Stephanie Geise Vision that matters
Stephanie Geise
Vision that matters Die Funktions- und Wirkungslogik Visueller P...
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Stephanie Geise Vision that matters
Stephanie Geise
Vision that matters Die Funktions- und Wirkungslogik Visueller Politischer Kommunikation am Beispiel des Wahlplakats
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
. 1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Dorothee Koch / Priska Schorlemmer VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17819-6
Danke.
Ich danke meinem Doktorvater: Lieber Herr Brettschneider, vielen Dank! Für vier spannende Jahre, für Ihre Passion, Freiräume als Herausforderung anzubieten, für Ihr Talent, Kreativität auch in der Forschung zu fördern. Und ich danke der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung, dass sie die dem Foschungsprojekt zugrunde liegenden Studien in dieser Form ermöglicht hat. Allen anderen, die direkt oder indirekt an diesem Projekt beteiligt waren, danke ich mit Freuden lieber persönlich. Stephanie Geise
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis...................................................................................................... 11 Abbildungsverzeichnis ....................................................................................................... 13 Tabellenverzeichnis ............................................................................................................ 18
1
Visualisierung der Politik – Politik der Visualisierung ............................ 21 1.1 Visuelle Politische Kommunikation am Beispiel von Wahlplakaten.......... 21 1.2 Visuelle Politische Kommunikation ................................................................ 22 1.3 Theoretische Verortung, Thesen und Forschungsfragen............................. 24 1.3.1 Arbeitsthesen zur theoretischen und empirischen Analyse des Gegenstandsbereichs Visueller Politischer Kommunikation............... 30 1.3.2 Leitfragen der theoretischen Fundierung................................................ 31 1.3.3 Leitfragen der methodischen Fundierung............................................... 31 1.3.4 Leitfragen der empirischen Fundierung .................................................. 31 1.4 Ein Phasenmodell der Funktions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation.................................................................................................. 32 1.5 Vorgehensweise und Struktur ........................................................................... 37
2
Der Modus Visueller Kommunikation und seine Funktionslogik...........39 2.1 Visuelle Kommunikation in Forschung und Diskurs ................................... 40 2.1.1 Visuelle Kommunikation in wissenschaftlicher Forschung ................. 40 2.1.2 Visuelle Kommunikation im kritischen Diskurs.................................... 49 2.2 Visuelle Kommunikation................................................................................... 53 2.2.1 Visuelle Kommunikation und Bildkommunikation .............................. 54 2.2.2 Was ist ein Bild? Definitionen des Bildbegriffs...................................... 55 2.2.3 Bildbegriff, Gegenstandsbereich und Definition Visueller Kommunikation ......................................................................... 62 2.2.4 Der spezifische Modus Visueller Kommunikation ............................... 68
8
Inhalt
2.3
Grundlegende Prozesse (Visueller) Wahrnehmung und Informationsverarbeitung.................................................................................. 72 2.3.1 Der klassische Wahrnehmungsprozess ................................................... 74 2.3.2 Wahrnehmung als Aufmerksamkeits- und Aktivierungsprozess ........ 75 2.3.3 Wahrnehmung als Entfaltungsprozess.................................................... 76 2.3.4 Wahrnehmung als Konstruktionsprozess............................................... 79 2.3.5 Wahrnehmung und Informationsverarbeitung ...................................... 82 2.3.5.1 Die Schematheorie ............................................................................. 82 2.3.5.2 Framingprozesse: Strategisches, perzeptives und applikatives Framing .......................................................................... 86 2.3.5.3 Das Involvement-Konzept ............................................................... 92 2.3.5.4 Das Hemisphären-Modell ................................................................. 94 2.3.5.5 Das Elaboration Likelihood Model ................................................. 96 2.4 Spezifische Theorien zu Bildwahrnehmung und Bildverstehen.................. 99 2.4.1 Bildwahrnehmung und Bildverstehen als ‘Konstruktionsprozess’ ..... 99 2.4.2 Bilder als mentale Repräsentationen...................................................... 101 2.4.3 Die Theorie der Dualen Codierung ....................................................... 103 2.4.4 Mentale und reale Bilder .......................................................................... 104 2.4.5 Bildverstehen, Bildkompetenz und Visual Persuasion........................ 107
3
Der Modus Politischer Kommunikation und seine Funktionslogik ..... 109 3.1 Politische Kommunikation und Politikvermittlung .................................... 110 3.2 Funktionen von Politischer Kommunikation .............................................. 114 3.3 Bedeutung der Medien für Politik und Politikvermittlung......................... 116 3.4 Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft................................ 118 3.4.1 Charakteristika der Mediengesellschaft ................................................. 118 3.4.2 Konsequenzen eines neuen Strukturwandels ....................................... 119 3.4.2.1 Die Entertainisierung der Politik ................................................... 121 3.4.2.2 Die Personalisierung und Prominenzierung der Politik ............. 122 3.4.2.3 Die Theatralisierung der Politik ..................................................... 125 3.4.2.4 Die Inszenierung der Politik ........................................................... 126 3.4.2.5 Die Symbolisierung der Politik....................................................... 128 3.4.2.6 Die Visualisierung der Politik ......................................................... 129 3.5 Entscheidungspolitik versus Darstellungspolitik: ‘Spielen wir nicht alle Theater?’ ...................................................................... 133 3.6 Konsequenzen für den Modus der Visuellen Politischen Kommunikation................................................................................................ 137
Inhalt
4
9
Integration: Der Modus Visueller Politischer Kommunikation und seine Funktionslogik am Beispiel des Wahlplakats ....................... 139 4.1 Politische Kommunikation im Wahlkampf .................................................. 140 4.1.1 Themenmanagement: Strategisches Agenda Setting und Priming.... 142 4.1.1.1 Die Agenda-Setting-Funktion der Medien ................................... 144 4.1.1.2 Der Priming-Effekt der Medien..................................................... 149 4.1.1.3 Strategisches Themenmanagement im Wahlkampf .................... 150 4.1.2 Kampagnenmanagement, Wahlwerbung und Negative Campaigning ............................................................................. 153 4.1.2.1 Die strategische Medienkampagne ................................................ 154 4.1.2.2 Die strategische Werbekampagne .................................................. 155 4.1.2.3 Image-Konstruktion und Negative Campaigning ....................... 156 4.1.2.4 Wirkung von Wahlwerbung – Zum Forschungsstand ............... 160 4.1.3 Visuelles Kommunikationsmanagement als Integrierte Visuelle Kommunikation ..................................................... 164 4.1.3.1 Das Konzept der Integrierten Kommunikation.......................... 164 4.1.3.2 Die Praxis Integrierter Kommunikation in der Politik ............... 165 4.1.3.3 Integrierte Visuelle Kommunikation in der Politik..................... 170 4.2 Politische Kommunikation durch das Wahlplakat ...................................... 172 4.2.1 Das Plakat – Definition und Charakteristika des Mediums ............... 172 4.2.2 Die Wirkung von Wahlplakaten – Zum Forschungsstand................. 175 4.2.3 Das Wahlplakat als typisches Medium Visueller Politischer Kommunikation .................................................................... 185
5
Methodik der Studie zur Analyse der Funktions- und Wirkungslogik am Beispiel des Wahlplakats .................................................................. 187 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5
Überblick über den Untersuchungsaufbau und die Erhebungsmethoden in Testreihe I und II ......................................................................................... 188 Die Integration von Befragung, Eyetracking und RTR im experimentellen Setting .............................................................................. 190 Ablauf der Erhebungen in Testreihe I und II .............................................. 195 Auswahl und Zusammensetzung des Stimulusmaterials ............................ 201 Auswahl und Zusammensetzung der Stichproben von Testreihe I und II.............................................................................................. 203
10 6
Inhalt
Empirie: Der Modus Visueller Politischer Kommunikation und seine Wirkungslogik am Beispiel des Wahlplakats ......................................... 207 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7 6.8
7
Die Wirkungslogik Visueller Politischer Kommunikation am Beispiel des Wahlplakats ........................................................................... 207 Pre-attentive Prädisposition und ‘Erster Eindruck’ .................................... 208 Allokation von Aufmerksamkeit und Aktivierung und Hierarchie der Wahrnehmungssequenz ............................................................................ 221 Reflektierte post-kommunikative Evaluation und Akzeptanz................... 265 Memorizationen: Erinnerungswirksamkeit, Wiedererkennung und Zuordnungssicherheit .............................................................................. 277 Agenda-Setting .................................................................................................. 289 Priming ............................................................................................................... 310 Applikatives Framing und Relatives Priming ............................................... 324
Vision that matters ................................................................................. 337 7.1 7.2 7.3 7.4
Die Wirkungslogik Visueller Politischer Kommunikation ......................... 337 Vision that matters............................................................................................ 339 Reflektion und Perspektiven ........................................................................... 344 Epilog: Ein utopisches Projekt ....................................................................... 352
Literaturverzeichnis .......................................................................................................... 355 Anhang ............................................................................................................................... 391
Abkürzungsverzeichnis
Abkürzung A ANOVA AOI B BVerfGE CBS ComLab ELM EOS 12 Kl. fMRI fMRT G G1 G2 G3 G4 HI KK LI M1 M2 MANOVA MRA MW Mx,1 Mx,2 NBC OB OC OH OL
Erklärung Alter Univariante Varianzanalyse Area of Interest Bildungsgrad Bundesverfassungsgericht-Entscheid Columbia Broadcasting Systems Communication Laboratory Elaboration Likelihood Model Erweiterte Oberschule 12. Klasse Functional Magnetic Resonance Imaging funktionale Magnet-Resonanz Tomographie Geschlecht Gruppe 1 Gruppe 2 Gruppe 3 Gruppe 4 High Interest (Hohes Interesse) (Subjektiv wahrgenommene) Kandidatenkompetenz Low Interest (Geringes Interesse) Vorher-Messung Nachher-Messung Multivariate Varianzanalyse Multiple Regressionsanalyse (MRA) (grundsätzliche Haltung zum) Medium Wahlplakat Messwelle x Vorher Messwele x Nachher National Broadcasting Company Betrachtungsdauer der Bildmotivs Betrachtungsdauer des Claims Betrachtungsdauer der Headline Betrachtungsdauer der Logos
12 OS OT PA PC PET PID PIN POS 10 Kl. RA RTR T1 T2 TB TH TL TS TVN VIF W1 W2 W3 W4 ZN ZwM
Abkürzungsverzeichnis
Betrachtungsdauer der Subline Betrachtungsdauer des Copy-Texts Pre-attentive Plakat-Bewertung Personal Computer Positronenemissionstomographie Parteiidentifikation Politisches Interesse Erweiterte Oberschule 10. Klasse (reflektiert evaluierte) Akzeptanz Realtime Response Testreihe 1 Testreihe 2 Time to First Fixation Bildmotiv Time to First Fixation Headline Time to First Fixation Logo Time to First Fixation Subline Intensität der TV-Nutzung Varianzinflationsfaktor Welle 1 Welle 2 Welle 3 Welle 4 Zeitungsnutzung Zwei Meinungen zum Medium Wahlplakat
Abbildungsverzeichnis
Abbildungsnummer Abbildung 01 Abbildung 02
Abbildung 03 Abbildung 04
Abbildung 05
Abbildung 06
Abbildung 07 Abbildung 08
Abbildung 09
Beschreibung Ein Phasenmodell der Funktions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation. ‘Unframed’ Wahlplakate der SPD aus dem Kommunalwahlkampf 2008 in Bayern (SPD Landesverband Bayern) sowie negative Campaigning-Plakat der SPD im ‘CDUDesign’ aus dem Bundestagswahlkampf 2005 (SPD Bundespartei). Typen politischer Kommunikation (Bentele 1998a: 131). Schrift-Bild-Plakate der CDU (CDU Bundespartei) sowie von Bündnis90/Die Grünen aus dem Bundestagswahlkampf 2002 (Bündnis 90/Die Grünen Bundespartei). Typoplakate der SPD aus dem Bundestagswahlkampf 2005 (SPD Bundespartei). CDU-Wahlplakat aus dem Bundestagswahlkampf 1994: Kohls ‘Bad in der Menge’ (Agentur von Mannstein). Das ‘Lehrer-Plakat’ der FDP aus dem Landtagswahlkampf in NRW 2000 (FDP Landesverband NRW) sowie das ‘LehrerPlakat’ der Bündnis 90/Die Grünen aus dem Bundestagswahlkampf 2002 (Bündnis 90/Die Grünen Bundesverband). Überblick über die eingesetzte Methodenkombination in T1. Exemplarisches Stimulusmaterial aus Testreihe I (Eigenes Layout; Bildquelle Thomas Kerzner: „Pretty W_oma_n“; photocase.com; Wahlplakat der SPD Niedersachsen) sowie aus Testreihe II (Wahlplakat der FDP Bayern). Exemplarisches Stimulusmaterial aus Testreihe II (ab Welle 2): Auswahl erstellter Einzelmotive der Testkampagne zum Thema Familienpolitik.
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14 Abbildung 10 Abbildung 11 Abbildung 12 Abbildung 13
Abbildung 14
Abbildung 15
Abbildung 16
Abbildung 17
Abbildung 18
Abbildung 19
Abbildungsverzeichnis
Die spontan am besten bewerteten Plakate der Flash-Phase aus Testreihe I. Die spontan am besten bewerteten Plakate der Flash-Phase aus Testreihe II, W1. Die spontan am schlechtesten bewerteten Plakate der Flash-Phase aus Testreihe I. Die spontan am schlechtesten bewerteten Plakate der Flash-Phase aus Testreihe II, Welle 1. Exemplarische Auswahl der selbst erstellten Einzelmotive der Testkampagne für die Wirkungsstudie. Scanpath- oder Gazeplot-Analyse als Vergleich exemplarisch ausgewählter Blickverläufe aus T1 bei einer Betrachtungszeit von 5 sec mit den Ergebnissen aus T2 bei einer Betrachtungszeit von 3,5 sec (Eigene Darstellung; Originalplakat: CDU Niedersachsen) Scanpath- oder Gazeplot-Analyse der Blickverläufe der Probanden der Gruppe ‘Nur Bild’ aus T1 bei einer Betrachtungszeit von 0,5 sec (Eigene Darstellung; Originalplakat: CDU Niedersachsen) sowie Hot-Spot-Analyse der aggregierten Blickverläufe der Probanden der Gruppe ‘Nur Bild‘ aus T1 bei einer Betrachtungszeit von 0,5 sec (Eigene Darstellung; Originalplakat: CDU Niedersachsen). Vergleich der Aufmerksamkeitslandschaften aus verschiedenen Test-Gruppen in T1: Long-Phase der Gruppe ‘Nur Bild’ sowie Long-Phase der Gruppen ‘Themen A’ und ‘Themen B’. Vergleich der Gaze-Plot-Analysen aus verschiedenen Test-Phasen. Flash-Phase der Gruppe ‘Themen A’ sowie Long-Phase der Gruppe ‘Themen A’. Aktive Erinnerung an Plakatinhalte. (Nennungen insgesamt: 328; Auswertung auf
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Abbildungsverzeichnis
Abbildung 20
Abbildung 21 Abbildung 22 Abbildung 23
Abbildung 24
Abbildung 25 Abbildung 26
Abbildung 27
Abbildung 28
Abbildung 29
Basis der stimulusheterogenen Gruppen ‘Themen A’ und ‘Themen B’ in T1). Aktive Erinnerung an Plakatinhalte. (Nennungen insgesamt: 4078; Auswertung auf Basis der stimulusheterogenen Gruppen ‘Themen A’ und ‘Themen B’ in T2. Top5-Plakate der ungestützten Erinnerung in Testreihe II über Gruppe 1 und Gruppe 2. Flop5-Plakate der ungestützten Erinnerung in Testreihe II über Gruppe 1 und Gruppe 2. Gegenüberstellung der prozentualen Erinnerungsleistung von Bild- versus Textplakaten der Wellen 1 bis 4. Die Recognition-Top-Five auf Basis der 8500 Wiedererkennungen im Vergleich mit den jeweiligen Recognition-Ergebnissen der entsprechenden Textplakate; Auswertung über G1 und G2 in T2, W1 bis W4. Absolute Entwicklung der neun untersuchten Themenfelder in der Berichterstattung. Veränderung der Themenwichtigkeiten auf Aggregatdatenbasis im Zeitverlauf (von W2 bis W4) nach Treatmentexposition für G1. Veränderung der Themenwichtigkeiten auf Aggregatdatenbasis im Zeitverlauf (von W2 bis W4) nach Treatmentexposition für G2. Absolute Differenz der Themenwichtigkeiten ‘vorher’ zu Themenwichtigkeiten ‘nachher’ auf Aggregatdatenbasis im Zeitverlauf (W2 bis W4) nach Treatmentexposition für G1; basiert auf der Bewertung der Themenwichtigkeit auf einer Skala von -5 als ‘überhaupt nicht wichtig’ bis +5 ‘sehr wichtig’. Absolute Differenz der Themenwichtigkeiten ‘vorher’ zu Themenwichtigkeiten ‘nachher’ auf Aggregatdatenbasis im Zeitverlauf (W2 bis W4) nach Treatmentexposition für G2; basiert auf der Bewertung der Themenwichtigkeit auf einer Skala von -5 als ‘überhaupt nicht wichtig’ bis +5 ‘sehr
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Abbildung 30
Abbildung 31
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Abbildung 33
Abbildung 34
Abbildung 35
Abbildung 36
Abbildung 37
Abbildungsverzeichnis
wichtig’. Themenkongruenter Stimulus für W2, G1: Dargeboten wurden 7 Bildplakate aus der fiktiven SPD-Kampagne zu Familienpolitik für jeweils 3,5 sec. Themeninkongruenter Stimulus für W2, G2: Dargeboten wurden 3 Bildplakate aus der fiktiven SPD-Kampagne zu Familienpolitik sowie 4 andersartige Plakatmotive für jeweils 3,5 sec. Themenkongruenter Stimulus für W3, G1: Dargeboten wurden 20 Plakate aus der fiktiven SPD-Kampagne zu Familienpolitik (davon 10 Bildplakate und 10 Textplakate) für jeweils 0,5 sec in der Flash-Phase sowie 3,5 sec in der Long-Phase. Themeninkongruenter Stimulus für W3, G2: Dargeboten wurden 10 Plakate aus der fiktiven SPD-Kampagne zu Familienpolitik (davon 5 Bildplakate und 5 Textplakate) sowie 10 andersartige Plakatmotive (davon 5 Bildplakate und 5 Textplakate) für jeweils 0,5 sec in der Flash-Phase sowie 3,5 sec in der Long-Phase. Themenkongruenter Stimulus für W4, G1: Dargeboten wurden 7 Plakate aus der fiktiven SPD-Kampagne zu Familienpolitik (alle Bildplakate) für jeweils 3,5 sec in der LongPhase. Themeninkongruenter Stimulus für W4, G2: Dargeboten wurden 7 andersartige Plakatmotive (alle Bildplakate, davon 2 mit Familienbezug) für jeweils 3,5 sec in der Long-Phase. Themenkongruenter Stimulus für W2, G1: Dargeboten wurden 7 Bildplakate aus der fiktiven SPD-Kampagne zu Familienpolitik für jeweils 3,5 sec. Themeninkongruenter Stimulus für W2, G2: Dargeboten wurden 3 Bildplakate aus der fiktiven SPD-Kampagne zu Familienpolitik
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Abbildungsverzeichnis
Abbildung 38
Abbildung 39
Abbildung 40
Abbildung 41
Abbildung 42
sowie 4 andersartige Plakatmotive für jeweils 3,5 sec. Themenkongruenter Stimulus für W3, G1: Dargeboten wurden 10 Bildplakate sowie 10 Textplakate aus der fiktiven SPD-Kampagne zu Familienpolitik für jeweils 3,5 sec. Themeninkongruenter Stimulus für W3, G2: Dargeboten wurden 5 Bildplakate sowie 5 Textplakate aus der fiktiven SPD-Kampagne zu Familienpolitik sowie 10 andere Wahlplakate (5 Bild- und 5 Textplakate) für jeweils 3,5 sec. Themenkongruenter Stimulus für W4, G1: Dargeboten wurden 7 Bildplakate aus der fiktiven SPD-Kampagne zu Familienpolitik für jeweils 3,5 sec. Themeninkongruenter Stimulus für W4, G2: Dargeboten wurden 7 Wahlplakate für jeweils 3,5 sec. Ein Phasenmodell der Funktions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation.
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Tabellenverzeichnis
Tabellennummer Tabelle 01 Tabelle 02 Tabelle 03 Tabelle 04 Tabelle 05 Tabelle 06 Tabelle 07
Tabelle 08
Tabelle 09
Tabelle 10 Tabelle 11
Tabelle 12
Tabelle 13
Tabelle 14
Beschreibung Der Bildbegriff in seinen konstituierenden Elementen. Eingesetzte Treatmentvariationen für Gruppe 1, 2, 3 und 4 in Testreihe I im Überblick. Eingesetzte Treatmentvariationen für Gruppe 1 und 2 in Testreihe II im Überblick. Überblick über Aufbau und Methodenkombination in Testreihe II. Übersicht über das in Testreihe II eingesetzte Stimulusmaterial. Quotierungsplan mit Besetzung der Quotierungszellen. Plakat-Bewertung von zwei exemplarisch ausgewählten Testplakaten aus Experimentalreihe I nach Parteiidentifikation. Plakat-Bewertung von zwei exemplarisch ausgewählten Testplakaten aus Experimentalreihe II nach Parteiidentifikation. Überblick über Prämissen, Indikatoren und Hypothesen der Eyetracking-Analysen zur Aktivierungs- und Aufmerksamkeitswirkung Visueller Kommunikation. Strukturelemente und Auswahlkriterien der AOISelektion. Durchschnittliche Zeit bis zur ersten Fixation ausgewählter AOIs bei Betrachtung der Bildplakate in T1. Durchschnittliche Betrachtungszeit ausgewählter AOIs der Bildplakate in T1 (Rezeptionszeit von 0,5 und 5 sec) Durchschnittliche Zeit bis zur jeweils ersten Fixation ausgewählter AOIs bei Betrachtung der Bildplakate in T2 (Rezeptionszeit von 0,5 und 3,5 sec). Durchschnittliche Betrachtungszeit ausgewählter AOIs der Bildplakate in T2 (Rezeptionszeit von
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Tabellenverzeichnis
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Tabelle 17 Tabelle 18
Tabelle 19
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Tabelle 22
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Tabelle 24 Tabelle 25 Tabelle 26
Tabelle 27 Tabelle 28 Tabelle 29
0,5 und 3,5 sec). Durchschnittliche Betrachtungszeit ausgewählter AOIs der Bildplakate in T2-W3 (für eine Rezeptionszeit von 0,5 und 3,5 sec). Durchschnittliche Zeit bis zur jeweils ersten Fixation ausgewählter AOIs bei Betrachtung der Bildplakate in T2-W3 (für eine Rezeptionszeit von 0,5 und 3,5 sec). Gruppenstatistik der Diskriminanzanalyse. Überblick über die Faktoren und abhängigen Variablen der einfaktoriellen multivariaten Varianzanalysen. Übersicht möglicher Hypothesen der Einflüsse von Moderatorvariablen auf die Betrachtungsdauer. Überblick über die Faktoren und abhängigen Variablen der einfaktoriellen multivariaten Varianzanalysen. Übersicht möglicher Hypothesen der Einflüsse von Moderatorvariablen auf die Time to First Fixation. Überblick der durchschnittlichen Bewertungen der jeweils präsentierten Bild- und Textplakate im Wellenvergleich. Überblick der durchschnittlich ‘besten’ und ‘schlechtesten’ Bewertungen der jeweils präsentierten Bild- und Textplakate im Wellenvergleich. Übersicht der Top-Plakate in der Bewertung nach dem selbsterstellten Scoring-Modell. Übersicht der Flop-Plakate in der Bewertung nach dem selbsterstellten Scoring-Modell. Pearson’sche Korrelationsanalyse der spontanen RTR-Bewertung des Erstem Eindrucks und der reflektierten Bewertung Ergebnisse der Zuordnung der Aussagen (Vergleich Bild- vs. Textplakate). Prozentuale Verteilung der neun untersuchten Themenfelder in der Berichterstattung. Deskriptive Ergebnisse der Bewertung der
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Tabelle 32
Tabelle 33
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Tabelle 35 Tabelle 36
Tabellenverzeichnis
subjektiv eingeschätzten Wichtigkeit aktuell relevanter Themen ‘Themenwichtigkeit_Vorher’ nach G1 und G2 getrennt). Deskriptive Ergebnisse der Bewertung der subjektiv eingeschätzten Wichtigkeit aktuell relevanter Themen ‘Themenwichtigkeit_Vorher’ durchschnittliche Bewertung aller Probanden, d.h. über G1 und G2 zusammen. Veränderung der Themenwichtigkeiten für das Thema Familienpolitik auf Aggregatdatenbasis im Zeitverlauf. Veränderung der Themenwichtigkeiten auf Aggregatdatenbasis im Zeitverlauf (W2 bis W4) nach Treatmentexposition. Verteilung der Häufigkeiten zum Item ‘Themenwichtigkeit Familienpolitik’, Ergebnisse der Vorher-Messung in W2 für G1 und G2 im Vergleich. Übersicht der in die Regressionsanalyse zur Kandidatenkompetenz eingegangenen unabhängigen Variablen. Übersicht der Regressionsgleichungen (Steinmeier) für W2, W3 und W4. Übersicht der Regressionsgleichungen (Merkel) für W2, W3 und W4.
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Visualisierung der Politik – Politik der Visualisierung
1.1 Visuelle Politische Kommunikation am Beispiel von Wahlplakaten Im vorliegenden Forschungsprojekt wird das Forschungsgebiet der Visuellen Politischen Kommunikation, ihre Funktion und Wirkung am Beispiel von Wahlplakaten untersucht. Diese Fokussierung war nicht die einzig denkbare; ebenso möglich wäre gewesen, Wahlwerbespots oder bildhafte Medienberichterstattung als Untersuchungsobjekt auszuwählen. Dennoch ist der Fokus auf das Wahlplakat als spezifisches Medium Visueller Politischer Kommunikation folgerichtig: Wahlplakate stellen eine prototypisch verdichtete Form Visueller Politischer Kommunikation dar, ebenso, wie der Wahlkampf an sich eine prototypisch verdichtete Form Politischer Kommunikation darstellt. Wahlplakate sind Kristallisationspunkte, an denen die Funktions- und Wirkungslogik Visueller Politischer Kommunikation prägnant zum Ausdruck kommt. Daher bietet sich das Wahlplakat in ganz besonderer Weise an, um die Wahrnehmung, Verarbeitung und Wirkung von Visueller Kommunikation im Prozess politischer Informationsvermittlung zu untersuchen. Letztlich ist es aber die Faszination der Visuellen Kommunikation, die das Forschungsprojekt und die ihm zugrunde liegenden Fragestellungen motiviert hat. Das Wahlplakat, bei aller Faszination, die das Medium auslöst, dient lediglich als ein Katalysator, eine Reflexionsfläche, eben als ein Medium, dessen sich die Visuelle Kommunikation bedient. Das Visuelle hingegen ist der spezifische Kommunikations- und Wirkungsmodus, der sich im Plakat, wie auch in anderen visuellen Medien, manifestiert, vergleichbar mit einer fremden Sprache, die es zu verstehen, zu analysieren, zu erklären gilt. Dieser Herausforderung soll sich das hier präsentierte Forschungsprojekt stellen, um einen Beitrag zu leisten, die bis heute wenig entschlüsselte ‘Sprache’ Visueller Politischer Kommunikation, ihre Funktion, ihre Wahrnehmung und ihre Wirkung zu begreifen. Der gewählte Fokus auf das Wahlplakat ermöglicht hierbei den Zugang zur Analyse: Visuelle Politische Kommunikation ist nicht nur im Wahlplakat oder Wahlkampf von außergewöhnlicher Relevanz, doch lässt sich ihre Funktions- und Wirkungslogik gerade hier außerordentlich konzentriert studieren.
S. Geise, Vision that matters, DOI 10.1007/978-3-531-92736-7_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Visuelle Politische Kommunikation
1.2 Visuelle Politische Kommunikation Politik ist seit jeher fundamental auf Vermittlung angewiesen, bedarf seit jeher der öffentlichen „Darstellung, Begründung und Rechtfertigung“, der „Legitimation durch Kommunikation“ (Sarcinelli 1998c: 148; vgl. Wolf 1996). Die demokratietheoretische Relevanz dieser Erkenntnis ist nicht erst im Medienzeitalter Anlass für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Rezeption politischer Informationen und ihrer Wirkung auf politische Einstellungen und politisches Handeln. Doch im Medienzeitalter nehmen die Konsequenzen eines ansteigenden Information Overload und einer zunehmend mediatisierten Gesellschaft Einfluss auf die grundsätzlichen Möglichkeiten und Grenzen der Politikvermittlung. Wechselseitige Anpassungsprozesse, von denen politische Akteure ebenso betroffen sind wie Bürger und Medienorganisationen induzieren eine Veränderung in der Art der Politikvermittlung, einen Paradigmenwechsel in der politischen Kultur, der pointiert als Wandel von einer eher logozentrischen zu einer eher ikonozentrischen (politischen) Kultur (Hofmann 1999; 2004; 2009) identifiziert wird. Tatsächlich fördert der zunehmende Wettbewerb um Aufmerksamkeit nicht nur die Erkenntnis einer zunehmenden Bedeutung Visueller Politischer Kommunikation (vgl. Müller 1999b; Altendorfer 2004), sondern rechtfertigt auch die zunehmende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Forschungsgebiet: Die Kommunikation der politischen Botschaft in der „Medienkonkurrenzgesellschaft“ verlangt nach aufmerksamkeitsstarken Strategien und Methoden; „Bilder spielen in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle, denn sie sind Aufmerksamkeitsgaranten Nummer eins“ (Meckel 2001: 26). Die Erkenntnis, dass Bilder früher, schneller und unmittelbarer wahrgenommen werden als Texte, über ein höheres Aktivierungspotential verfügen, bessere Gedächtnisleistungen erzielen sowie tiefer und emotionaler beeinflussen können (vgl. Kobayashi 1986; Kroeber-Riel 1993; Müller 2003), führt damit zu einer verstärkten Integration von Visualisierungen in das Feld der politischen Kommunikation. „Die optische Präsenz und die dabei entstehenden ‘Bilder im Kopf’ bleiben hängen. Weniger, was gesagt wurde, als vielmehr, wie man ankam, setzt sich im Gedächtnis fest“ pointiert hierzu Sarcinelli (2005: 103). Insofern kann durchaus von einer „Wiederentdeckung des Bildlichen“, von einem „revival of the image“ (Paivio 1979: 6) gesprochen werden. „Auch in der Politik hat der visualistic turn (…) längst stattgefunden“ (Lesske 2005: 236; vgl. Hofmann 2004). Doch soll die Formulierung eines Turns nicht in die Irre führen: Die Bedeutung von Visualität ist auch im Bereich der politischen Repräsentation und Legitimation kein modernes Phänomen. Der „Streit um die Macht der Bilder“ (Müller 1997a: 23) begleitet die menschliche Kultur von Anfang an. Seit jeher geht das Streben nach politischer Macht bzw. deren Legitimation mit Formen visueller Repräsentation einher, sei es in Form von Herrschaftsarchitektur, Münzprägung, Königsportraits oder zeitgenössischen Wahlplakaten: „Alle Epochen sind von verschiede-
Visuelle Politische Kommunikation
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nen Erscheinungsformen der Dramaturgie, Theatralität und Körperlichkeit von Macht und Herrschaft geprägt“ (Arnold/Fuhrmeister/Schiller 1998: 9; vgl. Warnke 2006; Zanker 2006). Bereits in der Antike lassen sich Vorformen öffentlicher politischer Werbung finden; aus Pompeji etwa sind gemalte ‘Wandplakate’ bekannt, die explizit auch zur Wahlwerbung eingesetzt wurden (vgl. Kämpfer 1985: 13; Langguth 1995: 7) und auch die politischen und sozialen Bedingungen im Mittelalter, der Renaissance oder im Barock wurden „durch enorme Mengen an Bildwerken handlungsbezogen gestaltet“ (Schneider 2009: 20). Exemplarisch mündete die Erkenntnis, dass die sinnlich wahrnehmbare Präsenz einen „positiven Einfluss auf die Überzeugungs- und Überredungskraft der politischen Botschaft“ nimmt (Arnold/Fuhrmeister/Schiller 1998: 20), bereits bei Kaiser Augustus (63 v. Chr. – 14 n. Chr.) in ein strategisch eingesetztes Programm Visueller Politischer Kommunikation. Ein komplexes System von Visualisierungen umspannte nicht nur große Teile des antiken gesellschaftlichen Lebens (religiöse Rituale, Kleidung, Staatsakte, Verhaltensweisen des Herrschers), sondern wurde prägend für die Bilderwelt der gesamten Epoche, die auch nachfolgende Herrscher immer wieder zitierten (vgl. Zanker 2003; 2006). Entsprechend interpretiert die Althistorikerin Alföldi (1999: 206; 9; vgl. 1970) die Funktion von Visueller Kommunikation, von Bild und Bildersprache bereits für die Antike als „politische Waffe im Dienste der römischen Kaiser“, als „politisches Geschäft“ mit dem Anliegen der bildlichen Mitteilung „(tages)politischer Inhalte.“ An diesen frühen Beispielen Visueller Politischer Kommunikation lässt sich beispielhaft nachvollziehen, dass die politischen Visualisierungen keineswegs ‘nur’ als Träger politischer Botschaften fungieren, sondern im Zeitverlauf prägend für die politische Sozialisation werden können, indem sie als Ausdruck von Werten, Positionen und Urteilen verinnerlicht werden (vgl. Zanker 2003: 13; 2006). In dieser tiefgreifenden Wirkung spiegelt sich die Bedeutung Visueller Politischer Kommunikation als gesellschaftlich-relevanter Faktor, denn bestimmte Werte gewinnen erst „in dem unendlichen Widerhall der entsprechenden Bildpolitik Realität“ (Zanker 2003: 1; vgl. Lesske 2005: 238). Wenngleich mit einem derartigen Blick auf die (Kunst-)Geschichte zu diskutieren ist, inwieweit heute tatsächlich von einer „immer offensichtlicher werdende[n] Verwandtschaft von Politik und Theater“ sowie einer „Verschmelzung von Politik und Werbung“ (Drechsel 2005: 65) ausgegangen werden kann, ist klar erkennbar, dass der Visuellen Kommunikation von Macht und Herrschaft auch, oder insbesondere, in den modernen demokratischen Staaten eine zentrale Bedeutung zukommt (vgl. Drechsel 2005: 65; Warnke 2006; Arnold/Fuhrmeister/Schiller 1998: 11). Die „Sichtbarkeit der Macht“ (Hofmann 1999) gewinnt im Zeitalter moderner Kommunikationstechnologien nicht nur an multimedialer Präsenz, sondern nimmt auch an Geschwindigkeit und Verfügbarkeit zu. Bilder wie die Schlüsselszenen beim Fall der Berliner Mauer, der Anschläge des 11. Septembers 2001 in New York, die
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Fotografien aus dem US-Gefängnis Abu Ghraib im Irak oder von Bushs Landung auf dem Flugzeugträger Abraham Lincoln im Mai 2003 wirken im kollektiven visuellen Gedächtnis nach und entfalten damit eine Wirkung (vgl. Kap. 4.1.3.2), die über die mediale Dokumentation des aktuellen politischen Geschehens weit hinausreicht (vgl. Mitchell 2006). Dies gilt nicht weniger für den Bereich der politischen Werbung: Auch hier werden prägnante visuelle Schlüsselbilder Bestandteil des kollektiven visuellen Gedächtnisses und damit prägend für die politische Kultur. Motive wie das umstrittene ‘Hitler-Plakat’ der FDP aus dem NRW-Landtagswahlkampf 2000, die ‘Rote-Socken-Kampagne’ der CDU oder Kohls ‘Bad in der Menge’ aus dem Bundestagswahlkampf 1994 zeigen dies eindrücklich (vgl. Kap. 4.2.1). Der ‘medialen Flüchtigkeit’ und ‘Bilderflut’ zum Trotz sind politische Visualisierungen keineswegs nur im Moment der Betrachtung existent, sondern können das Potential besitzen, sich „dauerhaft als Symbole, als Repräsentation von Ereignissen oder sogar als symbolhafte Darstellungen komplexer Prozesse und Zusammenhänge in unseren Köpfen“ zu verankern (Meckel 2001: 25), sich „tief in unser Gedächtnis einzubrennen“ (Paul 2009b: 39). Insbesondere in Wahlkämpfen, Kriegen und Skandalen wird die Tragweite Visueller Politischer Kommunikation greifbar – und mit ihr die Notwendigkeit der Thematisierung ihrer demokratietheoretischen Implikationen. Denn: „Ob als entscheidende Beweismittel im Kosovo oder als Produkte der US-amerikanischen Zensur im Irak: Bilder haben für die öffentliche Wahrnehmung bewaffneter Konflikte, aber auch für deren tatsächlichen Verlauf, heute entscheidende Bedeutung“ (Drechsel 2005: 69; vgl. Paul 2009b). Dies wird auch dort deutlich, wo moralisch-ethisch weniger auf dem Spiel steht. Auch die boulevardeske Bunte-Reportage über den ehemaligen Verteidigungsminister Scharping oder die gewollt-kontroverse Inszenierung der Landrätin Pauli in Latex-Handschuhen im Personality-Magazin Park Avenue hatten spürbare Konsequenzen im politischen Raum: „Mit Bildern [wird] Politik gemacht“ (Lesske 2005: 239), ob dies medienethisch bzw. demokratietheoretisch befürwortet wird oder nicht. Wo aber „Bildlichkeit (wieder) zu einem wesentlichen Instrument [der] Durchsetzung politischer Interessen geworden ist“ (Schiller 2002: 109; vgl. Altendorfer 2004), kann die Notwendigkeit der wissenschaftlichen Analyse von Visueller Kommunikation, ihrer Funktion und ihrer Wirkung als eine zentrale Herausforderung der Gegenwartsgesellschaften interpretiert werden. 1.3 Theoretische Verortung, Thesen und Forschungsfragen Vor diesem Hintergrund verwundert die bis heute defizitäre Forschungslage im Forschungsfeld Visueller Kommunikation (vgl. Müller 2007a; 2003; Wolf 2006). Trotz seiner Bedeutung stellt der Gegenstandsbereich ‘Visualisierung/Visuelle Kommunikation’ für die Wissenschaft bis heute eine große Herausforderung dar
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(vgl. Wolf 2006: 13; Müller 2007a). Zwar lassen sich in verschiedenen Teildisziplinen, etwa der Bildwissenschaft (Belting 2005; 2007; Sachs-Hombach 2005a; 2005b; Müller 2001; Boehm 1994), der Politischen Ikonographie (Drechsel 2005; 2010; Müller 1997a; 1997b), der Psychologie Visueller Wahrnehmung (Bundesen/Habekost 2008; Cantoni/Marinaro/Petrosino 2002; Bullier 2001; Burdick 1997; Childers/Heckler/Houston 1986) oder der Werbewirkungsforschung (Felser 2007; Kroeber-Riel/Esch 2004; Kroeber-Riel 1990; 1993), doch mangelt es noch an wissenschaftlichen Auseinandersetzungen, die die speziellen Zugänge integrieren und in eine ganzheitliche Betrachtungs- und Analyseperspektive überführen. Bei Betrachtung der einzelnen Teildisziplinen (vgl. zu den einzelnen Ansätzen und dem Forschungsstand Kap. 2.1) wird zudem deutlich, dass die Perspektive auf den Gegenstandsbereich stark divergiert: Während beispielsweise der Kunstgeschichte verwandte Zugänge Visuelle Kommunikation eher aus einer stilgeschichtlichen, ästhetischen Perspektive betrachten, stellt die Wahrnehmungspsychologie eher auf die physiologischen Voraussetzungen der sensorischen Wahrnehmung und ihre weitergehende Verarbeitung ab. Dass die wissenschaftliche Standpunkte in divergente analytische Zugänge zum Forschungsbereich münden, ist hierbei nachvollziehbar. Auffällig ist dennoch, wie sehr gerade die Visuelle Kommunikationsforschung mit einer facettenreichen, teilweise auch ‘ideologisch’ geprägten, Theorie- und Forschungssituation konfrontiert ist. Exemplarisch wird dies an der verbreiteten, normativen Kritik an Visueller Kommunikation deutlich: „Visualisierung und Visibilität sind politikanalytische Begriffe, die (...) kritisch an die Verhältnisse herantreten“, erklärt etwa Münkler, in das Forschungsfeld einführend, die Bedeutung von „Strategien der Visualisierung“ (2009: 8). Ebenso deutlich wird diese Prägung für die populäre, an Postman (1989) angelehnte, kritische Interpretation von Visueller Kommunikation als Motor der Sinnenentleerung, Entpolitisierung und Entfremdung von Politik (vgl. Meyer 2009; 2001; 1998). Hierzu resümiert Hofmann (2009: 110-111): „Die Omnipräsenz der Bilder [hat] bereits früh zu Unbehagen geführt. (...) Die kritische Thematisierung (...) von visueller Politik ist (...) dominant“ (vgl. zum kritischen Diskurs Visueller Kommunikation Kap. 2.1.2). Hier ist einerseits plausibel, dass sich das skizzierte Theoriedefizit auf die empirische Forschungslage auswirkt; so wurde der Bereich der Visuellen Kommunikation aus politik- oder kommunikationswissenschaftlicher Perspektive bis Mitte der 1990er Jahre kaum empirisch analysiert (vgl. Drechsel 2005: 67; van Leeuwen/Jewitt 2001; 2006). Andererseits ist die fragmentale Forschungslage angesichts der erlebbaren „Omnipräsenz der Bilder“ (Hofmann 2009: 111) und der ihr zugeschriebenen Wirkungsmacht aber auch verwunderlich: Gerade weil Bilder in ihrer spezifischen Funktions- und Wirkungslogik als so eindringlich und „verhängnisvoll“ (vgl. Hofmann 2009: 110) eingeschätzt werden, gerade weil für die Gesellschaft dysfunktionale Wirkungen vermutet werden (vgl. Postman 1989; Meyer 2001; 1998),
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ist die Analyse der Wirkung und der ihr zugrunde liegenden Mechanismen fundamental, um die Einschätzung zu relativieren oder besser mit der Wirkungsmacht der Bilder umgehen zu können (vgl. Rose 2007). Denn entgegen der populären und weithin spürbaren Kritik, der „Stil der visuellen Eindrücklichkeit“ verdränge die „diskursive Erfahrung der sozialen Welt, die rationale Verständigung und den kritischen Diskurs (...) von den Medienbühnen der Öffentlichkeit“ (Meyer 2009: 56), wäre auch ein Zugang zur Visualisierung von Politik denkbar, der deren Wirkung nicht per se wertend einschätzt, sondern diese Einschätzungen kontextabhängig und empirisch analysiert (vgl. van Leeuwen/Jewitt 2006; 2001). Oder anders formuliert: Die Frage, wie sich die theoretisch begründbare Funktions- und Wirkungslogik Visueller Politischer Kommunikation in den jeweils zu untersuchenden Kommunikationskontexten auswirkt, sollte als empirische Frage verstanden werden, nicht als normative. Hier zeigt sich zwar in jüngerer Zeit ein wachsendes Interesse am Forschungsgebiet der Visuellen Kommunikation, systematische Forschungen zur empirischen Fundierung ihrer Rezeption und Wirkung stehen allerdings noch aus. Eine mögliche Ursache für die unbefriedigende Forschungslage ist vielleicht, dass die Analyse Visueller Kommunikation hohe Anforderungen an die Methodenauswahl und Forschungsdurchführung stellt (Knieper/Müller 2001: 13; vgl. Rose 2007). Dass der visuellen Informationsvermittlung bis heute eine „unterbelichtete Rolle“ zukommt (vgl. Sarcinelli 2005: 100; Müller 2003), liegt, wie Knieper und Müller (2004: 9) vermuten, „primär an der Schwierigkeit einer sinnvollen Operationalisierung von Bildkommunikation“ und deren Wirkungen. In der Konsequenz existiert nach wie vor eine bemerkenswerte Forschungslücke, ist das Visuelle nach wie vor „an understudied field of communication research“ (Müller 2007a: 13), was erstaunt, da zahlreiche Autoren die wachsende Bedeutung visueller Kommunikationsformen betonen (vgl. SachsHombach 2003a; Müller 2001). Insbesondere mangelt es auch an Studien, die die Logik Visueller Kommunikation konkret auf den spezifischen Anwendungsbereich der Politischen Kommunikation übertragen, hierfür eine theoretische Perspektive entwerfen und diese empirisch erforschen (vgl. Sarcinelli 2005: 100; Müller 2003). Einen ersten theoretisch und empirisch fundierten Zugang zur Einschätzung des Wirkungspotentials Visueller Kommunikation im politischen Kontext liefern Ansätze zur Rezeptions- und Kognitionsforschung sowie Theorien zu Wahrnehmung, Lernen und Erinnern. Die in diesen Forschungsbereichen gewonnenen Erkenntnisse zur Wahrnehmung und Verarbeitung visuell kommunizierter Inhalte belegen übereinstimmend den Picture Superiority Effect, ein Phänomen, das sich wie folgt zusammenfassen lässt (vgl. Kobayashi 1986; Childers/Heckler/Houston 1986; Childers/Houston 1984; Nelson/Castano 1984; Nelson 1979; Nelson/Reed/Walling 1976): Bilder generieren mehr Aufmerksamkeit und höhere Aktivierung als Texte, sie werden mit geringerer kognitiver Kontrolle ganzheitlich und quasiautomatisch aufgenommen, extrem schnell entschlüsselt und verarbeitet, länger und
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besser erinnert sowie besser und schneller wieder erkannt (vgl. Kroeber-Riel 1993: 14; Lachmann 2002: 130). Im Gedächtnis visuell verankerte Erinnerungen, Einstellungen und Verhaltensdispositionen sind damit prägnanter und nachhaltiger wirksam als solche, die lediglich begrifflich-verbal rekonstruiert werden können. Zudem werden Bilder, da sie schneller erfasst und ganzheitlich verarbeitet werden als Texte, in größeren Sinneinheiten rezipiert als Sprachinformationen, was Kroeber-Riel (1993: 53) zu der bekannt gewordenen Formulierung „Bilder sind schnelle Schüsse ins Gehirn“ veranlasste. Visuelle Kommunikation besitzt ein eigenes Kommunikationsprinzip, das erheblich von der sprachlich-textlich dominierten Kommunikation abweicht (Messaris 2003: 553). Visuelle Kommunikation folgt damit einer eigenen „Logik“ (Müller 2001: 22; 2003). Gerade diese spezifische Logik macht die visuelle Bedeutungsvermittlung für den Transfer kommunikativer Inhalte so attraktiv. Pointiert offenbart die Visualisierung komplexer politischer Sachverhalte Pontentiale, den Wähler trotz Krise der politischer Repräsentation zu erreichen, denn: 1.
2.
Es ist einleuchtend, dass die Erkenntnisse zur Funktions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation nicht vom Kommunikationsinhalt abhängig sind, sondern die Vermittlung visueller Inhalte grundsätzlich charakterisieren und daher auch für den Bereich der Politischen Kommunikation gelten, wobei die bisherigen Erkenntnisse zu der These führen, dass der Einsatz Visueller Kommunikation aufgrund ihrer spezifischen Funktions- und Wirkungslogik den Wahrnehmungs- und Wirkungsprozess positiv beeinflusst.
Folglich müssten sich auch politische Sachverhalte visuell prägnanter, nachhaltiger, verständlicher und wirksamer kommunizieren lassen als über rein textliche Zeichen. Das erscheint vor allem bei komplexen politischen Themen schlüssig, da hier eine unmittelbare Erfahrung der objektiven Themenrealität wenig wahrscheinlich ist. Zudem sind visuelle Inhalte auch Personen mit geringerer formaler Bildung eher zugänglich. Setzt man außerdem voraus, dass vor jeder Meinungs- und Einstellungsänderung die Notwendigkeit ihrer Thematisierung steht, wird weiter deutlich, welche Bedeutung der visuellen politischen Information zukommt: Bevor sich die Rezipienten eine Meinung zu einem Thema bilden oder ihre bestehende Meinung verändern können, müssen sie mit diesem, unter den Bedingungen eines permanenten Information Overload, erst einmal in Kontakt kommen. Bereits auf dieser ersten Stufe im Wahrnehmungsprozess müsste sich die ‘Überlegenheit’ Visueller Kommunikation zeigen: Da Visualisierungen im Vergleich zu Texten über ein höheres Aktivierungspotential verfügen, ist der Kontakt bei visueller Informationsübermittlung nicht nur wahrscheinlicher, sondern auch nachhaltiger. Denn aufgrund der Bildüberlegenheitswirkung führt die Betrachtung visueller Informationen beim Rezipienten auch bei einer lediglich peripheren Wahrnehmung zu einer men-
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talen Verankerung. Zudem gelingt die Übermittlung der Botschaften in einem Bruchteil der Zeit, die die verbale Nachricht ‘kosten’ würde. Der skizzierten These, dass sich die Erkenntnisse zur Funktions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation auf den Bereich der Politischen Kommunikation übertragen lassen, steht gegenüber, dass sich die hier gewonnenen Ergebnisse größtenteils auf Studien aus dem spezifischen Bereich der Konsumgüterwerbung oder auf allgemeine Erkenntnisse zu Visueller Wahrnehmung beziehen. Daraus wird häufig die Limitation abgeleitet, die dort ermittelten Wahrnehmungsmuster und Wirkungen Visueller Kommunikation ließen sich nicht ohne weiteres auf den Bereich der Politischen Kommunikation übertragen, da hier der Wahrnehmungsfilter ‘politische Prädispositionen’ berücksichtigt werden müsse (vgl. Geise/Brettschneider 2010). Die Filterwirkung politischer Prädispositionen wiesen Lazarsfeld, Berelson und Gaudet (1965) in ihrer Studie „The People’s Choice“ nach. Menschen wendeten sich vor allem jenen Informationen zu, die ihren politischen Voreinstellungen entsprächen. Sie mieden hingegen dissonante Informationen, und dies umso mehr, je stärker ihre Prädispositionen ausgeprägt seien (z.B. die Parteineigung). Daher könne die wertende Berichterstattung über eine Partei oder einen Spitzenpolitiker die vorhandenen Einstellungen der Rezipienten nicht in ihrer Richtung verändern, sondern sie lediglich verstärken (Verstärkerhypothese; vgl. Klapper 1960). Doch obwohl Lazarsfeld, Berelson und Gaudet (1965: 164) als Wahrnehmungsgesetzmäßigkeit erkennen: „The fact that people select their exposure along the line of their political predispositions is only a special case of a more general law which pervades the whole field of communications research. Exposure is always selective; in other words, a positive relationship exists between people‘s opinions and what they choose to listen or read,“
steht dieser grundlegenden Beobachtung ein anderer Befund entgegen. Im Rahmen seiner Untersuchung der Einflüsse von Konsonanz und Dissonanz und von formalen Merkmalen bei der Zeitungsrezeption konnte Donsbach (1991: 169; 1990) nachweisen, dass die Barriere selektiver Wahrnehmung politischer Informationen durch eine prominente, betonende Gestaltung (insbesondere: Bebilderung, Platzierung, Headline-Größe) umgangen (bei negativen Informationen) oder zumindest reduziert werden kann (bei positiven Informationen). So führen alleine schon eine prominente Platzierung sowie eine auffällige Aufmachung (Überschriftengröße, Bebilderung, Farbe) von Zeitungsartikeln dazu, dass deren (textliche) Inhalte wahrgenommen werden, auch wenn sie den Prädispositionen der Rezipienten widersprechen. Den stärksten Einfluss auf die Beachtung und auf das Leseverhalten hat die Platzierung eines Artikels (Donsbach 1991: 136). Auch die Größe der HeadlineTypen (Typen-Höhe), die Anzahl der Spalten sowie die Verwendung von Sublines beeinflussen entscheidend, ob ein Artikel gelesen, angelesen, ob Überschrift oder Unterschrift ‘überflogen’ werden oder ob der Artikel unbeachtet bleibt (Donsbach
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1991: 136-137). Zudem generieren bildliche Darstellungen einen deutlich höheren Aufmerksamkeitswert als Textinformationen: Die Beachtungschance von Fotos und Karikaturen ist etwa doppelt so groß wie die der Artikel (Donsbach 1991: 135-136). Die Ergebnisse zeigen damit eine eindeutige Selektionspräferenz für bildliche Darstellungen (vgl. Zillmann/Knobloch/Yu 2001; Knobloch/Hastall/Zillmann/Coy 2003). Interessant für die Bedeutung Visueller Kommunikation ist dabei, dass die Wirkung der formalen Betonung (Platzierung, Überschriftengestaltung, Bebilderung) die der Nachrichtenwerte bzw. der inhaltlichen Ereignismerkmale übersteigt (vgl. Donsbach 1991: 143-144). Visuelle Kommunikation ist also auch unter dem Aspekt der selektiven Wahrnehmung höchst interessant. Denn zum einen sind visuelle Informationen weitaus weniger von Wahrnehmungsabbrüchen betroffen als textliche Informationen (vgl. Schierl 2001a; 2001b; Lachmann 2002), zum anderen werden sie auch weitaus weniger selektiv wahrgenommen als dies bei Textinformationen der Fall ist (vgl. Zillmann/Knobloch/Yu 2001), denen sich der Rezipient erst bewusst analytisch-sequentiell zuwenden muss. Es ist also auch aus der Perspektive selektiver Wahrnehmung plausibel, dass Visuelle Politische Kommunikation über ein besonderes Wirkungspotential verfügt. Da die hier vermuteten Überlegenheitseffekte Visueller Wahrnehmung und Visueller Kommunikation aber bislang nicht wissenschaftlich valide auf ihr Wirkungspotential im Bereich der Politischen Kommunikation hinterfragt wurden, spricht einiges dafür, die Wahrnehmung und Wirkung Visueller Politischer Kommunikation eingehender zu untersuchen. Geht man hierbei davon aus, dass „die visuelle Wahrnehmung nun einmal eine unabdingbare Voraussetzung dazu [ist], dass es überhaupt zu einer anschließenden kognitiv-emotionalen Interpretation oder Wirkung des Wahrgenommenen kommt“ (Raab/Unger/Unger 2009: 140),
können die tatsächlichen Rezeptionsverläufe der Rezipienten als Indikator für das grundsätzliche Wirkungspotential eines Kommunikationsmediums angesehen werden. Dies gilt besonders, da neben individuellen Prädispositionen und situativen Einflüssen vor allem stimulusspezifische Faktoren den Rezeptionsprozess bzw. den Blickverlauf steuern (Leven 1991: 15; vgl. 1986). Legt man dabei die Erkenntnisse zur Funktions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation zugrunde, müssten Unterschiede in der Beschaffenheit des Kommunikationsträgers, insbesondere visueller vs. textlicher Kommunikationsmodus, zu messbaren Wahrnehmungs- und Wirkungsunterschieden führen. Die visuelle Beschaffenheit des Mediums wäre entscheidend für die grundsätzliche Möglichkeit, eine intendierte Medienwirkung zu erreichen: Je größer die visuelle Prägnanz einer Botschaft, desto größer die Prägnanz der Botschaft für den Wahrnehmungsprozess des Rezipienten und desto größer das Wirkungspotential Visueller Kommunikation. Denn auf Basis dieser Eigenschaften sollten sich Rezeptionsverlauf und Wirkungsprozess strukturieren.
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Ausgangspunkt des Forschungsprojekt sind damit die Fragen, wie sich die hier skizzierte Funktionslogik Visueller Kommunikation tatsächlich gestaltet und wie sich die Wirkungslogik Visueller Politischer Kommunikation im Rezeptionsprozess auswirkt. Ziel ist hierbei, den Forschungsstand mit neuen Erkenntnissen zur Funktions-, Rezeptionsund Wirkungsweise Visueller Politischer Kommunikation zu ergänzen. Dabei ist insbesondere notwendig, das Potential visueller Bedeutungsvermittlung im Raum der Politischen Kommunikation differenzierter zu beleuchten. Hier ist zunächst zu betonen, dass Visuelle Kommunikation einer eigenen Logik folgt, die es auch methodisch umfassend zu berücksichtigen gilt; ein „spezifisch visuell-wissenschaftliches Vorgehen“ ist daher unerlässlich (Knieper/Müller 2001: 13). Aufgrund des bisher nur unzureichend formulierten theoretischen Rahmens, bedingt die Fragestellung eine Zusammenführung verschiedener Theorien zur Wahrnehmung, Rezeption und Wirkung Visueller Kommunikation, damit die visuellen Konzepte politischer Information in ihrer Komplexität erfasst und in ihren Wirkungsdimensionen bewertet werden können. Einen zentralen Ausgangspunkt der theoretischen und empirischen Erschließung der Funktions- und Wirkungslogik Visueller Politischer Kommunikation bildeten hierfür die folgenden vier oben bereits eingeführten Arbeitsthesen:
1.3.1
Arbeitsthesen zur theoretischen und empirischen Analyse des Gegenstandsbereichs Visueller Politischer Kommunikation Die Erkenntnisse zur Funktions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation lassen sich auf den Bereich der Politischen Kommunikation übertragen. Je größer die visuelle Prägnanz einer politischen Botschaft, desto größer ist die Prägnanz der politischen Botschaft für den Wahrnehmungsprozess des Rezipienten und desto größer ist das Wirkungspotential Visueller Politischer Kommunikation. Unterschiede in der Beschaffenheit des Kommunikationsträgers, wie visueller vs. textlicher Kommunikationsmodus, sollten zu messbaren Wahrnehmungsund Wirkungsunterschieden führen. Aufgrund der spezifischen Funktions- und Wirkungslogik sollte der Einsatz Visueller Politischer Kommunikation den Wahrnehmungs- und Wirkungsprozess politischer Informationsvermittlung positiv beeinflussen.
Die diesen Arbeitsthesen inhärenten Implikationen lassen sich in ein Set von Theorie- und Forschungsfragen überführen. Diese ergeben die dem hier präsentierten Forschungsprojekt zugrunde liegende Aufgabenstellung. Die Bearbeitung erfordert dabei nicht nur die Entwicklung eines ganzheitlichen interdisziplinären Zugangs, sondern auch eine Erweiterung der bisherigen Auseinandersetzung mit dem For-
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schungsgebiet hinsichtlich der drei Dimensionen Theorien Visueller Kommunikation, Methoden der Analyse Visueller Kommunikation, Wirkungen Visueller Kommunikation. Hierbei sind insbesondere folgende Fragen zu klären:
1.3.2
1.3.3
1.3.4
Leitfragen der theoretischen Fundierung Wie lässt sich Visuelle Kommunikation wissenschaftlich definieren, wie analysieren? Wie lässt sich der spezifische Modus Visueller Kommunikation theoretisch und interdisziplinär fassen? Wie lassen sich die zugrunde liegenden, vielschichtigen Kommunikations-, Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprozesse in eine integrative Perspektive einer Funktions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation zusammenführen? Wie lassen sich die theoretischen und strategischen Implikationen der Funktions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation auf den politischen Raum übertragen? Wie lassen sich der spezifische Modus Visueller Kommunikation und der spezifische Modus Politischer Kommunikation in eine ganzheitliche Betrachtungsperspektive der Funktions- und Wirkungslogik Visueller Politischer Kommunikation integrieren?
Leitfragen der methodischen Fundierung Wie lässt sich die Funktions- und Wirkungslogik Visueller Politischer Kommunikation empirisch untersuchen? Welche spezifische Analyseebene kann hierfür gewählt werden? Auf welches Untersuchungsobjekt kann sich die empirische Analyse fokussieren, um die Besonderheiten des Modus Politischer Kommunikation ebenso zu bedienen wie die Charakteristika des Modus Visueller Kommunikation? Welche empirischen Methoden können für die Analyse Visueller Politischer Kommunikation zum Einsatz kommen? Welches Methodendesign ist zu wählen, um auf methodisch-analytischer Seite der Komplexität Visueller Kommunikation gerecht zu werden und ihre Wirkungen überhaupt messen zu können? Welche Einschränkungen sind damit verbunden? Leitfragen der empirischen Fundierung Inwieweit lassen sich Erkenntnisse der Wirkung Visueller Kommunikation (v.a. der Bildüberlegenheitseffekt) auf Politische Kommunikation übertragen,
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Ein Phasenmodell der Funktions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation
für die traditionell eine starke Bedeutung individueller Prädispositionen angenommen wird (vgl. Lazarsfeld/Berelson/Gaudet 1965)? Bestätigt sich die Arbeitsthese, dass die Funktions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation zu einem Großteil independent ist von individuellen Rezipientenmerkmalen? Strukturiert sich Visuelle Wahrnehmung weitgehend stimulusbasiert als ein individuell-übergeordnetes, physiologisch-biologisches Rezeptionsmuster? Welchen Einfluss nimmt die Parteiidentifikation auf die Rezeption visueller politischer Inhalte? Welche Moderationsfunktion geht von klassischen Rezipientenmerkmalen (Alter, sozialer Status, Bildungsgrad etc.) auf den visuellen Wahrnehmungsprozess aus? Beeinflusst der Einsatz Visueller Kommunikation den Wahrnehmungs- und Wirkungsprozess auf allen Stufen positiv? Welche Wirkung hat Visuelle Politische Kommunikation auf den unmittelbaren Wahrnehmungsprozess? Welche Wirkungen hat sie auf die pre-attentive Bewertung, welche auf die reflektierte Bewertung und Akzeptanz eines Stimulus? Wie beeinflusst Visuelle Kommunikation die Aktivierungs- und Aufmerksamkeitsallokation der Rezipienten? Welche Wirkungen hat der Einsatz Visueller Kommunikation auf die ‘nachfolgenden’ kognitiven Verarbeitungsstufen, wie die aktive und passive Erinnerung oder die Einschätzung der Wichtigkeit eines Themas (Agenda-Setting)? Hat der Einsatz einer prägnanten Visuellen Kommunikation Auswirkungen auf die Gewichtung von Bewertungsmaßstäben, die zur Beurteilung herangezogen werden (Priming)? Welche mittel- und langfristigen direkten und indirekten Kommunikationswirkungen gehen von der Visuellen Politischen Kommunikation auf Einstellungen und Bewertungen der Wähler aus?
1.4 Ein Phasenmodell der Funktions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation Da dem skizzierten Forschungsdefizit Visueller Kommunikation entspricht, dass systematische Forschungen zur theoretischen Fundierung der relevanten Rezeptions- und Wirkungsprozesse Visueller Kommunikation fehlen, muss die wissenschaftliche Auseinandersetzung der Komplexität Visueller Kommunikations- und Visueller Wahrnehmungsprozesse theoretisch reflektierte Wirkungsmodelle entgegensetzen (vgl. Drechsel 2005: 75; Wolf 2006: 14). Da sich die spezifische Funktionslogik Visueller Kommunikation als enorm vielschichtig darstellt, wird hierbei ein Modell benötigt, das den komplexen Wirkungsprozess in seinen verschiedenen Facetten und Interdependenzen abbildet, dadurch eine schematische Vorstellung der einzelnen Phasen im Wirkungsprozess ermöglicht und somit einen Zugang zur Operationalisierung und empirischen Analyse schafft.
Ein Phasenmodell der Funktions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation
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Für die Analyse der Funktions- und Wirkungslogik Visueller Politischer Kommunikation hinsichtlich der oben benannten Forschungsfragen war dementsprechend zu klären, inwieweit eine traditionelle Prozessperspektive der Medienwirkungs- und Rezeptionsforschung auf die Logik visueller Kommunikationsprozesse anwendbar ist. Dabei wurde deutlich, dass die Kommunikationswissenschaft, abgesehen von grundlegenden Konzepten, nur wenige prozessorale Wirkungsmodelle ausformuliert hat (vgl. exemplarisch: Lasswell 1927; Shannon/Weaver 1949; Berlo 1963; Maletzke 1963; Badura 1971; Schramm/Roberts 1971; McQuail 1979; Anderson 1983; Levy/Windahl 1984). Insbesondere im Gegensatz zur ‘verwandten’ Werbewirkungsforschung (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg/Gröppel-Klein 2009; Meffert/ Burmann/Kirchgeorg 2008; Moser/Döring 2008; Felser 2007; Kroeber-Riel/Esch 2004) verwundert dieses Modelldefizit. Die „bis heute beobachtbare Kontrastierung von gegensätzlichen Auffassungen zum Verlauf von Kommunikationsprozessen [scheint] eher der bewussten Polarisierung von Perspektiven als der Vermittlung eines adäquaten Blicks auf das Verhältnis von Medienangeboten einerseits und Publikumsreaktionen andererseits“ zu dienen, resümiert Jäckel (2008: 78). Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang aber auch, wie wenig die Kommunikationswissenschaft in ihren bisherigen Ansätzen die Voraussetzungen und Funktionsmechanismen der menschlichen (Visuellen) Wahrnehmung reflektiert bzw. integriert hat (vgl. Donsbach 1991: 30). Vielmehr behandelt sie die hier wirksam werdenden Prozesse wie eine „black box, deren Erforschung man anderen Fächern, vor allem der Psychologie und der Neurophysiologie“ überlässt (Donsbach 1991: 30). Als ‘just-in-time’-Wirkungen bleiben Prozesse der unmittelbaren Wahrnehmung bis heute weitgehend von der Rezeptions- und Wirkungsanalyse ausgeklammert. Dem entspricht, dass Medienwirkungen mehrheitlich als zeitlich der Rezeption nachgeordnete Phänomene interpretiert werden. Dieser Interpretation folgt die gängige, wenngleich recht grobe Kategorisierung in kurz-, mittel- und längerfristige Medienwirkungen (vgl. Bonfadelli 2004a: 17; Schenk 1987; 2007). Zu Recht weist McQuail hier darauf hin, dass die zeitliche Dynamik und Sequenzialität eines Kommunikationsprozesses in der aktuellen Theorie- und Forschungslage „bisher nicht ausreichend reflektiert“ (McQuail 2000: 31), erstaunlich selten problematisiert und im Grunde als nachgeordnetes Thema betrachtet wird (McQuail 2000: 36). So bleibt eine Öffnung der Betrachtungsperspektive, wie Donsbach sie vorschlägt, indem er die drei Wirkungsstufen präkommunikativ, kommunikativ und postkommunikativ analytisch differenziert (vgl. Donsbach 1991: 26) und somit die Analyse von (Visuellen) Medienwirkungen um die Integration ihres Prozesscharakters erweitert, in der theoretischen wie empirischen Analyse selten. Für die Analyse der Funktions- und Wirkungslogik Visueller Politischer Kommunikation ist der etablierte Fokus auf den postkommunikativen Wirkungsbegriff inhaltlich problematisch. Dieser mag zwar in der technisch wie methodisch anspruchsvollen Messbarkeit inhaltlich und zeitlich differenzierterer Wirkungsdimensionen begrün-
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det sein, verwundert aber, da Visuelle Wahrnehmung nicht binär codiert ist („keine attentive Wahrnehmung“ – „attentive Wahrnehmung“), sondern sich als „Entfaltungsprozess“ darstellt, bei dem ein Übergang von vorbewusster zu bewusster Verarbeitung erfolgt, wobei die präkommunikative Wahrnehmung das nachfolgende Wahrnehmungs- und Bewertungsverhalten prädisponiert (vgl. Lachmann 2002: 63; vgl. Kroeber-Riel 1993: 63-65; vgl. Kap. 2.3.3). Zudem ist gerade die unmittelbare Visuelle Wahrnehmung Voraussetzung dafür, dass es überhaupt zu einer Wirkung des visuell Wahrgenommenen kommt (vgl. Raab/Unger/Unger 2009: 140). Zusammengefasst lässt sich somit feststellen, dass die bisherigen Wirkungsmodelle 1.) der Vielschichtigkeit Visueller Kommunikation nicht gerecht werden, womit insbesondere verbunden ist, dass sie 2.) mit dem Fokus auf postkommunikative Medienwirkungen einen zu eng definierten Wirkungsbegriff zugrunde legen. Für die Analyse von Medienwirkungen erscheint es grundsätzlich sinnvoll, die bisher dominierende Perspektive, die auf die Betrachtung der Rezeption nachgeordneter Medienwirkungen fokussiert, kritisch zu hinterfragen. Für eine systematische Analyse des komplexen Gegenstandsbereichs Visueller Kommunikation aber ist zwingend geboten, die bisherige Perspektive zu erweitern, denn Rezeptions- und Wirkungsprozesse visueller Stimuli lassen sich ohne die Integration und zeitliche Differenzierung präkommunikativer und unmittelbarer visueller Wahrnehmungsprozesse nur unzureichend beschreiben und untersuchen. Mit innovativen, apparativen Methoden wie Eyetracking oder Real-Time-Response Measurement (RTR) stehen zudem inzwischen Verfahren zur Verfügung, die die inhaltliche und zeitliche Differenzierung der Medienwirkungen visueller Stimuli auch der empirischen Analyse zugänglich machen. Aus Auf Basis dieser Überlegungen wird der vorliegenden Analyse der Funktions- und Wirkungslogik Visueller Politischer Kommunikation ein Phasenmodell zugrunde gelegt, das eine differenzierte Betrachtung der einzelnen, zeitlich differenzierteren Wirkungsstufen vermittelt, die die Visuelle Kommunikation in ihrer Funktions- und Wirkungsweise ‘passiert’ (vgl. Abb. 1; zu den zugrunde liegenden Theorien Kap. 2). Da die Komplexität Visueller Kommunikation dieser Idee aber prinzipiell entgegen steht, ist der Entwurf eines Modells Visueller Kommunikation und ihrer Funktions- und Wirkungslogik unter Berücksichtigung der spezifischen Funktions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation als Projekt zu verstehen, wesentliche Zugänge zum Forschungsgebiet zusammenzuführen und, übersetzt in ein vereinfachtes Modell, für die empirische Analyse der Wirkungen Visueller Kommunikation verfügbar zu machen (vgl. Geise 2011). Dies bedingt eine Zusammenführung verschiedener Erkenntnisse zur Wahrnehmung, Rezeption und Wirkung Visueller Kommunikation, damit die Visuellen Kommunikationsprozesse in ihrer Komplexität methodisch erfasst, im Forschungsprozess theoretisch reflektiert operationalisiert und in ihren Wirkungsdimensionen empirisch bewertet werden können. Hierzu rücken vor allem auch jene Prozesse in den Blick, die aus dem Phänomen der Visuellen Wahrneh-
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mung resultieren: Kommunikations-, Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsprozesse visueller Inhalte stellen eine entscheidende Basis dar, die die Analyse einer Funktions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation berücksichtigen muss. Das Modell soll nicht implizieren, dass nicht auch weitere Wirkungsprozesse differenziert werden können – es stellt keineswegs einen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern beschreibt vielmehr eine Möglichkeit der forschungspraktisch umsetzbaren Modellierung der Funktions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation für ihre Analyse.
Abbildung 1:
Ein Phasenmodell der Funktions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation.
Im Phasenmodell werden sieben, für den (visuellen) Wahrnehmungsprozess höchst relevante, Rezeptions- und Wirkungsstufen spezifiziert: 1.
Da die unbewusste, periphere Wahrnehmung und Bewertung eines ‘ersten Eindrucks’ das nachfolgende Wahrnehmungs- und Bewertungsverhalten entscheidend beeinflusst, bildet die präkommunikative, pre-attentive Wahrnehmung die erste Phase im Wirkungsmodell. Insbesondere ist hierbei davon auszugehen, dass eine positive Bewertung beim peripheren Erstkontakt zu einer intensiveren Informationswahrnehmung und Verarbeitung führt und damit auch die nachgelagerten Medienwirkungen verstärken kann.
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3.
4.
5.
6. 7.
Ein Phasenmodell der Funktions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation
Die kommunikative Phase der Aufmerksamkeits- und Aktivierungsallokation bildet die zweite Wirkungsdimension. Das Niveau an Aufmerksamkeit und Aktivierung, das in eine hierarchische Wahrnehmungssequenz mündet, kann als relevanter Prädiktor für das grundsätzliche ‘Medienwirkungspotential’ eines Stimulus angesehen werden. Aufmerksamkeit und Aktivierung lassen sich indirekt, über deren Übersetzung in die einhergehenden physiologischen Wahrnehmungsreaktionen, erfassen (z.B. Eyetracking-Daten). Da die zeitlich und inhaltlich differenzierbaren Prozesse im Wahrnehmungsverlauf als intervenierende Variablen zu betrachten sind (vgl. Schierl 2001a: 82), beinhaltet die Phase der Aufmerksamkeitsallokation die Phase der Moderation visueller Wahrnehmungsmuster und Parameter durch individuelle Rezipientenmerkmale. Hier zeigen sich „just-in-time“-Wirkungen als direkte Reaktion auf den Stimulus, auch als Ausdruck der komplex verschachtelten Zusammenhänge von endogen („goal-driven“) und exogen kontrollierten („stimulus-driven“) Wahrnehmungsprozessen. Der Stimulusexposition nachgelagert ist die postkommunikative Phase der kognitiv reflektierten Evaluation des Mediums, wobei diese in Form der aktiven oder passiven Zustimmung (Akzeptanz) als zentrale Moderatorvariable interpretiert werden kann. Diese beeinflusst die Stärke der aktiven und passiven Memorization bzw. die Erinnerungsleistungen, die in Form von Recognition, Cued Recall und Recall Auskunft darüber gibt, wie hoch die kognitive Verarbeitungsleistung des Stimulus einzustufen ist. Hierbei ist davon auszugehen, dass die Wahrnehmungs und Wirkungsunterschiede der vorhergehenden Phasen Auswirkungen haben auf die Verarbeitungstiefe bzw. Erinnerungswirksamkeit der kommunizierten Inhalte. Als Phase der post-kommunikativen kognitiven Medienwirkungen schließen sich Wirkungen des Stimulus auf Prioritäten kommunizierter Inhalte (Agenda-Setting) und deren dadurch aktivierten Bewertungen an (Priming), wobei die Stärke der Medienwirkungen in diesen letzten beiden Phasen, den vorangehenden Überlegungen folgend, durch die vorgelagerten Phasen modifiziert wird.
Als analytisches Raster bietet das Phasenmodell im Forschungsprozess Orientierung im komplexen und hoch vernetzten Funktions- und Wirkungsgeflecht Visueller Kommunikation. Gleichzeitig können die einzelnen Phasen als notwendige Operationalisierungsschritte betrachtet werden, entlang derer ein Forschungsdesign zu gestalten ist. Damit leistet die Einführung des Phasenmodells der Funktions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation einen Beitrag dazu, den komplexen Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprozess Visueller Kommunikation und Visueller Wahrnehmung möglichst umfassend analytisch abzubilden und somit empirisch zu erfassen.
Vorgehensweise und Struktur
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Von Vorteil ist hierbei, dass das Modell nicht so spezifiziert ist, dass es ausschließlich der Analyse visueller Kommunikationsphänomene dient. Dies ist auch deshalb wichtig, da visuelle Kommunikationsphänomene selten isoliert auftreten, sondern meist in multimodalen und multisensualen Stimuluskombination rezipiert werden (vgl. Mitchell 2005; Martinec/Salway 2005; Lemke 2002). Insofern ist das entworfene Phasenmodell im Hinblick auf die Analyse visueller Stimuli zwar hinreichend spezifisch, gleichzeitig aber hinreichend allgemein, um einerseits spezifisch sensuelle bzw. visuelle Kommunikationsprozesse zu beschreiben und der empirischen Analyse zugänglich zu machen und andererseits auch divergente spezifische Kommunikationsmodi zu integrieren. Die Stärke des Phasenmodells liegt allerdings nicht in der Theoriebildung – das Modell zielt nicht darauf, Theorie zu bilden, sondern darauf, sie zu synthetisieren. Dabei zeigt sich der Mehrwert dieser Synthese in seiner forschungspraktischen Einsetzbarkeit. Hierzu bietet das Modell den Entwurf einer Makrostruktur an, die hinsichtlich der jeweiligen Forschungsfragen und Analyseobjekte mikrostrukturell adaptiert werden kann. Damit leistet die Einführung des Phasenmodells der Funktions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation einen Beitrag, den komplexen Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprozess Visueller Kommunikation und Visueller Wahrnehmung möglichst umfassend analytisch abzubilden und somit empirisch zu erfassen (vgl. Geise 2011). Inhalt und Struktur ergeben sich aus den genannten theoretischen, methodischen und empirischen Forschungsfragen, die entlang des schematischen Phasenmodells untersucht werden. 1.5 Vorgehensweise und Struktur Die Funktions- und Wirkungslogik Visueller Politischer Kommunikation wird am Beispiel von Wahlplakaten untersucht. Die vorgestellten Fragestellungen bestimmen den theoretischen Bezugsrahmen. Hierbei wird Visuelle Kommunikation als vielschichtiges und komplexes Phänomen begriffen, dem nur durch eine facettenreiche Fundierung begegnet werden kann. In der Konsequenz wird eine intensive Auseinandersetzung mit Ansätzen, Theorien und Prozessen der Visuellen Kommunikation vorgenommen, wobei die bisherigen politik- und kommunikationswissenschaftlichen Forschungsansätze um weiterführende Erkenntnisse aus relevanten Theoriebereichen ergänzt werden (Kapitel 2). Dieser Perspektive folgt die Einbettung in den Anwendungsbereich der Politischen Kommunikation (Kapitel 3), mit der Visuelle Kommunikation als ein elementarer, und zunehmend an Bedeutung gewinnender, Bestandteil von Politischer Kommunikation interpretiert wird. Nachdem die Betrachtungsperspektiven Visuelle Kommunikation und Politische Kommunikation etabliert worden sind, werden beide Perspektiven auf der Integrationsebene der Visuellen Politischen Kommunikation zusammengeführt (Kapitel 4).
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Vorgehensweise und Struktur
Über die Betrachtung von Visueller und Politischer Kommunikation im Wahlkampf verdichtet sich die Integration und mündet in eine Fokussierung auf das Wahlplakat, das als prototypische Form Visueller Politischer Kommunikation operationalisiert wird. Anschließend wird die empirische, methodische Analyse der synthetisierten Funktions- und Wirkungslogik Visueller Politischer Kommunikation und die ihr zugrunde liegende Methodenkombination thematisiert (Kapitel 5). Der Darstellung der Operationalisierung folgt die Ergebnispräsentation (Kapitel 6), wobei die empirischen Befunde der Wirkungslogik Visueller Politischer Kommunikation am Beispiel des Wahlplakats entlang des modellierten Phasenmodells und im Rückgriff auf die theoretische Fundierung der Funktionslogik Visueller Politischer Kommunikation vorgestellt werden. Dabei impliziert der vorgestellte Fragenkatalog bereits, dass die Idee einer möglichst ganzheitlichen theoretischen und empirischen Analyse der Funktionsund Wirkungslogik Visueller Politischer Kommunikation letztlich ein utopisches Projekt ist. Auch wenn das Forschungsprojekt einige interessante Ergebnisse dieser Utopie präsentiert, kann die Analyse der Funktions- und Wirkungslogik Visueller Politischer Kommunikation weder als umfassend noch als abgeschlossen gelten. Insofern mündet die Auseinandersetzung in eine kritische Betrachtung des Forschungsprojekts und gibt zugleich einen Ausblick auf zukünftige Forschungen (Kapitel 7).
2 Der Modus Visueller Kommunikation und seine Funktionslogik
Obwohl die systematische Beschäftigung mit dem Forschungsbereich der Visuellen Kommunikation durchaus als eine ‘Innovation’ der Kommunikationswissenschaft interpretiert werden kann, und insbesondere in den letzten zehn bis zwanzig Jahren ein wachsendes Interesse an visuellen Kommunikationsformen zu beobachten war (vgl. Müller 2007a; Barnhurst/Vari/Rodriguez 2004), ist die Entwicklung der Visuellen Kommunikationsforschung zu einer „Expertenwissenschaft“ noch nicht abgeschlossen. Zwar ist das Visuelle ein so essentieller Kommunikationsmodus, das eine Welt jenseits jeglicher Visualisierung für uns nur schwer vorstellbar ist (vgl. Rose 2007). Doch wird im Kontext einer über die Alltagserfahrung hinausgehenden, systematisch-empirischen Beschäftigung mit dem Themenfeld schnell klar, dass Visuelle Kommunikation nicht nur essentiell ist, sondern auch enorm komplex und facettenreich. Im Ergebnis stellt die wissenschaftliche Analyse Visueller Kommunikation bis heute eine große Herausforderung dar (vgl. Wolf 2006: 13; van Leeuwen/Jewitt 2006): Visuelle Kommunikationsforschung ist „expanding“, aber gleichzeitig „still in its early stages of formation“ (Müller 2007a: 21). Zentrale Bereiche der Bildwahrnehmung, der Bildverarbeitung und der Bildwirkung sind noch weitgehend unerforscht, bis heute ist die Forschungslage fragmental. Ein Kapitel als Theorie Visueller Kommunikation zu entwerfen, ist daher als ein Projekt zu verstehen, wesentliche Zugänge zum Forschungsgebiet und ihre Befunde zusammenzuführen und für die empirische Analyse einer Visuellen Politischen Kommunikation verfügbar zu machen. Dabei rücken auch jene Prozesse in den Blick, die aus dem Phänomen Visueller Wahrnehmung resultieren: Kommunikations-, Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsprozesse (visueller) Inhalte stellen eine entscheidende Basis dar, die die Analyse einer Funktions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation berücksichtigen muss. Dieses Kapitel, das sich mit den Voraussetzungen, Prozessen und Besonderheiten der Visuellen Kommunikation befasst, soll hier dazu beitragen, dieser Komplexität gerecht zu werden und zugleich das theoretische Fundament für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex und der Wirkungslogik Visueller Kommunikation legen.
S. Geise, Vision that matters, DOI 10.1007/978-3-531-92736-7_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Visuelle Kommunikation in Forschung und Diskurs
2.1 Visuelle Kommunikation in Forschung und Diskurs 2.1.1
Visuelle Kommunikation in wissenschaftlicher Forschung
„Mit dem Visuellen verhält es sich wie mit der Politik. Jeder meint, etwas von dem Thema zu verstehen und in gewisser Weise stimmt das auch“ (Müller 2003: 9). Obwohl zahlreiche Autoren erkannt haben, dass Bilder längst nicht mehr lediglich als Illustration wissenschaftlicher oder journalistischer Texte eingesetzt werden, sondern als eigenständiger Kommunikationsmodus zu interpretieren sind (Meckel 2001: 28; vgl. Rose 2007; Strassner 2001; Burdick 1997), zeigt die theoretische Fundierung Visueller Kommunikationsprozesse Defizite. Visuelle Kommunikation folgt einer eigenen Logik (Knieper/Müller 2001: 13; Messaris 2003: 553; vgl. Moriarty 1996; Randhawa/Coffman 1978), die es methodisch-analytisch umfassend zu berücksichtigen gilt (vgl. Rose 2007; van Leeuwen/Jewitt 2006). Dabei erweist es sich als höchst problematisch, dass bislang kein ganzheitlicher, befriedigender theoretischer Rahmen für dieses „spezifisch visuell-wissenschaftliche Vorgehen“ existiert (ebenda). Wenn mit Müller zu Recht ein „ganzheitlicher Kommunikationsansatz“ gefordert ist und es die Aufgabe Visueller Kommunikationsforschung ist, die Prozesse Visueller Wahrnehmung und Visueller Kommunikation transparent und erklärbar zu machen (2003: 13-14), muss der theoretische Bezugsrahmen auch im Hinblick auf Wahrnehmung, Informationsverarbeitung und Rezeption um psychologische, kognitionswissenschaftliche und soziologische Theorien erweitert werden. Doch mangelt es bislang an Arbeiten, die einen systematischen Transfer dieser Theorien leisten. Dies ist auch für die empirische Forschung nicht folgenlos. So wurde Visuellen Kommunikation bis weit in die 1990er Jahre durch Politik- oder Kommunikationswissenschaftler kaum wissenschaftlich-methodisch analysiert, „obwohl dies rational nicht zu begründen war“ (Drechsel 2005: 67). Einige empirische Studien lassen sich im Bereich der visuellen Politikdarstellung in der Medienberichterstattung finden; hierbei hat sich das Forschungsinteresse primär auf experimentelle Wirkungs- oder Bewertungsanalysen von Personendarstellungen konzentriert. Populär sind in diesem Kontext die Analysen Freys (2005) zur „Macht des Bildes“ und den Wirkungen nonverbaler Darstellungen auf Politik und Kultur sowie die Untersuchungen von Kepplinger (1987; 2002; 2010) zur Wirkung nonverbaler und „visueller Darstellungseffekte“ in Printmedien und Fernsehfilmen (vgl. Maurer 2009; Jackob/Petersen/Roessing 2008; Holtz-Bacha/Koch 2008; Paul 2008b; Bucy/Grabe 2007; Petersen 2006; Schmerl 2004) Ähnliche Zugänge lassen sich bei Moriaty und Popovich (1991), Holicki (1993) oder auch Ballensiefen (2008) finden. Ein bislang wenig rezipiertes, in den USA erfolgreich eingesetztes Verfahren zur Inhaltsanalyse von Bildkommunikation, insbesondere in Printmedien, ist die Bildstereotypenforschung (Glassman/Kenney 1994; Lester/Ross 2003), die einige
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Parallelen zu der in Deutschland etablierten Schlüsselbildanalyse aufweist (Ludes/Schütte 1998; Ludes 2001a; Ludes 2001b; vgl. Grittmann 2001; 2009; Grittmann/Ammann 2009; von Bassewitz 1990). Doch auch, wenn hier interessante Ergebnisse zu würdigen sind: Bis heute mangelt es an wissenschaftlichen Auseinandersetzungen, die die speziellen Zugänge zum Thema integrieren. Auch die zögerlich begonnene Entwicklung einer allgemeinen Bildwissenschaft kann keineswegs als abgeschlossen gelten (vgl. Doelker 1997: 11). Tatsächlich blieb die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Gegenstandsbereich Bild lange Zeit der Kunstgeschichte, in Teilbereichen auch der Philosophie und der Kulturwissenschaft, vorbehalten (vgl. Sachs-Hombach/Rehkämper 1998a: 9; Sachs-Hombach 2003a; 2003b; Müller 2003; 2007a). Da hierbei allerdings eine Konzentration auf das Bild als ein Kunst- und Kulturobjekt vorgenommen wurde, blieb ein großer Bereich der Visuellen Kommunikation bzw. Bildkommunikation weitgehend unbeachtet. Obwohl die Kunstgeschichte eine Rolle als „visuelle Leitwissenschaft“ einnimmt (Müller 2003: 243), gilt ihr Erkenntnisinteresse doch traditionell der künstlerisch-ästhetischen Qualität der Werke in ihren historischen Bezügen und nicht ihren gegenwärtigen sozialen, ökonomischen oder politischen Dimensionen. Erst der Kunsthistoriker und Kulturwissenschaftler Warburg (1920: 598) initiierte eine Öffnung der Kunstgeschichte in Richtung einer allgemeinen Ikonologie als Auseinandersetzung mit “image-making in all its forms”, die er als eigenständige Disziplin der Kunstwissenschaft etablierte. Im Rahmen seiner Entwicklung eines ikonologischen Bildatlas wurden erstmals auch alltägliche Visualisierungen wie Werbeplakate, Briefmarken oder Pressefotos in die bildwissenschaftliche Betrachtung einbezogen (vgl. Gombrich 2006; Müller 2007a). Dennoch blieb Warburgs interdisziplinäre Herangehensweise auch nach 1990 für die kunstwissenschaftlichen Disziplinen eher die Ausnahme. Das wachsende Interesse verschiedener Disziplinen am Forschungsgegenstand Bild wurde ab dem 20. Jahrhundert auch dadurch gefördert, dass sich Kunst und Kunstwerk mit Beginn der Moderne zunehmend emanzipieren und aus den bisherigen Kontexten lösen (vgl. Schneider 2009: 19). Während die Grenzen zwischen Kunstwerk und Alltagsobjekt verschwimmen – einen fast ironischen Ausdruck findet diese Entwicklung in den ready-mades (auch: objet trouvé; vgl. Marcel Duchamp „Fountain“, Musée Maillol, Paris) – büßt die Kunstgeschichte auch einen Teil ihrer Definitions- und Deutungshoheit ein. Die Philosophie dagegen entdeckt die Auseinandersetzungen mit dem Medium der Bildlichkeit „wieder“. Einen äußerst vielschichtigen, poststrukturalistischen Erklärungsansatz liefert exemplarisch Barthes (1967, 1981; 1985; 1990), der die semiotische Struktur von Visualität herauszuarbeiten suchte und wiederholend die Frage thematisierte, wie Bilder Bedeutungen transportieren und Sinn konstituieren bzw. stiften können. Insbesondere Barthes Rhetorik des Bildes (1967) liefert eine Grundlegung der semiotischen Analyse der verschiedenen Botschaftsebenen des Bildmediums. Für Barthes (1967) setzt sich die Bildrhetorik aus drei Ebenen zusammen: der gesendeten und empfangenen linguisti-
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schen Bedeutung, der kodierten ikonisch-symbolischen Bedeutung und der nicht kodierten ikonischen Bedeutung, zusammen. Dabei ist die Rhetorik des Bildes relativ: die Bedeutungszuweisung ist vom kulturellen, sozialen und ästhetischem Kontext des Betrachters abhängig. Unter dem Eindruck der sich verändernden Medientechnologien und Mediennutzungen richten in der Folge auch neuere Forschungsbereiche wie die Medienund Kommunikationswissenschaft oder die Cultural Studies den Blick auf Phänomene Visueller Kommunikation (vgl. Deregowski 1972; 1978; Hall 1973; Berger 1977; 1980; 1989). Im Kontext einer fast schon populär anmutenden kultur- und medienkritischen Betrachtung der Gegenwartsgesellschaft sehen sich zahlreiche Autoren hierbei zu pessimistischen Zeitdiagnosen veranlasst, in denen sie die zunehmende Visualität als defizitäre Entwicklung interpretieren. Gesellschafts- und Kulturkritiker wie Baudrillard (1978; 1988), Postman (1989), Virilio (1989), Habermas (1990), Debord (1996), Flusser (1997) oder Sontag (2003) postulieren mit ihrer Visualitätskritik übereinstimmend die Gefahr, dass sich die Realität „zu einem spekulativen Universum degradiert“ (Debord 1996: 14-15), das eine „Bilder-Welt an die Stelle der wirklichen Welt tritt“ (Sontag 2003: 147). Die technologische Expansion der Medien sowie ihre zunehmende soziale und politische Relevanz setzt diesen Überlegungen aber ihre faktische Wirklichkeit entgegen, in der die Dominanz Visueller Kommunikation, das, wie Paivio schon früh formuliert hat, „revival of the image“ (Paivio 1979: 6), im Alltag unverkennbar wird. Nicht zuletzt diese Beobachtung mag den Ausschlag für einen tief greifenden Bewusstseinswandel innerhalb der Wissenschaften gegeben haben (vgl. Drechsel 2005: 19). Zudem sollte auch die „ästhetische Sozialisation der nachrückenden KulturwissenschaftlerInnen aus der ‘Generation Golf’ (Illies 2001) in ihrer Bedeutung“ für den sich abzeichnenden Paradigmenwechsel nicht unterschätzt werden (Drechsel 2005: 19). Spätestens seit Mitchell mit seiner berühmt gewordenen Formulierung den „pictorial turn“ (1992: 89) ausgerufen hat, oder Boehm den „iconic turn“ (1994: 13) proklamierte, können in vielen Forschungsbereichen Ansätze beobachtet werden, die sich dem Gegenstandsbereich der Visuellen Kommunikation aus den verschiedensten Perspektiven nähern (vgl. Müller 2003; 2007a). Doch auch wenn Müller (2003: 9) feststellt, dass Visuelle Kommunikation „ein Querschnittsfach par excellence“ ist, kann sie in ihrem facettenreich einführenden Überblickswerk (2003) nur wenige Bereiche Visueller Kommunikationsforschung weiter vertiefen, wobei sie sich primär in der Politischen Ikonographie verorten lässt. Wesentliche Anstöße zur Auseinandersetzung mit dem Bereich der Visuellen Kommunikation und seiner Etablierung als eigenständiger kommunikationswissenschaftlicher Forschungsbereich gehen von ihr aus (vgl. Müller 1996; 1997a; 1997b; 2001; 2003; 2004; 2007a; 2008). Hier ist auch auf die Arbeit der Fachgruppe Visuelle Kommunikation der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft zu verweisen, die sich als ein interdisziplinäres Forum für die wissen-
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schaftliche Auseinandersetzung mit Methoden und Befunden der Visuellen Kommunikation versteht. Die hieraus entstandenen Tagungen und Publikationen (Knieper/Müller 2001; 2003; 2004; 2005) präsentieren ein aktuelles Spektrum an theoretischen und empirischen Zugängen zum Thema. Inspirierend sind die politikwissenschaftlichen Arbeiten Hofmanns, der in seinen Studien schrittweise eine Theorie der Visuellen Politik entwirft und hinterfragt, welche Konsequenzen es für die politische Kultur eines Landes, für seine Gesellschaft und seine Bürger hat, wenn Bildkommunikation zunehmend die Formierung politischer Identitäten und politischer Befindlichkeit prägt (vgl. Hofmann 1996; 1998; 1999; 2004; 2006; 2008; 2009). Durch das Engagement von Hofmann ist auch der Arbeitskreis ‘Film und Politik/Visuelle Politik’ der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft entstanden (mittlerweile fusioniert mit dem Arbeitskreis ‘Sprache, Politik, Kultur’ zum Arbeitskreis ‘Politik und Kultur’), der sich der theoretischen und empirischen Analyse der Bedeutung visueller Medien für die Konstitution und Konstruktion des Politischen widmet. Die hier anklingende soziologische Perspektive auf Visuelle Kommunikation erfährt vor allem in neuerer Zeit eine Renaissance (vgl. Schelske 2005): Einige spannende neue Forschungsarbeiten liegen im Bereich der Visuellen Soziologie, die seit den 60er Jahren eher einen Randbereich darstellte und sich in Deutschland nicht nach amerikanischen Vorbild etablieren konnte. Interessant ist hierbei, dass die Zugänge die Perspektiven auf den Gegenstandsbereich facettenreich erweitern. So stehen etwa die Arbeiten von Bohnsack (2001a, 2001b, 2006, 2008), der die dokumentarische Methode zur Bildinterpretation von Fotografie anwendet, in der wissenssoziologischen Tradition Mannheims (1922; 1964; 1980), wobei diese auch um kunsthistorische (vgl. Panofsky 1967; 1972; 1982; 2006) und semiotische Interpretationsverfahren erweitert wird. Auch Ansätze, die sich der Methode der Bildinterpretation von Fotografie aus sozialdokumentarischer Perspektive widmen (vgl. Stumberger 2007; Dirksmeier 2007; Tinapp 2006; Richter 1989) liefern zahlreiche Anknüpfungspunkte. Einen bemerkenswerten Ansatz der soziologischen Interpretation von Fotografie liefert Breckner (2003; 2007) mit der Segmentanalyse, mit der sie methodisch das Bild und seine Bedeutungszuweisung über die Komposition der bedeutungstragenden Elemente rekonstruiert. In den Bereich der wissenssoziologischhermeneutischen Bildinterpretation lassen sich die Arbeiten von Reichertz (1992; 2000) und Soeffner (1991; 2005; 2006; vgl. Soeffner/Tänzler 2002) verorten. Auch Raab (2001; 2002; 2008; vgl. Raab/Tänzler 2006) arbeitet an der methodischen Begründung und empirischen Anwendung einer phänomenologisch orientierten Visuellen Wissenssoziologie. Knoblauch (2000; 2004; 2006; vgl. Knoblauch/Raab 2001) verbindet in der Analyse visueller Phänomene die Konversationsanalyse mit ethnomethodologischen Zugängen. Den Fokus einer kultursoziologischen Bildhermeneutik legt Müller-Dohm (1995; 1997; 2006; 2009) an (vgl. Stiegler 2004). Einige spannende Forschungen zur Visuellen Soziologie thematisieren die Rolle Visueller
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Kommunikation in gesellschaftlichen Konstruktions- und Sinnbildungsprozessen (Oevermann 1995; 2000; 2001; Knoblauch 2002; Heßler 2006; Hampe 2006; Hüppauf/Weingart 2009b). Weitere grundlegende Werke im deutschsprachigen Raum lassen sich einer kunsthistorisch verorteten Bildwissenschaft zuordnen (Bredekamp 2003; 2004; 2007; 2009; Bredekamp/Schneider 2006; Belting 2005; 2006; 2007; von Falkenhausen 2007; Paul 2004; 2008a; 2009a). Einen weitreichenden Niederschlag der Tradition Warburgs findet sich in den Forschungen Warnkes (1993; 1994; 1997; 2001; 2004; 2005; 2006; 2007), der nach Warburgs Vorbild einen Bildindex zur Politischen Ikonographie entwickelt. Obwohl eine vollständige Übersicht der politischen Ikonographie noch aussteht, gehen von den hier verorteten Arbeiten zahlreiche interessante Impulse aus (vgl. Müller 1997a; 1997b; 2003; 2004; von Beyme 2004; Grittmann 2001; 2007; 2009; Müller/Özcan 2007; Drechsel 2005; 2010). Ein Großteil der bildwissenschaftlichen Arbeiten steht philosophischen, hermeneutischen oder semiotischen Ansätzen nahe (vgl. Halawa 2008; Sachs-Hombach 2006a; Scholz 1998; 2004; Nöth 2005; Schulz 2005). Hier sind vor allem die Arbeiten von Sachs-Hombach (2003a; 2003b; 2005a; 2005b; 2006a; 2006b; 2009) herauszustellen, der engagiert an der Etablierung einer allgemeinen Bildwissenschaft arbeitet. Sachs-Hombach versucht nicht nur, die übergreifende Bedeutung der Bildlichkeit innerhalb der einzelnen Wissenschaftsdisziplinen mit ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden detailliert aufzuzeigen, sondern betont auch das theoretischmethodische Spektrum einer interdisziplinären Bildwissenschaft, wobei philosophische Zugänge prägend für seine Analysen bleiben (vgl. Sachs-Hombach/Rehkämper 1998; Sachs-Hombach 2005a; 2005b). Das von ihm gegründete Virtuelle Institut für Bildwissenschaft versteht sich als elektronisches Forum, in dem sich Bildforscher verschiedener Disziplinen begegnen, um ihre interdisziplinären bildwissenschaftlichen Projekte integrieren und diskutieren zu können. Daneben hat SachsHombach zahlreiche Tagungen und Publikationen initiiert, in denen er über den eigenen bildtheoretischen Ansatz eine interdisziplinäre Vermittlung anstrebt, insbesondere zwischen Philosophie, Semiotik, Kognitionswissenschaften und Phänomenologie. Ein ähnliches Ziel, die Etablierung einer Fachdisziplin Bildwissenschaft, verfolgt der Kunstwissenschaftler Belting (2005; 2006; 2007). Dabei nähert er sich dem Gegenstandsbereich aus einer anthropologischen Perspektive, aus der er versucht, Bildlichkeit als zentrales Thema jeder Kulturwissenschaft zu positionieren. Seine Analysen reichen dabei von prähistorischen Totenkulten und vorchristlicher Ikonentradition bis zu virtuellen Benutzeroberflächen oder Werbung. Damit öffnet Belting zwar beispiellos den Betrachtungsrahmen der Kunstgeschichte, doch fehlt seinen Überlegungen noch teilweise die Integration in das Gesamtkonzept seiner „Bild-Anthropologie“ (Belting 2005). Parallelen in der Spannweite des Zugangs lassen sich bei Boehm (1994; 2001; 2004; 2007) erkennen, der über die kunsthistorische Analyse das Wesen, die Funkti-
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onsweise, die Logik und die Macht des Bildes hinterfragt, das er als zentrales Medium der Erkenntnisgewinnung des „Homo Pictor“ interpretiert. Spannend sind auch die interdisziplinären Zugänge, die im Kontext des Projektes „Iconic Turn“ von der Hubert Burda Stiftung forciert werden (vgl. Maar/Burda 2005; 2006). Ursprünglich als Vorlesungsreihe im Sommersemester 2002 an der Ludwig-MaximiliansUniversität München gestartet, etabliert sich mittlerweile eine virtuelle Plattform. Interessant ist hierbei vor allem, dass sich das Projekt explizit nicht ausschließlich an ein wissenschaftliches Publikum richtet, sondern an alle adressiert ist, die sich mit der Produktion und Analyse von Visualisierungen befassen. Auch der Blick auf die internationale Auseinandersetzung mit dem Forschungsbereich kann das gegenwärtige Forschungsdefizit nicht vollständig schließen: Zunächst fällt ein großer Bereich der angloamerikanischen Visuellen Kommunikationsforschung auf Visual Design (vgl. Hashimoto/Clayton 2009; Malamed 2009; Vit/Gomez-Palacio 2009; McIntire 2008; Ware 2008; 2006; Leborg 2006; Wilde/Wilde 2000), das vielfach auf praktischen Erfahrungen und gestalterischen Grundsätzen basiert, wobei der Anwendungsbezug die theoretische Fundierung dominiert. Insgesamt lassen sich die Visual Communications hierbei weniger als wissenschaftliche Forschungsrichtung einordnen, sondern können eher als praktische Anleitung zu besserem Design interpretiert werden. Für die wissenschaftliche angloamerikanische Auseinandersetzung mit Visueller Kommunikationsforschung lassen sich in Anlehnung an Barnhurst, Vari und Rodriguez (2004) vier Perspektiven identifizieren: philosophische, soziologische, psychologische und technologische Zugänge. Da eine umfassende Darstellung hier den Rahmen sprengte (vgl. dazu: Barnhurst/Vari/Rodriguez 2004; Smith/Moriarty/ Barbatsis/Kenney 2005; Müller 2007a), sollen die Perspektiven mit einigen ihrer wichtigsten Vertreter nur kurz umrissen werden. Wie in der deutschen Visuellen Kommunikationsforschung fällt hierbei auf, dass die divergenten Zugänge zum Forschungsbereich einen, durch die jeweilige Disziplin bedingten, stark kontrastierenden Blickwinkel auf das Forschungsfeld offenbaren. Philosophisch beeinflusste Ansätze betrachten Visualität etwa unter dem Aspekt der Visual Anthropology als gemeinsame, anthropologische Bildkultur oder Bildsprache (vgl. Mirzoeff 1998; Barnard 2001; Banks 1998; Banks/Morphy 1997) bzw. als soziales Objekt (vgl. Gierstberg/Oosterbaan 2002), und versuchen diese Bildsprache bzw. ihre Strukturen und Bedeutungen zu formalisieren (vgl. Kostelnick/Hassett 2002), häufig auch mit semiotischen Bezügen (vgl. Moriarty 2005; Kress/van Leeuwen 2006; Jewitt/Oyama 2001; van Leeuwen 2001) Die hier anklingende Frage, inwieweit Bilder als Reflexion oder als kreative Konstruktion der Realität begriffen werden müssen, prägte nachhaltig die Forschungsperspektiven auf Bildphänomene (vgl. Griffin 1991; 2001). Als wichtige Etappe können hier die Ergebnisse von Messaris (1994) angesehen werden, der bei seiner Analyse konventionalisierter Mechanismen der Wahrnehmung und Interpretation von Bildern, zu
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dem Ergebnis kam, dass Individuen zumindest gewisse grundlegende Wahrnehmungsprozesse teilen. Aufbauend auf den Befunden widmete sich Messaris in der Folge den sich gegenüberliegenden Phänomenen der Visual Literacy (1993; 1994; 1998; Messaris/Moriarty 2005) und der Visual Persuasion (1992; 1997). Neuere Forschungen von Messaris lassen sich eher im Bereich der Visual Culture (2001) verorten, hierbei richtet sich der Blick auch zunehmend auf neue Medien und die verbundenen Bedeutungszuweisungen (2007; Messaris/Lee 2006). Die Beschäftigung mit dem Bereich der Visual Literacy hat insbesondere auch Forschungen aus psychologischer und pädagogischer Perspektive motiviert (Dondis 1973; Braden/Hortin 1982; Shaw 1990; Snyder 1994; Meyrowitz 1998; Mendelson 2004; Buckingham 2007; El Refaie 2009). Häufig erfolgt der Zugang hierbei aus einer lernpsychologischen Perspektive (vgl. Gee 2003; Waisanen 2002), wobei die zentrale Rolle von visuellem Verständnis für die Analyse des Kommunikationsprozesses betont wird (vgl. Pauwels 2000; Arizpe/Styles 2003; Kress/van Leeuwen 2006). Insgesamt erweist sich die Auseinandersetzung mit Bildkompetenz und visualisiertem Wissen als sehr weit gefasst, weshalb sich zahlreiche interdisziplinäre Verknüpfungen finden lassen (Barnhurst/Vari/Rodriguez 2004). Im Zusammenhang mit der Wahrnehmung und Verarbeitung visueller Informationen richtet sich der Fokus auch auf die dynamischen Aspekte visueller Wahrnehmung; exemplarisch ist hier auf die Active Vision-Forschungen von Findlay (1997), Findlay und Gilchrist (2003) und anderen zu verweisen (vgl. Snowdden/Thompson/Troscianko 2006; Findlay/Brown/Gilchrist 2001; Jenkins/Harris 2001; Edelman 1999; Humphreys 1992; Humphreys/Riddoch/Boucart 1992; Kirby/Kosslyn 1992). In der Verbindung von rezeptionsforschungsorientierten und wahrnehmungspsychologischen Ansätzen zeigen sich einige spannende Arbeiten, die die Wirkungen der spezifischen Funktionslogik Visueller Kommunikation, auch im Unterschied zur Textkommunikation, thematisieren (Graber 1984; 1990; Scevak/Moore 1990; Crigler/Just/Neumann 1994; Solso 1994; Mendelson/Thorson 2004; Mendelson 2004; Bryant/Zillmann 2002; Robinson/Sloutsky 2007). Aus soziologischer Perspektive wird Visuelle Kommunikation in der Tradition der Visual Sociology in ihren gesellschaftlichen Kontexten, Strukturen, Bedeutungszuweisungen und Konstruktionsleistungen verortet (vgl. Harper 1988; 2004; Grady 1996; Pauwels 2000; 2006). Das Spektrum umfasst hierbei nahezu den gesamten Bereich, den auch die allgemeine Soziologie thematisiert und reicht von methodischen Überlegungen zur Analyse von Bildern (vgl. Rose 2007; Marvasti 2004; Norris 2002) oder dem Einsatz von Visueller Informationsvermittlung im soziologischen Forschungsprozess (vgl. Becker 1978; Harper 1997; 2000; 2002; Tinkler 2008), über die Analyse sozialisierter und kultureller Aneignungsprozesse visueller Medien (vgl. Bourdieu/Bourdieu 2004; Bourdieu/Boltanski/Castel 2006; Bourdieu 2009) zur Analyse einer Visual Culture (Jenks 1995; Walker/Chaplin 1997; Mitchell 1993; 2002; 2008; Barnard 2001; Howells 2002; Dikovitskaya 2006). Auch die Analyse sozialer
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Ungleichheit, etwa in Bezug auf gesellschaftliche Fragestellungen wie Gleichbehandlung bzw. Diskriminierung (vgl. Fahmy 2004; Shields/Heinecken 2002; Bird 1999; Lafky/Duffy/Steinmaus/Berkowitz 1996; Doyle/Jones 2006) wird mit oder an visuellen Medien weiterentwickelt. Vielschichtige Anknüpfungspunkte bietet auch die Analyse von Prozessen, Formen und Strukturen einer visuellen Konstruktion von Wirklichkeit (Frith/Shaw/Cheng 2005; Gamson/Croteu/Hoynes/Sasson 1992). Der Frage dagegen, welche Rolle Visuelle Kommunikation im Kontext neuer Medien spielt und inwieweit diese visuelle Kommunikationsprozesse verändern, widmet sich die technologisch orientierte Strömung; hierbei werden auch Veränderungen in Visualisierungsstrategien und deren Implikationen für die Gestaltung, Wahrnehmung und Rezeption thematisiert (Darley 2000, Manovich 2001; Hocks/Kendrick 2003; Card/MacKinlay/Shneiderman 1999; Bederson/Shneiderman 2003; Shneiderman/Plaisant 2005; Chen 2006; Tufte 1990; 1997; 2006). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass auch der Blick auf die internationale Ebene das gegenwärtige Theoriedefizit nur unvollständig schließen kann: Das Fehlen eines integrierten Forschungsbereiches „Visual Communications Science“ hat zu einer Vielzahl an unverknüpften Entwicklungs- und Forschungssträngen, „a set of overlapping concerns“ (Elkins 2003: 17) geführt. Mit Müller (2007a: 24) ist Visuelle Kommunikationsforschung heute „an expanding subfield of communication science that uses social scientific methods to explain the production, distribution and reception processes, but also the meanings of mass-mediated visuals in contemporary social, cultural, economic, and political contexts. Following an empirical, social scientific tradition that is based on a multidisciplinary background, visual communication research is problem-oriented, critical in its method, and pedagogical intentions, and aimed at understanding and explaining current visual phenomena and their implications.“
Die Vielschichtkeit der Auseinandersetzung sei dabei „Beauty“ und „Beast“ zugleich (Müller 2007: 7), denn sie eröffne zwar facettenreiche methodische und inhaltliche Zugänge, stehe aber auch einer inhaltlichen und institutionellen Integration des Forschungsbereichs entgegen. Dem wachsenden Interesse an Visueller Kommunikation steht damit gegenüber, dass systematische Forschungen zur theoretischen wie empirischen Fundierung einer integrativen Perspektive auf Visuelle Funktions-, Rezeptions- und Wirkungsprozesse noch unvollständig sind (vgl. Müller 2007: 21). Es existiert nach wie vor eine bemerkenswerte Forschungslücke; insbesondere auch an Studien, die die Logik Visueller Kommunikation konkret auf einen spezifischen Anwendungsbereich, wie etwa die politische Informationsvermittlung, beziehen. Lesske (2005: 237) resümiert daher: „Eine Theorie des Umgangs mit und der Funktion von Bildern in der Politik [ist] noch im Entstehen begriffen“. Dies gilt auch für das Forschungsfeld der Politischen Kommunikation im Wahlkampf, in der die Visuelle Kommunikation traditionell einen hohen Stellenwert einnimmt (vgl. Geise 2010). Möglicherweise ist der rudimentäre Forschungsstand zum Gegenstandsbe-
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Visuelle Kommunikation in Forschung und Diskurs
reich der Visuellen Politischen Kommunikation mit ein Grund dafür, dass auch das (Wahl-)Plakat als „typisches Medium Visueller Kommunikation“ (Brosius/Holicki/Hartmann 1987: 338; vgl. Müller 2007b) bislang wenig erforscht ist (vgl. zum Forschungsstand Kap. 4.2.2). So verweisen Knieper und Müller (2004: 9) auf die bis heute defizitäre Berücksichtigung Visueller Kommunikationsformen im Wahlkampf: „Wahlkampfkommunikation gehört zu den von Anbeginn zentralen Forschungsfeldern der Kommunikationswissenschaft, die sich vor allem an den vertexteten Inhalten und weniger an den visuellen Aspekten orientierte.“ Insgesamt lässt sich vermuten, dass das Forschungsdefizit auch dadurch zu erklären ist, dass sich Visuelle Kommunikation sehr facettenreich präsentiert (vgl. Wolf 2006: 14; Müller 2007a) und sich dadurch der einfachen Dechiffrierung und Analyse entzieht (vgl. Rose 2007; van Leeuwen/Jewitt 2006). Die Vielschichtigkeit der Auseinandersetzung wird noch durch die bipolare Dynamik Visueller Kommunikation und Visueller Wahrnehmung erhöht, denn in einer komplexen Vernetzung beruhen Traditionen visueller Darstellung und visueller Gestaltung einerseits auf dem kulturell codierten Sehen und prägen es andererseits kontinuierlich (vgl. Brosch 2004: 8). Gleichzeitig verändern Bilder unsere Realität, indem sie die Selbstwahrnehmung und die Wahrnehmung der Wirklichkeit beeinflussen, prägen und modifizieren (vgl. Müller 2003: 13; Fellmann 1998). Um der „völligen Selbstüberforderung durch die Bilder“ zu entgehen, muss die wissenschaftliche Auseinandersetzung der Komplexität Visueller Kommunikation und Visueller Wahrnehmung rational reflektierte Bildbegriffe und BildanalyseMethoden entgegensetzen (vgl. Drechsel 2005: 75). Tatsächlich scheint es aber so, als sei der Untersuchungsgegenstand der Visuellen Kommunikation ein wenig zu umfassend, zu facettenreich, zu widersprüchlich, zu interdisziplinär, um sich ihm mit systematischen wissenschaftlichen Methoden zu nähern. Vielleicht liegt in dieser latenten „wissenschaftlichen Unsicherheit“ auch ein Grund dafür, dass die moralisch-ethische Diskreditierung visueller Kommunikationsformen so prominent vertreten ist: „Die analytische Sprachlosigkeit gegenüber dem Bild drückt sich aus in der Neigung, dem Bild in einem messianischen Glauben zu verfallen und es meist als Ursache einer durch Faszination wirkenden Manipulationsstrategie zu verteufeln oder es schlichtweg zu ignorieren“ (Müller 1997a: 17). Zwar wird der Bildkommunikation aufgrund ihrer emotional-affektiven und ganzheitlich-assoziativen Verarbeitung ein enormes Wirkungspotential zugeschrieben, doch geht die Erwartung einer visuellen Omnipräsenz, der „diffusen Allgegenwart des Bildes“ (Boehm 1994: 11), häufig mit einer kulturpessimistischen Diagnose einher (vgl. Domsich 1991), die die Verarmung diskursiver Potentiale und individueller Gestaltungsspielräume prognostiziert.
Visuelle Kommunikation in Forschung und Diskurs
2.1.2
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Visuelle Kommunikation im kritischen Diskurs
Im Kontext der Auseinandersetzung mit dem Forschungsbereich der Visuellen Kommunikation (vgl. Müller 2003: 9) wird wiederkehrend die Sorge spürbar, dass sich die Menschen der „ungeheuren Macht der Bilder“ nicht entziehen können (vgl. Brosch 2004: 12): „Most people are afraid of pictures, which slide away from us“ (Bergstroem 2008: 11). Entsprechend wird der Prozess der Visualisierung der Gesellschaft, der in seinen gesellschaftlichen Auswirkungen mit Teilprozessen wie der Individualisierung der Gesellschaft, der Differenzierung von Lebensformen oder der Pluralisierung von Werten vergleichbar ist (vgl. Beck 1986: 116-120), bis heute aus normativer Perspektive mit Skepsis betrachtet. Dabei wird erstens deutlich, dass gerade die normativ aufgeladene Diskussion die Relevanz einer wissenschaftlichanalytischen Auseinandersetzung mit Formen Visueller Kommunikation und ihren Wirkungen untermauert, um die Macht des Bildes besser verstehen und einschätzen zu können. Bei näherer Betrachtung wird zweitens deutlich, dass die Debatte um das diskursive Potential Visueller Kommunikation kulturell tief verankert ist (vgl. Bredekamp 2007: 9). Seit der Antike gelten Bilder im okzidentalen Kulturkreis als defizitäre Kommunikationsmedien, die gegenüber der favorisierten Schriftkultur als irrational und oberflächlich zu interpretieren sind (vgl. Drechsel 2005: 17; Sachs-Hombach 2003a: 30-32). Mit Meckel (2001: 29) lässt sich feststellen, dass unsere Kultur „unter einer historischen Bildstörung“ leidet, die sich im Alttestamentarischen Bilderverbot ‘Du sollst dir kein Bildnis machen’ (Exodus 20,4; vgl. Dohmen 1985; Mitchell 2008) ebenso begründet wie in der „Instrumentalisierung des Bildes als Symbol kulturellnationaler Entartung im Nationalsozialismus“. Daher habe sich in der gesellschaftlich-historischen Entwicklung eine Hierarchie von der ‘überlegenen’ Schrift- und der ‘unterlegenen’ Bildkultur etabliert (ebenda). Ihren Ursprung hat diese Hegemonie der Schriftlichkeit in der Kulturgeschichte. Schon bei Platon wird ein ‘Bilderverbot’ im zehnten Buch der Politeia (10, 596-598) thematisiert, indem er die Dreiteilung von der Idee der Dinge, der materiellen Realisation dieser Idee und der visuellimitativen, nichtsnützenden, für das Erkenntnisinteresse dysfunktionalen Nachahmung dieser Idee einführt. Der Kirchenschriftsteller Tertullian sah um 200 n. Chr. den Teufel selbst als Urheber der Bilder an. In seinen „Fünf Bücher gegen Marcion“ schrieb er: „Als aber der Teufel Bildhauer, Maler und Verfertiger von Bildnissen aller Art in die Welt gesetzt hatte, da empfing jenes noch in rohen Anfängen befindliche Treiben menschlichen Elends seinen Namen und Fortgang“ (Tertullian 1882: 159).
Basierend auf der Erkenntnis, dass Bilder „etwas darstellen, was sie selbst nicht sind“ (Brandt 2009: 6) wurden sie als ‘falsch’, als unheimlich und in ihrer suggesti-
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Visuelle Kommunikation in Forschung und Diskurs
ven Wirkungsmacht als gefährlich angesehen. Im 4. Jahrhundert n. Chr. warnte Augustinus in den „Confessiones“ vor der Dynamik der Bildwirkung: „Aber noch leben in meiner Erinnerung (...) die Bilder der Dinge und (...) steigern sich (...) zur höchsten Bestimmung. Und so viel vermag das Trugbild in meiner Seele und meinem Fleische, dass falsche Bilder (...) zu etwas verlocken, wozu mich, (...) wahre nicht verlocken können“ (Con, Buch X, Kap. 30).
Gleichzeitig wurden Bilder schon früh geringer gewertet als sprachliche oder schriftliche Aussagen. Auch die hochmittelalterliche biblia pauperum, die „Bibel der Armen“, verdeutlicht diese Konnotation. Das biblische Bilderbuch war für die „niederen“, nicht-alphabetisierten Bevölkerungsschichten gedacht, die sich die exklusiven handschriftlichen Ausgaben nicht leisten konnten; Texte wurden durch Bilder ersetzt, die Bibelgeschichten visuell kommuniziert. Bis heute halten sich Positionen, die die Schriftkultur der Bildkultur als überlegen einstufen. Gombrich (1984: 136) arbeitet zum Vergleich zwischen Sprache und Bild etwa heraus, das Bild sei zwar in seiner appellativen Funktion überlegen, bereits die Ausdrucksfähigkeit von Bildern sei aber problematisch, weshalb er folgert: „Gänzlich ohne Unterstützung hat das Bild dagegen überhaupt keine Chance, der Darstellungsfunktion der Sprache zu entsprechen“. Für Boehm (1994: 35) sind visuelle Informationen als kritisch zu bewerten, weil „deren Grundtendenz auf Suggestion zielt, auf bildlichen Realitätsersatz, zu dessen Kriterien seit jeher gehörte, die Grenzen der eigenen Bildlichkeit zu verschleiern“. In der Visualisierungskritik noch deutlicher ist Debord (1996: 14-15): „Da, wo sich die wirkliche Welt in bloße Bilder verwandelt, werden die bloßen Bilder zu wirklichen Wesen und zu den wirkenden Motivierungen eines hypnotischen Verhaltens. Das Spektakel als Tendenz, durch verschiedene spezialisierte Vermittlungen die nicht mehr unmittelbar greifbare Welt zur Schau stellen, findet (...) im Sehen den bevorzugten menschlichen Sinn, (...) [dies] entspricht der verallgemeinerten Abstraktion der heutigen Gesellschaft.“
Auch für Boehm (1994: 35) favorisiert die moderne Reproduktionsindustrie die visuelle Information aufgrund ihres Potentials zur Simulation als „Double der Realität“, wobei „dem Bewusstsein der Postmoderne tendenziell die Differenz zwischen Bild und Realität selbst zu schwinden [scheint], factum und fictum“ sich zunehmend überlagerten. Tatsächlich beweist auch diese Perspektive Tradition; die visuelle Simulationsleistung wird nicht erst seit Baudrillard (1988) kritisch betrachtet. Auffallend ähnlich äußerte Le Bon bereits 1895 (1982: 44): „Der Schein hat in der Geschichte stets eine größere Rolle gespielt als das Sein. Das Unwirkliche hat stets den Vorrang vor dem Wirklichen“, und folgerte, die Massen könnten nur in Bildern denken und ließen sich nur durch Bilder beeinflussen, motivieren oder warnen. Insofern zeigt der historische Überblick, inwiefern Bildkommunikation als tendenziös-inszenierendes Medium der Massenkommunikation, als Symbol kultureller
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Degression negativ konnotiert ist. Der geistesgeschichtliche Prozess der Aufklärung mündete nur fragmental in eine Aufklärung unseres „visuellen Verständnisses“ (vgl. Schneider 2009: 21). So ist, obwohl wiederkehrende Bilderstürme und sie begleitende Bildkritik die „Macht der Bilder“ (Boehm 2001: 3; 2004) nicht sprengen konnten, doch festzustellen, dass unsere Kultur „trotz der Bilderflut eine Kultur der Schriftlichkeit geblieben“ ist (Doelker 1997: 21). Bis heute finden sich zahlreiche Positionen, die Schriftkultur mit Literarität, Intellekt und Rationalität verbinden, Bildkommunikation dagegen als populär, trivial und manipulativ verwerfen (vgl. Meckel 2001: 29): „It can be seen as though pictures are our enemies but letters are our friends. It's a lesson we learn as soon as soon as we start school, where logical thought and verbal, linguistic expression linguistic prioritized“ (Bergstroem 2008: 11).
In engem Zusammenhang hierzu steht die Diskussion um eine fehlende systematische Ausbildung von Bildkompetenz: „Children learn to understand and to interpret verbal means of expression together with adults, but they are never taught to depict the same things using colour and shape“ (Bergstroem 2008: 11; vgl. Müller 2008; Sachs-Hombach 2003b). Der Blick auf die aktuelle Forschungssituation belegt zudem, dass die Kommunikationswissenschaft, vor allem die deutsche, immer noch von dem textlichen Paradigma dominiert wird (Knieper/Müller 2001: 7). Das immer wieder zitierte „neue Zeitalter des Bildes“ ist trotz der gegenwärtigen Entwicklungen bis heute höchst ikonoklastisch: „Die Bilderfeindlichkeit (...) ist ungebrochen“ (Boehm 1994: 35). Vor diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, warum die Diskussion um die ‘oberflächliche Sichtbarkeit’ Visueller Kommunikation so nachhaltig verankert ist. Wenn Meyer formuliert (2009: 56; vgl. 1998; 2001; 2002; Postman 1989), dass „der Stil der visuellen Eindrücklichkeit die diskursive Erfahrung der sozialen Welt, die rationale Verständigung und den kritischen Diskurs“ verdrängt, legt er den Kern der Kritik offen: Die Visualisierung der Politik scheint dem Paradigma der deliberativen Demokratie entgegenzustehen (vgl. Habermas 1990: 104). Der demokratische Anspruch an einen ‘wahrhaftigen’ und rationalen Diskurs bleibe mit zunehmender Visualisierung zunehmend unerfüllt (vgl. Lesske 2005: 241). Die hier unterstellte Wirkungslogik ist eindeutig (vgl. Geise/Brettschneider 2010: 71-72): Visuelle Informationen wirkten emotional, nicht sachlich, sie basierten auf einer emotional-assoziativen, nicht auf einer rational-analytischen Argumentationslogik (vgl. Müller 2003) und seien damit für einen ‘aufgeklärten’ politischen Diskurs ungeeignet. Politik, so der Vorwurf, werde im Zuge zunehmender Visualität sinnentleert; Themen durch visuelle Inszenierungen und emotionale Assoziationen überlagert, Sachentscheidungen und Argumente gerieten in den Hintergrund (vgl. Lesske 2005: 240-241). Damit führte Visualität zu einer „Entpolitisierung“, zu einer „Ent-Rationalisierung und Emotionalisierung der politischen Debatte und damit
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Visuelle Kommunikation in Forschung und Diskurs
auch der politischen Entscheidungen“ (Lesske 2005: 241). Dies stellte aus demokratietheoretischer Sicht eine Gefahr dar (vgl. Hofmann 2008), denn der Wähler solle sich an den politischen Sachpositionen und rationalen Argumenten der Parteien und Kandidaten orientieren, nicht ‘an bunten Bildern’. Tatsächlich wären die resultierenden Konsequenzen für die demokratische Gesellschaft verheerend: Sollte der Trend zu zunehmender Visualisierung der Kritik entsprechend politischer Diskurse und Prozesse politischer Meinungsbildung konterkarieren, wären Politikverdrossenheit oder politischer Distanz die Folge. In letzter Konsequenz zeigte sich in der Verringerung der Diskurs- und Reflektionsfähigkeit einer Gesellschaft schließlich ihre kulturelle Degression. So ist für Flusser (1997: 28), „mit diesem Schritt zurück aus den Texten (...) ein neuer Grad von Verfremdung erreicht“, eine „Krise der Werte“. Ähnlich sieht Baudrillard (1988: 159; 157) in der „ästhetischen Halluzination der Realität“, in der die gesamte Wirklichkeit „zum Spiel der Realität“ geworden ist, eine „Krise der Repräsentation“. Sobald sich diese Krise aber auf die Ebene der politischen Legitimation auswirkt, sobald Politik für den Bürger undurchsichtig wird, sobald er keinen Zugang zu den für ihn relevanten politischen Informationen erhält und sich „die Logik des Darstellbaren mehr und mehr von der Logik des Entscheidungsnotwendigen (...) entkoppelt“ (Sarcinelli 2005: 104), wird die Funktionsfähigkeit der Demokratie in Frage gestellt, denn demokratische Verfassungen unterstellen die Herrschaft dem Willen des Volkes, in dessen Interesse diese ausgeübt wird. Möglicherweise liegt in dieser kritischen Haltung gegenüber Visueller Kommunikation begründet, dass sich die Politik- und die Kommunikationswissenschaft nur zögerlich mit der Bedeutung von Bildern beschäftigen (Geise/Brettschneider 2010: 72). So kommt der visuellen politischen Informationsvermittlung im Rahmen der Politischen Kommunikationsforschung „nach wie vor [eine] unterbelichtete Rolle“ zu (Sarcinelli 2005: 100; vgl. Müller 2003). Für Drechsel (2005: 65; 72) ist das ‘politische Bild’ gar „ein blinder Fleck auf der wissenschaftlichen Landkarte“. Im Kontext der visualisierten Gesellschaft wird hingegen zunehmend deutlich, dass Visuelle Kommunikation aufgrund ihrer spezifischen Funktions- und Wirkungslogik auch, oder gerade, für die Politische Kommunikation bedeutsam sein kann. Denn wo politischer Stil „in hohem Maße expressiv“ wird, wird Visuelle Kommunikation zu einem essentiellen Kommunikationsmodus – „das gilt für Zeiten des Wahlkampfes und zunehmend auch außerhalb von Wahlkampfzeiten“ (vgl. Sarcinelli 2005: 10; Müller 2003; Hope 2006). Insofern vernachlässigt die normative Debatte um die Dysfunktionalitäten von Visualität die weitaus grundlegendere Frage, „warum welches politische Angebot wie überhaupt öffentlich sichtbar wird“ (Grittmann 2009: 34).
Visuelle Kommunikation
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2.2 Visuelle Kommunikation In der Mediengesellschaft zeichnet sich ein Wandel der kommunikativen Rahmenbedingungen ab (vgl. Pepels 2001; Perloff 1998; Denton/Woodward 1990): Dem zunehmenden Kommunikationswettbewerb, dem alle Akteure ausgesetzt sind, stehen eine Dynamisierung und Expansion des Informationsangebotes sowie die Ökonomisierung der Medienmärkte gegenüber. Nicht nur deshalb haben sich die Bedingungen für Kommunikation in den letzten Jahrzehnten geändert. Zur Situation eines permanenten Information Overload schätzt Lachmann anschaulich (2002: 11), dass der Mensch pro Sekunde mit rund 100 Milliarden Bits an Reizen über seine fünf Sinne konfrontiert wird, wobei er nur eine Reizmenge von etwa 100 Bits pro Sekunde bewusst verarbeiten kann. Dies entspricht einer unglaublichen Reizüberflutung, die sich umgerechnet in einem Selektionsfaktor von 1:1 Milliarde niederschlägt (ebenda). Daraus resultiert, dass „fast alle angebotenen Informationen die vorgesehenen Empfänger nicht erreichen oder unwirksam bleiben“ (Kroeber-Riel/Esch 2004: 17). Plakativ wird hier deutlich, dass die Konsequenzen des Information Overload enormen Einfluss auf die grundsätzlichen Möglichkeiten und Grenzen der Politikvermittlung haben. Wer in der Mediengesellschaft effektive Politische Kommunikation betreiben möchte, steht, so pointieren Kroeber-Riel und Esch (2004: 18), vor der Aufgabe, „in dieser Informationsflut zu überleben und auch dann wirksam zu werden, wenn sie nur flüchtig und bruchstückhaft aufgenommen wird“. Für die Politische Kommunikation ist das insofern folgenreich, „als politischer Erfolg zunehmend davon mitbestimmt wird, inwiefern es den Beteiligten überhaupt gelingt, von ihren Adressaten gehört, gesehen, verstanden, wahrgenommen und unterstützt zu werden“ (Kamps 2007: 80). Politische Akteure sind daher zunehmend darauf angewiesen, effiziente und effektive Strategien zu nutzen, die ihnen eine angemessene Zielgruppenansprache ermöglichen, und können sich nicht länger auf einen „quasinatürlichen Thematisierungsanspruch des Politischen“ verlassen (Kamps 2007: 81). Dies hat Auswirkungen auf das gesamte politische Kommunikationsmanagement: Die Bewältigung dieser kommunikativen Herausforderungen wird entscheidend für die politische Wettbewerbsfähigkeit. Vor diesem Hintergrund zeichnet sich ein enormer Bedeutungszuwachs Visueller Kommunikation und ihrer wissenschaftlichen Analyse ab (vgl. Hope 2006; Lester 2005; 2010; Smith/Moriarty/Barbatsis/Kenney 2005). Aufgrund ihrer Besonderheiten kann Visuelle Kommunikation als potentieller Weg aus der Krise kommunikativer Repräsentation angesehen werden. Die viel zitierte „Wiederentdeckung des Bildlichen“ steht daher in engem Zusammenhang zu den veränderten Kommunikationsbedingungen (vgl. Bruhn 2009: 3). So stellt Lachmann (2002: 129) zur ‘Überlegenheit’ Visueller Kommunikation im Kommunikationswettbewerb etwa fest, dass Bildverarbeitung in der Geschwindigkeit von drei Millionen Bits pro Sekunde er-
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Visuelle Kommunikation
folgt, „während die Lesegeschwindigkeit wegen des sequentiellen Vorgehens nur bei einfachen 15 Bits pro Sekunde liegt“. Abgesehen von der höheren Verarbeitungsgeschwindigkeit weisen visuelle Kommunikationsinhalte, vornehmlich Bilder, im Wahrnehmungsprozess weitere Spezifika auf, die als Picture Superiority Effect zusammengefasst werden (vgl. Kroeber-Riel 1993: 14; 1990; Lachmann, 2002; Kobayashi 1986; Childers/Heckler/Houston 1986; Childers/Houston 1984; Nelson/Castano 1984; Nelson 1979; Nelson/Reed/Walling 1976; Paivio 1986):
2.2.1
Bilder aktivieren stärker und generieren eine höhere Aufmerksamkeit, Bilder steuern den Blickverlauf, Bilder werden weniger selektiv wahrgenommen, Bilder werden im Wahrnehmungsprozess quasi-automatisch und ohne große mentale Anstrengungen aufgenommen (mit geringer kognitive Kontrolle), Bilder werden wesentlich schneller erfasst, Bilder werden schneller mental verarbeitet und leichter mental fixiert, Bilder werden nachhaltiger und mit höherer Prägnanz erinnert, Bilder werden nachhaltiger und mit höherer Prägnanz wiedererkannt, da sie im Gehirn doppelt codiert werden: in der linken Hemisphäre die Bedeutung, in der rechten Hemisphäre der Eindruck, Bilder erzeugen eine sensuelle Unmittelbarkeit und können daher Emotionen unmittelbarer transportieren und auslösen, Bilder werden daher auch eher geglaubt; sie erzeugen eine „Augenzeugenschaft“; zudem erfolgt die Verarbeitung mit geringerer kognitiver Kontrolle, Bilder wirken gerade unter Low Involvement (bei peripherer Reizverarbeitung) stärker als Worte.
