminalität wächst auf der anderen Seite das Schutzbedürfnis der begüterten Schichten. Eine Segregation bis hin zur Selbst-Abschottung in Gated Communities findet inzwischen auch in Deutschland statt. Offenbar ist, dass diese Spaltung mit hohen gesellschaftlichen Kosten einhergeht - es wird immer teurer für die Gesellschaft und die Vermögenden selbst, den extremen Wohlstand der Wenigen zu sichern. In diesen Zusammenhang gehören auch die Kosten und Ineffizienzen, die sich in Schulen und Ausbildungsstätten ergeben, wenn die Voraussetzungen und die Lebenswirklichkeiten der SchülerInnen und Auszubildenden immer weiter auseinanderdriften. Die negativen Konsequenzen machen sich auch in der Wirtschaftsentwicklung bemerkbar. Die Aussage, dass unternehmerischer Erfolg freies, zu gewissen Risiken bereites Kapital

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benötigt, beschreibt nur eine Seite der Medaille. Daneben ist auch Humankapital notwendig, das nicht von einer einzelnen Unternehmerpersönlichkeit eingebracht werden kann, sondern wesentlich von den MitarbeiterInnen und anderen Stakeholdern stammt. Das allererste Zustandekommen unternehmerischen und materiellen Erfolgs verdankt sich zu gleichen Teilen dem kreativen Einfall, des oder der beharrlichen und oft Verzicht in Kauf nehmenden UnternehmerIn, wie den Umständen, die den Erfolg begOnstigen und ennöglichen: den kooperierenden MitarbeiterInnen, den KundInnen, LehrerInnen, den infrastrukturellen und kulturellen Voraussetzungen der Gemeinschaft etc. Deutlicher denn je sollte im Informationszeitalter sein, dass weitere - zumal nachhaltige - Innovationen weniger durch technische Gerätschaften, sondern vor allem in Gebieten zu erwarten sind, bei denen es auf die Fähigkeiten und die Kooperation von Menschen ankommt. Die Grenze zwischen Unternehmen und Gesellschaft ist heute zu durchlässig, als dass selbst UnternehmerInnen, die vorbildlich mit ihren ArbeitnehmerInnen umgehen, das weitere gesellschaftliche Umfeld ihrer Unternehmen gleichgültig sein dürfte. Wenn wenige Kapitaleigner über den Standort tausender Arbeitsplätze entscheiden können und sich dabei weitgehend von Gewinnmaximierung leiten lassen, während hinsichtlich der Teilhabe und Mitbestimmung von ArbeitnehmerInnen seit Jahren keine Fortschritte gemacht wurden, nimmt auch die Demokratie Schaden. Weil politische EntscheiderInnen zunehmend von mächtigen Interessenverbänden beeinflusst werden, fühlt sich ein immer größerer Teil der Gesellschaft nicht mehr repräsentiert und von der Mitsprache ausgeschlossen - Wahlmüdigkeit und Desinteresse an der res publica sind die Folge. Der Mangel ganzer Bevölkerungsteile an Chancen und Aufstiegsmöglichkeiten bei der gleichzeitigen Empfindung, dass die Privilegierten ihre Macht nicht zum Wohle aller einsetzen, wird so zu einem der größten Probleme für die Demokratie. Dieter Lehmkuhl hat dies auf der Pressekonferenz der Initiative so ausgedrückt: "Große soziale Ungleichheit untenniniert das Vertrauen in die Demokratie, fiihrt zum gesellschaftlichen Ausschluss großer Bevölkerungsteile und bietet die Grundlage fiir sozialen Sprengstoff."

Bezugsgröße Einkommen oder Vermögen? Nicht zu leugnen ist also, dass wir die verstärkte Bildung sozialer Schichten beobachten und dass diese Entwicklung fiir die Gesellschaft als Ganze große Probleme mit sich bringt. Wieso aber setzen die Initiatoren sich fiir eine Besteuerung von Vennögen ein, anstatt eine stärker progressive Einkommensteuer zu fordern? Deutschland liegt bei der Besteuerung von Eigentum deutlich unter dem OECD-Durchschnitt. Diese Steuerarten, wie Grundsteuern und die Erbschaftsteuer, machen hierzulande nur 0,9 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus, während der Anteil im Durchschnitt der entwickelten Länder bei 1,9 Prozent liegt. In einzelnen Ländern wie den USA, Kanada oder Großbritannien beträgt dieser Anteil über 3 Prozent. 12 Ein Grund dafiir, Eigentum, mehr noch als hohe Gehälter ins Zentrum zu rücken, ist, dass Ungleichheit mit Prozessen zu tun hat, die über mehrere Generationen hinweg wirken.

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Die bisherige Erbschaftsteuer hat zu einem Ausgleich der Vermögensunterschiede nicht hingereicht. Der politische Trend geht in die entgegengesetzte Richtung: Durch die Große Koalition wurde die Erbschaftsteuer durch höhere Freibeträge und Sonderregelungen für Geschäftsvermögen weiter abgesenkt. Die Schwarz-Gelbe Koalition setzt den damit eingeschlagenen Kurs weiter fort. Wenn eine Korrektur beim Vermögensübergang ausscheidet, kann nur eine Abgabe des akkumulierten Vermögens helfen, ungerechte Verteilungen der Vergangenheit zu korrigieren und dem Trend sich über die Generationen aufschaukelnder Vermögensungleichheiten entgegenzusteuern. Wichtigstes Argument gegen solche Vermögensunterschiede ist die Chancenungleichheit, die dazu führt, dass die Aussichten, es als Kind armer Eltern ,,zu etwas zu bringen", ungleich niedriger sind, als die eines Kindes von materiellen Sorgen freier Eltern, die noch dazu oft überdurchschnittlich gebildete Akademiker sind. Darüber hinaus kann ein vermögender Erbe auch ohne persönliche Leistungen und Einsatz auf einem um Längen besseren Lebensstandard leben als ein ansonsten gleich "begabtes" Kind der Unterschicht. Man kann die Frage, ob eine wünschenswerte Umverteilung eher aufEinkommens- oder aufVermögensbasis ansetzen sollte, aber auch grundsätzlicher betrachten. Einig sind die streitenden Parteien nämlich darüber, dass die Steuerlast mit der Leistungsfähigkeit ansteigen soll - also damit, wie viel der Einzelne abgeben kann, wie gut er oder sie gestellt ist. Von Gegnern der Vermögensteuer wird oft ins Feld geführt, dass Leistung lediglich im Zuwachs von Besitz, nicht in dessen bloßem Vorhandensein bestehe. Tatsächlich bringt die Verfügung über Güter und Besitztümer aber Vorteile und Einflussmöglichkeiten mit sich, die aus dem - natürlich strittigen - Leistungsbegriff auszuklammern, ein verzerrtes Bild geben würde. Reichtum verschafft Möglichkeiten sowohl für die persönliche Ausbildung wie für die politische Einflussnahme. UnternehmerInnen und ihre Kinder sind Meinungsbildner, und sie werden aufgrund ihrer Möglichkeiten, ihrer Bildung und Macht bewundert. Dieses Prestige und die im Schnitt höhere Qualifikation sichert ihnen, ihren Auffassungen und Wertungen im politischen und öffentlichen Prozess überproportional Gehör. Wenn dieser Prozess ungebrochen fortschreitet, setzt sich Schritt für Schritt ein Klima durch, in welchem unternehmerische Leistungen gegenüber anderen höher bewertet werden und der Vorteil einer materiell begünstigten Startposition aus dem Blick gerät. Die Perspektive sozial schwacher Menschen wird dagegen zunehmend marginalisiert. Vermutlich hat diese sich selbst verstärkende Spirale auch bei der Steigerung der Risikobereitschaft eine Rolle gespielt, die unzweifelhaft einer der Auslöser der Finanzkrise war. Gemeint ist die Vorstellung, der Bereitstellung von Eigenkapital für eine Bank "gebühre" eine Rendite von 25 und mehr Prozent. Abschließend sollen noch einige, häufig gegen Vermögensteuern ins Feld geführte Argumente entkräftet werden: Vermögen sei "schon einmal besteuertes Geld". Vergessen wird dabei, dass es, wäre diese Argumentation tragfähig, auch keine Mehrwertsteuer geben dürfte. Absurd ist, wenn dasselbe Argument auf Erbschaft- und Schenkungsteuern angewandt wird, wo doch die steuerpflichtige Person, der Erbnehmer, das Vermögen im Zuge der Übertragung zum ersten Mal erhält. 13 Festzuhalten ist, dass eine Vermögensabgabe keine kommunistische Forderung nach Enteignung ist. Eigentum an Produktionsmitteln kann und soll nach Meinung der Initiative

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in Privathand bleiben. Strittig ist lediglich die Verteilung der Früchte großer Vermögen. Die Abgabe soll nach dem Willen der UnterzeichnerInnen so gestaltet werden, dass möglichst alle Betroffenen die Abgabenschuld aus Erträgen des Vermögens bestreiten können. Besonders hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die Möglichkeit einer zinsfreien Stundung der Steuerschuld, die im Fall einer anderweitig drohenden wirtschaftlichen Schieflage beantragt werden kann. 14 Alles in allem stellen vermögensbezogene Steuern - darin sind sich Finanz- und Steuerexperten selten einig - eine bislang in Deutschland viel zu wenig genutzte Steuerart dar. 15 Einziger ernst zu nehmender Einwand, den sie vorbringen, sind die "Ausweichreaktionen" der Kapitaleigner. Hiergegen können jedoch von staatlicher Seite wirksame Maßnahmen getroffen werden. Wegweisend und vor einigen Jahren noch kaum vorstellbar war 2008 die Einflthrung einer "schwarzen" und "grauen" Liste für Staaten, die nicht ausreichend gegen Steuerhinterziehung und -Umgehung vorgehen und ihren Anlegerlnnen Schutz vor deren Finanzbehörden anbieten. Diese Schritte müssen nach Ansicht der Initiatoren noch konsequenter weitergeführt werden. Auch im Inland gibt es eine Menge Hausaufgaben, die noch zu machen wären, bevor davon gesprochen werden kann, dass Steuerhinterziehung konsequent verfolgt wird. So könnte der negative Wettbewerb zwischen den Ländern um die laxeste Steuerprüfung durch eine bundeseinheitliche Steuerbehörde beendet werden. 16 Für all diese Maßnahmen zur Unterbindung von "Ausweichreaktionen" potenter SteuerzahlerInnen ist jedoch der Rückhalt in der Gesellschaft maßgeblich. Nur wenn ein öffentliches Klima herrscht, in dem das Hinterziehen von Steuern, die Verlagerung von Unternehmenssitzen aus rein steuerlichen Gründen ins Ausland und Ähnliches nicht mehr als Kavaliersdelikte oder sogar als legitime Schritte der Notwehr gegen einen enteignenden, korrupten Staat angesehen werden, können Gesetzgeber und Finanzbehörden wirksam durchgreifen. Hier sehe ich bedeutenden Raum für die Weiterentwicklung der Vermögenskultur.

Der Staat als Lösung, nicht als Problem Bisher habe ich aufgezeigt, wie gravierend die Ungleichheiten in der Einkommens- und Vermögensverteilung sind, dafür argumentiert, dass soziale Ungleichheiten besonders problematisch sind, wenn diese sich über Generationen akkumulieren, und dafür, dass der wirksamste Weg zu deren Ausgleich in einer Vermögensbesteuerung liegt. Doch Steuern und Abgaben fließen dem Staat zu. GegnerInnen einer Vermögensabgabe fiihren ins Feld, dort sei dieses Geld nicht gut aufgehoben. Dass die UnterzeichnerInnen des Appells nicht unkritisch an den Staat glauben, ist bereits deutlich geworden. Viele von ihnen kritisieren diesen explizit. Zugleich sehen sie aber auch, dass die Aufgaben des Staates nicht von anderen übernommen werden können. Zu den Kernaufgaben gehören Bildung, Sicherheit, allgemeine Daseinsvorsorge, öffentlicher Verkehr, Bildung, Justiz, öffentliche Verwaltung, Regulierung etc. Eine weitergehende Privatisierung dieser Gemeinschaftsaufgaben halten sie für unverantwortbar. Das Argument für diese Po-

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sition macht geltend, dass dem Staat in der Arbeitsteilung bestimmte Aufgaben zukommen sollten. Zugrunde liegt also die Annahme, dass unsere Probleme nur dann gelöst werden können, wenn die Lösungspotenziale von Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft genutzt werden. Privates wirtschaftliches und soziales Unternehmertum ist also wichtig - filr die nachfragegerechte Bereitstellung von Dienstleistungen und Gütern, filr die Schaffung von Arbeitsplätzen, filr eine über das Pflichtmäßige hinausgehende Förderung bestimmter Ziele und Zwecke. Der Staat bleibt aber notwendig, erstens um die Erfüllung seiner Versprechen - auf denen letztlich seine Legitimation fußt - zu garantieren und zweitens, um qua seiner langfristigen und allgemeinwohlinteressierten Perspektive nützliche Dinge für alle bereitzustellen. In diesen Zusammenhang gehört auch die legitime Lenkungswirkung staatlicher Eingriffe und das Setzen von verbindlichen Regeln. Da individuelle Entscheidungsfreiheit und das freie Spiel der Marktkräfte etwa in Bezug auf die Wahl eines Verkehrsmittels filr alle negative und für die Natur schädliche Konsequenzen hätten, ist es richtig, dass der Staat Anreize für ökologischere Transportmittel setzt. Wie destruktiv die Privatisierung des öffentlichen Schienenverkehrs sein kann, hat das Beispiel Großbritanniens gezeigt. In der jetzigen Zeit geht es neben dem ökologischen Umbau der Wirtschaft vor allem darum, klare und verbindliche Regeln filr Finanzdienstleister zu erlassen. Im philanthropischen Bereich birgt eine weitgehende Privatisierung die Gefahr, dass bestimmte, für "soziale Investoren" wenig attraktive Leistungen einfach nicht mehr erfüllt werden - als nur ein Beispiel sei hier die universitäre Forschung genannt, in der als weniger wichtig wahrgenommene Themen in Zeiten der Drittmittelforschung zunehmend unter Finanzierungsdruck stehen, sodass von einer unabhängigen Forschung kaum noch die Rede sein kann. An all diesen Stellen braucht es einen handlungsflihigen Staat. Wir sollten also versuchen, den Staat als Teil der Lösung, nicht primär als Teil des Problems anzusehen. Doch welcher Preis ist angemessen für diese Vorzüge? Ich glaube, diese Frage ist - zumindest wenn der Preis für den individuellen Bürger gemeint ist - falsch gestellt. Vielmehr sollten wir uns klar machen, dass Staatlichkeit für jeden von uns unerlässlich ist. Wenn es keinen Staat gibt, der dem Markt Schranken setzt, werden auch Wegelagerer, Schutzgeldkartelle und Piraten zu Marktteilnehmem, die ihre Sicherungsdienstleistungen zu den Preisen anbieten, die sie von ihren Opfern eintreiben können. Wenn Schulen, Universitäten, Krankenhäuser und Integrationsarbeit nicht mehr öffentlich finanziert würden, gäbe es bald keine qualifizierten ArbeitnehmerInnen mehr, die regelmäßig und verlässlich ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen könnten. Wichtig ist zugleich, immer wieder die Frage nach der Legitimation des Staates und seines Gewaltmonopols gegenüber jedem einzelnen Bürger zu stellen. Den Staat hingegen als ein Dienstleistungsunternehmen anzusehen, das sich gegenüber den "zahlenden Kunden" rechtfertigen muss, nicht aber gegenüber denjenigen, die "ohnehin nur profitieren können", lässt die Abhängigkeit der ,,Leistungsträger" von einem sichernden Gemeinwesen außer acht. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Je vermögender ich bin und umso größer die Ungleichheiten in meinem Land, umso dringender bedarf ich des Schutzes meiner privilegierten Position und meines Eigentums durch staatliche Gewalt.