Visuelle Kommunikation und Bildkommunikation
Mit den vorangegangenen Überlegungen wird bereits impliziert, dass Visuelle Kommunikation vor allem auch Bildkommunikation ist. Entsprechend sieht Müller (2003: 13) als Forschungsgegenstand Visueller Kommunikationsforschung visuelle Phänomene, die sich meist, aber nicht ausschließlich, in Form von Bildern manifestieren. Auch für Stankowski und Duschek (1989: 8) ist Visuelle Kommunikation als „bildliche Mitteilung in einem kommunikativen Prozess“ zu verstehen. Hierbei stellt sich die Frage, was ein Bild überhaupt charakterisiert. Auch Scholz (2004: 14-15; vgl. 1998) leitet seine Untersuchungen über Bild, Darstellung und Zeichen mit den Fragen ein: „Welchen Umfang hat der Bildbegriff? Welche Phänomene fallen unter diesen Begriff? Welche Bedeutung, welchen Sinn, hat der Begriff ‘Bild’? (...) Wodurch ist der Inhalt/Gegenstandsbezug
Visuelle Kommunikation
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eines Bildes festgelegt? (...) Was heißt es, Bilder zu verstehen? Gibt es spezifische Bilderfahrung? (...) Welchen Wert haben Bilder?“
Damit beschreibt er sehr genau, welchem Spannungsfeld Visuelle Kommunikationsforschung ausgesetzt ist. Zugleich wird deutlich, dass diesen Fragen nur mit einem möglichst klar abgrenzbaren Bildbegriff entgegenzutreten ist. Wenn Visuelle Kommunikation meist Bildkommunikation ist, dann ist die Bestimmung dessen, was ein Bild ist, unabdingbare Voraussetzung jeder wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Und wenn Visuelle Kommunikation gleichzeitig ein sehr facettenreiches Forschungsgebiet darstellt, das Zugänge zum Thema sowohl aus geistes- und sozialwissenschaftlicher als auch aus naturwissenschaftlicher Perspektive ermöglicht (vgl. Müller 2003: 9; 2007), dann sollte dieser Bildbegriff einerseits möglichst schließend und distinktiv, andererseits aber möglichst vielseitig einsetzbar sein. Dies gilt auch über die interdisziplinäre Perspektive hinaus, die diesem Forschungsprojekt zugrunde liegt, aus der Visuelle (Politische) Kommunikation zwischen demokratietheoretischen, politikwissenschaftlichen, soziologischen, psychologischen und kommunikationswissenschaftlichen Ansätzen verortet wird. Ein Bildbegriff, der eine interdisziplinäre Vorgehensweise trägt, ist insofern konstitutiv. Dieser soll nun erarbeitet werden. Auf Basis gegenwärtiger Forschungsperspektiven auf den Bildbegriff werden zunächst verschiedene Ansätze diskutiert, gegenübergestellt und auf ihren Nutzen für die Operationalisierung des Gegenstandsbereichs Visueller Kommunikation untersucht. Anschließend wird im Rückgriff auf die vorgestellten Überlegungen eine eigenständige Definition des Bildbegriffs entwickelt, die sowohl den Anforderungen der Visuellen Kommunikation insgesamt als auch der Visuellen Politischen Kommunikation gerecht werden kann. 2.2.2
Was ist ein Bild? Definitionen des Bildbegriffs
Die Frage Was ist ein Bild?, die Mitchell (1986: 7) so plakativ stellt und Boehm (1994) so plakativ aufgreift, ist nicht neu. Das Bild sei immer schon dem Menschen eigen gewesen; der Mensch sei ein „Homo Pictor“ (Boehm 2001: 10), denn Bilder seien keine Naturdinge, sondern etwas Hergestelltes und Erzeugtes, „Artefakte, die nur der Mensch zu schaffen in der Lage ist“ (Raab 2001: 41; vgl. Brandt 2005; 2009). Für Schuster und Woschek (1989: 14) ist diese Erkenntnis nicht überraschend, hätten sich doch in der Evolution keine instinktiven Reaktionen auf Worte, sondern vor allem visuelle Merkmale von Objekten herausgebildet: „Beim Augenwesen Mensch sind es speziell visuelle Merkmale von Reizen, die instinktive Bereitschaften aufrufen.“ Es ist daher verwunderlich, dass Prozesse der Wahrnehmung und Verarbeitung visueller Inhalte, des Bildverstehens und der Bildinterpretation bis heute noch nicht umfassend erforscht sind (vgl. Lester 2010; Gregory 1990; 2001; Hagen 1980;
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Visuelle Kommunikation
Dretske 1969). Zwar gibt es ein breites Spektrum an vorgelegten Theorien über das Bild, vornehmlich aus der Philosophie, der Semiotik und der Kunstwissenschaft, zunehmend auch aus der Psychologie Visueller Wahrnehmung (vgl. Kap. 2.4), doch mangelt es bis heute an integrierenden Ansätzen, die die spezifischen Erkenntnisse in einer übergeordneten Perspektive, in einem integrierenden Bildbegriff, zusammenführen. Hierzu wäre es notwendig, die Vielzahl an Interpretationen von Bildbegriff und Bildverständnis in einer umfassenden Bildtheorie aufzulösen. Davon ist die Bildwissenschaft aber noch weit entfernt. So konstatiert Mitchell (1994: 9): „Although we have thousands of words about pictures, we do not yet have a satisfactory theory of them. What we do have is a motley array of disciplines – semiotics, philosophical inquiries into art and representation, studies in cinema and mass media, comparative studies in the arts – all converging on the problem of pictorial representation in visual culture.“
Eine möglichst allgemeine Bildtheorie bzw. Bilddefinition sollte dabei gleichzeitig den unterschiedlichen Arten von Bildern und ihren Besonderheiten gerecht werden, d.h., sie hat sowohl einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit als auch auf Differenzierbarkeit zu erfüllen (vgl. Scholz 2004: 15-16; 1998). Die meisten Bildkonzeptionen aber „kranken daran, dass sie zu hoch ansetzen, nämlich auf der Ebene von Bildwerken und Bildmedien. Damit geraten die Klüfte und Abgründe der Bilderfahrung aus dem Blick“ (Waldenfels 2001: 14). Tatsächlich finden sich einige Bildbegriffe, die stark von einer inhaltlichen Qualitätswertung ausgehen, um den Bildbegriff zu fassen. Etwa formuliert Boehm (1994: 29-30): „Was uns als Bild begegnet, beruht auf einem einzigen Grundkontrast, dem zwischen einer überschaubaren Gesamtfläche und allem was sie an Binnenereignissen einschließt. Das Verhältnis zwischen dem anschaulichen Ganzen und dem, was es an Einzelbestimmungen (der Farbe, der Form, der Figur etc.) beinhaltet, wurde vom Künstler auf irgendeine Weise optimiert. (...) Was auch immer ein Bildkünstler darstellen wollte, (...) es verdankt seine Existenz, seine Nachvollziehbarkeit und Wirkungsstärke der jeweiligen Optimierung dessen, was wir ikonische Differenz nennen.“
Hier erscheint vor allem der Terminus der ‘Optimierung der ikonischen Differenz’ problematisch: Realistische Photos, Schnappschüsse oder nicht konstruierte Momentaufnahmen, die nicht bewusst optimiert oder ganz bewusst nicht nachbearbeitet werden, stellen in dieser Definition bereits einen Grenzfall dar. Werden diese nicht als Bilder betrachtet? Wenn sie aber sehr wohl als Bilder betrachtet werden, die Optimierung der ikonischen Differenz also nicht länger konstituierend ist, worin liegt dann der Unterschied zwischen Bild und Basis? Und was ist mit Bildern, bei denen die ikonische Differenz aus künstlerischen Gründen verringert wird? Indem Boehm die Optimierung der ikonischen Differenz als zentrales Bildcharakteristikum konstituiert, impliziert er eine ästhetische, mindestens eine inhaltlich-qualitative Wertung. Mit Müller (2003: 13) ist hier zu entgegnen: Im Unterschied zur Kunstgeschichte „nimmt Visuelle Kommunikationsforschung keine ästhetische Wertung vor.
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Entscheidend für die Qualifikation als Forschungsobjekt ist die visuelle Form und nicht die gestalterische Qualität“. Andere Bildbegriffe orientieren sich sehr eng an der Ähnlichkeitsrelation von Bild und Basis. Dies gilt insbesondere für Definitionen aus bildsemiotischer Perspektive, die das Bild unter dem Metabegriff des weit gefassten ‘Zeichens’ subsumiert und dem Zeichen damit letztlich unterordnet. Spezifisch visuelle Wirkungen stehen dabei meist nicht im Mittelpunkt der Analysen (vgl. Müller 2003: 155). Sofern die Semiotik visuelle Zeichen überhaupt ausdrücklich untersucht, wird in der Regel eine Ähnlichkeit zwischen Zeichen und Bezeichnetem unterstellt, etwa bei Pörksen (1997: 153): „Das visuelle Zeichen (...) beruht auf einer Ähnlichkeitsbeziehung zwischen Figur und Bedeutung. (...) Visuelle Zeichen bedeuten aufgrund von Entsprechung, die Form selbst vermittelt hier die Vorstellung.“
Abgesehen von der zu hinterfragenden inhaltlichen Bedingungslegung einer Ähnlichkeitsrelation ist an der Interpretation von Bild als visuellem Zeichen kritisch, dass Zeichen aus semiotischer Perspektive erst durch ein „zur Konvention gewordenes Wahrnehmungsschema“ konstituiert werden (Pörksen 1997: 153: Engelkamp 1998: 50): Damit wäre erst die konventionalisierte Verwendung des Bildes notwendige Bedingung (vgl. Wiesing 1998: 98) – nicht schon die visuelle Konfiguration, was wenig plausibel erscheint. Aus einer ähnlichen, wenn doch stärker integrativen Perspektive, argumentiert Sachs-Hombach (2003a: 94-95): „Bilder [sind] wahrnehmungsnahe Zeichen. (...) Ein Gegenstand [ist] dann ein Bild, wenn er zum Ersten artifiziell, flächig und relativ dauerhaft ist, wir ihn zum Zweiten aufgrund dieser Eigenschaften als Zeichen auffassen und wir zum Dritten diese Zuschreibung des Inhalts auf Grundlage unserer visuellen Wahrnehmungskompetenzen vornehmen“ (Sachs-Hombach 2003a: 94-95).
Mit dieser Interpretation verbindet Sachs-Hombach die Ebene der Wahrnehmungsäquivalenz mit der semiotischen Ebene der Konventionalisierung von Wahrnehmungsschemata und Wahrnehmungsprozessen. Für Visuelle Kommunikation im Allgemeinen und für das Bild im Speziellen ist die Konventionalisierung aber kaum als konstitutiv zu werten: Konventionalisierung zum Zeichen ist eine mögliche, keine notwendige, nicht einmal eine hinreichende Bedingung für die Bildidentität. Visuelle Kommunikation kann in hohem Maße bedeutungsoffen und über das Zeichen hinaus interpretationsbedürftig sein (vgl. Wiesing 1998). Insofern kann Visuelle Kommunikation zum Zeichen werden, wie dies etwa beim Partei- oder Markenlogo der Fall ist; dies ist aber nicht zwangsläufig gegeben. Zeichen können sich der Visuellen Kommunikation bedienen, müssen es aber nicht. Entsprechend lässt sich diese Beziehung auch auf den definierten Bildbegriff anwenden. Ein Zeichen kann ein Bild sein, muss es aber nicht, andere Zeichen, etwa verbale, sind
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denkbar. Ein Bild kann ein Zeichen sein, dies ist es aber nicht zwingend, es kann auch bedeutungsoffen bleiben. Beide Bereiche weisen also eine große Schnittmenge auf, die vollständige Integration beider Sichtweisen erscheint aber problematisch, nicht zuletzt, weil die Semiotik ihren sprachwissenschaftlichen Ursprung nur bedingt verlässt. Zwar wird die Unterschiedlichkeit des Visuellen vom Verbalen zwar prinzipiell akzeptiert, „jedoch ohne in der Methode und Begrifflichkeit ein passendes visuelles Instrumentarium zu entwickeln“ (Müller 2003: 162). Vielmehr werden für die Verbalsprache konzipierte semiotische Kommunikationsmodelle auf das Bild bzw. visuelle Kommunikationsformen transferiert, wobei bildspezifische Aspekte eher vernachlässigt werden (Doelker 1997: 11). Dennoch hat die Bildsemiotik „wichtige Einsichten in die Wirkungsweise der Bildkommunikation geliefert“ (Kroeber-Riel 1993: 29; vgl. Müller 2003: 159), die bis heute die Auseinandersetzung mit dem ‘Medium’ Bild prägen. Dies zeigt sich insbesondere auch am zentralen Stellenwert der Ähnlichkeitsrelation für die Bilddefinition. So ist das Bild auch für Kroeber-Riel (1993: 35) „die Aufzeichnung eines realen oder fiktiven Gegenstandes, die dem Gegenstand ähnlich ist und deswegen wie der Gegenstand wahrgenommen werden kann.“
Bilder werden hier klar abgegrenzt von abgebildeten Gegenständen, von Spiegelbildern und skulpturalen Nachbildungen des Gegenstandes. Unter den Bildbegriff fallen Gemälde, Photographien, Zeichnungen, filmische Szenenfolgen, gleichgültig, ob die Bilder konkrete Sachverhalte abbilden oder fiktionale. Dennoch wird der in der Definition gewählte Begriff des ‘Gegenstandes’ schnell problematisch. Reale oder fiktive Bilder beziehen sich nämlich in der Regel nicht nur auf Gegenstände, sondern auf komplexe Sujets von Gegenständen, Menschen, Landschaften, Situationen, Handlungen, Farben, Formen. Auch abstrakte Darstellungen wie Symbole, Verkehrszeichen, Logos, Diagramme, non-figurative Gemälde, Formen oder Farben werden hier von der Definition ausgeschlossen (vgl. Kroeber-Riel 1993: 35). Zur Vereinfachung könnten diese Bestände zwar noch in den Oberbegriff ‘Gegenstand’ integriert werden; allerdings beruht der Grundgedanke der Ähnlichkeitsauffassung auf der Feststellung, dass die bildliche Darstellung wesentlich auf der Ähnlichkeit zum Dargestellten beruht (vgl. Scholz 2004: 17): Das entscheidende Kriterium ist also der Grad der Übereinstimmung zwischen Bild und Wirklichkeit, wobei dieser so stark sein kann, dass Bild und Wirklichkeit zu einer ähnlichen Reaktion beim Rezipienten führen (Kennedy 1984): Bild und Basis induzieren dann „die gleiche Wahrnehmungsqualität“ (Kroeber-Riel 1993: 36). Trotz der impliziten „magischen Verwandtschaft“ zwischen Bild und Wirklichkeit (Schuster/Woschek 1989: 14; vgl. Schneider 2009; Fellmann 1998) bleibt kritisch festzustellen, dass sich zwar in allen bildlichen Darstellungen „Spuren der Wirklichkeit“ finden, Bilder sogar vielfach „Versuche der Reproduktion wahrge-
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nommener Realitäten“ darstellen, doch was sie konkret zeigen, ist nicht die Wirklichkeit selbst, sondern „symbolisch vermittelte, damit bereits inszenierte und stilisierte, sozial anders gerahmte Realität“ (Raab 2001: 41; Schneider 2009: 23): „Images are never transparent windows onto the world“ (Rose 2007: 2; vgl. Sturken/Cartwright 2009). Es liegt im Wesen von Visualisierungen, dass das Visualisierte, um überhaupt visualisiert werden zu können, erst interpretiert werden muss (vgl. Wiesing 1998: 96). Bilder sind aus dieser Perspektive, unabhängig von ihrer materiellen Konfiguration oder ihrer beobachtbaren Relation zur ‘objektiven’ Wirklichkeit, die sie „überformen“ (Brandt 2009: 5), das Ergebnis einer sozialen Konstruktion von Sinn: „Bilder sind Träger und Vermittler sozialen Sinns; sie sind eigenständige Formen symbolischen Ausdrucks und bedingen ebenso eigenständige Modi der Wahrnehmung.“
Dennoch blickt die Ähnlichkeitsauffassung auf eine lange Tradition zurück. Schon die frühe Kunsttheorie lehrt, Kunst sei mimesis oder imitatio und damit getreue oder idealisierende Nachahmung der Natur (vgl. Alberti 1436: 133-135). Mit der Formel von der ‘Nachahmung der Natur’ wurden zwar unterschiedliche künstlerische Konzeptionen verknüpft, traditionell wurde Nachahmung aber mit ‘Teilhabe’ (methexis, participatio) und ‘Ähnlichkeit’ (homoiosis, similitudo) expliziert, wie es sich auch in der Ähnlichkeitsauffassung der neueren Bildwissenschaft ausdrückt (vgl. Scholz 2004: 18). Drei Faktoren sind aus dieser Perspektive konstituierend: das Bild, das Abgebildete und die Relation der Ähnlichkeit, d.h. die Beziehung zwischen Bild und Abgebildetem. Ähnlichkeit soll notwendig und hinreichend für die bildliche Darstellung sein; oft wird jedoch wird die Notwendigkeit deklariert (vgl. Scholz 2004: 19). Einzuwenden bleibt, dass die Beziehung zwischen Bild und Basis nicht per se in eine Ähnlichkeitsrelation übersetzt werden kann. Auch aus abstrakt-logischer Perspektive ist dies problematisch, denn Ähnlichkeit ist „reflexiv und symmetrisch, überdies eine graduelle Angelegenheit“, was auf die Relation zwischen Bild und Abgebildetem nicht zutrifft (Scholz 2004: 21; vgl. Engelkamp 1998: 50). Zur Diskussion der Ähnlichkeitsthese ist damit festzustellen, dass Ähnlichkeit lediglich für eine Sonderform des Bildes konstitutiv ist, nämlich für das Abbild, ansonsten aber ein unzureichendes Kriterium darstellt. Schon der Blick auf moderne bzw. zeitgenössische Kunst verdeutlicht dies: Hier gibt es hochgradig abstrakte Bilder, die gerade dadurch gekennzeichnet sind, dass sie keine Ähnlichkeit mit dem Abgebildeten haben, oft sich auch auf keine materielle Basis mehr beziehen. Zum anderen lassen sich natürlich auch fiktionale Bilder ausmachen, die keine, oder noch keine, reale Entsprechung aufweisen, wie etwa im Fantasy-Genre oder in virtuellen Realitäten. Hier erzeugen Bilder eine neue, fiktive Wirklichkeit; sie wirken als „magische Fenster zu einer Wirklichkeit, die wir zwar nicht aus eigener Erfahrung kennen, die wir gleichwohl subjektiv erleben“ (Kroeber-Riel 1993: 39). Auf Grenzen stößt die Ähnlichkeitsthese auch bei Skizzen, Entwürfen, Simulationen zu einer noch nicht existierenden materiellen, wohl aber existierenden men-
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talen Basis. In diesem speziellen Fall kippt sogar das gesamte Bild-Basis-Modell, weil dann nicht das Bild dem real existierenden Gegenstand ähnlich gemacht wird, sondern der Gegenstand dem (materialisierten oder mentalen) Bild. Diese Überlegungen verdeutlichen bereits, dass ‘Bildsein’ nicht konstitutiv auf einer Beziehung, vor allem nicht auf einer Ähnlichkeitsbeziehung, zwischen Bild und (materieller) Basis fußen muss (vgl. Scholz 2004: 29-30). Zudem ist die Beschränkung auf konkrete, figurative Bilder, denn andere erfüllen schwerlich das Ähnlichkeits- und Gegenstandskriterium, für viele visuelle Kommunikationssituationen zu eng gefasst. In der Politischen Kommunikation etwa spielen abstrakte Zeichen wie Farben, Formen oder Logos eine entscheidende Rolle (vgl. Schüler 2006). Für Bündnis 90/Die Grünen dient beispielsweise die grüne Farbe als visuelle Integrationsklammer, bei der FDP der strategische Einsatz der Farbe Gelb, für die SPD sind Logo und Typographie wichtige Bedeutungsträger – und von den Rezipienten wird der Einsatz derartig ‘sozialisierter’, ‘kollektiv symbolisierter’ Designelemente vermutlich sogar erwartet. Auch für Belting (2001:11) geht das Bild über die reine Wahrnehmungserfahrung hinaus und entsteht als „Resultat einer persönlichen oder kollektiven Symbolisierung“: „Ein Bild ist mehr als ein Produkt der Wahrnehmung. (...) Alles, was in den Blick oder vor das innere Auge tritt, lässt sich auf diese Weise zu einem Bild erklären oder in ein Bild verwandeln. Deshalb kann der Bildbegriff, wenn man ihn ernst nimmt, letztlich nur ein anthropologischer sein“ (ebenda).
Aus dieser Perspektive wird das Bild zu einer umfassenden anthropologischen Kategorie, was in der Ganzheitlichkeit der Betrachtung sehr inspirierend ist. ‘Bildsein’ gründet sich hier zwar prinzipiell auf der visuellen ‘Erfahrbarkeit’, wird aber weniger durch bildimmanente Eigenschaften konstituiert, sondern vor allem durch die Zuweisung dieser Eigenschaften im bildexternen Interpretationsraum. Damit wird die Analyse der Charakteristiken des Bildes auf die Analyse der sozialen Konstruktion des Bildes verlagert, was vor dem Hintergrund der soziologischen Forschungen zur „gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit“ (Berger/Luckmann 1980; Gamson/Croteu/Hoynes/Sasson 1992) spannende Anschlussfragen und Forschungsperspektiven aufwirft. Fraglich bleibt jedoch, inwieweit sich ein derart umfassender und bedeutungsoffener Bildbegriff auch für die empirische Forschung erschließen und operationalisieren lässt. Eine ähnliche Schwierigkeit ergibt sich in zahlreichen weiteren Bilddefinitionen, die zwar grundsätzlich sehr umfassend angelegt sind, gleichzeitig aber gerade durch die damit einhergehende Reduktion der Eingrenzung sehr unbestimmt bleiben. So stellt Scholz (2004: 5) fest, dass „der Terminus ‘Bild’ und seine Äquivalente in anderen Sprachen heutzutage primär Dinge wie Gemälde, Zeichnungen und Verwandtes (Kupferstiche, Holzschnitte etc.) nebst ihren vielfältigen technischen und elektronischen Weiterentwicklungen [bezeichnen]. Bilder in diesem Sinne sind
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Artefakte, künstliche Gegenstände, die in bestimmter, (...) näher zu charakterisierender Weise etwas darstellen oder zumindest etwas sehen lassen.“
Gerade über diese „bestimmte, näher zu charakterisierende Weise“ herrscht dabei weiterhin Unklarheit. Auch Mitchell (1980; 1986; 1992; 1994; 2006), der in der viel beachteten Picture Theory die Ähnlichkeit als zentrales Wesensmerkmal des Bildbegriffes einräumt, liefert zunächst keine Bilddefinition, betont aber eine andere wichtige Komponente. Für Mitchell (1986: 9) ist das theoretische Verständnis der Bildlichkeit in sozialen und kulturellen Praktiken verankert: „My aim is to open up for inquiry the ways our ‘theoretical’ understanding of imagery grounds itself in social and cultural practice, and in history fundamental to our understanding.“
Dieses Verständnis ist sowohl zeitlich als auch räumlich relativ; es basiert auf Vorerfahrungen, die aus zeitlichen, kulturellen, sozialen und individuellen Wahrnehmungsdifferenzen resultieren (Mitchell 1986: 8-9). Mitchell (1986: 9-14; vgl. 2008) unterscheidet hierbei zwei Bildgruppen und insgesamt fünf Bildkategorien: Zur Bildgruppe der materiellen Bilder zählen die graphischen Bilder wie Gemälde, Statuen, Zeichnungen sowie die optischen Bilder wie Spiegel und Projektionen. Ihnen gegenüber stellt er die Bildgruppe der immateriellen Bilder, als ‘weniger greifbare’ Bildkategorie. Hier differenziert er zwischen den perzeptuellen Bildern (Sinnesdaten, Erscheinungen), den geistigen Bildern (Träume, Ideen, Erinnerungen) und den sprachlichen Bildern (Mitchell 1986: 9-14). Doch auch hier liegt das Problem in der Begriffsdefinition. Werden die immateriellen Bilder integriert, ergibt sich eine große begriffliche Unschärfe, die sich auch in Mitchells aktueller Auseinandersetzung (2008) spiegelt. Hier definiert Mitchell (2008: 1) das Bild sehr allgemein als „jedes Abbild, jede Darstellung, jedes Motiv und jegliche Gestalt, die in bzw. auf irgendeinem Medium erscheint“ (2008: 1). In Anlehnung an Mitchell und mit Bezug zu Warburg zieht Müller (2003: 13) als Fazit für die Visuelle Kommunikationsforschung, das die immateriellen Bilder zwar nicht aus dem Begriffsbereich ausschließt, sehr wohl aber aus dem Gegenstandsbereich Visueller Kommunikation: Gegenstand der Visuellen Kommunikationsforschung seien „visuelle Phänomene, die sich meist, aber nicht ausschließlich, in Form von Bildern materialisieren“. Dabei sei der Bildbegriff möglichst weit gefasst (Müller 2003: 14): „Er beinhaltet Tafelbilder ebenso wie Fotographie und Druckgraphik. Auch Film und Fernsehen werden als audiovisuelle Medien unter den Bildbegriff subsumiert, insofern es sich bei ihnen um moving pictures – bewegte Bilder – handelt. Im weitesten Sinn umfasst Visuelle Kommunikationsforschung auch dreidimensionale Artefakte – Architektur und Skulptur.“
In der Konkretisierung des Forschungsbereichs Visueller Kommunikationsforschung relativiert Müller (2003: 14) diesen weiten Interpretationsansatz: Gegenstand Visueller Kommunikationsforschung seien zwar grundsätzlich materielle und imma-
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terielle Bilder, die Forschung gehe aber zunächst von den konkreten materiellen Abbildern aus. Rein immaterielle Bilder, die keine Vergegenständlichung erfahren, seien „nicht Teil Visueller Kommunikationsforschung“ (Müller 2003: 14; vgl. 2007: 7). Im Verweis auf Warburg bzw. Bauerles (1988) Interpretation der Konzeption Warburgs spezifiziert Müller (2003: 20), dass Bilder einen materiellen Abbild- und einen immateriellen Denkbildcharakter besitzen, wobei sich beide Seiten bedingen. Der hier anklingende, duale Charakter des Begriffs Bild ist auch etymologisch verortbar: Auch sprachgeschichtlich ist das Bild mit seinem immateriellen Charakter als Vorbild angelegt, die materielle Dimension der Abbildung tritt erst später in den Vordergrund (Müller 2007a: 10). In der Konsequenz „materialisieren Bilder Denkvorgänge (...) und Abbilder sind Quellen für die Rekonstruktion der Denkbilder“, d.h. zu jedem Abbild gibt es Denkbilder, aber nicht jedes Denkbild bringt ein Abbild hervor (Müller 2003: 20-22; 2007: 10; Mitchell 1986: 10; vgl. Wenzel 2006: 236).
2.2.3
Bildbegriff, Gegenstandsbereich und Definition Visueller Kommunikation
Die im Überblick deutlich werdende Ambivalenz der Definitionen und Zugänge ist für die empirische Operationalisierung hinderlich. Zudem bedingt die Analyse Visueller Kommunikation im politischen Raum, auch wenn sie zu einem Großteil auf Bild-Kommunikation basiert, eine Erweiterung in Richtung abstrakter visueller Bedeutungsträger wie Farben oder Formen. Hier sollte die Konzeption Visueller Kommunikation auch abstrakte visuell wahrnehmbare Bedeutungsträger umfassen. Diese in den von Müller (2003: 13) vorgeschlagenen Begriff der „visuellen Phänomene“ einzuordnen, erscheint allerdings wenig sinnvoll, denn, wie Müller hier selbst einräumt, würden damit „auch dreidimensionale Artefakte, Architektur und Skulptur“ zum Gegenstandsbereich zählen, was zu einer großen Unschärfe führte. Insofern schließen sich die Überlegungen zwar an den Vorschlag Müllers an, dass Visuelle Kommunikation vor allem „visuelle Phänomene untersucht, die sich in Form von Bildern materialisieren“ (ebenda), wobei dieser Bereichsbestimmung aber ein divergenter Bildbegriff zugrunde gelegt wird (vgl. Müller 2007a). Dabei werden akustische, haptische oder olfaktorische Bilder nicht berücksichtigt, da sie das Kriterium des ‘Visuellen’ nicht erfüllen. In eine Operationalisierung des Gegenstandsbereichs im vorliegenden Forschungsprojekt übertragen, münden diese Überlegungen in folgende Definition Visueller Kommunikation bzw. Visueller Kommunikationsforschung:
Definition: Visuelle Kommunikation Visuelle Kommunikation bezeichnet sämtliche Vermittlungs- und Austauschprozesse von Bedeutungsinhalten, sofern sich diese visueller Phänomene bedienen, die sich in Form von Bildern materialisieren.
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Mit der Operationalisierung dieser Definition wird nun spezifiziert, welchen Gegenstandsbereich Visuelle Kommunikationsforschung untersucht bzw. welche Definition Visueller Kommunikationsforschung zugrunde gelegt wird:
Definition: Visuelle Kommunikationsforschung Visuelle Kommunikationsforschung untersucht deskriptiv und methodischanalytisch Vermittlungs- und Austauschprozesse von Bedeutungsinhalten, sofern sich diese visueller Phänomene bedienen, die sich in Form von Bildern materialisieren.
Für die Fokussierung auf den Anwendungsbereich Visueller Politischer Kommunikation leitet sich aus diesen Überlegungen – und im Vorgriff auf die noch zu leistende Fundierung des Gegenstandsbereichs der Politischen Kommunikation (vgl. Kap. 3.1) – die folgende Definition des Untersuchungsgegenstandes ab:
Definition: Visuelle Politische Kommunikation Visuelle Politische Kommunikation bezeichnet sämtliche internen und externen Vermittlungs- und Austauschprozesse von Bedeutungsinhalten mit direkter oder indirekter politischer Relevanz sowie deren Wechselwirkungen zwischen politischen Akteuren, Medien und Bevölkerung, sofern sich diese visueller Phänomene bedienen, die sich in Form von Bildern materialisieren.
Definition: Visuelle Politische Kommunikationsforschung Visuelle Politische Kommunikationsforschung untersucht diese Prozesse deskriptiv und methodisch-analytisch.
Der Bildbegriff wird unter integrativer Bezugnahme der oben aufgeführten Gedanken neu besetzt. Die Operationalisierung des Gegenstandsbereichs wird in folgende Definition des Bildbegriffs übertragen:
Definition: Bild Ein Bild ist eine intentionale, höchstens zwei-dimensionale, medial gebundene Visualisierung oder visuelle Repräsentation von Bedeutungsinhalten, die nicht vorher fixiert sein müssen, mit Bezug zu situativen, zeitlichen, räumlichen, individuellen und sozialen Kontexten.
Die Definition des Bildbegriffs wird in Tabelle 1 in ihre einzelnen konstituierenden Elemente zerteilt, damit diese übersichtlicher erklärt werden können:
64 Ein Bild ist eine… intentionale
höchstens zweidimensionale
medial gebundene
Visuelle Kommunikation
Ein Bild ist eine visuelle Schöpfung, ein „Artefakt“ (Posner/Schmauks 1998: 20). Als solche muss das Bild immer erst als Bild hergestellt werden. Belting (2001: 25) formuliert dazu: „Ein Bild darzustellen bedeutet erst einmal, ein Bild physisch herzustellen“ (vgl. Brandt 2009: 3). Diese Herstellung basiert letztlich auf Handeln; im Unterschied zu Verhalten ist Handeln per definitionem intentional. Diese ‘Intention’ besteht begründend, sagt aber noch nichts über die Zwecksetzung der Bildschöpfung aus. Dies ist eine wichtige Unterscheidung: Ein Bild muss nicht, wie Doelker (1997: 187) postuliert „zum Zweck der Betrachtung oder Verständigung“ hergestellt werden. Für den Bildbegriff ist der intendierte Zweck nicht konstitutiv: Auch ein Bild, das aus Selbstzweck hergestellt wird, und nicht der nachfolgenden Betrachtung (etwa weil der Prozess der Bilderstellung der intendierte Zweck ist), Kommunikation oder Interaktion dient, bleibt ein Bild. Eine intentionale Handlung dagegen muss vorliegen, damit ein Bild überhaupt ein Bild werden kann. Bilder sind im Rückgriff auf Sachs-Hombach (2003a: 94-95) „flächig“, können also über die Eindimensionalität hinausgehen: Fernsehen oder Computersimulationen sind bereits zweidimensional. Daneben sind Visualisierungen in der dritten Dimension denkbar, die die sonstigen Kriterien erfüllen, etwa Repräsentationsarchitektur oder Skulpturen. Auch eine vierte Dimension der Visualisierung scheint in Zukunft nicht ausschließbar zu sein. Beide Dimensionsformen müssen aber für den Bildbegriff ausgeschlossen werden, um eine Abgrenzung zu erreichen. Mit der Festlegung auf höchstens zwei Dimensionen stellen zwar Bilder, die sich plastischer Elemente bedienen, oder Reliefs einen Sonderfall dar. Dieser Sonderfall ist allerdings auch in der Kunstgeschichte strittig, hier werden Reliefs je nach Standpunkt eher als Plastik, Baudekor, Malerei oder eigene Gattung erfasst. Ein Bild wird erst durch die Bindung an ein Medium zu einem Bild, das sich auf seine Basis bezieht. Ohne Medium, auf dem die Visualisierung geschaffen, gespeichert, gebunden werden kann, ist die Schöpfung nicht möglich: „Wir müssen mit Medien arbeiten, um Bilder sichtbar zu machen“ (Belting 2001: 27; vgl. Mitchell 2008; Brandt 2009). Die Diskussion,
Visuelle Kommunikation
Visualisierung oder visuelle Repräsentation
65 ob Bilder materielle oder immateriell sind, wird insofern durch die Frage gebündelt, wie der Medienbegriff ausgelegt werden soll. In einer weiten Auslegung kann Medium unspezifisch als Träger von Informationen aufgefasst werden. Hierbei könnten prinzipiell immaterielle Bilder entstehen: Auch das menschliche Gehirn kann dann ein Träger, ein Medium sein, weshalb etwa Aebli vom „Medium des Denkens“ spricht (Aebli 1981: 279). In der klassischen Auslegung wird mit Medium dagegen ein Mittel verstanden, das der Kommunikation dient. In diesem Fall bleibt der Bezug des Bildbegriffs auf die materialisierten Medien beschränkt. Somit hat das Bild eine mentale, das Medium dagegen ein materielle Eigenschaft (vgl. Belting 2001: 29). Es sei an dieser Stelle darauf verwiesen, dass sich Visuelle Kommunikationsforschung mit der Festlegung ihrer Bildlichkeit und deren Materialität vom Forschungsbereich der interpersonalen nonverbalen Kommunikation abgrenzt, der auch auditive oder visuelle Elemente einbezieht, die nicht als materialisiertes Bild visualisiert werden (Müller 2003: 14). Die hier getroffene Unterscheidung zwischen nonverbaler und Visueller Kommunikation erscheint verwirrend, wird in der Literatur aber häufig vorgenommen, wobei nicht unbedingt Einheitlichkeit hinsichtlich der Grenzziehung besteht (vgl. Wallbott 1999: 488; Pürer 2003: 62; Weinberg 1986: 5; Kepplinger 1987; 2002; 2010). Zudem wirkt die Unterteilung recht synthetisch und wird den zahlreichen Schnittstellen zwischen beiden Forschungsgebieten nicht gerecht wird. Ausgehend von der Erkenntnis, dass die Ähnlichkeit zwischen Bild und Abgebildetem nicht konstitutiv für den Bildbegriff ist, sind Termini wie Aufzeichnung, Zeichen, Abbild, Darstellung oder Wiedergabe als Element einer Bilddefinition irreführend. Bilder können in hohem Maße Ungegenständliches und Nichtexistentes darstellen, eben ‘etwas’ sichtbar machen: Visualisieren. Aus dieser Perspektive bezeichnet die Visualisierung allgemein eine Transformation und Kommunikation von Bedeutungsinhalten in und durch visuelle Phänomene, die wir als „eingehegte Darstellung von etwas anderem ansehen“ (Brandt 2009: 4). Die Formulierung der visuellen Repräsentation soll dagegen als Anklang der Re-Präsentation im Sinne der abbildenden Wiedergabe bzw. des Abbilds einer Konkretisierung der Visualisierungen Ausdruck verleihen.
66
Visuelle Kommunikation
Kommunikation ist ganz allgemein die Übermittlung von Bedeutungsinhalten (Maletzke 1963: 18). Diese Idee lässt sich auf die Bilddefinition transferieren: Bilder beinhalten Bedeutungen. Diese müssen nicht weiter spezifiziert werden. Entscheidend ist, dass dem Bild ein Bedeutungsinhalt zugewiesen wird; dies umfasst die Zuweisung auf allen Stufen im Kommunikationsprozess. Damit wird impliziert, dass Empfänger und Sender durchaus differente Bedeutungsinhalte zuschreiben können (vgl. Posner/Schmauks 1998: 22): Für den Bildbegriff ist diese Frage ebenso wie die Klärung, welche Bedeutungen vom Sender intendiert, welche dagegen vom Empfänger verstanden wurden, nicht wesentlich. Dem Postulat: „Ein Bild lesen heißt, seine Bedeutung ermitteln“ (Doelker 1997: 146) ist insofern zu entgegnen: Ein Bild lesen heißt, ihm irgendeinen Bedeutungsinhalt zuzuweisen. die nicht vorher Daraus folgt auch, dass die bildimmanenten Bedeutungsinhalfixiert sein müssen te nicht bereits im Vorfeld festgelegt sein oder intendiert werden müssen: Entscheidend ist, dass Bedeutungsinhalte zugewiesen werden, nicht wann diese festgelegt sind. Dies lässt dem Bild seine Besonderheit der tendenziellen Offenheit an Bedeutung: „Das Bild ist in seiner Bedeutung offen – das Wort festgelegt“ (Doelker 1997: 58). In unterschiedlichen Kontexten können verschiedene, auch neue Bedeutungsinhalte, zugewiesen werden. Die Forderung Gombrichs „alle Mehrdeutigkeiten zu vermeiden oder doch zu verringern, um das Erkennen des Dargestellten zu sichern“ bleibt für die Konstitution des Bildbegriffs bedeutungslos (Gombrich 1984: 35). mit Bezug zu situati- Bilder etablieren sich über und in Abgrenzung zu ihrem Konven, zeitlichen, räum- text: „Bilder gibt es nur in einer Umgebung, die wir nicht zum Bild machen“ (Brandt 2009: 4). Dabei ist die Feststellichen, individuellen und sozialen Kontex- lung der Bezüge zu situativen, zeitlichen, räumlichen, individuellen und sozialen Kontexten sowohl für die Bilderstellung, ten. die Bildinterpretation als auch die Bildforschung essentiell. So verweist etwa Doelker: „Wichtigkeit und Signifikanz eines Gegenstandes ergeben sich für eine Person aus ihren bisherigen Erfahrungen, aus ihrer Herkunft, ihrem Alter, ihrem Geschlecht, ihrem Bildungsgang, einzelnen Erlebnisse oder sogar Traumata“ (Doelker 1997: 11). Dies gilt für das Bild in gleichem Maße. In diesem Punkt schließt sich die vorgelegte Bilddefinition an die Erkenntnisse Mitchells (1986: 8-9) an, von Bedeutungsinhalten
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Visuelle Kommunikation
der das umfassende Verständnis der Bildlichkeit in sozialen und kulturellen Praktiken verankert und damit auf zeitlichen, kulturellen, sozialen und individuellen Wahrnehmungsdifferenzen basiert sieht (vgl. Michel 2006). Tabelle 1:
Der Bildbegriff in seinen konstituierenden Elementen.
Obwohl Visuelle Kommunikation und Bildkommunikation nicht vollkommen deckungsgleich sind, können sie annähernd gleichgestellt werden, denn:
Visuelle Kommunikation ist zu einem Großteil Bildkommunikation, so dass zahlreiche Erkenntnisse auf beide Gegenstandsbereiche übertragbar und anwendbar sind. Dem Hemisphären-Modell folgend (vgl. Kap. 2.3.5.4), sind bildliche und Visuelle Kommunikation für das menschliche Gehirn von der Art des Stimulus identisch: Bei der Wahrnehmung und Informationsverarbeitung wird keine Trennung in „abbildende“ und abstrakt visuelle Informationen vorgenommen; beide Stimuli gelten als analoge Reize, die primär in der rechten Gehirnhälfte verarbeitet werden. Unter Bezugnahme auf die vorgeschlagene, entwickelte Bilddefinition wird ein weit gefasster Bildbegriff zugrunde gelegt. Ein Bild wird definiert als eine intentionale, höchstens zwei-dimensionale, medial gebundene Visualisierung oder visuelle Repräsentation von Bedeutungsinhalten, die nicht vorher fixiert sein müssen, mit Bezug zu situativen, zeitlichen, räumlichen, individuellen und sozialen Kontexten. Damit können auch hochgradig abstrakte Visualisierungen als Bild verstanden werden, etwa Kompositionen aus Formen, Farben, Symbolen. Diese weite Definition des Bildbegriffs führt in anderen Untersuchungsbereichen eventuell zu Ungenauigkeiten, stellt aber für den Bereich der Politischen Kommunikation, wie auch für den Bereich der Unternehmenskommunikation, des Marketing oder der Kunst, eine erforderliche Ausweitung dar. Die weiteren Überlegungen basieren zwar auf diesem weiten Bildbegriff, dessen Erweiterung bleibt aber bewusst. Dies ist vor allem deshalb wesentlich, da einige der nachfolgend beschriebenen Bildwirkungen sich gerade darin begründen, dass ein enger Bildbegriff vorausgesetzt wird, für den die Ähnlichkeit zwischen Bild und Abgebildetem konstitutiv ist. Dem wird dadurch Rechnung getragen, dass in jenen Fällen, das Bild spezifischer als Abbild bezeichnet wird. Die obige Bilddefinition auf das Spezifikum des wirklichkeitsnahen, realistischen Bildes übertragen, ist ein Abbild dann eine intentionale, höchstens zweidimensionale, medial gebundene, wirklichkeitsnahe visuelle Repräsentation von Bedeutungsinhalten, die nicht vorher fixiert sein müssen, mit Bezug zu situativen, zeitlichen, räumlichen, individuellen und sozialen Kontexten. Beim Kriterium
68
Visuelle Kommunikation
der wirklichkeitsnahen Repräsentation im Abbild ist aber davon auszugehen, dass zumindest ein Teil der kommunizierten Bedeutungen durch die „gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit“ ex ante konventionalisiert wurde und damit den Bedeutungs- und Interpretationsraum prädisponiert (Berger/Luckmann 1980).
2.2.4
Der spezifische Modus Visueller Kommunikation
Zur Besonderheit der Visuellen Kommunikation formuliert Müller (2001: 22): „[Es] muss betont werden, dass Bilder nur dann adäquat, und das bedeutet wissenschaftlich sinnvoll, analysiert und interpretiert werden können, wenn ihr Kommunikationsprinzip erkannt wurde.“
Diese Feststellung ist auf die Visuelle Kommunikation insgesamt anzuwenden. Die Formulierung impliziert bereits, was an dieser Stelle noch einmal deutlich hervorgehoben werden muss: Visuelle Kommunikation besitzt ein eigenes Kommunikationsprinzip, das erheblich von der sprachlich-textlich dominierten Kommunikation abweicht. Visuelle Kommunikation folgt einer eigenen, „nicht-rational-argumentativen Logik. Das Prinzip dieser Logik ist die Assoziation“ (Müller 2001: 22; vgl. Carroll 1982; Block 1981). In diesem Kontext verweist Doelker (1997: 23) darauf, dass die Möglichkeit, Realität mit großer Detailtreue wiederzugeben, zu den wesentlichen Kennzeichen des Bildes gehört. Daher folgert er (1997: 45; vgl. Kroeber-Riel 1993: 14; Kennedy 1984): „Im [Ab-]Bild treten Gegenstände und Phänomene auf als das, was sie in Wirklichkeit bedeuten. Das heißt, dass der Wahrnehmungs- und Erkennungskode, der unsere Orientierung in der Wirklichkeit ermöglicht, auch für die Bildwahrnehmung gebraucht wird.“
Diese Besonderheit Visueller Kommunikation wurde schon früh erkannt. So nutzt bereits das berühmte Cave Canem-Mosaik aus Pompeji (Museo Nazionale Neapel), das den antiken Eindringling mit prägnanter Bildkommunikation vor dem Zähne fletschenden Hund warnt („ad sinistram enim intrantibus non longe ab ostiarii cella canis ingens, catena vinctus, in pariete erat pictus superque quadrata littera scriptum cave canem“) diese spezifische Anmutung emotionaler Unmittelbarkeit (vgl. Gombrich 1984: 137). Das hier zugrunde liegende Phänomen ist eng verbunden mit der Erkenntnis, dass die Wahrnehmung visueller Informationen einer geringeren kognitiven Kontrolle unterliegt. Bildinformationen werden vom Gehirn nahezu ‘automatisch’ verarbeitet, d.h. Bilder benötigen in der Regel ein sehr geringes mentales Involvement des Rezipienten. Anders als bei Sprachinformationen verläuft die Bildverarbeitung ohne große gedankliche Anstrengung und damit stärker unmittelbar. Bilder erzeugen im Empfänger, nicht zuletzt aufgrund des hemisphärisch divergen-
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ten Verarbeitungsmodus, gleichzeitig gedanklich-informative und emotionale Wirkungen: Entsprechend der Idee einer funktionalen Differenzierung verschiedener Hirnareale werden visuelle Informationen eher in der rechten Hirnhälfte verarbeitet, wobei die Aktivitäten in dieser Gehirnhälfte weniger bewusst sind und gedanklich weniger kontrolliert werden (vgl. Kroeber-Riel 1993: 22; 1990). Die divergente gedankliche Verarbeitung von Bildern spielt bei Prozessen Visueller Kommunikation eine entscheidende Rolle (Kennedy 1984; Chase 1972). Der Unterschied zwischen verbaler und Visueller Kommunikation gewinnt dabei noch an Bedeutung, wenn nicht Sachinhalte, sondern emotionale Informationen übermittelt werden sollen, denn aufgrund ihrer Verarbeitung sind Bilder „besser als Sprache dazu geeignet, Emotionen zu vermitteln“ (Kroeber-Riel 1993: 14). Entscheidend ist hierbei der Grad der Übereinstimmung zwischen Abbild und Wirklichkeit; ist diese stark genug, führen Bild und Wirklichkeit zu einer ähnlichen Reaktion beim Rezipienten. [Ab-]Bild und Abgebildetes erreichen dann annähernd die gleiche Wahrnehmungsqualität (Kroeber-Riel 1993: 36). Werden fiktive Bilder dargestellt, funktioniert dieser Mechanismus weiterhin: In diesem Fall erzeugen Bilder eine neue, fiktive Realität, wirken als „magische Fenster zu einer Wirklichkeit, die wir zwar nicht aus eigener Erfahrung kennen,“ aber dennoch subjektiv erleben (Kroeber-Riel 1993: 39). In der Ikonizität des Abbildes liegt ein wesentliches Unterscheidungskriterium zur sprachlichen Information, denn für das Abbild gilt: „das [Ab-]Bild ist konkret, das Wort ist abstrakt“ (Doelker 1997: 52). Konkret bedeutet hier „stofflich-sinnlich erfahrbar, imitativ (dem Abgebildeten ähnlich) und individuell“ (ebenda). Zur Konsequenz auf der Wirkungsebene erklärt Doelker (1997: 52; vgl. Mayer/Gallini 1990; Kennedy 1984): „Dank dieser physiognomischen Übereinstimmung des Bezeichnenden mit dem Bezeichneten sind [Ab-]Bilder rascher, unmittelbarer entschlüsselbar. Eine Umkodierung von einem abstrakten Begriff, einer arbiträren Form auf einen bestimmten Inhalt ist nicht notwendig.“
Bilder werden zudem schneller erfasst und verarbeitet sowie in größeren Sinneinheiten aufgenommen als Sprachinformationen (vgl. Gordon 2004), was zu einer raschen, ganzheitlich-analogen Informationsverarbeitung des Rezipienten führt (vgl. Messaris 1998). Um ein Bild mittlerer Komplexität so intensiv aufnehmen zu können, dass es nachhaltig erinnert werden kann, muss es nur etwa eine Sekunden betrachtet werden (Kroeber-Riel 1993: 53). In derselben Zeitspanne können nur etwa zwei bis drei einfache Worte decodiert werden. Tachistoskoptests belegen, dass Rezipienten bereits nach gut 100 bis 200 Millisekunden in der Lage sind, visuelle Inhalte thematisch zu erkennen, grob zu erinnern und grundsätzlich zu beschreiben (vgl. Mikasch/Haack 1986: 21; Schierl 2001a: 197; 2005: 13, 2001b). Visuelle Inhalte können also wesentlich schneller als Textinformationen aufgenommen und verarbeitet werden, wobei dies auch bei sehr hohen Informationsmengen einen relativ niedrigen kognitiven und zeitlichen Aufwand erfordert (Schierl 2001a:
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Visuelle Kommunikation
197). Die Informationsaufnahme bei Texten erfolgt dagegen eher in gebrochenen Sprüngen und erfordert eine sequentiell-analytische Verarbeitung (vgl. Leven 1991: 55; 1986). Mit Paivio (1979: 33) erfolgt Textwahrnehmung in einem „sequential processing system“ schon deshalb different zur Bildwahrnehmung, weil die Grammatik der Sprache eine temporale Ordnung der Kommunikationselemente voraussetzt. Insofern determiniert die zeitliche Vor- oder Nachordnung der verbalen Informationen die inhaltliche Bedeutungszuweisung (ebenda). Visuelle Informationsverarbeitung kann dagegen als „parallel processing system“ interpretiert werden (Paivio 1979: 34). Die schnelle Aufnahme visueller Informationen ist vor allem damit zu begründen, dass diese konzeptgesteuert verarbeitet werden, so dass ein kognitiv kaum kontrollierter Mustervergleich nahezu unmittelbar zur Decodierung führt (vgl. Kap. 2.3.5.1). Die wahrgenommenen Reize werden dabei mit gespeicherten Schemata verglichen, die typische visuelle Merkmale des Wahrgenommenen komprimieren. Ein Bild wird daher schnell erkannt, wenn es dem im Gedächtnis gespeicherten Muster bzw. Schema entspricht (vgl. Maas 1995). Während Texte analytisch-logisch verarbeitet werden (vgl. Kap. 2.2.4), folgt die Informationsverarbeitung bei Bildern einer analogen, räumlich-assoziativen Logik, einer „räumlichen Grammatik“ (Paivio 1979: 3337; vgl. Osherson/Kosslyn/Hollerbach 1992; Osherson/Kosslyn 1995). Konkret bedeutet dies, dass Bilder beim Rezipienten Assoziationsketten über die jeweilige räumliche Anordnung der Bildelemente wecken. So entstehen beim Rezipienten Gedankenverknüpfungen, die assoziativ wirken, ohne jedoch gedanklich kontrolliert und nach den analytischen Gesetzen der Sprachlogik hinterfragt zu werden (vgl. Messaris 1998). Für Paivio (1979: 34; vgl. 1991: 211) folgt Bildverarbeitung daher einem analogen Verarbeitungsmodell, wobei das Bild wie ein realer Gegenstand ganzheitlichräumlich verarbeitet wird. Diese Eigenheit pointiert Soeffner (2000: 49-50): „Bilder zielen nicht auf Reflexivität, ‘diskursive’ Begründung oder auf Argumente, sondern folgen einer präsentativen Logik. Statt an Widersprüchen zu zerbrechen, ziehen sie diese zu einer Einheit im Bild zusammen. Sie repräsentieren eine Wirklichkeitskonstruktion, in der Widersprüche und Grenzerfahrungen, das (diskursiv) nicht Sagbare, als ertragbar und darstellbar präsentiert werden.“
Eine entsprechende sprachliche Übersetzung der Bildkommunikation würde, den Regeln der analytisch-logischen Textverarbeitung unterzogen, oftmals als widersinnig und ‘unlogisch’ erlebt; eine assoziative Wirkung könnte sich aufgrund der kognitiven Kontrolle nicht entfalten. Bilder ermöglichen dagegen Eindrücke, die sprachlich nicht oder nur sehr bedingt vermittelbar wären (vgl. Kroeber-Riel/Esch 2004: 153). Als Konsequenz hierzu formuliert Müller (2001: 22): „Im besten Fall können assoziativ erzeugte Informationen und Behauptungen einen Argumentationsstrang untermauern. Im schlimmsten Fall zerstören assoziativ generierte Bedeutungen die argumentative Logik, indem sie sie mit emotionalen Werten überlagern und die rationale Diskussion verhindern.“
Visuelle Kommunikation
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Diese Erkenntnis impliziert bereits eine wesentliche Einschränkung Visueller Kommunikation, denn die logisch wenig hinterfragten Überzeugungswirkungen von visuellen Informationen bieten Anlass, den unter dem Einfluss von Visueller Kommunikation zustande gekommenen Entscheidungen im Nachhinein kritisch und mit logischen Vorbehalten gegenüberzustehen. Entscheidungen auf Basis visueller Informationen entstehen oftmals spontaner und weniger kognitiv hinterfragt als reflektierte Entscheidungen, die auf abstrakten, sprachlichen Informationen aufbauen (Kroeber-Riel/Esch 2004: 154). In Phasen, in denen die Rezipienten ‘high involved’ sind, kann der Einsatz von Imagery-Techniken sogar kontraproduktiv sein, denn bei starkem Involvement kommen Einstellungen und Verhaltensabsichten vor allem durch sprachliche Sachinformationen zustande (Kroeber-Riel 1993: 226; vgl. Liu 1986). Hier unterstützen visuelle Kommunikationsinhalte die sachliche Informationsvermittlung insofern, als dass sie für eine bessere Erinnerung sorgen (Luck/Hollingworth 2008; vgl. Snyder 1994), womit die assoziierten Einstellungen salienter und verhaltenswirksamer werden (ebenda). Gleichzeitig werden durch den Einfluss visueller Informationen die emotionalen Einstellungskomponenten verstärkt (vgl. Kroeber-Riel 1993: 226). Andererseits hat Visuelle Kommunikation auch Einschränkungen: Die “Gedankenoperationen des Fragens und des Antwortens“ sind bildresistent, vielleicht auch das abstrakte Denken an sich (Brandt 2009: 7-8). Auch können Abbilder keine Negationen ausdrücken. Ein konkreter Sachverhalt kann im Abbild nicht verneint werden. Im erweiterten Bildbegriff ist dies hingegen möglich; etwa ist mit einem durchgestrichenen Symbol das Verbot zu visualisieren „Du darfst nicht…“ (wie dies etwa bei Verkehrszeichen oder Nichtraucherschildern häufig der Fall ist). Allerdings geben Visualisierungen „nie sämtliche Qualitäten“ des Dargestellten wieder (Posner/Schmauks 1998: 23), denn wie alle Darstellungen nutzen sie Verallgemeinerungen, Vereinfachungen und visuelle Schemata. Damit sind sie nur bedingt dazu geeignet, abstrakte, quantifizierende und detailreiche Sachinformationen zu kommunizieren (vgl. Pandel 2009: 12). Information über Reformprogramme oder Gesetzesänderungen lassen sich daher ebenso schwierig visuell kommunizieren wie abstrakte Begriffe wie Krise, Identität, Kausalität oder Konsequenz – diese lassen allenfalls über Metaphern, Symbole oder Analogien transportieren. Entsprechend kann man „nicht in Bildern die Gesetzmäßigkeiten von Maximen prüfen oder das Sollen darstellen“ (Brandt 2009: 8). Auch die Darstellung von Prozessen oder Entwicklungen ist kaum möglich, da im (Einzel-)Bild jede Darstellung fixiert ist, zeitlos eingefroren wird, das Bild eine Gleichzeitigkeit des Dargestellten assoziiert (Pandel 2009: 12). Durch diese Überlegungen wird das Potential Visueller Kommunikation aber nicht negiert, sondern vielmehr im Vergleich zur Sprache weiter differenziert. Denn was wäre, vergleichen mit Sprache, „ihr Mehrwert, wenn Bilder alles können würden?“ (Pandel 2009: 10). Insofern ist die spezifische Wirkungslogik Visueller Kommunikation bei der Infor-
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Grundlegende Prozesse (Visueller) Wahrnehmung und Informationsverarbeitung
mationsvermittlung zu berücksichtigen, ist ebenso spezifisch und der jeweiligen Kommunikationssituation angemessen, einzusetzen (Kroeber-Riel 1993: 13). Vor dem Hintergrund der beschriebenen kommunikativen Veränderungen kann es hierbei als Herausforderung und Notwendigkeit des Politischen Kommunikationsmanagements angesehen werden, einen Transfer vom abstrakten und komplexen Thema zum ‘anschaulichen’ Modus Visueller Kommunikation zu leisten. 2.3 Grundlegende Prozesse (Visueller) Wahrnehmung und Informationsverarbeitung Der Prozess Visueller Wahrnehmung stellt sich als ein äußerst komplexes und vielschichtiges Netzwerk dar. Obwohl der Untersuchungsgegenstand der Visuellen Wahrnehmung seit jeher eine gewisse Sonderstellung in der Erforschung der ‘Mensch-Umwelt-Interaktion’ eingenommen hat (vgl. Müsseler 2008: 16), ist die Faszination, die „Visuelle Intelligenz“ der menschlichen Wahrnehmung zu entschlüsseln, bis heute ungebrochen (vgl. Hoffman 2001; Pettersson 1985; 1993). Dennoch sind noch nicht alle Zusammenhänge und Wirkungsmechanismen vollständig erforscht; insbesondere die Interaktion der verschiedenen Prozesse ist noch wenig fundiert. Es ist daher eine Herausforderung, die für das Verständnis der Visuellen Kommunikation, ihrer Wahrnehmung, ihrer Funktions- und Wirkungslogik zentralen Mechanismen zusammenzustellen. Es kann hier aber kaum darum gehen, den Komplex Visueller Wahrnehmung abschließend zu behandeln. Vielmehr soll ein interdisziplinärer Überblick über die zentralen, für den Untersuchungsbereich relevanten, Befunde gegeben werden. Dies ist notwendig, da die Wirkung (Visueller) Politischer Kommunikation entscheidend durch Prozesse der menschlichen Informationsaufnahme und -verarbeitung determiniert wird (vgl. Große Holtforth 2000: 19). Dennoch hat die Politik- und Kommunikationswissenschaft diese Prozesse bis heute weitgehend aus der wissenschaftlichen Betrachtung und Analyse ausgeklammert; dies gilt insbesondere auch für den Forschungsbereich der Visuellen Kommunikation (vgl. Geise 2011). Exemplarisch wies Donsbach (1991: 30) kritisch darauf hin, dass sich die Politik- und Kommunikationswissenschaft in ihren bisherigen Ansätzen „nur selten mit den Voraussetzungen des menschlichen Wahrnehmungsapparates befasst. Stattdessen behandelte[n] sie diese Voraussetzungen als eine black box, deren Erforschung man anderen Fächern, vor allem der Psychologie und der Neurophysiologie, überließ.“
Für die hier zugrunde liegenden Fragestellungen stellt die Auseinandersetzung mit der interdisziplinären „black box“ der menschlichen Wahrnehmung und Informationsverarbeitung aber nicht nur einige entscheidende Facetten bereit; sie ist vielmehr konstitutiv. Daher werden die grundlegenden Prozesse der (Visuellen) Wahrneh-
Grundlegende Prozesse (Visueller) Wahrnehmung und Informationsverarbeitung
73
mung und der weiteren Informationsverarbeitung in die Betrachtung einbezogen. Dies erfordert eine Integration verschiedener Betrachtungsebenen: Beginnend mit den klassischen Theorien der Allgemeinen Wahrnehmungspsychologie (vgl. Kapitel 2.3.1), werden grundlegende Erkenntnisse und Modelle der klassischen Wahrnehmungspsychologie vorgestellt, die auch Aspekte wie Aktivierung und Aufmerksamkeit, den Übergang von affektiver zu kognitiver Wahrnehmung oder Theorien der Informationsverarbeitung umfassen (vgl. Kap. 2.3.1 bis 2.3.5). Dann stehen spezifische Prozesse Visueller Wahrnehmung und Informationsverarbeitung im Mittelpunkt der Betrachtung (vgl. Kap. 2.4). Neben der Betrachtung zentraler Befunde einer genuinen Psychologie der Bildwahrnehmung bzw. des Bildverstehens (vgl. Kapitel 2.4.1) finden auch Prozesse bzw. Theorien der spezifischen Bildverarbeitung Beachtung (vgl. Kap. 2.4.2 bis 2.4.5). Auf diese Weise wird eine, keinesfalls vollständige oder abschließende, aber doch angemessene, ganzheitliche Perspektive für das Verständnis und die Analyse Visueller Kommunikation erarbeitet. Im Ergebnis leistet diese interdisziplinäre Perspektive einen Beitrag, die Funktionslogik Visueller Kommunikation wissenschaftlich zu beschreiben und in ihren spezifischen Medienwirkungen zu verstehen. Bevor der inhaltliche Einstieg in den Bereich der Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsprozesse beginnt, ist noch eine grundlegende Tatsache zur Analyse der Aufnahme und Verarbeitung aller sensueller Informationen zu betonen: Die Steuerung der Aufmerksamkeit, der Prozess der (Visuellen) Wahrnehmung und die Informationsverarbeitung durch den Rezipienten werden gleichermaßen durch die Eigenschaft des Reizes (einschließlich des Absenders), die Eigenschaften des Rezipienten sowie die Eigenschaften der Rezeptionssituation beeinflusst. Vor diesem Hintergrund (Kroeber-Riel/Weinberg 2003: 500) ist bei einer Analyse der Kommunikation „zwischen den beobachtbaren Stimuli der Kommunikation und den intervenierenden Prozessen von Sender und Empfänger zu trennen“. Auf der Seite des Reizes sind vor allem emotional-affektive und physische Eigenschaften von Bedeutung, während auf der Rezipientenseite individuelle Prädispositionen wie (politische) Identifikation, (Vor-)Wissen, Erfahrungen und Interessen entscheidende Faktoren sind. Sowohl die Eigenschaften des Reizes als auch die Prädispositionen des Rezipienten wirken intervenierend auf die Decodierung, Interpretation und weitere Verarbeitung der wahrgenommenen Reize und beeinflussen damit ihre (Medien-)Wirkungen. Die Kommunikationssituation bringt mit weiteren Kontextfaktoren (z.B. Aktivierung, Aufmerksamkeit oder Involvement) zusätzliche Wahrnehmungsbedingungen ein. Um den Wahrnehmungsprozess besser verstehen, methodisch untersuchen und letztlich auch steuern zu können, erscheint es angebracht, die zugrunde liegenden Vorgänge im Organismus, die zu einer Decodierung führen bzw. die hier intervenierenden Prozesse, im weiteren Verlauf näher zu betrachten. Als Erklärungsansätze werden dazu im Laufe dieses Kapitels (vgl. ab Kapitel 2.3.5.1) exemplarisch die Schematheorie, das Involvement-Konzept, das Hemisphären-Modell
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Grundlegende Prozesse (Visueller) Wahrnehmung und Informationsverarbeitung
sowie das Elaboration Likelihood Model dargestellt und auf ihren Beitrag zum Verständnis überprüft.
2.3.1
Der klassische Wahrnehmungsprozess
Wahrnehmung zählt in der klassischen Definition zu den kognitiven Determinanten der Kommunikation, zu denen auch das Lernen und Erinnern gehören. Wahrnehmung lässt sich allgemein als ein Prozess definieren, durch den ein Individuum aus der Umwelt eingehende Kommunikationsinhalte auswählt, ordnet und interpretiert. Damit kann Wahrnehmung als Informationsverarbeitungsprozess interpretiert werden, durch den das Individuum Kenntnis von sich selbst und von seiner Umwelt erhält (Kroeber-Riel/Weinberg/Gröppel-Klein 2009: 390). Mit Blick auf die Selektivität von Wahrnehmung sieht Donsbach (1991: 30-31) Wahrnehmung als einen „Umsetzungs- und Selektionsprozess“, bei dem der Rezipient „relevante und irrelevante Informationen in seiner Umwelt sortiert und entsprechend seiner eigenen Prädispositionen verarbeitet“. Die Kommunikationsinhalte werden allgemein als Reize oder als Informationen bezeichnet; wobei die ehemals postulierte Unterscheidung zwischen kognitiven und emotionalen bzw. affektiven Informationen (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg 2003: 499) heute nicht mehr aufrechtzuerhalten ist. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Emotionen eine intervenierende und moderierende Funktion auf Wahrnehmungsprozesse und kognitive Prozesse ausüben bzw. sogar in diese übergehen (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg/Gröppel-Klein 2009: 99; Sokolowski 2008; Scherer 2005; Edelmann 2000; vgl. Kapitel 2.3.3). Die Wahrnehmung umfasst das sensorische Registrieren des Reizes, die Strukturierung und Verarbeitung sowie die Interpretation des Reizes. Der Wahrnehmungsprozess lässt sich demnach in drei Stufen einteilen: Erstens Empfinden, zweitens Organisieren, schließlich drittens Identifizieren und Einordnen (im Sinne von Erkennen; Anderson 2001: 53). Empfinden kann hierbei spezifiziert werden als der Vorgang, in dem durch Stimulation der Sinnesrezeptoren neuronale Impulse erzeugt werden, die Vorgänge innerhalb oder außerhalb des menschlichen Körpers repräsentieren (vgl. Zimbardo/Gerrig 2008: 108; Anderson 2007). Die Empfindung mündet in ein Perzept, eine interne Repräsentation des Wahrnehmungsreizes. Mit dem Perzept werden sensorische Merkmale wie Farben, Formen, Kanten oder Linien in mentale Strukturen übersetzt. Grundlage der Integration und Kombination der Reizmerkmale ist die perzeptuelle Organisation, die das mentale Vorwissen mit der aktuellen sensorischen Wahrnehmung und dem Wahrnehmungskontext zusammenführt (vgl. Anderson 2001: 49). Die perzeptuelle Organisation markiert den Übergang zu Identifikation und Einordnung bzw. Wiedererkennung, der dritten Stufe im Wahrnehmungsgeschehen. In diesem Schritt werden den Perzepten Bedeutungen zugewiesen. Die Wahrnehmung mündet in die Verarbeitung der Sinnes-
Grundlegende Prozesse (Visueller) Wahrnehmung und Informationsverarbeitung
75
informationen, weshalb Zimbardo und Gerrig (2008: 109) formulieren, die Wahrnehmungsfrage („Wie sieht dieses Objekt aus?“) gehe in die Frage der Identifikation („Was ist das für ein Objekt?“) und damit in die Frage der Wiedererkennung („Was ist die Funktion dieses Objekts?“) über. Obwohl die skizzierten Stufen in der klassischen Wahrnehmungspsychologie den Wahrnehmungsprozess beschreiben, wird deutlich, dass Wahrnehmung und Verarbeitung nicht getrennt voneinander zu betrachten sind. Die dritte Stufe im Wahrnehmungsprozess setzt bereits höhere kognitive Verarbeitungsleistungen voraus (vgl. Zimbardo/Gerrig 2008: 109). Dies impliziert, dass sich die Prozesse der Wahrnehmung und Informationsverarbeitung in realiter nicht als lineare Wirkungskette begreifen lassen, wie es die klassische unterstellt. Im Folgenden werden daher einige Differenzierungen vorgestellt, die für das Verständnis der komplexen Interaktionsprozesse von Wahrnehmung und Informationsverarbeitung bedeutsam sind.
2.3.2
Wahrnehmung als Aufmerksamkeits- und Aktivierungsprozess
Am Anfang des Wahrnehmungsprozesses, vor jeder Möglichkeit der sensorischen Registrierung und Verarbeitung eines Reizes, steht die Aufmerksamkeit; sie lässt sich als eine „notwendige Bedingung für eine erfolgreiche Kommunikation“ interpretieren (Große Holtforth 2000: 19). (Visuelle) Aufmerksamkeit ist ein Konstrukt, mit dem die grundsätzliche Bereitschaft eines Individuums umschrieben wird, (visuelle) Kommunikationsinhalte bzw. Reize aus der Umwelt aufzunehmen (KroeberRiel/Weinberg 2003: 499; Bundesen/Habekost 2008; Jenkins/Harris 2001). Ganz allgemein bezeichnet Aufmerksamkeit die „Konzentration der mentalen Anstrengung auf sensorische oder mentale Ereignisse“ (Solso 2005: 79); sie ist damit Grundlage jeder weiteren Handlungsentscheidung (vgl. Jones 1994: 64; vgl. Große Holtforth 2000: 20). Aufmerksamkeit kann spezifischer als „momentane, bewusst selektive Zuwendung einer Person zu einem dargebotenen Reiz oder Reizbündel“ (Steffenhagen 1984: 86; Jenkins/Harris 2001: 3) interpretiert werden. Hierbei lassen sich zwei grundsätzliche Typen von Aufmerksamkeit differenzieren (Proulx 2007; Yantis 2002): Eine vom Individuum intendierte endogene Aufmerksamkeit, mit der sich der Rezipient bewusst und zielorientiert einem bestimmten Reiz zuwendet, sowie eine unwillkürliche, primär reizgesteuerte, stimulusbasierte exogene Aufmerksamkeit (Große Holtforth 2000: 21; vgl. Proulx 2007; Brouwer 1998; Barnard/Breeding/Cross 1984). Unabhängig von der Motivation dient Aufmerksamkeit dazu, sich aus einer großen Menge an unbewusst einströmenden Informationen einer kleinen Menge an bewusst werdenden Informationen zuzuwenden: „Attention is the preferential processing of some items to the detriment of others” (Findlay/Gilchrist 2003: 3). Damit verbunden ist eine zentrale Doppelfunktion von Aufmerksamkeit. Bei erhöhter Aufmerksamkeit für eine bestimmte Menge an In-
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Grundlegende Prozesse (Visueller) Wahrnehmung und Informationsverarbeitung
formationen, wird die Aufmerksamkeit und Informationsverarbeitung für andere Informationen gezielt unterdrückt: „Attention implies selectivity” (Findlay/Gilchrist 2003: 3; selektive Aufmerksamkeit; vgl. Krummenacher/Mühlenen/Müller 2005: 13; Felser 2007: 125; Goldstein/Fink 1981). Dies führt zu der weiteren Erkenntnis, dass Aufmerksamkeit einerseits begrenzt und selektiv ist, andererseits aber mit einer vorübergehenden Erhöhung der Aktivierung verbunden ist. Aktivierung ist ein „Zustand vorübergehender oder anhaltender innerer Erregung oder Wachheit“, der dazu führt, dass sich Rezipienten einem Reiz intensiv zuwenden (Kroeber-Riel/Esch 2004: 166; Kroeber-Riel/Weinberg/Gröppel-Klein 2009: 79). Aktivierung führt zur Sensibilisierung des Individuums gegenüber bestimmten Reizen (Kroeber-Riel/Weinberg/Gröppel-Klein 2009: 84-86; Goldstein/Fink 1981). Den Zusammenhang zwischen Aufmerksamkeit und Aktivierung erklärt Lachmann (2002: 21) anschaulich: „Dies ist ein Vorgang, bei dem der permanente Fluss unbewusst registrierter Reize (Scanning) durch Zuwendung zu einem Reiz unterbrochen wird“ (vgl. Anderson 2001: 85). Konkreter führt also Aufmerksamkeit zu Aktivierung. Aktivierung wiederum regt die gedankliche und emotionale Verarbeitung der Reize an und hat Auswirkungen auf die Tiefe der Verarbeitungsleistung. Diese Verstärkerwirkung der Aktivierung führt dazu, dass stark aktivierende Reize besser und länger erinnert werden (vgl. Bundesen/Habekost 2008; Goldstein/Fink 1981). Daher lässt sich die Aktivierungswirkung, neben der Messung der physiologischen Erregungsaktivitäten im Gehirn oder auf körperlicher Ebene (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg 2003: 63), indirekt auch über Recall und Recognition nachweisen.
2.3.3
Wahrnehmung als Entfaltungsprozess
Nach erfolgter Zuwendung (im Sinne von Empfinden) zum Reiz durch Aufmerksamkeit und Aktivierung erfolgt das Verstehen der Botschaft durch Decodierung (im Sinne von Identifizieren und Einordnen/Wiedererkennen). Kroeber-Riel und Weinberg (2003: 500) definieren diesen Prozess als „Zuordnung einer (subjektiven) Bedeutung zu einem Zeichen“. Es ist allerdings plausibel, dass die zugrunde liegenden Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprozesse nicht binär codiert sind, sondern sich hierbei ein gleitender Übergang von der pre-attentiven zur attentiven Wahrnehmung vollzieht. In diesem Kontext ist auf Theorien zu verweisen, die die prädisponierenden Wirkungen einer vorbewussten Wahrnehmungsphase thematisieren, die hier einen ersten intervenierenden Prozess darstellt. Hintergrund ist die Erkenntnis, dass bereits bei erster, peripherer Reizaufnahme, also ohne Fixation von einzelnen Elementen, beim Rezipienten eine erste Anmutung (von Rosenstiel/Neumann 2002: 141; vgl. Höger 1990; Uleman/Blader/Todorov 2005) als emotionale Einstimmung auf die nachfol-
Grundlegende Prozesse (Visueller) Wahrnehmung und Informationsverarbeitung
77
gende Wahrnehmung entsteht. Im Sinne einer affektiv-assoziativen Prädisposition führt diese bereits in der pre-attentiven Phase zu einer ersten Bewertung der Botschaft (vgl. Höger 1990). Dieser, wie es Kroeber-Riel (1993: 63) nennt, „emotionale Einstieg in den Wahrnehmungsvorgang“ bzw. die damit verbundene Bewertung der Wahrnehmung beeinflussen die nachfolgenden Kommunikationswirkungen. Hierbei folgt die Affekt-Kognitionstheorie der grundsätzlichen Annahme, dass Rezipienten im Rahmen ihrer selektiven Informationsaufnahme einen Zuwendungsprozess durchleben, bei dem sich ein Übergang von pre-attentiver (und eher affektiver) zu attentiver (und eher kognitiv-reflektierter) Wahrnehmung und Verarbeitung bzw. Wirkung vollzieht (vgl. Lachmann 2002). Entscheidend ist dabei die Erkenntnis, dass die erste, unbewusste Bewertung das nachfolgende Wahrnehmungs- und Bewertungsverhalten prädisponiert. Lachmann (2002: 63) fasst die Konsequenzen der Affekt-Kognitionstheorie wie folgt zusammen: „Es gibt im Wahrnehmungsprozess frühzeitige Eindrücke (d.h. bereits nach wenigen Millisekunden). Diese sind eher unbewusst. Sie können aber bereits positiv oder negativ besetzt sein. Diese frühen Eindrücke können zum Abbruch bzw. zur Fortsetzung der Betrachtung führen. Sie können auch spätere bewusste Bewertung der Vorlage beeinflussen.“
Neuere Ansätze bestätigen diese Überlegung einer pre-attentiven Prädisposition (vgl. Lachmann 2002: 63; Kroeber-Riel 1993: 63-65; Guski 2000: 78). Auch von Rosenstiel (1990: 64-72) weist auf die „Macht des ersten Eindrucks“ hin: „Häufig erfolgt bereits eine Bewertung, bevor man bewusst weiß, was man bewertet“. So zeigt er auf (1990: 64), dass Personen häufig bei kurzfristiger Darbietung angeben, den Eindruck zu haben, dass etwas Bedrohliches, Unangenehmes gezeigt worden sei, ohne dagegen sagen zu können, um was es sich dabei handelt. Besonders wirkungsstark sind in diesem frühen Stadium der Wahrnehmung die Reaktionen auf elementare visuelle Informationen wie Farben und Formen, die schematisch und schnell erfasst werden können. Dass die ersten Wahrnehmungsreaktionen in dieser preattentiven Phase aber nicht nur ein entscheidender Prädiktor für die weitergehende Bewertung einer Information, sondern auch entscheidend für die weitere Zuwendung des Rezipienten sind, fasst Donsbach (1991: 90) anschaulich zusammen: „Nach den (...) Befunden der Wahrnehmungspsychologie ist es durchaus möglich, dass [Rezipienten] in einem frühen Stadium der Aufmerksamkeit Signale in relativ einfacher Codierung so weit aufnehmen, dass sie eine Entscheidung über deren Weiterverarbeitung und über die Aufnahme zusätzlicher Informationen fällen können, dass sie aber gleichzeitig bei negativer Entscheidung keine Erinnerung an diese Signale zurückbehalten.“
Die Existenz einer pre-attentiven Wahrnehmungsphase ist auch deshalb plausibel, da Wahrnehmung sich als höchst selektiver Vorgang darstellt, bei dem „der permanente Fluss unbewusst registrierter Reize (Scanning)“ von der bewussten Zuwendung zu einem, Aktivierung und Aufmerksamkeit generierenden, Reiz unterbrochen wird
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Grundlegende Prozesse (Visueller) Wahrnehmung und Informationsverarbeitung
(Lachmann 2002: 21; vgl. Anderson 2007). Da das kognitive System nur einen geringen Prozentsatz der eingehenden Information bewusst verarbeiten kann, impliziert dies gleichzeitig, dass der überwiegende Teil pre-attentiv, peripher und damit weitgehend unbewusst verarbeitet werden muss (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg/ Gröppel-Klein 2009: 295). Als Form der „vorbewussten“ Selektion, Wahrnehmung und Verarbeitung dient das Scanning der pre-attentiven Phase der Reduktion der einströmenden Informationsmenge. Dabei ist die Idee der Existenz eines Unbewussten, das nicht über den Willen des Menschen gesteuert wird, trotzdem aber verhaltenswirksam sein kann, nicht neu; sie lässt sich bis zu Platon und Hippokrates zurückverfolgen. In der Neuzeit findet sich die Idee in der Philosophie Kants und der Psychologie Freuds, die den Dualismus eines bewussten Geistes gegen einen unbewussten Geistesteil aufgreifen. Dass damit dem autonom Handelnden ein kaum kontrollierbares „Vorbewusstsein“ gegenübergestellt wurde, wurde auch von Unbehagen und Zweifel begleitet; so pointierte Leibniz (1767: 87): „Es ist nicht leicht, sich vorzustellen, dass ein Wesen denken kann, ohne zu merken, dass es denkt.“ Möglicherweise erklärt auch die Mystifizierung des Unbewussten in der Psychoanalyse, dass die Tradition der Assoziationspsychologie Anfang des 20. Jahrhunderts nicht fortgesetzt wurde und so kaum Fortschritte im Verständnis automatisierter, pre-attentiver Prozesse realisiert wurden (vgl. Spitzer 2006; 1992). Stattdessen beschränkte sich die Analyse pre-attentiver Wahrnehmung auf die Erklärung ihrer empirischen Unüberprüfbarkeit in der komplexen „black box“ des menschlichen Gehirns (Uleman 2005: 5). Das zurückhaltende Forschungsinteresse mag aber auch in den, nach heutigem Wissen stark überinterpretierten, Ergebnissen von Vicary (1957) zur Subliminalen Wahrnehmung begründet sein, der in Veröffentlichungen behauptete, mittels unterschwelliger Botschaften in Kino-Werbung den Verkauf von Coca-Cola und Popcorn deutlich gesteigert zu haben und das Thema mit der Aufdeckung der Manipulation für die wissenschaftliche Forschung „tabuisierte“ (vgl. Spitzer 2006). In der Konsequenz ist „die Vernachlässigung der wenig bewussten und weitgehend automatisch ablaufenden Informationsverarbeitung (...) ein wesentliches Versäumnis der Konsumentenforschung“, das erst in jüngster Zeit allmählich abgebaut wird (KroeberRiel/Wein-berg/Gröppel-Klein 2009: 294). Insbesondere Fortschritte in der Neurobiologie haben in den letzten Jahrzehnten das Interesse an pre-attentiver Wahrnehmung in Form eines, auch kognitive Prozesse involvierenden, Unbewusstseins, des „cognitive unconscious“ (vgl. Kihlstrom 1987) wiederbelebt. Dem Unbewussten wird hier, anders als in den psychoanalytischen Ansätzen, keine aktive Handlungsmotivation unterstellt, vielmehr agiere es „rather cold, apparently rational“ (Uleman 2005: 5; vgl. Dijksterhuis/Bargh 2001; Dijksterhuis/Nordgren 2006; Dijksterhuis/Bos/Nordgren 2006). Im Rahmen der neueren Befunde zeichnet sich entsprechend ab, dass der Einfluss pre-attentiver Wahrnehmungsprozesse möglicherweise stärker auf Informationsverarbeitungs-
Grundlegende Prozesse (Visueller) Wahrnehmung und Informationsverarbeitung
79
und Interpretationsprozesse wirkt als ursprünglich angenommen (Dijksterhuis/Aarts/Smith 2005). So mündet die Entdeckung des „New Unconscious“ (Hassin/Uleman/Bargh 2005), das nach neuen Erkenntnissen eine Vorleistung weiter Teile der Informationsverarbeitung erbringt und hierbei sogar kognitiv reflektierte Prozesse integrieren kann (vgl. Baird/Astington 2005; Lillard/Skibbe 2005), provokativ in die Forschungsperspektive (Ulemann 2005: 6; vgl. Bargh 2005): „In fact the list of psychological processes carried out in the new unconscious is so extensive that it raises two questions: What, if anything, cannot be done without awareness? What is consciousness for?“
Auch, wenn diese Position sicherlich etwas zu relativieren ist, hat doch das Bild, das sich die Wissenschaft von pre-attentiver Wahrnehmung macht, in den letzten Jahrzehnten eine deutliche Wandlung erfahren. Zusammengefasst spricht aufgrund der Befunde einiges dafür, pre-attentive Wahrnehmungsprozesse stärker als bisher in die Analyse von Medienwirkungen zu integrieren
2.3.4
Wahrnehmung als Konstruktionsprozess
Die vorangegangenen Überlegungen implizieren bereits: Wahrnehmung basiert zwar auf der ‘objektiven’ Sinneserfahrung, doch ist jeder Wahrnehmungsprozess höchst selektiv und subjektiv (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg/Gröppel-Klein 2009: 320-322; Jenkins/Harris 2001: 3); der Mensch formt seine Wahrnehmung durch Auslassen und Ergänzen möglichst sinnvoll (Newcomb 1994: 61; vgl. Bundesen/Habekost 2008; Gordon 2004). Guski (2000: 31-33) weist daher darauf hin, dass es „keine 1:1-Beziehung zwischen physikalischer Energie und Sinnesinformation im Gehirn gibt“, sondern dass bereits auf dem Weg der Nervenleitungen ins Gehirn spezifische Umwandlungen und Verarbeitungen der Reize stattfinden. Neu eintreffende Reize erfahren eine Vielzahl von Modifikationen, bevor sie im Gedächtnis gespeichert werden. Der Wahrnehmungsprozess schließt eine Vielzahl von Einflussfaktoren und intervenierenden Vorgängen ein. Wahrnehmung kann daher niemals objektiv sein, stets konstruiert der Rezipient sich „seine eigene Realität“ (von Foerster 1995: 73; Gordon 2004). Wahrnehmung stellt sich aus dieser Perspektive als individueller Konstruktionsprozess dar. Daher folgern Kroeber-Riel, Weinberg und Gröppel-Klein (2009: 322), die Bedeutung der Subjektivität, Aktivität und Selektivität von Wahrnehmung könne nicht genug hervorgehoben werden: Wenn man Rezipientenverhalten und Kommunikationswirkungen verstehen wolle, sei vor jedes Merkmal der Ausdruck ‘subjektiv wahrgenommen’ zu setzen. In diesem Zusammenhang erscheint es fruchtbar, auf die Theorie der kognitiven Dissonanz von Festinger (1957; 1964) zu verweisen, die, auch basierend auf zahlreichen Anschlussforschungen, bis heute zu den zentralen sozial- und kognitionspsy-
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chologischen Konzepten zählt (vgl. Aronson/Wilson/Akert 2009; Cooper 2007; Frey/Gaska 2001; Harmon-Jones/Mills 1999). Ausgehend von der konsistenztheoretischen Idee (Frey/Gaska 2001: 276; vgl. Aronson/Wilson/Akert 2009), dass Personen Konsonanz, d.h. ein Gleichgewicht ihres kognitiven Systems, anstreben und Dissonanz, d.h. Ungleichgewicht ihres kognitiven Systems, vermeiden oder reduzieren, sind die Grundannahmen Festingers (1957: 3): „The existence of dissonance, being psychologically uncomfortable, will motivate the person to try to reduce the dissonance and achieve consonance. When dissonance is present, in addition to trying to reduce it, the person will actively avoid situations and information which would likely increase the dissonance.“
Kognitive Dissonanz wirkt demnach wie ein Treiber in dem Bestreben, die Dissonanz zu reduzieren: „People who are in the throes of inconsistency are driven to resolve their inconsistency“ (Cooper 2007: 3). In der Konsequenz wird Wahrnehmung von Individuen in „sinnvoller Weise“ strukturiert, da jedes Individuum nach einem Zustand innerer Harmonie (Konsonanz) strebt. Geraten Kognitionen, die Festinger (1957: 11, 3) allgemein als „cognitive elements“ oder „cognition“ definiert (z.B. Meinungen, Werte, Wissen, Gefühle, Einstellungen, Glaubensweisheiten) in ein Ungleichgewicht, also in eine kognitive Dissonanz, und stehen diese Kognitionen in einer relevanten Beziehung zueinander (Festinger 1957: 9), besteht für ein Individuum eine starke Motivation, diese Dissonanz abzubauen (Festinger 1957: 3; Frey/Gaska 2001: 277). Von relevanten dissonanten Beziehungen ist vereinfacht auszugehen, wenn aus Sicht des Individuums aus der einen Kognition das Gegenteil der anderen folgt, ohne dass neue Kognitionen hinzukommen (Festinger 1957: 1314). Die Höhe der Dissonanz ist von zwei Faktoren abhängig: Vom Verhältnis der dissonanten zu den konsonanten Kognitionen (Festinger 1957: 16) und von der subjektiven Wichtigkeit der dissonanten Kognitionen (Festinger 1957: 18). Je höher die Anzahl und die Wichtigkeit der dissonanten Kognitionen für das Individuum, desto größer ist die Dissonanz (Festinger 1957: 18). Eine Reduktion der Dissonanz ist möglich durch Anpassung bzw. Modifikation der bestehenden Kognitionen oder der daraus resultierenden Handlungen oder Empfindungen – „Our behavior and feelings are frequently modified in accordance with new information“ (Festinger 1957: 19) –, Änderung der die Dissonanz verursachenden Umweltbedingungen (Festinger 1957: 20), Aufnahme neuer Kognitionen, die konsonanzfördernd oder dissonanzreduzierend wirken (Festinger 1957: 21), Vermeidung oder Verdrängung dissonanter Kognitionen sowie Austausch von dissonanten durch konsonante Kognitionen (Festinger 1957: 22-23; vgl. Festinger/Carlsmith 1959; Frey/Gaska 2001; Cooper 2007). Der Widerstand einer Kognition gegen derartige Modifikationen ist dabei vor allem von der Anzahl der Kognitionen abhängig, die mit der Kognition konsonant verbunden sind (Festinger 1957: 24): Je größer die Anzahl konsonanter Relationen einer Kognition zu anderen Kognitionen, desto änderungsresistenter ist
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die Kognition und desto schwieriger kann sie zur Dissonanzreduktion modifiziert werden (Festinger 1957: 24-25). Die „lense of cognitive dissonance“ (Cooper 2007: 157) kann hilfreich sein, um (strategische) Kommunikationsprozesse und ihre Konsequenzen besser verstehen und mögliche Probleme, Irritationen und „Dissonanzen“ vermeiden zu können. Übertragen auf die Überlegungen zu Wahrnehmung als ein Konstruktionsprozess lässt sich feststellen, dass Situationen kognitiver Dissonanz in Kommunikationsund Wahrnehmungsprozesses häufig auftreten können, wenn es etwa zu einer Divergenz zwischen den kommunizierten Inhalten und den bereits beim Rezipienten verankerten kognitiven Strukturen kommt. Bei zunehmender Komplexität der Umweltsituation ist von einer Erhöhung der Wahrscheinlichkeit einer Situation kognitiver Dissonanz auszugehen. So erschweren die Vielzahl von Kommunikationsalternativen, die Informations- und Reizüberflutung durch Medien oder die sich häufig widersprechenden Kommunikationsbotschaften die Konzentration auf eindeutig konsonantes Verhalten. Neben dem Bestreben, im Wahrnehmungsprozess kognitive Dissonanzen zu vermeiden, gehen besonders starke Auswirkungen auf Wahrnehmungsprozesse von so genannten Motivationskonstellationen aus, da Individuen dazu neigen, die Wahrnehmung an individuelle Hoffnungen und Bedürfnisse anzupassen. Im Kontext Politischer Kommunikation scheint der zugrunde liegende Mechanismus ebenfalls stark. Dieses Phänomen kann sich darin begründen, dass sich der Großteil der politischen Botschaften einerseits als recht komplex und zugleich abstrakt darstellt, so dass ein recht großer Assimilationsspielraum besteht. Gleichzeitig erscheinen viele politische Entscheidungen andererseits mit essentiellen Motiven der Bürger verknüpft (Einkommen, Arbeitsplatz, Steuerlast, Sicherheit), die, insbesondere bei persönlicher Betroffenheit, zu einer starken Motivkonstellation führen können, was wiederum eine stärkere Adaption im Wahrnehmungsprozess wahrscheinlich macht. Dies ist aber empirisch noch zu überprüfen (vgl. Newcomb 1994: 61). Hier bietet die Theorie der Kognitiven Dissonanz zwar einen Erklärungsansatz für das auftretende Phänomen, unbeantwortet bleibt allerdings die Frage, ab wann eine Dissonanz vom Rezipienten als so gravierend empfunden wird, dass die beschriebenen Prozesse nicht wirken und stattdessen Assimilationsprozesse aktiviert werden, mit denen beispielweise eine Verzerrungen der Wahrnehmung über eine implizite Veränderung der Erwartungsstruktur eintritt. Hierbei sind verschiedene Wahrnehmungsanpassungen denkbar: Veränderung der Erwartungsstruktur, Veränderung der Wahrnehmung in Form von Auf- oder Abwertung, Neutralisierung oder Ablehnung der Wahrnehmung und schließlich Manipulation der Wahrnehmung durch dissonanzreduzierende Elemente (Assimilationstheorie; vgl. Felser 2001; 2007; Beckmann/Mattenklott 1998). Im Rahmen eines Konstruktionsprozesses assimilieren Rezipienten bei ihrer Wahrnehmungsbeurteilung also diejenigen Faktoren, die nicht mit ihren Erwartungen übereinstimmen, um einen Zustand der Konsonanz zu erreichen. Als Kontrasteffekt ist bei
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Nicht-Bestätigung der Erwartung auch eine andere Möglichkeit der Wahrnehmungskorrektur gegeben: die Übertreibung der wahrgenommenen Differenz (vgl. Felser 2001; 2007). Es ist daher differenziert zu prüfen, inwieweit Erwartungen auf die Konstruktion von Wahrnehmung einwirken.
2.3.5
Wahrnehmung und Informationsverarbeitung
Im Rahmen des sich entfaltenden Zuwendungsprozesses, bei dem der Übergang von pre-attentiver zu attentiver Wirkung vollzogen wird, folgt mit der Identifikation und Einordnung eine Phase der Wahrnehmung, die unmittelbar in die Phase der Informationsverarbeitung übergeht. Identifikation und Einordnung des Reizes sind nur deshalb möglich, weil die mentale Übersetzung des Reizes mit bereits bestehenden Übersetzungen bzw. Übersetzungsmustern verglichen wird (Klassifikation). Grundlage für die Verarbeitung und Zuordnung des Reizes ist demnach der Vergleich mit bereits im Gehirn gespeicherten Informationen (vgl. Anderson 2001: 49; Pinker 1986). Identifikation und Einordnung dienen der Interpretation der wahrgenommenen Reize und bilden die Grundlage für alle nachfolgenden Prozesse der Informationsverarbeitung. Dies impliziert bereits, dass die relevanten Prozesse der Wahrnehmung und Informationsverarbeitung nicht sequentiell-linear voneinander abzugrenzen sind, sondern eine integrative Betrachtung voraussetzen. Die oft vorgenommene analytische Differenzierung beider Phänomene erweist sich als wirklichkeitsfern und erschwert häufig das Verständnis. Daher wird hier die Erkenntnis zugrunde gelegt, dass Wahrnehmung und Verarbeitung nicht nur stufenlos ineinander übergehen, sondern sich auch wechselseitig bedingen. Gleichzeitig legen die bisherigen Überlegungen nahe, dass Wahrnehmung und Interpretation der sensorischen Reize als konstruktive Prozesse zu verstehen sind (vgl. Bless/Schwarz 2002: 258), an denen außer des direkten sensorischen Reizes noch weitere Informationen, in Form von Wissen, Assoziationen oder Eindrücken, beteiligt sind (vgl. Pinker 1986). Neben den Erkenntnissen einer pre-attentiven Prädisposition münden diese Annahmen in die Schematheorie als Erklärungsansatz kognitiver Informationsverarbeitung. 2.3.5.1
Die Schematheorie
Die Schematheorie lässt sich als eine kognitive Lerntheorie einordnen, nach der der Aufbau von Wissensstrukturen durch Lernprozesse erfolgt, die wiederum den Aufbau bzw. die Ergänzung oder Veränderung der Wissensstrukturen bedingen (vgl. Bredenkamp 1998; Shaw 1990; Axelrod 1973; Lord 1980). Konkret geht die Sche-
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matheorie davon aus, dass im Gedächtnis Schemata als ‘genormte’ Vorstellungen gespeichert sind (Bartlett 1967: 201; vgl. Axelrod 1973), die typische Eigenschaften eines Sachverhaltes verketten und eine rasche Entschlüsselung der aufgenommenen Informationen bedingen (Hochberg/Peterson 1989: 45; Shaw 1990). Schemata ermöglichen eine effiziente Selektion, Interpretation und Speicherung von aufgenommenen Informationen. Der Schemabegriff wird zurückgeführt auf Untersuchungen von Bartlett (1967: 197-241), der die Rolle aktiver Konstruktionsprozesse im Rahmen der Informationsverarbeitung betonte. Für Bartlett (1967: 201) ist ein Schema zu interpretieren als „active organisation of past reactions, or of past experiences, which must always be supposed to be operating in any well-adapted organic response“. Das Gedächtnis sieht er nicht als passives Speicherinstrument, sondern als Ort der aktiven Konstruktion von Wissen auf der Basis von Vorwissen, das in Form von allgemeinen Wissensstrukturen, den Schemata vorliegt (Bartlett 1967: 197-214; vgl. Bless/Schwarz 2002: 257). Schemata sind für Bartlett (1967: 201) eine mentale und höchst aktive Form des „organised setting“: „the organised mass results of past changes of positions and posture are actively doing something all the time“. Als aktive kognitive Repräsentationen geben Schemata die jeweils wichtigsten Merkmale ihrer Basis einschließlich der zeitlichen, räumlichen und kausalen Beziehungen und Hierarchien wieder, die zwischen diesen Merkmalen bestehen (vgl. Hochberg/Peterson 1989: 45). Zudem weisen einzelne Schemata Verbindungen untereinander auf, was dazu führt, dass bei Aktivierung eines Schemas jeweils dem Schema verbundene Bedeutungseinheiten ‘mitaktiviert’ werden und dem Rezipienten als ‘semantische Netzwerke’ assoziativ verfügbar sind. Damit sind Schemata eine gedächtnisrelevante Repräsentation von Wissen auf einem „höheren Abstraktionsniveau als die Erinnerung an konkrete Ereignisse“ (Bless/Schwarz 2002: 259; Shaw 1990). Die damit verbundene Selektion und Abstraktion von Informationen bedingen eine enorme Reduktion der zu speichernden Inhalte, weshalb Bredenkamp (1998: 85) von einer „sehr ökonomischen Form der Informationsverarbeitung“ spricht. Dabei lassen sich drei Prozesse identifizieren, die zum Erwerb oder zur Veränderung von Schemata führen können: Beim Wissenszuwachs als assimilativer Prozess wird ein vorhandenes Schema selbst nicht verändert, sondern es werden vorhandene Schemastrukturen mit neu erworbenen Strukturen vervollständigt. Bei dem Prozess der Feinabstimmung wird ein vorhandenes Schema graduell verändert, während es sich bei einer Schemainduktion um einen Prozess handelt, bei dem neue Informationen aufgenommen werden, die zu einer vollständigen Umstrukturierung vorhandener Schemata führen. Die Decodierung von (neuen) Informationen erfolgt nach der Schematheorie demnach konzeptgesteuert. Die zugrunde gelegten kognitiven Konzepte bzw. Schemata beeinflussen maßgeblich, wie und inwieweit die neuen Informationen aufgenommen, verarbeitet, eingeordnet und interpretiert werden. Die Relevanz der Schematheorie liegt damit in der Aufdeckung und Erklärung der konzeptgesteuer-
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ten Verarbeitung, die als zentrales Element fast aller kognitiven Prozesse angesehen wird (vgl. Bless/Schwarz 2002: 273-274; Bredenkamp 1998: 103; Lord 1980; Shaw 1990). Entsprechend wirkt sich die „Aktivierung von Schemata auf ein breites Spektrum von kognitiven Prozessen, wie Encodierung, Urteile, Schlussfolgerungen, Erinnerungen, aber auch soziales Verhalten“ aus (Bless/Schwarz 2002: 265). Durch die Grundlegung der Schematheorie lässt sich im Kontext Visueller Kommunikation erklären, warum Bilder so schnell und so automatisch wahrgenommen und verarbeitet werden können: Beim Betrachten eines Bildes läuft blitzschnell, und meist ohne kognitive Kontrolle, ein Mustervergleich ab. Die visuellen Eigenschaften des aufgenommenen Bildes werden mit den visuellen Schemaattributen verglichen, was eine extrem schnelle Einordnung und Interpretation der Information ermöglicht: „Ein Bild wird schnell erkannt, wenn es dem im Gedächtnis gespeicherten Schema entspricht. Abweichungen regen (wenn sie nicht zu groß sind) zu einer etwas längeren Bildbetrachtung und zu einer gedanklichen Beschäftigung mit dem Bild an“ (Kroeber-Riel 1993: 54; vgl. Lord 1980; Engelkamp 1998).
Ist die visuelle Botschaft schemakongruent, kann der Rezipient sie unmittelbar in die vorhandenen visuellen Vorstellungen einordnen (vgl. Maas 1995) und den Wahrnehmungsvorgang erfolgreich abschließen. Bei einer Abweichung werden gedankliche Aktivitäten angeregt, die in der Werbung oft bewusst als ‘Überraschungseffekte’ intendiert sind. Sobald die Schemainkongruenz aber zu stark ist, kommt es beim Rezipienten zu Missverständnissen oder Irritationen, die meist nicht zu einer längeren gedanklichen Auseinandersetzung führen, sondern zu Dissonanzen und Kontaktabbruch. Sind visuelle Botschaften völlig schemafremd und nicht mit einer speziellen Wahrnehmungsmotivation verknüpft (wie etwa beim Betrachten abstrakter Kunst), haben sie für den Betrachter eine geringe Aussagekraft. Sie werden entsprechend schlecht beachtet und kaum erinnert. Für die Prägnanz Visueller Kommunikation ist diese Erkenntnis von besonderer Wichtigkeit. Einerseits leitet sich aus dieser Überlegung ab, dass die Verständlichkeit von Bildkommunikation wesentlich von der Kongruenz mit vorhandenen visuellen Schemata der Rezipienten abhängt (vgl. Kroeber-Riel/Esch 2004: 244), andererseits lässt sich folgern, dass die Schemavorstellungen auch visuelle Erwartungen prägen, die die Visuelle Kommunikationsstrategie nutzen kann. Zur Relevanz im Bereich des politischen Marketing und der Politischen Kommunikation lässt sich in Anlehnung an Bruhn folgern, dass politische Akteure auf Basis der Überlegungen zur Schematheorie „durch eine Steuerung der neuen Informationen bzw. eine spezielle Ausgestaltung der Kommunikationsmaßnahmen den Prozess der Informationsaufnahme, -verarbeitung und -speicherung aktiv beeinflussen [können], wenn sie sich an einigen wesentlichen Empfehlungen orientieren“ (Bruhn 2003: 38; vgl. 2009: 52-55).
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Die vorgestellten Überlegungen zur Schematheorie setzen voraus, dass ein Rezipient bereits über ein klares Schema zu den jeweiligen Kommunikationsinhalten verfügt und auch darauf zugreift. Ist diese Prämisse erfüllt, beeinflusst das vorhandene, aktivierte Schema nachfolgend, wie schnell der Rezipient die Botschaft wahrnimmt, was er damit genau wahrnimmt und wie die wahrgenommenen Informationen von ihm interpretiert werden (vgl. Esch 1999: 94). Das symbolische Vorverständnis zur Interpretation muss beim Rezipienten aber nicht zwangsläufig vorher vorhanden sein; es lässt sich, etwa durch Konsistenz und Wiederholung im kommunikativen Kontakt, auch aufbauen. Ziel der Kommunikationsstrategie kann zudem sein, die Effizienz im Kommunikationsprozess mittels Schemakongruenz zu erhöhen. Im Einzelfall kann es dabei durchaus auch interessant sein, intendiert vom symbolischen Vorverständnis der Rezipienten abzuweichen, um ein kreiertes Schema zu verankern oder durch ‘Spiel’ mit dem Vorverständnis Aufmerksamkeit oder Involvement zu generieren. Insbesondere Strategien der kommerziellen Markenführung und des Brand Managements machen sich diese Prozesse zu Nutze (vgl. Wedel/Pieters 2007). So lautet eine vielfach angewandte Werberegel: „Triff das Schema, aber weiche in Details davon ab“ (vgl. Lachmann 2002: 59; vgl. Kroeber-Riel/Esch 2004: 246-248). Prominentes Beispiel aus der Konsumgüterindustrie dafür ist die lila Kuh von Milka, die das ‘Alpen-Schema’ grundsätzlich trifft, in einem entscheidenden Detail aber vom Schema abweicht, nämlich in der aufmerksamkeitsstarken Schemainkongruenz der Farbmodifikation. Im Kontext Politischer Kommunikation sind derart prominente und kunstvoll inszenierte Schema-Brüche kaum zu finden; einige nicht ganz so prägnante Beispiele für die grundlegende Strategie lassen sich aber dennoch finden. So zeigte beispielsweise ein CDU-Plakat aus dem Europawahlkampf 2004 ein Lebkuchenherz, das aber in einem entscheidenden Detail verändert wurde: Es wurde zerbrochen (vgl. VS PLUS „Wahlplakate“ Abb. 1; kann auf der Homepage des VS Verlags unter folgendem Link im Original eingesehen werden: http://www.vsverlag.de/Buch/978-3-531-17819-6/Vision-that-matters.html). Damit spricht es zwar die gängigen Schemavorstellungen zum Schema ‘Herz’ an, wird aber gleichzeitig zu einer Metapher für die mangelnde Integrität des politischen Gegners. Hier wird deutlich, dass Schemata als mentale Konzepte nicht nur die Einordnung im Sinne des Erkennens erleichtern, sondern auch die Einordnung im Sinne des Interpretierens modifizieren können. Die Schematheorie steht daher in enger Verbindung zu Prozessen des strategischen, perzeptiven und applikativen Framings.
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2.3.5.2
Framingprozesse: Strategisches, perzeptives und applikatives Framing
Enge Bezüge zur kognitionspsychologisch verankerten Schematheorie weist das Framing-Konzept auf (vgl. Kap. 2.3.5.1). Oft werden Frames dem Schema ähnlich definiert oder synonym verwendet (vgl. Scheufele 2003: 45; Bonfadelli 2004a: 130; Dahinden 2006: 35; Matthes 2007: 92). Brosius und Eps (1993: 516) legen einen Frame entsprechend als „Interpretationsschema“ aus; dieser erlaubt dem Individuum, neue Informationen rasch sinnvoll einzuordnen und effizient zu verarbeiten (vgl. Scheufele 2003: 46; Iyengar/Simon 1993). Nach der viel zitierten Definition von Entman (1993: 52) ist Framing: ,,To frame is to select some aspects of a perceived reality and make them more salient in a communicating text, in such a way to promote a particular problem definition, causal interpretation, moral evaluation, and/or treatment recommendation for the item described.“
Framing wird demnach als Vorgang oder Strategie bezeichnet, mit der bestimmte Interpretationsmuster oder Frames besonders betont bzw. salient gemacht werden und somit die Informationsverarbeitung und Einordnung begünstigen. Diese Definition von Entman verweist zugleich auf die wesentlichen Funktionen von Frames: die Auswahl wahrgenommener Realitätsaspekte, die Steigerung ihrer Salienz sowie die Bereitstellung von dazugehörigen Strukturierungs- und Interpretationsmustern. Ähnlich definiert wird das Framing-Konzept bei Scheufele (2003: 46; vgl. Scheufele/Tewksbury 2007), für den Framing ein Prozess ist, „bei dem bestimmte Objekte und Relationen zwischen Objekten betont, also bestimmte Ausschnitte der Realität beleuchtet werden und bestimmte Maßstäbe bzw. Attribute, die man an Objekte anlegen kann, salient gemacht werden.“
Zusammengefasst lässt sich Framing beschreiben als Prozess, Strategie oder Ergebnis der perspektivenabhängigen Wahrnehmung, Verarbeitung, Interpretation oder Kommunikation. Frames werden durch vier definierende Elemente konstituiert (vgl. Dahinden 2006: 14-15; Entman 1993: 52) 1.) der Definition des Problems, 2.) der Ursachenzuschreibung als sinnhafter oder kausaler Begründungszusammenhang, 3.) den Bewertungen, die in der Regel auf allgemein anerkannten Werten basieren und 4.) den Handlungsempfehlungen, die je nach Adressat unterschiedlich interpretiert werden können. Interessanterweise machen gerade diese konstituierenden Elemente eines Frames die Perspektivenabhängigkeit der Wahrnehmungs-, Verarbeitungs-, Kommunikations- und Interpretationsprozesse im Framing deutlich, indem sie die Bedingungen bzw. Charakteristika der jeweiligen Perspektive bereitstellen. Die vier Frame-Elemente sind nicht starr, sondern können fortlaufend modifiziert und an veränderte Situationen oder Deutungen angepasst werden.
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Als Prozess oder Ergebnis der perspektivenabhängigen Wahrnehmung, Verarbeitung, Interpretation oder Kommunikation ist Framing ein komplexes Phänomen (vgl. Iyengar/Simon 1993). Es kann sich auf die Rezeptionsebene beziehen; hier stellt es ein Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprinzip dar, das sich, ähnlich wie die Schematheorie (vgl. Kap. 2.3.5.1), in Theorien zur konzeptgesteuerten Informationsverarbeitung einordnen lässt. Daneben kann Framing auch auf die Kommunikatorebene bezogen sein, wobei es als Kommunikationsstrategie verstanden werden kann, bei der ein diskursiver Interpretationsrahmen bedient wird, um bestimmte Erwartungen und Vorstellungen zu prägen, was sich auf den Inhalt und die Präsentation der Kommunikation auswirkt (vgl. Iyengar 1991). Drittens kann Framing auf die Rezipientenebene bezogen sein, die die geprägten Erwartungen und Vorstellungen zur Interpretation bzw. Bewertung heranziehen. Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, eine definitorische Differenzierung der verschiedenen Ebenen des Framing vorzunehmen: Gerade, wenn die Funktions- und Wirkungslogik einer strategisch angelegten Kommunikation im Fokus des Interesses steht, der zu betrachtende Kommunikationsprozess damit sowohl die Kommunikator- bzw. Medienebene (Wahlplakat) sowie die Rezipientenebene tangiert, drohen sonst begriffliche und analytische Unschärfen. Framingprozesse der Wahrnehmung und Informationsverarbeitung (perzeptiv) sollen daher von strategisch eingesetzten Framingprozessen zur Strukturierung und Aufbereitung von (visuellen) Botschaften unterschieden werden. Die dritte vorgeschlagene Differenzierungsdimension betrifft die ‘Anwendungsebene’ auf Rezipientenseite (vgl. Matthes 2007: 91), auf der der strategisch zur Verfügung gestellte und perzipierte Interpretationsrahmen vom Rezipienten zur Identifikation, Bewertung oder Interpretation herangezogen und auf ein Wahrnehmungsobjekt oder -subjekt appliziert wird. Diese dritte Dimension des applikativen Framing im Sinne einer „Kausalattribution“ (Matthes 2007: 98) stellt aus kommunikationsstrategischer Perspektive das eigentlich intendierte Ziel der Kommunikation dar: Hier erfolgt, nach gelungener Wahrnehmung und Verarbeitung der kommunizierten Informationen bzw. Assoziationen, der kognitiv-emotive Transfer der ‘framed’ Inhalte auf das vom Kommunikator strategisch intendierte Ziel. Damit kann dem unbewussten perzeptiven Framing das intentionale strategische Framing gegenübergestellt werden, das dann idealerweise in ein applikatives Framing auf Rezipientenebene mündet. Die Framingebenen bedingen und bedienen sich wechselseitig, damit besteht eine definitorische ‘Grauzone’, denn letztlich bleibt fraglich, inwieweit Framing bewusst und damit strategisch eingesetzt wird und inwieweit Kommunikatoren oder Rezipienten bewusst oder unbewusst ‘Opfer’ ihrer konzeptgesteuerten Informationsverarbeitung werden. Im kommunikationswissenschaftlichen Kontext wird Framing meist im Kontext der Theorien journalistischer Nachrichtenauswahl verortet; hier werden (strategische) Frames als Typisierungen und Kategorisierungen interpretiert, die formale und inhaltliche Bezugsrahmen für die Nachrichtenauswahl bereitstellen und darüber
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die journalistische Themenwahl und Darstellung beeinflussen (vgl. Scheufele 2003: 50-51). So formulieren Scheufele und Brosius (1999: 92-93) in Bezug auf die Wirkungsrichtungen von Framing und in Übereinstimmung mit den Überlegungen zur definitorischen Differenzierung der Framingebenen: „Framing betrifft letztlich alle Akteure im Prozess Politischer (...) Kommunikation“; hierbei beziehe es sich 1.) auf die Strukturierung von Ereignissen und Sachverhalten in bedeutungsvolle Medieninhalte (hier definiert als: strategisches Framing), 2.) auf die subjektive Verarbeitung dieser Medieninhalte durch Rezipienten (hier: perzeptives Framing), sowie 3.) auf Versuche politischer und gesellschaftlicher Akteure, Ereignisse und Sachverhalte in bestimmte Bezugsrahmen zu stellen (hier: strategisches Framing), um damit politische Prozesse und Entscheidungen zu präformieren (hier: applikatives Framing). Gelingt das strategische Framing in der Kommunikation, wird die prinzipielle Bedeutungsoffenheit der kommunizierten Botschaft eingeschränkt, denn indem die grundsätzliche Mehrdeutigkeit der Realität durch Nahelegen bestimmter Interpretationsmuster ‘überwunden’ wird, wird zugleich Komplexität reduziert, der Blick für das applikative Framing perspektivisch verengt. Für die Rezipienten mündet strategisches Framing, das in ein applikatives Framing übergeht, daher oft in eine Vereinfachung von Wahrnehmung und Informationsverarbeitung und erleichtert das Verständnis der erfassten Inhalte. Hierbei ist aufgrund der Besonderheiten Visueller Kommunikation, insbesondere der Picture Superiority, naheliegend, dass visuelle Inhalte in besonderer Weise Framingeffekte induzieren können, da sie im Vergleich zu Textinhalten rascher und prägnanter wahrgenommen werden und eine assoziative Prädisposition forcieren können (Scheufele 2001). Der durch die assoziative Logik erzeugte Interpretationsrahmen sollte hierbei, kognitiv kaum hinterfragt, von besonderer Salienz sein und mit besonderer Nachhaltigkeit auf die Interpretation der Textinhalte wirken. Entsprechend vermuten Messaris und Abraham (2003: 215) „visual framing may convey meanings that would (…) meet with greater audience resistance if they were conveyed by words.“ Tatsächlich liefern Studien zu Visual Framing in diese Richtung gehende Befunde, insbesondere auch im Bild-Text-Vergleich (Zillmann/Gibson/Sargent 1999; Gibson/Zillmann 2000; Scheufele 1999; 2001; Messaris/Abraham 2003; Griffin 2004; vgl. Hall 1973). Gleichzeitig zeigen inhaltsanalytische Untersuchungen Hinweise auf eine „framed“ Bildkommunikation im Rahmen der Berichterstattung (vgl. Schwalbe/Silcock/Keith 2008; Silcock 2008; AndénPapadopoulos 2008; Reynolds/Barnett 2003). Exemplarisch resümiert die Ergebnisse seiner Bildinhaltsanalyse zur Berichterstattung im Bundestagswahlkampf 2005: „Es lässt sich inhaltsanalytisch belegen, dass die Untersuchungsmedien deutlich intensiver vom Instrument der visuellen Kommentierung Gebrauch machen, als eindeutige Textbotschaften zu kommunizieren. Visualisierungen werden von den Journalisten innerhalb der Wahlberichterstattung dazu eingesetzt (...), die redaktionelle Argumentationslinie visuell zu belegen.“
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Zu ähnlichen Befunden, einer framenden Wirkung eines Visual Bias, kommen Grabe und Bucy (2009; vgl. Bucy/Grabe 2007) in ihrer Analyse der Medienberichterstattung der afrikanischen Präsidentschaftswahlkämpfe von 1992 bis 1994, in der sie eine visuelle Inhaltsanalyse Veränderungen der öffentlichen Meinung gegenüberstellten. Die Befunde von Detenber, Gotlieb, McLeod und Malinkina spezifizieren (2007), dass die Intensität der eingesetzten Visual Frames die Framingeffekte bzw. die Einstellung der Rezipienten gegenüber einem Nachrichtenthema nachhaltig prädisponieren kann. Coleman und Banning fanden (2006) Hinweise darauf, dass Visual Framing als sekundärer Framingeffekt Einfluss die Wahrnehmung von Kandidaten im Präsidentschaftswahlkampf modifizieren kann; ähnlich konnte Wicks (2007) Einflüsse der visuellen Gestaltung im Fernsehduell von Kerry und Bush auf die Kandidatenwahrnehmung nachweisen (vgl. Kepplinger 2010). Brantner, Lobinger und Wetzstein (2010) konnten in einem experimentellen Setting belegen, dass von Visual Frames eine modifizierende Wirkung auf die Wahrnehmung und Interpretation textlicher Medieninhalte ausgehen kann. Insgesamt zeigt der gegenwärtige Forschungsüberblick jedoch, dass ein Großteil der bisherigen Studien auf die vergleichende Analyse der eingesetzten visuellen Medienframes fokussiert ist, während systematische Studien zur Wirkung von Visual Framing noch kaum vorliegen. So lässt sich resümieren, dass die Kritik von Scheufele (1999: 94), dass es an theoretischen und empirischen Arbeiten fehle, die über die Einzelfall-Analyse hinausgingen, bis heute Bestand hat. Hier sind noch spannende Forschungsergebnisse zu erwarten. Aus kommunikationsstrategischer Perspektive bietet sich die Ansprache gezielter visueller Schemata an, die die schnelle Decodierung und Applikation durch Aktivierung der zugrunde liegenden Konzepte ermöglicht. Lachmann (2002: 143) definiert das strategische Framing für den werblichen Kontext daher spezifischer als inhaltliche Passung zwischen Bild und Botschaft. Auch Farbgestaltung, Formensprache, Bildaufbau, formale und stilistische Mittel, kommunikative Inhalte, Verarbeitungsmodalitäten und intertextuelle Bezüge können dazu beitragen, einen wahrnehmungserleichternden Frame zu modellieren. Hier erscheint sinnvoll, die intendierte Bedeutung durch klare kommunikative Verweise zu explizieren: Headline, Subline, Parteipositionierung, Parteifarben sollten framed sein, um ein applikatives Framing zu evozieren und die Aufnahme und das Verständnis der Botschaft zu erleichtern (vgl. Lachmann 2002: 143-144). Dies gilt insbesondere, da Visuelle Politische Kommunikation vor allem einseitige, indirekte, oft massenmediale und damit technisch vermittelte Kommunikation ist (vgl. Maletzke 1963: 18, 28; Luhmann 2004: 10; Lasswell 1927: 178). Das bedeutet für den Kommunikationsprozess, dass die Kommunikation als asymmetrischer Prozess verläuft, bei dem keine soziale Interaktion stattfindet: „Interaktion wird durch Zwischenschaltung von Technik ausgeschlossen, und das hat weit reichende Konsequenzen“ (Luhmann 2004: 11). Die fehlende Wechselseitigkeit kann das Verständ-
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nis der kommunikativen Situation erschweren (vgl. Pürer 2003: 64; Merten 1977: 46; Pepels 2001: 10-15), da der Rezipient keine oder nur begrenzte Möglichkeiten hat, die aufgenommenen Informationen im Rahmen einer interaktiven Rückkoppelung zu präzisieren und zu hinterfragen (vgl. Goffman 2002b: 17; 64-66; 2002a; 1980). Auch der Sender kann kaum prüfen, ob und wie seine Botschaften die Zielgruppen erreichen. Gerade Visuelle Kommunikation geht zudem mit der tendenziellen Mehrdeutigkeit der Botschaften einher; dies stellt insbesondere bei abstrakten und komplexen politischen Inhalten eine enorme Herausforderung an die visuelle Gestaltung: „Die inhärente Bedeutung (...) umfasst die größte Spannweite an möglichen Bedeutungen; geht also über die subjektive und intendierte Betrachtung hinaus“ (Doelker 1997: 148). Wie Doelker (1997: 149) resümiert, ergibt sich die immanente Bedeutung Visueller Kommunikation „als das Ergebnis einer vollen semantischen Entfaltung der visuellen Gestaltungsmittel“, denn: „Auch in diesem Sinne ist ein Bild mehr als ein Bild“. Der Versuch der Reduktion visueller Botschaften auf eine bestimmte Bedeutungsdimension kann meist nur annäherungsweise erreicht werden, indem im Vorfeld die assoziativen Bedeutungen im Kontext der jeweiligen Rezeptionssituation antizipiert werden. Vor dem Hintergrund intendierter Kommunikationswirkungen unterstreicht dies die Notwendigkeit des strategischen Framing. Für den Kontext der Politischen Kommunikation fällt hingegen auf, dass viele Botschaften wenig strategisch framed kommuniziert werden und somit das Wirkungspotential eines applikativen Framing verschenken. Dies ist in verschiedenen Dimensionen problematisch. Erstens erschwert ein fehlender inhaltlicher Bezug zum Absender sowie zwischen Bild und Botschaft ganz grundsätzlich die Wahrnehmung und Verarbeitung von Informationen, wodurch Prägnanz in der Kommunikation verschenkt wird. Aufgrund der theoretischen Befunde ist zweitens davon auszugehen, dass diese mangelnde Prägnanz und inhaltliche Kongruenz den Wirkungsprozess (Visueller) Politischer Kommunikation negativ beeinflusst. Drittens geht die mangelnde Bereitstellung von kognitiv-kongruenten Interpretationsrahmen mit dem Risiko höherer Spill-Over-Effekte einher: Bei Kommunikation von Themen, die als inkongruent zur bisherigen politischen Positionierung wahrgenommen werden, droht eine Fremdzuordnung der Botschaft, was bedeutet, dass die Kommunikation damit auf den politischen Gegner einzahlt. Zwei Beispiele, in denen ein unzureichendes strategisches Framing die Applikation der kommunizierten Interpretationsrahmen erschwert, sind in Abbildung 2 zu sehen. Sowohl das Thema Atomausstieg/Regenerative Energien als auch das kontroverse Thema Mindestlöhne stellen sich in der Wahrnehmung der Rezipienten nicht als originäre SPD-Themen dar. Bei dem Atomkraftwerke-Plakat der SPD aus dem Kommunalwahlkampf in Bayern 2008 kommt erschwerend hinzu, dass das Plakat sich in der Headline auf den politischen Gegner CDU bezieht. Ohne die Präsentation der Ergebnisse in Kapitel 6 vorwegnehmen zu wollen: Die Analyse der Recall- und Recognition-Stärke ergab den theoretischen Implikationen entspre-
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chend eine hohe Summe an Falschzuordnung oder mangelndem Verständnis der Botschaft der wenig framed Plakatmotive. Ungestützte Aussagen wie „CDU für Atomkraftwerke in Bayern“ oder „CDU möchte Kraftwerkindustrie stärken“ wurden hier als Erinnerungen an das Plakatmotiv genannt.
Abbildung 2:
Links und mittig: ‘Unframed’ Wahlplakate der SPD aus dem Kommunalwahlkampf 2008 in Bayern (SPD Landesverband Bayern). Rechts: Negative Campaigning-Plakat der SPD im ‘CDUDesign’ aus dem Bundestagswahlkampf 2005 (SPD Bundespartei) (vgl. VS PLUS „Wahlplakate“ Abb. 2 und 3; kann auf der Homepage des VS Verlags unter folgendem Link im Original eingesehen werden: http://www.vs-verlag.de/Buch/978-3-53117819-6/Vision-that-matters.html).
Dass das mangelnde strategische Framing ein perzeptives bzw. applikatives Framing und damit den vollständigen Transfer der Botschaft erschwert, zeigen auch die Zuordnungswerte der Aussagen zu dem „richtigen“ Absender: Bei dem AtomkraftwerkePlakat stehen 144 Zuordnungen zum Absender SPD einer Anzahl von 98 Zuordnungen zu anderen Parteien gegenüber. Bei dem Motiv ‘Mindestlohn’ stehen 129 Zuordnungen zu konkurrierenden Parteien einer Anzahl von 48 Zuordnungen der politischen Botschaft zum Absender gegenüber. Von einem erfolgreichen Transfer der politischen Botschaft kann hier wohl kaum gesprochen werden. Interessanterweise kann ein fehlendes visuelles strategisches Framing auch dem politischen Gegner als kommunikative Angriffsfläche dienen, wie ein GuerillaPlakat der SPD zeigt, mit dem der politische Gegner CDU eine mangelnde Integration bzw. ein fehlendes Framing der einzelnen Botschaften attestiert wird (vgl. Abb. 2). Damit wird auch deutlich, dass die Kommunikationsstrategie über die Ebene der visuellen Gestaltung hinaus wirkt: Im Ergebnis nutzt diese Form des Negative Cam-
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paigning das Design als Kristallisationspunkt, um auf Schwächen der inhaltliche Ebene zu verweisen. Der beim Rezipienten aktivierte Frame bzw. das aktivierte Schema beeinflusst in Verbindung mit der ersten Bewertung die weitere Wahrnehmung und Verarbeitung der Kommunikationsinhalte. Ist die Aufmerksamkeit bzw. das Involvement des Betrachters groß genug, um den Wahrnehmungsprozess aufrechtzuerhalten, folgt die weitergehende Informationsverarbeitung. Gelingt die Aktivierung des Rezipienten nicht, folgt dagegen der Kontaktabbruch (vgl. Lachmann 2002: 63). Zur Erklärung der Informationsverarbeitungsprozesse gibt es zahlreiche theoretische Ansätze, von denen im weiteren Verlauf das Involvement-Konzept (vgl. Kap. 2.3.5.3), das HemisphärenModell (vgl. Kap. 2.3.5.4) sowie das Elaboration Likelihood Model, kurz ELM, (vgl. Kap. 2.3.5.5) vorgestellt werden. Die drei Modelle gelten in der traditionellen Kommunikations- und Werbeforschung als anerkannt (vgl. Felser 2007: 323-328; Schweiger/Schrattenecker 2001: 176-178; Stahlberg/Frey 2001: 328), lassen sich gut in die bisherigen Überlegungen integrieren und auch miteinander verbinden. 2.3.5.3
Das Involvement-Konzept
Involvement im engeren Sinn bezeichnet die innere Beteiligung, das Engagement, mit dem sich die Rezipienten der Kommunikation zuwenden (KroeberRiel/Weinberg/Gröppel-Klein 2009: 412; Jeck-Schlottmann 1987: 68; Zaichkowsky 1985: 341-342). Im weiteren Sinn wird der Begriff auch häufig genutzt, um die aus der Höhe der Beteiligung resultierende Tiefe und Qualität der Informationsverarbeitung und den Grad der damit verbundenen kognitiven Kontrolle zu beschreiben (vgl. Felser 2007: 57; Krugmann 1965: 355). Die Intensität des Involvement führt vereinfacht, mit einigen Einschränkungen (vgl. Lachmann 2002: 41-45; Greenwald/Leavitt 1984: 583), zur Aktivierung des Konsumenten, woraus folgt, dass hohes Involvement mit starker Aktivierung verbunden ist, bei geringem Involvement dagegen eine schwache Aktivierung vorliegt (vgl. Krugmann 1965: 355). Grundsätzlich gilt, allerdings nur bis zu einem bestimmten Schwellenwert: Je höher die Aktivierung, desto stärker ist der Rezipient angeregt, sich gedanklich oder emotional mit einem Kommunikationsinhalt auseinander zu setzen (vgl. Kroeber-Riel/Esch 2004: 143; Kroeber-Riel/Weinberg/Gröppel-Klein 2009: 413-415). Unter den beschriebenen Bedingungen im Information Overload ist das generelle Involvement von Rezipienten eher gering. Als „a person’s perceived relevance of the object based on inherent needs, values, and interests“ (Zaichkowsky 1985: 342; vgl. Laaksonen 1994), wird das Involvement durch die subjektive Wahrnehmung beeinflusst, ob eine Information, ein Objekt oder Akteur oder eine Aktivität dazu geeignet ist, persönliche Motive zu befriedigen (Kroeber-Riel/Esch 2004: 143; vgl. Laaksonen 1994).
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Es wäre allerdings eine starke Vereinfachung, Involvement ausschließlich als Ergebnis persönlicher Motivation zu interpretieren. Vielmehr stellt sich Involvement als komplexe Größe dar, die durch eine Vielzahl von Eigenschaften determiniert wird. Als Hauptdeterminanten lassen sich zusammenfassen (vgl. KroeberRiel/Esch 2004: 143; Zaichkowsky 1985: 342):
Eigenschaften der Persönlichkeit, insbesondere Werte, Motive, Persönlichkeitszüge (Personeninvolvement) Eigenschaften des Produkts bzw. politischen Akteurs, insbesondere zu erbringende Gegenleistung sowie wahrgenommene Risiken (Vertrauensbonus, Amtsbonus) und soziale Auffälligkeit (Markeninvolvement) Eigenschaften der Situation; insbesondere bestimmt durch Zeitdruck, Entscheidungssituation, spezifischer Wahlsituation (Situationsinvolvement) Eigenschaften der Medien; insbesondere Printmedien, elektronische Medien, Zielgruppenorientierung der Medien usw. (Medieninvolvement) Eigenschaften der Werbemittel; insbesondere die Aktivierungskraft der Werbemittel (Reaktionsinvolvement).
Vor allem die jeweilige Rezeptionssituation hat starken Einfluss auf das Involvement, oft einen stärkeren als das grundsätzliche Interesse am Kommunikationsinhalt (z.B. als politisches Interesse; vgl. Kroeber-Riel/Esch 2004: 144). Am Beispiel der Anzeigenrezeption resümiert Jeck-Schlottmann (1987: 216), ob und wie lange der Medieninhalt betrachtet werde, sei nicht davon abhängig, „ob wir uns generell für etwas interessieren, sondern davon, ob wir uns im Moment dafür interessieren und Zeit dazu haben“. Das aktuelle Situationsinvolvement dominiert demnach das latent existierende Politikinvolvement (vgl. Jeck-Schlottmann 1987: 216; 161). Für die Politische Kommunikation ist festzustellen, dass zahlreiche politische Entscheidungen zwar mit starken Motivkonstellationen einhergehen, gleichzeitig aber ein erhöhtes Involvement nur in akuten Entscheidungssituationen (z.B. bei der Wahl) bzw. direkter persönlicher Betroffenheit als Situationsinvolvement oder bei hohem politischen Interesse bzw. persönlichem Engagement im Sinne von Personeninvolvement wahrscheinlich ist. Dies gilt schon deshalb, weil es kognitive Dissonanz auslösen würde (vgl. Greenwald/Leavitt 1984), sich permanent Gedanken um die „Lage des Landes“ machen zu müssen. Damit ist auch für die Politische Kommunikation eine Kommunikation unter Low-Involvement-Bedingungen wahrscheinlich. Zur Relevanz des Involvement-Konzeptes ist festzustellen, dass das Involvement ein „zentraler Begriff der Werbeforschung“ ist (Kroeber-Riel/Esch 2004: 141). Für Felser (2007: 57) bezeichnet das Involvement „sicherlich die bedeutendste (...) ‘Moderatorvariable’ im Konsumentenverhalten“, weil die Frage, wie eine bestimmte Marketing- oder Kommunikationsmaßnahme wirkt, „zu großen Teilen davon abhängen [wird], wie involviert“ die Rezipienten sind. Das Involvement-
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Konzept impliziert damit, dass auch bei geringer innerer Beteiligung und damit verbundener geringer kognitiver Verarbeitungstiefe Medienwirkungen ausgelöst werden, allerdings auf divergente Art und Weise. Für das Politische Kommunikationsmanagement haben diese Überlegungen weit reichende Konsequenzen (vgl. Trommsdorff 1998: 51). Hohes Involvement ist in der Regel mit starker Aktivierung verbunden. Diese führt dazu, dass sich der Rezipient bei zentraler Reizverarbeitung mit dem Kommunikationsinhalt kognitiv auseinander setzt (vgl. Kroeber-Riel/Esch 2004: 143). Aktivitäten der linken Gehirnhälfte setzen daher überwiegend hohes Involvement voraus; bei geringem Involvement ist im Wesentlichen nur die rechte Hirnhälfte aktiv (Krugmann 2000: 50; Lachmann 2002: 53). Bei hohem Involvement erfolgt tendenziell eine zentrale Informationsverarbeitung, hier setzen sich die Rezipienten mit relevant erscheinenden, zentralen Kommunikationsinhalten kognitiv auseinander, nehmen entsprechende Informationen auf und bilden sich ein Urteil, das gegebenenfalls zur Einstellungsänderung führt (vgl. Kroeber-Riel/Esch 2004: 147). Low Involvement und periphere Reizverarbeitung, die im Information Overload die Regel sind, führen andererseits dazu, dass die empfangene Botschaft durch die periphere Reizverarbeitung (und damit weitgehende Inaktivität der linken Gehirnhälfte) tendenziell eher unbewusst, stärker affektiv und kaum kognitiv kontrolliert aufgenommen wird (Trommsdorff 1998: 51; vgl. Krugmann 2000).
2.3.5.4
Das Hemisphären-Modell
Die grundlegenden Prämissen des Hemisphären-Modells lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Die Hemisphärenforschung beschäftigt sich mit funktionalen Unterschieden zwischen Hirnregionen. Nach gängiger Auffassung erfolgt die Reizverarbeitung in zwei mentalen Codiersystemen: In der analogen rechten Hirnhälfte im nicht-sprachlichen sowie in der digital-sequenziellen linken Hirnhälfte im sprachlichen Verarbeitungssystem (Paivio 1979: 8; 27; 1986: 53-83; Ruge 1988: 47-51; 140-152; Lachmann 2002: 52-55; Kroeber-Riel/Esch 2004: 149-151; Kroeber-Riel/Weinberg/GröppelKlein 2009: 393-395). Nach dem Hemisphären-Modell ‘trennen’ sich, vereinfacht ausgedrückt, Verarbeitungsprozesse von Bild- und Sprachinformationen: Sprachliche und numerische Informationen werden vom sprachlichen System verarbeitet, das die aufgenommenen Reize in einen inneren Sprachcode übersetzt. Die damit verbundenen gedanklichen Vorgänge sind in der Regel eng mit Aktivitäten der linken Hemisphäre verbunden (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg 2003: 353). Die Informationsverarbeitung im sprachlich-numerischen Verarbeitungssystem der linken Hemisphäre dient primär dem logisch-analytischen Denken und der rationalen Steuerung des Verhaltens; hier werden kognitive Denkprozesse, Logik, Zahlen, Lesen, Analysen und Reflexionen verortet (vgl. Kroeber-Riel/Esch 2004: 149;
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Lachmann 2002: 52). Das analoge (auch: nicht-sprachliche) System ist dagegen eng mit Verarbeitungsprozessen in der rechten Gehirnhälfte verbunden. Die Verarbeitungsvorgänge der rechten Hemisphäre sind vor allem für intuitives Denken und Empfindungen verantwortlich, die das emotionale Verhalten steuern. Hier werden primär nicht-sprachliche Reize verarbeitet, wie Bilder, Farben, Formen, Töne, Düfte oder Tastreize, aber auch ganzheitliche Eindrücke, Stimmungen, Anmutungen (vgl. Kroeber-Riel/Esch 2004: 151; Lachmann 2002: 52). Die Verarbeitung im nichtsprachlichen System erfolgt anhand eines inneren Bildercodes, wobei der Bildbegriff hier weit gefasst wird, so dass auch akustische Bilder oder Duftbilder darauf anzuwenden sind (Kroeber-Riel/Esch 2004: 150). Für den Bereich Visuellen Kommunikationsforschung ist interessant, dass die differente Codierung der Bildinformationen mit einer besseren Gedächtnisleistung einhergeht: Der im Gedächtnis benutze Bildercode ist gegen gedächtnisreduzierende Einflüsse resistenter als die sprachliche Codierung (Kroeber-Riel/Weinberg 2003: 355). Die überlegene Wirkung des Imagerysystems wird entsprechend als Imagerywirkung beschrieben (auch: Picture Superiority Effect; vgl. Kobayashi 1986; Childers/Heckler/Houston 1986; Nelson/Castano 1984). Neben der Art der eintreffenden Reize steht die Verarbeitungsmodalität in der rechten oder der linken Gehirnhälfte außerdem auch in Zusammenhang zum jeweiligen Involvement (vgl. Kap. 2.3.5.3) des Rezipienten. Lachmann (2002: 54) illustriert: „Die rechte Hemisphäre ist beständig aktiv. Die linke wird mehr oder minder hinzugeschaltet. Dieses Hinzuschalten ist vom Involvement abhängig. Bei Low Involvement kann nicht damit gerechnet werden, dass die linke Gehirnhälfte beim Empfang zugeschaltet wird. Kommunikation unter Low Involvement bedeutet daher: Kommunikation mit rechten Gehirnhälften!“
Durch den Einsatz neuer Methoden, insbesondere in der neurophysiologischen Forschung (z.B. Positronenemissionstomographie (PET) oder „functional Magnetic Resonance Imaging“ (fMRI bzw. fMRT)) konnten die Erkenntnisse der Hemisphärenforschung vertieft werden. Experimente unter Nutzung von fMRI (bzw. fMRT) bestätigen, dass an der Idee einer funktionalen Differenzierung verschiedener Hirnregionen prinzipiell festgehalten werden kann und dass bildliche und sprachliche Verarbeitung in weiten Teilen in divergenten Hemisphären erfolgt (vgl. KroeberRiel/Weinberg/Gröppel-Klein 2009: 395). Allerdings legen die Befunde auch nahe, dass das Gehirn nicht vollständig als binär codiert begriffen werden kann, wie es gerade die frühen Ansätze propagieren (Farah/Gazzaniga/Holtzmann/Kosslyn 1985). Vielmehr ist davon auszugehen, dass beide Gehirnhälften in beständiger Interaktion stehen, um eine vollständige Integration von Wahrnehmung und Verarbeitung zu leisten (vgl. Robertson 2005; Sack/Camprodon/Pascual-Leone/Goebel 2005; Sack 2002).
96 2.3.5.5
Grundlegende Prozesse (Visueller) Wahrnehmung und Informationsverarbeitung
Das Elaboration Likelihood Model
Das oben wiedergegebene Zitat von Lachmann bildet eine Brücke zu einem der einflussreichsten theoretischen Modelle der Informationsverarbeitung (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg/Gröppel-Klein 2009: 255), denn mit seiner Aussage deutet Lachmann eine zentrale Implikation des Elaboration Likelihood Modells (ELM) bereits an: Das ELM basiert auf der Annahme, dass es unterschiedliche Level der Informationsverarbeitung gibt, bei denen Informationen mit einer niedrigeren oder mit einer höheren Elaborationswahrscheinlichkeit verarbeitet werden. Das Modell geht vor allem zurück auf die Untersuchungen von Petty und Cacioppo (1983; 1984; 1986a; 1986b), die den Begriff der Elaboration verwenden, um den Grad zu bezeichnen, mit dem Rezipienten über themenrelevante Argumente einer Botschaft nachdenken (vgl. Petty/Cacioppo 1983: 4; Stroebe/Hewstone/Stephenson 1996: 267). Ziel der Untersuchungen von Petty und Cacioppo (1986a) war, einen umfassenden theoretischen Bezugsrahmen zu schaffen, der erklärt, inwieweit und auf welche Weise Einstellungsänderungen bei Rezipienten hervorgerufen werden können. Vor diesem Hintergrund beschreiben Petty und Cacioppo (1983: 5; 1986) das aufmerksamkeitsstarke Verarbeitungslevel als „central route to persuasion“ bzw. das aufmerksamkeitsschwache als „peripheral route“ der Reizverarbeitung. Demnach entscheiden auf den ersten Stufen der Wahrnehmung die Motivation der Rezipienten sowie ihre generelle Fähigkeit zur Informationsverarbeitung, ob eine aktive oder eher eine passive Reizverarbeitung stattfindet, wobei die Motivation wiederum vom Involvement der Rezipienten abhängt (Petty/Cacioppo 1983: 5; 1986a 1986b; Petty/Cacioppo/Schumann 1983). Dem ELM zufolge findet beim zentralen Weg der Reizverarbeitung eher eine kognitive Informationsverarbeitung statt; die verarbeiteten Informationen werden resistenter gespeichert und weisen eine hohe Verhaltenswirksamkeit auf, unterliegen allerdings einer starken kognitiven Kontrolle (vgl. Petty/Cacioppo 1983: 13-16). Der periphere Weg geht dagegen mit einer affektiven Reizverarbeitung einher, die nur zu einer flüchtigen Speicherung der Kommunikationsinhalte führt, weniger verhaltenswirksam ist, dabei aber kaum kognitiv hinterfragt wird (ebenda). Bei peripherer Reizverarbeitung geht es eher um „Eindrücke, Assoziationen, nicht um Analyse“ (Lachmann 2002: 23; Kroeber-Riel/Wein-berg/Gröppel-Klein 2009). Kennzeichnend für die periphere Verarbeitung ist daher die Nutzung von Urteilsheuristiken und Schemata (Frindte 2001: 89). Pointiert folgert Lachmann (2002: 55), Glaubwürdigkeit sei unter Low Involvement und peripherer Reizverarbeitung zweitrangig; sogar eine grundsätzlich kritische Einstellung von Empfängern wirke daher kaum hinderlich auf den Wahrnehmungsprozess, wenn es zum Kontakt komme. Bei geringem Involvement und peripherer Reizverarbeitung könnte es sich daher anbieten, mit stark wirkenden Assoziationen zu kommunizieren und mit „Nebensächlichkeiten zu beeindrucken“, da hier Informationsaufnahme und Verarbei-
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tung eher flüchtig und beschränkt erfolgen, wobei Rezipienten tendenziell eine gefühlsmäßige, emotionale Beurteilung vornehmen (Kroeber-Riel/Esch 2004: 148; Kroeber-Riel/Weinberg/Gröppel-Klein 2009: 257). Allerdings bringt periphere Reizverarbeitung weniger nachhaltige Einstellungsänderungen mit sich (Petty/Cacioppo 1983: 13): „Attitude changes that occur via the central route may persist longer than attitude changes that occur via the peripheral route“. Dennoch kann, auch wenn der zentrale Weg der Informationsverarbeitung für Petty und Cacioppo (1983: 7-9) der überlegene ist, eine Einstellungsänderung auch bei peripherer Verarbeitung erfolgen. Hier wäre allerdings ein anderer Weg zu wählen: „When the elaboration likelihood is high, the central route to persuasion should be particularly effective, but when the elaboration likelihood is low, the peripheral route should be better“ (Petty/Cacioppo 1983: 5).
Besonders geeignet erscheint für eine nachhaltige Wirkung Politischer Kommunikation bei peripherer Verarbeitung die Umsetzung einer Kommunikationsstrategie mit starken emotionalen und/oder physischen Reizen sowie häufigen Wiederholungen (vgl. Petty/Cacioppo 1983: 7; 23). Hawkins, Hoch und Meyers-Levy (2001) konnten etwa zeigen, dass bei niedrigem Involvement und peripherer Reizverarbeitung bereits häufige Wiederholungen zu einer erhöhten Glaubwürdigkeit der kommunizierte Aussagen führen. Entscheidend für den politischen Kommunikationserfolg ist aus dieser Perspektive weniger die inhaltliche Qualität der Argumente, sondern vielmehr die optische Gestaltung, die emotionale Anmutung, die sympathische Erscheinung sowie die Kontaktintensität. Auch wenn die Befunde zum Wählerverhalten die grundsätzliche Erkenntnis liefern, dass Themen bzw. Themenkompetenzen die Bewertung von Politikern und Parteien prägen (Brettschneider 2002e; Brettschneider/Rettich 2005; Schoen 2003; vgl. Belknap/Campbell 1951; Campbell 1964; Campbell/Converse/Miller/Stokes 1966), liegt hier die Vermutung nahe, dass die visuelle Gestaltung sich, insbesondere unter den Bedingungen von Low Involvement und peripherer Verarbeitung, positiv auf den Rezeptionsprozess und damit auf das Wirkungspotential auswirkt. Wahlplakate sind in diesem Zusammenhang ein prototypisches Medium, dem der Rezipient eher mit geringem Involvement begegnet, so dass nicht von einem vollständigen Transfer der inhaltlichen Botschaften auszugehen ist. Hier sind gerade visuelle Botschaften in der Lage, Aufmerksamkeit, Emotionen und Sympathien zu erzeugen und Anmutungen und Assoziationen zu transportieren, die sich auch ohne kognitive Rezeption im Bewusstsein des Rezipienten verankern. Bei hohem Involvement und zentraler Verarbeitung, wie sie während des Wahlkampfs z.B. bei den interessierten Lesern von Parteipublikationen vorliegt, ist es dagegen vorteilhaft, beide Hemisphären anzusprechen, da auf diese Weise die Botschaft doppelt codiert wird (links der kognitive Teil, rechts der affektive Teil), was eine intensivere Lern- und Gedächtnisleistung fördert (Lachmann 2002: 55):
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Grundlegende Prozesse (Visueller) Wahrnehmung und Informationsverarbeitung „Kommunikatoren, die daran interessiert sind, langfristig stabile, gegen Gegenargumente gefeite und verhaltenssteuernde Einstellungen zu einem bestimmten Thema zu erzeugen, sollten in die Qualität ihrer Botschaft investieren und gleichzeitig sicherstellen, dass die potentiellen Rezipienten dazu willens und in der Lage sind, die Botschaft intensiv zu verarbeiten“ (Stahlberg/Frey 2001: 355).
Auch wenn dieser Empfehlung für Kommunikation unter High Involvement sicherlich zuzustimmen ist, ist herauszustellen, dass die zentrale Verarbeitung Politische Kommunikation durch hoch involviert Rezipienten selbst im Wahlkampf zunehmend die Ausnahme darstellt. Im Informationswettbewerb ist daher verstärkt auf Kommunikationsprozesse zu setzen, die auch bei peripherer Verarbeitung erfolgreich sein können. Hier steht die Politische Kommunikation vor der Herausforderung, auch dann eine Kommunikationswirkung zu entfalten, wenn sie peripher und lückenhaft betrachtet wird. Der größte Teil der Politischen Kommunikation ist diesen Bedingungen nicht angepasst, so dass die Botschaft gar nicht wahrgenommen wird oder aber nur so bruchstückhaft, dass Verständnis und intendierte Kommunikationswirkung ausbleiben (Kroeber-Riel/Esch 2004: 18). Da Visuelle Kommunikation aufgrund ihrer schnelleren und periphereren Wahrnehmbarkeit hier ein Potential anzubieten scheint, steht das Vordringen der Bildkommunikation in engem Zusammenhang mit der Expansion der Informationsüberlastung (vgl. Bruhn 2009: 3; Kroeber-Riel/Esch 2004: 18). Entsprechend räumen Petty und Cacioppo (1983: 22) ein: „Since the central route to persuasion is rather difficult, the peripheral route sometimes may be an effective advertising strategy“. Hiermit wird noch einmal deutlich, welche besondere Bedeutung der Visuellen Kommunikation zukommt, die vor allem bei peripherer Reizverarbeitung und Low Involvement chancenreich erscheint. Das ELM verbindet demnach die zentralen Konzepte der Informationsverarbeitung: das Involvement-Konzept mit der Annahme zweier Verarbeitungsmodi in zwei funktional unterteilten Hemisphären. Zudem lässt sich mit dem ELM erklären, wann beim Rezipienten komplexe kognitive Verarbeitungsprozesse einsetzen und wann die Informationsverarbeitung eher assoziativ und konzeptgesteuert erfolgt. Die Antwort liegt in der Elaborationswahrscheinlichkeit, die wiederum von situativen und individuellen Faktoren abhängt. Hierbei ist zu beachten, dass die Aufteilung in zwei Wahrnehmungslevel eine vereinfachende modellhafte Annahme ist (Zaichkowsky 1985: 341-341; vgl. Petty/Wegener 1999). Tatsächlich ist wohl eher von fließenden Übergängen auszugehen, bei denen die Skala von sehr flüchtiger, kaum verarbeitungsintensiver Wahrnehmung zu einer längeren, intensiven und stark reflexiven Wahrnehmungssituation reicht. Zudem lässt sich auch eine Wahrnehmungssituation denken, bei der Reize gleichzeitig peripher und zentral verarbeitet werden bzw. sich emotionale und kognitive Prozesse überlagern (vgl. Sojka/Giese 2006). Diese Überlegung verweist auf eine weitere Problematik: Während das ELM kognitive Prozesse der Informationsverarbeitung umfassend modelliert, erscheint die
Spezifische Theorien zu Bildwahrnehmung und Bildverstehen
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Integration der Wirkung emotionaler Reize unzureichend thematisiert. Nichtsdestotrotz kann das ELM als ein fruchtbarer Ansatz gewertet werden (vgl. KroeberRiel/Weinberg/Gröppel-Klein 2009: 255-256; Petty/Wegener 1999), der den wesentlichen Vorteil einbringt, die unzähligen Determinanten auf Wahrnehmungsund Verarbeitungsintensität bzw. damit verbundener Einstellungsbildung auf wenige, zentrale Kriterien zu reduzieren, ohne mit allzu großen Einschränkungen einherzugehen. 2.4 Spezifische Theorien zu Bildwahrnehmung und Bildverstehen Neben dem bisherigen kognitions- und wahrnehmungspsychologischen Fokus zur Analyse der Funktionslogik Visueller Wahrnehmung und Visueller Kommunikation ist der Forschungskontext einer spezifischen Psychologie des Bildes von besonderem Interesse. Hier lassen sich einige interessante Erkenntnisse zur Verarbeitung und Interpretation visueller bzw. bildlicher Inhalte gewinnen, die das Verständnis der Funktions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation abrunden. Bemerkenswert ist, dass sich eine Psychologie bzw. Psychophysiologie der Visuellen Wahrnehmung zwar schon früh etablieren konnte, hierbei aber die Erforschung der Funktions- und Verarbeitungsmodalitäten des visuellen Systems im Vordergrund stand. Eine spezifische Psychologie des Bildes bzw. der Bildrezeption, die die Gesamtheit der Prozesse der Bildwahrnehmung, der Bildentschlüsselung und des Bildverstehens thematisiert, ist dagegen bislang nur in Ansätzen erkennbar (vgl. Schwan 2005: 124; Scholz 1998: 105). Auffallend ist hier, dass viele Untersuchungen zur Bildwahrnehmung eigentlich die Entwicklung der Bildwahrnehmung erforschen, weshalb ein deutlicher Akzent auf Studien zur Analyse visueller Informationsaufnahme und Verarbeitung von Kleinkindern liegt (vgl. Fischer 1995: 11; Keil/Brosius 1985).
2.4.1
Bildwahrnehmung und Bildverstehen als ‘Konstruktionsprozess’
Die Analysen von Wahrnehmungs- und Interpretationsprozessen zeigen, dass Bildwahrnehmung und Bildverstehen auf einem komplexen System mentaler Prozesse basieren, die sich wiederum wechselseitig beeinflussen (vgl. Bergstroem 2008; Joyce/Cottrell 2004; Sugimoto/Cottrell 2001; vgl. Brosius 1983; Gibson 1971). Bis heute ist nicht abschließend geklärt, von welchem Entwicklungszeitpunkt an kognitive Faktoren an der optisch-physiologischen Wahrnehmung beteiligt werden und entsprechend zur erkennenden Einordnung und Interpretation einer visuellen Information führen; allerdings ist es höchst unwahrscheinlich, dass Formen einer rein optischen Wahrnehmung überhaupt existieren (vgl. Fischer 1995: 11; 428):
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Spezifische Theorien zu Bildwahrnehmung und Bildverstehen „Unser Gesichtssinn kann das, was er sieht, nicht als etwas erkennen. Um etwas Gesehenes als etwas erkennen zu können, bedarf es weiterer Kompetenzen, die über die bloße sinnliche Wahrnehmung oder Empfindung hinausgehen“ (Brandt 2005: 44).
Damit kann die Fähigkeit, Bilder zu sehen und zu erkennen, als eine „sinnliche und spezifische geistige Tätigkeit“ interpretiert werden (Brandt 2005: 48). „Betrachter müssen nicht nur in der Lage sein, Objekte oder Szenen im Bild zu identifizieren, sondern gleichzeitig auch erkennen können, dass eine Differenz zwischen Bild und realem Objekt besteht und dass Bilder typischerweise mit kommunikativen Absichten verbunden sind“ (Schwan 2005: 124; Brandt 2005: 46; Posner/Schmauks 1998: 20). Durch diesen „dualen Charakter“ zeigt das Bild gleichzeitig Flächigkeit und Tiefe bzw. Räumlichkeit an; es gilt, diese optischen Eigenschaften des Bildes als Artefakt zu interpretieren und zusätzlich die intentionale Wirkung auf den Betrachter zu berücksichtigen (vgl. Schwan 2005: 126; Humphreys/Riddoch/Boucart 1992). Dabei sind zwei Ebenen bzw. Zugänge der Bildrezeption zu differenzieren: einerseits die kontext-, konventions- und kulturabhängige Verknüpfung bestimmter Bedeutungsinhalte zu den piktorial präsentierten Zeichen (von Keil und Brosius (1985: 31) auch als kommunikationstheoretischer Aspekt bezeichnet) sowie die Interpretation der Surrogatfunktion des Bildes für die reale Welt, für die spezifische Lernprozesse als von untergeordneter Bedeutung vermutet werden (vgl. Keil/Brosius 1985: 32). Über diesen Modus würde Bildverstehen vor allem auf der Kongruenz zwischen Bild und Basis gründen (ebenda). Für Scholz (1998) ist Bildverstehen als prozesshaftes Erbringen von Teilleistungen zu interpretieren. Zur Differenzierung der „Verstehensschritte“ modelliert Scholz (1998) acht Stufen des Bildverstehens bzw. Misslingens. Diesen Stufen ordnet er entsprechende Verstehensleistungen zu, die wiederum spezifische Teilkompetenzen erfordern. Als erste Stufe identifiziert Scholz das perzeptive Verstehen, vereinfacht als Funktion des perzeptiven Erfassens unter gegebenen Licht-, Winkel-, Sicht- und Zeitverhältnissen (Scholz 1998: 107-108). Auf der zweiten Stufe liegt das Verstehen des Bildes als Zeichen, in das, ohne hier auf die zugrunde liegenden bildsemantischen Konzeptionalisierungen und ihre kritische Reflexion eingehen zu wollen (vgl. Kap. 2.2.2), vereinfacht die Identifikation des Bildes als Bild fällt, das etwas darstellt und dabei gleichzeitig nicht das Abgebildete selbst ist (vgl. Schwan 2005: 124). Das Verstehen des Bildes als bildhaftes Zeichen markiert für Scholz Stufe drei im Prozess des Bildverstehens (Scholz 1998: 109). Diese Stufe ist, dies deutet schon die Benennung an, eng mit der vorhergehenden Stufe verwoben; sie bildet gewissermaßen den zweiten Schritt auf der Ebene der semantischen Identifikation. Gemeint ist damit, dass nicht nur identifiziert wird, dass etwas abgebildet ist, sondern auch korrekt zugeordnet wird, auf welchen Zeichen- oder Symbolraum bei der Darstellung zurückgegriffen wurde, um die spätere korrekte Einordnung zu erlauben (Scholz 1998: 110). Stufe drei mündet insofern in die vierte Stufe des Verstehen des Bildinhalts, bei der die Inhalte eines Bildes nach verschiedenen Dimensionen zu klassifizieren sind,
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etwa nach Material, nach Format, nach Techniken, nach Stilrichtungen, nach ikonographischen oder ikonologischen, inhaltlichen Eigenschaften (Scholz 1998: 111). Es schließen sich die fünften Stufe, in der das Verstehen des (singulären oder multiplen) denotativen Sachbezugs vollzogen wird, sowie die sechste Stufe an, auf der das Verstehen der nicht-denotativen Sachbezüge im Sinne des Erfassens der Exemplifikationsfunktion des Bildes über dessen Kontextualisierung liegt (Scholz 1998: 112-115). Die siebte Stufe des modalen Verstehens markiert die Entschlüsselung der jeweiligen kommunikativen Rolle des Bildes (ebenda; vgl. Schwan 2005: 124). Dies leitet über in die achte und letzte Stufe des Bildverstehens, die für Scholz im Verstehen des indirekt Mitgeteilten liegt, wobei die implizite Dimension der Mitteilung sich vor allem über metaphorische Bezugnahmen etablierte (Scholz 1998: 116).
2.4.2
Bilder als mentale Repräsentationen
Insbesondere in der Kognitiven Psychologie (vgl. Schwan 2005: 125; Kosslyn 1978; 1980; 1994; Kosslyn/Ball/Reiser 1978) und der Philosophie des Geistes (vgl. SachsHombach 1995; 1997; 2006b; Fellmann 1998; Schumacher 1998; Pauen 1998; Scholz 1995) wird in diesem Zusammenhang hinterfragt, wie Bilder als Metaphern bzw. als Repräsentationen wirken und inwieweit sie zur Bildung mentaler Repräsentationen beim Rezipienten führen. Das kognitionspsychologische Konzept der mentalen Repräsentation kann hierbei als basales Konstrukt identifiziert werden, das in vielen Kognitionstheorien eine zentrale Stellung einnimmt, so auch im Rahmen der Schematheorie (vgl. Kap. 2.3.5.1). Mit Germelmann und Gröppel-Klein (2004: 102) lassen sich einleitend folgende Erkenntnisse zu mentalen Gedächtnisbilder zusammenfassen: Als interne, visuelle Repräsentationen verfügen mentale Bilder über quasisensorische Eigenschaften, enthalten visuelle und räumliche, parallel verfügbare Informationen (Cave/Pinker/Giorgi et al. 1994: 15); mentale Bilder müssen nicht bewusst sein, können jedoch bewusst aktiviert und damit empirisch erfasst werden (Richardson 1983: 14); sie verfügen über verhaltenswirksame Eigenschaften (Ellen/Bone 1991: 807; Kroeber-Riel 1986: 83) und können damit das Handeln beeinflussen (Richardson 1969: 2-3; 1983: 15; Ruge 1988: 29). Bereits Seymour (1979) unterschied in der Beschreibung seines Mehrspeichermodells der Bildrezeption und Bildspeicherung zwischen mehreren Verarbeitungs- und Codierungsstufen bzw. kognitiven Funktionen mentaler Repräsentationen, die er sich schematisch folgendermaßen vorstellte: Die Encodierung transformiert eine externe (Bild-) Information in einen internen Code. Über den Rezirkulationsmechanismus der Repräsentation wird dieser erste interne Code im Kurzzeitgedächtnis aktiv gehalten. Gleichzeitig läuft die Wiederauffindung als innerer Mustervergleich mit bereits vorhandenen charakteristischen Repräsentationen (im Idealfall: Prototypen) ab, wobei die Trennschärfe des Codes die zentrale Determinante für die Geschwindigkeit und Ge-
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Spezifische Theorien zu Bildwahrnehmung und Bildverstehen
nauigkeit der Identifikation bildet (vgl. Seymour 1979: 249). Zur weiteren kognitiven Verarbeitung wird ein differenzierter Vergleich des bereits gespeicherten Codes mit dem neu aufgenommenem Code vollzogen, um die Äquivalenz zu prüfen. Mit der Funktion Ausdruck schließlich wird der interne Code umgewandelt in ein externes Verhalten als Sprache oder Handlung. Dabei ging Seymour davon aus, dass für die Bildrezeption das piktoriale Gedächtnis („pictorial memory“) funktionalisiert ist, während das lexikalische Gedächtnis für die Verarbeitung textlicher Informationen bestimmt ist (Seymour 1979: 218). Seymour (1979: 249-250) vermutete eine deskriptive Struktur beider Speicher, wobei er erwartete, dass für die Bildspeicherung andere Attribute zur Spezifizierung und Differenzierung herangezogen würden (z.B. piktoriale Attribut- und Objektklassen wie Farbe, Größe, Form) als für die Textverarbeitung, und dass somit jedes figurative Objekt als Struktur verschiedener Attribute mental fixiert sei. In der Folge widmeten sich zahlreiche Untersuchungen dem Vergleich von Bild- und Textrezeptionsprozessen auf Basis der divergenten Attributzuweisungen. Eine Vielzahl von Studien konnte dabei belegen, dass die Entschlüsselung, Kategorisierung und Speicherung bei Bildinformationen wesentlich schneller und effizienter abläuft als dies bei Textinformationen der Fall ist (vgl. Keil/Brosius 1985; Nelson/Castano 1984; Pinker/Kosslyn 1983; Nelson 1979; Pellegrino/Rosinski/Chiesi/Siegel 1977; Paivio/Csapo 1973). Die Frage, welche konkrete Form und welche typischen Eigenschaften die unterschiedlichen mentalen Repräsentationen bzw. Attribut-Cluster annehmen können, wird allerdings bis heute nicht einheitlich beantwortet (vgl. KroeberRiel/Weinberg/Gröppel-Klein 2009: 392). Zusammenfassend werden in der Imagery-Forschung zwei Positionen diskutiert: Vertreter der Percept-Analogy-Theory, zu denen auch Paivio (1979; 1986; 1991) zählt (vgl. Kap. 2.4.3) gehen davon aus, dass Bildbzw. Visuelle Wahrnehmung mit der Ausbildung spezifischer bildhafter Vorstellungen einhergeht; diese werden als explizite Analogie oder Parallele zum NetzhautAbbild aufgefasst (vgl. Kosslyn 1994; 1980; Kirby/Kosslyn 1992; Paivio 1986; Dennett 1980; Schwan 2005). Mentale Bilder würden aus dieser Perspektive als vollständige bildliche Einheiten im Gedächtnis fixiert. Dieser Idee steht die Propositionale Theorie (vgl. Pylyshyn 1973; 1981) gegenüber, nach der mentale Bilder aus Propositionen, d.h. aus abstrakteren Bedeutungseinheiten kombiniert werden, die im Langzeitgedächtnis gespeichert sind (Yuille/Marschark 1983: 145). Unabhängig von der Frage der internen Codierung der mentalen Bilder, wird aber die These, dass mentale Bilder als spezifische interne Repräsentationsformen existieren, die ähnliche Charakteristika der externen Bilder oder Objekte aufweisen, heute von den meisten Kognitionswissenschaftlern anerkannt (vgl. Berendt 2005: 22; Singer 2005; Schwan 2005; Gerrig/Zimbardo 2009). Nach neuerem Stand lässt sich die physiologische bzw. neuronale Entsprechung dieses mentalen Bildes vermutlich am ehesten als ein „weit verteiltes, dynamisches raum-zeitliches Erregungsmuster“
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verstehen, an dem unzählige Neuronen teilhaben, das aber nicht zentriert lokalisiert werden kann, sondern vermutlich über viele Hirnrindenareale verteilt ist (Singer 2005: 74).
2.4.3
Die Theorie der Dualen Codierung
Die durch die Bildung mentaler Repräsentationen eingeleitete erweiterte gedankliche Verarbeitung markiert in diesem Zusammenhang eine wichtige Stufe im Bildverarbeitungsprozess bzw. der Verarbeitung visueller Inhalte. Einhergehend mit der Konstruktion mentaler Repräsentationen werden Bilder auf dieser Ebene tiefer gehend gedanklich verarbeitet und mental verankert. Die Überlegenheit bildhafter Informationen bei der mentalen Verankerung lässt sich hierbei dadurch erklären, das visuelle Informationen doppelt codiert werden: bildlich und sprachlich. Grundannahme der prominenten Theorie der Dualen Codierung von Paivio ist (1979; 1986; 1991), dass der sprachliche Code in einen bildlichen übersetzt werden kann und umgekehrt (Dual Coding Theory; Paivio 1979; 1986: 53-83; 64-70; vgl. Paivio/Csapo 1973; Seymour 1979). Bilder werden demnach durch Interaktion des nonverbalen und des verbalen Gedächtnissystems verarbeitet: In der linken Hemisphäre die (Wort-)Bedeutung, in der rechten Hemisphäre der assoziativ-bildliche Eindruck (Paivio 1986: 53; Paivio/Csapo 1973). Dies ist insofern mit der Idee einer funktionalen Differenzierung verschiedener Hirnareale kompatibel, als dass hierbei Interaktionen vermutet werden (Engelkamp 1998; vgl. Gerrig/Zimbardo 2009). Das Modell geht von primär linkshemisphärischer und primär rechtshemisphärischer Verarbeitung aus; diese Annahme teilt auch Paivio (vgl. 1979: 179). Es ist davon auszugehen, dass die Beteiligung des sprachlichen Verarbeitungssystems mit zunehmender gedanklicher Kontrolle zunimmt. Bei sehr flüchtiger, automatischer und nicht bewusster Aufnahme und Verarbeitung von visuellen Informationen ist das Engagement des sprachlichen Verarbeitungssystems dagegen gering. Den bisherigen Überlegungen entsprechend, werden Bilder besonders leicht codiert und zwar vorwiegend doppelt (Paivio 1971: 179-181; Paivio/Csapo 1973: 200; Engelkamp 1998). Gerade diese doppelte Codierung führt dazu, dass visuelle Informationen besonders gut gespeichert, erinnert und abgerufen werden können (vgl. Fleming/Sheikian 1972). Hierbei erhöht die geringere gedankliche Kontrolle bei der Verarbeitung Visueller Kommunikation das Potential der Medienwirkung. Es entstehen Beziehungen zwischen den ausgelösten inneren Images und den bereits im Gedächtnis vorhandenen sensuellen und sprachlichen Vorstellungen. Die Interaktion zwischen dem verbalen und dem piktorialen System spezifiziert Paivio (1971, 1991) durch die Modellierung von drei Verarbeitungsstufen: Auf der 1.) repräsentationalen Stufe interagieren verbales und visuelles System nicht; es besteht eine funktionale Unabhängigkeit beider System. Auf der 2.) referentiellen Stufe
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Spezifische Theorien zu Bildwahrnehmung und Bildverstehen
werden Referenzen zwischen beiden Systemen konstituiert, die schließlich auf der 3.) assoziativen Verarbeitungsstufe, auf der beide Systeme umfassend interagieren, zu Assoziationsketten kombiniert werden. So werden im Rahmen der erweiterten Verarbeitung gegebenenfalls neue Informationen oder Assoziationen entwickelt, die über das bloße Bildverarbeiten und Bildverstehen hinausgehen. Diese weiteren kognitiven und/oder emotionalen Verarbeitungsprozesse werden auch als Elaborationen bezeichnet. Elaborationen verstärken die Gedächtnisleistung und tragen damit wesentlich zur Wirkungsstärke Visueller Kommunikation bei (Kroeber-Riel 1993: 70; vgl. Fleming/Sheikian 1972). Hierbei lassen sich die Elaborationen bzw. Referenzen auch gezielt intendieren: Beispielsweise bietet sich auf der referentiellen Verarbeitungsstufe die Möglichkeit, Bezüge zwischen dem verbalen und dem imaginalen System über die Integration von Text-Bild-Interaktionen (z.B. durch Bildunterschriften) aktiv zu forcieren (vgl. Pinker 1998; Pinker/Kosslyn 1983). Insgesamt liefert die Theorie der Dualen Codierung einen fruchtbaren konzeptionellen Rahmen, um die divergente Verarbeitung von Bild- und Sprachinformationen zu modellieren. Mit der Grundlegung der Theorie lassen sich viele Facetten der spezifischen Wirkung der Picture Superiority über die doppelte Codierung von Bildinformationen erklären. Zudem lässt sich die Theorie der Dualen Codierung mit einer Vielzahl der etablierten Konzepte der Wahrnehmung und Informationsverarbeitung verbinden, etwa mit der Schema-Theorie, dem Hemisphären-Modell oder dem Involvement-Konzept. Interessant ist außerdem, dass die Befunde durch den Einsatz neuerer kognitions- und neurowissenschaftlicher Methoden (z.B. Positronenemissionstomographie (PET) oder „functional Magnetic Resonance Imaging“ (fMRI bzw. fMRT) heute extrapoliert werden können. Dadurch, dass die bisherigen Erkenntnisse über die Vorgänge bei der Verarbeitung und Speicherung visueller Reizen vertieft und gesichert werden können, erhält die Imagery-Forschung „eine neue Qualität“ (KroeberRiel/Weinberg/Gröppel-Klein 2009: 395). Der zunehmende neurophysiologische Fokus lässt nicht nur spezifischere Aussagen zur Lokalisierung der mentalen Aktivitäten bei der Bild- und Textwahrnehmung und –Verarbeitung zu, sondern differenziert auch das Wissen über die hier ablaufenden Prozesse in den verschiedenen Hirnarealen (vgl. Singer 2005; Berendt 2005; Boullier 2001). 2.4.4
Mentale und reale Bilder
In zahlreichen Studien hat die Imagery-Forschung Gemeinsamkeiten und Unterschiede von mentalen, inneren Bildern und realen Abbildern bzw. realer Basis erforscht; Teile der wissenschaftlichen Auseinandersetzung sind als imagery debate bekannt geworden (vgl. Kosslyn 1994; Kirby/Kosslyn 1992). Es deutet einiges darauf hin, dass für die Verarbeitung des inneren Bildes, des Abbildes und der Basis ähnliche
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oder sogar identische neuronale Mechanismen und kognitive Strukturen aktiviert werden (vgl. Berendt 2005: 22; Singer 2005: 67; Weidenmann 1988: 33). Für Prozesse innerer Vorstellung und externer Wahrnehmung werden diese neuronalen Mechanismen demnach wahrscheinlich gleichermaßen aktiviert. Zudem können die Prozesse offenbar auch interagieren. Kosslyn (1995: 290) konnte durch PositronenemissionstomographieExperimente zeigen, dass das Aufrufen von mentalen Bildern im Gehirn Verbindungen zwischen Hirnregionen aktiviert, in denen die visuelle Memorization verortet ist, und Hirnregionen, in denen die visuell-sensuelle Information der räumlichen Struktur des Bildes der Retina verarbeitet wird. Die Aktivierung mentaler Bilder geht demnach mit einer Aktivierung der entsprechenden, vorher gespeicherten, räumlichen, visuell-sensuellen Information. Die Ergebnisse legen nahe, dass mentale Bilder tatsächlich als „pictures in the head“ (Kosslyn 1995: 291), als visuelle Repräsentationen, mental fixiert werden, die bei Aktivierung „ganzheitlich erlebt werden“ (Kroeber-Riel/Weinberg/Gröppel-Klein 2009: 396). Zahlreiche Untersuchungen, etwa zur Fähigkeit der mentalen Rotation (vgl. Wiedenbauer 2006; Vandenberg/Kuse 1978; Shepard/Metzler 1971) liefern Belege für die Kongruenz der Verarbeitungsprozesse mentaler und realer Bilder. So lassen sich mentale Bilder ebenso greifbar mental abtasten und ‘anfühlen’ wie unmittelbar wahrgenommene Objekte oder Szenen; auch innere Bilder können mental im dreidimensionalen Raum gedreht oder bewegt werden und reale Bewegungen überraschend korrekt simulieren (vgl. Weidenmann 1988: 33). Gezeigt werden konnte auch, dass die bewusste Visualisierung eines Gedächtnisbildes vor dem inneren Auge zu identischen körperlichen Reaktionen führt, die auch die Wahrnehmung des tatsächlich vorhandenen Objekts auslösen würde (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg/Gröppel-Klein 2009: 396): Durch Experimente konnte beispielsweise nachgewiesen werden, dass sich die Leitfähigkeit der Haut sowie die Herz- und Atemfrequenz der Probanden beim Aktivieren angsteinflößender innerer Bilder genauso stark erhöhten wie beim Betrachten dieser furchteinflössenden Bilder in realiter (Kosslyn/Ganis/Thompson 2001: 641). Insgesamt scheint sich also die Idee einer Äquivalenz zwischen Denkprozessen, die sich visueller Vorstellungen bzw. mentaler Bilder bedienen, und Prozessen der unmittelbaren visuellen Wahrnehmung, zu bestätigen. Eine genuine Psychologie der Bildwahrnehmung, im Gegensatz zur Psychophysiologie der Visuellen Wahrnehmung, hinterfragt in diesem Kontext auch, welche Bedeutung die spezifischen Bildeigenschaften für die mentalen Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprozesse einnehmen (Schwan 2005: 126; 136; Cantoni/Marinaro/ Petrosino 2002; Kress/Leeuwen 2006). Von primärem Interesse ist hier die Frage, inwieweit die
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Spezifische Theorien zu Bildwahrnehmung und Bildverstehen „natürliche, auf unvermittelte Verhältnisse bezogene mentale Ausstattung des Menschen hinreichend ist oder ob das Erkennen von Bildern weitergehende Kompetenzen erfordert, die erst im Lauf der Auseinandersetzung mit Bildern erworben werden müssen“ (Schwan 2005: 126).
Vor allem entwicklungspsychologische Untersuchungen lassen hier den Schluss zu, dass grundlegende Erkennensleistungen von Bildinformationen weitgehend auf den Kompetenzen der natürlichen Umweltwahrnehmung basieren: Interessanterweise konnte gezeigt werden, dass Kinder schon ab einem Alter von elf Wochen ihnen zuvor bekannte Bildmotive deutlich bevorzugen (vgl. Fischer 1995: 49). Bereits mit wenigen Monaten können Kinder einfache und ihnen vertraute Objekte und Personen auf Bildern korrekt identifizieren (vgl. Schwan 2005: 127; vgl. Barrera/Maurer 1981; Hochberg/Brooks 1962). Kulturvergleichende Studien mit Angehörigen ‘bildarmer’ oder ‘bildfremder’ Kulturen bestätigen diese Erkenntnis; auch ohne explizite Bildsozialisation können Objekte und Personen ohne Identifikationsschwierigkeiten zugeordnet werden (Schwan 2005: 127). Die Identifikationsleistung scheint hierbei nicht an eine möglichst wirklichkeitsgetreue Abbildung gebunden zu sein. Auch einfache Strichzeichnungen oder Skizzen lassen bereits korrekte Einordnungen zu (vgl. Hochberg/Brooks 1962). Abstrahierte und vereinfachte Bildinformationen, die gezielt Teilaspekten betonen, die für die Identifikation oder das Verständnis relevant sind, können in ihrer Identifikationsleistung unter Umständen sogar fotorealistischen Abbildungen überlegen sein (vgl. Schwan 2005: 127; Dwyer 1978; Kress/Leeuwen 2006). Offenbar setzt allerdings das Erkennen komplexer Bildsujets oder räumlicher Szenen zusätzliche mentale Kompetenzen voraus, die erst durch Mediensozialisation bzw. bildspezifische Lernprozesse erworben werden (vgl. Schwan 2005: 128). Der Betrachter muss insbesondere lernen „eine selektive Gewichtung konkurrierender Indikatoren der Räumlichkeit und Flächigkeit vorzunehmen“ (Schwan 2005: 128). Allerdings erschöpft sich der Prozess des Bildverstehens nicht nur darin, die abgebildeten Objekte, Personen oder Situationen korrekt zu identifizieren (vgl. Humphreys/Riddoch/Boucart 1992: 105-106; Kress/Leeuwen 2006). Der Rezipient muss zudem erkennen, dass das Bild lediglich eine visuelle Repräsentation dieser Objekte, Personen oder Szenen darstellt, nicht das Abgebildete selbst (DeLoache 2002b: 215; vgl. Pietraß 2003). Auch diese Differenzierung scheint auf Lernprozessen zu basieren. So konnte DeLoache (2002a) zeigen, dass Kinder bis zum Alter von etwa neun bis zwölf Monaten noch gegenüber Bildern handelten als wären sie Objekte, z.B. versuchten sie, nach den abgebildeten Objekten zu greifen (vgl. Flavell/Flavell/Korfmacher 1990; Berry/Asamen 1993). Auch die mentale, handlungsrelevante Verknüpfung von Bild und Basis scheint erst erlernt werden zu müssen (vgl. Schwan 2005: 129; DeLoache 2002b: 215). So haben Kinder bis zum Alter von drei Jahren Schwierigkeiten, in einem abgebildeten Raum positionierte Objekte in der realen Raumsituation zu orten; der Transfer von der Abbildungsinformation auf das reale handlungsrelevante Objekt gelingt erst im Alter von vier
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Jahren mühelos (vgl. DeLoache 2002b: 212). Komplexere Repräsentationsschlüsse, wie die Identifikation und das Verständnis fiktionaler Sachverhalte, können erst ab dem Vorschulalter vollzogen werden. Die Entwicklung der Kompetenz zur so genannten Erscheinungs-Wirklichkeits-Unterscheidung lässt sich ab einem Alter von etwa drei Jahren anhand der Kriterien Farbe, Größe und Form beobachten; Interpretationsfehler treten hierbei aber noch häufig auf (vgl. Fischer 1995: 300-301; Berry/Asamen 1993). Chandler (1997: 69-70) konnte in seiner Aufarbeitung zum Forschungsstand extrahieren, dass Kinder bis zum zehnten Lebensjahr die Fähigkeit nahezu vollständig entwickelt haben, zwischen Fakt und Fiktion zu trennen (vgl. Fitch/Huston/Wright 1993). Mit Gewinn der Erkenntnis, dass die Referenz auf reale Sachverhalte keine notwendige Bedingung für eine Bilddarstellung ist, wird eine neue Qualität des Bildverstehens erreicht (Schwan 2005: 129). Die heutige Mediensozialisation führt in der Regel dazu, dass Jugendliche über ein umfangreiches Repertoire verfügen, massenmediale Darstellungen als fiktional oder real zu erkennen (Rothmund/Schreiber/Groeben 2001; vgl. Pietraß 2003). 2.4.5
Bildverstehen, Bildkompetenz und Visual Persuasion
Der Forschungsbereich Bildverstehen, Bildkompetenz und Visual Persuasion ist noch recht jung und versammelt Zugänge aus philosophischer, psychologischer, medienpädagogischer und auch kognitionswissenschaftlicher Perspektive. Dabei lassen sich aus den spezifischen Theorien zu Bildverstehen, Bildkompetenz und Bildwirkung einige interessante Erkenntnisse gewinnen, die das Verständnis der Funktions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation abrunden. Ausgangspunkt der Überlegungen bildet die Erkenntnis, dass der Prozess des Bildverstehens, unabhängig von seiner spezifischen Modellierung, entsprechende Verstehensleistungen verlangt, die wiederum spezifische Bildkompetenzen erfordern. Bildkompetenzen dienen demnach als Bedingung für korrektes Verstehen der visuellen bzw. bildlichen Botschaft. Hier konnte Messaris (1994) ergänzen, dass die Wahrnehmung, Verarbeitung und Interpretation von Bildern zumindest teilweise auf konventionalisierten Mechanismen basiert. Darauf aufbauende, vornehmlich lernpsychologisch orientierte Forschungen zur Visual Literacy (vgl. Messaris 1993; 1994; 1998) differenzieren die Bedeutung von speziellen visuellen Kompetenzen für das umfassende Verständnis visueller Kommunikationsprozesse (vgl. Pauwels 2000; Arizpe/Styles 2003; Kress/van Leeuwen 2006). Scholz (1998: 107) fasst diese exemplarisch in den drei Kategorien zusammen 1.) äußere Rahmenbedingungen, 2.) individuelle und 3.) soziale Prädispositionen (Scholz 1998: 107). Dabei ist plausibel, dass die Kompetenzanforderungen mit zunehmender Verstehensleistung steigen. Die umfassendste und anspruchsvollste Stufe des Bildverstehens besteht in der Erkenntnis, Einordnung und Interpretation
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Spezifische Theorien zu Bildwahrnehmung und Bildverstehen
eventueller kommunikativer Intentionalität (vgl. Schwan 2005: 130; Kress/Leeuwen 2006). Prägnant formuliert hier Messaris (1994: 154): „Beyond detection and attention lie the analysis and evaluation of purpose“. Der daraus resultierenden Notwendigkeit einer „kritischen Bildkompetenz“ (Schwan 2005: 132; vgl. Sachs-Hombach 2003b) steht allerdings gegenüber, dass das kognitive Involvement und die kognitive Kontrolle bei der Bildrezeption in der Regel als gering einzustufen sind. Disziplinen wie die Medienpädagogik oder Kommunikationswissenschaft haben hier häufig darauf hingewiesen, dass die notwendige spezifische piktoriale Kompetenz meist wenig ausgeprägt ist und auch wenig gefördert wird (Bergstroem 2008: 11; vgl. Weidenmann 1988; Schierl 2005; Messaris 1998; 2001; Meyrowitz 1998): „Hier liegt noch ein Forschungsdesiderat“ (Pandel 2009: 12; vgl. Müller 2008; Messaris 1998). Weidenmann (1988: 83; 1998: 247) konnte beispielsweise nachweisen, dass sich Betrachter bei der Bildrezeption meist damit begnügen, eine abgebildete Szene zu identifizieren und mit ihrem bisherigen Wissen abzugleichen („Bildverstehen 1. Ordnung“); eine systematische Auseinandersetzung mit der Intention der Darstellung findet hingegen selten statt („Bildverstehen 2. Ordnung“; vgl. Weidenmann 1988: 83; 1989). In einer Studie von Salomon (1984: 647) zeigte sich schon bei Zehnjährigen, dass diese die Meinung vertraten, beim Bildverstehen eine geringe, beim Textverstehen dagegen eine hohe mentale Anstrengung investieren zu müssen: „Television is ‘easy’, print is ‘tough’“. Rezipienten scheinen also selbst zu vermuten, Bilder ließen sich ‘gedankenlos’ rezipieren (vgl. Weidenmann 1988: 15; 1989; Elkins 2003). Auch wenn diese Vermutung auf Seiten der Rezipienten mit der Erkenntnis Visueller Kommunikationsforschung korrespondiert, dass Bildinformationen bzw. visuelle Inhalte tatsächlich mit geringerem kognitivem Engagement verarbeitet werden können, scheint die offenbar grundsätzlich eher ‘unkritische Rezeptionseinstimmung’ ein niedriges Niveau kognitiver Kontrolle bei visueller Informationsaufnahme und Verarbeitung zu unterstützen. Entsprechend lässt sich postulieren, dass Bildkommunikation in Kontexten Politischer Kommunikation ebenso wie in der Werbung Visual Persuasion oder sogar Visual Manipulation, visuelle persuasive Wirkungen, entfalten kann, die allein über Textkommunikation nicht zu realisieren ist (vgl. Messaris 1994: 154; 1992; 1997; Schierl 2005: 309).
3 Der Modus Politischer Kommunikation und seine Funktionslogik
Wie Kamps (2007: 18) resümiert, hat sich Kommunikation für Politik und Öffentlichkeit in der Mediengesellschaft „zum Gebot, zur conditio sine quo non“ entwickelt. Dass Politik fundamental auf Vermittlung angewiesen ist, ist zwar keine Erkenntnis der heutigen Mediengesellschaft, doch wird heute zunehmend spürbar, dass die Folgen einer mediatisierten Gesellschaft Einfluss auf die grundsätzlichen Möglichkeiten und Grenzen der Politikvermittlung nehmen. Seit einiger Zeit wird daher ein Paradigmenwechsel in der politischen Kultur beschrieben, der mit wechselseitigen Anpassungsprozessen aller am politischen Prozess beteiligten Akteure einhergeht. Die „Trias politischer Kommunikation“ (Kamps 2007: 20) – Politik, Medien, Öffentlichkeit – stellt sich hier als überaus vielschichtiges, zunehmend interdependentes Beziehungsgeflecht dar (vgl. Brettschneider 2002b). So kann man sich, wie Donsbach (1991: 15) veranschaulicht, „die modernen Informationsgesellschaften als einen Markt vorstellen, auf dem es immer schwieriger wird, seine Produkte in Form von Informationen, Themen, Argumenten und Werturteilen abzusetzen. Die Selektionsmechanismen der Bürger zu kennen und diese Kenntnis gezielt einzusetzen, kann einen entscheidenden Marktvorteil bedeuten. Für die Politik lässt sich ein solcher Vorteil in Macht (...) ummünzen.“
Das Wissen um die „Selektionsmechanismen der Bürger“ ist demnach eine zentrale strategische Grundlage des politischen Kommunikationsmanagements. Dies gilt für das politische ‘Alltagsgeschäft’ der Kommunikation ebenso wie für den Wahlkampf (vgl. Kap. 4.1). Die Bedingungen und Charakteristika Politischer Kommunikation in der Mediengesellschaft und die resultierenden Trends Politischer Kommunikation bilden einen Handlungsrahmen, den es zu berücksichtigen gilt. Die wissenschaftliche Diskussion um die Folgen der zunehmenden Mediatisierung von Politik geht indes häufig mit der normativen Kritik der Entpolitisierung des Politischen einher. Mit Bezug auf demokratie- theoretische Ideale wird hierbei insbesondere eine größer werdende Kluft zwischen Entscheidungs- und Darstellungspolitik bemängelt, die gerade auch an der Visualisierung von Politik prototypisch festgemacht wird (vgl. Kamber/Schranz 2002; Meyer/Schicha/Brosda 2001; Meyer/Ontrup/Schicha 2000; vgl. Sarcinelli 2005; Radunski 2003; Müller 1999a). Dieser normativ geprägten Betrachtung wird eine Positionierung gegenübergestellt, die im Bezug zu den Interaktions-
S. Geise, Vision that matters, DOI 10.1007/978-3-531-92736-7_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Politische Kommunikation und Politikvermittlung
analysen Goffmans die integrale Dualität von Entscheidung und Darstellung annimmt. 3.1 Politische Kommunikation und Politikvermittlung Nach der weithin akzeptierten Begriffsbestimmung von Easton (1965: 21) ist Politik Herstellung und Durchsetzung allgemeinverbindlicher Entscheidungen über die Gestaltung der Gesellschaft; zum politischen System zählen damit „interactions through which values are authoritatively allocated for a society“ (vgl. Jarren/Donges 2006: 21; Münch 1996: 22). Dabei müssen politische Inhalte und deren öffentliche Umsetzung „zusammen gedacht werden“ (Balzer/Geilich 2005: 16); bereits in der Antike wurde diese Interdependenz diskutiert (vgl. etwa die Dialoge zwischen Sokrates und Kallikles: Platon 1998). Ob für die klassische politische Debatte, den medialen politischen Diskurs oder den werbewirksam inszenierten Wahlkampf: „Wo Politik (...) öffentlich wird, vor allem in Phasen der Problemartikulation und bisweilen auch der Politikentscheidung (...), entscheidet Politische Kommunikation darüber, ob ein Thema auf die Tagesordnung kommt oder (...) auf Akzeptanz stößt“ (Sarcinelli 2005: 16).
Dies gilt insbesondere, da Demokratien zustimmungspflichtige politische Ordnungen sind, in denen Politik als asymmetrischer Prozess auf die Rückkoppelung zum sozialen System der Gesellschaft angewiesen ist: „Politik bedarf öffentlicher Darstellung, Begründung und Rechtfertigung. Sie braucht Legitimation durch Kommunikation“ (Sarcinelli 1998c: 148). Aus diesem Grund interpretiert Sartori (1992: 3) Demokratien als „government by discussion“. Die Politische Kommunikation oder Politikvermittlung wird hierbei ganz allgemein als der Funktionsbereich beschrieben, in der die Aufgaben dieser Legitimation durch Kommunikation realisiert werden. Nichtsdestotrotz stellt sich die Suche nach einer differenzierteren Definition des Gegenstandsbereichs Politische Kommunikation als Problem dar: „Politische Kommunikation lässt sich trotz des größer werdenden Forschungsinteresses (...) noch nicht zufrieden stellend beschreiben“ (Jarren/Sarcinelli 1998: 13; vgl. Nimmo/Sanders 1981; vgl. McNair 1995; Marcinkowski 2001a: 238). „Eine allgemein akzeptierte Definition von Politischer Kommunikation sucht man nach wie vor vergeblich“ (Sarcinelli 2005: 16), denn Politische Kommunikation präsentiert sich bis heute als „unklar definierter wissenschaftlicher Gegenstand“, dem es an einer einheitlich verbindlichen Systematik fehlt (Jarren/Donges 2006: 19). Saxer (1998: 22-23) sieht jeden Versuch, „Politische Kommunikation zu definieren (...) mit deren Grenzenlosigkeit und Hyperkomplexität konfrontiert“, beklagt die normative Überformung Politischer Kommunikation ebenso wie die weiterhin bestehenden Zweifel an ihrer Relevanz und kommt zu dem Schluss, dass „das Forschungsfeld Politische Kommunikation nur unscharf definiert und heterogen strukturiert sein kann“. Als
Politische Kommunikation und Politikvermittlung
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Arbeitsdefinition schließlich sieht er Kommunikation als Bedeutungsvermittlung, Politik als „gesellschaftliches Teilsystem, das allgemein verbindliche Entscheidungen generiert“ und Politische Kommunikation als „zentrale[n] Mechanismus bei der Herstellung, Durchsetzung und Begründung“ von Politik (Saxer 1998: 25; vgl. Jarren/Donges 2006: 22). Demnach ist Politische Kommunikation „nicht nur Mittel der Politik“, sondern „selbst auch Politik“ (ebenda; vgl. Sarcinelli 2005: 11). Analog argumentiert Marcinkowski (2001: 242), wenn er Kommunikation nicht als Teilbereich oder Dimension von Politik beschreibt, „sondern als ihr zentraler Operationsmodus“, weshalb er folgert: „Kommunikation findet immer dann statt, wenn Politik stattfindet“. Basierend auf diesen Interpretationen von Politischer Kommunikation als systemimmanentes Triebwerk lässt sich eine analytische Trennung der Herstellung von Politik und ihrer Darstellung nicht aufrechterhalten (Jarren/Donges 2006: 21). Dagegen sieht Perloff (1998: 8) Politische Kommunikation als einen Prozess an, „by which a nation’s leadership, media and citizenry exchange and confer meaning upon messages that relate to the conduct of public policy“. Dieser Interpretation Politischer Kommunikation als Austauschprozess an dem politische Akteure, Medien und Bevölkerung beteiligt sind (ebenda), steht ein räumliches Verständnis Politischer Kommunikation gegenüber. Politische Kommunikation wird hier verstanden als „space in which contradictory discourse is exchanged between (...) politicians, journalists and public opinion“, als „arena in which different types of discourse revolving around politics vie to gain ascendency in the political interpretation of the situation“ (Wolton 1990: 12-13). Etwas allgemeiner sieht McNair (1995: 4) Politische Kommunikation als jene Kommunikationen, die von Politikern bzw. politischen Akteuren ausgehen, an sie gerichtet sind oder Politiker bzw. politische Akteure und ihr Handeln zum Gegenstand haben (vgl. Denton/Woodward 1990: 14; Nimmo/Sanders 1981). Insgesamt lässt sich anhand dieses Überblicks zur Begriffsbestimmung von Politischer Kommunikation festhalten, dass bei aller Definitionsvielfalt vier grundsätzliche Strömungen erkennbar sind, den Untersuchungsgegenstand zu operationalisieren, nämlich: Politische Kommunikation als 1. Prozess, 2. Raum, 3. systemimmanentes Triebwerk sowie 4. akteurzentriert als Kommunikation von, an oder über politische Akteure (vgl. Schulz 2003: 459). Einigkeit besteht darüber, dass eine Grenzziehung zwischen politischer Kommunikation und politischem Handeln nur schwer zu realisieren ist (vgl. Schulz 2003: 458). Für das vorliegende Forschungsprojekt bietet die akteurzentrierte Definition von McNair Anknüpfungspotential, sofern hierbei die vielschichtigen Austauschprozesse zwischen Politik, Medien und Bevölkerung ins Blickfeld rücken. Dieser Argumentation folgend, und im Rückbezug auf die vorgestellte Definition von Visueller Kommunikation (vgl. Kap. 2.2.3), wird Politische Kommunikation folgendermaßen operationalisiert:
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Politische Kommunikation und Politikvermittlung
Definition: Politische Kommunikation Politische Kommunikation bezeichnet interne und externe Vermittlungs- und Austauschprozesse von Bedeutungsinhalten mit direkter oder indirekter politischer Relevanz sowie deren Wechselwirkungen zwischen politischen Akteuren, Medien und Bevölkerung.
Für die Fokussierung auf den Anwendungsbereich Visueller Politischer Kommunikation leitet sich aus diesen Überlegungen die in Kapitel 2 eingeführte Differenzierung des Untersuchungsgegenstandes ab (vgl. zur Herleitung Kap. 2.2.3):
Definition: Visuelle Politische Kommunikation Visuelle Politische Kommunikation bezeichnet sämtliche interne und externe Vermittlungs- und Austauschprozesse von Bedeutungsinhalten mit direkter oder indirekter politischer Relevanz sowie deren Wechselwirkungen zwischen politischen Akteuren, Medien und Bevölkerung, sofern sich diese visueller Phänomene bedienen, die sich in Form von Bildern materialisieren.
Diese Definition von (Visueller) Politischer Kommunikation basiert auf der grundlegenden Interpretation von Kommunikation als „Bedeutungsvermittlung zwischen Lebewesen“ (Maletzke 1963: 18) nach der Kommunikation ganz grundsätzlich Vermittlungs- und Austauschprozesse von Bedeutungsinhalten bezeichnet. Analog hat Bentele (1998: 130) eine Typologie Politischer Kommunikation konzipiert, die jede menschliche Kommunikation einbettet, die sich „thematisch oder aufgrund der Beteiligung von Akteuren des politischen Systems der Politik zurechnen lässt“. Die vorgeschlagene Definition bietet externer politischer Medienberichterstattung ebenso Raum wie politischer Werbung oder Öffentlichkeitsarbeit (vgl. Bentele 1998: 130131; vgl. Abb. 3). Auch die Ebene der internen interpersonalen (Partei-) Kommunikation findet im Entwurf Integration, die damit der Beobachtung Rechnung trägt, dass Politische Kommunikation grundsätzlich in spezifischen „Kommunikationssphären“ mit spezifischen „Kommunikationslogiken“ zu realisieren ist (vgl. Sarcinelli 2003: 52; Wiesendahl 2002: 365). Die Begriffslegung hat weit reichende Folgen für die Frage, wo sich die Politikvermittlung ansiedeln lässt, denn sie integriert jene Ansätze, die nach einer Abgrenzung von Politischer Kommunikation und Politikvermittlung suchen oder diese als eine Unterfunktion von Politischer Kommunikation sehen: Wo Kommunikation umfassend als Prozess der Bedeutungsvermittlung (vgl. Maletzke 1963: 18; Burkart 2002: 33) interpretiert wird, ist eine Differenzierung von Politischer Kommunikation und Politikvermittlung hinfällig.
Politische Kommunikation und Politikvermittlung
Abbildung 3:
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Typen politischer Kommunikation (Bentele 1998a: 131).
Die Integration ist auch deshalb plausibel, da die vorliegenden Abgrenzungsversuche, Politikvermittlung allgemein als Transferprozess von Politics, Polity und Policy an den Bürger interpretieren (vgl. Marcinkowski 1996: 202), was wenig trennscharf ist. So nimmt auch Sarcinelli (1987: 19) in seiner Grundlegung des Begriffs keine Trennung zwischen Politischer Kommunikation und Politikvermittlung vor, sondern umschreibt mit Politikvermittlung allgemein das Faktum, dass jedes demokratische System spezifischer Verfahren und Institutionen bedürfe durch „die Politik zwischen Herrschenden und Beherrschten, zwischen den politischen Führungseliten und den Bürgern vermittelt werde (...), denn ohne Verbindung und Vermittlung, ohne Information und Kommunikation ist eine Kenntnisnahme und -gabe von Wünschen, Forderungen, von Meinungen und Widerständen nicht möglich, ist gesellschaftliches Zusammenleben schwer vorstellbar“ (Sarcinelli 1998a).
Damit interpretiert Sarcinelli (1998a: 11-12) Politikvermittlung nicht nur als grundlegendes Phänomen gesellschaftlicher Ordnungsbildung, sondern legt auch nahe, dass Kommunikation in der Vermittlung aufgeht und umgekehrt:
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Funktionen von Politischer Kommunikation „Je nach Akteur, Situation und Politikfeld kann es – in ganz unterschiedlichen Mischungen – um Politikvermittlung im Sinne von Information, um Politikvermittlung als Appellation oder Persuasion, um Politikvermittlung mit dem Ziel der Partizipation oder auch um Politikvermittlung in politisch-pädagogischer Absicht gehen.“
Die Vermutung, Politikvermittlung fokussiere primär auf eine ‘objektive’ Vermittlung im Sinne politischer Bildung (vgl. Jarren/Donges/Weßler 1996a: 15), erscheint dagegen problematisch; insbesondere auch, da sich für eine analytische Trennung eine zu deutliche Verschränkung von Herstellungs- und (symbolischer) Darstellungspolitik zeigt, auch oder gerade bei deren Vermittlung (vgl. Edelman 1990: 105; Jarren/Donges/Weßler 1996: 9; Sarcinelli 2005: 137; vgl. zur Diskussion Kap. 3.5). Ebenso problematisch erscheint die Differenzierung zwischen Interessenvermittlung als medialem Input von Themen und Meinungen „für den Prozess staatlicher Politikformulierung“ und „fernsehgestützter“ Politikvermittlung als „Report für die Öffentlichkeit über die Verläufe und Ergebnisse von Politik“ (Marcinkowski 1996: 204; 207). Auch die hier anklingende Idee, Politikvermittlung rekurriere auf den „kommunikativen Aspekt der Vermittlung politischer Entscheidungen durch die Massenmedien“ und damit auf die wechselseitige Beziehung zwischen Politik und Medien, etwa durch Öffentlichkeitsarbeit (vgl. Pfetsch/Dahlke 1996: 138), erscheint wenig zielführend, besonders, da heute nahezu jede politische Information medienvermittelt ist (vgl. Schulz 2006: 13-14). Zudem deutet bereits Sarcinelli (1998a: 15) an, dass die Fokussierung auf die medienvermittelte Außenperspektive Politischer Kommunikation zu kurz greift, denn „Politikvermittlung im weiteren Sinne hat sich auch zu bewähren bei der Durchsetzung ‘nach innen’“. Insofern entspringt die hier vertretene Interpretation der Auffassung, dass Politische Kommunikation sämtliche Vermittlungs- und Austauschprozesse von Bedeutungsinhalten mit direkter oder indirekter politischer Relevanz sowie deren Wechselwirkungen einschließt. 3.2 Funktionen von Politischer Kommunikation Nach der berühmten Gettysburg-Formel Lincolns ist Demokratie „Herrschaft des Volkes“, „Herrschaft durch das Volk“ und „Herrschaft für das Volk“ (Sartori 1992: 44); als solche bedarf sie der direkten oder indirekten Teilnahme der Bürger an der politischen Entscheidungsfindung (vgl. von Alemann 2002: 79-80). Grundlage politischer Entscheidungsprozesse sind politische Informationen, definiert als jene Bedeutungsinhalte, die „es dem Individuum ermöglichen, sich in der politischen Welt zu orientieren“ (Schmitt-Beck 2000: 34). Schmitt-Beck (2000: 34, 30) bezeichnet politische Informationen daher als „geistige Repräsentation der politischen Welt“, als „Rohstoff politischer Entscheidungen“. Als solche dienen sie dem Bürger dazu, Erwartungen, Ideen, Überzeugungen und Bewertungen der jeweiligen politischen Entwicklungen bzw. der daran beteiligten Akteure sowie von politischen Prozessen,
Funktionen von Politischer Kommunikation
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Strukturen und den resultierenden Konsequenzen zu entwickeln (ebenda). Dies manifestiert auch das Bundesverfassungsgericht im bekannten Spiegel-Urteil: „Soll der Bürger politische Entscheidungen treffen, muss er umfassend informiert sein“ (BVerfGE 20, 162 C1). Auch wenn Saxer (1998: 42) konstatiert, wegen der „Universalität und Leistungsvielfalt“ von Kommunikation sei es schwierig, eine vorläufige Bilanz ihrer Funktionalität zu ziehen, ergibt sich die wesentliche Funktion der Politischen Kommunikation doch aus der ihr zugeschriebenen Vermittlungsleistung im politischen Prozess moderner Öffentlichkeit. Einerseits ist das demokratische System, will es allgemein verbindliche Entscheidungen treffen, diese begründen und durchsetzen, auf die Vermittlungsfunktion und Problemlösungskapazität Politischer Kommunikation angewiesen (vgl. Saxer 1998: 54; 57). Andererseits dient Politische Kommunikation zugleich der Reduktion von Ungewissheit: Als „erfahrene Bedeutungsinhalte“ vergrößern politische Informationen die „Gewissheit über die Beschaffenheit der politischen Welt“ (Schmitt-Beck 2000: 34). Entsprechend sieht Wolton (1990: 12) die Funktion Politischer Kommunikation im „effect of making politics possible“. Diese Formulierung verweist auf einen wichtigen, eng mit der Vermittlungsfunktion verbundenen Faktor, nämlich darauf, „systemgefährdende Entfremdungserscheinungen“ (Czerwick 1998: 258; vgl. 1986) zwischen Politik und Bürgern zu vermeiden. Dies gilt insbesondere, da es bei Politischer Kommunikation immer auch um Fragen der Legitimation der Politik durch den Bürger sowie um seine Partizipation am politischen System und dessen Responsivität geht. Hier nimmt Kommunikation eine zentrale, konstituierende Funktion ein, die sich wiederum aus der beschriebenen Vermittlungs- bzw. Systemerhaltungsfunktion Politischer Kommunikation ergibt. Zugespitzt ließe sich hierzu in Anlehnung an Wolton formulieren: Gerade weil Kommunikation Legitimation, Partizipation und Responsivität möglich macht, macht sie Demokratie möglich (vgl. Sarcinelli 1998b; Barnes/Kaase 1979; Gabriel/Brettschneider 1998; Verba/Schlozman/Brady 1995; Herzog 1998; Brettschneider 2002a; Patzelt 1998). Neben der Sicherung von Partizipation, Legitimation und Responsivität stellt auch die Sozialisationsfunktion eine wichtige Leistung Politischer Kommunikation dar. Sie lässt sich bezeichnen als Summe von politikbezogenen Lernprozessen, die aus psychologischer Perspektive zur Herausbildung der politischen Identität beitragen und aus soziologischer Perspektive die Integration in das gesellschaftlich-politische System ermöglichen (vgl. Kulke 1980: 745-746; Bonfadelli 1998: 344). Im Rahmen der Tradierung gesellschaftlicher Bedeutungs- und Wertmuster werden dem Bürger nicht zuletzt durch Politische Kommunikation Strukturen und Inhalte der politischen Ordnung vermittelt (vgl. Saxer 1998: 45; Bonfadelli 1998: 344). Im Rahmen der politischen Sozialisation werden Eigenschaften wie aktive Partizipation im politischen Prozess oder die Bereitschaft zu politischer Kommunikation ebenso begründet wie politische Werthaltungen und Einstellungen (vgl. Bonfadelli 1998: 342). Deswegen ist es nur folgerichtig, dass die politische Sozialisation in engem Zusam-
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Bedeutung der Medien für Politik und Politikvermittlung
menhang zur generellen Bereitschaft der politischen Partizipation zu sehen ist (vgl. Andersen/Woyke 2003: 522). Nach demokratietheoretischen Überlegungen sind zur Erfüllung der Funktionen Politischer Kommunikation zusammengefasst folgende Voraussetzungen notwendig (vgl. Sarcinelli 1998a: 12; Saxer 1998: 43-46): 1.
2. 3.
4.
5.
Offenheit und Pluralität im Zugang: Der Zugang zum Informations- und Kommunikationssystem darf nicht exklusiv sein. Politische Kommunikation sollte sich deshalb einer Vielzahl von Quellen bedienen. Richtungspolitische Pluralität: Politische Kommunikation muss die Vielfalt der politischen Richtungen wiedergeben. Zielgruppenadäquanz: Politische Kommunikation muss unterschiedliche Zielgruppen erreichen können; dazu muss sie unterschiedliche Komplexitätsgrade bedienen können. Dialogorientierung: Politische Kommunikation muss auch Möglichkeiten der kommunikativen Rückkoppelung von den Bürgern zu den politischen Akteuren beinhalten. Glaubwürdigkeit: Politische Kommunikation und das zur Vermittlung genutzte Mediensystem müssen eine hinreichende Glaubwürdigkeit besitzen.
Schon die hier grob skizzierten normativen Anforderungen an die strukturellen bzw. systemischen Rahmenbedingungen von Politischer Kommunikation verweisen darauf, dass Medien im Prozess der Vermittlung politischer Inhalte eine zentrale Rolle einnehmen. Bereits die ersten beiden Forderungen nach Offenheit und Pluralität wären ohne ein funktionierendes Mediensystem kaum zu erreichen. Medien sind damit für (moderne) Politische Kommunikation konstitutiv; ihre Bedeutung für Politik und Politikvermittlung wird nun näher betrachtet. 3.3 Bedeutung der Medien für Politik und Politikvermittlung Die vorhergehenden Überlegungen verdeutlichen, dass Politische Kommunikation konstituierend für die Leistungsfähigkeit des politischen Systems ist. Dabei, dies wurde bisher nur impliziert, ist Politische Kommunikation zu einem großen Teil medienvermittelt: Politik und politisches Handeln mögen für den interessierten Bürger auf kommunaler Ebene noch erlebbar sein, auf nationaler oder internationaler Ebene ist der Zugang zu den vielschichtigen politischen Informationen in ihren Entscheidungs- und Begründungszusammenhängen nicht ohne Vermittlungsinstanz möglich (vgl. Czerwick 1986: 57; Marcinkowski 1996: 204). Dies gilt umso mehr, da der Umfang direkter und interpersonaler politischer Kommunikation stagniert und politisch-soziale Milieus zunehmend zerfallen, wäh-
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rend die Reichweite der Massenmedien eine enorme Expansion erfahren hat (vgl. Schulz 2008: 28; Rudzio 2006: 382; Schulz/Blumler 1994: 212). Medien sind aber nicht nur Übermittler, sondern auch Einflussfaktor Politischer Kommunikation. Diese doppelte Funktion hat das Bundesverfassungsgericht als Medium- und Faktorfunktion der Medien bezeichnet (BVerfGE 57: 295). In ihrer Mediumfunktion sind Medien eine zentrale Instanz für die Übermittlung von Informationen, wobei sie Themen für die öffentliche Diskussion bereitstellen (auch: Informationsfunktion; vgl. Delhaes 2002: 14). Andererseits beteiligen sich die Massenmedien in ihrer Faktorfunktion auch selbst an dieser Diskussion (Beyme/Weßler 1998: 320), indem sie Themen kommentieren, bewerten, in den Vordergrund stellen oder vernachlässigen (auch: Artikulations- bzw. Katalysatorfunktion; vgl. Delhaes 2002: 14; Marcincowski 1996: 202). Die Interpretation der Medien als wichtiger Funktionsträger im Prozess politischer Willensbildung und politischer Kontrolle führt in nahezu allen demokratischen Gesellschaften zu einer verfassungsrechtlichen Sonderstellung der Massenmedien; so argumentiert auch das Bundesverfassungsgericht im bereits erwähnten Spiegel-Urteil (Art. 5 GG; vgl. BVerfGE 20, 162 C1): „Die Presse hält [die] ständige Diskussion in Gang; sie beschafft die Informationen, nimmt selbst dazu Stellung und wirkt damit als orientierende Kraft in der öffentlichen Auseinandersetzung. In ihr artikuliert sich die öffentliche Meinung; die Argumente klären sich in Rede und Gegenrede, gewinnen deutliche Konturen und erleichtern so dem Bürger Urteil und Entscheidung. In der repräsentativen Demokratie steht die Presse zugleich als ständiges Verbindungs- und Kontrollorgan zwischen dem Volk und seinen gewählten Vertretern in Parlament und Regierung. Sie fasst die in der Gesellschaft und ihren Gruppen unaufhörlich sich neu bildenden Meinungen und Forderungen kritisch zusammen, stellt sie zur Erörterung und trägt sie an die politisch handelnden Staatsorgane heran, die auf diese Weise ihre Entscheidungen auch in Einzelfragen der Tagespolitik ständig am Maßstab der im Volk tatsächlich vertretenen Auffassungen messen können.“
Diese Sonderstellung, aus der Medien auch als eine ‘vierte demokratische Macht’ beschrieben werden (Kritik- und Kontrollfunktion der Medien; vgl. Delhaes 2002: 14), scheint in der Mediengesellschaft an Gewicht zu gewinnen: „Für die politische Meinungsbildung ist von großer Bedeutung, dass für nahezu die Hälfte der Deutschen Politik kein Gesprächsthema ist, mithin Massenmedien die einzige ‘Brücke zur Politik’ bilden“ (Rudzio 2006: 382-383; vgl. mit Verweis auf Brettschneider 1997: 286).
Wer aber die Medien als „Brücke zur Politik“ (ebenda), als „Schlüsselinstanz der Politikvermittlung“ (Sarcinelli 2005: 142) begreift „als Bühne zur Politikdarstellung“ (Sarcinelli 2005: 30) nutzen möchte, muss sich an der Selektions- und Marktlogik der Medien orientieren. Denn „für wichtig gehalten wird das, was medial gerade Beachtung findet“ (Sarcinelli 2005: 146). Insofern ist insgesamt von einer wachsenden Bedeutung der Medien auszugehen – und zwar sowohl im Hinblick auf ihre Funktion als Medium und Faktor sowie auch als Katalysator. Nicht zuletzt deshalb ist differenzierter zu hinterfragen, welche Rolle die Massenmedien in Prozessen politi-
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Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft
scher Kommunikation einnehmen bzw. wie diese Rolle sich unter den Bedingungen der Mediengesellschaft gewandelt hat. 3.4 Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft Wie Merten (2005: 21) darstellt, lässt sich die Entwicklung zur heutigen Gesellschaft ohne Bezug auf das Medien- oder Kommunikationssystem weder erklären noch begreifen. Eng mit dieser Überlegung verbunden ist die Begriffsprägung der Mediengesellschaft: Beschrieben wird hiermit ein vielschichtiges Wirkungs- und Entwicklungsgeflecht zwischen Medien, Gesellschaft und deren relevanten Teilsystemen wie Politik, Ökonomie oder Staatswesen (vgl. Imhof/Blum/Bonfadelli/Jarren 2002; 2004). Dabei findet der Begriff der Mediengesellschaft insbesondere Verwendung, um die mit der steigenden Bedeutung der Medien einhergehenden Strukturveränderungen von Medien und Gesellschaft sowie die zunehmend ökonomische Bedeutung der Medien zusammenzufassen (vgl. Imhof/Blum/Bonfadelli/Jarren 2006: 1617; Jarren/Donges 2006: 28). 3.4.1
Charakteristika der Mediengesellschaft
In erster Linie rekurriert der mittlerweile populäre Begriff der Mediengesellschaft auf die „Ausdifferenzierung eines nach Marktkriterien operierenden, eigenlogischen Mediensystems“, das mit einem öffentlichkeitsstrukturellen Wandel moderner Gesellschaften einhergeht (Eisenegger 2005: 62). Als symptomatisch für die Mediengesellschaft lassen sich folgende Merkmale erkennen (vgl. Jarren/Donges 2006: 28; Eisenegger 2005: 62; Jarren 2001: 11-12): Als Konsequenz der Ausdifferenzierung des Mediensystems zeigt sich eine quantitative und qualitative Expansion publizistischer Medien. Die einhergehende Marktdifferenzierung führt, gestützt durch die notwendiger werdende Zielgruppenorientierung, zu einer Heterogenisierung des Angebots, die sich in der permanenten Produktion neuer Medienformen und Medienformate niederschlägt. Als Zielgruppenzeitschriften, Spartenkanäle und Online-Medien entwickeln sich diese zunehmend parallel zu herkömmlichen Massenmedien, um zielgruppenspezifische Informationsbedürfnisse spezialisierter zu bedienen. Kennzeichnend ist hierbei nicht nur die Ausweitung des Medienangebots in Menge und Qualität, sondern auch hinsichtlich der Faktoren Zeit und Erreichbarkeit. Damit geht eine Zunahme der Vermittlungsleistung und der Vermittlungsgeschwindigkeit öffentlich verfügbarer Informationen einher, wobei dieser Prozess insbesondere durch elektronische Medien und Online-Angebote gestützt wird. Auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene führt dies zu einem Bedeutungsgewinn der Medien hinsichtlich ihres sozialen Einflusses: „Die Medien durchdringen immer stärker und engma-
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schiger alle gesellschaftlichen Bereiche“ – ein Prozess, der als Mediatisierung oder Medialisierung der Gesellschaft bezeichnet wird (Jarren/Donges 2006: 28; vgl. Imhof/Blum/Bonfadelli/ Jarren 2006: 19). Faktisch führt die verstärkte Aufmerksamkeit und Anerkennung der Medien, die sich nicht zuletzt in wachsenden Beachtungs- und Nutzungswerten spiegelt, zu einer zunehmenden „Verschmelzung von Medienwirklichkeit und politischer wie sozialer Wirklichkeit“ (Sarcinelli 1998d: 678). Hier ergänzt Sarcinelli (1998d: 678679) zwei weitere Ebenen der Mediatisierung bzw. deren Folgen, nämlich die zunehmende Wahrnehmung von Politik im Rahmen medialer Erfahrung sowie, eng damit verbunden, die Anpassung politischen Handelns und Verhaltens an die Gesetzmäßigkeiten des Mediensystems. Entsprechend konzipiert Krotz (2001: 32-35) im Rahmen seiner Überlegungen zu Medienentwicklung und ihrer Konsequenzen die Medialisierung nicht als technisches, sondern als soziales Konstrukt. Zusammengefasst zielt der Begriff der Mediengesellschaft vor allem auf die „Stellvertreterfunktion der Medien“, die sich als Konstrukteure von Wirklichkeit darstellen (Merten 2005: 24¸ vgl. Merten/Schmidt/Weichsenberg 1994). In diesem Kontext spricht Merten (2005: 24) von Mediengesellschaft, wenn sich neben der „realen Wirklichkeit eine fiktionale Wirklichkeit derart etabliert hat, dass beide gleichberechtigt sind und in ihrem Zusammenwirken eine aktuelle, handlungsleitende Wirklichkeit erzeugen“. In der Mediengesellschaft besteht also nicht nur die prinzipielle, sondern die andauernde Möglichkeit, „dass Fiktionen faktische Wirkungen entfalten oder als Fakten definiert werden können“ (Merten 2005: 28; vgl. Imhof/Blum/Bonfadelli/Jarren 2002; 2004; 2006).
3.4.2
Konsequenzen eines neuen Strukturwandels
Vor dem Hintergrund eines politischen Funktionswandels der Öffentlichkeit zeigte Habermas (1969) die Entwicklung zu einer massenmedial hergestellten Öffentlichkeit auf, die mit der „Ausdifferenzierung des Mediensystems bei gleichzeitiger Koppelung der Medien an die Marktlogik des ökonomischen Systems“ (Münch 1997: 696) einherging. In der Konsequenz dieses Strukturwandels bildete sich ein hochgradig wettbewerbsorientiertes, zunehmend global ausgerichtetes Mediensystem (vgl. Jarren 2001: 13; Jarren/Donges 2006: 29-30). Die Dynamik eines andauernden neuen Strukturwandels zeigt sich erst danach; zusammengefasst bezeichnet Imhof (2005: 284; 2004) hiermit Prozesse und Konsequenzen, die aus der „Auslösung des Vermachtungszusammenhangs von Politik, Medien und Ökonomie im neuen neoliberalen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell“ resultieren. Hiermit geht eine zunehmende „Deregulation der Medien von ihren politischen und sozialen Bindungen“ einher (Imhof 2005: 84): Medienorganisationen werden gesellschaftlich entkoppelt; es zeigt sich eine soziale und ökonomi-
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sche Auslösung der Medien aus den tradierten, sozialräumlichen Bindungen und den normativ-handlungsleitenden Netzwerken (Parteien, Verbände, Kirchen, Verlagen) (vgl. Imhof 2005: 284). Indem aber „der zahlende Medienkonsument (...) das politische Staatsbürgerpublikum als primäres Zielpublikum publizistischer Produktion [ablöst]“ (Eisenegger 2005: 61; vgl. Imhof 2005: 284), nimmt auch die Abhängigkeit von ökonomischen Zielorientierungen zu: Medien-Unternehmen orientieren sich verstärkt an Marktzielen und weniger an politischen oder gesellschaftlichen Verpflichtungen. Die zunehmende Ökonomisierung der Medien kann deshalb nicht ohne Folgen für die Produktion von Medien und Medieninhalten bleiben: Mediale Produktionsleistungen werden ‘mit-ökonomisiert’, sie müssen ökonomisiert werden, wenn, wie Eisenegger (2005: 61) plakativ formuliert, „publizierte Information den Charakter einer Ware erhält, dem ein ökonomischer Wert zugeordnet werden kann“. Es bilden sich neue Medienorganisationen, „Dienstleistungsunternehmen mit beliebiger Kapitalversorgung, aber mit hohen Renditeerwartungen (...); sie werden ideologisch offener und flexibler“ (Imhof 2005: 284).
Mit Jarren (2001: 16) ist festzustellen, dass sich die Medien zunehmend weniger als „Werkzeuge“ oder „Vermittler“ anderer Organisationen verstehen, sondern als „Diener eines breiten Publikums“ und insoweit eine eigenständige Vermittlerrolle übernehmen (vgl. Imhof 2004). Als Konsequenz zeigt sich, dass sich die Medien hinsichtlich der Selektion, Kontextualisierung oder Darstellung von Themen stärker an den vermuteten Bedürfnissen des Publikums ausrichten als an normativen Demokratieidealen, was letztlich in die Ausbildung von neuen, ökonomisch orientierten Selektions-, Interpretations- und Inszenierungslogiken mündet. Der (neue) Strukturwandel der Öffentlichkeit ist in Bezug auf das Mediensystem und die Demokratie in seinen Konsequenzen daher nicht ohne Ambivalenz. Medien mögen zwar hinsichtlich der sozialen Entkoppelungsdimension zunehmend autonom von politisch-gesellschaftlichen Akteuren und sozialen Bindungen agieren, gleichzeitig werden sie aber hinsichtlich der ökonomischen Reintegrationsdimension weitaus enger an ihren wirtschaftlichen Leistungen gemessen. Von einer Zunahme der Medienautonomie kann also nicht ausgegangen werden. Stattdessen ist wahrscheinlicher, dass sich die Tendenz der Reintegration weiter zuspitzt und der Einfluss ökonomischer Akteure auf die Medien weiter zunimmt, denn die Konkurrenz auf dem größer werdenden Medienmarkt um öffentliche Aufmerksamkeit, Publikumszuwendung und Werbeeinnahmen wächst (Jarren 2001: 13; Jarren/Donges 2006: 29-30). Dabei gewinnen die neu etablierten, privatwirtschaftlich verfassten elektronischen Medien ökonomisch und kulturell an Bedeutung, so dass dieser „medienkulturelle Wandel“ den Anpassungsdruck der traditionellen Medien verstärkt (Jarren 2001: 11).
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Als Folge dieser Entwicklung schwindet nicht nur die politische und staatliche Kontrolle über das Mediensystem (ebenda), es zeigt sich auch, dass ein „breiterer öffentlicher Diskurs“ über die demokratietheoretisch bedenklichen neu entstehenden Abhängigkeiten, der „eben auch Organisations- und Strukturfragen des Mediensystems mit einbezieht, nicht [stattfindet]“ (Jarren 2001: 17). Damit steht in Einklang, dass es bisher kaum aussagekräftige Langzeitstudien gibt über die Folgen dieses neuen Strukturwandels für die öffentliche Kommunikation oder die notwendig werdenden Anpassungsleistungen der betroffenen Akteure (vgl. Imhof 2005: 285; 2004). Gleichwohl zeigt sich, dass die öffentlichkeitsstrukturellen Veränderungen die „Allokation von Aufmerksamkeit, Definitionsmacht und Reputation neu organisieren“ (Imhof 2005: 285) – und dies führt zu Veränderungen bei Strukturen, Prozessen und Akteuren der öffentlichen Kommunikation. Insbesondere können die skizzierten Konsequenzen des anhaltenden Strukturwandels der Öffentlichkeit weder für die Medienberichterstattung noch für deren Wirkungen auf politische Akteure und Publikum ohne Folgen bleiben. Als Konsequenzen eines neuen Strukturwandels bzw. der resultierenden notwendigen Anpassungsleistungen sind im wissenschaftlichen Diskurs Trends wie die Entertainisierung, Theatralisierung, Inszenierung oder Symbolisierung der Politik populär diskutiert worden. Diese Ansätze basieren alle mehr oder weniger deutlich auf der Idee, dass Politik in der „Erlebnisgesellschaft“ (Schulze 1992) oder gar „Erlebnisdemokratie“ (Saxer 2007: 100) „zum Kino, zu einer Folge von Episoden über politische Protagonisten anstelle eines Diskurses über politische Sachfragen“ wird (Smith 1988: 438). Trotz der oft problematisch normativen Implikationen werden diese Konzepte im Folgenden kurz betrachtet und für den Bereich der Politischen Kommunikation in der Mediengesellschaft hinterfragt. 3.4.2.1
Die Entertainisierung der Politik
Der global beobachtete Trend der Entertainisierung der Politik wird begründet mit der zunehmenden Publikumsorientierung der Medien, die sich im Zuge der Ökonomisierung sowie der Etablierung des Privatfernsehens abzeichnete. Die Ausweitung des Programmangebots führte, so die gängige Argumentation, im Nachfrageverhalten zu einer zunehmenden Selektivität der Mediennutzung; insbesondere wurden „qualitative, differenzierende, vermeintlich weniger ‘fernsehgerechte’ Programmformate weniger nachgefragt, (...) [sondern] verdrängt von der Nachfrage nach populären und unterhaltenden Programmen“ (Gerhard 1994: 129). Die Entertainisierung des Nachfrageverhaltens scheint für Gerhard (1994: 126) bis zum Anfang der 90er Jahre bereits vollzogen. Da in der Folge politische Informationen zunehmend mit populären Unterhaltungsangeboten um die Aufmerksamkeit der Bürger konkurrierten, müssten auch im Rahmen der politischen Berichterstat-
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tung neue Formate entwickelt werden, um diesem Wettbewerb zu begegnen (vgl. Meyer/Ontrup/Schicha 2000: 139; Dörner/Vogt 2003: 262; 2002; Kamps 2007: 148). Während die Politikberichterstattung in der traditionellen ‘Rollenverteilung’ den Unterhaltungsangeboten konträr gegenübergestellt werden konnte (vgl. Kamps 2007: 149), zeichnete sich in der Mediengesellschaft zunehmend der Trend zu politischem Infotainment ab, bei dem eine Mischung von sachbezogenen und unterhaltungsbezogenen Elementen angestrebt werde. Dieses führte auf Seiten des Publikums zu einer neuen Rezeptionsqualität (vgl. Meyer/Ontrup/Schicha 2000: 139). Positiv gewertet wird, dass die „konventionelle stereotype Berichterstattung, die jahrzehntelang immer den gleichen Ritualen entsprach“, durch die Unterhaltungstendenzen überwunden werden (vgl. Meyer/Ontrup/Schicha 2000: 140). Ähnlich scheint Saxer (2007: 126) zu argumentieren, wenn er erklärt, die Entertainisierung der Medienarena könne nicht nur als Folge gesellschaftlicher Metatrends, sondern auch als Hinweis für „funktionale Defizite mediendemokratischer Kommunikation“ interpretiert werden. Nach Kamps (2007: 149) habitualisiert sich die Entertainisierung als „Orientierung in Anlage und Operation von Kommunikation an unterhaltenden Formaten, eine symbolisch generalisierte Politik im Unterhaltungsmodus“. Für Dörner (2001: 31; vgl. 2000) konzentrieren sich diese Tendenzen im Politainment, als „Form der öffentlichen, massenmedial vermittelnden Kommunikation, in der politische Themen, Akteure, Prozesse, Deutungsmuster, Identitäten und Sinnentwürfe zu einer neuen Realität des Politischen montiert werden“. Damit werde gleichermaßen eine Konkretisierung und Fokussierung auf Themen, Personen oder Prozesse erreicht sowie die Konstruktion politischer Bedeutungen und Interpretationen erleichtert (Dörner 2001: 33-34). Zudem ermögliche Politainment eine Emotionalisierung der Politik (vgl. Holtz-Bacha 2006b; vgl. Kap. 4.1.2) und präsentierte damit Identifikationsanreize; hierfür führt Dörner (2001: 34) den Feel-Good-Faktor ein (vgl. Dörner/Vogt 2003: 265). Aus kritischer Perspektive geht die Kombination von Informations- und Unterhaltungsangeboten mit einer Dominanz von ‘Soft News’ einher, wobei Hintergrundberichte und strukturelle Einordnungen politischer Sachverhalte zunehmend ausgespart bleiben (vgl. Meyer/Ontrup/Schicha 2000: 140; Kamps 2007: 154; Brosius 1993). Entsprechend ist die Reaktion im wissenschaftliche Diskurs: Die Politik forciere eine Entwicklung, „in der das politische Programm weit hinter das Imaginäre, das Dargestellte zurücktritt“ (Kamps 2007: 154).
3.4.2.2
Die Personalisierung und Prominenzierung der Politik
Neben der Entertainisierung zählt die Personalisierung wohl zu den am häufigsten zitierten Mediatisierungstendenzen. Personalisierung gilt einerseits als Indiz für die Amerikanisierung bzw. für Themenarmut und Entsachlichung des politischen Diskur-
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ses (vgl. Schulz 2008: 251; Holtz-Bacha 2000: 183), andererseits wird der geübte Einsatz des politischen Personals auch als Merkmal der zunehmenden Professionalisierung gewertet (vgl. Swanson/Mancini 1996: 4, 10; vgl. Holtz-Bacha 2006b). Der professionelle Umgang mit den Medien wird oft als Schlüsselqualifikation im politischen Prozess betrachtet. Tatsächlich stehen Personalisierungstendenzen in engem Zusammenhang zu ihrer medialen Vermittlung (Swanson/Mancini 1996: 10-11; Bußkamp 2002), denn über den Fernsehbildschirm könnte die mediale Vermittlung einen personalen Kontakt zwischen dem politischen Führungspersonal und ihren Wählern etablieren (Duverger 1991: 261). Auch in diesem Prozess zeigt sich die besondere Bedeutung des Fernsehens als relevante Vermittlungsinstanz (Swanson/Mancini 1996: 13; vgl. 251): „Typically, ads create and disseminate images of individual candidates, and thus increase the personalization of politics. In general, the format of television favors personalization for formal and structural reasons. Formally, the medium favors representation of human figures over complex institutions such as political parties, while structurally the medium's commercial logic favors offering access to all candidates who can pay the cost of advertising, passing over the parties.“
Im Rahmen eines Politischen Kommunikationsmanagements wird Personalisierung eingesetzt, weil die Fokussierung auf Personen über eine Vereinfachung komplexer politischer Prozesse eine Vereinfachung des Botschaftstransfers verspricht (vgl. Saxer 2007: 73; Bußkamp 2002: 13-14). Hierzu pointiert Holtz-Bacha (2000: 183): Die „Verkürzung auf die Formel ‘Images oder Issues’ übersieht (...), dass Personalisierung eine Reduktion von Komplexität bedeutet, und zwar auf Seiten der Politik in ihrer Selbstdarstellung, auf Seiten der Medien, wenn sie über Politik berichten und auf Seiten des Publikums, wenn es mit den Angeboten der Politik umgeht.“
Zudem reduziert Personalisierung die Unsicherheit und bietet Orientierung, weil sie auf bereits bekannte Akteure setzt, die für die Öffentlichkeit verortbar agieren (vgl. Jarren/Donges 2006: 271; Schicha 2003). Personen stehen für konkrete Inhalte und komplexe Zusammenhänge, die sich durch „das gesprochene oder geschriebene Wort nur mühsam erläutern lassen“ (vgl. Machnig 2003: 67-68; 2002). Dies erleichtert aber nicht nur die Politikvermittlung, sondern ermöglicht dem Wähler auch eine Identifikation mit politischen Themen und Standpunkten. In der Umsetzung der Personalisierungsstrategie zeigt sich, dass „persönliche Qualitäten der Protagonisten, wie z.B. Führungsstärke, politische Kompetenz, persönliche Integrität, in der Kampagnenkommunikation besonders herausgestellt werden, und zwar mitunter mehr als Sachthemen oder gar ideologische Positionen“ (Schulz 2008: 251). Dies drückt sich auch in der Privatisierung des Politischen aus, wenn etwa die Familie oder das Privatleben der Kandidaten thematisiert werden (vgl. Müller 2002a).
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Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft
Im Idealfall gelingt es hierbei, über das persönliche Profil des Kandidaten die zentralen Botschaften der Partei oder des Programms auszudrücken bzw. zu verkörpern (vgl. Brettschneider 2002d: 38; Schulz 1997a: 186). Der Kandidat steht auch deshalb im Mittelpunkt der Kampagne, weil die ihm zugeschriebene Kompetenz eine entscheidende Größe für die Wahrnehmung der gesamten Parteikompetenz ist: In den Vorstellungen der Menschen sind Kandidaten- und Kompetenz- bzw. Themenimages eng verknüpft (Brettschneider 2002e: 209-210). Eng verbunden mit der Personalisierung ist die Prominenz eines politischen Akteurs. Prominenz stellt einen etablierten Nachrichtenfaktor dar und ist deshalb für politische Akteure nützlich, weil sie ihnen in vielfältiger Weise öffentliche Aufmerksamkeit garantiert, vor allem in den Medien (vgl. Jarren/Donges 2006: 271). Neidhardt interpretiert (1994: 16) Prominenz als die „generalisierte Fähigkeit (...), Aufmerksamkeit zu erregen; der Prominente kann mit einem öffentlichen Interesse an sich selber und damit auch für seine Angelegenheiten rechnen“. Mit Prominenz geht häufig auch eine höhere soziale Anerkennung (Prestige) einher, die die Akzeptanz und die Überzeugungskraft des politischen Akteurs erhöht; Prominente werden daher oft auch dann für eine „glaubwürdige Informationsquelle“ gehalten, wenn sie die kommunizierten Informationen nicht selbständig verifizieren können oder wollen (vgl. Neidhardt 1994: 17). Mit dieser Perspektive rückt das Potential zur Personalisierung in die Nähe von Schlüsselkompetenzen (diese wurde bereits bei Kennedy positiv gewertet; vgl. Kamps 2007: 154). Es wird entsprechend diskutiert, inwieweit die politische Elite „zur medienfixierten Politprominenz mutiert“, ob Medienpräsenz und Prominenz nicht längst zum „entscheidenden Rekrutierungskriterium“ geworden seien (vgl. Hornbostel 2004: 18; Sarcinelli 2005: 159). Ebenso wird im Rahmen der Diskussion um den Einsatz strategischer Personalisierung oft postuliert, Personalisierung sei eine Entwicklung der unterhaltungsorientierten Mediengesellschaft (vgl. Jarren/Donges 2006: 270; Hedwig 2006: 27). Diesen Argumentationen ist jedoch entgegen zu stellen, dass sich Politische Kommunikation, insbesondere im Wahlkampf, seit jeher der gezielten Personalisierung bedient hat. So kann Adenauer spätestens „ab der Bundestagswahl 1969 als Parteiikone codiert“ werden (Holtz-Bacha 2000: 184). Dies verdeutlichen die Wahlplakate der sechziger Jahre bis heute eindrucksvoll; ähnliche Tendenzen zeigen sich für Willy Brandt in den siebziger Jahren (vgl. VS PLUS „Wahlplakate“ Abb. 4; kann auf der Homepage des VS Verlags unter folgendem Link im Original eingesehen werden: http://www.vs-verlag.de/Buch/978-3-53117819-6/Vision-that-matters.html). Sarcinelli (2005: 157) weist zu Recht darauf hin, dass „in demokratietheoretischer und -praktischer Hinsicht (...) die personale Zuordnung politischer Verantwortlichkeit öffentlich wahrnehmbarer Eliten“ eine Voraussetzung für politische Legitimationsprozesse darstellt – und immer dargestellt hat.
Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft
3.2.2.3
125
Die Talkshowisierung der Politik
Ähnlich populär diskutiert wird der proklamierte Trend der Talkshowisierung als „Melange von Populärkultur und Politikkultur“, der zur strategischen Instrumentalisierung medialer Unterhaltungsformate zwecks Einflussnahme auf die Gesellschaft führte (vgl. Kamps 2007: 140-142; Dörner/Vogt 2003: 262; Biocca 1991). Beschrieben wird hier das Phänomen, dass Politiker zunehmend Talkshows und nahe Sendeformate als Bühne zur Selbstrepräsentation nutzen. Tenscher (2002: 56) sieht zwei Ebenen der Talkshowisierung: Einerseits die zunehmenden Möglichkeiten für Politiker sich auch außerhalb der Wahlkampfphase televisuell zu präsentieren; andererseits die wachsende Bereitschaft sowie wachsende Kompetenz politischer Akteure, die Plattform der Talkshow strategisch zu nutzen. Dörner und Vogt (2003: 264) ergänzen als Vorteil der unterhaltungsorientierten Politikvermittlung deren enorme Reichweite und begründen, die Politikvermittlung sei hier nahezu unabhängig von Variablen wie Bildung oder Politischem Interesse, auch uninteressierte Wähler könnten angesprochen werden. Für Tenscher (2002: 55) ist Talkshowisierung sogar ein wesentliches Element der modernen Politikvermittlung. Sarcinelli und Tenscher (2003: 10) fragen daher, ob die Talkshow, angesichts des Bedeutungsverlusts des Parlaments, nicht zum „Ersatzplenum“ aufgestiegen sei – womit sie auf die Rede von der Entwicklung der Parteiendemokratie zur Mediendemokratie verweisen. Die Talkshow wird insofern nicht nur als eines von vielen Fernsehformaten betrachtet, sondern „als Indikator und Faktor eines tiefer gehenden kulturellen, medialen und auch politischen Wandels im Prozess gesellschaftlicher Modernisierung“ interpretiert (Tenscher/Schicha 2002: 16). Tatsächlich deutet sich seit dem Wahlkampf 2002 die Tendenz der Verlagerung der Parteienwerbung von klassischen Werbemitteln zu einer Medienstrategie an, die auf größere TV-Präsenz abzielt (vgl. Müller 2002b: 637). Im Hinblick auf eine nachhaltige Positionierung scheint hier aber Vorsicht geboten. So warnt Meyrowitz (1990: 143-144; 1987): „Die medienunterstützte Prominenzierung fördert den schnellen Aufstieg ebenso wie den schnellen Abstieg“. Eine sehr vergleichbare Diskussion zeichnet sich im Kontext der beobachteten Zunahme um Tendenzen der Theatralisierung, Inszenierung und zunehmend Symbolischen Politik ab. 3.4.2.3
Die Theatralisierung der Politik
Auch die Diskussion um die zunehmende Theatralisierung der Politischen Kommunikation ist im Kontext der Mediatisierungsfolgen prominent: „Theatrale Inszenierung ist in der Selbstdarstellung der Politik und in ihrer Präsentation in den Massenmedien zur alles beherrschenden Diskursform geworden“ (Meyer 2000: 167; vgl.
126
Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft
1998). Ähnlich wertet Sarcinelli (2005: 124) Symbolische Politik als „politische Allerweltsformel“. Das den kaum differenzierbaren Begriffsbestimmungen zugrunde liegende Phänomen ist nicht neu: „Wie ein roter Faden zieht sich das Phänomen ‘Politische Inszenierung’ durch die Geschichte. Alle Epochen sind von verschiedenen Erscheinungsformen der Dramaturgie, Theatralität und Körperlichkeit von Macht und Herrschaft geprägt“ (Arnold/Fuhrmeister/Schiller 1998: 9).
Zwar ist die ‘strategisch’ eingesetzte Inszenierung durch ihre Instrumentalisierung im totalitären Regime bis heute negativ konnotiert (vgl. Schicha 2003: 8), doch sind auch „die demokratischen Staaten der Gegenwart (...) auf die Darstellung ihrer Herrschaftsgrundlagen in Gestalt von in Szene gesetzter Repräsentation angewiesen“ (Arnold/Fuhrmeister/Schiller 1998: 11). Die Inszenierung in der repräsentativen Demokratie bedient sich hierbei weitgehend der legitimierenden Funktion einer „auf Massenloyalität und Konsens abzielenden Sinnstiftung“ (Arnold/Fuhrmeister/Schiller 1998: 11; vgl. Hoffmann 2003). Als Beispiel kann der dramatisch inszenierte Besuch des ehemaligen Bundeskanzlers Schröder im Katastrophengebiet des Elbehochwassers 2002 angeführt werden. Stoiber konnte mit seiner verspäteten Reaktion auch in der medialen Darstellung kein vergleichbares Ergebnis liefern, wie auch die visuelle Darstellung anzeigt (vgl. VS PLUS „Visualisierung von Politik“ Abb. 1; kann auf der Homepage des VS Verlags unter folgendem Link im Original eingesehen werden: http://www.vsverlag.de/Buch/978-3-531-17819-6/Vision-that-matters.html). Tatsächlich gewann die „Hochwasserhilfe“, wie Schoen (2004: 41) anschaulich nachweist, neben der ebenso einflussreichen Thematisierung des Irak-Konflikts, bis zur Wahl durch ein wirkungsvolles Themenmanagement der SPD kontinuierlich an Einfluss und forcierte eine Entscheidung zugunsten der Regierung Schröders. Hier ist plausibel, dass sich das Themenmanagement auch gerade symbolisch aufgeladener, theatraler Inszenierungen bedient und dass diese in der (medialen) Wahrnehmung eine besondere Präsenz einnehmen. Sarcinelli (1998c: 148) versteht politische Inszenierung insofern als „Arbeit an der politischen Deutungskultur“. Für Schicha (2003: 8-9) umschreibt das Konzept „eine Form der Darstellung“, bei der bestimmte Techniken angewandt werden, „um ein Ereignis für ein Publikum in Erscheinung zu bringen“; hierbei komme der expressiven Präsentationsfunktion eine zentrale Bedeutung zu.
3.4.2.4
Die Inszenierung der Politik
Das Konzept der Theatralität lässt sich verorten als Art des Zeichengebrauchs, mit dem bestimmte Bedeutungen konstruiert und nahe gelegt werden (vgl. Meyer/Ontrup/Schicha 2000: 63). Inszenierung hingegen wird definiert als „das, was die
Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft
127
Theatralität zur Erscheinung bringt“ (Meyer/Ontrup/Schicha 2000: 54; vgl. Hoffmann 2003). Arnold, Fuhrmeister und Schiller (1998: 10) interpretieren politische Inszenierungen als „komplexe symbol- und mythenbeladene ritualisierte Handlungsabläufe“ und werten sie als konstitutiv für den politischen Raum. Das Besondere an der strategischen Inszenierung scheint zu sein, dass, im Zuge der Professionalisierung der Politischen Kommunikation (vgl. Swanson/Mancini 1996: 5-6), politische Akteure zunehmend die Strategien der Inszenierung selbst anwenden, anstatt sie der Inszenierungsinstanz der Medien zu überlassen. Dies wird besonders deutlich an der zunehmenden Relevanz von Pseudo-Ereignissen im Kontext der Prime Time Politics (vgl. Kamps 2007: 143; Hoffmann 2003; Müller 2002a; Schultz 2003). Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Theorien der Nachrichtenauswahl ergänzt hierzu, dass Nachrichtenfaktoren nicht als ‘objektive’ Charaktereigenschaften von Ereignissen verstanden werden können. Insbesondere liegen berichtenswerte (Schlüssel-)Ereignisse nicht ausschließlich genuin vor, sondern werden häufig erst bewusst geschaffen, damit die Medien über diese pseudo-genuinen Ereignisse berichten (vgl. Kepplinger/Habermeier 1996: 263; 265; Schultz 2003). Die ‘Wirkungskette’ hierbei ist klar: Politische Akteure zielen auf massenmediale Publizität; Eintritt in diese Free Media-Kontingente erhalten sie nur, wenn sie der Logik der Nachrichtenselektion entsprechen. Sind ihnen die Faktoren bekannt, die die Veröffentlichungswahrscheinlichkeit erhöhen, können sie durch bewusste Steuerung der Erfüllung von Nachrichtenfaktoren die Berichterstattung zu ihren Gunsten beeinflussen: Sie instrumentalisieren Nachrichtenfaktoren und konstruieren Ereignisse mit hohem Nachrichtenwert, um in der Berichterstattung positioniert zu werden (auch: Agenda-Building; vgl. Kap. 4.1.1.3). Einen ‘Musterfall’ der politischen Inszenierung stellen Wahlkämpfe oder Parteitage dar; hier werden in besonderer Weise prägnante Symbole und Zeichen eingesetzt und erwartet (vgl. Schicha 2003: 27; Meyer/Ontrup/Schicha 2000: 51; Müller 2002a). An diesen Beispielen wird deutlich, inwiefern Inszenierungen den politischen Verhältnissen einen sinnlichen Ausdruck verleihen bzw. zur „Sichtbarkeit politischer Prozesse oder ihrer Verschleierung beitragen können“ (Arnold/Fuhrmeister/Schiller 1998: 10). Gleichzeitig bleibt – wie Swanson und Mancini (1996: 270) pointieren – die kritische Diskussion um die Entkoppelung des politischen Systems von realen Faktizitäten bestehen: „Certainly, the most worrisome aspect of new-style electoral politics is its potential for diverting attention from political realities to a fabricated worlds of ‘virtual politics’“.
128 3.4.2.5
Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft
Die Symbolisierung der Politik
Kaum zu unterscheiden von der Interpretation der politischen Inszenierung ist die Diskussion um die Symbolisierung von Politik (vgl. Edelman 1990). Die oben zitierte Formulierung legt bereits nahe, dass sich Inszenierungen Symbolen bedienen; umgekehrt gestalten sich komplexe Symbolisierungen meist auch als Inszenierung. Symbole können interpretiert werden als „codierte Signale, deren Sinn nur der versteht, der den Code entschlüsseln kann“ (Voigt 1989: 14), was bedeutet, dass sich Symbole als komprimierte, meist kulturell sozialisierte Zeichen lesen lassen, die auf einen übergeordnete Bedeutungskontext assoziativ verweisen. Indem Symbole aufgrund dieser assoziativen Transferfunktion die Integration der Wahrnehmung in das vorhandene Repertoire an Sinndeutungsmustern erleichtern (vgl. Voigt 1989: 14), beschleunigen sie die Interpretation neuer Situationen und reduzieren Komplexität. Sarcinelli (2005: 124) sieht Symbolische Politik entsprechend als „Verwendung eines spezifischen Zeichenvorrats im politisch-strategischen Kommunikationszusammenhang“. Dabei stellt er vier Charakteristika Symbolischer Politik dar: die Signalfunktion als kommunikatives Steuerungsmittel zur Initiierung von Aufmerksamkeit, die Funktion als wichtiges Regulativ für die Bewältigung von Informationsmengen, die Vermittlung von Sachverhalten inklusive ihrer sinnhaften Interpretation sowie die Verbindung von emotionalen wie kognitiven Wirkungen (vgl. Sarcinelli 2005: 132). Der Einsatz Symbolischer Politik entspreche damit nicht nur dem grundsätzlichen Orientierungsbedarf einer Gesellschaft, sondern sei auch eine wesentliche Voraussetzung für politischen Erfolg (vgl. Sarcinelli 2005: 125; Edelman 1990). Im Zentrum der Symbolischen Politik stehen also Bedeutungszuweisungen, die mit Hilfe von Symbolen aktiviert werden können. Tatsächlich weist schon der soziologische Klassiker von Berger und Luckmann (1980: 104-106) über die Mechanismen der sozialen Konstruktion von Wirklichkeit darauf hin, dass die gesellschaftliche Realität weitaus stärker über symbolisch vermittelte Sinnwelten wahrgenommen und erfahren wird als über faktische Erfahrungen „Als spezifischer kultureller Ausdruck muss sich Politik immer erst symbolisch konstituieren, um vermittelt und wahrgenommen werden zu können“; deshalb – so folgert Sarcinelli (2005: 130) – könne eine Gesellschaft ohne Symbolische Politik nicht existieren. Andererseits kann eine Symbolische Politik auch nicht aus sich heraus bestehen, denn die vermittelten Symbole sind auf eine Referenz im realen Erfahrungsraum angewiesen. Daraus folgt zweierlei: Erstens gelingt die Aktualisierung von Bedeutungen und Interpretationen nur, wenn die verwendeten Symbole an die bereits etablierten Deutungsmuster im sozialen Raum anschließen können (vgl. Sarcinelli 2005: 131). Zweitens kann politisches Handeln nicht allein auf der symbolischen Darstellung basieren, sondern wird letztlich auf das, was diese bezeichnet, zurückgewiesen: Die
Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft
129
Form der Darstellung sagt für sich wenig aus über die Qualität des Inhalts (vgl. Meyer/Ontrup/Schicha 2000: 141). Darstellung und Entscheidung müssen insofern als handlungsleitende Einheit begriffen werden, die nur aus der wechselseitigen Beziehung zueinander existieren kann. Mit dieser Positionierung lässt sich auch dem Vorwurf begegnen, die Inszenierung des Symbolischen oder Theatralischen entsachliche den politischen Diskurs, denn wo sie diese Kluft langfristig zulässt, wird sie aller Wahrscheinlichkeit nach scheitern. So ist zu erkennen, dass „weder politische Diskurse, noch theatrale Inszenierungen (...) komplexe Sachverhalte vollständig [abbilden]. Jede Präsentation des Politischen ist ein subjektiv gewählter Ausschnitt von umfassenderen Zusammenhängen“ (Meyer/Ontrup/Schicha 2000: 140).
So hat der höchst symbolisch inszenierte Kniefall von Willy Brandt (vgl. Thiele 2005: 181), dessen photographische Fixierung mittlerweile zu den ‘politischen Ikonen’ des 20. Jahrhunderts zählt (vgl. VS PLUS „Visualisierung von Politik“ Abb. 2; kann auf der Homepage des VS Verlags unter folgendem Link im Original eingesehen werden: http://www.vs-verlag.de/Buch/978-3-531-17819-6/Visionthat-matters.html), auch auf der Ebene der Realpolitik mehr für die Aussöhnung zwischen Deutschland und Polen bewirkt als viele argumentative Zugänge (vgl. Meyer/Ontrup/Schicha 2000: 140-141). Prototypisch zeigt dieses Beispiel, dass „sinnliche Präsenz einen positiven Einfluss auf die Überzeugungskraft (...) der politischen Botschaft“ haben kann, weil politische Inszenierungen als Visualisierungen vorhandener, erstrebter oder zu beseitigender Machtverhältnisse „in hohem Maße unsere Wahrnehmung und Vorstellung von Politik prägen“ (Arnold/Fuhrmeister/ Schiller, 1998: 20; vgl. Edelman 1990).
3.4.2.6
Die Visualisierung der Politik
Die beschriebenen Trends des Politischen Kommunikationsmanagements inkorporieren eine enorme Bedeutungszunahme Visueller Politischer Kommunikation einhergehen und sind eng verwoben mit Strategien der Visualisierungen des Politischen. Die Debatte zur Symbolischen Politik (Sarcinelli 1987; vgl. Kap. 3.4.2.5) hat den Grundstein für die Anerkennung der ästhetisch-visuellen Dimension von Politik gelegt (vgl. Drechsel 2005: 68). Die demokratietheoretisch-basierte Fokussierung auf einen sprachlichdiskursiven Begründungs- und Argumentationszusammenhang von Politik stößt im Kontext der zunehmend mediatisierten Gesellschaft an ihre Grenzen. Nicht zuletzt deshalb wird auf theoretischer Ebene seit geraumer Zeit ein Paradigmenwechsel in der politischen Kultur deklariert. Eng mit diesen Entwicklungen verbunden ist die
130
Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft
zunehmende Bedeutung Visueller Politischer Kommunikation und von Visualisierungen des Politischen (vgl. Müller 1999b; Altendorfer 2004), die als eine Art Meta-Trend identifiziert werden kann: Der Trend der Visualisierung des Politischen konstituiert sich nicht nur über die beschriebenen Tendenzen Politischer Kommunikation, er ist auch konstitutiv für ihre Realisation. In der „ikonischen Öffentlichkeit“ (Müller 1997a: 121; 1999b) ist Visualisierung zu einem „stilbestimmenden“ Faktor für den politischen Raum geworden (vgl. Sarcinelli 2005: 100). Hier bleiben die bisherigen Erkenntnisse der Identifikation des gesamtgesellschaftlichen „iconic turns“ und der „Visualisierung der Gesellschaft“ (vgl. Wolf 2006; Ludes 1994) auch für den Bereich der Politischen Kommunikation nicht folgenlos: Auch hier verändert der visualistic turn Strukturen, Prozesse und Wirkungen (vgl. Lesske 2005: 236; vgl. Hofmann 2004; 2008; 2009). Es verwundert daher, dass die viel proklamierte Entwicklung zur Visualisierung des Politischen im wissenschaftlichen Kontext noch wenig analytische Differenzierung aufweist. Ganz allgemein lässt sich der Prozess der Visualisierung umschreiben als Übertragung von Informationen in visuelle Darstellungsformen: „Visualisieren heißt, etwas ‘bildhaft’ darstellen“ (Seifert 2006: 11). Für Stary (1997: 12) bezeichnet Visualisieren die Tätigkeit, „einen bislang im Zeichensystem der Wortsprache ausgedrückten Inhalt entweder durch bildsprachliche Zeichen zu ergänzen, oder aber ihn ganz in die Bildsprache zu übersetzen“. Damit beinhaltet die Visualisierung von Daten die „Erzeugung von Bildern und Bildsequenzen, welche die Eigenschaften dieser Daten veranschaulichen“, wobei Charakteristika und Informationsgehalt der Daten auf visuell wahrnehmbare Attribute übertragen werden (Schumann/Müller 2000: 6; vgl. Müller 2007a). Offenbar zeigt sich das Theoriedefizit zur Visuellen (Politischen) Kommunikationsforschung auch auf der Ebene der konzeptionellen Verortung von Visualisierungsprozessen. Alexander (2007: 1) formuliert hier etwas zynisch: „Wer scheitern möchte, versuche es mit der Einordnung von Bildsprache in verbale Systeme. Nonverbale Instruktion, Visualisierung, Strichzeichnung, Infografik, Instruktionsgrafik, TechnikIllustration, Logische Bilder oder iconbased illustration, informational graphics, new graphics, infographics oder newspaper graphics – die Vielfalt der Bezeichnungen deutet an, dass sich unser Kulturkreis auf keinen einheitlichen Oberbegriff einigen kann, geschweige denn ein eindeutiges System der Einordnung besitzt“.
Dennoch zeigt die Formulierung beispielhaft die Spannweite des Themas und impliziert eine zentrale Erkenntnis: Visualisierungen sind längst Bestandteil unseres täglichen Kommunikations- und Wahrnehmungsverhaltens geworden – dies gilt für den Bereich der Politischen Kommunikation ebenso wie für jede andere Interaktionsebene der Gegenwartsgesellschaft. Es ist daher einmal mehr erstaunlich, dass die wissenschaftliche Diskussion sich dem Thema aus einer, zwar höchst kritischen, zugleich oft aber eher oberfläch-
Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft
131
lichen Perspektive zuwendet, die eine differenzierte Betrachtung des Gegenstandsbereichs und seiner klaren Operationalisierungen vermissen lässt. Wie Drechsel (2005: 75) zu Recht feststellt, muss die wissenschaftliche Auseinandersetzung der Komplexität visueller Kommunikation und visueller Wahrnehmung rational reflektierte Bildbegriffe und Bildanalyse-Methoden entgegensetzen. Dies gilt nicht weniger für die Prognose und Diskussion des gesellschaftlichen Visualisierungstrends. Für die Visualisierung, die Visualisierung des Politischen sowie des Trends der Visualisierung des Politischen werden daher Definitionen vorgeschlagen, die sich an die erarbeiteten Definitionen zu Visueller bzw. Visueller Politischer Kommunikation anschließen (vgl. Kap. 2.2.3; vgl. Kap. 3.1).
Definition: Visualisierung Visualisierung bezeichnet die Transformation und Kommunikation von Bedeutungsinhalten in und durch visuelle Phänomene, die sich in Form von Bildern materialisieren.
In Entsprechung der erarbeiteten Definition der Visuellen Politischen Kommunikation lässt sich diese Definition wie folgt auf die Begriffsbestimmung der Definition der Visualisierung des Politischen übertragen:
Definition: Visualisierung des Politischen Die Visualisierung des Politischen bezeichnet die Transformation und Kommunikation von Bedeutungsinhalten mit direkter oder indirekter politischer Relevanz sowie deren Wechselwirkungen zwischen politischen Akteuren, Medien und Bevölkerung in und durch visuelle Phänomene, die sich in Form von Bildern materialisieren.
Dabei enthält die formulierte Definition keine normative Dimension und impliziert keine Aussage über die Qualität oder Quantität des Prozesses an sich. Die Definition der Visualisierung an sich wird abgegrenzt von der Definition des gesamtgesellschaftlichen Metatrends der Visualisierung, der – in Übertragung dieser Überlegungen – hier nun spezifiziert wird:
Definition: Trend der Visualisierung des Politischen Der Trend der Visualisierung des Politischen bezeichnet die qualitative und/oder quantitative Zunahme von Prozessen der Visualisierung des Politischen.
Häufig wird die Tendenz zur (politischen) Visualisierung in engem Zusammenhang gebracht mit der Bedeutungszunahme audiovisueller Medien, insbesondere des Fernsehens (vgl. Biocca 1991). Die „Fernsehgesellschaft“ schafft hier nicht nur neue
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Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft
Informationsumwelten, sondern die Omnipräsenz der audiovisuellen Medien verändert, in Korrespondenz zu McLuhans „The medium is the message“ (1968: 7), auch die Wirklichkeit an sich (Meyrowitz 1987; 1990; vgl. Biocca 1991). Beobachtet wird exemplarisch (Wolf 2006: 39), dass Politische Kommunikation in der Fernsehgesellschaft eine ‘Seh-Welt’ ist, in der „fortwährend kalkulierte Bilder produziert werden, die sich sowohl für die Stabilisierung als auch für die Infragestellung von Herrschaftsverhältnissen eignen.“ Demzufolge hat Politik im visuellen Zeitalter erst dann ihr Ziel erreicht, „wenn sie ästhetisch gelingt und über den Schirm kommt“ (Glotz 1996: 29). Insbesondere führe die zunehmende Orientierung an medialen, besonders fernsehspezifischen Logiken „nahezu zwangsläufig in die oft zitierten Inszenierungs-, Entideologisierungs-, Personalisierungs- und Popularisierungstendenzen moderner Politikvermittlung“ (Tenscher 2003: 63). Wie im gesamten Bereich Visueller Kommunikationsforschung wird deutlich, inwieweit die „moralische Herabstufung piktorialer Diskursformen“ (Drechsler 2005: 25) eine Problematisierung von Visualisierungsprozessen bedingt (vgl. Wolf 2006: 41). Wenn Meyer (2001: 107) die Gefahr sieht, dass „der Stil der visuellen Eindrücklichkeit die diskursive Erfahrung, (...) die rationale Verständigung und den kritischen Diskurs“ überlagert, konturiert er die verbreitete Kritik, die Visualisierung der Politik stehe dem Paradigma der deliberativen Demokratie diametral entgegen (vgl. Habermas 1990: 104). Visualisierung wird hierbei als Medium einer entpolitisierten Inszenierung kritisiert, als Indikator für die Entsachlichung der politischen Diskussion, denn Politik sei als Phänomen der gesellschaftlichen Einigung über allgemein geltende Verregelungen „in seiner Abstraktheit und der Komplexität seiner Vorgänge visuell nicht abbildbar“ (Wolf 2006: 42). Mit zunehmender Visualisierung, so die Implikation, gerieten Sachentscheidungen und Argumente in den Hintergrund (vgl. Lesske 2005: 240-241). Die Folge sei eine „Entpolitisierung“, eine „Entrationalisierung und Emotionalisierung der politischen Debatte und damit auch der politischen Entscheidungen“ (Lesske 2005: 241). Diese Problematik akzentuiert Müller, wenn sie formuliert: „In der Demokratie, die sich mit Vorliebe als rationale Herrschaftsform sieht, gelten visuelle Kommunikationsstrategien als unliebsame Propaganda, deren Funktionsweise vielen immer noch ein Rätsel ist“ (Müller 1996: 247). Mit Müller (1996: 247) ist jedoch „vor solchen Verschwörungstheorien (...) zu warnen, denn sie unterstellen dem Medium Bild eine Macht, die es erst dank Autosuggestion (...), durch den fortgesetzten Glauben an bildmagische Kräfte, gewinnt. Tatsache ist, dass Visuelle Kommunikation ebenso kritisch analytisch zu erfassen ist wie jede andere politische Kommunikation auch.“
Entscheidungspolitik versus Darstellungspolitik: ‘Spielen wir nicht alle Theater?’
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3.5 Entscheidungspolitik versus Darstellungspolitik: ‘Spielen wir nicht alle Theater?’ Mit der wissenschaftlichen Diskussion um Konsequenzen der zunehmenden Mediatisierung von Politik eng verbunden ist der Diskurs um die Differenzierung von Entscheidungs- und Darstellungspolitik, die mit Bezug auf demokratietheoretische Ideale oft kritisch betrachtet wird; daher wird gerade an der Visualisierung von Politik die Entpolitisierung des Politischen prototypisch festgemacht (vgl. Meyer/Schicha/ Brosda: 2001; Sarcinelli 2005; Radunski 2003; Müller 1999b). Aus Sicht des strategischen Kommunikationsmanagements ist die (visuelle) Darstellung von Politik hingegen konstitutiv; sie stellt die zentrale Herausforderung des Funktionsbereichs dar. Als integrative Perspektive soll hier die Interpretation einer integralen Dualität von Entscheidung und Darstellung auf Basis der Interaktionsanalysen Goffmans dienen, wobei die Darstellung als ein konstitutives Element jeder Interaktionssituation gedeutet wird. Die populäre Differenzierung von Entscheidungs- und Darstellungspolitik ist spätestens mit Sarcinelli (1987; 1991; 1994; 1998a; 2005; Sarcinelli/Tenscher 2003) zum Allgemeinplatz der Auseinandersetzung mit Prozessen und Strategien Politischer Kommunikation in der Mediengesellschaft geworden. Zurückführen lässt sich der Gedanke eines Dualismus von Entscheidungspolitik und Darstellungspolitik auf das Systemkonzept von Luhmann (1970), der für politische Verfahren zwischen Entscheidungsregeln und Aufmerksamkeitsregeln unterscheidet. Hierzu konkretisierte er (1970: 11), „Aufmerksamkeitsregeln steuern die Konstruktion politischer Themen; Entscheidungsregeln steuern die Meinungsbildung, unter anderem in den entscheidungsbefugten Instanzen“. Für Sarcinelli (2005: 25, 108) lassen sich die „Kommunikationswelten“ Darstellungs- und Entscheidungspolitik als differente Teilsysteme begreifen, die aus demokratietheoretischen Gründen separiert betrachtet werden sollten. Die Differenzierung wird meist damit begründet, dass in der Demokratie zahlreiche medienferne Bereiche und Prozesse politischen Routinehandelns und politischer Entscheidungsfindung existieren, sich demokratische Politik also nicht auf externe mediale Politikvermittlung reduzieren ließe (vgl. Sarcinelli 1998a: 14-15). Für die Charakterisierung der Entscheidungspolitik wird impliziert, dass diese vor allem durch rationale Entscheidungsverfahren gekennzeichnet sei (vgl. Delhaes 2002: 17; Korte/Hirscher 2000: 1), die sich entlang institutioneller Strukturen, der Kompetenz des politischen Personals, begrenzter Zeitressourcen und politischer Relevanzzuschreibungen bewegten (vgl. Sarcinelli 2005: 116-120). Ziel von Entscheidungspolitik wäre damit die „konkrete Lösung von Problemen“, das „eigentliche politische Handeln“ (Hedwig 2006: 7; 21). Darstellungspolitik wird hingegen interpretiert als „medienvermittelte Politik, die sich dem Gesamtkomplex der symbolischen Politik zuordnen lässt“ (Korte/Hirscher 2000: 1). Ana-
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log zu dieser Interpretation grenzt Jessen (2006: 3) Symbolische Politik und Realpolitik voneinander ab: Symbolische Politik sei eine „Politik der Zeichen: der Worte, Gesten und Bilder“; sie entfalte sich im semantischen Raum. Faktische Politik sei „eine Politik der Taten: der Kriege, Verträge, Steuern und Zölle“; sie entfalte sich im materiellen Raum. Als Konsequenz wird häufig vor einem „medial-politischen Verdrängungswettbewerb“ gewarnt, in dem sich „langfristig die Logik des Darstellbaren mehr und mehr von der Logik des Entscheidungsnotwendigen (...) entkoppelt“ (Sarcinelli 2005: 104). Auch hier wird impliziert, dass die Logik der Entscheidung von der Logik der Darstellung zu trennen ist, dass also Entscheidung und Darstellung isoliert zu betrachtende Phänomene seien, die sich in differenten Realitätsebenen (vgl. Sarcinelli 2005: 115) abspielten. Hier wurde bereits dargestellt (vgl. Kap. 3.1), dass Kommunikation für alle Prozesse der politischen Meinungs- und Willensbildung von zentraler Bedeutung ist: „Kommunikation findet immer dann statt, wenn Politik stattfindet“ (Marcinkowski 2001a: 242). Eine analytische Trennung der Herstellung von Politik und ihrer Darstellung ist damit kaum zu realisieren. Selbstverständlich lässt sich argumentieren, dass es gerade für Prozesse der internen politischen Entscheidungsvorbereitung und Problembearbeitung sowie in weiten Teilen der Routinepolitik von untergeordneter Bedeutung ist, Politik ‘symbolisch darzustellen’ (vgl. Sarcinelli 2005). Auch lässt sich begründen, warum die mediale Politikvermittlung in vielen ‘harten Entscheidungsphasen’ sogar kontraproduktiv sein kann. Doch auch, wenn mit Verweis auf die wachsenden Relevanz (externer) Politischer Kommunikation erkannt wird (Sarcinelli 2005: 16): „Wo Politik (...) öffentlich wird, vor allem in Phasen der Problemartikulation und bisweilen auch der Politikentscheidung (...), entscheidet Politische Kommunikation.“
bleibt die vorgeschlagene Trennung von Entscheidungs- und Darstellungspolitik artifiziell. Dies gilt nicht nur, wenn die Interpretation von Politischer Kommunikation zugrunde gelegt wird, nach der Politische Kommunikation interne und externe Vermittlungs- und Austauschprozesse von Bedeutungsinhalten mit direkter oder indirekter politischer Relevanz sowie deren Wechselwirkungen zwischen politischen Akteuren, Medien und Bevölkerung bezeichnet, was auch die politische Binnenkommunikation zur internen Abstimmung oder Entscheidungsvorbereitung umfasste. Zwar wird hiermit eine Erweiterung der Dimensionen Politischer Kommunikation an sich vorgenommen, doch gibt dies noch wenig Auskunft über die Frage, warum nicht auch eine Differenzierung zwischen Herstellung und Darstellung akzeptiert werden sollte. Hier ist der Blick zu erweitern auf die soziale Interaktionsdimension, mit der sich die Darstellung als konstitutives Element jeder Herstellung erweist. Diese Idee wird mit Goffmans (2002a) Analysen der Selbstdarstellung im Alltag expliziert, die er in
Entscheidungspolitik versus Darstellungspolitik: ‘Spielen wir nicht alle Theater?’
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seinem Hauptwerk Wir alle spielen Theater beschreibt. Obwohl sich Verweise auf die Studie finden lassen, wurde das soziologische Konzept Goffmans bislang eher rudimentär auf den politik- und kommunikationswissenschaftlichen Kontext transferiert. Gerade für die Auseinandersetzung mit dem Gegenstandsbereich der ‘darstellenden’ Visuellen Politischen Kommunikation bietet die Integration der theoretischen Positionen Goffmans die Möglichkeit, die normative Diskussion in eine konstruktivistische Perspektive zu überführen. Goffman weist in seinen Studien nach, dass die individuelle Selbstdarstellung im Alltag, das Theaterspiel, wenn man seinem Bild folgt, ein grundlegendes Element jeder sozialen Interaktion ist und dass diese Selbstdarstellung nach festgelegten Regeln und Kontrollen funktioniert. Grundannahme Goffmans ist die Überlegung, dass die soziale Welt eine Bühne ist; auf der Vorderbühne interagieren Personen als Darsteller in einem Schauspiel, werden von Zuschauern beobachtet, auf die Hinterbühne zieht sich das Ensemble zurück, wechselt Requisiten aus, entspannt, kontrolliert den Zugang (vgl. Goffmans (2002a: 217-218). Goffman selbst (2002a: 217-218) fasst das Modell, das er in seinem Werk entwirft, wie folgt zusammen: „Jeder Ort, der durch feste Wahrnehmungsschranken abgegrenzt ist und an dem eine bestimmte Art von Tätigkeiten regelmäßig ausgeübt wird, ist eine gesellschaftliche Einrichtung. […] Innerhalb der Grenzen einer gesellschaftlichen Einrichtung finden wir ein Ensemble von Darstellern, die zusammenarbeiten, um vor einem Publikum eine gegebene Situation darzustellen. Zu diesem Modell gehören der Begriff des geschlossenen Ensembles und des Publikums sowie die Voraussetzung eines Ethos, das durch Regeln des Anstandes und der Höflichkeit aufrechterhalten werden soll. Wir finden häufig eine Trennung in einen Hintergrund, auf dem die Darstellung einer Rolle vorbereitet wird, und einen Vordergrund, auf dem die Aufführung stattfindet. Der Zugang zu diesen Regionen wird unter Kontrolle gehalten, um das Publikum daran zu hindern, hinter die Bühne zu schauen, und um Außenseiter davon fernzuhalten, eine Aufführung zu besuchen, die nicht für sie bestimmt ist. Innerhalb des Ensembles herrscht Vertrauen, entwickelt sich zumeist Solidarität, und Geheimnisse, die das Schauspiel verraten könnten, werden gemeinsam gehütet. Zwischen Darsteller und Publikum herrscht ein stillschweigendes Einverständnis darüber, dass beide Gruppen handeln, als bestünde ein gewisses Maß an Übereinstimmung und Gegensatz zwischen ihnen. […] Manchmal treten Störungen durch ungewollte Gesten, Fauxpas und Szenen auf, widersprechen der dargestellten Situation oder diskreditieren sie. […] Wir beobachten, dass sowohl Darsteller als auch Publikum bestimmte Techniken anwenden, um das Schauspiel zu retten.“
Eine Darstellung wird von Goffman (2002a: 18) dabei nicht normativ gedeutet, sondern bezeichnet einfach die „Gesamttätigkeit eines bestimmten Teilnehmers in einer bestimmten Situation (...), die dazu dient, die anderen Teilnehmer in irgendeiner Weise zu beeinflussen.“ Entscheidend ist, dass für Goffman jede Interaktion, schon aufgrund ihrer wechselseitigen Bezugnahme der Handelnden aufeinander, „in irgendeiner Weise dazu dient in irgendeiner Weise zu beeinflussen“ (ebenda), dieser Aspekt wird folglich nicht per se kritisch gewertet. Denn im Rahmen der sozialen Interaktion begegnen sich die Menschen nicht nur als Individuen, sondern als Inhaber ihrer sozialen Rollen. Diese sozialen Rollen, Stellungen, Positionen sind mit
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bestimmten typischen Verhaltenserwartungen verbunden, für die es in der Gesellschaft vorgefertigte, vereinfachte ‘Schablonen’ gibt, die durch eine entsprechende Darstellung aktiviert werden müssen. So bezeichnet Goffman (2002a: 18) „das vorherbestimmte Handlungsmuster, das sich während einer Darstellung entfaltet und (...) durchgespielt“ wird, als soziale Rolle, wobei diese für ihn eine oder mehrere Teilrollen umfasst, die bei einer Reihe von Gelegenheiten vor gleichartigem oder vor gleichen Publikum dargestellt werden können und müssen (Goffman 2002a: 70): „Ein Status, eine Stellung, eine soziale Position ist nichts Materielles, das in Besitz genommen und dann zur Schau gestellt werden kann; es ist ein Modell kohärenten, ausgeschmückten und klar artikulierten Verhaltens. Ob es nun geschickt oder ungeschickt, bewusst oder unbewusst, trügerisch oder guten Glaubens dargestellt wird, auf jeden Fall ist es etwas, das gespielt und dargestellt werden (...) muss.“
Für die Diskussion der Unterscheidung von Entscheidungs- und Darstellungspolitik und ihrer Bewertung bringen diese Überlegungen zunächst die konstruktivistische Erkenntnis ein, dass die Darstellung, ob nun „geschickt oder ungeschickt, bewusst oder unbewusst, trügerisch oder guten Glaubens“ (ebenda), als ein konstitutives Element jeder Kommunikation bzw. Interaktion angesehen werden kann. Folgt man dieser Interpretation, wäre dieses Interaktionsprinzip auch für die sachbezogene Ebene der Politikherstellung konstitutiv: Auch hier ist soziale Interaktion nicht zweckfrei, auch hier verfolgen die Interaktionspartner Ziele und Interessen, die sie durchsetzen wollen; letztlich ist dies ihre Aufgabe im politischen Prozess. Goffman (2002a: 8) erklärt hierzu: „Abgesehen von dem unmittelbaren Ziel, das der Einzelne sich gesetzt hat, und von den Motiven dieser Zielsetzung, liegt es in seinem Interesse, das Verhalten der anderen, insbesondere ihr Verhalten ihm gegenüber, zu kontrollieren. Die Kontrolle wird weitgehend dadurch bewirkt, dass er die Deutung der Situation beeinflusst, und zwar kann er das dadurch, dass er sich in einer Art und Weise ausdrückt, die bei den anderen einen Eindruck hervorruft, der sie veranlasst, freiwillig mit seinen Plänen übereinzustimmen.“
Damit lässt sich die Notwendigkeit der Darstellung auch auf der Ebene der Entscheidungspolitik erkennen; ohne Darstellung wäre keine sachbezogene Handlungskoordination, keine Konsensfindung, keine Entscheidung möglich. Die Erkenntnis von Jarren, Donges und Weßler (1996: 9), dass die Herstellung und die Darstellung von Politik „für politische Akteure und für das Publikum faktisch eine soziale Einheit“ bilden, wird mit dieser soziologisch-konstruktivistischen Perspektive theoretisch fundiert. Gleichwohl soll nicht ausgesagt werden, dass nicht auch nach der Angemessenheit einer Darstellung gefragt werden kann. Auch die soziale Interaktionsanalyse kennt den Unterschied zwischen Authentizität und Inszenierung einer Darstellung und stellt entsprechende normativ-moralische Maßstäbe bereit, um zwischen diesen Positionen trennen zu können. Hier ist Kamps (2003: 209) zuzustimmen, wenn er
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prognostiziert, die Kompetenz zum politischen Kommunikationsmanagement „jenseits des schlichten Aufmerksamkeitserheischens dürfte dabei ein künftig immer wichtiger werdendes Qualitätskriterium für das politische Personal sein.“ 3.6 Konsequenzen für den Modus der Visuellen Politischen Kommunikation Da politische Akteure auf die Vermittlungsleistungen des Mediensystems angewiesen sind (vgl. Kap. 3.3), nimmt der „neue Strukturwandel der Öffentlichkeit“ (Imhof 2005: 283) wesentlichen Einfluss auf die Politische Kommunikation im demokratischen System. Die in einer Gesellschaft verankerten Medienstrukturen, ihre ökonomische und formale Organisation, ihre rechtliche Verankerung, sind „für politische Akteure höchst relevant, weil sie ihre kommunikativen Handlungsmöglichkeiten beeinflussen“ (Jarren 2001: 10). Wenn Medien nun aber in spezifischer Weise die Vermittlungsstruktur zwischen politischen Akteuren und Öffentlichkeit dominieren, wenn sie „mehr und mehr zur Voraussetzung der Kommunikation insbesondere von politischen Akteuren“ werden (Jarren 2001: 15), wird die ökonomisierte Medienlogik konstitutiv für die Teilnahme- und Rezeptionswahrscheinlichkeit an öffentlicher Kommunikation. Daher gehen mit dem öffentlichkeitsstrukturellen Wandel Veränderungen medialer Aufmerksamkeitsstrukturen einher (Eisenegger 2005: 15), die sich, systemtheoretisch betrachtet, als wechselseitige Adaptionsvorgänge zwischen den funktionalen Teilsystemen Medien, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft interpretieren lassen. Die Transformation der Medienlogik im Rahmen der ökonomischen Reintegration mündet in eine korrespondierende Transformation auf Seiten der politischen Akteure. Die Orientierung an der Medienlogik führt zur Produktion und Inszenierung von Ereignissen und Aussagen, die die Kriterien für journalistische Nachrichtenauswahl berücksichtigen (vgl. Brettschneider 2002c: 58). Dies bedeutet auch, dass die erfolgreiche Medienpräsenz zu einem Prädiktor wird, der über Marktwert eines Politikers entscheiden kann (vgl. Leif 2001: 6). Die Entwicklung akzentuiert Brettschneider (2002c: 59), wenn er folgert, Politik müsse in der Mediengesellschaft „nicht unbedingt sachgerecht sein, auf jeden Fall aber mediengerecht“ (vgl. Kepplinger 1998). Gleichzeitig hat die Mediatisierung nicht nur Auswirkungen auf Politische Kommunikation, sondern auf die Gesellschaft als Ganzes. Auch die Öffentlichkeit ist in modernen Gesellschaften mediatisiert. Die skizzierten Entwicklungen beziehen sich aber keineswegs nur auf die Logik der Medienberichterstattung, sondern sind folgenreich für den gesamten Bereich der Politischen Kommunikation:
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Auch dort, wo externe Kommunikation nicht über Medienberichterstattung positioniert werden soll, sondern über politisches Marketing, politische Werbung und Wahlkampfkommunikation, werden strukturelle Anpassungen an die mediale Darstellungslogik sichtbar. Denn mit der Veränderung der Handlungs- und Selektionslogik des Mediensystems verändern sich auch die Selektions- und Rezeptionskriterien der öffentlichen und der individuellen Wahrnehmung. So nährt die Expansion des Medienangebots im Hinblick auf die Reichweite und Anzahl von Angebotsalternativen die Situation des andauernden Information Overload, die sich wiederum als zentrale Herausforderung des politischen Kommunikationsmanagements darstellt. Die veränderte Komplexität der Umwelt führt zu einem Anstieg von Orientierungslosigkeit, von Erwartungen und Anforderungen, auch an Parteien und politische Akteure. Dies zeigt sich nicht nur in der veränderten Nutzung von Medien, Produkten und politischen Informationen (vgl. Bruhn 2009: 1-3; Schulz 2008: 21), sondern auch in den in der Wohlstandsgesellschaft etablierten Einstellungen zu Politik, Konsum, Gesundheit, Individualität, Selbsterfahrung und Erlebnis. Die Veränderungen in der Gesellschaft, auf den Märkten, im politischen wie medialen System, bedingen die Notwendigkeit einer Repositionierung des Politischen Kommunikationsmanagements (vgl. Mast 2002: 48). In dieser Situation gewinnt ein strategisches politisches Kommunikationsmanagement an Bedeutung, um den gestiegenen Anforderungen gerecht zu werden. Genau hier kann auch die Visuelle Politische Kommunikation entscheidend dazu beitragen, die politischen Botschaften eindeutig und prägnant zu positionieren, emotional-assoziativ zu verankern und damit in den relevanten Zielgruppen durchzusetzen. Daher steht das Vordringen der Bildkommunikation „in engem Zusammenhang mit der Informationsüberlastung“ (Kroeber-Riel/Esch 2004: 18). Tatsächlich scheint der permanente Informationsüberschuss das Nutzungsverhalten der Rezipienten erheblich zu prägen: Informationsüberlastete Nutzer bevorzugen medien- und inhaltsübergreifend Bilder, denn diese ermöglichen eine schnellere und gedanklich ‘bequemere’ Informationsaufnahme (ebenda). Auch in diesem Sinn schafft und verändert mediale Vermittlung Wirklichkeit (vgl. Sarcinelli 1998c: 149).