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Statt zu fragen, "Wie viel will ich für meinen Staat ausgeben?", sollten wir die Frage auf der kollektiven Ebene stellen - "Wie viel Staat wollen und brauchen wir, damit unser Gemeinwesen funktioniert?" - und erst in einem zweiten Schritt über die gerechte Verteilung dieser Lasten zwischen den verschiedenen Gruppen debattieren. Denn Staat ist kein Supennarkt für Dienstleistungen, die Einzelne von uns kaufen oder eben nicht kaufen können, sondern ein System, durch das wir alle besser dastehen. Die Frage so herum zu stellen, setzt freilich voraus, dass staatliche Mittel nicht verschleudert werden oder in die Hände von korrupten oder inkompetenten Politikern gelangen. Der Korruptionsverdacht relativiert sich jedoch, wenn man einen Vergleich anstellt: Es stinunt, dass es korrupte Politiker gibt, die lediglich auf die nächste Wahl und die nächste eigenmächtige Erhöhung der Diäten schielen. Es gibt aber auch Wirtschaftsbosse, die mittels Wirtschaftsverbänden, über Lobbyarbeit und geschickt in Daily-Soaps versteckter "Öffentlichkeitsarbeit" sich selbst, ihrem Unternehmen und ihren Erben unverhältnismäßigen Wohlstand und Einfluss sichern wollen. Beides als allgemeinen Verdacht zu unterstellen, ist gleichermaßen überzogen. Menschen sind unter bestimmten Umständen anfällig dafür, ihre Privilegien auszunutzen. Das sollte uns Grund geben, sie besser zu beaufsichtigen und zu mehr Verantwortung zu erziehen. Wichtiger als die Korruption Einzelner ist das schwindende Vertrauen der BürgerInnen, dass der Staat effektiv Probleme lösen kann. Hier hat unser Land im Moment ein wirkliches Problem. Wo sind die Ursachen der schwindenden Autorität, Überzeugungskraft und Regierungsstärke zu suchen? Neben den bekannten Ursachen - gestiegene Komplexität, Verlust von Kompetenzen an überstaatliche Instanzen, Standortwettbewerb aufgrund der Globalisierung - will ich eine andere Ursache benennen: Unser Gemeinwesen ist seit Jahren systematisch unterfinanziert. Natürlich schwinden die Regierungsmöglichkeiten, wenn ein immer größerer Teil der öffentlichen Haushalte für den Schuldendienst verwandt werden muss. Dafür, wie auch für andere Altlasten vergangener Politikergenerationen sollten unsere heute gewählten Vertreter nicht verantwortlich gemacht werden. Eine weitere Folge der Unterfinanzierung ist, dass der Staat immer öfter aufdie Expertise entweder privat finanzierter Politikberatungsinstitute und Think Tanks oder von Großkanzleien zurückgreifen muss, was dem Ansehen der Regierenden weiter schadet. Die Herausforderungen, vor denen der Staat steht, sind groß: demografischer Wandel, Globalisierung, Endlichkeit der Ressourcen und der Belastbarkeit des Klimas, um nur die wichtigsten zu nennen. Zugleich sind seine Ressourcen bescheiden. Weder finanziell, noch personell kann der Staat mit den Möglichkeiten der Privatwirtschaft mithalten. Das wird regelmäßig daran deutlich, dass die klügsten Köpfe eines Jahrgangs nicht Minister, Richter und Professoren werden, sondern in Unternehmen attraktivere Angebote annehmen. Fast jeder von uns hat im Einzelnen viel am Staat zu kritisieren, vieles davon zurecht. So hätte gegen den Klimawandel bereits gestern und auf internationaler Ebene viel entschiedener vorgegangen worden müssen. Angesichts dieses Erlebens ist der Wunsch vieler Menschen nach einer "starken Hand" verständlich. Aber wir sollten nicht vergessen, was wir an unserer Demokratie haben: Keine andere Regierungsform schützt so effektiv vor der Vereinnahmung der Regierungs- und Gewaltmacht des Staates durch einzelne Teilgruppen, letztlich

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vor einen Auseinanderbrechen der Gesellschaft und dem offenen Aufreißen von Konflikten, wie die Demokratie. Oft wird dieser Sichtweise etwas sehr Abstraktes entgegen gehalten: Der Staat, das lasse sich prinzipiell begründen, sei in Verwaltungsaufgaben weniger effizient als der Markt. Denn eine privat organisierte, einem Wettbewerb ausgesetzte Organisation habe eine schlankere Verwaltung, vergeude weniger Mittel und könne sich schneller aufneue Umstände einstellen, eben weil Wettbewerb herrscht. Dem ist zweierlei zu entgegnen: Zunächst sollten wir uns klar machen, dass längst Methoden des Wettbewerbs in die Verwaltung öffentlicher Ausgaben Einzug gehalten haben. In den allermeisten Bereichen haben wir es ja - seien wir ehrlich - nicht mehr mit einem Bürokratenstaat zu tun, in dem Formulare von Hand zu Hand wandern: Krankenkassen und Gesundheitscenter sind längst auf Effizienz getrimmt worden. Das deutsche Subsidiaritätsprinzip sieht vor, dass solche Dienste in der Regel unabhängig vom Staat getragen werden, der lediglich für sein Versprechen einsteht, dass die Leistungen von irgendwem erbracht werden. In den verbleibenden Bereichen - das ist der zweite Punkt - ist das Mehr an Bürokratie und Weniger an Markt eben gewünscht. Eine Söldnerarmee birgt ebenso Gefahren wie eine rein private Arbeitsvermittlung, die ganze Bevölkerungsteile ausschließt und in die Verzweiflung treibt, weil sie die Mittel für diese "Dienstleistung" nicht haben. Auch Bildung und Forschung taugen wieder als Beispiel. Obwohl sie hinsichtlich einzelner Maßnahmen etwa in der Wirtschaftskrise und hinsichtlich der Nachhaltigkeit dessen, was staatlich gestützt wird, durchaus staatskritisch sind, widersprechen die InitiatorInnen des Appells dem unausgesprochenen Konsens, dass der Staat grundsätzlich zu träge, zu ineffizient, zu korrupt sei - kurz: dass unsere Steuergelder bei ihm nicht gut aufgehoben seien. Sie halten den Staat zur Bereitstellung von Gemeinschaftsaufgaben wie einer von allen zu nutzenden Infrastruktur, zur Sicherung von Grundbedürfnissen über Krankenhäuser, Kindergärten und Sozialhilfen, zur Bereitstellung von Dienstleistungen wie zum Beispiel öffentlichen Verkehrsmitteln für notwendig. Kernaufgaben des Staates wie Bildung und die Integration von Einwanderern sind Investitionen in unsere Zukunft.

Schluss Die soweit in ihrer Äußerungsform, ihrer Motivation und in ihren Argumenten vorgestellte Initiative vermögender BürgerInnen kann und sollte als ein Fall von angewandter Vermögenskultur aufgefasst werden. Dies ist so, obwohl der zentrale Wirkhebel zur Veränderung in diesem Fall nicht das eingesetzte Finanzvermögen ist. Vielmehr setzen die Initiatoren des Appells für eine Vermögensabgabe primär ihr öffentliches Ansehen und ihre Glaubwürdigkeit als Personen als Ressource ein. Worin der Unterschied besteht, wird deutlich, wenn man drei Arten von Gaben unterscheidet. PhilanthropInnen können versuchen, sich politisch neutral zu verhalten, indem sie ihre Betätigung bewusst aufeine "private Nische" jenseits staatlichen Handeins beschränken; ihr Engagement kann darauf zielen, ein "Leuchtturm" für andere zu sein; oder sie können die politische Dimension ihres Handeins - die jede Gabe hat, weil sie von anderen wahrgenom-

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men wird, die ihr Verhalten und ihre Einstellungen daraufhin ändern - offensiv angehen und sie bewusst nutzen. Politisch neutral sind zum Beispiel Spendenorganisationen, die klassische Entwicklungshilfe, religiöse Einrichtungen oder Ähnliches unterstützen. Leuchtturm-Projekte sind solche, die sich bei der Verteilung von Anerkennung einmischen. Ein Beispiel ist die Vergabe eines Preises oder die Finanzierung eines Modellprojekts. LeuchttOnne sind etwas Tolles - ihre Wirksamkeit ist jedoch begrenzt, weil sie nur positiv beeinflussen können. Um im Bild zu bleiben, kann ein Leuchtturm nur Licht, nicht Schatten sichtbar machen. Im Gegensatz dazu wagen es die Unterzeichnenden der Kampagne vermögender BürgerInnen, Position zu beziehen - auch wenn das heißt, andere zu kritisieren, zu fordern und zu widersprechen, statt nur zu geben und zu helfen. Zugrunde liegt dieser Taktik die Einsicht, dass die gesellschaftlichen und ökologischen Probleme unseres Planeten nicht, auch nicht überwiegend, von Vermögenden oder Superreichen zu lösen sind, ohne dass die Breite der Gesellschaft umdenken und ihr Verhalten ändern müsste. Die vermögenden Initiatoren haben verstanden, dass auch ihre finanziellen Ressourcen zur Lösung der globalen Probleme verschwindend gering sind. Als Ressource sehen sie ihr eigenes, authentisches und glaubwürdiges Auftreten in einer öffentlichen Debatte an. Ein wichtiger Wirkfaktor der Aktionen ist die Stärkung anderer, politischer und zivilgesellschaftlicher Kräfte und Bewegungen. Aktionen wie der Appell vermögender BürgerInnen sind also als vermögenskulturelle Äußerungen aufzufassen. Auch aus einem weiteren Grund sollten die hier angesprochenen Fragen in diesem Diskussionskontext weiter thematisiert werden. Weil der Begriff der Vermögenskultur die Dimension der "Kultur", das heißt des ,,zwischen Menschen" Stattfindenden, explizit mit einschließt, ist eine Betrachtung dessen, wie die Reichsten verantwortlich mit ihrem Vermögen umgehen, nur dann vollständig, wenn der Hintergrund aus gesellschaftlich vermittelten WerteinsteIlungen, Beziehungen und Vorbildern mit einfließt - auf welche Einfluss zu nehmen zugleich Teil des Handlungsraumes sein sollte. Diese Einsicht bedingt, dass Vermögenskulturforschung nicht ohne innezuhalten vom Thema "Vermögende" zu deren wünschenswerter Aktivität "Spenden und Stiften" übergehen darf. Die Erforschung der Vermögenskultur einer Gesellschaft tut gut daran, den Umgang mit Vermögensunterschieden in all seinen Facetten zu thematisieren: Wie wird gesellschaftliche Anerkennung verteilt, welche Faktoren beeinflussen diese und sollten diese beeinflussen? Wie viel Reichtum und wie große Reichtumsunterschiede wollen wir in unserer Welt eigentlich haben? Und: Ab welchem Punkt liegen die größeren Potenziale weniger im Reichtum denn in der Verringerung der schon heute immensen Kluft zwischen Reich und Arm?17

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Anhang

Appell./Ur eine Vermögensabgabe Die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise wird Arbeitslosigkeit, Annut und soziale Ungleichheit vergrößern. Sie ist vor allem ein Ergebnis neoliberaler Politik, die auf die Deregulierung der Märkte setzte und dem globalisierten Kapitalismus keine sozialen und ökologischen Schranken setzte. Mit der Krise ergibt sich die Chance für eine Wende zu einer anderen Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik. Der Weg aus der Krise muss durch massive Zukunftsinvestitionen in Ökologie, Bildung und soziale Gerechtigkeit geebnet werden. Wir, die wir durch Erbschaft, Arbeit, erfolgreiches Unternehmertum oder Kapitalanlage zu einem Vermögen gekommen sind, fordern, dass alle Wohlhabenden an den Kosten zur Abfederung der Krise und für ein Zukunfts-Investitionsprogramm beteiligt werden. Menschen mit einem Vermögen von über 500.000 Euro müssen mit einer aufzwei Jahre befristeten Vennögensabgabe in Höhe von jeweils 5 Prozent in die Pflicht genommen werden. Diese sollte danach in eine Vennögensteuer in Höhe von mindestens 1 Prozent überfilhrt werden. Die Steuennilliarden der bisherigen Konjunkturprogramme finanzieren viel zu wenig nachhaltige Investitionen, sondern subventionieren etwa den Neukauf spritfressender Autos oder den Straßenbau. Die Vermögensabgabe soll hingegen gezielt in den ökologischen Umbau der Wirtschaft, in Personal für Bildungs-, Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen sowie in die Erhöhung von Transfereinkommen investiert werden. Um eine Umgehung der Abgabe durch Steuerflucht zu verhindern, müssen per Gesetz Geldflüsse in Steueroasen erfasst und der Abgabe unterworfen werden. Deutsche Finanzbehörden müssen mehr Kompetenzen zur Verhängung von Sanktionen gegen Personen und Unternehmen erhalten, die Geschäftsbeziehungen mit Steueroasen unterhalten. Darüber hinaus fordern wir regulative Maßnahmen, mit denen künftig auf Spekulation beruhende Krisen verhindert und der gesellschaftliche Reichtum - auch international - gerechter verteilt werden kann.

*** Anmerkungen Rohwedder, JÖTg; Kolh, Felix (2007): Progressive Philantropie: Geben fiir sozialen Wandel. In: Kolb, Felix (Hsg.): Damit sich was bewegt. Wie soziale Bewegungen und Protest Gesellschaft verändern. Hamburg: VSA: S. 109-120. 2

Das heißt nicht, dass die Aussage, es könne eine demokratische Stiftung geben, in diesem Kreis unkritisch betrachtet wird.

3

Dazu die Pressemitteilung der Initiative: ,,75 Prozent der Befragten sprachen sieb angesichts der Krise fiir ein weiteres Konjunkturprogramm mit gezielten Investitionen in Bildung, Klima- und Umweltschutz aus. Die Zustimmung in Ost und West lag dabei gleich hoch. Mit Nein votierten lediglich 23 Prozent. Gefragt nach der ge-

"Vennögende fordern Vennögensabgabe"

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rechten Finanzierung der Staatsausgaben bei einbrechenden Steuereinnahmen, befürworteten 57 Prozent eine primäre Finanzierung durch die Vermögensabgabe. Bei den Wählern der SPD lag die Zustimmung sogar bei 64 Prozent. Nur 26 Prozent der Befragten votierten filr eine Erhöhung von Steuern wie der Einkommen- oder Mehrwertsteuer, die alle Steuerzahler gleichermaßen betreffen. Neun Prozent sprachen sich filr den Weg der höheren Neuverschuldung von Bund und Ländern aus." 4

Die Schätzung der Initiative beruht auf den Datensätzen des Sozio-ökonomischen Panels von 2007. Bei der Berechnung wurde ein Freibetrag von 400.000 Euro pro Erwachsenem und 100.000 Euro pro Kind angenommen.

5

Bekannt sind mir Berichte aus Österreich, Frankreich und Großbritannien, sowie aus Brasilien, Mexiko und Südafrika.

6

Eine vom Autor durchgefllhrte, stichprobenartige Umfrage unter zwölf der Unterzeichnenden ko=t zu dem Ergebnis, dass lediglich zwei der Befragten sich als religiös verstehen. Zehn der Befragten gaben an, in einer christlichen Kirche getauft zu sein.

7

Wilkinson, Richard; Pickett, Kate (2009): The Spirit Level. Wby More Equal Societies Almost Always Do Better. London: Allen Lane. Auf Deutsch erschienen bei Zweitausendeins unter dem Titel: Gleicheit ist Glück: Warum gerechte Gesellschaften filr alle besser sind.

8

Die Vermögensabgabe, die in der Bundesrepublik 1949 als Lastenausgleich eingefllhrt wurde, betrug SO Prozent des Vermögens zum Stichtag 21.6.1948 und war über 30 Jahre abzuzahlen, also bis ins Jahr 1979.

9

DIW-Wochenbericht Nr. 4/2009.

100ft wird hierzu insbesondere eine Statistik falsch zitiert (leider auch von Thomas Druyen (2007): Goldkinder: S 22), derzufolge die reichsten 10 Prozent der Deutschen über SO Prozent "des Steueraufko=ens" beitrügen. Der Fehler dabei ist, die Einkommenssteuer mit dern Gesamtsteueraufkommen zu verwechseln. Gemessen am gesamten Steueraufko=en betragen die Steuern auf Einkommen lediglich ca. 38 Prozent. Über die Hälfte beträgt der Anteil der reichsten 10 Prozent lediglich daran. Fast alle übrigen Steuerarten, wie die Mehrwertsteuer, wirken hingegen degressiv, das heißt, sie belasten ärmere Haushalte prozentual stärker. 11

Bei "einem Single mit einem Jahresgehalt von rund 63.000 Euro mit 53,7 Prozent [fallen] die höchsten Abzüge durch Steuern und Sozialbeiträge an. Bei 110.000 Euro Jahresgehalt müssen dagegen nur noch SO Prozent der Arbeitskosten (Bruttoverdienst plus Sozialbeiträge Arbeitgeber) an Sozialkassen und Staat abgefllhrt werden. Die Steuer- und Sozialabgabenquote liegt damit wieder auf dem Niveau eines Arbeitnehmers mit 36.500 Euro Jahresgehalt." (OECD Pressemitteilung: Steuern- und Sozialabgaben konzentrieren sich in Deutschland bei Gering- und Durchschnittsverdienern. 12. Mai 2009.)

12

Quelle: OECD Revenue Statistics 2008.

13

Diese Argumentation, die m.E. auch bei der JÜDgsten Erhöhung der Erbschaftsteuer-Freibeträge insbesondere beim Übergang von Vermögen auf die eigenen Kinder wirksam war, erscheint als Leugnung des Faktums, dass es sich auch bei einer Erbschaft von den eigenen Eltern um einen Übergang von Vermögen von einer Person auf eine andere handelt. Man könnte vermuten, dass das letztlich dynastische Bild, nach dem Familien und nicht Personen Staatssubjekte seien, zunehmend an Wirkungsmacht gewinnt.

14

Das deutsche Grundgesetz liefert kein Gegenargument gegen eine Vermögensabgabe. Erstens, weil das Bundesverfassungsgericht den sogenannten "Halbteilungssatz" 2006 korrigiert hat (2 BvR 2194/99). Zweitens würde auch der Grundsatz, selbst gemäß seiner ursprünglichen Interpretation, nicht tangiert, weil der Spitzensteuersatz inzwischen deutlich unter SO Prozent beträgt. Drittens findet sich in Abs. 106 GG sogar ein Hinweis auf die Möglichkeit einer Vermögensabgabe.

15

Zum Beispiel: Bach, Stefan (2009): Vermögensbesteuerung in Deutschland. In: DIW-Wochenbericht 30: S. 478-486.

16

Vgl. Adamek, Sascha; Otto, Kim (2009): Schön Reich - Steuern zahlen die Anderen. Wie eine ungerechte Politik den Vermögenden das Leben versüßt. MÜDchen: Heyne.

17

Für Hinweise zu einer früheren Version dieses Artikels danke ich Jörg Rohwedder und Dieter Lehmkuhl.