4 Integration: Der Modus Visueller Politischer Kommunikation und seine Funktionslogik am Beispiel des Wahlplakats
Im Forschungsprojekt wurde Visuelle Politische Kommunikation, ihre Rezeption und Wirkung am Beispiel von Wahlplakaten untersucht. Diese Fokussierung war nicht die einzig mögliche; ebenso möglich wäre ein Fokus auf Wahlwerbespots oder politischen Bildjournalismus gewesen. Gleichwohl bietet sich das Wahlplakat in besonderer Weise an, um die Wahrnehmung, Verarbeitung und Wirkung Visueller Kommunikation im Prozess politischer Informationsvermittlung zu untersuchen. Denn Wahlplakate stellen eine prototypisch verdichtete Form Visueller Politischer Kommunikation dar – so, wie der Wahlkampf an sich eine prototypisch verdichtete Form Politischer Kommunikation darstellt, einen Kristallisationspunkt, an dem kommunikative Funktionen, Prozesse und Medienwirkungen prägnant zum Ausdruck kommen. Es ist daher konsequent, das Wahlplakat als spezifisches Medium Visueller Politischer Kommunikation und den Wahlkampf als spezifischen Wirkungs- und Funktionszusammenhang des Mediums zu thematisieren. Der Fokus auf den Anwendungsbereich soll aber nicht davon ablenken, dass das tiefere Erkenntnisinteresse letztlich nicht dem Wahlplakat gilt, so spannend dies auch ist, sondern der spezifischen Funktions- und Wirkungslogik Visueller Politischer Kommunikation. Oder anders formuliert: Visuelle Politische Kommunikation ist keineswegs nur im Wahlplakat bzw. im Wahlkampf von außerordentlicher Bedeutung; ihre Funktions- und Wirkungslogik lässt sich aber gerade hier außerordentlich konzentriert studieren. Der Fokus auf das Wahlplakat erweist sich indes als äußerst sinnig: Er trägt nicht nur dazu bei, das übergeordnete Thema Visueller Politischer Kommunikation bzw. der Visualisierung von Politik prototypisch, forschungsökonomisch und praxisrelevant zu thematisieren, sondern leistet auch einen Beitrag, den bis heute vernachlässigten Forschungsbereich der Plakatforschung zu schließen. Dennoch sollte, wenn sich die Auseinandersetzung im Folgenden auf das Wahlplakat spezialisiert, nicht aus den Augen verloren werden, dass das übergeordnete Erkenntnisinteresse der Visuellen Politischen Kommunikation als spezifischer Kommunikationsmodus, seiner Wahrnehmung, seiner Verarbeitung und seiner Wirkung gilt.
S. Geise, Vision that matters, DOI 10.1007/978-3-531-92736-7_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Politische Kommunikation im Wahlkampf
4.1 Politische Kommunikation im Wahlkampf Wenn Wahlkämpfe als Situationen besonders verdichteter Kommunikation zwischen politischen Akteuren, Medien und Bürgern angesehen werden, wird deutlich, welche zentrale Bedeutung Politischer Kommunikation im Wahlkampf zufällt: Der Wahlkampf ist Politische Kommunikation und manifestiert sich über Politische Kommunikation (vgl. Radunski 1980: 7; Kamps 2007: 161-162; Niedermayer 2007: 21). Um den Anteil an Wählerstimmen zu maximieren, versuchen Parteien bzw. politische Akteure, sich im Wahlkampf unter den gegebenen Rahmenbedingungen durch Kommunikationsstrategien im Spannungsfeld von Überzeugung und Überredung (Niedermayer 2007: 21; vgl. Schoen 2005c: 505) möglichst positiv, prägnant und trennscharf zu positionieren. Beteiligt sind drei Akteursgruppen (vgl. Schoen 2005c: 505): die Gruppe der Wähler, die Gruppe der Parteien sowie die Massenmedien (Brettschneider 2005a: 19). Als Initiatoren des Wahlkampfes richten politische Akteure wahlrelevante Inhalte direkt an die Wähler, die Adressaten und Rezipienten Politischer Kommunikation, oder an die Medien, die als Vermittlungsinstanz auftreten. Für den Wähler stehen damit drei potentielle Informationsquellen zur Verfügung: Er kann seine wahlrelevanten Informationen aus der direkten, persönlichen Beobachtung der politischen Akteure oder ihrer unmittelbaren Kommunikation beziehen, er kann sie aus der sozialen Interaktion schöpfen und er kann sich über die Massenmedien informieren (vgl. Brettschneider 2002d: 36). Nach Lazarsfeld, Berelson und Gaudet (1969: 140) kann Politische Kommunikation hierbei grundsätzlich drei Wirkungen entfalten: Verstärkung, Aktivierung und Meinungsänderung. Sie kann erstens einen Verstärkereffekt auslösen, dem Wähler in seiner Entscheidung Orientierung, Sicherheit und Integration bieten und ihn somit mobilisieren oder seine mögliche Abwanderung verhindern (Lazarsfeld/Berelson/Gaudet 1969: 124-125). Zweitens kann sie dazu beitragen, unterschwellige Prädispositionen bei den Wählern zu aktivieren und damit eine latente politische Neigung in eine manifeste Stimmabsicht umwandeln. Hier fällt der Wahlkampfkommunikation insbesondere die Aufgabe zu, Aufmerksamkeit und Interesse zu wecken und zu binden (Lazarsfeld/Berelson/Gaudet 1969: 110-111). Drittens kann Wahlkampfkommunikation persuasiv wirken und zu einer Meinungsänderung führen – diese Wirkung stellt nach bisherigen empirischen Befunden aufgrund selektiver Wahrnehmung aber wohl eher die Ausnahme dar (vgl. Lazarsfeld/Berelson/Gaudet 1969: 131-132). Auch wenn sich jede Wahlkampfkommunikation innerhalb dieses Wirkungspotentials bewegt, und die im Wahlkampf eingesetzten Kommunikationsstrategien durchaus gewissen Regelmäßigkeiten folgen, ist „kein Wahlkampf wie der andere“ (Holtz-Bacha 2003: 9). Wahlkampfkommunikation findet in einem Umfeld kontinuierlicher Veränderung statt. Situative Faktoren wie die wirtschaftliche Lage, die gegenwärtigen Medienthemen oder das spezifische ‘Wahlkampfsetting’ sind zu
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berücksichtigen (vgl. Holtz-Bacha 2003: 9) und verlangen nach einer spontanen und angemessenen Reaktion der politischen Akteure (Brettschneider 2002d: 38; Radunski 1980: 7). Parteien und Kandidaten können zudem meist nicht vollkommen frei agieren, sondern sind strukturell, finanziell, personell oder durch den Ereignishintergrund gebunden. Allzu drastische Kurswechsel können Irritationen verursachen und damit letztlich Stimmen kosten (vgl. Schoen 2005c: 506). Um möglichst viele Stimmen erhalten, müssen die Parteien Wähler mit unterschiedlichen Interessen und Auffassungen für sich einnehmen. Daraus resultiert, dass die richtungspolitische Polarisierung im Wahlkampf abnimmt und allgemeingültigere Programme und Positionen kommuniziert werden (vgl. Rudzio 2006: 190). Die parteipolitisch ‘richtigen’ Positionierung zu finden, ist auch deshalb herausfordernd, da politische Akteure sich in dem grundsätzlichen Dilemma befinden, einerseits fachliche Kompetenz und Autorität zu vermitteln und andererseits emotionale Identifikationsfaktoren wie Sympathie, Nähe und Vertrauen zu schaffen (vgl. Müller 1996: 233). Dabei scheint sich beides zu konterkarieren: Positivere Beurteilungen auf der ‘weichen’ Beurteilungsdimension können mit negativeren Urteilen auf der ‘harten’ Bewertungsdimension einhergehen (vgl. Brosius/Holicki/Hartmann 1987: 351). Und obwohl die Erosion der Parteineigung impliziert, dass Rezipienten sich leichter von Wahlkampfkommunikation bzw. Wahlwerbung ansprechen lassen, führt ein wachsendes Ressentiment gegenüber politischen Institutionen gleichzeitig dazu, dass auch Politische Kommunikation zunehmend mit kritischer Distanz betrachtet wird (vgl. Schulz 1998: 379). Es zeigt sich, dass sich die Struktur und Logik des Wahlkampfs an die jeweils veränderte gesellschaftliche und politische Umwelt anpasst und anpassen muss (vgl. Holtz-Bacha 2002b: 12). Vor allem in Wahlkämpfen kommt es für Sarcinelli (2005: 56) daher darauf an, „mit einem erweiterten Kommunikationsarsenal und mit erhöhter Kommunikationsintensität dem gestiegenen Aktivierungsbedarf Rechnung zu tragen“, um auch das „wachsende Kontingent tendenziell parteiabstinenter Wähler“ zur Wahl zu motivieren. Im engen Zusammenhang mit der Notwendigkeit, Kommunikation im Wahlkampf gezielt auszurichten, steht die Diskussion um eine zunehmende Professionalisierung Politischer Kommunikation. Seit dem SPD-Bundestagswahlkampf 1998 und der Einführung der KAMPA ist häufig beschrieben worden, dass sich Wahlkampfkommunikation zunehmend professionalisiert, amerikanisiert und medienorientiert zeigt (vgl. Sarcinelli 2005: 202; Holtz-Bacha 2002b: 13; Radunski 2003; Müller 1999a). Professionalisierung bezeichnet zunächst die Auslagerung der Kampagnenorganisation von den Parteiorganisationen zu Kommunikationsspezialisten und die Verpflichtung von Werbe- und Medienagenturen sowie Wahlkampfberatern bzw. Spin Doctors (vgl. Holtz-Bacha 1999: 10-11), was die proklamierte Zunahme von Personalisierungs-, Inszenierungs- und Symbolisierungsstrategien begründen lässt. Neben die rationale Argumentation, so die These, treten professionelle Kommunikationskonzepte, die den Wähler über Emotionalisierungen, Personalisierungen, Inszenierungen oder
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Visualisierungen auch emotional ansprechen sollen (vgl. Kap. 3.4.2). Im Wahlkampf wird Politische Kommunikation damit extrem verdichtet. In der Konsequenz, so wird kritisiert, seien Wahlkämpfe zu einem „Spektakel verkommen“, zeigten ein falsches Bild von Politik und ständen einer rationalen Entscheidungsfindung im Weg, weil sie konkrete Politik mit dieser „Entsachlichung“ in den Hintergrund drängten (Schoen 2005c: 503; Perloff 1998: 37; Woyke 2002: 61). Die zunehmende Beweglichkeit der Wähler erschwert hierbei vervielfach die Kalkulierbarkeit und Treffsicherheit Politischer Kommunikation; denn die ansteigende Volatilität der Wahlentscheidung zeigt sich nicht nur sequentiell von Wahljahr zu Wahljahr, sondern auch in der Wahlkampfzeit selbst. Die sich vermehrende Labilität von Parteibindungen und Parteineigungen mündet in einen enormen Bedeutungszuwachs des Wahlkampfes an sich (vgl. Sarcinelli 2005: 205; Schoen 2003: 41). Politische Kommunikation im Wahlkampf erhält möglicherweise sogar wahlentscheidenden Charakter (Sarcinelli 2005: 205). Angesichts der Tatsache, dass die beschriebene Entwicklung häufig kritisch bewertetet wird, hält Radunski (2003: 8) den Skeptikern eine positive Interpretation von professioneller Wahlkampfkommunikation entgegen: „Professioneller Wahlkampf ist auch ein Beitrag zur Stärkung der Demokratie. Wo gekonntes Themenmanagement politische Inhalte vermittelt, hilft es dem Bürger, Themen zu verstehen und fördert Partizipation. Zu oft wird Wahlkampf als Tiefpunkt demokratischer Politik verstanden, dabei könnte er doch ein Höhepunkt demokratischer Kultur sein.“
4.1.1
Themenmanagement: Strategisches Agenda Setting und Priming
Wie Brettschneider (2005a: 19; 2002d: 36) darlegt, müssen politische Akteure im Wahlkampf zwei Ziele erreichen: die eigenen Anhänger mobilisieren sowie die parteipolitisch ungebundenen Wähler überzeugen. Die Mobilisierung der eigenen Anhänger hängt wesentlich davon ab, „wie stark eine Partei ihre Grundüberzeugungen und ihre Wertebasis im Wahlkampf vermitteln kann und wie stark die für eine Partei zentralen Themen in die Wahlkampfkommunikation gelangen“ (Brettschneider 2005a: 19; Brettschneider/Rettich 2005: 167-169). Auch Aspekte wie das geschlossene Auftreten der Partei, die Abgrenzung von den politischen Gegnern (Richtungs- und Differenzierungswahlkampf) sowie die Kompetenz, Integrität und Überzeugungskraft des politischen Führungspersonals (Problemlösekompetenz; Leadership-Qualitäten) beeinflussen den Mobilisierungserfolg (vgl. Brettschneider 2005a: 19; 2002e: 210-211). Für die Aktivierung der unentschlossenen Wähler lassen sich zwei Tendenzen strategisch nutzen: Anhänger, die über eine hohe formale Bildung und ein ausgeprägtes politisches Interesse verfügen, können vor allem über die im Wahlkampf dominierenden Themen und der, den Parteien bei diesen Themen zugeschriebenen, Sachkompetenz gewonnen werden (vgl. Brettschneider/Rettich 2005: 167; 169). Unentschlossene Wähler mit einer niedrigen formalen Bildung und einem geringen politischen Inter-
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esse sind dagegen eher über Stimmungen und Sympathien direkt vor der Wahl oder über Einzelthemen zu erreichen, die sie unmittelbar betreffen (Brettschneider 2005a: 20; Brettschneider/Rettich 2005: 169). Politische Kommunikation kann hier etwa konkretisieren, „warum eine Reform für das Leben der Wähler eine Rolle spielt“, wie Politik mit einem Thema bzw. Programm „das Leben des Einzelnen positiv oder negativ beeinflussen kann“ (Vogel 2004: 286). Eine erfolgreiche Positionierung im Wahlkampf führt damit, allen Diskussionen um Trends wie Amerikanisierung, Modernisierung und Mediatisierung zum Trotz (vgl. Schulz 2008: 243246; Pfetsch/Schmitt-Beck 1994), vor allem über Themen und Kompetenzen der Parteien und ihrer Kandidaten (vgl. Brettschneider 2002e). Dies gilt insbesondere, da in der Wahrnehmung der Bevölkerung bestimmte politische Positionen und Themen mit bestimmten Parteien, ihrem Programm und ihren Kompetenzen verbunden sind. Die Durchsetzungsstärke der politischen Themen steht dabei in engem Zusammenhang mit der erfolgreichen Politikvermittlung über die Medien. Obwohl die These, dass Massenmedien direkte Einstellungsänderungen erzeugen können, im Rahmen der kommunikationswissenschaftlichen Entwicklung weitgehend relativiert wurde, spielen Medien bei der Vermittlung von aktuellen Themen und Bewertungskriterien schon deshalb eine zentrale Rolle, da die Bevölkerung den Großteil an Informationen zum politischen Geschehen nicht unmittelbar erfährt, sondern medienvermittelt erhält (vgl. McCombs/Shaw 1972: 177; Brettschneider 1994: 211). Hier setzt die Agenda-Setting-Forschung an, die ausgehend von den Medienangeboten mittel- bis langfristige kognitive Effekte der Massenkommunikation und deren Einflüsse auf die Sichtweisen der Rezipienten analysiert. Dabei zeigt sich, dass die Rangfolge der relevanten Themen in den Nachrichten (Media Agenda) nachhaltig auf die Bevölkerungssicht der Realität bzw. auf die in der Öffentlichkeit als relevant betrachteten Themen wirkt (Public Agenda). Die Agenda-Setting-Theorie postuliert insofern einen Relevanztransfer von der Medienagenda in die soziale Realität der Rezipienten. Dabei kann die Medienrealität auch Verhaltensänderungen induzieren (Kepplinger/Roth 1978; vgl. Brettschneider 2000a; 2000b). Wirkungsbezogen ist ein Medieneinfluss umso wahrscheinlicher, 1.) je weniger Alltagserfahrung die Rezipienten mit dem Thema machen, da nicht-mediale Einflüsse (z.B. soziale Interaktion) dann eine untergeordnete Rolle einnehmen und 2.) je ausgeprägter und konsonanter die Medienberichterstattung zu diesem Thema verläuft (Noelle-Neumann 1973). Vor jeder Verhaltens-, Meinungs- oder Einstellungsänderung steht hierbei die Notwendigkeit ihrer Thematisierung. Bevor sich Rezipienten eine Meinung zu einem Thema bilden oder ihre bestehende Meinung verändern, müssen sie mit diesem durch Medienvermittlung erst einmal in Kontakt kommen. Die Medien nehmen damit zunächst einmal Einfluss darauf, worüber die Menschen nachdenken (Lang/Lang 1966: 468): „The mass media force intention to certain issues. They build up public images of political figures. They are constantly presenting objects suggesting what individuals in the mass media should think about, know about, have feelings about.”
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Die Auswahl der Medien führt beim Rezipienten also zu einer Themenstrukturierung und Priorisierung; die Medien-Agenda prägt die Public Agenda. Diese Agenda-Setting Function of Mass Media pointiert die berühmte Aussage von Cohen (1963: 13): „The press is significantly more than a purveyor of information and opinion. It may not be successful much of the time in telling people what to think, but it is stunningly successful in telling people what to think about.”
Bedeutsam an dieser Aussage ist die Transformation der Annahme, Medien würden Einstellungen verändern in die Feststellung, Medien würden gerade dies nicht tun, stattdessen aber Kognitionen der Rezipienten beeinflussen.
4.1.1.1
Die Agenda-Setting-Funktion der Medien
Die Agenda-Setting-Forschungen verbindet die gemeinsame Erkenntnis, dass Medienwirkungen nicht erst in der direkten Beeinflussung von Einstellungen vermutet werden, sondern bereits durch die vom Rezipienten wahrgenommene mediale Präsentation von Themen, Ereignissen und Personen entstehen (Rössler 1997: 16; vgl. McCombs/Shaw 1976; 1993; McCombs 2004). Mit diesem Grundgedanken distanziert sich die Agenda-Setting-Forschung von klassischen Persuasionsansätzen und stellt subtilere, eher auf unbewussten Lernprozessen basierende, kognitive Medienwirkungen in den Mittelpunkt der Betrachtung (Rössler 1997: 17): „Audiences not only learn about public issues and other matters from the media, they also learn how much importance to attach to an issue or topic from emphasis the media put on it. This ability to affect cognitive change among individuals is one of the most important aspects of the power of mass communication (...) It is the power of the press – the ability to structure the ‘unseen’ environment of symbols – which had been called the agenda setting function“ (McCombs/Shaw 1976: 18).
In der Konsequenz zielt die Auseinandersetzung auf die Frage, inwieweit die Medien über die Auswahl, Häufigkeit und Präsentation ihrer Inhalte das Potential besitzen, unser Bild von der in weiten Teilen ‘unsichtbaren’ Welt zu strukturieren. In diesem Strukturierungsprozess stellt der kognitive Aspekt der Wissensvermittlung durch die Medienberichterstattung allerdings nur den ersten Schritt dar; nach erfolgter Aufnahme der medial zugewiesenen Bedeutung erfolgt beim Rezipienten eine individuelle Bewertung und (möglicherweise entscheidungsrelevante) Interpretation der aufgenommenen Information (Rössler 1997: 20), weshalb kognitive AgendaSetting-Effekte letztlich doch persuasive Medienwirkungen implizieren (Brettschneider 1994: 212; Rössler 1997: 20). Dabei ist folgerichtig, dass sich die Summe der individuellen Agenda-Setting-Effekte auf die öffentliche Meinung auswirken kann: „Unterstellt man den Massenmedien eine Agenda-Setting-Funktion, so verfügten diese über ein weit reichendes Potential bei der Gestaltung der öffentlicher
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Diskussion“ (Rössler 1997: 42). Unter Bezugnahme auf Weaver (1984) fassen Edelstein, Ito und Keppling (1989: 240) zusammen: „The minimal effect of agendasetting produces secondary effects that have great consequences for communication.“ Die „Agenda-Setting Function of Mass Media“ wurde erstmalig 1972 von McCombs und Shaw (1972) beim Präsidentenwahlkampf in Chapel Hill untersucht. Methodisch wurde eine Inhaltsanalyse der Wahlkampfthemen einer Wählerbefragung zur subjektiv eingeschätzten Themenrelevanz gegenübergestellt, insbesondere im Hinblick auf die Übereinstimmungen zwischen Gewichtungen in der Berichterstattung und Prioritäten der Wähler (vgl. McCombs/Shaw 1972: 177). Konkret sollten die 100 telefonisch befragten, noch unentschlossenen Wähler die Frage beantworten, welche politischen Themen ihnen aktuell am wichtigsten erscheinen (vgl. McCombs/Shaw 1972: 178). Parallel dazu wurden die Nachrichten aus vier Lokalzeitungen, drei überregionalen Magazinen sowie den Abendnachrichten der wichtigsten beiden Fernsehsender (NBC, CBS) einer Inhaltsanalyse unterzogen; den Ausgangspunkt bildeten 15 Schlüsselthemen im Wahlkampf (vgl. McCombs/Shaw 1972: 178). Die ermittelte mediale Rangordnung der Themen verglichen sie mit der in der Umfrage ermittelten Public Agenda (ebenda). Im Ergebnis fanden sie eine sehr starke Korrelation zwischen der Rangordnung von Themen bei der Public Agenda und der Medien-Agenda, d.h. eine fast vollständige Übereinstimmung von MedienAgenda und Bevölkerungs-Agenda (vgl. McCombs/Shaw 1972: 180-181). Hinweise auf eine selektive Mediennutzung wurden, wohl wegen einer weitgehend konsonanten Berichterstattung, nicht gefunden (vgl. McCombs/Shaw 1972: 183-184). Obwohl die methodische Umsetzung einigen Raum für Kritik lässt1 (vgl. Rössler 1997), konnten Shaw und McCombs (1972: 185) zeigen, dass es in der Untersuchungsgruppe einen Einfluss auf die Themenagenda gab, wobei die Annahme eines Agenda-Setting-Effekts eine Erklärung für die beobachteten Phänomene anbietet – und zwar eine plausiblere Erklärung als andere. Dieses Argument erscheint vor allem bei politischen Themen besonders tragfähig, da hier eine unmittelbare Erfahrung der objektiven Themenrealität weniger wahrscheinlich ist als die medienvermittelte 1
Zum einen ist an dieser ersten empirischen Untersuchung zu kritisieren, dass eine kleine, nicht repräsentative Gruppe von 100, noch unentschlossenen Wählern befragt wurde, wobei eine recht grobe Kategorisierung der Themenfelder zugrunde gelegt wurde. Zudem fand die Befragung nur zu einem Zeitpunkt statt. Gerade dieses Querschnittdesign erscheint allerdings unangemessen, denn Agenda-Setting lässt sich nicht durch Korrelationen zu einem Zeitpunkt nachweisen, weil hierdurch keine Aussage über die Richtung der Korrelation getroffen werden kann: Ebenso ließen sich die Wirkungen durch eine Orientierung der Medien-Agenda an der Bevölkerungsagenda erklären. Auch der Einfluss von Drittvariablen bleibt durch das Untersuchungsdesign nicht auszuschließen. Daneben basierte die ermittelte Rangkorrelation auf aggregierten Daten. Wie die Autoren der Studie selbst einräumen, ist diese Vorgehensweise „satisfactory as a first test of the agenda-setting hypothesis“, diese war aber noch näher zu analysieren, insbesondere auch auf der Ebene der Individuen unter Berücksichtigung der individuellen Mediennutzung (obwohl sich dieser Mangel durch die recht konsonante Berichterstattung weitgehend relativiert) (McCombs/Shaw 1972: 184-185).
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Information. Die „Agenda-Setting Function of Mass Media“ wurde in weiteren Studien bestätigt. Bedeutsam ist die Studie von Funkhouser (1973) „The Issues of the Sixties“, der die erste Längsschnittuntersuchung zum Bereich Agenda-Setting unternahm. Funkhouser (1973: 63) untersuchte den Zusammenhang zwischen der Medienberichterstattung zu aktuellen Themen, der öffentlichen Meinung und der der Berichterstattung zugrunde liegenden Realität. Konkret verglich er (1973: 65-66) die Themenentwicklung der Medien und die Entwicklung der Public Agenda für mehrere Issues, die von 1960 bis 1970 thematisiert wurden. Methodisch verknüpfte Funkhouser eine Inhaltsanalyse amerikanischer Magazine (Newsweek, Magazine Time sowie U.S. News and World Report) mit einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage zur Einschätzung der wichtigsten Probleme der amerikanischen Gesellschaft (aggregierte Umfrageergebnisse der Gallup-Frage: „What is the most important problem facing America?”) (vgl. Funkhouser 1973: 63-64). Dabei fand er (1973: 67) heraus, dass sich auch im Längsschnittdesign ein starker Zusammenhang zwischen Medienund Public-Agenda zeigte: Die Themenbereiche, über die die Medien am häufigsten berichtet hatten, wurden auch von der Bevölkerung als wichtigste angesehen. In den meisten Fällen änderte sich dabei zuerst die Medien-Agenda, dann folgte die PublicAgenda zeitverzögert nach, teilweise wurden in der Studie auch parallele Entwicklungen der Prioritätenverschiebung deutlich (vgl. Funkhouser 1973: 67-68). Die Häufigkeit der Berichterstattung zu einem Issue hatte dabei zwar einen starken Einfluss auf die Wahrnehmung der Wichtigkeit des Issues, aber keinen besonders starken auf die Einstellungen der Rezipienten im Zeitverlauf. Funkhouser (1973: 69) konnte spezifizieren, dass die mediale Berichterstattung zwar einen relativ starken Einfluss auf die Vorstellung von der Wichtigkeit eines Themas für die Gesellschaft besitzt, dagegen aber nur einen geringen Einfluss auf die Bedeutung des gleichen Themas für den Rezipienten als Individuum. Folglich existiert häufig ein erheblicher Unterschied zwischen dem, was den Menschen persönlich wichtig ist, und den Themen, die die öffentliche Diskussion beherrschen. Funkhousers Ergebnisse verdeutlichen zugleich, dass die Berichterstattung zwar nicht die ‘objektive’ Realität spiegelt, die Bevölkerung trotz der bestehenden Divergenzen aber eher der Darstellung der Medien folgt. Feststellen konnte er dies durch einen Abgleich der Medieninhalte mit statistischen Realitätsindikatoren in ausgewählten Problemfeldern. Funkhouser (1973: 83) folgerte, dass die Medien kein sehr präzises Bild von den Ereignissen der untersuchten Jahre zeichneten. Vielmehr ging die Medienberichterstattung tatsächlichen Entwicklungen zeitlich voraus oder zeigte kaum Zusammenhänge. Später durchgeführte, methodisch verfeinerte Analysen (vgl. Watt/van den Berg 1978) konnten Funkhousers Ergebnisse bestätigen. Durch Iyengar und Kinder (1987) und Zucker (1978) wurde ergänzt, dass von den Rezipienten direkt erfahrbare Issues („obstrusive issues“) weniger stark von Agenda-Setting-Effekten betroffen sind als Issues, zu denen die Rezipienten keinen direkten Zugang haben („unobstrusi-
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ve issues“). Diese Beobachtung auf Themenebene gilt entsprechend auf Personenebene: Personen mit einem hohen Orientierungsbedürfnis sind von Agenda-SettingEffekten stärker beeinflusst als Personen ohne derartiges Bedürfnis (vgl. Weaver 1980; 1984). Eine weitere Differenzierung brachte der Vergleich von TV-Nachrichten und Bevölkerungs-Agenda auf Wochenbasis (Kepplinger/Gotto/Brosius/Haak 1989; Brosius/Kepplinger 1992). Ausgangspunkt der Untersuchung war der Zweifel an der impliziten Unterstellung eines linearen Wirkungsmodells (Kumulationsmodell), wonach mehr Berichterstattung ‘direkt’ zu mehr Problembewusstsein in der Bevölkerung führt. Eine Modifikation durch wahrnehmungs- und lernpsychologische Erkenntnisse wurde in Form der Impulsmodelle vorgelegt, wobei unterschiedliche Themen unterschiedliche Modelle benötigen (Kepplinger/Gotto/Brosius/Haak 1989). Bei bereits in der öffentlichen Meinung etablierten Themen, über die folglich nicht so häufig berichtet wird, müsse von einem Schwellenmodell ausgegangen werden: Um von der Bevölkerung überhaupt wahrgenommen zu werden, müsse die Berichterstattung über das Thema eine Mindestintensität überschreiten, um eine Veränderung im Problembewusstsein der Bevölkerung zu evozieren (ebenda). Themen, die der Bevölkerung als zentral erscheinen, katalysierten bei veränderter Berichterstattung dagegen eine überproportional starke Reaktion (Beschleunigungsmodell). Einen Gegenpol hierzu präsentiert das Trägheitsmodell, das einen Abnutzungseffekt von Themen zugrunde legt: Issues, die die Bevölkerung als Randthemen einstuft, führten bei veränderter Berichterstattung zu einer überproportional trägen Reaktion. Zudem seien mit dem Deckeneffekt und dem Bodeneffekt zwei Niveauwirkungen zu berücksichtigen: Werde ein Thema von der Bevölkerung als wichtig identifiziert, könne es durch die Medienberichterstattung nicht als viel wichtiger eingestuft werden (Deckeneffekt); werde ein Thema als unbedeutend bewertet, führte auch eine abnehmende Berichterstattung nicht zu einem weiteren Absinken der wahrgenommenen Wichtigkeit (Bodeneffekt). Indem die jeweilige Themenkarriere als Einflussfaktor identifiziert wird, erklären diese Differenzierungen wahrscheinlich die teilweise so differenten Agenda-Setting-Wirkungen je nach Thema oder Medium (Brosius/Kepplinger 1990: 21): „Issues might be conceived as moving through different developmental stages, with different causal relationships. At a given moment, some issues can be in a stage of media influence and others in a stage of public influence, with direction of influence possibly changing at various stages.“
Prominent sind die Experimental-Studien von Iyengar und Kinder (1987; vgl. Iyengar/Peters/Kinder 1982), die hinterfragten, inwiefern die Betonung von Themen in den Fernsehnachrichten die Wichtigkeit, die Menschen diesen Themen zuschreiben, beeinflusst und von welchen Rezipientenmerkmalen die Stärke eines vorhandenen Einflusses abhängt. Nach vorhergehender Befragung wurden dazu rund 770 repräsentativ ausgewählte Probanden über mehrere Tage mit TV-Nachrichten konfron-
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tiert, wobei der Experimentalgruppe jeweils ein Stimulus in Form einer, in die reale Nachrichtensendung eingefügten, Nachricht zum Themengebiet Sicherheitspolitik geboten wurde, während die Kontrollgruppe die Nachrichten unmanipuliert sah. Der Vergleich der Vorher- zur Nachher-Befragung zeigte in der Experimentalgruppe eine deutliche Verschiebung des manipulierten Themas Sicherheitspolitik (von Rang 6 auf Rang 2), während der Rang in der Kontrollgruppe unverändert blieb. Untersuchungen mit anderen Issues (Umweltschutz, Arbeitslosigkeit und Rüstungskontrolle) zeigten eine ähnlich signifikante Zunahme des manipulierten Themas, mit Ausnahme des Issues Inflation, was sich durch den Deckeneffekt erklären ließ. Durch Versuchsmodifikation konnten Iyengar und Kinder (1987: 45) zeigen, dass die Reihenfolge der Nachricht einen Einfluss auf das Agenda-Setting hat: „Stories that appear first tend to matter more“. Der stärkste Einfluss geht demnach von Lead-Nachrichten aus, was aus kognitions- und lernpsychologischer Perspektive plausibel ist. Neben Nachrichtenmerkmalen wurden auch Rezipientenmerkmale als Einflussvariablen untersucht. Hier stellten Iyengar und Kinder (1987: 60) bei Personen mit hoher formaler Bildung, großem politischem Interesse und starker Parteiidentifikation die schwächste Agenda-Setting-Wirkung fest, eine stärkere dagegen bei Personen, die von einem Thema nicht direkt betroffen waren (geringes Involvement): „The more removed the viewer is from the world of public affairs, the stronger the agenda-setting power of television news.“ Folgeuntersuchungen differenzierten das Bild möglicher Agenda-SettingWirkungen. Während sich Indizien fanden, dass Agenda-Setting eine geringere Wirkung bei politisch involvierten Rezipienten hat (vgl. Weaver/Graber/Mc Combs/Eyal 1981), zeigten andere Studien, dass gerade politisch Involvierte anfälliger für Agenda-Setting-Effekte seien, da sie stärker für politische Informationen sensibilisiert seien und aktiver Medien nutzten (vgl. Hill 1985). Studien zur Bedeutung interpersonaler Kommunikation erbrachten sowohl Belege für eine Abschwächung des Agenda-Setting-Effekts durch Relativierung (vgl. Erbring/Goldenberg/Miller 1980) als auch für eine Zunahme, etwa durch Bestätigung der Medienrealität durch Meinungsführer (vgl. Brosius/Weimann 1995). Eine spannende Weiterentwicklung wurde mit der Idee eingeführt, dass Agenda-Setting nicht nur auf der Ebene von Themen, sondern auch auf Basis von Attributen bzw. Eigenschaften wirken kann (vgl. McCombs 2004: 87). Während Agenda-Setting auf erster Ebene die Wichtigkeit von Themen und Objekten vorgäbe (First Level Agenda-Setting bzw. Themen-Agenda-Setting; vgl. Scheufele 2003: 60), werde durch das Second Level Agenda-Setting die Wichtigkeit von kognitiven und affektiven Attributen in ihrer Salienz gesteigert: „First level of agenda setting is the transmission of object salience, and the second level is the transmission of attribute salience“ (McCombs/Ghanem 2001: 69; vgl. Weaver 2007: 141). Die Gewichtung von Attributen des Objekts in den Medien (Attribute-Agenda der Medien) würde dem-
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nach die Bedeutung beeinflussen, die Rezipienten den Attributen zuschreiben (Attribute-Agenda der Rezipienten) (Scheufele 2003: 61; vgl. McCombs 2004).
4.1.1.2
Der Priming-Effekt der Medien
Neben der Analyse von Rezipientenmerkmalen und Reihenfolgeeffekten ging es Iyengar und Kinder (1987) auch um die Frage, welchen Einfluss Agenda-Setting, über die Einschätzung der Themenwichtigkeit, auf die Bewertung von Politikern nimmt. In ihren experimentellen Untersuchungen legten sie eine Idee Weavers zugrunde (1977: 117), der vermutet hatte, Medien könnten Themen bei den (politisch orientierungsbedürftigen) Wählern über Agenda-Setting-Effekte nicht nur verstärken, sondern ihnen damit implizit auch jene Issues vorgeben, die diese zur Beurteilung der Kandidaten und Parteien heranzögen. In ihrer Konzeptionalisierung setzten Iyengar und Kinder voraus, dass 1.) Menschen zur Bewertung von Sachverhalten oder Personen nicht die Gesamtheit der dazu zur Verfügung stehenden Informationen heranziehen, sondern 2.) nur jene Teilinformationen, die gerade ‘Top of mind’ und damit leicht verfügbar sind. In Entsprechung des Agenda-Setting-Ansatzes verknüpften sie diese Überlegungen mit der Erkenntnis, dass 3.) insbesondere die Medien(inhalte) bestimmen, welche Teilinformationen gerade ‘Top of mind’ sind. Für diesen Effekt prägten sie den Begriff Priming und spezifizierten (Iyengar/Kinder 1987: 5): „By priming certain aspects of national life while ignoring others, television news sets the trends by which political judgement are rendered and political choices made.”
Damit transferierten Iyengar und Kinder das kognitionspsychologisches PrimingKonzept auf den Bereich der Medienwirkung und erweiterten somit die zitierte Erkenntnis Cohens (1963: 13) „the press may not be successful (...) in telling people what to think, but it is stunningly successful in telling people what to think about“ um ein „how to judge about“. Über die Aktualisierung von im Gedächtnis gespeicherten Wissenseinheiten über die massenmedial vermittelten Informationen („Primes“) werden diese leichter zugänglich und mit einer höheren Wahrscheinlichkeit bei nachfolgenden Beurteilungen, Interpretationen oder Rezeptionen aktiviert bzw. als relevante Kriterien herangezogen. Über die Steuerung der Aufmerksamkeit auf Einzelaspekte, bei gleichzeitiger Vernachlässigung anderer, beeinflusst Priming die Maßstäbe, mit denen politische Institutionen oder Kandidaten beurteilt werden: „Priming refers to changes in the standards that people use to make political evaluations“ (Iyengar/ Kinder 1987: 63). Dominieren in der aktuellen Medienberichterstattung Nachrichten zum Bereich Sicherheitspolitik, führen diese Primes zu einer Aktualisierung der damit verbundenen semantischen Netzwerke beim Rezipienten, der in der Folge zur Bewer-
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tung von Politikern eher sicherheitspolitische Aspekte heranziehen wird als etwa Umweltschutz-Aspekte. Iyengar und Kinder (1987) testeten diese Überlegungen in dem bereits skizzierten Untersuchungsdesign: Vorher- und Nachherbefragung von Experimental- und Kontrollgruppe, vier bis fünftägige Testphase mit für die Experimentalgruppe manipulierten Nachrichteninhalten über Sicherheitspolitik, danach Vergleich der Befragungsergebnisse. Zur Klärung der Frage, welcher Einfluss sich auf die Bewertung von Politikern zeigte, sollten die Probanden den damaligen Präsidenten Carter sowie seinen damaligen Herausforderer Reagan sowohl im Hinblick auf ihre Gesamtleistungen als auch im Hinblick auf politische Teilbereiche bewerten. Im Ergebnis nahmen sicherheitspolitische Aspekte in der Bewertung der Experimentalgruppe einen doppelt so hohen Stellenwert ein wie in der Kontrollgruppe (Iyengar/Kinder 1987: 66). Dieser Priming-Effekt gewann an Bedeutung, wenn der Politiker in den Medien explizit als verantwortlich für den geprimten Themenbereich genannt wurde und dieser sich, wenn auch etwas schwächer als im Gesamturteil auch in der Charakterbeurteilung niederschlug. Dabei zeigten die formale Bildung und das politische Involvement kaum Einfluss auf die Stärke des Primings, wohl aber Parteineigung und Thema. 4.1.1.3
Strategisches Themenmanagement im Wahlkampf
Die Erkenntnisse implizieren eine enorme Relevanz für die Realität Politischer Kommunikation. Denn letztlich ist es unerheblich, ob Medien Einstellungen ändern oder ‘nur’ Kognitionen modifizieren (Kepplinger/Gotto/Brosius/Haak 1989: 75): „Die Massenmedien [besitzen] auch dann einen Einfluss auf die Meinungsbildung und Wahlentscheidung, wenn sie die vorhandenen Einstellungen nicht ändern. Es genügt, sie mehr oder weniger stark zu aktualisieren.“
Ein Blick auf die etablierten sozial-psychologischen Erklärungsmodelle des Wählerverhaltens verdeutlicht dies (Brettschneider 2002e; Brettschneider/Rettich 2005; Schoen 2003; vgl. Belknap/Campbell 1951; Campbell 1964; Campbell/Converse/Miller/Stokes 1966). Hier werden drei Parameter zur Erklärung des Wählerverhaltens zugrunde gelegt: 1.) die Parteiidentifikation als langfristige affektive Bindung des Wählers, 2.) kurzfristige personalisierte Kandidaten-Präferenzen und 3.) kurzfristige Issue-Präferenzen. Im Rahmen von Wertewandel, Flexibilisierung und Individualisierung der Gesellschaft zeigt sich ein deutlicher Rückgang der langfristigen Parteiidentifikation (vgl. Dalton 1984; 1990; Dalton/Flanagan/Beck 1984; Bürklin/Klein 1998; Brettschneider/van Deth/Roller 2002). In der Folge findet eine Gewichtsverlagerung zugunsten eines steigenden Einflusses der kurzfristigen Kandidaten- sowie Issue-Präferenzen statt (vgl. Brettschneider 2002e). Die Genese eines wahlentscheidenden Themas basiert wiederum auf folgenden Bedingungen:
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Erstens muss das Issue als gesellschaftlich oder persönlich relevante, zu lösendes Problem wahrgenommen werden, zweitens muss der Wähler eine Position zu dem Thema haben und drittens muss er eine Differenz zwischen den Positionen der konkurrierenden politischen Akteure erkennen können (Schoen/Weins 2005; Schoen 2003; Brettschneider 2002e). Bereits diese Überlegungen verweisen auf die besondere Bedeutung der Medien im Meinungsbildungsprozess: Wenn bereits die grundsätzliche Wahrnehmung eines Themas als relevantes Problem zentrale Bedingung ist, ist entscheidend, welche Themen die Medien als lösungsrelevant positionieren – und welche nicht. Dies gilt umso mehr, da verschiedene Parteien plakativ mit verschiedenen KompetenzImages belegt sind. Allein über die Thematisierung steuern die Medien dadurch über die Issue-Aktualisierung implizit, welche Parteien aktuelle Wählerpräferenzen genießen. Zweifellos ist es für den Wahlkampf sehr förderlich, wenn die Medien die den Kompetenz-Images entsprechenden Themen lancieren. Dies gilt gleichermaßen für die Thematisierung von Personen, die dann entsprechenden Einfluss auf die Kandidaten-Präferenz bzw. die generelle Wahrnehmung von Politikern nehmen. Hier ist mit Iyengar, Peters und Kinder (1982) zu spezifizieren, dass die Medien nicht nur darüber entscheiden, ob ein Politiker überhaupt wahrgenommen wird, sondern auch wie dieser wahrgenommen und bewertet wird. Im politischen MedienPriming konnte vielfach bestätigt werden, dass Medieninformationen dazu führen können, dass bestimmte Teilaspekte stärker in die (allgemeine) Beurteilung von Politikern eingehen. Exemplarisch zeigen Brettschneiders (2002d) Analysen der Bundestagswahl 2002, dass der SPD-Regierung der Sieg hauptsächlich dadurch gelang, dass die Außenpolitik die Wirtschaftspolitik von der Medien-Agenda verdrängte und die SPD das Wahlergebnis positiv für sich ‘gestalten’ konnte, indem sie die für die eigene Kompetenzzuschreibung passenden Themen bediente (Solidarität; Frieden) bzw. sich aktuelle Themen zu nutzen machte (‘Jahrhundertflut’), die unpassenden dagegen cutten konnte (Wirtschaftspolitik, Bildungspolitik, Finanzpolitik). Ähnliches ließ sich bei der Bundestagswahl 2005 beobachten. Brettschneider (2002d: 47) kommt daher zu dem Fazit: „Ohne ein aktives Gestalten des kommunikativen Umfeldes – ohne Agenda-Setting, AgendaCutting und Agenda-Surfing – lässt sich die Wahl nicht gewinnen; selbst dann nicht, wenn man (...) in den langfristig wichtigsten Themenfeldern als die kompetentere Partei angesehen wird.“
In summa explizieren die Erkenntnisse, dass Medien über Agenda-Setting und Priming letztendlich doch einstellungsbasierte Entscheidungen modifizieren: Über eine mehr oder weniger starke Aktualisierung der als wichtig wahrgenommenen Themen beeinflusst die Medienberichterstattung die aktuelle Bewertung der Rezipienten. Insofern muss die Medienberichterstattung also gar keine persuasive Medienwirkung erzielen, um politisch einstellungsrelevant zu werden. Es genügt, die Relevanz von bereits gegebenen Einstellungen zu bestimmten Themen durch Betonung
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oder Vernachlässigung ihrer Wichtigkeit zu aktualisieren – oder eben nicht. Damit nehmen die Medien über die Steuerung dessen, worüber wir denken, schließlich doch einen entscheidenden Einfluss darauf, was wir denken. Daher wird es für politische Akteure immer wichtiger, die Medien in ihrer Themensetzung strategisch zu ‘beeinflussen’, die Agenda Setting Function of Mass Media also zu instrumentalisieren. Politik umfasst aus dieser Perspektive „aktiv den Versuch, die Themen öffentlicher Diskussion zu bestimmen“ (Kamps 2007: 105; vgl. Brettschneider 2005a: 21). In erster Linie geht es hierbei um das prägnante Positionieren von Themen (AgendaSetting), die positive (mindestens jedoch neutrale) Besetzung von Themen in der öffentlichen Wahrnehmung (Agenda-Surfing) sowie das Stoppen von Themen (Agenda-Cutting), die der eigenen Positionierung entgegenlaufen (vgl. Brettschneider 2002d: 38). Hier soll Themen-Management (auch: Issues Management) als strategisch geleiteter Prozess zur Steuerung der öffentlichen Meinungsbildung eingesetzt werden (vgl. Kamps 2007: 105), um auf die Themen der öffentlichen Diskussion sowie auf ihre Akzentuierungen kontrollierend einzuwirken. Die Agenda der in den Medien diskutierten Themen wird dabei für die eigene positive Positionierung genutzt und/oder modifiziert (vgl. Brettschneider 2002d: 38). Es obliegt einem strategischen Themenmanagement nicht nur, Themen im öffentlichen Diskurs zu lancieren und somit selbst Agenda-Setting zu betreiben (ebenda). Mindestens ebenso relevant ist die Aufgabe der strategischen De-Thematisierung (Agenda-Cutting), durch die Themen aus der öffentlichen Diskussion gedrängt werden, die sich kontraproduktiv auf die eigene Kompetenzwahrnehmung auswirken – oder die eine bessere Positionierung der gegnerischen Partei oder des gegnerischen Kandidaten führen (ebenda). Beherrscht ein aktuelles Thema so sehr die Situation der Medienberichterstattung, dass Agenda-Setting und Agenda-Cutting wenig erfolgs-versprechend erscheinen, etwa während einer Nachrichtenwelle, kann strategisches Agenda-Surfing eingesetzt werden: Ziel ist hierbei, das aktuell existierende Themen-Set zur eigenen Kompetenzprofilierung zu nutzen (vgl. Brettschneider 2002d: 38). Zudem reagiert ein strategisches Themenmanagement nicht nur auf die aktuelle Berichterstattung, sondern identifiziert auch zukünftige Potential- oder Risikothemen, um diesen bereits im Vorfeld präventiv zu begegnen (vgl. Kamps 2007: 106). Ein aktives Themenmanagement, bei dem die von der Bevölkerung als positiv wahrgenommenen Positionen und Kompetenzen öffentlichkeitswirksam hervorgehoben werden, kann die Präferenzen der Wähler kurzfristig beeinflussen und darüber entscheidenden Einfluss auf das Wahlergebnis haben (vgl. Brettschneider 2002d: 38). Deshalb identifiziert das strategische Issue Management auf Basis einer systematischen Beobachtung relevanter Umweltbereiche „entscheidungsrelevante Informationen über mögliche Themen und Erwartungen der Zielgruppe“, die die Erreichung strategischer Ziele tangieren (Röttger 2003: 15). Themen- bzw. Imageanalysen dienen hierbei als notwendige Entscheidungsgrundlage, um zu erkennen, welche
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Themen mit welchen öffentlich wahrgenommenen Kompetenzen korrespondieren (vgl. Kamps 2007: 169); auch die Themenstrategien der politischen Gegner oder die Themenkarrieren der Issues (vgl. Kamps 2007: 171) sind als relevante Einflussgrößen zu berücksichtigen. Für letztere unterscheidet Kamps (2007: 172) in Anlehnung an den Produktlebenszyklus eine Management-Phase in der Akzente und Botschaften des Themas bestimmt werden sowie eine Maintenance-Phase, die der Kontrolle und Nachjustierung des Themas dient (vgl. Kamps 2007: 172). Zu ergänzen wäre wohl noch eine Finish-Phase, in der das Ende des Themas eingeläutet wird. Für Brettschneider (2002d: 38) zählt das Themenmanagement zu den wichtigsten Instrumenten der Polit-PR, denn die Medientendenz ist als wichtiger Orientierungspunkt für die noch unentschiedenen Wähler anzusehen und kann sich positiv auf die Mobilisierung von Wechselwählern auswirken. Da die Besetzung von Themen auch grundsätzliche Orientierungen für die Wahrnehmung politischer Problemen impliziert, lassen sich über Themenpositionen auch gesellschaftliche Definitionsund Deutungsmuster beeinflussen (vgl. Kreyher 2004aa: 25-26). Sowohl für die Mobilisierung der Stammwähler als auch für die Aktivierung der Wechselwähler sind aber nicht die tatsächlich vorhandenen Eigenschaften und Kompetenzen der politischen Akteure entscheidend, sondern die von den Wählern subjektiv wahrgenommenen Eigenschaften und Kompetenzen: „Eine Partei kann noch so kompetent sein – wenn die Bevölkerung sie nicht für kompetent hält, nützt ihre Kompetenz wenig“ (Brettschneider 2002d: 36).
4.1.2
Kampagnenmanagement, Wahlwerbung und Negative Campaigning
Eine Herausforderung im Wahlkampf liegt in der öffentlichen Wahrnehmung und Profilierung der parteipolitischen Themen und Kompetenzen. Den Überlegungen zum Themenmanagement entsprechend, müssen politische Akteure ihre Themen und Kompetenzen in permanenter Aufmerksamkeits- und Informationskonkurrenz kommunizieren; hierbei müssen „Aufmerksamkeitsschwellen überschritten werden“ (Brettschneider/Rettich 2005: 176). Öffentliche Zustimmung für politische Positionierungen ist daher mit allen zur Verfügung stehenden Kommunikationsinstrumenten herzustellen (vgl. Kreyher 2004a: 28). Dies erfordert eine strategisch durchdachte, zielorientierte und professionelle Gesamtkommunikation, der eine Integration der Botschaften über verschiedene Kommunikationskanäle und Strategien zugrunde liegt. Der Begriff der strategischen Wahlkampagne subsumiert hier alle zielorientierten, organisierten und geplanten Kommunikationsaktivitäten, die Parteien in einem Wahlkampf durchführen, um ihr Wahlergebnis zu optimieren (vgl. Schmitt-Beck 2002: 22; Nalepka 1994: 89; Gronbeck 1984). Die Wahlkampagne zielt auf die medienübergreifend einheitliche Gestaltung von Meinungen, Einstellungen, Interpretationen und Referenzen; sie kann für die aktive Gestaltung von Politik entscheidend
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sein (vgl. Kreyher 2004a: 28). Basierend auf der weitestgehenden Vernetzung von Einzelaktivitäten sollten sich Synergieeffekte generieren und Einzelwirkungen potenzieren lassen (vgl. Nalepka 1994: 89; Schulz 2008: 314). Für Swanson und Mancini (1996: 1) sind Wahlkampagnen „critical periods” im Leben einer Demokratie, die auf soziale, kulturelle, politische und ökonomische Dimensionen verweisen und Ausdruck des demokratischen Selbstverständnisses einer Gesellschaft sind (Swanson/Mancini 1996: 19-20): „They select decision makers, shape policy, distribute power, and provide venues for debate and socially approved expressions of conflict about factional grievances and issues, national problems and directions, and international agendas and activities“ (vgl. Holtz-Bacha 2000).
In Anlehnung an Radunski (1980: 44-45) lässt sich die strategische Wahlkampagne unterteilen in die politische Medienkampagne, die ‘bezahlte’ Werbekampagne sowie die Parteien- und Mobilisierungskampagne. Zielsetzung der innerparteilichen Mobilisierungskampagne ist, bis zum Wahltag möglichst viele, oft ehrenamtlich tätige, Parteimitglieder für den Wahlkampfeinsatz vor Ort zu aktivieren (vgl. Radunski 1980: 45; 118-119; Bosch 2006: 34-35). Während die politische Medienkampagne sich insbesondere die Medienberichterstattung (Free Media) zu Nutze zu machen sucht, bedient sich die Werbekampagne bzw. Wahlwerbung bezahlter Werbemedien (Paid Media; vgl. Radunski 1980: 92; Huber/Arceneaux 2007). Für das Politische Kommunikationsmanagement im Wahlkampf bieten sich damit zwei grundsätzliche Kommunikationskanäle über die Medien an: Der direkt zu steuernde Weg über klassische Werbeträger als Wahlwerbung sowie der indirekte Weg zum Wähler über die klassische Medienberichterstattung. Beide Strategien sollen im Folgenden etwas genauer betrachtet werden.
4.1.2.1
Die strategische Medienkampagne
Da der Zugang zu politischen Informationen für den Wähler oft nicht auf direktem Weg möglich ist – und nur wenige Menschen sich unmittelbare Eindrücke von Kandidaten und Parteien verschaffen, indem sie Wahlprogramme lesen, Wahlkampfveranstaltungen oder Partei-Infostände besuchen (vgl. Brettschneider 2002d: 36) – wird der Großteil der wahlrelevanten Eindrücke durch die Medienberichterstattung vermittelt (vgl. Schulz 2008: 233; Czerwick 1986: 57; Marcinkowski 1996: 204). Der Medienkampagne kommt eine zentrale Bedeutung zu: Politische Akteure sind für die Wahrnehmung durch die Wählerinnen und Wähler auf die journalistische Berichterstattung angewiesen (vgl. Swanson/Mancini 1996: 16). Über die mediale Vermittlungsleistung kann die Medienkampagne einen starken Kommunikationsdruck erzeugen ohne große Kostenbelastung für die Parteien zu verursachen. Zudem liegt ein zentraler Vorteil der Medienkampagne „in der systemspezifischen
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Neutralität des Journalismus“ (Kamps 2007: 191): Werden die parteipolitischen Themen und Positionen nicht im werblichen Umfeld rezipiert, sondern über die Medien als objektiv und neutral eingeschätzte Informationsquelle transportiert, assoziieren sie eine höhere Glaubwürdigkeit; zugleich wird das persuasive Kommunikationsziel der Botschaft dem Wähler oft nicht deutlich (vgl. Podschuweit 2007: 17; Kamps 2007: 191). Allerdings ist die Medienkampagne aus Sicht der Parteien weitaus schwieriger zu steuern als direkte Wahlwerbung, denn die intendierten Inhalte müssen zuerst die Selektions- und Interpretationsmechanismen der Journalisten passieren, um in die Öffentlichkeit zu gelangen. Dabei zeigen sich die Journalisten gerade im politischen Ressort als besonders kritisch: Um sich nicht dem Vorwurf der Manipulierbarkeit oder Parteiaffinität auszusetzen, versuchen sie häufig, ihrer journalistische Distanz über eine tendenziell negative Berichterstattung Ausdruck zu verleihen (vgl. Brettschneider 2002d: 38). Die Medienkampagne wird dabei seltener im intendierten Sinne ausfallen, wenn es für die Parteien besonders (wahl-) entscheidend sein kann, nämlich wenn die wahlentscheidenden Themen konflikthaltig, kontrovers oder von besonderer Bedeutung sind (vgl. Kepplinger 1998). 4.1.2.2
Die strategische Werbekampagne
Die letzte Überlegung verweist bereits auf die strategische Bedeutung von Wahlwerbung, denn trotz des hohen Stellenwertes der Medienkampagne ist fraglich, ob ein Wahlkampf ausschließlich über die Medienberichterstattung gewonnen werden kann (vgl. Swanson/Mancini 1996: 16). Für Radunski (1980: 92) erfordert der moderne Wahlkampf insofern eine „Multimediakampagne“, in der neben Massenmedien auch andere Kommunikationskanäle zu bespielen sind. Neben den Massenmedien sollten werbliche Kommunikationsmittel eingesetzt werden, die nicht von Journalisten beeinflusst werden können, wie Wahlplakate, Wahlwerbespots, Anzeigen, Events, Online-Kommunikation oder Direktmarketing (Kreyher 2004a: 28). Analog zu den Überlegungen einer Integrierten Kommunikation ist hier entscheidend, dass die entsprechenden Botschaften inter- und intramedial möglichst prägnant und kongruent kommuniziert werden (vgl. Swanson/Mancini 1996: 13). Ein professionelles Kampagnenmanagement ist aber nicht nur entscheidend für die Effizienz und Effektivität der eingesetzten Ressourcen, sondern referiert auch auf die Kompetenzwahrnehmung der politischen Akteure (vgl. Swanson/Mancini 1996: 16). Die Analyse der realen Wahlkämpfe zeigt, dass die Ausgaben für kommerzielle Parteienwerbung im Bundestagswahlkampf von Wahljahr zu Wahljahr steigen (vgl. Müller 1999a; 2002a; Holtz-Bacha 2002; 2006; 2010b). Aus Parteiensicht ermöglicht die Werbekampagne, die Schwachstellen der Medienstrategie zu kompensieren (vgl. Podschuweit/Dahlem 2007: 217), öffentliche und mediale Aufmerksamkeit zu erzeugen und Medienwirkungen zu erzielen oder zu verstärken (vgl. Holtz-
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Bacha/Lessinger 2006a: 164). Zudem fungiert die Werbekampagne als Verbindungsglied zwischen der strategischen Medienkampagne und der Direktansprache des Wählers in der Mobilisierungskampagne, „unterstreicht das politische Geschehen in den Massenmedien, hebt hervor, was durchdringen soll, erklärt, was unverstanden bleibt und appelliert an die Wähler“ (Radunski 1980: 93). Im Gegensatz zur Medienkampagne unterliegt die Werbekampagne dabei keiner journalistischen Interpretation, Selektion, Modifikation oder Kommentierung. Die Parteien bestimmen autonom, was in welcher Art, in welchem Umfang, wo und an wen kommuniziert wird. Zwar besteht die Möglichkeit, dass die Werbung von den Rezipienten als Werbung erkannt wird und in der Folge Reaktanzeffekte induziert oder weniger glaubwürdig wirkt (vgl. Podschuweit 2007: 18; Schulz 2008: 257). Doch bietet die Wahlwerbung eine Möglichkeit zur konzentrierten Kommunikation unzensierter, assoziativer, persuasiver Botschaften (vgl. Huber/Arcenoux 2007). Gerade in der letzten Wahlkampfphase kann Wahlwerbung als zusätzlicher, emotional-assoziativer Appell wirken und die Aufmerksamkeit für Themen und Positionen „brennpunktartig“ erhöhen (Huh 1996: 123). So scheinen die Praktiker einig, dass „Werbung Wahlen entscheidet. Die knappen zumindest“ (Stauss 2002: 215). 4.1.2.3
Image-Konstruktion und Negative Campaigning
Während die Image-Kampagne darauf zielt, den Wählern ein möglichst positives Bild der eigenen Seite zu präsentieren, soll der politische Gegner durch Negative Campaigning oder einen provozierenden Angriffswahlkampf möglichst negativ konnotiert werden (vgl. Niedermayer 2007: 21). Als Serie von Kommunikationsereignissen, die bei einer bestimmten Zielgruppe eine gewünschte Botschaft platziert, soll die Image-Kampagne Einstellungen oder Verhaltensweisen modifizieren, öffentliche Meinung beeinflussen sowie moralische, finanzielle oder organisatorische Unterstützung für die eigenen Ziele generieren (Kamps 2007: 239-240). Eine wesentliche Herausforderung ist dabei, das aktuelle Ist-Image des Kandidaten oder der Partei in ein intendiertes Soll-Image zu transformieren; aus dieser Perspektive ist die ImageOptimierung (Kepplinger/Maurer 2003: 219) oder Image-Konstruktion (Schicha 2003: 43) ein etabliertes Instrument der Politischen Kommunikation. Oftmals wird die Image-Kampagne systematisch auf den Spitzenkandidaten zugeschnitten (vgl. Druckman/Jacobs/Ostermeir 2004: 1181-1182). Zusammengefasst zielt die ImageKampagne darauf ab, ein positives Image der eigenen Partei oder des eigenen Kandidaten aufzubauen. Im klassischen Konsumgütermarketing zählt das Image zu den traditionellen Zielgrößen. Wörtlich übersetzt bedeutet der Begriff Image ‘Bild/Vorstellung’. Abgeleitet vom lateinischen ‘imago’ kann ein Image verstanden werden als ein mentales Bild von einem Objekt oder einer Person (vgl. Kotler/Bliemel 2001: 888). Die Auseinandersetzung mit dem Image als mentales Vor-
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stellungsbild wurde in Deutschland in den 80er Jahren vor allem durch Spiegel (1970) und seine Überlegungen zu „werbe-psychologischen Untersuchungsmethoden“ initiiert. Images entstehen aus der Kombination objektiver und subjektiver Faktoren, die beim Rezipienten mental zusammengefasst werden, so dass objektive Eigenschaften, individuelle Erfahrungen und subjektive Werte, Meinungen und Einstellungen sich zu einem Komplex an Vorstellungen und Ideen verbinden. Analog dazu definiert Salcher (1995: 132) Image als „das Vorstellungsbild eines Gegenstandes oder einer Person in Form einer Komplexqualität von Gefühlen, Einstellungen, Haltungen und Erwartungen, die zusammen das Verhalten des Individuums bezüglich dieses Gegenstandes prägen“. Images sind also nicht objektiv, eindeutig und umfassend, sondern subjektiv, undifferenziert, selektiv und oft unbewusst. Zudem sind Images größtenteils emotionsgesteuert, das heißt, sie entstehen spontan auf Basis von Emotionen und sind oft nicht rational begründbar – eine Erkenntnis, die insbesondere beim Transfer des Imagekonzeptes auf den Anwendungsbereich der Politischen Kommunikation bzw. den ‘politischen Diskurs’ vernachlässigt wird. Gleichwohl lassen sich einige prägnante Beispiele finden, bei denen die Vermittlung von emotional-assoziativen Images sich auch im politischen Raum ganz gezielt erkennen lässt. So setzt die Gestaltung des ‘Kindergarten-Plakats’ der Grünen aus dem Bundestagswahlkampf 1983 ganz bewusst auf die assoziative Bildwirkung, die über das mit Wasserfarben gemalte Kinderbild erreicht wird. Subjektive Assoziationen wie Erinnerungen an die Kindheit, Fröhlichkeit, Unbeschwert-heit, Lachen, Freude, eine ‘heile Welt’ wirken auf emotionaler Ebene und strahlen dabei auch auf die ‘rationale’ politische Botschaft aus, dass nämlich all dies schützenswert sei. Gleichzeitig wirkt die Partei über diese Kommunikationsstrategie innovativ, unkonventionell, frisch und behauptet eine Position fern des politischen Establishments (vgl. VS PLUS „Wahlplakate“ Abb. 5; kann auf der Homepage des VS Verlags unter folgendem Link im Original eingesehen werden: http://www.vsverlag.de/Buch/978-3-531-17819-6/Vision-that-matters.html). Obwohl Images höchst subjektiv sind und nicht im Sinne einer objektiven Reproduktion von Wirklichkeit verstanden werden dürfen, haben sie ganz reale Auswirkungen auf den politischen Prozess: Weil Handeln letztlich auf subjektiven Einstellungen, Annahmen und Vorstellungen basiert, stellen Images die „eigentliche Realität“ im Erleben und Handeln dar (Salcher 1995: 132). Dabei können Images vor allem auch dann entstehen, wenn der Zugang zu objektiven Informationen gering, erschwert oder zeitlich begrenzt ist – was für die Kommunikation im Wahlkampf sicherlich zutrifft. Im Spannungsfeld zwischen ‘realisiertem Bildnis’ und ‘intendiertem Image’ spielt das Portrait- bzw. Imageplakat eine besondere Rolle (vgl. Köster/Seidel 1998; Müller 1998). Pointiert hat Spreng (2003: 84) dies als persönlicher Wahlkampfberater von Edmund Stoiber im Bundestagswahlkampf 2002 für dessen ImageOptimierung formuliert:
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Politische Kommunikation im Wahlkampf „Ein weiteres Ziel des Wahlkampfes war natürlich, Defizite Stoibers, wie sie zumindest öffentlich dargestellt wurden, auszugleichen. Teil meiner Arbeit war der Versuch, Stärken Schröders in Schwächen umzuinterpretieren, und Schwächen Stoibers in Stärken. Dazu gehörte der ‘ernste Mann für ernste Zeiten’, dazu gehörte ‘kantig, echt, erfolgreich’, aber dazu gehörte auch die ganze Linie, die mediale Sperrigkeit von Stoiber als Beweis von Seriosität, von Ernsthaftigkeit, Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit zu vermitteln. Und die mediale, darstellerische Begabung des Bundeskanzlers als Beweis von Flatterhaftigkeit, Unseriosität, Unzuverlässigkeit, Unglaubwürdigkeit und so weiter. So war ja die Profilierung der Person Stoibers angelegt: Die positive Profilierung der Person Stoibers war immer verbunden mit einem Antiprofil Schröders.“
Die von Spreng angesprochenen Leitsätze „Kantig. Echt. Erfolgreich.“ wurden im Rahmen der Wahlkampfkampagne – die insgesamt unter dem Motto „Kompetenz für Deutschland stand“ (vgl. Klein 2005: 61) – auch in entsprechenden Wahlplakaten umgesetzt. Prototypisch zeigt dies die Umsetzung der ‘Kantig. Echt. Erfolgreich.’-Kampagne, die unter der Führung von Spreng eine positive Imageprofilierung des Kandidaten Stoiber erzielen sollte (vgl. VS PLUS „Wahlplakate“ Abb. 6; kann auf der Homepage des VS Verlags unter folgendem Link im Original eingesehen werden: http://www.vs-verlag.de/Buch/978-3-531-17819-6/Vision-thatmatters.html): Die visuelle Umsetzung in der Plakatkommunikation zielt darauf ab, die unsympathisch-zackige Anmutung Stoiber positiv zu besetzen: So entspricht den drei individuellen Persönlichkeitsdimensionen Stoibers, an die die Headline anspielt, jeweils ein schnappschussartiges Bildmotiv. Die drei Motive, die als lineare Sequenz zu lesen sind, sollen hierbei einen Übergang von der wahrgenommenen Ungelenkheit Stoibers („kantig“) über seine persönliche Integrität und Authentizität („echt“) zu seiner politischen Kompetenz und seinen Führungsqualitäten („erfolgreich“) visualisieren. Negativ konnotierte Eigenschaften werden somit, so die Idee, visuell in positiv konnotierte überführt. Dabei ist auch die Bildperspektive ganz nah an die Person Stoiber herangezoomt: Portrait und Hände des Kandidaten werden nicht nur im Großformat präsentiert, sondern auch in sehr engem, dichten Bildausschnitt, was den Eindruck von persönlicher Nähe, aber auch von Transparenz erweckt: „Seht ruhig genau hin, so bin ich“ – so könnte man das Motto dieses Kandidatenplakates auch betiteln. Die drei aneinandergereihten Motive wirken zudem fast wie ein Filmausschnitt und vermitteln damit einen dynamischen, modernen Eindruck. Dieser wird durch das mittlere Motiv unterstützt, denn die Aufnahme der Hand Stoibers im Großformat zeigt diese in einer argumentativen, bewegten, verhandelnden Geste. Interessant ist, inwieweit das Spiel mit Antipathie, Sympathie, Inkompetenz und Kompetenz auch zur direkten Differenzierung vom gegnerischen Kanzlerkandidaten Schröder genutzt wird. Auch visuell stellen die Plakatmotive des CDU/CSUWahlkampfes den „kantigen, aber kompetenten“ Stoiber als Gegenentwurf zum „glatten, aber inkompetenten“ Schröder dar. So vermitteltet die auf dem Plakat abgebildete ‘Filmsequenz’ Stoibers menschliche Züge, die im Vergleich zum emphatischen Bundeskanzler Schröder häufig unzureichend wirkten, verbindet diese aber
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mit einer höheren Kompetenzzuschreibung Stoibers. Entsprechend wird Stoiber auf dem CDU-Portraitplakat „Kompetenz für Deutschland“ dargestellt: Im Bildhintergrund Reichstag und Deutschlandflagge, wird Stoiber als authentischer, kompetenter Staatsmann, zugleich als Kanzler der politischen Mitte präsentiert (VS PLUS „Wahlplakate“ Abb. 6; kann auf der Homepage des VS Verlags unter folgendem Link im Original eingesehen werden: http://www.vs-verlag.de/Buch/978-3-53117819-6/Vision-that-matters.html). Da die Unionsstrategen nicht davon ausgehen konnten, den Sympathiewettbewerb gegen den hier übermächtig erscheinenden Gegner Schröder zu gewinnen, zielt die Kampagne letztlich darauf ab, der Sympathie Schröders die Kompetenz Stoibers gegenüberzustellen. Im Gegensatz zum populären, ‘bunten’ Medienkanzler Schröder wurde Stoiber in der seriös wirkenden Kampagne als „ernster Mann für ernste Zeiten“ präsentiert. Die positive Profilierung des eigenen Kandidaten bzw. der eigenen Partei geht oft mit einer taktisch intendierten Abwertung des politischen Gegners einher (vgl. Druckman/Jacobs/Ostermeir 2004). Strategisch akzentuiert richtet sich das Negative Campaigning auf den politischen Gegner bzw. auf seine Fehler, Schwächen und Angriffspunkte und stellt diese prägnant heraus (Brettschneider 2008; vgl. Schicha 2003). Dementsprechend bezeichnet Negative Campaigning, den strategisch eingesetzten moralischen, emotionalen oder fachlichen Angriff des politischen Gegners. Zur „Demoralisierung des Gegners“ (Hedwig 2006: 29) umfasst Negative Campaigning die Entwicklung von „Strategien und Taktiken, mit denen die politische Konkurrenz in unterschiedlicher Weise diskreditiert oder als Feindbild aufgebaut wird“ (Althoff 2006: 130; vgl. Niedermayer 2007: 21; Richardson 2001). Dabei stehen nicht die eigenen Konzepte und Lösungsvorschläge, sondern die Kritik an der Politik des politischen Gegners im Vordergrund (vgl. Maurer/Reinemann 2006: 249). „Negative campaigning (...) can put important topics onto the political agenda, thereby offering some orientation to the voters through direct comparison“ (Brettschneider 2008: 3021). Indem der Fokus auf Konflikt, Negativismus, Wettkampf und persönlichen Kandidateneigenschaften liegt, bedient Negative Campaigning mediale Selektions- und Präsentationskriterien (Brettschneider 2008: 3021; vgl. Ansolabehere/Iyengar 1995). Dabei gründet es nicht zuletzt auf der Überlegung, dass sich negative Images stärker bei den Wählern einprägen als positive Charakterisierungen (Lau/Pomper 2004: 41; 2002), mehr Aufmerksamkeit erzeugen, zu einer stärkeren mentalen Verankerung beim Wähler und einer deutlicheren Differenzierung vom politischen Gegner führen (vgl. Mark 2009: 4). In der politischen Praxis ist die Anwendung eine Gratwanderung zwischen Polarisierung und Diskreditierung, die oft misslingt (vgl. Podschuweit 2007). Bis heute wird Negative Campaigning zu den fragwürdigen Strategien Politischer Kommunikation gezählt (vgl. Lau/Pomper 2004: 3-4; vgl. Wattenberg/Brians 1999). Der Popularität und Präsenz im us-amerikanischen Raum (vgl. Mark 2009: 3; Kaid/Johnston 1991) steht insofern eine eher kritische Einschätzung der Strategie in Deutschland gegenüber (Brettschneider 2008: 3022).
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Von der Tendenz, Negative Campaigning verstärkt im Wahlkampf einzusetzen, kann zumindest für Deutschland bislang nicht ausgegangen werden. Die deutlichsten Negative Campaigning-Phasen konnten im Rahmen der Kampagne gegen Strauß im Wahlkampf 1980 sowie im SPD-Wahlkampf 1994 gegen Kohl beobachtet werden: „In beiden Fällen thematisierte die SPD den jeweiligen Gegenkandidaten häufiger als den eigenen“ (Maurer/Reinemann 2006: 249). Wie diese Beispiele bereits andeuten, wird Negative Campaigning in der Regel von den Oppositionsparteien eingesetzt (Maurer/Reinemann 2006: 249). Abweichungen von diesem Muster gab es in den deutschen Wahlkämpfen in den Jahren 1994 und 1998: Hier überwogen auch in den Wahlwerbespots der regierenden CDU negative Bewertungen (Maurer/Reinemann 2006: 249). Wohl eines der berühmtesten Beispiele des deutschen Negative Campaignings – das ‘Fahndungsphoto von Schröder’ aus dem Wahlkampf 2002 – musste kurz nach der Präsentation zurückgenommen werden; zu groß war der öffentliche Skandal (vgl. Schicha/Dörner 2008: 10; vgl. VS PLUS „Wahlplakate“ Abb. 7; kann auf der Homepage des VS Verlags unter folgendem Link im Original eingesehen werden: http://www.vs-verlag.de/Buch/978-3-531-178196/Vision-that-matters.html). Daher charakterisiert Brettschneider (2008: 3021) die Strategie des Negative Campaigning als einen „tightrope walk“: „On the one hand, the tactic creates public attention, on the other hand the attacks can turn into a boomerang“. Deutlich wurde dies auch an der letzten Wahlkampagne der SPD zum Europawahlkampf 2009: Die das gesamte Spektrum der politischen Gegner attackierende Plakatserie löste eine kontroverse Diskussion aus und führt auch zu einigen plakativen Gegenentwürfen (vgl. Leidecker 2010; vgl. VS PLUS „Wahlplakate“ Abb. 8 und 9; kann auf der Homepage des VS Verlags unter folgendem Link im Original eingesehen werden: http://www.vs-verlag.de/Buch/978-3-531-178196/Vision-that-matters.html). Zusammengefasst veranschaulichen die wechselseitige „Plakatkommunikation“, dass Negative Campaigning sich tatsächlich zu einem Boomerang (Brettschneider 2008: 3021; vgl. Podschuweit 2007) entwickeln kann; der Einsatz sollte daher wohl durchdacht sein und auf im Sinne einer Integrierten Kommunikation auf einer sorgfältigen Abstimmung mit der Gesamtkampagne basieren; dies legen auch die Erkenntnisse der Wirkungen zu Wahlwerbung und Negative Campaigning nahe. 4.1.2.4
Wirkung von Wahlwerbung – Zum Forschungsstand
Betrachtet man den wissenschaftlichen Diskurs, erscheint Wahlwerbung als „ein verpöntes Massenmedium, zumal, wenn es sich des Bildes als Werbeträger bedient. Visuellen Wahlkampfstrategien haftet der Verdacht manipulativer Intentionen an“ (Müller 1996: 231; vgl. Geise 2011). Wahlwerbung hat ein „schlechtes Image“, oft konnotiert mit dem Vorwurf der Politikentleerung (vgl. Schicha/Dörner 2008: 9).
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Diese Einschätzung wird bereits mit Abromeits (1972: 184-188) grundlegender Auseinandersetzung mit dem ‘Politischen in der Werbung’ deutlich, in der sie Politischer Werbung einen „antidemokratischen Effekt“ zuweist. Wahlwerbung wird zudem oft ein geringer Einfluss auf das Wählerverhalten attestiert (vgl. Strohmeier 2002: 139-140). Dennoch ist plausibel, dass Wahlwerbung sowohl kognitive als auch emotionale Wirkungen beim Rezipienten entfalten kann. Emotionale Wirkungen könnten sich durch die Vermittlung von positiven affektiven Assoziationen erzeugen lassen (vgl. Maurer 2008: 130); damit könnte eine Werbekampagne das Image bzw. die Sympathiewahrnehmung des Kandidaten optimieren (vgl. Holtz-Bacha/Kaid 1996: 187). Da sie zudem eine Informationsfunktion erfüllt, würden Rezipienten durch Wahlwerbung Wissen über die Wahl, den Wahlkampf, die Eigenschaften und die politischen Positionen der Kandidaten erwerben (Atkin/Heald 1976: 227): „The evidence indicates that [political] advertising exposure is functionally related to knowledge, agenda, interest, affect, and polarization“. Eine gut durchdachte Werbekampagne hätte demnach nicht nur das Potential, das Wissen der Wähler über die Kandidaten und ihre politischen Themenpositionen zu erhöhen, sondern träge auch dazu bei, Themen und Attribute auf der Agenda wahlrelevanter Entscheidungskriterien besonders zu akzentuieren und zu aktivieren (vgl. Atkin/Heald 1976: 228). Insbesondere ist hier die Vermutung plausibel, dass auch eine werbliche Kommunikation AgendaSetting-Effekte auslöst, indem sie dem Wähler vermittelt, welche Themen im Wahlkampf gerade besonders wichtig (Thematisierungsfunktion) oder besonders unwichtig (Dethematisierungsfunktion) sind (vgl. Semetko/Schönbach 1994). Dies könnte, analog zur Priming-Funktion der Massenmedien, auch zu einer Modifikation der relevanten Bewertungskriterien der politischen Akteure führen. Darüber hinaus könnten derartige Lerneffekte auch das grundsätzliche Interesse bzw. Involvement im Wahlkampf erhöhen (vgl. Podschuweit 2007: 32) und so die Aufmerksamkeit fördern. Zudem sind auch persuasive Wirkungen auf die Einstellung und das Verhalten der Rezipienten denkbar. Die wissenschaftliche Forschung hat bisher wenig auf die offensichtliche Praxisrelevanz der direkten, werblichen Wahlkampfkommunikation reagiert. Anders als im amerikanischen Raum, wo insbesondere Wahlwerbespots in einer Vielzahl von Wirkungsstudien untersucht wurden, ist das Gebiet der Wahlwerbung in Deutschland wenig untersucht (vgl. Podschuweit/Dahlem 2007: 215). Die wenigen vorliegenden Arbeiten konzentrieren sich auf punktuelle Fragestellungen. Forschungen richten sich einerseits auf die inhaltlichen und visuellen Kommunikationsstrategien im Wahlkampf; exemplarisch gilt das Forschungsinteresse etwa den thematischen und (visuellen) Kommunikationsstrategien der Kampagnen (vgl. Geise 2011; Lessinger/Holtz-Bacha 2010; Holtz-Bacha/Lesinger 2006a; Lessinger/Moke/HoltzBacha 2003), dem Umfang und strategischem Einsatz von Anzeigen (vgl. Lieske 2006), der Verwendung journalistischer Darstellungsformen in Wahlwerbung (Brosda 2008).
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Gezielte Studien zur Wirkung von Wahlwerbung liegen seltener vor; dabei werden in der Regel kurzfristige Wirkungen untersucht. Exemplarisch fokussiert das Forschungsinteresse etwa auf den Einfluss von Kandidatendarstellungen auf Wahlplakaten auf die Kandidatenbewertungen (vgl. Brosius/Holicki/Hartmann 1987), auf die emotionalen Reaktion auf Kandidatenplakate und den damit verbundenen assoziativen Wirkungen (vgl. Holtz-Bacha/Lessinger 2010), der visuellen Wahrnehmung, Aufmerksamkeitsstärke, Erinnerung und Bewertung von Wahlplakaten (vgl. Geise/Brettschneider 2010; Lessinger/Moke 1999) oder den Inhalten und der Rezeption von Wahlwerbespots (vgl. Holtz-Bacha 2010a; Holtz-Bacha/Kaid 1996; Kaid 1996). Auch die normativ konnotierte Frage, ob politische Werbung der Information oder der Manipulation dient, wird wiederkehrend thematisiert (vgl. Reinemann/Maurer 2010; Maurer 2008; Huh 1996). Zunehmen werden auch neuere Formen von Wahlwerbung, etwa im Rahmen von Online-Kommunikation und Social Media thematisiert (vgl. Schweitzer 2006; 2010; Zeh 2010; Kushin/Kitchener 2009; Sweetser Trammel 2007; Lawson-Borders/Kirk 2005). Einen exemplarischen Versuch der grundlegenden Untersuchung der Wirkung von Wahlwerbung stellt Podschuweit (2007) am Beispiel des Bundestagswahlkampfes 2002 vor (vgl. Podschuweit/Dahlem 2007). Basierend auf einer Sekundäranalyse einer repräsentativen Werberezeptions-Tracking-Studie („Zeitungsmonitor“), die durch eine qualitative Analyse der Wahlwerbung der Parteien ergänzt wurde, untersuchte Podschuweit, wie sich Wahlwerbung auf die vier Wirkungsebenen Aufmerksamkeit, Verarbeitung, Erinnerung und Verhalten auswirkt. Die Ergebnisse haben Podschuweit und Dahlem (2007) als „Paradoxon“ der Wahlwerbung zusammengefasst: Wahlwerbung habe zwar einerseits ein „Verarbeitungsproblem“, andererseits sei der tatsächliche Einfluss von Wahlwerbung auf die Wahlentscheidung deutlich stärker als es den Wählern bewusst sei. Im Untersuchungszeitraum erzeugte Wahlwerbung enorme Aufmerksamkeits- und Awarenesswirkungen, den Parteien gelang es aber kaum, sich über einen Aufmerksamkeitsvorsprung vom politischen Gegner zu differenzieren (vgl. Podschuweit 2007: 150). Zudem zeigte sich die Haltung der Rezipienten gegenüber Wahlwerbung negativ konnotiert; insbesondere wurde Wahlwerbung als unglaubwürdig und wenig relevant eingeschätzt (vgl. Podschuweit 2007: 113-114). Diesem Befund steht gegenüber, dass Wahlwerbung besonders dann gut erinnert wurde, wenn die Inhalte besonders realistisch erschienen (vgl. Podschuweit 2007: 132). Gleichzeitig verweisen die Ergebnisse auch auf die besondere Bedeutung Visueller Kommunikation: Auch der Einsatz von besonders prägnanten und authentisch wirkenden Visualisierungen beeinflusste die Memorizationsstärke (ebenda). Im Ergebnis liefert die Studie spannende Differenzierungen zum Wirkungspotential von Wahlwerbung, allgemeingültige Aussagen ließen sich aber aufgrund der Komplexität der zahlreichen Wechselwirkungen zwischen Wahlwerbung, Rezipient, sozialem Umfeld und Medienberichterstattung schwerlich ableiten. Tatsächlich schien das Verhältnis zwischen Wahlwerbung, politischer Lage,
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Öffentlichkeitsarbeit der Parteien und Medienberichterstattung die Wirkungen zu modifizieren. Vertrauen und Glaubwürdigkeit seien daher „zentral für das Verständnis der Kommunikationswirkungen und Entscheidungstreiber in modernen Wahlkämpfen (Podschuweit 2007: 155-156; Podschuweit/Dahlem 2007: 230; vgl. Althoff 2006). Daher resümieren Podschuweit und Dahlem (2007: 230): „Findet die Werbung keine ausreichende Entsprechung in der politischen Realität sowie der Berichterstattung der Massenmedien, wird sie mehrheitlich als unglaubwürdig empfunden und schreckt Wähler eher von der Entscheidung für die werbende Partei ab. Attackiert eine Partei dann noch in einem eindimensionalen Angriffswahlkampf ihren politischen Gegner sowie die aktuelle politische Situation und verdirbt eine aufkeimende Hoffnungsstimmung (...), ist ihr ein BumerangEffekt sicher.“
Tatsächlich legen einige Studien nahe, dass Negative Campaigning insbesondere auf unentschlossene Wähler demobilisierend wirkt: „Exposure to attack advertising in and of itself significantly decreases voter engagement and participation“ (Ansolabehere/Iyengar/Simon/Valentino 1994: 830; vgl. Ansolabehere/Iyengar 1995; Leidecker 2010). Dagegen existieren auch Befunde, nach dem Angriffskampagnen einen positiven Effekt auf die der Kampagne zugewiesene Aufmerksamkeit haben können (Wattenberg/Brians 1996: 896): „If negative commercials persuade voters that the choice between the candidates is an important one, then they are likely to increase rather than decrease turnout.“
Gleichzeitig kann Dagegen resümieren Lau et al. auf Basis einer umfassenden MetaAnalyse des Forschungsstands (Lau/Sigelman/Heldman/Babbitt 1999: 851; vgl. Lau/Pomper 2004; 2002): „Negative political ads appear to be no more effective than positive ads and do not seem to have especially detrimental effects on the political system.“
Diese Befunde differenzierend, untersuchten Klimmt, Netta und Vorderer (2008) den Einfluss von Humor auf die Wirkung von Negative Campaigning-Strategien anhand eines Online-Experiments. Die Befunde liefern Hinweise darauf, dass der angreifende politische Akteur durch humorvoll konnotiertes Negative Campaigning die eigenen Anhänger in besonders günstiger Weise beeinflussen kann. Während sich ähnliche Befunde für Rezipienten ohne eindeutige Parteineigung dagegen kaum zeigen; reagieren Anhänger des angegriffenen politischen Lagers auf eine humorvolle Angriffswerbung sogar noch ablehnender als auf konventionelles Negativ Campaigning. Insgesamt zeigt der Überblick über den Forschungsstand jedoch, dass eine systematische Analyse der Wirkung von Wahlwerbung bis heute fehlt (vgl. Podschuweit/Dahlem 2007: 215). Dies wird auch bei der Sichtung des Forschungsstandes zum Wahlplakat als spezielles Werbemedium deutlich (vgl. Kap. 4.2.2).
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4.1.3
Visuelles Kommunikationsmanagement als Integrierte Visuelle Kommunikation
In der Situation des Information Overload und zunehmender Umweltkomplexität ist es eine besondere Herausforderung, die intendierten Botschaften an die Zielgruppen zu kommunizieren. In der Konsequenz „sind Maßnahmen zur Integration der verschiedenen Kommunikationsinstrumente zu verstärken, damit eine schnellere und erleichterte Aufnahme der Kommunikationsbotschaften erfolgen kann“ (Bruhn 2009: 3; vgl. 1992; 1995; 2003). Hierzu bietet das Konzept der Integrierten (Visuellen) Kommunikation einen ganzheitlichen Lösungsansatz, die einzelnen Kommunikationsaktivitäten zu orchestrieren. Aus diesem Grund wird das Konzept als bewährter Lösungsansatz vorgestellt und auf den Bereich Politischer Kommunikation transferiert. Basierend auf ihrer spezifischen Funktionslogik wird Visuelle Kommunikation als eine Meta-Strategie zur Integration der gesamten Politischen Kommunikation identifiziert. Es zeigt sich, dass sich Visuelle Kommunikation in besonderer Weise als integratives Element zur Abstimmung der Gesamtstrategie Politischer Kommunikation eignet. 4.1.3.1
Das Konzept der Integrierten Kommunikation
Integrierte Kommunikation ist darauf ausgerichtet, die Vielzahl der unterschiedlichen kommunikativen Einzelaktivitäten zu bündeln und zu einer Linie zu verdichten, in die die einzelnen Kommunikationsinstrumente eingegliedert werden können. Diese einheitliche Linie bildet die Zielrichtung für die gesamte Integration der Kommunikationsinstrumente. Integrierte Kommunikation ist damit ein „Prozess der Analyse, Planung, Organisation, Durchführung und Kontrolle, der darauf ausgerichtet ist, aus den differenzierten Quellen der internen und externen Kommunikation (...) eine Einheit herzustellen, um ein für die Zielgruppen der Kommunikation konsistentes Erscheinungsbild über das (...) Bezugsobjekt zu vermitteln“ (Bruhn 2009: 19; vgl. Fuchs/Unger 2007: 15).
Integrierte Kommunikation ist damit eine Gestaltungs- und Managementaufgabe, die bewusst geplant und umgesetzt werden muss (Bruhn 2009; 2003: 1992). Im Ergebnis ist Integrierte Politische Kommunikation darauf bezogen, ein einheitliches Bild des politischen Akteurs oder Issues bei den relevanten Zielgruppen zu erzeugen. Hintergrund ist die Erkenntnis, dass die Einheit in der Kommunikation „umso prägnanter wahrgenommen [wird], je regelmäßiger, symmetrischer, geschlossener, einheitlicher, ausgeglichener, einfacher und knapper die unterschiedlichen Botschaften (...) formuliert und gestaltet sind und je stärker sie von den unterschiedlichen Kommunikationsinstrumenten in ähnlicher Weise kommuniziert werden“ (Bruhn 2003: 32; 2009). Insofern stellt die langfristige Koordination und Integration aller kommunikativen Aktivitäten einen wesentlichen „Schlüssel zur Realisation erfolg-
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reicher Marketingstrategien“ dar (Fuchs/Unger 2007: 48; vgl. Busch/Fuchs/Unger 2008: 32). Die Integration der Kommunikation führt über drei Ebenen; es gilt, ein inhaltlich, formal und zeitlich einheitliches Erscheinungsbild zu erzeugen (vgl. Bruhn 2009: 80). Ein Schwerpunkt liegt im Bemühen einer inhaltlichen Integration der kommunizierten Botschaften. Dies umfasst sämtliche Aktivitäten, die die Kommunikationsinstrumente und -mittel thematisch miteinander verbinden, um ein einheitliches Erscheinungsbild bezüglich der zentralen Kommunikationsziele zu vermitteln (Bruhn 2009: 80-82). Schlagworte, prägnante Formulierungen, zentrale Argumente, Slogans, Claims, Headlines, Schlüsselmotive, Farben, Layout, Pressemeldungen – alle Ebenen vermitteln dann eine konsistente inhaltliche Positionierung (vgl. Fuchs/Unger 2007: 16). Der zweite Schwerpunkt ist die formale Integration der Kommunikationsaktivitäten (vgl. Bruhn 2009: 83-85). Diese beinhaltet sämtliche Aktivitäten, die die Kommunikationsinstrumente und -mittel durch Gestaltungsprinzipien miteinander verbinden und eine einheitliche Form eines Erscheinungsbildes vermitteln, das den zentralen Kommunikationszielen entspricht (ebenda). Drittens muss das Integrierte Kommunikationsmanagement die zeitliche Abstimmung der Kommunikationsinstrumente sicherstellen, was all jene Aktivitäten einschließt, die den Einsatz der Kommunikationsinstrumente und -mittel innerhalb sowie zwischen verschiedenen Planungsperioden aufeinander abstimmen und damit die Wahrnehmung eines einheitlichen Erscheinungsbildes hinsichtlich der zentralen Kommunikationsziele forcieren (Bruhn 2009: 86-88), was auch Konsistenz im Zeitverlauf impliziert (vgl. Fuchs/Unger 2007: 16). Integrierte Politikkommunikation verlangt demnach ein fein abgestimmtes, mehrdimensional vernetztes Vorgehen, um synergetische Wirkungen und ein Höchstmaß an Effizienz zu realisieren (Fuchs/Unger 2007: 48; vgl. Busch/ Fuchs/Unger 2008: 32). 4.1.3.2
Die Praxis Integrierter Kommunikation in der Politik
Die Mitglieder der Legislative Strategy Group (LSG) um Präsident Reagan (1981-1989) erkannten das Potenzial einer Integrierten Politischen schon in den 1980er Jahren (Ripper 1998). Ihr Ziel war, den interpretativen und formativen Charakter von Medienberichterstattung durch eigene Inszenierung soweit wie möglich zu eliminieren (Ripper 1998; Ehrman/Flamm 2009). Kern der Kommunikationsstrategie war die Vorgabe einer line of the day, die jeden Morgen vom Weißen Haus an alle Kabinette und Behörden ausgegeben wurde und eine einheitliche Kommunikation nach außen gewährleisten sollte (vgl. Ehrman/Flamm 2009: 15). Auch der visuellen Präsentation wurde eine große, der verbalen Äußerung teilweise vorrangige Bedeutung beigemessen (Ripper 1998: 111). Dazu ließ sich der film-affine Präsident bewusst in Situationen inszenieren, die medienwirksame, positiv-besetzte Bilder erzeugten und Reagan zum „undisputed master of the photo opportunity“ machten (Streitmatter
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1988: 982; vgl. Ripper 1998). Über die Auswahl der Fotografen und der Fotomöglichkeiten bestimmten Reagans Berater maßgeblich, welche Bilder der Medienberichterstattung überhaupt zur Verfügung standen (Ripper 1998: 127; Streitmatter 1988). Zudem kreierte Reagan mit vielen Motiven einen derartigen Nachrichtenwert, dass es sich die Medien kaum leisten konnten, das Material nicht zu publizieren. Obwohl die Reagan-Regierung für diese subtile Art der Nachrichtenmanipulation von den Medien kritisiert wurde, resümieren Ehrmann und Flamm (2009: 16): „Their breakthrough was to use [polls, radio und television] in a way that was more sophisticated, centralized and, combined with Reagan’s skills, more effective than in any previous administration.“
Nach dem Vorbild Reagans strebte auch Bush in seiner Präsidentschaft (2001-2009) eine Integration der Kommunikationsaktivitäten an. Insbesondere sollte die externe Kommunikation den zentralen Status der Reagan-Ära wiedererlangen; ein besonderer Fokus lag dabei auf der visuellen Inszenierung des Präsidenten sowie der inhaltlichen Abstimmung der zugehörigen Nachrichteninformationen: „Whether it was speech craft or photography, in the George W. Bush administration communication regained the pivotal position it had been given during the Reagan years“ (Kumar 2007: 133).
In diesem Zuge wurde auch das unter Reagan kultivierte Heldenimage des Präsidenten erneuert und in einem dramaturgischen Ereignismanagement inszeniert. Prominent thematisiert wurde hier beispielsweise die spektakuläre Landung Bushs in voller Pilotenmontur in einem Viking-Kampfjet auf dem Flugdeck des Flugzeugträgers Abraham Lincoln im Mai 2003 (vgl. VS PLUS „Visualisierung von Politik“ Abb. 3; kann auf der Homepage des VS Verlags unter folgendem Link im Original eingesehen werden: http://www.vs-verlag.de/Buch/978-3-531-178196/Vision-that-matters.html), wo er die historische „Mission Accomplished“ Rede zum Sieg über den Irak hielt. Dass eine ähnliche Situation schon 1996 im populären Science-Fiction-Film „Independence Day“ präsentiert worden war, dürfte die angestrebte Mystifizierung Bushs bzw. seiner Wahrnehmung als „Commander in Chief“ in der amerikanischen Bevölkerung unterstützt haben. Auch das bereits heute prominent thematisierte Kommunikationskonzept von Obama basiert auf einer hoch integrierten Verdichtung und Vernetzung sämtlicher politischer Botschaften. Dabei ist Obamas Kommunikation nicht nur durch einen beispielhaft konsequenten Einsatz neuer Medienkanäle und Medientechnologien (vgl. Stallabrass 2009; Marez 2009) geprägt, sondern spiegelt auch ein durchdachtes Visualisierungskonzept mit einer prägnanten Ikonographie (Cartwright/Mandiberg 2009), die beispielsweise auf seinen afro-amerikanischen und ArbeiterklasseHintergrund rekurriert. Bekanntes Beispiel für diese inhaltliche und visuelle Integra-
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tion ist das HOPE-Plakat Obamas, das auf einem ausgefeiltes ikonographischen System basiert: “The work pays stylistic homage to past technologies of political art, pointedly emphasizing the craft of the screened reproduction in a current state of affairs in which the dream of technological and economic progress is no longer politically tenable” (Cartwright/Mandiberg 2009: 174).
Mit seiner innovativen Strategie versucht sich Obama nicht nur visuell, sondern auch inhaltlich von seinem Vorgänger abzusetzen. Exemplarisch wurde die Verkündung des Endes der Kampfhandlungen im Irak („Obama’s Mission Accomplished“ Moment) im August 2010 so unprätentiös wie möglich visuell inszeniert (vgl. Caryl 2010), um eine Konnotation mit Bushs Debakel einer ein PR Debakel wie das von George W. Bush zu seiner verfrühten Verkündung des Kriegendes nicht zu wiederholen. Angesichts derart prominenter Inszenierungs- und Integrationsstrategien verwundert die bis heute wahrnehmbare Umsetzungslücke einer Integrierten Politischen Kommunikation. Der Blick auf die Praxis Integrierter Politischer Kommunikation in Deutschland verdeutlicht, dass hier noch Handlungspotential besteht. Zwar erkennen einige Praktiker die Notwendigkeit einer integrierten politischen Kommunikationsstrategie (Zolleis/Kießling 2004: 147): „Um eine Verankerung im Gedächtnis der Wähler einfacher zu bewirken, sollte Wahlwerbung in allen ihren Formen eine Integration aufweisen. Integration heißt hier formale und inhaltliche Abstimmung aller Werbemaßnahmen, um die durch Kommunikation erzeugten Eindrücke zu vereinheitlichen und zu verstärken.“
Dennoch fällt auf, dass das Politische Kommunikationsmanagement diese wesentlichen Implikationen eher zögerlich umsetzt. Dies wundert insbesondere, da die Implementierung einer Integrierten Kommunikation im klassischen Marketing mittlerweile als etabliertes, nahezu standardisiertes Konzept bewertet werden kann (vgl. Bruhn 2009). Doch auch in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung lassen sich nur vereinzelt Verweise auf die Anwendung einer integrierten Kommunikationsstrategie in politischen Kontexten finden – wobei die Operationalisierung der Konzeption häufig skizzenhaft bleibt (vgl. Thimm/Hartmann 2008: 363; Kamps 2007: 102; Zolleis/Kießling 2004: 147; Kahler 2004: 194). Begründet wird die mangelnde Implementierung von Praktikern häufig mit dem Einwand, Politische (Wahlkampf-)Kommunikation brauche den optischen Strategiewechsel. Einerseits, so wird argumentiert, sei „kein Wahlkampf wie der andere“ (Holtz-Bacha 2003: 9), denn situative Faktoren wie die wirtschaftliche Lage, die gegenwärtigen Medienthemen, aktuelle politische Ereignisse oder das spezifische Wahlkampfsetting seien strategisch zu berücksichtigen und führten auch zu einer Neuorientierung der Kampagnen. Eine vollständige Integration sei aus dieser Perspektive schwierig, da Wahlkampfkommunikation einem permanent wandelnden
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Politische Kommunikation im Wahlkampf
Kommunikationsumfeld ausgesetzt sei: Aktuelle Ereignisse, die beim Entwurf der Wahlkampfstrategien noch nicht einkalkuliert werden konnten, verlangten nach spontanen Reaktionen der politischen Akteure (Brettschneider 2002d: 38; vgl. Radunski 1980: 7) und stünden einer langfristig orientierten strategischen Integration entgegen. Konstanz sei für das Konsumgütermarketing „der absolute Schlüsselbegriff“, Politische Kommunikation sei dagegen „eine tägliche Entwicklung, ein täglicher aktiver Prozess, (...) beständig im Spannungsfeld zwischen Aktion und Reaktion“ (von Mannstein 2005: 127). Aus dieser Perspektive beantwortet auch Brettschneider (2005b: 111) die provokative Frage, ob sich Politiker nach bewährten, integrierten Markenstrategien kreieren und führen lassen könnten, ambivalent: „Ja und nein. Ja, weil einige Grundregeln und Instrumente aus dem Marketing auch für die PolitPR hilfreich sind. Nein, weil die Rahmenbedingungen für die ‘Marke Politiker’ deutlich schwieriger sind (...). Für die Wahrnehmung durch die Wähler ist die Polit-PR in weitaus größerem Maße auf die journalistische Berichterstattung im redaktionellen Teil der Zeitung und des Fernsehens angewiesen – und diese lässt sich sehr viel weniger planen und beeinflussen als die Paid Media.“
Politik sei eben „nicht Persil“ und somit ließen sich Marketingstrategien aufgrund der komplexen Inhalte nur zu einem bestimmten Teil auf Politische Kommunikation übertragen (Ahrens 2005: 113; 119). Zudem wollten, so die Überlegung, sowohl Wähler als auch Politiker „nicht an die alten Kampagnen anknüpfen, sondern ein neues Kapitel aufschlagen“ – so der Wahlkampfexperte von Mannstein in einem Gespräch. Holtz-Bacha (2006a: 6) erkennt hier eine „Professionalization at two speeds“: Zwar zeige sich grundsätzlich eine Professionalisierung der einzelnen Wahlkämpfe, aber weniger eine Professionalisierung des Politischen Kommunikationsmanagements an sich, weshalb Strategien, Konzepte und Wahlkampfteams zu jeder Wahl neu aufgestellt werden müssten. Strategische Entsprechungen einer Integrierten Politischen Kommunikation stellen in der politischen Kommunikationspraxis folglich eher die Ausnahme dar. Dies gilt von einem Wahlkampf zum folgenden, wird aber auch innerhalb einer Wahlkampfperiode deutlich. Sogar innerhalb eines Wahlkampfes lassen sich meist zahlreiche Beispiele finden, die eine formale oder inhaltliche Integration vermissen lassen. Exemplarisch wird dies an einer Serie von Typo-Plakaten der CDU aus dem Bundestagswahlkampf 2005 deutlich: Hier wurde eine formale Integration zwar innerhalb der Layoutlinie angestrebt, gleichzeitig wurden aber drei divergente Plakatlayouts umgesetzt, die dann parallel plakatiert wurden (vgl. VS PLUS „Wahlplakate“ Abb. 10 und 11; kann auf der Homepage des VS Verlags unter folgendem Link im Original eingesehen werden: http://www.vs-verlag.de/Buch/978-3-53117819-6/Vision-that-matters.html). Hierdurch wird eine zentrale Anforderung der (formalen) Integration von Kommunikation vernachlässigt, nämlich die Sicherung der Wahrnehmung der Einzelkommunikation als Element einer Gesamtkommunikation, für die die einzelnen Kommunikationsinstrumente oder Botschaften so
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gestaltet werden, dass der Gesamtauftritt der Kommunikation einheitlich und zusammengehörig wahrgenommen wird (Bruhn 2003: 33 ). Ein einheitlicher Auftritt – der durch „ähnliche formale Aspekte, wie Formen, Größen, Farben oder inhaltlich ähnliche Aussagen“ erreicht werden könnte (ebenda) – wird mit der dargestellten Plakatkampagne verschenkt. Dabei hat eine fehlende Integration nicht nur theoretische Relevanz. Im Rückgriff auf die konzeptgesteuerte Informationsverarbeitung bleibt hier wertvolles Wirkungspotential ungenutzt. Bei Wahrnehmung und Verarbeitung neuer Informationen erfolgt ein Mustervergleich mit bereits vorhandenen Informationen. Eine Übereinstimmung (Schemakongruenz) zwischen neu aufgenommenen und bereits beim Rezipienten vorhandenen Informationen wirkt sich positiv auf den Prozess der Aufnahme, Verarbeitung und Speicherung von Informationen aus. So erleichtert die Integration der Botschaften das Lernen und Erinnern bzw. Wiedererkennen der Aussagen sowie die Zuordnung zum Absender (vgl. Seebohn 2000: 490). Zudem beugt eine konsistente Kommunikation Irritationen (Schemainkongruenzen) vor und hat dadurch einen positiven Effekt auf den subjektiven Eindruck, den Kommunikationsmaßnahmen hinterlassen. Die Umsetzung einer Integrierten Kommunikationsstrategie steigert also letztlich die Effizienz und Wirksamkeit der Kommunikation (vgl. Bruhn 2009). Vergleicht man die vorgestellten Integrationsdimensionen – formale, inhaltliche und zeitliche Integration –, lässt sich für die praktische Implementierung erkennen, dass die inhaltliche Integration in der Kommunikationspraxis oft die größte Anforderung an das Kommunikationsmanagement stellt. Dies gilt für das Management der Kommunikation politischer Akteure sicherlich noch in verstärktem Maße, da hier nicht primär Werbeträger, sondern auch interpersonale Kommunikation integriert werden müsste. Nichtsdestotrotz besitzt gerade die inhaltliche Integration ein enormes Wirkungspotential, das sich langfristig auszahlen dürfte. In Bezug auf die formale Integration ist dagegen zu erkennen, dass sie über eine strategische Visuelle Politische Kommunikation recht einfach umzusetzen ist. Formale Integration betrifft hier vor allem „Bilder und Sprache“ der politischen Werbung und bedeutet im ersten Schritt, die „konsequente Einhaltung von Corporate-Design-Merkmalen“ der Partei sicherzustellen (vgl. Zolleis/Kießling 2004: 147). Formale Integration ermöglicht dadurch nicht nur ein schnelles Wiedererkennen, die individuelle Gestaltung kann auch die Positionierung eines intendierten Images forcieren (vgl. Seebohn 2000: 490). Auch wenn eine einseitige Fokussierung auf eine formale Vereinheitlichung kritisch zu betrachten ist (vgl. Esch 2006: 70), ist die Integration durch Visuelle Kommunikation wichtige Basis für die Implementierung einer Integrierten Kommunikationsstrategie.
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Politische Kommunikation im Wahlkampf
4.1.3.3
Integrierte Visuelle Kommunikation in der Politik
Vor diesem Hintergrund kann Visuelle Kommunikation für die Integrierte Kommunikation wichtige Funktionen übernehmen, um Wahrnehmung, Akzeptanz und Identifikation zu erleichtern. In einer Situation der Informationsüberlastung muss es internen und externen Zielgruppen möglich sein, die jeweiligen politischen Kommunikationsbotschaften schnell zu verstehen und leicht aufzunehmen. Die kommunikative Konzentration visueller Eindrücke, die durch Integrierte Visuelle Kommunikation erreicht werden kann, gewinnt dabei an Relevanz, denn die vielfach anzutreffende Kommunikation ständig wechselnder visueller Inhalte begünstigt geringe Erinnerungswirksamkeit und führt tendenziell zu nur schwachen Gedächtnisspuren. Die systematische Verwendung von Visueller Kommunikation erhöht dagegen die Chance, trotz wachsender Informationsflut Kommunikationsziele zu erreichen und zwar sowohl im Rahmen der sozialen Kommunikation als auch im Rahmen einer massenmedialen und werblichen Kommunikationsstrategie. Visuelle Kommunikation trägt dazu bei, die gesamte Informationsvermittlung der politischen Akteure wirksamer zu machen. Dies gilt umso mehr, wenn über eine formale visuelle Integration hinaus systematisch mit Bildkommunikation gearbeitet wird (Bruhn 2003: 42; 2009: 56-59): „Werden Bilder konsistent in die Integrierte Kommunikation eingebunden, so ist davon auszugehen, dass schneller als bei der verbalen Vermittlung von Informationen ein ‘Fit’ zwischen dem vorhandenen Schema und den vermittelten Informationen entsteht sowie die Bildung und Vertiefung von Schemata gefördert wird.“
Hier lassen sich insbesondere strategische Schlüsselbilder nutzen (vgl. Zolleis/Kießling 2004: 147), die sozusagen den „Schlüssel“ zu einer Nachricht bilden, in dem die Nachricht „auf eine Formel gebracht wird“ (vgl. Ludes 2001b: 66). Transmedial sind Schlüsselmotive damit visuelle Repräsentationen, die überschaubare Situationen zeigen, meist mit wenigen Hauptakteuren, wobei die Ereignisorte räumlich klar abgegrenzt und oft durch Symbole ergänzt sind (Ludes 2001b: 67). Schlüsselbilder implizieren damit visuelle Grundmotive, „die den Erlebniskern bilden und die zahlreichen nicht sprachlichen Auftritte (...) auf eine Linie bringen“ (Kroeber-Riel/Esch 2004: 87). Sie sind daher in besonderer Weise geeignet, den kommunikativen Kern einer (politischen) Botschaft konsistent visuell darzustellen und zu einer Konzentration der visuellen Eindrücke beizutragen. Entsprechend kommt KroeberRiel (1993: 330) zu dem Fazit, dass die Abstimmung der Kommunikation auf ein Schlüsselbild bzw. mehrere sich ergänzende Schlüsselbilder als wichtiger Schritt angesehen werden kann, um die intendierte Positionierung durchgängig sichtbar zu machen: „Das Schlüsselbild wird auf diese Weise zur vereinfachten, aber operationalen und kommunikativ wirksamen Formulierung“ der strategischen Positionierung. Um das Erkennen, Lernen und Erinnern der visuellen Kernbotschaften zu erleichtern, sind bei der Entwicklung einprägsamer Schlüsselbilder einige zentrale Forderungen zu berück-
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sichtigen. Insbesondere sollten Schlüsselbilder folgende Anforderungen erfüllen (vgl. Kroeber-Riel 1993: 202; Herbst/Scheier 2004: 27-32; Bruhn 2009: 56-59):
Das Schlüsselbild sollte eine klare Erkennbarkeit der visuellen Schlüsselmerkmale aufweisen. Es sollte einzigartig, einprägsam und lebendig gestaltet sein. Es sollte eine hohe Variationsfähigkeit für die Umsetzung in verschiedenen Medien aufweisen. Es sollte kontinuierlich und langfristig einsetzbar sein, gleichzeitig jedoch Anpassung an Veränderungen im Zeitablauf ermöglichen.
Schlüsselmotive wirken besonders effizient, wenn sich die gewählten Motive auf den persönlichen Erfahrungsbereich der Rezipienten beziehen: Hier sollte „die zielgruppenbezogene Argumentation“ im Vordergrund stehen, indem aus dem Erfahrungsraum der Wähler „Zeichen und Bilder zum Inhalt und zur Gestaltung von Botschaften genutzt werden“ (Bruhn 2003: 34; 2009). Tatsächlich erscheint diese Überlegung besonders fruchtbar bei abstrakten und komplexen politischen Botschaften, zu denen die Wähler ohnehin einen erschwerten gedanklichen Zugang haben. Werden die skizzierten Voraussetzungen erfüllt, lassen sich Schlüsselbilder effizient nutzen, um Positionen, Ziele und Werte der politischen Akteure eingängig und nachhaltig zu kommunizieren. Aus diesem Grund resümieren Kroeber-Riel und Esch (2004: 126): „Da die Konditionierung (...) durch spezifische Erlebnisse mit geringer gedanklicher Kontrolle erfolgt, ist hier die Schlüsselbildintegration der Königsweg zur Integrierten Kommunikation.“
Exemplarisch beweist die SPD-Kampagne aus dem Bundestagswahlkampf 2002 (vgl. VS PLUS „Wahlplakate“ Abb. 12; kann auf der Homepage des VS Verlags unter folgendem Link im Original eingesehen werden: http://www.vsverlag.de/Buch/978-3-531-17819-6/Vision-that-matters.html), dass eine durchdachte Visuelle Kommunikationsstrategie auch im politischen Raum dazu beitragen kann, Botschaften „in der sinnlichen Erfahrungs- und Erlebniswelt“ der internen und externen Zielgruppen zu verankern (Kroeber-Riel 1993: 335). Das Politische Kommunikationsmanagement könnte aus dieser Perspektive nur gewinnen, wenn es gelänge, die politischen Botschaften in lebendige und prägnante Bilder zu übersetzen. Bis heute wird hier wertvolles Wirkungspotential verschenkt; dies verdeutlicht auch die Analyse der Visuellen Plakatkommunikation des letzten Bundestagswahlkampfs 2009 (vgl. Geise 2010).
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Politische Kommunikation durch das Wahlplakat
4.2 Politische Kommunikation durch das Wahlplakat Das Wahlplakat bietet sich als typisches Medium Visueller Politischer Kommunikation in ganz besonderer Weise an, um die Wahrnehmung, Verarbeitung und Wirkung von Visueller Kommunikation im Prozess politischer Informationsvermittlung bzw. im Wahlkampf zu untersuchen. Zunächst ist das Wahlplakat medienhistorisch ein sehr traditionsreiches Kommunikationsmittel, das besonders in Deutschland bis heute eine tragende Rolle in der Wahlkampfkommunikation einnimmt. Dabei leistet kaum ein anderes Medium eine so enorme inhaltliche wie gestalterische Verdichtung der Botschaft; auf einem Plakat lässt sich ein vollwertiger, komprimierter Mikrokosmos der wahrnehmungs- und wirkungsrelevanten Variablen finden und für den Forschungsprozess operationalisieren. Gerade für die Frage, inwieweit Bildüberlegenheitseffekte im Kontext der Politischen Kommunikation Geltung haben, lassen sich Typo- und Bildplakate idealtypisch gegenüberstellen und in ihrer Rezeption und ihren Wirkungen vergleichen. Zudem präsentiert sich die Forschungslage zur Wirkung und Wahrnehmung von Wahlplakaten – trotz der unumstrittenen Bedeutung des Mediums – als äußerst fragmental. Der Fokus auf das Wahlplakat trägt daher nicht nur dazu bei, das übergeordnete Thema der Visuellen Politischen Kommunikation prototypisch, forschungsökonomisch und praxisrelevant zu thematisieren, die Fokussierung auf das Medium Wahlplakat leistet auch einen Beitrag, den bis heute vernachlässigten Forschungsbereich der Plakatforschung zu füllen.
4.2.1
Das Plakat – Definition und Charakteristika des Mediums
Das Plakat zählt zu den traditionsreichsten Kommunikationsmedien im Prozess der öffentlichen Informationsvermittlung. Für Kamps (1999: 3) ist ein Plakat allgemein „ein auf stärkste optische Wirksamkeit ausgerichtetes grafisches Medium persuasiven Charakters“. Das Plakat ist in der Regel nicht-periodisch; meist wird es im öffentlichen Raum ‘angeschlagen’ und dient somit der Außenkommunikation. Spezifischer kann das politische Plakat definiert werden als (Artinger 2000: 15; Prakke 1963: 24-25; Zeller 1987: 15; Rotter 2004: 16-17): „Medium der Massenkommunikation zur Übermittlung von Ideen und Emotionen in Schrift und Bild mit dem Ziel, den Betrachter in einer bestimmten Weise zu überzeugen und in seinem Handeln zu beeinflussen.“
Im Unterschied zu werblichen Plakaten wird das politische Plakat als „Träger und Vermittler nichtkäuflicher Waren“ (Malhotra 1984: 12; 1988), als „Werbung für ein immaterielles Produkt“ interpretiert (von Mannstein 2004: 232). Auch wenn im Zuge der Diskussion um eine Professionalisierung Politischer Kommunikation
Politische Kommunikation durch das Wahlplakat
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Zielgruppenstrategien an Relevanz gewinnen (vgl. Schulz 2008: 239; Holtz-Bacha 2002a: 28), wendet sich das politische Plakat im Gegensatz zum kommerziellen Werbeplakat prinzipiell an alle Bürger eines politischen Systems (vgl. Artinger 2000: 18; Langguth 1995: 17; Wasmund 1986: 11). Von Beginn an wird das politische Plakat bewusst im öffentlichen Raum postiert, „enthält der Akt der demonstrativen Fixierung das Recht auf öffentliche Kundgabe und das Recht des potentiellen Lesers auf politische Meinung“ (Kämpfer 1985: 14). Besonderes Charakteristikum des Plakats ist die Notwendigkeit der größtmöglichen inhaltlichen und gestalterischen Reduktion und Konzentration. Insbesondere die Rezeptionssituation ist bei der Plakatwahrnehmung als relevante Rahmenbedingung zu berücksichtigen: Der Kontakt mit dem Medium ist hochgradig flüchtig (vgl. Siegert/Brecheis 2005: 181; Deiters 2005: 82; Rotter 2004: 16; Kämpfer 1997: 117). Die Rezeption findet primär in mobilen, außerhäuslichen Situationen statt und erfolgt überwiegend nicht-intentional (vgl. Deiters 2005: 81). Prakke (1963: 34) spricht daher pointiert vom „wehrlosen Publikum“ der Plakatrezeption. Als typisches Massenkommunikationsmedium verfügt das Plakat nicht über einen Rückkoppelungskanal; „echter Dialog“ ist nicht möglich (Kämpfer 1997: 117). Es ist somit von einer eher passiven Medienrezeption auszugehen, die in den eigentlich intendierten Handlungsablauf integriert wird bzw. diesen unterbricht. Nichtsdestotrotz erzielen Plakate in der Regel eine recht hohe Reichweite und Kontakthäufigkeit: Plakate sind 24 Stunden präsent und erreichen die Zielpersonen oft sogar mehrmals täglich (vgl. Nalepka 1994: 82). Pro Kontakt lässt sich eine Rezeptionszeit von etwas unter einer Sekunde bis zu 2,5 Sekunden vermuten (obwohl die Angaben hierzu erheblich differieren; vgl. Schweiger/Schrattenecker 2001: 252; Scheier 2005: 266; Compagnon 1997: 3; Wettig 1992: 461). Diese Bedingung ist zu berücksichtigen (Artinger 2000: 16): „Damit die Information in der Hektik des Alltags, im Vorbeigehen oder Vorbeifahren, aufgenommen werden kann, müssen Inhalt und Form schnell und leicht erfassbar sein. (...) Knappheit und Klarheit des Inhalts und der Form ist oberste Maxime.“
Gerade wegen seines Potentials, Informationen auf das Wesentliche zu komprimieren, ist das Plakat das ideale Medium zur Vermittlung eines Themas in minimaler Zeitspanne mit minimalem Zeichenaufwand (Artinger 2000: 16; vgl. Nalepka 1994: 82). Daher bezeichnet Prakke (1963: 30) den plakatspezifischen Kommunikationsprozess als „Schnelldialog“, der für ihn nur zustande kommen kann, wenn drei Bedingungen erfüllt sind: Erstens muss das Plakat ein starker Blickfang sein, zweitens muss es unmittelbar verständlich sein und drittens muss es über einen besonderen Gedächtniswert verfügen (ebenda). Auf der Seite der Rezipienten verfügt das Plakat, als eines der traditionsreichsten Werbemittel, über eine relativ hohe und stabile Akzeptanz. Dem Kommunikator ermöglicht es eine breite, noch vergleichsweise kostengünstige und flexible, Publikumsansprache (vgl. Siegert/Brecheis 2005: 181;
174
Politische Kommunikation durch das Wahlplakat
Schweiger/Schrattenecker 2001: 252). Formal lassen sich drei Typen von Plakaten unterscheiden: 1.) reine Schrift- bzw. Typoplakate, die vollkommen ohne Bildzeichen arbeiten, 2.) reine Bildplakate, die gänzlich ohne Schriftzeichen auskommen, sowie 3.) Schrift-Bild-Plakate, die sowohl typographische als auch figurative Elemente enthalten (Artinger 2000: 16; Kamps 1999: 55; Kämpfer 1985: 60; vgl. Abb. 4 und 5).
Abbildung 4:
Schrift-Bild-Plakate von Bündnis90/Die Grünen sowie der CDU aus dem Bundestagswahlkampf 2002 (Bündnis 90/Die Grünen Bundespartei; CDU Bundespartei). Vgl. VS PLUS „Wahlplakate“ Abb. 13; kann auf der Homepage des VS Verlags unter folgendem Link im Original eingesehen werden: http://www.vsverlag.de/Buch/978-3-531-17819-6/Vision-that-matters.html.
Schrift-Bild-Plakate verfügen wohl mit Abstand über die größte Verbreitung; in der Regel wird der Text hierbei genutzt, um eine konkrete thematische „HebelBotschaft“ zu transportieren (vgl. von Mannstein 2004: 237) und damit die „rasche Information zu erleichtern“ (Müller-Brockmann/Müller-Brockmann 2004: 14), während das Bildmotiv dazu dient „ein Klima der Sympathie, Vertrauenswürdigkeit und Kompetenz atmosphärisch“ aufzubauen, denn „das Motiv soll der Politik Gewicht und Sympathie geben und die Persönlichkeit vermitteln, die hinter Inhalten, Tagespolitik und Programm steht“ (von Mannstein 2004: 237). Im Bereich der politischen Kommunikation werden reine Typoplakate bis heute häufig eingesetzt, insbesondere im Differenzierungs- und Themenwahlkampf sollen sie die konkrete politische bzw. thematische Profilierung verbal besser übermitteln können, weil sie das kognitive Involvement des Wählers stärker beanspruchen (vgl. von Mannstein 2004: 238; vgl. Abb. 5).
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Abbildung 5:
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Links: Typoplakate der SPD aus dem Bundestagswahlkampf 2005 (SPD Bundespartei). Rechts: CDU-Wahlplakat aus dem Bundestagswahlkampf 1994; Kohls ‘Bad in der Menge’ (Agentur von Mannstein). Vgl. VS PLUS „Wahlplakate“ Abb. 14 und 15; kann auf der Homepage des VS Verlags unter folgendem Link im Original eingesehen werden: http://www.vs-verlag.de/Buch/9783-531-17819-6/Vision-that-matters.html.
Dagegen finden sich, im politischen wie kommerziellen Kontext, bis heute nur wenige reine Bildplakate, die auf typographische Elemente gänzlich verzichten. Ein besonders prägnantes Beispiel für ein rein figuratives Wahlplakat stammt aus dem Bundestagswahlkampf 1994: Kohls ‘Bad in der Menge’ zeigt bis heute eine einzigartige Konzentration auf ein hoch assoziatives Bildmotiv (vgl. von Mannstein 2004: 234; 2000: 363; vgl. Abb. 5).
4.2.2
Die Wirkung von Wahlplakaten – Zum Forschungsstand
Trotz der unumstrittenen Bedeutung des Wahlplakats und trotz der Tatsache, dass Wahlkämpfe zum „beliebtesten Setting für die Kommunikationsforschung“ gehören (Holtz-Bacha 1996: 9), sind Rezeption, Wirkung und Funktionsweise von (Wahl-)Plakaten bislang wenig erforscht; dies gilt auch ganz allgemein für das Medium Plakat an sich (vgl. zum Überblick zu einer „defizitären“ Theorie des Plakats: Kamps 1999: 38-54; Stremmel 1992: 25). Bis heute nimmt die Plakatforschung einen geringen Stellenwert ein. Für Bohrmann (1984: 7) liegt eine mögliche Ursache darin, „dass im Plakat künstlerische und publizistische, ästhetische und politische Dimensionen gebündelt werden“, weshalb das Medium sich als sehr komplex erweist. Tatsächlich erschweren die enge Integration von Ästhetik und inhaltlicher Botschaft sowie ihre Interaktionen die verallgemeinerbare Analyse des Mediums
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Politische Kommunikation durch das Wahlplakat
und seiner Wirkungen; so bleiben viele Untersuchungen eng an das individuell untersuchte Plakat gebunden. Generell lassen sich zwei Forschungstraditionen erkennen: Die Analyse von Plakaten im Kontext der Werbewirkungs- bzw. Markt- und Konsumforschung, wobei hier ein Großteil der Untersuchungsergebnisse nur als graue Literatur vorliegt bzw. nicht veröffentlicht ist (vgl. zum Überblick: Pasquier 1997: 110-123), sowie die plakathistorische Forschung (vgl. Kamps 1999: 75). Hierbei fällt auf, dass sich das Gros der vorhandenen Studien zu politischen Plakaten auf die Zeit bis zum Ende des 2. Weltkriegs bezieht; zumeist wird das Wahlplakat bzw. das politische Plakat hierbei unter künstlerisch-ästhetischen oder kulturhistorischen Aspekten analysiert (vgl. prototypisch: Staeck/Adelmann 1976; Kämpfer 1985; Arnold 1985; Langguth 1995; Müller 1998; Wolff-Thomsen 2001; Paul 2008b). Nur wenige Arbeiten stellen die aktuelle Relevanz von strategischem Einsatz und politischem Inhalt in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung (vgl. Müller 1996; 1999; 2002a; Geise 2010). Noch seltener sind Untersuchungen über mögliche Medienwirkungen von Wahlplakaten und ihrer visuellen Gestaltung (vgl. exemplarisch Brosius/Holicki/Hartmann 1987; Lessinger/Moke 1999; Geise/Brettschneider 2010). Dies gilt insbesondere auch für die USamerikanische Forschung, die sich vor allem auf Wahlwerbung im Fernsehen konzentriert (vgl. Schulz 2008: 291). Allerdings spielt das Wahlplakat in Amerika seit dem Aufkommen der ersten Werbespots im Präsidentschaftswahlkampf 1952 auch praktisch keine Rolle mehr in den Wahlkämpfen (vgl. Müller 1999: 259). Zur deutschen Forschungslage kritisierte Wasmund vor über zwanzig Jahren (1986: 12): „Die Wirkungsforschung hat das politische Plakat bisher nicht systematisch in ihre Untersuchungen einbezogen. Jeder geht davon aus, dass politische Plakate Effekte erzielen, wir wissen nur nicht, wie wirkungsvoll sie sind.“
Ähnlich beklagte Langguth (1995: 10) in seiner Arbeit „Politik und Plakat“ vor rund fünfzehn Jahren, die Politikwissenschaft hätte „bisher das politische Plakat fast gänzlich ignoriert“. Bis heute hat sich an dieser defizitären Forschungslage nur wenig geändert, auch wenn erste Ansätze zu einer systematischen Plakatwirkungsforschung existieren. So liefert beispielsweise Pasquier einen neueren Überblick über Grundlagen und praktische Ansätze der Plakatwirkungsforschung (vgl. Pasquier 1997). Allerdings wird das Plakat hierbei vor allem aus der Perspektive der klassischen Werbewirkungsforschung betrachtet, so dass Fragen nach der Evaluation von Plakatkontakten und Reichweitenanalysen bzw. die Effizienz von Plakaten als Werbemedium im Fokus der Betrachtung stehen (vgl. Pasquier 1997). In der Konsequenz weiß man noch immer wenig darüber, wie Plakate wahrgenommen werden, ob und welche wahlrelevanten Wirkungen sie erzeugen können (Lessinger/Moke/HoltzBacha 2003: 217). Fasst man die bisherigen Erkenntnisse zur Wahrnehmung und Wirkung von Wahlplakaten zusammen, ergibt sich ein entsprechend unvollständiges Bild (vgl.
Politische Kommunikation durch das Wahlplakat
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Kamps 1999: 75). Einigkeit besteht zumindest darüber, dass Plakate einerseits in der Bevölkerung, besonders in der Gruppe der Mobilen, eine relativ hohe Beachtung erfahren (vgl. Schulz 2008: 289; Kamps 1999: 81) und andererseits über eine recht hohe Akzeptanz verfügen (vgl. Siegert/Brecheis 2005: 181). Nach Umfragen der Branchenzeitschrift Horizont sind die Konsumenten dem Medium Plakat grundsätzlich positiver als anderen Werbeträgern gegenüber eingestellt, weil sie Plakate als „die am wenigsten störende Werbung“ einschätzen (vgl. Scheier 2005: 266). Insbesondere jüngere Menschen nehmen Plakate in hohem Maße war; zudem steigt die Beachtungswahrscheinlichkeit offenbar mit wachsender Kaufkraft (vgl. Lessinger/Moke/Holtz-Bacha 2003: 217; Kamps 1999: 81). Beides ist wohl auch darauf zurückzuführen, dass der Mobilitätsgrad, als wichtiger Einflussfaktor der PlakatErreichbarkeit, unter anderem von Einkommen, Bildung und Alter abhängig ist. So erreichen Plakatkampagnen beispielsweise die sonst nur schwer erreichbaren Zielgruppen der Vollberufstätigen bzw. der jüngeren Hochgebildeten vergleichsweise gut, insbesondere auch dann, wenn diese mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind (vgl. Kamps 1999: 82). Spannend ist aber neben der erzielten Breitenwirkung vor allem die Erkenntnis, dass es über das Medium Plakat auch gelingen kann, spezifische Lerninhalte sehr konkret zu vermitteln (vgl. Schierl 2001a). Die hier erhobenen Befunde stehen zumindest teilweise der Behauptung entgegen, Plakate eigneten sich nicht zur Kommunikation von komplexeren Sachinformationen (vgl. Schierl 2001a: 268; von Mannstein 2004: 242; Scheier 2005: 266). Für den spezifischen Anwendungsbereich der Politischen Kommunikation erweist sich die gegenwärtige Forschungslage als wenig ergiebig. Dennoch lassen sich zwei typische Tendenzen für die politik- und kommunikationswissenschaftliche Auseinandersetzung erkennen: Einerseits ist eine grundsätzliche Skepsis gegenüber dem Einsatz von professionellen (visuellen) Werbemitteln wie dem Plakat spürbar, in deren Kontext eine Angleichung politischer an kommerzielle Werbetechniken kritisch diskutiert wird (vgl. Kuhn 2007: 3). Die Auseinandersetzung basiert hierbei häufig auf der normativ begründeten Kritik, nach der die Professionalisierung politisch-werblicher Kommunikation mit einem Mangel an Rationalität einhergehe (vgl. Geise 2010). In diesem Zusammenhang wird häufig auch kritisiert, dass die Strategie „Images versus Issues“ langfristig zu Lasten der Identifikation mit dem politischen System führe und bei den Wählern den Eindruck erwecke, die Politik habe ihre eigentlichen Aufgaben aus den Augen verloren (Holtz-Bacha 2002a: 28). Dem steht jedoch die Feststellung gegenüber, dass „Aufmerksamkeit und Interesse für politische Themen nicht mehr nur durch sachlich aufbereitete politische Inhalte errungen (...) werden“ können (Hedwig 2006: 10), dass „nichts schwieriger kommunizierbar [ist] als ein politisches Programm im Detail“ (von Mannstein 2004: 241). Mit seiner visuellen und inhaltlichen Konzentration zielt das Wahlplakat zwar nicht primär darauf ab, detaillierte Nachrichten oder komplexe Informationen zu transportieren, sondern will „Meinungen bilden, Handeln beeinflussen“ (Artinger
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2000: 16). Hier könnte aber gerade dem Plakat als Vermittler einer konzentrierten, plakativen „optisch vermittelten publizistischen Botschaft“ (Bohrmann 1984: 9) eine tragende Rolle zugedacht werden, denn das Plakat kommuniziert nicht nur enorm verdichtet, es soll auch einen suggestiven, persuasiven Charakter besitzen (vgl. von Mannstein 2000: 362; 2004: 235). Ob das Plakat die hierzu notwendige nachvollziehbare und prägnante Übersetzung eines Themas mit einem Minimum an Zeichen leistet, hänge dabei „im Wesentlichen von seiner optischen Gestaltung ab“ (vgl. Lessinger/Moke 1999: 244; Wasmund 1986: 11). Dieser grundlegenden Wirkungsvermutung wird die Überlegung entgegengestellt, dass politische Plakate, der Verstärkerhypothese entsprechend (vgl. Klapper 1960), nicht persuasiv, sondern lediglich verstärkend auf bereits vorhandene Prädispositionen wirken (Radunski 1980: 111-112; vgl. Wasmund 1986: 13; Strohmeier 2002: 136): „Das Plakat ist nicht die Kampagne selbst, es ist allein ein Kampagne-Appell“ (Radunski 1980: 112; vgl. Wasmund 1986: 13). Hierbei wird die Parteiidentifikation als zentrale Moderatorvariable angesehen (Wasmund 1986: 13; vgl. Jamieson 1996: 517): „Parteigänger anderer politischer Lager lassen sich weder durch Plakatwerbung im Besonderen noch durch politische Werbung im Allgemeinen umstimmen. Wer über stabile Parteipräferenzen und Einstellungen verfügt, ist gegenüber der politischen Werbung anderer Parteien verhältnismäßig immun.“
Gleichzeitig existieren allerdings wenige Studien, die die Wirkung von politischen Plakaten konkret bzw. empirisch in den Blick nehmen. Den Plakaten wird insofern „eine Wirkung unterstellt, die noch weitgehend unbewiesen ist“ (Müller 1997a: 19). Eine der wenigen Forschungsarbeiten stammt von Brosius, Holicki und Hartmann (1987), die anhand der Kommunalwahl in Hessen 1985 mit einer quotierten Stichprobe von rund 240 Personen untersuchten, welche gestalterischen Merkmale von Kandidatendarstellungen welchen Einfluss auf die Wahrnehmung und Kompetenzvermutung dieser Kandidaten nehmen. Das Forschungsinteresse der Studie liegt demnach auf der Wirkung von Kandidatenplakaten. Hierzu wurde zunächst eine inhaltsanalytische Untersuchung bzw. Klassifikation von rund 90 Plakaten und ihrer Gestaltungselemente durchgeführt; aus diesem Sample wurden 13 Plakate verschiedener Politiker ausgewählt und für die Untersuchungsanlage modifiziert (z.B. wurden Ausschnitte gewählt oder Parteilogos entfernt; vgl. Brosius/Holicki/Hartmann 1987: 341-342). Anschließend wurden jeweils acht Testplakate jeweils einer der fünf Versuchsgruppen randomisiert präsentiert; hierbei sollten die Probanden die Wahrnehmung der Persönlichkeit des abgebildeten Politikers mit einem Semantischen Differential bewerten sowie Fragen zu seiner vermuteten Kompetenz beantworten (vgl. Brosius/Holicki/Hartmann 1987: 342). Im Ergebnis zeigt die Studie, dass „zumindest bei politisch wenig interessierten oder bei unentschlossenen Personen die Darstellung der Kandidaten auf Wahlplakaten eine Grundlage der Entscheidungsfindung sein kann“ (Brosius/Holicki/Hartmann 1987: 352).
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Hierbei konnten die Autoren spezifizieren, dass die Bewertung entlang der beiden Bewertungscluster „Persönlichkeit des Kandidaten“ und „Kompetenz des Kandidaten“ insbesondere durch die Faktoren „Sympathie“ und „Dynamik“ bzw. durch die Faktoren „Soziale Kompetenz“ und „Durchsetzungsvermögen“ aufgeladen wird; dabei korreliert die Beurteilung der Sympathie in hohem Maße mit der Beurteilung der sozialen Kompetenz; die Beurteilung der Dynamik korreliert hingegen in hohem Maße mit der Bewertung des Durchsetzungsvermögens des Kandidaten (vgl. Brosius/Holicki/Hartmann 1987: 344-345). Interessanterweise gehen positivere Beurteilungen auf der einen Beurteilungsdimension offenbar mit negativeren Urteilen auf der anderen Bewertungsdimension einher (vgl. Brosius/Holicki/Hartmann 1987: 351). Zugespitzt kann die Visualisierung den Kandidaten also entweder als kompetent oder als sympathisch darstellen, denn eine Darstellungsform, die „eine besonders positive Beurteilung der Dynamik ergibt, führt gleichzeitig zu einem Verlust an Sympathie – und umgekehrt“ (ebenda). Im Wahlkampf sollte folglich die Frage nach dem Zielimage entscheidende Basis für die Wahl der jeweiligen Visualisierungsstrategie sein, denn „dies bedeutet für einen Kandidaten, dass er sich entscheiden muss, welchen Eindruck er vornehmlich erwecken will, ob seine Darstellung Defizite ausgleichen oder Positives noch pointieren soll“ (vgl. Brosius/Holicki/Hartmann 1987: 352). Allerdings sind die Ergebnisse zu den gestalterischen Einflussfaktoren teilweise uneindeutig: So führen die getesteten Darstellungen partiell zu unterschiedlichen Beurteilungen einzelner Kandidaten in den Testgruppen und andere Kandidatenbewertungen erweisen sich dagegen als nahezu unabhängig von ihrer Darstellungsform (vgl. Brosius/Holicki/Hartmann 1987: 351). Interessant im Hinblick auf implizite Darstellungstraditionen ist die Erkenntnis, dass die Probanden auch ohne direkten Hinweis auf die Parteizugehörigkeit des Kandidaten zu einem Großteil in der Lage waren, auf die richtige Parteizugehörigkeit zu schließen, offenbar auf Basis der gewählten Darstellungstypiken. Unbeantwortet bleibt allerdings, welche konkreten visuellen Indikatoren diese Zuschreibung begründen (Brosius/Holicki/Hartmann 1987: 346). Insgesamt lässt sich resümieren, dass die Studie zu den wenigen Ansätzen zählt, die die Wirkung von Wahlplakaten systematisch untersuchen. Dabei lässt die Untersuchungsanlage bereits erkennen, dass eine spezifische Gattung von Wahlplakaten, das Kandidatenplakat, hinsichtlich einer spezifischen Wirkungsdimension, der fachlichen wie persönlichen-sozialen Kandidatenbewertung, untersucht wird; andere relevante Gattungen bzw. Wirkungen stehen nicht im Fokus. So bleiben Themen- und Typoplakate ebenso unberücksichtigt wie nachfolgende Verarbeitungsleistungen der Plakatrezeption, wie etwa die Erinnerungsstärke. Auch zentrale Wahrnehmungsdimensionen, also was auf dem Plakat wie intensiv bzw. in welcher Rangfolge betrachtet wird, werden nicht untersucht. Dennoch rückt die Untersuchung die Gestaltung der Plakate und
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deren Wirkungen in den Mittelpunkt der Betrachtung und ist damit weitgehend beispiellos. Die Befunde legen die Vermutung nahe: „Der Gestaltung von Wahlplakaten kommt, zumal es sich bei Wahlen fast immer um relativ knappe Mehrheitsfindungen handelt, eine bedeutende Rolle in der Politischen Kommunikation zu“ (Brosius/Holicki/Hartmann 1987: 352).
Spannend im Hinblick auf das spezifische Medium Wahlplakat ist eine zweite, explorative Studie von Lessinger und Moke (1999) aus dem Bundestagswahlkampf 1998, die mit 72 studentischen Probanden durchgeführt wurde. Untersucht wurde die individuelle Rezeption und Bewertung einzelner Themenplakate. Die für den Wahlkampf typischen Kandidatenplakate wurden in der Untersuchung ausgelassen, wodurch verhindert werden sollte, dass die Probanden anstatt der Plakate die Kandidaten bewerteten (vgl. Lessinger/Moke 1999: 246). Allerdings wurden stark variierende Gestaltungstypen gewählt: Getestet wurden Bild- und Textplakate. Unter den Bildplakaten waren sowohl Plakate, die mit Photographien arbeiteten als auch Motive, auf denen Infographiken zu sehen waren. Im experimentellen Versuchsablauf wurden den Probanden einzeln jeweils sechs zufällig ausgewählte Themenplakate präsentiert; nach 30-sekündiger Rezeptionszeit sollten die Probanden Fragen zur Plakatbewertung bzw. zur generellen Sympathie gegenüber dem Plakat, zur zentralen Aussage, zur emotionalen Ansprache durch das Plakat sowie zu einzelnen, besonders positiven wie negativen, Gestaltungselementen beantworten (vgl. Lessinger/Moke 1999: 246). Schließlich sollten die Probanden die Plakate untereinander hinsichtlich der Bewertungsdimensionen „Informationsgehalt“ und „Plakatgestaltung“ vergleichen sowie das subjektiv vermutete Wirkungspotential der Plakate einschätzen (ebenda). Die Resultate der Einzelbewertungen sind nur bedingt verallgemeinerbar, da sie sehr eng mit dem konkreten Testplakat zusammenhängen. Zudem ist fraglich, inwieweit die Wirkungsstärke eines Plakats von den Probanden bei direkter Nachfrage angemessen bewertet werden kann: „Es ist keineswegs so, dass ein Plakat so wirkt, wie die Befragten sagen, dass es auf sie wirkt“ (Wettig 1992: 461). Dennoch verweisen die Ergebnisse auf eine klare Dominanz visueller Gestaltungsmerkmale bei der Rezeption von Wahlplakaten; diese fielen den Rezipienten im Gesamtkontext stärker auf und wirkten auch sympathischer: „Die visuelle Ebene, und hierbei vor allem das Bildmotiv, [erzeugt] nicht nur größere, sondern auch positivere Aufmerksamkeit beim Rezipienten“ (vgl. Lessinger/Moke 1999: 259). Ein weiterer interessanter Befund konnte aus den Antworten zu den zentralen Aussagen der Plakate abgeleitet werden: Die Rezipienten assoziierten mit den Plakaten durchaus auch Aussagen, die nicht explizit durch das Plakat kommuniziert wurden (ebenda). Die bewusste Rezeption des Plakatmotivs wurde also offenbar durch bestehende Voreinstellungen (z.B. Parteiidentifikation) bzw. durch bestehendes Wissen (z.B. Parteiimages; Themeninhalte) modifiziert (vgl. Lessinger/Moke 1999:
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259). Zu einem ähnlichen Ergebnis waren auch Brosius et al. gekommen. Allerdings ist dieses Ergebnis vor dem Hintergrund zu werten, dass die Autoren die Medienwirkung der Plakate nicht isoliert, sondern gezielt im bestehenden Wahlkampf erhoben haben. Sämtliche Teilnehmer waren also bereits mit den Wahlplakaten in realiter konfrontiert, was sich auch im Ergebnis niederschlagen dürfte. Da die Studie zudem einen Schwerpunkt auf die individuelle Rezeption einzelner Wahlplakate legt, lassen sich insgesamt nur wenige verallgemeinerbare Ergebnisse ableiten; zu eng hängen zahlreiche Befunde der Studie mit dem jeweiligen Kommunikat des einzelnen Plakats zusammen. Dennoch stützen die Ergebnisse die grundlegende Annahme „vom Primat des Visuellen bei der Rezeption von Wahlplakaten“ (vgl. Lessinger/Moke 1999: 259). In den beiden Folgestudien aus den Bundestagswahlkämpfen 2002 sowie 2005 wurde die systematische Analyse des Wirkungspotentials von Wahlplakaten bedauerlicherweise durch qualitative Inhaltsanalysen ersetzt; letztere mit dem Schwerpunkt auf der politischen Farbsymbolik (Lessinger/Moke/Holtz-Bacha 2003; Holtz-Bacha/Lessinger 2006b). Für beide Plakatwahlkämpfe konnte ein medienspezifisches Repertoire an Bildstrategien (z.B. „Reportage-Imitation“, „Alltagsthemenserie“ oder „Angriffsserie“) und prototypischen Kommunikations- bzw. Gestaltungsstilen herausgearbeitet werden (vgl. Lessinger/Moke/Holtz-Bacha 2003: 235-239; Holtz-Bacha/Lessinger 2006b: 91-109; Holtz-Bacha/Lessinger 2006a). Abgesehen von der Identifikation der unterschiedlichen Strategietypen sind allerdings auch diese Ergebnisse wenig verallgemeinerbar. Für die dem Forschungsprojekt zugrunde liegende Frage nach der Wirkung von Wahlplakaten liefern sie geringen Input. Nichtsdestotrotz muss betont werden, dass systematische inhaltsanalytische Untersuchungen von Wahlplakaten bislang ebenso selten sind wie Wirkungsstudien; hier besteht also durchaus weiteres Forschungsinteresse (vgl. Lessinger/Moke/Holtz-Bacha 2003: 228). Ein spannender Ansatz liegt für die Analyse der Plakatkampagne zur Bundestagswahl 2009 vor; hier untersuchten Holtz-Bacha und Lessinger (2010), welche emotionalen Reaktionen von Kandidatenplakaten ausgingen. Aufbauend auf Erkenntnissen der parasozialen Interaktion führten sie eine Online-Befragung durch, in der die Rezipienten zu ihrer emotional-assoziativen Bewertung der Kanidatenplakate und der parasozialen Anmutung der Plakatmotive befragt wurden. Die Befunde demonstrieren einerseits, dass eine nennenswerte Zahl der Befragten auf die abgebildeten Kandidaten bzw. die Plakatdarstellungen anspricht, es den eingesetzten Kandidatendarstellungen teilweise gelingt, Nähe zum Ausdruck bringen und in einem gewissen Umfang offenbar auch empathische Anteilnahme induzieren können (vgl. Holtz-Bacha/Lessinger 2010: 159; Brader 2006). Da sich die Ergebnisse auf ein schmales Sample stützen, und die Ergebnisse noch nah an den Plakatmotiven verortet werden, bleibt abzuwarten, inwieweit sich die Befunde replizieren und verallgemeinern lassen.
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Ein viel versprechender Ansatz zum Zusammenwirken von kognitiven und affektiven Dimensionen für die Einstellungsbildung bei der Rezeption von Wahlwerbung (vgl. Pappi/Shikano 2007; Lau/Redlawsk 2006) im Verlauf einer realen Kampagne liegt von Schemer (2009; 2010; vgl. Schemer/Wirth/Matthes 2010) vor. Basierend auf einer dreistufigen Panelbefragung zu einer Kampagne zur Asylgesetzabstimmung in der Schweiz im Jahr 2006 wurde untersucht, welche einstellungsrelevanten Wirkungen von politischer Werbung durch positive und negative Emotionen vermittelt werden. Schemer (2010) kommt zu dem Ergebnis, dass insbesondere die Befürworter durch die Kampagnen negative Emotionen bei den Befragten induzieren konnten, was in eine Zunahme der Unterstützung für eine Verschärfung des Asylgesetzes mündete. Dagegen konnten positive Emotionen kaum durch die Kampagne aktiviert bzw. vermittelt werden. Bedeutsam ist an den Erkenntnissen, dass durch die Modellierung der modifizierende Einfluss von Emotionen auf politische Einstellungsbildung nachgewiesen werden konnte; interessant ist dabei auch die Betrachtung im Zeitverlauf. Eine spannende Anschlussfrage ist hierbei, inwieweit die Befunde durch die Kampagnenstrategien induziert sind; hier ist plausibel, dass die inhaltliche und visuelle Kampagnenstrategie sowie das Wahlkampfumfeld einen Möglichkeitenraum für die Art und Stärke der aktivierten Emotionen sowie ihre potentielle Wirkungsrichtung aufspannt. Daher sind bei einer Replikation bzw. Modifikation der Untersuchungsanlage spannende Anschlussbefunde zu erwarten. Die oben skizzierten Untersuchungen zu Strategie- und Bildtypen scheinen übrigens angelehnt an die richtungsweisende Studie von Müller zu Politischen Bildstrategien im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf über den Zeitraum von 1828 bis 1996 (Müller 1996; 1997a; 1997b). Müller, die mit ihrer Arbeit übergeordnet das Verhältnis von politischen Bildern und visueller Politik thematisiert (vgl. Müller 1997a: 10), sieht das Wahlplakat, ebenso wie den Wahlwerbespot, als ein visuelles „Werbemittel in einem politischen Konkurrenzkampf mit sozial eingeübten Ritualen, Traditionen und kulturspezifischen Eigenschaften“, für das ein tradierter Formenschatz politischer Bildsprache zur Verfügung steht (Müller 1996: 232). Entsprechend fragt sie (1996; 1997a; 1997b) nach den Strategien und Typen, mit denen Wahlplakate bzw. Werbespots prototypisch operieren, nach ihrem Stil und ihrer Tradition sowie nach ihren Funktionen und Bedeutungen im Kontext repräsentativer Demokratien. Müllers (1997a: 151-259; 1997b) qualitative Analyse von rund 500 Wahlplakaten und 100 Werbespots mündet in eine systematische Typik der Strategien Visueller Wahlkampfkommunikation. Obwohl ihr Untersuchungsinteresse nicht der Wirkung von Plakaten, sondern ihrer kultur- und medienhistorischen Verortung gilt, resümiert auch Müller (1997a: 295): „Die Wirkung Visueller Politischer Werbung kann mangels empirischer Daten nur spekulativ ermessen werden. Jenseits der tatsächlichen Wirkungen hat die Funktionsanalyse der amerikanischen Bildstrategien jedoch ergeben, dass das Image eines Kandidaten – das Bild, das wir uns von ihm aufgrund seiner Selbstdarstellungsversuche machen – das einzige ist, was wir über ihn wirklich wis-
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sen können. Je kompetitiver und kritischer die öffentliche Auseinandersetzung um die visuellen Darstellungsversuche der konkurrierenden Kandidaten verläuft, desto überzeugter können die Wähler sein, sich auch einen umfassenden Eindruck von der politischen Kommunikation und den betroffenen Repräsentationskandidaten gemacht zu haben.“
Interessant an diesem Fazit ist die zugrunde liegende Idee, dass der Plakatwahlkampf, möglicherweise neben einer direkten persuasiven Wirkung auf die Rezipienten, auch noch über ein implizites, indirektes Wirkungspotential verfügt. Für Müller (1997a: 297) liegt dieses vor allem in der Anmutung einer „demokratischen“ umfassenden Information, nicht zuletzt auch deshalb, weil die bildliche Darstellung auf dem Plakat in der repräsentativen Demokratie keine Monopolstellung für sich beanspruchen kann: „Politische Bildnisse wie beispielsweise Wahlplakate haben keinen Monopolanspruch. Sie sind angreifbar“. Es lässt sich in Anlehnung daran vermuten, dass dem Plakatwahlkampf nicht nur eine abstrakte systemstabilisierende Funktion zukommt, sondern dass die „plakative Auseinandersetzung“ der Parteien zugleich einen erheblichen Anteil an der Konstruktion und Interpretation konkreter politischer Realität nimmt. Neben einer werblichen, appellativen Wirkung erfüllt das Wahlplakat somit auch eine politische Integrations- und Identifikationsfunktion. Als signifikantes Symbol für den Wahlkampf, denn „Wahlkampfzeit ist Plakatzeit“ (vgl. Langguth 1995: 12), demonstriert das Wahlplakat politische Präsenz gegenüber Wählern, politischen Gegnern und Mitgliedern und stiftet damit intern wie extern Polarisierungs- und Identifikationspotentiale sowie Mobilisierungsanreize (vgl. Staeck/Karst 1973: 12; Ronneberger 1975: 125; Wasmund 1986: 13; Langguth 1995: 12; Holtz-Bacha/ Lessinger 2006: 82). Kommunikationsstrategisch betrachtet hat das Wahlplakat neben dieser Mobilisierungs- und Identifikationsfunktion im Wahlkampf auch die Wirkung, Themen zu positionieren und zu aktualisieren (vgl. Stremmel 1992: 21). Das Plakat wird insofern zu einem „umweltgestaltenden Element“ (Müller-Brockmann/Müller-Brockmann 2004: 10). In dieser Hinsicht ist höchst plausibel, weitergehende Medienwirkungen durch Plakatkommunikation auf indirekter Ebene zu vermuten: So liegt nahe, dass die Wahlwerbung durch Wahlplakate einen Einfluss auf die Medienagenda nimmt. Denn die Wahlwerbekampagne ist nicht nur zunehmend Gegenstand der öffentlichen Diskussion und damit der Medienberichterstattung (vgl. Radunski 1980: 38; 112; HoltzBacha 1999: 74), es ist außerdem wahrscheinlich, dass die Plakatierung Kriterien der Nachrichtenauswahl bzw. der Nachrichtenbewertung beeinflusst, weil sie den Journalisten Anhaltspunkte dafür liefert, welche Wahlkampfthemen besonders relevant bzw. berichtenswert sind (vgl. Schulz 2008: 291). Entsprechend wertet von Mannstein (2004: 239) das Wahlplakat aus wahlkampfpraktischer Perspektive als ein „geeignetes Vehikel auch für das redaktionelle Agenda-Setting. Es kann hervorragende Dienste leisten, ob flächendeckend affichiert oder nur in einem Exemplar, z.B. als Eventinstrument der Pressearbeit im Wahlkampf.“
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Tatsächlich gibt es mittlerweile zahlreiche erfolgreiche Beispiele für eine dementsprechende mediale Thematisierung: Das ‘Rote-Socken-Plakat’ der CDU aus dem Bundestagswahlkampf 1994 (vgl. von Mannstein 2000: 367; Müller 1999b: 123) ist dafür ebenso Beleg wie das viel diskutierte ‘Lehrer-Plakat’ der FDP mit den Portraits von Sektenguru Bhagwan, Adolf Hitler sowie der Horrorfilmfigur Freddy Krueger aus dem NRW-Landtagswahlkampf 2000, auf das die Grünen im Wahlkampf 2002 mit einem eigenen Plakatentwurf reagierten, auf dem, bei gleich lautendem Text, Rainer Brüderle, Jürgen Möllemann und Guido Westerwelle als Antihelden dargestellt wurden. Obwohl das FDP-Plakat lediglich auf einer Pressekonferenz präsentiert wurde, verfügt es bis heute über einen enorm hohen Bekanntheitsgrad. Für Schicha und Dörner (2008: 10) dokumentieren derartige Beispiele „den hohen Polarisierungsgehalt und das Inszenierungspotential“ der Politischen Werbung.
Abbildung 6:
Rechts: Das ‘Lehrer-Plakat’ der FDP aus dem Landtagswahlkampf in NRW 2000 (FDP Landesverband NRW). Links: Das ‘LehrerPlakat’ der Bündnis 90/Die Grünen aus dem Bundestagswahlkampf 2002 (Bündnis 90/Die Grünen Bundesverband). Vgl. VS PLUS „Wahlplakate“ Abb. 16; kann auf der Homepage des VS Verlags unter folgendem Link im Original eingesehen werden: http://www.vs-verlag.de/Buch/978-3-531-17819-6/Vision-thatmatters.html.
Wahrscheinlich ist zudem, dass dieser Agenda Setting Effect bzw. Agenda Building Effect auch auf die Wähler bzw. die Bevölkerungsagenda einwirkt. Die Rezeption von Wahlplakaten könnte entsprechend, besonders bei gering informierten Bürgern, die subjektive Einschätzung der Wichtigkeit der plakatierten Themen beeinflussen (vgl. Podschuweit 2007: 31; Atkin/Heald 1976: 224-225). Damit ließen sich Wahlplakate aus strategischer bzw. wirkungsorientierter Perspektive als „visuelle Versuche der Themensetzung“ (Müller 1999b: 121) interpretieren. Dass Wahlwerbung grundsätz-
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lich in der Lage ist, Themensetzungseffekte auszulösen, konnten Semetko und Schönbach (1994: 95-106) in einer Studie zur Bundestagswahl 1990 zeigen: Rezipienten von Wahlwerbespots und Anzeigen stuften das Wahlkampfthema Umweltschutz mit höherer Wichtigkeit ein als die Gruppe derjenigen, die die Wahlwerbung nicht gesehen hatten. Zudem machten Semetko und Schönbach (1994: 82) die Beobachtung, dass die Rezeption von Wahlwerbung auch ganz generell zu einem leichten Anstieg des politischen Involvements im Wahlkampf führte; mit zunehmender Rezeptionshäufigkeit wuchs das Interesse der Probanden am Wahlkampf allgemein. Zu einem ähnlichen Schluss, dass nämlich Wahlwerbung die Bedeutungseinschätzung bestimmter politischer Themen beeinflussen kann, kommt Podschuweit (2007) in ihrer Analyse der Wahlwerbemittelwirkung zum Bundestagswahlkampf 2002, in der sie grundsätzlich die Wirkung von Wahlwerbung hinterfragt, wobei Wahlplakate als Teil der Wahlkampfstrategie untersucht werden. Während die eingeschätzte Wichtigkeit der erfolgreich kommunizierten Themen „Umweltschutz“ sowie „Familie/Kinder“ im Verlauf der Kampagnenführung zunahm, wurden Politikfelder wie „Innere Sicherheit“ oder „Wirtschaftslage/Konjunktur“ im Wahlkampfverlauf dethematisiert (vgl. Podschuweit 2007: 107). Folglich scheint „die Agenda der Wähler (...) durch die Agenda der Werbung strukturiert worden zu sein“ (ebenda). Es ist hier zu vermuten, dass dieser Effekt nicht abhängig vom Kommunikationsmedium oder dem Medienmix ist, sondern insbesondere auch durch eine angemessene Plakatkampagne erzielt werden kann. Und auch, wenn fraglich ist, ob die Thematisierung konstant anhält oder eher als kurzfristiger Rezeptionseffekt betrachtet werden muss, lässt sich aus den Befunden dennoch schließen, dass der Plakatwahlkampf eine wichtige Voraussetzung für die Meinungsbildung und für das Niveau des politischen Engagements bzw. Interesses im Wahlkampf darstellt und damit eine wichtige Aktivierungs- bzw. Aktualisierungsfunktion einnimmt. In diesem Sinne könnte das Plakat letztlich doch auf das Wahlverhalten einwirken: „Vergleichbar mit der Reaktivierung von Marken kurz vor der Kaufentscheidung am Point of Sale unterstützt das Plakat die Stimmabgabe noch auf dem Weg ins Wahllokal“ (von Mannstein 2000: 369).
Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund wird dem Wahlplakat als visuelles politisches Medium par excellence (vgl. Rosenfeld/Stephan 1994: 24) gerade in neuerer Zeit auch aus gestalterischer Perspektive wieder eine Art „Renaissance“ prognostiziert (Rambow 2002: 1).
4.2.3
Das Wahlplakat als typisches Medium Visueller Politischer Kommunikation
Für das Forschungsfeld der Visuellen Politischen Kommunikation bietet sich das Wahlplakat als Untersuchungsobjekt nicht nur an, weil der rudimentäre Forschungsstand
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zahlreiche Fragen ungeklärt lässt. Wahlplakate scheinen als Untersuchungsmedium auch deshalb besonders geeignet, weil sie typische „Medien der Visuellen Kommunikation“ sind (Brosius/Holicki/Hartmann 1987: 338) und insofern prototypische Untersuchungs- bzw. Anwendungsobjekte für die dem Forschungsprojekt zugrunde liegenden Fragestellungen darstellen. Zudem lassen sich die beiden Plakatformen – Bild- und Textplakate bzw. visueller und verbaler Rezeptionsmodus – idealtypisch gegenüberstellen und in ihrer Wahrnehmung und Wirkung vergleichen. Da figurative bzw. bildliche Elemente eine zentrale Gestaltungskomponente auf vielen Plakattypen bilden, lässt sich zudem vermuten, dass ein Großteil der Plakate weniger sequentiell gelesen, sondern in der meist flüchtigen Rezeptionssituation eher ganzheitlich gesehen und damit eher im visuellen bzw. bildlichen Verarbeitungsmodus aufgenommen wird. Möglicherweise liegt auch in dieser Tatsache eine Ursache für die mangelnde Forschungslage begründet (vgl. Knieper/Müller 2004: 9). Wahlplakate sind, als typische Paid Media-Kommunikation, auch deshalb von besonderem Interesse, weil ihrer Verbreitung eine strategisch intendierte Kommunikationsabsicht zugrunde liegt, die sich im Wahlplakat ausdrückt und damit analysieren lässt. Denn welche „Strategien die Parteien jeweils für ihre Präsentation gegenüber der Wählerschaft folgen, lässt sich am sichersten an denjenigen Kampagnenmitteln ablesen, die nicht den Selektions- und Bearbeitungsweisen der Medien unterliegen“ (Holtz-Bacha 2002b: 13)
und das sind neben TV-Spots und Anzeigen vor allem Wahlplakate. Zwar lassen Analysen der (bildlichen) Medienberichterstattung über Wahlkämpfe ebenfalls spannende Rückschlüsse auf Kommunikationsstrategien politischer Akteure zu, doch geben sie mehr noch Aufschluss über den Umgang der Medien mit diesen Strategien und damit über die der Berichterstattung zugrunde liegenden journalistischen Aufmerksamkeits- und Bearbeitungsroutinen (Holtz-Bacha 2002b: 13). Da die Kommunikation im Wahlplakat, im Unterschied zur medienvermittelten (Bild-) Berichterstattung, aber direkt vom Absender an die Öffentlichkeit gelangt, ist zu vermuten, dass die Auftraggeber bzw. die Produzenten der Wahlplakate diejenigen Kommunikationsstrategien einsetzen, die sich ihrer Erfahrung nach als Strategien Politischer Kommunikation bewährt haben. Eine Untersuchung gegenwärtig eingesetzter Wahlplakate lässt sich damit auch als Untersuchung gegenwärtiger Kommunikationsstrategien politischer Akteure lesen und gibt damit Auskunft über die Politische Kommunikation insgesamt. Der Fokus des Forschungsprojekts liegt auch aus diesem Grund auf der Wahrnehmung, Bewertung und Wirkung von visuellen bzw. typographischen Wahlplakaten. Während die durchgeführten Studien einerseits einen Anteil leisten, die Forschungslücke zur Medienwirkung des Wahlplakats zu schließen, lässt sich am Beispiel des Wahlplakats prototypisch das übergeordnete Thema der Visuellen Kommunikation bzw. Visualisierung von Politik thematisieren.
5 Methodik der Studie zur Analyse der Funktionsund Wirkungslogik am Beispiel des Wahlplakats
Da es bislang an systematischen Untersuchungen fehlt, die die Wirkungslogik Visueller Kommunikation mit wissenschaftlichen Methoden erforschen und auf den spezifischen Kontext politischer Bedeutungsvermittlung transferieren (vgl. Sarcinelli 2005: 100; Müller 2003), erschien es notwendig, das Potential Visueller Kommunikation im politischen Kontext differenzierter zu beleuchten; insbesondere auch hinsichtlich der Frage, inwieweit die ‘Überlegenheitseffekte’ Visueller Kommunikation im Bereich der Politikvermittlung wirken und wie diese kommunikations- oder politikwissenschaftlich analysiert und interpretiert werden können. Ziel war, die existierende Forschungslücke mit Erkenntnissen zur Funktions-, Rezeptions- und Wirkungslogik Visueller Politischer Kommunikation zu reduzieren. Empirisch realisiert wird dies mit zwei experimentellen Testreihen (Testreihe 1 (T1) zur Landtagswahl in Hessen und Niedersachsen im Januar 2008 mit mehrheitlich studentischen Probanden; Testreihe 2 (T2) zur Landtagswahl in Bayern 2008 mit Probanden aus einer quotierten Stichprobe). Ganz grundsätzlich wurde untersucht, welche Zusammenhänge zwischen visueller politischer Informationsvermittlung und der Wahrnehmung, Verarbeitung, Wirkung und Bewertung dieser Informationen durch die Rezipienten bestehen (speziell auch im Unterschied zu textlichsprachlicher Kommunikation). Zudem wurde hinterfragt, welche stimulusspezifischen oder individuellen Merkmale den Kommunikations- und Rezeptionsprozess bzw. dessen Wirkungen beeinflussen. In dem Wissen, dass Visuelle Kommunikation einer eigenen Logik folgt, die es auch methodisch umfassend zu berücksichtigen gilt (Messaris 2003: 553), ging der Analyse die Erarbeitung einer ganzheitlichen, interdisziplinären Perspektive auf diese spezifische Logik Visueller Kommunikation voraus (vgl. Kap. 2). Erst diese ermöglichte, die Wahrnehmungs-, Rezeptions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation für den Forschungsprozess zu operationalisieren und in ihren Wirkungsdimensionen zu betrachten. Die spezifische Logik Visueller Kommunikation fordert aber auch ein „spezifisch visuell-wissenschaftliches Vorgehen“ bei ihrer Analyse (Knieper/Müller 2001: 13). Möglicherweise lassen sich die mit dieser Erkenntnis einhergehenden Ansprüche an die Methodenauswahl und Forschungsdurchführung auch als eine Ursache der dargestellten unbefriedigenden Forschungslage lesen. So stellte sich die Analyse der Wahrnehmung, Verarbeitung und Wirkung Visueller Kommunikation als komplexes Unterfangen dar, auch deshalb, da die
S. Geise, Vision that matters, DOI 10.1007/978-3-531-92736-7_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Überblick über den Untersuchungsaufbau und die Erhebungsmethoden in Testreihe I und II
unmittelbaren Wahrnehmungs- bzw. Rezeptionsprozesse Visueller Kommunikation mithilfe apparativer Verfahren zu dokumentieren und zu analysiert waren. Für eine komplexere Wahrnehmungs- und Wirkungsanalyse empfiehlt sich zudem die systematische und vielschichtige Kombination von Wahrnehmungs- bzw. Rezeptionsdaten mit Befragungsdaten. Für den operationalen Forschungsprozess erforderte dies den Einsatz innovativer Verfahren in einer komplexen Versuchsanordnung. 5.1 Überblick über den Untersuchungsaufbau und die Erhebungsmethoden in Testreihe I und II Für das Forschungsprojekt wurde eine mehrdimensionale Methodenkombination gewählt, die es ermöglichte, den Prozess der Funktion und Wirkung Visueller Politischer Kommunikation auf verschiedenen Ebenen zu erfassen. Konkret stellt das Untersuchungsdesign eine innovative Kombination einer quantitativen Rezeptionsanalyse (Eyetracking-Messung) mit einer affektiven nonverbalen Bewertungsmessung (RTR-Messung) und einer schriftlichen Vorher-Nachher-Befragung (Befragungsdaten) dar2, die in zwei Testreihen realisiert wurde (T1, T2). Während die Erhebung in Testreihe (T1) einstufig konzipiert war, wurde das skizzierte Design für Testreihe 2 (T2) erweitert und auf einen 4-wöchigen Erhebungszeitraum ausgedehnt (4 Wellen), um längerfristige Effekte ebenfalls erfassen zu können. Beide Studien wurden vor den jeweiligen Wahlen in Hessen und Niedersachsen bzw. in Bayern durchgeführt, um mögliche Störeffekte einer nachträglichen Bewertung von Strategien, Kandidaten oder Themen im Zusammenhang mit Analysen des Wahlergebnisses zu vermeiden. Der Versuchsaufbau im Überblick: Nach einer schriftlichen Vorher-Befragung sowie einer entsprechenden Einführung und individuellen Kalibrierung des Eyetrackers wurden den Probanden am Monitor 20 Wahlplakate für jeweils 0,5 Sekunden randomisiert präsentiert; dabei wurde der individuelle Blickverlauf berührungslos aufgezeichnet. Nach jedem einzelnen Plakat erfolgte eine subjektive Bewertung des spontanen Ersteindrucks via RTR-Dial. Anschließend wurden die Plakate erneut dargeboten; wieder erfolgte eine Blickaufzeichnung. Zum Abschluss wurde eine Nachher-Befragung durchgeführt (vgl. Abb. 7). Eyetracking als apparative, rezeptionsprozessbegleitende Methode der Blickaufzeichnung (vgl. Geise/Schumacher 2011; Hammoud 2008; Duchowski 2007; 2003; Richter 2008; Block 2001; Rötting 1999a; 1999b; 2001) wurde eingesetzt, um die unmittelbaren visuellen Wahrnehmungsstrukturen der Rezipienten zu erfassen (vgl. VS PLUS „Methodik & Empirie“ Abb. 1; kann auf der Homepage des VS Verlags unter folgendem Link im Original eingesehen werden: http://www.vs2
Da hier auf eine weiterführende Beschreibung und Diskussion der eingesetzten Methoden verzichtet werden muss, sei auf die entsprechende, hier referierte Literatur verwiesen.
Überblick über den Untersuchungsaufbau und die Erhebungsmethoden in Testreihe I und II
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verlag.de/Buch/978-3-531-17819-6/Vision-that-matters.html). Diese lassen auch Rückschlüsse auf die mentalen Verarbeitungsprozesse zu, die mit der visuellen Wahrnehmung verbunden sind (Just/Carpenter 1980; Carpenter 1988; 1991; Carpenter/Robson 1999; Schroiff 1986; 1987; Mikasch/Haak 1986; Fang/Lüer/ Lass/Ulrich 1987). Die computergestützte, apparative Erhebungsmethode des Real Time Response Measurements wurde genutzt, um den spontanen Ersteindruck der Rezipienten im Wahrnehmungsprozess begleitend bzw. möglichst unmittelbar erfassen zu können, das RTR-System kann hier als ein „quasi-online Indikator“ interpretiert werden (Richter 2008: 17; vgl. Maurer/Reinemann/Maier/Maier 2007: 23; Reinemann/Maier/Faas/Maurer 2005: 56; Maurer/Reinemann 2003: 57; Millard 1992: 12; Hollonquist/Suchman 1979: 308). Theoretischer Hintergrund ist hierbei, dass dem spontanen, affektiven Ersteindruck eines Stimulus im Sinne einer pre-attentiven Prädisposition einer zentrale Bedeutung für den weiteren Wahrnehmung- und Verarbeitungsprozess zukommt; daher wurde die spontane Bewertungen als ein „Level of Liking“ unmittelbar mit RTR erfasst (vgl. Thorson/Reeves 1985: 550; Hughes 1992: 65-66; Biocca/Prabu/West 1994: 27). Jeweils vor und jeweils nach der experimentellen Treatmentexposition bzw. RTR- und Eyetracking-Messung wurde eine schriftliche bzw. computergestützte standardisierte Befragung eingesetzt (vgl. Schnell/Hill/Esser 1999: 299; 2008; Kaya 2007: 50; Maynitz/Holm/Hübner 1978; Albers/Klapper/Konradt/Walter/Wolf 2007; Brosius/Koschel/Haas 2008), um die experimentell bzw. apparativ erhobenen Variablen (z.B. Blickverläufe oder spontan-affektive Bewertungen des ersten Eindrucks) mit den eher kognitiv reflektierten Befragungsdaten zu ergänzen bzw. zu vergleichen und so Rückschlüsse auf gegebene Wirkungen ziehen zu können. Während in der ersten Experimentalreihe eine klassische schriftliche (VorherNachher-) Befragung der Probanden „mit Papier und Bleistift“ integriert wurde (PAPI-Befragung; vgl. Häder 2010; Kaya 2007), kam im Rahmen der zweiten Testreihe eine mehrstufige computergestützte Online-Befragung zum Einsatz (Panel-Design bzw. Online-Panel; vgl. Brosius/Koschel/Haas 2008; Schnell/Hill/Esser 2008; Theobald/Dreyer/Starsetzki 2003 Blank/Lee/ Fielding 2008; Möhring/Schlütz 2003; Hauptmanns/Lander 2003; Bosnjak 2003; Reigber/Frost 2003; Theobald 2003; Häder 2010; Kaya 2007) die mit der Befragungssoftware Unipark HTML- bzw. Flash-basiert realisiert wurde. Im Rahmen der Vorher- und Nachher-Befragung wurden einerseits allgemeine individuelle Prädisposition der Rezipienten (Alter, Bildung, Geschlecht usw.), politische Prädispositionen (politisches Interesse, Art und Stärke der Parteiidentifikation, Parteienbewertungen usw.), Dimensionen politischer Partizipation (Wahlverhalten, Wahlabsicht usw.), Mediennutzungsverhalten (Art, Intensität, Informationsverhalten usw.) und Items zur allgemeinen Haltung zu Wahlkampfkommunikation (insb. zu Wahlwerbung und Wahlplakaten) abgefragt. Andererseits wurden hier auch
190
Die Integration von Befragung, Eyetracking und RTR im experimentellen Setting
gezielte Programmfragen zur aktiven und passiven Erinnerungsleistung der Probanden (vgl. Kap. 6.5), zur Akzeptanz bzw. Evaluation der in der Experimentalphase präsentierten Plakatmotive (vgl. Kap. 6.4), zur Bewertung der Wichtigkeit aktueller politischer Themen (vgl. Kap. 6.6) sowie zu allgemeinen und themenspezifischen Kanidatenkompetenzen politischer Akteure (vgl. Kap. 6.7) gestellt.
Abbildung 7:
Überblick über die eingesetzte Methodenkombination in T1.
5.2 Die Integration von Befragung, Eyetracking und RTR im experimentellen Setting Die Erhebungsmethoden schriftliche bzw. computerbasierte Befragung, Eyetracking und RTR wurden für die beiden Testreihen in einem multimodalen, experimentellen Setting zusammengeführt. Dabei wurden die Erhebungsmethoden um eine systematische, kontrollierte Stimulusexposition erweitert. Die Anlage als LaborExperiment ermöglichte, die gewählten Stimuli für eine methodisch intendierte Expositionszeit randomisiert unter sonst identischen Bedingungen zu präsentieren und mögliche Störquellen auszuschalten. Durch bewusste Manipulation der Stimulusexposition wurden experimentelle Gruppen erzeugt, die Stufen der unabhängigen Variablen wurden durch unterschiedliche Treatments hergestellt (vgl. Bortz/Döring 2006: 54). Im vorliegenden experimentellen Setting wurde ein Ex-ante-Design gewählt; die Gruppenbildung erfolgte vor der Exposition mit den Treatments (vgl. Häder 2006: 340). Im Gegensatz zu den klassischen Experimentalansätzen (vgl.
Die Integration von Befragung, Eyetracking und RTR im experimentellen Setting
191
Zimmermann 1972: 91; Bortz/Döhring 2006: 58) wurde hierbei keine abgrenzende Gegenüberstellung von Experimental- und Kontrollgruppe modelliert, sondern es wurden in T1 vier bzw. in T2 zwei experimentelle Vergleichsgruppen gebildet, die jeweils mit ‘gegenüberliegenden’ Stimuli (Typoplakate vs. Bildplakate) konfrontiert wurden. Methodisch wird dieser Typus des experimentellen Settings als treatment design bezeichnet (vgl. Zimmermann 1972: 129). Da jede Gruppe hierbei einem experimentellen Treatment ausgesetzt wird, können die Gruppen gleichermaßen als Experimentalgruppe und als Kontrollgruppe für die jeweils gegenüberliegenden Stimulusexpositionen angesehen werden; die Gruppen kontrollieren sich sozusagen wechselseitig (vgl. Zimmermann 1972: 130). Der Vorteil dieser methodischen Konstellation kann vor allem darin gesehen werden, dass sich Variationen der unabhängigen Variablen in ihrer Wirkung vergleichen lassen; im vorliegenden Setting wurde entsprechend die Wirkung von Bildplakaten mit der Wirkung inhaltlich kongruenter Typoplakate verglichen. Im Rahmen der Durchführung von T1 wurden die Probanden zufällig einer von vier Vergleichsgruppen zugeordnet; dabei erfolgte eine Randomisierung durch Zufallsgruppenbildung (vgl. Richter 2008: 31). Während in Gruppe 1 (G1) ausschließlich Bildplakate präsentiert werden, sahen die Probanden aus Gruppe 2 (G2) ausschließlich Typoplakate. G1 und G2 können damit als modushomogene Gruppen identifiziert werden; hier wurde das Stimulusmaterial ausschließlich entweder im visuellen oder im typographischen Modus präsentiert. In Gruppe 3 (G3) und Gruppe 4 (G4) wurden sowohl Text- als auch Bildplakate präsentiert, allerdings jeweils in differenter Stimulusform, d.h. dem präsentierten Bildplakat zu Thema A in G3 stand in G 4 ein Typoplakat mit identischer Aussage zu Thema A gegenüber; dafür wurde in G4 Thema B als Bildplakat getestet, was wiederum in G3 als Typovariante dargeboten wurde. Gruppe Gruppe 1 Gruppe 2 Gruppe 3
Typus modushomogen modushomogen modusheterogen
Gruppe 4
modusheterogen
Tabelle 2:
Stimulusmaterial 20 Bildplakate 20 Textplakate 10 Bildplakate und 10 Textplakate (Bildplakate der Themengruppe A sowie Typoplakate der Themengruppe B) 10 Bildplakate und 10 Textplakate (Bildplakate der Themengruppe B sowie Typoplakate der Themengruppe A)
Eingesetzte Treatmentvariationen für Gruppe 1, 2, 3 und 4 in Testreihe I im Überblick.
192
Die Integration von Befragung, Eyetracking und RTR im experimentellen Setting
Diese Aufteilung wurde gewählt, um Themeneffekte auszuschließen und die jeweiligen Botschaften in ihrer Wirkung auf Basis der ‘Bild-vs.-Text-Variante’ direkt vergleichen zu können. G3 und G4 sind demnach modusheterogene Gruppen. Tabelle 2 zeigt die Gruppeneinteilung fü T1 im Überblick. Den vier Gruppen in T1 wurden jeweils unterschiedliche Stimulusreihen präsentiert, was einem Zufallsgruppen-Versuchsplan (between-subject design) entspricht. Hierbei wird die Variation der unabhängigen Variablen zwischen Gruppen von Probanden vorgenommen (interindividuelle Variation), wobei die Zuordnung der Probanden zu den Versuchsbedingungen zufällig erfolgt (vgl. Richter 2008: 31). Abweichend von Testreihe I wurden in T2 nicht vier, sondern zwei Experimentalgruppen gebildet, in denen jeweils sowohl Typo- als auch Bildplakate präsentiert wurden3. In G1 und G2 der T2 wurden demnach gleichzeitig Text- und Bildplakate präsentiert, und zwar in jeweils differenter Stimulusform, d.h. einem präsentierten Bildplakat zu Thema A in G1 stand in G2 ein Typoplakat mit identischer Aussage zu Thema A gegenüber; dafür wurde in G2 Thema B als Bildplakat getestet, was wiederum in G1 als Typovariante dargeboten wurde. Auf Basis der Erfahrungen aus T1 wurde diese Aufteilung als bewährt beibehalten, um Themeneffekte auszuschließen und die jeweiligen Botschaften in ihrer Wirkung auf Basis der ‘Bild-vs.-Text-Variante’ vergleichen zu können. Beide Gruppen in T2 sind damit modusheterogen. Eine weitere Differenzierung der Experimentalgruppen G1 und G2 in T2 wurde auf Basis der Stimulus-Charakteristika Kontaktqualität und Kontaktintensität vorgenommen. Hierzu wurde eine Differenzierung auf Basis der Themenstruktur der Stimuluskombinationen gewählt. Konkret sahen die Probanden aus der themenhomogenen G1 ab Welle 2 (W2) ausschließlich Plakatmotive einer fiktiven SPD-Plakatkampagne zum Thema Familienpolitik. Die Probanden aus G2 wurden nicht ausschließlich mit diesem Thema konfrontiert, sondern erfuhren eine themenheterogene Exposition, in der neben einer Anzahl von Plakaten der hoch integriert gestalteten, fiktiven SPDKampagne zum Thema Familienpolitik andere Wahlplakate unterschiedlichen Inhalts, unterschiedlicher Gestaltung und unterschiedlicher Kommunikatoren enthalten waren. Dies ging mit der allgemeinen Wirkungsvermutung einher, dass ein hohes Maß an Integration bzw. Konsonanz der Kommunikation den Wirkungsprozess moderiert (vgl. Bonfadelli 2004a: 81). Ohne spezifische Forschungsthesen vorwegzunehmen, ließ sich durch diese Treatmentvariation vermuten, dass G1 stärkere Wirkungseffekte aufweisen sollte als G2. Gleichzeitig war eine spannende Frage, inwieweit auch eine schwächere Kontaktqualität Wirkungen evozieren konnte.
3
Da die Ergebnisse der beiden stimulushomogenen Gruppen G1 und G2 in T1 keinen zusätzlichen, über die Erkenntnisse der stimulusheterogenen Gruppen G3 und G4 hinausgehenden Erklärungsgehalt aufwiesen und zudem das isolierte Auftreten von Kommunikationsbotschaften in nur einem Modus einer Rezeption unter realen Umständen auch weniger entspricht, wurde in T2 auf die Bildung von modushomogenen Experimentalgruppen verzichtet.
Die Integration von Befragung, Eyetracking und RTR im experimentellen Setting
193
Statt einer einstufigen Erhebung war es in T2 mit vier Erhebungswellen zudem möglich, auch zwischen den Testreihen Variationen einzuführen, womit sich unterschiedliche Treatmenteffekte auch innerhalb einer Gruppe feststellen und vergleichen ließen. Gewählt wurde für die Differenzierung innerhalb einer Gruppe zwischen den einzelnen Wellen eine graduellere Form der Variation, nämlich eine Abstufung der Kontaktquantität in einen geringen, moderaten und einen intensiven Kontakt. Konkret wurde hierfür die jeweilige Anzahl an präsentierten Plakatmotiven der fiktiven Testkampagne variiert, sodass auch auf Basis dieser Unterscheidung ein Vergleich möglich war. Tabelle 3 zeigt die hier beschriebenen Treatmentvariationen für beide Gruppen in T2 im Überblick (vgl. Tab. 3). Gruppe
Welle
Kontaktqualität des Stimulus
W2
G1
W3
Moderat Themenhomogen
Intensiv
W4
Moderat
W2
Schwach
G2 W3
W4 Tabelle 3:
Kontaktquantität des Stimulus
Themenheterogen
Moderat
Kein Kontakt
Stimulusmaterial
7 Bildplakate der integrierten ‘SPD-Kampagne Familienpolitik’ 10 Bildplakate und 10 Textplakate der integrierten ‘SPD-Kampagne Familienpolitik’ 7 Bildplakate der integrierten ‘SPD-Kampagne Familienpolitik’ 3 Bildplakate der integrierten ‘SPD-Kampagne Familienpolitik’; 2 Bildplakate und 2 Textplakate anderer Themen und Parteien 5 Bildplakate und 5 Textplakate der integrierten ‘SPD-Kampagne Familienpolitik’; 5 Bildplakate und 5 Textplakate anderer Themen und Parteien 5 Bild- und 2 Textplakate anderer Themen und Parteien
Eingesetzte Treatmentvariationen für Gruppe 1 und 2 in Testreihe II im Überblick.
194
Die Integration von Befragung, Eyetracking und RTR im experimentellen Setting
In den beiden Testgruppen in T2 wurden, analog zum experimentellen Setting der T1, in den jeweiligen Erhebungswellen jeweils unterschiedliche Stimulusreihen präsentiert. Es wurde demnach eine Variation der unabhängigen Variablen zwischen Gruppen von Probanden vorgenommen (interindividuelle Variation), was einem between-subjects design entspricht. Im Ergebnis ermöglichte das gewählte experimentelle Setting, absolute oder graduelle Variationen der unabhängigen Variablen in ihrer Wirkung zu vergleichen, was für die vorliegenden Fragestellungen wichtig erschien. Ein Nachteil des gewählten treatment designs liegt, neben der hohen Komplexität des Settings, in dem erhöhten Kontrollaufwand der intendierten und nichtintendierten Einflüsse. Dem wurde im Rahmen der Studie durch folgende methodische ‘Absicherungen’ entsprochen: Zunächst wurde vor jeder Treatmentexposition eine umfassende und sorgfältige Nullmessung durchgeführt. In T2 liegen für jede Gruppe liegen insgesamt vier Vorher-Messungen, vier Treatmentexpositionen und vier Nachher-Messungen vor, die sich untereinander und miteinander vergleichen und kontrollieren lassen. Innerhalb jeder Gruppe konnten damit Replikationen der Messungen bzw. der Treatmentexposition vorgenommen werden, was einer zusätzlichen Kontrolle der Treatmenteffekte entspricht. Im Rahmen der Durchführung der T2 wurden die Probanden, abweichend von der Gruppenzuteilung in T1, nicht zufällig einer der beiden Vergleichsgruppen zugeordnet, sondern es erfolgte eine Parallelisierung der beiden Vergleichsgruppen durch Matching individueller Merkmale (matched groups; vgl. Zimmermann 1972: 73) nach dem Quotierungsverfahren. Wie bei der Zusammenstellung der gesamten Stichprobe (vgl. Kap. 5.5) basierte das Matching auf den Faktoren Alter, Geschlecht, Bildung, Parteiidentifikation sowie politischem Interesse. Für die Durchführung von T2 wurde das Matchingverfahren im ersten Schritt der Randomisierung vorgezogen, um eine stärkere Kontrollierbarkeit möglicher unabhängiger Variablen bzw. Einflussgrößen (z.B. Alter, Bildung, Parteiidentifikation) auf die Wirkung der Stimulusexposition zu gewährleisten; diese sollten folglich in den beiden Vergleichsgruppen eine möglichst homogene Verteilung aufweisen. Die beiden experimentellen Anordnungen lassen sich wie folgt darstellen: Testreihe I (einstufig) Gruppe 1 Gruppe 2 Gruppe 3 Gruppe 4
M1.2 M2.2 M3.2 M4.2
Testreihe II (exemplarisch Welle 1 von 4 Wellen) Gruppe 1 P: M1.1 TA Gruppe 2 P: M2.1 TB
M1.2 M2.2
R: R: R: R:
M1.1 M2.1 M3.1 M4.1
TA TB TC TD
Ablauf der Erhebungen in Testreihe I und II
195
Abgesehen von der divergenten Stimulusexposition passierten die Probanden der jeweiligen Vergleichsgruppen einen identischen Untersuchungsablauf. Dabei wurden sämtliche Rahmenbedingungen (Begrüßung der Teilnehmer, Ort bzw. Ausstattung während der Durchführung, Ablauf, Dauer, Instruktion, usw.) weitestgehend konstant gehalten. 5.3 Ablauf der Erhebungen in Testreihe I und II Zunächst zum Versuchsablauf in Testreihe I: Nach einer schriftlichen Ersterhebung mit einem Papierfragebogen (Vorher-Befragung) wurden die Probanden nacheinander ins ComLab vor den Eyetracking-Monitor gebeten. Hier wurde den Probanden zunächst ein kurzer Überblick über den bevorstehenden Untersuchungsablauf gegeben. Dann konnten sich die Probanden mit der Funktionsweise des RTR-Dials vertraut machen. Um die Handhabung des RTR-Dials leichter nachvollziehen zu können, wurde den Teilnehmern hierzu eine schematische Darstellung des RTRDials und seiner ‘Codierung’ vorgelegt. Nachdem die Teilnehmer sich auf diese Weise mit der Funktionsweise und der Bedienung des RTR-Dials entsprechend der Versuchsanweisung vertraut gemacht hatten, wurde die individuelle Kalibrierung des Eyetrackers durchgeführt. Es folgte ein Black Screen auf dem der bereits beschriebene Versuchsablauf erneut zu lesen war. Nachdem die Versuchsanweisung auf dem Monitor von den Versuchspersonen gelesen und mit Mausklick als bestätigt ausgewiesen war, wurden den Probanden 20 Plakatmotive aus dem Wahlkampf in Hessen und in Niedersachsen präsentiert. Zunächst sahen die Teilnehmer die Plakate in der Flash-Phase; hier wurden die Motive für einen peripheren Erstkontakt nur 0,5 sec lang dargeboten. Jeweils nach diesem kurzen Erstkontakt bewerteten die Probanden mithilfe des RTR-Dials den Ersteindruck des gerade gesehenen Plakats affektiv und nonverbal durch spontane Einstellung des Drehreglers; die hinterlegte Skala numerische von 1 bis 10 war den Probanden weder bekannt noch ersichtlich. Hierzu wurde die oben beschriebene Versuchsanweisung noch einmal kurz wiederholt. Der RTR-Wert wurde vom Experimentalleiter gemessen, wenn der Probanden ein Zeichen gegeben hatte, die Einstellung des Drehreglers bzw. seine Bewertung vorgenommen zu haben. Nach digitaler Abfrage des jeweiligen Messwertes wurde der Proband gebeten, den Drehregler für die neue Plakatpräsentation wieder auf die Mittelposition zu bewegen, um sicherzustellen, bei jeder Einzelbewertung vom gleichen Ausgangspunkt zu starten. Nach der Darbietung der 20 Plakatmotive folgte eine kurze Entspannungsphase. Während der erneuten Kalibrierung des Eyetrackers wurde den Teilnehmern der weitere Ablauf erläutert. Nach erfolgreicher Kalibrierung wurde auf dem Bildschirm eine zweite erklärende Versuchsanweisung aufgerufen. Dann wurden die bereits in der Flash-Phase peripher betrachteten Plakate den Teilnehmern erneut randomisiert
196
Ablauf der Erhebungen in Testreihe I und II
präsentiert, in der Long-Phase mit einer Betrachtungszeit von 5,0 sec. Nach Beendigung der zweiten Präsentationsphase wurden die Probanden gebeten, an der ‘Fragebogenstation’ einen Papier-Fragebogen schriftlich auszufüllen (Nachher-Befragung). Hierbei wurden, neben der Wiederholung der Fragen zur subjektiven Wichtigkeit aktueller politischer Themen, individuelle Merkmale der Probanden erfasst (z.B. politisches Interesse, Parteiidentifikation, Alter, Bildungsgrad). Daneben wurden Fragen zur aktiven und passiven Erinnerungsleistung der präsentierten Plakatmotive bzw. Wahlkampfthemen (Recall und Recognition) gestellt. Der Versuchsablauf in Testreihe II basiert hinsichtlich des methodischen Settings auf der einstufigen Erhebung der Testreihe I. Allerdings wurden aufgrund der Komplexität des Forschungsbereiches einige Modifikationen zur Testreihe I realisiert, um die Befunde einer differenzierteren Betrachtung auszusetzen. Neben dem wichtigen Unterschied der divergenten Teilnehmerrekrutierung durch Quotenverfahren, wurde das Forschungsdesign für Testreihe II als vierstufiges Experiment mit vier Erhebungswellen angelegt. Die Probanden erfuhren zu vier Zeitpunkten eine Exposition mit Stimuli, zu denen sie in vier Erhebungswellen nachträglich befragt wurden. Die Erweiterung war notwendig, um neben den kurzfristigen Wirkungseffekten der Wahrnehmung und Rezeption Visueller Kommunikation auch längerfristigere Wirkungen (Agenda-Setting, Priming) analysierbar zu machen. Mit der zeitverzögerten Nachher-Befragung sollte als Erweiterung zur ersten Studie getestet werden, ob die visuellen Stimuli tatsächlich, wie die theoretischen Überlegungen nahelegen, eine im Unterschied zu verbalen Informationen höhere langfristige Erinnerungswirkung haben und ob von ihnen darüber hinaus indirekte kognitive Wirkungen ausgehen. Zusammenfassend wurde Testreihe II als Folgeuntersuchung konzipiert, die in ihrer Komplexität sowie in einigen wichtigen Details höhere wissenschaftliche Standards anlegt, damit aber auch in höherem Maße dazu dienen kann, Antworten in einem sehr komplexen Forschungsfeld zu geben. Tabelle 4 gibt einen Überblick über die modifizierte Versuchsanordnung sowie die hierbei eingesetzten Methoden (vgl. Tab. 4). Die modifizierte Versuchsanordnung für T2 im Überblick: Für die gesamte Testdurchführung wurden vier Erhebungswellen angesetzt; zwei Termine, Welle 1 (W1) und Welle 3 (W3), waren als Präsenztermine konzipiert. Hier wurden die Erhebungen, Vorher-Befragung, Eyetracking, RTR-Messung sowie NachherBefragung, im ComLab der Universität Hohenheim durchgeführt. Durchführung und Versuchsanordnung der W1 und W3 entsprechen weitgehend der oben dargestellten T1.
197
Ablauf der Erhebungen in Testreihe I und II
Welle
Überblick Versuchsanordnung
Welle 1 Präsenz
Welle 2 Online
Welle 3 Präsenz
Welle 4 Online
Tabelle 4:
Methodenkombination Vorher-Befragung (computergestützt) Stimulusexposition 1 Eyetracking mit integrierter RTRMessung Nachher-Befragung (computergestützt) Vorher-Befragung (computergestützt) Stimulusexposition 2 Nachher-Befragung (computergestützt) Vorher-Befragung (computergestützt) Stimulusexposition 3 Eyetracking mit integrierter RTRMessung Nachher-Befragung (computergestützt) Vorher-Befragung (computergestützt) Stimulusexposition 4 Nachher-Befragung (computergestützt)
Überblick über Aufbau und Methodenkombination in Testreihe II.
Nach Begrüßung und Einführung in den geplanten Erhebungsablauf wurden die Probanden zur Fragebogenstation gebracht, wo die schriftliche, computergestützte Ersterhebung der subjektiven Wichtigkeit aktueller politischer Themen sowie zentraler Moderatorvariablen (z.B. politisches Interesse, Bewertung von Parteien, Bewertung von Kandidaten, Bildung, Parteiidentifikation) durchgeführt wurde. Hierzu
198
Ablauf der Erhebungen in Testreihe I und II
erhielten die Teilnehmer zunächst eine Erklärung und Einführung in das Fragebogenprogramm Unipark, für die ihnen ein Betreuer zur Seite stand, an den sich die Teilnehmer auch während des Ausfüllens wenden konnten. Bei Beendigung der Vorher-Befragung wurden die Probanden nacheinander ins ComLab vor den Eyetracking-Monitor gebeten. Während der individuellen Kalibrierung des Eyetrackers erhielten die Probanden einen Überblick über den bevorstehenden Ablauf und konnten sich mit den RTR-Dials vertraut machen. Analog zu Testreihe I wurden den Probanden dann 20 politische Plakatmotive präsentiert, die ihnen nicht bekannt waren. Zunächst sahen die Teilnehmer die Plakate 0,5 sec lang (Flash-Phase). Jeweils nach diesem peripheren Kontakt bewerteten die Probanden mithilfe des RTR-Dials den Ersteindruck des gerade gesehenen Plakats affektiv und nonverbal durch spontane Einstellung des Drehreglers; die Versuchsansweisung entsprach hierbei der in Testreihe I. Nach der Präsentation der Plakatmotive folgte eine kurze Erholungsphase. Dann wurden die Plakate den Teilnehmern mit einer Betrachtungszeit von 3,5 sec4 erneut randomisiert dargeboten (Long-Phase). Nach Beendigung der Präsentation kehrten die Probanden zur Fragebogenstation zurück, wo sie einen Nachher-Fragebogen ausfüllten (Nachher-Befragung W1 und W3). Neben der Wiederholung der Frage zur subjektiven Wichtigkeit aktueller politischer Themen wurden hier individuelle Merkmale der Probanden (politisches Interesse, Parteiidentifikation, Alter, Bildungsgrad) sowie zentrale Variablen für die Wirkungshypothesen erfasst. Auch Fragen zur aktiven und passiven Erinnerungsleistung der präsentierten Plakatmotive bzw. Wahlkampfthemen (Recall und Recognition) waren zu beantworten. Different zur Vorstudie erfolgte eine Woche nach W1, sowie eine Woche nach W3, eine schriftliche Nacherhebung, bei der die Programmfragen aus der NachherBefragung erneut getestet wurden (Nachher-Befragung in W2 bzw. in W4). Die beiden Erhebungen in Welle 2 (W2) und Welle 4 (W4) fanden nicht vor Ort, sondern als Online-Erhebung statt. Hierzu erhielten die Probanden eine Einladung per E-Mail, in der sie durch Anklicken eines personalisierten Links zum Onlinefragebogen und den entsprechenden Untersuchungsanweisungen gelangten. Die OnlineErhebung in W2 und W4 war auch deshalb problemlos möglich, da die Teilnehmer bereits bei ihrem ersten Präsenztermin in W1 mit der verwendeten Fragebogensoftware Unipark, den technischen Anforderungen sowie dem Erhebungsprozess der Befragung vertraut gemacht wurden; für W1 stand hierzu ein Betreuungsteam 4
Die zu T1 differente Betrachtungszeit von 3,5 sec wurde gewählt, weil a) die Betrachtungszeit stärker an reale Rezeptionsbedingungen angepasst werden sollte und b) die Blickverlaufsanalysen der T1 die Vermutung nahelegten, dass der Rezeptionsverlauf nach 5 sec im Vergleich zu einer Rezeptionszeit von 3,5 sec keine zusätzlichen Erkenntnisse über die Struktur der Blickverläufe lieferte. Interessanterweise deutete sich bei längerer Betrachtungszeit vielmehr eine Wiederholung der vorherigen Blickverlaufsbewegungen an; diese Beobachtung sowie ihre Konsequenzen für weitere Medienwirkungen wären interessante Ausgangspunkte für weitere Forschungen.
Ablauf der Erhebungen in Testreihe I und II
199
zur Verfügung, dass bei Unerfahrenheit im PC-Umgang, Unsicherheiten oder Fragen jederzeit ansprechbar war. Auch während der Online-Erhebung hatten die Teilnehmer die Möglichkeit, das Betreuungsteam zu kontaktieren. Zusätzlich wurde die Möglichkeit angeboten, den Fragebogen nicht zu Hause, sondern an der Universität auszufüllen. Dadurch konnte ein sicherer Umgang der Probanden mit der Fragebogensoftware gewährleistet werden. Neben der Messung der Stärke der passiven und aktiven Erinnerungsleistung im Zeitverlauf war es Ziel dieses Untersuchungsschrittes zu erfassen, inwieweit den Rezipienten mit den (visuellen vs. verbalen) Stimuli Interpretations- oder Bewertungsmuster geliefert werden, die sie in ihre mentalen Ressourcen aufnehmen und anwenden konnten. Hierbei ist, basierend auf den theoretischen Erkenntnissen, einerseits wahrscheinlich, dass visuell vermittelte Informationen bei Recall aufgrund der doppelten Codierung schneller reaktiviert werden. Andererseits ist zu erwarten, dass visuell kommunizierte Inhalte die Beurteilung von Sachverhalten auch stärker als textlich vermittelte Informationen strukturieren (Priming) und insofern die Wahrnehmung, Verankerung und Verarbeitung politischer Informationen beim Wähler erleichtern bzw. prägen können. Aus diesem Grund wurde sowohl in die Präsenz- als auch in die Online-Befragung eine Stimulusexposition eingebaut, mit der ein spezielles Thema, der Themenbereich Familienpolitik, prominent repräsentiert und dadurch besonders betont wurde. In der Mitte der Online-Befragung wurde dazu eine Flash-Animation mit sieben selbst erstellten Themenplakaten dargeboten; die Animation war hierbei so programmiert, dass jedes Motiv für eine Darbietungszeit von 3,5 sec aufgerufen wurde, was der Darstellung in der Long-Phase im Labor entsprach. Bei der Präsentation der ausgewählten Themenplakate wurde die Gruppeneinteilung von G1 und G2 dazu genutzt, die Darbietungsform der Themenplakate zu variieren: Während G1 in W2 ausschließlich Bildplakate zum Thema Familienpolitik zu sehen bekam, wurden in G2 Bild- und Textplakate präsentiert, davon fielen 3 Bildplakate auf das Thema Familienpolitik, 4 Themenplakate (davon 1 Text- und 3 Bildplakate) kommunizierten divergente Themen (vgl. Tab. 5; vgl. Kap. 5.4). Der eine Woche nach der Online-Erhebung durchgeführte zweite Präsenztermin in W3 stellt eine im Stimulusmaterial modifizierte Replikation der W1 dar: Vorher-Befragung, Eyetracking in der Flash-Phase mit integrierter RTR-Messung, Eyetracking in der Long-Phase, Nachher-Befragung – das zugrunde gelegte Design entspricht dem in W1 und soll daher hier nicht noch einmal ausführlich beschrieben werden. Bedeutsam ist jedoch die Variation der Stimuli. Den Probanden wurden nochmals 20, bisher unbekannte, Plakatmotive mit der bekannten Methodenkombination präsentiert, wobei dies mit der thematischen Präsenz und visuellen Beschaffenheit der ersten Stimuli-Gruppen übereinstimmte, d.h. ein bestimmtes SPDBildplakat zur Familienpolitik in G1 entsprach dem inhaltlich identischen SPDTypoplakat zu Familienpolitik in G2).
200 Gruppe
Ablauf der Erhebungen in Testreihe I und II
Welle
Stimuluskombination
W1
W2 G1 W3
W4
W1
W2 G2 W3
W4 Tabelle 5:
Übersicht über das in Testreihe II eingesetzte Stimulusmaterial.
Dabei wurde das Thema Familienpolitik erneut besonders betont. Konkret wurde G1 mit 10 selbst gestalteten Typomotiven sowie 10 Bildmotiven zum Thema Familienpolitik konfrontiert, während den Teilnehmern in G2 neben dem Thema Familienpolitik, repräsentiert durch 5 Bild- sowie 5 Typomotive, noch weitere Themenplakate präsentiert wurden. Nach erfolgter Erhebung in W3 wurde eine Woche später die Abschlusserhebung durchgeführt (Nachher-Befragung W4). Die Online-Befragung in Welle 4 entsprach einer weitgehenden Replikation von W2: Wiederholung zentraler Programmfragen aus W1 und W2 sowie erneute, vierte Stimulusexposition in der Mitte der Befragung. Für die letzte Stimulusexposition wurde erneut das spezielles Thema Familienpolitik genutzt und prominent präsentiert. Hierzu wurde wieder eine Flash-
Auswahl und Zusammensetzung des Stimulusmaterials
201
Animation in die Online-Befragung integriert, in der sieben selbst erstellte Themenplakate dargeboten wurden. Erneut wurde die Animation so programmiert, dass jedes Motiv für eine Darbietungszeit von 3,5 sec aufgerufen wurde. Auch in W4 wurde die Gruppeneinteilung von G1 und G2 dazu genutzt, die Darbietung der Themenplakate zu variieren: Während G1 in W2 ausschließlich Bildplakate zum Thema Familienpolitik zu sehen bekam, wurden in G2 Bild- und Textplakate gezeigt, davon fiel lediglich 1 Typoplakat auf das Thema Familienpolitik, 6 Themenplakate (davon 1 Text- und 5 Bildplakate) kommunizierten divergente Themen (vgl. Tab. 5). 5.4 Auswahl und Zusammensetzung des Stimulusmaterials Während für T1 Wahlplakate aus den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen im Januar 2008, sowie darauf basierende Experimentalmodifikationen, herangezogen wurden, wurde für T2 eine Kombination aus Wahlplakaten aus der Landtagswahl in Bayern 2008, den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen 2008 sowie modifizierten Testplakate gewählt. Damit stellen Wahlplakate aus realen Wahlkämpfen sowie darauf gründende Testvarianten die Basis für die Untersuchungen dar. Beide Testreihen wurden jeweils vor den Landtagswahlen durchgeführt, um mögliche Störeffekte einer nachträglichen Bewertung von Strategien, Kandidaten oder Themen im Zusammenhang mit Analysen des Wahlergebnisses zu vermeiden. Die Motive waren den Probanden in beiden Testreihen vorher damit nicht bekannt. In beiden Testreihen wurde das Stimulusmaterial so zusammengestellt, dass eine Gleichverteilung der Anzahl von Plakaten der einzelnen Parteien (in T1 auch Bundesländer) gegeben war. Zudem wurde bei der Auswahl der Wahlplakate darauf geachtet, Themen mit zu starkem regionalen Bezug zu vermeiden, um bei den größtenteils baden-württembergischen Probanden Verzerrungseffekte durch mangelnde Themenrelevanz oder fehlende Betroffenheit zu vermeiden. Für beide Testreihen (T1, T2-W1) wurden die Basismotive in einem zweistufigen Selektionsprozess ausgewählt: Zunächst wurden die jeweiligen Landesgeschäftsstellen der Parteien gebeten, die ‘Top 10’ der bei ihnen meistbestellten (und damit meistgeklebten) Plakatmotive zu nennen. Damit sollte verhindert werden, eine inhaltlich wie gestalterisch willkürliche Auswahl zu testen. Um Überschneidungen der Wirkungen zu vermeiden, wurde das Stimulusmaterial in einem zweiten Schritt so selektiert, dass jedes konkrete Wahlkampfthema jeweils nur einmal durch ein Wahlplakat vertreten wurde. Dabei wurde jedes Thema in beiden Testreihen in jeweils zwei Stimulusvarianten in die Testung gegeben: als Bildplakat und als Typoplakat. Da nicht alle Wahlplakate in beiden Stimulusvarianten zur Verfügung standen, wurden die fehlenden Stimulustypen in Über-
202
Auswahl und Zusammensetzung des Stimulusmaterials
einstimmung mit der gestalterischen Linie der jeweiligen Partei selbständig erzeugt. Die Professionalität der manipulierten Plakatmotive wurde in einem Experteninterview von einem Wahlkampfberater der renommierten Werbeagentur Butter überprüft. Abbildungen 8 zeigt exemplarisch die Umsetzung eines Wahlkampfthemas als Bild- und als Typoplakat in T1 sowie in T2 (rechts jeweils das originale Wahlkampfplakat, links die Simulation).
Abbildung 8:
Rechts: Exemplarisches Stimulusmaterial aus Testreihe I (Links: Eigenes Layout; Bildquelle Thomas Kerzner: „Pretty W_oma_n“; photocase.com/ Rechts: Wahlplakat der SPD Niedersachsen). Links: Exemplarisches Stimulusmaterial aus Testreihe II (Links: Eigene Darstellung/Rechts: Wahlplakat der FDP Bayern). Vgl. VS PLUS „Methodik & Empirie“ Abb. 2 und 3; kann auf der Homepage des VS Verlags unter folgendem Link im Original eingesehen werden: http://www.vs-verlag.de/Buch/978-3-53117819-6/Vision-that-matters.html.
Für die Wellen 2, 3 und 4 in T2 wurde, basierend auf den bisherigen Erkenntnissen zur Wahrnehmung und Wirkung Visueller Kommunikation, eine neue, fiktive ‘SPDKampagne’ zum Thema Familienpolitik kreiert und ab W2 als experimentelles Treatment variiert. Für die gesamte Testkampagne wurden über 50 Einzelmotive erzeugt, von denen insgesamt 44 als experimentelle Treatments Verwendung fanden. Abbildung 9 zeigt einige ausgewählte Motive der fiktiven Kampagne; Tabelle 5 einen Überblick über die insgesamt eingesetzten Kampagnenmotive in T2 (vgl. VS PLUS „Methodik und Empirie“ Abb. 4; kann auf der Homepage des VS Verlags unter folgendem Link im Original eingesehen werden: http://www.vsverlag.de/Buch/978-3-531-17819-6/Vision-that-matters.html). Bevor die Motive in die Testung gingen, wurde die Professionalität der erzeugten Plakatmotive, ebenso wie in T1, in einem Experteninterview von einem strategischen Berater der renommierten SPD-Agentur Butter überprüft.
Auswahl und Zusammensetzung der Stichproben von Testreihe I und II
Abbildung 9:
203
Exemplarisches Stimulusmaterial aus T2 (ab W2): Auswahl ersteller Einzelmotive der Testkampagne zum Thema Familienpolitik.
5.5 Auswahl und Zusammensetzung der Stichproben von Testreihe I und II Testreihe I und II unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Stichprobenzusammensetzung. Testreihe I wurde als Ersterhebung mit mehrheitlich studentischen Probanden konzipiert. Die Rekrutierung erfolgte auf unentgeltlicher Basis; es wurden
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Auswahl und Zusammensetzung der Stichproben von Testreihe I und II
hauptsächlich Bachelor-Studenten aus dem ersten Semester rekrutiert. Insgesamt nahmen 107 Testpersonen an der Studie teil. Anders als bei T2 wurde die Stichprobe nicht quotiert, sodass in dem vorwiegend studentischen Sample eine Ungleichverteilung bezüglich Alter, Beruf, Parteineigung und Medienaffinität zu erwarten war. Mit 64 Teilnehmerinnen war die Mehrzahl der Probanden weiblich (59,8 Prozent), darüber hinaus nahmen 43 männliche Teilnehmer teil (40,2 Prozent). Ungefähr die Hälfte der Teilnehmer (52,7 Prozent) gab an, sich ‘etwas für Politik zu interessieren’, 26,2 Prozent formulieren ein ‘starkes Interesse’, nur 21,5 Prozent äußern ‘kaum Interesse’ oder ‘kein Interesse’. Hier sind Effekte sozialer Erwünschtheit wahrscheinlich. Die Altersverteilung (insgesamt von 18 bis 71 Jahre) ist dem studentischen Sample entsprechend schief, das Durchschnittsalter beträgt 23,3 Jahre. Die Parteizuneigung zeigte sich wie folgt: 24,3 Prozent geben eine CDUNähe an, 55,1 Prozent sehen sich SPD-nah, auf die FDP entfallen 7,5 Prozent und 23,4 Prozent neigen Bündnis90/Die Grünen zu. 14 Prozent neigen ‘keiner’ oder ‘einer anderen’ Partei zu. Die Teilnehmer wurden zufällig einer der vier Testgruppen zugeordnet. Es erfolgte eine Randomisierung durch Zufallsgruppenbildung (vgl. Richter 2008: 31). Für die Durchführung von T2 erschien es höchst relevant, die Zusammensetzung der Stichprobe aus T1 für die umfangreichere T2 auf eine breitere Basis zu heben. Anders war es kaum möglich, den Einfluss relevanter Rezipientenmerkmale (Alter, Bildungsgrad, politisches Interesse, Involvement) vs. spezifischer Stimulusmerkmale (visueller vs. verbaler Kommunikationsmodus, Gestaltungscharakteristika, Verwendung schemakongruenter Motive, usw.) systematisch zu testen. Möglich wurde die Realisation insbesondere durch die Forschungsförderung der Fritz Thyssen Stiftung, der an dieser Stelle noch einmal herzlich gedankt sei. Die Folgeuntersuchung T2 basiert auf einem quotierten Teilnehmersample, das sich durch eine differenziertere Struktur der Versuchsteilnehmer auszeichnet. Als nichtzufallsgesteuertes Verfahren basiert die Quotenstichprobe für T2 auf einer bewussten und willkürlichen Auswahl der Teilnehmer (vgl. Häder 2006: 169). Trotz existierender Einwände gegen Quotenstichproben (vgl. Bortz/Döring 2006: 483) konnten sich quotierte Samples gerade bei Studien im Zusammenhang mit Wahlentscheidungen erfolgreich behaupten (vgl. Häder 2006: 172). Zwar führt das Quotierungsverfahren nicht zu bevölkerungsrepräsentativen Ergebnissen, dies ist aber ohnehin nicht Anliegen des experimentellen Settings. Im Kontext der vorliegenden experiementellen Settings ermöglichte der Einsatz der Quotenstichprobe vielmehr, den Einfluss wichtiger individueller Merkmale so zu kontrollieren, dass relativ verlässliche Prognosen über das konkrete Forschungssetting hinaus abzuleiten sind. Für die Quotierung wurden die Teilnehmer in einem telefonischen Screeninginterview auf bestimmte Quotierungsmerkmale befragt und den Quoten entsprechend rekrutiert. Hierbei wurden fünf Faktoren zugrunde gelegt: Alter, Geschlecht, Bildung, Parteiidentifikation sowie politisches Interesse.
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Auswahl und Zusammensetzung der Stichproben von Testreihe I und II
18-39 J. Max. RS/ FH, Abi/ POS 10. EOS 12. Kl. Kl. LI HI LI HI SPD, Grüne, Linke CDU/CSU, FDP Keine, andere Partei Gesamt Tabelle 6:
40 J. u. älter Max. RS/ FH, Abi/ POS 10. EOS 12. Kl. Kl. LI HI LI HI
Gesamt
9
9
9
9
9
9
9
9
72
9
8
9
9
7
9
5
9
65
10
10
10
10
10
10
10
10
80
28
27
28
28
26
28
24
28
217
Quotierungsplan mit Besetzung der
Quotierungszellen.5
Es wurde darauf geachtet, dass jede Quotierungszelle etwa gleich besetzt war, um die gebildeten Gruppen hinsichtlich etwaiger Unterschiede in Bezug auf ihre Merkmale analysieren zu können. Schließlich wurden aus über 1000 Anrufern 217 Versuchspersonen rekrutiert. Im Ergebnis wurde die in Tabelle 6 aufgezeigte Zellenbesetzung der Quotierung erfüllt. Eine geringfügige Abweichung der Quotierung ergibt sich für Probanden über 40 Jahre, die sich dem konservativen Lager zurechnen und ein geringes politisches Interesse angeben. Unabhängig vom Bildungsgrad konnten diese Zellen nicht wie gewünscht vollständig ausgefüllt werden, da sich unter den über 1000 gescreenten Kandidaten nicht genügend Probanden dieser Kategorien fanden. Besonders herauszustellen ist die äußerst geringe Abbrecherquote bzw. Panelmortalität über den vierwöchigen Erhebungszeitraum. Von den rekrutierten 217 Probanden nahmen insgesamt 205 bis zum Ende der Erhebung an der Studie teil (101 Probanden in G1 sowie 104 Probanden in G2). Damit verließen nur 12 Probanden die Studie während der vierwöchigen Erhebung, was einer Ausschöpfungsquote von 94,5 Prozent entspricht. Aufgrund der Datenbereinigung wurden von den 205 Datensätzen 10 Fälle eliminiert, sodass das Gesamtsample eine Größe von 195 Probanden erreicht (98 Probanden in G1; 97 in G2). Die G1 und G2 zeigen sich in den entscheidenden Merkmalsausprägungen annähernd identisch verteilt. 45 Prozent aller Probanden waren männlich (G1: 44 Pro5
Die Gruppierung erfolgte nach: Alter: 18-39 Jahre vs. 40 Jahre und älter; Bildungsgrad: Maximal Realschulabschluss vs. Abitur oder höher; Politikinteresse: Low Interest (LI) vs. High Interest (HI) und Parteizuneigung: Linksintellektuelles Lager (SPD, Grüne, Linke), Konservatives Lager (CDU/CSU, FDP) sowie keine oder alternative politische Zuneigung (Keine, andere Partei).
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Auswahl und Zusammensetzung der Stichproben von Testreihe I und II
zent; G2: 45 Prozent), der Altersdurchschnitt lag bei leicht über 40 Jahre (G1: 39,6 Jahre; G2: 40,8 Jahre). In beiden Gruppen informieren sich jeweils 75 Prozent der Teilnehmer zumindest ‘regelmäßig’ in Medien über das Zeitgeschehen, 78,0 Prozent nutzen dafür mindestens ‘häufig’ das Fernsehen (77,5 Prozent in G1 vs. 78,4 Prozent in G2), 49,3 Prozent lesen mindestens ‘häufig’ Tageszeitungen (49,0 Prozent vs. 49,5 Prozent) und 45,6 Prozent informieren sich mindestens ‘häufig’ über das Internet (44,8 Prozent vs. 46,4 Prozent). Im Umfang des Mediennutzungsverhaltens sind die beiden Gruppen ebenfalls fast identisch. In beiden Gruppen gaben nur jeweils 12 Probanden an, Medien mehr als 4 Stunden pro Tag zu konsumieren (12,2 Prozent für G1 und 12,4 Prozent für G2). Lediglich bei der Einteilung der politischen Lager nach den Antworten in der ersten Befragungswelle ergaben sich einige Abweichungen zwischen den Gruppen: 19,4 Prozent identifizierten sich in G1 mit der CDU, in G2 waren dies 24,7 Prozent. Die Parteineigung zur SPD war mit 19,4 Prozent bzw. 17,5 Prozent annähernd gleich verteilt. Die FDP zeigte ein leichtes Übergewicht zugunsten G1 (10,2 Prozent zu 5,2 Prozent). Die Identifikation mit den Grünen war in G1 mit 18,4 Prozent vs. 12,4 Prozent in G2 leicht stärker ausgeprägt. Keine Identifikation mit einer politischen Partei zeigten in G1 28,6 Prozent, in G2 waren dies 38,1 Prozent. Diese Abweichungen sind umso erstaunlicher, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Gruppen auf Basis der zuvor gescreenten individuellen Parteiidentifikationen quotiert zusammengestellt wurden. Dass es trotzdem zu einer Ungleichgewichtung einzelner Parteineigungen bzw. fehlender Parteiidentifikation kam, kann nur auf Basis von Effekten sozialer Erwünschtheit erklärt werden. So ist anzunehmen, dass sich Probanden in der Beantwortung der Frage nach der politischen Orientierung im persönlichen Telefoninterview anders verhielten, als sie dies dann im anonymisierten Fragebogen angaben. Gleichverteilt sind die Gruppen hingegen in der Intensität ihrer Parteiidentifikation. 73,8 Prozent aller Probanden äußern sich in ihrer Parteineigung auf der Skala von 1 ‘sehr schwach’ bis 6 ‘sehr stark’ mit 4 oder mehr (G1: 74,3 Prozent; G2: 73,3 Prozent). In ihrer Einstellung gegenüber dem Nutzen von Politikern (G1: 67,3 Prozent vs. G2: 73,2 Prozent) und dem Nutzen von Wahlplakaten (G1: 45,9 Prozent vs. G2: 44,8 Prozent) zeigen die Gruppen keine größeren Unterschiede. Abschließend wurde noch die Bewertung der wahrgenommen Kandidatenkompetenzen für Merkel und Steinmeier erhoben, um Verzerrungseffekte durch ungleichverteilte Voreinstellungen gegenüber den beiden getesteten Spitzenpolitikern auszuschließen. In beiden Fällen lag der Mittelwert der Kandidatenbewertung, gemessen auf einer Skala von +5 ‘halte sehr viel von ihr/ihm’ bis -5 ‘halte überhaupt nichts von ihr/ihm’, für die Bewertung von Merkel (G1: 1,68 vs. G2: 1,39) und Steinmeier (G1: 0,79 vs. G2: 0,88) auf ähnlichem Niveau.
6 Empirie: Der Modus Visueller Politischer Kommunikation und seine Wirkungslogik am Beispiel des Wahlplakats
6.1 Die Wirkungslogik Visueller Politischer Kommunikation am Beispiel des Wahlplakats Im Folgenden werden die zentralen Ergebnisse der empirischen Forschung der Testreihen I und II präsentiert (T1; T2). Eine gemeinsame Präsentation bietet sich an, weil bereits die Ersterhebung in T1 zentrale Befunde zur Wahrnehmung und Wirkung von Visueller Politischer Kommunikation am Beispiel von Wahlplakaten liefern konnte, die durch die Modifikationen in T2 validiert, präzisiert und differenziert werden konnten. Um keine Irritation zu verursachen, wird im Text darauf verwiesen, aus welcher Experimentalreihe die Ergebnisse stammen. In der Regel werden die Ergebnisse zudem der Reihenfolge nach vorgestellt, also zuerst die vorliegenden Ergebnisse aus T1, danach diejenigen aus T2. Dabei wird eine integrative Betrachtungsperspektive angestrebt, denn die Ergebnisse können nicht isoliert von den bisherigen theoretischen Befunden betrachtet werden. Vielmehr wird ein unmittelbarer Bezug zwischen den drei ‘Systemen’ Theorie, Forschung und Praxis hergestellt, vor denen sich das Spannungsfeld des Forschungsprojekts entfaltet. Hierbei wird ein Rückgriff auf die theoretischen Perspektiven zur Wirkung Visueller und Politischer Kommunikation am Beispiel des Wahlplakats vollzogen. Der Transfer bedient sich dabei einer gewissen Pragmatik und erfolgt nach dem, bildlich ausgedrückt, ‘Baukastenprinzip’, d.h. die einzelnen Erkenntnisse werden wie ‘Bausteine’ verwendet, die für die Analyse und Interpretation der Ergebnisse sowie deren praktische Implementierung für das strategische Kommunikationsmanagement ‘zusammengebaut’ werden. Dabei wird noch einmal deutlich, warum eine umfassende und interdisziplinäre theoretische Fundierung des Gegenstandsbereichs für die Forschungsanlage und Forschungsanalyse notwendig war, auch vor dem Hintergrund der Frage, wie ein strategisches visuelles Kommunikationskonzept aufgebaut sein könnte. Mit der zugrunde liegenden Betrachtungsperspektive wird insofern der Bogen geschlagen ‘von der Theorie zur Wirkung Visueller Politischer Kommunikation am Beispiel des Wahlplakats’. S. Geise, Vision that matters, DOI 10.1007/978-3-531-92736-7_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
208
Pre-attentive Prädisposition und ‘Erster Eindruck’
6.2 Pre-attentive Prädisposition und ‘Erster Eindruck’ In der ersten Phase der Versuchsanordnung wurde eine Eyetracking-Messung bei peripherer Wahrnehmung (0,5 sec Betrachtungszeit) mit einer affektiven, nonverbalen Bewertung des Ersteindrucks des Stimulusmaterials kombiniert. Theoretischer Hintergrund der Messung sind die pre-attentive Prädisposition bzw. pre-selektive Sympathie und die Aktivierungswirkung eines Stimulus (vgl. Kap. 2.3.2). Beide Phänomene sind für den Bereich der Werbewirkung belegt (vgl. Kroeber-Riel/Esch 2004; Lachmann 2002; Schierl 2001), ihre Bedeutung für den Anwendungsbereich politischer Kommunikation ist bislang wenig erforscht. Dennoch implizieren die bisherigen Befunde, dass beim Rezipienten bereits bei erster, peripherer Reizaufnahme eine emotionale Einstimmung auf die folgende Wahrnehmung entsteht. Diese pre-attentive Anmutung führt schon in der vorbewussten Phase zu einer ersten Bewertung der Botschaft (von Rosenstiel/Neumann 2002: 141). Der „emotionale Einstieg in den Wahrnehmungsvorgang“ (Kroeber-Riel 1993: 63), und die damit verbundene affektive Bewertung, beeinflusst die anschließende Kommunikationswirkung demnach insofern, als dass sie „den Empfänger emotional prädisponiert“ (Schierl 2001: 88). Die AffektKognitions-Theorie folgt dabei der grundsätzlichen Annahme, dass Rezipienten im Rahmen ihrer selektiven Informationsaufnahme einen Zuwendungsprozess durchleben, bei dem sich ein Übergang von emotionaler zu kognitiver Wirkung vollzieht – wobei die erste, unbewusste Bewertung des Stimulus das nachfolgende Wahrnehmungs- und Bewertungsverhalten beeinflusst. Im Kontext der Wahrnehmung und Bewertung eines Stimulus kommt dem spontanen, affektiven Ersteindruck dieses Stimulus für den weiteren Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprozess demnach eine besondere Bedeutung zu – dies wurde im Rahmen der theoretischen Fundierung mit der Stufe der pre-attentiven Wahrnehmung bereits konkretisiert. Insbesondere ist davon auszugehen, dass eine positive Bewertung beim peripheren Erstkontakt zu einer intensiveren Informationswahrnehmung und -verarbeitung führt und damit auch die Erinnerungsleistung erhöht. Für die visuelle Gestaltung lässt sich daraus die grundlegende Strategie ableiten, die Reaktion des ersten Eindrucks, die pre-attentive Anmutung der Kommunikation, möglichst positiv zu besetzen. Dies erscheint insbesondere deshalb bedeutsam, da der erste Eindruck nicht nur darüber entscheiden kann, ob der Rezipient die Betrachtung abbricht oder fortsetzt, sondern darüber hinaus auch die spätere bewusste Bewertung der Vorlage beeinflusst (Lachmann 2002: 63). In der frühen Wahrnehmungsphase sind insbesondere Reaktionen auf elementare visuelle Informationen wie Farben und Formen bedeutsam, die schematisch und schnell erfasst werden können, denn diese Reize lassen sich in der Regel besonders leicht in die vorhandenen Wissens- und Wahrnehmungsstrukturen eines Menschen einfügen und können daher schnell erfasst werden. Kommunikationsstrategisch bietet es sich daher an, Motive, Farben und Formen zu verwenden, die schemakongruent sind
Pre-attentive Prädisposition und ‘Erster Eindruck’
209
und einen möglichst ‘harmonischen’ Eindruck hinterlassen bzw. möglichst positiv konnotiert sind. Diese gehen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer positiven preattentiven Anmutung des Kommunikationsmittels einher. Zudem müsste eine derartige Kommunikation auch die nachfolgenden Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstufen positiv beeinflussen. Es ist dabei davon auszugehen, dass die Verwendung von Bildkommunikation grundsätzlich mit einem höheren Potential einhergeht, pre-selektive Sympathie auszulösen. Aufgrund der Besonderheiten Visueller Kommunikation sind Bilder besser als Sprache dazu geeignet, Emotionen zu vermitteln (vgl. Kroeber-Riel 1993: 14). Auch die wirksame Vermittlung von Erlebnissen ist weitgehend an die Verwendung von Bildern gebunden, die bei den Rezipienten prägnante innere Erlebnisbilder erzeugen (vgl. Doelker 1997: 76; Gombrich 1984: 135-136). Zudem können Bilder in größeren Sinneinheiten und damit wesentlich schneller aufgenommen werden als Textinformationen, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, die intendierten positiven Anmutungen und Assoziationen schon bei einer sehr flüchtigen, peripheren Betrachtung auszulösen. Für den Forschungsprozess lassen sich daraus die folgenden Wirkungsvermutungen ableiten: Hypothesen der pre-attentiven Wirkung Visueller Kommunikation
Die Besonderheiten visueller Kommunikation haben Auswirkungen auf die kurzfristige emotionale Einstimmung des Rezipienten beim ersten visuellen Kontakt. Konkret sollten visuell kommunizierende Stimuli (Bildplakate) eine positivere pre-attentive Anmutung beim Rezipienten auslösen und damit besser im ‘ersten Eindruck’ bewertet werden als typographisch kommunizierende Stimuli (Textplakate). Die pre-attentive Anmutung des Stimulus (Wahlplakats) im ersten Eindruck ist positiver, je prägnanter positiv-konnotierte schemakongruente Motive, Farben und Formen in der Gestaltung eingesetzt werden. Da die Phase der pre-attentiven Anmutung bei erster, peripherer Reizaufnahme mit einer emotional-affektiven Einstimmung des Rezipienten auf die folgende Wahrnehmung einhergeht – nicht mit einer analytisch-kognitiven oder reflektierten Bewertung –, ist die pre-attentive Anmutung Visueller (Politischer) Kommunikation weitgehend unabhängig von individuellen Rezipientenmerkmalen wie Parteiidentifikation, Bildungsgrad, politischem Interesse oder der Einstellung zum Medium.
Operationalisiert wurde die Untersuchung der vermuteten, pre-attentiven Anmutung über eine spontane, affektive nonverbale Bewertungsmessung des ‘ersten Eindrucks’ mit einem RTR-Dial. Die Real-Time-Response Messung ermöglicht als computergestützte, apparative Erhebungsmethode, die Reaktionen der Probanden nahezu in Echtzeit
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Pre-attentive Prädisposition und ‘Erster Eindruck’
zu erfassen. RTR-Systeme können effektiv eingesetzt werden, um im Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprozess Indikatoren wie Aufmerksamkeit oder spontane Bewertungen immediat zu erfassen (vgl. Thorson/Reeves 1985: 550; Hughes 1992: 65-66; Biocca/Prabu/West 1994: 27). Im Vergleich zu klassischen Erhebungsmethoden, etwa der schriftlichen Nachher-Befragung, bietet die RTR-Messung den Vorteil, dass der zeitliche Abstand zwischen der Stimulus-Exposition und der Reaktions- bzw. Rezeptionsmessung minimiert ist. Dies ist insbesondere bei der Erfassung von affektiv-emotionalen, nicht stark reflektierten Empfindungen von Vorteil, wie sie mit dem ’ersten Eindruck’ untersucht wurden. Hier wäre der ausschließliche Einsatz von „post-viewing measures“ methodisch unzureichend (vgl. Thorson/Reeves 1986: 549). Zudem konnte durch den RTR-Einsatz vermieden werden, dass die Bewertungen einzelner präsentierter Stimuli einen Halo-Effekt auf die Bewertung der folgenden Stimuli ausübte, da diese jeweils vor der Präsentation der nachgeordneten Stimuli abgegeben wurde (vgl. Boyd/Hughes 1992: 655). Praktisch umgesetzt wurde die affektive Bewertungsmessung in den vorliegenden Testreihen durch reaktives Bedienen eines Drehreglers durch den Probanden (vgl. Kap. 5.3). Als Versuchsanweisung zum Einsatz des RTR-Dials wurde hierzu formuliert: „Ich zeige Ihnen jetzt gleich an diesem Monitor eine Reihe von Plakaten. Sie sehen diese Plakate nur ganz kurz. Trotzdem möchten wir nach jedem Plakat wissen: Wie wirkt dieses Plakat auf Sie? Bitte antworten Sie nach jedem Plakat so spontan wie möglich. Für die Antwort nutzen Sie den kleinen Drehregler, der vor Ihnen liegt. Das ist ganz einfach: Je negativer Ihr erster Eindruck ist, desto weiter drehen Sie das Rädchen nach links. Je positiver Ihr erster Eindruck ist, desto weiter drehen Sie das Rädchen nach rechts. Probieren Sie das bitte nun einmal aus, damit Sie ein Gefühl für das Drehrädchen bekommen. Haben Sie Ihre Bewertung vorgenommen, drehen Sie den Drehregler bitte einfach wieder auf die Mittelposition. Das ist wichtig, damit Sie immer von der gleichen Position aus starten können…“
In der Flash-Phase bei einer Rezeptionszeit von 0,5 sec erfolgte damit eine Bewertung, für die viele Probanden erstaunt äußerten, sie hätten nur eine vage Vorstellung von dem, was sie gerade bewerteten – wie es auch den theoretischen Implikationen der pre-attentiven Wahrnehmung entspricht. Für die Integration des RTR in den Forschungsprozess lässt resümieren, dass die Teilnehmer an den T1 und T2 nach kurzer Einführung in die Bedienung des RTR-Dials kaum Schwierigkeiten mit der affektiven, spontanen Bewertungsabgabe hatten. Zwar war die Nutzung des Drehreglers für die Probanden anfangs etwas ungewöhnlich, zugleich aber auch recht intuitiv möglich. Insgesamt konnte beobachtet werden, dass das Drehen die Probanden tatsächlich effektiv in die Lage versetzte, innerhalb kürzester Zeit eine Bewertung ihrer pre-attentiven Anmutung abzugeben, ohne dass die Probanden den jeweiligen Stimulus (ihren eigenen Angaben zufolge) zuvor reflektiert betrachten konnten. Dennoch soll auf eine methodische Diskussion der Operationalisierung der RTR-Messung hingewiesen werden. Da die hinterlegte Bewertungsskala des RTR-
Pre-attentive Prädisposition und ‘Erster Eindruck’
211
Systems die intuitive und individuelle Bedienung des Drehreglers voraussetzt, stellt sich die Frage, inwieweit es sinnvoll ist, die individuellen Messwerte der Probanden zu standardisieren. Hollonquist und Suchman (1979: 326; 272) verweisen auf die Problematik einer intersubjektiven Interpretationsfähigkeit des Antwortverhaltens über RTR-Dials: „For a person who likes the program as a whole, indifference signifies dislike, while for the person who dislikes the program, indifference tend to mean like“. Methodisch, so die Überlegung, ließe sich das Problem durch eine Standardisierung des Antwortverhaltens lösen, indem die individuell ausgenutzte, von Proband zu Proband möglicherweise divergente Spannweite der Bewertungsskala auf eine ‘gemeinsame’ Skalenspannweite angepasst werden könnte. Ähnliche Überlegungen gingen auch der Operationalisierung der beiden Testreihen voraus. Praktisch hätte die Standardisierung der Skalen bedeutet, die individuell relativen Maximalwerte als absolute Maximalwerte zu betrachten. Die Entscheidung fiel jedoch gegen eine derartige Transformation der Daten. Basis dieser Entscheidung waren drei wesentliche Einwände. Erstens erscheint die Entscheidung, eine ‘unvollständige’ Skalennutzung von 1 bis 10 nicht als tatsächlichen Bewertungsausdruck des Probanden zu behandeln, sondern auf Minimal- und Maximalwerte umzucodieren, willkürlich: Ob derjenige Proband, der für die Plakatmotive ‘nur’ Bewertungen von mindestens 3 bis maximal 7 vergeben hat, exakt diese Bewertung intendiert hat – weil ihn kein Plakatmotiv vollkommen begeistert oder extrem missfallen hat oder weil der Proband ganz grundsätzlich eher gemäßigte als maximale Reaktionen zeigt – oder er aber ‘eigentlich’ mit dem Wert 7 seinen absoluten Favoriten und mit dem Wert 3 sein individuelles ‘Flop-Plakat’ küren wollte, ist nachträglich nicht objektiv zu entscheiden. Da hier ein objektives Kriterium fehlt, über die jeweilige Intention einer unvollständigen Skalennutzung zu entscheiden, wird die Entscheidung einer Skalentransformation auf dieser Basis abgelehnt. Zweitens ist der Einwand einer Forderung nach Transformation bzw. Standardisierung einer Bewertungsskala ganz grundsätzlich zu hinterfragen: Auch in der klassischen Umfrageforschung, bei der Arbeit mit traditionellen Erhebungsinstrumenten wie schriftlichen Befragungen, ist eine Standardisierung der Skalen auf Basis einer individuellen Skalenausschöpfung keineswegs üblich. Zwar ist positiv zu werten, dass bei Einsatz einer innovativen, affektiven Bewertungsmessung über ein RTR-System methodenkritische Überlegungen getroffen werden. Jedoch liegen drittens bis zum heutigen Zeitpunkt keine Befunde vor, die Indizien dafür liefern, dass RTR-Systeme grundsätzlich mit einer geringeren Ausschöpfungsquote der Antwortskalen einhergehen. Auch die durchgeführten experimentellen Untersuchungen weisen nicht auf eine derartige Tendenz hin. In beiden Testreihen konnte nicht beobachtet werden, dass die Skala von allen Probanden nur unvollständig in ihrer Spannweite ausgenutzt wurde. Eine für alle Probanden gleichermaßen geringe Ausschöpfungsquote, die nahegelegt hätte, eine grundsätzliche Anpassung der Skala vorzunehmen, lag damit nicht vor. Es ist, gerade im Zusammenhang mit dem wenig verbreiteten, innovativen Einsatz des RTR-
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Pre-attentive Prädisposition und ‘Erster Eindruck’
Dials als Instrument der spontanen, affektiven Bewertungsmessung und im Vergleich zu kontinuierlichen Messeinsätzen, eine wichtige, bisher nicht untersuchte Forschungsfrage, ob bzw. welche methodisch bedingten Verzerrungs- oder Ausschöpfungseffekte im Vergleich zu klassischen Fragebogenskalen auftreten können. Hier wären weitere grundlegenden Forschungen zur RTR-Methodik wünschenswert. Für die vorliegende Untersuchung wurden die Werte der RTR-Messung auf Basis der genannten Argumente nicht standardisiert, sondern wie von den Probanden individuell bewertet, in die Analysen einbezogen. Dadurch ergeben sich nicht ‘absolute’, sondern ‘relative’ Bewertungen, bei denen, wie bei fast allen Bewertungsskalen, die individuelle Nutzung der Skalen schwankt. Doch zu den Ergebnissen der RTR-Messungen zur Bewertung des preattentiven Eindrucks in der frühen Wahrnehmungsphase. Hier weisen die empirischen Ergebnisse der RTR-Messung in T1 in Richtung der theoretischen Implikationen: Bildplakate werden in der Phase der ersten peripheren Wahrnehmung etwas besser bewertet als Textplakate; sie rufen in der Regel einen eher positiven ersten Eindruck hervor. So liegt der aggregierte Mittelwert für die Bewertung aller Bildplakate über alle Gruppen hinweg leicht über dem Ergebnis der Bewertung aller Textplakate (5,74 auf der Skala von 1 bis 10 für Bildplakate (SD=2,44) vs. 4,95 für Textplakate (SD=2,22)). Dieses Ergebnis zeigt sich in der Tendenz unabhängig vom kommunizierten Thema: So werden in den G3 und G4 der Testreihe I jeweils die als Bildplakate kommunizierten Stimuli besser bewertet als die Textplakate; in diesen beiden stimulusheterogenen Gruppen, die der tatsächlichen Rezeptionssituation am nächsten kommen, zeigt sich dabei die größte Bewertungsdifferenz (M=5,93 für Bildplakate (SD=2,23) vs. M=4,81 für Textplakate (SD=2,17)). Zudem ist die Ausprägung der positivsten Bewertung bei den in T1 getesteten Bildplakaten (M=8,09; SD=1,80) deutlich größer als bei Typoplakaten (M=5,93; SD=1,91; Daten aus der Auswertung der stimulusheterogenen Gruppen). Offenbar verfügen Bildplakate über das größere Potential, spontan intensive, positive affektive Reaktionen auszulösen. Dieses Ergebnis deckt sich mit den oben zitierten theoretischen Prämissen und es zeigt sich ebenso in den Ergebnissen von W1 in T2: Auch hier erhalten die getesteten Bildplakate eine bessere Bewertung in der pre-attentiven Wahrnehmungsphase (M=5,52 für Bildplakate (SD=2,59) vs. M=4,75 für Typoplakate (SD=2,67)). Auch hier fällt die höchste Gesamtbewertung aller Teilnehmer auf ein Bildplakat (M=6,85; SD=2,25), während ein Typoplakat die schlechteste Gesamtwertung erhält (M=3,28; SD=2,57). Noch deutlicher wird dieser Überlegenheitseffekt bildhafter Kommunikation im pre-attentiven Eindruck, wenn man sich die absoluten ‘Gewinner’ und ‘Verlierer’ der Flash-Phase in T1 und T2 (W1) anschaut (vgl. für die folgenden Abbildungen: VS PLUS „Methodik & Empirie“ Abb. 5 bis 10; kann auf der Homepage des VS Verlags unter folgendem Link im Original eingesehen werden: http://www.vs-
Pre-attentive Prädisposition und ‘Erster Eindruck’
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verlag.de/Buch/978-3-531-17819-6/Vision-that-matters.html): Die ‘Top 5’ des spontanen Ersteindrucks der Plakatmotive werden allein durch Bildplakate gestellt, dagegen finden sich in den ‘Flop 5’ der T1 und T2, W1, überwiegend Typoplakate wieder (vgl. Abb. 10-12); auch dies gilt unabhängig vom kommunizierten Thema. Die ‘Flop 5’ in T1 stammen durchgängig von der Linkspartei und sind ähnlich gestaltet. Ihre schlechte Platzierung erhalten diese Plakate unabhängig von den politischen Prädispositionen der Betrachter, sodass sie vor allem auf die Gestaltung, und nicht auf den Absender, zurückzuführen ist. Auch in T2 setzt sich die Gruppe der ‘Flop 5’-Plakate überwiegend aus Typoplakaten zusammen, die in einer dunklen oder grellen Tonality gehalten sind, die im ersten Eindruck der pre-attentiven Wahrnehmungsphase offenbar negativ konnotiert wird.
Abbildung 10:
Die spontan am besten bewerteten Plakate der Flash-Phase aus Testreihe I.
Abbildung 11:
Die spontan am besten bewerteten Plakate der Flash-Phase aus Testreihe II, Welle 1.
Insgesamt finden sich einige Indizien für die These, dass der Bildüberlegenheitseffekt über die pre-attentive Anmutung Auswirkungen auf die kurzfristige emotionale Einstimmung des Rezipienten beim ersten visuellen Kontakt hat. Hierbei decken sich die Ergebnisse der Bewertung des spontanen Ersteindrucks mit den bisherigen Erkenntnissen zur peripheren Werbewirkung. Analysiert man die Plakatmotive mit den besten und schlechtesten Ergebnissen aus beiden Testreihen, fällt zunächst auf, dass sich die ‘Sieger’ und ‘Verlierer’ beider Testreihen in ihren charak-
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Pre-attentive Prädisposition und ‘Erster Eindruck’
teristischen, optischen Eigenschaften ähneln. Zudem fällt auf, dass einige der in T1 sehr gut getesteten Motive auch in T2 unter den ‘Top 5’ sind bzw. einige der am schlechtesten bewerteten Plakate aus T1 sich auch in T2 unter den ‘Flop 5’ wiederfinden. Das Ergebnis ist somit auch auf Basis einer divergenten Stichprobe strukturell kongruent. Dies wird noch deutlicher, wenn man die Plakate beider Testreihen qualitativ vergleicht.
Abbildung 12:
Die spontan am schlechtesten bewerteten Plakate der Flash-Phase aus Testreihe I.
Hierbei zeigt sich, dass die besonders positiv bewerteten (Bild-) Plakate in ihrer Gestaltung einige Charakteristika aufweisen, die auch in der werblichen Kommunikation als prominente ‘Gestaltungsregeln’ gelten: Verwendung von assoziationsreichen, positiv-emotionalen, klaren und schemakongruenten Motiven, eine ‘gefällige’ Gestaltung, d.h. ein ausgewogenes Kontrast- und Farbverhältnis, der Einsatz einer ‘freundlichen’ oder ‘leuchtenden’ Farbtonality, eine klare optische Gliederung sowie eine harmonische Gesamtkomposition der Gestaltung (vgl. Kroeber-Riel 1993; Schierl 2001; Schweiger/Schrattenecker 2001; Bruhn 2009; KroeberRiel/Esch 2004). Umgekehrt weisen die als besonders negativ bewerteten Plakate Gestaltungskomponenten auf, die im Kontext einer effizienten Kommunikation vermieden werden sollten: eher dunkle, negativ-konnotierte, optisch ‘unklare’ oder gar keine Motive, eine ‘grelle’ Gestaltung, d.h. ein unausgewogenes Kontrast- und Farbverhältnis (hier insbesondere: Reinfarb- und Primärfarbkontraste), eine ‘aggressive’ oder ‘düstere’ Farbtonality sowie eine suboptimale, visuell fragmentale Gesamtkomposition. Auf die Bewertung des Ersteindrucks politischer Plakate wirken offenbar gleichartige Gestaltungs- bzw. Wahrnehmungsfaktoren wie dies bei kommerziellen Werbeträgern der Fall ist.
Pre-attentive Prädisposition und ‘Erster Eindruck’
Abbildung 13:
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Die spontan am schlechtesten bewerteten Plakate der Flash-Phase aus Testreihe II, Welle 1.
Die pre-attentive Anmutung, der ‘erste Eindruck’, ist folglich bei Bildplakaten positiver besetzt als bei Textplakaten. Er ist bei gut bzw. professionell gestalteten Plakaten positiver besetzt als bei weniger professionell gestalteten Plakaten. Zudem zeigt die Analyse, dass beides unabhängig von dem Thema gilt, das Gegenstand des Plakats ist. Es ist eine spannende Frage, ob sich diese positive pre-attentive Wirkung Visueller Kommunikation auch unabhängig von der Parteiidentifikation, dem Bildungsgrad, dem politischen Interesse der Rezipienten zeigt. Denkbar wäre hier nämlich, dass die langfristige Parteibindung, der Bildungsgrad oder das politische Interesse der Rezipienten einen Wahrnehmungsfilter bzw. einen Bewertungsframe etabliert, der sich modifizierend auf die Bewertung auswirkt. Ob jeweils ein Einfluss dieser individuellen Merkmale (unabhängige Variablen; Faktoren) gegeben ist, lässt sich statistisch mit einer einfaktoriellen Varianzanalyse kontrollieren. Überprüft wurde zunächst der Zusammenhang zwischen der Parteiidentifikation (PID) und der ersten spontanen, affektiven Bewertung (PA) nach der Flash-Phase für Testreihe I (T1) sowie für Testreihe II (T2) mittels einer einfaktoriellen Varianzanalyse in Form einer klassischen Varianzzerlegung nach Fischer. Die
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Pre-attentive Prädisposition und ‘Erster Eindruck’
Nullhypothese, dass die Verteilung der abhängigen Variable PA (pre-attentive Plakat-Bewertung) für alle Faktorstufen identisch ist, demnach kein Zusammenhang zwischen der spontanen Bewertung und der politischen Prädisposition (PID) besteht, kann für alle getesteten Plakatmotive nicht abgelehnt werden (für alle Signifikanzen: p > 0,05; vgl. Tab. 1 in Anhang 1); es lässt sich somit in T1 kein Einfluss der Parteiidentifikation auf die affektive Bewertung des ‘ersten Eindrucks’ nachweisen. Analog wurde auch für die T2 überprüft, ob ein Zusammenhang zwischen der affektiven RTR-Bewertung der pre-attentiven Anmutung und der Parteiidentifikation der Probanden existiert. Auch hier wurde eine univariate Varianzanalyse (ANOVA) in Form der klassischen Varianzzerlegung nach Fischer durchgeführt. Auch in T2 ließ sich in W1 und W3 kein Einfluss der Parteiidentifikation auf die affektive RTRBewertung nachweisen (für alle Signifikanzen: p > 0,05; vgl. Tab. 2-5 in Anhang 1). Veranschaulichen lässt sich dieses Ergebnis an der Bewertung des manipulierten ‘Respekt’-Plakats der SPD in T1. Dieses Plakat belegt im Gesamtranking von T1 der affektiven Bewertung den zweiten Platz. Bereits der einfache Mittelwertvergleich der jeweiligen Partei-Anhänger deutet an, dass die affektive Bewertung nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Parteiidentifikation steht. So bewertet die Gruppe der CDU-nahen Probanden dieses Plakat besser als die SPD-nahen Probanden (M=7,44 vs. M=6,74 auf der Skala von 1 bis 10; vgl. Tab. 7). Demgegenüber wird das CDU-Bildplakat ‘Bildungschancen’ (im Gesamtranking von T1 auf Platz 3) von den CDU-nahen Probanden etwas schlechter bewertet als von den SPD-nahen Teilnehmern (M=6,46 vs. M=7,43). Ähnliche Befunde ergeben sich für die übrigen getesteten Plakate, wobei sich insgesamt feststellen lässt: Die besten Rangplätze der affektiven Bewertung finden sich entsprechend als am besten bewertete Plakatmotive in allen Partei-Gruppen wieder; und die letzten Rangplätze werden auch in allen Identifikationsgruppen am schlechtesten gerankt. ParteiIdentifikation CDU SPD FDP Die Grünen Tabelle 7:
SPD-Bildplakat 'Respekt' (M =) (SD=) 7,44 2,01 6,74 2,28 6,60 2,51 6,94 2,52
CDU-Bildplakat 'Bildungschancen' (M =) (SD=) 6,46 3,20 7,43 1,83 4,33 1,16 7,42 2,64
Plakat-Bewertung von zwei exemplarisch ausgewählten Testplakaten aus Experimentalreihe I nach Parteiidentifikation (durchschnittliche Bewertung des Ersten Eindrucks nach der Flash-Phase auf der Skala von 1 ‘Erster Eindruck negativ’ bis 10 ‘Erster Eindruck positiv’).
217
Pre-attentive Prädisposition und ‘Erster Eindruck’
In Testreihe II zeigt der exemplarische Vergleich zweier ‘Top-5’-Plakate ein strukturell identisches Bild (vgl. Tab. 8). Auch in dieser Testreihe finden sich die absoluten Gewinner der Plakatbewertung ebenso in der nach Parteien gesplitteten Analyse als am besten bewertete Motive wieder. Ob ein Einfluss der beiden individuellen Merkmale ‘Bildungsgrad’ (B) sowie ‘Politisches Interesse’ (PIN) auf die erste spontane, affektive Bewertung (PA) gegeben ist, wurde mit einfaktorieller Varianzanalyse nach Fischer nur für T2 getestet, da in T1 eine homogene Verteilung des Bildungsgrades vorlag. Der Zusammenhang zwischen dem individuellen Bildungsgrad und der affektiven Bewertung des ‘ersten Eindrucks’ ist allerdings für W1 und W3 in beiden Gruppen nicht statistisch signifikant (für alle Signifikanzen: p > 0,05; vgl. Tab. 2-5 in Anhang 1).
ParteiIdentifikation
CDU SPD FDP Die Grünen Keine PI Tabelle 8:
Bündnis 90/Die Grünen Bildplakat 'Kinderknast' (M =) 6,45 6,40 8,67 7,44 6,50
(SD=) 2,46 2,03 0,58 1,42 2,62
Bündnis 90/Die Grünen Bildplakat 'Neue Energiekultur' (M =) 6,26 5,67 8,33 7,20 6,64
(SD=) 2,36 2,32 1,53 2,09 2,28
Plakat-Bewertung von zwei exemplarisch ausgewählten Testplakaten aus Experimentalreihe II nach Parteiidentifikation (durchschnittliche Bewertung des Ersten Eindrucks nach der Flash-Phase auf der Skala von 1 ‘Erster Eindruk negativ’ bis 10 ‘Erster Eindruck positiv’).
Die These, dass die unabhängige Variable ‘Bildungsgrad’ die pre-attentive Anmutung moderiert, ist demnach abzulehnen. Auch bei der dritten kontrollierten Moderatorvariable, dem ‘Politischen Interesse’ der Probanden, lässt sich kein Zusammenhang zwischen der individuellen Ausprägung und der pre-attentiven Bewertung der Plakatmotive zeigen. Auch hier ergibt sich für alle Testplakate ein Signifikanzniveau von p > 0,05 (vgl. Tab. 2-5 in Anhang 1). Das Ergebnis, dass sich kein Zusammenhang zwischen der affektive und spontanen Bewertung der pre-attentiven Anmutung und den individuellen Probandenmerkmalen Parteiidentifikation, Politisches Interesse und Bildungsgrad erkennen lässt, ist bemerkenswert. Es deckt sich mit den bisherigen Erkenntnissen zur vorbewussten Wahrnehmungsphase, in der vor allem schemakongruente Motive, Farben und Formen, nicht kognitive Einordnungen oder reflektierte Bewertungen, besonders wir-
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Pre-attentive Prädisposition und ‘Erster Eindruck’
kungsstark sind. Auch wenn grundsätzlich davon auszugehen ist, dass die Bewertung politischer Informationen durch Rezipientenmerkmale moderiert werden kann, insbesondere durch die Parteiidentifikation, scheint dies nicht im selben Maße für den unmittelbaren, affektiven Ersteindruck zu gelten, der durch die getesteten Bildplakate ausgelöst wird. Dies verweist, selektiver Wahrnehmung zum Trotz, auf ein recht großes Wirkungspotential visueller Gestaltung, vor allem, weil dem ersten Eindruck für die weitere Aufnahme und Verarbeitung der Information eine zentrale Bedeutung zukommt. Dies verdeutlicht auch die Analyse, inwieweit die Bewertung im ersten Eindruck davon abhängt, wie Rezipienten gegenüber Wahlplakaten als Medien der Politischen Kommunikation eingestellt sind (Nachher-Befragung). Die Häufigkeitsverteilung ergibt folgendes Bild: In G1 denken 45,7 Prozent der Befragten, Wahlplakate gehörten zum Wahlkampf „einfach dazu“, in G2 vertreten 42,2 Prozent der Befragten diese Meinung. Insgesamt stehen damit 44,3 Prozent der Befragten dem Medium Wahlplakat positiv gegenüber. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Mehrheit der Probanden eine kritische Haltung gegenüber Wahlplakaten hat: In G1 bestätigen 53,3 Prozent, in G2 56,9 Prozent der Befragten die Aussage, Wahlplakaten seien „inhaltsleer und austauschbar – eine reine Geldverschwendung“. Insgesamt steht damit der Großteil der Probanden (55,6 Prozent) dem Wahlplakat tendenziell ablehnend gegenüber. Würde die pre-attentive Anmutung mit einer ersten kognitiven Reflektion einhergehen, was aufgrund der theoretischen Befunde nicht zu erwarten ist, müsste sich eine grundsätzlich eher ablehnende Haltung (MW) gegenüber dem Medium in der Bewertung widerspiegeln. Konkret müssten die Rezipienten, die Wahlplakate eher kritisch betrachten, einen weniger positiven Ersteindruck abgeben. Die Verteilung der abhängigen Variable PA (pre-attentive PlakatBewertung) müsste in diesem Fall für die Faktorstufen inhomogen sein. Auch dieser Zusammenhang wurde für W3 mittels einfaktorieller Varianzanalyse überprüft. Entsprechend der theoretischen Implikationen ergibt sich hier kein Zusammenhang der beiden Variablen (für alle Signifikanzen: p > 0,05; vgl. Tab. 4 und 5 in Anhang 1). Vor dem Hintergrund einer experimentellen Replikation der affektiven Messung pre-attentiver Anmutung in T2, W3, war zu fragen, inwieweit sich die dargestellten Wirkungen bei modifizierter Stimulusexposition zeigen. Zur Erinnerung: Ab W2 erfolgte ein Priming mit der fiktiven SPD-Kampagne zum Thema Familienpolitik. Konkret sahen die Probanden aus der themenhomogenen G1 ab W2 ausschließlich Plakatmotive der fiktiven SPD-Kampagne, während die Probanden aus G2 einer themenheterogenen Exposition ausgesetzt waren, in der neben einer Anzahl von Plakaten der fiktiven SPD-Kampagne auch andere Wahlplakate unterschiedlichen Inhalts und unterschiedlicher Kommunikatoren enthalten waren (vgl. Kap. 5.4). Die Differenzierung wurde auch in W3 beibehalten, was bedeutet, dass die Probanden aus G1 ausschließlich 20 Plakatmotive der fiktiven SPD-Kampagne sahen. Hier könnte nun vermutet werden, dass in dieser Gruppe ein Wear-Out-Effekt auftritt, der sich auch in der RTR-Bewertung widerspiegelt. Die RTR-Bewertungen
Pre-attentive Prädisposition und ‘Erster Eindruck’
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der Bild- und Textplakate sollten dann tendenziell etwas niedriger bzw. schlechter ausfallen als in der themenheterogenen Exposition in W1; sie müssten in G1 etwas niedriger ausfallen als in G2. Zudem könnte vermutet werden, dass bei wiederholter Exposition mit optisch und inhaltlich kongruenten Plakaten der Selektionsfilter der Parteiidentifikation, der Bildung oder des politischen Interesses doch noch aktiviert wird. Hier wäre denkbar, dass sich eine Vielzahl pre-attentiver Anmutungen zu einer Gesamtanmutung verdichtet, die kognitive Reflektions- oder Reaktanzprozesse aktiviert. Wäre dies der Fall, müsste sich in W3 doch ein Einfluss der Moderatorvariablen, insbesondere der Parteiidentifikation, nachweisen lassen. Zunächst zur Verteilung der RTR-Bewertungen: Insgesamt bestätigen die Befunde aus W3 die Erkenntnis, dass Bildplakate in der Phase der ersten peripheren Wahrnehmung etwas besser bewertet werden als Textplakate, weil sie mit einer positiveren pre-attentiven Anmutung einhergehen. Der aggregierte Mittelwert für die Bewertung aller Bildplakate für G1 und G2 notiert bei 6,22 (SD=2,38), die Bewertung aller Textplakate liegt bei 5,44 (SD=2,46). Auch ist die Ausprägung der positivsten Bewertung bei den in Welle 3 getesteten Bildplakaten (M=7,00; SD=1,89) wieder etwas höher als bei dem besten getesteten Typoplakat (M=6,11; SD=2,38). Die getesteten Bildplakate erhalten damit eine bessere Bewertung in der pre-attentiven Wahrnehmungsphase. Interessant ist nun, ob die homogene Exposition in G1 möglicherweise einen Wear-Out-Effekt evoziert hat. Betrachtet man hier erneut die Mittelwerte der RTR-Bewertungen, gibt es hierfür keine Indizien. G1 bewertet die themen- und layouthomogenen Bild- und Textplakate der fiktiven SPD-Kampagne nicht schlechter als die Vergleichsgruppe 2, die mit einem heterogenen Stimulus konfrontiert wurde (G1 Bildplakate: M=6,40; SD=2,41; G2 Bildplakate: M=6,04; SD=2,35; G1 Textplakate: M=5,77; SD=2,55; G2 Textplakate: M=5,11; SD=2,36). Im Gegenteil: Die Gruppe, die mit der, auf Basis der bisherigen theoretischen Erkenntnisse zur Wahrnehmung und Wirkung Visueller Kommunikation ‘optimal’ gestalteten, fiktiven SPD-Kampagne konfrontiert wurde (vgl. VS PLUS „Methodik & Empirie“ Abb. 9; kann auf der Homepage des VS Verlags unter folgendem Link im Original eingesehen werden: http://www.vs-verlag.de/Buch/978-3-531-17819-6/Vision-that-matters.html), bewertet diese sogar etwas besser. Von einem Wear-Out-Effekt kann hier offenbar nicht ausgegangen werden. Die pre-attentive Anmutung, dieses Ergebnis replizieren die Befunde aus W3, ist bei Bildplakaten positiver besetzt als bei Textplakaten und ist bei professionell gestalteten Plakaten, die auf Basis der theoretischen Erkenntnisse zur Wirkung und Wahrnehmung Visueller Kommunikation kreiert wurden, positiver besetzt als bei weniger professionell gestalteten Plakaten. Dennoch stellt sich die Frage, ob die homogene, kongruente und integrierte Kommunikation nicht zu einer Kumulation der pre-attentiven Eindrücke führt, die in ihrer kommunikativen Verdichtung doch mit kognitiven Reflektionsprozessen und damit einstellungsbasierten Bewertungen einhergeht. Wäre dies der Fall, sollten
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Pre-attentive Prädisposition und ‘Erster Eindruck’
individuelle Rezipientenmerkmale einen Wahrnehmungs- bzw. Bewertungsframe etablieren, der sich folglich auch in der RTR-Bewertung zeigen müsste. Erneut wurde hierzu mittels einfaktorieller Varianzanalyse getestet, ob sich ein Zusammenhang zwischen der spontanen Bewertung und der Parteiidentifikation (PID), dem Bildungsgrad (B), oder dem Politischen Interesse (PIN) zeigt. Die Ergebnisse weisen für die drei möglichen Moderatorvariablen für alle getesteten Plakate Signifikanzen von p > 0,05 auf (vgl. Tab. 4 und 5 in Anhang 1). Damit ist der Zusammenhang zwischen der politischen Prädisposition des Probanden, seinem individuellen Bildungsgrad sowie seinem politischen Interesse und der affektiven Bewertung der preattentiven Anmutung statistisch nicht signifikant, und zwar selbst dann nicht, wenn die pre-attentive Anmutung sich über eine kumulierte Exposition erstreckt. Offenbar führt die Wirkung der pre-attentiven Anmutung demnach nicht zu einer Konzentration der gewonnenen Ersteindrücke, die auf kognitiv-analytischer Ebene Bewertungs- und Wahrnehmungsfilter etablieren. Dies ist ein interessanter Befund. Aus den vorliegenden Ergebnissen zur pre-attentiven Wirkung Visueller Kommunikation lässt sich zusammengefasst erkennen, dass sich die eingangs formulierten Wirkungsvermutungen durch die empirischen Befunde der Testreihen I und II grundsätzlich bestätigen lassen. Individuelle Rezipientenmerkmale wie die Parteiidentifikation, der Bildungsgrad, das Politische Interesse oder die grundsätzliche Einstellung gegenüber dem Medium Wahlplakat nehmen keinen Einfluss auf die spontane, affektive Bewertung der pre-attentiven Anmutung. Dieses Ergebnis ist aus zwei Gründen bedeutsam: Erstens wird gerade im politischen Kontext die Rolle individueller politischer Prädispositionen und ihre Bedeutung als ‘Wahrnehmungsfilter’ betont, die empirischen Befunde legen aber nahe, nicht von einer absoluten Prädominanz für die Wahrnehmung und Rezeption politischer Botschaften ausgehen zu können. Dies gilt insbesondere, da gerade der pre-attentiven Wahrnehmungsphase eine prädisponierende Wirkung auf die anschließenden Prozesse der Aufnahme und Verarbeitung von Informationen zukommt. Hier liefern die präsentierten Befunde die Erkenntnis, dass positiv und professionell gestaltete Bildplakate, unabhängig von der Parteiidentifikation, dem Bildungsgrad, dem Politischen Interesse oder der grundsätzliche Einstellung gegenüber dem Medium Wahlplakat, eine positivere Wirkung im ersten Eindruck erzielen. Da gerade diese Wirkung die nachfolgenden Rezeptionsstufen positiv prägen sollte, folgt daraus, dass Visuelle Kommunikation und visuelle Gestaltung über ein recht großes Wirkungspotential verfügen. Konklusion der pre-attentiven Wirkung Visueller Kommunikation
Die Besonderheiten Visueller Kommunikation haben Auswirkungen auf die kurzfristige emotionale Einstimmung des Rezipienten beim ersten visuellen Kontakt: Bildplakate führen zu einer positiveren pre-attentiven Anmutung und
Allokation von Aufmerksamkeit und Aktivierung und Hierarchie der Wahrnehmungssequenz
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werden im ersten Eindruck besser bewertet als Textplakate. Dieses Ergebnis lässt sich unter verschiedenen Bedingungen replizieren. Für die pre-attentive Anmutung bzw. spontane Bewertung zeigt sich, dass diese positiver ausfällt, je prägnanter positiv-konnotierte schema-kongruente Motive, Farben und Formen in der Gestaltung eingesetzt werden. Die affektive Bewertung in der Phase pre-attentive Anmutung zeigt sich unabhängig von der Parteiidentifikation, unabhängig vom politischen Interesse und unabhängig vom Bildungsgrad der Rezipienten. Die individuelle Haltung der Rezipienten gegenüber dem Medium Wahlplakat hat keinen Einfluss auf die affektive Bewertung in der Phase der pre-attentiven Anmutung. Bei einer Exposition mit einer integrierten, themen- und layoutkongruenten Kampagne, die auf Basis der bisherigen theoretischen Erkenntnisse zur Wahrnehmung und Wirkung Visueller Kommunikation ‘optimal’ gestalteten wurde, konnten keine Wear-Out-Effekt nachgewiesen werden. Auch bei Kumulation der pre-attentiven Eindrücke durch konsistente Exposition mit einer integrierten, themen- und layoutkongruenten Kampagne, die auf Basis der bisherigen theoretischen Erkenntnisse zur Wahrnehmung und Wirkung Visueller Kommunikation ‘optimal’ gestalteten wurde, zeigt sich kein Einfluss von individuellen Rezipientenmerkmalen wie dem politischen Interesse, der Parteiidentifikation oder dem Bildungsgrad auf die Bewertung der preattentiven Anmutung. Es ist aufgrund dieser Befunde wahrscheinlich, dass die pre-attentive Wirkung Visueller (Politischer) Kommunikation den Rezipienten auch für den folgenden Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprozess positiv prädisponiert und zu stärkeren aktiven und passiven Erinnerungsleistungen führt (vgl. Kap. 6.5).
6.3 Allokation von Aufmerksamkeit und Aktivierung und Hierarchie der Wahrnehmungssequenz Mit der Analyse der pre-attentiven Wirkung Visueller Kommunikation wurde ein unmittelbarer, perzeptiver Bildüberlegenheitseffekt betrachtet. Nun wird geprüft, welche anschließenden Konsequenzen sich aus den bisherigen Erkenntnissen für die Wahrnehmung, Verarbeitung und Wirkung Visueller Politischer Kommunikation ergeben. Grundlage jeder Medienwirkung ist dabei, dass die Botschaft überhaupt gesehen wird, also Aufmerksamkeit erhält und darüber Aktivierung erzeugt (vgl. Leven 1986: 157); daher wurde Wahrnehmung als Aufmerksamkeits- und Aktivierungsprozess interpretiert. Das Niveau von Aufmerksamkeit und Aktivierung sowie die Hierarchie ihrer Verteilung wirken zudem moderierend auf die weiteren Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprozesse.
222
Allokation von Aufmerksamkeit und Aktivierung und Hierarchie der Wahrnehmungssequenz
Die Erkenntnisse zu diesen Aufmerksamkeits- und Aktivierungswirkungen bildhafter Inhalte und ihre Verstärkerwirkungen für den Rezeptionsprozess sollen empirisch geprüft werden. Aufgrund der Besonderheiten Visueller Kommunikation ist hierbei plausibel, dass Aktivierung vor allem durch Bilder erreicht werden kann. Bildhafte Kommunikationselemente bewirken Kontakt, sie aktivieren stärker und werden schneller wahrgenommen als Texte. Daher formulieren Kroeber-Riel und Esch (2004: 152): „Bilder können (...) bevorzugt dazu eingesetzt werden, um den ersten Kontakt (...) herzustellen“. Gleichzeitig sollten Bildelemente in höherem Maße dazu geeignet sein, den visuellen Kontakt zu binden. Hypothese der Aktivierungs- und Aufmerksamkeitswirkung Visueller Kommunikation
Bilder erzielen eine größere Aufmerksamkeit und Aktivierungswirkung als Texte; bildhafte Kommunikationselemente werden im Wahrnehmungsprozess früher betrachtet. Bilder erzielen eine größere Aufmerksamkeit und Aktivierungswirkung als Texte; bildhafte Kommunikationselemente werden im Wahrnehmungsprozess länger betrachtet.
Operationalisieren lässt sich die Analyse der Aktivierungs- und Aufmerksamkeitswirkung Visueller Kommunikation über die Messung des Blickverhaltens, spezieller noch über die Zeit bis zum Erstkontakt (Time to First Fixation) und über die Intensität der Betrachtung (Observation Length). Die Prädiktoren Aufmerksamkeit und Aktivierung werden hiermit indirekt über deren Übersetzung in die unmittelbar einhergehenden physiologischen Reaktionen erfasst. Zwar muss hierbei auf eine methodisch-analytisch saubere Trennung der beiden Konstrukte Aktivierung und Aufmerksamkeit verzichtet werden; diese ist hinsichtlich der Wirkungen aber auch nur zweitrangig, da die differenzierbaren Prozesse im Wahrnehmungsverlauf ohnehin als intervenierende Variablen zu betrachten sind, die in einem reziproken Verhältnis zueinander stehen (vgl. Schierl 2001: 82). Die weitere Auseinandersetzung basiert auf der Erkenntnis, dass sich die physiologisch messbare visuelle Aufmerksamkeitsallokation als eine Funktion der jeweiligen Aktivierung des Rezipienten, seiner Motivation, seiner Interessen, Möglichkeiten und Fähigkeiten interpretieren lässt, die durch Faktoren wie die Rezeptionssituation oder stimulusspezifische Charakteristika erheblich modifiziert werden kann (vgl. Radach et al. 2003: 612; Unema 1999: 35). Dem folgend, gibt die hierarchische Analyse der Blickverlaufssequenz einerseits Auskunft über das Aktivierungspotential (und damit auch über die Aufmerksamkeitsstärke) eines Plakatbereichs; bei kurzer Zeit zum Erstkontakt liegt ein hohes Aktivierungspotential vor. Gleichzeitig ermöglicht die Zeit bis zum Erstkontakt Rückschlüsse auf die Hierarchie der mentalen Verarbeitung, denn „die Sequenz der
Allokation von Aufmerksamkeit und Aktivierung und Hierarchie der Wahrnehmungssequenz
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Fixationen lässt sich als Abfolge der zentralen Verarbeitungsschritte rekonstruieren“ (Schroiff 1986: 58; vgl. Schroiff 1987; Eye-Mind-Sequence Assumption). Die Betrachtungszeit lässt hingegen erkennen, wie intensiv bzw. wie lange das Auge einen bestimmten Bereich fixiert hat. Diese Eye-Mind Assumption basiert auf der Erkenntnis, dass die Fixationsdauer der Dauer der zentralen Verarbeitung entspricht (vgl. Richter 2008: 19; Lass/Lüer 1990: 80; Just/Carpenter 1976: 44; 1980: 341). Damit lässt sich die Beziehung von Aufmerksamkeit, Aktivierung, Visueller Wahrnehmung und Verarbeitung vereinfacht als activation attention feedback loop interpretieren (vgl. Duchwoski 2003: 19). Es ist in diesem Kontext darauf zu verweisen, dass die vorgestellten Prämissen der Blickverlaufsparameter durchaus zu diskutieren sind (vgl. Geise/Schumacher 2011). In der Mehrzahl der Operationalisierungen, so auch im vorliegenden Fall, wird bei der Dateninterpretation davon ausgegangen, dass die Fixations- bzw. Betrachtungsdauer als Indikator der kognitiven Verarbeitungsleistung zu interpretieren ist. Spezifischer noch wird präzisiert, dass die Dauer der fovealen Fixation der Dauer der kognitiven Verarbeitung entspricht (vgl. Rötting 1999a: 8). Tatsächlich ist dies aber nicht immer eindeutig. Einige Studien liefern auch Hinweise, dass die Dauer der kognitiven Verarbeitung minimal geringer sein kann als die Dauer der Fixation (vgl. McConkie/Underwood/Zola/Wolverton 1985). Hier ist zu bedenken, dass zahlreiche Blickbewegungsimplikationen und daraus abgeleitete Parameter noch nicht vollständig erforscht bzw. endgültig fundiert sind. Einschränkungen betreffen auch die Frage, wie die Dauer einer Fixation überhaupt interpretiert werden kann (vgl. Rötting 1999a: 8-9). Ist eine intensive Betrachtung als ein Indikator für eine aufmerksame Rezeption zu interpretieren? Als Indiz für die Interessiertheit des Probanden? Möglich ist auch, die Fixationsdauer als ein Maß der kognitiven Beanspruchung zu verstehen. Eine ausgedehnte Fixationszeit würde demnach auf eine zu hohe Komplexität der angebotenen Informationen hindeuten. Rötting (1999a: 9) weist in diesem Kontext darauf hin, dass die Interpretation der Fixationsdauern in Abhängigkeit von der jeweiligen Aufgabe zu deuten ist: Verlangt die Aufgabe überwiegend eine kognitive Verarbeitung, wäre eine stark ausgedehnte Fixationszeit Indikator hoher Beanspruchung und damit (zu) hoher Komplexität. Dem entsprechen Befunde von Rayner (1978; 1982; 1998), der eine Verlängerung der Fixationszeiten bei Exposition mit sehr komplexen Satzkonstruktionen zeigen konnte (vgl. Rayner/Rotello/Stewart/Keir/Duffy 2001). Hier ist aber zu berücksichtigen, dass die Mehrheit der auf diese Fragestellung bezogenen Studien der Analyse Visueller Wahrnehmung beim Leseverhalten gewidmet ist. Es ist aber höchst wahrscheinlich, dass die Einschränkungen nicht in gleichem Maße für die Rezeption von Bildinformationen gelten, die aufgrund ihres divergenten Wahrnehmungs- und Verarbeitungsmodus mit anderen Parametern operiert. Den theoretischen Implikationen der Logik Visueller Wahrnehmung fol-
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Allokation von Aufmerksamkeit und Aktivierung und Hierarchie der Wahrnehmungssequenz
gend, sind die formulierten Prämissen plausibel, wenngleich die möglichen Einschränkungen durchaus bewusst bleiben. Insgesamt besteht hier noch enormer Forschungsbedarf. Da Aufmerksamkeit und Aktivierung sowohl endogen als auch exogen kontrolliert werden können (vgl. Kap. 2.3.2), lässt sich das Niveau von Aufmerksamkeit und Aktivierung unabhängig von individuellen Wahrnehmungsintentionen durch die Charakteristika des Stimulus lenken (daher auch: stimulus-driven; Godijn/Theeuwes 2003: 3). Legt man zudem zugrunde, dass „individual-, stimulusspezifische und situative Faktoren den Blickverlauf steuern“ (Leven 1991: 15), präziser formuliert müsste es eigentlich heißen, dass „individual, stimulusspezifische und situative Faktoren das Niveau von Aufmerksamkeit und Aktivierung steuern“, müssten Wahrnehmungsunterschiede bei verschiedenen Stimuli (visuell vs. textlich) anhand des Blickverhaltens nachweisbar sein. Übersetzt man die formulierten Hypothesen in die beschriebenen Indikatoren, sollten die Eyetracking-Ergebnisse folgendes Bild zeigen (vgl. Tab. 9): Hypothesen der Aktivierungs- und Aufmerksamkeitswirkung Visueller Kommunikation
Bildhafte Elemente sollten im Rezeptionsprozess eine kürzere Zeitspanne bis zum Erstkontakt aufweisen als typographische Elemente. Bildhafte Elemente sollten im Rezeptionsprozess eine höhere Blickverweildauer aufweisen als typographische Elemente.
Prämisse
Implikation der Prämisse
Indikator
‘EyeMind Sequence Assumption’
Die hierarchische Sequenz der Fixationen entspricht der hierarchischen Sequenz der zentralen kognitiven Verarbeitungsschritte (vgl. Schroiff 1986: 58; 1987).
Zeit zum Erstkontakt (Time to First Fixation)
Implikation des Indikators Gibt Auskunft über das Aktivierungsund Aufmerksamkeitspotential eines Bereichs; bei kurzer Zeit zum Erstkontakt liegt hohes Aktivierungsund Aufmerksamkeitspotential vor.