Über Venture-Philanthropie Wolfgang Hafenmayer

1. Was ist Venture-Philanthropie und wie unterscheidet sie sich von anderen Ansätzen philanthropischen Gebens? Eine kurze Historie der Venture-Philanthropie Venture-Philanthropie (VP), das Anwenden von Venture-Capital-Prinzipien im philanthropischen Bereich!, ist eine vergleichsweise junge Disziplin philanthropischen Gebens. Nach ersten erfolgreichen Einsätzen, wie beispielsweise durch New Profit2 oder Social Venture Partners3 in den USA in den I 990er Jahren, hat dieser Ansatz Anfang des 21. Jahrhunderts seinen Weg über Großbritannien nach Kontinentaleuropa gefunden. Mit der Gründung erster VP-Fonds, wie BonVenture4 (2003) in Deutschland, Impetus TrustsS (2002) in England und der European Venture Philanthropy Association6 (EVPA, 2003), fasste dieser Ansatz in Europa Fuß. In Indien haben sich im selben Zeitraum unter anderen mit Dasra7 und Aavishka.a.r8 erste Vertreter dieser neuen Branche hervorgetan. In anderen Teilen Asiens, vor allem in China und Singapur, wurden erst in den vergangenen zwei Jahren erste Initiativen gestartet. In Afrika und Lateinamerika befindet sich der VP-Ansatz noch im Anfangsstadium. Es ist allerdings davon auszugehen, dass sich Venture-Philanthropie als ein stabiles Segment philanthropischen Gebens etablieren wird. Generell ist die Venture-Philanthropie - ähnlich wie das klassische Stiftungswesen - darum bemüht, eine hohe soziale beziehungsweise ökologische Rendite zu erzielen. Sie wendet jedoch zu deren Erreichung Prozesse und Finanzierungsformen aus dem Venture-Capital-Bereich an, die in dieser Form von der klassischen Stiftungsarbeit nie eingesetzt wurden. Hauptcharakteristika der Venture-Philanthropie Was zeichnet Venture-Philanthropie als einen Ansatz philanthropischen Gebens aus? Wie in vielen jungen, dynamischen Branchen ist es hier noch schwer, klare Trennlinien zu ziehen. Die folgenden Ausfiihrungen sind deshalb als Momentaufnahme aus der Sicht des Autors zu verstehen, der selbst seit Jahren in der Venture-Philanthropie aktiv ist (siehe 2.1.). VenturePhilanthropie zeichnet sich durch acht Hauptkriterien aus, die im Folgenden genauer beschrieben werden: •

Fokus auf wenige Organisationen;

•

Wachstumsfinanzierung: Unterstützung junger, stark wachsender Organisationen;

•

intensive Due Diligence vor Ort zum Wissens- und Beziehungsaufbau;

T. Druyen (Hrsg.), Vermögenskultur, DOI 10.1007/978-3-531-92086-3_16, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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•

maßgeschneiderter Einsatz von Eigenkapitalinvestitionen, unbesicherten Darlehen und Spenden, um eine ergebnisorientierte Kultur mit strategischem Fokus zu schaffen und Märkte entstehen zu lassen;

•

Unterstützung durch finanzielles, intellektuelles und soziales Kapital;

•

langfristiges Engagement;

•

permanentes Controlling und Erfolgsmessung;

•

Optimierung der sozialen/ökologischen Rendite.

Fokus aufwenige Organisationen

Im Gegensatz zur traditionellen wohltätigen Spende, die meist in einzelne Projekte, Programme, Initiativen, Forschungsvorhaben oder Beratungsaufgaben fließt, investiert Venture-Philanthropie in gesamte Organisationen, die einen sozialen oder ökologischen Mehrwert schaffen. Der Venture-Philanthrop ist darum bemüht, die Vergangenheit, gegenwärtige Situation und mögliche Zukunft der gesamten Organisation zu verstehen. Aus diesem Grund analysiert er das Geschäftsmodell der Organisation, den Markt in dem die Organisation tätig ist, die Wettbewerber, die Vertriebsstrategie, Marketing und PR der Organisation, die Umsetzungsplanung für die kommenden Jahre sowie die finanzielle Situation und vor allem die Qualität des Managements. Der Venture-Philanthrop versucht zu verstehen, ob die Organisation wirklich eine nachhaltige Lösung für ein wichtiges soziales beziehungsweise ökologisches Problem hat und wie hoch dementsprechend der soziale beziehungsweise ökologische Mehrwert ist, wenn die Organisation ihre Strategie umsetzt. Da die Erarbeitung dieses umfassenden Verständnisses für die Organisation und deren Markt sehr zeitintensiv ist - allerdings eine notwendige Voraussetzung, um sinnvolle Investitionsentscheidungen treffen und die Organisation später richtig unterstützen zu können - konzentriert sich der Venture-Philanthrop bei seiner Arbeit auch nur auf wenige, sorgsam ausgewählte Organisationen. LGT Venture Philanthropy9 (LGT VP), das 15-köpfige, globale Venture-Philanthropie-Team der Bank der fürstlichen Familie von Liechtenstein, hat beispielsweise in den vergangenen zwei Jahren circa 1000 Organisationen einem rigorosen, mehrstufigen Prüfungsprozess unterzogen. Dabei haben die lokalen Investment Manager der LGT VP in Lateinamerika, Afrika, Indien, Südostasien und China philanthropische Organisationen in einem drei- bis zwölfinonatigen, standardisierten Prozess genau durchleuchtet, sich aber schließlich nur bei elf Organisationen langfristig engagiert. Diese Philosophie des Fokus steht im Gegensatz zum "Spray & Pray"-Ansatz, den man in der traditionellen philanthropischen Praxis immer noch sehr häufig vorfindet. Wachstumsfinanzierung Venture-Philanthropie investiert injunge, stark wachsende Organisationen. Deshalb kommen etablierte Organisationen wie World Vision oder Greenpeace nicht als mögliche Investitionsobjekte in Frage. Außerdem wird weder in kleine, nicht wachsende Projekte investiert, wie beispielsweise die jährliche Finanzierung eines Kinderheimes, noch in Organisationen, die

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sich noch im Ideenstadium befinden. Ausgewählt werden Organisationen, die zwei bis fünf Jahre bestehen und gerade in eine signifikante Wachstumsphase eintreten beziehungsweise hohes Wachstumspotenzial aufweisen. Intensive Due Diligence vor Ort zum Beziehungs- und Wissensaufbau Jedem Engagement geht eine drei- bis zwölfmonatige Prüfungsphase (Olle Diligence) vor Ort voraus, in der versucht wird, die Organisation, deren Markt und Branche und vor allem die Mitarbeiter der Organisation so gut wie möglich kennen zu lernen. Da die Unterstützung der Venture-Philanthropen weit über die zur Verfügung gestellten Gelder (finanzielles Kapital) hinausreicht, ist es unerlässlich, die Organisationen, in die sie investieren möchten, sehr gut zu kennen. Zusammen mit den Mitarbeitern der Organisation versuchen Venture-Philanthropen während der Due Diligence unter anderem zu verstehen: Welches Problem will die Organisation lösen? Warum ist dieses Problem relevant für die Zielgruppe? Warum ist das Modell der Organisation besonders gut geeignet, dieses Problem zu lösen? Wie will die Organisation dies auf eine besonders effiziente Art umsetzen? Essentiell ist das Verständnis davon, was die Lösung im Leben der betroffenen Menschen - der Zielgruppe - wirklich verändert, was also der soziale beziehungsweise ökologische Mehrwert beziehungsweise die Wirkung der Organisationen ist. Venture-Philanthropen analysieren des Weiteren die Marketingaktivitäten, die Verkaufsund Verteilungsmechanismen, die Wettbewerber und die Entwicklung der relevanten Märkte. Entscheidend ist, die wichtigsten Mitglieder des Managements möglichst gut kennen zu lernen sowie sich ihrer Stärken und Schwächen bewusst zu werden. Nicht zuletzt sehen sich Venture-Philanthropen die finanzielle Situation der Organisation genau an und prüfen, ob sich all die verschiedenen untersuchten Elemente darin sinnvoll widerspiegeln. Hat der VenturePhilanthrop Vergangenheit und Gegenwart der Organisation im Bezug auf die oben genannte Fragestellung genau verstanden, lässt er sich erklären, was das Management der Organisation für die nächsten drei bis fünf Jahre plant, wie die Planung umgesetzt werden soll und vor allem, was der Mehrwert ist, den die Organisation von einem Venture-Philanthropie-Investor erwarten würde. Dieser Mehrwert sollte immer eine finanzielle Komponente haben, sich jedoch nicht darauf beschränken (siehe auch Unterstützung durch finanzielles, intellektuelles und soziales Kapital). Im Normalfall stellt ein solches Due-Diligence-Verfahren bereits eine Quasi-Beratung für die Organisation dar, in deren Rahmen wichtige Fragen gemeinsam diskutiert werden. Dazu ist es notwendig, die Sprache und Kultur genau zu verstehen, in der die Organisation arbeitet, sowie ein breites und fundiertes Managementwissen mitzubringen.

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Maßgeschneiderter Einsatz von Eigenkapitalinvestitionen, unbesicherten Darlehen und Spenden, um eine ergebnisorientierte Kultur mit strategischem Fokus zu schaffen und Märkte entstehen zu lassen. Während des Prüfungsprozesses sucht der Venture-Philanthrop nach der optimalen Finanzierungsfonn, um möglichst effizient positive soziale beziehungsweise ökologische Wirkungen zu erzielen. Dabei wird auch analysiert, ob es das Modell der Organisation erlaubt, Geld zu verdienen. Die Venture-Philanthropie teilt die Welt nicht infor-profit oder non-profit. Dies halten wir für ein Mind-Set der Vergangenheit. Wir erhalten gerne Geld zurück, da wir es verwenden können, um weitere Organisationen zu unterstützen. Sollte die Zielgruppe der geprüften Organisation in der Lage sein, für das Produkt beziehungsweise den Service etwas - wenn auch nur einen kleinen Betrag - an die Organisation zu entrichten, so prtlft man, ob das Modell bei einer wachsenden Zahl von Kunden dazu führen kann, dass die Organisation bei gutem Management und Fokus in der Lage ist, profitabel zu arbeiten. Sollte dies der Fall sein, unterstützt der Venture-Philanthrop nicht mit einer Spende, sondern eher mit einem unbesicherten Darlehen (unbesichert, da soziale Organisationen selten Sicherheiten bieten können) oder einer Eigenkapitalinvestition. Die Entscheidung, ob die Investition in Fonn eines Darlehens oder durch Eigenkapitalbeteiligung erfolgt, ist meist abhängig davon, ob es eine Möglichkeit gibt, den mit dem Eigenkapital erworbenenAnteil an der Organisation nach fünfbis sieben Jahren wieder zu verkaufen (Exit). Sollte das Modell zwar profitabel sein, aber ein Exit über den Verkauf an der Börse (IPO), an einen strategischen Partner (Trade sale) oder sonstige interessierte Parteien unwahrscheinlich sein, so bietet sich ein Darlehen an, das über die Zeit ZUTÜckbezahlt wird. Ziel bleibt die Optimierung des sozialen beziehungsweise ökologischen Ertrags. Der Venture-Philanthrop setzt Darlehen oder Eigenkapital nicht ein, um seinen Gewinn zu maximieren. In der Regel fließen Renditen gar nicht zu den Investoren zurück, sondern werden verwendet, um mit Investitionen in weiteren Organisationen noch mehr Positives zu schaffen. So kann ein einmal von einem Philanthropen gegebener Betrag vielfach positiv eingesetzt werden, wohingegen bei einer Spende die finanziellen Mittel ,,nur" einmal für einen guten Zweck eingesetzt werden können. Außerdem versuchen Venture-Philanthropen Märkte zu kreieren beziehungsweise wiederzubeleben und diese nicht zu zerstören. Niemand in Europa würde beispielsweise einen Bäcker in seiner Stadt mit Spenden finanzieren. Dies würde über kurz oder lang dazu führen, dass dieser seine Produkte zu Preisen anbietet, die die anderen Bäcker in der Stadt in den Konkurs treiben. Wäre dies erst einmal geschehen, hätte der eine verbleibende Bäcker - der nach wie vor durch Spenden finanziert wird - wenig Motivation, weiterhin gute Qualität zu liefern oder seinen Laden lange geöffnet zu halten. Davon wären alle Menschen in dieser Stadt negativ betroffen. Unglücklicherweise machen viele Stiftungen seit Jahrzehnten genau diesen Fehler in Entwicklungsländern. Spenden führen häufig zu einer Kultur, in der nicht sehr zielgerichtet gearbeitet wird und die Ressourcen auch nicht optimal eingesetzt werden. Dies ändert sich sehr oft, wenn Gelder wieder zurückgezahlt werden müssen.

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Ein weiteres Argument für die Finanzierung mit Darlehen oder Eigenkapital ist die Stärkung der Unabhängigkeit der Organisation. Kann man einer philanthropischen Organisation beispielsweise beibringen, wie sie ihre Kernkompetenzen so einsetzen kann., dass sie Geld einnimmt, wird die Organisation mittelfristig unabhängiger von Spenden. Speziell in ökonomisch schwierigen Zeiten, in denen oft weniger gespendet wird, kann sie dann überleben. Dies fUhrt auch dazu, dass ihre Lösungen langfristig Positives schaffen können. Nicht zu unterschätzen ist auch, dass Organistionen durch diese Unabhängigkeit verhindern können, dass sie - unter dem Druck der Prognosen und Trends einzelner Stiftungen - ihr Modell permanent anpassen müssen. Trotz all dieser und weiterer positiver Auswirkungen von Darlehen und Eigenkapitalinvestitionen nutzen auch Venture-Philanthropen Spenden. Diese werden allerdings nur angewandt, um Lösungen umzusetzen, die eine unerträgliche, negative Situation aus der Welt schaffen sollen, wo ein kostendeckendes oder profitorientiertes Modell keinen Sinn macht oder schlicht nicht möglich ist - wie bei der Unterstützung von Organisationen, die sich beispielsweise gegen den Kinderhandel einsetzen.

Unterstützung durch finanzielles, intellektuelles und soziales Kapital Da Venture-Philanthropie stark wachsende Organisationen unterstützt, fehlt es dort oft an notwendigem Managementwissen und Erfahrung. Hier bemüht sich der Venture-Philanthrop darum, sein intellektuelles Kapital, das heißt, seine langjährige Managementerfahrung einzubringen. Des Weiteren unterstützt er auch durch sein soziales Kapital, wie Beziehungen zu weiteren Investoren, zu Spezialisten, zu potenziellen Kunden oder Rohstoffiieferanten, um die Organisation langfristig erfolgreich zu machen. Geld allein ist für viele Organisationen nicht ausreichend, um die gestiegenen Managementanforderungen in der Wachstumsphase zu beWältigen. Ohne Unterstützung in Managementfragen setzen die Organisationen die investierten finanziellen Mittel oft ineffizient - manchmal sogar verschwenderisch - ein, ohne die geplanten positiven Auswirkungen zu erzielen. Die Erfahrung zeigt, dass Venture-Philanthropen sich immer noch rechtfertigen müssen, wenn sie auch in Managementbereichen einen signifikanten Beitrag leisten möchten. Viele reagieren auch immer noch skeptisch, wenn Venture-Philanthropen in Organisationen investieren, die ihr gutes Management entsprechend gut entlohnen, so dass in der Konsequenz nicht das ganze Geld direkt zu den von der Organisation unterstützten, benachteiligten Menschen fließt. Dabei halten wir alle es für normal, dass in Chemiefirmen nicht nur Chemiker arbeiten, sondern auch Manager; dass Automobilfirmen nicht nur Mechaniker anstellen, sondern Menschen, die sich um Finanzen, Strategie, Personalentwicklung, Marketing etc. kümmern und dafür meist gut bezahlt werden. Gleichzeitig halten wir aber eben diese klassischen Managementfunktionen bei Non-Profit- und Low-Profit-Organisationen für unnötig oder gehen davon aus, dass sie von Menschen, deren Stärken in sozialen Arbeitsfeldern liegen, quasi nebenbei in den Abendstunden erledigt werden könnten. In der Venture-Philanthropie geht es darum, durch den Einsatz finanzieller Mittel eine möglichst große Wirkung für benachteiligte Menschen zu erzielen. Dies ist unserer Erfahrung nach nur dann möglich, wenn Organisa-

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tionen über sehr gute Managementfähigkeiten verfUgen und die betroffenen Menschen aktiv unterstützt werden.

Langfristiges Engagement Die meisten Veränderungs- und Wachstumsprozesse geschehen nicht über Nacht, sondern in einem langfristigen, oft mühsamen Prozess. Für Venture-Philanthropen sind deshalb fUnf- bis siebenjährige Engagements der Normalfall. Der oben beschriebene Wissens- und Beziehungsaufbau während des intensiven Prüfungsprozesses fUhrt erst dann zu den gewünschten Resultaten, wenn man mehr als nur ein Jahr mit der Organisation arbeitet. Dies bewirkt zudem ein ganz anderes Verantwortungsbewusstsein fiir die positive Weiterentwicklung der Organisation.

Permanentes Controlling und Erfolgsmessung Ist man als Venture-Philanthrop erst einmal engagiert, ist die Due Diligence also positiv ausgefallen und sind alle Verträge unterzeichnet, so beginnt die kontinuierliche Unterstützung. Dieses Mentoring beziehungsweise Diskutieren relevanter strategischer und operativer Herausforderungen braucht zur Grundlage das Wissen darüber, wie sich die in der Due Diligence erarbeiteten wichtigen Indikatoren, wie beispielsweise die Zahl ausgebildeter Kinder, die Zahl mit erneuerbarer Energie versorgter Haushalte, oder die Zahl neu gegründeter Kleinuntemehmen, monatlich entwickeln. Nur basierend auf diesen Daten ist es möglich zu wissen, ob man auf einem richtigen Weg ist, die langfristigen Ziele zu erreichen. Nur so hat man die Möglichkeit, frühzeitig Dinge zu ändern, falls dies nicht der Fall sein sollte. Venture-Philanthropie legt großen Wert darauf: die erreichte Wirkung zu messen. Dies soll aber nicht erst in einem Projektreport am Ende des Engagements evaluiert werden - der Venture-Philanthrop will kontinuierlich darüber Bescheid wissen, was in der Organisation geleistet wird, um daraus die notwendigen Verbesserungsmaßnahmen ableiten zu können. Dies geschieht in vielen Fällen über ein strukturiertes monatliches Reporting.