Hypothese und Transfer auf Indikatorenbasis Bilder erzielen eine größere Aufmerksamkeits- und Aktivierungswirkung als Texte; bildhafte Kommunikationselemente werden im Wahrnehmungsprozess früher betrachtet. Bildhafte Elemente zeigen eine kürzere Zeitspanne (Time to First Fixation) bis zum Erstkontakt als typographische.
Allokation von Aufmerksamkeit und Aktivierung und Hierarchie der Wahrnehmungssequenz
‘EyeMind Assumption’
Tabelle 9:
Die Fixationsdauer entspricht der Dauer der zentralen Verarbeitung (vgl. Richter 2008: 19; Lass/Lüer 1990: 80; Just/ Carpenter 1976: 44; 1980). Gleichzeitig ist die Fixationsdauer ein Indikator für die Aufmerksamkeitsallokation des Rezipienten.
Blickverweildauer (Observation Length of Fixation)
Lässt erkennen, wie intensiv bzw. wie lange das Auge einen bestimmten Bereich fixiert hat. Gibt Auskunft über die Aktivierungs- und Aufmerksamkeitsallokation. Bei höherer Blickerweildauer ist ein höherer Grad der Informationsaufnahme wahrscheinlich.
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Bilder erzielen eine größere Aufmerksamkeits- und Aktivierungswirkung als Texte; bildhafte Kommunikationselemente werden im Wahrnehmungsprozess intensiver/ länger betrachtet. Bildhafte Elemente zeigen eine höhere Blickverweildauer (Observation Length of Fixation) als typographische.
Überblick über Prämissen, Indikatoren und Hypothesen der Eyetracking-Analysen zur Aktivierungs- und Aufmerksamkeitswirkung Visueller Kommunikation.
Um diese Annahmen über die verschiedenen Plakatmotive zu prüfen, ist es zunächst erforderlich, plakatübergreifende bzw. plakatunabhängige Kategorien zu entwickeln, die einen Vergleich aus der ‘Makro-Perspektive’ erlauben. Die Verdichtung der Eyetracking-Daten in exogene Variablen ist auch deshalb erforderlich, um die Blickverlaufsdaten von den zugrunde liegenden Stimuli zu lösen und weiteren Analysen zur Verfügung zu stellen, die nicht am einzelnen Plakatmotiv verharren. Für diese Betrachtung gilt die Analyse der Blickverlaufsdaten auf Basis einzelner Areas of Interest (AOIs) als bewährtes Verfahren (vgl. Granka/Feusner/Lorigo 2008: 348; Radach et al. 2003: 613-614; Rötting 1999a: 12). Hierzu werden bestimmte Bereiche des Einzelmotivs segmentiert, die aus Rezeptions- oder Wirkungsperspektive von besonderem Interesse sind. Anschließend wird ermittelt, wie sich der Blickverlauf über diese bzw. innerhalb dieser AOIs strukturiert. Für die vorliegende Fragestellung lässt sich dieses Vorgehen erweitern, indem nicht plakatabhängige Kriterien für die Bildung der AOIs herangezogen werden, sondern Strukturen, die als grundle-
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Allokation von Aufmerksamkeit und Aktivierung und Hierarchie der Wahrnehmungssequenz
gende ‘Kommunikationsbausteine’ eines Plakats angesehen werden können. Hier bietet es sich insbesondere an, die aus Gestaltungsperspektive konstitutiven Strukturelemente eines Plakats zu operationalisieren: Headline, Subline, Copy, Claim, Logo sowie Bildmotiv. Diese können für alle Plakatmotive segmentiert und in ihren Blickverlaufsstrukturen verglichen werden. Tabelle 10 gibt einen Überblick über die entsprechend operationalisierten plakatunabhängigen Kategorien und der der Segmentierungsentscheidung zugrunde gelegten Definition. Plakatunabhängiges Strukturelement (Area of Interest) Headline
Subline
Copy
Claim
Der Segmentierungsentscheidung zugrunde liegende Definition des Strukturelements Unabhängig von der Platzierung wird als Headline die zentrale Überschrift oder Schlagzeile der Plakatbotschaft verstanden; die Headline wird durch die Gestaltung in der Regel besonders betont (z.B. durch Größe, Typographie, Farbe, Kontrast) (vgl. Lachmann 2002: 168). Unabhängig von der Platzierung wird als Subline eine der Headline nachgeordnete Unterschrift, dem normalen Text (Copy) jedoch übergeordnete Textzeile verstanden. Die hierarchische Unterordnung der Subline unter die Headline bzw. die hierarchische Überordnung gegenüber dem Copy-Text wird meist durch die Gestaltung unterstützt (z.B. durch Einrückung, Strichstärke, Farbe Größe, Position). Unabhängig von der Platzierung ist der Copy-Text der der Headline sowie der Subline untergeordnete, zusammenhängende Fließtext des Plakatmediums. Im Unterschied zur Head- oder Subline verläuft der Copy meistens über mehr als zwei Textzeilen. Unabhängig von der Platzierung ist der Claim (auch: Slogan; Motto) eine konzentrierte, kampagnenumfassende Positionierung des Absenders oder der Kommunikationsintention, oft in Form eines
Allokation von Aufmerksamkeit und Aktivierung und Hierarchie der Wahrnehmungssequenz
Logo
Bildmotiv
Inhaltlicher Bildmittelpunkt
Add-On
Tabelle 10:
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„kurzen prägnanten Werbetextes“ (vgl. Görg 2005: 9-10). Unabhängig von der Platzierung ist das Logo (auch: Brand) ein konzentriertes, visuell gestaltetes Zeichen oder Symbol, das als konsistentes Identifikationsmerkmal für den Absenders oder die Kommunikationsintention steht (vgl. Herbst/Scheier 2004: 37). Unabhängig von der Platzierung ist das Bild oder Bildmotiv eine intentionale, höchstens zwei-dimensionale, medial gebundene, Visualisierung oder visuelle Repräsentation von Bedeutungsinhalten, die nicht bereits fixiert sein müssen, mit Bezug zu situativen, zeitlichen, räumlichen, individuellen und sozialen Kontexten (vgl. Kap. 2.2.3). Im Idealfall weist das Bildmotiv eine Tonality auf, die eine assoziative Passung zum Absender und zur Kommunikationsbotschaft hat. Unabhängig von der Platzierung bezeichnet der Inhaltliche Bildmittelpunkt das inhaltliche Zentrum des Bildmotivs, also den bedeutsamen Teilbereich des Bildmotivs, der die Hauptaussage der Bildbotschaft transportiert. Unabhängig von der Platzierung bezeichnet das Add-On eine meist durch visuelle Gestaltung stark betonte visuelle oder verbale Zusatzinformation, die meist außerhalb des ‘eigentlichen’ Layouts steht. Dementsprechend wird ein Add-On häufig in Form eines Störers, Buttons oder Icons über das Gesamtlayout gelegt.
Strukturelemente und Auswahlkriterien der AOI-Selektion.
Auf Basis dieser Definitionen wurden die vorkommenden Elemente für jedes getestete Plakatmotiv möglichst präzise selektiert (zur forschungspraktischen Umset-
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Allokation von Aufmerksamkeit und Aktivierung und Hierarchie der Wahrnehmungssequenz
zung zeigen Abb. 11 und 12 in VS PLUS „Methode & Empirie“ zwei Testplakate mit den darüber liegend operationalisierten AOIs; kann auf der Homepage des VS Verlags unter folgendem Link im Original eingesehen werden: http://www.vsverlag.de/Buch/978-3-531-17819-6/Vision-that-matters.html). Bei der Operationalisierung der AOIs wurde darauf geachtet, diese möglichst trennscharf voneinander abzugrenzen. In der überwiegenden Anzahl der Testplakate war dies problemlos möglich, denn die Gestaltung war meist so konzipiert, dass die einzelnen Gestaltungselemente direkt durch graphische Elemente voneinander getrennt waren, um ein möglichst klares Layout zu erreichen. So ist es ein etabliertes Gestaltungsmittel über den Plakatgrund oder das Plakatmotiv eine so genannte Typobühne zu legen, auf der Headline oder Subline positioniert werden. Allerdings kommt es gelegentlich vor, dass einzelne Gestaltungselemente im Layout überlappend positioniert werden, etwa, wenn Headline oder Subline freistehend auf ein Bildmotiv gestellt werden. In jenem Fall ist es kaum möglich, die Gestaltungselemente als AOIs klar voneinander abzugrenzen; ob in dieser Situation Vordergrund oder Hintergrund perzipiert werden, lässt sich mit Hilfe der Eyetracking-Daten nicht erkennen. Allerdings ist durchaus plausibel, dass Bildinformationen, die unter einer großzügig gestalteten Headline fortgesetzt werden, bei Erfassen der Headline mit-rezipiert werden oder vice versa. Aus diesem Grund kann die Operationalisierung der AOIs, wie sie oben beschrieben wurde, im Ausnahmefall dazu führen, dass sich einzelne AOIs – oder besser: Betrachtungszeiten dieser AOIs – überschneiden. Konkret bedeutet das, dass die plakatübergreifende Analyse auf AOI-Basis mit geringfügigen Spill-Over-Effekten der Aufmerksamkeits- oder Aktivierungsallokation einhergeht; dies sollte bewusst sein. Vor dem Hintergrund, dass aber ein enormer Vorteil darin liegt, Gestaltungskategorien in ihrer Wahrnehmungswirkung plakatübergreifend vergleichen zu können, ist diese Einschränkung akzeptabel, zumal die überlappende Gestaltung eine Ausnahme darstellt. Nachdem die Operationalisierung der Indikatoren auf Basis der zu selektierenden Areas of Interest vorgestellt wurde, werden nun die Ergebnisse der EyetrackingAnalysen betrachtet. Hierbei wurde vermutet, dass sich der Bildüberlegenheitseffekt auf die Aktivierung und Aufmerksamkeitsallokation niederschlägt. Als erste Wirkung wurde prognostiziert, dass bildhafte Elemente eine kürzere Zeitspanne (Time to First Fixation) bis zum Erstkontakt aufweisen als dies bei typographischen Elementen der Fall ist. Hier zeigen die Eyetracking-Analysen der apparativ gemessenen Zeit bis zur Betrachtung der Areas of Interest (Headline, Subline, Logo, Bild, Claim) ein deutliches Ergebnis: Bildbereiche verfügen im Vergleich zu den übrigen Gestaltungselementen über ein weitaus höheres Aktivierungs- und Aufmerksamkeitspotential. Tabelle 11 zeigt diesen Befund im Überblick für Testreihe I.
Allokation von Aufmerksamkeit und Aktivierung und Hierarchie der Wahrnehmungssequenz
TESTREIHE I
Area of Interest Bild Inhaltlicher Bildmittelpunkt Claim Subline Logo Tabelle 11:
Time to First Fixation in Sekunden in der FlashPhase (0,5 Sekunden Betrachtungszeit) (N = 107) (M =) (SD =) 0,043 0,67 0,118 0,175 0,186 0,319
0,86 0,14 0,11 0,11
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Time to First Fixation in Sekunden in der LongPhase (5 Sekunden Betrachtungszeit) (N = 107) (M =) (SD =) 0,278 0,30 0,805 2,684 1,548 2,725
0,61 0,60 0,65 0,63
Durchschnittliche Zeit bis zur ersten Fixation ausgewählter AOIs bei Betrachtung der Bildplakate in T1 (Rezeptionszeit von 0,5 und 5 sec).6
Die durchschnittliche Zeit bis zum Erstkontakt liegt für die Bildbereiche in der Flash-Phase in T1 bei nur 0,04 sec (SD=0,67). Dagegen dauert es mit einer durchschnittlichen Time to First Fixation von 0,176 sec (SD=0,10) mehr als viermal so lange, bis die Headline betrachtet wird. Dieses höhere Aktivierungs- und Aufmerksamkeitspotential der Bildbereiche zeigt sich unabhängig vom kommunizierten Thema und unabhängig vom verwendeten Motiv: In der jeweiligen ‘Kontrollgruppe’ finden sich strukturell identische Ergebnisse dieser ‘Bildüberlegenheitswirkung’. Auch bei längerem Kontakt mit dem Stimulus verändert sich der Befund nicht: Bei einer Betrachtungszeit von 5 sec zeigen sich die Wirkungen ebenso deutlich. Allerdings liegt die durchschnittliche Zeit bis zu ersten Fixation bei einer Betrachtungszeit von 5 sec insgesamt etwas höher (z.B. Time to First Fixation Bildelement M=0,521 (SD=0,30); Time to First Fixation Headline M=0,278 (SD=0,24)), weil sich der Blickverlauf der Probanden über einen längeren Zeitraum über das Motiv verteilt. Demnach fließen in die 5-sec-Messung auch die Rezeptionen ein, die einzelne AOIs verzögert erfassen. Spannend ist, ob sich das Blickverhalten der Probanden nicht möglicherweise an die veränderten Rezeptionsbedingungen (Exposition von 0,5 vs. 5 sec) anpasst und die Geschwindigkeit der ersten Orientierungsreaktionen entsprechend ab- bzw. 6
In die Mittelwertberechnung fließen dabei nur diejenigen Rezeptionen ein, bei denen die jeweiligen AOIs auch tatsächlich betrachtet wurden. Auf dem Plakatmotiv überschneiden sich die extrahierten AOIs teilweise (z.B. wenn die Headline direkt auf dem Bildmotiv platziert ist). Dies hat zur Folge, dass mehrere Plakatelemente gleichzeitig fixiert werden können. Da die Daten für T1 nicht nach dem Individualdaten-Modell aufbereitet wurden, liegen hier (im Gegensatz zu T2) keine individuellen Plakat-Probanden-Relationen vor. Aus diesem Grund bildet die Gesamtgruppe der an der Studie teilgenommenen Probanden (N=107) die Basis der Auswertungen in T1.
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zunimmt. Aufgrund der bisherigen Erkenntnisse zur Funktionslogik Visueller Wahrnehmung (vgl. Kap. 2) wäre eine derartige Anpassungsreaktion durchaus plausibel. Hier besteht weiterer Forschungsbedarf, um die komplex verschachtelten Zusammenhänge von Wahrnehmung als stimulus-driven bzw. goal-driven Prozess (vgl. Kap. 2.3.2) besser einordnen zu können oder sie, mit Blick auf die skizzierte Idee der Anpassungseffekte, möglicherweise um die Interventionen einer situation-driven Wahrnehmung zu erweitern. Doch zurück zu den vorliegenden Befunden. Hier soll noch einmal betont werden, welche Konsequenzen sich, der Funktionslogik Visueller Wahrnehmung und Visueller Kommunikation entsprechend, aus den präsentierten Resultaten ergeben. Zunächst zeigen die empirischen Befunde eine überlegene Aktivierungs- und Aufmerksamkeitswirkung visueller (Plakat-)Inhalte. Basierend auf der für das Forschungsprojekt operationalisierten Eye-Mind-Sequence Assumption, dass die Zeit bis zum Erstkontakt Rückschlüsse auf die Hierarchie der mentalen Verarbeitung ermöglicht, zeigt der Befund gleichzeitig, dass die Bildbereiche an der Spitze der mentalen Verarbeitungshierarchie stehen. Bildelemente werden demnach zuerst kognitiv verarbeitet. Diese Befunde sind nicht nur von theoretischer Relevanz. Vielmehr legen sie nahe, dass die Sequenz der Aufmerksamkeits- und Aktivierungsverteilung bzw. der zentralen Verarbeitungsschritte, ähnlich zur prädisponierenden Wirkung der preattentiven Wahrnehmungsphase (vgl. Kap. 2.3.3), die weitere Rezeption prägt. Entsprechend der Erkenntnisse zu Schematheorie und Framing ist davon auszugehen, dass die ersten Informationen einen Interpretationsframe aktivieren, der Basis der weiteren Einordnung ist (vgl. Kap. 2.3.5.1 und 2.3.5.2). Die Auseinandersetzung mit der analogen, räumlich-assoziativen Funktionslogik Visueller Kommunikation hat zudem impliziert, dass Bilder beim Rezipienten Assoziationsketten auslösen, die sich auf die weitere gedankliche Informationsverarbeitung auswirken, ohne jedoch gedanklich kontrolliert und hinterfragt zu werden. Die vom Rezipienten zuerst betrachteten und verarbeiteten Informationseinheiten bauen einen implizite Erwartungshorizont bezüglich der im Rezeptionsprozess folgenden Verarbeitungen auf (vgl. Kroeber-Riel/Esch 2004: 208), eine assoziativ-kognitive Prädisposition der weiteren Wahrnehmung und Verarbeitung. In der Konsequenz fördert oder erschwert diejenige Information, die zuerst kognitiv verarbeitet wird, die weitere Informationsverarbeitung – je nachdem, inwieweit sie kognitiven Konzepte bzw. Schemata aktiviert (vgl. Kap. 2.3.5.1). Insbesondere hängt die störungsfreie weitere gedankliche Verarbeitung der (Bild-)Information davon ab, inwieweit sie den vorhandenen Schemavorstellungen der Empfänger entspricht. Da Bildelemente demnach in der Regel zuerst beachtet werden, können sie als Tor zum Verständnis der Botschaft fungieren (vgl. Kroeber-Riel/Esch 2004: 209). Der Bildteil wird nicht nur schneller und müheloser aufgenommen und kann dadurch bei identischer Zeitspanne mehr und einprägsamere Informationen als Textbotschaften kommunizieren, sondern erlaubt auch eine besonders schnelle Orien-
Allokation von Aufmerksamkeit und Aktivierung und Hierarchie der Wahrnehmungssequenz
231
tierung (vgl. Kap. 2.1). Das gilt auch, wenn, wie im politischen Kontext üblich, Sachinformationen übermittelt werden sollen. Hier trägt die durch Visuelle Kommunikation „geschaffene Beschleunigung und Erleichterung der Wahrnehmung (...) erheblich zur Kontaktnutzung“ bei Low-Involvement bei (Kroeber-Riel/Esch 2004: 208). Allerdings sollten die gewählten Motive die Erwartung nicht in falsche oder irreführende Richtungen lenken. Dies würde zum einen Aufmerksamkeit kosten, zum anderen wäre die Kommunikationsbotschaft bei Kontaktabbruch nicht nur bruchstückhaft, sondern fehlerhaft aufgenommen: Bildmotive, die eine falsche Einordnung (...) auslösen, verführen zum [Kontakt-]Abbruch (...), bevor der Empfänger überhaupt weiß, um was es im Einzelnen geht“ (Kroeber-Riel 1993: 147). Zudem werden Orientierung und Verständnis durch falsche Erwartungen erheblich erschwert. TESTREIHE I (nur Bildplakate) Area of Interest Bild Inhaltlicher Bildmittelpunkt Headline Claim Logo Tabelle 12:
Betrachtungszeit in SeBetrachtungszeit in Sekunden in der Flash-Phase kunden in der Long-Phase (5 Sekunden (0,5 Sekunden Betrachtungszeit) Betrachtungszeit) (N = 107) (N = 107) (M =) (SD =) (M =) (SD =) 0,338 0,48 2,342 1,31 0,174 0,197 0,013 0,015
0,10 0,12 0,25 0,03
1,231 1,648 0,482 0,321
0,53 0,79 0,30 0,26
Durchschnittliche Betrachtungszeit ausgewählter AOIs der Bildplakate in T1 (Rezeptionszeit von 0,5 und 5 sec).7
Dies ist auch dann der Fall, wenn Headline und Bildmotiv in keinem oder widersprüchlichen Zusammenhang stehen (vgl. Kroeber-Riel/Esch 2004: 208). Ähnlich problematisch ist, wenn die erste Information Irritation, negative Assoziationen oder Unverständnis auslöst. In diesem Fall wird der Kontaktabbruch ebenfalls 7
In die Mittelwertberechnung fließen dabei nur diejenigen Rezeptionen ein, bei denen die jeweiligen AOIs auch tatsächlich betrachtet wurden. Auf dem Plakatmotiv überschneiden sich die extrahierten AOIs teilweise (z.B. wenn die Headline ohne Font direkt auf dem Bildmotiv platziert ist). Dies hat zur Folge, dass mehrere Plakatelemente gleichzeitig fixiert werden können. Da die Daten für T1 nicht nach dem Individualdaten-Modell aufbereitet wurden, liegen hier (im Gegensatz zu T2) keine individuellen Plakat-Probanden-Relationen vor. Aus diesem Grund bildet die Gesamtgruppe der an der Studie teilgenommenen Probanden (N = 107) die Basis der Auswertungen in T1.
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begünstigt. Die Erkenntnisse der Funktions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation erlauben, einen Zusammenhang zwischen der Aktivierungs- und Aufmerksamkeitswirkung im Kontaktaufbau und der weiteren Kontaktnutzung zu vermuten. Hier wurde die These formuliert, dass bildhafte Kommunikationselemente im Wahrnehmungsprozess intensiver bzw. länger betrachtet werden und somit eine höhere Blickverweildauer (Observation Length of Fixation) als typographische aufweisen. Tabelle 12 gibt die Ergebnisse der durchschnittlichen Betrachtungszeit der ausgewählten Areas of Interest (AOIs) der Bildplakate in T1 an. Bei der Analyse der durchschnittlichen Betrachtungszeiten der AOIs lassen sich prägnante strukturelle Wahrnehmungsunterschiede zwischen Bild- und Textelementen finden. So zeigen die Eyetracking-Daten, dass in der Flash-Phase fast 70 Prozent der gesamten Betrachtungszeit auf die Bildbereiche entfallen (M=0,338; SD=0,48), hier können folglich mit Abstand die meisten Informationen vermittelt werden. Einzelne Textelemente erreichen dagegen nur einen Bruchteil dieser Betrachtungsdauer (über alle Textelemente: M=0,065; SD=0,11; vgl. Einzelwerte in Tabelle 12). Auch dieses Ergebnis bleibt bei Verlängerung der Betrachtungszeit in der Tendenz stabil: Bei einer Betrachtung von 5 sec, d.h. bei Wiedervorlage der Stimuli in der Long-Phase, entfallen noch fast 50 Prozent der Betrachtungszeit auf die Bildbereiche (M=2,342; SD=1,31). Obwohl das Ergebnis zeigt, dass bildhafte Plakatelemente absolut länger betrachtet werden, Bildelemente demnach eine höhere Blickverweildauer und damit eine stärkere Aktivierungs- und Aufmerksamkeitsallokation zeigen (Observation Length of Fixations) als Textelemente, ist das Ergebnis doch mit Blick auf die Erkenntnisse der Funktionslogik Visueller Kommunikation und Visueller Wahrnehmung eigentlich wenig aussagekräftig. Denn: Der absolute Vergleich zwischen Bildund Textelementen setzt streng genommen voraus, dass von einer absolut vergleichbaren Funktions- bzw. Rezeptionslogik beider Wahrnehmungsmodi ausgegangen werden kann. Eben diese Tatsache ist aber gerade nicht gegeben: Bild- und Textkommunikation unterscheiden sich fundamental in ihrer Wahrnehmung, in ihrer Rezeption, in ihrer Verarbeitung, in ihrer Wirkung. Hierzu wurde expliziert, dass Bilder aufgrund ihres zur Textkommunikation differenten, rapiden, ganzheitlichassoziativen Verarbeitungsmodus früher, schneller und unmittelbarer wahrgenommen werden als Texte, über ein höheres Aktivierungspotential verfügen, bessere Gedächtnisleistungen erzielen sowie tiefer und emotionaler beeinflussen können (vgl. Kobayashi 1986; Childers/Heckler/Houston 1986; Childers/Houston 1984; Nelson/Castano 1984; Nelson 1979; Nelson/Reed/Walling 1976; Kroeber-Riel 1993). Diese Erkenntnis konsequent angewendet, kann der oben vorgenommene Vergleich von Bild und Text methodisch nur unzureichend sein. Zwar zeigt sich auch auf Basis dieser Betrachtung die deutliche Überlegenheitswirkung Visueller Kommunikation, doch liegt damit nur implizit zu zeigende, eigentliche Dimension der Picture Superiority um ein Vielfaches höher. Hier müsste eine Art Gewichtungsfaktor
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entwickelt werden, mit dem die rapidere Wahrnehmungs- und Verarbeitungsgeschwindigkeit von Visueller Kommunikation gewichtet werden müsste, um einen methodisch sauberen Vergleich beider Kommunikationsmodi leisten zu können. Es wäre für die Auseinandersetzung höchst fruchtbar, wenn diese Idee in weiteren Evaluationen bzw. Forschungsprojekten aufgegriffen werden würde. TESTREIHE II Welle 1 (Nur Bildplakate) Area of Interest Bild Inhaltlicher Bildmittelpunkt Headline Subline Copy Logo Add-On Tabelle 13:
Time to First Fixation in Sekunden in der FlashPhase (0,5 Sekunden Betrachtungszeit) (N =) (M =) (SD =) 1567 0,063 0,12 676 1048 156 42 157 8
0,135 0,239 0,157 0,203 0,348 0,141
0,15 0,15 0,16 0,19 0,12 0,19
Time to First Fixation in Sekunden in der LongPhase (3,5 Sekunden Betrachtungszeit) (N =) (M =) (SD =) 1750 0,399 0,762 1242 1706 614 283 858 129
1,023 0,609 1,446 1,355 1,872 2,047
1,065 0,614 0,977 0,962 0,990 0,841
Durchschnittliche Zeit bis zur jeweils ersten Fixation ausgewählter AOIs bei Betrachtung der Bildplakate in T2 (Rezeptionszeit von 0,5 und 3,5 sec).8
Im vorliegenden Forschungsprojekt war es eine relevante Frage, ob die Befunde einer höheren Aktivierungs- und Aufmerksamkeitswirkung der Bildbereiche sich bei einer Replikation der Experimentalbedingungen erneut darstellen, oder ob die Ergebnisse in ihrer Tendenz möglicherweise durch die Zusammensetzung des Samples (107 überwiegend studentische Probanden) beeinflusst waren. Da der Prozess Visueller Wahrnehmung nicht unwesentlich auf übergeordneten Strukturen der Wahrnehmung und 8
Da hierbei nur die ersten Fixationen gezählt werden, ist die Zahl der Fälle bzw. Beobachtungen N jeweils etwas geringer als bei der Analyse der Betrachtungszeiten). In die Mittelwertberechnung fließen nur diejenigen Rezeptionen ein, bei denen die jeweiligen AOIs auch tatsächlich betrachtet wurden. Auf dem Plakatmotiv überschneiden sich die extrahierten AOIs teilweise (z.B. wenn die Headline direkt auf dem Bildmotiv platziert ist). Dies hat zur Folge, dass mehrere Plakatelemente gleichzeitig fixiert werden können. Da die Daten für T2 nach dem Individualdaten-Modell aufbereitet wurden, liegen hier (im Gegensatz zu T1) individuelle Plakat-Probanden-Relationen zur Auswertung vor. Aus diesem Grund bilden die jeweils ermittelten Plakat-Probanden-Relationen (N=x) die Basis der Auswertungen in T2.
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der Informationsverarbeitung basiert (vgl. Kap. 2), wurde dies zwar nicht erwartet. Die Erweiterung der methodischen Umsetzung, insbesondere auch durch Realisation eines quotierten Samples, bietet hier aber die Möglichkeit, die in T1 gezeigten Wirkungen auf breiterer Basis zu testen. Tatsächlich zeigt das Ergebnis der Eyetracking-Messung in T1-W1, vergleichbare, wenn auch nicht so stark kontrastierende Befunde. Tabelle 13 stellt die Ergebnisse aus T2-W1 vor. Erneut liegt die durchschnittliche Zeit bis zum Erstkontakt für die Bildbereiche in der Flash-Phase in T2 mit nur 0,063 sec (SD=0,12) auf enorm niedrigem Niveau. Im Vergleich dazu dauert es deutlich länger, bis die foveale Wahrnehmung der Rezipienten auf textliche Plakatelemente gerichtet wird. So vergehen durchschnittlich 0,239 sec, bis die Headline betrachtet wird (SD=0,15). Die zentrale typographische Information, die mit der Headline transportiert werden soll, braucht demnach fast viermal so lange, um in der Flash-Phase in fovealen Kontakt mit den Rezipienten zu gelangen. Auch hier zeigt sich das höhere Aktivierungs- und Aufmerksamkeitspotential der Bildbereiche unabhängig vom kommunizierten Thema und unabhängig vom verwendeten Motiv. Ein ähnliches Bild der Verteilung von Aufmerksamkeit und Aktivierung liefern auch die Eyetracking-Messungen aus der Long-Phase mit einer Expositionszeit von 3,5 sec in T2. Hier zeigt sich erneut, dass die visuellen Informationen bereits in der frühen Phase der Wahrnehmung der gebotenen Stimuli perzipiert werden, womit sie den textlichen Botschaften in der zeitlichen Abfolge des Wahrnehmungsprozesses hierarchisch vorgeschaltet sind. Während die ersten fovealen Fixationen im Durchschnitt nach 0,399 sec (SD=0,76) auf die Bildinformation fallen, werden Textinformationen im Durchschnitt nach 0,609 sec (SD=0,61) zum ersten Mal fixiert. Die Time to First Fixation der Headline liegt folglich fast fünfzig Prozent über der Time to First Fixation der Bildinformation. Interessanterweise liegt die durchschnittliche Zeit bis zur ersten Fixation bei einer Betrachtungszeit von 3,5 sec insgesamt wieder höher, als bei der enorm reduzierten Betrachtungszeit von 0,5 sec in der Flash-Phase. Eine Erklärung ist hierfür, dies wurde bereits skizziert, dass sich der Blickverlauf der Probanden über einen längeren Zeitraum über das Motiv streut und insofern auch die zeitverzögerten Einstiege in die AOIs dokumentiert werden. Dennoch scheint die Replikation dieses Ergebnisses auch Indizien für die oben geäußerte Vermutung zu liefern, dass Visuelle Wahrnehmung als ein höchst flexibler Prozess verstanden werden muss, der sich rasch an veränderte Rezeptionsbedingungen anzupassen vermag, was sich offensichtlich auch im veränderten Blickverlauf zeigt. Analog zu den Befunden aus T1 werden prägnante Wahrnehmungsunterschiede zwischen Bild- und Textelementen auch bei der Analyse der durchschnittlichen Betrachtungszeiten der AOIs sichtbar. In der Flash-Phase in T2-W1 (vgl. Tab. 14) wird das Bildmotiv im Durchschnitt 0,232 sec lang betrachtet (SD=0,19) demzufolge fast 50 Prozent der gesamten Betrachtungszeit.
Allokation von Aufmerksamkeit und Aktivierung und Hierarchie der Wahrnehmungssequenz
TESTREIHE II – Welle 1 (Nur Bildplakate) Area of Interest Bild Inhaltlicher Bildmittelpunkt Headline Subline Copy Logo Add-On Tabelle 14:
Betrachtungszeit in Sekunden in der Flash-Phase (0,5 Sekunden Betrachtungszeit) (N =) (M =) (SD =) 2175 0,23 0,19 1784 2240 1017 385 2224 1192
0,09 0,10 0,03 0,02 0,09 0,00
0,13 0,14 0,08 0,06 0,40 0,21
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Betrachtungszeit in Sekunden in der Long-Phase (3,5 Sekunden Betrachtungszeit) (N =) (M =) (SD =) 1750 1,207 0,79 1241 1706 614 283 858 127
0,667 1,008 0,891 1,118 0,380 0,455
0,46 0,66 0,67 0,74 0,25 0,28
Durchschnittliche Betrachtungszeit ausgewählter AOIs der Bildplakate in T2 (Rezeptionszeit von 0,5 und 3,5 sec).9
Auf Headline, Subline, Copy und Claim zusammen richtet sich die foveale Wahrnehmung dagegen nur für insgesamt 0,159 sec (SD=0,11) und damit in etwa 30 Prozent der Zeit, was kaum ausreichen dürfte, um die wesentlichen Informationen zu transportieren. Spannend ist das Ergebnis der Aufmerksamkeitsallokation bei der Betrachtungszeit von 3,5 sec in der Long-Phase. Der Vergleich mit den Betrachtungszeiten aus der Long-Phase in T1, die mit einer divergenten Expositionszeit von 5 sec konzipiert war, zeigt hier nämlich eine klare Differenz: Während bei einer Expositionszeit von 5 sec in T1 durchschnittlich 2,342 sec, also fast 50 Prozent der Betrachtungszeit, auf die Bildbereiche verwendet wurden (M=2,342; SD=1,31), entfallen bei der geringeren Expositionszeit von 3,5 sec in T2 durchschnittlich ‘nur’ 1,207 sec, d.h. etwa 35 Prozent der Betrachtungszeit, auf die Bildbereiche (SD=0,79). Die Headline erreicht immerhin eine Betrachtungszeit von 1,008 sec (SD=0,66); jedes Textelement wird im Durchschnitt 0,303 sec (SD=0,40) lang betrachtet. Bildbereiche verfügen demnach weiterhin auch absolut über das größte Aufmerksamkeits- und Aktivierungspotential, auch wenn sich das Niveau der Differenz etwas reduziert hat. Werden die Betrachtungszeiten aller typographischen 9
In die Mittelwertberechnung fließen nur diejenigen Rezeptionen ein, bei denen die jeweiligen AOIs auch tatsächlich betrachtet wurden. Auf dem Plakatmotiv überschneiden sich die extrahierten AOIs teilweise (z.B. wenn die Headline ohne Font direkt auf dem Bildmotiv platziert ist). Dies hat zur Folge, dass mehrere Plakatelemente gleichzeitig fixiert werden können. Da die Daten für T2 nach dem Individualdaten-Modell aufbereitet wurden, liegen hier (im Gegensatz zu T1) individuelle Plakat-Probanden-Relationen zur Auswertung vor. Aus diesem Grund bilden die jeweils ermittelten Plakat-Probanden-Relationen (N=x) die Basis der Auswertungen in T2.
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Elemente (Headline, Subline, Copy, Claim) zu einer Gesamtbetrachtungszeit der Textinformationen zusammengefasst werden, ergibt sich eine durchschnittliche Betrachtungszeit von 1,606 sec (SD=0,86). Dies entspricht zwar rein rechnerisch einem Betrachtungsanteil von über 45 Prozent, doch darf nicht in den Hintergrund rücken, dass die verschiedenen typographischen Informationsträger sich hierbei die Aufmerksamkeit des Rezipienten teilen müssen. Bei einer durchschnittlichen Gesamtbetrachtung von eineinhalb Sekunden ist kaum davon auszugehen, dass die einzelnen Textelementen einen vollständigen Informationstransfer leisten – in dieser Zeitspanne lassen sich nur etwa 2-3 Worte lesen. Umgekehrt kann aufgrund der Besonderheiten der Visuellen Funktionslogik durchaus davon ausgegangen werden, dass die zentralen Bildinformationen in der Betrachtungszeit von 1,207 Sekunden übermittelt werden: Um ein Bild mittlerer Komplexität zu entschlüsseln, wird etwa eine Sekunde benötigt (Kroeber-Riel 1993: 53; vgl. Gordon 2004). Zentrale Bildinformationen können schon nach nur wenigen Millisekunden erfasst werden. Visuelle Stimuli kommunizieren dementsprechend nicht nur wesentlich schneller und erbringen dadurch einen weitaus höheren Informationstransfer, sie werden im Vergleich mit typographischen Elementen auch absolut früher und intensiver betrachtet. In T2-W2 konnte eine erneute Replikation der experimentellen EyetrackingMessung vorgenommen werden. Da die Motive vor dem Hintergrund präsentiert wurden, mögliche Agenda-Setting und Priming-Wirkungen zu messen (vgl. Kap. 4.1.1.1 und 4.1.1.2), sollen die Blickverlaufsanalysen aus W3 zwar nicht im Vordergrund der Betrachtung von Aufmerksamkeit und Aktivierung stehen.
Abbildung 14:
Exemplarische Auswahl der selbst erstellten Einzelmotive der Testkampagne für die Wirkungsstudie.
Trotzdem sind die Ergebnisse der jeweiligen Betrachtungsdauer der einzelnen Plakatelemente (vgl. Tab. 15) sowie zur Zeit bis zum Erstkontakt (vgl. Tab. 16) aufschlussreich, weil sie erneut eine strukturell vergleichbare Aufmerksamkeits- und Aktivierungswirkung Visueller Kommunikation beschreiben. Dies ist insbesondere auch deshalb interessant, weil die Mehrzahl der in T2-W3, präsentierten einzelnen
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Stimuli auf einem identischen Plakatlayout basierten (vgl. Abb. 14), die Mehrheit der Testmotive demgemäß aus einer (fiktiven) Plakatkampagne entstammten. TESTREIHE II – Welle 3 (Nur Bildplakate) Area of Interest Bild Inhaltlicher Bildmittelpunkt Headline Subline Copy Logo Add-On Tabelle 15:
Betrachtungszeit in Sekunden in der Flash-Phase (0,5 Sekunden Betrachtungszeit) (N =) (M =) (SD =) 2047 0,18 0,16 1921 2213 2213 ./. 2213 ./.
0,84 0,10 0,43 ./. 0,00 ./.
0,12 0,13 0,09 ./. 0,18 ./.
Betrachtungszeit in Sekunden in der Long-Phase (3,5 Sekunden Betrachtungszeit) (N =) (M =) (SD =) 1665 0,88 0,72 1338 1501 1494 ./. 229 ./.
0,68 0,69 1,19 ./. 0,37 ./.
0,54 0,52 0,72 ./. 0,24 ./.
Durchschnittliche Betrachtungszeit ausgewählter AOIs der Bildplakate in T2-W3 (für eine Rezeptionszeit von 0,5 und 3,5 sec).10
Trotz der visuellen Kongruenz, die für den Wahrnehmungsprozess wahrscheinlich mit einem geringeren visuellen Orientierungsbedürfnis einhergeht, bleibt die Dominanz visueller Gestaltungselemente sowohl für die Time to First Fixation als auch für die Betrachtungsdauer der einzelnen AOIs prägnant. Die oben beschriebene Divergenz der Ergebnisse aus T1 und T2 sollte dabei nicht irritieren; vielmehr lässt sie Rückschlüsse auf die Wahrnehmungshierarchie, d.h. auf die sequentielle Abfolge der Aktivierung bzw. Aufmerksamkeitsverteilung zu.
10 In die Mittelwertberechnung fließen dabei nur diejenigen Rezeptionen ein, bei denen die jeweiligen AOIs auch tatsächlich betrachtet wurden. Auf dem Plakatmotiv überschneiden sich die extrahierten AOIs teilweise (z.B. wenn die Headline ohne Font direkt auf dem Bildmotiv platziert ist). Dies hat zur Folge, dass mehrere Plakatelemente gleichzeitig fixiert werden können. In T2-W3 wurden zu einem Großteil eigens gestaltete Testplakate präsentiert, die eine stärkere Kongruenz der einzelnen Design-Elemente aufwies. Das bedeutet, dass die AOIs Headline, Subline, Bildmotiv usw. strukturell identisch verteilt waren. Dies erklärt die stärkere Gleichverteilung der Fallzahlen über die einzelnen AOIs. Da die Daten für T2 nach dem Individualdaten-Modell aufbereitet wurden, liegen individuelle Plakat-Probanden-Relationen zur Auswertung vor. Aus diesem Grund bilden die jeweils ermittelten Plakat-Probanden-Relationen (N=x) die Basis der Auswertungen in T2.
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TESTREIHE II – Welle 3 (Nur Bildplakate) Area of Interest Bild Inhaltlicher Bildmittelpunkt Headline Subline Copy Logo Add-On Tabelle 16:
Time to First Fixation in Sekunden in der FlashPhase (0,5 Sekunden Betrachtungszeit) (N =) (M =) (SD =) 1408 0,092 0,14
Time to First Fixation in Sekunden in der LongPhase (3,5 Sekunden Betrachtungszeit) (N =) (M =) (SD =) 1665 0,425 0,79
799 1040 508 ./. 19 ./.
1338 1501 1494 ./. 225 ./.
0,207 0,227 0,234 ./. 0,319 ./.
0,17 0,14 0,16 ./. 0,13 ./.
0,775 0,649 0,938 ./. 1,71 ./.
0,98 0,70 0,85 ./. 0,96 ./.
Durchschnittliche Zeit bis zur jeweils ersten Fixation ausgewählter AOIs bei Betrachtung der Bildplakate in T2-W3 (für eine Rezeptionszeit von 0,5 und 3,5 sec).11
Konkret legen die Befunde nahe, dass sich Aufmerksamkeit und Aktivierung, den Ergebnissen zur Time to First Fixation entsprechend, zuerst auf die Bildbereiche richten, die Rezipienten sich anschließend dem Text zuwenden und den Fokus dann erneut auf die aktivierenden, aufmerksamkeitsstärkeren Bildbereiche verlagern, die im Zentrum der fovealen Wahrnehmung verbleiben, bis die Wahrnehmung abgebrochen wird. Dass dieser Wahrnehmungsabbruch in T2 rascher erfolgte, spiegelt sich entsprechend in der relativ kürzeren Betrachtungsdauer der Bildbereiche wieder. Tatsächlich liefern die Scanpath- oder auch Gazeplot-Analysen Evidenzen für diese Sequenz. Abbildung 15 zeigt exemplarisch jeweils vier Blickverläufe von Probanden aus T1 mit der Betrachtungszeit von 5 sec (rechts) sowie aus T2 mit 3,5 sec (links) im Vergleich.
11 Da nur die ersten Fixationen gezählt werden, ist die Zahl der Fälle bzw. Beobachtungen N jeweils etwas geringer als bei der Analyse der Betrachtungszeiten). In die Mittelwertberechnung fließen dabei nur diejenigen Rezeptionen ein, bei denen die jeweiligen AOIs auch tatsächlich betrachtet wurden. Auf dem Plakatmotiv überschneiden sich die extrahierten AOIs teilweise (z.B. wenn die Headline direkt auf dem Bildmotiv platziert ist). Dies hat zur Folge, dass mehrere Plakatelemente gleichzeitig fixiert werden können. Da die Daten für T2 nach dem Individualdaten-Modell aufbereitet wurden, liegen individuelle Plakat-Probanden-Relationen zur Auswertung vor. Aus diesem Grund bilden die jeweils ermittelten Plakat-Probanden-Relationen (N=x) die Basis der Auswertungen in T2.
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Abbildung 15:
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Scanpath- oder Gazeplot-Analyse als Vergleich exemplarisch ausgewählter Blickverläufe aus T1 bei einer Betrachtungszeit von 5 sec (rechts) mit den Ergebnissen aus T2 bei einer Betrachtungszeit von 3,5 sec (Eigene Darstellung; Originalplakat: CDU Niedersachsen). Vgl. VS PLUS „Methodik & Empirie“ Abb. 13; kann auf der Homepage des VS Verlags unter folgendem Link im Original eingesehen werden: http://www.vs-verlag.de/Buch/9783-531-17819-6/Vision-that-matters.html.
Die Visualisierungen der Blickverlaufsanalysen sollen kurz erläutert werden. Entsprechend der Funktionslogik Visueller Wahrnehmung lässt sich jeder Blickverlauf in die Grundmuster Fixationen, Sakkaden sowie Mikrobewegungen (insbesondere Mikrosakkaden) zerlegen. Für die apparative Analyse der Blickbewegungen sind Fixationen, in denen der Blick verweilt und foveale Wahrnehmung stattfindet, sowie Sakkaden bedeutsam, in denen sich der Blick mit extrem hoher Geschwindigkeit sprungartig zum nächsten Fixationsziel weiterbewegt, wobei Sakkadenblindheit herrscht. In der Visualisierung der Eyetracking-Daten werden die Sakkaden als Linien, die Fixationen hingegen als Kreise dargestellt. Dabei charakterisiert die Größe der Kreise die Dauer der Fixation: Je länger die Fixationszeit, desto größer wird der Kreis dargestellt. Die Ziffern in den Zirkeln geben die hierarchische, zeitli-
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che Abfolge der Fixationen an, enthalten demnach die Information, wann die jeweilige Fixation im Blickverlauf stattgefunden hat. Die Ziffern stellen demnach eine relative Rangfolge der Times to (First) Fixation dar. Entsprechend dieser Legende lassen sich die abgebildeten Blickverläufe wie folgt lesen: Der typische Einstieg in das Plakatmotiv ist das klare, positiv-konnotierte und schemakongruente Bildmotiv, hierauf fallen die ersten drei bis vier Fixationen. Nachdem das Bildmotiv im Überblick betrachtet und eine erste Orientierung stattgefunden hat, richtet sich der Blick bzw. die foveale Reizverarbeitung auf die Textinformation, die hier als Headline auf einer roten, schräg gestellten Bühne recht prägnant positioniert ist. Hier finden nun die nächsten drei bis fünf Fixationen statt, wobei die sequentielle, lineare Struktur der Blickverläufe ein deutlicher Indikator dafür ist, dass die Headline Bildungschancen fördern und fordern tatsächlich von den Rezipienten gelesen wird. Circa zehn Fixationen haben bis hierhin nun stattgefunden. Einige Rezipienten lenken ihren Blick noch auf das am unteren rechten Bildrand positionierte Logo oder den Claim, beide Gestaltungselemente können den Blick aber nicht lange fesseln. Dann richtet sich die Aufmerksamkeit bzw. der Blick wieder auf das Bildmotiv, das nun etwas intensiver betrachtet wird, mit einer größeren Anzahl sowie einer längeren Dauer der Fixationen, wie Anzahl und Größe der Zirkel anzeigen. Während die Probanden im vorliegenden Beispiel bei einer Betrachtungszeit von 3,5 sec durchschnittlich 12 Fixationen durchlebt haben, zeigen sich bei einer Expositionszeit von 5 sec ungefähr 17-18 Fixationen. Wie die Abbildung exemplarisch verdeutlicht, liegen diese zusätzlichen Fixationen in T1 vollständig auf dem Bildmotiv. Da dieses das höhere Potential aufweist, Aufmerksamkeit und Aktivierung im Wahrnehmungsprozess (erneut) zu binden, steigt der Anteil der durchschnittlichen Betrachtungsdauer im Vergleich zu der 1,5 sec früher abgebrochenen Wahrnehmung. Insofern veranschaulicht das Beispiel die oben vermutete Wahrnehmungshierarchie und erklärt vermutlich die Divergenzen der Aufmerksamkeitsallokation zwischen T1 (5 sec Expositionszeit) und T2 (3,5 sec Expositionszeit). Dabei bestätigt die Analyse der Blickverläufe auf Basis der übrigen Plakatmotive den Befund einer chronologischen Wahrnehmungssequenz, die vereinfacht ausgedrückt nach dem Schema Bild – Text – Bild abläuft. Identifiziert man die typischen Einstiegsbereiche in die Betrachtung, die sich über die ersten Fixationen im Scanpath abbilden lassen, zeigen die Ergebnisse deutlich: Der überwiegende Anteil der Einstiegszonen in den Blickverlauf liegt im Bildbereich, präziser formuliert in der optischen Bildmitte. Wie in dem oben dargestellten Beispiel gezeigt, fällt im Durchschnitt erst die vierte oder fünfte Fixation auf die Headline. Die Scanpath-Analysen zeigen damit, dass Bildelemente innerhalb der Wahrnehmungshierarchie favorisiert werden. Außer auf diese starke Aktivierungs- und Aufmerksamkeitswirkung bildhafter Elemente verweisen die Eyetracking-Analysen damit auch noch auf ein weiteres Ergebnis: Über alle Probanden hinweg wird die
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optische Bildmitte am häufigsten als Startareal der Betrachtungsverläufe aufgesucht. Die hier beschriebene Wahrnehmungshierarchie stellt dabei ein recht stabiles personenübergreifendes Wahrnehmungsmuster dar, das den Blickverlauf strukturiert. Anschaulich werden die skizzierten wahrnehmungsübergreifenden Strukturen bei der Betrachtung der Eyetracking-Visualisierungen: Abbildung 16 zeigt exemplarisch die bereits bekannte Scanpath- oder Gazeplot-Analyse, Abildung 16 die Übersetzung in eine Aufmerksamkeitslandschaft dieses und anderer getesteten Plakate, die die Scanpath-Daten über mehrere Probanden aggregiert; die Ergebnisse sind prototypisch für die übrigen (Bild-)Plakate im Test.
Abbildung 16:
Links: Scanpath- oder Gazeplot-Analyse der Blickverläufe der Probanden der Gruppe ‘Nur Bild’ aus T1 bei einer Betrachtungszeit von 0,5 sec. Rechts: Hot-Spot-Analyse der aggregierten Blickverläufe der Probanden der Gruppe ‘Nur Bild’ aus T1 bei einer Betrachtungszeit von 0,5 sec. Die eingefärbten Plakatbereiche wurden am häufigsten und am intensivsten betrachtet (Eigene Darstellung; Originalplakat: CDU Niedersachsen). Vgl. VS PLUS „Methodik & Empirie“ Abb. 14 und 15; kann auf der Homepage des VS Verlags unter folgendem Link im Original eingesehen werden: http://www.vsverlag.de/Buch/978-3-531-17819-6/Vision-that-matters.html.
Insgesamt entsprechen die Ergebnisse aus T2 weitgehend der Messung aus T1. In T2 konnte die überlegene Aktivierungs- und Aufmerksamkeitsallokation visueller Gestaltungselemente auf breiterer Stichprobenbasis repliziert werden. Die visuelle Beschaffenheit des Mediums stellt also einen entscheidenden Einflussfaktor auf die grundsätzliche Möglichkeit dar, eine intendierte Medienwirkung zu erreichen. Die Stärke der visuellen Prägnanz hat Auswirkungen auf die Beachtung der Botschaft im Wahrnehmungsprozess des Rezipienten, weil sich auf eben dieser Basis der
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Blickverlauf strukturiert. Aus diesem Grund zeigen die Eyetracking-Analysen, dass Unterschiede in der Beschaffenheit des Kommunikationsträgers, insbesondere die Differenz visueller vs. textlicher Kommunikationsmodus, zu unterschiedlichen Wirkungen auf die Wahrnehmungsabläufe der Rezipienten führen. Die eingangs formulierten Thesen, dass der Einsatz von Bildkommunikation die Aufmerksamkeits- und Aktivierungswirkungen eines Stimulus erhöht, weil bildhafte Kommunikationselemente im Wahrnehmungsprozess schneller und länger betrachtet werden, kann durch die Ergebnisse beider Testreihen also als bestätigt angesehen werden. Gleichzeitig deuten die Analysen darauf hin, dass von den individual-, stimulusspezifischen und situativen Faktoren, die den Blickverlauf steuern, vor allem den stimulusspezifischen Faktoren eine zentrale Bedeutung für den Rezeptionsprozess zukommt. Die präsentierten Befunde nähren die Vermutung, dass der Blickverlauf sich in hohem Maße als physiologisches, übergeordnetes Wahrnehmungsmuster strukturiert. Konklusion der Aktivierungs- und Aufmerksamkeitswirkung Visueller Kommunikation 1. 2.
Bilder erzielen eine größere Aufmerksamkeit und Aktivierungswirkung als Texte; bildhafte Kommunikationselemente werden im Wahrnehmungsprozess früher betrachtet. Bilder erzielen eine größere Aufmerksamkeit und Aktivierungswirkung als Texte; bildhafte Kommunikationselemente werden im Wahrnehmungsprozess länger betrachtet.
Unbeantwortet ist bisher die Frage, inwieweit ein Einfluss von individuellen Merkmalen auf den visuellen Wahrnehmungsprozess der Rezipienten vorliegt. Werden die beschriebenen Wahrnehmungsmuster und Wahrnehmungsfaktoren Visueller Kommunikation von individuellen Rezipientenmerkmalen modifiziert? Oder sind sie weitgehend unabhängig? Die bisherigen Befunde beider Testreihen liefern, in Übereinstimmung mit den theoretischen Erkenntnissen der Funktions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation, starke Argumente für die Annahme, dass sich Visuelle Wahrnehmung in hohem Maße ein personenübergreifender, ‘objektiver’ Prozess ist, der wenig durch individuelle Merkmale der Rezipienten beeinflusst wird. Besonders prägnant zeigt dies die Gegenüberstellung exemplarischer Aufmerksamkeitslandschaften (invertierte Hot-Spot-Analyse) aus verschiedenen Gruppen und Eyetracking-Phasen: Es finden sich nahezu identische Ergebnisse der Blickverlaufsanalysen (vgl. Abb. 17). Ausgeprägte, übergeordnete Muster im Blickverlauf werden über alle Gruppen und Phasen hinweg sichtbar und wiederholen sich strukturell. Dies gilt selbst bei Wiedervorlage (vgl. Abb. 18).
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Abbildung 17:
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Vergleich der Aufmerksamkeitslandschaften aus verschiedenen Test-Gruppen in T1. Oben: Long-Phase der Gruppe ‘Nur Bild’; unten: Long-Phase der Gruppen ‘Themen A’ und ‘Themen B’. Vgl. VS PLUS „Methodik & Empirie“ Abb. 16; kann auf der Homepage des VS Verlags unter folgendem Link im Original eingesehen werden: http://www.vs-verlag.de/Buch/978-3-531-178196/Vision-that-matters.html.
Neben der Erkenntnis, dass der Blickverlauf kognitiv eher unkontrolliert, spontan und reflexartig abläuft (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg 2003: 267), legen die bisherigen Befunde nahe, dass sich der Blickverlauf als ein physiologisches, übergeordnetes Wahrnehmungsmuster strukturiert. Gleichzeitig deuten die Analysen darauf hin, dass von den individual-, stimulusspezifischen und situativen Faktoren, die den Blickverlauf steuern, vor allem den stimulusspezifischen Faktoren eine zentrale Bedeutung zukommt. Dass insbesondere die kommunikative Gestaltung zu stimulusspezifischen Wirkungen führt, die den Blickverlauf beeinflussen, wird auch an prägnanten Rezeptionsunterschieden zwischen den verschiedenen Layout-Typen der getesteten ParteienDesigns deutlich. Hier ist auch zu fragen, inwieweit die Blickverlaufsparameter oder Blickverlaufstypen durch die vorhergehenden Phasen im Wirkungsprozess beeinflusst werden oder inwieweit die tatsächliche Struktur des Rezeptionsverlaufs Einfluss auf die nachfolgenden Bewertungen und Verarbeitungen nimmt. Es ist aufgrund der theoretischen Implikationen plausibel, dass die einzelnen, hier modellierten Stufen der Funktions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation in vielfältigen Wechselwirkungen stehen. Beispielsweise ist wahrscheinlich, dass sich die pre-attentive
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Wahrnehmungsphase auf die spätere reflektierte Bewertung der Stimuli auswirkt. Ebenso ist zu vermuten, dass sich die pre-attentive Prädisposition des Rezipienten auch im Blickverlauf spiegelt. Inwieweit aber beispielsweise ein positiver erster Eindruck konkret auf einzelne Blickverlaufsparameter oder auf die Gesamtstruktur des Blickverlaufs auswirkt, konnte im Rahmen des Forschungsprojekts nur explorativ betrachtet werden. Insbesondere liegen bis dato keine theoretisch begründbaren Wirkungsvermutungen vor, wie genau der erste Eindruck auf die Augenbewegung wirken sollte, von der eher angenommen wird, dass sie stark exogen kontrolliert ist. Um doch ein Gefühl für mögliche Zusammenhänge zu gewinnen, wurde eine explorative Analyse der Blickverlaufsdaten vorgenommen. Dazu wurden die Rezipienten auf Basis des Niveaus ihrer affektiven RTR-Bewertungen sowie ihrer späteren reflektierten Bewertungen gruppiert. Basierend auf qualitativen, explorativen Analysen der oben skizzierten Wahrnehmungsmuster wurde nach Blickverlaufstypen gesucht, die in Verbindung zur pre-attentiven Wahrnehmungsphase stehen können.
Abbildung 18:
Vergleich der Gaze-Plot-Analysen aus verschiedenen Test-Phasen. Oben: Flash-Phase der Gruppe ‘Themen A’; unten: Long-Phase der Gruppe ‘Themen A’. Vgl. VS PLUS „Methodik & Empirie“ Abb. 17; kann auf der Homepage des VS Verlags unter folgendem Link im Original eingesehen werden: http://www.vsverlag.de/Buch/978-3-531-17819-6/Vision-that-matters.html.
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Die ersten Ergebnisse scheinen zu bestätigen, dass die Strukturen im Blickverlauf exogen kontrolliert sind, also vor allem aus der visuelle Prägnanz und Beschaffenheit der Plakatmotive resultieren. So zeigen strukturell sehr ähnliche Blickverläufe (vgl. Abb. 18) deutliche Differenzen in der positiven und reflektierten Bewertung, die sich nicht in vergleichbarem Maße auf Blickverlaufsebene wiederfinden. Obwohl die Suche nach derartigen Interdependenzen höchst spannend und teilweise noch wenig beleuchtet sind, können die vielfältigen Wechselwirkungen bzw. Einflüsse im Rahmen des Forschungsprojekts nicht in den Mittelpunkt der Analyse gerückt werden. Der Einschub zur Frage nach der Wirkung von pre-attentiver Wahrnehmung auf den Blickverlauf und seine Parameter bzw. vom Blickverlauf und seinen Parametern zu reflektierten Bewertung soll vielmehr als Anregung zu weiterführender Forschung verstanden werden. Daneben stellte sich die Frage, inwieweit Moderationsfunktionen von klassischen Rezipientenmerkmalen auf den Wahrnehmungsprozess bzw. auf die Allokation von Aufmerksamkeit und Aktivierung ausgehen. Zwar hat die Replikation von T1, die mit einem mehrheitlich studentischen Sample realisiert wurde, durch T2W1, die auf einer quotierten Stichprobe basiert, bislang nur geringe Divergenzen gezeigt. Doch wurden Merkmale wie Alter, Bildungsgrad oder Politisches Interesse bislang nicht in der Analyse berücksichtigt. Für T1 standen die Eyetracking-Daten auf Plakatdatenbasis zur Verfügung, d.h. die einzelne Analyseeinheit ist hier das Plakat pro Gruppe, für das die einzelnen Messwerte über alle Probanden in den jeweiligen Variablen (Observation Length der AOIs, Times to First Fixation usw.) aggregiert wurden. Dieses Datenmodell schloss eine Betrachtung auf Individualdatenbasis aus, ermöglichte aber die Beantwortung der ersten Forschungsfragen. Zudem hätte die gleichmäßige Zusammensetzung der Stichprobe den außerordentlichen Aufwand der Datenaufbereitung der Eyetracking-Messungen auf Individualebene nicht gerechtfertigt. Um aber eine systematische Betrachtung eventueller Prädiktoren zu ermöglichen, wurde der Datensatz von T2 nach dem Individualdaten-Modell strukturiert (vgl. Donsbach 1991: 124-125). Hierzu wurde eine PlakatProbanden-Relation erzeugt, in der die Eyetracking-Messwerte des einzelnen Probanden im ersten Schritt dem jeweiligen Plakat (bzw. den jeweiligen Plakatvariablen) zugeordnet wurden. Jede Plakat-Probanden-Relation ergab damit einen eigenständigen, diskreten Fall. Die Analyseeinheit ist hier also der potentielle individuelle Blickkontakt des einzelnen Probanden mit dem einzelnen Plakatmotiv bzw. den hierfür operationalisierten Areas of Interest. Bei 20 Plakatmotiven, circa 100 Probanden pro Gruppe und zwei Gruppen ergab sich eine Fallzahl von etwa 4000 Fällen pro Eyetracking-Phase pro Welle (W1; W3). Im nächsten Schritt wurden die Befragungsdaten der schriftlichen Vorher- und Nachher-Befragung mit dem Eyetracking-Datensatz auf Individualdatenbasis gematched. Als Schlüsselvariable für das Matching diente eine für alle Erhebungen und Erhebungsinstrumente eingesetzte individuelle, anonymisierte Probanden-ID.
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Die Datenstrukturierung nach dem Individualdaten-Modell geht mit der Besonderheit einher, dass sie zu einer großen Anzahl von Analyseeinheiten führt. Doch stammen die einzelnen Analyseeinheiten nicht aus unabhängigen Stichprobenziehungen; die für die Plakat-Proband-Relation verwendeten Items wurden nicht unabhängig voneinander erhoben. Damit wäre eine Korrektur der Freiheitsgerade notwendig, wenn, wie im vorliegenden Fall, Signifikanzberechnungen durchgeführt werden sollen. Donsbach (1991: 127) schlägt als pragmatische Lösung dieses Problems vor, bei den Analysen auf Basis der Individualkontakte das Signifikanzniveau generell auf p < 0,001 zu erhöhen, also nur diejenigen Variablenbeziehungen als signifikant zu werten, bei denen eine Irrtumswahrscheinlichkeit von weniger als 0,1 Prozent besteht. Diesem Vorschlag wird bei der weiteren statistischen Auswertung gefolgt. Auf Basis einzelner individueller Merkmale wird nun entsprechend überprüft, inwieweit sich diese auf das Blickverhalten auswirken. Besteht beispielsweise ein Zusammenhang zwischen der Betrachtungsdauer eines Bildbereichs und der Bildung oder anders ausgedrückt: Reduziert sich die Betrachtungsdauer von Bildelementen mit steigendem Bildungsgrad? Wenden sich Rezipienten mit hohem politischen Interesse früher oder länger den Textinformationen zu? Betrachten jüngere Menschen bevorzugt Bildelemente? Hat die grundsätzliche Haltung zum Medium Wahlplakat einen Einfluss auf den Rezeptionstypus? Um einen Überblick über derartige Interaktionseffekte zu erhalten, bieten sich varianzanalytische Verfahren an. Um einen möglichen Einfluss individueller Merkmale wie Parteiidentifikation (PID), Bildungsgrad (B), Politisches Interesse (PIN), grundsätzliche Haltung zum Medium, Mediennutzungsintensität, Alter oder Geschlecht auf die Blickverläufe der Probanden zu testen, ist hierzu zunächst die Entscheidung zu treffen, wie die abhängige Variable Blickverlauf für die Varianzanalysen zu operationalisieren ist. Da der Blickverlauf der Probanden nicht als ein Gesamtkonstrukt vorliegt, sondern seinerseits mit einzelnen Indikatoren (Time to First Fixation, Observation Length, Scan Path) auf Basis plakatübergreifender Areas of Interest abgebildet wird, sind grundsätzlich zwei Möglichkeiten denkbar. Erstens können Einzelindikatoren über eine logische, theoretisch begründbare Verknüpfung zu übergeordneten Strukturen bzw. Gesamtkonstrukten verbunden werden, die dann als abhängige Variablen oder Gruppenmerkmale für die weitere Betrachtung zur Verfügung stehen. Zweitens können die einzelnen Blickverlaufsparameter als Indikatorenset betrachtet werden, auf das der Einfluss einzelner unabhängiger Variablen in Form einfaktorieller multivariater Varianzanalysen untersucht werden kann. Beide Vorgehensweisen sind plausibel und können mit Blick auf die theoretische Fundierung als angemessen erachtet werden. Da die Methode des Eyetracking noch wenig standardisiert ist (vgl. Granka/Feusner/Lorigo 2008: 348), insbesondere auch hinsichtlich der weiterführenden statistischen Analyse der gewonnenen Daten, stehen für die Entscheidung leider keine vergleichbaren Studien zur Verfügung, die als Orientierungen dienen könnten. Mit dieser Erkenntnis geht einher, dass es, aus der Perspektive des metho-
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disch-analytischen Fortschritts, von Vorteil sein kann, die vorliegenden umfangreichen Daten zu nutzen, um zu klären, welches Analyseverfahren das aussagekräftigere ist. Dies gilt vor allem, da beide Zugänge mit den theoretischen Erkenntnissen zur Funktionslogik Visueller Kommunikation in Einklang stehen und sich gleichermaßen eignen, die dem Forschungsprozess zugrunde liegenden Hypothesen zu testen. Für den ersten Zugang, die einzelnen Indikatoren über eine logische, theoretisch begründbare Verknüpfung zu übergeordneten Strukturen bzw. Gesamtkonstrukten zu verbinden, spricht die zugrunde liegende Prämisse einer Divergenz zwischen bildlicher und textlicher Wahrnehmung und Verarbeitung. Geht man davon aus, dass Bildelemente anders wahrgenommen werden als Textelemente, was die bisherigen empirischen Befunde bestätigen, ist plausibel, die Blickverlaufsdaten dieser beiden Modi für die weitere Analyse zu unterscheiden. Hier lässt sich vermuten, dass eine Dominanz des jeweiligen Kommunikationsmodus im reflektierten, zentralen Wahrnehmungsvorgang mit bestimmten individuellen Merkmalen korrespondiert. Beispielsweise wäre einleuchtend, wenn Rezipienten, die über ein hohes politisches Interesse verfügen, sich intensiver mit den zur Verfügung stehenden Textinformationen des Mediums auseinandersetzen. Dem Stereotyp folgend, dass Textkommunikation hochkulturell, Bildkommunikation dagegen boulevardesk und trivialkulturell operiert, ließe sich vermuten, dass sich Rezipienten, die über ein geringeres Bildungsniveau verfügen, intensiver den angebotenen Bildelementen zuwenden. Um derartige Zusammenhänge statistisch zu analysieren, wurden im ersten Schritt die Betrachtungszeiten der einzelnen Bild- und Textelemente aller Plakate zu einer Gesamtbetrachtung Bild vs. Text zusammengefügt. Auf Basis dieser individuellen, plakatbezogenen Gesamtbetrachtungszeiten Total Observation Length Bild vs. Total Observation Length Text kann für jede Rezeption ermittelt werden, ob diese sich eher als bildorientierter oder eher als textorientierter Rezeptionstypus charakterisieren lässt. Als bildorientierter Rezeptionstypus soll gelten, wenn die Betrachtungszeit des Bildelements die Betrachtungszeit der Textelemente übersteigt. Als textorientierter Rezeptionstypus soll gelten, wenn die Betrachtungszeit der Textelemente (Headline, Subline, Copy und Claim) die Betrachtungszeit der Bildmotive übersteigt. Die Präferenz zu einer eher bildorientierten bzw. eher textorientierten Rezeption erscheint als grundlegendes, übergeordnetes Wahrnehmungsmuster. Um der Erkenntnis Rechnung zu tragen, dass derartige Rezeptionstypen nicht als absolut vermutet werden können, sondern der Rezeptionsprozess in Abhängigkeit vom jeweiligen Stimulus (stimulus-driven vs. goal-driven) und damit des jeweiligen Plakatmotivs zu betrachten ist, wurden die Typen auf Basis einzelner Plakatmotive ermittelt. Hierbei wurden nur Bildplakate einbezogen, denn die reinen Typomotive schließen eine unmittelbare Rezeptionspräferenz per Definition aus. Dass die Rezeptionspräferenz nur auf Basis des absoluten Vergleichs der Betrachtungszeiten bei Vorliegen unterschiedlicher Kommuni-
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kationsmodi zwischen visueller und textlicher Kommunikation problematisch ist, wurde weiter oben bereits ausgeführt. Der absolute Vergleich benachteiligt Visuelle Kommunikation, weil die Besonderheiten Visueller Kommunikation sich nicht ausschließlich über die reinen Betrachtungszeiten quantifizieren lassen. Da ein validierter Gewichtungsfaktor jedoch nicht vorliegt, muss dies in Kauf genommen werden; die Problematik wird bei der Interpretation der Daten berücksichtigt. Der Überblick über die so ermittelten Rezeptionstypen liefert folgende Verteilung: In der Flash-Phase von T2-W1 überwiegen bildorientierte Rezeptionen mit einem Anteil von 64,9 Prozent bei einer Betrachtungszeit von insgesamt 0,5 sec deutlich; textorientierte Rezeptionen liegen bei etwa einem Drittel der Blickverläufe vor (35,1 Prozent). In der Long-Phase von T1, also bei einer Betrachtungszeit von insgesamt 3,5 sec, lassen sich immer noch rund 40 Prozent der Plakatrezeptionen als bildorientiert charakterisieren (38,7), in 60 Prozent der Blickverläufe liegt eine textorientierte Rezeption vor (61,3). Dieses Ergebnis korrespondiert mit den oben genannten Befunden der durchschnittlichen Betrachtungszeiten. Wird nicht die Betrachtungszeit der vier Textelemente Headline, Subline, Copy und Claim aggregiert, sondern nur die Headline als prägnantestes Textelement mit dem Bild als prägnantester visueller Stimuli verglichen, ergibt sich eine Verteilung von 49,6 Prozent bildorientierter vs. 50,4 Prozent textorientierter Rezeptionen (In diesem Fall gilt als bildorientierter Rezeptionstypus, wenn die Betrachtungszeit des Bildes die Betrachtungszeit der Headline übersteigt; als textorientierter Rezeptionstypus gilt, wenn die Betrachtungszeit der Headline die Betrachtungszeit des Bildmotivs übersteigt.) Es bietet sich nun an, zu prüfen, inwieweit individuelle Rezipientenmerkmale die Zuordnung zu einem der beiden Rezeptionstypen bildorientiert vs. textorientiert begünstigen. Hierbei belegen bereits die Ergebnisse zur RTR-Bewertung (vgl. Kap. 6.2), dass ein Einfluss individueller Merkmale auf die periphere, pre-attentive Wahrnehmung nicht naheliegend ist. Für die Betrachtung der Testplakate in der Long-Phase bietet es sich jedoch an, einen möglichen Einfluss individueller Merkmale zu prüfen. Bei einer Betrachtungszeit von 3,5 sec, bei der davon auszugehen ist, dass kognitive Prozesse involviert sind, kann plausibel vermutet werden, dass Rezipientenmerkmale diese Verarbeitungsprozesse moderieren und sich damit auch auf den Blickverlauf auswirken. Gleichzeitig liefern die bisherigen Erkenntnisse zur Funktions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation Indizien dafür, dass die grundsätzliche Zuordnung einer Einzelrezeption zu dem präferierten Rezeptionstypus nicht unbedingt auf Basis individueller Probandenmerkmale erfolgen muss, sondern sich in Abhängigkeit von dem jeweiligen Stimulus ausbildet. So zeigt der Vergleich der Gesamtbetrachtung von Plakatmotiven über verschiedene Rezipienten, Rezipientengruppen und Rezeptionsphasen hinweg, dass die jeweiligen Betrachtungsmuster in hohem Maße konvergieren. Der Prozess der Visuellen Wahrnehmung, mindestens jedoch sein Ergebnis in Form der visuellen Betrachtungsmuster, stellt sich offenbar als personenübergreifender Prozess dar, der wenig durch individuelle Merkmale der
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Rezipienten beeinflusst wird. Mit diesem Befund geht einher, dass die bisherigen Erkenntnisse bestätigen, dass bildhafte Kommunikationselemente im Wahrnehmungsprozess insgesamt schneller und länger betrachtet werden, sich hier also auch ein übergeordnetes Wahrnehmungsmuster identifizieren ließ. Diese Überlegungen führen zu der Hypothese, dass individuelle Merkmale keinen signifikanten Einfluss auf die visuellen Betrachtungsmuster als Ergebnis der Prozesse Visueller Wahrnehmung nehmen. Sollten sich allerdings über die Beobachtung einzelner Rezeptionsverläufe hinaus strukturelle Unterschiede in der Präferenz zeigen, sollten diese statistisch nachweisbar sein. Hypothese der Independenz Visueller Wahrnehmungsmuster
Individuelle Merkmale wie Bildungsgrad, politisches Interesse, Mediennutzungsintensität, Alter, Geschlecht, grundsätzliche Haltung zum Medium oder Parteiidentifikation haben keinen signifikanten Einfluss auf die visuellen Betrachtungsmuster als Ergebnis der Prozesse Visueller Wahrnehmung.
Für die Untersuchung dieser Hypothese stellt die Diskriminanzanalyse ein geeignetes Verfahren dar. Als multivariates Verfahren zur Analyse von Gruppenunterschieden ermöglicht die Diskriminanzanalyse die Differenz zwischen Gruppen hinsichtlich einer Mehrzahl von Variablen zu untersuchen (vgl. Backhaus/Erichson/Plinke/ Weiber 2008: 182). Dadurch kann geklärt werden, wie sich die Gruppen hinsichtlich der jeweiligen unabhängigen Variablen signifikant voneinander unterscheiden bzw. welche Variablen die Gruppen am stärksten trennen. Im Gegensatz zur ClusterAnalyse arbeitet die Diskriminanzanalyse mit der Einordnung von Elementen in vorgegebene Gruppen, weshalb das Verfahren auf vorhandenen Gruppen bzw. Gruppenmerkmalen basiert, die hinsichtlich ihrer trennenden Zusammensetzung untersucht werden. Im vorliegenden Fall wird untersucht, inwieweit individuelle Merkmale die Zuordnung zu einem der Rezeptionstypen beeinflussen. Da aufgrund der theoretischen Erkenntnisse sowie der empirischen Befunde zur pre-attentiven Phase zu vermuten ist, dass in der Flash-Phase bei einer Rezeptionszeit von lediglich 0,5 sec individuelle Präferenzen in den Hintergrund treten und stimulusbasierte Wahrnehmungsmuster den Blickverlauf dominieren, wird die Untersuchung auf Basis der in der Long-Phase von T2 gewonnenen Daten mit einer Expositionszeit von 3,5 sec durchgeführt. Als Gruppenvariable wird der ermittelte Rezeptionstyp bildorientierte vs. textorientierte Rezeption gewählt (Basis: bildorientiert, wenn Betrachtungszeit Bildelement größer als Betrachtungszeit aller Textelemente; textorientiert, wenn Betrachtungszeit aller Textelemente größer als Betrachtungszeit Bildmotiv). Die Moderatoren Alter, Bildung, Geschlecht, Parteiidentifikation und Politisches Interesse werden als unabhängige, möglicherweise trennende Variablen aufgenommen. Außerdem werden die Variablen grundsätzliche Haltung zum Medium Wahlplakat und Intensität der Me-
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diennutzung einbezogen. Die so durchgeführte Diskriminanzanalyse liefert folgende Mittelwertverteilung der unabhängigen Variablen beider Gruppen (vgl. Tab. 17). Ungeachtet der Tatsache, dass der Mittelwertvergleich auf Basis der kategorialen Variablen nicht weiterführend ist, zeigt sich, dass die Gruppendifferenzen insgesamt auf niedrigem Niveau liegen. Lediglich die Variablen Politisches Interesse, Alter und Haltung zum Medium deuten leichte Unterschiede zwischen den Rezeptionstypen an: Mit einer gemittelten Ausprägung von M=3,99 (SD=1,15) liegt das Politische Interesse (auf einer Skala von 1 ‘überhaupt nicht’ bis 6 ‘sehr stark’ gemessen) in der Gruppe der bildorientierten Rezeptionen etwas höher als in der Vergleichsgruppe der textorientierten Rezeptionen. Gleiches gilt für die Mittelwerte der Variablen Alter und Einstellung zum Medium. Moderatorvariablen Bildungsgrad Politisches Interesse Intensität der Mediennutzung Alter Geschlecht Haltung zum Medium Tabelle 17:
Rezeptionstypus ‘bildorientiert’ (M =) (SD=) 3,89 1,06
Rezeptionstypus ‘textorientiert’ (M =) (SD=) 3,89 1,07
3,99
1,15
3,88
1,23
1,81 40,97 1,57
0,83 15,06 0,49
1,82 38,70 1,60
0,83 14,84 0,49
1,59
0,49
1,54
0,50
Gruppenstatistik der Diskriminanzanalyse mit Mittelwerten der Moderatorvariablen im Gruppenvergleich.
Der Anteil korrigierter Klassifikationen liegt bei 54,8 Prozent (Gesamtzahl der Fälle: 1843; Anzahl der verarbeiteten Fälle: 1089). Der Gleichheitstest der Gruppenmittelwerte über Wilks-Lambda und in Form einer einfachen Varianzanalyse weist die folgenden Signifikanzen auf: Parteiidentifikation (p=0,340), Bildungsgrad (p=0,920), Intensität der Mediennutzung (p=0,840), Alter (p=0,015), Geschlecht (p=0,333) sowie die grundsätzliche Einstellung gegenüber dem Medien (p=0,109) trennen nicht statistisch signifikant zwischen den beiden Rezeptionstypen. Die unabhängige Variable politisches Interesse notiert bei p=0,032 und wäre als signifikant zu interpretieren, wenn nicht aufgrund der notwendigen Korrektur der Freiheitsgrade eine Anpassung des Signifikanzniveaus auf p < 0,001 erforderlich gewesen wäre. So lässt sich das Ergebnis nur in seiner Tendenz aufgreifen, dass das politische Interesse neben dem Stimulus möglicherweise einen leichten Einfluss auf die Trennung bei-
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der Rezeptionstypen nimmt, nicht vernachlässigt werden darf allerdings, dass dieser Zusammenhang auf Basis der Analyse der übergeordneten Betrachtungsmuster bildorientierte vs. textorientierte Rezeption letztlich statistisch nicht signifikant ist. Zudem erweist sich die ermittelte Diskriminanzfunktion12 als recht unbefriedigend in ihrer Erklärungskraft der Typentrennung: Die kanonische Korrelation liegt auf einem Niveau von 0,10, was bedeutet, dass die Funktion die beiden Gruppen so gut wie nicht trennt (Eigenwert: 0,011). Demnach liegt auch die über Wilks-Lambda getestete Trennschärfe der mittleren Werte der Diskriminanzfunktion mit einem Signifikanzniveau von p=0,113 im nicht signifikanten Bereich. Statistisch ist der Einfluss der getesteten unabhängigen Variablen auf die ermittelten Rezeptionstypen demnach nicht bedeutsam. Kritisch ist hier anzumerken, dass die vorgenommene Differenzierung in mehrheitlich bildorientierte vs. mehrheitlich textorientierte Rezeptionen wahrscheinlich eine zu vereinfachte Perspektive auf die komplexe Struktur des menschlichen Blickverhaltens nimmt. Obwohl die vorgenommene Trennung der Rezeptionen auf Basis der Dominanz einer stimulusendogenen Struktur (Gesamtheit der Bild- vs. Gesamtheit der Textelemente) für den Wahrnehmungsprozess durchaus ihren Charme besitzt, sollten multivariate Varianzanalysen dieser schematischen Vorgehensweise überlegen sein. Insbesondere dürfte die Zusammenfügung der Blickverlaufsparameter vernachlässigen, dass es, neben der Aufdeckung der übergeordneten Betrachtungsmuster, Differenzen der einzelnen Strukturkomponenten bzw. Wahrnehmungsfaktoren gibt, die das übergeordnet sichtbare Betrachtungsmuster zwar konstituieren, die aber auf Basis der Analyse der Betrachtungsmuster nicht mehr identifizierbar sind. Konkret bedeutet dies: Wahrscheinlich lassen sich die Unterschiede innerhalb der Einzelparameter nicht auf der Aggregatebene der Betrachtungsmuster identifizieren, sondern liegen ‘unter der Oberfläche’ der Betrachtungsmuster. In diesem Fall wäre das Ganze, d.h. der Blickverlauf bzw. das daraus abgeleitete Wahrnehmungsmuster, weniger als die Summe seiner Teile, d.h., seiner einzelnen Blickverlaufsparameter bzw. Wahrnehmungsfaktoren. Damit wäre die Diskriminanzanalyse in ihrer Analyseperspektive zu grob ausgelegt. Sobald Einflüsse der Rezipientenmerkmale zwar vorliegen, sich die differenten Strukturkomponenten aber zu ähnlichen Betrachtungsmustern zusammensetzen, wären diese nicht mehr nachweisbar, könnten aber gleichwohl vorhanden sein. Tatsächlich ist plausibel, dass Rezipienten zwar auf der Makro-Ebene die identischen Objekte betrachten, was zu annähernd identischen Wahrnehmungsmustern führte, auf der Mikro-Ebene diese Objekte aber nicht identisch betrachten, was sich dann in Unterschieden auf Basis der einzelnen Wahrnehmungsparameter zeigen müsste.
12 d = 0,300 * Parteiidentifikation + 0,220 * Bildungsgrad + 0,371 * Politisches Interesse – 0,241 * Mediennutzung + 0,41 * Alter + 0,398 * Haltung zum Medium - 0,588 * Geschlecht -3,864
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Derartige Einflüsse der Rezipientenmerkmale auf die Strukturkomponenten Visueller Wahrnehmung können bei Einsatz multivariater Varianzanalysen getestet werden, denn hier können einzelne Blickverlaufsparameter als Set von abhängigen Variablen eingehen, wobei deren Abhängigkeit von unabhängigen Prädiktoren in summa getestet werden kann. Multivariate Varianzanalysen bieten sich im vorliegenden Fall auch deshalb an, da nicht davon auszugehen ist, dass die Blickverlaufsparameter als abhängige Variablen unabhängig voneinander sind. Zudem ist auf Basis der gegenwärtigen Theorie- und Forschungslage nicht schlüssig, dass individuelle Rezipientenmerkmale einen linearen Einfluss auf einzelne Blickverlaufsparameter nehmen, was dagegen spricht, von vorneherein bivariate Korrelationsanalysen als statistisches Auswertungsverfahren zu wählen. In diesem Zusammenhang weisen Backhaus et al. (2008: 176) zu Recht darauf hin, dass es aus wissenschaftstheoretischer Sicht zwingend erforderlich ist, konkrete Hypothesen über den Wirkungszusammenhang der unabhängigen und der abhängigen Variablen zu formulieren. Auf Basis der bisherigen Theorie- und Forschungslage existieren allerdings nur unzureichende Anhaltspunkte, wie welche Rezipientenmerkmale auf welche Strukturkomponenten im Prozess Visueller Wahrnehmung wirken könnten (vgl. Rötting/Seifert 1999). Die Formulierung empirisch zu testender Hypothesen stellt sich insofern als ein Vabonspiel dar. Dennoch soll der Versuch unternommen werden, den Einfluss individueller Rezipientenmerkmale auf den Visuellen Wahrnehmungsprozess zu prüfen, der über einzelne Blickverlaufsparameter operationalisiert wird. Vor diesem Hintergrund soll noch einmal Bezug genommen werden auf die zentralen Implikationen, die als Basis der Hypothesenformulierung herangezogen werden können. Insbesondere konnte der exogenen Kontrolle einer stimulus-driven Wahrnehmung die endogene Kontrolle der goal-driven Wahrnehmung gegenübergestellt werden. Für die Frage, inwieweit individuelle Prädispositionen Einfluss auf den Visuellen Wahrnehmungsprozess, und damit auf das Blickverhalten, nehmen, sind die mit dieser Differenzierung verbundenen Implikationen von entscheidender Bedeutung: Denn die theoretischen Befunde legen in ihrer Konsequenz nahe, eine Unabhängigkeit der stimulus-driven Wahrnehmung anzunehmen und von einer weitgehenden Unabhängigkeit der goal-driven Wahrnehmung auszugehen. Dies implizieren auch die bisherigen Befunde der pre-attentiven Wahrnehmungsphase, die als Phase der ersten Anmutung eines Stimulus bei einer Expositionszeit von nur 0,5 sec als Phase einer stimulus-driven Wahrnehmung angesehen werden kann. Die empirische Analyse basiert damit auf der Prämisse, dass die endogene Kontrolle Visueller Wahrnehmung möglicherweise, weniger aber die exogene Kontrolle Visueller Wahrnehmung, durch individuelle Merkmale der Rezipienten strukturiert werden kann. Demnach wird zunächst allgemein die Hypothese formuliert, dass individuelle Merkmale bei endogener Kontrolle Visueller Wahrnehmung einen signifikanten Einfluss auf die einzelnen Blickverlaufsparameter nehmen können.
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Insgesamt liefern die bisherigen Befunde allerdings vor allem Hinweise darauf, dass eine weitgehende Independenz Visueller Wahrnehmungsparameter wahrscheinlicher ist. Hypothese der weitgehenden Independenz Visueller Wahrnehmungsparameter
Einzelne individuelle Merkmale können bei endogener Kontrolle Visueller Wahrnehmung einen signifikanten Einfluss auf die, die visuellen Betrachtungsmuster konstituierenden, Wahrnehmungs- bzw. Blickverlaufsparameter nehmen. Insgesamt ist aber plausibel, dass visuelle Wahrnehmungsparameter weitgehend independent sind von individuellen Rezipientenmerkmalen.
Für den vorliegenden Untersuchungsbereich lassen sich zunächst zwei Gruppen von Faktoren ermitteln, deren Einfluss von Interesse für die Rezeption von Wahlplakaten bzw. visuellen politischen Informationen ist: 1. 2.
Allgemeine Rezipientenmerkmale, die den Rezeptionsprozess modifizieren können (Alter, Geschlecht, Bildungsgrad, Mediennutzungsverhalten). Objektbezogene Rezipientenmerkmale, die den Rezeptionsprozess Visueller Politischer Kommunikation bzw. von Wahlplakaten modifizieren können (Politisches Interesse, Parteiidentifikation, Haltung zum Wahlplakat).
Unabhängige Variablen
Set abhängiger Variablen ‘Betrachtungsdauer der AOIs’
Allgemeine Rezipientenmerkmale Alter (A) Geschlecht (G) Bildungsgrad (B) Intensität TV-Nutzung (TVN) Intensität Zeitungs-Nutzung (ZN) Objektbezogene Rezipientenmerkmale Politisches Interesse (PIN) Grundsätzliche Haltung zum Medium (MW) Parteiidentifikation (PID)
Betrachtungsdauer der Headline (OH) Betrachtungsdauer der Subline (OS) Betrachtungsdauer des Claims (OC) Betrachtungsdauer des Copy-Texts (OT)* Betrachtungsdauer des Logos (OL) Betrachtungsdauer des Bildmotivs (OB)
Tabelle 18:
Überblick über die Faktoren und abhängigen Variablen der einfaktoriellen multivariaten Varianzanalysen.
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Allokation von Aufmerksamkeit und Aktivierung und Hierarchie der Wahrnehmungssequenz
Um die Präsentation übersichtlicher zu gestalten, gibt die vorstehende Tabelle 18 einen Überblick über die einzelnen Faktoren, die jeweils einbezogen wurden, sowie über die abhängigen Blickverlaufsparameter, auf die der Einfluss der Faktoren kontrolliert wurde. Nachfolgend werden nun die Prämissen zum vermuteten Einfluss dieser Rezipientenmerkmale spezifiziert. Da die theoretische Basis vage ist, sind Hypothesenformulierung und Hypothesenprüfung allerdings von eher explorativem Charakter. Um die Hypothesen dennoch möglichst nachvollziehbar zu machen, fasst Tabelle 19 zunächst die möglichen, theoretisch begründbaren Wirkungsvermutungen zusammen. Nach einer kritischen Betrachtung folgt die empirische Prüfung der Hypothesen. Unabhängige Variablen
Politisches Interesse (PIN)
Bildungsgrad (B)
Mögliche Wirkungen auf die Betrachtungszeit Für den Einfluss des Faktors ‘Politisches Interesse’ sind als Wirkungsvermutungen plausibel: Rezipienten, die über ein hohes politisches Interesse verfügen, betrachten Textinformationen intensiv; visuelle Informationselemente werden dagegen weniger lange betrachtet Rezipienten, die über ein geringes politische Interesse verfügen, betrachten Bildinformationen intensiv; Textinformationen werden dagegen weniger lange betrachtet Rezipienten, die über ein hohes politisches Interesse verfügen, betrachten sowohl Bild- als auch Textinformationen länger als Rezipienten, die über ein geringeres politisches Interesse verfügen Politisches Interesse hat keinen statistisch signifikanten Einfluss auf die Rezeption bzw. Betrachtungszeit einzelner Plakatelemente Für den Einfluss des Faktors ‘Bildungsgrad’ sind als Wirkungsvermutungen plausibel: Rezipienten, die über ein höheres Bildungsniveau verfügen, betrachten Textinformationen intensiv; visuelle Informationselemente werden dagegen weniger lange betrachtet Rezipienten, die über ein geringeres Bildungsniveau verfügen, betrachten Bildinformationen in-
Allokation von Aufmerksamkeit und Aktivierung und Hierarchie der Wahrnehmungssequenz
Intensität der TVNutzung (TVN) und Intensität der ZeitungsNutzung (ZN)
Alter (A)
Geschlecht (G)
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tensiv; Textinformationen werden dagegen weniger lange betrachtet Rezipienten, die über ein höheres Bildungsniveau verfügen, betrachten sowohl Bild- als auch Textinformationen länger als Rezipienten, die über ein geringeres Bildungsniveau verfügen Der Bildungsgrad hat keinen statistisch signifikanten Einfluss auf die Rezeption bzw. Betrachtungszeit einzelner Plakatelemente Für den Einfluss der Faktoren ‘Intensität der TVNutzung’ sowie ‘Intensität der Zeitungsnutzung’ sind als Wirkungsvermutungen plausibel: Rezipienten, die intensiv die Zeitung als Informationsquelle nutzen, betrachten Textinformationen intensiv; visuelle Informationselemente werden dagegen weniger lange betrachtet Rezipienten, die intensiv das Fernsehen als Informationsquelle nutzen, betrachten Bildinformationen intensiv; Textinformationen werden dagegen weniger lange betrachtet Rezipienten, die intensiv die Zeitung als Informationsquelle nutzen, betrachten sowohl Bildals auch Textinformationen länger als Rezipienten, die über ein geringeres Bildungsniveau verfügen Rezipienten, die intensiv das Fernsehen als Informationsquelle nutzen, betrachten sowohl Bild- als auch Textinformationen länger als Rezipienten, die über ein geringeres Bildungsniveau verfügen Die Intensität der TV- und die Intensität der Zeitungsnutzung haben keinen statistisch signifikanten Einfluss auf die Rezeption bzw. Betrachtungszeit einzelner Plakatelemente Für den Einfluss des Faktors ‘Alter’ ist als Wirkungsvermutung plausibel: Das Alter hat keinen statistisch signifikanten Einfluss auf die Rezeption bzw. Betrachtungszeit einzelner Plakatelemente Für den Einfluss des Faktors ‘Geschlecht’ ist als Wirkungsvermutung plausibel:
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Allokation von Aufmerksamkeit und Aktivierung und Hierarchie der Wahrnehmungssequenz
Grundsätzliche Haltung zum Medium Wahlplakat (MW)
Parteiidentifikation (PID)
Tabelle 19:
Das Geschlecht hat keinen statistisch signifikanten Einfluss auf die Rezeption bzw. Betrachtungszeit einzelner Plakatelemente Für den Einfluss des Faktors ‘Grundsätzliche Haltung zum Medium Wahlplakat’ sind als Wirkungsvermutungen plausibel: Rezipienten, die über eine eher positive Haltung zum Medium verfügen, betrachten alle angebotenen Informationen länger, d.h. sie setzen sich intensiver mit den über das Plakat angebotenen Informationen auseinander Rezipienten, die über eine eher ablehnende Haltung gegenüber dem Medium verfügen, betrachten alle angebotenen Informationen kürzer, d.h. sie setzen sich in geringerem Maße mit den über das Plakat angebotenen Informationen auseinander Die grundsätzliche Haltung zum Medium hat keinen statistisch signifikanten Einfluss auf die Rezeption bzw. Betrachtungszeit einzelner Plakatelemente Für den Einfluss des Faktors ‘Parteiidentifikation’ sind als Wirkungsvermutungen plausibel: Rezipienten betrachten die angebotenen Informationen intensiver, wenn der Absender ihrer politischen Prädisposition entspricht Rezipienten betrachten die angebotenen Informationen weniger lange, wenn der Absender ihrer politischen Prädisposition entgegensteht Rezipienten betrachten die angebotenen Informationen weniger lange, wenn der Absender ihrer politischen Prädisposition entgegensteht Die Parteiidentifikation hat keinen statistisch signifikanten Einfluss auf die Rezeption bzw. Betrachtungszeit einzelner Plakatelemente
Übersicht möglicher Hypothesen der Einflüsse von Moderatorvariablen auf die Betrachtungsdauer.
Allokation von Aufmerksamkeit und Aktivierung und Hierarchie der Wahrnehmungssequenz
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Auf Basis der bisherigen Erkenntnislage lässt sich jeweils ein Set an plausiblen Annahmen formulieren, wie sich individuelle Merkmale der Rezipienten auf den Wahrnehmungsprozess auswirken können. Gleichzeitig legen die bisherigen empirischen Befunde nahe, grundsätzlich von einem eher geringen Einflusspotential individueller Merkmale auf den unmittelbaren Wahrnehmungsprozess bzw. Blickverlauf auszugehen. Dies bedeutet hingegen nicht, dass die individuellen Merkmale überhaupt keinen Einfluss auf den gesamten Rezeptionsprozess nehmen. Welche intervenierenden, über Rezipientenmerkmale moderierten Prozesse ‘hinter’ bzw. ‘nach’ der unmittelbaren Wahrnehmung ablaufen, kann auf Basis der Blickverlaufsparameter nicht beurteilt werden. Vielmehr geben die Blickverlaufsparameter an, wie sich die tatsächliche Visuelle Wahrnehmung der Rezipienten strukturiert, wobei auf Basis der einzelnen Blickverlaufsparameter statistisch getestet werden kann, inwieweit einzelne Merkmale diesen unmittelbaren Wahrnehmungsvorgang modifizieren. Ob und wie sich Einflüsse individueller Prädispositionen zeigen, ist eine empirische Frage, auf die, wenn auch im vorliegenden Fall mit explorativem Charakter, auf Basis der gewonnen Daten Antworten gefunden werden sollen. Inwieweit sich ein konkreter Zusammenhang zwischen individuellen Rezipientenmerkmalen und Blickverlaufsparametern zeigt, wurde mittels einfaktorieller multivariater Varianzanalysen überprüft. Erneut werden die Eyetracking-Parameter hierfür in Bezug gesetzt zu den jeweiligen AOIs Headline, Subline, Copy, Claim, Logo und Bildmotiv. Auf die Integration der Betrachtungsdaten der AOI Zusatzinformation wird verzichtet, da diese, wie die Betrachtungsdaten zeigen, von untergeordneter Bedeutung ist. Auch die AOI Inhaltlicher Bildmittelpunkt wird nicht berücksichtigt, da diese einen Ausschnitt des Bildmotivs abbildet, was für die Analyse der Betrachtungszeiten fruchtbar war, hier jedoch nicht mehr sinnvoll ist. Nach datenbedingter Umcodierung und Bereinigung des Datenmaterials13 gehen als Basis 1939 Bildplakat-Rezeptionen bzw. Plakat13
In diesem Kontext ist auf ein datentechnisches Problem bei der Auswertung hinzuweisen. Da nicht alle Testplakate gleichermaßen alle Gestaltungselemente beinhalteten, stehen nicht alle Blickverlaufsparameter für alle Plakat-Probanden-Relationen zur Verfügung; insbesondere gilt dies für die Blickverlaufsparameter AOI Copy und Subline. Für die multivariate Varianzanalyse stellen diese als fehlend zu behandelnden Werte ein Problem dar, denn SPSS bietet hier nur zwei Möglichkeiten: Erstens können alle Fälle, die einen fehlenden Wert aller einbezogenen Variablen aufweisen, vollständig aus den Berechnungen ausgeschlossen werden. Im vorliegenden Fall wies allerding faktisch kein Plakat alle Gestaltungselemente gleichzeitig auf. Hier wäre zwar möglich gewesen, die am seltensten vorkommenden Gestaltungselemente nach dem Prinzip des größten gemeinsamen Nenners auszuschließen, doch hätte dies einen zu großen Ausschluss von Fällen bzw. einer zu stark verringerten Fallzahl bedingt. Auch die Idee, die Analysen jeweils auf Basis einzelner Plakatgruppen bzw. einzelner Plakatmotive durchzuführen, stellte sich als unbefriedigend dar: Die AOIs wurden ja insbesondere eingeführt, um eine plakatübergeordnete Betrachtung zu ermöglichen. Zweitens hätten die Werte vollständig in die Analysen einbezogen werden können, was aber zu vollkommen verzerrten Mittelwertergebnissen geführt hätte und im Ergebnis nicht korrekt wäre. Letztlich wurde dieses Problem gelöst, indem den auf dem Plakatmotiv nicht vorhandenen AOIs für die Varianzanalyse eine Betrachtungsdauer von 0,000 Sekunden zugewiesen wurde. Dies ist insofern nicht falsch, als dass die Elemente im Blickverlauf faktisch nicht betrachtet worden sind, weshalb der Vorschlag, die feh-
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Allokation von Aufmerksamkeit und Aktivierung und Hierarchie der Wahrnehmungssequenz
Probanden-Relationen als Fälle in die Varianzanalyse ein. Die Ergebnisse sollen nun zunächst nacheinander präsentiert werden, anschließend erfolgt eine Einordnung und Diskussion der Befunde. Als erstes werden die Ergebnisse des Faktors Politisches Interesse (PIN) vorgestellt. Hierbei werden 1843 Plakat-Probanden-Relationen berücksichtigt. Die Variable PIN wurde auf einer Skala von 1 (‘überhaupt nicht’) bis 6 (‘sehr stark’) erhoben. Um eine bessere Vergleichbarkeit der Gruppengrößen zu erreichen – die niedrigste Ausprägung wurde von nur einem Probanden besetzt – wurde die Variable auf eine vierstufige Skala (‘sehr hohes politisches Interesse’ (N=614), ‘eher hohes politisches Interesse’ (N=531), ‘eher geringes politisches Interesse’ (N=371), ‘sehr geringes politisches Interesse’ (N=327)) umcodiert. Im Ergebnis zeigt sich, dass kein einziger Faktor auf die Blickverlaufsparameter mit statistischer Signifikanz wirkt (vgl. Tab. 1 in Anhang 2). Zwar zeigt die MANOVA einen fast signifikanten Einfluss von p=0,005 (F=4,317) und damit an, dass ‘irgendwo’ zwischen den Items ein Einfluss vorliegt. In der univariaten Auswertung auf Basis einzelnen AOI-Betrachtungsdauern ist dieser Einfluss auf einem Prüfniveau von p < 0,001 jedoch zu vernachlässigen. Die bivariate Korrelation liefert den Befund, dass Politisches Interesse minimal negativ korreliert ist mit der Höhe der Betrachtungsdauer der Headline (Kendalls Tau: r=0,059; p=0,001). Die Ergebnisse bewegen sich allerdings außerhalb der vorgesehenen Irrtumswahrscheinlichkeit und sind damit nicht belastbar. Auch die Analyse der Mittelwertverteilungen in den Faktorstufen liefert ein uneindeutiges Bild. Offenbar wirkt das Politische Interesse nicht systematisch auf die untersuchten Blickverlaufsparameter. Damit unterstützt die einfaktorielle multivariate Varianzanalyse die populäre These nicht, dass Bildinformationen vor allem von politisch wenig Interessierten rezipiert werden. Vielmehr zeigen sich die Blickverlaufsparameter bei einer lenden Werte durch einen Mittelwert zu ersetzen, keine Alternative gewesen wäre. Faktisch ist die gewählte Lösung aber inhaltlich auch nicht ganz korrekt, weil die Elemente von den Rezipienten überhaupt nicht betrachtet werden konnten. Hier verzerren nun also die als 0,000 Sekunden ersetzten fehlenden Werte die Mittelwerte der Betrachtungsdauern nach unten. Dies ist natürlich suboptimal und muss bei der Analyse und Interpretation der Daten berücksichtigt werden. Dennoch erschien diese Lösung aus drei Gründen noch vertretbar: Erstens sind die tatsächlichen, die fehlenden Gestaltungselemente korrekt berücksichtigenden Betrachtungszeiten der AOIs bekannt; sie wurden bereits vorgestellt. Zweitens verändert die Hilfskonstruktion, trotz der statistischen Unterschätzung der Mittelwerte, die Ergebnisse nicht in ihrer Struktur: Strukturell entspricht die Hierarchie der Betrachtungsdauern der einzelnen AOIs auf Basis der ersetzten fehlenden Werte der Hierarchie der Betrachtungsdauern mit korrekt berücksichtigten fehlenden Werten. Dies zeigen einerseits die varianzanalytischen deskriptiven Statistiken, andererseits wurde dies anhand von Einzelauswertungen für die jeweiligen individuellen Rezipientenmerkmale überprüft. Drittens wird die Varianzanalyse, dort, wo sich konkrete Zusammenhänge der Merkmale zeigen, durch eine Korrelationsanalyse ergänzt, für die die korrekte Berücksichtigung der fehlenden Werte kein Problem darstellt. Für weitere Forschungen wäre es aber sehr empfehlenswert, nur Plakatmotive zu berücksichtigen, die alle über eine identische Gesamtstruktur der Elemente Headline, Subline, Copy, Claim, Logo, Bildmotiv verfügen, auch wenn hier zu bedenken bleibt, dass dies die externe Validität reduziert.
Allokation von Aufmerksamkeit und Aktivierung und Hierarchie der Wahrnehmungssequenz
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Betrachtungszeit von 3,5 sec weitgehend unabhängig vom Politischen Interesse der Rezipienten. Die Befunde der Varianzanalyse mit dem Faktor Bildungsgrad (B) zeigen (N=1833; die nur durch wenige Fälle besetzte Gruppe ‘kein Schulabschluss’ wurde aus der Betrachtung ausgeschlossen): Auch das Bildungsniveau wirkt sich offenbar nicht auf den Blickverlauf aus. Die MANOVA zeigt keinen signifikanten Einfluss der Variable auf die Blickverlaufsparameter (vgl. Tab. 2 in Anhang 2). In die MANOVA von Alter (in 5 Altersklassen: bis 30, bis 40, bis 50, bis 60, älter als 60) auf die Blickverlaufsparameter gehen 1843 Fälle ein. Die Analyse deckt erneut keine signifikanten Effekt auf: Auf dem Niveau von p=0,005 wirkt sich lediglich Alter nahezu signifikant auf die Betrachtungsdauer des Logos (F=3,731) sowie des Copy-Textes (F=3,786) aus, wobei der Trend auf Basis des Mittelwertvergleichs nicht eindeutig ist (vgl. Tab. 3 in Anhang 2). Die bivariate Korrelation liefert die Zusammenfassung, dass Alter minimal negativ korreliert ist mit der Höhe der Betrachtungsdauer von Headline (Kendalls Tau: r=-0,058; p=0,001), Subline (Kendalls Tau: r=-0,40; p=0,40) sowie minimal positiv mit der Betrachtungsdauer des Bildmotivs (Kendalls Tau: r=0,51; p=0,03). Die Ergebnisse bewegen sich außerhalb der vorgesehenen Irrtumswahrscheinlichkeit und sind nicht belastbar. Auch die multivariate Analyse des Faktors Geschlecht (G) liefert keine signifikanten Einflüsse (F=1,609; p=0,005) auf die Blickverlaufsparameter (vgl. Tab. 4 in Anhang 2). Dementsprechend kann davon ausgegangen werden, dass die Blickverläufe unabhängig von diesen beiden Rezipientenmerkmalen sind. Dies steht in Einklang mit den theoretischen Implikationen: In der vorliegenden Rezeptionssituation ist ein systematischer Einfluss der Merkmale Alter und Geschlecht auf die endogene Kontrolle der Wahrnehmung nicht zu vermuten. Dagegen war plausibel, dass eine eher positive Einstellung der Rezipienten zum Medium, ‘Wahlplakate gehören zum Wahlkampf einfach dazu’, mit einer intensiveren visuellen Auseinandersetzung der Plakatinformationen einhergeht. Die Ergebnisse der Varianzanalyse (N=1843) zum Faktor Grundsätzliche Haltung gegenüber Wahlplakaten (MW) weisen aber auch hier keinen signifikanten Effekt nach (vgl. Tab. 5 in Anhang 2). Zwar korreliert die grundsätzliche Einstellung gegenüber dem Medium Wahlplakat leicht positiv mit dem Politischen Interesse (Kendalls Tau r=0,372; p=0,000), doch finden beide Variablen keinen signifikanten Niederschlag in der Betrachtung der Plakatmotive. Untersucht wurde auch, ob das Mediennutzungsverhalten Einflüsse auf den Rezeptionsprozess bzw. Blickverlauf nimmt. Beispielsweise könnte eine stärkere Nutzung des ‘Bildmediums TV’ mit einer stärkeren Präferenz von Bildelementen im Wahrnehmungsprozess einhergehen. Umgekehrt ließe sich vermuten, dass intensive Zeitungsnutzer sich in stärkerem Maße Textinhalten zuwenden. In Anbetracht der bereits präsentierten Befunde zu politischem Interesse und Bildungsgrad ist es in diesem Zusammenhang eine spannende Frage, inwieweit von einer Dominanz der Bildkommunikation im Blickverlauf auszugehen ist oder inwieweit sich diese durch
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Allokation von Aufmerksamkeit und Aktivierung und Hierarchie der Wahrnehmungssequenz
eine intensivere Textbetrachtung ‘verdrängen’ lässt. Hier liefern die Varianzanalysen einen recht spannenden Befund: Während die MANOVA keinen signifikanten Einfluss der ‘Intensität der TV-Nutzung’ (TVN) aufdeckt, zeigt sich ein signifikanter Effekt der ‘Intensität der Zeitungsnutzung’ (ZN): Diese wirkt statistisch höchst signifikant auf den Blickverlaufsparameter Betrachtungszeit Headline (ZN: F=5,553; p=0,000; vgl. Tab. 6 und 7 in Anhang 2). Rezipienten, die mit geringer Intensität Zeitungen nutzen, setzen sich tendenziell länger mit den angebotenen Textinformationen auseinander. Der Mittelwertvergleich über die MediennutzungsGruppen demonstriert aber auch, dass sich diese Rezipienten auch in besonderer Weise dem Bildmotiv zuwenden – und zwar mit einer längeren Betrachtungsdauer als dies bei Textelementen der Fall ist. Rezipienten, die ‘nie’ Zeitungen nutzen und Rezipienten die ‘täglich/fast täglich’ und ‘häufig’ Zeitungen nutzen, wenden sich tendenziell mit längerer Betrachtungszeit den auf dem Plakat angebotenen Informationen zu. Dabei ist der Faktor Zeitungsnutzung wie zu erwarten positiv mit dem politischen Interesse korreliert (Kendalls Tau r=0,372; p=0,000), etwas weniger Zusammenhang zeigt sich zur Fernsehnutzung (Kendalls Tau: r=0,197; p=0,000). Wie vermutet, erhält aber das Bildmotiv die höchste Aufmerksamkeit im Wahrnehmungsprozess: Bildelemente werden am Intensivsten betrachtet. Abschließend soll die Frage nach einem möglichen Zusammenhang zwischen der Parteiidentifikation (PID) und den einzelnen Blickverlaufsparametern behandelt werden. Parteiidentifikation wurde hierzu über die übliche Kombination aus drei Items abgefragt: Über die Frage nach einer generellen Parteineigung zu einer bestimmten Partei, über die Frage nach der konkret zugeneigten Partei sowie über die Stärke dieser Parteineigung (auf einer Skala von 1 ‘sehr schwach’ bis 6 ‘sehr stark’). Zunächst wurde ermittelt, welche Rezeptionen als ‘kongruent’ bzw. ‘inkongruent’ zur Parteineigung zu interpretieren waren (vgl. Donsbach 1991). Als inkongruent wurde gewertet, wenn Absender und PID nicht übereinstimmten – z.B. im Fall der Plakat-Probanden-Relation bei der einem Rezipienten mit der PID ‘Bündnis 90/Die Grünen’ das FDP-Plakat ‘Schulvielfalt erhalten’ präsentiert wurde. Als kongruent wurde gewertet, wenn Absender und PID übereinstimmten – z.B. im Fall der Plakat-Probanden-Relation bei der einem Rezipienten mit der PID ‘FDP’ das FDPPlakat ‘Schulvielfalt erhalten’ präsentiert wurde. Hintergrund für die Überlegung, dass eine inkongruente, dissonante Rezeption mit geringeren Betrachtungsdauern einhergeht, liefert die Theorie der kognitiven Dissonanz. Die Variable wurde als unabhängige Variable in die multivariate Analyse einbezogen. Im Ergebnis liefert die MANOVA insgesamt mit p=0,004 (F=3,178) einen fast signifikanten Zusammenhang. Dieser erklärt sich fast ausschließlich über die Betrachtungsdauer des Logos, wie die univariate Auswertung zeigt: Hier liegt mit p=0,000 ein höchst signifikanter Einfluss vor. Ein Einfluss auf die Betrachtungszeiten von Headline (F=0,782; p=0,376), Subline (F=0,283; p=0,351) sowie Bildmotiv (F=4,939; p=0,026) zeigt sich nicht in signifikanter Höhe. Interessant ist auch, in-
Allokation von Aufmerksamkeit und Aktivierung und Hierarchie der Wahrnehmungssequenz
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wieweit sich ein Einfluss nachweisen lässt, wenn nicht nur die Kongruenz zur Partei betrachtet wird, sondern die Parteien ihrer Orientierung nach in zwei Lager zusammengefasst werden (CDU/FDP sowie SPD/Bündnis90 Grüne/LINKE). Die multivariate ANOVA gibt mit p=0,584 (F=0,782) jedoch keinen signifikanten Effekt aus. Betrachtet wurde abschließend, ob der Zusammenhang durch die Stärke der PID moderiert wird. Hierzu wurde eine Variable erzeugt, die die Stärke der PID mit der Lager-PID verband. Auch hier liefert die MANOVA allerdings mit p=0,654 (F=0,926) keinen signifikanten Zusammenhang (vgl. Tab. 8 in Anhang 2). Der Visuelle Wahrnehmungsprozess scheint also nicht von der Parteiidentifikation, der Lageridentifikation oder der Stärke der Lageridentifikation abzuhängen. Zusammengefasst zeigen die Befunde damit vor allem eines: Ein systematischer Einfluss der einzelnen Rezipientenmerkmale auf die Betrachtungsdauer der verschiedenen AOIs Headline, Subline, Claim, Logo, Copy und Bildmotiv kann kaum als bestätigt angesehen werden. Spannend sind die Befunde zu dem medienspezifischen Items: Eine hohe Intensität der Mediennutzung von Zeitungen geht tendenziell mit einer intensiveren visuellen Auseinandersetzung aller über das Plakat angebotenen Informationen einher. Aber insbesondere die klassischen Prädiktoren wie Parteiidentifikation, Alter, Geschlecht oder Bildung erweisen sich letztlich als weitgehend unerheblich für die Betrachtungsdauer der relevanten Plakatelemente. Damit unterstützt die einfaktorielle multivariate Varianzanalyse die populäre These nicht, dass Bildinformationen vor allem von politisch wenig Interessierten oder wenig gebildeten rezipiert werden. Vielmehr zeigen sich die Blickverlaufsparameter bei einer Betrachtungszeit von 3,5 sec weitgehend unabhängig von den Prädispositionen der Rezipienten. Neben der Observation Length wurde bisher auch die jeweilige Time to First Fixation der einzelnen AOIs als relevanter Parameter des Blickverlaufs betrachtet. Da die Daten als Indikatoren für die Hierarchie der Aufmerksamkeitsverteilung interpretiert werden können, bietet es sich an, den Einfluss der untersuchten Rezipientenmerkmale auch auf diese Parameter zu testen. Die Daten gehen allerdings mit einer besonderen Datenstruktur einher, die Auswirkungen für die weiterführenden statistischen Auswertungen haben; insbesondere legt die Datenstruktur nahe, für die weitere Auswertung auf Korrelationsanalysen zurückzugreifen.14 14 Datenstruktur und Konsequenzen sollen kurz erläutert werden. Die jeweilige Time to First Fixation gibt in Sekundeneinheiten an, wann, d.h. nach wie vielen Sekundeneinheiten die einzelnen AOIs betrachtet wurden. Das bedeutet praktisch: Je geringer die Time to First Fixation, desto schneller wurde die foveale Wahrnehmung auf die jeweilige AOI gelenkt. Eine Time to First Fixation von 0,000 Sekunden bedeutet demnach, dass die foveale Wahrnehmung unmittelbar auf die AOI fiel. In der Rezeptionszeit von 3,5 sec wurden regelmäßig nur einige wenige AOIs betrachtet, Logo oder Claim wurden oftmals nicht rezipiert. Das bedeutet wiederum, dass die AOI-Daten der Time to First Fixation-Variablen eine Vielzahl von fehlenden Werten aufweisen, die von den bisherigen Analysen ausgeschlossen wurden. Gleichzeitig tritt das bereits thematisierte Problem auf, dass nicht alle Plakatmotive über alle Gestaltungselemente verfügen. Hier wurden die nicht auf dem Plakatmotiv vorhande-
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Allokation von Aufmerksamkeit und Aktivierung und Hierarchie der Wahrnehmungssequenz
Um die Präsentation der Auswertung übersichtlicher zu gestalten, gibt die nachfolgende Tabelle 20 einen Überblick über die einzelnen Faktoren, die jeweils einbezogen wurden sowie über die abhängigen Blickverlaufsparameter, auf die der Einfluss der Faktoren kontrolliert wurde. Analysiert wurde die jeweilige Time to First Fixation der Areas of Interest Headline, Subline, Bildmotiv und Logo. Claim, Copy und Zusatzinfo werden, da sie von der Mehrheit der Probanden nicht oder nur sehr verzögert wahrgenommen wurden, nicht in die Analyse einbezogen.
Unabhängige Variablen
Set abhängiger Variablen ‘Time to First Fixation AOIs’
Allgemeine Rezipientenmerkmale Alter (A) Geschlecht (G) Bildungsgrad (B) Intensität der TV-Nutzung (TVN) Intensität der Zeitungs-Nutzung (ZN) Objektbezogene Rezipientenmerkmale Politisches Interesse (PIN) Grundsätzliche Haltung zum Medium (MW) Parteiidentifikation (PID)
Time to First Fixation Headline (TH) Time to First Fixation Subline (TS) Time to First Fixation Claims (TC) Time to First Fixation Copy-Text (TT) Time to First Fixation Logo (TL) Time to First Fixation Bildmotiv (TB)
Tabelle 20:
Überblick über die Faktoren und abhängigen Variablen der einfaktoriellen multivariaten Varianzanalysen.
nen AOIs ebenfalls ausgeschlossen. Mit der so vorliegenden Datenstruktur sind varianzanalytische Verfahren über alle AOIs nicht möglich. Auch die Hilfskonstruktion, die nicht auf dem Plakatmotiv vorhandenen AOIs mit einer Time to First Fixation von 0,000 auszusortieren, scheidet aus, da dies konkret bedeutet hätte, dass diese Elemente die höchste Beachtung erfahren hätten. Gleichzeitig zeigen die explorativen Varianzanalysen der Betrachtungszeiten einige Tendenzen an, die in ähnlicher Struktur für die Times to First Fixation vermutet werden können. Eine Hypothesenformulierung ist auf Basis der bisher gewonnenen Erkenntnisse damit eher möglich. In summa bedeutet dies, dass es für die Analyse des Zusammenhangs von individuellen Rezipientenmerkmalen auf die jeweiligen Times to First Fixation der einzelnen Areas of Interest durchaus plausibel ist, Korrelationsanalysen zu verwenden. Diese bieten den Vorteil, dass die fehlenden Werte problemlos ausgeschlossen werden können, ohne dass jene die Betrachtungen wegfallen, die fehlende Werte beinhalten. Gleichzeitig ist das Analyseverfahren der Korrelationsanalyse nun eher vertretbar als zu Beginn der empirischen Untersuchungen, weil die ersten Ergebnisse eine größere Sicherheit im Umgang mit den Eyetracking-Daten eingebracht haben. Aus diesen Gründen erscheinen Korrelationsanalysen für die Untersuchung des Zusammenhangs in Bezug auf die Time to First Fixation angemessen.
Allokation von Aufmerksamkeit und Aktivierung und Hierarchie der Wahrnehmungssequenz
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Auch wenn die präsentierten Befunde zum Einfluss individueller Rezipientenmerkmale auf die Betrachtungsdauern einzelner AOIs bereits eine Vielzahl an Erkenntnissen geliefert haben, die vorher unklar waren, bleibt das theoretischempirische Defizit bestehen. Die dem Forschungsprozess vorangehenden Hypothesen zum Einfluss individueller Rezipientenmerkmale auf die Fixationshierarchien einzelner AOIs sind dementsprechend wieder als exploratives Hypothesenset zu verstehen. Tabelle 21 fasst die möglichen, theoretisch begründbaren Wirkungsvermutungen zusammen. Unabhängige Variablen
Politisches Interesse (PIN)
Bildungsgrad (B)
Mögliche Wirkungen auf die Time to First Fixation Für den Einfluss des Faktors ‘Politisches Interesse’ sind als Wirkungsvermutungen plausibel: Rezipienten, die über ein hohes politisches Interesse verfügen, betrachten Textinformationen im Wahrnehmungsprozess schneller; visuelle Informationselemente werden dagegen erst verzögert betrachtet. Rezipienten, die über ein geringes politische Interesse verfügen, betrachten Bildinformationen im Wahrnehmungsprozess schneller; Textinformationen werden dagegen erst verzögert betrachtet. Politisches Interesse hat keinen statistisch signifikanten Einfluss auf die Rezeption bzw. Betrachtungszeit einzelner Plakatelemente. Für den Einfluss des Faktors ‘Bildungsgrad’ sind als Wirkungsvermutungen plausibel: Rezipienten, die über ein höheres Bildungsniveau verfügen, betrachten Textinformationen im Wahrnehmungsprozess schneller; visuelle Informationselemente werden dagegen erst verzögert betrachtet. Rezipienten, die über ein geringeres Bildungsniveau verfügen, betrachten visuelle Informationselemente im Wahrnehmungsprozess schneller; Textelemente werden dagegen erst verzögert betrachtet. Der Bildungsgrad hat keinen statistisch signifikanten Einfluss auf die Rezeption bzw. Betrachtungszeit einzelner Plakatelemente. Für den Einfluss der Faktoren ‘Intensität der TVNutzung’ sowie ‘Intensität der Zeitungsnutzung’ sind
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Intensität der TV-Nutzung (TVN) und Intensität der ZeitungsNutzung (ZN)
Alter (A)
Geschlecht (G) Grundsätzliche Haltung zum Medium Wahlplakat (MW) Parteiidentifikation (PID) Tabelle 21:
als Wirkungsvermutungen plausibel: Rezipienten, die intensiv die Zeitung als Informationsquelle nutzen, betrachten Textinformationen im Wahrnehmungsprozess schneller; visuelle Informationselemente werden dagegen erst verzögert betrachtet. Rezipienten, die intensiv das Fernsehen als Informationsquelle nutzen, betrachten Bildinformationen im Wahrnehmungsprozess schneller; Textinformationen werden dagegen erst verzögert betrachtet. Die Intensität der TV- und die Intensität der Zeitungsnutzung haben keinen statistisch signifikanten Einfluss auf die Rezeption bzw. Betrachtungszeit einzelner Plakatelemente. Für den Einfluss des Faktors ‘Alter’ ist als Wirkungsvermutung plausibel: Das Alter hat keinen statistisch signifikanten Einfluss auf die Hierarchie der Betrachtungsgeschwindigkeit einzelner Plakatelemente. Für den Einfluss des Faktors ‘Geschlecht’ ist als Wirkungsvermutung plausibel: Das Geschlecht hat keinen statistisch signifikanten Einfluss auf die auf die Hierarchie der Betrachtungsgeschwindigkeit einzelner Plakatelemente. Für den Einfluss des Faktors ‘Grundsätzliche Haltung zum Medium Wahlplakat’ ist als Wirkungsvermutung plausibel: Die grundsätzliche Haltung zum Medium hat keinen statistisch signifikanten Einfluss auf die Hierarchie der Betrachtungsgeschwindigkeit einzelner Plakatelemente. Für den Einfluss des Faktors ‘Parteiidentifikation’ ist als Wirkungsvermutung plausibel: Die Parteiidentifikation hat keinen statistisch signifikanten Einfluss auf die Hierarchie der Betrachtungsgeschwindigkeit einzelner Plakatelemente.
Übersicht möglicher Hypothesen der Einflüsse von Moderatorvariablen auf die Time to First Fixation.
Die Tabellen in Anhang 3 geben einen Überblick über die ermittelten Korrelationen. Die Ergebnisse werden nacheinander präsentiert, eine Einordnung der Befunde schließt sich an. Als erstes werden wieder die Ergebnisse des Faktors Politisches Interesse (PIN) vorgestellt. Hier liefert die Korrelationsanalyse das Ergebnis, dass
Reflektierte post-kommunikative Evaluation und Akzeptanz
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das Politische Interesse nicht mit der Zeit bis zum Erstkontakt der Headline korreliert (Kendalls Tau: r=0,009; p=0,669). Ein geringer negativer Einfluss besteht auf die Subline (Kendalls Tau: r=-0,045; p=0,000), ein unbedeutender Einfluss auf Logo (Kendalls Tau: r =-0,002; p=0,965) und Bildmotiv (Kendalls Tau: r=0,60; p=0,003), beide nicht signifikant. Systematische Einflüsse des Faktors Politisches Interesse auf die Zeit bis zum Erstkontakt sind damit nicht festzustellen (vgl. Tab. 1 in Anhang 3). Ähnliche Ergebnisse liefert die Korrelationsanalyse unter Einbezug des Faktors Bildung (B), die nicht signifikant mit der Zeit bis zum Erstkontakt der Headline (Kendalls Tau: r=-0,003; p=0,887) oder der Subline (r=0,003; p=0,933) korreliert ist (vgl. Tab. 2 in Anhang 3). Gleiches gilt für die Betrachtungsgeschwindigkeit des Logos (r=0,024; p=0,355) oder des Bildmotivs (r=-0,011; p=0,583). Auch die unabhängigen Variablen Alter und Geschlecht weisen keine bedeutsamen systematischen Zusammenhänge zur Time to First Fixation der einzelnen AOIs auf (vgl. Tab. 3 und 4 in Anhang 3). Ebenso wenig führen die Analysen der Mediennutzungsitems Intensität der TV-Nutzung, Intensität der Zeitungsnutzung oder die Haltung gegenüber dem Wahlplakat als Medium zu signifikanten Ergebnissen, die einen Einfluss der Variablen auf die Betrachtungsgeschwindigkeit der AOIs bestätigen würden. Zudem zeigt die Analyse eines Zusammenhangs zwischen der PID, der Lager-PID oder der PID nach Lager und Stärke, dass dieser ebenfalls nicht zu vermuten ist (vgl. Tab. 8, 9 und 10 in Anhang 3). Alles in allem ergibt sich der Befund, dass die Time to First Fixation nicht signifikant beeinflusst wird durch individuelle Merkmale der Rezipienten. Die Hierarchie der Geschwindigkeit, mit der sich Rezipienten einzelnen Informationseinheiten zuwenden, stellt sich vielmehr als ein weitgehend independenter Blickverlaufsparameter dar. Konklusion weitgehender Independenz Visueller Wahrnehmungsparameter
Einzelne individuelle Merkmale können bei endogener Kontrolle Visueller Wahrnehmung einen signifikanten Einfluss auf die, visuellen Betrachtungsmuster konstituierenden, Wahrnehmungs- bzw. Blickverlaufsparameter nehmen. Insgesamt zeigen sich Visuelle Wahrnehmungsparameter als weitgehend independent von individuellen Rezipientenmerkmalen.
6.4 Reflektierte post-kommunikative Evaluation und Akzeptanz Nachdem eruiert wurde, welche Wirkungen der Einsatz Visueller Kommunikation auf den Prozess der unmittelbaren Visuellen Wahrnehmung nimmt, wird der Blick nun auf die dem unmittelbaren Wahrnehmungsprozess nachgeordneten Wirkungen verlagert. Dieser Perspektivenwechsel ist notwendig, um eine umfassende Betrachtung und Analyse der Funktions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation zu
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Reflektierte post-kommunikative Evaluation und Akzeptanz
erreichen. Die Eyetracking-Daten liefern wesentliche Befunde über die tatsächlichen visuellen Rezeptionsverläufe. Doch geben sie keine Auskunft darüber, welche Wirkungsprozesse ‘hinter’ bzw. ‘nach’ der unmittelbaren Wahrnehmung ablaufen. Daher sollte eine komplexere Wahrnehmungs- und Wirkungsanalyse, wie im vorliegenden Fall, auf einer systematischen und mehrdimensionalen Kombination von Wahrnehmungs- bzw. Rezeptionsdaten mit Befragungsdaten basieren. Der Präsentation und Analyse der so gewonnenen, ‘nachgeordneten’ Wirkungen Visueller Kommunikation widmet sich der folgende Abschnitt. Im ersten Schritt wird betrachtet, ob visuell kommunizierte Inhalte mit einer grundsätzlich höheren Akzeptanz einhergehen. Ganz allgemein bezeichnet Akzeptanz die aktive oder passive Zustimmung zu einer Person, einer Handlung oder einem Objekt. Auf den kommunikativen Kontext bezogen ist Akzeptanz „die Zustimmung der Umworbenen zur Werbemittelgestaltung, das Gefallen an der Art und Weise, wie die Werbebotschaft präsentiert wird.“ (Kroeber-Riel/Esch 2004: 236) Da Akzeptanz als zentrale Moderatorvariable der weiteren Medienwirkung interpretiert wird (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg 2003: 77), hat das Akzeptanzniveau in vielen Modellen der Werbewirkung Eingang gefunden (vgl. beispielsweise: Mayer 1990: 38). Erreicht werden kann Akzeptanz vor allem durch eine glaubwürdige und gefällige visuelle Gestaltung; durch Auslösung von Irritationen, negativen Emotionen oder inneren Gegenargumenten wird die Akzeptanz der Rezipienten dagegen gemindert. Insgesamt ist davon auszugehen, dass „die Akzeptanz der Werbemittelgestaltung (...) für den Beeinflussungserfolg der Werbung immer wichtiger [wird] und zwar deswegen, weil sich Stil und Wirkung der Massenkommunikation geändert haben. Im Information Overload kommt es daher in zunehmendem Maße „auf einen gefälligen Auftritt an, d.h. auf die äußere Gestaltung der Botschaft in allen Kommunikationsbereichen“ (Kroeber-Riel/Esch 2004: 237). Wie stark das Akzeptanzniveau moderieren kann, hängt vom Involvement des Rezipienten ab. Je geringer das Involvement, desto stärker wirkt sich eine gefällige Gestaltung auf die Kommunikationswirkung aus (Kroeber-Riel/Esch 2004: 237). Bei starkem Involvement konzentrieren sich die Rezipienten in der Regel stärker auf den Inhalt der Botschaft. Das Wahlversprechen, die inhaltliche Positionierung, die Sachinformationen, die Logik der Argumentation stehen im Vordergrund der kognitiven Auseinandersetzung. Hier kommt es vor allem auf eine qualitative und logisch überzeugende Argumentation an. Zwar kommt der Gestaltung auch bei hohem Involvement eine wichtige Bedeutung zu; diese wird allerdings als „keineswegs entscheidend“ eingestuft (vgl. Kroeber-Riel/Esch 2004: 238). Diese Erkenntnis würde sich mit Ergebnissen der klassischen Kommunikationsforschung decken, die sich zum Großteil mit sehr stark involvierten Rezipienten auseinandersetzt. Wichtiger als Gefälligkeit wäre in diesem Zusammenhang die Glaubwürdigkeit der Kommunikation. Höhere Glaubwürdigkeit kann erreicht werden über einen glaub-
Reflektierte post-kommunikative Evaluation und Akzeptanz
267
würdigen Kommunikator, über das benutzte Medium sowie über die sprachliche und/oder bildliche Gestaltung. Eine höhere Glaubwürdigkeit führt bei starkem Involvement der Rezipienten zu erhöhter Akzeptanz – und erhöht dadurch den Kommunikationserfolg. Das generelle Involvement der Rezipienten ist im Information Overload allerdings als gering einzustufen. Es basiert vor allem auf der subjektiven Wahrnehmung, ob eine Information, ein Objekt oder Akteur oder eine Aktivität dazu geeignet ist, persönliche Motive zu befriedigen (vgl. Kroeber-Riel/Esch 2004: 143). Dies gilt auch für den Bereich der Politischen Kommunikation. Zudem hängt das grundsätzliche Engagement, mit dem sich die Rezipienten der Kommunikation zuwenden, nicht davon ab, ob sich die Rezipienten generell für die angebotenen Inhalte interessieren, sondern vor allem davon, ob sie sich im Moment dafür interessieren (vgl. Jeck-Schlottmann 1987: 216). Hier ist zu berücksichtigen, dass das aktuelle Situationsinvolvement das latent existierende Politikinvolvement dominiert (ebenda). Bei geringem Involvement, von dem hier ausgegangen wird, gilt die Kommunikationsstrategie ‘Gefallen geht über Verstehen’ in besonderem Maße: Wenig involvierte Rezipienten setzen sich hier kaum mit den rationalen Nutzenversprechen, den Sachinformationen oder der Logik der Argumentation auseinander, dazu haben sie bei einer Betrachtungszeit von etwa 2 Sekunden auch gar keine ‘Zeit’. Vielmehr wird die Botschaft sehr selektiv und flüchtig aufgenommen, wobei visuelle und emotionale Inhalte eher und schneller rezipiert werden. Da den wenig involvierten Rezipienten durch die flüchtige Informationsaufnahme in der Regel wenig rationale Argumente zur Verfügung stehen, leiten sie momentanen Präferenzen stärker von dem assoziativ-emotionalen Eindruck ab, den die politische Botschaft hinterlässt. Daher folgern Kroeber-Riel und Esch (2004: 238) für Konsumentenwerbung: „Die gefällige und unterhaltsame Gestaltung des Werbemittels bestimmt dann den Werbeerfolg wesentlich stärker als das Verständnis der Werbebotschaft.“ Auch wenn diese Überlegungen zu den Wirkungen von Akzeptanz und Verständnis bei Low vs. High Involvement im Kontext der Theorien des Wählerverhaltens wohl eher in der Tendenz gelten (vgl. Brettschneider 2002e; Brettschneider/ Rettich 2005; Schoen/Weins 2005; Schoen 2003; Lazarsfeld/Berelson/Gaudet 1965; Belknap/Campbell 1951; Campbell 1964; Campbell/Converse/Miller/Stokes 1966), lässt sich doch die grundsätzliche Vermutung extrahieren, dass der Einsatz Visueller Kommunikation grundsätzlich das Potential erhöht, Akzeptanz beim Rezipienten auszulösen. Aufgrund der Bildüberlegenheitswirkungen sollten Bildplakate beim Rezipienten eine höhere Akzeptanz auslösen; diese sollte, analog zur peripheren Wahrnehmungsphase, höher sein, je stärker die Gestaltung auf assoziationsreiche, positiv-emotionale, klare und schemakongruente Motive, auf ein ausgewogenes Kontrast- und Farbverhältnis sowie den Einsatz einer ‘freundlichen’ und ‘leuchtenden’ Farbtonality setzt und eine klare optische Gliederung durch eine harmonische Gesamtkomposition ergänzt. Die Bedeutung einer prägnanten Visuellen Kommu-
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Reflektierte post-kommunikative Evaluation und Akzeptanz
nikation gewinnt durch diese Erkenntnis an Bedeutung. In Einklang mit diesen Vermutungen stehen die Befunde zur pre-attentiven Wirkung Visueller Kommunikation im ‘Ersten Eindruck’. Hier konnte gezeigt werden, dass die Besonderheiten Visueller Kommunikation über Prozesse der pre-attentiven Anmutung Auswirkungen auf die kurzfristige emotionale Einstimmung des Rezipienten beim ersten visuellen Kontakt haben (vgl. Kap. 6.2). Die Befunde bestätigten, dass Bildplakate zu einer positiveren pre-attentiven Anmutung führen und im ersten Eindruck durchgängig besser bewertet werden als Textplakate. Gleichzeitig konnte gezeigt werden, dass die Bewertung im ersten Eindruck umso positiver ausfällt, je prägnanter positiv-konnotierte schemakongruente Motive, Farben und Formen in der Gestaltung eingesetzt werden, wobei sich dies unabhängig von der Parteiidentifikation, dem politischen Interesse und Bildungsgrad der Rezipienten darstellte. Es ist plausibel, dass sich die Überlegenheitswirkung Visueller Kommunikation für die preattentativ-assoziative Bewertung des Mediums auch in der reflektierten, kognitiv stärker evaluierten Bewertung niederschlägt. Der pre-attentive erste Eindruck sollte zu einer emotionalen Prädisposition des Rezipienten auf den nachfolgenden Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprozess führen und auch die spätere, reflektierte Bewertung bzw. Akzeptanz des Plakatmotivs beeinflussen. Als Hypothesen wird dementsprechend formuliert: Hypothese der Wirkung Visueller Kommunikation auf die reflektierte postkommunikative Evaluation (Akzeptanz) der Kommunikation
Bilder bzw. Bildplakate erzielen eine höhere Akzeptanz als Texte bzw. Textplakate, d.h. Bildplakate werden von den Rezipienten in summa auch reflektiert besser bewertet als Typoplakate. Die Akzeptanz des Stimulus (Wahlplakats) ist höher, je prägnanter positivkonnotierte schemakongruente Motive, Farben und Formen in der Gestaltung eingesetzt werden. Die Bewertung des Plakatmotivs im pre-attentiven, ersten Eindruck korreliert mit der späteren, reflektierten Bewertung des Plakatmotivs: Je positiver die Bewertung im pre-attentiven ersten Eindruck, desto positiver ist die spätere, reflektierte Bewertung (Akzeptanz) des Plakatmotivs.
Operationalisiert wurde die Akzeptanz der Wahlplakate über eine einfache Bewertung des subjektiven Gefallens nach dem ‘Schulnoten-System’. Die Plakatmotive wurden randomisiert angeboten, um Reihenfolgeeffekte zu vermeiden. Für T2-W1 ergibt die Auswertung: Bildplakate werden in der Phase der reflektierten Bewertung besser bewertet als Textplakate; sie rufen in der Regel eine höhere Akzeptanz bei den Rezipienten hervor. So liegt der aggregierte Mittelwert für die Bewertung aller Bildplakate beider Gruppen über dem Ergebnis der Bewertung der Textplakate
Reflektierte post-kommunikative Evaluation und Akzeptanz
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(3,07 auf der Skala von 1 ‘sehr gut’ bis 6 ‘ungenügend’ für Bildplakate (SD=1,41) vs. 3,68 für Textplakate (SD=1,42)). Wie bei der affektiven RTR-Bewertung wird die positivste Ausprägung einer Bewertung von einem getesteten Bildplakat geliefert, von ‘Grüne Genfood Bild’ (M=2,19; SD=1,38). Dagegen liegt die beste Bewertung für ein Typoplakat (‘Grüne Studiengebühren Text’) bei der durchschnittlichen ‘Note’ von M=2,83 (SD=1,33). Das am schlechtesten bewertete Bildplakat (‘Linke Leben können’) wird mit einem Mittel von M=3,90 (SD=1,49) evaluiert; das Typoplakat mit der geringsten Akzeptanz (‘Linke Privatisierung Stoppen’) erhält die durchschnittliche Note von 4,26 (SD=1,47). Analog zu den Befunden aus der preattentiven Wahrnehmungsphase zeigt sich, dass Bildplakate offensichtlich über das größere Potential verfügen, intensive, positive emotionale Reaktionen bzw. subjektives Gefallen auszulösen. Dieses Ergebnis deckt sich mit den obigen Prämissen – und es zeigt sich ebenso in den Ergebnissen von Welle 2, 3 und 4 in T2: Auch in den Replikationen erhalten die getesteten Bildplakate regelmäßig eine bessere reflektierte Bewertung als die präsentierten Textplakate. Auch hier fällt die beste Gesamtwertung regelmäßig und mit deutlichem Abstand auf Bildplakate, während Typoplakate deutlich schlechtere Gesamtwertungen erhalten. Tabelle 22 stellt die Ergebnisse der Wellen 1 bis 4 im Vergleich ‘Bild vs. Text’ gegenüber.