Optimierung sozialer/ökologischer Rendite Auch wenn Venture-Philanthropen die Prozesse und die Arbeitsweise von Venture Capital Fonds anwenden, unterscheiden sie sich entscheidend dadurch, dass sie die soziale/ökologische Rendite optimieren und nicht wie VC-Fonds die finanzielle Rendite maximieren wollen. Venture-Philanthropen kommen vor allem dann zum Zuge, wenn fiir Venture Capital Fonds die Renditen zu gering sind (landes- und industrieabhängig bei Renditen unter 20 Prozent). Auch in Fällen, bei denen Risiken (Landes-, Währungs-, Modellrisiko) vor allem fiir Bankenfinanzierungen zu hoch sind, spielt Venture-Philanthropie eine wichtige Rolle. Im Gegensatz zu herkömmlichem "wohltätigem Spenden" kümmert sich Venture-Philanthropie jedoch viel mehr um die finanzielle Nachhaltigkeit der Lösungen. Die oben beschriebenen acht Hauptcharakteristika der Venture-Philanthropie zeigen einerseits, was Venture-Philanthropie ist und wie sie sich versteht; sie machen aber andererseits auch die Unterschiede zum klassischen "wohltätigen Geben" und der Venture-Capital-Szene deutlich. Die Hauptunterschiede sind darin zu

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sehen, dass Venture-Philanthropen wie Risikokapitalgeber in wenige, junge, stark wachsende Organisationen investieren und nicht wie traditionelle wohltätige Stiftungen an eine Vielzahl von Projekten und Programmen unterschiedlichster Reife spenden. Die intensive PIÜfung vor Ort zum Wissens- und Beziehungsaufbau rentiert sich auch nur für Venture-Philanthropen und Venture-Kapital-Geber, da beide langfristige Engagements eingehen und weit mehr als nur finanzielle Mittel zur Verfügung stellen. Wohltätige Stiftungen hingegen, die sich oft für ein Jahr engagieren, priifen Förderanträge eher vom Schreibtisch aus und belassen es bei einer rein finanziellen Unterstützung. Intellektuelles oder soziales Kapital wird von den wenigsten wohltätigen Stiftungen gezielt und dauerhaft zur Verfügung gestellt. Der Einsatz von Eigenkapital und Darlehen durch Venture-Philanthropen fordert geradezu das permanente Controlling der unterstützten Organisationen, wohingegen Stiftungen, die einmal gespendet haben, oft mit Jahresendreporten zufrieden sind. Dieser Vergleich soll nicht implizieren, dass Venture-Philanthropie eine bessere Art des wohltätigen Gebens ist. Es ist schlicht ein anderer, alternativer Ansatz, der genau wie wohltätiges, traditionelles Geben gut oder schlecht gemacht werden kann. So wie sich auch in der Finanzbranche für unterschiedliche Finanzierungsbedürfnisse unterschiedliche Finanzierungsarten herausgebildet haben, so wird sich auch die Philanthropie in Zukunft stärker segmentieren und es wird unterschiedliche Arten der Finanzierung von wohltätigen Organisationen geben. Dabei wird es nicht so sehr darauf ankommen, welchen Ansatz man verfolgt, es wird vielmehr wichtig sein, dass man den gewählten Ansatz professionell und gut ausfiihrt und die dafür erforderlichen Fähigkeiten mitbringt. Es ist wichtig, einen Ansatz philanthropischen Gebens zu wählen, bei dem die eigenen Fähigkeiten und Kenntnisse optimal zum Einsatz kommen.

2. Herausforderungen in der täglichen Arbeit am Beispiel der LGT Venture Philanthropy Mein Weg zur Venture-Philanthropie So wie Teil I keinen Anspruch auf definitorische Vollständigkeit erhebt, kann es auch im zweiten Teil nur darum gehen, Ausschnitte aus meiner täglichen Erfahrung in diesem Bereich wiederzugeben. Bevor ich zu den praktischen Herausforderungen von Venture-Philanthropie komme, möchte ich kurz meinen eigenen Weg zur Philanthropie schildern: Nach lehrreichen Jahren in der Managementberatung bei Bain & Company und als CEO der IT- und Managementberatung Consileon Schweiz, habe ich mich immer häufiger gefragt: Woraufwillst du später einmal in deinem Leben ZUIÜckblicken? Was motiviert dich wirklich, wofür stehst du gerne täglich auf? Würdest du diesen Beraterjob auch weiterhin so intensiv machen, wenn du wüsstest, dass du nur noch sechs Monate zu leben hättest? Nach vielen Diskussionen, intensivem Lesen und Nachdenken bildete sich bei mir und meiner Frau, Joanna Stafanska, die Hypothese heraus, dass zumindest wir langfristig nur glücklich werden, wenn wir etwas Positives für andere Menschen beitragen. Mit dieser Hypothese gingen wir unter dem Projektnamen Mylmpact (www.myimpact. ch) auf eine einjährige Weltreise in 26 Länder und fiinfKontlnente. Diese :führte zu 230 Men-

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sehen, die eines gemeinsam hatten: Sie schufen etwas Positives für andere Menschen, vorwiegend durch das Umsetzen von sozialen und ökologischen Lösungen. Dreiundzwanzig ausgewählte Porträts können Sie in unserem Buch Die Zukunftsmacher nachlesen. Dort finden sich Lebensgeschichten wie die von David Bussau, der mit 16 Jahren das Waisenhaus verließ, um innerhalb von zwanzig Jahren zum Multimillionär und Besitzer von vierzig Unternehmen zu werden. Dieser Reichtum machte ihn jedoch nicht glücklich, und so entschied er sich, nicht mehr dem materiellen Erfolg nachzujagen, sondern nach einem sinnerfüllten Leben zu suchen. Der jahrelange Versuch der Direkthilfe nach Katastrophen brachte ihn zu der Einsicht, dass er seine Talente nicht richtig einsetzte, wenn er Brücken und Häuser baute. Eine Erfahrung in Indonesien, als er einem Kleinunternehmer 50 US-Dollar für den Aufbau eines Unternehmens lieh und ihn dabei unterstützte, dieses erfolgreich aufzubauen, legte den Grundstein für eine mittlerweile mehr als dreißigährige Karriere als Mikrofinanzunternehmer. David arbeitet heute mit einem kleinen Team von den Philippinen aus daran, immer wieder neuen sozialen Unternehmen zum Erfolg zu verhelfen. Und er ist heute sehr zufrieden und glücklich mit seinem Leben. Das Buch enthält aber auch Geschichten von naiven europäischen Studenten, die in Afrika mit Bürgerkrieg konfrontiert werden und dadurch auf einen anderen Lebensweg gelangen oder von Menschen wie Ines Sanguinetti, die vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen im modemen Tanz viel Positives für benachteiligte Jugendliche in den Armenvierteln von Buenos Aires schafft. Diese Lebensgeschichten sollen dazu anregen, darüber nachzudenken, was man mit seinen eigenen Fähigkeiten im Leben macht, und dazu inspirieren, diese positiv einzusetzen. Nicht nur weil dies benachteiligte Menschen unterstützt, sondern auch, weil es zum eigenen persönlichen Glück verhilft. Nach unserer Rückkehr versuchte ich das, was ich während der einjährigen Reise kennen lernen durfte, mit dem zu verbinden, was ich in den Jahren zuvor gemacht hatte. Nachdem ich einige Monate beim Aufbau von Forma Futura10 mitgeholfen hatte, einemAsset-Management-Unternehmen, das versucht, Gewinn und Sinn miteinander zu verbinden, entschied ich mich bei BonVenture ll zu arbeiten. BonVenture war das erste soziale Venture-Capital-Unternehmen beziehungsweise der erste Venture Philanthropy Fonds im deutschsprachigen Raum. Dort finanzierten wir - durch Investitionen und Spenden - Organisationen mit herausragenden sozialen und ökologischen Lösungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Nach einer sehr spannenden Zeit bei BonVenture erhielt ich 2007 von Prinz Max von Liechtenstein die einmalige Chance, LGT Venture Philanthropy aufzubauen. Unterstützt durch finanzielle Mittel der LGT Gruppe, der Wealth- und Asset-Management-Gruppe im Besitz des Fürstenhauses von Liechtenstein, erhielten wir die Möglichkeit, mit Hilfe des Venture-Philanthropie-Ansatzes die nachhaltige Lebensqualität von benachteiligten Menschen zu verbessern. Mit einem globalen Team aus inzwischen 15 leidenschaftlich engagierten und hochqualifizierten Mitarbeitern auf vier Kontinenten unterstützen wir mittlerweile Organisationen in Lateinamerika, Afrika, Indien, Südostasien und China und konnten weitere Mittel philanthropisch engagierter Vermögender einwerben. Einige dieser Organisationen reduzieren menschliches Leiden, wie beispielsweise mothers2mothers, die durch ein innovatives Beratungsmodell die HIV/Aids-Übertragungsrate

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von Mutter zu Kind signifikant reduzieren konnten. Andere schaffen Bildungsmöglichkeiten - wie beispielsweise Bridge International Academies, ein Franchisingsystem für Privatschulen, das innerhalb der kommenden fünf Jahre 350.000 kenianischen Slum-Kindern eine hochwertige Bildung zukommen lässt, oder bieten weniger privilegierten Menschen die Gelegenheit sich einen Lebensunterhalt zu verdienen - wie Husk Power Systems (HPS). Husk Power Systems nimmt sich des Problems der Stromversorgung an, das in Indien 480 Millionen Menschen (das ist fast siebzigmal die Einwohnerzahl der Schweiz!) ab Einbruch der Dunkelheit von Kerosinlampen abhängig macht. Diese sind auf Grund der Abgase nicht nur gesundheitsschädlich, sondern erhöhen die Brandgefahr, schädigen durch CO 2-Emissionen die Umwelt und sind zudem auch verhältnismäßig teuer. Vor allem aber erlaubt das schlechte Licht kaum jemandem, abends einer Arbeit nachzugehen oder gar zu lesen. Gemäß den Plänen der indischen Regierung wird in die meisten dieser ca. 125.000 indischen Dörfer auch innerhalb der kommenden Jahre keine Stromleitung fuhren. Um dieses Problem zu lösen und die Bewohner dieser Dörfer aus mittelalterlichen Verhältnissen in Richtung des 21. Jahrhunderts zu begleiten, hat Husk Power Systems bereits zehn dezentrale Biogaskleinanlagen (35 - 100 kWh) im Norden Indiens aufgebaut, welche die reichlich vorhandenen Reishülsen, ein Abfallprodukt der Reisernte, in Strom umwandeln. Jede dieser Anlagen liefert Strom für ca. fiinfDörfer im Umkreis von vier Kilometern um eine dieser Anlagen. Dies bedeutet, dass ca. 15.000 Menschen von einer Anlage profitieren. Sie haben nicht nur Zugang zu günstigerem Strom, sondern können das hellere Licht zum ungefährdeten Lernen gebrauchen und abends sogar weitere kleine Dienstleistungen anbieten, die erst durch den Strom ermöglicht wurden. LGT Venture Philanthropy finanziert mit einer Eigenkapitalinvestition von 300.000 US-Dollar die nächste Wachstumsphase von HPS. Diese Finanzierungsrunde wird zusammen mit drei anderen Venture Philanthropy Fonds geleistet, die LGT VP davon überzeugen konnte, dass mit einem Engagement bei HPS sehr viel Positives erreicht werden kann - dies ist nur ein Beispiel, wie soziales Kapital eingebracht werden kann. HPS hat sich zum Ziel gesetzt, innerhalb der nächsten fünf Jahre 8,5 Millionen Menschen mit Strom zu versorgen. Dazu benötigt es ungefähr 1770 vergleichbare dezentrale Biogaskleinanlagen. Dass ein derartiges Wachstum mit großen Managementherausforderungen verbunden ist, versteht sich von selbst. Deshalb arbeiten die indischen Mitarbeiter der LGT Venture Philanthropy in wichtigen operativen und strategischen Fragestellungen auch sehr eng mit dem HPS-Team zusammen. Zusätzlich hat LGT Venture Philanthropy 2008 das Impact Catalyst Program (www.iCatsprogram.com) ins Leben gerufen. Dieses Programm ermöglicht Menschen mit Berufserfahrung, die gerne ihre Fähigkeiten sinnvoll philanthropisch einsetzen möchten, eine gewisse Zeit lang für Portfolio-Organisationen der LGT Venture Philanthropy zu arbeiten. Über dieses Programm konnte beispielsweise ein aus Indien stammender Technologieberater gewonnen werden, der zuvor im Silicon Valley tätig war und nun dabei ist, bei HPS die bestehenden Prozesse zu analysieren und effizienter zu strukturieren. Ein indischer Investment-Banker undjahrelanger Managementberater aus London hat sich ebenfalls verpflichtet, ein Jahr lang umsonst in der Geschäftsentwicklung für HPS in Indien mitzuarbeiten. Dieser Einsatz von intellektuellem Kapital soll helfen, die geplante positive Wirkung auch wirklich zu erzielen.

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Nachdem ich in den vergangenen beiden Jahren das globale LGT Venture Philanthropy Team aufgebaut habe und wir entlang unseres standardisierten Investitionsprozesses ca. 1000 Organisationen analysiert haben, sind wir seit Ende 2009 an fast einem Dutzend Organisationen finanziell beteiligt (200.000 bis I Million Schweizer Franken pro Investment). In einer zweiten Phase des Aufbaus von LGT VP bieten wir nun interessierten Kunden an, unsere weltweite Infrastruktur zu nutzen und so das eigene philanthropische Engagement möglichst optimal umzusetzen. Je nach Höhe des geplanten philanthropischen Engagements kann der Kunde wählen, ob er sein Vermögen eher in die bestehenden LGT Venture-Philanthropie-Stiftungen geben möchte, ob er einzelne Organisationen für sein Engagement auswählen und als ManagedAccount von LGT VP verwalten lassen möchte, oder ob er sich gerne einen eigenen sozialen Venture Fonds oder eine Stiftung aufbauen und managen lassen möchte. Da Venture-Philanthropie, wie oben dargelegt, nur einer von vielen Ansätzen ist, philanthropisches Engagement zu realisieren, bietet LGT VP neben seiner Umsetzungskompetenz auch philanthropische Beratung an. Diese hat zum Ziel, interessierten Philanthropen aufzuzeigen, welche Ansätze des philanthropischen Engagements es gibt, welche Ansätze unter welchen Voraussetzungen, Umständen und Zielen die vielversprechendsten sind und welche Fragen geklärt werden sollten, bevor man sich in das Abenteuer Philanthropie stürzt. Basierend auf dem in der Beratung entwickelten, individuellen Philanthropieprofil und der bevorzugten Umsetzungsstrategie kann der Philanthrop dann entscheiden, ob er sein Philanthropieengagement selbst umsetzen oder ob er lieber mit einem Partner, wie etwa der LGT Venture Philanthropy, zusammenarbeiten möchte. Das LGT VP Team hat in vielen Gesprächen mit interessierten Philanthropen festgestellt, dass das Thema Philanthropie entweder sehr einseitig besetzt ist oder aber kaum eine Vorstellung davon vorhanden ist, welche vielfältigen Lösungen heutzutage mit philanthropischem Engagement umgesetzt werden können. Deshalb konzipiert LGT VP gerade das ,,Haus der Philanthropie-Lösungen". Dieses Haus soll Lösungen aus der Philanthropie darstellen, durch die in einzelnen für unsere Welt entscheidenden Zukunftsthemen wie Wasser, Klima, Ressourcenverbrauch, Bildung, Gesundheit, etc. nachhaltige Verbesserungen bewirkt werden können. Es soll auch zeigen, wie glücklich Philanthropie Menschen macht - nicht nur die, die empfangen, sondern auch die, die geben. Herausforderungen der täglichen Venture-Phi/anthropie-Arbeit Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Arbeit in einem globalen Team aufvier Kontinenten und in neun Ländern ist ein sehr intensives Fördern und Managen der einzelnen Mitarbeiter vor Ort. Dies funktioniert in unserem Fall sehr gut dank "ergebnisorientierter Arbeitspläne" für jeden Mitarbeiter, dank wöchentlicher, individueller Gespräche am Telefon und unserer Montagmorgen-Telefonkonferenz für das gesamte globale Team. Wichtig sind auch unsere jährlichen physischen Tearnmeetings und die Tatsache, dass wir die Olle Diligence vor Ort im letzten Stadium immer mit mehreren Tearnmitgliedern durchfuhren. Basierend aufeinem standardisierten Investitionsprozess arbeiten wir mit den dazugehörigen Templates und Checklisten, um die Qualität unserer Arbeit aufhohem Niveau zu halten.

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Diese werden pennanent weiterentwickelt und verbessert, um die Resultate kontinuierlich zu optimieren. In der Venture-Philanthropie ist es geradezu selbstverständlich, dass wir die soziale und ökologische Wirkung unserer Arbeit messen. Hierzu bedienen wir uns unseres selbst entwickelten "ImpactoMeter"-Systems, mit dessen Hilfe wir genau bestimmen können, wie viele benachteiligte Menschen wir mit unserer Unterstützung erreichen und wie stark wir deren Lebensqualität verbessern. So hat unseren Berechnungen zufolge die Arbeit mit den bestehenden elfPortfolio-Organisationen zur Folge, dass die Lebensqualität von 3,1 Millionen Menschen in 2010 und mindestens 4,2 Millionen Menschen in 2011 nachhaltig gesteigert wird. Neben der Tatsache, dass solche Grundvoraussetzungen von vielen philanthropischen Initiativen gar nicht geschultert werden können, ließe sich auch über das "Wohltätigkeits-Denken des 19. Jahrhunderts" vieler Gesetzgeber und die damit verbundenen regulatorischen Hürden klagen. Stattdessen möchte ich an dieser Stelle lieber sieben weniger populäre Bereiche kurz ansprechen, innerhalb derer es in den kommenden Jahren signifikanter Änderungen bedarf.

Negativfolgen des Spendenparadigmas Spenden haben in vielen philanthropischen Bereichen äußerst Positives bewirkt, tun es noch und sollen es auch in Zukunft tun. Dennoch beobachten wir immer noch zu häufig den Einsatz von Spenden in Bereichen, die auch über Darlehen oder Eigenkapitalinvestitionen gelöst werden könnten. Dies führt dann oft zu unnötiger Abhängigkeit, ineffizientem Einsatz von finanziellem Kapital, Qualitätsverschlechterung der erbrachten Leistungen und nicht zuletzt zu einem Rückzug staatlichen Engagements beziehungsweise einer generellen Demotivation, Gelder optimal einzusetzen. So beobachten wir beispielsweise, dass ganze Länder sich nicht mehr darum bemühen, ihre Bildungs- beziehungsweise andere Sozialsysteme zu verbessern. Denn nur wenn sie schlecht genug funktionieren, kann sicher damit gerechnet werden, dass eine große internationale Institution oder Stiftung durch großzügige Spenden finanzielle Unterstützung leistet. Dass von diesen Spenden dann oft ein signifikanter Betrag in nicht nachvollziehbaren Kanälen verschwindet, ist nur ein Teil der Tragik. Viel schlimmer ist es, zu sehen, dass die verbleibenden Spendenbeträge bewusst nicht optimal eingesetzt werden, da man in Zukunft keine weiteren Zahlungen erwarten kann, wenn sich das betreffende System grundlegend verbessert. Belässt man es in einem schlechten Zustand, darf man in den kommenden zwei bis drei Jahren sicher mit dem nächsten Betrag rechnen. Ein anderer ungesunder Trend., der durch den zu wenig reflektierten Umgang mit Spenden gefördert wird, ist "Due Diligence Shopping". Hierbei lassen sich philanthropische Organisationen von Venture Philanthropy Fonds in einem Due-Diligence-Prozess genau prüfen. Wenn der Fonds beschlossen hat, sich mit einem Darlehen oder Eigenkapital zu beteiligen, verwendet die Organisation das bei der Prüfung erarbeitete Material, um damit stattdessen bei großen Stiftungen Fundraising zu betreiben. Leider ist es vielen Stiftungen immer noch völlig egal, ob die Organisation durch Einrichtungen wie Venture Philanthropy Fonds auch sinnvoller finanziert werden und das Stiftungskapital daher den wirklich Bedürftigen zugeführt werden könnte. Es ist viel bequemer und weniger risikobehaftet, an Organisationen Geld zu spenden, die bereits auf Herz und Nieren geprüft worden sind und bei denen andere sogar davon

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ausgingen, dass das Geld zurückbezahlt werden kann. Leider fehlen dann genau diese Gelder oft da, wo Situationen wirklich nur mit der Hilfe von Spenden verbessert werden können.

Unzureichender Professionalisierungsgrad Wie soeben beschrieben, ist der Professionalisierungsgrad auf Geberseite leider nicht immer auf dem wünschenswerten Niveau. Dies wird sich aller Voraussicht nach in den nächsten Jahren eher verschlechtern, da die Möglichkeiten zum philanthropischen Engagement an Vielfalt - und damit an Komplexität - zunehmen werden. Eine einfache Spende wird nur noch eine Möglichkeit unter vielen sein, und sehr oft nicht die beste. Auch dies ist ein Grund, warum sich LGT Venture Philanthropy entschieden hat, verstärkt Beratung in diesem Bereich anzubieten. Damit soll erreicht werden, dass jeder Einzelne sein Vermögen - sei es finanziell, sozial oder intellektuell - möglichst optimal einsetzt. Dies dient sowohl dem Wohl Benachteiligter, wie auch dem Wohlbefinden des Gebers, der durch das richtige Geben sehr viel Lebensglück zurückbekommt. Leider müssen wir in unserer täglichen Arbeit aber auch ein großes Professionalisierungsdefizit auf der Nehmerseite feststellen - vor allem wenn es darum geht, dass aus einem kleinen Projekt eine große, effizient arbeitende Organisation werden soll. Wie bereits erwähnt, besteht kein großes Chemieunternehmen ausschließlich aus Chemikern, sondern wird durch professionelle Manager geführt. Bedauernswerter Weise ist dies bei den meisten Non-ProfitOrganisationen noch nicht der Fall, was oft zu ineffizientem Einsatz von Vermögen führt. Jede größere Organisation muss ihre Mitarbeiter führen, muss die Finanzen, das Personal, Marketing etc. managen. Dass dies in Non-Profit-Organisationen zum Teil nur mangelhaft der Fall ist, hat uns in vielen Fällen von einem Engagement abgehalten. Eine echte Hürde ist für viele die Finanzierung über Darlehen oder Eigenkapital. Da die Organisationen jahrzehntelang nur von Spenden am Leben erhalten wurden, ist klar, dass sie zu Beginn unserer Interaktion mit den Begriffen "Darlehen" oder "Eigenkapitalinvestition" nur recht wenig anfangen können und oft denken, diese Finanzierungsvarianten kämen für sie ohnehin nicht in Frage. Hat das Management der Organisation nach einiger Zeit der Erklärung unsererseits erkannt, wie attraktiv diese Arten der Finanzierung auch für sie sein können, muss der Aufsichts- beziehungsweise Stiftungsrat der Organisation oft einen ähnlichen Prozess durchlaufen. Verständlicherweise, wie bei fast allem Neuen, müssen wir diverse unberechtigte Ängste von Seiten des Managements und des Stiftungs- beziehungsweise Aufsichtsrats aus dem Weg räumen, bevor wir zur eigentlichen Arbeit übergehen können. Leider ist oft sehr wenig Wissen über alternative Finanzierungsvarianten vorhanden.

Falsches Administrationsparadigma Eng mit dem soeben Beschriebenen verbunden ist der Irrglaube, dass philanthropisches Geld nur dann sinnvoll eingesetzt wird, wenn die Administrationskosten verschwindend gering sind und das meiste Geld direkt zu den Betroffenen geht. Ich bin mir nicht sicher, wie gerne Sie noch in Ihrem Supermarkt einkaufen würden, wenn beschlossen würde, das gesamte Management zu entlassen und ab sofort nur noch fünf Grundnahrungsmittel anzubieten. Da-

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durch könnte für das vorhandene Geld zwar sicherlich mehr Ware in den Supennarkt gestellt werden, es hätte sich aber niemand überlegt, ob und wann und in welcher Menge sie diese Waren benötigen. Auch Rückkopplungen würden nicht stattfinden, denn es gäbe niemanden, der daran interessiert wäre, wie zufrieden Sie sind. Wahrscheinlich wäre auch kein Verkäufer anwesend, wenn Sie einen benötigen. Dieses Szenario könnte man beliebig weiterspielen. Seltsamerweise erscheint uns fehlendes professionelles Management bei allen Industrie- und Servicebetrieben reichlich absurd, doch bei Non-Profit- und Low-Profit-Organisationen gehen wir fast automatisch von einem anderen Administrationsparadigma aus. Häufig sind wir sogar entrüstet, wenn diese ein gut organisiertes Management haben, das eventuell auch noch gut bezahlt wird. Auf der anderen Seite leuchtet es sofort ein, dass es einen großen Unterschied macht, ob ein Spender aufgrund einer SchreibtischpI'Üfung einen Scheck unterschreibt und sich dann nicht mehr um die Abläufe kümmert oder ob ein Venture-Philanthrop investiert und jahrelang intensiv mit einer Organisation arbeitet. Ich plädiere deshalb dafür, dass wir uns das Verhältnis von eingesetztem Vermögen und erzielter Wirkung ansehen, statt ausgegebenes Geld mit aufgewendeten Administrationskosten gegenzurechnen. Fehlinterpretiertes Volunteering-Paradigma Ohne die hervorragende Wirkung von Freiwilligen schmälern zu wollen, bin ich fest davon überzeugt, dass jede philanthropische Organisation gut bezahlte, gut ausgebildete feste Mitarbeiter braucht. Oft sind die Herausforderungen in philanthropischen Organisationen viel größer als in normalen Unternehmen. Hierfür braucht es noch härteren Einsatz und größeres Talent. Dass diese Menschen, die täglich so viel Positives fUr unsere Gesellschaft bewirken, schlechter bezahlt sind als jene, die in den vergangenen Jahren gezeigt haben, wie viel Negatives sie durch ihr gieriges, egoistisches Verhalten bewirkt haben, ist nicht nachzuvollziehen und muss sich dringend ändern. Bewegen sich die Löhne im Non-Profit- und Low-Profit-Bereich nach oben, wird dies für uns Venture-Philanthropen einiges leichter machen, da mehr gut geführte Organisationen zu finden sein werden, bei denen wir uns engagieren können. Budgetgetriebene Entwicklungshilfe Ein Großteil des Entwicklungshilfe-Budgets wird ohne gute Prüfung an Organisationen verteilt, nur um das vorgegebene Budget ganz auszuschöpfen. Diese Praxis schafft eine Kultur in den unterstützten Organisationen, die weit davon entfernt ist, Geld optimal einzusetzen. Außerdem zwingt diese Vorgehensweise auch nicht zu Verantwortlichkeit und Rechenschaftspflicht. In Anbetracht der ernsthaften sozialen und ökologischen Probleme können wir uns heute eine solche Vorgehensweise nicht mehr leisten. Erziehung zur Unmündigkeit Große Teile der Stiftungsszene haben in den vergangenen Jahrzehnten philanthropischen Organisationen mehr oder weniger vorgegeben, was sie zu tun und lassen haben, um von ihnen

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unterstützt zu werden. Dies hat dazu geführt, dass die Verantwortlichen vieler Organisationen konfrontiert mit der Frage, was sie die nächsten drei bis fünf Jahre erreichen wollen, mit großen Augen vor einem sitzen und nicht wissen, was sie sagen sollen. Es bedarf dann meist eines Prozesses von mehreren Wochen, manchmal Monaten, bis die Organisation selbst wieder in der Lage ist zu sagen, was sie erreichen möchte, wie die Ziele umgesetzt werden sollen und welche Unterstützung sie sich deshalb von uns wünschen würde. Die Diskussionen über die zukünftigen Pläne der Organisation führen dann oft wieder zu einem Aufblühen der beteiligten Personen, da sie ihre ursprüngliche Motivation und Begeisterung wieder erkennen.

Unerkanntes Innovationspotenzial von minus 100 bis plus 20 Prozent Rendite Als letzte, in diesem Zusammenhang beschriebene Herausforderung unserer täglichen Arbeit und gleichzeitig als einen ersten Blick in die Zukunft möchte ich das unerkannte Innovationspotenzial von minus 100 bis plus 20 Prozent Rendite ansprechen. Bis vor Kurzem waren es die Menschen gewohnt, dass philanthropisches Engagement nur mit Spenden umgesetzt wird und dadurch das Geld zu 100 Prozent für weitere Einsatzmöglichkeiten "verloren" war. Die Idee, durch Rückzahlungen zumindest einen Teil wieder für philanthropisches Engagement verwenden zu können, ist erst in den letzten zwanzig Jahren verstärkt aufgekommen. Dies gilt auch für die Idee, gute, ökologische und soziale Lösungen, die für Bankenf1nanzierungen zu riskant sind und für Venture Capital zu geringe Renditeerwartungen aufweisen, über philanthropische Investments zu finanzieren. In unserer täglichen Arbeit stoßen wir oft auf sehr gute ökologische Lösungen mit derartigen Renditeprofilen. Bei einer Renditeerwartung von minus 30 oder minus 50 Prozent werden viele sinnvolle Lösungen umsetzbar. Und wer diese Lösungen mit einer philanthropischen Grundhaltung unterstützt, erhält immerhin 70 beziehungsweise 50 Prozent mehr Geld zur Wiederverwendung zurück, als wenn das Geld gespendet worden wäre. Gleichzeitig schafft man Kulturen in diesen Organisationen, die Geld effizienter einsetzen und mehr Verantwortung übernehmen.

3. Wie wird sich Venture-Philanthropie weiterentwickeln und welchen Stellenwert wird sie innerhalb philanthropischen Gebens einnehmen? In den letzten Jahren hat sich die Philanthropie insgesamt rasant entwickelt. Sieben Veränderungen sind allgegenwärtig spürbar: Früher spendete man spät im Leben, oft auch aus einem Gefühl der Schuld heraus. Heute gibt man während des gesamten Lebens. Oft weil man Verantwortung für die großen Probleme unserer Zeit übernehmen möchte oder weil man erlebt hat, wie viel Positives zurückkommt, wenn man gibt. Früher war man hauptsächlich über das Vehikel der Stiftung philanthropisch aktiv; heute sind Stiftungen nur ein Vehikel unter mehreren. Früher spendete man ausschließlich. Heute findet philanthropisches Engagement über Spenden, Darlehen, Eigenkapital und in vielen Mischformen statt. Zusätzlich setzen viele

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Menschen oft auch ihre Fähigkeiten und Kontakte ein, um ihr finanzielles Engagement wirksamer zu gestalten. Früher setzten sich Philanthropen sehr allgemeine Ziele, wie etwa die Ermöglichung von Bildung. Heute sind diese Zielsetzungen sehr viel spezifischer - so kann sich ein Philanthrop das Ziel setzen, 20 Millionen Kindern im Alter von 6 bis 15 Jahren in Westafrika eine erstklassige Grundschulbildung zu ermöglichen. Früher waren Philanthropen damit zufrieden "Gutes zu tun". Heute möchten Philanthropen in ganz speziellen Bereichen etwas messbar Positives erzielen. Früher war Philanthropie ein Terrain der Wohlhabenden. Heute hat sich das philanthropische Engagement demokratisiert und viele Menschen sind auch mit kleineren Beträgen beziehungsweise durch ihr Know-how oder die Vermittlung ihrer Kontakte philanthropisch aktiv. FrOher vertraute man glaubwürdigen Institutionen bei der Auswahl und Verwaltung der Spenden. Heute leiden viele dieser Institutionen an Intransparenz, hohen Verwaltungskosten und mangelnder Berichterstattung über die tatsächlich erzielte positive Wirkung. Deshalb suchen immer mehr Menschen professionelle Unterstützung, um in der immer komplexeren und vielfliltigeren Welt der Philanthropie selbst möglichst viel Positives zu bewegen. Neben diesen grundlegenden Veränderungen beobachten wir eine Reihe interessanter Trends. Auf sieben davon möchte ich im Folgenden genauer eingehen.

Trend 1: Zunehmendes Interesse an Philanthropie Ganz generell ist in den letzten Jahren eine starke Zunahme des Interesses an Philanthropie zu verzeichnen. Dies zeigt sich nicht nur in einer steigenden Zahl von Stiftungen und neuen Social Venture Fonds, wie BonVenture oder Acumen, sondern lässt sich auch im steigenden Gesamtvolumen an Artikeln, Webseiten etc. ablesen. Gründe hierfür mögen einerseits neue Vorbilder sein wie der Microsoft-Gründer Bill Gates oder der Starinvestor Warren Buffett. Auch die jüngere Unternehmergeneration um die Gründer von Google oder eBay investiert hunderte von Millionen in Philanthropie. Daneben mögen auch Angst, Verantwortungsbewusstsein oder die verstärke Wahrnehmung der immer größer werdenden sozialen Ungleichheiten und der bedrohlichen ökologischen Probleme Gründe dafür sein, dass mehr Menschen versuchen, etwas Positives zu bewegen. Mit Sicherheit spielen auch die Exzesse der Finanzwelt in den vergangenen Jahren und die damit bei vielen Menschen verbundenen Enttäuschungen eine Rolle. Die Wiederkehr des sozialen Unternehmers, des Unternehmers, der nicht von Gier und Gewinnmaximierung getrieben ist, sondern seine gesellschaftliche Verantwortung sieht, ist ein weiteres Zeichen für eine Rückbesinnung, die förderlich für das Wachstum der Philanthropie ist. Schließlich kommt die längere Lebensdauer der Menschen in den reichen Industrienationen ebenso hinzu wie die Tatsache, dass immer mehr Menschen dort schon sehr früh in ihrem Leben viel Verantwortung tragen, Geld verdienen und ihren philanthropischen Beitrag leisten möchten. Dies alles trägt dazu bei, dass sich mehr Menschen philanthropisch engagieren können und dies auch wollen, da sie wissen, dass dies sehr viel nachhaltigeres Lebensglück bringt als materieller Konsum.

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Trend 2: Stärkere Professionalisierung Mit dem steigenden Interesse und der damit verbundenen Nachfrage professionalisiert sich die Philanthropie auch in allen Bereichen der Wertschöpfungskette. Die philanthropischen Organisationen sind darum bemüht, mehr Management-Know-how in ihre Organisationen zu bringen, sei dies durch neue Mitarbeiter mit Managementerfahrung oder die Absolvierung der inzwischen an vielen Universitäten angebotenen Lehrgänge. Auch die Vermittler und Intermediäre, die sich wie BonVenture oder LGT Venture Philanthropy mit professionellen Teams diesem Thema widmen, erhöhen die Qualität philanthropischen Gebens. Diese kommen damit auch dem Wunsch vieler Geber beziehungsweise Philanthropie-Investoren entgegen, die beständig höhere Anforderungen an ihr eigenes philanthropisches Engagement haben. Nur zu geben, ohne zu wissen, was damit wirklich bewirkt wird, reicht heutzutage nur noch den Wenigsten. Hierbei lassen sich immer mehr auch professionell beraten und unterstützen. Trend 3: Stärkere Segmentierung Die Professionalisierung führt dazu, dass man versucht, die Vielzahl der Möglichkeiten philanthropischen Engagements besser zu verstehen. Dazu segmentiert und sortiert man die unterschiedlichen Möglichkeiten viel mehr als früher, als philanthropisches Geben oft ein rein emotionaler Akt der Nächstenliebe war. Diese Segmentierung unterscheidet einzelne Ansätze wie beispielsweise wohltätige Spende, Wissenschaftliche Philanthropie, Katalytischer Ansatz, Venture-Philanthropie etc. und differenziert, wann im Laufe des Lebenszyklus einer philanthropischen Organisation eine Unterstützung sinnvoll erscheint - sei es in der Ideen- oder Pilotphase, im Wachstums- beziehungsweise Reifestadium. Außerdem wird nach Renditeerwartungen und der Art des philanthropischen Engagements - finanziell, intellektuell, sozialunterschieden. Daneben spielt das Selbstverständnis des Philanthropen - etwa als Patriarch, Sozialplaner, Berater, Investor - ebenso eine Rolle wie die angepeilte Zielgruppe und die Unmittelbarkeit der Unterstützung. Was allerdings nach wie vor eine zentrale Rolle bei philanthropischem Engagement spielt, ist das zugrunde liegende Wertefundament. Diese Segmentierungsversuche sind erst in einem sehr frühen Stadium, werden sich aber in Zukunft sicherlich verstärken. Nur so ist es dem Philanthropen von morgen möglich, sein individuelles philanthropisches Engagement optimal zum größtmöglichen Nutzen zu strukturieren. Trend 4: Zunehmende Globalisierung Wie in der Wirtschaftswelt ist auch in der Philanthropie eine Globalisierung erkennbar. Der Bereich der Venture-Philanthropie beispielsweise hat aus den USA im Jahre 1999 über Großbritannien nach Kontinentaleuropa kommend hier bereits eine Gemeinschaft von über hundert Mitgliedsorganisationen fii.r sich gewinnen können, die innerhalb der European Venture Philanthropy Association (EVPA) organisiert sind. Die europäischen Initiatoren der EVPA sind gerade dabei, die in den vergangenen zwei Jahren stark gewachsene Venture-PhilanthropieGemeinde in Asien dabei zu unterstützen, sich über die Asia Venture Philanthropy Association

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zu organisieren. LGT Venture Philanthropy arbeitet in allen Regionen, in denen sie tätig istLateinamerika, Afrika, China, Indien und Südostasien -, intensiv mit lokalen Venture-Philanthropen als Co-Investoren zusammen und hat dabei allein in den vergangenen zwei Jahren die Gründung vieler neuer Venture Philanthropy Fonds miterlebt, die dann zu Partnern wurden.