Welle 1 Welle 2 Welle 3 Welle 4 Tabelle 22:
Akzeptanz bzw. durchschnittli- Akzeptanz bzw. durchschnittliche ‘Benotung’ aller Bildplakate che ‘Benotung’ aller Textplakader jeweiligen Welle te der jeweiligen Welle (M=) (SD=) (M=) (SD=) 3,07 1,41 3,68 1,42 2,45 0,98 3,44 1,12 2,71 1,40 3,41 1,36 2,63 1,26 3,84 1,36 Überblick der durchschnittlichen Bewertungen der jeweils präsentierten Bild- und Textplakate im Wellenvergleich.
Unabhängig vom Thema oder der jeweiligen Gestaltung lässt sich erkennen, dass Bildplakate tendenziell eine positivere Bewertung bei den Rezipienten evozieren. Dies wird auch deutlich, wenn man die jeweils ‘besten’ und ‘schlechtesten’ Plakatbewertungen in ihrer Ausprägung betrachtet: Selbst das ‘schlechteste’ Bildplakat wird immer noch besser bewertet als das ‘schlechteste’ Textplakat. Umgekehrt erhalten die ‘besten’ Bildplakate regelmäßig weitaus bessere Noten als die jeweils ‘besten’ Typoplakate (vgl. Tab. 23).
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Welle 1 Welle 2 Welle 3 Welle 4 Tabelle 23:
Reflektierte post-kommunikative Evaluation und Akzeptanz
Beste ‘Benotung’ aller Bildplakate (M=) (SD=) 2,19 1,38 2,23 1,06 2,31 1,04 2,78 1,23
Beste ‘Benotung’ aller Textplakate (M=) (SD=) 2,83 1,33 3,11 1,12 2,99 1,37 3,48 1,26
Schlechteste ‘Benotung’ aller Bildplakate (M=) (SD=) 3,9 1,49 3,64 1,13 2,98 1,65 3,45 1,21
Schlechteste ‘Benotung’ aller Textplakate (M=) (SD=) 4,26 1,47 3,79 1,14 4,23 1,44 4,53 1,46
Überblick der durchschnittlich ‘besten’ und ‘schlechtesten’ Bewertungen der jeweils präsentierten Bild- und Textplakate im Wellenvergleich.
Im Rahmen der computergestützten Befragung in UNIPARK wurde die Akzeptanz bzw. die Bewertung der Plakatmotive in T2-W1 und T2-W3 aber nicht nur über die ‘Notenskala’ abgefragt. Da diese erlaubte, die höchste Ausprägung ‘sehr gut’ sowie die niedrigste Ausprägung ‘ungenügend’ mehrfach zu vergeben, wurde zusätzlich ein individuelles, absolutes Ranking eingeführt, um die jeweils ‘absoluten Top- und FlopPlakate’ zu ermitteln. Dazu brachten die Probanden die jeweils individuell am ‘besten’ und am ‘schlechtesten’ bewerteten Plakatmotive zusätzlich in eine individuelle Rangfolge. Für die Auswertung wurden die Motive dann mit einem Scoring-Verfahren bewertet. Hierfür wurden Punkte für die absoluten Rangplätze 1 bis 5 vergeben: Pro individueller Rangvergabe der besten Plakate auf Rang 1 wurden 5 Punkte gezählt, pro Rangvergabe auf Platz 2 erhielt das Plakat 4 Punkte, 3 Punkte für jeden 3. Rangplatz usw. Den Rängen der ‘Flop-Plakate’ wurden negative Punktzahlen pro Rangvergabe zugewiesen. Auf Basis dieses Scoring-Verfahrens ließen sich die ‘absolut’ am schlechtesten bewerteten Plakatmotive den ‘absolut’ am besten bewerteten Plakaten gegenüberstellen. Es ist aufgrund der bisherigen Befunde nicht überraschend, dass sich die Gruppe der fünf absolut am besten evaluierten Plakate ausschließlich aus Bildplakaten zusammensetzt. Den mit Abstand höchsten Scoring Wert erhält das Bildplakat ‘Genfood’ von Bündnis 90/Die Grünen mit einem Gesamtwert von 157 ScoringPunkten, gefolgt von dem für das Experiment erstellten, fiktiven Bildplakat ‘Respekt’ mit 102 Punkten. Tabelle 23 weist die Scoring-Punkte der reflektierten Top5-Plakate aus (vgl. Tab. 24). Die Plakatmotive, die die höchste Bewertung und somit die höchste Akzeptanz erhalten, weisen in ihrer Gestaltung die bereits aus der RTR-Evaluation bekannten, positiv wirkenden Charakteristika auf: Verwendung von assoziations-
271
Reflektierte post-kommunikative Evaluation und Akzeptanz
reichen, positiv-emotionalen, klaren und schemakongruenten Motiven, eine gefällige visuelle Gestaltung, ein ausgewogenes Kontrast- und Farbverhältnis, der Einsatz einer ‘freundlichen’, ‘leuchtenden’ Farbtonality, eine klare optische Gliederung sowie eine harmonische Gesamtkomposition der Gestaltung (vgl. Kroeber-Riel 1993; Schierl 2001; Schweiger/Schrattenecker 2001; Bruhn 2009; Kroeber-Riel/Esch 2004). Rang ‘Top’
Plakatmotiv
Plakat (Arbeitstitel)
Typ
ScoringErgebnis
1
Gruene_Genfood
Bild
157
2
SPD_Respekt
Bild
102
3
CDU_Bildungschancen
Bild
99
4
FDP_HessenStaerker_Bild
Bild
80
5
Gruene_Neue Energiekultur_Bild
Bild
69
Tabelle 24:
Übersicht der Top-Plakate in der Bewertung nach dem selbst erstellten Scoring-Modell.
272
Reflektierte post-kommunikative Evaluation und Akzeptanz
Umgekehrt, auch dies wenig überraschend, setzt sich die Gruppe der fünf ‘absolut’ am schlechtesten bewerteten Plakate fast ausschließlich aus Typoplakaten zusammen (vgl. Tab. 25). Auch in der reflektierten Bewertung der Testplakate in T2 erhalten, den theoretischen Befunden entsprechend, jene Typoplakate eine geringe Akzeptanz, die in einer dunklen oder grellen Tonality gehalten sind, optisch unklare bzw. keine Motive oder eine suboptimale, optisch fragmentale Gesamtkomposition besitzen. Diese Gestaltungskriterien führen offenbar auch in der stärker kognitivgesteuerten Evaluationsphase zu negativer Konnotation. Rang ‘Top’
Plakatmotiv
Plakat (Arbeitstitel)
Typ
ScoringErgebnis
1
Linke_Privatisierung Stoppen
Text
- 74
2
CDU_Bildungschancen
Text
- 68
3
Linke_Leben-Koennen
Bild
- 57
4
Linke_Armut Bekaempfen
Text
- 56
5
FDP_HessenStaerker
Text
- 56
Tabelle 25:
Übersicht der Flop-Plakate in der Bewertung nach dem selbst erstellten Scoring-Modell.
Reflektierte post-kommunikative Evaluation und Akzeptanz
273
Erneut stellt sich bei den hier präsentierten Befunden die Frage, inwieweit die reflektierte Bewertung bzw. Akzeptanzwirkung der Wahlplakate in Zusammenhang mit der Parteiidentifikation oder anderen individuellen Merkmalen der Rezipienten steht. Bislang haben die empirischen Befunde zur Wahrnehmung und Wirkung Visueller Politischer Kommunikation hier die Erkenntnis eingebracht, dass eine weitgehende Independenz von individuellen Prädispositionen besteht. Bislang wurden allerdings auch unmittelbare, kaum reflexiv rezipierte Reaktionen bzw. Wirkungen erfasst. Es ist daher wahrscheinlich, dass, sofern die Dominanz Visueller Wahrnehmung bzw. Visueller Kommunikation überhaupt durch individuelle Rezipientenmerkmale moderiert wird, sich diese Moderation nun ‘ab’ der Stufe der reflektierten Evaluation bzw. Akzeptanzwirkung (RA) zeigt und sich dann auch in den folgenden Verarbeitungsreaktionen niederschlägt. Für die Analyse interessant sind hier die Faktoren ‘Parteiidentifikation’ (PID) und ‘Politisches Interesse’ (PIN) sowie ‘Bildungsgrad’ (B). Ob jeweils ein Einfluss individueller Merkmale gegeben ist, wurde im Kontext der affektiven RTR-Messung statistisch mit einer einfaktoriellen Varianzanalyse in Form einer klassischen Varianzzerlegung nach Fischer geprüft; dieses Verfahren kam auch hier zum Einsatz. Es zeigt sich folgendes Ergebnis: Für G1 ist der Zusammenhang zwischen der Parteiidentifikation und der Bewertung für die 20 getesteten Plakatmotive in 17 Fällen nicht signifikant (Signifikanzen15: p > 0,05; vgl. Tab. 1 in Anhang 4). In drei Fällen lässt sich ein signifikanter Einfluss der Parteiidentifikation ermitteln. Dies ist bei den Typomotiven ‘CDU-Sicher Leben’ (F=3,985; p=0,006), ‘SPD-Mindestlöhne’(F=2,603; p=0,043) sowie ‘Grüne-Neue Energiekultur’ (F=2,684; p=0,038) der Fall. Ähnliches zeigt die Analyse eines Zusammenhangs in G2. Der Zusammenhang zwischen PID und RA ist für die 20 getesteten Plakatmotive in 16 Fällen nicht signifikant (Signifikanzen: p > 0,05; vgl. Tab. 2 in Anhang 4). In vier Fällen zeigt sich ein signifikanter Zusammenhang: Bei den beiden Bildplakaten ‘CDU-Sicher Leben’ (F=2,756; p=0,037) sowie ‘CSU-Familien unsere Zukunft’ (F=3,698; p=0,010) und bei den beiden Textplakaten ‘CSU-Arbeitsplätze schaffen Zukunft’ (F=4,748; p=0,002) sowie ‘CDU – Bildungschancen’ (F = 4,379; p = 0,004). Bei der überwiegenden Anzahl der reflektierten Bewertungen, dies zeigt sich auch bei Prüfung des Zusammenhangs in den nachfolgenden Wellen (vgl. Tab. 3 und 4 in Anhang 4), ist davon auszugehen, dass die Parteiidentifikation keinen statistisch bedeutsamen Einfluss auf die Evaluation bzw. die Akzeptanz der Motive genommen hat. Dies gilt insbesondere für die Motive, die aufgrund ihrer Gestaltung als Favoriten der Plakatserien gewählt wurden. Hier scheint die optische Gestaltung eine Wirkung auf die Bewertung bzw. Akzeptanz des Mediums auszulösen, die weitgehend nicht durch die individuelle Prädisposition der Parteiidentifikation mo15 Da die Varianzanalyse für beide Testreihen für jedes Einzelmotiv separat berechnet werden musste, wird die umfangreiche Gesamtdarstellung der ANOVA im Anhang präsentiert.
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Reflektierte post-kommunikative Evaluation und Akzeptanz
deriert wird. Insgesamt lässt sich also kein Einfluss von Bildungsgrad und politischen Interesse sowie weitgehend kein Einfluss der Parteiidentifikation auf die Akzeptanz der Wahlplakate nachweisen. Ob ein Wahlplakat den Probanden subjektiv gefällt, ist demnach größtenteils nicht von der Parteiidentifikation abhängig, sondern vor allem von der Visuellen Kommunikation, die das Medium nutzt. Den theoretischen Erkenntnissen zur pre-attentiven Wahrnehmung folgend bleibt noch zu klären, ob sich die Vermutung bestätigt, dass die Bewertung des Plakatmotivs im pre-attentiven, ersten Eindruck positiv mit der späteren, reflektierten Bewertung des Plakatmotivs korreliert. Zur Überprüfung des statistischen Zusammenhangs zwischen der pre-attentiven Bewertung im ersten Eindruck, die über eine affektive RTR-Bewertung operationalisiert wurde, und der reflektierten Bewertung der Plakatmotive, die im Rahmen der Nachher-Befragung über eine Schulnoten-Skala realisiert wurde, wurden bivariate Korrelationsanalysen nach Pearson durchgeführt. Auf der Aggregatdatenebene zeigt sich: Der Mittelwert aller RTRBewertungen korreliert auf dem Niveau von r = 0,561** für Gruppe 1 (N=104) und r = 0,391** für Gruppe 2 (N=96) positiv mit dem Mittelwert aller reflektierten Plakatbewertungen. Die beiden Korrelationskoeffizienten sind höchst signifikant (p < 0,001). Diesem Ergebnis auf Basis der aggregierten Werte entsprechen die Ergebnisse der Korrelationsanalyse auf Basis der Bewertungen der einzelnen Plakatmotive (vgl. Tab. 26). Die Korrelationsanalyse ergibt bei 36 von 40 Plakaten einen hoch bzw. höchst signifikanten positiven Zusammenhang zwischen der preattentiven Bewertung im ersten Eindruck und der späteren reflektierten Bewertung auf der Schulnoten-Skala. Der „emotionale Einstieg in den Wahrnehmungsvorgang“ (Kroeber-Riel 1993: 63) scheint sich demnach positiv auf die spätere reflektierte Bewertung der getesteten Stimuli auszuwirken. Gleichzeitig implizieren die Korrelationsmaße, dass die analytische Trennung zwischen der pre-attentiven Bewertung eines ‘ersten Eindrucks’ und der reflektierten, späteren Bewertung seine Berechtigung hat: Beide Wertungen hängen signifikant miteinander zusammen, sind aber keinesfalls identisch. Zusammengefasst lässt sich feststellen: Auch für die kognitiv-evaluierte Bewertung, die Akzeptanzwirkung der Plakatmotive wirken offenbar gleichartige Gestaltungs- bzw. Wahrnehmungsfaktoren wie dies bei kommerziellen Werbeträgern der Fall ist. Die reflexive, kognitive Evaluation bzw. die Akzeptanzwirkung der Stimuli ist bei Bildplakaten deutlich positiver ausgeprägt als bei Textplakaten. Generell lösen Bildplakate, die professionell gestaltetet sind, eine höhere Akzeptanzwirkung aus als wenig professionell gestaltete Plakate. Beides gilt unabhängig von dem Thema, das Gegenstand des Plakats ist. Und es gilt offenbar weitgehend unabhängig von individuellen Probandenmerkmalen, denn bei der überwiegenden Mehrheit der Plakatrezeptionen bzw. -evaluationen konnte ein Einfluss von Bildungsgrad, politischem Interesse oder der Parteiidentifikation auf die Akzeptanz der Wahlplakate nicht nachgewiesen werden. Was im Ergebnis aber noch spannender ist: Die Analyse des Zu-
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Reflektierte post-kommunikative Evaluation und Akzeptanz
sammenhangs zwischen der pre-attentiven Bewertung und der reflektierten, späteren Bewertung deutet an, dass das Urteil im ‘ersten Eindruck’ nach einer Rezeptionszeit von nur 0,5 Sekunden einen positiven Einfluss auf die spätere Gesamtbewertung ausübt. Die nachfolgende Exposition und Evaluation der Stimuli werden durch die pre-attentive Wahrnehmungsphase prädisponiert. Daraus resultieren drei zentrale Konsequenzen: Erstens lassen sich die Bewertungen aus der Phase einer pre-attentiven, emotionalen Einstimmung in den Rezeptionsprozess konstant halten und auch in der späteren Vorlage bestätigen. Dies entspricht zwar den theoretischen Implikationen, der Zusammenhang ist in dieser empirischen Eindeutigkeit dennoch erstaunlich. Zweitens lässt sich aus diesen Ergebnissen ableiten, dass die Messung der pre-attentiven Evaluation damit wahrscheinlich auch allgemein als valider Indikator für nachfolgende Rezeptionswirkungen interpretiert werden kann. Weitere Forschungen wären hier wünschenswert. Methodisch lässt sich drittens feststellen, dass die spontane, affektive RTR-Messung offenbar zu plausiblen Ergebnissen geführt hat. Auch hier wäre es sinnvoll, weitere Forschungen zu initiieren, die die Konsequenzen eines Methodensplit insgesamt sowie für pre-attentive vs. kognitiv-reflektierte Bewertung präzisieren. Plakatmotiv Gruppe 1 Gesamt FDP_Einheitschule_Text Linke_ ZukunftFuer Kinder_Text FDP_Steuerwehr_Text CDU_SicherLeben_Text Linke_Privatisierung Stoppen_Text SPD_Mindestlohn_Text SPD_Respekt_Text Gruene_Neue Energiek._Text Gruene_Kinderknast_ Text SPD_Atomenergie_Bild Gruene_ Studiengebueh._Bild Linke_Armut Bekaempfen_Bild
Korrelation Plakatmotiv 0,561** Gruppe 2 Gesamt 0,283** FDP_Einheitschule_Bild Linke_ZukunftFuer 0,379** Kinder_Bild 0,403** FDP_Steuerwehr_Bild 0,461** CDU_SicherLeben_Bild Linke_Privatisierung Stoppen_Bild 0,221* 0,296** SPD_Mindestlohn_Bild 0,431** SPD_Respekt_Bild Gruene_ NeueEner0,429** giek._Bild Gruene_Kinderknast_ Bild 0,397** 0,270** SPD_Atomenergie_Text Gruene_ Studiengebueh0,416** ren_Text Linke_ Armut 0,511** Bekaempfen_Text
Korrelation 0,391** 0,160 0,381** 0,418** 0,482** 0,367** 0,431** 0,281** 0,270 0,090 0,443 0,223* 0,262*
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Reflektierte post-kommunikative Evaluation und Akzeptanz
Plakatmotiv SPD_FamilieUnd Beruf_ Bild Linke_Leben Koennen_ Bild FDP_Hessen Staerker_ Bild FDP_Landarzt_Bild CSU_Arb.Schaffen Zukunft_Bild Gruene_Genfood_Bild CDU_Bildungschancen_ Bild Tabelle 26:
Korrelation 0,436** 0,416** 0,491** 0,430** 0,349** 0,464** 0,423**
Plakatmotiv SPD_FamilieUnd Beruf_ Text Linke_Leben Koennen_ Text FDP_Hessen Staerker_ Text FDP_Landarzt_Text CDU_Arb.SchaffenZuk. _Text Gruene_Genfood_Text CDU_Bildungschancen_ Text
Korrelation 0,194
0,269* 0,298** 0,271** 0,390** 0,254* 0,180
Pearson’sche Korrelationsanalyse der spontanen RTR-Bewertung des Ersten Eindrucks und der reflektierten Bewertung im NachherFragebogen für Gruppe 1 und Gruppe 2.16
Konklusion der Wirkung Visueller Kommunikation auf die reflektierte postkommunikative Evaluation (Akzeptanz) der Kommunikation
Bilder bzw. Bildplakate erzielen eine höhere Akzeptanz als Texte bzw. Textplakate, d.h. Bildplakate werden von den Rezipienten in summa auch reflektiert besser bewertet als Typoplakate. Für die reflektierte Bewertung bzw. Akzeptanz zeigt sich, dass diese positiver ausfällt, je prägnanter positiv-konnotierte schemakongruente Motive, Farben und Formen in der Gestaltung eingesetzt werden. Die reflektierte Bewertung bzw. Akzeptanz zeigt sich unabhängig von der Parteiidentifikation, unabhängig von dem politischen Interesse und unabhängig von dem Bildungsgrad der Rezipienten.
16 Für die pre-attentive Wirkungsmessung des „ersten Eindrucks“ mit dem RTR-Dial wurde eine den Probanden nicht sichtbare Skala von 0 = sehr negativ bis 10 = sehr positiv zugrunde gelegt. Die Versuchanweisung lautete: „Je positiver Ihr spontaner erster Eindruck drehen Sie nach rechts, je negativer Ihr spontaner erster Eindruck, drehen Sie nach links. Ist Ihr Eindruck neutral, drehen Sie in die Mitte.“ Die spätere reflektierte Bewertung der Plakatmotive erfolgte auf einer Schulnotenskala (1= „sehr gut“, 6 = „ungenügend“). Aufgrund dieser den beiden Messungen zu Grunde gelegten Skalen ergibt sich ein negatives Vorzeichen der Korrelationsmaße. Dieses wurde zur Erleichterung der Tabellen-Lesbarkeit ausgelassen.
Memorizationen: Erinnerungswirksamkeit, Wiedererkennung und Zuordnungssicherheit
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Die Bewertung des Plakatmotivs im pre-attentiven, ersten Eindruck korreliert mit der späteren, reflektierten Bewertung des Plakatmotivs: Je positiver die Bewertung im pre-attentiven ersten Eindruck, desto positiver ist die spätere, reflektierte Bewertung(Akzeptanz) des Plakatmotivs.
6.5 Memorizationen: Erinnerungswirksamkeit, Wiedererkennung und Zuordnungssicherheit Die beschriebenen Wahrnehmungs- und Wirkungsunterschiede Visueller Kommunikation sollten Konsequenzen haben für die Memorization der kommunizierten Inhalte. Als Erinnerungswirksamkeit wird das Potential beschrieben, frühere Erlebnisse oder Erfahrungen aus dem Gedächtnis bewusst (explizite Erinnerung) oder unbewusst (implizite Erinnerung) mental zu rekonstruieren (vgl. Solso 2005: 115). Gedächtnis kann hierbei als Fähigkeit verstanden werden, Informationen zu speichern, sodass eine Information über vergangene Ereignisse das aktuelle Handeln beeinflussen kann (vgl. Bredenkamp 1998: 46). Hierbei impliziert der Picture Superiority Effect, dass Informationen, die im Modus Visueller Kommunikation transportiert werden, besser erinnert werden müssten als rein textlich vermittelte (vgl. KroeberRiel 1993: 14; Lachmann 2002: 130). Die Erwartung einer besseren Erinnerung an Visuelle Kommunikation lässt sich vor allem durch eine hohe Realitätsübereinstimmung zwischen Bild und Abgebildetem erklären, weil Bilder in diesem Fall annähernd „die gleiche Wahrnehmungsqualität“ haben wie die Wirklichkeit (Kroeber-Riel 1993: 36). Kognitionspsychologisch erklärt werden kann die bessere Erinnerungswirksamkeit visueller Informationen durch den Ansatz der Dualen Kodierung (vgl. Paivio 1979: 233-242; Paivio 1986: 53) sowie die Schematheorie (vgl. Bartlett 1967: 197-214). Beide Modelle gelten als anerkannt (vgl. Felser 2001: 310-315; Schweiger/Schrattenecker 2001: 176-178; Stahlberg/Frey 2001: 328); sie wurden in Kapitel 2.4.3 und Kapitel 2.3.5.1 bereits theoretisch eingeführt. Ohne die Ansätze erneut zu vertiefen, lässt sich resümieren: Als kognitive Lerntheorie, nach der der Aufbau von Wissensstrukturen durch Lernprozesse erfolgt, die wiederum den Aufbau bzw. die Ergänzung oder Veränderung der Wissensstrukturen bedingen (vgl. Bredenkamp 1998: 66, 95), besagt die Schematheorie, dass im Gedächtnis „genormte“ Vorstellungen gespeichert sind, die so genannten Schemata (Bartlett 1967: 201), die typische Eigenschaften eines Sachverhaltes verketten und eine rasche Wahrnehmung und Verarbeitung der aufgenommenen Informationen ermöglichen (vgl. Hochberg/Peterson 1989: 45). Die so erreichte Selektion und die Abstraktion von Informationen ermöglichen eine enorme Reduktion der zu speichernden Inhalte und damit eine effiziente Selektion, Interpretation und Speicherung von aufgenommenen Informationen. Dies gilt insbesondere, da der
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Memorizationen: Erinnerungswirksamkeit, Wiedererkennung und Zuordnungssicherheit
Theorie der Dualen Codierung folgend (vgl. Paivio 1979: 8, 27; Paivio 1986: 53-83; Ruge 1988: 47-51, 140-152; Lachmann 2002: 52-55; Kroeber-Riel/Esch 2004: 149151), visuelle und sprachlich-numerische Information in zwei divergenten Codiersystemen verarbeitet werden: Sprachliche und numerische Informationen werden vom sprachlichen System verarbeitet, das die aufgenommenen Reize in einen inneren „Sprachcode“ übersetzt, während die Verarbeitung im nicht-sprachlichen System anhand eines inneren „Bildercodes“ erfolgt. Die differente Codierung der Bildinformationen geht dabei mit einer besseren Gedächtnisleistung einher, weil der im Gedächtnis benutzte Bildercode gegen gedächtnisreduzierende Einflüsse resistenter ist als die sprachliche Codierung (Kroeber-Riel 2003: 355). Zudem können Bilder besonders leicht doppelt codiert werden, was die Gedächtnisrelevanz zusätzlich stärkt. Die überlegene Wirkung des Imagerysystems wird entsprechend als Imagerywirkung beschrieben (oder: Picture Superiority Effect; vgl. Kroeber-Riel/Esch 2004: 150). In summa lässt sich für diesen Untersuchungsabschnitt folgende These formulieren: Hypothese der Wirkung Visueller Kommunikation auf die Memorizationsleistung
Da Bilder eine größere Aufmerksamkeits- und Aktivierungswirkung als Texte erzielen, erreichen sie auch eine größere Verarbeitungstiefe; Bildplakate gehen daher mit einer stärkeren aktiven und passiven Erinnerung der Rezipienten einher als Typoplakate.
Methodisch operationalisieren lassen sich die aktive und die passive Erinnerungsstärke eines Stimulus über die beiden Größen Recall und Recognition. Als aktive Erinnerungsleistung beschreibt die Größe Recall die Fähigkeit, in der Vergangenheit liegende Wahrnehmungen oder Erlebnisse ohne Gedächtnisstützen aktiv zu reproduzieren (vgl. Felser 2001: 164). Beim Recall-Test wird in der Regel durch Befragung und ohne den Einsatz von Erinnerungshilfen ermittelt, „an welche Werbemittel“ bzw. an welche Teilinformationen des Werbemittels sich die Probanden aktiv erinnern (Schwaiger 1997: 43). Für Kroeber-Riel ist diese aktive Erinnerungsleistung auch als Test der grundsätzlichen Aufmerksamkeitswirkung zu interpretieren, weil die Erinnerungsstärke in engem Zusammenhang zur attentionalen Auseinandersetzung mit dem Kommunikationsmedium steht (Kroeber-Riel 1990: 97; vgl. Schwaiger 1997: 43). Hiermit schließen sich die Ergebnisse der Eyetracking-Messungen der Aufmerksamkeits- und Aktivierungsallokation inhaltlich an die weiteren Verarbeitungsstufen der kognitiven Erinnerungsleistungen an. Tatsächlich spricht einiges für die hiermit angesprochene, auch im theoretischen Teil des Forschunsgprojekts mehrfach vermutete Interdependenz des Wirkungszirkels Visueller Kommunikation, nachdem sich die einzelnen Wirkungsstufen gegenseitig bedingen und wechselseitig
Memorizationen: Erinnerungswirksamkeit, Wiedererkennung und Zuordnungssicherheit
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beeinflussen. Dieser Reziprozität zum Trotz wird hier auf eine Vermischung beider Wirkungsgrößen im Rahmen der Operationalisierung verzichtet. Die Interdependenz sollte gleichwohl für die Interpretation berücksichtigt werden. Während die Größe Recall die aktive Erinnerungsleistung abbildet, spiegelt die Recognition als gestützte Erinnerungsleistung die Wiedererkennung oder Fähigkeit wider, in der Vergangenheit liegende Wahrnehmungen oder Erlebnisse mit Hilfe einer Gedächtnisstütze passiv zu reproduzieren (vgl. Felser 2001: 164). Recognitiontests beinhalten demnach visuelle oder textliche Vorlagen von Informationen oder Informationseinheiten der zu testenden Stimuli (vgl. Schwaiger 1997: 50). Schwaiger (1997: 50-51) weist auf einige methodische Probleme der Messung einer Erinnerungsleistung mit Gedächtnisstütze hin; insbesondere ist zu berücksichtigen, dass Spill-Over und Carry-Over-Effekte eine vermeintliche ‘Erinnerung’ etablierter oder stark bekannter Informationen bzw. Absender begünstigen und somit die tatsächlichen Werte verzerren. Insofern ist die Recognition als weitaus weniger aussagekräftige Größe der Erinnerung zu sehen. In der vorliegenden Studie wurden in T1 und T2 beide Erinnerungsleistungen abgefragt, weil trotz der methodischen Einwände plausibel ist, dass sich beide Größen zu einem sinnhaften Gesamteindruck der Memorization verbinden. Operationalisiert wurde Recall als aktive Erinnerung über eine offene Fragestellung, die im Rahmen der schriftlichen Befragung zu beantworten war. Die in T1 eingesetzten Frageformulierungen wurden für T2 beibehalten und in die schriftliche, computergestützte Befragung integriert. In T2 war es zudem möglich, die Erinnerungen nicht nur im unmittelbaren Anschluss an die Stimuluspräsentation zu erheben, sondern auch im Zeitverlauf zu kontrollieren. Umgesetzt wurde dies in T2, indem die Fragestellung nach der ungestützten Erinnerung der Testplakate aus W1 in jede Befragung integriert wurde. Zunächst zu den Recall-Befunden aus T1: Es zeigt sich eine deutliche Überlegenheit visuell kommunizierter Inhalte in Bezug auf die aktive Erinnerungswirksamkeit. Auf die insgesamt 328 von den Probanden genannten ungestützten Erinnerungen fallen in den beiden stimulusheterogenen Gruppen ‘Themengruppe A’ und ‘Themengruppe B’ in summa 276 Erinnerungsaussagen auf die präsentierten Bildplakate; dies entspricht einem Anteil an allen aktiven Erinnerungen von 84 Prozent. Auf die dargebotenen Textplakate entfallen dagegen insgesamt nur 52 Aussagen (vgl. Abb. 19). Dabei wurden Text- und Bildplakate in jeweils identischer Anzahl und Betrachtungszeit präsentiert. Und obwohl in den Gruppen ‘Themengruppe A’ und ‘Themengruppe B’ jeweils entgegengesetzte Stimuli als Bild- bzw. Textplakat verwendet wurden, ist das Ergebnis in beiden Gruppen identisch. Die höhere Erinnerungsstärke der kommunizierten Bildplakate stellt sich also unabhängig vom kommunizierten Thema ein. Es verwundert daher nicht, dass die ‘Top 5’ im Recall in beiden Gruppen vollständig durch Bildplakate gestellt werden, während unter den ‘Flop 5’ der aktiven Erinnerung kein einziges Bildplakat vertreten ist. Zudem
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führen Bildplakate auch in der Präzision und Detailgenauigkeit der Erinnerung zu einer höheren Erinnerungsqualität als Textplakate, was eine längere Verhaltenswirksamkeit der Eindrücke wahrscheinlich macht.
Abbildung 19:
Aktive Erinnerung an Plakatinhalte (Nennungen insgesamt: 328; Auswertung auf Basis der stimulusheterogenen Gruppen ‘Themen A’ und ‘Themen B’ in T1).
Ähnliche Ergebnisse zeigen sich bei der Analyse der passiven Memorization. Diese wurde in T1 einerseits operationalisiert über eine Zusammenstellung der präsentierten Plakatmotive sowie einiger nicht präsentierter ‘Füllplakate’, aus denen die Probanden die Motive markieren sollten, die ihnen zuvor präsentiert wurden (Wiedererkennung). Andererseits wurde die gestützte Erinnerung über eine Aussagenmatrix operationalisiert, in der die Probanden Einzelaussagen, die über die Wahlplakate kommuniziert wurden, dem ‘richtigen’ Absender, d.h. der ‘richtigen’ Partei zuweisen sollten. Im Ergebnis zeigt sich: Die über Bildplakate übermittelten Aussagen der kommunizierenden Partei werden in höherem Maße wieder erkannt und dem Ab-
Memorizationen: Erinnerungswirksamkeit, Wiedererkennung und Zuordnungssicherheit
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sender richtig zugeordnet. So können rund 40 Prozent der Probanden die Wahlkampfbotschaften richtig der kommunizierenden Partei zuordnen, wenn diese mit einem Bildplakat transportiert wurden. Wird die Aussage über ein Textplakat kommuniziert, liegt die ‘Trefferquote’ der Probanden lediglich bei 30 Prozent. Dabei zeigen sich im Zuordnungsvergleich deutliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Plakatgestaltungen: Tendenziell verfügen die Plakatmotive mit den stärksten Zuordnungsquoten (Platz 1: Bildplakat ‘Klimaschutz’ mit 77%; zum Vergleich: Platz 20: Bildplakat ‘Bildungschancen fördern und fordern’ mit 11%) über eine besonders prägnante und der kommunikativen Positionierung der Partei entsprechende Aufmachung. Einhergehend mit der Konzeption einer integrierten Kommunikation (vgl. Bruhn 2009) scheint es sich auszuzahlen, eine konsistente Kommunikationslinie zu verfolgen. Umgekehrt ist es für die richtige Zuordnung seitens der Probanden offenbar kontraproduktiv, bereits durch andere Kommunikatoren besetzte Stilelemente, wie etwa der Einsatz leuchtend roter Farbtöne als Headline-Bühne im ‘Bildungschancen’-Plakat der CDU, zu adaptieren, da dies eine Fremdzuordnung erhöht (hier: 21% Zuordnungen zur SPD). Es könnte eine spannende Frage weiterer Forschungsprojekte sein, inwiefern sich einzelne Stil- und Kompositionselemente (Formen, Anordnungen, Farbtöne) sowie möglicherweise auch Gruppen von Bildmotiven als bereits politisch-kommunikativ besetzt erweisen. Setzt man nämlich voraus, dass sich politische Parteien auf Seiten der Rezipienten mit einem bestimmten Image ihrer politischen Positionen und Werte verbinden lassen und verknüpft man diese Überlegung mit der Idee Müllers, dass ein Image „vor allem eine visuelle Vorstellung“ ist (Müller 2003: 27), so könnte die hier angedeutete Erkenntnis, dass bestimmte visuelle Gestaltungsmuster assoziativ mit bestimmten politischen Identitäten, Positionen und Wertorientierungen einhergehen, eine neue Betrachtung der Funktion visueller Kommunikation für den Prozess politischer Informationsvermittlung nahe legen. Insgesamt implizieren die Befunde aus T1, dass die durch die EyetrackingAnalysen aufgezeigten Wahrnehmungsunterschiede nicht ohne Konsequenz für die Erinnerung der Wahlplakate bleiben. Insbesondere zeigt sich, dass Inhalte, die mit bildhaften Elementen kommuniziert wurden, zu besseren und wahrscheinlich auch längerfristigen, aktiven und passiven Erinnerungsleistungen führen. Die Befunde decken sich dabei mit der kommunikationsstrategischen Erkenntnis, dass besonders realitätsnahe Abbilder volle Memorizationswirkungen entfalten, weil sie die gleiche Wahrnehmungsqualität haben wie das Abgebildete: „Bilder, damit sie besonders gut gespeichert werden können, [sollten] zwei grundlegende Bedingungen erfüllen: Sie müssen möglichst konkret und möglichst emotional und allein stehend, also ein Blickfang sein“ (Schierl 2001: 206). Im Rahmen der einstufigen Erhebung wurden in T1 keine längerfristigen Effekte getestet. Dies ist jedoch auf Basis der Daten aus T2 möglich. Hier wurden die Erinnerungswirkungen als Recall und Recognition unmittelbar nach der Stimulus-
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Memorizationen: Erinnerungswirksamkeit, Wiedererkennung und Zuordnungssicherheit
präsentation in W1, sowie im Zeitverlauf eine, zwei und drei Wochen nach der ersten Stimulusexposition erhoben. Erneut wurde untersucht, inwieweit sich die T1Ergebnisse auf Basis einer breiteren Stichprobe replizieren und differenzieren lassen. Tatsächlich entspricht das Ergebnis in summa den bereits aus T1 extrahierten Befunden. Erneut verweisen die Befunde auf eine deutliche Überlegenheit visuell kommunizierter Inhalte in der Memorization. Zunächst zu einem Gesamtüberblick für die Erinnerungen über alle vier Ehrhebungsphasen: Für den Erhebungszeitraum von W1 bis W4 lassen sich insgesamt 4931 Beobachtungen ermitteln. Einzelnennungen, die sich nicht eindeutig einem Plakatmotiv zuordnen lassen konnten oder zu allgemein formuliert waren, wurden nicht in die weiteren Auswertungen einbezogen. Hierbei wurden recht strenge Kriterien angelegt, sodass insgesamt rund 850 Erinnerungsnennungen unberücksichtigt blieben.
Abbildung 20:
Aktive Erinnerung an Plakatinhalte. (Nennungen insgesamt: 4078; Auswertung auf Basis der stimulusheterogenen Gruppen ‘Themen A’ und ‘Themen B’ in Testreihe II).
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Insgesamt standen so 4078 bereinigte Nennungen der Motiv- sowie der Aussagenerinnerungen zur Verfügung. Von diesen 4078 Erinnerungen entfielen 3016 Erinnerungsaussagen auf die präsentierten Bildplakate, was einem Anteil an allen aktiven Erinnerungen von 74 Prozent entspricht. Umgekehrt wurden 1062 Nennungen gemacht, die den präsentierten Textplakaten zugeordnet werden konnten, was einem Gesamtanteil von 26 Prozent entspricht (vgl. Abb. 20). Wieder ist dieses Ergebnis vor dem Hintergrund zu berücksichtigen, dass Text- und Bildplakate in jeweils der gleicher Anzahl und Betrachtungszeit präsentiert wurden. Zudem ist das Ergebnis strukturell in den beiden Gruppen ‘Themengruppe A’ und ‘Themengruppe B’ identisch: In beiden Gruppen überwiegt der Anteil der auf Bildplakate entfallenen Erinnerungen deutlich (Themengruppe A: insgesamt rund 80 Prozent Erinnerungen zu Bildplakaten sowie rund 20 Prozent Erinnerungen zu Textplakaten; Themengruppe B: Rund 70 Prozent Erinnerungen zu Bildplakaten vs. rund 30 Prozent zu Textplakaten).
Abbildung 21:
Top5-Plakate der ungestützten Erinnerung in Testreihe II über Gruppe 1 und Gruppe 2.
Da diesen jeweils die entgegengesetzten Stimuli als Bild- bzw. Textplakat dargeboten wurden, lässt das Ergebnis darauf schließen, dass die Erinnerungsleistungen
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weitgehend themenunabhängig sind und vor allem über den jeweiligen Kommunikationsmodus Bildkommunikation vs. Textkommunikation erklärt werden können. Die höhere Erinnerungsstärke der kommunizierten Bildplakate stellt sich also unabhängig vom kommunizierten Thema ein. Es ist insofern nicht überraschend, dass die ‘Recall Top 5’ in beiden Gruppen vollständig durch Bildplakate gestellt werden, während unter den ‘Flops’ der aktiven Erinnerung kein einziges Bildplakat vertreten ist (vgl. Abb. 21 und 22). Dieser Zusammenhang setzt sich über die ganze Rangfolge der am häufigsten erinnerten Plakate fort. So wurden 15 der Bildplakate überdurchschnittlich häufig erinnert (75% der Gesamt-Bildplakate), wohingegen es bei den Textplakaten gerade einmal 5 (25% der Gesamt-Textplakate) waren. Bei den Plakaten, die unterdurchschnittlich häufig in der ungestützten Erinnerung genannt wurden, dreht sich dieses Verhältnis um. Hier finden sich 75% aller Textplakate, während nur 25% aller Bildplakate weniger als den Durchschnitt aller Nennungen erhielten.
Abbildung 22:
Flop5-Plakate der ungestützten Erinnerung in Testreihe II über Gruppe 1 und Gruppe 2.
Diesen Befunden auf der Gesamtebene entspricht, dass sich für die einzelnen Wellen identische Verteilungen feststellen lassen. Hierbei ist auffallend, dass mit fortschreitendem Abstand zur Stimulusexposition die Erinnerungen an die Textplakate im Verhältnis zu den Bildplakat-Erinnerungen prozentual nachlassen, wohingegen
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die Bildplakat-Erinnerungen einen leicht größeren Anteil an den Gesamterinnerungen einnehmen. Sowohl die Erinnerungen an die präsentierten Bild- als auch an die Textplakate lassen im Zeitverlauf zwar absolut nach, jedoch scheinen die BildplakatErinnerungen weniger mit der Zeit zu verblassen. Dies zeigt auch der Überblick in der nachstehenden Abbildung (vgl. Abb. 23).
Abbildung 23:
Gegenüberstellung der prozentualen Erinnerungsleistung von Bildvs. Textplakaten der Wellen 1 bis 4.
Wie in T1 wurde neben der ungestützten, aktiven Erinnerungsleistung auch die gestützte Erinnerung in Form einer ‘Aussagenzuordnenbarkeit’ in W1, W2 und W4 getestet. Hierzu wurde den Probanden eine randomisierte Aussagenmatrix präsentiert, in der die über die Wahlplakate kommunizierten Einzelaussagen dem ‘richtigen’ Absender zugewiesen werden sollten. Die Matrix enthielt auch fiktive Aussagen, die sich auf nicht zuvor präsentierte Plakatmotive bezogen. Im Ergebnis zeigt sich der Bildüberlegenheitseffekt hinsichtlich der Erinnerungsstärke ebenso auf Basis der Aussagenzuordnung. Dabei lassen sich die Text- vs. Bildzuordnungen direkt vergleichen, weil den beiden Gruppen jeweils die gegenüberliegenden Plakatmotive gezeigt wurden. Beispielsweise wurde in Gruppe ‘The-
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men A’ das SPD-Plakat ‘Respekt’ als Textplakat präsentiert, wohingegen den Probanden aus Gruppe ‘Themen B’ das Plakat als Bildtypus dargeboten wurde.
Plakatthema CDU: Familien sind unsere Zukunft Grüne: Für eine neue Energiekultur SPD: Respekt LINKE: Privatisierung stoppen SPD: Familie und Beruf Grüne: Kinderbetreuung CDU: Sicher leben LINKE: Zukunft für Kinder FDP: Gegen die Belastung der unteren und mittleren Einkommensschichten FDP: Der Landarzt kommt mit uns auch wieder in den ländlichen Raum LINKE: Armut bekämpfen Grüne: Studiengebühren abwählbar Grüne: Genfood FDP: Hessen stärker machen CDU: Bildungschancen SPD: CSU plant Atomkraftwerke CDU: Arbeitsplätze schaffen Zukunft Tabelle 27:
Zuordnung der Aussagen auf Basis des Bildplakats richtig 61,6 81,5 86,0 86,0 58,8 40,3 66,9 21,3
Zuordnung der Aussagen auf Basis des Textplakats richtig 46,8 79,6 56,4 89,7 51,6 24,5 66,2 13,5
87,0
22,6
68,9 79,1 53,8 97,6 51,4
61,0 24,4 59,1 7,60 59,1
39,9 59,7 71,2
33,3 52,0 58,1
Ergebnisse der Zuordnung der Aussagen (Vergleich Bildplakate vs. Textplakate).
Das Ergebnis des Bild-Text-Vergleichs der Stärke der Aussagenzuordnung ist über die Wellen eindeutig: Die inhaltlichen politischen Aussagen der 20 getesteten Plakatmotive, die jeweils einmal durch ein Bildplakat und einmal durch ein Typoplakat präsentiert wurden, können mit deutlichem Abstand in größerem Umfang richtig dem Absender zugeordnet werden, wenn die Kommunikation der Aussage über ein Bildplakat verfügte. Von den 20 insgesamt getesteten Bildplakaten erreichen 17 Plakate eine meist deutlich höhere Zuordnung der Aussagen zum Absender. Um dieses Ergebnis zu verdeutlichen, zeigt Tabelle 27 jeweils den Anteil der dem Ab-
Memorizationen: Erinnerungswirksamkeit, Wiedererkennung und Zuordnungssicherheit
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sender korrekt zugeordneten Aussagen bei Präsentation eines Bildmotivs vs. der einem Absender falsch zugeordneten Aussage auf Basis eines präsentierten Textplakats über alle Wellen. Betrachtet man die Daten nicht absolut, sondern im Zeitverlauf von W1 bis W4, zeigt sich eine identische Verteilung der Bild- vs. Textplakatzuordnungen. Die gestützte Erinnerung wurde auch in Form der Wiedererkennung getestet. Hierzu wurden die zuvor dargebotenen Plakatmotive sowie nicht präsentierte ‘Füllplakate’ in randomisierter Reihenfolge in einer Auswahlmaske angeboten, in der die wieder erkannten Motive zu markieren waren. Das Ergebnis zur Wiedererkennungsstärke entspricht den bisherigen Befunden zur Dominanz Visueller Kommunikation hinsichtlich der Memorizationsleistungen (vgl. Abb. 24): Bildplakate werden in weitaus höherem Maße wieder erkannt als dies bei Textplakaten der Fall ist. Auch dieses Ergebnis bleibt im Zeitverlauf strukturell stabil.
Abbildung 24:
Die Recognition-Top-Five auf Basis der 8500 Wiedererkennungen im Vergleich mit den jeweiligen Recognition-Ergebnissen der entsprechenden Textplakate; Auswertung über G1 und G2 in T2, W1 bis W4.
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Memorizationen: Erinnerungswirksamkeit, Wiedererkennung und Zuordnungssicherheit
Aufgrund der bisherigen Erkenntnisse liegt es nahe, dass die Wiedererkennungsleistung auch durch die affektive, möglicherweise auch durch die reflektierte Bewertung der Plakatmotive beeinflusst wird. Ob sich ein derartiger Zusammenhang statistisch nachweisen lässt, wurde mittels einer logistischen binären Regressionsanalyse überprüft. Konkret wurde getestet, inwieweit die abhängige, binär codierte Variable der Wiedererkennung der einzelnen Plakatmotive eine Abhängigkeit von den unabhängigen Variablen der affektiven RTR-Bewertung im ersten Eindruck sowie der reflektierten Bewertung bei Wiedervorlage aufweist. Dabei wurde implizit geprüft, inwieweit sich die ‘Wiedererkennungswahrscheinlichkeit’ der Plakatmotive in Abhängigkeit von den Werten der unabhängigen Variablen mittels der Regressionsgleichung prognostizieren lässt. Dass die pre-attentive Wirkung des ersten Eindrucks sowie die reflektierte Bewertung positiv korrelieren, konnte bereits gezeigt werden. Beide unabhängigen Variablen wurden zur Schätzung der logistischen Regressionsgleichung herangezogen. Da die Erinnerung sich als ein höchst komplexer mentaler Prozess darstellt, auf den auch individuelle Prädispositionen einwirken, wurde die Parteiidentifikation der Probanden ebenfalls in die Schätzung eingebracht. Das Ergebnis belegt, dass der Einfluss von pre-attentiver Bewertung, reflektierter Bewertung und Parteizuneigung auf die Wiedererkennungsleistung in dieser einfachen Modellierung keinen Erklärungswert besitzt (vgl. Tab. 1 in Anhang 5). Bis auf wenige Ausnahmen liefern die abhängigen Variablen keine signifikante Aufklärung der abhängigen Variable Wiedererkennung. Allerdings ist plausibel, dass die (gestützte) Erinnerung als mentale Rekonstruktion einen vielschichtigen, höchst verschachtelten Prozess darstellt (vgl. Anderson 2007; Solso 2005). Die Ergebnisse der logistischen Regression implizieren dennoch einen latenten Zusammenhang zwischen der affektiven und reflektierten Bewertung sowie der Erinnerungsleistung, dem allerdings ein eigenes Forschungsvorhaben zu widmen wäre. In summa bestätigen die Ergebnisse zur gestützten und ungestützten Erinnerungsleistung, die in drei Dimensionen im Zeitverlauf erhoben wurde, die formulierte These: Bildplakate gehen aufgrund der Bildüberlegenheitswirkung mit einer stärkeren aktiven und passiven Erinnerungsleistung der Rezipienten einher als dies bei Typoplakaten der Fall ist. In beiden Testreihen konnte die überlegene Erinnerungswirksamkeit von visuell kommunizierten Informationen, den theoretischen Implikationen entsprechend, gezeigt werden. In Erweiterung von T1 bringen die Ergebnisse aus der vierstufigen Erhebung T2 zusätzlich die Erkenntnis ein, dass die höhere Erinnerungswirksamkeit visueller kommunizierter Inhalte sich auch im Zeitverlauf auswirkt. Konklusion der Wirkung Visueller Kommunikation auf die Memorizationsleistung
Da Bilder eine größere Aufmerksamkeits- und Aktivierungswirkung als Texte erzielen, erreichen sie auch eine größere Verarbeitungstiefe; Bildplakate gehen
Agenda-Setting
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daher mit einer stärkeren aktiven und passiven Erinnerung der Rezipienten einher als Typoplakate. 6.6 Agenda-Setting Die Agenda-Setting-Funktion der Massenmedien gehört zu den zentralen Medienwirkungen im politik- und kommunikationswissenschaftlichen Kontext. In der klassischen Analyseperspektive wird der Zusammenhang zwischen der Medienagenda und der Bevölkerungsagenda thematisiert. Konkret wird ein Relevanztransfer von der Medienagenda in die Bevölkerungsagenda postuliert, d.h. im Agenda-Setting-Prozess gleicht sich die Rangordnung der Wichtigkeit der Themen in der Medienberichterstattung der Rangordnung der Wichtigkeit der Themen aus Sicht der Bevölkerung an. Vor dem Hintergrund der bisherigen Erkenntnisse und mit Fokus auf Visuelle Politische Kommunikation im Wahlplakat haben diese Implikationen auf den ersten Blick wenig zu tun mit den Fragestellungen des vorliegenden Forschungsprojekts. Aber nur auf den ersten Blick: Denn die bisherigen Überlegung zur Wirkung Visueller Politischer Kommunikation münden in die Vermutung, dass Bildkommunikation über die Besonderheiten Visueller Kommunikation mit einer höheren Prägnanz für die nachfolgenden Rezeptions- und Wirkungsstufen einhergeht. Folgt man dem bisher empirisch hinterfragten Phasenmodell, und reflektiert man die bisherigen empirischen Ergebnisse, ist höchst plausibel, dass von visuellen Stimuli, exemplarisch Wahlplakaten, auch weitere, kognitive Medienwirkungen ausgehen, die sich auf der Ebene von veränderten (Themen-)Bewertungen bzw. Wichtigkeitsrangfolgen messen lassen können. Konkret ist wahrscheinlich, dass auch politische PaidMedia-Kommunikation in Form von Wahlplakaten einen Agenda Setting Effekt auf die Wähler bzw. die Bevölkerungsagenda nehmen kann. Die Rezeption von Wahlplakaten würde demnach die subjektive Einschätzung der Wichtigkeit der plakatierten Themen beeinflussen (vgl. Podschuweit 2007: 31; vgl. Atkin/Heald 1976: 224-225). Wahlplakate können hierbei als „visuelle Versuche der Themensetzung“ (Müller 1999b: 121) interpretiert werden. Dies scheint vor allem bei politischen Themen besonders plausibel, wo eine unmittelbare Erfahrung der objektiven Themenrealität wenig wahrscheinlich ist. Aufgrund der Besonderheiten Visueller Kommunikation ist plausibel, dass Wahlplakate im visuellen Modus (Bildplakate) bei professioneller, integrierter Gestaltung ganz grundsätzlich einen Themensetzungseffekt auslösen können. Plausibel ist ebenso, dass diese Wirkung, wie fast alle Medienwirkungen, einen hinreichenden Werbemittelkontakt voraussetzt. Welche Kontaktintensität als hinreichend gilt, hängt von zahlreichen Umfeldfaktoren ab (vgl. zu den Messmethoden im Alltagsumfeld: Pasquier 1997); es ist daher nicht verwunderlich, dass fixe Schwellenwerte nicht zur Verfügung stehen. Sicherlich lässt sich eine Themensetzungswirkung
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Agenda-Setting
durch hohen Werbemitteldruck erzeugen; sicherlich können Wahlplakate unter der ‘Optimalbedingung’ einer themenhomogenen und integrierten Bildkommunikationssituation besonders wirken. Eine besondere Herausforderung stellt sich dadurch ein, dass die Realität Politischer Kommunikation anders aussieht. Der Alltag Politischer Kommunikation im Wahlkampf ist durch drei Bedingungen gekennzeichnet: Eine außerordentliche Informationsüberlastung der Rezipienten, eine extrem verdichtete, enorm themen- und modusheterogene Kommunikation der verschiedenen politischen Akteure sowie eine eher flüchtige, fragmentale Rezeption unter Low-Involvement-Bedingungen. Diese Bedingungen stellen besondere Anforderungen an Politische Kommunikation. Die Besonderheiten Visueller Kommunikation lassen allerdings vermuten, dass die Kommunikationswirkung durch eine möglichst prägnante visuelle Gestaltung erhöht werden kann. Gerade bei flüchtiger, fragmentaler, peripherer Wahrnehmung unter Low-Involvement-Bedingung zeigt sich die ‘Superiority’ Visueller Kommunikation, da die Informationsübermittlung im visuellen Modus ganzheitlichassoziativ und sehr rapide abläuft. Visuelle Politische Kommunikation beinhaltet also den bisherigen Befunden nach das Potential, auch und gerade in einem themenheterogenen Kommunikationsumfeld wirksam zu werden, in dem zahlreiche Kommunikatoren versuchen, ihre Botschaften an die Empfänger zu übermitteln. Diese ‘Realitätsbedingung’ einer flüchtigen, themenheterogenen Kommunikation soll daher empirischen getestet werden. Da bislang allerdings wenige empirische Befunde zur Agenda-Setting-Wirkung von Wahlplakaten vorliegen, insbesondere nicht im Zusammenhang mit ‘realistischer’ Rezeptionszeit von wenigen Sekunden und einkalkuliertem Kontaktabbruch, stellt sich die Frage, ab welchem Werbemitteldruck der Effekt messbar ist. Im vorliegenden Setting wurde aus diesem Grund die ‘Optimalbedingung’ einer themenhomogenen Kommunikation (Gruppe 1) gegen die ‘Realitätsbedingung’ einer themenheterogenen Kommunikation (Gruppe 2) getestet. Die bisherigen Überlegungen lassen sich in Form folgender These für die vermutete Agenda-Setting-Wirkung von Wahlplakaten zusammenfassen: Hypothesen der Agenda-Setting-Wirkung Visueller Kommunikation
Die Wichtigkeit eines durch integrierte (Bild-)Plakate kommunizierten Themas steigt im Vorher-Nachher-Vergleich bei realitätsnaher, flüchtiger Rezeption unter der ‘Optimalbedingung’ einer themenkongruenten visuellen Plakatkommunikation. Die Wichtigkeit eines durch integrierte (Bild-)Plakate kommunizierten Themas steigt bei realitätsnaher, flüchtiger Rezeption auch unter der ‘Realitätsbedingung’ einer themeninkongruenten visuellen Plakatkommunikation.
Agenda-Setting
291
Operationalisiert wurde die Analyse möglicher Agenda-Setting-Effekte Visueller Politischer Kommunikation am Beispiel von Wahlplakaten in T2 über das experimentelle Untersuchungsdesign mit Zeitverlauf. Hierzu wurde in der vierwöchigen Erhebungsphase ab der zweiten Woche ein bestimmtes Thema (nämlich Familienpolitik), ausgewählt und bis zum Ende des Erhebungszeitraums in der Präsentation des Stimulusmaterials besonders betont. Gleichzeitig wurden vor und nach jeder Stimulusexposition Erhebungen der subjektiv eingeschätzten Wichtigkeit aktuell relevanter Themen (u.a. Familienpolitik) durchgeführt, um die möglichen Veränderungen aus den Befragungsdaten ablesen zu können. Für die experimentelle Untersuchung der Agenda-Setting-Wirkungen wurde das Thema Familienpolitik zur experimentellen Betonung ausgesucht, weil es zum Zeitpunkt der Erhebung nicht im Fokus des Medieninteresses lag und zum Konzeptionszeitpunkt der Erhebung auch keine periodischen oder einmaligen Ereignisse erwartet werden konnten, die es wahrscheinlich machten, dass das Thema im Untersuchungszeitraum in den Aufmerksamkeitsfokus der Medien rücken würde. Damit sollte soweit möglich vermieden werden, dass die nachzuweisenden Treatmenteffekte im Zeitverlauf der Untersuchungen stark durch die Medienberichterstattung beeinflusst sein würden. Von MediaTenor erfasste Inhaltsanalysedaten dienten postexperimentell als zusätzliche externe Kontrolle. Mit den Daten konnte überprüft werden, ob das Treatment-Thema Familienpolitik im Erhebungszeitraum dennoch zu einem prominenten Medienthema avanciert war. Mögliche Themensetzungseffekte der Medienberichterstattung konnten damit kontrolliert werden. Inhaltsanalytisch erfasst wurden Daten von insgesamt 33.925 Berichterstattungen relevanter Politikfelder im Zeitraum vom 15.09.2008 bis zum 20.10.2008. Das zugrunde gelegte Medienset setzt sich aus einer Auswahl von 18 wichtigen deutschen Print-, Radio- und TV Medienkanälen zusammen (so z.B. der Zeitschrift Der Spiegel, der Radiosender Deutschlandfunk oder der TV-Sendung Frontal 21). Für die skizzierte externe Kontrolle einer möglichen Konfundierung des experimentellen Treatments wurden jene 9.332 Nachrichten nachcodiert, die in der Feldzeit der Untersuchung auf die neun, für das Forschungsprojekt operationalisierten, Themenfelder entfielen. Abbildung 25 fasst die nach den Experimentalwellen aufgeteilte Entwicklung der Nachrichtenmeldungen zusammen. Auffallend ist, dass die Wirtschaftslage, mit Beginn der internationalen Finanzkrise, eine enorme Medienpräsenz erreichte und andere Themen von der Medienagenda verdrängte. Um dennoch eine Aussagekraft des Graphen zu erhalten, wurde der Darstellung eine logarithmische Skala für die Anzahl der Meldungen zugrunde gelegt.
292
Abbildung 25:
Agenda-Setting
Absolute Entwicklung der neun untersuchten Themenfelder in der Berichterstattung.
Tabelle 28 gibt die entsprechende prozentuale Verteilung der Einzelthemen vor den jeweiligen Wellen an. Wie zu erkennen ist, sinkt der Anteil von Familienpolitik in der Berichterstattung von anfänglich 6,5 Prozent auf 2,4 Prozent ab. Dieser Rückgang erfolgt parallel zu den meisten anderen Themen, da die Wirtschafts- und Finanzpolitik im Untersuchungszeitraum von 43,8 Prozent der Medienaufmerksamkeit auf 74,4 Prozent ansteigt. Diese starke Zunahme innerhalb der Medianagenda ist ein Effekt des sich entwickelnden Medienfokus auf die Finanzkrise; sie ist für die Ergebnisse zur Familienpolitik jedoch von untergeordneter Bedeutung.
293
Agenda-Setting
Themenfeld
Arbeit & Soziales Außen-/ Verteidigungspolitik Bildung Energie & Verkehr Familienpolitik Gesundheit Umwelt-/Klimaschutz Wirtschaft & Finanzen Gesamtergebnis Tabelle 28:
Woche vor W1 in % 3,43
Woche vor W2 in % 6,14
Woche vor W 3 in % 6,73
Woche vor W 4 in % 3,28
Gesamtergebnis
13,81 3,43 1,02 6,50 13,59 1,24
8,75 3,89 5,27 3,39 10,26 4,03
10,29 0,99 4,54 1,20 8,51 1,03
7,43 2,45 1,10 2,42 3,10 0,52
9,43 2,56 2,98 2,94 7,77 1,59
43,75 100
50,34 100
62,91 100
74,38 100
61,15 100
4,89
Prozentuale Verteilung der neun untersuchten Themenfelder in der Berichterstattung (Ngesamt = 9.232 Nennungen – davon NWelle1 = 1369, NWelle2 = 2183, NWelle3 = 2421, NWelle4 = 3259).
Um den Einfluss der Medienberichterstattung besser kontrollieren zu können, und um kurzfristige von mittelfristigen Wirkungen analytisch differenzieren zu können, wurde innerhalb jeder Welle eine Vorher-Nachher-Messung (WX-M1.1; WX-M1.2) durchgeführt. Insgesamt stehen damit für die Beantwortung der Frage, ob jeweils Themensetzungseffekte durch die Plakatkommunikation nachgewiesen werden können, sechs Messzeitpunkte zur Verfügung: Ab der zweiten Welle wurde jeweils eine Stimulusexposition, vor und nach jeder Stimulusexposition jeweils eine Messungen der Themenwichtigkeit realisiert. Das hier zugrunde liegende Experimentaldesign lässt sich wie nachfolgend dargestellt skizzieren; es wurde in Kapitel 5 ausführlicher beschrieben (vgl. Kap. 5.2 und 5.3). Testreihe II (exemplarisch Welle 2 und 3 von 4 Wellen) Welle 2, Gruppe 1 P: W2-M1.1 TA Welle 3, Gruppe 1 P: W3-M1.1 TA
W2-M1.2 W3-M1.2
Im experimentellen Setting wurde zudem die Variation themenhomogener Modus in G1 gegen die Variation themenheterogener Modus in G2 getestet: Welle 2, Gruppe 2 Welle 3, Gruppe 2
P: P:
W2-M2.1 W3-M2.1
TB TB
W2-M2.2 W3-M2.2
294
Agenda-Setting
Neben der Kontrolle der Treatmenteffekte durch Vorher-Nachher-Messungen, um Kausalanalysen der Stimulusexpositionen zu ermöglichen, wurde die subjektive Wichtigkeitseinschätzung das Testthemas Familienpolitik im Sample nach Ablauf von W1 kontrolliert. Damit konnte sichergestellt werden, dass das Thema nicht bereits vor Einsetzen des experimentellen Treatments eine sehr hohe Wichtigkeit in den beiden Testgruppen einnahm, die eine weitere positive Veränderung durch Agenda-Setting ausgeschlossen oder erschwert hätte (Deckeneffekt; vgl. Kepplinger et al. 1989). Die Kontrolle der Themenagenda auf Basis der W1-Vorher-Messung (W1-M1.1 und W1-M2.1) ergab folgende Rangordnung der subjektiv eingeschätzten Themenwichtigkeiten der Probanden in G1 und G2: Subjektiv eingeschätzte Themenwichtigkeit Rang Bildung Arbeit & Soziales Umweltschutz & Klimaschutz Wirschaft & Finanzen Gesundheit Energie/Verkehr Familienpolitik Innere Sicherheit Außen-/ Verteidigungspolitik Tabelle 29:
Gruppe 1 (W1-M1.1)
Gruppe 2 (W1-M2.1)
(N = 109)
(N = 110)
(M =)
(SD=)
1 2
9,72 9,54
1,962 1,844
3
9,39
4
Rang
(M =)
(SD=)
2 1
9,48 9,52
1,914 1,451
1,939
3
9,07
2,012
9,17
2,080
5
8,89
2,177
5
9,16
2,148
4
8,95
1,946
6 7 8
9,01 8,76 8,37
1,956 2,364 2,437
6 7 8
8,77 8,63 8,30
1,690 2,162 2,195
9
7,79
2,546
9
7,91
2,066
Deskriptive Ergebnisse der Bewertung der subjektiv eingeschätzten Wichtigkeit aktuell relevanter Themen ‘Themenwichtigkeit_Vorher’ (durchschnittliche Bewertung nach G1 und G2 getrennt).
Wie die Übersicht zeigt, sind die Ergebnisse in G1 und G2 annähernd gleich. Es zeigen sich lediglich geringfügige Differenzen zwischen den Rängen 1 und 2 sowie den Rängen 4 und 5. Das Testthema Familienpolitik ist in beiden Gruppen auf Rang 7 platziert. Dass sich die beiden Testgruppen hinsichtlich der jeweiligen Themenbewertung nicht signifikant unterscheiden, konnte zudem über den U-Test nach
295
Agenda-Setting
Mann und Whitney (da keine Normalverteilung) statistisch evaluiert werden. Zwischen G1 und G2 lagen vor Beginn der Treatmentexposition keine signifikante Differenz der Bewertung der Themenwichtigkeit vor – wie es das Experimentaldesign für den weiteren Untersuchungsaufbau auch erfordert. Fasst man die deskriptive Auswertung der Themenwichtigkeit für G1 und G2 zusammen, um das gruppenübergreifende Gesamtranking der Themenwichtigkeiten zu ermitteln, was bis zur ersten Stimulusexposition plausibel und für die Vermeidung einer falschen Themenselektion notwendig erscheint, zeigt sich folgende Themenagenda im Sample: Subjektiv eingeschätzte Themenwichtigkeit Bildung Arbeit & Soziales Umweltschutz & Klimaschutz Gesundheit Wirtschaft & Finanzen Familienpolitik Innere Sicherheit Außen- und Verteidigungspolitik Tabelle 30:
Gesamt Sample (N = 219) Rang 1 2 3 4 5 7 8 9
(M =) 9,6 9,53 9,23 9,05 9,03 8,69 8,33 7,85
(SD=) 1,938 1,654 1,978 2,047 2,129 2,261 2,313 2,313
Deskriptive Ergebnisse der Bewertung der subjektiv eingeschätzten Wichtigkeit aktuell relevanter Themen ‘Themenwichtigkeit_Vorher’ (durchschnittliche Bewertung aller Probanden, d.h. über G1 und G2).
Eine erste Auswertung der Themenagenda im Sample wurde unmittelbar nach der Erhebung in W1 durchgeführt. Abgesehen von der wichtigen Kontrolle homogener Ausgangsbedingungen beider Experimentalgruppen wurde dadurch sichergestellt, mit dem Bereich Familienpolitik ein tragfähiges Thema für die Variation des Stimulusmaterials ab W2 auszuwählen. Unmittelbar an die Entscheidung für das zu testende Thema Familienpolitik schloss sich im Forschungsprozess dann die selbstständige Kreation der Testplakate bzw. der Testkampagne zum Thema an. Als Basis der Kampagne wurde mit dem ‘Respekt-Plakat’ ein Ausgangslayout gewählt, das in T1 als positiv und wirkungsstark getestet worden war (vgl. Abb. 9). Analog zu den bisherigen theoretischen Erkenntnissen zu Wirkung und Strategien Visueller Kommunikation wurden für die Modifikation schemakongruente und emotionsstarke Bildmotive ausgewählt, da der Einsatz von Emotionalisierungsstrategien ein hohes Wirkungspotential verspricht. Einerseits aktivieren emotionale Reize stärker, andererseits lassen sich Emotionen im
296
Agenda-Setting
Vergleich zu Sachinformationen leichter übermitteln und führen zu einer tieferen mentalen Verankerung der Inhalte (vgl. Kloss 2007: 69). Zudem erhöhen positive emotionale Assoziationen bzw. Wirkungen die Akzeptanz der Botschaft (vgl. von Rosenstiel/Neumann 2002: 188). Bei der Gestaltung wurden daneben die zentralen Implikationen des strategischen Framing berücksichtigt, d.h. es wurde darauf geachtet, eine inhaltliche Passung zwischen Bildmotiv und textlicher Botschaft zu erreichen (vgl. Lachmann 2002: 143), was zu einer deutlichen Vereinfachung von Wahrnehmung und Informationsverarbeitung führen und das Verständnis und die Verarbeitung erleichtern sollte. Insbesondere wurde mit der Kampagnenkreation auch eine gezielte Ansprache visueller Schemata angestrebt, die die schnelle Decodierung durch Aktivierung der zugrunde liegenden Konzepte ermöglicht. Ohne alle Einzelentscheidungen zu explizieren, die im Designprozess getroffen wurden, lässt sich zusammenfassen: Auf den bisherigen Erkenntnissen zur Wahrnehmung und Wirkung Visueller Kommunikation aufbauend, wurde eine neue, fiktive ‘SPD-Kampagne’ zum Thema Familienpolitik kreiert und ab W2 als experimentelles Treatment variiert. (vgl. VS PLUS „Methodik und Empirie“ Abb. 12; kann auf der Homepage des VS Verlags unter folgendem Link im Original eingesehen werden: http://www.vsverlag.de/Buch/978-3-531-17819-6/Vision-that-matters.html). Bevor die Motive in die Testung gingen, wurde die Professionalität der kreiierten Plakatmotive, ebenso wie in T1, in einem Experteninterview von einem strategischen Berater der renommierten SPD-Leadagentur Butter überprüft. Im weiteren Forschungsprozess wurde das Thema Familienpolitik den Probanden über die erzeugte Testkampagne als experimentelles Treatment dargeboten. Postuliert wurde für die Wirkung dieser Darbietung, dass die subjektiv wahrgenommene Wichtigkeit des Themas Familienpolitik nach der Stimulusexposition steigt. Ob diese Wirkung nachzuweisen ist, wurde empirisch überprüft. Hierzu zunächst ein Blick auf die Veränderung aller getesteten Themen im Zeitverlauf: Die Abbildungen 26 und 27 zeigen einen Überblick auf Aggregat-Datenbasis von W2 bis W4 für G1 (vgl. Abb. 26) sowie G2 (vgl. Abb. 27). Der ‘Zick-Zack-Verlauf’ des Themas Familienpolitik offenbart bereits drei zentrale Erkenntnisse: 1.
2.
Erstens zeigt sich ein deutlicher Treatmenteffekt über die Wellen und zwar jeweils von der Vorher-Messung zur Nachher-Messung der jeweiligen Erhebung. Das bedeutet: Innerhalb einer Welle steigt die Wichtigkeit des Themas Familienpolitik jeweils nach dem Kontakt mit dem Stimulusmaterial zum Thema an. Dieser Effekt zeigt sich nicht in gleichem Maße für die übrigen Themen, die nicht Gegenstand der Exposition waren. Aufgrund des Experimentaldesigns mit unmittelbarer Vorher- und Nachher-Messung lässt sich der Effekt kausal auf das Stimulusmaterial zurückführen. Analog zu dieser Beobachtung zeigt sich zweitens, dass die Wirkung des Stimulusmaterials, also die Wirkung der Wahlplakate zum Thema Familienpolitik auf die
297
Agenda-Setting
3.
Bewertung der Wichtigkeit des Themas Familienpolitik kurzfristiger Natur ist, denn die Wichtigkeit sinkt von der unmittelbaren Nachher-Messung der jeweiligen Welle auf die, eine Woche später durchgeführte, Vorher-Messung der folgenden Welle wieder ab. Das Ergebnis verdeutlicht drittens, dass die durch die Wahlplakate ausgelöste Veränderung der Themenwichtigkeit Familienpolitik auf einem ‘mittleren’ Niveau liegt. Der Mittelwert der Themenwichtigkeit (vgl. Tab. 33) steigt von der Vorher-Messung W2-M1 von 2,65 (SD=2,15; G1) auf 2,79 in der NachherMessung W2-M2 (SD=1,87; G1) bzw. von 2,38 (SD=2,03) auf 2,59 (SD=1,86) in G2. Der Wert fällt dann wieder in der Vorher-Messung W3-M1 auf 2,70 in G1 (SD=2,02) bzw. 2,39 bei G2 (SD=1,82).
Wichtigkeit des Themas zum jeweiligen Messzeitpunkt Familienpolitik_W2M1 Familienpolitik_W2M2 Familienpolitik_W3M1 Familienpolitik_W3M2 Familienpolitik_W4M1 Tabelle 31:
Gruppe 1 (N = 98) (M = ) (SD = ) 2,65 2,15 2,79 1,87 2,70 2,02 2,94 1,87 2,53 2,07
Gruppe 2 (N = 97) (M = ) (SD = ) 2,38 2,03 2,59 1,86 2,39 1,82 2,54 1,85 2,40 1,89
Veränderung der Themenwichtigkeiten für das Thema Familienpolitik auf Aggregatdatenbasis im Zeitverlauf (von W2 bis W4) von vor zu nach Treatmentexposition für G1 und G2; gemessen auf einer Skala von -5 (‘überhaupt nicht wichtig’) bis +5 ‘sehr wichtig’.
Die Wichtigkeit steigt im Durchschnitt also um etwa sieben Prozent (bzw. sechs Prozent bei G2) nach der Treatmentexposition. Verglichen mit Rangordnungseffekten, wie sie etwa Iyengar und Kinder (1987) in ihrer Agenda-Setting-Studie nachweisen konnten (vgl. Rössler 1997), ist dieser Wert auf den ersten Blick gering.
298
Abbildung 26:
Agenda-Setting
Veränderung der Themenwichtigkeiten auf Aggregatdatenbasis im Zeitverlauf (von W2 bis W4) nach Treatmentexposition für G1.
Allerdings ist dieses Ergebnis vor dem Hintergrund der tatsächlichen Expositionszeiten zu interpretieren: Der Veränderung der eingeschätzten Themenwichtigkeit von rund sieben Prozent liegt eine enorm kurze Expositionszeit zugrunde. Im Test wurden die Probanden mit den einzelnen Wahlplakaten jeweils nur 0,5 Sekunden in der Flash-Phase pre-attentiver Wahrnehmung sowie dann nochmals 3,5 Sekunden in der Eyetracking-Phase Long direkt konfrontiert, also insgesamt nur rund 4 Sekunden. Selbst wenn man noch hinzurechnet, dass die Plakate im Miniformat im späteren Fragebogen bei den Items zur Wiedererkennung und Bewertung noch einmal stark verkleinert dargeboten wurden, bleibt die Präsentationszeit extrem gering. Vor diesem Hintergrund ist die beobachtete Wirkung der Wahlplakate zum Thema Familienpolitik auf die Bewertung der Wichtigkeit des Themas Familienpolitik (Themensetzungseffekt) beachtlich.
Agenda-Setting
Abbildung 27:
299
Veränderung der Themenwichtigkeiten auf Aggregatdatenbasis im Zeitverlauf (von W2 bis W4) nach Treatmentexposition für G2.
Der in den Aggregat-Daten sichtbaren Entwicklung entspricht die absolute Beobachtung der Veränderungen auf Individualdatenbasis. Tabelle 32 zeigt die absoluten Häufigkeiten der Veränderungen in der subjektiven Einschätzung der Themenwichtigkeit von der Vorher- zur Nachher-Messung jeder Welle im Zeitverlauf, zur Übersichtlichkeit in Tendenzen zusammengefasst (‘Veränderung nach oben’, ‘Veränderung nach unten’, ‘keine Veränderung’). Der Überblick verdeutlicht, dass die Treatmentexposition offenbar bei einer Vielzahl von Probanden eine Veränderung der Bewertung der Themenwichtigkeit kausal verursacht. In der Tendenz führt dieser Treatmenteffekt mehrheitlich zu einem Anstieg der Wichtigkeit des Themas (‘Veränderung nach oben’). Zudem zeigt sich, dass die Konstanz der Bewertungen im Zeitverlauf anscheinend zunimmt, d.h. die Anzahl derjenigen, die sich in der Themenbewertung nicht umorientieren, wächst von W1 zu W 4. Eine mögliche Erklärung für diese Medienwirkung ist, dass das Treatment zu einem Verstärkereffekt führt: Durch die Exposition mit dem Thema Familienpolitik werden die bestehenden Einstellungen zur Wichtigkeit des Themas gestützt. Der
300
Agenda-Setting
Vergleich von G1 und G2 deutet zudem an, dass der Treatmenteffekt in G1 etwas stärker ausgeprägt ist als in G2. Messzeitpunkt Veränderung der Wichtigkeit
Welle 2
Welle 3
Welle 4
Tabelle 32:
Veränderung nach oben Keine Veränderung Veränderung nach unten Veränderung nach oben Keine Veränderung Veränderung nach unten Veränderung nach oben Keine Veränderung Veränderung nach unten
Absolute Häufigkeiten (in %) Gruppe 1 Gruppe 2 (n=98) (n=97) 27 28 43 50 27 18 28 28 56 49 14 20 26 24 54 56 18 17
Veränderung der Themenwichtigkeiten auf Aggregatdatenbasis im Zeitverlauf (W2 bis W4) nach Treatmentexposition für G1 und G2, nach Veränderungstendenz differenziert.
Deutlicher veranschaulichen lässt sich die jeweilige Veränderung der Themenbewertung, wenn die absolute Differenz der Nachher-Bewertung zur Vorher-Bewertung ausgegeben wird. Diese ist in den Abbildungen 28 und 29 visualisiert; die Veränderung der Themenwichtigkeit Familienpolitik ist hier zusätzlich in Relation gesetzt zur Veränderung der Wichtigkeit der übrigen Themen im Vorher-NachherVergleich. Die Abbildungen verdeutlichen noch einmal den bereits beschriebenen positiven Treatmenteffekt der Exposition der Wahlplakate zum Thema Familienpolitik auf die Bewertung der Wichtigkeit des Themas. Da hier die jeweilige ‘Nullmessung’ vor der Stimulusexposition auch mathematisch als Nullmessung interpretiert und damit normiert wird, lässt sich die jeweilige Steigerung der Wichtigkeit der Themen anschaulich nachvollziehen.
Agenda-Setting
Abbildung 28:
301
Absolute Differenz der Themenwichtigkeiten ‘vorher’ zu Themenwichtigkeiten ‘nachher’ auf Aggregatdatenbasis im Zeitverlauf (W2 bis W4) nach Treatmentexposition für G1; basiert auf der Bewertung der Themenwichtigkeit auf einer Skala von -5 als ‘überhaupt nicht wichtig’ bis +5 ‘sehr wichtig’.
Inwieweit die Veränderung der Themenwichtigkeit der jeweiligen Vorher-Messung (WX-M1) zur jeweiligen Nachher-Messung (WX-M2) auch statistisch bedeutsam ist, ist mit Hypothesen- bzw. Signifikanztests zu überprüfen. Sieht man von den notwendigen Testvoraussetzungen ab, käme für die Betrachtung einer Welle auf Individualdatenbasis die empirische Prüfung über einen einseitigen T-Test bei abhängigen Stichproben in Frage, wenn dieser für beide Gruppen getrennt berechnet wird. Um aber die Interaktionseffekte der Gruppe und anderer unabhängiger Variablen quantifizieren zu können, und eine maximale Vergleichbarkeit der Beobachtungen auf Wellen-Basis mit den Beobachtungen der Gesamtreihe zu erreichen, stellt sich die Varianzanalyse mit Messwiederholung (Repeated Measurement Analysis) als überlegener parametrischer Signifikanztest dar.
302
Abbildung 29:
Agenda-Setting
Absolute Differenz der Themenwichtigkeiten ‘vorher’ zur Themenwichtigkeit ‘nachher’ auf Aggregatdatenbasis im Zeitverlauf (W2 bis W4) nach Treatmentexposition für G2; basiert auf der Bewertung der Themenwichtigkeit auf einer Skala von -5 als ‘überhaupt nicht wichtig’ bis +5 ‘sehr wichtig’.
Nachdem die Testentscheidung auf die Varianzanalyse mit Messwiederholungen gefallen ist, galt es entsprechend, die Veränderung der Themenwichtigkeiten in beiden Testgruppen pro Welle, also jeweils als Vorher-Nachher-Vergleich, sowie im Zeitverlauf von W2 bis W 4, zu betrachten. Für die Durchführung der Varianzanalyse wurden dazu zunächst all jene Fälle eliminiert, für die für eine der Wellen unvollständige Datensätze vorlagen (NG1=98; NG2=96). Dann wurde der Vorher-NachherVergleich auf Wellenbasis (WX-M1 zu WX-M2) für beide Gruppen (G1, G2) als erste Auswertungsstufe umgesetzt. Zur Erinnerung: Hierbei wird jeweils die Hypothese geprüft, dass die Wichtigkeit des durch das Stimulusmaterial betonten Themas
Agenda-Setting
303
im Vorher-Nachher-Vergleich steigt. Es gilt demnach, die jeweilige Nullhypothese (Ho: ì1.1 ≥ ì1.2) gegen die jeweilige Alternativhypothese der Heterogenität der Mittelwerte bzw. spezifischer des Anstiegs des Mittelwertes (H1: ì1.1 < ì2.1) für die Messungen der Wellen 2 bis 4 zu testen. Für Welle 2 bedeutet das entsprechend, dass der Analyse die Hypothese zugrunde liegt, welche besagt, dass die Wichtigkeit des Themas Familienpolitik nach der Stimulusexposition signifikant ansteigt. Diese Hypothese wurde für G1 sowie für G2 vermutet. In Abhängigkeit zur differenten Präsentation des Stimulusmaterials in G1 und G2 wurde für die Differenzierung der beiden Testgruppen zudem die Vermutung spezifiziert, dass G2 verglichen mit G1 eine leicht geringere Effektstärke der Wichtigkeitsveränderung aufweist, denn in G2 wurde ein ‘abgemilderter’ Stimulus dargeboten (vgl. Abb. 30 und 31; vgl. VS PLUS „Methodik & Empirie“ Abb. 18; kann auf der Homepage des VS Verlags unter folgendem Link im Original eingesehen werden: http://www.vs-verlag.de/Buch/978-3-531-17819-6/Vision-that-matters.html). Während die G1-Probanden mit sieben Bildplakaten aus der fiktiven, integrierten SPD-Plakatkampagne zu Familienpolitik konfrontiert wurden (themenkongruenter Stimulus), die ihnen jeweils für eine Präsentationszeit von 3,5 sec dargeboten wurden, wurde den G2-Teilnehmern eine Stimuluskombination gezeigt, in der lediglich drei Bildplakate der Test-Kampagne sowie vier divergente Plakatmotive enthalten waren (themeninkongruenter Stimulus), ebenfalls mit 3,5 sec Expositionszeit.
Abbildung 30:
Themenkongruenter Stimulus für W2, G1: Dargeboten wurden 7 Bildplakate aus der fiktiven SPD-Kampagne zu Familienpolitik für jeweils 3,5 sec.
Abbildung 31:
Themeninkongruenter Stimulus für W2, G2: Dargeboten wurden 3 Bildplakate aus der fiktiven SPD-Kampagne zu Familienpolitik sowie 4 andersartige Plakatmotive für jeweils 3,5 sec.
Diese Variation wurde realisiert, um zu testen, unter welchen Bedingungen das Exposure ‘auch noch’ wirksam wird und einen Treatmenteffekt auslöst: Die aus
304
Agenda-Setting
Wirkungsperspektive vermutete ‘Optimalbedingung’, die ‘totale’ Exposition mit dem themenkongruenten Stimulus, wurde gegen die ‘Realitätsbedingung’ getestet, dass eine in sich vollkommen themenkongruente Kommunikation eher unwahrscheinlich, ein themeninkongruenter Stimulus dagegen eher wahrscheinlich ist. Spannend ist hier, ob der vermutete Agenda-Setting-Effekt der Veränderung der Themenwichtigkeit nach Stimulusexposition der erschwerten Rezeptionsbedingung standhält und sich auch bei mehrheitlich inkongruenter Kommunikation durchsetzt. Damit geht die Frage nach der statistischen Signifikanz der Hypothese einher, dass sich in beiden Gruppen eine signifikante Veränderung der Wichtigkeit des Themas Familienpolitik zeigt. Die Varianzanalyse mit Messwiederholung ergibt für die Veränderung der Themenwichtigkeit des Themas Familienpolitik von der Vorher-Messung Welle 2 (W2-M1) zur Nachher-Messung Welle 2 (W2-M2) mit dem Faktor ‘Treatment’ sowie dem Zwischensubjektfaktor ‘Gruppe’ folgendes Bild: Es zeigt sich ein signifikanter Haupteffekt des Faktors ‘Treatment’ auf die Bewertung des Themas Familienpolitik im Vorher-Nachher-Vergleich (F=(3,942) mit p=0,049). Dagegen weist der Zwischensubjektfaktor ‘Gruppe’ keinen signifikanten Einfluss auf (F=(0,754) mit p=0,386). Das bedeutet, dass der Unterschied in der Veränderung der Bewertung des Themas Familienpolitik zwischen G1 und G2 nicht statistisch bedeutsam ist. Bewertung des Themas Familienpolitik –5 ‘überhaupt nicht wichtig’ –4 –3 –2 –1 0 1 2 3 4 +5 ‘sehr wichtig’ Tabelle 33:
Gruppe 1 (N = 98)
Gruppe 2 (N = 96)
Häufigkeit 1 1 2 1 1 9 9 14 19 21 20
Häufigkeit 1 1 ./. 1 2 9 15 23 1 9 20
(in %) 1,0 1,0 2,0 1,0 1,0 9,2 9,2 14,3 19,4 21,4 20,4
(in %) 1,0 1,0 ./. 1,0 2,1 9,3 15,5 23,7 16,5 9,3 20,6
Verteilung der Häufigkeiten zum Item ‘Themenwichtigkeit Familienpolitik’, Ergebnisse der Vorher-Messung in W2 für G1 und G2 im Vergleich.
Agenda-Setting
305
Die unterschiedliche Sättigung des Stimulusmaterials, ‘Optimalbedingung’ als themenkongruenter Stimulus vs. ‘Realitätsbedingung’ als themeninkongruenter Stimulus, führt nicht zu einer veränderten Effektstärke des Treatments, oder anders formuliert: Der vermutete Agenda-Setting-Effekt hält offenbar auch einer erschwerten Rezeptionsbedingung einer themeninkongruenten Kommunikation stand. Bei der Berechnung der deskriptiven Statistiken ist allerdings aufgefallen, dass der Vorher-NachherEffekt konfundiert sein könnte: In der Vorher-Messung findet sich sowohl in G1 als auch in G2 ein sehr großer Anteil von Probanden (jeweils ein Anteil von über 20 Prozent am Gruppen-Sample), die die Wichtigkeit des Themas Familienpolitik bereits vor der jeweiligen Stimulusexposition mit der höchsten Bewertung von ‘sehr wichtig’ (+ 5) ausweisen (vgl. Tab. 33). In beiden Testgruppen ist die Gruppe derjenigen Probanden, die Familienpolitik bereits vor Treatmentexposure mit der höchsten Wichtigkeit bewerten, damit die stärkste Gruppe der Einzelbewertungen. Strukturell identische Ergebnisse liefern die deskriptiven Auswertungen der Vorher-Messungen für W 3 und W4; auch hier wird das Thema Familienpolitik jeweils von einer sehr großen Probandengruppe schon in der Vorher-Messung mit der höchsten Wichtigkeit bewertet. Im Rückgriff auf die Überlegungen von Kepplinger et al. (1989) lässt sich diesen Ergebnissen zufolge ein starker Deckeneffekt vermuten, was deshalb erstaunlich ist, weil dies mit der Nullmessung in Welle 1 (W1M1) für das Thema Familienpolitik eigentlich ausgeschlossen zu sein schien; hier wurde das Thema auf Rang 7 der Themenagenda mit mittlerer bis geringerer Wichtigkeit eingeschätzt. Um die mögliche Konfundierung des Agenda-Setting-Effektes auszuschalten, wurde vor diesem Hintergrund die Entscheidung getroffen, all jene Probanden aus der Signifikanzprüfung auszusondern, die in der jeweiligen VorherBewertung (Wx-M1) bereits die maximale Bewertung der Themenwichtigkeit von ‘sehr wichtig’ (+5) gewählt hatten. Dieses Vorgehen wird für die W3 und W4 beibehalten. Für die Beobachtung von W2 reduziert sich damit der Sample-Umfang auf 78 Probanden in G1 sowie 76 Probanden in G2. Mit dem bereinigten Datenset wurde die Varianzanalyse mit Messwiederholung für W2 erneut berechnet. Tatsächlich ergibt sich bei Isolation des Deckeneffektes ein höheres Signifikanzniveau: Nun zeigt sich ein stark signifikanter Haupteffekt des Faktors ‘Treatment’ auf die Bewertung des Themas Familienpolitik im VorherNachher-Vergleich (F=7,547 mit p=0,007). Analog zu den nicht bereinigten Ergebnissen weist der Zwischensubjektfaktor ‘Gruppe’ keinen signifikanten Einfluss auf (F=0,116 mit p=0,734; vgl. Tab. 1 in Anhang 6). Betrachtet werden soll nun die Veränderung innerhalb der W3, die wieder als Präsenzerhebung im ComLab der Universität Hohenheim stattfand. Wie in W2 wurde die Differenzierung zwischen G1 und G2 auf Basis der Themenkongruenz bzw. Themeninkongruenz vorgenommen. Die Abbildungen 32 und 33 zeigen noch einmal einen Überblick des verwendeten Stimulusmaterials für G1 und G2: Wie in W2 wurde auch in W3 die aus Wirkungsperspektive vermutete ‘Optimalbedingung’, die
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Agenda-Setting
themenkongruente Kommunikation, mit der vermuteten ‘Realitätsbedingung’ der themeninkongruenten Kommunikation verglichen (vgl. VS PLUS „Methodik & Empirie“ Abb. 19; kann auf der Homepage des VS Verlags unter folgendem Link im Original eingesehen werden: http://www.vs-verlag.de/Buch/978-3-531-17819-6/Vision-thatmatters.html).
Abbildung 32:
Themenkongruenter Stimulus für W3, G1: Dargeboten wurden 20 Plakate aus der fiktiven SPD-Kampagne zu Familienpolitik (davon 10 Bildplakate und 10 Textplakate) für jeweils 0,5 sec in der FlashPhase sowie 3,5 sec in der Long-Phase.
Abbildung 33:
Themeninkongruenter Stimulus für W3, G2: Dargeboten wurden 10 Plakate aus der fiktiven SPD-Kampagne zu Familienpolitik (davon 5 Bildplakate und 5 Textplakate) sowie 10 andersartige Plakatmotive (davon 5 Bildplakate und 5 Textplakate) für jeweils 0,5 sec in der Flash-Phase sowie 3,5 sec in der Long-Phase.
Für die Durchführung der Varianzanalyse wurde das Sample, wie oben beschrieben, zur Isolation des Deckeneffektes bereinigt (auf 78 Probanden in G1 und 81 in G2). Die Varianzanalyse mit dem bereinigten Datenset ergibt, analog zu den Ergebnissen aus W2, einen signifikanten Haupteffekt des Faktors ‘Treatment’ auf die Bewertung des Themas Familienpolitik im Vorher-Nachher-Vergleich (F=8,111 mit p=0,005). Der Zwischensubjektfaktor ‘Gruppe’ zeigt auch hier keinen signifikanten Einfluss (F=0,501 mit p=0,480). Der Unterschied in der Veränderung der Bewertung des Themas Familienpolitik zwischen G1 und G2 ist demnach auch für W3 statistisch nicht bedeutsam. Parallel zu den Ergebnissen aus W2 zeigt sich damit, dass der Agenda-Setting-Effekt des Stimulusmaterials auch bei erschwerter Rezeptionsbedingung (themeninkongruente Kommunikation) bestehen bleibt und trotz reduzierter
Agenda-Setting
307
Treatment-Exposition keine maßgeblichen Gruppendifferenzierungen auftreten (vgl. Tab. 1 in Anhang 6). Beim Vergleich von W2 und W3 zeigt sich zudem ein interessanter weiterer Befund. Während W2 als Online-Erhebung konzipiert war, liegt mit W3 eine Präsenzerhebung vor. Im Experimental-Design wurde also eine Stimulusexposition in wechselndem Umfeld realisiert. Da eine zentrale Qualitätsanforderung jedes wissenschaftlichen Experiments ist, die Experimentalbedingungen maximal zu kontrollieren und über die Messungen konstant zu halten, war dieses Vorgehen nicht unproblematisch. Durch die Verlagerung der Stimulusexposition in das individuelle Umfeld des Probanden wurde ein Teil der Kontrolle über die Erhebungen abgegeben, die nicht im Labor der Universität Hohenheim stattfanden (Onlineerhebungen in W2 und W4). Vor diesem Hintergrund ist es interessant, die Ergebnisse der Onlineerhebung W2 mit den Ergebnissen der Präsenzerhebung W3 zu vergleichen. Wie die ausgeführten Analysen zeigen, führen beide Erhebungen zu einem strukturell identischen Ergebnis. Dies lässt sich auch verdeutlichen an der Größe der geschätzten Effekte der jeweiligen Treatments: Während die Werte für die Effektgröße in W2 bei EtaQuadrat bei 0,049 liegen, zeigt sich bei W3 eine Effektstärke von 0,047. In beiden Fällen lassen sich also fünf Prozent der Gesamtvarianz durch das Treatment erklären. Die Settings führen demnach zu ähnlichen Ergebnissen. Die Stimulusexposition in W3 kann also als Replikation der Wirkung aus W2 gelten, was nicht zuletzt bedeutet, dass der Treatmenteffekt offenbar auch in veränderter Rezeptionssituation replizierbar ist (vgl. Tab. 1 in Anhang 6). Mit W4 soll nun noch die Veränderung in der abschließenden Erhebung betrachtet werden. W4 wurde erneut als Onlineerhebung durchgeführt. Analog zur W2 wurden die Probanden hier mit jeweils 7 Bildplakaten konfrontiert. G1 sah die Stimulusmaterialien unter vermuteten ‘Optimalbedingungen’ in themenkongruenter Kommunikation, G2 wurde unter vermuteten ‘Realitätsbedingung’ in themeninkongruenter Kommunikation konfrontiert (vgl. Abb. 34 und 35; vgl. VS PLUS „Methodik & Empirie“ Abb. 20; kann auf der Homepage des VS Verlags unter folgendem Link im Original eingesehen werden: http://www.vs-verlag.de/Buch/978-3-531-178196/Vision-that-matters.html).
Abbildung 34:
Themenkongruenter Stimulus für W4, G1: Dargeboten wurden 7 Plakate aus der fiktiven SPD-Kampagne zu Familienpolitik (alle Bildplakate) für jeweils 3,5 sec in der Long-Phase.
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Abbildung 35:
Agenda-Setting
Themeninkongruenter Stimulus für W4, G2: Dargeboten wurden 7 andersartige Plakatmotive (alle Bildplakate, davon 2 mit Familienbezug) für jeweils 3,5 sec in der Long-Phase.
Die Varianzanalyse weist, in struktureller Entsprechung zu den Ergebnissen aus W2 und W3, einen Haupteffekt des Faktors ‘Treatment’ auf die Bewertung des Themas Familienpolitik im Vorher-Nachher-Vergleich aus, der nun mit p=0,061 etwas unterhalb der Signifikanzschwelle liegt (F=3,569, p=0,061). Demnach lassen sich auch nur etwa drei Prozent der Gesamtvarianz durch den Treatmenteffekt erklären. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse von W2 und W3 lässt sich aber wohl auch für W4 die Tendenz erkennen, dass die Treatmentexposition kausal zu einer Veränderung in der Bewertung der Themenwichtigkeit führt (vgl. Tab. 1 in Anhang 6). Zum Abschluss wird die Varianzanalyse mit Messwiederholung noch einmal über den gesamten Zeitverlauf von W2 bis W4 betrachtet. Der Faktor ‘Treatment’ weist hierbei sechs Faktorstufen auf. Nach Bereinigung der Daten um den DeckenEffekt stehen 71 Probanden in G1 und 73 Probanden in G2 zur Verfügung. Wie aufgrund der Einzelvergleiche zu erwarten, weist auch die wellenübergreifende Gesamtbetrachtung einen signifikanten Haupteffekt des Faktors Zeit (F=2,568 mit p=0,03) sowie einen nicht-signifikanten Zwischensubjekteffekt des Faktors ‘Gruppe’ (F=0,583 mit p=0,713) von W2 über W3 zu W4 auf (vgl. Tab. 1 in Anhang 6). Nicht unerwähnt bleiben soll, dass für den aufgezeigten Agenda-Setting-Effekt durch die Plakatkommunikation kontrolliert wurde, ob dieser möglicherweise von der politischen Prädisposition der Rezipienten beeinflusst wird. Zwar gehen die theoretischen Implikationen der Agenda-Setting-Theorie nicht von einem derartigen Einfluss aus (vgl. Kap. 4.1.1.1), doch gilt es beim Transfer auf den Anwendungsbereich des Wahlplakats zu bedenken, dass Agenda-Setting in der klassischen Perspektive auf Basis von Medienberichterstattung untersucht werden, somit also als eine Wirkung der Medienberichterstattung interpretiert werden kann. Es ist plausibel, dass die Charakteristika des Mediums wesentlich beeinflussen, welche Wirkungen zu erwarten sind. So weisen auch einige Befunde der klassischen Medienwirkungsforschung darauf hin, dass beispielsweise Tageszeitungen stärkere Thematisierungseffekte auslösen als TV-Nachrichten (vgl. Shaw/McCombs 1977; Schönbach 1981; Wanta 1997). Die Besonderheit des rezipierten Mediums ist demnach als eine intervenierende, die Wirkungen modifizierenden Variablen zu betrachten. Dies gilt wohl in noch stärkerem Maße, wenn nicht Medienberichterstattung, sondern Wahlwerbung auf ihre Themensetzungsfunktionen befragt wird. Denn während Massenmedien als „orien-
Agenda-Setting
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tierende Kraft in der öffentlichen Auseinandersetzung“ gelten, als Artikulationsplattform der öffentlichen Meinung, über deren Argumentation dem Bürger Urteil und Entscheidung erleichtert werden (BVerfGE 20, 162 C1), lassen sich Wahlplakate als werbliche Kommunikation politischer Akteure identifizieren, womit dem Rezipienten die Persuasionsintention offenbart wird. Als Wahlwerbung verfügen Wahlplakate über eine geringe Glaubwürdigkeit; sie werden weder als neutral noch als objektiv wahrgenommen. Bonfadelli (2004b: 86) akzentuiert zu den Konsequenzen für den Wirkungsprozess: „Glaubwürdigere Quellen sind wirksamer als unglaubwürdige; wenn Beeinflussungsabsicht perzipiert wird, entwickelt das Publikum Widerstand, was eher gegen die Wirksamkeit (...) spricht“. Der Transfer der Wirkungsvermutungen von (Medien-)Agenda-Setting und (Medien-)Priming auf den Bereich der werblichen Plakatkommunikation einzelner Parteien auf macht es damit dringend notwendig zu prüfen, inwieweit die Implikationen einer weitgehend parteiunabhängigen Wirkung in gleicher Weise als übergreifende Wirkungen von Wahlplakaten vermutet werden können. Um die Frage zu beantworten, inwieweit die Parteiidentifikation einen moderierenden Einfluss auf die Themensetzungsfunktion der Plakatkommunikation ausübt, wurde die Varianzanalyse mit Messwiederholung für die W2 bis W4 unter Integration der politischen Prädisposition der Probanden durchgeführt. Dazu wurde die kategorial erfasste Variable der Parteiidentifikation in eine neue Variable ‘Parteizuneigung nach Lager’ überführt (CDU/FDP als ‘konservatives Lager’; SPD/Bündnis90/DieGrünen/DieLINKE als ‘soziales bzw. linksalternatives Lager’) und in die Analysen integriert. Für die Aufklärung der Varianz ergeben sich jedoch über alle drei Vorher-Nachher-Effekte keine signifikanten Einflüsse (W2: F=0,141 mit p=0,868; W3: F=1,218 mit p=0,299; W4: F=0,796 mit p=0,453). Von einem systematischen Einfluss der politischen Prädisposition der Rezipienten auf die veränderte wahrgenommene Wichtigkeit des Themas Familienpolitik, die kausal durch die Exposition mit der fiktiven SPD-Plakatkampagne bewirkt wurde, kann also nicht ausgegangen werden. Die Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass die eingangs formulierte Hypothese der Agenda-Setting-Wirkung Visueller Kommunikation zutrifft: Tatsächlich steigt die Wichtigkeit eines durch (Bild-)Plakate kommunizierten Themas im VorherNachher-Vergleich signifikant an. Das durch die Plakatkommunikation vorgegebene Thema löst einen Relevanztransfer von der ‘Plakat-Agenda’ in die Wähleragenda aus: Wahlplakate zum Thema Familienpolitik bewirken einen signifikanten Anstieg der Bewertung der Wichtigkeit des Themas Familienpolitik aus Sicht der Rezipienten (Themensetzungseffekt). Dabei zeigt sich diese Wirkung unabhängig von der politischen Prädisposition der Rezipienten. Im Vergleich der Daten auf Wochenbasis zeigte sich dieser Effekt allerdings als ein kurzfristiger: Die Wichtigkeit des Themas Familienpolitik sank von der unmittelbaren Nachher-Messung der jeweiligen Welle auf die eine Woche später durchgeführte Vorher-Messung der folgenden Welle wieder ab. Vor dem Hinter-
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grund der enorm kurzen Expositionszeit ist möglicherweise das Intervall zwischen den jeweiligen ‘Nachher-Vorher-Messungen’ zu groß gewählt, hier lieferte ein Intervall auf Tagesbasis sicherlich ein differenzierteres Bild. Insgesamt, lassen sich Wahlplakate auch in einem themenheterogenen Kommunikationsumfeld, nun empirisch fundiert, als visuelle Strategie der Themensetzung interpretieren (vgl. Müller 1999b: 121). Konklusion der Agenda-Setting-Wirkung Visueller Kommunikation
Die Wichtigkeit eines durch integrierte (Bild-)Plakate kommunizierten Themas steigt im Vorher-Nachher-Vergleich bei realitätsnaher, flüchtiger Rezeption unter der ‘Optimalbedingung’ einer themenkongruenten visuellen Plakatkommunikation. Die Wichtigkeit eines durch integrierte (Bild-)Plakate kommunizierten Themas steigt bei realitätsnaher, flüchtiger Rezeption auch unter der ‘Realitätsbedingung’ einer themeninkongruenten visuellen Plakatkommunikation. Die Themensetzungswirkung der Wahlplakate auf die Bewertung der Wichtigkeit des kommunizierten Themas ist bei realitätsnaher, flüchtiger Rezeption kurzfristiger Natur; die durch Plakatkontakt gestiegene Wichtigkeit des Themas sinkt im Verlauf einer Woche wieder ab. Die Konsistenz der subjektiv eingeschätzten Wichtigkeit eines durch integrierte (Bild-)Plakate kommunizierten Themas steigt möglichweise im VorherNachher-Vergleich bei realitätsnaher, flüchtiger Rezeption visueller Plakatkommunikation an (Verstärkereffekt). Die Agenda-Setting-Wirkung Visueller Kommunikation ist unter verschiedenen Rezeptionsbedingungen replizierbar. Die Themensetzungswirkung der Wahlplakate auf die Bewertung der Wichtigkeit des kommunizierten Themas zeigt sich unabhängig von der politischen Prädisposition der Rezipienten.
6.7 Priming Eng verbunden mit der oben untersuchten Agenda-Setting-Wirkung von Wahlplakaten ist die Frage nach einem Priming-Effekt des Mediums. Spezifischer lässt sich vermuten, dass Agenda-Setting, über die Einschätzung der Wichtigkeit eines Politikfeldes, die Bewertung von politischen Akteuren beeinflusst. Auf Basis der theoretischen Erkenntnisse lässt sich als ‘Wirkungskette’ von Priming formulieren (vgl. Kap. 4.1.1.2): Über Agenda-Setting erfolgt ein Relevanztransfer von der ‘Plakatagenda’ in die Themenagenda der Wähler. Das durch Wahlplakate kommunizierte Thema steigt in der Wichtigkeit signifikant an (vgl. Kap. 6.6) und wird damit gleichzeitig präsenter (‘Top of Mind’). Mit der Veränderung der wahrgenommenen Wichtigkeit eine Ver-
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änderung der jeweils leicht verfügbaren mentalen ‘short cuts’ einher: Das betonte Thema ist mental leicht verfügbarer und wird auch als relevanter Bewertungsmaßstab aktualisiert. Das über die mediale bzw. werbliche Kommunikation priorisierte Thema fungiert insofern als Prime, der die mit dem Thema verknüpften Urteilskriterien für die Urteilsbildung salienter werden lässt (vgl. Iyengar/Kinder 1987: 65-66). In der Folge wird es mit stärkerer Gewichtung zur Bewertung von politischen Sachverhalten oder Akteuren herangezogen, denn Menschen nutzen zur Bewertung von Sachverhalten oder Personen nicht die Gesamtheit der dazu zur Verfügung stehenden Informationen, sondern nur jene Teilinformationen, die gerade aktuell und leicht verfügbar sind (vgl. Iyengar/Kinder 1987). Für die Analyse dieses Zusammenhangs lassen sich, analog zu den Ausführungen der Gruppendifferenzierung, die folgenden Hypothesen formulieren: Hypothesen der Priming-Wirkung Visueller Kommunikation
Über die positive Veränderung der Wichtigkeit eines durch integrierte (Bild-)Plakate kommunizierten Themas steigt im Vorher-Nachher-Vergleich bei realitätsnaher, flüchtiger Rezeption unter der ‘Optimalbedingung’ einer themenkongruenten visuellen Plakatkommunikation die Bedeutung des Themas für die Bewertung der Gesamtkompetenz eines Kandidaten. Über die positive Veränderung der Wichtigkeit eines durch integrierte (Bild-)Plakate kommunizierten Themas steigt bei realitätsnaher, flüchtiger Rezeption auch unter der ‘Realitätsbedingung’ einer themeninkongruenten visuellen Plakatkommunikation die Bedeutung des Themas für die Bewertung der Gesamtkompetenz eines Kandidaten.
Getestet wurden diese Überlegungen mit dem bereits beschriebenen experimentellen Untersuchungsdesign: Vorher-Befragung der beiden Testgruppen in jeder Welle, Treatmentexposition mit fiktiver, integrierter SPD-Kampagne zu Familienpolitik (themenhomogen in G1, themenheterogen in G2), anschließend Durchführung einer Nachher-Befragung. Zur Beantwortung der Frage, ob sich ein Einfluss der veränderten Wichtigkeit des Themas Familienpolitik auf die Bewertung von Politikern zeigte, sollten die Probanden in T2 die Bundeskanzlerin Merkel sowie den Kanzlerkandidaten Steinmeier bewerten. Die Bewertung erfolgte sowohl im Hinblick auf die eingeschätzte Gesamtkompetenz des Politikers als auch im Hinblick auf die eingeschätzte Themenkompetenz in relevanten Politikfeldern. Bevor systematische Analysen über mögliche Veränderungen in den Kompetenzbewertungen durchgeführt werden können, war zunächst erforderlich, für die zu testenden Variablen sicherzustellen, dass diese vor Beginn der Untersuchung (W1-M1) in beiden Gruppen homogen verteilt vorliegen. Dass die beiden Testgruppen keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich der jeweiligen Kompetenzi-
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tems aufweisen, wurde statistisch mit dem U-Test nach Mann und Whitney (MannWhitney-U-Test) kontrolliert (da keine Normalverteilung vorlag). Eine Inhomogenität der Verteilung lag lediglich für die Items ‘Themenkompetenz Bildung Merkel’ (p=0,03), ‘Themenkompetenz Bildung Steinmeier’ (p=0,03) sowie ‘Themenkompetenz Arbeitsplätze Steinmeier’ (p=0,02) vor. Die für das Experimentaldesign zentrale Themenkompetenz Familienpolitik war nicht betroffen. Mit der nahezu vollständigen Homogenität der beiden Gruppen hinsichtlich der subjektiven Einschätzung der hier relevanten Themenwichtigkeit war eine wichtige Ausgangsbedingung für die Treatmentexposition im experimentellen Setting damit gegeben. Für die Überprüfung der Annahme, dass über die positive Veränderung der Wichtigkeit des durch integrierte (Bild-)Plakate kommunizierten Themas Familienpolitik die Bedeutung des Themas für die Bewertung der Gesamtkompetenz eines Kandidaten im Vorher-Nachher-Vergleich steigt, wurde im nächsten Schritt bestimmt, welchen Einfluss die Einzelkompetenz ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ auf die Gesamtbewertung der politischen Akteure Merkel und Steinmeier in der Ausgangssituation nimmt (jeweilige Vorher-Messung vor Treatmentexposition). Zudem wurde geprüft, wie die übrigen Einzelkompetenzen in der Ausgangssituation als Einflussfaktoren auf die Gesamtbewertung der politischen Akteure wirken. Im vorliegenden experimentellen Design wurde die ‘Ausgangssituation’ über die jeweilige Vorher-Messung der Themenkompetenzen von Merkel und Steinmeier sowie deren Gesamtbewertungen operationalisiert (W2-M1, W3-M1 und W4-M1). Neben der Aufdeckung dieser Zusammenhänge wurde ermittelt, welche Veränderung sich hierbei nach der jeweiligen Treatmentexposition zeigen. Konkret erforderte dies, den Einfluss der Einzelkompetenzen auf die Gesamtbewertung der politischen Akteure nach der Treatmentexposition erneut zu bestimmen. Beide Gewichtungen konnten dann miteinander verglichen werden. Nach der vermuteten Priming-Wirkung der Plakatkommunikation sollte die Einzelkompetenz ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ nach der Stimulusexposition mit der integrierten, fiktiven SPD-Kampagne zum Thema Familienpolitik ein stärkeres Gewicht für die Gesamtbewertung der politischen Akteure Merkel und Steinmeier haben, als dies in der Ausgangssituation der Fall war. Für die Beschreibung der Zusammenhänge zwischen diesen Variablen bietet die (lineare) Multiple Regressionsanalyse (MRA) ein geeignetes statistisches Analysemodell (vgl. Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber 2008). Hier kann der Einfluss mehrerer unabhängiger Variablen (einzelne Themenkompetenzen) auf eine abhängige Variable (Gesamtkompetenz) berechnet werden, wobei weitere unabhängige Variablen kontrolliert werden können. Tabelle 34 gibt einen Überblick über die Einzelvariablen, die in die multiple Regression einbezogen wurden.
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Set der unabhängigen Variablen Erhobene Themenkompetenz von Merkel und Steinmeier Familienpolitik Wirtschaft Soziale Gerechtigkeit Finanzpolitik Versorgungspolitik Umweltschutz Kriminalitätsbekämpfung Arbeitsplätze Bildungspolitik Außenpolitik Energiepolitik Zukunftsfähigkeit Rezipientenmerkmale Parteiidentifikation (PID) Tabelle 34:
Operationalisierung in der schriftlichen Befragung Bewertungskriterium: „Wie sehr trauen Sie Merkel/Steinmeier zu, diese Aufgabe zu lösen?“ ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ ‘Die Wirtschaft in Deutschland voranbringen’ ‘Für soziale Gerechtigkeit sorgen’ ‘Eine gerechte Steuer- und Finanzpolitik betreiben’ ‘Eine gute Gesundheits- und Versorgungspolitik betreiben’ ‘Den Umwelt- und Klimaschutz vorantreiben’ ‘Die Kriminalität bekämpfen’ ‘Arbeitsplätze sichern und neue schaffen’ ‘Eine gute Bildungspolitik betreiben’ ‘Eine verlässliche Außenpolitik betreiben’ ‘Die Energieversorgung sichern’ ‘Die Zukunft Deutschlands sichern’
Abhängige Variable
Gesamtbewertung von Merkel und Steinmeier
Übersicht der in die Regressionsanalyse zur Kandidatenkompetenz eingegangenen unabhängigen Variablen.
Üblicherweise besteht das Ziel der Multiplen Regressionsanalyse darin, eine Schätzgleichung zur möglichst genauen Beschreibung der Abhängigkeit einer Variable von mehreren anderen Variablen aufzustellen, wobei Aussagen getroffen werden über (vgl. Fromm 2004: 257; 2007), die Stärke und Richtung des Einflusses der einzelnen unabhängigen Variable auf die abhängige Variable, die Erklärungskraft aller unabhängigen Variablen zusammen (Modellgüte) sowie die Schätzung von Ausprägung der abhängigen Variablen bei Merkmalsträgern, bei denen diese nicht bekannt ist (Prognosegüte). Für die weitere Beobachtung soll allerdings noch einmal betont werden, dass der Einfluss der einzelnen Prädiktorvariablen auf die Prognosevariable für die vor-
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liegende Untersuchung nicht im Fokus des Interesses steht. Vielmehr geht es um die spezielle Frage, inwieweit sich unter Zusammenwirken von anderen erklärenden Variablen ein veränderter Einfluss der für das Experiment zentralen Prädiktorvariable ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ in Stärke, Richtung und Signifikanz auf die Prognosevariable ‘Kandidatenbewertung’ ergibt. Konkret steht im Mittelpunkt der Betrachtung also die Frage, ob die Variable ‘Familienpolitik’ im Regressionsmodell nach Stimulusexposition an Bedeutung gewinnt17. Analog zum Vorgehen bei der Varianzanalyse mit Messwiederholung sollen im Folgenden zuerst die Regressionsanalysen für die Vorher- und Nachher-Messung der Einzelwellen separat durchgeführt, dann die ermittelten Regressionsmodelle verglichen werden. Da die fiktive Plakate-Kampagne ausschließlich aus SPD-Plakaten zusammengesetzt wurde, werden zuerst die Expositionseffekte auf die Kandidatenbewertung von Steinmeier erörtert. Die Präsentation und Diskussion der Ergebnisse der Priming-Wirkung bei Merkel folgt im Anschluss. Für die Durchführung der Multiplen Linearen Regressionen wurde die Form der schrittweisen Multiplen Linearen Regression verwendet. Als Kriterium für die Aufnahme oder Elimination der unabhängigen Variablen wurde die F-Wahrscheinlichkeit als Kriterium genommen. Eine Variable sollte ins Modell aufgenommen werden, wenn das Signifikanzniveau ihres partiellen Korrelationskoeffizienten den Aufnahmewert (PIN=0,05) unterschritt. Eine Variable sollte aus dem Modell entfernt werden, wenn ihr partieller Korrelationskoeffizient den Ausschlusswert (POUT=0,10) überschritt. Im Ergebnis liefert die multiple lineare schrittweise Regression über die zugeschriebene Kandidatenkompetenz von Steinmeier in W2 für G1 folgendes Bild: In das Regressionsmodell zum Zeitpunkt vor der Stimulusexposition werden die Faktoren ‘Eine verlässliche Außenpolitik betreiben’ (b=0,307 mit p=0,007), ‘Die Zukunft Deutschlands sichern’ (b=0,290 mit p=0,011) sowie ‘Eine gute Gesundheitsund Versorgungspolitik betreiben’ (b=0,253 mit p=0,025) aufgenommen. Das Modell besitzt einen Erklärungswert von R²=0,636 bzw. R²korr=0,625. Die ins Modell aufgenommenen Prädiktorvariablen erklären damit etwa 64 Prozent der gesamten 17 Dazu wurde zunächst die folgende allgemeine Regressionsgleichung für das Regressionsmodell formuliert: Einfluss der Einzelkompetenzen des Kandidaten auf seine Gesamtbewertung Kandidatenkompetenz Politiker WX-MY = a +b1X,Y·Familienpolitik + b2X,Y · Wirtschaft + b3X,Y · Soziale Gerechtigkeit + b4X,Y·Finanzpolitik + b5X,Y · Versorgungspolitik + b6X,Y · Umweltschutz + b7X,Y · Kriminalitätsbekämpfung + b8X,Y ·Arbeitsplätze + b9X,Y · Bildungspolitik + b10X,Y · Außenpolitik + b11X,Y· Energiepolitik + b12X,Y · Zukunftsfähigkeit + b13X,Y + e. In Umsetzung der oben beschriebenen Wirkungsvermutungen ergeben sich die zu testenden statistischen Hypothesen für Gruppe 1 (G1) sowie Gruppe 2 (G2) wie folgt: G1/G2 [Wx-M1 zu Wx-M2]: Ho: (b1X,1 ≥ b1X.2), H1: (b1X.1 < b1X.2). Dies wäre gleichbedeutend mit einem Anstieg des Einflusses ‘Familienpolitik’ auf die Kompetenzbewertung.
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Streuung. Mit einem F-Wert von Femp=54,852 und einem zugehörigen Signifikanzniveau von 0,000 erweist sich das Modell als hochsignifikant. Der besonders interessierende Regressor ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ ergibt den nicht signifikanten Regressionskoeffizienten von b=-0,136 (p 0,275) und wird entsprechend nicht in die Regressionsgleichung aufgenommen. Für G2 ergibt die multiple lineare schrittweise Regression in W2 eine Signifikanz der Faktoren ‘Eine verlässliche Außenpolitik betreiben’ (b=0,474 mit p=0,000) und ‘Die Energieversorgung sichern’ (b=0,236 mit p=0,020) Das Modell weist eine Vorhersagegüte auf von R²=0,617 bzw. R²korr=0,609. Der F-Wert liegt bei Femp=75,860, das Signifikanzniveau bei p=0,000. Damit präsentiert sich das Modell als hoch signifikant. Auch hier findet der Regressor ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ keinen Eingang in die Regressionsgleichung (b=-0,117 mit p=0,227). Die Regressionsmodelle werden nun für den Zeitpunkt der Nachher-Messung, also nach der Stimulusexposition, für G1 und G2 (W2-M2) erneut geschätzt. Treffen die aufgestellten Hypothesen zur Priming-Wirkung Visueller Politischer Plakatkommunikation zu, sollte sich nun eine Zunahme der Bedeutung des Regressors ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ zeigen. Da dieser Faktor in den beiden vorhergehenden Regressionsmodellen keinen zusätzlichen, signifikanten Erklärungsbeitrag geliefert hat, wurde er aus der schrittweisen Regression komplett ausgeschlossen. Dementsprechend wäre der Eingang der Variable in die neu zu ermittelnden Regressionsmodelle gleichbedeutend mit einer Zunahme der Bedeutung des Regressors. Nach Durchführung der multiplen schrittweisen Regressionsanalyse für W2M2, ergibt sich tatsächlich ein verändertes Bild: Das Regressionsmodell auf Basis der Daten, die nach der Stimulusexposition in G1 erhoben wurden, beinhaltet die Faktoren ‘Eine verlässliche Außenpolitik betreiben’ (b=0,468 mit p=0,000) und ‘Die Wirtschaft in Deutschland voranbringen’ (b=0,243 mit p=0,020) sowie, der aufgestellten Hypothese entsprechend, den ‘primed’ Faktor ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ (b=0,214 mit p=0,008). Das Modell liefert einen Erklärungswert von R²=0,798 bzw. R²korr=0,792, weshalb sich etwa 80 Prozent der gesamten Streuung durch Zusammenwirken der ins Modell aufgenommenen Regressoren erklären. Mit einem F-Wert von Femp=123,931 und einem zugehörigen Signifikanzniveau von p=0,000 ist das Modell hoch signifikant. Interessant ist, dass sich eine divergente Situation für G2 ergibt. Dieser Gruppe wurde, den obigen Ausführungen zum Stimulusmaterial entsprechend, ein themenheterogener Stimulus dargeboten. Zur Erinnerung: Während den Probanden aus G1 eine Reihe von sieben Bildplakaten aus der fiktiven, integrierten SPDPlakatkampagne zu Familienpolitik präsentiert wurde (themenkongruenter Stimulus), sahen die G2-Teilnehmer eine Stimuluskombination aus drei Bildplakaten der TestKampagne sowie vier divergenten Plakatmotive (themeninkongruenter Stimulus) (vgl. Abb. 36 und 37).
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Abbildung 36:
Priming
Themenkongruenter Stimulus für W2, G1: Dargeboten wurden 7 Bildplakate aus der fiktiven SPD-Kampagne zu Familienpolitik für jeweils 3,5 sec.
Diese Gruppendifferenzierung sollte zeigen, unter welchen Bedingungen das Exposure ‘auch noch’ einen Priming-Effekt auslöst. Hier wurde also die aus der Wirkungsperspektive vermutete Optimalbedingung, die ‘totale’ Exposition mit dem themenkongruenten Stimulus, gegen die vermutete Realitätsbedingung einer themeninkongruenten Kommunikation getestet, wobei eine in sich themenkongruente Kommunikation zwar in realer Kommunikationssituation weniger wahrscheinlich, diese Situation aber wohl auch die wirksamere ist. Hierbei stellt sich nun die Frage, ob der vermutete Priming-Effekt der Veränderung der Themengewichtung nach Stimulusexposition auch einer erschwerten Rezeptionsbedingung standhält und sich bei mehrheitlich inkongruenter Kommunikation ebenso durchsetzen kann.
Abbildung 37:
Themeninkongruenter Stimulus für W2, G2: Dargeboten wurden 3 Bildplakate aus der fiktiven SPD-Kampagne zu Familienpolitik sowie 4 andersartige Plakatmotive für jeweils 3,5 sec.
Nach Durchführung der multiplen schrittweisen Regressionsanalyse zeigt sich für G2-M2: Im Regressionsmodell integriert sind nach Stimulusexposition die Faktoren ‘Eine verlässliche Außenpolitik betreiben’ (b=0,347 mit p=0,000), ‘Die Wirtschaft in Deutschland voranbringen’ (b=0,345 mit p=0,006), ‘Für soziale Gerechtigkeit sorgen’ (b=0,393 mit p=0,001) sowie der negativen Faktor ‘Die Kriminalität bekämpfen’ (b=-0,238 mit p=0,020). Das Modell hat eine Vorhersagegüte von R²=0,732 bzw. R²korr=0,720, was bedeutet, dass etwa 73 Prozent der gesamten Streuung durch die ins Modell aufgenommenen unabhängigen Variablen erklärt werden. Mit einem F-Wert von Femp=62,149 und einem zugehörigen Signifikanzniveau von p=0,000 ist das Modell hochsignifikant. Die durch die Stimulusexposition betonte Prädiktorvariable ‘Eine
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gute Familienpolitik betreiben’ weist einen nicht signifikanten Regressionskoeffizienten von b=- 0,097 (p=0,402) auf und wird nicht in die Regressionsgleichung aufgenommen. Für W2 kann demnach zusammengefasst werden: Die formulierte Hypothese, dass sich unter Zusammenwirken von anderen erklärenden Variablen nach Stimulusexposition ein veränderter Einfluss der für das Experiment zentralen Prädiktorvariable ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ in Stärke, Richtung und Signifikanz für das Regressionsmodell zur Schätzung der Prognosevariable ‘Kandidatenbewertung’ ergibt, konnte für die themenhomogene G1 in W2 bestätigt werden. Während die Variable vor experimentellem Treatment überhaupt keinen Beitrag für die Erklärung lieferte, zeigt sich nach Stimulusexposition ein signifikanter und bedeutsamer Einfluss. Für G2 lässt sich die Hypothese allerdings nicht bestätigen. Die schwächere, themenheterogene Exposition führt unter den Testbedingungen einer Expositionszeit von rund 4 Sekunden nicht zu einem Priming-Effekt des Themas; die Prädiktorvariable ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ wird für die Gesamtbewertung nicht bedeutsamer. Eine spannende Frage war, ob sich diese Effekte in W3 und W4 replizieren lassen und so einer erneuten Überprüfung standhalten. Die Befunde sollen in der bekannten Reihenfolge dargestellt werden: Ermittlung der Regressionsmodelle für W3-M1, nach Gruppen getrennt, danach Ermittlung der Regressionsmodelle auf Basis der Daten nach der Exposition (W3-M2), anschließend Vergleich der jeweiligen Modelle. Wie in W2 steht die Frage im Mittelpunkt, ob die Variable ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ nach Stimulusexposition an Bedeutung gewinnt. Auf Basis der Befunde zur kurzfristigen Agenda-Setting-Wirkung ist zu erwarten, dass sich für die Vorher-Messung beider Gruppen erneut ein Regressionsmodell ergibt, indem der interessierende Faktor ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ keine Rolle mehr spielt. Die Regressionsanalyse liefert tatsächlich diesen Befund. In das Modell für W2-M1 gehen für G1 die Faktoren ‘Die Wirtschaft in Deutschland voranbringen’ (b=0,259 mit p=0,037), ‘Eine verlässliche Außenpolitik betreiben’ (b=0,359 mit p=0,000), sowie der in W2 nicht enthaltende Faktor ‘Arbeitsplätze sichern und neue schaffen’ ein (b=0,377 mit p=0,000), was vor dem Hintergrund der sich ab Anfang Oktober 2008 abzeichnenden Wirtschaftskrise verständlich ist. Wie vermutet ist der Faktor ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ nicht in der Regressionsgleichung aufgenommen (b=0,126 mit p=0,169). Das Modell geht mit einem Erklärungswert von R²=0,764 bzw. R²korr=0,756 einher. Demnach können circa 75 Prozent der gesamten Streuung durch Zusammenwirken der in die Gleichung aufgenommenen unabhängigen Variablen erklärt werden. Das Modell ist hoch signifikant (Femp=101,290; p=0,000). Ähnliche Befunde zeigen sich in G2. Wie in W2 werden die Faktoren ‘Die Wirtschaft in Deutschland voranbringen’ (b=0,304 mit p=0,001) sowie ‘Für soziale
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Gerechtigkeit sorgen’ (b=0,260 mit p=0,022) in das Modell aufgenommen. Außerdem findet hier nun auch der Regressor ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ (b=0,371 mit p=0,002) als stärkster Prädiktor Eingang, was möglicherweise durch die in der Zwischenzeit ‘konsumierten’ Umwelteinflüsse ausgelöst wird. An diesem Befund wird besonders deutlich, wie wichtig die jeweilige Vorher-Messung vor jeder Stimulusexposition ist, um kausale Wirkungsbeziehungen ableiten zu können. Das Modell zeigt eine Vorhersagegüte von R²=0,710 bzw. R²korr=0,701. Die Regressoren erklären demnach 72 Prozent der gesamten Streuung. Das Modell ist hoch signifikant (Femp=76,030; p=0,000). Nun zu den Nachher-Messungen beider Gruppen. Für G1 wird, den formulierten Hypothesen entsprechend und in Analogie der Ergebnisse aus der W2 erwartet, dass die exogene Variable ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ in das Regressionsmodell aufgenommen wird. Bezieht man außerdem die Tatsache ein, dass W3 als Präsenzphase an der Universität Hohenheim konzipiert war und die Probanden hier einer intensiveren Stimulusexposition ausgesetzt waren (vgl. Abb. 38), ist außerdem zu vermuten, dass sich, verglichen mit W2 ein etwas größeres Beta-Gewicht des Regressors ergibt.
Abbildung 38:
Themenkongruenter Stimulus für W3, G1: Dargeboten wurden 10 Bildplakate sowie 10 Textplakate aus der fiktiven SPD-Kampagne zu Familienpolitik für jeweils 3,5 sec.
Diese Vermutung wird tatsächlich durch die empirischen Befunde bestätigt: Während ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ vor der Stimulusexposition in G2 überhaupt keine Rolle für die Erklärung der Gesamtbewertung von Steinmeier gespielt hat, wird der Regressor nach der Stimulusexposition gebraucht, um die abhängige Variable der Gesamtbewertung des Politikers zu erklären. Der Faktor liefert für das Modell nun einen zusätzlichen, signifikanten Erklärungsbeitrag; seine Bedeutung für die Gesamtbewertung ist prägnant gestiegen. In das Regressionsmodell eingegliedert sind nach Stimulusexposition die Faktoren ‘Eine verlässliche Außenpolitik betreiben’ (b=0,382 mit p=0,000), ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’, tatsächlich auch mit einem etwas höheren Beta-Wert (b=0,323 mit p=0,001), sowie ‘Arbeitsplätze sichern und neue schaffen’ (b=0,238
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mit p=0,016). Das Modell geht mit einem Erklärungswert von R²=0,730 bzw. R²korr=0,721 einher; ca. 73 Prozent der gesamten Streuung können durch Zusammenwirken der in die Gleichung aufgenommenen unabhängigen Variablen erklärt werden. Das Modell ist hoch signifikant (Femp=84,752; p=0,000). Die Ergebnisse aus W2 konnten demnach tatsächlich repliziert werden. In Modifikation der eingangs formulierten Hypothesen auf Basis der W2Ergebnisse, wird für G2 erwartet, dass der Prädiktor ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ wahrscheinlich auch in der Präsenzphase in W3 keine Bedeutungszunahme für das Regressionsmodell generiert. Träte diese doch ein, müsste sie sich, da der Faktor bereits in das Modell der Vorher-Regression aufgenommen wurde, in einem bedeutenden Anstieg des Regressionskoeffizienten ausdrücken. Zum Zeitpunkt der 2. Nachher-Messung haben die Probanden aus G2 aber schon zum zweiten Mal eine schwächere Stimulusexposition passiert (vgl. Abb. 39). Auch zeigten bereits die Ergebnisse zur AgendaSetting-Wirkung, dass G2 tendenziell schwächere Reaktionen auf die schwächere Exposition zeigt (auch, wenn diese Differenzen nicht statistisch signifikant, sondern lediglich in der Tendenz ausfielen). Wahrscheinlich reicht die themenheterogene, periphere Exposition mit der fiktiven SPD-Plakatkampagne zum Thema Familienpolitik nicht aus, um einen Einflussanstieg in das Regressionsmodell zu bewirken.
Abbildung 39:
Themeninkongruenter Stimulus für W3, G2: Dargeboten wurden 5 Bildplakate sowie 5 Textplakate aus der fiktiven SPD-Kampagne zu Familienpolitik sowie 10 andere Wahlplakate (5 Bild- und 5 Textplakate) für jeweils 3,5 sec.
Die Regressionsanalyse liefert einen entsprechenden Befund. Der Regressor ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ zeigt nicht nur keinen größeren Regressionskoeffizienten, er spielt im Regressionsmodell erstaunlicherweise gar keine Rolle mehr. Möglicherweise wurde die Eingangssituation durch die Exposition mit 20 Wahlplakaten, davon zehn divergente Politikthemen und Familienpolitik ‘nur’ in fünf Bildsowie fünf Typoplakaten ‘überschrieben’. Denkbar ist auch, dass die Kombination der Stimulusreihe einen Transfer auf die assoziativ nahe stehende, möglicherweise ‘inklusivere’ Kategorie ‘Für soziale Gerechtigkeit sorgen’ stattgefunden hat. In das Regressionsmodell eingegliedert sind
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nach Stimulusexposition die Faktoren ‘Eine verlässliche Außenpolitik betreiben’ (b=0,451 mit p=0,000), ‘Arbeitsplätze sichern und neue schaffen’ (b=0,242 mit p=0,005) sowie ‘Für soziale Gerechtigkeit sorgen’ (b=0,216 mit p=0,014). Das Modell liefert ein Bestimmtheitsmaß von R²=0,839 bzw. R²korr=0,834 Das Modell ist hoch signifikant (Femp=161,564; p=0,000). Da die Ergebnisse den bisherigen Erkenntnissen entsprechen, was für G2 eine erneute Replikation der Priming-Wirkung durch Plakatkommunikation bedeutet, jedoch keine entsprechende Wirkung für die dem themenheterogenen Material ausgesetzte G2 (was in W4 auch nicht überraschend ist; hier wurde kein Plakat mehr aus der fiktiven Testkampagne präsentiert), wird die Präsentation für W4 etwas zusammengefasst. Wie nicht anders zu erwarten, ist die Kompetenzbewertung der unabhängigen Variable ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ in der ersten Messung in W4, G1, nicht relevant für die Schätzung der abhängigen Variable im Regressionsmodell (b=0,021 mit p=0,862). Eingegangen sind ‘Die Zukunft Deutschlands sichern’ (b=0,286 mit p=0,010), ‘Den Umwelt- und Klimaschutz vorantreiben’ (b=0,202 mit p=0,058), ‘Eine verlässliche Außenpolitik betreiben’ (b=0,254 mit p=0,016) sowie ‘Für soziale Gerechtigkeit sorgen’ (b=0,223 mit p=0,036). Das Modell weist ein Bestimmtheitsmaß von R²=0,763 bzw. R²korr=0,753 und ist hoch signifikant (Femp=74,938; p=0,000). Für die Regressionsanalyse nach der Exposition in W4 war, in Analogie zu den bisherigen Überlegungen und Ergebnissen, zu vermuten, dass der Faktor ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ erstens erneut an Bedeutung gewinnt für die Erklärung der abhängigen Variable und folglich in die Regressionsgleichung aufgenommen wird. Zweitens müsste der Faktor, verglichen mit W3-M2 nun wieder ein leicht reduziertes Betagewicht annehmen, denn W4 war wieder als Online-Phase konzipiert, was bedeutet, dass die Treatmentexposition geringer war als in W3. In W4 wurden den Probanden, wie in W2, insgesamt sieben Plakate der fiktiven SPDKampagne zur Familienpolitik präsentiert (und nicht wie in W3 20 Plakaten; vgl. Abb. 40).
Abbildung 40:
Themenkongruenter Stimulus für W4, G1: Dargeboten wurden 7 Bildplakate aus der fiktiven SPD-Kampagne zu Familienpolitik für jeweils 3,5 sec.
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Tatsächlich wird der Regressor ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ nach der Stimulusexposition erneut benötigt, um die Gesamtbewertung Steinmeiers zu erklären (b=0,249 mit p=0,027). In das Regressionsmodell gehen außerdem noch die Prädiktorvariablen ein ‘Eine verlässliche Außenpolitik betreiben’ (b=0,492 mit p=0,000) sowie ‘Den Umwelt- und Klimaschutz vorantreiben’ (b= 0,265 mit p=0,027). Das Modell weist eine Anpassungsgüte von R² =0,819 bzw. R²korr=0,813 und ist hoch signifikant (Femp=141,518; p=0,000). Für G2 ergeben sich keine weiteren spannenden Erkenntnisse – was nicht verwunderlich ist, denn in G2 wurde zur Kontrolle in der letzten Welle keines der Plakate aus der fiktiven SPD-Kampagne mehr präsentiert (vgl. Abb. 41). Ein Bedeutungsgewinn des Faktors ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ für das Gesamturteil Steinmeiers war also nicht zu erwarten.
Abbildung 41:
Themeninkongruenter Stimulus für W4, G2: Dargeboten wurden 7 Wahlplakate für jeweils 3,5 sec.
Die Daten aus W4 liefern für G2 das folgende Bild: Für das Regressionsmodell vorher (W4-M1) sind die Variablen ‘Die Wirtschaft in Deutschland voranbringen’ (b=0,619 mit p=0,000) sowie ‘Eine gute Bildungspolitik betreiben’ (b=0,304 mit p=0,001) bedeutsam (R²=0,780 bzw. R²korr=0,775; Femp=166,341; p=0,000). Nachher (W4-M2) finden sich die Regressoren ‘Für soziale Gerechtigkeit sorgen’ (b=0,433 mit p=0,00) und ‘Die Zukunft Deutschlands sichern’ (b=0,441 mit p=0,000) im Modell wieder (R²=0,738 bzw. R²korr=0,732; Femp=132,424; p = 0,000). Bevor im folgenden Teil die Ergebnisse der Regressionsanalysen für die Kompetenzitems für Merkel dargestellt werden, werden die bisherigen Befunde noch einmal zusammengefasst (vgl. Tab. 35). Als Hypothese für die Priming-Wirkung Visueller Kommunikation wurde formuliert, dass, basierend auf einer positiven Veränderung der Wichtigkeit eines durch integrierte (Bild-)Plakate kommunizierten Themas im Vorher-NachherVergleich, die Bedeutung des Themas für die Bewertung der Gesamtkompetenz eines Kandidaten steigt. Auf Basis der bisherigen Befunde für die Kompetenzbewertung des Kandidaten Steinmeier konnte diese Wirkungsvermutung bestätigt werden: In drei experimentellen Settings zeigte sich ein signifikanter Bedeutungszuwachs der durch die gezeigten Plakate ‘primed’ Variable ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’. Ein Priming-Effekt durch themenkongruente visuelle Plakatkommunikation konnte bei realitätsnaher, flüchtiger Rezeption gezeigt werden. Weiterhin wurde als Priming-Effekt vermutet, dass sich diese Wirkung auch für eine themenheterogene
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Priming
Kommunikation zeigt. Für die Vergleichsgruppe 2, die mit einer themenheterogenen Auswahl an Plakaten konfrontiert wurde, konnte allerdings keine PrimingWirkung festgestellt werden. Um Priming auszulösen, ist also eine gewisse Kontaktintensität Voraussetzung, die in G2 mit dem schwächeren Stimulus offenbar unterschritten wurde. Regressionsgerade W2M1
W2M2
W3M1 W3M2 W4M1 W4M2 Tabelle 35:
Gruppe 1 (N = 98) 0,31 · Außen + 0,29 · Zukunft + 0,25 · Versorgung + 0,24 0,47 · Außen + 0,21 · Familie + 0,24 · Wirtschaft – 0,17 0,26 · Wirtschaft+ 0,36 · Außen + 0,38 · Arbeit – 0,19 0,38 · Außen + 0,32 · Familie + 0,24 · Arbeit – 0,39 0,29 · Zukunft + 0,20 · Umwelt + 0,25 Außen + 0,22 SozGer – 0,09 0,49 · Außen + 0,25 · Familie + 0,27 · Umwelt – 0,24
Gruppe 2 (N = 97) 0,47 · Außen + 0,24 · Energie + 0,02 0,35 · Außen + 0,35 · Wirtschaft + 0,39 · SozGer – 0,24 · Kriminalitätsbekämpfung – 0,10 0,30 · Wirtschaft + 0,37 · Familie + 0,26 · SozGer + 0,27 0,45 · Außen + 0,24 · Arbeit + 0,22 · SozGer - 0,08 0,62 · Wirtschaft + 0,30 · Bildung + 0,30 0,43 · SozGer + 0,44 · Zukunft + 0,32
Übersicht der Regressionsgleichungen (Steinmeier) für W2, W3 und W4.