Trend 5: Stärkeres Interesse an Wirkungsmessung und Resultatorientierung Philanthropen möchten heute sehr genau wissen, welche Wirkung sie mit ihrem Engagement erreichen. Deshalb ist in den vergangenen Jahren von einer Vielzahl von Experten an Systemen zur Wirkungsmessung oder Modellen zur Berechnung der sozialen Rendite (Social Return on Investment = SROI) gearbeitet worden. LGT VP hat diese Ansätze verglichen und ein eigenes Modell daraus entwickelt. Mit diesem Modell können wir vor allem zeigen, wie stark wir die nachhaltige Lebensqualität von benachteiligten Menschen steigern. Daneben misst das System verschiedene weitere Dimensionen, wie die Effizienz unseres Teams oder den Einfluss unseres Know-hows auf die unterstützten Organisationen und nicht zuletzt auch, wie wir es mit der Investition unseres Kapitalstocks schaffen, unsere Mission zu erreichen. Daneben werden noch einige wichtige interne Kennzahlen gemessen. So wie wir dieses Vorgehen auch bei den von uns unterstützten Organisationen verlangen, findet diese interne Messung auch bei uns kontinuierlich statt und dient uns dazu, ständig neue Verbesserungspotenziale zu erkennen.

Trend 6: Zunehmendes unternehmerisches Denken Die meisten der bisher beschriebenen Trends zeigen bereits auf: dass es sich bei vielen neuen Philanthropen um untemehmerisch denkende Menschen handelt. Dieses Denken, das ihnen geschäftlichen Erfolg beschert hat, versuchen sie nun auch in der Philanthropie umzusetzen. Und zwar auch hier oft mit bemerkenswerten Resultaten. So hat Paul Baan, der Gründer eines Unternehmenssoftwaresystems, das er für Milliarden an Oracle verkauft hat, mit der Noaber l2 Stiftung in den Niederlanden einen Venture Philanthropy Fonds geschaffen, der dieses unternehmerische Denken auch im philanthropischen Bereich erfolgreich einsetzt. Weitere nennenswerte Beispiele sind Stephen Brenninkmeijer, Otto Rappel, Rasso Plattner, die eBayGründer Pierre Omidyar13 und Jeff Skoll l4 oder die Google-Gründer1s •

Trend 7: Mehr Kooperation Gerade im Bereich der Philanthropie haben die größere Professionalisierung und die Tatsache, dass sich die Akteure nicht als Konkurrenten, sondern als Diener benachteiligter Menschen betrachten, zu einer gestiegenen Kooperationsbereitschaft geführt. Dies beginnt mit der gemeinsamen Diskussion über mögliche Engagements und erstreckt sich über den Austausch, sofern rechtlich erlaubt, von Due-Diligence-Materialien bis hin zur geteilten Betreuung der Organisationen, bei denen man gemeinsam engagiert ist. Diese Kooperationen werden sich in Zukunft noch verstärken. Bislang zeichnet sich der Trend ab, dass sie jedoch vorwiegend unter Partnern stattfinden, die bereits jahrelang Vertrauen untereinander aufgebaut haben.

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Nach Kurzdarstellung der sieben relevanten Trends stelle ich abschließend noch kurz dar, warum ich davon ausgehe, dass sich Venture-Philanthropie in den kommenden Jahren als ein festes Segment philanthropischen Gebens etablieren wird. Solange man nicht von einem kompletten Zusammenbruch des augenblicklichen Finanz- und Wirtschaftssystems ausgeht, wird die weltweite Wirtschaft weiterhin wachsen. Wie Bernard Lietaer16 und andere gezeigt haben, zwingen wir uns dank unseres Geldsystems mit positivem Zinssatz selbst zum Wachstum. Auch wenn wir aufgrund der ökologischen Weltsituation keine andere Wahl haben, als ein Wachstum entkoppelt vom materiellen Verbrauch zu realisieren, wird das Gesamtwirtschaftssystem weiterhin wachsen. Da nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre auch wenig dafür spricht, dass sich die Verteilungsmechanismen in naher Zukunft signifikant verändern werden, ist anzunehmen, dass sich der Trend der immer größer werdenden Ungleichheit der letzten fUnfzig Jahre fortsetzen wird. Dies hat zur Folge, dass eine immer kleiner werdende Zahl an Menschen, in immer kürzerer Zeit immer mehr Reichtum anhäufen wird. Das aus diesem akkumulierten Vermögen ein immer größer werdender Anteil in philanthropisches Engagement fließen wird, hat mindestens drei Hauptursachen: Es ist wissenschaftlich nachgewiesen17, dass ab einem gewissen Niveau an materiellem Konsum der damit verbundene Nutzen stagniert und das Lebensglück des Einzelnen davon nicht mehr nachhaltig bestimmt wird. Deshalb ist davon auszugehen, dass diese wohlhabenden Menschen versuchen werden, ihr Lebensglück durch philanthropisches Geben zu erhöhen. Wir leben, zweitens, in einer Zeit, die durch stark wachsende soziale und ökologische Probleme geprägt ist. Haupttreiber dafür ist die Tatsache, dass wir versuchen mit sechs Milliarden Menschen - sehr wahrscheinlich sogar bald schon neun Milliarden Menschen - so zu leben, als hätte die Erde weiterhin nur eine Milliarde Bewohner. Dies hat schon heute zur Folge, dass wir unsere eigenen Lebensgrundlagen zerstören - sichtbar an abgeholzten Wäldern, die fiir unser Klima so wichtig sind, oder an unserem Umgang mit dem knappen Gut Wasser. Die sozialen Ungleichgewichte haben in vielen Ländern bereits dazu gefiihrt, dass sich Wohlhabende in ihren eigenen "goldenen Käfig" einschließen müssen, da außerhalb der Mauem ihrer Villen ein sicheres Leben nicht mehr möglich ist. Diese Einschränkung der Freiheitoder auch schlichte Angst - ist eine weitere Ursache, die meiner Meinung nach dazu führen wird, dass mehr Menschen philanthropisch aktiv werden. Glücklicherweise lassen sich viele dieser Situationen schon heute mit bestehenden Lösungen verbessern. Schließlich fiihlt sich ein Teil der Philanthropen aufgrund ihrer Position in der Gesellschaft auch verantwortlich für deren positive Weiterentwicklung. Viele Menschen, die Verantwortung für eine bessere Zukunft mittragen möchten, sind bereits philanthropisch aktiv und sie werden in Zukunft ihr philanthropisches Engagement noch verstärken. Insgesamt wird dies dazu führen, dass der Gesamtmarkt der Philanthropie wächst. Ein Großteil wird kleinere Beträge beisteuern, aber vier Gruppen werden sich überproportional stark engagieren: In Philanthropie investieren werden Unternehmer mit global skalierbaren Geschäftsmodellen, wie beispielsweise ebay, Facebook, Microsoft, SAP, Starbucks oder Google. Sowohl zwei der Gründer von ebay, nämlich Jeff Skoll und Pierre Omidyar, als auch der MicrosoftGründer Bill Gates sind bereits seit Jahren intensiv philanthropisch aktiv.

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In philanthropische Organisationen investieren werden auch globale Unternehmen, die alternative Geschäftsmodelle für neue Märkte erschließen möchten. Sie erkennen zunehmend, dass sich auf diese Weise Geschäftsmodelle für neue Kundensegmente testen lassen. Falls diese dann erfolgreich sind, können sie ins Kerngeschäft übernommen werden. In den vergangenen Jahren hat man in diesem Zusammenhang viel vorn Bottom 0/ the Pyramid' 8 oder von Inclusive Business gesprochen, was nichts weiter bedeutet, als dass es zirca vier Milliarden Menschen gibt, die man mit augenblicklichen Geschäftsmodellen nicht versorgen kann. Philanthropie-Investitionen können hier Wege aufzeigen, wie auch diesen Menschen die benötigten Produkte nachhaltig und hochwertig angeboten werden können. In Philanthropie investieren werden wohlhabende Privatpersonen und Familien, die den notwendigen Zugang zu den Finanzrnärkten und Spezialisten haben, um ihr Vermögen zu vergrößern. Viele dieser Familien haben eine lange Tradition philanthropischen Gebens, da sie sich stärker als "Einzelkämpfer" in der Verantwortung sehen, über Generationen hinweg zum Wohl der Menschheit beizutragen. In Philanthropie investieren werden Berufsgruppen, die von einer Entkopplung zwischen geleisteten Arbeitsstunden und Lohn profitieren. Erst die Wissensgesellschaft der vergangenen Jahrzehnte hat dazu geführt, dass für einige Berufsgruppen kein direktes Verhältnis von geleisteter Arbeit zu abgerechneten Stunden mehr besteht. Zu nennen wären hier Künstler, wie beispielsweise Bono von U2, aber natürlich auch Top-Manager, Berater, Investmentbanker und Investoren wie Warren Buffett. Da diesen Berufsgruppen oft relativ schnell sehr viel Geld zur Verfügung steht, ergibt sich für sie fast automatisch die Perspektive philanthropischen Engagements. Den meisten Mitgliedern der beschriebenen vier Gruppen ist eine unternehmerisch geprägte Grundhaltung vertraut und es ist zu erwarten, dass sie Venture-Philanthropie intuitiv für einen sinnvollen Ansatz halten werden. Wenn sie in der Praxis bewiesen sehen, wie effizient dieser Ansatz Positives bewirkt, ohne dabei die emotionale, individuelle Komponente der Philanthropie auszuklammern, wird sich Venture-Philanthropie langfristig als ein festes Segment des philanthropischen Gebens etablieren.

*** Anmerkungen Definition Venture-Philanthropie, nach Wikipedia: Venture-Philanthropie bezeichnet einen Ansatz der Philanthropie, der sich stark an untemehmerischen Prinzipien orientiert. Venture-Philanthropie setzt Private Equity beziehungsweise Risikokapital ein, um soziale, ökologische oder gesellschaftliche Vorhaben zu unterstützen. Anders als Stiftungen oder Spender kann die Venture-Philanthropie verschiedenste Finanzierungsformen nutzen (zum Beispiel Darlehen, Eigenkapital). Empflinger der bereitgestellten Gelder sind zum Beispiel NonProfit-Organisationen und Sozialuntemehmen. Neben dem finanziellen Engagement werden geförderte Vorhaben in der Regel auch mit Mentoring, Beratung und Netzwerkkontakten unterstützt. Es werden Methoden des Venture Capitals und aus der Wirtschaft genutzt, um die jeweilige Organisation über längere Zeit hinweg zu professionalisieren und so deren Arbeit möglichst effektiv zu gestalten.

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Prahalad, C.K (2004): The Fortune at the Bottom ofthe Pyramid; Hart, S.L (2005): Capitalism at the Cross-

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Talent und Vermögen - Verantwortung des Unverdienten Franz Harnoncourt / Georg Starhemberg

Anfang der I960er Jahre in Österreich auf die Welt gekommen zu sein, ist auch in der Rückschau ein Gottesgeschenk und ein großes Privileg: Der Zweite Weltkrieg lag für uns zwar außerhalb des eigenen Erlebens, ebenso die Mühen und Anstrengungen der Jahre des Wiederaufbaus. Die Katastrophe war aber noch so nah, dass wir alle die Geschehnisse der Zeit in Beziehung zu dem Grauen der zurückliegenden Jahre setzen konnten und so die gesamte Entwicklung als unglaublich positiv miterleben durften. Die kollektive Erfahrung der Zerstörung und des Mangels und der daraus resultierende gemeinschaftliche Wille, Gesellschaft und Wirtschaft wieder aufzubauen, führten zu einer Konjunkturentwicklung und zu einer wirtschaftlichen Prosperität, die den Blick frei machten von den Sorgen um die Grundbedürfnisse des Alltags und ihn stattdessen auf eine viel versprechende Zukunft mit Wohlstand und Sicherheit gerichtet sein ließen. Schule und Universitäten waren für alle Jugendlichen unserer Generation frei zugänglich, Schulbücher und Schulbus gab es gratis, ebenso waren ärztliche Behandlungen und Krankenhausaufenthalte einschließlich der Medikamente jederzeit und weitestgehend kostenlos möglich. Alles war wieder sauber und gepflegt, das sich entwickelnde Straßennetz in gutem Zustand. Ideale Voraussetzungen für eine unbeschwerte und nach Jahren des Krieges friedliche Jugend. Unsere Großväter, die zwei Kriege nicht nur miterlebt, sondern miterlitten hatten, waren damit konfrontiert gewesen, dass alte Welten kollektiv bezweifelt oder überhaupt verworfen wurden. Aus dieser gemeinsamen Erfahrung umfassender gesellschaftlicher Verwerfungen hat die Generation vor uns eine prosperierende, solidarische und gleichzeitig sich selbst permanent reflektierende Gesellschaft aufgebaut. Auf der Basis des Einsatzes und der Verdienste unserer Vorfahren, die ganze Arbeit geleistet hatten, waren und sind wir Nachkommen die Nutznießer dieser neuen Gesellschaft. Dass die Turbulenzen der 68er-Generation viele Schranken hinweg gespült und neue gesellschaftliche Entwicklungen angestoßen, gleichzeitig damit aber auch Strukturen, Werte und Sicherheiten in Frage gestellt haben, war retrospektiv möglicherweise ein sehr hoher Preis für die grundlegenden gesellschaftlichen Brüche und für die rasante wirtschaftliche und soziale Entwicklung seither. Als Angehörige unserer Generation bereits mit einer Vielzahl an bis dahin kaum üblichen Vorteilen und Annehmlichkeiten ausgestattet, wurden wir zudem in Familien mit bekannten Namen, bewegter Geschichte und einem großen Bekanntenkreis hineingeboren. Klingende Namen, innerfamiliäres Interesse an unseren persönlichen Talenten und deren großzügige Förderung, nicht nur weit reichende Beziehungen, sondern auch echte und sogar um die gan-

T. Druyen (Hrsg.), Vermögenskultur, DOI 10.1007/978-3-531-92086-3_17, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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ze Welt reichende Freundschaften - und das alles im Herzen Europas! Es bedarf wohl nicht mehr, um für das Leben mit einer ,,Pole-Position" ausgestattet zu sein. Ausgehend von diesem Zusammentreffen erfreulicher Zufalle wurde dem einen von uns als zufallig Erstgeborenem seiner Generation, was wahrlich kein Verdienst ist, aber eine gewisse Sonderstellung begründet hat, im Laufe der Jahre die Aufgabe und Verantwortung des Familienoberhauptes übertragen - und damit die Verwaltung von Gütern und Vermögen, die seine Vorfahren über Generationen hinweg geschaffen und erhalten haben. Dem anderen öffneten sich aufgrund der intensiven und für ihn geradezu selbstverständlichen Auseinandersetzung mit den größten Kunstwerken der abendländischen Geschichte ein kulturelles Selbstverständnis und Gedankenwelten wie wenigen seiner Generation, und das umfangreiche künstlerische Schaffen und der damit verbundene weltweite Erfolg seiner Eltern bereiteten ein in vielflUtiger Weise günstiges und an Möglichkeiten reiches Umfeld, das es erleichterte, zunächst die eigenen Begabungen zu entfalten und danach beruflich nicht nur Fuß zu fassen, sondern die Grenzen des gewählten Berufes nach und nach auszuweiten und in der Weiterentwicklung des Faches über diese Grenzen hinwegzugehen. Beiden Verfassern gemeinsam ist der unverdiente und unbezahlbare Startvorteil, in ein familiäres Grundverständnis hineingeboren worden zu sein, in dem Toleranz, kultureller Diskurs, intellektuelle Diskussion, eine umfassende Bildung und ein religiös geprägter Wertekanon nicht erst erkämpft werden mussten, sondern bereits vorweg als geistige Selbstverständlichkeit angenommen wurden. Tradition und gesellschaftliche Stellung waren gegeben aber zugleich verbunden mit der Verpflichtung, diesen Vorteil ohne weitere Diskussion als quasi naturgegebene Verantwortung und nicht als Privileg zu sehen. Dass dabei die Familie als kleinste Form der Solidargemeinschaft eine besondere Rolle spielt, war für uns so außer Frage, dass wir es kaum wahrgenommen haben. Dies alles sowie finanzieller Rückhalt, überdurchschnittlich großer Grundbesitz, eine Vielzahl an historischen Gebäuden und Denkmälern, ein funktionierender Gutsbetrieb, beste Schul- und Universitätsausbildung, vielfältige Verbindungen in die ganze Welt und manches andere mehr, bloß durch Geburt - ist das gerecht? Nein, das ist es nicht, und es wird wohl nicht nur diesbezüglich nie eine objektive Gerechtigkeit geben. Daran ändert auch unser Bemühen, aus den uns zugefallenen Privilegien keine Ungerechtigkeit gegenüber anderen entstehen zu lassen, nichts. Unserem Verständnis zufolge muss aus derart privilegierten Lebensbedingungen die Verantwortung und das Bemühen resultieren, die persönliche Umgebung, aber auch den Mikrokosmos der uns umgebenden Gesellschaft an den Möglichkeiten und Chancen unserer eigenen Rahmenbedingungen teilhaben zu lassen. Im Bestreben, mit hoher Verantwortung Ausgleich zu schaffen und Teilhabe zu ermöglichen, liegt die Aufgabe und der eigentliche Sinn einer innerfamiliären Vorrangstellung. Dabei ist es hilfreich, ja wahrscheinlich sogar unabdingbar, sich stets vor Augen zu halten, wie viele aus der ureigensten Familie vor, nach und neben uns verzichten mussten und gar nicht erst die Chance bekommen haben, in der Familie eine Vorrangstellung wie das Majorat anzutreten und die damit verbundenen Vorzüge zu nützen. Bedeutet dies nun, dass wir uns im Wissen um unsere Privilegien zurücklehnen und unseren Wohlstand genießen dürfen - im gleichzeitigen Bemühen, für die damit verbundene, so-

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wohl historisch als auch familiär bedingte Ungerechtigkeit einen gewissen Ausgleich schaffen zu wollen? Nein! Für uns Nutznießer eines tatsächlich überaus privilegierten Lebens muss es eine Selbstverständlichkeit sein, in Dankbarkeit und Demut dem Nächsten dienend zur Verfügung zu stehen. Dabei sollte unsere Aufmerksamkeit wirklich dem Nächsten gelten und nicht großzügig über ihn hinweg sich erst dem übernächsten zuwenden, der weit weg, anonym, austauschbar und daher auch sehr wenig direkt betroffen machend ist. Nächstenliebe bedeutet eben tatsächlich dem, dann allerdings unselektierten Nächsten und seinen Anliegen so zur Verfügung zu stehen, wie sich das konkrete Erfordernis dazu aus den gegebenen Umständen ergibt oder aus unserem direkten Umfeld an uns herangetragen wird. Dabei hat es keine Rolle zu spielen, ob uns das persönlich gefallt und genehm oder angenehm ist. Entscheidend ist, ob wir die konkreten Möglichkeiten beziehungsweise das "Vermögen" haben, einen hilfreichen Beitrag zur Verbesserung einer bestimmten Lebenssituation zu leisten: Vermögen nicht als Selbstzweck, sondern in der Bedeutung, etwas zu vermögen, das ein anderer nicht vermag. Wer diesbezüglich die Augen verschließt und sich dann "bei Zeiten" etwas - möglichst Weitentfemtes - aussucht, was ihm besser gefällt, was ihm vielleicht sogar Vorteile bringt, weil es in der Öffentlichkeit besser ankommt, weil es ihn kaum selbst betrifft, hat nach unserem Verständnis seinen Auftrag missverstanden und wird seiner Verantwortung nicht gerecht. Der beziehungsweise das "übernächste" ist austauschbar und die Bindung kann ihr Ende finden, zum Beispiel bei abnehmender Sympathie, bei - vielleicht nur subjektiv empfundenem - Fehlverhalten oder bei Undankbarkeit, mitunter sogar nur aus Zeitknappheit. Aber ist Dank eine Kategorie, die unser eigenes Handeln bestimmen darf? Kann unser Auftrag, mit unseren Möglichkeiten verantwortungsvoll umzugehen, davon abhängen, wie unser Gegenüber das Gegebene annimmt? Kann und darf es wirklich sein, dass wir unsere Handlung nach der Reaktion des Nächsten qualifizieren und quantifizieren? Wer Dank erwartet, wird, wie der berühmte französische Schriftsteller Paul Claudel so treffend bemerkt hat, zu Recht Undank ernten. Der Nächste bleibt, ist sicht- und erlebbar, ist nicht ersetzbar in seiner Bedürftigkeit, in seinem Anspruch aufUnterstützung. Ihm und damit unserer konkreten Lebensumwelt hat unsere Aufmerksamkeit in erster Linie zu gelten, alles andere ist Draufgabe, aber nicht Ersatz. Wer glaubt, es anders einrichten und auf sich allein gestellt, ohne Rücksichtnahme auf andere, dem eigenen Glück und Erfolg nachjagen zu können, wird die Erfahrung machen, dass dies zum einen gar nicht möglich ist und es zum anderen gar nichts Besseres gibt, als im Streben nach der eigenen Erfüllung auch den Nächsten zu berücksichtigen. Selbst diejenigen, die glauben, alles immer richtig zu machen und sich ihren Reichtum selbst verdient zu haben, werden eines Tages erkennen müssen, wie viele ,,zufälle" oder günstige Fügungen auf ihrem Weg mitunter Ausschlag gebend waren. Die wenigsten wollen wahrhaben, wie oft sie in ihrem Leben Glück gehabt haben - und sei es bloß durch einen Umstand, der zu keinem Unglück geführt hat. Früher oder später zeigt sich, dass auch wir selbst für andere "der Nächste" sind und wie erfüllend es sein kann, wenn nicht nur wir für unsere Umgebung da sind, sondern diese auch für uns da ist, wenn nicht nur wir unsere Möglichkeiten mit anderen teilen, sondern auch andere bereit sind, uns an ihren Möglichkeiten teilhaben zu lassen.

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Weder Habsucht und Geiz, die nicht glücklich machen und keine Erfüllung bringen, noch der Vorsatz, sich zu einem späteren Zeitpunkt engagieren und großzügig werden zu wollen, können das bewirken, was wir in unserem unmittelbaren Umfeld schon heute erreichen können. Ohne Berechnung und ohne Hintergedanken, uneigennützig, als Selbstverständlichkeit und als gutes Vorbild. Nicht einmal die Ungewissheit, ob wir nicht selber als Alte, Schwache, Kranke oder Alleinstehende auf die Hilfe anderer aus unserem Umfeld angewiesen sein werden, darf dabei handlungsleitend sein. Diese einfachen und gar nicht wissenschaftlichen Ausführungen sollen eine GrundeinsteIlung und persönliche Haltung zeigen, die auf vieles übertragbar ist - bis hin zu international agierenden Unternehmen, die es geschafft haben, sich am globalen Markt zu etablieren: Der wirtschaftliche Erfolg bietet, abseits von Gewinnausschüttungen und (Re-) Investments, die Grundlage für soziales und ökologisches Engagement. Erst so wird ganzheitliches und verantwortungsvolles Unternehmertum gelebt, wird neben einer ökonomischen auch und vor allem die gesellschaftliche Existenzberechtigung von Unternehmen begründet, werden nachhaltiger wirtschaftlicher Erfolg, Anerkennung und Respekt gesichert - mitunter sogar weltweit. Sich dies vor Augen zu halten erscheint uns umso notwendiger, als durch die entpersonalisierte Verantwortung in großen Gesellschaften und Firmen der kleinste gemeinsame Nenner in der strategischen Ausrichtung der Unternehmen allein vom Interesse der so genannten Shareholder am ausschließlich materiellen und wirtschaftlichen Erfolg bestimmt wird. Hier gesellschaftliche Kennwerte, wie soziales Engagement, Nachhaltigkeit und wertorientiertes Verhalten zu implementieren, ist eine der großen Herausforderungen der Zukunft. Nicht jedermann wird bewusst sein, was es bedeutet, einem Unternehmen mit mehreren hunderttausend Mitarbeitern vorstehen zu dürfen und welche Möglichkeiten - weltweit - damit verbunden sind, nicht nur hinsichtlich der Ausweitung des Geschäfts, sondern auch in Bezug auf die Wahrnehmung und Umsetzung gesellschaftlicher Verantwortung. Ohne Zweifel verfugen wir, die Privilegierten dieser Welt, über die nötigen materiellen Möglichkeiten, um in den benachteiligten Regionen dieser Erde wirtschaftliche, soziale und ökologische Probleme zu lösen - oder zumindest zu lindern. Allerdings haben wir ebenso die Möglichkeiten, durch Untätigkeit oder falsches Handeln genau diese Probleme auszulösen, zu verstärken oder zur Katastrophe zu fuhren. Es fehlt uns also nicht am "Vermögen", auch nicht an der Überzeugung, dass verantwortungsvolles Handeln in der Welt nach den Kriterien der Nachhaltigkeit und Nächstenliebe gut wäre; vielleicht aber fehlt es uns häufiger an der Achtsamkeit, die erforderlich ist, um den Moment und die Notwendigkeit, selber aktiv zu werden, wahrzunehmen und als konkrete Aufforderung an uns zu verstehen. Und so warten wir darauf, dass jemand anderer damit anfangt. Wer glaubt, eigene Initiative und persönliches Engagement sei nichts weiter als der viel zitierte "Tropfen aufden heißen Stein", sucht vielleicht eine Entschuldigung:fiir seine Gleichgültigkeit. Hier hilft es, an Mutter Teresa zu erinnern: Sie hat gemeint, jeder Tropfen mache den Ozean größer und dieser bestehe ja selber nur aus solchen. Außerdem verursacht jeder noch so kleine Tropfen, selbst im größten Meer, eine Welle und viele größere Tropfen mitunter sogar eine Flut. Dieses Beispiel soll uns vor Augen halten, welche großen Auswirkungen ein zunächst noch so bescheiden aussehendes, persönliches Engagement haben kann und wie

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bedeutend es daher ist, immer dann einen Beitrag für das Gemeinwohl zu leisten, wenn es nötig ist, wenn wir selber gerade die Möglichkeit dazu haben - und nicht erst darauf zu warten, bis wir materiellen Reichtum und Absicherung in einer von uns selbst definierten Dimension erreicht haben, die es dann vielleicht ermöglicht, aus gesicherter Position diese Tropfen in den Ozean fallen zu lassen. Es ist nicht notwendig, zuerst Materielles anzuhäufen und dann Gutes zu tun. Für sehr viele von uns sind die selbst gesetzten Ziele der persönlichen Absicherung durch wirtschaftlichen Rückhalt und durch Vorräte an Gütern vielfältigster Art mit dem Zuwachs an materiellem Vermögen wie selbstverständlich erreichbar. Dass hingegen gerade in Krisenzeiten die materiell wenig Vermögenden oft mehr und Substantielleres zu geben bereit sind, als jene, die genug haben, ist eine wichtige Erfahrung und ein Beleg für unsere Überzeugung, dass die Voraussetzung für Nächstenliebe und Solidarität nicht materieller Reichtum ist. Ebenso wenig bedingt erst die Wahrnehmung durch andere die Wirksamkeit unseres Engagements, allenfalls wird der Mut und die Bereitschaft anderer, sich dem Engagement anzuschließen oder selbst und auf andere Weise aktiv zu werden, geweckt. Solche positiven Beispiele sind wichtig und notwendig im Sinne eines gesellschaftlichen Lern- und Lehrprozesses. Wie arm wäre eine Gesellschaft, die sich nicht den Beispielen einer Mutter Teresa, eines Paters Sporschill und vieler anderer großer Wohltäter entsinnen könnte. Wie armselig wären wir, wenn ein Reichtum der Güter den Reichtum des Herzens ersetzen könnte. Als gelebte Selbstverständlichkeit schafft die Bereitschaft, andere an den uns zufallenden Möglichkeiten und Vorteilen teilhaben zu lassen, auch persönliche Zufriedenheit und Erfüllung. Und dies umso mehr, wenn es nicht in der Öffentlichkeit und nicht plakativ und oberflächlich geleistet wird, wenn, wie es heißt, die eine Hand nicht weiß, was die andere tut. Gute Taten zeigen langfristige Wirkung und sprechen für sich selbst. Sie sprechen vor allem zu uns selber und die Qualität misst sich nicht am öffentlichen Echo, sondem an der inneren Werthaltigkeit. Der Fortbestand unserer in so vielfältiger Weise kleiner gewordenen Welt wird sehr davon abhängen, ob die Begünstigten und die Stärkeren Verantwortung übernehmen für die Benachteiligten und die Schwächeren, ob die so genannten Eliten sich daran erinnern, dass es eine kulturelle Selbstverständlichkeit ist, als Elite auch ein entsprechendes persönliches und berufliches Ethos an den Tag zu legen und umzusetzen. Nur wenn wir aufeinander bezogen bleiben, dürfen wir uns eine zivilisierte, eine humane Gesellschaft nennen. Eine "Globalisierung der Solidarität" auf Basis von echter Nächstenliebe und Uneigennützigkeit, beides von jedem Einzelnen als Selbstverständlichkeit gelebt, muss das Ziel sein und ist wohl die einzige Basis für eine Gesellschaft mit humanem Antlitz, die außer dem materiellen Erfolg noch andere Inhalte nachhaltig und langfristig sicherstellen kann. Dafür ist nicht entscheidend, dass alle das gleiche haben, sehr wohl aber, dass allen die Möglichkeit offen steht, sich in ihrem Leben mit den je eigenen Fähigkeiten und durch eigene Anstrengungen ein Umfeld zu bereiten, das es erlaubt, persönliche Lebenspläne in der Hoffnung auf eine gute und sichere Zukunft nicht nur zu entwerfen, sondern auch mit nachhaltigem Erfolg zu verwirklichen. Damit schaffen wir einen gewissen Ausgleich, etwas mehr Zufriedenheit und vor allem eine verbesserte Grundlage für ein friedliches Miteinander.

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Das eigene Vermögen zu stärken und sich dessen bewusst zu sein, dass Reichtum nicht Selbstzweck, sondern Werkzeug für soziales und unternehmerisches Engagement sein soll, ist nicht nur Voraussetzung für eine von Emotionen befreite und damit das eigene Tun befreiende Distanz zu materiellen "Werten". Ein solcherart abgeklärtes Verhältnis zu den "materiellen Dingen des Lebens" birgt viel vorbeugendes Potenzial gegenüber Hass, Missgunst und Neid und wird so zur Grundlage von Friede, Gerechtigkeit und gegenseitiger Achtung. Wir alle wollen Anerkennung, Liebe und Wertschätzung für das, was wir sind - und nicht für das, was wir haben. Im Übrigen bleibt materielles Vermögen, wenn wir es nicht für unser Engagement in Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur und Umwelt einsetzen, immer unbelebt, unpersönlich und inhaltsleer. Die Gefahr materiellen Wohlstandes besteht darin, dass wir uns in unserem Leben nur auf das eigene materielle Wohlergehen beziehen und das Potenzial unseres Menschseins nicht gegen die nüchterne, herzlose und austauschbare Welt des Materiellen einsetzen. Für den Nächsten eingesetzt wird das Materielle ein Mittel zum Zweck und bleibt nicht Selbstzweck. Dem Nächsten zugewandt erhalten materielle Güter Leben und Inhalt, Die Welt braucht vermehrt Menschen, die ihre Umwelt durch Nächstenliebe und Engagement "beleben" und "mit Sinn erfüllen". Eine in Egoismus und Lethargie, in der Anonymität der Masse und in Gleichgültigkeit dem Nächsten gegenüber verharrende Welt- und gleichzeitig Individualgesellschaft, eine sinn- und inhaltsleere und damit "leblose" Menschheit wird ihrem Auftrag und ihrer Verpflichtung zur verantwortungsvollen Gestaltung einer zukunftsfähigen Welt nicht gerecht, ganz im Gegenteil: Eine solche Gesellschaft wird die Welt ausschließlich als Produktionsmittel zur Vermehrung der eigenen Güter ansehen. Es ist nicht die Erkenntnis einzelner großer Persönlichkeiten, sondern ein Generationen übergreifendes Erfahrungsgut, eine immer wieder sowohl theologisch als auch praktisch wahrzunehmende, persönliche Erfahrung, wie erfüllend und ermutigend es ist, wenn am Ende des Lebens nicht die nüchterne Bilanz des wirtschaftlichen Erfolges und der gesellschaftlichen Reputation steht, sondern wenn die beglückende Vielfalt gelebter Solidarität, tätiger Nächstenliebe und humaner Zuwendung ein sinnerfülltes Lebenswerk als Rückblick erstehen lässt. Die Begleitung Schwerkranker und Sterbender zeigt, dass diese Dimensionen des Menschseins die Essenz und die Basis in schwierigen, in existenziellen und in den letzten Stunden unseres Lebens sind - für uns als Person und wohl auch für uns als Gesellschaft. Materieller Reichtum ist also nicht zwingende Voraussetzung für ein geglücktes und sinnerfülltes Leben. Bei der Geburt mit dem Privileg besserer Lebensbedingungen ausgestattet worden zu sein und im weiteren Leben vermögend sein zu dürfen, macht vieles einfacher und ist daher zweifellos eine Gnade. Vielleicht aber wird die Bewältigung der mit dieser Gnade als Auftrag verbundenen Verantwortung durch die Verblendungen eines schönen, leicht zu genießenden und oberflächlichen Lebens sogar ein bisschen schwieriger. Unserem Auftrag und unserer Verantwortung werden wir nur gerecht, wenn wir uns der persönlichen Herausforderung, die aus den uns zugefallenen Privilegien resultiert, stellen und wir uns nicht allein uns selbst, sondern vor allem auch unseren Nächsten zuwenden. Im Geben und Teilen erkennen wir eine Grundvoraussetzung für unser Zusammenleben als Menschen. Herkunft, Religion, gesellschaftlicher Status oder andere Kriterien einer sozialen Ab-

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grenzung sind dabei gegenstandslos. Das Bemühen wn den Erhalt des aufuns überkommenen Vermögens kann hierbei immer nur Mittel zum Zweck sein, das uns die Möglichkeit gibt, unser solidarisches, gesellschaftliches, untemehmerisches und kulturelles Engagement aufrecht zu erhalten und weiter zu entwickeln.

Nachwort Thomas Druyen

Nach der intensiven Lektüre aller Aufsätze darf ich tiefen Dank und heitere Genugtuung zum Ausdruck bringen. Den Autorinnen und Autoren ist es über alle Erwartungen hinaus gelungen, die Anregung vennögenskulturellen Reflektierens aufzunehmen und in selbständiger Prägung eigene Perspektiven zu fonnulieren. Dies nun wiederum zusammenzufassen oder gar individuell zu kommentieren, würde meine Herausgeberrolle überzeichnen und den Schöpfern nicht gerecht werden. Stattdessen ist hier eine breite Basis für die weitere Rezeption und wissenschaftliche Ausarbeitung gelegt. Meine abschließende Aufgabe besteht, wie schon im Vorwort angekündigt, lediglich darin, die Frage nach dem roten Faden in dem entfalteten Spektrum zu stellen. Die vergangenen zehn Jahre des gedanklichen und organisatorischen Aufbaus der Vennögenskulturforschung standen im Zeichen der früh gefundenen und häufig zitierten Definition: Vennögenskultur ist die Förderung und Pflege von materiellen und immateriellen Werten, von Beziehungen und Netzwerken zum Schutze der individuellen, familiären, gesellschaftlichen und globalen Zukunftsfiihigkeit. Im Angesicht der vielfältigen Bearbeitungen und Einlassungen gilt es nun zu prüfen, ob diese Fonnulierung einer Veränderung oder Ergänzung bedarf. Auf dieses Unterfangen möchte ich mich an dieser Stelle konzentrieren. Es besteht kein Zweifel, dass der Vennögensbegriff aus dem Geflingnis seiner materiellen und monetären Vereinseitigung befreit worden ist. Dies verdeutlichen auch die vorliegenden Essays nachhaltig. War ein Vennögender bisher lediglich jemand, dem man Reichtum attestieren konnte, so ist nun klar, dass der Anspruch weit über finanzielle Dimensionen hinausgeht. Aber nicht nur das. Ein Mensch muss nicht einmal über Geld und Güter verfügen, um dennoch vennögend und vorbildhaft zu sein. Vennögen ist eine innere Qualität, die je nach Art und Umfang der persönlichen Ressourcen ganz unterschiedliche Fonnen annehmen kann. In diesem Sinne existieren zahlreiche Vennögen und Werthaltungen, wie in den Beiträgen dieses Bandes stichprobenartig deutlich wird. Von herausragender Bedeutung in diesem Kontext von Vielfalt und zentral für die Wirksamkeit der Vennögenskultur ist jedoch eine einzige Dimension: die Wahrnehmung von Verantwortung. Verantwortung für sich und andere zu übernehmen, wird gerade in diesen Zeiten rasender Komplexität zu einer Schlüsselkategorie der persönlichen und gesellschaftlichen Potenzialität. In diesem Vennögen steckt die Grundlage von Sinnfindung und Sinnerzeugung. Und ohne die leitende Frage nach der Umsetzung unserer Verantwortung müssen wir ziellos durch das uns umgebende Gemenge seelischer, alltäglicher und virtueller Undurchsichtigkeiten vagabundieren.