Doch ist gerade vor diesem Hintergrund noch einmal zu betonen, wie bemerkenswert die aufgezeigten Befunde sind: In G1 zeigt sich eine deutliche PrimingWirkung auf die Gesamtbewertung des Kandidaten Steinmeier in allen drei Nachher-Erhebungen – und das, obwohl die Probanden jeweils nur rund vier Sekunden direkt mit den einzelnen Plakaten der fiktiven Familienpolitik-Kampagne konfrontiert wurden. Abschließend soll nicht unerwähnt bleiben, dass die präsentierten Regressionsmodelle auch unter Einbezug der politischen Prädispositionen der Rezipienten geschätzt wurden. Die kategorial erhobene Variable ‘Parteiidentifikation’ wurde hierzu in ein Set aus dichotom codierten Dummy-Variablen umcodiert; diese wurden im ersten Analyseschritt als zusätzliche Regressoren in die Regressionsanalyse einbezogen. Hierbei zeigte sich jedoch kein systematischer Einfluss. Die Parteiidentifi-
Priming
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kation spielte für die Schätzung der jeweilige Regressionsgleichungen keine Rolle. Vereinzelt wurde die politische Prädisposition zu einer Partei zwar mit einem signifikanten Niveau in die Regressionsmodelle einbezogen, beispielsweise für die Regressionsgleichung W2-M2 konnte die Parteineigung zu ‘Bündnis 90/Die Grünen’ (b=0,878 mit p=0,27) als signifikanter Faktor ermittelt werden, doch systematische Einflüsse ließen sich nicht identifizieren. Es wurde auch eine neue Variable ‘Parteineigung nach Lager’ erzeugt (CDU/FDP als ‘konservatives Lager’; SPD/Bündnis 90/Die Grünen/DieLINKE als ‘soziales bzw. linksalternatives Lager’), die im zweiten Schritt in die Analyse integriert wurde. Auch hier deuten die Regressionsmodelle nicht auf systematische Einflüsse. Lediglich für die ‘Vorher’-Regressionen W3-M1 und W4-M1 in G1 sowie für die ‘Nachher’-Regression W4-M2 in G2 zeigten sich signifikante Werte. Da sich zwei der Einflüsse aber zudem auf die Vorher-Erhebungen beziehen und der Einfluss der Parteiidentifikation nach Lager nach der Stimulusexposition mit der fiktiven SPD-Kampagne demnach sogar verschwand, lässt sich aus den Befunden schließen, dass die Parteiidentifikation für den gezeigten Priming-Effekt der Kompetenz ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ auf die Gesamtkompetenz Steinmeiers keine strukturellen Auswirkungen hat. Relativierend ist einzuräumen, dass die geringen Fallzahlen der Untergruppen mit etwa 30 Probanden je ‘Lager’ je Gruppe nur bedingt differenziertere Analysen bzw. Aussagen zulassen. Aus diesem Grund, und um ein „overfitting“ zu vermeiden (vgl. Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber 2008: 84), wurde auf die Integration der Parteiidentifikation in die Regressionsgleichungen verzichtet. Dies gilt ebenso für die Kompetenzaufklärungen bei Merkel, die im nachfolgenden Kapitel behandelt wird. Hier ergab die Regressionsanalyse unter Einbezug der Regressoren ‘Parteiidentifikation’ bzw. ‘Parteiidentifikation nach Lager’ für keine der acht Regressionsschätzungen einen signifikanten Einfluss. Konklusion der Priming-Wirkung Visueller Kommunikation
Über die positive Veränderung der Wichtigkeit eines durch integrierte (Bild-)Plakate kommunizierten Themas steigt im Vorher-Nachher-Vergleich bei realitätsnaher, flüchtiger Rezeption einer themenkongruenten visuellen Plakatkommunikation die Bedeutung des Themas für die Bewertung der Gesamtkompetenz eines Kandidaten. Über die positive Veränderung der Wichtigkeit eines durch integrierte (Bild-)Plakate kommunizierten Themas steigt bei realitätsnaher, flüchtiger Rezeption einer themeninkongruenten visuellen Plakatkommunikation die Bedeutung des Themas für die Bewertung der Gesamtkompetenz eines Kandidaten nicht. Um Priming auszulösen, ist demnach eine gewisse Kontaktintensität
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Applikatives Framing und Relatives Priming
Voraussetzung, die in G2 mit dem schwächeren Stimulus offenbar unterschritten wurde. ‘Kontaktintensität’ wurde im Untersuchungsdesign in zwei Dimensionen getestet: Kontaktqualität (themenhomogen vs. themenheterogen) sowie Kontaktquantität (20 vs. 7 Plakate). Besonders von der Kontaktqualität scheint eine starke Moderationsfunktion auszugehen. Wie der Agenda-Setting-Effekt ist auch der Priming-Effekt der Wahlplakate bei realitätsnaher, flüchtiger Rezeption kurzfristiger Natur; die durch Plakatkontakt gestiegene Bedeutung der ‘primed’ Kompetenz für die Gesamtbewertung des Kandidaten sinkt im Verlauf einer Woche wieder ab. Die Priming-Wirkung Visueller Kommunikation ist unter verschiedenen Rezeptionsbedingungen replizierbar. Ein systematischer, moderierender Einfluss der Parteiidentifikation auf die Priming-Wirkung der Kompetenz ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ konnte nicht festgestellt werden.
6.8 Applikatives Framing und Relatives Priming Bisher wurden die empirischen Befunde zur Priming-Wirkung lediglich auf Basis der Daten zu Steinmeier vorgestellt. Wie beschrieben, liegen die Bewertungen der Einzel- und Gesamtkompetenz aber nicht nur für Steinmeier, sondern auch für Merkel vor. Anders als bei der parteiübergreifenden Frage nach einem Anstieg der gesamtgesellschaftlichen Wichtigkeit des Themas Familienpolitik, ist bei der Analyse der Priming-Wirkungen damit eine weitergehende Differenzierung möglich. Nachdem die Befunde für Steinmeier bereits gezeigt haben, dass Visuelle Politische Plakatkommunikation eine Priming-Wirkung auf die Gesamtbewertung des Kandidaten Steinmeier ausübt, soll im weiteren Verlauf untersucht werden, inwieweit sich diese Wirkungen für Merkel bestätigen lassen. Folgt man dabei den klassischen Befunden zu Agenda-Setting und Priming, sollte der Anstieg der wahrgenommenen Wichtigkeit des Themas ‘Familienpolitik’ nach der Stimulusexposition den Einfluss der Kompetenz ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ auf die Gesamtbewertung beider Kandidaten erhöhen, sich also in strukturell identischer Weise für die Kompetenzitems von Merkel zeigen. Bevor dies untersucht wird, sind allerdings die zentralen Prämissen zu reflektieren, aus denen sich diese Wirkungsvermutung ergibt. Dies soll im Folgenden mit der Fragestellung geschehen, inwieweit die Implikationen für den untersuchten Anwendungsbereich überhaupt plausibel erscheinen. Im Kontext der Analyse der Agenda-Setting-Wirkungen wurde bereits darauf verwiesen, dass die übergreifende Wirkungsannahme, dass die Wichtigkeit eines Themas durch Agenda-Setting und Priming über die Medienberichterstattung unabhän-
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gig von politischen Prädispositionen steigt und sich parteiunabhängig in der Bewertung aller Kandidaten niederschlägt, nicht unwesentlich auf dem Faktum basiert, dass Agenda-Setting und Priming im klassischen Design auf Basis von Medienberichterstattung untersucht werden. Agenda-Setting und Priming, wie sie traditionell demonstriert werden, sind Effekte einer als objektiv und öffentlichkeitsrelevant erlebten Medienberichterstattung, eben von „news that matters“ (Iyengar/Kinder 1987). Hierbei sind die Besonderheiten des rezipierten Mediums als intervenierende, die Wirkungen modifizierenden Variablen zu betrachten. Aus diesem Grund ist anzunehmen, dass der ‘Wechsel’ der Wirkungs- bzw. Untersuchungsebene von Formen der Medienberichterstattung auf Formen der Wahlwerbung wahrscheinlich mit deutlichen Wirkungsmodifikationen einhergeht. Insbesondere ist wahrscheinlich, dass die Besonderheiten des rezipierten Mediums auch für die Interpretation der kommunizierten Inhalte eine zentrale Rolle spielen. Während Wahlplakate als werbliche Kommunikation erkannt werden, stellen Massenmedien eine Artikulationsplattform der öffentlichen Meinung dar, die über eine hohe Glaubwürdigkeit verfügt. In Anlehnung an die theoretischen Überlegungen zu Framingprozessen (vgl. Kap. 2.3.5.2) ist spezifischer zu vermuten, dass der jeweilige strategische bzw. perzeptive Frame dem Rezipienten nahe legt, welchen spezifischen applikativen Frame die relative Information bzw. Themenwichtigkeit jeweils betrifft. Das heißt konkret: Wird ein Thema über die ‘glaubwürdige’ Artikulationsplattform der öffentlichen Meinung kommuniziert, dann vor dem Hintergrund dieses neutralen applikativen Frames. Durch die Vermittlung des Themas über das öffentlichkeitsrelevante Forum der Medien nimmt das Thema in der Wahrnehmung der Rezipienten damit, sozusagen automatisch, eine öffentlichkeitsrelevante Bedeutung an. Das heißt weiter, dass Themen, die mit und über den Kommunikationsweg der Medien und mit diesem objektiven, öffentlichkeitsrelevanten Nachrichtenkontext an die Rezipienten herangetragen werden, von diesen wahrscheinlich auch in diesem generellen, gesamtgesellschaftlichen Referenzrahmen in ihrer Wichtigkeit verarbeitet werden. Themenwichtigkeit, wie sie in der Agenda-Setting-Forschung operationalisiert wird, wäre damit eigentlich spezifischer zu verstehen als gesamtgesellschaftliche Themenwichtigkeit. Themenwichtigkeit wäre damit keine absolute Kategorie, sondern eine relative, kontextuelle Kategorie. Wenn aber der jeweilige Kontext dem Rezipienten nahe legt, welchen spezifischen applikativen Frame die relative Information bzw. Themenwichtigkeit jeweils betrifft, ist plausibel, dass die Applikation der durch die Medienagenda prädisponierten ‘universellen’ Themenrelevanz der Rezipienten im Priming auf eben diesen, gesamtgesellschaftlichen Referenzrahmen rekurriert. Das bedeutet weiter: Dass sich die Wirkungen von Agenda-Setting und Priming auf alle politischen Akteure gleichermaßen zeigen, hängt möglicherweise mit der dem Medienvermittlungsprozess inhärenten Etablierung eines gesamtgesellschaftlichen applikativen Frames für die jeweiligen Themenbedeutungen zusammen. Wird ein Thema als gesamtgesellschaftlich wichtig erlebt,
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Applikatives Framing und Relatives Priming
ist es nur konsequent, dass die mit dem Thema einhergehenden Bewertungsmaßstäbe parteiübergreifend für die Bewertung aller politischen Akteure herangezogen werden. Vor diesem Hintergrund ist nun allerdings zu bezweifeln, dass Wahlplakate eine dem Medien-Priming entsprechende, ‘universelle’, gesamtgesellschaftliche, parteiübergreifende Priming-Wirkung auslösen – und zwar vor allem deshalb, weil sie nicht in einem identisch ‘universellen’ Frame kommuniziert und verarbeitet werden. Vielmehr lässt sich vermuten, dass der Frame, über den Themen über Wahlplakate kommuniziert werden und auf den die Themenrelevanz in ihrer Applikation rekurriert, weitaus enger abgesteckt ist als dies bei einem Medienthema der Fall ist. Plausibel ist hier, dass der applikative Frame des Plakatthemas über die wahrgenommenen Absenderinformationen und das damit verbundene vielschichtige assoziative Netzwerk etabliert wird – und in der Konsequenz im Priming auch entsprechend appliziert wird. Im vorliegenden Beispiel wäre entsprechend die Vermutung nahe liegend, dass die Wichtigkeit des über die fiktive SPD-Testkampagne kommunizierten Themas ‘Familienpolitik’, das über den assoziativ-werblichen Kontext der Plakatkommunikation etabliert wird, für den applikativen Frame ‘assoziatives Netzwerk SPD’ eine stärkere Bedeutung einnimmt als beispielsweise für den Referenzrahmen ‘assoziatives Netzwerk CDU’. Insofern ist konsequent, dass die Befunde für Steinmeier eine so bedeutsame Priming-Wirkung offenbart haben, obwohl nicht Massenmedien, sondern Wahlplakate die Wichtigkeit des Themas betont haben. Hier hat die werbliche Plakatkommunikation einen spezifischen applikativen Frame (‘SPD’) etabliert, auf den die kommunizierten Inhalte Anwendung finden konnten. Dies gilt umso mehr, da die Etablierung eines spezifischen, applikativen Frames sogar als integrativer Teil der Persuasionsstrategie der Kommunikatoren angesehen werden kann, für den es zentrale Zielsetzung ist, eine klare Assoziation zwischen dem Absender und dem kommunizierten Thema herzustellen, wofür insbesondere auch Strategien Visueller Kommunikation (Farbe, Bildsprache, Typographien, Logo, usw.) eingesetzt werden. Aus diesem Grund ist es nur folgerichtig, dass die Kompetenz ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ für die Bewertung von Steinmeier als SPD-Spitzenkandidat einen Bedeutungszuwachs verzeichnet, nachdem das Thema Familienpolitik durch eine fiktive SPD-Kampagne ‘geprimed’ wurde. Aus Perspektive dieser Wirkungslogik ist aber fraglich, dass die Befunde eine ebenso kongruente Priming-Wirkung auf die Bewertung der CDU-Politikerin Merkel aufweisen. Denn durch die werbliche Plakatkommunikation wurde zwar die Bedeutung des Themas betont, dieses erfolgte aber gleichzeitig nicht vor dem Kontext einer ‘universellen’, gesamtgesellschaftlichen Relevanz. Vielmehr wurde mit und über die fiktive SPD-Plakatkampagne ein spezifischer applikativer Frame etabliert, auf den die kommunizierten Inhalte und damit auch die Betonung der Themenwichtigkeit anwendbar sind, nämlich das ‘semantische Netzwerk SPD’.
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Obwohl also bereits gezeigt werden konnte, dass Wahlplakate grundsätzlich einen ‘universellen’, d.h. übergreifenden Themensetzungseffekt auslösen und darüber auch zu einem Bedeutungsanstieg der wahrgenommenen Wichtigkeit der verbundenen Kompetenzen für die Gesamtbewertung führen, ist wahrscheinlich, dass die wahrgenommene Wichtigkeit des Thema nicht zu einem ‘universellen’ PrimingEffekt für alle Politiker führt, sondern zu einem relativen Priming für die dem aktualisierten Referenzrahmen entsprechenden Akteure. Das würde bedeuten: Zwar gehen mit der Veränderung der wahrgenommenen Wichtigkeit des Themas Familienpolitik durch Agenda-Setting Veränderungen der mentalen Salienz des Themas Familienpolitik einher, womit etwa die dem Thema zugeordnete Kompetenz ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ als relevanter Bewertungsmaßstab aktualisiert wird – doch ist eben auch dieser aktualisierte Bewertungsmaßstab relativ und wird nicht global auf alle Politiker gleichermaßen übertragen, sondern insbesondere auf jene Politiker, die in den mit-aktualisierten Referenzrahmen ‘assoziatives Netzwerk SPD’ fallen. Dieser Idee des relativen Primings folgend, wird der relative Bewertungsmaßstab ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ mit positiv veränderter Gewichtung zur Bewertung jener Politiker herangezogen, die innerhalb des ‘assoziativen Netzwerk SPD’ verfügbar sind – was bei Steinmeier gegeben war. Neben die Erkenntnis der etablierten Priming-Forschung, dass Menschen zur Bewertung von Sachverhalten oder Personen nicht die Gesamtheit der dazu zur Verfügung stehenden Informationen nutzen, sondern nur jene Teilinformationen, die gerade aktuell und leicht verfügbar sind, tritt damit die Erkenntnis, dass Menschen die ihnen zur Verfügung stehenden Teilinformationen nicht auf alle Sachverhalte und Personen in gleicher Weise anwenden, wobei die Zuordnung von Bewertungsmaßstab (‘Eine gute Familienpolitik betreiben’) und Bewertungsobjekt (‘Politiker’) vermutlich nach der für Agenda-Setting und Priming bekannten Verfügbarkeitsheuristik (Iyengar/Kinder 1987: 65; vgl. Scheufele 2003: 60) und auf Basis einer wahrgenommenen Kongruenz zwischen strategischem, perzeptivem und applikativem Frame erfolgt. Zusammengefasst: Menschen ziehen nicht alle, sondern nur die aktuell salienten Urteilskriterien heran, wobei mediale oder werbliche Kommunikation die Salienz der Urteilskriterien beeinflusst (Priming); Menschen wenden die aktuell salienten Urteilskriterien nicht für alle Referenzrahmen gleichermaßen an, sondern nur für aktuell verfügbare, dem Referenzrahmen entsprechende, wobei mediale oder werbliche Kommunikation die Salienz der Referenzrahmen beeinflusst (relatives Priming). Konkreter: Die mediale Kommunikation bestimmt den Referenzrahmen für alle Politikerbewertungen, während die werbliche Kommunikation den Referenzrahmen für die Bewertung des dem Referenzrahmen entsprechenden Parteipolitikers (bzw. der dem Referenzrahmen entsprechenden Parteipolitikern) bildet. Für
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Applikatives Framing und Relatives Priming
die vorliegende Untersuchung lassen sich diese Überlegungen mit den folgenden Thesen zur relativen Priming-Wirkung Visueller Kommunikation konkretisieren: Hypothesen der Relativen Priming-Wirkung Visueller Kommunikation
Über die positive Veränderung der Salienz eines durch integrierte (Bild-)Plakate kommunizierten Themas steigt, auch bei realitätsnaher, flüchtiger Rezeption, im Vorher-Nachher-Vergleich die Bedeutung des Themas für die Bewertung der Gesamtkompetenz eines dem salienten Referenzrahmen entsprechendem Objektes oder Kandidaten. Über die positive Veränderung der Salienz eines durch integrierte (Bild-)Plakate kommunizierten Themas steigt, auch bei realitätsnaher, flüchtiger Rezeption, im Vorher-Nachher-Vergleich die Bedeutung des Themas nicht in gleichem Maße für die Bewertung der Gesamtkompetenz eines dem salienten Referenzrahmen nicht entsprechendem Objektes oder Kandidaten.
Für die Überprüfung der ersten Annahme, haben die Ergebnisse zu den Kompetenzitems von Steinmeier bereits deutliche Belege geliefert. Trifft aber die oben formulierte Hypothese zu, dass die Priming-Wirkung werblicher Kommunikation nicht als Aktualisierung ‘universell’ gültiger Bewertungsmaßstäben, sondern als Aktualisierung ‘relativ’ gültiger Bewertungsmaßstäbe zu verstehen ist, sollten sich ähnliche Wirkungen nicht zeigen, wenn Referenzrahmen und ‘Anwendungsfeld’ (wie bei Merkel) auseinanderfallen. Um diese Annahme zu prüfen, kann das oben beschriebene Vorgehen unter Einsatz der Multiplen Regressionsanalyse (MRA) auf Basis der Daten zu Merkel repliziert werden. Hierzu ist zunächst zu ermitteln, welchen Einfluss die Einzelkompetenz ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ in Zusammenspiel mit den übrigen Themenkompetenzen (unabhängige Variablen) auf die Gesamtbewertung von Merkel (abhängige Variable) in der Ausgangssituation der jeweiligen Vorher-Messung nimmt (W2-M1, W3-M1 und W4-M1). Neben der Aufdeckung dieser Zusammenhänge über die Regressionsanalyse ist zu ermitteln, ob sich signifikante Veränderungen der Bedeutung der Kompetenz ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ nach der jeweiligen Treatmentexposition zeigen, wozu der Einfluss der Einzelkompetenzen auf die Gesamtbewertung nach der Treatmentexposition über ein Regressionsmodell erneut zu bestimmen ist. Wie bereits beschrieben, werden beide Gewichtungen dann miteinander verglichen. Tritt eine universelle Priming-Wirkung der Plakatkommunikation ein, müsste die Einzelkompetenz ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ nach der Stimulusexposition mit der integrierten, fiktiven SPD-Kampagne zum Thema Familienpolitik einen höheren Einfluss auf die Gesamtbewertung von Merkel nehmen, als dies vor Treatmentexposition der Fall war.
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Auch hier soll noch einmal betont werden, dass der Einfluss der einzelnen Prädiktorvariablen auf die Prognosevariable nicht im Zentrum der weiteren Betrachtung steht. Stattdessen geht es erneut um die spezielle Frage, inwieweit sich unter Zusammenwirken von anderen erklärenden Variablen ein veränderter Einfluss der für das Experiment zentralen Prädiktorvariable ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ in Stärke, Richtung und Signifikanz auf die Prognosevariable ‘Kandidatenbewertung’ ergibt. Konkret steht im Mittelpunkt der Betrachtung also die Frage, ob der Regressor ‘Familienpolitik’ im Regressionsmodell nach Stimulusexposition strukturell identisch zu Steinmeier an Bedeutung gewinnt – oder nicht, wie hier vermutet wird. Analog zum oben beschriebenen Vorgehen kam die Form der schrittweisen Multiplen Linearen Regression (STEPWISE) zum Einsatz. Auf Basis der Daten der VorherMessung von W2-M1 liefert die Regression über die zugeschriebene Kandidatenkompetenz von Merkel für G1 folgendes Bild: In das Regressionsmodell zum Zeitpunkt vor der Stimulusexposition werden die Faktoren aufgenommen ‘Die Zukunft Deutschlands sichern’ (b=0,278; p=0,012), ‘Eine verlässliche Außenpolitik betreiben’ (b=0,309; p=0,001) sowie ‘Eine gute Gesundheits- und Versorgungspolitik betreiben’ (b=0,265; p=0,005). Die Regressionsgleichung für G2 enthält die signifikanten Regressoren ‘Die Zukunft Deutschlands sichern’ (b=0,385; p=0,001), ‘Arbeitsplätze sichern und neue schaffen’ (b=0,380; p=0,001) sowie ‘Eine ausgewogene Steuer- und Finanzpolitik betreiben’ (b=0,209; p=0,036). Der Faktor ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ hat für beide Regressionsmodelle keinen zusätzlichen, signifikanten Erklärungsbeitrag (G1: b=0,031; p=0,766; G2: b=-0,099; p=0,280). Das Modell besitzt einen Erklärungswert von R²=0,664 bzw. R²korr= 0,653 für G1 sowie R²=0,690 bzw. R²korr=0,680 für G2. Mit einem F-Wert von Femp=61,843 und einem zugehörigen Signifikanzniveau von p=0,000 für G1 bzw. Femp= 69,097 und einem zugehörigen Signifikanzniveau von p=0,000 für G2 sind beide Modelle hoch signifikant. Nach erfolgter Treatmentexposition in W2 werden die beiden Regressionsmodelle auf Basis der Daten der Nachher-Messung für G1 und G2 (W2-M2) erneut geschätzt. Bei Zutreffen der Hypothesen zur universellen Priming-Wirkung Visueller Politischer Plakatkommunikation sollte sich eine Zunahme der Bedeutung des Regressors ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ zeigen. Bei Zutreffen der Hypothesen zur relativen Priming-Wirkung zu, sollte sich nun ein deutlicher Unterschied in der Wirkung des Priming bei Merkel im Vergleich zur Wirkung bei Steinmeier finden lassen: Die Gewichtung des Regressors ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ sollte sich für die Gesamtbeurteilung der Spitzenkandidatin Merkel nach der Treatmentexposition nicht bzw. in erheblich geringerem Umfang im Regressionsmodell zeigen als dies bei Steinmeier der Fall war. Tatsächlich ergibt sich nach erneuter Durchführung der multiplen schrittweisen Regressionsanalyse für W2-M2, ein vollständig anderes Bild als bei Steinmeier:
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Es zeigt sich keine Zunahme der Bedeutung des Regressors, die gleichbedeutend mit dem Eingang der Variable in die neu zu ermittelnden Regressionsmodelle gewesen wäre. Stattdessen beinhaltet die Regressionsgleichung für G1, deckungsgleich mit der Regressionsanalyse auf Basis der Daten vor der Stimulusexposition, die drei Faktoren ‘Die Zukunft Deutschlands sichern’ (b=0,430; p=0,000), ‘Eine verlässliche Außenpolitik betreiben’ (b=0,235; p=0,025) sowie ‘Eine gute Gesundheits- und Versorgungspolitik betreiben’ (b=0,327; p=0,000). Das Modell besitzt einen Erklärungswert von R²=0,752 bzw. R²korr=0,744. Der F-Wert notiert bei Femp=94,823; das Signifikanzniveau liegt bei p=0,000. Das Modell ist demnach hoch signifikant. Wie bereits deutlich wurde, wird der ‘primed’ Regressor ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ mit dem nicht signifikanten Regressionskoeffizienten von b=0,013 (p=0,891) nicht in die Regressionsgleichung aufgenommen. Für G2 zeigt sich ein ähnliches Bild: Auch hier wird die Prädiktorvariable ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ nicht zusätzlich in das Regressionsmodell aufgenommen, nachdem die Probanden mit der Testkampagne konfrontiert wurden. In die Regressionsgleichung für G2 eingegangen sind die unabhängigen Variablen ‘Die Zukunft Deutschlands sichern’ (b=0,252; p=0,024), ‘Eine gute Gesundheits- und Versorgungspolitik betreiben’ (b=0,275; p=0,087), ‘Für soziale Gerechtigkeit sorgen’ (b=0,418; p=0,000), ‘Arbeitsplätze sichern und neue schaffen’ (b=0,281 mit p=0,038) sowie ‘Die Kriminalität bekämpfen’ (b=-0,297; p=0,011). Das Modell besitzt einen Erklärungswert von R²=0,743 bzw. R²korr=0,729. Der F-Wert notiert bei Femp=52,000 (p=0,000). Das Modell ist demnach hoch signifikant. Wie bereits deutlich wurde, wird der ‘primed’ Regressor ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ mit dem nicht signifikanten Regressionskoeffizienten von b=-0,049 (p=0,704) wird nicht aufgenommen. Einerseits zeigt sich also in G1 bei Exposition mit dem themenhomogenen SPD-Treatment keinerlei Veränderung der Erklärung der abhängigen Variable der Gesamtbewertung Merkels; das Treatment hat auf die Zusammensetzung der Prädiktoren also schlicht überhaupt keinen messbaren Einfluss, lediglich die BetaGewichte sind leicht verändert. Andererseits werden in G2 bei Exposition mit dem themenheterogenen Treatment die Faktoren ‘Eine gute Gesundheits- und Versorgungspolitik betreiben’, ‘Für soziale Gerechtigkeit sorgen’ sowie ‘Die Kriminalität bekämpfen’, neben den bisherigen Regressoren ‘Die Zukunft Deutschlands sichern’ und ‘Arbeitsplätze sichern und neue schaffen’ – neu in das Regressionsmodell aufgenommen. Dieses Ergebnis erscheint auf den ersten Blick verwirrend. Da sich in der Vergleichsgruppe keine Veränderung gezeigt hat, ist es schlüssig, dass die Ursache der Veränderung der relevanten Regressoren in der Kombination der fiktiven ‘SPDKampagne Familienpolitik’ mit den übrigen Füllplakaten zu suchen ist. Es bietet sich daher an, diese noch einmal genauer zu betrachten:
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‘Klima ohne wenn und aber. Jetzt für Morgen. Bündnis 90/Die Grünen’ ‘Arbeitsplätze sichern und schaffen. Christian Wulff. CDU Niedersachsen’ ‘Andere rücken nach links. Wir bleiben in der Mitte. Dr. Philip Rösler. Der Richtige für Niedersachsen. FDP’ ‘Bayern braucht kein Genfood. Bayern braucht gesunde Lebensmittel. Ohne Gentechnik. Nur so bleibt Qualität aus Bayern ein Gütesiegel, dem man vertraut. Bayern SPD. Bayern, aber gerechter’
Obwohl nicht beantwortet werden kann, durch welche Interaktion die nicht kommunizierten Politikfelder ‘Soziale Gerechtigkeit’ und ‘Kriminalitätsbekämpfung’ Eingang gefunden haben, gibt es leichte Indizien dafür, einen Treatmenteffekt der themenheterogenen Plakatkombination zu vermuten. So wurde die Wichtigkeit der Kompetenz ‘Arbeitsplätze sichern und neue schaffen’, die in der Regression nach Treatment geringfügig gestiegen ist, möglicherweise leicht durch das CDU-Plakat ‘Arbeitsplätze sichern und schaffen’ gestützt. Ebenso vorsichtig lässt sich vermuten, dass das Plakat ‘Bayern braucht kein Genfood. Bayern braucht gesunde Lebensmittel. Ohne Gentechnik’ auf die Bedeutung der Kompetenz ‘Eine gute Gesundheitsund Versorgungspolitik betreiben’ eingezahlt hat. Diese verzeichnete in der Folge einen Bedeutungsanstieg und wurde zusätzlich in die Regressionsgleichung integriert. Dass sich hier ein Priming-Effekt trotz der Tatsache andeutet, dass die Botschaft durch ein SPD-Plakat kommuniziert wurde, ein ähnlicher Priming-Effekt jedoch nicht für die Kompetenz ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ nachgewiesen werden konnte, die ebenfalls durch (fiktive) SPD-Plakate übermittelt wurde, ist spannend: Der Effekt könnte darin begründet sein, dass das ‘Genfood-Plakat’ den Referenzrahmen ‘SPD’ in nur geringem Maße aktiviert. Denn durch die geringe Gesamtintegration der Gestaltung wird die Botschaft wahrscheinlich in nur geringem Maße der SPD zugeordnet. Dagegen ist der Gesundheitsappell über die Visuelle Kommunikation mit als ‘vergiftet’ anmutenden Lebensmitteln für den Rezipienten schematisch und inhaltlich sofort identifizierbar. Hier lässt sich der aus der Werbung bekannte Vampireffekt vermuten: Die Strategie der Aktivierung durch überraschende Reize, die hier über eine farbliche Verfremdung der typischen Nahrungsmittel erreicht wird, lenkt die Aufmerksamkeit von der zentralen Information ab, wer eigentlich Absender der Botschaft ist. Im Kontrast zu der der ‘eindeutigen’ visuellen Gestaltung der als bewusst integrierten, ‘SPD-assoziativen’ Familienpolitikkampagne wird dies möglicherweise noch verstärkt. Folgt man diesem Gedanken und der Idee, dass die Stärke von PrimingEffekten relativ zur Salienz und Kongruenz des jeweiligen Referenzrahmens und des jeweiligen Bewertungsobjektes zu vermuten ist, wäre dieses Ergebnis plausibel. Da das wenig integrierte ‘Genfood-Plakat’ keinen klaren Referenzrahmen liefert
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Applikatives Framing und Relatives Priming
und damit eine klare Zuordnung erschwert, wird der Bewertungsmaßstab unabhängig vom Absender aktualisiert und steht dem Rezipienten damit gewissermaßen universell zur Verfügung. In der Folge kann die Aktualisierung des Bewertungsmaßstabes auch auf den gegnerischen Kandidaten einzahlen. Tatsächlich treten derartige Transfereffekte oder Spill-Over-Effekte in der Konsumgüterwerbung häufig auf. Dass eine Kommunikation nicht auf den Absender oder das intendierte Objekt einzahlt, lässt sich vor allem dann beobachten, wenn die Kommunikation eine geringe Abgrenzung zu den Mitbewerbern aufweist oder als austauschbar empfunden wird. Trotz der Plausibilität dieser Argumentation ergibt sich aus diesem Ergebnis ein dringender Bedarf an weiterer Forschung, um die Bedingungen zu differenzieren, unter denen sich ähnliche Effekte replizieren lassen. Zudem ist es eine spannende Frage, ob sich vergleichbare Wirkungen auch im weiteren Verlauf der vorliegenden Studie identifizieren lassen und damit weitere Indizien liefern, unter bestimmten Bedingungen von der Plausibilität einer relativen Priming-Wirkung auszugehen. Doch zurück zu den Ergebnissen: Betrachtet werden sollen nun die Regressionsanalysen für W3. Insgesamt zeigt sich hier ein ähnliches Bild wie in den Messungen in W2. Als relevante abhängige Variablen für die Erklärung der Gesamtbewertung Merkels lassen sich in G1 erneut die drei Kompetenzen ermitteln ‘Die Zukunft Deutschlands sichern’ (b=0,203; p=0,037), ‘Eine verlässliche Außenpolitik betreiben’ (b=0,473; p=0,000 ) sowie ‘Eine gute Gesundheits- und Versorgungspolitik betreiben’ (b=0,363; p=0,000). Die Faktoren sind im Vergleich zu der eine Woche vorher durchgeführten Nachher-Messung W2-M2 nahezu unverändert, lediglich die Gewichtung hat sich geringfügig verschoben. Das Regressionsmodell weist ein Erklärungswert von R²=0,697 bzw. R²korr=0,687 auf und ist auf Basis eines F-Wertes von Femp=72,000 und mit p=0,000 hoch signifikant. Für G2 ergibt die Regressionsanalyse vor Treatmentexposition ein, im Vergleich zur Woche vorher, leicht verändertes Bild. Zur Erklärung der Prognosevariable ‘Gesamtbewertung Merkel’ zeigen sich erneut die Regressoren ‘Die Zukunft Deutschlands sichern’ (b=0,2762; p=0,009) sowie ‘Für soziale Gerechtigkeit sorgen’ (b=0,338; p=0,003). Zudem kommt die Variable ‘Eine gute Bildungspolitik betreiben’ (b=0,318; p=0,007) neu hinzu, was eine Auswirkung der damaligen Medienberichterstattung sein könnte, denn eine ähnliche Bedeutungszunahme zeigte sich für Steinmeier in W4-M1. Wie auch immer, die Kompetenz ‘Familienpolitik’ trägt auf Basis der Daten der Vorher-Erhebungen in W3 nicht signifikant dazu bei, die Gesamtbewertung von Merkel zu erklären (G1: b=0,082; p=0,366; G2: b=-0,050; p=0,689). Das Regressionsmodell weist ein Bestimmtheitsmaß von R²=0,700 bzw. R²korr=0,690 auf. Auf Basis des F-Wertes von Femp=72,218 und p=0,000 ist es hoch signifikant. Nun gilt es, die Regressionsgleichungen nach erfolgter Treatmentexposition erneut zu bestimmen. Der Idee einer relativen Priming-Wirkung folgend sowie in Ent-
Applikatives Framing und Relatives Priming
333
sprechung der W2-Befunde wird für die Gesamtbewertung Merkels eine deutlich geringere Effektstärke erwartet. Konkret bedeutet das, dass eine sehr geringe oder sogar keine Gewichtungsverschiebung des durch die fiktive SPD-Kampagne aktualisierten Bewertungsmaßstabes ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ vermutet wird. Vor dem Hintergrund, dass W3 allerdings wieder als Präsenzphase und damit als Phase einer intensiven Treatmentexposition angelegt war, müsste sich ein Priming-Effekt, zeigt er sich bei Merkel überhaupt, für die Nachher-Erhebung von W3 in G1 nachweisen lassen. Die die Wirkung modifizierende Variable wäre in diesem Fall die Kontaktintensität (insbesondere die Kontaktquantität von 20 integriert gestalteten Plakatmotiven der fiktiven SPD-Kampagne zur ‘Familienpolitik’) des Stimulusmaterials, die möglicherweise den Gewichtungsanstieg der ‘primed’ Kompetenz trotz fehlender direkter Kongruenz zwischen Bewertungsmaßstab und Bewertungsobjekt erzwingt. Denkbar ist hier auch, dass eine massiv wiederholte, enorm präsente Kampagne mit fortlaufender Dauer die Assoziation einer gesamtgesellschaftlichen Relevanz gewinnen und sich der Referenzrahmen damit in seiner Gültigkeit erweitern kann. Die Regressionsanalysen für W3-M2 ergeben folgende Modellierung: Überraschenderweise wurde der Faktor ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ tatsächlich in G1 in das Regressionsmodell aufgenommen, sogar als stärkster Faktor (b=0,476; p=0,000). Außerdem sind die Prädiktoren ‘Eine verlässliche Außenpolitik betreiben’ (b=0,324; p=0,001) sowie ‘Arbeitsplätze sichern und neue schaffen’ (b=0,316; p=0,001) enthalten. Nach dem intensiven Kontakt mit der fiktiven SPD-Kampagne zum Thema wird der Regressor ‘Familienpolitik’ also benötigt, um die Gesamtbewertung von Merkel zu schätzen. Im Ergebnis entspricht dies einem Bedeutungsanstieg der ‘primed’ Kompetenz ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’. Das Bestimmtheitsmaß des Modells ist bei R²=0,768 bzw. R²korr=0,761. Mit einem F-Wert von Femp=103,893 und einem zugehörigen Signifikanzniveau von p = 0,000 liegt eine hohe Signifikanz vor. Die Regressionsanalyse für G2 führt zur Aufnahme der Regressoren ‘Die Zukunft Deutschlands sichern’ (b=0,550; p=0,000), ‘Den Umwelt- und Klimaschutz vorantreiben’ (b=0,192; p=0,048) sowie ‘Eine ausgewogene Steuer- und Finanzpolitik betreiben’ (b=0,333; p=0,000). Die Modellgüte liegt bei R²=0,812 bzw. R²korr=0,806; mit einem F-Wert von Femp=133,598 und einem Signifikanzniveau von p=0,000 ist das Modell hoch signifikant. ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ notiert bei b=-0,013 (p=0,877) und wird nicht aufgenommen. Abschließend werden die Befunde von W4 betrachtet. Bedeutsam für die Schätzung der Gesamtbewertung Merkels sind nach der Regressionsanalyse die Bewertungskriterien ‘Die Zukunft Deutschlands sichern’ (G1: b=0,403; p=0,000; G2: b=0,285; p=0,032) sowie ‘Für soziale Gerechtigkeit sorgen’ (G1: b=0,245; p=0,002; G2: b=0,302; p=0,000). In G1 zeigt sich außerdem erneut der Prädiktor ‘Eine verlässliche Außenpolitik betreiben’ (b=0,287; p=0,007), während im Regres-
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Applikatives Framing und Relatives Priming
sionsmodell von G2 erstmalig der Faktor ‘Die Wirtschaft in Deutschland voranbringen’ (b=0,399; p=0,001) mit signifikantem Einfluss auftaucht. Die Modelle gehen mit einem Erklärungswert von R²=0,709 bzw. R²korr=0,700 für G1 sowie R²=0,816 bzw. R²korr=0,811 für G2 einher. Mit einem F-Wert von Femp=76,266 (p=0,000) für G1 bzw. Femp=137,871 (p=0,000) für G2 sind beide Modelle hoch signifikant. Es ist nun eine interessante Frage, ob sich erneut ein Priming-Effekt der Plakatkampagne auf die Gesamtbewertung Merkels (in der themenhomogenen G1) zeigt. Nachdem sich in W3 angedeutet hat, dass eine hohe Kontaktintensität die Barriere fehlender Kongruenz möglicherweise durchbrechen kann, könnte nun vermutet werden, dass, ist die ‘Anwendungsschwelle’ einmal überschritten, eine Aktivierung des Themas auch bei geringerem Kontaktniveau gelingen könnte. Ursache könnte ein Heritage-Effekt sein: Die Re-Aktivierung der Kommunikation durch wiederholten Kontakt mit der integrierten Kampagne könnte möglicherweise eine Anknüpfung an die vorhergehende, intensive Konfrontation leisten – und darüber möglicherweise auch den Priming-Effekt bei geringerem Kontaktniveau reaktivieren. Betrachtet man das Ergebnis der Regressionsanalysen, zeigt sich klar, dass dies nicht der Fall war: Der Faktor ‘Eine gute Familienpolitik’ gewinnt im Regressionsmodell bei Exposition mit dem themenhomogenen sowie auch dem themenheterogenen moderaten Treatment nicht an Einfluss. Stattdessen zeigt sich der Faktor ‘Arbeitsplätze sichern und neue schaffen’ für beide Gruppen als relevant (G1: b=0,513; p=0,000; G2: b=0,282; p=0,008). Auf Basis der Daten für G1 ergibt die Regression außerdem eine Signifikanz der Regressoren ‘Eine verlässliche Außenpolitik betreiben’ (b=0,311; p=0,000) sowie ‘Den Umwelt- und Klimaschutz vorantreiben’ (b=0,257; p=0,000). Für die Schätzung der Gesamtkompetenz in G2 sind außerdem bedeutsam ‘Die Wirtschaft in Deutschland voranbringen’ (b=0,431; p=0,000) sowie ‘Für soziale Gerechtigkeit sorgen’ (b=0,293; p=0,001). Die Modelle liefern ein Bestimmtheitsmaß von R²=0,805 (R²korr=0,798) für G1 sowie R²=0,816 bzw. R²korr=0,810 für G2. Mit einem F-Wert von Femp= 129,033 (p = 0,000) für G1 bzw. Fem=137,443 (p =0,000) für G2 sind beide Modelle hoch signifikant. Die präsentierten Befunde werden in Tabelle 36 noch einmal im Überblick zusammengestellt: Zu sehen sind die einzelnen Regressionsgleichungen für G1 und G2, die auf Basis der Daten der jeweiligen Messungen ermittelt wurden. Dieser Überblick verdeutlicht noch einmal, dass ein Priming-Effekt des Themas Familienpolitik bzw. der dem Thema entsprechenden Kompetenz ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ sich für Merkel tatsächlich in weitaus geringerem Maße zeigt, als dies bei Steinmeier der Fall war (vgl. Tab. 1 und 2 in Anhang 7).
Applikatives Framing und Relatives Priming
Regressionsgerade W2M1
Gruppe 1 (N = 98) 0,28 · Zukunft + 0,31 · Außen + 0,27 · Versorgung + 0,63
335 Gruppe 2 (N = 97) 0,39 · Zukunft + 0,38 · Arbeit + 0, 21 · Steuer + 0,41 0,25 · Zukunft + 0,28 · Arbeit + 0,28 · Versorgung + 0,42 · SozGer - 0,30 · Kriminalität + 0,59
W2M2
0,43 · Zukunft + 0,33 · Versorgung + 0,24 · Außen + 0,41
W3M1
0,20 · Zukunft + 0,36 · Versorgung + 0,47 · Außen + 0,76
0,26 · Zukunft + 0,34 · SozGer + 0,32 · Bildung + 0,69
W3M2
0,32 · Arbeit + 0,48 · Familie + 0,33 · Außen + 0,04
0,55 · Zukunft + 0,33 · Finanzen + 0,19 · Umwelt + 0,19
W4M1
0,40 · Zukunft + 0,25 · SozGer + 0, 29 · Außen + 0,55
0,29 · Zukunft + 0,30 · SozGer + 0,40 · Wirtschaft + 0,32
W4M2
0,51 · Arbeit + 0,26 · Umwelt + 0,31 · Außen + 0,26
0,28 · Arbeit + 0,43 · Wirtschaft + 0,29 · SozGer + 0,41
Tabelle 36:
Übersicht der Regressionsgleichungen (Merkel) für W2, W3 und W4
Der Regressor ‘Familienpolitik’ spielt in den Regressionsmodellen für Merkel praktisch keine Rolle. Lediglich in der Nachher-Messung in W3, nach intensiver Kontaktquantität in der Präsenzphase, taucht das Thema als relevant auf. Das bedeutet: In G1, also in der Gruppe, die mit dem themenhomogenen Stimulus konfrontiert wurde, zeigt sich ein Priming-Effekt für den Kandidaten Steinmeier nach Stimulusexposition. Es zeigt sich hingegen ein weitaus geringerer bzw. kein Priming-Effekt für die Kandidatin Merkel. Die Hypothese, dass die positive Veränderung der Wichtigkeit eines durch integrierte (Bild-)Plakate kommunizierten Themas unter der Bedingung einer themenkongruenten (oder themeninkongruenten) visuellen Plakatkommunikation universell, und insofern analog zur Priming-Implikation der Medienberichterstattung, zu einem Anstieg der Bedeutung des Themas für die Bewertung der Gesamtkompetenz aller Kandidaten führt, kann damit nicht bestätigt werden. Dagegen kann die Idee, dass Themenwichtigkeit und verbundene Bewertungsmaßstäbe nicht als ‘absolut’, sondern als relative Kategorien zu interpretieren sind, vor diesem Hintergrund aufrecht erhalten werden.
336
Applikatives Framing und Relatives Priming
Konklusion der Relativen Priming-Wirkung Visueller Kommunikation
Über die positive Veränderung der Salienz eines durch integrierte (Bild-)Plakate kommunizierten Themas steigt, auch bei realitätsnaher, flüchtiger Rezeption, im Vorher-Nachher-Vergleich die Bedeutung des Themas für die Bewertung der Gesamtkompetenz eines dem salienten Referenzrahmen entsprechendem Objektes oder Kandidaten. Über die positive Veränderung der Salienz eines durch integrierte (Bild-)Plakate kommunizierten Themas steigt, auch bei realitätsnaher, flüchtiger Rezeption, im Vorher-Nachher-Vergleich die Bedeutung des Themas nicht in gleichem Maße für die Bewertung der Gesamtkompetenz eines dem salienten Referenzrahmen nicht entsprechendem Objektes oder Kandidaten. Die Kontaktintensität kann möglicherweise moderierend auf das relative Priming wirken und dessen ‘Relativität’ verringern: Es zeigen sich Indizien dafür, dass eine hohe Kontaktquantität die Barriere fehlender Kongruenz zwischen Referenzrahmen und Anwendungsobjekt überwinden kann. Gleichzeitig deutet sich an, dass eine geringe Kontaktqualität (z B. fehlende oder geringe Kongruenz innerhalb der Kommunikation) die Anwendung des primed Themas auf andere Referenzrahmen erleichtert (‘Spill-Over’). Ein systematischer, moderierender Einfluss der Parteiidentifikation auf die Priming-Wirkung der Kompetenz ‘Eine gute Familienpolitik betreiben’ konnte nicht festgestellt werden.
7 Vision that matters
7.1 Die Wirkungslogik Visueller Politischer Kommunikation In Kapitel 6 wurden die zentralen Ergebnisse des Forschungsprojekts präsentiert. Den Ausgangspunkt dieser empirischen Forschung bildete die Fragestellung, inwieweit sich Erkenntnisse zur Wirkung Visueller Kommunikation, insbesondere zum Bildüberlegenheitseffekt, auf die Politische Kommunikation übertragen lassen, für die traditionell eine starke Bedeutung individueller Prädispositionen angenommen wird. Um die damit verbundenen Fragestellungen systematisch untersuchen zu können, wurde der Fokus der empirischen Analysen auf das Wahlplakat gerichtet, das als typisches Medium Visueller Politischer Kommunikation interpretiert wurde. Im Zentrum der Betrachtung stand die Frage, inwieweit sich eine Funktions- und Wirkungslogik der Wahrnehmung und Wirkung von Wahlplakaten zeigt, inwieweit diese eine Abhängigkeit von ihrer Gestaltung und ihrem Inhalt aufweist und inwieweit individueller Merkmale der Betrachter diesen Funktions- und Wirkungsprozess modellieren können. Eine grundlegende Arbeitsthese lautete: Je größer die visuelle Prägnanz einer Botschaft, desto größer ist die Prägnanz der Botschaft für den Wahrnehmungsund Wirkungsprozess der Rezipienten. Im Ergebnis konnten die, mit dieser These einhergehenden Implikationen, in verschiedenen Dimensionen aufgezeigt werden. Insbesondere weisen die präsentierten Befunde aus, dass der Einsatz Visueller Kommunikation den Wahrnehmungs- und Wirkungsprozess politischer Inhalte auf mehreren Stufen deutlich positiv beeinflusst. Dabei verweisen die Befunde auf die Erkenntnis, dass die Funktions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation weitgehend unabhängig ist von individuellen Prädispositionen, hingegen weitgehend abhängig ist von den stimulusspezifischen Eigenheiten des Mediums. Insgesamt, so lässt sich resümieren, deuten die Ergebnisse der Wirkungslogik Visueller Politischer Kommunikation auf eine Bedeutung Visueller Kommunikation für den politischen Raum an, die nicht unterschätzt werden sollte. Damit ist jedoch noch nichts ausgesagt über die Frage nach einer wahlentscheidenden Wirkung Visueller Politischer Kommunikation. Diese kann im Rahmen des vorliegenden Forschungsprojekts auch nicht beantwortet werden. Als zu komplex stellen sich hier die wechselseitigen Bezüge dar, die letztlich eine Wahlentscheidung bedingen. Doch gerade im Kontext des sich verändernden, sich ausdifferenzierenden Wählerverhaltens zeigt sich: „Wo die langfristige Bindung an eine Partei fehlt und die Beteiligung an der Wahl weniger selbstverständlich geworden ist, kann die S. Geise, Vision that matters, DOI 10.1007/978-3-531-92736-7_7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Die Wirkungslogik Visueller Politischer Kommunikation
Wahlkampagne etwas bewirken“ (Holtz-Bacha 1999: 11), möglicherweise „sogar Wahlen entscheiden“ (vgl. Sarcinelli 2005: 205). Folgt man den hier präsentierten empirischen Befunden, ergeben sich einige Implikationen für die Einschätzung Visueller Politischer Kommunikation im Allgemeinen, wie auch für die Einschätzung des Mediums Wahlplakat im Besonderen. Dies gilt vor allem, da die Erweiterung der Testreihe II Wirkungen aufgezeigt hat, die über eine unmittelbare Wahrnehmungswirkung ‘Stimulus – Wahrnehmung’ hinausgehen. Konkret konnte durch die präsentierten Ergebnisse zunächst gezeigt werden, dass Visuelle Kommunikation die unmittelbare Rezeption politischer Inhalte in verschiedenen Wirkungsdimensionen deutlich positiv beeinflusst. Im weiteren Verlauf konnte allerdings ebenso gezeigt werden, dass die Wirkungen Visueller Kommunikation nicht ‘hochgradig flüchtig’ sind, sondern sich mittel- und längerfristig auf die Bewertung von Themen sowie auf die Gewichtung dieser Themen für Bewertungen von politischen Akteuren niederschlagen. Die Visuelle Kommunikation durch das Wahlplakat, so das Fazit, wirkt sich positiv auf den unmittelbaren Wahrnehmungsprozess aus, aber auch auf die nachfolgenden Verarbeitungsstufen. Wahlplakate können unter bestimmten Bedingungen eine Agenda-Setting- und auch eine Priming-Funktion ausüben. Interessanterweise konnte in diesem Zusammenhang erarbeitet werden, dass gerade der Priming-Effekt jedoch nicht ‘universeller’ Natur ist, sondern in Abhängigkeit der kommunizierten Frames zu sehen ist, die mit der inhaltlichen Botschaft verfügbar gemacht werden. Für die Praxis des Politischen Kommunikationsmanagements ist die Implikation eines Priming-Effekts natürlich ‘glücklicherweise’ relativ. Ansonsten würde jede prägnante Politische Kommunikation das Risiko implizieren, auf den politischen Gegner einzuzahlen. Die Ergebnisse weisen stattdessen in eine andere Richtung: Sie zeigen an, dass Visuelle Politische (Plakat-)Kommunikation strategisch eingesetzt werden kann, um Themen zu lancieren und zu forcieren. Hier knüpfen die Befunde an die Ergebnisse der klassischen Agenda-Setting-Forschung an, spezifizieren diese jedoch für das Medium der Wahlwerbung. So konnte gezeigt werden, dass Wahlplakate in der Lage sind, Themen zu setzen. Spannender ist aber vielleicht noch die Erkenntnis, dass Wahlplakate darüber hinaus auch in der Lage sind, Themen zu besetzen – und damit die Anwendung der kommunizierten Themen oder darüber aktualisierten Kompetenzen auf den eigenen Kandidaten oder die Partei zu forcieren. Dies ist allerdings nur bedingt möglich für Themen, die bereits von anderen Parteien ‘besetzt’ sind. Ebenso ist fraglich, ob ein relatives Priming wirkt, wenn die klassische Medienberichterstattung die zu übermittelnden Themen gerade in ihrem gesamtgesellschaftlich-relevanten Frame übermittelt, denn diese Themen und Bewertungsmaßstäbe rekurrieren auf die gesamtgesellschaftliche Ebene und gewinnen somit für alle politischen Akteure gleichermaßen an Bedeutung. Als strategische Erkenntnis ist daraus abzuleiten: Politischer Akteure sollten ihr Kommunikationsmanagement stärker als bislang medienübergreifend synchronisieren. In Übereinstimmung mit den Überlegungen
Vision that matters
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zur Integrierten Kommunikation sollten klassische Public Relations und Kampagnenkommunikation eng verzahnt werden, um die Besetzung relevanter Themen und Bewertungen über Agenda-Setting, Priming und Relatives Priming zu forcieren. Für das Politische Kommunikationsmanagement, auch das lässt sich aus den Befunden ableiten, ergibt sich die Zielvorgabe, der politischen Botschaft durch den Einsatz Visueller Kommunikation eine höhere Prägnanz zu verleihen, nicht zuletzt, um die originären Funktion Politischer Kommunikation im Medienzeitalter sicherzustellen. Denn dort, wo die erfolgreiche Informationsvermittlung zu einem kommunikativen Risiko wird, wo Politik aber weiterhin fundamental auf Vermittlung angewiesen ist, der öffentlichen „Darstellung, Begründung und Rechtfertigung“, der „Legitimation durch Kommunikation“ bedarf (Sarcinelli 1998c: 148), stoßen die bisherigen Strategien an ihre Grenzen. Der Paradigmenwechsel in der politischen Kultur sollte hierbei das Wirkungspotential Visueller Kommunikation integrieren, anstatt es aus demokratietheoretischen, normativen Überlegungen zu verurteilen. Die hier präsentierten Ergebnisse liefern einige Hinweise dafür, dass Visuelle Kommunikation einen Beitrag leisten kann, die Krise kommunikativer Repräsentation im politischen Raum zu überwinden. 7.2 Vision that matters Um die zentralen Ergebnisse zusammenzufassen und am Ende systematisch zu reflektieren, welchen Beitrag das Forschungsprojekt für das Verständnis der Funktions- und Wirkungslogik Visueller Politischer Kommunikation am Beispiel des Wahlplakats geleistet hat, ist es hilfreich, die Befunde noch einmal entlang der skizzierten bzw. operationalisierten Phasenmodells der Funktions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation zusammenzufassen (vgl. Abb. 42). Das Phasenmodell (vgl. Geise 2011; Geise/Brettschneider 2010) wurde eingeführt, um eine schematische Vorstellung von den einzelnen Wirkungsstufen zu vermitteln, die die Visuelle Kommunikation in ihrer Funktions- und Wirkungsweise ‘passiert’. Als analytisches Raster erfüllte die Prozesskette im Forschungsprojekt den Zweck, Orientierung in dem komplexen und hoch vernetzten Funktions- und Wirkungsgeflecht Visueller Kommunikation zu bieten. Gleichzeitig konnten die einzelnen Stufen als notwendige Operationalisierungen betrachtet werden, entlang derer das Forschungsdesign gestaltet wurde. Um die damit verbundenen Fragestellungen empirisch zu untersuchen, wurde der Fokus der Analyse auf das Wahlplakat als spezifisches Medium Visueller Politischer Kommunikation gerichtet, das sich als ein prototypisches Untersuchungs- bzw. Anwendungsobjekt Visueller Politischer Kommunikation präsentierte. Am Beispiel des Wahlplakats konnte untersucht werden, wie sich die Visuelle Wahrnehmung in Abhängigkeit von ihrer Gestaltung und ihrem Inhalt und unter Berücksichtigung
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Vision that matters
individueller Merkmale der Betrachter strukturierte und welche Medienwirkungen mit Visueller Kommunikation einhergehen.
Abbildung 42:
Ein Phasenmodell der Funktions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation.
Um die unmittelbaren Wahrnehmungs- und Wirkungsprozesse methodisch erfassen zu können, wurde ein innovatives, mehrdimensionales Experimentaldesign gewählt und in zwei Testreihen realisiert. Die mit dieser Arbeitshypothese einhergehenden Annahmen wurden anhand der Darstellung und theoretischen Fundierung von sieben höchst relevanten Rezeptions- und Wirkungsstufen im Wahrnehmungsprozess spezifiziert: 1.) der pre-attentiven peripheren Wahrnehmung und Bewertung eines ‘ersten Eindrucks’, 2.) der Aufmerksamkeits- und Aktivierungsallokation eines Stimulus, ihrer Verstärkereffekte sowie die daraus folgende hierarchische Wahrnehmungssequenz und Moderation Visueller Wahrnehmungsmuster und Parameter von individuellen Rezipientenmerkmalen, 3.) der kognitiv reflektiert bewerteten Akzeptanz des Kommunikationsmittels, 4.) der Stärke der aktiven und passiven Memorizationsleistungen in Form von ungestützter Erinnerungswirksamkeit, Wiedererkennung und Zuordnungssicherheit, 5.) der kognitiven Medienwirkung einer Agenda-Setting-Funktion von Wahlplakaten sowie 6.) der damit verbundenen Priming-Wirkung und schließlich 7.) die moderierende Funktion eines über Visuelle Kommunikation vermittelten Referenzrahmens und dessen Applikation in Form eines Relativen Priming-Effektes.
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Für diese Rezeptions- und Wirkungsstufen wurden folgende Erkenntnisse gewonnen: 1.
Pre-attentive Prädisposition und ‘Erster Eindruck’
Die Besonderheiten visueller Kommunikation haben Auswirkungen auf die kurzfristige emotionale Einstimmung des Rezipienten beim ersten visuellen Kontakt. Bildplakate führten zu einer positiveren pre-attentiven Anmutung und werden im ‘ersten Eindruck’ durchgängig besser bewertet als Textplakate. Dieses Ergebnis ließ sich unter verschiedenen Bedingungen replizieren. Die pre-attentive Anmutung des Stimulus (Wahlplakats) im ersten Eindruck wurde positiver bewertet, je prägnanter positiv-konnotierte schemakongruente Motive, Farben und Formen in der Gestaltung eingesetzt wurden. Da die Phase der pre-attentiven Anmutung, bei erster, peripherer Reizaufnahme mit einer emotional-affektiven Einstimmung des Rezipienten auf die folgende Wahrnehmung einhergeht, nicht mit einer analytischkognitiven oder reflektierten Bewertung, ist die pre-attentive Wirkung Visueller (Politischer) Kommunikation weitgehend unabhängig von individuellen Rezipientenmerkmalen wie Parteiidentifikation, Bildungsgrad, politischem Interesse oder der Einstellung zum Medium. Die affektive Bewertung zeigte sich unabhängig von der Parteiidentifikation, unabhängig von dem politischen Interesse und unabhängig von dem Bildungsgrad der Rezipienten. Auch die individuelle Haltung der Rezipienten gegenüber dem Medium Wahlplakat nahm keinen Einfluss auf die affektive Bewertung in der Phase der pre-attentiven Anmutung. Wear-Out-Effekte bei einer Exposition mit einer integrierten, themen- und layoutkongruenten Kampagne konnten für die pre-attentive Wirkung nicht festgestellt werden. Auch bei einer Kumulation der pre-attentiven Eindrücke konnte kein Einfluss von individuellen Rezipientenmerkmalen festgestellt werden. 2.
Aufmerksamkeit, Aktivierung und hierarchische Wahrnehmungssequenz
Nach den Befunden der Eyetracking-Analysen beider Testreihen erhöht der Einsatz von Bildkommunikation die Aufmerksamkeits- und Aktivierungswirkungen eines Stimulus. Bildelemente werden nicht nur sehr viel schneller, sondern auch sehr viel intensiver betrachtet. Gleichzeitig deuten die Analysen darauf hin, dass von den individual-, stimulusspezifischen und situativen Faktoren, die den Blickverlauf steuern, vor allem den stimulusspezifischen Faktoren eine zentrale Bedeutung für den Rezeptionsprozess zukommt. Über alle Gruppen und Plakatmotive hinweg ließen sich ausgeprägte übergeordnete Muster im Blickverlauf erkennen. Der Blickverlauf gestaltet sich also eher als ein physiologisches, übergeordnetes Wahrnehmungsmuster, das insbesondere durch stimulusspezifische Faktoren modifiziert wird. Dabei zeigte sich, dass individuelle Merkmale wie Bildungsgrad, politisches Interesse,
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Vision that matters
Mediennutzungsintensität, Alter, Geschlecht, grundsätzliche Haltung zum Medium oder Parteiidentifikation keinen signifikanten Einfluss auf die visuellen Betrachtungsmuster als Ergebnis der Prozesse Visueller Wahrnehmung ausüben. Daneben wurde deutlich, dass einzelne individuelle Merkmale bei endogener Kontrolle Visueller Wahrnehmung einen signifikanten Einfluss auf die, die visuellen Betrachtungsmuster konstituierenden, Wahrnehmungs- bzw. Blickverlaufsparameter nehmen können. Insgesamt konnten die Analysen die Vermutung bestätigen, dass visuelle Wahrnehmungsparameter weitgehend independent von individuellen Rezipientenmerkmalen sind. 3.
Reflektierte Evaluation und Akzeptanz des Kommunikationsmittels
Bilder bzw. Bildplakate erzielten eine höhere Akzeptanzwirkung als Texte bzw. Textplakate, d.h. Bildplakate wurden von den Rezipienten in summa reflektiert besser bewertet als Typoplakate. Für die reflektierte Bewertung bzw. Akzeptanzwirkung konnte gezeigt werden, dass diese, analog zu den Befunden aus der preattentiven Wirkungsphase, positiver ausfällt, je prägnanter positiv-konnotierte schemakongruente Motive, Farben und Formen in der Gestaltung eingesetzt werden. Dabei stellte sich die reflektierte Bewertung bzw. Akzeptanzwirkung als unabhängig von der Parteiidentifikation, unabhängig von dem politischen Interesse und unabhängig von dem Bildungsgrad der Rezipienten dar. 4.
Aktive und passive Memorizationsleistungen – Erinnerungswirksamkeit, Wiedererkennung und Zuordnungssicherheit
Bildplakate wurden in weitaus höherem Maße ungestützt erinnert, sie wurden besser wieder erkannt, die mit ihnen kommunizierten Aussagen konnten mit einer höheren Zuordnungssicherheit dem Absender zugeordnet werden. Auch die These einer höheren Erinnerungswirksamkeit konnte belegt werden: Bildplakate führten zu einem höheren Erinnerungsniveau und einer höheren Erinnerungsqualität bei den Rezipienten. Dies konnte auch im Zeitverlauf gezeigt werden. 5.
Agenda-Setting
Die Wichtigkeit eines durch integrierte (Bild-) Plakate kommunizierten Themas stieg im Vorher-Nachher-Vergleich bei realitätsnaher, flüchtiger Rezeption unter der ‘Optimalbedingung’ einer themenkongruenten visuellen Plakatkommunikation an. Zudem stieg die Wichtigkeit eines durch integrierte (Bild-)Plakate kommunizierten Themas bei realitätsnaher, flüchtiger Rezeption auch unter der ‘Realitätsbedingung’ einer themeninkongruenten visuellen Plakatkommunikation. Hierbei konnte gezeigt werden, dass der Themensetzungseffekt der Wahlplakate bei realitätsnaher,
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flüchtiger Rezeption kurzfristiger Natur ist. Die durch Plakatkontakt gestiegene Wichtigkeit des Themas sank im Verlauf einer Woche wieder ab. Die AgendaSetting-Wirkungen waren unter verschiedenen Rezeptionsbedingungen replizierbar, eine erneute Kommunikation konnte die Themensetzung reaktivieren. Die Befunde lieferten zudem Hinweise darauf, dass die Konsistenz der subjektiv eingeschätzten Wichtigkeit eines durch integrierte (Bild-)Plakate kommunizierten Themas möglicherweise im Vorher-Nachher-Vergleich bei realitätsnaher, flüchtiger Rezeption visueller Plakatkommunikation ansteigt (Verstärkereffekt). Einflüsse der politischen Prädisposition der Rezipienten auf die Themensetzungswirkung der Wahlplakate wurden nicht festgestellt. 6.
Priming
Über die positive Veränderung der Wichtigkeit eines durch integrierte (Bild-) Plakate kommunizierten Themas stieg im Vorher-Nachher-Vergleich bei realitätsnaher, flüchtiger Rezeption einer themenkongruenten visuellen Plakatkommunikation die Bedeutung des Themas für die Bewertung der Gesamtkompetenz eines Kandidaten. Die Bedeutung stieg nicht an unter der Bedingung einer themeninkongruenten visuellen Plakatkommunikation. Daraus konnte gefolgert werden, dass, um Priming auszulösen, offenbar eine gewisse Kontaktintensität Voraussetzung ist, die in der Gruppe mit dem schwächeren Stimulus unterschritten wurde. Es zeigte sich zudem, dass der Priming-Effekt der Wahlplakate bei realitätsnaher, flüchtiger Rezeption kurzfristiger Natur war. Die durch Plakatkontakt gestiegene Bedeutung der ‘primed’ Kompetenz für die Gesamtbewertung des Kandidaten sank im Verlauf einer Woche wieder ab, konnte durch eine erneute Exposition aber reaktiviert werden. Es zeigte sich, dass die Priming-Wirkung Visueller Kommunikation unter verschiedenen Rezeptionsbedingungen replizierbar war. Ein systematischer, moderierender Einfluss der Parteiidentifikation auf die Priming-Wirkung konnte nicht festgestellt werden. 7.
Framing und Relatives Priming
Über die positive Veränderung der Salienz eines durch integrierte (Bild-)Plakate kommunizierten Themas stieg, auch bei realitätsnaher, flüchtiger Rezeption, im Vorher-Nachher-Vergleich die Bedeutung des Themas für die Bewertung der Gesamtkompetenz eines dem salienten Referenzrahmen entsprechendem Objektes oder Kandidaten. Jedoch stieg die Salienz eines durch integrierte (Bild-) Plakate kommunizierten Themas im Vorher-Nachher-Vergleich nicht in gleichem Maße für die Bewertung der Gesamtkompetenz eines dem salienten Referenzrahmen nicht entsprechendem Objektes oder Kandidaten. Zudem fanden sich Indizien dafür, dass die Kontaktintensität möglicherweise moderierend auf das relative Priming
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Reflektion und Perspektiven
wirken und dessen Relativität verringern kann. Gleichzeitig deutet die Befunde an, dass eine geringe Kontaktqualität (z B. fehlende oder geringe Kongruenz innerhalb der Kommunikation) die Anwendung des primed Themas auf andere Referenzrahmen erleichtert (Spill-Over). Ein systematischer, moderierender Einfluss der Parteiidentifikation auf die Priming-Wirkung konnte nicht festgestellt werden. 7.3 Reflektion und Perspektiven Kritische Würdigung und Empfehlungen für weiterführende Forschungsprojekte zu Visueller (Politischer) Kommunikation So wie sich der Ausgangspunkt als Set an theoretischen, methodischen und empirischen Forschungsfragen präsentierte, soll auch der Versuch einer Reflektion diese Perspektiven einnehmen und das präsentierte Forschungsprojekt kritisch hinterfragen. Hier soll die Reflektion allerdings nicht stehenbleiben, sondern zugleich in eine perspektivische Betrachtung münden, in der die zahlreichen offenen und über das Forschungsprojekt hinausweisenden Fragen skizziert werden. Insbesondere geschieht dies mit dem Wunsch, weitere Forschungsprojekte anzuregen. Erste Ansatzpunkte für eine kritische Auseinandersetzung bildet der stark interdisziplinäre theoretische Bezugsrahmen. Statt der Konzentration auf eine zentrale Theorie wurde ein breites Spektrum an Ansätzen, theoretischen Zugängen und Erkenntnissen vorgestellt, um dem Gegenstandsbereich der Visuellen Kommunikation gerecht zu werden. Diese Vorgehensweise war begründet: Ein interdisziplinärer Gegenstandsbereich bedarf im Rahmen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung einer ebenso interdisziplinären Herangehensweise. In diesen Kontext lässt sich vielleicht auch die persönliche Erfahrung einfügen, die eine nun etwa siebenjährige Beschäftigung mit dem Forschungsbereich der Visuellen Kommunikation einbringt. Während dieser Zeit fiel das Fehlen einer umfassenden interdisziplinären Bearbeitung des Themenbereichs vielfach als schwer verständlich auf, zumal zahlreiche Autoren zwar Ansätze benennen, diese aber nicht tiefer gehend ausführen. Auf Seiten der Studierenden wie der handelnden (politischen) Akteure existiert demgegenüber ein großes Interesse an einer ganzheitlichen Betrachtung von Visueller Kommunikation als Querschnittsfach. Damit soll nicht ausgesagt werden, dass das vorgestellte Forschungsprojekt eine solch ‘ganzheitliche Betrachtung’ des Themenbereichs liefert – vielleicht aber, dass es einen recht brauchbaren Ausgangspunkt darstellt, an dem vielfältige theoretische Ansätze synthetisiert werden, um Visuelle Kommunikation nachvollziehbar, erklärbar, empirisch-methodisch analysierbar und damit nicht zuletzt für die strategische Kommunikation nutzbar zu machen. Dabei wäre es vielleicht weniger möglich gewesen, dieses interdisziplinäre Herangehen zu vertreten, wenn dies nicht vor den Hintergrund einer interdisziplinären praktischen wie wissenschaftlichen Ausbildung getreten wäre. Ebenso wenig wäre das For-
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schungsprojekt in seiner Umsetzung möglich gewesen, wenn nicht während der Promotion durch zahlreiche Forschungsprojekte eine Konfrontation mit dem Gegenstands- und Analyseobjekt der Visuellen Politischen Kommunikation stattgefunden hätte, wenn sich die theoretischen Gedanken nicht an der Realität des strategischen Kommunikations-managements hätten messen lassen müssen. Insbesondere die Zusammenarbeit mit Coordt von Mannstein und Andreas Hahn hat mir hier wertvolle und wichtige Einblicke erlaubt. Denn neben aller Theorie zeigt die Praxis Visueller Politischer Kommunikation ganz deutlich, dass die Prozesse Visueller Kommunikation, der Interaktion der politischen Akteure und des Handelns der Wähler enorm vielschichtige Phänomene sind, die nicht mit eindimensionalen Ansätzen zu bewältigen sind. Von den hier gewonnenen Erfahrungen konnte der Versuch, die Funktions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation zu verstehen und empirisch zu ‘begreifen’, sicherlich nur profitieren. Im Rahmen des präsentierten Forschungsprojekts wurde daher insbesondere auch angestrebt, die jeweils für relevant erachteten Teildisziplinen zu einer Gesamtperspektive auf die Funktionsund Wirkungslogik Visueller Kommunikation und ihrer Anwendung im politischen Raum zu verbinden. Es bleibt zu hoffen, dass dies gelungen ist, auch im Hinblick auf eine intersubjektive Nachvollziehbarkeit, die facettenreiche Visuelle Kommunikation und ihre Anwendung im politischen Raum als das darzustellen, was sie ist: Ein sehr vielschichtiges, gerade deshalb aber so faszinierendes Forschungsgebiet, das von zunehmender aktueller Relevanz ist. Im Ergebnis kann die entworfene theoretische Perspektive jedoch weder umfassend noch abgeschlossen sein. Sicherlich lassen sich an vielen Stellen eklatante Unvollständigkeiten der theoretischen Basis feststellen. Die theoretische Erarbeitung des Gegenstandsbereichs Visueller Politischer Kommunikation kann keinesfalls als abgearbeitet gelten. Selbst dort, wo dem theoretischen Ansatz die Intention zugrunde lag, die interdisziplinären Zugänge, Theorien und Konstrukte für den Gegenstandsbereich Visueller Kommunikation nutzbar zu machen, lassen sich Lücken finden. Eine Betrachtungsperspektive, die in die Breite geht, die Funktionsund Wirkungslogik als ‘Ganzes’ begreifen will, muss die Tiefe der Betrachtung vernachlässigen. Diese Kritik erstreckt sich allerdings nicht nur auf die theoretische Fundierung des Forschungsprojekts, sie wird als ebenso berechtigt für die empirische Untersuchung der Funktions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation am Beispiel des Wahlplakats akzeptiert. Auch hier gilt: Wo der Versuch unternommen wird, eine Wirkungskette als Wahrnehmungs- und Wirkungsprozess zu modellieren, operativ abzubilden bzw. empirisch-analytisch zu erfassen, kann die Forschungsperspektive sich nicht in die einzelnen Schritte dieses Wahrnehmungs- und Wirkungsprozesses vertiefen. Es wäre wünschenswert, wenn diese Einschränkung des hier vorgestellten Forschungsprojekts dazu einladen würde, sich einzelne, hier nur im Überblick beschriebene Wirkungen oder modellierte Wirkungsstufen erneut herauszugreifen, um sie tiefergehend zu untersuchen, als es im Rahmen der hier
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präsentierten Studien möglich war. Eng mit dieser Feststellung ist verbunden, dass das Forschungsprojekt einige theoretische und Fragen unbeantwortet lässt, vor allem aber weitere Fragen aufwirft. Um einen produktiven Ausblick zu geben, sollen diese im folgenden Abschnitt systematisiert betrachtet werden. Eine kritische Betrachtung erfordert die gewählte methodische Umsetzung. Insbesondere sind einige kritischen Überlegungen hinsichtlich der gewählten Methodenkombination zu berücksichtigen. Hier ist herauszustellen, dass das gewählte experimentelle Setting mindestens zwei innovative, bisher wenig etablierte und in ihrem Einsatz wenig standardisierte Erhebungsmethoden integriert. Für den Forschungsprozess war dies nicht unproblematisch. So spannend Integration und Ergebnisse sind, so methodenkritisch sind sie zu sehen. Zwar haben sich die eingesetzten apparativen Erhebungsmethoden Eyetracking und RTR im Forschungsprozess bewährt, doch fehlt es weiterhin an einer operativen Systematik, insbesondere hinsichtlich der Datenanalyse. Bisher existieren wenige Vergleichsstudien, die RTR oder Eyetracking systematisch als einzelne wissenschaftliche Erhebungsinstrumente nutzen, Studien hingegen, die RTR und Eyetracking in ähnlichem Untersuchungskontext kombinieren, liegen bislang nicht vor. Für den Forschungs- und Analyseprozess bedeutet dies ganz praktisch, dass Vorerfahrungen, Ergebnisse und mögliche Fehlerquelle vorhergehender wissenschaftlicher Arbeiten nur in begrenztem Maße als Lern- und Inspirationsquellen zur Verfügung stehen. In der Konsequenz basiert ein Großteil der im Rahmen der Operationalisierung, Auswertung und Interpretation der Daten zu treffenden Entscheidungen auf eigenen Überlegungen und Erfahrungen mit den Erhebungsinstrumenten. Dies ist deshalb nicht unproblematisch, da sicherlich zahlreiche Optimierungspotentiale ungenutzt, sogar unentdeckt geblieben sind. Mit der gewählten Operationalisierung und Methodenkombination wurde versucht, eine übergeordnete, stimulusübergreifende Perspektive der Analyse Visueller Kommunikation einzunehmen. Praktisch wurde dies umgesetzt, indem die einzelnen konstitutiven Kommunikationselemente nicht qualitativ untersucht wurden, sondern auf Basis der Ermittlung übergreifender Areas of Interest quantitativ vergleichend. Dazu wurden exogene Strukturen ermittelt, die als ‘Formenrepertoire’ für Plakatgestaltungen angesehen werden konnten: Headline, Subline, Copy, Claim, Logo, Bildmotiv. Von Interesse war, welche hierarchische Wahrnehmungsstruktur sich im Vergleich Bild- vs. Textelemente ergibt. Diese Analyseperspektive war für die Beantwortung der vorliegenden Forschungsfragen angemessen. Sie vernachlässigt jedoch die inhärenten, plakatendogenen Strukturen. Ein Bildmotiv war für die vorliegende Analyse ein Bildmotiv, ganz gleich, ob dieses qualitativ gut oder schlecht, professionell oder amateurhaft gestaltet war, ob es gezeichnet oder fotografiert, komplex oder einfach aufgebaut war. Die inhaltliche Qualität, die innere Komplexität des Bildmotivs stand ebenso wenig im Zentrum dieser Analyseperspektive wie die Qualität von sprachlichen Formulierungen der Headlines oder der
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Ausdrucksstärke einzelner Parteienlogos. Dies soll nicht implizieren, dass diese Faktoren eine untergeordnete Rolle für die Funktions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation einnehmen. Nur standen eben diese Parameter nicht im Mittelpunkt der Frage, inwieweit sich grundsätzlich eine Überlegenheitswirkung Visueller Kommunikation im politischen Raum zeigen lässt. Im Ergebnis verweisen die präsentierten Befunde interessanterweise zurück auf eine qualitative Analyseperspektive. So gibt es eindeutige Belege dafür, dass Motive, die in ihren Charakteristika ‘visuelle Qualitätskriterien’ erfüllen, eine höhere Prägnanz im Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprozess erreichen. Zu diesen bildimmanenten Merkmalen zählen beispielsweise Schemakongruenz, Assoziationsreichtum, Klarheit, Kontrast, Emotionalität, positiv-konnotierte Farbigkeit sowie einen klarer Bildaufbau. Forschung, die die Wahrnehmungs- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation systematisch auf Basis einer derartigen qualitativen Analyseperspektive erweitert, könnte einen wichtigen Beitrag leisten, den Wirkungsprozess Visueller Kommunikation umfassender zu verstehen. Auch zu der Komplexität der gewählten Methodenkombination ist ein kritischer Einwand angemessen. Der zeitliche Aufbau, die inhaltliche Komposition des experimentellen Settings, die Auswahl und Erstellung des Stimulusmaterials, die Quotierung der Stichprobe – all das war schon für sich recht komplex. Hier bedeutete die zusätzliche Integration von verschiedenen, technologisch aufwendigen Messinstrumenten forschungspraktisch einen enorm hohen zusätzlichen finanziellen, technischen und personellen Aufwand. Auch, wenn es praktisch keine größeren Störungen oder Ausfälle gab, war das gewählte Methodendesign doch eigentlich sehr anfällig für technische oder organisatorische Störungen. Dieser Einwand soll nicht implizieren, dass von einer innovativen Methodenkombination abgeraten werden sollte, ganz im Gegenteil. Letztendlich erwies sich die über die mehrdimensionale Operationalisierung erreichte Datenbasis für die zugrunde liegenden Fragestellungen als höchst aussagekräftig. Was der Einwand vielmehr implizieren möchte, ist: Visuelle Kommunikation ist ein interdisziplinärer und facettenreicher Gegenstandsbereich und es ist eine Herausforderung, diesen Gegenstandsbereich in seinen Wirkungsstufen wissenschaftlich zu untersuchen. Doch kann und sollte diese Herausforderung auch angenommen werden, wenn weniger methodisch möglich ist. Auch ohne das außerordentliche Privileg eines zur Verfügung stehenden Eyetracking-Labors, auch ohne das Privileg einer finanziellen Forschungsförderung, lässt sich Visuelle Kommunikation erschließen, wenn klassische sozialwissenschaftliche Erhebungsmethoden kreativ kombiniert zum Einsatz kommen, wenn diese methodisch angemessen operationalisiert werden. Ebenso diskussionswürdig sind die empirischen Ergebnisse. Zunächst ist evident, dass die präsentierten Befunde einem experimentellen Setting entstammen. Hierbei ist zwingend festzustellen, dass die Ergebnisse der beiden Testreihen keine Repräsentativität im statistischen Sinn aufweisen, d.h. sie lassen keinen Repräsentations-
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schluss zu, weder auf die Gesamtbevölkerung noch auf alle Rezipienten, die die Wahlplakate insgesamt gesehen haben. Weder wurden die Teilnehmer nach dem Zufallsprinzip ausgewählt, noch ist ihre Gesamtzahl für einen statistisch zulässigen Rückschluss ausreichend. Für die Gesamtbevölkerung statistisch repräsentative Ergebnisse über die Rezeption oder Bewertung von Wahlplakaten müssen insofern über eine repräsentative Bevölkerungsumfrage ermittelt werden. Die Ergebnisse der vorliegenden Studien sollen durch diese Einräumung aber nicht in ihrer Aussagekraft oder Relevanz minimiert werden. Vielmehr weist die Erkenntnis zurück auf das Ziel bzw. die Forschungsfragen, die dem eingesetzten Untersuchungsdesign zugrunde liegen. Hierbei konzentrierte sich der Fokus des Forschungs- und Erkenntnisinteresses auf die Aufdeckung von unmittelbaren (individuellen) Wahrnehmungs-, Verarbeitungs- und Rezeptionsprozessen, um die damit verbundene Wirkung von visuellen (vs. textlichen) Informationen im politischen Kontext besser verstehen zu können. Die für diese Fragestellungen notwendigen Indikatoren, wie etwa der Blickverlauf, lassen sich hierbei nicht oder nur auf Umwegen über bzw. für eine repräsentative Umfrage operationalisieren. Insofern war das experimentelle Setting für die Beantwortung der Forschungsfragen angemessen. Insbesondere ermöglichte das Experimentaldesign, neben der apparativen Messung der Blickverläufe der Probanden, eine kontrollierte Stimulusexposition, so dass die jeweiligen Treatments als kausal für die ermittelten Wirkungen angesehen werden können. Dennoch bleibt bei einem experimentellen Setting ein zentraler Einwand bestehen: Es ist in weiteren Studien zu prüfen, inwieweit von einer externen Validität der Ergebnisse ausgegangen werden kann. Die theoretischen Befunde legen zwar nahe, dass sich der Prozess Visueller Wahrnehmung als übergeordnetes, physiologisches Muster strukturiert, doch wäre es methodisch und empirisch höchst spannend, ein ähnliches Methodendesign in einen Feldversuch zu transformieren. Weitere Kritikpunkte betreffen die gewählte Methodik der EyetrackingTechnologie und der Interpretationsoffenheit der gewonnen Daten. Nach wie vor ist die Interpretation von Blickbetrachtungszeiten und Blickverweildauern schwierig (vgl. Rötting 1999a: 8-9). Ist eine ausgedehnte Betrachtungszeit als ein Indikator für eine intensive Rezeption der Informationsquelle und damit positiv zu interpretieren? Oder verweist sie eher auf eine zu hohe Komplexität der Stimuli und wäre eher negativ zu verstehen als Behinderung einer Rezeption der angebotenen Informationen? Hier besteht nach wie vor systematischer Forschungsbedarf. Dies gilt insbesondere, da die Mehrheit der sich auf diese Fragestellung beziehenden theoretischen und empirischen Projekte nicht die Visuelle Wahrnehmung an sich, sondern spezifischer die Visuelle Wahrnehmung beim Leseverhalten untersucht. Hier gibt Duchowski (2007: 216) zurecht zu Bedenken: „Although [reading] patterns are easily recognized, no apparent strategies for scene viewing have been easily discerned. Contrary to reading, there appears to be no canonical scanpath for particular objects“ (vgl. Rayner 1998). Es ist hierbei höchst wahrscheinlich, dass die Rezep-
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tion von Bildinformationen aufgrund ihres divergenten Wahrnehmungs- und Verarbeitungsmodus mit anderen Parametern operiert. Es wären daher Forschungen wünschenswert, die die Betrachtungsdauern in ihrer Aussagekraft im Rahmen der Rezeption von Bildinformationen hinterfragen. Zudem lassen sich einige der zentralen Prämissen der Blickverlaufsparameter durchaus hinterfragen. Dies gilt beispielsweise für die eye-mind-assumption und die immediacy assumption. In der Mehrzahl der Operationalisierungen, so auch im vorliegenden Fall, wird bei der Dateninterpretation davon ausgegangen, dass die Fixations- bzw. Betrachtungsdauer als ein Indikator der kognitiven Verarbeitungsleistung zu interpretieren ist. Spezifischer noch wird präzisiert, dass die Dauer der fovealen Fixation der Dauer der kognitiven Verarbeitung entspricht (vgl. Rötting 1999: 8). Tatsächlich ist dies aber nicht immer eindeutig. So weisen einige empirische Befunde darauf hin, dass die Dauer der kognitiven Verarbeitung die Dauer der Fixation um einige Millisekunden unterschreiten kann (vgl. McConkie/Underwood/Zola/ Wolverton 1985). Hier ist darauf zu verweisen, dass zahlreiche Blickbewegungsimplikationen und daraus abgeleitete Parameter noch nicht vollständig erforscht bzw. endgültig fundiert sind. Diese Problematik gilt aber nicht nur für die einzelnen, zu operationalisierenden Indikatoren. Vielmehr stellt sich auch die Frage, wie sich das ‘Gesamtkonstrukt’ Blickverlauf überhaupt sinnvoll über Einzelindikatoren abbilden lässt und wie sich diese wiederum zu einer analytischen ‘Gesamtperspektive’ verbinden lassen können. Diese methodisch-analytische Frage ist bislang noch nicht befriedigend gelöst, auch wenn einige Ansätze hier wegweisend erscheinen (vgl. Feusner/Lukoff 2008: 43-46). Gegenwärtig jedoch kann noch kaum von einer etablierten oder standardisierten Auswertungsstrategie gesprochen werden, die die eindimensionalen Eyetracking-Daten in eine multidimensionale Analyseperspektive zurückführt. Problematisch erscheint auch die gängige Differenzierung von Wahrnehmung als entweder exogen oder endogen kontrollierter Prozess. Zwar bringt die Unterscheidung theoretisch-analytisch eine große Trennschärfe ein. Unklar bleibt allerdings nach wie vor, welche Wechselwirkungen bzw. Linearitäten hier bestehen. Wo beginnt die endogene Steuerung? Wo endet die exogene? Die Komplexität der Visuellen Wahrnehmung impliziert, dass hier wohl kaum davon auszugehen ist, dass Wahrnehmung ‘binär codiert’ ist. Insbesondere ist nicht plausibel, dass es entweder endogene oder exogene Kontrolle der Wahrnehmung gibt. Wenn aber von einer Interdependenz ausgegangen werden kann, was bedeutet dies dann für den Wahrnehmungs- und Wirkungsprozess? Was für seine empirische Analyse? Wie kann analytisch differenziert werden, um es konkret zu formulieren , welche ‘Teilelemente’ sich in einem Blickverlauf aufgrund stimulusbasierter Wahrnehmung konstituieren und welche aufgrund individueller Präferenzen? Möglicherweise hängt die fehlende Aufdeckung von endogener Kontrolle bzw. Einflüssen individueller Rezipientenmerkmale auch damit zusammen, dass, vor dem Hintergrund des hier skizzierten
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Problems, die bestehenden Messmethoden die Interdependenzen zwischen endogener und exogener Kontrolle schlicht nicht erfassen können. In engem Zusammenhang dazu steht, dass für das Forschungsprojekt zwar ein Phasenmodell der Funktions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation entworfen, theoretisch fundiert und zur empirischen Analyse einzelner Wirkungsstufen operationalisiert wurde, jedoch hierbei auch zentrale Fragen ungeklärt bleiben: Insbesondere legen die theoretischen Implikationen nahe, dass die Prozesse und Wirkungen in den einzelnen Phasen intervenieren. Prototypisch lässt sich dies bereits an der ersten Wirkungsstufe erkennen: Das Niveau der pre-attentiven Wahrnehmung führt zu einer Prädisposition des Rezipienten und wirkt damit auf die Wahrnehmung-, Verarbeitungs- und Wirkungsmechanismen, die auf den nachfolgenden Stufen liegen. Obwohl diese Interdependenzen höchst spannend sind und teilweise noch wenig beleuchtet, konnten die vielfältigen Wechselwirkungen bzw. Einflüsse im Rahmen des Forschungsprojekts nicht in den Mittelpunkt der Analyse gerückt werden. Hier sollten sich weitere Forschungsprojekte anschließen und die Wirkung einer Stufe im Phasenmodell der Funktions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation auf die nachfolgende(n) untersuchen. Denn gerade in der enormen Komplexität und Interdependenz der Funktions- und Wirkungslogik wird der spezifische Modus Visueller Kommunikation deutlich. Ein wichtiger Diskussionspunkt betrifft einige der zentralen Ergebnisse der präsentierten Studien. Die Befunde zur Visuellen Wahrnehmung legen nahe, von einer weitgehenden Independenz Visueller Wahrnehmung auszugehen. So konnten, bis auf wenige Ausnahmen, keine signifikanten Einflüsse individueller Rezipientenmerkmale festgestellt werden. Stattdessen zeigte sich die unmittelbare Visuelle Wahrnehmung der Rezipienten als weitgehend intersubjektiv bzw. stimulusbasiert strukturiert. Gerade aus politik- und kommunikationswissenschaftlicher Perspektive ist dieses Ergebnis überraschend, wird hier doch traditionell von einer starken Bedeutung individueller Prädispositionen ausgegangen. Aus interdisziplinärer Perspektive hingegen, mit Blick auf die spezifische Funktions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation, entsprechen die präsentierten Ergebnisse in weiten Teilen den theoretischen Implikationen. Dennoch ist das Ergebnis diskussionswürdig. Die Probanden wurden in einer Laborumgebung mit den zu testenden Stimuli unmittelbar konfrontiert. Für den Wahrnehmungs- und Rezeptionsprozess geht dieser ‘erzwungene’ Kontakt mit einer ‘erzwungenen’ Expositionszeit von etwa drei Sekunden mit der Konsequenz einher, dass die Möglichkeit einer selektiven Wahrnehmung des Stimulus weitgehend ausgeschaltet war. Folgt man diesem Gedanken, liegt nahe, die fehlenden Wirkungen einer selektiven Wahrnehmung nicht nur auf den Kontakt mit dem Medium an sich, sondern auch auf den Kontakt mit den einzelnen über das Medium angebotenen Informationen zu transferieren. Wäre diese Annahme zutreffend, könnte gerade darin eine plausible Erklärung für das Fehlen individueller Einflüsse liegen. Möglicherweise würden sich individuelle Ein-
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flüsse der Rezipienten deutlicher abbilden, wenn das experimentelle Setting insofern modifiziert würde, dass es die Probanden stärker zu einem aktiven Rezipieren der angebotenen Inhalte bzw. Stimuli aufforderte. Denkbar wäre hier beispielsweise, zwei oder mehr Plakatmotive auf dem Eyetracking-Monitor nebeneinander anzubieten, um hier eine Selektionsentscheidung zu ermöglichen. Ebenso wäre es technisch ohne Probleme möglich, die Rezeptionszeit der jeweils angebotenen Informationen durch die Probanden eigenständig bestimmen zu lassen. Auch diese Modifikation könnte für die empirische Frage nach der, auch unter verschiedenen Selektionsangeboten replizierbaren Independenz Visueller Wahrnehmung, aufschlussreich sein. Spannend wäre darüber hinaus, visuelle Inhalte im Rahmen einer aktiven Beschäftigung mit einem ‘Selektionsmedium’ anzubieten und hierbei den Blickverlauf aufzuzeichnen. Hierfür könnten Web-Usability-Ansätze einige Inspiration liefern. Des Weiteren wäre zu überlegen, inwieweit sich eine Rezeption Visueller Politischer Inhalte auch in einem Feldversuch apparativ erfassen lässt. Methodisch ist die Eyetracking-Technologie sicherlich noch nicht an ihre Grenzen gestoßen. Dass das experimentelle Setting auf einer künstlich geschaffenen Laborsituation basiert, bleibt für die Interpretation der empirischen Ergebnisse auch noch aus einem anderen Grund zu berücksichtigen. Wahlplakate werden üblicherweise nicht an einem Monitor bzw. einem Eyetracker betrachtet, sondern in einer hektischen Alltagsumgebung. Die Rezeptionssituation in der durchgeführten Studie weicht also von der üblichen Rezeptionssituation beim Betrachten von Wahlplakaten am Straßenrand ab. Zunächst fällt hierbei auf, dass die Wahrnehmung in der üblichen Betrachtungssituation wahrscheinlich in weitaus größerem Maße durch äußere Einflüsse gestört wird, als dies in der Laborsituation der Fall war. Doch minimiert dies keinesfalls die zentralen Befunde des Forschungsprojekts, dass nämlich die visuelle Beschaffenheit des Mediums ein entscheidender Einflussfaktor auf die grundsätzliche Möglichkeit ist, eine wie auch immer intendierte Medienwirkung zu erreichen. Im Gegenteil, in einer hektischen Alltagssituation müssten die strategischen Implikationen eigentlich in noch stärkerem Maße gelten. In diesem Zusammenhang wird oft auch hinterfragt, ob Plakate überhaupt sinnvoll an einem Eyetracking-Monitor getestet werden können. Auf den ersten Blick besitzt dieser Einwand durchaus Plausibilität. Allerdings kann die Frage aus wahrnehmungspsychologischer Sicht ebenso plausibel bejaht werden. Denn für die Anatomie des menschlichen Auges ist das entscheidende Kriterium der Wahrnehmungsstrukturen das Bild, das auf der Netzhaut generiert wird (vgl. Scheier 2005: 276). Und dieses ist, solange der normale Abstand von etwa 50 Zentimeter vom Bildschirm eingehalten wird, identisch zu dem Netzhautbild, das ein weit entferntes, dafür allerdings auch weitaus größeres Plakatmotiv in realiter erzeugen würde. Selbstverständlich lässt sich auch weiterhin einwenden, dass die externe Realität eines Plakatumfelds von enormer Komplexität gekennzeichnet ist, dies gilt umso mehr in der heißen Phase des Wahlkampfs, und selbstverständlich kann eine virtuel-
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le Darstellung an einem Monitor lediglich als Annäherung an die Realität begriffen werden. Doch lässt sich hier mit gutem Gewissen, und nicht zuletzt durch die vorliegenden Ergebnisse empirisch fundiert, die These formulieren: Ein Plakatmotiv, das nicht das Wirkungspotential besitzt, sich in einem experimentellen Setting am Monitor durchzusetzen, wird das notwendige Wirkungspotential in der Realität erst recht nicht entfalten können. Abschließend lässt sich erkennen, dass die Ergebnisse der präsentierten Untersuchungen zahlreiche weiterführende Fragen aufwerfen. Insbesondere führt die Erkenntnis, dass Visuelle Kommunikation auch für den politischen Raum höchst bedeutsam ist, auch ganz grundsätzlich zu der Frage, ob Bilder nicht stärker für die Politikvermittlung genutzt werden sollten. Ihre Vorteile gegenüber textlich vermittelten Botschaften sind im Wahrnehmungs- und Wirkungsprozess jedenfalls unverkennbar. 7.4 Epilog: Ein utopisches Projekt Am Anfang dieses Forschungsprojekts standen: ein Set an Arbeitshypothesen, ein Set an theoretischen, methodischen und empirischen Forschungsfragen, ein schematisch skizziertes Wirkungsmodell einer möglichen Funktions- und Wirkungslogik – und: die Neugier, aus all dem etwas über das Phänomen der faszinierenden Visuellen Kommunikation zu lernen. Bei all dem hatte das vorliegende Forschungsprojekt zum Ziel, das Forschungsgebiet der Visuellen Politischen Kommunikation am Beispiel des Wahlplakats zu untersuchen. Von Beginn an stand allerdings nicht das Wahlplakat als Medium der Politischen Kommunikation im Zentrum des Forschungsinteresses, nicht einmal die Politische Kommunikation, – sondern das Visuelle an sich. Es war und ist die Faszination am Gegenstandsbereich der Visuellen Kommunikation als ein eigenständiger, spezifischer Kommunikations- und Wirkungsmodus, die das vorliegende Projekt letztlich initiiert und motiviert hat. Von Beginn an stand damit der Wunsch, diesen spezifischen Kommunikationsmodus in seiner Funktions- und Wirkungslogik zu verstehen, zu analysieren und ihn mit diesem Wissen anwendbarer zu machen, im Zentrum der Forschungen. In einer interdisziplinären theoretischen Perspektive, mit einem innovativen Set an Methoden, Operationalisierungen und Analysen wurde auf verschiedenen Ebenen versucht, der inneren Logik Visueller Kommunikation und ihren Wirkungen ‘auf die Spur’ zu kommen. Doch bereits hier entpuppt sich die ursprüngliche Intention des Forschungsvorhabens als ein utopisches Projekt: Wer sich auch nur im Ansatz mit der Komplexität Visueller Kommunikation beschäftigt hat, weiß, dass ein Projekt mit diesem Anspruch scheitern muss. Doch wäre, aus naiver Perspektive, wissenschaftlicher Fortschritt ohne gelegentliche Utopien kaum möglich. Aus dieser Perspektive wurde mit dem präsentierten Forschungsprojekt – in gewisser Weise ‘trotzdem’ – der
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Versuch unternommen, die Funktions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation zu untersuchen. Dass es dabei zwangsläufig zu Kompromissen kommen muss, ist selbsterklärend. So lassen sich, besser natürlich im Rückblick, zahlreiche Punkte kritisch betrachten. Einige davon wurden angesprochen, andere sind sicherlich noch anzusprechen. Allerdings, auch das entspricht der naiven Forscherperspektive: Ebenso wie ohne Unvernunft und Utopie ist wissenschaftlicher Fortschritt auch nicht ohne Fehler und Reflektion möglich. So stehen am Ende dieses Forschungsprojekts: ein Set an weiteren Arbeitshypothesen, ein Set an weiteren theoretischen, methodischen und empirischen Forschungsfragen, ein etwas weniger schematisch skizziertes Wirkungsmodell der Funktions- und Wirkungslogik Visueller Kommunikation – und: die Erkenntnis, dass das Visuelle im politischen Raum bedeutsam ist. Vision that matters – so könnte man das Fazit des vorliegenden Forschungsprojekts in Anlehnung an die berühmte Studie von Iyengar und Kinder (1987) formulieren.
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Anhang Anhangsnummer Anhang 01
Anhang 01 – Tabelle 1 Anhang 01 – Tabelle 2 Anhang 01 – Tabelle 3 Anhang 01 – Tabelle 4 Anhang 01 – Tabelle 5 Anhang 02
Anhang 02 – Tabelle 1 Anhang 02 – Tabelle 2 Anhang 02 – Tabelle 3 Anhang 02 – Tabelle 4 Anhang 02 – Tabelle 5 Anhang 02 – Tabelle 6 Anhang 02 – Tabelle 7 Anhang 02 – Tabelle 8 Anhang 03
Anhang 03 – Tabelle 1 Anhang 03 – Tabelle 2 Anhang 03 – Tabelle 3 Anhang 03 – Tabelle 4 Anhang 03 – Tabelle 5 Anhang 03 – Tabelle 6 Anhang 03 – Tabelle 7
Beschreibung ANOVA für Ersteindruck in der RTRMessung bezüglich Parteiidentifikation (PI), Bildung (B) und Politischem Interesse (PolInt) in Welle 1 und 3 für Gruppen 1 und 2 ANOVA für Ersteindruck in T1 (G1 und G2) ANOVA für Ersteindruck in T2 für W1-G1 ANOVA für Ersteindruck in T2 für W1-G2 ANOVA für Ersteindruck in T2 für W3-G1 ANOVA für Ersteindruck in T2 für W3-G1 MANOVA Einfluss der individuellen Variablen auf die Betrachtungsdauer einzelner Areas of Interest Einfluss der Variable Politisches Interesse Einfluss der Variable Bildung Einfluss der Variable Alter Einfluss der Variable Geschlecht Einfluss der Zwei Meinungen über Wahlplakate Einfluss der Variable Mediennutzung TV Einfluss der Variable Mediennutzung Zeitung Einfluss der Variable Parteiidentifikation/ Kongruenz Zusammenhang individueller Rezipientenmerkmale mit der Time to first Fixation einzelner Areas of Interest Korrelation der Variable Politisches Interesse Korrelation der Variable Bildung Korrelation der Variable Alter Korrelation der Variable Geschlecht Korrelation der Zwei Meinungen über Wahlplakate Korrelation der Variable Mediennutzung TV Korrelation der Variable Mediennutzung Zeitung
S. Geise, Vision that matters, DOI 10.1007/978-3-531-92736-7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
Seite 393
393 395 396 398 399 401
401 401 402 402 403 403 404 404 405
405 405 405 406 406 406 406
392 Anhang 03 – Tabelle 8 Anhang 03 – Tabelle 9 Anhang 03 – Tabelle 10 Anhang 04
Anhang 04 – Tabelle 1 Anhang 04 – Tabelle 2 Anhang 04 – Tabelle 3 Anhang 04 – Tabelle 4 Anhang 05 – Tabelle 1
Anhang 06 – Tabelle 1
Anhang 07
Anhang 07 – Tabelle 1 Anhang 07 – Tabelle 2
Anhang
Korrelation der Variable Parteiidentifikation Korrelation der Variable PID nach Lager Korrelation der Variable PID nach Lager/Stärke ANOVA für Akzeptanz in der Fragebogen-gestützten Bewertung bezüglich Parteiidentifikation (PI), Bildung (B) und Politischem Interesse (Pol Int) in Welle 1 und 3 für Gruppen 1 und 2 ANOVA für Akzeptanz in W1 für G1 ANOVA für Akzeptanz in W1 für G2 ANOVA für Akzeptanz in W3 für G1 ANOVA für Akzeptanz in W3 für G2 Binäre logistische Regression zur Prüfung des statistischen Zusammenhangs von preattentiver Prädisposition und und postkommunikativer Evaluation (Akzeptanz) auf die Wiedererkennungsleistung Übersicht der Treatment-Effekte auf die Themenwichtigkeit Familienpolitik mittels Varianzanalyse mit Messwiederholung für die Wellen 2, 3, 4 und 2-4 Übersicht der Eingänge einzelner Regressionskoeffizienten in die Gesamtbewertung der Kandidatenkompetenz von Steinmeier und Merkel für Gruppe 1 und 2 in den Wellen 2, 3 und 4 Regressionskoeffizienten Steinmeier für Gruppen 1 und 2 Regressionskoeffizienten Merkel für Gruppen 1 und 2
407 407 407 408
408 410 411 412 413
414
415
415 416
393
Anhang
Anhang 1: ANOVA für Ersteindruck in der RTR-Messung: Einfluss der Variablen Parteiidentifikation (PI), Bildung (B) und Politischem Interesse (Pol Int) in Welle 1 und 2 für Gruppen 1 und 2 Tablle 1: ANOVA für Ersteindruck in der RTR-Messung: Einfluss der Variablen Parteiidentifikation (PI) auf die spontane, affektive Bewertung des Ersten Eindrucks (RTR) in Testreihe I
Rezipientenmerkmale Plakat (Arbeitstitel)
O/S
(M =)
(SD=)
(Signifikanz) PI
Grüne_Klimaschutz_Bild Grüne_Klimaschutz_Text SPD_Gerechtigkeit_ Bild SPD_Gerechtigkeit_ Text
O
7,77
1,92
0,106
S
6,18
1,83
0,372
O
5,16
2,56
0,995
S
5,20
2,01
0,879
SPD_Respekt_Bild
O
6,95
2,26
0,971
SPD_Respekt_Text
S
6,15
2,35
0,299
SPD_FamilieBeruf_ Bild SPD_FamilieBeruf_ Text CDU_ErfahrungNutz en_Bild CDU_ErfahrungNutz en_Text CDU_Arbeitsplaetze Sichern_Bild CDU_Arbeitsplaetze Sichern_Text CDU_Bildungschancen_Bild
O
6,80
2,17
0,258
S
5,02
2,01
0,714
O
5,76
2,44
0,001*
S
5,29
2,40
0,613
O
6,66
2,21
0,827
S
5,67
2,29
0,470
O
6,86
2,55
0,264
394
Anhang
Rezipientenmerkmale Plakat
O/S
(M =)
(SD=)
(Arbeitstitel) CDU_Bildungschancen_Text FDP_Einheitsschule_Bild FDP_Einheitsschule_Text FDP_HessenStaerker _Bild FDP_HessenStaerker _Text Linke_Armut Bekaempfen_ Bild Linke_Armut Bekaempfen_Text Linke_Leben Koennen_Bild Linke_Leben Koennen_Text Linke_Links Kommt_Bild Linke_Links Kommt_Text
(Signifikanz) PI
S
5,61
2,18
0,992
O
4,98
2,68
0,533
O
5,51
2,36
0,171
O
6,31
2,53
0,679
O
4,57
2,39
0,658
S
5,98
2,75
0,050
O
4,25
2,51
0,518
S
4,95
2,49
0,619
O
4,41
2,33
0,857
S
3,75
2,71
0,050
O
3,25
2,17
0,811
Grüne_Popcorn_Bild
O
5,57
2,59
0,121
Grüne_Popcorn_Text
S
5,84
2,21
0,836
Grüne_Kinderknast_Text Grüne_Kinderknast_Bild Grüne_Studiengebuehren_Bild Grüne_Studiengebuehren_Text
S
6,05
2,20
0,859
O
6,35
2,27
0,797
O
5,89
2,31
0,020*
S
6,25
2,06
0,440
395
Anhang
Tabelle 2: ANOVA für Ersteindruck in der RTR-Messung: Einfluss der Variablen Parteiidentifikation (PI), Bildung (B) und Politischem Interesse (PolInt) auf die spontane, affektive Bewertung des Ersten Eindrucks (RTR) in W1-G1
Rezipientenmerkmale Plakat (Arbeitstitel)
O/S
(M =)
(Signifikanz)
(SD=) PI
B
Pol Int
FDP_Einheitsschule_ Text Linke_ZukunftFuer Kinder_Text
O
4,86
2,77
0,253
0,252
0,020*
O
4,26
3,09
0,292
0,917
0,133
FDP_Steuerwehr_ Text CDU_SicherLeben_ Text Linke_Privatisierung Stoppen_Text CSU_FamilienUnsere Zukunft_Text SPD_Mindestlohn_ Text SPD_Respekt_Text
O
4,13
2,61
0,371
0,894
0,247
S
4,99
2,72
0,022*
0,476
0,387
O
3,28
2,58
0,905
0,357
0,416
S
5,30
2,69
0,677
0,574
0,494
S
3,58
2,24
0,844
0,376
0,831
O
5,69
2,63
0,620
0,400
0,771
Grene_NeueEnergiekultur_Text Gruene_Kinderknast_ Text SPD_Atomenergie_ Bild Gruene_ Studiengebuehren_Bild
S
5,78
2,61
0,363
0,358
0,803
S
5,86
2,64
0,069
0,608
0,282
O
4,13
3,00
0,970
0,060
0,755
O
5,08
2,53
0,904
0,730
0,385
396
Anhang
Rezipientenmerkmale Plakat (Arbeitstitel)
Linke_Armut Bekaempfen_Bild SPD_FamilieUnd Beruf_Bild Linke_Leben Koennen_Bild FDP_Hessen Staerker_Bild FDP_Landarzt_Bild CSU_Arbeitsplaetze SchaffenZukunft_Bild Grene_Genfood_Bild CDU_Bildungschancen_Bild
O/S
(M =)
(Signifikanz)
(SD=) PI
B
Pol Int
S
4,61
2,906
0,222
0,298
0,121
O
6,09
2,52
0,674
0,614
0,025*
S
3,93
2,56
0,630
0,775
0,386
O
6,11
2,80
0,253
0,541
0,058
S
5,35
2,66
0,391
0,925
0,095
O
5,32
2,76
0,318
0,521
0,103
O
6,31
2,95
0,200
0,461
0,411
O
6,85
2,25
0,192
0,065
0,075
Tabelle 3: ANOVA für Ersteindruck in der RTR-Messung: Einfluss der Variablen Parteiidentifikation (PI), Bildung (B) und Politischem Interesse (PolInt) auf die spontane, affektive Bewertung des Ersten Eindrucks (RTR) in W1-G2 Rezipientenmerkmale Plakat (Arbeitstitel)
O/S
(M =)
(Signifikanz)
(SD=) PI
B
Pol Int
FDP_Einheitschule_ Bild Linke_ZukunftFuer Kinder_Bild FDP_Steuerwehr_Bild
O
4,67
2,61
0,030*
0,228
0,774
S
5,30
2,92
0,295
0,051
0,417
S
5,65
2,48
0,805
0,269
0,648
CDU_SicherLeben_ Bild
O
5,84
2,55
0,625
0,461
0,382
397
Anhang
Rezipientenmerkmale Plakat (Arbeitstitel)
Linke_Privat. Stoppen_Bild CSU_FamilienUnsere Zukunft_Bild Gruene_ Kinderknast_Bild SPD_Mindestlohn_ Bild SPD_Respekt_Bild
O/S
(M =)
(Signifikanz)
(SD=) PI
B
Pol Int
S
4,39
2,73
0,108
0,924
0,049*
O
5,69
2,45
0,049*
0,481
0,032*
O
6,70
2,32
0,592
0,588
0,872
O
5,15
2,59
0,328
0,511
0,571
S
6,60
2,56
0,160
0,972
0,838
Gruene_ Neue Energiekultur_Bild SPD_Atomenergie_ Text Gruene_ Studiengebuehren_Text Linke_Armut Bekaempfen_Text SPD_FamilieUnd Beruf_Text Linke_Leben Koennen_Text FDP_Hessen Staerker_Text FDP_Landarzt_Text
O
6,51
2,26
0,340
0,309
0,737
S
4,03
2,39
0,501
0,534
0,479
S
5,83
2,21
0,333
0,126
0,324
O
5,21
2,85
0,030*
0,060
0,520
S
4,58
2,36
0,893
0,897
0,931
O
4,51
2,87
0,665
0,024*
0,876
O
4,03
2,59
0,034*
0,488
0,114
O
4,03
2,21
0,433
0,238
0,518
CDU_Arbeitsplaetze _Text Gruene_ Genfood _Text CDU_Bildungschancen_Text
S
5,25
2,58
0,512
0,377
0,206
S
5,67
2,45
0,717
0,982
0,138
S
5,12
2,60
0,177
0,934
0,413
398
Anhang
Tabelle 4: ANOVA für Ersteindruck in der RTR-Messung: Einfluss der Variablen Parteiidentifikation (PI), Bildung (B) und Politischem Interesse (PolInt) auf die spontane, affektive Bewertung des Ersten Eindrucks (RTR) in W3-G1 Rezipientenmerkmale
Plakat (Arbeitsti-
O/S
tel) SPD_Familie _Bild SPD_Freude _Bild SPD_Heimat _Bild SPD_Hoffnung_Bild SPD_Neugier_Bild SPD_Zukunft_Bild SPD_Zuversicht_Bild SPD_Vertrauen_Bild SPD_Sehnsucht_Bild SPD_ Träume_Bild SPD_Freiheit_Text SPD_Erfolg _Text SPD_Chance n_Text SPD_Leben_ Text SPD_Wuerd e_Text
(M =)
(Signifikanz)
(SD=) PI
B
PolInt
ZwM
S
7,00
1,89
0,612
0,340
0,772
0,205
S
6,65
2,48
0,915
0,633
0,952
0,738
S
6,22
2,46
0,415
0,181
0,955
0,148
S
6,50
2,58
0,432
0,210
0,885
0,735
S
6,31
2,56
0,946
0,692
0,677
0,988
S
6,15
2,61
0,014*
0,194
0,855
0,464
S
6,84
2,20
0,477
0,157
0,809
0,855
S
6,64
2,55
0,854
0,431
0,448
0,471
S
5,51
2,32
0,274
0,418
0,732
0,866
S
6,22
2,51
0,015*
0,118
0,403
0,704
S
5,88
2,56
0,331
0,231
0,315
0,208
S
5,67
2,54
0,114
0,094
0,380
0,286
S
5,78
2,53
0,104
0,133
0,145
0,049*
S
5,58
2,48
0,264
0,621
0,695
0,853
S
6,11
2,38
0,213
0,142
0,074
0,053
399
Anhang
Rezipientenmerkmale
Plakat (Arbeitsti-
O/S
tel) SPD_Liebe_ Text SPD_Waerme_Text SPD_Vielfalt _Text SPD_ Respekt_Text SPD_Toleranz_Text
(M =)
(Signifikanz)
(SD=) PI
B
Pol Int
ZwM
S
5,76
2,78
0,472
0,853
0,836
0,938
S
5,67
2,62
0,045*
0,109
0,084
0,698
S
5,44
2,34
0,037*
0,118
0,245
0,579
S
5,84
2,68
0,108
0,564
0,049*
0,030*
S
5,93
2,61
0,325
0,202
0,298
0,065
Tabelle 5: ANOVA für Ersteindruck in der RTR-Messung: Einfluss der Variablen Parteiidentifikation (PI), Bildung (B) und Politischem Interesse (PolInt) auf die spontane, affektive Bewertung des Ersten Eindrucks (RTR) in W3-G2 Rezipientenmerkmale
Plakat (Arbeits-
O/S
(M =)
titel) SPD_Hoffnung_Text SPD_Neugier_Text SPD_Familie _Text SPD_Zuversicht_ Text SPD_Heimat _Text
(Signifikanz)
(SD=) PI
B
Pol Int
ZwM
S
6,88
2,12
0,129
0,606
0,218
0,688
S
6,81
2,34
0,914
0,381
0,527
0,278
S
6,78
2,09
0,752
0,377
0,339
0,092
S
6,93
2,01
0,534
0,237
0,229
0,520
S
6,10
2,22
0,271
0,057
0,951
0,828
400
Anhang
Rezipientenmerkmale
Plakat (Arbeits-
O/S
(M =)
titel) SPD_Genfood_Bild CDU_Arbeit splaetze_Bild GRUENE_ Schule_Bild Grüne_ Popcorn_ Bild FDP_Mitte_ Bild SPD_Liebe_ Text SPD_Freiheit_Bild SPD_Toleranz_Bild SPD_Vielfalt _Text SPD_Chance _Bild CDU_Sicher heit_Text CDU_Bildung _Text GRUENE_ Klimaschutz _Text LINKE_ LebenKoennen_Text FDP_ Schuldenabbau_Text
(Signifikanz)
(SD=) PI
B
Pol
Zw
Int
M
O
5,54
2,80
0,827
0,963
0,239
0,852
O
5,53
2,50
0,006*
0,638
0,895
0,622
O
6,17
2,44
0,163
0,693
0,915
0,732
O
5,42
2,78
0,225
0,902
0,490
0,039*
O
4,23
2,30
0,007*
0,993
0,433
0,468
S
5,90
2,19
0,881
0,339
0,165
0,748
S
5,24
2,37
0,602
0,019*
0,895
0,671
S
5,59
2,48
0,694
0,087
0,783
0,671
O
5,05
2,57
0,274
0,107
0,614
0,619
S
5,18
2,09
0,340
0,227
0,866
0,222
O
4,31
2,34
0,004*
0,517
0,163
0,408
O
4,96
2,07
0,001*
0,556
0,510
0,972
O
5,91
2,31
0,375
0,506
0,679
0,264
O
4,14
2,64
0,471
0,171
0,300
0,093
O
4,83
2,54
0,001*
0,249
0,461
0,447
401
Anhang
Anhang 2: MANOVA Einfluss individueller Rezipientenmerkmale auf die Betrachtungsdauer (Observation Length) einzelner Areas of Interest Tabelle 1: Einfluss der Variable Politisches Interesse auf die Betrachtungsdauer einzelner Areas of Interest Long-Phase (3,5 Sekunden Betrachtungszeit) Area of Interest Bild Copy Headline Subline Claim Logo
F-Wert
Signifikanz
1,232 0,233 4,317 0,798 0,376 1,534
0,297 0,874 0,005 0,495 0,77 0,204
Tabelle 2: Einfluss der Variable Bildungsgrad auf die Betrachtungsdauer einzelner Areas of Interest Long-Phase (3,5 Sekunden Betrachtungszeit) Area of Interest Bild Copy Headline Subline Claim Logo
F-Wert
Signifikanz
0,145 1,573 1,173 1,608 0,265 3,345
0,933 0,194 0,319 0,186 0,850 0,018
402
Anhang
Tabelle 3: Einfluss der Variable Alter auf die Betrachtungsdauer einzelner Areas of Interest Long-Phase (3,5 Sekunden Betrachtungszeit) Area of Interest Bild Copy Headline Subline Claim Logo
F-Wert
Signifikanz
2,543 3,786 2,551 2,302 0,906 3,731
0,038 0,005 0,037 0,056 0,460 0,005
Tabelle 4: Einfluss der Variable Geschlecht auf die Betrachtungsdauer einzelner Areas of Interest Long-Phase (3,5 Sekunden Betrachtungszeit) Area of Interest Bild Copy Headline Subline Claim Logo
F-Wert
Signifikanz
0,642 1,063 3,572 0,351 0,142 1,897
0,423 0,303 0,059 0,553 0,706 0,169
403
Anhang
Tabelle 5: Einfluss der Variable Zwei Meinungen über Wahlplakate auf die Betrachtungsdauer einzelner Areas of Interest Long-Phase (3,5 Sekunden Betrachtungszeit) Area of Interest Bild Copy Headline Subline Claim Logo
F-Wert
Signifikanz
0,061 2,290 3,281 0,101 0,035 0,036
0,805 0,130 0,070 0,577 0,853 0,850
Tabelle 6: Einfluss der Variable Mediennutzung auf die Betrachtungsdauer einzelner Areas of Interest (Mediennutzung TV) Long-Phase (3,5 Sekunden Betrachtungszeit) Area of Interest Bild Copy Headline Subline Claim Logo
F-Wert
Signifikanz
0,725 1,493 0,918 0,885 0,270 0,398
0,575 0,202 0,453 0,491 0,897 0,810
404
Anhang
Tabelle 7: Einfluss der Variable Mediennutzung auf die Betrachtungsdauer einzelner Areas of Interest (Mediennutzung Zeitung) Long-Phase (3,5 Sekunden Betrachtungszeit) Area of Interest Bild Copy Headline Subline Claim Logo
F-Wert
Signifikanz
1,328 0,393 5,553 1,010 0,876 2,260
0,257 0,814 0,000 0,401 0,478 0,061
Tabelle 8: Einfluss der Variable Parteiidentifikation/Kongruenz auf die Betrachtungsdauer einzelner Areas of Interest
Area of Interest Bild Copy Headline Subline Claim Logo
Long-Phase (3,5 Sekunden Betrachtungszeit) F-Wert Signifikanz 4,939 0,026 13,781 0,000 0,782 0,376 0,869 0,351 1,085 0,298 1,347 0,246
405
Anhang
Anhang 3: Zusammenhang individueller Rezipientenmerkmale mit der Time to first Fixation einzelner Areas of Interest Tabelle 1: Korrelation Politisches Interesse mit Time to first Fixation einzelner Areas of Interest Area of Interest Bild Headline Subline Logo
Kendall’s-Tau 0,00 0,01 -0,05 0,00
Tabelle 2: Korrelation Bildungsgrad mit Time to first Fixation einzelner Areas of Interest Area of Interest Bild Headline Subline Logo
Kendall’s-Tau -0,01 0,00 0,00 0,02
Tabelle 3: Korrelation Alter mit die Time to first Fixation einzelner Areas of Interest Area of Interest Bild Headline Subline Logo
Kendall’s-Tau 0,01 0,02 0,01 -0,03
406
Anhang
Tabelle 4: Korrelation Geschlecht mit die Time to first Fixation einzelner Areas of Interest Area of Interest Bild Headline Subline Logo
Kendall’s-Tau -0,09 -0,54** 0,24 -0,65*
Tabelle 5: Korrelation Zwei Meinungen Wahlplakate mit Time to first Fixation einzelner Areas of Interest Area of Interest Bild Headline Subline Logo
Kendall’s-Tau 0,01 0,00 0,17 -0,23
Tabelle 6: Korrelation Mediennutzung mit Time to first Fixation einzelner Areas of Interest (Mediennutzung TV) Area of Interest Bild Headline Subline Logo
Kendall’s-Tau 0,01 0,02 -0,03 0,01
Tabelle 7: Korrelation Mediennutzung mit Time to first Fixation einzelner Areas of Interest (Mediennutzung Zeitung) Area of Interest Bild Headline Subline Logo
Kendall’s-Tau 0,02 -0,01 0,00 0,01
407
Anhang
Tabelle 8: Korrelation Parteiidentifikation mit Time to first Fixation einzelner Areas of Interest Area of Interest Bild Headline Subline Logo
Kendall’s-Tau 0,03 -0,03 -0,01 -0,05
Tabelle 9: Korrelation Parteiidentifikation nach Lagern mit Time to first Fixation einzelner Areas of Interest Area of Interest Bild Headline Subline Logo
Kendall’s-Tau -0,05 0,03 -0,01 0,05
Tabelle 10: Korrelation Parteiidentifikation nach Lagern und Stärke mit Time to first Fixation einzelner Areas of Interest Area of Interest Bild Headline Subline Logo
Kendall’s-Tau 0,02 -0,02 -0,01 0,01
408
Anhang
Anhang 4: ANOVA für Akzeptanz in der Fragebogen-gestützten Bewertung bezüglich Parteiidentifikation (PI), Bildung (B) und Politischem Interesse (Pol Int) in Welle 1 und 3 für Gruppen 1 und 2 Tabelle 1: ANOVA Akzeptanz in der Fragebogen-gestützten Bewertung bezüglich Parteiidentifikation (PI), Bildung (B) und Politischem Interesse (Pol Int) in W1-G1 Rezipientenmerkmale Plakat (Arbeitstitel)
FDP Einheitschule _Text Linke_ZukunftFür Kinder_Text FDP_Steuerwehr_ Text CDU_Sicher Leben_Text Linke_Privatisieru ngStoppen_Text CSU_FamilienUns ereZukunft_Text SPD_Mindestlohn _Text SPD_Respekt_ Text Gruene_ Neue Energiekultur_Text Gruene_ Kinderknast_Text SPD_Atomenergie _Bild Gruene_ Studiengebuehren_Bild
O/S
(M =)
(Signifikanz)
(SD=) PI
B
Pol Int
O
3,74
1,27
0,867
0,256
0,969
O
3,64
1,52
0,230
0,008*
0,872
O
4,07
1,38
0,774
0,560
0,971
S
3,71
1,46
0,006*
0,166
0,776
O
4,34
1,42
0,080
0,241
0,759
S
3,68
1,42
0,164
0,759
0,365
S
3,87
1,36
0,043*
0,206
0,116
O
3,19
1,56
0,096
0,557
0,083
S
3,40
1,31
0,038*
0,381
0,517
S
3,37
1,51
0,663
0,003*
0,112
O
3,64
1,54
0,208
0,466
0,770
O
2,87
1,44
0,634
0,343
0,861
409
Anhang
Rezipientenmerkmale Plakat (Arbeitstitel)
Linke_Armut Bekaempfen_Bild SPD_FamilieUnd Beruf_Bild Linke_Leben Koennen_Bild FDP_Hessen Staerker_Bild FDP_Landarzt_ Bild CSU_Arbeitsplaetze_Bild Gruene_ Genfood_Bild CDU_Bildungschancen_Text
O/S
(M =)
(Signifikanz)
(SD=) PI
B
Pol Int
S
3,61
1,50
0,200
0,408
0,879
O
2,88
1,34
0,085
0,209
0,225
S
3,93
1,48
0,148
0,146
0,346
O
2,50
1,41
0,868
0,082
0,196
S
3,03
1,43
0,786
0,656
0,565
O
3,35
1,45
0,402
0,172
0,057
O
2,15
1,33
0,068
0,250
0,102
S
4,11
1,42
0,004*
0,164
0741
410
Anhang
Tabelle 2: ANOVA Akzeptanz (post-kommunikative Evaluation) bezüglich Parteiidentifikation (PI), Bildung (B) und Politischem Interesse (Pol Int) in W1-G2 Rezipientenmerkmale Plakat (Arbeitstitel)
FDP_Einheitschule_Bild Linke_Zukunft FuerKinder FDP_Steuerwehr_ Bild CDU_Sicher Leben_Bild Linke_PrivatisierungStoppen_Bild CSU_Familien UnsereZukunft_ Bild Gruene_Kinderknast_Bild SPD_Mindestlohn _Bild SPD_Respekt_ Bild Gruene_ NeueEnergiekultur_Bild SPD_Atomenergie _Text Gruene_ Studiengebuehren_Text Linke_Armut Bekaempfen_Text SPD_FamilieUnd Beruf_Text
O/S
(M =)
(Signifikanz)
(SD=) PI
B
Pol Int
O
3,14
1,59
0,234
0,570
0,373
S
3,45
1,57
0,399
0,022*
0,435
S
3,38
1,43
0,392
0,319
0,123
O
3,58
1,23
0,037*
0,867
0,174
S
3,65
1,60
0,691
0,076
0,762
O
3,10
1,37
0,010*
0,484
0,641
O
2,50
1,16
0,256
0,005*
0,785
O
3,09
1,42
0,842
0,762
0,669
S
2,44
1,35
0,928
0,688
0,169
O
2,72
1,25
0,830
0,486
0,912
S
3,85
1,36
0,320
0,951
0,138
S
2,90
1,35
0,527
0,868
0,477
O
3,90
1,56
0,238
0,159
0,846
S
3,40
1,33
0,237
0,356
0,294
411
Anhang
Plakat (Arbeitstitel)
Linke_Leben Koennen_Text FDP_Hessen Staerker_Text FDP_Landarzt_ Text CDU_Arbeitsplaet zeSchaffen Zukunft_Text Gruene_ Genfood_Text CDU_Bildungscha ncen_Text
O/S
(M =)
(SD=)
Rezipientenmerkmale (Signifikanz) PI
B
Pol Int
O
3,95
1,50
0,056
0,202
0,825
O
4,14
1,48
0,086
0,427
0,091
O
3,93
1,40
0,731
0,759
0,924
S
3,80
1,36
0,002*
0,429
0,607
S
3,08
1,31
0,770
0,484
0,738
S
4,11
1,42
0,004*
0,164
0741
Tabelle 3: ANOVA Akzeptanz (post-kommunikative Evaluation) bezüglich Parteiidentifikation (PI), Bildung (B) und Politischem Interesse (Pol Int) in W2 für G1 Rezipientenmerkmale Plakat (Arbeitstitel)
O/S
(M =)
(Signifikanz)
(SD=) PI
B
Pol Int
SPD_Familie_Bild
S
2,76
1,27
0,188
0,636
0,781
SPD_Zuversicht_ Bild SPD_Vertrauen_ Bild SPD_Heimat_Bild
S
2,51
1,23
0,906
0,678
0,285
S
2,52
1,23
0,217
0,501
0,011*
S
2,66
1,32
0,107
0,826
0,031*
SPD_Hoffnung_ Bild
S
2,71
1,28
0,264
0,659
0,136
412
Anhang
Rezipientenmerkmale Plakat (Arbeitstitel) SPD_Neugier_ Bild SPD_Sehnsucht_ Bild
O/S
(M =)
(Signifikanz)
(SD=) PI
B
Pol Int
S
2,49
1,20
0,276
0,732
0,019*
S
3,24
1,34
0,045*
0,190
0,362
Tabelle 4: ANOVA Akzeptanz (post-kommunikative Evaluation) bezüglich Parteiidentifikation (PI), Bildung (B) und Politischem Interesse (Pol Int) in W2 für G2 Rezipientenmerkmale Plakat (Arbeitstitel)
O/S
(M =)
(Signifikanz)
(SD=) PI
B
Pol Int
CDU_Arbeitsplätze_Bild FDP_Mitte_Bild
O
3,22
1,19
0,084
0,668
0,986
O
3,64
1,14
0,009*
0,519
0,521
Grüne_Klimaschutz_Text SPD_Familie_Bild
S
3,11
1,12
0,396
0,440
0,231
S
2,54
1,00
0,508
0,368
0,156
SPD_Genfood_ Bild SPD_Neugier_
O
2,97
1,46
0,292
0,590
0,405
S
2,23
1,06
0,144
0,004*
0,370
S
2,43
1,02
0,258
0,409
0,632
Bild SPD_Zuversicht_ Bild
413
Anhang
Anhang 5 - Tabelle 1: Binäre logistische Regression zur Prüfung des statistischen Zusammenhangs von pre-attentiver Prädisposition und und post-kommunikativer Evaluation (Akzeptanz) auf die Wiedererkennungsleistung Plakat (Arbeitstitel)
FDP_Einheitsschule_Text Linke_ ZukunftFuerKinder_Text FDP_Steuerwehr_ Text CDU_Sicher Leben_Text Linke_PrivatisierungStoppen_ Text CSU_FamilienUns ereZukunft_ Text SPD_Mindestlohn _Text SPD_Respekt_ Text Gruene_Neue Energiekultur_Text Gruene_Kinderknast_Text SPD_Atomenergie _Bild Gruene_Studiengebuehren_Bild Linke_Armut Bekaempfen_Bild SPD_FamilieUnd Beruf_Bild
RTR -
Bewertung
Messung
Regressionskoeffizient
Signifikanz
Regressionskoeffizient
Signifikanz
n/a
n/a
0,084
0,248
0,084
0,576
0,027
0,704
-0,228
0,166
0,042
0,636
-0,159
0,316
-0,052
0,543
0,023
0,877
-0,066
0,426
-0,056
0,713
0,008
0,926
-0,001
0,994
0,041
0,66
-0,630
0,000**
-0,164
0,100
-0,062
0,725
0,186
0,043
-0,058
0,733
-0,068
0,489
0,254
0,842
0,103
0,552
0,015
0,938
-0,007
0,941
0,029
0,887
0,144
0,177
0,004
0,985
0,106
0,327
414 Linke_Leben Koennen_Bild FDP_Landarzt_ Bild CSU_Arbeitsplaet zeSchaffen Zukunft_Bild Gruene_Genfood_Bild CDU_Bildungschancen_Bild
Anhang
0,074
0,631
0,138
0,125
0,164
0,440
0,042
0,705
0,103
0,572
0,023
0,656
0,325
0,429
0,366
0,045
-0,061
0,772
0,534
0,619
Anhang 6 – Tabelle 1: Übersicht der Treatment-Effekte auf die Themenwichtigkeit Familienpolitik mittels Varianzanalyse mit Messwiederholung für die Wellen 2, 3, 4 sowie für die Wellen 2 bis 4 (Verlauf) Welle Effekt MS df F p Welle 2 Treatment 6,595 1 7,547 0,007 Welle 2 Treatment * Gruppe 0,101 1 0,116 0,734 Welle 3 Treatment 4,826 1 8,111 0,005 Welle 3 Treatment * Gruppe 0,298 1 0,501 0,48 Welle 4 Treatment 2,378 1 3,569 0,061 Welle 4 Treatment * Gruppe 0,014 1 0,021 0,884 Welle 2-4 Treatment 12,473 1 2,568 0,03 Welle 2-4 Treatment * Gruppe 3,205 1 0,583 0,713 N (G1=100; G2=104)
415
Anhang
Anhang 7: Übersicht der Eingänge einzelner Regressionskoeffizienten in die Gesamtbewertung der Kandidatenkompetenz von Steinmeier und Merkel für Gruppe 1 und 2 in den Wellen 2, 3 und 4 Tabelle 1: Regressionskoeffizienten Steinmeier für G1 und G2 W2
G1
Familienpolitik Wirtschaft Soz. Gerechtigkeit Finanzpolitik Versorgung Umweltschutz Kriminalität Arbeitsplätze Bildungspolitik Außenpolitik Energie Zukunft
G2
Familienpolitik Wirtschaft Soz. Gerechtigkeit Versorgung Umweltschutz Kriminalität Arbeitsplätze Bildungspolitik Außenpolitik Energie Zukunft
M1 KK n.s. n.s. n.s.
W3 M2 M1 M2 KK KK KK +0,214 n.s. +0,323 +0,243 +0,259 n.s. n.s.
n.s.
n.s.
W4 M1 KK n.s. n.s.
M2 KK +0,249 n.s.
+0,223
n.s.
n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. +0,253 n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. +0,202 +0,265 n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. +0,377 +0,238 n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. +0,307 +0,470 +0,359 +0,382 +0,254 +0,492 n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. +0,290 n.s. n.s. n.s. +0,286 n.s. n.s. n.s.
+0,345 +0,304 n.s. +0,619 n.s. +0,393 +0,260 +0,216 n.s. +0,433
n.s. n.s. n.s. +0,474 n.s. n.s. +0,236 n.s. n.s.
n.s. n.s. -0,238 n.s. n.s. +0,347 n.s. n.s. n.s.
n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. +0,371
n.s. n.s. n.s. +0,242 n.s. +0,451 n.s. n.s. n.s.
n.s. n.s. n.s. n.s. +0,304 n.s. n.s. n.s. n.s.
n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. +0,441 n.s.
416 Tabelle 2: Regressionskoeffizienten Merkel für G1 und G2 W2
G1
Familienpolitik Wirtschaft Soz. Gerechtigkeit Finanzpolitik Versorgung Umweltschutz Kriminalität Arbeitsplätze Bildungspolitik Außenpolitik Energie Zukunft
G2
Familienpolitik Wirtschaft Soz. Gerechtigkeit Finanzpolitik Versorgung Umweltschutz Kriminalität Arbeitsplätze Bildungspolitik Außenpolitik Energie Zukunft
W3
W4
M1 KK n.s. n.s.
M2 KK n.s. n.s.
M1 KK n.s. n.s.
M2 KK +0,476 n.s.
M1 KK n.s. n.s.
M2 KK n.s. n.s.
n.s.
n.s.
n.s.
n.s.
+0,245
n.s.
n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. +0,265 +0,327 +0,363 n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. +0,257 n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. +0,318 n.s. +0,513 n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. +0,309 +0,235 +0,473 +0,324 +0,287 +0,311 n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. +0,278 +0,430 +0,203 n.s. +0,403 n.s. n.s. n.s. n.s.
n.s. n.s. n.s. n.s. +0,418 +0,338
n.s. n.s. n.s.
n.s. n.s. +0,399 +0,431 +0,302 +0,293
+0,209 n.s. n.s. +0,333 n.s. n.s. n.s. +0,275 n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. +0,192 n.s. n.s. n.s. -0,297 n.s. n.s. n.s. n.s. +0,380 +0,281 n.s. n.s. n.s. +0,282 n.s. n.s. +0,318 n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. n.s. +0,385 +0,252 +0,262 +0,550 +0,285 n.s.