T. Druyen (Hrsg.), Vermögenskultur, DOI 10.1007/978-3-531-92086-3_18, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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Nun ist es leicht, von Verantwortung zu sprechen und sie einzufordern. Die Umsetzung dagegen wirft schwierige, manchen Menschen unlösbar erscheinende Fragen auf. Ohne eine klar umrissene Vorstellung, was es zu erreichen gilt, und ohne eine Zielrichtung, was umgesetzt werden soll, bleibt der Appell an die Verantwortung ein Traum ohne Verwirklichungschance. Ursächlich bedarf es eines Vertrauens in sich selbst, um handlungsmächtig aktiv werden zu können. Erst dieses Selbstvertrauen schafft die motivationale Grundlage, um realitätseinwirkend zu handeln. Diese Basiseigenschaft als Eigenvermögen zu skizzieren, öffnet den Blick dafür, dass der Schlüssel zur vermögenskulturellen Wirksamkeit in der Selbstaktivierung und Selbstveränderung liegt. Eigenvermögen ist eine Kategorie der Innerlichkeit, die jenseits materieller Verfügungsgewalt existiert. Sie ist insofern auch kein Besitzstand einer Wirtschaftselite, sondern ein Menschenrecht. Wer auf diesem Planeten überhaupt über dieses Eigenvermögen verfügt, ist eine unverzichtbare Frage, der wir uns stellen müssen. Sicher ist jedoch schon jetzt, dass Eigenvermögen und Verantwortung in allen Milieus und Kulturen wahrgenommen werden können. Eine wesentliche Aufgabe der Vermögenskultur wird jedoch darin bestehen, die Option auf Eigenvermögen nachhaltig zu erhöhen. An vielen Stellen des Buches wird daraufhingewiesen, dass Selbstentwicklung, Selbstbeschränkung und Selbsterneuerung zentrale Elemente der Vermögenskultur sind. Bringt uns das nicht zwangsläufig zu dem Gedanken, dass der Mensch selbst der entscheidende Rohstoff des 21. Jahrhunderts sein wird? In allen Katastrophenszenarien ist von Rohstoffinangel und erneuerbaren Energien die Rede. Sind nicht Geist und Gehirn jene Entwicklungs- und Wachstumsvermögen, mit denen wir die Frage nach verfügbaren Ressourcen zukunftsberuhigend beantworten können? In einer vermögenskulturellen Transmaterialität liegt der Stein eines grenzüberschreitenden Anstoßes, um eine neue Sinnschöpfung zu etablieren. In den letzten Jahrzehnten ist immer wieder vom Paradigmenwechsel gesprochen worden. Aber die Heilssuche konzentrierte sich auf Berechenbarkeit, Kontrolle, Technik und Steuerung. Die Vermutung liegt nahe, dass wir nun tatsächlich vor einem Paradigmenwandel stehen. Er wird aber nicht von außen an uns herangetragen, sondern vollzieht sich im Inneren und bedarf einer Bewusstseinserweiterung. Uns selbst, unsere Mitmenschen und unsere Umwelt als Vermögen zu begreifen, könnte jener Umschlaggedanke sein, um Eigennutz und Gemeinnutz konstruktiv zu verzahnen. Mit einem derart auf Kooperation eingestellten Bewusstsein werden Staaten, Gesellschaften und Menschen in einer vernünftigen und anspornenden Weise auch konkurrieren können. Wo aber weiter die gnadenlose Konkurrenz selbst das prägende Prinzip sein wird, gerät auch die vermeintliche Bereitschaft zur Kooperation zum bloßen Lippenbekenntnis, das die sozial Schwachen und nicht Konkurrenzflihigen weiterhin aussperrt. Die Autoren dieses Buches haben theoretische und praktische Beispiele geliefert, wie vermögenskulturelles Bewusstsein und Verantwortung umgesetzt werden können. Die Aspekte reichen vom Gemeinschafts- und Sozialvermögen über die moralische Selbstverpflichtung von Eliten bis hin zur Vermögenskultur als nationaler und globaler Aufgabe. Ist die bisherige Definition in Anbetracht dieser Ausarbeitungen noch hinreichend? Pragmatisch betrachtet, bleibt sie sicherlich weiterhin verwendbar. Was mich nun allerdings stört, ist ihr Charakter eines frommen Wunsches. Diese Einseitigkeit kann nur überwunden werden, indem dieser

Nachwort

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vennögenskulturelle Vorschlag durch Kritik, durch Überarbeitung, durch multikulturelle Resonanz und vielfältige Beispiele ins wirkliche Leben geruckt wird. Die Vermögenskultur ist neben ihrer wissenschaftlichen Verwirklichung auch eine entscheidende Plattform öffentlicher Disputation und Erörterung. Wir haben in der Vennögenspsychologie gelernt, dass Verantwortungsprozesse nur von innen nach außen verlaufen. Entsprechend kann die Vennögenskultur nicht von oben nach unten verabreicht werden. Dieses Bewusstsein führt zu der unverzichtbaren Einsicht, dass es eine tiefgreifende Vennögensentwicklung ohne die nachhaltige Reduzierung von Ungerechtigkeit und Ungleichheit nicht geben kann. Deshalb schließe ich dieses Buch mit einem überarbeiteten Definitionsvorschlag: Vermögenskultur ist die grundsätzliche Wertschätzung und Umsetzung aller Arten von menschlichem Vermögen, die individuell, gesellschaftlich und global dazu beitragen, würdiges Mitglied einer Gesellschaft und der Weltgemeinschaft zu sein.

Danksagung des Herausgebers

Der Lehrstuhl fiir Vergleichende Vennögenskultur und die vorliegende Publikation sind durch die wesentliche Förderung der LGT Academy und die wohlwollende Unterstützung Ihres Stiftungspräsidenten S.D. Prinz Philipp von und zu Liechtenstein Realität geworden. Wir danken fiir diese Ennöglichung und das damit verbundene Vertrauen. Ebenso möchte wir Herrn Jörg Schallehn und seiner Vennögensakademie Dank sagen, die uns zu der Einrichtung einer Assistenzprofessur fiir Dr. Tarek el Sehity verholfen haben. Beide Fonnen der Großzügigkeit sind selbst ein Akt verantwortungsbewusst praktizierter Vennögenskultur.

T. Druyen (Hrsg.), Vermögenskultur, DOI 10.1007/978-3-531-92086-3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

Die Autoren

Claudia Andrews war nach Studium der Theologie in Deutschland und Großbritannien als Pfarrerin tätig. Anschließend Referentin an der Fundraising Akademie, Leiterin Fundraising und Alumni-Management an der Frankfurt School of Finance & Management. Neben- und freiberufliche Tätigkeit als Fundraising-Beraterin.

Daniel Brenner, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut fiir Vergleichende Vermögenskultur und Vermögenspsychologie der Sigmund Freud PrivatUniversität Wien, arbeitet derzeit an einer Dissertation zur medialen Darstellung von Milliardären.

Jerra Lui Busch forscht als Diplomandin der Allgemeinen Sprachwissenschaft an der Universität Wien im Bereich der Morphosyntax südchinesischer Dialekte.

Dr. Thomas Druyen ist Professor fiir Vergleichende Vermögenskultur und Vermögenspsychologie an der Sigmund Freud PrivatUniversität in Wien und Direktor des gleichnamigen Instituts. Er ist der Begründer der Vermögensforschung und Herausgeber dieses Bandes.

Martin EssI, Vorstandsvorsitzender der bauMax AG, ist als Unternehmer sowohl in der Immobilien- als auch in der Bau- und Heimwerkerbranche in Zentral- und Südosteuropa tätig. Gleichzeitig soziales, kulturelles und ökologisches Engagement, u.a. mit dem Essl Museum und in der Essl Foundation, die einmal jährlich den Essl Social Prize vergibt.

Dr. Bruno Haas lehrt Philosophie an der Universität Bielefeld und ist Autor des Buches Mora/begründung und Gemeinschaft. Bis Ende 2009 war er Koordinator der Initiative ,,Appell fiir eine Vermögensabgabe".

Wolfgang Hafenmayer arbeitete nach dem Studium der Wirtschaftswissenschaften bei einem sozialen Beteiligungsfonds sowie in der Unternehmens- und Managementberatung. Für sein Buch Die Zukunftsmacher führte er Interviews mit Sozialunternehmern, Wissenschaftlern und Politikern in 26 Ländern. Seit 2007 ist er Managing Partner von LGT Venture Philanthropy.

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Die Autoren

Dr. Angelika Hagen studierte Musik am Mozarteum Salzburg und war Gründungsmitglied des Hagen-Quartetts; anschließend Studium der Ethnologie und Humanethologie. Aktueller Schwerpunkt ist die Sozialkapitalforschung und die Beratung von Veränderungsprozessen in Unternehmen und Regionen. Seit 1995 geschäftsfilhrende Gesellschafterin von hagenconsult, Wien.

Dr. Franz Harnoncourt, Sohn der Musiker Alice und Nikolaus Harnoncourt, übernahm 1993 die Leitung der chirurgischen Endoskopie am Krankenhaus der Elisabethinen Linz. 2003 wurde er ärztlicher Direktor, 2005 Geschäftsführer des Krankenhauses. Seit 2008 sitzt er im Advisory Board der Linzer Wissensplattforrn Kepler Salon.

Dr. Andreas Heinecke, CEO von Dialogue Social Enterprise, ist der erste Ashoka Fellow in Westeuropa und Global Fellow der Schwab Foundation for Social Entrepreneurship und des World Economic Forums. Er hat das Ausstellungskonzept Dialog im Dunkeln vor mehr als 20 Jahren entwickelt und mittlerweile in über 30 Länder exportiert.

Dr. Othmar Hill ist Gründer der Personal- und Managementberatung HILL International mit einem Netzwerk von 40 Büros in rund 30 Ländern. Der Wirtschaftspsychologe und Personalstratege ist Pionier in der Entwicklung strukturierter Potenzialanalysen und Gründer des Instituts fUr Humanistisches Management.

Dr. Anita Graf ist Professorin fiir Human Resource Management an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten, Institut fiir Personalmanagement und Organisation. Daneben ist sie selbständig tätig. Schwerpunkte: Strategische Personalentwicklung, Demografie- und Generationenmanagement, Selbstrnanagement.

Dr. Petra Krimphove arbeitete bereits während des Studiums der Amerikanistik, Germanistik und Soziologie als Journalistin, später unter anderem als Wirtschafts- und Politikredakteurin bei der Badischen Zeitung. Derzeit lebt sie in Washington, De und schreibt zu den Themenschwerpunkten Zivilgesellschaft und Kulturvergleich.

Dr. Wolfgang Lauterbach ist Professor fiir sozialwissenschaftliche Bildungsforschung im Profilbereich Empirische Bildungswissenschaften an der Universität Potsdam. Er ist Mitherausgeber der beiden grundlegenden Bücher zur Vermögensforschung.

Die Autoren

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Dr. Bernhard von Mutius ist praktischer Philosoph und SozialwissenschaftIer mit den Schwerpunkten systemisches Denken, Zukunftswissen und Innovation. Er konzipiert und leitet Zukunftsdialoge zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur und ist Mitbegründer entsprechender Netzwerke. Diverse Publikationen zu Zukunftsthemen und Transformationsprozessen in Wirtschaft und Gesellschaft.

Dr. Anna Schor-Tschudnowskaja studierte Psychologie, Soziologie und Politikwissenschaft an der Universität Gießen und arbeitet vorrangig interdisziplinär. Seit 2007 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleiterin für Osteuropa-Fragen am Institut für Vergleichende Vermögenskultur und Vermögenspsychologie der Sigmund Freud PrivatUniversität Wien.

Dr. Tarek el Sehity promovierte zur Psychologie der Währungen an der Universität Wien. Anschließend Forschungen zur Euroeinfiihrung und zu den sozial-kognitiven Grundlagen des Geldes. Seit 2009 Assistenzprofessor am Institut für Vergleichende Vermögenskultur und Vermögenspsychologie der Sigmund Freud PrivatUniversität Wien.

Dr. Clemens Sedmak ist Theologe, Professor für Philosophie an der Universität London, Leiter des Zentrums für Ethik und Annutsforschung der Universität Salzburg sowie Präsident des Internationalen Forschungszentrums für soziale und ethische Fragen, Salzburg.

Georg Starhemberg ist Geschäftsführer der Fürst Starhemberg'schen Familienstiftung sowie von zwei landwirtschaftlichen Betrieben in Spanien und Argentinien. Er ist engagiert in den Forstverbänden proHolz und FHP sowie u.a. bei der Siemens Stiftung, dem NS-Gedenkort Schloss Hartheim, dem Internationalen Theologischen Institut Schloss Trumau sowie dem Projekt einer Medizinischen Universität in Linz.

Kampf der Kulturen: Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert: The Clash of Civilizations. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert

Vermogenskultur: Verantwortung im 21. Jahrhundert

Sex im 21. Jahrhundert

Sichere Energie im 21. Jahrhundert

Paradigma der Medizin im 21. Jahrhundert

Paradigma der Medizin im 21. Jahrhundert

Die Nacht zum 21 Jahrhundert

Die Nacht zum 21. Jahrhundert

Gesellschafts-Transformation im 21. Jahrhundert: Ein neues Konzept sozialen Wandels

Klimatologie: Klimaforschung im 21. Jahrhundert - Herausforderung für Natur- und Sozialwissenschaften

Ein unvollkommenes Angebot. Humanitäre Hilfe im 21. Jahrhundert

Jugend und Jugendkulturen im 21. Jahrhundert: Lebensformen und Lebensstile

Öl im 21. Jahrhundert. Band I: Grundlagen und Kernprobleme

Physik im 21. Jahrhundert: Essays zum Stand der Physik

Öl im 21. Jahrhundert. Band II: Alternativen und Strategien

Klimatologie: Klimaforschung im 21. Jahrhundert - Herausforderung für Natur- und Sozialwissenschaften

Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert

Die Verantwortung der Wissenschaft im Atomzeitalter

Kampf der Kulturen: Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert: The Clash of Civilizations. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert

Entwicklung des Welthandels im 19. Jahrhundert

Deutschland im 19. Jahrhundert 1815-1871

Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert GERMAN

Geheimgesellschaften und ihre Macht im 20. Jahrhundert

Polizei, Gewalt und Staat im 20. Jahrhundert

Das Bild des Arztes im 21. Jahrhundert (Kölner Schriften Zum Medizinrecht)

Kulturelles Gedächtnis im 21. Jahrhundert: Tagungsband des internationalen Symposiums, 23. April 2005, Karlsruhe German

Jugend und Jugendkulturen im 21. Jahrhundert: Lebensformen und Lebensstile 2. Auflage (Lehrbuch)

Perspektiven des Medizinrechts im 21. Jahrhundert. Gottinger Schriften zum Medizinrecht Band 1

Liebe und Verantwortung

Unser Jahrhundert

Ein Sozialismus für das 21. Jahrhundert. Der fünfte Weg

Lokale Netze - Die Technik fürs 21. Jahrhundert . Technologien, Konzepte, Praxis

Vermogenskultur: Verantwortung im 21. Jahrhundert

Sex im 21. Jahrhundert

Sichere Energie im 21. Jahrhundert

Paradigma der Medizin im 21. Jahrhundert

Paradigma der Medizin im 21. Jahrhundert

Die Nacht zum 21 Jahrhundert

Die Nacht zum 21. Jahrhundert

Gesellschafts-Transformation im 21. Jahrhundert: Ein neues Konzept sozialen Wandels

Klimatologie: Klimaforschung im 21. Jahrhundert - Herausforderung für Natur- und Sozialwissenschaften

Ein unvollkommenes Angebot. Humanitäre Hilfe im 21. Jahrhundert

Jugend und Jugendkulturen im 21. Jahrhundert: Lebensformen und Lebensstile

Öl im 21. Jahrhundert. Band I: Grundlagen und Kernprobleme

Physik im 21. Jahrhundert: Essays zum Stand der Physik

Öl im 21. Jahrhundert. Band II: Alternativen und Strategien

Klimatologie: Klimaforschung im 21. Jahrhundert - Herausforderung für Natur- und Sozialwissenschaften

Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert

Die Verantwortung der Wissenschaft im Atomzeitalter

Kampf der Kulturen: Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert: The Clash of Civilizations. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert

Entwicklung des Welthandels im 19. Jahrhundert

Deutschland im 19. Jahrhundert 1815-1871

Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert GERMAN

Geheimgesellschaften und ihre Macht im 20. Jahrhundert

Polizei, Gewalt und Staat im 20. Jahrhundert

Das Bild des Arztes im 21. Jahrhundert (Kölner Schriften Zum Medizinrecht)

Kulturelles Gedächtnis im 21. Jahrhundert: Tagungsband des internationalen Symposiums, 23. April 2005, Karlsruhe German

Jugend und Jugendkulturen im 21. Jahrhundert: Lebensformen und Lebensstile 2. Auflage (Lehrbuch)

Perspektiven des Medizinrechts im 21. Jahrhundert. Gottinger Schriften zum Medizinrecht Band 1

Liebe und Verantwortung

Unser Jahrhundert

Ein Sozialismus für das 21. Jahrhundert. Der fünfte Weg

Lokale Netze - Die Technik fürs 21. Jahrhundert . Technologien, Konzepte, Praxis

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